Die Stellung der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung [1 ed.] 9783428524006, 9783428124008

Die betriebsverfassungsrechtliche Praxis ist erstaunlich oft von der heftigen Konkurrenz zwischen Mehrheits- und Minderh

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German Pages 525 Year 2007

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Die Stellung der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung [1 ed.]
 9783428524006, 9783428124008

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 261

Die Stellung der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung Von

Jens Klein

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

JENS KLEIN

Die Stellung der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 261

Die Stellung der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung

Von

Jens Klein

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Sommersemester 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 25 Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-12400-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Danksagung Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg/Brsg. im Sommersemester 2006 als Dissertation angenommen. Dem Manuskript liegen – mit Ausnahme einer nachträglich noch ergänzten Entscheidung des Arbeitsgerichts Ulm – Rechtsprechung und Literatur bis Februar 2006 zugrunde. Danken möchte ich an erster Stelle Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Löwisch: Für seine wohlwollende Bereitschaft, mir die Gelegenheit zu geben, mich des Themas im Rahmen einer Dissertation anzunehmen, aber auch für seine freundliche und bereitwillige Betreuung der Arbeit selbst und für seine stets sehr förderlichen Vorschläge und Hinweise, die mir immer geholfen haben, die Arbeit stringent und – einigermaßen – zügig zu verfassen. Nicht zuletzt habe ich mich auch sehr dafür zu bedanken, dass Herr Prof. Dr. Dr. h.c. Löwisch durch seine außerordentlich zügige Erstellung seines Gutachtens mir die rasche Absolvierung des Rigorosums ermöglicht, und er mir damit einen schnellen Abschluss des Prüfungsverfahrens eröffnet hat. Mein Dank gilt weiterhin auch Prof. Dr. Thomas Würtenberger, für die ebenfalls sehr zügige Anfertigung des Zweitgutachtens – und für seine ergänzenden spezifisch verfassungsrechtlichen Hinweise, die ich noch gerne in meine Abhandlung aufgenommen habe. Auch Herrn PD. Dr. Georg Caspers danke ich für seine freundliche Bereitschaft, mir immer wieder Ansprechpartner zu sein, und mir mit seinen Vorschlägen den Fortgang der Arbeit zu erleichtern. Dank gilt weiter Herrn Prof. Dr. Simon für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht“. Besonderen Dank schulde ich aber meinen Eltern und meiner Frau, die mich in jeder erdenklichen Weise unterstützt und gefördert haben. Ihnen soll deshalb meine Arbeit gewidmet sein. Insbesondere meine Frau hat die praktische Last meines Zeitaufwandes für die Anfertigung der Dissertation tragen müssen, und sie hat dies – fast immer – klaglos und mit großer Geduld und Verständnis getan. Zuletzt hoffe ich, dass meine Kinder Johannes, Adele, Valerian und Charlotte es mir nachsehen werden, dass sie meine Gedanken und Fürsorge jahrelang mit einer für sie sicher recht abstrakten „Arbeit“ teilen mussten. Bad Vilbel, im Frühjahr 2007

Jens Klein

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Die Minderheitsgewerkschaften – Der Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§1

Minderheitsgewerkschaften im allgemeinen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

§2

Minderheitsgewerkschaften im besonderen, betriebsverfassungsrechtlichen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§3

Minderheitenproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

§4

Der Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

1. Kapitel

§1

Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

43

Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . A. Pluralität gewerkschaftlicher Ansätze bei der Regelung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen und im gesellschaftspolitischen Sektor . . . . B. Allgemeine Typologie gewerkschaftlicher Organisationsformen . . . . . . . . I. Die Richtungsgewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die sog. „Einheitsgewerkschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Industriegewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Organisation nach Berufsverbandsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Statusgewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Multibranchengewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Betriebsgewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Überschneidung der Grundtypenformen in der gewerkschaftlichen Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Spezielle Typologisierung nach richtungspolitisch-inhaltlichen Präferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mitgliedschaftliche Verquickungen zwischen politischen Parteien und Spitzenfunktionären der Dachverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Parteipolitische Neutralität und Unabhängigkeit als Begriffe eines Paradigmenwechsels von der Einheits- zur Richtungsgewerkschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unterschiedlich weite Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandats – gesellschaftspolitisch restriktive berufs- und betriebsbezogene Gewerkschaftstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8 §2

§3

Inhaltsverzeichnis Historischer Abriss der Entwicklung der „Minderheitsgewerkschaften im allgemeinen Sinne“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Entwicklung der Christlichen Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Entwicklung des dbb beamtenbund und tarifunion . . . . . . . . . . . . . . . Rechtstatsächliche Tendenz zu härterer gewerkschaftlicher Konkurrenz . . . . A. Negative Veränderungen des gewerkschaftlichen Organisationsgrades . . B. Einflussfaktoren für den gewerkschaftlichen Organisationsgrad . . . . . . . . C. Konsequenzen für die gewerkschaftliche Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Denkbare Konsequenzen aus der unterschiedlich starken Pointierung der „klassischen“ gewerkschaftlichen Aufgaben . . . . . . . . . . . . II. Enger werdender „Mitgliedermarkt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gewerkschaftspolitische Taktiken auf dem Hintergrund der Konkurrenzsituation von Gewerkschaften in der Betriebsverfassung . .

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2. Kapitel Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen für die gewerkschaftliche Stellung und die gewerkschaftliche Tätigkeit in der Betriebsverfassung §1

Schutzumfang und Schutzfunktion des Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Sachlicher Geltungsbereich: Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abhängig geleistete Arbeit im betrieblichen Rahmen . . . . . . . . . . . II. Abhängig geleistete Arbeit und Unternehmenspolitik – historischfunktionale Bestimmung des Gegenstands der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einflussnahme auf Betriebs- und Unternehmensverfassung – Gewährleistung eines effektiven Grundrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . B. Funktion der kollektiven Koalitionsfreiheit als Mittel der Verwirklichung der individuellen Koalitionsfreiheit der Organisierten . . . . . . . . . . I. Persönlicher Geltungsbereich: Individuelle Koalitionsfreiheit . . . . . II. Persönlicher Geltungsbereich: Kollektive Koalitionsfreiheit . . . . . . 1. Ideologische Differenzen über das Wesen der kollektiven Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollektive Koalitionsfreiheit (auch) als Ausdruck des Ordnungsprinzips eines Kollektivwettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . b) Koalitionsfreiheit als Instrument quasi-öffentlich-rechtlicher Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konsequenzen des Streits über das Wesen der kollektiven Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konsequenzen aus einer privatautonomen Einordnung der kollektiven Koalitionsfreiheit im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Rang des Koalitionspluralismus . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis b) Konsequenzen aus einem Verständnis der kollektiven Koalitionsfreiheit als Teil einer staatlich verliehenen sozialen Selbstverwaltung mit umfassender Repräsentationsfunktion für die Arbeitnehmerschaft im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Rang des Koalitionspluralismus . . . . . . . . . 3. Argumente für das unterschiedliche Verständnis „des Wesens“ der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Historisch-entwicklungsbezogene Argumente . . . . . . . . . . . . aa) Die Entwicklung der Koalitionsfreiheit bis zum Ende des Kaiserreichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Stellung der Koalitionsfreiheit seit der Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Stellung der Koalitionsfreiheit im Grundgesetz . . . b) Funktionsbezogene Argumentationsmuster . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kartellfunktion der Koalitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Staatsentlastende Funktion des Koalitionswesens . . . . . cc) Kartellfunktion der Koalitionen – Ein Widerspruch zum koalitionspluralistisch offenen Verständnis der kollektiven Koalitionsfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Allgemeine „vereinigungsrechtliche“ Anforderungen an Arbeitnehmerkoalitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. „Ad-hoc-Koalitionen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Erfordernis der „längeren Zeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Organisierte Willensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Besondere, koalitionsspezifische Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gegnerunabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Überbetrieblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Steuerung der Mitgliederstärke und -struktur der Vereinigung durch den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Historische Begründung und Entwicklung der Forderung nach Überbetrieblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Argumente für die Forderung nach Überbetrieblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesamtwirtschaftlich sinnvolles Verhalten und Gruppenegoismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatbestandsmerkmal „für alle Berufe“ als Indiz der Zuweisung des grundrechtlichen Schutzes nur für Berufs- und Industrieverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dualismus von Tarifvertragssystem und Betriebsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis E. Gewerkschaftliche Konkurrenz als Freiheitsgewähr des Einzelnen gegenüber den Kollektivmächten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 I. Konflikt zwischen den Interessen einzelner Organisierten und ihrer eigenen Koalition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 II. Konflikt zwischen dem Einzelnen und der „tonangebenden“ Koalition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 F. Abschied von der Kernbereichslehre des Bundesverfassungsgerichts – Grundsätzliche Schutzgewährung für jede koalitionsspezifische Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 I. Die Entwicklung der Kernbereichslehre in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Die Kernbereichslehre und ihre Kritik in der Literatur . . . . . . . . . . 124 III. IV.

Art. 9 Abs. 3 GG als „unfertige Grundrechtsgewährleistung“ . . . . 126 Grenzen und Maßstab staatlicher Ausgestaltung durch verfassungsrechtliche Vorgaben des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Keine grundsätzliche staatliche Rechtfertigungslast des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit . . . . . . . 130 2. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Proportionalität) – weite staatliche Einschätzungsprärogative . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Bindung der Koalitionsbetätigung an die allgemeine Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 c) Wechselwirkungsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 d) Unantastbarkeit des Kernbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 e) Gewährleistung effektiver Grundrechtsausübung – Untermaßverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Allgemeiner Gleichheitssatz – Diskriminierungsverbot . . . . . . . 141 a) Allgemeine Anforderungen des Gleichheitssatzes an staatliches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Ausformung eines speziellen Anforderungsprofils für das erlaubte Maß der Differenzierung – Prüfungsintensität . . . . 143 c) Ausdifferenziertes Anforderungsprofil bei der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 d) Weitere Verstärkung der Prüfungsintensität bei Wahlen . . . 145 e) Staatliche Neutralität als Ausfluss des Allgemeinen Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 f) Zersplitterungsargument als Sachkriterium der Differenzierung zwischen Mehrheits- und Minderheitskoalitionen bzw. Gewerkschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 g) Effektivität des Minderheitenschutzes als Verwirklichung des Koalitionsgrundrechts von Minderheitsgewerkschaften bzw. -koalitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Inhaltsverzeichnis

11

aa) Allgemeine – positive – Anforderungen an die staatliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 bb) Spezielle – negative – Anforderungen an die staatliche Ausgestaltung – Unlauterkeitsgrenzen und Auswirkungen von Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . 151 cc) Insbesondere: bei der Wahrnehmung der Aufgaben der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in staatlich vorgegebenen Zwangskorporationen („konkurrierende Einrichtungen“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 dd) Vorgaben des Demokratieprinzips an die Verwirklichung der kollektiven Koalitionsfreiheit bei der Ausgestaltung zwangskorporierter Mitbestimmung . . . . . . . 154 ee) Grundsätzlicher Geltungsanspruch des Demokratiegebots als Folge der Zwangskorporation? – Regelungsunterworfenheit der Zwangskorporierten . . . . . . . . . . . . 156 ff) Demokratisches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 gg) Grundsatz der Mehrheitsherrschaft – Immanenz des Minderheitenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 hh) Allgemeine Konsequenzen des auch aus dem Demokratieprinzip folgenden Gebots effektiven Minderheitenschutzes für die Anwendung der Normen des Betriebsverfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 ii) Besondere Konsequenz des aus dem Demokratieprinzip folgenden Gebots effektiven Minderheitenschutzes – Verhältniswahlsystem in der Betriebsverfassung als zwingende verfassungsrechtliche Vorgabe? . . . . . . . . . . 162 §2

Landesverfassungsrechtliche Regelungen der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . 163

§3

International-rechtliche Gewährleistungen der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . 164

3. Kapitel Die Untauglichkeit der These vom „einheitlichen Gewerkschaftsbegriff für die gesamte arbeitsrechtliche Gesetzgebung“, insbesondere für die Betriebsverfassung

166

§1

Der „einheitliche Gewerkschaftsbegriff“ in seiner Sperrfunktion für kleinere Arbeitnehmerverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

§2

Einheitlichkeit der Begriffsverwendung aus juristisch-methodologischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

§3

Die Rechtsprechungsthese des Bestehens eines „einheitlichen Gewerkschaftsbegriffs“: Entwicklung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 A. Die historisch-soziologische Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

12

Inhaltsverzeichnis B. Notwendigkeit des Auftretens eines Verbandes mit sozialer Mächtigkeit auch im Bereich „sekundärer Gewerkschaftsrechte“ in der Betriebsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 I. Der wesentliche Inhalt der Entscheidung vom 23.04.1971 . . . . . . . 173 II.

Kritik an der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts unter dem Gesichtspunkt der betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht des § 74 Abs. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 III. Systemfremdheit des tarifrechtlichen Gegengewichtsprinzips in der Betriebsverfassung am Beispiel konkret eingeräumter gewerkschaftlicher Sekundärrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 IV. Verzahnung von Tarif- und Betriebsverfassungsrecht durch betriebsverfassungsbezogene Regelungs- und Normsetzungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 D. Weitere Einwände gegen die These vom einheitlichen Gewerkschaftsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 I. Verbot der Diskriminierung von Koalitionen gem. Art. 9 Abs. 3 GG i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 II. Der verfassungsrechtliche Sonderstatus der Beamtenverbände in der Personalverfassung – längst anerkannter Bruch der Einheitlichkeit des Gewerkschaftsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 §4

Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

4. Kapitel Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung §1

189

Die vertrauensvolle Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . 189 A. „Gewerkschaften“ – Kein Erfordernis der Mächtigkeit im tarifrechtlichen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 B. Prozessuale Anforderungen an den Nachweis des „Vertretenseins“ im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 C. Die Neutralitätspflicht des Arbeitgebers gegenüber den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 I. Neutralitätspflicht aufgrund eines Dauerschuldverhältnisses eigener Art („Betriebsverhältnis“)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Neutralitätspflicht als Ausfluss des koalitionsrechtlichen Diskriminierungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Praktische Folgerungen aus der Neutralitätspflicht des Arbeitgebers – gleichgeordneter Verhandlungsanspruch aller Gewerkschaften im Betrieb – Verhandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . 200

Inhaltsverzeichnis 2. Weitere Folgen der Neutralitätspflicht bei der Gestattung der gewerkschaftlichen Nutzung der betrieblichen Infrastruktur des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Relevanz des Streits um die Legitimität einer Indienstnahme des sozialen Gegenspielers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Allgemeines gewerkschaftliches Zugangsrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG . . . D. Gewerkschaftliches Zugangsrecht aus dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlich gebotenen Minderheitenschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Argumente für und gegen ein koalitionsrechtliches Zugangsrecht der nicht im Betrieb vertretenen Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . 1. Individualrechtliche Verankerung des Koalitionsgrundrechts . . 2. Kreation eines Zugangsrechts alleine durch Satzungsgestaltung der zutrittswilligen Gewerkschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entstehungsgeschichte des gewerkschaftlichen Zugangsrechts des § 2 Abs. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. „Wesentlichkeitsüberlegungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Eigentums- und Hausrecht des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Übereinkommen Nr. 135 ILO – Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . II. Abschließende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unerlässlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hoher Rang des Koalitionspluralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zugangsrecht der nicht im Betrieb vertretenen Koalition – Verbotene Erfolgsverschaffung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Akzessorisches betriebsverfassungsrechtliches Zugangsrecht gem. § 2 Abs. 2 BetrVG auch für die Minderheitskoalitionäre im Betriebsrat? . . . §2

Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Normsetzungsprärogative der Tarifvertragsparteien im Bereich der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsstruktur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung der Fragestellung im Untersuchungszusammenhang . . . II. Das Verhältnis zwischen tariflicher und gesetzlicher Regelungsmacht im Bereich der Organisationsstruktur der Betriebsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Normsetzungsmonopol der Koalitionen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine grundsätzliche Normsetzungsprärogative der Koalitionen im Bereich der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine spezielle Normsetzungsprärogative der Koalitionen im Bereich der Organisation der Betriebsverfassung . . . . . . . . . . . . a) Verhältnis tarifautonomer und staatlicher Normsetzungsmacht: Keine konkreten Vorrangprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang des Gesetzgebers in der Betriebsverfassung . . . . . .

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201 203 204 206 206 206 208 209 210 211 213 214 214 216 217 218 219 221 223 223

224 224

226 227 227 229

14

Inhaltsverzeichnis aa) Begrenzung der Normsetzungskompetenz der Tarifvertragsparteien im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips – Vermutung der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems nur bei traditionell originären tarifvertraglichen Regelungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die staatliche Regelung des Betriebsverfassungsgesetzes als verhältnismäßige Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Notwendige Erfassung der Nicht- oder Andersorganisierten durch Tarifverträge im Rahmen des § 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Auseinandersetzung um das Bestehen von Legitimationsproblemen bei der tarifvertraglichen Gestaltung des betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsrechts im Rahmen des § 3 Abs. 1 BetrVG im Hinblick auf Außenseiter und Andersorganisierte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nichtbestehen eines Legitimationsdefizits wegen fehlender Fremdbestimmung der Außenseiter und Nichtorganisierten durch Organisationstarifvertrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Keine Legitimation der Außenseitergeltung durch die Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abschaffung des präventiven staatlichen Zulassungsverfahrens für Organisationstarifverträge als unüberbrückbares Legitimationsdefizit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Legitimation durch ausdrückliches staatliches Genehmigungserfordernis – „Theorie vom hoheitlichen Rechtsetzungsakt“ . . a) Befürwortende Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gegenstimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Legitimationsmöglichkeiten jenseits eines ausdrücklichen staatlichen Genehmigungserfordernisses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 3 Abs. 1 BetrVG als „Erneuerung der Beleihung durch den Staat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Legitimation der Außenseiterbindung durch § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 1 Satz 2, Satz 1 TVG als Transmissionsnormen für tarifliche Regelungen der betrieblichen Organisationsverfassung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Verfassungsmäßigkeit von § 3 Abs. 2 TVG in der Sicht von Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Stellungnahmen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit . . . . . . . . . . . (2) Bejahung der Verfassungsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . bb) Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Bundesarbeitsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

15

IV.

Eigene Stellungnahme zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 1. Bestehen eines Legitimationsbedürfnisses für die Außenseitergeltung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen . . . . . . . . . . 252 2. Kein Entfallen des Legitimationsbedürfnisses wegen eintretender Fremdbestimmung durch Strukturtarifvertrag . . . . . . . . . . . . 252 3. Legitimation durch staatliche Mitwirkung an der Normsetzung bzw. Normerstreckung auf Außenseiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 a) Die Funktion des Genehmigungsvorbehalts gem. § 3 Abs. 2 BetrVG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 b) Überbrückung des eingetretenen Legitimationsdefizits durch § 3 Abs. 2 TVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 aa) Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (1) Verfassungsmäßigkeit der Außenseitererfassung qua „Natur der Sache“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 (2) § 3 Abs. 2 TVG als ausreichende staatliche Mitwirkung bei der Erfassung der Außenseiter und Andersorganisierten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (a) § 3 Abs. 2 TVG als generelle Allgemeinverbindlicherklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (b) § 3 Abs. 2 TVG als dynamische Verweisung auf Tarifverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 bb) Zwischenergebnis zur Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 c) Unverzichtbarkeit des staatlichen Genehmigungsvorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 aa) Ausgangspunkt: Vermutung der Gefährdung von Minderheitsinteressen bei alleiniger Vertretung durch die Mehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 bb) Konsequenz: Notwendigkeit einer effektiven Ex-anteKontrolle betriebsverfassungsrechtlicher Tarifverträge 263 (1) Indirekte Bestätigung des Gebots der Ex-anteKontrolle durch Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Bestimmtheitsgebot und zur Wesentlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (2) Kein Ersatz der staatlichen Ex-ante-Kontrolle durch verfahrensmäßige Einbindung aller potentiell betroffenen Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 266 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 §3

Betriebsratswahlen (§ 14 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 A. Verfassungsfestigkeit des § 14 Abs. 4 Satz 1 i.V. m. § 14 Abs. 3 BetrVG (Unterschriftenquorum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

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Inhaltsverzeichnis I.

Besonders hohe Anforderungen an die staatliche Ausgestaltung im Bereich von Wahlen im Mitbestimmungsbereich . . . . . . . . . . . . II. Übertragbarkeit der Grundsätze des Parlamentswahlrechts auf Wahlen im Mitbestimmungssektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatliche Neutralität und Chancengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beeinträchtigung der Chancengleichheit – Zwingende Gründe – Das Argument der Zersplitterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungswidrigkeit des vormaligen Zehn-Prozent-Quorums des § 14 Abs. 4 und 5 BetrVG (Fassung vor der Novelle 1988) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorgaben an ein verfassungsgemäßes Quorum für Wahlvorschläge zu Betriebsratswahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verhältniswahlsystem in der Betriebsverfassung als zwingende verfassungsrechtliche Vorgabe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Betonte Zurückhaltung in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . II. Beschränkung der Wahlmöglichkeit des Gesetzgebers auf das Verhältniswahlrecht bei Parlamentswahlen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die h. M. in Rechtsprechung und Literatur: Keine Festlegung auf ein bestimmtes Wahlsystem durch das Grundgesetz . . . . . . 2. Gegenauffassungen: Festlegung der Verfassung auf die grundsätzliche Geltung des Verhältniswahlrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigene Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Übertragbarkeit dieses Befundes auf das Betriebsverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgestaltung des Wahlrechts zum Betriebsrat – Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Proportionalität) . . . . . . . . . b) Demokratisch verfasste Repräsentation als Folge der staatlich vorgegebenen Zwangskorporation . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Demokratieprinzip – Immanenz des Minderheitenschutzes – Grundrechtliches Optimierungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Differenzierende staatliche Ausgestaltung bei Wahlen . . . . . e) Faktische staatliche Differenzierung zwischen Mehrheitsund Minderheitsgewerkschaften durch ein System der Mehrheitswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Verfassungsrechtlich legitime Differenzierung aus Gründen der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats? – Das Zersplitterungsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Kein Erfordernis der „Regierungsbildung“ . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Vorgabe eines bestimmten Zählsystems im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Verhältniswahl? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

270 270 273 274 278

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Inhaltsverzeichnis

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D. Die Wahlrechtsgrundsätze der „Geheimheit“ und „Freiheit“ der Wahl in ihrer spezifischen Schutzfunktion für die Minderheitsgewerkschaften . . 303 I. Insbesondere: Die unaufgeforderte Übermittlung der Briefwahlunterlagen durch den Wahlvorstand an den Wahlberechtigten . . . . 305 II. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 1. Unaufgeforderte Übersendung oder Überbringung der Briefwahlunterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 2. Sofortige Rückübermittlung der unaufgefordert durch den Boten übermittelten Briefwahlunterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 III. Die Gestattung der Einsichtnahme in die bei ihm geführte Wählerliste durch den Wahlvorstand während der laufenden Betriebsratswahl – Die Bekanntmachung der Rücksendevermerke durch den Wahlvorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 1. Die Sicht des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 2. Kritik an der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts . . . 312 3. Die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 4. Stellungnahme zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.12.2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Freiheit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Chancengleichheit der Wahlbewerber und Gewerkschaften bei der Betriebsratswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 IV.

Die Sicherung des Wählervotums – Der Umgang mit der Wahlurne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 1. Die effektive Versiegelung der Wahlurne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 2. Die Sicherstellung der Wahlurne selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

3. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 E. Verfassungsfestigkeit des gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts (Freistellung des gewerkschaftlichen Wahlvorschlags vom gesetzlichen Unterschriftenquorum) gem. § 14 Abs. 3 und 5 BetrVG? . . . . . . . . . . . . . 325 I. (Verfassungsrechtliche) Kritik am gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 II. Argumente für die Verfassungsfestigkeit des gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 §4

Wahlen im vereinfachten Wahlverfahren (nach §§ 14a, 14 Abs. 2 Satz 2, HS 2 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 A. Minderheitsspezifische Auswirkungen der zwingenden gesetzlichen Anordnung der Mehrheitswahl in Kleinbetrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 B. Erleichterung der Errichtung betrieblicher Interessenvertretungen als tragfähiger Sachgrund für die Durchbrechung des verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatzes der Verhältniswahl bei Wahlen zum Betriebsrat? 331

18

Inhaltsverzeichnis C. Bestehen eines gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts als Ausgleich für die Abschaffung des Verhältniswahlrechts für Kleinbetriebe mit der Novelle 2001? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

§5

§6

Die obligatorische Abbildung der Geschlechterquote (gem. §§ 15 Abs. 2 BetrVG, 15 Abs. 5 Nr. 2 WO BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Neuregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Praktische Umsetzung des § 15 Abs. 2 BetrVG bei Betriebsratswahlen C. Spezifische Problematik im Hinblick auf die Vorschlagsliste(n) der Minderheitsgewerkschaft(en) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Rechtfertigungsversuche für den Eingriff in den Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aspekt der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats als „zwingender Grund“ für die Durchbrechung der formalen Wahlrechtsgleichheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berücksichtigung von geschlechtsspezifischen Gruppeninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einwände gegen die geschlechtsspezifische Gruppendefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16.03.2005 . . . . . . . 4. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gleichstellungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 GG als Rechtfertigung für eine Durchbrechung der formalen Wahlrechtsgleichheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbot einer Quotenregelung im Bereich von Wahlen? . . . . c) Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter . . . . . . . . . . d) Problem des schematischen Ausgleichs der Unterrepräsentation ohne Einzelfallprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bestellung des Wahlvorstands (§ 16 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Verfassungsfestigkeit des Entsendungsrechts der Gewerkschaften gem. § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sinn und Zweck des gewerkschaftlichen Entsendungsrechts . . . . . . II. Prüfung des § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG am oben entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zusammenfassung der Maßstabsüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendung des besonders strengen Maßstabs für die Ausgestaltung des Wahlverfahrens auf die Prüfung des Entsenderechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis: Zwingende Ermöglichung der Repräsentanz der Minderheitsgewerkschaften im Wahlvorstand gem. § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Bestellung des Wahlvorstands gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 BetrVG als ein dem Prinzip der Verhältniswahl unterliegender Wahlakt . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis I.

19

Bestellung des Wahlvorstands: einfacher Beschluss des Betriebsrats oder Wahlakt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 1. Literaturauffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 2. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 a) Sprachliche Auslegung des Bestellungsbegriffs in § 16 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 b) Kein Ausschluss von Wahlen auch im Rahmen eines Geschäftsordnungsbeschlusses gem. § 33 BetrVG . . . . . . . . . . . 359 c) Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG auf die Auslegung des Bestellungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

II. III. §7

Die Wahlanfechtung (§ 19 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 A. Allgemeine Funktion des gewerkschaftlichen Wahlanfechtungsrechts gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 B. Spezifische Funktion des gewerkschaftlichen Wahlanfechtungsrechts für Minderheitskoalitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 C. Verfassungsfestigkeit des gewerkschaftlichen Wahlanfechtungsrechts? . . 364 I. II. III.

§8

Bestellung der Wahlvorstandsmitglieder im Wege der Verhältniswahl? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

Im Allgemeinen: Im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG an sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Im Besonderen: Im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der Minderheitskoalitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

Der Betriebsausschuss (§ 27 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 A. Veränderungssperre im Hinblick auf das Gebot der Verhältniswahl, § 27 Abs. 1 Satz 3 BetrVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 I. Verhältniswahl als Grundprinzip der Betriebsverfassung . . . . . . . . . 367 1. Gesetzessystematische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 2. Verfassungsrechtliche Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 a) Beachtung des Prinzips der Verhältniswahl auch bei der Organbildung als Gebot der Wahlrechtsgleichheit gem. Art. 3 Abs. 1, 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 b) Rechtsanalogie zum Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 c) Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 II.

d) Die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . 372 Ergebnis: Durchgreifen des Grundprinzips der Verhältniswahl – Vorliegen einer Veränderungssperre im Hinblick auf das Gebot der Verhältniswahl gem. § 27 Abs. 1 Satz 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . 374

20

Inhaltsverzeichnis B. Minderheitenschutz durch Vorrang des Betriebsratsplenums für Entscheidungen im Kernbereich seiner gesetzlichen Befugnisse . . . . . . . . . . I. Das „Entkernungsverbot“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtstatsächliche Funktion des „Entkernungsverbots“ für den Schutz der Minderheitsgewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfassungsrechtlich gesicherte Verbindlichkeit des „Entkernungsverbots“ zugunsten von Minderheitsgewerkschaften? . . . . . . . C. Die Nachbesetzung von Betriebsausschusssitzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nachbesetzung durch Mehrheitswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wahl von Ersatzmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Analoge Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG . . . . . . . . . . . IV. Effektive Gewährleistung des Minderheitenschutzes durch Abberufungsquorum, § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§9

376 376 376 377 378 378 379 380 382

Weitere Ausschüsse (§ 28 Abs. 1, 2 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384

§ 10 Die Einberufung der Betriebsratssitzungen (§ 29 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Verwirklichung eines effektiven Schutzes der Vertreter der Minderheitskoalitionen durch ausreichende Information, § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Recht auf neutrale und gleichwertige und zeitlich synchrone Vorabinformation durch den Betriebsratsvorsitzenden in „Fraktionsvorbesprechungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Notwendigkeit der Einstimmigkeit für „ad hoc“ erfolgende Ergänzungen oder Veränderungen als Verwirklichung des Rechts der Minderheitenvertreter auf effektive Informationsteilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Quorumsvorschrift des § 29 Abs. 3 BetrVG als Sicherung der effektiven Einflussnahmemöglichkeit auch der Vertreter von Minderheitskoalitionen – Verfassungsfestigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

385

385

386

387

389

§ 11 Teilnahme der Gewerkschaften an Betriebsratssitzungen (§ 31 BetrVG) – verfassungsrechtliche Notwendigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 § 12 Das Unterlagen-Einsichtsrecht (§ 34 Abs. 3 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 A. Allgemeine Bedeutung für die Minderheitsgewerkschaften . . . . . . . . . . . . 392 B. Spezielle Auswirkungen für die Vertreter der Minderheitsgewerkschaft 393 § 13 Die Geschäftsordnung (§ 36 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Umgehung des Minderheitenschutzes durch autonome Regelungen der Geschäftsordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Problem: Betriebsratsvorsitzender und Stellvertreter als gesetzte Mitglieder in den weiteren Ausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München . . . . . . . . . . III. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die jüngst ergangene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.11.2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

394 394 394 395 396 398 399

Inhaltsverzeichnis

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§ 14 Schutz der Minderheitenvertreter vor Aufgabenentzug oder vor der Betrauung mit ausschließlich „randständigen“ Aufgaben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 § 15 Die Tätigkeit der Betriebsratsmitglieder als „ehrenamtliche“ Tätigkeit (§ 37 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Freistellung bei konkreter Erforderlichkeit, § 37 Abs. 2 BetrVG . . . . . . . I. Ausgangspunkt: Unabhängigkeit des Betriebsratsamts . . . . . . . . . . . II. Priorität der Freigestellten für die Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 16 Der Schulungsanspruch der Betriebsratsmitglieder (§ 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Grundsatz: Kollektiver Anspruch des Betriebsrats auf Schulung im Rahmen der Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Subjektiv-rechtlicher Einschlag des kollektiven Schulungsanspruchs . . . C. Anspruch auf Schulung durch die eigene Minderheitsgewerkschaft? . . . . D. Verbot der „Schulung wider Willen“ der Minderheitskoalitionäre durch die Mehrheitsgewerkschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 17 Freistellungen (§ 38 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Veränderungssperre im Hinblick auf Verhältniswahlmodus, § 38 Abs. 1 Satz 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Nachbesetzung freigewordener Freistellungspositionen . . . . . . . . . . . . I. Nachwahl mit einfacher Mehrheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begründungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenargumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verwirklichung des Minderheitenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Neuwahl aller Freizustellenden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ergebnis: Analoge Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Isolierte Nachwahl bei Listenerschöpfung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kein Freistellungsverzicht zu Lasten der Minderheit . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Keine Verteilung der Teilfreistellungen gem. § 38 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nach Köpfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Herabsetzung der Freistellungsstaffel gem. § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG zu Lasten der Minderheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Folgen der Verringerung der Belegschaftsstärke für das Freistellungskontingent für die Minderheitenliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

401 401 401 402 403 405 405 406 408 409 409 410 410 411 412 412 413 414 415 415 416 418 420 422 423 424

§ 18 Das Betriebsversammlungs-Erzwingungsrecht (§ 43 Abs. 4 BetrVG) . . . . . . . 426 § 19 Die Bildung des Gesamtbetriebsrats (§ 47 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428

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Inhaltsverzeichnis A. Entsendung: Wahl oder einfacher Geschäftsführungsbeschluss des Betriebsrats? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verhältniswahl als Gebot eines effektiven Minderheitenschutzes . . . . . . . I. Allgemeine Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Stellung des Gesamtbetriebsrats im Gesamtgefüge der Betriebsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Möglichkeit der Herstellung „praktischer Konkordanz“ der Koalitionsfreiheit konkurrierender Gewerkschaften durch die Entsendung im Wege der Verhältniswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Folgeproblem der Stimmengewichtung im Gesamtbetriebsrat: Regelungslücke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Tarifliche Entsendungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungen über die Mitgliederzahl des Gesamtbetriebsrats . . . . . II. Tarifvertragliche Regelung der Stimmengewichtung im Gesamtbetriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

428 429 429 431

432 435 436 436 438

§ 20 Das Erlöschen der Mitgliedschaft im Gesamtbetriebsrat (gem. § 49 letzte Alt. BetrVG) – Bestehen einer Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 § 21 Der Gesamtbetriebsausschuss (§ 51 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Wahl im Wege der Verhältniswahl – kein „Redaktionsversehen“ . . . . . . . B. Veränderungssperre im Hinblick auf Verhältniswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Besetzung der weiteren Ausschüsse des Gesamtbetriebsrats . . . . . . . . . . .

442 442 443 444

§ 22 Die Betriebsräteversammlung (§ 53 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 § 23 Der Konzernbetriebsrat – Die Entsendung in den Konzernbetriebsrat (§ 55 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 § 24 Der Konzernbetriebsausschuss (§ 59 Abs. 1 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 § 25 Die Jugend- und Auszubildendenvertretung (§§ 60 ff. BetrVG) . . . . . . . . . . . 447 § 26 Die Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. „Bestellung“ gem. § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG als Beschluss mit wahlähnlichem Charakter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. § 76 Abs. 8 BetrVG – Die Ersetzung der Einigungsstelle durch eine tarifliche Schlichtungsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Minderheitenspezifische Bedeutung der Regelung . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf § 76 Abs. 8 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

448 448 450 450 451 452 456

§ 27 Der Versetzungsschutz für Betriebsratsmitglieder (§ 103 Abs. 3 BetrVG) . . 456 A. Maßstabsüberlegungen für die Erteilung der Zustimmung oder deren Verweigerung durch den Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 I. Allgemeine Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458

Inhaltsverzeichnis

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II. Besondere, minderheitenbezogene Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . 460 B. Rechtsschutz des betroffenen Vertreters der Minderheitsgewerkschaft bei Zustimmung des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 § 28 Der Wirtschaftsausschuss (§§ 106 ff. BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. „Bestimmung“ der Mitglieder des Wirtschaftsausschusses gem. § 107 Abs. 2 Satz 1 BetrVG als Wahlakt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Ersetzung des Wirtschaftsausschusses durch einen Ausschuss des Betriebsrats gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzlicher Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beschluss nach § 107 Abs. 3 Satz 1 BetrVG als Entscheidung des Betriebsrats für die Unterstellung unter die allgemeinen Maßgaben an die Besetzung von Ausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Umgehung des Minderheitenschutzes durch Kooptationsmöglichkeit gem. § 107 Abs. 3 Satz 3 BetrVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 29 Die tarifliche Betriebsverfassung im Flugbetrieb von Luftfahrtunternehmen (§ 117 Abs. 2 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Verfassungswidrigkeit unter dem Aspekt der Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Weitere Aspekte einer möglichen Verfassungswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . C. Folgeproblem: Völliger Ausfall der betriebsverfassungsrechtlichen Vertretung für das fliegende Personal? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

465 465 468 468

469 471 472 473 476 478

Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . 479 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 Schlagwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. Abs. AcP ADM a. E. a. F. AG AiB AK-GG

AktG ALEB Alt. amtl. Anm. Anm. d. Verf. AöR AP ArbG ArbGG ArbR ArbRdGegw.

ArbuR Art. AuA Aufl. BAG Bayer.VerfGH

andere Ansicht am angegebenen Ort Absatz Archiv für die civilistische Praxis Arbeitnehmerverband Deutscher Milchkontroll- und Tierzuchtbediensteter am Ende alte Fassung Amtsgericht, Aktiengesellschaft Arbeitsrecht im Betrieb: Zeitschrift für Betriebsratsmitglieder (Alternativ-)Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (siehe Literaturverzeichnis bei Denninger, Erhard, und bei Wassermann, Rudolf . . .) Aktiengesetz vom 6.9.1965 (BGBl. I S. 1089) Arbeitnehmerverband land- und ernährungswirtschaftlicher Berufe Alternative amtlich Anmerkung Anmerkung des Verfassers Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis: Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz vom 3.9.1953 (BGBl. I S. 1267) i. d. F. der Bekanntmachung vom 2.7.1979 (BGBl. I S. 853) Arbeitsrecht Das Arbeitsrecht der Gegenwart: Jahrbuch für das gesamte Arbeitsrecht und die Arbeitsgerichtsbarkeit; Nachschlagewerk für Wissenschaft und Praxis (ab Bd. 36 1999 u.d.T. JbArbR) Arbeit und Recht: Zeitschrift für Arbeitsrechtspraxis Artikel Arbeit und Arbeitsrecht: Monatsschrift für die betriebliche Praxis Auflage Bundesarbeitsgericht Bayerischer Verfassungsgerichtshof

Abkürzungsverzeichnis BayVerf. BB BBH Bd. BDF BDR BDSG BDZ Bearb. BF Begr. begr. BergVersSchG NRW Beil. BeschfG Beschl. BetrR BetrVG BGB BGBl. BGH BGID bgv BK BLBS BlStSozArbR BMA BPersVG, PersVG BPersVG WO Brandenburg Verf. BR BR-Drucks. BremenVerf. BremPersVG BRG BRH

25

Verfassung des Freistaates Bayern vom 2.12.1946 (GVBl. S. 333) Betriebs-Berater: Zeitschrift für Recht und Wirtschaft Berufsverband Bayerischer Hygieneinspektoren Band Bund Deutscher Forstwirte Bund Deutscher Rechtspfleger Bundesdatenschutzgesetz Bund Deutscher Zollbeamten – Gewerkschaft Zoll und Finanzen Bearbeitung, Bearbeiter Beschwerdeführer Begründer begründet Gesetz über einen Bergmannversorgungsschein Nordrhein-Westfalen Beilage Beschäftigungsförderungsgesetz Beschluss Betriebsrat Betriebsverfassungsgesetz vom 15.01.1972 (BGBl. I S. 13) Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896 (RGBl. S. 195) Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Beschäftigtenverband Industrie, Gewerbe, Dienstleistung Bundesgrenzschutzverband e. V. Kommentar zum Bonner Grundgesetz (siehe Literaturverzeichnis bei Dolzer, Rudolf, . . .) Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an berufliche Schulen e. V. Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) vom 15.3.1974 (BGBl. I S. 693) Wahlordnung zum Bundespersonalvertretungsgesetz Verfassung des Landes Brandenburg vom 20.8.1992 (GVBl. I S. 298) Bundesrat Bundesrats-Drucksache Verfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21.10.1947 (GBl. S. 251) Personalvertretungsgesetz der Freien Hansestadt Bremen Betriebsrätegesetz Bund der Ruhestandsbeamten, Rentner und Hinterbliebenen

26 BSBD BT BTB BT-Drucks. BTE BUrlG BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BVÖGD BWahlG bzw. CDU cgb CGBCE CGBT CGDE CGM CSU DAAV DAG DB DB AG DBB dbb tarifunion DBSH DDR ders. DGB DGVB d.h. DHV Die AG dies. diesbzgl. Diss.

Abkürzungsverzeichnis Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands e. V. Bundestag Gewerkschaft Technik und Naturwissenschaft im öffentlichen Dienst Bundestags-Drucksache Gewerkschaft Mess- und Eichwesen im DBB Bundesurlaubsgesetz vom 08.01.1963 (BGBl. I S. 2) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, amtl. Sammlung Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, amtliche Sammlung Berufsverband der Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. Bundeswahlgesetz beziehungsweise Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlicher Gewerkschaftsbund Christliche Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie Christliche Gewerkschaft Postservice und Telekommunikation Christliche Gewerkschaft Deutscher Eisenbahner Christliche Gewerkschaft Metall Christlich Soziale Union Deutscher Amtsanwaltverein e. V. Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Der Betrieb: Wochenschrift für Betriebswirtschaft, Steuerrecht, Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht Deutsche Bahn Aktiengesellschaft Deutscher Beamtenbund Deutscher Beamtenbund und Tarifunion Deutscher Berufsverband für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Heilpädagogik e. V.; Deutscher Berufsverband für soziale Arbeit Deutsche Demokratische Republik derselbe Deutscher Gewerkschaftsbund Deutscher Gerichtsvollzieherbund das heißt Deutscher Handels- und Industrieangestelltenverband Die Aktiengesellschaft: Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen dieselbe(n) diesbezüglich (e/n) Dissertation

Abkürzungsverzeichnis DJG DKK DLFAB DLW DNO DÖV DphV DpolG DPVKOM Dr. DSTG DVBl. d. Verf. DVG E Einl. Einf. erhebl. EuGRZ ErfK Erg.Lfg. ESC EuGH e. V. EzA FDP f., ff. Fn. FNL Frankfurt/M. FS FVG FWSV GDL GdP GdV

27

Deutsche Justiz-Gewerkschaft Däubler, Kittner, Klebe, Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz (siehe Literaturverzeichnis bei Däubler, Wolfgang, . . .) Deutscher Land- und forstwirtschaftlicher Angestelltenbund Handbuch Arbeitsrecht (siehe Literaturverzeichnis bei Dörner, Klemens, . . .) Die Neue Ordnung (Zeitschrift des Instituts für Gesellschaftswissenschaften Walberberg e. V., Hrsg.) Die öffentliche Verwaltung: Zeitschrift für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft Deutscher Philologenverband Deutsche Polizeigewerkschaft Kommunikationsgewerkschaft Deutscher Postverband Doktor Deutsche Steuer-Gewerkschaft Deutsches Verwaltungsblatt des Verfassers Deutsche Verwaltungsgewerkschaft Entscheidungen des Bundesverfassungs-, Bundesverwaltungs-, Bundesarbeitsgerichts Einleitung Einführung erhebliche Europäische Grundrechte-Zeitschrift Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht (siehe Literaturverzeichnis bei Dieterich, Thomas, . . .) Ergänzungslieferung Europäische Sozialcharta vom 18.10.1961 (BGBl. 1964 II S. 1262) Europäischer Gerichtshof eingetragener Verein Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht Freie Demokratische Partei (in Deutschland) folgende. fortfolgende Fußnote Fachgewerkschaft Niedersächsische Landeskrankenhäuser Frankfurt am Main Festschrift Fachverband Gesundheitswesen Baden-Württemberg Fachverband Wasser- und Schiffahrtsverwaltung e. V. Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer Gewerkschaft der Polizei Gewerkschaft der Sozialverwaltung

28 gem. GesHrsg. GEW GG GGVöD GHK GK GK KR

GK-MitbestG GMH GÖD Grundl. GS GTA GVBl. GVG h.A. Habil. HdBStR II HessVerf. h. M. HRG Hrsg. HS HSWG

i. d. F. i. E. i. e. S. IG IG BAU IG BCE IG Metall ILO

Abkürzungsverzeichnis gemäß Gesamtherausgeber Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5. 1949 (BGBl. I S. 1) Gemeinschaft von Gewerkschaften im öffentlichen Dienst Gewerkschaft Holzverarbeitung und Kunststoffgewerbe Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz (siehe Literaturverzeichnis bei Fabricius, Fritz, . . .) Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften (siehe Literaturverzeichnis bei Becker, Friedrich, . . .) Gemeinschaftskommentar zum Mitbestimmungsgesetz (siehe Literaturverzeichnis bei Fabricius, Fritz (Hrsg.) Gewerkschaftliche Monatshefte Gewerkschaft öffentlicher Dienst und Dienstleistungen Grundlagen Großer Senat Gewerkschaft Trockenbau Ausbau Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vom 27.1.1877 (RGBl. S. 41) i. d. F. der Bekanntmachung vom 9.5.1975 (BGBl. I S. 1077) herrschende Ansicht Habilitation Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band II (siehe Literaturverzeichnis bei Meyer, Hans . . .) Verfassung des Landes Hessen vom 1.12.1946 (GVBl. S. 229) herrschende Meinung Hochschulrahmengesetz Herausgeber Halbsatz Hess, Schlochauer, Worzalla, Glaubitz, Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz (siehe Literaturverzeichnis bei Hess, Harald . . .) in der Fassung im Ergebnis im engeren Sinne; im engen Sinne Industriegewerkschaft; Interessengemeinschaft Deutscher Beamtenverbände Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie Industriegewerkschaft Metall International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation)

Abkürzungsverzeichnis insbes. i. S. i. S. d. i. ü. i.V. m. JArbR JAV JURA JuS JZ Kap. KassHdBArbR KEG KFG KollArbR I KOMBA KSchG LAG LAGE Lfg. LPVG LPVG NW LS MDR Mitbegr. MitbestG Mithrsg. Mitverf. MünchArbR m.w. N. n. F. NGG NJW NJW-RR NJW Spezial Nr. n.rkrft.

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insbesondere im Sinne im Sinne des im übrigen in Verbindung mit Das Arbeitsrecht der Gegenwart. Jahrbuch für das gesamte Arbeitsrecht und die Arbeitsgerichtsbarkeit Jugend- und Auszubildendenvertretung Juristische Ausbildung, Zeitschrift für Ausbildung und Examen Juristische Schulung: Zeitschrift für Studium und praktische Ausbildung Juristen-Zeitung Kapitel Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht (siehe Literaturverzeichnis bei Leinemann, Wolfgang . . .) Katholische Erziehergemeinschaft Bayern Kraftfahrergewerkschaft Kollektives Arbeitsrecht Band I (siehe Literaturverzeichnis bei Gamillscheg, Franz . . .) Gewerkschaft für den Kommunal- und Landesdienst Kündigungsschutzgesetz (KSchG) vom 10.8.1951 (BGBl. S. 499) i. d. F. der Bekanntmachung vom 25.8.1969 (BGBl. I S. 1317) Landesarbeitsgericht Entscheidungen des Landesarbeitsgerichte Lieferung Landespersonalvertretungsgesetz Landespersonalvertretungsgesetz Nordrhein-Westfalen Leitsatz Monatsschrift für Deutsches Recht Mitbegründer Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) vom 4.5.1976 (BGBl. I S. 1153) Mitherausgeber Mitverfasser Münchener Handbuch Arbeitsrecht mit weiteren Nachweisen neue Fassung Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Neue Juristische Wochenschrift Spezial Nummer nicht rechtskräftig

30 NSDAP NStZ n. v. NW NZA

Abkürzungsverzeichnis

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Zeitschrift für Strafrecht nicht veröffentlicht Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht: Zweiwochenschrift für die betriebliche Praxis NZA-RR NZA-Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht NZfA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht öffentl. öffentlich ÖTV Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr o. g. oben genannt PersVG Personalvertretungsgesetz RAG Reichsarbeitsgericht RAGE Entscheidungen des Reicharbeitsgerichts, amtl. Sammlung RArbBl. Reichsarbeitsblatt, hrsg. vom Reichsministerium und vom Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz RBerG Rechtsberatungsgesetz RdA Recht der Arbeit: Zeitschrift für die Wissenschaft und Praxis des gesamten Arbeitsrechts RDB Reichsbund der Deutschen Beamten Rdnr. Randnummer Rdnrn. Randnummern RefE Reformentwurf RegE Regierungsentwurf RGBl. Reichsgesetzblatt Rheinland-Pfalz Verf. Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz vom 18.5.1947 (GVBl. S. 209) Rspr. Rechtsprechung S. Seite Sachsen-AnhaltVerf. Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16.7.1992 (GVBl. S. 600) SAE Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen SächsVerf. Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27.5.1992 (GVBl. S. 243) sog. sogenannte SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SprAuG Sprecherausschussgesetz (Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten) staatl. staatliche StGB Strafgesetzbuch vom 15.5.1871 (RGBl. S. 127) i. d. F. der Bekanntmachung vom 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322) st. Rspr. ständige Rechtsprechung

Abkürzungsverzeichnis ThürPersVG ThürVerf. TK Transnet TS TV TVG TVVO u. u. a. u.d.T. Urt. umf. u. U. v. VAB VBB VBBA VBE VBGR VBOB VDL VdLANW VdP VDStra VDT ver.di VereinsG Verf. VerfNRW. vgl. VHW VkdL Vorb., Vorbem. VRB VRFF WA wesentl.

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Thüringer Personalvertretungsgesetz (ThürPersVG) vom 29.7. 1993 (GVBl. S. 399) Verfassung des Freistaates Thüringen vom 25.10.1993 (GVBl. S. 625) Taschenkommentar Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands GdED Teilsatz Tarifvertrag Tarifvertragsgesetz i. d. F. vom 25.8.1969 (BGBl. I S. 1323) Tarifvertragsverordnung und und andere; unter anderem unter dem Titel Urteil umfassend unter Umständen vom Verband der Arbeitnehmer der Bundeswehr e. V. Verband der Beamten der Bundeswehr e. V. Verband der Beamten der Bundesanstalt für Arbeit Verband Bildung und Erziehung e. V. Verband der Beschäftigten des gewerbliche Rechtsschutzes Verband der Beschäftigten der obersten und oberen Bundesbehörden e. V. Berufsverband Agrar, Ernährung, Umwelt e. V. Verband der Landes-Beamten, Angestellten und Arbeiter Nordrhein-Westfalen Verband der Bundesbankbeamten e. V. Verband Deutscher Straßenwärter Verband Deutscher Techniker Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft e. V. Vereinsgesetz Verfasser Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 28.6.1950 (GVBl. S. 127) vergleiche Verband Hochschule und Wissenschaft Verein katholischer Deutscher Lehrerinnen Vorbemerkungen Verein der Rechtspfleger im Bundesdienst e. V. Vereinigung der Rundfunk-, Film- und Fernsehschaffenden Wirtschaftsausschuss wesentlichen

32 WRV Z z. B. ZBR ZBVR ZfA ZfPR ZG ZGR Ziff. ZIP zit. ZPO ZRP z. T. ZTR zust.

Abkürzungsverzeichnis Weimarer Reichsverfassung Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Betriebsverfassungsrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Personalvertretungsrecht Zeitschrift für Gesetzgebung: Vierteljahresschrift für staatliche und kommunale Rechtsetzung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zivilprozessordnung vom 30.1.1877 (RGBl. S. 83) i. d. F. vom 12.9.1950 (BGBl. I S. 533) Zeitschrift für Rechtspolitik zum Teil Zeitschrift für Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes zustimmend

Einleitung: Die Minderheitsgewerkschaften – Der Gegenstand der Untersuchung § 1 Minderheitsgewerkschaften im allgemeinen Sinne Die „Gewerkschaftslandschaft“1 in der Bundesrepublik Deutschland wird in der öffentlichen Wahrnehmung sehr weitgehend von den acht Einzelgewerkschaften geprägt, die im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)2 zusammengeschlossen sind3. So wird in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass es dem DGB fast gelungen sei, sich eine politische Monopolstellung zu verschaffen4. Dies liegt zum einen wohl daran, dass die überwiegende Zahl der Betriebsräte in den dem DGB angeschlossenen Gewerkschaften organisiert ist5 und sicher auch daran, dass im DGB eine erhebliche Zahl der überhaupt gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer über ihre jeweiligen Mitgliedsgewerkschaften zusammengefasst werden6. Auf seiner Homepage gibt der DGB seine Mitgliederzahl immerhin mit 7.363.1477 an. 1 Zur geschichtlichen Entwicklung der Gewerkschaften (und Arbeitgeberverbände) in Deutschland umfassend AK-GG-Kittner/Schiek Art. 9 Abs. 3 Rdnrn. 1 ff.; Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und Grebing, Arbeiterbewegung – Sozialer Protest und kollektive Interessenvertretung bis 1914; Löwisch/Rieble MünchArbR § 248 Rdnrn. 1 bis 26 und Schröder/Weßels Die Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland (insbesondere dort der Anhang: Geschichte – Organisation – Basisdaten), S. 614 bis S. 698 sowie auch Niedenhoff/Pege, Gewerkschaftshandbuch; einen Überblick zur gewerkschaftlichen Situation in Deutschland zu Beginn der 90erJahre des 20. Jahrhunderts bietet Eitel, S. 32 ff. (§ 2 Gewerkschaften in der BRD, III – Derzeitige Gewerkschaftssituation in der Bundesrepublik Deutschland). 2 Rieble Rdnr. 1781 spricht in diesem Zusammenhang von einem „faktischen Repräsentationsmonopol“ der DGB-Gewerkschaften. 3 Es handelt sich hierbei um die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau), die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die IG Metall (IGM), die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die Gewerkschaft der Polizei (GdP), die Transnet – Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e. V. (ver.di). 4 Funk, S. 14 (15); Hassel, S. 102 (119); Hassel, Gewerkschaftliche Monatshefte 54 (2002), S. 294; Hettlage, S. 19 ff. 5 Eitel, S. 164. 6 Verlässliche Angaben über die Mitgliederentwicklung sind insofern nur schwer zu recherchieren, als das Statistische Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland in seiner Ausgabe 2001 das letzte Mal die mitgliedschaftliche Entwicklung der Gewerk-

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Einleitung: Der Gegenstand der Untersuchung

Kritisch wurde im Zusammenhang mit dem erwähnten Befund einer Monopolstellung der DGB-Gewerkschaften jüngst von Vultejus8 im Hinblick auf die Großgewerkschaft IG-Metall angemerkt, dass der Organisationsgrad dieser Gewerkschaft im VW-Werk Wolfsburg von 95% kaum darauf schließen lassen könne, dass dieser Wert auf freiwilliger Grundlage entstanden sei. Eher sei der Schluss zulässig, dass „der Bewerber um eine Anstellung gleich zum Personalbüro und zum Betriebsrat, der hier die Funktion eines verlängerten Arms der IG-Metall ausübt, geschickt werde.“ Im Hinblick auf die Gewerkschaft ver.di berichtet Vultejus vom Fall eines Ingenieurs, nach dessen Aussage seine Einstellung durch eine Großstadtkommune von seinem vorherigen Eintritt in die frühere Gewerkschaft ÖTV abhängig gemacht wurde. Hierbei habe die parteipolitisch enge Verbindung der Verantwortungsträger auf Arbeitgeberseite mit der DGB-Gewerkschaft letztlich zu dieser „inoffiziellen Einstellungsvoraussetzung“ geführt9. Auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat möglicherweise dazu beigetragen, dass die im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften die öffentliche Wahrnehmung besonders prägen: So werden die verhältnismäßig hohen Anforderungen an die Tariffähigkeit der Gewerkschaften durch die Rechtsprechung als ein Faktor diskutiert, welcher den DGB-Gewerkschaften ein „leicht zu verteidigendes Vertretungsmonopol in der Tarifpolitik verschafft habe“10. schaften ausgewiesen hat. Allerdings war auch die amtliche Statistik stets auf Angaben der Gewerkschaften selbst angewiesen. 7 Stand 31.12.2003; am 31.12.2002 hatte der Mitgliederbestand des DGB noch 7.700.012 betragen, siehe Schroeder/Weßels, S. 634; die Mitgliederentwicklung im DGB verlief von 1950 bis 1992 ansteigend, von da an aber mit Ausnahme des Jahres 2001 kontinuierlich abwärts: 1950: 5.450 Mio.; 1955: 6.105 Mio.; 1960: 6.379 Mio.; 1970 6.713 Mio.; 1975: 7.365 Mio.; 1980: 7.883 Mio.; 1985: 7.719 Mio.; 1990: 7.938 Mio.; 1991: 11.800 Mio.; 1992: 11.016 Mio.; 1993: 10.290 Mio.; 1994: 9.768,00 Mio.; 1995: 9.355 Mio.; 1996: 8.973 Mio.; 1997: 8.623 Mio.; 1998: 8.311 Mio.; 1999: 8.037 Mio.; 2000: 7.773 Mio.; 2001: 7.899 Mio.; 2002: 7.700 Mio.; Zahlen nach Schroeder/Weßels, S. 636 unter Bezugnahme auf Angaben des DGB zu seiner Mitgliederstatistik; ebda., S. 634 f. werden die Mitgliederzahlen beispielhaft für den Zeitraum zwischen dem 31.12.2001 und dem 31.12.2002 nach den einzelnen Mitgliedsgewerkschaften des DGB aufgeschlüsselt; siehe dazu auch die Statistik bei Funk, S. 14 (18); zur Mitgliederentwicklung der deutschen Gewerkschaften und deren mutmaßlichen Ursachen, siehe auch den Aufsatz von Ebbinghaus, S. 174, und die dort integrierte graphisch-statistische Darstellung der Mitgliederentwicklung bei DGB, DAG, DBB und CGB bis zum Jahre 2002; dort, S. 181 ff., befinden sich auch umfassende Angaben über die Organisationsgrade von Mitgliedergruppen (Arbeiter, Angestellte, Beamte, Erwerbspersonen, Rentner, Frauen, Jugend) zwischen 1950 und 2002. 8 Vultejus ZPR 05, 138. 9 Vultejus ZRP 05, 138 nennt in diesem Zusammenhang auch noch die Bundespost (bzw. deren Nachfolgeunternehmen) als typische „Gewerkschaftsbetriebe“ im Sinne des Erfordernisses der Mitgliedschaft in der DGB-Gewerkschaft („Zwangsmitgliedschaft“).

Einleitung: Der Gegenstand der Untersuchung

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Ein weiterer Grund für die Dominanz des DGB in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit dürfte auch in der engen personellen Verflechtung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und dem DGB liegen11: Einerseits gehört die überwiegende Zahl der SPD-Bundestagsabgeordneten einer der Mitgliedsgewerkschaften des DGB an, und andererseits ist die ganz überwiegende Zahl der Spitzenfunktionäre des DGB mitgliedschaftlich mit der SPD verbunden12. Über weitere Gründe des genannten Wahrnehmungsbefundes kann nur spekuliert werden: Die personellen und eigentumsrechtlichen Verflechtungen der SPD insbesondere mit einer nicht unerheblichen Zahl von Zeitungsverlagen13 könnten hierbei ebenso eine Rolle spielen wie die ambitioniert ange10 Hassel, S. 102 (119); Hassel Gewerkschaften und sozialer Wandel, S. 114 ff.; siehe auch Rieble Rdnr. 1790, mit der allgemeinen Feststellung, es lasse sich nicht behaupten, dass die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung, insb. die des BAG, die Konkurrenzsituation unter den Gewerkschaften sachgerecht zur Kenntnis genommen habe. 11 Köcher Allensbach, S. 5, stellt dazu lapidar und ohne Differenzierung nach DGB-Gewerkschaften und anderen Gewerkschaften fest, dass die Gewerkschaften im allgemeinen als treue Verbündete der sozialdemokratischen Partei angesehen werden. Allerdings stellt sie diese Aussage in einen Kontext mit der DGB-Gewerkschaft IGMetall und deren – angesichts der Wahl von Jürgen Peters zum neuen Vorsitzenden der IG-Metall – zukünftig mutmaßlich zunehmend regierungskritischem Kurs. 12 Nach Mielke, Gewerkschaften, Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, gehören „fast alle“ SPD-Bundestagsabgeordneten einer DGB-Gewerkschaft an; zwischen 75 und 85% der Spitzenfunktionäre des DGB sollen danach SPD-Mitglieder sein. Nach Niedenhoff/Pege, S. 204 waren in der 13. Legislaturperiode des Bundestages 252 Mitglieder des Bundestages im DGB organisiert, davon 16 bei Bündnis 90/Die Grünen, 9 bei der CDU/CSU und 210 bei der SPD; nach Gamillscheg KollArbR I, S. 411 Fn. 121 waren im 12. Deutschen Bundestag von 265 gewerkschaftlich organisierten Bundestagsabgeordneten 194 Mitglieder des DGB, davon 176 Mitglieder der SPD, 11 der CDU/CSU, sechs der PDS und einer der F.D.P.; vier Mitglieder des Bundestages waren Mitglieder der DAG (drei CDU/CSU, einer F.D.P.), sechs des CGB (alle CDU/CSU), 54 waren Mitglieder des DBB (CDU/CSU 47, SPD 2, F.D.P. fünf). Nach Hettlage, S. 16, waren in der seit September 2002 laufenden 15. Legislaturperiode des Bundestages von den 251 Abgeordneten der SPD 186 in Gewerkschaftsämtern oder in Gewerkschaftsmitgliedschaft in einer der DGB-Gewerkschaften oder beim DGB; der DGB gibt auf seiner Homepage www.dgb.de/faq/in dex_html?klappausindex_html=4 (Stand 05.02.2005) an, dass in der 15. Legislaturperiode 220 Bundestagsabgeordnete in einer seiner Mitgliedsgewerkschaften organisiert waren. Da der größte Teil auf SPD-Bundestagsabgeordnete entfällt (186), bleiben für die Mitgliedschaft von Abgeordneten anderer Fraktionen nur 34 Bundestagsabgeordnete übrig. Dies wird indirekt auch durch neueste Untersuchungen von Schroeder/Weßels, S. 686 (Gewerkschaften und Politik) bestätigt: Die gewerkschaftlichen Organisationsgrade der Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion betrug (in % der jeweiligen Abgeordneten) von der ersten bis zur laufenden 15. Legislaturperiode fortlaufend: 58,8; 87,7; 85,1; 88,2; 86,6; 90,7; 93,8; 97,3; 97,8; 97,0; 97,4; 73,6; 75,4; 79,9 und 74,1. Bei Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion belaufen sich diese Werte auf 15,5; 18,8; 16,5; 16,3; 20,3; 18,8; 18,8; 21, 3; 19,4; 20,4; 17,5; 7,5; 5,1; 3,3; 4,0. Bündnis 90/Grüne (von der 10. Bis zur 15. Wahlperiode mit Ausnahme der 12. Legislaturperiode, bei der die Grünen den Sprung in den Bundestag nicht geschafft hatten): 53,6; 47,7; 0,0; 24,5; 32,0; 23,6. PDS (ab der 12. Wahlperiode des Bundestages): 35,3; 36,7; 36,1; 50,0. Zum gewerkschaftliche Organisationsgrad allgemein in der 14. und 15. Legislaturperiode des Bundestags siehe auch Beckermann in WaS v. 25.09.2005.

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Einleitung: Der Gegenstand der Untersuchung

legte Mitbestimmungs-, Bildungs-, Studien- und Forschungsförderung der vom DGB gegründeten Hans-Böckler-Stiftung14 mit ihrer großen Zahl von (Promotions-)Stipendiaten15 mit deren mutmaßlicher gesellschaftspolitischer Rückwirkung. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber eine geradezu erstaunliche Vielfalt an Gewerkschaften und Berufsverbänden, die neben dem DGB bestehen: Im Deutschen Beamtenbund (dbb beamtenbund und tarifunion)16 sind weit über 40 Einzelgewerkschaften (und Berufsverbände) zusammengeschlossen17. Daneben besteht der Zusammenschluss von 16 Einzelgewerkschaften im Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB). Der CGB hat allerdings – anders als in der Zeit vor dem Nationalsozialismus – seit Bestehen der Bundesrepublik keine große (gewerkschafts-)politische Bedeutung mehr erlangen können18. Dies hat dazu geführt, dass die Gewerkschaftseigenschaft einzelner dort zusammengefasster Gewerkschaften zunehmend bestritten wird19. Darüber hinaus gibt es jenseits der in den genannten Spitzenverbänden zusammengeschlossenen Gewerkschaften 13 Hierzu umfassend Feser, Der Genossenkonzern, München 2002. Siehe auch die Verlaufsgraphik bei Schroeder/Weßels, S. 687 zum Anteil der gewerkschaftlich organisierten Bundestagsabgeordneten. 14 Nach § 2 der Satzung der Hans-Böckler-Stiftung ist deren Zweck die Förderung von Wissenschaft, Forschung, Bildung und Erziehung sowie des Gedankens der Mitbestimmung (Satzung in der Fassung vom 19. Januar 2000); ganz umfassend zu Gegenstand und Umfang der Aktivitäten der Hans-Böckler-Gesellschaft: Niedenhoff/Pege, S. 224 ff.; allgemein zur Bildungsarbeit beim DGB und seinen Gewerkschaften siehe auch Gamillscheg KollArbR I, S. 464. 15 Im Berichtszeitraum 2002/2003 beispielsweise wurden 1667 Stipendiaten gefördert, besonders im Zunehmen begriffen sind die Promotionsstipendien, in: Jahresbericht der Hans-Böckler-Stiftung 2003, S. 19, S. 24. 16 Seit dem Jahre 1999 trägt der ehemalige Deutsche Beamtenbund (vormals DBB) den Namen „dbb beamtenbund und tarifunion“, wodurch die Organisationszuständigkeit dieses Spitzenverbandes auch für nichtbeamtete Beschäftigte pointiert werden soll. 17 Nach Niedenhoff/Pege, S. 178, waren in der 13 Legislaturperiode 40 Bundestagsabgeordnete im (damaligen) DBB organisiert. 37 dieser Abgeordneten gehörten der CDU/CSU, lediglich ein einziger der SPD an. 18 Löwisch/Rieble MünchArbR § 248 Rdnr. 17. 19 Die Gewerkschaftseigenschaft einiger dieser Gewerkschaften hat auch in jüngerer Zeit die Arbeitsgerichtsbarkeit beschäftigt; so hat das BAG mit Beschluss v. 16.01. 1990 – 1 ABR 93/88 – = AP Nr. 38 zu § 2 TVG der Christlichen Gewerkschaft Holz und Bau und mit Beschluss v. 16.01.1990 – 1 ABR 10/89 = AP Nr. 39 zu § 2 TVG der Christlichen Gewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie die Gewerkschaftseigenschaft abgesprochen. Mit Beschluss v. 06.06.2000 – 1 ABR 10/99 = NZA 01, 160; hat das BAG dem Verband „Bedienstete der Technischen Überwachung“ die Gewerkschaftseigenschaft abgesprochen; eine Zusammenstellung der diesbzgl. Rechtsprechung findet sich bei DKK-Berg § 2 Rdnr. 23; jüngst hat das LAG Stuttgart mit Beschluss vom 01.10.2004 – 4 TaBV 1/04 den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart v. 12.09.2003 – 15 BV 250/96 abgeändert, nach dem der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM) die Gewerkschaftseigenschaft abgesprochen worden war; das BAG hat mit Beschl. v. 28.03.2006 – 1 ABR 58/04 – den Spruch des LAG bestätigt.

Einleitung: Der Gegenstand der Untersuchung

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noch eine Vielzahl von Gewerkschaften, die das Bild einer pluralen Gewerkschaftswirklichkeit abrunden. Jüngste Untersuchungen nennen hier mehr als 100 weitere Arbeitnehmerorganisationen20. Festzuhalten ist deshalb der Befund einer durchaus vielfältigen „Gewerkschaftslandschaft“ in der Bundesrepublik Deutschland, auch wenn die herausgehobene Stellung der DGB-Gewerkschaften schon aufgrund ihrer im Verhältnis zu den anderen Gewerkschaften großen Mitgliederzahl nicht zu bestreiten ist. Unter diesem Blickwinkel einer Betrachtung der Gewerkschaften alleine nach ihrer Mitgliederzahl wäre es durchaus gerechtfertigt, die DGB-Gewerkschaften als Mehrheits-, die übrigen Gewerkschaften dementgegen als Minderheitsgewerkschaften zu bezeichnen. Dieses Ergebnis einer ganz allgemeinen Betrachtung der Gewerkschaftswirklichkeit ließe aber außer Acht, dass Gewerkschaften nicht zuvörderst allgemeinpolitische oder allgemeingesellschaftliche Akteure sind. Gewerkschaften als Koalitionen im Sinne von Art 9 Abs. 3 GG sind vom Verfassungsgeber zunächst zur „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ berufen. Dass der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in zentraler Funktion der Abschluss von Tarifverträgen21 dient, kann nicht bestritten werden. Die Verknüpfung der Gewerkschaftseigenschaft einer Arbeitnehmerkoalition im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG mit deren Tariffähigkeit, welche sich wiederum nach ihrer tatsächlichen Durchsetzungsfähigkeit und damit Mächtigkeit gegenüber dem koalitionspolitischen Tarifgegner bemisst22, ist auf dieser Ebene zumindest plausibel, weil hierdurch das autonome Funktionieren des Tarifvertragssystems entscheidend gefördert wird23. 20 Hassel, S. 102 (106) gibt an, dass in Deutschland z. Zt. mehr als 150 Einzelgewerkschaften mit ca. 10 Millionen Mitgliedern bestehen. 21 Siehe nur Schmidt/Bleibtreu Art. 9 Rdnr. 13. 22 Ständige Rechtsprechung; zuletzt BAG v. 06.06.2000 – 1 ABR 10/99 = BAG AP Nr. 55 zu § 2 TVG; v. 16.01.1990 – 1 ABR 93/88 = AP Nr. 38 zu § 2 TVG; v. 16.01.1990 – 1 ABR 10/89 = AP Nr. 39 zu § 2 TVG; das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung sanktioniert und betont, dass im Gebot der Mächtigkeit (Durchsetzungsfähigkeit) keine unverhältnismäßige Einschränkung der grundrechtlich geschützten freien Koalitionsbildung liege, zuletzt BVerfG v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78 = BVerfGE 58, 233 (247 f.) = AP Nr. 31 zu § 2 TVG; so schon BVerfG v. 19.10.1966 – 1 BvL 24/65 = BVerfGE 20, 312 (321 f.) = AP Nr. 24 zu § 2 TVG. Eine erstmalige positiv-gesetzliche Anerkennung der Mächtigkeit hat dieses richterrechtliche Kriterium der Gewerkschaftseigenschaft vorübergehend für die damalige DDR durch den Staatsvertrag v. 18.05.1990 über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion im Leitsatz III 2 des gemeinsamen Protokolls über Leitsätze zum Staatsvertrag erfahren. 23 Die begriffliche Unterscheidung zwischen der Koalition i. S. des Art. 9 Abs. 3 GG und der Gewerkschaft i. S. ihrer Tarifmächtigkeit wird nicht immer konsequent gesehen bzw. durchgehalten. So sehen Hanau/Adomeit Rdnr. 148 die „soziale Mächtigkeit des Verbandes“ als Element des Koalitionsbegriffs – allerdings leicht zweifelnd angesichts der damit einhergehenden praktischen Unmöglichkeit eines neu gegründe-

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Einleitung: Der Gegenstand der Untersuchung

Wegen der engen Verquickung der Gewerkschaftseigenschaft mit der Tarifmächtigkeit innerhalb des Systems der Tarifautonomie erscheint es deshalb zunächst als sachgerecht, in diesem Rahmen von Mehrheitsgewerkschaften dort zu sprechen, wo Gewerkschaften im Bereich ihrer Tarifzuständigkeit die Mehrzahl der gewerkschaftlich Organisierten vertritt. Minderheitsgewerkschaften in diesem allgemeinen Sinne sind dementgegen die Gewerkschaften, die im Bereich ihrer Tarifzuständigkeit nur eine relative Minderheit der gewerkschaftlich Organisierten an sich zu binden vermag. Insofern dürfte die Bezeichnung der Gewerkschaften im Verhältnis zu ihren Konkurrenten als Mehrheits- oder Minderheitsgewerkschaft den allgemeinen umgangssprachlichen Gebrauch treffen.

§ 2 Minderheitsgewerkschaften im besonderen, betriebsverfassungsrechtlichen Sinne Im verfassungsrechtlichen Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG sind den Gewerkschaften aber über den Bereich des Abschlusses von Tarifverträgen hinaus durch Spezialgesetze noch eine Vielzahl weiterer ganz konkreter Befugnisse zugewiesen worden, namentlich die Betätigung in der Betriebs- und Unternehmensverfassung, in der Personalvertretung, der Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, in der Berufsbildung und im Bereich der sog. „sozialen Selbstverwaltung“24. Man kann diese Rechtspositionen als „sekundäre“ (Gewerkschafts-)Rechte gegenüber dem „primären“ Recht des Erzwingens und Abschließens von Tarifverträgen bezeichnen25. In diesen einzelnen Bereichen können sich die Kräfteverhältnisse zwischen konkurrierenden Gewerkschaften durchaus anders darstellen als bei einer rein ten Verbandes, aus dem Stand heraus Tarifmächtigkeit zu erreichen; vgl. dazu auch ausführlich Gamillscheg KollArbR I, S. 425 ff.; für die vorliegende Untersuchung wird der Rechtsprechung des BVerfG und des BAG gefolgt, die im Hinblick auf das Tarifvertragswesen klar zwischen Koalition und (mächtiger) Gewerkschaft trennen; siehe nur BAG v. 17.02.1998 – 1 AZR 364/97 = AP Nr. 87 zu Art. 9 GG Gründe II. 1. b aa: „Unschädlich ist . . ., dass der Kl. bisher mangels Mächtigkeit keine Tarifverträge abschließen kann. Vereinigungen genießen den Schutz des Art. 9 III GG bereits in einem Stadium, in dem sie die erstrebte Durchsetzungskraft erst anstreben“; auch BAG v. 25.11.1986 – 1 ABR 22/85 = AP Nr. 36 zu § 2 TVG (Christliche Gewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie CGBCE) zur Unterscheidung zwischen bloßer Koalition und tariffähiger Gewerkschaft; grundlegend BVerfG v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/ 78 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG Gründe B. I. 1 f. 24 Der Begriff der „sozialen Selbstverwaltung“ wird nicht einheitlich gebraucht. Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 227 begreifen darunter die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung. Dieser Definition soll hier gefolgt werden; Nikisch § 60 I 3. verstand darunter einerseits umfassender jede Übertragung an sich staatlicher Aufgaben auf nichtstaatliche Verbände bis hin zum Abschluss von Tarifverträgen, andererseits aber gerade nicht die Teilnahme bspw. an der staatlichen Arbeitsverwaltung. 25 Siehe dazu nur Eitel, S. 62; Rüthers/Roth Anmerkung zu AP Nr. 32 zu § 2 TVG, II 5 d zu b).

Einleitung: Der Gegenstand der Untersuchung

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mitgliederbezogenen Sichtweise oder unter der Perspektive der Mehrheitsverhältnisse unter konkurrierenden Gewerkschaften im Bereich ihrer jeweiligen Tarifzuständigkeit. In diesen Fällen bilden Begriffe wie Mehrheits- oder Minderheitsgewerkschaft im allgemeinen Sinne die soziale Wirklichkeit – beispielsweise in konkreten Betrieben - nicht mehr zutreffend ab. Sie sind daher auch nicht geeignet, eine plausible Grundlage für die Untersuchung der Minderheitenproblematik insbesondere im Hinblick auf die Betriebsverfassung zu bilden. Im Hinblick auf die Betriebsverfassung sind für den Gegenstand der Untersuchung deshalb diejenigen Gewerkschaften als Minderheitsgewerkschaften anzusehen, welche – vermittelt über die jeweilige Repräsentanz ihrer Mitglieder im gewählten Betriebsrat – im Verhältnis zur stärksten „gewerkschaftlichen Gruppe“ im Betriebsrat als die kleineren Organisationen anzusehen sind. Dies gilt – wie ausgeführt – lediglich unter strikt betriebsbezogener Sichtweise. Gleichwohl ist die betriebliche Wirklichkeit natürlich sehr weit von den „allgemeinen“, also betriebsübergreifenden und branchenweiten Organisations- und Machtverhältnissen zwischen den dort konkurrierenden Gewerkschaften geprägt, so dass häufig diejenigen Gewerkschaften, die unter dem eingangs genannten Blickwinkel des Bereichs der Tarifzuständigkeit die Mehrheitsgewerkschaften sind, sich in ihrer tatsächlichen betriebssoziologischen Funktion auch als solche im einzelnen Betrieb wiederfinden werden. Ähnliche Überlegungen müssen dort Platz greifen, wo betriebsverfassungsrechtliche Regelungen unternehmens- oder konzernbezogen sind. Es muss an diesen Stellen gegebenenfalls wiederum eine Perspektivverschiebung vorgenommen werden, um sich klarzumachen, welche Gewerkschaften konkret in Minderheitenstellung positioniert sind – was dann gegebenenfalls Anknüpfungspunkt für minderheitenschutzrechtliche Überlegungen sein kann. Deshalb soll Gegenstand der vorliegenden Untersuchung die Stellung von Minderheitsgewerkschaften im Sinne einer Betrachtung unter dem Aspekt der Kräfteverhältnisse sein, die jeweils im Rahmen der gesetzlichen Einzelzuweisung (Aufgaben- oder Befugnisnorm des Betriebsverfassungsrechts) bestehen.

§ 3 Minderheitenproblematik Jenseits des oben festgestellten Befundes der Dominanz der im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften in der öffentlichen Wahrnehmung werfen gesetzgeberische Vorhaben oder höchstrichterliche Entscheidungen immer wieder ein Schlaglicht auf die „gewerkschaftliche Minderheitenproblematik“, die mit dem rechtstatsächlich bestehenden Pluralismus von Gewerkschaften in die gesetzgeberische, wissenschaftliche und richterliche Diskussion gekommen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder betont, dass Wahlen im Bereich der Mitbestimmung in Betrieben, Dienststellen und auf Unternehmens-

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Einleitung: Der Gegenstand der Untersuchung

ebene, sehr strikt an das Gebot der formalen Wahlrechtsgleichheit gebunden sind26. Dahinter steht letztlich die allen demokratischen Wahlen zugrundeliegende Vorstellung, dass Minderheiten zu Mehrheiten werden können und dass Mehrheiten zu Minderheiten schrumpfen können. Dieser Mechanismus muss in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen geradezu angestrebt werden, weil er die Herrschaftsperspektive derer, die aktuell Macht ausüben in zeitlicher Hinsicht begrenzt, und weil durch die materielle Konkurrenz anderer Konzepte, nämlich derer der jeweiligen Minderheit, strukturell dafür gesorgt werden kann, dass politische Lösungskonzepte nicht erstarren, sondern sich stets neuen inhaltlichen Herausforderungen stellen müssen. Im Bereich der Wahlen zu den Organen der betrieblich oder unternehmerisch verfassten Mitbestimmung kann eine solche Sichtweise von Minderheitenproblematik wohl noch unschwer einleuchten – obwohl diese Sicht natürlich alles andere als völlig unumstritten ist27. Das Aufeinandertreffen von Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften in Betrieben und Unternehmen findet allerdings nicht nur dann statt, wenn diese als Konkurrenten bei förmlichen Wahlen gegeneinander antreten. Schließlich müssen die gewählten Mandatsträger der verschiedenen Gewerkschaften in der betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Tätigkeit ja tagtäglich miteinander ihre Aufgaben und Befugnisse ausüben. Dabei treten Minderheitenprobleme zunächst dort auf, wo die organisationsrechtliche und geschäftsordnungsmäßige Verfassung des gewählten Gesamtorgans Betriebsrat (Betriebsausschuss, weitere Ausschüsse, Gesamtbetriebsrat etc.) angesprochen wird. Aufgaben und Kompetenzen, Freistellungen und Ausschusssitze sind zu verteilen oder es ist über die Entsendung von Betriebsratsoder Gesamtbetriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat bzw. den Konzernbetriebsrat zu entscheiden. Aber auch an anderer Stelle kann es zu Konflikten zwischen Mehrheitsvertretern und Angehörigen der Minderheitsgewerkschaften kommen: Betriebsratsmitglieder wollen zur verantwortungsvollen Ausübung ihres Mandats Informationen für sich beanspruchen, die oftmals von der Betriebsratsmehrheit und dem von ihr getragenen Betriebsratsvorsitzenden den Minderheitenvertretern vorenthalten werden. Der Zugang zum Betriebsratsbüro wird nur selektiv – nach Gewerkschaftszugehörigkeit – gewährleistet. Oder aber: Mehrheitsgewerkschaften schneiden durch Betriebsverfassungstarifverträge zusammen mit dem Arbeitgeber unter Ausschluss der Minderheitsgewerkschaften im Betrieb die Betriebsstruktur so zu, dass die Mehrheitsverhältnisse 26

Dazu unten ausführlich in 2. Kap. § 1 F. IV. 3. Siehe dazu zuletzt nur BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 = NZA 04, 1395: das BVerfG hat bei dieser Entscheidung zum Unterschriftenquorum gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG aus Gründen der mit dieser Vorschrift verbundenen Verletzung der formalen Wahlrechtsgleichheit der Koalitionen bei Wahlen zum Aufsichtsrat deren Verfassungswidrigkeit festgestellt; die gesamte zuvor ergangene Instanzrechtrechtsprechung und das BAG hatten das anders gesehen, BAG v. 13.05.1998 – 7 ABR 5/97 = AP Nr. 1 zu § 12 MitbestG LS. 27

Einleitung: Der Gegenstand der Untersuchung

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zu eigenen Gunsten – quasi durch ein günstiges „Zuschneiden der Wahlkreise“ – perpetuiert werden können. Die Konkurrenzsituation zwischen den Gewerkschaften spiegelt sich also permanent in der täglichen Arbeit der Mandatsträger in den Betrieben wider. In Umkehrung der englischen Redewendung „liberty dies in inches“ soll hier die These gewagt werden, dass Freiheit – vorliegend im Gewand der verfassungsrechtlich verbürgten Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG – sich auch und gerade im „Kleinklein“ der tagtäglichen Arbeit derer zu beweisen oder herzustellen hat, die sich nicht in der Rolle von Mehrheitsgewerkschaften oder Mehrheitsgewerkschaftlern befinden. Aus diesem Grunde findet vorliegend auch eine vertiefende Auseinandersetzung mit Problemen statt, die sich gemeinhin – beispielsweise beim Falle der Botenüberbringung von Briefwahlunterlagen oder bei der Frage nach dem korrekten Umgang mit dem Wählerverzeichnis – eher am Rande der betriebsverfassungsrechtlichen Diskussion befinden. Die Spielräume der verfassungsrechtlichen Freiheitsverbürgung für die Minderheitsgewerkschaften innerhalb der Betriebsverfassung auszuloten, ist ein Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Es geht dabei nicht, wie das Bundesarbeitsgericht28 betont hat, um die Ausweitung des Minderheitenschutzes ins Uferlose („kein absoluter Minderheitenschutz“). Es soll aber der Blick dafür geschärft werden, wo Grundrechtsschutz in der Betriebsverfassung sich notwendig niederzuschlagen hat und an welchen Stellen im Betriebsverfassungsgesetz überhaupt – auch – in Kategorien des Minderheitenschutzes gedacht werden muss, wo also eine Abwägung von Mehrheits- und Minderheitsinteressen unter dem Aspekt der Koalitionsfreiheit überhaupt in die rechtliche Betrachtung einzufließen hat. Es geht auf der anderen Seite dabei aber nicht darum, den Koalitionswettstreit in den Betrieb hineinzutragen29. Es sollen lediglich Impulse dafür gegeben werden, wie tatsächlich existierende Konkurrenzsituationen von Gewerkschaften in den Betrieben rechtlich adäquat verarbeitet werden können, ohne dabei aus dem Auge zu verlieren, dass das Betriebsverfassungsgesetz das Wohl des Betriebes ins Zentrum aller betriebsverfassungsrechtlicher Aktivitäten gestellt hat.

§ 4 Der Gang der Untersuchung Auf dem vorgestellten Hintergrund der Untersuchung soll zunächst in groben Umrissen in einem rechtstatsächlich angelegten Kapitel dargestellt werden, wie sich die gewerkschaftsplurale Wirklichkeit zur Zeit darstellt und wie sie sich 28 BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 Gründe B. I. 2. c) aa) mit Verweis auf BAG v. 28.10.1992 – 7 ABR 2/92 = AP Nr. 16 zu § 38 BetrVG 1972 Gründe B. II. 2. c). 29 So die Befürchtung Riebles Rdnr. 1789 m.w. N.

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Einleitung: Der Gegenstand der Untersuchung

die Minderheitsgewerkschaften (im allgemeine Sinne) in Deutschland entwickelt haben. Danach wird in einem weiteren Kapitel der verfassungsrechtliche Rahmen zu untersuchen sein, in dem sich die Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften bewegen, wenn sie oder ihre Mitglieder in den Betrieben sich diesbezüglich betätigen. Anschließend wird der Blick darauf gerichtet werden, welche Anforderungen überhaupt an Koalitionen gerichtet werden müssen, wenn sie als Gewerkschaften im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes dort Aktivitäten sollen entfalten dürfen. Es ist dies die Frage nach der Einheitlichkeit des Gewerkschaftsbegriffs im gesamten Arbeitsrecht. Weiter sollen dann einzelne Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes – soweit diese unter minderheitsspezifischem Blickwinkel von Interesse sein könnten – in einem vierten Kapitel untersucht werden. Dabei soll versucht werden, neben der verfassungs- und betriebsverfassungsrechtlichen vor allem die praktische Bedeutung etwaigen Schutzes für die Minderheitsgewerkschaften herauszuarbeiten. Es soll dabei nämlich auch die gewerkschaftliche Konkurrenzsituation in den Betrieben verdeutlicht werden, wobei der Blick insbesondere auch die ganz konkreten Taktiken und Mechanismen der „zwischengewerkschaftlichen Auseinandersetzung“ in den Betrieben ins Auge fassen muss30. Abschließend sollen einige wesentliche Ergebnisse der Untersuchung in Thesenform zusammengefasst werden. Die vorliegende Untersuchung hat es sich nicht nur zur Aufgabe gestellt, den Blick für die Situation und Stellung der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung mit ihren rechtlichen Implikationen zu schärfen: Es wäre darüber hinaus zu wünschen, dass die insbesondere im betriebsverfassungsrechtlichen Kapitel dieser Untersuchung angestellten Überlegungen auch in der praktischen Betriebsratsarbeit als Diskussions- und Arbeitshilfe verwandt werden könnten.

30 Zur Praxis der „inoffiziellen Mitgliedschaft“ in der DGB-Mehrheitsgewerkschaft als Einstellungsvoraussetzung, siehe Vultejus ZPR 05, 138; siehe zu den Kampftaktiken der Mehrheits- gegen die Minderheitsgewerkschaften Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamten und Anwärter im Deutschen Beamtenbund Missachtung, 6 ff.: dort werden als klassische Taktiken (im Bereich des Personalvertretungsrechts) genannt: Verhinderung der Wahl des der Minderheit angehörigen Gruppensprechers, Verweigerung des Losentscheides in Pattsituation bei innerorganschaftlichen Wahlen, gesetzeswidrige Ausdehnung des Begriffs der laufenden Geschäfte zugunsten des von Mehrheitskoalitionären besetzten Vorstandes, Verweigerung der Information gegenüber den Mitgliedern der Minderheitskoalition im Personalrat, gewerkschaftlich einseitige Freistellungen.

1. Kapitel

Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung § 1 Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften in Deutschland A. Pluralität gewerkschaftlicher Ansätze bei der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und im gesellschaftspolitischen Sektor Es wurde eingangs dargelegt, dass in Deutschland zur Zeit mehr als 150 Einzelgewerkschaften existieren und damit entgegen der öffentlichen Wahrnehmung eine erhebliche Pluralität gewerkschaftlicher „Angebote“ für die Arbeitnehmerschaft vorhanden ist. Ein großer Teil dieser Gewerkschaften ist in einem der drei großen Dachverbände zusammengeschlossen1: Dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)2, dem dbb beamtenbund und tarifunion3 und dem Christlichen Gewerkschaftsbund Deutschlands (CGB)4. 1

Hierzu Schröder/Weßels, S. 690 ff. (Stand März 2003). Informationen über www.dgb.de; im DGB sind zusammengefasst: Die IG BauenAgrar-Umwelt (IG Bau), die IG Bergbau Chemie, Energie (IG BCE), die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die IG Metall (IGM), die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die Gewerkschaft der Polizei (GdP), die Transnet Gewerkschaft GdED (Transnet) und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e. V. (ver.di). 3 Informationen über www.dbb.de und www.tarifunion.dbb.de; im dbb beamtenbund und tarifunion sind eine Vielzahl von Fachgewerkschaften des öffentlichen Dienstes und des privatisierten Dienstleistungssektors zusammengefasst: Die Verkehrsgewerkschaft GDBA, die Kommunikationsgewerkschaft DPV (DPVKOM), der Bund Deutscher Zollbeamten – Gewerkschaft Zoll und Finanzen – (BDZ); die GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer), die Gewerkschaft der Sozialversicherung, der Verband der Beamten der Bundeswehr e. V. (VBB), der Verband der Beschäftigten der obersten und oberen Bundesbehörden e. V. (VBOB), der Verband der Bundesbankbeamten e. V. (VdB), der Verband der Beamten der Bundesanstalt für Arbeit (VBBA), der Fachverband Wasser- und Schiffahrtsverwaltung e. V. (FWSV), der Bundesgrenzschutz-Verband e. V. (bgv), der Verband der Beschäftigten des gewerblichen Rechtsschutzes (VBGR), der Verein der Rechtspfleger im Bundesdienst e. V. (VRB), der Verband der Arbeitnehmer der Bundeswehr e. V. (VAB), die Deutsche Steuer-Gewerkschaft (DSTG), die KOMBA Gewerkschaft für den Kommunal und Landesdienst, der Deutsche Philologenverband (DPhV), der Bund der Ruhestandsbeamten, Rentner und Hinterbliebenen (BRH), der Bund Deutscher Forstleute (BDF), die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG), die Gewerkschaft der Sozialverwaltung (GdV), die Deutsche Jus2

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

Im gewerkschaftlichen Selbstverständnis, im Hinblick auf die eigene Verortung im Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland und im Hinblick auf die anzusteuernden Ziele der eigenen Gewerkschaftspolitik bestehen zwischen diesen Dachverbänden bzw. den in ihnen organisierten Einzelgewerkschaften Parallelitäten, aber auch ganz erhebliche Unterschiede. So lassen sich Unterschiede in der jeweiligen Organisationsform, der satzungsmäßigen Ausrichtung und der (partei-)politischen Ausrichtung bzw. der diesbezüglichen Präferenz in der gewerkschaftspolitischen Arbeit ausmachen.

tiz-Gewerkschaft (DJG), der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands e. V. (BSBD), der Deutsche Gerichtsvollzieherbund (DGVB), die Deutsche Verwaltungs-Gewerkschaft (DVG), der Verband Bildung und Erziehung e. V. (VBE), der Verband Deutscher Realschullehrer, die BTE-Gewerkschaft Mess- und Eichwesen, Bund der Technischen Eichbeamten, Angestellten und Arbeiter, der Berufsverband Agrar, Ernährung, Umwelt e. V. (VDL), der Bundesverband der Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. (BV ÖGD), der Verband Hochschule und Wissenschaft (VHW), die Gewerkschaft Technik und Naturwissenschaft im öffentlichen Dienst – Bund der Technischen Beamten, Angestellten und Arbeiter (BTB), der Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen e. V. (BLBS), der Deutsche Amtsanwaltsverein e. V. (DAAV), der Bund Deutscher Rechtspfleger (BDR), die Vereinigung der Rundfunk-, Film- und Fernsehschaffenden (VRFF) und der Deutsche Berufsverband für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Heilpädagogik e. V. (DBSH) – Stand der Satzung dbb beamtenbund und tarifunion: Mai 2002; seither sind noch zusätzlich aufgenommen worden: Der Berufsverband Bayerischer Hygieneinspektoren (BBH), Der Deutsche Berufsverband für soziale Arbeit (DBSH), der Fachverband der angestellten und beamteten Deutschen Krankenhausapotheker NW, der Fachverband der Bediensteten der Landwirtschaftskammer NRW im dbb landesbund dbb, der Fachverband Gesundheitswesen Baden-Württemberg (FVG), die Fachgewerkschaft Niedersächsiche Landeskrankenhäuser (FNL), die katholische Erziehergemeinschaft Bayern (KEG), die Gewerkschaft für das Gesundheitswesen Bayern, der Sächsische Lehrerverband, der Verband Deutscher Straßenwärter (VDStra), der Verband der Landes-Beamten, Angestellten und Arbeiter Nordrhein-Westfalen (VdLANW) und der Verband der Angestellten im Schuldienst; Quelle: www.tarifunion.dbb.de/links_mitglieder_tarifunion.htm Stand 05.02.2005. 4 Informationen über www:cgb.info/allgemein/impressum.php; im Christlichen Gewerkschaftsbund sind 16 Einzelgewerkschaften zusammengeschlossen: Die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM), der Arbeitnehmerverband deutscher Milchkontroll- und Tierzuchtbediensteter (ADM), der Deutsche Handels- und Industrieangestelltenverband (DHV), die Gewerkschaft Trockenbau Ausbau (GTA), der Bund der Hotel-, Restaurant- und Cafeangestellten (Union Ganymed), die Christliche Gewerkschaft Deutscher Eisenbahner (CGDE), die Gewerkschaft öffentlicher Dienst und Dienstleistungen (GÖD), die Christliche Gewerkschaft Postservice und Telekommunikation (CGBT), der Verein katholischer deutscher Lehrerinnen (VkdL), der Arbeitnehmerverband landund ernährungswirtschaftlicher Berufe (ALEB), die Christliche Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (CGBCE), die Gewerkschaft für Holzverarbeitung und Kunststoffgewerbe im CGB (GHK), der Deusche Land- und forstwirtschaftliche Angestelltenbund (DLFAB), die Kraftfahrergewerkschaft (KFG), der Verband Deutscher Techniker (VDT) und der Beschäftigtenverband Industrie, Gewerbe, Dienstleistung (BIGD); Quelle: www.cgb.info/wirueberuns/einzelgewerkschaften.php (Stand 05.02.2005).

§ 1 Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften in Deutschland

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B. Allgemeine Typologie gewerkschaftlicher Organisationsformen Gewerkschaften lassen sich nach ihren Organisationsformen in sieben Grundformen typologisieren. I. Die Richtungsgewerkschaften Da sind zunächst die sog. Richtungsgewerkschaften: Bei diesen Gewerkschaften spielt die ideologische, (partei-)politische oder konfessionelle Ausrichtung der sich koalierenden Mitglieder die ausschlaggebende Rolle5. Zu Anbeginn der deutschen Gewerkschaftsbewegung waren im Groben drei Zweige richtungsgewerkschaftlicher Aktivität zu unterscheiden: Es waren dies die sozialistisch oder sozialdemokratisch ausgerichteten und der Sozialdemokratie nahestehenden Gewerkschaften, die christlichen Gewerkschaften und die liberalen Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine mit gegenüber den sozialdemokratisch ausgerichteten Gewerkschaften eher gemäßigten sozialpolitischen und arbeitsrechtlichen Forderungen6. Die christlich(-nationalen) Gewerkschaften waren zunächst dem katholischen Dogmatismus verhaftet, mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert begann insofern aber eine Loslösung von dieser eher starren Ausrichtung7. Die Entwicklung in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg ist von einer Abnahme der Bedeutung richtungsgewerkschaftlicher Ansätze gekennzeichnet. Im Wesentlichen lassen sich heute nur noch die im CGB vereinigten christlichen Gewerkschaften diesem Typus zuordnen8 – anders als dies im europäischen Vergleich überwiegend der Fall ist9.

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Schroeder/Weßels, S. 628. Löwisch/Rieble MünchArbR § 248 Rdnrn. 1 ff. 7 Schönhoven, S. 40 (46). 8 Schroeder/Weßels, S. 628; Traxler, S. 543 (547); allerdings wird teilweise auch der DGB richtungsgewerkschaftlich gedeutet, so beispielsweise Hettlage, S. 47 ff.; der CGB organisiert sechzehn Einzelgewerkschaften, deren Gewerkschaftsstatus allerdings immer wieder Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen ist, zuletzt betreffend die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) ArbG Stuttgart 21 BV 175/04 (Gewerkschaftseigenschaft verneinend) und unter Aufhebung dieses Beschlusses LAG Stuttgart v. 01.10.2004 – 4 TABV 1/04 (Gewerkschaftseigenschaft bejahend); das BAG hat mit Beschl. v. 28.03.2006 – 1 ABR 58/04 – diese Sicht bestätigt und der CGM die Gewerkschaftseigenschaft zuerkannt. 9 Nach den statistischen Angaben bei Traxler, S. 543 (547), gab es Ende der 90er Jahre in Belgien drei, in der Schweiz zwei, in Spanien fünf, in Frankreich drei, in Italien vier, in den Niederlanden zwei, in Portugal drei und in Schweden zwei ideologisch/konfessionell geprägte gewerkschaftliche Spitzenverbände. In Deutschland, Dänemark, Irland, Norwegen und Großbritannien gab es je einen solchen richtungsgeprägten Spitzenverband. 6

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

II. Die sog. „Einheitsgewerkschaft“ Das Pendant zur Organisationsform der Richtungsgewerkschaft bildet die sog. Einheitsgewerkschaft. Die Einheitsgewerkschaft differenziert nicht nach Weltanschauung, Konfession oder politischer Richtung oder nach Berufsstatus. Der Gedanke der Einheitsgewerkschaft hat in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg hohe Bedeutung gewonnen, Gewerkschaften sollten neutral sein, anders als noch in der Weimarer Republik sollten sich nach diesem Gedanken die Gewerkschaften nicht entlang religiöser oder politischer Linien voneinander spalten lassen10. Das Prinzip der Einheitsgewerkschaft wird heute als ein wesentliches Merkmal seines Selbstverständnisses vom DGB für sich in Anspruch genommen11. Rechtstatsächlich wird mit diesem Anspruch bzw. dessen Verwirklichung das Entstehen monopolartiger Strukturen auf Gewerkschaftsseite gefördert12. Indirekt wird diese Feststellung dadurch bestätigt, dass mit der Forderung nach der Einheitsgewerkschaft im oben beschrieben eigentlichen Sinne stets auch die Forderung verbunden worden ist, alle Beschäftigten jenseits von Statusgrenzen in der einen, großen Gewerkschaft zu erfassen13. Insofern erweist sich der Begriff der Einheitsgewerkschaft also durchaus ambivalent, wenn nicht gar als schillernd: Er ist nämlich einerseits gewerkschaftssoziologischer Typenbegriff, fungiert andererseits aber auch als eine dem Bestehen eines Koalitionspluralismus entgegenlaufende gesellschaftspolitische Forderung14, man könnte auch sagen: als politischer „Kampfbegriff“ in der Auseinandersetzung mit den Minderheitsgewerkschaften15.

10 Funk, S. 14 (15); Gamillscheg KollArbR I, S. 462; Hassel, S. 102 (104 f.); Löwisch/Rieble MünchArbR § 248 Rdnr. 10 ff.; Schroeder/Weßels, S. 628; dazu auch Müller/Wilke, S. 122 (125). 11 Schroeder/Weßels, S. 628, sehen hingegen den dbb als Statusgewerkschaft (der Beamten) an; ähnlich Löwisch/Rieble MünchArbR § 248 Rdnrn. 18, 33. 12 Huber, S. 274 (285) stellte 1975 fest, dass die Entstehung der Einheitsgewerkschaft zu einer faktischen gewerkschaftliche Monopolstellung geführt habe; ähnlich Löwisch RdA 75, 53 (57) der allerdings vorsichtiger von einer Erschwerung eines praktischen Koalitionspluralismus im Zuständigkeitsbereich der Einheitsgewerkschaft spricht. 13 In diesem Sinne versteht Schönhoven, S. 40 (51 f.) das Konzept einer „nationalen Einheitsgewerkschaft); siehe auch Hattenhauer, S. 461, der anschaulich diesen Aspekt des Gebrauchs des Begriffes der Einheitsgewerkschaft beschreibt. 14 In diese Richtung Geppert, S. 79 f.; in diesem Sinne spricht auch Rieble Rdnr. 1780 von „dem Wunsch nach der großen, starken Einheitsgewerkschaft“. 15 Die Brisanz der Begriffsbildung wird bei Hettlage, S. 47, anschaulich geschildert: Dort wird auf einen Beitrag von Edmund Stoiber in seiner Funktion als Generalsekretär der CSU in einer Kolumne der gewerkschaftlichen Wochenzeitung Welt der Arbeit (01.02.1979) Bezug genommen, in der dieser den Gedanken der Einheitsgewerkschaft als dem bundesdeutschen gesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Modell eines freiheitlichen Pluralismus zuwiderlaufend beschrieb und eine gedankliche Verbindung zu Kadersystemen sozialistischen Zuschnitts zog.

§ 1 Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften in Deutschland

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III. Industriegewerkschaften Einen weiteren organisationsstrukturellen Typus von Gewerkschaften stellen die Industriegewerkschaften dar (auch: Industrieverbandsprinzip). Nach deren Organisationsprinzip richtet sich die Zuständigkeit einer Gewerkschaft danach, in welchem Wirtschaftszweig der Arbeitnehmer beschäftigt ist. So ist beispielsweise die IG-Metall die Gewerkschaft für den Metallbetrieb und erfasst satzungsmäßig alle dort beschäftigten Arbeitnehmer, unabhängig von ihrer jeweiligen konkreten beruflichen Tätigkeit. Die Gewerkschaften des DGB sind nach dem Industrieverbandsprinzip organisiert16. Auch die im dbb beamtenbund und tarifunion zusammengeschlossenen Gewerkschaften folgen überwiegend dem Industrieverbandsprinzip17. IV. Organisation nach Berufsverbandsprinzip Anders als nach dem Industrieverbandsprinzip sind Gewerkschaften organisiert, die dem sog. Berufsverbandsprinzip folgen. Solche Berufsgewerkschaften suchen ihre Mitglieder unter den Arbeitnehmern gleichen Berufs oder Berufszweigs18, unabhängig von ihrer konkreten Beschäftigungsstelle. Während die 16 Gamillscheg KollArbR I, S. 213; Löwisch/Rieble MünchArbR § 248 Rdnr. 27; siehe auch Schröder/Weßels, S. 628. 17 So die Verkehrsgewerkschaft GDBA, die Kommunikationsgewerkschaft DPV (DPVKOM), die GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer), die Gewerkschaft der Sozialversicherung, der Verband der Beschäftigten der obersten und oberen Bundesbehörden e. V. (VBOB), der Fachverband Wasser- und Schiffahrtsverwaltung e. V. (FWSV), der verband der Beschäftigten des gewerblichen Rechtsschutzes (VBGR), der Verband der Arbeitnehmer der Bundeswehr e. V. (VAB), die Deutsche Steuer-Gewerkschaft (DSTG), die KOMBA Gewerkschaft für den Kommunal und Landesdienst, der Bund der Ruhestandsbeamten, Rentner und Hinterbliebenen (BRH), der Bund Deutscher Forstleute (BDF), die Gewerkschaft der Sozialverwaltung (GdV), die Deutsche Justiz-Gewerkschaft (DJG), der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands e. V. (BSBD), die Deutsche Verwaltungs-Gewerkschaft (DVG), die BTE-Gewerkschaft Mess- und Eichwesen, Bund der Technischen Eichbeamten, Angestellten und Arbeiter, der Berufsverband Agrar, Ernährung, Umwelt e. V. (VDL), der Verband Hochschule und Wissenschaft (VHW), die Gewerkschaft Technik und Naturwissenschaft im öffentlichen Dienst – Bund der Technischen Beamten, Angestellten und Arbeiter (BTB), die Vereinigung der Rundfunk-, Film- und Fernsehschaffenden (VRFF) und der Deutsche Berufsverband für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Heilpädagogik e. V. (DBSH). 18 So beispielsweise die Vereinigung Cockpit (VC), die Unabhängige Flugbegleiterorganisation (UFO), der Marburger Bund, der Deutsche Journalistenverband (DJV), der Deutsche Philologenverband im dbb beamtenbund und tarifunion, der Deutsche Gerichtsvollzieherbund (DGVB) im dbb beamtenbund und tarifunion, der Verband Bildung und Erziehung (VBE) im dbb beamtenbund und tarifunion, der Verband Deutscher Realschullehrer (VDR) im dbb beamtenbund und tarifunion, der Bundesverband der Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. (BV ÖGD), der Verband Hochschule und Wissenschaft (VHW) im dbb beamtenbund und tarifunion, der Bundesverband der Lehrer an Wirtschaftsschulen e. V. (VLW), der Bundesverband der Lehrerin-

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

Frühzeit gewerkschaftlicher Entwicklung in allen Ländern von diesem Prinzip geprägt war, sind solche Gewerkschaften heute nicht mehr vorherrschend19. V. Statusgewerkschaften Als weitere Kategorie der Organisationsform von Gewerkschaften fungieren die Statusgewerkschaften. Hier richtet sich die Gewerkschaftsmitgliedschaft nach Stand oder Status der Organisierten (Beamte, Arbeiter, Angestellte). Nach diesem Prinzip war die in der Gewerkschaft ver.di aufgegangene Deutsche Angestelltengewerkschaft organisiert20. Hierher gehören auch die Berufsverbände der Beamten, sofern sie ausschließlich diese Beschäftigtengruppe organisieren und nicht auch für Arbeitnehmer offen stehen. VI. Multibranchengewerkschaften Als neue soziologische Kategorie eines gewerkschaftlichen Funktionstypus’ werden seit einiger Zeit die sog. Multi-Branchengewerkschaften begriffen21. Dies sind „organisatorische Aggregate zur Erhöhung der verbandlichen Politikfähigkeit“22. Gesucht wird von den sich branchenübergreifend entwickelnden oder fusionierenden Gewerkschaften eine erhebliche Effizienzsteigerung durch Entwicklung schlagkräftiger Organisationen einerseits und die dadurch gesteigerte Attraktivität für potentielle Mitglieder andererseits23. Diese Aggregate stellen sich teils als „geborene“ Multibranchengewerkschaften dar, so beispielsweise die frühere Gewerkschaft ÖTV, die von vorneherein eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Berufe und Branchen organisierte. Davon unterschieden werden organische Multibranchengewerkschaften, die sich im Verlauf ihrer historischen Entwicklung von klassisch werkstofforientierten Industriegewerkschaften mit der Entwicklung „ihrer“ Unternehmen entlang der sich ausdifferenzierenden Wertschöpfungsketten branchenmäßig ausgedehnt haben. Paradebeispiele hierfür sind die Gewerkschaften der Metall- und Chemieindustrien.

nen und Lehrer an berufliche Schulen e. V. (BLBS) im dbb beamtenbund und tarifunion, der Deutsche Amtsanwaltsverein e. V. (DAAV) im dbb beamtenbund und tarifunion, der Bund Deutscher Rechtspfleger (BDR) im dbb beamtenbund und tarifunion. 19 Gamillscheg KollArbR I, S. 213; dazu auch Löwisch/Rieble MünchArbR § 248 Rdnrn. 31 f.; Müller/Wilke, S. 122 (124); Nikisch § 57 II. 6., 10; Schröder/Weßels, S. 628. 20 Schroeder/Weßels, S. 628; anders Löwisch/Rieble Münch ArbR § 248 Rdnr. 31, die in der DAG eine nach Berufsverbandsprinzip organisierte Gewerkschaft sahen. 21 Dieser Begriff wurde erstmals 1988 in die Debatte eingeführt, siehe Grewe/Niedenhoff/Wilke, Funktionärskarrieren im DGB; auch Schroeder/Weßels, S. 628. 22 Müller/Wilke, S. 122 (132 ff.). 23 Müller/Wilke, S. 122 (140 f.)

§ 1 Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften in Deutschland

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Als heteronome Multibranchengewerkschaften werden „Aggregate“ bezeichnet, die durch Übernahme finanz- und mitgliederschwächerer durch größere Gewerkschaften entstehen, und zwar unabhängig von organisationspolitischbranchenmäßigen Überschneidungen. Kleinere Gewerkschaften fusionieren zur Erhöhung der Schlagkraft für ihre Mitglieder mit branchenfremden Gewerkschaften, allerdings in strikter Subordination unter den größeren Fusionspartner. Beispiele hierfür sind die Übernahmen der Gewerkschaften Textil-Bekleidung und Holz-Kunststoff durch die IG Metall, die Übernahme der Gewerkschaft Gartenbau, Landwirtschaft und Forsten durch die Gewerkschaft IG Bausteine Erden und die Übernahme der IG Leder in die Fusion von IG Chemie und IG Bergbau. Als homolog fusionierte Multibranchengewerkschaften werden solche Zusammenschlüsse bezeichnet, bei denen branchenverwandte Gewerkschaften fusionieren – dies regelmäßig mit der politischen Zielsetzung eines gleichwertigen innergewerkschaftlichen Einflusses der ehemals eigenständigen Gewerkschaften. Zu nennen sind hier die Gewerkschaft ver.di, die Fusion zur IG Medien und die Fusion der Gewerkschaften Chemie und Bergbau zur Grundstoffgewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie24. Die gewerkschaftssoziologische Betrachtung sieht die gegenwärtige Phase der Organisationsrealität der deutschen Gewerkschaften von einem Haupttrend hin zu einem Multi-Branchenprinzip durch zunehmende Fusionswellen gekennzeichnet, flankiert von einer Fragmentierung in (neue) Berufsgewerkschaften25. Kritiker dieses Weges in Multibranchengewerkschaften allerdings sehen angesichts des hiermit einhergehenden Zwangs zur Integration immer heterogenerer Interessen die Gefahr, dass die zu leistende Integration faktisch nur über eine (noch) stärkere Abkehr vom Grundsatz der parteipolitischen Neutralität und durch eine damit einhergehende RePolitisierung wird geleistet werden können, und dass damit die Gefahr eines Weges zurück zur Richtungsgewerkschaft entstehen könnte26. VII. Betriebsgewerkschaften Als letzte große Kategorie einer Typologie nach Organisationsform können die Betriebsgewerkschaften genannt werden. Die Betriebsgewerkschaften werfen im Hinblick auf ihren Koalitionsstatus verfassungsrechtliche Probleme auf, da sie per definitionem nicht überbetrieblich organisiert sind und dies nach einer weit verbreiteten Auffassung ihren Koalitionsstatus tangiert. Anerkannt zulässige Ausnahmen waren dabei aber stets schon diejenigen Gewerkschaften, welche die Arbeitnehmer und Beamten bei den ehemaligen Staatsunternehmen Post und Bundesbahn organisiert haben27. 24

Siehe dazu Müller/Wilke, S. 122 (132 f.) m.w. N. Schroeder/Weßels, S. 629; siehe dazu auch Müller/Wilke, S. 122 (140 ff.). 26 Siehe dazu Müller/Wilke, S. 122 (141): „Man ist mächtiger als je zuvor, aber zu welchem Zweck?“ 25

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

VIII. Überschneidung der Grundtypenformen in der gewerkschaftlichen Realität Die genannten organisatorischen Grundtypen von Gewerkschaften dienen der Annäherung an eine möglichst treffende Beschreibung der gewerkschaftlichen Realitäten, sie sind aber keineswegs so zu verstehen, dass jede Gewerkschaft sich idealiter und eindeutig mit diesen Kategorien erfassen ließe. Die Richtungsgewerkschaften des CGB beispielsweise folgen teilweise dem Industrieverbands-, teilweise aber auch dem Berufsverbandsprinzip28. Ähnlich verhält es sich mit den im dbb beamtenbund und tarifunion vereinigten Gewerkschaften. Multibranchengewerkschaften wie die Gewerkschaft ver.di folgen dem Industrieverbandsprinzip. Damit zeigt schon die versuchte Grobcharakterisierung der in den drei großen Dachverbänden organisierten Gewerkschaften, dass die deutsche „Gewerkschaftslandschaft“ durch eine große Pluralität der Typologie von Organisationsformen als Ansatz für deren Beitrag bei der Regelungen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geprägt ist. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang deutlich, dass eine Pluralität der Ansätze bereits darin besteht, das Nebeneinander von konkurrierenden Gewerkschaften als selbstverständlich zu betrachten oder aber den Koalitionspluralismus als Störfaktor im Ringen um die große Einheitsgewerkschaft zu betrachten29.

C. Spezielle Typologisierung nach richtungspolitisch-inhaltlichen Präferenzen I. Mitgliedschaftliche Verquickungen zwischen politischen Parteien und Spitzenfunktionären der Dachverbände Die im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften nehmen als Einheitsgewerkschaften für sich in Anspruch, Arbeitnehmer aller weltanschaulichen Richtungen ohne Rücksicht auf Rasse, Alter oder Geschlecht zu vertreten. Insbesondere hat der DGB in seiner Satzung den Grundsatz der parteipolitischen Unabhängigkeit verankert30. Auch der dbb beamtenbund und tarifunion stellt in seiner Satzung die parteipolitische Unabhängigkeit fest31. Nicht viel anders ver27 Siehe Schroeder/Weßels, S. 628; zum Problem der Überbetrieblichkeit als Element des Koalitionsbegriffs siehe unten 2. Kap. § 1 D. 28 Löwisch/Rieble MünchArbR § 248 Rdnr. 32. 29 Auch Klein ZBVR 04, 16 (17). 30 Löwisch/Rieble MünchArbR § 248 Rdnr. 35; in der Satzung des DGB, zuletzt geändert vom 17. Bundeskongress 2002 in Berlin, Stand Juli 2002, heißt es insbesondere: „§ 2 Zweck, Aufbau und Aufgaben des Bundes 2. b): Sie (die Mitgliedsgewerkschaften, Anm. d. Verf.) sind unabhängig von Regierungen, Parteien, Religionsgemeinschaften Verwaltungen und den Arbeitgebern“.

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hält es sich im Grundsatz mit dem Christlichen Gewerkschaftsbund. Allerdings verlangt der CGB neben der parteipolitischen Unabhängigkeit noch die Anerkennung christlicher Grundsätze32. Die parteipolitische Unabhängigkeit ist – von ihren Satzungen aus betrachtet – demnach also kein Kriterium für eine Differenzierung des gewerkschaftspolitischen Ansatzes bei der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zwischen den drei genannten Dachverbänden. Diese Betrachtungsweise dürfte aber etwas zu kurz greifen. Es ist unübersehbar, dass der DGB stets – schon historisch bedingt33 – eine gewisse inhaltliche Nähe zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gepflegt hat34 und weiterhin pflegt35. Es wurde an anderer Stelle auch bereits darauf hingewiesen, dass ein sehr hoher Anteil der Spitzenfunktionäre im DGB und seinen Gewerkschaften mitgliedschaftlich mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands verbunden ist, und dass ein erheblicher Anteil der Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion traditionell Mitglied in einer der im DGB zusammengefassten Mitgliedsgewerkschaften ist36. Beispielsweise waren im 1997 amtierenden geschäftsführenden Bundesvorstand des DGB vier Vorstandsmitglieder Mitglied der SPD und nur eines Mitglied der CDU37. Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass im vormaligen DBB, dem heutigen dbb beamtenbund und tarifunion, bei dessen Spitzenfunktionären eine klare parteipolitische Präferenz zugunsten von CDU oder CSU besteht. So waren beispielsweise im bis 1999 amtierenden Führungsgremium, der sog. Bundesleitung, von neun Mitgliedern fünf Mitglieder der CDU, zwei waren Mitglieder der CSU und zwei waren parteilos38. In der dreizehnten Wahlperiode des Bundestages waren 40 Mitglieder des Bundestages im DBB organisiert, 37 davon gehörten 31 Satzung des dbb beamtenbund und tarifunion in der Fassung der Beschlüsse des Gewerkschaftstages 1999 des dbb vom 25. bis 27. November 1999, § 1 Abs. 2: „Der dbb steht vorbehaltlos zum freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat; er ist parteipolitisch unabhängig.“ 32 § 4 Nr. 1 der Satzung des CGB in der Fassung vom 20.10.1992. 33 Zur historischen Entwicklung der sozialdemokratisch beeinflussten Gewerkschaften siehe Löwisch/Rieble MünchArbR § 248 Rdnrn. 1 ff. 34 Eitel, S. 30 f.; Funk, S. 14 (15); Gamillscheg KollArbR I, S. 462, 411 f. m.w. N.; S. Hassel, 102 (105); Hettlage, S. 15 f., 28 ff., 62 ff. 35 Eitel, S. 30 ff.; dazu allgemein auch Hettlage, DGB in der Sackgasse und S. 23 ff. (50 Jahre DGB – 50 Jahre Kampf gegen die Union); Mielke, 1 (3): „sozialdemokratische Schlagseite“. 36 Siehe oben 1. Kap. § 1 C.; nach Hettlage, S. 79, sind in der 15. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages 186 der 251 Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion Mitglied in einer der acht Gewerkschaften des DGB; zur personellen Verflechtung zwischen DGB und SPD siehe auch Eitel, S. 30 f. 37 Gamillscheg KollArbR I, S. 462; Niedenhoff/Pege, S. 204; siehe dazu auch Eitel, S. 31 m.w. N. 38 Niedenhoff/Pege, S. 177 f.

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an, zwei der F.D.P. und ein einziger der SPD. Zur selben Zeit waren alle dreizehn Mitglieder des Bundesvorstands des CGB Mitglied in der CDU oder der CSU und genauso verhielt es sich mit den dreizehn Landesverbänden des CGB39. Es kann damit festgestellt werden, dass unabhängig von dem in allen Satzungen der drei Dachverbände DGB, dbb beamtenbund und tarifunion und CGB niedergelegten Grundsatz parteipolitischer Unabhängigkeit sich die parteipolitischen Präferenzen jedenfalls der Führungskräfte in den Dachverbänden recht klar den großen politischen Lagern – hie DGB und Präferenz zur SPD, hie Präferenz zum bürgerlichen Lager bei dbb beamtenbund und tarifunion und CGB – zuordnen lassen. Im Hinblick auf den DGB und die dort verbundenen Gewerkschaften kann über die parteipolitischen Präferenzen des Führungspersonals hinaus auch eine „verbindende Solidarität“ mit der Sozialdemokratie festgestellt werden40. Diese erklärt sich aus der gemeinsamen Geschichte und der Verfolgung weitgehend gleicher Ziele41. Bei den anderen gewerkschaftlichen Spitzenverbänden mag zwar – zumindest vermittelt über ihr Führungspersonal – der Wille zu einer solchen Verbundenheit und zu entsprechendem Einfluss auf die Parteien ihrer Präferenz vorhanden sein42. Ein dem Verhältnis der DGB-Gewerkschaften und der Sozialdemokratie entsprechender gewerkschaftlicher Einfluss auf die bürgerlichen Parteien ist angesichts der sehr geringen personellen Repräsentanz43 auf der politischen Führungsebene dieser Parteien jedoch niemals festzustellen gewesen und wird auch nicht behauptet. Damit verbunden ist aber gleichwohl nicht der Befund einer – entgegen dem Satzungswortlaut der drei Dachverbände – jeweiligen parteipolitischen Abhängigkeit 44. (Parteipolitische) Abhängigkeit, die auf den Koalitionsstatus eines Verbandes durchschlagen könnte45, wäre nur dann zu bejahen, wenn sich die 39

Niedenhoff/Pege, S. 88 ff.; siehe dazu auch die Angaben von Schmitz, S. 149 (153), der für den Stand 1987 angibt, dass 41,8% der Bundeshauptvorstandsmitglieder des DBB der CDU, 7,5% der CSU, nur 16,4% der SPD und 3% der F.D.P. angehörten. 40 Hierher gehört die immer wieder heftig umstrittene Praxis des DGB, der SPD massiv mit Subventionen und durch Positionierung in Wahlkämpfen Hilfestellung zu geben; so soll nach Hettlage, S. 28 ff. m.w. N., der DGB im Bundestagswahlkampf 1953 zwei Mio. DM hierfür investiert haben; 1998 hat der DGB den Wahlkampf der SPD mit 8,6 Mio. DM unterstützt, die IG-Metall spendete hierfür weitere 4 Mio. DM. Auch in anderen Wahlkämpfen soll es eine solche Praxis, namentlich im Wahlkampf 1978 in NRW gegeben haben. 41 Schönhoven, S. 40 (61). 42 Siehe dazu Schmitz, S. 149 (153) zur parteipolitischen Färbung des Bundeshauptvorstandes des DBB. 43 Nach Schroeder/Weßels, S. 686, sind seit dem 12. Deutschen Bundestag nie mehr als 7,5% der CDU/CSU-Abgeordneten gewerkschaftlich gebunden gewesen. In der 15 Legislaturperiode waren dies gerade einmal 4,0%.

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Gewerkschaften als Vollstrecker parteipolitischen Willens betrachteten, sie sich also an Weisungen von Parteien oder kirchlicher Stellen binden würden oder gar satzungsmäßig gebunden wären46. Die bloße Doppelmitgliedschaft im Führungspersonal von Parteien und Gewerkschaften betrifft erst dann die Unabhängigkeit der Gewerkschaft, wenn sie sich als so weitreichend darstellt, dass damit die (annähernde) Identität in den jeweiligen Führungsgremien bzw. beim Führungspersonal erreicht wird47. II. Parteipolitische Neutralität und Unabhängigkeit als Begriffe eines Paradigmenwechsels von der Einheits- zur Richtungsgewerkschaft Auch wenn eine starke Nähe der gewerkschaftlichen Dachverbände zu parteipolitischen Großlagern oder den christlichen Kirchen nicht von der Hand zu weisen ist, kann von einer bestehenden parteipolitischen oder kirchlichen Abhängigkeit im Rechtssinne – das wurde soeben festgestellt – nicht gesprochen werden48. Schönhoven49 hat dazu ausgeführt, dass bereits um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert die parteipolitische Bevormundung der Gewerkschaften endete („keine Gängelung der Gewerkschaften mehr durch die SPD als Rekrutenschulen des Sozialismus“), und auch die kirchliche Bevormundung der christlichen Gewerkschaften in dieser Zeit ihr Ende fand, und dass es trotz einer gemeinsamen inhaltlichen Ausrichtung50 immer wieder zu Entfremdungsphasen gekommen ist, und dass dies schon aus wahltaktischen Gründen seitens der

44 So auch Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 68 im Hinblick auf die Verquickung zwischen Gewerkschaften und den parlamentarischen SPD-Fraktionen. 45 Wäre diese gegeben, so führte dies zur Infragestellung des Koalitionsstatus’ der Gewerkschaften, weil die Unabhängigkeit auch ein konstitutives Element des Koalitionsbegriffs darstellt; BVerfG v. 01.03.1979 – AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG C IV 1.; Brox/Rüthers Rdnr. 237; Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 64; MDHS-Scholz Art. 9 Rdnr. 219; v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 75; Zöllner/Loritz § 8 II. 6., S. 113. 46 Eitel, S. 28; Gamillscheg KollArbR I, S. 411 f.; Hueck/Nipperdey ArbR II/1 § 6 II. 3. f., S. 97 f.; Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 68; Zöllner/Loritz § 8 II. 6., S. 113. 47 Brox/Rüthers Rdnr. 237; Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 68. 48 So wird auch in der jüngsten obergerichtlichen Entscheidung zur Gewerkschaftseigenschaft einer christlichen Gewerkschaft – der Christlichen Gewerkschaft Metall – LAG Baden-Württemberg v. 01.10.2004 – 4 TaBV 1/04 – eine solche Abhängigkeit nicht erwogen und ist – soweit ersichtlich – auch in der Judikatur insbesondere des Bundesarbeitsgerichts zur Gewerkschaftseigenschaft christlicher Gewerkschaften nicht thematisiert worden. Problematisiert wird in diesem Zusammenhang stets die Tarifmächtigkeit der kleineren christlichen Gewerkschaften. 49 Schönhoven, S. 40 (46, 61). 50 Siehe dazu auch Koch, S. 37: „So formulierte schon der dritte Vorsitzende des DGB, Walter Freitag, SPD und DGB stünden zueinander wie ,Kinder der gleichen Mutter‘ . . .“.

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

SPD und aus Gründen des organisatorischen Zusammenhalts seitens der DGBGewerkschaften auch für die Zukunft zu prognostizieren ist. Eitel51 hat in seiner Untersuchung über „die Ungleichbehandlung der repräsentativen und nicht repräsentativen Gewerkschaften durch den Staat“ sehr deutlich zwischen parteipolitischer Unabhängigkeit und parteipolitischer Neutralität unterschieden. Wohl erstmals hat er das Unbehagen an der festzustellenden nicht vorhandenen parteipolitischen Neutralität des DGB zu der These weiterentwickelt, dass dessen weltanschauliche und personelle Affinität dazu geführt habe, dass der DGB nicht mehr als Einheits-, sondern als Richtungsgewerkschaft zu kategorisieren sei52. Für ihn ist die parteipolitische Neutralität einer Gewerkschaft notwendige Voraussetzung des Begriffs der Einheitsgewerkschaft53. Schließlich habe der DGB mit seiner Gründung die Zersplitterung der Gewerkschaftsbewegung in die Richtungsgewerkschaften der Weimarer Zeit gerade zu überwinden gesucht. Es könne keine nicht neutrale Einheitsgewerkschaft geben54. Dieser weniger rechtliche als gewerkschaftssoziologische Befund wird dann zur rechtlichen Überlegung weiterentwickelt, dass das Scheitern der Idee der Einheitsgewerkschaft ein ganz wesentliches Argument zur Verwirklichung eines effektiven Koalitionspluralismus abgeben müsse55. Zur Untermauerung dieser These hat Eitel56 eine interessante Beobachtung herangezogen: Am Beispiel der Satzung der ehemaligen IGCPK sei die Abkehr vom Gedanken der Einheitsgewerkschaft hin zur Idee der Richtungsgewerkschaft abzulesen57. Sei dort zunächst noch die strengste weltanschauliche Neutralität postuliert worden58, so sei diese Festlegung durch die Formel von der Unabhängigkeit von politischen Parteien und außergewerkschaftlichen Institu51

Eitel, S. 28 ff. So auch der CGB unter Bezugnahme auf die katholische Soziallehre: Loos, Die Einheitsgewerkschaft im Lichte der katholischen Soziallehre, www.cgb.info/wirueber uns/geschichtegegenwart.php, (Stand 07.02.2005), S. 3: „Eine Einheitsgewerkschaft ist parteipolitisch neutral, sie bekennt sich zu keiner politischen Partei . . . sie macht keine Politik im Sinne zugunsten oder unter Führung einer Partei, sie pflegt keine festen Bindungen zu einer Partei – weder de iure noch de facto.“ 53 So auch Geppert, S. 81; 83 f.; 199; so auch schon Nikisch § 57 5. a. E., S. 10; anders aber beispielsweise Hirsch-Weber, S. 52, der aus dem einheitsgewerkschaftlichen Gebot der parteipolitischen Neutralität nicht ableitet, dass Gewerkschaften politischen Parteien „jedwede Unterstützung“ verweigern müssten. 54 Siehe Eitel, S. 29. 55 Eitel, S. 31. 56 Eitel, S. 30 mit Hinweis auf den bei Hueck/Nipperdey ArbR II/1 § 11 I. 10. S. 175 Fn. 3 abgedruckten Satzungstext. 57 Von „Neujustierung der Beziehungen zur SPD unter dem Signum der parteipolitischen Neutralität“ spricht in diesem Zusammenhang auch Schönhoven, S. 40 (51). 58 „Die Gewerkschaften haben den Zweck, bei strengster Neutralität in parteipolitischen, religiösen und rassischen Fragen alle Arbeitnehmer im Bereich ihres Organisationsgebietes zusammenzufassen, . . .“ 52

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tionen59 abgelöst worden. Dieser Begriffswechsel entspreche der zunehmenden Affinität des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und kennzeichne den Wechsel von der Einheits- zur Richtungsgewerkschaft. Auch von Hettlage wird mit ähnlicher Bewertung diese Änderung der Sprachregelung vermerkt60. Insbesondere wird in diesem Zusammenhang der erste Vorsitzende des DGB, Hans Böckler, zitiert, der auf dem Kongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1947 in Bielefeld noch dessen strikte parteipolitische Neutralität betont hatte61. Kontrastierend hierzu wir die Aussage des 1957 amtierenden DGB-Vorsitzenden Willi Richter zitiert, der dementgegen betonte, dass eine Neutralität des DGB angesichts seiner Tradition, seiner Aufgabe und Zielsetzung gar nicht möglich sei62. Schon 1953 hatte sich der DGB massiv zugunsten der SPD „für die „Wahl eines besseren Bundestages“ eingesetzt63, ein Vorgang, der nicht einmalig bleiben sollte. Die These von der Entwicklung des DGB hin zu einem richtungsgewerkschaftlichen Dachverband wird auch von anderer Seite bestätigt. So stellte der SPD-Politiker und Rechtslehrer Farthmann 1979 „eine Annäherung der Einheitsgewerkschaft an das Muster einer sozialdemokratisch orientierten Richtungsgewerkschaft“ fest64. Für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang muss keine Entscheidung darüber getroffen werden, ob Eitels gewerkschaftssoziologische These vom Wandel des DGB von einer Einheits- zur Richtungsgewerkschaft die Wirklichkeit vollständig abbildet, ein Paradigmenwechsel durch den DGB im Verlauf seiner Geschichte also tatsächlich ganz vollzogen worden ist. Dass der DGB und seine Gewerkschaften aber keine Verfechter strikter parteipolitischer Neutralität sind, dürfte jedoch aufgrund der nachweisbaren Affinität des DGB zur Sozialdemokratie unbestreitbar sein65.

59 § 3 Abs. 1 Satz 2 der Satzung der IGCPK, abgedruckt bei Geppert, Anhang III., 6.: „Die Gewerkschaft ist unabhängig von politischen Parteien und anderen außergewerkschaftlichen Institutionen.“ 60 Hettlage, S. 25 f. 61 Langhau/Matthöfer/Schneider, 114, Dokument Nr. 17: „. . . Wir haben und halten unsere guten Gründe dafür, von allem Anbeginn an die parteipolitische Neutralität unserer Gewerkschaften nachdrücklichst zu betonen. . . .“. 62 Willi Richter auf dem Kongress der Gewerkschaft ÖTV 1958 in München: „Den Gewerkschaften ist es aufgrund ihrer sozial- und wirtschaftspolitischen Aufgaben, aufgrund ihrer Größe und Bedeutung und aufgrund ihrer Verpflichtung gegenüber ihren Mitgliedern unmöglich, neutral zu sein. Ihre Tradition, ihre Aufgabe, ihre Zielsetzung und ihre Dynamik lassen eine Neutralität einfach nicht zu“, zit. nach Hettlage, S. 26. 63 Siehe dazu Eitel, S. 27; Hettlage, S. 24, 28. 64 Farthmann in Welt der Arbeit, 5/1979, zitiert nach Hettlage, S. 24. 65 Funk, S. 14 (15); diesem Befund korrespondiert die Feststellung von Köcher Allensbach, dass die Gewerkschaften (der Kontext ergibt die Bezugnahme auf den DGB) in der Bevölkerung als treue Verbündete der sozialdemokratischen Partei wahrgenom-

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

Der Christliche Gewerkschaftsbund hingegen beharrt ausdrücklich auf seiner Ausrichtung i. S. seiner parteipolitischen Neutralität und kritisiert die Gewerkschaften im DGB heftig wegen deren aus seiner Sicht nicht vorhandenen parteipolitischen und weltanschaulichen Neutralität und Toleranz66. Gleichwohl besteht auch bei den anderen beiden gewerkschaftlichen Dachverbänden eine Affinität des Führungspersonals zu den Inhalten und Zielen anderer politischer Parteien als der SPD67. Festzuhalten ist deshalb im Hinblick auf die Fragestellung nach pluralen Ansätzen für gewerkschaftlicher Tätigkeit, dass, jedenfalls vermittelt über das gewerkschaftliche Führungspersonal, miteinander konkurrierende Gewerkschaften ihre Aktivitäten auf dem Hintergrund deutlicher Unterschiede in allgemein-richtungspolitischer Ausrichtung entfalten. Dass diese richtungspolitischen Affinitäten für die (potentielle) Mitgliedschaft nicht verborgen sind und die Zugehörigkeit zu einer Koalition häufig zumindest mitbeeinflussen werden, darf deshalb unterstellt werden, so dass von einer „Pluralität der gewerkschaftlichen Ansätze“ auch unter diesem allgemein-richtungspolitischen Gesichtspunkt gesprochen werden kann. III. Unterschiedlich weite Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandats – gesellschaftspolitisch restriktive berufs- und betriebsbezogene Gewerkschaftstätigkeit Mit dem oben beschriebenen Wechsel weg von der parteipolitischen Neutralität hin zur bloßen parteipolitischen Unabhängigkeit eng verwandt ist die Frage nach der unterschiedlich weit ausfallenden Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandats durch die verschiedenen Gewerkschaften bzw. ihrer Dachverbände. Der CGB sieht sich selbst als strikt parteipolitisch neutral an. Deshalb dürfe man von Gewerkschaftsseite aus zu allgemeinpolitischen Fragen nur insoweit Stellung nehmen, als darüber bei den Mitgliedern völlige Übereinstimmung herrsche. Andernfalls würde ein Teil der Mitglieder – und sei es auch nur eine kleine Minderheit –, der sich mit der von Gewerkschaftsseite aus proklamierten Forderungen und Auffassungen nicht zu identifizieren vermag, in Gewissensnot gebracht68. men werden; abschwächend Mielke, S. 1 (3), der diese parteipolitisch Nähe als besonders ausgeprägt nur für die Zeiten der sozialliberalen Koalition als gegeben ansieht. 66 „Gescheiterte Einheitsgewerkschaft“, www.cgb.info/wirueberuns/geschichtegegen wart.php (Stand 07.02.2005), S. 3 f. 67 Rüthers ArbR u. pol. System, S. 104, hat im Jahre 1973 dazu nüchtern festgestellt: „In der Bundesrepublik besteht keine Einheitsgewerkschaft“. 68 Gescheiterte Einheitsgewerkschaft, www.cgb.info/wirueberuns/geschichtegegen wart.php, (Stand 07.02.2005), S. 3 f.

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Der dbb beamtenbund und tarifunion hingegen anerkennt dem Grundsatz nach – und knapp gehalten – seine Wahrnehmung auch eines allgemeinpolitischen Mandats in Fragen von allgemeiner gesellschaftspolitischer Bedeutung69. Die Knappheit der Formulierung entspricht dabei einer äußerst restriktiven diesbezüglichen Äußerungspraxis70. Der DGB hingegen sieht in der Wahrnehmung allgemeinpolitischer Aufgaben71 ein ganz zentrales Anliegen seines Selbstverständnisses72. Benennt der dbb beamtenbund und tarifunion in § 3 Abs. 2 seiner Satzung die kollektive Vertretung der berufsbedingt politischen, rechtlichen und sozialen Belange der Einzelmitglieder der Mitgliedsgewerkschaften als seine zentrale Aufgabe73, so finden sich die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der organisierten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in der Satzung des DGB von vorneherein eingebettet in ein Konvolut von Forderungen und Aufgabenstellungen allgemein-gesellschaftspolitischer Art74. Dem knappen Bekenntnis des dbb beamtenbund und tarifunion zur Stellungnahme auch zu Fragen von allgemeiner gesellschaftspolitischer Bedeutung75 steht in der Satzung des DGB eine Masse dezi69 § 3 Abs. 3 der Satzung des dbb beamtenbund und tarifunion in der Fassung der Beschlüsse des Gewerkschaftstages 1999 vom 25. bis 27 November 1999: „Der dbb nimmt als gewerkschaftliche Spitzenorganisation auch zu Fragen von allgemeiner gesellschaftspolitischer Bedeutung Stellung.“ 70 Dies entspricht dem traditionellen Selbstverständnis des DBB; siehe hierzu Stratmann, I/75 ff.; siehe dazu auch Krause (seinerzeit Vorsitzendes des DBB) Podiumsdiskussion, S. 157 (170 f.), der an dieser Stelle vehement einem allgemein-politischen Mandat des DBB im Abgrenzung zur ÖTV eine Absage erteilt; in der Wahrnehmung eines solchen Mandats liege eine Verfälschung des politischen Systems bis hin zu dessen Funktionsunfähigkeit. 71 Hierzu insbesondere Geppert, Rechtliche Probleme des sog. allgemeinpolitischen Mandats der Gewerkschaften. 72 Der Rückschluss auf die Programmatik auch der einzelnen im DGB vereinigten Gewerkschaften ist insofern legitim, als § 2, 2. c) der Satzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in der Fassung des 17. Ordentlichen Bundeskongresses 2002 in Berlin, abrufbar unter www.dgb.de/themen/themen_a_z/abisz_doks/s/Satzung_des_DGB.pdf, die Mitgliedsgewerkschaften inhaltlich an die politischen Vorgaben des DGB bindet: „. . . Die Satzungen der Gewerkschaften dürfen der Bundessatzung nicht widersprechen.“ 73 § 3 Abs. 3 der Satzung des dbb beamtenbund und tarifunion in der Fassung der Beschlüsse des Gewerkschaftstages 1999 vom 25. bis 27 November 1999: „Hierbei ist Zweck des dbb die kollektive Vertretung und Förderung der berufsbedingten politischen, rechtlichen und sozialen Belange der Einzelmitglieder der Mitgliedsgewerkschaften sowie die Wahrnehmung von Gemeinschaftsaufgaben.“ 74 § 2 1. b) der Satzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in der Fassung des 17. Ordentlichen Bundeskongresses 2002 in Berlin, abrufbar unter www.dgb.de/the men/ themen_a_z/abisz_doks/s/Satzung_des_DGB.pdf: Der Bund und die in ihm vereinigten Gewerkschaften vertreten die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und setzen sich für die Geschlechterdemokratie ein.“ 75 Auf ihrer Homepage www.tarifunion.dbb.de/navi/index_tarifunion.htm spiegelt sich dies dadurch wieder, dass dort im Hinblick auf ein allgemeinpolitisches Mandat

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diert ausformulierter allgemein-gesellschaftspolitischer Ziele gegenüber76. Die tagespolitischen Diskussionen in den Massenmedien zeigen dabei, dass diese allgemeinpolitische Ausrichtung des DGB durch seine Spitzenfunktionäre auch tatsächlich rege praktiziert wird77. Die umfassende gesellschaftspolitische Programmatik erinnert dabei geradezu an das Auftreten einer politischen Partei78. Und noch ein weiterer, mit dieser letzten Feststellung verwandter Aspekt ist im Hinblick auf die Wahrnehmung eines allgemeinen politischen Mandats durch den DGB aufzugreifen: So hat schon Geppert79 in seiner auch stark vereinsrechtlich geprägten Abhandlung zu Recht festgestellt, dass es dem DGB entgegen seinem satzungsmäßig erhobenen Anspruch verwehrt sei, sich einer Vertretungsbefugnis oder Repräsentation der gesamten Arbeitnehmerschaft zu berühmen. Diese Repräsentationsbefugnis nimmt der DGB aber weiterhin ungebrochen für sich in Anspruch, wenn es in § 2 , 1. a) seiner Satzung heißt: „vertreten die . . . Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . . .“80. Diese hohe Gewichtung allgemeinpolitischer „Fortschrittsziele“ in Satzung und Praxis der DGB-Gewerkschaften hat weder satzungsmäßig noch tatsächlich eine Entsprechung bei den anderen beiden Dachverbänden oder den dort verknapp formuliert wird: „Lohnforderung und Arbeitsplatzsicherung sind sicher unsere zentralen gewerkschaftlichen Aufgaben. Wir übernehmen aber auch gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Dies bedeutet, zu sozial- oder gesundheitspolitischen Problemen Stellung zu beziehen. Wir vertreten dabei Grundsätze, kommen aber ohne ideologischen Ballast aus.“ 76 § 2 der Satzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in der Fassung des 17. Ordentlichen Bundeskongresses 2002 in Berlin: Genannt werden dort u. a. die Schaffung eines vereinten Europas, die Gleichstellungspolitik, das Eintreten für eine weltweite kontrollierte Abrüstung, Friede, Freiheit und Völkerverständigung, die Stärkung der internationalen freien Gewerkschaftsbewegung, die Geschlechterdemokratie, die Anwendung des Gender-Mainstreaming, die Förderung der sozialen Integration der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Wahrnehmung des Widerstandsrechts des Art. 20 Abs. 4 GG, die nationale und internationale Sozial- und Gesundheitspolitik, der Umweltschutz, die nationale und internationale Wirtschaftspolitik, die Demokratisierung von Wirtschaft und Verwaltung, die Konjunktur – und Strukturpolitik, die Geld-, Finanz- und Steuerpolitik, die Preis-, Wettbewerbs- und Verbraucherpolitik, die Frauenpolitik, die Jugend- und Seniorenpolitik, die Förderung einer fortschrittlichen nationalen und internationalen Bildungs- und Kultur-, Schul- und Hochschulpolitik und die Einflussnahme auf Bundestag, Bundesrat, die Länderparlamente. 77 Siehe dazu die Beispiele bei Geppert, S. 1 ff. und die Zusammenstellung von Hettlage allgemein und insbesondere bezogen auf den Bundestagswahlkampf 2002, S. 80 ff. 78 In diese Richtung auch Zöllner/Loritz § 8 I. 1., S. 107; auch Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnrn. 17 f. betonen die Problematik der Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandats durch die Gewerkschaften und die damit einhergehende Gefahr, dass sich die Koalitionen damit gleich den politischen Parteien an der politische Willensbildung des Volkes beteiligen könnten. 79 Geppert, S. 145 f.; 191. 80 Satzung des DGB in seiner Fassung vom 17. Ordentliche Bundeskongress 2002 in Berlin.

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einigten Mitgliedsgewerkschaften. Diese Feststellung kann dahin interpretiert werden, dass die konkrete gewerkschaftliche Betätigung bei den Dachverbänden dbb beamtenbund und tarifunion und CGB sich tendenziell stärker auf den klassischen Bereich der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ konzentriert, als dies bei den im DGB verbundenen Gewerkschaften der Fall ist. Schon von Satzungs wegen ist die Vertretung der Mitglieder in berufsbezogenen Angelegenheiten dort eingebettet in ein allgemein-politisches Fortschrittskonzept, in dem die klassische „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ zwar keine untergeordnete Rolle spielt, sie aber als nur als ein Element eines allgemeinen politischen Kampfes für eine „bessere und gerechtere Welt“ fungieren muss81. Dieses Konzept umfasst ein Selbstverständnis, welches schon satzungshalber die Arbeitnehmerschaft insgesamt zu repräsentieren sucht82. Auch insofern sind also plurale Ansätze für gewerkschaftliche Arbeit und für gewerkschaftliches Selbstverständnis beim Vergleich der in den drei Dachverbänden organisierten Gewerkschaften festzustellen. Der unterschiedliche Grundton der Ausrichtung gewerkschaftlicher und gewerkschaftspolitischer Betätigung und das unterschiedliche Selbstverständnis der eigenen gesellschaftlichen Rolle lassen zudem eine Gefahr erahnen, die für die konkrete Ausrichtung der gewerkschaftlichen Aktivitäten an der betrieblichen Basis bei einem weitgespannten gesellschaftlichen Auftrag entstehen kann: Fungiert nämlich die Koalitionsbetätigung in den Betrieben als Teilelement eines ganzheitlich zu denkenden gesellschaftlichen Umwandlungsprozesses, so kann damit die Versuchung gewerkschaftlicher Hierarchien einhergehen, die als notwendig erachteten gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen auf die gewerkschaftliche Basis „herunterzubrechen“, während bei einer Konzentration gewerkschaftlichen Selbstverständnisses auf die „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ die innerorganisatorische Willensbildung von unten nach oben weit weniger störungsanfällig sein dürfte. Letztgenannte gewerkschaftliche Ansätze können deshalb als eher dienstleistungsorientiert und an den konkreten betrieblichen Aufgabenstellungen orientiert, der Ansatz des DGB eher als übergreifend gesellschaftspolitisch orientiert bezeichnet werden83. Die soeben beschriebene Gefahr des „Herunterbrechens“ gesellschaftspolitischer Zielvorstellungen wird auch von Zöllner/Loritz84 deutlich benannt: Es sei weder arbeitsrechtspolitisch 81

Ähnlich Hettlage, S. 22. Kritisch hierzu Geppert, S. 191: der DGB könne sich eines solchen Mandats nicht berühmen. 83 Siehe hierzu Wild, Aus Politik und Zeitgeschichte 03, B 47–48, 3 (5), die in ihrer soziologischen Abhandlung die plurale Offenheit entgegen der „vielgepriesenen Geschlossenheit“ der Gewerkschaftslandschaft und deren Dienstleistungsorientiertheit einfordert; die gegenwärtige Situation sei stattdessen von Machtausübung der Gewerkschaftsapparate geprägt, die zwangsläufig den Abwärtstrend bei den Mitgliederzahlen nach sich ziehen müsse. 82

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

noch allgemein sozialpolitisch wünschenswert, wenn Koalitionen sich in allgemeinpolitischen Fragen verzettelten. Denn damit werde eine sinnvolle Koalitionszweckverfolgung der eigentlichen verfassungsmäßig zugewiesenen Ziele in dem Maße schwieriger, als die allgemeinpolitische Ausrichtung der Koalition zunehme. Dies könne einerseits bis hin zur Gefährdung der Demokratie führen, weil politische Allzuständigkeit ausschließlich den politischen Parteien zukomme. Andererseits sei mit der festzustellenden Zuständigkeitsexpansion die Gefahr einer „Pervertierung des Koalitionswesens“ verbunden, namentlich dann, wenn sich Gewerkschaften unter Androhung von Streik- oder Boykottmaßnahmen für eine Rechtschreibreform (Abschaffung der Großschreibung) einsetzten oder sich zur Strafbarkeit der Abtreibung programmatisch festlegten und äußerten. Insgesamt kann im Ergebnis also davon gesprochen werden, dass eine Pluralität gewerkschaftlicher Ansätze bei der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und im gesellschaftspolitischen Sektor festgestellt werden kann. Diese bestehen in organisationstypologischer und richtungspolitisch-weltanschaulicher Sicht und nicht zuletzt in verschiedenen gewerkschaftlichen Sichtweisen von der (relativen) Begrenztheit ihres gesamtgesellschaftlichen Auftrags und einer damit verbundenen stärkeren oder weniger stark pointierten Kaprizierung der eigenen Tätigkeit auf die klassischen Felder der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen i. S. des Art. 9 Abs. 3 GG, also auf die tarifliche und betriebsverfassungsrechtliche Tätigkeit85.

§ 2 Historischer Abriss der Entwicklung der „Minderheitsgewerkschaften im allgemeinen Sinne“ Die Feststellung des Vorliegens „pluraler Ansätze“ führt weiter zu der Frage, woraus sich diese Ansätze entwickelt haben und bis zu welchem gegenwärtigen Entwicklungsstand dieser Prozess vorangeschritten ist. Es ist dies die Frage nach der Entwicklung der „Minderheitsgewerkschaften im allgemeinen Sinne“, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung allerdings nur grob skizziert werden kann. Schon oben wurden die rechtstatsächlichen Überlegungen auf den Bereich der drei großen Dachverbände DGG, dbb beamtenbund und tarifunion und CGB 84

Zöllner/Loritz § 8 I. 1., S. 107 f. Zuletzt soll auch noch darauf hingewiesen werden, dass eine Pluralität von Ansätzen bei verschiedenen Gewerkschaften auch insofern besteht, als die Beitragsgestaltung ganz unterschiedlich ausfällt. Die DGB-Gewerkschaften erheben als durchschnittlichen Beitragssatz von ihren Mitgliedern 1% des Bruttoentgelts, die Gewerkschaften des dbb beamtenbund und tarifunion erheben Beiträge nach gestuften Beitragsklassen, die in ihren Höchstgrenzen sehr deutlich unter den Sätzen der DGB-Gewerkschaften liegen; dazu siehe auch Gamillscheg KollArbR I, S. 464. 85

§ 2 Historischer Abriss der Entwicklung

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bzw. deren Mitgliedsgewerkschaften begrenzt. Angesichts der rechtstatsächlichen Bedeutung diese Großverbände soll diese Perspektive beibehalten bleiben. Nicht untersucht werden deshalb – dies würde ohnehin den Rahmen der vorliegenden Abhandlung sprengen müssen – die Entwicklung der vielen kleinen Minderheitsgewerkschaften außerhalb des Bereichs der genannten Dachverbände.

A. Die Entwicklung der Christlichen Gewerkschaften Der Beginn der christlichen Arbeiterbewegung reicht weit zurück ins 19. Jahrhundert. Katholische Arbeitervereine bildeten sich als „christlich-soziale Vereine“ seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts86. Beispielhaft sei hier Mainzer Bischof v. Ketteler genannt, der sich bereits 1848 unter Berufung auf Thomas von Aquin programmatisch zur Neuorientierung des Katholizismus zur sozialen Frage äußerte, und der 1869 in einer auf der Offenbacher Liebfrauenheide gehaltenen Rede, die seither als „Magna Charta der christlichen Arbeiterbewegung“ gilt, die Koalierung der Arbeiterschaft zum Zwecke der Erhebung von Lohnforderungen, von Arbeitszeitverkürzungen, der Ruhetagsgewährung, der Abschaffung der Kinderarbeit und des Mutterschutzes begrüßte87. Die Anfangszeit der katholischen Arbeiterbewegung war noch stark von Vorstellungen einer ständischen Gesellschaftsordnung geprägt, auch wenn innerhalb des katholischen Lagers auch naturrechtliche Strömungen vorhanden waren, die einer solch immer gültigen Sozial- und Wirtschaftsordnung widersprachen88. Auf evangelischer Seite entstanden mit den christlich-sozialen Arbeitervereinen ähnliche Vereinigungen. Beispielhaft für das Eintreten für die „soziale Reformation“ auf evangelischer Seite sei hier der Hamburger Theologe Johann Heinrich Wichern genannt, der seit 1847 für diese Ziele öffentlich eintrat. Zu nennen ist aber auch der Hofgeistliche Kaiser Wilhelms I, Adolf Stöcker, der 1878 die Christlich-Soziale Partei gründete, welche die Arbeiterschaft mit dem Staat „versöhnen“ und die dem Staat die Verbesserung ihrer Lage anheim stellen wollte. Ab 1882 gab es „Evangelische Arbeitervereine“, die sich 1890 mit 86

Furtwängler, S. 52. Grebing Arbeiterbewegung, S. 58 ff.; im Jahre 1869 fand auch der Düsseldorfer Katholikentag statt, seit dem der „soziale Katholizismus“ in Bewegung geriet, siehe Furtwängler, S. 52. 88 Grebing Arbeiterbewegung, S. 77 ff., benennt für die stark ständisch ausgeprägte Sichtweise innerhalb der katholischen Soziallehre den katholischen Geistlichen Franz Hinze und seine 1877 veröffentlichte Schrift „Die soziale Frage und die Bestrebungen zu ihrer Lösung mit besonderer Berücksichtigung der verschiedenen sozialen Parteien in Deutschland und für die naturrechtlich orientierte Linie Georg Frhr. v. Hertling und sein 1893 erschienenes Buch „Naturrecht und Sozialpolitik“. Die heute als aktuell geltende Programmatik der katholischen Soziallehre ist kurz und prägnant von Nell-Breuning als „Lehrbuch“ zusammengefasst worden. 87

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

Stöckers Unterstützung zum „Gesamtverband der evangelischen Arbeitervereine Deutschlands“ zusammenschlossen (40.000 Mitglieder)89. In der katholischen Arbeiterbewegung kam es seit 1891 zu regionalen Zusammenschlüssen von Arbeitervereinen, die 1911 einen Gesamtverband bildeten, der zu Beginn des 1. Weltkrieges ca. 500.000 Mitglieder organisierte. Parallel dazu wurde 1899 in Mainz der interkonfessionelle „Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften“ gegründet, in dem 1912 (Höchststand vor dem 1. Weltkrieg) 350.930 Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert waren90. Nach dem ersten Weltkrieg entwickelte sich die christliche Gewerkschaftsbewegung einerseits i. S. eines gewerkschaftlichen Pragmatismus, der sich in tagespolitischen Fragen nicht sehr von den links stehenden Gewerkschaften unterschied, andererseits nahm sie eine durchaus radikale Abgrenzung zu ebendiesen Gewerkschaften insofern ein, als sie den Gedanken des Klassenkampfes strikt von sich wies91. Die Haltung zum Weimarer Staat blieb distanziert. Im November 1918 wurde der Deutsch-Demokratische Gewerkschaftsbund gegründet, der sich seit 1919 Deutscher Gewerkschaftsbund nannte92. Er hatte 1919 1 Mio. Mitglieder, bis 1931 sank diese zwischenzeitlich auf über 1,1 Mio. Mitglieder angewachsene Zahl aber auf 690.000 Mitglieder herab93. Im taktischen Vorgriff auf die erkennbaren Bestrebungen der Nationalsozialisten, die Gewerkschaftsbewegung gleichzuschalten, erklärten sich die christlichen Gewerkschaften am 17. März 1933 für unpolitisch und boten dem nationalsozialistischen Regime die Mitarbeit im neuen Staat an. Am 3. Mai 1933 unterstellten sie sich dem „Aktionskomitee zum Schutze der deutschen Arbeit“, am 24. Juni 1933 wurden die christlichen Gewerkschaften aber gleichwohl der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) eingegliedert. Ihre Führer wurden zu „Verrätern an der nationalen Revolution“ erklärt94.

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Grebing Arbeiterbewegung, S. 84 ff., 130 f.; dazu auch Furtwängler, S. 52 f. Furtwängler, S. 56 ff., vertieft zur verabschiedeten Programmatik dieses interkonfessionellen Zusammenschlusses und zur Mitgliederentwicklung der christlichen, Hirsch-Dunckerschen und freigewerkschaftlichen (sozialistischen) Verbände; Grebing Arbeiterbewegung, S. 123 f., siehe auch Löwisch/Rieble MünchArbR § 248 Rdnr. 4. 91 „Gegen den das Volk verhetzenden Materialismus durch die Pflege christlich nationaler und allgemein christlicher Gedanken“, hieß es im Programm des DGB, zit. nach Stratmann, I/75 (I/77). 92 Siehe dazu auch Furtwängler, S. 310. 93 Grebing Arbeiterbewegung, S. 188 ff.; ähnlich Furtwängler, S. 310 f., der davon spricht, dass die christlichen Gewerkschaften nach 1924 nie mehr zu einem Mitgliederbestand von 1 Mio. Mitgliedern aufschließen konnten; anders Löwisch/Rieble MünchArbR § 249 Rdnr. 5, die als Mitgliederzahl unter Berufung auf Schumann Nationalsozialismus, S. 163 ff., die Mitgliederzahl der christlichen Gewerkschaften 1933 mit 1,3 Mio. angeben. 94 Grebing Arbeiterbewegung, S. 209. 90

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Anlass zur Gründung christlicher Gewerkschaften nach dem 2. Weltkrieg waren heftige Auseinandersetzungen innerhalb des DGB über dessen parteipolitische Neutralität95. Der DGB hatte 1953 massiv zugunsten der SPD in den Bundestagswahlkampf eingegriffen („Wahl eines besseren Bundestages“). Der Wahlaufruf wurde mit Millionen von Flugblättern verbreitet, es wurden Zeitungs- und Zeitschriftenannoncen geschaltet und er wurde in einer eigenen Wahlillustrierten des DGB mit einer Auflage von 14,1 Mio. unter die Wählerschaft gebracht96. Auf diesem Hintergrund, der Hinwendung der DGB-Gewerkschaften zur SPD, wurde 1955 die „Christliche Gewerkschaftsbewegung Deutschlands“ (CGD) gegründet97. Wichtiger äußerer Anlass hierzu war die Reintegration des Saarlandes in den deutschen Staatsverband im Jahre 1957, wo die christliche Gewerkschaftsbewegung unter den Gewerkschaften für sich eine Vorrangstellung hatte beanspruchen können98. Am 27. Juni 1959 schlossen sich die christlichen Gewerkschaften dann zum „Christlichen Gewerkschaftsbund Deutschlands“ (CGB) zusammen99. Der CGB bekennt sich in seinen 1964 verabschiedeten Leitsätzen zu christlich-überkonfessionellen Grundsätzen als Fundament seines gewerkschaftlichen Handelns. Er lehnt gewerkschaftliche Monopolansprüche ab und bekennt sich zu Überparteilichkeit, zu gewerkschaftlichem Pluralismus und zur Meinungsvielfalt100. 95 Eitel, S. 27; Hettlage, S. 24 ff., beschreibt in diesem Zusammenhang ausführlich die Auseinandersetzungen innerhalb des DGB, namentlich die Versuche der CDU-Politiker Karl Arnold und Jakob Kaiser, zu einem Minderheitenschutz innerhalb des DGB zu gelangen; Löwisch/Rieble MünchArbR § 248 Rdnr. 17; siehe auch die Stellungnahme des CGB, www.cgb.info/wirueberuns/geschichtegegenwart.php, 1 (5), Stand 09.02.2005. 96 Dazu Eitel, S. 27 und Hettlage, S. 24 ff.; siehe dazu auch die Stellungnahme des CGB auf seiner Homepage www.cgb.info/wirueberuns/geschichtegegenwart.php, 1 (4), Stand 09.02.2005. 97 Eitel, S. 28; Gamillscheg KollArbR I, S. 466; Hettlage, S. 26 f.; der Versuch, innerhalb des DGB durch Gründung der „Christlich-sozialen Kollegenschaft im DGB“ verbandsintern Minderheitenschutz zu etablieren, fristete nur ein kümmerliches Dasein und endete formell am 8. Oktober 1960 mit einer Erklärung deren Zentralausschusses, mit der die Einheitsgewerkschaft als gescheitert erklärt wurde, dazu Eitel, S. 28 und www.cgb.info/wirueberuns/geschichtegegenwart.php, 1 (5), Stand 09.02.2005; die „Kollegenschaft“ fand ihr organisatorisches Forum dann in der „Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), einer Parteivereinigung innerhalb der CDU ohne gewerkschaftliche oder gewerkschaftsähnliche Qualität. 98 Gamillscheg KollArbR I, S. 466; Ebbinghaus, S. 174 (180); www.cgb.info/wir ueberuns/geschichtegegenwart.php, 1 (6), Stand 09.02.2005. 99 Löwisch/Rieble MünchArbR § 248 Rdnr. 17; www.cgb.info/wirueberuns/ge schichtegegenwart.php, 1 (6), Stand 09.02.2005. 100 So die Erklärungen auf seiner Homepage www.cgb.info/wirueberuns/geschichte gegenwart.php, 1, Stand 09.02.2005; programmatische Aussagen zu aktuellen arbeitsund sozialpolitischen Problemen finden sich bei Niedenhoff/Pege, S. 99 ff.

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

Die Zahl der im CGB organisierten Mitglieder belief sich zuletzt – 2002 – auf 307.000 Mitglieder101. Nach einem starken Mitgliederverlust nach 1991 ist die Tendenz in der Mitgliederentwicklung wieder leicht ansteigend102. Gamillscheg103 hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der (Wahl-) Erfolg der christlichen Gewerkschaften höher ist, als dies durch deren Mitgliederzahlen eigentlich indiziert ist.

B. Die Entwicklung des dbb beamtenbund und tarifunion104 Der Deutsche Beamtenbund wird traditionell stets als Spitzenorganisation vor allem von Gewerkschaften wahrgenommen, die in ihrer Mitgliedschaft vorrangig Beamte organisieren105. Dies ist nicht weiter verwunderlich, denn ursprünglich war der am 4. Dezember 1918 in Berlin gegründete DBB ein Zusammenschluss der deutschen Beamtenvereinigungen und Lehrerverbände und damit 101

Ebbinghaus, S. 174 (180); Funke, S. 14 (18). Die Mitgliederentwicklung im CGB stellt sich nach Ebbinghaus, S. 174 (180) und Funk, S. 14 (18) wie folgt dar: 1960: 200.000; 1970: 195.000; 1980: 288.000; 1990: 309.000; 1991: 330.000; 1995: 304.000; 2000: 305.000; 2001: 306.000; 2002: 307.000; nur im Hinblick auf 1991 weichen die Angaben von Funk und Ebbinghaus voneinander ab: Funk gibt für dieses Jahr lediglich die Zahl 311.000 an; siehe zur Mitgliederentwicklung des CGB auch die weitere Aufschlüsselung nach Geschlecht bei Schroeder/Weßels, S. 643. 103 Gamillscheg KollArbR I, S. 467; siehe dazu auch Süddeutsche Zeitung v. 13.09.2003 („Die lästigen Kleinen“): dort wird auf den Erfolg der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM) gegenüber der IG-Metall in den neuen Bundesländern hingewiesen, wo die betriebliche Mächtigkeit der CGM sich teilweise zu einem echten Konkurrenzproblem für die IG-Metall entwickelt habe. Dies bilde den Hintergrund für den Rechtsstreit beim Arbeitsgericht Stuttgart über die Gewerkschaft CGM (15 BV 250/96 – Gewerkschaftseigenschaft verneint; inzwischen ist dieser Beschluss vom LAG Baden-Württemberg wieder aufgehoben worden – Beschluss v. 01.10.2004 – 4 TaBV1/04, allerdings ist die Sache noch n.rkrft., die Rechtsbeschwerde zum BAG wurde zugelassen); siehe dazu auch Richardi NZA 2004, 1025. 104 Die historische Entwicklung des DBB bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung ist sehr umfassend aufgearbeitet worden, siehe Deutscher Beamtenbund FS; für die Zeit nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus fehlt – so weit ersichtlich – eine entsprechend umfangreiche Dokumentation. Die aus Sicht des DBB misslichen Auswirkungen dieser Lücke auf die allgemeine Geschichtsschreibung wurde bereits von Salzmann, S. 141 (143 f.) dargestellt und beklagt und sich darüber angesichts einer hervorragenden Quellenlage sehr erstaunt gezeigt; auf der Homepage des dbb beamtenbund und tarifunion findet sich allerdings unter www.dbb.de/htm/ 2_121_DEU_HTML.htm eine Chronik von der Gründung am 04.12.1918 bis heute; eine, wenn auch nicht sehr umfassende Darstellung der Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg findet sich auch in DBB FS Krause, S. 29 ff. 105 Eitel, S. 33; Gamillscheg KollArbR 1, S. 467; Hatzenhauer, S. 461 f.; Löwisch/ Rieble MünchArbR § 248 Rdnr. 33; anders Schroeder/Weßels, S. 640 f. abweichend hiervon, 628, und Niedenhoff/Pege, S. 178, die in ihren statistischen Angaben nach Arbeitern, Angestellten und Beamten differenzieren bzw. aufschlüsseln. 102

§ 2 Historischer Abriss der Entwicklung

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eine Standesorganisation der Beamten und Lehrer106. Der Gründung vorausgegangen waren langjährige Bemühungen um eine gemeinsame Organisation aller Beamten, die als organisatorische Vorstufe des DBB am 5. Februar 1916 in Berlin zur Gründung der „Interessengemeinschaft Deutscher Beamtenverbände“ (IG) führte107. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der DBB „gleichgeschaltet“: Auf Befehl Hitlers vom 15. Oktober 1933 wurde der DBB zum Reichsbund der Deutschen Beamten (RDB) umbenannt und am 1. Januar 1934 offiziell der NSDAP „angeschlossen“108. Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus wurde der RDB mit Kontrollratsgesetz Nr. 2 v. 10. Oktober 1945 aufgelöst und für ungesetzlich erklärt109. Die Alliierten sahen die Beamtenschaft als nationalsozialistisch belastet und damit als Objekt einer notwendigen Umerziehung an und hegten auch starken Argwohn gegen die Betonung einer statusrechtlichen Sonderstellung der Beamten110. Deshalb konnte zunächst die Neugründung von Beamtenverbänden 106 Der DBB organisierte in der Zeit der Weimarer Republik ca. 1 Mio. Beamte; der Spitzenwert betrug 1922 (April) 1.148.000 Mitglieder, die niedrigste Mitgliederzahl bestand 1922 (Oktober) mit 774.301 Mitgliedern. 1932 betrug die Mitgliederzahl 993.257 Mitglieder, siehe Deutscher Beamtenbund FS II/165. 107 Deutscher Beamtenbund FS II/3 ff., 17 f.; ebda. Krause, I/11 (S. 19 f., 26). 108 Deutscher Beamtenbund FS II/172 ff.; Krause, I/11 (S. 45 f.). 109 Kontrollratsgesetz Nr. 2 (Auflösung und Liquidierung der Naziorganisationen) v. 10.10.1945 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, 19) Art. I. Abs. 2, mit Verweis auf die Liste im Anhang (dort Nr. 30). 110 Vgl. dazu ausführlich Reusch, S. 53 (61 ff.) m.w. N., der die diesbzgl. britische und amerikanische Besatzungspolitik dahingehend beschreibt, dass nicht nur spezifisch nationalsozialistische, sondern alle traditionellen politischen Strukturen als der Verwirklichung von Demokratie in Deutschland verhinderndes „preußisches Erbe“ beseitigt werden sollten. Dieses Programm eines „Civil Service“ habe grundlegende Veränderungen der Rechtsstellung und des Selbstverständnisses der Berufsbeamten zwingend nach sich gezogen – dies i. S. einer klaren Unterordnung des autoritären, autokratischen Berufsbeamtentums unter die gewählten Volksvertreter als deren „unpolitische Bedienstete“. Reusch verweist in diesem Zusammenhang auf die genaue Beschreibung und abschließende Begründung des britischen Reformprogramms (seit Sommer 1945) in der amtliche Anweisung „Military Government Directive on Administration, Local an Regional Government, and the Public Services, Part II: The Public Services, June 1946“; siehe dazu auch Reusch Deutsches Berufsbeamtentum, 197 ff. (dort auch umfassende Quellen und Quellennachweise) und ders. Ein demokratischer öffentlicher Dienst, 101–138; ob die Beamtenschaft wirklich in spezifischer Weise Trägerin des Nationalsozialismus gewesen ist, wurde bereits frühzeitig angezweifelt; v. Borch, S. 219 ff., hat bereits 1954 darauf hingewiesen, dass die Zersplitterung der staatlichen Exekutive im nationalsozialistischen Staat die Formierung von Widerstand im Beamtenapparat ganz entscheidend behindert habe, und dass über die Hälfte der im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 Hingerichteten Verwaltungsbeamte und Offiziere gewesen seien; dazu insbesondere auch Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich, der zwar auch die These von der Zersplitterung der Machtapparate vertritt – der nationalsozialistische Staat sei nur in seinen Prozessen als Interaktion verschiedener Machtgruppen richtig zu erfassen – der aber die tiefe Verstrickung des Beamtenapparats in das Regime als für die Beamtenschaft kennzeichnend hält.

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

– anders als die Gründung von Industriegewerkschaften unter der Leitung Hans Böcklers – nicht erfolgen. In der zweiten Hälfte des Jahres 1947 erfolgten dann mit britischer Genehmigung erste Gründungen von Beamtengewerkschaften, am 6. Oktober 1947 erfolgte dann in Hamburg – unter heftigem Widerspruch und Störmanövern von Funktionären der Industriegewerkschaften – die Gründung der Deutschen Beamtengewerkschaft, aus der schließlich über die zwischenzeitlich als Gewerkschaft Deutscher Beamtenbund111 bezeichnete Organisation der Deutsche Beamtenbund hervorging112. Der Organisationsbereich dieses wiedergegründeten DBBs lag dabei klar im Bereich der Beamtenschaft113. Schönhoven114 spricht in diesem Zusammenhang von der „traditionellen Kragenlinie“ zwischen Hand- und Kopfarbeitern und Lohn- und Gehaltsempfängern, die dem Konzept einer Einheitsgewerkschaft entgegengestanden hätten. Wie auch immer man die Entscheidung für eine eigenständige Beamtenorganisation bewertet: Schon sehr bald zeigte sich eine sehr heftige Konkurrenzsituation in den Dienststellen als Folge dieses eigenen organisatorischen Weges des DBBs, abzulesen an einer umfassenden Rechtsprechungsaktivität zu den mit der gewerkschaftlichen Konkurrenzsituation in der Personalverfassung verbundenen Fragen: Gewerkschaftliche Neutralität von Amtsträgern des Personalrats, Werbung durch Personalratsmitglieder, Zusammensetzung des Vorstands der Personalvertretung, Gruppenprinzip, Freistellungen – alles Fragen, die wegen der vergleichbaren Interessenlage im Bereich des Betriebsverfassungsrechts auch Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein werden. Windscheid115 nennt in diesem Zusammenhang nicht weniger als 72 Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts in dessen amtlicher Sammlung im Zeitraum zwischen dem 2. Mai 1957 und dem 20. März 1964. Nach langen Diskussionen innerhalb des DBBs, darüber, ob man sich organisationspolitisch auch für nicht beamtete Beschäftigte öffnen solle, wurde am 8. Dezember 1969 die „Gemeinschaft von Gewerkschaften und Verbänden im öffentlichen Dienst“ (GGVöD) gegründet. In dieser Organisation innerhalb des DBBs sollten sich tarifwillige und -fähige Gewerkschaften zusammenfinden, um damit insgesamt das Mitgliederpotential des DBBs zu erhöhen und die Schlagkraft in den Personalvertretungen zu verbessern. 1974 wurde die GGVöD erstmals zu den Tarifverhandlung mit den öffentlichen Arbeitgebern zugelassen, allerdings nur als sog. „Partnerin des 2. Verhandlungstages“. Nach der Grün111

Gegründet am 29.01.1949, siehe DBB FS Krause, S. 37. Gegründet auf dem Vereinigungsdelegiertentag am 22.03.1950, siehe DBB FS Krause, 37. 113 Hattenhauer, S. 460 f.; Schönhoven, S. 40 (51), spricht in diesem Zusammenhang von der traditionellen „Kragenlinie“ zwischen Hand und Kopfarbeitern, zwischen Lohn- und Gehaltsempfängern. 114 Schönhoven, S. 40 (51 f.). 115 Windscheid, III/33, S. 45 f. 112

§ 2 Historischer Abriss der Entwicklung

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dung einer Tarifgemeinschaft mit der DAG am 29. November 1976 (GGVöD/ DAG-MB) wurde die Tarifgemeinschaft dann „Tarifvertragspartnerin des 1. Tages“ und wuchs damit aus der Rolle nur einer tariflichen Anschlusspartnerin heraus. Sie verhandelte seither mit den gleichen Arbeitgebern am gleichen Ort und zur gleichen Zeit wie die konkurrierende Gewerkschaft im DGB, die ÖTV. Nach Austritt der DAG aus der Tarifgemeinschaft mit der GGVöD im Vorfeld der Fusion mit der DGB-Gewerkschaft ver.di änderte sie 1999 ihren Namen in dbb tarifunion als Teil des dbb beamtenbund und tarifunion. Die dbb tarifunion schloss nach eigenen Angaben alleine im Jahre 2001 in ihrem Organisationsbereich über 200 Tarifverträge, die Tendenz gibt sie als ansteigend an116. Die Mitgliederstärke der dbb tarifunion betrug im Jahre 2002 343.800 organisierte Arbeiter und Angestellte117, zur Zeit beläuft sie sich auf 360.000 Mitglieder – nach eigener Auskunft mit deutlich ansteigender Tendenz118. Der dbb beamtenbund und tarifunion hatte insgesamt am 30. September 2002 1.223.000 Mio. Mitglieder, die Mitgliederzahlen entwickelten sich hier seit 1990 – mit Ausnahme des Jahres 1995 – stetig bergauf119. Auch wenn diese Aufwärtsbewegung der Mitgliederzahlen in absoluten Zahlen gemessen seit 1990 nur ca. 226.000 Mitglieder umfasst120, so steht sie als Entwicklungstendenz doch zusammen mit dem Mitgliedertrend im CGB im klaren Kontrast zur Entwicklung des deutlich größeren Deutschen Gewerkschaftsbundes121.

116 Die Angaben zum Vorstehenden stammen vom dbb beamtenbund und tarifunion, Gespräch mit dem Geschäftsführer des Geschäftsbereiches Tarif Hohendorf, Ulrich, vom 07.10.2003 im Hause des dbb beamtenbund und tarifunion, Friedrichstraße 169/ 170, 10117 Berlin. 117 Siehe Schröder/Weßels, S. 641. 118 Siehe Angaben zum Gespräch mit Hohendorf; nach neuesten Angaben des dbb beamtenbund und tarifunion hatten die dort vereinigten Gewerkschaften 2003 einen Mitgliederzuwachs von 19.785 und 2004 von 22.191 Mitgliedern, siehe dbb magazin 3 (März) 2005, 1 (28). 119 Schröder/Weßels, S. 641: (Tsd.) 1975: 726,9; 1980: 821,0; 1985: 796,3; 1990: 997,7; 1991: 1.053,0; 1992: 1.095,4; 1993: 1.078,8; 1994: 1.098,2; 1995: 1.075,7; 1996: 1.101,6; 1997: 1.116,7; 1998: 1.184,1; 1999: 1.20,9; 2000: 1.205,2; 2001: 1.211,1; 2002: 1.223,7 (Stand jew. 30. 09. d.J.); vgl. auch Funk, S. 14 (18) betreffend den Zeitraum von 1950 bis 2002, allerdings mit sehr großen Zwischenschritten. 120 Jüngsten Angaben zufolge betrug der Mitgliederzuwachs der dbb beamtenbund und tarifunion im Jahre 2004 22.191 neue Mitglieder, siehe dbb Bundesleitung, dbb newsletter 118 v. 17.02.2005. 121 Siehe oben Einl. § 1 (im Fußnotenapparat); siehe hierzu auch Wild Aus Politik und Zeitgeschichte 03 B 47–48, S. 3 (5), die auf den Zusammenhang zwischen Dienstleistungsorientiertheit und positiver Mitgliederentwicklung hinweist; oben, 1. Kap. § 1 C. war festgestellt worden, dass sich DGB-Gewerkschaften und dbb beamtenbund und tarifunion insofern in ihren Ansätzen unterscheiden, als jene sich stärker allgemeinpolitisch, dieser sich eher als dienstleistungsorientiert gegenüber der eigenen Mitgliedschaft begreift; ähnlich Funk Aus Politik und Zeitgeschichte B 47–48, S. 14 (22).

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

§ 3 Rechtstatsächliche Tendenz zu härterer gewerkschaftlicher Konkurrenz Bereits oben wurde kurz darauf verwiesen, dass es zwischen Gewerkschaften des DGB und des DBB bzw. deren Mitgliedern schon bald nach deren Gründung anhand personalvertretungsrechtlicher Fragestellungen zu heftigen konkurrenzbedingten Auseinandersetzungen vor den Verwaltungsgerichten gekommen ist. Als weiteres Spielfeld der gerichtlich ausgetragenen Konkurrenz können die häufigen Beschlussverfahren über die Tariffähigkeit von Koalitionen gesehen werden122. Es wurde auch bereits darauf hingewiesen, dass die politische Grundtönung im gewerkschaftlichen Konkurrenzkampf eine gewisse Rolle gespielt hat bzw. spielt.

A. Negative Veränderungen des gewerkschaftlichen Organisationsgrades Diese bereits in der Entwicklung seit dem 2. Weltkrieg zum Teil heftig ausgetragene gewerkschaftliche Konkurrenz wird seit einigen Jahren zusätzlich dadurch „aufgeladen“, dass die Koalitionen nicht nur miteinander, sondern auch gegen einen Trend anzukämpfen haben, der mit dem Sinken des Organisationsgrades, der Mitgliederzahlen und mit einem Ansehensverlust in der Bevölkerung beschrieben werden kann. Dass die Mitgliederzahlen des DGB seit einigen Jahren kontinuierlich absinken, wurde bereits ausgeführt, ebenso wie die Tatsache, dass in den beiden anderen Dachverbänden eine leichte (CGB) bzw. sogar etwas stärkere Aufwärtsbewegung zu verzeichnen ist (dbb beamtenbund und tarifunion)123. 122 Zuletzt ArbG Stuttgart 15 BV 250/96 und LAG Baden-Württemberg 4 TaBV 1/ 04 (CGM), n.rkrft. (inzwischen siehe BAG v. 28.03.2006 – 1 ABR 58/04 – Gewerkschaftseigenschaft der GGM bejahend); siehe auch BAG v. 01.02.1983 – 1 ABR 33/78 = AP Nr. 14 zu § 322 ZPO Deutscher Zahntechniker-Verband (DZV); v. 09.07.1968 – 1 ABR 2/67 = AP Nr. 25 zu § 2 TVG; v. 25.11.1986 – 1 ABR 22/85 = AP Nr. 36 zu § 2 TVG (Christliche Gewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie CGBCE); v. 10.09.1985 – 1 ABR 32/83 = AP 34 zu § 2 TVG Arbeitnehmerverband land- und ernährungswirtschaftlicher Berufe ALEB im CGB; v. 15.11.1963 – 1 ABR 5/63 = AP Nr. 14 zu § 2 TVD (Verband Bergischer Hausbandwirker); v. 06.06.2000 – 1 ABR 10/99 = AP Nr. 55 zu § 2 TVG (Bedienstete der Technischen Überwachung BTÜ); v. 16.11.1982 – 1 ABR 22/78 = AP Nr. 32 zu § 2 TVG (Verband der oberen Angestellten der Eisenund Stahlindustrie e. V.); v. 23.04.1971 – 1 ABR 26/70 = AP Nr. 2 zu § 97 ArbGG 1953 (Christlicher Metallarbeiterverband); v. 16.01.1990 – 1 ABR 93/88 = AP Nr. 38 zu § 2 TVG (Christliche Gewerkschaft Holz und Bau Deutschlands CGHB); v. 16.01.1990 – 1 ABR 10/89 = AP Nr. 39 zu § 2 TVG (Christliche Gewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie CGBCE). 123 Siehe oben 1. Kap. § 2 A. f.; siehe zur jüngeren Entwicklung im DGB beispielhaft Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 17.02.2005, S. 13: „Die IG-Metall bleibt bei ihrem Widerstand gegen die Regierungspolitik“ mit Tabelle Mitgliederschwund

§ 3 Rechtstatsächliche Tendenz

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Der Organisationsgrad der Gewerkschaften insgesamt befindet sich in Deutschland seit Jahren ebenfalls in einer so starken Abwärtsbewegung, dass man geradezu vom „freien Fall“ sprechen könnte: Ebbinghaus124 zeigt in seiner Darstellung, dass der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei den Erwerbspersonen von ca. 45% zu Beginn der 50er Jahre und einer Konsolidierung bis 1990 auf einem Sockel von ca. 40% seither (erfasst ist die Entwicklung bis zum Jahr 2000) steil bergab ging und zuletzt nur noch bei 29,8% lag125. Nach aktuellen Angaben betrug der gewerkschaftliche Organisationsgrad 2004 insgesamt nur noch 23%126. Synchron zu der geschilderten Mitgliederentwicklung wird in generalisierender Weise auch auf einen Bedeutungswandel hingewiesen, welchen die deutschen Gewerkschaften erfahren haben (sollen): Ehmann127 stellt die These auf, dass die seit dem 19. Jahrhundert von der Arbeiterschaft und ihren Gewerkschaften erhobenen (Lohn-)forderungen sicher gerecht gewesen seien. Spätestens seit Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts aber seien die überzogenen gewerkschaftlichen Forderungen ins volkswirtschaftlich Schädliche hinein umgekippt. Die Legitimität nicht nur der gewerkschaftlichen Forderungen, sondern die Legitimität der Gewerkschaften selbst als Institutionen stehe nunmehr in Frage. Allenthalben seien zudem dramatische Umbrüche festzustellen: Das Ende des real existierenden Sozialismus als Zerbrechen ganzer Staatsverfassungen auf der einen Seite, wie im Privaten das Zerbrechen der familiären Ordnungen auf der anderen Seite, markierten eine allumfassende Umbruchsituation. Durch einen solch dramatischen Umbruch müssten notwendigerweise auch (Quelle: IG-Metall); danach sank die Zahl der Mitglieder (jeweils Jahresende, 2004 Stand Juni) von 1998 2,92 Mio., 1999 2,83 Mio., 2000 2,76 Mio., 2001 2,71 Mio., 2002 2,64 Mio., 2003 2,53 Mio. auf im Juni 2004 2,45 Mio.; siehe auch Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30.12.2004, S. 19: „IG-Metall bremst Mitgliederschwund“: Danach hat die IG-Metall im Südwesten von 2003 bis 2004 10.000 Mitglieder verloren, das entspricht einer Verlustquote von 2,8%; im Jahr zuvor hatte die Verlustquote noch 4,8% betragen; Insgesamt hat sich bei der IG-Metall nach Ebbinghaus, S. 174 (180) der Mitgliederbestand zwischen 1991 und 2002 von 3.624.000 auf 2.644.000 reduziert; siehe a. a. O. auch die Aufschlüsselungen zur Mitgliederentwicklung (im Wesentlichen Abwärtstrend) bei den übrigen DGB Gewerkschaften bis zum Stand 2002. 124 Ebbinghaus, S. 174 (181, 184 f.); Ebbinghaus schlüsselt in seiner Abhandlung den Organisationsgrad weiter auf nach Geschlecht, Beschäftigtengruppen, Senioren und Jugend, Erwerbstätigen und Arbeitslosen und alten und neuen Bundesländer; an andere Stelle, Ebbinghaus Max-Planck-Institut werden die Organisationsgrade von 1950 bis 2001 jahresbezogen aufgeführt; seit 1991 sank danach der gewerkschaftliche Organisationsgrad insgesamt, also nicht nur Erwerbstätige, (in Prozent) von 1991: 40,6; 1992: 29,1; 1993: 37,4; 1994: 36,2; 1995: 35,3; 1996: 33,8; 1997: 33,0; 1998: 32,2; 1999: 30,8; 2000: 29,8; 2001: 28,7. 125 Siehe auch die Zahlen bei Gamillscheg KollArbR I, S. 468, der den Organisationsgrad insgesamt für 1993 mit noch 37% angibt. 126 Lesch, S. 1 (3 f.), gibt für 2004 den Organisationsgrad mit insgesamt nur noch 23% an. 127 Ehmann, DNO 04, Nr. 1/2004; im Wesentlichen zust. Dött, DNO 04, Nr. 1/2004.

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

die Gewerkschaften einen Bedeutungswandel erfahren. Die Globalisierung, und der damit verbundene harte internationale Wettbewerb der deutschen Unternehmen, werde aber von Gewerkschaftsseite aus vollkommen verkannt oder gar geleugnet. Insbesondere am Beispiel der Erzwingung der 35-Stunden-Woche sei deutlich geworden, dass die Fortsetzung des Klassenkampfes in Form des Arbeitskampfes zu einer Umkehrung der einstigen Ausbeutungsverhältnisse zu Lasten der Arbeitgeberseite geführt habe – die Globalisierung werde hier aber zu einer Kehrtwende führen: Denn die seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts einsetzende Globalisierung habe kapitalistische Strategien ausgelöst, gegenüber denen die bisherigen klassischen Instrumente gewerkschaftlicher Gegenmacht nicht mehr greifen könnten128. Die „soziale Rechtfertigung“ gewerkschaftlicher Tarifforderungen müsse jetzt im Hinblick auf eine Situation bewertet werden, in der die Arbeitsbesitzenden ihren bisherigen Lebensstandard, der allgemein auf Grund der Globalisierung nicht mehr zu halten sei, zu Lasten der immer größer werdenden Zahl der Arbeitslosen verteidigten. Wenn auf diesem Hintergrund Gewerkschaften Streiks vor allem deshalb organisierten, um durch überzogene Forderungen vor allem ihren eigenen Mitgliederschwund zu bekämpfen, so werde klar, dass die Begriffe von Freiheit, Gleichheit und Solidarität im Hinblick auf die soziale und rechtliche Stellung der Gewerkschaften zu überdenken seien129. Diese Sicht einer auf dem Hintergrund der Globalisierung zunehmend minimierten Bedeutung der Gewerkschaften und die ganz grundsätzliche Kritik gewerkschaftlichen Handelns wäre letztlich geeignet, auch die Geltungskraft und die Reichweite des Art. 9 Abs. 3 GG maßgeblich in Frage zu stellen. Diesen Fragen kann im Rahmen der vorliegenden Abhandlung allerdings nicht weiter nachgegangen werden, weil sie mit ihren politologisch-soziologischen Grundansätzen den Rahmen einer letztlich vor allem betriebsverfassungsrechtlich orientierten Auseinandersetzung zwangsläufig sprengen würden.

B. Einflussfaktoren für den gewerkschaftlichen Organisationsgrad Die möglichen Einflussfaktoren für den Organisationsgrad der Gewerkschaften in der Arbeitnehmerschaft sind zwar Gegenstand umfassender Forschungen. Eindeutige Aussagen hierzu sind zur Zeit aber noch nicht zu machen130. Diskutiert werden konjunkturelle, strukturelle und institutionelle Faktoren131. 128 So zitiert Ehmann DNO 04, Nr. 1/2004 Edzard Reuter mit den Worten: „Wir produzieren nicht mehr made in Germany, sondern made by Mercedes“. 129 Allerdings betont Ehmann DNO 04, Nr. 1/2004 sehr wohl auch die weiterhin unverzichtbare soziale Gegenmachtsfunktion der Gewerkschaften gegenüber den Arbeitgebern und ihren Verbänden.

§ 3 Rechtstatsächliche Tendenz

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Im Hinblick auf konjunkturelle Faktoren wird ein Zusammenhang zwischen der Mitgliederentwicklung und der Inflations- und Arbeitslosenquote hergestellt132. Dabei soll wachsende Inflation wegen der Sorge der Arbeitnehmer um ihren Lebensstandard sich positiv, eine hohe Arbeitslosenquote je nach den Einflussmöglichkeiten der Gewerkschaften auf die Entlassung Unorganisierter sich positiv oder negativ auswirken133. Strukturelle Einflussfaktoren knüpfen an die Veränderungen in der Beschäftigungsstruktur an: Industriebeschäftigung nehme ab, die Beschäftigung im Dienstleistungssektor nehme zu, der Anteil der erwerbstätigen Frauen steige im Verhältnis zum Anteil der Männer, teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer seien als „atypische“ Beschäftigte eine von den Gewerkschaften weniger beworbene Klientel. Dies alles soll die Tendenz zu sinkenden Organisationsgraden bewirken134. Institutionelle Faktoren, wie gesetzliche Arbeitnehmerschutzregelungen (Kündigungsschutzbestimmungen) oder Allgemeinverbindlicherklärungen von Tarifverträgen, begünstigten den Trend zu einem sinkenden Organisationsgrad, weil sie als Substitut für gewerkschaftliches Handeln fungierten und wahrgenommen würden, der Zugang der Gewerkschaften zum Arbeitsplatz begünstige den Organisationsgrad, weil die Mitgliederrekrutierung „vor Ort“ erleichtert werde. Gewerkschaften würden bei wachsender gesetzlicher Regulierung der Arbeitsbedingungen also weniger wichtig135. Von Bedeutung für die Entwicklung des Organisationsgrads sind in der Diskussion auch noch sog. „selektive Faktoren“: Dies seien beispielsweise auf die Mitglieder beschränkte Versicherungen oder besondere Senioritätsrechte. Und ganz bedeutsam sei noch ein letzter Aspekt: Hoher Organisationsgrad im Betrieb wirke selbstverstärkend, weil mit ihm die individuelle Bereitschaft steige, sich dem allgemeinen Verhalten anzuschließen. Nichtmitgliedschaft führe dementsprechend in solch einem Umfeld zu „Reputationsverlust“136. Umgekehrt lässt dies aber auch den Schluss zu, dass ein niedriger oder absinkender Organisationsgrad im Betrieb sich ebenfalls selbst verstärken kann: Je weniger Beschäftigte im Betrieb organisiert sind, desto niedriger muss dann nämlich auch das Risiko eines Reputationsverlustes durch Nicht-Bindung an eine Gewerkschaft oder an einen Austritt ausfallen.

130 131 132 133 134 135 136

Lesch, Lesch, Lesch, Lesch, Lesch, Lesch, Lesch,

S. S. S. S. S. S. S.

1 1 1 1 1 1 1

(14). (2); dazu auch Ebbinghaus/Visser, S. 135 f. (3); Schnabel, S. 13 (20 ff.). (3 ff.). (7 ff.); Schnabel/Wagner, S. 213. (9 f.). (2).

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

C. Konsequenzen für die gewerkschaftliche Konkurrenz I. Denkbare Konsequenzen aus der unterschiedlich starken Pointierung der „klassischen“ gewerkschaftlichen Aufgaben Die oben aufgezeigte unterschiedliche Einordnung der tariflichen und insbesondere der betriebsverfassungsrechtlichen Tätigkeit von Gewerkschaften in ihr Selbstverständnis führt zur weiteren Frage, wie sich dies im Hinblick auf die gewerkschaftliche Konkurrenzsituation auswirken mag. Köcher137 hat dargelegt, dass die Gewerkschaften ganz allgemein unter einem Reputationsverlust leiden und ihr Rückhalt in der Bevölkerung im Abnehmen begriffen ist. Dabei fällt auf, dass der Anteil derer in der Bevölkerung schwindet, die davon ausgehen, dass die Gewerkschaften die Interessen der Mehrheit der Arbeitnehmer (noch) vertreten. Deshalb sähen immer weniger Menschen die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft als sinnvoll an. Deutlich hierzu kontrastierend hat Köcher138 aber festgestellt, dass die Arbeit der Betriebsräte eine deutlich höhere Akzeptanz erfährt. Dabei korelliert die positive Akzeptanz der Betriebsratstätigkeit damit, ob sie als eigenständig und primär am Wohlergehen des Betriebes bzw. des Unternehmens und seiner Belegschaft wahrgenommen wird, oder aber – negativ – als von außen gesteuert erfahren wird. Je konkreter betriebs- und berufsbezogen also die Arbeit für die Beschäftigten von diesen wahrgenommen werde, desto größer sei deren hierfür zu erwartende Akzeptanz. Die Betriebsräte seien aus Sicht der Bevölkerung und der Belegschaften den konkreten Herausforderungen in ihrem unmittelbaren Arbeitsumfeld besser gewachsen als die am Eigeninteresse ausgerichteten Funktionärsebenen der Gewerkschaften. Deshalb hänge die Zukunft der Gewerkschaften in hohem Maße davon ab, ob hier eine grundlegende Neuorientierung gelingen wird. 137 Köcher Allensbach, S. 5 (7 ff.); Tabellen 2, A 4, A 7, A 9; danach sank der Anteil derer, welche die Gewerkschaften als Sachwalter der Arbeitnehmerinteressen sahen, von Okt. 1993 58% bis März/April 2003 auf 38%; sahen 1995 noch 37% der Bevölkerung die Gewerkschaftsmitgliedschaft als sinnvoll an, so sank diese Zustimmung kontinuierlich bis März/April 2003 auf nur noch 27%, während der Anteil derer, die hierin keinen Sinn erkennen mochten, im selben Zeitraum von 36% auf 41% stieg. Der Anteil der unentschlossenen stieg im gleichen Zeitraum von 27% auf 32%. 138 Köcher Allensbach, S. 5, (9 f., 12); Tabellen A 10, A 11, A 12; Berufstätige aus Betrieben mit Betriebsrat beurteilten im März/April 2003 dessen Arbeit als gut, nur 21% hatten keine gute Meinung vom Betriebsrat, unentschieden zeigten sich 24%; dort wo in der Wahrnehmung der Arbeitnehmer der Betriebsrat sich an eigenständigen, auf das Unternehmen bezogenen Zielen orientierte, bewerteten im September 2002 diesen Kurs 76% der Befragten mit „gut“ und nur 10% der Beschäftigten mit „nicht gut“; die Zahl der Unentschiedenen lag bei 14%; dort, wo der Kurs des Betriebsrats als gewerkschaftsorientiert wahrgenommen wurde, lag die Zustimmung dementgegen hierfür nur bei 49%, die Ablehnung bei 18% und 33% der Befragten zeigten sich indifferent.

§ 3 Rechtstatsächliche Tendenz

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Auf diesem demoskopischen Hintergrund darf die These gewagt werden, dass die Konzentration auf die ursprünglichen und berufsbezogenen gewerkschaftlichen Themenfelder die Mitgliederentwicklung von Gewerkschaften eher positiv139, die starke Wahrnehmung auch allgemein-politischer Aufgaben durch Gewerkschaften deren Mitgliederentwicklung eher negativ beeinflussen wird. Denn die Wahrnehmung allgemeiner politischer Aufgaben wird bei Arbeitnehmern, die konkret berufsbezogene gewerkschaftliche Hilfestellung erwarten, als eher außengesteuert erfahren werden, während die konkret auf das berufliche Umfeld bezogene Arbeit von Gewerkschaften eher zu einer Identifikation mit ihnen führen dürfte. Dieser These steht allerdings die Auffassung entgegen, dass – vor allem im Hinblick auf „gesellschaftspolitisch engagierte und partizipationsbereite junge Menschen“ die Gewerkschaften sich , um für (potentielle) Mitglieder attraktiv bleiben zu können, den „neuen sozialen Bewegungen“ hätten öffnen müssen (Anti-Atomkraft, Dritte Welt, Umwelt, neuer Feminismus, Technikkritik, Alternativ- und Selbstverwaltungsökonomie, soziale, ethnische und sexuelle Minderheiten etc.)140. Ob der in diesem Zusammenhang festgestellte Wille insbesondere des DGB zu „großer politischer Korrektheit“ wirklich so anziehend wirken kann, wie grundsätzlich unterstellt wird141, ist allerdings, gerade auch im Hinblick auf die schon lang andauernde konjunkturelle Lage, durchaus zweifelhaft. Denn diese legt es aus Sicht der Arbeitnehmer wohl eher nahe, gewerkschaftliche Tätigkeit vor allem im Hinblick auf die Sicherung ihrer Existenzgrundlage einzufordern. Eine gewisse Bestätigung der aufgestellten These könnte bereits darin gesehen werden, dass – wie oben gezeigt142 – die DGB-Gewerkschaften seit Jahren abnehmende Mitgliederzahlen zu verzeichnen haben, während die eher dienstleistungsorientierten beiden anderen Dachverbände sich im Hinblick auf ihre Mitgliedszahlen eher im Aufwind befinden143.

139

In diese Richtung Köcher Allensbach, S. 5 (9). Wiesenthal/Clasen, S. 296 (306 ff.). 141 Wiesenthal/Clasen, S. 296 (307). 142 Siehe oben Einl. § 1; 1. Kap. § 2 A. f. 143 Der DGB hat den Nutzen eines eher dienstleistungsorientierten Betreuungskonzepts zwischenzeitlich erkannt; es bestehen Pläne, den Mitgliedern deutlich verstärkt Zugang zu individuellen Dienstleistungen zu ermöglichen, um den Mitgliederschwund abzubremsen, siehe FAZ Art. v. 27.01.2005, S. 11: „Rasanter Mitgliederschwund alarmiert die Gewerkschaften“; siehe zur Mitgliederentwicklung im DGB auch oben Einl. § 1. 140

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

II. Enger werdender „Mitgliedermarkt“ Diese kurz angerissenen Trends und deren mögliche Ursachen haben zwangsläufig zur Folge, dass die Gewerkschaften einen kleiner werdenden Mitgliedermarkt unter sich aufteilen müssen und sie vermehrt den Zugang zu den Arbeitnehmern in den Betrieben suchen müssen. Dadurch wird die Konkurrenzlage unter den Gewerkschaften zwangsläufig verschärft. Dieser Effekt muss sich noch insofern verstärken, als die konkurrierenden Gewerkschaften auf dem Hintergrund des oben angerissenen soziologischen Befundes darauf dringen müssen, mit möglichst vielen und dichten eigenen Regelungen einer Arbeitswirklichkeit entgegenzuwirken, die durch einen zunehmenden Trend der sie substituierenden staatlichen Regelungsaktivität gekennzeichnet ist. Anschaulich kann dies an einem Beispiel aus dem Konzernbereich der DB AG gemacht werden: Dort besteht eine zum Teil heftig ausgetragene gewerkschaftliche Konkurrenz von vier bzw. sechs Gewerkschaften. Klassische „Eisenbahnergewerkschaften“ sind die DGB-Gewerkschaft Transnet (vormals GdED), die dem dbb beamtenbund und tarifunion angehörenden Gewerkschaften Verkehrsgewerkschaft GDBA und Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und die Christliche Eisenbahnergewerkschaft144. Durch unternehmerische „Ausfransungen“ (z. B. Erwerb der MITROPA durch die Deutsche Bahn AG und deren zunehmende Aktivitäten im öffentlichen Nahverkehr) besteht zusätzlich teilweise auch noch Konkurrenz zur DGB-Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und zur Gewerkschaft ver.di145. Die Verkehrsgewerkschaft GDBA und die Gewerkschaften Transnet und GDL bildeten im Jahre 2002/2003 eine tarifliche „Verhandlungsgemeinschaft“. Bei den Tarifverhandlungen über einen Tarifvertrag mit der dem Bahnkonzern zugehörigen DB Regio AG kam es innerhalb der Verhandlungsgemeinschaft zu tarifpolitischen Differenzen, die zum Ausscheiden der GDL aus dieser Gemeinschaft führten. Seitdem strebt die GDL unter Streikandrohung einen Spartentarifvertrag nur für das Fahrpersonal an (Lokomotivführer und Zugbegleiter – das „Rollende Rad“), um bei dieser Arbeitnehmergruppe Organisationsvorteile zu erzielen, in die Mitglie144 Diese Konkurrenzsituation ist von Löwisch in ZBVR 02, 207 im Zusammenhang mit dem Problem des Entsendungsbegriffs des § 47 Abs. 2 Satz 1 BetrVG bereits aufgegriffen worden. 145 Diese Konkurrenz hat zu einem bisher nicht abgeschlossenen Schlichtungsverfahren beim DGB zwischen Transnet und ver.di geführt; die gewerkschaftliche Konkurrenz wirkte sich bei den Betriebsratswahlen 1997 konzernweit so aus, dass in der Gruppe der Angestellten die Listenverbindung aus GDBA und GDL 18,14% der Betriebsratssitze und die Gewerkschaft Transnet 79,75% der Sitze errangen; auf andere Listen (freie Listen und Christliche Eisenbahner) entfielen 2,11%; in der Arbeitergruppe war das Verhältnis 2,79% zu 94,42% zu 2,79%; bei den Betriebsratswahlen 2002 musste die Transnet gegenüber GDBA/GDL leichte Verluste hinnehmen, das Gesamtverhältnis ist aber im Wesentlichen unverändert geblieben (Angaben der Verkehrsgewerkschaft GDBA vom 10.02.2005).

§ 3 Rechtstatsächliche Tendenz

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derbestände der konkurrierenden Gewerkschaften einzubrechen und die eigentliche Mitgliedschaft der Lokomotivführer strukturell zu erweitern146. Dies mündete dann in letztlich erfolglose Versuche der Arbeitgeberin, die angedrohten Streikmaßnahmen per einstweiliger Verfügung mit Hinweis auf bereits bestehende Tarifverträge verbieten zu lassen147. Seither ist die tarifpolitische Verhandlungslage beim Bahnkonzern diffus und ungeklärt und Gegenstand heftiger gewerkschaftlicher Kontroversen, die von wechselnden Allianzen und Teilnahmen an Verhandlungsgemeinschaften gekennzeichnet ist148. III. Gewerkschaftspolitische Taktiken auf dem Hintergrund der Konkurrenzsituation von Gewerkschaften in der Betriebsverfassung Der enger werdende „Mitgliedermarkt“ wird wohl – diese Prognose darf gewagt werden – noch zu einer Verschärfung des gewerkschaftlichen Konkurrenzkampfes auf der Ebene der Betriebsverfassung führen. Bereits eingangs149 wurde darauf hingewiesen, dass die gewerkschaftliche Konkurrenzsituation sich schon seit jeher in „Kampftaktiken“ ausgedrückt hat, und dass diese Taktiken kurz beschrieben werden sollen. Im Folgenden sollen deshalb einige Beispiele veranschaulichen, dass diese Konkurrenz teilweise mit äußerster Härte von den Mehrheitsgewerkschaften gegenüber den Minderheitsgewerkschaften ausgetragen wird, und dass die Beanspruchung gerichtlichen Rechtsschutzes nicht immer ein probates Mittel der Minderheitsgewerkschaften oder der in ihr Organisierten dafür darstellt, sich der tatsächlichen Übermacht der Mehrheitsgewerkschaften zu erwehren. Den rechtlichen Folgeproblemen dieser „Kampftaktiken“ wird im Zusammenhang mit der Erörterung der einzelnen Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts vertiefend nachzugehen sein. 146 Nach seinerzeitigen Angaben der GDL hatte dies einen „Werbeeffekt“ von über 1000 neuen Mitgliedern. 147 ArbG Frankfurt/Main 7/8 BVGa 110/03 v. 25.04.2003 (stattgebend) und im Wesentlichen das Streikverbot des ArbG Frankfurt/M. aufhebend Hessisches LAG v. 02.05.2003 – 9 Sa Ga 637/03. 148 Kennzeichnend auch die Gegenstände zweier Beschlussverfahren, die momentan vor dem ArbG Frankfurt/M. anhängig sind: Die Gewerkschaft ver.di. hat strukturbildende Tarifverträge bei der DB AG, die von den Gewerkschaften Transnet, Verkehrsgewerkschaft GDBA und GDL mit dem Unternehmen abgeschlossen wurden, mit dem Begehr der Feststellung der Nichtigkeit angegriffen – wegen der ihr angeblich zustehenden Beteiligung an solchen Vereinbarungen (ArbG Frankfurt/M. 14 BV 518/04); die GDL wiederum hat in einem anderen Verfahren ein Beschlussverfahren mit dem Ziel anhängig gemacht, diese Tarifverträge, deren Gegenstand materielle Arbeitsbedingungen sind (Langzeitkonten TV u. a.) für nichtig erklären zu lassen – wegen unterbliebener Beteiligung bei deren Abschluss (ArbG Frankfurt/M. 3 Ca 2497/06); zwischenzeitlich ist das erstgenannte Beschlussverfahren anhängig beim LAG Frankfurt/M., Az. TaBV 178/06. 149 Siehe oben Einl. § 4.

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

Zunächst ist der Blick darauf zu richten, dass die tarifliche Gestaltungsmacht, die das Gesetz insbesondere in § 3 Abs. 1 BetrVG eröffnet hat, dahingehend zu Lasten der Minderheitsgewerkschaften genutzt werden kann, im Zusammenwirken mit dem Arbeitgeber betriebliche Zuschnitte und Vertretungsstrukturen zu schaffen, die man griffig als „organisationspolitisch vorteilhaften Wahlkreiszuschnitt“ bezeichnen könnte: Wahlergebnisse in den Betrieben werden ausgewertet und es werden anhand der festgestellten binnenpolitischen Stimmenverhältnisse die Betriebe durch Zuordnungstarifverträge so – und neu – zugeschnitten, dass die tarifschließende Mehrheitsgewerkschaft sich in den neu geschaffenen Organisationseinheiten Mehrheiten bei Betriebsratswahlen ausrechnen kann150. Bei Betriebsratswahlen können Wahlvorschläge der Arbeitnehmer dadurch zu Fall gebracht werden, dass hinsichtlich der notwendigen Stützunterschriften Druck auf Unterzeichner des Minderheitswahlvorschlags dahingehend ausgeübt wird, ihre Stützunterschrift vor Einreichung des Wahlvorschlags zurückzuziehen – womit das erforderliche Unterschriftenquorum unterschritten und der Wahlvorschlag gem. § 8 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 BetrVG WO faktisch ungültig gemacht wird151. Es kann auch versucht werden, den Wahlvorschlag einer Minderheitenliste dadurch zu torpedieren, dass ein Sympathisant der Mehrheitsgewerkschaft auf den Minderheitenwahlvorschlag lanciert wird, dieser dann aber vor Einreichung des Wahlvorschlages beim Wahlvorstand seine zunächst erteilte Zustimmung zur Kandidatur auf dem Minderheitenwahlvorschlag wieder zurückzieht152. Durch Einsichtnahme in die beim Wahlvorstand geführten und mit 150

Siehe dazu Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 138. Anders liegt der Fall bei der nachträglichen Rücknahme von Stützunterschriften (nach Einreichung des Wahlvorschlags beim Wahlvorstand); die Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG WO soll verhindern, dass Arbeitnehmer, die eine Liste unterzeichnet haben, nachträglich beeinflusst werden, ihre Unterschrift zurückzuziehen, um so eine unerwünschte Liste zu Fall zu bringen, siehe DKK-Schneider § 8 WO Rdnr. 7; Fitting § 8 WO Rdnr. 6; GK-Kreutz/Oetker § 8 WO Rdnr. 4; in diesem Sinne siehe auch BAG v. 01.06.1966 – 1 ABR 16/65 AP Nr. 2 zu WO BetrVG; zur Rücknahme von Stützunterschriften und Zustimmungserklärungen und deren Wirksamkeit siehe auch Stückmann DB 94, 630 ff. 152 Zulässigkeit und Folgen einer solchen Rücknahme der Kandidatur sind ungeklärt: Teilweise wird vertreten, dass die Rücknahme der Kandidatur vor Einreichung des Wahlvorschlags beim Wahlvorstand dazu führt, dass der Wahlvorschlag neu aufgestellt werden und (nochmals) mit (neuen) Stützunterschriften versehen werden muss, so GK-Kreutz § 14 Rdnr. 71; HSWG-Schlochauer § 14 Rdnr. 38; je nach Zeitpunkt der Rücknahme der Kandidatur könnte dies bei kurz vor Einreichungsschluss erfolgender Rücknahme der Zustimmungserklärung zur Kandidatur faktisch darauf hinauslaufen, dass ein (neuer) Minderheitenwahlvorschlag nicht mehr rechtzeitig erstellt werden kann; hiergegen DKK-Schneider § 14 Rdnrn. 24, 31; Fitting § 14 Rdnr. 56 unter Verweis auf BAG v. 15.12.1972 – 1 ABR 8/72 = AP Nr. 1 zu § 14 BetrVG 1972 B. 1.: Die Rücknahme der Kandidatur sei generell unzulässig, weil eine solche materielle Änderung des Wahlvorschlags nicht ohne Zustimmung aller Unterzeichner erfolgen könne; im Hinblick auf die Rücknahme der Kandidatur nach Einreichung des Wahlvorschlags beim Wahlvorstand ist man sich dementgegen weitgehend einig, dass diese 151

§ 3 Rechtstatsächliche Tendenz

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Stimmabgabevermerken versehenen Wählerlisten (Briefwahl) werden Botenund Schleppdienste organisiert, und es wird dabei insbesondere auf die eigene Mitgliedschaft im Betrieb Druck zur Ausübung des Stimmrechts ausgeübt. Gewerkschaftliche „Taktiken“ reichen bei Wahlen durchaus bis zu Manipulationsversuchen, weshalb dem Umgang mit der Wahlurne besonderes Augenmerk zukommen muss. Die Besetzung des Wahlvorstands mit „einheitlich gefärbten“ Mehrheitsvertretern wird häufig dazu genutzt, Entscheidungen des Wahlvorstands tendenziös auszurichten – so kann schon beispielsweise die Entscheidung über den Kreis derer, die im Wege der Briefwahl zu wählen haben, das Wahlergebnis beeinflussen, oder der Wahlvorstand kann vor allem bei einseitiger Besetzung praktisch in die Lage versetzt werden, Botendienste zu initiieren und damit solche Wähler zur Stimmabgabe zu bringen, die sich ansonsten dem Wahlvorgang lieber entzogen hätten. Bei innerorganschaftlichen Wahlen wird häufig das minderheitsschützende Prinzip der Verhältniswahl verletzt, wohl wissend, dass die Zeit für die auch hier notwendige Wahlanfechtung kurz bemessen ist. Auch bei „Nachwahl-Situationen“ innerhalb des Betriebsrats, etwa bei vakant werdenden Freistellungen von Minderheitsvertretern im Betriebsrat, wird von den Vertretern der Mehrheitsgewerkschaft per Mehrheitsbeschluss nachgewählt, obwohl eigentlich der Listenschutz greifen und ein Mitglied von der Minderheitenliste einrücken müsste153. Es wird auch zugunsten dubioser und nicht zu wählender „Geschäftsführer“ zu Lasten der Minderheitsgewerkschaft auf Freistellungen verzichtet – wobei die „Geschäftsführer“ selber Betriebsratsmitglieder der Mehrheitsliste sind und damit de facto voll freigestellt werden154. Wie wichtig es für die Gewerkschaften ist, Amtspositionen innezuhaben, um sich in diesen Funkauf die Wirksamkeit des Wahlvorschlags keinen Einfluss hat, wenn der Betreffende vom Wahlvorstand gestrichen wird oder die Wähler in sonstiger Weise auf die Rücknahme hingewiesen werden, so GK-Kreutz § 14 Rdnr. 71 unter Hinweis auf BAG v. 27.04.1976 – 1 AZR 482/75 = AP nr. 4 zu § 19 BetrVG 1972 Gründe 4.; im Ergebnis auch HSWG-Schlochauer § 14 Rdnr. 38; Richardi-Thüsing § 14 Rdnr. 61; Stückmann DB 94, 630 (631 f.). 153 Ein solcher Fall bildete den Hintergrund des Beschlusses des BAG v. 25.01. 2001 – 7 ABR 26/00 AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972. 154 Siehe dazu anschaulich LVG Arnsberg v. 14.10.1957 – PV 2/57 = ZBR 58, 285; d.Verf. hat im Jahre 1997 ca. 20 Beschlussverfahren im gesamten Bundesgebiet geführt, bei denen allen ein Freistellungsverzicht zu Lasten der Minderheitenliste bei gleichzeitiger Bestellung eines Geschäftsführers für die Betriebsratsarbeit erfolgt war; dabei bildete stets das Konkurrenzverhältnis zwischen der Mehrheitsgewerkschaft Transnet und der Minderheitsgewerkschaft GDBA den gewerkschaftspolitischen Hintergrund; in keinem Falle hat es die Gegenseite zu einem – diese Praxis verwerfenden – veröffentlichungsfähigen Beschluss eines Arbeitsgerichts kommen lassen – auch dies entsprang ganz offensichtlich einem taktischen Kalkül der Mehrheitsgewerkschaft; es ist auch kaum anzunehmen, dass die gleiche „Freistellungspraxis“ durch so viele von der Mehrheitsgewerkschaft dominierte Betriebsräte ohne übergreifende Koordination erfolgen kann.

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1. Kap.: Rechtstatsächlicher Hintergrund der Untersuchung

tionen der Arbeitnehmerschaft zu präsentieren155, ist nicht zuletzt bei der Frage der Besetzung der Arbeitnehmerbank in mitbestimmten Aktiengesellschaften erneut deutlich geworden: Die gewerkschaftliche Taktik der Mehrheitsgewerkschaften läuft immer wieder darauf hinaus, gewerkschaftliche Konkurrenz mit dem Odium der Zersplitterung oder gar der „gelben Gewerkschaften“ zu belegen, wobei diese propagandistische Taktik sogar in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung lange Zeit über Gebühr verfangen hat und erst in jüngerer Zeit ein gewisser Perspektivwechsel – weg vom Bild der Einheitsgewerkschaft und hin auch zu einer Anerkennung des Minderheitenschutzes – Platz gegriffen hat. Oder aber es wird per Mehrheitsbeschluss eine Geschäftsordnung des Betriebsrats erlassen, die bestimmte Amtsträger der Mehrheitsliste in allen Ausschüssen als „geborene Vertreter“ „setzt“, so dass durch die gleichzeitig erfolgende Bestimmung der Zahl der Mitglieder der Ausschüsse rechnerisch anhand der Stimmenverhältnisse im Betriebsrat sichergestellt wird, dass auch eine Wahl im Wege des Verhältniswahlsystems nicht mehr dazu führt, dass Minderheitenvertreter in den Ausschuss gewählt werden können – die dann noch zu vergebenden wenigen Sitze lassen dann keine auf die Minderheitenliste entfallende Höchstzahl erwarten. Die angerissenen Probleme werden im jeweiligen normativen Untersuchungszusammenhang zu erörtern sein.

155

Hierzu schon Zöllner/Seiter, S. 12 ff.

2. Kapitel

Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen für die gewerkschaftliche Stellung und die gewerkschaftliche Tätigkeit in der Betriebsverfassung § 1 Schutzumfang und Schutzfunktion des Art. 9 Abs. 3 GG Den verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt für die Untersuchung der Stellung der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung bildet Art. 9 Abs. 3 GG: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken, oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. . . .“

Da vom Wortlaut des Grundrechts her nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass die Betriebsverfassung dem grundrechtlichen Gewährleistungsbereich des Koalitionsgrundrechts zugehörig ist, soll zunächst der sachliche Geltungsbereich der oben zitierten Koalitionsfreiheit untersucht werden. Weiter muss vorab geklärt werden, welche Anforderungen an Zusammenschlüsse von abhängig Beschäftigten gestellt werden müssen, damit diese als „Vereinigungen“ im Sinne des Grundrechts in den Genuss des besonderen Schutzes der Koalitionsfreiheit kommen können.

A. Sachlicher Geltungsbereich: Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen I. Abhängig geleistete Arbeit im betrieblichen Rahmen Wenn Art. 9 Abs. 3 GG von der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen spricht, so ist darunter unter Bezugnahme auf die historische Entwicklung der Koalitionen nach allgemeiner Meinung zu verstehen, dass sich der sachliche Anwendungsbereich dieses Grundrechts nur auf den Bereich der abhängig geleisteten Arbeit bezieht. Denn die historisch gewachsene Befugnis der Koalitionen, Lohn- und Arbeitsbedingungen zu ordnen1, entwickelte sich im Spannungsfeld von Kapital und abhängiger Arbeit2 im Be-

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

reich der modernen Industriearbeit im 19. Jahrhundert3. Im Hinblick auf die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen besteht hingegen keine Einigkeit: Teils wird streng zwischen den Arbeitsbedingungen als die das Arbeitsverhältnis unmittelbar betreffenden Bedingungen (Lohn, Arbeitszeit etc.) und den Wirtschaftsbedingungen als den allgemeinen Fragen wirtschafts- und sozialpolitischen Charakters unterschieden4. Teilweise wird der Begriff aber auch gar nicht weiter aufgeschlüsselt, sondern als Gesamtheit der Bedingungen begriffen, unter denen abhängige Arbeit geleistet wird5. Fest steht jedenfalls, dass für die Arbeitnehmervereinigungen die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen regelmäßig zunächst darin besteht, diese gegenüber dem sozialen Gegenspieler zu formulieren und zu versuchen sie durchzusetzen. Diese „Selbstregelungskompetenz“ ist Ausfluss des dem Art. 9 Abs. 3 GG zugrundeliegenden Prinzips autonomer Regelung durch die Aktualisierung von Gegenmacht6. Der Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bezieht sich deshalb zunächst auf den Bereich des Abschlusses, der Beendigung und des Inhalts des einzelnen Arbeitsverhältnisses. Der Betrieb als „organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber alleine oder mit seinen Arbeitnehmern (. . .) bestimmte arbeitstechnische Zwecke verfolgt7“ formt darüber hinaus aber ganz wesentlich die konkreten Bedingungen mit aus, unter denen abhängig Beschäftigte ihre Leistung für den Arbeitgeber zu erbringen haben. Weil demnach auch das betriebliche Umfeld das Arbeitsverhältnis gestaltet und damit arbeitsvertragsbezogen ist8, müssen auch betriebliche Fragen unter den Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gefasst werden – und jene liegen deshalb notwendig auch im Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG. In diesem Sinne sind Arbeitsbedingungen all diejenigen Bedingungen abhängig geleisteter Arbeit, die durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag unmittelbar geregelt werden können9, sowie betriebliche Fragen.

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BAG v. 03.04.1990 – 1 AZR 123/89 = AP Nr. 56 zu Art. 9 GG B I 1. v. Münch-Löwer, Art. 9, Rdnr. 69. 3 BVerfG v. 01.03.1979 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG („Mitbestimmungsurteil“) Begründung IV 1. 4 Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 53; Epping Rdnr. 701; Säcker/Oetker, S. 30 ff. 5 Friese, S. 53; Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 13 f.; Schmidt/Bleibtreu Art. 9 Rdnrn. 12a, 13. 6 Rieble Rdnrn. 1108 ff. 7 Zum Betriebsbegriff Fitting § 1 Rdnr. 63; zuletzt BAG v. 31.05.00 – 7 ABR 78/ 98 – AP Nr. 12 zu § 1 BetrVG 1972. 8 Beuthien, ZfA 88, 1 (14). 9 Brox/Rüthers Arbeitsrecht, Rdnr. 234. 2

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II. Abhängig geleistete Arbeit und Unternehmenspolitik – historisch-funktionale Bestimmung des Gegenstands der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Das Unternehmen als Rechtsträger des Betriebs10 formt kaum weniger als der Arbeitsvertrag und das betriebliche Umfeld – wenn auch auf anderer Ebene – den Rahmen der von den Arbeitnehmern zu leistenden Arbeit jedenfalls mittelbar aus. Die Unternehmenspolitik im Sinne von Investitions- und Rationalisierungsentscheidungen, von Vertriebs-, Preis- oder Finanzierungsstrategien gibt kaum weniger als arbeitsvertragliche oder betriebliche Fragen die Bedingungen vor, unter denen abhängige Arbeit geleistet werden muss. Die historisch gewonnene Erkenntnis, dass „weite Kreise der Bevölkerung wegen ihrer abhängigen Stellung im Arbeitsleben der starken Schutzgarantien gerade gegenüber privaten Mächten bedürfen“11, erlaubt deshalb auf der Ebene der Begriffsbildung bei Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen keine Unterscheidung zwischen unmittelbar arbeitsvertraglichen sowie betrieblich-organisatorischen Bedingungen und mittelbar unternehmenspolitisch gesetzten Rahmenbedingungen für die abhängig geleistete Arbeit. Deshalb muss der Begriff der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auch die allgemeine Unternehmenspolitik beinhalten. Die Koalitionen bewegen sich dementsprechend auch auf dieser Ebene im Rahmen ihres Grundrechts, wenn sie hier versuchen, auf Entscheidungen der Arbeitgeberseite Einfluss zu nehmen. Dies ist allerdings nicht unumstritten. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass unternehmerische Entscheidungen von vorneherein negativ durch die Begriffe Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ausgrenzbar seien12. Zuzugeben ist dieser Auffassung zwar, dass es wünschenswert sein könnte, schon auf der Ebene der Begriffsbildung selbst eine klare theoretische Abgrenzung zwischen Koalitionsrecht und Unternehmerfreiheit als jeweils grundrechtsgeschützten Positionen zu gewinnen, um praktisch ein Mehr für die Handhabbarkeit des Koalitionsbegriffs zu gewinnen. Es ist jedoch zu bedenken, dass dem Koalitionsbegriff bzw. der Begriffsbestimmung dessen, was als Arbeits- und Wirtschaftsbedingung anzusehen ist, ein starkes historisches Moment innewohnt: Bundesarbeitsgericht und Bundesverfassungsgericht betonen immer wieder, dass das historisch junge Freiheitsrecht der Koalitionsfreiheit in besonderer Weise historisch geprägt sei, und dass dieser Prägung bei der Bestimmung der Reichweite der Grundrechtsposition deshalb ein besonderer Rang zukommen sollte. Zu Recht kommt damit der Entwicklungsgeschichte des Verhältnisses von Kapital und abhängig geleisteter Arbeit ganz besonderes Augenmerk zu, und aufbauend 10

Fitting § 1 Rdnr. 59. Nikisch § 58 II 2. 12 v. Münch-Löwer, Art. 9 Rdnr. 70 m.w. N.; hiergegen insbs. AK-GG-Kittner/ Schiek Art. 9 Abs. 3 Rdnr. 93. 11

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auf dieser Erkenntnis ist kein Grund ersichtlich, wieso das sich auch in Gegenwart und Zukunft weiterentwickelnde Verhältnis von Kapital und abhängig geleisteter Arbeit nicht immer wieder für eine Neujustierung auf Begriffsebene offen bleiben müsste. Es kann beispielsweise kaum geleugnet werden, dass gerade in Zeiten einer „modernen Entwicklung des Arbeitslebens“13 mit ihren Konzentrations- und Globalisierungserscheinungen die abhängig Beschäftigten durch unternehmenspolitische Entscheidungen sogar (wieder) in verschärfter Weise zu Objekten fremdbestimmter Entscheidungen gemacht werden können. Nur eine insofern entwicklungsoffene Begriffsbildung ist deshalb vom Ansatz her dazu geeignet, das mit der Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlich verbürgte Freiheitsversprechen auch in Zukunft noch einzulösen. Es ist deshalb richtig, im Hinblick auf die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen des Art. 9 Abs. 3 GG von „zeitoffenen“ Begriffen14 zu sprechen, zumal der über die Arbeitsbedingungen hinausgehende Wortlaut der Verfassungsnorm diese historisch-funktionale Sichtweise bestätigt. Die „Wirtschaftsbedingungen“ können insofern (auch)15 als diejenigen Umstände aufgefasst werden, welche auf unternehmenspolitischer Ebene für die wirtschaftliche und soziale Lage der Arbeitsvertragsparteien Bedeutung erlangen16. Auch die mittelbar auf der Ebene der Unternehmenspolitik erfolgenden Determinierungen der Bedingungen für abhängig geleistete Arbeit liegen damit grundsätzlich innerhalb des sachlichen Gewährleistungsbereichs der Koalitionsfreiheit. III. Einflussnahme auf Betriebs- und Unternehmensverfassung – Gewährleistung eines effektiven Grundrechtsschutzes Es ist soeben gezeigt worden, dass einer an den tatsächlichen Bedingungen der abhängig geleisteten Arbeit entwickelten Begriffsbildung notwendig ein Moment der Zeitoffenheit innewohnen muss, um Entwicklungen des Verhältnisses von abhängig geleisteter Arbeit und Kapital wirksam in sich aufnehmen und zum Gegenstand von Regelungen machen zu können. Dies bedeutet nichts anderes, als schon die Begriffsbildung dessen, was „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ sind, so weit offenzuhalten, dass ein wirksamer – effektiver – Grundrechtsschutz jedenfalls vom Ansatz her auch unter sich fortentwickelnden Rahmenbedingungen für abhängig geleistete Arbeit gewährleistet bleiben kann. 13

Schaub, § 187 IV 2. v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 70; Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 55; Säcker/Oetker, S. 64 ff. 15 Teilweise werden unter „Wirtschaftsbedingungen“ auch jene Bedingungen gefasst, die vornehmlich Gegenstand allgemeinpolitischer staatlicher Gesetzgebung sind, wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, siehe Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 54; Jarass/ Pieroth Art. 9 Rdnr. 23a; Pieroth/Schlink Rdnr. 733. 16 Brox/Rüthers Arbeitsrecht, Rdnr. 234. 14

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Nur so bleibt das System des Art. 9 Abs. 3 GG als Prinzip der autonomen Regelung durch die Aktualisierung von Gegenmacht auch weiterhin funktionsfähig. Diese Perspektive des Koalitionsgrundrechts als der Ermöglichung einer autonomen Gegenmachtbildung gegenüber dem sozialen Gegenspieler findet in der nicht autonom gebildeten, sondern staatlich verordneten Betriebsverfassung kein taugliches Objekt. Und damit versteht es sich auch nicht von selbst, dass die Betriebsverfassung als „Arbeits- und Wirtschaftsbedingung“ im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG zu begreifen ist. So wird auch vertreten, jedenfalls die tarifvertragliche Gestaltung der Betriebsverfassung sei unzulässig, weil eine solche Normsetzung den Grundrechtsschutz der nicht koalierten Arbeitnehmer wegen deren notwendig eintretender Erfassung solcher Tarifverträge leer laufen lasse17. Und in Weiterentwicklung dieser These wird gefolgert, dass diese Auffassung auf die Herausnahme der Betriebsverfassung aus dem Bereich der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ hinauslaufe18. Dem ist aber zu entgegnen, dass nicht nur der Betrieb als organisierter Raum die Bedingungen der Arbeitnehmer unmittelbar mitformt und deshalb betriebliche Fragen „Arbeitsbedingungen“ sein müssen. Die durch die Betriebsverfassung geschaffene Organisationsform der Einflussnahme auf Entscheidungen des Arbeitgebers nimmt nicht minder unmittelbar Einfluss auf die Bedingungen, unter denen die abhängige Arbeit geleistet wird19. Des weiteren ist auch im vorliegenden Zusammenhang der Gedanke fruchtbar zu machen, dass der sachliche Anwendungsbereich des Grundrechts der Koalitionsfreiheit so weit gefasst sein muss, dass ein effektiver Grundrechtsschutz gewährleistet werden kann. Außerdem ist die Frage nach der Erfassung der Betriebsverfassung durch die „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ des Art. 9 Abs. 3 GG scharf von der Frage zu trennen, ob die Betriebsverfassung auch Gegenstand tariflicher Normsetzungsmacht sein darf20. Aus diesen Gründen ist auch die Einflussnahme auf die staatlich geregelte Betriebsverfassung als grundrechtlich geschützt anzusehen, die Betriebsverfassung gehört dementsprechend zu den „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG. Dieses Ergebnis findet seine Bestätigung in der Rechtsprechung21. 17

Biedenkopf, S. 276, S. 319 f. Friese, S. 235. 19 Schwarze, S. 90 f.; Friese, S. 240. 20 Dazu unten 4. Kap. § 2 II. ff. 21 BVerfG v. 14.04.1964 = E 17, 318 (333); v. 30.11.1965 = E 19, 303 (313 f.); v. 01.03.1979 = E 50, 290, 371; v. 24.02.1999 = NZA 99, 713 f.; etwas künstlich wirkt in diesem Zusammenhang die Auffassung von Friese, S. 233, es sei in diesen Entscheidungen nicht über die Zugehörigkeit der Betriebsverfassung zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen sondern über die Wahrung und Förderung sonstiger Arbeits18

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B. Funktion der kollektiven Koalitionsfreiheit als Mittel der Verwirklichung der individuellen Koalitionsfreiheit der Organisierten I. Persönlicher Geltungsbereich: Individuelle Koalitionsfreiheit Wortlaut und historische Entwicklung22 des Koalitionsrechts weisen dieses zunächst als ein individuelles Freiheitsrecht aus. Insofern schützt Art. 9 Abs. 3 GG jedermann (positiv), zum Zwecke der Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ihnen beizutreten und in ihnen zu bleiben, sich in solchen Vereinigungen zu betätigen oder für sie zu werben23 – oder aber auch: Ihnen fernzubleiben oder sie auch wieder zu verlassen (negative Koalitionsfreiheit)24. Die Freiheit, sich zusammenzuschließen und gemeinsame Zweckverfolgung zu betreiben, soll frei von staatlicher Einflussnahme oder von Einflussnahme durch Dritte gewährleistet werden25. Das Grundgesetz spricht in diesem Zusammenhang nicht etwa von Gewerkschaften, sondern vielmehr von „Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen“. Solche Vereinigungen werden kurz Koalitionen26 genannt27. II. Persönlicher Geltungsbereich: Kollektive Koalitionsfreiheit Nach ganz überwiegender Auffassung schützt die Koalitionsfreiheit nicht nur das individuelle Freiheitsrecht des Einzelnen: Weil sich die individuelle Koalitionsfreiheit vollkommen nur über den Bestand und die Betätigung der Koalitionen selbst schützen lässt28, ist vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG auch die sog. „kollektive Koalitionsfreiheit“ erfasst. Nach dieser Auffassung sind und Wirtschaftsbedingungen durch die Betätigung in der Personalverfassung/Betriebsverfassung entschieden worden. 22 Eitel, S. 94 m.w. N. 23 BVerfGE 19, 303 (312); Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 63. 24 Ständige Rechtsprechung, BVerfGE 50, 290 (367); 64, 208 (213); 73, 261 (270); BAG v. 17.02.1998 – 1 AZR 364/97; BVerfGE 4, 96 (101 f.; 106); Dreier-Bauer Art. 9 Rdnr. 76 f.; Neumann RdA 89, 243 ff.; Pieroth/Schlink Rdnr. 736; Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 65; Scholz, S. 41 ff.; Zöllner/Loritz § 8 IV 5 m.w. N.; vereinzelt wird die negative Koalitionsfreiheit dogmatisch anders – etwa aus Art. 2 Abs. 1 oder 9 Abs. 1 GG hergeleitet oder direkt aus der positiven Koalitionsfreiheit abgeleitet, so Biedenkopf, S. 93 Fn. 127; Hueck/Nipperdey II/1, S. 156; Säcker, S. 36 f. 25 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 1; BVerfG v. 01.03.1979 – AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG IV 1. 26 Zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung der Koalitionsfreiheit siehe umfassend Nikisch, § 58 I; Löwisch/Rieble MünchArbR § 242 I. 27 Sachs-Höfling Art 9 Rdnr. 53; Schmidt/Bleibtreu, Art. 9 Rdnr. 12. 28 Friese, S. 38 f.; Säcker, S. 37 f.

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Grundrechtsträger sowohl der Einzelne als auch die Koalition selbst (Lehre vom „Doppelgrundrecht“)29. Dieser Funktionszusammenhang im Sinne einer Effektivierung des Freiheitsrechts des Einzelnen auf kollektiver Ebene wird jenseits dogmatischer Streitigkeiten allgemein anerkannt: Die gestörte Vertragsparität zwischen dem einzelnen abhängig Beschäftigten und dem Arbeitgeber werde durch die Herstellung von kollektiver Gegenmacht diesem gegenüber wieder in Kraft gesetzt30. Und umgekehrt bietet die über die Koalition vermittelte Interessenwahrnehmung auch ein „Bollwerk“ gegen Maßnahmen des Arbeitgebers gegenüber den in der Koalition vereinigten Arbeitnehmern. Diese Sicht der Koalitionsfreiheit richtet sich also am Gegenüber zum sozialen Gegenspieler aus. 1. Ideologische Differenzen über das Wesen der kollektiven Koalitionsfreiheit a) Kollektive Koalitionsfreiheit (auch) als Ausdruck des Ordnungsprinzips eines Kollektivwettbewerbs Unabhängig von der Anerkennung der Rechtsinhaberschaft und Parteifähigkeit auch der Koalitionen selbst – jedenfalls in diesem Sinne handelt es sich um ein „Doppelgrundrecht“31 – bestehen tiefgreifende Differenzen über das Wesen dieser Grundrechtsposition32. Losgelöst von vielen Schattierungen können zwei Grundlinien der Diskussion ausgemacht werden: Zum Teil wird die Koalitionsfreiheit als Sonderfall der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG angesehen und damit dem Bereich der Privatautonomie – auf höherer, kollektiver Ebene – zugeordnet. Legitimationsgrundlage der kollektiven Koalitionsfreiheit ist danach alleine die privatautonome Mitgliedschaft der sich koalierenden Arbeitnehmer33. In diesem Sinne spricht Rieble von einer „Autonomietheorie“34. Es handelt sich hierbei um eine Sicht der Dinge, welche die Koalitionsfreiheit 29 Ständige Rechtsprechung des BVerfG, beispielhaft BVerfGE 4, 96 (101 f.); 50, 290, (367); 888, 103 (114); 92, 365 (393); vgl. die erschöpfenden Rechtsprechungsnachweise bei Friese, S. 38 Fn. 4; Dreier-Bauer Art. 9 Rdnr. 64 ff.; Hueck/Nipperdey II/1, S. 134; Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 66; Säcker, S. 33 f.; zweifelnd Ebbinghaus DNO 04, I. (unter: Cessante causa, cessat effectas) 30 Vgl. nur Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 22; Rieble Rdnr. 1114. 31 Siehe dazu einerseits Lieb Rdnrn. 432 ff., anderseits Gamillscheg KollArbR I, S. 183 ff. 32 Ein guter Überblick über die verschiedenen Positionen findet sich bei Gamillscheg KollArbR I, S. 183. 33 So Rieble, Rdnr. 1151; Picker, ZfA 86, 199 (203 ff.) betont in diesem Zusammenhang, dass dem Kollektiv keine genuine Eigenwertigkeit zukomme, sondern dass die kollektive Koalitionsfreiheit alleine der praktisch unbestreitbar notwendigen Effektivierung des individuumsbezogenen Schutzes diene. Nur in diesem „Bündelungssinne“ dürften individuelle Willkürlichkeiten „bis zu einem gewissen Grade abgeschleift“ werden. 34 Rieble, Rdnr. 1102.

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als Gewährleistung einer marktmäßig-wettbewerbsrechtlichen Selbststeuerung von in Koalitionen gebündelten Interessen gegenüber dem sozialen Gegenspieler interpretiert35. Nach dieser Lesart der kollektiven Koalitionsfreiheit repräsentieren die Koalitionen (ausschließlich) die Interessen der eigenen Mitglieder, indem sie diese bündeln (deshalb auch „Bündelungstheorie“)36. Der spezielle Schutz der kollektiven Koalitionsfreiheit besteht nach diesem Modell einzig um der Mitglieder und deren Interessenwahrnehmung willen37. Die Koalitionen genießen vermittels der kollektiven Koalitionsfreiheit eigenen Grundrechtsschutz, weil im Sinne der Durchgriffs- bzw. Durchblicktheorie38 des Bundesverfassungsgerichts dies von den dahinterstehenden Mitgliedern als opportun oder wünschenswert angesehen wird39. Man kann diese Auffassung auch als, im klassischen Sinne, „liberal“ bezeichnen. b) Koalitionsfreiheit als Instrument quasi-öffentlich-rechtlicher Selbstverwaltung Sieht man das Wesen der kollektiven Koalitionsfreiheit jedoch als quasi-öffentlich-rechtliche soziale Selbstverwaltung des Arbeitsmarktes durch die Sozialpartner40, so nehmen die Sozialpartner mit der Regelung der Arbeitsbedingungen eine an sich staatliche Aufgabe wahr, sie treten im Sinne einer „Delegationstheorie“41 materiell und funktional in die an sich gegebene staatliche Gesetzgebungskompetenz ein. Die Koalitionsfreiheit würde so eigentlich zum 35

Rieble, Rdnrn. 1104, 1155, 1779. So vor allem Scholz, S. 51, S. 121 ff., S. 175 ff., S. 283 ff.; in MDHS-Scholz Art. 9 Rdnr. 7 (eine „summiert-additive Verfolgung von Grundrechtsinhalten“); Bruhn, S. 83 f.; Lieb Rdnr. 433; Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 9; Picker, ZfA 86, 199 (203 f.); Richardi FS Müller, S. 413 (440); Rieble Rdnr. 1151, 1155; ähnlich Zöllner, AöR 98, 71 (77 ff.); Zöllner/Loritz § 8 IV 4 e. 37 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnrn. 9, 22; Rieble Rdnr. 1155. 38 Das BVerfG hat diese Theorie im Zusammenhang mit Art. 19 Abs. 3 GG entwickelt: die Einbeziehung juristischer Personen des Privatrechts in den Grundrechtsschutz sei dort gerechtfertigt, wo ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der dahinter stehenden natürlichen Personen sei. Insofern sei in der Perspektive auf diese natürlichen Personen „durchzugreifen“, so BVerfGE 21, 362 (369). Terminologisch – um nicht den Trugschluss aufkommen zu lassen, die eigentlichen Grundrechtsträger seien die natürlichen Personen hinter den juristischen Personen – verwendet das BVerfG nunmehr den Ausdruck „Durchblick“ (BVerfGE 61, 82 (101), im weiteren E 68, 193 (205 f.); NJW 90, 1783). Die Reichweite des Grundrechts muss demnach also mit rückgekoppeltem „Durchblick“ auf die hinter der juristischen Person stehenden Menschen bestimmt werden. 39 Siehe dazu v. Münch-Krebs Art. 9 Rdnr. 38 m.w. N. 40 Picker ZfA 98, 573 (589 Fn. 26) betont in diesem Zusammenhang die Zahllosigkeit der Abstufungen innerhalb dieses Verständnisses der Koalitionsfreiheit. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann deshalb – wie ausgeführt – nur den unterschiedlichen Grundlinien nachgegangen werden. 41 Im Gegensatz zur vorgenannten „Autonomietheorie“. 36

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Teil der Staatsverfassung. Und Konsequenz dieser staatlich veranlassten Selbstverwaltung ist dann notwendigerweise die Zielrichtung der Koalitionsbetätigung nicht im Sinne einer zuvörderst autonom mitgliedschaftlich legitimierten und marktorientierten Interessenwahrnehmung, sondern der umfassende Ausgleich der allgemeinen gesellschaftlichen und der privaten Interessen im Wege (halb) staatlicher autonomer Selbstverwaltung, vergleichbar der kommunalen Selbstverwaltung, der Hochschulselbstverwaltung oder dem zunftartigen System der Berufskammern42. Diese Auffassung könnte im Gegensatz zur liberalen Auffassung als „etatistisch“ bezeichnet werden43. Soziale Selbstverwaltung diente danach nicht zentral der Verwirklichung individueller Freiheit im Gesellschaftsgefüge, sondern müsste sich als zweckgebundene Freiheit als Voraussetzung für die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe sehen44. Die Koalitionen haben in diesem Verständnis der kollektiven Koalitionsfreiheit eine ganz umfassende Repräsentationsfunktion für die Vertretung der Arbeitnehmerschaft insgesamt. Die Koalitionen bündeln also nicht nur die Interessenverfolgung ihrer Mitglieder: Sie stellen jenseits dieser Bündelung ein „qualitatives Mehr“ gegenüber den Interessen ihrer Mitglieder dar. Picker45 bezeichnet diese Linie als die einer „genuinen Eigenwertigkeit“ der Koalitionen. Hierher gehört die klassische Lehre vom „Doppelgrundrecht“, welche demnach als Anerkennung einer von den Interessen der Mitglieder losgelösten Rechtsträgerschaft verstanden werden will46. Der „Durchblick“ auf die hinter der Koalition stehenden Arbeitnehmer ist in diesem Sinne einer Entkoppelung von deren gebündelten Interessen „gestört“47. Koalitionen in diesem Sinne sind dann Ordnungsmächte mit originärer Regelungsgewalt48.

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Siehe Rieble, 1102 ff. In diesem Sinne eines Gegensatzes von liberalem und etatistischen Modell erscheint die Bezeichnung des Gegensatzes als „ideologisch“ nicht als überpointiert; Siehe zur Wortwahl auch Picker ZfA 98, 573 (589), der von „quasi-etatistischer“ Sichtweise der kollektiven Koalitionsfreiheit spricht; so auch Reichold, S. 441 ff. (441: „auf Hegel zurückgehende etatistische Überhöhung des Gemeinwohldenkens . . .“). 44 Siehe Friese, S. 48; Gamillscheg KollArbR I, S. 383; in diese Richtung Säcker ArbRdGgw. 12 (1974), 17, 36. 45 Picker ZfA 86, 199 (204). 46 Siehe dazu Picker, ZfA 86, 199 (202 f.). 47 Picker, ZfA 86, 199 (205) spricht in diesem Zusammenhang davon, dass das „mit Eigenleben beseelte Über-Ich“ als „höheres“ Wesen die Tendenz habe, im Konfliktfall die Interessen des einzelnen hintanzustellen. 48 Richardi MünchArbR § 241 Rdnr. 14 m.w. N. 43

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

2. Konsequenzen des Streits über das Wesen der kollektiven Koalitionsfreiheit a) Konsequenzen aus einer privatautonomen Einordnung der kollektiven Koalitionsfreiheit im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Rang des Koalitionspluralismus Das unterschiedliche Verständnis der Wesenheit der kollektiven Koalitionsfreiheit ist nicht nur – wie man beim ersten Blick meinen könnte: gibt es doch über das Bestehen der kollektiven Koalitionsfreiheit, verstanden als notwendige Effektivierung des individuumsbezogenen Schutzes49, im Ergebnis eine weitgehende Einigkeit – von lediglich theoretischem Interesse. Denn es steuert letztlich das Vorverständnis und das Auslegungsklima50 für die Reichweite des Spielraumes, welcher dem Koalitionspluralismus von Verfassungs wegen zugestanden werden soll51: Ein liberales (marktmäßig-wettbewerbliches) Selbststeuerungsmodell wird naturgemäß darauf vertrauen, dass der Wettbewerb als Ordnungsprinzip auch – und vielleicht gerade – einen funktionierenden „Markt der Koalitionen“ erfasst und der Markt in diesem Sinne dafür sorgt, dass die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen für die koalierten Arbeitnehmer sinnvoll geregelt werden können. Koalitionen als „Anbieter“ und Arbeitnehmer als „Nachfrager“ von Koalitionsleistungen sorgen nach einem solchen Modell dafür, dass die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch die Koalitionen flexibel und nahe an denjenigen Interessen ausgerichtet wird, welche im Wege der koalitionsmäßigen Selbstorganisation durch die Arbeitnehmer gebündelt formuliert werden. Dabei werden auf dem „Markt der Koalitionen“ die Koalitionen besonders erfolgreich sein können, welche sich in besonderer Weise den konkreten Interessensformulierungen ihrer Mitglieder durch Mechanismen ständiger Rückkopplung öffnen. Der Rang des Koalitionspluralismus wird nach diesem Vorverständnis ein tendenziell hoher sein müssen. Plastisch ausgedrückt: „Konkurrenz belebt das Geschäft“ – auch unter Koalitionen und im Hinblick auf deren

49 So beispielsweise Picker ZfA 86, 199 (204); siehe dazu auch Lieb Rdnrn. 432, 436, der unabhängig von der Frage nach der überindividuellen Grundrechtsträgerschaft die verfassungsrechtlich selbstverständlich gegebene Möglichkeit betont, sich selbst mit Verfassungsbeschwerde zur Wehr setzen zu können; siehe dazu nur BVerfGE 4, 96 (101) und jüngst BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 2004, 242 (Verfassungswidrigkeit der Quoren bei den Delegiertenwahlen zum Aufsichtsrat). 50 Gamillscheg KollArbR I, S. 184 f., spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die Bündelungstheorie das Auslegungsklima zugunsten des Einzelnen (Außenseiters) zu Lasten des Verbandes beeinflusse – weshalb dieser Theorie nicht zu folgen sei. 51 In diesem Sinne fordert Rieble, Rdnr. 1782, eine staatliche Respektierung des Koalitionswettbewerbs als Folge der Anerkennung des Kollektivwettbewerbs als Ordnungsprinzip.

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spezifische Zweckverfolgung dem sozialen Gegenspieler gegenüber. Die Funktionsfähigkeit des dem Art. 9 Abs. 3 GG zugrundeliegenden Gegenmachtsprinzips – in Perspektive auf die Arbeitgeberseite – kann durch den Koalitionspluralismus also sogar noch eine Steigerung erfahren. Grundrechtsdogmatisch kann man dies dahingehend ausdrücken, dass dem Koalitionsbegriff selbst nach diesem (Vor-)verständnis ein pluralistischer Ansatz innewohnen muss52. Für die Betrachtung der Stellung der Minderheitskoalitionen in der Betriebsverfassung würde aus einer vornehmlich privatautonomen Einordnung der Koalitionsfreiheit praktisch folgen, dass sich die Forderungen nach einem ausgeprägteren Minderheitenschutz nicht mehr so leicht mit der so richtigen, wie in der konkreten Rechtsanwendung die Minderheitenkoalitionen diskriminierenden Formel, abtun lassen können, „der Minderheitenschutz in der Betriebsverfassung könne „nicht schlechthin unbegrenzt“53 gelten54. Minderheitenschutz wäre damit ein stets zu beachtendes Prinzip der Koalitionsfreiheit „von innen heraus“ als Ausdruck eines verfassungsrechtlich gewollten Koalitionspluralismus’, dessen Einschränkung durch sachliche Gründe auch stets im Sinne einer „Wechselwirkung“ zugunsten der Minderheitsgewerkschaften im Lichte des auf Pluralität angelegten Koalitionsgrundrechts gesehen werden müsste. In diese Richtung geht Rieble55: Kollektivwettbewerb als Ordnungsprinzip und damit als Wertentscheidung für den Koalitionswettbewerb müsse positiv die Handlungsmöglichkeiten der Koalitionen nicht nur mit Blick auf den sozialen Gegenspieler definieren, sondern auch die Konkurrenzsituation berücksichtigen.

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Im Ergebnis so auch Gamillscheg KollArbR I, S. 134. So bspw. BAG v. 28.10.1992 – 7 ABR 2/92 AP Nr. 16 zu § 38 BetrVG 1972. B. II. 2. c): Das Gesetz gewähre keinen absoluten Minderheitenschutz) 54 Keine Rechtsposition, sieht man einmal von der Unantastbarkeit der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG ab, darf für sich unbegrenzte Geltung beanspruchen. Stets sind konfligierende (Grund-)rechts-positionen in einen verhältnismäßigen Ausgleich zueinander zu bringen – und insofern erweist sich die Formel des Bundesarbeitsgerichts als ebenso banal wie zielgerichtet darauf, seine Sympathien für die Mehrheitsgewerkschaften nicht allzu transparent werden zu lassen. Der damit einhergehende unterschwellige Wunsch nach der starken Einheitsgewerkschaft dürfte sich auch daraus speisen, dass die Arbeitsgerichte auf den Interessengegensatz zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber „geeicht“ sind, vgl. hierzu auch Rieble, Rdnrn. 1790, 1780. 55 Rieble, Rdnr. 1782. 53

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b) Konsequenzen aus einem Verständnis der kollektiven Koalitionsfreiheit als Teil einer staatlich verliehenen sozialen Selbstverwaltung mit umfassender Repräsentationsfunktion für die Arbeitnehmerschaft im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Rang des Koalitionspluralismus Verfechter eines etatistischen Modells hingegen werden mit einem wettbewerblichen Ansatz nicht viel anfangen können. Denn der Wettbewerb als Ordnungsfaktor ist eben keine Kategorie autonomer, letztlich aber doch (halb-) staatlich veranstalteter Selbstverwaltung56. Die staatliche Delegation, im Sinne eines Auftrags an die Koalitionen, für die Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens zu sorgen57, hat notwendig die Tendenz, den Auftrag der (gebündelten) Interessenwahrnehmung für die eigenen Mitglieder zugunsten eines umfassenderen Interessenausgleichs mit allgemeiner und öffentlicher Blickrichtung zu lockern58. Polemischer Weise könnte man sogar sagen: die Interessenwahrnehmung von der eigenen Mitgliedschaft zugunsten von Gemeinwohlverpflichtung und Gemeinwohlkompetenz59 zu abstrahieren60. Denn die Koalitionen haben bei etatistischer Betrachtungsweise ihre Grundrechtsposition gleichsam „aus eigenem und überindividuellen Recht“ inne61 – und eben nicht als Bündelung der privatnützigen Freiheitsrechte der in ihr koalierten Arbeitnehmer. Eine Gefahrenlage entsteht, welche die Arbeitnehmer – mit den Worten von Löwisch/ Rieble62 – „vom Regen in die Traufe befördern kann“: Die Arbeitnehmer geraten in Gefahr, den überindividuellen Zwecken der Koalition dienstbar gemacht zu werden63 und nicht mehr umgekehrt dient die Koalition den gebündelten Freiheitsrechten der einzelnen Arbeitnehmer64. Denn die Arbeitnehmerkoalitio56

Rieble Rdnr. 1104. So Badura ArbRdGgw. 15 (1977), 17 (19 ff.); Friese, 45; Gamillscheg, Anmerkung zu BAG v. 24.04.1988 – 7 AZR 593/87 = AP Nr. 4 zu § 1 BeschfG 1985; Müller ArbRdGgw. 17 (1979), 19 (23 ff.); Wiedemann RdA 69, 321 ff. 58 Siehe dazu Rieble, Rdnr. 1104. 59 So Rieble, Rdnr. 1103. 60 Dies spiegelt sich in der Praxis des DGB wider, sich finanziell zugunsten einzelner Wahlbewerber oder von Parteien in Wahlkämpfen zu engagieren, siehe dazu Hettlage, S. 28 ff. 61 So formuliert Wiedemann Einleitung Rdnr. 90, dass die Sozialpartner eine Sonderstellung genössen, weil ihnen, neben den politischen Parteien, durch Art. 9 Abs. 3 GG eine „öffentliche Aufgabe“ zugewiesen worden sei; die stärkere Qualität der Freiheitsausübung im Kollektiv erlaube die eigenständige und von den Individualinteressen der Mitglieder losgelöste Grundrechtsverbürgung der Koalitionen. 62 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 22. 63 So spricht Sinzheimer, Arbeitsrecht und Rechtssoziologie, S. 178, von der „sozialen Pflicht der einzelnen zur Unterstützung ihrer Berufsorganisationen“ – was in diesem Sinne deutlich in Richtung eines Perspektivwechsels weg von den Interessen des einzelnen hin zu den als vorrangig zu sehenden Interessen der Koalitionen tendiert; siehe dazu auch Picker ZfA 86, 199 (205 (b)). 57

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nen hätten als Repräsentanten der Arbeiterklasse deren Interessen in die Abwägung aller Gemeinwohlinteressen einzubringen. Ein solches, als etatistisch zu bezeichnendes Verständnis der kollektiven Koalitionsfreiheit, muss in einer vom Demokratieprinzip beherrschten Rechtsordnung die (halb-)staatliche65 Herrschaftsausübung der Koalitionen verfahrensmäßig-demokratisch verfassen. Die Arbeitnehmer beteiligen sich an der Willensbildung ihrer Koalition nicht in Ausübung ihrer hier gebündelten Freiheitsrechte. Vielmehr hätte die Teilnahme an der Willensbildung den Charakter einer „Beteiligung der Beherrschten an der Ausübung von Herrschaft“66. Dieser Hintergrund ist es, der dessen Befürwortern als Element des Koalitionsbegriffs die demokratische Organisation der Koalitionen einfordern lässt67. Minderheitenschutz ist damit vorrangig nicht im koalitionspluralistischen Wettbewerb von Koalitionen untereinander – am „Markt“ der Koalitionen – zu denken, sondern fungiert als Gewährleistung dafür, dass die Koalitionsfreiheit des einzelnen Mitglieds innerhalb der kollektiv organisierten Vereinigung der Arbeiterklasse nicht vollends untergeht68. In diesem Zusammenhang wird ein funktionierender Koalitionspluralismus im oben69 geschilderten Sinne eher als hinderlich empfunden werden müssen70: Denn demokratische Verfasstheit im Sinne einer möglichst umfassenden Beteiligung der Beherrschten an der Ausübung von Herrschaft muss aus diesem Blickwinkel darauf abzielen, möglichst viele Arbeitnehmer in einer einheitlichen Organisation zu erfassen. Repräsentieren die Koalitionen nämlich die als einheitlich verstandene Arbeiterklasse, so ist es nur konsequent, sie möglichst auch organisationsmäßig einheitlich erfassen zu wollen. Der Einsatz der Koalitionen für eine möglichst große (mehrheitliche) Mitgliedschaft dient nach dem etatistischen Vorverständnis der Koalitionsfreiheit letztlich nicht – und ganz nüchtern und schnörkellos – der Optimierung der gebündelten Interessenformulierung gegenüber dem sozialen Gegenspieler im Wettbewerbswege zwischen den konkurrierenden Koalitionen. Er erfährt vielmehr die „höheren Weihen“ eines Ringens 64

So Friese, S. 49; vgl. dazu auch Gamillscheg KollArbR I, S. 308, S. 383. Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 69 sprechen in diesem Zusammenhang von einer Art von „modifizierter Staatsgewalt“. 66 Bieback, S. 58 ff.; Kempen/Zachert TVG Grundlagen Rdnrn. 64 ff., 76 f.; Kaiser, S. 187. 67 In diesem Sinne Kempen/Zachert TVG Grundlagen Rdnr. 159; siehe dazu Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 69; Richardi Grundprobleme, S. 85 (88). 68 Kempen/Zachert Grundlagen Rdnr. 159: Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG beinhalte die spezielle staatliche Pflicht, die individuelle Koalitionsfreiheit auch gegen interne Unterdrückung, Behinderung und Beeinträchtigung zu schützen. 69 2. Kap. § 1 B II. 2. a). 70 Dies erkennt auch Friese, S. 45, S. 51, wenn sie bei einer den Koalitionen zugeschriebenen allgemeinen Ordnungs- und Gestaltungsfunktion einen Konflikt mit dem Koalitionspluralismus als notwendig angelegt sieht. 65

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um möglichst dichte demokratische Legitimation in einer als Teil des Staatsvolks gedachten einheitlichen Arbeiterklasse. Aus diesem Blickwinkel kann Konkurrenz das Geschäft natürlich keinesfalls beleben: Das Geschäft der Vereinheitlichung der Arbeiterklasse in einer einheitlichen Organisation wird durch einen ausgeprägten Koalitionspluralismus schließlich tendenziell behindert. Und deswegen kann ein etatistisches Verständnis der kollektiven Koalitionsfreiheit auch den Koalitionspluralismus nicht als grundrechtsdogmatisch im Koalitionsbegriff selbst angelegt oder als diesem vorausgesetzt ansehen können. Verschiebt ein solches Verständnis vom „Doppelgrundrecht“ den Akzent zugunsten der Koalition und zu Lasten des Einzelnen71, so kann diese Feststellung dahingehend weiterentwickelt werden, dass mit diesem Verständnis auch eine Akzentuierung hin zugunsten einer als von Verfassungs wegen wünschenswert angesehenen Einheitskoalition oder -gewerkschaft verbunden ist. Für die Betrachtung der Stellung der Minderheitskoalitionen in der Betriebsverfassung würde aus einer solchen Deutung der Koalitionsfreiheit praktisch folgen, dass dem Mehrheitsschutz im Vorverständnis der Rechtsanwendung ein prinzipieller Vorrang vor den Interessen der Minderheitskoalitionen zukommen müsste. Minderheitenrechte hätten dann nämlich die objektive Wirkung einer vom Koalitionsbegriff her nicht gewollten „Zersplitterung“ der als einheitlich zu denkenden Arbeitnehmerschaft72. Die Konkurrenz von Koalitionen wäre verfassungsrechtlich eher als geduldet denn als angelegt und gewollt anzusehen. Dem Minderheitenschutz müsste erst dort Raum gegeben werden, wo er geradezu unerlässlich wäre, um das Koalitionsgrundrecht der kleineren Gewerkschaften nicht vollends leer laufen zu lassen. Koalitionspluralismus, und als dessen Ausfluss der Minderheitenschutz, wäre nicht die gewollte Regel, deren Ausnahme besonders sorgfältig und nur im Lichte des Koalitionsgrundrechts auch der Minderheitskoalitionen bei dessen sachlicher Begrenzung begründet werden müsste. Vielmehr würde eine Tendenz für sich Geltung beanspruchen können, welche eher umgekehrt in der Berücksichtigung des Minderheitenschutzes einen sachlich zu begründenden Ausnahmefall sähe. Dieser Ausnahmefall rückte in der praktischen Rechtsanwendung dann einem Anwendungsbereich nahe, welcher der sich im bloßen Existenzschutz der Minderheitskoalitionen erschöpfen würde. Und noch eine im vorliegenden Zusammenhang ganz wesentliche Konsequenz hat die etatistische Grundlinie der Interpretation des Wesens der Koalitionsfreiheit: Die staatsentlastende Ordnungsfunktion der kollektiven Koalitionsfreiheit für das Arbeitsleben – auf der Ebene der Tarifautonomie – verträgt sich schlecht mit einer Beschränkung der Repräsentationsfunktion nur auf die koalierten Arbeitnehmer73: Wer im Gemeinwohlauftrag unterwegs ist, muss auch 71 72

Anderson, S. 54 f. Dazu siehe unten 2. Kap. § 1 F. IV. 3. f); 4. Kap. § 3 B. II. 5. f).

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einen möglichst großen Teil der Arbeitnehmer normativ binden können. Die Normsetzungsmacht der Mehrheitsgewerkschaften im betriebsverfassungsrechtlichen Kontext (betriebliche Strukturen, tarifliche Schlichtungsstelle etc.) wird auf diesem Hintergrund im Hinblick auf im Betrieb vertretene Minderheitsgewerkschaften und die Nichtorganisierten exzessiver gehandhabt werden dürfen74, als dies ein koalitionspluralistisch angelegtes Vorverständnis der kollektiven Koalitionsfreiheit erlauben kann75. Und die Rechte der Minderheitsgewerkschaften und ihrer Mitglieder in der Betriebsverfassung haben vom Ansatz her konsequenterweise eher Ausnahmecharakter und damit einen von vorneherein niedrigeren Stellenwert in der Rechtsanwendung, als bei einem privatautonom geprägtem Vorverständnis. 3. Argumente für das unterschiedliche Verständnis „des Wesens“ der Koalitionsfreiheit Dem aufgezeigten Dissens über das Wesen der Koalitionsfreiheit soll im vorliegenden Zusammenhang nicht in allen Verästelungen und Varianten nachgegangen werden76. Es soll aber im Folgenden versucht werden, die wesentlichen Argumente für die beiden geschilderten Grundauffassungen des Wesensverständnisses zu erfassen und gegeneinander abzuwägen. Denn von diesem Abwägungsergebnis hängt das Gewicht des Koalitionspluralismus beim Verständnis der kollektiven Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG ab. Und dieses Gewicht wiederum ist ein bedeutsamer Parameter für die Reichweite des Schutzes der Minderheitsgewerkschaften bei der Auslegung einzelner betriebsverfassungsrechtlicher Vorschriften. a) Historisch-entwicklungsbezogene Argumente aa) Die Entwicklung der Koalitionsfreiheit bis zum Ende des Kaiserreichs Sowohl für die Annahme einer umfassenden Repräsentations- und Ordnungsfunktion der Koalitionsfreiheit wie auch für deren rein privatautonomes Verständnis wird auf die historische Entwicklung der Koalitionen Bezug genommen77. So seien die Gewerkschaften in der Vereinbarung vom 15.11.1918 73

Friese, S. 9. Ähnlich Bergner, S. 122 ff. 75 In diese Richtung geht auch die Kritik von Koller ZfA 78, 45 (59) und Schwarze, S. 149 ff., welche sich gegen die aus Art. 9 Abs. 3 GG abgeleiteten umfassende Repräsentationsbefugnis der Koalitionen im Hinblick auf Normsetzungskompetenzen gegenüber Außenseitern richtet. 76 Siehe dazu aber umfassend Richardi MünchArbR § 241 Rdnrn. 6 ff. 74

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(„Stinnes-Legien-Abkommen“78) als „berufene Vertretung der Arbeiterschaft“ und nicht nur ihrer Mitglieder anerkannt worden, womit ihnen ein umfassender Repräsentationsanspruch eingeräumt worden sei. Auch sei die Regelung der betrieblichen Organisation von den Gewerkschaften von Anfang an als gewerkschaftliche Aufgabe aufgefasst und zum Gegenstand von Regelungen gemacht worden. Solche Vereinbarungen aber hätten notwendig der Interessenwahrnehmung der Arbeitnehmerschaft als solcher gegenüber dem Arbeitgeber gedient bzw. dienen müssen79. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die Anerkennung der Gewerkschaften als „berufene Vertretung der Arbeiterschaft“ im „StinnesLegien-Abkommen“ in eine historische Phase revolutionären Umbruchs fiel80, in der sich die Gewerkschaften mit den anderen konservativen Kräften gegen Bestrebungen zur Errichtung einer Rätedemokratie nach russisch-sowjetischen Muster wandten, und die ausdrückliche Anerkennung der Gewerkschaften der Delegitimierung der Rätebewegung dienen sollte81. Bezeichnender Weise folgte der Anerkennung der Gesamt-Repräsentationsfunktion der Gewerkschaften im Konkreten, nämlich der TVVO vom 23.12.191882, keine entsprechende Einordnung der Gewerkschaften im Hinblick auf eine Normsetzungsmacht für die Arbeitnehmerschaft im Allgemeinen83. Dies spricht doch sehr dafür, die singulär erfolgte Anerkennung im Abkommen vom 15.11.1918 in ihrem verfassungsrechtlichen Aussagegehalt nicht über die konkrete historische Umbruchphase hinaus auszudehnen und damit zu überhöhen84. Auf der anderen Seite musste die Koalitionsfreiheit dem Staat „abgetrotzt, ja abgekämpft“ werden – was nach Rieble85, der insofern auch auf neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Bezug nehmen kann, zu der berechtigten Folgerung gebracht hat, dass dies eben nicht für ein „Verleihungsmodell“, 77 Vgl. diesbzgl. nur Friese, S. 41 ff. einerseits und Rieble Rdnrn. 1109 andererseits mit je weiteren Nachweisen. 78 RArbBl. 1918, 874. 79 Spilger, S. 67 ff. 80 Picker ZfA 98, 573 (602); der Spartakusaufstand als Ausdruck der revolutionären Forderungen nach Einführung einer Rätedemokratie wurde erst im Januar 1919 niedergeschlagen – im November 1918 stellte sich dieser Machtkampf noch als offen dar. 81 Siehe dazu Rieble Rdnrn. 1110 ff. 82 RGBl. 1918, 1456. 83 So auch Friese, S. 42 f., S. 44 f., S. 58, die gleichwohl zu dem Schluss kommt, dass verfassungsrechtlich seit diesem Zeitpunkt von einer (umfassenden) Repräsentationsfunktion auch für nicht koalierte Arbeitnehmer auszugehen sei. 84 Picker ZfA 98, 573 (602) spricht in diesem Zusammenhang von einer „frappanten Instinktsicherheit“, mit welcher der Gesetzgeber alle Versuche einer Zwangskorporierung in der Folgezeit abgewehrt habe und solche Versuche damit zur Episode gemacht worden seien. 85 Rieble Rdnr. 1109 unter Bezugnahme auf BVerfG v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG C I 1 a: „Die Koalitionsfreiheit ist . . . historisch vor allem den Arbeitnehmern vorenthalten und von diesen erstritten“.

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sondern gerade für ein privatautonomes Verständnis der Koalitionsfreiheit spricht. In diesem Zusammenhang betont Picker86, dass es historisch stets (nur) darum gegangen sei, die Ohnmacht der Einzelperson zu überwinden und den Individualschutz durch Kollektivierung abzusichern. Es sei bei der assoziativen Selbsthilfe der Arbeitnehmer in Koalitionen stets darum gegangen, das Marktmodell als die systemgemäße Methode des Güteraustauschs auch auf die Gestaltung des Arbeitswesens zu übertragen87 – auch dies ein Argument für eine deutlich privatautonom-bezogene Deutung der kollektiven Koalitionsfreiheit. bb) Die Stellung der Koalitionsfreiheit seit der Weimarer Reichsverfassung88 Auch der weitere rechtshistorische Verlauf unterlegt nicht die These von einer grundsätzlich umfassenden Repräsentationsfunktion der Koalitionen bzw. Gewerkschaften im Sinne eines „etatistischen“ Modells.. Die Weimarer Reichsverfassung (WRV) hatte redaktionell noch die allgemeine Vereinigungsfreiheit mit ihrer eindeutig privatautonom und individualistisch angelegten Ausrichtung (Art. 124 WRV)89 von der besonderen Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen (Art. 159 WRV)90 getrennt. Darüber hinaus enthielt die Weimarer Reichsverfassung mit Art. 165 WRV91 einen „Räteartikel“ mit der Möglichkeit 86

Picker ZfA 86, 199 (204). Picker ZfA 86, 199 (259 f.). 88 WRV v. 11.08.1919. 89 Artikel 124 WRV: (1) Alle Deutschen haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. Dieses Recht kann nicht durch Vorbeugungsmaßregeln beschränkt werden. Für religiöse Vereine und Gesellschaften gelten dieselben Bestimmungen. (2) Der Erwerb der Rechtsfähigkeit steht jedem Verein gemäß den Vorschriften des bürgerlichen Rechts frei. Er darf einem Vereine nicht aus dem Grunde versagt werden, dass er einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgt. 90 Artikel 159 WRV: Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig. 91 Artikel 165 WRV: (1) Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen werden anerkannt. (2) Die Arbeiter und Angestellten erhalten zur Wahrnehmung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Interessen gesetzliche Vertretungen in Betriebsarbeiterräten sowie in nach Wirtschaftsgebieten gegliederten Bezirksarbeiterräten und in einem Reichsarbeiterrat. (3) Die Bezirksarbeiterräte und der Reichsarbeiterrat treten zur Erfüllung der gesamten wirtschaftlichen Aufgaben und zur Mitwirkung bei der Ausführung der Sozialisierungsgesetze mit den Vertretungen der Unternehmer und sonst beteiligter Volkskreise zu Bezirkswirtschaftsräten und zu einem Reichswirtschaftsrat zu87

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eines Ansatzes zu einem von vorneherein kollektivrechtlich ausgeprägten92 und damit auch einer umfassenden Repräsentationsfunktion zuneigenden Verständnis. Dies hätte möglicherweise eine etatistische93 Sonderrolle der Koalitionen im Staatsgefüge eröffnen können94. Allerdings hat Art. 165 WRV die Anerkennung der Koalitionen nach heftiger verfassungspolitischer Auseinandersetzung mit seinem ersten Absatz an seine Spitze gesetzt und die Koalitionsfreiheit damit verfassungssystematisch vom Aktionsfeld der öffentlich-rechtlichen Arbeiterräte getrennt. Der Bereich der Regelung der Arbeits- und Lohnbedingungen als Aufgabe der Koalitionen sollte damit gerade nicht öffentlich-rechtlich oder (halb-)staatlich ausgestaltet werden, eine Konkurrenz zwischen „Berufsverbänden“ und Räten sollte ausgeschlossen werden95. Folgerichtig war der Ansatz eines kollektivrechtlichen Verständnisses der Koalitionsfreiheit96 mit den oben angesprochenen etatistischen Implikationen schon zu Weimarer Zeit heftig umstritten97. cc) Die Stellung der Koalitionsfreiheit im Grundgesetz Unabhängig vom Stand der damaligen Verfassungsinterpretation und der damit verfassungssystematisch im Ansatz eröffneten Möglichkeit der Entwicklung verschiedener Anforderungsprofile für die Interpretation der individuellen Versammen. Die Bezirkswirtschaftsräte und der Reichswirtschaftsrat sind so zu gestalten, dass alle wichtigen Berufsgruppen entsprechend ihrer wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung darin vertreten sind. (4) Sozialpolitische und wirtschaftspolitische Gesetzentwürfe von grundlegender Bedeutung sollen von der Reichsregierung vor ihrer Einbringung dem Reichswirtschaftsrat zur Begutachtung vorgelegt werden. Der Reichswirtschaftsrat hat das Recht, selbst solche Gesetzesvorlagen zu beantragen. Stimmt ihnen die Reichsregierung nicht zu, so hat sie trotzdem die Vorlage unter Darlegung ihres Standpunkts beim Reichstag einzubringen. Der Reichswirtschaftsrat kann die Vorlage durch eines seiner Mitglieder vor dem Reichstag vertreten lassen. (5) Den Arbeiter- und Wirtschaftsräten können auf den ihnen überwiesenen Gebieten Kontrollund Verwaltungsbefugnisse übertragen werden. (6) Aufbau und Aufgabe der Arbeiterund Wirtschaftsräte sowie ihr Verhältnis zu anderen sozialen Selbstverwaltungskörpern zu regeln, ist ausschließlich Sache des Reichs. 92 Siehe Eitel, S. 94 f. 93 Im Sinne der oben verwandten Terminologie. 94 In diese Richtung Rieble Rdnrn. 1137, 1488. 95 Siehe dazu Anschütz, Art. 165 Anm. 3; Flatow, NZfA 24, Spalte 385 ff.; vertiefend auch Rieble Rdnrn. 1111, 1488, der sich diesbzgl. in den Fußnoten 501 und 502 auch auf die Äußerungen Sinzheimers als Berichterstatter im Achten Ausschuss der Nationalversammlung zu Art. 165 WRV bezieht. 96 Eitel, S. 94, spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer h. M., welche die Koalitionsfreiheit lediglich als individuelles Freiheitsrecht angesehen habe. 97 RGZ 113, 33 (36 f.); Eitel, S. 94 f. m.w. N.; für die Sicht eines lediglich individuellen Grundrechts Groh, S. 10 ff.; Nikisch § 58 II 2; Tatarin-Tarnheyden Rechtsgutachten, S. 5 ff.; dagegen Nipperdey, Koalitionsrecht, S. 385 (428 ff.); Neumann, S. 39 ff., S. 64 ff., zitiert nach Eitel, S. 95 Fn. 13.

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einigungsfreiheit einer-, der kollektiven Koalitionsfreiheit andererseits, hat Art. 9 Abs. 3 GG solcher Möglichkeit dann den Boden entzogen: Weil nämlich Art. 9 Abs. 3 GG im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung die Koalitionsfreiheit in den Grundrechtssteil aufgenommen hat98. Die historische Entwicklung der Koalitionsfreiheit im Verfassungskontext lässt damit eher die Interpretation dahingehend zu, dass sie ihrem Wesen nach privatautonom-individualistisch konzipiert ist. In diesem Sinne ist sie ein spezifischer Unter- oder Sonderfall99 der allgemeinen Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG, wobei ihr besonderer Zweck der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen den Koalitionen den über den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG hinausgehenden weiterreichenderen spezifischen Grundrechtsschutz des Art. 9 Abs. 3 GG vermittelt100: Denn weil dieser besondere Vereinigungszweck in besonderer Weise dazu geeignet ist, die sich koalierenden Personen mit „sozialen Mächten“ und Privatpersonen zu konfrontieren, bedarf er auch einer gegenüber der allgemeinen Vereinigungsfreiheit ausgedehnteren verfassungsrechtlichen Garantie101. b) Funktionsbezogene Argumentationsmuster aa) Kartellfunktion der Koalitionen Ein gewichtiges Argument, für ein Wesensverständnis der kollektiven Koalitionsfreiheit als privatautonom-mitgliedschaftlich, bildet die wirtschaftliche Funktion der Koalitionen als private Kartelle. Liegt nämlich der Koalitionsfreiheit das Prinzip autonomer Regelung durch Aktualisierung von Gegenmacht zugrunde102, so ist damit eine marktbezogene Funktion gegenüber der Arbeitgeberseite angesprochen. Koalitionen sind in Weiterentwicklung eines solchen Funktionsverständnisses Kartelle, die dem wirtschaftlichen Zweck der möglichst optimalen Vermarktung der „Ware Arbeit“ dienen. Erst der Zusammenschluss der Arbeitnehmer in einer Koalition als Kartell ermöglicht die Marktfähigkeit des einzelnen Arbeitnehmers gegenüber dem strukturell überlegenen Arbeitgeber103. Ein solches kartellarisches Verständnis der Koalitionen104 entstammt nicht etwa neoliberalen Konzeptionen mit der Zielrichtung, den auch in der 98

Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 21; Rieble Rdnr. 1137. So Nikisch, § 58 II 2 a. E. 100 BVerfG v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf C I 1 a; Löwisch/Rieble § 243 Rdnr. 54; MDHS-Scholz Art. 9 Rdnrn. 154 ff. 101 Nikisch, § 58 II 2. 102 Siehe dazu Bleckmann § 30 Rdnrn. 48 ff., 65 ff.; Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 22; Kaiser, 1 ff.; Löwisch/Rieble § 243 Rdnr. 7; BVerfGE 44, 322 (340 ff.); E 64, 208 (215). 103 Rieble Rdnrn. 1109 ff. 99

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Rechtsprechung105 – jedenfalls terminologisch – anerkannten Gesamt-Repräsentationsanspruch der Gewerkschaften bzw. Koalitionen für die Arbeitnehmerschaft zurückzudrängen. Vielmehr war ein solches Verständnis106 früher sogar herrschend und spiegelte den Sieg derjenigen Linie innerhalb der Arbeiterbewegung wider, welche der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage innerhalb des bestehenden kapitalistischen Systems den Vorzug gegenüber der revolutionären Klassenkampfidee geben wollte107. Insofern erfährt eine solchermaßen funktionsbezogen-kartellarische Sichtweise der Arbeitnehmerkoalitionen auch unter rechtshistorischem Blickwinkel noch zusätzliches Gewicht. bb) Staatsentlastende Funktion des Koalitionswesens Nicht unter dem die Privatautonomie betonenden Blickwinkel von sich zu Kartellen bündelnden Arbeitnehmerinteressen in und zu Koalitionen, sondern unter einem etatistischen Blickwinkel der Wahrnehmung von Staatsaufgaben bewegen sich diejenigen Auffassungen, welche die staatsentlastende Funktion der Aufgabenwahrnehmung durch die Koalitionen herausstellen. Zwar wird eine rein etatistische Aufgabenstellung dergestalt, dass Koalitionen eine originäre Staatsaufgabe wahrzunehmen hätten, in dieser Radikalität nicht vertreten108. Die Betonung der staatsentlastenden Funktion109 oder der Funktionsnachfolge110 kann aber doch so verstanden werden, dass sie im etatistischen Sinne über die Rückverweisung auf ursprüngliche und eigentliche staatliche Aufgaben111 auch auf die Arbeitnehmerschaft insgesamt als Teil des Staatsvolkes zurückverweist. Dass von diesem Ansatz her eine dem Koalitionspluralismus eher abholde Tendenz hin zu einem gesamtrepräsentativen und überindividuellen Verständnis der kollektiven Koalitionsfreiheit einhergehen muss, wurde bereits oben ausgeführt. Dieses Funktionsargument einer Staatsentlastung ist allerdings in mehrfacher Hinsicht angreifbar: Zunächst setzt es ein gänzlich illiberales Verständnis von der Rolle des Staates voraus. Funktionsnachfolge oder Delegation implizieren nämlich eine ursprünglich vorhandene und totale Regelungsmacht des Staates. 104 Richardi MünchArbR § 241 Rdnrn. 17 ff.; Rieble, Rdnrn. 1108 ff.; Reuter ZfA 95, 1 ff., 36 ff. (unter V. Möglichkeiten einer Auflockerung des Tarifkartells), der den Tarifvertrag und nicht die Koalition als Kartell ansieht; Rüthers, S. 14 ff. 105 Siehe nur BGH v. 25.01.1990 – I ZR 19/87 = AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Gründe 2 a) cc). 106 Siehe Hüber, S. 50 ff., S. 119 f. 107 Dazu Rieble Rdnr. 1110 ff. m.w. N. 108 Rieble Rdnr. 1120. 109 Säcker ArbuR 94, 1 (6 ff.). 110 Kaiser Repräsentation, S. 187; Lerche, S. 897 (906). 111 Nipperdey II/1, S. 347 Fn. 15 spricht diesbzgl. von einer Abspaltung von der staatlichen Hoheitsgewalt.

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Rieble112 spricht in diesem Zusammenhang ironisch vom Staat als „gütigem Vater“ mit Regelungsmacht für „alles und jedes“. Diese Konzeption ebnet sämtliche Unterschiede zwischen privaten und hoheitlichen Kompetenzen ein113. In diesem Sinne als illiberal kann sie deshalb bezeichnet werden, weil sie Rechte nicht gewährleistet, sondern gewährt. Die Konzeption des Grundrechtsteils des Grundgesetzes ist aber gerade von der gegenteiligen Idee ausgegangen: Dort geht es schließlich um die Aktualisierung von Freiheitsrechten gegenüber dem Staat und nicht um staatliche Verleihung oder Abtretung von (Grundrechts-) positionen vom Staat an den Bürger. Die Staatsentlastung oder Funktionsnachfolge der Koalitionen kann auch – anders als eine Delegation von „an sich“ originärer staatlicher Regelungsmacht „nach unten“ – mit allgemeiner und überindividueller Ordnungsfunktion und mit ihren einem umfassenden Koalitionspluralismus gegenläufigen Tendenzen verstanden werden. Sie kann nämlich auch den Rückzug des Staates zugunsten der privatautonomen Entfaltungsmöglichkeiten meinen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar früher114 den Koalitionen „die im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe der Ordnung der materiellen Arbeitsbedingungen“ zugewiesen – was für ein etatistisches Verständnis der Koalitionsfreiheit spräche. Andererseits hatte es zuvor in der Heimarbeitsentscheidung vom 27.02.1973115 betont, dass das Zurücktreten des Staates seinen Sinn unter dem Gesichtspunkt gewinne, dass die unmittelbar Betroffenen – und damit die Koalitionen – die Arbeitsbedingungen sachnäher als der Gesetzgeber regeln könnten, und die Koalitionen ausdrücklich in einen Sinnzusammenhang mit der Privatautonomie gestellt. Und im Mitbestimmungsurteil116 hat das Bundesverfassungsgericht im Kerne die Aussagen der Heimarbeitsentscheidung bestätigt und vor allem die dienende Rolle der Koalitionsfreiheit für eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens betont. Damit pointiert das Bundesverfassungsgericht eher den privatautonomen Charakter des Wesens der kollektiven Koalitionsfreiheit, als dass sich daraus die Bestimmung des Koalitionsbetätigungszweckes als einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe der Ordnung des Arbeitlebens gewinnen ließe117. Gegen ein Delegationsmodell im Sinne der mittelbaren Ausübung von Staatsgewalt spricht aber entscheidend ein weiteres Argument: Vereinigungen die im Sinne einer Gesamtrepräsentation der Arbeitnehmerschaft und damit eines Teils 112 Rieble Rdnr. 1121 hält diese Vorstellung aber nicht für „gütig“ sondern verwirft sie als „grauenhaft“. 113 So Adomeit, S. 106, S. 138, als Vertreter eines delegataristischen Modells; dazu Rieble Rdnr. 1121. 114 BVerfG v. 24.05.1977 – 2 BvL 11/74 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG II 1 b) aa). 115 BVerfG v. 27.02.1973 – 2 BvL 27/96 = AP Nr. 7 zu § 19 HAG B II 4 a). 116 BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG C IV 1. 117 So auch Friese, S. 47 f.; siehe auch Rieble Rdnrn. 1120, 1124 ff.

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des Staatsvolkes partikulare Staatsgewalt ausüben, kollidieren dabei mit dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG. Es würden solchen Gruppen Sonderrechte eingeräumt, die mit der Gleichheit der Wahlrechtsbürger nicht vereinbar wären. Mit Rieble kann deshalb festgestellt werden, dass es im demokratischen Staat nur eine einzige überindividuelle Einheit geben darf: den Staat selbst118. Dass im demokratischen Staat des Grundgesetzes dieses Defizit nicht durch koalitionsintern zu verwirklichende „Innendemokratie“ ersetzt werden kann119, versteht sich dabei von selbst. cc) Kartellfunktion der Koalitionen – Ein Widerspruch zum koalitionspluralistisch offenen Verständnis der kollektiven Koalitionsfreiheit? Es ist oben dargelegt worden, dass ein privatautonomes Vorverständnis im Gegensatz zu einem etatistischen Vorverständnis vom Wesen der kollektiven Koalitionsfreiheit dazu führt, den Koalitionspluralismus als von vorneherein in Art. 9 Abs. 3 GG mit angelegt und positiv gewollt zu sehen. Die kollektive Koalitionsfreiheit, als im Funktionsbereich der Privatautonomie liegend, legt einen gewollten Wettbewerb auch unter den Arbeitnehmerkoalitionen als Anbieter von „Koalitionsdienstleistungen“ nahe. Es ist auch dargelegt worden, dass dies für die Reichweite des Minderheitenschutzes in der Betriebsverfassung für diesen positive Auslegungskonsequenzen haben müsste. Dem könnte jedoch entgegenstehen, dass der Kartellfunktion der Koalitionen trotz ihrer privatautonom-wettbewerbsmäßigen Bezogenheit notwendig ein Element der Konzentration innewohnt. Soll sich Gegenmacht formieren dürfen – und es ist festgestellt worden, dass Art. 9 Abs. 3 GG der Gedanke der autonomen Gegenmachtbildung zugrunde liegt – so muss diese an und für sich möglichst konzentriert erfolgen, um gegenüber dem sozialen Gegenspieler auch möglichst erfolgreich sein zu können. In diesem Sinne liefe die kartellarische Sichtweise der Koalitionen trotz der Verortung der kollektiven Koalitionsfreiheit als einer ausschließlich mitgliedschaftlich-privatautonomen Kategorie doch noch auf ein notwendig eher pluralismusfeindliches Vorverständnis dieses Grundrechts hinaus120. Denn wenn die Koalition als Kartell erst den Wettbewerb im Hinblick auf den Gegner ermöglicht, so kann in dieser Sichtweise Wettbewerb zwischen den Koalitionen die Wettbewerbssituation gegenüber dem Gegenspieler eigentlich nur schwächen121. 118

Dazu Rieble Rdnrn. 1129 ff. In diese Richtung aber wohl Kempen/Zachert Einleitung Rdnrn. 59 f., 68 f. 120 So sieht auch Rieble Rdnr. 1116 diese Tendenz, wenn er davon spricht, dass bei der vertikalen Gegenmachtbildung gegenüber dem sozialen Gegenspieler die horizontale Wettbewerbsperspektive zwischen Koalitionen auf Arbeitnehmerseite vernachlässigt wird. 119

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Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Wettbewerb als privatautonomes Ordnungsprinzip sich nicht auf eine Blickrichtung festlegen lässt: Wettbewerbsermöglichung findet durch Kartellierung und damit Gegenmachtbildung statt. Wettbewerb muss es aber auch als „Abwehrkartellierung“ den einzelnen Arbeitnehmern ermöglichen, ihre Ziele abweichend von den Zielen der Majorität zu formulieren, koalitionsmäßig zu bündeln und durchzusetzen, um hierdurch eine für sie günstigere Wettbewerbssituation gegenüber dem sozialen Gegenspieler zu erzielen122. Nur durch solche „Außenseiterkonkurrenz“123 – im Sinne der wettbewerbender Koalitionen untereinander – kann letztlich sichergestellt werden, dass bei der Gegenmachtbildung gegenüber der Arbeitgeberseite alle betroffenen Interessen Berücksichtigung finden124. 4. Ergebnis Im Ergebnis ist auch die kollektive Koalitionsfreiheit ihrem Wesen nach als Ausfluss der gebündelten Privatautonomie der Koalitionsmitglieder zu begreifen. Eine Sicht der Koalitionen als „Anbieter“ und der Arbeitnehmer als „Nachfrager“ von Koalitionsleistungen sorgt nach einem solch liberalen Modell dafür, dass die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch die Koalitionen besonders flexibel und nahe an denjenigen Interessen ausgerichtet wird, die im Wege der koalitionsmäßigen Selbstorganisation durch die Arbeitnehmer formuliert werden. Eine etatistische bzw. delegataristische Sicht der kollektiven Koalitionsfreiheit ist demgegenüber abzulehnen: Denn eine solche Sicht birgt die zu starke Gefahr der Abkopplung der Koalitionspolitik von den durch die Mitglieder selbst zu formulierenden Koalitionsinteressen. Hierdurch würde sich die Koalitionsfreiheit der einzelnen Organisierten nicht in möglichst optimaler Weise entfalten können. Der Rang des Koalitionspluralismus ist nach diesem Vorverständnis ein tendenziell hoher: Das dem Art. 9 Abs. 3 GG zugrundeliegende Gegenmachtprinzip erfährt nämlich durch einen Pluralismus der Koalitionen seine größtmögliche Entfaltung. Dem Koalitionsbegriff selbst wohnt nach diesem (Vor-)verständnis ein pluralistischer Ansatz inne. Für die Betrachtung der Stellung der Minderheitskoalitionen in der Betriebsverfassung folgt daraus praktisch, dass der Minderheitenschutz bei der Betrachtung der einzelnen Vorschriften damit ein stets zu beachtendes Prinzip der Koalitionsfreiheit „von innen heraus“ darstellt – als Ausdruck eines verfassungsrecht121

Müller Koalitionsfreiheit, S. 45, S. 57 f. Siehe dazu Rieble Rdnrn. 1116, 635 f. 123 Siehe hierzu Reuter ZfA 995, 1, 41 f. 124 Siehe dazu auch Rieble Rdnr. 1116, der in diesem Zusammenhang von der Sicherung des „Rest-Wettbewerbs“ spricht. 122

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lich gewollten Koalitionspluralismus’, dessen Einschränkungen durch sachliche Gründe auch stets sorgfältig im Sinne einer „Wechselwirkung“ im Lichte des auf Pluralität angelegten Koalitionsgrundrechts der Minderheitsgewerkschaften geprüft werden müssen.

C. Allgemeine „vereinigungsrechtliche“ Anforderungen an Arbeitnehmerkoalitionen Nach Betrachtung vor allem des „Wesens“ der kollektiven Koalitionsfreiheit und der hier vertretenen Feststellung von deren Verortung in der strikt privatautonom-mitgliedschaftlichen Repräsentation und nach der Ablehnung einer überindividuellen und quasi-staatlichen Ordnungsfunktion der Koalitionen kann also festgestellt werden, dass die kollektive Koalitionsfreiheit einen Spezialfall der einfachen Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG darstellt und sie deren privatautonomes Wesen teilt. Damit folgt aus dem systematischen Verhältnis von allgemeiner Vereinigungsfreiheit und Koalitionsfreiheit auch, dass jenseits der besonderen Zweckverfolgung durch die Koalitionen diese zunächst auch den Anforderungen einer Vereinigung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 GG zu entsprechen haben125. Die Koalitionsfreiheit ist also wegen ihrer spezifischen Zweckrichtung ein Unter- bzw. Spezialfall der allgemeinen Vereinigungsfreiheit126. Und deren Anforderungen sind als Ausgestaltung des Art. 9 Abs.1 GG in § 2 VereinsG enthalten. Deshalb muss jede Koalition zunächst den allgemeinen Anforderungen an einen Verein entsprechen. Dies ist natürlich nicht so zu verstehen, dass das einfachgesetzliche Vereinsrecht den Koalitionsbegriff definiert. Vielmehr muss bei der Sicht der einzelnen Anforderungen stets der spezielle Zweck der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ mitbeobachtet werden. „Verein“ ist nach der Vorschrift des § 2 VereinsG „jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat“. Der Vereinigungsbegriff im vereinsrechtlichen Sinne setzt damit voraus, dass sich eine größere Anzahl127 von natürlichen oder juristischen Personen auf pri125 Friese, S. 53; Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 23; MDHS-Scholz Art. 9 Rdnr. 120; v. Münch-Löwer, Art. 9 Rdnr. 71; Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 47; Reichert, Rdnr. 2855; Zöllner/Loritz 34 I. 126 BVerfG v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf C I 1 a; v. Münch-Löwer, Art. 9, Rdnr. 56; MDHS-Scholz Art. 9 Rdnr. 7; Löwisch/Rieble TVG, § 2 Rdnr. 9; a. A. Gamillscheg Koll ArbR I, S. 152 f. 127 Reichert, Rdnr. 2848; Schaub XII, II 2.; im einzelnen wird dabei darüber gestritten, ob schon zwei, so Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 3; Epping Rdnr. 679; Sachs-

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vatrechtlicher Grundlage128 für längere Zeit zur gemeinsamen Zweckverfolgung zusammenschließt129, wobei, bezogen auf die Koalitionen, dieser Zweck130 in der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen besteht. Solche Personenvereinigungen müssen sich freiwillig zusammenschließen, womit in erster Linie zum Ausdruck kommt, dass öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden die Koalitionseigenschaft nicht zukommen kann131. Auch Verbände, die auf öffentlich-rechtlicher Grundlage freiwillig gegründet worden sind, haben keinen Koalitionsstatus132. Augenmerk verdient in diesem Zusammenhang auch die Belegschaft des Betriebes oder die im SprAuG organisierten leitenden Angestellten als staatlich geschaffene privatrechtliche Zwangsverbände: Es fehlt diesen Zwangsverbänden an der Freiwilligkeit ihres Zusammenschlusses133, der auch nicht über den freiwilligen Abschluss des Arbeitsvertrages bzw. freiwilligen Eintritt in die Belegschaft hergestellt oder konstruiert werden kann. Die Belegschaft des Betriebes kann deshalb nicht Koalition sein, sekundäre Gewerkschaftsrechte kann sie schon im Ansatz nicht für sich beanspruchen134. Dies alles ist für die vorliegende – und auf Arbeitnehmerkoalitionen bezogene Untersuchung – unproblematisch.

Höfling Art. 9 Rdnr. 10, v. Münch-Löwer, Art. 9 Rdnr. 28 oder erst drei Personen für den Begriff der Vereinigung ausreichen. 128 Schmidt/Bleibtreu, Art. 9 Rdnr. 5 a; nicht trennscharf, was die Vermengung der staatlichen Zuerkennung der Tariffähigkeit mit der Koalitionseigenschaft von Innungen und Landesinnungsverbänden betrifft, siehe Schaub XII, II 2., ähnlich auch Nikisch, § 57 II 2. 129 Reichert, Rdnr. 2846 weist in diesem Zusammenhang auf die französische Wortherkunft des Koalitionsbegriffs hin, der mit „Zweckvereinigung“ zu übersetzen sei. 130 Umstritten ist dabei, ob der Zweck der Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen Hauptzweck der Vereinigung zu sein hat, so Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 54; Friese, S. 53; Zöllner/Loritz, § 8 III 1 für den Hauptzweck mit Hinweis auf die Gefährdung des Schutzauftrags der Koalition bei Verfolgung anderer gewichtiger Zwecke; Brox/Rüthers Rdnr. 234; a. A. Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnrn. 4 ff., die hierin einen unverhältnismäßigen Eingriff in die autonome Bestimmung des Verbandszwecks sehen, den „Nebenzwecken“ deshalb aber auch nur den Schutz von Art. 9 Abs. 1 GG zuerkennen. 131 Hanau/Adomeit Rdnr. 141; Brox/Rüthers Rdnr. 232; Löwisch/Rieble TVG § 2 Rdnr. 13; Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 51; Zöllner/Loritz § 8 III 4. 132 So befürwortet Nikisch, § 57 II 2 die Freiwilligkeit auch bei auf freiwilliger Grundlage gebildeter Körperschaften des öffentlichen Rechts (Handwerksinnungen), schließt aber dabei unzulässigerweise von der staatlich verliehenen Tariffähigkeit gem. § 54 Abs. 3 Nr. 1 Handwerksordnung auf die Koalitionseigenschaft zurück, die aber nicht im Wege der staatlichen Verleihung zuerkannt werden kann; hiergegen Hueck/ Nipperdey ArbR II/1, S. 192 unter Betonung der gebotenen Staatsunabhängigkeit der Koalitionen. 133 Löwisch/Rieble TVG § 2 Rdnr. 13; Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 51. 134 Anders Sodan JZ 89, 421 ff., der den Belegschaften sogar die primären Gewerkschaftsrechte der Tarifautonomie zusprechen will.

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I. „Ad-hoc-Koalitionen“ 1. Das Erfordernis der „längeren Zeit“ Bedeutung im Zusammenhang mit der vorliegenden Untersuchung gewinnt jedoch das Tatbestandsmerkmal der „längeren Zeit“. Überwiegend135 wird dieses Erfordernis auf die primäre Aufgabe der Koalitionen im System der Tarifautonomie: auf die Normsetzungsbefugnis bezogen. Diese Aufgabe des Abschlusses und der Durchführung von Tarifverträgen sowie die weitreichenden Mitwirkungsrechte der Koalitionen in der Arbeits- und Wirtschaftsverfassung setzten auch den zeitlichen Rahmen dafür, wann bei einer Vereinigung überhaupt von einer Koalition gesprochen werden dürfe. Der Abschluss und die Durchführung von Tarifverträgen benötigten eine dauerhafte Organisation der Koalitionen136. Konsequenz dieser Auffassung ist der Ausschluss der sog. „Ad-hoc-Vereinigungen“ oder „Ad-hoc-Koalitionen“ vom prinzipiellen Gewährleistungsanspruch des Art. 9 Abs. 3 GG. Als Ad-hoc-Vereinigungen werden Personengruppen bezeichnet, deren Mitglieder über eine einmalige Gründungs-(Versammlung) hinaus auch weiter zur Zweckverfolgung verbunden sein wollen137, etwa zu gemeinschaftlichen Arbeitsvertragsverhandlungen mit dem Arbeitgeber, einem Aufstellen eines Arbeitnehmerwahlvorschlags für Betriebsratswahlen mit anschließender diskussionsmäßig-unterstützender Begleitung138, oder zur Durchführung eines spontanen Streiks. Solche Vereinigungen haben nicht die zum Betreiben des Tarifvertragsgeschäfts erforderliche Dauerhaftigkeit, sie können aber durchaus den Status eines rechtlich stabilisierten Verbandes erreichen139, etwa in Form der Gesellschaft bürgerlichen Rechts140. Wird das aus der Tariffähigkeit entlehnte Dauerhaftigkeitskriterium aber gleichwohl auf den Vereinigungsund damit auf den verfassungsrechtlichen Koalitionsbegriff heruntergebrochen, so bewegen sich solche Personengemeinschaften unabhängig vom Gegenstand ihrer gemeinsamen Zweckverfolgung – der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen – nicht im Schutzbereich der Koalitionsfreiheit. Konkret auf Betriebsverfassungsebene betroffen wären hiervon vor allem

135 Siehe Schaub XII. II. 1. § 187 Rdnr. 6; Hueck/Nipperdey ArbR II/1, S. 82; Brox/Rüthers Arbeitsrecht, Rdnr. 233; Hanau/Adomeit Rdnr. 145. 136 Reichert Rdnr. 2848. 137 Weitergehend Däubler-Däubler Rdnr. 124, der hierunter bereits die nur für den Augenblick getroffene Verabredung versteht; ähnlich Kempen/Zachert § 2 Rdnr. 30. 138 Siehe Löwisch/Rieble § 243 Rdnr. 48 f.; v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 33. 139 Dies kann nach v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnrn. 29, 33 schon dann der Fall sein, wenn eine Personenmehrzahl regelmäßig Versammlungen für ein bestimmtes Anliegen organisiert; ähnlich Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnrn. 48 f. 140 Löwisch/Rieble TVG § 2 Rdnr. 12.

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die „freien Listen“, deren Förderung jüngst bei der Betriebsverfassungsnovelle 2001 noch ausdrückliche gesetzgeberische Intention gewesen ist. Der tariffähigkeitsbezogenen Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „längeren Zeit“ ist zuzugestehen, dass das Zeitmoment des Vereinsbegriffs sicher nicht losgelöst von dessen Zweckmoment – bzw. im Zusammenhang von Art. 9 Abs. 3 GG – nicht losgelöst vom Zweck der gemeinsamen Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen – gesehen werden kann. Für den Bereich der tarifvertraglichen Tätigkeit einer Koalition gilt deshalb, dass die Durchsetzung, der Abschluss, die anschließende Durchführung und die Kündigung von Tarifverträgen praktisch gesehen ein Zweckbündnis voraussetzen, welches im Hinblick auf diese Aufgaben eine gewisse organisatorische Dauerhaftigkeit verbürgen kann141. Damit hat sich ein solches Zweckbündnis im Hinblick auf seine Dauer zumindest am unteren Rand dessen zu bewegen, was als übliche Laufzeit von Tarifverträgen angesehen werden kann. Tarifvertragsbezogen ist die Formel von der „gewissen Dauer“ deshalb auch durchaus schlüssig. Die Rechtsprechung hat sich mit der Rechtsstellung der Ad-hoc-Vereinigung noch nicht eingehend befasst. Zwar wurde vom Bundesarbeitsgericht nicht ausgeschlossen, dass auch der vorübergehende Zusammenschluss von Arbeitnehmern zur Erreichung eines einmaligen Ziels von der Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst sein könnte. Weil Hintergrund dieser Entscheidungen jedoch arbeitgeberseitige Sanktionen bei „wilden“ Arbeitskampfmaßnahmen war, die schon wegen dieses Charakters unrechtmäßig waren, musste auf das Problem des koalitionsrechtlichen Status’ von Ad-hoc-Vereinigungen nicht mehr näher eingegangen werden142. Allerdings ist – was an dieser Stelle bereits vorweggenommen werden soll – zwischen mächtigen und damit tariffähigen Koalitionen, den Gewerkschaften, und „einfachen“ Koalitionen ohne diese soziale Mächtigkeit anhand eines differenzierten und am jeweiligen gesetzlichen Funktionszusammenhang ausgerichteten Anforderungsprofils zu unterscheiden143. Dies hat im vorliegenden Fall zur Folge, dass das dem Tarifvertragsrecht entlehnte Dauerhaftigkeitskriterium für den vereinsrechtlichen Begriff der längeren Zeit nicht fruchtbar gemacht werden kann. Das Zweckmoment der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wirkt insofern dergestalt auf das vereinsrechtliche Zeitmoment zurück, als lediglich sichergestellt bleiben muss, dass sich die Zweck-

141 BAG v. 10.09.1985 – 1 ABR 32/83 = AP Nr. 34 zu § 2 TVG; BVerfG v. 20.10. 1981 – 1 BvR 404/78 – = AP Nr. 31 zu § 2 TVG I 2; Löwisch/Rieble TVG, § 2 Rdnr.53. 142 BAG v. 28.04.1966 – 2 AZR 176/65 = AP Nr. 37 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Gründe 4; v. 14.02.1978 – 1 AZR 76/76 = AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Gründe 6a. 143 Siehe unten 2. Kap. § 1 F. IV. 3.

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

verfolgung nicht in der einmaligen Zusammenkunft mehrerer abhängig Beschäftigter im Sinne einer Versammlung als „Augenblicksverband“ erschöpft144. Das Erfordernis der Zweckverfolgung auf längere Zeit ist damit nicht geeignet, Ad-hoc-Koalitionen dem Schutzbereich der Koalitionsfreiheit zu entziehen145. 2. Organisierte Willensbildung Im Zusammenhang mit den Ad-hoc-Vereinigungen gewinnt auch noch das vereinigungsrechtliche Gebot der organisierten Willensbildung für die vorliegende Untersuchung Bedeutung. So wird vertreten, dass eine Vereinigung bzw. eine Koalition eine korporative Verfassung haben müsse. Erforderlich sei die Wahrnehmung der Mitgliederinteressen auf satzungsmäßiger Grundlage. Es müsse also eine vom Wechsel der Mitglieder unabhängige Organisation vorhanden sein146. Den Ad-hoc-Vereinigungen wird es aber regelmäßig sowohl an der Satzung wie auch an einem Bestand fehlen, der vom Wechsel der Mitglieder unabhängig ist, so dass diesen Gruppen im Ergebnis der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG nicht eröffnet wäre und ihnen damit eine betriebsverfassungsrechtliche Teilhabe auf der Ebene sekundärer Gewerkschaftsrechte bereits im Ansatz unmöglich wäre. Dieser Auffassung ist zunächst wieder entgegenzuhalten, dass bei einer solchen Bestimmung dessen, was genau die organisierte Willensbildung ausmacht, eine tarif- und mächtigkeitsbezogene Perspektive Platz greift. Dies wird deutlich, wenn die angeblich gebotene körperschaftliche Verfassung in Zusammenhang mit den Aufgaben des Abschlusses und der Durchführung von Tarifverträgen gestellt wird147. Für die Bestimmung des allgemeinen Koalitionsbegriffs selbst ist diese Betrachtungsweise aber unergiebig, weil die tarifvertragsbezogene Tätigkeit nur einen ganz bestimmten – von besonderen Voraussetzungen abhängig gemachten – Fall möglicher Koalitionstätigkeit ausmacht. Weiter ist das Merkmal der organisierten Willensbildung nicht losgelöst vom verfassungsrechtlichen Kontext der Vereinigungsfreiheit zu begreifen: Die allgemeine Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG verlangt vor allem deshalb 144 MDHS-Scholz Art. 9 Rdnr. 65; v. Münch-Löwer, Art. 9 Rdnr. 29; Löwisch/Rieble TVG, § 2 Rdnr. 11. 145 So im Ergebnis auch Kempen/Zachert Rdnr. 30; Däubler-Däubler Rdnr. 124; Däubler-Colneric Rdnr. 559, beide freilich nur im Hinblick auf die Begründung eines Streikrechts jenseits des gewerkschaftlichen Streiks. 146 Reichert Rdnr. 2848; Nikisch § 57 II 3; Zöllner/Loritz § 8 III 2; Schaub XII. II. 3. § 187 Rdnr. 8. 147 Kempen/Zachert § 2 Rdnr. 31; Nikisch § 57 II 3; wohl auch Reichert Rdnr. 2848.

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eine „gewisse organisatorische Stabilität“148, um den verfassungsrechtlichen Schutzbereich der (Augenblicks-)Versammlung des Art. 8 GG von dem der Vereinigungsfreiheit abgrenzen zu können. In diesem Sinne dürfen an die Organisiertheit der organisierten Willensbildung nur zurückhaltende Anforderungen gestellt werden149. Erforderlich aber auch ausreichend ist es deshalb, wenn die Möglichkeit einer Gesamtwillensbildung vorhanden ist. Diese wiederum setzt keine vom Mitgliederwechsel unabhängige satzungsmäßige Verfassung oder das Vorhandensein von Organen voraus150. Dieser Möglichkeit der Gesamtwillensbildung genügt schon eine Vereinigung, die ihre Mitglieder benennen kann, deren Mitglieder sich und einander ihrer Mitgliedschaft bewusst sind und die das Ziel einer Gesamtwillensbildung hat. Diesen Anforderungen genügt die Möglichkeit der Willensbildung in der nicht korporierten BGB-Gesellschaft gem. § 709 BGB151. Das begriffssteuernde Erfordernis eines korporativen Charakters bei der Bestimmung der organisierten Willensbildung ist aus diesen Gründen abzulehnen. Dem Gebot der organisierten Willensbildung ist damit solange genügt, als sichergestellt ist, dass eine Gesamtwillensbildung erfolgen kann. Körperschaftliche Verfasstheit und damit Bestand unabhängig vom Wechsel der Mitglieder stellen keine Regelungsfaktoren dar, welche es zulassen, die Ad-hoc-Vereinigungen grundsätzlich vom Schutzbereich der Koalitionsfreiheit auszunehmen. II. Ergebnis Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass der personelle Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG für „Ad-hoc-Koalitionen“ eröffnet ist. Im vorliegenden Zusammenhang der Untersuchung der Stellung der Minderheitskoalitionen in der Betriebsverfassung kann dies insbesondere dort Bedeutung erlangen, wo sich eine Arbeitnehmergruppe bildet, um an der Wahl des Betriebsrats teilzunehmen und dort auf der Grundlage ihrer Zielsetzungen die Interessen ihrer Mitglieder zu verfolgen sucht152. Hiervon scharf zu trennen ist jedoch die Frage, ob, und wenn ja wie weit, sich hieraus konkrete Anspruchspositionen für die Wahrnehmung der sekundären Gewerkschaftsrechte in der Betriebsverfassung ergeben können153. Diese

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So v. Münch-Löwer, Art. 9 Abs. 3 Rdnr. 32. v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 32 f.; AK-Rinken Art. 9 Rdnr. 49. 150 Löwisch/Rieble § 243 Rdnr. 50; MDHS-Scholz Art. 9 Rdnr. 67 m.w. N.; v. Mangoldt/Klein Art. 9 Anm. III 6 a. 151 MDHS-Scholz Art. 9 Rdnr. 67; Däubler/Hege Nr. 107; Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 50; Löwisch/Rieble TVG § 2 Rdnr. 12. 152 Siehe dazu Löwisch, BB 01, 726 (727); Löwisch/Rieble § 243 Rdnr. 49. 153 So auch Rieble Rdnr. 1876. 149

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

Frage wird unten im Zusammenhang mit einzelnen Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts verschiedentlich Bedeutung gewinnen.

D. Besondere, koalitionsspezifische Anforderungen I. Gegnerunabhängigkeit Es wurde bereits mehrfach auf das dem Koalitionsgrundrecht zugrundeliegende Gegenmachtprinzip Bezug genommen. Die effektive Entfaltung dieses Gegenmachtprinzips setzt voraus, dass die Vereinigung vom sozialen Gegenspieler unabhängig sein muss154. Deshalb setzt der Koalitionsbegriff die sog. Gegnerunabhängigkeit voraus155. Die Möglichkeit der Aktualisierung der gegenläufigen Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern hat zur Voraussetzung, dass sich beide Seiten so gegenüberstehen, dass zwischen ihnen weder finanzielle Abhängigkeiten, noch organisatorische Verquickungen bestehen156. Tatsächlich bestehende Funktionsverknüpfungen mit der Gegenseite über mitbestimmungsrechtliche Mechanismen157 oder finanzielle Verquickungen wie die Abführung von Einigungsstellenhonoraren an Gewerkschaften158 über Kostenerstattungsansprüche für Betriebsratsschulungen159 oder den Einzug der Gewerkschaftsbeiträge durch den Arbeitgeber160 werden dabei überwiegend als so marginal angesehen, dass sie den Charakter der Gegnerunabhängigkeit nicht zu beeinträchtigen vermögen161; teilweise wird auch darauf abgestellt, dass die „nicht unerheblichen Beträge“ den Koalitionen nicht unmittelbar zuflössen, sondern Stiftungen oder Verlagen zugute kämen, welche keinen unmittelbaren Einfluss auf die Willensbildung der Vereinigung besäßen162. Entscheidend ist, dass dem jeweiligen sozialen Gegenspieler in den eigenen Organen kein erheblicher Zugriff auf die Willensbildung und das Ziel der Vereinigung zukommt, und dass insbesondere die Arbeitgeberseite nicht mit der Drohung der Zahlungseinstellung die Arbeitnehmervereinigung in ihrer Willensbildung maßgeblich beeinflussen kann163. 154

Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 53 ff.; Friese, S. 53 f. BVerfGE 18 (28); 50, 290 (368, 373 ff.); 58, 233 (247); v. Münch Art. 9 Rdnr. 75; Hanau/Adomeit Rdnr. 149; Zöllner/Loritz § 8 III 5; Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 24. 156 Friese, S. 54; Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 53. 157 Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 56; Friese, 54. 158 BAG v. 14.12.1988 7 ABR 73/87 = AP Nr. 30 zu § 76 BetrVG 1972 II 1 f aa; a. A. ArbG Düsseldorf v. 23.09.1988 DB 88, 2519. 159 BVerfG v. 14.02.1978 – 1 BvR 466/75 = AP Nr. 13 zu § 40 BetrVG. 160 Gamillscheg KollArbR I, S. 422 ff.; Däubler Tarifvertragsrecht Rdnrn. 1170 ff.; a. A. Dietz Gewerkschaftsbeiträge, 5, 21 ff.; Ilbertz Einziehung, S. 23 ff. 161 Siehe Nachweise bei v. Münch Art. 9 Rdnr. 75. 162 Löwisch/Rieble TVG § 2 Rdnr. 17. 155

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Die Gegnerunabhängigkeit ist dabei als eine relative zu verstehen: Sie muss in Perspektive auf den sozialen Gegenspieler bestehen, was etwa nicht ausschließt, dass die Arbeitnehmerkoalition selbst auch als Arbeitgeberin fungieren kann. II. Überbetrieblichkeit Für den vorliegenden Zusammenhang problematischer bei der Bestimmung des Koalitionsbegriffs ist jedoch das Merkmal der „Überbetrieblichkeit“. Geht man mit der wohl h. M.164, welche die Überbetrieblichkeit als Element des Koalitionsbegriffs ansieht, so genössen betriebliche Vereinigungen zur Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen keinen grundrechtlichen Schutz. Insofern könnten sie auch von vorneherein nicht als Minderheitsgewerkschaften i. S. der möglichen Beanspruchung sekundärer Gewerkschaftsrechte angesehen werden. Die – hier kurz vorwegzunehmende – Feststellung, dass es einen einheitlichen Gewerkschaftsbegriff – jedenfalls in Bezug auf das Betriebsverfassungsgesetz nicht geben kann165 – wäre damit in der Praxis teilweise wieder entwertet. Dem Erfordernis der „Überbetrieblichkeit“ als Voraussetzung des grundrechtlichen Koalitionsbegriffs ist daher etwas vertiefter nachzugehen. 1. Steuerung der Mitgliederstärke und -struktur der Vereinigung durch den Arbeitgeber Überbetrieblichkeit als Merkmal des Vereinigungs- und damit des Koalitionsbegriffs und verstanden als „über ein Unternehmen hinausgehend“166 wird deshalb gefordert, weil nur überbetriebliche Vereinigungen nicht der Gefahr ausgesetzt seien, sehr leicht unter den bestimmenden Einfluss des Arbeitgebers zu geraten. Dieser Einfluss könne sich insbesondere dadurch realisieren, als der Arbeitgeber durch Entlassungen auf den Mitgliederbestand der lediglich betrieblichen Vereinigung (des sog. „Werkvereins“) Einfluss nehmen könne167. Es wi-

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Löwisch/Rieble § 243 Rdnr. 54. Nikisch § 57 II 6; Gamillscheg Koll ArbR I, S. 406 f.; Kempen/Zachert § 2 Rdnr. 41; v. Münch-Löwer Art 9 Rdnr. 77; Scholz, S. 48. 165 Siehe dazu die Ausführungen unten im 3. Kap. 166 So Hanau/Adomeit Rdnr. 152; Rieble Rdnr. 1870; Zöllner Loritz § 8 III 7; umfassende Nachweise zur schwachen Trennschärfe zwischen der Bezugnahme auf den Betrieb bzw. das Unternehmen bei Müller, S. 48 f.; siehe auch Stelling NZA 98, 920 (921) 167 HSWG-Hess § 2 Rdnr. 66; MDHS-Scholz Art 9 Rdnr. 212; v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 77 m.w. N.; Schaub § 187 III 3; Hanau/Adomeit Rdnr. 152; Gamillscheg KollArbR I, S. 406 ff.; Hueck/Nipperdey ArbR II/1, S. 98 ff.; Rehbinder DVBl. 82, 135 (137 ff.); so im Ergebnis auch Galperin/Löwisch § 2 Rdnr. 34. 164

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

derspreche dem Wesen des Koalitionsbegriffs, solche Vereinigungen als von Art. 9 Abs. 3 GG miterfasst anzusehen168. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass zum einen gem. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG i.V. m. § 134 BGB solche Arbeitgebermaßnahmen nichtig wären169, und dass der ausgeprägte Kündigungsschutz solche Ziele des Arbeitgebers im Regelfall zu unterbinden vermag170, zumal praktisch gesehen die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der sachlichen Rechtfertigung einer Kündigung gem. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG beim Arbeitgeber liegt171. Manipulationsgefahren im Hinblick auf den personellen Bestand der Vereinigung stellen daher kein für die Begründung der Notwendigkeit der Überbetrieblichkeit durchschlagendes Argument dar. 2. Historische Begründung und Entwicklung der Forderung nach Überbetrieblichkeit Außerdem zeigt auch die historische Betrachtung der Forderungen nach Überbetrieblichkeit für die Zuerkennung der Koalitionseigenschaft, dass die hiermit verbundene Ausklammerung der „Werkvereine“ ihre Berechtigung für eine heutige Begriffsbestimmung verloren hat: Das Merkmal der überbetrieblichen Organisation tauchte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der arbeitsrechtlichen Literatur auf. Es war eine Reaktion auf die verbreitete Bildung von wirtschaftsfriedlichen Arbeitnehmervereinigungen auf betrieblicher Ebene172, die häufig mit auch wirtschaftlicher Unterstützung des Arbeitgebers faktisch in Konkurrenz zu den Gewerkschaften173 traten. Diese dadurch in ihrer Gegnerunabhängigkeit ohnehin fragwürdigen Vereinigungen waren zudem wegen des damals niedrigen kündigungsschutzrechtlichen Niveaus durch den Arbeitgeber in ihrem Mitgliederbestand leicht steuerbar. Dies führte rechtswissenschaftlich zur Forderung nach der Überbetrieblichkeit als einem eigenständigen Element des seinerzeitigen Begriffs der „Wirtschaftlichen Vereinigung von Arbeitnehmern“174. Und rechtspolitisch wurde diese Forderung im sog. „Stinnes-Legien168

Nikisch § 57 II 6. Siehe dazu Müller, S. 56 m.w. N. 170 Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 61; Friese, S. 56; leicht zweifelnd Müller, S. 57 f., der auf die Kleinstbetriebsklausel und die Möglichkeiten erleichterten Kündigens durch den Arbeitgeber in den ersten sechs Monaten der Kündigung verweist, gleichwohl aber die Manipulationsgefahr als im Ergebnis vernachlässigbar ansieht. 171 Jedenfalls, soweit das Kündigungsschutzgesetz Platz greift, so auch Müller, S. 57; Stelling NZA 98, 920 (924). 172 Siehe zu dieser Entwicklung Weber, S. 324 ff.; Müller, S. 50. 173 Nikisch § 57 II 6. 174 Friese, S. 55 mit Hinweis auf Hueck/Nipperdey 1930, S. 147 ff., Sinzheimer Grundzüge, S. 70 f. 169

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Abkommen“ vom 15.11.1918175 dadurch verwirklicht, dass die Arbeitgeberverbände auf die Förderung der Werkvereine verzichteten176. Schon die Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts und weite Teile des Schrifttums folgten der Forderung nach Überbetrieblichkeit als eigenständigem Begriffsmerkmal der „Wirtschaftlichen Vereinigung von Arbeitnehmern“ nicht, sondern prüften einzelfallbezogen die Überbetrieblichkeit stets als Aspekt der Unabhängigkeit von der Gegenseite177. Deshalb erstaunt die Aussage des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1954, dass die Überbetrieblichkeit als Koalitionsmerkmal der Sache nach auch schon zu Zeiten der Geltung der Weimarer Reichsverfassung anerkannt gewesen sei, und dass kein Grund ersichtlich sei, jetzt von dieser Auffassung abzurücken178 – eine Rechtsprechung, die auch in der weiteren Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts ihre beharrliche Bestätigung fand179. Allerdings ist hierzu festzustellen, dass – namentlich im Mitbestimmungsurteil180 – die Überbetrieblichkeit der Koalition im Zusammenhang mit ihrer Rolle als Tarifvertragspartei genannt wird und damit nicht notwendigerweise die Voraussetzung der Koalitionseigenschaft selbst definiert worden ist181. Auch die Auffassung, dass der Gesetzgeber nach 1945 durch die Veränderung der gesetzlichen Wortwahl in diversen Einzelgesetzen – Gewerkschaften anstelle des früher gebräuchlichen Begriffs der wirtschaftlichen Vereinigung von Arbeitnehmern – nunmehr unbedingt die Überbetrieblichkeit als Element des Koalitionsbegriffs habe bezeichnen wollen182, vermag nicht zu überzeugen. Denn die Entstehungsgeschichte dieser terminologischen Veränderung zeigt, dass man entgegen der Auffassung von Hueck/Nipperdey183 seinerzeit mit dem Begriff der Gewerkschaft nur das zusammenfassen wollte, was vor 1933 hierzu

175

RArbBl. 1918, 874. RArbBl. 1918, 874; dort heißt es: „3. Die Arbeitgeber und Arbeitgeberverbände werden die Werkvereine (die sog. ,wirtschaftsfriedlichen Vereine‘) fortab vollkommen sich selbst überlassen und sie weder mittelbar noch unmittelbar unterstützen“. 177 RAG v. 10.09.1928 = RAGE 2, 299 (303 f.); v. 09.02.1929 = E 3, 170 (172 f.); v. 10.04.1929 = E 3, 357 (359); Kaskel, AR 27, 905 (913 f.); Mansfeld § 8 Anm. 2 d, S. 61; Tatarin-Tarnheyden, S. 30 f., weitere Nachweise zum seinerzeitigen Streitstand bei Müller, S. 52, Fn. 16 bis 23; Friese, S. 55 f. und Müller, S. 53, verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass vor 1933 nicht von einer diesbzgl. h. M. noch gar von einer allg. Meinung gesprochen werden könne. 178 BVerfG v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52 = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG. 179 BVerfG v. 06.05.1964 – 1 BvR 79/62 = AP Nr. 15 zu § 2 TVG; st. Rspr., siehe auch die Nachweise bei Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 45. 180 BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 523/77 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG B IV 1. 181 Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Fn. 82; auch die Entscheidung BVerfG v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52 = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG C 2 b bb stellt die Überbetrieblichkeit in einen Zusammenhang mit der Tariffähigkeit, wenn dort von der von den Werkvereinen ausgehenden Gefahr eines Tarifwirrwarrs gesprochen wird. 182 Hueck/Nipperdey II/1 § 6 II 5 b. 183 Hueck/Nipperdey a. a. O. 176

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als sicherer arbeitsrechtlicher Sprachgebrauch festgestellt worden war184. Und dieser war – wie gezeigt wurde – im Hinblick auf die Überbetrieblichkeit und die mögliche Koalitionseigenschaft der Werkvereine alles andere als eindeutig geklärt und abgesichert185. Und auch der damalige allgemeine Sprachgebrauch186 wies die Überbetrieblichkeit noch nicht als Element des Gewerkschaftsbegriffs aus187. Die historische Entwicklung und die Inbezugnahme eines allgemeinen Sprachgebrauchs nach 1945 vermögen es daher nicht, das Merkmal der Überbetrieblichkeit als Element des Koalitionsbegriffs zu begründen. 3. Weitere Argumente für die Forderung nach Überbetrieblichkeit a) Gesamtwirtschaftlich sinnvolles Verhalten und Gruppenegoismus Wenn ins Feld geführt wird, dass die Überbetrieblichkeit der Koalition eine höhere Gewähr für deren gesamtwirtschaftlich und gesamtgesellschaftlich sinnvolles Verhalten bietet188, so vermag dies schon deshalb nicht zu überzeugen, weil ein Blick auf § 2 Abs. 1 TVG zeigt, dass wegen der Tariffähigkeit auch des einzelnen Arbeitgebers der Gesetzgeber selbst im Bereich der ausgeübten Tarifautonomie den überbetrieblichen Belangen keine entscheidende Bedeutung zugemessen hat189. Beim Abschluss von Firmentarifverträgen wird der Arbeitgeber sein Verhandlungsverhalten im Wesentlichen auf die betrieblichen Belange abstellen190. Eng verwandt mit dem Argument einer Gewährleistung gesamtwirtschaftlich und gesamtgesellschaftlich sinnvollen Verhaltens nur durch überbetrieblich angelegte Koalitionen ist die Überlegung, dass bei fehlender Überbetrieblichkeit einzelne Belegschaften sich – wenn auch nicht als betriebsverfassungsrechtlicher Zwangsverband – in gruppenegoistischer Weise aus der Solidarität der Arbeitnehmerschaft verabschieden würden. Dies könne zur Folge haben, dass Arbeitnehmern anderer Betriebe praktisch die Möglichkeit verwehrt bliebe, sich 184 Herschel ZfA 73, 183 (189); Herschel meint in diesem Zusammenhang, dass man durchaus den alten Begriff der „Vereinigung von Arbeitnehmern“ auch hätte beibehalten können – was der These von einer bewussten Hinwendung des Gesetzgebers zum Erfordernis der Überbetrieblichkeit ebenfalls widerspricht. 185 Stelling NZA 98, 920 (922). 186 Hierzu Rehbinder DVBl. 82, 135 (137); Müller, S. 55. 187 So dass umso weniger die Koalitionseigenschaft als solche hiervon abhängen kann. 188 Zöllner/Loritz § 8 III 7; Nikisch § 57 II 6. 189 Löwisch ZfA 70, 295 (314); Müller, S. 59 f. 190 Müller, S. 61.

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effektiv zu koalieren. Es werde diesem Kreis von Arbeitnehmern mithin ihr Anteil an der Möglichkeit der Aktualisierung von Gegenmacht beschnitten191. Dieser „Missbrauchsperspektive“ ist jedoch entgegenzuhalten, dass sie nicht notwendig die Versagung der Koalitionseigenschaft zur Folge haben muss, sondern dass ihr vielmehr auf der Ebene des Missbrauchs der tatsächlich vorhandenen Koalitionsmächtigkeit begegnet werden kann: Wenn nämlich Arbeitnehmern aus unsachlichen Gründen der Zugang zu mächtigen Koalitionen mit monopolartiger Stellung – eben den Gewerkschaften – verwehrt und damit deren Schutz durch das Tarifvertragssystem vereitelt wird, so kann dem anerkanntermaßen mit der Gewährung von Aufnahmeansprüchen, hergeleitet aus § 27 Abs. 1 Satz 1 GWB oder direkt aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG192, gegebenenfalls auch unter Rückgriff auf Art. 3 GG193 begegnet werden194. Dieser letztlich auf den Schutzauftrag des Koalitionsgrundrechts als eines für alle abhängig Beschäftigten wirksam zu gewährleistenden Grundrechts rekurrierender Gedanke195 muss aber ganz unabhängig davon Geltung beanspruchen können, in welcher Art die Koalition denn organisiert ist – ob nur betrieblich oder überbetrieblich. Anknüpfungspunkt ist alleine die tatsächlich mächtige oder monopolartige Stellung der Koalition. Von der lediglich vorhandenen Betriebsbezogenheit einer Vereinigung kann noch nicht mit Sicherheit auch auf die Vereitelung oder Erschwerung der Möglichkeit zur wirksamen Koalierung außenstehender Arbeitnehmer geschlossen werden. Im Gegenteil wird sich eine Koalition häufig sogar zunächst auf betrieblicher Ebene bilden (müssen), um von dortigen Erfolgen ausgehend ihren Wirkungskreis auf andere Betriebe ausdehnen zu können. b) Tatbestandsmerkmal „für alle Berufe“ als Indiz der Zuweisung des grundrechtlichen Schutzes nur für Berufs- und Industrieverbände Aus dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG – „für alle Berufe“ – wird teilweise196 geschlossen, dass nur Berufs- und Industrieverbände, nicht aber betriebliche Zusammenschlüsse grundrechtlich besonders geschützt sein könnten. 191

In diese Richtung Gamillscheg Koll ArbR II/1, S. 406 f., S. 236 f. So ausdrücklich Löwisch/Rieble MünchArbR § 245 Rdnr. 15 m.w. N. 193 In diese Richtung Küttner, NJW 80, 968 (971). 194 BGH NJW 85, 1216; NJW 87, 2503; NJW 88, 52 Gamillscheg Koll ArbR II/1, S. 446 f.; Hueck/Nipperdey II/1 § 6 II 6; Küttner, NJW 80, 968 (971 f.), der den Aufnahmezwang sogar bereits unterhalb der Schwelle einer monopolartigen Stellung von Gewerkschaften wegen des auch ansonsten vorhandenen starken Machtgefälles zwischen Kollektivmacht und Einzelnem als gegeben ansieht; Müller, 62 f.; Richardi MünchArbR § 240 Rdnr. 46; Schaub § 191 I 1. 195 Siehe dazu Löwisch ZfA 70, 295 (314 ff.); Zöllner/Loritz § 8 III 7. 196 Hueck/Nipperdey II/1 § 6 II 5 d. 192

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Zweck der Aufnahme dieser Formulierung war aber nicht die Beschränkung auf berufliche und damit einhergehend überbetriebliche Organisationen. Vielmehr sollte verfassungsrechtlich klargestellt werden, dass auch nichtgewerbliche Vereinigungen in den Grundrechtsschutz einbezogen sein sollten197. Art. 159 Satz 1 der Weimarer Reichsverfassung führte die Formulierung „für alle Berufe“ in Absicht der Erweiterung des vorher nur rudimentär auf einfachgesetzlicher Grundlage198 gegebenen Koalitionsschutzes für die gewerblichen und die im Bergbau tätigen Arbeitnehmer auf die Vereinigungen auch der nicht-gewerblichen Arbeitnehmer erstmals ein. Die Überbetrieblichkeit spielte in diesem Zusammenhang jedoch keine Rolle, so dass auch aus der Entstehungsgeschichte dieses Terminus’ eine Verengung des Koalitionsbegriffs auf überbetriebliche Organisationen nicht hergeleitet werden kann199. c) Dualismus von Tarifvertragssystem und Betriebsverfassung Es kann auch argumentiert werden, dass im Dualismus von Tarifvertragssystem und Betriebsverfassung ein konstitutives Erfordernis der Überbetrieblichkeit mit angelegt ist. Der Gesetzgeber habe mit den Regelungen der §§ 77 Abs. 3 und 87 Abs. 1 BetrVG klar zwischen der Interessenwahrnehmung in den Betrieben und der Interessenvertretung auf überbetrieblicher Ebene unterschieden. Mit dem Verzicht auf das Erfordernis der Überbetrieblichkeit werde automatisch ein Szenario eröffnet, bei dem Belegschaften durch Tarifverträge Regelungen erzwingen könnten, „die sie nicht durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen erreichen können“. Diese Argumentation vermag aber ein Gebot der Überbetrieblichkeit bei der Definition des Koalitionsbegriffs nicht zu begründen. Zum einen ist nach hier vertretener Auffassung strikt zwischen den Merkmalen der Koalition und den Voraussetzungen der Tariffähigkeit zu unterscheiden200, so dass mit der Feststellung der Koalitionseigenschaft einer Vereinigung nur auf Betriebsebene noch keineswegs automatisch ein Szenario eröffnet ist, bei dem solche Vereinigungen durch Tarifverträge tatsächlich Regelungen erzwingen könnten, „die sie nicht durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen erreichen können“. Zum anderen fußt das Umgehungsargument der angeblichen Unzulässigkeit der Durchsetzung von tarifvertraglichen Regelungen anstelle von nicht erzwingbaren Betriebsvereinbarungen auf der stillschweigenden, aber kritikwürdigen Vorausset197

Rehbinder DVBl. 82, 135 (138); Stelling NZA 98, 920 (922); Friese, 56; Müller,

61 f. 198 §§ 152 f. RGewO; siehe hierzu Löwisch/Rieble MünchArbR § 242 Rdnr. 1; Müller, 61; Ramm RdA 68, 412 (413 f.). 199 Friese, S. 56; Müller, S. 61 f.; Rehbinder DVBl. 82, 135 (138); Stelling NZA 98, 920 (922). 200 Siehe 2. Kap. § 1 C.; 2. Kap. § 1 F. IV. 3. b) f.

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zung, dass es überhaupt nur überbetrieblich angelegten und mächtigen Arbeitnehmervereinigungen erlaubt sein könne, Tarifverträge abzuschließen. Diese Prämisse ist aber durchaus fragwürdig, weil die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems (nur) vom Vorliegen der Mächtigkeit abhängt, die auch bei Unternehmensgewerkschaften unzweifelhaft vorhanden sein kann, nicht aber von der Überbetrieblichkeit der tarifschließenden Arbeitnehmervereinigung201: Trifft eine solche nicht überbetriebliche „Unternehmensgewerkschaft“ nämlich tarifvertragliche Regelungen als Ersatz betriebsverfassungsrechtlich nicht erzwingbarer Betriebsvereinbarungen, so werden damit nicht etwa – in Durchbrechung des Kompetenzgefüges von Betriebsverfassung und Tarifvertragsbereich – Regelungen durchgesetzt, welche die Belegschaft als solche nicht hätte verwirklichen können. Nicht der „Zwangsverband Belegschaft“ nämlich handelt dann auf Tarifebene, sondern die freiwillig gebildete tariffähige Koalition im Wege der autonomen Aktualisierung von Gegenmacht i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG. Diesem Befund korrespondiert die Erwägung, dass die mit der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG bewirkte Sicherung der Tarifautonomie vor Aushöhlung und Bedeutungsminderung durch Betriebsvereinbarungen im Kerne den Vorrang von Regelungen mit höherem Legitimationsgrad absichert: Die Geltung der tariflichen Regelung genießt letztlich deshalb gegenüber der Betriebsvereinbarung ein höheres Maß an Legitimation, weil sie im Hinblick auf ihre Geltung durch den freiwilligen Beitritt des Arbeitnehmers zur Koalition gedeckt ist. Die Betriebsvereinbarung hingegen unterwirft den Arbeitnehmer als Teil des Zwangsverbandes dementgegen deren Geltung sogar ganz unabhängig davon, ob er von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht hat oder nicht. 4. Zusammenfassung Unabhängig von dem Befund, dass die gegenwärtige soziale Situation Werkvereine im dargestellten Sinne eines „schillernden Verhältnisses“ zum Arbeitgeber nicht mehr kennt und der Forderung nach einem eigenständigen Begriffsmerkmal der Überbetrieblichkeit von daher der Boden entzogen ist, vermögen auch die anderen Argumente für die Überbetrieblichkeit als eigenständiges Element des Koalitionsbegriffs nicht zu überzeugen. Plausibler ist es, die Überbetrieblichkeit in einen Funktionszusammenhang mit der für das Vorliegen der Koalitionseigenschaft unzweifelhaft notwendigen Gegnerunabhängigkeit zu stellen202. Die historische Entwicklung der Werkvereine zeigt deren koalitionsrechtliche Problematik nämlich entscheidend unter dem Aspekt der Gefahr einer fi-

201

Löwisch/Rieble TVG § 2 Rdnr. 52; Rieble Rdnr. 1870. AK-GG-Kittner/Schiek Art. 9 Abs. 3 Rdnr. 115; Brox/Rüthers Rdnr. 236; Friese, S. 56; Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 61; Müller, S. 63 f.; Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 45; Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 57; Säcker, S. 62. 202

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nanziellen, organisatorischen oder inhaltlichen Abhängigkeit vom sozialen Gegenspieler. Wenn aber der Beweis erbracht werden kann, dass eine betriebliche Vereinigung tatsächlich vom Arbeitgeber unabhängig ist, ist kein Grund mehr ersichtlich, ihr den Koalitionsstatus unter Bezugnahme auf die fehlende Überbetrieblichkeit abzuerkennen. In diesem Sinne hat die fehlende Überbetrieblichkeit einer Vereinigung nur eine – widerlegliche – Indizwirkung für die nicht vorhandene Gegnerunabhängigkeit203 und ist deshalb kein eigenständiges Begriffsmerkmal der Koalitionseigenschaft einer Vereinigung. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit dem für den Bereich der ehemaligen monopolisierten Leistungsverwaltung bei Bundesbahn und Bundespost vorgenommenen Verzicht auf das Merkmal der Überbetrieblichkeit für die Bestimmung der Gewerkschaftseigenschaft: Weil diese Bereiche Monopolcharakter besessen und faktisch die Bedeutung von Wirtschaftszweigen gehabt haben, ist das Merkmal der Überbetrieblichkeit hier nicht zu fordern gewesen. Der Zusammenschluss von Arbeitnehmern zu einem ganzen Wirtschaftszweig darf aber nicht die Fähigkeit abgesprochen werden, Tarifverträge abzuschließen204. Der damit für die Bestimmung des Koalitionsbegriffs notwendig einhergehende Verzicht auf das Element der Überbetrieblichkeit im Bereich der ehemals monopolisierten Leistungsveraltung enthielt dabei indirekt schon das Eingeständnis, dass nicht die Überbetrieblichkeit, sondern vielmehr die Gegnerunabhängigkeit für die Koalitions- bzw. Gewerkschaftseigenschaft den Ausschlag gibt205.

E. Gewerkschaftliche Konkurrenz als Freiheitsgewähr des Einzelnen gegenüber den Kollektivmächten Bei dem Versuch einer „Wesensbestimmung“ dessen, was die kollektive Koalitionsfreiheit ausmacht – Bündelung der Individualinteressen oder überindividuelle Zweckverfolgung – ist eine Perspektive eingenommen worden, bei der ausgelotet werden sollte, inwieweit eine von einer strikt privatautonomen Sichtweise der kollektiven Koalitionsfreiheit herkommende koalitionspluralismusfreundliche Deutung der kollektiven Koalitionsfreiheit der Effektivierung der 203 Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 57; Friese, 57; ähnlich Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 45; v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 77 jedenfalls für Großunternehmen. 204 Siehe dazu Gamillscheg KollArbR I, S. 407; Hagemeier TVG § 2 Rdnr. 41; Hueck/Nipperdey II/1 § 6 II 5; v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 77; Nikisch § 57 II 6.; Rieble Rdnr. 1870; Schaub § 187 III 3; Zöllner/Loritz § 8 III 8; zweifelnd jetzt Kempen/Zachert TVG § 2 Rdnr. 45 f., die grundsätzlich davon ausgehen, dass auch in Großunternehmen die Hausgewerkschaften in Ermangelung ihrer Überbetrieblichkeit nicht unabhängig von der Gegenseite und damit u. U. nicht tarifmächtig sind; dies gelte vor allem für die ehemaligen Gewerkschaften in den ehemaligen Monopolverwaltungen Post und Bahn nach deren Privatisierung. 205 Stelling NZA 98, 920 (924), so stellt auch Rieble Rdnr. 1870 richtig fest, dass eine VW-Gewerkschaft bei entsprechendem Organisationsgrad sehr wohl hinreichende Gegenmacht entfalten kann.

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Interessenwahrnehmung der abhängig Beschäftigten gegenüber der Arbeitgeberseite dienen kann. Effektivierung der Interessenwahrnehmung war in diesem Zusammenhang als angemessene Rücksichtnahme aller betroffenen Interessen auf der Arbeitnehmerseite begriffen worden206. Dabei soll nicht übersehen werden, dass die Interessenformulierung durchaus – marktgerecht – für verschiedene Arbeitnehmer nach ihrer Sicht der Dinge unterschiedlich ausfallen mag207. Koalitionspluralismus bietet so verstanden eine Gewähr dafür, dass die Koalitionen auch wirklich um der Zweckverfolgung der selbstbestimmten Interessen ihrer Mitglieder willen tätig werden und es wird hiermit gleichzeitig die Verwirklichung der individuellen Koalitionsfreiheit optimiert. Eine koalitionspluralismusfreundliche Sicht der kollektiven Koalitionsfreiheit hat aber nicht nur die Optimierung des Freiheitsrechts der individuellen Koalitionsfreiheit im Verhältnis zum sozialen Gegenspieler für sich. Vielmehr kann gewerkschaftliche Konkurrenz auch dazu dienen, der Gefahrensituation für die Freiheitssphäre der einzelnen abhängig Beschäftigten zu begegnen, die durch die faktische Konzentration auf wenige, möglichst einheitliche Koalitionen im Sinne eines Wunschs nach der starken Einheitsgewerkschaft entstehen kann208. Es handelt sich dabei eben nicht um die klassische und ernsthafterweise wohl nicht bestrittene Freiheitsgefahr des Arbeitnehmers gegenüber dem sozialen Gegenspieler, sondern um die Gefahren, welche von den kollektiven Schutzmächten (Kollektivmächten) ihrerseits gegenüber den Freiheitsrechten des einzelnen ausgehen können. I. Konflikt zwischen den Interessen einzelner Organisierten und ihrer eigenen Koalition Picker209 betont zu Recht, dass die h. M. mit ihrer Lehre vom Doppelgrundrecht – im Sinne einer genuinen Eigenwertigkeit des Kollektivs – das individuelle Freiheitsrecht des organisierten Arbeitnehmers und das originäre Gruppengrundrecht der Koalition zwangsläufig in Konkurrenz zueinander führen muss210. „Das mit Eigenleben beseelte „Über-Ich“ der assoziierten Personen 206

Siehe oben 2. Kap. § 1 B. II. „Außenseiterkonkurrenz“ oder Konkurrenz von Minderheitskoalitionen für die Mehrheitskoalitionen ist in diesem Sinne nicht etwa „Schmutzkonkurrenz“ oder „Lohndrückerei“ sondern Ausdruck selbstbestimmter Interessensformulierung anhand selbst vorgenommener Einschätzung der eigenen Chancen am Arbeitsmarkt – siehe dazu entgegen aber BVerwG v. 03.11.1988 – 7 C 115.86 = AP Nr. 23 zu § 5 TVG 9II 4 a und Wiedemann/Stumpf § 5 Rdnr. 2. 208 Dass dieser Wunsch ein rechtstatsächliches Faktum darstellt, kann wohl kaum bezweifelt werden, siehe dazu Rieble Rdnrn. 1780 ff.; zum Selbstverständnis der großen Verbände als Repräsentanten der Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Ihrer Gesamtheit siehe nur Friese, S. 50 und Gamillscheg KollArbR I, S. 474 ff. m.w. N. 209 Picker ZfA 86, 199 (204 ff.). 207

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

nimmt denknotwendig einen eigenen Lebens- und Rechtsraum in Anspruch. Es verkürzt demgemäß – eben als zweites und überdies „höheres“ Wesen – im Konfliktfall den Freiraum, den die Verfassung ausdrücklich und primär dem Individuum zuweist“211. Mit der Reklamation genuiner eigener Autonomie übe das Kollektiv Heteronomie über seine Mitglieder aus. Mit der Lehre vom Doppelgrundrecht werde das Individuum vom Verband nicht nur unterdrückt, die selbstherrliche Verbandsherrschaft werde mit der Lehre vom Doppelgrundrecht geradezu perfektioniert212. Wenn trotz der Analyse dieses Zustands dann mit dem Gestus der Selbstverständlichkeit sogar die Pflicht des Einzelnen zur uneingeschränkten Loyalität gegenüber der Koalition selbst für den Fall konstatiert wird, bei dem die Einzelinteressen den Kollektivinteressen zuwiderlaufen213, so wird schon auf dieser abstrakten Ebene klar, was damit gemeint ist, wenn vor der Gefahr gewarnt wird, dass Arbeitnehmer „vom Regen in die Traufe“ befördert und vom Objekt der Arbeitgeber- zum Objekt der Gewerkschaftsherrschaft gemacht werden könnten214. Konkret kann diese Gefahrenlage beispielsweise anhand der wachsenden Popularität des Postulats einer tarifvertraglichen Arbeitsmarktpolitik belegt werden: Wenn die großen Koalitionen als selbsternannte Repräsentanten von Allgemeinwohlinteressen für sich eine arbeitsmarktpolitische Regelungsmacht beanspruchen und infolgedessen Höchstquantitäten für Wochen- und Lebensarbeitszeit verbindlich zu regeln trachten, so treten sie damit in offenkundigen Widerspruch zu der wirtschaftlichen Interessenlage jedenfalls eines Großteils ihrer Mitglieder, die an dieser Stelle eine andere Lebensplanung verfolgen215. Gewerkschaftliche Konkurrenz dient bei einer solchen Konfliktlage der Sicherung der Freiheitsgewähr für den Einzelnen. Ein funktionierender Koalitionspluralismus mit einem inhaltlich divergierenden Programm der Koalitionen bietet dem Einzelnen die Chance, sich den Zumutungen der Kollektivmacht im Hinblick auf Loyalitätsforderungen entgegen seinen eigenen Interessen zu ent210 So auch Friese, S. 52; Gamillscheg KollArbR I, S. 184; Konzen AcP 177, 473 (495); Scholz, 62 f.; Zöllner AöR 1973, 71 (78 ff.). 211 Picker ZfA 86, 199 (205). 212 Picker NZA 02, 761 (764 f.). 213 So Gamillscheg KollArbR I, S. 184 mit Hinweis auf BGH v. 04.07.1977 – II ZR 30/76 = AP Nr. 25 zu Art. 9 GG. 214 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 22 m.w. N. 215 Picker ZfA 98, 573 (578 f.; 581 ff.; 585 ff.). Der Hinweis darauf, dass diese konfligierende Interessenlage zwischen individuellem und überindividuellem Grundrecht nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz gelöst werden könne, so z. B. Friese, S. 52, Schwarze, S. 64 f., trägt in Wirklichkeit nicht weit: Denn wie sollte das Maximum an grundrechtlicher Verwirklichung für beide Grundrechtspositionen denn wohl konkret aussehen können? Im Ergebnis wird der Einzelne stets eine signifikante Einschränkung seiner Interessen zu erfahren haben.

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ziehen, ohne auf den Schutz kollektiver Gegenmachtbildung verzichten zu müssen. Schon die Perspektive der Kollektivmacht, dass einzelne Mitglieder sich von ihr ab- und einer anderen Koalition zuwenden könnten, kann dabei dazu führen, dass der Interessengegensatz zwischen dem Einzelnen und seiner Koalition entschärft werden kann. Insofern – dies wurde bereits ausgeführt216 – dient Koalitionspluralismus auch der Rückkoppelung jeder Koalition an die erklärten und tatsächlichen Interessen ihrer Mitglieder. II. Konflikt zwischen dem Einzelnen und der „tonangebenden“ Koalition Koalitionspluralismus dient aber auch der Verwirklichung der Freiheitsgewähr des Einzelnen im Hinblick auf Konflikte, die außerhalb des Spannungsverhältnisses des Einzelnen zu seiner eigenen Koalition liegen. Für den einzelnen Arbeitnehmer kann eine Gefahrenlage beispielsweise dann entstehen, wenn auf betrieblicher Ebene Beförderungs- oder Einstellungschancen unter Missbrauch der Amtsstellung von Betriebsratsmitgliedern217 von der Bereitschaft abhängig gemacht werden, der im Betrieb tonangebenden Gewerkschaft beizutreten218, oder ganz allgemein, wenn im betriebsverfassungsrechtlichen Zusammenhang Schulungsansprüche von nicht-koalierten Betriebsratsmitgliedern allenfalls dann beschlussmäßig befriedigt werden, wenn gewerkschaftlich veranstaltete Betriebsratsschulungen besucht werden, um die zu schulenden Betriebsratsmitglieder dem beabsichtigten gewerkschaftlichen Zugriff auszusetzen. Die Tatsache, dass solche Verhaltensweisen klar rechtswidrig sind und sowohl dem betriebsverfassungsrechtlichen Gebot des § 75 Abs. 1 BetrVG als auch der Grundrechtsverbürgung der negativen Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG widersprechen219 vermag nichts daran zu ändern, dass solche Missbräuche der Kollektivmacht gesellschaftliche Realität haben220. Das Vorhandensein alternativer Koalitionen kann hier zugunsten der Bewahrung von Freiheits-

216

Siehe oben 2. Kap. § 1 B. II. Siehe dazu nur GK-Oetker § 23 Rdnr. 51. 218 Mit einem solchen Fall hatte sich das ArbG München Beschl. v. 21.12.2000 – 27 BV 193/00 zu beschäftigen (n.rkr.); vor dem LAG – 10 TaBV 15/01 – dann am 19.10.2001 durch Vergleich erledigt. 219 Siehe dazu statt vieler nur Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 3 mit umfassenden weiteren Nachweisen. 220 Zu diesen Missbräuchen gehört m. E. auch die gewerkschaftlich lang geübte Praxis, sich massiv und mit aus Mitgliedsbeiträgen finanzierten Beträgen zugunsten einzelner Parteien in Wahlkämpfen zu engagieren – teilweise sogar durch direkte Zahlungen an Parteien zur Wahlkampfhilfe. So hat der DGB nach eigener Aussage einseitig in den Bundestagswahlkampf 1998 eingegriffen, und dafür DM 8,6 Millionen aufgewandt – neben anderen indirekten Hilfsleistungen. Siehe dazu Hettlage, S. 28 ff., S. 34 ff. 217

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

räumen des Einzelnen steuernd gegenwirken: Denn die Bekämpfung solcher Missbräuche liegt natürlicherweise im Eigeninteresse der konkurrierenden Organisation und wird oftmals verfahrensmäßig wirksam auch nur von solchen Verbänden, etwa über § 23 Abs. 3 BetrVG, betrieben werden können. In der Herstellung von Transparenz im Hinblick auf Freiheitsbeeinträchtigungen durch eine Koalition wird zudem regelmäßig ein „Werbevorteil“ für die konkurrierende Koalition gesehen werden können. In diesem Zusammenhang dürfen auch „Closed-shop-Vereinbarungen“ nicht außer Betracht gelassen werden. Mit solchen Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern versuchen Gewerkschaften, die Einstellung oder Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern von der Zugehörigkeit zu einer (bestimmten) Koalition abhängig zu machen221. Wenn das Bundesarbeitsgericht derjenigen Koalition, welcher der vermittels der Closed-shop-Vereinbarung ausgeschlossene Arbeitnehmer zugehörig ist, eine Klagemöglichkeit aus eigenem Recht zubilligt222, um gegen solche Vereinbarungen vorzugehen, so zeigt dies ganz deutlich die freiheitsschützende Funktion eines funktionierenden Koalitionspluralismus: Schon das Eigeninteresse der neben dem Arbeitnehmer ebenfalls diskriminierten Koalition am Bestand und Aufbau ihrer Organisation sorgt dafür, dass der Einzelne die Einforderung seiner individuellen Koalitionsfreiheit nicht um den Preis der Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz alleine zu führen hat, sondern dass sich die mitbetroffene Koalition gleichsam als „Puffer“ zwischen ihn und die übermächtige („tonangebende“) Koalition und den Arbeitgeber stellen kann.

F. Abschied von der Kernbereichslehre des Bundesverfassungsgerichts – Grundsätzliche Schutzgewährung für jede koalitionsspezifische Tätigkeit Dass für die Tätigkeit der Koalitionen auf dem Feld der Betriebsverfassung als „Arbeitsbedingung“ grundsätzlich der sachliche Anwendungsbereich der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG eröffnet ist, wurde bereits ausgeführt223. Wenn die konkrete Reichweite und der Umfang des verfassungsrechtlich geschützten Tätigkeitsbereichs der Koalitionen bzw. der Minderheitsgewerkschaften bei der Ausübung der sekundären Gewerkschaftsrechte innerhalb der Betriebsverfassung ausgelotet werden soll224, so bedarf es aber noch einer weitergehenden Betrachtung. Denn für die Auslegung einzelner Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts ist es von herausragender Bedeutung, ob der Grundrechtsschutz von vorneherein nur einen Kernbereich denkbarer gewerkschaftli221 222 223 224

Siehe dazu nur Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 14; § 245 Rdnr. 56. BAG v. 17.02.1998 – 1 AZR 364/97 = AP Nr. 87 7u Art. 9 GG. Siehe oben 2. Kap. § 1 A. Dazu unten das 4. Kap.

§ 1 Schutzumfang und Schutzfunktion des Art. 9 Abs. 3 GG

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cher Tätigkeiten, vielleicht sogar nur im Sinne eines absoluten grundrechtlichen Kernbereichsschutzes erfasst, oder aber ob dieser Schutz zunächst jede koalitionsspezifische Tätigkeit zu erfassen vermag. I. Die Entwicklung der Kernbereichslehre in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht225 hat schon in einer frühen Entscheidung davon gesprochen, dass Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG einen Kernbereich226 eines Tarifvertragssystems gewährleiste227. Dieses Diktum des Bundesverfassungsgerichts ist als Institutsgarantie eines Tarifvertragssystems verstanden worden228. Eine geradezu gegenläufige Tendenz haben dann aber spätere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gehabt229, bei denen der Kernbereichsbegriff im Zusammenhang mit der Beschränkung der Koalitionsbetätigung im Rahmen der Tätigkeit in Betriebs- und Personalverfassung230 oder im Kontext von Ausführungen, betreffend die Bestands- und Existenzsicherung von Koalitionen gebraucht wird. So verneinte das Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit der grundsätzlichen Entscheidung der Frage, ob die Tätigkeit der Gewerkschaften in der Personalvertretung in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG falle, und begründete dies damit, dass nur solche Koalitionstätigkeiten verfassungsrechtlich geschützt seien, die unerlässlich dafür seien, dass die Gewerkschaften auch im Bereich der Personalvertretung ihren Zweck der Wahrung der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wirksam verfolgen könnten231. Mit der Einführung dieser „Unerlässlichkeitsformel“232 im Hinblick auf die zur Zweckerreichung unerlässlichen Befugnisse löste das Bundesverfassungsgericht das 225 Eine ganz umfassende Darstellung und Analyse der Entwicklung der Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist im vorliegenden Zusammenhang nicht geboten und auch gar nicht möglich. Insofern sei auf die umfassenden Darstellungen bei Friese, S. 181 ff. und bei Gamillscheg KollArbR I, S. 222 ff. verwiesen; siehe auch Kempen/Zachert Grundlagen Rdnr. 102 ff. und Sachs-Höfling Art. 9 Rdnrn. 71 ff. und Wank Anmerkung zu AP Nr. 76 zu Art. 9 GG. Im Folgenden soll die Entwicklung nur in groben Umrissen nachgezeichnet werden. 226 Zu den bereits entscheidungsimmanenten Deutungsschwierigkeiten dessen, was mit diesem Kernbereich gemeint sein sollte bzw. wie dieser grundrechtsdogmatisch einzuordnen ist, vgl. ausführlich Friese, S. 182 ff. 227 BVerfG v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52 = E 4, 96 (106 ff.). 228 Friese, S. 183; Kühling RdA 94, 182; ArbuR 94, 126 (131 ff.). 229 Kittner Anmerkung zu AP Nr. 50 zu Art. 9 GG Arbeitskampf II 3, betont in diesem Zusammenhang ausdrücklich, das BVerfG habe ein Grundrecht, das nicht ohne Grund ohne Gesetzesvorbehalt gefasst sei, in eines verwandelt, welches nun zur weitestgehenden Disposition des Gesetzgebers stehe. 230 BVerfG v. 14.04.1964 – 2 BvR 69/62 = E 17 319 (333); v. 30.11.1965 – 2 BvR 54/62 = E 19, 303 (321); weitere Nachweise bei Friese, S. 185 (Fn. 65). 231 BVerfG v. 14.04.1964 – 2 BvR 69/62 = E 17 319 (333). 232 Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 73.

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Koalitionsgrundrecht aus der üblichen Grundrechtsdogmatik von Grundrechtstatbestand und Grundrechtsschranke heraus, und verursachte damit eine „gewisse Unschärfe“ in der Grundrechtsdogmatik des Art. 9 Abs. 3 GG233. Denn diese Formel lässt die Deutung zu, dass der grundrechtliche Schutzbereich schon vom Ansatz her auf ein Mindestmaß beschränkt bleibt234, er möglicherweise sogar auf den Schutz des absoluten Wesensgehalts gem. Art. 19 Abs. 2 GG reduziert bleibt. Dass die gewerkschaftliche Tätigkeit in der Personalvertretung jedenfalls in einem Kernbereich von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützt sei, hat das Bundesverfassungsgericht später anerkannt235 und im Mitbestimmungsurteil vom 01.03.1979236 auch für die Tätigkeit in der Betriebsverfassung angenommen, ohne aber im einzelnen näher darzulegen, welchen konkreten Umfang diesem Kernbereichsschutz denn zukommen müsse. Stattdessen wurde abstrakt der weite Ausgestaltungsraum des Gesetzgebers betont. Auch in anderen Entscheidungen blieb das Bundesverfassungsgericht eine Konkretisierung schuldig, so etwa in der Entscheidung vom 19.02.1975, wo lediglich festgestellt wurde, dass Art. 9 Abs. 3 GG nur einen Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigung schütze, und diese Vorschrift keinen inhaltlich unbegrenzten und gesetzlich nicht begrenzbaren Handlungsspielraum eröffne237 und in der Entscheidung vom 17.02.1981, wo auch wieder ganz allgemein ausgeführt wurde, dass Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewerkschaftliche Betätigung nur in einem Kernbereich verbürge, die für die Erhaltung und Sicherung der Koalitionsexistenz als unerlässlich anzusehen seien und dem Gesetzgeber ein sehr weiter Ausgestaltungsraum zukomme238. Eine erste Distanzierung von dieser Kernbereichs- und Unerlässlichkeitsterminologie ließ dann der Beschluss vom 26.06.1991 erkennen239. Bezugnahmen auf den Kernbereich erfolgten dort nur noch mit dem Hinweis, dass ein durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützter unantastbarer Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigung bestehe. Die Ausführungen in dieser Entscheidung lassen erkennen, dass das Bundesverfassungsgericht sich der ansonsten üblichen Grundrechtsdogmatik angenähert hat, wenn es von der Einschränkung der Koalitionsfreiheit (nur) durch Grundrechte anderer und durch sonstige Werte mit Verfassungsrang spricht, auch wenn es den weiten Ausgestaltungsspielraum des 233 So Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 71; siehe dazu ähnlich auch Gamillscheg KollArbR I, S. 228 f. 234 So Friese, S. 187; ähnlich Gamillscheg KollArbR I, S. 228 f. 235 BVerfG v. 30.11.1965 – 2 BvR 54/62 = E 19, 303 ff. = AP Nr. 7 zu Art. 9 GG. 236 BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78 = E 50, 290 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG B IV 2 b cc. 237 BVerfG v. 19.02.1975 – 1 BvR 418/71 = AP Nr. 50 zu Art. 9 GG Arbeitskampf B II 1. 238 BVerfG v. 17.02.1981 – 2 BvR 384/78 = AP Nr. 9 zu Art. 140 GG C II 4 a. 239 BVerfG v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

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Gesetzgebers wiederum betont240. Konsequenz dieser Distanzierung hin zur „Abwägungsformel“ ist eine Erweiterung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit241. Diese Linie setzte sich mit der Entscheidung vom 02.03.1993242 fort, welche die Kernbereichsterminologie ebenfalls nicht mehr aufnahm, sondern nur noch den Ausgestaltungsbedarf des Grundrechts durch den Gesetzgeber betonte, freilich ohne den früher üblichen Hinweis auf den insofern besonders weiten Spielraum des Gesetzgebers. In Folgeentscheidungen243 wurde die Kernbereichsterminologie nicht wieder aufgenommen, sondern mit eher gegenläufiger Tendenz einer Annäherung an die klassische Grundrechtsdogmatik244 darauf verwiesen, dass die Koalitionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und deshalb nur zugunsten von Rechtsgütern mit Verfassungsrang einschränkbar sei245. In weiteren Beschlüssen hat das Bundesverfassungsgericht schließlich festgestellt, dass der Schutz der kollektiven Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG jede koalitionsspezifische Tätigkeit erfasst, und dass beeinträchtigende Regelungen der besonderen verfassungsrechtlichen Regelung bedürften246. Ob diese Feststellungen nur klarstellender Natur waren – wie es das Bundesverfassungsgericht behauptet hat247 – oder eine Änderung der Rechtsprechung zum Schutz der kollektiven Koalitionsfreiheit darstellen, ist eine Frage, welcher im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter nachgegangen werden muss248: Die Formel vom Schutz jedweder koalitionsspezifischer Tätigkeit – bei weiter bestehenden Unklarheiten über die Reichweite der gesetzgeberischen Ausgestaltungskompetenzen oder -notwendigkeiten249 – markiert jedenfalls den gegenwärtigen Stand der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung250. 240 BVerfG v. 26.06.1991 – 1 BvR 779/85 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf C I 3 a. Der Hinweis darauf, dass diese Sicht der Bereichsdogmatik der st. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entspreche, ist insofern eher verwirrend, so auch Friese, S. 195. 241 Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 74. 242 BVerfG v. 02.03.1993 – 1 BvR 1213/85 = AP Nr. 126 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 243 BVerfG v. 10.01.1995 – 1 BvF 1/90 u. a. = AP Nr. 76 zu Art 9 GG. 244 In diese Richtung Friese, S. 196; Gamillscheg KollArbR I, S. 229; auch Wank, Anmerkung zu AP Nr. 76 zu Art. 9 GG A I. 245 BVerfG v. 10.01.1995 – 1 BvF 1/90 u. a. = AP Nr. 76 zu Art 9 GG B II b bb. GG. 246 BVerfG v. 24.02.1999 – 1 BvR 123/93 = AP Nr. 18 zu § 20 BetrVG 1972 Gründe II 1; v. 27.04.1999 – 1 BvR 2203/93 u. a. II 1 a.; anders noch LAG Berlin v. 01.11.1996 – 2 TaBV 2/96 II. 5. c. 247 BVerfG v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92 = AP Nr. 80 zu Art. 9 GG B I 3 c a. E. 248 So im Sinne einer Änderung beispielsweise einerseits Friese, 198, andererseits v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 59; wohl auch Sachs-Höfling Art. 9 Rdnrn. 75a, 81; Schulte Westenberg NJW 97, 375 ff. 249 Dazu Konzen SAE 96, 216 (218 ff.); Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 76; auch die Entscheidung BVerfG AP Nr. 76 zu Art. 9 GG mit der Feststellung einer vorbehaltlosen Gewährleistung jedweder koalitionsspezifischen Tätigkeit betont weiterhin die

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II. Die Kernbereichslehre und ihre Kritik in der Literatur Es nimmt angesichts der nicht stringenten und oftmals interpretationsoffenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Reichweite des grundrechtlichen Schutzes der Koalitionstätigkeit nicht Wunder, wenn diese Rechtsprechung starke Kritik bzw. Interpretation und Weiterentwicklung erfährt251. Eine als h. M. bezeichnete Auffassung252 beruft sich auf den fehlenden Gesetzesvorbehalt des Art. 9 Abs. 3 GG und behauptet dementsprechend die zunächst vorbehaltlose Gewährleistung jeder koalitionsspezifischen Tätigkeit, die ihre Schranken nur in anderen Verfassungswerten und kollidierenden Grundrechten Dritter finden könne253. Dem wird mit aber zu Recht entgegengehalten, dass nur die Freiheit der Koalitionsbildung vom Verfassungswortlaut her uneingeschränkt gewährleistet ist, und dass für den Bereich der Koalitionsbetätigung erst deren Inhalt bestimmt werden muss, bevor über Eingriffe und deren verfassungsrechtliche Beurteilung gesprochen werden kann254. Eher rechtspraktisch wird gegen den umfassenden Betätigungsschutz bei gleichzeitiger Anwendung der ansonsten in der Grundrechtsdogmatik255 üblichen Schrankensystematik auch noch eingewandt, dass sich (auch) die Koalitionsfreiheit gegen die vielen anderen schützenswerten Anliegen – ohne Verfassungsrang bzw. mit nur mühsam zu konstruierendem Verfassungsrang – abwägen lassen müsse. Denn nur so könne der Staat seinen Auftrag zur Wahrung des allgemeinen öffentlichen Interesses wirksam wahrnehmen256. Diese Sicht des Umfanges verfassungsrechtlich geschützter Koalitionsbetätigung hat allerdings inhaltliche Nähe zum Gedanken lediglich eines Kernbereichsschutzes und bringt die Gefahr mit sich, dass die Definition des geschützten Kernbereiches und des Wesensgehaltes der Koalitionsfreiheit ineinander fließen257. Damit aber droht der freiheitsschützende Charakter des Koalitionsgrundrechts stark verwässert zu werden258. Ausgestaltungsbefugnisse des Gesetzgebers, dazu siehe auch Gamillscheg KollArbR I, S. 129. 250 Siehe dazu auch Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 50. 251 Diese Kritik ist geradezu unübersehbar und lässt sich im gegebenen Rahmen nur skizzieren. 252 So Gamillscheg KollArbR I, S. 129. 253 Däubler Tarifvertragsrecht Nr. 351; Kempen/Zachert Grundlagen Rdnrn. 101 f.; 105; Kittner, Anmerkung zu AP Nr. 50 zu Art. 9 GG Arbeitskampf II 3; Kittner FS Stahlhacke, 247 (258) sowie die weiteren Nachweise bei Gamillscheg KollArbR I, S. 129 Fn. 8. 254 Butzer RdA 94, 375 (381); Rupp JZ 98, 919 (922); Gamillscheg KollArbR I, S. 229 f.; 130; Lieb, § 5 I 5 (Rdnr. 449); Schwarze, S. 72; Schwerdtfeger, S. 250; Seiter AöR 84, 88 (99 Anm. 24). 255 Dazu allgemein v. Münch-v. Münch Vorb. Art. 1–19 Rdnrn. 52 ff.; Sachs-Sachs Vor Art. 1 Rdnrn. 118 ff. 256 Gamillscheg KollArbR I, S. 129.

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Dieser Gefahrenlage entgegenwirkend wird im Sinne einer funktionalen Charakterisierung259 vertreten, dass es wegen des mit der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ verfassungsrechtlich verfolgten Zwecks der kollektiven Koalitionsfreiheit – der Überwindung der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers – keiner umfassenden Garantie jeder koalitionsmäßigen Betätigung bedürfe. Es reiche aus, wenn den Koalitionen auf dem Hintergrund ihres verfassungsrechtlichen Zweckes Kernbereiche autonomer Gestaltungsmacht garantiert würden260, zu denen die Lohn- und Arbeitszeitgestaltung sowie die koalitionsrechtliche Mitgestaltung der betriebs- und unternehmensverfassungsrechtlichen Ordnung gehörten261. Allerdings seien die konkreten betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften ihrem Inhalt nach nur insoweit verfassungsfest, als durch eine Veränderung der Normen in einem „variablen Kernbereich“ eine Gefährdungslage für die Koalitionen dergestalt entstehen könne, dass ihnen die Verfolgung des Koalitionszweckes in diesem Kernbereich unmöglich gemacht zu werden drohe262. Auch wenn dementgegen bezweifelt wird, dass eine befriedigende Koalitionszweckbestimmung wirklich möglich ist263, ähnelt der Ansatz von Scholz diesem Modell der Einteilung des Schutzbereichs der Koalitionsbetätigung in verschiedene Garantiebereiche. Im Ergebnis gelangt Scholz dazu, gewerkschaftliche Rechte im Bereich der Betriebsverfassung wegen nicht vorhandener Funktionstypik für die Koalitionen als nicht durch Art. 9 Abs. 3 GG garantiert zu sehen264. Grundsätzlich verbleibe dem Gesetzgeber ein sehr weiter Ausgestaltungsraum bei der Gestaltung des „Koalitionsverfahrens“265. Ein zwischen unmittelbarem und mittelbaren Schutzbereich des Grundrechts differenzierendes Modell hat Kemper entwickelt. Als klassischerweise – und historisch herleitbar – dem unmittelbaren Schutzbereich des Grundrechts der Koalitionsfreiheit zugehörig seien die Bildung und der Bestand der Koalition sowie die innere Koalitionsautonomie anzusehen. Hierher gehörten für den Bereich der klassischen Koalitionsbetätigung auch noch die Tarifautonomie266. Weitere Formen denkbarer Koalitionsbetätigungen seien nur mittelbar vom 257

Siehe dazu Gamillscheg KollArbR I, S. 230. Siehe dazu Friese, S. 212 m.w. N., die vom Charakter der Koalitionsfreiheit auf die Systemfremdheit eines lediglich zu gewährenden Unerlässlichkeitsschutzes schließt. 259 So Friese, S. 200. 260 Säcker, S. 20; S. 45 ff.; S. 58 ff. 261 Säcker, S. 46, S. 59 f.; S. 75 ff. 262 Säcker, S. 75 ff.; S. 92 f. 263 Scholz, S. 331, S. 372 f. 264 Scholz, S. 259, S. 261 f.; MDHS-Scholz Art. 9 Rdnr. 305 ff. 265 Scholz, S. 373. 266 Kemper, S. 133 ff. 258

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Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst und erführen nur mittelbar, über den Gedanken des Leerlaufverbots für ein Grundrecht, eine Einbeziehung in den Grundrechtsschutz – mithin sei dieser Schutz nur ein Kernbereichsschutz im Sinne des „Unerlässlichen“ der Betätigung267. Die gewerkschaftliche Beteiligung an der arbeitnehmerischen Mitbestimmung sei diesem mittelbaren Bereich zuzuordnen268, so dass der gesetzgeberischen Ausgestaltung hier sehr breiter Raum zukomme. Als Kernbereich bezeichnet in Umkehrung der üblichen Perspektive des Kernbereichs als eines Schutzbereichs gegenüber „Eingriffen“ zu einem Gestaltungsanspruch gegenüber der Rechtsordnung Höfling den „auxiliären“ leistungsrechtlichen Anspruchsbereich der Koalitionen gegenüber dem Staat, welcher dazu unerlässlich nötig ist, um das grundrechtlich Gewährleistete im Sinne eigenverantwortlicher und wirksamer Erfüllung zu realisieren. Ansonsten sei die Kernbereichslehre zu verwerfen269. III. Art. 9 Abs. 3 GG als „unfertige Grundrechtsgewährleistung“ Sowohl die nicht als stringent und eindeutig zu bezeichnende Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wie auch die mannigfachen Theoriebildungen in der Literatur – die vorliegend nur angerissen werden konnten – zeigen eine weiterhin bestehende große Unsicherheit darüber auf, wie und in welchem Umfange der Bereich grundrechtlich geschützter Koalitionsbetätigung definiert werden kann. Von einer abschließenden dogmatischen Absicherung der verschiedenen Strukturmodelle kann kaum gesprochen werden270. Bei der Frage nach dem Umfang des grundrechtlich abgesicherten Koalitionsbetätigungsschutzes muss deshalb davon ausgegangen werden, dass es sich beim Koalitionsgrundrecht um ein liberales Freiheitsrecht handelt271, das eine weitgehende Sinnentfremdung erfahren würde, wäre nur – wortlautgemäß – die Koalitionsbildung, nicht aber auch deren Betätigung erfasst und vor staatlichen Eingriffen gesichert272. Diese Betätigung kann aber nur dann durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt sein, wenn die Koalition sich im Bereich der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ bewegt, sie mithin also koalitionsspezifisch ist273. Mit der grundsätzlichen Eröffnung des Schutzbereiches für die koalitionsspezifische Betätigung ist aber noch keine Erkenntnis 267

Kemper, S. 138 f. Kemper, S. 148. 269 Sachs-Höfling Art. 9 GG Rdnrn. 77; 80; 82. 270 So auch Friese, S. 208 f.; dazu auch Gamillscheg KollArbR I, S. 129 f.; S. 229 f.; v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 59 ff. 271 v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 57. 272 Friese, S. 209; Gamillscheg KollArbR I, S. 223 mit umfassenden Rechtsprechungsnachweisen. 268

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über deren Umfang gewonnen. Denn mit der Klassifizierung der Koalitionsfreiheit als Freiheitsrecht ist zwar geklärt, dass diese sich historisch vor allem der Abwehrstellung gegenüber dem Staat verdankt274. Die Einordnung der Koalitionsfreiheit als Freiheitsrecht mag auch argumentativ dafür sprechen, den Betätigungsschutz nicht nur auf das Unerlässliche zu beschränken – weil den Freiheitsgarantien entwicklungsgeschichtlich grundsätzlich ein umfassender Schutz gegen staatliche Restriktionen eigen ist275. Entscheidend für den vom Bundesverfassungsgericht in der jüngeren Rechtsprechung eingenommenen Standpunkt des Schutzes jedweder koalitionsspezifischen Betätigung spricht aber die Besonderheit der Koalitionsfreiheit, die sich nicht nur im Grundrechtsträger-StaatVerhältnis erschöpft, sondern von vorneherein auch drittgerichtet ist: Weil die Koalitionsfreiheit schon im Ansatz darüber hinaus auf die Kollision unterschiedlicher Interessen ausgerichtet ist, dieser Sozialbezug276 in seinen konkreten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen und Auseinandersetzungsformen im Hinblick auf den sozialen Gegenspieler und sonstige Dritte aber einem ständigen Wandlungs- und Fortentwicklungsprozess unterliegt, besteht ein grundrechtsimmanentes Bedürfnis nach Offenheit für ständige Modifikationen und Fortentwicklungen277. Eine Festlegung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit auf bestimmte koalitionsspezifische Betätigungsformen – beispielsweise, wie in der Literatur vorgeschlagen, im Sinne bestimmter Garantiebereiche – liefe dem zuwider und könnte zu einer zweckwidrigen Erstarrung der Formen kollektiver Interessenvertretung führen. Damit aber wäre eine Gefahr des Leerlaufens des Grundrechts verbunden278. Aus diesem Grunde ist es geboten, zunächst alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen als vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst anzusehen279, wie es auch das Bundesverfassungsgericht in der jüngeren Rechtsprechung getan hat. Der oben280 getroffene Befund, dass die Tätigkeit der Koalitionen in der Betriebsverfassung zum Bereich der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ gehört, also koalitionsspezifisch und vom Schutzbereich des Koalitionsgrundrechts erfasst ist, bettet sich mithin an dieser Stelle in den allgemeinen verfassungsrechtlichen Be273 Friese, S. 209; Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 4; Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 54. 274 Friese, S. 210 f. 275 Friese, S. 212; Lübbe-Wolff, DB 88, Beil. 9, 2; Sachs-Sachs Vor Art. 1 GG Rdnr. 45 (ausdrücklich für den Fall der Koalitionsfreiheit); im Ergebnis auch Jarass/ Pieroth Art. 9 Rdnr. 27. 276 So Häberle, S. 183. 277 Friese, S. 216 f.; ähnlich Wiedemann Einleitung Rdnr. 131; BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78 = E 50, 290 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG C IV 1, 5. Abs. 278 So auch Friese, S. 210, S. 215 f. 279 So im Ergebnis auch Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 50; Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 81; ähnlich Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 27. 280 Siehe oben 2. Kap. § 1 A.

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

fund des Schutzes aller koalitionsspezifischen Tätigkeiten ein. Insgesamt kann davon gesprochen werden, dass es sich bei der Koalitionsfreiheit um einen offenen Grundrechtstatbestand handelt281. Aus der Tatsache, dass das Koalitionsgrundrecht nicht lediglich staatsgerichtet ist, sondern im oben umrissenen Sinne Sozialbezug hat, und deshalb schon im Ansatz auf mannigfaltige Konflikte und Spannungsverhältnisse jenseits der Abwehrfunktion gegenüber dem Staat ausgerichtet ist, folgt die Untauglichkeit des klassischen grundrechtlichen Schrankensystems von Grundrechtsgewährung, Grundrechtseinschränkungen und deren Rechtfertigung282. Die Komplexität der bei der Koalitionsbetätigung berührten multipolaren Grundrechts- und Gemeinwohlinteressen können mit der bipolar funktionierenden Schrankensystematik nicht angemessen zum Ausgleich gebracht werden283. Schon deshalb besteht im Bereich der Koalitionsfreiheit ein funktionales Bedürfnis nach normativer Ausgestaltung284. Andererseits ist die Koalitionsfreiheit ganz praktisch darauf angewiesen, dass die staatliche Rechtsordnung durch Gesetzgebung oder Richterrecht die Voraussetzungen dafür schafft, welche die Ausübung des Freiheitsrechts überhaupt erst ermöglichen. Denn ohne eine solche Ausgestaltung entsprächen den „im Prinzip“ von Verfassungs wegen gewährleisteten Rechtspositionen keine effektiven praktischen Handlungsmöglichkeiten in der Rechtswirklichkeit285. Der Gesetzgeber, bzw. die diesen vertretende rechtsprechende Gewalt, haben jedoch aufgrund ihrer Grundrechtsbindung die Pflicht, der im Grundrecht zum Ausdruck kommenden objektiven Wertentscheidung der Verfassung ein größtmögliches Maß an praktischer Durchsetzbarkeit – unter Abwägung mit anderen Rechtsgütern – einzuräumen286. Die Ausgestaltung hat von 281 Friese, S. 217; Isensee Tarifautonomie, S. 159, S. 168 spricht diesbzgl. ähnlich von einem „Torso“. 282 Siehe dazu statt vieler Sachs-Höfling Vor Art. 1 Rdnrn. 101 ff.; auch v. MünchLöwer Art. 9 Rdnr. 59. 283 In diese Richtung Friese, S. 218; Gamillscheg KollArbR I, S. 129 f.; Zöllner/ Loritz § 8 IV 4 c. 284 Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 35 betont dabei das Ausgestaltungsbedürfnis insbesondere im Hinblick auf die Kollision individueller und kollektiver Koalitionsfreiheit und bei der Kollision der Interessen verschiedener Koalitionen. 285 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnrn. 16, 37; v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 59; Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 76. 286 Caspar, S. 72; Friese, S. 219; Häberle, S. 184 ff.; ähnlich Löwisch/Rieble § 244 Rdnr. 18; v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 59; diese Methode wird gemeinhin als Herstellung „praktischer Konkordanz“ bezeichnet; neuerdings wir in diesem Zusammenhang auch von der sog. „Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit“ gesprochen, so Zippelius/ Würtenberger § 19 I. 4., S. 183; Gellermann, S. 455: Nach dieser Lehre ist der Gesetzgeber ganz allgemein verpflichtet, „den grundrechtlichen Ordnungszielen in einer den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung tragenden, ihnen angepassten oder schlicht angemessenen Weise zur Durchsetzung zu verhelfen. Bei der gebotenen normativen Konkretisierung von Grundrechten hat der Gesetzgeber die für oder gegen eine rechtliche Regelung sprechenden Belange zu ermitteln, zu gewichten, gegeneinander abzu-

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ihrer Grundtendenz her also nicht etwa grundrechtsbeschränkenden Charakter287. Staatliche Ausgestaltung kann auf dem Hintergrund des dargelegten Optimierungsgebotes von den Koalitionen sogar eingefordert werden288. Dass dieser Ausgestaltung angesichts der vielfältigen zu berücksichtigenden Interessen eine gewisse Offenheit oder Weite289 eigen ist, korrespondiert dabei nur mit der Offenheit und Weite der grundsätzlichen Eröffnung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit für alle koalitionsspezifischen Tätigkeiten. In diesem Sinne ist das Koalitionsgrundrecht als „unfertige Grundrechtsgewährleistung290“ zu bezeichnen, die der näheren staatlichen Ausgestaltung bedarf. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit ihrer steten Betonung des Ausgestaltungsbedürfnisses beim „Wie“ der Koalitionsfreiheit ist deshalb grundsätzlich zu folgen. Die ansonsten in der Grundrechtsdogmatik handhabbare Systematisierung von Grundrechtsgewährung und zu rechtfertigendem Eingriff ist, abgesehen von den Fällen der Regelung des „Ob“ der Koalitionsfreiheit, kein taugliches dogmatisches Instrument291. Dies findet seine indirekte Bestätigung in der „nicht hinreichend klaren Abgrenzung von Grundrechtsbeschränkungen und Grundrechtsausgestaltungen“ in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts292.

wägen und zwischen ihnen einen angemessenen Ausgleich herzustellen. Wird diese „Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit“ verfehlt, ist die gesetzliche Regelung verfassungswidrig“. 287 Butzer, RdA 94, 375 (377 ff.); Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 35; so aber Kempen/ Zachert Grundlagen 105; Kittner, 247 (258); Schwarze JuS 94, 653 (658) will hingegen die Einordnung als Eingriff oder Ausgestaltung wertend anhand der jeweiligen Intensität der Beeinträchtigung abhängig machen; siehe dazu auch Gamillscheg KollArbR I, S. 129 (Fn. 8 m.w. N.), S. 230 und Zöllner/Loritz § 8 IV 4 c, der die Begriffe Ausgestaltung und Eingriff in ihrer Eignung zur Beschreibung der Problematik grundsätzlich für problematisch hält. 288 Friese, S. 219 ff.; Löwisch/Rieble § 244 Rdnrn. 42, 51; ob im Unterlassen der normativen Bereitstellung notwendiger Koalitionsbetätigungsformen durch Ausgestaltung ein (nicht gedeckter) „Eingriff“ in den Schutzbereich liegt, so Friese, S. 220, S. 228, ist m. E. eine Frage von eher nur dogmatischer Bedeutung. Denn dass subjektive Rechte auf Ausgestaltung denkbar sind, ein Unterlassen der Ausgestaltung also verfassungswidrig sein kann, wird ja nicht bestritten; in diesem Sinne einer Beschränkung der Eingriffsterminologie auf positives staatliches Handeln auch Eckhoff, S. 278 ff.; wohl auch Löwisch/Rieble § 244 Rdnr. 41; Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 36 spricht in diesem Zusammenhang vom „Untermaßverbot“, welches der Staat zu beachten habe; so auch ErfK-Dieterich Art. 9 Rdnr. 83. 289 Gamillscheg KollArbR I, S. 144 mit umfassenden Nachweisen für die Rechtsprechung und Literatur, Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 36. 290 Gamillscheg KollArbR I, S. 130; Isensee Tarifautonomie, S. 159, S. 168. 291 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 41; Rdnr. 37. 292 Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 128.

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

IV. Grenzen und Maßstab staatlicher Ausgestaltung durch verfassungsrechtliche Vorgaben des Grundgesetzes Wenn vorstehend mit dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit bzw. die Notwendigkeit der Ausgestaltung des „unfertigen Grundrechts“ der Koalitionsfreiheit festgestellt worden ist, so bedarf es dann aber konsequenter Weise einer Bestimmung der Grenzen und des Maßstabs für diese Ausgestaltung. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat hierzu bisher keine wirklich griffigen und transparenten Richtlinien ausformuliert. Dieser Unsicherheit wird in der Literatur beredter Ausdruck verliehen, wenn davon gesprochen wird, dass die Rechtsprechung bisher versucht habe, im Sinne der Herstellung einer „praktischen Konkordanz“ alle manifesten Notwendigkeiten ohne dogmatische Verschlingungen ganz unverkrampft vernünftig zu lösen293. Es soll deshalb im Folgenden versucht werden, die wesentlichen Vorgaben an die staatliche Ausgestaltung allgemein und auch im Hinblick auf den gewerkschaftlichen Minderheitenschutz zu erfassen. 1. Keine grundsätzliche staatliche Rechtfertigungslast des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit Weil es sich – wie oben gezeigt wurde – bei der Ausgestaltung des offenen Grundrechtstatbestandes der Koalitionsfreiheit nicht um zu rechtfertigende staatliche Eingriffe im Sinne der klassischen Schrankenlehre handelt, ist staatliches Ausgestaltungshandeln auch nicht daran gebunden, eine Grundrechtsschranke für sich in Anspruch nehmen zu können294. Denn es handelt sich bei der Ausgestaltung295 vor allem um die Eröffnung von Betätigungsmöglichkeiten im Interesse der Freiheitsgewährleistung und nicht um die Verwehrung grundrechtlich geschützten Verhaltens durch staatliche „Eingriffe“296. Dies darf aber nicht so verstanden werden, dass Ausgestaltung nur in Richtung des Ausbaus und der Erweiterung der Koalitionsfreiheit gedacht werden darf. Denn die Ausgestal293 Vgl. Gamillscheg KollArbR I, S. 130 sowie die Hinweise a. a. O., S. 128 f. auf Äußerungen von Hesse, Wiedemann, Scholz und Däubler; anders in jüngerer Zeit Zippelius/Würtenberger § 19 I. 4., S. 183; Gellermann, S. 454 f., die insofern ein System der Herstellung einer „Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit“ zur Anwendung kommen lassen wollen. 294 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 39 f.; Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 116. 295 Nicht weiter zu untersuchen ist im vorliegenden Zusammenhang der Fall echten Grundrechtseingriffs des Staates, etwa durch Ausspruch eines Koalitionsverbots, mit den hierfür erforderlichen Schranken (Regelung des „Ob“ der Koalitionsfreiheit an sich); siehe dazu Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 37 ff.; die Ausgestaltung betrifft nur das „Wie“ der Koalitionsfreiheit. 296 Butzer RdA 94, 375 (378 ff.); Heimes MDR 96, 562 (565); Wank Anmerkung zu BVerfG v. 10.01.1995 – 1 BvF 1/90 u. a. AP Nr. 76 zu Art. 9 GG III 1.; Wiedemann Einleitung Rdnrn. 131 ff., 134.

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tung hat – wie bereits dargelegt – die Funktion des Ausgleichs zwischen mannigfaltigen Positionen und Rechten297. Daraus folgt, dass der Staat bei der Ausgestaltung sehr weitgehend in Ausübung seiner wirtschafts- und sozialpolitischen Kompetenz Zweckmäßigkeitsüberlegungen, Gemeinwohlbelange oder unterverfassungsrechtliche Rechtsgüter berücksichtigen darf, er insofern also einen erheblichen Spielraum besitzt. Deshalb darf der Staat kraft seiner Gemeinwohlkompetenz wirtschaftlichen Fehlentwicklungen durch die Auswirkungen der Koalitionsbetätigung entgegenwirken. Dabei hat sich der Staat allerdings am Normzweck der Koalitionsfreiheit im Sinne der Gewährleistung grundrechtlicher Freiheitswahrnehmung zu orientieren298. In diesem Rahmen ist die Ausgestaltung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz299, dem Gleichheitssatz und am Gebot des Vertrauensschutzes300 zu messen. 2. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Dass die Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Ausgestaltung des Koalitionsgrundrechts Beachtung zu finden haben, ergibt sich schon daraus, dass dieser Grundsatz sich aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes ableitet301 und das Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG jede Ausübung staatlicher Gewalt bindet302. Für die Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit hat dies zur Folge, dass jede die Koalitionsfreiheit berührende Regelung das grundrechtlich geschützte Interesse ins Verhältnis zum Regelungszweck zu stellen hat. Weil dem Koalitionsgrundrecht auch ein auxiliärer leistungsrechtlicher Gehalt innewohnt303, kann auch das staatliche Untätigbleiben als Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip beanstandet werden304. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wirkt sich insofern also als Maßgabe an die staatliche Rechtsordnung aus, die Grundrechtsausübung durch die Koalitionen allgemein durch effektive Handlungsformen zu gewährleisten bzw. hierfür den Rahmen durch Ausgestaltung herzustellen305. 297 Siehe dazu nur Friese, S. 229 m.w. N.; Jarass/Pieroth Vorb. Vor Art. 1 Rdnr. 34; Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 53. 298 Friese, S. 229; Gamillscheg KollArbR I, S. 128 ff.; Löwisch/Rieble § 244 Rdnr. 39 f.; Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 36. 299 Bruhn, S. 52 ff.; Butzer RdA 94, 375, 381; Heimes MDR 96, 562 (565); Jarass/ Pieroth Art. 9 Rdnr. 39; v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 58; Wank Anmerkung zu BVerfG 10.01.1995 AP Nr. 76 zu Art. 9 GG II 3 b.; Wiedemann Einleitung Rdnr. 135. 300 Löwisch/Rieble Münch ArbR § 244 Rdnr. 40 f. 301 Siehe v. Münch-v. Münch Vorb. Art. 1–19 GG Rdnr. 55; BVerfGE 23, 127 (133); 69, 1 (35); 86, 288 (347); 90, 145 (173); ständige Rechtsprechung des BVerfG. 302 Dazu allgemein Sachs-Sachs Art. 20 Rdnr. 110 ff. 303 So terminologisch Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 76. 304 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 42.

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besteht nach ganz h.A. aus drei Teilelementen306. Zunächst muss die im Gesetz angeordnete Maßnahme ein brauchbares Mittel zur Erreichung des angestrebten Zweckes darstellen307. Die damit einzufordernde Eignung (Geeignetheit) ist dabei schon dann gegeben, wenn der gewünschte Erfolg gefördert (Beitrag zur Zweckerreichung) bzw. die Wahrscheinlichkeit seines Eintritts erhöht wird. Dabei hat der Gesetzgeber einen gewissen nicht überprüfbaren Spielraum eigenen Beurteilungsermessens im Hinblick auf die erstrebte Zweckerreichung308. Nach dem Gebot der Erforderlichkeit muss staatlicherseits unter alternativ zur Verfügung stehenden Mitteln zur Zweckerreichung das mildeste Mittel gleicher Wirksamkeit eingesetzt werden (Optimierungsgebot). Dieses Gebot ist dann verletzt, wenn das Ziel der staatlichen Maßnahme auch durch ein anderes, gleich wirksames Mittel erreicht werden kann, welches das Grundrecht nicht oder deutlich weniger fühlbar einschränkt309. Drittes Element ist die Proportionalität oder auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (i. e. S.). Sie verlangt, dass Beeinträchtigungen des Grundrechts nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen, und dass bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere der Beeinträchtigung und der Dringlichkeit der sie rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (allgemeine Güterabwägung)310. a) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Proportionalität) – weite staatliche Einschätzungsprärogative Für die im Rahmen der Verhältnismäßigkeit i. e.S vorzunehmende Güterabwägung bestehen keine festen Maßstäbe. Die Abwägung ist also durch eine Offenheit geprägt, welche sie schwer justitiabel macht bzw. deren Ergebnisse schwer prognostizierbar sind. Art. 9 Abs. 3 GG lässt das „Wie“ der Ausgestaltung im Wesentlichen offen311. Die in diesem Zusammenhang gebrauchte For305 Friese, S. 231; Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 51; § 246 Rdnr. 16 – allerdings mit der Maßgabe, dass dies nicht als Erfolgsverschaffungsgarantie missverstanden werden dürfe. 306 BVerfGE 65, 1 (54); 67, 157 (173); 70, 278 (286); Jarass/Pieroth Art. 20 Rdnr. 83; v. Münch-v. Münch Vorb. Art. 1–19 Rdnr. 55 (leicht modifiziert um ein Kriterium des Gemeinwohlinteresses); Sachs-Sachs Art. 20 Rdnr. 149. Jenseits dieser relativen Einigkeit über diese Grundelemente besteht ein nahezu unübersehbarer Bereich von modifizierenden Theorienbildungen. Dazu allgemein und m.w. N. Sachs-Sachs a. a. O. 307 v. Münch-v. Münch Vorb. Art. 1–19 Rdnr. 55. 308 Jarass/Pieroth Art. 20 Rdnr 84; Sachs-Sachs Art 20 Rdnr. 150. 309 BVerfGE 25, 1 (20); 30, 292 (319); 53, 135 (145 f.); 67, 157 (177); 68, 193 (219); 77, 84 (109 ff.); 81, 70 (91); 92, 262 (273); Jarass/Pieroth Art. 20 Rdnr. 85; v. Münch-v. Münch Vorb. Art. 1–19 Rdnr. 55 a. E.; Sachs-Sachs Art. 20 Rdnr. 152. 310 BVerfGE 13, 230 (236); 30, 292 (316); 50, 217 (227); 67; 157 (173); 80, 103 (107); 92, 277 (327), ständige Rechtsprechung; Jarass/Pieroth Art. 20 Rdnr. 86; v. Münch-v. Münch Vorb. Art. 1–19 Rdnr. 55 a. E.; Sachs-Sachs Art. 20 Rdnr. 154 ff.

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mel von der „Herstellung praktischer Konkordanz“312 ist letzten Endes auch nur ein terminologischer Behelf, der in der Sache nicht wirklich weiterhilft. Zu Recht setzt Gamillscheg313 deswegen den Begriff der praktischen Konkordanz im Zusammenhang mit der Koalitionsfreiheit in Anführungszeichen und verweist darauf, dass diese nichts anderes sei, als die „Berücksichtigung aller manifesten Notwendigkeiten“. Wegen dieser objektiv schwierigen Justitiabilität und der zu beachtenden vielfachen Rechtspositionen und Interessen ist es geboten, der staatlichen Ausgestaltung einen weiten Raum zuzugestehen, innerhalb dessen er die manchmal subtilen Güterabwägungsprozesse314 vornehmen kann. Deshalb wird von der Rechtsprechung und weiten Teilen der Literatur betont, dass dem Staat als Gesetzgeber oder kraft Richterrechts bei der Ausgestaltung eine weite Bewertungsund Einschätzungsprärogative dahingehend zukommen müsse, wie die widerstreitenden Interessen in einen angemessenen Ausgleich zueinander – bei Wahrung des im Interesse der Koalitionsfreiheit Erforderlichen – gebracht werden können315. Dem ist zuzustimmen. Denn die verfassungsrechtlich umfassend gewährleistete Betätigungsgarantie jeder koalitionsspezifischen Tätigkeit kann keine konkreten Einzelausprägungen für diese Tätigkeit gleichsam „mathematisch“ vorgeben – es bestehen diesbezüglich ja keine starren Schranken – sondern sie kann nur den grundsätzlichen Rang der Koalitionsfreiheit für die Ausgestaltung betonen316. Dies gilt umsomehr angesichts des Charakters der Koalitionsfreiheit als Grundrecht mit „Sozialbezug“, also eines Grundrechts, welches einer stetigen Wandlung gesellschaftlicher Prozesse in besonderem Maße ausgesetzt ist – was für die staatliche Ausgestaltung ein hohes Maß an Flexibilisierungsverantwortung und -möglichkeiten mit sich bringen muss. Die Zwecksetzung der Ausgestaltung, nämlich die Gewährleistung grundrechtlicher Freiheitswahrnehmung317, bindet deshalb die staatliche Bewertungs- und Einschätzungsprärogative allgemein nur dahingehend, dass der Staat sich seiner Abwägungspflicht zugunsten der Koalitionsfreiheit bewusst ist und er auch und gerade angesichts 311

Friese, S. 230. Wiedemann Einleitung Rdnr. 135; kritisch zum Begriff der „praktischen Konkordanz“ in jüngerer Zeit Zippelius/Würtenberger § 19 I. 4., S. 183; Gellermann, S. 454 f., die stattdessen ein System der Herstellung einer „Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit“ zur Anwendung kommen lassen wollen. 313 Gamillscheg KollArbR I, S. 130, spricht der „Herstellung von praktischer Konkordanz“ offen und im Gegensatz zu Weiss/Weyand BB 90, 2109 (2115) die methodische Qualität ab. 314 Gamillscheg KollArbR I, S. 230. 315 Friese, S. 230; Lieb § 5 I 5 (Rdnr. 449); Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 44; Wiedemann Einleitung Rdnr. 135. 316 Lieb § 5 I 5 (Rdnr. 449); Henssler ZfA 98, 1 (12). 317 Friese, S. 229. 312

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

der Dynamik eines „Grundrechts mit Sozialbezug“ erkennt, welche konkreten Koalitionsinteressen von herausragenden oder höchstem Gewicht für diese Freiheitswahrnehmung sind318. b) Bindung der Koalitionsbetätigung an die allgemeine Rechtsordnung Angesichts der festgestellten weiten staatlichen Bewertungs- und Einschätzungsprärogative bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung stellt sich mit gewisser Schärfe die Frage, welche Rechtsgüter und Interessen in diese Einschätzungsprärogative eingestellt werden dürfen, und ob bestimmte Interessen rechtlich „minderer“ Qualität außen vor zu bleiben haben. Es ist bereits erwähnt worden319, dass die Ansicht, infolge der schrankenlosen Gewährleistung der Koalitionsfreiheit könnte nur kollidierendes Verfassungsrecht (Grundrechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter) diese reglementieren, zu verwerfen ist. Dies folgt einmal aus der schrankenlosen Grundrechtsgewährung, und zum anderen aus der praktischen Notwendigkeit einer umfassenden Güterabwägung auf dem Hintergrund des von vorneherein angelegten gesellschafts- und drittinteressenbezogenen Grundrechtsinhalts. Der Sache nach hat dies auch das Bundesverfassungsgericht anerkannt, ohne dies allerdings offen auch auf der Ebene der gewählten Terminologie zugeben zu wollen320: „Die Koalitionsfreiheit ist ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht. Grundsätzl. können ihr daher nur zur Wahrung verfassungsrechtl. geschützter Güter Schranken gesetzt werden. Das schließt allerdings eine Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers nicht aus, soweit er Regelungen trifft, die erst die Voraussetzungen für eine Wahrnehmung des Freiheitsrechts bilden. Das gilt insbesondere dort, wo es um die Regelung der Beziehungen zwischen Trägern widerstreitender Interessen geht (BVerfG 88, 103, 115 = AP Nr. 126 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, vgl. auch BVerfG 84, 212, 228 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Die Ausgestaltung muss sich jedoch am Normziel von Art. 9 Abs. 3 GG orientieren . . .“.

Dieser Kernsatz der Entscheidung lässt vor allem eine Folgerung zu: Die vorbehaltlose Gewährung der Koalitionsfreiheit mit ihren Schrankenimplikationen wird mit solcher Reichweite vom Bundesverfassungsgericht gerade nicht anerkannt321. Platz greifen soll stattdessen eine weite staatlichen Ausgestaltung die sich lediglich am Normziel der Koalitionsfreiheit zu orientieren hat. 318

Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 45. Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 2. 320 BVerfG v. 10.01.1995 – 1 BvF 1/90 u. a. = AP Nr. 76 zu Art. 9 GG. 321 So auch BVerfG v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92 AP Nr. 80 zu Art. 9 GG B I 3 b m.w. N. zur Rechtsprechung des BVerfG zur weitgehenden staatlichen Ausgestaltungsbefugnis. 319

§ 1 Schutzumfang und Schutzfunktion des Art. 9 Abs. 3 GG

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Es erscheint deshalb auch verfehlt, wenn versucht wird, die vorliegende Problematik unter systematischen Gesichtspunkten auf die Frage zu verkürzen, ob das Koalitionsrecht des Art. 9 Abs. 3 GG vorbehaltlos garantiert sei, oder ob hier die Schrankenregelung des Art. 9 Abs. 2 GG anzuwenden sei322: Denn zum einen ist Art. 9 Abs. 2 GG Ausdruck der streitbaren Demokratie, und es ist auch verfassungssystematisch unter dem Aspekt der Einheit der Verfassung nicht erklärlich, wieso im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit Koalitionen strafrechtswidrige Zwecke sollten verfolgen dürfen oder inwieweit sich Koalitionstätigkeiten gegen die Völkerverständigung oder die verfassungsmäßige Ordnung sollten richten dürfen323. Zum anderen trägt diese Auseinandersetzung nicht zu einer Erkenntnis dessen bei, wie die praktische Notwendigkeit der umfassenden Güterabwägung handhabbar gemacht werden könnte. Dieser praktischen Notwendigkeit eingedenk wird dann auch versucht, die bei der Ausgestaltung – bzw. dann konsequent als Einschränkung324 bezeichneten – vorzunehmenden notwendigen Güterabwägungsprozesse damit zu rechtfertigen, dass es sich hier um die Berücksichtigung anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtsgüter handele. Wenn dabei das „permanente Spannungsverhältnis zum sozialstaatlichen Gestaltungsmandat des Gesetzgebers“, die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gem. Art. 109 Abs. 2 GG, sowie die konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen des Art. 74 Abs. 1 Nrn. 11 und 12 GG für das Recht der Wirtschaft und das Arbeitsrecht herangezogen werden müssen, um vielfältige als gesetzlich notwendig erkannte Regelungen im Tätigkeitsbereich der Koalitionen – dem wirtschaftlichen und sozialen Sektor – rechtfertigen zu können, um nicht in eine nachtwächterliche Rolle zu verfallen325, so unterstreicht dieses etwas bemüht wirkende Unterfangen326 eher die funktionale Notwendigkeit einer bei der Güterabwägung einzunehmenden Sicht einer allumfassenden Berücksichtigungsfähigkeit von Rechtsgütern und Interessen, als dass dadurch systematische oder inhaltliche Plausibilität erreicht werden könnte. Die praktische Notwendigkeit der Eröffnung der Möglichkeit einer ganz allgemeinen Güterabwägung im Bereich der Koalitionsbetätigung wurde bereits mehrfach angesprochen. Rechtsdogmatisch wird diesem Bedürfnis auch durch die Konstruktion eines ungeschriebenen Regelungsvorbehalts Rechnung getragen327. Dieser Regelungsvorbehalt soll die Ausgestaltung der Koalitionsbetäti322 So aber Sachs-Höfling Art. 9 Rdnrn. 126 ff. i. S. der Nicht-Geltung dieser Schrankenregelung aus verfassungssystematischen Gründen mit Hinweis auf die seiner Auffassung entgegenstehende h. M. – v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 89; MDHS-Scholz Art. 9 Rdnr. 337. 323 In diese Richtung Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 27 ff. 324 So Sachs-Höfling Art. 9 Rdnrn. 126 ff. 325 So Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 134 ff. mit Hinweis auf Isensse, S. 159 (172). 326 Dazu Gamillscheg KollArbR I, S. 129 ff.

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

gung anhand aller denkbarer legitimer Regelungszwecke steuern dürfen. Das kommt beispielsweise in den Äußerungen Wiedemanns328 zum Ausdruck, der unter Berufung auf das Bundesverfassungsgericht329 „die Einfügung der Koalitionen in die allgemeine Rechtsordnung, die Sicherheit des Rechtsverkehrs, die Rechte der Mitglieder und die Berücksichtigung schutzbedürftiger Belange Dritter oder öffentlicher Interessen“ als bei der ausgestaltenden Güterabwägung zu berücksichtigende (Rechts-)positionen benennt. Der Sache nach zu ganz ähnlichen Abwägungs- und Ausgestaltungskriterien kommen diejenigen Auffassungen, welche die Schranken der allgemeinen Rechtsordnung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG als Ausgangspunkt in die Verhältnismäßigkeitsprüfung i. e. S. bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung transponieren330. Hiergegen wird – letztlich entgegen den offen zutage liegenden praktischen Bedürfnissen – eingewandt, die Ausweitung über den Wortlaut des Grundrechtsnormsatzes hinaus berge die Gefahr der Grundrechtsaufweichung331. Ähnliche Bedenken werden auch geäußert, wenn davon gesprochen wird, es sei verboten, „beliebige öffentliche Interessen“ bei der Ausgestaltung zu berücksichtigen332. Indes sind diese Bedenken nicht gerechtfertigt: Denn zum einen besteht – genau und wortlautgetreu genommen – der in Anspruch genommene Grundrechtswortlaut über die Freiheit der Koalitionsbildung hinaus ohnehin nicht. Zum anderen bedeutet die Berücksichtigung umfassender auch Gemeinwohlinteressen im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung keine Preisgabe des Grundrechtsgehalts, wenn – wie oben bereits angesprochen – der Staat sich seiner Abwägungspflicht zugunsten der Koalitionsfreiheit bewusst ist und er erkennt, wann welche Koalitionsbetätigungsinteressen von herausragendem Gewicht sind333. 327 Friauf RdA 86, 188 (190 f.); Gamillscheg KollArbR I, S. 129 f.; Henssler ZfA 98, 1 (5 f.); Kamanabrou RdA 97, 22 (32 f.); Schwerdtfeger, S. 250; ähnlich Wank Anmerkung zu AP Nr. 76 zu Art. 9 GG und Wiedemann Einleitung Rdnrn. 134 f.; dagegen i. S. der Geltung nur der Schranken kollidierenden Verfassungsrechts und der Grundrechte Dritter: AK-GG-Kittner/Schiek Art. 9 Abs. 3 Rdnr. 94; Däubler Tarifvertragsrecht Rdnr. 351; Kempen, RdA 94, 140 (147), Kempen/Zachert Grundlagen Rdnrn. 105 ff.; Kittner FS Stahlhacke, S. 247 (S. 258); Reuter ZfA 90, 535 (545); Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 128 ff. 328 Wiedemann Einleitung Rdnr. 134. 329 BVerfGE 50, 290 (354, 368); 84, 372 (378); 88, 103 (115); 92, 26 (41); 92, 365 (394); 94, 268 (284). 330 Bruhn, S. 52 ff.; Gamillscheg KollArbR I, S. 131 f., der die Gesetzesvorbehalte zwar aus rechtssystematischen Gründen nicht direkt auf die Koalitionsfreiheit übertragen will – weil Art. 9 Abs. 3 GG die speziellere Regelung darstelle und der Rückgriff auf die allgemeinerer Regelung des Art. 2 deshalb nicht möglich sei – der aber eine mittelbar-analoge Anwendung zwingend für geboten hält, um „allen Nuancen der Gerechtigkeit“ Rechnung tragen lassen zu können; Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnrn. 47 ff. 331 Friese, S. 208 mit Hinweis auf Kemper, S. 142 f. 332 Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 36.

§ 1 Schutzumfang und Schutzfunktion des Art. 9 Abs. 3 GG

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Es besteht deshalb keine Gefahr, dass „beliebige öffentliche Interessen“ gegenüber der Koalitionsfreiheit zu illegitimer Bedeutung kommen könnten. Deshalb ist Ausgangspunkt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung, unabhängig von der dogmatischen Konstruktion einer direkten oder indirekten Geltung der Schrankenregelung des Art. 2 Abs. 1 GG, die allgemeine Rechtsordnung und das öffentliche Interesse in einem grundsätzlich weit zu verstehenden Sinne. c) Wechselwirkungsgedanke Die Übernahme der Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG als Ausgangspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung war u. a. damit legitimiert worden, dass sich der Staat seiner Abwägungspflicht zugunsten der Koalitionsfreiheit bewusst ist, und er erkennt, wann welche Koalitionsbetätigungsinteressen von herausragendem Gewicht für die effektive Verwirklichung der Koalitionsfreiheit sind. Auch wenn die Koalitionsbetätigung also zunächst einer Bindung an die allgemeine Rechtsordnung und einer weiten staatlichen Bewertungs- und Einschätzungsprärogative unterworfen ist, so muss andererseits – wechselwirkungsweise – auch die allgemeine Rechtsordnung ihrerseits der freien Koalitionsbetätigung gerecht werden334. Dasselbe ist der Sache nach gemeint, wenn Wiedemann335 ausführt, bei der Ausgestaltung sei der objektive Gehalt des Grundrechts „Orientierungsmarke“ der legislativen (bzw. staatlichen)336 Konkretisierung. Die Terminologie von Löwisch/Rieble337 nimmt deutlich Bezug zur Wechselwirkungslehre des Bundesverfassungsrechts, die dort vornehmlich zur Einschränkung der Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG durch die „allgemeinen Gesetze“ des Art. 5 Abs. 2 GG entwickelt worden ist. Nach dieser Lehre müssen die allgemeinen Gesetze in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, dass der besondere Wertgehalt dieses Rechts auch tatsächlich zum Tragen kommt. Das Grundrecht wird also nicht einseitig durch die allgemeine Rechtsordnung beschränkt, sondern die dem Wortlaut nach einschränkenden Regelungen müssen ihrerseits in ihrer grundrechtsbegrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden. Dabei betont das Bundesverfassungsgericht die Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles bei der Reich333

Ähnlich v. Münch-Kunig Art. 2 Rdnr. 24. Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnrn. 45, 50. 335 Wiedemann Einleitung Rdnr. 134. 336 Einfügung vom Verfasser. 337 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 50 sprechen hier davon, dass die allgemeine Rechtsordnung „im Lichte (des Grundrechts) der Koalitionsfreiheit ausgelegt und angewandt werden“. 334

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weite verfassungsrechtlich legitimer Grundrechtsbeschränkung338. Funktional ist diese Anwendung Wechselwirkungslehre nichts anderes als eine spezielle Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes339. Da der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wegen seines Ursprungs im Rechtsstaatsgebot340 jegliches staatliches Handeln überformt und bindet, besteht aus dieser Sicht kein Hindernis, den Wechselwirkungsgedanken auch in die Ausgestaltungsdogmatik des Koalitionsgrundrechts zu übertragen. Dies gilt umsomehr, als zum einen vorliegend von einer (analogen) bzw. unmittelbaren Schrankenübertragung des Art. 2 Abs. 1 GG in die Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 GG ausgegangen wird und die dort genannten Schranken starke inhaltliche Nähe zu den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG aufweisen, anhand derer die Wechselwirkungstheorie (ursprünglich) entwickelt worden ist. Zum anderen korrespondiert der Wechselwirkungsgedanke mit der festgestellten praktischen Notwendigkeit einer umfassenden Güterabwägung bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung, und er vermag es dabei wegen der ihm immanenten Betonung der besonderen Werthaltigkeit des Grundrechts, einer bestehenden Gefahr der „Grundrechtsaufweichung“ entgegenzuwirken. Dem Wechselwirkungsgedanken wird außerdem auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – wenn auch nicht ausdrücklich – gefolgt: In seinem Beschluss vom 24.04. 1996341 hat das Bundesverfassungsgericht (für den Bereich der Tarifautonomie) „eine Art flexibler Stufenlehre“ zur staatlichen Regelungskompetenz entwickelt, die genau die Hauptfaktoren der Wechselwirkungslehre für die Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung erfasst: Abwägungspflicht zugunsten der Koalitionsfreiheit und Erkenntnis und Einstellung der Koalitionsinteressen in die Güterabwägung entsprechend ihrem Gewicht für die Koalitionsbetätigung. Dass der Abwägungsvorgang dabei notwendig auf eine Einzelfallabwägung hinauslaufen muss342 und insofern schwer prognostizierbar ist, ist einerseits den praktischen Notwendigkeiten geschuldet und erfährt andererseits seine Rechtfertigung durch die oben ausgeführte legitime Weite der staatlichen Bewertungs- und Einschätzungsprärogative bei der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit.

338 BVerfGE 7, 198 (208); 12, 113 (124 f.); 20, 162 (176 f.); 24, 278 (282); 60, 234 (240); 61, 1 (10); 71, 206 (214, 219 f.); ständige Rechtsprechung; siehe dazu auch Jarass/Pieroth Art. 5 Rdnrn 57 ff.; v. Münch-Wendt Art. 5 Rdnrn. 75 f.; Sachs-Bethge Art. 5 Rdnr. 145. 339 Jarass/Pieroth Vorb. Vor Art. 1 Rdnr. 44. 340 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 2. 341 BVerfG v. 24.04.1996 – 1 BvR 712/86 = AP Nr. 2 zu § 57a HRG = BVerfGE 94, 268 (285 f.). 342 Siehe dazu Sachs-Bethge Art. 5 Rdnrn. 147 ff.

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d) Unantastbarkeit des Kernbereichs Die im Rahmen des Wechselwirkungsgedankens mehrfach betonte Orientierung der Ausgestaltung an der Abwägungspflicht zugunsten der Koalitionsfreiheit bewegt sich – wie dargestellt – auf dem Boden einer weiten staatlichen Einschätzungsprärogative. Dabei darf die Ausgestaltung nicht dazu führen, dass die Grundrechtsgewährung leerläuft oder „ausgehöhlt“343 wird, und für die Verwirklichung der Koalitionsfreiheit bzw. der Koalitionsbetätigung kein Raum mehr bleibt344. Sind Handlungsmöglichkeiten für die Verwirklichung der Koalitionsfreiheit demnach unverzichtbar und deshalb unerlässlich – was anhand wertender Abgrenzung zu entscheiden ist – ist damit ein Kernbereich345 von Koalitionsbetätigung betroffen, welcher für die staatliche Ausgestaltung anhand von Gemeinwohlinteressen gesperrt ist346. Der objektive Gehalt des Grundrechts darf nicht angetastet werden347. Insofern hat sich die Ausgestaltung zwischen den Polen einer weiten staatlichen Einschätzungsprärogative einerseits und einem Kernbereichsschutz des Unerlässlichen andererseits zu bewegen. Wird allerdings die ausgestaltende Belastung der Koalitionsfreiheit in diesem Kernbereich durch andere Grundrechte oder andere Werte mit Verfassungsrang legitimiert, so gilt insoweit der Kernbereichsschutz wiederum nicht absolut, sondern ist dann abwägungsoffen348. Deshalb kommt der Schutz des Unerlässlichen im Kernbereich inhaltlich dem Wesensgehalt des Grundrechts nach Art. 19 Abs. 2 GG zwar nahe, ist mit diesem aber nicht synonym. e) Gewährleistung effektiver Grundrechtsausübung – Untermaßverbot Die im vorliegenden Zusammenhang stetig erfolgte Betonung der Abwägungspflicht zugunsten der Koalitionsfreiheit und der Gedanke der auch im Zusammenhang mit dem Koalitionsgrundrecht anzuwendenden Wechselwirkungstheorie hat letzten Endes nur eine Funktion: Die Effektivität der Grundrechtsausübung soll gewährleistet werden. Dies spiegelt einen allgemeinen 343 Wank Anmerkung zu AP Nr. 76 zu Art. 9 GG A III 3 a; Wiedemann Einleitung Rdnr. 135. 344 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 54. 345 Gamillscheg KollArbR I, S. 130 f., spricht in diesem Zusammenhang von „Kern und Hof“: Der eigentliche Kerninhalt des Rechts sei „von dem ganzen Drum und ran seiner Ausübung zu trennen“. 346 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnrn. 54, 56; ähnlich Wiedemann FS Stahlhacke, S. 675 (S. 682). 347 Wiedemann Einleitung Rdnr. 135 mit Hinweis auf BVerfGE 92, 365 (394). 348 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnrn. 55 f. nennen als Beispiele hierfür den Ausschluss der Tarifautonomie durch die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums in Art. 33 Abs. 5 GG und das Streikverbot in den Kirchen aufgrund von Art. 140 GG/137 ff. WRV.

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Auslegungsgrundsatz verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung wider: Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach den „Grundsatz der größtmöglichen Grundrechtseffektivität“ bei der Auslegung von Grundrechtsvorschriften hervorgehoben. Nach diesem Grundsatz349 muss in Zweifelsfällen diejenige Auslegung (bzw. im Bereich des offenen Koalitionsgrundrechts: diejenige Ausgestaltung) gewählt werden, welche die Wirkungsmacht der Grundrechtsnorm am stärksten zu entfalten vermag350. Ob dies förmlich als allgemeine Freiheitsregel „in dubio pro libertate“351 zu verstehen ist oder ob eine solch generelle Vermutung rechtlich nicht anzuerkennen ist352, ist insbesondere angesichts der freiheitsbetonenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kein Streit mit wirklich markanten Auswirkungen. Die „skrupulöse“ Abwägung im Einzelfall soll nämlich im vorliegenden Zusammenhang mit der Grundrechtsausgestaltung gerade nicht umgangen werden353. Verwandt mit dem zur Geltung zu bringenden Grundsatz der effektiven Grundrechtsausübung ist das Untermaßverbot 354. Es ist schon mehrfach erwähnt worden, dass die Koalitionen im Hinblick auf die staatliche Ausgestaltung einen Anspruch darauf haben können, dass gegebenenfalls sogar in ganz spezifischer Art und Weise von ihr Gebrauch gemacht wird355. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht (mehr) zu rechtfertigende Grundrechtsbeschränkungen durch staatliches Unterlassen dann angenommen, wenn staatlicherseits Schutzvorkehrungen für ein Grundrecht überhaupt nicht oder aber in einer Weise getroffen worden sind, die das Schutzziel als praktisch kaum noch erreichbar erscheinen lassen356. Allerdings kommt staatlichen Stellen in Hinblick auf solchermaßen zu konstituierende Handlungs- oder Leistungspflichten ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu357. Insofern flankiert das Untermaßverbot im Sinne einer Evidenzkontrolle von der anderen Seite her das Gebot der effektiven Grundrechtsausübung. So lässt sich die beispielsweise nach Löwisch/Rieble358 gebotene Modifikation der Rechtsordnung hin zu einem Gebot des Zur-Verfügung-Stellens des 349

Hierzu siehe v. Münch-v. Münch Vorb. Art. 1–19 Rdnr. 51. BVerfGE 39, 1 (38) – Fristenlösung; 57, 70 (99) – HessUnivG; 59, 231 (265) – WDR. 351 So AK-GG-Denninger vor Art. 1 Rdnr. 12 f. 352 So v. Münch-v. Münch Vorb. Art. 1–19 Rdnr. 51. 353 v. Münch-v. Münch Vorb. Art. 1–19 Rdnr. 51 sieht anscheinend die Gefahr einer nicht mehr erfolgenden Einzelfallabwägung durch Überbetonung einer allgemeinen Freiheitsvermutung. 354 Dazu ErfK-Dieterich Art. 9 Rdnr. 83; Jarass/Pieroth Vorb. vor Art. 1 Rdnrn. 35, 51 f. 355 Bleckmann § 11 Rdnr. 195; Friese, S. 221, S. 231; Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnrn. 50 f.; Otto FS Zeuner, S. 121, S. 128. 356 BVerfGE 92, 26 (46); 77, 170 (215); 79, 174 (202); 88, 203 (254). 357 Jarass/Pieroth Vorb. vor Art. 1 Rdnr. 52; BVerfGE 77, 170 (214 f.). 350

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Tarifvertragssystems als eine dem Untermaßverbot geschuldete staatliche Handlungs- bzw. Ausgestaltungspflicht im Sinne der Gewährleistung effektiver Grundrechtsausübung begreifen. Wenn weiter der Staat mit dem System der Betriebs-, Personal- oder Unternehmensverfassung in Konkurrenz zur Koalitionsbetätigung tritt359, so stellt dabei – ganz allgemein gesprochen – das Gebot effektiver Grundrechtsgewährleistung sicher, dass die Koalitionen in diesem institutionellen Rahmen „ihre Vorstellungen von der richtigen Ordnung abhängiger Arbeit“ dort auch formulieren dürfen360. Ohne diese Möglichkeit nämlich wäre das Untermaßverbot verletzt. Nicht gemeint ist hiermit auf der anderen Seite aber eine staatliche Verpflichtung auf Erfolgsverschaffung für die Koalitionen. Für die Schlagkraft der Koalitionen oberhalb der Gewährleistung des genannten institutionellen Rahmens sind diese selbst verantwortlich361. 3. Allgemeiner Gleichheitssatz – Diskriminierungsverbot 362 Dass staatliche Ausgestaltung wie jedwede staatliche Tätigkeit an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG als „wichtigste Positivierung des allgemeinen Gleichheitsgedankens in der Verfassung363“ gebunden ist, muss nicht näher nachgewiesen werden: Der allgemeine Gleichheitssatz bildet einen in allen Bereichen geltenden Verfassungsgrundsatz364. Die Zahl der Veröffentlichungen im Schrifttum zum Gleichheitssatz ist fast unübersehbar365, so dass im Folgenden nur ein rudimentäres Nachzeichnen wichtigster Strukturlinien geleistet werden soll. a) Allgemeine Anforderungen des Gleichheitssatzes an staatliches Handeln Allgemein verfassungsrechtlich gebietet der Gleichheitssatz nach der bekannten „Faustformel“, dass „wesentlich Gleiches nicht willkürlich ungleich, noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln ist“366. Dabei bedeutet Willkürlichkeit, dass die Maßnahme oder deren Unterlassung im Hinblick auf 358

Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 51. Dazu noch unten 2. Kap. § 1 F. IV. 3. g) cc) ff. 360 In diese Richtung Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnrn. 205, 208; § 243 Rdnr. 14. 361 Dazu Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 16. 362 Die Bindung der Ausgestaltung an den Gleichheitssatz wird zum Teil auch direkt aus Art. 9 Abs. 3 GG oder jedenfalls in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG gefolgert, so Löwisch/Rieble § 246 Rdnrn. 234 ff.; § 244 Rdnr. 11; ähnlich Rieble Rdnr. 1855. 363 v. Münch-Gubelt Art. 3 Rdnr. 1. 364 BVerfGE 6, 84 (91); 38, 225 (228); 41, 1 (13). 365 So v. Münch-Gubelt Art. 3 Rdnr. 15. 359

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die zu regelnde Lebenssituation bei wertender Betrachtung wirklich und eindeutig unangemessen ist367. Da die Rechtsprechung bei der Gleichheitsprüfung der Sache nach gerade dies kernhaft zu prüfen hat, kommt der Willkürlichkeit eigentlich kein wirklich eigenes tatbestandliches Gewicht zu368. Die Prüfung der Einhaltung des allgemeinen Gleichheitssatzes erfolgt, indem zunächst das objektive Vorliegen einer Ungleichbehandlung festgestellt wird. Nach dieser grundsätzlichen Eröffnung der Prüfung anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes müssen die jeweiligen Unterschiede in den tatsächlichen Verhältnissen festgestellt werden, und abschließend ist dann im Hinblick auf die festgestellten Unterschiede (wertend) zu untersuchen, ob die unterschiedliche Behandlung der Lebenssachverhalte sachlich begründet und damit vertretbar ist369 – oder sie eben, weil tatsächlich und eindeutig unangemessen – als willkürlich einzuordnen ist. Wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass die Ungleichbehandlung durch einen hinreichend gewichtigen Grund gerechtfertigt sein kann370, so ist damit gemeint, dass grundsätzlich jede vernünftige Erwägung als Differenzierungsgrund in Betracht kommen kann371. Diese „Faustformel“ ist vom Bundesverfassungsgericht weiterentwickelt worden: Nach der sog. „neuen Formel“ ist der allgemeine Gleichheitssatz dann verletzt, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“372. Damit ist gegenüber der ursprünglichen Formel eine Akzentverschiebung weg von jedem sachlich einleuchtenden Grund für die Differenzierung hin zu einem verstärkten sachlichen Begründungserfordernis für die Ungleichbehandlung erfolgt373. Die Formulierung, „ein innerer Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Unterschieden und der differenzierenden Regelung müsse bestehen“374 kann dazu dienen, diese verstärkten Anforderungen etwas griffiger zu machen. Die Differenzierung muss deshalb auch und gerade gemessen am Regelungszweck sachlich nachvollziehbar sein, um tragfähig und damit gerechtfertigt zu sein.

366 Siehe nur BVerfGE 4, 144 (155); 27, 364 (371 f.); 78, 104 (121); 84, 133 (158); 98, 365 (385). 367 BVerfGE 80, 48 (51); 83, 82 (86). 368 Alexy, S. 369. 369 Alexy, S. 390; v. Münch-Gubelt Art. 3 Rdnr. 11. 370 BVerfGE 100, 138 (174). 371 Jarass/Pieroth Art. 3 Rdnr. 15. 372 BVerfGE 55, 72 (88); 65, 377 (384); 81, 108 (118); 82, 60 (86); 92, 277 (318); 95, 39 (45). 373 MDHS-Herzog Art 3 Rdnr. 6; vgl. v. Münch-Gubelt Art. 3 Rdnr. 14, der die Rechtsprechungsentwicklung ganz ausführlich nachzeichnet. 374 Siehe Jarass/Pieroth Art. 3 Rdnr. 15 mit Rechtsprechungsnachweisen.

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b) Ausformung eines speziellen Anforderungsprofils für das erlaubte Maß der Differenzierung – Prüfungsintensität Die sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebenden Anforderungen an legitime Differenzierungsgründe mit den oben genannten verstärkten Anforderungen an die sachliche Begründung von Ungleichbehandlungen fallen je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedlich aus. Sie reichen vom bloßen Willkürverbot bis hin zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse375. Dieser Raum wird auch als „Kontinuum von einer sehr großzügigen bis zu einer sehr strengen Prüfung“ bezeichnet376. Gemeint ist damit ein System von Anforderungen und Abstufungen anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes in seinem Zusammenhang mit anderen Verfassungsnormen377: Weil der Grundrechtsgedanke des Gleichheitssatzes primär eine Ungleichbehandlung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen einer eher strengen Bindung an die Anforderungen der Verhältnismäßigkeit. Werden dementgegen Sachverhaltsgruppen unterschiedlich behandelt, besteht staatlicherseits ein eher weiterer Bewertungs- und Beurteilungsspielraum für diese Differenzierung als bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen378. Wichtig für den vorliegenden Zusammenhang der Untersuchung ist dabei, dass wegen der Beeinträchtigung juristischer Personen nicht etwa von vorneherein Sachverhaltsbezogenheit besteht, sondern auch zwischen juristischen Personen die Ungleichbehandlung von Personengruppen möglich ist379. Besonders hohe Prüfungsintensität verlangt – und stellt damit hohe Anforderungen an die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen anhand sachlicher Gründe, die rechtfertigend im inneren Zusammenhang mit dem Zweck der differenzierenden Regelung stehen müssen – das Bundesverfassungsgericht auch dann, wenn die Ungleichbehandlung Auswirkungen auf grundrechtlich gesicherte Freiheitsrechte hat, wobei die Grenzen für Differenzierungen umso enger gehalten sind, als sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten intensiver zu Lasten des Freiheitsrechts auswirkt380. Dieser Mechanismus

375 BVerfGE 88, 87 (96); 93, 99 (111); 95, 316 (103); 97, 271 (290); 99, 367 (388); 103, 172 (193); Jarass/Pieroth Art. 3 Rdnr. 17; v. Münch-Gubelt Art. 3 Rdnr. 14. 376 Jarass/Pieroth Art. 3 Rdnr. 17. 377 v. Münch-Gubelt Art. 3 Rdnr. 14. 378 Jarass/Pieroth Art. 3 Rdnrn. 19 ff.; v. Münch-Gubelt Art. 3 Rdnr. 14, S. 208. 379 Jarass/Pieroth Art. 3 Rdnr. 19 mit Verweis auf BVerfGE 95, 267 (317) und 99, 367 (389). 380 BVerfGE 74, 9 (24); 82, 126 (146); 88, 87 (96); 89, 69 (89); 89, 365 (376) m.w. N.; 91, 346 (363); 97, 271 (290 f.); 99, 367 (388); 103, 172 (193); 105, 73 (110); zu dieser Abstufungssystematik siehe insgesamt auch Jarass/Pieroth Art. 3 Rdnrn. 18 ff., 21; v. Münch-Gubelt Art. 3 Rdnr. 14, insbesondere dort S. 209, wo

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kann als ausdifferenziertes Anforderungsprofil für die Legitimität von Ungleichbehandlungen seitens des Staates bezeichnet werden. c) Ausdifferenziertes Anforderungsprofil bei der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit Der vorstehend beschriebene Mechanismus der notwendigen Rechtfertigung staatlicherseits vorgenommener unterschiedlicher Behandlung von Personengruppen oder Sachverhalten bedeutet für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang vor allem, dass staatliche Stellen, also insbesondere Gesetzgeber und Rechtsprechung, auch im Bereich der Ausgestaltung, an ein solchermaßen ausdifferenziertes Anforderungsprofil gebunden sind. „Der Staat darf rechtliche Kompetenzen für Koalitionen nur von solchen spezifischen Merkmalen abhängig machen, die für die Wahrung gerade dieses Rechts erforderlich sind“. Die gemachten Unterschiede zwischen Koalitionen müssen sich nachweisbar am Regelungszweck rechtfertigen lassen (innerer Zusammenhang)381. In diesem Zusammenhang kann ein weiteres Mal die oben im Kontext der Untersuchung des „Vorverständnisses des Wesens der Koalitionsfreiheit“382 genannte und mitvertretene „Bündelungstheorie“ fruchtbar gemacht werden: Diese betont die Bündelung der Einzelinteressen in der Koalition und bindet die so verstandene kollektive Koalitionsfreiheit stark zurück an den personalen Charakter des mit Art. 9 Abs. 3 GG dem abhängig Beschäftigten verliehenen Freiheitsrecht. Unabhängig von der oben383 getroffenen Feststellung, dass die Ungleichbehandlung von „juristischen Personen“384 als Ungleichbehandlung von Personengruppen mit der besonders strengen Prüfung der Differenzierungsvoraussetzungen anheimfallen kann, ergibt sich damit für den Bereich der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit auch schon aus dem mit dem Bündelungsgedanken nachzuweisenden vorrangig personalen Charakter der Koalitionsfreiheit die Notwendigkeit der Anwendung eines besonders strengen Prüfungsmaßstabs innerhalb des Anforderungsprofils. Dies gilt umsomehr, als das oben umrissene Anforderungsprofil des allgemeinen Gleichheitssatzes daneben einen besonders strengen Maßstab auch wegen der mit der Ausgestaltung verbundenen Grundrechtsberührung von Koalitions- und Berufsfreiheit verlangt385.

diese Systematik in ein sehr ausdifferenziertes Prüfungsraster anhand enumerativ aufgezählter und abzuarbeitender Prüfungsschritte gefasst wird. 381 Löwisch/Rieble § 246 Rdnr. 235; dazu auch Rieble Rdnr. 1859 f.; ähnlich, wenn auch etwas „verwässerter“ Gamillscheg KollArbR I, S. 132, 3. b). 382 Siehe oben 2. Kap. § 1 B. II. 383 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. b). 384 Bekanntlich sind die meisten Gewerkschaften aus historischen Gründen gesellschaftsrechtlich aber ohnehin als nicht-rechtsfähige Vereinigungen korporiert.

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Aus diesem Grunde ist vorwegnehmend – was unten noch näher ausgeführt werden soll386 – die Geltung eines einheitlichen Gewerkschaftsbegriffs im gesamten Arbeitsrecht und insbesondere für den Bereich der Betriebsverfassung zu verwerfen. Für den weiteren Gang der vorliegenden Untersuchung bedeutet die Maßgabe dieses ausdifferenzierten Anforderungsprofils, dass die gesetzliche oder richterrechtliche Ungleichbehandlung von Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften, bzw. der von ihnen organisierten Arbeitnehmern oder Mandatsträgern, im Bereich der sekundären Gewerkschafts- bzw. Koalitionsrechte einer besonders starken Rechtfertigungskontrolle unterworfen sein muss. d) Weitere Verstärkung der Prüfungsintensität bei Wahlen Die Vorgaben des Anforderungsprofils für das erlaubte Maß der Differenzierungen und für die Prüfungsintensität, die vorstehend für die Ausgestaltung schon allgemeinen als besonders streng beschrieben worden sind, erfahren im Hinblick auf die gebotene Strenge dort noch eine weitere Steigerung, wo es innerhalb des Systems der Betriebsverfassung um Wahlen geht, bei denen regelmäßig auch Gewerkschaftslisten miteinander konkurrieren. Schon an dieser Stelle soll auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen werden, die seit langer Zeit durchgängig außerordentlich hohe Hürden für eine staatliche Differenzierung bei der Ausgestaltung des Zugangs zu Wahlen im Bereich zwangskorporierter Mitbestimmung aufgestellt hat. Zu nennen sind hier dessen Entscheidung vom 23.03.1982387 zum Bremischen PersVG, mit der das Bundesverfassungsgericht seine Grundsätze zum Wahlvorschlagsquorum bei allgemeinen politischen Wahlen auf das Personalvertretungsrecht übertragen hat, die beiden Entscheidungen vom 16.10.1984388, bei der diese Grundsätze im Hinblick auf die Analogiefähigkeit von allgemein-politischen Wahlen und Personalvertretungswahlen anhand und für das Bundespersonalvertretungsrecht vertieft wurden389, der Beschluss vom 22.10.1985390, bei der die bislang entwi385 Siehe dazu auch Rieble, Rdnrn. 1855 ff.; BVerfG v. 16.11.1982 – 1 BvL 16/75, 36/79 = AP Nr. 16 zu § 622 BGB B I.; BVerfG v. 30.05.1990 – 1 BvL 2/83, 1 BvL 9/84, 1 BvL 10/84, 1 BvL 3/85, 1 BvL 11/89, 1 BvL 12/89, 1 BvL 13/89, 1 BvL 4/ 90, 1 BvR 764/86 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB C I 1. 386 Dazu unten das 3. Kap. 387 BVerfG v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen. 388 BVerfG v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82, 21/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG. 389 Siehe dazu auch BVerfG v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen B. II.: „besonderer, zwingender Grund“; v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82, 21/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG Gründe I.: „zwingender Grund“; siehe auch bereits betreffend die Selbstverwaltungsorgane der Sozialversicherungen BVerwG v. 24.02.1971 – 1 BvR 438/68, 456/68, 484/68, 1 BvL 40/69 = AP Nr. 22 zu Art. 9 GG C. II. 1.: „zwingende Gründe“.

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ckelten Grundsätze vor allem unter dem Blickwinkel von Wahlen innerhalb zwangskorporierter (öffentlich-rechtlich organisierter) Personalkörperschaften betrachtet und in ihrer Anwendbarkeit bejaht wurden391, bis hin zur konsequenten Weiterentwicklung dieser Rechtsprechungsgrundsätze in der jüngsten einschlägigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.10.2004392 (Verfassungswidrigkeit des Zehn-Prozent-Quorums für Wahlbewerber bei Delegiertenwahlen im Rahmen von Wahlen für den Aufsichtsrat nach dem MitbestG 1976)393. Hierzu wird noch vertiefend im Zusammenhang mit der Untersuchung der Minderheitenproblematik im Bereich der Wahlakte im Betriebsverfassungsrecht einzugehen sein394. e) Staatliche Neutralität als Ausfluss des Allgemeinen Gleichheitssatzes Im Hinblick auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung folgt aus dem oben Ausgeführten zwanglos die Feststellung einer Neutralitätspflicht des Staates gegenüber miteinander konkurrierenden Gewerkschaften bzw. Koalitionen395. Denn mit der festgestellten strengen Prüfungsintensität im Bereich der differenzierenden Ausgestaltung der Koalitionsbetätigungen wird der Staat auf einen ganz engen und sachlich-rational nachvollziehbaren Bereich von Differenzierungsgründen verpflichtet. Keine staatliche Intervention oder Ausgestaltung zugunsten oder zu Lasten einer der konkurrierenden Gewerkschaften bzw. Koalitionen darf also „parteiisch“ in dem Sinne sein, als sie ohne wirklich fundierte Rechtfertigungsgründe für die Differenzierung auskommen könnte396. Die Feststellung des Neutralitätsgebots für den Staat ist im Grunde genommen also eher eine Art Metapher für die Gesamtschau derjenigen Anforderungen, welche der allgemeine Gleichheitssatz für die Behandlung von konkurrierenden Koali390 BVerfG v. 22.10.1985 – 1 BvL 44/83 AP Nr. 142 zu Art. 3 GG („Arbeitnehmerkammergesetz Bremen“). 391 BVerfG v. 22.10.1985 – 1 BvL 44/83 = AP Nr. 142 zu Art. 3 GG dort insb. Gründe I 1. f. 392 BVerfG v. 10.12.2004 – 1 BvR 2130/98 AP Nr. 2 zu § 12 MitbestG. 393 BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 C. I. 1. (Unterschriftenquorum MitbestG); siehe dazu auch Klein ZBVR 00, 18 sowie ZBVR 04, 246 und besonders Löwisch FS Zöllner, S. 847, der die Verfassungswidrigkeit der Quoren für die Wahlen nach dem MitbestG in umfassender Weise nachgewiesen hat; zust. Auch Säcker RdA 05, 113 f.; siehe zum Literaturstand vor der Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit des § 12 MitbestG auch Ulmer/Habersack/Henssler § 12 Rdnrn. 2 ff. 394 Dazu siehe unten insb. 4. Kap. § 3 A. ff.; § 4; § 6; § 8; 17. 395 Siehe dazu Rieble Rdnrn. 1854 ff. 396 Siehe dazu auch Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 245.

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tionen bei der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit bereithält, als ein eigener und tragender Gesichtspunkt für diese Ausgestaltung. Gleichwohl bringt die Feststellung des Neutralitätsgebots die Anforderungen an staatliches Ausgestaltungshandeln insofern „griffig auf den Punkt“, als damit auch auf den (macht-) politischen Gehalt und die Gefahren parteiischer Verführungen bei der Ausgestaltung im Bereich der Koalitionsbetätigungen verwiesen wird: Wenn beispielsweise im Hinblick auf die ursprünglichen Planungen des Gesetzgebers bei der Betriebsverfassungsnovelle 2001 zur Abschaffung des Verhältniswahlschutzes bei Ausschussbesetzungen und Freistellungen397 zu Recht darauf hingewiesen worden ist, dass die hierfür angeführten Gründe der „erheblichen Vereinfachung dieser Wahlvorgänge“398 sachlich schon unschlüssig waren, weil dadurch eine Vereinfachung gar nicht hätte bewirkt werden können399 – abgesehen von der Tragfähigkeit solcher Vereinfachungsgesichtspunkte für eine gleichheitsbewusste Ausgestaltung an sich – so lässt sich dies zwar auch in das oben entwickelte Anforderungsprofil einordnen: Denn ohne nachvollziehbare Schlüssigkeit des Differenzierungsgrundes für die unterschiedliche Behandlung verschiedener „Fraktionen“400 des Betriebsrats mit unterschiedlicher gewerkschaftlicher Prägung und mitgliedschaftlicher Zugehörigkeit hält die letztlich ausschließlich an den faktischen Mehrheitsverhältnissen ausgerichtete Ungleichbehandlung einer Prüfung am allgemeinen Gleichheitssatz nach dem oben strukturierten Anforderungsprofil nicht stand. Die damit jedenfalls tendenziell verbundene Parteinahme für die „Mehrheitsfraktionen“ bzw. für die regelmäßig dahinterstehenden Mehrheitsgewerkschaften401 kann aber darüber hinaus eben „griffig“ als Verstoß gegen das staatliche Neutralitätsgebot beschrieben werden402. 397 Mit der ersatzlosen Streichung des Grundsatzes der Verhältniswahl in den diesbzgl. Vorschriften der §§ 27 Abs. 1 Satz 3, 28 Abs. 1 Satz 1, 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG wäre der Weg zum Verfahren der Mehrheitswahl eröffnet, wenn nicht sogar vorgegeben gewesen. „Verfasste“ Minderheiten innerhalb des Betriebsrats oder seiner Gremien hätten dann kaum noch eine Chance gehabt, sich über die Mitarbeit in Ausschüssen oder durch freigestellte Mandatsträger in die Betriebsratsarbeit wirksam einzubringen – mit vermutlich negativen Folgen für die hinter Ihnen stehenden Minderheitsgewerkschaften. 398 Begründung des Gesetzentwurfs zu Nr. 30 lit. b (S. 46). 399 Löwisch BB 01, 726 (728). 400 Der Begriff der „Fraktion“ bezeichnet eher einen rechtstatsächlich vorgefundenen Aspekt der praktischen Betriebsratsarbeit als eine rechtlich sicher im Betriebsverfassungsrecht verortete Größe und wird deshalb in Anführungszeichen gesetzt. 401 Siehe dazu die Forderungen im DGB-Entwurf zu einer Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes: Der DGB hat insbesondere die Regelungen zur Abschaffung des Verhältniswahlverfahrens begrüßt, siehe DGB-Stellungnahme 2000. 402 Nicht umsonst spricht Löwisch BB 01, 726 (728 Ziff. 3) in diesem Zusammenhang von „Monopolisierung durch Mehrheitswahl“ und betont, diese Bestrebungen verwerfend, das durch das Verhältniswahlsystem sichergestellte Koalitionsbetätigungsrecht der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung; in der Tendenz noch

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

Für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang folgt aus dem Neutralitätsgebot vor allem, dass der weit verbreitete „Wunsch nach der großen starken Einheitsgewerkschaft“403 oder die Präferenzen staatlicher Funktionsträger für bestimmte Gewerkschaften oder für eine bestimmte Tarifpolitik für die Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung bedeutungslos zu bleiben haben404. Von entgegengesetzter Warte aus betrachtet heißt Neutralitätspflicht aber gleichzeitig auch, dass im Wettbewerb der Koalitionen den Staat keine Erfolgsverschaffungspflicht für kleinere Koalitionen oder Minderheitsgewerkschaften405 im Sinne des Fehlverständnisses eines zu praktizierenden Minderheitenschutzes treffen kann. f) Zersplitterungsargument als Sachkriterium der Differenzierung zwischen Mehrheits- und Minderheitskoalitionen bzw. Gewerkschaften? Dass Präferenzen für eine starke Einheitsgewerkschaft aus dem aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Neutralitätsgebot für den Staat für sich genommen keinen tragenden Sachgrund für Differenzierungen bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung abzugeben vermögen, ist ausgeführt worden406. Dies gilt umsomehr, als oben407 überdies festgestellt worden ist, dass dem Grundrecht der kollektiven Koalitionsfreiheit wegen seines privatautonomen Charakters von vorneherein eine koalitionspluralismusfreundliche Tendenz innewohnt. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der Literatur408 wird dementgegen allerdings, insbesondere im Zusammenhang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für Wahlen im Mitbestimmungsbereich, immer wieder vorausgesetzt oder betont, dass staatliche Ausgestaltung der Gefahr einer – zu starken – Zersplitterung begegnen dürfe409. Dem entspricht die allgegenwärtige Praxis des Bestehens von Quoren im Bereich politischer Wahlen im Allgemeinen und im Bereich des Betriebsverfassungsrechts die Regelung des § 14 Abs. 4 Satz 1 BetrVG im Besonderen, mit der ein Quorum von einem Zwanetwas anders und den Aspekt des koalitionsrechtlichen Minderheitenschutzes durch das Verhältniswahlsystem nicht betonend aber noch Löwisch BB 88, 1953 1954. 403 Rieble Rdnr. 1780. 404 Rieble Rdnrn. 1778; 1854. 405 Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 16. 406 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. e). 407 Siehe oben 2. Kap. § 1 B. II. 1 ff. 408 Dütz Gutachten, S. 19, Hanau Gutachten, S. 17 f.; S. 21; Dütz DB 01, 1306 (1308). 409 So BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 C. 3. a) aa); v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen B. II.; v. 22.10.1985 – 1 BvL 44/83 = AP Nr. 142 zu Art. 3 GG Gründe II. 1.

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zigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer für Wahlvorschläge der Arbeitnehmer festgeschrieben worden ist. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an solche Quoren sollen aber erst weiter unten – im Kontext der Untersuchung der Wahlvorschriften im Betriebsverfassungsgesetz erfolgen410. Für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang soll aber schon an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass durch eine allzu leichtfertige Inanspruchnahme des Zersplitterungsargumentes411 der Sache nach die staatliche Neutralität in einem von vorneherein auf Koalitionspluralismus angelegten verfassungsrechtlichen System zugunsten eines mit diesem Argument präferierten Modells eines bipolaren Antagonismus von Einheitsgewerkschaft und Arbeitgeberseite beschädigt werden kann. g) Effektivität des Minderheitenschutzes als Verwirklichung des Koalitionsgrundrechts von Minderheitsgewerkschaften bzw. -koalitionen aa) Allgemeine – positive – Anforderungen an die staatliche Ausgestaltung Es wurde bereits dargelegt412, dass der Effektivierung der Grundrechtsausübung innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens für die Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung durch die Betriebsverfassung eine prominente Stellung zukommen muss. Konkurrieren Minderheitskoalitionen miteinander, so können deshalb alle Konkurrenten für sich beanspruchen, dass auch auf dem Hintergrund dieses Wettbewerbs jeweils ihre eigene Grundrechtsausübung effektiv zum Tragen kommt. Gleichzeitig wurde vorstehend413 die staatliche Neutralitätspflicht bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung im Hinblick auf einen bestehenden Koalitionswettbewerb festgestellt: Nicht der Staat mit seinen ausgestaltenden Anforderungen an die Koalitionsbetätigung oder gar mit unsachgemäßen Anforderungen an die Koalitionseigenschaft selbst414, sondern nur der Koalitionserfolg darf diesen Wettbewerb beeinflussen bzw. entscheiden415: 410

Siehe unten 4. Kap. § 3 A. So aber beispielsweise Schumann AiB 88, 205 (2069); der nur vom „sog. Minderheitenschutz“ spricht und diesen qua Zersplitterungsargument in Zusammenhang mit „Außensteuerung“ und nicht näher benannten „Manipulationen von außen“ stellt; ähnlich Zachert ArbuR 86, 321 (325), der die Gefahr beschwört, dass die rechtliche Anerkennung von kleinen Verbänden, der von ihm so bezeichneten „Splittergruppen“ – die er mit Selbstverständlichkeit den vom Arbeitgeber gesteuerten gelben Gewerkschaften gleichsetzt – gesellschaftspolitisch die Gefahr eines Zurückversetzens auf den Stand vor 1918 zurückwerfen könnte. 412 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. g). 413 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. e) f. 414 Dazu bereits oben ausführlich 2. Kap. § 1 C. f. 411

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Ist es also ganz grundsätzlich geboten, durch die Ausgestaltung effektive Betätigungsformen für die Koalitionen zu schaffen, so bedeutet dies aufgrund der verfassungsrechtlichen (Grund-)Wertentscheidung für den Koalitionswettbewerb und für einen Pluralismus von Koalitionen im Speziellen weiter für diesen Wettbewerb, dass die staatlicherseits vorgenommene Ausgestaltung sich dieser Konkurrenzsituation bewusst ist, und sie auch unter diesem Blickwinkel dafür Sorge trägt, dass für die Minderheitskoalitionen Raum für effektive Betätigungsmöglichkeiten besteht416. Effektiver Minderheitenschutz im Hinblick auf konkurrierende Koalitionen bedeutet damit zunächst jedenfalls „Bewahrung eines wenigstens potentiellen Gewerkschaftspluralismus“417. Darüber hinaus muss aber auch noch bedacht werden, dass mit der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG auch ein Optimierungsgebot418 einhergeht: Effektiver Grundrechtsschutz muss also in diesem Sinne auch optimal effektiviert werden, allerdings ohne in Erfolgsverschaffung für eine bestimmte Koalition oder die Koalitionen umschlagen zu dürfen419. Dass diese Effektivierung ihre Grenzen in dem gleichgelagerten Schutz der konkurrierenden (Mehrheits-) gewerkschaften und gegebenenfalls an den Grundrechten der Arbeitgeberseite finden muss, versteht sich dabei von selbst. Denn keine Grundrechtsposition darf für sich alleine unbedingte Geltung und alleinige Optimierung beanspruchen. Die ausgestaltende Schaffung eines im Ergebnis hergestellten Grundrechtsreservats für die etablierten Koalitionen zu Lasten des Rechts der Minderheitskoalitionen auf Gründung und Aufholwettbewerb gegenüber den Etablierten darf demnach nicht erfolgen420. Auch darf – schon wegen des oben dargelegten Untermaßverbots421 – dieser Effekt nicht etwa durch staatliches Untätigbleiben bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung eintreten. Für das Betriebsverfassungsrecht ist der Minderheitenschutz deshalb als verfassungsrechtlich bedeutsam auch von der Rechtsprechung ausdrücklich anerkannt worden. So hat beispielsweise das Bundesarbeitsgericht im Sinne einer Effektivierung des aus Art. 9 Abs. 3 GG heraus abzuleitenden und mit großer Bedeutung versehenen Minderheitenschutzes in seinem Beschluss vom 25.04.2001422 entschieden, dass sich der Abberufungsschutz des § 38 BetrVG im Hinblick auf freigestellte Be415 Sie dazu Rieble Rdnr. 1895; BVerfG v. 06.05.1964 – 1 BvR 79/62 = PersV 64, 153 B. III. 2. d). 416 Siehe dazu Rieble Rdnr. 1782. 417 Löwisch RdA 75, 53 (56); Rieble Rdnr. 1780. 418 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 2. c) ff. 419 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 43; § 246 Rdnr. 16. 420 Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 46. 421 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 2. e). 422 BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 Gründe B. I. 2. c aa (3), bb.

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triebsratsmitglieder der Minderheitskoalition nicht auf das gem. §§ 38 Abs. 2 Satz 8 i.V. m. § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG geregelte Abberufungsquorum (drei Viertel) beschränken darf, sondern darüber hinaus auch ein Listenschutz i. S. des Nachrückens in die Freistellung analog der Regelung des § 25 Abs. 1 BetrVG (Ersatzmitglieder des Betriebsrats) geboten ist. bb) Spezielle – negative – Anforderungen an die staatliche Ausgestaltung – Unlauterkeitsgrenzen und Auswirkungen von Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG Wurde vorstehend eine positive Agenda für die staatliche Ausgestaltung skizziert, so muss demgegenüber aber auch gleichsam negativ betont werden, dass staatliche Ausgestaltung nicht in eine Erfolgsverschaffung für schwache Koalitionen umschlagen darf. Denn hierin läge ebenfalls eine Verletzung der staatlichen Neutralitätspflicht – die verfassungsrechtliche Wertentscheidung für den Koalitionswettbewerb würde dann nämlich nicht an dem von der Koalition selbst zu verantwortenden (Koalitions-)erfolg realisiert werden, sondern den Wettbewerb zwischen den Koalitionen nur verzerren – was zwangsläufig zu Lasten des Gleichbehandlungsanspruchs der Mehrheitskoalition(en) gehen müsste. Es ist daher richtig, wenn Gamillscheg423 feststellt, dass „eine staatliche Überlebenshilfe für den schwächeren Verband eine Verletzung der Neutralitätspflicht im Konkurrenzkampf der Verbände“ darstellen würde. Im Hinblick auf die oben genannten Anforderungen an gebotenes staatliches Ausgestaltungshandeln ist auch zu fordern, dass der Wettbewerb der Koalitionen nicht durch den missbräuchlichen Gebrauch der „Marktmacht“ der Mehrheitskoalitionen zu Lasten der Minderheitskoalitionen verzerrt werden kann. Auch das dem Art. 9 Abs. 3 GG zugrundeliegende Gegenmachtprinzip kann die Verzerrung des Wettbewerbs unter den Koalitionen nicht rechtfertigen, weil das Gegenmachtprinzip antagonistisch auf das Verhältnis der sozialen Gegenspieler ausgerichtet ist424: Staatliche Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung schlüpft hier in das Gewand der gerichtlichen Unlauterkeitskontrolle: Polemische Herabsetzungen der konkurrierenden Koalition, unwahre Angaben über Leistungsangebote oder Irreführungen der potentiellen Klientel müssen – zusammenzufas-

423 Gamillscheg KollArbR I, S. 217 unter Hinweis auf BVerfG v. 04.07.1995 – 1 BvF 2/86 u. a. = AP Nr. 4 zu § 116 AFG Gründe C. I. 1. c., letzter Abs.: „Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, Disparitäten auszugleichen, die nicht strukturell bedingt sind, sondern auf inneren Schwächen einer Koalition beruhen. Der Organisationsgrad einer Koalition, ihre Fähigkeit zur Anwerbung und Mobilisierung von Mitgliedern und ähnliche Faktoren liegen außerhalb der Verantwortung des Gesetzgebers. Er ist nicht gehalten, schwachen Verbänden Durchsetzungsfähigkeit . . . zu verschaffen“. 424 Rieble Rdnr. 1782.

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sen als Verbot unfairer Werbung oder Gebot fairen Wettbewerbs – unterlassen werden425. Es ist zwar selbstverständlich, dass bei einander entgegengesetzter Ausübung der Koalitionsfreiheit die beiden Grundrechtspositionen einander begrenzen müssen. Werden dabei aber die Grenzen zur Unlauterkeit überschritten, so ist dies verfassungsrechtlich auch mit Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG zu fassen426: Denn diese Vorschrift, die nach ganz h. M. mit unmittelbarer Drittwirkung ausgestattet ist427, entfaltet ihre Wirkung auch im Verhältnis der Koalitionen untereinander428. Für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang kann diese Feststellung auch dort Bedeutung entfalten, wo mit betriebsverfassungsrechtlichen Tarifverträgen durch Mehrheitsgewerkschaften und Arbeitgeber vom gesetzlichen Normalfall abweichende Betriebs- oder Vertretungsstrukturen geschaffen werden, welche Erschwerungen eines Wahlerfolgs oder Artikulationsschwierigkeiten für die Minderheitskoalitionen mit sich bringen sollen. Sie kann außerdem dort von Bedeutung sein, wo die Mehrheitskoalition bei anderen Verbänden (Minderheitskoalitionen) organisierte Arbeitnehmer zum Übertritt bedrängen. Das Bundesarbeitsgericht429 hat – im strukturell vergleichbaren Fall des koalitionslosen Arbeitnehmers – dazu ausgeführt, dass das, was über ein gütliches Zureden zum Gewerkschaftseintritt hinausgeht, als Bedrängung die negative Koalitionsfreiheit des betroffenen Arbeitnehmers verletzen kann430. Nichts anderes kann dann aber auch im Hinblick auf den bereits bei einer Minderheitsgewerkschaft organisierten Arbeitnehmer gelten, außer, dass durch solche Vorgänge auch gleich-

425 Löwisch/Rieble MünchArbR § 245 Rdnr. 9; Rieble Rdnr. 1784; BAG v. 14.02.1967 – 1 AZR 494/65 = AP Nr. 10 zu Art. 9 GG Bl. 4 (gegen andere Koalitionen „jedenfalls kein Vorgehen mit grob unwahrer oder hetzerischer Weise, kein Versuch der Vernichtung des Koalitionskonkurrenten“); Richardi-Richardi § 2 Rdnrn. 159 ff.; jüngst BAG v. 31.05.2005 – 1 AZR 141/04 NJW 05, 3019 ff. (Verbot unlauteren Wettbewerbs oder der Werbung mit Ziel der Existenzvernichtung der konkurrierenden Gewerkschaft). 426 Ähnlich Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 34; v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 86. 427 Siehe dazu nur die Nachweise bei Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 34; Rüthers Anmerkung zu BAG v. 02.06.1987 – 1 AZR 651/85 – AP Nr. 49 zu Art. 9 GG IV. 1.; statt vieler BVerfGE 57, 220 (245); BAG v. 10.12.2002 – 1 AZR 96/02 = AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Gründe B. I. 3. b bb; BGH v. 08.07.1982 – III ZR 103/80 = AP Nr. 37 zu Art. 9 GG Gründe B. II. 1. b aa; A.A. AK-Kittner Art. 9 Rdnr. 80, der den Wirkbereich der Klausel als auf das Verhältnis zur Arbeitgeberseite begrenzt ansieht. 428 Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 34; Löwisch/Rieble MünchArbR § 245 Rdnr. 9; v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 86. 429 BAG v. 14.02.1967 – 1 AZR 494/65 = AP Nr. 10 zu Art. 9 GG Bl. 5. 430 Kritisch hierzu Däubler § 11 2. b (Rdnr. 324), der die Unbestimmtheit des Begriffs des „Bedrängens“ anführt; der aber davon ausgeht, dass jedenfalls die Drohung mit der Veranlassung beruflicher Verschlechterung für den nicht Eintrittswilligen durch die werbende Koalition unzulässig ist.

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zeitig das aus Art. 9 Abs. 3 (Satz 2) GG431 heraus geltende Verbot des fairen Umgangs im Koalitionswettbewerb mitbetroffen ist. cc) Insbesondere: bei der Wahrnehmung der Aufgaben der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen in staatlich vorgegebenen Zwangskorporationen („konkurrierende Einrichtungen“) Die Koalitionen haben kein Monopol zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Sie haben auch kein Monopol, nicht einmal eine absolute Vorrangstellung für die normative Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen432. Deshalb kann der Staat auch Belegschaftsverbände (Zwangskorporationen) schaffen, in denen qua Mitbestimmung durch Betriebsräte Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geregelt werden, beispielsweise auch durch Kollektivverträge mit normativer Geltungskraft (Betriebsvereinbarungen mit darin enthaltenen Betriebsnormen)433. Hier tritt der Staat in direkte Konkurrenz zu den Koalitionen, so wie er – genau genommen – auch durch sein Arbeitsrecht eine solche Konkurrenzsituation schafft434. Andererseits enthält die Koalitionsfreiheit aber ein „besonderes Autonomieprogramm“: Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen die Möglichkeit haben, Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen mit den von ihnen selbst frei gebildeten Koalitionen autonom zu regeln, wenn aus ihrer Sicht hierfür ein Bedürfnis besteht435. Das Bundesverfassungsgericht hat in Anerkennung der staatlichen Konkurrenz durch die Betriebsverfassung zur Koalitionstätigkeit deshalb betont, dass für diese Konkurrenz ein Ausgleich erforderlich ist436. Der Staat hat diesen Ausgleich im Hinblick auf die Schaffung einer Betriebsverfassung dadurch verwirklicht, dass er den Koalitionen die Möglichkeit gegeben hat, sich an den Wahlen in der Betriebsverfassung zu beteiligen437. Bei diesen Wahlen hat der Staat strengste Neutralität zu 431 Das BAG v. 14.02.1967 – 1 AZR 494/65 = AP Nr. 10 zu Art. 9 GG; v. 11.11. 1968 – 1 AZR 16/68 leitet das Gebot des fairen Umgangs unter den Koalitionen als Folge des anerkannten Koalitionspluralismus direkt aus Art. 9 Abs. 3 GG ab. 432 Siehe nur BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG („Mitbestimmungsurteil“) C. IV. 2. b. cc. (S. 37). 433 Dazu und zur Verfassungsgemäßheit der staatlichen Konkurrenz durch das System der Betriebsverfassung – die hier nicht weiter thematisiert werden soll – sehr ausführlich Friese, S. 313 ff. (Teil 4: Die betriebsverfassungsrechtliche Stellung der Koalitionen als Ausgleich für die gesetzliche Schaffung eines konkurrierenden Arbeitnehmerrepräsentanten auf der Betriebsebene und dort insbesondere § 8, S. 328 ff.: „Keine funktionsgefährdende Beeinträchtigung der kollektiven Koalitionsfreiheit durch das bestehende Betriebsverfassungssystem“). 434 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 67. 435 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnrn. 62 ff. 436 BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG („Mitbestimmungsurteil“) C. IV. 2. b. cc. (S. 37).

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wahren, wie bereits oben438 ausgeführt worden ist439. Der Wahlerfolg, nicht die Wahlzulassung, hat über den Koalitionserfolg zu entscheiden. Der Staat gewährleistet durch diese Neutralität demnach schon einen Grundtatbestand effektiven Minderheitenschutzes für Minderheitskoalitionen, wenn er für sie den Wahlzugang eröffnet und keine Quoren errichtet, die ohne zwingenden Sachgrund objektiv als „Fernhaltevorkehrungen“ zu Lasten der kleineren Koalitionen fungieren. In diesen Zusammenhang gehört die Äußerung von Löwisch/Rieble440, dass die Möglichkeit, auf staatliche Konkurrenz Einfluss nehmen zu können, gerade für weniger bedeutende Arbeitnehmerkoalitionen geboten sei. Auch dessen muss sich die staatliche Ausgestaltung eingedenk sein: Denn der Aufholwettbewerb der kleineren gegenüber den größeren und „tarifmächtigen“ Koalitionen muss naturgemäß auf einer unteren Ebene von Koalitionsbetätigung erfolgen: Auf jener nämlich der Teilhabe und Einflussnahme innerhalb der Betriebsverfassung. Wie effektiver Minderheitenschutz über diesen Grundtatbestand hinaus im Bereich der sekundären Gewerkschaftsrechte in der Betriebsverfassung konkret zu verwirklichen ist, wird im Zusammenhang mit den zu untersuchenden Regelungen dann vertieft darzustellen sein441. dd) Vorgaben des Demokratieprinzips an die Verwirklichung der kollektiven Koalitionsfreiheit bei der Ausgestaltung zwangskorporierter Mitbestimmung Fragt man nach den Vorgaben des Demokratieprinzips für die Ausgestaltung der Betriebsverfassung442, so führt diese Frage zunächst auf ganz grundsätzlich anzustellende Überlegungen über die Funktion der Betriebsverfassung bzw. der Mitbestimmung in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen zurück. Der hiermit verbundene Grundsatzstreit kann vorliegend zwar nicht erschöpfend behandelt werden. Dessen Grundlinien allerdings sollen gleichwohl kurz nachgezeichnet werden. Teilweise wird aus der Würde und Freiheit des Einzelnen gefolgert, dass sich „die emanzipatorische Macht dieser verfassungsrechtlichen Wertentscheidung auch am Arbeitsplatz müsse entfalten können“443. Der Staat habe die Verpflichtung, der Verobjektivierung der Person auch im gesellschaftlichen Rahmen Ein437

Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 72. Siehe oben 2. Kap. § 1 F. 3. b) ff. 439 Auch Rieble Rdnr. 1789. 440 Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 225. 441 Dazu unten 4. Kap. 442 Dazu allgemein mit umfassender Aufarbeitung von Rechtsprechung und Literatur Reichhold, S. 486 ff. (I. Das Wertfundament der Betriebsverfassung); siehe dazu auch Raiser Einl. Rdnrn 24 ff. 438

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halt zu gebieten444. Außerdem sei die Legitimation gesellschaftlicher (und auch wirtschaftlicher) Machtausübung für eine freiheitliche Ordnung unabdingbar. Deswegen sei die Anwendung demokratischer Prinzipien auf das Unternehmen und seine Leitung im Wege der Mitbestimmung geboten445. Die Verfassung wolle Demokratie auch in der Wirtschaft, Mitbestimmung sei insofern ein gesellschaftliches Grundprinzip, weshalb die Legitimation des Gesetzgebers zur Einführung der Mitbestimmung sich auch aus dem Demokratieprinzip speise446. Daraus wird vereinzelt sogar ein „Grundrecht auf Mitbestimmung hergeleitet“447. Etwas verhaltener wird die Betriebsverfassung auch als „Vorschule der Demokratie“ bezeichnet oder der allgemeine Gedanke der „betrieblichen Demokratie“ ins Feld geführt448. Entgegengesetzte Auffassungen halten diese Herleitungen für zumindest unpräzise: Das Betriebsverfassungsrecht führe weder zur demokratischen Legitimation der Unternehmensführung durch Wahlen seitens der Belegschaft, noch sei der Betrieb demokratisch strukturiert. Die Wahlen legitimierten alleine die Repräsentanten der Belegschaft. Deshalb sei der Teilhabegedanke im Betriebsverfassungsrecht präziser als der Rekurs auf „betriebliche Demokratie“449.

443 Siehe dazu Reichhold, S. 487, der diese Herleitung zwar für grundsätzlich richtig hält, der andererseits aber betont, dass die Unterordnung erst Folge der selbstbestimmten Eingehung des Arbeitsverhältnisses ist. Ablehnend insgesamt zu einem „Grundrecht auf Mitbestimmung“ als Leitlinie quer durch Staat und Gesellschaft, S. 488. 444 DKK-Kustode/Däubler Einleitung Rdnr. 39. 445 Fitting/Wlotzke/Wißmann Vorb. Rdnr. 20; zur politischen und ideellen Vorgeschichte des MitbestG auch Raiser Einl. Rdnrn. 24 ff.; insbesondere Rdnr. 25 zur Frage der Demokratisierung der Mitbestimmung. 446 DKK-Kustode/Däubler Einleitung Rdnr. 39; v. Hoyningen-Huene, 3 f. m.w. N., 11 ff.; v. Hoyningen-Huene FS Stahlhacke, S. 173 (S. 174 f.); v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 297 Rdnr. 1 ff., der allerdings nicht so weit geht, ein Grundrecht des Arbeitnehmers auf Mitbestimmung zu formulieren sondern vielmehr im Gegenteil die Verfassung als Grenze, nicht als Grund der Mitbestimmung begreift; AK-Stein Art. 20 Abs. 1–3 Rdnrn. 48 ff. 447 Däubler Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 135, S. 155 ff. 448 Gamillscheg KollArbR I, S. 10 f. unter Hinweis auf das Diktum von Herschel, S. 29 von der „daily industrial democracy“ (zit. nach Gamillscheg a. a. O.); Hueck/Nipperdey II/2, S. 1062 ff. 449 GK-Wiese Einleitung Rdnr. 80 m.w. N.; ähnlich Zöllner/Loritz § 43 I., die zwar in der Mitbestimmung ein gesellschaftliches Leitprinzip sehen, der Verwendung des Begriffs der Demokratie in diesem Zusammenhang aber eher skeptisch gegenüberstehen, weil den Belegschaftsrepräsentanten durch ihre Wahl keine zusätzliche Legitimation durch die Allgemeinheit erwachse, Demokratie in der Betriebsverfassung letztlich nur formal bei Wahlen Platz greife und Forderungen nach Demokratie bzw. Mitbestimmung häufig nur marxistische Forderungen nach Sozialisierung der Produktionsmittel beschreibe bzw. kaschiere.

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ee) Grundsätzlicher Geltungsanspruch des Demokratiegebots als Folge der Zwangskorporation? – Regelungsunterworfenheit der Zwangskorporierten Die vorstehend angedeutete Grundsatzauseinandersetzung kann hier nicht geführt werden. Dass auf der einen Seite eine „pauschale“ Demokratisierung der Arbeits- und Wirtschaftsprozesse durch Mitbestimmung i. S. einer „strategischen Durchgangsstufe zur vollen Sozialisierung“450 verfassungsrechtlich unter dem Aspekt der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG nicht haltbar ist, steht aber jedenfalls seit dem Mitbestimmungsurteil fest451: „Wie weit die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums bei Organisationsmaßnahmen sozialordnender Art reicht, bedarf keiner abschließenden Festlegung. Der Gesetzgeber hält sich jedenfalls dann innerhalb der Grenzen zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmung, wenn die Mitbestimmung der Arbeitnehmer nicht dazu führt, das über das im Unternehmen investierte Kapital gegen den Willen aller Anteilseigner entschieden werden kann, wenn diese nicht auf Grund der Mitbestimmung die Kontrolle über die Führungsauswahl im Unternehmen verlieren und wenn ihnen das Letztentscheidungsrecht belassen wird.“

Dass auf der anderen Seite die Mitbestimmung – soziologisch betrachtet – jedenfalls als „Vorschule der Demokratie“ bezeichnet werden kann, dürfte aber auch kaum bezweifelbar sein. Man denke nur an die sogar „basisdemokratische Intervention“ der Fraktion der Grünen, die im Zuge der Betriebsverfassungsnovelle 2001 zur Einführung des § 28a BetrVG geführt hat. Diese Regelung ist erkennbar von dem basisdemokratischen Gedanken geprägt, dass sich die einzelnen Arbeitnehmer stärker als bisher in kollektive Prozesse einbringen können und sollen452. Dass Demokratisierung in einem solchermaßen allgemeineren Verständnis den Gesetzgeber zur Mitbestimmung und deren Weiterentwicklung (mit-)inspiriert hat, dürfte also nicht bestreitbar sein453. Insofern ist Dütz454 beizupflichten, der nur eine demokratisch verfasste Repräsentation455 der beteiligungsbefugten Belegschaft als rechts- und sozialstaat450 So leicht ironisch Zöllner/Loritz § 43 I a. E., die davon sprechen, dass hier die „Dignität des traditionellen Demokratiebegriffs auf etwas Wesensverschiedenes ausgedehnt werde“; siehe auch Rieble Rdnr. 1421: „Ein Grundrecht auf Mitbestimmung im Sinne Däublers gibt es nicht“. 451 BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG C. III. 1. b bb a. E., S. 27. 452 Blanke RdA 03, 141; DKK-Wedde § 28a Rdnr. 1; Fitting § 28a Rdnr. 6. 453 Siehe dazu auch in diesem Sinne die Begründung zur BetrVG-Novelle 1988, BT-Drucks. 11/2503, S. 1 (S. 22 ff.); Ausschussbericht, BT-Drucks. 11/3618, S. 4 ff.; siehe auch Dütz DB 01, 1306 (1308), der unter Hinweis auf Äußerungen des Bundesarbeitsministers zur Begründung der BetrVG-Novelle 2001: „kleines Grundgesetz für die demokratische Mitwirkung der Beschäftigten im Betrieb“, zit. nach (Fn. 29) FAZ v. 06.04.2001, S. 1. 454 Dütz, DB 1306 (1307 f.); Dütz Gutachten, S. 16 f.

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lichen Erfordernissen entsprechend ansieht. Denn wenn auch die Strukturentscheidung des Art. 20 Abs. 1 GG für einen demokratischen Staat456nicht unmittelbar auf die privatrechtszugehörige Betriebsverfassung übertragbar sein kann, so kommt ihr doch die Kraft eines sehr starken rechts- und verfassungspolitischen Arguments zu. Dies gilt umsomehr, als der Staat mit der Betriebsverfassung die Arbeitnehmer als Belegschaften „zwangskorporiert“ hat und der Regelungsgewalt einer kollektiven Interessenvertretung unterworfen hat. Jenseits der Auseinandersetzungen um den Geltungsgrund des Normcharakters der Betriebsvereinbarung ist der Normcharakter selbst unbestritten durch § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG festgelegt457. Hier kann das verfassungsrechtliche und -politische Argument der grundlegenden Strukturentscheidung des Grundgesetzes fruchtbar gemacht werden458: Da der Regelungsunterworfenheit der Belegschaft kein imperatives Mandat des Betriebsrats korrespondiert459 und dieser auch nicht (rechtsgeschäftlich) vertretend tätig ist, muss seine Mandatierung, aufgrund derer er Regelungen trifft, verfahrensmäßig – im Sinne einer Legitimation dieser „Repräsentationsfunktion“ – demokratisch verfasst sein460. Ähnlich hat sich Zöll455 Kritisch zum Begriff der Repräsentation Reichold, S. 548 f. m.w. N., weil dieser Begriff die „betriebsdemokratische Legitimation kraft Wahl unzulässig verallgemeinert und die privatautonome Legitimation kraft Arbeitsvertrags verdeckt“; ähnlich Zöllner/ Loritz § 43 I. 456 Dazu Jarass/Pieroth Art. 20 Rdnr. 1. 457 GK-Kreutz § 77 Rdnr. 220; zur Auseinandersetzung um den Geltungsgrund der Betriebsvereinbarung und der Normwirkung derselben GK-Kreutz § 77 Rdnrn. 220 ff. 458 So Schleusener, ZTR 98, 100 (106), der – allerdings im Hinblick auf betriebliche Normen – ausführt, das staatliche Demokratiegebot müsse als allgemeines Rechtsprinzip überall dort gelten, wo Normsetzung durch Repräsentationsorgane stattfinde. 459 BAG v. 27.09.1989 – 1 ABR 28/88 = AP Nr. 5 zu § 42 BetrVG 1972 II 2. b aa: „Keine Verbindlichkeit“; v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 299 Rdnr. 16; auch ein imperatives Mandat allerdings hätte „demokratischen Charakter“, nicht allerdings im Sinne des vom Gedanken der (parlamentarischen) Repräsentativität geprägten Demokratieverständnis des Grundgesetzes. 460 Die Idee notwendiger demokratischer Repräsentation ist allerdings stark umstritten. Ähnlich der Auseinandersetzung über das Wesen der Koalitionsfreiheit wird auch über das Wesen der Legitimation betrieblicher Normsetzungsmacht als privatrechtsakzessorisch oder etatistisch-sozialstaatlich gestritten. Dies führt zu unterschiedlichen Sichtweisen hinsichtlich der Notwendigkeit demokratischer Repräsentation als Pendant zur Normunterworfenheit der Belegschaft. Dazu zusammenfassend Hänlein RdA, 26 ff. Hänlein, a. a. O., S. 29, selbst folgert aus dem nicht-hoheitlichen Charakter betrieblicher Rechtssetzung, dass diese keiner demokratischen Legitimation bedürfe. So sieht Reichhold, S. 499, den Betriebsrat als Vertragshelfer der Arbeitnehmer an. Diese Vertragsrechtsakzessorietät betriebsrätlicher Tätigkeit alleine reiche für die Legitimation der Normwirkung der Betriebsvereinbarung aus, so Reichold, S. 542. Rieble Rdnr. 1422 f., entwickelt diesen Gedanken weiter, indem er den „privatrechtshelfenden“ Betriebsrat nur intern in die Willensbildung des Arbeitgebers eingeschaltet ansieht, weshalb nur dessen an und für sich gegebene Entscheidungsmacht begrenzt werde. Deshalb sei ein Legitimationsproblem des Betriebsrats bei der Rechtssetzung gegenüber den Arbeitnehmern nicht vorhanden. Und deshalb, so Hänlein RdA 2003, 26 (30), spiele bei Reichold und Rieble die Betriebsratswahl unter legitimatorischem Aspekt

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

ner461 geäußert: Die Verleihung autonomer Rechtssetzungsbefugnisse durch den Staat an Dritte sei insofern unbedenklich, als den Normunterworfenen gewisse demokratische Mitwirkungsgarantien eingeräumt würden. Das Bundesarbeitsgericht sieht ebenfalls in diesem Sinne in der demokratischen Wahl des Betriebsrats ein notwendiges Korrelat zur Normgeltung bzw. Normunterworfenheit der Belegschaftsangehörigen, wenn es ausdrücklich den Zusammenhang zwischen der Normgeltung und der Möglichkeit der Arbeitnehmer betont, ihr aktives Wahlrecht auszuüben462. Deshalb – und nur in diesem Sinne der demokratischen Legitimation für die „Repräsentationsfunktion“ des Betriebsrats – muss das Demokratiegebot als wesentliche Strukturentscheidung des Verfassungsgebers die Regelungsunterworfenheit der in der Belegschaft zwangskorporierten Arbeitnehmer „flankieren“463. Die demokratische Verfasstheit der Realisierung betrieblicher Mitbestimmung dient damit auch der Sachgerechtigkeit der Verfolgung der Belegschaftsinteressen und optimiert im Hinblick auf die mit der Mitbestimmung verbundene Einschränkung des Eigentumsrechts der Arbeitgeberseite verfahrensmäßig die Voraussetzungen für dessen Sozialpflichtigkeit464. Der Gesetzgeber hat deshalb zu Recht die kollektive Teilhabe der Arbeitnehmer in der Betriebsverfassung verfahrensmäßig demokratisch verfasst. Mit Dütz465 ist deshalb darüber hinaus sogar davon auszugehen, dass die Verfahrensregeln, welche die Realisierung des betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmung gewährleisten sollen, demokratischen Regeln gerecht werden müssen.

auch keine Rolle. Demokratische Legitimation des Betriebsrats als jedenfalls „ergänzende binnendemokratische Legitimation“ einer Repräsentation der Belegschaft taucht bei Waltermann, S. 205 f., auf; ergänzend in diesem Verständnis bedeutet aber letztlich: nicht unabdingbar. Denn Waltermann, S. 212 f., S. 225 ff., sieht kein durchschlagendes Legitimationsproblem im Hinblick auf die Geltung von Betriebsvereinbarungen gegenüber Leiharbeitnehmern oder gegenüber aus dem Betrieb ausgeschiedenen Arbeitnehmern; ähnlich auch Jahnke, S. 111 ff. 461 Zöllner, S. 19. 462 BAG Großer Senat v. 16.03.1956 = AP 27 zu § 242 Ruhegehalt = BAGE GS 3, 1 (9); unter ausdrücklicher Inbezugnahme der Entscheidung des Großen Senats BAG v. 13.05.1997 – 1 AZR 75/97 = AP Nr. 65 zu § 77 BetrVG 1972 Gründe I. 2. und 3.; v. 25.10.1988 – 3 AZR 483/86 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Gründe I. 2. a, b. 463 Ähnlich Dütz Gutachten, S. 16 f.; Dütz DB 01, 1306 (1307 f.). 464 Siehe Dütz Gutachten, S. 16 f.; Dütz DB 01, 1306 (1307 f.); dort wird betont, dass nur die demokratische Legitimation der betrieblichen Vertretungen dem Arbeitgeber die sozialpflichtige Einschränkung abverlangen könne. 465 Dütz DB 01, 1306 (1308); Dütz Gutachten, S. 18; Dütz/Schulin ZfA 75, 103 (112 ff.).

§ 1 Schutzumfang und Schutzfunktion des Art. 9 Abs. 3 GG

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ff) Demokratisches Verfahren Die weiter oben466 ausgeführten allgemeinen Anforderungen an die verfassungsrechtlichen Vorgaben für Wahlen in der Betriebsverfassung (demokratisches Verfahren) lassen sich auch als fernwirkender Ausfluss des Demokratieprinzips deuten: Denn Demokratie als Herrschaftsform baut wie keine andere auf Freiheit und Gleichheit der Bürger auf467, weshalb das Gebot der formalen Wahlrechtsgleichheit bei Wahlen im Bereich der Mitbestimmung468 auch als eine Forderung des Demokratiegebots aufgefasst werden kann. Der allgemeine Gleichheitssatz jedenfalls ist vom Demokratiegebot umfasst469. gg) Grundsatz der Mehrheitsherrschaft – Immanenz des Minderheitenschutzes Eine ganz grundlegende Ausprägung des Demokratieprinzips stellt das Mehrheitsprinzip dar470. Jenem Prinzip ist zunächst das Prinzip der Mehrheitsentscheidung immanent: Der Mehrheit steht deshalb das Recht zu, die Minderheit zu binden471. Die Geltung des Mehrheitsprinzips ist allerdings nicht allumfassend. Ebenfalls aus dem Demokratiegebot entspringt nämlich das dem Mehrheitsprinzip gegenläufige Gebot, Minderheiten zu schützen472. „Wäre Demokratie nichts anderes, als Mehrheitsherrschaft, so würde sie auch eine Mehrheitsdiktatur einschließen, die sich nur durch eine geringere Zahl der Unterdrückten von der Minderheitsdiktatur unterscheidet“473. Demokratie ist dementgegen aber „diejenige Herrschaftsform, welche die größte Chance der Verwirklichung der

466

Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. g) cc) f. BVerfGE 44, 125 (139); Jarass/Pieroth Art. 20 Rdnr. 8: „Grundbedingungen der Demokratie“; Sachs-Sachs Art. 20 Rdnr. 16 m.w. N.; Stern, 594 ff.; S. 613 ff. 468 Zuletzt BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 unter C. 469 AK-GG-Stein (2. Aufl.) Art 20 Abs. 1–3 II, Rdnr. 11; Jarass/Pieroth Art. 20 Rdnr. 8; MDHS-Herzog Art. 20 I. Rdnr. 17; II. Rdnrn. 6 ff. 470 In seiner (rechts-)geschichtlichen Dimension siehe dazu Eschenburg IV. 1. b, S. 123 ff. 471 BVerfGE 29, 154 (165); dazu Jarass/Pieroth Art. 42 Rdnr. 3; Art. 20 Rdnr. 15; v. Münch-Schnapp Art. 20 Rdnr. 16; Sachs-Sachs Art. 20 Rdnr. 21 f. („quantitative Evidenz“). 472 Dütz DB 01, 1306 (1308); Dütz Gutachten, S. 17; Sachs-Sachs Art. 20 Rdnr. 26; Jarass/Pieroth Art. 20 Rdnr. 15; in diesem Sinne betont auch Hanau RdA 01, 65 (70), dass es sich der Gesetzgeber bei seinen Planungen zur Novelle 2001 in Richtung eines weitgehenden Abbaus des Verhältniswahlrechts mit der diesbzgl. Begründung mit der Erleichterung der Wahlvorgänge zu leicht gemacht habe. Dies Begründung sei wohl nur vorgeschoben „um eine Befriedigung des alten Wunsches betrieblicher Mehrheiten, ihre Mehrheit möglichst umfassend geltend zu machen“ zu rationalisieren. 473 Dütz DB 01, 1306 (1308); Dütz Gutachten, S. 17. 467

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

Freiheit garantiert“474 bzw. garantieren soll. Insofern also – wegen der Verankerung des Mehrheitsprinzips im Demokratieprinzip – ist der Minderheitenschutz dem Mehrheitsprinzip in dem Sinne immanent, als er gleichsam stets mitgedacht werden muss. Er ist deshalb auch für den Bereich des Betriebsverfassungsrechts als grundsätzliches und dem Mehrheitsprinzip korrespondierendes Ordnungsprinzip bei der Auslegung von Vorschriften stets mitzudenken475. Denn zu jedem demokratischen Verfahren gehört wesensmäßig ein Schutz von Minderheiten, und dieser ist deshalb auch in der Betriebsverfassung – seit jeher – Ausdruck demokratischer Notwendigkeit476. Dass solcher Minderheitenschutz auch effektiv ausfallen muss, wurde bereits mehrfach betont und wird – jenseits der konkreten verfassungsrechtlichen Herleitung – auch von der Rechtsprechung jedenfalls im Grundsatz477 so anerkannt so praktiziert478.

474 Eschenburg VII. 3. a, S. 284 f. mit Hinweis auf Neumann Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 109. Bd. 1953, S. 53 475 Siehe dazu beispielsweise BVerwG v. 27.09.1990 – 6 P 23.88 = AP Nr. 2 zu § 19 BPersVG Gründe II. 2., wo der aus dem Demokratiegebot folgende Minderheitenschutz von parlamentarischen Minderheiten direkt als Anwendungsgedanke in das Bundespersonalvertretungsrecht übertragen wird. 476 Dietz, S. 317 (S. 318); Dütz DB 01, 1306 (1308); Dütz Gutachten, S. 17; Galperin RdA 68, 445 (446); Wlotzke DB 89, 111 (112); anders Muhr ArbuR 82, 1 (6), der den Minderheitenschutz dort verortet, wo im Sinne einer Spaltungspolitik durch „unheilige Allianzen“ – gemeint sind F.D.P und CDU/CSU im Bundestag – Gruppierungen ohne ausreichende Legitimation durch den Wähler in den Betriebsrat und seine Gremien gleichsam „hineinmanipuliert“ werden. 477 Ob die Rechtsprechung in allen Facetten konkreter Normanwendung im Betriebsverfassungsrecht tatsächlich diesen Grundsatzanforderungen entspricht, wird im 3. Kap. zu untersuchen sein. 478 Siehe im Ergebnis nur BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 Gründe B. I. 2. c aa (3), bb., allerdings unter Berufung direkt auf Art. 9 Abs. 3 GG; in der Tendenz anders, betreffend den Minderheitenschutz durch Verhältniswahl bei der Bildung des Vorstandes der Personalvertretung, noch BVerwG v. 27.09.1990 – 6 P 23.88 – = AP Nr. 2 zu § 19 BPersVG Gründe II. 2., wo allerdings auf die zwischenzeitlich überholte Rechtsprechung des BVerfG verwiesen wurde, derzufolge die Koalitionsbetätigung nur in einem Kernbereich – und nicht umfassend jede Koalitionsbetätigung – geschützt werde; siehe dazu („Effektivität durch formale Wahlrechtsgleichheit und Differenzierungsanforderungen für Wahlvorschläge“) auch BVerfG v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen B. II.: „besonderer, zwingender Grund“; v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82, 21/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG Gründe I.: „zwingender Grund“; siehe auch bereits betreffend die Selbstverwaltungsorgane der Sozialversicherungen BVerwG v. 24.02.1971 – 1 BvR 438/68, 456/68, 484/68, 1 BvL 40/69 = AP Nr. 22 zu Art. 9 GG C. II. 1.: „zwingende Gründe“; allg. zur Bedeutung des Minderheitenschutzes im Betriebsverfassungsrecht siehe auch Löwisch ZBVR 02, 207 (208 ff.); Löwisch BB 01, 726 ff.; BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 C. I. 1. (Unterschriftenquorum MitbestG).

§ 1 Schutzumfang und Schutzfunktion des Art. 9 Abs. 3 GG

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hh) Allgemeine Konsequenzen des auch aus dem Demokratieprinzip folgenden Gebots effektiven Minderheitenschutzes für die Anwendung der Normen des Betriebsverfassungsrechts Dass auch unter dem Aspekt effektiven Minderheitenschutzes das Mehrheitsprinzip nicht an sich in Frage gestellt werden kann, wurde vorstehend dargelegt. Weiter wurde oben479 außerdem betont, dass Minderheitenschutz auch nicht in eine staatliche „Erfolgsverschaffungsgarantie“ umschlagen darf. Herausragende Bedeutung hat hierbei der Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit480. Im Rahmen dieser Eckwerte kann aber gesagt werden, dass Minderheitenschutz jedenfalls bedeutet, dass dem demokratischen Prinzip insofern praktische Geltung verschafft werden muss, als bei Konflikten durch argumentative Auseinandersetzung ein „echter Meinungsbildungsprozess“ ermöglicht werden kann. Dazu gehört sachnotwendigerweise auch der Anspruch der Minderheit darauf, sich in den gewählten Gremien im Vorfeld anstehender Entscheidungen und im Entscheidungsprozess selbst informieren zu können481. Man könnte dies als „Recht der argumentativen Teilhabe der Minderheit(en) an der Entscheidungsfindung“ bezeichnen, wobei der Herstellung von Transparenz und Information erhebliches Gewicht deshalb zukommt, weil nur hierdurch ein sachlich fundierter Beitrag zur Willensbildung in den Gremien erfolgen kann: Sind die Möglichkeiten der Minderheit aufgrund der Geltung des Mehrheitsprinzips schon im Wesentlichen nur auf die argumentative Teilhabe am Entscheidungsfindungsprozess beschränkt, so müssen diese Möglichkeiten dann aber auf der anderen Seite möglichst weitgehend effektivert werden. Die Rechte der Mehrheit wiederum werden hierdurch – so weit ersichtlich – nicht oder jedenfalls nicht über Gebühr beeinträchtigt, weil das Mehrheitsprinzip im Entscheidungsakt selbst ja uneingeschränkt zum Tragen kommen kann. Ganz allgemein kann deshalb auch gesagt werden, dass als Konsequenz aus dem Demokratieprinzip folgen muss, dass die Minderheit im Betriebsrat nicht völlig oder ganz weitgehend von der Mitarbeit ausgeschlossen werden darf482. In den vorliegenden Zusammenhang gehört auch noch die implizit mit der Verfasstheit von Minderheitsgruppen auf dem Hintergrund des Demokratiegebots einhergehende Forderung, dass die Minderheit die grundsätzliche Chance haben muss, zur künftigen Mehrheit zu werden483. Insofern wird auch von einer Ermöglichung des „Aufholwettbewerbs“ für kleinere Koalitionen gesprochen484. 479 480 481 482 483 484

Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 2. e); 3. e); g) aa) f. Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. d) ff. Dütz DB 01, 1306 (1308); Dütz Gutachten, S. 17 ff.; Hesse Rdnr. 154. Dütz DB 01, 1306 (1308); Dütz Gutachten, S. 18; Wlotzke DB 89, 111 (114). Dütz DB 01, 1306 (1308); Dütz Gutachten, S. 19. Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 46.

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

Innerhalb der Betriebsverfassung hat diese Ermöglichung des „Aufholwettbewerbs“ herausragende Bedeutung. Wenn in diesem Zusammenhang unterstrichen wird, dass Minderheitsgewerkschaften im besonderen Maße des Schutzes durch die Rechtsordnung bedürften485, so wird damit zu Recht darauf verwiesen, dass gerade in der konkreten „Basissituation“ im Betrieb für kleinere Koalitionen und deren Mitglieder und Repräsentanten in den betriebsverfassungsrechtlichen Gremien die Weichen dafür gestellt werden, ob ein „Markterfolg am Markt der Mitglieder“ eintreten kann – und damit die Chance, auch zur tarifmächtigen Gewerkschaft aufzusteigen, eröffnet wird. Vor allem über die für die Arbeitnehmer erkennbare Sacharbeit in den Betrieben können sich auch kleinere Koalitionen profilieren, und sich damit den Arbeitnehmern und potentiellen neuen Mitgliedern erfolgreich präsentieren. Mit der verfahrensmäßigen Ermöglichung des Aufholwettbewerbs durch die Ausgestaltung der Betriebsverfassung kommt gleichzeitig die grundsätzliche Anerkennung des Koalitionspluralismus durch Art. 9 Abs. 3 GG zum Tragen. ii) Besondere Konsequenz des aus dem Demokratieprinzip folgenden Gebots effektiven Minderheitenschutzes – Verhältniswahlsystem in der Betriebsverfassung als zwingende verfassungsrechtliche Vorgabe? Ob das Gebot der Gewährleistung effektiven Minderheitenschutzes als Konsequenz auch der Geltung des Demokratiegebots in der Betriebsverfassung die Geltung des Verhältniswahlrechts als zwingende verfassungsrechtliche Vorgabe erfordert, ist – so weit ersichtlich – in der Literatur noch nicht ausdrücklich bzw. umfassender thematisiert worden486. Mittelbar tendiert Dütz487 wohl zu dieser Auffassung, wenn er „das für Arbeitnehmermitbestimmung wesentliche demokratische Minderheitenschutzprinzip“ in einen Zusammenhang mit dem Verhältniswahlprinzip dergestalt einordnet, dass dessen (teilweise) Abschaffung durch den Gesetzgeber minderheitsrechtsverletzenden Charakter habe488. Das Bundesarbeitsgericht489 hat die Frage in einer Entscheidung zum Minderheiten485 So Gamillscheg KollArbR I, S. 224, im Zusammenhang mit der Werbung um Mitglieder in einer betrieblichen Situation, bei der die Minderheitsgewerkschaft anders als die Mehrheitsgewerkschaft nicht in Tarifverhandlungen mit dem sozialen Gegenspieler steht. 486 Siehe Hanau ZIP 01, 2163 (2166). 487 Dütz DB 01, 1306 (1310); Dütz Gutachten, S. 25. 488 Siehe dazu ähnlich Hanau ZIP 01, 2163 (2166), der im Hinblick die Frage der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit eines Minderheitenschutzes (auch) in der Betriebsverfassung auf Dütz DB 01, 1306 (1310) und dessen „Demokratie-Bedenken“ verweist. 489 BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG Gründe B. I. 2. c) aa) (3) a. E.

§ 2 Landesverfassungsrechtliche Regelungen der Koalitionsfreiheit

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schutz zwar angesprochen, zunächst aber als nicht entscheidungserheblich offengelassen, sich dann aber jüngst dahingehend geäußert, dass eine verfassungsrechtliche Festlegung auf das Verhältniswahlsystem im Betriebsverfassungsrecht nicht gegeben sei490. Die Frage nach einer eventuellen Festlegung des Gesetzgebers auf das Verhältniswahlsystem in der Betriebsverfassung soll an dieser Stelle jedoch nur – wegen des Zusammenhanges mit dem verfassungsrechtlichen Rahmen für die Koalitionsbetätigung – kurz angerissen bleiben. Eine ausführlichere Thematisierung wird unten im Zusammenhang mit der Untersuchung des § 14 BetrVG491 noch zu erfolgen haben.

§ 2 Landesverfassungsrechtliche Regelungen der Koalitionsfreiheit In den Landesverfassungen von Bayern (Art. 170), Baden-Württemberg (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 9 Abs. 3 GG), Brandenburg (Art. 51 Abs. 1), Bremen (Art. 48), Hessen (Art. 36), Mecklenburg-Vorpommern (Art. 5 Abs. 3 i.V. m. Art. 9 Abs. 3 GG)492, Rheinland-Pfalz (Art. 66 Abs. 1), des Saarlandes (Art. 56 Satz 1), von Sachsen (Art. 25), Sachsen-Anhalt (Art. 13 Abs. 3) und von Thüringen (Art. 37 Abs. 1) wird die Koalitionsfreiheit auch auf dieser normativen Ebene verfassungsrechtlich garantiert493. Wegen der grundrechtlichen Gewährleistung der Koalitionsfreiheit auf Bundesebene durch Art. 9 Abs. 3 GG kommt diesen Regelungen wegen Art. 31 GG (Vorrang des Bundesrechts) aber praktisch keine eigene Bedeutung zu494.

490

BAG v. 25.05.2005 – 7 ABR 10/04 Gründe B. II. 3. b). Siehe 4. Kap. § 3 B. 492 Die Landesverfassung von Mecklenburg-Vorpommern begnügt sich mit dem redaktionellen Verweis auf Art. 9 Abs. 3 GG. 493 Abgedruckt in Nipperdey (Arbeitsrecht/Textsammlung); siehe hierzu auch Löwisch/Rieble TVG Grundl. Rdnrn. 57 f.; dies. MünchArbR § 242 Rdnrn. 58 ff., dort auch zu landesverfassungsrechtlichen Regelungen des Streik- und Aussperrungs- und Tarifwesens. 494 So ausdrücklich Gamillscheg KollArbR I, S. 158; im Ergebnis auch AK-GGKittner/Schiek Art. 9 Abs. 3 Rdnr. 66, allerdings mit der Einschränkung, dass die Landesverfassungen mittelbare Bedeutung bei der historischen Auslegung der Koalitionsfreiheit – sie bildeten den bei Schaffung des Grundgesetzes bestehenden „common sense“; der Sache nach auch unausgesprochen Kempen/Zachert Grundlagen Rdnr. 52; Löwisch/Rieble Grundl. Rdnr. 57 f.; MDHS-Scholz Art. 9 Rdnr. 168, die sich nur ganz kurz und ohne weitere inhaltliche Auseinandersetzung mit den jeweils nur zitierten landesverfassungsrechtlichen Regelungen beschäftigen. 491

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

§ 3 International-rechtliche Gewährleistungen der Koalitionsfreiheit International-rechtliche Gewährleistungen garantieren vielfach die Koalitionsfreiheit und die Tarifautonomie. Sie reichen materiell allerdings nicht über die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG hinaus495, so dass sie vorliegend auch nur der Vollständigkeit halber kurz Erwähnung finden sollen496. Zunächst gehört die Koalitionsfreiheit zum ungeschriebenen Recht der Europäischen Union497. Nach Art. 11 Nr. 1 der Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten des Europäischen Parlaments498 hat jeder das Recht zum Zusammenschluss zu Gewerkschaften. In Ermangelung der Gesetzgebungskompetenz des Europäischen Parlaments hat diese Erklärung keine formelle Geltungskraft, sie kann aber hinsichtlich der Koalitionsfreiheit die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs beeinflussen499. Ähnlich unverbindlich im Sinne bloßen Appellcharakters an die Mitgliedsstaaten sind die Art. 11 bis 14 der „Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“. Die Gemeinschaftscharta ist am 09.12.1989 von den Regierungschefs der EG-Mitgliedsstaaten angenommen worden und regelt der Sache nach die Koalitionsfreiheit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer500. Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährt allen Menschen das Recht, „sich frei mit anderen zusammenzuschließen, einschließlich des Rechts, zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten“501. Die Europäische Menschenrechtskonvention stellt unmittelbar geltendes Bundesrecht dar502. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umfasst die Koalitionsfreiheit auch die kollektive Koalitionsbetätigung503. Die Europäische Sozialcharta504 anerkennt in Teil I Nr. 5 sowie in Teil II Art. 5 und 6 ebenfalls die Koalitionsfreiheit von Arbeitnehmern und Arbeitge495

Löwisch/Rieble TVG Grundl. Rdnr. 60. Eine umfassendere Zusammenstellung findet sich bei Löwisch/Rieble MünchArbR § 242 Rdnrn. 64 ff.; vgl. auch Däubler § 1 Rdnrn. 10 ff. 497 Löwisch/Rieble MünchArbR § 242 Rdnrn. 67. 498 Vom 12.04.1989, abgedruckt in EuGRZ 89, 204; dazu siehe Beutler EuGRZ 89, 185 ff. 499 Beutler EuGRZ 89, 185 ff., 187; Löwisch/Rieble MünchArbR § 242 Rdnr. 68. 500 Abgedruckt bei Löwisch/Rieble MünchArbR § 242 Rdnr. 69. 501 BGBl 1952 II, S. 686 (Zustimmungsgesetz). 502 Däubler § 1 Rdnr. 10, 35; Löwisch/Rieble MünchArbR § 242 Rdnrn. 72. 503 EGMR v. 25.04.1996 – 18/1995/524/610 = ArbuR 97, 408 ff.; siehe auch Däubler § 1 Rdnr. 11, 35 m.w. N. zur Rechtsprechung des EMGR; so auch Löwisch/Rieble MünchArbR § 242 Rdnr. 73. 504 Vom 18.10.1961, Ratifikationsgesetz v. 19.09.1964 BGBl. 1946 II, S. 1262. 496

§ 3 International-rechtliche Gewährleistungen der Koalitionsfreiheit

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bern505, wobei streitig ist, ob die Sozialcharta unmittelbar geltendes Recht darstellt506. Zu nennen ist auch noch das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Nr. 87 vom 09.07.1948507. Es enthält eine detaillierte Gewährleistung der (auch kollektiven) Koalitionsfreiheit508. Auch in weiteren ILOÜbereinkommen wird die Vereinigungsfreiheit ausgeformt bzw. vor Diskriminierungen geschützt509. Im einzelnen kann hier auf die sehr ausführliche Darstellung bei Löwisch/Rieble510 verwiesen werden, die auch noch weitere internationale Verbürgungen der Koalitionsfreiheit umfasst.

505 Abgedruckt in Nipperdey (Arbeitsrecht/Textsammlung, Nr. 1152); teilweise auch abgedruckt bei Löwisch/Rieble MünchArbR § 242 Rdnrn. 74. 506 Siehe hierzu ausführlich Löwisch/Rieble MünchArbR § 242 Rdnrn. 74. 507 Zustimmungsgesetz des Bundestags v. 20.12.1956, BGBl. 1956 II, S. 2072 ff. 508 Teilweise dargestellt bzw. abgedruckt bei Löwisch/Rieble MünchArbR § 242 Rdnrn. 79 und Däubler § 1 Rdnr. 12 ff., 36. 509 Zu nennen sind insbesondere das Übereinkommen Nr. 98 v. 01.07.1949 zum Diskriminierungsschutz bei gewerkschaftlicher Betätigung, Zustimmungsgesetz v. 23.12.1955 BGBl. 1955 II, S. 1122 ff., abgedruckt bei Däubler § 1 Rdnrn. 15 ff., 37; sowie das Übereinkommen Nr. 135 v. 23.06.1971 (BGBl. 1973 II, S. 953 ff.), welches das Verhältnis von Gewerkschaftsvertreten und anderen Arbeitnehmervertretern im Betrieb betrifft, abgedruckt bei Däubler § 1 Rdnrn. 18 ff., 37 f.; dazu auch Löwisch/Rieble MünchArbR § 242 Rdnr. 82. 510 Löwisch/Rieble MünchArbR § 242 Rdnrn. 64 ff.; umfassend auch Däubler § 1 Rdnrn. 10 ff., 35 ff.

3. Kapitel

Die Untauglichkeit der These vom „einheitlichen Gewerkschaftsbegriff für die gesamte arbeitsrechtliche Gesetzgebung“, insbesondere für die Betriebsverfassung § 1 Der „einheitliche Gewerkschaftsbegriff“ in seiner Sperrfunktion für kleinere Arbeitnehmerverbände Neben der einleitend – durch konkret funktionsbezogene Sichtweise der jeweiligen gewerkschaftlichen Kräfteverhältnisse – vorgenommenen Klarstellung dessen, was bei der folgenden Untersuchung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften dazu leiten soll, konkurrierende Gewerkschaften als Mehrheits- oder Minderheitsgewerkschaften anzusehen, besteht eines der Kernprobleme der betriebsverfassungsrechtlichen Minderheitenproblematik darin, dass mit der These vom „einheitlichen Gewerkschaftsbegriff“ in der gesamten arbeitsrechtlichen Gesetzgebung notwendigerweise ein weitgehender Ausschluss kleinerer Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einhergehen muss1. Denn soweit solche Vereinigungen den Anforderungen der Mächtigkeitstheorie im Sinne einer auf das Funktionieren der Tarifautonomie bezogenen Durchsetzungsfähigkeit nicht zu entsprechen vermögen, und sie damit keine gewerkschaftliche Akteure auf der Ebene tariflicher Normsetzungsmacht sein können2, können sie bei Zugrundelegung eines einheitlichen, auch im Betriebsverfassungsrecht geltenden Gewerkschaftsbegriffs per definitionem auch keine Adressaten der dort vorhandenen und ausdrücklich gewerkschaftsbezogenen Funktionen oder Rechtspositionen sein3.

1 Das BAG spricht diesbzgl. regelmäßig von „Gewerkschaft im arbeitsrechtlichen Sinne“ – so beispielsweise im Beschluss v. 23.04.1971 – 1 ABR 26/70 = AP Nr. 2 zu ArbGG § 97; v. 15.03.1977 – 1 ABR 16/75 = AP 24 zu Art. 9 GG, III 1. 2 Die Rechtsprechung zur Notwendigkeit des Vorliegens der Tarifmächtigkeit als Element des Gewerkschaftsbegriffs des Tarifrechts ist ungebrochen; siehe nur BAG v. 14.12.2004 – 1 ABR 51/03 = ZTR 05, 317 (318 m.w. N. zur Rspr.) = NZA 05, 697 ff.; v. 26.07.2005 – 1 AZR 133/04. 3 Buchner, in BAG-FS, S. 55 (S. 68); Eitel, S. 34 f., S. 62, S. 219; Rüthers/Roth, Anmerkung zu AP Nr. 32 zu § 2 TVG, II 5 d zu b); so schon ausdrücklich BAG v. 23.04.1971 – 1 ABR 26/70 = AP Nr. 2 zu § 97 ArbGG 1953; die Entscheidung betraf

§ 2 Einheitlichkeit der Begriffsverwendung

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Im Hinblick auf solche kleineren Vereinigungen muss daher zunächst untersucht werden, ob die These vom einheitlichen, durch das Wesensmerkmal der Tariffähigkeit geprägten Gewerkschaftsbegriff wirklich geeignet ist, diese von den betriebsverfassungsrechtlichen Teilhabe- und Gestaltungsmöglichkeiten4 wirksam auszuschließen. Oder pointiert formuliert: Darf das mit der Einführung des Mächtigkeitskriteriums eingeführte Zwei-Klassen-System von Arbeitnehmerverbänden5 wirklich auch im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Teilhaberechte für Gewerkschaften Geltung für sich beanspruchen und damit kleineren Vereinigungen von Arbeitnehmern bedeutsame Rechtspositionen vorenthalten? Für die vorliegende Untersuchung ist diese Frage von herausgehobener Bedeutung: Zunächst und vordergründig geht es dabei um die Bestimmung der Größe des Kreises von Arbeitnehmervereinigungen, die innerhalb der Betriebsverfassung überhaupt als Akteure auftreten dürfen. Die Frage zu stellen, ob kleinere Verbände überhaupt, und gegebenenfalls unter welchen konkreten Voraussetzungen sie an den gewerkschaftlichen Sekundärrechten6 teilhaben können, heißt aber letztlich nichts anderes, als im Hinblick auf die bereits etablierten Gewerkschaften die Machtfrage zu thematisieren, und deren Monopol auf ihr Wirksamwerden im System der Betriebsverfassung in Frage zu stellen7. Denn die ordnungspolitische Wirkung des einheitlichen, von der Tariffähigkeit geprägten Gewerkschaftsbegriffs, besteht in der Privilegierung der etablierten Gewerkschaften8.

§ 2 Einheitlichkeit der Begriffsverwendung aus juristisch-methodologischer Sicht Der Gang der Untersuchung der somit aufgeworfenen Fragen ist zunächst stark davon abhängig, ob sich bei juristisch-methodologischer Betrachtung eine grundsätzliche zwingende Notwendigkeit dafür ergibt, die Gewerkschaftseigenschaft übergreifend für alle arbeitsrechtlichen Gesetze einheitlich zu begreifen. den Christlichen Metallarbeiterverband, der ursprünglich ein Ausschlussverfahren nach § 23 BetrVG initiiert hatte. 4 Zur Systematik der Gewerkschaftsrechte (kategorisiert als Kreations-, Teilnahmeund Beratungs-, Gestaltungs- und Kontrollrechte) umfassend Däubler, § 3 III, § 4 ff. 5 Siehe Seiter AöR 1984, 88, der diese pointierte Formulierung zur Kennzeichnung der faktischen Auswirkungen der Mächtigkeitstheorie verwendet; Richardi, NZA 2004, 1025 (1028) spricht in diesem Zusammenhang von der „Sicherung einer unangreifbaren Monopolstellung der Großverbände“. 6 Von „Sekundärrechten“ wird vorliegend dann gesprochen, wenn nicht die tarifvertragsrechtlichen „Primärrechte“ in Rede stehen. 7 Rieble FS Wiedemann, S. 528. 8 Konzen SAE 84, 136 (137).

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

Denn nur wenn dies verneint werden kann, besteht Raum für weitere, insbesondere funktionsbezogene Auslegungsmöglichkeiten des Begriffs der „Gewerkschaft“ in verschiedenen Segmenten der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung und Rechtsprechung. Ob der Funktionszusammenhang, in den eine Norm einen Tatbestandsbegriff stellt, diesem überhaupt jeweils verschiedene Bedeutungen zuweisen darf (Relativität des juristischen Begriffs), ist eine Frage allgemein-auslegungsmethodischer Natur9. Ohne an dieser Stelle den methodologischen Voraussetzungen der Begriffsbildung nachgehen zu können10 kann gesagt werden, dass der Annahme eines einheitlichen Sprachgebrauchs bei Verwendung eines Tatbestandsmerkmals an verschiedenen Stellen eines Gesetzes eine erste Plausibilität zukommt11. Dem Gebot der Bewahrung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung kommt hierbei verstärkendes Gewicht zu12. Andererseits kann der jeweilige Normzweck13 es durchaus gebieten, einen Begriff in unterschiedlichen Funktionszusammenhängen unterschiedlich auszulegen und dies sogar innerhalb desselben Gesetzes14. Deshalb kann aus methodologischer Sicht für den weiteren Gang der Untersuchung jedenfalls festgestellt werden, dass es für die Einheitlichkeit der Begriffsbildung in einem Gesetz oder in der Rechtsordnung insgesamt keine zwingenden Vorgaben gibt15. Gesichtspunkte, insbesondere des 9

Eitel, S. 64. Eitel, S. 67 ff. m.w. N. 11 Eitel, S. 64; Dütz ArbuR 76, 65 (67) auch für den Bereich verschiedener arbeitsrechtlicher Einzelgesetze; Friese, S. 93, S. 97, spricht insofern von einem – unter dem Aspekt der Einheitlichkeit der Gesetzesterminologie bzw. der „Einheit des Rechts“ wünschenswerten Zielvorstellung; ähnlich Zippelius, S. 48 f. 12 Eitel, S. 64; ähnlich Friese, S. 93; anders Felix, S. 227, die sogar grundsätzlich von einer Vermutung für die Relativität von Rechtsbegriffen in unterschiedlichen Rechtsgebieten ausgeht – womit die Frage aufgeworfen wäre, was unter dem „Rechtsgebiet“ konkret zu verstehen wäre, ob also beispielsweise das arbeitsgerichtliche Verfahrensrecht und das Betriebsverfassungsrecht oder das Tarifvertragsrecht tatsächlich noch einem als einheitlich gedachten Rechtsgebiet zugehören. 13 So hat das OVG Hamburg beispielsweise den Begriff des „Angestellten“ i. S. des § 6 RBerG bewusst abweichend vom sozialversicherungs-arbeitsrechtlichen Begriff definiert, v. 30.07.2004 – 1 Bs 159/04, NJW 04, 3357. 14 Bydlinski, S. 441 f.; Gamillscheg FS Herschel, S. 99 (S. 114 f.); Friese, S. 93; Germelmann/Matthes § 11 Rdnr. 57; Larenz, S. 335 ff.; Müller, S. 112; Schleusener NZA 99, 408 (409 f.); Wiedemann § 2 Rdnr. 168; Zippelius, S. 10 f.; Eitel, S. 64 ff. stellt dies nachvollziehbar an den Begriffen der Anfechtung mit seinem unterschiedlichen Bedeutungsgehalt in §§ 119 BGB ff., 243 ff. AktG und den seinerzeitig geltenden §§ 29 ff. KO, am Begriff der Genehmigung als Oberbegriff für vorherige und nachträgliche Zustimmung, §§ 184 Abs. 1643, 1819 BGB und am Beispiel des Wegnahmebegriffs in § 242 StGB und § 289 StGB dar. 15 Friese, S. 93, S. 98; Konzen ZfA 78, 451 (456) bezeichnet es sogar als methodisch erstaunlich, dass das BAG angesichts dieser Relativität der Rechtsbegriffe von der Einheitlichkeit des Gewerkschaftsbegriffs ausgehen kann; siehe auch Müller, S. 114 f. 10

§ 3 Die Rechtsprechungsthese

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Funktionszusammenhangs, in den der Gewerkschaftsbegriff in unterschiedlichen Bereichen der arbeitsgesetzlichen Gesetzgebung und Rechtsprechung gestellt wird, sind damit aus methodologischer Sicht für eine Argumentation gegen den einheitlichen Gewerkschaftsbegriff nicht ausgeschlossen. In diesen methodologischen Zusammenhang gehört auch noch die Feststellung Löwischs16, dass angesichts des Fehlens einer einheitlichen Arbeitsrechtskodifikation eine in allen Einzelgesetzen gleiche Begriffsbildung nicht ohne weiteres unterstellt werden kann.

§ 3 Die Rechtsprechungsthese des Bestehens eines „einheitlichen Gewerkschaftsbegriffs“: Entwicklung und Kritik A. Die historisch-soziologische Argumentation Auch wenn in einer sehr frühen Entscheidung des BayVerfGH aus dem Jahre 195517 der These von einer Unteilbarkeit des Gewerkschaftsbegriffs einmal entgegengetreten wurde, vertrat das Bundesarbeitsgericht schon in seiner ersten Entscheidung zum Gewerkschaftsbegriff die Auffassung, dieser könne im Bereich arbeitsrechtlicher Gesetzgebung nur einheitlich im Sinne des begriffskonstituierenden Wesensmerkmals der Tariffähigkeit zu verstehen sein18. Begründet wurde diese Auffassung ganz wesentlich mit einem Rekurs auf die geschichtliche und soziale Entwicklung: Die Gewerkschaften hätten im Streben nach der Etablierung des Instruments des Tarifvertrages und mit der hierauf bezogenen Durchführung von Arbeitskämpfen ihr besonderes Gepräge erhalten19. Somit habe der arbeitsrechtliche Begriff der Gewerkschaft seinen Ausgangspunkt im Tarifvertragsrecht, und somit bestünden die weiteren besonderen Regelungen der Rechtsstellung von Gewerkschaften im Betriebsverfassungsgesetz und anderen Spezialgesetzen um dieser Tariffähigkeit willen. Die spezialgesetzliche Regelung gewerkschaftlicher Rechte habe ihren gesetzgeberischen Grund in der

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Löwisch SAE 72, 231 (232). BayVerfGH v. 31.03.1955 – Vf. 131-VIII-53 = AP Nr. 1 zu Bayer Verfass. Art. 35 = BayGVBl. S. 124; allerdings ging die Entscheidung noch von einem im Arbeitsrecht „gleichmäßig zu verstehenden“ Gewerkschaftsbegriff aus. 18 BAG v. 06.07.1956 – 1 AZB 18/55, BAGE 4, 351 = AP Nr. 11 zu § 11 ArbGG 1953. im Ergebnis des Bestehens eines einheitlichen Gewerkschaftsbegriffs im gesamten Arbeitsrecht zustimmend DKK-Berg § 2 Rdnr. 10; ErfK-Eisenmann § 2 Rdnr. 4; Fitting § 2 Rdnr. 32; GK-Kraft § 2 Rdnr. 34 m.w. N.; HSWG-Hess § 2 Rdnr. 61; Kempen/Zachert § 2 Rdnrn. 57 f.; Rehbinder DVBl. 82, 135 (140); wohl auch RichardiRichardi § 2 Rdnr. 38; Weiss § 2 Rdnr. 8. 19 BAG v. 06.07.1956 – 1 AZB 18/55, BAGE 4, 351 (352). 17

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

sich aus dem Tarifvertragsgesetz ergebenden Rechtsfähigkeit von Gewerkschaften auf dem Gebiete des kollektiven Arbeitsrechts20. Die historische Begründung des einheitlichen Gewerkschaftsbegriffs in der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung muss aber, jedenfalls aus heutiger Sicht, starken Bedenken begegnen: Es ist zwar historisch und soziologisch zutreffend, dass der Gewerkschaftsbegriff vor allem aus dem wirtschaftlichen Kampf um Tarifverträge hervorgegangen ist: Vor dem ersten Weltkrieg waren die damals sogenannten „Vereinigungen von Arbeitnehmern“ noch nicht als Tarifvertragsparteien anerkannt. Rechtstatsächlich hatten solche Vereinigungen aber schon sehr häufig Tarifverträge durchsetzen und abschließen können21. In der Zeit der Weimarer Republik kam es dann auch zur ersten einfachgesetzlichen Anerkennung der Arbeitnehmervereinigungen als Tarifvertragsparteien22, folgerichtig später dann mit Art 165 Abs. 1 Satz 2 WRV23 auch zur verfassungsrechtlichen Bestätigung der Anerkennung der Gewerkschaften24. In dieser Zeit trat neben den Begriff der Arbeitnehmervereinigungen in vielen arbeitsrechtlichen Vorschriften der Begriff der „wirtschaftlichen Vereinigung“25. Nach 1945 wurden diese Begriffe dann – dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend – vom Gewerkschaftsbegriff abgelöst26. Schon in allen Entwürfen zum Tarifvertragsgesetz wurde der Gewerkschaftsbegriff verwandt27, der dann ohne weiteres in das Tarifvertragsgesetz vom 09.04.194928 Eingang fand. Im Gesetzgebungsverfahren war man sich weitgehend darüber einig gewesen, dass (nur) die tariffähigen Arbeitnehmerorganisationen als Gewerkschaften zu definieren seien. Man knüpfte damit bewusst an das an, was in der Rechtswissenschaft zur herrschenden Meinung geworden 20

BAG v. 06.07.1956 – 1 AZB 18/55, BAGE 4, 351 (353). Siehe die Angaben über die zahlenmäßige Entwicklung der abgeschlossenen Tarifverträge bei Löwisch/Rieble MünchArbR § 252 Rdnr. 1 ff.; Schlickum, gibt diesbzgl. ebenfalls einen Überblick über die seinerzeitige Tarifwirklichkeit; siehe auch Dütz, ArbuR 76, 65 (69). 22 Verordnung v. 23.12.1918 über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten. 23 Art. 165 Abs. 1 WRV lautete: „Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Arbeitgebern an der Regelung der Lohnund Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinigungen werden anerkannt . . .“. 24 Zur Entwicklung des Gewerkschaftsbegriffs umfassend Dütz, ArbuR 76, 65 (69 ff.). 25 Siehe die Nachweise im einzelnen bei Eitel, S. 73, Fn. 9. 26 So Herschel, S. 183 (S. 189). 27 Dütz, ArbuR 76, 65 (71). 28 Verkündet als Gesetz des vereinigten Wirtschaftsgebietes der amerikanischen und britischen Bizone am 22.04.1949 (WiGBl. 1949, Nr. 11, 55); siehe dazu Kempen/Zachert Grundlagen Rdnr. 38. 21

§ 3 Die Rechtsprechungsthese

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war, verzichtete aber gleichzeitig auf eine definitorische Festlegung der Tariffähigkeit im Einzelnen, weil man sich des starken Flusses der Entwicklung angesichts der extremen Umbruchsituation der Gesamtlage bewusst war29. An diese rechtshistorische und terminologische Entwicklung knüpfte das Bundesarbeitsgericht mit seiner Argumentation ersichtlich an. Allerdings war die seinerzeit hierauf gestützte These vom einheitlichen Gewerkschaftsbegriff damals noch plausibler als sie es aus heutiger Sicht für sich beanspruchen kann. Der Gesetzgeber hatte im Arbeitsgerichtsgesetz 194630 den Begriff der „wirtschaftlichen Vereinigung von Arbeitnehmern“ durch den Begriff der Gewerkschaft ersetzt. Gesetzgeberischer Zweck hierfür war die Absicht, den Kreis der Tarifabschlussberechtigten und vor den Arbeitsgerichten vertretungsberechtigten Arbeitnehmerverbände zu definieren31, und insofern war tatsächlich bewusst eine Vereinheitlichung des Gewerkschaftsbegriffs für verschiedene arbeitsrechtliche Regelungsbereiche vorgenommen worden32. Diese, sich auf das Vorliegen der Tariffähigkeit stützende Vereinheitlichung des Gewerkschaftsbegriffs, kannte damals aber noch nicht das Kriterium der sozialen Mächtigkeit als Voraussetzung für die Tariffähigkeit und damit für die Gewerkschaftseigenschaft einer Arbeitnehmervereinigung33. Denn das Kriterium der sog. „Verbandsmacht“ wurde erst viel später vom Bundesarbeitsgericht eingeführt34. Deshalb kann davon gesprochen werden, dass mit der Einführung der sozialen Mächtigkeit als Bestimmungsmerkmal des Gewerkschaftsbegriffs durch das Bundesarbeitsgericht gewissermaßen ein Bruch mit dem Willen des historischen Gesetzgebers erfolgt ist. Es kann damit nicht davon ausgegangen werden, dass es trotz dieser – durch Hinzuziehung zusätzlicher richterrechtlicher Anforderungen bewirkten – Verengung des Gewerkschaftsbegriffs bei einem einheitlichen Gewerkschaftsbegriff bleiben durfte: Denn nur dann, wenn der Zweck der Verschärfung der Anforderungen an tariffähige Verbände mit den Normzwecken deckungsgleich wäre, die in anderen Gesetzen an den Gewerkschaftsbegriff anknüpfen, durfte es weiter bei einem einheitlichen Gewerkschaftsbegriff bleiben35. Eine Kongruenz der Normzwecke des Tarif-, Betriebsverfassungs-, Arbeitsgerichts- oder Mitbestimmungsgesetzes kann jedoch sicherlich nicht behauptet werden. Deshalb schla29

Herschel, S. 183 (S. 186). Kontrollratsgesetz Nr. 21 vom 30.03.1946 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland 1946, S. 124); siehe dazu Germelmann/Matthes Einleitung Rdnr. 19. 31 Buchner FS 25 Jahre BAG, S. 55 (S. 56 f.); Konzen, SAE 84, 136 (137); Schleusener, S. 408 (S. 409). 32 Buchner FS 25 Jahre BAG, S. 62; Konzen, SAE 84, 136 (137); Schleusener, S. 408 (S. 409). 33 Schleusener, NZA 99, 408 (410). 34 BAG. v. 09.07.1968 – 1 ABR 2/67 = AP Nr. 25 zu § 2 TVG. 35 Konzen, SAE 84, 136 (137); Schleusener, S. 408 (S. 410). 30

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

gen die Einwände gegen eine solche funktionsbezogene Sichtweise des Gewerkschaftsbegriffs mit Hinweis auf die unveränderte Begriffsverwendung durch den Gesetzgeber in verschiedenen Einzelgesetzen auch nicht durch36. Es kann damit an dieser Stelle also festgestellt werden, dass der historischen und soziologischen Entwicklung des Gewerkschaftsbegriffs für die Frage nach dessen Einheitlichkeit in der gesamten arbeitsrechtlichen Gesetzgebung heute keine wirkliche Durchschlagskraft mehr zukommen kann. Der eher rechtshistorischen Frage, ob der Gesetzgeber nach 1945 tatsächlich einen ganz eindeutigen Gewerkschaftsbegriff im oben beschriebenen Sinne vorgefunden hat, muss daher in diesem Zusammenhang nicht weiter nachgegangen werden37. Dies gilt umsomehr, als der Gesetzgeber des Jahres 1949 die Weiterentwicklung des Gewerkschaftsbegriffs durch den Verzicht auf Definitionen nicht ausschließen, sondern bewusst offen gestalten wollte38. Auch von daher kann mithin festgestellt werden, dass ein historisch vorgefundener einheitlicher Gewerkschaftsbegriff – und seine Aufnahme in den Willen des (historischen) Gesetzgebers39 – keinesfalls mit den Anforderungen eines an das Funktionieren der Tarifautonomie sich entwickelnden Gewerkschaftsbegriffs in Richtung einer erforderlichen sozialen Mächtigkeit „mitwachsen“ musste40.

36 So verweisen insbesondere DKK-Berg § 2 Rdnr. 10 und Kempen/Zachert § 2 Rdnr. 58 auf die einheitliche Begriffsverwendung durch den Gesetzgeber; Kempen/Zachert a. a. O. argumentieren dahin, dass der Gesetzgeber mit diesen Normen auch das meine, was er sage. 37 Siehe dazu BayVerfGH v. 31.03.1955 – Vf. 131 – VIII-53 = AP Nr. 1 zu Bayer. Verfass. Art. 35 = BayGVBl. S. 124 (S. 131 ff.) = BB 55, 448; dort wird betont, die Gesetzessprache und Literaturauffassungen seien im Hinblick auf den Gewerkschaftsbegriff keineswegs eindeutig und einheitlich – weswegen dieser Begriff jeweils funktionsbezogen anhand des konkreten Normzwecks zu bestimmen sei – was nichts daran ändern kann, dass der Begriff in Ermangelung einer gesetzliche Definition offen (gestaltbar) geblieben ist. 38 Dütz, ArbuR 76, 65 (71); Eitel, S. 84; anders Söllner, ArbuR 76, 321, der davon spricht, der Gesetzgeber habe den Typus von Gewerkschaft im Auge gehabt, wie er in der sozialen Wirklichkeit anzutreffen war. 39 Kontrollratsgesetz Nr. 21 vom 30.03.1946 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland 1946, S. 124); siehe dazu Germelmann/Matthes Einleitung Rdnr. 19. 40 Schleusener, NZA 99, 408 (410) kommt deshalb folgerichtig zu dem Schluss, das Postulat des einheitlichen Gewerkschaftsbegriffs könne überhaupt nicht mehr mit dem Willen des historischen Gesetzgebers begründet werden.

§ 3 Die Rechtsprechungsthese

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B. Notwendigkeit des Auftretens eines Verbandes mit sozialer Mächtigkeit auch im Bereich „sekundärer Gewerkschaftsrechte“ in der Betriebsverfassung I. Der wesentliche Inhalt der Entscheidung vom 23.04.1971 In der Entscheidung vom 23.04.1971 bestätigte das Bundesarbeitsgericht41 aber die These vom einheitlichen Gewerkschaftsbegriff im gesamten Arbeitsrecht: In der Rechtsordnung habe der Gewerkschaftsbegriff stets dieselbe Bedeutung. Ausgehend von der Zuweisung von Aufgaben im tariflichen Bereich durch die Rechtsordnung – die ohne die soziale Mächtigkeit schlechterdings nicht sinnvoll erfüllt werden könnten – müsse auch bezogen auf die (sekundären) Rechte der Gewerkschaften in der Betriebsverfassung sichergestellt bleiben, dass die Gewerkschaften dort „als Gewerkschaften mit deren besonderen Gewicht“ aufträten. Dies gelte unabhängig von der besonderen, betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht, welche aber – was in diesem Zusammenhang doch wohl angemerkt werden muss – die konkrete Erprobung dieser sozialen Mächtigkeit durch Arbeitskampfmassnahmen schließlich gesetzlich unterbindet. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts liegt also gerade in der sozialen Mächtigkeit von Arbeitnehmerkoalitionen die sachliche Rechtfertigung dafür, ausschließlich diese in den Genuss der gewerkschaftlichen Sekundärrechte auch in der Betriebsverfassung kommen zu lassen. Diese Rechtsprechung ist vom Bundesarbeitsgericht mit der nicht weiter begründeten Feststellung fortgeführt worden, der Gewerkschaftsbegriff habe in der gesamten Rechtsordnung stets dieselbe Bedeutung42. Dies wurde auch in einer weiteren Entscheidung bestätigt bzw. vom Bundesarbeitsgericht als selbstverständlich vorausgesetzt43. Andere Sichtweisen sind in der Rechtsprechung vereinzelt geblieben44. Das Bundesverfassungsgericht hat es im Hinblick auf die Frage der Einheitlichkeit des Gewerkschaftsbegriffs allerdings ausdrücklich offen gelassen, ob dieser Rechtsprechung gefolgt werden könne oder müsse45. 41 BAG v. 23.04.1971 – 1 ABR 26/70 = AP Nr. 2 zu § 97 ArbGG 1953 = SAE 72, 229 ff. mit Anm. Löwisch a. a. O., 231. 42 BAG v. 15.03.1977 – 1 ABR 16/75 = AP Nr. 24 zu Art. 9 GG, III.1. 43 BAG v. 20.02.1986 – 6 AZR 236/84 = AP Nr. 8 zu § 11 ArbGG 1979 Prozessvertreter 44 ArbG Stuttgart v. 04.02.1972, ArbuR 72, 344; allerdings dürfte es sich bei dieser Entscheidung um eine fehlerhafte Interpretation der Auffassung des BAG handeln, so Löwisch SAE 72, 231 f. 45 BVerfG v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG Gründe B. I. 3. e): „Auch die . . . errungenen 16 Betriebsratsmandate sind nicht geeignet, die Durchsetzungsfähigkeit des BF – um die es hier alleine geht – nachzuweisen. Es kann deshalb auch offen bleiben, ob das durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Recht der Koalition auf Betätigung es zulässt, den Gewerkschaftsbegriff für das Tarifvertragsrecht und das Betriebsverfassungsrecht einheitl. zu bestimmen . . .

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

Ganz allgemein kann zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bemerkt werden, dass angesichts der methodologischen Erkenntnis, dass Rechtsbegriffe in unterschiedlichem Zusammenhang unterschiedliche Bedeutung haben können46, die Begründungslast für die Einheitlichkeit des Gewerkschaftsbegriffs deshalb eigentlich beim Bundesarbeitsgericht liegt bzw. hätte liegen müssen47. II. Kritik an der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts unter dem Gesichtspunkt der betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht des § 74 Abs. 2 BetrVG Eine wirkliche Begründung kann in den genannten Feststellungen des Bundesarbeitsgerichts kaum gesehen werden48. Denn abgesehen von deren letztlich tautologischem Charakter – Gewerkschaft im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne sei der Verband, der dort als Gewerkschaft auftrete – wird hierbei auch nicht klar, worin denn genau dieses „besondere Gewicht“ im Funktionszusammenhang mit der Betriebsverfassung bestehen sollte49. Das Bundesarbeitsgericht behauptete nur, dieses mächtigkeitsbezogene Gewicht bestehe unbeschadet der betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht, ersparte sich aber jede weitere diesbezügliche Begründung. Dabei widerspricht der Grundsatz der betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht des § 74 Abs. 2 BetrVG eher der These von einer auch im Betriebsverfassungsrecht erforderlichen sozialen Mächtigkeit von Verbänden, als dass er ihn bestätigen könnte: Der Tarifvertrag als Instrument kollektiver Privatautonomie bietet eine spezifische, im Vertragsverfahren liegende Richtigkeitsgewähr für die Regelungen der Arbeitsbedingungen50. Weil die Tarifvertragsparteien in ihrer Motivation und Bewertung von Leistung und Gegenleistung frei sind, hat ein vertragliches Regelungsverfahren die Tendenz, auch materiell „richtige“, d.h. gerechte und zweckmäßige Vertragsbedingungen herzustellen51. Voraussetzung für ein Funk46

Wank ZfA 97, 355 (455 f.); siehe dazu bereits oben 3. Kap. § 2. Eitel, S. 59 f. 48 Eitel, S. 36. 49 Zustimmend insb. Kempen/Zachert § 2 Rdnr. 58: Nur die tarifmächtige Gewerkschaft könne die ihr im Betriebsverfassungsgesetz zugewiesenen Aufgaben im Interesse der Arbeitnehmer effektiv wahrnehmen. 50 Gamillscheg KollArbR I § 7 II 1. a); Hueck/Nipperdey II/2 § 47 V 2, S. 928; Löwisch/Rieble MünchArbR, § 253 Rdnrn. 1 ff.; Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnrn. 1 ff.; ähnlich Kempen/Zachert Grundlagen Rdnrn. 86 ff.; Wiedemann § 1 Rdnrn. 216 ff. 51 Siehe Gamillscheg KollArbR I § 7 II. 1. a) (1); Schmidt-Rimpler, S. 130 (S. 152 f.) zur vertraglich-verfahrensmäßigen Richtigkeitsgewähr im Allgemeinen; Wiedemann § 1 Rdnr. 220; BAG v. 22.12.1970 – 3 AZR 52/70 = AP Nr. 2 zu § 305 BGB Billigkeitskontrolle II. 1. 47

§ 3 Die Rechtsprechungsthese

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tionieren des vertraglichen Regelungsverfahrens ist allerdings die (annähernd) gleiche Stärke der Vertragsparteien52, was wiederum einen freien Wettbewerb potentieller Vertragspartner erfordert. Dieser Wettbewerb besteht aber mangels Ausweichmöglichkeit auf einen anderen Tarifvertragspartner und weil sich die Tarifvertragsparteien keiner freien Konkurrenz stellen müssen (Prinzip des faktischen Einigungszwangs), im Tarifvertragswesen nicht53. Von einer Richtigkeitsgewähr des Vertragsverfahrens kann auf diesem Hintergrund deshalb nicht automatisch ausgegangen werden. Liegt aber der Zweck des Kollektivvertragsgedankens im Arbeitsrecht nun gerade darin, das Machtungleichgewicht im Arbeitsvertrag auf kollektiver Ebene auszugleichen54, so kann dies umso weniger durch eine jede Arbeitnehmerkoalition erreicht werden, sondern eben nur durch solche Koalitionen, die so mächtig und druckfähig sind, um durch die Aktualisierung von Gegenmacht auch sachgerechte Regelungen zu erzwingen55. Dabei setzt die Mächtigkeit regelmäßig auch die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Arbeitskampf voraus56. Das Kriterium der Mächtigkeit ist allerdings – selbst für diesen tarifvertraglichen Zusammenhang – heftig umstritten57. Hielte man dieses Kriterium für un52 Gamillscheg KollArbR I § 7 II. 1. a) (1); Kempen/Zachert Grundlagen Rdnrn 86 ff.; Löwisch/Rieble-TVG § 1 Rdnr. 1; MünchArbR-Löwisch/Rieble, § 253 Rdnr. 3; Wiedemann § 1 Rdnrn. 216 ff.; BAG v. 22.12.1970 – 3 AZR 52/70 = AP Nr. 2 zu § 305 BGB Billigkeitskontrolle II. 1. 53 Siehe dazu Scholz ZfA 90, 377 (383 ff.); Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 106; § 253 Rdnr. 3; Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 1. 54 Zöllner/Seiter, S. 52 („Gegengewichtsprinzip“). 55 Gamillscheg KollArbR I § 7 II. 1. a); Kempen/Zachert Grundlagen Rdnrn. 86 ff.; Löwisch/Rieble TVG § 2 Rdnrn. 35 ff.; MünchArbR-Löwisch/Rieble § 253 Rdnr. 3; umfassend zum Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur auch Wiedemann § 2 Rdnrn. 306 ff.; BAG. v. 16.11.1982 – 1 ABR 22/78 = AP Nr. 32 zu § 2 TVG; v. 16.01.1990 – 1 ABR 93/88 = AP Nr. 38 zu § 2 TVG; das BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG sanktioniert diese Rechtsprechung des BAG, betont aber, dass es für die Mächtigkeit ausreicht, dass es zu keinem Diktat durch die Gegenseite kommen kann. 56 Statt vieler BAG v. 10.09.1985 – 1 ABR 32/83 = AP Nr. 34 zu § 2 TVG; v. 25.11.1986 – 1 ABR 22/85 = AP Nr. 36 zu § 2 TVG; Kempen/Zachert § 2 Rdnrn. 19 ff. („Gegenmächtigkeit“); kritisch Löwisch/Rieble TVG § 2 Rdnr. 51; auch Wiedemann § 2 Rdnr. 301 ff.; seit der Hausgehilfinnenentscheidung des BVerfG v. 06.05.1964 – AP Nr. 15 zu § 2 TVG kommt der Arbeitskampfbereitschaft in der Rechtsprechung aber nicht mehr die Qualität einer conditio sine qua non zu; zum gegenwärtigen Meinungsstand zum Erfordernis der Arbeitskampfbereitschaft siehe GKKraft, § 2 Rdnr. 38 m.w. N. 57 Die Notwendigkeit der Mächtigkeit im Tarifzusammenhang wird von der Rechtsprechung in ständiger Rechtsprechung vertreten, so statt vieler BAG v. 06.06.2000 – 1 ABR 10/99 = AP Nr. 55 zu § 2 TVG; v. 20.11.1990 – 1 ABR 62/89 = AP Nr. 40 zu § 2 TVG Gründe II. 2. a); v. 14.03.1978 – 1 ABR 2/76 = AP Nr. 20 zu § 2 TVG; v. 15.03.1977 – 1 ABR 16/75 = AP Nr. 24 zu Art. 9 GG; zum Meinungsstand ausführlich Kempen/Zachert § 2 Rdnrn. 24 ff.; zweifelnd an der Sinnhaftigkeit des Mächtigkeitskriteriums Wiedemann § 2 Rdnrn. 317 ff.: Die Haupteinwände gegen das

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

zulässig, so wären damit die oben beschriebenen Auswirkungen eines einheitlichen Gewerkschaftsbegriffs weitgehend entschärft. Angesichts der ungebrochenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die auch die Billigung durch das Bundesverfassungsgericht erfahren hat58, soll den hiermit verbundenen Rechtsfragen im vorliegenden Zusammenhang aber nicht weiter nachgegangen, sondern die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als gegeben hingenommen werden. Der Vorschrift des § 74 Abs. 2 BetrVG lässt sich entgegen diesen Überlegungen zur notwendigen Tarifmächtigkeit jedoch entnehmen, dass der Gedanke der Ausübung von Druck und Gegendruck im beschriebenen Sinne der Betriebsverfassung gerade fremd ist59, auch wenn das betriebsverfassungsrechtliche Arbeitskampfverbot sich nur an die Betriebspartner und nicht an die Tarifvertragsparteien richtet60. Hiergegen wird eingewandt, dass Druckfähigkeit überbetrieblicher Verbände nicht notwendigerweise zu innerbetrieblichen Pressionen führen müsse – und trotzdem solchen Verbänden innerbetriebliches Gewicht zukommen könne61. Aber abgesehen von der gesetzlichen Möglichkeit der Gewerkschaften, als Tarifvertragspartei betriebsverfassungsrechtliche Fragen zu regeln62, dienen die gewerkschaftlichen Befugnisse in der Betriebsverfassung nur der Unterstützung und Kontrolle der Betriebsratstätigkeit63 und haben insofern also im Wesentlichen Hilfsfunktion64, so dass es auf die Fähigkeit zur Ausübung von Pressionen auf die Arbeitgeberseite unterhalb der Schwelle der Verletzung der Friedenspflicht nicht ankommen kann. Denn genau hierauf liefe das Ausspielen des besonderen Gewichts eines Verbandes innerhalb der Betriebsverfassung hinaus. Dass der Gedanke der Ausübung von Druck und Gegendruck der Betriebsverfassung fremd ist, wird auch dadurch bestätigt, dass – soweit das Betriebsverfassungsgesetz den Gewerkschaften nicht ausdrücklich Aufgaben zugewiesen Mächtigkeitskriterium sind die Erschwerung der neugegründeten Koalitionen, Mitglieder zu gewinnen und zu halten sowie die angebliche Wertungsinkonsistenz zur Entscheidung des Gesetzgebers, die Tariffähigkeit auch dem einzelnen Arbeitgeber zu verleihen. 58 BVerfG v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG; dazu auch Wiedemann § 2 Rdnr.307 mit Hinweis auf BVerfG v. 26.05.1970 – 2 BvR 664/65 = AP Nr. 16 zu Art. 9 GG = BVerfGE 28, 295 (305). 59 Brecht § 2 Anm. 18; Eitel, S. 61, S. 163; Löwisch SAE 72, 231 f.; Mayer-Maly, Anmerkung zu BAG AP Nr. 25 zu § 2 TVG; Müller, S. 120 ff.; Reuß RdA 72, 4 (8). 60 Brox/Rüthers, Rdnr. 411; DKK-Berg § 74 Rdnrn. 12 ff.; 183; Eitel, S. 163; GKKreutz § 74 Rdnr. 41; Richardi-Richardi § 74 Rdnr. 19 ff. 61 Dütz ArbuR 76, 65 (68). 62 Dazu unten, siehe insbesondere 4. Kap. § 2 A. ff.; § 19 C.; § 26 B.; § 29. 63 BAG v. 21.04.1983 – 6 ABR 70/82 = AP Nr. 20 zu § 40 BetrVG 1972 III 3 b cc; Eitel, S. 162; v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 302 Rdnr. 2; Richardi FS Müller, S. 413 (S. 418); Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 34 m.w. N. 64 Ähnlich Eitel, S. 165; GK-Kraft, § 2 Rdnr. 24.

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hat – diese sich nicht gegen den Willen der Betriebspartner in das betriebliche Geschehen einschalten dürfen, oder gar Betriebsratsangelegenheiten, quasi im Wege der „Ersatzvornahme“, von sich aus wahrnehmen dürfen65. In diesen Zusammenhang gehören zuletzt auch noch die Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Mitbestimmungsurteil von 197966: Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit schließe Ordnungen des Arbeitslebens nicht aus, die primär auf dem Gedanken des Zusammenwirkens beruhten – weshalb sich Koalitionen auch dann auf dem Terrain des Art. 9 Abs. 3 GG bewegten, wenn sie sich im Bereich des Betriebsverfassungsrechts betätigten. Das Bundesverfassungsgericht sieht also gerade in der Betriebsverfassung (und der Personalverfassung) ein Modell des Zusammenwirkens von Arbeitgeber und Betriebsrat zur sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens jenseits des antagonistischen Mechanismus des Tarifvertragssystems. Druck und Gegendruck dieses Systems sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts demnach wesensverschieden vom Konzept des Zusammenwirkens in der Betriebsverfassung. III. Systemfremdheit des tarifrechtlichen Gegengewichtsprinzips in der Betriebsverfassung am Beispiel konkret eingeräumter gewerkschaftlicher Sekundärrechte Dementsprechend zeigt mehr noch die Betrachtung der den Gewerkschaften im Betriebsverfassungsgesetz konkret eingeräumten Rechte, dass das vom Bundesarbeitsgericht für die Zuerkennung sekundärer Gewerkschaftsrechte anscheinend als notwendig erachtete Druckmoment hier verzichtbar ist67: Denn die Aktualisierung gewerkschaftlicher Gegenmacht im Sinne eines Gegengewichtsprinzips zur Gewährleistung der Tarifautonomie68 hat in der Betriebsverfassung – mit Ausnahme der Tarifsetzungsmacht bei Betriebsnormen, § 1 Abs. 1, 2. Alt. TVG und der Normsetzungsmacht im Rahmen der §§ 3 und 76 Abs. 8 BetrVG – nicht ihr Aktionsfeld69.

65 Gamillscheg, KollArbR I, S. 240; Galperin, BB 72, 272; v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 302 Rdnr. 2. 66 BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77 – AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG C IV 2 b) bb) cc). 67 Dazu Eitel, S. 163 ff.; Friese, S. 99 f. 68 So Löwisch/Rieble TVG § 2 Rdnr. 35. 69 Friese, S. 99; S. 105 f.; Müller, S. 117 ff., S. 122; zur Frage der Normsetzungskompetenz nach § 3 Abs. 1 BetrVG, insbesondere zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung, siehe unten 4. Kap. § 2; zur äußerst umstrittenen, vorliegend allerdings nicht näher zu untersuchenden Frage, inwieweit die genannten, die tarifliche Rechtssetzungsmacht in der Betriebsverfassung betreffenden Vorschriften, tatsächlich ein Aktionsfeld für Arbeitskampfaktivitäten sein können bzw. dürfen, siehe umfassend Friese ZfA 03, 237 (259 ff.).

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

Im Rahmen der den Gewerkschaften im Betrieb als Kreationsrechte70 (Initiativen zur Errichtung betriebsverfassungsrechtlicher Organe) eingeräumten Mitwirkungsmöglichkeiten können sie in betriebsratslosen Betrieben u. a. zu Betriebsversammlungen einladen, § 17 Abs. 3 BetrVG, oder gem. § 17 Abs. 4 BetrVG beim Arbeitsgericht die Bestellung eines Wahlvorstands beantragen, sie können gem. § 14 Abs. 3 BetrVG Wahlvorschläge zur Wahl des Betriebsrats einreichen, sie können beim Arbeitsgericht die Bestellung oder die Ersetzung eines untätigen Wahlvorstandes beantragen oder aber bei Vorliegen spezifischer Voraussetzungen vom Betriebsrat die Einberufung einer Betriebsversammlung verlangen. In all diesen Fällen ist verfahrensmäßig der Gang zu den Arbeitsgerichten entweder gesetzlich direkt vorgesehen oder im Konfliktfall als weitere Verfahrensstufe gangbar71. Das gleiche Bild zeigt sich bei den Teilnahme- und Beratungsrechten72 der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften: Deren beratende Teilnahme an Betriebsratssitzungen73 gem. § 31 BetrVG kann von ihnen im Hinblick auf das Vorliegen der dafür notwendigen Voraussetzungen zum Gegenstand des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens gemacht werden74, gegebenenfalls auch im Wege der einstweiligen Verfügung gem. § 85 Abs. 2 ArbGG75. Gleiches gilt nach ganz überwiegender Auffassung für die Teilnahme an Ausschusssitzungen des Betriebsrates und des Wirtschaftsausschusses76. Das mit diesen Teilnahme70

Siehe hierzu die detaillierte Auflistung bei Däubler § 4 Rdnrn. 91 ff. Nach der erfolglosen Einladung sieht § 17 Abs. 4 BetrVG als nächste Verfahrensstufe den Gang zum Arbeitsgericht vor. Die Berechtigung des Antrags auf Einberufung einer Betriebsversammlung ist bei Streit zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren gem. §§ 2a Abs. 1 Nr. 1, 80 ff. ArbGG zu klären, GK-Fabricius/Weber § 43 Rdnr. 29, gegebenenfalls sogar im Wege eines Leistungsantrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, Richardi-Richardi/Annuß § 43 Rdnrn. 61 ff. 72 Siehe hierzu die detaillierte Auflistung bei Däubler § 5 Rdnrn 127 ff. 73 Die Regelung gilt gem. §§ 51 Abs. 1, 59 Abs. 1, 65 Abs. 1, 73 Abs. 2, 115 Abs. 4 und 116 Abs. 3 BetrVG auch für die Sitzungen des Gesamt- und Konzernbetriebsrat, die Jugend- und Auszubildendenvertretung, die Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung, die Bordvertretung und den Seebetriebsrat. 74 BAG v. 18.11.1980 – 1 ABR 31/78 = AP Nr. 2 zu § 108 BetrVG 1972; Fitting § 32 Rdnr. 30; GK-Wiese/Raab § 31 Rdnr. 28; Richardi-Richardi/Thüsing § 31 Rdnr. 29; HSWG-Glock § 31 Rdnr. 24; ArbG Hagen v. 18.12.1974 – 1 BV 22/74 = DB 75, 699. 75 Fitting, § 32 Rdnr. 30; GK-Wiese/Raab § 31 Rdnr. 28; HSWG-Glock, § 31 Rdnr. 24; Richardi-Richardi/Thüsing, § 31 Rdnr. 30; ArbG Elmshorn v. 28.051999 – 3 BVGa 26 b/99 3 = AiB 99, 521 mit zust. Anm. Zabel. 76 BAG v. 18.11.1980 – 1 ABR 31/78 = AP Nr. 2 zu § 108 BetrVG 1972; v. 25.06.1987 – 6 ABR 45/85 = AP Nr. 6 zu § 108 BetrVG 1972; Däubler Rdnr. 145 m.w. N., insbesondere zu entgegenstehender Rechtsprechung aus der Zeit vor den zit. BAG-Beschl. v. 18.11.1980; GK-Fabricius/Oetker § 108 Rdnr. 35; Richardi-Richardi/ Thüsing § 31 Rdnr. 25; abweichend für den Wirtschaftsausschuss HSWG-Glock § 31 Rdnr. 21; Zeuner, DB 76, 2474. 71

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und Beratungsrechten notwendig einhergehende bzw. für die Gewerkschaften stillschweigend vorausgesetzte Zugangsrecht kann ebenfalls arbeitsgerichtlich durchgesetzt werden77. Auch im Bereich der Teilnahme und Beratungsrechte wird die Funktionsfähigkeit des Systems sekundärer Gewerkschaftsrechte also über die Einschaltung der staatlichen Gerichtsbarkeit und gerade nicht über die autonome Druckausübung garantiert. Die Kontrollrechte78 der Gewerkschaften im Betriebsverfassungsgesetz sind verfahrensmäßig von vorneherein auf die staatliche Gerichtsbarkeit bezogen: Namentlich gilt dies für das Antragsrecht im Wahlanfechtungsverfahren gem. § 19 Abs. 2 BetrVG und die Möglichkeit, ein Ausschlussverfahren oder gar die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Pflichtverletzung gem. § 23 Abs. 1 BetrVG zu betreiben, gleiches gilt für die „kollektive Abmahnung“ gem. § 23 Abs. 3 BetrVG79. Wenn diese Antragsrechte für die Initiierung eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren den Gewerkschaften nicht exklusiv, sondern nur neben den Antragsrechten anderer Beteiligter, wie etwa dem Betriebsrat oder einem Quorum von Arbeitnehmern zustehen80, so hat der Gesetzgeber damit auch hier deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es ihm bei diesen Rechten auf die Fähigkeit der Druckausübung gerade nicht angekommen sollte: Denn mit dieser Ausgestaltung der Kontrollrechte hat der Gesetzgeber sichergestellt, dass diese auch ganz ohne Gewerkschaften bzw. auch in „gewerkschaftsfreien“ Betrieben ausgeübt werden können81. Die gleiche Überlegung greift übrigens auch Platz im Hinblick auf die Kreationsrechte der §§ 16 Abs. 2, 17 Abs. 3 und 18 Abs. 1 BetrVG (betreffend die Bestellung eines Wahlvorstandes), die jeweils bereits durch nur drei wahlberechtigte Arbeitnehmer wirksam ausgeübt werden können. Vertieft wird dieser Befund durch die gem. § 16 Abs. 3 BetrVG dem Gesamtbetriebs- oder Konzernbetriebsrat verliehene Möglichkeit, die Einsetzung eines Wahlvorstands zu betreiben. Die Gewerkschaften sind hier nur „Mitspieler“ unter mehreren mit potentiellen Verfahrensrechten ausgestatteten Personen oder Institutionen82 – so dass die Formel des Bundesarbeitsgerichts vom notwendigen Auftreten eines Verbandes mit dem besonderen Gewicht einer Gewerkschaft im Sinne ihrer Tarifmächtigkeit hierdurch widerlegt wird. Das 77 Siehe dazu nur Däubler 5, Rdnr. 158; GK-Wiese/Raab § 31, Rdnr. 28; RichardiRichardi/Thüsing, § 31 Rdnr. 30. 78 Siehe dazu Däubler § 7. 79 Nicht auf die staatliche Arbeitsgerichtsbarkeit aber doch auf ein staatliches Verfahren bezogen ist die Möglichkeit der Anzeige gem. § 121 BetrVG. 80 Im Falle der Wahlanfechtung ist das Quorum gem. § 19 Abs. 2 BetrVG schon durch drei Wahlberechtigte erfüllt, im Rahmen des Ausschlussverfahrens (Auflösungsverfahrens) gem. § 23 Abs. 1 BetrVG bedarf es eines Viertels wahlberechtigten Arbeitnehmer des Betriebs. 81 Eitel, S. 164. 82 Es kann insofern noch nicht einmal davon gesprochen werden, die Gewerkschaften seien insofern „primus inter pares“.

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Gegengewichtsprinzip des Tarifrechts trifft in der Betriebsverfassung insofern auf ein untaugliches Objekt83. IV. Verzahnung von Tarif- und Betriebsverfassungsrecht durch betriebsverfassungsbezogene Regelungsund Normsetzungskompetenz Die Tarifvertragsparteien und damit die mächtigen Gewerkschaften haben die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Regelungs- und Normsetzungsbefugnis eine teilweise enge Verzahnung zwischen Tarifrecht und Betriebsverfassungsrecht herzustellen. Sie können gem. § 1 Abs. 1 TVG betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Normen setzen, gem. § 3 BetrVG die Betriebs- und Arbeitnehmervertretungsstrukturen abweichend vom jeweiligen gesetzlichen Regeltypus definieren, oder die Einigungsstelle gem. § 76 Abs. 8 BetrVG durch eine tarifliche Schlichtungsstelle ersetzen84. Darüber hinaus setzt der Tarifvertrag wegen des Tarifvorranges des § 87 Abs.1 (Eingangshalbsatz) BetrVG für Angelegenheiten der Ziffern 1 bis 13 dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats Grenzen85. Und der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG schränkt die Möglichkeit des Betriebsrats zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen empfindlich ein. Auch kann gem. § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG durch Tarifvertrag der gesetzliche Handlungsspielraum des Betriebsrats im Bereich der Freistellungsmöglichkeiten verändert werden oder gar der Mitbestimmungsbereich an sich erweitert werden86. Es kann in diesem Zusammenhang deshalb durchaus davon gesprochen werden, dass die Tarifvertragsparteien durch diese Verzahnungsmöglichkeiten zwischen Tarif- und Betriebsverfassungsrecht den Arbeitsbereich des Betriebsrats für weite Bereiche „fremdbestimmen“ können87. Von dieser Feststel83 So formuliert Friese, S. 99: „Die Mehrzahl der Gewerkschaftsbefugnisse in der Betriebsverfassung steht in keinem Zusammenhang zur Möglichkeit des Tarifabschlusses, sondern ist auf eine unterstützende und überwachende Funktion der Arbeitnehmervereinigungen in bezug auf die Tätigkeit der Betriebsverfassungsorgane beschränkt“; daraus lasse sich nur der Schluss ziehen, dass tariffähige Arbeitnehmervereinigungen Gewerkschaften auch i. S. des BetrVG seien, nicht aber umgekehrt, dass ausschließlich solchen Koalitionen Gewerkschaftseigenschaft im Betriebsverfassungsrecht zukommen müsse; ähnlich Müller, S. 115: die Regelungen der sekundären Gewerkschaftsrechte in der Betriebsverfassung bestehen entgegen der Auffassung des BAG nicht um deren Tariffähigkeit willen. 84 Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung tariflicher Schlichtungsstellen wird unten noch näher zu untersuchen sein, siehe untersucht, siehe 4. Kap. § 26 B. 85 Dem Arbeitnehmerschutz ist bei Vorliegen eines Tarifvertrages bei Gegenständen des Katalogs des § 87 Abs. 1 BetrVG insofern bereits genügt, DKK-Klebe § 87 Rdnr. 25; GK-Wiese § 87 Rdnr. 56; Löwisch/Kaiser § 87 Rdnr. 34. 86 BAG v. 24.09.1959 – 2 AZR 28/57 = BAG AP Nr. 11 zu § 611 BGB Akkordlohn; v. 18.08.1987 – 1 ABR 30/86 = AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972; v. 10.02.1988 – 1 ABR 70/86 = AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972; siehe dazu auch Däubler § 6 Rdnr. 187 m.w. N.

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lung ist es nicht weit bis zu der Folgerung, dass an dieser Stelle die Gewerkschaften tatsächlich – in den Worten des Bundesarbeitsgerichts – in der Betriebsverfassung mit dem besonderen Gewicht einer (tariffähigen und -schließenden) Gewerkschaft auftreten88. Letztlich taugt dieser Befund aber nicht wirklich zur Begründung der Notwendigkeit des Auftretens eines Verbandes mit sozialer Mächtigkeit im Bereich der sekundären Gewerkschaftsrechte in der Betriebsverfassung. Denn die Gewerkschaften sind vom Betriebsverfassungsgesetz insoweit nämlich gerade nicht in ihrer Stellung innerhalb der Betriebsverfassung, sondern als Partei möglicher tarifvertraglicher Regelungen angesprochen89. Sekundäre Gewerkschaftsrechte stehen gleichsam „neben“ dem Tarifvertragssystem90. Anders ausgedrückt: Bei den aufgezeigten tariflichen Gestaltungsmöglichkeiten handelt es sich stets um die Ausübung primärer Gewerkschaftsrechte, weil die Gewerkschaften hier auf dem Felde agieren, das ihrer historisch gewachsenen, im Erkämpfen von Tarifverträgen entstandenen Rolle entspricht. Dass um des Funktionierens der Tarifautonomie willen – im Sinne einer von staatlicher Kontrolle freien Angemessenheitskontrolle der Tarifverträge – in dieser Funktion Mächtigkeit und Druckfähigkeit erforderlich sind, wurde bereits dargelegt91. Umgekehrt gilt deshalb aber für den Bereich der vorliegend in Frage stehenden und nicht tarifvertragsbezogenen sekundären Gewerkschaftsrechte, dass hier dem Gesichtspunkt der Mächtigkeit keine dem Funktionieren der Tarifautonomie entsprechende verfahrensbezogene Funktion zukommt. Die sekundären Gewerkschaftsrechte im Mitbestimmungssystems stehen damit also gleichsam „neben“ dem Tarifvertragssystem92.

C. Zwischenergebnis Der Gewerkschaftsbegriff ist entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts deshalb funktionstypisch unterschiedlich anhand der spezifischen Aufgaben des jeweiligen Einzelgesetzes zu bestimmen, in dem die Gewerk-

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Däubler § 2 (Rdnr. 76); § 6 Rdnrn. 175 ff., 188. Zur verfassungsrechtlichen Bewertung dieser betriebsverfassungsrechtlichen Normsetzungsbefugnisse, siehe insbesondere unten 4. Kap. §§ 2; 26 B.; § 29. 89 Eitel, S. 165; anders Löwisch SAE 72, 231 (232), der an dieser Stelle die Auffassung vertritt, dass die enge Ankoppelung des Gewerkschaftsbegriffs im Betriebsverfassungsrecht an den Gewerkschaftsbegriff im Tarifrecht wegen der tariflichen Normsetzungskompetenzen im Betriebsverfassungsrecht erlaubt sei. 90 Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 241 mit Hinweis auf BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG C IV 2. 91 Siehe oben 3. Kap. § 1; § 3 B. II. 92 BVerfG v. 01.03.1979 – 1BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1BvR 419/78, 1 BvL 21/ 78 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG, C IV 2. 88

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schaftseigenschaft Voraussetzung der Zuerkennung sekundärer Gewerkschaftsrechte ist93.

D. Weitere Einwände gegen die These vom einheitlichen Gewerkschaftsbegriff Die These vom einheitlichen Gewerkschaftsbegriff darf für die Literatur wohl als die herrschende Auffassung bezeichnet werden94. Dabei fällt auf, dass die Begründungen für deren Befürwortung eher spärlich ausfallen. So gibt es nach Auffassung von Däubler95 anscheinend nur (tarif-)mächtige oder aber bedeutungslose Splitterorganisationen. Unter welchen Gesichtspunkten es sinnvoll sein könnte, gewerkschaftliche Möglichkeiten innerhalb der Betriebsverfassung nicht auf zu viele Vereinigungen zu zersplittern96, wird aber nicht im Ansatz ausgeführt. Damit erweist sich das insofern unsubstantiierte Zersplitterungsargument eher als gewerkschaftspolitischer „Kampfbegriff“ denn als stichhaltiger Grund für eine Aberkennung der sekundären Gewerkschaftsrechte zu Lasten der kleineren Verbände. Der Widerspruch gegen diese These ist auf der anderen Seite hingegen mannigfach ausdifferenziert worden. Dabei spielen – wie gezeigt – Argumente aus der juristischen Methodenlehre97 sowie sich auf eine funktionsbezogen-teleologische Sichtweise gründende Überlegungen98, das Argument von der schwierigen Justitiabilität des Begriffs der Mächtigkeit99, vor allem aber auch noch zu beleuchtende verfassungsrechtliche Gesichtspunkte eine entscheidende Rolle. I. Verbot der Diskriminierung von Koalitionen gem. Art. 9 Abs. 3 GG i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG Der verfassungsrechtliche Rahmen für die Stellung der (Minderheits-)gewerkschaften in der Betriebsverfassung ist bereits oben eingehender untersucht

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So auch Dütz DB 96, 2385 (2390). Hiervon gehen u. a. aus: Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 241, zweifelnd Rieble FS Wiedemann, S. 527 f.; für den einheitlichen Gewerkschaftsbegriff siehe nur DKK-Berg § 2 Rdnr. 10; ErfK-Eisenmann § 2 Rdnr. 4; Fitting § 2 Rdnr. 32; GK-Kraft § 2 Rdnr. 34 m.w. N.; HSWG-Hess § 2 Rdnr. 61; Kempen/Zachert § 2 Rdnrn. 57 f.; wohl auch Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 38; Weiss § 2 Rdnr. 8. 95 Däubler § 3 II Rdnr. 88 f., Däubler Tarifvertragsrecht, 48 ff. 96 Dütz ArbuR 76, 65 (68) hält das Zersplitterungsargument grundsätzlich für respektabel, gibt im Ergebnis dann aber doch dem Minderheitenschutz den Vorrang. 97 Dazu bereits oben 3. Kap. § 2; Eitel, S. 63 ff. m.w. N. 98 Siehe dazu oben 3. Kap. § 3 B. III. f. 99 Friese, S. 106 f.; Jülicher ZfA 79, 121 (126), Germelmann/Matthes § 11 Rdnr. 58. 94

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worden100. Es wurde festgestellt, dass der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG – direkt oder aber in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG bzw. dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip101 – ein Diskriminierungsverbot innewohnt. Dieses beinhaltet als Differenzierungsverbot ein striktes Verbot jeder unterschiedlichen Behandlung verschiedener Koalitionen und ihrer Mitglieder durch den Staat – es sei denn, hierfür läge ein besonders zwingender und damit rechtfertigender Sachgrund vor102. Die Rechte der Koalitionen dürfen staatlicherseits nur von solchen spezifischen Voraussetzungen abhängig gemacht werden, als dies der Wahrnehmung gerade dieser konkreten Rechte dient. Denn werden spezifische Anforderungen an Koalitionen gestellt, die sich nicht durch solche besonderen Zwecke rechtfertigen lassen, so wird hierdurch in Wirklichkeit das „Ob“ des Grundrechtsschutzes nach Art. 9 Abs. 3 GG für diese Koalitionen in seinen Anforderungen heraufgeschraubt, und es werden ohne Sachgrund kleinere Vereinigungen von der Grundrechtsgewährung ausgeschlossen. Damit liefe aber faktisch die Freiheit der Koalitionsbildung weitgehend leer, und ein Aufholwettbewerb kleinerer Vereinigungen hätte kaum Erfolgschancen – ein „Grundrechtsreservat“ für die bereits etablierten Koalitionen wäre geschaffen103. Denn ohne die auch praktische Chance, in den Aufholwettbewerb einzutreten und ihn zu bestehen, gäbe es kaum eine interessensmäßige Grundlage dafür, dass sich Arbeitnehmer einer kleineren oder gar neu gebildeten Koalition anschließen sollten: es fehlte der nicht tarifmächtigen Vereinigung jeder werbewirksame Tätigkeitsbereich104. Der durch Art. 9 Abs. 3 GG im Ansatz geschützte Koalitionspluralismus im Sinne eines Wettbewerbs der Koalitionen105 wäre nicht mehr gewährleistet106. Nur eine differenzierte Zuweisung von (sekundären) Handlungsrechten an die Koalitionen wird der Koalitionsfreiheit gerecht, weil kleineren Vereinigungen nur auf diesem Wege überhaupt der Zugang zum etablierten System kollektiver Interessenvertretung eröffnet werden 100

Siehe oben 2. Kap. So Wank ZfA 84, 355 (456). 102 BVerfG v. 22.10.1985 – 1 BvL 44/83 = AP Nr. 142 zu Art 3 GG Gründe I 1; BVerfGE 24, 300, (340 f.); 52, 63 (98); in den genannten Entscheidungen wird explizit nur von „Gewerkschaften“ gesprochen, während es vorliegend um die Problematik geht, ob Koalitionen (jedenfalls in der Betriebsverfassung) Gewerkschaftseigenschaft zukommt. Es ist aber nicht ersichtlich, wieso auf dem Hintergrund des Art. 9 Abs. 3 GG für Koalitionen im allgemeinen anderes gelten dürfte als für Gewerkschaften. So schon für den aus Art. 9 Abs. 3 allen Koalitionen verbürgten Bereich der Informations- und Werbetätigkeit Buchner, FS 25 Jahre BAG, S. 70. 103 Löwisch/Rieble MünchArbR §§ 243 Rdnr. 46 f.; 244 Rdnrn. 10 ff.; Oetker, Anmerkung zu BAG v. 06.06.2000 – 1 ABR 10/99 = AP Nr. 55 zu § 2 TVG, 3.; 246 Rdnr. 235; Rieble FS Wiedemann, S. 519 (S. 528). 104 Buchner FS 25 Jahre BAG, S. 70; Dütz ArbuR 76, 65 (68) betont in diesem Zusammenhang, dass gewerkschaftliche Aktivitäten regelmäßig auf betrieblicher Ebene beginnen und sich von dort aus erweitern. 105 BVerfGE 18, 18 (30). 106 Konzen SAE 84, 136 (137). 101

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kann107. Der lediglich rechtspolitische Wunsch nach einer Einheitsgewerkschaft vermag es nicht, diese verfassungsrechtlichen Überlegungen zu entkräften108. Für die Rechtssetzung oder Auslegung einfachgesetzlicher Koalitionsbefugnisse führen diese Überlegungen zu einem „ausdifferenzierten Anforderungsprofil“: Mächtigkeit darf deshalb für die Tariffähigkeit verlangt werden109, nicht aber für den Bereich der sekundären Gewerkschaftsrechte in der Betriebsverfassung. Denn hier besteht nicht der erforderliche spezifische Zusammenhang mit dem Tarifsystem, der alleine einen verfassungsfesten Sachgrund dafür abgeben könnte, kleinere Koalitionen von den sekundären Rechten der Betriebsverfassung auszuschließen110. Gilt schon für die Zuerkennung des primären Rechts der Tariffähigkeit, dass aus Gründen des Art. 9 Abs. 3 GG dieses nur von solchen Umständen abhängig gemacht werden darf, welche von der Sache selbst, also von der im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe der verbandsautonomen Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens her gefordert sind111, so kann dieser Rechtsgedanke auch für den Bereich der sekundären Rechte in der Betriebsverfassung fruchtbar gemacht werden112, zumal das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 20.10.1981 es ausdrücklich offengelassen113 hat, ob der Gewerkschaftsbegriff im Tarifvertragsrecht und im Betriebsverfassungsrecht einheitlich zu bestimmen ist114. Nur funktionsgebundene Sachgesichtspunkte dürfen darüber entscheiden, welchen Vereinigungen unter welchen Voraussetzungen die sekundären Gewerkschaftsrechte zuerkannt werden müssen, damit eine Koalition in der Lage ist, diese betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse „im Interesse der Ordnung der Betriebsverfassung und der im Betrieb beschäftigten Mitglieder“ auszuüben115. 107 Rieble FS Wiedemann, S. 528; Wiedemann, Anmerkung AP Nr. 24 zu Art. 9 GG II 3; in diese Richtung auch Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 240; Müller, S. 149; Oetker Anmerkung zu AP Nr. 55 zu § 2 TVG. 108 Konzen SAE 84, 136 (138); dass der rechtspolitische Wunsch der Vater des Gedankens von der Einheitlichkeit des Gewerkschaftsbegriffs ist, legt die im Grunde diffamierende Begriffsgegenüberstellung von mächtigen Gewerkschaften einerseits und „Splitterorganisationen“ andererseits wie z. B. bei Däubler, § 3 II Rdnr. 88 f. nahe. 109 Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 235. 110 Hierzu in diesem Sinne ausführlich anhand der Untersuchung der einzelnen gewerkschaftlichen Befugnisse Müller, S. 123 ff. 111 BVerfG v. 18.11.1954 – 1 BvR 629/52 = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG; v. 06.05.1964 – 1 BvR 79/62 = AP Nr. 15 zu § 2 TVG. 112 Kraft FS Wiese, S. 219 (S. 233). 113 BVerfG v. 20.10.1981 – 1 BvR 404/78 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG B I 3 e): „Es kann deshalb auch offen bleiben, ob das durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Recht auf Betätigung es zulässt, den Gewerkschaftsbegriff für das Tarifvertragsrecht und das Betriebsverfassungsrecht einheitl. zu bestimmen . . .“. 114 Hierauf weist zu Recht Konzen, SAE 84, 136 hin, der hierin eine bewusste Andeutung des BVerfG zur Absage an den einheitliche Gewerkschaftsbegriff sieht. 115 Buchner 25 Jahre BAG, S. 55 (S. 63, S. 69); Konzen SAE 84, 136 (137 f.); Kraft FS Wiese, S. 233; Rieble FS Wiedemann, S. 519 (S. 528).

§ 3 Die Rechtsprechungsthese

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Die funktionsbezogen-teleologische Kritik am einheitlichen Gewerkschaftsbegriff findet damit nicht nur ihre verfassungsrechtliche Bestätigung in der Reichweite des Grundrechts der Koalitionsfreiheit. Die funktionsbezogenen Anforderungen an das Verständnis des Gewerkschaftsbegriffs im Bereich sekundärer Gewerkschaftsrechte erscheinen auf dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbots vielmehr als einzig zulässige Kriterien einer Zuerkennung oder Versagung dieser Rechte. II. Der verfassungsrechtliche Sonderstatus der Beamtenverbände in der Personalverfassung – längst anerkannter Bruch der Einheitlichkeit des Gewerkschaftsbegriffs Dass im Hinblick auf Koalitionen von Beamten aus verfassungsrechtlichen Gründen – allerdings anderen als der vorstehend genannten Art – die These von der Einheitlichkeit des Gewerkschaftsbegriffs in der gesamten Rechtsordnung116 nicht haltbar ist, ist schon frühzeitig festgestellt worden. Das Bundesverwaltungsgericht hat schon 1957117 – zu einem Zeitpunkt als das Bundesarbeitsgericht die Anforderungen an die Tariffähigkeit einer Koalition noch nicht durch das Mächtigkeitskriterium „verschärft“ hatte – bereits erkannt, dass es mit dem Wesen von Beamtenverbänden unvereinbar wäre, von diesen für die Zuerkennung der Gewerkschaftseigenschaft und damit für die Zuerkennung sekundärer Gewerkschaftsrechte118 die Tariffähigkeit zu verlangen. Diese Rechtsprechung wurde ausdrücklich bestätigt – Tariffähigkeit und Streikbereitschaft solcher Verbände dürften für die Zuerkennung der Gewerkschaftseigenschaft im personalvertretungsrechtlichen Sinne nicht vorausgesetzt werden119. Ausreichend sei, dass der Hauptzweck des Verbandes in der Vertretung der Mitglieder gegenüber dem sozialen Gegenspieler bei der Gestaltung dienstrechtlicher Beziehungen bestehe120. Auch wenn man in der Billigung eines besonderen, wesensgebundenen personalvertretungsrechtlichen Begriffs der Gewerkschaft seinerzeit durchaus auch eine funktionsbezogene Begründung sehen kann, so hat die im Ergebnis richtige 116 Das BAG v. 15.03.1977 – ABR 16/75 = AP Nr. 24 zu Art. 9 GG III. 1. drückt sich insofern jedenfalls missverständlich aus, als es zwar einerseits von der „Einheitlichkeit in der gesamten Rechtsordnung“ spricht, andererseits aber im gleichen Zusammenhang von „in anderen arbeitsrechtlichen Gesetzen enthaltenen Begriffen“ spricht. 117 BVerwG v. 05.11.1957 – VII P 4.57 = PersV 59, 209. 118 Es ging damals um das Vorliegen der Antragsberechtigung zur Wahlanfechtung einer „Gewerkschaft“ i. S. des seinerzeitigen § 22 Personalvertretungsgesetzes v. 05.08.1955 (BGBl. I, S. 477). 119 Das BVerwG v. 23.11.1962 – VII P 4.62 = BVerwGE 15, 168 (169) spricht hier stattdessen von einer „gefestigten Rechtsprechung“. 120 BVerwG v. 23.11.1962 – VII P 4.62 = BVerwG 15, 168 (169 ff.); so auch OVG Münster v. 05.12.1983 – CB 32/82.

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

Begründung121 ihr Schwergewicht doch auf verfassungsrechtlicher Ebene: Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit ist in seinem personellen Anwendungsbereich nach allgemeiner Meinung auch auf Beamte anwendbar122. Dies hat seine positiv-rechtliche deklaratorische123 Anerkennung auf einfachgesetzlicher Ebene durch § 57 BRRG, § 91 BBG und die landesgesetzlichen Beamtengesetze gefunden124. Aus den hergebrachten Grundsätzen des Beamtentums gem. Art. 33 Abs. 5 GG folgt aber andererseits, dass Beamte außerhalb des Tarifvertragssystems stehen und wirtschaftliche Kampfmaßnahmen wegen ihrer besonderen Treuepflicht nicht ergreifen dürfen125. Druck und Gegendruck sind Kategorien der Begriffsbildung, die aus Verfassungsgründen im (personalvertretungsrechtlichen) Tätigkeitsbereich von Beamtenkoalitionen keine Rolle spielen dürfen126. Deshalb können ihre dem öffentlichen Recht zugehörigen Dienstverhältnisse auch nicht durch Tarifvertrag geregelt werden127. Von Verfassungs wegen ist damit dem Kriterium der Tariffähigkeit und -mächtigkeit als Bestimmungsmerkmal der Gewerkschaftseigenschaft einer Beamtenkoalition jedenfalls für den Bereich des Personalvertretungsrechts nach allgemeiner Auffassung der Boden entzogen. Wegen des auch den Beamten zustehenden Grundrechts der Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG ist eine Beamtenkoalition deshalb dann Gewerkschaft, wenn sie den Zweck verfolgt, die dienstrechtlichen Interessen ihrer Mitglieder gegenüber dem sozialen Gegenspieler zu verfolgen. Die im Verhältnis von Art. 9 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 5 GG liegende Sonderrolle der Beamten erfordert eine – funktionsbezogen – an die Bedürfnisse des Personalvertretungsrechts angepasste Auslegung des Gewerkschaftsbegriffs128. 121 Auch in der Literatur wird diese Rechtsprechung allgemein bejaht, siehe Altvater § 2 Rdnr. 7 Dietz/Richardi BPersVG § 2 Rdnr. 25, 32 f., 44 f.; GK-Kraft, § 2 Rdnr. 35 m.w. N.; Ilbertz § 2 Rdnr. 42; Klein ABC, S. 62 f.; Kraft FS Wiese, S. 219 (S. 233); Lorenzen-Faber, § 2 Rdnr. 53. 122 BGH v. 22.09.1980 – II ZR 34/80 = AP Nr. 33 zu Art. 9 GG; statt vieler Kempen/Zachert § 2 Rdnr. 13; § 2 Rdnr. 40; Plog/Wiedow § 91 Rdnr. 2 ff. 123 Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnr. 24. 124 Siehe dazu im einzelnen Altvater § 2 Rdnr. 7; Plog/Wiedow § 91 Rdnr. 13. 125 Ganz h. M.; Hueck/Nipperdey ArbR II/2, § 48 B II 1 a; Isensse, S. 35 ff.; S. 133 f.; S. 180 ff.; Reuß FS Ule, S. 417 (S. 423); Schnellenbach, Rdnr. 234; BVerfGE 8, 1 (17); 44 (249); BVerwGE 73, 97 (102); BGHZ 70, 277 (279); 69, 128 (140); 980 ff.; BAG v. 10.09.1985 – 1 AZR 262/84 = AP Nr. 86 zu Art. 9 GG B II 2 3 a; BVerfGE v. 30.11.1965 – 2 BvR 54/62 = AP Nr. 7 zu Art. 9 GG = BVerfGE 19, 303; a. A. Hoffmann, AöR 91, 141 ff.; Däubler, Der Streik, S. 105 ff.; Däubler-Bieback, S. 466 ff. m.w. N. 126 Eitel, S. 168 f.; dazu auch Friese, S. 107 f. 127 Altvater, § 2 Rdnr. 7; Kempen/Zachert § 2 Rdnr. 40; Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnrn.139 ff.; Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 27; Wiedemann § 1 Rdnr. 109. 128 Ilbertz § 2 Rdnr. 42 mit m. E. unzutreffenden Hinweis auf HessVGH v. 30.03. 1988, PersV 92, 421.

§ 4 Ergebnis

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Die These vom einheitlichen Gewerkschaftsbegriff in der gesamten Rechtsordnung ist also auch von hier aus als gebrochen und kritikwürdig anzusehen129. Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich, dass das verfassungsrechtlich vorgegebene „differenzierte Anforderungsprofil“ funktionsbezogen auf den Zweck des konkreten Gesetzes zurückverweist, in dem die gewerkschaftlichen Sekundärrechte gewährt worden sind.

§ 4 Ergebnis Der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Einheitlichkeit des Gewerkschaftsbegriffs in der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung bzw. innerhalb der gesamten Rechtsordnung ermangelt es an argumentativer Durchschlagskraft: Historisch-soziologische Begründungsversuche erweisen sich als durch die Einführung des Mächtigkeitskriteriums zur Begründung der Gewerkschaftseigenschaft zu einem entwicklungsmäßig späten Zeitpunkt als gebrochen. Dieses Kriterium hat seine sachliche Berechtigung als Funktionsvoraussetzung der verfassungsrechtlich verbürgten Tarifautonomie, weil nur die Aktualisierung tatsächlicher Gegenmacht die Richtigkeitsgewähr für abgeschlossene Tarifverträge bietet, und damit sichergestellt wird, dass eine staatliche Angemessenheitskontrolle der erzielten „Tarifergebnisse“ nicht stattfinden muss und darf130. Den gewerkschaftlichen Sekundärrechten in der Betriebsverfassung hingegen ist die Erzielung von Druck im Sinne des Mächtigkeitskriteriums als Funktionsvoraussetzung aber fremd. Denn das Gesetz hat die Durchsetzung dieser Rechte nicht dem freien Spiel der Kräfte im Sinne der Aktualisierung von autonomer Gegenmacht unterstellt, sondern gibt hierfür stets den Weg über die staatliche Arbeitsgerichtsbarkeit vor. Auch die Friedenspflicht des § 74 Abs. 2 BetrVG bestätigt, dass das Druckmoment dem System der Betriebsverfassung fremd ist. Einzelne und durchaus gewichtige, auf das Betriebsverfassungsgesetz bezogene tarifvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten vermögen diesen Befund nicht zu erschüttern. Denn sie betreffen gerade nicht sekundäre Gewerkschaftsrechte sondern sprechen die Gewerkschaften in ihrer primären Rolle als mögliche Tarifvertragsparteien an. Entscheidend gegen die Einheitlichkeit des Gewerkschaftsbegriffs in der gesamten (Arbeits-)Rechtsordnung spricht aber vor allem das allen Arbeitnehmerkoalitionen gem. Art. 9 Abs. 3 GG zustehende Recht der Koalitionsfreiheit. Dieses Recht, in seiner Ausprägung als Diskriminierungsverbot, verbietet jede Ungleichbehandlung von Koalitionen auf der Ebene der sekundären Gewerkschaftsrechte, sofern hierfür kein funktionsbezogener Sachgrund vorhanden

129 130

Friese, S. 107; Müller, S. 113 f.; Wiedemann § 2 Rdnr. 167. Siehe Löwisch/Rieble TVG § 2 Rdnr. 35.

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2. Kap.: Der (verfassungs-)rechtliche Rahmen

ist131. Für den Gewerkschaftsbegriff in der Betriebsverfassung ist daher funktionsorientiert im Sinne eines „ausdifferenzierten Anforderungsprofils“ jeweils normbezogen zu fragen, ob die Beanspruchung der den Gewerkschaften dort eingeräumten Rechtspositionen der sozialen Mächtigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bedarf132. Im Ergebnis setzt die Wahrnehmung der betriebsverfassungsrechtlichen Sekundärrechte der Gewerkschaften in der Betriebsverfassung nur voraus, dass diese Koalitionen frei gebildet, gegnerfrei und unabhängig von der Gegenseite und von Staat, Kirchen und Parteien sind: Die Überbetrieblichkeit der Koalition ist dabei kein notwendiges Begriffsmerkmal133. Im Folgenden wird deshalb der Begriff der Gewerkschaft nicht im Sinne eines im gesamten Bereich des Arbeitsrechts geltenden einheitlichen Begriffs gebraucht werden. Grundsätzlich wird stattdessen im Kontext der zu untersuchenden Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts der Gewerkschaftsbegriff als Synonym für den Koalitionsbegriff verwandt werden.

131 132 133

Müller, S. 117 ff.; Schleusener NZA 99, 408 (409 f.). Eitel, S. 71. Löwisch/Kaiser § 2 Rdnr. 17; ähnlich Friese, S. 108 f., S. 113.

4. Kapitel

Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung § 1 Die vertrauensvolle Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) Nach § 2 Abs. 1 BetrVG wirken „Arbeitgeber und Betriebsrat . . . vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften . . . zusammen“. Ob dieses Gebot der „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ – das auch als Kooperationsprinzip1, Kooperationsmaxime2 oder als „Ausdruck des Partnerschaftsgedankens3“ bezeichnet wird – eine unmittelbar verpflichtende Norm darstellt, ist umstritten. Teils wird ihm nur der Charakter eines in allgemeiner Form gehaltenen Appells („Präambel des Betriebsverfassungsgesetzes“) zugemessen, der nicht dazu ausreiche, konkrete Rechte und Pflichten herzuleiten4. Die überwiegende Auffassung betont im Gegensatz hierzu jedoch die unmittelbare Verpflichtungswirkung der Vorschrift5, wenn auch mit der Maßgabe, dass über konkret im Gesetz vorgesehene Mitbestimmungsrechte hinaus unter Rückgriff auf § 2 Abs. 1 BetrVG keine zusätzlichen Rechte jenseits der positiv geregelten Ansprüche begründet werden können6 bzw. diese Vorschrift zu ihrer Entfaltung des Zusammenspiels mit anderen Vorschriften aus dem Betriebsverfassungsrecht bedarf7. Fest steht jedenfalls, dass mit dem Gebot der vertrauens1 v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 300 Rdnr. 28; v. Hoyningen-Huene, S. 72 („Kooperationsgebot“). 2 Zöllner/Loritz § 44 VII. 1. 3 GK-Kraft § 2 Rdnr. 16. 4 Weiss/Weyand § 2 Rdnrn. 1 f.; ähnlich Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 4: „Magna Charta der Betriebsverfassung“, der aber an anderer Stelle, Rdnr. 6, von einem „Gebot“ spricht. 5 Fitting § 2 Rdnr. 2; Galperin/Löwisch § 2 Anm. 23; GK-Kraft § 2 Rdnr. 6 f.; v. Hoyningen-Huene § 4 IV. 2.; HSWG-Hess § 2 Rdnr. 17; Hueck/Nipperdey II/2, 1334, 1338 zum § 49 Abs. 1 BetrVG 1952; Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 21. 6 Fitting § 2 Rdnr. 2, 23; GK-Kraft § 2 Rdnr. 7. 7 v. Hoyningen-Huene § 4 IV. 2.; so stellt das BAG v. 21.04.1983 – 6 ABR 70/82 = AP Nr. 20 zu § 40 BetrVG 1972 zur Auslegung des Umfanges dessen, was „erforder-

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

vollen Zusammenarbeit eine Verpflichtung zu verstärkter gegenseitiger Rücksichtnahme und Loyalität verbunden ist, dass der Konfliktlösung vorrangig durch Dialog hohe Bedeutung zukommt8, und dass eine Verpflichtung zur gegenseitigen Offenheit und Ehrlichkeit besteht9. Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit verpflichtet damit die in § 2 Abs. 1 BetrVG Genannten zu allgemeiner Regeltreue im Sinne eines „fair play“10. Fest steht weiter ebenfalls, dass aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit das Recht des Betriebsrats abzuleiten ist, die im Betrieb vertretenen Koalitionen um Unterstützung bitten zu dürfen, und dass die hieraus resultierende Zusammenarbeit von Betriebsrat und Koalitionen nicht behindert werden darf11. Gegebenenfalls kann das – dies wäre dann ein Fall der Entfaltung des § 2 Abs. 1 BetrVG im Zusammenspiel mit einer anderen Vorschrift – der Betriebsrat oder die betroffene Gewerkschaft auch gegenüber dem Arbeitgeber im Wege des § 23 Abs. 3 BetrVG („kollektive Abmahnung“) gerichtlich durchsetzen12. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zum generellen „Zusammenwirken“ mit den im Betrieb vertretenen Koalitionen dürfte aber über die konkret geregelten sekundären Gewerkschaftsrechte hinaus nicht bestehen, dies wäre wohl eine Überspannung des Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit13: Zum einen folgt dies daraus, dass § 2 Abs. 1 BetrVG keine Vorschrift darstellt, aus der heraus konkrete (zusätzliche) Ansprüche hergeleitet werden können, zum anderen widerspräche eine solch umfassende Zusammenwirkungspflicht auch dem im Gesetz ausdrücklich mit § 2 Abs. 3 BetrVG angelegten Dualismus14 von gewerkschaftlicher und betrieblicher Interessenvertretung. Es bestünde bei Konstituierung einer solch umfassenden Verpflichtung nämlich die Gefahr, dass die Rechtsstellung des Betriebslich“ i. S. v. § 40 BetrVG ist, auch auf § 2 Abs. 1 BetrVG ab (Zeitschriftenbezug durch Betriebsrat/AiB). 8 Statt vieler v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 300 Rdnr. 30 ff.; Löwisch/Kaiser § 2 Rdnr. 6. 9 BAG v. 22.09.1994 – 2 AZR 31/94 = A? Nr. 68 zu § 102 BetrVG 1972 Gründe II. 3. a („Verbot der Irreführung“); BAG v. 21.02.1978 – 1 ABR 54/76 II. 3. c („Verbot unwahrer Angaben über Tätigkeit von Freigestellten gegenüber Arbeitgeber“). 10 v. Hoyningen-Huene § 4 VI. 2, 72 weist in diesem Zusammenhang auf die rechtlich bindende Qualität des § 2 Abs. 1 BetrVG und grenzt sich insofern von Löwisch Anmerkung zu BAG v. 21.02.1978 – 1 ABR 54/76 ab, der angeblich mit dem Verweis auf den aus § 2 Abs. 1 BetrVG (nur) eingeforderten „guten Stil“ diese Qualität verneine. 11 Gamillscheg KollArbR I, S. 238; Löwisch/Kaiser § 2 Rdnr. 12; Weiss/Weyand § 2 Rdnr. 6. 12 Weiss/Weyand § 2 Rdnr. 6. 13 Fitting § 2 Rdnr. 53; GK-Kraft § 2 Rdnr. 24; Weiss/Weyand § 2 Rdnrn. 5 f. 14 Fitting § 2 Rdnr. 30; allgemein dazu auch – wenn auch mit gegenläufiger Tendenz („kein Vertretungsmonopol des Betriebsrats“) Däubler § 2 VI. 1. (Rdnr. 71); andererseits aber Däubler § 2 V. 3. (Rdnr. 76): „Austrocknen des Betriebsrats nicht wünschenswert“.

§ 1 Die vertrauensvolle Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG)

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rats durch einen gewerkschaftlichen „Nebenbetriebsrat“ untergraben werden könnte.

A. „Gewerkschaften“ – Kein Erfordernis der Mächtigkeit im tarifrechtlichen Sinne Es wurde oben15 ausgeführt, dass ein einheitlicher Gewerkschaftsbegriff im gesamten Arbeitsrecht abzulehnen ist. Insbesondere gilt dies für die tatbestandliche Voraussetzung des Vorhandenseins von Tarifmächtigkeit für den Gewerkschaftsbegriff. Stattdessen wurde festgestellt, dass das Bestehen sekundärer Gewerkschaftsrechte im Betriebsverfassungsrecht anhand eines ausdifferenzierten Anforderungsprofils im Hinblick auf die konkret in Frage stehende Rechtsposition zu beurteilen ist16. Im Ergebnis laufen diese Feststellungen darauf hinaus, für den Gewerkschaftsbegriff im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne grundsätzlich vom allgemeinen Koalitionsbegriff auszugehen und allenfalls im Ausnahmefall für die Anspruchsbegründung sekundärer betriebsverfassungsrechtlicher Rechte von Koalitionen zusätzlich noch deren Tarifmächtigkeit zu verlangen17. Des weiteren wurde festgestellt, dass der betriebsverfassungsrechtliche Gewerkschafts- bzw. Koalitionsbegriff grundsätzlich auch betriebliche Vereinigungen zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen erfassen kann und dass grundsätzlich auch Ad-hoc-Vereinigungen i. S. der Aufstellung und Begleitung eines Wahlvorschlags zu Betriebsratswahlen während einer Amtsperiode für die Inanspruchnahme sekundärer Gewerkschaftsrechte in der Betriebsverfassung in Frage kommen können18. Konkret bedeutet dies, dass im Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 BetrVG von Minderheitsgewerkschaften deren Mächtigkeit nicht verlangt werden darf, denn es ist nicht ersichtlich, welcher spezifischer Sachzusammenhang zwischen der Mächtigkeit im Tarifwesen und einer vom Betriebsrat gewünschten unterstützenden Sachzusammenarbeit mit einer Koalition in betriebsverfassungsrechtlichen Fragen bestehen könnte. Der Betriebsrat hat deshalb einen notfalls im Gerichtswege durchsetzbaren Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber auf Zusammenwirken bzw. Nichtbehinderung der Zusammenarbeit auch mit Koalitionen ohne Tarifmächtigkeit19. Dies betrifft grundsätzlich auch die Ad-hoc-Koalitionen.

15

Siehe oben 3. Kap. Siehe oben 3. Kap. § 4; 2. Kap. § 1 F. IV. 3. b) ff. 17 Eine solche Tarifmächtigkeit könnte insbesondere dort als erforderlich angesehen werden, wo den Tarifparteien die tarifliche Gestaltung des betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsrechts eröffnet worden ist; zur Verfassungsmäßigkeit solcher tariflichen Regelungsoptionen siehe insb. unten 4. Kap. §§ 2; § 19 C.; 26 B. 29. 18 Siehe oben 2. Kap. § 1 C. II. 16

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

B. Prozessuale Anforderungen an den Nachweis des „Vertretenseins“ im Betrieb Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit besteht nur dann, wenn die Gewerkschaft bzw. Koalition im Betrieb vertreten ist. Nach h. M. genügt diesem Gebot des Vertretenseins die Mitgliedschaft nur eines Arbeitnehmers im Betrieb, der nicht leitender Angestellter ist20. Nicht nur im Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 BetrVG ist das Vertretensein der Gewerkschaft in diesem Sinne unabdingbare Voraussetzung für die Wahrnehmung gewerkschaftlicher Sekundärrechte in der Betriebsverfassung21. Dies ist nach dem oben Dargelegten verfassungsrechtlich auch unbedenklich, weil das kollektive Koalitionsrecht im Sinne der hier mitvertretenen „Bündelungstheorie“ nicht losgelöst vom einzelnen organisierten Mitglied gesehen werden kann – und deshalb ohne ein Vertretensein im Betrieb der Anknüpfungspunkt für eine dort zu verfolgende Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ nicht vorhanden ist. Problematisch ist allerdings, in welcher Weise im Konfliktfall die im Betrieb vertretene Koalition ihr Vertretensein nachweisen muss. Nach ganz überwiegender Auffassung22 reicht dazu für die Beweisführung der Koalition – ohne Namensnennung des betreffenden Arbeitnehmers – die sog. „notarielle Tatsachenbescheinigung“ dergestalt aus, dass notariell beurkundet wird, dass sich der Notar von der Mitgliedschaft des Arbeitnehmers im betroffenen Betrieb überzeugt hat, und dass dessen Personalien in einem Umschlag beim Notar hinterlegt sind23 – oder aber die diesbezügliche Aussage eines Gewerkschaftsbeauftragten im Wege dessen richterlicher Vernehmung als Zeuge. Begründet wird dies damit, dass die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit schlechthin oder jedenfalls ohne Einwilligung des Arbeitnehmers unzulässig sei, und dass datenschutzrechtliche Aspekte gegen eine Offenlegung 19

Allgemein zu diesem Anspruch siehe Löwisch/Kaiser § 2 Rdnr. 12 mit Hinweis auf ArbG Minden v. 24.09.1979 = DB 71, 149. 20 BAG v. 25.03.1992 – 7 ABR 65/90 = AP Nr. 4 zu § 2 BetrVG 1972; Fitting § 2 Rdnr. 43; Galperin/Löwisch 2 Rdnr. 36; GK-Kraft § 2 Rdnr. 27; Löwisch/Kaiser § 2 Rdnr. 18; Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 67. 21 Siehe z. B. auch §§ 2 Abs. 2, 14 Abs. 5 und 8, 16 Abs. 2, 17 Abs. 3, 17 Abs. 2, 18 Abs. 2, 19 Abs. 2, 31, 46 BetrVG; dazu auch Löwisch/Kaiser § 2 Rdnr. 20. 22 BAG v. 25.03.1992 – 7 ABR 65/90 = AP Nr. 4 zu § 2 BetrVG; LAG BadenWürttemberg v. 20.09. 1973 – 7 TaBV 5/73 = ARSt 1974, 88; LAG Düsseldorf Beschluss vom 06.04.1978 – 14 TaBV 123/77 = DB 1979, 110 f.; LAG Düsseldorf v. 05.12.1988 – 4 TaBV 140/88 – NZA 1989, 236; LAG Köln v. 06.10.1989 = 9 TaBV 49/89 = LAGE § 2 BetrVG 1972 Nr. 7; ArbG Offenbach v. 16.02.1989 – 2 BV 7/88; DKK-Berg § 2 Rdnr. 30; Fitting § 2 Rdnr. 43; Galperin/Löwisch § 2 Rdnr. 37; v. Hoyningen-Huene § 5 II., 95; v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 302 Rdnr. 11; Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 69. 23 Zum Inhalt der notariellen Tatsachenbescheinigung siehe Däubler § 3 I. (Rdnr. 87); v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 302 Rdnr. 11.

§ 1 Die vertrauensvolle Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG)

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des Namens sprechen24, dass der betreffende Arbeitnehmer vor möglichen Repressalien seitens des Arbeitgebers geschützt werden müsse25, vor allem aber damit, dass die Namensnennung des organisierten Arbeitnehmers zur Eröffnung der gesetzlichen Betätigungsmöglichkeiten seiner Koalition im Betrieb ohne sachlich zwingende Notwendigkeit die Koalitionsfreiheit des Einzelnen und der Koalition gefährde. Denn die Namensnennung berge die Gefahr, dass der Arbeitnehmer Repressalien ausgesetzt werde und betreffe damit auch die personelle Grundlage26 des betriebsverfassungsrechtlichen Betätigungsrechts der Koalition, welcher der Arbeitnehmer angehöre27. Die Gegenauffassung behauptet dementgegen, dass die Namensnennung nach § 28 Abs. 3 BDSG zur prozessualen Beweisführung rechtmäßig sei28. Die Anerkennung des Verzichts auf eine Notwendigkeit der Namensnennung, insbesondere in der gerichtlichen Praxis des Ausreichens der Vorlage einer notariellen Tatsachenbescheinigung, komme einem „Geheimverfahren“ gleich. Der prozessuale Grundsatz der Pflicht zu substantiiertem Vorbringen werde hierdurch verletzt, und der Arbeitgeber könne sich durch unrichtige Tatsachenbehauptungen faktisch nicht zur Wehr setzen. Die mit dem Vertretensein berührten Rechtsfragen29 würden der Sache nach letztlich vom Notar unter Ausschluss gerichtlicher Kontrollmöglichkeiten abschließend und verbindlich beantwortet. Das Gebot der Unmittelbarkeit, Öffentlichkeit und Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme würden verletzt. Dies laufe letzthin auf eine Verletzung des Anspruchs des Arbeitgebers auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG hinaus30. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch die notarielle Tatsachenerklärung der freien Beweiswürdigung unterliegt, dass es von Verfassungs wegen keinen Grundsatz der materiellen Beweisummittelbarkeit gibt31 und dass das Bundesarbeitsgericht im Hin24

Siehe die Nachweise bei GK-Kraft § 2 Rdnrn 28 ff. Däubler § 3 I. (Rdnr. 87a); ArbG Nürnberg DB 89, 2284. 26 Ähnlich DKK-Berg § 2 Rdnr. 30 unter Hinweis auf Art. 9 Abs. 3 GG, der im Sinne einer Bestandsgarantie auch und gerade den Mitgliederbestand in einem konkreten Betrieb erfasse. 27 BAG v. 25.03.1992 – 7 ABR 65/90 = AP Nr. 4 zu § 2 BetrVG 1972 Gründe II. 6. 28 GK-Kraft § 2 Rdnr. 29. 29 Z. B., ob der betreffende Arbeitnehmer nicht etwa ein leitender Angestellter ist. 30 GK-Kraft § 2 Rdnr. 29 f.; Leipold Anmerkung zu BAG v. 21.07.1993 SAE 96, 66 (69); Prütting/Weth DB 89, 2273 (2275 ff.); Prütting/Weth ArbuR 90, 269 ff.; Prütting/Weth NJW 93, 576 f.; leicht zweifelnd auch Fitting § 2 Rdnr. 43. 31 BVerfG v. 21.03.1994 – 1 BvR 1485/93 = AP Nr. 4a zu § 2 BetrVG 1972 III. 1. aa: „Das BVerfG hat bereits entschieden, dass Art. 103 Abs. 1 GG weder ein Recht auf ein bestimmtes Beweismittel noch bestimmte Arten von Beweismitteln gewährt (BVerfG 57, 250, 275). Auch bestimmte Beweisregeln, wie z. B. die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, werden nicht verfassungsrechtl. durch Art. 103 Abs. 1 GG, sondern nur einfachrechtl. garantiert (BVerfG 1, 418 429). Es ist auch bereits geklärt, 25

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

blick auf die Anforderungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör ausdrücklich festgestellt hat, dass die Tatsachengerichte dem geringeren Beweiswert mittelbarer Beweismittel durch besonders sorgfältige Begründung und Beweiswürdigung Rechnung zu tragen haben32. Vor allem aber spricht für die Richtigkeit der h. M., dass angesichts dieser beweisrechtlichen Lage im Hinblick auf die Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG eine Koalition nicht dazu verpflichtet werden darf, zur Durchsetzung ihrer Betätigungsrechte im Betrieb ihr dort beschäftigtes Mitglied Risiken in seinem Arbeitsverhältnis auszusetzen, und dadurch dessen und ihre eigene Koalitionsfreiheit – wegen deren personellen Grundlage im Hinblick auf das Vertretensein im Betrieb – einer Gefährdung auszusetzen33. Bezugnehmend auf die oben34 gemachten Ausführungen zu den Anforderungen aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit heraus an die rechtsprechende Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit, erweist sich diese Rechtsprechung als verhältnismäßig: Sie ist geeignet, den Zweck der (beschluss-)verfahrensmäßigen Wahrheitsfindung zu garantieren, es wird mit ihr das denkbar mildeste Mittel einer mittelbaren Beweisführung für das Vertretensein der Koalition im Betrieb gewählt, und angesichts der hohen Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht an die Beweiswürdigung und Begründung der Tatsachengerichte im Hinblick auf den Beweiswert mittelbarer Tatsachen stellt (notarielle Tatsachenbescheinigung, Aussage des Gewerkschaftsbeauftragten), wird bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung i. e. S. auch die Koalitionsfreiheit in ein angemessen proportionales Verhältnis zum grundrechtsgleichen35 Anspruch des Arbeitgebers auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG gebracht36. Für die vorliegend untersuchte Minderheitenproblematik muss diese verfassungsrechtliche Argumentation noch zusätzlich weiter verstärkt werden: Wenn unter welchen Voraussetzungen die Erhebung mittelbarer und damit sachfernerer Beweise mit dem Grundsatz auf ein faires Verfahren, der auch im Zivilverfahren gilt (BVerfG 78, 123, 126 m.w. N.), vereinbar ist. Das BVerfG hat mittelbare Beweismittel jedenfalls dann für zulässig gehalten, wenn der Beweis durch sachnähere Beweismittel unmögl. ist, weil diese z. B. unerreichbar sind. Wann ein grundsätzl. vorhandenes Beweismittel rechtsstaatl. unbedenkl. als unerreichbar anzusehen ist, z. B. bei Fehlen einer Aussagegenehmigung, ist ebenfalls bereits verfassungsrechtl. geklärt (BVerfG 57, 250, 276–290). Der Richter muss bei der freien Beweiswürdigung dann allerdings den geringeren Beweiswert des mittelbaren Beweismittels berücksichtigen (BVerfG 57, 250, 277, 278); siehe auch Däubler § 3 I. (Rdnr. 87a); Grunsky ArbuR 90, 105 (109 ff.). 32 BAG v. 25.03.1992 – 7 ABR 65/90 = AP Nr. 4 zu § 2 BetrVG 1972 2. Leitsatz. 33 BAG v. 25.03.1992 – 7 ABR 65/90 = AP Nr. 4 zu § 2 BetrVG 1972 Gründe B. III. 6. 34 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 2. 35 Siehe hierzu nur Jarass/Pieroth Art. 103 Rdnr. 1 m.w. N. 36 So im Ergebnis auch BVerfG v. 21.03.1994 – 1 BvR 1485/93 = AP Nr. 4a zu § 2 BetrVG 1972.

§ 1 Die vertrauensvolle Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG)

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schon die Denkbarkeit von Repressalien im Verhältnis vom Arbeitgeber zum Arbeitnehmer eine nur mittelbare Beweisführung zu ermöglichen bzw. zu legitimieren vermag, so wird die Ermöglichung mittelbarer Beweisführung im zusätzlichen Hinblick auch auf die Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb geradezu zwingend: Denn insofern ist der minderheitskoalitionsmäßig organisierte Arbeitnehmer noch zusätzlich der Möglichkeit des Drucks durch eine Kollektivmacht ausgesetzt, die lästige Konkurrenz innerhalb des Betriebes gegebenenfalls dadurch abzuwehren trachtet, als sie diesen Arbeitnehmer zum Übertritt oder jedenfalls zum Austritt aus der Minderheitskoalition „bedrängen“ könnte, um der Minderheitsgewerkschaft damit von vorneherein die personelle Grundlage der Betätigungsmöglichkeit im Betrieb zu entziehen. Diese Gefahrenlage aber würde durch Namensnennung in einem öffentlichen Anhörungstermin im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren gerade geschaffen. Ein möglicher Aufholwettbewerb könnte damit bereits im Ansatz durch die Mehrheitsgewerkschaft vereitelt werden. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts legitimiert sich von daher auch nicht nur, sie ist aus dem Gebot des effektiven Grundrechtsschutzes für die Minderheitskoalition auch geboten. Eine Beeinträchtigung der Rechte der Mehrheitskoalition im Betrieb liegt andererseits von vorneherein deshalb nicht vor, weil die Mehrheitskoalition ohnehin keinen Rechtsanspruch auf eine solche Namensnennung ihr gegenüber hat, und die staatliche Ausgestaltung auch weit von einer verbotenen „Erfolgsverschaffung“ entfernt bleibt: Die Eröffnung der Betätigungsrechte gibt der Minderheitsgewerkschaft nämlich lediglich die Chance, durch ihre (erfolgreiche) Arbeit in einen Aufholwettbewerb gegenüber der Mehrheitsgewerkschaft einzutreten.

C. Die Neutralitätspflicht des Arbeitgebers gegenüber den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften I. Neutralitätspflicht aufgrund eines Dauerschuldverhältnisses eigener Art („Betriebsverhältnis“)? Dort, wo in privatrechtlichen Rechtsbereichen Vertrauen eingeräumt oder verlangt wird, entstehen für den jeweils anderen Teil Treuebindungen, denn Vertrauenseinräumung ohne komplementäre Treuebindung wäre sinnlos37. In Anerkennung dieser Grundmaxime wird versucht, die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat im Sinne der Plausibilisierung der Beziehung zwischen den Betriebspartnern und einer allgemeinen Harmonisierung der Rechtsanwendung innerhalb des Betriebsverfassungsrechts und im Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht38 griffig in ein Rechtsverhältnis – eigener Art – zusam37

Zöllner/Loritz § 44 VII. 1. b, S. 504.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

menzufassen39. So werden die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, vor allem unter Bezugnahme auf § 40 BetrVG beschränkt als „gesetzliches“ Schuldverhältnis“40 begriffen. Weiter wird die Auffassung vertreten, dieses Verhältnis ließe sich als ganz allgemeines gesetzliches Schuldverhältnis begreifen41 oder mit einem ebenfalls weitreichenden Ansatz werden diese Rechtsbeziehungen als Treuhandverhältnis oder „Sozialrechtsverhältnis“42, als „Sonderverbindung in Form eines zivilrechtlichen Schuldverhältnisses43 gedeutet, aus welchem ganz allgemein Pflichten zwischen den Betriebspartnern erwachsen, oder sie werden als „einem gesetzlichen Dauerschuldverhältnis ähnlich“44 angesehen. Dies wird in Rechtsprechung45 und Lehre weiterentwickelt zur These von einem Betriebsverhältnis als „kollektivrechtrechtlichem und zweiseitigen Dauerschuldverhältnis eigener Art mit Schutzpflichten zugunsten Dritter“ (der Arbeitnehmer des Betriebs) und mit gesteigerten gegenseitigen Treuepflichten46. Angesichts der allgemein anerkannten Durchdringung des gesamten Betriebsverfassungsrechts mit dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit erscheint es tatsächlich auch zu kurz gegriffen, die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nur auf Einzelanweisungen im Gesetz – normiert durch die konkreten Mitbestimmungstatbestände – zu reduzieren47. Der Vorstellung von einer umfassenden Dauerrechtsbeziehung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber ist daher im Grundsatz zu folgen. Insbesondere ist diese Rechtsfi38 Solche Überlegungen spielen vor allem auch in der Diskussion um die Haftung des Betriebsrats eine Rolle, dazu Belling, 312 ff. und auch ganz umfassend zur Frage der Betriebsratshaftung und der seiner Mitglieder. 39 v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 300 Rdnr. 1 ff. mit umf. w. N.; auch Reichold, S. 499 m.w. N. (Fn. 501 bis 503). 40 DKK-Schneider/Wedde Einleitung Rdnr. 123; GK-Kraft § 1 Rdnr. 75. 41 Neumann-Duesberg NJW 54, 617 ff. 42 Heinze ZfA 88, 53 (71 ff.). 43 Belling, S. 312 ff. 44 Löwisch/Kaiser § 2 Rdnr. 1. 45 Insbesondere zur Begründung von Ansprüchen auf Unterlassung mitbestimmungswidrigen Verhaltens seitens des Arbeitgebers und für die Folgenbeseitigung solchen Handelns, siehe dazu BAG v. 16.6.1998 – 1 ABR 68/97 = AP Nr. 7 zu § 87 Gesundheitsschutz B. III. 46 v. Hoyningen-Huene, 56 ff.; ders. FS Wiese, S. 175 ff.; ders. MüchArbR § 300 Rdnr. 11, 80; ders. NZA 89, 121 ff.; ähnlich Konzen FS Wolf, S. 279 (S. 283 ff.); BAG v. 03.05.1994 – 1 ABR 24/93 = AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972 B. III. 1., 2. Abs.; v. 23.07.1996 – 1 ABR 13/96 = AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit B. III. 1., 2. Abs.; BAG v. 16.6.1998 – 1 ABR 68/97 = AP Nr. 7 zu § 87 Gesundheitsschutz B. III.; strikt dagegen Merten Anmerkung zu BAG v. 16.6.1998 – 1 ABR 68/97 = AP Nr. 7 zu § 87 Gesundheitsschutz; ablehnend auch Reichold, S. 498 ff. („Eselsbrücke“), der im Sinne einer strengen Vertragsrechtsakzessorietät der Betriebsverfassung kein Betriebsverhältnis, sondern nur einen „Annex der gesetzlich abverlangten Sozialverantwortung aus dem Arbeitsvertrag“ zu erkennen vermag. 47 So auch Löwisch/Kaiser § 2 Rdnr. 1.

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gur auch dazu geeignet, Schwächen des § 23 Abs. 3 BetrVG durch Gewährung eines allgemeinen Unterlassungsanspruchs und auf Folgenbeseitigung48 bei mitbestimmungswidrigem Verhalten des Arbeitgebers dort auszugleichen, wo die „kollektive Abmahnung“ (§ 23 Abs. 3 BetrVG) wegen ihrer begrenzten Sanktionswirkung in der betriebsverfassungsrechtlichen Praxis zu kurz greift. Es ist anerkannt, dass dann – wenn Gewerkschaften Aufgaben und Befugnisse im Rahmen der Betriebsverfassung wahrnehmen – sie bzw. ihre Beauftragten auch an den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit in bezug auf Arbeitgeber und Betriebsrat gebunden sind49. Dass dies auch umgekehrt für den Arbeitgeber gelten muss, ergibt sich schon aus der oben angesprochenen Wechselseitigkeit von eingeräumtem Vertrauen und korrespondierender Treuepflicht. Es könnte demnach daran gedacht werden, die Rechtsfigur eines gesetzlichen Dauerschuldverhältnisses eigener Art auch auf das Verhältnis der Koalitionen zu den Betriebspartnern und insbesondere zum Arbeitgeber – jedenfalls im Hinblick auf die gesetzlich konkret zugewiesenen betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben – zu erstrecken bzw. weiterzuentwickeln. Dieses Dauerschuldverhältnis könnte dann für die hier in Rede stehenden Ansprüche im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit dergestalt fruchtbar gemacht werden, als das Koalitionsgrundrecht von Minderheitsgewerkschaften im Sinne seiner effektiven Gewährleistung in der Betriebsverfassung hierauf seine Ausstrahlungswirkung entfalten könnte und insofern – im Ergebnis ähnlich der staatlichen Neutralitätspflicht – eine sich aus dem „Betriebsverhältnis“ ergebende Neutralitätspflicht des Arbeitgebers hergeleitet werden könnte. Die oben bereits festgestellte Verpflichtung des Arbeitgebers aus § 2 Abs. 1 BetrVG auf Unterlassen der Behinderung der Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Gewerkschaften hätte ihren Anspruchsgrund auch für diese Verpflichtung dann direkt in einem so verstandenen Schuldverhältnis eigener Art. Gegen die Annahme eines insofern dreipoligen Dauerschuldverhältnisses spricht aber, dass das im Hinblick auf das „Betriebsverhältnis“ stets ausdrücklich betont wird, dieses habe keine Drittwirkung – mit Ausnahme von Schutzpflichten zugunsten der Arbeitnehmer des Betriebs50. Es muss auch bedacht 48 So BAG v. 03.05.1994 – 1 ABR 24/93 = AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972 B. III. 1., 2. Abs.; v. 23.07.1996 – 1 ABR 13/96 = AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit B. III. 1., 2. Abs.; BAG v. 16.6.1998 – 1 ABR 68/97 = AP Nr. 7 zu § 87 Gesundheitsschutz B. III. 49 BAG v. 14.02.1967 – 1 ABR 7/66 = AP Nr. 2 zu § 45 BetrVG 3. Leitsatz; Kraft ZfA 73, 243 (252); ErfK-Eisenmann § 2 Rdnr. 1; Fitting § 2 Rdnrn. 18 (mit falschem Verweis auf BAG v. 14.02.1976 – AP Nr. 2 zu § 45 BetrVG 1972), 54; GK-Kraft § 2 Rdnr. 12; HSWG-Hess § 2 Rdnr. 23; Müller ZfA 72, 213 (214); Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 11. 50 Siehe dazu insbesondere v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 300 Rdnrn. 11, 19, 78 ff., 92, der die Koalitionen ausdrücklich als „Dritte“ vom Betriebsverhältnis ausnimmt.

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werden, dass Betriebsrat und Arbeitgeber ihre gegenseitigen Rechtsbeziehungen zwangsläufig permanent und umfassend zu aktualisieren haben, während die Koalitionen regelmäßig darauf angewiesen sind, auf Initiative des Betriebsrats zur Zusammenwirkung hinzugezogen zu werden, und keine eigenen diesbezüglichen Ansprüche gegenüber dem Betriebsrat geltend machen können. Ein eigenständiges Koalitionsrecht dahingehend, sich in das Zusammenwirken zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat einzuschalten besteht nicht51, was mit der Anerkennung eines dreipoligen Betriebsverhältnisses aber kaum vereinbar wäre. Auch die Rechtsprechung hat zur Begründung koalitionsrechtlicher Ansprüche gegenüber den Betriebspartnern auf allgemeine Vorschriften – Art. 9 Abs. 3 GG i.V. m. § 1004 BGB analog – zurückgegriffen und auf eine Ausdehnung des im Grundsatz anerkannten Betriebsverhältnisses auf die Koalitionen verzichtet52. Aus dem Betriebsverhältnis ist daher die Neutralitätspflicht des Arbeitgebers nicht herzuleiten. II. Neutralitätspflicht als Ausfluss des koalitionsrechtlichen Diskriminierungsverbots Es ist an anderer Stelle53 bereits erwähnt worden, dass der Koalitionsfreiheit ganz umfassende und unmittelbare Drittwirkung zukommt. Dies gilt wegen des umfassenden und allseitigen Charakters dieser Vorschrift auch im Verhältnis der Koalition zum Arbeitgeber, auch wenn Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG ihren Ursprung im Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer („Schwarze Listen“) hat54. Zwar ist auch durch die unmittelbare Drittwirkung im Privatrechtsverkehr die Begrenzung durch andere Grundrechte und Verfassungsgüter nicht ausgeschlossen, an diese Begrenzung sind aber aufgrund der von Verfassungs wegen gegebenen unmittelbaren Drittwirkung strenge Anforderungen zu stellen55. Für den Arbeitgeber bedeutet dies im Hinblick auf Minderheitsgewerkschaften, dass er grundsätzlich keine Maßnahmen treffen darf, welche deren Koalitions-(betätigungs-)freiheit beeinträchtigen, es sei denn, er kann seinerseits hierfür gewichtigste Grundrechtspositionen für sich beanspruchen. Die Betätigungsmöglichkeit der Koalitionen im Betrieb im Rahmen der Betriebsverfassung ist wegen der staatlichen Konkurrenz zur Tätigkeit der Koalitionen grundsätzlich geboten56, weswegen die konfligierenden Arbeitgeberinteressen demge51 Fitting § 2 Rdnr. 53; v. Hoyningen-Huene § 300 Rdnr. 92; GK-Kraft § 2 Rdnr. 24; Richard-Richardi § 2 Rdnrn. 34 f. 52 BAG v. 20. 04.1999 – 1 ABR 72/98 = AP Nr. 89 zu Art. 9 GG (vertragliche Einheitsregelung mit dem Ziel der Verdrängung zwingenden Tarifrechts). 53 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. g) bb). 54 Siehe nur Sachs-Höfling Art. 9 Rdnr. 124; Richardi Anmerkung zu BAG v. 20.04.1999 – 1 ABR 72/98 AP Nr. 89 zu Art. 9 GG. 55 Jarass/Pieroth Art. 9 Rdnr. 34.

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genüber regelmäßig zunächst zurückzutreten haben und verfassungsrechtlich nicht durchschlagen können. Aus Arbeitgebersicht bleibt deshalb im Hinblick auf eine von ihm intendierte unterschiedliche Behandlung von Koalitionen nur noch eine Differenzierungsmöglichkeit aufgrund des allgemeinen Gleichheitssatzes, der wegen der unmittelbaren Drittwirkung des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG – als Anwendungsmaßstab gleichsam parallel zur Grundrechtsverbürgung – zur sachgerechten Grenzziehung in das Privatrechtsverhältnis hineinzutransponieren ist57. Dies verweist letztlich zu den oben angestellten Überlegungen zu einem ausdifferenzierten Anforderungsprofil zurück. „Der Staat – wegen der unmittelbaren Drittwirkung der Koalitionsfreiheit vorliegend: der Arbeitgeber – darf rechtliche Kompetenzen für Koalitionen nur von solchen spezifischen Merkmalen abhängig machen, die für die Wahrung gerade dieses Rechts erforderlich sind“. Die gemachten Unterschiede müssen sich nachweisbar am Regelungszweck rechtfertigen lassen (innerer Zusammenhang)58. Jede unsachgemäße Differenzierung zwischen im Betrieb vertretenen Koalitionen ist demnach verboten. Die Anknüpfung an den Minderheitenstatus einer Koalition kann einen solchen Differenzierungsgrund gerade nicht abgeben: Der Gesetzgeber hat den Regelungszweck der vertrauensvollen Zusammenarbeit im Berieb ausdrücklich nur an das Vertretensein der Gewerkschaft im Betrieb gebunden und die u. U. seitens des Arbeitgebers mit dem Vorhandensein mehrerer Koalitionen im Betrieb verbundenen praktischen Unbequemlichkeiten (mehrseitige Gespräche, Interesse daran, nur einen gewerkschaftlichen Gesprächspartner zu haben, Mehraufwand) können gegenüber dem Koalitionsrecht der Minderheitsgewerkschaft deshalb keinen Vorrang beanspruchen. Dies gilt umso mehr, als die schlechtere Behandlung der Minderheitsgewerkschaft durch den Arbeitgeber deren Koalitionsbetätigung direkt und gleichsam „kernhaft“ betrifft: Sie und die dort organisierten Arbeitnehmer des Betriebs werden dann ohne sachlichen Grund wegen ihrer konkreten Gewerkschaftszugehörigkeit schlechter behandelt, weil ihnen die Möglichkeit verweigert wird, auch auf der Ebene des Koalitionsmäßigen mit dem Arbeitgeber zu kommunizieren. Deshalb besteht – abzuleiten aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG i.V. m. dem allgemeinen Gleichheitssatz – eine Neutralitätspflicht des Arbeitgebers im Umgang mit allen im Betrieb vertretenen Gewerkschaften. Dieser Befund deckt sich auch mit dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 BetrVG, der ganz allgemein von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit . . . mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften . . . spricht. Die Feststellung der Neutralitätspflicht des Arbeitge56

Siehe oben 2. Kap. § 1 A. III.; F. IV. 3. g) cc). Ähnlich Löwisch/Rieble § 246, 257 ff. 58 Löwisch/Rieble § 246 Rdnr. 235; dazu auch Rieble Rdnr. 1859 f.; ähnlich, wenn auch etwas „verwässerter“ Gamillscheg KollArbR I, S. 132 3. b). 57

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

bers hat aus der Perspektive der Minderheitsgewerkschaft nicht nur Bedeutung in ihrem direkten Verhältnis zum Arbeitgeber. Vielmehr fungiert sie mittelbar und praktisch auch als Schutz vor der im Betrieb „vorherrschenden“ Mehrheitskoalition. Die Mehrheitsgewerkschaft darf wegen der bestehenden Neutralitätspflicht des Arbeitgebers diesen nicht mit ihrer real bestehenden Kollektivmacht dazu veranlassen, gegenüber der Minderheitskoalition irgendwelche diskriminierenden Maßnahmen zu ergreifen. Dies wäre nämlich nichts anderes, als eine kollusive und gem. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG verbotene und deshalb nichtige Absprache oder Maßnahme zu Lasten der Koalitionsfreiheit der kleineren Koalition. Dieses Ergebnis deckt sich, unter leicht verschobener Perspektive, auch mit dem Befund, dass in Bezug auf die Art und Weise der Koalitionswerbung und -information im Betrieb, diese in Form und Inhalt den Koalitionspluralismus anerkanntermaßen als Fernwirkung des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG59 zu respektieren hat60. 1. Praktische Folgerungen aus der Neutralitätspflicht des Arbeitgebers – gleichgeordneter Verhandlungsanspruch aller Gewerkschaften im Betrieb – Verhandlungspflicht Im Hinblick auf Minderheitsgewerkschaften bedeutet dies demnach, dass der Arbeitgeber mit allen im Betrieb vertretenen Koalitionen bzw. deren Vertretern vertrauensvoll zusammenzuarbeiten hat, sofern von diesen betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben wahrgenommen werden. Dies gewinnt für Minderheitsgewerkschaften vor allem dort Bedeutung, wo im Rahmen des gebotenen offen und ehrlich zu führenden Dialogs mit dem Arbeitgeber von diesem Informationen gegeben werden, und formelle Gespräche auch mit der Gewerkschaftsseite geführt werden (sollen) und insbesondere auch dort, wo über gesetzlich zugewiesene Aufgaben hinaus, auch ohne gesetzliche Verpflichtung zum „Zusammenwirken“, der Arbeitgeber in Kommunikation mit den Gewerkschaften tritt. Den Arbeitgeber trifft in diesem Rahmen mithin eine Verhandlungspflicht mit allen im Betrieb vertretenen Gewerkschaften, welche nur ausnahmsweise bei Vorliegen erheblicher Sachgründe nicht besteht61. Denkbar wäre hier etwa eine nachweisbare schwere Betriebsstörung durch eine Gewerkschaft oder das beharrliche und dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit widerspre59

Dazu siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. g) bb). Gamillscheg KollArbR I, S. 249; GK-Kraft § 2 Rdnr. 87 a. E.; Richardi-Richardi § 2 Rdnrn. 160 ff.; Rieble Rdnr. 1782; siehe auch BAG v. 31.05.2005 – 1 AZR 141/ 04 NJW 05, 3019: Die Grenzen zulässiger Mitgliederwerbung seien überschritten, wenn sie mit unlauteren Mitteln erfolge oder auf die Existenzvernichtung einer konkurrierenden Gewerkschaft gerichtet sei. 61 Siehe dazu auch Löwisch/Rieble § 246 Rdnr. 259. 60

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chende Hineintragen von Klassenkampfideologie in den Betrieb. Differenzieren darf der Arbeitgeber aber nicht danach, ob er es mit einer tarifschließenden Gewerkschaft oder einer nicht tarifschließenden Minderheitsgewerkschaft zu tun hat. Die Tarifpartnerschaft betrifft gerade nicht die zu verhandelnden betriebsverfassungsrechtlichen Fragen62, taugt deshalb also auch nicht als sachlicher Differenzierungsgrund zwischen verschiedenen im Betrieb vertretenen Koalitionen. 2. Weitere Folgen der Neutralitätspflicht bei der Gestattung der gewerkschaftlichen Nutzung der betrieblichen Infrastruktur des Arbeitgebers Die Nutzung der betrieblichen Infrastruktur des Arbeitgebers durch die im Betrieb vertretenen Koalitionen berührt die heftig umstrittene Frage über die Reichweite des Werbe- und Informationsrechts der Koalitionen im Betrieb63 und über dessen (verfassungs-)rechtliche Herleitung64. Das Bundesarbeitsgericht hat einen solchen Anspruch unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG hergeleitet65. Das Bundesverfassungsgericht hat nach grundsätzlicher Anerkennung eines Werbeanspruchs der Koalitionen im Zusammenhang mit Personalratswahlen66 die Herleitung einen solchen Anspruchs jedenfalls insofern verneint, als es um das Recht zu Entsendung betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter mit dem Ziel der dortigen Entfaltung von Werbe- und Informationstätigkeit ging67, ist aber an anderer Stelle davon ausgegangen, dass die Werbetätigkeit der Koalitionen im Betrieb durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist68. Die Literatur zu dieser Frage ist ausgesprochen kontrovers: Teils wird die Ableitung des Werbe- und Informationsrechts als sozialadäquater Duldungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber konstruiert69, teils wird dabei direkt auf Art. 9 Abs. 3 GG Bezug genommen70. Andererseits wird diese Herleitung bestritten, weil es aufgrund des 62

Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 259. Dazu allgemein Gamillscheg KollArbR I, S. 246 ff.; GK-Kraft § 2 Rdnrn. 82 ff. und insb. Nachweise bei Richardi-Richardi § 2 vor A. Vorbemerkung 3. 64 Dazu umfassend GK-Kraft § 2 Rdnrn. 82 ff., der beim Werberecht scharf zwischen Wahlpropaganda und Mitgliederwerbung trennt; umfassend auch Richardi-Richardi § 2 Rdnrn. 142 ff. 65 BAG v. 30.08.1983 – 1 AZR 121/81 = AP Nr. 38 zu Art. 9 GG; v. 14.02.1978 – 1 AZR 280/77 = AP Nr. 26 zu Art. 9 GG II. 2. f.; v. 14.02.1967 – 1 AZR 494/65 = AP Nr. 10 zu Art. 9 GG; weitere Rechtsprechungsnachweise (auch Instanzgerichte) siehe Däubler § 10 III. 1. (Rdnr. 260, Fn. 436). 66 BVerfG v. 30.11.1965 – 2 BvR 54/62 = AP Nr. 7 zu Art. 9 GG. 67 BVerfG v. 17.02.1981 – 2 BvR 384/78 = AP Nr. 9 zu Art. 140 GG C. II. 4. 68 BVerfG v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92 = AP Nr. 80 zu Art. 9 GG B. II. 2. 69 Neumann-Duesberg BB 66, 947 ff.; ders. ArbuR 66, 289 (296); hiergegen insb. Gamillscheg KollArbR I, S. 247 f.; Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 146. 63

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

unfertigen Charakters der Koalitionsfreiheit Sache des Gesetzgebers sei, die Werbetätigkeit der Koalitionen auszugestalten71. Insgesamt kann aber festgestellt werden, dass die Werbe- und Informationstätigkeit der Gewerkschaften im Betrieb weitgehend anerkannt wird72, so dass praktisch vor allem die Grenzen dieser Tätigkeit noch im Streit sind73. Nach der oben grundsätzlich festgestellten Neutralitätspflicht des Arbeitgebers im Hinblick auf alle im Betrieb vertretenen Koalitionen kann deshalb im Hinblick auf die Werbe- und Informationstätigkeit der Koalitionen im Betrieb für deren praktische Handhabung zunächst gefolgert werden, dass dem Arbeitgeber bei der Gestattung der Nutzung seiner Infrastruktur auch hierbei eine strikte Neutralitätspflicht auferlegt ist: Gestattet also der Arbeitgeber einer im Betrieb vertretenen Koalition die Nutzung seines Intranets zur Werbung und Information, so haben die konkurrierenden Gewerkschaften grundsätzlich einen aus Art. 9 Abs. 3 (Satz 2) i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG gleichgelagerten Anspruch auf Nutzung dieses Kommunikationsmittels. Gleiches gilt für die der Gewerkschaftsseite eingeräumte Möglichkeit der Nutzung eines „Schwarzen Bretts“ oder ähnlicher Einrichtungen, oder für die Möglichkeit der Auslage von Gewerkschaftszeitungen oder Flugblättern – oder auch für die Nutzungsmöglichkeit des betrieblichen Postverteilungssystems74 oder für die Zulassung der Wahl von Vertrauensleuten im Betrieb75. Es wäre dem Arbeitgeber auch untersagt, die Beklebung der von ihm gestellten Arbeitshelme mit Emblemen der einen Koalition zu dulden, Embleme von Konkurrenzorganisationen aber arbeitsrechtlich zu sanktionieren76. Der Arbeitgeber darf auch nicht zugunsten von nur einer Koali70 Siehe nur Däubler § 10 III. 1. (Rdnr. 260); Gamillscheg KollArbR I, S. 243, S. 247 m.w. N.; Herschel Anmerkung zu BAG v. 30.08.1983 – 1 AZR 121/81 AP Nr. 38 zu Art. 9 GG; v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 302 Rdnr. 25 f.; Löwisch/ Kaiser § 2 Rdnr. 28; Weiss/Weyand § 2 Rdnr. 18; leicht zweifelnd Konzen Gemeinsame Anmerkung zu BAG v. 08.12.1978 – 1 AZR 303/77 AP Nr. 28 zu Art. 9 GG und v. 23.02.1979 – 1 AZR 540/77 AP Nr. 29 zu Art. 9 GG. 71 GK-Kraft § 2 Rdnr. 82; Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 147; zweifelnd auch MayerMaly Anmerkung zu BAG. v. 23.02.1979 – 1 AZR 172/78 = AP Nr. 30 zu Art. 9 GG und Anmerkung zu BAG v. 14.02.1967 – 1 AZR 494/65, in: AP Nr. 10 zu Art. 9 GG. 72 Siehe dazu statt vieler Däubler § 10 III. 1. (Rdnr. 260) m.w. N., Fitting § 2 Rdnr. 85; zur Reichweite des Werbe- und Informationsrecht umfassend GK-Kraft § 2 Rdnrn. 87 ff. m.w. N. 73 Siehe dazu GK-Kraft § 2 Rdnrn. 87 ff. m.w. N.; Löwisch/Rieble § 246 Rdnr. 146 ff. 74 Dazu BAG v. 23.09.1986 – 1 AZR 597/85 = AP Nr. 45 zu Art. 9 GG. 75 So in Begründung und Ergebnis auch Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 259. 76 In diesem Sinne seinerzeit BAG. v. 23.02.1979 – 1 AZR 172/78 = AP Nr. 30 zu Art. 9 GG; siehe dazu auch Mayer-Maly Anmerkung zu BAG v. 23.02.1979 – 1 AZR 172/78 = AP Nr. 30 zu Art. 9 GG b., der – hinsichtlich von Gewerkschaftsaufklebern auf Arbeitshelmen – einen „Beflaggungseffekt“ sieht, der geeignet sei, nichtorgani-

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tion die Gewerkschaftsbeiträge einziehen, konkurrierenden Koalitionen diese wertvolle organisatorische Hilfestellung aber versagen77. Zieht er die Gewerkschaftsbeiträge für mehrere im Betrieb vertretene Gewerkschaften ein, so darf er – unabhängig von datenschutzrechtlichen Erwägungen – die Mitgliedschaft insbesondere in der Minderheitsgewerkschaft nicht der Mehrheitskoalition offenbaren: Dies könnte zu einer Gefahr des „Bedrängens“ der Angehörigen der Minderheitskoalition führen und wäre damit eine Maßnahme, die nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG geeignet wäre, die Koalitionsfreiheit des Einzelnen und seiner Koalition stark und ohne jedweden sachlichen Grund zu beeinträchtigen. Der Arbeitgeber darf auch nicht einseitig Angehörige der Mehrheitskoalition zum Zwecke gewerkschaftlicher Werbung im Betrieb freistellen, schon gar nicht im Vorfeld von Betriebsratswahlen, wo entsprechend dem oben78 Ausgeführten allerstrengste Maßstäbe für eine Differenzierung zwischen verschiedenen im Betrieb vertretenen Gewerkschaften zu gelten haben79. Gleiches gilt für die Überlassung betrieblicher Räumlichkeiten zur Gewerkschaftsarbeit. 3. Keine Relevanz des Streits um die Legitimität einer Indienstnahme des sozialen Gegenspielers Nicht verwechselt werden darf diese Konstellation mit der Frage, inwieweit der Arbeitgeber gegen seinen Willen zu einer Gestellung seiner dem Eigentumsrecht unterliegenden betrieblichen Infrastruktur für gewerkschaftliche Zwecke verpflichtet sein könnte. Hier reichen die Positionen von einer klaren Absage an eine solche Duldungspflicht80 – begründet insbesondere mit dem der Koali-

sierte Arbeitnehmer als „schwarze Schafe“ zum Eintritt zu bedrängen. Dieser Gedanke ist auch für die Konkurrenzproblematik fruchtbar zu machen. Die einseitige Duldung durch den Arbeitgeber würde die Koalitionsfreiheit auch der Minderheitsgewerkschaft verletzen, da ohne sachlichen Grund die Druckausübung der Mehrheitsgewerkschaft auf Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft unter Mithilfe des Arbeitgebers begünstigt werden würde. 77 Eine ganz andere Frage ist es aber, ob die (Minderheits-)gewerkschaften hieran wirklich ein gewerkschaftspolitisches Interesse haben, weil dadurch ihre Mitglieder „geoutet“ werden und ihr (niedriger) Organisationsgrad im Betrieb ganz offenbar wird. 78 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. a) ff). 79 Illustrativ dazu ein Fall, den der Verf. als anwaltlicher Vertreter vor dem ArbG München zu führen hatte: Der Arbeitgeber hatte im Betrieb im Vorfeld von Betriebsratswahlen einen Arbeitnehmer – noch dazu ohne die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats – eingestellt, ihm ein „Wahlkampfbüro“ überlassen und ihn gleichzeitig zum Zweck der Ermöglichung von Wahlkampf vollfreigestellt. Dieser Arbeitnehmer war Spitzenkandidat der Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb für die anstehenden Betriebsratswahlen nach der geplanten Integration mehrerer Betriebe; die Sache war Gegenstand eines Verfahrens nach § 101 BetrVG. 80 GK-Kraft § 2 Rdnr. 89; v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 302 Rdnr. 27; ders. § 5 IV. 2. (allerdings geht v. Hoyningen-Huene davon aus, dass die Nutzung des

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tionsfreiheit innewohnenden Prinzip des Verbots der Indienstnahme des sozialen Gegenspielers81 – über eine vorsichtige Anerkennung der Indienstnahme von Arbeitgebereigentum82 bis hin zur Behauptung eines sehr weitgehenden gewerkschaftlichen Nutzungsrechts auch gegen den Willen des Arbeitgebers: Begründet wird dies, mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts83, die jedenfalls grundsätzlich von einer solchen Nutzungsmöglichkeit ausgeht, mit der finanziellen Unerheblichkeit einer Nutzung vor allem der internen elektronischen Kommunikationssysteme für den Arbeitgeber und der nicht bestehenden Gefahr einer Sprengung der Speicher- und Übertragungskapazitäten der elektronischen Infrastruktur des Arbeitgebers84, sowie mit der Behauptung des Bestehens eines diesbezüglichen Gewohnheitsrechts85 oder mit den „kooperativen Ideen und Zielen der Arbeits- und Sozialverfassung“, welche die Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber von vorneherein im Sinne hinzunehmender Werbe- und Informationstätigkeiten der Gewerkschaften im Betrieb verfassungsrechtlich determiniere86. Der Frage muss hier nicht vertieft nachgegangen werden, doch scheint jedenfalls eine Indienstnahme des „Schwarzen Bretts“ und vergleichbarer Kommunikationsplattformen im Betrieb von so hoher Bedeutung für die Koalitionen einerseits, und von so geringer Eingriffsintensität zu Lasten des Arbeitgebereigentums andererseits zu sein, dass insoweit von einer Duldungspflicht des Arbeitgebers ausgegangen werden sollte.

C. Allgemeines gewerkschaftliches Zugangsrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG Der Streit um ein koalitionsrechtlich herzuleitendes Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb hat hohe machtpolitische87 und symbolische Bedeutung sowohl für die Arbeitgeber-, wie auch für die Gewerkschaftsseite. Es nimmt deshalb nicht Wunder, dass diese – hier nicht nachzuvollziehende – Diskussion sehr breit und kontrovers geführt wird88. Fest steht jedenfalls, dass das Bundesverfassungsgericht89 unter Aufhebung der Entscheidung des Bundesar„Schwarzen Bretts“ nach Absprache mit dem Arbeitgeber zu gestatten ist); RichardiRichardi § 2 Rdnr. 155; ders. FS Müller 413 (430 ff.). 81 Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 154, § 243 Rdnr. 55. 82 Bauschke Anmerkung zu BAG v. 23.09.1986 – 1 AZR 597/85 = AP Nr. 45 zu Art. 9 GG; Martin, S. 57 ff.; Mayer-Maly Anmerkung zu BAG. v. 23.02.1979 – 1 AZR 172/78 = AP Nr. 30 zu Art. 9 GG. 83 BAG v. 23.09.1986 – 1 AZR 597/85 = AP Nr. 45 zu Art. 9 GG. 84 Däubler § 20a II. 3. (Rdnrn. 682b ff.); DKK-Berg § 2 Rdnr. 48a. 85 Gamillscheg KollArbR I, S. 252 f., S. 254. 86 Martin, S. 59 f. 87 Eitel, S. 169, spricht in diesem Zusammenhang von der Aufgeschlossenheit der Arbeitnehmer für Mitgliederwerbung vor allem im Betrieb – wegen des nur dort gegebenen Zusammenhangs mit der konkreten Arbeits- und Berufssituation.

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beitsgerichts90 ein gewerkschaftliches Zutrittsrecht jedenfalls für die Fälle verneint hat, in denen die Gewerkschaft bereits im Betrieb vertreten ist und sie deshalb durch Betriebsangehörige für sich werben kann91. Die damit einhergehende gesetzesgleiche Bindung an diesen Spruch gem. § 31 BVerfGG wird zwar unter Hinweis auf eine angeblich neue Situation seit Aufgabe der Kernbereichsrechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht und wegen der Begrenztheit der seinerzeitigen Entscheidung auf den kirchlichen Bereich angezweifelt92. Dies wiederum ist aber schon deshalb insofern sehr zweifelhaft, als das Bundesverfassungsgericht seinerseits nur von einer „Klarstellung“ gesprochen hat und höchst umstritten ist, ob der Sache nach mit dieser Klarstellung wirklich etwas qualitativ Neues entstanden ist, und weil diese Entscheidung maßgeblich nicht auf die Besonderheiten des kirchlichen Bereichs, sondern klar auf das Vertretensein oder Nicht-Vertretensein im Betrieb abgestellt hat93. Es spricht demnach viel für die Kritiker der Idee eines umfassenden, aus Art. 9 Abs. 3 GG herzuleitenden gewerkschaftlichen Zugangsrechts; und feststellen lässt sich jedenfalls, dass ein allgemeines auf Art. 9 Abs. 3 GG gestütztes Zugangsrecht bei Vertretung der Gewerkschaft im Betrieb jedenfalls durch die Verfassungsrechtsprechung momentan nicht anerkannt ist94. Hiervon soll deshalb auch im Weiteren ausgegangen werden, auch wenn das Bundesarbeitsgericht95 jüngst wieder ein allgemeines gewerkschaftliches Zutrittsrecht zum Betrieb zu Werbezwecken bejaht hat: Dieses Recht ergebe sich aus der mit Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften, weil den Gewerkschaften die Befugnis zustehe, selbst zu bestimmen, welche Personen sie mit der Werbung betrauen, und wo sie um potentielle Mitglieder werben wollten. Dieses Zugangsrecht bestehe unabhängig davon, ob die Gewerkschaft bereits Mitglieder im Betrieb habe, oder nicht.

88 Siehe dazu nur Däubler § 14 I. (Rdnrn. 407 ff.) mit den dort aufgeführten Nachweisen und Gamillscheg KollArbR I, S. 258 ff. 89 BVerfG v. 17.02.1981 – 2 BvR 384/78 = AP Nr. 9 zu Art. 140 GG. 90 BAG v. 14.02.1978 – 1 AZR 280/77 = AP Nr. 26 zu Art. 9 GG. 91 Anders im Ergebnis z. B. Zöllner/Loritz § 8 IV. 4. b. 92 Däubler § 14 I. (Rdnr. 410); DKK-Berg § 2 Rdnr. 46; anders Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 149. 93 BVerfG v. 17.02.1981 – 2 BvR 384/78 = AP Nr. 9 zu Art. 140 GG Gründe C. II. a. 94 Eitel, 172; so auch Gamillscheg KollArbR I, S. 261 (trotz seiner Sympathie für ein solches Zugangsrecht, siehe S. 258 ff.). 95 BAG Urteile v. 28.02.2006 – 1 AZR 460/04 und 461/04.

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D. Gewerkschaftliches Zugangsrecht aus dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlich gebotenen Minderheitenschutzes? Die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts greift jedoch dann nicht ein, wenn eine (Minderheits-)gewerkschaft im Betrieb noch überhaupt nicht vertreten ist, sie also nicht durch betriebsangehörige Mitglieder für sich werben und informieren kann96. In dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts heißt es97: „. . . Daß ohne berufsverbandl. Zutrittsrecht für betriebsexterne Gewerkschaftsangehörige die Erhaltung und Sicherung der Koalition gefährdet wäre, das Zutrittsrecht in dem vom BAG festgestellten Umfang als unerläßl. betrachtet werden müßte und somit durch Art. 9 Abs. 3 GG postuliert wäre, ist jedenfalls dort, wo die Gewerkschaft bereits in Betrieben und Anstalten durch Mitglieder vertreten ist, mit Sicherheit auszuschließen. Die Koalitionen können sich in diesen Fällen nicht nur den Betriebsangehörigen gegenüber außerbetrieblich uneingeschränkt betätigen; sie können durch ihre zur Belegschaft zählenden Mitglieder auch innerbetrieblich die ihrem Fortbestand dienenden Rechte wahrnehmen . . .“

Deswegen wird – vor allem auch unter dem Aspekt, dass es der Sache nach darum geht, dass das gewerkschaftlicher Zugang zum Betrieb an sich überhaupt erst (also für Betriebe ohne Gewerkschaftsmitglieder überhaupt) ermöglicht werden soll – für diese Fallkonstellation ein gewerkschaftliches Zugangsrecht durchaus befürwortet98. Nicht grundsätzlich anders ist die Interessenlage aber auch in den Fällen zu beurteilen, in denen bereits eine Gewerkschaft im Betrieb vertreten ist, und eine andere Koalition sich dort ebenfalls betätigen will. Deshalb ist dieser Frage unter dem vorliegend zu untersuchenden Minderheitenaspekt vertieft nachzugehen. I. Argumente für und gegen ein koalitionsrechtliches Zugangsrecht der nicht im Betrieb vertretenen Gewerkschaften 1. Individualrechtliche Verankerung des Koalitionsgrundrechts Gegen ein solches Zugangsrecht zur Information und Werbung im Betrieb wird ganz grundsätzlich vorgebracht, dass sich das von der Rechtsprechung auch des Bundesverfassungsgerichts als verfassungsmäßig anerkannte Koalitionsrecht auf Werbung von vorneherein nur auf die Werbung innerhalb des Be96 So auch Däubler § 14 II. 3. (Rdnr. 415); Dütz Gewerkschaftliche Betätigung, S. 17; Eitel, S. 172; wohl auch Gamillscheg KollArbR I, S. 261; v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 302 Rdnr. 21; Löwisch/Kaiser § 2 Rdnr. 35; Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 149; a.A. Hanau ArbuR 83, 257 (260); GK-Kraft § 2 Rdnr. 92. 97 BVerfG v. 17.02.1981 – 2 BvR 384/78 = AP Nr. 9 zu Art. 140 GG C. II. 4. a. 98 Klosterkemper, S. 148 ff.; Löwisch/Kaiser § 2 Rdnr. 35.

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triebes durch Mitglieder der Koalition beziehe. Nur insofern eröffne sich überhaupt die Frage nach der vom Bundesverfassungsgericht ins Spiel gebrachten „Unerlässlichkeit der Werbung im Betrieb für die Koalition und für deren Existenz und Sicherung“99. Richardi bezieht sich hierbei allerdings auch auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.02.1981100, der die Frage nach einem Zugangsrecht für noch nicht im Betrieb vertretene Gewerkschaften gerade ausdrücklich offengelassen hatte, was seine Argumentation der Gefahr des Missverständnisses aussetzt. Nachvollziehbar wird seine Argumentation aber dann, wenn er die „Unerlässlichkeit“ einer Betätigung für die Koalition grundrechtsdogmatisch auf die Verankerung der Koalitionsfreiheit im Individualgrundrecht bezieht – ein Standpunkt, dem auch in der vorliegenden Untersuchung gefolgt worden ist101: „Aber auch insoweit ist die individualrechtl. Verankerung des Kollektivschutzes zu berücksichtigen, so daß das Grundrecht der Koalitionsfreiheit nicht dem betriebsfremden Gewerkschaftsbeauftragten die Betriebstore öffnet, um im Betrieb eine spezifisch koalitionsgemäße Information und Werbung zu betreiben, wenn sie von Belegschaftsangehörigen nicht erfolgt102.“

Gemeint ist damit also der Sache nach – in der Terminologie der „Bündelungstheorie“103 – dass dort, wo keine betriebliche Verankerung durch Mitgliedschaft besteht, schon gedanklich in Ermangelung irgendwelcher Bündelungsmöglichkeiten im Betrieb, die kollektive Koalitionsfreiheit mit ihren Folgewirkungen (Zugangsrecht) dort auch nicht Platz greifen kann104. Diesem Gedankengang ist aber vor allem aus zwei Gründen zu widersprechen: Jedenfalls die Mitgliederwerbung der Koalition ist jenseits der „individualrechtlichen Verankerung der Koalitionsfreiheit“ notwendig stets drittbezogen und damit extern. Daher kann es auf dem Hintergrund der Individualrechtsbezogenheit der Koalitionsfreiheit i. S. der hier vertretenen „Bündelungstheorie“ keinen entscheidenden Unterschied machen, ob neue Mitglieder im Betrieb oder außerhalb des Betriebes geworben werden sollen. Und weiter: Die Bündelungstheorie mit ihrem privatrechtsbezogenen Ansatz bildet das verfassungstheoretische Pendant zu etatistischen Vorstellungen vom Wesen der kollektiven Vertragsfreiheit und betont damit die Notwendigkeit einer starken Rückbindung 99 Richardi FS Müller S. 413 (S. 440 f.) mit weiteren umfassenden Nachweisen zum Streitstand; Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 150; auch schon ähnlich Richardi Anmerkung zu BAG v. 26.06.1973 – 1 ABR 24/72 = AP Nr. 2 zu § 2 BetrVG 1972 II. 2 b und c. 100 BVerfG v. 17.02.1981 – 2 BvR 384/78 = AP Nr. 9 zu Art. 140 GG. 101 Siehe oben 2. Kap. § 1 B. 4. 102 Richardi Anmerkung zu BAG v. 26.06.1973 – 1 ABR 24/72 = AP Nr. 2 zu § 2 BetrVG 1972 II. 2 c; Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 150 a. E. 103 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. c); 2. Kap. § 1 B. 2. ff. 104 So auch Reuter FS Müller, S. 387 (S. 406).

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koalitionsmäßigen Verhaltens an die Vorstellungen der Mitglieder, und nicht an letztlich allgemeinwohlbezogene oder gar allgemeinpolitische Zielvorstellungen. Die Auffassung Richardis vom individualgrundrechtlichen Ursprung der kollektiven Koalitionsfreiheit läuft aber, jene bündelungstheoretische Interpretation überschießend, letztlich auf ein privatrechtliches Vertretungsmodell hinaus, bei dem die Koalition für ihre Mitglieder „vertretungsrechtlich“ dort nicht handeln kann, wo sie im Betrieb nicht vorhanden ist. Ein solches Verständnis der Koalitionsfreiheit lässt aber völlig außer Acht, dass die gewerkschaftliche (Mitglieder-)Werbung der Stärkung bzw. Erhaltung der Koalition an sich dient, und dass Koalitionen als Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen umso wirksamer werden, je mitgliederstärker sie werden, so dass sie dadurch umsomehr ihrer verfassungsrechtlichen Zweckbestimmung nachkommen können105. Gerade die Eröffnung zusätzlicher Betätigungsmöglichkeiten entspricht aber dieser verfassungsrechtlichen Zweckbestimmung am ehesten. Außerdem findet jedenfalls die Mitgliederwerbung einer Koalition stets extern – also außerhalb der eigenen Mitgliedschaft statt – und damit eben nicht i. S. einer „individualrechtlichen Verankerung“ – so dass die von Richardi gemachte Unterscheidung der Legitimität von Werbung im Betrieb durch Belegschaftsangehörige und nur außerhalb des Betriebes erlaubte Werbung durch nicht belegschaftsangehörige Koalitionsmitglieder nicht zu überzeugen vermag. 2. Kreation eines Zugangsrechts alleine durch Satzungsgestaltung der zutrittswilligen Gewerkschaft Als weiteres Argument Richardis gegen ein Zugangsrecht nicht im Betrieb vertretener Gewerkschaften führt dieser an, dass, da für den Organisationsbereich einer Gewerkschaft ausschließlich deren Satzung maßgeblich sei, es bei Befürwortung eines Zugangsrechts also ausschließlich darauf ankäme, wie eine Koalition nach ihrem Verbandswillen ihre Satzung gestaltet, um sich mit ihr ein Zugangsrecht zu verschaffen. Dies lasse sich aus Art. 9 Abs. 3 GG aber nicht herleiten106. Ähnlich argumentiert Hanau107 – allerdings in etwas polemischer Form: Bei Zuerkennung eines Zugangsrechts für nicht im Betrieb vertretene Gewerkschaften könne ja jeder einzelne Arbeitnehmer schon beim bloßen Vorhaben einer Koalitionsgründung ein – im Grunde sogar „vor“-satzungsrechtliches – Zugangsrecht für sich reklamieren108. Ein solches Gewimmel in den Betrieben habe das Grundgesetz aber nicht im Auge gehabt. 105 BVerfG v. 26.05.1970 – 2 BvR 664/65 = AP Nr. 16 zu Art. 9 GG B. II. 1. a; BAG v. 11.11.1968 – 1 AZR 16/88 = AP Nr. 14 zu Art. 9 GG 4 a; Däubler § 14 II. 1. (Rdnr. 415); Eitel, S. 170. 106 Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 150. 107 Hanau ArbuR 83, 257 (260).

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Auch diese Argumente schlagen indessen nicht durch: Ihnen liegt der unausgesprochene Verdacht zugrunde, dass Koalitionen gleichsam manipulativ oder missbräuchlich mit ihrer Satzungsgestaltung umgehen bzw. umgehen könnten109 – ein unbewiesener Verdacht, der außer Acht lässt, dass die Entscheidung einer Koalition für ein neues „Geschäftsfeld“ aufgrund der diesbezüglich einzubringenden personellen und sachlichen Ressourcen regelmäßig streng darauf achten wird, dass sich ein neues Engagement für sie auch „auszahlen“ wird. Ein Gewimmel in den Betrieben durch lauter koalitionsgründungswillige Arbeitnehmer oder durch eine unübersehbare Zahl kleinerer zutrittswilliger Koalitionen dürfte also nicht zu besorgen sein. Außerdem ist an dem Grundsatz festzuhalten, dass die Koalition in Ausübung ihrer grundrechtlich verbürgten Satzungsautonomie tatsächlich selbst darüber entscheiden darf, welche Tarifzuständigkeit sie für sich eröffnen will110. Der Einwand Reuters111, es reiche nicht aus, dass eine Gewerkschaft sich zuständig fühle, sie müsse im Sinne eines „Seriositätstests“ durch mitgliedschaftliche Verankerung im Betrieb auch zuständig sein, geht demnach ins Leere. 3. Entstehungsgeschichte des gewerkschaftlichen Zugangsrechts des § 2 Abs. 2 BetrVG Auch die Entstehungsgeschichte des gewerkschaftlichen Zugangsrechts in § 2 Abs. 2 BetrVG 1972 wird zur Ablehnung eines Zugangsrechts für nicht im Betrieb vertretene Gewerkschaften herangezogen112. Dabei wird darauf verwiesen, dass der ursprüngliche Referentenentwurf113 mit seinem umfassenden Werbeund damit auch Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb nach heftiger politischer Auseinandersetzung nicht Gesetz geworden sei114. Dem Willen des historischen Gesetzgebers kommt indes nach nunmehr mehr als dreißig Jahren 108 Ähnlich auch Lieb Rdnr. 434, der in diesem Zusammenhang von einem argumentum ad horrendum spricht und Reuter FS Müller, S. 387 (S. 407). 109 Siehe auch Däubler § 14 II.3. (Rdnr. 423), der im Zusammenhang mit dem gewerkschaftlichen Zutrittsrecht Reuter ZfA 76, 107 (155 f.) kritisiert, weil dieser letztlich vom Gewerkschaftsbild eines „Aufwieglervereins“ ausgehe. 110 BAG v. 27.11.1964 – 1 ABR 13/63 = AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; v. 19.11.1985 – 1 ABR 37/83 = AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Kempen/ Zachert § 2 Rdnr. 113; Löwisch/Rieble TVG § 2 Rdnr. 93; Wiedemann § 2 Rdnr. 61 (Satzungsautonomie bis zur Grenze der funktionswidrigen Willkür). 111 Reuter FS Müller, S. 387 (S. 407). 112 Siehe dazu Gamillscheg KollArbR I, S. 260 und insbesondere Klosterkemper, S. 10. 113 § 2 Abs. 3 RefE zum BetrVG 1972: „Die Gewerkschaften haben das Recht, im Betrieb außerhalb der Arbeitszeit und in den Pausen für ihre gewerkschaftliche Ziele zu werben und Informationsmaterial mit gewerkschaftlichem Inhalt zu verteilen“, zit. nach Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 144, abgedruckt in RdA 70, 357. 114 Eitel, S. 173; siehe dazu auch Gamillscheg KollArbR I, S. 260.

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Entwicklungsgeschichte des Betriebsverfassungsgesetzes sicherlich keine durchschlagende Aussagekraft mehr zu, zumal gerade das Koalitionsgrundrecht angesichts seines unfertigen Charakters und seines „Sozialbezugs“ in seiner praktischen Ausgestaltung in besonderer Weise für Veränderungen dieser Ausgestaltung offen sein muss115. Konkret könnte sogar mit dem oben dargelegten, abnehmenden Organisationsgrad der Gewerkschaften argumentiert werden, der es im Vergleich zur Lage im Jahre 1972 für die Koalitionen viel bedeutsamer gemacht hat, sich auf einen werbenden Zugang zu den Betrieben stützen zu können. 4. „Wesentlichkeitsüberlegungen“ Es wird auch behauptet, dass nur der Gesetzgeber selbst, nicht aber der ausgestaltende Richter, das gewerkschaftliche Zutrittsrecht durch betriebsfremde Beauftragte regeln dürfe – was ersichtlich nicht geschehen sei, weshalb ein solches Recht auch nicht bestehen könne116. Dabei wird insbesondere auf eine Formulierung des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen, nach der „keine hinreichenden Anhaltspunkte ersichtlich seien, die es erlauben würden, die Grenzen der richterlichen Gesetzesbindung auf diesem konfliktsträchtigen Gebiet so weit zu ziehen, und die Sache des Gesetzgebers, nämlich die Bestimmung der Tragweite der Koalitionsfreiheit und die Ausgestaltung der Befugnisse der Koalitionen, dem Richter zu überbürden“117. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass das Bundesverfassungsgericht in derselben Entscheidung gerade betont hat, dass offen sei, ob ein Zugangsrecht zum Betrieb bei dort nicht vorhandenen Mitgliedern gegebenenfalls nicht vielleicht zu bejahen wäre118, es also selbst davon ausgegangen ist, dass richterliche Ausgestaltung für diesen Fall denkbar sein könnte. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht für diesen Fall an derselben Stelle angedeutet, dass, jedenfalls für eine bereits im Betrieb vertretene Gewerkschaft andere – nämlich restriktivere – „Unerlässlichkeitsmaßstäbe“ gelten könnten als für betriebsfremde Koalitionen119. 115

Siehe dazu oben 2. Kap. § 1 F. I. ff. GK-Kraft § 2 Rdnr. 82 schon ganz allgemein zum Werberecht der Koalitionen im Betrieb; Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 151; ähnlich Eitel, S. 172; anders wohl v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnr. 81. 117 BVerfG v. 17.02.1981 – 2 BvR 384/78 = AP Nr. 9 zu Art. 140 GG C. II. 4. b. 118 BVerfG v. 17.02.1981 – 2 BvR 384/78 = AP Nr. 9 zu Art. 140 GG C. II. 4. a, 5. und letzter Absatz. 119 BVerfG v. 17.02.1981 – 2 BvR 384/78 = AP Nr. 9 zu Art. 140 GG C. II. 4. a, 5. und letzter Absatz: „Dass ohne berufsverbandl. Zutrittsrecht für betriebsexterne Gewerkschaftsangehörige die Erhaltung und Sicherung der Koalition gefährdet wäre, das Zutrittsrecht in dem vom BAG festgestellten Umfang als unerläßl. (Hervorhbg. d. Verf.) betrachtet werden müßte und somit durch Art. 9 Abs. 3 GG postuliert wäre, ist jedenfalls dort, wo die Gewerkschaft bereits in Betrieben und Anstalten durch Mitglieder vertreten ist, mit Sicherheit auszuschließen.“ 116

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Zum anderen wendet Gamillscheg120 gegen diese „Wesentlichkeitsargumentation“ mit Verweis auf die rein richterrechtliche Regelung des Streik- und Aussperrungsrechts zu Recht ein, dass eine solche Argumentation der Rechtsprechung zur Anerkennung jedweder koalitionsspezifischen Betätigung als dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG zugehörig, nachträglich den Boden wieder entziehe. In der Tat scheint die Wesentlichkeitsargumentation „wohlfeil“ zu sein und ihr ist deshalb auch nicht zu folgen. 5. Eigentums- und Hausrecht des Arbeitgebers Gewichtiger sind demgegenüber aber diejenigen Argumente, die sich als Argumentationen auf Grundlage der Betonung des gem. Art. 14 GG grundrechtlich geschützten Arbeitgebereigentums bzw. des Art. 13 GG (Hausrecht) zusammenfassen lassen: Es bestehe keine Pflicht des Arbeitgebers, den Koalitionen zum Zwecke der koalitionspolitischen Betätigung sein Eigentum zur Verfügung zu stellen. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG verpflichte den Arbeitgeber nur zur Unterlassung koalitionsbeeinträchtigender Maßnahmen, ein gewerkschaftliches Zugangsrecht laufe aber auf eine Koalitionsförderung hinaus, und dies sei eine illegitime Indienstnahme des Arbeitgebers121. Mit Bezug auf Art. 14 GG argumentiert auch Reuter122: Werde gewerkschaftliche Werbung durch Betriebsangehörige betrieben, so könne der Arbeitgeber sein Eigentumsrecht – insbesondere bei Betriebsstörungen und Störungen des Arbeitsablaufs – bei Überschreitung des duldungspflichtigen Rahmens letztlich durch individual-arbeitsrechtliche Maßnahmen schützen123 – ein vergleichbarer Schutz gegenüber Betriebsfremden bestehe aber nicht, insbesondere nicht durch die Inanspruchnahme des naturgemäß schwerfälligen gerichtlichen Rechtsschutzes. Dem kann aber entgegengehalten werden, dass die Indienstnahme des Eigentums des Arbeitgebers durch jede Werbung von Koalitionen im Betrieb und damit eben auch mit der Werbung durch Betriebsangehörige stattfindet. Dass die 120

Gamillscheg KollArbR I, S. 260 f. v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 302 Rdnr. 21; unter Berufung auf Art. 12, 13 14 und 140 GG; Hanau/Adomeit Rdnr. 167. 122 Reuter ZfA 76, 107 (155 ff.). 123 Noch weiter geht Schulte-Westernberg NJW 97, 375 f., der selbst die – im Grundsatz gegebene – Möglichkeit des individual-arbeitsrechtlichen Vorgehens des Arbeitgebers bei arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen als völlig unzureichend ansieht: Das BVerfG habe in seinem Beschluss vom 14.11.1995 – 1 BvR 601/92 = NZA 96, 381 = NJW 96, 1201 – jeden Hinweis darauf vermissen lassen, wann die Duldungspflicht des Arbeitgebers im Hinblick auf Koalitionswerbung durch Betriebsangehörige in eine Vertragspflichtverletzung seitens des Arbeitnehmers umschlage. Es bestehe die Gefahr, dass eine solche Vertragspflichtverletzung im Hinblick auf die für Werbung verwandte Arbeitszeit des Arbeitnehmers allenfalls noch bei Nichterreichen eines vertraglich vereinbarten Umsatzes wegen dieser Werbung tatsächlich individual-arbeitsrechtlich von Bedeutung sein könnte. 121

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Werbung im Betrieb aber durch die Rechtsprechung insbesondere auch des Bundesverfassungsgerichts124 zu Recht als grundsätzlich zulässig angesehen wird, wird nur noch ganz vereinzelt bestritten125. Insofern werden dem Eigentumsrecht des Arbeitgebers nach praktisch allgemeiner Auffassung durch das Koalitionsgrundrecht also Beschränkungen auferlegt, bei denen nur noch die konkrete Reichweite dieser Beschränkungen in der Diskussion bleibt. Es ist zwar nicht zutreffend, dass – sofern der betriebsfremde Gewerkschaftsbeauftragte den Betriebsfrieden nicht stört und die Produktionsabläufe nicht beeinträchtigt werden – das Arbeitgebergrundrecht des Art. 14 GG überhaupt nicht berührt wird126. Die in der Gewährung des Zutrittsrechts für Betriebsfremde liegende Eigentums- und Hausrechtsbeeinträchtigung ist aber – wenn betriebsstörende Folgen unterbleiben127 – als eher gering anzusehen, so dass sie bei der Abwägung mit dem Koalitionsgrundrecht regelmäßig als hinnehmbar erscheinen muss128. In diesem Zusammenhang ist außerdem zu bedenken, dass schon aus werbepsychologischen Momenten heraus erste werbende Auftritte einer im Betrieb nicht vertretenen Gewerkschaft selten mit Störungen des Arbeitsablaufs und des Betriebsfriedens oder gar der Störung der Betriebsratstätigkeit einhergehen dürften129. Und auch eine unzumutbare Förderung oder Indienstnahme des Arbeitgebers durch Zuerkennung des Zugangsrechts – unter dem koalitionsrechtlichen Aspekt der Unzumutbarkeit der Förderung der Gegenseite – wäre deshalb nicht gegeben130. Denn dazu ist die Berührung mit dem Arbeitgebereigentum nicht intensiv genug. Und Reuter ist entgegenzuhalten, dass der Arbeitgeber bei betriebsstörenden Handlungen eines zutretenden Betriebsfremden sehr wohl und unmittelbar durch Ausübung seines Hausrechts reagieren könnte und die Last der Inanspruchnahme des zeitaufwendigen Rechtswegs zur gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Hausrechtsausübung dann bei der zutrittswilligen Gewerkschaft läge. Im Ergebnis sind daher – dem Grundsatz nach – die eigentumsbezogenen Überlegungen gegen ein Zugangsrecht von Beauftragten betriebsfremder Koalitionen zu verwerfen. 124 BVerfG v. 14.11.1995 – 1 BvR 601/92 = AP Nr. 80 zu Art. 9 GG B. II. 2: „. . . Das BAG hat bei der Auslegung des Arbeitsvertrages des BF den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit verkannt. Es geht davon aus, dass der BF für seine Gewerkschaft im Betrieb nur werben durfte, soweit diese Tätigkeit den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG genoß oder durch Gesetz erlaubt war, und weist die Klage ab, weil keine dieser Voraussetzungen vorgelegen habe. Für die Mitgliederwerbung bestand jedoch, wie dargelegt, Grundrechtsschutz . . .“ 125 So auch nur ganz vorsichtig und mit Schwergewicht auf der Betonung der Grenzen der letztlich doch zu duldenden Werbetätigkeit GK-Kraft § 2 Rdnr. 86. 126 So aber Fitting § 2 Rdnr. 86. 127 HSWG-Hess § 2 Rdnrn. 92 ff.; Klosterkemper, S. 149 f., spricht sich insofern für die analoge Anwendbarkeit des § 2 Abs. 2 BetrVG aus. 128 Däubler § 14 II. 3. (Rdnr. 424); Klosterkemper, S. 148 f. 129 Klosterkemper, S. 149 f. 130 Reuter ZfA 76, 107 (158).

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6. Übereinkommen Nr. 135 ILO – Gewohnheitsrecht Vereinzelt131 wird zur Begründung eines gewerkschaftlichen Zugangsrechts auf Art. 5 des Übereinkommens der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO/ IAO) verwiesen132: Durch die Ablehnung eines Zugangsrechts werde die Stellung der beteiligten Gewerkschaften diesem Abkommen entgegen untergraben Zwar habe das Übereinkommen nicht den Rang eines förmlichen innerstaatlichen Gesetzes, es sei aber bei der staatlichen Grundrechtsinterpretation durch die Gerichte „zugangsfreundlich“ heranzuziehen133. Einer solche Interpretation steht aber für den Fall einer möglichen Zugangsberechtigung der betriebsfremden Koalition schon der Wortlaut des Art. 5 entgegen, der vom Vertretensein der Koalition im Betrieb ausgeht. Außerdem ist mit dem Bundesarbeitsgericht134 entscheidend darauf abzustellen, dass aus dem Abkommen keine unmittelbaren Rechtsansprüche erwachsen können. Damit ergibt sich aus dem ILOAbkommen Nr. 153 auch kein Anspruch auf ein Zugangsrecht für betriebsfremde Koalitionen135. Auch die ins Spiel gebrachten Überlegungen zu einem gewohnheitsrechtlich vorhandenen Zugangsrecht stellen nur schwache Argumente dar. Auch Däubler136 selbst, der ein solches Gewohnheitsrecht bzw. eine betriebliche Übung hierfür konstruktiv heranziehen will, muss selbst zugegeben, dass es angesichts der bestehenden Rechtsprechung einen solchen Gewohnheitsrechtssatz allenfalls für bestimmte Branchen geben könnte. Für die Frage des Zugangsrechts der nicht im Betrieb vertretenen Gewerkschaft kann aber ein solcher Gewohnheitssatz aus der Natur der Sache heraus schon nicht bestehen.

131 Däubler § 14 III. 1. (Rdnr. 428); vorsichtig in diese Richtung auch DKK-Berg § 2 Rdnr. 46. 132 ILO-Abkommen v. 23.06.1971, BGBL 1973 II, 953: „Artikel 5: Sind in einem Betrieb sowohl Gewerkschaftsvertreter als auch gewählte Vertreter tätig, so sind nötigenfalls geeignete Maßnahmen zu treffen, um zu gewährleisten, dass das Vorhandensein gewählter Vertreter nicht dazu benutzt wird, die Stellung der beteiligten Gewerkschaften oder ihrer Vertreter zu untergraben, und um die Zusammenarbeit zwischen den gewählten Vertretern und den beteiligten Gewerkschaften und ihren Vertretern in allen einschlägigen Fragen zu fördern.“ 133 Däubler § 14 III. 1. (Rdnr. 429 f.). 134 BAG v. 08.12.1978 – 1 AZR 303/77 = AP Nr. 28 zu Art. 9 GG Gründe II. 2.; v. 19.01.1982 – 1 AZR 279/81 = AP Nr. 10 zu Art. 140 GG Gründe I. 2. b. 135 So auch Gamillscheg KollArbR I, S. 261 m.w. N.; HSWG-Hess § 2 Rdnr. 94. 136 Däubler § 14 III. 3. (Rdnr. 434 f.).

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II. Abschließende Stellungnahme 1. Unerlässlichkeit Nach allem läuft die Beurteilung des Für und Wider eines Zutrittsrechts für nicht im Betrieb vertretene Gewerkschaften zu Zwecken der Werbung und Information darauf hinaus, ob diese Betätigung für die nicht im Betrieb vertretene (Minderheits-)gewerkschaft von so hoher Bedeutung ist, dass sie als „unerlässlich“ bezeichnet werden muss137. Damit ist nicht gemeint, dass die überkommene Kernbereichsrechtsprechung mit ihrem flankierend fungierenden Unerlässlichkeitsbegriff „wiederbelebt“ werden soll. Unerlässlichkeit im zu untersuchenden Sinne soll zum Ausdruck bringen, dass dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit bei Abwägung mit den Grundrechten Dritter – des Arbeitgebers und der bereits im Betrieb vertretenen Koalitionen – der Vorrang zuzukommen hat, weil ohne ein Zugangsrecht eine effektive Grundrechtsausübung der Minderheitsgewerkschaft bereits im Ansatz vereitelt wird. Eine solche Unerlässlichkeit im strengen Wortsinne des „schlechthin Unverzichtbaren“ wird teilweise verneint, auch wenn die Kritikwürdigkeit einer damit einhergehenden Ablehnung des Zugangsrechts mit Blick auf die Praxis, die Verfassungswirklichkeit und die geschichtliche Entwicklung gleichzeitig sehr deutlich formuliert wird138. Grundsätzlicher argumentiert v. HoyningenHuene139, wenn er die Unerlässlichkeit schon deshalb nicht als gegeben ansieht, weil Werbung und Information auch außerhalb des Betriebes möglich seien, weshalb das Zugangsrecht nicht unerlässlich sein könne. Im Ergebnis wird diese Argumentation aber unter ausdrücklicher oder stillschweigender Betonung der Unerlässlichkeit von verschiedener Seite bestritten140.

137 Lieb Rdnr. 441 mit allerdings ablehnender Tendenz; Richardi FS Müller, S. 413 (S. 441) bringt das Unerläßlichkeitskriterium für die Werbung im Betrieb ebenfalls in die Diskussion, allerdings nur im Hinblick auf die hierdurch gegebene Möglichkeit, der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft das koalitionsrechtliche Zugangsrecht zu versagen. 138 Gamillscheg KollArbR I, S. 260 f. 139 v. Hoyningen-Huene § 302 Rdnr. 21; v. Hoyningen-Huene, S. 98. 140 So sprechen Galperin/Löwisch § 2 Rdnr. 90 den Beauftragten der nicht im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ein Zugangsrecht zu, weil sie ohne diese Möglichkeit der (Mitglieder-)Werbung in ihrem Kernbereich verletzt würden; so auch Klosterkemper, S. 147 ff.; Löwisch/Kaiser § 2 Rdnr. 35 (die im Betrieb noch nicht vertretene Gewerkschaft könne ihre Informationstätigkeit ja nicht durch dort Beschäftigte abwickeln); Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 160 m.w. N.; Säcker ArbuR 79, 39 f.; strikt ablehnend Schwerdtner SAE 80, 113 (116); unentschlossen Gamillscheg KollArbR I, S. 261; anders in der Begründung DKK-Berg § 2 Rdnr. 46, der unter Bezugnahme auf die Aufgabe der Kernbereichsterminologie des Bundesverfassungsgerichts das Unerläßlichkeitskriterium für nicht mehr ausschlaggebend hält.

§ 1 Die vertrauensvolle Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG)

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Natürlich gefährdet die Verweigerung des Zugangs für die im Betrieb nicht vertretene Gewerkschaft die (Minderheits-)koalition nicht unmittelbar in ihrer Existenz. Insofern ist Gamillscheg141 Recht zu geben. Allerdings hat die Werbe- und Informationstätigkeit gerade für die noch nicht im Betrieb vertretene Gewerkschaft ganz herausragende Bedeutung: Nur durch sie kann überhaupt in den Aufholwettbewerb eingetreten werden, die noch nicht tarifmächtige Koalition kann nur durch betriebliche Aktivitäten zu einer im Laufe der Zeit mitgliederstarken Gewerkschaft anwachsen142. Die nicht im Betrieb vertretene Gewerkschaft hat keine andere Möglichkeit, im Betrieb für sich zu werben, als durch zugangsberechtigte Beauftragte143. Insofern ist die Zuerkennung eines gewerkschaftlichen Zutrittsrechts am allernotwendigsten für die noch nicht im Betrieb vertretene Minderheitskoalition144. Und die Möglichkeit der Werbung außerhalb des Betriebs ist der betriebsinternen Werbung kein gleichwertiger Ersatz, weil die Arbeitnehmer in der Arbeitsstelle – im betrieblichen Kontext – der werbenden Koalition sehr viel aufgeschlossener gegenübertreten werden als dies außerhalb des Betriebes und nach dem Ende der Arbeitszeit der Fall sein dürfte, und weil das koalitionsmäßige Selbstverständnis dort seien Platz hat, wo im Arbeitsleben konkrete Fragen und Probleme auftauchen145. Deshalb spricht viel dafür, das Zugangsrecht für nicht im Betrieb vertretene Gewerkschaften als unerlässlich146 im oben dargelegten Sinne zu betrachten147.

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Gamillscheg KollArbR I, S. 260 f. Eitel, S. 170. 143 Löwisch/Kaiser § 2 Rdnr. 35. 144 Siehe Däubler § 14 II. 1. (Rdnr. 415), der dieses Sicht sowohl im Hinblick auf den gewerkschaftslosen Betrieb mit einem gewerkschaftsfeindlichen Arbeitgeber als auch im Hinblick auf den Koalitionspluralismus entwickelt. 145 Eitel, S. 169; Martin, S. 43 f.; auch das BAG betont diesen Aspekt in seinen beiden Urteilen v. 28.02.2006 – AZR 460/04 u. 461/04 zum gewerkschaftlichen Zugangsrecht; ähnlich BAG v. 25.01.2005 – 1 AZR 657/03 = NZA 05, 592 ff. 146 Das BAG hat zum dem Bereich des mit dem Zugangsrecht verwandten gewerkschaftlichen Werberecht im Betrieb in diesem Sinne argumentiert: Bei der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen Arbeitgeber- und Gewerkschaftsinteressen sei insbesondere von Bedeutung, in welchem Maße eine Gewerkschaft zur Verwirklichung ihrer koalitionsspezifischen Aufgaben auf bestimmte Orte oder Modalitäten angewiesen sei, BAG v. 25.01.2005 – 1 AZR 657/03 = NZA 05, 592 ff. 147 Anders Hanau ArbuR 83, 257 (260): Ein solcher Zugang sei nicht unerlässlich für die Minderheitsgewerkschaften. Die Entwicklung der deutschen Gewerkschaften zeige, dass diese auch ohne ein „Jedermanns-Zugangsrecht“ mächtig geworden seien; ablehnend auch Zender ZBVR 04, 18, der ganz allgemein die Herleitung des Zugangsrechts der nicht im Betrieb vertretenen Koalition unter dem Gesichtspunkt des Art. 9 Abs. 3 GG ablehnt. 142

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

2. Hoher Rang des Koalitionspluralismus In diesem Zusammenhang ist auch der hohe Rang des in der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG mitangelegten Koalitionspluralismus zu bedenken. Dieser ist in der Literatur148 und insbesondere in der Rechtsprechung149 anerkannt. Der Koalitionspluralismus gewinnt aber nur dann auch praktische Anerkennung, wenn auch die nicht im Betrieb vertretenen Minderheitsgewerkschaften mit ihren Vorstellungen durch einen zugangsberechtigten Beauftragten im Betrieb Gehör zu finden vermögen150. Diesem hohen Rang des Koalitionspluralismus und dem damit den nicht im Betrieb vertretenen Minderheitsgewerkschaften vermittelten Grundrechtsschutz stehen die Arbeitgebergrundrechte aus Art. 13 und Art. 14 GG gegenüber, die allenfalls peripher151 dadurch berührt werden können, dass über ein Zugangsrecht der betriebsfremden Koalition die Möglichkeit eröffnet wird, neben der dort bereits etablierten Gewerkschaft ebenfalls (Mitglieder-)werbung zu betreiben – allerdings im Sinne eines weitestgehend schonenden Umgangs mit dem Arbeitgebergrundrecht durch Vermeidung jedweder Beeinträchtigungen des Betriebsfriedens und der Arbeitsabläufe152. Der hohe Rang des Koalitionspluralismus verbietet es dabei, ihn in seiner konkreten Ausformung als Zugangsrecht als Störung des Betriebsfriedens anzusehen153. Dass die Zugangsberechtigung keine unzulässige Indienstnahme des Arbeitgebereigentums darstellt, wurde bereits ausgeführt. Da auch für die Minderheitsgewerkschaft das Gebot des „fair play“ im Umgang mit dem Koalitionskonkurrenten gilt, und sie dieses Gebot 148

Siehe dazu allgemein nur Rieble Rdnr. 1780. Siehe nur BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972; 14.03.1978 – 1 ABR 2/76 = AP Nr. 30 zu § 2 TVG Gründe III. 4.; v. 11.11.1968 – 1 AZR 16/68; v. 14.02.1978 – 1 AZR 280/77 = AP Nr. 26 zu Art. 9 GG; BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 2004, 242 ff. (Verfassungswidrigkeit des Quorums nach § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG); 16.10.1984 – 2 BvL 20/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG (Unterschriftenquoren bei Personalratswahlen); 150 Däubler § 14 II. 1. (Rdnr. 415); ähnlich Klosterkemper, S. 148 ff.; Säcker ArbuR 79, 39 f. (dort insb. Fn. 10: Das allgemeine berufsverbandsrechtliche Zutrittsrecht müsse unter dem Gesichtspunkt des Koalitionspluralismus notwendiger Weise allen Gewerkschaften zustehen, die es in Anspruch nehmen wollen; verfügten sie nicht über im Betrieb beschäftigte Belegschaftsangehörige, so bleibe solchen Gewerkschaften gar kein anderer Weg, als die Vornahme der Werbung durch Außenstehende). 151 Klosterkemper, S. 148; so auch Martin, S. 47 ff., der zum Verhältnis Koalitionsgrundrecht und Arbeitgebergrundrechte maßgeblich auf die Sozialpflichtigkeit des Arbeitgebereigentums abstellt und im Hinblick auf das Hausrecht des Arbeitgebers aus Art. 13 GG den Gedanken vom Betrieb von vorneherein zutreffend als „Kategorie des Soziallebens“ begreift, weshalb auch hier bei der Grundrechtsabwägung grundsätzlich der Koalitionsschutz vorzugehen habe. 152 Hierzu detailliert Klosterkemper, 149 f., der die analoge Heranziehung des § 2 Abs. 2 BetrVG als Rahmen für die Ausübung des koalitionsrechtlichen Zugangsrechts vorschlägt. 153 Martin, S. 179. 149

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bei ihrer Informationstätigkeit im Betrieb zu achten hat, werden insofern auch die Rechte der Mehrheitsgewerkschaft auf lauteren Umgang mit ihr durch die Zuerkennung eines solchen Zugangsrechts nicht berührt154. 3. Zugangsrecht der nicht im Betrieb vertretenen Koalition – Verbotene Erfolgsverschaffung? In der – letztlich über die staatliche Arbeitsgerichtsbarkeit zu erzwingenden – Zuerkennung eines koalitionsrechtlichen Zugangsrechts für im Betrieb (noch) nicht vertretene Gewerkschaften könnte allerdings eine verbotene staatliche Erfolgsverschaffung für die ansonsten nicht „marktfähige“ Koalitionen zu sehen sein: Der Staat hat nicht nur keine Pflicht, die Rechtsordnung so auszugestalten, dass die (Minderheits-)Koalition ohne eigene Anstrengung zu existieren vermag. Der Staat darf sich darüber hinaus nicht in den Wettbewerb der Koalitionen einmischen und ihnen damit den Koalitionserfolg verschaffen, den sie aus eigenen Kraft nicht zu bewirken vermögen155. Die Anerkennung eines Zugangsrechts für die nicht im Betrieb vertretene Gewerkschaft stellt aber im Hinblick auf die im Betrieb bereits vertretene Gewerkschaft keine Aufgabe der staatlichen Neutralität dar: Nicht neutral verhielte sich der Staat nur dann, wenn in der Eröffnung des Zugangsrechts eine gleichheitssatzverletzende „Erfolgsverschaffung“ für die Minderheitsgewerkschaft gesehen werden könnte. Dies allerdings kann ernsthaft nicht behauptet werden. Denn zum einen wird der Minderheitskoalition lediglich die Chance eröffnet, in den Aufholwettbewerb mit der Mehrheitsgewerkschaft einzutreten. Und ist noch überhaupt keine Koalition im Betrieb vertreten, kann ja auch jede andere – größere – satzungsmäßig zuständige Koalition ihrerseits Zutritt zum Betrieb verlangen. Zum anderen besteht der „Anschub“ für die Minderheitskoalition durch staatliche Ausgestaltung im Wege der Gewährung eines Zutrittsrechts praktisch und rechtlich lediglich darin, die rechtlichen Voraussetzungen für Werbemöglichkeiten im Betrieb herzustellen, die unzweifelhaft bereits dann gegeben wären, wenn dort nur ein einziges Mitglied der Minderheitskoalition vorhanden wäre. Dann wären nach praktisch allgemeiner Auffassung nämlich Werbemöglichkeiten der Minderheitsgewerkschaft, vermittelt über dieses einzige Mitglied, ohnehin gegeben. Diese im Ergebnis durch Ausgestaltung der Minderheitskoalition verschaffte „Fingierung“ eines Mitglieds im Betrieb kann aber kaum als verbotene Erfolgsverschaffung im Sinne eines Erfolgs am „Markt“ der potentiellen Mitglieder angesehen werden.

154 Siehe Martin, S. 179, für den Umgang mit im Betrieb konkurrierenden Gewerkschaften allgemein und die dort geltenden Gebote von Fairness. 155 Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnrn. 15 f.; Rieble Rdnr. 1860.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Eine „Kontrollüberlegung“ bestätigt diese Bewertung: Klosterkemper156 hat als Argument bei seiner Abhandlung über das koalitionsrechtliche Zugangsrecht darauf aufmerksam gemacht, dass bei einer allgemein-koalitionsrechtlichen Befürwortung des Zugangsrechts für die im Betrieb bereits vertretenen Gewerkschaften ein zeitlich unbegrenztes Recht geschaffen würde, während das Zugangsrecht nur für die nicht im Betrieb vertretene Gewerkschaften auf den Zeitpunkt beschränkt werde, in dem die damit verbundene Werbung dazu geführt habe, ein erstes Mitglied geworben zu haben. Im Hinblick auf das Verbot der Erfolgsverschaffung wäre ein umfassendes koalitionsrechtliches Zugangsrecht demnach als Verschaffung eines Erfolges anzusehen, weil dadurch die permanente Werbung im Betrieb durch betriebsexterne Gewerkschaftsbeauftragte ermöglicht werden würde, der Betrieb also dauerhaft zum Forum extern bewirkter Gewerkschaftswerbung bestimmt werden würde. Ein solcher Effekt wird durch das Zugangsrecht nur der nicht vertretenen Gewerkschaften jedoch gerade nicht bewirkt. III. Ergebnis Im Ergebnis ist deshalb festzustellen, dass nicht im Betrieb vertretene (Minderheits-)gewerkschaften ein aus Art. 9 Abs. 3 GG herzuleitendes Zugangsrecht zum Betrieb zum Zwecke der Mitgliederwerbung und Information haben, welches allerdings die Betriebsabläufe und den Betriebsfrieden157 nicht stören darf158, und das seinerseits den Koalitionspluralismus gegenüber der Mehrheitsgewerkschaft im Sinne eines fairen und sachlichen Umgangs miteinander zu wahren hat. Damit wiederum wird sichergestellt, dass der Betrieb nicht zum Schauplatz eines den Arbeitgeber in seinem Grundrecht aus Art. 14 GG verletzenden „Gewerkschaftskampfs“ gemacht werden kann. Trotz des jüngst anerkannten Zutrittsrechts der Gewerkschaften zum Betrieb – unabhängig von ihrem dortigen Vertretensein – ist in Ermangelung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – vom Bestehen eines allgemeinen koalitionsrechtlichen Zugangsrechts nicht auszugehen, weil dieses den Koalitionen zeitlich unbegrenzt den Zutritt durch betriebsfremde Gewerkschaftsbeauftragte erlaubte, und 156

Klosterkemper, S. 148 ff. Dazu umfassend in diesem Sinne schon Martin, S. 149 ff. 158 BAG Urteile v. 28.02.2006 – 1 AZR 460/04 und 461/04; das BAG nennt als dem (allgemeinen) gewerkschaftlichen Zutrittsrecht entgegenstehende Grundrechtspositionen des Arbeitgebers dort dessen Haus- und Eigentumsrecht sowie das Recht auf eine störungsfreien Betriebsablauf; die Grundrechtspositionen der zutrittswilligen Gewerkschaften und des Arbeitgebers seien stets im Einzelfall gegeneinander abzuwägen; zur Grundrechtsabwägung im Einzelfall bei gewerkschaftlicher Werbung im Betrieb siehe auch BAG v. 15.01.2005 – 1 AZR 657/03 = NJW 05, 1596 ff. (Werbung der Gewerkschaften durch Auslegung von Unterschriftslisten in den Dienstgebäuden der Polizei). 157

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damit in relevante Kollision zu den Grundrechtspositionen des Arbeitgebers geraten müsste.

E. Akzessorisches betriebsverfassungsrechtliches Zugangsrecht gem. § 2 Abs. 2 BetrVG auch für die Minderheitskoalitionäre im Betriebsrat? Eine Kontroverse im Hinblick auf ein betriebsverfassungsrechtliches Zugangsrecht besteht insofern, als nicht geklärt ist, ob § 2 Abs. 1 BetrVG neben § 2 Abs. 2 BetrVG noch eigenständige Bedeutung zukommt159. Es geht dabei darum, ob das Zugangsrecht außer auf die gesetzlich den Koalitionen besonders zugewiesenen Aufgaben auch auf die allgemeine Unterstützungsaufgabe des § 2 Abs. 1 BetrVG gestützt werden kann. Auch die Befürworter eines solchen, aus § 2 Abs. 1 BetrVG abzuleitenden Zutrittsrechts, machen ein solches aber von einer Initiative des Betriebsrats160 bzw. auch von einem Ersuchen des Betriebsausschusses abhängig (akzessorisches Zugangsrecht)161. Ohne auf den Streit über ein solches akzessorisches Zutrittsrecht im Rahmen von § 2 Abs. 1 BetrVG näher einzugehen, kann also festgestellt werden, dass dieses Recht überhaupt nur im Zusammenhang mit der „amtlichen“ Tätigkeit des Betriebsrats zu dessen Unterstützung angenommen werden kann. Diese Feststellung könnte unter Minderheitsgesichtspunkten dahin weiterentwickelt werden, dass dort, wo Mitglieder von Minderheitsgewerkschaften per Geschäftsordnungsbeschluss des Betriebsrats bestimmte Aufgabenbereiche zur Erledigung übertragen bekommen haben, sie dann auch das Recht haben könnten, mit ihrer Initiative und eben ohne ein förmliches Ersuchen des Betriebsrats bzw. seines Vorsitzenden, einen Gewerkschaftsbeauftragten ihrer Koalition hinzuzuziehen – dies mit der Folge des dadurch gem. § 2 Abs. 1 BetrVG entstehenden Zutrittsrechts für den ersuchten Gewerkschaftsbeauftragten. Rechtstatsächlich gesehen werden Gewerkschaftsbeauftragte von Minderheitsgewerkschaften häufig sogar zu „Fraktionsvorbesprechungen“ vor anstehenden Betriebsratssitzungen von ihrer „Fraktion“ in den Betrieb geladen und bereiten dort die Betriebsratssitzungen zusammen mit den Mandatsträgern der Minderheitskoalition vor.

159 Siehe dazu vor allem Richardi-Richardi § 2 Rdnrn. 108 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen; ders. Anmerkung zu BAG v. 26.06.1973 – 1 ABR 24/72, in: AP Nr. 2 zu § 2 BetrVG 1972. 160 BAG v. 17.01.1989 – 1 AZR 805/87 AP Nr. 1 zu § 2 LPVG NW; so auch ErfKEisenmann § 2 Rdnr. 5; Fitting § 2 Rdnr. 66; v. Hoyningen-Huene MüchArbR § 302 Rdnr. 13; Löwisch/Kaiser § 2 Rdnr. 34. 161 Richardi-Richardi § 2 Rdnr. 108 ff.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Das Bestehen eines solchen Rechtsanspruchs ist aber eher zweifelhaft. Zwar kollidierte eine solche Lesart des § 2 Abs. 1 BetrVG nicht direkt mit § 31 BetrVG und seinem dort aufgestellten Ein-Viertel-Quorum für die Hinzuziehung eines Gewerkschaftsbeauftragten zu den Sitzungen des Betriebsrats. Der Sache nach würde aber mit einem so weiten Verständnis der Schaffung gewerkschaftlicher Zugangsmöglichkeiten zum Betrieb – jenseits der den Gewerkschaften aufgrund ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben und Befugnisse zugewiesenen Zugangsmöglichkeiten – ein praktisch unumschränktes und damit das System des betriebsverfassungsrechtlichen Zugangsrechts sprengendes System etabliert werden. Gleichsam durch die Hintertüre würde damit – für die Minderheitskoalitionen – ein allgemeines und über die Werbe- und Informationstätigkeit hinausgehendes allgemeines Zugangsrecht geschaffen. Das Zugangsrecht ist vom Gesetzgeber aber gesetzespositiv sehr viel enger geregelt worden, und diese Ausgestaltung hält sich im Rahmen der oben dargelegten Grundsätze162 für die staatliche Ausgestaltung der Betriebsverfassung: Den Koalitionen müssen zwar Betätigungsmöglichkeiten im konkurrierenden System der Betriebsverfassung eingeräumt werden. Diese müssen aber nicht den denkbar weitesten Betätigungsschutz vermitteln, auf der anderen Seite muss staatliche Ausgestaltung den Koalitionspluralismus und seine Verpflichtung zur Neutralität beachten, so dass vor allem unsachgemäße Differenzierungen zwischen verschiedenen Koalitionen zu unterbleiben haben. Dass das betriebsverfassungsrechtliche Zugangsrecht letztlich an die Mehrheitsverhältnisse im Betriebsrat geknüpft ist, ist m. E. schon deshalb ein sachgemäßer Grund der Differenzierung, weil hierdurch einem letztlich unbegrenzten Zugangsrecht von Gewerkschaftsvertretern zum Betrieb Einhalt geboten, und damit der Grundrechtsschutz des Arbeitgebers aus Art. 14 GG angemessen berücksichtigt wird163. Müller164 drückt diesen Befund auch soziologisch aus, indem er darauf verweist, dass es „soziologisch zu einer Konfliktsituation zwischen dem unter der Kooperationsmaxime stehenden betriebsverfassungsrechtlichen Zutrittrecht und dem Zugangsrecht der Gewerkschaften als Interessenvertretung“ kommen könne, „wobei diese Konfliktsituation . . . vor allem gegenüber dem Arbeitgeber/Unternehmer in Erscheinung“ träte. Deshalb ist ein betriebsverfassungsrechtlich über § 2 Abs. 1 BetrVG vermitteltes Zugangsrecht für Minderheitskoalitionen auf Ersuchen eines ihrer Mitglieder im Betriebsrat im Ergebnis nicht zu bejahen. Lässt der Arbeitgeber allerdings den freien und nicht betriebsratsvermittelten Zugang 162

Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 2. BVerfG v. 14.10.1976 – 1 BvR 19/73 = AP Nr. 3 zu § 2 BetrVG 1972 Gründe II. 6; leicht zweifelnd im Hinblick auf die gesetzliche Regelung eines nur über den Betriebsrat vermittelten betriebsverfassungsrechtlichen Zugangsrechts als u. U. nicht mehr vom „Konkretisierungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt, siehe Gamillscheg KollArbR I, S. 260, der weiter betont, dass sich vor allem kleinere Gewerkschaften der Einladung durch den Betriebsrat nicht sicher sein könnten. 164 Müller ZfA 72, 213 (242). 163

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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für Vertreter der Mehrheitsgewerkschaft zu, so ist er aufgrund seiner Neutralitätsverpflichtung auch gehalten, allen im Betrieb vertretenen Koalitionen gleiche Zugangsrechte zu ermöglichen165.

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG) Im Rahmen von § 3 BetrVG hat die Novelle 2001 zum einen eine erhebliche Erweiterung tarifvertraglicher Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Organisation der Betriebsverfassung gebracht166. Zum anderen hat sie das staatliche Genehmigungserfordernis, welches vor der Novelle in § 3 Abs. 2 BetrVG a. F. die vorherige Zustimmung der Arbeitsbehörde als Wirksamkeitsvoraussetzung solcher Tarifverträge vorsah, ersatzlos gestrichen. Damit haben auch die bereits früher sehr kontrovers diskutierten Fragen der Außenseiterbindung bzw. der Bindung Andersorganisierter durch Tarifverträge von Mehrheitsgewerkschaften neue und zusätzliche Aktualität erfahren. Rechtstatsächlich167 besteht nämlich nunmehr verstärkt die Möglichkeit der Mehrheitsgewerkschaften, sich 165

Dazu siehe oben 4. Kap. § 1 C. Hierzu ganz umfassend Giesen, Tarifvertragliche Rechtsgestaltung für den Betrieb; Heinkel, Die betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheit als Gegenstand kollektiver Rechtssetzung; umfassend auch Friese ZfA 03, 237 ff.; zum Teilaspekt der Errichtung von Spartentarifverträgen siehe Friese RdA 03, 92 ff. 167 So war es beispielsweise im Bereich des Bahnkonzerns bei der DB Reise & Touristik AG im Jahre 2001 nach dem „Tarifvertrag zur Zuordnung von Betriebsteilen in dem Geschäftsbereich DB Fernverkehr („ZuordnungsTV-DB Fernverkehr“) vom 10.09.1997 zu einer Fusion zweier großer Wahlbetriebe (Ulm und Stuttgart) mit jeweils mehreren Tausend Arbeitnehmern gekommen; im Betrieb Stuttgart stellte die Minderheitsgewerkschaft im Konzern, die Verkehrsgewerkschaft GDBA (dbb beamtenbund und tarifunion) den gegenüber der Mehrheitsgewerkschaft Transnet (im DGB) bis zu diesem Zeitpunkt der Fusionierung durch betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvertrag einzigen Betriebsratsvorsitz im gesamten Bundesgebiet dieses Unternehmens, so dass die Verkehrsgewerkschaft GDBA hier Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb war; mit der Fusion sollten die Mehrheitsverhältnisse in dem neuen „Gesamtbetrieb Ulm/ Stuttgart“ zugunsten der Gewerkschaft Transnet umgekehrt werden, was aufgrund des Mitgliederbestandes der Gewerkschaft Transnet im Ulmer Betrieb sehr wahrscheinlich war; diesen Hintergrund bildete das Beschlussverfahren ArbG Stuttgart 16 BVGa: entgegen § 21a Abs. II, I BetrVG hatte der Gesamtbetriebsrat, der von bei der Gewerkschaft Transnet organisierten Mitgliedern dominiert war, zur „verfahrensmäßigen Absicherung“ des politisch Gewollten einen Wahlvorstand für die anstehenden Integrationswahlen eingesetzt und damit den Betriebsrat in Stuttgart im Hinblick auf dessen Recht und Pflicht, den Wahlvorstand einzusetzen, „entmachtet“; die hiergegen erhobene einstweilige Verfügung auf Unterlassung jedweder Tätigkeit des vom Gesamtbetriebsrat eingesetzten Wahlvorstands hatte nach Belehrung des Gesamtbetriebsrats durch das ArbG Stuttgart Erfolg durch Anerkenntnis. Die Tatsache, dass der Wahlvorschlag der Verkehrsgewerkschaft GDBA bei den anschließenden Integrationswahlen mit nur einer Stimme die Mehrheit erlangte, mag verdeutlichen, dass die Ausrichtung bzw. Zusammensetzung und Beschlussfassung des Wahlvorstandes für das Ergebnis der Betriebsratswahl jedenfalls in solchen Grenzfällen ausschlaggebende Bedeutung haben kann. 166

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

vermittels des Rahmens der mit § 3 Abs. 1 BetrVG eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten, durch auf die eigenen organisationspolitischen Belange zugeschnittene Tarifverträge168 der Konkurrenz kleinerer Gewerkschaften entledigen, bzw. deren Einflussmöglichkeiten marginalisieren können169. Löwisch/Rieble170 haben zutreffend darauf hingewiesen, dass für die Konzeption solcher Tarifverträge die bisherigen Betriebsratswahlergebnisse von den Mehrheitsgewerkschaften analysiert werden, und die hier gewonnenen Erkenntnisse auf die zu verhandelnden Betriebsratsstrukturen übertragen werden – mit dem organisationspolitischen Ziel der Sicherung oder des Ausbaus der Mehrheitsverhältnisse in den neu zu schaffenden Gremien zu eigenen Gunsten. Auf diese Weise kann die Bildung insbesondere eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats zugunsten der Mehrheitsgewerkschaft im Unternehmen dafür sorgen, dass die von kleineren Gewerkschaften in einzelnen Betrieben mehrheitlich dominierten Betriebsräte aufgelöst, und die dahinter stehenden Minderheitsgewerkschaften faktisch „entmachtet“ werden können171. Aber auch die Gestaltungsmöglichkeiten jenseits von § 3 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG in § 3 Abs. 1 Ziffern 2 bis 5 BetrVG eröffnen die angesprochenen Möglichkeiten der Mehrheitsgewerkschaften, sich ihre Dominanz durch die Schaffung von auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Organisationsstrukturen zu 168 Zum Problem der missbräuchlichen Schaffung einer Wahlbasis durch den Betriebsrat siehe Däubler AiB 01, 313 (316), der – nur bezogen auf die Ebene des Betriebsrats! – ein Minderheitenschutzproblem darin sieht, dass sich die Mehrheit „die Wahlkreise entsprechend zuschneiden“ könne; ähnlich Konitzer AiB 01, 125 (125) und Bundesleitung des DBB – Beamtenbund und Tarifunion ZBVR 01, 19 (19). 169 So insb. Dimitriadis/Ilbertz/Kallenberg/Klein/Knauf/Kowalsky/Rudolph/Süllwold/Wurm ZBVR 01, 170 (173 f.); Giesen BB 02, 1480 (1482, 1484, 1486); Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 138; ähnlich schon für die Zeit vor der Novelle 2001 auch Gamillscheg KollArbR I, S. 606, der in einer solchen Konstellation einen (ausnahmsweise) legitimen Anwendungsfall der Interventionsnotwendigkeit der Genehmigungsbehörde sah; ebenfalls diese Möglichkeit einer gezielten Beeinflussung der personellen Zusammensetzung der betriebsverfassungsrechtliche Organe durch Tarifvertrag andeutend Fitting § 3 Rdnr. 10; Friese ZfA 03, 237 (250 f.); allerdings hält Friese a. a. O. diese Gefahr wegen der arbeitsgerichtlichen Kontrollmöglichkeiten für vernachlässigbar; siehe auch Annuß NZA 02, 290 (291), der ebenfalls von der Möglichkeit der „Manipulation der Repräsentationsbereiche“ spricht; auch Pauli ArbuR 00, 411 (414) sieht zwar theoretisch Missbrauchsmöglichkeiten der Mehrheitsgewerkschaften, hält diese aber ähnlich wie Friese a. a. O. kaum für praxisrelevant. 170 Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 138 f. 171 So zutreffend Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (278): „Denn die mit ihm (gemeint ist der Vorschlag, bei mehreren im Rahmen von § 3 BetrVG durch konkurrierende Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträge dem der mitgliederstärksten, also der Mehrheitsgewerkschaft, den Geltungsvorrang einzuräumen) eröffnete Chance, etwa über einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat unerwünschte Mehrheiten in den Betriebsvertretungen zu paralysieren, mag verbandspolitisch verlockend erscheinen. Mit dem geltenden Recht verträgt sie sich nicht“; ders. a. a. O. (281 f., 288); in diese Richtung auch Richardi-Richardi § 3 Rdnr. 5; siehe dazu auch das vorstehend beschriebene, instruktive Beispiel aus der Praxis des DB Konzerns.

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sichern oder diese auszubauen. Die Arbeitgeberseite wird beim Abschluss solcher Tarifverträge dabei häufig sogar vom Interesse geleitet sein, es nicht mit mehreren konkurrierenden Gewerkschaften zu tun haben zu wollen; außerdem wird auf Arbeitgeberseite regelmäßig ein Interesse vorhanden sein, möglichst wenige betriebsverfassungsrechtliche Organe mit möglichst wenig Personalaufwand und den damit verbundenen Kosten finanzieren zu müssen. Es soll deshalb im Folgenden auf dem Hintergrund der angesprochenen Fallkonstellationen untersucht werden, ob die Regelungen des § 3 BetrVG geeignet sind, solche Veränderungen der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsstruktur zu sanktionieren.

A. Normsetzungsprärogative der Tarifvertragsparteien im Bereich der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsstruktur? I. Bedeutung der Fragestellung im Untersuchungszusammenhang Eine entscheidende Weichenstellung für die Untersuchung der angesprochenen Fallkonstellationen erfolgt mit der Entscheidung darüber, ob die Tarifvertragsparteien im Bereich der Organisation der Betriebsverfassung eine Normsetzungsprärogative für sich beanspruchen können, oder ob der Gesetzgeber in zulässiger Weise mit der gesetzlichen Regelung der Betriebsverfassung eine Konkurrenz für die Betätigung der Koalitionen geschaffen hat. Aus anderer Perspektive betrachtet ist dies die Frage nach der Rechtfertigung der grundsätzlich gesetzlich-zwingenden Natur des betrieblichen Organisationsrechts172. Gäbe es eine Normsetzungsprärogative der Tarifvertragsparteien in diesem Bereich, so wären insbesondere die Fragen nach den verfassungsrechtlichen bzw. gesetzlichen Anforderungen an eine ausnahmsweise zulässige Normsetzung der Koalitionen im Bereich der Betriebsverfassung weitgehend obsolet173. Insbesondere 172

So Heinkel, S. 46 ff. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage bedeutsam, ob jedenfalls eine „teilweise“ bestehende Normsetzungsprärogative der Koalitionen für die Betriebsverfassung i. S. der Zurückdrängung einfachgesetzlicher Regelungskompetenz anzuerkennen ist. So gibt es im Schrifttum die Auffassung, dass aus der an sich bestehenden Normsetzungsprärogative der Koalitionen jedenfalls folgt, dass eine gesetzliche Ausgestaltung der Betriebsverfassung ohne jede Möglichkeit tarifautonomer Regelung verfassungswidrig wäre; siehe dazu Däubler Tarifvertragsrecht Rdnrn. 1040, 1055; DKKTrümner § 3 Rdnr. 11; ähnlich Säcker, S. 60, der aufgrund des von ihm angenommenen Rechts der Koalitionen zur Mitgestaltung der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung diesen eine betriebsverfassungsrechtliche Normsetzungskompetenz zuweist; ähnlich auch Schwarze, S. 121 f., der die Kompetenz der Tarifvertragsparteien zur „sinnvollen“ Normsetzung in der gesetzlichen Betriebsverfassung die verfassungsrechtlich notwendige Kompensation zum Verbot der tariflichen Betriebsverfassung sieht; hiergegen HSWG-Hess § 3 Rdnr. 8. 173

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

die Frage nach der Bedeutung des staatlichen Genehmigungsvorbehalts für die Betriebsersetzung durch Tarifvertrag im Rahmen des § 3 BetrVG hätte für die verfassungsrechtliche Bewertung dieser Vorschrift wohl keine entscheidende Bedeutung mehr174. Es ginge dann – bezogen auf die vorliegend zu untersuchende Minderheitenproblematik – vornehmlich nur noch um Fragen der Lösung der Tarifkonkurrenz zwischen den betriebsverfassungsrechtlichen Tarifverträgen mehrerer konkurrierender Gewerkschaften. Außerdem hätte die Feststellung einer Normsetzungsprärogative der Tarifvertragsparteien weitreichende Folgen für die Frage der Außenseitergeltung der tariflichen Normen: Wäre eine Normsetzungskompetenz der Tarifvertragsparteien im Betriebsverfassungsrecht grundrechtlich gewährleistet, so käme dem sachlogischen Argument der Notwendigkeit betriebseinheitlicher Geltung der auf dieser Grundlage geschaffenen Normen zentrale legitimatorische Bedeutung zu: Kann nämlich einerseits diese Materie sinnvoller Weise nur so geregelt werden, dass alle Arbeitnehmer des Betriebes erfasst werden, und wäre andererseits die Normsetzungskompetenz der Tarifvertragsparteien Gegenstand verfassungsrechtlicher Gewährleistung, so kann den Rechten der Außenseiter oder anders Organisierten kein bedeutsamer Rang eingeräumt werden, weil dies auf eine Aushöhlung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung hinausliefe175. II. Das Verhältnis zwischen tariflicher und gesetzlicher Regelungsmacht im Bereich der Organisationsstruktur der Betriebsverfassung 1. Kein Normsetzungsmonopol der Koalitionen Es ist bereits an anderer Stelle176 ausgeführt worden, dass das Grundrecht der Koalitionsfreiheit nicht nur in einem Kernbereich geschützt ist, sondern grundsätzlich alle Betätigungsformen der Koalitionen umfasst. Dem korrespondiert auf der anderen Seite die umfassende Möglichkeit staatlicher Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit mit den im Einzelfall daraus resultierenden und auszulotenden Konkordanzproblemen. Es ist auch bereits ausgeführt worden, dass die Tätigkeit der Koalitionen in der Betriebsverfassung Teil ihrer Betätigung auf dem Felde der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ des Art. 9 Abs. 3 GG ist177. Der Gesetzgeber hat allerdings mit der Organisation der Belegschaft als „Zwangs174

Dazu unten 4. Kap. § 2 C. Hierzu ablehnend Friese ZfA 03, 237 (234 ff.) 176 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. III. 177 Ausführlich Friese, S. 232 ff., S. 245; Löwisch/Rieble MünchArbR § 243 Rdnrn. 13 f.; Schwarze, S. 90 ff.; siehe auch DKK-Trümner § 3 Rdnr. 11; Säcker/Oetker, S. 55 ff.; 80; Söllner NZA 96, 897 (899); Wißmann, S. 26 f., S. 32; siehe oben 2. Kap. § 1 A. 175

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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verband der Betriebsverfassung“ eine Konkurrenzeinrichtung für die Koalitionen geschaffen, die sie in einem zentralen Bereich ihrer Tätigkeit betrifft178. Diese Feststellung, dass Betätigung in der Betriebsverfassung koalitionsspezifische Betätigung im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG darstellt, hat aber nicht notwendig zur Folge, dass die Koalitionen deshalb in diesem Bereich eine Normsetzungsprärogative oder gar ein Normsetzungsmonopol besitzen müssen. Aus der Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG folgt vielmehr zunächst grundsätzlich, dass dem Staat die Gestaltung der Betriebsverfassung obliegt, und die Koalitionen hier gerade kein Normsetzungsmonopol für sich beanspruchen können179. Die Kompetenzzuweisung an den Staat fungiert hier als verfassungsimmanente Schranke der Koalitionsfreiheit180, bzw. sie legitimiert die gesetzliche Ausgestaltung der Betriebsverfassung. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Befund im Mitbestimmungsurteil181 indirekt bestätigt182, indem es anerkannt hat, dass durch das Nebeneinander von Tarifvertragssystem und gesetzlich geregelter Mitbestimmung in Betrieben und Unternehmen die Koalitionsfreiheit nicht verletzt wird, solange die Koalitionen sich auch in diesen Konkurrenzeinrichtungen betätigen können und solange die Tarifautonomie insgesamt „im Prinzip erhalten und funktionsfähig bleibt“183.

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Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 205. Friese, S. 250, S. 325; GK-Kraft § 3 Rdnr. 6; Heinkel, S. 41; Hennsler ZfA 98, 1 (20 f.); Lieb Rdnr. 454; Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 56; Löwisch/Rieble TVG Grundl. Rdnr. 26 m.w. N.; v. Münch-Löwer Art. 9 Rdnrn. 58 ff.; Söllner NZA 96, 897 (899); im Ergebnis auch Kempen, ArbuR 96, 336 (340 f.); siehe in diesem Zusammenhang auch Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 54, die darauf hinweisen, dass das ILO-Übereinkommen Nr. 154 (auszugsweise näher erläutert in Löwisch/ Rieble MünchArbR § 242 Rdnr. 87) eine umfassende Tarifmacht für alle Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen vorsieht und deshalb – wegen des hiermit verbundenen anzustrebenden Rechtssetzungsmonopols der Koalitionen – ausdrücklich nicht ratifiziert worden ist, siehe dazu auch die Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drucks. 10/ 2124; BVerfG v. 24.04.1996 – 1 BvR 712/86 = AP Nr. 2 zu § 57a HRG = E 94, 268 (284); v. 03.04.2001 – 1 BvL 32/97 = AP Nr. 2 zu § 10 BUrlG Kur Gründe B. 3. 180 Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 205. 181 BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG Gründe B. IV. 2. b) bb) cc). 182 So auch Heinkel, S. 45 (Fn. 189). 183 Zu diesem Ausgleich durch Betätigungsmöglichkeit der Koalitionen im System der konkurrierenden staatlichen Einrichtungen“ Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnrn. 205 ff.; § 244 Rdnrn. 62 ff.; siehe auch Friese, S. 263; Säcker RdA 79, 39 (42); zweifelnd, ob die gegenwärtigen Ausgleichmechanismen der Mitbestimmung in Betrieben und Unternehmen die danach verfassungsrechtlich notwendigen Einflussmöglichkeiten der Koalitionen sicherstellt Schwarze, S. 82 f. 179

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

2. Keine grundsätzliche Normsetzungsprärogative der Koalitionen im Bereich der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG Auch wenn den Koalitionen ein Normsetzungsmonopol im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen also nicht zukommen kann, so ist damit die Geltung einer allgemeinen Normsetzungsprärogative für den Bereich der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ noch nicht ausgeschlossen. Die Fragestellung berührt Grundsatzfragen der Geschichte, Begründung und Reichweite der Normsetzungskompetenz der Koalitionen, und kann im vorliegenden Zusammenhang deshalb nur kurz skizziert werden184: Teilweise wird unter Berufung auf Art. 9 Abs. 3 GG ein allgemeines verfassungsrechtlich verbürgtes Recht der Koalitionen zur Normsetzung bzw. die Normsetzungsprärogative der Koalitionen im gesamten Bereich der „Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen“, und damit auch im Bereich der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation, angenommen185. Damit wird die in § 1 TVG einfachgesetzlich geregelte Tarifmacht als unvollständig begriffen, weswegen zur Bestimmung des Umfanges der Tarifautonomie auf die Generalklausel der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ zurückgegriffen werden müsse186. Aus dieser Sichtweise resultiert folgerichtig die Annahme einer lediglich subsidiären staatlichen Normsetzungskompetenz, wobei allerdings das gesetzliche System der Betriebsverfassung – was in einem gewissen Widerspruch zur Annahme der

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Siehe dazu nur Wiedemann Einleitung Rdnrn. 103 ff. Biedenkopf, S. 293 ff. („Vermutung für die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien“); Däubler Tarifvertragsrecht Rdnr. 1055; DKK-Trümner § 3 Rdnrn. 10 f.; Gamillscheg KollArbR I, S. 539 f.; ders. a.a.O, (S. 595 f.); Gragert, S. 11 f., 16; Heither FS Schaub, S. 295 (S. 307 ff.); Jahnke, S. 31 f.; Kempen FS Schaub, S. 357 (S. 360); ders. RdA 94, 140 (147) folgert aus der Tatsache, dass Art. 9 Abs. 3 GG keine Gesetzesvorbehalt kennt, die Subsidiarität staatlicher Normsetzung, weil die Koalitionsfreiheit nur zum Schutz von Grundrechten Dritter und anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechte eingeschränkt werden könne; hiergegen Heinkel, 42; siehe auch Kempen/Zachert Grundlagen Rdnr. 63; 99 ff.; Schwarze, S. 94 ff., S. 99; Spilger, S. 71; Waltermann, S. 261; Wißmann, S. 29, S. 33; dazu auch Friese, S. 251 m.w. N.; Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 53 m.w. N. betr. den von ihnen abgelehnten Rückgriff auf Art. 9 Abs. 3 GG zur Bestimmung der Reichweite der Tarifautonomie aus der Generalklausel der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ im Schrifttum. 186 DKK-Trümner § 3 Rdnr. 10 („koalitionsgrundrechtsoptimierende Auslegung bei Sphären-Kollisionen zwischen Tarifautonomie und Gesetzesrecht“) Gamillscheg KollArbR I, S. 539 f. („Rückgriff auf Art. Abs. 3 GG bei Bedürfnis nach tariflicher Regelung“); Kempen/Zachert Grundlagen Rdnrn. 99 ff., 106, 118; Misera, S. 20 ff.; Weyand ArbuR 91, 65 ff.; dazu ablehnend Löwisch/Rieble TVG Grundl. Rdnr. 23; Säkker/Oetker, S. 102 f. unter Hinweis auf Zöllner Differenzierungsklauseln, S. 35 f. („keine Garantie der Normsetzungskompetenz für alle Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, Erfordernis der speziellen Voraussetzungen des TVG“); im Ergebnis auch Wiedemann § 1 Rdnr. 248 („ein Rückgriff unmittelbar auf Art. 9 Abs. 3 GG ist ausgeschlossen“). 185

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Subsidiarität gesetzlicher Normsetzungskompetenz steht – als verfassungsmäßige Ergänzung von Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie angesehen wird187. Dem wird zu Recht entgegengehalten, dass eine solche Sichtweise lediglich subsidiärer staatlicher Normsetzungsbefugnis den Gesetzgeber in seiner gesamten wirtschafts-, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitischen Aufgabenwahrnehmung inakzeptablen Grenzen unterwerfen würde188, weswegen aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG auch kein genereller Verzicht des Gesetzgebers auf seine Normsetzungsbefugnis abgeleitet werden kann189. Im Interesse einer einheitlichen Ordnung bleibt der staatliche Gesetzgeber grundsätzlich befugt, auch abschließende arbeitsrechtliche Regelungen zu treffen190. Das Bundesverfassungsgericht geht dementsprechend in ständiger Rechtsprechung auch – und mit Selbstverständlichkeit – von einer eigenen Regelungszuständigkeit des Gesetzgebers auf dem Gebiet der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ aus191, und damit grundsätzlich auch vom Nichtbestehen einer allgemeinen Normsetzungsprärogative der Koalitionen im Bereich der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ im Grundsatz, also nicht nur von einer lediglich subsidiären Normsetzungskompetenz des Gesetzgebers aus. 3. Keine spezielle Normsetzungsprärogative der Koalitionen im Bereich der Organisation der Betriebsverfassung a) Verhältnis tarifautonomer und staatlicher Normsetzungsmacht: Keine konkreten Vorrangprinzipien Auch wenn es also auch eine allgemeine und grundsätzliche Normsetzungsprärogative der Koalitionen für den gesamten Bereich der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ nicht geben kann, so ist damit doch das Verhältnis unzweifelhaft bestehender und verfassungsrechtlich verbürgter Normsetzungskompetenz der Koalitionen im Rahmen ihrer Tarifautonomie zur staatlichen Gesetzgebung noch nicht geklärt. Dies gilt insbesondere auch für das Verhältnis 187

So insbesondere Kempen RdA 94, 140 (147). Friese, S. 251; Henssler ZfA 98, 1 (14, 20); siehe auch Wiedemann Einleitung Rdnr. 143 mit Hinweis auf die staatliche Verantwortung für die gesamte Arbeitsordnung und für die Interessen nichtorganisierter Unternehmen oder Arbeitnehmer. 189 So auch Friese, S. 251; Heinkel, S. 44 f.; Oetker ZG 98, 155 (164). 190 Wiedemann Einleitung Rdnr. 143. 191 BVerfG v. 18.12.1974 – 1 BvR 430/65, 259/69 = AP Nr. 23 zu Art. 9 GG (Arbeitnehmerkammer Saarland) Gründe C. II. 1.; v. 24.05.1977 – 2 BvL 11/74 = AP Nr. 15 zu § 15 TVG Gründe B. II. 1. aa) bis cc) („keine schrankenlose Normsetzungsprärogative der Koalitionen“); v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG Gründe B. IV. 2. b) bb) cc); v. 24.04.1996 – 1 BvR 712/86 = AP Nr. 2 zu § 57a HRG = E 94, 268 (284); v. 03.04. 2001 – 1 BvL 32/97 = AP Nr. 2 zu § 10 BUrlG Kur Gründe B. 3; weitere umfangreiche Nachweise bei Heinkel, S. 42 (Fn. 173 und 174). 188

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

legislativer und tariflicher Normsetzungsmacht im Bereich der Betriebsverfassung. Denn weder Wortlaut noch Stellung des Art. 9 Abs. 1 Satz 3 GG ergeben irgendwelche sicheren Vorgaben für die diesbezügliche Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Gewerkschaften und Gesetzgeber192. Als für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang hinreichend gesichert angesehen werden kann aber zunächst das Bestehen einer Verpflichtung des Gesetzgebers, den Koalitionen ein wirksames Instrumentarium zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zur Verfügung zu stellen: Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert den Koalitionen ein gesetzlich geregeltes, geschütztes und funktionsfähiges Tarifvertragssystem („Kernbereich eines Tarifvertragssystem überhaupt“193)194. Damit ist aber nicht etwa gemeint, dass der Staat den Tarifvertragsparteien einen bestimmten Bereich materieller Arbeitsbedingungen – etwa im Sinne eines statisch enumerativ festgelegten Katalogs von Regelungsbefugnissen195 oder einer Tabuzone staatlich nicht regelbarer Arbeitsbedingungen196 – zu überlassen hätte197. Vielmehr hat der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien nur ein „ausreichend großes Feld von Arbeitsbedingungen zu überlassen, auf dem sie sich im Sinne eines Aushandelns von Leistung und Gegenleistung sinnvoll betätigen können“198. Diese prinzipielle Offenheit ist zum 192

Friese, S. 249; Heinkel, S. 44. Siehe dazu Löwisch/Rieble TVG Grundl. Rdnr. 20: „In diesem Sinne ist die Möglichkeit, Tarifverträge abzuschließen, unerlässlich“. 194 Friese, S. 255; Heinkel, S. 44 m.w. N.; Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 16; Löwisch/Rieble TVG Grundl. Rdnr. 20; Wiedemann Einleitung Rdnrn. 91 ff. m.w. N.; BVerfG v. 06.05.1964 – 1 BvR 79/62 = AP Nr. 15 zu 2 TVG = NJW 64, 569; v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG Gründe B. IV. 1. a. E.; v. 02.03.1993 – 1 BvR 1213/85 = AP Nr. 126 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Gründe B. II. 1. (Beamteneinsatz bei Streik); v. 04.07.1995 – 1 BvF 2/86 u. a. = AP Nr. 4 zu § 116 AFG Gründe I. 1. a) ff.; v. 24.04.1996 – 1 BvR 712/86 = AP Nr. 2 zu § 57a HRG = BVerfGE 94, 268 ff. 195 Siehe Friese, S. 252, S. 256. 196 So i. S. eines prinzipiell möglichen Zugriffs auf alle materiellen Arbeitsbedingungen Butzer RdA 94, 375 (379); Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 56; Löwisch/Rieble TVG Grundl. Rdnr. 26; Scholz, S. 329, S. 331; Wiedemann Einleitung Rdnr. 141, der in diesem Zusammenhang auch auf die „unangefochtene Existenz des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen und die Existenz der einschlägigen Vorschriften zur Allgemeinverbindlicherklärung“ verweist; a. A. betr. jedenfalls die Höhe des Entgelts Gamillscheg KollArbR 1, S. 294 ff., S. 297. 197 Anders noch Biedenkopf, S. 187 ff., S. 210 f., der „im Kernbereich tarifvertraglicher Zuständigkeit“ davon ausgeht, dass hier grundsätzlich „eine gesetzliche Bestimmung . . . hinter einer Tarifnorm zurücktreten“ muss; jenseits dieses Kernbereichs bestehe eine konkurrierende Zuständigkeit des staatlichen Gesetzgebers für Sockel- oder Mindestarbeitsbedingungen, allerdings nur mit Subsidiarität gegenüber der tariflichen Regelung. 198 Friese, S. 255 unter Hinweis auf Löwisch JZ 96, 812 (816 f.); Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 56; Löwisch/Rieble TVG Grundl. Rdnr. 26; in diese Richtung auch Wiedemann Einleitung Rdnr. 142; a. A. Gamillscheg KollArbR 1, S. 294 ff. jedenfalls für den Bereich des Entgelts im engeren Sinne, weil dies das Ende der Ta193

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einen deshalb sachgerecht, weil sich aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG konkrete Vorrangprinzipien für tarifautonome oder staatliche Regelung nicht ableiten lassen199. Vor allem aber kann die Gewährleistung der Koalitionsfreiheit nicht losgelöst von der gesamtgesellschaftlichen, wirtschafts- und arbeitspolitischen Situation des Staatsganzen gesehen werden, so dass nur die Sicht einer Entwicklungsoffenheit des Verhältnisses von tarifautonomer und gesetzlicher Regelung die erforderliche Variabilität, etwa im Hinblick auf die Ausführung des Sozialstaatsgebots durch den Gesetzgeber200, gewährleisten kann201. Deshalb bestehen im Verhältnis von tarifautonomer und staatlicher Regelungsmacht zunächst keine konkreten Vorrangprinzipien202. b) Vorrang des Gesetzgebers in der Betriebsverfassung aa) Begrenzung der Normsetzungskompetenz der Tarifvertragsparteien im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips – Vermutung der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems nur bei traditionell originären tarifvertraglichen Regelungsfragen Ausgehend von der soeben getroffenen Feststellung, dass der Staat den Koalitionen im Sinne der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems (nur) ein hinreichend großes Feld von Regelungsgegenständen zur normativen Regelung zu überlassen hat, kann der Schluss gezogen werden, dass die Einschränkung rifautonomie bedeuten würde; in der Tendenz in Richtung eines statisch enumerativen und sich damit versteinernden Vorbehaltsguts der Tarifvertragsparteien beim Arbeitsentgelt, bei Arbeitszeit und Urlaub und im Bereich des Tarifüblichen deutet Friese, 252 f. die Entscheidung des BVerfG v. 24.04.1996 – 1 BvR 712/86 = AP Nr. 2 zu § 57a HRG = BVerfGE 94, 268, obwohl dort, E 94, 268 (284) festgestellt wurde, dass dem Gesetzgeber die Regelung von Fragen, die Gegenstand von Tarifverträgen sein können, nicht von vorneherein entzogen ist. 199 Friese, S. 249, S. 254; Heinkel, S. 44. 200 So Wiedemann Einleitung Rdnr. 141. 201 Friese, S. 217, S. 252, S. 254; in diese Richtung auch Heinkel, S. 43 f.; siehe dazu bereits das Mitbestimmungsurteil, in dem das BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG Gründe B. IV. 1., 2. ausgeführt hat, dass Art. 9 Abs. 3 GG keine Garantie des Tarifvertragssystems in seiner konkreten gegenwärtigen Gestalt garantiere; dem dies widerspräche dem Erfordernis der Anpassung an die jeweilige gesellschaftliche Wirklichkeit und dem Grundgedanken der für die Auslegung maßgeblichen geschichtlichen Entwicklung der Koalitionsfreiheit; ähnlich in diesem Zusammenhang Scholz, S. 331, der den Koalitionszweck als Tatbestand offener (kommunikativer) Gestaltung begreift, der sich nicht auf gegenständlich gebundene Gesichtspunkte fixieren lässt: „Er erfährt die konkreten Bedürfnisses des Arbeitslebens aus der aktuellen Ausübung der vereinigten Individualrechte und sucht diese in ihrer konkreten Situationsbefangenheit zu ordnen.“ 202 Siehe dazu Heinkel, S. 45, S. 47, der aus diesem Befund den viel weitergehenden Schluss zieht, dass die Koalitionen und die Legislative „gleichberechtigt“ nebeneinander stehen; ähnlich Friese, 251; hiergegen grundsätzlich schon Scholz, S. 330.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien durch den Staat nur aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz203 heraus begründet werden kann204. Auch wenn es mit gutem Grund – nämlich der Erhaltung der Entwicklungsoffenheit des Tarifvertragssystems – keine Tabuzonen bestimmter Arbeitsbedingungen geben mag, in denen alleine die Tarifvertragsparteien normsetzungsbefugt wären205, so gibt es dabei doch Arbeitsbedingungen, deren Regelung durch den Gesetzgeber die Tarifvertragsparteien intensiver beeinträchtigen als andere Regelungsmaterien. Zu denken ist hierbei vor allem an die „originären Lohnfragen“, die traditionell den Kernbestand tarifvertraglicher Praxis ausmachen. In diesem Bereich darf mit der Regelung durch den Gesetzgeber durchaus die Vermutung der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems206 und damit der Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips einhergehen. Betriebsverfassungsrechtliche Fragen – und schon gar die Fragen des im vorliegenden Untersuchungszusammenhang schwerpunktmäßig noch zu untersuchenden betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsrechts207 – gehören aber nicht zu diesem traditionellen Zentralbereich von Arbeitsbedingungen208, so dass eine Vermutung für die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems wegen Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die staatliche Gesetzgebung hier von vorneherein nicht bestehen kann. Friese209 hat gezeigt, dass die Erweiterung der tariflichen Normsetzungskompetenz auch auf betriebsverfassungsrechtliche Fragen erst nach 1945 einsetzte und rein wirtschaftpolitischen Zielsetzungen folgte, und nicht der Sorge um ein funktionsfähiges Tarifvertragssystem geschuldet war210. Auch die Gewerkschaften selbst 203

Hierzu bereits oben ausführlich 2. Kap. § 1 F. IV. 2. Heinkel, S. 48 ff.; Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnrn. 42 ff.; § 246 Rdnrn. 206 ff. für den Bereich staatlich verordneter und mit den Koalitionen konkurrierender Interessenvertretungen; dies. TVG Grundl. Rdnrn. 26 ff. 205 So Löwisch/Rieble TVG Grundl. Rdnr. 26; ähnlich Friese, S. 252 ff., die in der Bestimmung von in jedem Falle den Tarifvertragsparteien vorbehaltenen Regelungsgegenstände die Gefahr der „Versteinerung“ von Regelungsbefugnissen sieht. 206 So auch Friese, S. 256; ähnlich Heinkel, S. 52; Wiedemann Einleitung Rdnr. 142; Löwisch/Rieble TVG Grundl. Rdnr. 28; in der Tendenz anders Rupp JZ 98, 919 (924 f.), der die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems in verfassungsrechtlich relevanter Weise erst dann als gestört ansieht, wenn den Tarifvertragsparteien „der Atem genommen wird“, von Tarifautonomie schlechthin also nicht mehr gesprochen werden könne. 207 Siehe insb. unten, 4. Kap. §§ 3, 4, 5, 6, 8, 9, 13, 16, 17, 19, 21, 22 ff. 208 Friese, S. 258 f., S. 261, S. 263; dies. ZfA 03, 237 (269, 281) sieht den Abschluss von Tarifverträgen nach § 3 Abs. 1 BetrVG als nicht vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst, weil diese Regelungsbefugnisse den Tarifvertragsparteien nicht im Interesse der Koalitionszweckverfolgung, sondern zur effektiven Gestaltung Betriebsverfassung im Interesse der Gesamtbelegschaft übertragen worden seien. 209 Friese, S. 259 ff. 210 Friese, S. 259 f., verweist in diesem Zusammenhang auf die nur äußerst rudimentären Regelungen im Kontrollratsgesetz Nr. 22 v. 10.04.1947, Amtsbl. d. Kontroll204

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standen – historisch gesehen – der tariflich festgelegten Betriebsverfassung sogar eher skeptisch gegenüber, und sahen ihre Aufgabe nicht etwa in der Organisation der Betriebsverfassung, sondern eher in der Behauptung ihres Vertretungsmonopols gegenüber den erstarkenden Betriebsräten211. Betriebsverfassungsrechtliches Organisationsrecht gehört daher nicht zum traditionellen Kernbestand tariflicher Regelungsmaterien212, und eine Vermutung für die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems aufgrund der staatlichen Regelung des Betriebsverfassungsrechts kann deshalb schon im Ansatz nicht bestehen213. bb) Die staatliche Regelung des Betriebsverfassungsgesetzes als verhältnismäßige Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG Die Regelung des Betriebsverfassungsrechts durch zwingendes staatliches Gesetz und nicht durch tarifvertragliche Regelung stellt ohne Zweifel eine Beeinträchtigung der Koalitionsbetätigung durch staatliche Konkurrenz dar214. Deshalb ist zu fragen, ob diese Beeinträchtigung durch den Gesetzgeber in einen verhältnismäßigen Ausgleich zur betroffenen Koalitionsfreiheit gebracht worden ist. rats in Deutschland, S. 133, das lediglich 23 kurz gefasste Artikel enthielt sowie auf die zunächst sehr zersplitterten landesrechtlichen Regelungen, die nach Vereinheitlichung verlangt hätten; außerdem weist Friese a. a. O. in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf Nautz, S. 41, S. 64 ff., S. 150 f., auf die ideologische Ausrichtung der amerikanischen und britischen Besatzungsmacht hin zu einer Stärkung der Gewerkschaften i. S. eines „free collective bargaining“ und weg von einer mit starken Betriebsräten assoziierten „Wirtschaftsdemokratisierung“; siehe zur Zersplitterung und der nur rahmenhaften Kontrollratsgesetzgebung auch Dietz/Richardi Vorbem. § 1 Rdnrn. 9 ff.; ausführlich auch GK-Wiese Einleitung Rdnrn. 17 ff. m.w. N. 211 Friese, S. 260 f.; Nautz, S. 81, S. 160; siehe dazu auch die Ausführungen bei Reichold, S. 370 ff., der darauf hinweist, dass die Verabschiedung des BetrVG am 19.07.1952 als die „entscheidenste Niederlage auf dem politisch-programmatischen Feld“ für die Gewerkschaftsbewegung angesehen werde, weil damit die Entscheidung für die „unternehmerische Letztentscheidung“, also für die Mitbestimmung in arbeitsrechtlichen und gegen die Mitbestimmung in unternehmerischen Fragen gefallen war. 212 Friese, S. 261, weist darauf hin, dass die Normsetzung in betriebsverfassungsrechtlichen Fragen niemals als für die Existenz eines funktionsfähigen Tarifvertragssystems notwendig eingestuft worden sei; auch sei die Organisation der Betriebsverfassung legislativer Regelung unterworfen gewesen (Bestimmungen zur Errichtung der Arbeiter- und Angestelltenausschüsse, §§ 7 ff. TVVO, Betriebsrätegesetz v. 04.02. 1920 RGBl., 147 ff.) – allerdings bei Integrierung der Koalitionen in unterschiedlichem Umfange. 213 Siehe auch Friese, S. 261 f., die darauf hinweist, dass die Koalitionen zur Erreichung ihres Koalitionsziels nicht auf die Errichtung eines Betriebsverfassungssystems und damit nicht auf eine Normsetzungskompetenz in betriebsverfassungsrechtlichen Fragen angewiesen seien. 214 Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 208.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Ausgegangen werden kann bei der Beantwortung dieser Frage von einer grundsätzlichen Verpflichtung des Staates, einen arbeitsrechtlichen Mindestschutz zum Ausgleich von Machtungleichgewichten und zur Sicherung des Existenzminimums zu schaffen215, wobei diese Schutzverpflichtung insbesondere gegenüber den nichtorganisierten Arbeitnehmern besteht216. Unabhängig von der konkreten verfassungsrechtlichen „Aufhängung“ dieses Gedanken eines zu gewährleistenden Mindestschutzes – herangezogen werden hierfür die Menschenwürdegarantie und das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Sozialstaatsgebot217 oder die Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG218 oder Kombinationen dieser Rechtsgüter219 – kann angesichts des besonders weitgehenden Einschätzungsund Prognosespielraums des Gesetzgebers gesagt werden, dass die gesetzliche Ausgestaltung des betrieblichen Organisationsrechts geeignet ist, diesen Mindestschutz zu befördern. Denn die grundsätzlich zwingende Natur des betrieblichen Organisationsrechts gewährleistet, dass in jeder betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit eine betriebliche Mitbestimmungsverfassung zumindest potentiell zur Verfügung steht, die den Anforderungen des Sozialstaatsprinzips gerecht wird, und welche die Chance der abhängig Beschäftigten auf Selbstbestimmung wahrt220. Die Erforderlichkeit eines grundsätzlich zwingenden staatlichen betrieblichen Organisationsrechts ergibt sich daraus, dass bei Tarifdispositivität des betrieblichen Organisationsrechts keine Gewähr dafür bestünde, dass die Koalitionen die arbeitnehmerbezogenen grundrechtlich „unterfütterten“ Prinzipien des Betriebsverfassungsrechts auch in angemessener Weise beachten würden221, sowie aus der Schutzpflicht des Staates für die nichtorganisierten Arbeitnehmer222. Die Angemessenheit ergibt sich zum einen daraus, dass 215 Bakopoulos, S. 71; Heinkel, S. 50; Richardi-Richardi Einleitung Rdnrn. 40 f.; Wißmann, S. 55; ähnlich Dietz/Richardi Vorbem. § 1 Rdnr. 3; Löwisch/Rieble TVG Grundl. Rdnrn. 32 f.; Schwarze, S. 104 f. 216 Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnrn. 205 f. 217 Dietz/Richardi Vorbem. § 1 Rdnr. 3; Richardi-Richardi Einleitung Rdnrn. 39 ff. unter ergänzender Inbezugnahme des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG; Schwarze, S. 104 f.; Wiedemann Einleitung Rdnr. 141; Wißmann, 55; siehe dazu auch BVerfG v. 22.06.1977 – 1 BvL 2/74 = AP Nr. 6 zu § 1 BGB C. I. 2.; v. 18.07.1967 – 2 BvF 3/ 62, 2 BvF 4/62, 2 BvF 5/62, 2 BvF 6/62, 2 BvF 7/62, 2 BvF 8/62, 2 BvR 139/62, 2 BvR 140/62, 2 BvR 334/62, 2 BvR 335/62 = AP Nr. 5 zu Art. 20 GG = BVerfGE 22, 180, 204. 218 Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 205 unter Hinweis auch auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 und 75 Abs. 1 Nr. 1 GG. 219 Blanke/Rose AiB 00, 491 (494, 496) (Menschenwürde, allgemeines Persönlichkeitsrecht, Berufsfreiheit, Sozialstaatlichkeit); Heinkel, S. 49 ff., S. 54 (Sozialstaatsgrundsatz, Menschenwürde, Berufsfreiheit); Löwisch/Rieble TVG Grundl. Rdnr. 32 (Persönlichkeitsentfaltung, Leib, Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer, Berufsfreiheit, Garantie des menschenwürdigen Existenzminimums). 220 Heinkel, S. 52; ähnlich Bakopoulos, S. 71. 221 Heinkel, S. 53 ff. nennt hier insbesondere die demokratischen Wahlgrundsätze, den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit, die Unabhängigkeit der Wahlberechtigung von der Gewerkschaftsmitgliedschaft und den (historisch angelegten)

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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zur Sicherung eines sozialstaatlich geforderten Mindestschutzniveaus nicht zugewartet werden kann, ob die Tarifvertragsparteien auch von ihrer Regelungsmöglichkeit Gebrauch machen und sich dahingehend einig werden können223. Zum anderen hat der Gesetzgeber mit der Möglichkeit der Koalitionen, sich in der gesetzlichen Betriebsverfassung an Wahlen zu beteiligen und in den dortigen Gremien ihre Vorstellungen von der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen artikulieren zu können, einen angemessenen Ausgleich mit der Koalitionsfreiheit hergestellt224. Damit hat der Gesetzgeber mit dem Betriebsverfassungsgesetz einen den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entsprechenden Ausgleich mit dem Koalitionsgrundrecht geschaffen. III. Ergebnis Eine Normsetzungsprärogative der Tarifvertragsparteien im Bereich des betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsrechts besteht nicht. Im Gegenteil folgt die Normsetzung des Staates auf diesem Gebiet einer verfassungsrechtlichen Notwendigkeit, die sich aus dem Sozialstaatsgebot und anderen Grundrechtspositionen der abhängig Beschäftigten ergibt. Es besteht deshalb insofern eine Normsetzungsprärogative des Gesetzgebers225. Durch die institutionell abgesicherten Artikulationsmöglichkeiten der Koalitionen innerhalb der Betriebsverfassung hat der Gesetzgeber im Betriebsverfassungsgesetz einen Ausgleich mit der durch die gesetzlichen Regelung der Betriebsverfassung berührten Koalitionsfreiheit geschaffen, der den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügt. Infolge des Nichtbestehens einer Normsetzungsprärogative für die Tarifvertragsparteien und des damit festzustellenden Ausnahmecharakters der tariflichen Normsetzung insbesondere für den Bereich der Organisation der Betriebsverfassung, muss also die Frage nach der Legitimation solcher Ausnahmefälle im Zentrum der Betrachtung stehen.

Zweck der Betriebsverfassung als Gewährleistung der Unabhängigkeit der betrieblichen Arbeitnehmervertretung von den Koalitionen. 222 In diese Richtung Heinkel, S. 57; Wiedemann Einleitung Rdnr. 143. 223 Heinkel, S. 57; Schwarze, S. 105; Wißmann, S. 57. 224 Friese, S. 263; Löwisch/Kaiser Einleitung Rdnr. 3; Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnrn. 208 ff.; Richardi-Richardi Einleitung Rdnr. 46; ähnlich bereits Säcker RdA 79, 39 (42); in diese Richtung geht auch das Mitbestimmungsurteil des BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG C. IV. 2. b) bb) cc), das die Konkurrenz der staatlichen Betriebsverfassung wegen der Betätigungsmöglichkeit der Koalitionen innerhalb der Betriebsverfassung als mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar angesehen hat. 225 So auch Heinkel, S. 58.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

B. Notwendige Erfassung der Nicht- oder Andersorganisierten durch Tarifverträge im Rahmen des § 3 BetrVG Es kann kaum ernsthaften Zweifeln begegnen, dass die auf der Grundlage von § 3 BetrVG geschaffenen betriebsverfassungsrechtlichen Normen – als Normen i. S. v. § 3 Abs. 2 TVG226 – aus sachlogischen oder zwingenden Zweckmäßigkeitsgründen notwendig betriebseinheitlich gelten müssen227. Denn die Betriebsverfassung und die Mitbestimmung lassen sich nicht personell spalten228, und eine auf die Koalitionsmitglieder der Belegschaft beschränkte Regelung hätte mehrere nicht übereinstimmende Organisationseinheiten zur Folge229. Zudem liefe eine nach organisatorischer Zugehörigkeit zur tarifschließenden Koalition differenzierende Tarifgeltung dem in § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ausgewiesenen Grundsatz der gewerkschaftlichen Neutralität der Betriebsverfassung zuwider, so dass eine nach Koalitionszugehörigkeit gespaltene Betriebsverfassung auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Frage kommen kann230. Werden demnach durch Tarifvertrag Organisationsnormen im Rahmen von § 3 BetrVG geschaffen, so werden hierdurch notwendig auch Außenseiter-Arbeitnehmer, oder die anders, regelmäßig der Minderheitsgewerkschaft zugehörigen Organisierten, von deren Geltung erfasst. Schließt also alleine die Mehrheitsgewerkschaft einen Tarifvertrag nach § 3 BetrVG ab, so könnte insofern von einer durch die Mehrheitsgewerkschaft gewillkürten Zwangskorporation dieser Arbeitnehmer gesprochen werden. Denn der tariflichen Normunterworfenheit dieser Arbeitnehmergruppe fehlt es insofern an der auf freiwilligem Beitrittsentschluss basierenden mitgliedschaftlichen Legitimation durch deren Koalitionszugehörigkeit zur tarifschließenden Gewerkschaft. Zusätzlich zu der oben231 getroffenen Feststellung, dass schon wegen des Ausnahmecharakters der tarifli226 Siehe Annuß NZA 02, 290 (293); ErfK-Eisenmann § 3 Rdnr. 1; Giesen, S. 293; ders. BB 02, 1480 (1482 f.); Heinkel, S. 18 ff., 35, 39; Kempen FS Schaub, S. 357 (S. 365); Löwisch/Rieble MünchArbR § 261 Rdnrn. 26 ff.; Oetker FS Schaub, S. 535 (S. 536); BAG v. 18.08.1987 – 1 ABR 30/86 = AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972 Gründe B. III. 2. b); a. A. Eich FS Weinspach, S. 17 (S. 19, S. 22, S. 25); wohl auch Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (287). 227 Friese ZfA 03, 237 (239); Gamillscheg KollArbR I, S. 720; Heinkel, S. 19; Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 13; Löwisch/Rieble MünchArbR §§ 254 Rdnr. 46, 261 Rdnr. 28; dies. TVG § 1 Rdnrn. 141, 145; § 3 Rdnr. 12; Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (282, 287); Rieble RdA 93, 140 (142); Säcker/Oetker, S. 141 ff.; Wiedemann-Oetker § 3 Rdnr. 142; Wißmann, S. 33; BAG v. 21.01.1987 – 4 AZR 547/86 = AP Nr. 47 zu Art. 9 GG Gründe 4.; v. 14.06.1983 – 7 AZR 593/87 = AP Nr. 4 zu § 1 BeschfG 1985 Gründe I. 3. b). 228 Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (282). 229 Heinkel, S. 18. 230 Heinkel, S. 19; Löwisch/Rieble MünchArbR § 261 Rdnr. 28; dies. TVG § 1 Rdnr. 141. 231 Siehe vorstehend 4. Kap. § 2 A. II. 3. a) f.

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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chen Normsetzung im Bereich des Organisationsrechts der Betriebsverfassung – wegen der hier bestehenden grundsätzlich staatlichen Normsetzungsprärogative – erhebliche grundsätzliche Legitimationsprobleme für die tarifliche Normsetzung an sich bestehen, ist durch die Außenseiterproblematik ein weiteres und zentrales Legitimationsproblem der tarifvertraglichen Gestaltung des Organisationsrechts der Betriebsverfassung angesprochen232: Denn jedes Handeln für Dritte bedarf grundsätzlich eines tragfähigen Legitimationsgrundes233.

C. Die Auseinandersetzung um das Bestehen von Legitimationsproblemen bei der tarifvertraglichen Gestaltung des betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsrechts im Rahmen des § 3 Abs. 1 BetrVG im Hinblick auf Außenseiter und Andersorganisierte Die normative Wirkung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifverträge erfasst sachnotwendig auch Außenseiter und Andersorganisierte234. Damit kann festgestellt werden, dass die negative Koalitionsfreiheit235 der Außenseiter bzw. die positive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten jedenfalls berührt ist; verfassungsdogmatisch könnte diese Frage auch als Problem der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG der Außenseiter begriffen werden: Denn die allgemeine Handlungsfreiheit schützt jenen Personenkreis vor einer Normunterwerfung ohne deren rechtsstaatlich-demokratische Legitimität236. Ob mit der Berührung der Grundrechtspositionen dieser Arbeitnehmer auch eine Verletzung ihrer Grundrechte einhergeht, was dann als unüberbrückbares Legitimationsdefizit angesehen werden müßte – mit der Folge der Verfassungswidrigkeit der die Normsetzung ermöglichenden Regelungen des § 3 Abs. 1 BetrVG –, soll im Folgenden näher untersucht werden. 232

Friese ZfA 03, 237 (239 f.). Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (285, 287); in diese Richtung auch Rieble ZIP 01, 133 (137); ders. RdA 93, 140 (142); BVerfG v. 14.06.1983 – 2 BvR 488/80 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmVersSchG Gründe B. II. 1. 234 Siehe vorstehend 4. Kap. § 2 B. 235 Statt vieler Heinkel, S. 31 ff.; Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 567 ff.), jeweils m.w. N.; siehe dazu auch BAG v. 26.04.1990 – 1 ABR 84/87 = AP Nr. 57 zu Art. 9 GG Gründe B. V. 2. b. 236 So abweichend von Heinkel, S. 31 ff. Rieble RdA 93, 140 (142), der entgegen dem BAG nicht die negative Koalitionsfreiheit, sondern die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, als betroffen ansieht; die allgemeine Handlungsfreiheit schütze jedermann – also auch die Außenseiter – davor, Normbefehle zu erhalten, die nicht zur „verfassungsmäßigen Ordnung“ gehörten; bei fehlender mitgliedschaftlicher Legitimation komme nur die Legitimation durch staatliches Handeln in Betracht; der Arbeitnehmer-Außenseiter habe und verdiene keinen „Sonderschutz“ vor der Rechtssetzung der Tarifvertragsparteien durch die negative Koalitionsfreiheit. 233

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Dabei sollen die wesentlichen Positionen zu diesem Fragenkomplex zunächst im Wesentlichen nur dargestellt237, und in einer abschließenden Stellungnahme dann zusammenfassend gewertet werden238, um so die Frage nach der Verfassungsgemäßheit des § 3 Abs. 1 BetrVG klären zu können. I. Nichtbestehen eines Legitimationsdefizits wegen fehlender Fremdbestimmung der Außenseiter und Nichtorganisierten durch Organisationstarifvertrag? Nach Friese239 besteht auch nach Wegfall des staatlichen Genehmigungserfordernisses seit der Novelle 2001 kein durchgreifendes Legitimationsdefizit, welches zur Verfassungswidrigkeit des § 3 Abs. 1 BetrVG führen müßte. Ihr Lösungsansatz für das Legitimationsproblem geht zunächst davon aus, dass sowohl die Delegationslehren – welche die Legitimation der Außenseitererstreckung (alleine) darin sehen, dass der Staat die tarifvertraglich geschaffenen Vorschriften in seinen Willen übernimmt – wie auch die Privatautonomielehren – also die Auffassungen, welche die Tarifgeltung für den Einzelnen strikt an dessen Verbandsbeitritt als autonomem Akt der selbstbestimmten Tarifunterwerfung knüpfen – und auch die Berufung auf die Tarifautonomie240 die Außenseiterbindung nicht hinreichend befriedigend zu erklären bzw. zu legitimieren vermögen241. Die mit diesen Theoriebildungen unternommenen Versuche der Herstellung einer „sachlich-inhaltlichen Legitimation“ seien aber für die Außenseitergeltung von Tarifnormen auch gar nicht notwendig: Ausreichend sei schon die „formal-verfahrensmäßige Legitimation“ durch die §§ 1 Abs. 1 TVG und 3 Abs. 1 BetrVG. Denn das Erfordernis der sachlich-inhaltlichen Legitimation für die Normerstreckung auf die Nicht-Tarifgebundenen bestehe nicht um seiner selbst willen: Es habe den Zweck, Fremdbestimmung zu verhindern. Sei die Normerstreckung auf Außenseiter oder Andersorganisierte jedoch nicht als Fremdbestimmung zu qualifizieren, so erübrige sich damit auch die Forderung nach sachlich-inhaltlicher Legitimation. Und mit den auf Grundlage des § 3 Abs. 1 BetrVG abgeschlossenen Tarifverträgen finde im Hinblick auf die Außenseiter keine solche sachlich legitimationsbedürftige Fremdbestimmung statt. Zwischen rechtlicher Betroffenheit durch Tarifnormen und Fremdbestimmung durch die Tarifvertragsparteien sei nämlich strikt zu unterscheiden: Nicht der Organisationstarifvertrag, sondern erst die Normsetzung durch die so geschaffenen betriebsverfassungsrechtlichen Repräsentationsorgane wirke auf den verfassungsrechtlich geschützten Autonomiebereich der Außenseiter ein242. Der erst 237 238 239 240 241

Siehe im Folgenden 4. Kap. § 2 C. II. f. Siehe im Folgenden 4. Kap. § 2 C. IV. Friese ZfA 03, 237 (245 ff.). Dazu Friese ZfA 03, 237 (242 ff.). Friese ZfA 03, 237 (245).

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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hierdurch eintretenden Fremdbestimmung243 korrespondiere aber eine sachlichinhaltliche Legitimation dieser Repräsentationsorgane. Diese bestehe in deren Wahl durch die normunterworfenen Belegschaftsangehörigen, also auch durch die Außenseiter. Alleine die tarifvertragliche Veränderung der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation führe nicht zu einem Wegfall der so hergestellten sachlich-inhaltlichen Legitimation der Betriebsräte, weil durch § 3 Abs. 1 BetrVG weder die Mitwirkungsbefugnisse der Betriebsräte, noch die Zusammensetzung, Bildung und Organisation der Repräsentationsorgane angetastet würden244 – was § 3 Abs. 5 Satz 2 BetrVG ausdrücklich klarstelle245. II. Keine Legitimation der Außenseitergeltung durch die Tarifautonomie Nach einer verbreiteten Ansicht246 werden die Tarifvertragsparteien bei der Regelung der betrieblichen Organisationsverfassung im Rahmen ihrer aus Art. 9 242 In diesem Zusammenhang ist auch der Ansatz von Reuter FS Schaub, S. 604 (S. 615) zu erwähnen, der im Hinblick auf die behauptete angeblich nicht vorhandene Fremdbestimmung der Außenseiter durch tarifvertragliche Betriebsnormen die Ansicht verwirft, nicht der Tarifvertrag selbst, sondern erst der Tarifnormvollzug durch den Arbeitgeber schaffe Fremdbestimmung; es komme nicht auf die Kategorien der Unmittelbarkeit oder der Mittelbarkeit an; entscheidend sei alleine die materiell-fremdbestimmende Wirkungsweise solcher Normen, unabhängig von der formal-juristischen Konstruktion. 243 Zu dieser Auffassung tendiert auch Thüsing ZIP 03, 693 (695), wohl auch Schwarze, S. 167, der in diesem Zusammenhang von „Potentialität der Freiheitsbeschränkung“ spricht. 244 Hiervon zu unterscheiden ist aber die vorliegend nicht weiter zu thematisierende Frage, ob jenseits des § 3 BetrVG durch Tarifvertrag die Mitwirkungsmöglichkeiten des Betriebsrats erweitert werden können; vgl. dazu Friese, S. 141 ff., S. 281 ff. 245 Friese ZfA 03, 237 (248 ff.); ähnlich Schwarze, S. 133, S. 143, S. 167; S. 194; zur Fremdbestimmung bzw. „Freiheitsrelevanz“ erst durch das Handeln der betrieblichen Repräsentationsorgane (Betriebsautonomie); dementgegen vor allem Giesen, S. 302 ff., S. 310, der zwar wie Friese a. a. O. nur eine mittelbare rechtliche Betroffenheit der Außenseiter, gleichwohl aber hierdurch deren Fremdbestimmung als gegeben sieht: „Jede vorgeschaltete „organisatorische“ Entscheidung, wie sie dort (u. a. in § 3 BetrVG, Anm. d.Verf.) vorgesehen ist, wirkt sich auf die Art und Weise ihrer Interessenwahrnehmung aus, weil sich stets unmittelbar die Repräsentation von Interessen des einzelnen Außenseiters und auch der Gruppe der Außenseiter ändert“; ähnlich Annuß NZA 02, 290 (291); ähnlich auch Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 139 („Zwangsmitgliedschaft in einem gewillkürten Verband“); dies. a. a. O. bestreiten überdies die von Friese a. a. O. behauptete sachlich-inhaltliche Legitimation durch die Wahl des Betriebsrats aufgrund des vorliegenden Organisationstarifvertrags; diese könne nur dadurch hergestellt werden, dass jede Einheit zunächst im Wege der Urabstimmung der betrieblichen Neugliederung zustimmte; in diese Richtung auch Kissel FS Hanau, S. 547 (S. 553); hiergegen aber wohl BAG v. 10.11.2004 – 7 ABR 17/04 = NZA 05, 895 LS 3; zur von Friese a. a. O. erwähnten Funktion des § 3 Abs. 5 Satz 2 BetrVG siehe auch Annuß NZA 02, 290 (292); Hohenstatt/Dzida DB 01, 2498 (2499 f.); GKKraft § 3 Rdnr. 26.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Abs. 3 GG herzuleitenden Tarifautonomie tätig, wobei als Kern der Tarifautonomie deren Normsetzungskompetenz angesehen wird. Weil nur die einheitliche Regelung dieser Materie sinnvoll, zweckmäßig bzw. überhaupt möglich sei, müssten alle Arbeitnehmer von der verfassungsrechtlich garantierten Normsetzung erfasst werden können, unabhängig davon, ob sie der tarifschließenden Gewerkschaft, einer anderen, oder aber gar keiner Gewerkschaft zugehörig seien. Diese Außenseitererfassung liege im Rahmen der Schranken der negativen Koalitionsfreiheit, so dass die Außenseiter ihre Erfassung folglich hinzunehmen hätten247. Denn andernfalls – so die logische Folge – hätte die Normsetzungskompetenz der Tarifvertragsparteien kaum je einmal praktische Entfaltungsmöglichkeiten248. Den Grundrechtspositionen der Außenseiter und Andersorganisierten wird nach dieser Auffassung dadurch Rechnung getragen, dass die Normerstreckung nur dort als erlaubt angesehen wird, wo die Einbeziehung der Außenseiter aus Sachgründen (unbedingt) notwendig ist, um die sinnvolle Normsetzung in betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten überhaupt zu ermöglichen249, oder indem behauptet wird, dass von der Normerstreckung auf die Außenseiter „kein sozial inadäquater Druck in Richtung auf den Beitritt oder das Verlassen einer Gewerkschaft ausgehe“ – weswegen auch kein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit festgestellt werden könne250. Es wurde dementgegen bereits oben erörtert251, warum aus der aus Art. 9 Abs. 3 GG abgeleiteten Tarifautonomie heraus nicht weiter auch eine verfassungsrechtlich verbürgte Normsetzungskompetenz der Tarifvertragsparteien für den Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes hergeleitet werden kann. Besteht 246 Däubler § 4 III. Rdnr. 113; Gamillscheg KollArbR I, S. 717 ff.; ders. Differenzierung, S. 97; Heinkel, S. 31 ff.; S. 39 f.; Jahnke, S. 31; Säcker/Oetker, S. 69 f., 79 f.; Schwarze, S. 99, S. 113 f., S. 121, S. 155 ff., S. 196 ff.; Wagenitz, S. 46 ff., S. 67 f.; Wißmann, S. 33, S. 35 f. 247 Wagenitz, S. 68. 248 Ein anderer und konstruktiv einfacherer Begründungsansatz für die Außenseiterbindung ließe sich dadurch gewinnen, dass man die Tarifautonomie von vorneherein funktionell um eine allgemeine Ordnungsfunktion im Sinne der Befugnis zur Repräsentation der Interessen aller Arbeitnehmer und Arbeitgeber erweiterte, dazu Friese ZfA 03, 237 (242 f.) m.w. N.; eine solchermaßen „etatistische“ Auffassung vom Wesen der kollektiven Koalitionsfreiheit wurde aber bereits oben, siehe 2. Kap. § 1 B.II., zugunsten eines Verständnisses der kollektiven Koalitionsfreiheit als strikt privatautonome Bündelung der Einzelinteressen in der Koalition verworfen; Friese a. a. O. weist denn auch darauf hin, dass solchen im Kerne etatistischen Lehren zunehmend Skepsis entgegengebracht werde und die Ableitung einer allgemeinen Repräsentationsbefugnis der Koalitionen bislang nicht gelungen sei; gegen ein solchermaßen „korporatistisches Denken“ ganz grundsätzlich auch Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (275 ff., 282, 287 ff.). 249 Schwarze, S. 114; ähnlich das BAG v. 26.04.1990 – 1 ABR 84/87 = AP Nr. 57 zu Art. 9 GG Gründe B. V. 2. b. 250 Heinkel, S. 39 f. 251 Siehe oben 4. Kap. § 2 A.

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aber schon keine solche verfassungsrechtliche Gewährleistung für die Normsetzung an sich, so kann die Außenseitergeltung natürlich auch nicht damit begründet werden, dass ohne sie die verfassungsrechtlich zu beanspruchende Normsetzungskompetenz in betriebsverfassungsrechtlichen Fragen unterlaufen werden würde. Außerdem ist der Versuch der Herstellung praktischer Konkordanz mit den Interessen der nicht bei der tarifschließenden Gewerkschaft Organisierten durch eine Begrenzung auf den Bereich des sachlich Sinnvollen oder gar Unerlässlichen kaum tauglich, tatsächlich eine Berücksichtigung der Außenseiter zu gewährleisten. Denn als „sinnvoll“, „zwingend“ oder „evident zweckmäßig“ lässt sich nahezu jede Regelung qualifizieren, weswegen der Erstreckung der Normen auf die Außenseiter letztlich keine handhabbaren Grenzen gezogen werden könnten252. Mit der Berufung auf die Tarifautonomie der tarifschließenden Gewerkschaft lässt sich die Außenseiterbindung mithin nicht legitimieren253. III. Abschaffung des präventiven staatlichen Zulassungsverfahrens für Organisationstarifverträge als unüberbrückbares Legitimationsdefizit? Die Abschaffung des staatlichen Genehmigungserfordernisses mit der Betriebsverfassungsnovelle 2001 steht im Zentrum der Überlegungen, welche um die Verfassungsgemäßheit des § 3 Abs. 1 BetrVG kreisen254. 1. Legitimation durch ausdrückliches staatliches Genehmigungserfordernis – „Theorie vom hoheitlichen Rechtsetzungsakt“ a) Befürwortende Stimmen Ausgehend von einem privatautonomen Verständnis der Koalitionsfreiheit und der damit verbundenen Sichtweise, dass die Regelungsmacht der Tarifparteien auf deren Mitglieder beschränkt bleiben muss, wird als zentrale Legitimationsbasis für die Bindung der Außenseiter und der Andersorganisierten die verfahrensmäßige Einbindung des Staates in die tarifliche Normsetzung ange252 So auch Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (284), der in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf Wiedemann-Oetker § 3 Rdnr. 144 die tatsächliche Wirkung solcher Formeln zur Herstellung praktischer Konkordanz auf einen bloßen Appell zur „Zurückhaltung“ begrenzt sieht. 253 Ähnlich Friese ZfA 03, 237 (242 ff.). 254 Nicht untersucht werden soll im vorliegenden Zusammenhang, inwieweit die verfassungsrechtliche Kritik an der Zulässigkeit von außenseitererfassenden Organisationstarifverträgen, die auch schon vor Abschaffung des staatlichen Genehmigungsvorbehalts gem. § 3 Abs. 2 BetrVG a. F. vorhanden war, gerechtfertigt war; siehe hierzu aber ausführlich Heinkel, S. 26 f. m.w. N.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

sehen255. Nach dieser Auffassung werden die Tarifpartner bei der tariflichen Regelung der Organisationsverfassung nicht aufgrund ihrer originären und tarifautonomen (Letzt-)Zuständigkeit tätig. Vielmehr stelle § 3 BetrVG eine besondere gesetzliche Ermächtigung dar, vermöge derer die Rechtsetzung der Tarifvertragsparteien auf öffentlich-rechtlicher Grundlage (qua Delegation256) erfolge – und damit letztlich einen „hoheitlichen Rechtssetzungsakt“ darstelle257. Picker258 verwendet hierfür sogar den ansonsten im öffentlichen Recht gebräuchlichen Begriff des „beliehenen“ Aufgabenträgers. Im Rahmen einer solchen Systematik fungierte der – ersatzlos gestrichene – Genehmigungsvorbehalt des § 3 Abs. 2 BetrVG a. F.259 als staatlicher Anerkennungsakt, der als Mitwirkungsakt den ausschlaggebenden Rechtsgrund für die Geltung des Tarifvertrages und damit die demokratische Legitimation für dessen Außenseitergeltung darstellte. Denn mit der Einbindung des Staates wurde eine Institution herangezogen, an deren Willensbildung der Außenseiter zumindest potentiell verfahrensmäßig-demokratisch beteiligt war260. Ohne einen solchen in der staat255 Biedenkopf Bundesrats-Plenarprotokoll 761, S. 127; Eich FS Weinspach, S. 17 (S. 32); GK-Kraft § 3 Rdnrn. 42 ff.; Link AuA 99, 406 (409); Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (282 f., 288); Reuter FS Schaub, S. 605 (S. 619); Richardi Kollektivgewalt, S. 246, S. 251; Richardi 7. Auflage Einleitung Rdnr. 139, § 3 Rdnrn. 12 ff.; Richardi-Richardi Einleitung Rdnr. 141, § 3 Rdnrn. 5 f.; Rieble RdA 93, 140 (142, 144); Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 566); vorsichtig in diese Richtung Hanau RdA 01, 65 (66, 74), ders. NJW 01, 2513 (2514); wohl auch Wendeling-Schröder NZA 99, 1065 (1071); dies. sehr vorsichtig in diese Richtung auch in AiB 01, 132; so auch ähnlich vorsichtig in diese Richtung Heither FS Schaub, S. 295 (S. 299): „Das Zustimmungsbedürfnis zeigt ein Rechtfertigungsbedürfnis auf“. 256 Deshalb erfasst Friese ZfA 03, 237 (240 f.) diese Lehren terminologisch auch als „Delegationslehren“; siehe zur grundsätzlichen Kritik an der „Delegationstheorie“ auch May, S. 35 ff. 257 Annuß NZA 02, 290 (291); Link AuA 99, 406 (409); Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (282 f.); Reichold NZA 01 Sonderbeilage zu Heft 24, 32 (35); ders. NZA 01, 857 (859); Richardi 7. Auflage Einleitung Rdnr. 139; Richardi-Richardi Einleitung Rdnr. 141, § 3 Rdnr. 6; ders. NZA 01, 346 (349); Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 562 f.) – für die tarifliche Schlichtungsstelle; im Ergebnis auch Hohenstatt/Dzida, DB 01, 2498 (2501); Reuter FS Schaub, S. 605 (S. 613 f., S. 619); ders. ZfA 95, 1 (46 ff.); ders. RdA 94, 152 (153); umfassend Giesen, S. 189 ff., 224; ders. BB 02, 1480 (1485); ähnlich Kissel FS Hanau, S. 547 (S. 552) – für die Allgemeinverbindlicherklärung; anders Friese ZfA 03, 237 (240), die unter Berufung auf Kirchhof, S. 159 ff. die Delegation staatlicher Normsetzungsmacht als grundsätzlich bedenklich ansieht und die sich insbesondere gegen den „öffentlich-rechtlichen Einschlag“ dieser Erklärungsversuche ausspricht; im Ergebnis verfügten die Tarifvertragsparteien trotz der einfach-gesetzlichen Normsetzungsbefugnis hierdurch nicht über die von den „Delegationslehren“ behauptete demokratische Legitimation für die Rechtsetzung. 258 Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (283, 288); hiergegen Giesen BB 02, 1480 (1485), der aber trotz der Kritik an einem Modell staatlicher „Beleihung“ im Ergebnis der Delegationslehre folgt. 259 Aufgehoben durch das Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 27.07.2001 (BGBl. I, S. 1852 ff.); das vormalige staatliche Genehmigungserfordernis bestand in der Genehmigung durch die oberste Arbeitsbehörde des Landes bzw. des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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lichen Mitwirkung liegenden Rechtsgrund nehmen diese, den staatlichen Mitwirkungsakt als conditio-sine-qua-non für die Legitimation der Außenseitergeltung begreifenden Auffassungen, eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit der Außenseiter, der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG, der Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG oder auch eine Verletzung des Demokratiegebots gem. Art. 20 Abs. 2 GG oder des Rechtsstaatsgebots des Art. 20 Abs. 3 GG261 an, und kommen deshalb zur Wertung des § 3 Abs. 1 BetrVG jetziger Fassung als verfassungswidrig: Der Wegfall des staatlichen Genehmigungserfordernisses erweist sich aus dieser Sicht als unüberbrückbares Legitimationsdefizit im Hinblick auf die Rechte der Andersorganisierten und der Außenseiter.

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Giesen BB 02, 1480 (1484); Spinner, S. 122 ff. Biedenkopf BR-Protokoll 761. Sitzung, S. 127 f. – negative Koalitionsfreiheit; Eich FS Weinspach, S. 17 (S. 32) – negative Koalitionsfreiheit; GK-Kraft § 3 Rdnrn. 42 ff. – Verletzung des Art. 9 Abs. 3 GG, negative Koalitionsfreiheit, Verletzung der durch Art. 2 Abs. 2, 12 Abs. 1 GG geschützten Privatautonomie; Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (282 ff.) – im Kern wohl negative Koalitionsfreiheit; Rieble RdA 93, 140 (142, 144) sieht im Zusammenhang mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Außenseitererstreckung gem. § 3 Abs. 2 TVG nicht die negative Koalitionsfreiheit, sondern das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 GG als betroffen an, weil diese davor schütze, Normbefehle zu erhalten, die nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung gehörten – zur verfassungsmäßigen Ordnung gehörten aber nur Normsetzungen, die staatlich legitimiert seien; im Ergebnis entspreche daher das staatliche Genehmigungserfordernis für jene die betriebsverfassungsrechtliche Organisation betreffenden Tarifverträge einem Gebot der Verfassung; siehe auch – im Ergebnis unter Betonung der Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit – ders. Arbeitsrecht 2001, S. 25, S. 49 f.; Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 563 ff., S. 566) – Verletzung des Art. 20 Abs. 2 GG; Spinner, S. 45 ff., S. 125 f. – negative Koalitionsfreiheit; in diese Richtung auch Dieterich FS Däubler, S. 451 (S. 456 ff.), der die staatliche Anerkennung tariflicher Normen als den allgemeinen Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats geschuldet begreift, und der deshalb das Rechtsstaatsprinzip und dessen Konkretisierungen in Art. 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 Satz 2 GG als legitimationstheoretisch betroffen ansieht; ähnlich Kissel FS Hanau, S. 547 (S. 552 ff.), der letztlich sogar trotz staatlicher Einschaltung die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter und Nichtorganisierten als „nicht verwirklichbar“ ansieht; abgeschwächt Kempen FS Schaub, S. 357 (S. 366 f.), der die staatliche Mitwirkung als im Hinblick auf die Anders- und Nichtorganisierten als „legitimiert“ ansieht; anders aber z. B. Däubler ArbuR 01, 1 (2), der ohne jegliches Eingehen auf die verfassungsrechtliche Problematik den Wegfall des staatlichen Genehmigungserfordernisses als „ersichtlich sachgerecht“ wertet; ähnlich Gamillscheg FS Molitor, S. 133 (S. 134, S. 137 f.) – es könne auch ohne staatliche Genehmigung davon ausgegangen werden, dass die Tarifpartner nichts vereinbaren, was dem Grundgedanken des Gesetzes zuwiderlaufen würde; was die Arbeitsbehörden überhaupt zu genehmigen hätten, sei „freilich wenig erforscht“; ders. KollArbR I, S. 606 – „eine weniger obrigkeitsstaatliche Einstellung wäre . . . angemessen“, auch S. 717 ff.; siehe dazu auch DKKTrümner § 3 Rdnr. 1, AK-GG-Kittner/Schiek Art. 9 Abs. 3 Rdnr. 127; Pauli ArbuR 00, 411 (413); Wißmann, S. 52 ff., welche die verfassungsrechtliche Problematik im Gegenteil darin sehen, dass das staatliche Genehmigungserfordernis eine unzulässige Beschränkung der Tarifautonomie darstellt (e); vorsichtig in diese Richtung auch Kort in Anm. zu BAG v. 24.01.2001 – 4 ABR 4/00 = AP Nr. 1 zu § 3 BetrVG 1972. 261

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

b) Gegenstimmen Dem wird – ausgehend von einer die Tarifautonomie betonenden Sichtweise262 – entgegengehalten, das staatliche Genehmigungserfordernis des § 3 Abs. 2 BetrVG a. F. habe die Außenseiterbindung gar nicht rechtfertigen können. Die Außenseiterbindung sei nämlich notwendiger Reflex tarifautonomer Regelung solcher Sachbereiche, die nur betriebseinheitlich regelbar seien. Deshalb ergebe sich die Außenseitererfassung bei Normen von Organisationstarifverträgen unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG263, die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter habe demgegenüber hintanzustehen264. Infolgedessen sei das Genehmigungserfordernis des § 3 Abs. 2 BetrVG a. F. keine Rechtfertigung der Außenseiterbindung (gewesen), vielmehr sei umgekehrt das Genehmigungsbedürfnis im Hinblick auf die Tarifautonomie und damit die positive Koalitionsfreiheit der tarifvertragsschließenden Verbände verfassungsrechtlich problematisch (gewesen)265. Auch habe der Genehmigungsvorbehalt nicht dem verfassungsrechtlichen Außenseiterschutz, sondern nur der Sicherstellung der Beachtung der zwingenden Grundprinzipien der Betriebsverfassung gedient266. 2. Legitimationsmöglichkeiten jenseits eines ausdrücklichen staatlichen Genehmigungserfordernisses? Der verfassungsrechtlichen Wertung einer durch die Abschaffung des staatlichen Genehmigungserfordernisses aufgerissenen und nicht überbrückbaren Legitimationslücke im Hinblick auf die Außenseitererfassung laufen – jenseits der oben bereits abgelehnten Berufung auf die Tarifautonomie267 – vor allem noch zwei weitere Begründungsansätze entgegen: Zum einen die Vorstellung, dass nach der Abschaffung des Genehmigungserfordernisses die Neuregelung des § 3 Abs. 1 BetrVG selbst als Delegationsnorm mit Legitimierung der Außensei262

Schwarze, S. 113; Wißmann, S. 33. Wißmann, S. 35 f.; wohl auch DKK-Trümner § 3 Rdnr. 1, ähnlich Schwarze, S. 114. 264 Wagenitz, S. 68. 265 DKK-Trümner § 3 Rdnr. 1, AK-GG-Kittner/Schiek Art. 9 Abs. 3 Rdnr. 127; Pauli ArbuR 00, 411 (413); Wißmann, S. 52 ff.; in diese Richtung auch Gamillscheg KollArbR II, S. 606, der allerdings au der anderen Seite in der Absicht der Mehrheitsgewerkschaft, die Mehrheitsverhältnisse im Betrieb zu der Konkurrenzgewerkschaft zu verändern, einen möglichen Anwendungsfall des Genehmigungserfordernisses gesehen hat; hiergegen siehe aber Picker RdA 01 Sonderbeilage 259 (283). 266 So Fitting 18. Auflage § 3 Rdnr. 56; GK-Kraft 6. Auflage § 3 Rdnr. 39, jeweils mit Verweis auf die Begründung des Gesetzentwurfs; Heinkel, S. 28; Plander NZA 02, 483 (487); Trümner JbArbR 36 (1999), 59, (61 ff.); Wißmann, S. 235 f.; in diese Richtung auch Gamillscheg KollArbR II, S. 606; siehe dazu auch die Begründung des RegEntw. zu § 3 a. F. BR-Drucks. 715/70, S. 36; BT-Drucks. VI/1786, S. 6; anders Kempen FS Schaub, S. 357 (S. 366); Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 138. 267 Siehe oben 4. Kap. § 2 A. II.; C. II. 263

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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tererfassung fungieren könnte, und zum anderen die Deutung des § 3 Abs. 2 TVG als staatlich-gesetzliche Vorschrift mit (hinreicheichender) Legitimationswirkung für die Erfassung der Außenseiter und der Andersorganisierten. a) § 3 Abs. 1 BetrVG als „Erneuerung der Beleihung durch den Staat“ Die konstruktive Möglichkeit, dass nach der Abschaffung des Genehmigungserfordernisses die Neuregelung des § 3 Abs. 1 BetrVG selbst als Delegationsnorm mit Legitimierung der Außenseitererfassung gesehen werden könnte, wird von Picker268 angesprochen, aber auch sofort als vollkommen untauglicher „Kunstgriff“ wieder verworfen: Es sei nicht möglich, der neuen Bestimmung (gemeint ist der mit der Novelle 2001 eingeführte neue § 3 Abs. 1 BetrVG) „Beleihungsqualität“ mit der Wirkung der Legitimierung der Außenseitererfassung zuzuerkennen. Denn dies „verbiete schon der Wille der Schöpfer des . . . Gesetzes: einer Vorschrift, die eine staatliche Ermächtigung aufhebt, ihrerseits just die verworfene Funktion wieder beizulegen“269. Schließlich sei es dem Gesetzgeber gerade um die „staatsbefreite“ Regelungskompetenz für die Tarifvertragspartner gegangen. Außerdem litte eine solche „erneute Delegation staatlicher Kompetenzen“ am „Ausfall der elementaren Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit einer solchen Beleihung270: Denn weder könne der erfasste Außenseiter gegen die Tarifvertragsparteien auf demselben Rechtsschutzweg – mit der verwaltungsgerichtlichen Klage – wie gegen den beleihenden Staat vorgehen, noch bestünde die für eine Rechtmäßigkeit der Beleihung unbedingt erforderliche staatliche Überwachung der „beliehenen“ Tarifvertragsparteien. Eine auftragsweise Erfüllung staatlicher Aufgaben ohne staatliche Aufsicht sei aber nicht systemgerecht und damit untragbar271. Die grundsätzliche Möglichkeit, § 3 Abs. 1 BetrVG als eine solche Delegationsnorm mit unmittelbar legitimierender Wirkung der Außenseitererstreckung der in diesem Rahmen geschaffenen Normen zu begreifen, wird dementgegen aber insbesondere von Giesen272 bejaht. Im Ergebnis wird diese Vorschrift von 268

Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (283 f.); zustimmend Richardi § 3 Rdnrn.

5 f. 269

Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (283 f.). Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (283 f.). 271 Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (284). 272 Giesen, S. 308 ff.; ders. BB 02, 1480 (1486); Giesen untersucht die Legitimationsproblematik insofern direkt anhand des § 3 Abs. 1 BetrVG ohne Umweg über die Normerstreckungsvorschrift des § 3 Abs. 2 TVG; siehe dazu aber andererseits auch Giesen, S. 302 f., wo dann doch die Transmissionswirkung des § 3 Abs. 2 TVG anklingt; siehe auch die kritische Auseinandersetzung mit Giesen a. a. O. bei Thüsing ZIP 03, 693 (694 f.), der in diesem Zusammenhang auch diesen dogmatischen Unterschied anspricht. 270

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

ihm aber gleichwohl mangels hinreichender Bestimmtheit als verfassungswidrig verworfen. b) Legitimation der Außenseiterbindung durch § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 1 Satz 2, Satz 1 TVG als Transmissionsnormen für tarifliche Regelungen der betrieblichen Organisationsverfassung? § 3 Abs. 2 i.V. m. § 4 Abs. 1 Satz 2, Satz 1 TVG ordnet die Erstreckung der Normwirkung von Tarifverträgen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen auf alle Betriebe, und damit unterschiedslos auf alle Arbeitnehmer – unabhängig von deren Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft – an. Es verwundert daher nicht, wenn dieser gesetzlichen Vorschrift deswegen die Qualität der für die Außenseitergeltung notwendigen Legitimationsgrundlage zugeschrieben wird273. Die von den Delegationslehren274 als für die Außenseiterbindung verfassungsrechtlich notwendige, und daher in den Mittelpunkt der Legitimationsanforderungen gestellte erforderliche Mitwirkung des Staates an der Normsetzung, wird aus solcher Sichtweise heraus nicht grundsätzlich in Frage gestellt275; vielmehr wird im Ergebnis der tarifliche Normerstreckungsbefehl des § 3 Abs. 2 TVG als ausreichende staatlich-gesetzgeberische Mitwirkung angesehen („vorweggenommene staatliche Allgemeinverbindlicherklärung“)276: Lag die notwendige staatliche Mitwirkung vormals im Akt der staatlichen Genehmigung gem. § 3 Abs. 2 BetrVG a. F., mit welcher der Staat – in legitimationstheoretischer Sicht – die Tarifnormen in seinen Willen aufnahm und damit die verfassungskonforme Transmission von Tarifnormen für alle Arbeitnehmer des Betriebs bewirkte, so wird diese Transmissionsfunktion (nunmehr277) auf § 3 Abs. 2 TVG gestützt278. 273

Dieterich FS Däubler, S. 451 (S. 457 f.); Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 12. Siehe dazu bereits oben 4. Kap. § 2 C. III. 275 Anders aber Gamillscheg KollArbR II, S. 565 ff., der in der weit verbreiteten Forderung nach staatlicher Einbindung bei der Außenseitererstreckung ein Element „juristischer Romantik“ und eine „unverständliche Staatsgläubigkeit“ wirken sieht. 276 So insbesondere Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 18: „Der Gesetzgeber hat . . . mit dem Tarifvertragsgesetz (gemeint ist in concreto § 3 Abs. 2 TVG), also in rechtsstaatlich einwandfreier Weise, die Erstreckung von Tarifnormen auf Außenseiter angeordnet . . .; dies. a. a. O. Rdnr. 12: § 3 Abs. 2 TVG als vorweggenommene „generelle Allgemeinverbindlicherklärung“. 277 Schon vor der Abschaffung des staatlichen Genehmigungserfordernisses mit der BetrVerf-Novelle 2001 wurde § 3 Abs. 2 TVG als legitimierende Transmissionsnorm angesehen; so im Sinne einer Regelungsermächtigung oder einer „pauschalen Allgemeinverbindlicherklärung Däubler Tarifvertragsrecht Rdnr. 803 ff.; Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 12; ähnlich Säcker/Oetker, S. 135. 278 Heinkel, S. 23 f., 35 ff.; ähnlich Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 12, die in § 3 Abs. 2 TVG eine vorweggenommene generelle Allgemeinverbindlicherklärung erkennen wollen; in diese Richtung im Ergebnis wohl auch Plander NZA 02, 483 (484, 488); nach Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (284) steht diese Sichtweise unausgesprochen hin274

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Die Vertreter dieser Auffassung können mithin konsequenterweise auch kein durch den Wegfall des Genehmigungserfordernisses entstandenes „unüberbrückbares Legitimationsdefizit“ im Hinblick auf das Problem der Erfassung der Außenseiter und Andersorganisierten durch betriebsverfassungsrechtliche Tarifverträge erkennen. c) Die Verfassungsmäßigkeit von § 3 Abs. 2 TVG in der Sicht von Literatur und Rechtsprechung Wäre allerdings § 3 Abs. 2 TVG selbst als verfassungswidrig anzusehen, so wäre einer auf dieser Vorschrift beruhenden Legitimation der Außenseitergeltung von vorneherein der Boden entzogen. Weil in diesem Falle die erforderliche staatliche Mitwirkung weder durch ein staatliches Genehmigungserfordernis, noch durch eine zur verfassungsmäßigen Ordnung gehörenden gesetzlichen Transmissionsregelung vorhanden wäre, könnte es auch für die Vertreter der letztgenannten Auffassung keine Normerstreckung auf Außenseiter oder Andersorganisierte geben. Im Ergebnis liefen die Neuregelungen in § 3 Abs. 1 BetrVG dann leer: Die zwangsläufig279 auf betriebseinheitliche Geltung angelegten betriebsverfassungsrechtlichen Normen könnten dann nämlich in Ermangelung der Einbeziehung auch der Nicht-Tarifgebundenen keine tatsächliche Wirkung entfalten280. Aus diesem Grunde ist auch § 3 Abs. 2 TVG auf seine Verfassungsmäßigkeit hin zu untersuchen281.

ter der Regelung der Novelle; Picker, a. a. O., verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Äußerungen des seinerzeitig zuständigen Bundesministers Walter Riester im Zusammenhang mit der Begründung der Novelle in Bundesrat, Plenarprotokoll 761, S. 133. 279 Siehe oben 4. Kap. § 2 B. 280 Eine konstruktiv denkbare – allerdings als nach seiner Auffassung als durchsichtige Rabulistik zu verwerfende – Legitimation der Außenseitergeltung jenseits des § 3 Abs. 2 TVG durch „erneute Ermächtigung durch den Staat“ qua Interpretation der Neuregelungen des § 3 Abs. 1 BetrVG als quasi selbsttragende und neue und „nur eben modifizierte Legitimation durch den Staat“ durch Erlass staatlicher Ermächtigungsnormen spricht allerdings Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (283 f.) an: Es sei widersprüchlich, der Aufhebung des staatlichen Genehmigungserfordernisses wegen gesetzgeberseitig angenommener Sachwidrigkeit just die verworfene Ermächtigungsfunktion auf diesem Umwege wieder zuzuerkennen; insofern gelte nämlich die grundsätzliche Vermutung für die Sinnhaftigkeit staatlicher Normsetzung; schließlich sei es dem Gesetzgeber bei der Abschaffung des Genehmigungserfordernisses ausdrücklich gerade um „Staatsbefreiung“ gegangen; außerdem würde so das „Rechtskuriosum einer auftragsweisen Erfüllung staatlicher Aufgaben ohne staatliche Aufsicht“ geschaffen; dem ist zuzustimmen. 281 Wobei sich die Untersuchung auf die Grundlinien zu beschränken hat: Zu Recht nämlich weist bspw. Annuß NZA 02, 290 (291, Fn. 14), auf die Unübersehbarkeit der Literatur zu diesem Problemkreis hin.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

aa) Stellungnahmen in der Literatur (1) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit Als im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlich zumindest problematisch wird § 3 Abs. 2 TVG von einer ganz verbreiteten Auffassung in der Literatur angesehen282. Gegenstand der Problematisierung ist dabei die zwangsweise Normunterwerfung der Außenseiter283 unter die Tarifgewalt einer Gewerkschaft, die von ihnen nicht mitgliedschaftlich legitimiert ist284. Dabei wird auch die Konsequenz gezogen, dass § 3 Abs. 2 TVG aus diesem Grunde wegen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 3 GG als verfassungswidrig anzusehen ist285. Die Vertreter dieser Auffassungslinie gehen dabei von einem Verständnis der negativen Koalitionsfreiheit aus, welches auch die Nichterfassung des nicht organisierten Arbeitnehmers durch Rechtswirkungen eines nicht mitgliedschaftlich legitimierten Tarifvertrages zum Inhalt hat286, wobei diese Sicht mit der Argumentation eines angenommenen Verstoßes gegen das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG durch die Außenseitererfassung durch § 3 Abs. 2 TVG zusammenfließt287. Vereinzelt wird eine – allerdings im Ergebnis nicht durchschlagende – verfassungsrechtliche Problematik in umgekehrter Pers282 Siehe Biedenkopf, S. 307 ff., der dem diesbzgl. Legitimationsdefizit durch die legitimierende Wirkung der staatlich-gerichtlichen entgegenwirken will, a. a. O., 316 f.; Dieterich FS Däubler, S. 451 (S. 455 f.); Kissel FS Hanau, S. 547 (S. 552 ff.); Lieb Rdnr. 539; ders. schon in RdA 67, 441 (442 f.); Papier RdA 89, 137 (141); Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (284 ff.); Reuter FS Schaub, S. 605 (S. 613 ff.); ders. ZfA 95, 1 (46 ff.); ders. RdA 94, 152 (165); Richardi Kollektivgewalt, S. 214 f., S. 229 ff.; Rieble ZIP 01, 133 (137); Schleusener ZTR 98, 100 (103); Wagenitz, S. 41 ff., 48 f., 57; Zöllner RdA 62, 453 (458 f.); ders. RdA 64, 443 (446 f.); Zöllner/Loritz § 36 II. 3., S. 396 f.; § 8 IV. 5., 121; leise zweifelnd auch Spilger, S. 53; vorsichtige Zweifel unter dem Aspekt der Legitimation im Hinblick auf die Außenseiter meldet auch Franzen ZfA 01, 423 (427) an. 283 Ausdrücklich problematisieren Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 19 in diesem Zusammenhang auch die Unterwerfung der Andersorganisierten (regelmäßig also der Mitglieder der Minderheitsgewerkschaften) und deren Recht auf positive Koalitionsfreiheit, allerdings ohne diese Bedenken im Hinblick auf die Verfassungsgemäßheit des § 3 Abs. 2 TVG durchschlagen zu lassen. 284 So formuliert Reuter RdA 94, 152 (165), ders. ZfA 95, 1 (47), § 3 Abs. 2 TVG laufe darauf hinaus, den Gewerkschaften den Einfluss zu garantieren, den sie nach dem Sinn der Koalitionsfreiheit erst durch das Vertrauen der betroffenen Arbeitnehmer verdienen sollen. 285 Buchner Tarifvertragsgesetz, S. 67 ff.; ders. RdA 66, 208 (209); Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 566 f., Fn. 40); auch Zöllner/Loritz § 8 IV. 5., S. 121. 286 Buchner Tarifvertragsgesetz, S. 60 f.; Picker RdA 01Sonderbeilage, 259 (285); Reuter FS Schaub, S. 605 (S. 611); siehe zu diesem Verständnis der negativen Koalitionsfreiheit auch Schüren RdA 88, 138 (139, 142); Zöllner RdA 62, 453 (458); ders. Rechtsnatur, 22 f.; diese Sicht teilt auch Schleusener ZTR 98, 100 (101); siehe auch Koller ZfA 78, 45 (59 ff.), der auf die Funktion der Außenseiterfreiheit als „bedeutsames Gegengewicht gegen die Macht der Koalitionen“ hinweist. 287 Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 566 f., Fn. 40).

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pektive des § 3 Abs. 2 TVG sogar darin gesehen, dass die Außenseitererfassung zu einem Mitgliederschwund und damit zu einer Schwächung der tarifschließenden Gewerkschaft führen könne, was einen Verstoß gegen die positive Koalitionsfreiheit dieser Gewerkschaft bedeuten könne288. Gegenstand der Diskussion ist auch die positive Koalitionsfreiheit der nicht bei der tarifschließenden Gewerkschaft Organisierten289 sowie die kollektive Koalitionsfreiheit der nicht tarifschließenden Gewerkschaft selbst290 – die regelmäßig die Minderheitsgewerkschaft sein wird. Den Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 TVG im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit wird im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG teilweise dadurch begegnet, dass die Außenseitergeltung auf diejenigen Fälle beschränkt werden soll, in denen für diesen Personenkreis keine belastenden Wirkungen entstehen291. Dies muss dann allerdings auf die von Friese292 eingebrachte These zurückführen, nach der im Ergebnis die Außenseitererfassung mangels belastender Fremdbestimmung keiner weiteren Legitimation bedarf. Biedenkopf 293 will das Legitimationsproblem letztlich dadurch lösen, dass er der Außenseitererfassung eine „verdichtete“ – also tatsächlich effektive – Rechtskontrolle entgegensetzt. (2) Bejahung der Verfassungsmäßigkeit Die Gegenauffassung294 sieht – auch jenseits der bereits oben295 abgelehnten Berufung auf die unmittelbar heranzuziehende Tarifautonomie – die Legitimation der Außenseitergeltung vor allem und meistens in der „Natur der Sache“296: Weil Normen im Sinne von § 3 Abs. 2 TVG notwendigerweise betriebseinheitliche Geltung haben müssten, sei auch die Außenseitererstreckung 288 Siehe Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 19, im Ergebnis aber verneint; in diese Richtung auch Heinkel, S. 36, S. 38; ein wenig scheint diese Argumentation argumentationstechnisch darauf hinauszulaufen, dass der Angriff auf § 3 Abs. 2 TVG unter dem Aspekt der Verletzung der positiven Koalitionsfreiheit die beste Verteidigung gegen die dann nicht weiter vertiefend zu problematisierenden Bedenken bzgl. der negativen Koalitionsfreiheit darstellt. 289 Buchner Tarifvertragsgesetz, S. 67 ff.; ähnlich ders. RdA 64, 208 (209); Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 19; Richardi Kollektivgewalt, S. 215. 290 Buchner Tarifvertragsgesetz, S. 67 ff.; Richardi Kollektivgewalt, S. 215. 291 Lieb RdA 67, 441 ff.; Loritz, 41 ff., 55 ff.; Richardi Kollektivgewalt, S. 229 ff., S. 236 f.; Zöllner/Loritz § 36 II. 3., S. 396 f.; für eine restriktive Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG auch Schleusener ZTR 98, 100, 108 f.) uns Schüren RdA 88, 138 (139). 292 Siehe oben 4. Kap. § 2 C. I., Friese ZfA 03, 237 (248 ff.); siehe auch Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 572 f.) zur verwandten Problematik bei den tariflichen Schlichtungsstellen. 293 Biedenkopf, S. 315 f. 294 Siehe dazu die umfassende Darstellung des Streitstandes bei Spilger, S. 48 ff. 295 Siehe 4. Kap. § 2 C. II.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

nicht als Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit oder als Verletzung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips anzusehen297. Hiervon ausgehend wird dann § 3 Abs. 2 TVG dogmatisch auch als „generelle Allgemeinverbindlicherklärung für Tarifnormen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen für alle Arbeitsverhältnisse eines tarifgebundenen Arbeitgebers“ eingeordnet298. Auch wird die Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 TVG damit begründet, dass eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit schon deshalb nicht vorliegen könne, weil deren Schutzbereich sich bereits in der Gewährleistung der Freiwilligkeit des kollektiven Zusammenschlusses erschöpfe299. Eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit sei nur dann anzunehmen, wenn sozial inadäquater Druck auf den Arbeitnehmer ausgeübt werde, einer Koalition beizutreten oder in ihr zu verbleiben. Und die Ausdehnung der Tarifgeltung auch auf die Außenseiter führe bei diesen Anforderungen an eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit im Gegenteil dazu, dass Arbeitnehmer gerade nicht zum Beitritt zu einer Gewerkschaft angehalten, sondern im Gegenteil hiervon eher abgehalten würden300. Grundsätzlicher argumentiert noch Gamill296 So spricht Picker NZA 02, 761 (769) im Zusammenhang mit solchen Begründungsversuchen von einer – zu verwerfenden – „Logik der Sache“. 297 Adomeit, S. 157; Badura ArbRdGgw 15 (1978), 17 (31); Däubler Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 298 f.; Gamillscheg KollArbR II, S. 558 ff., S. 718 ff.; Hanau, H. RdA 96, 158 (165 ff.); Heinkel, S. 38 ff.; Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 12; siehe auch Kempen FS Schaub, S. 357 (S. 371); Löwisch/Kaiser § 3 Rdnr. 18; Löwisch/Rieble MünchArbR § 261 Rdnr. 28; dies. TVG § 1 Rdnr. 141, § 3 Rdnrn. 12, 102; Säcker/Oetker, S. 141 ff.; Schmidt-Eriksen, S. 153; Wiedemann § 3 Rdnr. 138 unter Bezugnahme auf Schmidt-Eriksen, S. 196 f.; im Ergebnis trotz leiser Zweifel wohl auch Spilger, S. 53; ohne Begründung ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rdnr. 35; ähnlich auch Thüsing ZIP 03, 693 (698) – „die negative Koalitionsfreiheit wird hier durch legitime gesetzgeberische Interessen sachnaher Organisation aufgewogen“; in diese Richtung auch Reichold NZA 01 Sonderbeilage, 32 (34); ders. Arbeitsrecht § 12 Rdnr. 25; im Ergebnis für Verfassungsmäßigkeit auch Meik DB 90, 2522 (2524); Schleusener ZTR 98, 100 (109), der allerdings wegen der Notwendigkeit der Wahrung der negativen Koalitionsfreiheit und des Demokratieprinzips die „absolut notwendige“ Erstreckung i. S. der Wahrung der Ordnungsfunktion des Tarifvertrages fordert; zum restriktiven Verständnis der negativen Koalitionsfreiheit – nur Fernbleiberecht, aber kein Recht darauf, nicht von den Wirkungen des Tarifvertrags erfasst zu werden, wohl auch Koller ZfA 78, 45 (61 f.); siehe auch Schubert RdA 01, 199 (206 f.), die den Außenseiterschutz als im Rahmen des Art. 12 GG angesiedelt sieht. 298 Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 12; siehe dazu aber auch kritisch Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 18. 299 Dementsprechend kann nach Auffassung von Däubler/Hege Rdnr. 175, Säcker Grundprobleme, S. 36, die negative Koalitionsfreiheit nicht das Recht beinhalten, von der Normsetzungsbefugnis der Verbände verschont zu bleiben; an anderer Stelle formuliert Däubler Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 283 f., dass es dem Außenseiter schließlich freistehe, sich der tarifschließenden Gewerkschaft anzuschließen, um die Tarifnormen mitzugestalten – weshalb auch ein Verstoß gegen Art. 20 GG durch die Außenseitererfassung nicht vorliegen könne. 300 Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 20; Schmidt-Eriksen, 157 ff., 201 f.; ähnlich Heinkel, S. 36 ff.; wohl auch ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rdnr. 35.

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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scheg301, der den Gedanken des Außenseiterschutzes und der betroffenen negativen Koalitionsfreiheit bereits im Ansatz stark kritisiert, indem er die tarifliche Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens und die Humanisierung der Arbeitswelt sowie die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber – und eben nicht der tarifschließenden Kollektivgewalt gegenüber – hervorhebt. bb) Die Rechtsprechung302 (1) Das Bundesarbeitsgericht Das Bundesarbeitsgericht hat lange Zeit zur Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 TVG keine Stellung bezogen303. Ausdrücklich bejahte es dann aber, nach der inzidenter bereits vorher so vorgenommenen Wertung304, die Verfassungsmäßigkeit mit Beschluss vom 26.04.1990305. Im Hinblick insbesondere auf die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter verlangte es aber eine restriktive Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG: Die Erfassung der Außenseiter stelle nur dann keine erhebliche Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit dar, wenn die Regelung der Sachmaterie auf der Ebene des Individualarbeitsvertrags evident sachlogisch unzweckmäßig sei, und aus diesem Grunde die betriebseinheitliche Regelung erforderlich werde306. (2) Das Bundesverfassungsgericht Das Bundesverfassungsgericht hat sich zur Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 TVG noch nicht ausdrücklich geäußert. Es hat die mit der Zulässigkeit der Außenseitererfassung durch Tarifverträge zusammenhängenden Fragen307 301

Gamillscheg KollArbR II, S. 376, S. 561, S. 718. Siehe dazu ausführlich Wiedemann § 3 Rdnrn. 135 ff. 303 Siehe nur BAG v. 29.11.1967 – GS 1/67 = AP Nr. 13 zu Art. 9 GG I. 304 Siehe BAG v. 27.04.1988 – 7 AZR 593/87 = AP Nr. 4 zu § 1 BeschFG 1985 Gründe I. 3. b). 305 BAG v. 26.04.1990 – 1 ABR 84/87 = AP Nr. 57 zu Art. 9 GG B. V. 2. 306 BAG v. 26.04.1990 – 1 ABR 84/87 = AP Nr. 57 zu Art. 9 GG B. V. 2 b); zuvor bereits ähnlich BAG v. 27.04.1988 – 7 AZR 593/87 = AP Nr. 4 zu § 1 BeschFG 1985 Gründe I. 3. b) mit Hinweis sowohl auf die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter wie auch auf die kollektive Koalitionsfreiheit der tarifschließenden Gewerkschaft, die durch einen außenseitererfassenden Automatismus in ihrer Attraktivität für potentielle Mitglieder geschwächt werde; zu diesem Erfordernis betriebseinheitlicher Geltung siehe auch schon BAG v. 21.01.1987 – 4 AZR 486/86 = AP Nr. 46 zu Art. 9 GG Gründe; v. 21.01.1987 – 4 AZR 547/86 = AP Nr. 47 zu Art. 9 GG Gründe; fortgeführt in BAG v. 07.11.1995 – 3 AZR 676/94 = AP Nr. 1 zu § 3 TVG Betriebsnormen Gründe II. 2. a); sinngemäß wohl auch v. 01.08.2001 – 4 AZR 388/99 = AP Nr. 5 zu § 3 TVG Betriebsnormen I. 2. c) aa) bb). 302

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

jedoch in zwei Entscheidungen thematisiert, welche sich mit der Verfassungsmäßigkeit der Allgemeinverbindlicherklärung gem. § 5 TVG und der Verfassungsmäßigkeit einer dynamischen Verweisung eines Gesetzes auf eine tarifliche Vorschrift308 zu beschäftigen hatten309: In der „Heimarbeitsausschussentscheidung“310 vom 24.05.1977 hat es die Außenseitererfassung wegen des herausragenden Ranges des staatlichen Hoheitsakts mit seiner unabhängigen staatlichen Prüfung der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 TVG als verfassungsrechtlich tragfähig angesehen: Die tariflichen Bestimmungen erlangten die Qualität außenseitererfassender Rechtsregeln durch die staatliche Anerkennung im Verfahren der Allgemeinverbindlicherklärung, welches sicherstelle, dass der bindende Geltungsbefehl dem Staat vorbehalten bleibe311. Durch dieses – in diesem Zusammenhang ist zu betonen: der Außenseitererstreckung vorgeschaltetes312 – Verfahren sei die Außenseitererfassung durch die staatliche Mitwirkung noch ausreichend demokratisch legitimiert. Es gelte der Grundsatz, dass der Staat seine Normsetzungsbefugnis nicht in beliebigem Umfange außerstaatlichen Stellen überlassen und den Bürger nicht schrankenlos der normsetzenden Gewalt außerstaatlicher Stellen ausliefern dürfe, die ihm gegenüber nicht mitgliedschaftlich oder demokratisch legitimiert seien. Die Verfassungsmäßigkeit der Außenseitererfassung hänge deshalb im Sinne hierfür notwendiger demokratischer Legitimation konstitutiv von der parlamentarischen Letztverantwortlichkeit für die Normunterwerfung der Außenseiter ab, welche durch die Verfahrensherrschaft der Behörden bzw. der Bundesregierung aber sichergestellt sei. In diesem Verfahren müssten insbesondere auch die Interessen der Außenseiter gewahrt werden313. Im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass ein 307 Zur Übertragbarkeit insbesondere der Überlegungen des Bergmannversorgungsschein-Beschlusses (BVerfG v. 14.06.1983 – 2 BvR 488/80 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmVersSchG NRW) auf die Tarifnormsetzung mit Außenseitergeltung ganz allgemein, siehe Giesen, S. 224. 308 Zu diesem Begriff siehe Schmidt/Bleibtreu Art. 20 Rdnr. 36: Danach liegt eine statische Verweisung dann vor, wenn bei Erlass der Verweisungsnorm auf einen bereits bestehenden oder zu einem früheren Zeitpunkt geltenden Normtext verwiesen wird; eine dynamische Verweisung hingegen liegt dann vor, wenn die Verweisung auf einen Normtext in der jeweils geltenden Fassung erfolgt. 309 BVerfG v. 24.05.1977 – 2 BvL 11/74 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG; v. 14.06.1983 – 2 BvR 488/80 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmVersSchG NRW. 310 BVerfG v. 24.05.1977 – 2 BvL 11/74 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG. 311 BVerfG v. 24.05.1977 – 2 BvL 11/74 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG Gründe B. II. 1. b) cc) (2), dd). 312 Eine Betonung, welche das Bundesverfassungsgericht allerdings nicht ausdrücklich vornimmt – ist eine Problematisierung doch angesichts der Regelung des der Außenseitererstreckung vorangehenden Verfahrens des § 5 TVG auch nicht angezeigt gewesen. 313 BVerfG v. 24.05.1977 – 2 BvL 11/74 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG Gründe B. II. 2. b).

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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Druck hin zu einem Eintritt der Außenseiter in die tarifschließende Koalition von der Allgemeinverbindlicherklärung nicht ausgehe314. Im Bergmannsversorgungschein-Beschluss315 aus dem Jahre 1983 wurden diese Überlegungen dann aufgenommen und weitergeführt. Es ging hier darum, dass nach der Auslegung der Arbeitsgerichte ein staatliches Gesetz eine dynamische Verweisung auf tarifliche Vorschriften enthielt316: Grundsätzlich sei eine solche dynamische Verweisung auf tarifvertragliche Vorschriften zwar nicht ausgeschlossen317. Allerdings dürfe der Gesetzgeber – insoweit verwies das Bundesverfassungsgericht auf die Heimarbeitsausschussentscheidung318 zurück – die Normsetzungsbefugnis nicht in beliebigem Umfange außerstaatlichen Stellen überlassen, solle der Bürger nicht schrankenlos der normsetzenden Gewalt nichtstaatlicher Einrichtungen ausgeliefert werden319. Die Verweisung von staatlichen Gesetzen auf Tarifverträge dürfe nicht zur Folge haben, dass im Hinblick auf die normsetzende Gewalt der Tarifvertragsparteien weder mitgliedschaftliche noch staatlich-demokratische Legitimation vorhanden sei. Denn die Normunterwerfung des Bürgers müsse aus Gründen des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips auf die vom Volke bestellten Gesetzgebungsorgane zurückgeführt werden können. Deshalb entspreche die Verweisung durch das staatliche Gesetz auf tarifvertragliche Normen nur dann diesen Anforderungen, wenn der Inhalt der tarifvertraglichen Regelung, auf den verwiesen werde, im Wesentlichen bereits feststehe. Sei dies nicht der Fall, so bedürfe es zur Außenseitererfassung der Allgemeinverbindlicherklärung als eines „normierenden Akts einer staatlichen Stelle“320.

314

BVerfG v. 24.05.1977 – 2 BvL 11/74 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG Gründe B. II.

2. e). 315

BVerfG v. 14.06.1983 – 2 BvR 488/80 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmVersSchG

NRW. 316

Dazu Giesen BB 02, 1480 (1485). Siehe dazu Giesen BB 02, 1480 (1486), der darauf hinweist, dass – nach seiner Auffassung zu Recht – das BVerfG auf den rechtstechnischen Unterschied zwischen dynamischer Verweisung aus dem staatliche Gesetz auf Tarifvertragsnormen und ausdrücklicher Übertragung staatlicher Rechtssetzungsmacht auf die Tarifvertragsparteien von vorneherein nicht eingegangen sei: die dynamische Verweisung sei nämlich „als mehr oder weniger versteckte Delegation“ anzusehen und unterliege daher auch denselben Zulässigkeitsvoraussetzungen. 318 BVerfG v. 24.05.1977 – 2 BvL 11/74 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG. 319 BVerfG v. 14.06.1983 – 2 BvR 488/80 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmVersSchG NRW Gründe B. II. 320 BVerfG v. 14.06.1983 – 2 BvR 488/80 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmVersSchG NRW Gründe B. II. 1. 317

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

IV. Eigene Stellungnahme zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 1 BetrVG 1. Bestehen eines Legitimationsbedürfnisses für die Außenseitergeltung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen Auszugehen ist von der grundsätzlichen Notwendigkeit, dass jedes Handeln für Dritte einer besonderen Legitimation bedarf321. Im Hinblick auf die hier in Rede stehende tarifliche Normsetzungsbefugnis gegenüber Außenseitern und mit Wirkung zu Lasten konkurrierender Minderheitsgewerkschaften und deren Mitglieder, kann mit dem Bundesverfassungsgericht322 zunächst festgestellt werden, dass die Tarifautonomie nur mitgliederbezogene Normunterwerfung zu legitimieren vermag. Für den Geltungsbereich jenseits solch mitgliedschaftlicher Legitimation bedarf es einer anders zu begründenden Rechtfertigung323. 2. Kein Entfallen des Legitimationsbedürfnisses wegen eintretender Fremdbestimmung durch Strukturtarifvertrag Die grundsätzliche Notwendigkeit der Legitimation wird zwar auch von Friese324 nicht bestritten. Ihre Unterscheidung zwischen rechtlicher Betroffenheit und tatsächlich eintretender materieller Fremdbestimmung325 vermag allerdings nicht zu überzeugen: Denn Organisationsregeln der Betriebsverfassung haben zumindest potentiell immer auch belastende Auswirkungen auf die Außenseiter-Arbeitnehmer, weil jede der Ausübung der Interessenvertretung durch den Betriebsrat vorgeschaltete organisatorische Entscheidung sich zwangsläufig auf die Art und Weise der Interessenwahrnehmung auswirken kann. Denn die Repräsentation der Interessen der Außenseiter sowie der Gruppe der Außenseiter wird durch Strukturtarifverträge verändert326. Entscheidend für die Frage des Vorliegens individueller Betroffenheit und damit legitimationsbedürftiger Fremdbestimmung ist es deshalb nicht – wie von Friese letztlich angenommen – ob der Einzelne Adressat der strukturverändernden Tarifvorschrift ist. Entscheidend muss vielmehr die Frage sein, ob sich für den Einzelnen mittelbar oder unmittelbar Einschränkungen seiner Freiheitsrechte ergeben oder ergeben können327. Und dies ist wegen der Auswirkung von Strukturtarifverträgen auf

321

Friese ZfA 03, 237 (240 f.); Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (287). BVerfG v. 24.05.1977 – 2 BvL 11/74 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG Gründe B. II 2. b); dazu auch Giesen, S. 223 f.; Picker NZA 02, 761 (768 f.). 323 Rieble RdA 93, 140 (142). 324 Friese ZfA 03, 237 (239 ff.). 325 Ähnlich auch Thüsing ZIP 03, 693 (695). 326 Giesen, S. 302. 327 Giesen, S. 306. 322

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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die Art der Interessenwahrnehmung der Außenseiter stets der Fall. Dieser Befund wird von Löwisch/Rieble328 griffig damit umschrieben, dass die Arbeitnehmer hinsichtlich der Struktur der Betriebsverfassung keine Wahl haben, und an gewillkürte Mehrheiten „verraten und verkauft“ werden können329. Legitimationsbedürftige materielle Fremdbestimmung tritt daher entgegen Friese bereits mit dem Vorhandensein von Strukturtarifverträgen ein. Der Hinweis Frieses330 auf die eigene Legitimationsbasis der Aufgabenwahrnehmung der Betriebsräte durch die sie konstituierende Wahl geht damit fehl: Denn die Wahl der Betriebsräte erfolgt auf der Grundlage von bereits bestehenden und die Arbeitnehmer bereits materiell fremdbestimmenden Strukturtarifverträgen, und vermag das auf dieser Ebene entstandene Legitimationsdefizit nicht mehr zu beseitigen – die nachträgliche Zustimmung der Arbeitnehmer zu den bereits bestehenden Organisationstarifverträgen ist nämlich nicht Gegenstand der Wahlentscheidung im Rahmen der Bildung eines Betriebsrats331. 3. Legitimation durch staatliche Mitwirkung an der Normsetzung bzw. Normerstreckung auf Außenseiter a) Die Funktion des Genehmigungsvorbehalts gem. § 3 Abs. 2 BetrVG a. F. Solange das staatliche Genehmigungserfordernis des § 3 Abs. 2 BetrVG a. F. bestanden hat, konnte dieser Vorbehalt legitimationstheoretisch als Ermächtigung der Tarifvertragsparteien zur Normsetzung durch den Staat begriffen werden, mit dem die Außenseitererstreckung ihre rechtsstaatlich-demokratische Legitimation dadurch erfuhr, dass der Staat die Tarifnormen in seine Willen aufnahm: Der vom Bundesverfassungsgericht für die Legitimation der Normunterwerfung der Außenseiter zu Recht als notwendig erachtete staatliche Geltungsbefehl sicherte damit die ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht als notwendig erkannte parlamentarische Letztverantwortlichkeit für die Normunterwerfung der Außenseiter und Andersorganisierten unter die Regelungen eines Tarifvertrags ab. Der Notwendigkeit der parlamentarischen Letztverantwortlich328

Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 139. Siehe dazu auch Rieble RdA 93, 140 (144): „Wo der Tarifvertrag in die Organisation der Betriebsverfassung eingreifen will, bedürfen die Außenseiter des stärksten Schutzes: Was nützen ihnen die unabdingbaren Rechte „ihrer“ Arbeitnehmervertretung, wenn diese sie nicht oder nicht in ihrem Sinne geltend macht. Deshalb entspricht das Genehmigungserfordernis für Tarifverträge . . . (es folgt eine Aufzählung der Gestaltungsmöglichkeiten des § 3 Abs. 1 BetrVG a. F. (Anm. d. Verf.) . . . einem Gebot der Verfassung“. 330 Friese ZfA 03, 237 (248 f.). 331 Deshalb fordern Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 139 konsequenter Weise zur Heilung diese Legitimationsdefizits auch eine „Urabstimmung“ aller Einheiten, vergleichbar der Anforderungen an die Neugliederung von Gebietskörperschaften. 329

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

keit korrespondierte dabei nämlich die Möglichkeit des Außenseiters, sich an der Willensbildung des Staates zu beteiligen. Deshalb ist im Ansatz von der Richtigkeit der Lehren auszugehen, die im staatlichen Genehmigungserfordernis des § 3 Abs. 2 BetrVG a. F. den tragenden Grund für die Verfassungsmäßigkeit der Außenseitererstreckung bei betriebsverfassungsrechtlichen Tarifverträgen gesehen haben332. Diesem Ergebnis kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Genehmigungsvorbehalt nicht dem verfassungsrechtlichen Außenseiterschutz, sondern nur der Sicherstellung der Beachtung der zwingenden Grundprinzipien der Betriebsverfassung durch die Tarifvertragsparteien gedient habe333. Denn zum einen widerspricht diese Auffassung den klaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an die Legitimation außenseiterbezogener Normerfassung334. Vor allem aber wäre eine solche Selbstbeschränkung staatlicher Exekutivorgane kaum mit der Bindungswirkung des Art. 1 Abs. 3 GG vereinbar, welcher die vollziehende Gewalt auch bei der Genehmigung von betriebsverfassungsrechtlichen Tarifverträgen auf die Wahrung der Grundrechte der Außenseiter – wie im übrigen auch der Andersorganisierten und auch der Konkurrenz- bzw. Minderheitsgewerkschaften – als unmittelbar geltendes Recht verpflichten musste. Aus diesem Grunde sah § 3 Abs. 2 BetrVG a. F. in konsequenter Weise auch die Anhörung der potentiell von den Organisationstarifverträgen betroffenen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände vor. Im Ergebnis zu Recht wurde deshalb auch auf das Bestehen eigener Ermessenspielräume der Genehmigungsbehörden jenseits nur einer Beurteilung der Beachtung der zwingenden Grundprinzipien der Betriebsverfassung in den genehmigungsbedürftigen Tarifverträgen hingewiesen335. Nach hier vertretener Auffassung gehört des Weiteren die Wahrung auch des Koalitionspluralismus’ ohnehin zu den „zu wahrenden Grundsätzen des Betriebsverfassungsrechts“: Schafft nämlich der Staat mit der zwangskorporierenden Betriebsverfassung eine Konkurrenz für die Koalitionen, so muss er im Gegenzug auch effektive Betätigungsmöglichkeiten für die Koalitionen eröffnen336. Auf dem Hintergrund eines Verständnisses der Koalitionsfreiheit als eines solchen, in dem der Koalitionspluralismus von vorneherein mit angelegt 332 Ähnlich auch im Zusammenhang mit der Legitimität tariflicher Schlichtungsstellen Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 566); siehe dazu unten 4. Kap. § 26 B. 333 Zu Recht benennt deshalb Löwisch BB 01, 1734 (1736) den Funktionszusammenhang des § 3 Abs. 2 BetrVG a. F., betreffend die Wahrung der negativen Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten und der positiven Koalitionsfreiheit anderer Gewerkschaften und ihrer Mitglieder. 334 Siehe oben 4. Kap. § 2 C. III. 2. c) bb) (2). 335 Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (283); Richardi 7. Auflage § 3 Rdnr. 56; auch Kempen FS Schaub, S. 357 (S. 366) sah die Funktion des Genehmigungsvorbehalts in der Wahrung der Interessen der anders- und nichtorganisierten Beteiligten. 336 Siehe oben 2. Kap. § 1 A. III.; F. 2. e); g).

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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sein muss337, bedeutet dies, dass der Staat Sorge dafür tragen muss, dass die Möglichkeit eines Koalitionspluralismus innerhalb des Systems der Betriebsverfassung auch tatsächlich aufrechterhalten bleibt und nicht durch Organisationstarifverträge der tarifschließenden Mehrheitsgewerkschaft ausgehöhlt werden kann. Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass die staatliche Mitwirkung bei der Außenseitererstreckung von Tarifnormen als unverzichtbar angesehen werden muss, und dass sich deshalb mit dem Wegfall des staatlichen Genehmigungserfordernisses durch die Novelle 2001 erhebliche Legitimationsfragen im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 1 BetrVG aufgetan haben, die ein unüberbrückbares Legitimationsdefizit und damit die Verfassungswidrigkeit des § 3 Abs. 1 BetrVG als naheliegend erscheinen lassen. b) Überbrückung des eingetretenen Legitimationsdefizits durch § 3 Abs. 2 TVG? In der Literatur wird teilweise das mit der Abschaffung des § 3 Abs. 2 BetrVG a. F. zu konstatierende Legitimationsdefizit als durch § 3 Abs. 2 TVG überbrückbar angesehen, womit als Vorfrage einer solchen Überbrückungsmöglichkeit die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift selbst aufgeworfen ist. aa) Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 TVG (1) Verfassungsmäßigkeit der Außenseitererfassung qua „Natur der Sache“? Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 TVG unter dem Gesichtpunkt der negativen Koalitionsfreiheit der Außenseiter wird als zentrales Argument die Notwendigkeit betriebseinheitlicher Geltung von betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Normen entgegengehalten. Picker338 hat aber eindrücklich und zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bejahung der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 TVG anhand der Heranziehung sachlogischer Argumente – die Notwendigkeit der betriebseinheitlichen Geltung oder die evident sachlogische Unzweckmäßigkeit der Regelung auf der Ebene des individuellen Einzelarbeitsvertrags – legitimationstheoretisch schon im Ansatz verfehlt ist: Zweifelsohne müssen die in § 3 Abs. 2 TVG bezeichneten Vorschriften zwar – sachlogisch gesehen – betriebseinheitlich gelten. Es dürfe aber nicht erst die Prüfung maßgeblich sein, die dann erfolgt, wenn sol337 338

Siehe oben 2. Kap. § 1 B. II. Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (286 f.).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

che Normen bereits in Kraft gesetzt sind. Entscheidend sei vielmehr die logisch vorgelagerte Frage, ob solche drittbelastenden Normen überhaupt von den Tarifvertragsparteien in Geltung gesetzt werden dürfen. Entscheidend dürfe daher nicht die Frage sein, ob in Abwägung zu den Freiheitsrechten der Außenseiter und Andersorganisierten die betriebseinheitliche Geltung den Vorrang verdiene. Entscheidend sei vielmehr die vorher zu klärende Frage, ob bei Beachtung dieser grundrechtlich geschützten Rechte die Notwendigkeit der Regelung gerade durch die Tarifvertragsparteien bejaht werden kann. Zu fragen sei deshalb zunächst – ohne das Vorliegen einer Zwangssituation mit ihrer Macht des Faktischen – ob an der erstrebten Gestaltung gerade durch die Tarifvertragsparteien, die durch die Normadressaten nicht autorisiert sind, ein so hohes Interesse bestehe, dass deren Freiheitsinteressen hintanzustehen hätten. Dabei werde sich regelmäßig der Befund ergeben, dass als zentrales Gegeninteresse der negativen Koalitionsfreiheit bzw. der Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten letztlich nur das Eigeninteresse der Tarifparteien an einer möglicht umfassenden Gestaltungsbefugnis verbleibt – ein solches rein faktisches Herrschaftsinteresse könne aber Außenseitergeltung niemals legitimieren339. Dies bedeute allerdings nicht – wie die Argumentation mit der denknotwendig nur einheitlich möglichen Geltung der Normen des § 3 Abs. 2 TVG suggerieren wolle – dass dann, wenn eine Normsetzung aufgrund der Grundlage des § 3 Abs. 2 TVG ausscheiden müsse, betriebseinheitliche Normen überhaupt nicht mehr in Geltung gesetzt werden könnten. Diese Sichtweise habe nur zur Folge, dass dann, wenn anhand des genannten Maßstabes die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien nicht bejaht werden kann, nur entweder die (Letzt-)zuständigkeit demokratisch legitimierter staatlicher Stellen oder aber die Zuständigkeit des durch Wahl legitimierten Betriebsrats für Regelungen gegeben sein kann, welche die Veränderung der betrieblichen Organisationsverfassung zum Gegenstand haben sollen. Im Ergebnis ist deshalb mit Picker festzuhalten, dass die Berufung auf die sachlogisch notwendig betriebseinheitliche Geltung betriebsverfassungsrechtlicher Vorschriften die Zweifel an Verfassungsmäßigkeit der Außenseitererfassung in § 3 Abs. 2 TVG nicht zu beseitigen vermag. (2) § 3 Abs. 2 TVG als ausreichende staatliche Mitwirkung bei der Erfassung der Außenseiter und Andersorganisierten? Der weggefallene Genehmigungsakt des § 3 Abs. 2 BetrVG a. F. könnte legitimationstheoretisch durch die Vorschrift des § 3 Abs. 2 TVG überbrückt wor339 Siehe auch den Hinweis bei Picker, ZfA 98, 573, 604 f.) darauf, dass mit dem Argument „evidenter Sachgerechtigkeit“ § 4 Abs. 1 TVG mit der Geltungsbedingung beiderseitiger Tarifbindung „mehr oder minder weit derogiert“ würde.

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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den sein, durch eine Norm also, die in rechtsstaatlich einwandfreiem gesetzlichen Verfahren zustande gekommen ist, und welche die Außenseitererstreckung im Wege eines staatlichen Geltungsbefehls anordnet. Die vom Bundesverfassungsgericht zu Recht als notwendig erachtete parlamentarische Letztverantwortlichkeit für die Normunterwerfung des Bürgers könnte in diesem Sinne durch § 3 Abs. 2 TVG verwirklicht worden sein. (a) § 3 Abs. 2 TVG als generelle Allgemeinverbindlicherklärung Die vom Kempen/Zachert340 ins Spiel gebrachte Deutung des § 3 Abs. 2 TVG als „generelle Allgemeinverbindlicherklärung für Tarifnormen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen für alle Arbeitsverhältnisse eines tarifgebundenen Arbeitgebers“ bietet keine taugliche Möglichkeit, um die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift begründen zu können: Wie Kempen/ Zachert341 selbst einräumen müssen, hat das Bundesverfassungsgericht342 die Normerstreckung von Tarifverträgen auf Außenseiter im Wege der Allgemeinverbindlicherklärung nur dann für zulässig angesehen – gemessen an den Vorgaben des Demokratieprinzips für eine letztlich parlamentarisch verantwortete Normunterwerfung des Bürgers – wenn durch das vorausgehende Verfahren demokratische Legitimation für den Außenseiter hergestellt werden kann. In diesem der Allgemeinverbindlicherklärung vorausgehenden Verfahren haben – so zutreffend das Bundesverfassungsgericht – die Außenseiter die Möglichkeit, ihre Interessen zur Geltung zu bringen. Nur unter diesen engen verfahrensmäßigen Voraussetzungen ist nach der richtigen Ansicht des Bundesverfassungsgerichts deshalb noch von einer „ausreichenden demokratischen Legitimation“ der allgemeinverbindlichen Tarifnormen zu sprechen. In Ermangelung dieser zwingenden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts kann § 3 Abs. 2 TVG daher nicht als vorweggenommene generelle Allgemeinverbindlicherklärung angesehen und damit nicht die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift begründet werden343.

340 341 342

Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 12. Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 18. BVerfG v. 24.05.1977 – 2 BvL 11/74 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG Gründe B. II.

2. b). 343 Zweifelnd insofern auch Kempen/Zachert § 3 Rdnr. 18 selbst; der von Kempen/ Zachert a. a. O. versuchte Ausweg aus diesem Dilemma über die Konstruktion des § 3 Abs. 2 TVG als einer speziellen auf Art. 74 Nr. 12 GG beruhenden gesetzlichen Regelung der allgemeinen Organisationsbefugnis des Arbeitgebers! vermag ebenfalls nicht zu überzeugen: Denn auch der Bezug auf eine – etwaige – verfassungsrechtliche Ermächtigung erklärt noch nicht, weshalb auf die vom BVerfG geforderte staatlichverfahrensmäßig herzustellende demokratische Legitimation deshalb ausfallen dürfte.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

(b) § 3 Abs. 2 TVG als dynamische Verweisung auf Tarifverträge Man könnte aber mit Rieble344 in § 3 Abs. 2 TVG eine dynamische Verweisung345 eines staatlichen Gesetzes auf Tarifverträge sehen. Eine solche Sichtweise ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu festgestellt, dass eine dynamische Verweisung des Gesetzes auf den Tarifvertrag zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein muss. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht346 gleichzeitig auch ganz eindeutig festgestellt, dass eine dynamische Verweisung des Gesetzes auf Tarifvertrag nur soweit zulässig ist, als – zur Wahrung der Letztverantwortlichkeit des Parlaments bei der Normunterwerfung nicht mitgliedschaftlich gebundener Arbeitnehmer – der Inhalt der tariflichen Regelung, auf den verwiesen wird, im Wesentlichen bereits feststeht. Erforderlich ist demnach eine hinreichende Bestimmtheit der vom Gesetz in Bezug genommenen Regelungen des Tarifvertrags. Nur dann ist den Geboten des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips Genüge getan347. Ob dies im Hinblick auf § 3 Abs. 1 BetrVG der Fall ist, ob diese Vorschrift also tarifvertragliche Normsetzung so hinreichend bestimmt vorzeichnet, dass dem Wesentlichkeitsgebot des Bundesverfassungsgerichts entsprochen ist, wird durchaus unterschiedlich gesehen348. Wäre § 3 Abs. 1 BetrVG in diesem Sinne hinreichend bestimmt, so wäre jedenfalls einer verfassungskonforme Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG dahingehend denkbar, als sein außenseitererstreckender Geltungsbefehl im Zusammenwirken mit § 3 Abs. 1 BetrVG eine ausreichende Grundlage deswegen darstellte, weil der Staat dann selbst im Wege der betriebsverfassungsrechtlichen Gesetzgebung für die ausreichende Bestimmtheit der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationstarifverträge gesorgt hätte. Insbesondere Giesen349 kommt aber zu dem klaren Ergebnis, dass § 3 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BetrVG dem Bestimmtheitsgebot nicht zu entsprechen vermögen. Die Kriterien der „erleichterten Interessenwahrnehmung, der Sachgerechtigkeit“, 344 Rieble RdA 93, 140 (142); siehe dazu kritisch aber auch Giesen BB 02, 1480 (1486 Fn. 52). 345 Zu diesem Begriff siehe Schmidt/Bleibtreu Art. 20 Rdnr. 36: Danach liegt eine statische Verweisung dann vor, wenn bei Erlass der Verweisungsnorm auf einen bereits bestehenden oder zu einem früheren Zeitpunkt geltenden Normtext verwiesen wird; eine dynamische Verweisung hingegen liegt dann vor, wenn die Verweisung auf einen Normtext in der jeweils geltenden Fassung erfolgt. 346 BVerfG v. 14.06.1983 – 2 BvR 488/80 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmVersSchG NRW Gründe B. II. 1. 347 BVerfG v. 14.06.1983 – 2 BvR 488/80 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmVersSchG NRW Gründe B. II. 1; so auch Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 138 unter Hinweis auf Jarass/Pieroth Art. 20 Rdnrn. 54 ff. 348 Siehe nur einerseits Giesen BB 02, 1480 (1486), ders., S. 309, S. 219 ff. und ähnlich Eich FS Weinspach, S. 17 (S. 25), die das Bestimmtheitsgebot als verletzt ansehen und andererseits Annuß NZA 02, 290 (291 f.) und Thüsing ZIP 03, 693 (695), welche das Bestimmtheitsgebot als nicht verletzt ansehen.

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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„Wirksamkeit“ oder „Zweckmäßigkeit“ seien weitgehend ohne Konturen. Auch die Frage nach dem Inhalt dessen, was unter einer „Sparte“ oder einer „anderweitigen Vertretungsstruktur“ zu verstehen sei, bleibe letztlich offen. Dem wird von anderer Seite zwar ausdrücklich beigepflichtet, gleichwohl wird die ausreichende Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung im Ergebnis damit begründet, dass die gesetzliche Begriffs-Unschärfe nur den Bereich der formellen Organisation der Arbeitnehmervertretung betreffe350. Alles was darauf an den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung betreffenden materiellen Mitbestimmungsfragen aufbaue, bleibe von § 3 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BetrVG schließlich unberührt. Dieser Auffassung ist auf dem Hintergrund der eingangs351 aufgezeigten manipulativen Gestaltungsmöglichkeiten der tarifschließenden Verbände allerdings deutlich zu widersprechen: Das Bestimmtheitsgebot des Bundesverfassungsgerichts soll die Normunterworfenen, welche die Normsetzung nicht mitgliedschaftlich legitimiert haben, vor einer schrankenlosen Auslieferung unter die außerstaatliche Normsetzungsgewalt beschützen. Im Kontext dieser Rechtsprechung bedeutet Schrankenlosigkeit demnach, dass der Inhalt der auf Grundlage des § 3 Abs. 1 BetrVG geschaffenen tariflichen Vorschriften klar vorausbestimmt werden kann. Und dies ist aufgrund der begrifflich völlig unscharfen Vorgaben des Gesetzes gerade nicht möglich. Und die Behauptung, formell-organisatorische Regelungen beträfen nicht die Rechtsstellung der Arbeitnehmer und müssten daher auch nicht bestimmt sein, ist unzutreffend, weil mit der Veränderung der betrieblichen Organisationsstruktur letztlich die Zwangsmitgliedschaft in einem gewillkürten Verband bewirkt wird. Im Ergebnis ist deshalb Giesen zuzustimmen, so dass die verfassungskonforme Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG unter dem Gesichtspunkt der – mittelbaren – Wahrung des Bestimmtheitsgebots durch eine den tariflichen Inhalt hinreichend vorzeichnenden § 3 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BetrVG scheitern muss. Aber auch eine verfassungskonforme und restriktive Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG dahingehend, dass mit dieser Vorschrift keine belastenden Außenseiterwirkungen legitimiert werden dürfen, scheidet aus, weil nach hier vertretener Auffassung vor allem angesichts der aufgezeigten Manipulationsmöglichkeiten bei der tarifvertraglichen Gestaltung und der Schaffung der Zwangsmitgliedschaft in einem gewillkürten Zwangsverband bereits die Veränderung des gesetzlichen

349 Giesen BB 02, 1480 (1486), ders., S. 309, S. 219 ff.; zustimmend Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 138. 350 Thüsing ZIP 03, 693 (695); im Ergebnis auch Annuß NZA 02, 290 (291 f.). 351 Siehe oben 4. Kap. unter § 2; gemeint ist insbesondere der Betriebszuschnitt i. S. eine Wahlkreiszuschnitts nach zu erwartenden Stimmenverhältnissen zugunsten der Mehrheitsgewerkschaft.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Organisationsgefüges der Betriebsverfassung als belastende Außenseiterwirkung angesehen werden muss. bb) Zwischenergebnis zur Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 TVG Die Interpretation des § 3 Abs. 2 TVG als dynamische Verweisung des Gesetzes auf tarifvertragliche Regelungen – und damit verbunden die Annahme seiner Verfassungsmäßigkeit – ist deshalb nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts allenfalls dann möglich, wenn der Inhalt der in Bezug genommenen tariflichen Vorschriften, auf die mit § 3 Abs. 2 TVG verwiesen wird, hinreichend bestimmt und somit vorhersehbar ist. § 3 Abs. 1 BetrVG erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Auch die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG unter dem restriktiven Gesichtspunkt der Zulässigkeit lediglich nicht belastender Regelungen für die Außenseiter scheitert im Hinblick auf betriebsverfassungsrechtliche Organisationstarifverträge an der mit diesen Normen grundsätzlich einhergehenden Belastungswirkung für die Außenseiter. Im Hinblick auf den Untersuchungszusammenhang, nämlich der Frage danach, ob das durch die Abschaffung des Genehmigungserfordernisses des § 3 Abs. 2 BetrVG a. F. entstandene Legitimationsdefizit durch § 3 Abs. 2 TVG überbrückt werden kann, muss festgestellt werden, dass dies aus der Vorschrift des § 3 Abs. 2 TVG heraus nicht gelingen kann. Das demokratische Legitimationsbedürfnis für die Erstreckung von Normen auf Außenseiter und Andersorganisierte kann aus § 3 Abs. 2 TVG selbst heraus nicht befriedigt werden. Dazu bedürfte es der außerhalb dieser Vorschrift herzustellenden Legitimationsvoraussetzungen, die prägnant in den beiden genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts352 bezeichnet worden sind353. c) Unverzichtbarkeit des staatlichen Genehmigungsvorbehalts Die soeben gemachten Ausführungen könnten den Schluss zulassen, dass dann, wenn die außerhalb des § 3 Abs. 2 TVG bestehenden und oben aufgezeigten Bestimmtheitsanforderungen an betriebsverfassungsrechtliche Tarifver352 BVerfG v. 24.05.1977 – 2 BvL 11/74 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG; v. 14.06.1983 – 2 BvR 488/80 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmVersSchG NRW. 353 Siehe dazu Reuter FS Schaub, S. 605 (S. 619): „Die Auslegung der §§ 3 I, 3 II TVG als Normen, die nicht zur Normsetzung ermächtigen, sondern lediglich mögliche Norminhalte und ihre Wirkungen beschreiben, weist wie für die Regelung betrieblicher auch für die Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen den Weg zur Verfassungskonformität: Sie ist zulässig, soweit der Gesetzgeber dazu besonders ermächtigt und die Mitverantwortung für das Ergebnis trägt, wie das namentlich für die tarifvertragliche Modifikation der Organisation der Betriebsverfassung nach §§ 3, 117 BetrVG (a. F., Anm. d.Verf.) zutrifft“; so im Ergebnis auch Rieble RdA 93, 140 (142).

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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träge erfüllt sind, § 3 Abs. 2 TVG in verfassungskonformer Weise die Außenseitererfassung zu bewirken vermag. Es ist aber zu bedenken, dass das Bundesverfassungsgericht nicht nur die Bestimmtheit und damit Vorhersehbarkeit der in Bezug genommenen Tarifnormen, sondern auch das staatliche Verfahren als den Tarifinhalt in den staatlichen Willen aufnehmenden Akt als zentrale Legitimationsanforderung für die Außenseitergeltung angesprochen hat. Es ist daher die Frage zu prüfen, ob nicht selbst im Falle der – unterstellten bzw. vom Gesetzgeber noch herzustellenden – ausreichenden Bestimmtheit des § 3 Abs. 1 BetrVG nicht dennoch der Ausfall des staatlichen Genehmigungsverfahrens ein unüberbrückbares Legitimationsdefizit nach sich ziehen muss. aa) Ausgangspunkt: Vermutung der Gefährdung von Minderheitsinteressen bei alleiniger Vertretung durch die Mehrheit Schüren354 hat in seiner Abhandlung „Tarifgeltung für Außenseiter? – No Taxation without Reprasentation“ gezeigt, dass Minderheitsinteressen grundsätzlich gefährdet sind, wenn ihre Vertretung alleine in den Händen einer Mehrheit liegt, deren eigene Interessen partiell gegenläufig sein werden355. Überträgt man diesen sicherlich zutreffenden Gedanken auf die Funktion des weggefallenen staatlichen Genehmigungsvorbehalts des § 3 Abs. 2 BetrVG a. F., so kann zunächst der Schluss gezogen werden, dass dieser Wegfall praktisch dazu führen muss, dass nunmehr die Wahrung der Minderheitsinteressen – und damit sind sowohl die Interessen der Außenseiter und der Andersorganisierten wie auch die der anderen (Minderheits-)gewerkschaften im Regelungsbereich betriebsverfassungsrechtlicher Organisationstarifverträge angesprochen – vom Gesetzgeber in die Hände der tarifschließenden Mehrheitsgewerkschaft (und der Arbeitgeberseite) gelegt worden sind. Im Ergebnis ist damit an die Stelle der ehedem staatlichen jetzt gleichsam eine tarifliche (Selbst-)Genehmigung getreten356. Und damit besteht die von Schüren357 benannte Vermutung der grundsätzlichen Gefährdung der immerhin grundrechtlich begründeten Interessen bzw. Rechtspositionen dieser Minderheiten. Diese grundsätzlich gegebene Gefährdungslage wird durch § 3 Abs. 1 BetrVG insofern konkretisiert, als die tarifschließende Mehrheitsgewerkschaft mit dieser Vorschrift in die Lage versetzt worden ist, die betriebsverfassungsrechtliche Struktur entsprechend ihren eigenen Organisationsinteressen zuzuschneiden358. Zu Recht spricht Picker359 deshalb von der in der Verfolgung der Ordnungsinteressen durch die Tarifparteien liegenden akuten 354

Schüren RdA 93, 138 (148). Ähnlich Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (281 f.). 356 Reichold NZA 01, 857 (858); in diese Richtung ebenfalls Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (279). 357 Schüren RdA 93, 138 (148). 358 Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 138. 355

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Gefahr, dass diese die Entscheidung über neue Vertretungsstrukturen nicht primär an den Maximen des Betriebsverfassungsgesetzes – zu denen nach hier vertretener Auffassung auch die Wahrung der Möglichkeit eines effektiven Koalitionspluralismus gehört –, sondern an übergreifenden „politischen“ Regelungszielen ausgerichtet werden wird360. Diese „politischen“ Regelungsziele sind im Kerne aber nichts anderes, als das Eigeninteresse der Tarifvertragsparteien an einer möglichst weit ausgedehnten Gestaltungsbefugnis – also: auf Seiten der regelmäßig tarifschließenden Mehrheitsgewerkschaft ihr rein faktisches Herrschaftsinteresse innerhalb der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation361. Deshalb besteht das weit verbreitete Unbehagen an den erkannten Manipulationsmöglichkeiten der Betriebsverfassungsstruktur nach Wegfall des staatlichen Genehmigungserfordernisses völlig zu Recht. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass ja auch die Minderheitsgewerkschaft Zugriff auch die tarifliche Gestaltung der betriebsverfassungsrechtlichen Gestaltung habe: Denn zum einen darf die Hypothese gewagt werden, dass sich dieses Argument nicht empirisch wird unterlegen lassen. Zum anderen wäre auch in dieser Konstellation dieselbe Lage gegeben, bei der die Interessen – in diesem Falle sogar der Mehrheit der nicht bei der Minderheitsgewerkschaft Organisierten – durch den normativen Zugriff der eigeninteressierten tarifschließenden Parteien gefährdet wäre. Und zuletzt besteht im etwaigen Falle konkurrierender Tarifverträge über betriebsverfassungsrechtliche Fragen zwar noch erhebliche Rechtsunsicherheit über die Lösung einer solchen Tarifkonkurrenz362: Es darf diesbezüglich aber die Prognose gewagt werden, dass 359 Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (280 f.); in diese Richtung auch Annuß NZA 02, 290 (291). 360 Unzutreffend deshalb die Auffassung Gamillschegs FS Molitor, S. 133 (S. 134), derzufolge die Tarifpartner schon nichts vereinbaren werden, was den Grundgedanken des Gesetzes zuwiderlaufen könnte; siehe aber andererseits ders. KollArbR II, S. 606, der an dieser Stelle die Möglichkeit manipulativer Veränderung der Betriebsstruktur zu Lasten der Konkurrenzgewerkschaften durchaus erkennt. 361 Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (280 ff., 286). 362 Die hierzu vertretenen Auffassungen sind äußerst mannigfaltig: so vertreten Annuß NZA 02, 290 (293) und Biedenkopf, S. 317 f., die Auffassung, dass bei konkurrierenden Tarifverträgen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen sämtliche einander widersprüchliche Regelung als unwirksam anzusehen sind; Friese ZfA 03, 237 (272 ff.) stellt zunächst die Anwendbarkeit der anerkannten Kollisionsregeln fest, um dann innerhalb eines maßgeblichen Aspekts der größten Sachnähe hilfsweise das Moment der höchsten Mitgliederzahl der tarifschließenden Gewerkschaften zum Tragen kommen zu lassen; siehe dort auch eine umfassende Aufarbeitung des Streitstandes; ähnlich favorisiert Thüsing ZIP 03, 693 (700) aus Gründen der Sachnähe den Grundsatz der Subsidiarität mit der Folge, dass regelmäßig der Tarifvertrag zum Zuge kommen soll, der die kleinere Einheit schafft; Kempen FS Schaub, S. 357, spricht sich für das Mehrheitsprinzip aus, demzufolge sich derjenige Tarifvertrag durchsetzen soll, durch welchen die größere Zahl betroffener Arbeitnehmer mitgliedschaftlich gebunden ist; zur Frage der Anwendbarkeit des Günstigkeits-, Spezialitäts- und Mehrheitsprinzips siehe Friese a. a. O.

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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letztlich die Tarifverträge der Minderheitsgewerkschaften wohl denen der Mehrheitsgewerkschaften würden weichen müssen363. bb) Konsequenz: Notwendigkeit einer effektiven Ex-ante-Kontrolle betriebsverfassungsrechtlicher Tarifverträge Es wurde bereits oben364 umfassend dargelegt, dass der Staat, weil er mit der Betriebsverfassung eine Konkurrenzveranstaltung zum Wirkungsbereich der Koalitionen geschaffen hat, dazu verpflichtet ist, den Koalitionen effektive Betätigungsmöglichkeiten innerhalb dieses staatlich geschaffenen Systems zu eröffnen. Dabei hat er im Sinne der Wahrung eines wenigstens potentiellen Koalitionspluralismus darüber zu wachen, dass das Koalitionsgrundrecht der Minderheitsgewerkschaften sich auch effektiv entfalten kann und keine unsachgemäße Behinderung erfährt365. Aus Art. 9 Abs. 3 GG fließt deshalb zugunsten der Minderheitsgewerkschaften eine Schutzpflicht des Staates vor dem organisationspolitisch motivierten Zugriff der Mehrheitsgewerkschaft auf das Organisationsgefüge der Betriebsverfassung: Art. 9 Abs. 3 GG schützt in diesem Sinne die Minderheitsgewerkschaften davor, der organisationspolitischen Willkür der Mehrheitsgewerkschaften ausgeliefert zu werden366. Die verfassungsrechtlich vorgegebene notwendige Effektivität dieser Schutzpflicht ist dabei nur durch eine der Tarifgeltung zeitlich vorgelagerten staatlichen Kontrolle gewährleistet367: Würde man die Minderheitsgewerkschaften alleine auf die Möglichkeit der Beschreitung des Rechtswegs, etwa gem. § 18 Abs. 2 BetrVG oder gem. § 19 BetrVG verweisen, so wäre dies völlig ineffektiv und kann infolgedessen nicht als tauglicher Ersatz für das weggefallene staatliche Genehmigungserfordernis dienen: Zum einen nämlich kann die Erschöpfung des Rechtswegs erhebliche Zeit beanspruchen – Zeit, die insbesondere die Minderheitsgewerkschaft nicht haben wird, soll und wird sie doch von der vom Gesetz abweichenden betriebsverfassungsrechtlichen Struktur empfindlich – bis zur Gefahr der Marginalisierung getroffen. Ein rechtskräftiger und stattgebender gerichtlicher Spruch könnte also insbesondere für die Minderheitsgewerkschaft viel zu spät kommen, was dem Gebot effektiven Grundrechtsschutzes zuwiderlaufen muss368. 363

Siehe dazu Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 138. Siehe oben 2. Kap. § 1 A. III; F. 3. g). 365 Siehe oben 2. Kap. § 1 A. III; F. 3. g). 366 Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 138. 367 Löwisch/Rieble TVG § 1 Rdnr. 138. 368 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang bedauerlicherweise auch die zurückhaltende Art und Weise, mit der das BVerfG den gewerkschaftlichen Minderheitenschutz im Hinblick auf dessen an und für sich zeitnahe gebotene Verwirklichung betreibt: So hatte die Minderheitsgewerkschaft, in concreto die Verkehrsgewerkschaft GDBA, die Aufsichtsratswahlen bei der DB AG im Jahre 1994 angefochten; dem vierjährigen Gang durch die arbeitsgerichtlichen Instanzen folgte die Erhebung der Verfas364

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Zum anderen nähmen auch nichtige betriebsverfassungsrechtliche Normen faktisch bis zur Feststellung ihrer Nichtigkeit Geltung in Anspruch und verletzten alleine dadurch die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter und die positive Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten369. Auch kann zuletzt die Möglichkeit der Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes nicht als effektiver Ersatz für eine vorgeschaltete staatliche Kontrolle dienen: Denn zum einen sind die berührten und sehr komplexen verfassungsrechtlichen Fragen kaum „eilverfahrenstauglich“. Zum anderen steht eine arbeitsgerichtliche Rechtsprechung im Raum, derzufolge Betriebsratswahlen – bei denen sich die manipulative Veränderung der Betriebsratsstruktur zu Lasten der Minderheitsgewerkschaften auswirken könnte – nur dann im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes abgebrochen werden können, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wahl in einem späteren Wahlanfechtungsverfahren als nichtig angesehen werden müßte370. Bei Verkennung des Betriebsbegriffs – und eine solche wäre bei der unzulässigen tariflichen Gestaltung der betriebsverfassungsrechtlichen Struktur gegeben – geht die Rechtsprechung aber regelmäßig davon aus, dass ein solcher die Nichtigkeit der Betriebsratswahl gerade nicht zur Folge hat371. Somit führt auch die Möglichkeit der Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes durch die betroffenen Minderheitsgewerkschaften nicht dazu, dass insofern von einem effektiven Grundrechtsschutz gesprochen werden könnte. Hier schließt sich auch der argumentative Kreis hin zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Die festgestellte Notwendigkeit einer staatlichen Ex-ante-Kontrolle von betriebsverfassungsrechtlichen Tarifverträgen aus Grünsungsbeschwerde beim BVerfG im Jahre 1998; das Gericht ließ sich dann bis zur Entscheidungsfindung Zeit bis zum Ende des Jahres 2004, und gab erst dann der Verfassungsbeschwerde mit einem Stimmenergebnis im erkennenden Senat von sieben zu eins statt, siehe BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = AP Nr. 2 zu § 12 MitbestG; mithin hat es zur Feststellung der – auch aus Sicht des BVerfG doch ganz offensichtlich evidenten – Verletzung der Koalitionsfreiheit der Minderheitsgewerkschaft eines ganzen Jahrzehnts bedurft – einer Durststrecke also, die eine Minderheitsgewerkschaft kaum einmal ohne ernsthafte Beschädigungen wird überbrücken können; die Gefahr, dass die in ihrem Grundrecht verletzte Minderheitsgewerkschaft letztlich zwar „Recht gehabt hat“, diese Feststellung für sie allerdings zu spät kommen kann, liegt damit auf der Hand. 369 Picker RdA 01 Sonderbeilage, 259 (288). 370 Z. B. LAG Bremen v. 27.02.1990 = LAGE § 18 BetrVG 1972 Nr. 3; LAG Frankfurt DB 87, 1996; siehe dazu auch GK-Kreutz § 18 Rdnr. 76 mit umf. w. N.; siehe dazu auch Klein ZBVR 02, 35 (40). 371 BAG v. 24.01.1964 – 1 ABR 14/63 = AP Nr. 6 zu § 3 BetrVG LS 3; v. 21.10.1969 – 1 ABR 8/69 = AP Nr. 10 zu § 3 BetrVG LS 1; v. 17.01.1978 – 1 ABR 71/76 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrVG 1972 LS 2, Gründe II. 2.; v. 11.04.1978 – 6 ABR 22/77 = AP Nr. 8 zu § 19 BetrVG 1972 II. 2.; v. 13.11.1996 – 10 AZR 804/94 = AP Nr. 4 zu § 30 MantelG DDR Gründe IV. 2.; v. 31.05.2000 – 7 ABR 78/98 = AP Nr. 12 zu § 1 BetrVG 1972 Gemeinsamer Betrieb LS 1, II. 1. a); ErfK-Eisenmann § 19 Rdnr. 5; Fitting § 19 Rdnr. 5; GK-Kreutz § 19 Rdnr. 138; Löwisch/Kaiser § 19 Rdnr. 6; Richardi-Thüsing § 19 Rdnrn. 17, 74.

§ 2 Abweichende Regelungen (§ 3 BetrVG)

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den des effektiven Grundrechtsschutzes der Außenseiter und Minderheitsgewerkschaften deckt sich im Ergebnis mit der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einem dem staatlichen Geltungsbefehl vorangehenden Verfahren, bei dem die Außenseitererstreckung die notwendige demokratische Legitimation erfährt, und bei der die Interessen und Grundrechtspositionen der Außenseiter und Konkurrenzgewerkschaften schon vor Geltungskraft der Tarifverträge eingebracht und damit effektiviert werden können. (1) Indirekte Bestätigung des Gebots der Ex-ante-Kontrolle durch Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Bestimmtheitsgebot und zur Wesentlichkeitstheorie Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass im Bergmannsversorgungsschein-Beschluss372 des Bundesverfassungsgerichts nicht für jeden Fall der Außenseitererstreckung von Tarifverträgen ein (vorgeschaltetes) staatliches Verfahren als unerlässlich angesehen worden ist. Diese Entscheidung lässt sich zwar dahingehend interpretieren, dass auch eine dynamische Verweisung des Gesetzes auf Tarifvertrag als versteckte staatliche Delegation zur Normsetzung verstanden werden könnte373, und diese bei hinreichender Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit der in Bezug genommenen Tarifnormen den Anforderungen an die demokratische Legitimation einer Normunterwerfung der Außenseiter und des Rechtsstaatsprinzips noch genügen kann: Aber zum einen bestehen, schon was die Bestimmtheit des § 3 Abs. 1 BetrVG betrifft, ganz erhebliche Bedenken. Und zum anderen ist der Bergmannsversorgungsschein-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen doch insofern sehr zurückhaltend und geradezu widersprüchlich, als trotz der dort grundsätzlich für möglich gehaltenen Zulässigkeit an gleicher Stelle betont wird, es „bedürfe zur Erstreckung auf Nichtmitglieder (die sog. Außenseiter) eines normierenden Akts einer staatlichen Stelle, der in Gestalt des Rechtsinstituts der AVE zur Verfügung stehe“374. Vor allem aber gilt es, die Bestimmtheitsanforderungen im Bergmannsversorgungsschein-Beschluss richtig in das Gefüge von Wesentlichkeitstheorie und Bestimmtheitsgebot in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einzuordnen: Nach der „Wesentlichkeitstheorie“ des Bundesverfassungsgerichts muss der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen375. Je grundrechtsintensiver eine Rege372

BVerfG v. 14.06.1983 – 2 BvR 488/80 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmVersSchG

NRW. 373

Siehe in diesem Sinne insbesondere Giesen BB 02, 1480 (1486). BVerfG v. 14.06.1983 – 2 BvR 488/80 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmVersSchG NRW Gründe B. II. 1. 374

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

lung also ist, desto eher hat der Gesetzgeber auch selbst diese Regelung zu treffen. Das Bestimmtheitsgebot des Bundesverfassungsgerichts wiederum, mit dem die Frage beantwortet wird, wie weit gesetzliche Regelungen im einzelnen gehen müssen, steht in einem engen Zusammenhang mit dieser Wesentlichkeitstheorie376. Denn nach den gleichen Maßstäben wie bei der Wesentlichkeitstheorie beurteilt sich auch die Frage danach, wie ausdifferenziert die konkreten grundrechtsrelevanten gesetzlichen Regelungen zu sein haben377. Das Ausmaß der Intensität der Grundrechtsberührung einer Regelung gibt demnach also vor, wie detailliert, und damit wie bestimmt eine gesetzliche Regelung getroffen werden muss. Sieht sich der Gesetzgeber allerdings nicht in der Lage oder ist er sogar schon nicht willens, das angesichts der höchsten Grundrechtsrelevanz der tariflichen Gestaltungsmöglichkeiten für Außenseiter und konkurrierende Minderheitsgewerkschaften erforderliche Maß der Bestimmtheit des § 3 Abs. 1 BetrVG selbst herzustellen, so darf er die Konkretisierung dieser Regelungsmöglichkeiten umso weniger eigeninteressierten Verbänden und damit staatsexternen Stellen überlassen. Auch unter diesem Aspekt erscheint das staatliche Genehmigungserfordernis als einzige Möglichkeit, den Anforderungen des Wesentlichkeitsgedankens noch in ausreichendem Maße zu genügen: Durch gesetzliche Vorgabe nämlich eines der Tarifgeltung vorgeschalteten Genehmigungsverfahrens, welches die Tarifnormen in den staatlichen Willen aufnimmt und dessen detailliert-bestimmte Ausgestaltung und Maßstab den aufgezeigten Grundrechtsgefährdungen entgegenzuwirken vermag. (2) Kein Ersatz der staatlichen Ex-ante-Kontrolle durch verfahrensmäßige Einbindung aller potentiell betroffenen Gewerkschaften Der Schlussfolgerung einer notwendigen staatlichen Ex-ante-Kontrolle kann auch nicht entgegengehalten werden, dass es nach Abschaffung des § 3 Abs. 2 a. F. BetrVG die Möglichkeit der Herstellung einer verfassungskonformen Auslegung des § 3 Abs. 1 BetrVG dahingehend geben könnte, dass zur Gültigkeit eines betriebsverfassungsrechtlichen Tarifvertrags alle Gewerkschaften in dem oder den betroffenen Betrieben dergestalt zusammenwirken zu hätten, dass entweder die verfahrensmäßige Beteiligung aller Gewerkschaften gewährleistet wäre oder sogar nur ein von allen Gewerkschaften verantworteter Tarifvertrag Geltungsanspruch erheben könnte. Denn auch die verfahrensmäßig-formelle Be375 BVerfG v. 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 = NJW 79, 359 (360) m.w. N.; statt vieler Schmidt/Bleibtreu Art. 20 Rdnr. 26. 376 BVerfG v. 06.12.1972 – 1 BvR 230/70 u. 95/71 = BVerfGE 34, 165 (192 f.) = NJW 73, 133 (136). 377 BVerfG v. 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 = NJW 79, 359 (360); Schmidt/Bleibtreu Art. 20 Rdnrn. 26, 34.

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teiligung aller Gewerkschaften zöge nicht zwangsläufig die grundrechtskonforme und damit materielle Beachtung des Koalitionsgrundrechts der Minderheitsgewerkschaft nach sich. Und der Idee einer nur kooperativ in Geltung zu setzenden tariflichen Regelung der betriebsverfassungsrechtlichen Struktur muss außerdem entgegengehalten werden, dass dabei, entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, die Rechte der Außenseiter verfahrensmäßig nicht berücksichtigt werden würden – was aber nach dem oben Ausgeführten die unabdingbare Voraussetzung einer Tarifgeltungserstreckung auf Außenseiter darstellt.

D. Ergebnis Mit dem Wegfall des staatlichen Genehmigungserfordernisses des § 3 Abs. 2 BetrVG a. F. ist ein unüberbrückbares Legitimationsdefizit im Hinblick auf die Rechte der Außenseiter, Andersorganisierten und der Konkurrenzgewerkschaften eingetreten, so dass die Regelung des § 3 Abs. 1 BetrVG als verfassungswidrig anzusehen ist. Nur die staatliche Ex-ante-Kontrolle betriebsverfassungsrechtlicher Tarifverträge gewährleistet im Hinblick auf Außenseiter und deren negative Koalitionsfreiheit, sowie auf die positive Koalitionsfreiheit der konkurrierenden Minderheitsgewerkschaften die effektive Grundrechtsausübung. Angesichts dieser grundrechtlich vermittelten Notwendigkeit der staatlichen Ex-ante-Kontrolle ist eine verfassungskonforme Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG nur im Sinne einer letztlich deklaratorischen Transmissionsregel für die Außenseitergeltung behördlich genehmigter Organisationstarifverträge möglich: Mit Reuter ist davon auszugehen, dass nur die Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG als Vorschrift, die nicht selbst zur Normsetzung ermächtigt, sondern lediglich mögliche Norminhalte in ihren Wirkungen beschreibt, verfassungskonform sein kann: Sie ist zulässig, soweit der Gesetzgeber dazu besonders ermächtigt und die Mitverantwortung für das Ergebnis trägt378, wie das bei der tarifvertraglichen Modifikation der Organisation der Betriebsverfassung nach § 3 Abs. 1 BetrVG bei Vorliegen eines staatlichen Genehmigungsvorbehalts der Fall wäre bzw. vor der Novelle 2001 der Betriebsverfassung war. Dem Einwand Oetkers379, dass hiermit contra legem die zulässige Regelung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen verkürzt wird, ist der Vorrang des verfassungsverbürgten Grundrechtsschutzes für Außenseiter und konkurrierende Minderheitsgewerkschaften entgegenzuhalten.

378 379

Reuter FS Schaub, S. 605 (S. 619); ders., RdA 94, 152 (153, 165). Wiedemann § 3 Rdnr. 138; so auch Heinkel, S. 39 m.w. N.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

§ 3 Betriebsratswahlen (§ 14 BetrVG) Die Stellung der Minderheitsgewerkschaften ist in besonderer Weise dort betroffen, wo vermittelt über die Wahlen zum Betriebsrat darüber entschieden wird, ob sie mit den für sie hierbei antretenden Mitgliedern auch die Chance erhalten, über die lediglich informelle Werbung im Betrieb hinaus auch in eine Phase der formellen Mitarbeit in den betriebsverfassungsrechtlichen Gremien einzutreten. Zwar ist die Wahrnehmung des Betriebsratsamtes selbst nicht mehr dem Bereich der Koalitionsbetätigung zuzuordnen380. § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnet deshalb konsequenter Weise als materielle „Amtsvorgabe“ auch die Verpflichtung des Betriebsrats zur gewerkschaftlichen Neutralität an, die sich über den Gesetzeswortlaut hinaus auch auf alle Mitglieder des Betriebsrates erstreckt381. Dies folgt daraus, dass der Betriebsrat nur durch seine Mitglieder handeln kann, weswegen dessen Amtspflichten auch solche der einzelnen Mitglieder sein müssen382. Dies ändert aber nichts daran, dass sich aus der Wahrnehmung des Amtes heraus Rückwirkungen für die Koalitionen ergeben, die von herausragender Bedeutung für den Verlauf des „Aufholwettbewerbs“ der Minderheiten- gegenüber den Mehrheitskoalitionen sein können: Denn einerseits wird der Einsatz von Betriebsratsmitgliedern in ihrer Amtstätigkeit bei den Arbeitnehmern stets auch Rückwirkungen auf das Ansehen der sie „tragenden“ Koalitionen haben. Zum anderen können die Koalitionen über die Unterstützung der bei ihnen organisierten Betriebsratsmitglieder ihre gegebenenfalls von den Konzepten der Mehrheitsgewerkschaften abweichenden Vorstellungen von der konkreten betrieblichen Gestaltung der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ in die Betriebsratsarbeit einbringen, und nicht zuletzt sichert der hierdurch entstehende Informationsfluss zwischen Betriebsratsmitgliedern und Minderheitsgewerkschaften auch deren Möglichkeiten, sich inhaltlich innerhalb der Belegschaften zu profilieren – was wiederum ein wesentliches Element des Aufholwettbewerbs im System des Koalitionspluralismus bildet. Außerdem muss das Aufschließen gegebenenfalls noch nicht tariffähiger Koalitionen hin zur Tarifmächtigkeit zwangsläufig in den Betrieben ansetzen. Ein Erstarken insbesondere eines neu gegründeten Verbandes aus dem Stand heraus zur Tarifmächtigkeit dürfte nämlich praktisch unmöglich sein383. Dies ist der Hintergrund, weshalb das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass die spezifische Betätigung der Koalitionen auch darin besteht, zur Verfolgung ihrer in Art. 9 Abs. 3 GG umschriebenen Zwecke Einfluss auf die Wahl von Mitbestimmungsorganen zu 380

BVerfG v. 27.03.1979 – 2 BvR 1011/78 = AP Nr. 31 zu Art. 9 GG Gründe II. 1. DKK-Berg Rdnr. 4; ErfK-Kania § 75 Rdnr. 2; Fitting § 75 Rdnr. 8; GK-Kreutz § 75 Rdnr. 10; v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 302 Rdnr. 1. 382 GK-Kreutz § 75 Rdnr. 10. 383 Hanau/Adomeit Rdnr. 148. 381

§ 3 Betriebsratswahlen (§ 14 BetrVG)

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nehmen, um ihnen Gelegenheit zu geben, insbesondere im Wahlkampf ihre Standpunkte und Argumente der Wählerschaft präsentieren zu können und damit für sich zu werben384. Stellen sich die Betriebsratswahl demnach als wesentlicher Angelpunkt der praktischen Existenz des Koalitionspluralismus dar, so verdienen die diesbezüglichen (verfassungsrechtlichen) Anforderungen auch ganz besonderes Augenmerk.

A. Verfassungsfestigkeit des § 14 Abs. 4 Satz 1 i.V. m. § 14 Abs. 3 BetrVG (Unterschriftenquorum) § 14 Abs. 2 Satz 1 i.V. m. § 14 Abs. 3 BetrVG gibt für die Wahlvorschläge der Arbeitnehmer ein Unterzeichnungsquorum („Stützunterschriften“) von einem Zwanzigstel der Arbeitnehmer des Betriebes vor. Auf den ersten Blick könnte man versucht sein, diese Regelung unter dem Gesichtspunkt der Stellung der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung als uninteressant anzusehen. Denn schließlich ist mit der Betriebsverfassungsnovelle 1988385 ein gewerkschaftliches Wahlvorschlagsrecht für die Betriebsratswahlen eingeführt worden, so dass die Rechtsprechungsentwicklung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit von Quoren für Wahlvorschläge im Mitbestimmungsbereich für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang als obsolet angesehen werden könnte. Eine solche Betrachtung griffe jedoch zu kurz: Denn das 1988 eingeführte gewerkschaftliche Wahlvorschlagsrecht hat ganz massive Kritik von politisch mächtiger Seite erfahren386, und es ist deshalb nicht auszuschließen, dass es irgendwann einmal wieder zur Disposition gestellt werden könnte. Dasselbe gilt für das erst 1988 eingeführte Quorum von einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer. Es gilt also die Frage zu stellen, ob das 1988 eingeführte Quorum „verfassungsfest“ ist, es also der zukünftigen gesetzgeberischen Disposition von Verfassungs wegen entzogen ist.

384 BVerfG v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82 – 2 BvL 21/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG Gründe I.; v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81Gründe B. II. 385 Siehe zur Geschichte dieser Novelle Fitting Einleitung Rdnr. 27; GK-Wiese Einleitung Rdnrn. 28 ff.; v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 297 Rdnr. 54; Richard-Richardi Einleitung Rdnrn. 20 ff.; zur Vorgeschichte auch Richardi ArbuR 86, 33 ff. 386 Diese Kritik stammt bezeichnenderweise vor allem auch aus dem Lager des DGB und seiner Gewerkschaften; es wurde im gewerkschaftliche Vorschlagsrecht vor allem eine Begünstigung von Splittergruppierungen – zu Lasten der Idee der Einheitsgewerkschaft – gesehen, siehe nur Däubler AiB 86, 99 f.; Plander AiB 88, 272 f.; Schneider AiB 88, 99 (101) (DGB-Bundesvorstand); Schumann AiB 88, 205 f. (Vorstand IG-Metall).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

I. Besonders hohe Anforderungen an die staatliche Ausgestaltung im Bereich von Wahlen im Mitbestimmungsbereich Es wurde bereits an anderer Stelle387 – im Zusammenhang mit der Untersuchung des verfassungsrechtlichen Rahmens der Koalitionsfreiheit und des Koalitionspluralismus – darauf hingewiesen, dass die allgemeinen Vorgaben des verfassungsrechtlich gebotenen Anforderungsprofils für das erlaubte Maß der Differenzierungen zwischen verschiedenen Koalitionen bei der staatlichen Ausgestaltung wegen der hierbei strikt zu wahrenden staatlichen Neutralität als außerordentlich streng zu beschreiben sind, und dass diese Prüfungsintensität nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht eine weitere Steigerung dort erfährt, wo die staatliche Ausgestaltung von – allgemein gesprochen – Wahlvorgängen im Bereich der Mitbestimmung abhängig Beschäftigter unter Koalitionsbeteiligung in Rede steht. Es wurde auch dargelegt, dass bei Wahlvorgängen im Mitbestimmungssektor unter dem Gesichtspunkt der Zwangskorporierung der Arbeitnehmer in Betrieben, demokratische Grundsätze diese Zwangskorporation zu „flankieren“ haben388. Wegen der zentralen Rolle der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung für den Bereich von Wahlen in der Betriebs- und Personalverfassung und der Unternehmensmitbestimmung soll deren verschiedenen Argumentationslinien vertieft nachgegangen werden389. II. Übertragbarkeit der Grundsätze des Parlamentswahlrechts auf Wahlen im Mitbestimmungssektor Dass sich die Wahlrechtsgrundsätze der Art. 28 Abs. 1 Satz 2, Art. 38 Abs. 1 GG als nähere Ausführung des Demokratieprinzips in einer Schlüsselfunktion im Konzept des Demokratiebegriffs des Grundgesetzes befinden müssen, liegt auf der Hand. Denn sie stellen sicher, dass die Staatsgewalt sich vom Volk hin zum Staat konstituieren kann, und sie konkretisieren damit das Prinzip der Volkssouveränität390. Wegen dieser zentralen Bedeutung demokratischer Wahlen beanspruchen die Wahlrechtsgrundsätze als allgemeine Rechtsprinzipien über den Bereich der Wahlen zu Bund, Ländern, Kreisen und Gemeinden hinaus, Geltung für Wahlen zu allen Volksvertretungen und für alle politischen Abstimmungen391.

387

Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. g) dd) ff. 389 Hierzu insbesondere auch Löwisch FS Zöllner, 847 ff. 390 Siehe nur BVerfGE 11, 351 (360); 18, 151 (154); 20, 56 (98, 113); 69, 92 (105 f.); Jarass/Pieroth Art. 38 Rdnr. 1; v. Münch-Trute Art. 38 Rdnr. 1 ff.; SachsMagiera Art. 38 Rdnr. 73 ff. 388

§ 3 Betriebsratswahlen (§ 14 BetrVG)

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Das Bundesverfassungsgericht hat diesen zunächst staatsgerichteten Geltungsanspruch der Wahlgrundsätze auch auf den Bereich der Wahlen zu Mitbestimmungsorganen ausgedehnt392. Zunächst hat es in seiner Entscheidung zum LPVG Bremen festgestellt (Verfassungswidrigkeit eines Quorums von zehn Prozent der gruppenangehörigen Bediensteten für einen Wahlvorschlag), dass die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl als ungeschriebenes Verfassungsrecht über den Anwendungsbereich der Art. 28 Abs. 1 Satz 2, Art. 38 Abs. 1 GG hinaus, für sich im Bereich des Personalvertretungswesens Geltung beanspruchen dürfen – auch schon für die Wahlvorbereitungen und das Wahlvorschlagsrecht. Dies ergebe sich aus der Natur des Sachbereichs, nämlich dem Sinn und Zweck der Personalvertretungswahlen, der keine Abweichung von den Grundsätzen rechtfertigen könne, die das Bundesverfassungsgericht zur Höhe von Unterschriftenquoren bei allgemeinen politische Wahlen entwickelt habe393. Diese Rechtsprechung wurde mit dem Beschluss vom 16.10.1984394 bestätigt (Unterschriftenquorum für einen Wahlvorschlag von zehn Prozent der Wahlberechtigten einer Beschäftigtengruppe bzw. aller Wahlberechtigten bei gemeinsamer Wahl gem. § 19 Abs. 3 BPersVG in der seinerzeitigen Fassung), wobei das Bundesverfassungsgericht sich im Hinblick auf die Höhe eines möglicherweise noch zulässigen Unterschriftenquorums zwar nicht festlegte, sich aber doch vertiefend einer rechtsanalogen Betrachtung des Parlamentswahlrechts widmete und darauf hinwies, dass dort gegebenenfalls weitaus niedrigere Quoren für ein Wahlvorschlagsrecht von Verfassungs wegen vorgegeben sein könnten. Diese auf personalvertretungsrechtliche Wahlen bezogene Linie wurde mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.10.1985395 in ihrer Anwendbarkeit auf „Wahlen im Arbeits- und Sozialwesen“ jedenfalls insofern weiterentwickelt, als dort festgestellt wurde, dass der Gesetzgeber dann, wenn er für alle Arbeitnehmer die Zwangsmitgliedschaft in einer Körperschaft des öffentlichen Rechts angeordnet habe, und das Vertretungsorgan in unmittelbaren Wahlen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu wählen sei, er die Chancengleichheit der Wahlbewerber in einer der Chancengleichheit der Bewerber bei allgemein-politischen Wahlen gleichen Werthaltigkeit zu garantieren habe (Verfassungswidrigkeit der Begrenzung des Wahlvorschlagsrechts für die Arbeitnehmerkammern des Landes Bremen auf solche Gewerkschaften, welche „für das Arbeitsleben in Bremen wesentliche Bedeutung haben“). Auch in die391 BVerfGE 13, 54 (91); 47, 253 (276 f.); 51, 222 (234 f.); 60, 162 (167); SächsVerfGH LVerfGE 6, 244 (250); HamVerfG LVerfGE 8, 227 (238 f.); BerlVerfGH LVerfGE 4, 34 (38); Jarass/Pieroth Art. 38 Rdnr. 2; v. Münch-Trute Art. 38 Rdnr. 2; Sachs-Magiera Art. 38 Rdnr. 77. 392 Dazu Löwisch FS Zöllner, S. 847 (S. 848 ff., S. 851 f.). 393 BVerfG v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr 1 zu § 48 LPVG Bremen. 394 BVerfG v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82 u. 2 BvL 21/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG. 395 BVerfG v. 22.10.1985 – 1 BvL 44/83 = AP Nr. 142 zu Art. 3 GG.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

sem Zusammenhang wurde also der Vergleich mit allgemein-politischen Wahlen, namentlich den Wahlen zum Bundestag und zur Bremer Bürgerschaft zur Begründung herangezogen. In seiner jüngsten einschlägigen Entscheidung vom 12.10.2004396 hat das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung in ihrer Geltung dem Grundsatz nach auch auf Wahlen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich ausgedehnt397 (Verfassungswidrigkeit des zehnprozentigen Unterschriftenquorums für einen Wahlvorschlag zur Wahl der Delegierten für die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat einer dem Mitbestimmungsgesetz unterliegenden Aktiengesellschaft). Hier betont das Bundesverfassungsgericht zwar, dass sich die Anforderungen des Gleichheitssatzes für den Bereich allgemein-politischer Wahlen nicht schematisch auf Wahlen in anderen Bereichen übertragen lassen. So müsse für Wahlen zum Aufsichtsrat gelten, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlverfahrens auf die Funktionsfähigkeit des Unternehmens Rücksicht zu nehmen habe. Andererseits sei der Gesetzgeber aber auch bei Wahlen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich auf die Grundsätze eines ordnungsgemäßen Wahlverfahrens festgelegt. Dies habe zur Folge, dass der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit in Form der Gleichheit des Wahlvorschlagsrechts und im Sinne einer Chancengleichheit für konkurrierende Wahlvorschläge auch bei solchen Wahlen unbedingt zu gelten habe. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb diese Rechtsprechung nicht auch im Bereich des strukturell vergleichbaren Betriebsverfassungsrechts Anwendung finden müssten398. Denkt man die Begründung des Bundesverfassungsgerichts 396

BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242. BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 Gründe C. I. 1. 4. Abs.; zust. Säcker RdA 05, 113 (114), der zu Recht darauf hinweist, dass es „erstaunlich“ sei, dass angesichts der evidenten Verfassungswidrigkeit des § 12 Abs. 1 Satz 2 MitbestG das Bundesarbeitsgericht nicht unternommen habe, die Rechtsfrage, die dort im Beschlussverfahren anhängig gewesen war, dem Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 GG vorzulegen; zur Entwicklungsgeschichte der Quorumsregelung des § 12 MitbestG und umf. zum Literaturstand vor der Entscheidung des BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 siehe Ulmer/Habersack/Henssler § 12 Rdnr. 2 ff. 398 So schon GK-Kreutz 4. Auflage § 14 Rdnr. 86 als Reaktion den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts v. 16.10.1984 = BVerfGE 67, 369; in diese Richtung Löwisch FS Zöllner, S. 847 (S. 852 f.); a.A. Schumann AiB 88, 205, unter – allerdings abwegigem – Verweis auf den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes v. 12.03.1987 – Gms – OGB 6/86 = NJW 87, 2571: denn dort wurde lediglich ausgeführt, dass der Arbeitnehmerbegriff des Betriebsverfassungsgesetzes nicht mit dem Begriff des Beschäftigten im Personalvertretungsrecht identisch sei. „Beschäftigte“ seien Diener der Gesamtheit des Volkes, „Arbeitnehmer“ arbeiteten privatnützig in der privaten Wirtschaft. Wieso sich aus diesen Feststellungen die Verfassungsgemäßheit eines zehnprozentigen Unterschriftenquorums für das BetrVG in Abweichung von der Rechtslage in der Personalverfassung soll ableiten können, ist nicht ersichtlich; a.A. auch Hanau ArbuR 88, 261 (264 f.), der in der Herabsetzung des Wahlvorschlagsquorums für die Betriebsratswahl die Gefahr der Anarchie aufkommen sieht; das Bundesverfassungsgericht habe zu Unrecht Überlegungen aus dem Parla397

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zur gesetzgeberischen Rücksichtnahme auf die Funktionsfähigkeit des Unternehmens bei der Ausgestaltung des Wahlrechts von Mitbestimmungswahlen in den Bereich des Betriebsverfassungsrechts hinein weiter, so hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des dort anzuwendenden Wahlrechts allerdings die Funktionsfähigkeit des Betriebes bzw. der betrieblichen Mitbestimmung sicherzustellen. 1. Staatliche Neutralität und Chancengleichheit Bei der gesetzgeberischen Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung hat der Staat sich neutral zu verhalten, allerdings auf Grundlage einer weiten Einschätzungsprärogative399. Diese Einschätzungsprärogative erfährt allerdings dort starke Einschränkungen, wo der Gesetzgeber Regelungen über Wahlen trifft400. Gewährleiste – so das Bundesverfassungsgericht – Art. 9 Abs. 3 GG die Freiheit des Zusammenschlusses zur Förderung der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“, und dürfe dieser Zweck gemeinsam verfolgt werden, was auch die Beteiligung an Wahlen im Mitbestimmungsbereich einschließe, so sei mit dieser verfassungsrechtlich gesicherten Freiheit im Grundsatz auch die volle Gleichberechtigung aller Koalitionen bei der Wahl notwendig verbunden. Denn die Entscheidung über den Wert des Programms einer Koalition und über ihr Recht, Vertreter in ein Mitbestimmungsorgan zu entsenden, dürfe nicht die staatliche Ausgestaltung des Wahlrechts entscheiden, sondern es müssten dies die wahlberechtigten Beschäftigten alleine entscheiden dürfen. Staatliche Neutralität drückt sich damit im Grundsatz der gleichen Wettbewerbschancen der Koalitionen aus und entspricht damit dem im Parlamentswahlrecht anerkannten Prinzip der Chancengleichheit der politischen Parteien401. Im Kontext des oben Ausgeführten erfährt der Grundsatz der staatlichen Neutralität bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung mithin bei Wahlen im Mitbestimmungsbereich sein höchstes Maß. Die Anforderungen bei der staatlichen Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit anhand des „ausdifferenzierten Anfor-

mentswahlrecht auf die Wahlen im Personalvertretungsrecht übertragen und die Quorums-Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts seien auf Betriebsratswahlen nicht übertragbar. Bundestagswahrecht und Betriebsverfassungsrecht seien strukturell nicht vergleichbar. 399 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 2. a); 4. Kap. § 2 A. II. f. 400 Siehe schon oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. c) ff. 401 BVerfG v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen Gründe B.II. für den Bereich des Personalvertretungsrechts; BVerfG v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82 u. 21/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG Gründe I. für den Bereich des Bundespersonalvertretungsrechts; v. 22.10.1985 – 1 BvL 44/83 = AP Nr. 142 zu Art. 3 GG Gründe I. 1. Arbeitnehmerkammer I. 1.; v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 C. I. 1.; Rieble Rdnr. 1859.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

derungsprofils“ sind im Hinblick auf mögliche Differenzierungen zwischen verschiedenen Koalitionen hier am höchsten402. 2. Beeinträchtigung der Chancengleichheit – Zwingende Gründe – Das Argument der Zersplitterung Das Bundesverfassungsgericht betont zur möglichen Differenzierung zwischen Koalitionen auch in seiner jüngsten einschlägigen Entscheidung403 erneut404, dass jede gesetzgeberische Maßnahme, welche im Bereich solcher Wahlen die Chancengleichheit der Koalitionen beeinflussen könnte, sich nur durch zwingende Gründe rechtfertigen lässt: „Wenn ein Gremium durch Wahlen der Belegschaft und auf der Grundlage von Wahlvorschlägen, die an der Gewerkschaftszugehörigkeit orientiert sein dürfen, besetzt werden soll, hat eine in sich folgerichtige Regelung die Chancengleichheit der bei den Wahlen antretenden Gruppen zu beachten. . . . Da das Recht der Koalitionen, an vom Gesetzgeber zur Vertretung von Arbeitnehmern geschaffenen Einrichtungen mitzuwirken, unter den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG fällt, ist mit dieser verfassungsrechtlich gesicherten Freiheit auch die Chancengleichheit der Koalitionen bei der Wahl verbunden. . . . Dem Gesetzgeber ist daher, wenn er in den Bereich der Willensbildung bei Wahlen in einer Weise eingreift, welche die Chancengleichheit beeinträchtigen kann, auch hier jede ungleiche Behandlung versagt, die sich nicht durch einen besonderen, zwingenden Grund rechtfertigen lässt (vgl. BVerfGE 60, 162 (170 f.); 71, 81 (95).“

Das Bundesverfassungsgericht hat bei dieser besonders hohen Prüfungsintensität im Bereich von Wahlen anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes also hervorgehoben, dass der Grundsatz der formalen Wahlgleichheit auch jenseits allgemeinpolitischer Wahlen nur unter engsten Voraussetzungen durch Sachge402 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3.; deshalb hat das Bundesverfassungsgericht auch ohne Umschweife ein Quorum von vorneherein für verfassungswidrig erklärt, welches mehr Stimmen erforderte, als für einen konkreten Wahlerfolg (Erringung eines Sitzes) erforderlich war, BVerfG v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82 u. 21/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG Gründe I. 1, dazu auch Löwisch FS Zöller, S. 847 (S. 856 f.), der diesen Aspekt für den Bereich der Delegiertenwahlen nach dem § 12 Abs. 1 MitbestG untersucht hat und zu dem Ergebnis der Verfassungswidrigkeit gekommen ist; bestätigt durch BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 Gründe C. I. 2. b bb cc; zust. Säcker RdA 05, 113 f. 403 BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 C. I. 1. (Unterschriftenquorum MitbestG); siehe dazu auch Klein ZBVR 00, 18 sowie ZBVR 04, 246 und besonders Löwisch FS Zöllner, S. 847, der die Verfassungswidrigkeit der Quoren für die Wahlen nach dem MitbestG in umfassender Weise nachgewiesen hat. 404 Siehe dazu auch BVerfG v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen B. II.: „besonderer, zwingender Grund“; v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82, 21/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG Gründe I.: „zwingender Grund“; siehe auch bereits betreffend die Selbstverwaltungsorgane der Sozialversicherungen BVerwG v. 24.02.1971 – 1 BvR 438/68, 456/68, 484/68, 1 BvL 40/69 = AP Nr. 22 zu Art. 9 GG C. II. 1.: „zwingende Gründe“.

§ 3 Betriebsratswahlen (§ 14 BetrVG)

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sichtspunkte wie die der Praktikabilität oder Funktionsfähigkeit Einschränkung erfahren darf405. Es hat damit die an und für sich weite staatliche Einschätzungsprärogative406 bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung für Wahlvorgänge unter Beteiligung konkurrierender Koalitionen sehr weit eingeschränkt. Tragende Gesichtspunkte einer Beschränkung der Chancengleichheit bei Wahlen könnten im vorliegenden Zusammenhang zunächst solche sein, welche die Funktionsfähigkeit der betrieblichen Mitbestimmung oder gar des Betriebes selbst betreffen. Dass gesellschaftspolitisch formulierte Präferenzen für eine starke Einheitsgewerkschaft aus dem aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Neutralitätsgebot für den Staat für sich genommen keinen tragenden Sachgrund für Differenzierungen bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung abzugeben vermögen, ist ausgeführt worden407. Das in diesem Zusammenhang in Anspruch genommene „Spaltungsargument“408, bei dem kleinere Gewerkschaften aus Sicht der Mehrheitskoalitionen letztlich als „Verräter an der Sache der Arbeitnehmerschaft“ angesehen werden, verbietet sich als Differenzierungsgrund umsomehr, als oben409 überdies festgestellt worden ist, dass dem Grundrecht der kollektiven Koalitionsfreiheit wegen seines privatautonomen Charakters von vorneherein eine koalitionspluralismusfreundliche Tendenz innewohnt. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der Literatur410 wird allerdings insbesondere im Zusammenhang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für Wahlen im Mitbestimmungsbereich immer wieder vorausgesetzt oder betont, dass staatliche Ausgestaltung der Gefahr einer – zu starken – Zersplitterung begegnen dürfe411. Dem entspricht die allgegenwärtige Praxis des Bestehens von Quoren im Bereich von allgemein-politischen Wahlen. Worin allerdings genau die Gefahren dieser Zersplitterung bestehen sollten, wird dabei nicht immer klar412.

405 BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 C. I. 1 am Anfang; zum Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit für den Bereich allgemein-politischer Wahlen vgl. auch Sachs-Magiera Art. 38 Rdnr. 93; BVerfGE 1, 208 (247 ff.); 69, 92 (106), 82, 322 (338); 93, 373 (377); 95, 408 (418). 406 Dazu oben 2. Kap. § 1 F. IV. 1.; 2. a). 407 Siehe oben 3. Kap. § 3 I.; auch Rieble Rdnrn. 1860, 1885. 408 Muhr ArbuR 82, 1 (6); ähnlich Schumann AiB 88, 205; ähnlich auch Breit, Anlage zum Schreiben v. 04.06.1985, S. 3 f.; hiergegen Klein ZBVR 04 14 (17). 409 Siehe oben 2. Kap. § 1 B. II. 410 Hanau Gutachten, S. 17 f.; S. 21; Dütz Gutachten, S. 19; Dütz DB 01, 1306 (1308). 411 So BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 C. 3. a) aa); v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen B. II.; v. 22.10.1985 – 1 BvL 44/83 = AP Nr. 142 zu Art. 3 GG Gründe II. 1. 412 Ähnlich kryptisch liegt die Argumentationslinie von GK-MitbestG-Matthes § 12 Rdnr. 13 (betr. die Anforderungen an ein verfassungsgemäßes Quorum bei Delegiertenwahlen nach dem MitbestG 1976): Das (seinerzeitige) 10-Prozent-Quorum sei des-

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Teilweise wird unter offener Ablehnung des Koalitionspluralismus davon gesprochen, dass jedweder Proporz, sei es Gruppen- oder Listenproporz, von Übel sei. Schneider413 hat in diesem Zusammenhang die Anpassung des Unterschriftenquorums für Wahlvorschläge der Arbeitnehmer von zehn Prozent der wahlberechtigten Gruppenangehörigen auf ein Zwanzigstel durch die Betriebsverfassungsnovelle 1988 (in Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit von Unterschriftenquoren414) als gerade noch „hinnehmbar“ bezeichnet. Zum Tragen kommt hierbei wohl die Vorstellung von der Einheitsgewerkschaft als einzig legitimer Interessenvertretung der Arbeitnehmerschaft415. Vor allem aber dürfte die hier häufig stillschweigend vorausgesetzte Prämisse der Einheitlichkeit (Homogenität) der Interessen auf Seiten der Arbeitnehmer des Betriebes dem Bereich der Alltagstheorie zuzuordnen sein oder gar schlichtem Wunschdenken geschuldet sein416. Denn dass Heterogenität innerhalb von Mitbestimmungsgremien tatsächlich die halb verfassungsgemäß, weil es der „ordnungsgemäßen und praktikablen Wahldurchführung diene“. 413 Schneider AiB 88, 99 (101). 414 Mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einher ging die Bewertung des 10-Prozent-Quorums des § 14 Abs. 5 und 6 BetrVG i. d. F. vor der Novelle 1988 als verfassungswidrig; siehe dazu nur GK-Kreutz 4. Auflage Rdnr. 86; Löwisch TK § 14 Rdnr. 10; Richardi ArbuR 86, 33 (35 f.); a.A. Schumann AiB 88, 205, unter – allerdings abwegigen – Verweis auf Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes v. 12.03.1987 – Gms – OGB 6/86 = NJW 87, 2571: Dort wurde lediglich ausgeführt, dass der Arbeitnehmerbegriff des Betriebsverfassungsgesetzes nicht mit dem Begriff des Beschäftigten im Personalvertretungsrecht identisch sei. „Beschäftigte“ seien Diener der Gesamtheit des Volkes, „Arbeitnehmer“ arbeiteten privatnützig in der privaten Wirtschaft. Wieso sich aus diesen Feststellungen die Verfassungsgemäßheit eines zehnprozentigen Unterschriftenquorums für das BetrVG in Abweichung von der Rechtslage in der Personalverfassung soll ableiten können, ist nicht ersichtlich (siehe bereits oben). 415 So auch Däubler AiB 86, 99 f., der den Gesetzentwurf über die Minderheitenrechte als „Missgeburt“ bezeichnet hat; siehe auch Däubler FS Wlotzke, S. 257 (S. 269), der an dieser Stelle die gewerkschaftliche Minderheitenproblematik als nur ein internes Problem der Einheitsgewerkschaft beschreibt; Schumann AiB 88, 205 f.; vorsichtiger Plander AiB 88, 272 (273), der zwar den Minderheitenschutz des Art. 9 Abs. 3 GG als Ausfluss des Koalitionspluralismus dem Grundsatz nach anerkennt, in der Einführung des konkreten Minderheitenschutzes im BetrVG letztlich jedoch trotzdem einen illegitimen Eingriff in das geschichtlich alleine legitmierte Organisationsprinzip der Einheitsgewerkschaft sieht; ähnlich wie Plander sieht Hanau ArbuR 88, 261 (264 ff.) im Zusammenhang mit dem 1988 eingeführten gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrecht sich zur Formulierung erheblicher Bedenken gegenüber dem Minderheitenschutz veranlasst, weil hierin eine nicht erforderliche Abkehr vom Gedanken der Einheitsgewerkschaft liege; allerdings gesteht auch Hanau ArbuR 88, 261 (264) ein, dass das Prinzip der Einheitsgewerkschaft wegen des in Art. 9 Abs. 3 GG angelegten Koalitionspluralismus nicht den Rang eines Verfassungsprinzips für sich beanspruchen könne. 416 Bezeichnend insofern Schumann AiB 88, 205 f., der im „sog. Minderheitenschutz „Manipulationsgefahren von außen“ ausmacht und kleinere Gewerkschaften (Splittergruppierungen) pauschal mit dem Generalverdacht der „gelben, arbeitgeberhö-

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„Arbeitnehmerbank“ gegenüber dem Arbeitgeber zersplittert und damit geschwächt hätte, ist aus konkreten Untersuchungen der praktischen Betriebsratsarbeit nicht ersichtlich417. Dass unter dem Aspekt der Gefahr einer zu starken Zersplitterung die Funktionsfähigkeit von Vertretungs- und Beschlussgremien sichergestellt und dabei gewisse Ungleichbehandlungen legitimierbar, vielleicht sogar geboten sein können, soll im Grundsatz allerdings nicht bestritten werden418, genauso wenig wie auch der Gefahr des Wegwerfens von Stimmen durch die Wähler mit der Verhinderung aussichtsloser Wahlvorschläge durch Beschränkung auf ernsthafte Bewerber und Wahlvorschläge wohl wird begegnet werden dürfen419. Im Hinblick auf den Bereich betriebsverfassungsrechtlicher Gremien spricht Dütz420 von „angemessenen Quoren, die Störungen von Splittergruppen abwehren könnten, um die Arbeitsfähigkeit mehrheitlich bestimmter betriebsverfassungsrechtlicher Gremien sicherzustellen“. Dem ist beizupflichten, allerdings mit der Maßgabe, dass an die Prognose bzw. den Nachweis solcher Störungsgeneigtheit angesichts der Grundrechtsberührung und der oben dargelegten421 Notwendigkeit einer besonders hohen Prüfungsintensität bei Wahlen, strengste Maßstäbe anzulegen sind. Unterschriftenquoren dürfen sich damit nicht als Fernhaltevorkehrung zu Lasten von Minderheitsgewerkschaften auswirken422.

rigen“ Zweckverfolgung belegt; etwas zweifelnd jetzt Däubler Gewerkschaftsrechte § 3 II. (Rdnr. 88a). 417 Für den Bereich der Aufsichtsratswahlen nach dem Mitbestimmungsgesetz hat die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände mit Schreiben vom 21.01.1999 erklärt (n. v.), dass kein einziger praktischer Fall bekannt sei, bei dem Vertreter einer Arbeitnehmerminderheit im Aufsichtsrat die Anteilseigner gestärkt und dadurch zur Schwächung der Arbeitnehmerbank beigetragen hätten. 418 Für die Verfassungsmäßigkeit der bundeswahlrechtlichen Sperrklausel des § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG BVerfGE 1, 208 (247 f.); 82, 322 (338); 95, 408 (419, 421 f.) st. Rechtsprechung; in diesem Zusammenhang sei nur daran erinnert, dass der „Parteienzersplitterung“ in der historischen Diskussion um das Scheitern der Weimarer Republik breiten Raum einnimmt, siehe auch BVerfGE 34, 81 (99); v. Münch-Trute Art. 38 Rdnr. 58 m.w. N. 419 Löwisch FS Zöllner, S. 847 (S. 854); so auch das BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 Gründe C. I. 3 a aa; v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen Gründe B. II.; v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82 u. 21/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG Gründe I. 1. 420 Dütz DB 01, 1306 (1308). 421 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. 422 BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 ff.; Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 210 m.w. N.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

3. Eigene Auffassung a) Verfassungswidrigkeit des vormaligen Zehn-Prozent-Quorums des § 14 Abs. 4 und 5 BetrVG (Fassung vor der Novelle 1988) In Anwendung der Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit von Quoren im Mitbestimmungssektor kann damit zunächst festgestellt werden, dass das vormalige Zehn-Prozent-Quorum des § 14 Abs. 5 und 6 BetrVG vom Gesetzgeber deutlich abgesenkt wurde, weil es die Chancengleichheit der Koalitionen bei den Betriebsratswahlen ohne zwingenden Grund unverhältnismäßig eingeschränkt hat423. In dem ehemaligen Quorum lag zugleich eine Verletzung des aus Art. 9 Abs. 3 GG herzuleitenden koalitionspluralen Grundsatzes der Gleichheit der Wettbewerbschancen der Koalitionen bei Wahlen im Mitbestimmungssektor. Gleichfalls in Adaption der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann festgestellt werden, dass jedes Unterschriftenquorum für einen Arbeitnehmerwahlvorschlag i. S. v. § 14 Abs. 4 BetrVG, das höher ausfällt, als für das Erreichen eines Betriebsratssitzes konkret erforderlich ist, ebenfalls als eindeutig verfassungswidrig anzusehen ist424. b) Vorgaben an ein verfassungsgemäßes Quorum für Wahlvorschläge zu Betriebsratswahlen Wie hoch ein Quorum genau sein muss, um noch als verfassungsgemäß angesehen werden zu können, ist vom Bundesverfassungsgericht allerdings nicht entschieden worden. Deshalb ist das vom Bundesverfassungsgericht sanktionierte Zersplitterungsargument, i. S. einer Beschränkung der Wahlvorschläge auf ernsthafte Bewerber und auf ein Bewahren der Wählerschaft vor einem Wegwerfen ihrer Stimmen an aussichtslose Wahlvorschläge, für die Bewertung des 14 Abs. 4 BetrVG fruchtbar zu machen. Dabei ist einerseits zu bedenken, dass die staatliche Einschätzungsprärogative hier – weil die Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung im Bereich von Wahlen stattfindet – nur sehr knapp bemessen sein darf425, und dass andererseits die Gefahr der Zersplitterung der 423

So im Ergebnis auch GK-Kreutz 4. Auflage § 14 Rdnr. 86. Das Bundesverfassungsgericht hat jene Quoren für verfassungswidrig erklärt, welche mehr Stimmen erforderten, als für einen konkreten Wahlerfolg (Erringung eines Sitzes) erforderlich sind, BVerfG v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82 u. 21/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG Gründe I.; BVerfGE 60, 162 (174 f.); 67, 369 (378 f.); v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 Gründe C. I. 3. b b; dazu auch Löwisch FS Zöller, S. 847 (S. 856 f.), der diesen Aspekt für den Bereich der Delegiertenwahlen nach dem § 12 Abs. 1 MitbestG untersucht hat und zu dem Ergebnis der Verfassungswidrigkeit gekommen ist; bestätigt durch BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 Gründe C. I. 3. b bb cc. 425 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. d) ff. 424

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Mitglieder des Betriebsrats wegen der im Vergleich zu parlamentarischen Körperschaften geringen Mitgliederzahl nur als niedrig anzusehen ist, und dass die Überschaubarkeit des sachlichen und personellen Aufgabenbereichs regelmäßig zu einer weitgehenden Versachlichung – und eben nicht zu einer Zersplitterung der Gremienarbeit führen wird426. Das Bundesverfassungsgericht hat auch immer wieder betont, dass nur ein deutlicher Abstand zwischen Quorum und Wahlerfolg den verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein Quorum gerecht wird427. Weiter ist zu bedenken, dass das Bundesverfassungsgericht für den Bereich parlamentarischer Wahlen die Fünf-Prozent-Sperrklausel tendenziell wohl als Obergrenze für eine Einschränkbarkeit der formalen Wahlrechtsgleichheit angesehen hat428, weil es in seiner Entscheidung zur ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 wegen der besonderen Umstände dieser Vereinigungswahl das 5%Quorum für zu hoch und damit für nicht verfassungsgemäß angesehen hat429. Eine Tendenz hin zu einer anderen, an einer niedrigeren prozentualen Quote orientierten Beurteilung von Sperrklauseln, wird man hierin gleichwohl nicht sehen können, auch wenn die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von Quoren in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung eher hin zu geringeren Anforderungen zu gehen scheint430. Geht man mit dem Bundesverfassungsgericht von der – allerdings nicht schematischen431 – Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf den Bereich der Wahlen zum Betriebsrat aus, so ergibt sich angesichts der vom Bundesverfassungsgericht betonten geringeren Zersplitterungsgefahr in Gremien mit weniger Mitgliedern, dass die staatliche Einschätzungsprärogative sich bei 426 BVerfG v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen Gründe II. vorletzter Abs.; für den Bereich der zu verteilenden Aufsichtsratssitze der Arbeitnehmerbank bei den Wahlen nach dem MitbestG genauso jetzt auch BVerfG v. 10.12.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 C. I. 3. b aa mit Hinweis auf BVerfGE 60, 162 (172) für Personalvertretungswahlen. 427 BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 Gründe C. 3. b bb; BVerfGE 60, 162 (174 f.); 67, 369 (378 f.). 428 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der 5%-Sperrklausel war im Grunde seit Anbeginn der Bundesrepublik – diese bejahend – ungebrochen; siehe BVerfGE 1, 208 (248, 256 ff.); 4, 31 (40); 4, 375 (380); 5, 77 (83); 6, 84 (90); 14, 121 (134 f.); 34, 81 (99); 47, 198 (227); 51, 222 (236); 71, 81 (97); 82, 322 (338); 95, 408 (419). 429 BVerfGE 82, 322 (IV). 430 So hat der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen mit Entscheidungen v. 06.07.1999 – VerfGH 14/98 u. 15/98 = DVBl. 99, 1271 ff. – die 5%Sperrklausel für Kommunalwahlen für nichtig erklärt; anders noch zur 5%-Sperrklausel im nordrhein-westfälischen Kommunalwahlrecht noch BVerfG v. 23.01.1957 – 2 BvF 3/56 = BVerfGE 6, 104; siehe auch v. Münch-Trute Art. 38 Rdnr. 58, der Zweifel daran durchklingen lässt, ob die Beurteilung der 5%-Klausel im Bundestagswahlrecht als verfassungsgemäß noch zutreffend ist. 431 Siehe nur zuletzt BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 Gründe C. I. 1. 3. Abs. m.w. N.; „nicht schematisch“ heißt im vorliegenden Falle, dass wegen der geringeren Zersplitterungsgefahr im Mitbestimmungswesen eine 5%-Klausel sogar noch kritischer gesehen werden muss als im Parlamentswahlrecht.

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der Ausgestaltung des § 14 Abs. 4 BetrVG (ein Zwanzigstel) am oberen Rand dessen bewegt hat, was überhaupt noch als zulässige Höhe eines Quorums für einen Arbeitnehmerwahlvorschlag angesehen werden kann. Denn es ist auch im Hinblick auf die verfassungsrechtlich erlaubte Höhe des Unterschriftenquorums für einen Wahlvorschlag der oben angeführte „Wechselwirkungsgedanke“432 heranzuziehen: Ein gesetzliches Quorum darf demnach zwar unter dem Gesichtspunkt einer vom Gesetzgeber prognostizierten Zersplitterungsgefahr im Sinne der Gefahr des Wegwerfens von Stimmen für aussichtslose Wahlvorschläge etabliert werden. Dessen Höhe ist aber wiederum „im Lichte der besonderen Bedeutung der Betriebsratswahlen“ für die Koalitionsbetätigung der Minderheitsgewerkschaften zu betrachten, die realistischer Weise erst mit einer Verankerung in der verfassten Mitbestimmungsarbeit in den Betrieben, durch die bei ihnen organisierte Betriebsratsmitglieder, ihre „Vorstellungen von der richtigen Ordnung der abhängigen Arbeit“ zur Geltung bringen, und die erst damit tatsächlich wirksam in die Phase eines „Aufholwettbewerbs“ mit der Mehrheitsgewerkschaft eintreten können. Die bereits mehrfach angesprochene Einschränkung der staatlichen Einschätzungsprärogative bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung bei Wahlen im Mitbestimmungsbereich, hat angesichts der rechtstatsächlich-historischen Entwicklung seit der Betriebsverfassungsnovelle 1988 noch eine weitere Einschränkung erfahren: Seinerzeit nahm die Sorge um Fraktionierungen, Zersplitterung, gar um eine Ebnung der Betriebsverfassung für „Weimarer Verhältnisse“ breiten Raum ein433. Diese damals vorgetragenen Bedenken haben sich aber nicht bewahrheitet. Das mit der Novelle 1988 eingeführte Wahlvorschlagsquorum von einem Zwanzigstel der Wahlberechtigten für einen Wahlvorschlag hat ersichtlich die vom Bundesverfassungsgericht angesprochenen Zersplitterungsgefahren zu verhindern vermocht. Eine gesetzgeberische Erhöhung dieses Quorums dürfte deshalb aufgrund der rechtstatsächlich-historischen Entwicklung seit 1988 vom Gesetzgeber nicht mehr als durch einen „zwingenden Grund“ erforderlich angesehen werden. Damit steht fest, dass das Quorum des § 14 Abs. 4 Satz 1 BetrVG in seiner Höhe insofern verfassungsfest ist, als jede Erhöhung über ein Zwanzigstel hinaus nicht mehr verfassungsgemäß wäre. 432

Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 2. c). Siehe dazu nur Müller FAZ v. 02.07.1985 (Nr. 149), der im von der christlichliberalen Koalition geplanten Minderheitenschutz „Weimarer Verhältnisse“ in den Betrieben vorausgesagt hat – linksradikale Kräfte würden in den Betrieben ihre Chance nutzen und die Betriebsratsarbeit blockieren und mit ihrem neu erworbenen „Herrschaftswissen“ auch außerhalb des Betriebes tätig werden; deshalb sei der geplante Minderheitenschutz außerordentlich gefährlich; ähnlich Breit, seinerzeit Vorsitzender des DGB, Anlage zum Schreiben v. 04.06.1985, S. 3, der ebenfalls „Weimarer Verhältnisse“ unter den Deckmantel des Minderheitenschutzes aufkommen sah. 433

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B. Verhältniswahlsystem in der Betriebsverfassung als zwingende verfassungsrechtliche Vorgabe? Eng verwandt mit der soeben erörterten Frage der Verfassungsfestigkeit des Quorums in § 14 Abs. 4 BetrVG ist die Frage, ob das in § 14 Abs. 2 Satz 2 BetrVG für die Wahlen zum Betriebsrat grundsätzlich angeordnete Verhältniswahlrecht verfassungsrechtlich geboten – und damit einer Veränderungssperre unterworfen ist. Gegenüber dem Mehrheitswahlsystem hat das Verhältniswahlsystem den Vorteil, dass es Minderheiten „gerechter“ behandelt und deshalb bei einer Mehrheit von Wahlvorschlägen besonders gut dazu geeignet ist, die tatsächlichen Stimmenverhältnisse im Wahlergebnis korrekt (proportional) abzubilden. Dem Wähler gibt ein Verhältniswahlsystem die Gewissheit, dass keine Stimme verloren geht, und den gleichen Erfolgswert hat wie alle anderen abgegebenen Stimmen434. Kurz gesagt hat bei der Mehrheitswahl jede Stimme die gleiche Erfolgschance, während ihr bei einem Verhältniswahlsystem darüber hinaus auch der gleiche Erfolgswert zukommt435. I. Betonte Zurückhaltung in Rechtsprechung und Literatur Ob das Gebot der Gewährleistung effektiven Minderheitenschutzes als Konsequenz auch der Geltung des Demokratiegebots in der Betriebsverfassung die Geltung des Verhältniswahlrechts als zwingende verfassungsrechtliche Vorgabe erfordert, ist – so weit ersichtlich – in der Literatur noch nicht ausdrücklich, jedenfalls aber noch nicht umfassender thematisiert worden436. Mittelbar tendiert Dütz437 wohl zu dieser Auffassung, wenn er „das für Arbeitnehmermitbestimmung wesentliche demokratische Minderheitenschutzprinzip“ in einen Zusammenhang mit dem Verhältniswahlprinzip dergestalt einordnet, dass dessen (teilweise) Abschaffung durch den Gesetzgeber minderheitsrechtsverletzenden Charakter habe438. Allerdings hat Dütz es im Zusammenhang mit seiner Untersuchung der seinerzeit geplanten Betriebsverfassungsnovelle 2001 eben gerade 434 GK-Kreutz § 14 Rdnr. 34; BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 Gründe C. I. 3. a bb.; auch Joost MünchArbR § 304 Rdnr. 22. 435 Ubber/Weller NZA 2004, 893 (894). 436 Siehe Hanau ZIP 01, 2163 (2166), der wohl sogar die Frage nach der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit eines Minderheitenschutzes in der Betriebsverfassung an sich in Frage stellt; in der Tendenz anders aber noch BAG v. 01.06.1976 – 1 ABR 99/74 = AP Nr. 1 zu § 28 BetrVG Gründe III. 1.: Man könne nicht sagen, dass eine Entscheidung im Mehrheitswahlmodus undemokratisch wäre. Das BAG hielt in diesem Zusammenhang damals allerdings sogar den völligen Ausfall eines Listenschutzes im Betriebsverfassungsrecht für unproblematisch; so auch bestätigend Bulla Anm. zu AP Nr. 1 zu § 28 BetrVG 1972 II. 1. a. 437 Dütz DB 01, 1306 (1310); Dütz Gutachten, S. 25.

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unterlassen, sich hier konkret festzulegen – obwohl der Untersuchungsgegenstand439 und die rechtspolitische Rahmensituation diese Fragestellung geradezu aufdrängen musste. Auch Löwisch ist diesbezüglich betont zurückhaltend: Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03. 1982440 stellt er für die Auslegung des Entsendungsbegriffs in § 47 Abs. 2 Satz 2 BetrVG darauf ab, dass der Gesetzgeber das Verhältniswahlprinzip als Grundprinzip in der Betriebsverfassung verankert habe. Damit habe er – gleichsam in einem Akt der gesetzgeberischen „Selbstbindung“ – das Gesetz unter dieses Maß gestellt, weshalb der Verhältniswahlgrundsatz im Ergebnis auch die Auslegung der genannten Vorschrift i. S. einer dort erfolgten Vorgabe im Wege der Verhältniswahl vorzunehmenden „Entsendung“ steuere441. Implizit ist damit aber wohl die Aussage verbunden, dass dem Gesetzgeber grundsätzlich ein weiter Spielraum bei der Bewirkung verfahrensmäßiger Demokratie innerhalb der Betriebsverfassung zukommen muss – eben indem er sein Gesetz von vorneherein nicht unter das Maß des Verhältniswahlgebots stellt. Die Rechtsprechung ist ähnlich zurückhaltend. So hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 25.04.2001442 vorsichtig formuliert:

438 Siehe dazu ähnlich Hanau ZIP 01, 2163 (2166), der im Hinblick die Frage der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit eines Minderheitenschutzes (auch) in der Betriebsverfassung auf Dütz DB 01, 1306 (1310) und dessen „Demokratie-Bedenken“ verweist. 439 „Abschaffung des Minderheitenschutzes durch das BetrVerf-ReformG 2001“, in DB 01, 1306. 440 BVerfG v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen; wiederum insofern bestätigt durch BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 C. I. 3. a bb a. E. 441 Löwisch ZBVR 2002, 207 (210 f.). 442 BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 B. I. c aa (3) a. E.; deutlicher in der Tendenz gegen ein Gebot des Listenschutzes im Betriebsverfassungsrecht noch BAG v. 01.06.1976 – 1 ABR 99/74 = AP Nr. 1 zu § 28 BetrVG Gründe III. 1.: Man könne nicht sagen, dass eine Entscheidung im Mehrheitswahlmodus undemokratisch wäre. Das BAG hielt in diesem Zusammenhang den völligen Ausfall eines Listenschutzes im Betriebsverfassungsrecht für unproblematisch, erörterte das Problem des Schutzes der Koalitionsfreiheit erst gar nicht und verwies dabei auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 16.12.1975 – 2 BvL 7/74 = NJW 76, 889 (Wahlen zum Präsidialrat – Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz); dazu kann zum einen angemerkt werden, dass es sich bei dieser bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung um einen Sachbereich handelte, der von Verfassungs wegen (Bereich der Judikative) Wahlrechtsgrundsätze nur bedingt zur Anwendung bringen lassen konnte – was das Bundesverfassungsgericht aber in seinen „Quorenentscheidungen immer wieder zum Ausdruck gebracht hat, siehe nur zuletzt BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 Gründe C. I. 1. m.w. N., und zum anderen, dass die Entscheidung des BAG vor der Zeit liegt, in der das BVerfG die Minderheitenproblematik anhand der Quoren für Wahlvorschläge überhaupt „entdeckt“ hatte; siehe auch das BAG bestätigend Bulla Anm. zu AP Nr. 1 zu § 28 BetrVG 1972 II. 1. a.

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„. . . Vorliegend bedarf die Frage, in welchem Umfang der Minderheitenschutz im Betriebsverfassungsgesetz von Verfassung wegen zwingend geboten ist, keiner abschließenden Beurteilung. Er darf jedoch bereits wegen der Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG bei der Auslegung der betriebsverfassungsrechtlichen Normen und bei einer erforderlich werdenden Lückenfüllung nicht unberücksichtigt bleiben.“

Und das Bundesverwaltungsgericht443 hat sich in einer älteren Entscheidung zur Frage, ob für die Bestellung des Personalratsvorstandes das Verhältniswahlsystem aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend vorgegeben sei, sogar ablehnend geäußert. In seiner jüngsten einschlägigen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht sich nun dahingehend festgelegt, dass eine verfassungsrechtliche Bindung des Gesetzgebers für das Betriebsverfassungsrecht an das System der Verhältniswahl nicht gegeben sei, weil sowohl die Verhältnis- wie auch die Mehrheitswahl Legitimation in „eigener, voneinander ganz verschiedener Weise“ demokratische Legitimation verschaffen könnten, und dass auch durch das Mehrheitswahlsystem die Verletzung des Art. 9 Abs. 3 GG oder des Art. 38 Abs. 1 GG nicht indiziert werde444. II. Beschränkung der Wahlmöglichkeit des Gesetzgebers auf das Verhältniswahlrecht bei Parlamentswahlen? 1. Die h. M. in Rechtsprechung und Literatur: Keine Festlegung auf ein bestimmtes Wahlsystem durch das Grundgesetz Diese Zurückhaltung spiegelt nur die allgemeine verfassungsrechtliche Diskussion445 über die verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Wahlgesetzgeber wider, in der die wohl noch h. L.446 und das Bundesverfassungsgericht davon 443 BVerwG v. 27.09.1990 – 6 P 23.88 = AP Nr. 2 zu § 19 BPersVG Leitsatz und Gründe II. 2. 444 BAG v. 25.05.2005 – 7 ABR 10/04 (noch n. v.) Gründe II. 3. b). 445 Siehe dazu grundsätzlich Ziemske ZRP 93, 369 (370), der den Streit über das der Demokratie angemessene Wahlsystem unter Bezugnahme auf John Stuart Mill (Considerations on Represantative Government, 1868, Kap. „Von wahrer und falscher Demokratie; Vertretung aller oder nur der Mehrheit“) und Walter Bagehot (The English Constitution, 1867) auf einen klassischen historisch-staatsphilosophischen Ausgangspunkt in der englischen Parlamentsgeschichte zurückverfolgt; danach favorisierte Mill ein Parlamentssystem, welches nicht nur die Mehrheit, sondern alle Minderheiten innerhalb des Volkes repräsentiere; Bagehot hingegen sah die vornehmste Aufgabe des Parlaments in der Regierungsbildung und erklärte dies mit der historischen Entwicklung und dem Bedeutungswandel des englischen Parlaments: Vormals habe der König die Unterstützung des Parlament für die Gesetzgebung benötigt, mit der Verschiebung der Machtverhältnisse auf das Parlament sei der König später auch zur Regierungsbildung auf das Parlament angewiesen gewesen, wodurch die Regierungsbildung durch das Parlament zu dessen zentraler Aufgabe geworden sei.

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ausgehen, dass die Verfassung – schon für den politisch-parlamentarischen Bereich – kein bestimmtes Wahlsystem zwingend vorgibt447, sondern es dem Gesetzgeber überlassen bleiben soll, „ein Stück materielles Verfassungsrecht durch seine Entscheidung für ein Mehrheits- oder Verhältniswahlsystem oder eine Kombination dieser beiden Systeme selbst zu gestalten“448. Insbesondere das Bundesverfassungsgericht hat stets die Auffassung vertreten, dass dem Gesetzgeber ein großer Gestaltungsspielraum bei der Festlegung des Wahlsystems zukommen müsse449. Begründet wird diese verfassungsrechtliche Offenheit für ein Mehrheits- oder Verhältniswahlsystem, oder eine Kombination dieser beiden Systeme, zunächst historisch: Angesichts der Entstehungsgeschichte des Art. 38 GG unterliege es keinem vernünftigen Zweifel, dass das Grundgesetz auch für die Einführung des Mehrheitswahlrechts habe offen gehalten werden sollen. Im Parlamentarischen Rat sei die Vereinbarkeit des Mehrheitswahlrechts mit den demokratischen Grundsätzen des Grundgesetzes nicht in Zweifel gezogen wor-

446 Eine Tendenz zur Abschwächung der h. L. von der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit auch des Mehrheitswahlsystems sah allerdings bereits v. Münch 3. Auflage Art. 38 Rdnr. 52. 447 Die Weimarer Reichsverfassung sah – im Gegensatz zum GG – in ihrem Artikel 22 Abs.1 ausdrücklich die Festlegung auf das Verhältniswahlsystem vor: „(1) Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von den über zwanzig Jahre alten Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt . . .; (2) Das Nähere bestimmt das Reichswahlgesetz“. Verfassungspolitischer Hintergrund dieser Festlegung war die ungleiche Abmessung der Wahlkreise, durch welche die Sozialdemokratische Partei Deutschlands benachteiligt worden war; dazu siehe Badura, 443; siehe auch Art. 17 WRV: „(1) Jedes Land muss eine freistaatliche Verfassung haben. Die Volksvertretung muss in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl von allen reichsdeutschen Männern und Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden . . . (2) Die Grundsätze für die Wahlen zur Volksvertretung gelten auch für die Gemeindewahlen . . .“. 448 So ausdrücklich BVerfGE 95, 335 (349); siehe in diesem Sinne bereits BVerfGE 1, 208 (246 ff.); 6, 84 (89 f.); 6, 104 (111); 34, 81 (100), st. Rspr.; für die h. M. im Schrifttum vgl. AK-Schneider Art. 38 Rdnr. 39 (allerdings wohl leise zweifelnd, weil das Verhältniswahlrecht als gerechter empfunden werden könne); Badura, 442 f.; BKBadura Anh. z. Art. 38: BWahlG Rdnr. 52; Degenhart Rdnr. 28a; Erichsen Jura 84, 22 (26); Leibholz/Rinck Art. 38 Rdnrn. 3 ff.; Sachs-Magiera Art. 38 Rdnrn. 106 ff.; Schmidt/Bleibtreu Art. 38 Rdnrn. 4a, 10a.; Umbach/Clemens Art. 38 Rdnrn. 89 f.; unentschlossen Stern, S. 300 f., der zwar einerseits in den Restriktionswirkungen eines mehrheitsbildenden Wahlsystems zu Lasten von Minderheiten keinen Verstoß gegen das Gebot der gleichen Wahl des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG sieht, es gleichwohl für bedenklich hält, wenn das BVerfG, E 1 208 (246); 6, 84 (90); 104 (111) lapidar feststelle, dass von einer Zulässigkeit des Mehrheitswahlrechts auszugehen sei. 449 Siehe neuerdings das Statement von Herbert v. Arnim, zit. nach Die Welt v. 28.09.2005, nach dem angesichts mit der durch die Bundestagswahlen am 18.09.2005 entstandene Situation, die Deutschland nahezu unregierbar gemacht habe, eine Abkehr vom Verhältniswahlrecht angezeigt sei; es sei zu erwarten, dass CDU/CSU und SPD bald versuchen würden, ein Mehrheitswahlrecht einzuführen; i. S. einer Offenheit auch für das Mehrheitswahlsystem jetzt auch BAG v. 25.05.2005 – 7 ABR 10/04 (noch n. v.) Gründe II. 3. b).

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den450. Das Verhältniswahlsystem zu Zeiten der Weimarer Republik habe die Beseitigung der Demokratie entscheidend gefördert451. Materielle Begründungen für die Zulässigkeit auch des Mehrheitswahlsystems unter dem Grundgesetz werden darüber hinaus darin gesehen, dass dieses die engere persönliche Beziehung des Abgeordneten zu seinem Wahlkreis stärke, wodurch auch der repräsentative Status des Abgeordneten als Vertreter des gesamten Volkes verstärkt werde. Das Vertrauen des Wählers zu seinem Repräsentanten erhalte dadurch eine persönlichkeitsbestimmte Grundlage452. Diese verhindere die Ausweitung einer – als misslich angesehenen – Parteienmacht, und stärke die demokratische Verantwortlichkeit des Abgeordneten gegenüber dem Volk auch im Hinblick auf die ihn tragende Partei453. Außerdem wird die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Mehrheitswahlrechts im darin liegenden Vorteil des Zustandekommens einer regierungsfähigen Parlamentsmehrheit gesehen, weil mit diesem Wahlsystem der Stimmenzersplitterung begegnet werden könne454. Dass bei einem Mehrheitswahlsystem nicht allen Stimmen der gleiche Erfolgswert zukomme, sei schon deswegen unbedenklich, weil die Wahlgleichheit historisch nur eine Reaktion auf den unterschiedliche Zählwert der Stimmen nach Person, Klasse oder Vermögensverhältnissen des Wählers gewesen sei455. Außerdem würden – insbesondere durch das nur dem 450 Umbach/Clemens Art. 38 Rdnrn. 6 f., 89 f., Fn. 280; zum historischen Kontext einer solchen Auslegung gehört auch die Tatsache, dass das GG anders als die vorhergehende Weimarer Reichsverfassung (Art. 22 Abs. 1) das Verhältniswahlsystem nicht ausdrücklich vorgegeben hat; dazu Badura, S. 443; äußerst kritisch hierzu Meyer HdbStR II, S. 263, der darauf hinweist, die Einführung des Mehrheitswahlrechts habe im Parlamentarischen Rat gerade keine Mehrheit gefunden und das Schweigen der Verfassung zum Wahlsystem dürfe nicht in eine verfassungsrechtliche Gestaltungsbefugnis für den Gesetzgeber umgedeutet werden; zur Diskussion im Parlamentarischen Rat siehe auch Ziemske ZRP 93, 369 f. 451 Ziemske ZRP 93, 369 (370); ähnlich Himer DRiZ 82, 25. 452 Leibholz/Rinck Art. 38 Rdnr. 3 unter Hinweis auf BVerfGE 95, 352 f.; 7, 74; 16, 140; 41, 423; MDHS-Maunz Art. 38 Rdnr. 56; Ziemske ZRP 93, 369; kritisch zu dieser aus seiner Sicht durch die Verfassungsrealität überholten Sichtweise v. MünchTrute Art. 38 Rdnr. 15; auch BK-Badura Anh. z. Art. 38: BWahlG Rdnr. 49 betont, dass diesem für die Mehrheitswahl vorgebrachte Argument im Parteienstaat nur geringes Gewicht zukomme. 453 Ziemske ZRP 93, 369 (370). 454 AK-Schneider Art. 38 Rdnr. 39; MDHS-Maunz Art. 38 Rdnr. 56; Sachs-Magiera Art. 38 Rdnr. 108; Hermens, 426 ff., hat diesem Argument auf dem historischen Hintergrund des Untergangs der Weimarer Demokratie zentrale Bedeutung zugemessen, weil das Verhältniswahlsystem seiner Auffassung nach klare Mehrheiten verhindert und zu (regierungsunfähigen) Koalitionen zwang; hiergegen Stern, S. 299; ähnlich Ziemske ZRP 93, 369 („klare politische Machtverhältnisse“), der mit dem historischen Argument operiert, dass dort, wo in Europa nach dem ersten Weltkrieg das Verhältniswahlsystem gegolten habe (z. B. in Deutschland, Italien, Spanien, Polen, Ungarn) mit wenigen Ausnahmen totalitäre Herrschaftsformen eingebrochen seien; ähnlich Himer DRiZ 82, 25. 455 Leibholz/Rinck Art. 39 Rdnr. 3.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Mehrheitswahlrecht immanente Instrument der Nachwahl – politische Krisen gegenüber einem System der Verhältniswahl sichtbarer gemacht, und politische Mehrheitsentscheidungen würden nicht zu Lasten des Wählerwillens durch Koalitionsverhandlungen verwässert. Auch sei das Koalitionswesen im Hinblick auf die getroffenen Vereinbarungen – jedenfalls nicht rechtlich verpflichtend – transparent, und Koalitionsvereinbarungen und ihre Einhaltung unterlägen auch keiner richterlichen Kontrolle. Zudem könne die Rücksichtnahme auf Koalitionsnotwendigkeiten zu langjährigen Entscheidungsblockaden führen. Damit weite das Verhältniswahlsystem, unter Missachtung des Demokratieprinzips, den Minderheitenschutz zu Lasten des Mehrheitsprinzips aus, was sich an der Repräsentanz der Minderheitenpartei F.D.P mit ihrem überbordenden Einfluss in den meisten der bis 1993 bestehenden Bundesregierungen gut veranschaulichen lasse. Eine solche Mediatisierung des Wählerwillens fördere die Entfremdung des Wahlvolks von Politik und Staat456. 2. Gegenauffassungen: Festlegung der Verfassung auf die grundsätzliche Geltung des Verhältniswahlrechts Es wird allerdings auch bestritten, dass eine solche Offenheit für verschiedene Wahlsysteme im politisch-parlamentarischen Bereich (noch) besteht: Schon die historisch orientierte Auslegung des Grundgesetzes im Sinne einer Offenheit auch für das Mehrheitswahlsystem sei nicht zutreffend: Denn im Parlamentarischen Rat habe es keine Mehrheit für die verfassungsrechtliche Festschreibung des Mehrheitswahlsystems gegeben457. Stattdessen sei im Gegenteil vom Parlamentarischen Rat eine Ermächtigung des Gesetzgebers zur Einfügung einer Sperrklausel für die Verhältniswahl in das Grundgesetz nach heftiger Debatte als mit der Wahlgleichheit unvereinbar angesehen und verworfen worden, und für den ersten Deutschen Bundestag nur ein mit Persönlichkeitselementen angereichertes Wahlsystem beschlossen worden458. Dem „zweifelhaften Befund“ einer (noch) unter den gegenwärtigen Bedingungen der Verfassungswirklichkeit bestehenden Offenheit des Grundgesetzes für ein Mehrheitswahlsystem wird weiter mit dem Argument widersprochen, die Mehrheitswahl sei historisch und wahlsoziologisch als Auswahl von Dele456 Ziemske ZRP 93, 369 (370 ff.); nach Himer DRiZ 82, 25 f. führt der im Verhältniswahlsystem angelegte Zwang zu Kompromissen letzthin auch zwangsläufig zu Politik- und Staatsverdrossenheit bei den Wählern; hiergegen aber BK-Badura Anh. z. Art. 38: BWahlG Rdnr. 49: Der vor allem gegen die Verhältniswahl vorgebrachte Einwand der „Entfremdung“ zwischen Wählern und Abgeordneten wende sich – soweit er sich in Wirklichkeit nicht nur an einem theoretischen Ideal messe – gegen Erscheinungen, die in der Sache vom Wahlsystem unabhängig seien. 457 Meyer HdbStR II, S. 249, S. 263; siehe dazu auch Umbach/Clemens Art. 38 Rdnr. 90 (Fn. 280) m.w. N. 458 Meyer HdbStR II, S. 249, S. 256 f.

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gierten lokaler Einheiten für das Parlament zu begreifen gewesen. Mit dem Aufkommen der politischen Parteien habe sich diese Legitimierung des Mehrheitswahlrechts aber überholt. Es gehe heute nicht mehr darum, lokale Belange im Parlament zu repräsentieren, Ziel der Wahlen sei heute vorrangig, die Mandatsmehrheit einer Partei im Parlament zu ermöglichen459. Die Mehrheitswahl habe insofern einen Bedeutungswandel hinter sich: Ihr Zweck liege heute nicht mehr „(primär) darin, die (relative) Wählermehrheit einer Partei in einem Wahlkreis in ein Mandat umzusetzen, sondern darin, die Mandatsmehrheit einer Partei im Parlament zu ermöglichen, und zwar gerade dann, wenn keine Wählermehrheit vorhanden sei“460. Die spezifisch wahlkreisbezogene Repräsentation sei auf dem Hintergrund dieses entwicklungsgeschichtlichen Befundes und infolge sozialer Egalisierungsprozesse in der Gesellschaft nicht mehr geeignet, das Mehrheitswahlrecht zu legitimieren. Deshalb sei (alleine) das Verhältniswahlrecht als das verfassungsadäquate Wahlrecht anzusehen: Es bilde die Vielfalt der Interessen ab, sichere die Erfolgswertgleichheit der abgegebenen Stimmen, halte Minderheiten im politischen Prozess, und schaffe damit die notwendige Akzeptanz für das politische System461. Ein weiterer gewichtiger Grund gegen die Offenheit des Grundgesetzes auch für das Mehrheitswahlsystem ist damit angesprochen: Dieser wird nämlich darin gesehen, dass wegen des Wegfalls der Reststimmen in einem solchen System, den Wählerstimmen ganz ungleicher Erfolgswert zukomme. Eine betont an Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG orientierte Auslegung führe dazu, dem Grundsatz der Wahlgleichheit nicht nur die Gleichheit des Zählwertes, sondern auch die Gleichheit des Erfolgswertes der abgegebenen Stimmen zu entnehmen462. Über die Verfassungsanforderung der Erfolgswertgleichheit der Stimmen dürfe nur 459

Meyer HdbStR II, S. 249, S. 260 ff.; v. Münch-Trute Art. 38 Rdnr. 15. Meyer HdbStR II, S. 249, S. 261. 461 v. Münch-Trute Art 38 Rdnr. 15; ähnlich Dreier-Dreier Art. 20 Rdnr. 91; vorsichtig in diese Richtung wohl auch Stern, S. 300 f., der für die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Mehrheitswahlrechts insbesondere die Verfassungswirklichkeit als Maßstabsüberlegung heranziehen will; ähnlich Friesenhahn, S. 23 (S. 26). 462 Bakker ZRP 94, 457 (458 f.); Meyer, S. 191 ff., S. 221; v. Münch 3. Auflage Art. 38 Rdnr. 52; v. Münch FS Menzel, S. 41 (S. 57 f.) argumentiert in diesem Zusammenhang auch damit, dass diese zentrale Bedeutung des gleichen Erfolgswertes aller Stimmen solange mit keinem anderen gleichwertigen Verfassungsgut in Widerspruch stehe, als die Funktionsfähigkeit des Parlaments gewährleistet sei; deshalb sei auch die Sperrklausel im Bundeswahlrecht verfassungskonform; siehe auch die Nachweise zur Wertung eines Mehrheitswahlrechts als verfassungswidrig bei Frowein AöR 99 (1974), 72 (73, Fn. 6); Bakker, a. a. O., S. 457 ff. sieht Aspekte der Verfassungswidrigkeit jenseits des Arguments der Verletzung der Wahlgleichheit auch im Verstoß gegen das Demokratieprinzip und im Verstoß gegen die Chancengleichheit der Parteien, Art. 21 GG; anders Leibholz/Rinck Art. 38 Rdnr. 3: Die historische Bedeutung der Wahlgleichheit liege nicht im gleichen Erfolgs-, sondern nur im gleichen Zählwert; es gehe um die verbotene unterschiedliche Stimmengewichtung nach Person, Klasse oder Vermögensverhältnissen des Wählers. 460

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

dann hinweggegangen werden, wenn das Verfassungsrecht selbst, oder die Verfassungswirklichkeit von der Idee der Lokalvertretung ausgingen – was ersichtlich aber nicht der Fall sei. Deswegen komme, unter den Bedingungen der modernen Demokratie, dem „praktisch wichtigsten Verfassungsgrundsatz“ der Wahlgleichheit im Sinne der Gewährleistung des gleichen Erfolgswerts der Stimmen, die hervorragende und zentrale Bedeutung zu463. Es sei methodisch unzulässig – zumal angesichts des seinerzeitigen Diskussionsstandes im Parlamentarischen Rat464 – wenn die h. M. das Schweigen der Verfassung in eine Ermächtigung zur freien Gestaltung des Wahlsystems umdeuten wolle. Ohne ausdrückliche verfassungsrechtliche Vorgaben an den Wahlgesetzgeber sei dieser – wie auch sonst – an die übrigen verfassungsrechtlichen Vorgaben gebunden. Mit Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG, dem Gebot der Wahlgleichheit, bestehe eben diese zentrale verfassungsrechtliche Vorgabe im Sinne der Herstellung der Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen465. 3. Eigene Meinung Die letztgenannte Auffassung hat viel für sich: Denn so, wie die Demokratie die der pluralistischen Gesellschaft angemessenste Staatsform ist466, spricht vieles dafür, konsequenter Weise auch dasjenige demokratische Wahlsystem zu bevorzugen, welches dem gesellschaftlichen Pluralismus am ehesten eine parlamentarisch-staatliche Entsprechung verschafft467. Überdies ist das gegenwärtige Wahlsystem mit seiner Festlegung auf den Erfolgswert der Stimmen im Bewusstsein des Wahlvolks nicht mehr umkehrbar, womit eine Festlegung durch die Verfassungswirklichkeit verbunden ist468. Deshalb ist die Einschätzung Ba463 Meyer HdbStR II, S. 249, S. 264 f.; ähnlich v. Münch-Trute Art. 38 Rdnr. 15 („Herstellung der fairen Repräsentation und damit der Legitimität“); ähnlich Friesenhahn, S. 23 (S. 27): Die Verhältniswahl sei in dem auf Gleichheit der Bürger aufbauenden Verfassungssystem des GG das verfassungsadäquate Wahlsystem; hiergegen ohne Begründung strikt Umbach/Clemens Art. 38 Rdr. 90. 464 Gemeint ist hiermit, dass im Parlamentarischen Rat das Mehrheitswahlrecht keine Mehrheit fand und selbst die Ermächtigung zur Einführung einer Sperrklausel wegen Verstoßes gegen die Wahlgleichheit abgelehnt wurde, dazu Meyer, S. 31; Meyer HdbStR II, S. 249, S. 263. 465 Meyer HdbStR II, S. 249, S. 263 ff. 466 Eschenburg VII. 3.a, S. 281 f.; Friesenhahn, S. 23 (S. 26). 467 Diesen Aspekt der Verhältniswahl anerkennend Badura, S. 443; wie hier v. MünchTrute Art. 38 Rdnr. 15; ähnlich MDHS-Maunz Art. 38 Rdnr. 56; auch Stern, S. 295 anerkennt, dass das Verhältniswahlrecht der „inneren Logik“ der Etablierung der Parteienstaatlichkeit seit 1918 entspricht; Friesenhahn, S. 23 (S. 26) spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die Offenheit für ein pluralistisches Interessenspektrum ein wichtiges Element der Verfassung ist; das Parteienwesen sei dessen folgerichtiger Ausdruck. 468 Schon 1968 Dürig, Sondervotum im Bericht des vom BMI eingesetzten Beirats für Fragen der Wahlrechtsreform, S. 57 ff. (zit. nach Stern, S. 299, Fn. 57).

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duras469 auch zutreffend, dass, „sofern nicht ein eindeutig ausgeprägtes ZweiParteien-System vorhanden ist, und, was eine weitere selbständige Bedingung ist, die beiden Parteien nicht zueinander in einem konkurrierenden Verhältnis von Regierung und Opposition stehen, indem sie die beiden gesellschaftlichen Haupttendenzen der Beharrung und der Bewegung verkörpern, . . . der Übergang von der Verhältniswahl zur Mehrheitswahl eine staatsstreichartige politische Entscheidung im Mantel des Wahlrechts“ wäre, „die den demokratischen Charakter des politischen Prozesses verfälscht“. Die Gleichbehandlung auch der politischen Minderheiten ist Bestandteil einer parteiendemokratisch gestalteten Staatsstruktur, und ist deshalb als verfassungsgemäß gewährleistet anzusehen470. Ein reines Mehrheitswahlrecht kann solches nicht leisten. Es verstößt deshalb wegen seinen Restriktionen gegenüber den kleineren Parteien und der damit verbundenen Ungleichbehandlung von Parteien, Kandidaten und Wählern gegen das Verfassungsgebot der gleichen Wahl gem. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG471. v. Münch472 hat daher auch zu Recht darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht jenseits seiner ausdrücklichen Postulierungen der Offenheit des Grundgesetzes auch für ein Mehrheitswahlsystem, eine eigentliche Begründung dafür schuldig geblieben sei, warum der Gesetzgeber zwischen zwei so vollkommen unterschiedlichen und das Stimmgewicht der Wähler einmal weitgehend ausschöpfenden, ein andermal je nach der Wählerstruktur u. U. stark verzerrenden Systemen wie dem Verhältnis- und dem Mehrheitswahlsystem, frei seine Auswahl sollte treffen können473. Es ist außerdem nicht verständlich, wieso es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein sollte, wenn eine Partei mit deutlicher Stimmenminderheit – wie im Mehrheitswahlsystem möglich – die deutliche Mehrheit der Mandate sollte erringen können474. Dem der Annahme der Verfassungsmäßigkeit auch des Mehrheitswahlrechts dienenden Argument der Herstellung stabiler Parlamentsmehrheiten kann entgegengehalten werden, dass dieser Notwendigkeit auch durch die Einführung von Sperrklauseln Rechnung getragen werden kann, was die Chancengleichheit klei469 BK-Badura Anh. z. Art. 38: BWahlG Rdnr. 50, allerdings betont Badura an anderer Stelle auch wieder die grundsätzliche Offenheit des Grundgesetzes für die beiden Wahlsysteme und für deren Kombination, siehe BK-Badura a. a. O. Rdnr. 52. 470 MDHS-Maunz Art. 38 Rdnr. 56. 471 Bakker ZRP 94, 457 (458 f.); Dreier-Morlok Art. 38 Rdnr. 58 führt dazu aus, dass das BVerfG zu Unrecht die Freiheit des Gesetzgebers auch zu einer Einführung des Mehrheitswahlsystems postuliere, da wegen des Verfassungsgebots der Gleichheit der Gesetzgeber hierzu nicht frei sein könne; Meyer, S. 191 ff., S. 221 ff.; in diese Richtung auch Friesenhahn, S. 23 (S. 27) und Dreier-Dreier Art. 20 Rdnr. 91. 472 v. Münch 3. Auflage Art. 38 Rdnr. 52; so auch Frowein AöR 99 (1974), 72 (96); Stern, S. 300. 473 So auch Stern, S. 300. 474 So auch v. Münch-Trute Art. 38 Rdnr. 15.

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nerer Parteien verhältnismäßig schonender beeinträchtigt. Außerdem ist das Ideal einer gesicherten Regierungsmehrheit im Grundgesetz nicht verankert, anders als die Gleichbehandlung der politischen Minderheiten in einer parteiendemokratisch gestalteten Staatsstruktur475 durch die Art. 21 und Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser Befund ist insbesondere Ziemskes476 Einwänden gegen das aus seiner Sicht bestehende „Koalitions-Unwesen“ entgegenzuhalten, zumal Zweifel daran angebracht sind, dass für die Entfremdung zwischen Wählerschaft und Parlament tatsächlich das Verhältniswahlsystem als tragende Ursache ausgemacht werden kann477. Und den stets zitierten obiter dicta des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit der Einführung eines reinen Mehrheitswahlrechts ist entgegenzuhalten, dass diese immer nur den Rang eines hypothetischen Arguments hatten, weil sich das Gericht immer nur mit Formen der Verhältniswahl zu befassen hatte. Mit Meyer478 ist es deshalb auch nicht vermessen, angesichts der strikten Betonung der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Einführung eines echten Mehrheitswahlrechts als vom Gericht noch nicht endgültig beantwortet anzusehen. Denn es ist nicht plausibel, wieso das Bundesverfassungsgericht, das unter der Geltung des Verhältniswahlsystems davon ausgeht, dass der Gesetzgeber sein Gesetz damit unter ein Maß gestellt hat, welches den prinzipiell gleichen Erfolgswert aller Stimmen garantiert479, diese Überlegungen der Chancengleichheit der Parteien und des allgemeinen Gleichheitssatzes bei der Einführung eines Mehrheitswahlrechts sollte vollständig ausblenden dürfen480. Der bloßen „Systemgerechtigkeit“ einer im System der Mehrheitswahl liegenden Verletzung der Erfolgswertgleichheit der Stimmen – also der Annahme, der Wahlgesetzgeber stelle mit der Einführung des Mehr475 MDHS-Maunz Art. 38 Rdnr. 56; siehe dazu auch Friesenhahn, S. 23 (S. 26), der die pluralistische Offenheit und in deren Konsequenz das Parteienwesen als Element der Verfassung bezeichnet. 476 Ziemske ZRP 93, 369 (370 ff.). 477 BK-Badura Anh. z. Art. 38: BWahlG Rdnr. 49. 478 Meyer HdbStR II, S. 249, 264 ff.; auch Stern, S. 300 f., ist der Auffassung, dass von der Entscheidungspraxis des BVerfG zum gegenwärtig geltenden personalisierten Verhältniswahlsystem kein Schluss auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Mehrheitswahlsystems möglich ist; eine solche Prüfung müsse vielmehr die konkreten Ausprägungen des Wahlrechts, die historische Entwicklung, die aktuellen Verhältnisses des Parteiensystems und die Auswirkungen eines Systemwechsels auf das parlamentarisch-demokratische Regierungsprinzip bedenken. 479 BVerfGE 34, 81 (100); 50, 222 (236). 480 v. Münch 3. Auflage Art. 38 Rdnr. 51 f.; in diese Richtung auch Frowein AöR 99 (1974), 72 (96); hiergegen Stern, S. 300, der nicht der Auffassung ist, dass ein mehrheitsbildendes Wahlsystem wegen seiner Restriktionswirkung gegenüber den kleinen Parteien und seiner diesbzgl. Ungleichbehandlung gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verstößt.

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heitswahlsystems die Gleichheitsanforderungen eben zulässiger Weise unter dieses Maß nur des erforderlichen gleichen Zählwertes aller Stimmen481 – kann der Rang eines Verfassungspostulats nämlich nicht zukommen482. Die „Systemgebundenheit“ des Mehrheitswahlrechts lediglich an den gleichen Zähl-, und des Verhältniswahlsystems an den gleichen Erfolgswert, erklärt nur die den jeweiligen Systemen immanente Konsequenz, bleibt eine materielle Begründung aber schuldig. Für den Bereich von Parlamentswahlen ist es damit allerdings nicht grundsätzlich ausgeschlossen, das Verhältniswahlsystem – wie im gegenwärtigen Wahlrecht geschehen – mit Elementen der Persönlichkeitswahl anzureichern, sofern diese nicht den Rang mehrheitsbildender Wirkung erreichen kann483. Die hiermit verbundenen Fragen, insbesondere, was die verfassungsrechtliche Bewertung der Behandlung von Überhangmandaten anbetrifft, müssen aber für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang nicht weiter vertieft werden484. 4. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist daher davon auszugehen, dass das geltende Verhältniswahlrecht, entgegen der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der h. M. in der Literatur, unter den gegebenen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen verfassungsrechtlich als dasjenige geboten ist, welches dem Demokratieprinzip in seiner Ausprägung durch den Grundsatz der Wahlgleichheit am ehesten entspricht485. In Anbetracht der in einer pluralistischen Gesellschaftsordnung gebotenen Abbildung der unterschiedlichen Interessen auch und gerade in der Gesetzgebungskörperschaft entspräche eine lediglich am gleichen Zähl-, nicht aber am gleichen Erfolgswert orientierte Regelung des

481

Hierzu BK-Badura Anh. z. Art. 38: BWahlG Rdnr. 52. Meyer HdbStR II, S. 249, S. 264. 483 So ausdrücklich Meyer HdbStR II, S. 249, S. 265. 484 Siehe dazu BK-Badura Anh. z. Art. 38: BWahlG Rdnr. 56; Sachs-Magiera Art. 38 Rdnrn. 95, 112; Umbach/Clemens Art. 38 Rdnr. 96. 485 An diesem Befund ändert sich auch dadurch nichts, dass angesichts der Bundestagswahlen vom 18. September 2005 schwierige Koalitionsverhandlungen erzwungen worden sind. Vielmehr würde ein Umschwenken zum Mehrheitswahlrecht auf dem Hintergrund dieses – zugegebenermaßen Erschwernisse der Regierungsbildung erzeugenden – Wahlergebnisses ganz offensichtlich zu Legitimitätsproblemen führen müssen: Die bei der Wahl relativ erfolgreichen kleineren Parteien F.D.P., PDS, Die Linke und die Grünen würden nämlich aus Sicht der Wähler gerade wegen dieses Wahlerfolgs durch die Mehrheitsfraktionen politisch „kaltgestellt“ werden – dem Gewinn an formeller Stabilität für eine Regierungsbildung stünde damit die Gefahr einer Destabilisierung des politisch-demokratischen Systems in den Augen eines erheblichen Teils des Wahlvolkes als Nachteil gegenüber; deshalb ist v. Arnim, zit. nach Die Welt v. 28.09.2005 auch deutlich zu widersprechen. 482

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Wahlgesetzgebers, nicht den Anforderungen des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG und des Demokratiegebots486. 5. Übertragbarkeit dieses Befundes auf das Betriebsverfassungsrecht Mit dem soeben gefundenen Zwischenergebnis ist aber die Anerkennung der Notwendigkeit der Geltung des Verhältniswahlrechts für die Wahlen zum Betriebsrat noch nicht zwangsläufig verbunden. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zu den Quoren für Wahlvorschläge im Mitbestimmungsbereich die Übertragbarkeit der Wahlrechtsgrundsätze von Wahlrechtsgleichheit und -allgemeinheit auf die dort stattfindenden Wahlen grundsätzlich bejaht, hat aber andererseits neben dieser grundsätzlicher Bejahung auch immer wieder betont, dass diese Übertragung nicht schematisch erfolgen dürfe487, weil sich Beschränkungen für die Übertragbarkeit aus der Natur des Sachbereichs durchaus ergeben könnten488. Deshalb ist die Übertragbarkeit der Feststellungen zum Gebot der Verhältniswahl auf der Ebene allgemein-politischer Wahlen unter dem Gesichtspunkt der „Natur des Sachbereichs“, welcher im Bereich der Betriebsverfassung besonders die Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 GG beschreibt, vertieft, und insbesondere anhand dessen zu überprüfen, was oben innerhalb der Untersuchung des verfassungsrechtlichen Rahmens für die gewerkschaftliche Stellung und Tätigkeit in der Betriebsverfassung489 Gegenstand der Betrachtung gewesen ist. Dabei wird auf die entsprechenden Passagen jeweils Bezug zu nehmen sein.

486 In diesem Sinne hat sich die Prognose v. Brentanos im Parlamentarischen Rat (auf die Bemerkung Carlo Schmids hin, man könne ja später noch das Mehrheitswahlrecht einfügen), später sei es dafür zu spät, aufgrund der Entwicklung einer parteienmäßig und pluralistisch geprägten Verfassungswirklichkeit bewahrheitet; siehe dazu Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 8. Sitzung v. 24.02.1949, 131. 487 BVerfG v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr 1 zu § 48 LPVG Bremen; BVerfG v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82 u. 2 BvL 21/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG; BVerfG v. 22.10.1985 – 1 BvL 44/83 = AP Nr. 142 zu Art. 3 GG; BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242. 488 Das Bundesverfassungsgericht benennt hier immer wieder die Wahl der Selbstverwaltungsorgane von Hochschulen und die Wahl von Richtervertretungen, wobei sich die Nichtübertragbarkeit der Wahlrechtsgrundsätze aus dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit und der besonderen verfassungsrechtliche Stellung und Aufgabe der Justiz ergeben soll, siehe BVerfGE 39, 247 (254); 54, 363 (388 f.); 41, 1 (12); v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 C. I. 1. 489 Siehe oben 2. Kap.

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a) Ausgestaltung des Wahlrechts zum Betriebsrat – Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Proportionalität)490 Wegen der Schwierigkeit der Abwägungsprozesse bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigungsfreiheit ist zunächst davon auszugehen, dass dem Staat hierbei im Allgemeinen eine weite Einschätzungsprärogative zukommen muss. Vorgaben an das Wahlsystem für die Wahlen zum Betriebsrat bewegen sich deshalb zwischen dem Gebot der Ermöglichung effektiver Grundrechtsausübung für die Minderheitsgewerkschaften einerseits, und dem Untermaßverbot im Sinne einer Evidenzkontrolle von der anderen Seite her. Die an sich weite staatliche Einschätzungsprärogative unterliegt deshalb von vorneherein Einschränkungen. Für die vorliegende Problematik bedeutet dies, dass die (denkbare) Entscheidung des Gesetzgebers für ein anderes als das Verhältniswahlsystem – namentlich für ein Mehrheitswahlsystem – daraufhin zu überprüfen ist, ob sie in evidenter Weise das Gebot der Ermöglichung der Betätigung von Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung zum Zwecke ihrer „dort zu formulierenden Vorstellungen von der richtigen Ordnung abhängiger Arbeit“ – durch Erlangung von Betriebsratssitzen durch bei ihnen organisierte Mitglieder – unterlaufen würde. Dies wäre nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (erst) dann der Fall, wenn „das Schutzziel“ – vorliegend also die Ermöglichung der Betätigung der Minderheitsgewerkschaften in dem soeben beschriebenen Sinne – mit einem anderen als dem Verhältniswahlsystem kaum oder gar nicht mehr erreicht werden könnte. Dies kann jedoch nicht angenommen werden. Denn ein Modell der Mehrheitswahl ließe bei diesem Prüfungsmaßstab stets die Möglichkeit bestehen, dass bei den Minderheitsgewerkschaften organisierte Wahlbewerber kraft des ihnen von den wahlberechtigten Arbeitnehmern entgegengebrachten persönlichen Vertrauens in den Betriebsrat gewählt werden können, und sie auf diese Weise in die Lage versetzt werden, im Betrieb ihre Vorstellungen von der „richtigen Ordnung abhängiger Arbeit“ zu Geltung zu bringen. Denn Mehrheitswahl bedeutet: Personenwahl. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bringt auf seiner Stufe der „Proportionalität“ mithin das zwingende Gebot eines Verhältniswahlsystems nicht mit sich. b) Demokratisch verfasste Repräsentation als Folge der staatlich vorgegebenen Zwangskorporation491 Es ist oben ausgeführt worden, dass die staatliche Ausgestaltung der Betriebsverfassung als staatliche Zwangskorporation in „konkurrierenden Einrich490

Dazu siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 2. a); 3. c) ff.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

tungen“ zur Folge haben muss, dass die kollektive Teilhabe der Arbeitnehmer an der betrieblichen Mitbestimmung demokratisch verfasst zu sein hat. Die wesentliche Strukturentscheidung des Verfassungsgebers für das Demokratiegebot strahlt insofern auch auf die Wahlvorgänge zur Betriebsverfassung aus, und korrespondiert dort mit der Regelungsunterworfenheit der betriebsangehörigen Arbeitnehmer. Aus dieser Vorgabe ließe sich aber nur dann ein zwingender Schluss auf die Vorgabe eines Verhältniswahlsystems ableiten, wenn ein etwaiges Mehrheitswahlsystem diese Vorgaben an ein demokratisches Verfahren nicht erfüllen würde. Dies kann kaum behauptet werden, auch wenn ein Mehrheitswahlsystem nicht dazu geeignet ist, eine plurale Wettbewerbssituation im Hinblick auf die konkurrierenden Gewerkschaften optimal zu effektivieren. Den allgemeinen Vorgaben des Demokratiegebots entspricht ein Wahlsystem in der Betriebsverfassung schon dann, wenn es sich nicht als Fernhaltevorrichtung zu Lasten der Minderheitsgewerkschaften erweist. Und dies ist, wegen der auch Bewerbern der Minderheitsgewerkschaften eröffneten Wahlchancen bei einem MehrheitsPersonenwahl-System, ersichtlich nicht der Fall. c) Demokratieprinzip – Immanenz des Minderheitenschutzes – Grundrechtliches Optimierungsgebot492 Auch wenn die demokratische Verfasstheit der Wahlen zum Betriebsrat als Konsequenz der staatlichen Zwangskorporation noch keinen zwangsläufigen Geltungsanspruch für das Verhältniswahlsystem nach sich zieht, so könnte sich aus dem im Demokratieprinzip mitverwurzelten immanenten Prinzip des Minderheitenschutzes ergeben, dass ein Mehrheitswahlsystem bei den Wahlen zum Betriebsrat dieser besonderen Ausprägung des Demokratiegebots im Sinne einer Gewährleistung des Minderheitenschutzes nicht entspricht. Ein Mehrheitswahlsystem- dies wurde bereits ausgeführt – eröffnet auch Angehörigen von Minderheitsgewerkschaften Wahlchancen, wenn sie bei Wahlen für den Betriebsrat kandidieren. Allerdings bringt es ein Mehrheitswahlsystem mit sich, dass zwar der Zählwert der abgegebenen Stimmen gleich ist, der Erfolgswert der Stimmen aber höchst ungleich ausfallen kann, weil die für den letztlich nicht gewählten Bewerber abgegebenen Stimmen keine Berücksichtigung finden493. Tendenziell hat dies für Betriebe mit hohem Organisationsgrad der Mehrheitsgewerkschaft zur Folge, dass einem hohen Anteil der für Vertreter der Minderheitsgewerkschaft abgegebenen Stimmen kein Erfolgswert zukommen wird. 491 492 493

Siehe dazu oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. cc) ff. Siehe dazu oben ausführlich im 2. Kap. § 1 A. III.; F. IV. 3. g). Siehe oben 4. Kap. § 3 B.

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Der Minderheitenschutz wird damit durch das Wahlverfahren nicht optimiert, sondern tendenziell eher marginalisiert. Dem Gebot der optimalen Effektivierung des Grundrechtsschutzes für die Minderheitsgewerkschaft wird damit nicht Genüge getan. Zwar wurde oben ausgeführt, dass der Minderheitenschutz in seiner Effektivierung keinen Alleingeltungsanspruch für sich in Anspruch nehmen könne. Es findet dieser Schutz seine Grenze insbesondere im Anspruch auch der Mehrheitsgewerkschaft auf optimale Effektivierung ihres Grundrechtsschutzes. Dieser Schutz für die Mehrheitsgewerkschaft kann aber nicht darin bestehen, dass für Minderheitenkandidaten abgegebene Stimmen keinen Erfolgswert haben dürfen. Dies ist nämlich nicht mehr als Schutz der Mehrheitsgewerkschaft, sondern vielmehr als Eingriff in den Schutzbereich für die konkurrierende Minderheitsgewerkschaft anzusehen. Deshalb liegt im System der Verhältniswahl auch keine verbotene Erfolgsverschaffung zugunsten der Minderheitsgewerkschaften. Ein System, bei dem die für Minderheitenvertreter abgegebenen Stimmen eines Erfolgswertes entbehren, kommt aber umgekehrt einer staatlichen Erfolgsverschaffung für die Mehrheitsgewerkschaft sehr nahe: Der Aufholwettbewerb der Minderheitsgewerkschaft wird gegenüber der Mehrheitsgewerkschaft behindert, und im Idealfall liegen die Auswirkungen des Mehrheitswahlrechts so, dass die Mehrheitsgewerkschaft auch bei jeweils denkbar knappster Erreichung der Mehrheit für ihre Kandidaten alleine im Betriebsrat vertreten ist. Deshalb kann als Zwischenergebnis festgestellt werden, dass sehr viel dafür spricht, nur ein Verhältniswahlsystem bei den Wahlen zum Betriebsrat als verfassungskonform anzusehen, weil nur dieses dem Gebot der Effektivierung des Grundrechtsschutzes der Minderheitsgewerkschaften aus Art. 9 Abs. 3 GG entspricht, es den aus dem Demokratieprinzip folgenden Minderheitenschutz angemessen zum Tragen bringt, und es dabei das Recht der konkurrierenden Mehrheitsgewerkschaft auf deren optimale Grundrechtsentfaltung schon im Ansatz nicht zu beeinträchtigen vermag494.

494 In der Tendenz anders aber noch BAG v. 01.06.1976 – 1 ABR 99/74 = AP Nr. 1 zu § 28 BetrVG Gründe III. 1.: Man könne nicht sagen, dass eine Entscheidung im Mehrheitswahlmodus undemokratisch wäre. Das BAG hielt in diesem Zusammenhang den völligen Ausfall eines Listenschutzes im Betriebsverfassungsrecht für unproblematisch, erörterte das Problem des Schutzes der Koalitionsfreiheit erst gar nicht und verwies dabei auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 16.12.1975 – 2 BvL 7/74 = NJW 76, 889 (Wahlen zum Präsidialrat); dazu kann zum einen angemerkt werden, dass es sich bei dieser bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung um einen Sachbereich handelte, der von Verfassungs wegen (Bereich der Judikative) Wahlrechtsgrundsätze nur bedingt zur Anwendung bringen lassen konnte – was das Bundesverfassungsgericht aber in seinen „Quorenentscheidungen immer wieder zum Ausdruck gebracht hat, siehe nur zuletzt BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 Gründe C. I. 1. m.w. N., und zum anderen, dass die Entscheidung des BAG vor der Zeit liegt, in der das BVerfG die Minderheitenproblematik anhand der Quoren

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d) Differenzierende staatliche Ausgestaltung bei Wahlen495 Es ist oben ausgeführt worden, dass im Bereich von Wahlen im Mitbestimmungsbereich höchste Ansprüche an Rechtfertigungen für Differenzierungen zwischen den konkurrierenden Gewerkschaften gestellt werden müssen. Prinzipiell hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder hervorgehoben, dass nur zwingende Gründe eine Ungleichbehandlung von Koalitionen bei Wahlen zu rechtfertigen vermögen. Damit hat es zu Recht die oben mehrfach angesprochene, bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung nur grundsätzlich gegebene, weite staatliche Einschätzungsprärogative entscheidend eingeschränkt. e) Faktische staatliche Differenzierung zwischen Mehrheitsund Minderheitsgewerkschaften durch ein System der Mehrheitswahl Ein Mehrheitswahlrecht für die Wahlen zum Betriebsrat differenziert, oberflächlich betrachtet, an sich nicht zwischen verschiedenen Gewerkschaften, die sich mit ihren Mitgliedern an den Betriebsratswahlen beteiligen wollen. Faktisch gesehen begünstigt ein solches System jedoch die im Betrieb vertretene Mehrheitsgewerkschaft, weil der Erfolgswert der für ihre Kandidaten abgegebenen Stimmen deutlich höher sein wird, als der Erfolgswert der für Minderheitskandidaten abgegebenen Stimmen. Es ist deshalb zu fragen, ob in der Betriebsverfassung selbst zwingende Gründe liegen, die entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine solche Ungleichbehandlung sanktionieren könnten. f) Verfassungsrechtlich legitime Differenzierung aus Gründen der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats? – Das Zersplitterungsargument Zunächst ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass der Gefahr des Wegwerfens von Stimmen und einer insofern tatsächlich möglichen Zersplitterungsgefahr durch die Aufstellung von Quoren, die allerdings ihrerseits wieder im Sinne des Wechselwirkungsgedankens in ihrer Höhe verfassungsmäßig sein müssen, hinreichend Rechnung getragen werden kann. Die Geltung eines Verhältniswahlsystems bringt also nicht notwendigerweise Zersplitterungsgefahren mit sich. Dass dem Zersplitterungsargument rechtlich gesehen weit weniger Bedeutung zukommt als gemeinhin angenommen, wurde bereits oben im Zusammenhang für Wahlvorschläge überhaupt „entdeckt“ hatte; siehe auch das BAG bestätigend Bulla Anm. zu AP Nr. 1 zu § 28 BetrVG 1972 II. 1. a. 495 Siehe dazu oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. d) ff.

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mit der Untersuchung der Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit von Quoren für Wahlvorschläge496 ausgeführt. Zum Tragen kam dabei insbesondere die Erkenntnis, dass die Zersplitterungsgefahr angesichts der zu vergebenden geringen Mandatszahl im Betriebsrat eher als gering anzusehen ist, und dass das Zersplitterungsargument eher einer einheitsgewerkschaftliche Sicht einer in sich geschlossenen und homogen begriffenen Arbeitnehmerschaft geschuldet ist, als dem Vorliegen tatsächlicher Gefahren für die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats. Das Argument, mit minderheitenschützendem Listenschutz werde einer unsachgemäßen „Fraktionierung“ Vorschub geleistet497, geht insofern ins Leere. Denn Pluralität bringt notwendigerweise eine solche „Fraktionierung“ mit sich, diese ist wegen des in Art. 9 Abs. 3 GG angelegten Koalitionspluralismus gleichsam für das Betriebsverfassungsrecht mit angelegt. Pluralismus heißt in diesem Sinne aber nur, dass innerhalb des Betriebsrats verschiedene, über die Koalitionszugehörigkeit der Betriebsratsmitglieder beeinflusste Konzeptionen zur Lösung mitbestimmungsrechtlicher Sachfragen im Betriebsrat von Verfassungswegen toleriert, ja sogar gewollt sind. Legitime Fraktionierung in diesem Sinne hört aber dort auf, wo sich Fragen der gewerkschaftspolitische Konkurrenz selbst, die Sachfragen überlagernd, in den Vordergrund schieben498. g) Kein Erfordernis der „Regierungsbildung“ Das Zersplitterungsargument erweist sich aber auch noch aus anderer Perspektive als untauglich dafür, staatlicherseits über das Wahlsystem die Koalitionsfreiheit von Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften faktisch unterschiedlich weit auszugestalten: Schon für das Wahlsystem bei allgemein-politischen Wahlen war festgestellt worden, dass das Mehrheitswahlrecht – seine Einführung vorausgesetzt – gegenwärtig nicht mehr als verfassungskonform angesehen werden könnte. Dies, obwohl auf staatlicher Ebene dem Zersplitterungsargument (insbesondere auf dem geschichtlichen Hintergrund der letzten Jahre der Weimarer Republik – mit der damaligen Unmöglichkeit, angesichts der Parteienzersplitterung stabile Regierungen zu institutionalisieren) jedenfalls historische Plausibilität nicht ganz angesprochen werden kann499.

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Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. f); 4. Kap. § 3 A. II. 2. So Schneider AiB 88, 99 (101) für den Bereich der innerorganschaftlichen Wahlvorgänge des Betriebsrats; jeder Proporz, ob Listen- oder Gruppenproporz sei von Übel; ähnlich Breit, Anlage zum Schreiben v. 04.06.1985, S. 2. 498 In diese Richtung Rieble Rdnr. 1789, der betont, dass im Hinblick auf § 74 Abs. 2 BetrVG Koalitionen ihre „sonstigen“ Streitereien nicht in den Betrieb hineintragen dürften und dass das Gebot der Sachlichkeit im Vordergrund zu stehen habe. 497

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Die Argumentation, dass mit einem Mehrheitswahlsystem klare parlamentarische Mehrheiten geschaffen werden können, welche ihrerseits dann weiter die Stabilität von Regierungen zu gewährleisten vermögen, hat dementgegen für das Betriebsverfassungsrecht aber weder historische noch funktionale Plausibilität für sich. Historisch gesehen entspricht der gebetsmühlenhaft ins Spiel gebrachten Zersplitterungsgefahr für die Arbeit in Mitbestimmungsgremien – so weit ersichtlich – kein rechtstatsächlicher Befund, außer dem immer wieder formulierten Unbehagen der Mehrheitsgewerkschaften an einer Konkurrenzsituation selbst. Dass die Arbeit in den Mitbestimmungsgremien durch die Konkurrenzsituation zur Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats führen könnte, wird zwar immer wieder behauptet. Aber auch nur ansatzweise fehlt all diesen Meinungskundgaben die rechtstatsächliche oder gerichtsnotorische Untermauerung. Minderheitenschutz ist innerhalb der Betriebsverfassung (Ausschüsse, Freistellungen etc.) seit der Betriebsverfassungsnovelle 1988, also seit nunmehr 18 Jahren etabliert, ohne dass es einen rechtstatsächlichen Befund gäbe, dass sich die einstmals beschworene Zersplitterungsgefahr in der Praxis bewahrheitet hätte. Die staatliche Einschätzungsprärogative für eine Ausgestaltung des Wahlrechts zum Betriebsrat ist also auch auf diesem Hintergrund als noch weiter eingeschränkt anzusehen, als sie es bei Wahlen im Mitbestimmungsbereich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ohnehin bereits sein muss. Und unter dem Gesichtspunkt der Funktionalität ist an dieser Stelle eindringlich darauf hinzuweisen, dass die Aufgabe des Betriebsrats nicht darin besteht, eine tragfähige Mehrheit für eine „Betriebsratsregierung“ zu garantieren500. Eine solche „Regierung“ ist dem Betriebsrat gerade fremd, weil der Betriebsratsvorsitzende mit Ausnahme seiner durch gesetzliche Einzelzuweisungen festgelegten Geschäftsführungsrechte501 nur Vertreter in der Erklärung und nicht 499 Siehe dazu Müller FAZ v. 02.07.1985 (Nr. 149), der im von der christlich-liberalen geplanten Minderheitenschutz Weimarer Verhältnisse in den Betrieben vorausgesagt hat – linksradikale Kräfte würden in den Betrieben ihre Chance nutzen und die Betriebsratsarbeit blockieren und mit ihrem neu erworbenen „Herrschaftswissen“ auch außerhalb des Betriebes tätig werden; deshalb sei der geplante Minderheitenschutz außerordentlich gefährlich; ähnlich Breit, seinerzeit Vorsitzender des DGB, Anlage zum Schreiben v. 04.06.1985, S. 3, der ebenfalls „Weimarer Verhältnisse“ unter den Deckmantel des Minderheitenschutzes aufkommen sah; diese Befürchtungen haben sich aber ersichtlich nicht bewahrheitet. 500 Der Betriebsrat ist zwar einem Parlament im staatlichen Bereich „nicht unähnlich“, diese Ähnlichkeit erstreckt sich aber vor allem auf dessen Repräsentationsfunktion, Dütz ArbuR 01, 1306 (1309); Badura ZBVR 02, 255; Hanau ArbuR 88, 261 (265); siehe auch Konzen RdA 01, 76 (88), der betont, dass es bei Betriebsratswahlen nicht um die Stabilisierung einer Regierungsmehrheit gegenüber der Opposition geht, sondern um die umfassende Repräsentanz der Belegschaft – was für die Verhältniswahl spreche; Söllner/Waltermann § 20 I 1. 501 Führung der laufenden Geschäfte in Klein-Betriebsräten, § 27 Abs. 3 BetrVG; Einberufung der Sitzungen, Festlegung der Tagesordnung; Ladung der Betriebsratsmit-

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Vertreter im Willen für den Betriebsrat, und nur im Rahmen der vom Betriebsrat gefassten Beschlüsse ist. Deshalb kann der Betriebsrat nach h. M. den Vorsitzenden auch nicht dazu ermächtigen, statt seiner Befugnisse und Rechte des Organs wahrzunehmen502. Und auch der Betriebsausschuss ist ein Geschäftsführungsorgan, dem aber zum einen der Abschluss von Betriebsvereinbarungen gem. § 27 Abs. 2 Satz 2 BetrVG verwehrt, ist und dem es zum anderen verwehrt ist, die Aufgaben des Betriebsrats zu „entkernen“, so dass dem Betriebsrat stets die wesentlichen gesetzlichen Aufgaben als Gremium zur Beschlussfassung nicht entzogen werden dürfen503. Funktional gesehen sind demnach Parlament und Regierung einer-, und der Betriebsrat und dessen Vorsitzender bzw. dessen Betriebsausschuss andererseits, nicht miteinander vergleichbar504. Im Hinblick auf die allenthalben beschworenen Gefahren für die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats muss auch noch auf § 33 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hingewiesen werden. Diese Vorschrift stellt nämlich für jede Beschlussvorlage die ebenso einfache wie funktionsgarantierende Regel auf, dass die Beschlüsse des Betriebsrats mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder gefasst werden. Mögliche „Zersplitterungen“ oder „Fraktionierungen“ des Betriebsrats werden mithin verfahrensmäßig eindeutig abgefangen – der Betriebsrat ist, seine Beschlussfähigkeit vorausgesetzt, also stets in die Lage gesetzt, wirksame Entscheidungen fällen zu können. Das Zersplitterungsargument, das vom Bundesverfassungsgericht auch im Zusammenhang mit Wahlen im Mitbestimmungsbereich immer wieder als mögliglieder, der Schwerbehindertenvertretung, der JAV-Mitglieder, Sitzungsleitung, § 29 Abs. 2 u. 3 BetrVG, Unterzeichnung des Sitzungsprotokolls, § 34 Abs. 1 BetrVG, die Leitung der Betriebsversammlung, § 42 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, die Teilnahme an den Sitzungen der JAV, § 65 Abs. 2 BetrVG, die beratende Teilnahme an den Sprechstunden der JAV, § 69 Satz 4 BetrVG. 502 BAG v. 17.02.1981 – 1 AZR 290/78 0 AP Nr: 11 zu § 112 BetrVG 1972 (für den Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats); BAG v. 28.02.1974 – 2 AZR 455/73 = EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 8; LAG Köln v. 20.12.1983 – 1 Sa 1143/83 = DB 84, 937; DKK-Wedde § 26 Rdnr. 17 f.; DLW-Wildschütz I. Rdnrn: 451 ff.; Fitting § 26 Rdnr. 22 f.; HSWG-Glock § 26 Rdnrn. 38 ff.; Joost MünchArbR § 306 Rdnrn. 15 ff.; Löwisch TK § 26 Rdnr. 10; Löwisch/Kaiser § 26 Rdnrn. 6 ff.; Richardi-Richardi/Thüsing § 26 Rdnrn. 33 ff.; Weiss/Weyand § 26 Rdnrn. 10 ff.; anders aber GK-Wiese/Raab § 26 Rdnrn. 31 ff., die die Rechtsstellung des Betriebsratsvorsitzenden zwar als echte Stellvertretung im Willen ansehen, im Ergebnis aber mit der h. M. übereinstimmen, weil die Kompetenzen des Vorsitzenden abschließend gesetzlich festgelegt worden seien. 503 BAG v. 01.06.1976 – 1 ABR 99/74 = AP Nr. 1 zu § 28 BetrVG 1972 Gründe III. 2.; v. 20.10.1993 – 7 ABR 26/93 = AP Nr. 5 zu § 28 BetrVG 1972 Gründe B. II. 4 b; LAG München v. 23.06.2004 – TaBV 74/03 Gründe II. (n. v.); ArbG München v. 15.10.2003 – 6 BV 25/03 I. (n. v.); Fitting § 27 Rdnr. 78; Galperin/Löwisch § 27 Rdnr. 34, § 28 Rdnr. 7; HSWG-Glock § 27 Rdnr. 53; GK-Wiese/Raab § 27 Rdnr. 70; Richardi-Thüsing § 27 Rdnr. 60. 504 So auch Dütz ArbuR 01, 1306 (1309); Badura ZBVR 02, 255; Hanau ArbuR 88, 261 (265).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

ches Argument für eine dort vorzunehmende Modifikation der Wahlrechtsgrundsätze bezeichnet worden ist, vermag für den Bereich der Wahlen zum Betriebsrat daher die Begünstigung der Mehrheitsgewerkschaften durch die Einführung eines Mehrheitswahlsystems sachlich nicht begründen. Dieser Befund deckt sich mit dem Ergebnis, das sich bei einer Betrachtung anhand des verfassungsrechtlich für die Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung vorgegebenen ausdifferenzierten Anforderungsprofils ergibt: Es wurde oben bereits ausgeführt, dass Beschränkungen der Koalitionsfreiheit anhand dieses Profils nur insoweit vorgenommen werden dürfen, als dies sachlich gerade durch den Zweck des zu gestaltenden Sektors der Koalitionsbetätigung erforderlich ist505. Eine Differenzierung des Erfolgswertes bei Betriebsratswahlen für Wahlbewerber von Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften ist im Hinblick auf den Zweck der Betriebsratswahlen, ein arbeitsfähiges Beschlussorgan zu etablieren, aber gerade nicht erforderlich. III. Ergebnis Es kann deshalb also festgestellt werden, dass das auf Parlamentsebene angeführte (ohnehin aber nicht mehr wirklich durchschlagskräftige) Zersplitterungsargument auf die Verhältnisse des Wahlrechts zum Betriebsrat nicht angewandt werden kann. Daraus folgt, dass der rechtsanalogen Übertragung der Erkenntnisse aus dem Wahlrecht zu allgemein-politischen Wahlen, im Sinne einer Bindung an die Grundsätze des Verhältniswahlrechts, nicht nur keine durchgreifenden und zwingenden Gründe der Herstellung der Funktionsfähigkeit des zu wählenden Betriebsrats entgegenstehen. Im Gegenteil gebietet das mit der Koalitionsfreiheit einhergehende Optimierungsgebot für die Effektivierung des Grundrechtsschutzes der Minderheitsgewerkschaften, dass diese es nicht ohne tragenden Sachgrund hinzunehmen haben, dass durch die Einführung eines Mehrheitswahlsystems der Erfolgswert der für ihre Kandidaten abgegebenen Stimmen gegenüber den für die Kandidaten der Mehrheitsgewerkschaft abgegebenen Stimmen deutlich differieren kann. Die Natur des Sachbereichs, um in der Terminologie des Bundesverfassungsgerichts zu sprechen, gebietet also aus Gründen der Entfaltung der Koalitionsfreiheit der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung, die Übertragung der Wahlrechtsgrundsätze aus dem allgemein-politischen Bereich in den Bereich des Wahlrechts zum Betriebsrat. Weil das Wahlrecht schon auf staatlicher Ebene verfassungsmäßig auf ein Verhältniswahlsystem festgelegt ist506, müssen diese Grundsätze auch ins Wahlrecht zum Betriebsrat übertragen werden507. Dem stehen die vom Bundesverfassungsgericht bei einer solchen Übertragung anzustellenden Erwägungen in 505 506

Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. b) ff. Siehe oben 4. Kap. § 3 B. II. 1. ff.

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Richtung entgegenstehender Gesichtspunkte von Verfassungsrang, die eine „schematische“ Übertragung verbieten könnten, nicht entgegen. Denn insbesondere die Koalitionsfreiheit der Mehrheitsgewerkschaft gebietet es nicht, den für ihren Wahlbewerber abgegebenen Stimmen höheren Erfolgswert zuzumessen, als denjenigen Stimmen, die für (erfolglose) Kandidaten einer Minderheitsgewerkschaft abgegeben werden. Allgemeiner betrachtet findet dieses Ergebnis seine Bestätigung auch darin, dass ähnlich den Parteien im politischen System in der Betriebsverfassung Koalitionen mit ihren Vertretern und Wahlbewerbern plurale Interessen abbilden, diese Abbildung am ehesten durch ein Verhältniswahlsystem gewährleistet wird, und außerdem der im Koalitionsgrundrecht angelegte Koalitionspluralismus mit einem Verhältniswahlsystem am effektivsten zum Tragen kommen kann. Das in § 14 Abs. 2 Satz 1 BetrVG für die Wahlen zum Betriebsrat vom Gesetzgeber angeordnete Verhältniswahlrecht ist im Ergebnis also als „verfassungsfest“ anzusehen und unterliegt damit einer gesetzlichen Veränderungssperre von Verfassungs wegen508.

C. Vorgabe eines bestimmten Zählsystems im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Verhältniswahl? Dass im Ergebnis das Grundrecht der Koalitionsfreiheit der Minderheitsgewerkschaften dem Gesetzgeber ein Verhältniswahlsystem für die Wahl zum Betriebsrat vorgibt, wurde festgestellt. Damit wird grundsätzlich sichergestellt, dass bei der Mandatsverteilung Proportionalität zwischen den Wahlvorschlägen von Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaft herzustellen ist. Der Gesetzgeber hat sich auf Gesetzesebene in § 14 Abs. 2 Satz 1 BetrVG lediglich auf „Grundsätze der Verhältniswahl“ festgelegt, und dem Verordnungsgeber die nähere Ausgestaltung dieser Grundsätze gem. § 126 Ziff. 5 a) BetrVG überlassen. Der Verordnungsgeber hat von dieser Ermächtigung in der Weise Gebrauch gemacht, dass er für die Mandatsverteilung im Betriebrat auf die Wahlvorschlagslisten das d’Hondt’sche Höchstzahlverfahren in § 15 Abs. 1 bis 4 WO BetrVG 2001 angeordnet hat. Nach diesem Verteilungssystem werden die für jede Liste abgegebenen Stimmenzahlen durch natürliche Zahlen, beginnend von eins an aufsteigend, geteilt – bis höhere Teilzahlen für die Zuweisung der zu verteilenden Sitze nicht mehr in Betracht kommen. Sodann werden diese

507 Ausdrücklich a.A. Richardi-Thüsing § 14a Rdnr. 2: Der Gesetzgeber könne, auch wenn dies rechtspolitisch verfehlt wäre bzw. im Hinblick auf § 14a BetrVG so sei, zwischen verschiedenen Wahlsystemen in der Betriebsverfassung wählen, dies sei nicht verfassungswidrig. 508 A.A. BAG v. 25.05.2005 – 7 ABR 10/04 Gründe II. 3. b).

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Teilzahlen ihrer Größe nach geordnet und die Sitze dann nach diesen „Höchstzahlen“ auf die einzelnen Listen verteilt509. Ohne an dieser Stelle auf die genauen mathematischen Implikationen dieses Höchstzahlverfahrens510 eingehen zu können, kann doch festgestellt werden, dass dieses Verfahren kleineren Gruppierungen bei der Sitzverteilung (geringe) Nachteile gegenüber größeren Gruppierungen einbringt. Jene benötigen in der Regel mehr Stimmen für einen Sitz als größere Gruppierungen, ein Effekt der sich umso stärker auswirkt, als die Zahl der zu vergebenden Sitze geringer ist511. Dem gegenüber begünstigt das im Bundeswahlrecht (§ 6 Abs. 2 BWG) seit 1985512 geltende Hare-Niemeyer-Verfahren kleinere Listen dadurch, dass die Proportionalität hier zunächst striktere Beachtung findet als beim d’Hondt’schen Höchstzahlverfahren513: Beim Hare-Niemeyer-Verfahren werden die jeweiligen Stimmenzahlen für die Listen mit der Anzahl der zu vergebenden Sitze multipliziert. Das Ergebnis wird durch die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen geteilt, die resultierenden ganzen Zahlen ergeben die Anzahl der Sitze für eine Liste, die restlichen Sitze für die Listen ergeben sich aus der Reihenfolge der Bruchteile hinter dem Komma514. Fraglich ist deshalb, ob der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gezwungen ist, das Hare-Niemeyer-Verfahren als „gerechteres“515 Auszählungsverfahren auf die Verteilung der Sitze im Betriebsrat anzuwenden. Dies erscheint aber als äußerst zweifelhaft. Denn wenn – wie hier vertreten, und vom Bundesverfassungsgericht im Grundsatz sanktioniert – die Ausgestal509 Siehe hierzu DKK-Schneider § 15 WO Rdnrn. 1 ff.; Fitting § 15 WO Rdnrn. 2 ff.; GK-Kreutz/Oetker § 15 WO Rdnr. 1 ff.; Löwisch/Kaiser § 15 WO Rdnr. 1 ff.; Richardi-Thüsing § 15 WO Rdnrn. 2 ff. 510 Siehe zu dem mathematischen Voraussetzungen und Auswirkungen der verschiedenen Berechnungs- und Zählsysteme Genssler, Das d’Hondtsche und andere Sitzverteilungsverfahren aus mathematischer und verfassungsrechtlicher Sicht. 511 Siehe Schreiber NJW 85, 1433 (1436 f.); Schubert/Klein, „Hare-Niemeyer-Verfahren“; so auch Kommunikationsgewerkschaft DPV Bundesvorstand Stellungnahme, S. 1 (S. 3). 512 7. Änderungsgesetz v. 08.03.1985 (BGBl. I, S. 521), erstmals für die Bundestagswahl 1987; dazu ausführlich Schreiber NJW 85, 1433 ff. 513 Schreiber NJW 85, 1433 (1436 ff.); Stern, S. 297; zu den Einzelheiten des Berechnungsverfahrens nach Hare/Niemeyer siehe Starck-Achterberg/Schulte Art. 38 Abs. 3 Rdnr. 163 ff. und Stern, S. 279 ff. 514 Schubert/Klein, „Hare-Niemeyer-Verfahren“; siehe auch die Ausführungen auf der Homepage des Deutschen Bundestages www.bundestag.de/parlament/gremien15/ archiv/azur/azur _2.html (Ausschüsse, Sitzverteilung 2. Vorteile); dort wird allerdings auch mathematische Paradoxien hingewiesen, die bei einer größeren Anzahl von zu vergebenden Sitzen dem Gebot der „reinen Proportionalität“ auch zuwiderlaufen können. 515 So Kommunikationsgewerkschaft DPV Bundesvorstand Stellungnahme 1 (3).

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tung der Koalitionsbetätigung schon auf der Ebene von Quoren für Wahlvorschläge gewisse Verzerrungen in der Erreichung voller pluraler Proportionalität zwischen miteinander konkurrierenden Gewerkschaften zulässt, so ergibt sich daraus mittelbar auch, dass eher marginale516 Verzerrungen bei der Erfolgsauswertung der für eine Liste abgegebenen Stimmen von Verfassungs wegen nicht beanstandet werden können. Anders als das Mehrheitswahlsystem mit seiner immanenten Möglichkeit, den Erfolgswert der abgegebenen Stimmen sehr deutlich zu Lasten der Minderheitsgewerkschaften zu verzerren, liegen die Auswirkungen des d’Hondt’chen Zählsystems praktisch nur darin, dass der Minderheitsgewerkschaft im rechnerischen Einzelfall einmal ein Mandat nicht zufällt, das anderenfalls auf ihren Kandidaten hätte entfallen können. Diese Möglichkeit kann aber nicht dazu hinreichen, die Einschätzungsprärogative des Staates vollständig auf das Hare-Niemeyer-System hin zu verengen. Allerdings kann an dieser Stelle umgekehrt auch festgestellt werden, dass es dem Gesetzgeber nicht verwehrt wäre, sich für dieses Vergabesystem zu entscheiden517. Denn die proportionale Darstellung des Votums der wahlberechtigten Arbeitnehmer „in Reinform“ würde auf kein legitimes Gegeninteresse der Mehrheitsgewerkschaft aufgrund von deren Koalitionsfreiheit treffen. Im Ergebnis ist die Übertragung des Hare-Niemeyer-Systems aus dem allgemein-politischen Bereich der Wahlen zum Bundestag auf die Wahlen zum Betriebsrat nicht verfassungsrechtlich geboten.

D. Die Wahlrechtsgrundsätze der „Geheimheit“ und „Freiheit“ der Wahl in ihrer spezifischen Schutzfunktion für die Minderheitsgewerkschaften Die §§ 14 Abs. 1 BetrVG, 12 Abs. 1 und 25 WO BetrVG ordnen an, dass die Betriebsratswahl geheim zu erfolgen hat. Es handelt sich bei dieser Vorgabe um eines der bedeutsamsten Elemente eines demokratischen Wahlverfahrens518. Die 516 Siehe zu den möglichen Mandatsverschiebungen durch Anwendung des d’Hondt’schen Systems oder des Hare-Niemeyer-Systems die Berechnungsbeispiele bei Schreiber § 6 Rdnr. 6 und unter www.bundestag.de/parlament/gremien15/archiv/azur/ azur _2.html (Ausschüsse, Sitzverteilung 2. Vorteile); zu den Vor- und Nachteilen der beiden Verteilungsverfahren siehe auch Niedersächsischer StGH DVBl. 78, 139; NVwZ 82, 34; OVG NRW DVBl. 81, 874. 517 So v. Münch-Trute Art. 38 Rdnr. 64 „Höchstzahlverfahren“ für den Übergang vom d’Hondt’schen Verfahren zum Hare-Niemeyer-Verfahren im Bundeswahlrecht; das BVerfG hat das d’Hondtsche Verfahren für die Wahlen zum Bundestag für verfassungsgemäß erachtet, siehe BVerfGE 16, 130 (144); auch der Staatsgerichtshof des Landes Hessen v. 13.10.1993 – P. St. 1141 = ArbuR 94, 430 (432) geht von der gleichen verfassungsrechtlichen Brauchbarkeit und Wertigkeit des Systems nach d’Hondt und des Systems Hare/Niemeyer aus. 518 v. Münch-Trute Art. 38 Rdnr. 65.

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offene Abstimmung als „Wahl“ zum Betriebsrat ist damit zwingend ausgeschlossen519. Diese demokratisch-selbstverständliche Vorgabe an jedes Wahlrecht ist in unmittelbarem Zusammenhang mit der Freiheit der Wahl zu sehen: Der Grundsatz der geheimen Wahl schützt die demokratische Selbstbestimmung gegen staatlichen und gesellschaftlichen Zwang, vor wie nach der Stimmabgabe520. Dieser gesellschaftliche Zwang ist es, der im vorliegenden Untersuchungszusammenhang spezifische Bedeutung erlangen kann. Die Beeinträchtigung der Wahlfreiheit kann gerade bei Betriebsratswahlen, angesichts der Überschaubarkeit der Verhältnisse, insbesondere wegen der im Betrieb – vor allem den Gewerkschaftsfunktionären der Mehrheitsgewerkschaft – bekannten Präferenzen von Arbeitnehmern für bestimmte Koalitionen praktisch werden521: Denn gerade dort, wo in Betrieben eine starke gewerkschaftliche Konkurrenzsituation besteht, besteht auch das Risiko, dass auf die Arbeitnehmer Druck dahingehend ausgeübt wird, ihr Votum in einer einen bestimmten Wahlvorschlag begünstigenden Weise auszuüben. Sichert dann die strikte Wahrung des Wahlgeheimnisses das Votum nicht gegen eine „Erfolgskontrolle“, vor allem durch massiv werbende Arbeitnehmer oder Gewerkschaftsbeauftragte insbesondere der Mehrheitsgewerkschaft ab, die regelmäßig auch den Wahlvorstand dominieren werden, so werden sich Arbeitnehmer rechtstatsächlich weniger frei dazu entscheiden können, ihr Votum einer Minderheitsgewerkschaft zukommen zu lassen, oder gar entgegen ihrer eigenen organisatorischen Bindung zu einer bestimmten Gewerkschaft alternierend zu wählen. Das Bundesverfassungsgericht522 hat auf diesem Hintergrund der Dominanz der Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb im Zusammenhang mit Stützunterschriften für einen Wahlvorschlag zu Recht ausgeführt, dass regelmäßig mehr Wähler einer Liste die Stimme zu geben bereit sind, als sie sich betriebsöffentlich zu ihr bekennen würden. So hat das Arbeitsgericht München523 eine Verletzung der Wahlfreiheit schon darin gesehen, dass 519 BAG v. 12.10.1961 – 5 AZR 423/60 = AP Nr. 84 zu § 611 BGB Urlaubsrecht; LAG Mainz v. 07.11.1950 = BB 51, 250; Fitting § 14 Rdnr. 11; GK-Kreutz § 14 Rdnr. 14; HSWG-Schlochauer § 14 Rdnr. 6; Joost MünchArbR § 304 Rdnr. 211 f.; Löwisch/ Kaiser § 14 Rdnr. 2; Richardi-Thüsing § 14 Rdnr. 9. 520 Frowein, AöR 99 (1974), 72 (105); v. Münch-Trute Art. 38 Rdnrn. 42, 65; Sachs-Magiera Art. 38 Rdnrn. 85, 97; siehe auch Klein ZBVR 02, 62 u. ZfPR 04, 18 im Zusammenhang mit den Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Briefwahl. 521 So hat das BAG sich bei möglichen Beeinträchtigungen der Wahlfreiheit zu Recht als äußerst penibel erwiesen: Es hat bspw. bereits in der unterschiedlichen graphischen Stärke des Druckes von Ankreuzungsfeldern auf dem Stimmzettel eine Beeinträchtigung der Freiheit der Wahl gesehen. Der Wähler könne sich veranlasst sehen, wegen dieser drucktechnischen Gestaltung gerade das hervorgehobene Feld anzukreuzen oder aber, sich gerade diesem psychologischen Zwang zu entziehen versuchen, v. 14.01.169 – 1 ABR 14/68 = AP Nr. 12 zu § 13 BetrVG. 522 BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 Gründe C. I. 3.b bb 2. Abs.

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der Wahlvorstand transparente Umschläge verwendete und dass damit die Möglichkeit gegeben war, das Wählervotum direkt ohne Öffnung des Wahlumschlags zu erkennen oder aber durch ein- oder mehrmaliges Falten des Stimmzettels Rückschlüsse auf ein bestimmtes Votum nahezulegen. Die Wahlgrundsätze der Freiheit und Geheimheit der Wahl besitzen damit gerade für die Minderheitsgewerkschaften und ihre Vertreter in den Betrieben ganz elementare Bedeutung. I. Insbesondere: Die unaufgeforderte Übermittlung der Briefwahlunterlagen durch den Wahlvorstand an den Wahlberechtigten Ein besonderes Problem der Beeinträchtigung der Wahlfreiheit und des Grundsatzes der Geheimheit der Wahl mit minderheitsspezifischem Einschlag besteht darin, dass es in der Praxis häufig vorkommt, dass entgegen der Anordnung des § 24 Abs. 1 Satz 1 WO BetrVG, der Wahlvorstand ohne ein Verlangen der Wahlberechtigten diesen die Briefwahlunterlagen übermittelt – und dies regelmäßig im Wege der Übermittlung durch Boten des Wahlvorstandes. Hierzu muss man sich vergewärtigen, dass diese dem Gesetz zuwiderlaufende Praxis bei einer Konkurrenzsituation gerade dort geübt wird bzw. werden kann, wo es die Vertreter der Minderheitsgewerkschaft nicht geschafft haben, dass ein bei ihnen organisierter Wahlberechtigter gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 BetrVG als Wahlvorstandsmitglied bestellt wurde. Denn gerade für kleinere Minderheitsgewerkschaften wird das Entsendungsrecht des § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG häufig kein Äquivalent für ein gewähltes Wahlvorstandsmitglied ihres Vertrauens darstellen: Zum einen hat dieses kein Stimmrecht; vor allem aber wird es regelmäßig nicht freigestellt sein, so dass eine wirksame Kontrolle des Amtshandelns außerhalb der formellen Wahlvorstandssitzungen durch dieses entsandte Wahlvorstandsmitglied kaum einmal wird möglich sein können. Und gerade die unaufgeforderte Botenzustellung erfolgt regelmäßig als laufende „Geschäftsführungsmaßnahme“ – und damit außerhalb der Wahlvorstandssitzungen. Zunächst liegt das Problem der unaufgeforderten Botenzustellung darin, dass entgegen den gesetzlichen Vorschriften auf den Arbeitnehmer seitens des „amtlichen“ Wahlvorstands eingewirkt wird, von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Die h. M. bestreitet zwar nicht die Unzulässigkeit eines solchen Vorgehens des Wahlvorstands, hält diese Vorgehensweise aber im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Wahl (Anfechtbarkeit) entweder für im Ergebnis unproblematisch, oder aber sieht in der anschließend tatsächlich vollzogenen schriftlichen Stimmabgabe des Adressaten der Botenzustellung sogar die Heilung die523

ArbG München v. 27.10.1998 – 6a BV 193/98, S. 13 f. (n. v.).

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ses nur formellen Wahlfehlers524. Begründet wird dies damit, dass weder durch ein unaufgefordertes Zusenden der Briefwahlunterlagen an sich, noch im Falle einer Botenüberbringung dieser Unterlagen bei damit einhergehender Aufforderung durch den Wahlvorstand oder den Boten, die Freiheit der Wahlhandlung bzw. Wahlentscheidung beeinträchtigt werde525 – schon weil die Freiheit zur Wahlentscheidung nicht vom Grundsatz der Wahlfreiheit umfasst sei526. Der formelle Wahlfehler werde jedenfalls durch die Wahlteilnahme des Briefwählers wieder geheilt527. Zum Teil wird dementgegen aber schon in der unaufgeforderten (Boten-)Zustellung von Briefwahlunterlagen ein materieller und wesentlicher Verstoß gegen den Grundsatz der Wahlfreiheit in Gestalt des Rechts der freien Wahlbeteiligung – denn auch dieses wird entgegen der vorgenannten Auffassung des VGH Freiburg528 als von der Wahlfreiheit als mitgeschützt betrachtet – gesehen529. Dies hat dann die Konsequenz, dass unter der Voraussetzung der potentiellen Kausalität dieses Wahlfehlers für das Wahlergebnis, die Anfechtbarkeit der Wahl gegeben ist530.

524 Altvater § 17 BPersVG WO Rdnr. 5; DKK-Schneider § 24 WO Rdnr. 11; Dietz/ Richardi § 17 BPersVG BPersVGWO Rdnr. 4; Fitting § 24 WO Rdnr. 3; Ilbertz § 17 BPersVG WO Rdnr. 3; Lorenzen-Schlatmann § 17 BPersVWO § 17 Rdnr. 3. 525 BVerwG v. 14.08.1959 – VII P 15.58 = E 9, 107 (109) = AP. Nr. 2 zu § 17 WO PersVG = ZBR 59, 341 = PersV 58/59, 308. 526 VGH Freiburg v. 21.10.1958 – 146 P/58 = ZBR 1959, 98. 527 BVerwG v. 14.08.1959 – VII P 15.58 = E 9, 107 (109); VGH Freiburg v. 21.10.1958 – 146 P/58; Dietz/Richardi BPersVG § 17 BPersVGWO Rdnr. 4; DKKSchneider § 24 WO Rdnr. 11; Lorenzen-Schlatmann § 17 BPersVGWO Rdnr. 3; Windscheid/Ilbertz § 17 Anm. 7. 528 VGH Freiburg v. 21.10.1958 – 146 P/58 = ZBR 1959, 98. 529 LVG Köln v. 30.07.1956 – PV 3/56, S. 7 = ZBR 291 (dort nur im Leitsatz veröffentlicht); VG Stuttgart v. 02.07.1973 PVS 2/73; Engelhard/Ballerstedt § 17 WO Anm. 3. b); GK-Kreutz/Oetker § 24 WO Rdnr. 9; Klein ZBVR 02, 62 (63) u. ZfPR 04, 18 (19 f.); im Ergebnis für Anfechtbarkeit auch Richardi-Thüsing § 24 WO Rdnr. 9. 530 Siehe zum Erfordernis der „potentiellen Kausalität“ für das Wahlergebnis statt vieler nur GK-Kreutz § 19 Rdnr. 45 m.w. N.; erforderlich ist danach, dass die Möglichkeit besteht, dass das Wahlergebnis ohne Wahlfehler anders ausgefallen wäre, Müller FS Carolsfeld, S. 367 (S. 387); aus jüngerer Zeit BAG v. 30.05.2000 – 7 ABR 78/98 = AP Nr. 12 zu § 1 BetrVG 1972 Gemeinsamer Betrieb B. III. 6. a.; v. 15.11.2000 – 7 ABR 53/99 = AP Nr. 10 zu § 18 BetrVG 1972 B. II. 4. (keine Anfechtbarkeit nur dann, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlverfahrensvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre).

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II. Eigene Stellungnahme 1. Unaufgeforderte Übersendung oder Überbringung der Briefwahlunterlagen Gegen die h. M. spricht zunächst die mit der unaufgeforderten Zusendung von Briefwahlunterlagen verbundene Gefahr des manipulativen Umgangs mit diesen Unterlagen, dies verstärkt vor allem dann, wenn sie durch Boten des Wahlvorstands erfolgt und der wahlberechtigte Empfänger nicht angetroffen wird531. Denn in diesem Falle kursieren unausgefüllte Briefwahlunterlagen unkontrolliert, und erleichtern jedenfalls unrechtmäßige Zugriffe Dritter. Aber auch dann, wenn der vom Wahlberechtigten unaufgeforderte Überbringer der Briefwahlunterlagen jenen antrifft, kann der Verstoß gegen § 24 Abs. 1 Satz 1 WO BetrVG entgegen der h. M. regelmäßig nicht geheilt werden. Der Grund hierfür liegt nämlich in der mit der unaufgeforderten Botenzustellung einhergehenden Verletzung des Wahlgrundsatzes der Freiheit der Wahl, der auch das Recht der freien Wahlbeteiligung mitumfasst532. Zu Recht führt Magiera533 aus, dass die Willensbildung vor der Stimmabgabe vom Grundsatz der Wahlfreiheit erfasst ist, und dass die öffentliche Nichtbeteiligung an der Wahl eine Stellungnahme enthalten kann, die über die geheime Stimmenthaltung bei der Wahl hinausgeht. Deshalb kann eine Drucksituation dadurch entstehen, dass dem Wahlberechtigten der Vorhalt gemacht wird, er habe noch nicht von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Die Drucksituation besteht darin, dass sich der Wahlberechtigte bei gezielter Ansprache von dritter Seite her unversehens der Notwendigkeit ausgesetzt sieht, sich für sein Verhalten zu rechtfertigen, und er in Gefahr gerät, sich die Kritik oder Geringschätzung Dritter zuzuziehen534. Aus Sicht des Wahlberechtigten aber, der seine Briefwahlunterlagen unaufgefordert überbracht bekommt, liegt in der Überbringung regelmäßig – konkludent – dieser Vorhalt, der über die normale „Wahlkampfansprache“ hinausgeht. Denn objektiv, wie auch aus seiner Sicht, liegt in der Überbringung die zielge531 So auch BVerwG v. 14.08.1959 – VII P 15.58 = E 9, 107 (108 f.); VGH BadenWürttemberg v. 05.12.1974 – XI 842/73 = ZBR 75, 391 f.; VGH Freiburg v. 21.10.1958 – 146 P/58 = ZBR 59, 97 f.; insbesondere zum Fall des Nichtantreffens des Wahlberechtigten VG Stuttgart v. 02.07.1973 – PVS 2/73, S. 5 (n. v.); GK-Kreutz/ Oetker § 17 WO Rdnr. 9; Ilbertz § 17 WO Rdnr. 3; Klein ZBVR 04, 62 f. u. ZfPR 02, 18 f. 532 So auch BAG v. 06.12.2000 – 7 ABR 34/99 = AP Nr. 48 zu § 19 BetrVG 1972 Gründe B. II. 3. a; Engelhard/Ballerstedt § 17 WO Anm. 3. b; GK-Kreutz/Oetker § 17 WO BetrVG Rdnr. 9; Klein ZBVR 04, 62 f. u. ZfPR 02, 18 (19 f.); a.A.: BVerwG v. 14.08.1959 – 7 P 15.58 = E 9, 107 (109): nichts hindere die Wahlberechtigten, gleichwohl ihre Wahlentscheidung frei zu treffen. 533 Sachs-Magiera Art. 38 Rdnr. 85. 534 BAG v. 06.12.2000 – 7 ABR 34/99 = AP Nr. 48 zu § 19 BetrVG 1972 Gründe B. II. 3. c und d.

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richtete Ansprache des Wahlberechtigten, dass dieser sein Wahlrecht noch nicht ausgeübt habe, und eben nicht nur eine ganz allgemeine Aufforderung wie an jeden anderen Wahlberechtigten im Betrieb, wenn im Rahmen von Betriebsratswahlen dazu aufgerufen wird, sich an den Wahlen zu beteiligen. Deshalb irrt das Bundesverwaltungsgericht535 auch, wenn es, im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, das gezielte Zugehen auf den als Nichtwähler mit Hilfe des Wahlvorstands identifizierten Wahlberechtigten, dessen Ausgesetzt-Sein unter den allgemeinen Wahlkampf in der Dienststelle gleichsetzt und für unbedenklich hält. Unter dem hier vor allem interessierenden minderheitsspezifischen Aspekt kommt zu diesen Überlegungen noch hinzu, dass insbesondere bei von der Mehrheitsgewerkschaft regelmäßig majorisierten Wahlvorständen – die gegebenenfalls sogar ganz ohne Vertretung der Minderheitsgewerkschaft gem. § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG amtieren – durch solche Botendienste gezielt und unter Missbrauch der gesetzlich gebotenen neutralen Amtsführung536 – Einfluss auf die Wahlbeteiligung der bei ihrer Mehrheitsgewerkschaft organisierten Wahlberechtigten genommen wird, bzw. genommen werden kann. Aus Sicht des wahlberechtigten Arbeitnehmers, der kein Verlangen geäußert hat, sich an der Betriebsratswahl im Wege der schriftliche Stimmabgabe zu beteiligen, entsteht somit Druck gleich von zwei Ebenen kollektiver Machtausübung her537: Das amtliche Gremium Wahlvorstand und die Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb verlangen mit der Überbringung der Briefwahlunterlagen, vom Empfängerhorizont des wahlberechtigten Arbeitnehmers her gesehen, ein Bekenntnis vom Wahlberechtigten, dem er sich nur schwerlich wird entziehen können. Denn die betrieblichen Verhältnisse sind überschaubar, und die vom Bundesarbeitsgericht538 beschriebene Gefahr der Kritik und der Geringschätzung des Nichtwählers ist hier deshalb besonders und ganz konkret im Sinne des eingangs erwähn-

535

BVerwG v. 03.03.2003 – 6 P 14.02 = AP Nr. 5 zu § 25 BPersVG Gründe II. 2. Ein ausdrückliches Neutralitätsgebot für den Wahlvorstand ist gesetzlich nicht angeordnet worden. Es ist aber nicht ersichtlich, weshalb § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht auf die Amtspflichten des Wahlvorstands im Wege der Analogie sollte erstreckt werden müssen. Dies muss umsomehr gelten, als die Tätigkeit des Wahlvorstandes sich im besonders sensiblen Bereich der Organisation von Wahlen bewegt. Unverständlich ist deshalb, dass das BAG in seiner Entscheidung v. 06.12.2000 – 7 ABR 34/99 = AP Nr. 48 zu § 19 BetrVG 1972 Gründe B. 5. diese Frage hat dahinstehen lassen: „Dabei lässt der Senat dahinstehen, ob den Wahlvorstand, wie das LAG angenommen hat, auch eine über die Pflicht zur Beachtung der Wahlvorschriften des BetrVG, der WO und die allgemeinen Wahlgrundsätze hinausgehende, ungeschriebene Neutralitätspflicht trifft“; anders noch die Vorinstanz, das LAG Hamburg; für Neutralitätspflicht des Wahlvorstands auch OVG Münster v. 12.02.1970 – CB 4/69. 537 Dazu oben schon allgemein 2. Kap. § 1 E. 538 BAG v. 06.12.2000 – 7 ABR 34/99 = AP Nr. 48 zu § 19 BetrVG 1972 Gründe B. II. 3. c. 536

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ten verbotenen gesellschaftlichen Zwanges in Richtung der Wahlentscheidung des Wahlberechtigten gegeben. Damit wird gleichzeitig auch noch der Grundsatz der Chancengleichheit539 aller zur Wahl antretenden Koalitionen empfindlich verletzt. Denn dass durch einen von der Mehrheitsgewerkschaft majorisierten Wahlvorstand gleichzeitig eine solche Aktivierung per Botenübermittlung der Briefwahlunterlagen von potentiell der Minderheitsgewerkschaft zuneigenden Wahlberechtigten erfolgen wird, ist – unabhängig von der ohnehin gegebenen Verletzung der Wahlfreiheit durch eine solche Verfahrensweise – wohl kaum anzunehmen. Deshalb ist im Ergebnis die unaufgeforderte (Boten-)Übermittlung von Briefwahlunterlagen an den Wahlberechtigten als wesentlicher, und nicht durch die anschließende Ausübung der schriftlichen Stimmabgabe zu heilender, Verstoß gegen § 24 Abs. 1 Satz 1 WO BetrVG anzusehen. 2. Sofortige Rückübermittlung der unaufgefordert durch den Boten übermittelten Briefwahlunterlagen Das soeben vertretene Ergebnis wird dann vollends plausibel, wenn – was sehr häufig, wenn nicht regelmäßig der Fall sein wird – sich die unaufgeforderte Überbringung der Wahlunterlagen mit der sofortigen Rückübermittlung des schriftliche Votums durch den gleichen Boten verbindet. In diesem Falle eines vom Wahlvorstand initiierten Wahlschleppvorgangs wird die ohnehin bereits gegebene Drucksituation auf den Wahlberechtigten noch weiter verstärkt. Das LVG Köln540 hat hierzu treffend ausgeführt, dass die Freiheit der Wahl und deren Geheimheit schon dadurch verletzt werden, dass sich der Wahlberechtigte bei Anwesenheit des zur Rückübermittlung an den Wahlvorstand bereitstehenden Boten nicht mehr unbeobachtet und damit unbefangen fühlen kann – selbst wenn sich der Anwesende „uninteressiert“ zeigt541. Gegen die Wahlfreiheit wird auch insofern verstoßen, als bei einer solchen Verfahrensweise dem Wahlberechtigten praktisch durch das Anerbieten des Rückübermittlungsdienstes vom Wahlvorstand aus ein Bote oktroyiert wird und der Wähler die Befürchtung haben darf, dass der Bote bei der Rückübermittlung sein Vo539 Dazu siehe bereits oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. c) ff.; siehe dazu auch BAG v. 06.12.2000 – 7 ABR 34/99 = AP Nr. 48 zu § 19 BetrVG 1972 Gründe B. II. 5., das ebenfalls im gezielt durch den Wahlvorstand ermöglichten wahlwerbenden Zugehen auf den Wahlberechtigten die Chancengleichheit aller Wahlbewerber im Wahlverfahren als verletzt ansieht. 540 LVG Köln v. 30.07.1956 – PV 3/56, S. 7 = ZBR 58, 291 (Leitsatz); genauso OVG Münster v. 09.10.1967 – CB 8/67; HessVGH v. 14.06.1965 – HPV 3/64 = PersV 67, 18 (19); HessVGH v. 05.08.1958 – PVB 5/58. 541 Siehe den Fall – ArbG München v. 27.10.1998 – 6a BV 193/98 (n. v.) – bei Klein ZBVR 01, 138 (140), wo der Gewerkschaftsbeauftragte der Mehrheitsgewerkschaft die Stimmabgabe sogar persönlich überwachte.

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tum durch das Öffnen des Wahlumschlages kontrollieren könnte – so dass die Stimmangabe durch diese Befürchtung wird beeinflusst werden können542, ganz zu schweigen von den tatsächlich gegebenen Manipulationsmöglichkeiten543 durch den Rückübermittlungsboten, der als oktroyierter Bote selten wirklich das notwendige Vertrauen544 des Briefwählers haben wird. III. Die Gestattung der Einsichtnahme in die bei ihm geführte Wählerliste durch den Wahlvorstand während der laufenden Betriebsratswahl – Die Bekanntmachung der Rücksendevermerke durch den Wahlvorstand Vorstehend wurde die Problematik der unaufgeforderten Zusendung von Briefwahlunterlagen unter dem Aspekt der Stellung der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung insofern problematisiert, als amtlicherseits, und der mehrheitsgewerkschaftlichen Färbung des Wahlvorstands folgend, direkt vom Wahlvorstand aus gezielt Wahlschleppdienste entgegen verordnungsrechtlicher Vorgabe initiiert werden545. Mit dieser Fallgruppe hat ein weiterer Aspekt des „Kleingedruckten“ in der Betriebsverfassung große Ähnlichkeit: Es handelt sich hierbei um die Frage, ob der Wahlvorstand indirekt solche Wahlschleppdienste begünstigen darf, oder ob ihm dies gleichfalls versagt bleiben muss. Eine solche Verquickung des Wahlvorstands in Wahlschleppdienste der Mehrheitsgewerkschaft besteht vor allem dann, wenn das von dieser majori542 In diese Richtung BVerwG v. 14.08.1959 – VII P 15.58 = E 9, 107 (109); VGH Freiburg v. 21.10.1958 – 146 P/58 – = ZBR 59, 97 (98 f.); siehe auch Altvater § 17 BPersVGWO Rdnr. 16; Lorenzen-Schlatmann § 17 BPersVGWO Rdnr. 10, die ebenfalls betonen, dass dem Wähler durch den Wahlvorstand ein Bote nicht aufgezwungen werden darf. 543 Ob im sog. „Huckepackverfahren“ – bei dem gleichzeitig mehrere Boten miteinander konkurrierender Gewerkschaften fungieren – verfahren werden darf, ist nach dem Ausgeführten sehr zweifelhaft. Denn der Verstoß gegen die Wahlfreiheit liegt bereits in der unaufgeforderten Briefwahlübermittlung und nicht erst in der oktroyierten Rückübermittlung an den Wahlvorstand. Durch ein solches Verfahren werden nur Manipulationsgefahren auf dem Weg zurück zum Wahlvorstand ausgeschlossen und insofern würde alleine die Minderheitsgewerkschaftsproblematik verfassungsgerecht gelöst werden können; siehe dazu Klein ZfPR 04, 18 (21) u. ZBVR 02, 62 (65); mit dem Hinweis, dass diese Verfahrensweise des „Huckepack“ in der Praxis häufig geübt wird. 544 Dass die Übermittlung durch einen vom Briefwähler frei als vertrauenswürdig bestimmten Boten an den Wahlvorstand erfolgen kann, ist wohl unbestritten; siehe dazu Altvater § 17 BPersVGWO Rdnr. 16; Dietz/Richardi § 17 BPersVGWO Rdnr. 2; Ilbertz § 17 BPersVG WO Rdnr. 8; Klein ZBVR 02, 62 (65) u. ZfPR 04, 18 (21); Lorenzen-Schlatmann § 17 BPersVGWO Rdnr. 10; Richardi-Thüsing § 24 WO BetrVG Rdnr. 13; wohl auch BVerwG v. 14.08.1959 – VII P 15.58 = E 9, 107 (109); VGH Bayern v. 19.03.1997 – 18 P 96.2831 = ZfPR 98, 5. 545 Ähnlich Ilbertz ZBVR 02, 32.

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sierte, oder von ihren Vertretern sogar ausschließlich besetzte Gremium, Mitgliedern der Mehrheitsgewerkschaft Einblick in die mit den Rücklaufvermerken (betreffend die schriftliche Stimmabgabe) beim Betriebsrat geführte Wählerliste gestattet oder gar die bei ihm geführte und mit seinen Vermerken gekennzeichnete Wählerliste betriebsöffentlich ausbringt. 1. Die Sicht des Bundesverwaltungsgerichts Das Bundesverwaltungsgericht546 hatte im Jahre 2003 erstmals über diese Problematik zu entscheiden. Hintergrund war ein Fall, bei dem in einer Dienststelle, die von heftiger Konkurrenz zwischen einer Mehrheits- und einer Minderheitsgewerkschaft geprägt war, der Wahlvorstand in das dienststellenöffentlich gem. § 2 Abs. 3 BPersVGWO ausgelegte Wählerverzeichnis seine Vermerke über bereits wieder bei ihm eingegangene Briefwahlunterlagen (Rücklaufvermerke) aufgenommen hatte. Dieser Fall liegt ähnlich der Konstellation, bei der insbesondere Mitgliedern der Mehrheitsgewerkschaft vom Wahlvorstand Einsicht in die bei ihm geführte Wählerliste mit den dort aufgenommenen Rücklaufvermerken gegeben wird. Damit war einsichtnehmenden Gewerkschaftsmitgliedern der Mehrheitsgewerkschaft die Möglichkeit eröffnet worden, genau zu sehen, wer noch nicht von seinem Recht zur schriftlichen Stimmabgabe Gebrauch gemacht hatte, um auf diese Wahlberechtigten gezielt zugehen zu können547. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung indirekt jede Relevanz dieser Vorgehensweise des Wahlvorstandes im Hinblick auf eine Verletzung des Grundsatzes der Wahlfreiheit verneint. Es hat zunächst festgestellt, dass die Aufnahme des Rücklaufvermerks dabei helfen kann, mögliche Doppelzählungen von Stimmabgaben zu vermeiden. Eine solche Gefahr bestehe in der Möglichkeit des Inhabers von Briefwahlunterlagen, gleichwohl von der Möglichkeit der Urnenwahl Gebrauch zu machen548. Es hat sodann festgestellt, dass die gezielte Ansprache von Wahlberechtigten ohnehin jederzeit möglich gewesen wäre und dass – insofern verneinte es die Relevanz für die Problematik der Wahlfreiheit – den Bestimmungen des Bundespersonalvertretungsgesetzes und seiner Wahlordnung die „Vorstellung vom mündigen Bürger und Wähler“ zugrundeliege549. 546

BVerwG v. 03.03.2003 – 6 P 14.02 = AP Nr. 5 zu § 25 BPersVG = ZfPR 03,

104. 547 Dies war nach den Feststellungen der Vorinstanz auch nachweislich der Fall gewesen, siehe VG Hannover v. 07.12.2000 – 16 A 3026/00 (n. v.), S. 9 (n.rkrft.). 548 BVerwG v. 03.03.2003 – 6 P 14.02 = AP Nr. 5 zu § 25 BPersVG BVerwG v. 03.03.2003 – 6 P 14.02 = AP Nr. 5 zu § 25 BPersVG Gründe II. 1. c. 549 BVerwG v. 03.03.2003 – 6 P 14.02 = AP Nr. 5 zu § 25 BPersVG BVerwG v. 03.03.2003 – 6 P 14.02 = AP Nr. 5 zu § 25 BPersVG Gründe II. 2.

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2. Kritik an der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Dieser Auffassung ist schon auf normativer Ebene entgegenzuhalten, dass § 17 Abs. 4 Satz 4 BPersVGWO bzw. § 24 Abs. 1 Satz 3 WO BetrVG es lediglich gestatten, dass die Aushändigung und Übersendung der Briefwahlunterlagen im Wählerverzeichnis vermerkt werden. Die Aufnahme eines Rücklaufvermerks ist nicht vorgesehen, schon gar nicht für das öffentlich auszulegende Wählerverzeichnis. Das gem. § 2 Abs. 3 BPersVG WO bzw. § 2 Abs. 4 Satz 1 WO BetrVG ausgelegte Wählerverzeichnis hat lediglich die Funktion, im Zusammenspiel mit § 3 BPersVGWO (Einsprüche gegen die Richtigkeit des Wählerverzeichnisses durch die Beschäftigten) bzw. § 4 Abs. 1 WO BetrVG sicherzustellen, dass die Beschäftigten sich von der Richtigkeit des Kreises der Wahlberechtigten überzeugen können550. Die Funktion eines Informationsmediums über bereits rückübersandte Briefwahlunterlagen gegenüber der Betriebs- oder Dienststellenöffentlichkeit kommt ihm weder ausdrücklich, noch nach Sinn und Zweck des §§ 2 Abs. 3 BPersVG WO bzw. 4 Abs. 1 WO BetrVG zu551. Diese Auffassung wird indirekt auch dadurch bestätigt, dass § 18 Abs. 1 Satz 2 BPersVGWO – bzw. § 26 Abs. 1 Satz 2 WO BetrVG – anordnen, dass nur die Stimmabgabe, also eben nicht der Rücklaufvermerk, vom Wahlvorstand in das Wählerverzeichnis eingetragen wird. Aber auch grundsätzlichere und materielle Bedenken sind gegen die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu erheben: Das VG Hannover552 hat in diesem Zusammenhang nämlich zu Recht ausgeführt, dass die Tatsache, dass ein Wahlberechtigter seine Stimme abgegeben hat, erst unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe am letzen Tag der Wahl der Öffentlichkeit bekanntgemacht werden soll, um die Wahlen vor jeglichen Beeinflussungen freizuhalten. Die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, die solche gezielte Beeinflussungen unter dem Aspekt des „mündigen Bürgers“ für wahlanfechtungsrechtlich unbedeutsam hält, verkennt insofern den Sinn und Zweck der Wahlvorschriften, die den Bürger bzw. Wahlberechtigten gerade davor schützen sollen, sich gegenüber staatlichen oder gesellschaftlichen Kräften, die gezielt und über das Maß normaler Wahlwerbung hinausgehend auf die Wahlentscheidung Einfluss 550 BAG v. 06.12.2000 – 7 ABR 34/99 = AP Nr. 48 zu § 19 BetrVG 1972 Gründe B. II. 2. a zur deckungsgleichen Regelung des § 2 Abs. 4 Satz 1 WO BetrVG 1972; VG Hannover v. 07.12.2000 – 16 A 3026/00 (n. v./n.rkrft.), S. 7; Altvater § 2 BPersVG WO Rdnr. 16; Dietz/Richardi § 2 BPersVGWO Rdnrn. 5 ff.; Ilbertz § 2 BPersVGWO Rdnrn. 6 ff.; Lorenzen-Schlatmann § 2 BPersVGWO Rdnr. 18; für die vergleichbare Regelung des § 2 Abs. 4 Satz 1 WO BetrVG 1972 vgl. GK-Kreutz/Oetker § 2 WO Rdnr. 13. 551 Unzutreffend deshalb BVerwG v. 03.03.2003 – 6 P 14.02 = AP Nr. 5 zu § 25 BPersVG BVerwG v. 03.03.2003 – 6 P 14.02 = AP Nr. 5 zu § 25 BPersVG Gründe II. 1. b., wo das Gericht sogar in Erwägung zieht, dass das öffentlich einsehbare Wählerverzeichnis die Rücksendevermerke u. U. sogar ausweisen müsse. 552 VG Hannover v. 07.12.2000 – 16 A 3026/00 (n. v.), S. 8 (n.rkrft.).

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zu nehmen suchen, verwahren zu müssen. Und die Aufnahme von verordnungsrechtlich nicht zulässigen Rücksendevermerken in das öffentlich ausgelegte Wählerverzeichnis eröffnet nicht nur die theoretische, sondern nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch die konkrete Gefahr einer solch missbräuchlichen Verwendung dieser Angaben553. Es leuchtet auch überhaupt nicht ein, wieso die Aufnahme der Rücksendevermerke in das ausgelegte Wählerverzeichnis die Gefahr der doppelten Stimmabgabe entscheidend sollte verringern können554. Dieser Gefahr kann nämlich unproblematisch – verordnungskonform – auch dadurch entgegengewirkt werden, dass der Wahlvorstand in das bei ihn geführte, und der Dienststellenöffentlichkeit nicht zugänglich gemachte Wählerverzeichnis, diese Vermerke aufnimmt, um sie dann unmittelbar vor der Stimmabgabe verordnungskonform gem. §§ 18 Abs. 1 BPersVGWO bzw. 26 Abs. 1 WO BetrVG mit den in die Urnen zu verbringenden schriftlichen Voten abzugleichen555. Inwiefern dieses verordnungsmäßigkonforme Vorgehen des Wahlvorstands „Misstrauen gegen die Korrektheit des Wahlverfahrens“ sollte bewirken können556, ist nicht nachvollziehbar. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts entspricht deshalb nicht den Anforderungen an die Bewahrung des Wahlrechtsgrundsatzes der Freiheit der Wahl bei der schriftlichen Stimmabgabe. Der Wähler wird mit der vom Bundesverwaltungsgericht sanktionierten Praxis in unzulässiger Weise der Möglichkeit der Druckausübung auf seine Wahlentscheidung ausgesetzt. Diese Druckausübung wird tendenziell eher von der gut organisierten Mehrheitsgewerkschaft ausgehen, zumal dann, wenn der von der Mehrheitsgewerkschaft majorisierte Wahlvorstand einseitig Vertretern der eigenen Gewerkschaft diesen Einblick gewährt. Insofern hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts praktisch erhebliche spezifische Bedeutung im Hinblick auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. 3. Die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.12.2000557 lag ebenfalls ein Sachverhalt zugrunde, der von einer heftigen Konkurrenzsituation von Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaft bei Betriebsratswahlen geprägt gewe-

553

VG Hannover v. 07.12.2000 – 16 A 3026/00 (n. v.), S. 9 (n.rkrft.). So aber Ilbertz ZfPR 03, 107 (108) in deutlicher inhaltlicher Abweichung zu Ilbertz ZBVR 02, 32. 555 So im Ergebnis auch Ilbertz ZBVR 02, 32. 556 So aber das BVerwG v. 03.03.2003 – 6 P 14.02 = AP Nr. 5 zu § 25 BPersVG BVerwG v. 03.03.2003 – 6 P 14.02 = AP Nr. 5 zu § 25 BPersVG Gründe II. 3. b. 557 BAG v. 06.12.2000 – 7 ABR 34/99 = AP Nr. 48 zu § 19 BetrVG 1972. 554

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sen war. Der Wahlvorstand gestattete einem Vertreter der Mehrheitsgewerkschaft während der laufenden Wahl die Einsicht in das bei ihm geführte und mit Rücksendevermerken558 versehene Wählerverzeichnis. Der Einsichtnehmende nutze dieses Wissen dann, um gezielt auf potentielle Briefwähler zuzugehen, um diese zur Stimmabgabe zu bewegen. Es erfolgten dann auch tatsächlich noch, hierdurch bewirkt, seitens dieses angesprochenen Personenkreises schriftliche Stimmabgaben. Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst festgestellt, dass scharf zwischen der gem. § 2 Abs. 4 Satz 1 WO BetrVG auszulegenden Wählerliste und der mit Rücksendevermerken bzw. Stimmabgabevermerken versehenen, beim Wahlvorstand geführten Wählerliste zu unterscheiden sei. Diene die betriebsöffentlich ausgelegte Wählerliste der Überprüfung durch Wahlberechtigte und im Betrieb vertretenen Gewerkschaften, ob alle Wahlberechtigten vom Wahlvorstand korrekt erfasst worden seien, so sei die beim Wahlvorstand geführte und mit Vermerken versehene Liste dessen Hilfsmittel zur Vermeidung von mehrfachen Stimmabgaben durch Wahlberechtigte. Die letztgenannte Liste diene während des noch laufenden Wahlvorgangs keinesfalls Informationsinteressen Dritter559. Ganz grundsätzlich sei dem Wahlrecht ein Anspruch Dritter auf Kenntnis über das Wahlverhalten der Wahlberechtigten während des laufenden Wahlverfahrens fremd560. Im Gegenteil verstoße die Ermöglichung der Einsichtnahme durch den Wahlvorstand während der Wahl gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl, möglicherweise sogar auch gegen den Grundsatz der geheimen Wahl des § 14 Abs. 1 BetrVG. Dieser Grundsatz umfasse auch die Freiheit der Entscheidung, nicht wählen zu wollen. Dieser Grundsatz werde dadurch verletzt, dass durch das Wissen um das Wahlverhalten der Wahlberechtigten gezielt auf diese zugegangen werden und eine Drucksituation dergestalt aufgebaut werden könne, als sich der Wahlberechtigte für seine Nichtteilnahme an der Wahl plötzlich zu rechtfertigen habe. Insbesondere sei die hiermit verbundene Kritik mit der Gefahr der Geringschätzung Dritter verbunden. Und dies sei genau die Art von gesellschaftlichem Druck, der aufgrund des Verfassungsgrundsatzes der Freiheit der Wahl unzulässig sei. Denn das Wahlverhalten der Wahlberechtigten werde durch eine solche Praxis – mit Hilfe des Wahlvorstands – von interessierten 558 Das BAG spricht in diesem Zusammenhang unscharf von „Stimmabgabevermerken“. Gemeint sind aber der Sache nach die oben bereits angesprochenen Rücksendevermerke über rückübersandte Briefwahlunterlagen bzw. Voten. Der formelle Stimmabgabevermerk im Wahlordnungssinne wird erst „unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe“ im Wahllokal in die Wählerliste eingebracht, § 26 Abs. 2 WO BetrVG (vormals § 28 Abs. 1 Satz 2 WO BetrVG 1972). 559 Auch Ilbertz ZBVR 02, 32 betont, dass die beim Wahlvorstand geführte Wählerliste vom Wahlvorstand an keinen Dritten herausgegeben werden darf. 560 BAG v. 06.12.2000 – 7 ABR 34/99 = AP Nr. 48 zu § 19 BetrVG 1972 Gründe B. II. 2. a f.

§ 3 Betriebsratswahlen (§ 14 BetrVG)

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Dritten unzulässig der Steuerung anheimgegeben. Diese Steuerungsmöglichkeit sei von grundsätzlich anderer Qualität, als die selbstverständlich jederzeit zulässige Wahlwerbung auch im Hinblick auf den einzelnen angesprochenen Wahlberechtigten. Aus dem Grundsatz der Freiheit der Wahl folge auch, dass Wahlvorstandsmitglieder in ihrer amtlichen Funktion Wahlberechtigte nicht auf ihr noch nicht ausgeübtes Wahlrecht ansprechen dürften561. 4. Stellungnahme zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.12.2000 a) Freiheit der Wahl Die Argumente des Bundesarbeitsgerichts wurde schon im Zusammenhang mit der Kritik an der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts als zutreffend gewertet. Der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist daher voll zuzustimmen. Dabei scheint das Bundesarbeitsgericht mehr als das Bundesverwaltungsgericht die rechtstatsächlichen Verhältnisse in Betrieben mit hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad richtig einschätzen zu können. Denn aus Sicht des Wahlberechtigten, der von der Möglichkeit der schriftlichen Stimmabgabe keinen Gebrauch machen will, haben gezielte Vorhaltungen natürlich Steuerungscharakter562. Dieses der Wahlfreiheit zuwiderlaufende Steuerungsmoment gewinnt zusätzlich Bedeutung, wenn die Vorhaltungen von einem Vertreter der eigenen Gewerkschaft herrühren, und wenn der Wahlberechtigte gewärtigen muss, dass sein Verhalten zu Konsequenzen in deren Amtsführung ihm gegenüber seitens bestimmter Betriebsratsmitglieder führen könnte. Dies gilt namentlich vor allem im Hinblick auf mögliche Beteiligungen des Betriebsrats an zukünftigen personellen Einzelmaßnahmen des Arbeitgebers. Schon diese Perspektive – zukünftig durchaus möglicher existenzieller Betroffenheit seitens des Wahlberechtigten – kann dessen Wahlverhalten beeinflussen. Und deshalb müssen Steuerungsmöglichkeiten „von interessierter Seite“ vollständig und im Ansatz unterbunden werden. Denn in der Praxis wird die konkrete Amtsführung von Betriebsratsmitgliedern gegenüber Arbeitnehmern nachweislich immer wieder in Zusammenhang mit deren Wohlverhalten gegenüber der gewerkschaftlichen Kollektivmacht und dem Einfluss ihrer Vertreter im Betriebsrat gebracht563. Dies gilt auch und gerade dort, wo die Konkurrenzsituation zwischen 561 BAG v. 06.12.2000 – 7 ABR 34/99 = AP Nr. 48 zu § 19 BetrVG 1972 Gründe B. II. 3 f. 562 Leicht zweifelnd Ilbertz ZBVR 02, 32, der die Ausführungen des BAG zur Gefahr der Geringschätzung durch Dritte für möglicherweise übertrieben ansieht, der aber im Ergebnis gleichwohl dazu kommt, die Wahlfreiheit als eingeschränkt anzusehen. 563 Ein Beispiel hierfür sind die vielen gerichtsnotorischen Fälle der Ausnutzung der Amtsstellung zum Zwecke der Druckausübung zum Gewerkschaftsbeitritt oder

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Gewerkschaften in Betrieben besonders heftig ausfällt. Kommt der Druck dann von Vertretern der Mehrheitsgewerkschaft her, so wird dieser Druck aus Sicht des Wahlberechtigten noch dadurch verstärkt, als er damit rechnen muss, dass die Mehrheitsgewerkschaft auch im zukünftigen Betriebsrat die entscheidende Beschlussmehrheit haben wird. Auf diesem Hintergrund dem Appell an den mündigen Wähler – so wie es das Bundesverwaltungsgericht tut – den Vorzug vor der korrekten Einhaltung der Wahlrechtsvorschriften zu geben, ist im Hinblick auf die rechtstatsächlich erkennbaren Gefahren für die Willensfreiheit des Wahlberechtigten nicht angemessen. Der Wahlberechtigte ist schon im Ansatz vor Zumutungen gesellschaftlicher Kräfte zu schützen, die über den bloßen Wahlkampf hinaus Einfluss darauf nehmen wollen, ob, und gegebenenfalls in welcher Weise, vom Wahlrecht Gebrauch gemacht wird. b) Chancengleichheit der Wahlbewerber und Gewerkschaften bei der Betriebsratswahl Noch spezifischer im Hinblick auf die vorliegend zu untersuchende Minderheitsproblematik ist allerdings der Aspekt der Chancengleichheit aller Wahlbewerber und Koalitionen bei den Betriebsratswahlen. Bei der Untersuchung von Wahlvorschlagsquoren im Mitbestimmungsbereich564 war festgestellt worden, dass der staatlichen Ausgestaltung der Freiheit der Koalitionsbetätigung bei Wahlen engste Grenzen gesetzt sind, staatlicherseits dürfen hier nur Differenzierungen aus zwingenden Gründen vorgenommen werden. Dieser ungeschriebene Wahlgrundsatz ist Element jeder demokratischen Wahl und fordert Beachtung auch durch den Wahlvorstand. Deshalb ist nicht nur der staatlichen Ausgestaltung des Wahlverfahrens, sondern auch der praktischen Durchführung der Betriebsratswahl durch den Wahlvorstand aufgrund der staatlich gesetzten Wahlvorschriften die Beachtung dieses Wahlgrundsatzes zwingend vorgegeben565. Wird durch den Wahlvorstand einzelnen Wahlbewerbern oder Vertretern bestimmter Gewerkschaften während des laufenden Wahlverfahrens Kenntnis über das Wahlverhalten der Wahlberechtigten verschafft oder ermöglicht, so wird jenen die Möglichkeit eröffnet, gezielt auf Wahlberechtigte zuzugehen, um diese für eine ihnen günstige Stimmabgabe zu gewinnen. Damit werden die Chancen dieser Bewerber bzw. der hinter ihnen -übertritt; so BVerwG v. 15.01.1960 – VII P 2.59 = AP Nr. 2 zu § 26 PersVG; LAG Schleswig-Holstein v. 25.05.1967 = BB 67, 1334; LAG Hamm DB 52, 595; LAG Köln NZA-RR 01, 371 (372); ArbG München v. 19.07.1979 = EzA Nr. 8 zu § 23 BetrVG 1972; ArbG München v. 21.12.2000 – 27 BV 193/00 (n. v.). 564 Dazu oben 4. Kap. § 3 A. 565 BAG v. 06.12.2000 – 7 ABR 34/99 = AP Nr. 48 zu § 19 BetrVG 1972 Gründe B. II. 5.

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stehenden Mehrheitsgewerkschaft zu Lasten der konkurrierenden Minderheitsgewerkschaft verbessert. Da die Mehrheitsgewerkschaft regelmäßig den Wahlvorstand majorisiert, ist eine einseitige Handhabung der Einsichtsmöglichkeiten in das mit Rücksendevermerken versehene Wählerverzeichnis des Wahlvorstands auch regelmäßig sehr wahrscheinlich. Damit wird der Grundsatz der Chancengleichheit, sowohl der Wahlbewerbern, wie auch jener der sie tragenden konkurrierenden Minderheitsgewerkschaft, empfindlich verletzt. Sachgründe, gar solcher zwingender Natur, sind für eine solche Differenzierung zwischen Vertretern der Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaft bzw. zwischen den Gewerkschaften selbst, nicht im Ansatz erkennbar. Wird dieser Verstoß gegen die Chancengleichheit im demokratischen Wahlverfahren gerichtlicherseits, beispielsweise im Wahlanfechtungsverfahren gem. § 19 BetrVG, nicht für rechtswidrig bzw. anfechtungsrelevant erachtet – so wie es das Bundesverwaltungsgericht im Ergebnis angenommen hat – so liegt hierin also eine Verletzung des an den Staat in Gestalt seiner Rechtsprechung gerichteten Gebots einer Ausgestaltung, welche die Beachtung der strikten Wahrung der Chancengleichheit aller Koalitionen bei Betriebsratswahlen, mithin der formalen Wahlrechtsgleichheit, zum Gegenstand hat. 5. Ergebnis Weil das Gebot der formal gleichen Ausgestaltung des Wahlverfahrens für alle Wahlbeteiligte („Chancengleichheit der Wahlbewerber“), das entweder unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG, oder aber jedenfalls im Zusammenspiel der Koalitionsfreiheit mit Art. 3 Abs. 1 GG folgt, sowie mit der Gewährung der Einsicht in die beim Wahlvorstand geführte Wählerliste die Freiheit der Wahl verletzt worden ist, war die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verfassungswidrig. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts erweist sich dementgegen als den verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere an die zu bewahrende Chancengleichheit von Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften bei Betriebsratswahlen, entsprechend. Im Ergebnis ist deshalb festzustellen, dass es dem Wahlvorstand versagt ist, während des laufenden Wahlverfahrens Dritten Einblick in die mit Rücksendevermerken versehene Wählerliste zu verschaffen, um somit interessierten Wahlbewerbern oder Gewerkschaften Einblick in das Wahlverhalten der Wahlberechtigten zu geben. Eine solche Verfahrensweise verletzt zum einen den Grundsatz der Freiheit der Wahl – mit rechtstatsächlicher Tendenz zu Lasten der Minderheitsgewerkschaft, vor allem aber wird die Chancengleichheit der zur Wahl angetretenen Bewerber bzw. Gewerkschaften durch diese Verfahrensweise empfindlich gestört566.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

IV. Die Sicherung des Wählervotums – Der Umgang mit der Wahlurne Ob die vorstehend geschilderten unzulässigen Einflussnahmen auf die Betriebsratswahl als Straftaten im Sinne von § 119 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG (Behinderung, verbotene Beeinflussung) anzusehen sind, muss vorliegend nicht näher untersucht werden. Jedenfalls sind auch schon jene die Wahl vorbereitende Maßnahmen vom Wahlbegriff dieser Vorschrift erfasst567, und bei Zugrundelegung eines Behinderungs- bzw. Beeinflussungsbegriffes, welcher „jedes Tun oder pflichtwidriges Unterlassen“ erfasst, „das zu einem ungewöhnlichen Ablauf des Wahlvorganges führt“568 und die tatsächlich eingetretene Erschwerung der gesetzlich zu vollziehenden Wahl als tatbestandsmäßig ansieht569, liegt eine Qualifizierung der beschriebenen Verhaltensweisen als strafbar nicht eben fern. Auch der manipulative Umgang mit der Wahlurne wird regelmäßig als strafbar zu bewerten sein. Denn zum einen ist der Austausch von Wahlunterlagen nach der Stimmabgabe und vor der Feststellung des Wahlergebnisses als nach § 119 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG strafbar angesehen worden570, zum anderen erfüllt die Wahlurne (im Zusammenhang mit der Wählerliste) das Tatbestandsmerkmal der Gesamturkunde, auch wenn die Stimmzettel selbst in Ermangelung der Ausstellererkennbarkeit für sich genommen den Urkundenbegriff des § 267 StGB nicht erfüllen, so dass Manipulationen an der Wahlurne als Urkundsdelikt erfasst werden können571. Es wäre aber verfehlt, mit diesem Befund die Sicherung des Wählervotums als ausreichend gewährleistet anzusehen. Denn zum einen ist § 119 BetrVG nur 566 Nur ergänzend sei angemerkt, dass es schon auf der Ebene einfachen Wahlordnungsrechts einen Wertungswiderspruch darstellte, wenn die allen Arbeitnehmern im Betrieb gem. § 2 Abs. 4 WO BetrVG zugänglich zu machende Wählerliste aus Datenschutzgründen schon das Geburtsdatum regelmäßig nicht eingetragen werden soll, dazu DKK-Berg § 2 WO BetrVG Rdnr. 12; Fitting § 2 WO BetrVG Rdnr. 9, eine Ermöglichung der Kontrolle des konkreten Wahlverhaltens der Wahlberechtigten während der Wahl hingegen deshalb rechtmäßig sein sollte, weil der „mündige Wahlberechtigte“ hier nicht des (Daten-)schutzes bedürfen soll. 567 BayObLG v. 29.07.1980 RReg 4 St 173/80 = AP Nr. 1 zu § 119 BetrVG 1972 Gründe 2. (ausdrücklich für den Fall der Beeinflussungen des Wählers); LG Braunschweig v. 28.04.1999 – 37 Ns 703 Js 15338/98 = NStZ-RR 00, 93; AmtsG Bremen v. 06.09.1984 – 75 DS 12 Js 11055/83 = AiB 92, 42; LG Siegen v. 13.11.1986 – 6 Ls 25 Js 354/82 S 2/85 = AiB 92, 41; AG Detmold v. 24.08.1978 – 4 Ns 7 Ls/2553/77 = BB 79, 783; ErfK-Kania § 119 Rdnr. 2, § 20 Rdnr. 2; Galperin/Löwisch § 119 Rdnr. 6; GK-Oetker § 119 Rdnr. 11; HSWG-Hess § 119 Rdnr. 15; Richardi-Annuß § 119 Rdnr. 12; Weiss/Weyand § 119 Rdnr. 1, § 20 Rdnr. 2. 568 Fitting § 119 Rdnr. 4. 569 GK-Oetker § 119 Rdnr. 14 m.w. N. 570 LG Braunschweig v. 28.04.2000 – 37 NS 703 Js 15338/98 = NStZ 00, 93 f. 571 BGHSt 12, 108 (112); zustimmend Greiser NJW 78, 927 f.; §§ 107 ff. StGB pönalisieren die Manipulation von Betriebsratswahlen nicht, weil gem. § 108d StGB die Betriebsratswahlen nicht ausdrücklich erfasst sind.

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als Antragsdelikt ausgestaltet, zum anderen sichert – funktional gesehen – die Strafbarkeit von Wahlmanipulationen nicht das konkrete Wählervotum im Hinblick darauf, dass ein nach Manipulationen ins Amt gekommener Betriebsrat zunächst einmal amtieren kann, und die strafrechtliche Bewertung der Wahl regelmäßig zeitlich erst deutlich nachgelagert erfolgen dürfte. Außerdem gilt es, schon im Vorfeld einer später gegebenenfalls festzustellenden Strafbarkeit von Handlungen, wirksamen Rechtsgüterschutz auf der Ebene des Wahlvorgangs selbst zu garantieren. Wegen der hohen Bedeutung des Wahlvorgangs muss schon – korrespondierend mit der im Rahmen von § 19 BetrVG ausreichenden potentiellen Erheblichkeit von Wahlverfahrensverstößen für das konkrete Wahlergebnis – die Möglichkeit der Wahlmanipulation so weit als möglich unterbunden werden. Die betriebsverfassungsrechtlichen Auswirkungen von Wahlfälschungen und deren Ermöglichung müssen deshalb zuvörderst mit betriebsverfassungsrechtlichen Mitteln angegangen werden. Ist ein Wahlvorstand von der Mehrheitsgewerkschaft majorisiert, und kommt es in seinem Amtsbereich zu den angesprochenen Manipulationen, oder besteht eine so gelagerte Gefährdungslage, so ergibt sich für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang – praktisch und rechtstatsächlich gesehen – eine aus Sicht der Minderheitsgewerkschaft spezifische Gefahrenlage im Hinblick auf die Vertreter der Mehrheitsgewerkschaft. Die Frage nach der Sicherung der Wahlurne hat damit – auch – minderheitsspezifischen Einschlag. 1. Die effektive Versiegelung der Wahlurne Gem. § 12 Abs. 5 WO BetrVG muss die Wahlurne nach Abschluss der Stimmabgabe versiegelt werden, wenn die Stimmenzählung nicht unmittelbar nach Beendigung der Wahl durchgeführt wird, oder wenn die Stimmabgabe unterbrochen wird, insbesondere auch, wenn sie an mehreren Tagen erfolgt. Vor allem dann, wenn sich der Stimmabgabe nicht unmittelbar die Auszählung anschließt, bestehen Manipulationsmöglichkeiten, die insbesondere dann virulent werden, wenn der Wahlvorstand strikt einseitig durch Vertreter der Mehrheitsgewerkschaft besetzt ist, also keine „natürliche“, systemangelegte Kontrollmöglichkeit innerhalb des Wahlvorstands selbst, durch dort vorhandene Vertreter auch der Minderheitsgewerkschaft, besteht. Gesteigert wird diese Gefährdungslage dann noch weiter, wenn sog. „fliegende Wahlvorstände“572 in verschiedenen Außen- und Nebenstellen des Betriebes die Urnenwahl abhalten573, und in diesen Betrieben mit mehreren Wahllokalen die Urnen nach Stimmabgabe durch die vom mehrheitsgewerkschaftlich gesinnten Wahlvor572 Fitting § 12 WO Rdnr. 14 spricht hier – wohl in Anspielung auf den vom LAG Brandenburg v. 27.11.1998 – 5 TaBV 18/98 = NZA-RR 99, 418 entschiedenen Fall – von „mobilen Wahl-Teams“.

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stand gem. §§ 12 Abs. 2, 1 Abs. 2 WO BetrVG bestimmten Wahlhelfer574 zu einem zentralen Auszählungsort verbracht werden575. Die Wahlordnung gibt in diesen Fällen nur die Versiegelung der Wahlurne vor. Näheres, insbesondere, auf welche Weise die Effektivität dieser Versiegelung gewährleistet werden kann, wird in § 12 Abs. 5 WO BetrVG nicht bestimmt. Rechtsprechung und Literatur verlangen hierfür die Sicherung der Urne mit einem Schloss oder einem Siegel, beispielsweise mit einem Klebestreifen, der „individuell zu kennzeichnen ist, und nicht ohne Beschädigung wieder entfernt werden kann“. Gleiches gilt für den Einwurfschlitz der Wahlurne576.

573 „Fliegende Wahlvorstände“ sind insbesondere dort gängige Praxis, wo Betriebe durch betriebsverfassungsrechtliche Tarifverträge gem. § 3 Abs. 1 b) BetrVG abweichend vom gesetzlich typisierten Betrieb definiert werden. In solchen Betrieben wird an vielen „Betriebsstandorten die Urnenwahl dezentral durchgeführt. Solche tarifvertraglichen Großbetriebe umfassen dann manchmal Regionen, die sich auf ein oder über ein Bundesland hinaus erstrecken, es gibt sogar Betriebe, die durch solche Tarifverträge das gesamte Bundesgebiet mit vielen Betriebsstandorten als „Betrieb“ erfassen; siehe dazu beispielsweise den „Tarifvertrag zu betriebsverfassungsrechtlichen Fragen bei der DB Regio (BetrVTV Regio) v. 14.12.2001, der für den gesamten Regionalverkehr der DB AG in nur 11 Betriebe zusammenfasst; ähnlich der Tarifvertrag zu betriebsverfassungsrechtliche Fragen bei der DB Reise und Touristik AG (BetrVTV DB Reise&Touristik AG) v. 14.12.2001, der den gesamten Fernverkehr der DB AG in nur 16 Wahlbetriebe gliedert. 574 Wird alleine Wahlhelfern die Sicherung und Verbringung der Wahlurne an den zentralen Auszählungsort überantwortet, so liegt bereits hierin ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften, der die Wahlanfechtung tragen kann, siehe ArbG Düsseldorf v. 29.01.2003 – 4 BV 80/02 S. 10 (n. v.); dazu auch DKK-Schneider § 1 WO Rdnr. 17; GK-Kreutz/Oetker § 1 WO Rdnr. 16. 575 Eine solche Konstellation mit dem Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Mehrheits- und Minderheitengewerkschaft lag dem Beschlussverfahren beim ArbG Hamburg – 1 BV 1/00 zugrunde; genauso im Falle der Betriebsratswahlen bei der DGB Rechtsschutz GmbH im Jahre 2002 ArbG Düsseldorf v. 29.01.2003 – 4 BV 80/02 und LAG Düsseldorf v. 02.07.2003 – 4 TABV 15/03 (beide n. v.): „der fliegende Wahlvorstand“ hatte hier die Urne nicht ordnungsgemäß bis zur Auszählung an einem zentralen Ort gesichert, weshalb – u. a. – die Wahl für unwirksam erklärt wurde. 576 BAG v. 14.09.1988 – 7 ABR 79/78 (nicht amtlich veröffentlicht) Gründe II. 3. b; LAG Brandenburg v. 27.11.1998 – 5 TaBV 18/98 = NZA-RR 99, 418; LAG Düsseldorf v. 02.07.2003 – 4 TaBV 15/03 (n. v.); OVG Münster v. 27.11.1997 – 1 A 878/ 97.PVB = ZfPR 00, 4 (5); OVG Münster v. 27.10.1958 – CB 555/58; LVG Gelsenkirchen v. 16.04.1558 – PV 1/58; etwas einschränkend Bayer. VG Ansbach v. 21.11. 1958 – 15 PV/58 = ZBR 59, 134: der Wahlvorstand müsse bei der Sicherung der Wahlurne in der Regel nicht mit ganz entfernt liegenden Möglichkeiten qualifizierter Wahlfälschungsversuche rechnen, gegen die schon die Bestimmungen des Strafgesetzbuches eine Sicherung darstellten; Fitting § 12 WO Rdnr. 14 f.; GK-Kreutz/Oetker § 12 WO Rdnr. 7; Lorenzen-Schlatmann § 16 BPersVGWO Rdnr. 19; Richardi-Thüsing § 12 WO Rdnr. 5; ähnlich DKK-Schneider § 12 WO Rdnrn. 3, 9.

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2. Die Sicherstellung der Wahlurne selbst Über den Wortlaut des § 12 WO BetrVG hinaus, muss außerdem unter den dort genannten Voraussetzungen die Urne selbst sichergestellt werden577. Wie genau diese Sicherstellung zu erfolgen hat, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt. Feststehen dürfte, dass einem Wahlhelfer die Urne nicht zur Aufbewahrung überlassen werden darf, schon gar nicht, wenn dieser die Urne im Kofferraum seines PKWs aufbewahrt578. Teilweise wurde in der Rechtsprechung der Schutz der Wahlurne alleine durch den gesetzlich vorgeschriebenen Versiegelungsschutz für ausreichend erachtet. Die Wahlurne selbst müsse nicht noch zusätzlich gesichert werden und unter Verschluss des Wahlvorstands genommen werden, auch wenn dies zweckmäßig sei. Auch wenn man die Sicherung der Wahlurne selbst als – ungeschriebene – Voraussetzung eines gesetzeskonformen Wahlverfahrens ansehen wollte, so habe die Verletzung der Sicherungspflicht doch nicht die Qualität der Verletzung einer wesentlichen Wahlvorschrift, sodass die Wahlanfechtung hierauf nicht gestützt werden könne579. Weitergehend war das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach der Auffassung, dass die Wahlurne bei Unterbrechungen der Wahl zwar auch selbst durch Verschluss gesichert werden müsse (kumulative Lösung), dieser Verpflichtung aber gegebenenfalls auch durch die Sicherung nur des Wahllokals genügt werden könne580. Die Notwendigkeit einer kumulativen Sicherung der Urne durch Versiegelung, und der Urne selbst durch Verschluss durch den Wahlvorstand, wird zwar auch vom Bundesverwaltungsgericht581 gesehen. Es handle sich hierbei aber nur 577 BAG v. 14.09.1988 – 7 ABR 79/87 (nicht amtlich veröffentlicht) Gründe B. II. 2. a; LAG Brandenburg v. 27.11.1998 – 5 TaBV 18/98 = NZA-RR 99, 418 (Gründe 2.2.2.3.); LAG Düsseldorf v. 02.07.2003 – 4 TaBV 15/03 (n. v.) Gründe II. 2. a, b; ArbG Düsseldorf v. 29.01.2003 – 4 BV 80/02 (n. v.) S. 10; OVG Münster v. 27.11.1997 – 1 A 878/97.PVB = ZfPR 00, 4 (5); Bayer. VG Ansbach v. 21.11.1958 – 15 PV/58 = ZBR 59, 134; OVG Koblenz v. 22.11.1958 – 4 A 2/58 = ZBR 59, 134; VG Köln v. 04.07.1962 – PVB 4/62; OVG Münster v. 14.09.1964 – CL 2/64 = ZBR 65, 59; OVG Münster v. 15.11.1965 – CL 9/65 = PersV 66, 161; LVG Gelesenkirchen v. 16.04.1958 – PV 1/58; Altvater § 16 BPersVG WO Rdnr. 6; DKK-Schneider § 12 WO Rdnr. 9; Dietz/Richardi § 16 BPersVGWO Rdnr. 8; GK-Kreutz/Oetker § 12 WO Rdnr. 7 a. E.; Lorenzen-Schlatmann § 16 BPersVGWO Rdnr. 19. 578 LAG Brandenburg v. 27.11.1998 – 5 TaBV 18/98 = NZA-RR 99, 418 (Gründe 2.2.2.3.); ArbG Düsseldorf v. 29.01.2003 – 4 BV 80/02 (n. v.) S. 10; wohl auch LAG Düsseldorf v. 02.07.2003 – 4 TaBV 15/03 (n. v.) Gründe II. 2. a, b. 579 VG Köln v. 04.07.1962 – PVB 4/62 (n. v.), S. 6 f. 580 VG Ansbach v. 21.11.1958 – 15 PV/58 (n. v. in ZBR 59, 134 – dort nur Leitsatz). 581 BVerwG v. 23.09.1966 – VII P 14.65 = ZBR 67, 26 (27).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

um eine Maßnahme des Wahlvorstandes, die eher technischer Natur sei. Deswegen sei nichts dagegen einzuwenden, wenn alle Wahlvorstandsmitglieder einen Schlüssel für den Aufbewahrungsort der Wahlurne zur Verfügung hätten. Wolle man die Möglichkeit einkalkulieren, dass ein Mitglied des Wahlvorstands trotz seiner besonderen Vertrauensstellung mit seinem Schlüssel versuchen könnte, Wahlurne und Wahlergebnis zu manipulieren, so müßte man auch dem Wahlvorstand in seiner Gesamtheit solch kriminelle Energie zuschreiben. Dies sei aber unzulässig, insbesondere selbst dann, wenn der Wahlvorstand sich aus Vertretern nur einer von mehreren rivalisierenden Gewerkschaften, also der Mehrheitsgewerkschaft, zusammensetze. Gerade darin, dass mehrere oder alle Wahlvorstandsmitglieder einen Schlüssel zum Aufbewahrungsort der Wahlurne besitzen, sah das OVG Münster582 dementgegen einen Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften. Es sei unabdingbar, dass der Wahlvorstand die Aufbewahrung der Wahlurne in der Weise vornehme, dass nur der Wahlvorstand in seiner Gesamtheit den Aufbewahrungsort betreten könne. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Pflicht zur Versiegelung und Sicherung der Urne eine solche des Wahlvorstands sei583. Auch das OVG Koblenz584 hat die kumulative Lösung als zwingend erachtet. Die alleinige Verfügungsgewalt des Vorsitzenden des Wahlvorstands über den Schlüssel und damit über den Zugang zum Aufbewahrungsort der Wahlurne begründe eine abstrakte Gefährdung für die Sicherung des rechtmäßigen Wahlergebnisses, und sei daher wahlanfechtungsrelevant. Das LVG Gelsenkirchen585 hat es schließlich für erforderlich gehalten, die Wahlurne dergestalt zu sichern, dass sie in eine Verschlusseinrichtung (Panzerschrank, Spind) in einem verschließbaren Raum zu verbringen sei und Zimmerschlüssel und Schrankschlüssel von verschiedenen Wahlvorstandsmitgliedern in Verwahrung genommen würden586.

582 OVG Münster v. 15.11.1965 – CL 9/65 = PersV 66, 161 (162) dort fälschlicherweise als rechtskräftig vermerkt; diese Entscheidung mit klarem minderheitsspezifischen Hintergrund wurde vom BVerwG v. 23.09.1966 – VII P 14.65 = ZBR 67, 26 (27) aufgehoben. 583 Siehe dazu auch OVG Münster v. 14.09.1964 – CL 2/64 = ZBR 65, 59 (60), wo ebenfalls die Verpflichtung des gesamten Wahlvorstands betont wird; ähnlich LAG Düsseldorf v. 02.07.2003 – 4 TABV 15/03 (n. v.) II. 2.; dezidiert ArbG Düsseldorf v. 29.01.2003 – 4 BV 80/02 (n. v. S. 10). 584 OVG Koblenz v. 22.11.1958 – 4 A 2/58 = ZBR 59, 134. 585 LVG Gelsenkirchen v. 16.04.1958 – PV 1/58 (n. v.) S. 5; auch dieser Fall hatte heftige gewerkschaftliche Konkurrenz (GdED/GDBA) zum Hintergrund (instruktiv für die Manipulationsanfälligkeit von Wahlen bei heftiger Konkurrenz zwischen Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaft insbesondere auch die in diesem Beschluss erwähnte Praxis des Wahlvorstands, Wahlkabinen mit Löchern und Schlitzen zu versehen, welche die Beobachtung des Abstimmungsvorgangs ermöglichen konnten). 586 Ähnlich Lorenzen-Schlatmann § 16 BPersVGWO Rdnr. 19, der allerdings keine Bedenken gegen eine Aushändigung der Schlüssel an alle Wahlvorstandsmitglieder zu haben scheint.

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3. Eigene Auffassung Die verschiedenen Lösungsansätze spiegeln sowohl die verfahrensmäßige Unsicherheit in Ermangelung einer klaren Verordnungslage zur Sicherung der Wahlurne als auch einen unterschiedlichen Grad der Wahrnehmung von Manipulationsgefahren, zumal bei gewerkschaftlicher Konkurrenz und einseitiger Besetzung von Wahlvorständen, wider. Nicht vertretbar erscheint auf diesem Hintergrund die „Alternativlösung“ des Verwaltungsgerichts Köln, die darauf hinausläuft, entweder die Urne mit Sicherungsvorrichtung zu versehen oder sie an einen Verschlussort zu verbringen. Insbesondere kann die bloße Versiegelung alleine nicht alle denkbaren Manipulationsmöglichkeiten ausschließen, und zu Recht hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf587 ausgeführt, dass das Versiegelungsverbot „gerade bewirken . . . wolle . . ., dass jede Manipulationsgefahr bei Wahlunterbrechungen und erst Recht beim Verbringen der Wahlurne an einen . . . anderen Ort ausgeschlossen werden kann, es . . . wolle . . . gerade vermeiden, dass . . . Spekulationen darüber angestellt werden, ob nun tatsächlich eine Manipulationsmöglichkeit bestanden hat oder nicht“.

Die Kumulativlösung, bei der sowohl die Versiegelung als auch die sichere Aufbewahrung der Wahlurne als unabdingbar angesehen werden, ist daher unverzichtbar für die Sicherstellung eines rechtmäßigen Wahlergebnisses. Eine wirkliche Sicherstellung gegenüber Manipulationsgefahren kann aber dort nicht angenommen werden, wo einer oder mehreren Personen alleiniger, und damit unkontrollierter und unbeobachteter Zugang zum Aufbewahrungsort der Wahlurne eingeräumt wird. Es ist daher falsch, wenn das Bundesverwaltungsgericht behauptet, dass man dann, wenn man bei ungehinderter Zugangsmöglichkeit einzelnen Personen zur Wahlurne Manipulationsgefahren unterstellte, man auch dem Wahlvorstand in seiner Gesamtheit Manipulationsneigungen unterstellen müsse – was aber nicht zulässig sei. Es ist nämlich sehr viel eher möglich und wahrscheinlich, dass einzelne Personen den Entschluss fassen, manipulativ tätig zu werden, als dass mehrere Personen sich zu einer Unrechtsvereinbarung zusammenfinden, und diese dann in die Praxis umsetzen. Überdies erscheint die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ein wenig naiv, wenn es davon ausgeht, dass die gewerkschaftliche Konkurrenz dort ein Ende habe – und Unregelmäßigkeiten deshalb auch nicht zu besorgen seien – wo Wahlvorstandsmitglieder sich qua Amt in eine herausgehobene Vertrauensstellung begäben. Denn zumindest ebenso plausibel ist eine Sicht der Dinge, die davon ausgeht, dass die im Betrieb vertretene Mehrheitsgewerkschaft ein Interesse daran haben wird, möglichst die „Treuesten der Treusten“ ihrer Funktionäre über die Wahlen im Betriebsrat in diese Ämter hineingewählt zu bekommen. Der gebotenen Sicherstellung der Wahlurne entspricht daher alleine eine Verfahrensweise, bei der ge587

LAG Düsseldorf v. 02.07.2003 – 4 TABV 15/03 (n. v.) II. 2.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

währleistet ist, dass einzelne Wahlvorstandsmitglieder nicht alleine Zugang zum Aufbewahrungsort der Wahlurne haben können. Dies kann letztlich nur dadurch geschehen, dass – wie vom LVG Gelsenkirchen vorgeschlagen – Zimmerschlüssel und Schlüssel zum Aufbewahrungsort (Panzerschrank, Spind) in verschiedene Hände gelegt werden. Müssen Wahlurnen an eine zentralen Ort der Auszählung verbracht werden, so muss ein Mindestmaß an Sicherung dadurch gewährleistet werden, dass jedenfalls das transportierende Wahlvorstandsmitglied zu keinem Zeitpunkt mit der Urne alleinegelassen wird, und zudem der Transport unverzüglich ohne Zwischenstationen der Aufbewahrung an den Zielort bewirkt wird588. Die Aufbewahrung der Wahlurne bzw. der Schlüssel bei einem „Neutralen“ erscheint dementgegen nicht als die adäquate Lösung: Denn die bei Personalratswahlen vielgeübte Praxis, die Schlüssel beim Dienststellenleiter zu hinterlegen, mag für den Bereich der öffentlichen Verwaltung wegen der bei diesem Amtsträger grundsätzlich zu unterstellenden Bereitschaft zu rechtmäßigen Verwaltungshandeln noch angehen. Den Arbeitgeber als „Neutralen“ in diesem Sinne zu betrachten, ginge aber fehl, weil eine solche Unterstellung nur bei der an Gesetz und Recht formell gebundenen Dienststellenleitung angebracht ist und der Arbeitgeber angesichts seiner erwerbswirtschaftlichen Ausrichtung in ungleich höherem Maße vom konkreten Wahlausgang betroffen sein kann – man schaue nur auf denkbare verschiedene gewerkschaftliche Konzeptionen mit ihren Kostendimensionen bei geplanten Rationalisierungsmaßnahmen, oder an unterschiedlich konfrontative Auffassungen vom „vertrauensvollen Miteinander“ im Betrieb589. 588 Im Hinblick auf den Transport der Wahlurne in diese Richtung LAG Brandenburg v. 27.11.1998 – 5 TaBV 18/98 = NZA-RR 418 ff. (2.2.2.3.); ArbG Düsseldorf v. 29.01.2003 – 4 BV 80/02 (n. v.) S. 10. 589 Die Durchsetzung der Verpflichtungen des Wahlvorstands zur möglichst wenig manipulationsgeneigten Aufbewahrung der Wahlurne könnte gegebenenfalls im Wege des sog. „Vorabentscheidungsverfahrens“ oder „vorgeschalteten Kontrollverfahrens“ per einstweiliger Verfügung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren durchgesetzt werden. Dieses allgemein anerkannte Verfahren ermöglicht es, bereits während der laufenden Wahl Maßnahmen, Entscheidungen oder Unterlassungen des Wahlvorstands anzugreifen bzw. korrigieren. Unter dem Aspekt effektiven Rechtsschutzes ist dieses Verfahren deshalb besonders bedeutsam, weil – abgesehen vom Zeitverzug bis zur Rechtskraft der arbeitsgerichtlichen Entscheidung über die Wahlanfechtung für die anfechtende (Minderheits-)gewerkschaft – im vorgeschalteten Kontrollverfahren Prüfungsmaßstab anders als im Wahlanfechtungsverfahren gem. § 19 BetrVG alleine die formelle und materielle Korrektheit des Wahlverfahrens ist und eben nicht die potentielle Kausalität für das konkrete Wahlergebnis in Gestalt der Sitzverteilung. Gerade für Minderheitsgewerkschaften ist diese Verfahrensmöglichkeit daher besonders wichtig, da die konkreten Abstimmungsverhältnisse für den verfahrensmäßigen Erfolg eines solchen Beschlussverfahrens also unerheblich sind; siehe hierzu BAG v. 15.12. 1972 – 1 ABR 8/72 = AP Nr. 1 zu § 14 BetrVG 1972; v. 03.06.1975 – 1 ABR 98/74 = AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG 1972 Rotes Kreuz; v. 14.12.1965 – 1 ABR 6/65 = AP Nr. 5 zu § 16 BetrVG LS 15; LAG Köln v. 27.12.1989 DB 90, 539; LAG Hamburg v. 06.05.1996 NZA-RR 97, 136; LAG Berlin ArbuR 79, 252; ArbG Berlin DB 72, 877; ArbG Hamburg v. 13.05.2002 – 1 GaBV 4/02 (n. v.er Vergleich); zum vorge-

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E. Verfassungsfestigkeit des gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts (Freistellung des gewerkschaftlichen Wahlvorschlags vom gesetzlichen Unterschriftenquorum) gem. § 14 Abs. 3 und 5 BetrVG? Es ist bereits festgestellt worden590, dass die gesetzliche Untergrenze des gegenwärtigen Wahlvorschlagsquorums des § 14 Abs. 4 Satz 1 (ein Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer) aus Gründen der Chancengleichheit der Wahlbewerber und der Koalitionen sowie auch aus Gründen der Koalitionsfreiheit der die Wahlvorschläge unterstützenden Koalitionen gleichzeitig als verfassungsrechtlich vorgegebene Obergrenze für ein Quorum angesehen werden muss. Die so verbürgte – unterstützende – Teilnahmemöglichkeit der Koalitionen an Wahlen im Mitbestimmungsbereich ist dabei als Ausgleich für die staatliche Konkurrenz im Bereich der Koalitionsbetätigung zu sehen591. Weil nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts damit den Koalitionen die effektive Teilhabe an Wahlen zum Betriebsrat ermöglicht ist, könnte auf der anderen Seite die positiv-rechtliche Verbürgung des gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts in § 14 Abs. 3 und 5 BetrVG als „verfassungsrechtlich überflüssig“ angesehen werden592. I. (Verfassungsrechtliche) Kritik am gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrecht Das mit der Betriebsverfassungsnovelle 1988593 eingeführte gewerkschaftliche Wahlvorschlagsrecht sah sich zunächst vor allem der Kritik594 ausgesetzt, schalteten Kontrollverfahren HSWG-Schlochauer § 19 Rdnr. 3; § 18 Rdnr. 22; Joost MünchArbR § 304 Rdnr. 210; GK-Kreutz § 18 Rdnrn. 64 ff.; Klein ZBVR 02, 35 (38 ff.); Löwisch/Kaiser § 18 Rdnr. 8 f.; vor allem unter dem Aspekt der Anforderungen für einen Wahlabbruch bei nicht mehr korrigierbaren Mängeln Winterfeld NZA Beilage 1/90, 20 ff.; a. A. LAG Hessen v. 21.02.1990 DB 91, 239; die h. M. lässt den Wahlabbruch oder die Aussetzung durch einstweilige Verfügung nur dann zu, wenn die Wahl mit Sicherheit erfolgreich anfechtbar bzw. nichtig wäre, dazu statt vieler GK-Kreutz § 18 Rdnr. 77 m.w. N.; HSWG-Schlochauer § 18 Rdnr. 22 m.w. N.; aus jüngerer Zeit LAG Köln v. 17.04.1998 – 5 TaBV 20/98 = ZBVR 02, 4 (5 f.); ArbG Hamburg v. 13.05.2002 – 1 GaBV 4/02 (n. v.er Vergleich); zum vorläufigen Rechtsschutz im Betriebsratswahlverfahren siehe jüngst Rieble/Triscatis NZA 06, 233 ff. 590 Siehe oben 4. Kap. § 3 A. II. 3. b). 591 Siehe oben 2. Kap. § 1 A. III.; F. IV. 3. dd) ff.; Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnrn. 205 ff.; dazu auch Friese, S. 68, S. 373. 592 In diese Richtung insbes. Richardi ArbuR 86, 33 (34 f.). 593 BGBl. I, S. 2312 ff. 594 Die Kritik kam vor allem aus Reihen von SPD und DGB, siehe nur Schneider AiB 88, 99 (101): „weitere Spaltungsansätze“; Schumann AiB 88, 205; Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks. 11/3618, S. 5; zu dieser Kritik siehe auch Friese, S. 66 f., S. 373 f.; Plander AiB 88, 272 (273) kritisiert in diesem

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

dass hierdurch das „Prinzip der Einheitsgewerkschaft“ unterlaufen werden solle595. Demokratisch nicht legitimierte Splittergruppen und arbeitgebergesteuerte gelbe Gewerkschaften würden hiermit gefördert, die Einführung des gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts diene der „Spaltung“ der Arbeitnehmerschaft596. Diese Einwände sind jedoch schon wegen der verfassungsrechtlichen Garantie des Koalitionspluralismus597 nicht schlüssig, sie beleuchten ersichtlich nur das sozialpolitisch verbrämte Kalkül machtpolitischer Wunschvorstellungen der dominierenden Mehrheitsgewerkschaften598. Auch der seinerzeit erhobene Einwand, durch die Einführung des gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts werde die Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassung empfindlich beeinträchtigt werden599, war schon damals nicht überzeugend und hat sich in der Praxis seit 1989 auch nicht bestätigt600. Zusammenhang, dass mit der Novelle 1988 den kleineren, nicht dem DGB angehörenden Gewerkschaften zu Lasten des DGBs Einfluss auf die Betriebsverfassung ermöglicht werde. 595 So (schon 1982 im Hinblick auf Vorschläge der F.D.P. und Franz-Josef Strauß) Däubler ArbuR 82, 1 (6); DKK-Schneider § 14 Rdnr. 33; Hanau ArbuR 88, 261 (264); Muhr ArbuR 82, 1 (6); Plander AiB 88, 272 (273) bemüht hier sogar die „leidvollen Erfahrungen während der Weimarer Zeit“ und nennt die Berücksichtigung des allerdings von ihm selbst anerkannten Koalitionspluralismus im Sinne eines Minderheitenschutzes ein „Spiel mit dem Feuer“; in diese Richtung auch Schumann AiB 88, 205; dazu, dass das „Prinzip der Einheitsgewerkschaft“ nicht aus Art. 9 Abs. 3 GG abgeleitet werden kann, schon Löwisch RdA 75, 53 (56). 596 Der negativ besetzte Begriff des „Spaltens“ wird in der Literatur geradezu i. S. einer Sprachregelung gebraucht, siehe nur Däubler AiB 86, 99 („Das Spaltergesetz“); ders. schon ArbuR 82, 1 (6) („Spaltungspolitik unter dem Deckmantel Ausbau von Minderheitenrechten“; Muhr ArbuR 82, 1 (6) („Spaltungspolitik“); Schneider AiB 88, 99 (101) („weitere Spaltungsansätze“); Schumann AiB 88, 205 („ein Beitrag zur Spaltung der Arbeitnehmerschaft“); siehe auch Reuter RdA 94, 152 (158 f.), der den früheren Argwohn im Hinblick auf „gelbe Werkvereine“ als durch die Realität und die Möglichkeiten des einfachen Rechts der Gewerkschaften widerlegt ansieht. 597 Siehe dazu ausführlich oben 2. Kap. § 1 B. 2. ff.; dazu auch Friese, S. 67; schon Löwisch RdA 75, 53 (569), interessant und beispielhaft in diesem Zusammenhang Plander AiB 88, 272 (273), der zwar einerseits anerkannt, dass Art. 9 Abs. 3 GG den Koalitionspluralismus garantiert, andererseits aber im praktischen Koalitionspluralismus und -wettbewerb in der Betriebsverfassung eine Gefährdung des Betriebsfriedens erkennen will. 598 Siehe Friese, S. 374, die in diesem Zusammenhang vom „Eindruck bloßer Besitzstandswahrung“ spricht; Hanau ArbuR 88, 262 (264) spricht in diesem Zusammenhang denn auch nur von einem bislang bestehenden „gesellschaftspolitischen Prinzip“ bzw. von einem „sozialpolitischen Konsens“; ähnlich Plander AiB 88, 272 (273 f.). 599 Däubler AiB 86, 99; Plander AiB 88, 272 (273 f.); Schneider AiB 88, 99(101); Schumann AiB 88, 205 (206): „Außensteuerung und Manipulation“ des betriebsverfassungsrechtliche Geschehens; siehe auch Dänzer-Vanotti ArbuR 89, 204 (205) und seine Bedenken im Hinblick auf die Unsicherheiten beim Wahlvorstand bei Prüfung der Gewerkschaftseigenschaft der die Wahlvorschläge einreichenden Koalitionen und die hiermit verbundenen Einschätzungsprobleme sowie die Kostenprobleme zu Lasten des Arbeitgebers bei evtl. hierauf gründenden Wahlanfechtungen; ähnlich Heither

§ 3 Betriebsratswahlen (§ 14 BetrVG)

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II. Argumente für die Verfassungsfestigkeit des gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts Bei der Frage, ob das Wahlvorschlagsrecht der Gewerkschaften verfassungsrechtlich geboten ist, wird teilweise zwischen dem Wahlvorschlagsrecht an sich, gem. § 14 Abs. 3 BetrVG und der Entbindung des gewerkschaftlichen Wahlvorschlags vom Erfordernis der Stützunterschriften gem. § 14 Abs. 5 BetrVG unterschieden. Es sei für die Grundrechtsausübung von elementarer Bedeutung, dass die Gewerkschaft als solche mit ihrem eigenen Wahlvorschlag im Betrieb sichtbar werde601. Nur das Auftreten gerade als Gewerkschaft, also die Einreichung des selbst formulierten Wahlvorschlags unter eigenem Namen, entspreche den Anforderungen einer – im Hinblick auf die staatliche Konkurrenz durch die Errichtung der Betriebsverfassung602 – konkurrenzausgleichenden Repräsentation der Gewerkschaften603. Diese Auffassungen sind nicht von vorneherein zu verwerfen, denn die oben gemachten Ausführungen zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für Wahlvorschlagsquoren im Bereich der Wahlen zu Mitbestimmungsorganen604 sowie die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts605 betreffen leNZA 90 Beilage 1, 11 (13); siehe auch Hanau ArbuR 88, 261 (264 f.), der in der Veränderung des Wahlvorschlagsrechts durch die Novelle 1988 die Gefahr eintretender Anarchie sah. 600 Friese, S. 375. 601 Das BVerfG v. 24.02.1999 – 1 BvR 123/93 = AP Nr. 18 zu § 20 BetrVG 1972 Gründe II. 2. b) bb) führt hierzu aus: „Auch im Rahmen der betriebliche Mitbestimmung fördern die Gewerkschaften die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder und nehmen damit eine verfassungsrechtlich geschützte Funktion wahr. Seit 1989 gibt ihnen das Betriebsverfassungsgesetz (§ 14 Abs. 5) das Recht, sich an den Betriebsratswahlen mit eigenen Listen zubeteiligen. Die Glaubwürdigkeit ihrer Wahlaussagen und das Vertrauen in ihre Durchsetzungsfähigkeit hängen wesentlich von dem Eindruck ihrer Geschlossenheit ab . . .“. 602 Hierzu oben 2. Kap. § 1 A. III.; F. IV. 3. g) cc) ff.; Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnrn. 205 ff. 603 Friese, S. 373; Gamillscheg KollArbR I, S. 239; auch Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 210 sehen die Möglichkeit „als Koalition“, also vermittels eines eigenen Wahlvorschlagsrechts an Betriebsratswahlen teilzunehmen, als Gebot des verhältnismäßigen Ausgleichs zwischen der staatlich-konkurrierenden Einrichtung der Betriebsverfassung und dem Koalitionsgrundrecht der Koalitionen; siehe auch Reuter RdA 94, 152 (158), der die Aufstellung von Kandidaten als „verfassungsrechtlich gesicherte Gewerkschaftsangelegenheit“ ansieht; im Ergebnis ebenfalls für eine Herleitung des gewerkschaftliche Wahlvorschlagsrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG Gamillscheg KollArbR I, S. 242 f.: „Konnten die Gewerkschaften vor dem Gesetz vom 18.12.1989 (gemeint ist das Änderungsgesetz vom 20.12.1988, BGBl. I, S. 2312, in Kraft getreten am 01.01.1989, Anm. d. Verf.) für ihre Liste im Betrieb werben, so mussten sie diese umsomehr einreichen dürfen“; erst mit dem Gesetz vom 18.12.1989 (siehe vorstehende Anm.) sei überhaupt ein verfassungsmäßiger Zustand hergestellt worden; in diese Richtung wohl auch Buchner NZA 89 Beilage 1, 2 (3). 604 Siehe oben 4. Kap. § 3 A.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

diglich fremde – wenn auch vielfach von den Gewerkschaften angeregte – Kandidaturen und Wahlvorschläge im Sinne von deren gewerkschaftlicher Unterstützung. Deshalb ist das eigene Wahlvorschlagsrecht der Gewerkschaften nicht etwa überflüssig, es könnte vielmehr so gesehen werden, dass es dem verhältnismäßigen Ausgleich zwischen der staatlichen Konkurrenzveranstaltung des Zwangsverbandes Betriebsverfassung und dem Recht der Koalitionen auf Koalitionsbetätigung in den betrieblichen Gremien dienen soll606. In diesem Zusammenhang sei auf ein weiteres Argument für ein eigenes gewerkschaftliches Wahlvorschlagsrecht hingewiesen, welches bei der Novelle 1988 eine erhebliche Rolle gespielt hatte: Es entsprach gängiger Praxis der Mehrheitsgewerkschaften bzw. deren Funktionäre in den Betrieben, unter Hinweis auf die notwendige, möglichst breite demokratische Legitimation von Wahlvorschlägen im Betrieb607, möglichst flächendeckend Stützunterschriften für den von ihnen getragenen Wahlvorschlag zu sammeln – ohne Hinweis natürlich, dass Stützunterschriften wirksam nur für einen Wahlvorschlag gegeben werden können. Dies konnte dazu führen, dass missliebige alternative Wahlvorschläge bereits im Ansatz verhindert wurden608, so etwa auch durch Druckausübung auf Arbeitnehmer dahingehend, ihre für Alternativ-Wahlvorschläge bereits abgegebenen Stützunterschriften wieder zurückzuziehen, um somit über § 8 Abs. 1 Nr. 3 WO BetrVG609 solche Wahlvorschläge schon vor der Einreichung zu torpedieren. Ein zusätzliches Argument für die Verfassungsfestigkeit des gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts kommt von Gamillscheg610: Das gewerkschaftliche 605 BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 ff.; v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen; v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82 u. 21/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG. 606 A.A anscheinend HSWG-Schlochauer § 14 Rdnr. 40, der im gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrecht eine Durchbrechung des Grundsatzes sieht, demzufolge die Wahlvorschläge von den Arbeitnehmern des Betriebes auszugehen hätten. 607 Aufschlussreich in diesem Zusammenhang insb. Schumann AiB 88, 205 f. (seinerzeit in Vorstandsfunktion der IG-Metall in Frankfurt/M.), der davon spricht, dass Wahlvorschläge der demokratischen Legitimation bedürften; Splittergruppen hätten keine solche demokratische Legitimation und würden durch ein Vorschlagsrecht der Gewerkschaften in die Betriebsräte „geschleust“; als demokratisch illegitimer „Schleusungsvorgang“ wird dabei anscheinend die in Betriebsratswahlen von den Wählern erteilte Zustimmung angesehen; in diese Richtung auch Däubler, § 4 Rdnr. 94, 74. 608 Siehe in diesem Sinne zum – damals nicht weiter verfolgten Gesetzgebungsvorhaben in der 10. Legislaturperiode – BT-Drucks. 10/3384, S. 11; hierzu besonders kritisch Däubler AiB 86, 99 f., der solche Vorgänge energisch bestritt; zur Rücknahme von Stützunterschriften siehe allgemein Stückmann DB 94, 630; kritisch auch Richardi ArbuR 86, 33 (34 f.), der aus dieser Praxis allerdings nur die verfassungsrechtliche Vorgabe hin zu einer Absenkung des Unterschriftenquorums ableiten wollte. 609 Die frühere WO vom 16.01.1972 unterscheidet sich in diesem Punkt nicht von der WO vom 11.12.2001.

§ 3 Betriebsratswahlen (§ 14 BetrVG)

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Wahlvorschlagsrecht sei schon wegen der Freiheit der Wahl einzuführen gewesen. Vor der Einführung des gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts sei eine Vielzahl von Listen, die in der Wahlkabine Erfolg gehabt hätten, verhindert worden, weil die Arbeitnehmer sich gescheut hätten, ihre Unzufriedenheit an den gegebenen Umständen der betrieblichen Vertretung durch Unterstützung von Konkurrenzlisten zu offenbaren. Dieser Auffassung, die nicht nur auf die Verfassungsfestigkeit des Wahlvorschlagsrechts selbst, sondern auch auf die Dispensierung des gewerkschaftlichen Wahlvorschlags vom Erfordernis der Stützunterschriften von Verfassungs wegen zielt, wird allerdings auch widersprochen: Dass es mitgliederschwächeren Gewerkschaften gegenüber großen Gewerkschaften schwerer fallen könnte, die erforderliche Zahl von Stützunterschriften zu organisieren, sei hinzunehmen, da eine minimale Akzeptanz der kandidierenden Koalitionen als sach- und funktionsgerecht anzuerkennen sei611. Löwisch/Rieble612 sind deshalb der Auffassung, das Koalitionsgrundrecht gebiete es lediglich, dass sich Unterschriftenquoren nicht als Fernhaltevorkehrungen zu Lasten von Minderheitsgewerkschaften auswirkten. Darüber hinausgehend gebe die Verfassung keine Erleichterungen vor. III. Ergebnis Dem ist letztlich zuzustimmen: An anderer Stelle613 war vorliegend besonders betont worden, dass im Zusammenhang mit der Chancengleichheit der Koalitionen das Zersplitterungsargument als äußerst kritisch anzusehen ist. Dieser Sicht kommt die Regelung des Unterschriftenquorums in § 14 Abs. 4 BetrVG deutlich entgegen, und ein effektiver Zugang zu Wahlen für die Minderheitsgewerkschaften ist bereits durch das 1989 abgesenkte Quorum von Stützunterschriften ermöglicht worden. Mehr muss staatliche Ausgestaltung im Sinne der Ermöglichung eines wenigstens potentiellen Koalitionspluralismus614 nicht leisten. Das Argument Gamillschegs615, das sich auf die Ermöglichung der Freiheit der Wahl durch den Dispens vom Erfordernis der Stützunterschriften bezieht, ist zwar durchaus nachvollziehbar, nicht aber zwingend. Allerdings kann andererseits in der momentan gegebenen positiv-rechtlichen Entbindung des gewerkschaftlichen Wahlvorschlags vom Erfordernis der Stütz610 Gamillscheg KollArbR I, S. 243; ähnlich Löwisch BB 88, 1953; Löwisch/Kaiser § 14 Rdnr. 10. 611 Friese S. 375 f. 612 Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 210. 613 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. f); 4. Kap. § 3 B. II. 5. f). 614 Siehe hierzu oben 2. Kap. § 1 A. III; F. 3. g). 615 Gamillscheg KollArbR I, S. 243.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

unterschriften sicher auch keine verbotene Erfolgsverschaffung gesehen werden: Denn der Erfolg für den gewerkschaftlichen Wahlvorschlag wird letztlich durch den Wähler hergestellt, und es liegt andererseits innerhalb der staatlichen Einschätzungsprärogative bei der Ausgestaltung des Wahlvorschlagsrechts, gewerkschaftlichen Wahlvorschlägen gegenüber den Wahlvorschlägen anderer Arbeitnehmervereinigungen wegen der mit der Gewerkschaftseigenschaft verbundenen Verankerung in der Arbeitnehmerschaft die Ernsthaftigkeit im Sinne ausreichender Erfolgsaussichten zuzuerkennen616, und so dem Zersplitterungsargument an dieser Stelle keinen Raum zu geben617. Damit ist das gewerkschaftliche Vorschlagsrecht an sich, nicht aber die Entbindung dieses Wahlvorschlagsrechts von dem Erfordernis der Stützunterschriften, als verfassungsfest anzusehen.

§ 4 Wahlen im vereinfachten Wahlverfahren (nach §§ 14a, 14 Abs. 2 Satz 2, HS 2 BetrVG) A. Minderheitsspezifische Auswirkungen der zwingenden gesetzlichen Anordnung der Mehrheitswahl in Kleinbetrieben Mit der Novelle 2001 wurde das sog. „vereinfachte Wahlverfahren“ für Kleinbetriebe mit in der Regel fünf bis fünfzig wahlberechtigten Arbeitnehmern eingeführt, um – so die Gesetzesbegründung618 – dort die Errichtung von Be616 Engels/Natter BB 89 Beilage 8, 1 (18); Friese, S. 376 f.; GK-Kreutz § 14 Rdnrn. 95 ff.; zu den Zweifeln an der Wahrung der Chancengleichheit der Wahlbewerber gewerkschaftlicher und arbeitnehmergetragener Wahlvorschläge im Gesetzgebungsverfahren siehe BT-Drucks. 11/3618, S. 4 ff.; zweifelnd auch DKK-Schneider § 14 Rdnr. 33. 617 Damit ist im Hinblick auf den besonderen betriebsverfassungsrechtlichen Gewerkschaftsbegriff (spezielles Anforderungsprofil im Funktionszusammenhang des Gesetzes, siehe oben 2. Kap. § 1 IV. 3. b) ff.; 3. Kap. D. I.), klargestellt, dass diese Erwartung sich nur auf tarifmächtige Koalitionen beziehen kann; so auch Löwisch BB 88, 1953; DKK-Schneider § 14 Rdnr. 33; Richardi-Thüsing § 14 Rdnr. 45; anders in diesem Zusammenhang Richardi ArbuR 86, 33 (35), der die Anwendung des „klassischen“ Gewerkschaftsbegriffs auf die Belange eines gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts in der Betriebsverfassung als problematisch ansieht und dieses Recht daher ablehnt; die Ermöglichung des gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts für alle „hinreichend starken“ Arbeitnehmervereinigungen durch entsprechende Interpretation des Gewerkschaftsbegriffs in § 14 Abs. 3 und 5 BetrVG würde übrigens auch den Wahlvorstand vor praktisch schier unlösbare Probleme stellen; andererseits bestehen angesichts des Quorums des § 14 Abs. 4 BetrVG keine unüberwindbaren Wahlzugangshindernisse für kleinere Koalitionen, siehe oben 4. Kap. § 3 A. 3. 618 Siehe Begründung des RegE BT-Drucks. 14/5741, S. 36 f.; dazu auch DKKSchneider § 14a Rdnr. 1; GK-Kreutz § 14a Rdnr. 2; Richardi-Thüsing § 14a Rdnr. 1; grundsätzlich kritisch gegenüber dieser „Zwangsbeglückung“ Rieble ZIP 01, 133 (135 f.); ihm folgend Konzen RdA 01, 76 (88).

§ 4 Wahlen im vereinfachten Wahlverfahren

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triebsräten zu erleichtern und dazu beizutragen, dass wieder in mehr Betrieben Interessenvertretungen gebildet werden. Minderheitsspezifische Relevanz für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang erlangt diese Neuregelung deshalb, weil im „vereinfachten Wahlverfahren“ gem. § 14 Abs. 2 Satz 2 HS 2 BetrVG zwingend619 im Wege der Mehrheitswahl zu wählen ist620. Tendenziell werden damit die im Betrieb vertretenen Mehrheitsgewerkschaften begünstigt621, weil – rechnerisch betrachtet – in einem Personenwahlsystem die Mehrheitsgewerkschaft unter Hintanstellung des mit dem Verhältniswahlsystem vermittelten Minderheitenschutzes alle Sitze besetzen kann622, auch wenn die Bewerber der Minderheitsgewerkschaft bei der Betriebsratswahl nicht unwesentlich viele Stimmen auf sich ziehen konnten. Damit stellt sich die Frage, ob die Abweichung von der nach hier vertretener Auffassung verfassungsrechtlich zwingenden allgemeinen Vorgabe des Verhältniswahlrechts in der Betriebsverfassung623 für die Wahl in Kleinbetrieben ausnahmsweise verfassungsrechtlich zulässig sein kann.

B. Erleichterung der Errichtung betrieblicher Interessenvertretungen als tragfähiger Sachgrund für die Durchbrechung des verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatzes der Verhältniswahl bei Wahlen zum Betriebsrat? Wegen der strengen verfassungsrechtlichen Vorgaben an das Vorliegen von Sachgründen, die eine unterschiedliche und die Chancengleichheit der Koalitionen beeinträchtigende Ausgestaltung des Wahlverfahrens rechtfertigen können624, stellt sich die Frage, ob die vom Gesetzgeber beabsichtigte Erleichterung der Errichtung von betrieblichen Interessenvertretungen625 einen solchen zwingenden Sachgrund darstellen kann. Kreutz626 bestreitet schon im Ansatz, dass es einen Beleg dafür gebe, dass das „Regel-Wahlverfahren“ besonders für Kleinbetriebe zu aufwendig gewesen sei. Auch Hanau627 bemerkt hierzu, dass sich das als vereinfacht bezeichnete Wahlverfahren eher als besonders kompliziert entpuppen könnte. Und auch Dütz628 vermag eine Wahlvereinfachung 619

Fitting § 14a Rdnrn. 6, 37; GK-Kreutz § 14a Rdnr. 5. So auch Dütz DB 01, 1306 (1308 f., 1310); Hanau NJW 01, 2513 (2517). 621 Dazu siehe oben 4. Kap. § 3 B.; B. 5. e). 622 So auch Hanau NJW 01, 2513 (2517): „. . . so dass eine Mehrheit in der Belegschaft alle Sitze besetzen kann“; ähnlich Buchner NZA 01, 633 (636). 623 Siehe oben 4. Kap. § 3 B. II. f. 624 Hierzu oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. d) ff.; 4. Kap. § 3 A. II. 2.; B. II. 5. 625 RegE BT-Drucks. 14/5741, S. 36 f. 626 GK-Kreutz § 14a Rdnr. 2. 627 Hanau NJW 01, 2513 (2516); genauso Konzen RdA 01, 76 (88). 628 Dütz DB 01, 1306 (1308 f.). 620

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

nicht zu erkennen, zumal die Verhältniswahl bislang keine praktischen Schwierigkeiten gebracht habe. Buchner629 äußert sogar den gar nicht fernliegenden Verdacht, dass die Plakatierung der Novelle als „Vereinfachung“ in Wirklichkeit der Zurückdrängung von Minderheiten gedient haben könnte. Bedenkt man den Zeitdruck, der für den Wahlvorstand beim zweistufigen Verfahren gem. § 14a Abs. 1 BetrVG i.V. m. § 31Abs. 1 WO dadurch entsteht, dass der fehleranfällige Erlass des Wahlausschreibens noch in der Wahlversammlung zu erfolgen hat, und dass ganz allgemein die mit § 14a BetrVG gegenüber dem Regel-Wahlverfahren radikal verkürzten Fristen den Druck auf den Wahlvorstand erhöhen, und dieser in kürzester Zeit die Wahl möglichst fehlerfrei durchzuführen hat, so erscheint der Aspekt der gesetzgeberisch angeblich gewollten Vereinfachung eher vereitelt als gefördert worden zu sein. Außerdem ist nicht ersichtlich, wieso ausgerechnet der Ausschluss der Listenwahl wesentlich zur Vereinfachung beitragen könnte630. Streng genommen besteht die sog. Vereinfachung nur darin, den Wahlvorstand nicht den rechnerischen Zumutungen einer Auszählung nach d’Hondt auszusetzen – ein Vorgang von großzügig geschätzt: einer Viertelstunde mehr an Zeit- und Gedankenaufwand gegenüber der bloßen Ermittlung der jeweils auf die einzelnen Bewerber entfallenen Stimmen bei der Abstimmung im Wege der Mehrheitswahl631. Damit steht fest, dass selbst dann, wenn man die – durchaus problematische – Verkürzung des gesamten Wahlverfahrens632 als für die Bildung von Betriebsräten förderlich ansehen würde, die in der Anordnung des Mehrheitswahlrechts liegende Verkürzung der Minderheitenrechte keinesfalls vom Vereinfachungsgedanken getragen werden kann. Besonders problematisch ist überdies die extreme Verkürzung der Wahlvorschlagsfristen gem. § 14a Abs. 2 BetrVG633, weswegen es überdies zweifelhaft erscheint, ob allen beteiligten Arbeitnehmern hinreichend Gelegenheit für die Aufstellung von Wahlvorschlägen gegeben wird. Auch hierin dürfte eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung organisationsschwächerer Koalitionen gegenüber den Mehrheitsgewerkschaften zu sehen sein634. 629

Buchner NZA 01, 633 (636). So auch Konzen RdA 01, 76 (88). 631 Übrigens entspricht es ohnehin einer weithin geübten Praxis von Wahlvorständen, das Wahlergebnis mit Wahlberechnungsprogrammen auszuwerten, die teilweise frei per Internet verfügbar sind, jedenfalls aber in den üblichen Handlungsanweisungen für Wahlvorstände in den über den Buchhandel zu beziehenden Wahlvorbereitungsskripten zur Verfügung gestellt werden. 632 Auch Reichold NZA 01, 857 (860) bezeichnet den sehr engen Zeitrahmen („Hau-Ruck-Verfahren“) als „nicht unproblematisch“; ähnlich Konzen RdA 01, 76 (88), der betont, dass das vereinfachte Wahlverfahren in § 14a BetrVG in seiner Detailgestaltung bedenklich sei und kaum der Vereinfachung dienen könne. 633 Hierzu GK-Kreutz/Oetker § 33 WO Rdnrn. 2 f. 634 Siehe zu diesem Aspekt auch Hanau NJW 01, 2513 (2516), der in der Fristverkürzung einen Verstoß gegen grundlegende demokratische Prinzipen erkennt; ähnlich 630

§ 4 Wahlen im vereinfachten Wahlverfahren

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Ein zwingender Grund für die Anordnung des Mehrheitswahlrechts in Kleinbetrieben besteht mithin nicht, es bleibt beim allgemeinen Grundsatz der Festlegung des Betriebsverfassungsrechts auf das Verhältniswahlsystem, die Regelungen zum vereinfachten Wahlverfahren gem. § 14a BetrVG sind deshalb verfassungswidrig635.

C. Bestehen eines gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts als Ausgleich für die Abschaffung des Verhältniswahlrechts für Kleinbetriebe mit der Novelle 2001? Das Gesetz selbst kennt im Zusammenhang mit dem vereinfachten Wahlverfahren kein Wahlvorschlagsrecht der Gewerkschaften. In § 14a Abs. 2 BetrVG ist nur auf § 14 Abs. 4 BetrVG und damit auf das Wahlvorschlagsrecht der Arbeitnehmer Bezug genommen worden. Allerdings ist das Wahlvorschlagsrecht den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften auf der Ebene der Wahlordnung, gem. §§ 33 Abs. 1 Satz 2 und 36 Abs. 5 Satz 1 WO, positiv-rechtlich zuerkannt worden. Angesichts der Tatsache, dass den Gewerkschaften gem. §§ 17a Nr. 3 Satz 2, 17 Abs. 3 BetrVG ein Initiativrecht auf Einleitung der Wahlen im vereinfachten Wahlverfahren gegeben worden ist, und angesichts des gesetzgeberischen Willens, in mehr Betrieben Interessenvertretungen zu schaffen, ist hier eine planwidrige Regelungslücke anzunehmen, die durch die analoge Anwendung des § 14 Abs. 3 und 5 BetrVG zu schließen ist636. Denn es würde einen Wertungswiderspruch darstellen, grundsätzlich allen im Betrieb vertreteKonzen RdA 01, 76 (88), der die Gefahr sieht, dass Arbeitnehmer von Wahlvorschlägen „überfahren“ werden könnten. 635 Siehe Dütz DB 01, 1306 (1310); im Ergebnis vorsichtig in diese Richtung Hanau NJW 01, 2513 (2516 f.), der die Anordnung des Mehrheitswahlrechts als problematisch i. S. des demokratischen Prinzips ansieht, kritisch auch Buchner NZA 01, 633 (636), der die Notwendigkeit einer fairen Berücksichtigung der Minderheitsgruppe als verletzt ansieht; auch Konzen RdA 01, 76 (88) bemängelt den Übergang zur Mehrheitswahl in § 14a BetrVG, weil die Repräsentationsfunktion des Betriebsrats für die Verhältniswahl spreche und die Mehrheitswahl keineswegs einfacher als die Verhältniswahl sei; einen weiteren Aspekt der möglichen Verfassungswidrigkeit sieht Hanau a. a. O.; die Möglichkeit der Vereinbarung des vereinfachten Wahlverfahrens zwischen Wahlvorstand und Arbeitgeber in Betrieben mit in der Regel 51 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern gem. § 14a Abs. 5 BetrVG sei wegen des hiermit verbundenen Wechsels von der Verhältnis- zur Mehrheitswahl wesentlicher Natur und damit dem Gesetzgeber vorbehalten; deshalb dürfe eine solche Vereinbarung allenfalls das Wahlverfahren, nicht aber das Wahlsystem verändern; hiergegen aber Richardi-Thüsing § 14a Rdnr. 2 mit der Begründung, dass dem Gesetzgeber im Betriebsverfassungsrecht von der Verfassung ohnehin kein Wahlsystem vorgegeben sei. 636 So GK-Kreutz § 14a Rdnrn. 39, 44, der von einem „peinlichen Redaktionsversehen“ des Gesetzgebers spricht; ähnlich HSWG-Schlochauer § 14a Rdnr. 14; anders Fitting § 14a Rdnr. 33, der das gewerkschaftliche Wahlvorschlagsrecht bei Wahlen nach § 14a BetrVG ohne weiteres als sich aus den Wahlgrundsätzen des § 14 BetrVG ergebend ansieht.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

nen Gewerkschaften einerseits das Initiativrecht zur Wahleinleitung zuzuerkennen, ihnen dann aber andererseits die Einreichung eigener Wahlvorschläge zu versagen. Diese gesetzessystematisch begründete Herleitung des gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts könnte in ihrer konkreten Anwendung dazu geeignet sein, die vorstehend637 vorgenommene Einschätzung der Verfassungswidrigkeit der Anordnung der Mehrheitswahl für die Betriebsratswahlen in Kleinbetrieben zu korrigieren: Argumentatorisch könnte der Abschaffung des Verhältniswahlrechts mit seinen minderheitsschützenden Auswirkungen nämlich der Aspekt einer mit der Zuerkennung des gewerkschaftlichen Wahlvorschlagsrechts einhergehenden Kompensation dieses Verlusts entgegengehalten werden. Bei einer solchen Argumentation fungierte das gewerkschaftliche Wahlvorschlagsrecht als Ausfluss des Gebots der Effektivierung des Grundrechtsschutzes insbesondere für Minderheitsgewerkschaften, im Sinne einer hierdurch erreichten – allerdings nur mittelbaren – Ermöglichung eines wenigstens potentiellen Koalitionspluralismus. Einer solchen Sichtweise ist aber entgegenzuhalten, dass der Verlust von Mandaten für die Minderheitsgewerkschaft durch das anzuwendende Mehrheitswahlsystem in Kleinbetrieben durch deren Wahlvorschlagsrecht kaum als kompensiert angesehen werden kann. Denn die Minderheitsgewerkschaft hat es ja ohnehin in der Hand, für anstehende Wahlen im Betrieb Arbeitnehmerwahlvorschläge mit Stützunterschriften zu organisieren, um auf diese Weise den bei ihr Organisierten die Möglichkeit zu verschaffen, zu Betriebsratsmitgliedern gewählt zu werden.

§ 5 Die obligatorische Abbildung der Geschlechterquote (gem. §§ 15 Abs. 2 BetrVG, 15 Abs. 5 Nr. 2 WO BetrVG) A. Die Neuregelung Mit der Betriebsverfassungsreform 2001638 wurde § 15 Abs. 2 BetrVG dahingehend von einer Soll- zu einer Muss-Vorschrift abgeändert, als nunmehr das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein muss (wenn dieser aus mindestens drei Mitgliedern besteht). Auch wenn diese Gesetzesformulierung geschlechtsneutral abgefasst ist, so wollte der Gesetzgeber639 637

Siehe 4. Kap. § 4 B. F. BetrVerf-ReformG v. 23.07.2001 (BGBl. I, S. 1852). 639 Siehe Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 14/5741, S. 37 zu Nr. 13; weil die starre Einführung einer geschlechterproportionalen Regelung bewirkt hätte, dass „in den Bereichen, in denen bereits engagierte Frauen über ihren zahlen638

§ 5 Die obligatorische Abbildung der Geschlechterquote

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doch vor allem sicherstellen, dass der Zugang von Frauen zum Betriebsrat, wo diese in aller Regel unterrepräsentiert waren, tatsächlich durchgesetzt wird640. Die verabschiedete Regelung entsprach hinsichtlich des Musscharakters der Quotierung den Vorschlägen, die der Deutsche Gewerkschaftsbund im Vorfeld der Novelle gemacht hatte641. Abgesehen von Zweifeln an der Möglichkeit einer tatsächlichen Zweckerreichung642, den Hinweisen auf praktische Schwierigkeiten bei der Umsetzung643, und auf eine „Vorprogrammierung“ von Wahlanfechtungsverfahren644, wurden vor allem auch verfassungsrechtliche Bedenken erhoben645, die im Folgenden noch Gegenstand näherer Betrachtung sein sollen.

B. Praktische Umsetzung des § 15 Abs. 2 BetrVG bei Betriebsratswahlen Nach § 5 WO BetrVG hat der Wahlvorstand zunächst aufgrund des Zahlenverhältnisses von Frauen und Männern im Betrieb wie bei den Grundsätzen der Verhältniswahl anhand des d’Hondt’schen Höchstzahlverfahrens646 zu ermitteln, mäßigen Anteil an der Belegschaft hinaus in den Betriebsrat gewählt worden sind, künftig nicht mehr für eine Arbeit im Betriebsrat könnten“, wurde die „Mindest-Regelung“ eingeführt, siehe Ausschussdrucks. Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung 14/1610 v. 19.06.2001, 1 f.; BT-Drucks. 14/6352, S. 10, S. 54; zur Entstehungsgeschichte auch umfassend GK-Kreutz § 15 Rdnrn. 1 ff.; zur Entstehungsgeschichte siehe auch Fitting § 15 Rdnr. 11 f.; Konzen RdA 01, 76 ff.; Richardi NZA 01, 346; Rieble ZIP 01, 133 ff. 640 Darauf, dass dieser Zweck vielfach verfehlt und in sein Gegenteil verkehrt werden dürfte, weist Löwisch BB 01, 1734 (1738) hin; auf einen interessanten verfassungsrechtlichen Aspekt weist Boemke BB 02, 2018 hin: Die Ermittlung der Sitzzahlen für das Minderheitsgeschlecht gem. § 15 Abs. 2 BetrVG im Sinne einer stets erfolgenden Aufrundung bei Bruchteilen könne rechnerisch zu dessen zwingender Überrepräsentation führen – was evident verfassungswidrig sei. 641 GK-Kreutz § 15 Rdnr. 4; siehe dazu auch Bundesvorstand des DGB NZA 01, 135 (138); Fischer NZA 00, 167 (170). 642 Löwisch BB 01, 1734 (1738); dagegen DKK-Schneider § 15 Rdnr. 7. 643 Richardi-Thüsing § 15 Rdnr. 4. 644 Franke NJW 02, 656 ff. 645 Das LAG Köln hat zwischenzeitlich mit Beschluss v. 13.10.2003 – 2 TaBV 1/03 = NZA-RR 04, 247 das Verfahren in einer einschlägigen Wahlanfechtungsangelegenheit ausgesetzt und nach Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nrn. 11, 80 ff. BVerfGG dem BVerfG die entscheidungserhebliche Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs. 2 BetrVG vorgelegt; siehe dazu beispw. Reichold NZA 01 Sonderbeilage, 32 (38): „problematische Ergebniskorrektur freier und unmittelbarer Wahlen“. 646 Die Anwendung des d’Hondt’schen Höchstzahlverfahrens ist gem. § 5 WO ist allerdings durchaus umstritten: Im Hinblick auf § 15 Abs. 2 BetrVG, demzufolge das Minderheitsgeschlecht im Betriebsrat „mindestens“ proportional seinem Anteil in der Belegschaft vertreten sein muss, wird auch vertreten, dass die Zahl der Vertreter des Minderheitsgeschlechts im Betriebsrat immer auf die Zahl aufzurunden sei, bei der das zahlenmäßige Verhältnis in der Belegschaft erreicht sei; dies ergebe sich direkt aus § 15 Abs. 2 BetrVG, so dass die Anordnung des Höchstzahlverfahrens bei der

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

wie viele Mindestsitze bei der Betriebsratswahl auf das Geschlecht zu entfallen haben, welches innerhalb der Belegschaft in der Minderheit ist. Ergibt das Wahlergebnis der Betriebsratswahl dann nicht, dass diese Mindestquote zugunsten des Minderheitsgeschlechts erfüllt ist, so wird nachträglich in einem ersten Schritt dergestalt in das festgestellte Wahlergebnis eingegriffen, als zunächst innerhalb der einzelnen Wahlvorschlagslisten eine Umverteilung der Sitze erfolgen muss: Diejenige Wahlvorschlagsliste, welche nach dem Höchstzahlverfahren den letzten Betriebsratssitz erhalten hat, wird dahin in ihrer Reihenfolge korrigiert, als der zu vergebende Sitz gem. § 15 Abs. 5 Nr. 1 WO BetrVG nicht auf den dort benannten Wahlbewerber, sondern auf die nächste Person, die Angehörige des Minderheitsgeschlechts ist, vergeben wird. Es erfolgt also zunächst eine Korrektur des Wahlergebnisses innerhalb des Wahlvorschlags. Gibt es innerhalb der an und für sich bei der d’Hondt’schen Höchstzahlverteilung zum Zuge kommenden Wahlvorschlagsliste keinen Angehörigen des Minderheitsgeschlechts mehr, so erfolgt in einem zweiten Schritt die Korrektur des Wahlergebnisses im Wege des Listensprungs: Der zu vergebende Sitz fällt an die Bewerberin oder den Bewerber des Minderheitsgeschlechts der konkurrierenden Liste, auf die oder den die nächste Höchstzahl entfällt. Hat das Minderheitsgeschlecht nicht nur einen, sondern mehrere Sitze, die ihm nach § 5 WO BetrVG zustehen, mit dieser Ergebniskorrektur nicht erhalten, so wird gem. § 15 Abs. 5 Nr. 3 WO BetrVG gegebenenfalls mehrfach hintereinander in der beschriebenen Verfahrensweise vorgegangen – bis die Vorgabe der vom Wahlvorstand anfangs ermittelten Mindestquote erfüllt ist647. Im Extremfall – wenn in einem Betrieb eine reine Frauen- mit einer reinen Männerliste konkurrieren sollte – werden nach diesen Regelungen sämtliche Betriebsratssitze, die nach § 5 WO an das Minderheitsgeschlecht fallen müssen, schon dann an die Minderheitsgeschlechtsliste vergeben, wenn diese nur eine einzige Stimme erhält648. Die Mindestquotenregelung des § 15 Abs. 2 BetrVG greift also – gegebenenfalls sogar in ganz extremer Weise – in den Grundsatz des gleichen Erfolgswerts aller Stimmen bei der Verhältniswahl, und damit in Bestimmung der Mindestsitze nicht nach dem in der nachrangigen Vorschrift des § 5 WO vorgenommen werden dürfe; so Franke NZA 05, 394, 395 f.; Löwisch BB 01, 1734, 1738; Weller NZA 05, 1228, 1230; das BAG hat mit Beschluss v. 10.03.2004 – 7 ABR 49/03 B. 3. a) = AP Nr. 8 zu § 7 BetrVG 1972 = NZA 04, 1340 ff. dieser Auffassung ohne die in der Literatur geführte Kontroverse aufzugreifen, eine Absage erteilt; wie das BAG GK-Kreutz § 15 Rdnr. 23. 647 Hierzu ausführlich mit Berechnungs- und Verteilungsbeispielen Berger-Delhey ZTR 02, 113 ff.; Schiefer/Korte NZA 02, 113 ff.; Süllwold ZBVR 02, 15 (16 ff.); Ubber/Weller NZA 04, 893 (894 f.); siehe auch Brors NZA 04, 472; DKK-Schneider § 15 Rdnrn. 14 ff.; Fitting § 15 Rdnrn. 15 ff.; GK-Kreutz/Oetker § 15 WO BetrVG Rdnrn. 1 ff.; HSWG-Schlochauer § 15 Rdnr. 11 ff.; Richardi-Thüsing § 15 WO BetrVG Rdnrn. 4 ff. 648 Siehe dazu LAG Köln v. 13.10.2003 – 2 TaBV 1/03 = ArbuR 04, 111; kritisch Schneider AiB 05 716, 717 f.

§ 5 Die obligatorische Abbildung der Geschlechterquote

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das aktive Wahlrecht der Arbeitnehmer des Betriebs ein649. Gleichzeitig wird in das passive Wahlrecht von Kandidaten des Mehrheitsgeschlechts korrigierend eingegriffen, da nur bei diesem Geschlecht eine Beschränkung der Sitzanzahl angeordnet wird, während das Minderheitsgeschlecht mehr Sitze erlangen kann, als ihm bei einer proportionalen Abbildung des Geschlechterverhältnisses in der Belegschaft zustünde650. Der Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit wird damit also in zweifacher Weise durchbrochen651.

C. Spezifische Problematik im Hinblick auf die Vorschlagsliste(n) der Minderheitsgewerkschaft(en) Auf den ersten Blick betrachtet allerdings erscheint die Einführung der obligatorischen Mindestrepräsentanz des Minderheitsgeschlechts im Betriebsrat als für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang nicht spezifisch bedeutsam zu sein. Denn die Korrektur des Wahlergebnisses nach den genannten wahlordnungsrechtlichen Vorschriften erfolgt strikt bezogen auf das Minderheitsgeschlecht in der Belegschaft, und knüpft nicht an den Status eines Wahlvorschlags als der Mehrheits- oder Minderheitsgewerkschaft zugehörig an. Bei näherer Betrachtung ergeben sich jedoch erhebliche Möglichkeiten einer minderheitsspezifisch-gewerkschaftlichen Auswirkung der dargestellten Regelungen: Zunächst ist an den Fall zu denken, dass sich in einer Koalition von vorneherein ausdrücklich nur abhängig Beschäftigte eines Geschlechts organisieren und an Betriebsratswahlen teilnehmen wollen. Verwandt hiermit sind die Verhältnisse bei Koalitionen, insbesondere solchen mit „berufsständischem Einschlag“, in denen sich rein tatsächlich ganz überwiegend Angehörige nur eines Geschlechts wiederfinden. Zu denken wäre hier etwa an die Pilotenvereinigung Cockpit652, die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) oder an Koalitionen wie den „Verband katholischer Hausgehilfinnen und Hausangestellten“653 649 Siehe Schneider AiB 05, 716, 718, der darauf hinweist, dass ein weit vom Wahlerfolg entfernter Wahlvorschlag alleine durch die Tatsache zum Erfolg kommen kann, dass auf ihm ein noch nicht gewählter Angehöriger des Minderheitsgeschlechts steht und hierdurch sogar eine Umkehrung der Mehrheitsverhältnisse im Betriebsrat bewirkt werden kann. 650 LAG Köln v. 13.10.2003 – 2 TaBV 1/03 = ArbuR 04, 111. 651 LAG Köln v. 13.10.2004 – 2 TaBV 1/03 = ArbuR 04, 111; siehe dazu Badura ZBVR 02, 255 (258); Berger-Delhey, ZTR 02, 113 (115); Franke NJW 02, 656 (658); Hänlein ArbuR 04, 112 (113); Hanau RdA 01, 65 (70); Konzen RdA 01, 76 (89); Richardi NZA 01, 346 (347); Schiefer/Korte, NZA 02, 113 (115); Süllwold ZBVR 02, 15 (20), Ubber/Weller NZA 04, 893 (894 f.; 898); kritisch auch Reichold NZA 01 Sonderbeilage, 32 (38): „problematische Ergebniskorrektur“. 652 „Vereinigung Cockpit e. V.“ – Berufsverband der Verkehrsflugzeugführer und Flugingenieure in Deutschland“.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

oder etwa an eine Koalition, die sich satzungsmäßig der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Krankenschwestern verschrieben hätte. Solche Vereinigungen können zwar Angehörige beiderlei Geschlechts haben, aufgrund der tatsächlichen beruflichen Verhältnisse haben dort aber die Angehörigen eines bestimmten Geschlechts die ganz deutliche Mehrheit. Sehr häufig werden solche Gewerkschaften innerhalb der Betriebsverfassung auch als Minderheitsgewerkschaften zu bezeichnen sein, so etwa die Vereinigung Cockpit e. V. im Verhältnis zur Gewerkschaft ver.di, oder die GDL im Verhältnis zur DGB-Gewerkschaft Transnet. Zuletzt ist auch noch an den allgemeiner gelagerten Fall zu denken, dass eine Koalition aufgrund ihrer verhältnismäßig geringen Organisationsstärke innerhalb des Betriebs nicht in der Lage ist, Wahlvorschläge mit ausreichend vielen Angehörigen des Minderheitsgeschlechts zur Wahl zu stellen, weil sich in ihrem Anhängerkreis im Betrieb nicht genug Angehörige des Minderheitsgeschlechts befinden; oder aber diese nicht zur Kandidatur auf dem Wahlvorschlag der Minderheitenliste bereit sind („mittelbare Benachteiligung“)654. Faktisch; bzw. mittelbar; sind bei solchen Konstellationen Minderheitsgewerkschaften also dahingehend betroffen, als sie tendenziell aufgrund nicht ausreichend vorhandenen personellen Reservoirs für ihre Wahlvorschläge, im Wege des Listensprungs Betriebsratssitze an konkurrierende (Mehrheits-)gewerkschaften abgeben müssen655. Mehrheitsgewerkschaften hingegen werden regelmäßig über ein so großes Reservoir an Mitgliedern im Betrieb verfügen, dass sie die Risiken des „listenübergreifenden Geschlechtersprungs“ für sich dadurch ausschließen können, dass sie zumindest „im hinteren Listenfeld“ eines Wahlvorschlags Angehörige des Minderheitsgeschlechts so platzieren können, dass der Gefahr des Listensprungs hierdurch wirksam begegnet werden kann656. Die einschlägigen Regelungen von BetrVG und WO BetrVG greifen damit in den 653 Diese Koalition beschäftigte das Bundesverfassungsgericht unter dem Aspekt, ob der Gewerkschaftsbegriff des § 2 Abs. 1 TVG nur solche Koalitionen umfasse, die auch „arbeitskampfwillig“ sind; (verneinend) BVerfG v. 06.05.1964 – 1 BvR 79/62 = AP Nr. 15 zu § 2 TVG = BVerfGE 18, 18 – Verband der katholischen Haushaltsgehilfinnen und Angestellten. 654 Das LAG Köln v. 13.10.2003 – 2 TaBV 1/03 = ArbuR 04, 111 (112) spricht diesbzgl. von der Möglichkeit der „mittelbaren Benachteiligung kleiner Gewerkschaften“; siehe auch Süllwold ZBVR 02, 15 (20); in diese Richtung ebenfalls Hänlein ArbuR 04, 112 (113); auch das BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 40/04 Gründe B. III. d) bb) sieht diese Problematik, lässt sie allerdings im Ergebnis nicht durchschlagen. 655 Süllwold ZBVR 02, 15 (20); auf diesen Aspekt des Falles, welcher dem LAG Köln, Vorlagebeschluss v. 13.10.2003 – 2 TaBV 1/03 = ArbuR 04, 111, zugrundelag, weist Hänlein ArbuR 04, 112 (113) hin. 656 Siehe Berger-Delhey ZTR 02, 113 (115), der im Zusammenhang mit einer solchen Wahlvorschlagstaktik ironisierend von „Auffangminderheitengeschlechtsmitgliedern“ spricht; das LAG Köln hat dazu ausgeführt, dass dann, wenn es einer Liste nicht gelingt, ausreichend viele Kandidaten des Minderheitsgeschlechts aufzustellen, es die andere Liste in der Hand hat, durch geschickte Platzierung von Angehörigen

§ 5 Die obligatorische Abbildung der Geschlechterquote

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Grundsatz des gleichen Erfolgswerts aller Stimmen bei der Verhältniswahl tendenziell zu Lasten der Minderheits- und zugunsten der Mehrheitsgewerkschaften ein657.

D. Rechtfertigungsversuche für den Eingriff in den Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit Es ist dargelegt worden, dass nach § 15 Abs. 2 BetrVG i.V. m. § 15 Abs. 5 Nr. 2 WO BetrVG unter dem Aspekt des geschlechtlichen Minderheitsschutzes Wahlergebniskorrekturen angeordnet werden, die tendenziell zu Lasten der Minderheitsgewerkschaften gehen können. Damit wird zu Lasten einer Gleichbehandlung des Erfolgswerts der abgegebenen Stimmen und der Chancengleichheit der mit einem Wahlvorschlag angetretenen Koalitionen in das Wahlergebnis einer Betriebsratswahl eingegriffen. Es ist bereits weiter oben658 ausgeführt worden, dass – insbesondere auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts659 für die Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung – bei Wahlen jede Ungleichbehandlung bzw. Durchbrechung des Grundsatzes der formalen Wahlrechtsgleichheit untersagt ist, die sich nicht durch einen besonderen und zwingenden Grund rechtfertigen lässt. Der Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit gem. Art. 3 Abs. 1 und 38 GG ist dabei für die Koalitionen als „Grundsatz der gleichen Wettbewerbschancen“ auch in Art. 9 Abs. 3 GG verankert660. I. Aspekt der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats als „zwingender Grund“ für die Durchbrechung der formalen Wahlrechtsgleichheit? 1. Berücksichtigung von geschlechtsspezifischen Gruppeninteressen Als solchermaßen zwingende Gründe für eine Differenzierung – die zur Verfassungsmäßigkeit einer an sich verbotenen differenzierenden Ausgestaltung eines Wahlverfahrens im Mitbestimmungsbereich führen können – sind vom Bundesverfassungsgericht bislang die Funktionsfähigkeit des zu wählenden Gre-

des Minderheitsgeschlechts „die Situation des Listensprungs“ manipulativ herbeizuführen“, Beschluss v. 13.10.2003 – 2 TaBV 1/03 = ArbuR 04, 111, 2. a. E. 657 BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 40/04 B. III. 3. a) cc), d) bb). 658 Siehe 2. Kap. § 1 F. IV. 3. d) ff.; 4. Kap. § 3 A. II. 1. f. 659 Zuletzt BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 (244) = NZA 04, 1395 (1397) Mitbestimmungsquorum Aufsichtsratswahl; BVerfGE 60, 162 (170) PersVG Bremen; 71, 81 (95) (Arbeitnehmerkammer Bremen). 660 So im vorliegenden Zusammenhang auch Badura ZBVR 02, 255 (257); Hänlein ArbuR 04, 112 (113).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

miums oder bei der Aufsichtsratswahl die Funktionsfähigkeit des Unternehmens genannt worden661. Der Sache nach als ein solchermaßen zwingender Grund der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des zu wählenden Betriebsrats, wird auf dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 2 GG (Förderklausel) die „natürliche Interessendivergenz der Geschlechter im betriebsverfassungsrechtlichen Sachzusammenhang“ angesehen. Unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs662 sieht Brors663 diese ausschlaggebende Interessendivergenz vor allem in Hinblick auf § 87 Nr. 2 BetrVG (Arbeitszeit), auf § 87 Nr. 7 BetrVG (Arbeitsund Gesundheitsschutz) und auf § 87 Nr. 8 BetrVG (Sozialeinrichtungen): Da es erwiesen sei, dass Frauen typischerweise die Aufgabe der Kindererziehung neben ihrer beruflichen Tätigkeit wahrnähmen, sei hier ein besonderes frauenspezifisches Interesse an flexiblen Arbeitszeiten vorhanden, um Erwerbsarbeit und Kindererziehung miteinander verbinden zu können. Im Arbeits- und Gesundheitsschutz bestehe eine frauenspezifische Interessenlage vor allem im Hinblick auf Mutter- und Schwangerschaftsschutz, und im Hinblick auf Sozialeinrichtungen sei insbesondere an die Einrichtung und die Verwaltung von Betriebskindergärten zu denken. Diese Interessengegensätze zwischen den Geschlechtern trügen die Abweichungen von der formalen Wahlrechtsgleichheit: Denn anders als im parlamentarisch-allgemeinpolitischen Bereich gehe es im Betriebsverfassungsrecht nicht um die Repräsentation der Bevölkerung als ganze und einheitliche in allgemeinpolitischen Fragen664, sondern nur um die Repräsentation in ganz spezifischen, gesetzlich genau definierten Sachfragen, betreffend die Teilhabe an Entscheidungen des Arbeitgebers665. Zu diesen Sachfragen ließen sich jeweils Gruppeninteressen feststellen, ein einheitliches Belegschaftsinteresse sei nicht vorhanden, weswegen der Gesetzgeber bestimmte Interessengruppen666 auch besonders schützen dürfe667 – wie er dies ehedem mit der Gruppe der Arbeiter und Angestellten getan habe, und er es auch gegenwärtig mit dem Gruppenschutz in den Betrieben der Postunternehmen noch weiterhin praktiziere668. Dabei wird ausdrücklich darauf abgestellt, dass Betriebsrätin661 Zuletzt BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 (243; 245) = NZA 04, 1395 (1397). 662 Staatsgerichtshof des Landes Hessen v. 13.10.1993 – P. St. 1141 = ArbuR 94, 430 ff. zum zwingenden Geschlechterproporz nach dem HPVG. 663 Brors NZA 04, 472 (474 f.). 664 Deshalb, so Brors NZA 04, 472, wäre eine Geschlechterquote auf dieser Ebene auch evident verfassungswidrig. 665 Brors NZA 04, 472 (473). 666 Brors NZA 04, 472 (474) verweist insofern auf den Gruppenschutz für Angestellte und Beamte bei der Post; zu denken ist auch an den vormaligen Gruppenschutz für Arbeiter und Angestellte nach dem BetrVG 1972 vor seiner Novelle 2001. 667 Brors NZA 04, 472 (473 f.); ähnlich Staatsgerichtshof des Landes Hessen v. 13.10.1993 – P. St. 1141 = ArbuR 94, 430 (431 f.)

§ 5 Die obligatorische Abbildung der Geschlechterquote

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nen die Interessen von Arbeitnehmerinnen besser als Betriebsräte zur Geltung bringen könnten669. Als weitere (zwingende) Sachgründe für eine Abweichung von der formalen Wahlrechtsgleichheit sind außerdem der gesetzgeberische Wille zur möglichst wirklichkeitsgetreuen Abbildung der Beschäftigtenstruktur im Mitbestimmungsorgan, die geschlechtsabhängige Sensibilität für Diskriminierungstatbestände und für geschlechtsspezifische Betroffenheiten für Kolleginnen aus anderen Kulturkreisen, sowie die gesetzgeberische Einschätzung genannt worden, nach der Angehörige des eigenen Geschlechts am effektivsten die jeweiligen Gruppeninteressen vertreten könnten670. 2. Einwände gegen die geschlechtsspezifische Gruppendefinition Einer solchermaßen als zwingend notwendig angesehenen Gruppenbildung nach Geschlechtszugehörigkeit zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des zu wählenden Betriebsrats wird entgegengehalten, dass die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht derart divergierten, dass „unter Verstoß gegen verfassungsmäßige Gleichheitssätze die demokratischen Grundprinzipien ausgehebelt werden müssten“. Denn es sei empirisch durchaus ungesichert, dass sich die Interessen weiblicher und männlicher Arbeitnehmer im Hinblick auf den Kernbereich der Mitbestimmung wirklich signifikant voneinander unterschieden671. Der Betriebsrat habe die Interessen der Gesamtbelegschaft, und nicht irgendwelche Majoritäts- oder Minoritätsinteressen zu vertreten672. Soweit geschlechtsspezifische Interessen, insbesondere die vom Gesetzgeber ins Auge gefassten frauenspezifischen Themen angesprochen seien, handle es sich jeden668

Brors NZA 04, 472 (473). Brors NZA 04, 472 (474), verweist in diesem Zusammenhang auf Schumpeter (Capitalism, Socialism and Democracy, 1942) und dessen These, dass man nicht darauf vertrauen könne, dass Mehrheitsvertreter aus altruistischen Motiven auch Minderheitsinteressen im Auge hätten. Denn der an der Wiederwahl interessierte Mandatsträger müsse sich dafür durch seine Politik zwangsläufig der Stimmen der Mehrheit versichern. Außerdem seien bei einer geschlechtsspezifischen Gruppenbildung im betriebsverfassungsrechtlichen Kontext die jeweiligen Mandatsträger auch unmittelbar selbst von den zu schaffenden Regelungen betroffen, so dass wegen dieses Eigeninteresses eine hohe Rückbindung des Gruppenvertreters an die Gruppeninteressen zu erwarten sei. 670 Staatsgerichtshof des Landes Hessen v. 13.10.1993 – P. St. 1141 = ArbuR 94, 430 (431 f.) für die synonyme Vorschrift des HPVG; in diese Richtung auch die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 14/5741, S. 37: Die Neuregelung des § 15 Abs. 2 BetrVG ermögliche es den Frauen, Einfluss auf frauenspezifische Themen zu nehmen. 671 Ubber/Weller NZA 04, 893 (897); das LAG Köln v. 13.10.2003 – 2 TaBV 1/03 = ArbuR 04, 111 (112) führt in diesem Zusammenhang an, dass beispielsweise die Interessen von Männern mit minderjährigen Kindern und berufstätiger Ehefrau weit näher am „Durchschnitt“ der Fraueninteressen liegen können als die Interessen kinderloser Frauen ohne Partner. 672 LAG Köln v. 13.10.2003 – 2 TaBV 1/03 = ArbuR 04, 111 (112); Ubber/Weller NZA 04, 893 (897); ähnlich Hänlein ArbuR 04, 112 (113). 669

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

falls nicht um derart kernhafte mitbestimmungsrechtliche Fragen, welche die Durchbrechung der Wahlrechtsgleichheit rechtfertigen673 oder diese überhaupt erforderlich machen könnten674. Die Erwartung des Gesetzgebers, dass Angehörige des Minderheitsgeschlechts dessen Interessen am sachgerechtesten verträten, sei weder sachlich zwingend, noch empirisch belegt675. 3. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16.03.2005 Mit Beschluss vom 16.03.2005676 hat das Bundesarbeitsgericht die Regelungen des § 15 Abs. 2 BetrVG und des § 15 Abs. 5 Nr. 2 Satz 1 WO, und damit insbesondere den Listensprung, für verfassungsmäßig erklärt. Die Regelungen verstießen nicht gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grundsatz der Wahlgleichheit. Zwar lasse die formale Wahlrechtsgleichheit im Hinblick auf den Erfolgswert nur zwingende Differenzierungsgründe gelten, es reiche hierfür gleichwohl aus, wenn die Differenzierungsgründe von einem solchen Gewicht seien, dass sie der formalen Wahlrechtsgleichheit die Waage halten könnten. Wann dies der Fall sei, bestimme sich nach der Natur des jeweils in Frage stehenden Sachbereichs. Die Verzerrung des gleichen Erfolgswerts beim Listensprung rechtfertige sich aus den Anforderungen des Gleichberechtigungsgebots des Art. 3 Abs. 2 GG. Der Gesetzgeber habe zulässigerweise den Listensprung angeordnet, weil der Betriebsrat mit den berufliche Problemen von Frauen unmittelbar konfrontiert sei, und er deshalb eine Schlüsselposition bei der Beseitigung von Nachteilen und der Durchsetzung der Gleichstellung der Geschlechter habe. Die Anordnung des Listensprungs sei auch nicht unverhältnismäßig. Von einer Unverhältnismäßigkeit könne nur dann gesprochen werden, wenn schon die unter Missachtung des Geschlechterproporzes aufgestellte Wahlvorschlagsliste zur Ungültigkeit führen würde. Nur die Perspektive auch eines möglichen Listensprungs sorge für ausreichenden Druck auf die Träger eines Wahlvorschlags, sich nachhaltig um Kandidaten des Geschlechts der Minderheit zu bemühen. Die denkbare alternative Möglichkeit der Durchsetzung des geschlechtsbezogenen Minderheitenschutzes durch eine Beschränkung auf einen lediglich internen Listensprung sei demgegenüber kein geeignetes milderes Mittel zur Durchsetzung der Beachtung des Minderheitsgeschlechts. Die durch den exter673

Ubber/Weller NZA 04, 893 (897). LAG Köln v. 13.10.2003 – 2 TaBV 1/03 = ArbuR 04, 111 (112). 675 LAG Köln v. 13.10.2003 – 2 TaBV 1/03 = ArbuR 04, 111 (112); Hänlein ArbuR 04, 112 (113); Richardi-Thüsing § 15 Rdnr. 4; Ubber/Weller NZA 04, 893 (897) verwerfen den Gedanken des bestmöglichen Interessenrepräsentanz durch Gruppenangehörige sogar mit dem Hinweis auf den hierin zum Ausdruck kommenden und dem demokratischen Selbstverständnis zuwiderlaufenden „Rätegedanken“ kommunistischer Provenienz; zweifelnd auch Badura ZBVR 02, 255 (285 f.). 676 BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 40/04 = AP Nr. 3 zu § 15 BetrVG 1972 = NZA 05 Heft 6, VII. 674

§ 5 Die obligatorische Abbildung der Geschlechterquote

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nen Listensprung Benachteiligten hätten dies zur Verwirklichung des Gleichberechtigungsgebots hinzunehmen. In seiner Entscheidung hat sich das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich auf die Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs mit gleichlautender Begründung bezogen677. 4. Eigene Stellungnahme Ganz sicher sind die gesetzgeberischen Bemühungen um eine ausgewogenere Geschlechterrepräsentanz im Betriebsrat begrüßenswert. Bereits an anderer Stelle678 wurde allerdings und unter Bezugnahme vor allem auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dargelegt, dass Durchbrechungen der formalen Wahlrechtsgleichheit bei Wahlen im Mitbestimmungsbereich nur unter engsten und zwingenden Voraussetzungen der verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten können. Die zu wahrende Funktionsfähigkeit des zu wählenden Gremiums bzw. der Betriebsverfassung könnte in diesem Zusammenhang grundsätzlich geeignet sein, solche Durchbrechungen zu legitimieren. Wegen des besonders hohen Stellenwertes, welcher der formalen Wahlrechtsgleichheit auch bei Wahlen im Mitbestimmungsbereich zukommt, sind der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative im Hinblick auf die Funktionsbedingungen der Betriebsverfassung hier aber engste Grenzen gesetzt679. Problematisch ist deshalb die Wahrnehmung der staatlichen Einschätzungsprärogative schon im Ansatz: Denn ob die vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollte Förderung insbesondere frauenspezifischer Interessen680 das Funktionieren der betrieblichen Mitbestimmung an sich betrifft, darf angesichts der jedenfalls nicht im Zentrum der betrieblichen Mitbestimmung stehenden nur vereinzelten Problemstellungen mit geschlechtsspezifischem Gehalt angezweifelt werden. Zu Recht wird in diesem Zusammenhang betont, dass die Konzeption des Betriebsrats die einer Vertretung der Gesamtbelegschaft ist681. Der Argumentation des Bundesarbeitsgerichts682, der Betriebsrat habe eine Schlüsselposition bei der Herstellung der Gleichstellung von Männern und Frauen, ist auf diesem Funktionshintergrund des Betriebsrats nicht zu folgen. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts683, nach der einer Stimmenzersplitterung durch die Ausgestaltung des Wahlverfahrens (wenn auch in engen Grenzen) entgegengewirkt werden 677 Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs zu § 13 Abs. 1 und 2 HPVG v. 13.10.1993 – P. St. 1141 = ArbuR 94, 430 = NZA 94, 521. 678 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. d) ff.; 4. Kap. § 3 A.; B. II. 5. d) ff. 679 Im Ergebnis anders Brors NZA 04, 472 (475). 680 BT-Drucks. 14/5741, S. 37. 681 Ubber/Weller NZA 04, 893 (897). 682 BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 40/04 B. III. 3. a) cc) (2). 683 Siehe BVerfG v. 12.10.2004 – 1 LAG Köln v. 13.10.2003 – 2 TaBV 1/03 = ArbuR 04, 111 (112) 04, 242 (243 ff.) = NZA 04, 1395 (1397 f.).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

darf, folgt darüber hinaus, dass eher das Ziel der möglichen Geschlossenheit des Repräsentativorgans gegenüber dem Arbeitgeber als die Abbildung von geschlechtsspezifischen Gruppeninteressen im Betriebsrat geeignet sein könnte, unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Repräsentativorgans Durchbrechungen der formalen Wahlrechtsgleichheit zu rechtfertigen. Aus dem Ziel der Geschlossenheit kann allenfalls eine Verhinderung exzessiver Betonung des Minderheitenschutzes gefolgert werden684, nicht aber umgekehrt dessen Stärkung685. Außerdem wird bei Betriebsratswahlen das Funktionieren der Betriebsverfassung vorrangig durch die Konkurrenz von Wahlvorschlägen mit unterschiedlichen berufs-, gewerkschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen der sie tragenden Koalitionen verwirklicht, so dass das Geschlecht der Kandidaten nicht im Vordergrund steht686. Aber auch wenn man die Artikulation geschlechtsspezifischer Interessen als gleichermaßen primäre Funktionsbedingung der betrieblichen Mitbestimmung ansähe, so läge die Korrektur des Wahlergebnisses unter dem Aspekt des Geschlechterproporzes doch allenfalls dann noch im Bereich zulässiger staatlicher Einschätzungsprärogative bzw. Ausgestaltung, wenn der Gesetzgeber davon hätte ausgehen dürfen, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Interessen des Minderheitsgeschlechts sachgerecht ausschließlich von deren Angehörigen wahrgenommen werden können. Dieser Annahme kommt die erforderliche empirische Sicherheit, die der Gesetzgeber für eine solche Ausgestaltung des Wahlverfahrens – § 15 Abs. 2 BetrVG – hätte haben müssen, aber nicht zu: Denn zum einen ist es nicht fernliegend, dass Vertreter des Mehrheitsgeschlechts sich auch aus bestehendem Eigeninteresse klassischer „frauenspezifischer Interessen“ annehmen – man denke nur an den alleinerziehende Vater, dessen Interessenlage näher an den herkömmlichen „Fraueninteressen“ liegen kann, als die der alleinstehenden berufstätigen Betriebsrätin. Zum anderen ist es auch nicht unplausibel, dass sich die sozialpolitische Ausrichtung der die Wahlvorschläge tragenden Organisationen zur Optimierung der Wahlchancen auch an (minderheits-)geschlechtsspezifischen Themenstellungen orientiert, so dass auch unter diesem Aspekt die listenübergreifende Wahlergebniskorrektur jedenfalls nicht zwingend erforderlich ist, um das Funktionieren der Betriebsverfassung unter dem Gesichtspunkten der Artikulation der Interessen auch des Minderheitsgeschlechts zu gewährleisten. Zuletzt ist auch daran zu erinnern, dass der vormalige Gruppenschutz für Arbeiter und Angestellte im Betriebsverfassungsgesetz ohne Wahlergebniskorrektur auskam, und die seinerzeitigen Regelungen über die Gruppenwahl den Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit deutlich schonender beeinträchtigten als

684

Dazu insbesondere oben 4. Kap. § 3 A. II. 2. f. So auch Ubber/Weller NZA 04, 893 (896). 686 So auch Badura ZBVR 02, 255 (257 f.); Süllwold ZBVR 02, 15 (20); LAG Köln v. 13.10.2003 – 2 TaBV 1/03 = ArbuR 04, 111 (112). 685

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dies in Anwendung des § 15 Abs. 2 BetrVG im Hinblick auf den jetzt möglichen Listensprung der Fall ist687. a) Gleichstellungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 GG als Rechtfertigung für eine Durchbrechung der formalen Wahlrechtsgleichheit? Ein solchermaßen rechtfertigender Grund könnte allerdings im Verfassungsauftrag688 des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG liegen, der den Gesetzgeber darauf verpflichtet, auf die tatsächliche rechtliche und gesellschaftliche Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter hinzuwirken. Der Gesetzgeber hat sich denn auch tatsächlich bei der Fassung des § 15 Abs. 2 BetrVG ausdrücklich unter Bezugnahme auf frauenspezifische Belange auf diesen Verfassungsauftrag berufen689. b) Verbot einer Quotenregelung im Bereich von Wahlen? Teilweise wird – für den Bereich staatlicher Wahlen – vertreten, dass die Anordnung von Quoten im Wahlverfahren überhaupt unzulässig ist. Begründet wird dies damit, dass mit solchen Quotenregelungen die Organisations- und Programmfreiheit der Parteien unverhältnismäßig eingeschränkt werde690. Dem wird zwar entgegengehalten, dass die in der Programmfreiheit der Parteien liegende spezielle Lage auf betriebsverfassungsrechtliche Wahlen nur beschränkt übertragbar sei691. Allerdings kann diesem Vorhalt wiederum der Gedanke entgegengehalten werden, dass auch die Freiheit der Koalitionsbetätigung des Art. 9 Abs. 3 GG sich in ihrer Freiheit der Organisation und Programmgestaltung widerspiegeln muss, so dass insofern doch eine gewisse Vergleichbarkeit von politischen und mitbestimmungsrechtlichen Wahlen vorhanden ist. Gleichwohl ist aber anzuerkennen, dass das Bundesverfassungsgericht im Grundsatz zwischen staatlichen Wahlen und Wahlen im nicht-staatlichen Be687 Siehe hierzu auch Ubber/Weller NZA 04, 893 (898), die im Hinblick auf die Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs zu § 13 Abs. 1 und 2 HPVG v. 13.10. 1993 – P. St. 1141 = ArbuR 94, 430 darauf hinweisen, dass auch dort der vom Hessischen Staatsgerichtshof sanktionierte Eingriff in die formale Wahlgleichheit durch Nichtzulassung von Wahlvorschlägen ohne ausreichende Beteiligung des Minderheitsgeschlechts vor der Abgabe des Wählervotums erfolgt, also die Herstellung des Geschlechterproporzes ohne die Korrektur des Wahlergebnisses erfolgen soll; ähnlich ArbG Ludwigshafen v. 19.06.2002 – 8 BV 820/02 = BB 02, 2016. 688 Siehe hierzu statt vieler nur Umbach/Clemens-Sacksofsky Art. 3 Rdnr. 354; Jarass/Pieroth Art. 3 Rdnr. 90. 689 BT-Drucks. 14/5741, S. 37. 690 Umbach/Clemens-Roth Art. 38 Rdnr. 79; im Ergebnis so auch Brors NZA 04, 472, für den Fall des Listensprungs. 691 Ubber/Weller NZA 04, 893 (897).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

reich unterscheidet und in seinem letzten einschlägigen Beschluss sogar ausdrücklich angesprochen hat, dass bei der Ausgestaltung des Wahlverfahrens im nicht-staatlichen Bereich die Berücksichtigung von Gruppeninteressen mit der Wirkung einer Durchbrechung der formalen Wahlrechtsgleichheit durchaus in Frage kommen kann692. Die Berücksichtigung der „Gruppeninteressen“ des Minderheitsgeschlechts ist deshalb bei Betriebsratswahlen nicht von vorneherein ausgeschlossen. c) Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter Zum Teil wird der Konflikt zwischen formaler Wahlrechtsgleichheit und verfassungsrechtlichem Gleichstellungsauftrag als mit § 15 Abs. 2 BetrVG verfassungsmäßig gelöst angesehen. Der Verfassungsauftrag sei mit dieser Regelung hinreichend sachangemessen umgesetzt worden693, wobei insbesondere auf die unterschiedliche Interessenlage von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern abgestellt wird694. Allerdings bleiben diese Äußerungen doch eher an der Oberfläche der Problematik stehen, und reflektieren nicht ausreichend die strengen Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht bei Eingriffen in die formale Wahlrechtsgleichheit und die Koalitionsfreiheit gemacht hat. Denn dass der Gleichstellungsauftrag vor der Wahlrechtsgleichheit und der Koalitionsfreiheit evidenterweise den Vorrang beanspruchen kann, kann angesichts der vorliegenden Kollision von Verfassungswerten nicht ernsthaft behauptet werden. Im Gegenteil ist eine genaue Abwägung der Verfassungsgüter erforderlich, um hier zu einem nachvollziehbaren Ergebnis zu gelangen. Denn auch wenn der Gleichstellungsauftrag schon wegen seiner verfassungsrechtlichen Qualität grundsätzlich als rechtfertigender Grund in Frage kommen kann, so sind bei dessen Verwirklichung doch auch andere Verfassungsgüter, wie die Chancengleichheit von Wahlbewerbern und die Koalitionsfreiheit, im Auge zu behalten695. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Berücksichtigung von Gruppeninteressen als durchaus geeignet ansieht, Beeinträchtigungen der formalen Wahlrechtsgleichheit zu rechtfertigen696, und insofern auch geschlechtsbezo692 BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 (243) = NZA 04, 1395 (1397). 693 Döther AiB 03, 696 f.; ErfK-Eisenmann § 15 BetrVG Rdnr. 3; Fitting § 15 Rdnrn. 11, 20; GK-Kreutz § 15 Rdnr. 16; Konzen RdA 0276 (88 f.). 694 So vor allem GK-Kreutz § 15 Rdnr. 16. 695 Badura ZBVR 02, 255 (258 f.) spricht hier in der üblichen Terminologie von der Herstellung praktischer Konkordanz und der Herstellung eines behutsamen Ausgleichs der kollidierenden Verfassungswerte; Ubber/Weller NZA 04, 893 (897). 696 BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = ZBVR 04, 242 (243) = NZA 04, 1395 (1397).

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gene Gruppenbildung hier in Betracht kommt, so ist die staatliche Ausgestaltung des Wahlverfahrens und das Gewicht des Gleichstellungsauftrags des Art. 3 Abs. 2 GG doch durch die Ziele der Betriebsverfassung und die intendierte Wirkung der Betriebsratswahlen bedingt697. Nur dann, wenn auf diesem Hintergrund des auszugestaltenden Sachbereichs die Quotenregelung, insbesondere aber der mit § 15 Abs. 2 BetrVG i.V. m. § 15 Abs. 5 Nr. 2 WO angeordnete Listensprung, als zwingend angesehen werden muss, wäre der Listensprung hinnehmbar698. Dass aber schon der geschlechtsbezogenen Gruppenbildung im betriebsverfassungsrechtlichen Kontext dieser zwingende Charakter nicht eigen ist, wurde bereits ausgeführt699. Ein milderes Mittel zur Verwirklichung des Gleichstellungsauftrags stünde in Abwägung mit der Chancengleichheit der Koalitionen in der Möglichkeit zur Verfügung, die Quotenregelung auf die Wahlvorschläge zu begrenzen, oder jedenfalls die Wahlergebniskorrektur auf die jeweiligen Wahlvorschläge zu begrenzen700. Damit bliebe nämlich „die Substanz des Wahlergebnisses nach der Logik der Verhältniswahl erhalten“701, so dass die Korrektur des Wählerwillens angesichts des bei der Stimmabgabe im Vordergrund stehenden sozialpolitischen Programms der die Wahlvorschläge tragenden Koalitionen nur begrenzte, und damit gegebenenfalls hinzunehmende Tragweite hätte. Denkbar wäre es – bei allen Zweifeln an der Sinnhaftigkeit einer geschlechtsspezifischen Gruppenbildung im Betriebsverfassungsrecht – auch gewesen, wie das ArbG Ludwigshafen702 überzeugend dargelegt hat, die Geschlechter nach getrennten Gruppen ihre Vertreter wählen zu lassen und die Möglichkeit einer gemeinsamen Wahl bei entsprechendem Willen der Wahlberechtigten zu eröffnen703. Dies wäre ein milderes Mittel zur Zweckerreichung der Sicherstellung der Förderung des Minderheitsgeschlechts gewesen, weil es die Möglichkeit des Listensprungs ausgeschlossen hätte. Außerdem wäre dabei die Förderung des Minderheitsgeschlechts nicht durch die Missachtung des erklärten Wählerwillens derjenigen Angehörigen des Minderheitsgeschlechts erkauft worden, die Angehörige des anderen Geschlechts als besser geeignet für die Vertretung ihrer eigenen Interessen ansehen704. 697

Badura ZBVR 02, 255 (258 f.). So auch Ubber/Weller NZA 04, 893 (897); anders Brors NZA 04, 472 (475), die umgekehrt die Frage für entscheidend hält, ob der Gesetzgeber angesichts seiner weiten Einschätzungsprärogative zwingend ein milderes, gleich geeignetes Mittel an Stelle des Listensprungs hätte wählen müssen. 699 Siehe oben 4. Kap. § 5 D. I. 4. 700 Hiergegen BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 40/04 B. III. a) cc) (3) (b): dieses mildere Mittel übe nicht genug Druck auf die Träger der Wahlvorschläge zur Aufstellung von Angehörigen des Minderheitsgeschlechts aus. 701 Badura ZBVR 02, 255 (259). 702 ArbG Ludwigshafen v. 19.06.2002 – 8 BV 820/02 = BB 02, 2016; zustimmend Weller NZA 05, 1228, 1231. 703 So § 12 BetrVG i. d. F. vor der Novelle 2001, betreffend die Gruppen der Arbeiter und Angestellten. 698

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Außerdem sind Bedenken an der Verhältnismäßigkeit der Quotenregelung auch noch aus anderen Gründen angebracht: Zu Recht wird nämlich darauf hingewiesen, dass Zweifel schon an der Geeignetheit der Quotenregelung zur Sicherung der Interessenrepräsentanz des Minderheitsgeschlechts bestehen. Es bestehen nämlich keine Regelungen, welche die proporzentsprechende Repräsentanz des Minderheitsgeschlechts in der praktischen Betriebsratsarbeit sichern (Ausschüsse, Gesamt- und Konzernbetriebsrat, Freistellungen)705. d) Problem des schematischen Ausgleichs der Unterrepräsentation ohne Einzelfallprüfung Und noch ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang geeignet, insbesondere die Anordnung des Listensprungs in § 15 Abs. 5 Nr. 2 WO als Überspannung des Gleichstellungsauftrags des Art. 3 Abs. 2 GG einzuordnen: Nach der Rechtsprechung des EuGHs706 zur EG-Gleichstellungsrichtlinie707, die auch geeignet ist, die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 GG mit zu steuern, haben geschlechtsbezogene Quoten in Gesetzen, die schematisch, also ohne die Eröffnung der Möglichkeit einer Einzelfallprüfung, die Unterrepräsentation des Minderheitsgeschlechts ausgleichen, den Charakter von unzulässigen Diskriminierungen des anderen Geschlechts, und sind damit unzulässig708. Um eine solch strikt schematische Quotenregelung handelt es sich bei § 15 Abs. 2 BetrVG aber gerade709, wobei die geschlechtsbezogene Diskriminierung des Mehrheits704 ArbG Ludwigshafen v. 19.06.2002 – 8 BV 820/02 = BB 02, 2016; Franke NJW 02, 656 (658); Hänlein ArbuR 04, 112 (114); Weller NZA 05, 1228, 1230 f. 705 Ubber/Weller NZA 04, 893 (898); Richardi/Annuß DB 01, 41 (42). 706 EuGH v. 17.10.1995 – Rechtssache C 450/93 (Kalanke) = AP Nr. 6 zu EWGRichtlinie Nr. 76/207 Nr. 22; v. 11.11.1997 – Rs C 409/95 (Marschall) = AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie Nr. 76/207 Nrn. 23 f.; v. 28.03.2000 – Rs C 158/97 (Badeck) = AP Nr. 20 zu EWG-Richtlinie Nr. 76/207 Nrn. 38, 51, 66; siehe dazu auch Badura ZBVR 02, 255 (258). 707 Richtlinie 76/207/EWG vom 09.02.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum berufliche Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, Abl. EG 1976 L 039, 40; die maßgeblichen Passagen der Gleichstellungsrichtlinie, Art. 2 Abs. 1 und 4 lauten: „(1) Der Grundsatz de Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand erfolgen darf; (4) Diese Richtlinie steht nicht den Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen, insbesondere durch Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen in den in Art. 1 Abs. 1 genannten Bereichen beeinträchtigen, entgegen.“ 708 Siehe dazu auch Badura ZBVR 02, 255 (258); Berger-Delhey ZTR 02, 113 (115); Ubber/Weller NZA 04, 893 (897 f.). 709 Anders im Hinblick auf die Richtlinie 76/207/EWG v. 09.02.1976 aber kürzlich BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 40/04 B. III. 3.

§ 5 Die obligatorische Abbildung der Geschlechterquote

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geschlechts noch durch den in § 15 Abs. 5 Nr. 2 WO angeordneten Listensprung dadurch zusätzlich verschärft wird, dass auch noch die Koalitionsfreiheit durch den Eingriff in das Wahlergebnis betroffen ist. Auch von daher ist die Quotenregelung bereits im Ansatz des § 15 Abs. 2 BetrVG durchaus problematisch. Im Hinblick auf den angeordneten Listensprung, bei dem ein an sich gewählter Mandatsträger zu Lasten des Minderheitsgeschlechts sein Mandat wieder verliert, kann auch von daher im Gleichstellungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 GG ein zwingender Grund zur Durchbrechung der formalen Wahlrechtsgleichheit nicht gesehen werden. II. Ergebnis Nach allem ist daher die vorliegende Quotenregelung des § 15 Abs. 2 BetrVG mit ihrer Konsequenz eines möglichen Listensprungs gem. § 15 Abs. 5 Nr. 2 WO nicht durch einen zwingenden Grund für die Durchbrechung der Wahlrechtsgleichheit gerechtfertigt. Sie entspricht nicht den besonders strengen Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht für eine Durchbrechung des Grundsatzes der formalen Wahlrechtsgleichheit (Chancengleichheit der bei den Wahlen antretenden Koalitionen) aufgestellt hat, und ist damit verfassungswidrig710. Dieses Ergebnis deckt sich mit der zutreffenden allgemeineren Einschätzung des wahlergebniskorrigierenden Listensprungs als „fundamentale Bedrohung der Akzeptanz von Wahlen überhaupt“711.

710 So im Ergebnis auch Hanau RdA 01, 65 (709); Richardi-Thüsing § 15 Rdnr. 4; Schiefer/Korte NZA 02, 57 (61); 113 (115); zweifelnd auch Berger-Delhey ZTR 02, 113 (115), Däubler ArbuR 01, 1 (4 f.); DKK-Schneider § 15 Rdnr. 10; Richardi NZA 01, 346 (347); Süllwold ZBVR 02, 15 (20); Weller NZA 05, 1228, 1230 f.; in diese Richtung wohl auch Burgmer/Richter NZA RR 06, 1, 4 f. 711 Ausdrücklich Hänlein ArbuR 04, 112 (114); wie hier das LAG Köln hat mit Beschluss v. 13.10.2003 – 4 BV 51/02 NZA 04, 511, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs. 2 BetrVG dem BVerfG im Wege der Richtervorlage zur Entscheidung vorgelegt; nach seiner Auffassung verstößt § 15 Abs. 2 BetrVG wegen der Ungleichbehandlung der Kandidaten des Minderheitsgeschlechts gegen die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

§ 6 Die Bestellung des Wahlvorstands (§ 16 BetrVG) A. Verfassungsfestigkeit des Entsendungsrechts der Gewerkschaften gem. § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG712 I. Sinn und Zweck des gewerkschaftlichen Entsendungsrechts Bei politischen Wahlen wird die Transparenz im Hinblick auf die Tätigkeit der Wahlorgane dadurch sichergestellt, dass diese in öffentlicher Sitzung verhandeln und entscheiden713. Die Sitzungen des Wahlvorstands jedoch sind nicht-öffentlich. Dies ergibt sich im Umkehrschluss zu § 13 WO, der die Öffentlichkeit der Stimmauszählung als ausdrückliche Ausnahme von der stillschweigend vorausgesetzten Nicht-Öffentlichkeit der sonstigen Wahlvorstandstätigkeit anordnet. Um diese „Transparenz-Lücke“ zu schließen, und auch um die Minderheitenrechte im Wahlverfahren abzusichern, hat der Gesetzgeber allen im Betrieb vertretenen Gewerkschaften die Möglichkeit der Entsendung eines Beauftragten eingeräumt, sofern diese nicht bereits mit einem vom Betriebsrat bestellten Mitglied im Wahlvorstand vertreten sind714. Angesichts der bereits an anderer Stelle715 angesprochenen Einfluss-, oder gar Manipulationsmöglichkeiten, die der Wahlvorstand im Hinblick auf das Wahlverfahren und damit mittel- und unmittelbar auf das Wahlergebnis tatsächlich hat, ist die Sinnhaftigkeit der gewerkschaftlichen Entsendungsmöglichkeit, insbesondere für die Minderheitsgewerkschaften, ganz augenscheinlich. Näher zu untersuchen bleibt die Frage, ob die Entsendungsmöglichkeit der Gewerkschaften auch unverzichtbar und damit verfassungsfest ist.

712 Verwiesen werden soll an dieser Stelle kurz darauf, dass auch bei Bestellung des Wahlvorstands gem. § 16 Abs. 2 Satz 1 HS 2 i.V. m. § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG das gewerkschaftliche Entsendungsrecht besteht, siehe auch Richardi-Thüsing § 16 Rdnr. 47. 713 Löwisch BB 88, 1935 f. 714 GK-Kreutz § 16 Rdnr. 3; GK-Kreutz/Oetker § 1 WO Rdnr. 11; Löwisch BB 88, 1953 (1954); Löwisch/Kaiser § 16 Rdnr. 12; Richardi-Thüsing § 16 Rdnr. 25; Weiss/ Weyand § 16 Rdnr. 6; mit dem „Transparenz- und Sicherungsmotiv“ hat der Gesetzgeber die Einführung des Entsendungsrechts ausdrücklich begründet, BT-Drucks. 11/ 2503, S. 23, S. 31. 715 4. Kap. § 5 D. I. 4. b).

§ 6 Die Bestellung des Wahlvorstands (§ 16 BetrVG)

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II. Prüfung des § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG am oben entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstab 1. Zusammenfassung der Maßstabsüberlegungen Bereits oben wurde mehrfach ausgeführt, dass sich die Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auszurichten hat, wobei der staatlichen Ausgestaltung grundsätzlich eine weite Einschätzungsprärogative im Hinblick auf die verfolgten Zwecke und deren Erreichung zukommt. Der Raum für die Ausgestaltung wird dabei umso enger, als Ungleichbehandlungen zwischen Personengruppen, namentlich zwischen Koalitionen, gemacht werden, und je intensiver sich diese Ungleichbehandlungen auf das Freiheitsrecht der Koalitionen auswirken können716. Dies führt zu einem „ausdifferenzierten Anforderungsprofil“, nach dem koalitionsbezogene Unterschiede in der Ausgestaltung sich nachweisbar am Regelungszweck einer Vorschrift rechtfertigen lassen müssen. Im Bereich von Betriebsratswahlen, bei denen regelmäßig Gewerkschaftslisten miteinander konkurrieren, ist diese Prüfungsintensität am dichtesten, und der Spielraum für eine zwischen Koalitionen differenzierende staatliche Ausgestaltung ist dementsprechend hier besonders eng717. Weiter ist die Neutralitätspflicht des Staates zu beachten, welche sich weder mit einer Ausgestaltung als „Fernhaltewirkung“ zu Lasten der Minderheitsgewerkschaften, noch mit einer Erfolgsverschaffung zugunsten eben dieser vertragen kann718. Dies ist im Sinne eines effektiven Minderheitenschutzes im Hinblick auf konkurrierende Koalitionen dahin zu verstehen, dass die Ausgestaltung jedenfalls der „Bewahrung eines wenigstens potentiellen Gewerkschaftspluralismus“ verpflichtet ist719. Staatliche Ausgestaltung ist deshalb auch am Untermaßverbot zu messen – ein Untätigbleiben darf nicht zu Lasten der Minderheitskoalitionen den Betätigungsraum der Mehrheitskoalition schützen oder ihnen diesen Raum gar „reservieren“720. Insgesamt ist bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der staatlichen Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung der besonders hohe Rang des bereits in Art. 9 Abs. 3 GG vom Verfassungsgeber bewusst mitangelegten Koalitionspluralismus zu beachten721.

716 717 718 719 720 721

Siehe 2. Kap. § 1 F. IV. 2. f. Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 2. f.; siehe auch 4. Kap. § 3 A. 2. Kap. § 1 F. IV. 2. e); 3. e). Löwisch RdA 75, 53 (56); Rieble Rdnr. 1780. Siehe dazu oben 2. Kap. § 1 F. IV. 2. e); g). Siehe dazu oben allgemein 2. Kap. § 1 B. II.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

2. Anwendung des besonders strengen Maßstabs für die Ausgestaltung des Wahlverfahrens auf die Prüfung des Entsenderechts? Bei der Entsendung von Gewerkschaftsbeauftragten in den Wahlvorstand gem. § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG geht es zwar nicht unmittelbar um die Ausgestaltung des Wahlverfahrens im engeren Sinne – wie dies beispielsweise bei der Regelung von Unterschriftenquoren gem. § 14 Abs. 4 BetrVG oder bei der Anordnung des Listensprungs gem. § 15 Abs. 5 Nr. 2 WO mit deren potentiell unmittelbaren Auswirkungen auf das konkrete Wahlergebnis der Fall ist. Andererseits ist die Herstellung von Transparenz in Bezug auf alle Aktivitäten des Wahlvorstands – gerade wenn dieser, wie regelmäßig geübt, durch den Bestellungsvorgang im Betriebsrat homogen mit Vertretern der Mehrheitsgewerkschaft besetzt worden ist – schon angesichts der Manipulationsmöglichkeiten durch den Wahlvorstand von höchster Wichtigkeit für die Wahlerfolgschancen der Minderheitsgewerkschaft. Zwar darf Wahlvorstandsmitgliedern nicht generell die Neigung zu amtswidrigem oder sogar strafrechtlich erheblichem Handeln unterstellt werden. Andererseits wurde bereits an anderer Stelle erwähnt, dass die Gestaltungen der Wahlabläufe durch den Wahlvorstand immer wieder zu Lasten der Minderheitsgewerkschaft wirken können und sollen722. Damit ist die Arbeitsweise des Wahlvorstandes grundsätzlich geeignet, schon im Ansatz die Chancengleichheit der mit Wahlvorschlägen bei der Wahl antretenden Koalitionen zu beeinflussen bzw. zu beeinträchtigen723. Deswegen liegt auch dieser Sektor der Ausgestaltung des Wahlverfahrens im Schutzbereich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Ausgestaltung der Chancengleichheit der Koalitionen mit seinen besonders hohen Anforderungen an die Legitimation von Differenzierung zwischen verschiedenen Verbänden bzw. Koalitionen724. Diese Wertung wird durch die Motive des Gesetzgebers bestätigt, dem es bei der Einführung des Entsendungsrechts ausdrücklich auch um die Sicherung der Minderheitsrechte gegangen ist725, und der damit für den Bereich der Betriebsratswahlen nur die Transparenz ermöglicht hat, die ihm bei der Tätigkeit der Wahlorgane bei politischen Wahlen als selbstverständlich und notwendig erscheint726. 722 Siehe dazu oben vor allem die Ausführungen zur Gestattung der Einsichtnahme in das Wählerverzeichnis mit den dort eingetragenen Rücklaufvermerken für Dritte durch den Wahlvorstand zur Ermöglichung von Wahlschleppdiensten, zur Botenzustellung bei der Briefwahl und dem Umgang mit der Wahlurne, 4. Kap. § 3 D. I. ff. 723 So auch Richardi ArbuR 86, 33 (36), der ansonsten aber dem gewerkschaftlichen Entsendungsrecht eher ablehnend gegenübersteht. 724 BVerfGE 60, 162 (170 f.); 71, 81 (95); NZA 04, 1395 (1397); siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. d) ff.; 4. Kap. § 3 A. 725 Siehe BT-Drucks. 11/2503, S. 23; Richardi-Thüsing § 16 Rdnr. 25; zweifelnd im Hinblick auf diese Notwendigkeit hingegen Richardi ArbuR 86, 33 (36).

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3. Ergebnis: Zwingende Ermöglichung der Repräsentanz der Minderheitsgewerkschaften im Wahlvorstand gem. § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG Legt man diesen besonders hohen Maßstab mit seiner Prüfungsintensität an die Regelung des Entsendungsrechts an, welches für Differenzierungen zwischen verschiedenen Koalitionen nur ganz besondere, zwingende Gründe gelten lässt, so ist zunächst zu fragen, ob sich aus dem Zweck der Vorschriften über die Bildung und die Tätigkeit des Wahlvorstands überhaupt vernünftige Differenzierungsgründe für eine unterschiedliche Behandlung der Koalitionen im Hinblick auf ihre dortige Präsenz herleiten lassen können. Der Zweck der Vorschriften über Bildung und Tätigkeit des Wahlvorstands liegt zum einen in der unverzüglichen Einleitung und Durchführung der Wahl und der Feststellung des Wahlergebnisses (§ 18 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Zum anderen liegt deren Zweck aber natürlich auch darin, die Gesetzmäßigkeit der Betriebsratswahl durch Beachtung der Wahlverfahrensvorschriften sicherzustellen. Auch deshalb schlagen Fehlbesetzungen bei der Wahlvorstandsbildung – jedenfalls im Hinblick auf dessen stimmberechtigten Mitglieder – potentiell auch auf die Wirksamkeit der Betriebsratswahlen durch727. Was die zuerst genannten Zwecke angeht, so dürfte die Entsendung kompetenter Gewerkschaftsbeauftragter in den Wahlvorstand neben den gewerkschaftsangehörigen und vom Betriebsrat gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bestellten Wahlvorstandsmitgliedern eher zweckfördernd sein als dass ihr rechtfertigende Gründe entgegen726 Siehe Löwisch BB 88, 1953 f.; für den Bund regelt § 10 Abs. 1 BundeswahlG die Öffentlichkeit der Sitzungen der Wahlorgane; für Wahlen im Lande Hessen (statt vieler) siehe § 18 Abs. 1 LandeswahlG; § 6a Abs. 1 KommunalwahlG. 727 BAG v. 14.09.1988 – 7 ABR 93/87 = AP Nr. 1 zu § 16 BetrVG 1972 IV. 3; problematisch ist allerdings die Frage, ob die Verletzung der zwingenden Vorschrift des § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG die Wahlanfechtung begründen kann; zwar ist anerkannt, dass es sich bei dieser Vorschrift um eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren gem. § 19 Abs. 1 BetrVG handelt; die Relevanz für die Anfechtbarkeit der Wahl wird aber mit dem Argument bestritten, dass die Mitwirkung oder Nichtmitwirkung stimmrechtsloser Wahlvorstandsmitglieder als solche das Wahlergebnis unter keinen Umständen beeinflussen könne, siehe ErFK-Eisenmann § 16 Rdnr. 7; Fitting § 16 Rdnr. 55; DKK-Schneider § 16 Rdnr. 22; GK-Kreutz § 16 Rdnr. 52; diese Ansicht ist nicht ohne weiteres zu teilen, bedenkt man nur die genannte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, welche die materielle Begründung der Anfechtbarkeit darin gesehen hat, dass bei fehlerhafter Zusammensetzung des Wahlvorstandes ein anderer denkbarer Verlauf der Willens- und damit auch Entscheindungsfindung möglich ist als bei dessen personell korrekter Zusammensetzung. Denn auch die nichtstimmberechtigten Wahlvorstandsmitglieder haben und sollen die Möglichkeit haben, auf die Willensbildung beratend Einfluss zu nehmen, siehe Dänzer-Vanotti ArbuR 89, 204 (206); ErfKEisenmann § 16 Rdnr. 7; Fitting § 16 Rdnr. 49; GK-Kreutz § 16 Rdnr. 49; Heither NZA Beil. 1/199011 (14); Joost MünchArbR § 304 Rdnr. 159; Richardi-Thüsing § 16 Rdnr. 31; Weiss/Weyand § 16 Rdnr. 6; anders DKK-Schneider, § 16 Rdnr. 22, der die Tätigkeit der entsandten Wahlvorstandsmitglieder als in deren kontrollierender Beobachtung erschöpft ansieht.

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stehen könnten. Im Hinblick auf die Sicherung der Gesetzmäßigkeit der Durchführung der Wahl durch den Wahlvorstand kommt der Entsendung des Gewerkschaftsbeauftragten aufgrund der dieser inhärenten Transparenzsicherungs- und Kontrollfunktion jedoch eine eindeutig positiv befördernde Wirkung zu: Zum einen wird hierdurch Manipulationsgefahren und Fehlentscheidungen vorgebeugt, zum anderen kann der Informationsfluss bewirken, dass solchen Fehlentwicklungen innerhalb des Betriebsrats noch während des Wahlverfahrens begegnet werden kann728 – entweder informell durch die so ermöglichte Initiative der entsendenden Gewerkschaft, oder formell durch ein „vorgeschaltetes Kontrollverfahren“729, welches die Misslichkeiten einer den Wahlen „nachgeschalteten“ Wahlanfechtung (Kostendimension der Wahlanfechtung, das Amtieren „rechtswidrig“ ins Amt gekommener Mandatsträger bis zum ex-nunc wirkenden rechtskräftigen arbeitsgerichtlichen Beschluss) vermeiden hilft730. Festgehalten werden kann deshalb zunächst, dass der Präsenz von Vertretern aller im Betrieb vertretenen Gewerkschaften im Wahlvorstand im Hinblick auf die gesetzlich verfolgten Ziele zweckfördernde Funktion zukommt, und dass umgekehrt eine Beschränkung der Wahlvorstandsmitglieder durch die Bestellung gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur auf Mitglieder der Mehrheitsgewerkschaft, das Funktionieren des Wahlvorstands eher behindern würde. Bedenkt man dann weiter, dass für eine Differenzierung dahingehend, dass nicht allen im Betrieb vertretenen Gewerkschaften die gesetzliche Möglichkeit eröffnet würde, Wahlvorstandsmitglieder zu bestimmen, besondere und zwingende Gründe nachweislich vorhanden sein müssten – weil sich die staatliche Einschätzungsprärogative bei der Ausgestaltung an dieser die Chancengleichheit aller Koalitionen beeinflussenden Stelle außerordentlich verengen muss – so kann der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Präsenz von Wahlvorstandsmitgliedern aller im Betrieb vertretenen Koalitionen sicherzustellen hatte. Deshalb wäre dem Gesetzgeber ohne die Novelle 1989 der Vorwurf zu machen gewesen, die Vorgaben des Untermaßverbots nicht beachtet 728 Deshalb ist der Einwand Schneiders AiB 88, 99 (101), dass der „Kontrollposten“ im Wahlvorstand vermehrt Wahlanfechtungen nach sich ziehen werde, weder sachlich plausibel noch ein echtes Gegenargument: Denn es kann nicht Aufgabe des Gesetzes sein, durch mangelhafte Kontrolldichte möglichst viele Wahlfehler des Wahlvorstandes nicht offenbar werden zu lassen. 729 Hierzu siehe BAG v. 15.12.1972 – 1 ABR 8/72 = AP Nr. 1 zu § 14 BetrVG 1972; v. 03.06.1975 – 1 ABR 98/74 = AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG 1972 Rotes Kreuz; v. 20.02.1991 – 7 ABR 85/89 = AP Nr. 1 zu § 9 MitbestG; DKK-Schneider § 18 Rdnr. 13; ErfK-Eisenmann § 18 Rdnr. 9; Fitting § 18 Rdnr. 33; GK-Kreutz § 18 Rdnrn. 64 ff.; HSWG-Schlochauer § 18 Rdnrn. 21 f.; Klein ZBVR 02, 35 (38 ff.); Löwisch/ Kaiser § 18 Rdnrn. 7 ff.; Richardi-Thüsing § 18 Rdnr. 21. 730 Siehe hierzu BAG v. 13.03.1991 – 7 ABR 5/90 = AP Nr. 20 zu § 19 BetrVG; Galperin/Löwisch § 19 Rdnr. 31; GK-Kreutz § 19 Rdnr. 116; v. Hoyningen-Huene § 7 IX 1.; HSWG-Schlochauer § 19 Rdnr. 42; Joost MünchArbR § 304 Rdnr. 283; Löwisch/Kaiser § 19 Rdnr. 14; Richardi-Thüsing § 19 Rdnr. 62 f.

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zu haben. Die Präsenz auch der Minderheitsgewerkschaften im Wahlvorstand verwirklicht dementgegen deren Anspruch auf effektiven Minderheitenschutz im Sinne der faktischen Bewahrung des Koalitionspluralismus bereits im Ansatz des die Wahlen gestaltenden Verfahrens – ohne dabei die Rechte der Mehrheitsgewerkschaft negativ beeinflussen zu können: Denn zum einen ist nicht ersichtlich, welches schützenswerte Interesse der Mehrheitsgewerkschaft gegen die Herstellung von Transparenz im Wahlvorstand durch Informations- und Kontrollteilhabe aller im Betrieb vertretenen Gewerkschaften sprechen könnte731. Zum anderen ist der ausgestalterische Eingriff des Gesetzgebers in das Wahlverfahren durch das Entsendungsrecht gem. § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG im Hinblick auf die vom Betriebsrat bestellten Mehrheitsvertreter im Wahlvorstand ohnehin besonders schonend ausgefallen: Denn den entsandten Minderheitsvertretern kommt ein Stimmrecht nicht zu, so dass sie ohnehin als „Wahlvorstandsmitglieder 2. Klasse“ bezeichnet werden können732. Deshalb kann in der Regelung des gewerkschaftlichen Entsendungsrechts in der gegenwärtigen Gesetzesfassung auch keine verbotene „Erfolgsverschaffung“ zugunsten der Minderheitsgewerkschaften gesehen werden, so dass sich die Regelung insgesamt mit der Verfassungsvorgabe des in Art. 9 Abs. 3 GG angelegten Koalitionspluralismus deckt. Im Ergebnis ist deshalb die Ermöglichung der Repräsentanz aller im Betrieb vertretenen Gewerkschaften im Wahlvorstand gem. § 16 Abs. 1 Satz 6 als zwingend anzusehen. Dies bedeutet, dass diese Regelung als verfassungsfest anzusehen ist und eine Verschlechterung zu Lasten der Minderheitsgewerkschaften für die Zukunft ausgeschlossen ist733.

731 Bezeichnend deshalb Schneider AiB 88, 99 (101): Offensichtlich solle ein „Kontrollposten“ entstehen, so dass die Gefahr vermehrter Wahlanfechtungen bestehe. 732 So DKK-Schneider § 16 Rdnr. 22. 733 Anders Richardi ArbuR 86, 33 (36), der darauf hinweist, dass das gewerkschaftliche Entsenderecht zu vermehrten Wahlanfechtungen unter dem Gesichtspunkt der fehlerhaften Zusammensetzung des Wahlvorstands führen könnte; außerdem verweist Richardi auf die Möglichkeit der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften, beim Arbeitsgericht die Ersetzung des Wahlvorstands zu beantragen; indessen – dies sieht auch Richardi selbst – ist diese Möglichkeit gem. § 18 Abs. 1 BetrVG auf die Fälle der nicht unverzüglichen Einleitung, Durchführung und Wahlergebnisfeststellung begrenzt. Auch die Möglichkeit, per einstweiliger Verfügung gem. § 85 Abs. 2 ArbGG bei „Unregelmäßigkeiten“ in der Amtsführung von Gewerkschaftsseite aus korrigierend einzugreifen, ist kein wirklicher Ersatz für die Präsenz des Gewerkschaftsbeauftragten im Wahlvorstand: Denn ohne die „von innen heraus“ gewonnenen Informationen über „Unregelmäßigkeiten“ in der Amtsführung des Wahlvorstandes ist die Eröffnung prozessualer Möglichkeiten praktisch nicht sehr viel wert; gegen ein verfassungsrechtlich verbürgtes Entsenderecht der Gewerkschaften auch Friese, S. 372: diese sei „zur kollektiven Interessenwahrnehmung der Arbeitnehmer nicht notwendig“.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

B. Bestellung des Wahlvorstands gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 BetrVG als ein dem Prinzip der Verhältniswahl unterliegender Wahlakt Dass der Arbeit des Wahlvorstands für die Betriebsratswahlen unter minderheitsspezifischen Gesichtspunkten eine bedeutende Rolle zufällt, wurde vorstehend ausgeführt: Die Herstellung von Transparenz und Kontrolle, betreffend die Amtstätigkeit des Wahlvorstands, ist verfassungsrechtlich geboten, weil nur so der ordnungsgemäße Ablauf der Wahl im Betrieb mit Blick auf die Minderheitsgewerkschaften mit hinreichender Sicherheit garantiert werden kann. Der konkreten Arbeit des Wahlvorstands bei der Vorbereitung der Wahl kommt eine auch im Hinblick auf das Wahlergebnis nicht zu unterschätzende Rolle zu: Das Bundesarbeitsgericht hat sich im Hinblick auf die vom Wahlvorstand zu treffenden Ermessensentscheidungen zu Recht auf den Standpunkt gestellt, dass diese regelmäßig auf das Wahlverhalten der Wahlberechtigten und damit auch auf das Wahlergebnis Einfluss haben können734. Aus diesem Grunde hält es die nicht ordnungsgemäße Zusammensetzung des Wahlvorstands für grundsätzlich dazu geeignet, das Wahlergebnis in wahlanfechtungsrechtlich erheblicher Weise zu verfälschen735. Diese Einschätzung des Bundesarbeitsgerichts illustriert im Hinblick auf die vorliegend zu untersuchende Minderheitenproblematik zunächst, dass die Präsenz von Vertretern der Minderheitsgewerkschaft im Wahlvorstand über die Herstellung von Transparenz hinaus – durch das Vorhandensein der Stimmberechtigung ihrer Mitglieder im Wahlvorstand – für die Minderheitsgewerkschaft von erheblicher Bedeutung sein kann. Deshalb kommt auch der Frage Bedeutung zu, ob der Bestimmung der Wahlvorstandsmitglieder gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 BetrVG Wahlcharakter zukommt und gegebenenfalls, ob diese Wahlen im Wege der minderheitsschützenden Verhältniswahl durchzuführen sind. (Denn nur die vom Betriebsrat „bestellten“ Wahlvorstandsmitglieder haben Stimmberechtigung im Wahlvorstand, nicht aber die lediglich gem. § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG „entsandten“ Beauftragten 734 Siehe BAG v. 14.09.1988 – 7 ABR 93/87 = AP Nr. 1 zu § 16 BetrVG 1972 Gründe IV 3.: Genannt werden u. a. der Zeitpunkt der Durchführung der Wahl, § 13 BetrVG, § 3 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 11 WO und darauf abstellend der Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens, die Benennung der Betriebsteile und Kleinstbetriebe, für die schriftliche Stimmabgabe beschlossen wird, § 24 Abs. 3 WO oder die Durchführung der Wahl ebenda im Wege der Urnenwahl sowie die Bestimmung der Art und Weise der Benachrichtigung der nicht der deutschen Sprache mächtigen ausländischen Arbeitnehmer, § 2 Abs. 5 WO. 735 So auch das BVerwG v. 27.11.1959 – VII P 18.58 = AP Nr. 12 zu § 18 BetrVG im Hinblick auf die nicht ordnungsgemäße Zusammensetzung des Wahlvorstands bei Wahlen zum Personalrat nach den Vorschriften des BPersVG; siehe auch v. Hoyningen-Huene § 7 II. (147).

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der Gewerkschaften): Kann nämlich die Besetzung des Wahlvorstands im einfachen Beschlusswege mit Stimmenmehrheit im Betriebsrat erfolgen, so dürfte regelmäßig die Präsenz von stimmberechtigten Vertretern der Minderheitsgewerkschaft rechtstatsächlich ausscheiden und es bei deren Entsendungsrecht gem. § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG verbleiben736. I. Bestellung des Wahlvorstands: einfacher Beschluss des Betriebsrats oder Wahlakt? 1. Literaturauffassungen Die Bestimmung des Wahlvorstands für die Vorbereitung und Durchführung der nächsten Betriebsratswahl durch den amtierenden Betriebsrat erfolgt nach dem Gesetzeswortlaut durch dessen „Bestellung“. Dieser Begriff ist insofern schillernd, als damit weder eindeutig auf den Beschlussbegriff des § 33 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mit seiner Ergebnisbildung – grundsätzlich im Wege der Mehrheitsentscheidung – Bezug genommen, noch die ebenfalls nicht fernliegende Einordnung der Entscheidungsfindung als Wahlakt vorgenommen wird737. In der Literatur738. herrscht durchgehend und ohne weitere vertiefte Problematisierung die Auffassung vor, grundsätzlich sei mit dem Bestellungsbegriff des § 16 Abs. 1 BetrVG auf § 33 BetrVG verwiesen, weshalb der Bestellungsakt nicht als Wahl anzusehen sei, und er deshalb im Wege des einfachen Mehrheitsbeschlusses durch den Betriebsrat zu erfolgen habe. Allerdings wird der Bestellung der Wahlvorstandsmitglieder dabei aber durchaus auch der Charakter einer Wahl zugeschrieben, oder dem Betriebsrat jedenfalls die Möglichkeit eingeräumt, die Bestellung auf Grundlage eines Beschlusses oder seiner Geschäftsordnung als Wahl durchzuführen739. Dabei wird teilweise aus dem Charakter des Bestellungsaktes, als Akt der Bestimmung der personellen Zusam736 Dass die Beauftragten keine Stimmberechtigung im Wahlvorstand haben, ergibt sich aus § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG: „Jede im Betrieb vertretene Gewerkschaft kann zusätzlich einen dem Betrieb angehörenden Beauftragten als nicht stimmberechtigtes Mitglied in den Wahlvorstand entsenden, . . .“ 737 Das BAG hat bei der verwandten Frage nach dem Begriff der „Entsendung“ in den Gesamtbetriebsrat in § 47 Abs. 2 Satz 1 HS 2 BetrVG ausdrücklich festgestellt, dass damit keine klare gesetzliche Festlegung auf eine Wahl oder einen Beschluss nach § 33 BetrVG erfolgt sei; dies sei deshalb eine Frage der Auslegung, siehe BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (171 f.). 738 DKK-Schneider § 16 Rdnr. 9; ErfK-Eisenmann § 1 Rdnr. 4; Fitting § 16 Rdnr. 23; GK-Kreutz § 16 Rdnr. 21 f.; HSWG-Schlochauer § 16 Rdnr. 8; Joost Münch ArbR § 304 Rdnr. 148; Löwisch/Kaiser § 16 Rdnr. 7; Richardi-Thüsing § 16 Rdnr. 23; Weiss/Weyand § 16 Rdnr. 1. 739 ErfK-Eisenmann § 1 Rdnr. 4; Fitting § 16 Rdnr. 23; Galperin/Löwisch § 16 Rdnr. 18; GK-Kreutz § 16 Rdnr. 21 f.; HSWG-Schlochauer § 16 Rdnr. 8; RichardiThüsing § 16 Rdnr. 23.

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mensetzung des Wahlvorstands, zwingend auf dessen Charakter als Wahlakt geschlossen740. 2. Eigene Auffassung a) Sprachliche Auslegung des Bestellungsbegriffs in § 16 Abs. 1 BetrVG Schon die sprachliche Auslegung legt es nahe, die Bestellung von Personen durch ein Beschlussgremium zur Ausübung einer Amtstätigkeit im betriebsverfassungsrechtlichen Kontext als Wahl anzusehen. Dem kann allerdings entgegengehalten werden, dass das Betriebsverfassungsgesetz den Begriff der Wahl ausdrücklich an verschiedenen Stellen (§§ 14 Abs. 2 Satz 1, 26, 27 Abs. 1 Satz 3, 28 Abs. 1 Satz 2, 38 Abs. 2 Sätze 1 und 2) verwandt hat, und deshalb im Umkehrschluss aus der unterschiedlichen Begriffswahl und der nicht erfolgten Bezeichnung als förmliche Wahl darauf geschlossen werden könnte, dass der Wortlaut des § 16 Abs. 1 BetrVG dafür spreche, die Bestellung nicht als Wahl ansehen zu können. Der Gesetzgeber könnte damit nämlich zum Ausdruck gebracht haben wollen, dass er nur dort, wo er eine förmliche Wahl für erforderlich gehalten hat, er diese auch ausdrücklich angeordnet hat741. Zwingend ist dieser Schluss indes nicht, denn andererseits hat der Gesetzgeber in § 16 Abs. 1 BetrVG weder unmittelbar auf § 33 BetrVG verwiesen, noch hat er dies mittelbar durch die ausdrückliche Anordnung einer Beschlussfassung getan. Außerdem engt eine solche, die Bestellung nicht als Wahlakt verstehende Auffassung, die Kompetenz des Betriebsrats ohne ersichtlichen Grund ein. Denn es erscheint im Gegenteil gerade als sachangemessen, den Bestellungsakt zum Wahlvorstand angesichts seines personalen Charakters nicht den normalen sachbezogenen Beschlüssen des Betriebsrats gleichzustellen. Das Unbehagen an einer solchen Gleichstellung scheint dann auch durch, wenn beispielsweise Kreutz742 zwar einerseits strikt darauf besteht, dass ein förmliches Wahlverfahren nicht stattfinde, und insbesondere die Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl ausgeschlossen sei, er es aber an der gleichen Stelle dann doch für möglich hält, „mehrere Personen zur Auswahl zu stellen“. Die Auswahl unter mehreren Personen ist aber der Sache nach nichts anderes als: eine Wahl.

740

Galperin/Löwisch § 16 Rdnr. 18; Richardi-Thüsing § 16 Rdnr. 23. So für den Fall der „Entsendung“ BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (171 f.). 742 GK-Kreutz § 16 Rdnr. 22. 741

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b) Kein Ausschluss von Wahlen auch im Rahmen eines Geschäftsordnungsbeschlusses gem. § 33 BetrVG Löwisch743 hat außerdem im Zusammenhang mit der sich ähnlich stellenden Problematik beim „Entsendungsbegriff“ des § 47 Abs. 2 BetrVG zu Recht darauf hingewiesen, dass selbst der Verweis auf einen nach § 33 BetrVG gebotenen „Geschäftsführungsbeschluss“ noch gar nicht automatisch besagen muss, dass damit die Wahl – eben auch im Rahmen dieses § 33 BetrVG – ausgeschlossen ist. Es sei nämlich ohne weiteres möglich, den Begriff des Mehrheitsbeschlusses auch dahin zu interpretieren, als damit jedenfalls die Möglichkeit für den Betriebsrat eröffnet wird, eine Wahl durchzuführen, nach der diejenigen Betriebsratsmitglieder entsandt – bzw. bestellt – werden, die nach dem hierbei (vom Betriebsrat) zu Grunde gelegten Wahlsystem die erforderliche Mehrheit erhalten744. c) Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG auf die Auslegung des Bestellungsbegriffs Entscheidend für ein Verständnis der Bestellung als Wahl spricht jedoch die Auslegung dieses Rechtsbegriffs auf dem Hintergrund der Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG. Das Bundesarbeitsgericht745 geht richtiger Weise davon aus, dass Art. 9 Abs. 3 GG bei der Auslegung betriebsverfassungsrechtlicher Normen nicht unberücksichtigt bleiben darf746. Bedenkt man dabei den hohen, im Recht der Koalitionsfreiheit bereits mit angelegten Rang des Koalitionspluralismus im Verfassungsgefüge, so ist eine Auslegung des Bestellungsbegriffs geboten, welche dem Koalitionspluralismus und damit auch den mit ihren Vertretern im Betriebsrat vertretenen Koalitionen, praktisch wenigstens potentiell – nämlich über ein Wahlverfahren – die Chance eröffnet, auch stimmberechtigte Personen ihres Vertrauens in den Wahlvorstand entsandt zu sehen. Dies kann aber praktisch gesehen regelmäßig nur im Wege eines förmlichen Wahlverfahrens geschehen. Dies gilt umsomehr, als auch schon mit der Bestellung des Wahlvorstands der Bereich von Wahlen eröffnet ist, bei dessen Ausgestaltung die staatliche Einschätzungsprärogative besonders verengt ist, und die faktische oder rechtliche Differenzierung zwischen Angehörigen ver743

Löwisch ZBVR 02, 207 (208 f.). Ähnlich Richardi-Richardi/Annuß § 47 Rdnr. 29 m.w. N. 745 BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 Gründe B. I. 2. c) aa) (3); dies stillschweigend voraussetzend auch jüngst BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (172 unter 5. b); allerdings kommt das BAG im Zusammenhang mit der Auslegung des Entsendungsbegriffs in § 47 Abs. 2 BetrVG im Ergebnis dazu, hier einen Mehrheitsbeschluss des Betriebsrats noch als verfassungskonform anzusehen. 746 Siehe so auch Löwisch ZBVR 02, 207 (212). 744

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schiedener Koalitionen eines besonders gewichtigen Grundes bedarf747. Solche Gründe, die es erlauben oder gar gebieten könnten, im Ergebnis die Vertreter der Mehrheitsgewerkschaft im Betriebsrat alleine über die Zusammensetzung des Wahlvorstands im Hinblick auf dessen stimmberechtigten Mitglieder entscheiden zu lassen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere vermag das Vorhandensein des gewerkschaftlichen Entsenderechts des § 16 Abs. 1 Satz 6 BetrVG an dieser Einschätzung nichts zu verändern. Denn die Gewerkschaftsbeauftragten sind ohne Stimmrecht, und haben eher – wie oben ausgeführt – lediglich Beratungs- und Kontrollfunktion. Dem gewählten Wahlvorstandsmitglied wird dementgegen neben seiner aus der Stimmberechtigung resultierenden Einflussnahmemöglichkeit wegen ebendieser auch ein höheres argumentatorisches Gewicht im Wahlvorstand zukommen. Außerdem ist zu bedenken, dass es den Minderheitsgewerkschaften rechtstatsächlich außerordentlich schwer fallen dürfte, bei Betriebsratswahlen flächendeckend von ihrem Entsendungsrecht auch wirklich Gebrauch zu machen. Dem Argument des Bundesarbeitsgerichts748 im Zusammenhang mit § 47 Abs. 2 BetrVG, dass durch die vom Gesetzgeber nicht vorgenommene Ausgestaltung der „Entsendung“ in den Gesamtbetriebsrat als Wahl die Minderheitskoalitionen wegen der noch großen im Betriebsrat verbleibenden Gestaltungsmöglichkeiten Ihrer Mandatsträger nicht über Gebühr von der betrieblichen Interessenvertretung ausgeschlossen würden, kommt – unabhängig von dessen grundsätzlichen Angreifbarkeit749 – im vorliegenden Zusammenhang deshalb keine Durchschlagskraft zu, weil das Entsendungsrecht so schwach ausgestattet, und im Wesentlichen auf eine Beobachtungsfunktion beschränkt geblieben ist, dass von einer solchen vom Bundesarbeitsgericht ins Auge gefassten verbleibenden tatsächlichen Gestaltungsmöglichkeit ernsthaft nicht mehr die Rede sein kann. d) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis kann damit an dieser Stelle festgehalten werden, dass mit der „Bestellung“ i. S. v. § 16 Abs. 1 BetrVG, wegen des personellen Charakters der Zusammensetzung des Wahlvorstandsgremiums und wegen der Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG auf die Auslegung des Bestellungsbegriffs, die Wahl der Wahlvorstandsmitglieder gemeint ist. Sogar bei einer Sicht des Bestellungsakts als Beschluss i. S. v. § 33 BetrVG wäre die förmliche Wahl der Wahlvorstandsmitglieder nicht etwa ausgeschlossen, so dass auch in diesem Rahmen der Eigenart des Bestellungsakts als personelle Auswahlentscheidung Rechnung getragen werden könnte. 747 748 749

Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. b) ff.; 4. Kap. § 3 A. I. f.; B. II. 5. Siehe BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (172 unter 5. b). Dazu siehe noch unten 4. Kap. § 19 B. III.

§ 6 Die Bestellung des Wahlvorstands (§ 16 BetrVG)

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II. Bestellung der Wahlvorstandsmitglieder im Wege der Verhältniswahl? Mit der Einordnung der Bestellung als Wahlakt ist noch nicht unmittelbar eine Aussage darüber getroffen, nach welchem System die vorzunehmende Wahl der Wahlvorstandsmitglieder zu erfolgen hat. Die auch an dieser Stelle gebotene Verwirklichung eines potentiellen Koalitionspluralismus erfordert allerdings, dass diese Wahl dem System der Verhältniswahl zu unterstellen ist750. Denn nur so kann den Minderheitskoalitionen über ihrer Vertreter im Betriebsrat auch effektiv die Chance eröffnet werden, mit einem stimmberechtigten Vertreter im Wahlvorstand präsent zu werden. Außerdem hat der Gesetzgeber die Verhältniswahl als Grundprinzip der Betriebsverfassung im Betriebsverfassungsgesetz verankert751, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt der Schluss nahe liegt, die Wahl der Wahlvorstandsmitglieder für erforderlich zu halten. Letztlich greifen für diese Auslegung auch noch die gleichen Überlegungen, die bereits dazu geführt haben, im Bestellungsakt eine Wahl zu sehen752. III. Ergebnis Die „Bestellung“ der Wahlvorstandsmitglieder durch den Betriebsrat gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist als Wahlakt einzuordnen, der im Wege der Verhältniswahl (Listenwahl) vorgenommen werden muss. Ausschlaggebend, sowohl für die Qualifizierung der Bestellung als Wahlakt, wie auch für die Feststellung der Vorgabe des Verhältniswahlsystems für diese Wahl, sind vor allem der hohe Rang des Koalitionspluralismus im Sinne seiner effektiven Ermöglichung durch dieses Wahlsystem, wie auch die verengte staatliche Ausgestaltungsmöglichkeit bei der Form der Bestimmung der Wahlvorstandsmitglieder. Denn bereits die Besetzung des Wahlvorstands gehört zu dem Bereich, bei dem staatliche Differenzierungen zwischen Minderheits- und Mehrheitskoalitionen oder zwischen den bei ihnen Organisierten, gewichtigste Gründe für sich haben müssen – 750 Hiergegen ganz ausdrücklich – allerdings ohne Blick auf Fernwirkungen des Art. 9 Abs. 3 GG – DKK-Schneider § 16 Rdnr. 9 und GK-Kreutz § 16 Rdnr. 22; im Zusammenhang mit dem Entsendungsbegriff des § 47 Abs. 2 BetrVG vorsichtig zweifelnd, ob in diesem Rahmen bei der Auslegung nicht ein Minderheitenschutz qua Verhältniswahlsystem verfassungsrechtlich notwendig sein könnte, Hanau ZIP 01, 2136 (2166). 751 Dazu noch näher unten, 4. Kap. § 19 B. II.; siehe Löwisch ZBVR 02, 207 (210 f.); anders anscheinend BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (172 unter 5. a); in dem zitierten Beschluss geht das BAG davon aus, dass der Gesetzgeber sich auch im Rahmen der Betriebsverfassung frei für ein Mehrheits- oder Verhältniswahlsystem oder eine Kombination aus diesen beiden habe entscheiden dürfen. 752 Siehe unten zur verwandten Frage der „Entsendung“ in § 47 Abs. 2 BetrVG die dort gemachten und zum großen Teil auf den vorliegenden Problemkreis übertragbaren Ausführungen 4. Kap. § 19.

362

4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Sachgründe, die aber bei der Bestellung der Wahlvorstandsmitglieder gerade nicht ersichtlich sind. Außerdem ergeben auch noch Systemüberlegungen die Vorgabe des Verhältniswahlsystems für den Bestellungsakt: Denn die Verhältniswahl ist vom Gesetzgeber als Grundprinzip der Betriebsverfassung vorgegeben worden.

§ 7 Die Wahlanfechtung (§ 19 BetrVG) A. Allgemeine Funktion des gewerkschaftlichen Wahlanfechtungsrechts gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG753 Wahlen sollen den wirklichen Willen der Abstimmungsberechtigten wiedergeben. Denn nur so kann ein demokratisch legitimiertes Mitbestimmungsgremium gebildet werden, weshalb der Kontrolle der Korrektheit des Wahlergebnisses im Wege der Rechtskontrolle zentrale Bedeutung zukommen muss754. Gleichzeitig dient die Möglichkeit der Rechtskontrolle auch der Verwirklichung des subjektiven aktiven und passiven Wahlrechts755 und der Realisierung der Chancengleichheit der Bewerber bei den Wahlen756. Dies ist ohne weiteres plausibel und muss deswegen nicht weiter vertieft werden757. Diese Grundsätze bedeuten für Betriebsratswahlen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Rechtskontrolle des Wahlverfahrens eröffnen musste – was er folgerichtig mit § 19 Abs. 1 BetrVG auch getan hat. Auf die mannigfachen Manipulationsmöglichkeiten des Wahlverfahrens wurde bereits an anderer Stelle hingewiesen758. 753 Zur Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes bei Betriebsratswahlen siehe Rieble/Triskatis NZA 06, 233 ff.; eine Übersicht über aktuelle Probleme und Tendenzen in der Rechtsprechung zu Betriebsratswahlen geben Burgmer/Richter NZA RR 06, 1 ff. 754 v. Münch-Ludger-Anselm Versteyl Art. 41 Rdnr. 1 für die Bundestagswahl; für die Betriebsratswahl unter Betonung der „Rechtssicherheit“ DKK-Schneider § 19 Rdnr. 1; GK-Kreutz § 19 Rdnr. 13 sieht die Funktion der Wahlanfechtung in der Herstellung von Rechtssicherheit und ähnlich wie Jarass/Pieroth Art. 41 Rdnr. 1 für die Bundestagswahl auch in der Durchsetzung der betriebsverfassungsrechtlichen Rechtspositionen der Wähler und Wahlbewerber. 755 BVerfG v. 12.12.1991 – 2 BvR 562/91 = BVerfGE 85, 148 (159); Jarass/Pieroth Art. 41 Rdnr. 1. 756 Jarass/Pieroth Art. 41 Rdnr. 1; ähnlich für die Betriebsratswahlen und die Wahlanfechtungsmöglichkeit auch GK-Kreutz § 19 Rdnr. 13. 757 Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Feststellung, dass nur die Gewährung des Rechtsschutzes durch einstweilige Verfügung die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes im Rahmen von Betriebsratswahlen bietet, weil der nachgelagerte Rechtsschutz über § 19 BetrVG zum einen sehr lange Zeit in Anspruch nehmen kann, und zum anderen Mängel des Wahlverfahrens unterhalb der Schwelle der „potentiellen Kausalität“ für das Wahlergebnis dort nicht erfolgreich gerügt werden können, siehe dazu auch Rieble/Triskatis NZA 06, 233, 234.

§ 7 Die Wahlanfechtung (§ 19 BetrVG)

363

B. Spezifische Funktion des gewerkschaftlichen Wahlanfechtungsrechts für Minderheitskoalitionen Für den vorliegenden Zusammenhang gewinnt das Wahlanfechtungsrecht für die im Betrieb vertretenen Minderheitsgewerkschaften gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ganz besondere Bedeutung: Zwar eröffnet das Gesetz auch je drei wahlberechtigten Arbeitnehmern die förmliche Anfechtungsberechtigung im Hinblick auf die Betriebsratswahlen vor dem Arbeitsgericht. Unter minderheitsspezifischen Gesichtspunkten jedoch könnte sich diese Wahlanfechtungsmöglichkeit insofern als unzureichend erweisen, als einzelne, insbesondere der Minderheitsgewerkschaft zuneigende oder angehörende Arbeitnehmer, Bedenken dahingehend haben könnten, sich mit einer Wahlanfechtung Repressalien der mehrheitsgewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer aussetzen zu können759. Bereits an anderer Stelle war auf die Gefahr hingewiesen worden, dass Arbeitnehmer im Betrieb Opfer der dort vorhandenen „Kollektivmächte“ werden können, wenn die Möglichkeit eines funktionierenden Koalitionspluralismus ausfällt760. Arbeitnehmer, welche sich mit der Überlegung tragen, eine Wahl vor dem Arbeitsgericht anzufechten, haben dann ein „Doppelproblem“, nämlich gegenüber der den Betriebsrat dominierenden Mehrheitsgewerkschaft und dem Arbeitgeber, der die Kosten der Wahlanfechtung zu tragen hat761. Deshalb fungiert das bestehende Antragsrecht der Gewerkschaften als Schutzmechanismus zugunsten ihrer Mitglieder im Betrieb und damit rechtstatsächlich als Instrument der Grundrechtseffektivierung der Minderheitskoalitionen und der in ihnen organisierten abhängig Beschäftigten762.

758

Siehe oben 4. Kap. § 3 D. Das BVerfG v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82, 2 BvL 21/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG Gründe I. 1. 3. Abs. hat diesen Aspekt der Scheu von Wahlberechtigten, sich zugunsten einer Minderheitskoalition zu exponieren im Zusammenhang mit der Verfassungsmäßigkeit von Unterschriftenquoren für Personalratswahlen ausdrücklich benannt. 760 Siehe insbesondere oben 2. Kap. § 1 B.; E. 761 Zur Kostentragung des Arbeitgebers für die Betriebsratswahlen gem. § 20 Abs. 1 Satz 3 BetrVG i. S. einer Kostentragungspflicht im weitesten Sinne und damit auch für die Kosten des Wahlanfechtungsverfahrens siehe DKK-Schneider § 20 Rdnr. 27; ErfKEisenmann § 20 Rdnr. 10; Fitting § 20 Rdnr. 38; GK-Kreutz § 20 Rdnr. 54; HSWGSchlochauer § 20 Rdnr. 35; Richardi-Thüsing § 20 Rdnr. 34; BAG v. 07.07.1999 – 7 ABR 4/98 = AP Nr. 19 zu § 20 BetrVG 1972; ArbG Gelsenkirchen v. 22.08.1977 – 5 BV 29/77 = BB 78, 307. 762 In diese Richtung weist auch GK-Kreutz § 19 Rdnr. 13, wenn dort davon gesprochen wird, dass die Anfechtungsmöglichkeit auch der Durchsetzbarkeit der betriebsverfassungsrechtlichen Rechtspositionen der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften dient. 759

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

C. Verfassungsfestigkeit des gewerkschaftlichen Wahlanfechtungsrechts? I. Im Allgemeinen: Im Hinblick auf die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG an sich Schon jenseits minderheitsspezifischer Überlegungen liegt es sehr nahe, das Wahlanfechtungsrecht als verfassungsfest anzusehen: Mit der staatlich verordneten Konkurrenz zur Koalitionsbetätigung durch eine die Arbeitnehmer zwangskorporierende Betriebsverfassung geht die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einher, diese Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit in einem verhältnismäßigen Ausgleich zur staatlich geschaffenen Interessenvertretung auszugestalten. Dazu bedarf es der Möglichkeit, „als Koalition“ an den Wahlen zum Betriebsrat teilnehmen zu können763. Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit dieser richtigen Feststellung der verfassungsrechtlich aus Art. 9 Abs. 3 GG heraus gewährleisteten Möglichkeit der Teilnahme der Koalitionen an Wahlen im Bereich zwangskorporierter Mitbestimmung auch das Bestehen der Wahlanfechtungsmöglichkeit angesprochen, und diese damit wohl stillschweigend als dieser Gewährleistung immanent vorausgesetzt764. Dies leuchtet auch ohne weiteres ein: Denn angesichts der bereits angesprochenen Bedeutung der Wahlanfechtungsrechts für die demokratische Legitimation des gewählten Gremiums, die Realisierung des aktiven wie passiven Wahlrechts, sowie der Chancengleichheit der Bewerber – und damit der hinter ihnen stehenden Koalitionen – steht die Ermöglichung der Beteiligung an Wahlen mit der Möglichkeit der rechtlichen Kontrolle der Ordnungsgemäßheit dieser Wahlen in einem untrennbaren Zusammenhang. Deshalb fällt die den Koalitionen durch § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zugewiesene Möglichkeit der gerichtlichen Wahlanfechtung von Betriebsratswahlen mit hinein in den diesen verfassungsrechtlich mit ihrer Teilnahmemöglichkeit im Bereich zwangskorporierter Mitbestimmung garantierten Bereich ihrer Einflussnahmemöglichkeiten innerhalb der Betriebsverfassung.

763 Siehe oben 2. Kap. § 1 A. III.; F. IV. 3.; Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 208 ff.; BVerfG v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82, 2 BvL 21/82 = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG Gründe I.; v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen A. II.; so muss auch schon BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77; 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78; 1 BvL 21/78 („Mitbestimmungsurteil“) = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG Gründe B. IV. 2 b) cc) in diese Richtung gehend verstanden werden. 764 BVerfG v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen A. II 3. Abs.: „§ 21 BremPersVG trägt dieser Verwaltungswirklichkeit (gemeint ist die verfassungsrechtlich nicht nur gewährleistete sondern auch tatsächliche erfolgende Beteiligung der Koalitionen an Gesamtpersonalratswahlen) durch ein eigenes Wahlanfechtungsrecht jeder in den betreffenden Dienststellen vertretenen Gewerkschaft Rechnung . . .“).

§ 7 Die Wahlanfechtung (§ 19 BetrVG)

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II. Im Besonderen: Im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der Minderheitskoalitionen Im Hinblick auf die oben aufgezeigte spezifische Bedeutung des Wahlanfechtungsrechts kann dieser allgemeine Befund noch weiter verstärkt werden: Wurde bereits an anderer Stelle765 festgestellt, dass die Entsendungsmöglichkeit von Beauftragten der Koalitionen in den Wahlvorstand wegen der Unerlässlichkeit der Beobachtungs- und Kontrollmöglichkeit der Wahldurchführung durch den Wahlvorstand verfassungsfester Bestandteil des Koalitionsbetätigungsrechts der Minderheitsgewerkschaften ist, so gilt diese Beurteilung mindestens in dem gleichen Maße für das Wahlanfechtungsrecht der Minderheitskoalitionen. Denn die verfassungskräftig verbürgte Kontrollmöglichkeit wäre wenig effektiv und weitgehend folgenlos, beschränkte sie die Minderheitskoalitionen lediglich auf die Rolle des Beobachters und gäbe es keine Möglichkeit, beobachtete Unregelmäßigkeiten auch anschließend einer gerichtlichen Kontrolle zuzuführen. Dies gilt weiter auch deshalb, weil die Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb sehr viel eher als die Minderheitsgewerkschaft Mitglieder aufbieten könnte, die sich ohne die oben angesprochene Furcht vor Repressalien zur Wahlanfechtung entscheiden können. Bestünde – aus Sicht der Minderheitskoalition – das gewerkschaftliche Wahlanfechtungsrecht nicht, so liefe dies auf eine faktische Differenzierung zwischen Mehrheits- und Minderheitskoalition hinaus, für die aber ein sachlicher Grund nicht erkennbar ist. Wie bereits mehrfach betont, wären aber an die Differenzierung zwischen verschiedenen Koalitionen bei Wahlen unter dem Aspekt der Chancengleichheit (der formalen Wahlrechtsgleichheit) an diese Gründe für eine Differenzierung allerhöchste sachliche Anforderungen zu stellen. III. Ergebnis Das gewerkschaftliche Wahlanfechtungsrecht gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist notwendiger und verfassungskräftig verbürgter Teil des Rechts der Koalitionen, sich im Bereich der Betriebsverfassung an den dort stattfindenden Wahlen zu beteiligen. Weil für die Ermöglichung eines wenigstens potentiellen Koalitionspluralismus im Sinne der Chancengleichheit aller sich beteiligenden Koalitionen die effektive und damit gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Wahlen unerlässlich ist, ist das Wahlanfechtungsrecht gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ergänzend auch unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlich verbürgten gewerkschaftlichen Minderheitenschutzes verfassungsfest.

765

Siehe oben 4. Kap. § 6 A. II.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

§ 8 Der Betriebsausschuss (§ 27 BetrVG) Gegen heftige parlamentarische und auch in der Rechtswissenschaft verbreitete Gegenwehr wurde der gewerkschaftliche Minderheitenschutz durch die Betriebsverfassungsnovelle vom 20.12.1988 an maßgeblichen Stellen des Gesetzes etabliert. Im Zuge dieser Reform wurde das Prinzip der Verhältniswahl für die Wahl der weiteren Betriebsausschussmitglieder in das Gesetz aufgenommen, und gleichzeitig durch ein Abberufungsquorum von drei Vierteln der Stimmen des Betriebsrats flankierend abgesichert766. Die im Betrieb vertretenen Minderheitsgewerkschaften haben dadurch die realistische Chance erhalten, auch im Betriebsausschuss über ihre Vertreter Einfluss auf die Betriebsratsarbeit zu nehmen767.

A. Veränderungssperre im Hinblick auf das Gebot der Verhältniswahl, § 27 Abs. 1 Satz 3 BetrVG? Nach hier768 vertretener Auffassung wäre der Gesetzgeber aus Gründen des verfassungsrechtlich als effektiv zu gewährleistenden Koalitionspluralismus da766 Der Gesetzgeber bzw. der von den Koalitionsparteien getragene und schließlich verabschiedete Gesetzentwurf versprach sich hiervon ein Mehr an Demokratisierung durch die Verbesserung der Mitwirkungsmöglichkeiten auch kleinerer Koalitionen in der Betriebsverfassung, siehe Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drucks. 11/2503, S. 23, S. 33; Bericht 11. Ausschuss, BT-Drucks. 11/3618, S. 4 ff.; zur seinerzeitigen innerparlamentarischen Kritik siehe BT-Protokoll Nr. 48, 11. Wahlperiode, öffentliche Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung; die Kritik sah Gefährdungen für die vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb des Betriebsrats und für die Effektivität der Ausschussarbeit, weil dem Gebot des Koalitionsproporzes der Aspekt der personellen Geeignetheit der Vorrang eingeräumt werde und eine „Zersplitterung“ des Betriebsrats zu befürchten sei, so statt vieler GK-Wiese 6. Auflage § 27 Rdnr. 2 m.w. N. zum seinerzeitigen Streitstand; Fitting 18. Auflage § 27 Rdnr. 2b m.w. N.; leicht zweifelnd an der Sinnhaftigkeit des Verhältniswahlsystems bei der Bestimmung der weiteren Betriebsausschussmitglieder seinerzeit auch Löwisch BB 88, 1953 (1954). Ein nicht zu vernachlässigender, aber meist unausgesprochener Aspekt der seinerzeitigen Novelle dürfte auch in der Absicht der seinerzeitigen Regierungskoalition gelegen haben, den übermächtigen Einfluss der DGB-Mehrheitsgewerkschaften zu Gunsten von Konkurrenzorganisationen ein wenig aufzubrechen; so ausdrücklich Plander AiB 88, 272 (273); zur grundsätzlich gebotenen Kritik am „Zersplitterungsargument“ siehe bereits oben umfassend 2. Kap. § 1 F. IV. 3. f); 4. Kap. § 3 A. II. 2.; B. II. 5. f). 767 Die seinerzeitige Kritik ist deutlich abgeklungen, siehe nur GK-Wiese/Raab § 27 Rdnrn. 3, 16, die jetzt den Minderheitenschutz ausdrücklich begrüßen; Fitting § 27 Rdnr. 2; anders aber immer noch DKK-Wedde § 27 Rdnr. 7, der unbeirrt das äußerst schwache Argument vorträgt, dass die Durchführung von Wahlen im Verhältniswahlmodus diese erheblich „erschwere“; worin diese „Erschwerung“ – schon gar nach dem Wegfall des früher gleichzeitig zu berücksichtigenden Gruppenprinzips – eigentlich (noch) liegen soll, bleibt angesichts der Einfachheit einer auch schon bei der Betriebsratswahl vorexerzierten und dort ungleich komplexeren Feststellung des Wahlergebnisses letztlich im Dunkeln; so auch Dütz DB 01, 1306 (1308 f.); Hanau RdA 01, 65 (70).

§ 8 Der Betriebsausschuss (§ 27 BetrVG)

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ran gehindert, die Wahlen zum Betriebsrat einem anderen Wahlmodus als dem des Verhältniswahlsystems zu unterstellen. Damit aber steht die Verfassungsfestigkeit der Verhältniswahl bei der Bestimmung der weiteren Betriebsausschussmitglieder im Wege der innerorganschaftlichen Bestimmung noch nicht gleichermaßen und automatisch fest. I. Verhältniswahl als Grundprinzip der Betriebsverfassung 1. Gesetzessystematische Überlegungen Streit besteht darüber, ob die Verhältniswahl als Grundprinzip der Betriebsverfassung anzusehen ist769. Wäre dies der Fall, so bedürfte es eines hohen argumentativen Aufwands, die personelle Zusammensetzung von Organen des Betriebsrats als auch noch für das Mehrheitswahlsystem offen anzusehen. Nach Löwisch770 hat der Gesetzgeber, indem er unter dem Eindruck der verfassungsrechtlichen Einwände bei der Verabschiedung der Betriebsverfassungsnovelle 2001 von der Umkehr der das Verhältniswahlsystem etablierenden Reform 1988 Abstand genommen hat, das Verhältniswahlsystem indirekt als Grundprinzip der Betriebsverfassung anerkannt bzw. bestätigt771. Dem wird aber insbesondere vom Bundesarbeitsgericht entgegengehalten, dass das Gesetz mit § 14a Abs. 2 Satz 2, 2. HS auch schon für bestimmte Fälle der Betriebsratswahl (Kleinbetriebe) ausdrücklich alternierend das Mehrheitswahlsystem angeordnet habe, so dass von einem durchgängigen Prinzip nicht die Rede sein könne772. Außerdem hat das Bundesarbeitsgericht noch darauf hingewiesen, dass die Mehrheitswahl im Betriebsverfassungsgesetz auch bei Vorgabe des Verhältniswahlsystems immer auch dann zur Anwendung komme, wenn es nur einen Wahlvorschlag gibt773. Letzteres ist allerdings ein wenig schlagkräftiges Argument: Denn es liegt in der Natur der Sache, das Listenwahl tatsächlich nur dort durchgeführt werden kann, wo überhaupt mehrere Listen eingereicht werden und damit miteinander 768

Siehe oben 4. Kap. § 3 B. Diese Frage wurde bereits oben, 4. Kap. § 6 B. II. f., im Zusammenhang mit der „Bestellung“ der Wahlvorstandsmitglieder kurz angerissen, es soll ihr aber erst an dieser Stelle vertieft nachgegangen werden. 770 Löwisch ZBVR 02, 207 (210); Löwisch/Kaiser § 27 Rdnr. 2. 771 Dem folgte das ArbG Bonn v. 26.05.2003 – 2 BV 54/02 2.3.2. f. (n.rkrft.). 772 BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (172); diese Linie fortschreibend BAG v. 25.05.2005 – 7 ABR 10/04 B. II. 3. a) (Entsendungstarifverträge Deutsche Post AG); v. 11.06.1997 – 7 ABR 5/96 = AP Nr. 22 zu § 38 BetrVG 1972 Gründe B. II. 2.; LAG Hessen v. 10.07.2003 – 9 TaBV 114/02 = LAG Report 04, 47; LAG Köln v. 18.12.2003 – 5 TaBV 36/03 Gründe S. 13 (n.rkrft.); ArbG Leipzig v. 17.02.2003 – 17 BV 41/02 S. 8 (n.rkrft.); zustimmend GK-Wiese/Weber § 38 Rdnr. 32. 773 BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (172). 769

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

konkurrieren. Anders ausgedrückt: Wo es keine gewerkschaftlichen Minderheiten gibt, bedarf es natürlich auch nicht deren Schutzes durch ein Verhältniswahlsystem. Schon einleuchtender ist allerdings der Einwand, dass das Gesetz im Falle der Wahlen in Kleinbetrieben gem. §§ 14a, 14 Abs. 2 BetrVG die Mehrheitswahl angeordnet hat, und insofern von vorneherein nicht von einem auf die Verhältniswahl ausgerichteten Grundprinzip gesprochen werden könne. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass es sich bei dieser Regelung schon gesetzessystematisch um einen Ausnahmefall von der allgemeinen Regel des § 14 Abs. 2 Satz 1 BetrVG handelt, welche die Verhältniswahl für Betriebsratswahlen grundsätzlich zwingend anordnet774. Und außerdem geht der Schluss des Bundesarbeitsgerichts stillschweigend von der Verfassungsmäßigkeit der Anordnung der Mehrheitswahl für Kleinbetriebe aus – was im Rahmen einer solchen Herleitung doch zunächst hätte überprüft werden müssen775. Bei allgemeiner gesetzessystematischer Betrachtungsweise ist das Verhältniswahlsystem deshalb, entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, als ein Grundprinzip der Betriebsverfassung anzusehen. 2. Verfassungsrechtliche Überlegungen a) Beachtung des Prinzips der Verhältniswahl auch bei der Organbildung als Gebot der Wahlrechtsgleichheit gem. Art. 3 Abs. 1, 9 Abs. 3 GG Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder betont, dass dann, wenn der Gesetzgeber sich für das System der Verhältniswahl entscheidet776, er dieses Gesetz damit auch – insgesamt – unter dieses Maß stellt. Denn mit der Entscheidung für dieses System nimmt er von vorneherein die hiermit verbundene Einbuße an Geschlossenheit in Kauf777, bzw. muss sie nach hier vertretener Auffassung als Konsequenz aus der in Art. 9 Abs. 3 GG angelegten Entscheidung der Verfassung für den Koalitionspluralismus hinnehmen. Dies wurde oben ausgeführt778.

774

So auch ArbG Bonn v. 26.05.2003 – 2 BV 54/02 2.3.2. f. (n.rkrft.). Dass das für die Betriebsratswahlen in Kleinbetrieben gesetzlich zwingend angeordnete Mehrheitswahlsystem in § 14a BetrVG nach hier vertretener Auffassung als verfassungswidrig angesehen werden muss, wurde oben, 4. Kap. § 4, ausgeführt. 776 Nach hier vertretener Auffassung musste der Gesetzgeber die Wahlen zum Betriebsrat unter das Maß des Verhältniswahlprinzips stellen, siehe oben 4. Kap. § 3 B. 777 BVerfG v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen Gründe II.; ähnlich v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = NZA 04, 1395 (1397). 778 Siehe oben 4. Kap. § 3 B. 775

§ 8 Der Betriebsausschuss (§ 27 BetrVG)

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Der die Minderheitskoalitionen schützende Verhältniswahlmodus impliziert damit notwendig die Erwägung des Gesetzgebers, dass die hiermit zu verwirklichende Forderung nach möglichst genauer Übereinstimmung der Sitzverteilung im Betriebsrat mit dem Stimmenanteil der verschiedenen an der Wahl teilnehmenden Koalitionen die sachgerechteste – bzw. nach hier vertretener Auffassung die verfassungsrechtlich gebotene – ist779. b) Rechtsanalogie zum Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen Das über Art. 3 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG für alle bei der Wahl antretenden Koalitionen gewährleistete Recht auf Chancengleichheit, das durch die Verhältniswahl und deren weitere Ausgestaltung780 verwirklicht werden muss, bliebe indes letztlich im rein Formalen stecken, wenn es sich in der Ermöglichung nur des Zugangs zum Betriebsrat für Minderheitskoalitionen erschöpfte, und mit dem ermöglichten Zugang zum Betriebsrat nicht auch weitergehende, dem Gewicht des Stimmenanteils korrespondierende Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der betrieblichen Mitbestimmung verbunden wären. Diese Überlegung kann durch den im Parlamentsrecht vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Grundsatz der „Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen“ in Wege der Rechtsanalogie unterlegt werden781: Dieser Grundsatz besagt, dass grundsätzlich jeder Ausschuss des Parlaments ein verkleinertes Abbild des Plenums sein muss, um seiner demokratischen Repräsentationsfunktion genügen zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner jüngsten diesbezüglichen Entscheidung vom 08.12.2004782, betreffend das Gebot der Spiegelbildlichkeit von Bundestag und Vermittlungsausschuss, ausgeführt, es sei von entscheidender Bedeutung für die Wahlrechtsgleichheit, dass diese „nach dem Wahlakt nicht gleich wieder verloren geht“. Sie müsse „auf der zweiten Stufe der Entfaltung demokratischer Willensbildung, d.h. im Status und der Tätigkeit des Abgeordneten fortwirken“. Dies gelte auch für die Besetzung des Vermittlungsausschusses. Deshalb müssten die politischen Stärkeverhältnisse im Ausschuss spiegelbildlich die des Parlaments abbilden783. Zwar ist darauf hingewiesen worden, dass dieser parlamentsrechtliche Grundsatz nicht unbesehen und allgemein auf jede Wahl von Vertretungen übertragen

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Löwisch ZBVR 02, 207 (211). Insbesondere durch Quoren, die im Hinblick auf ihre konkrete Höhe der Prüfung am Maßstab der strikt zu beachtenden formalen Wahlrechtsgleichheit standhalten. 781 So auch Löwisch ZBVR 02, 207 (211); BVerfG v. 13.06.1989 = E 80, 188 LS 4a (222). 782 BVerfG v. 08.12.2004 – 2 BvE 3/02 = NJW 05, 203 (204 f.). 783 Zum Grundsatz der „Spiegelbildlichkeit“ siehe Lang NJW 05, 189. 780

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

werden kann. Dort jedoch, wo „es aber um die Wahrnehmung der Belange derjenigen geht, die das Organ gewählt haben, welches seinerseits die Mitglieder von Gremien bestimmt, die an seiner Stelle Aufgaben wahrnehmen“, fordere dieser Grundsatz allgemeine Geltung. Dies gelte insbesondere für die Ausschüsse des Betriebsrats784. Dieser Auffassung ist beizupflichten: Denn die Ausschüsse des Betriebsrats sind in der Lage, Aufgaben wahrzunehmen, die sich über die Ausübung der Mitbestimmung785 und die Vereinbarung von „Quasi-Betriebsvereinbarungen“786 bis an den Rand des durch das Bundesarbeitsgericht postulierten „Entkernungsverbots“787 für die Tätigkeit des Betriebsratsplenums erstrecken. Der vom Bundesverfassungsgericht für das Parlamentsrecht formulierte Grundsatz, dass „die Wahlgleichheit nicht gleich nach der Wahl wieder verloren gehen dürfe“, kann ohne weiteres auf die Verhältnisse im Betriebsrat übertragen werden: Die gem. Art. 3 Abs. 1, 9 Abs. 3 GG zugunsten der Minderheitskoalitionen wirkende Wahlrechtsgleichheit wäre ganz unvollkommen, und es verstieße gegen das Gebot effektiven Grundrechtsschutzes788, wenn deren Vertreter nicht auch die Möglichkeit hätten, die Arbeit in den Ausschüssen mitzugestalten, und so die Vorstellungen ihrer Koalition auch dort wirksam werden zu lassen. Der Mehrheitswahlmodus würde an diesen Stellen die Vertreter der Minderheitskoalitionen im Betriebsrat vom Willen der Mehrheitskoalitionäre abhängig machen und wäre damit nicht geeignet, den erforderlichen effektiven Grundrechtsschutz der Vertreter der Minderheitsgewerkschaften zu garantieren789.

784 Löwisch ZBVR 02, 207 (211); BB 01, 726 (727); allgemein zustimmend Hanau RdA 01, 65 (70). 785 § 27 Abs. 2 Satz 2 BetrVG; § 28 Abs. 1 Satz 2 BetrVG; zur Möglichkeit der weitgehenden abschließenden Übertragung von Mitbestimmungsbefugnissen auf Ausschüsse siehe DKK-Wedde § 27 Rdnrn. 35 ff.; ErfK-Eisenmann § 27 Rdnr. 7; Fitting § 27 Rdnrn. 70 ff.; GK-Wiese/Raab § 27 Rdnr. 69; HSWG-Glock § 27 Rdnrn. 51 ff.; Joost Münch ArbR § 306 Rdnr. 48; Löwisch/Kaiser § 27 Rdnr. 8; Richardi-Richardi/ Thüsing § 27 Rdnrn. 58 ff. 786 Dazu DKK-Wedde § 28a Rdnrn. 56 ff. („Gruppenvereinbarung kollektivrechtlichen Charakters mit unmittelbarer und zwingender Wirkung unterhalb der Ebene des § 77 BetrVG“); GK-Raab § 28a Rdnr. 39 („besondere Art der Betriebsvereinbarung, Gruppenbetriebsvereinbarung“); Löwisch BB 01, 1734 (1741) „Vereinbarungen mit Wirkung von Betriebsvereinbarungen“. 787 BAG v. 01.06.1976 – 1 ABR 99/74 Gründe III. 2.; v. 20.10.1993 – 7 ABR 26/ 93; LAG München v. 23.06.2004 – 6 TaBV 74/03, S. 4 f. (n. v.); ArbG München v. 15.10.2003 6 BV 25/03 S. 8 ff. (n. v.); dazu auch Fitting § 27 Rdnr. 77; Galperin/ Löwisch § 27 Rdnr. 34; § 28 Rdnr. 7; GK-Wiese/Raab § 27 Rdnr. 70 m.w. N. 788 Löwisch BB 01, 726 (727); siehe dazu auch oben 2. Kap. § 1 A. III.; F. IV. 3. g). 789 Der von Hanau ArbuR 88, 261 (265) angerissenen denkbaren Möglichkeit, die Ausschüsse als „Quasi-Regierung“ anzusehen, weshalb hier das Mehrheitswahlrecht zum Zuge kommen müßte, ist zu verwerfen. Ausschüsse bilden, was auch Hanau im Ergebnis so sieht, den Betriebsrat „in seiner Vielfalt“ ab und sind nicht handlungsfähi-

§ 8 Der Betriebsausschuss (§ 27 BetrVG)

371

Auf dem Hintergrund der die Wahlrechtsgleichheit gleichsam bis in die Ausschüsse hinein verlängernden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssten andererseits Auffassungen, die auch eine Bestimmung der Ausschüsse im Wege der Mehrheitswahl für verfassungsrechtlich gangbar hielten, zwingende Sachgründe790 für eine Differenzierung zwischen den Vertretern der Mehrheitsund der Minderheitskoalition bei der weiteren Organisation der Betriebsratstätigkeit in den von ihm zu bildenden Gremien für sich haben. Dass dem Zersplitterungsargument hierbei im Grunde kein Gewicht zukommen kann, wurde bereits oben ausgeführt791. Auch andere Sachgründe sind nicht ersichtlich. Insbesondere zieht die Verwirklichung des Verhältniswahlgrundsatzes auch auf der verlängerten Ebene der Gremienbildung des Betriebsrats keine unangemessene Beeinträchtigung der Vertreter der Mehrheitskoalitionen nach sich: Denn die im Wege der Verhältniswahl erfolgende Besetzung der Gremien des Betriebsrats stellt regelmäßig sicher, dass die Mehrheitskoalition auch dort dominieren kann, so dass sich die Vertretung der Minderheitskoalition im Wesentlichen ohnehin nur in der argumentativen und informationsmäßigen Teilhabe an der Arbeit in den Gremien erschöpft. Eine für die Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung der Minderheitskoalitionen verbotene staatliche Erfolgsverschaffung kann damit nicht eintreten, und sie wird auch nicht behauptet. Argumente gegen ein durchgängiges Prinzip der Verhältniswahl im Betriebsverfassungsrecht, die sich auf die „Schwierigkeiten des Wahlverfahrens“ selbst792 beziehen, sind sachlich nicht nachvollziehbar, und hätten ohnehin – selbst bei unterstellter Richtigkeit – nicht das Gewicht, welches an Sachgründe für die Differenzierung zwischen Koalitionen im Bereich der Wahlrechtsgleichheit von Verfassung wegen geboten sind793. Solche „Schwierigkeiten“ beim regelmäßig einzigen konkreten Wahlvorgang während der gesamten Amtsperiode des Betriebsrats bei der Gremienbildung könnten im Hinblick auf den hohen Stellenwert eines effektiv zu gewährleistenden Koalitionspluralismus bei Betrachtung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips kaum ernsthaft ins Gewicht fallen.

ges („Regierungs-“)Instrument der Mehrheit; so auch deutlich Dütz DB 01, 1306 (1309) – „absurd“. 790 Dazu siehe oben ausführlich 2. Kap. § 1 F. IV. 3. b) ff.; 4. Kap. § 3 A. I.; II. 2. 791 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. f); 4. Kap. § 3 A. II. 2.; B. 5. f).; dezidiert anders aber Schneider AiB 88, 99 (101), der in der „Fraktionierung“ der Ausschüsse wie in jedem Listenproporz ein „schlimmes Übel“ sieht. 792 So ohne weiteren Begründungsversuch DGB Bundesvorstand NZA 01, 135, 136; auch DKK-Wedde § 27 Rdnr. 7; wohl auch Fischer NZA 01, 167 (170); so auch der seinerzeitige Regierungsentwurf der Koalition in seiner Begründung, siehe dazu Dütz DB 01, 1306 m.w. N. zur seinerzeitigen Begründung der geplanten Abschaffung des Verhältniswahlrechts mit dem Hinweis auf die „Vereinfachung und Entbürokratisierung“ des Wahlverfahrens. 793 Siehe dazu oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. d) ff.; 4. Kap. § 3 A.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

c) Demokratieprinzip Ähnliche Überlegungen haben Dütz794 dazu gebracht, aus der verfahrensmäßig demokratischen Verfassung der Betriebsverfassung und der damit einhergehenden Notwendigkeit des effektiven Minderheitenschutzes, der Sache nach darauf zu schließen, dass die vom Betriebsrat zu bestimmenden Gremien und Amtspositionen wie die Wahl des Vorstands des Betriebsrats, die Wahl der Mitglieder des Betriebsausschusses, die Besetzung weiterer Ausschüsse nach § 28 Abs. 1 BetrVG, die Freistellungen gem. § 38 BetrVG u. a. im Wege der Verhältniswahl zu erfolgen haben. Die Mehrheitswahl wäre an diesen Stellen nach seiner Auffassung eine Verletzung des Minderheitenschutzprinzips zu Lasten der kleineren Koalitionen. Im Ergebnis kommt Dütz dazu, im über die Verhältniswahl vermittelten gewerkschaftlichen Minderheitenschutz ein „wesentliches Strukturprinzip eines demokratisch verfassten Betriebsverfassungskonzepts“ zu sehen795. Dem ist vorbehaltlos zuzustimmen. Denn zum einen wird zu Recht betont, dass es der Gesetzgeber, insbesondere bei der Novelle 2001, selbst „auf demokratische Teilhabe“ angelegt habe. Zum anderen nähert sich Dütz mit seinem Begründungsansatz der Betonung des Demokratieprinzips der gewerkschaftlichen Minderheitenproblematik nur von einer verfassungsdogmatisch anderen Seite her an. In der zentralen Aussage der „Wesentlichkeit des demokratischen Minderheitenschutzprinzips“796 liegt er ganz nahe bei dem, was mit der Notwendigkeit der Beachtung der formalen Wahlrechtsgleichheit als Gebot der Art. 3 Abs. 1, 9 Abs. 3 GG zu Gunsten der Minderheitskoalitionen vom Bundesverfassungsgericht formuliert worden ist797. d) Die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts Das Bundesarbeitsgericht hat lange vor der Betriebsverfassungsnovelle 1988798 darauf hingewiesen, dass die Ausschussbildung im Betriebsrat nicht deshalb als undemokratisch angesehen werden könne, weil sie nach dem Mehrheitsprinzip erfolge. Gewerkschaftliche Machtverhältnisse im Betriebsrat könnten bei der Ausschussbildung zwar, müssten dort aber nicht Berücksichtigung finden. Eine auch nur ansatzweise Auseinandersetzung mit den Grundrechtspositionen der Minderheitskoalitionen und deren Vertretern erfolgte dabei jedoch nicht. Es blieb bei dem Hinweis, dass der Grundsatz der formalen Wahlrechts794 795 796 797 798

III. 1.

Dütz DB 01, 1306 (1308 ff.). Dütz DB 01, 1306; 1310. Dütz DB 01, 1306 (1310). BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = NZA 05, 1395 (1397). BAG v. 01.06.1976 – 1 ABR 99/74 = AP Nr. 1 zu § 28 BetrVG 1972 Gründe

§ 8 Der Betriebsausschuss (§ 27 BetrVG)

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gleichheit für die Ausschussbildung nicht gelte. Gestützt wurde diese Auffassung auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, betreffend die Wahlen zum Präsidialrat in der Justiz (Richtervertretungen)799. Diese Begründung lag schon deswegen neben der Sache, weil die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts tragend darauf abgestellt hatte, dass die Präsidialräte „wesentliche Belange der Dritten Gewalt des Staates zur Geltung zu bringen hätten“, die Repräsentation der Vertretenen hier also nicht im Vordergrund steht800 – anders als dies ganz offensichtlich bei der Wahl des Betriebsrats und seiner weiteren Gremien der Fall ist801. Das Bundesverfassungsgericht selbst hat dies in seiner letzten einschlägigen Entscheidung ausdrücklich auch so benannt, indem es die Einschränkung der formalen Wahlrechtsgleichheit im Hinblick auf die besondere verfassungsrechtliche Stellung der Hochschulen und der Justiz dort als in einem ganz anderen Ausmaß für zulässig erklärt hat, als dies bei Wahlen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich zulässig sei. Hier seien für die Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit der Koalitionen zwingende Gründe erforderlich802. In seiner Entscheidung vom 11.06.1997803 hat das Bundesarbeitsgericht, trotz des inzwischen vom Gesetzgeber mit der Betriebsverfassungsnovelle 1988 eingeführten Listenschutzes, weiter die Auffassung vertreten, aufgrund der nur „sporadisch und bruchstückhaften“ Verankerung des Listenschutzes durch die Verhältniswahl könne diesbezüglich nicht von einem allgemeinen Prinzip der Verhältniswahl im Betriebsverfassungsgesetz gesprochen werden. In seiner Entscheidung zum Entsendungsbegriff des § 47 Abs. 2 BetrVG hat das Bundesarbeitsgericht804 sich dann, anders als in seinen früheren Entscheidungen805, erstmals ernsthaft mit der verfassungsrechtlichen Problematik des Art. 9 Abs. 3 GG im Hinblick auf die Minderheitskoalitionen und den Verhältniswahlgrundsatz auseinandergesetzt, im Ergebnis aber dennoch vertreten, dass die Verhältniswahl bei der Entsendung deshalb nicht geboten sei, weil die Minderheitskoalitionen „auf die in den Gesamtbetriebsrat entsandten Mitglieder Einfluss nehmen“ könnten, und Aufgabenübertragungen vom Betriebsrat auf den Gesamtbetriebsrat Ausnahmecharakter zukomme: Schließlich sei eine sol799

BVerfG v. 16.12.1975 – 2 BvL 7/74 = E 41, 1 (12 f.) = NJW 76, 889. Das BVerfG v. 16.12.1975 – 2 BvL 7/74 = E 41, 1 (12 f.) = NJW 76, 889; v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen Gründe II. spricht insofern auch von der „besonderen Stellung des Präsidialrats und der Unabhängigkeit der Rechtspflege“. 801 Löwisch ZBVR 02, 207 (211). 802 BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 = NZA 05, 1395 (1397). 803 BAG v. 11.06.1997 – 7 ABR 5/96 = AP Nr. 22 zu § 38 BetrVG 1972. 804 BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (172 f.). 805 BAG v. 01.06.1976 – 1 ABR 99/74 = AP Nr. 1 zu § 28 BetrVG 1972 Gründe III. 1.; BAG v. 11.06.1997 – 7 ABR 5/96 = AP Nr. 22 zu § 38 BetrVG 1972. 800

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

che Aufgabenübertragung nur im Hinblick auf eine bestimmte Angelegenheit, nicht aber generell für ganze Sachbereiche zulässig806. Dieser Begründungsansatz lässt den Schluss zu, dass das Bundesarbeitsgericht dort, wo ganze Sachbereiche dem Betriebsratsplenum durch Aufgabenübertragung auf andere Gremien und Ausschüsse entzogen werden können, dem Minderheitenschutz qua Verhältniswahl zwingende Bedeutung zumessen würde. Dieser Schluss liegt umso näher, als das Bundesarbeitsgericht die aus seiner Sicht erlaubte Mehrheitsentscheidung bei der Entsendung in den Gesamtbetriebsrat ausdrücklich in einen Begründungszusammenhang stellt, bei dem betont wird, dass die Rechte der Minderheitskoalitionen zur Teilhabe an der Mitbestimmung ja im Grundsatz durch die – verfahrensmäßig durch Verhältniswahl abgesicherte – Arbeit in den Ausschüssen gewahrt würden. Bei dieser Sichtweise des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts v. 21.07. 2004 steht dieser nicht wirklich der Annahme eines Grundprinzips der Verhältniswahl im Betriebsverfassungsrecht entgegen, zumal dem Argument der im Betriebsverfassungsgesetz selbst an vereinzelten Stellen vorgenommenen Entscheidung für die Mehrheitswahl keine wirkliche Durchschlagskraft zukommt807. II. Ergebnis: Durchgreifen des Grundprinzips der Verhältniswahl – Vorliegen einer Veränderungssperre im Hinblick auf das Gebot der Verhältniswahl gem. § 27 Abs. 1 Satz 3 BetrVG Damit steht fest, dass die Verhältniswahl als Grundprinzip der Betriebsverfassung anzusehen ist, welches grundsätzlich bei allen Wahlakten zunächst Geltung für sich beanspruchen kann. Dies gebietet im Kern vor allem das Grundrecht der Minderheitskoalitionen auf effektive Grundrechtsbetätigung in der Betriebsverfassung, sowie deren Recht auf Chancen- und Wahlrechtsgleichheit in einem Verständnis, das dieses sich nicht im bloß formalen Wahlakt erschöpfen lässt. Der im Parlamentsrecht vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Grundsatz der „Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen“ bestätigt diese Einordnung der Verhältniswahl als Grundprinzip der Betriebsverfassung: Denn auch in der Betriebsverfassung treten an die Stelle des gewählten Gesamtorgans verschiedene weitere Gremien, die an Stelle des Betriebsrats Aufgaben wahrzunehmen haben, so dass es ein Gebot der Wahlrechtsgleichheit ist, die (gewerkschafts-)politischen Stärkeverhältnisse im Gesamtorgan auch in den weiteren Gremien des Betriebsrats nach Möglichkeit abzubilden. Vereinzelte Regelungen im Gesetz, welche die Mehrheitswahl anordnen, stehen angesichts ihres Ausnahmecharakters einer solchen Betrachtung nicht durchgreifend entge806 807

BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (172 f.), dort 5. b) a. E. Siehe oben 4. Kap. § 8 A. I. 1.

§ 8 Der Betriebsausschuss (§ 27 BetrVG)

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gen. Ist das Verhältniswahlprinzip aber demnach als Grundprinzip der Betriebsverfassung anzusehen, so bedarf es bei der Besetzung der weiteren Gremien des Betriebsrats besonderer und vor allem zwingender Sachgründe, um die Mehrheitswahl an diesen Stellen ausnahmsweise für verfassungsrechtlich zulässig erachten zu dürfen. Dem Betriebsausschuss können gem. § 27 Abs. 2 Satz 2 BetrVG Aufgaben zur selbständigen Erledigung übertragen werden. Mit Ausnahme des Abschlusses von Betriebsvereinbarungen gehen diese Übertragungsmöglichkeiten sehr weit und werden letztlich nur durch das „Entkernungsverbot“808 des Bundesarbeitsgerichts begrenzt. Der Betriebsausschuss tritt, so weit ihm Aufgaben vom Betriebsrat übertragen worden sind, in vollem Umfang an die Stelle des Betriebsrats809. Damit geht es bei der Arbeit im Betriebsausschuss um die Wahrnehmung der Belange derjenigen, die das Organ Betriebsrat gewählt haben, welches seinerseits die Mitglieder des Betriebsausschusses wählt, um an seiner Stelle diese Aufgaben wahrzunehmen810. Damit muss nach den oben entwickelten Grundsätzen das Grundprinzip der Verhältniswahl bei der Besetzung des Betriebsausschusses zum Tragen kommen. Zwingende Sachgründe, welche die Mehrheitswahl auf diesem Hintergrund bei der Wahl der weiteren Betriebsausschussmitglieder ausnahmsweise erlauben könnten, sind nicht ersichtlich. Die Durchbrechung dieses Grundprinzips durch § 27 Abs. 1 Satz 1, 1. TS BetrVG, der den Vorsitzenden und dessen Vertreter zu geborenen Mitgliedern des Betriebsausschusses bestimmt, ist allerdings durch solch zwingende Gründe gedeckt: Denn es wäre wohl als sachwidrig anzusehen, wenn diese Funktionsträger trotz ihrer herausgehoben (Geschäftsführungs-)Funktion nicht automatisch auch in die vom Betriebsausschuss gem. § 27 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu besorgenden laufenden Geschäfte des Betriebsrats eingebunden wären. Damit ist die gesetzliche Anordnung der Verhältniswahl gem. § 27 Abs. 1 Satz 3 BetrVG verfassungsfest gewährleistet811.

808

Siehe dazu gleich unter 4. Kap. § 8 B. KassHdbArbR-Etzel 7.1. Rdnr. 145. 810 Löwisch ZBVR 02, 207 (211). 811 Anders KassHdbArbR-Etzel 7.1. Rdnr. 141, der unter Hinweis auf BAG v. 01.06.1976 – 1 ABR 99/74 = AP Nr. 1 zu § 28 BetrVG 1972 sogar trotz des gem. § 27 Abs. 1 Satz 3 BetrVG seit der Betriebsverfassungsnovelle 1988 vorhandenen Gebots der Verhältniswahl die Auffassung vertritt, dass Vertreter von Minderheitenlisten nicht in den Betriebsausschuss zu entsenden seien. 809

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

B. Minderheitenschutz durch Vorrang des Betriebsratsplenums für Entscheidungen im Kernbereich seiner gesetzlichen Befugnisse I. Das „Entkernungsverbot“ Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts812 darf der Betriebsrat sich nicht aller wesentlicher Befugnisse dadurch entäußern, dass er seine Aufgaben weitestgehend auf den Betriebsausschuss oder einen anderen, nach § 28 BetrVG gebildeten Ausschuss überträgt. Er muss vielmehr als Gesamtorgan, bezogen auf seinen gesamten Aufgabenbereich, im Kernbereich der Mitbestimmungsordnung zuständig bleiben813. Ausdrücklich bestimmt § 27 Abs. 2 Satz 2, 2. HS BetrVG, dass der Abschluss von Betriebsvereinbarungen in keinem Fall auf den Betriebsausschuss übertragen werden darf. Diese Grundsätze können schlagwortartig als „Entkernungsverbot“ bezeichnet werden. II. Rechtstatsächliche Funktion des „Entkernungsverbots“ für den Schutz der Minderheitsgewerkschaften Auch wenn die Mitglieder des Betriebsausschusses im Wege der Verhältniswahl gewählt werden bzw. gewählt werden müssen, ist je nach Anzahl der gem. § 27 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zu wählenden weiteren Mitglieder und der Anzahl der im Betriebsrat vertretenen Minderheitskoalitionen rechnerisch nicht sichergestellt, dass diese alle auch ihre Vertreter in den Betriebsausschuss platzieren können. Dies ist eine natürliche Folge des Verhältniswahlsystems und der nur beschränkt zu vergebenden Betriebsausschusssitze. Das „Entkernungsverbot“ hat deshalb die praktische Folge, dass auch die nicht im Betriebsausschuss vertretenen Minderheitskoalitionen die Chance erhalten, ihre Vorstellungen wenigstens in einem Kernbereich der Aufgaben des Betriebsrats zu Gehör bringen zu können. Insbesondere haben sie die Möglichkeit, durch argumentative Teilhabe im Vorfeld des Abschlusses von Betriebsvereinbarungen diese zumindest mittelbar mitzubeeinflussen.

812 BAG v. 01.06.1976 – 1 ABR 99/74 Gründe III. 2.; v. 20.10.1993 – 7 ABR 26/ 93; so auch LAG München v. 23.06.2004 – 6 TaBV 74/03, S. 4 f. (n. v.) und ArbG München v. 15.10.2003 6 BV 25/03 S. 8 ff. (n. v.). 813 ErfK-Eisenmann § 27 Rdnr. 7; Fitting § 27 Rdnr. 77; Galperin/Löwisch § 27 Rdnr. 34; § 28 Rdnr. 7; GK-Wiese/Raab § 27 Rdnr. 70 m.w. N.; wohl auch HSWGGlock § 27 Rdnr. 35; Richardi-Richardi-Thüsing § 27 Rdnr. 60; Weiss/Weyand § 27 Rdnr. 10, sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass es eine Pervertierung der Zuständigkeitsverteilung der Aufgaben darstellen würde, könnten dem Betriebsausschuss generell alle Aufgaben des Betriebsrats zugewiesen werden.

§ 8 Der Betriebsausschuss (§ 27 BetrVG)

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III. Verfassungsrechtlich gesicherte Verbindlichkeit des „Entkernungsverbots“ zugunsten von Minderheitsgewerkschaften? Es ist bereits an anderer Stelle ausgeführt worden, dass die Teilhabe der Koalitionen im Bereich zwangskorporierter Mitbestimmung verfassungsrechtlich geboten ist814. Dass sich die gleichfalls gebotene Chancen- und Wahlrechtsgleichheit der Koalitionen nicht im formalen Akt der Wahl zum Betriebsrat erschöpfen darf, steht ebenfalls fest815. Wäre es dem Betriebsrat möglich, seine Aufgaben generell auf Ausschüsse zu verlagern, so würde die durch die Anwendung der formalen Wahlrechtsgleichheit bewirkte Absicherung des Grundrechts der Minderheitskoalitionen im Ergebnis völlig leer laufen können – sie hätte keine materiellen Folgen im Hinblick auf die Tätigkeit des Betriebsrats. Deshalb bewirkt die Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG zugunsten der Minderheitsgewerkschaften sicherlich, dass deren Vertreter nicht vollständig von jeglicher Einflussnahme auf das Geschehen im Aufgabenbereich des Betriebsrats abgeschnitten werden dürfen. Augenscheinlich wird dies insbesondere beim Verbot, Betriebsvereinbarungen außerhalb des Betriebsratsplenums abzuschließen. Auch wenn dieses Verbot mit dem normativen Charakter der Betriebsvereinbarung begründet wird816, der eine möglichst hohe formale Legitimation – eben durch das Gesamtgremium erfordere – so wird hierdurch doch indirekt auch anerkannt, dass es bei Beschlüssen mit normativem Charakter der Legitimation durch ein Gremium mit unverfälschter Abbildung der bei den Wahlen entstandenen (gewerkschafts-)politischen Stärkeverhältnisse bedarf. Über Betriebsvereinbarungen sollen alle gewählten Betriebsratsmitglieder mitentscheiden dürfen. Insoweit dürfte das Verbot des Abschlusses von Betriebsvereinbarungen außerhalb des Plenums auch durch das Recht der Minderheitskoalitionen auf effektive Grundrechtsbetätigung in der Betriebsverfassung mitbewirkt sein. Weil aber nur ein verhältnismäßig geringer Teil der Betriebsratstätigkeit in der Beratung und dem Abschluss von Betriebsvereinbarungen besteht, dürfte des weiteren auch die Einflussmöglichkeit der Minderheitskoalitionen auf einen Kernbereich sonstiger Tätigkeiten verfassungsrechtlich geboten sein, um die Wahlrechtsgleichheit nicht materiell auszuhöhlen, und ihnen Mitwirkungsbefugnisse zu belassen. Wendet man die Formel vom „potentiellen Koalitionspluralismus“817 hierauf an, so bedeutet dies, dass den Minderheitskoalitionen jedenfalls

814

Siehe oben 2. Kap. § 1 A. III.; F. IV. 3. g). Siehe oben 4. Kap. § 8 A. I. 2. a) ff); II. 816 Amtliche Begründung BR-Drucks. 715, S. 70; siehe auch GK-Wiese/Raab § 27 Rdnr. 68. 817 Löwisch RdA 75, 53 (56); Rieble Rdnrn. 1780 ff. 815

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

so viel Raum für die argumentative Teilhabe belassen werden muss, dass sie die Chance erhalten, sich durch die Tätigkeit ihrer Vertreter in der Betriebsratsarbeit gegenüber den Wahlberechtigten durch Erarbeitung eigener Lösungsansätze zu profilieren. Die Bestimmung konkreter Grenzen einer Verlagerung von Kompetenzen aus dem Betriebsrat auf weitere Ausschüsse unter diesem Blickwinkel ist sicher außerordentlich schwierig. Jedenfalls sollte das „Entkernungsverbot“ des Bundesarbeitsgerichts auch unter diesem Gesichtpunkt des Minderheitenschutzes begriffen werden.

C. Die Nachbesetzung von Betriebsausschusssitzen Dass die Wahl der weiteren Betriebsausschussmitglieder im Wege der Verhältniswahl aus Gründen des gewerkschaftlichen Minderheitenschutzes verfassungsrechtlich verbürgt ist, wurde ausgeführt818. In der Praxis besteht aber sehr häufig das Problem, dass solchermaßen gewählte Minderheitenvertreter während der Amtsperiode entweder ganz aus dem Betriebsrat ausscheiden, oder aber ihr Amt im Betriebsausschuss zur Verfügung stellen. Es stellt sich dann die Frage, wie diese freigewordenen Ausschusssitze nachzubesetzen sind, insbesondere ob und wie dem gesetzlich angelegten Minderheitenschutz dabei hinreichend Rechnung getragen werden kann. Die Lösungsvorschläge in der Literatur zur Nachbesetzung sind ausgesprochen mannigfaltig. I. Nachbesetzung durch Mehrheitswahl Zum Teil wird hierzu vertreten, dass es dem Betriebsrat freigestellt sei, die Nachbesetzung eines freigewordenen Betriebsausschutzsitzes im Wege des Mehrheitsbeschlusses bzw. der Mehrheitswahl vorzunehmen. Denn der Gesetzgeber habe zur Bestellung von „Ersatzmitgliedern“ keine Regelung getroffen. Ein Nachrücken aus der Wahlvorschlagsliste, für die das ausgeschiedene Betriebsratsmitglied bei der Wahl zum Betriebsausschuss kandidiert habe, sei ausgeschlossen, weil eine entsprechende Bestimmung in § 27 BetrVG fehle. Die analoge Anwendung des § 25 Abs. 2 BetrVG sei – dies wird ohne weitere Begründung vertreten – ausgeschlossen819. Diese Auffassung ist zu verwerfen: Der gesetzlich angeordnete – und nach hier vertretener Auffassung verfassungsrechtlich gebotene – Minderheitenschutz 818

Siehe oben 4. Kap. § 8 A. Dänzer-Vanotti ArbuR 89, 204 (208); HSWG-Glock § 27 Rdnr. 27; ähnlich, jedoch unklar, ob nur unter der Voraussetzung des vorhandenen Einverständnisses aller Betriebsratsmitglieder DKK-Wedde § 27 Rdnrn. 23 f.; ErfK-Eisenmann § 27 Rdnr. 4; für den Parallelfall der Nachbesetzung von Freistellungen siehe LAG Frankfurt v. 04.03.1993 – 12 TaBV 142/92 = AiB 93, 655; LAG Bremen v. 22.02.2000 – 1 TaBV 15/99 (n.rkrft.). 819

§ 8 Der Betriebsausschuss (§ 27 BetrVG)

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würde nämlich auf diese Weise vollkommen unterlaufen werden können. Die gewerkschaftliche Minderheit im Betriebsrat hätte keine Chance, ihren Kandidaten bei der Nachbesetzung durchzubringen820, obwohl das Gesetz die Entscheidung für die Spiegelbildlichkeit von Plenum und Ausschuss getroffen hat bzw. treffen musste. Auf diese Weise könnte auch eine starke Minderheit im Betriebsausschuss während einer Amtsperiode vollständig „ausbluten“. Die gesonderte Nachwahl im Wege der Mehrheitswahl ist deshalb wegen der unzulässigen Verquickung von Verhältnis- und Mehrheitswahl unzulässig821. II. Wahl von Ersatzmitgliedern Zum Teil wird die Lösung der Nachbesetzung in der Wahl von Ersatzmitgliedern gesucht. So wird vertreten, dass die in den Betriebsausschuss nachrückenden Betriebsratsmitglieder in einem gesonderten Wahlgang – in Analogie zu den §§ 47 Abs. 3 und 55 Abs. 2 BetrVG822 – gewählt werden können. Dabei seien die sich aus § 27 Abs. 1 BetrVG ergebenden Wahlgrundsätze zu beachten. Bei Vorliegen mehrerer Wahlvorschläge sei deshalb auch die Wahl der Ersatzmitglieder im Wege der Verhältniswahl vorzunehmen823. Dem wird aber wie auch bei der Ablehnung der Mehrheitswahl zu Recht entgegengehalten, dass durch einen gesonderten Wahlgang für die zu bestimmenden Ersatzmitglieder auch bei hierbei erfolgender Beachtung des Grundsatzes der Verhältniswahl der gesetzlich gewollte Minderheitenschutz unterlaufen werden kann: Denn bei – unterstelltem – gleichen Abstimmungsverhalten der Betriebsratsmitglieder bei der Ersatzmitgliederwahl wie bei der vorher erfolgten Wahl der Betriebsausschussmitglieder, würde dann, wenn sich die Reihenfolge der Ersatzmitglieder wiederum nach den Grundsätzen der Verhältniswahl bestimmte, das nachzurückende Ersatzmitglied wiederum der Mehrheitsliste entnommen werden müssen. Es sei damit entgegen dem gesetzlich gewollten Minderheitenschutz nicht gewährleistet, dass das Ersatzmitglied von derselben Gruppierung getragen werde wie das zu ersetzende Mitglied des Betriebsausschusses824.

820

Fitting § 27 Rdnr. 39; GK-Wiese/Raab § 27 Rdnrn. 45, 48. Fitting § 27 Rdnr. 39. 822 So ausdrücklich ErfK-Eisenmann § 27 Rdnr. 4; DKK-Wedde § 27 Rdnr. 24. 823 DKK-Wedde § 27 Rdnrn. 23 f.; Halberstadt § 27 Rdnr. 4; wohl auch v. Hoyningen-Huene § 9 II 1, 169 Joost MünchArbR § 306 Rdnr. 39; Richardi-Richardi-Thüsing § 27 Rdnr. 21; so auch LAG München v. 21.10.2004 – 3 TaBV 16/04, S. 11 (n.rkrft., n. v.) mit der lapidaren Feststellung, hierdurch sei der Minderheitenschutz verwirklicht; ähnlich ArbG München v. 12.02.2004 – 9 BV 83/03, S. 6 (n.rkrft., n. v.) ohne Begründung für Zulässigkeit der gesonderten Wahl der Ersatzmitglieder. 824 Fitting § 27 Rdnrn. 30, 37; GK-Wiese/Raab § 27 Rdnr. 45. 821

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Dieser Argumentation ist schon unter teleologischen Gesichtspunkten zwingend zu folgen. Bedenkt man noch die grundrechtliche Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG mit ihrer zugunsten der Minderheitsgewerkschaften wirkenden Festlegung der Betriebsverfassung auf das Grundprinzip der Verhältniswahl, so kann das durch die gesonderte Wahl der Ersatzmitglieder bewirkte Unterlaufen des Minderheitenschutzes keinesfalls als zulässig angesehen werden. III. Analoge Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG Mit dem Verwerfen der Möglichkeit einer Mehrheits- oder gesonderten Verhältniswahl der Ersatzmitglieder ist aber noch keine eindeutige Entscheidung über die Bestimmung der nachrückenden Ersatzmitglieder gewonnen. Deshalb wird teilweise vertreten, dass es der Betriebsrat in der Hand habe, bei der Wahl der Betriebsausschussmitglieder ein Nachrückverfahren analog § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG festzulegen. Dann seien die Ersatzmitglieder der Reihe nach aus den nicht gewählten Betriebsratsmitgliedern derjenigen Vorschlagslisten zu entnehmen, auf denen die zu ersetzenden Ausschussmitglieder gestanden haben825. Sei eine solche Verfahrensfestlegung durch den Betriebsrat nicht erfolgt, so bleibt nach Wiese/Raab826 nur noch der Weg, über die Besetzung des Betriebsausschusses insgesamt neu zu bestimmen. Denn habe sich der Betriebsrat nicht in der beschriebenen Weise festgelegt, so dürfe nicht auf einen solchen Willen des Betriebsrats zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Ausschussmitglieds geschlossen werden. Schließlich könnte sich zwischenzeitlich die personelle Konstellation im Betriebsrat durch das Nachrücken von Ersatzmitgliedern verändert haben. Andererseits wird aber auch die Auffassung vertreten, es erfolge auch ohne die entsprechende Festlegung des Betriebsrats ein Nachrücken analog § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, weil dies am ehesten den gesetzlichen Minderheitenschutz verwirkliche827. Dabei wird zum Teil auf das Bundesarbeitsgericht verwiesen, das in seiner Entscheidung vom 25.04.2001828 zum Nachrücken in die Freistellung829 mit Hinweis auf die Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG 825

GK-Wiese/Raab § 27 Rdnr. 44; Richardi-Richardi/Thüsing § 27 Rdnr. 19. GK-Wiese/Raab § 27 Rdnr. 46. 827 ArbG Berlin v. 19.06.2003 – 25 BV 6243/03 = NZA RR 03, 87 f. unter Betonung der Unzulässigkeit einer Neuwahl (gemeint ist der Sache nach jedoch die Nachwahl) des vakant gewordenen Sitzes im Wege der Verhältniswahl; denn diese laufe zwangsläufig darauf hinaus, dass dann – entgegen dem Sinn des Gesetzes – die Mehrheitskoalition die Nachbesetzung aus ihren Reihen vornehmen könne; insofern spiegelt dies die Argumentation wider, der oben gegen die Zulässigkeit einer gesonderten Wahl der Ersatzmitglieder des Betriebsausschusses zeitgleich zur Ausschussbesetzung gefolgt worden ist; für ein automatisches Nachrücken auch Bopp, 50 ff.; Engels/Natter BB-Beilage 8/89, 22; Fitting § 27 Rdnr. 34. 826

§ 8 Der Betriebsausschuss (§ 27 BetrVG)

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festgestellt hat, dass dieses Nachrücken gem. § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG analog zu erfolgen habe, weil nur so dem verfassungsrechtlich gebotenen Minderheitenschutz hinreichend Rechnung getragen werden könne. Demgegenüber sei die ebenfalls denkbare Neuwahl die deutlich unpraktikablere Problemlösung. Denn diese störe die gebotene Kontinuität der Betriebsratsarbeit830. Das Bundesarbeitsgericht hat jüngst831 unter Bezugnahme auf die genannte Entscheidung vom 25.04.2001832 zum Nachrücken in die Freistellung festgestellt, dass beim Ausscheiden im Wege der Verhältniswahl gewählter Mitglieder betriebsratsinterner Ausschüsse dieselben Grundsätze wie beim Nachrücken in die Freistellung zu gelten haben, so dass auch dort ein Nachrücken gem. § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG aus derjenigen Vorschlagsliste zu erfolgen habe, der das zu ersetzende Mitglied angehört hat. Der gesetzlich und verfassungsrechtlich gebotene Minderheitenschutz kann gleichermaßen gut durch die Neuwahl der (aller) weiteren Mitglieder des Betriebsausschusses, wie auch durch ein Nachrücken analog § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verwirklicht werden833. Warum der Festlegung des Betriebsrats auf ein Nachrücken bei der Wahl der Betriebsausschussmitglieder für die analoge Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die ausschlaggebende Wirkung zukommen sollte, ist nicht einsichtig: Denn die mögliche Veränderung der personellen Konstellation im Betriebsrat vollzieht sich ganz unabhängig von einer solchen Willenskundgabe des Betriebsrats, so dass die bei einem solchen „Ausdrücklichkeitsbeschluss“ ins Auge gefassten potentiellen Nachrücker im Ersetzungsfalle ohnehin längst nicht mehr Mitglieder des Betriebsrats sein könnten. Deshalb ist mit dem Bundesarbeitsgericht834 aus Praktikabilitätserwägungen heraus die Auffassung von Wiese/Raab835 abzulehnen, derzufolge ein Automatismus des Nachrückens nicht in Frage kommen soll und stattdessen im 828 BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 Gründe B. I. 2. c) aa) (3). 829 Dazu noch unten 4. Kap. § 17 B. 830 BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 Gründe B. I. 2. c) cc) 2. Abs. 831 BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 43/04 = AP Nr. 6 zu § 28 BetrVG 1972 B. II. 2. a). 832 BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972. 833 Dies ist nicht ganz präzise: Verändert sich nämlich während der Amtsperiode des Betriebsrats das Stärkeverhältnis zwischen Minderheits- und Mehrheitskoalition im Betriebsrat zu Lasten der Minderheitskoalition – weil durch das Nachrücken von Ersatzmitgliedern bei Listenerschöpfung der Minderheitsgewerkschaft gem. § 25 Abs. 2 Satz 2 BetrVG eine Kräfteverschiebung erfolgt ist – so hat die Minderheitskoalition bei einer Neuwahl der Betriebsausschussmitglieder eine schlechtere Ausgangsposition für die Wahl ihrer Vertreter in den Betriebsausschuss. 834 BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 43/04 = AP Nr. 6 zu § 28 BetrVG 1972 B. II. 2. a). 835 GK-Wiese/Raab § 27 Rdnr. 46.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Ersetzungsfalle eine Neuwahl vorzunehmen sei836. Denn es ist davon auszugehen, dass das Gesetz grundsätzlich davon ausgeht, dass die Ausschussmitglieder für die gesamte Amtsperiode gewählt sein sollen837. Im Ergebnis erfolgt die Nachbesetzung der während der Amtsperiode freiwerdenden Sitze des Betriebsausschusses deshalb im Wege der analogen Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG838. Eine Nachbesetzung im Wege der Mehrheits-Nachwahl ist aber dann zulässig, wenn die Liste, welcher das zu Ersetzende Ausschussmitglied angehörte, erschöpft ist: Weil die gewerkschaftliche Minderheit im Betriebsrat es in der Hand hatte, durch die entsprechende Gestaltung von Vorschlagslisten Vorkehrungen für ein minderheitenschonendes Nachrücken zu schaffen, bedarf es hier keines Minderheitenschutzes durch die obligatorische Vornahme einer insgesamt vorzunehmenden Neuwahl aller Ausschussmitglieder mehr839. IV. Effektive Gewährleistung des Minderheitenschutzes durch Abberufungsquorum, § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG? Der durch die Anordnung der Verhältniswahl erreichte Schutz der Minderheitsgewerkschaften wird verfahrensmäßig durch das Abberufungsquorum des 836 Etwas anderes gilt nur dann, wenn während der Amtsperiode die Zahl der Ausschussmitglieder erhöht wird: Auf die Besetzung des weiteren Ausschusssitzes haben sich die ursprünglichen Wahlvorschläge nicht bezogen; Diese wurden für die Wahl einer ganz bestimmten Anzahl von Ausschussmitgliedern aufgestellt; damit ist den ursprünglichen Wahlvorschlägen die Grundlage entzogen, weshalb zur Sicherung des Minderheitenschutzes die Neuwahl – und nicht etwa eine ergänzende Nachwahl per Mehrheitsbeschluss – aller Ausschussmitglieder durchgeführt werden muss, so siehe zutreffend BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 43/04 = AP Nr. 6 zu § 28 BetrVG 1972 B. II. 3 a). 837 DKK-Wedde § 27 Rdnr. 13; ErfK-Eisenmann § 27 Rdnr. 4; Fitting § 27 Rdnr. 45; KassHdbArbR-Etzel 7.1. Rdnr. 142; Löwisch/Kaiser § 27 Rdnr. 12. 838 Dabei besteht allerdings noch das Sonderproblem der Listenerschöpfung, wenn also kein Nachrücker auf dem Wahlvorschlag der Minderheitskoalition mehr vorhanden ist: Auch für diesen Fall fordern GK-Wiese/Raab § 27 Rdnr. 46 die Neuwahl des Betriebsausschusses insgesamt; das BAG v. 28.10.1992 – 7 ABR 2/92 = AP Nr. 16 zu § 38 BetrVG 1972 Gründe B. II. 1. hat im Rahmen der Parallelproblematik bei der „Ersatzfreistellung“ im Falle der Listenerschöpfung eine Neuwahl nicht für geboten erachtet; in Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung hat das BAG, Beschl. v. 25.04. 2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 Gründe B. I. 2. c) cc) 2. Abs. ausgeführt, dass der „Listenschutz nicht weiter reichen könne als die Liste selbst“; dem ist zuzustimmen: schließlich hat es die Minderheitskoalition selbst in der Hand, bei der Wahl zum Betriebsausschuss so ausreichend viele Mitglieder in ihren Wahlvorschlag aufzunehmen, dass eine größtmögliche Zahl potentieller Nachrücker für den Weg des § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG analog zur Verfügung stehen; so jetzt auch ausdrücklich für den Bereich der betriebsratsinternen Ausschüsse BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 43/04 = AP Nr. 6 zu § 28 BetrVG 1972 B. II. 2. a). 839 So auch BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 43/04 = AP Nr. 6 zu § 28 BetrVG 1972 B. 3. a).

§ 8 Der Betriebsausschuss (§ 27 BetrVG)

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§ 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG von drei Vierteln der Stimmen der Mitglieder des Betriebsrats abgesichert. Durch dieses hohe Quorum soll verhindert werden, dass ein der Minderheit im Betriebsrat angehörendes Ausschussmitglied – bei seiner Wahl im Verhältniswahlmodus – mit einfacher Stimmenmehrheit jederzeit wieder abberufen werden kann. Denn hierdurch könnte der gesetzliche Minderheitenschutz durch nachträgliche Veränderung des Ergebnisses der Verhältniswahl umgangen werden840. Dieser gesetzliche Mechanismus stellt regelmäßig eine Sicherung der Vertreter der Minderheitskoalitionen im Sinn der Ermöglichung effektiven Grundrechtsschutzes dar841. Allerdings sichert auch dieses hohe Abberufungsquorum rechnerisch nicht durchgängig die Stellung der Minderheitsvertreter im Betriebsausschuss: Bei einem Betriebsrat mit beispielsweise 37 Mitgliedern und einem Stärkeverhältnis von 33 zu vier Mitgliedern der Mehrheits- zur Minderheitskoalition im Betriebsrat, entfiele der nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zu wählende neunte Ausschusssitz an die Minderheitsgewerkschaft. Die Mehrheitskoalition könnte aber mit 28 Stimmen – gesetzeskonform! – diese Sitzverteilung ohne weiteres wieder sofort rückgängig machen. Der Minderheitenschutz würde in diesem Falle – gesetzeskonform – vereitelt. Die Lösung dieser Fallkonstellation ist schwierig: Einerseits muss der Minderheitenschutz effektiv gewährleistet werden, andererseits wollte das Gesetz die Ausschussmitglieder nicht mit einer „Ewigkeitsgarantie“ versehen und es dem Betriebsrat ermöglichen, bei Unzufriedenheit über die Amtsführung einzelner Ausschussmitglieder diese auch wieder abberufen zu können. Es bietet sich daher nur die Lösung im Wege der Güterabwägung an. Auf der einen Seite steht der effektiv zu gewährende Minderheitenschutz. Dieser muss so verstanden werden, dass dessen Absicherung durch das mit ihm einhergehende Prinzip der Wahlrechtsgleichheit sich im Sinne der „Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschuss“ bis in die Ausschussbesetzung hinein verlängert. Dies wurde oben ausgeführt842. Dies hat auf der anderen Seite der Güterabwägung hin wiederum notwendig zur Folge, dass an eine Durchbrechung der Wahlrechtsgleichheit an dieser Stelle sehr hohe Anforderungen an das Vorliegen sachlicher Gründe zu stellen 840 So zu Recht BAG v. 29.04.1992 – 7 ABR 74/91 = AP Nr. 15 zu § 38 BetrVG 1972 Gründe II. 3., 3. Abs.; v. 28.10.1992 – 7 ABR 2/92 = AP Nr. 16 zu § 38 BetrVG 1972 Gründe B. II. 2 c); so auch schon BT-Drucks. 11/2503, S. 33; Engels/ Natter BB 89 Beil. 8, 22; Fitting § 27 Rdnr. 46; GK-Wiese/Raab § 27 Rdnr. 33. 841 Auch ohne dieses ausdrücklich geregelte Abberufungsquorum wäre die Abberufung nach erfolgter Verhältniswahl unter dem Aspekt der verbotenen Gesetzesumgehung und des Rechtsmissbrauchs auf dem Hintergrund der Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG sicherlich nicht ohne weiteres zulässig; der Gesetzgeber hat trotzdem zu Recht jeden diesbzgl. Begehrlichkeiten der Mehrheitsgewerkschaften einen deutlichen Riegel vorgeschoben, um jede Rechtsunsicherheit schon im Ansatz zu vermeiden. 842 Dazu oben 4. Kap. § 8 A. I. a) f.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

sind. Die Abberufung dürfte in der zum Beispiel genommenen Stärkekonstellation deshalb nur aufgrund sehr gewichtiger Sachgründe durch die qualifizierte Mehrheit im Betriebsrat vorgenommen werden, Sachgründe, die der objektiven Umgehung des verfassungsrechtlich gebotenen Minderheitenschutzes in der Abwägung auch standhalten können. Deshalb dürfte sich die arbeitsgerichtliche Überprüfung einer solchen Abberufung nicht in der formalen Prüfung des Erreichens des Abberufungsquorums erschöpfen. Vielmehr müßte die arbeitsgerichtliche Kontrolle den besonders hohen Rang des Minderheitenschutzes dadurch berücksichtigen, als sie einer Abberufung ohne nachvollziehbar dargelegte gewichtige Sachgründe – etwa unter der dogmatischen Einordnung als Verbot des Rechtsmissbrauchs – eine Absage erteilen müßte. Die Schwierigkeiten im einzelnen Anwendungsfall liegen allerdings auf der Hand.

§ 9 Weitere Ausschüsse (§ 28 Abs. 1, 2 BetrVG) Der Betriebsrat kann in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern Ausschüsse bilden, und im Falle der Bildung eines Betriebsausschusses diesen Aufgaben zur selbständigen Erledigung übertragen. Für die Wahl zu diesen Ausschüssen ist die Verhältniswahl vorgegeben. Die Erwägungen, die zur Bedeutung und zu den praktischen Folgen des so vermittelten Minderheitenschutzes angestellt wurden, sind angesichts der Parallelproblematik beim Betriebsausschuss auch hier einschlägig, so dass insofern dorthin zurückverwiesen werden kann843. Im Hinblick auf Ausschüsse gem. § 28 Abs. 2 BetrVG, deren Mitglieder vom Betriebsrat und vom Arbeitgeber benannt werden („gemeinsame Ausschüsse“) hatte sich mit dem ArbG Ulm844 – soweit ersichtlich erstmals – ein Arbeitsgericht mit der Frage zu befassen, ob bei der Besetzung der „Arbeitnehmerbank“ eines gemeinsamen Ausschusses von Arbeitgeber und Betriebsrat die Sitze des Betriebsrats im Wege der Verhältniswahl zu bestimmen seien, oder ob der Betriebsrat hier im Wege des Mehrheitsbeschlusses vorgehen dürfe. Namentlich handelte es sich um die Besetzung eines Personalplanungsausschusses, bei der innerhalb des Betriebsrats die „Arbeitnehmerbank“ im Wege der nicht geheimen Mehrheitswahl besetzt worden war. Das ArbG Ulm hat entschieden, dass in diesem Falle § 28 Abs. 1 Satz 2 BetrVG analog anzuwenden sei, auch in diesem Falle also im Wege der Verhältniswahl gewählt werden müsse. Auch wenn es sich beim gemeinsamen Ausschuss um eine „eigenständige Einrichtung der Betriebsverfassung“845 handle, gelte doch, dass die Mitglieder eines solchen 843

Siehe oben 4. Kap. § 8. ArbG Ulm Beschl. v. 08.11.2006 – 2 BV 3/06, n. v. 845 BAG v. 20.10.1993 – 7 ABR 26/93 = AP Nr. 5 zu § 28 BetrVG 1972; ArbG Ulm v. 08.11.2006 – 2 BV 3/06, S. 6, n. v. 844

§ 10 Die Einberufung der Betriebsratssitzungen (§ 29 BetrVG)

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Ausschusses wesentlichen, regelmäßig vorbereitenden Einfluss auf die Entscheidungen des Betriebsrats nähmen. Insofern sei die Funktion gemeinsamer Ausschüsse jener der „weiteren Ausschüsse“ nach § 28 Abs. 1 BetrVG vergleichbar, weshalb der Minderheitenschutz auch hier zwingend durch die geheime Verhältniswahl gewährleistet werden müsse. Die vorhandene Gesetzeslücke in § 28 Abs. 2 BetrVG, der alleine die Übertragung von Aufgaben zur selbständigen Entscheidung auf „gemeinsame Ausschüsse“ abstelle, sei im Wege der analogen Anwendung des § 28 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zu schließen846.

§ 10 Die Einberufung der Betriebsratssitzungen (§ 29 BetrVG) A. Die Verwirklichung eines effektiven Schutzes der Vertreter der Minderheitskoalitionen durch ausreichende Information, § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG verpflichtet den Betriebsratsvorsitzenden zur rechtzeitigen Ladung der Betriebsratsmitglieder unter Mitteilung der Tagesordnung. Gerade die Vertreter von Minderheitsgewerkschaften, die möglicherweise nicht im Betriebsausschuss oder den weiteren Ausschüssen des Betriebsrats vertreten sind, und die in ihren Reihen auch keine freigestellten Betriebsratsmitglieder haben, sind dringender noch als die Mehrheitskoalitionäre auf rechtzeitige Information im Vorfeld einer Betriebsratssitzung angewiesen. Sie sind aufgrund ihrer Minderheitenstellung im Wesentlichen nämlich ohnehin darauf beschränkt, auf die Beschlussfassung im Wege der argumentativen Teilhabe, und nur im Vorfeld von Beschlüssen einzuwirken. Dies kann aber erfolgreich nur dadurch geschehen, dass sie die Möglichkeit erlangen, sich anhand der rechtzeitig mitgeteilten Tagesordnungspunkte so auf die Sitzungen vorzubereiten, dass sie dann dort auch inhaltlich qualifizierte und sachdienliche Beiträge leisten können. Nur aufgrund rechtzeitiger Ladung und Bekanntgabe der Tagesordnung können sie sich gegebenenfalls über ihr Einsichtsrecht gem. § 34 Abs. 3 BetrVG sachgerecht auf die zu behandelnden Tagesordnungspunkte vorbereiten847, mit den Arbeitnehmern des Betriebs Fühlung aufnehmen oder die anste846 So im Ergebnis ohne weiteres Eingehen auf die Analogieproblematik auch DKK-Wedde § 28 Rdnr. 19; GK-Wiese/Raab § 28 Rdnr. 42, die allerdings zu Recht darauf hinweisen, dass der Betriebsrat nicht verpflichtet sei, so viele Betriebsratsmitglieder zu entsenden, dass auf jede Liste mindestens ein Ausschussmitglied entfällt. 847 ErfK-Eisenmann § 29 Rdnr. 2 a. E.; Fitting § 29 Rdnr. 46; GK-Wiese § 29 Rdnr. 50; v. Hoyningen-Huene § 9 IV. 1., S. 174; HSWG-Glock § 29 Rdnr. 40; Joost MünchArbR § 307 Rdnr. 14; Löwisch/Kaiser § 29 Rdnr. 5; Richardi-Richardi/Thüsing § 29 Rdnr. 36; BAG v. 28.04.1988 – 6 AZR 405/86 = AP Nr. 2 zu § 29 BetrVG 1972 Gründe II. 3. c) aa); v. 28.10.1992 – 7 ABR 14/92 = AP Nr. 4 zu § 29 BetrVG 1972 Gründe B. II. 2. a).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

henden Tagesordnungspunkte mit ihrer Gewerkschaft besprechen848. Deshalb muss die Tagesordnung auch die zu behandelnden Punkte möglichst konkret angeben849. Nur so kann potentiell aus einer Minderheitenposition – qua Überzeugungskraft der Argumente – gegebenenfalls auch eine Mehrheitsposition bei der Beschlussfassung werden. Und nur durch solchermaßen ermöglichte qualifizierte Sacharbeit der Vertreter der Minderheitsgewerkschaften haben diese die Möglichkeit, dass ihre Auffassungen von der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im Betrieb vor den Arbeitnehmern dargelegt und als Alternative zur den Lösungsansätzen der Mehrheitsgewerkschaften wahrgenommen werden. Insofern hat die Regelung auch die Fernwirkung einer Bewahrung eines „potentiellen Koalitionspluralismus“, insbesondere unter dem Aspekt der informationellen Einbindung der Minderheitsgewerkschaften durch deren Vertreter im Betriebsrat. Sie ist deshalb neben der allgemein mit § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG verbundenen Ermöglichung sachgerechter Betriebsratsarbeit auch unter dem Gesichtspunkt eines effektiven Schutzes der Minderheitsgewerkschaften geboten. Eine nicht rechtzeitige oder im Hinblick auf die Tagesordnungspunkte unsubstantiierte Ladung verstieße damit gegen den Anspruch der Vertreter der Minderheitsgewerkschaft auf effektive Teilnahme an der betrieblichen Mitbestimmung.

B. Recht auf neutrale und gleichwertige und zeitlich synchrone Vorabinformation durch den Betriebsratsvorsitzenden in „Fraktionsvorbesprechungen“ Auch wenn der Betriebsrat eigentlich keine „Fraktionen“ kennt850, haben sich in der Praxis doch sog. „Fraktionsvorbesprechungen“ vor der Betriebsratssitzung eingebürgert. Dort werden die Tagesordnungspunkte der nächsten Betriebsratssitzung, oftmals unter Einbeziehung der jeweiligen Gewerkschaftsbeauftragten, vorbesprochen. Insbesondere dort, wo starke gewerkschaftliche Konkurrenz im Betriebsrat herrscht, kommt es nicht selten vor, dass der Betriebsratsvorsitzende ganz einseitig „seine“ Fraktion vorab ausführlich über die anstehenden und zu behandelnden Tagesordnungspunkte informiert851. Dies führt notwendig zu einem Informationsgefälle zu Lasten der Vertreter der Minderheitsgewerkschaften, welches deren Recht auf einen effektiv zu gewährleistenden Minderheitenschutz beeinträchtigen kann852. 848 849 850 851 852

Fitting § 29 Rdnr. 46. DKK-Wedde § 29 Rdnr. 21 m.w. N. A.A. DKK-Wedde § 37 Rdnr. 18, rechte Seite. Siehe z. B. ArbG München v. 15.10.2003 – 6 BV 25/03 S. 5 f., S. 10. Dazu siehe vorstehend 4. Kap. § 10 A.

§ 10 Die Einberufung der Betriebsratssitzungen (§ 29 BetrVG)

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Aus § 75 BetrVG folgt die Pflicht aller Betriebsratsmitglieder und des Betriebsrats zu strikt gewerkschaftsneutraler Amtsführung853. Allerdings wird diese Verpflichtung regelmäßig nur im Verhältnis des Betriebsrats oder seiner Mitglieder zu den Arbeitnehmern des Betriebs problematisiert. Es ist aber nicht ersichtlich, aus welchen Gründen für den Betriebsratsvorsitzenden etwas anderes gelten sollte, wenn er nicht „politisch“ in seiner Funktion als abstimmungsberechtigtes Betriebsratsmitglied, sondern formal-geschäftsordnungsmäßig als Vorsitzender bei der Vorbereitung der Betriebsratssitzungen fungiert. Eher im Gegenteil: Denn dieser letztgenannte Tätigkeitsbereich betrifft nicht die materielle Wahrnehmung seines Rechts auf freie Koalitionsbetätigung, welches ihm nach § 74 Abs. 3 BetrVG auch als Amtsträger ungeschmälert zukommt. Vielmehr handelt es sich dabei um amtliche Tätigkeit auf rein organisatorischer Ebene zur Koordinierung der Betriebsratsarbeit. Deshalb muss im Hinblick auf diese Tätigkeit vom Vorsitzenden des Betriebsrats ebenfalls eine strikt gewerkschaftsneutrale Amtsführung gefordert werden854. Aus diesen Gründen ist eine unterschiedlich gewichtige Vorabinformation in den verschiedenen Fraktionsvorbesprechungen durch den Betriebsratsvorsitzenden unzulässig855. Vielmehr folgt aus dem Gebot der gewerkschaftsneutralen Amtsführung bei dessen rein organisatorischer Tätigkeit, sowie aus dem Gebot des effektiven Grundrechtsschutzes der Minderheitsgewerkschaften wegen der zentralen Bedeutung rechtzeitiger Information gerade für die Vertreter der Minderheitskoalitionen, ein Anspruch auf zeitlich und inhaltlich gleichrangige Vorabinformation aller „Fraktionen“ durch den Betriebsratsvorsitzenden, sofern denn „Fraktionsvorbesprechungen“ abgehalten werden. Dem insofern zu beachtenden Gebot einer strikt neutralen Amtsführung genügt der Vorsitzende allerdings auch bereits dann, wenn er an keiner der „Fraktionsvorbesprechungen“ teilnimmt. Denn diese sind gesetzlich nicht vorgesehen.

C. Notwendigkeit der Einstimmigkeit für „ad hoc“ erfolgende Ergänzungen oder Veränderungen als Verwirklichung des Rechts der Minderheitenvertreter auf effektive Informationsteilhabe In engstem Zusammenhang mit den vorstehenden Ausführungen zu den Anforderungen an ordnungsgemäße Ladungen und die Art und Weise der Vorab853 Däubler Rdnrn. 461 ff., 475; ErfK-Kania § 74 Rdnr. 34; Fitting § 75 Rdnr. 52; Galperin/Löwisch § 74 Rdnr. 25; GK-Kreutz § 75 Rdnr. 58 f.; Richardi-Richardi § 74 Rdnrn. 76 f. 854 Deshalb hat das ArbG München v. 15.10.2003 – 6 BV 25/03 S. 10 zu Recht festgestellt, dass die einseitig zu Gunsten einer Fraktion vom Betriebsratsvorsitzenden vorgenommene Vorabinformation eine Pflichtwidrigkeit darstellt. 855 So auch ArbG München v. 15.10.2003 – 6 BV 25/03 S. 10.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

information des Betriebsratsvorsitzenden in sog. „Fraktionsvorbesprechungen“, steht die in der Literatur weitverbreitete und von der Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass die Tagesordnung nur unter engsten Voraussetzungen „ad hoc“ auch noch in der Betriebsratssitzung verändert werden darf. Denn die überraschende Änderung der Tagesordnung hat insbesondere auch für die Vertreter der Minderheitsgewerkschaft zur Folge, dass diese sich nicht sachgerecht auf die Diskussion im Vorfeld der Beratung und Beschlussfassung im Betriebsrat vorbereiten können. Die spezifische Bedeutung der Information und die hiermit eröffnete Möglichkeit der Rücksprache der Vertreter der Minderheitsgewerkschaft mit ihrer Koalition wurde bereits erörtert856. Zum Teil wird vertreten, dass auch noch in der Betriebsratssitzung die Tagesordnung ergänzt oder verändert werden kann, wenn dies nur durch die Mehrheit der anwesenden Betriebsratsmitglieder so beschlossen wird. Begründet wird dies damit, dass alles andere der betrieblichen Wirklichkeit und den praktischen Bedürfnissen der Betriebsratsarbeit zuwiderlaufe. Das Gesetz habe kein Verbot der Ergänzung der Tagesordnung aufgenommen, weshalb allgemeine Geschäftsordnungsgrundsätze zum Tragen kommen müssten. Die allgemeine Geschäftsordnungspraxis aber lasse den Mehrheitsbeschluss zur nachträglichen Ergänzung der Tagesordnung genügen. Soweit ein einfacher Mehrheitsbeschluss nicht ausreiche, sei dies ausdrücklich vom Gesetzgeber angeordnet worden, so etwa in den §§ 51 GmbHG, 124 AktG oder 23 Abs. 2 WEG857. Die wohl herrschende Gegenauffassung858 und das Bundesarbeitsgericht859 verlangen hingegen, dass alle (anwesenden) Betriebsratsmitglieder einer Adhoc-Ergänzung der Tagesordnung zustimmen müssen, andernfalls ein Beschluss nicht wirksam gefasst werden könne. Begründet wir dies im Wesentlichen damit, dass nur hierdurch der Gefahr der Überrumpelung einzelner Betriebsratsmitglieder wirksam entgegengewirkt werden könne860. Dietz/Richardi861 ver856

Siehe oben 4. Kap. § 10 A. Siehe Fitting § 29 Rdnr. 48, der einen Beschluss durch die Mehrheit der Betriebsratsmitglieder für erforderlich hält; noch weitergehend i. S. der Notwendigkeit nur der Mehrheit der anwesenden Betriebsratsmitglieder Brecht § 29 Rdnr. 7; DKKWedde § 29 Rdnr. 20; GK-Wiese/Raab § 29 Rdnrn. 52 f. 858 Dietz/Richardi § 29 Rdnrn. 12, 25, 27; ErfK-Eisenmann § 29 Rdnr. 2; Galperin/ Löwisch § 29 Rdnrn. 14, 22; HSWG-Glock § 29 Rdnrn. 37 f.; § 33 Rdnr. 14; Hueck/ Nipperdey II/2, S. 1200 Fn. 12 unter ausdrücklichem Hinweis auf die ansonsten gegebene Überrumpelungsgefahr; Joost MünchArbR § 307 Rdnr. 37; Löwisch/ Kaiser § 29 Rdnr. 6; Richardi-Richardi/Thüsing § 29 Rdnr. 39; Weiss/Weyand § 29 Rdnr. 6. 859 BAG v. 28.04.1988 – 6 AZR 405/86 = AP Nr. 2 zu § 29 BetrVG 1972; v. 28.10.1992 – 7 ABR 14/92 = AP Nr. 4 zu § 29 BetrVG 1972 Gründe B. II. 2. d) „alle Betriebsratsmitglieder“; so auch LAG Schleswig-Holstein v. 28.09.1989 = NZA 90, 288 (LS.); LAG Köln v. 25.11.1998 2 TaBV 38/98; LAG Brandenburg v. 02.04. 1998 = ArbuR 98, 331 (LS.); LAG Saarbrücken v. 11.11.1964 – Sa 141/63 = AP Nr. 2 zu § 29 BetrVG. 857

§ 10 Die Einberufung der Betriebsratssitzungen (§ 29 BetrVG)

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weisen zur Begründung auf „allgemeine Grundsätze“, nach denen jedes Gremium nur dann über vorher nicht bekanntgegebene Gegenstände beschließen dürfte, wenn alle Mitglieder anwesend und damit einverstanden seien. Der herrschenden Auffassung ist schon wegen der hierdurch weitgehend ausgeschalteten Gefahr der Überrumpelung zu folgen. Aber auch der Gesichtspunkt der effektiv zu wahrenden Rechte der Vertreter der Minderheitskoalition führt – zusätzlich verstärkend – zu diesem Ergebnis: Wenn diese regelmäßig ohnehin nur argumentativ auf die Beschlussfassung des Betriebsrats Einfluss nehmen können, so darf ihnen diese Möglichkeit durch das Abschneiden der sachgerechten Vorbereitung auf die Betriebsratssitzung – gegebenenfalls unter Hinzuziehung ihrer Gewerkschaft – keinesfalls abgeschnitten werden. Ließe man die Abänderung oder Ergänzung der Tagesordnung im Wege des Mehrheitsbeschlusses zu, so hätte es der regelmäßig der Mehrheitsgewerkschaft angehörende Betriebsratsvorsitzende durch „kreative Gestaltung“ der Tagesordnung alleine in der Hand, ganz wesentlich den Umfang der Sacharbeit der Minderheitenvertreter und damit Inhalt und Ausmaß deren koalitionsrechtlicher Tätigkeit in der Betriebsverfassung zu steuern. Dies aber widerspräche den in dieser Abhandlung an vielen Stellen aufgezeigten Anforderungen862 an einen wirksamen Koalitionspluralismus in eklatanter Weise. Die Notwendigkeit der Einstimmigkeit für „ad hoc“ erfolgende Ergänzungen oder Veränderungen der Tagesordnung entspricht damit alleine dem Erfordernis effektiven Minderheitenschutzes im Sinne effektiver Teilhabe an der notwendigen Information zur sachgerechten Arbeit innerhalb der Betriebsverfassung.

D. Quorumsvorschrift des § 29 Abs. 3 BetrVG als Sicherung der effektiven Einflussnahmemöglichkeit auch der Vertreter von Minderheitskoalitionen – Verfassungsfestigkeit? Nach § 29 Abs. 3 BetrVG hat der Betriebsratsvorsitzende eine Sitzung einzuberufen und den Gegenstand, dessen Beratung beantragt ist, auf die Tagesordnung zu setzen, sofern dies ein Viertel der Mitglieder des Betriebsrats beantragt863. Objektiv ist diese Vorschrift dazu geeignet, insbesondere den im Be860 BAG v. 28.04.1988 – 6 AZR 405/86 = AP Nr. 2 zu § 29 BetrVG 1972 Gründe II. 3. c) aa); siehe auch Hueck/Nipperdey II/2 S. 1200 Fn. 12. 861 Dietz/Richardi § 29 Rdnrn. 25; hierzu entgegengesetzt im Hinblick auf die Behauptung allgemeiner Geschäftsführungsgepflogenheiten DKK-Wedde § 29 Rdnr. 20. 862 Siehe z. B. oben 2. Kap. § 1 B.; F.; E.; F. 2. e); 3. g); 4. Kap. § 3 A. 863 Ist der Vorsitzende verhindert, so richtet sich dieser Anspruch gegen den Stellvertreter; ist auch dieser verhindert, so ist das mit der Geschäftsführung beauftragte Betriebsratsmitglied zur Einberufung verpflichtet, siehe ArbG Esslingen v. 21.05.1964

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

triebsrat vertretenen gewerkschaftlichen Minderheiten eine Möglichkeit der Einflussnahme zu eröffnen, die über die Informations-Teilhaberechte und deren Möglichkeit der Einflussnahme auf die Willensbildung qua Beratung und Diskussionsteilnahme hinausgeht. Insofern effektiviert diese Vorschrift die Rechte der Minderheitenvertreter864. Es ist an anderer Stelle ausgeführt worden865, dass zum einen die verfahrensmäßige Ausgestaltung des Koalitionsrechts in der Betriebsverfassung so angelegt sein muss, dass im Sinne eines wenigstens potentiellen Koalitionspluralismus für die Minderheit die Chance eröffnet sein muss, im Laufe der Zeit zur gewerkschaftlichen Mehrheit aufzuschließen, und diese eventuell sogar in dieser Position abzulösen. Zum anderen ist ausgeführt worden866, dass sich die Teilhabe der Minderheit nicht im bloßen Formalakt ihre Wahl in das Gremium erschöpfen darf, sondern dass für diese auch sowohl eine sachangemessene Information wie auch die Möglichkeit ihrer Einflussnahme im Wege der Beratung im Gremium gewährleistet sein muss. Das Demokratieprinzip spielt hierbei – wie auch die Art. 9 Abs. 3 und 3 Abs. 2 GG – eine die Rechte der Minderheitskoalitionäre positiv steuernde Rolle. Von großer Bedeutung ist dabei die Verpflichtung staatlicher Ausgestaltung des Koalitionsbetätigungsrechts im Sinne der möglichst effektiven Grundrechtswahrnehmung auch der Minderheitskoalitionen und ihrer Vertreter867. Auf der anderen Seite gehört zum Demokratieprinzip nicht nur ein angemessener Minderheitenschutz, sondern genauso fundamental auch das „Prinzip der Mehrheitsherrschaft“868. Dessen Ausdruck ist die im Wege der Mehrheitswahl gem. § 26 Abs. 1 BetrVG erfolgende Bestimmung des Vorsitzenden des Betriebsrats mit den für diesen daraus folgenden Rechten und Verpflichtungen, insbesondere denen des § 29 BetrVG. Sofern es sich nicht um die Ausgestaltung des Wahlverfahrens handelt, wo der staatlichen Ausgestaltung engste Grenzen für Differenzierungen zwischen Mehrheits- und Minderheitskoalition gesetzt sind, ist die staatliche Einschätzungsprärogative nur an „nachvollziehbare Sachgründe“ gebunden, wenn sie zwischen Mehrheit und Minderheit differenzieren will869. Zieht man diese Maßstabsüberlegungen heran, so wird man nicht sagen können, dass ohne das durch § 29 Abs. 3 BetrVG statuierte Einberufungsrecht der = ArbuR 64, 249; DKK-Wedde § 29 Rdnr. 27; ausführlich allgemein zur Einberufungspflicht statt vieler GK-Wiese/Raab § 29 Rdnrn. 29 ff. 864 In diese Richtung auch DLW-Wildschütz I. Rdnr. 486. 865 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. g).; 4. Kap. § 3 B. II. 5. 866 Siehe oben 4. Kap. § 8 B. 867 Siehe oben 2. Kap. § 1 A. III.; F. IV. 3. g). 868 Siehe dazu nur Dütz DB 01, 1306 (1308). 869 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. a) ff.

§ 11 Teilnahme der Gewerkschaften an Betriebsratssitzungen

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Minderheit diese von einer effektiven Grundrechtswahrnehmung in der Betriebsratsarbeit abgeschnitten wäre. Denn die Minderheit kann ja in dem oben umrissenen Bereich von Information und Diskussion auf das Einfluss nehmen, was als Ausdruck des dem Demokratieprinzip immanenten Mehrheitsprinzips als Tagesordnungspunkte zur Beratung und Beschlussfassung dem Betriebsrat vorgelegt wird. Würde der Gesetzgeber das Einberufungsrecht der Minderheit abschaffen, so blieben diese Einflussmöglichkeiten ungeschmälert erhalten. Es wäre deshalb auch Ausdruck sachgerechter Differenzierung zwischen Mehrheit und Minderheit und Ausdruck erlaubter Ausgestaltung der Koalitionsbetätigung im Rahmen der staatlichen Einschätzungsprärogative, wenn die „Herrschaft“ über die Tagesordnung alleine vom Vorsitzenden ausgeübt werden könnte, der letztlich den Mehrheitswillen repräsentiert. Andererseits ist das „Einberufungsrecht“ der Minderheit keine verbotene Erfolgsverschaffung für die Vertreter der gewerkschaftlichen Minderheit. Denn die Möglichkeit, einen Gegenstand dem Betriebsrat zur Beratung vorzugeben, ändert nichts daran, dass die Beschlussfassung über diesen Gegenstand dann gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mit Mehrheit zu erfolgen hat, so dass das Anliegen der Minderheit auch verworfen werden kann870. Deshalb ist die bestehende Regelung des § 29 Abs. 3 BetrVG zwar als für die Wahrung der Interessen der Minderheitsgewerkschaften sinnvolle, gleichwohl aber nicht von Verfassungs wegen gebotene Ausgestaltung des Rechts der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung anzusehen. Sie ist also nicht verfassungsfest.

§ 11 Teilnahme der Gewerkschaften an Betriebsratssitzungen (§ 31 BetrVG) – verfassungsrechtliche Notwendigkeit? Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Recht der (gewerkschaftlichen) Minderheit, auf Antrag eines Viertels ihrer Betriebsratsmitglieder einen Beauftragten ihrer Koalition beratungshalber zur Betriebsratssitzung heranziehen zu können. Auch dies kann nicht als Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Notwendigkeit angesehen werden. Denn auch ohne die Beratungshilfe im Betriebsrat bleibt es den Minderheitenvertretern unbenommen, sich anhand der rechtzeitig übersand870 Dies ändert aber nichts daran, dass nach geltender Rechtslage der Minderheitenschutz durch § 29 Abs. 3 BetrVG etabliert ist und die Verletzung der Einberufungspflicht durch den Vorsitzenden regelmäßig eine grobe Pflichtverletzung i. S. v. § 23 Abs. 1 BetrVG darstellen wird – mit der Möglichkeit des von der Minderheitsgewerkschaft zu betreibenden Ausschlussverfahrens, siehe hierzu auch DLW-Wildschütz I. Rdnr. 486; Fitting § 29 Rdnr. 32; Galperin/Löwisch § 29 Rdnr. 13; GK-Wiese/Raab § 29 Rdnr. 31; HSWG-Glock § 29 Rdnr. 23; Richardi-Richardi-Thüsing § 29 Rdnr. 25; ArbG Esslingen v. 21.05.1964 = ArbuR 64, 249.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

ten Tagesordnung vorab mit ihrer Koalition über die Beratungsgegenstände auszutauschen und diesbezügliche Hilfestellung zu erlangen. Die Minderheitsvertreter sind dann ausreichend in die Lage gesetzt, sich qualifiziert in die Betriebsratsarbeit einzubringen – was den verfassungsrechtlichen Anforderungen für die Ausgestaltung ihrer Tätigkeit bereits genügt. Eine faktische Verstärkung der Position der gewerkschaftlichen Minderheit im Betriebsrat durch die Anwesenheit des Vertreter ihrer „Kollektivmacht“ ist daher nicht geboten, weil die politischen Stärkeverhältnisse im Betriebsrat bereits abschließend durch die Wahlen zum Betriebsrat festgelegt worden sind, und deshalb keiner weiteren Aufwertung bedürfen. Des weiteren ist es auch nicht geboten, jede im Betriebsrat vertretene Gewerkschaft zur Sitzung hinzuzuziehen, sofern die Hinzuziehung auch nur eines Gewerkschaftsbeauftragten – regelmäßig eines Beauftragten der Mehrheitsgewerkschaft – wirksam beantragt wird871. Die unterschiedliche Behandlung von Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaft ist hier durch das Mehrheitsprinzip gedeckt. Außerdem erscheint es sachgerecht, es dem Betriebsrat zu ermöglichen, in flexibler Weise die möglicherweise alleine sachlich angesprochene Gewerkschaft gezielt hinzuzuziehen872.

§ 12 Das Unterlagen-Einsichtsrecht (§ 34 Abs. 3 BetrVG)873 A. Allgemeine Bedeutung für die Minderheitsgewerkschaften Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Frage danach, welchen hohen Stellenwert die rechtzeitige Ladung und Übersendung und Information über die Tagesordnung gerade für die Vertreter der gewerkschaftlichen Minderheit für die notwendige Effektivierung deren Grundrechtsschutzes hat, wurde bereits die zentrale Bedeutung vollständiger und rechtzeitiger Information betont874. 871 Dies hatte seinerzeit die CDU/CSU-Fraktion beantragt, siehe BT-Drucks. VI/ 2729, S. 22. Die Hinzuziehung auch mehrerer Gewerkschaftsbeauftragter – bei entsprechender Antragsbefürwortung – ist allerdings ohne weiteres möglich, siehe ErfKEisenmann § 31 Rdnr. 2; Fitting § 31 Rdnr. 16; Galperin/Löwisch § 31 Rdnr. 4; GKWiese/Raab § 31 Rdnr. 13; HSWG-Glock § 31 Rdnr. 9; Richardi-Richardi/Thüsing § 31 Rdnr. 10. 872 So auch schon Bericht 10. Ausschuss, zu BT-Drucks. VI/2729, S. 22. 873 An dieser Stelle soll klarstellend darauf hingewiesen werden, dass sich das Unterlagen-Einsichtsrecht des § 34 Abs. 3 BetrVG entgegen seiner systematischen Stellung nach allgemeiner Auffassung nicht nur auf die Sitzungsniederschrift(en), sondern sich ganz umfassend auf alle Schriftstücke im Zusammenhang mit der Betriebsratstätigkeit bezieht; siehe Fitting § 29 Rdnr. DKK-Wedde § 34 Rdnr. 20; DLW-Wildschütz I. Rdnr. 502; GK-Wiese/Raab § 34 Rdnr. 33; Joost MünchArbR § 307 Rdnr. 82; Richardi-Thüsing § 34 Rdnrn. 25 ff. 874 Siehe oben 4. Kap. § 10.

§ 12 Das Unterlagen-Einsichtsrecht

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Nichts anderes gilt auch im vorliegenden Zusammenhang: Die durch rechtzeitige und ordnungsgemäße Ladung der Minderheitsvertreter ermöglichte Vorbereitung der Sitzung bedarf denknotwendig der Möglichkeit der Einsichtnahme in die Unterlagen des Betriebsrats875. Dass diese Möglichkeit auch jederzeit bestehen muss, ergibt sich daraus, dass es nur auf diese Weise insbesondere den Vertretern der Minderheitsgewerkschaft ermöglicht wird, sich aufgrund der konkreten Lage im Betrieb anhand der Unterlagen des Betriebsrats inhaltlich zu positionieren, und auf diese Weise ihre Vorstellungen von der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen konkret und gegebenenfalls alternativ im Sinne der Herstellung pluraler Ansätze zu entwickeln.

B. Spezielle Auswirkungen für die Vertreter der Minderheitsgewerkschaft In der Praxis kommt es sehr häufig vor, dass es sich der von der gewerkschaftlichen Mehrheit im Betriebsrat gestellte Betriebsratsvorsitzende vorbehält, darüber zu entscheiden, wer aus dem Kreis der Betriebsratsmitglieder, und wann, und in welchem Umfange er Einsicht in die Betriebsratsunterlagen erhalten darf. Diese Verfahrensweise wirkt sich dann regelmäßig zu Lasten der Vertreter der Minderheitsvertreter aus, die auf diese Weise von jeder Information, und damit schon im Ansatz von jeder Einflussnahmemöglichkeit abgeschnitten werden sollen. Eine solche Praxis ist nach praktisch allgemeiner Auffassung gesetzwidrig: Weder darf das Einsichtsrecht in Hinblick auf den Zeitpunkt seiner Ausübung noch im Hinblick auf seine Dauer beschränkt werden, weder durch den Vorsitzenden, noch etwa durch den Beschluss des Betriebsrats. Auch unterliegt es nicht der Geltendmachung eines vom Betriebsratsmitglied zu belegenden sachlichen Interesses876. Nach hier vertretener Auffassung wird durch eine solche Praxis auch das Recht der Vertreter der Minderheitsgewerkschaften auf effektive Informationsteilhabe beeinträchtigt, so dass ein solcher Gesetzesverstoß des 875 Als „Unterlagen des Betriebsrats“ gelten nach allgemeiner Auffassung auch die seiner Ausschüsse, siehe DKK-Wedde § 34 Rdnrn. 19 f.; ErfK-Eisenmann § 34 Rdnr. 5; Fitting § 34 Rdnr. 33; GK-Wiese/Raab § 34 Rdnr. 33; HSWG-Glock § 34 Rdnrn. 26, 31; Joost MünchArbR § 307 Rdnr. 82; Richardi-Thüsing § 34 Rdnrn. 25 ff.; Weiss/Weyand § 34 Rdnr. 7. 876 DKK-Wedde § 34 Rdnrn. 19, 22; ErfK-Eisenmann § 34 Rdnr. 5; Fitting § 34 Rdnr. 33; Galperin/Löwisch § 34 Rdnr. 14; GK-Wiese/Raab § 34 Rdnr. 32; HSWGGlock § 34 Rdnr. 27; Joost MünchArbR § 307 Rdnr. 82; Kühner, 76; Richardi-Thüsing § 34 Rdnr. 27; Weiss/Weyand § 34 Rdnr. 7; zur Auslegung des Begriffs „jederzeit“ in diesem Sinne siehe auch BAG v. 11.07.1972 – 1 ABR 2/72 = AP Nr. 1 zu § 80 BetrVG 1972 LS 2; v. 23.02.1973 – 1 ABR 17/72 = AP Nr. 2 zu § 80 BetrVG 1972 Gründe II. 2, anders im Hinblick auf die Unterlagen des Personalausschusses ein berechtigtes Interesse voraussetzend LAG Niedersachsen v. 16.02.2001 – TaBV 46/00 (zit. nach DKK-Wedde § 34 Rdnr. 19).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Betriebsratsvorsitzenden auch „Verfassungsbezug“ hat. Deshalb ist eine solche Handhabung des Unterlagen-Einsichtsrechts ohne weiteres als „grobe Pflichtwidrigkeit“ im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG anzusehen877. Das Gleiche gilt für die ebenfalls gängige Praxis, nur besonders privilegierten Mitgliedern des Betriebsrats – regelmäßig solchen der Mehrheitsgewerkschaft – einen Schlüssel zum Betriebsratsbüro auszuhändigen und die Minderheitenvertreter auf die Bürozeiten des Betriebsratsvorsitzenden oder gar auf die Sitzungstage zu verweisen. Neben dem Amtsenthebungsverfahren gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kommen auch hier Leistungsansprüche der diskriminierten Minderheitenvertreter gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden oder sonstigen, die tatsächliche Verfügungsgewalt878 über die (Ausschuss-) Unterlagen innehabenden Organteilen des Betriebsrats in Betracht, die gegebenenfalls im Wege der einstweiligen Verfügung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren zu verfolgen sind.

§ 13 Die Geschäftsordnung (§ 36 BetrVG) Der Betriebsrat soll879 sich nach § 36 BetrVG eine Geschäftsordnung geben. Diese wird mit der Mehrheit seiner Stimmen verabschiedet. Gegen diese Vorschrift ist auch unter dem Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes nichts einzuwenden. Denn sie konkretisiert nur das dem Demokratieprinzip innewohnende Prinzip der Mehrheitsentscheidung.

A. Umgehung des Minderheitenschutzes durch autonome Regelungen der Geschäftsordnung? I. Das Problem: Betriebsratsvorsitzender und Stellvertreter als gesetzte Mitglieder in den weiteren Ausschüssen Gerade in Betriebsräten, die durch eine starke Konkurrenzsituation zwischen Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften gekennzeichnet sind, kommt es immer wieder vor, dass die mit Mehrheit beschlossene Geschäftsordnung vorsieht, dass der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter – wie durch ausdrückliche Regelung für den Betriebsausschuss gem. § 27 Abs. 1 Satz 2 1. TS BetrVG 877

So auch (allgemein) Fitting, § 34 Rdnr. 40; Kühner, 76. Richardi-Thüsing § 34 Rdnr. 29. 879 Ob es sich um eine echte Sollvorschrift handelt, so DKK-Wedde § 36 Rdnr. 1; Fitting, § 36 Rdnr. 1; v. Hoyningen-Huene § 9 III.; HSWG-Glock § 36 Rdnr. 1; Joost MünchArbR § 307 Rdnr. 84; KassHdBArbR-Etzel 7.1. Rdnr. 161 Kraushaar AiB 95, 161(162); Kühner, S. 77; Richardi-Thüsing § 36 Rdnr. 1 oder um eine Sollvorschrift, die i. S. einer Muss-Vorschrift auszulegen ist, so Brecht § 36 Rdnr. 3; GK-Wiese/Raab § 36 Rdnr. 6, muss im vorliegenden Zusammenhang nicht entschieden werden. 878

§ 13 Die Geschäftsordnung (§ 36 BetrVG)

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geregelt – in den Ausschüssen nach § 28 BetrVG automatisch als „geborene Mitglieder gesetzt“ sind. Das Gesetz bestimmt in § 28 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, dass für die Wahl und Abberufung der Ausschussmitglieder § 27 Abs. 1 Satz 3 bis 5 BetrVG entsprechend gelten soll. § 27 Abs. 1 Satz 3 BetrVG hinwiederum bestimmt: „Die weiteren Ausschussmitglieder werden vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt“. Werden die Mitglieder der weiteren Ausschüsse allesamt im Wege der Verhältniswahl gewählt, so haben die Vertreter der Minderheitsgewerkschaften im Betriebsrat eine realistische Chance, auf diesem Wege zu Mitgliedern des jeweiligen Ausschusses gewählt zu werden. Sind jedoch deswegen, weil bereits zwei Ausschusssitze an die „geborenen“ Mitglieder vergeben sind, nur noch wenige Mitglieder hinzuzuwählen, so schwinden die Chancen der Minderheit auf einen Sitz im weiteren Ausschuss gem. § 28 BetrVG. Häufig wird dann überdies in der Geschäftsordnung die Zahl der Ausschussmitglieder so bemessen, dass nach dem zu erwartenden Stimmenverhältnis bei der Wahl der Ausschussmitglieder die Minderheit aufgrund der zu erwartenden Höchstzahlen keinen Sitz erhalten kann880. II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München Das Landesarbeitsgericht München881 hat hierzu entschieden, dass eine Geschäftordnungsregelung der beschriebenen Art (Bestimmung von Vorsitzendem und Stellvertreter als geborene Mitglieder aller Ausschüsse) keinen Bedenken begegne. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Verweisungsregelung des § 28 Abs. 1 Satz 2 BetrVG es nicht ausschließe, dass im Wege der Geschäftsordnung der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter als nicht zu wählende, und damit „geborene“ Ausschussmitglieder bestimmt werden könnten. Schließlich sei es der Geschäftsordnung ohnehin auch überlassen, die Anzahl der Mitglieder in den weiteren Ausschüssen zu bestimmen. Es begegne daher keinen Bedenken, wenn nach der Geschäftsordnung nur die „weiteren“ Mitglieder der Ausschüsse im Wege der Verhältniswahl zu wählen seien. Das Landes-

880 Eine solche Konstellation lag dem Fall vor, der vom ArbG München v. 12.02.2004 – 9 BV 82/03 in erster und vom LAG München v. 21.10.2004 – 3 TaBV 16/04 (n. v., n.rkrft.) entschieden wurde: Der zu wählende Ausschuss hatte fünf Sitze; nachdem der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter per Geschäftsordnung als „gesetzt“ angesehen wurden, waren drei Ausschussmitglieder hinzuzuwählen; aufgrund der konkreten Stärkeverhältnisse im 13köpfigen Betriebsrat konnte die Minderheit so keinen Sitz erringen; wären alle fünf Mitglieder zu wählen gewesen, so wäre rechnerisch ein Sitz auf die Minderheit entfallen; das ArbG München hat diese Geschäftsordnungspraxis als zulässig angesehen. 881 LAG München v. 21.10.2004 – 3 TaBV 16/04, S. 8 ff. (n. v., n.rkrft.).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

arbeitsgericht hat sich dabei auf vereinzelte Stimmen in der Literatur berufen882, ohne noch weiter auf die Minderheitenproblematik einzugehen. III. Eigene Auffassung Nach herrschender Auffassung in Literatur883 und Rechtsprechung884 sind die Regelungen über die Organisation der Betriebsverfassung, insbesondere für die Wahl und die Organisation der betriebsverfassungsrechtlichen Institutionen, zwingender Natur. Dies folge – so wird zu Recht argumentiert – schon aus dem Umkehrschluss aus § 3 BetrVG und der anderen eine abweichende Regelung ausdrücklich zulassenden Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes885. Über die dort ausdrücklich geregelten Anwendungsbereiche hinaus seien Veränderungen in der Organisation der Betriebsverfassung durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung nicht zuzulassen886. Des Weiteren kann, im vorliegenden Zusammenhang mit den Besetzungsvorschriften für die weiteren Ausschüsse nach § 28 BetrVG, auch aus verfassungsrechtlichen Gründen von zwingenden Normen zugunsten der Minderheitskoalitionen oder ihrer Vertreter nicht zu deren Lasten abgewichen werden: Denn – wie an anderer Stelle bereits ausgeführt887 – ist es verfassungsrechtlich geboten, dass sich die formale Wahlrechtsgleichheit zugunsten der Minderheitskoalitionen nicht im bloßen Zugang zum Betriebsratsgremium erschöpft, sondern sich im Sinne des rechtsanalog anzuwendenden Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen in die Ausschüsse des Betriebsrats hinein „verlängern“ muss. 882

So auf DKK-Wedde § 28 Rdnr. 14; Fitting § 28 Rdnr. 24. Dietz/Richardi Vorbem. § 7 Rdnrn. 1 f.; ErfK-Eisenmann § 36 Rdnr. 1; Fitting § 1 Rdnr. 246; DKK-Däubler Einleitung Rdnr. 72; GK-Kraft § 1 Rdnr. 57; siehe auch v. Hoyningen-Huene § 2 IV. a); § 9 III., der jede Modifizierung des Gesetzes, soweit hierdurch nicht nur Ergänzungen erfolgen, ablehnt; § 36 Rdnr. 11; GK-Wiese Einleitung Rdnr. 102; v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 297 Rdnr. 93 f.; Hueck/Nipperdey II/1, S. 793; HSWG-Hess vor § 1 Rdnr. 42; Richardi-Richardi Einl. Rdnrn. 134, 141; a. A. DKK-Trümner 8. Aufl. § 3 Rdnr. 20 i.; so auch bereits die amtl. Begr. BRDrucks. 715/70, S. 36. 884 BAG v. 17.01.1978 – 1 ABR 71/76 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrVG 1972 Gründe II. 6.; v. 10.02.1988 – 1 ABR 70/86 = AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972 Gründe II. 2. b); v. 10.11.2004 – 7 ABR 17/04 (noch n. v.). 885 Siehe z. B. §§ 38 Abs. 1 Satz 5; 47 Abs. 4, 5 und 9; 55 Abs. 4; 72 Abs. 4, 5 und 8; 73a Abs. 4; 76 Abs. 8, 86; 117 Abs. 2 BetrVG. 886 So jetzt ausdrücklich BAG v. 10.11.2004 – 7 ABR 17/04 (noch n. v.); DKKDäubler Einl. Rdnr. 72; Fitting § 1 Rdnr. 246; GK-Kraft § 1 Rdnr. 57; v. HoyningenHuene § 2 IV. a); v. Hoyningen-Huene MünchArbR § 297 Rdnr. 93 f.; so wohl auch HSWG-Hess vor § 1 Rdnr. 42, Richardi-Richardi Einl. Rdnr. 141; allgemein für die Unzulässigkeit abweichender Vorschriften der Geschäftsordnung von zwingendem Gesetzesrecht Kraushaar AiB 95, 161 f. 887 Siehe oben 4. Kap. § 8 A. I. 2. a) f. 883

§ 13 Die Geschäftsordnung (§ 36 BetrVG)

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Eine Geschäftsordnung aber, welche anstelle der gesetzlichen Anordnung der Verhältniswahl in § 28 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht alle, sondern nur einen Teil der Ausschussmitglieder als zu Wählende bestimmt, verletzt einerseits die zwingenden Vorgaben über die Wahl und Organisation des Betriebsrats. Und andererseits verkürzt sie unter Gesetzesverletzung auch den durch die Anordnung der Verhältniswahl gebotenen Schutz der Minderheitsgewerkschaften im Sinne einer formal gleichen Chance wie die Mehrheitsgewerkschaft auf Erlangung von Ausschusssitzen. Denn die Mehrheitsgewerkschaft schafft sich durch das „Setzen“ der ihr regelmäßig zugehörenden Vorsitzenden und Stellvertreter gegebenenfalls mehr Sitze, als ihr bei Anwendung der Grundsätze der formalen Wahlrechtsgleichheit zufallen würden. Damit wird also der zwingende Minderheitenschutz durch Umgehung zwingender gesetzlicher Vorschriften über die Organisation der Betriebsverfassung durch die Betriebsratsmehrheit umgangen. Die durch die Geschäftsordnung bewirkte Umgehung des Minderheitenschutzes ist aber auch noch deshalb unzulässig, weil selbst dort, wo das Gesetz die Veränderung der Organisation der Betriebsverfassung durch abweichende Regelungen zulässt, diese Abweichung ausschließlich durch Tarifvertrag oder (Gesamt-/Konzern-)Betriebsvereinbarung erfolgen kann888. Die autonome (einseitige) Änderung durch Geschäftsordnung ist an keiner Stelle des Betriebsverfassungsgesetzes vorgesehen bzw. erlaubt worden. Außerdem vermag auch schon aus Gründen der Normenhierarchie eine im Range unter Gesetz oder Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung stehende Vorschrift, wie die einer Geschäftsordnung, die höherrangige Vorschrift nicht zu verändern oder gar zu verdrängen. Schließlich verfängt auch die Argumentation des Landesarbeitsgerichts München889 nicht, derzufolge es der Betriebsrat ja ohnehin in der Hand habe, durch die mit Mehrheit zu beschließende Geschäftsordnungsbestimmung über die dort festgelegte Zahl der zu wählenden Ausschussmitglieder den Minderheitenschutz – mittelbar – zu vereiteln890. Denn zum einen ist die Sanktionierung der Umgehung des Minderheitenschutzes durch das Landesarbeitsgericht München mit dem Argument, dieser könne ohnehin an anderer Stelle ebenfalls erfolgen – vorsichtig ausgedrückt – problematisch. Vor allem aber ist zum anderen zu bedenken, dass bei durch die Geschäftsordnung entsprechend niedrig bestimmter Zahl der Ausschussmitglieder dann eben die Ausschussarbeit durch eine niedrigere Zahl von Mitgliedern zu erledigen ist. Werden aber zwei Ausschussmitglie-

888 Siehe nur §§ 38 Abs. 1 Satz 5; 47 Abs. 4, 5 und 9; 55 Abs. 4; 72 Abs. 4, 5 und 8; 73a Abs. 4; 76 Abs. 8, 86; 117 Abs. 2 BetrVG. 889 LAG München v. 21.10.2004 – 3 TaBV 16/04 S. 9 f. (n. v., n.rkrft.). 890 In diesem Sinne könnte die Mehrheit die Zahl der Ausschussmitglieder jeweils so bemessen, dass bei Berücksichtigung der Stärkeverhältnisse zwischen Mehrheitsund Minderheitskoalition im Betriebsrat nach den zu erwartenden d’Hondt’schen Höchstzahlen bei der Wahl der Ausschussmitglieder die Minderheitsgewerkschaft nicht zum Zuge kommen kann.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

der von vorneherein „gesetzt“ und sind damit nur noch die „weiteren“ Ausschussmitglieder zu wählen, so bemisst der Betriebsrat mit seiner Mehrheit die Zahl der für die Ausschussarbeit notwendigen Mitglieder einerseits so hoch, dass bei der Verhältniswahl als Folge an sich Ausschusssitze auch an die Mandatsträger Minderheitsgewerkschaft gehen müssten. Auf der anderen Seite entzieht sich der Betriebsrat aber der gesetzlich notwendigen Folge des bei dieser Ausschussgröße greifenden Minderheitenschutzes. IV. Die jüngst ergangene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.11.2005891 Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 16.11.2005 dem „Setzen“ bestimmter Betriebsratsmitglieder als „geborene Mitglieder“ in Ausschüssen des Betriebsrats eine klare Absage erteilt: Sämtliche Mitglieder der weiteren Ausschüsse seien nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu wählen. Dies gelte nur dann nicht, wenn lediglich ein Wahlvorschlag vorhanden sei892. Da es in § 28 Abs. 2 BetrVG keine Bezugnahme auf § 27 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gibt, seien der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter keine geborenen Ausschussmitglieder893. Hieran könnten auch Regelungen der Geschäftsordnung des Betriebsrats nichts ändern. Die Vorschriften über die Berufung der Ausschussmitglieder seien wegen ihres eindeutigen Wortlauts und wegen des durch die Verhältniswahl vermittelten Schutzes der Minderheitskoalitionen zwingend894. Regelungen der Geschäftsordnung dürften von den gesetzlichen Vorgaben zur Geschäftsführung des Betriebsrats nicht abweichen. Der Betriebsrat habe insofern keine Regelungsbefugnis, weil die Wahlvorschriften des Gesetzes abschließenden Charakter hätten. Auch die Möglichkeit des Betriebsrats, im Wege der Geschäftsordnung die Größe der Ausschüsse festzulegen, stehe dem nicht entgegen895: Zwar könne die im Betriebsrat vertretene Mehrheitskoalition mit der Festlegung der Ausschussgröße die Mitwirkung von Vertretern der Minderheitskoalition in den Ausschüssen beeinflussen – und insbesondere durch die Festlegung einer geringen Mitgliederzahl könne eine ausreichend stark vertretene Mehrheitskoalition die Vertreter anderer Koalitionen von der Mitwirkung in den Ausschüssen ausschließen. Das Gesetz gewähre den im Betriebsrat vertretenen Minderheitsgewerkschaften insoweit nur einen begrenzten Schutz. Eine Bestimmung von Ausschussmitgliedern anhand der mit Mehrheit beschlossenen Geschäftsordnung würde aber auch noch diesen, ohne891 BAG 445 ff. 892 BAG 893 BAG 894 BAG 895 BAG

v. 16.11.2005 – 7 ABR 11/05 = NJW Spezial 06 (Heft 4), 178 = NZA 06, v. v. v. v.

16.11.2005 16.11.2005 16.11.2005 16.11.2005

– – – –

7 7 7 7

ABR ABR ABR ABR

11/05 11/05 11/05 11/05

II. II. II. II.

1 1 1 1

b). b) aa). b) bb). b) bb) (1) f.

§ 13 Die Geschäftsordnung (§ 36 BetrVG)

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hin nur begrenzten Schutz, vollends aushebeln können und die Vertreter der Minderheitskoalition damit der Willkür der Mehrheitskoalitionäre im Betriebsrat aussetzen896.

B. Ergebnis Durch die Geschäftsordnung kann nicht wirksam in die zwingenden Vorschriften über die Organisation der Betriebsverfassung eingegriffen werden. Dies gilt insbesondere dort, wo die zwingenden Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes dem Minderheitenschutz dienen sollen. Denn dies stellt eine verbotene Umgehung der minderheitenschützenden Vorschriften dar. Dies gilt umsomehr, als diesen Vorschriften, namentlich der Vorgabe des Verhältniswahlgrundsatzes bei der Besetzung der weiteren Ausschüsse nach § 28 BetrVG, der Charakter einer verfassungsrechtlich gebotenen Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit der Minderheitsgewerkschaften in der Betriebsverfassung zukommt897. Ob die Geschäftsordnung den Vorsitzenden und seinen Stellvertreter in den weiteren Ausschüssen nach § 28 BetrVG wirksam „setzen“ kann, sofern keine Situation vorliegt, nach der im Wege der Verhältniswahl zu wählen ist – bei Vorliegen nur eines Wahlvorschlags gem. § 28 Abs. 1 Satz 2 i.V. m. § 27 Abs. 1 Satz 4 BetrVG – ist eine andere Frage, die vorliegend nicht beantwortet werden muss898.

896 BAG v. 16.11.2005 – 7 ABR 11/05 II. 1 b) bb) (3); in diesem Zusammenhang betont das BAG, dass andernfalls, bei der – zu verwerfenden – Möglichkeit der Ausschussbesetzung qua Geschäftsordnung, im Einzelfall sogar sämtliche Ausschussmitglieder zu Lasten der Minderheitskoalition durch die Geschäftsordnung bestimmt werden könnten. 897 Die Abweichung von der strikten Anwendung des Verhältniswahlgrundsatzes bei der Besetzung des Betriebsausschusses hingegen, wo der regelmäßig der Mehrheitsgewerkschaft angehörende Vorsitzende und sein Stellvertreter gem. § 27 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gesetzlich „gesetzt“ sind, begegnet dementgegen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn die Durchbrechung der formalen Wahlrechtsgleichheit i. S. der „Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen“ genügt hier den Anforderungen an das Vorhandensein zwingender sachlicher Gründe: Weil der Betriebsausschuss gem. § 27 Abs. 2 Satz 1 die „laufenden Geschäfte“ des Betriebsrats zu führen hat, ist es sachgerecht, den Vorstand des Betriebsrats in jedem Falle dort zu positionieren. Denn andernfalls wäre es theoretisch denkbar, dass die Führung der laufenden Geschäfte und der Vorsitz auseinanderfallen – was zu kaum lösbaren organisatorischen Friktionen innerhalb des Betriebsrats führen könnte. 898 In diesem Fall wird ja der zwingende gesetzliche Minderheitenschutz nicht unterlaufen, auch wenn – streng genommen – auch in diesem Falle von den zwingenden Vorschriften des Gesetzes abgewichen wird. Die Abweichung von den zwingenden Vorschriften des Gesetzes ist in diesem Falle aber weniger „schädlich“, weil es der Mehrheit im Betriebsrat ohnehin unbenommen bleibt, den Vorsitzenden und seinen Stellvertreter in die Ausschüsse zu wählen.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

§ 14 Schutz der Minderheitenvertreter vor Aufgabenentzug oder vor der Betrauung mit ausschließlich „randständigen“ Aufgaben? Minderheitenvertreter werden oft, im Wege der Aufgabenzuweisung in der Geschäftsordnung, von den besonders gewichtigen Aufgaben des Betriebsrats ferngehalten. Dies gilt namentlich für den Bereich der personellen Einzelmaßnahmen. Hier kann sich die Zuständigkeit einzelner Betriebsratsmitglieder899 natürlich nur auf die Aufarbeitung von Arbeitgebervorlagen oder auf die Benennung von Ansprechpartnern im Betriebsrat für die Arbeitnehmer beziehen, weil die Zustimmung zu personellen Einzelmaßnahmen selbst, und die Anhörung vor Kündigungen, dem Betriebsrat vorbehalten bleiben, §§ 99 Abs. 1 Satz 1, 102 Abs. 1 Satz 1, 103 Abs. 1 BetrVG900. Besonders gewichtig ist dieser Aufgabenkreis zum einen wegen der stets existenziellen Natur dieser Vorgänge für die betroffenen Arbeitnehmer, und auch wegen der hierdurch den Vertretern der Gewerkschaften im Betriebsrat eröffneten informellen Möglichkeiten der Werbung für ihre Gewerkschaft. So „werben“ Vertreter der Mehrheitsgewerkschaft unter Missachtung des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG oft damit, dass ohne den entsprechenden Eintritt oder Übertritt nur wenig für den betroffenen Arbeitnehmer ausgerichtet werden könne901. Obwohl diese Verfahrensweisen für die Minderheitsgewerkschaften und deren Vertreter im Betriebsrat sehr misslich sind, scheidet deren konkreter Anspruch gegenüber dem Betriebsrat auf die Betrauung mit bestimmten, als wichtig angesehenen Aufgaben aber aus. Denn die Geschäftsverteilung mit Mehrheit der Stimmen der Betriebsratsmitglieder über die Geschäftsordnung ist normaler Ausdruck des demokratischen Mehrheitsprinzips. Solange es den Minderheitenvertretern möglich ist, nach Einsichtnahme in die Unterlagen des Betriebsrats auf die Willensbildung des Betriebsrats in dessen Diskussionsprozess Einfluss zu 899 Zur Aufgabenzuweisung an einzelne Betriebsratsmitglieder durch die Geschäftsordnung siehe nur GK-Wiese/Raab § 36 Rdnr. 14. 900 Es sei denn, der Betriebsrat hat diesen Aufgabenkreis zulässiger Weise einem Personalausschuss übertragen – siehe dazu nur BAG v. 01.06.1976 – 1 ABR 99/74 AP Nr. 1 zu § 28 BetrVG 1972 III. 2.; DKK-Wedde § 27 Rdnr. 38; ErfK-Eisenmann § 27 Rdnr. 7; Fitting § 27 Rdnr. 74; GK-Wiese/Raab § 27 Rdnr. 69. 901 So war es bspw. Gegenstand eines Beschlussverfahrens (§ 23 Abs. 1 BetrVG) beim LAG München – 10 TaBV 15/01 – dass ein Betriebsratsvorsitzender einem Auszubildenden angetragen hatte, von der Minderheitsgewerkschaft zu seiner Mehrheitsgewerkschaft überzutreten; andernfalls könne man sich vom Betriebsrat aus nicht für dessen Übernahme in ein Arbeitsverhältnis einsetzen. Siehe auch den ähnlichen Fall BAG v. 19.04.1989 – 7 ABR 6/88 = AP Nr. 29 zu § 40 BetrVG 1972: Dort ging es auch darum, dass Amtseigenschaft und Einsatz zugunsten des Arbeitnehmers für ein Dauerarbeitsverhältnis mit dem Gewerkschaftseintritt gekoppelt worden sein sollten; siehe auch die weiteren Nachweise zu ähnlichen Fallkonstellationen bei GK-Oetker § 23 Rdnr. 51.

§ 14 Schutz der Minderheitenvertreter vor Aufgabenentzug

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nehmen902, ist den verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Minderheitenschutz Genüge getan. Würde nämlich die staatliche Ausgestaltung (durch die Arbeitsgerichte) die Vergabe besonders wichtiger Aufgaben auch an die Minderheitenvertreter anordnen, so liefe dies auf eine verbotene staatliche Erfolgsverschaffung903 hinaus: Den Minderheitenvertretern würde dann mit staatlicher Hilfe ein faktisches Gewicht im Betriebsrat verschafft, welches sie aufgrund der konkreten Stärkeverhältnisse bei den Betriebsratswahlen nicht haben erreichen können. Ein Schutz der Minderheitenvertreter vor der Betrauung mit ausschließlich randständigeren Aufgaben durch die Geschäftsordnung scheidet damit aus, sofern nicht im Extremfall ganz ausdrücklich Aufgaben mit Hinweis auf die Gewerkschaftszugehörigkeit des jeweiligen Betriebsratsmitglieds vergeben oder entzogen werden. Hier wäre im Einzelfall an eine Überprüfung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs zu denken, allerdings mit den hiermit stets verbundenen, praktischen Schwierigkeiten einer nachvollziehbaren und beweiskräftigen Darlegung gegenüber dem Arbeitsgericht.

§ 15 Die Tätigkeit der Betriebsratsmitglieder als „ehrenamtliche“ Tätigkeit (§ 37 BetrVG) A. Freistellung bei konkreter Erforderlichkeit, § 37 Abs. 2 BetrVG Die Frage nach dem Umfang der möglichen Arbeitsbefreiung eines Betriebsratsmitglieds der Minderheitsgewerkschaft im Rahmen von § 37 Abs. 2 BetrVG hängt zunächst eng mit der vorstehend angesprochenen Aufgabenzuweisung innerhalb des Betriebsrats per Geschäftsordnung zusammen. Häufig wird nämlich den Vertretern der Minderheitsgewerkschaft im Betriebsrat vorgehalten, sie hätten im Rahmen der Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 2 BetrVG Aufgaben wahrgenommen, die von anderen – insbesondere von freigestellten – Betriebsratsmitgliedern der Mehrheitsgewerkschaft zuständigkeitshalber und besser hätten erledigt werden können. I. Ausgangspunkt: Unabhängigkeit des Betriebsratsamts Alle Betriebsratsmitglieder haben ihre Aufgaben als private Amtswalter zu führen. Hiermit untrennbar verbunden ist die Vorgabe, dass das Betriebsratsamt in strenger Unabhängigkeit zu führen ist904. Die Vorgabe der Unentgeltlichkeit 902 903

Siehe dazu insb. oben 4. Kap. § 10. Siehe dazu oben 2. Kap. § 1 F. IV. 2. e).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

in § 37 Abs. 1 BetrVG soll diese Unabhängigkeit – vor allem im Hinblick auf den Arbeitgeber905 – abzusichern helfen. Dieser Unabhängigkeit der Wahrnehmung der Amtsaufgaben des Betriebsratsmitglieds entspricht auch die Stellung des Vorsitzenden, der nicht etwa als Vorgesetzter der übrigen Betriebsratsmitglieder fungiert, sondern nur im Rahmen spezieller gesetzlicher Aufgabenzuweisungen im Hinblick auf die übrigen Betriebsratsmitglieder zusätzliche Aufgaben zu übernehmen hat, und im übrigen nur Vertreter in der Erklärung, nicht aber im Willen des Betriebsrats ist906. Deshalb hat sich das Betriebsratsmitglied für seine Aufgabenwahrnehmung auch nicht etwa beim Betriebsratsvorsitzenden abzumelden, oder gar dessen Erlaubnis hierfür einzuholen907. Insofern könnte man auch schlagwortartig davon sprechen, dass „einfache“ Betriebsratsmitglieder nicht solche minderen Rechts sind: Im Grundsatz gilt vielmehr, dass alle Betriebsratsmitglieder für ihre Aufgabenwahrnehmung gem. § 37 Abs. 2 BetrVG von ihrer beruflichen Tätigkeit zu befreien sind. Weil das Betriebsratsmitglied sein Amt eigenverantwortlich zu führen hat, entscheidet es im Grundsatz auch alleinverantwortlich über seine konkret beabsichtigte Tätigkeit908. II. Priorität der Freigestellten für die Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben? Im Hinblick auf die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Allgemeinen, und damit auf die „Erforderlichkeit“ gem. § 37 Abs. 2 BetrVG im Besonderen, wird unter Abweichung vom zuletzt genannten Grundsatz vertreten, dass die außerhalb der Sitzungen und der konkreten Aufgabenzuweisungen an die Mitglieder liegende erforderliche Betriebsratsarbeit zunächst – d.h. primär – von den freigestellten Betriebsratsmitgliedern zu erledigen ist. Dies folge aus

904 Siehe nur ErfK-Eisenmann § 37 Rdnr. 1; Fitting § 37 Rdnrn. 6 ff.; GK-Wiese/ Weber § 37 Rdnrn. 7 f.; Joost MünchArbR § 308 Rdnr. 3; Richardi-Richardi/Thüsing § 37 Rdnrn. 5 f. 905 Deshalb führt Joost MünchArbR § 308 Rdnr. 3 auch zu Recht aus, dass jedwedes Vorteilsversprechen oder jede Vorteilsgewährung auch von Dritter Seite aus unzulässig ist. 906 Siehe nur ErfK-Eisenmann § 26 Rdnr. 4; Fitting § 26 Rdnr. 21; GK-Wiese/Raab § 26 Rdnrn. 31 ff. HSWG-Glock § 26 Rdnrn. 38 ff.; Löwisch/Kaiser § 26 Rdnrn. 6, 8; Richardi-Richardi/Thüsing § 26 Rdnrn. 33 ff.; BAG v. 26.09.1963 – 2 AZR 220/63 = AP Nr. 2 zu § 70 PersVG Kündigung; v. 17.02.1981 – 1 AZR 290/78 = AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 1972 LS 3. 907 Der Verfasser war selbst anwaltlicher Verteidiger eines der DB Regio AG zugewiesenen Beamten des Bundeseisenbahnvermögens, der auf Initiative des Betriebsratsvorsitzenden hin von seinem Dienstherrn mit einem Disziplinarverfahren überzogen wurde, weil er sich nicht zur Aufgabenwahrnehmung die Erlaubnis des Betriebsratsvorsitzenden eingeholt hatte; das Disziplinarverfahren musste denn auch eingestellt werden, die ausgesprochene Disziplinarverfügung wurde aufgehoben. 908 ErfK-Eisenmann § 37 Rdnr. 4.

§ 14 Schutz der Minderheitenvertreter vor Aufgabenentzug

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dem Gebot der rationellen Arbeitsgestaltung909 – welches als Ausfluss des Verhältnismäßigkeits- und damit des Erforderlichkeitsgrundsatzes zu sehen sei910. Dementgegen wird aber auch ein „großzügigerer Maßstab“ für die Arbeitsbefreiung nicht-freigestellter Betriebsratsmitglieder vertreten, wobei insbesondere darauf abgestellt wird, dass der Betriebsrat autonom über die Aufgabenverteilung zu entscheiden habe, und der Gesetzgeber mit der Freistellungsstaffel des § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur Mindestzahlen festgelegt habe911. Auch die Rechtsprechung hat unter Betonung des Beurteilungsspielraums des einzelnen Betriebsratsmitglieds anerkannt, dass der Betriebsrat und seine Mitglieder jedenfalls nicht generell darauf verwiesen werden dürften, dass freigestellte Betriebsratsmitglieder zur Aufgabenbewältigung vorhanden seien912.

B. Eigene Auffassung Ganz sicher gebieten Verhältnismäßigkeitsüberlegungen den rationellen Einsatz der „Betriebsratskräfte“. Auch unter dieser Voraussetzung besteht allerdings die Autonomie des Betriebsrats bei der Aufgabenverteilung auf seine Mitglieder, so dass hier der Beurteilungsspielraum des Betriebsrats zum Tragen kommt913. In diesem Sinne hat die Aufgabenwahrnehmung durch die freigestellten Betriebsratsmitglieder keine alleinige Priorität. Daraus folgt zunächst, dass im Rahmen der Erforderlichkeit auch das einzelne Betriebsratsmitglied neben den Freigestellten im Rahmen der ihm zugewiesenen Aufgaben Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 2 BetrVG beanspruchen kann. Darüber hinaus würde es 909 ErfK-Eisenmann § 37 Rdnr. 5; GK-Wiese/Weber § 37 Rdnrn. 22, 37; HSWGGlock § 37 Rdnrn. 24, 28, 30 mit der Auffassung, dass auch die autonome geschäftsordnungsmäßige Aufgabenzuweisung zunächst die Freigestellten auszulasten habe; Joost MünchArbR § 308 Rdnr. 13, (ähnlich) Kühner, S. 91 f.; Löwisch/Kaiser § 37 Rdnr. 13 mit der Auffassung, dass nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder nur dann in größerem Umfange zur Erledigung von Betriebsratsaufgaben herangezogen werden dürften, wenn die Freigestellten total ausgelastet seien und die Betriebsratsaufgaben ansonsten nicht ordnungsgemäß erledigt werden könnten; so auch Richardi-RichardiThüsing § 37 Rdnr. 23; BAG v. 19.09.1985 910 In diesem Sinne Richardi-Richardi/Thüsing § 37 Rdnr. 21. 911 DKK-Wedde § 37 Rdnrn. 27 f.; DLW-Wildschütz I. Rdnr. 541; Fitting § 37 Rdnr. 45; Jülicher Anm. zu BAG v. 21.11.1978 – 6 AZR 247/76 = AP Nr. 34 zu § 37 BetrVG 1972; zu widersprüchlich ErfK-Eisenmann § 37 Rdnr. 5; insofern sehr weitgehend Ohm/Rudolph AiB 98, 241. 912 BAG v. 06.08.1981 – 6 AZR 1086/79 = AP Nr. 40 zu § 37 BetrVG 1972 Gründe II. 2. c); v. 19.09.1985 – 6 AZR 476/83 = AP Nr. 1 zu § 42 LPVG RheinlandPfalz LS 2; in der Tendenz enger LAG Hamm v. 24.08.1979 – 3 Sa 326/79 = EzA § 37 BetrVG 1972 Nr. 66; Betonung des Beurteilungsspielraums siehe BAG v. 21.11.1978 – 6 AZR 247/76 = AP Nr. 34 zu § 37 BetrVG 1972; v. 16.10.1986 – 6 ABR 14/84 = AP Nr. 58 zu § 37 BetrVG 1972 Gründe II. 2. a). 913 So auch DKK-Wedde § 37 Rdnr. 27; DLW-Wildschütz I. Rdnr. 541; ErfK-Eisenmann § 37 Rdnr. 5; Fitting § 37 Rdnr. 45; Galperin/Löwisch § 37 Rdnr. 30.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

zu einer nicht zulässigen Beschränkung der Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit der Amtsführung des einzelnen Betriebsratsmitglieds führen, wenn Ansprüche nach § 37 Abs. 2 BetrVG ausschließlich durch die Aufgabenverteilung im Betriebsrat festgelegt werden könnten. Deshalb stehen dem Einzelnen originäre Aufgaben zu, die ihm auch nicht durch Beschluss des Betriebsrats entzogen werden können. Solche Aufgaben sind etwa die Informationsmöglichkeiten im Zusammenhang mit den allgemeinen Aufgaben des Betriebsrats (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG), oder die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds durch einen Arbeitnehmer (§§ 81 Abs. 4 Satz 3, 82 Abs. 2 Satz 2, 83 Abs. 1 Satz 2 und 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Bei den letztgenannten Fällen steht nämlich das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und hinzugezogenem Betriebsratsmitglied ausschlaggebend im Vordergrund914. Insofern haben die der Minderheitsgewerkschaft angehörigen Betriebsratsmitglieder deshalb eine auch durch die Aufgabenzuweisung im Betriebsrat unberührte Möglichkeit der Wahrnehmung ihres Amtes gem. § 37 Abs. 2 BetrVG. Dies gilt umsomehr, als es dem Betriebsrat grundsätzlich unbenommen ist, die Aufgabenverteilung auf die einzelnen Betriebsratsmitglieder so vorzunehmen, dass die wesentlichen Aufgaben auf die Vertreter der Mehrheitsgewerkschaft verteilt werden, andererseits aber das Vertrauensverhältnis zwischen hilfesuchendem Arbeitnehmer und Betriebsratsmitglied regelmäßig auch durch die Zugehörigkeit zur gleichen (Minderheits-)Koalition geprägt sein kann. In diesem Rahmen der Aufgabenwahrnehmung durch das einzelne Betriebsratsmitglied ist nach hier vertretener Auffassung gegebenenfalls auch gem. § 37 Abs. 2 BetrVG die – betriebsexterne – Einholung von Sachverstand oder von allgemeiner Hilfestellung bei der Minderheitsgewerkschaft gedeckt, vor allem, wenn der hilfesuchende Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang der konkreten Beratung bedarf und er Mitglied dieser Gewerkschaft ist915.

914 So auch Fitting § 37 Rdnr. 47; Galperin/Löwisch § 37 Rdnr. 31; HSWG-Glock § 37 Rdnr. 32; deshalb muss m. E. das angesprochene Betriebsratsmitglied den hilfesuchenden Arbeitnehmer auch nicht auf die Sprechstunden des Betriebsrats verweisen, so im Ergebnis BAG v. 23.06.1980 – 6 ABR 65/80 = AP Nr. 45 zu § 37 BetrVG 1972 Gründe II. 2; a. A. LAG Berlin v. 10.10.1980 – 10 TaBV 4/80 = DB 81, 1416; anders Löwisch/Reimann Anm. zu BAG v. 23.06.1980 – 6 ABR 65/80 = AP Nr. 45 zu § 37 BetrVG 1972, die entgegen dem BAG einerseits sehr wohl den Verweis auf die Sprechstunden des Betriebsrats für zumutbar halten, andererseits aber die Möglichkeit der unmittelbaren Hinzuziehung des einzelnen angesprochenen Betriebsratsmitglied durch den Arbeitnehmer (§§ 82 Abs. 2 Satz 2, 83 Abs. 1 Satz 2, 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) hiervon als nicht berührt ansehen. 915 Allgemein für die externe Besprechung mit Gewerkschaftsvertretern in solche Fällen DKK Wedde § 37 Rdnr. 18 unter Hinweis auf ArbG Stuttgart v. 31.08.1988 – 22 Ca 2334/88 und ArbG Aachen v. 12.12.1978 – 1 Ca 485/78.

§ 16 Der Schulungsanspruch der Betriebsratsmitglieder

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§ 16 Der Schulungsanspruch der Betriebsratsmitglieder (§ 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG) In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass die Vertreter der Minderheitsgewerkschaften im Betriebsrat vom Betriebsrat entweder gar nicht zu Schulungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG geschickt werden, oder aber die entsprechende Beschlussfassung im Betriebsrat davon abhängig gemacht wird, dass die Vertreter der gewerkschaftlichen Minderheit bereit sind, an Schulungen teilzunehmen, die von der Mehrheitsgewerkschaft direkt oder indirekt veranstaltet werden. Nicht selten ist damit die nicht unrealistische Zielsetzung verbunden, in diesen Schulungen dann Druck auf die Minderheitenvertreter dahingehend auszuüben, zur Mehrheitsgewerkschaft überzutreten.

A. Grundsatz: Kollektiver Anspruch des Betriebsrats auf Schulung im Rahmen der Erforderlichkeit Mit der oben aufgeworfenen Problematik hat sich die Rechtsprechung – so weit ersichtlich – noch nicht zu beschäftigen gehabt. Dort wird stets nur ausgeführt, dass es sich beim Schulungsanspruch gem. § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG – im Gegensatz zu § 37 Abs. 7 BetrVG – um einen kollektiven Anspruch handelt916. Dies wird auch in der Literatur so gesehen, auch wenn dort betont wird, dass durch den Betriebsratsbeschluss über die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung ein abgeleiteter individueller Anspruch für das einzelne Betriebsratsmitglied entstehe917. So weit ersichtlich, vertreten lediglich Richardi/Thüsing918 die Auffassung, dass auch dem Schulungsanspruch nach § 37 Abs. 6 BetrVG von vorneherein individualrechtlicher Anspruchscharakter gegenüber dem Arbeitgeber zukomme. Der h. M. ist im Grundsatz zuzustimmen, weil im Gegensatz zu § 37 Abs. 7 BetrVG, der das einzelne Betriebsratsmitglied ausdrücklich als schulungsberechtigt benennt, der Schulungsanspruch des § 37 Abs. 6 BetrVG den Betriebsrat und dessen Bedürfnisse zum Bezugspunkt hat. Daraus folgt aber nicht die oben

916 So BAG v. 05.04.1984 – 6 AZR 495/81 = AP Nr. 46 zu § 37 BetrVG 1972 Gründe 2. b); v. 15.05.1985 – 6 ABR 64/83 = AP Nr. 53 zu § 37 BetrVG 1972; v. 05.11.1981 – 6 ABR 50/79 = DB 82, 704; v. 06.11.1973 – 1 ABR 8/73 = AP Nr. 5 zu § 37 BetrVG 1972 Gründe III. 1. 917 DKK-Wedde § 37 Rdnr. 114; DLW-Wildschütz I. Rdnrn. 610, 620; ErfK-Eisenmann § 37 Rdnr. 15; Fitting § 37 Rdnr. 234; Galperin/Löwisch § 37 Rdnr. 85; GKWiese/Weber § 37 Rdnrn. 142 f., 255 ff.; HSWG-Glock § 37 Rdnr. 131, 134; Joost MünchArbR § 308 Rdnr. 109; KassHdBArbR-Etzel 7.1. Rdnrn. 239 f.; Künzl ZfA 93, 341 (354); Weiss/Weyand § 37 Rdnr. 30; wohl auch Löwisch/Rieble Anm. zu BAG v. 05.04.1984 – 6 AZR 495/81 = AP Nr. 46 zu § 37 BetrVG 1972. 918 Richardi-Richardi-Thüsing § 37 Rdnrn. 106 f.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

angesprochene Herrschaft der Betriebsratsmehrheit über die Vertreter der Minderheitsgewerkschaft im Betriebsrat.

B. Subjektiv-rechtlicher Einschlag des kollektiven Schulungsanspruchs Die Rechtsprechung hat immer wieder betont, dass für jedes Betriebsratsmitglied in einem gewissen – hier nicht näher zu vertiefenden – Umfang jedenfalls die Vermittlung von Grundkenntnissen im Individualarbeitsrecht und im Betriebsverfassungsrecht ohne weitere Darlegung regelmäßig als erforderlich anzusehen ist919. Schon insofern könnte man bereits von einem individualrechtlichen Einschlag des Schulungsanspruchs gem. § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG sprechen. Darüber hinaus wird im Hinblick auf die Auswahlentscheidung des Betriebsrats bei Schulungsmaßnahmen für seine Mitglieder vielerorts ausgeführt, dass diese unter Berücksichtigung der Grundsätze des § 75 BetrVG zu erfolgen habe920. Dieser Auffassung ist schon wegen der Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG auch auf innerorganschaftliche Maßnahmen des Betriebsrats zu folgen. Außerdem ist nicht ersichtlich, wieso die Vorgaben des § 75 BetrVG für die Amtsführung des Betriebsrats dort nicht greifen sollten, wo es um die Amtstätigkeit nicht im Außenverhältnis, sondern um die innere Führung der Amtsgeschäfte geht. Auch hier darf deshalb keine Diskriminierung wegen der Gewerkschaftszugehörigkeit eines Betriebsratsmitglieds erfolgen. Für die hier in Rede stehenden Fallkonstellationen bedeutet dies, dass die Zugehörigkeit eines Betriebsratsmitglieds zur Minderheitsgewerkschaft den Betriebsrat – wie oben beispielhaft angesprochen921 – in seiner Beschlussfassung über den Inhalt der Schulungsmaßnahme und über den Schulungsträger nicht beeinflussen darf922. Entscheidend für den Betriebsrat dürfen deshalb bei seiner Auswahlentscheidung alleine Sachgesichtspunkte sein. Diese bestehen zunächst darin, jedem Betriebsratsmitglied unabhängig von seiner Zugehörigkeit zur Minderheitsgewerkschaft die erforderlichen Grundkenntnisse als Grundlage sei919 BAG v. 07.06.1989 – 7 ABR 28/88 = AP Nr. 67 zu § 37 BetrVG 1972 LS 1; v. 21.11.1978 – 6 ABR 10/77 = AP Nr. 35 zu § 37 BetrVG 1972 Gründe III. 2.; v. 20.12.1995 – 7 ABR 14/95 = AP Nr. 113 zu § 37 BetrVG 1972 Gründe B. 2. a); umfassend dazu auch GK-Wiese/Weber § 37 Rdnrn. 164 ff. m.w. N.; Löwisch/Kaiser § 37 Rdnr. 44 m.w. N. 920 Däubler Schulung Rdnr. 244; DLW-Wildschütz I. Rdnr. 620; Fitting § 37 Rdnr. 235; Galperin/Löwisch § 37 Rdnr. 87; GK-Wiese/Weber § 37 Rdnr. 258; HSWGGlock § 37 Rdnr. 134a; Joost MünchArbR § 308 Rdnr. 112; Weiss/Weyand § 37 Rdnr. 30. 921 Siehe vorstehend 4. Kap. § 16. 922 Anders wohl DKK-Wedde § 37 Rdnr. 124, der nur allgemein von „pflichtgemäßen Ermessen“ auf der Grundlage der Entscheidungskompetenz des Betriebsrats bei der Auswahl und Zahl der zu schulenden Betriebsratsmitglieder spricht.

§ 16 Der Schulungsanspruch der Betriebsratsmitglieder

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ner Arbeit durch Schulungen vermitteln zu lassen, und je nach Aufgabenzuweisung die Vermittlung hierfür erforderlicher Zusatzkenntnisse in Spezialschulungen. Denkbar sind auch Gesichtspunkte der finanziellen Belastung für den Arbeitgeber – bei vergleichbaren Schulungsangeboten am Markt der Schulungsanbieter. Schon für Konstellationen jenseits ihrer Prägung durch gewerkschaftliche Konkurrenz wird darüber hinaus vertreten, dass in dem soeben bezeichneten Rahmen der Schulungsbedürftigkeit eines Betriebsratsmitglieds, individualrechtliche Ansprüche des Einzelnen gegen das Gesamtorgan Betriebsrat anzuerkennen sind923. Dies erscheint schon deshalb als richtig, weil das Zurückwerfen des einzelnen Betriebsratsmitglieds auf eine lediglich feststellende arbeitsgerichtliche Kontrolle der u. U. gegen § 75 BetrVG verstoßenden Auswahlentscheidung bei der Zuteilung von Schulungen aufgrund der zu erwartenden langen Verfahrensdauer, der zeitlichen Begrenztheit der Amtsperiode, und der nicht möglichen Vollstreckbarkeit einer stattgebenden Entscheidung keine effektive Rechtsschutzmöglichkeit für das betroffene Betriebsratsmitglied darstellen kann924. Ist man – wie hier vertreten – der Auffassung, dass der Betriebsrat im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens letztlich jedenfalls für die Grundschulung eines jeden Betriebsratsmitglieds zu sorgen hat, so wäre es widersinnig, diesem einzelnen Mitglied dann andererseits nicht auch die entsprechenden subjektiv-rechtlichen Ansprüche gegenüber dem Betriebsrat zuzuerkennen. Mit diesen Ansprüchen verhält es sich dann ähnlich, wie mit den innerorganschaftlichen Ansprüchen einzelner Organteile zum Gesamtorgan im Recht der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften (kommunalverfassungsrechtliche Organstreitigkeiten)925. Diese Gesichtspunkte der Notwendigkeit der Gewährleis923 GK-Wiese/Weber § 37 Rdnr. 260; vorsichtig in diese Richtung Fitting § 37 Rdnrn. 235, 237; offengelassen von DLW-Wildschütz I. Rdnr. 620. 924 Auch ein etwaiges Ausschlussverfahren gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gegen den die pflichtwidrige Unterlassung initiierenden Betriebsratsvorsitzenden hülfe in der Sache nicht weiter und hätte genauso das Zeitmoment wegen der zu erwartenden Verfahrensdauer gegen sich. 925 Auch die personalvertretungsrechtliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte geht in vergleichbaren Fällen (beim Anspruch der Minderheitenvertreter gegen den Personalrat darauf, sie entsprechend dem Ergebnis der Verhältniswahl im Rahmen von § 46 Abs. 3 BPersVG dem Dienststellenleiter zur Freistellung vorzuschlagen), BVerwG v. 22.12.1994 – 6 P 12.93 = AP Nr. 20 zu § 46 BPersVG Gründe 2 d) m.w. N.; OVG Nordrhein-Westfalen v. 15.01.1997 – 1 B 2834/96 PVB = PersR 97, 174 (175) von einem im Wege des Leistungsanspruchs verfolgbaren Anspruch des Organteils aus (der Anspruch sei zwar nicht als materiell-rechtlich im engeren Sinne zu charakterisieren; er beträfe aber ein internes Entscheidungsverfahren des Personalrats und die hierbei zu beachtenden Verfahrenshandlungen, BVerwG und OVG Nordrhein-Westfalen a. a. O.); so auch Ilbertz Personalvertretungsrecht § 46 3. g) a. E.; siehe zur Zulässigkeit des innerorganschaftlichen Streitverfahrens allgemein auch z. B. VGH BadenWürttemberg NVwZ-RR 89, 153; OVG Koblenz DVBl. 85, 177 = NVwZ 85, 283; BVerwG NVwZ-RR 94, 352; dazu auch Kopp/Schenke Anh. § 42 Rdnrn. 86 ff.; Eyermann § 42 Rdnr. 113.

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tung effektiven Rechtsschutzes für das einzelne Betriebsratsmitglied erfahren entscheidende Verstärkung aus dem Grundsatz heraus, dass die staatliche Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit den Minderheitskoalitionen bzw. ihren Vertretern es nicht bei der lediglich formalen Einräumung von Rechtspositionen belassen darf – wie es mit dem Anspruch auf diskriminierungsfreie Behandlung bei der Beschlussfassung über Schulungsteilnahmen gem. § 75 BetrVG der Fall ist – sondern auch dafür Sorge zu tragen hat, dass diese Positionen auch tatsächlich und effektiv verwirklicht werden können926. Ohne die Gewährung subjektiv-rechtlicher, und damit „klagfähiger“ innerorganschaftlicher Anspruchspositionen des einzelnen der Minderheitsgewerkschaft zugehörigen Betriebsratsmitglieds, liefe dieser letztlich aus Art. 9 Abs. 3 GG herrührende Anspruch aber leer.

C. Anspruch auf Schulung durch die eigene Minderheitsgewerkschaft? Erforderlich ist es für das einzelne Betriebsratsmitglied in seiner Tätigkeit, dass es zum einen bestimmte Basiskenntnisse im Betriebsverfassungsrecht und im allgemeinen Arbeitsrecht durch Schulungen erwerben kann, und zum anderen bei bestimmter Aufgabenzuweisung durch den Betriebsrat sich auch das hierfür notwendige Spezial-Wissen durch Schulungsteilnahme aneignen kann927. Einer bestimmten gewerkschaftlichen Färbung bedarf die Vermittlung solchen Fachwissens nicht, auch wenn Gewerkschaften als Schulungsträger anzuerkennen sind928. Entscheidend ist alleine, dass die Schulungsveranstaltung geeignet ist, die erforderlichen Kenntnisse zu vermitteln, und dass hierbei auch – im Rahmen des Beurteilungsspielraums durch den Betriebsrat – die betrieblichen Notwendigkeiten des Arbeitgebers Berücksichtigung finden, § 37 Abs. 6 Satz 3 BetrVG. Hält sich der Betriebsrat bei seiner Beschlussfassung in diesem Rahmen, so handelt er pflichtgemäß929. Ob es nicht ein Gebot kollegialer Fairness

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Siehe oben 2. Kap. § 1 A.; F. IV. 3. g); 4. Kap. § 8 A. I. 2. a) f.; B. Fitting § 37 Rdnr. 243 nimmt daher zu Recht an, dass der Betriebsrat nicht nur berechtigt, sondern auch gehalten ist, die Auswahl der Schulungsveranstaltungen nach den Aufgaben und Funktionen des einzelnen Betriebsratsmitglieds zu treffen; ähnlich ErfK-Eisenmann § 37 Rdnr. 16; GK-Wiese/Weber § 37 Rdnr. 256; Joost MünchArbR § 308 Rdnr. 111 Richardi-Richardi/Thüsing § 37 Rdnr. 86. 928 Siehe dazu nur GK-Wiese/Weber § 37 Rdnr. 148 m.w. N., die darauf hinweisen, dass die Tätigkeit von Koalitionen auch auf diesem Gebiet von Art. 9 Abs. 3 GG erfasst werden. 929 Richardi RdA 72, 8 (15) hat in diesem Sinne schon seinerzeit – allgemein – darauf hingewiesen, dass der Betriebsrat nicht ein Interessenmandat sondern ein Repräsentationsmandat übernommen hat; dies habe zur Folge, dass auch intern die Gewerkschaftszugehörigkeit zu konkurrierenden Gewerkschaften hintanzustellen sei – im Sinne eines Gebots der Fairness untereinander. 927

§ 16 Der Schulungsanspruch der Betriebsratsmitglieder

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darstellt, Wünsche der Minderheitsvertreter zu berücksichtigen, ist eine andere, allerdings nicht rechtlich erhebliche Frage.

D. Verbot der „Schulung wider Willen“ der Minderheitskoalitionäre durch die Mehrheitsgewerkschaft Anders liegt der Fall aber dann, wenn die Betriebsratsmehrheit dem bei der Minderheitsgewerkschaft organisierten Betriebsratsmitglied eine Schulung bei der Mehrheitsgewerkschaft aufnötigen will: Die Amtstätigkeit des Betriebsrats in Form der Beschlussfassung über die Art und Weise des zu befriedigenden Schulungsanspruchs des Minderheitsvertreters läuft dann darauf hinaus, diesen entgegen dem Grundsatz gewerkschaftsneutraler Amtsführung gem. § 75 BetrVG, zwangsweise einer von ihm nicht gewollten Einflussnahme durch die Mehrheitsgewerkschaft auszusetzen. Dem Grundsatz der Sicherstellung eines zumindest potentiellen Koalitionspluralismus durch staatliche Ausgestaltung der Betriebsverfassung entspricht es dementgegen alleine, Minderheitenvertreter im Betriebsrat nicht gegen deren Willen den Einwirkungsmöglichkeiten der Mehrheitsgewerkschaft im Rahmen von Schulungsmaßnahmen zuführen zu lassen930. Denn hierdurch würde der Sinn des in Art. 9 Abs. 3 GG angelegten Koalitionspluralismus ins Gegenteil verkehrt: Bewahrung des Einzelnen vor dem Zugriff der Kollektivmächte931 – der Einzelne soll mit den Worten Löwischs/Riebles932 schließlich davor geschützt werden, vom Regen der Arbeitgeberherrschaft vermittels der Regelungen der Betriebsverfassung in die Traufe einer ungewollten gewerkschaftlichen Pression zu geraten.

E. Ergebnis Jedenfalls im Hinblick auf Grundschulungen haben alle – auch die Betriebsratsmitglieder der Minderheitsgewerkschaft – im Rahmen der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Schulungsbedarf auch ohne nähere Darlegung der konkreten Erforderlichkeit Anspruch darauf, dass der Betriebsrat ihnen im Wege des Beschlusses diese Schulungsmöglichkeiten eröffnet. Der dem Grundsatz nach kollektive Anspruch des Betriebsrats auf Schulungen im erforderlichen Umfang hat dabei auch individualrechtlichen Einschlag. Dies bedeutet, dass das einzelne Betriebsratsmitglied im Wege der 930 Dies verstößt außerdem gegen das von Richardi RdA 72, 8 (15) zu Recht reklamierte Gebot der Fairness im Verhältnis der Betriebsratsmitglieder unterschiedlicher Gewerkschaftszugehörigkeit untereinander; ungenau deshalb auch DKK-Wedde § 37 Rdnr. 124. 931 Siehe oben 2. Kap. § 1 B.; E. 932 Löwisch/Rieble MünchArbR § 244 Rdnr. 22.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

innerorganschaftlichen Rechtsstreitigkeit gegebenenfalls vom Betriebsrat die entsprechende Beschlussfassung verlangen kann. Jede Diskriminierung des Betriebsratsmitglieds bei der Organisation der Schulungseinteilnahmen aus gewerkschaftlichen Gründen heraus, ist wegen der Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG und wegen § 75 BetrVG untersagt. Die Auswahl der Schulungsveranstaltung hat sich dabei strikt an jenen Sachgesichtspunkten zu orientieren, die aus den Erfordernissen der Betriebsratsarbeit herrühren. Deshalb kann der Vertreter der Minderheitsgewerkschaft zwar nicht für sich reklamieren, nur von seiner Gewerkschaft geschult werden zu wollen oder dürfen. Andererseits würde es aber gegen sein Recht aus Art. 9 Abs. 3 GG verstoßen, nötigte ihm die Betriebsratsmehrheit die Schulung bei der Mehrheitsgewerkschaft gegen seinen Willen auf.

§ 17 Freistellungen (§ 38 BetrVG) A. Veränderungssperre im Hinblick auf Verhältniswahlmodus, § 38 Abs. 1 Satz 2 BetrVG Es wurde bereits an anderer Stelle ausführlich begründet, warum nach hier vertretener Auffassung der Grundsatz der Verhältniswahl als Grundprinzip der Betriebsverfassung angesehen werden muss933. Des weiteren wird vorliegend die Auffassung vertreten, dass dieses Grundprinzip auch von Verfassungs wegen geboten ist934. Der Minderheitenschutz erschöpft sich dabei nicht formal auf die Wahlen zum Betriebsrat, sondern wirkt materiell auch in den Besetzungsregeln bei der Ausschussbildung weiter (Rechtsgedanke der „Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen“)935. Angesichts der in der Praxis regelmäßig erfolgenden Konzentration der Erledigung der Betriebsratsaufgaben auf die freigestellten Betriebsratsmitglieder, kommt dieser Rechtsgedanke auch im Hinblick auf die freizustellenden Betriebsratsmitglieder zum Tragen: Denn dort, wo Ausschüsse oder eben auch freigestellte Betriebsratsmitglieder anstelle des Betriebsrats die Belegschaftsangehörigen repräsentieren, muss das Demokratieprinzip sich folgerichtig auch auf die diesbezüglichen Wahlakte erstrecken936. Dies gilt umsomehr, als die Freigestellten die wichtigsten Ansprechpartner für die Arbeitnehmer im Betrieb sind, sich in dieser Funktion profilieren 933

Siehe schon oben 4. Kap. § 8 A. I.; siehe auch unten 4. Kap. § 19 B. II. Siehe oben 4. Kap. § 3 B. 935 Siehe oben 4. Kap. § 8 A. I. 2. a) f.; Löwisch BB 01, 726 (727); ders. ZBVR 02, 207 (211). 936 So ausdrücklich auch Löwisch BB 01, 726 (727); anders Schneider AiB 88, 99 (101), der heraushebt, dass die freigestellten Betriebsratsmitglieder nicht selbständig Betriebsratsaufgaben erledigten, sondern an die Beschlüsse des Gremiums gebunden seien – weshalb jeder Listenproporz von Übel sei. 934

§ 17 Freistellungen (§ 38 BetrVG)

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können, und somit auch die Minderheitskoalitionen im Betriebsrat auf diese elementare Chance angewiesen sind, um sich in dieser Weise und Funktion gegenüber der Belegschaft darzustellen937. Deshalb gilt nach hier vertretener Auffassung auch für § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG eine Veränderungssperre – die Vorschrift muss demnach als „verfassungsfest“ angesehen werden938.

B. Die Nachbesetzung freigewordener Freistellungspositionen Während der laufenden Amtsperiode des Betriebsrats ergeben sich häufig minderheitenspezifische Probleme im Hinblick auf die möglichst verhältnismäßige Repräsentation der Minderheitenliste (n) in der Freistellung. Zwar hat der Gesetzgeber den Minderheitenschutz gem. § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG durch Anordnung der Verhältniswahl gewährleistet, diese Vorschrift bezieht sich jedoch nur auf die erstmalige Wahl der Freizustellenden, so dass offen bleibt, wie zu verfahren ist, wenn während der Amtsperiode die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds endet939. Diese Situation kann durch die Verrentung oder das Ausscheiden des Freigestellten, wegen der Beendigung des Betriebsratsmandats, oder aus sonstigen Gründen eintreten. Je nachdem, wie dieser Situation verfahrensmäßig begegnet wird, kann der gesetzliche Minderheitenschutz bewahrt oder aber im Gegenteil bewirkt werden, dass die Minderheitenliste während der Amtsperiode sogar „ausbluten“ kann940.

937 Dütz DB 01, 1306 (1309 f.); Buchner NZA 89 Beil. 1, 2 (4); Heither NZA 90 Beil. 1, 11 (15 f.); insofern kommt auch wieder der Gedanke zum Tragen, dass es dem Demokratieprinzip inhärent ist, strukturell die Chance zu ermöglichen, dass aus der Minderheit mit ihren Positionen die Mehrheit werden kann. 938 Ein weiteres, gleichsam verfassungsrechtlich von Arbeitnehmerseite aus „eingefärbtes“ Argument für die Beibehaltung des Verhältniswahlmodus ist das von Löwisch BB 88, 1953 (1954) angesprochene starke Interesse des sich der Minderheitsgewerkschaft zurechnenden Arbeitnehmers, sein Anliegen einem Freigestellten seines Vertrauens bzw. seiner Minderheitsgewerkschaft anzuvertrauen (im Ergebnis allerdings von Löwisch a. a. O. seinerzeit als gegenüber der Sachkunde des freigestellten Betriebsratsmitglieds nachrangig angesehen); zustimmend jetzt ders. BB 01, 1734 (1743); so schon die Begründung der Novelle 1988 durch den Gesetzgeber. BT-Drucks. 11/3518, S. 7; 11/2503, 24; LAG Frankfurt v. 01.08.1991 – 12 TaBV 40/91. 939 BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 Gründe I. 2. a); BAG v. 28.10.1992 – 7 ABR 2/92 = AP Nr. 16 zu § 38 BetrVG 1972 Gründe B. II. 2. a); Klein ZBVR 00, 234 f.; Wiese Anm. zu BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00, in AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972. 940 Fitting § 38 Rdnr. 52; Klein ZBVR 00, 234.

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I. Nachwahl mit einfacher Mehrheit? 1. Begründungsversuche Radikal mehrheitsprivilegierend ist die Lösung, die davon ausgeht, dass jede Vakanz in der Freistellung durch einfache Mehrheits-Nachwahl beendet werden kann941, wobei dies teilweise dahingehend modifiziert wird, dass dies jedenfalls dann gelten müsse, wenn der Betriebsrat nicht vorab (bei der „Erstwahl“ der Freizustellenden) die analoge Anwendbarkeit des § 25 Abs. 2 BetrVG auf den Fall des Nachrückens der Freizustellenden beschlossen habe (sog. „Ausdrücklichkeitsbeschluss“)942. Begründet wird dies damit, dass dem gesetzlich gewollten Schutzbedürfnis der Minderheit schon dadurch erschöpfend Rechnung getragen sei, als mit § 38 Abs. 2 Satz 8 BetrVG943 ein qualifiziertes Abberufungsquorum von drei Vierteln der Mitglieder des Betriebsrats aufgestellt worden sei944, und nur auf im Wege der Mehrheits-Nachwahl sichergestellt werden könne, dass die Fachkompetenz des in die Freistellung einrückenden Betriebsratsmitglieds den Ausschlag gibt945.

941 Dänzer-Vanotti ArbuR 89, 204 (209); HSWG-Glock § 38 Rdnr. 30 mit der Begründung, der Minderheitenschutz beschränke sich auf dessen Gestaltung „durch Wahl“, falle somit also bei der „Nachwahl“ konsequenterweise aus; unklar insofern Joost MünchArbR § 308 Rdnrn. 77 einer-, 78 andererseits; KassHdBArbR-Etzel 7.1. Rdnr. 203; Weiss/Weyand § 38 Rdnr. 16; LAG Nürnberg v. 20.03.1997 5 TaBV 22/96 S. 3 f. (n. v.); ArbG Nürnberg v. 03.04.1996 – 15 BV 18/96 S. 7 f. (n. v.); ArbG Bremen v. 08.07.1999 – 9 BV 39/99; LAG Bremen v. 22.02.2000 – 1 TaBV 15/99 II. 4 b) = DB 00, 1232 (1233); die Literatur Auffassungen stützen sich dabei größtenteils – fälschlicherweise – auf BAG v. 28.10.1992 – 7 ABR 2/92 = AP Nr. 16 zu § 38 BetrVG 1972, obwohl dort ausdrücklich nur der Fall entschieden wurde, in dem die Vorschlagsliste der Minderheit bereits erschöpft war, und nur zwischen der Möglichkeit der Gesamt-Neuwahl und der Mehrheits-Nachwahl zu entscheiden war und die Möglichkeit des Nachrückens eines Vertreters der Minderheitenliste bei nicht erfolgter Listenerschöpfung analog § 25 Abs. 2 BetrVG ausdrücklich offengehalten worden war, siehe BAG a. a. O. Gründe B. II. 1. 942 LAG Nürnberg v. 19.11.1997 – 4 TaBV 15/96 = BB 98, 422; v. 19.11.1997 4 (7) TaBV 24/96; LAG Berlin v. 09.06.1995 – 16 TaBV 8/94 = BB 96, 538; LAG Bremen v. 22.02.2000 – 1 TABV 15/99 II. 4 b) = DB 00, 1232 (1233). 943 Vor der Betriebsverfassungsnovelle 2001: § 38 Abs. 2 Satz 10 BetrVG. 944 Weiss/Weyand § 38 Rdnr. 16; Hessisches LAG v. 04.03.1993 – 12 TaBV 142/92 = AiB 93, 655. 945 In diese Richtung DKK-Blanke 3. Aufl. § 38 Rdnr. 45; auch LAG Bremen v. 22.02.2000 – 1 TABV 15/99 II. 4 b) = DB 00, 1232 (1233), wo davon die Rede ist, dass (nur) mit der Mehrheits-Nachwahl gewährleistet werde, dass eine möglichst flexible und effiziente Betriebsratsarbeit geleistet wird.

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2. Gegenargumente Soweit damit gemeint sein soll, dass es dort keines Minderheitenschutzes bedürfe, wo das Erfordernis der Nachwahl nicht zielgerichtet von der Betriebsratsmehrheit zu Lasten der Minderheit herbeigeführt worden ist, und deshalb Minderheitenschutzgesichtspunkte auch keinen sachlichen Aufhänger hätten, greift diese Einschätzung der Interessenlage innerhalb des Betriebsrats schon im Ansatz zu kurz: Denn die Existenz des Abberufungsquorums des § 38 Abs. 2 Satz 8 BetrVG i.V. m. § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG setzt die in der tatsächlichen gewerkschaftlichen Konkurrenz ja auch tatsächlich vorhandene konfligierende Interessenlage zwischen den im Betriebsrat vertretenen Listen gedanklich als permanent vorhanden gerade voraus. Die Konflikt- bzw. Konkurrenzlage zwischen gewerkschaftlicher Mehrheit und Minderheit im Betriebsrat, die mit der Regelung der Verhältniswahl bei der Bestimmung der Freizustellenden im Betriebsrat vom Gesetzgeber aufgenommen und adäquat gelöst worden ist, ist stets vorhanden, ganz unabhängig von der Art und Weise, wie die Freistellung des Minderheitsvertreters konkret beendet worden ist946, so dass sich die Problematik der Sicherung des Minderheitenschutzes bei jeder eintretenden Vakanz stellen muss947. Dass der gesetzliche Minderheitenschutz durch das Abberufungsquorum des § 38 Abs. 2 Satz 8 BetrVG schon ausreichend gewährleistet sein soll, ist auch deshalb unzutreffend, weil schon rein rechnerisch die Möglichkeit besteht, dass der im Wege der Verhältniswahl gewählte Freigestellte anschließend mit qualifizierter Mehrheit, und ohne Vorliegen eines Sachgrundes, abberufen werden kann, um dann im Wege der Mehrheitswahl ersetzt zu werden948. Dem Gesetzgeber kann aber sicher nicht unterstellt werden, dass er den Minderheitenschutz 946

Klein ZBVR 00, 234. Deshalb führt das BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 Gründe B. I. 2. c) bb) auch aus, dass sich der Minderheitenschutz nicht in § 38 Abs. 2 Satz 10 BetrVG erschöpft; auch in Fällen der eintretenden Vakanz durch andere Ursachen müsse der gesetzlich gewollte Minderheitenschutz zum Tragen kommen. 948 Dazu siehe BAG v. 29.04.1992 – 7 ABR 74/91 = AP Nr. 15 zu § 38 BetrVG 1972 Gründe II. 3.; dazu auch das instruktive Beispiel bei Fitting § 38 Rdnr. 51: In einem 19köpfigen Betriebsrat werden bei einem Verhältnis von 16 zu drei (Mehrheitsgewerkschaft zu Minderheitsgewerkschaft) für die fünf Freistellungen zwei Wahlvorschläge eingebracht. Der erste Wahlvorschlag erhält 15, der zweite vier Stimmen. Nach d’Hondt’schen System entfallen auf den ersten Wahlvorschlag 4, auf den zweiten Wahlvorschlag eine Freistellung. Die 15 Wähler des Mehrheitswahlvorschlags können jetzt mit gem. § 38 Abs. 2 Satz 8 BetrVG vorgeschriebener Dreiviertel-Mehrheit den soeben gewählten Minderheitsvertreter abberufen und – folgt man den Befürwortern der Mehrheits-Nachwahl – ein weiteres Mitglied des Betriebsrats aus ihren Reihen mit der jetzt vakanten Freistellung bedenken; dass sich der Minderheitenschutz im Abberufungsschutz erschöpfen soll, wurde bereits frühzeitig vom ArbG Düsseldorf – 3 BV 68/94 (n. v.), S. 7 heftig angezweifelt („alles andere als überzeugend“). 947

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auf der einen Seite einführen, er auf der anderen Seite aber den Mehrheitskoalitionären im Betriebsrat die geschilderte Möglichkeit eröffnen wollte, den Minderheitenschutz auf diese Weise zu umgehen – um es damit beim durch die Nutzung des Abberufungsquorums durch die Mehrheit gerade konterkarierten „Minderheitenschutz“ zu belassen949. 3. Zwischenergebnis Eine Nachwahlmöglichkeit mit einfacher Mehrheit – im Wege der analogen Anwendung des § 38 Abs. 2 HS 2 BetrVG, soweit diese dogmatisch überhaupt mit dieser Bezugnahme begründet wird950 – scheidet damit schon aus diesen teleologisch-systematischen Gründen aus. Entscheidend für die Verwerfung der Möglichkeit der Mehrheits-Nachwahl aber sprechen ein weiteres Mal verfassungsrechtliche Gründe: Zu Recht hat das Bundesarbeitsgericht im vorliegenden Zusammenhang ausgeführt, dass es die Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG gebiete, den gewerkschaftlichen Minderheitenschutz auch auf die Nachwahlsituation zu erstrecken951. Dies entspricht den hier schon mehrfach angestellten Überlegungen zur Reichweite des Koalitionsgrundrechts der Minderheitsgewerkschaften (effektiver Minderheitenschutz, Gedanke der „Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen“, höchste Anforderungen an Sachgründe bei der Differenzierung zwischen Mehrheits- und Minderheitskoalition im Zusammenhang mit Wahlakten, Demokratiegebot)952. Denn insbesondere die von den Mehrheitskoalitionären im Betriebsrat angeführten Sachgründe für die Nachbesetzung per Mehrheitswahl (effizientere Betriebsratsarbeit, personelle Eignung des von der Mehrheit favorisierten Nachrückers953) werden regelmäßig nur vorgeschoben sein954. Außerdem kann die praktisch nicht justitiable bloße Einschätzung955 949 So Fitting § 38 Rdnr. 51; Klein ZBVR 00, 234 (236), Wiese Anm. zu BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00, in AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972. 950 So vor allem Dänzer-Vanotti ArbuR 89, 204 (209). 951 BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 Gründe B. I. 2. c) aa) (3) a. E.; bb) und cc). 952 Siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 3. f) ff.; 4. Kap. § 3 A. f.; § 8 A. I. 953 LAG Bremen v. 22.02.2000 – 1 TaBV 15/99 Gründe II. 4. b). 954 Klein ZBVR 00, 234 (236 f.). 955 Im vom BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 entschiedenen Fall hatte die Mehrheitsliste die Nachwahl per Mehrheitswahl vorgenommen; begründet wurde dies damit, dass der potentielle Nachrücker von der Minderheitenliste persönlich „bedauerlicher Weise“ als inkompetent anzusehen sei; was diese Einschätzung durch die Betriebsratsmehrheit betrifft, ist es allerdings wichtig zu wissen, dass in dem überregional zugeschnittenen Betrieb (ganz Norddeutschland) der potentielle Nachrücker von der Minderheitskoalition in einem weiten Teilbereich des Betriebs durch seine Freistellung faktisch der alleinige regionale Ansprechpartner für die Belegschaftsangehörigen hätte werden müssen und dies aufgrund der gewerk-

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der Mehrheitskoalitionäre, betreffend die personelle (Nicht-)Eignung eines Freizustellenden, und die damit verbundene Prognose der angeblich zu erwartenden Ineffizienz der vom Nachrücker zu leistenden Betriebsratsarbeit, keinen Sachgrund abgeben, der den gewichtigen Anforderungen an eine Beschränkung des Minderheitenschutzes gerecht werden könnte. II. Verwirklichung des Minderheitenschutzes Steht damit fest, dass Gesichtspunkte der Verhältniswahl bzw. des Minderheitenschutzes auch bei der Nachbesetzung während der Amtsperiode vakant gewordener Freistellungen der Minderheitenliste zum Tragen kommen müssen, so stellt sich die Frage, wie dies realisiert werden kann. Im Wesentlichen werden hierzu zwei Auffassungen vertreten: Die Neuwahl aller Freistellungen sowie die analoge Anwendung des § 25 Abs. 2 BetrVG956. 1. Neuwahl aller Freizustellenden? Zum Teil wird vertreten, dass der gesetzlich gewollte Minderheitenschutz dadurch zu verwirklichen sei, dass eine „Nachwahl“ bzw. Neuwahl sämtlicher Freistellungen durchgeführt werden müsse957. Dies erfordere der Schutz des Arbeitgebers, der zum Ausgleich zum gesetzlich gewollten und verfassungsrechtlich gebotenen Minderheitenschutz gebracht werden müsse. Anders als beim Nachrücken gem. § 25 Abs. 2 BetrVG in den Betriebsrat, sehe der Gesetzgeber bei den Freistellungen eine starke Beteiligung des Arbeitgebers vor. Dieser habe vorab (gem. § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG also bereits im Vorfeld der vorzunehmenden Freistellungswahl) gesetzliche Beratungsrechte, und die Freistellung selbst werde nicht vom Betriebsrat, sondern als Gestaltungsakt vom Arbeitgeber vorgenommen. Außerdem sei dem Arbeitgeber auch gem. § 38 Abs. 2 Satz 4 schaftlichen Konkurrenzsituation im Betriebsrat bei den Mehrheitskoalitionären ganz offensichtlich größtes Unbehagen nach sich zog (der Verfasser war der anwaltliche Vertreter der Minderheitskoalitionäre im gesamten Verfahren bis zum Bundesarbeitsgericht). 956 Denkbar wäre auch noch ein alleiniges Vorschlagsrecht der Minderheitenliste, über das dann im Wege der Mehrheitswahl entschieden werden müßte, so ArbG Düsseldorf v. 05.08.1994 3 BV 68/94 (n. v.) S. 7. Hierdurch würde aber nicht gesichert werden können, dass tatsächlich eine Nachbesetzung der vakant gewordenen Freistellung erfolgt, weil dazu eine Mehrheit im Betriebsrat hergestellt werden muss: Kommt diese Mehrheit nämlich nicht zustande, so läuft dieses Verfahren auf einen faktischen Freistellungsverzicht der Mehrheit zu Lasten der Minderheit hinaus – was wiederum in Konflikt zum gesetzlich gewollten Minderheitenschutz stehen würde. 957 GK-Wiese 6. Auflage § 38 Rdnr. 69; Joost MünchArbR § 308 Rdnr. 78; Richardi-Richardi-Thüsing § 38 Rdnr. 47; Wiese Anm. zu BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00, in AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972; siehe auch Fitting § 38 Rdnr. 54 m.w. N., der die Neuwahl nur dann für geboten sieht, wenn auf keiner Liste mehr ein Nachrücker vorhanden ist, dies dann in analoger Anwendung des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG.

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BetrVG der Gang in die Einigungsstelle möglich, wenn er eine vom Betriebsrat ins Auge gefasste Freistellung nicht für sachlich vertretbar halte. Deshalb sei ein automatisches Nachrücken analog § 25 Abs. 2 BetrVG nicht sachgerecht, weil hierdurch die gesetzlichen Rechte des Arbeitgebers unterlaufen werden würden. Außerdem sei es regelmäßig so, dass mit dem Ausscheiden aus der Freistellung auch das Ausscheiden aus dem Betriebsrat verbunden sei, so dass sich im Wege des § 25 Abs. 2 BetrVG die personelle Zusammensetzung des Betriebsrats verändere. Dann aber habe auch der Betriebsrat aufgrund seiner veränderten personellen Zusammensetzung ein legitimes Interesse daran, erneut über die Freistellungen insgesamt zu befinden. Das Abberufungsquorum des § 38 Abs. 2 Satz 8 BetrVG sei hier kein entgegenstehendes Hindernis, weil nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts958 in der Neuwahl sämtlicher Freizustellenden die konkludente Abberufung der bisher Freigestellten – ohne Verletzung des Minderheitenschutzes – zu sehen sei959. 2. Ergebnis: Analoge Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG Das Bundesarbeitsgericht960 hat argumentiert, dass der Minderheitenschutz im Sinne des Listenschutzes nicht weiterreichen könne, als die Liste selbst. Die Neuwahl aller Freizustellenden hingegen ginge über die Vorschlagslisten der ursprünglichen Freistellungswahl hinaus. Alleine ein Automatismus im Wege der analogen Anwendung des § 25 Abs. 2 BetrVG entspreche bei Verwirklichung des gebotenen Minderheitenschutzes den praktischen Bedürfnissen einer kontinuierlichen Betriebsratsarbeit961. Diese Analogie wird auch in der Literatur befürwortet962. Dabei wird die Analogiefähigkeit des § 25 Abs. 2 BetrVG darin gesehen, dass im Hinblick auf 958 BAG v. 29.04.1992 – 7 ABR 74/91 = AP Nr. 15 zu § 38 BetrVG 1972; so auch Peter AiB 02, 282 (286); Richardi-Richardi/Thüsing § 38 Rdnr. 46. 959 Wiese Anm. zu BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00, in AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972; so auch Joost MünchArbR § 308 Rdnr. 78 in Bezug auf die Veränderung der personellen Zusammensetzung des Betriebsrats bei einem Nachrücken gem. § 25 Abs. 2 BetrVG. 960 BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 Gründe B. I. 2. c) cc); v. 28.10.1992 – 7 ABR 2/92 = AP Nr. 16 zu § 38 BetrVG 1972 Gründe B. II. 1.; jüngst bestätigt durch BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 43/04 = AP Nr. 6 zu § 28 BetrVG 1972 B. II. 2. a). 961 Damit ergibt sich das Folgeproblem der Anfechtbarkeit eines diesen Grundsätzen zuwiderlaufenden Mehrheits-Nachwahlbeschlusses: Das BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 – geht von einer Wahlanfechtungsmöglichkeit analog § 19 BetrVG aus und hat jüngst entschieden, dass die zweiwöchige Wahlanfechtungsfrist regelmäßig mit der Feststellung des Wahlergebnisses durch den Betriebsrat in Lauf gesetzt wird (anders nur für bei der Wahl verhinderte Betriebsratsmitglieder), siehe BAG v. 20.04.2005 – 7 ABR 44/04 = NZA 05, 1426 ff. 962 DKK-Wedde § 38 Rdnr. 58; ErfK-Eisenmann § 38 Rdnr. 6; Fitting § 38 Rdnr. 53; GK-Wiese/Weber § 38 Rdnr. 74; Halberstadt § 38 Rdnr. 9; Klein ZBVR 00, 234

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die Vakanz einer Freistellung eine planwidrige Lücke vorhanden sei. Dem Gesetzgeber dürfe nicht unterstellt werden, dass er den von ihm selbst gewollten Minderheitenschutz durch dessen Reduzierung auf das Abberufungsquorum habe unterlaufen wollen963. Die vergleichbaren Interessenlagen beim Ersetzen ausgeschiedener Mitglieder gem. § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG und bei der Situation der vakant gewordenen Freistellung seien deshalb gegeben, weil in beiden Fällen die Person der Nachrücker möglichst frühzeitig sichergestellt werden müssten, und der Betriebsrat dadurch von Friktionen, betreffend die Bestimmung der vakant gewordenen Funktionen, im Sinne einer sachorientierten und kontinuierlichen Betriebsratsarbeit freigehalten werden könne964. Diese Auffassungen sind gegenüber dem Lösungsansatz einer vorzunehmenden Neuwahl aller Freizustellenden deshalb vorzugswürdig, weil die Freistellung grundsätzlich amtsperiodebezogen erfolgt965: Den Freigestellten muss nämlich Planungssicherheit für ihre weitere berufliche Entwicklung gegeben werden. Dem stünde aber ein Gebot der Neuwahl aller Freizustellenden bei jeder der immer wieder zu erwartenden Vakanzen entgegen. Deshalb greift auch die Überlegung nicht durch, dass bei neuer personeller Zusammensetzung des Betriebsrats dieser hierauf mit einer Gesamt-Neuwahl sollte reagieren dürfen, auch wenn der hierfür erforderliche Aufwand sich deutlich in Grenzen hält – die Neuwahl kann schließlich in einer Sitzung des Betriebsrats erledigt werden966. Auch die von Wiese967 benannten anerkennenswerten gesetzlichen Schutzbedürfnisse des Arbeitgebers stehen der Annahme der analogen Anwendbarkeit

(235 ff.); Löwisch TK § 38 Rdnr. 14; Löwisch/Kaiser § 38 Rdnr. 22; Peter AiB 02, 282 (286). 963 Klein ZBVR 00, 234 (236); anders das LAG Bremen v. 22.02.2000 – 9 BV 39/ 99 Gründe II. 4. b) (n.rkrft.), welches das Vorliegen einer planwidrigen Lücke deshalb verneint, weil das Problem der während der Amtsperiode eintretenden Vakanzen in den Freistellungen dem Reformgesetzgeber 1988 offenkundig gewesen sein müsse; genauso das LAG Nürnberg v. 20.03.1997 – 5 TaBV 22/96 (n. v.) unter Bezugnahme auf ArbG Nürnberg v. 03.04.1996 – 15 BV 18/96 S. 9 (n. v.); dagegen zu Recht Wiese Anm. zu BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00, in AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972, der für das Novellierungsverfahren 2001 darauf hinweist, dass seinerzeit die Abschaffung des Verhältniswahlrechts bei Freistellungen im Zentrum der Diskussionen stand und Einzelheiten des Freistellungsverfahrens überhaupt nicht diskutiert worden sind. 964 Klein ZBVR 00, 234 (236). 965 GK-Wiese/Weber § 38 Rdnr. 66. 966 Wiese Anm. zu BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00, in AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 ist Recht zu geben, was das Argument der „Kompliziertheit“ einer Neuwahl im Gegensatz zur einfachen Mehrheits-Nachwahl betrifft. Dieses ist eher – wie auch das „Zersplitterungsargument“ im Zusammenhang mit den Mindestquoren für Wahlvorschläge – als Scheinargument einzuordnen, um die dahinter stehende gewerkschaftspolitische Interessenlage der Mehrheitsgewerkschaft nicht allzu transparent werden zu lassen.

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des § 25 Abs. 2 BetrVG auf die „Ersatzfreistellungen“ nicht durchgreifend entgegen: Denn der Arbeitgeber hat durch Kenntnisnahmemöglichkeit der Wahlvorschläge für die Freistellungswahlen sogar sehr frühzeitig die Möglichkeit, sich über die Person der „Ersatzfreigestellten“ ein Bild zu machen968. Der mit dem automatischen, analog § 25 Abs. 2 BetrVG, erfolgenden Nachrücken in die Freistellung einhergehenden Problem der Vereitelung der verfahrensrechtlichen Möglichkeit des Arbeitgebers, gem. § 38 Abs. 2 Satz 4 BetrVG die Einigungsstelle anzurufen, kann dadurch wirksam begegnet werden, dass § 38 Abs. 2 Sätze 3 bis 7 BetrVG analog auf den Fall des Nachrückens angewandt wird969. Dabei beginnt dann die Frist des § 38 Abs. 2 Satz 4 BetrVG in dem Augenblick zu laufen, in dem beim Arbeitgeber die endgültige Mitteilung der Person des nachgerückten Betriebsratsmitglieds eingeht970. Die analoge Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG kann zuletzt auch nicht von dem oben erwähnten „Ausdrücklichkeitsbeschluss“ des Betriebsrats über diese Verfahrensweise abhängig gemacht werden. Denn damit würde die Verwirklichung des Minderheitenschutzes vom Mehrheitswillen innerhalb des Betriebsrats abhängig gemacht werden: Die Entscheidung über die Realisierung des Minderheitenschutzes würde der (Listen-)Mehrheit im Betriebsrat anheimgestellt, was auf eine Verkehrung des Schutzzweckgedankens des Gesetzes hinausliefe971. Praktisch gesehen sind überdies auch kaum Gründe ersichtlich, weshalb die Mehrheitskoalitionäre im Betriebsrat sich durch einen „Ausdrücklichkeitsbeschluss“ der Möglichkeit begeben sollten, Freistellungen nach ihrem Gutdünken nachbesetzen zu können972. III. Isolierte Nachwahl bei Listenerschöpfung? Ein weiteres Problem des Minderheitenschutzes wird dann aufgeworfen, wenn trotz der im Grundsatz geltenden analogen Anwendung des § 25 Abs. 2 BetrVG auf die ersatzweise Freizustellenden bei der Minderheitenliste Listenerschöpfung eingetreten ist. Wiese973 vertritt auch für diesen Fall das Erfordernis 967 Wiese Anm. zu BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00, in AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972. 968 Klein ZBVR 00, 234 (236). 969 Sofern der Arbeitgeber das Nachrücken einer bestimmten Person für sachlich nicht vertretbar halten sollte. 970 So GK-Wiese/Weber § 38 Rdnr. 74. 971 Die Einräumung einer solchen Möglichkeit für die Vertreter der Mehrheitskoalition im Betriebsrat hat das BAG auch jüngst in seiner Entscheidung v. 16.11.2005 – 7 ABR 11/05 = NZA 06, 445 = NJW Spezial (Heft 4) 06, 178 = NZA 06, 445 ff.; siehe oben 4. Kap. § 13 A., verworfen (keine Besetzung des Ausschusses durch Bestimmung in der Geschäftsordnung entgegen den Vorgaben einer Wahl im Wege des Verhältniswahlsystems). 972 Klein ZBVR 00, 234 (237).

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der Gesamt-Neuwahl. Die Erschöpfung der Liste bedeute schließlich nicht, dass die Minderheit, deren Mitglied aus der Freistellung ausgeschieden ist, nicht mehr vorhanden sei, und deshalb ein Schutzbedürfnis für sie nicht mehr bestehe. Es sei sehr gut denkbar, dass der Minderheitsvorschlag nur deswegen erschöpft sei, weil wegen der für die Minderheit rechnerisch zu erwartenden Freistellungen die Minderheit sich bei ihrem ursprünglichen Wahlvorschlag auf die zu erwartende Zahl der auf diesen wohl entfallenden Freistellungen beschränkt habe974. Diese Auffassung mag die Überlegungen der Aufsteller eines MinderheitsWahlvorschlags in vielen Fällen durchaus widerspiegeln. Gleichwohl muss auf der anderen Seite festgestellt werden, dass es die Minderheit in der Hand hat, durch entsprechende personelle Ausstattung ihres Wahlvorschlags der Gefahr der Listenerschöpfung zu begegnen. Dieser Gedanke steht letztlich hinter der Formulierung des Bundesarbeitsgerichts975, dass der Minderheiten- bzw. Listenschutz nicht weiter reichen könne als die Liste selbst. Begibt sich die Minderheit also selbst ihrer Möglichkeit, für den Vakanzfall vorzusorgen, so kommt der Verwirklichung ihres Minderheitenschutzes bei eintretender Listenerschöpfung auch kein dringendes Bedürfnis mehr zu976. Allerdings ist damit – jedenfalls zunächst – noch nicht notwendig der Schluss verbunden, dass im Falle der Listenerschöpfung eine Mehrheits-Nachwahl vorzunehmen ist, wie es das Bundesarbeitsgericht vertritt977. Denn es ist denkbar, dass es noch weitere Wahlvorschläge gegeben hat, so dass es im Sinne des allgemeinen Minderheitenschutzes konsequenter erscheint, den Nachrücker bei Listenerschöpfung aus der Vorschlagsliste zu entnehmen, auf welche die nächste d’Hondt’sche Höchstzahl entfallen ist978. Ein sachlicher Grund, statt dieses möglichen Nachrückverfahrens die Mehrheit entscheiden zu lassen, ist nämlich nicht ersichtlich, so dass die Mehrheits-Nachwahl im Ergebnis nur dann angezeigt ist, wenn solche potentielle Nachrücker anderer (Minderheits-)Listen nicht mehr vorhanden sind. In diesem Falle ist die Mehrheitswahl der Gesamt-Neuwahl vorzuziehen, weil hierdurch die Planungssicherheit für die restlichen Frei973 Wiese Anm. zu BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00, in AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972; so auch Peter AiB 02, 282 (286). 974 So im Ergebnis auch das LAG Baden-Württemberg als Vorinstanz zu BAG v. 14.11.2001 – 7 ABR 31/00 = AP Nr. 24 zu § 38 BetrVG 1972. 975 BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 Gründe B. I. 2. c) cc); so auch GK-Wiese/Weber § 38 Rdnr. 75. 976 So jetzt auch BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 6 zu § 28 BetrVG 1972 B. II. 3.a). 977 BAG v. 14.11.2001 – 7 ABR 31/00 = AP Nr. 24 zu § 38 BetrVG 1972 LS; v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 LS; v. 28.10.1992 – 7 ABR 2/92 = AP Nr. 16 zu § 38 BetrVG 1972 LS und Gründe B. II. 1.; so auch GKWiese/Weber § 38 Rdnr. 75; Löwisch/Kaiser § 38 Rdnr. 22. 978 So Bopp, S. 120 ff.; DKK-Wedde § 38 Rdnr. 58; ErfK-Eisenmann § 35 Rdnr. 6; Fitting § 25 Rdnr. 53.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

gestellten erhalten bleibt979, und ein Erfordernis des Minderheitenschutzes deshalb nicht mehr besteht, weil sich die Minderheit selbst ihres Schutzes durch die zahlenmäßige Beschränkung ihres Wahlvorschlags begeben hat980.

C. Kein Freistellungsverzicht zu Lasten der Minderheit Es entspricht einer in der Konkurrenz zwischen Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften im Betriebsrat immer wieder zu beobachtenden Praxis, dass die Mehrheit im Betriebsrat dann, wenn sie rechnerisch davon ausgehen muss, dass sie die letzte zu vergebende Freistellung nach d’Hondt’scher Zählweise nicht mit ihrem Wahlvorschlag erhalten wird, ausdrücklich oder der Sache nach auf diese gesetzliche Freistellung verzichtet. Im letzten Falle erfolgt dieser Verzicht dann beispielsweise dadurch, dass statt der Freistellung eine Bürokraft, ein Geschäftsführer des Betriebsrats, oder ähnliches unter Bezugnahme auf § 40 Abs. 2 BetrVG vom Arbeitgeber verlangt wird981. Diese („Büro“-)Kraft ist dann regelmäßig auch gleichzeitig Betriebsratsmitglied der Mehrheitsgewerkschaft, so dass auf diesem Wege die eigentlich an die Minderheitenliste zu vergebende Freistellung qua Anwendung des § 40 Abs. 2 BetrVG auf diese „Bürokraft“ umgeleitet wird982. Ein solcher Freistellungsverzicht zu Lasten der Minderheit muss unwirksam sein, weil er unzulässiger Weise den gesetzlichen Minderheitenschutz unterläuft983. Insbesondere muss dies für die Anrechnung einer nach § 40 Abs. 2 979 Anders Wiese Anm. zu BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00, in AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 und GK-Wiese 6. Auflage § 38 Rdnr. 70 a. E., der im Hinblick auf das Erfordernis der Kontinuität und beruflichen Planungssicherheit der bisher Freigestellten hiergegen einwendet, dass der Arbeitgeber der Aufrechterhaltung der bisherigen Freistellungen regelmäßig nicht widersprechen werde und unter dem Aspekt des Rechtsmissbrauchs auch nicht dürfe. 980 Siehe BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 6 zu § 28 BetrVG 1972 B. II. 3.a). 981 Siehe dazu LVG Arnsberg v. 14.10.1957 – PV 2/57 = ZBR 58, 285. 982 So kam es nach den Betriebsratswahlen 1997 beispielsweise im Bereich des Bahnkonzerns zu einer auffälligen Häufung solcher Vorgehensweise von Betriebsräten im gesamten Bundesgebiet, die zu einer Vielzahl von arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren führten: u. a. ArbG Ulm – 5 BVGa 1/97 und 5 BV 4/97 (beendet durch Vergleich); ähnlich lag der Fall beim ArbG Köln v. 08.08.1997 – 18 BVGa 15/97 (zurückgewiesen wegen nicht vorhandener Eilbedürftigkeit); LAG Köln – 7 TaBV 54/97 (Einstellung nach Anerkenntnis); ArbG Berlin 42 BV GA 27654/97 (Abschluss durch Vergleich); ArbG Berlin 42 BV 27681/97 (beendet durch Vergleich); ArbG Koblenz 1 BVGa 1830/97 und 1 BV 1831/97 (beendet durch Vergleich). 983 Siehe hierzu die von der Interessenlage her vergleichbare Rechtsprechung zum Freistellungsverzicht im Personalvertretungsrecht, BVerwG v. 22.12.1994 – 6 P 12.93 = AP Nr. 20 zu § 46 BPersVG LS; v. 11.07.1996 – 6 P 4.95 = AP Nr. 21 zu § 46 BPersVG LS; HessVGH v. 29.11.1989 = ZTR 90, 303; bestätigt durch BVerwG v. 30.04.1990 – 6 PB 2.90; OVG Nordrhein-Westfalen v. 15.01.1997 – 1 B 2834/

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BetrVG vom Arbeitgeber erforderlichenfalls zu stellenden Bürokraft für den Betriebsrat auf das Freistellungskontingent gelten984, weil eine solche Anrechnung nicht zu Lasten des Freistellungsanspruchs der Minderheitenliste gehen darf. Die in der Rechtsprechung teilweise vertretene Auffassung, dass ein Freistellungsverzicht, der zu Lasten der gewählten Kandidaten einer sonst nicht zum Zuge kommenden Minderheitenliste gehen würde, zwar grundsätzlich unzulässig sein soll, in Ausnahmefällen aber aus „gewichtigen sachliche Gründen“ doch einmal sanktioniert werden könne985, ist daher abzulehnen: Dies schon deshalb, weil der Bereich der „sachlich gewichtigen Gründe“ viel zu diffus ist, um den verfassungsrechtlich unterlegten Minderheitenschutz bei Freistellungswahlen wirksam begrenzen zu können. An dieser Stelle muss weiter auch daran erinnert werden, dass die Garantie eines effektiven Grundrechtsschutzes für die Minderheitenvertreter innerhalb des Betriebsrats regelmäßig leer laufen dürfte, wenn die von dem Freistellungsverzicht betroffenen Minderheitenvertreter auf den Rechtsweg verwiesen würden: Die Mehrheitsfraktion im Betriebsrat hätte es nämlich in der Hand, auch ohne tatsächliches Vorliegen solcher Gründe einen Verzichtsbeschluss zu Lasten der Minderheit zu fassen, und diese dann auf die gerichtliche Geltendmachung der Unwirksamkeit dieses Beschlusses zu verweisen. Angesichts der Langatmigkeit des gerichtlichen Instanzenzuges hätte auch der rechtswidrige Verzicht rechtstatsächlich eine möglicherweise den Rest der Amtsperiode übergreifende Wirkung zu Lasten der Minderheit. Ein ähnliches Ergebnis der – unzulässigen – Umgehung des zu erwartenden Resultats der Verhältniswahl wird auch dadurch versucht zu erzielen, dass die Freistellung des Vorsitzenden und seines Stellvertreters in einem von den übrigen Freistellungen gesonderten Wahlgang vorgenommen werden986. Vor der Abschaffung des Gruppenschutzes erfolgten solche Verzichtshandlungen auch zu Lasten einer Gruppe im Betriebsrat, so dass im Ergebnis erreicht wurde, dass eine nach der seinerzeitigen Rechtslage der anderen Gruppe und damit der Minderheitsgewerkschaft zufallende Freistellung auf die Mehrheitsliste übertragen wurde987.

96. PVB = PersR 97, 174 (175); so auch Ilbertz § 46 Rdnr. 15; ders. Personalvertretungsrecht § 46 3. g) a. E. 984 BAG v. 12.02.1997 – 7 ABR 40/96 = AP Nr. 19 zu § 38 BetrVG 1972 Gründe B. 3.; LAG Niedersachsen v. 16.01.1998 – 3 TaBV 86/97 S. 11 (n. v.); a. A. Galperin/ Löwisch § 40 Rdnr. 49. 985 So das BVerwG v. 11.07.1996 – 6 P 4.95 = AP Nr. 21 zu § 46 BPersVG. 986 ArbG Kiel – 6 BV 31(d)/97 (erledigt durch Anerkenntnis); strukturell vergleichbar lag auch der Fall, den das BAG jüngst zu entscheiden hatte: v. 16.11.2005 – 7 ABR 11/05 = NZA 06, 445 = NJW Spezial (Heft 4) 06, 178 = NZA 06, 445 ff. (Besetzung der Ausschüsse mit dem Vorsitzenden und seinem Vertreter durch Mehrheitsentscheidung im Rahmen der Geschäftsordnung, dann gesonderter Wahlgang im Modus der Verhältniswahl) – vom BAG a. a. O. verworfen, siehe oben 4. Kap. § 13 A.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Eine unzulässige Umgehung des Minderheitenschutzes liegt zuletzt auch dann vor, wenn der Betriebsrat bei über das gesetzliche Freistellungskontingent zusätzlich vom Arbeitgeber gewährten oder zu gewährenden Freistellungen zwischen den gesetzlichen Freistellungen gem. § 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 BetrVG und diesen zusätzlichen Freistellungen unterscheidet, und nur die gesetzlichen Freistellungen der Verhältniswahl unterwirft988, oder er die Freistellungen des Betriebsratsvorsitzenden und seines Vertreters getrennt von den übrigen Freistellungen im Wege der Verhältniswahl bestimmen lässt989.

D. Keine Verteilung der Teilfreistellungen gem. § 38 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nach Köpfen Vor der Novelle 2001 war es umstritten, ob Vollfreistellungen gegebenenfalls auch in teilweise Freistellungen sollten aufgeteilt werden können990. Mit der gesetzlichen Einführung der Möglichkeit von Teilfreistellungen in § 38 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist einem praktischen Bedürfnis auf Betriebsratsseite gefolgt worden991, so dass der frühere Streit gegenstandslos geworden ist. Minderheitenspezifische Bedeutung kann diese neu eingeführte gesetzliche Möglichkeit dann erlangen, wenn die Betriebsratsmehrheit bezüglich der auf die Minderheitenliste entfallenden Freistellungen beschließt, diese – beispielsweise hälftig – aufzuteilen, und sie dann die auf die Minderheitenliste entfallende d’Hondt’sche Höchstzahl nur auf diese halbe Freistellung bezieht. In diesem Falle lässt die Betriebsratsmehrheit die andere Hälfte der geteilten Freistellung dann auf die nächste Höchstzahl der Mehrheitsliste entfallen, so dass bei dieser „Betrachtung nach Köpfen“ im Ergebnis eine halbe Freistellung der Minderheitenliste auf die Mehrheitsliste übertragen wird. Eine solche Verfahrensweise geht im Grunde noch weiter, als ein Freistellungsverzicht zu Lasten der Minderheit, weil mit ihr eine der Minderheit nach 987 Siehe dazu § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG in der Fassung vor der Novelle 2001; dort war die verhältnismäßige Berücksichtigung der Gruppen zwingend vorgeschrieben gewesen, dazu GK-Wiese 6. Auflage § 38 Rdnr. 40 f.; ein solcher Fall lag dem Beschlussverfahren 8 BV 26/98 beim ArbG Augsburg zugrunde (eingestellt nach Vergleich). 988 So zutreffend LAG Frankfurt v. 01.08.1991 – 12 TaBV 40/91 S. 17 ff.; ArbG Düsseldorf v. 05.08.1994 – 3 BV 68/94 (n. v.) S. 6 ff. 989 Es verhält sich in diesem Fall strukturell und rechnerisch genauso, wie bei dem oben behandelten Fall der separaten Wahl von Ersatzmitgliedern für die Ausschüsse; siehe oben 4. Kap. § 8 C. II.; siehe auch 4. Kap. § 13 A. 990 Zum seinerzeitigen Meinungsstand vor der Novelle 2001 siehe GK-Wiese § 38 Rdnr. 30 mit umfassenden w. N. 991 So im Sinne des verbesserten Erhalts der beruflichen Perspektive der Freigestellten BT-Drucks. 14/5741, S. 41; dazu GK-Wiese/Weber § 38 Rdnr. 28; Löwisch BB 01, 1734 (1743).

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Verhältniswahlgesichtspunkten gesetzlich zustehende Freistellung dieser zu Lasten der Mehrheit aberkannt wird. Wegen der Umgehung des zwingenden Minderheitenschutzes ist eine solche Praxis deshalb rechtswidrig. Wird eine Vollfreistellung geteilt, so muss sie also bei der gewählten Liste verbleiben, und auf entsprechend mehrere Angehörige dieser (Minderheits-)Liste aufgespaltet werden992.

E. Herabsetzung der Freistellungsstaffel gem. § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG zu Lasten der Minderheit? Es ist auch denkbar, dass die im Betrieb vertretene Mehrheitsgewerkschaft unter Ausschluss der Minderheitsgewerkschaft im Wege der tarifvertraglichen Einigung mit dem Arbeitgeber die Anzahl der Freistellungen herabsetzend so bemisst, dass sich dies im Ergebnis (nur) zu Lasten des ansonsten rechnerisch zu erwartenden Freistellungskontingents der Vertreter der Minderheitsgewerkschaft im Betriebsrat auswirkt. Dies begegnet schon allgemein denjenigen Bedenken, die bereits im Zusammenhang mit der Verfassungsmäßigkeit des § 3 BetrVG erhoben worden sind993. Für den Fall der Herabsetzung der Freistellungsstaffel durch Betriebsvereinbarung hat das Bundesarbeitsgericht994 dies für zulässig erachtet, und dabei vor allem darauf abgestellt, dass zum einen der Wortlaut des Gesetzes – „anderweitige Regelungen“, § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG – auch die Verringerung der Freistellungszahl erlaube, und dass der Minderheitenschutz nicht als allgemeines Prinzip der Betriebsverfassung anzusehen sei995. Dem ist schon deshalb nicht zuzustimmen, weil nach hier vertretener Auffassung die Verhältniswahl und der hiermit verbundene Minderheitenschutz einen solchen Grundsatzcharakter – entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts996 – aufweist997. Der Sache nach ist eine Betriebsvereinbarung über die Herabsetzung der gesetzlichen Mindeststaffel mit Auswirkung (alleine) auf die 992 LAG Nürnberg v. 20.03.1997 – 5 TaBV 22/96 (n. v.) unter inhaltlicher Bezugnahme auf ArbG Nürnberg v. 03.04.1996 – 15 BV 18/96 S. 6 (n. v.). 993 Siehe oben 4. Kap. § 2. 994 BAG v. 11.06.1997 – 7 ABR 5/96 = AP Nr. 22 zu § 38 BetrVG Gründe B. II. 2. 995 Dass der Wortlaut des Gesetzes auch die Herabsetzung der Freistellungsstaffel erlaubt, wird auch in der Literatur ganz überwiegend angenommen, siehe Brecht § 38 Rdnr. 7; Dietz/Richardi § 38 Rdnr. 16; ErfK-Eisenmann § 38 Rdnr. 5; Fitting § 38 Rdnr. 30; Galperin/Löwisch § 38 Rdnr. 31; GK-Wiese/Weber § 38 Rdnr. 32; HSWGGlock § 38 Rdnr. 20; Joost MünchArbR § 308 Rdnr. 60; Löwisch TK § 38 Rdnr. 4; Löwisch/Kaiser § 38 Rdnr. 11; Peter AiB 282 (284); Richardi-Richardi/Thüsing § 38 Rdnr. 21; a. A. DKK-Wedde § 38 Rdnr. 26; Weiss/Weyand § 38 Rdnrn. 4 f., die nur eine Erhöhung der gesetzlich insofern zwingenden Mindeststaffel für möglich halten.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Vertreter der Minderheitsgewerkschaft im Betriebsrat nicht anders zu beurteilen, als ein Betriebsratsbeschluss über einen Freistellungsverzicht zu Lasten der Minderheit: In beiden Fällen bewirkt die Mehrheit im Betriebsrat das Unterlaufen des gesetzlich gewollten und verfassungsrechtlich erforderlichen Schutzes der Minderheit. An dieser Stelle ist wieder der Gedanke fruchtbar zu machen, dass Durchbrechungen der formalen Wahlrechtsgleichheit nur aufgrund herausragender Sachgründe möglich sind998. Denn bei einer Herabsetzung der gesetzlichen Freistellungsstaffel durch Betriebsvereinbarung wird im Ergebnis der errungene Wahlerfolg der Minderheitenliste nachträglich wieder entwertet. Das Vorliegen solcher Sachgründe ist nicht von vorneherein auszuschließen, deren tatsächliches Vorhandensein liegt aber umso ferner, als von der Wirkung der Betriebsvereinbarung alleine oder vorrangig die Minderheitsvertreter im Betriebsrat betroffen sind. § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG ist daher zunächst verfassungskonform anhand der Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG dahin auszulegen, dass der Betriebsrat bei der gerichtlichen Kontrolle einer solchen Betriebsvereinbarung an die Überprüfung des Vorliegens dieser Sachgründe die diesbezügliche Darlegungslast haben muss999. Und zum anderen muss die gerichtliche Prüfung der dargelegten und bewiesenen Sachgründe sich daran orientieren, dass solche Sachgründe zwingenden Charakter haben müssen1000.

F. Folgen der Verringerung der Belegschaftsstärke für das Freistellungskontingent für die Minderheitenliste Sofern während der Amtsperiode des Betriebsrats die Anzahl der regelmäßig Beschäftigten dauerhaft sinkt, verringert sich nach allgemeiner Auffassung im Rahmen des § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auch die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder, bzw. kann der Arbeitgeber vom Betriebsrat die entsprechende Herabsetzung verlangen1001. Diese Herabsetzungsoption des Arbeitge996 BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 = AP Nr. 13 zu § 47 BetrVG 1972; v. 21.07.2004 – 7 ABR 62/03 = NZA 05, 173 = AP Nr. 4 zu § 51 BetrVG 1972; v. 25.05.2005 – 7 ABR 10/04 = NZA 06, 215 (218 f.). 997 Siehe oben 4. Kap. § 8 A. I. 998 Siehe oben 2. Kap. § 1 IV. F. 3. d) ff.; 4. Kap. § 3 A.; B. II. 5. 999 Anders seinerzeit das BAG v. 11.06.1997 – 7 ABR 5/96 = AP Nr. 22 zu § 38 BetrVG Gründe B. II. 3., das den Minderheitenvertretern die Darlegungslast für einen etwaigen „Rechtsmissbrauch“ (Ausschaltung der missliebigen Liste) zugewiesen hat. 1000 Ähnlich für den Fall des Freistellungsverzichts im Rahmen von § 46 BPersVG BVerwG v. 22.12.1994 – 6 P 12.93 = AP Nr. 20 zu § 46 BPersVG LS; v. 11.07.1996 – 6 P 4.95 = AP Nr. 21 zu § 46 BPersVG LS. 1001 Becker-Schaffner BB 82, 498 (499); Galperin/Löwisch § 38 Rdnr. 7; HSWGGlock § 38 Rdnr. 11; GK-Wiese/Weber § 38 Rdnr. 14; Joost MünchArbR § 308 Rdnr. 58; Löwisch TK § 38 Rdnr. 3; Löwisch/Kaiser § 38 Rdnr. 5; Richardi-Richardi-Thü-

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bers wird – was an dieser Stelle aber nicht weiter vertieft werden muss – in ihren Voraussetzungen zum Teil noch zusätzlich daran geknüpft, ob sich die Aufgaben des Betriebsrats auch tatsächlich verringert haben1002. In welcher Weise diese Anpassung an eine niedrigere Freistellungszahl bei einer vorausgegangenen im Wege der Verhältniswahl erfolgten Wahl der Freigestellten vorzunehmen ist, ist – so weit ersichtlich – bislang noch nicht gerichtlich geklärt worden. Diskutiert werden die Abberufung mit dem Quorum des § 38 Abs. 2 Satz 8 BetrVG, denn hierdurch werde der gesetzlich gewollte Minderheitenschutz verwirklicht1003, die „Aufhebung“ der Freistellung des letzten bei der Freistellung noch berücksichtigten Bewerbers1004, sowie die Neuwahl aller Freizustellenden1005. Letztere Auffassung wird damit begründet, dass der Freizustellende mit den wenigsten Stimmen nicht notwendigerweise auch unter den jetzt geänderten Bedingungen weniger Stimmen als die anderen Gewählten erhalten hätte1006. Zwingende Sachgründe dafür, dass einer dieser Lösungsansätze in jedem Falle zu bevorzugen wäre, sind nicht ersichtlich. Nach hier vertretener Auffassung ist wie folgt zu differenzieren: Ist die letzte nach d’Hondt vergebene Freistellung auf die Minderheitenliste entfallen, so kann diese mit der Mehrheit der Stimmen des Betriebsrats – gleichsam feststellend – gestrichen werden. Der Einhaltung des Abberufungsquorums bedarf es dabei deshalb nicht, weil der gesetzliche Minderheitenschutz nicht weiter gehen kann, als die Zahl der gesetzlich vorgesehenen Freistellungen es vorsieht. Das Abberufungsquorum soll lediglich dazu dienen, die der Minderheitenliste nach dem Gesetz rechnerisch zustehenden Freistellungen abzusichern. Dieser Gesetzeszweck kann aber gar nicht erfüllt werden, wenn der Minderheit wegen des Absinkens der vom Betriebsrat zu beanspruchenden Freistellungen die „letzte“ Freistellung gar nicht mehr zustünde. Ist die letzte Freistellung jedoch auf einen Vertreter der Mehrheitsliste entfallen, so bedarf es der Realisierung des gesetzlichen Minderheitenschutzes nur dann, wenn die Betriebsratsmehrheit im Wege eines feststellenden Beschlusses sing § 38 Rdnr.11; Weiss/Weyand § 38 Rdnr. 2; wohl auch BAG v. 26.07.1989 – 7 ABR 64/88 = AP Nr. 10 zu § 38 BetrVG 1972 Gründe B. I. 1.; ArbG Hagen v. 18.12.1974 – 1 BV 22/74 = DB 75, 699. 1002 ErfK-Eisenmann § 38 Rdnr. 1; Fitting § 38 Rdnr. 15; DKK-Wedde § 38 Rdnrn. 10, 60; LAG Köln v. 02.08.1988 – 4 TaBV 34/88 = AiB 89, 165; Grimberg Anmerkung zu LAG Köln v. 02.08.1988 – 4 TaBV 34/88 in AiB 89, 165 mit Hinweis auf die Möglichkeit des Arbeitgebers, gezielt die Belegschaftsstärke so zu verringern, dass die gesetzliche Mindeststaffel unterschritten wird. 1003 GK-Wiese/Weber § 38 Rdnr. 14; ähnlich auch Fitting § 38 Rdnr. 17. 1004 So Fitting § 38 Rdnr. 17, wobei unklar bleibt, ob diese „Streichung“ nur bei vorheriger Mehrheitswahl der vergebenen Freistellungen greifen soll. 1005 DKK-Wedde § 38 Rdnr. 60; HSWG-Glock § 38 Rdnr. 11. 1006 DKK-Wedde § 38 Rdnr. 60.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

festlegt, dass der letzte gewählte Vertreter der Minderheitenliste und nicht der Vertreter der Mehrheitsliste seine Funktion verlieren soll. Für diesen Fall ist auf die Notwendigkeit einer qualifizierten Mehrheit für die Abberufung gem. § 38 Abs. 2 Satz 8 BetrVG hinzuweisen, es sei denn, es erfolgte doch eine Neuwahl aller Freistellungen: Dem Vorteil der korrekten Anpassung der verminderten Freistellungszahl an die Stimmengewichte im Betriebsrat bei einer vorgenommenen Neuwahl steht dann der Nachteil des Eingriffs in die Kontinuität der Betriebsratsarbeit und in die beruflichen Planungsüberlegungen der bisher Freigestellten gegenüber. Dem Vorteil der Bewahrung der Kontinuität im Falle der Abberufung gem. § 38 Abs. 2 Satz 8 BetrVG steht hingegen der Nachteil einer im Ergebnis u. U. nicht exakt verhältnismäßigen Abbildung der Mehrheitsverhältnisse im Betriebsrat entgegen.

§ 18 Das Betriebsversammlungs-Erzwingungsrecht (§ 43 Abs. 4 BetrVG) Jede im Betrieb vertretene Gewerkschaft – also auch die Minderheitsgewerkschaften – haben die gesetzliche Möglichkeit, nach § 43 Abs. 4 BetrVG die Durchführung einer Betriebsversammlung vom Betriebsrat zu verlangen, wenn im vorhergegangenen Kalenderhalbjahr keine Betriebs- und Abteilungsversammlung stattgefunden hat. Der Zweck dieser Vorschrift besteht darin, es im Sinne einer Kontrollkompetenz1007 der Gewerkschaften zu ermöglichen, dass die gesetzlich angeordneten Informationsverpflichtungen von Betriebsrat und Arbeitgeber gegenüber der Belegschaft auch wirklich gewährleistet werden, weil es in der Praxis häufig vorkommt, dass ein Großteil der gem. § 43 Abs. 1 BetrVG zwingend vorgeschriebenen Betriebsversammlungen nicht stattfindet1008. Unter minderheitsspezifischen Gesichtspunkten ist diese Vorschrift vor allem im Hinblick auf die oben1009 behandelten „Ad-hoc-Vereinigungen“ bedeutsam, weil sich die Frage stellt, ob nach dem hier vertretenen funktionalen Gewerkschaftsbegriff auch solchen Vereinigungen dieses spezielle Antrags- bzw. Erzwingungsrecht zukommen soll. Nach hier vertretener Auffassung ist der Lehre vom einheitlichen Gewerkschaftsbegriff nicht zu folgen1010, vielmehr muss im jeweiligen Gesetzeszusammenhang gefragt werden, ob die den „Gewerkschaften“ konkret eingeräumten Rechtspositionen insbesondere deren soziale Mächtigkeit erfordern. 1007

Joost MünchArbR § 301 Rdnr. 15. Galperin/Löwisch § 43 Rdnr. 35; GK-Fabricius/Weber § 43 Rdnr. 23. HSWGWorzalla § 43 Rdnr. 34. 1009 Siehe oben 2. Kap. § 1 C. 1010 Siehe oben 3. Kap. § 4. 1008

§ 18 Das Betriebsversammlungs-Erzwingungsrecht

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Das Antragsrecht der Gewerkschaften hat den Zweck, als Hilfs- oder Kontrollorgan sicherzustellen, dass der Betriebsrat verfahrensmäßig dazu beiträgt, über die Abhaltung von Betriebsversammlungen das gesetzlich gewollte Mindestmaß für die Information der Belegschaft zu verwirklichen. Dazu bedarf es aber nicht der sozialen Mächtigkeit einer Vereinigung, vielmehr werden regelmäßig gerade Betriebe, in denen die klassischen und allgemein anerkannten Gewerkschaften nicht vertreten sind, vermehrt der Sicherstellung eines Mindest-Informationsflusses bedürfen. § 43 Abs. 4 BetrVG ist deshalb dahin auszulegen, dass auch eine Vereinigung, welche dauerhaft über die Amtsperiode hinweg einen Wahlvorschlag trägt und in organisierter Form begleitet (Ad-hoc-Vereinigung), von diesem Antragsrecht Gebrauch machen kann. Darüber hinaus mag die Vorschrift des § 43 Abs. 4 BetrVG zwar auch insofern noch minderheitsspezifischen Einschlag aufweisen, als sie faktisch dazu geeignet ist, über die Erzwingung von Betriebsversammlungen den Minderheitsgewerkschaften auf diesem Forum die Präsentation ihrer Vorstellungen aufgrund der Regelung des § 46 Abs. 1 BetrVG1011 zu ermöglichen1012. Diese Möglichkeit der Erzwingung und Präsentation der Vorstellungen der Minderheitsgewerkschaft erscheint unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel aber keineswegs als unerlässlich, weil diese inhaltliche Präsentation auch über andere Kommunikationswege sichergestellt werden kann. Außerdem ist Hauptzweck der Vorschrift über die Erzwingung der Betriebsversammlung, dass die Belegschaft über die Aktivitäten des Betriebsrats, und, so § 43 Abs. 2 BetrVG, über die arbeitgeberseitigen Planungen und Aktivitäten informiert wird. Deshalb ist die faktisch gegebene Effektivierung des Koalitionsgrundrechts durch die Möglichkeit der Erzwingung der Einberufung einer Betriebsversammlung gem. § 43 Abs. 4 BetrVG durch die im Betrieb vertretene Minderheitsgewerkschaft an dieser Stelle nicht zwingend geboten.

1011 In der Betriebsversammlung ist dem Gewerkschaftsbeauftragten (im Rahmen der Themenzuständigkeit der Betriebsversammlung) auf dessen Wortmeldung hin das Wort zu erteilen, so ErfK-Eisenmann § 46 Rdnr. 4; Fitting § 46 Rdnr. 11; Galperin/ Löwisch § 46 Rdnr. 14; GK-Fabricius/Weber § 46 Rdnrn. 10 f.; HSWG-Worzalla § 46 Rdnr. 14; Löwisch/Kaiser § 46 Rdnr. 2; zum Parallelfall des Rederechts des Arbeitgebers siehe BAG v. 19.05.1978 – 6 ABR 41/75 = AP Nr. 3 zu § 43 BetrVG 1972 LS. 1012 Konsequenter Weise muss nach hier vertretener Auffassung den Ad-hoc-Koalitionen auch das Recht nach § 46 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zukommen: Denn weder die soziale Mächtigkeit noch eine Überbetrieblichkeit der Organisation ist zur Artikulation von Lösungsvorschlägen für betriebliche (Mitbestimmungs-)fragen erforderlich.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

§ 19 Die Bildung des Gesamtbetriebsrats (§ 47 BetrVG) Im Zusammenhang mit den Vorschriften über den Gesamtbetriebsrat eröffnen sich unter minderheitsspezifischem Blickwinkel vor allem zwei Fragenkreise: Zum einen ist die Frage zu beantworten, ob die Entsendung in den Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs. 2 BetrVG als Wahl zu erfolgen hat, und ob diese Wahl gegebenenfalls im Wege der Verhältniswahl durchgeführt werden muss: Nur in diesen Fällen haben die im Betriebsrat vertretenen Minderheitskoalitionen die realistische Chance, durch eines ihrer Mitglieder im Gesamtbetriebsrat vertreten zu sein. Zum anderen soll im Folgenden untersucht werden, inwieweit tarifliche Regelungen im Zusammenhang mit Zahl und Organisation des Gesamtbetriebsrats zulässig sind.

A. Entsendung: Wahl oder einfacher Geschäftsführungsbeschluss des Betriebsrats? Die herrschende Meinung in der Literatur vertritt die Auffassung, dass die Entsendung grundsätzlich im Wege des Mehrheitsbeschlusses nach § 33 BetrVG vorzunehmen ist. Und dieser Beschluss habe auch nicht den Charakter einer Wahl1013. Allerdings wird dazu weiter vertreten, dass es dem Betriebsrat freistehe, der Entsendung die Form einer Wahl zu geben1014. Das Bundesarbeitsgericht hat sich jüngst zwar widersprüchlich zu der Frage geäußert, ob es sich bei der Entsendung um eine Wahl oder einen Mehrheitsbeschluss gem. § 33 BetrVG handelt1015. Jedenfalls hat auch das Bundesarbeitsge1013 ErfK-Eisenmann § 47 Rdnr. 8; DKK-Trittin § 47 Rdnrn. 25, 30; DLW-Wildschütz I. Rdnrn. 756 ff.; Fitting § 47 Rdnr. 33; GK-Kreutz § 47 Rdnr. 38; Hanau ZIP 01, 2163 (2166); HSWG-Glock § 47 Rdnr. 43; Joost MünchArbR § 313 Rdnr. 26; Löwisch/Kaiser § 47 Rdnr. 9; Richardi-Richardi/Annuß § 47 Rdnr. 29; Weiss/Weyand § 47 Rdnr. 6; wohl auch v. Hoyningen-Huene § 6 II 1.; KassHdbArbR-Etzel 7.1. Rdnr. 1201; Wankel AiB 01, 501 (502); so auch das LAG Köln v. 18.12.2003 – 5 TaBV 36/ 03, S. 12 f. (n. v.); a.A: Reitze ZBVR 05, 39 (40). 1014 So ErfK-Eisenmann § 47 Rdnr. 8; DKK-Trittin § 47 Rdnr. 30; Fitting § 47 Rdnr. 33; GK-Kreutz § 47 Rdnr. 38; Löwisch ZBVR 02, 207 (208 f.); Löwisch/Kaiser § 47 Rdnr. 9; Richardi-Richardi/Annuß § 47 Rdnr. 29; so auch das LAG Köln v. 18.12.2003 – 5 TaBV 36/03, S. 12 f. (n. v.); ArbG Leipzig v. 22.01.2003 – 17 BV 41/ 02, S. 8 (n. v.); zur Zulässigkeit der Festlegung eines Wahlverfahrens nach den Grundsätzen der Verhältniswahl für die Wahl des Gesamtbetriebsrats durch Tarifvertrag siehe Kempen Gutachten , S. 1, S. 10. 1015 Siehe dazu BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (171) einerseits: „Beschlüsse über die Entsendung in den Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs. 2 BetrVG sind als betriebsratsinterne Wahlen in entsprechender Anwendung des § 19 BetrVG einer gerichtliche Überprüfung zugänglich“; a. a. O. (172): „Diese unterschiedliche Wortwahl spricht dafür, dass der Gesetzgeber die Entsendung . . . nicht durch

§ 19 Die Bildung des Gesamtbetriebsrats

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richt in der genannten Entscheidung die Entsendung in Form einer Wahl als möglich angesehen1016. Es wurde bereits an anderer Stelle ausführlich dargelegt1017, dass die Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG und die Grundsätze des Demokratieprinzips zu Gunsten der Minderheitsgewerkschaften dort zum Tragen kommen müssen, wo Personalentscheidungen im Betriebsrat für Funktionen oder Aufgabenbereiche getroffen werden, in denen an Stelle des Betriebsrats gehandelt wird. Dies hat zunächst zur Folge, dass unbestimmte Rechtsbegriffe wie jener der „Bestellung“, oder vorliegend der Begriff der „Entsendung“ dahin auszulegen sind, dass hier Wahlgrundsätze angewandt werden müssen, und der Betriebsrat gehindert ist, solche Entscheidungen geschäftsordnungsmäßig gem. § 33 BetrVG zu treffen. Auf die oben gemachten Ausführungen kann deshalb an dieser Stelle zurückverwiesen werden. Entgegen der h. M. ist deshalb davon auszugehen, dass die Entsendung nach § 47 Abs. 2 BetrVG als Wahl durchzuführen ist.

B. Verhältniswahl als Gebot eines effektiven Minderheitenschutzes I. Allgemeine Gesichtspunkte Ebenfalls bereits an anderer Stelle1018 ist dazu Stellung genommen worden, warum die Wahlakte in der Betriebsverfassung grundsätzlich in Form der Verhältniswahl durchzuführen sind. Kurz zusammengefasst ist die Verhältniswahl danach aus gesetzessystematischen1019 und verfassungsrechtlichen Gründen als Grundprinzip der Betriebsverfassung anzusehen. Wahlakte haben wegen der herausragenden Bedeutung für die betroffenen (Minderheits-)Koalitionen das Gebot der formalen Wahlrechtsgleichheit zu beachten, was dazu führt, dass nur zwingende Sachgründe eine Durchbrechung der Wahlrechtsgleichheit – etwa durch die Durchführung des Mehrheitswahlverfahrens – zu legitimieren vermögen. Dem Gedanken der „Spiegelbildlichkeit von Parlament“ kommt dabei dort herausragende Bedeutung zu, wo Ausschüsse und Funktionsträger des Betriebs-

eine Wahl entschieden haben wollte, sondern durch Mehrheitsbeschluss nach § 33 BetrVG“, andererseits. 1016 So auch bereits BAG v. 15.08.2001 – 1 ABR 2/99 = AP Nr. 10 zu § 47 BetrVG 1972 Gründe B. III. 1. 1017 Siehe insb. oben § 8 A. I. 2. 1018 Siehe oben 4. Kap. § 6 B.; § 8 A. 1019 Der Gesetzgeber hat mit der Verhältniswahl der Wahlen zum Betriebsrat sein Gesetz „unter dieses Maß gestellt“, so Löwisch ZBVR 02, 207 (211) für die Entsendungswahl nach § 47 Abs. 2 BetrVG, allgemein ders. BB 01, 726 f.; ähnlich Dütz DB 01, 1306 (1307 ff.).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

rats zunächst diesen selbst, und dadurch vermittelt letztlich die Belegschaftsangehörigen repräsentieren1020. Im Hinblick auf die in den Gesamtbetriebsrat zu entsendenden Betriebsratsmitglieder ist dies zweifellos der Fall, so dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Entsendung gem. § 47 Abs. 2 BetrVG im Wege der Verhältniswahl vorgenommen werden muss. Und weiter ist noch darauf hinzuweisen, dass zusätzlich zum allgemeinen Befund der „Verhältniswahl als Grundprinzip der Betriebsverfassung“1021 im Hinblick auf die Entsendung in den Gesamtbetriebsrat noch der gesetzessystematische Hinweis anzubringen ist, dass die weiteren Mitglieder des Gesamtbetriebsausschusses gem. § 51 Abs. 1 Satz 2 BetrVG auch nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu wählen sind1022 – was keinen Sinn machte und widersprüchlich wäre, wenn die vorherige Besetzung des Gesamtbetriebsrats strikt im Wege der Mehrheitswahl bzw. des Mehrheitsbeschlusses erfolgen dürfte1023. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die einerseits eine Notwendigkeit der Entsendung im Wege der Verhältniswahl unter dem Aspekt des Schutzes der Minderheitskoalitionen für nicht gegeben hält1024, gleichzeitig aber den Schutz der Minderheitskoalitionen auf der Ebene des Gesamtbetriebsausschusses durch strikte Verwirklichung des Verhältniswahlsystems für unbedingt erforderlich erachtet1025, ist nur als in sich stark widersprüchlich zu bezeichnen. 1020 Löwisch BB 01, 726 f.; ders. ZBVR 02, 207 (211), ausdrücklich für den Fall der Entsendung nach § 47 Abs. 2 BetrVG. 1021 Das BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (172) ist jüngst im vorliegenden Zusammenhang mit der „Entsendung“ gem. § 47 Abs. 2 BetrVG zu dem Ergebnis gekommen, dass man von einem solch allgemeinen Grundsatz im Hinblick vor allem auf § 14a BetrVG nicht sprechen könne. 1022 Fitting § 51 Rdnr. 20; GK-Kreutz § 51 Rdnr. 31; Löwisch/Kaiser § 51 Rdnr. 6; Richardi-Richardi/Annuß § 51 Rdnr. 13; a. A. wohl ErfK-Eisenmann § 51 Rdnr. 12; so auch das BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 62/03 = NZA 05, 173 („kein Redaktionsversehen“), siehe a. a. O. (174). 1023 Löwisch ZBVR 02, 207 (210); das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Beschluss v. 16.03.2005 – 7 ABR 37/04 NZA 05, 1069 ff. trotz seiner Ablehnung des Begriffs der Entsendung i. S. der Verhältniswahl den Minderheitenschutz qua Verhältniswahl auf der Ebene des Betriebsausschusses zunächst mit seiner Entscheidung v. 21.07.2004 – 7 ABR 62/03 = NZA 05, 173 („kein Redaktionsversehen“) festgestellt, und diesen Schutz jüngst sogar noch erweitert: Erhöhe sich nach der Staffel des § 51 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Zahl der weiteren Mitglieder des Gesamtbetriebsausschusses, so seien in diesem Falle sämtliche weiteren Ausschussmitglieder nach dem Prinzip der Verhältniswahl neu zu wählen; eine Nachwahl sei unter dem Aspekt des Schutzes der Minderheitskoalitionen unzulässig, siehe BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 37/04 NZA 05, 1069, 1072. 1024 BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (172 f.); bestätigt mit Beschluss v. 16.03.2005 – 7 ABR 33/04 = AP Nr. 14 zu § 47 BetrVG 1972. 1025 BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 62/03 = NZA 05, 173 („kein Redaktionsversehen“); v. 16.03.2005 – 7 ABR 37/04 NZA 05, 1069, 1072.

§ 19 Die Bildung des Gesamtbetriebsrats

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II. Die Stellung des Gesamtbetriebsrats im Gesamtgefüge der Betriebsverfassung Der Gedanke einer möglichst unveränderten Repräsentation der Belegschaftsangehörigen nach ihrer Wahlentscheidung zwischen Wahlvorschlägen konkurrierender Koalitionen in den Ausschüssen und den anderen Funktionen und Organen des Betriebsrats, hat ganz besonderes Gewicht im vorliegenden Entsendungszusammenhang. Dies ergibt sich aus der Kompetenzzuweisung an den Gesamtbetriebsrat: Zum einen fallen Angelegenheiten immer dann gem. § 50 Abs. 1 BetrVG in die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, wenn sie das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen, und sie nicht vor Ort in den einzelnen Betriebsräten geregelt werden können. Wann dies der Fall ist, bestimmt aber letztlich der Arbeitgeber durch Vorgabe einer als unternehmenseinheitlich gewollten („aufgehängten“) Regelung1026. Es ist aber nicht ersichtlich, aus welchem Grunde die Artikulationsmöglichkeiten der bei der Betriebsratswahl zum Zuge gekommenen Minderheitsgewerkschaft von einer Arbeitgeberentscheidung ausschlaggebend sollten abhängen dürfen1027. Zum anderen – und, wie Löwisch1028 zutreffend bemerkt hat, geradezu zwingend – ist der Schluss auf die Geltung des Verhältniswahlsystems unter dem Aspekt der Stellung des Gesamtbetriebsrats im System der Betriebsverfassung, wenn man die abgeleitete Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gem. § 50 Abs. 2 BetrVG betrachtet: Diese Vorschrift ermöglicht es der Mehrheit der Betriebsratsmitglieder, Angelegenheiten aus seiner originären („Primär“-)Zuständigkeit zur Behandlung an den Gesamtbetriebsrat zu delegieren, wobei solche Angelegenheiten aber weiterhin solche des Betriebsrats bleiben1029. Vorbehalte für diese Delegation, etwa das Vorliegen eines überbetrieblichen Bezugs oder der Ausschluss der Entscheidungsbefugnis für den Gesamtbetriebsrat, bestehen dabei seitens des Gesetzes nicht1030. 1026 BAG v. 18.10.1994 – 1 ABR 17/94 = AP Nr. 70 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung Gründe B. II. 2. b); v. 06.12.1988 – 1 ABR 44/87 = AP Nr. 37 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; v. 15.01.2002 – 1 ABR 10/01 = AP Nr. 32 zu § 50 BetrVG 1972 Gründe B. II. 3. a) bb) (3); Löwisch ZBVR 02, 207 (210 f.); ähnlich Reuter Anmerkung zu BAG 06.12.1988 – 1 ABR 44/87 = AP Nr. 37 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung 1. a. E. 1027 Löwisch ZBVR 02, 207 (210 f.). 1028 Löwisch ZBVR 02, 207 (210 f.). 1029 DKK-Trittin § 50 Rdnrn. 74, 78; ErfK-Eisenmann § 50 Rdnr. 9; Fitting § 50 Rdnrn. 62, 72; Halberstadt § 50 Rdnr. 9; Löwisch/Kaiser § 50 Rdnr. 16; Richard-Richardi/Annuß § 50 Rdnr. 53. 1030 GK-Kreutz § 50 Rdnr. 53 („von der Verhandlung bis zur Entscheidungsbefugnis“); HSWG-Glock § 50 Rdnr. 44; Joost MünchArbR § 313 Rdnr. 66 („jede Angelegenheit“); Löwisch ZBVR 02, 207 (211); Löwisch Kaiser § 50 Rdnr. 17 („alle Angelegenheiten des Betriebsrats“); Weiss/Weyand § 50 Rdnr. 10; allerdings muss diese Dele-

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Bleibt es auf diesem Hintergrund dieser Delegationsmöglichkeiten an den Gesamtbetriebsrat der Mehrheit im Betriebsrat überlassen, durch Mehrheitsbeschluss Aufgaben vom Betriebsrat auf den Gesamtbetriebsrat zu übertragen, so kann die im Wege der Verhältniswahl in den Betriebsrat gewählte Minderheit gleichsam „geschäftsordnungsmäßig“ sowohl im Hinblick auf die Willensbildung im Betriebsrat wie auch auf die Möglichkeit eines Einflusses bei der Abstimmung über (Mitbestimmungs-)Sachverhalte ausmanövriert werden. Es verhält sich dabei dann ähnlich, wie bei einer „Entkernung“ des Betriebsratsplenums von seinen gewichtigen Aufgaben, die vom Bundesarbeitsgericht als unzulässig angesehen wird1031. Gerade also die Delegationsmöglichkeit gem. § 50 Abs. 2 BetrVG erfordert deshalb die Geltung des „Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen“, und damit die Bestimmung der zu entsendenden Gesamtbetriebsratsmitglieder im Wege der Verhältniswahl, weil sich andernfalls der Wahlerfolg der Minderheitskoalition in der bloßen Präsenz im Betriebsratsgremium erschöpfen würde1032. Insgesamt ergeben sich damit auch aus den konkreten Regelungen des § 50 BetrVG für die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats – neben den allgemeinen Überlegungen zum Verhältniswahlrecht als Grundprinzip der Betriebsverfassung – sehr starke Argumente für eine Auslegung des Entsendebegriffs des § 47 Abs. 2 BetrVG im Sinne einer Wahl im Wege des Verhältniswahlsystems. III. Möglichkeit der Herstellung „praktischer Konkordanz“ der Koalitionsfreiheit konkurrierender Gewerkschaften durch die Entsendung im Wege der Verhältniswahl Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 21.07.20041033 den Standpunkt eingenommen, dass es eines Ausgleichs der Grundrechtspositionen von Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften bei der Frage der Entsendung in den Gesamtbetriebsrat nicht bedürfe: Es stelle nämlich einen grundlegenden Unterschied dar, ob eine (Minderheits-)Gewerkschaft durch ein zu hohes Untergation gem. §§ 50 Abs. 2 Satz 3 i.V. m. 27 Abs. 2 Satz 3 BetrVG schriftlich erfolgen; unzulässig ist nach allgemeiner Meinung auch die allgemeine Übertragung aller Aufgaben oder von Aufgabenkomplexen auf den Gesamtbetriebsrat, siehe dazu statt vieler schon Dietz/Richardi § 50 Rdnr. 29; BAG v. 26.01.1993 – 1 AZR 303/92 = AP Nr. 102 zu § 99 BetrVG 1972 Gründe II. 2. c) cc). 1031 Dazu gleich noch ausführlicher auf den folgenden Seiten. 1032 Anders das BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (172 f.): Eine nachhaltige Schwächung der Minderheitenliste sei angesichts des Ausnahmecharakters von § 50 Abs. 2 BetrVG nicht zu befürchten. Eine Auseinandersetzung mit dem Gedanken der „Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen“ oder mit dem Problem der Kompetenzzuweisung des § 50 Abs. 1 BetrVG erfolgte im genannten Beschluss nicht. 1033 BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (172 f.); bestätigt mit Beschluss v. 16.03.2005 – 7 ABR 33/04 = AP Nr. 14 zu § 47 BetrVG 1972.

§ 19 Die Bildung des Gesamtbetriebsrats

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schriftenquorum an einer Betriebsratstätigkeit überhaupt gehindert werde, oder ob ihre Mitglieder zwar dem Betriebsrat angehörten, aber nur – vermittels des Entsendungsbeschlusses gem. § 33 BetrVG – an einer Tätigkeit im Gesamtbetriebsrat gehindert würden. Denn die Mitglieder der im Betriebsrat vertretenen Minderheitskoalition hätten als Betriebsratsmitglieder ja stets die Möglichkeit, wenigstens mittelbar an den Entscheidungen des Gesamtbetriebsrats mitzuwirken. In einer Folgeentscheidung hat das Bundesarbeitsgericht sich dann erneut auf den Standpunkt gestellt, dass der Grundrechtsschutz für die Minderheitskoalitionen eine Entsendung im Wege der Verhältniswahl nicht gebiete: Dieser – nach Art. 38 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG gebotene – Schutz sei bereits ausreichend durch die diskriminierungsfreie Teilnahmemöglichkeit der Minderheitskoalitionen an den Wahlen im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung verwirklicht. Die Abbildung der in den Betrieben bestehenden Mehrheitsverhältnisse im Betriebsrat könnte zwar durchaus als wünschenswert angesehen werden, sei unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten aber nicht zwingend erforderlich1034. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden: Denn die Effektivität des Zusammenwirkens der Koalitionen mit den Betriebsräten für die Realisierung der Vorstellungen der Minderheitskoalition von der Förderung und Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen hängt in sehr starkem Maße davon ab, in welchem Umfange die Vertreter der Minderheitskoalitionen auch im Gesamtbetriebsrat, der an die Stelle des Betriebsrats tritt, Artikulationsmöglichkeiten entfalten können. Werden diese Artikulationsmöglichkeiten abgeschnitten, hat dies im Ergebnis die gleiche Wirkung, wie es ein zugangshinderndes Unterschriftenquorum bei den Wahlen zum Betriebsrat hätte1035. Deshalb kann sich der verfassungsrechtlich gebotene Minderheitenschutz – entgegen der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts1036 – nicht in der diskriminierungsfreien Teilnahmemöglichkeit der Minderheitskoalitionen an der Betriebsratswahl erschöpfen. Und aus Sicht der Beschäftigten dürfte der vorhandenen Mitgliedschaft von Vertretern der Minderheitsgewerkschaft auch im Gesamtbetriebsrat sehr starkes, auch das zukünftige Wahlverhalten steuerndes, Gewicht zukommen. Dieser Aspekt ist unter dem Gesichtspunkt des Erhalts eines zumindest potentiellen Koalitionspluralismus’ durchaus als nicht gering einzuschätzen. Außerdem gerät das Bundesarbeitsgericht mit dieser Auffassung in einen gewissen Widerspruch zu seiner zu Recht formulierten Lehre vom Verbot der Entkernung der Betriebsratskompetenzen durch Verlagerung von Entscheidungen aus dem Betriebsratsgremium heraus auf dessen Ausschüsse1037: Sogar schon dort nämlich, wo es den Vertretern der Minderheitsgewerkschaft im Betriebsrat 1034 1035 1036

BAG v. 25.05.2005 – 7 ABR 10/04 = NZA 06, 215, 219. Löwisch ZBVR 02, 207 (212). BAG v. 25.05.2005 – 7 ABR 10/04 = NZA 06, 215, 219.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

durch die ausdrücklich angeordnete Verhältniswahl für die Besetzung des Betriebsausschusses (gem. § 27 Abs. 1 Satz 3 BetrVG) und der weiteren Ausschüsse (gem. § 28 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) durch gesetzliche Regelungen grundsätzlich ermöglicht wird, sich auch in diesen Gremien einzubringen und zu artikulieren, darf nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts der wesentliche Teil der Betriebsratskompetenzen nicht aus dem Betriebsrat heraus auf diese anderen Organteile verlagert werden. Eine Verlagerung von Kompetenzen auf den Gesamtbetriebsrat hingegen, bis hin zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen, soll aber dementgegen auch ohne Minderheitenschutz keinen Bedenken begegnen, auch wenn die Minderheit im Betriebsrat dann überhaupt keine Einflussmöglichkeiten mehr auf den Gang der Dinge hat: Worin nämlich das Bundesarbeitsgericht die „Einflussmöglichkeit der Minderheitsvertreter sieht, wenn es von deren angeblichen Einfluss auf die entsandten Gesamtbetriebsratsmitglieder spricht1038, bleibt praktisch gesehen sowohl im Falle des § 50 Abs. 1 wie auch des § 50 Abs. 2 BetrVG vom Bundesarbeitsgericht unbeantwortet. Und für die Auslegung des Entsendebegriffs des § 47 Abs. 2 BetrVG im Sinne der Verhältniswahl spricht neben den bislang ausgeführten Überlegungen noch weiter, dass hierdurch die Interessen der gewerkschaftlichen Mehrheit und der gewerkschaftlichen Minderheit im Betriebsrat mit ihren jeweils aus Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Betätigungsrechten in einer Weise zum Ausgleich gebracht werden können, die nach beiden Seiten hin als grundrechtsschonend bezeichnet werden dürfen: Bei der „Entsendung“ von zwei Gesamtbetriebsratsmitgliedern gemäß § 47 Abs. 2 BetrVG schlägt der anzuwendende Verhältniswahlmodus nämlich nur dann zugunsten der Minderheitenliste an, wenn eine „deutlich qualifizierte Minderheit“ im Betriebsrat vorhanden ist, und auch listenkonform abstimmt: Ist die Mehrheit nämlich so groß, dass auch die Hälfte der auf die Mehrheit im Betriebsrat entfallenden Stimmen immer noch größer ist, als die Anzahl der auf die Minderheit entfallenden Stimmen, so fällt auch die zweite Höchstzahl auf den Mehrheitswahlvorschlag für die „Entsendung“ in den Betriebsrat. Die Minderheit kann unter dieser Voraussetzung nicht zum Zuge kommen, in diesem Falle gehören dann also beide in den Gesamtbetriebsrat Entsandten dem Wahlvorschlag der gewerkschaftlichen Mehrheit im Betriebsrat an. Ein Minderheitenschutz findet in diesem Falle einer nur sehr geringen Repräsentation der Minderheitskoalition im Betriebsrat damit nicht statt. Durch den Verhältniswahlmodus bei der Entsendungswahl werden also ausschließlich qualifizierte Minderheiten geschützt – womit andererseits auch si1037 BAG v. 01.06.1976 – 1 ABR 99/74 = AP Nr. 1 zu § 28 BetrVG 1972 Gründe III. 2.; v. 20.10.1993 – 7 ABR 26/93 = AP Nr. 5 zu § 28 BetrVG 1972 LS 1; hierzu siehe bereits oben 4. Kap. § 8 B. 1038 BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 58/03 = NZA 05, 170 (172 f.).

§ 19 Die Bildung des Gesamtbetriebsrats

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chergestellt ist, dass die Beeinträchtigung der Mehrheitsinteressen durch das Zum-Zuge-Kommen der Minderheitsinteressen schon rein rechnerisch geringer ausfallen muss, als umgekehrt die Beeinträchtigung der Minderheitsinteressen bei einer völligen Absage an die Vertretung auch einer deutlich qualifizierten Minderheit im Gesamtbetriebsrat: Erfolgt die Entsendung per Mehrheitsbeschluss, so fällt die Repräsentation selbst einer Minderheit von annähernd der Hälfte der Betriebsratsmitglieder der Minderheitskoalition vollständig aus, während umgekehrt im Falle der Anwendung der Verhältniswahl die Entsendungschancen der Betriebsratsmehrheit diese nur insoweit beeinträchtigt werden, als ausschließlich ganz deutlich qualifizierte Minderheiten zum Zuge kommen können. Das d’Hondt’sche System entfaltet in diesem Zusammenhang letztlich also auch mehrheitsschützenden Charakter gegenüber den Vertretern von „Kleinstgewerkschaften“ im Betriebsrat. Bei dieser Betrachtungsweise wird klar, dass die Grundrechtspositionen von Mehrheit und Minderheit durch die Anwendung des Verhältniswahlsystems auf eine Art und Weise miteinander zum Ausgleich gebracht werden können, bei der weder die Interessen der einen noch der anderen Seite vollends zurückgedrängt werden können1039. Damit entspricht die Entsendung der Gesamtbetriebsratsmitglieder im Wege der Verhältniswahl einer höchstmöglichen Effektivierung der Grundrechtspositionen der verschiedenen Träger des Koalitionsgrundrechts im Sinne der Herstellung einer „praktischer Konkordanz“ zwischen ihnen. IV. Das Folgeproblem der Stimmengewichtung im Gesamtbetriebsrat: Regelungslücke? Werden in den Gesamtbetriebsrat – im Wege der Verhältniswahl – Vertreter verschiedener Vorschlagslisten gewählt, so stellt sich weiter das Problem, wie deren Stimmengewichtung in diesem Gremium bemessen werden soll. § 47 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sieht hier vor, dass ihnen die Stimmen „anteilig“ zustehen. „Anteilig“ bedeutet nach wohl allgemeiner Meinung, dass die beiden entsandten Gesamtbetriebsratsmitglieder jeweils paritätisch in diesem Falle die Hälfte der Stimmenzahl der in die Wählerliste ihres Betriebs eingetragenen wahlberechtigten Arbeitnehmer in den Gesamtbetriebsrat einbringen1040.

1039 Ähnlich in jüngerer Zeit Zippelius/Würtenberger § 19 I. 4., S. 183; Gellermann, S. 454 f., die insofern anstelle der Herstellung „praktischer Konkordanz“ ein System der Herstellung einer sog. „Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit“ zur Anwendung kommen lassen wollen. 1040 DKK-Wedde § 47 Rdnr. 71; GK-Kreutz § 47 Rdnr. 57; Löwisch BB 01, 1734 (1744); Richardi-Richardi/Annuß § 47 Rdnr. 70.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Man könnte nun versucht sein, auf diesem Hintergrund eine Regelungslücke im Gesetz deswegen anzunehmen, weil die jeweils hälftige „Stimmenmitnahme“ nicht den Verhältnissen entspricht, die bei der Entsendung in den Gesamtbetriebsrat den Ausschlag gegeben haben. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass bei der von der herrschenden Meinung favorisierten Entsendung im Wege des Mehrheitsbeschlusses trotz Vorhandenseins einer u. U. starken Minderheit im Betriebsrat die Mehrheit mit ihren beiden entsandten Vertretern – gleichsam zu deren Lasten – alle auf diese Minderheitsvertreter ursprünglich bei der Betriebsratswahl entfallenen Stimmen in ihrer Gesamtheit in den Gesamtbetriebsrat mitnimmt. Auf diesem Hintergrund kann es keinen Bedenken begegnen, wenn die Minderheit durch den hälftigen Stimmenanteil im Gesamtbetriebsrat rechnerisch leicht überrepräsentiert ist. Denn dass es nur zu einer leichten Überrepräsentation der Minderheit auf der Ebene des Gesamtbetriebsrats kommen kann, wird durch das insofern mehrheitsschützende d’Hondt’sche Zählsystem garantiert, welches überhaupt nur starken Minderheiten eine Chance eröffnet, einen ihrer Vertreter in den Gesamtbetriebsrat hineinzuwählen. Eine Regelungslücke besteht deshalb im Ergebnis nicht.

C. Tarifliche Entsendungsregelungen I. Regelungen über die Mitgliederzahl des Gesamtbetriebsrats Nach § 47 Abs. 4 BetrVG kann durch Tarifvertrag die Mitgliederzahl des Gesamtbetriebsrats abweichend von § 47 Abs. 2 Satz 1 BetrVG geregelt werden. Nach praktisch allgemeiner Auffassung beschränkt sich die Ermächtigung dieser Vorschrift dem Wortlaut entsprechend ausschließlich auf die Festlegung der Mitgliederzahl des Gesamtbetriebsrats, wobei die Entsendung selbst nach den Grundsätzen zu erfolgen hat, die sich aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergeben1041. Insbesondere die damit auch ermöglichte Reduzierung der Mitglieder des Gesamtbetriebsrats könnte minderheitsspezifische Bedeutung entfalten, wenn diese tarifliche Regelungsmöglichkeit zu Lasten der Minderheitsgewerk1041 ErfK-Eisenmann § 47 Rdnr. 10; Fitting § 47 Rdnr. 47; Giesen, S. 314 f.; HSWG-Glock § 47 Rdnrn. 22 f.; GK-Kreutz § 47 Rdnrn. 65 ff.; Löwisch ZBVR 02, 206 (213); Löwisch/Kaiser § 47 Rdnr. 11; Richardi-Richardi/Annuß § 47 Rdnrn. 44 f.; Wißmann, S. 61 f. (für die Zahl der freigestellten Betriebsratsmitglieder); jetzt auch DKK-Trittin § 47 Rdnrn. 42 ff.; in diesem Zusammenhang hat Löwisch a. a. O. zu Recht darauf hingewiesen, dass selbst dann, wenn man in dem einen oder anderen Fall auch die tarifliche Regelung der Form Entsendung für zulässig hielte, sich diese doch an die verfassungsrechtlichen Gebote der Wahrung der Wahlrechtsgleichheit und des Schutzes der Minderheitsgewerkschaften zu halten hätte; anders das BAG v. 25.05.2005 – 7 ABR 10/04 = NZA 06, 215 ff. im Hinblick auf die Wahl des GBR durch eine Entsendungsversammlung im Bereich der Deutschen Post AG.

§ 19 Die Bildung des Gesamtbetriebsrats

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schaft genutzt würde. Dies könnte beispielsweise dadurch bewirkt werden, dass der Tarifvertrag vorsieht, dass pro Betrieb nur ein einziges Betriebsratsmitglied in den Gesamtbetriebsrat zu entsenden ist1042. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit der tariflichen Regelung der Zahl der Freigestellten gem. § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG klargestellt, dass eine Reduzierung der Zahl zu Lasten der Minderheitenliste unzulässig ist, wenn sie das Ziel hat, die Freistellungsvergabe an die Minderheit zu hintertreiben1043. Angesichts der vorliegend vertretenen Durchdringung des gesamten Betriebsverfassungsrechts mit dem Prinzip der Verhältniswahl, werden allerdings an das Nicht-Vorliegen eines solchermaßen verbotenen Rechtsmissbrauchs ganz besonders hohe prozessuale Darlegungs- und Beweisanforderungen zu stellen sein, weil nur hierdurch die effektive Grundrechtsausübung der Minderheitskoalition – vermittelt über ihre Mitglieder im Betriebsrat – gewährleistet werden kann1044. Im Hinblick auf die notwendige Bestimmtheit der Delegation staatlicher Normsetzungsmacht an die Tarifvertragsparteien1045 sind angesichts der Fixierung der Vorschrift nur auf die Mitgliederzahl des Gesamtbetriebsrats allerdings keine Bedenken angezeigt. Weil die Frage der Anzahl der Mitglieder des Betriebsrats keine Aspekte der Zwangskorporation der Außenseiter-Arbeitnehmer aufweist, sondern rein organisatorischer Natur ist, bestehen auch unter diesem Gesichtspunkt keine Bedenken im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift1046. Gleiches gilt nach hier vertretener Auffassung für die anderen betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften, mit denen die Regelung der Größe von Betriebsvertretungen ermöglicht wird1047, sofern der Gesichtspunkt des 1042 Von der Zulässigkeit einer solchen Reduzierungsmöglichkeit gehen u. a. Fitting § 47 Rdnr. 58 und GK-Kreutz § 47 Rdnr. 68 aus. 1043 BAG v. 11.06.1997 – 7 ABR 5/96 – = AP Nr. 22 zu § 38 BetrVG 1972 B. II. 3; dies betont unter Hinweis auf die vorgenannte Entscheidung des BAG auch Giesen, S. 314; allerdings geht das BAG dort – in Abweichung von der vorliegend vertretenen Auffassung – davon aus, dass das Betriebsverfassungsrecht keinen allgemeinen Grundsatz des Minderheitenschutzes kenne, so dass nach dieser Entscheidung an den Anschein einer missbräuchlichen tariflichen Gestaltungsmacht wohl eher hohe Anforderungen zu stellen wären. 1044 Anders und „milder“ im Hinblick auf diese Anforderungen in der Tendenz BAG v. 11.06.1997 – 7 ABR 5/96 – = AP Nr. 22 zu § 38 BetrVG 1972 B. II. 3. 1045 Siehe oben 4. Kap. § 2 C. III. 2.; IV. 3. 1046 Giesen, S. 314 f. 1047 Dies sind namentlich die §§ 38 Abs. 1 Satz 5 (Freistellungszahl); 55 Abs. 4 (Mitgliederzahl des Konzernbetriebsrats); 72 Abs. 4 (Mitgliederzahl der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung), 73a Abs. 4 i.V. m. § 72 Abs. 4 BetrVG (Mitgliederzahl in der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung), siehe hierzu auch Giesen, S. 314 f.; a. A. – für die Verfassungswidrigkeit der §§ 47 Abs. 4, 55 Abs. 4, 72 Abs. 4 – Wagenitz, S. 69.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

missbräuchlichen Verzichts zu Lasten der Listen der Minderheitsgewerkschaften ausgeschlossen werden kann. II. Tarifvertragliche Regelung der Stimmengewichtung im Gesamtbetriebsrat Mit der Novelle 2001 ist den Tarifvertragsparteien mit § 47 Abs. 9 BetrVG die Möglichkeit eröffnet worden, die Stimmengewichtung der Mitglieder des Gesamtbetriebsrats (und darüber hinaus auch in anderen betriebsverfassungsrechtlichen Organen1048), die aus einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen entsandt worden sind, abweichend vom gesetzlichen Normalfall zu regeln. Damit ist die Möglichkeit eröffnet worden, dass die Mehrheitsgewerkschaft über einen mit der Arbeitgeberseite vereinbarten Tarifvertrag abweichend von der gesetzlichen Regelung für ein erhöhtes Stimmengewicht der bei ihr organisierten Mandatsträger sorgen kann, indem sie mit Blick auf die konkreten Repräsentationsverhältnisse in jenen den Gesamtbetriebsrat bildenden Betrieben die Stimmengewichtung entsprechend ihren Interessen „zuschneidet“. Im Gesetz fehlt die Benennung jedweder materiellen Voraussetzung, unter der das Stimmengewicht – und in welchen Grenzen – tarifvertraglich verändert werden darf1049. Dies ist mit den Bestimmtheitsanforderungen an die Delegation staatlicher Normsetzungsmacht nicht zu vereinbaren1050. Anders als bei der tariflichen Festlegung nur der Zahl der Organmitglieder, geht es bei der abweichenden Stimmengewichtung in den Organen auch darum, dass die betriebliche Mitbestimmung zu Lasten der Gestaltungseinflüsse der Belegschaftsangehörigen in die Hände der externen Tarifvertragsparteien gelegt wird. Durch die tarifvertraglichen Veränderungen der Stimmgewichtungsverhältnisse besteht für viele, gegebenenfalls sogar „für die meisten Belegschaftsangehörigen keine Legitimationsgrundlage für den durch die Steuerung der Stimmrechtsgewichtung hervorgerufenen Gewinn oder Verlust ihrer mittelbaren Gestaltungseinflüsse“1051. Dies ist jedenfalls solange nicht mit dem Demokratieprinzip und dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar, als der Gesetzgeber nicht im Einzelnen festlegt, wie 1048 Über den Gesamtbetriebsrat hinaus sind auch Regelungen für die Ermöglichung abweichender tariflicher Vorschriften über die Stimmengewichtung im Konzernbetriebsrat, § 55 Abs. 4 BetrVG, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung, § 72 Abs. 8 BetrVG und der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung, § 73a Abs. 4 i.V. m. § 72 Abs. 8 BetrVG geschaffen worden; die nachfolgenden Ausführungen sollen auch für diese Organe gelten. 1049 Hierzu insbesondere Richardi-Richardi/Annuß § 47 Rdnr. 80. 1050 Giesen, S. 315; siehe bereits oben 3. Kap. § 2 C. IV. 3.; GK-Kreutz § 47 Rdnr. 108 weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Gesetzgeber trotz Erkenntnis der möglichen Stimmenverzerrungen im Gesamtbetriebsrat zugunsten des Gemeinschaftsbetriebs nicht zu einer gesetzlichen Beschränkung der Stimmrechtsmacht bereit gewesen sei. 1051 Giesen, S. 316 f.

§ 19 Die Bildung des Gesamtbetriebsrats

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und unter welchen Voraussetzungen und zu welchem Zweck die Stimmengewichtung durch die Tarifvertragsparteien „verzerrt“ werden darf1052. Zu denken wäre allenfalls an eine verfassungskonforme Auslegung der Regelungen über die tarifliche Festlegung der Stimmgewichtung in den genannten betriebsverfassungsrechtlichen Gremien dahingehend, dass solche Regelungen nur dann Platz greifen dürfen, wenn die tariflichen Stimmgewichtungsregelungen objektiv dazu geeignet sind, Fremdbestimmungsgefahren für Arbeitnehmer zu begegnen, und sie damit im Ergebnis materiell an die Anforderungen des Demokratieprinzips heranrücken1053: Gemeint sind hiermit Konstellationen der Regelung von Angelegenheiten in betriebs- oder unternehmensübergreifenden Arbeitnehmervertretungen, welche sich trotz Repräsentanz mehrerer Betriebe oder Unternehmen nur auf einzelne der repräsentierten Betriebe oder Unternehmen beziehen1054. Die in solchen Fällen bestehenden Fremdbestimmungsgefahren könnten unter dem Aspekt des Demokratieprinzips sogar an eine Pflicht zur Verschiebung der Stimmengewichtung denken lassen1055. Indes sind diese Konstellationen so spezieller Natur, dass es in Ermangelung jeder Anhaltspunkte im Gesetz bei der Bewertung der die abweichende Stimmengewichtung durch Tarifvertrag erlaubenden Regelungen als zu unbestimmt und damit verfassungswidrig bleiben muss1056. Dies gilt umso mehr, als das organisationspolitische Eigeninteresse der tarifschließenden Mehrheitsgewerkschaft den Gebrauch der

1052

Giesen, S. 315 ff. In diese Richtung GK-Kreutz § 47 Rdnr. 110 („teleologische Reduktion“); ähnlich Fitting § 47 Rdnrn. 80 ff.; schwächer, i. S. einer „Empfehlung“ DKK-Trittin § 47 Rdnr. 77. 1054 Giesen, S. 317 unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 14/ 5741, S. 42 ff.; dort wird der Fall genannt, bei der im Gesamtbetriebsrat eines der am gemeinsamen Betrieb beteiligten Unternehmen über eine Angelegenheit beschlossen werden soll, die nur dieses Unternehmen betrifft. Verfüge dieses Unternehmen beispielsweise über eine Altersversorgung für seine Arbeitnehmer und solle verhindert werden, dass die Vertreter der Arbeitnehmer des gemeinsamen Betriebs im Gesamtbetriebsrat bei Abstimmungen über die betriebliche Altersversorgung ihr volles Stimmengewicht, also auch die Zahl der in keinem Arbeitsverhältnis zu diesem Unternehmen stehenden Arbeitnehmer einbringen können, so könne durch Tarifvertrag vorgesehen werden, dass bei Abstimmungen im Gesamtbetriebsrat in Angelegenheiten der betrieblichen Altersversorgung den Vertretern der Arbeitnehmer des gemeinsamen Betriebs nur die Stimmen der Arbeitnehmer dieses Unternehmens zustehen; in diesem Sinne auch ErfK-Eisenmann § 47 Rdnr. 16; Fitting § 47 Rdnrn. 80 ff.; GK-Kreutz § 47 Rdnr. 110; Richardi-Richardi/Annuß § 47 Rdnr. 80; Löwisch/Kaiser § 47 Rdnr. 18 sprechen wie Giesen, S. 316, das ohne eine anderweitige Regelung des Stimmengewichts mögliche bzw. bestehende Legitimationsdefizit bzw. die davon ausgehenden Fremdbestimmungsgefahren ausdrücklich an. 1055 Giesen, S. 318; siehe auch Löwisch/Kaiser § 47 Rdnr. 18, die im Hinblick auf ein mögliches Legitimationsdefizit – allerdings nur in „krassen Fällen“ – die Möglichkeit der Unwirksamkeit von Gesamtbetriebsvereinbarungen für die majorisierten Arbeitnehmer annehmen. 1056 Giesen, S. 317 f. 1053

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

diesbezüglichen tariflichen Gestaltungsmacht zu Lasten der Minderheitsgewerkschaften und der Außenseiter sehr nahe legt, und es deshalb sehr fraglich erscheint, ob solche Tarifverträge wirklich nur zur alleine legitimen Abwehr der soeben aufgezeigten Fremdbestimmungsgefahren geschlossen werden.

§ 20 Das Erlöschen der Mitgliedschaft im Gesamtbetriebsrat (gem. § 49 letzte Alt. BetrVG) – Bestehen einer Regelungslücke Es wurde soeben1057 dargelegt, dass die Entsendung gem. § 47 Abs. 2 BetrVG, entgegen der h. M. und der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, als Wahl im Wege der Verhältniswahl zu erfolgen hat. Unter minderheitsspezifischem Blickwinkel wirft dieses Ergebnis die Folgefrage auf, unter welchen Voraussetzungen das in den Gesamtbetriebsrat gewählte Betriebsratsmitglied der Minderheitenliste während der Amtsperiode des Betriebsrats wieder aus dem Gesamtbetriebsrat abberufen werden kann. Das Gesetz selbst stellt in § 49 letzt. Alt. BetrVG lediglich fest, dass die Mitgliedschaft im Gesamtbetriebsrat aufgrund der Abberufung durch den Betriebsrat enden kann. Herkömmlicherweise wird unter Abberufung die gleichsam spiegelbildliche Rückgängigmachung der Entsendung im Wege des Mehrheitsbeschlusses gesehen1058. Eines besonderen Abberufungsgrundes bedarf es nach h. M. nicht1059, auch wenn die Abberufungsmöglichkeit an einigen Stellen an das Vorliegen eines sachlichen Grundes1060 geknüpft, oder aber in Anlehnung an § 75 Abs. 1 BetrVG die Abberufung jedenfalls aus den dort genannten Gründen als unzulässig angesehen wird1061 – was sich letztlich aber ohnehin aus dem Verbot des Rechtsmissbrauchs ergeben muss. Diese Auffassung ist nur konsequent, da sich aus Sicht der h. M. wegen der von ihr vertretenen Entsendungsmöglichkeit im Wege des Mehrheitsbeschlusses eine Minderheitenproblematik im Zusammenhang mit der gesetzlich eingeräumten Abberufungsmöglichkeit gar nicht ergeben kann. So hat auch das Bundesarbeitsgericht1062 jüngst entschieden, dass die Abberufung der Gesamtbetriebsratsmitglieder mit einfacher Mehrheit nach § 33

1057

Siehe oben 4. Kap. § 19 B. ErfK-Eisenmann § 48 Rdnr. 3; DKK-Trittin §§ 49 Rdnr. 9, 47 Rdnrn. 36 f.; Fitting § 49 Rdnr. 17; GK-Kreutz § 49 Rdnr. 17; HSWG-Glock §§ 49 Rdnr. 12, 47 Rdnr. 43; Richardi-Richardi/Annuß § 49 Rdnr. 9. 1059 ErfK-Eisenmann § 48 Rdnr. 3; DKK-Trittin §§ 49 Rdnr. 9, 47 Rdnr. 36; Fitting § 49 Rdnr. 16; GK-Kreutz § 49 Rdnr. 19; HSWG-Glock §§ 49 Rdnr. 14, 47 Rdnr. 43. 1060 BAG v. 15.12.1961 – 1 ABR 6/60 = AP Nr. 1 zu § 47 BetrVG. 1061 So DKK-Trittin § 47 Rdnr. 36. 1062 BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 33/04 = AP Nr. 14 zu § 47 BetrVG 1972 B. II. 3. 1058

§ 20 Das Erlöschen der Mitgliedschaft im Gesamtbetriebsrat

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BetrVG erfolgen dürfe, weil schon die Entsendung selbst nicht nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu erfolgen habe. Nach hier vertretener Meinung ergibt sich dementgegen aus dem Minderheitenschutz bei der „Entsendung“ in den Gesamtbetriebsrat das Folgeproblem, dass ein über die Verhältniswahl in den Gesamtbetriebsrat gewähltes Mitglied einer Minderheitenliste bei Anwendung des § 49 BetrVG nach seiner Wahl sofort wieder mit der Stimmen der Mehrheit der Betriebsratsmitglieder abberufen werden könnte. Damit aber würde der Minderheitenschutz umgehend ausgehebelt werden können. Deshalb besteht eine Regelungslücke dergestalt, als – anders als bei der Abberufung aus dem Betriebsausschuss gem. § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG, der Abberufung aus den weiteren Ausschüssen gem. § 28 Abs. 1 Satz 2 BetrVG oder bei der Abwahl der Freigestellten gem. § 38 Abs. 2 Satz 5 BetrVG – die Abberufung aus dem Gesamtbetriebsrat an kein gesetzlich vorgegebenes Quorum gebunden ist, welches den Minderheitenschutz absichern könnte. Die genannten Regelungen haben alle die Funktion, eine Aushebelung des Minderheitenschutzes durch einfache Stimmenmehrheit unmöglich zu machen1063. Diese hinter dem Gesetzeszweck stehende Interessenlage entspricht genau der Interessenlage des im Wege der Verhältniswahl gewählten Gesamtbetriebsratsmitglieds der Minderheitenliste. Sieht man – wie hier vertreten – das Gebot der Verhältniswahl bei der Bestimmung der Gesamtbetriebsratsmitglieder letztlich maßgeblich als durch die Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG bewirkt an, so muss diese Ausstrahlungswirkung auf dem genannten Interessenhintergrund auch den Schutz vor der dem Verhältniswahlergebnis zuwiderlaufenden Möglichkeit eines mit einfachem Mehrheitsbeschluss möglichen Aushebelns dieses Schutzes erfassen. Deshalb ist auf die Abberufung der im Wege der Verhältniswahl (zu wählenden und) gewählten Gesamtbetriebsratsmitglieder § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG analog anzuwenden. Diese Analogie fügt sich nicht nur mit Blick auf den Minderheitenschutz bei der Wahl des Betriebsausschusses gem. § 27 Abs. 1 Satz 3 BetrVG und der anderen Ausschüsse gem. §§ 28 Abs. 1 Satz 2 i.V. m. § 27 Abs. 1 Sätze 3 bis 5 BetrVG , sondern auch im Hinblick auf den Abberufungsschutz der in Verhältniswahl gewählten Mitglieder der Ausschüsse nahtlos in die Systematik des Gesetzes ein.

1063

BT-Drucks. 11/2503, S. 33; statt vieler GK-Wiese/Raab § 27 Rdnr. 33 m.w. N.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

§ 21 Der Gesamtbetriebsausschuss (§ 51 BetrVG) A. Wahl im Wege der Verhältniswahl – kein „Redaktionsversehen“ § 51 Abs. 1 Satz 2 BetrVG verweist auf den gesamten § 27 Abs. 1 BetrVG und damit auch auf die dort vorhandenen Regelungen des Minderheitenschutzes durch den Wahlmodus der Verhältniswahl und das Abberufungsquorum von drei Vierteln der Mitglieder des Betriebsrats. Vereinzelt wird im Hinblick auf diese Verweisung aber behauptet, dass es sich hierbei um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers handelt, weil dieser eine Ausweitung des Verhältniswahlrechts auf die Besetzung des Gesamtbetriebsausschusses mit der Novelle 2001 nicht beabsichtigt habe1064. Damit wird auf die Entstehungsgeschichte dieser Novelle Bezug genommen, die rechtspolitisch zunächst dadurch gekennzeichnet war, dass der Minderheitenschutz bei der Institutionalisierung der Organe des Betriebsrats durch die Abschaffung des Verhältniswahlrechts ganz abgeschafft werden sollte1065, mit dem Verweis auf den gesamten Abs. 1 des § 27 BetrVG gegenüber der Novelle 19881066 dementgegen dann aber sogar noch eine ausdrückliche Erweiterung des Minderheitenschutzes Gesetz geworden ist – was nur durch ein Versehen des Gesetzgebers habe passieren können. Das Bundesarbeitsgericht1067 hat dieser Auffassung eine Absage erteilt. Der Gesetzeswortlaut sei eindeutig. Es seien keine Hinweise vorhanden, dass der Gesetzgeber hier nur versehentlich die Verhältniswahl angeordnet habe, auch wenn zunächst die umfassende Streichung des Verhältniswahlrechts geplant gewesen sei1068. Für eine solche Sichtweise des Gesetzgebungsverfahrens spreche 1064 DKK-Trittin § 51 Rdnrn. 21–27; genauso ohne Begründung („Grundsatz der geheimen Verhältniswahl lässt sich auf den Gesamtbetriebsausschuss nicht übertragen“) ErfK-Eisenmann § 51 Rdnr. 12; davon, dass es sich bei § 51 Abs. 1 Satz 2 BetrVG um eine ganz normale Verweisung (und nicht um ein Redaktionsversehen handelt) gehen hingegen aus: Fitting § 51 Rdnr. 20; GK-Kreutz § 51 Rdnr. 29; Glaubrecht/Halberstadt/Zander Gruppe 3, 31 f. (10.4.2.); HSWG-Glock § 51 Rdnr. 40; Löwisch/Kaiser § 51 Rdnr. 6; Richardi-Richardi/Annuß § 51 Rdnr. 13. 1065 Hierzu Dütz DB 01, 1306 ff. („Abschaffung des Minderheitenschutzes durch das BetrVerf-Reformgesetz 2001“); Hanau RdA 01, 65 (70: „the winner takes it all“); Löwisch DB 01, 726 ff. („Monopolisierung durch Mehrheitswahl“). 1066 Hierzu GK-Kreutz § 51 Rdnr. 29; Löwisch BB 01, 1734 (1745), Löwisch/Kaiser § 51 Rdnr. 6. 1067 BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 62/03 = NZA 05, 173 ff. 1068 Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung habe, so das BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 62/03 = NZA 05, 173 (174) mit Verweis auf BT-Drucks. 14/6352, S. 12, S. 17, nach seinem Vorschlag, die beabsichtigte Streichung der Verhältniswahl fallenzulassen, dennoch vorgeschlagen, die Verweisung gem. § 51 Abs. 1 Satz 2 BetrVG auf den gesamten § 27 Abs. 1 BetrVG aufrechtzuerhalten.

§ 21 Der Gesamtbetriebsausschuss

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im Übrigen auch die Tatsache, dass der Gesetzgeber angesichts der von Dütz1069 und Löwisch1070 erhobenen, ganz erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die geplante weitgehende Abschaffung des Minderheitenschutzes eingelenkt und sein ursprüngliches Vorhaben aufgegeben habe. Es sei auch aus Gründen des verfassungsrechtlich gebotenen Minderheitenschutzes ohnehin sachgerecht, den Vertretern von Minderheitskoalitionen die Mitarbeit im Gesamtbetriebsausschuss zu ermöglichen1071. Dieser Auffassung ist schon deshalb zu folgen, weil sie im Ergebnis dem entspricht, was mit der vorliegend vertretenen Sichtweise „der Verhältniswahl als einem Grundprinzip der Betriebsverfassung“ ohnehin für die Frage der Besetzung des Gesamtbetriebsausschusses gesetzessystematisch geboten, und bereits an anderer Stelle ausgeführt worden ist. Die Besetzung des Gesamtbetriebsausschusses erfolgt danach in entsprechender Anwendung des § 27 Abs. 1 BetrVG bei Konkurrenz mehrerer Wahlvorschläge im Wege der Verhältniswahl. Für die Abberufung aus dem Gesamtbetriebsausschuss gilt weiter das den Minderheitenschutz absichernde Abberufungsquorum des § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG entsprechend, so dass es hierfür einer Abberufungsmehrheit von drei Vierteln der Mitglieder des Gesamtbetriebsrats bedarf.

B. Veränderungssperre im Hinblick auf Verhältniswahl Es ist bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen worden, dass die Verhältniswahl bei den weiteren Organbildungen innerhalb der Betriebsverfassung aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend erforderlich ist, es sei denn, zwingende Sachgründe stünden dem entgegen1072. Solch zwingende Sachgründe, welche sich aus Aufgaben oder Natur des Gesamtbetriebsausschusses ergäben, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil tritt der Gesamtbetriebsausschuss im Rahmen der ihm zugewiesenen Aufgaben an die Stelle des Gesamtbetriebsrats1073, der wiederum das „Interesse der als Einheit gesehenen Belegschaft des Unternehmens repräsentiert“1074. Deshalb ist auch hier unter dem Aspekt des oben1075 ausgeführten Rechtsgedankens der „Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen“ gerade die Abbildung der im Unternehmen vertretenen Minderheitskoalitionen im Gesamtbetriebsausschuss zwingend geboten.

1069 1070 1071 1072 1073 1074 1075

Dütz DB 01, 1306. Löwisch BB 01, 726. BAG v. 21.07.2004 – 7 ABR 62/03 = NZA 05, 173 (174 f.). Siehe insb. oben 4. Kap. § 8 A.; auch § 3 A.; B. II. 5. Richardi-Richardi/Annuß § 51 Rdnr. 21. Löwisch ZBVR 02, 207 (211). Siehe oben 4. Kap. § 8 A. 2.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Deshalb unterliegt die Anordnung der Verhältniswahl für die weiteren Mitglieder des Gesamtbetriebsausschusses einer Veränderungssperre – sie ist nach hier vertretener Auffassung also verfassungsfest. Als verfahrensmäßige Absicherung des so verwirklichten Minderheitenschutzes gilt das gleiche für das Abberufungsquorum von drei Vierteln der Mitglieder des Gesamtbetriebsrats gem. § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG, auf das ebenfalls mit § 51 Abs. 1 Satz 2 BetrVG verwiesen wird.

C. Besetzung der weiteren Ausschüsse des Gesamtbetriebsrats Anders als bei der Besetzung des Gesamtbetriebsausschusses hat der Gesetzgeber bei der Frage der Zusammensetzung der weiteren Ausschüsse des Gesamtbetriebsrats durch das Unterlassen eines Verweises in § 51 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auf § 28 Abs. 1 Satz 2 BetrVG keine Aussage darüber gemacht, wie diese Ausschüsse zu besetzen sind. Deshalb wird auch weitgehend davon ausgegangen, dass hier eine Besetzung im Wege des Mehrheitsbeschlusses bzw. der Mehrheitswahl erfolgen könne1076. In der Literatur wird zu Recht darauf hingewiesen, dass der in § 51 Abs. 1 Satz 1 BetrVG fehlende Verweis auf § 28 Abs. 1 Satz 2 BetrVG und damit auf § 27 Abs. 1 Satz 3 bis 5 BetrVG sachlich vom Gesetzgeber nicht begründet worden ist – und auch gar nicht begründbar sei1077. Es macht auch tatsächlich keinen Sinn, für die weiteren Ausschüsse anders zu verfahren als für den Gesamtbetriebsausschuss, für dessen Besetzung die Verhältniswahl gesetzlich zwingend angeordnet worden ist, so dass schon aus gesetzessystematischen Gründen davon ausgegangen werden kann, dass auch im Hinblick auf die Besetzung der weiteren Ausschüsse des Gesamtbetriebsrats die Verhältniswahl zu erfolgen hat1078. Außerdem gilt sinngemäß das Gleiche, was schon mehrfach an anderer Stelle im Hinblick auf das Gebot der Verhältniswahl bei der Bestimmung von Personen und Gremien ausgeführt wurde1079, sofern diese an die Stelle des Organs treten, welches letztlich wiederum die Wahlberechtigten repräsentiert. Weil das Verhältniswahlsystem also ein Grundprinzip der Betriebsverfassung darstellt, hat die Besetzung der weiteren Ausschüsse letztlich analog § 27 Abs. 1 Satz 3 bis 5 BetrVG zu erfolgen.

1076 DKK-Trittin § 51 Rdnr. 29; ErfK-Eisenmann § 51 Rdnr. 12 a. E.; Fitting § 51 Rdnr. 42 GK-Kreutz § 51 Rdnr. 46; wohl auch HSWG-Glock § 51 Rdnrn. 51, 40. 1077 Siehe GK-Kreutz § 51 Rdnr. 46, der allerdings in Ermangelung einer planwidrigen Lücke die Analogie zu § 27 Abs. 1 Satz 3 bis 5 BetrVG ausschließt. 1078 Löwisch BB 01, 1734 (1745); Löwisch/Kaiser § 51 Rdnr. 8. 1079 Siehe oben 4. Kap. § 6 B.; § 8 A.; C.; § 19 A. f.

§ 22 Die Betriebsräteversammlung

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§ 22 Die Betriebsräteversammlung (§ 53 BetrVG) Minderheitenschützenden Charakter entfaltet auch die Vorschrift des § 53 Abs. 3 BetrVG i.V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zur Teilnahmeberechtigung aller (auch nur) in einem Betrieb des Unternehmens vertretenen Gewerkschaften1080 an der Betriebsräteversammlung. Unter minderheitsspezifischem Blickwinkel ist dabei die Frage von Interesse, welchen Koalitionen der Gesamtbetriebsrat den Zeitpunkt, den Ort und die Gegenstände der Tagesordnung mitzuteilen hat. Mit dem Verweis auf § 46 Abs. 2 BetrVG ist diesbezüglich zunächst – rein sprachlich – auf die „im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften“ verwiesen1081. Andererseits könnte unter „entsprechender Anwendung“ des § 46 Abs. 2 BetrVG auch gemeint sein, dass nur die im Gesamtbetriebsrat vertretenen Gewerkschaften in der beschriebenen Weise zu laden sind1082. Die Betriebsräteversammlung steht dem Gesamtbetriebsrat funktional so gegenüber, wie die Betriebsversammlung dem Betriebsrat. Sie soll es gerade den Betriebsräten, die nicht Mitglied im Gesamtbetriebsrat sind, ermöglichen, aus erster Hand über die Tätigkeit des Gesamtbetriebsrats und die Lage des Unternehmens informiert zu werden1083. Deshalb war im Gesetzgebungsverfahren ursprünglich geplant, alle Betriebsratsmitglieder des Unternehmens in den Teilnehmerkreis aufzunehmen. Dieser Plan wurde aus praktischen Erwägungen heraus dann beschränkt, um die Anzahl der Teilnehmer zu begrenzen1084. Geht man von diesem Zweck einer möglichst breit gestreuten Herstellung von Transparenz für die Betriebsratsmitglieder aus, so ergibt sich die Notwendigkeit der Ladung aller in den Betriebsräten des Unternehmens vertretenen Gewerkschaften: Denn gerade wenn die Minderheitsgewerkschaften nicht mit Betriebsratsmitgliedern im Gesamtbetriebsrat vertreten sind, besteht im Hinblick auf die vom Gesetz gewollte Herstellung von Transparenz und Informationsfluss ein Defizit, welches ohne weitere Schwierigkeiten durch die rechtzeitige Ladung mit Tagesordnung behoben werden kann. Denn für den Gesamtbetriebsrat ist leicht erkennbar, welche Koalitionen in den Betriebsräten vertreten sind, und 1080 Brill ArbuR 79, 138 (143); DKK-Trittin § 53 Rdnr. 25; ErfK-Eisenmann § 53 Rdnr. 2; Fitting § 53 Rdnr. 13; Galperin/Löwisch § 53 Rdnr. 16; GK-Kreutz § 53 Rdnr. 53; HSWG-Glock § 53 Rdnr. 9; Joost MünchArbR § 314 Rdnr. 11; RichardiRichardi/Annuß § 53 Rdnr. 10; Weiss/Weyand § 53 Rdnr. 11. 1081 So sind GK-Kreutz § 53 Rdnr. 53; Richardi-Richardi/Annuß § 53 Rdnr. 29 der Auffassung, dass alle in den Betriebsräten des Unternehmens vertretenen Gewerkschaften zu laden sind. 1082 So im Ergebnis DKK-Trittin § 53 Rdnr. 25; HSWG-Glock § 53 Rdnr. 28; Joost MünchArbR § 314 Rdnr. 11. 1083 ErfK-Eisenmann § 53 Rdnr. 1; Fitting § 53 Rdnrn 1 f.; GK-Kreutz § 53 Rdnr. 1; HSWG-Glock § 53 Rdnr. 1; Richardi-Richardi/Annuß § 53 Rdnr. 1. 1084 Siehe hierzu GK-Kreutz § 53 Rdnr. 1; HSWG-Glock § 53 Rdnr. 1.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

die nicht im Gesamtbetriebsrat vertretenen Koalitionen haben anhand der Ladung die Möglichkeit, sich qualifiziert vorzubereiten und sich im Vorfeld der Betriebsräteversammlung gegebenenfalls mit ihren Mitgliedern in den Betriebsräten auszutauschen und zu beraten. Da diese Möglichkeiten sowie ihre beratende Stimme in der Betriebsräteversammlung u. U. ohnehin die einzigen Einflussmöglichkeiten der Minderheitsgewerkschaften auf der Ebene des Gesamtbetriebsrats darstellen, ist – auch im Sinne der Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG – davon auszugehen, dass alle in den Betriebsräten des Unternehmens vertretenen Koalitionen nach Maßgabe des § 46 Abs. 2 BetrVG zu laden sind. Entgegengesetzte schützenswerte Interessen der Vertreter der Mehrheitsgewerkschaften, die ebenfalls grundrechtliches Schutzniveau für sich beanspruchen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere gerät wegen der vergleichsweise geringen „Härte“ eines Rechtsanspruchs auf Ladung der Minderheitskoalitionen zur Betriebsräteversammlung dessen Zuerkennung nicht in die Nähe einer verbotenen Erfolgsverschaffung für die im Unternehmen nur schwach vertretenen Minderheitskoalitionen.

§ 23 Der Konzernbetriebsrat – Die Entsendung in den Konzernbetriebsrat (§ 55 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) Wie schon § 47 Abs. 2 BetrVG, spricht auch § 55 Abs. 1 Satz 1 BetrVG von der „Entsendung“ in den Konzernbetriebsrat. Deshalb wird auch – soweit die Thematisierung überhaupt erfolgt – auf den Entsendungsbegriff des § 47 Abs. 2 BetrVG Bezug genommen und von der Besetzung des Konzernbetriebsrats im Wege des Mehrheitsbeschlusses oder der Mehrheitswahl – also von einem Verfahren ohne minderheitsschonenden Listenschutz – ausgegangen1085. Es kann insofern vollumfänglich auf die Ausführungen und die Ergebnisse zurückverwiesen werden, die im Zusammenhang mit der Besetzung des Gesamtbetriebsrats und dem daraus folgenden Abberufungsschutz gemacht wurden1086. Im Ergebnis ist die Entsendung als Wahl zu begreifen, welche im Wege der Verhältniswahl durchzuführen ist. Wie auch beim Gesamtbetriebsrat greift zusätzlich das gesetzessystematische Argument, dass es unstimmig wäre, den Mehrheitsbeschluss bei der Entsendung in den Konzernbetriebsrat als zulässig anzusehen, die Besetzung des Konzernbetriebsausschusses dann aber wieder gem. §§ 59 Abs. 1 i.V. m. 51 Abs. 1 Satz 2 i.V. m. § 27 Abs. 1 BetrVG den Regeln der 1085 DKK-Trittin § 55 Rdnr. 3; Fitting § 55 Rdnr. 7; GK-Kreutz § 55 Rdnr. 11; HSWG-Glock § 55 Rdnr. 10; Joost MünchArbR § 315 Rdnr. 47; Richardi-Richardi/ Annuß § 55 Rdnrn. 5 ff.; Wankel AiB 01, 501 (502). 1086 Siehe oben 4. Kap. § 20.

§ 25 Die Jugend- und Auszubildendenvertretung

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Verhältniswahl zu unterwerfen1087. Auch die Regelung des § 55 Abs. 3 BetrVG, derzufolge jedem Mitglied des Konzernbetriebsrats die Hälfte der Stimmen seines Gesamtbetriebsrats zu Hälfte zustehen, begegnet keinen Bedenken. Auch insofern kann auf die oben angestellten Überlegungen zurückverwiesen werden1088.

§ 24 Der Konzernbetriebsausschuss (§ 59 Abs. 1 BetrVG) Auch im Hinblick auf den Konzernbetriebsausschuss kann auf die Ausführungen zum Gesamtbetriebsausschuss zurückverwiesen werden1089. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass wegen der uneingeschränkten Inbezugnahme des § 51 Abs. 1 Satz 2 BetrVG durch § 59 Abs. 1 BetrVG für die Abberufung aus dem Konzernbetriebsausschuss das den Minderheitenschutz absichernde Abberufungsquorum des § 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG entsprechend in Geltung ist, so dass es hierfür einer Abberufungsmehrheit von drei Vierteln der Mitglieder des Konzernbetriebsrats bedarf. Was die weiteren Ausschüsse des Konzernbetriebsrats anbetrifft, ist wie bei den weiteren Ausschüssen des Gesamtbetriebsrats1090 davon auszugehen, dass trotz der unterlassenen Verweisung auf § 28 Abs. 1 Satz 2 BetrVG auch hier für die Besetzung das Verhältniswahlrecht anzuwenden ist.

§ 25 Die Jugend- und Auszubildendenvertretung (§§ 60 ff. BetrVG) Auch im Hinblick auf die Vorschriften über die Jugend- und Auszubildendenvertretung ist auf die vorstehenden Ausführungen zurückzuverweisen. Dies betrifft insbesondere die in § 63 Abs. 2 Satz 2 BetrVG gesetzlich angeordnete, und nach hier vertretener Ansicht verfassungsrechtlich auch gebotene Verhältniswahl bei der Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertreter. Spezifisch minderheitsschützende Wirkung kann die Vorschrift des § 70 Abs. 2 BetrVG dann erlangen, wenn Vertreter der gewerkschaftlichen Minderheit zwar in der Jugend- und Auszubildendenvertretung, nicht aber im Betriebsrat vertreten sind.

1087 1088 1089 1090

Dazu GK-Kreutz § 59 BetrVG Rdnr. 19. Siehe oben 4. Kap. § 19 B. IV. Siehe oben 4. Kap. § 21. Siehe oben 4. Kap. § 21 C.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Insofern kann auf die Ausführungen zur Bedeutung rechtzeitiger und umfassender Information für die Vertreter der Minderheitsgewerkschaft zurückverwiesen werden1091.

§ 26 Die Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) A. „Bestellung“ gem. § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG als Beschluss mit wahlähnlichem Charakter? Es ist an verschiedenen Stellen1092 der vorliegenden Abhandlung eine Auslegung der Begriffe Entsendung sowie Bestellung im Sinne einer verfassungsrechtlich gebotenen Interpretation als eines Wahlaktes mit minderheitsschützendem Charakter vorgenommen worden. Dies könnte dafür sprechen, auch den Bestellungsbegriff des § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG bei mehreren zu bestellenden Beisitzern solchermaßen, und nicht im Sinne eines Mehrheitsbeschlusses gem. § 33 BetrVG zu verstehen – was die Besetzung der „Betriebsratsbank“ innerhalb der Einigungsstelle anbetrifft. Eine solche Sichtweise ließe aber die zentralen Gesichtspunkte bei der im genannten anderen Zusammenhang vorgenommenen Auslegung des Bestellungsbegriffs im Sinne eines Wahlakts mit grundsätzlich zu wahrendem Minderheitenschutz qua Verhältniswahlsystem außer Acht: Entscheidend war zum einen nämlich der Grundsatz, dass personelle Auswahlentscheidungen regelmäßig als Wahlakt zu qualifizieren sind, und entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus Gründen der Koalitionsfreiheit, des Gleichheitsgrundsatzes und des Demokratieprinzips an Wahlakte zu oder innerhalb der betriebsverfassungsrechtlichen Organe höchste sachliche Anforderungen an eine Beeinflussung der Chancengleichheit zu stellen sind. Zum anderen beansprucht der Gedanke der Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen in diesem Zusammenhang ganz zentrale Bedeutung. Bei der Einigungsstelle kommt der „Spiegelbildlichkeitsgedanke“ aber von vorneherein deshalb nicht zum Tragen, weil die Einigungsstelle als ein besonderes und gemeinsam von Arbeitgeber und Betriebsrat gebildetes und getragenes Organ der Betriebsverfassung anzusehen ist1093. Nur so kann sie ihre Schlichtungsfunktion erfüllen, und sie ist deshalb als betriebsverfassungsrechtliche Institution eigener Art anzusehen1094. Diese Sonderstellung der Einigungsstelle innerhalb des Organisationsgefüges der Betriebsverfassung wird auch noch da1091

Siehe oben 4. Kap. § 10. Siehe insb. oben 4. Kap. § 6 B.; § 19 A. f. 1093 BAG v. 24.04.1996 – 7 ABR 40/95 = AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1972 Einigungsstelle Gründe B. 3. a); DKK-Berg § 3 Rdnr. 2; Fitting § 76 Rdnr. 3; HSWGWorzalla § 76 Rdnr. 1. 1092

§ 26 Die Einigungsstelle

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durch unterstrichen, dass hinsichtlich des Verfahrens ihrer Entscheidungsfindung Grundsätze wie das Gebot rechtlichen Gehörs der Betriebspartner bzw. der Beisitzer1095, und hierdurch letztlich vermittelt der Betriebspartner1096 oder der Ablehnungsmöglichkeit des Einigungsstellenvorsitzenden wegen Befangenheit1097 Anwendung finden. Dies sind Rechtsfiguren, die im Rahmen der Selbstorganisation der Betriebsverfassungsorgane keinen Anwendungsbereich haben. Diese andere Qualität der Institution Einigungsstelle verbietet demnach also eine Gleichstellung mit den anderen personellen Auswahlentscheidungen auf der Ebene der Selbstorganisation der betriebsverfassungsrechtlichen Organe. Unterstrichen wird dieses Ergebnis auch durch die Tatsache, dass nach allgemeiner Meinung der Kreis derjenigen Personen, aus dem die Beisitzer vom Betriebsrat ausgewählt werden können, sich nicht nur nicht auf Betriebsratsmitglieder beschränkt, sondern darüber hinaus sogar betriebsfremde Personen umfasst1098. Entscheidend kann und soll im Hinblick auf die Schlichtungsfunktion alleine das Vertrauen des Betriebsrats in die Sach- und Konfliktlösungskompetenz der zu bestellenden Beisitzer sein1099. All diese Überlegungen lassen also eine Einordnung des Bestellungsbegriffs gem. § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG als Wahlakt mit eventuell sogar zu beachtendem Minderheitenschutz nicht zu. Deshalb darf die Bestellung der Beisitzer im

1094 ErfK-Kania § 3 Rdnr. 1; HSWG-Worzalla § 76 Rdnr. 1; Richardi-Richardi § 76 Rdnr. 6; ähnlich Joost MünchArbR § 320 Rdnr. 3. 1095 BAG v. 11.02.1992 – 1 ABR 51/91 = AP Nr. 50 zu § 76 BetrVG 1972 Gründe B. II. 2. b); Bischoff, 102 ff.; DKK-Berg § 76 Rdnr. 60; Dietz/Richardi § 76 Rdnr. 24; ErfK-Kania § 76 Rdnr. 18; Fitting § 76 Rdnrn. 37, 46; GK-Kreutz § 76 Rdnr. 100; Joost MünchArbR § 320 Rdnr. 35; Richardi-Richardi § 76 Rdnr. 86. 1096 Hierzu siehe insbesondere GK-Kreutz § 76 Rdnr. 100 und Richardi-Richardi § 76 Rdnr. 87 m.w. N., die von einem Anspruch unvermittelten rechtlichen Gehörs der Betriebspartner selbst ausgehen. 1097 BAG v. 29.01.2002 – 1 ABR 18/01 = AP Nr. 19 zu § 76 BetrVG 1972 Einigungsstelle Gründe B. I. 2. b) bb); v. 11.09.2001 – 1 ABR 5/01 = AP Nr. 15 zu § 76 BetrVG 1972 Einigungsstelle Gründe B. I. 1.; v. 09.05.1995 – 1 ABR 56/94 = AP Nr. 2 zu § 76 BetrVG 1972 Einigungsstelle Gründe B. II.; DKK-Berg § 76 Rdnr. 60; ErfK-Kania § 76 Rdnr. 16; Fitting § 76 Rdnr. 28; GK-Kreutz § 76 Rdnr. 52 mit umf. w. N.; HSWG-Worzalla § 76 Rdnr. 41a; Richardi-Richardi § 76 Rdnr. 53; im Ergebnis ähnlich Galperin/Löwisch § 76 Rdnr. 15 (Kündigung bzw. Abberufung aus wichtigem Grunde); a. A. LAG Hamm v. 02.06.1992 = LAGE § 76 BetrVG 1972 Nr. 40 = ZIP 92, 1764; Germelmann/Matthes § 98 Rdnr. 35. 1098 BAG v. 14.01.1983 – 6 ABR 67/79 = AP Nr. 12 zu § 76 BetrVG 1972 Gründe 2.; v. 03.05.1984 – 6 ABR 60/80 = AP Nr. 15 zu § 76 BetrVG 1972 Gründe 1.; v. 24.04.1996 – 7 ABR 40/95 = AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1972 Einigungsstelle Gründe B. 3. a); DKK-Berg § 76 Rdnr. 25; ErfK-Kania § 76 Rdnr. 9; Fitting § 76 Rdnr. 10; GK-Kreutz § 76 Rdnr. 46; Joost MünchArbR § 320 Rdnr. 14; Richardi-Richardi § 76 Rdnr. 45. 1099 DKK-Berg § 76 Rdnr. 25; Fitting § 76 Rdnr. 10; v. 24.04.1996 – 7 ABR 40/95 = AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1972 Einigungsstelle Gründe B. 3. b).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Wege der Mehrheitswahl bzw. des Mehrheitsbeschlusses gem. § 33 BetrVG erfolgen1100.

B. § 76 Abs. 8 BetrVG – Die Ersetzung der Einigungsstelle durch eine tarifliche Schlichtungsstelle I. Minderheitenspezifische Bedeutung der Regelung Mit § 76 Abs. 8 BetrVG hat das Gesetz die Möglichkeit der genehmigungsfreien Errichtung sog. „tariflicher Schlichtungsstellen“ eingeräumt. Diese Stellen ersetzen die betriebsverfassungsrechtliche Einigungsstelle, in der Praxis allerdings wohl nicht in dem Umfange, der ursprünglich erwartet worden war1101. Ähnlich den Regelungen über Strukturtarifverträge gem. § 3 Abs. 1 BetrVG entsteht durch die Errichtung tariflicher Schlichtungsstellen eine Situation, in der qua Tarifvertrag Organisations- und Entscheidungsstrukturen geschaffen werden, welche auch die Nicht- oder Andersorganisierten erfassen können. Spezifische Betroffenheit für im Betrieb vertretene Minderheitsgewerkschaften kann in zweierlei Weise entstehen: Zunächst ist es denkbar, dass durch mehrere vorhandene Tarifverträge über die Errichtung tariflicher Schlichtungsstellen eine problematische Konkurrenzproblematik entstehen kann1102. Denkbar wäre aber auch folgende Situation: Diejenige Gewerkschaft, die den höchsten Organisationsgrad im Betrieb hat, und die damit Mehrheitsgewerkschaft ist, sieht ihre organisationsmäßigen Mehrheitsverhältnisse wegen des unerwarteten Wahlerfolgs einer Minderheitsgewerkschaft bei Betriebsratswahlen nicht in den Mehrheitsverhältnissen im Betriebsrat widergespiegelt. Sie sieht sich infolgedessen auch nicht in der Lage, in ihrem Sinne wirksam – nämlich über ihre Mitglieder im Betriebsrat – auf die personelle Auswahl der Beisitzer der Einigungsstelle, etwa in Richtung der Bestellung von betriebsexternen und ihr selbst zugehörigen Gewerkschaftsfunktionären, Einfluss nehmen zu können. Dies betrifft dann mittelbar auch noch ihre inhaltlich-politische Einflussmöglichkeit auf Verlauf und Ergebnis der Einigungsstellentätigkeit. Über die Einrichtung einer tariflichen Schlichtungsstelle würden in diesem Falle, in der Situation eines erforderlich gewordenen Einigungsstellenverfahrens, die durch Betriebsratswahl hergestellten Mehrheitsverhältnisse im Betriebsrat außer Kraft gesetzt werden können: Dies würde sowohl die „Entmachtung“ des minderheitsgewerkschaftlich dominierten Betriebsrats im Hinblick auf die personelle Entscheidung über die Beisitzer, wie auch dessen 1100 ErfK-Kania § 76 Rdnr. 10; Richardi-Richardi § 76 Rdnr. 46; BAG v. 19.08. 1992 – 7 ABR 58/91 = AP Nr. 3 zu § 76a BetrVG 1972 Gründe B. II. 2. a) f. 1101 Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 560). 1102 GK-Kreutz § 76 Rdnr. 186.

§ 26 Die Einigungsstelle

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„Entmachtung“ im Hinblick auf die Beeinflussung des materiellen Ergebnisses des Einigungsstellenverfahrens selbst betreffen. Auch wenn die Tätigkeit eines Gewerkschaftsmitglieds als Betriebsrat selbst keine durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tätigkeit darstellt1103, so kann die skizzierte Möglichkeit der „Entmachtung“ der Betriebsratsmitglieder doch mittelbar als Beeinträchtigung des Rechts der Minderheitsgewerkschaften gesehen werden, „als Koalition“ bei Betriebsratswahlen anzutreten und so ihre Vorstellungen von der richtigen Ordnung abhängiger Arbeit auch in der Betriebsverfassung zu Gehör zu bringen1104. Deshalb ist die Möglichkeit der Errichtung tariflicher Einigungsstellen gem. § 76 Abs. 8 BetrVG auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu untersuchen. II. Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf § 76 Abs. 8 BetrVG Schlüter1105 sieht die verfassungsrechtliche Problematik, die mit dem Schlagwort „Tarifmacht gegenüber Außenseitern“ beschrieben werden kann, unter zwei Aspekten: Dem Aspekt der Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit1106 der Außenseiter – man muss ergänzen: respektive der positiven Koalitionsfreiheit der anderweitig gebundenen Arbeitnehmer des Betriebs – sowie dem Aspekt der fehlenden demokratischen Legitimation für die Normsetzung (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG) gegenüber diesem Personenkreis1107. Dieser problematisierenden Sicht wird entgegengehalten, dass der tariflichen Schlichtungsstelle ausschließlich die betriebsverfassungsrechtliche Funktion der Schlichtung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (Gesamtbetriebsrat, Konzernbetriebsrat) zukomme, und sie deshalb nicht „Organ der Tarifordnung“, sondern Organ der Betriebsverfassung sei. Deshalb eröffne § 76 Abs. 8 BetrVG auch auf dem Weg über verbindliche Sprüche der Schlichtungsstelle keine „Tarifmacht“ gegenüber Außenseitern und sei deshalb auch verfassungsrechtlich unbedenklich1108. Friese1109 präzisiert diese Auffassung dahingehend, dass die 1103 BVerfG v. 27.03.1979 – 2 BvR 1011/78 = AP Nr. 31 zu Art. 9 GG LS 1, Gründe III. 1.; Löwisch BB 01, 726 (727); Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 209; dazu schon Richardi RdA 72, 8 (14 ff.). 1104 Siehe dazu Löwisch/Rieble MünchArbR § 246 Rdnr. 208 ff.; BVerfG v. 27.03. 1979 – 2 BvR 1011/78 = AP Nr. 31 zu Art. 9 GG LS 1, Gründe III. 1.; v. 23.03.1982 – 2 BvL 1/81 = AP Nr. 1 zu § 48 LPVG Bremen Gründe B. II.; v. 16.10.1984 – 2 BvL 20/82, 21/82 – = AP Nr. 3 zu § 19 BPersVG Gründe I. 1. 1105 Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 560 f.). 1106 Auch Gamillscheg KollArbR I, S. 377, S. 565 (Fn. 156) sieht in Bezug auf die negative Koalitionsfreiheit des Außenseiters „eine gewisses Sorge“ als berechtigt. 1107 Zu dieser Legitimationsproblematik siehe bereits ausführlich oben 4. Kap. § 2 B. f. 1108 Friese, S. 279 (Fn. 516); GK-Kreutz § 76 Rdnr. 180.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Bindungswirkung der Entscheidung der tariflichen Schlichtungsstelle keine Unterwerfung unter die Normsetzungskompetenz der Tarifvertragsparteien darstelle, sondern vielmehr auf der gesetzlichen Unterwerfung der Belegschaft unter die Autonomie der Betriebsverfassungsorgane beruhe. III. Eigene Stellungnahme Jene Auffassungen, die zu einer verfassungsrechtlichen Wertung kommen, welche die Regelung des § 76 Abs. 8 BetrVG als unproblematisch ansehen, vermögen nicht zu überzeugen. Die Einordnung der tariflichen Schlichtungsstelle als „Organ der Betriebsverfassung“ bei Kreutz und Friese1110 verschleiert terminologisch nämlich nur das tatsächlich bestehende Legitimationsdefizit und die faktische Unterwerfung der Gesamtbelegschaft unter den Willen der Tarifpartner1111. Dieses Legitimationsdefizit besteht zum einen darin, dass mit der tariflichen Schlichtungsstelle einer privaten Institution – wegen der zwingenden Wirkung der Schlichtungssprüche – Normsetzungskompetenz gegenüber Außenseitern1112 eingeräumt wird, ohne dass angesichts der Grundrechtsrelevanz dieser Erfassung der Notwendigkeit der parlamentarischen Letztverantwortlichkeit1113 Rechnung getragen wird: Die insbesondere auch vom Bundesverfassungsgericht1114 eingeforderte staatliche Mitwirkung bei der Normunterwerfung von Außenseitern fällt bei der tariflichen Schlichtungsstelle nämlich fast vollständig aus1115: Denn das Verfahren der Errichtung ist genehmigungsfrei, und die wegen ihrer zeitlichen Nachgelagertheit ohnehin geringe und damit unzureichende Effektivität gerichtlicher 1109

Friese, S. 279 (Fn. 516). Friese, S. 279 (Fn. 516); GK-Kreutz § 76 Rdnr. 180; so auch Rieble RdA 93, 140 (144); anders Däubler § 4 III. 2., Rdnr. 116, DKK-Berg § 76 Rdnr. 98, welche die tarifliche Schlichtungsstelle dem Bereich der Tarifautonomie zuordnen wollen. 1111 So formuliert Gamillscheg KollArbR 1, S. 565 (Fn. 156): „Durch § 76 Abs. VIII BetrVG werden die Außenseiter einem Einfluss der Tarifpartner unterworfen, welchem der Unterwerfung unter eine Tarifnorm nicht nachsteht. Wenn irgendwo, dann sind die Bedenken der Legitimationslehre hier nicht von vornherein zurückzuweisen; aber ein Fall, dass ein Außenseiter benachteiligt worden wäre, ist bisher, so weit ersichtlich, nicht bekannt geworden“; letzterem ist allerdings entgegenzuhalten, dass alleine die Unterwerfung des Außenseiters unter die Sprüche der Schlichtungsstelle ihn als Träger der negativen Koalitionsfreiheit zwangsläufig in dieser Grundrechtsträgerschaft benachteiligen müssen. 1112 Genauso wie im Rahmen des § 3 Abs. 1 BetrVG kann die tarifliche Schlichtungsstelle auch nur für alle Arbeitnehmer des Betriebs einheitliche Entscheidungen treffen (siehe oben 4. Kap. § 2 B.), eine Trennung der Organisierten von den übrigen Belegschaftsangehörigen ist wie dort wegen „evidenter sachlogischer Unzweckmäßigkeit“ zu verwerfen; siehe dazu so auch Giesen, S. 321 f. 1113 Siehe dazu oben 4. Kap. § 2 C. III. 2. c) bb) (2); IV. 3. a). 1114 BVerfG v. 24.05.1977 – 2 BvL 11/74 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG; v. 14.06.1983 – 2 BvR 488/80 = AP Nr. 21 zu § 9 BergmVersSchG NRW. 1110

§ 26 Die Einigungsstelle

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Kontrolle von Schlichtungsstellensprüchen wird noch weiter dadurch marginalisiert, dass der Staat keine Möglichkeit hat, von Amts wegen gegen die Normsetzung vorzugehen1116, und dass auch nur der Betriebsrat und der Arbeitgeber, nicht aber die grundrechtsbetroffenen Außenseiter, gem. § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG die Möglichkeit haben, die Sprüche der tariflichen Schlichtungsstelle unmittelbar überprüfen zu lassen1117. Der Erklärung Frieses1118, die Bindungswirkung für die Außenseiter beruhe auf der gesetzlichen Unterwerfung der Belegschaft unter die Autonomie der Betriebsverfassungsorgane ist entgegenzuhalten, dass nur dann vom diesbezüglichen Bestehen von Legitimation gesprochen werden könnte, wenn die Belegschaft, insbesondere die Außenseiter, die Möglichkeit hätten, durch Teilnahme an Betriebsratswahlen wenigstens mittelbar an der Errichtung der tariflichen Schlichtungsstelle mitzuwirken, deren Normsetzung sie letztlich ausgesetzt wird. Diese Möglichkeit einer durch Wahl des Betriebsrats jedenfalls mittelbaren Einflussnahme ist zwar bei der Einigungsstelle, nicht aber bei der tariflichen Schlichtungsstelle gegeben. Rieble1119 fordert in Anerkennung dieser Legitimationsproblematik eine verfassungskonforme Auslegung des § 76 Abs. 8 BetrVG dahingehend, dass die tarifliche Schlichtungsstelle strikt als „Organleihe“ der Tarifparteien zugunsten der Betriebspartner anzusehen sei bzw. zu fungieren habe. Diese „Organleihe“ sei sinnvoll, weil das Einigungsverfahren durch eine tarifliche Schlichtungsstelle effektiver, sachkompetenter und kostengünstiger gestaltet werden könne. Sei erst sichergestellt, dass Weisungen der Tarifvertragsparteien an die von ihnen gestellten Mitglieder der Schlichtungsstelle ausgeschlossen sind, und die Tarifvertragsparteien infolgedessen keine eigenen Interessen verfolgen können, so sei auch die Legitimationsproblematik entschärft. In diesem Falle könne dann tatsächlich davon gesprochen werden, dass die tarifliche Schlichtungsstelle

1115 So auch Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 566); dass die tarifliche Schlichtungsstelle genehmigungsfrei, also ohne staatliche Aufsicht, errichtet werden kann sieht auch Rieble RdA 93, 140 (144) im Hinblick auf die Außenseiter als problematisch an. 1116 Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 566). 1117 Nach einhelliger Meinung sind die Sprüche der tariflichen Schlichtungsstelle (nur) genauso wie die Sprüche der Einigungsstelle überprüfbar, siehe DKK-Berg § 76 Rdnr. 100; Fitting § 76 Rdnr. 120; Galperin/Löwisch § 76 Rdnr. 50; GK-Kreutz § 76 Rdnr. 186; HSWG-Worzalla § 76 Rdnr. 29; Joost MünchArbR § 320 Rdnr. 129; Löwisch/Kaiser § 76 Rdnr. 41; Richardi-Richardi § 76 Rdnr. 152; Weiss § 76 Rdnr. 22; BAG v. 18.12.1990 – 1 ABR 11/90 = AP Nr. 98 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie Gründe B. III. 2.; v. 18.08.1987 – 1 ABR 30/86 = AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972 Gründe B. IV; ähnlich kritisch im Hinblick auf die gerichtliche Kontrollmöglichkeiten der von Tarifverträgen gem. § 117 Abs. 2 BetrVG erfassten Arbeitnehmer Mussgnug FS Duden, S. 335 (S. 339). 1118 Friese, S. 279 (Fn. 516). 1119 Rieble RdA 93, 140 (144).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

„doch ein Organ der Betriebsverfassung“ ist, die Genehmigungsfreiheit ihrer Errichtung ist nach Rieble unter diesen Umständen haltbar. Aber auch dieser Auffassung ist der Einwand nicht über Betriebsratswahlen hergestellter Legitimation im Hinblick auf die Außenseiter entgegenzuhalten, eines Legitimationsdefizits also, welches auch nicht durch staatliche Mitwirkung überbrückt wird1120. Dem könnte allerdings mit dem Vorschlag Schwarzes1121 begegnet werden, die Besetzung der tariflichen Schlichtungsstelle an die Zustimmung des Betriebsrats zu binden. Eine solche Rückbindung an den Willen des gewählten Betriebsrats erscheint auf den ersten Blick nämlich in der Tat als geeignet, das festgestellte Legitimationsdefizit zu überbrücken, und die tarifliche Schlichtungsstelle zum demokratisch legitimierten Organ der Betriebsverfassung zu machen. Die Rechtsfigur einer „Organleihe“ erschiene dann schon eher als plausibel. Indes greift auch dieser Rettungsversuch Schwarzes zu kurz: Denn er betrifft lediglich die personelle Besetzung der tariflichen Schlichtungsstelle. Die im Hinblick auf die Außenseiter verfassungsrechtlich prekäre Normsetzung selbst bleibt aber auch weiterhin der (Mit-)Steuerung durch den Betriebsrat verschlossen. Bedenkt man dann noch die von Schlüter1122 zu Recht vorgenommene – eher soziologische – Charakterisierung der tariflichen Schlichtungsstelle als „gemeinsamer Ausschuss der Tarifvertragsparteien“, so lässt sich erheblich daran zweifeln, dass ein solcher externer „Ausschuss“ sich bei der Kompromissfindung ausschließlich am Interesse der Arbeitnehmer des Betriebs und an denen des Betriebs selbst orientieren wird – und dort nicht stattdessen als „verlängerter Arm der Tarifpartner in das Betriebsgeschehen eingegriffen“1123, und letztlich Verbands- bzw. Gewerkschaftspolitik betrieben wird1124. Es ist sehr zweifelhaft, ob dieser Befund mit dem Vorschlag Riebles1125 beiseite geschoben werden kann, die Weisungsbefugnis der Tarifpartner gegenüber den von ihnen gestellten Beisitzern sei deshalb unbedingt zu unterbinden: Schließlich befinden sich diese Beisitzer als „Funktionäre der Gewerkschaften“1126 zu diesen regel-

1120 Zu der Notwendigkeit dieser staatlichen Mitwirkung wird auf die umfassenden Ausführungen im 4. Kap. § 2 C. f. zurückverwiesen bzw. Bezug genommen. 1121 Schwarze, S. 171 f. 1122 Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 568). 1123 Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 568); auch Giesen, S. 322, spricht im Zusammenhang mit der Rechtsfigur der „Organleihe“ vom immer noch vorhandenen gestaltenden Einfluss der Tarif- und nicht der Betriebspartner; dies ist anscheinend auch der Grund zur Sorge von Gamillscheg KollArbR 1, S. 565 (Fn. 156). 1124 Diese Gefahr sieht auch Rieble RdA 93, 140 (144); bezeichnenderweise sieht Däubler § 4 III. 2., Rdnr. 116 dementsprechend die tarifliche Schlichtungsstelle auch als Instrument der Tarifautonomie an. 1125 Rieble RdA 93, 140 (144). 1126 Hierauf weist auch Schlüter FS Lukes, S. 559 (S. 568) hin.

§ 26 Die Einigungsstelle

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mäßig in sozialer oder doch zumindest organisationspolitisch-ideologischer Abhängigkeit. Das deshalb auch im Falle der Zustimmung des Betriebsrats zur personellen Besetzung der tariflichen Schlichtungsstelle weiterhin bestehende Legitimationsdefizit wird auch nicht dadurch überbrückt, dass – im Sinne erforderlicher staatlicher Mitwirkung bei der Normsetzung gegenüber Außenseitern1127 – von einer hinreichend bestimmten Vorgabe oder Begrenzung des Verfahrens, der Organisation oder der Entscheidungsfindung1128 und des Entscheidungsspielraumes der tariflichen Schlichtungsstelle durch das Gesetz gesprochen werden kann1129. Giesen1130 hat in diesem Zusammenhang nicht nur auf die verfahrensmäßige Unbestimmtheit der Regelung über die tarifliche Schlichtungsstelle hingewiesen. Er hat vor allem hinsichtlich der zwingenden Einigungsstellenanrufung gem. § 87 Abs. 2 BetrVG, der Regelungen des § 95 Abs. 1, 2 BetrVG und des § 112 Abs. 4 BetrVG (erzwingbarer Sozialplan) bemerkt, dass hier von einer bloßen Umsetzung gesetzlich eindeutig vorgegebener Regelungsgehalte nicht gesprochen werden kann. Diese Auffassung ist insbesondere im Fall des erzwingbaren Sozialplans mit dem weitgehend offenen Verteilungsmaßstab und der Unbestimmtheit über Art und Umfang der letztlich erzwingbaren Sozialplanleistungen besonders gut nachvollziehbar. Deshalb ist Giesen1131 in seiner Einschätzung zu folgen, derzufolge in Ermangelung hinreichend konkreter gesetzlichen Regelungen, aus denen sich alle wesentlichen Punkte des Verfahrens und die Inhalte der jeweils zu schaffenden Normen ergeben, die Regelung des § 76 Abs. 8 BetrVG als verfassungswidrig anzusehen ist1132.

1127

Dazu siehe oben 4. Kap. § 2 C. f. Giesen, S. 319 ff.; im Hinblick auf die Konkretisierung des Verfahrens könnte dem allerdings entgegengehalten werden, dass nach h. M. in der Literatur die Regelung des gesetzlich zwingenden Verfahrens für die Einigungsstelle bzw. die wesentlichen Verfahrensvorschriften analog auf das Verfahren der tariflichen Einigungsstelle angewandt werden kann, siehe Brecht § 76 Rdnr. 12; ErfK-Kania § 76 Rdnr. 33; Fitting § 76 Rdnr. 116; HSWG-Worzalla § 76 Rdnr. 25; GK-Kreutz § 76 Rdnr. 182 ff.; Joost MünchArbR § 320 Rdnr. 128; Pünnel/Isenhardt Rdnr. 135; Richardi-Richardi § 76 Rdnrn. 147, 150; Rieble RdA 93, 140 (147 ff.); Weiss § 76 Rdnr. 22; siehe in diesem Sinne auch die Begründung des RegE, BT-Drucks. VI/1786, S. 47; a. A. Däubler § 4 III. 2., Rdnr. 116, demzufolge aus Gründen der Tarifautonomie kein neutraler Einigungsstellenvorsitzender erforderlich sei und auch das Verfahren der tariflichen Schlichtungsstelle tariflich frei gestaltet werden dürfe; ähnlich DKK-Berg § 76 Rdnr. 98, der eine Abweichung des Verfahrens innerhalb des Rahmens rechtsstaatlicher Prinzipien für zulässig erachtet. 1129 So auch Giesen, S. 321. 1130 Giesen, S. 319 ff. 1131 Giesen, S. 321 f. 1132 Zur Parallelproblematik bei § 3 Abs. 1 BetrVG siehe oben 4. Kap. § 2 C. f. 1128

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

IV. Ergebnis Die gesetzliche Möglichkeit der Errichtung einer tariflichen Schlichtungsstelle gem. § 76 Abs. 8 BetrVG ist verfassungswidrig: Zum einen ermangelt sie im Ergebnis der notwendigen staatlichen Mitwirkung bei der Normsetzung gegenüber Außenseitern, zum anderen ist die Regelung auch viel zu wenig konkret und damit zu unbestimmt, um dieses Mitwirkungsdefizit überbrücken zu können. Zusätzliche verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich – im Hinblick auf konkurrierende Minderheitsgewerkschaften – aus der mit § 76 Abs. 8 BetrVG eingeräumten Möglichkeit, Entscheidungskompetenzen und Einflussmöglichkeiten des Betriebsrats auf die inhaltliche Gestaltung von Einigungsstellensprüchen auf die Tarifpartner zu verlagern, und damit gegebenenfalls faktisch Ergebniskorrekturen an missliebigen Wahlergebnissen der Wahlen zum Betriebsrat vorzunehmen1133. Wegen der großen Gefahr, dass tarifliche Schlichtungsstellen nicht zuvörderst das Wohl der Belegschaft und des Betriebs im Auge haben, sondern diese Stellen vielmehr zu Orten übergreifender gewerkschaftlicher und verbandlicher Interessenpolitik gemacht werden, reicht es zur Legitimation der Normsetzung gegenüber Außenseitern auch nicht aus, die personelle Besetzung der Schlichtungsstelle an die Zustimmung des Betriebsrats rückzukoppeln1134.

§ 27 Der Versetzungsschutz für Betriebsratsmitglieder (§ 103 Abs. 3 BetrVG) Mit der Betriebsverfassungsnovelle 2001 hat der Gesetzgeber mit § 103 Abs. 3 BetrVG erstmalig für das Betriebsverfassungsrecht einen Versetzungsschutz für Mitglieder des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, sowie der anderen in § 103 Abs. 1 BetrVG genannten Personen bzw. Amtsträgern eingeführt. Diese Schutzvorschrift erfasst diejenigen Versetzungsvorhaben des Arbeitgebers, die zu einem Verlust des Amts des Betriebsratsmit1133 Denkbar wäre allerdings auch der umgekehrte Fall der „Entmachtung“ eines von der Mehrheitsgewerkschaft getragenen bzw. personell dominierten Betriebsrats durch Errichtung einer tarifliche Schlichtungsstelle durch eine Minderheitsgewerkschaft als Tarifpartnerin – ein Fall, welcher den gleichen legitimatorischen Bedenken ausgesetzt sein müßte. 1134 Nach hier vertretener Auffassung entfällt damit das Folgeproblem der Lösung der Konkurrenz bei mehreren von Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften eingerichteten tariflichen Schlichtungsstellen; hier ist die Lösung völlig unklar und nach Auffassung von GK-Kreutz § 76 Rdnr. 186 auch nicht über die allgemeinen Prinzipien der Tarifkonkurrenz lösbar; siehe dazu auch DKK-Däubler § 117 Rdnr. 11 für den Bereich des § 117 Abs. 2 BetrVG: Nach dessen Auffassung versagen die übliche Regelungen der Tarifkonkurrenz, weswegen im Kollisionsfall darauf abgestellt werden müsse, welche Gewerkschaft die größte Zahl an Mitgliedern im Geltungsbereich des Tarifvertrags besitzt.

§ 27 Der Versetzungsschutz für Betriebsratsmitglieder

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glieds oder der Wählbarkeit führen würden. Vorausgegangen war dieser Novellierung ein Streit in Rechtsprechung1135 und Literatur1136 darüber, ob die Kündigungsschutzvorschrift des § 103 Abs. 1 BetrVG zugunsten der betroffenen Betriebsratsmitglieder auch auf deren Versetzungen entsprechend anzuwenden sei, wenn diese mit der Versetzung auch ihres Betriebsratsamts verlustig gingen. Das Bundesarbeitsgericht hatte zuletzt entschieden, dass eine entsprechende Anwendung des § 103 Abs. 1 BetrVG auf solche Versetzungskonstellationen nicht möglich sei1137, was dann zur gesetzlichen Einführung des Versetzungsschutzes mit der Novelle 2001 geführt hat1138. Bedeutung für den vorliegenden Untersuchungszusammenhang besteht vor allem im Hinblick auf eine Interessenkonstellation, in welcher der Arbeitgeber ein Betriebsratsmitglied der Minderheitenliste gegen dessen Willen betriebsübergreifend versetzen will, mit dieser Versetzung also gem. §§ 24 Nr. 4, 8 Abs. 1, 7 BetrVG durch den Verlust der Wählbarkeit das Betriebsratsamt beendet werden würde1139, und die Wahlvorschlagsliste der Minderheitsgewerkschaft erschöpft ist, so dass das Ersatzmitglied für den mit der Versetzung ausscheidenden Minderheitenvertreter gem. § 25 Abs. 2 Satz 2 BetrVG einem anderen Wahlvorschlag, regelmäßig also dem Wahlvorschlag der Mehrheitsgewerkschaft, zu entnehmen ist. U. U. kann sich diese Situation während einer Amtsperiode bei mehreren Versetzungsvorhaben des Arbeitgebers auch mehrfach zu 1135 Das BAG v. 21.09.1989 – 1 ABR 32/89 = AP Nr. 72 zu § 99 BetrVG 1972 LS 2 und Gründe II. 3. f) hatte zunächst erwogen, unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats und der Kontinuität seiner Amtsführung einerseits und der mit der Versetzungsmöglichkeit ohne analoge Anwendung des Kündigungsschutzes dem Arbeitgeber andererseits eingeräumten Möglichkeit, bestimmte Betriebsratsmitglieder aus dem Amt zu drängen, eine solche Analogie zu befürworten; ähnlich, das Bestehen einer Regelungslücke befürwortend, LAG Hamm v. 01.04.1977 – 3 Sa 181/ 77 = EzA § 103 BetrVG 1972 Nr. 19 = BB 77, 696 (LS), Hessisches LAG v. 08.05.1995 = BB 95; 2064 und ArbG Berlin v. 01.10.1996 – 23 BV 20661/96 = AiB 97; 294 (LS); weiter offengelassen in BAG v. 26.01.1993 – 1 AZR 303/92 = AP Nr. 102 zu § 99 BetrVG 1972 Gründe II. 3. 1136 Für einen solchen Versetzungsschutz hatten sich – wegen des Sicherungserfordernisses für die Kontinuität des Betriebsrats und der einseitigen Steuerungsmöglichkeit des Arbeitgebers u. a. GK KR 5. Aufl.-Etzel § 103 BetrVG Rdnr. 60; Fastrich Anmerkung zu BAG v. 21.09.1898 – 1 ABR 32/89, in SAE 92, 16; Galperin/Löwisch § 103 Rdnr. 4; Stahlhacke/Preis Rdnr. 997 ausgesprochen; dagegen u. a. v. HoyningenHuene Anmerkung zu BAG v. 26.01.1993 – 1 AZR 303/92 in AP Nr. 102 zu § 99 BetrVG 6.; Oetker RdA 90, 343 (354 ff.); siehe auch die umfassenden Nachweise bei Richardi-Richardi/Thüsing § 193 Rdnr. 30. 1137 BAG v. 11.07.2000 – 1 ABR 39/99 = AP Nr. 44 zu § 103 BetrVG 1972 = SAE 01, 265 mit der Begründung, dass Zweck des § 103 BetrVG nicht der Bestand des Betriebsrats, sondern die unbeeinträchtigte Amtsausübung seiner Mitglieder sei; diese seien aber über die §§ 99 ff. BetrVG sowie § 78 BetrVG ausreichend geschützt. 1138 DKK-Kittner § 103 Rdnr. 64; Franzen Anm. zu BAG – 1 ABR 39/99 SAE 01, 269 (273); Roos AiB 02, 197 (202). 1139 Siehe dazu nur DKK-Kittner § 103 Rdnr. 67; Richardi-Richardi/Thüsing § 24 Rdnr. 21.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Lasten des Minderheits-Wahlvorschlags wiederholen, so dass die Liste der Minderheitsgewerkschaft auf diese Weise in Gefahr geraten kann, regelrecht „auszubluten“.

A. Maßstabsüberlegungen für die Erteilung der Zustimmung oder deren Verweigerung durch den Betriebsrat I. Allgemeine Überlegungen Der Betriebsrat hat mit §§ 103 Abs. 3 und 2 BetrVG vom Gesetz zwar ein Mitbeurteilungsrecht, betreffend die Rechtmäßigkeit der vom Arbeitgeber geplanten Versetzung eingeräumt bekommen. Dies bedeutet aber nicht, dass dem Betriebsrat ein – vom Arbeitsgericht nicht überprüfbarer – Ermessensspielraum eingeräumt worden ist1140. Denn das Arbeitsgericht hat auf Antrag des Arbeitgebers die Verweigerung nicht nur auf Ermessensfehler hin zu überprüfen, sondern es hat die Zustimmung des Betriebsrats zu ersetzen, wenn die Versetzung auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Betriebsratsmitglieds aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist1141. Angesichts der Tatsache, dass hinter der Versetzungsentscheidung des Arbeitgebers und seinen „dringenden betrieblichen Gründen“ dessen grundrechtlich geschützte Unternehmerfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG steht1142, wäre nämlich ein „weicherer“ Kontrollmaßstab des Arbeitsgerichts nicht angemessen. In der Literatur ist man sich im Ergebnis zwar weitgehend darüber einig, dass der Betriebsrat, bzw. das wegen der vom Arbeitgeber beantragten Zustimmungsersetzung angerufene Arbeitsgericht, im Rahmen einer umfassenden Güterabwägung die individuellen Interessen des betroffenen Betriebsratsmitglieds und die kollektiven Interessen der Belegschaft auf der einen Seite gegen die Interessen des Arbeitgebers auf der anderen Seite abzuwägen hat1143. Im Detail bestehen gleichwohl unterschiedliche Nuancierungen bei den Vorgaben für die

1140 So aber Fitting § 103 Rdnr. 71, der dem Betriebsrat nur die Ausübung eines „pflichtgemäßen Ermessens“ auferlegen will, was im Ergebnis zu einer geringeren Kontrolldichte der Betriebsratsentscheidung durch das Arbeitsgericht führen würde. 1141 GK KR-Etzel § 103 BetrVG Rdnrn. 175 ff.; 181; HSWG-Schlochauer § 103 Rdnr. 18a; Löwisch/Kaiser § 103 Rdnr. 29 („. . . unter allen in Betracht kommenden Gründen vollumfänglich nachzuprüfen“); Richardi-Richardi-Thüsing § 103 Rdnrn. 35, 47. 1142 Siehe dazu GK KR-Etzel § 103 BetrVG Rdnr. 188. 1143 Siehe DKK-Kittner § 103 Rdnrn. 71 ff.; Fitting § 103 Rdnrn. 72 ff.; GK-Raab § 103 Rdnrn. 65 f.; HSWG-Schlochauer § 103 Rdnr. 18a; KR GK-Etzel § 103 Rdnrn. 175 ff.; Löwisch/Kaiser § 103 Rdnrn. 23 ff.; Richardi-Richardi/Thüsing § 103 Rdnrn. 30 ff.

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Abwägung durch den Betriebsrat, bzw. für die Entscheidung des zustimmungsersetzenden Arbeitsgerichts. Auch wenn man sich nämlich im Grundsatz darüber einig ist, dass auf Seiten des zu versetzenden Betriebsratsmitglieds bzw. des Betriebsrats die Reichweite des arbeitsvertraglichen Direktionsrechts des Arbeitgebers, das billige Ermessen gem. § 315 BGB bei der Versetzungsentscheidung, die Kataloggründe des § 99 Abs. 21144 BetrVG und die gesetzlich ausdrücklich genannte Rücksichtnahme auf die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des Arbeitnehmers als Abwägungskriterien einzustellen sind1145, während auf der anderen Seite die dringenden betrieblichen Gründe des Arbeitgebers stehen, so bestehen doch im Hinblick auf die Gewichtung dieser Kriterien, insbesondere dem des Gesichtspunkts der „besonderen betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers“ gem. § 103 Abs. 3 Satz 2 BetrVG, erhebliche Unterschiede1146: Kittner1147 ist wegen der gebotenen Rücksichtnahme auf die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des zu versetzenden Arbeitnehmers der Auffassung, dass dringende betriebliche Gründe1148 für eine Versetzung überhaupt nur dann vorliegen bzw. den Ausschlag zugunsten des Arbeitgeberinteresses geben können, „wenn zur Versetzung schlechterdings keine zumutbare Alternative besteht, ohne dass die Erfüllung des Betriebszwecks gefährdet wäre“. Nach dieser Auffassung kann der Arbeitgeber also nur in äußerst eng begrenzten Ausnahmefällen eine Versetzung eines Betriebsratsmitglieds durchsetzen1149. Ihm entgegen1144 Uneinigkeit besteht allerdings darüber, ob verfahrensmäßig § 99 BetrVG neben § 103 BetrVG anzuwenden ist, ob die Zustimmung zur Versetzung eines Betriebsratsmitglieds also zweier getrennter Mitbestimmungsvorlagen des Arbeitgebers bedarf oder ob § 103 als lex specialis § 99 BetrVG verdrängt; für Parallelität DKK-Kittner § 103 Rdnr. 74; i. S. eines verfahrensmäßigen Vorrangs des § 103 BetrVG Fitting § 103 Rdnr. 71; GK-Raab § 103 Rdnr. 44; KR GK-Etzel § 103 Rdnr. 175a, Löwisch/ Kaiser § 103 Rdnr. 37; Richardi-Richardi-Thüsing § 103 Rdnr. 36, Dieser Streit muss im vorliegenden Untersuchungszusammenhang aber nicht weiter vertieft werden. 1145 Siehe DKK-Kittner § 103 Rdnrn. 71a ff.; Fitting § 103 Rdnrn. 71 ff.; GK-Raab § 103 Rdnrn. 44, 55, 65; HSWG-Schlochauer § 103 Rdnr. 18a; KR GK-Etzel § 103 Rdnrn. 175a.; Löwisch/Kaiser § 103 Rdnrn. 23 f., 37; wohl auch Richardi-Richardi/ Thüsing § 103 Rdnrn. 36, die davon sprechen, dass das Verfahren nach § 103 BetrVG an die Stelle des Verfahrens nach § 99 BetrVG trete. 1146 Sofern der Arbeitgeber kein diesbzgl. Direktionsrecht hat, sein billiges Ermessen gem. § 315 BGB nicht korrekt ausgeübt hat oder einer der Kataloggründe des § 99 Abs. 2 BetrVG greift, kommt es erst gar nicht zur in § 103 Abs. 3 BetrVG vorgeschriebenen Abwägung zwischen dem Gewicht der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers und den „dringenden betrieblichen Gründen“ auf Arbeitgeberseite; siehe DLW-Wildschütz I Rdnr. 657; Fitting § 103 Rdnr. 72; 175a; HSWG-Schlochauer § 103 Rdnr. 18a; Löwisch/Kaiser § 103 Rdnr. 29. 1147 DKK-Kittner § 103 Rdnr. 72. 1148 DKK-Kittner § 103 Rdnr. 72 nimmt im Hinblick auf den Begriff der dringenden betrieblichen Gründe Bezug auf § 1 Abs. 2 KSchG, § 1 Abs. 3 KSchG und § 8 Abs. 4 TzBfG. 1149 Ähnlich Fitting § 103 Rdnr. 74 („Ausnahmesituationen“).

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

gesetzt vertritt Etzel1150 die Auffassung, dass im Hinblick auf die grundrechtliche Stellung der Unternehmerfreiheit die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des betroffenen Arbeitnehmers nur in Ausnahmefällen von einem solchen Gewicht sein kann, dass das Arbeitgeberinteresse gegenüber dem Arbeitnehmer- und Betriebsratsinteresse hintanzustehen hat. Vermittelnde Lösungsvorschläge1151 gehen im Hinblick auf die Abwägung zwischen der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers und den dringenden betrieblichen Bedürfnissen des Arbeitgebers von keinem grundsätzlichen Übergewicht eines der beiden Kriterien aus, sondern favorisieren im Ergebnis eine umfassende Einzelfallabwägung, wobei je nach Bedeutung des kollektiven Interesses an der Fortsetzung des Amtes durch den Arbeitnehmer die Anforderungen an die Dringlichkeit des Versetzungsinteresses des Arbeitgebers ansteigen sollen1152. Den vermittelnden Meinungen ist im Ergebnis zuzustimmen, denn angesichts der betroffenen Grundrechtspositionen des Arbeitgeber einer-, und des deutlich zum Ausdruck gekommenen Schutzwillens des Gesetzgebers für betroffene Amtsträger andererseits, kann nicht davon gesprochen werden, dass die Interessen der einen oder anderen Seite grundsätzlich den Vorrang verdienen sollen. Stets sind also die beiden divergierenden Positionen in einer umfassenden Interessenabwägung zu gewichten, wobei die dringenden betrieblichen Gründe der Perspektive der besonderen betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers standhalten müssen. II. Besondere, minderheitenbezogene Überlegungen Der hier im Grundsatz befürwortete flexible Maßstab führt allerdings dazu, auch die besondere Funktion des Betriebsratsmitglieds im Gremium als Kennzeichen der „betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers“ als Abwägungsfaktor ansehen, und damit in die Interessenabwägung einzustellen zu können1153, so dass es, je nach Bedeutung der Funktion oder des Sachverstands des betroffenen Betriebsratsmitglieds im Ergebnis zu einem abgestuften Versetzungsschutz kommen kann. Denn die vom Gesetz grundsätzlich gewollte Kontinuität der Amtsführung1154 wird in ihrem Gewicht auch dadurch 1150

KR GK-Etzel § 103 Rdnrn. 188. GK-Raab § 103 Rdnrn. 65 f. 69; HSWG-Schlochauer § 103 BetrVG Rdnr. 18a; Löwisch/Kaiser § 103 Rdnrn. 23 ff., 29. 1152 So ausführlich GK-Raab § 103 Rdnr. 66; ähnlich auch Fitting § 103 Rdnr. 72; in diese Richtung auch Löwisch/Kaiser § 103 Rdnr. 25. 1153 So insbesondere auch HSWG-Schlochauer § 103 Rdnr. 18a; Löwisch BB 01, 1743 (1796); Löwisch/Kaiser § 103 Rdnr. 24; auch Fitting § 103 Rdnr. 73; ähnlich, allerdings als nur ausnahmsweise berücksichtigungsfähig, KR GK-Etzel § 103 Rdnr. 188. 1151

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bestimmt, welche konkrete Bedeutung die Weiterführung des Amtes durch den Arbeitnehmer für das Gremium und damit für die Belegschaft i. S. des hierdurch vermittelten kollektiven Interesses hat1155. Das hiermit in die Abwägungsüberlegungen einzustellende kollektive Interesse bestimmt sich aber über die genannten Gesichtspunkte der Funktionsträgerschaft und Sachkunde hinaus nach hier vertretener Auffassung dann aber notwendiger Weise auch noch dahingehend, als es auch darin bestehen muss, die bei der Betriebsratswahl hergestellten gewerkschaftlichen Kräfteverhältnisse im Betriebsrat auch möglichst während der gesamten Amtsperiode im Gremium dargestellt bzw. erhalten zu sehen. Dies ist eine Folge des Demokratieprinzips, das im Ergebnis der Verhältniswahl seinen Ausdruck gefunden hat. Die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des betroffenen Arbeitnehmers ist also sowohl im Hinblick auf dessen konkrete Funktion im Betriebsrat wie auch im Hinblick auf seine Stellung als Repräsentant der Minderheitsgewerkschaft zu bestimmen, wenn ohne dieses Betriebsratsmitglied deren Repräsentanz im Betriebsrat versetzungsbedingt wegen Listenerschöpfung geschmälert oder gar enden würde. Dieser auf die Stellung des zu Versetzenden im Gefüge des Betriebsrats bezogenen Sichtweise entspricht aus der Perspektive des (einzigen oder letzten) Vertreters der Minderheitsgewerkschaft im Betriebsrat die Überlegung, dass die Ausstrahlungswirkung des Art. 9 Abs. 3 GG es gebietet, zwischen den „besonderen betrieblichen Versetzungsgründen“ und dem Interesse des Minderheitsvertreters im Betriebsrat an der Weiterführung seines Amtes besonders sorgfältig auch unter Berücksichtigung der betroffenen spezifisch koalitionsrechtlichen Grundrechtsposition des zu Versetzenden und der hinter ihm stehenden Koalition abzuwägen. Im Ergebnis darf der Betriebsrat deshalb nur dann der Versetzung des Minderheitsvertreters zustimmen, oder das Arbeitsgericht die Zustimmung des Betriebsrats nur dann ersetzen, wenn die betrieblichen Gründe auch im Hinblick auf die betroffene und grundrechtlich zu beachtende Minderheitenproblematik erkennbar überwiegen. Dies bedeutet einerseits, dass insbesondere bei Listenerschöpfung der Liste der Minderheitsgewerkschaft und dem damit drohendem Ende der Repräsentanz der Minderheitsgewerkschaft im Betriebsrat durch Versetzung ihres letzten im Betriebsrat vertretenen Mitglieds, außerordentlich hohe Anforderungen an die „dringenden betrieblichen Gründe“ des Arbeitgebers zu stellen sind. Es bedeutet andererseits aber auch, dass es trotzdem einen absoluten Versetzungsschutz unter dem Gesichtspunkt der hiermit verbundenen „endgültigen“ Listenerschöpfung nicht geben kann, weil auch der Arbeitgeber für 1154 1155

Siehe hierzu HSWG-Schlochauer § 103 Rdnr. 18a. GK-Raab § 103 Rdnr. 66.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

seine Versetzungsentscheidung eine Grundrechtsposition, nämlich die seiner Unternehmerfreiheit, ins Feld führen kann. Diesbezüglich ist insbesondere zu beachten, dass die unternehmerische Entscheidung selbst, etwa im Hinblick auf eine die Versetzung bedingende betriebliche Umstrukturierung, gerichtlich nicht überprüfbar ist, sondern als grundrechtlich geschützte Position von Betriebsrat und Arbeitsgericht grundsätzlich zu respektieren ist1156. Zuletzt ist auch noch zu anzumerken, dass die These des Bundesarbeitsgerichts1157, derzufolge der Minderheiten- bzw. Listenschutz nicht weiter gehen könne, als der Wahlvorschlag selbst, hier nicht zum Tragen kommen kann. Denn es geht in der hier interessierenden Fallkonstellation nicht um die Folgen einer Listenerschöpfung, sondern im Gegenteil um die Klärung der Frage, unter welchen Voraussetzungen das Arbeitgeberinteresse bei drohender endgültiger Listenerschöpfung gegenüber dem betroffenen Mitglied der Minderheitsgewerkschaft den Vorrang beanspruchen darf.

B. Rechtsschutz des betroffenen Vertreters der Minderheitsgewerkschaft bei Zustimmung des Betriebsrats Im Falle heftiger oder unliebsamer Konkurrenz zwischen Mehrheits- und Minderheitsvertretern im Betriebsrat liegt die Annahme nicht fern, dass die Vertreter der Mehrheitsgewerkschaft im Betriebsrat den soeben angestellten grundrechtlichen Erwägungen nicht immer das ihnen gebührende Maß einräumen werden. Dies gilt umsomehr, als die Listenerschöpfung der Minderheitenliste regelmäßig ein Erstarken der Mehrheitsgewerkschaft im Betriebsrat zur Folge haben wird, weil es insofern regelmäßig zum Listensprung nach § 25 Abs. 2 Satz 2 BetrVG zugunsten der im Betriebsrat vertretenen Mehrheit kommen wird und die Betriebsratsmehrheit deshalb regelmäßig keinen neutralen bzw. minderheitsfreundlichen Standpunkt einnehmen dürfte. Die Folge dieser Interessenlage liegt dann in der leichtfertig erteilten Zustimmung zur Versetzung des Vertreters der Minderheit. Verschiedene Möglichkeiten des Rechtsschutzes für das betroffene Betriebsratsmitglied sind in dieser Situation denkbar. Zunächst wäre daran zu denken, dass das betroffene Betriebsratsmitglied versuchen könnte, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im Beschlussverfahren gem. § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG den Betriebsrat daran zu hindern, die Zu1156 Siehe nur Löwisch § 103 Rdnr. 25; BAG v. 11.07.2000 – 1 ABR 39/99 = AP Nr. 44 zu § 103 BetrVG 1972 Gründe B. II. 1. c) aa); v. 17.06.1999 – 2 AZR 141/99 und 2 AZR 522/98 = AP Nrn. 101 und 102 zu § 1 KSchG 1969 „betriebsbedingte Kündigung“. 1157 BAG v. 25.04.2001 – 7 ABR 26/00 = AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972 Gründe B. I. 2. c) cc).

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stimmung zur Versetzung zu erteilen1158. Zwar liegt die Interessenlage ähnlich wie bei der Anspruchslage des einzelnen Betriebsratsmitglieds der Minderheit im Hinblick auf „erforderliche Schulungsmaßnahmen“ i. S. v. § 37 Abs. 6 BetrVG, so dass der – zumindest auch – subjektiv-rechtliche Charakter der vom Betriebsrat zugunsten des oder der Minderheitsvertreter anzustellenden Ermessensüberlegungen kaum bezweifelt werden kann. Deshalb scheidet der „innerorganschaftliche Rechtsstreit“ im Beschlussverfahren nicht von vorneherein aus1159. Allerdings wird das Gepräge des einstweiligen Rechtsschutzes, das sich mit den Stichworten des vorläufigen und summarischen Verfahrens umschreiben lässt1160, regelmäßig nicht den gebotenen hohen Anforderungen an die – wie oben veranschaulicht – komplexen Abwägungsüberlegungen entsprechen können, die gerichtlicherseits anzustellen sind. Denn die Rechtsfrage, ob der Verfügungsanspruch gegeben ist, ist auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes voll zu prüfen1161. Und dies wird angesichts der Komplexität dieser Rechtsfrage kaum in einem summarischen und vorläufigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu leisten sein, so dass eine einstweilige Verfügung realistischerweise wohl nur dann Aussicht auf Erfolg haben dürfte, wenn die zu erwartende Zustimmung des Betriebsrats entweder nachweisbar kollusiven Charakter im Hinblick auf das zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber hergestellte Einvernehmen zu Lasten des zu versetzenden Betriebsratsmitglieds der Minderheitsgewerkschaft hat, oder die Zustimmung des Betriebsrats im Ausnahmefall aus anderen Gründen evident rechtswidrig wäre, so etwa, wenn ein vollfreigestelltes Betriebsratsmitglied versetzt werden soll1162. 1158 Für den Fall des Schutzes der Rechtsstellung des Betriebsrats aus § 103 Abs. 3 BetrVG gegenüber dem Arbeitgeber ist dies anerkannt, siehe ErfK-Eisenmann § 103 Rdnr. 17; Fitting § 103 Rdnr. 71b; ArbG Berlin v. 10.09.2001 – 42 BVGa 23876/01 = AiB 02, 49 LS 1. 1159 Siehe zum Schulungsanspruch des einzelnen Betriebsratsmitglieds oben 4. Kap. § 16; dass die Möglichkeit des innerorganschaftlichen Rechtsstreits im Beschlussverfahren in der Rechtsprechung anerkannt ist, ergibt sich u. a. auch daraus, dass nach allgemeiner Meinung bspw. Streitigkeiten aus der Anwendung des § 27 BetrVG über die Zusammensetzung des Betriebsausschusses, die Wahl und Abberufung seiner Mitglieder, die Zuordnung von Angelegenheiten zu den laufenden Geschäften oder Streitigkeiten im Rahmen des § 38 BetrVG über das Freistellungsverfahren gem. §§ 2a Abs. 1 Nr. 1, 80 ff. ArbGG vor dem Arbeitsgericht im Beschlussverfahren geklärt werden können; statt vieler siehe GK-Wiese/Raab § 27 Rdnr. 85; GK-Wiese/Weber § 38 Rdnr. 103 m.w. N. 1160 Baumbach/Lauterbach Grundz. § 916 Rdnr. 12. 1161 Germelmann/Matthes § 85 Rdnr. 44. 1162 Siehe Fitting § 103 Rdnr. 74: Die Frage der Weiterbeschäftigung stelle sich erst am Ende der Amtszeit bzw. am Ende der Freistellung; GK KR-Etzel § 103 Rdnr. 187: Freigestellte seien ohnehin nicht beschäftigt, so dass auch das betriebliche Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung nicht entfallen könne – die Versetzung als durch dringende betriebliche Gründe niemals bedingt sein könne; ähnlich Löwisch/Kaiser § 103 Rdnr. 26, die auch noch darauf hinweisen, dass § 37 Abs. 5 BetrVG es verbiete, die ehemaligen (freigestellten) Betriebsratsmitglieder im ersten Jahr nach dem

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Ob der nach Erteilung der Zustimmung des Betriebsrats versetzte Minderheitenvertreter noch ein Rechtsschutzbedürfnis für ein Beschlussverfahren im Hinblick auf den Betriebsrat haben kann, ist gleichermaßen sehr zweifelhaft. Denn mit der gegenüber dem Arbeitgeber abgegebenen Zustimmungserteilung entfällt die kollektiv-rechtliche Schranke für die Versetzung1163, so dass einem Gestaltungsantrag, weil er keine gestaltende Wirkung mehr entfalten kann und er infolgedessen ins Leere gehen muss, kein Rechtsschutzinteresse mehr zukommen kann1164. Und weil nach erfolgter Zustimmung und Versetzung durch den Arbeitgeber die Angelegenheit im Hinblick auf den Betriebsrat kollektiv-rechtlich abgeschlossen ist, fehlt dem insofern denkbaren „Fortsetzungsfeststellungsantrag“ nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts1165 ohnehin das Rechtsschutzinteresse – ganz abgesehen von der Frage nach der praktischen Sinnhaftigkeit eines solchen Begehrs. Denkbar ist allerdings auch die Geltendmachung eines Anspruchs auf Rückgängigmachung der Versetzung gegenüber dem Arbeitgeber. Unklar ist dabei allerdings, ob dieser Anspruch wegen seiner starken betriebsverfassungsrechtlichen Implikationen im Beschlussverfahren oder im Urteilsverfahren durch Klageerhebung geltend gemacht werden müßte. Der individualrechtliche Charakter der Versetzungsentscheidung spricht dabei aber sehr maßgeblich dafür, eine solche Angelegenheit als Angelegenheit des § 2 Abs. 1 Nr. 3. a) ArbGG zu begreifen, und dem Urteilsverfahren zu überantworten. In dem Verfahren, betreffend die Rechtmäßigkeit der Versetzungsentscheidung, hat das Arbeitsgericht dann uneingeschränkt zu überprüfen, ob die angeordnete Versetzung nach den gesetzlichen Voraussetzungen wirksam ist, d.h. ob sie auch unter der Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Betriebsratsmitglieds als eines solchen der Minderheitsgewerkschaft notwendig ist1166. Während der Klage gegen die Versetzung ist das versetzte Betriebsratsmitglied als zeitweilig verhindert an der Ausübung des Betriebsratsamtes anzusehen1167, so dass ihm die Rückkehroption nach erfolgreich beendetem Rechtsstreit – wie beim Kündigungsschutzprozess des nach (ersetzter) Zustimmung des Betriebsrats gekündigten Betriebsratsmitglieds1168 – offen bleibt.

Ende ihrer Amtszeit auf demselben Arbeitsplatz wie vorher bzw. mit denselben Aufgaben wie vorher zu beschäftigen. 1163 GK-Raab § 103 Rdnr. 88. 1164 Siehe dazu Germelmann/Matthes § 81 Rdnr. 30. 1165 BAG v. 29.07.1982 – 6 ABR 51/79 = AP Nr. 5 zu § 83 ArbGG 1979 LS 1; dazu siehe auch Germelmann/Matthes § 81 Rdnr. 25. 1166 So GK KR-Etzel § 103 Rdnr. 181, 204; zu eng GK-Raab § 103 Rdnr. 88, der bei einer Klage des versetzten Betriebsratsmitglied die Versetzung nur auf das arbeitgeberliche Direktionsrecht und die Einhaltung des billigen Ermessens gem. § 315 Abs. 3 BGB geprüft wissen will. 1167 KR GK-Etzel § 103 Rdnrn. 204, 152 ff.

§ 28 Der Wirtschaftsausschuss

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§ 28 Der Wirtschaftsausschuss (§§ 106 ff. BetrVG) Der Wirtschaftsausschuss ist nach seiner Konzeption ein Ausschuss des Betriebs- bzw. Gesamtbetriebsrats und übt Hilfsfunktionen für den Betriebsrat aus. Dabei hat er in Doppelfunktion die Aufgabe, wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Arbeitgeber zu beraten, und den Betriebsrat in Betreff der wirtschaftlichen Angelegenheiten zu unterrichten1169. Deshalb ist es auch folgerichtig, dass es das Gesetz neben dem Normalfall der Bestimmung der Mitglieder des Wirtschaftsausschusses nach § 107 Abs. 2 BetrVG auch ermöglicht, die Aufgaben des Wirtschaftsausschusses gem. § 107 Abs. 3 BetrVG auf einen Ausschuss des Betriebsrats zu übertragen1170.

A. „Bestimmung“ der Mitglieder des Wirtschaftsausschusses gem. § 107 Abs. 2 Satz 1 BetrVG als Wahlakt? Bereits mehrfach1171 ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung festgestellt worden, dass unbestimmte Rechtsbegriffe, wie jene der Entsendung oder Bestellung, wegen ihres Charakters der Bestimmung von Personen für ein Gremium als Wahlakt zu begreifen sind, und im Sinne der „Verhältniswahl als Grundprinzip der Betriebsverfassung“ diese Wahlakte dann, in Anwendung dieses Grundprinzips, der Verhältniswahl unterstellt werden müssen. Dabei wurde ergänzend auch immer wieder der Grundsatz der „Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen“ rechtsanalog hinzugezogen, um die möglichst unveränderte Repräsentation der Belegschaft in den Organteilen zu gewährleisten, die anstelle des Betriebsrats für diesen und damit letztlich auch für die Belegschaft tätig werden1172. Vordergründig läge es deshalb nahe, auch im Zusammenhang

1168 ErfK-Eisenmann § 25 Rdnr. 6; Fitting § 24 Rdnr. 16; Galperin/Löwisch § 24 Rdnr. 15, § 25 Rdnr. 11; GK-Oetker § 25 Rdnr. 27 m. umfsd. Nachw. zur zustimmenden Rechtsprechung; HSWG-Schlochauer § 103 Rdnr. 58; § 24 Rdnr. 11; Hueck/Nipperdey II/2, 1181; Joost MünchArbR § 305 Rdnr. 25; KR GK-Etzel § 103 Rdnrn. 152 ff.; Löwisch/Kaiser § 24 Rdnr. 5; LAG Düsseldorf v. 03.04.1974 – 4 TaBV 19/74 = DB 74, 2164; LAG Schleswig-Holstein v. 02.09.1976 – 4 TaBV 11/76 = DB 76, 1974; anders ArbG Elmshorn v. 10.09.1996 – 1 d BVGa 36/96 = AiB 97, 173 LS 3 („ein gekündigtes Betriebsratsmitglied hat sein betriebsverfassungsrechtliches Amt bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsschutzprozesses inne“), wobei allerdings ein Weiterbeschäftigungsanspruch gegen den Arbeitgeber geltend gemacht wurde. 1169 BAG v.09.05.1995 – 1 ABR 61/94 = NZA 96, 55 (56); v. 08.03.1983 – 1 ABR 44/81 = EzA BetrVG 1972 § 118 Nr. 34 B. I.; v. 18.07.1978 – 1 ABR 34/75 = AP Nr. 1 zu § 108 BetrVG 1972 B. I. 2.; DLW-Wildschütz I. Rdnr. 825; Joost MünchArbR § 319 Rdnrn. 2, 24; Löwisch/Kaiser § 106 Rdnr. 8. 1170 Richardi-Richardi/Annuß Vorbem. vor § 106 Rdnr. 3. 1171 Siehe insb. oben 4. Kap. § 6 B.; § 19 A. f. 1172 Siehe dazu oben 4. Kap. § 8 A. I. 2 a) f.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

mit der Bestimmung der Wirtschaftsausschussmitglieder diese Überlegungen anzustellen, bzw. diese auf die Auslegung des Bestimmungsbegriffs zu übertragen. Allerdings ist zu bedenken, dass das Gesetz in § 107 Abs. 1 Satz 1 BetrVG für die ordnungsgemäße Bildung des Wirtschaftsausschusses lediglich die Mitgliedschaft eines einzigen Betriebsratsmitglieds verlangt und ansonsten nur die Unternehmenszugehörigkeit der Mitglieder verlangt1173. Schon diese eklatante gesetzliche Abweichung von der ansonsten vorgegebenen Personalstruktur für Ausschüsse des Betriebsrats muss an der Tauglichkeit der oben angerissenen Überlegungen Zweifel aufkommen lassen. Entscheidend gegen eine solche Übertragung dieser Überlegungen für die Zusammensetzung des Wirtschaftsausschusses aber spricht, dass für die Frage der vom Gesetz gewollten personellen Zusammensetzung die personelle und fachliche Eignung für die genannten Aufgaben des Wirtschaftsausschusses ersichtlich1174 ganz im Vordergrund steht1175. Dies bringt das Gesetz damit zum Ausdruck, dass es in § 107 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ausdrücklich verlangt, dass die Mitglieder die für die Aufgabenerfüllung erforderliche fachliche und persönliche Eignung besitzen sollen. Das Bundesarbeitsgericht1176 hat hierzu sogar betont, dass diese Sollvorschrift nicht als unverbindlicher und folgenloser Appell zu verstehen ist. Vielmehr sei auch diese Sollvorschrift im Grundsatz als zwingend anzusehen, so dass fachlich nicht geeignete Personen nur dann zulässiger Weise Mitglieder des Wirtschaftsausschusses sein können, wenn dies wegen besonderer Umstände des Einzelfalles, beispielsweise der völligen Neuwahl des Betriebsrats, oder wegen der fehlenden Bereitschaft kompetenter Personen zur Tätigkeit im Wirtschaftsausschuss aus vernünftigen Gründen einsichtig ist. Unabhängig von der Auseinandersetzung über die Folgen1177 nicht vorhandener personeller Eignung – hierunter

1173 Ob diese Unternehmenszugehörigkeit aufgrund arbeitsvertraglicher Grundlage gegeben sein muss, ist umstritten: DKK-Däubler § 107 Rdnr. 7; Fitting § 107 Rdnr. 6; Galperin/Löwisch § 107 Rdnr. 3; GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 5; HSWG-Hess § 107 Rdnrn. 5 f.; Joost MünchArbR § 319 Rdnr. 20; Löwisch TK § 107 Rdnr. 1; Löwisch/Kaiser § 107 Rdnr. 5; Richardi-Richardi/Annuß § 107 Rdnr. 5; Weiss/Weyand § 107 Rdnr. 2 halten das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses für nicht erforderlich; a. A. ErfK-Kania § 107 Rdnr. 3; siehe weitere Nachw. auch bei GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 5. 1174 Siehe § 107 Abs. 1 Satz 3 BetrVG. 1175 GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 16; Löwisch/Kaiser § 107 Rdnr. 7. 1176 BAG v. 11.11.1998 – 7 AZR 491/97 = AP Nr. 129 zu § 37 BetrVG 1972 Gründe I. 4.; ähnlich schon BAG v. 18.07.1978 – 1 ABR 34/75 = AP Nr. 1 zu § 108 BetrVG 1972 Gründe B. II. 2.; so auch Dietz/Richardi § 107 Rdnr. 5; HSWG-Hess § 107 Rdnr. 8; Richardi-Richardi/Annuß § 107 Rdnr. 9; a. A. i. S. eines unverbindlichen Hinweises an das Bestimmungsorgan DKK-Däubler § 107 Rdnr. 14; ErfK-Kania § 107 Rdnr. 4, ähnlich Fitting § 107 Rdnr. 10; unklar insofern GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnrn. 19 f. 1177 So wird vertreten, dass die Bestimmung offenkundig ungeeigneter Mitglieder des Wirtschaftsausschusses eine grobe Pflichtverletzung i. S. v. § 23 Abs. 1 BetrVG

§ 28 Der Wirtschaftsausschuss

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wird vor allem die persönliche Fähigkeit zur Verschwiegenheit und die Sachorientiertheit des Wirtschaftsausschussmitglieds verstanden1178 – oder von nicht vorhandener fachlicher Kompetenz, ist man sich jedoch weitgehend darüber einig, dass wegen der besonderen Funktion des Wirtschaftsauschusses dessen Mitglieder ein bestimmtes Maß an betriebs- und volkswirtschaftlichen Kenntnissen mitbringen sollten1179, und sie insbesondere in der Lage sein sollten, den Jahresabschluss des Unternehmens zu verstehen, um ihn in den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang einordnen zu können1180. Auch wenn man also den Bestimmungsakt des § 107 Abs. 2 Satz 1 BetrVG als Wahl ansieht, so ergibt sich daraus nicht – wie in den anderen behandelten Fällen1181 – die Konsequenz der Anwendung des Verhältniswahlrechts. Denn die erforderlichen persönlichen und fachlichen Eigenschaften der Wirtschaftsausschussmitglieder stellen auf dem Hintergrund der besonderen Funktion des Wirtschaftsausschusses insofern zulässige Sachgesichtspunkte dar, als sie es erlauben, Gesichtspunkte der formalen Wahlrechtsgleichheit oder der „Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen“ gegenüber Kompetenzgesichtspunkten der zu bestimmenden Wirtschaftsausschussmitglieder hintanzustellen, und somit auch im Ergebnis Minderheitenschutzgesichtspunkten keinen besondarstellen kann, so Galperin/Löwisch § 107 Rdnrn. 107, 10; GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 19; HSWG-Hess § 107 Rdnr. 12; teilweise wird sogar vertreten, dass in diesem Falle wegen der nicht ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Wirtschaftsausschusses das Unternehmen von seiner Informationspflicht entbunden sei, so HSWGHess § 107 Rdnr. 12 unter Hinweis auf ArbG Berlin v. 27.10.1976 – 41 BV 4/76 = DB 77, 963 und Rumpff/Boewer, S. 215; hiergegen aber BAG v. 18.07.1978 – 1 ABR 34/75 = AP Nr. 1 zu § 108 BetrVG 1972 Gründe B. II. 2., GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 19 m.w. N.; als mögliche Folge der Bestellung unkundiger Wirtschaftsausschussmitglieder wird es auch angesehen, dass u. U. die für den Arbeitgeber kostenträchtige Hinzuziehung von Sachverständigen zur Beratung des Wirtschaftsausschusses nicht erforderlich sein kann, so BAG v. 18.07.1978 – 1 ABR 34/75 = AP Nr. 1 zu § 108 BetrVG 1972 Gründe B. II. 2.; zustimmend Boldt Anmerkung zu BAG v. 18.07.1978 – 1 ABR 34/75, in: AP Nr. 1 zu § 108 BetrVG 1972; GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 20; Richardi-Richardi/Annuß § 107 Rdnr. 9; für Folgenlosigkeit einer solchen Bestellung DKK-Däubler § 107 Rdnr. 14; Fitting § 107 Rdnr. 12; Weiss/ Weyand § 107 Rdnr. 4; wohl auch ErfK-Kania § 107 Rdnr. 4. 1178 ErfK-Kania § 107 Rdnr. 4 und DKK-Däubler § 107 Rdnr. 13 („Loyalität und Diskretion“); Fitting § 107 Rdnr. 11 („Anständigkeit und Zuverlässigkeit“); ähnlich GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 18; HSWG-Hess § 107 Rdnr. 10; Löwisch/Kaiser § 107 Rdnr. 6; Richardi-Richardi/Annuß § 107 Rdnr. 8. 1179 DKK-Däubler § 107 Rdnr. 12; HSWG-Hess § 107 Rdnr. 9; GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 17; Joost Münch ArbR § 319 Rdnr. 21; etwas einschränkend im Sinne des Ausreichens schon niedrigerer Anforderungen Fitting § 107 Rdnr. 10 und wohl auch Löwisch/Kaiser § 107 Rdnr. 6 („geistige Beweglichkeit, Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge“). 1180 So insbesondere BAG v. 18.07.1978 – 1 ABR 34/75 = AP Nr. 1 zu § 108 BetrVG 1972 Gründe B. II. 2. a); siehe auch GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 17 m.w. N. 1181 Siehe insb. oben 4. Kap. § 6 B.; § 19 A. f.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

deren Rang einzuräumen. Die Durchbrechung des Minderheitenschutzes entspricht damit den an anderer Stelle hierfür genannten „höchsten Anforderungen an das Vorliegen von Differenzierungen bei der an sich grundsätzlich gebotenen Beachtung der formalen Wahlrechtsgleichheit“, auch bis in die Besetzung der Ausschüsse hinein1182. Die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses können also mit Mehrheitsentscheidung des Betriebsrats im Wege des § 33 Abs. 1 BetrVG bestimmt werden1183.

B. Ersetzung des Wirtschaftsausschusses durch einen Ausschuss des Betriebsrats gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 BetrVG Problematisch ist es allerdings, ob die Dinge dann anders liegen, wenn der Wirtschaftsausschuss durch einen Ausschuss des Betriebsrats oder des Gesamtbetriebsrats gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ersetzt wird. Eine solche Übertragung der Aufgaben auf einen Ausschuss ist dann möglich, wenn dies von der Mehrheit der Mitglieder des Betriebsrats oder mit der absoluten Mehrheit der Stimmen des Gesamtbetriebsrats so beschlossen wird1184. I. Gesetzlicher Zweck Als Ausgangsüberlegung ist dabei zunächst festzuhalten, dass auch in diesem Falle einer Übertragung der Aufgaben des Wirtschaftsausschusses auf einen Ausschuss des Betriebsrats, die gesetzlichen Aufgaben des „Ersatzausschusses“ dieselben bleiben, so dass auch hier dem Gebot der personellen und fachlichen Kompetenz der Mitglieder – sachnotwendig – hoher Rang zukommen muss. Dies spricht – wie im gesetzlichen Regelfall der Bestimmung der Mitglieder des Wirtschaftsausschusses gem. § 107 Abs. 2 Satz 1 BetrVG – für eine Bestimmung der einzelnen Ausschussmitglieder im Wege der Mehrheitswahl bzw.

1182 So im Ergebnis auch DKK-Däubler § 107 Rdnr. 19; GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 24 („das BetrVG etabliert keinen Minderheitenschutz“); Löwisch/Kaiser § 107 Rdnr. 7. 1183 So DKK-Däubler § 107 Rdnrn. 18 f.; ErfK-Kania § 107 Rdnr. 5; Fitting § 107 Rdnr. 13; Galperin/Löwisch § 107 Rdnrn. 10 f.; GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 25; HSWG-Hess § 107 Rdnr. 16; Joost MünchArbR § 319 Rdnr. 13; Löwisch/Kaiser § 107 Rdnr. 7; Richardi-Richardi/Annuß § 107 Rdnr. 13. 1184 Aufgrund der in § 107 Abs. 3 Satz 6 Halbsatz 2 BetrVG angeordneten entsprechenden Anwendung des § 107 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist für den Übertragungsbeschluss im Gesamtbetriebsrat die absolute Mehrheit erforderlich, wobei hinsichtlich der Stimmenzahl § 47 Abs. 7 bis 9 BetrVG anzuwenden ist, siehe GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 55; Löwisch TK § 107 Rdnr. 2; Richardi-Richardi/Annuß § 107 Rdnr. 41.

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des Mehrheitsbeschlusses, und gegen eine Wahl mit der Maßgabe minderheitsschützenden Verhältniswahlrechts. Auch der gesetzgeberische Zweck dieser Regelung spricht nicht zwingend dafür, den Minderheitenschutz in diesem Falle greifen zu lassen: Der Gesetzgeber wollte mit der Möglichkeit der Übertragung der Aufgaben des Wirtschaftsausschusses auf einen Ausschuss des Betrieb- oder Gesamtbetriebsrats nur die Anpassung an etwaige besondere Verhältnisse in den einzelnen Unternehmen ermöglichen1185. Hintergrund dieser gesetzgeberischen Überlegung war die Feststellung der Mitbestimmungskommission, dass sich in vielen Unternehmen eine direkte Kooperation zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat entwickelt hatte, so dass sich häufig die Bildung eines Wirtschaftsausschusses erübrigt, oder dessen Tätigkeit faktisch kein besonderes Gewicht mehr hatte1186. II. Beschluss nach § 107 Abs. 3 Satz 1 BetrVG als Entscheidung des Betriebsrats für die Unterstellung unter die allgemeinen Maßgaben an die Besetzung von Ausschüssen Andererseits sprechen diese gesetzgeberischen Erwägungen auch nicht gegen eine Sicht des Erfordernisses der Wahl der Ausschussmitglieder, dies mit der Konsequenz der analogen Anwendung der §§ 27, 28 BetrVG und dem dort verankerten Minderheitenschutz. Denn das Gesetz überantwortet mit der Möglichkeit der Übertragung der Aufgaben des Wirtschaftsausschusses auf einen Ausschuss des Betriebsrats dem Betriebsrat die Einschätzung dahingehend, ob er die personelle und sachliche Kompetenz der Mitglieder bei betriebsratsexternen Personen oder bei seinen Mitgliedern selbst sieht. Geht er aber davon aus, keine zusätzliche externe Kompetenz zu benötigen, so stellt er die Aufgaben des Wirtschaftsausschusses entgegen dem Regelfall des § 107 Abs. 1, 2 Satz 1 BetrVG zurück unter das ansonsten bei der Bestimmung seiner Gremien geltende Maß. Und dieses Maß ist jenes der Verhältniswahl. Denn ginge er davon aus, dass nur einige wenige bzw. ganz bestimmte Betriebsratsmitglieder personell und fachlich für die Aufgabenbewältigung geeignet wären, so könnte er diese Einschätzung durch deren Bestimmung gem. § 107 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 zu Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses zum Tragen bringen. Sind die Aufgaben des Wirtschaftsausschusses dementgegen aber aus eigener Kraft des Betriebsrats zu bewältigen, so kommt dem Gesichtspunkt der besonderen fachlichen und personellen Eignung nach Einschätzung des Betriebsrats selbst kein so entscheidendes und zwischen den Betriebsratsmitgliedern differenzierendes 1185 Begründung des RegE, BT-Drucks. VI/1786, S. 54; ErfK-Kania § 107 Rdnr. 15; Dietz/Richardi § 107 Rdnr. 24; HSWG-Hess § 107 Rdnr. 32; Richardi-Richardi/ Annuß § 107 Rdnr. 34. 1186 BT-Drucks. VI/334, S. 51 ff.; Dietz/Richardi § 107 Rdnr. 24; HSWG-Hess § 107 Rdnr. 32; Richardi-Richardi/Annuß § 107 Rdnr. 34.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

Gewicht mehr zu, das eine Ausschaltung des Minderheitenschutzes bei der Ausschussbesetzung noch rechtfertigen könnte. Im Ergebnis sind die Mitglieder eines solchen den Wirtschaftsausschuss ersetzenden Ausschusses des Betriebsrats deshalb entsprechend §§ 28 Abs. 1, 27 Abs. 1 Satz 3 BetrVG im Wege der Verhältniswahl zu wählen1187. Für deren Abberufung gelten dann ebenfalls die minderheitenschützenden Regeln der §§ 28 Abs. 1 Satz 2, 27 Abs. 1 Satz 5 BetrVG. Dies ist einerseits systemlogische Konsequenz der Anwendung des Verhältniswahlrechts auf die Wahl des „Ersatzausschusses“, und steht andererseits auch nicht in Widerspruch zu § 107 Abs. 2 Satz 3 BetrVG, der die jederzeitige Abberufung mit Mehrheitsbeschluss ermöglicht. Denn diese Regelung ist speziell auf die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses bezogen; demgegenüber handelt es sich bei einem Ausschuss nach § 107 Abs. 3 Satz 1 BetrVG eben nicht um den Wirtschaftsausschuss, sondern um einen „normalen“ Ausschuss nach § 28 BetrVG1188. Dieses Ergebnis wird auch durch die sog. „Kooptationsmöglichkeit“ des § 107 Abs. 3 Satz 3 BetrVG bestätigt: Der Betriebsrat hat mit dieser Vorschrift die Möglichkeit eröffnet bekommen, eventuelle Defizite in der Sachkunde der Mitglieder des Ausschusses durch die Hinzuwahl von Personen außerhalb des Betriebsrats auszugleichen. Wegen dieser Möglichkeit besteht also noch weniger die Notwendigkeit oder Rechtfertigung dafür, die Grundsätze des Verhältniswahlrechts unter Berufung auf die im Vordergrund stehende Sachkompetenz der zu wählenden Ausschussmitglieder zu durchbrechen – weil diese Sachkompetenz noch durch „externe Aufstockung“ des Ausschusses in jedem Falle sichergestellt werden kann. Im Hinblick auf die Übertragung der Aufgaben auf einen Ausschuss des Gesamtbetriebsrats gem. § 107 Abs. 3 Satz 6 BetrVG gilt das oben allgemein zu Ausschüssen des Gesamtbetriebsrats Ausgeführte1189, so dass auch in diesem Falle die Regeln der Verhältniswahl anzuwenden sind.

1187 So auch ErfK-Kania § 107 Rdnr. 16; DKK-Däubler § 107 Rdnr. 35; GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 48 m.w. N., 54; Löwisch TK § 107 Rdnr. 5; Löwisch/Kaiser § 107 Rdnr. 11; Richardi-Richardi/Annuß § 107 Rdnr. 38; wohl auch Halberstadt § 107 Rdnr. 8; unklar Weiss/Weyand § 107 Rdnr. 13; differenzierend Fitting § 107 Rdnr. 36 (Verhältniswahl nur dann, wenn der Betriebsausschuss oder ein Ausschuss nach § 28 BetrVG die Aufgaben des Wirtschaftsausschusses zusätzlich übernimmt, zweifelnd aber für den Fall der alleinigen Aufgabenwahrnehmung durch einen Ausschuss des Betriebsrats, weil dann wieder die fachliche und persönliche Qualifikation im Vordergrund stehe). 1188 Unzutreffend deshalb Fitting § 107 Rdnr. 36. 1189 Siehe oben 4. Kap. § 21; hiergegen aber insbesondere Fitting § 107 Rdnr. 36.

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C. Umgehung des Minderheitenschutzes durch Kooptationsmöglichkeit gem. §§ 107 Abs. 3 Satz 3 BetrVG? Nach § 107 Abs. 3 Satz 3 hat der Betriebsrat die Möglichkeit, durch Mehrheitsbeschluss weitere Arbeitnehmer oder leitende Angestellte in den nach § 107 Abs. 3 Satz 1 BetrVG gebildeten Ausschuss zu berufen („Kooptation“). Strukturell gesehen könnte diese Kooptationsmöglichkeit als Möglichkeit der Umgehung des gesetzlichen Minderheitenschutzes interpretiert werden, weil mit ihr gleichwertige Ausschussmitglieder1190 durch die Betriebsratsmehrheit „an den Regeln der Verhältniswahl vorbei“ bestellt werden können1191. Allerdings ist zu bedenken, dass die Kooptationsmöglichkeit des § 107 Abs. 3 Satz 3 BetrVG erkennbar das gesetzlich legitime Ziel hat, dem Ausschuss zusätzliche Sachkompetenz durch Personen außerhalb des Betriebsrats nutzbar zu machen1192. Insofern handelt es sich um eine „WA-spezifische Einrichtung“ des Betriebsverfassungsgesetzes1193, für die insbesondere der Rechtsgedanke der „Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen“ nicht durchschlagend zum Zuge kommen muss. Der Minderheitenschutz durfte an dieser Stelle deshalb vom Gesetzgeber gegenüber diesem als besonders wichtig eingeschätzten Sachgesichtspunkt der Inanspruchnahme externer Expertise mit Nachrang ausgestaltet werden1194. Diese Überlegungen greifen aber dann nicht durch, wenn Mitglieder des Betriebsrats selbst kooptiert werden sollen – diese Möglichkeit wird verbreitet als zulässig angesehen1195. Denn zum einen entspricht eine solche Kooptation nicht dem Sinn der Vorschrift, dem Ausschuss Sachverstand von außerhalb des Betriebsrats zuzuführen1196. Zum anderen bedeutet eine solche Kooptation aber auch eine klare Umgehung des Minderheitenschutzes. Denn es ist denkbar, dass die Betriebsratsmehrheit die Zahl der Ausschussmitglieder per Mehrheitsbe1190 Den kooptierten Mitgliedern stehen die gleichen Rechte und Pflichten wie den regulären Betriebsratsmitgliedern zu, siehe dazu Fitting § 107 Rdnr. 35; GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 54; Richardi-Richardi/Annuß § 107 Rdnr. 40; unklar Weiss/ Weyand § 107 Rdnr. 13. 1191 Strukturelle Verwandtschaft besteht mit der oben, 4. Kap. § 13, untersuchten Fallkonstellation, bei der mit im Wege des Mehrheitsbeschlusses verabschiedeten Geschäftsordnung Betriebsratsvorsitzender und Stellvertreter in den weiteren Ausschüssen nach § 28 BetrVG „gesetzt“ werden und somit die Zahl der im Wege der Verhältniswahl zu wählenden Ausschussmitglieder zu Lasten der Minderheit verringert werden sollen. 1192 ErfK-Kania § 107 Rdnr. 16; Fitting § 107 Rdnr. 35; HSWG-Hess § 107 Rdnr. 35; Joost MünchArbR § 319 Rdnrn. 16, 1. 1193 DKK-Däubler § 107 Rdnr. 38. 1194 So im Ergebnis DKK-Däubler § 107 Rdnr. 38; Fitting § 107 Rdnr. 36. 1195 So Fitting § 107 Rdnr. 35; GK-Fabricius/Oetker § 107 Rdnr. 52; Joost MünchArbR § 319 Rdnr. 16; Richardi-Richardi/Annuß § 107 Rdnr. 39; Rumpff/Boewer, S. 223.

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4. Kap.: Die Verwirklichung des effektiven Grundrechtsschutzes

schluss formell so niedrig bemisst, dass die Minderheit im Betriebsrat keine Chance auf einen Sitz erhält, sie dann aber im Wege der Kooptation die Zahl der Ausschussmitglieder aus dem Kreise der Betriebsratsmitglieder mittelbar doch so hoch ansetzt, dass bei einer Wahl im Wege des Verhältniswahlmodus die Minderheit hätte zum Zuge kommen müssen. Hier liegt die Annahme einer Umgehung des Minderheitenschutzes so nahe, dass vom Verbot der Kooptationsmöglichkeit eines Betriebsratsmitglieds jedenfalls dann auszugehen ist, wenn dieses nicht der Minderheit im Betriebsrat angehört, oder aber diese Minderheit nicht im Ausschuss vertreten ist, und die Kooptation des Betriebsratsmitglieds sich rechnerisch als Möglichkeit der Vereitelung von Minderheitenchancen erweist1197.

§ 29 Die tarifliche Betriebsverfassung im Flugbetrieb von Luftfahrtunternehmen (§ 117 Abs. 2 BetrVG) Nach § 117 Abs. 2 BetrVG kann für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen durch Tarifvertrag eine Vertretung errichtet werden1198. Spezifische Bedeutung für die Minderheitsgewerkschaften besteht bei dieser Regelung in mehrfacher Hinsicht: Zunächst werden dann, wenn die Mehrheitsgewerkschaft eine solchen Tarifvertrag abschließt, auch die Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft von diesem Tarifvertrag erfasst. Man kann deshalb davon sprechen, dass auf diese Weise zu Lasten der Nicht- oder Andersorganisierten ein gewillkürter Zwangsverband durch die Mehrheitsgewerkschaft geschaffen werden kann – was mit den sich hieraus ergebenden legitimatorischen Problemen verbunden ist1199. 1196 So Galperin/Löwisch § 107 Rdnr. 33: Die Vorschrift wolle nur, dass die im Betriebsrat nicht vorhandene Sachkunde anderer Arbeitnehmer für die Tätigkeit des Betriebsrats nutzbar gemacht werden könne. 1197 Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch noch, dass der so verstandene Minderheitenschutz dadurch umgangen werden kann, dass die Betriebsratsmehrheit gem. § 107 Abs. 3 Satz 5 BetrVG mit Mehrheitsbeschluss jederzeit die Aufgabenübertragung auf den Ausschuss nach § 107 Abs. 3 Satz 1 BetrVG wieder rückgängig machen und damit jedem Minderheitenschutz wieder bereits im Ansatz den Boden entziehen kann. Dies ist allerdings hinzunehmen: Es greifen dann nämlich wieder die Überlegungen zum Nachrang des Minderheitenschutzes im Regelfall der Bestimmung der Mitglieder des Wirtschaftsausschusses, siehe oben 4. Kap. § 28 A.; es muss der Betriebsratsmehrheit grundsätzlich die Möglichkeit überlassen bleiben, ihre Einschätzung einer sinnvollen Aufgabenbewältigung auch wieder zu revidieren und auf die Einrichtung eines förmlichen Wirtschaftsausschusses einzuschwenken. Grenze ist natürlich auch hierfür das allgemeine und – allerdings schwer darzulegende und zu beweisende – Verbot des Rechtsmissbrauchs. 1198 Nach ErfK-Kania § 117 Rdnr. 2 bestehen momentan über zehn solcher Tarifverträge; siehe Einzelheiten bei DKK-Däubler § 117 Rdnrn. 15 ff. und GK-Wiese § 117 Rdnrn. 10 ff.; GK-Wiese 6. Auflage § 117 Rdnr. 6. Aufl. Rdnr. 10.

§ 29 Die tarifliche Betriebsverfassung im Flugbetrieb

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Das oben erwähnte Problem der Ermöglichung „manipulativen Strukturzuschnitts“ aufgrund organisationspolitischer Interessen der tarifschließenden Gewerkschaft1200 wird für den vorliegenden Zusammenhang ganz besonders anschaulich, wenn man die extreme Gruppenbildung geltender Tarifverträge betrachtet: Däubler1201 verweist in diesem Zusammenhang auf die Regelung im TV Personalvertretung (Lufthansa/Condor)1202, derzufolge sechs selbständige Gruppenvertretungen mit unterschiedlicher Zahl von Mandatsträgern gewählt werden müssen (Kapitäne, Copiloten, Fluglehrer, Flugingenieure, Pursetten/Purser, Stewardessen/Steward), die ihrerseits dann die Gesamtvertretung bilden1203. Diese Regelungen führen zu dem Ergebnis, dass die Mitglieder des Cockpits das gleiche Stimmengewicht haben, wie die acht bis zehn mal größere Gruppe des Kabinenpersonals. Mussgnug1204 hat außerdem zutreffend darauf hingewiesen, dass die als Tarifvertragspartei vom Arbeitgeber bevorzugten Gewerkschaften1205 das fliegende Personal fester an sich binden können als ihre Konkurrenzgewerkschaften, denen die Arbeitgeber die direkte Teilnahme an den Verhandlungen über die Mitbestimmungsverträge verweigern. Damit steht die Verfassungsmäßigkeit des § 117 Abs. 2 BetrVG als zu untersuchendes Problem im Raum.

A. Verfassungswidrigkeit unter dem Aspekt der Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG? Die Verfassungsmäßigkeit des § 117 Abs. 2 BetrVG wird im Schrifttum vor allem unter dem allgemeinen Aspekt der Herausnahme des fliegenden Personals aus dem persönlichen Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes, mithin unter dem Aspekt einer möglichen Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 des GG diskutiert1206. Die Herausnahme des Flugpersonals aus der Be-

1199 So schon allgemein zum Bereich des § 3 Abs. 1 Nrn. 1–3 BetrVG Löwisch/ Rieble TVG § 1 Rdnr. 139. 1200 Siehe bereits oben 4. Kap. § 2. 1201 DKK-Däubler § 117 Rdnr. 15. 1202 TV Personalvertretung für das Bordpersonal vom 15.11.1972 i. d. F. des TV vom 25.06.1976 und TV vom 29.10.1980. 1203 Siehe hierzu detailliert und umfassend auch Schmitt Handbuch BV, S. 129 (S. 136 ff.). 1204 Mussgnug FS Duden, S. 335 (S. 337). 1205 Dies dürften regelmäßig die durchsetzungsstärkeren Mehrheits-, nicht die Minderheitsgewerkschaften sein; siehe zur gewerkschaftliche Konkurrenzsituation in der Luftfahrt Schmitt Handbuch BV, S. 129 (S. 131 f.), der die These aufstellt, dass die Gewerkschaft ÖTV und die DAG (heute ver.di, Anm. d. Verf.) die mit der Erstarkung der Vereinigung Cockpit e. V. für die Kabine eingetretene Partikularentwicklung auf Dauer kaum hinnehmen werden.

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triebsverfassung wird dabei aber weit verbreitet als dem Gebot des Gleichheitssatzes entsprechend angesehen: Unter Bezugnahme auf die Begründung des Gesetzes1207 wird auf die besondere, nicht ortsgebundene Tätigkeit des Flugpersonals verwiesen, welche die Errichtung von gesetzlichen Betriebsräten erschwere1208und die effektive Zusammenarbeit mit dem Bodenpersonal stark behindere1209. Außerdem ergäben sich auch Schwierigkeiten aus dem gesetzlichen Zwang, für den Erhalt oder die Erneuerung luftverkehrsrechtlicher Erlaubnisse einer fliegerischen Tätigkeit nachgehen zu müssen1210, was insbesondere im Hinblick auf die Freistellungsregelung des § 38 BetrVG bedeutsam sei1211. Damit wird im Ergebnis also davon ausgegangen, dass die sachlichen Besonderheiten in der Arbeitnehmergruppe des fliegenden Personals den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine verfassungsmäßige Differenzierung zwischen Normadressaten entsprechen: Das Bundesverfassungsgericht erlaubt eine solche Differenzierung (nur) dann, wenn Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie der regelmäßig strengen Bindung des Gesetzgebers bei der unterschiedlichen Behandlung von Personen entspricht1212. Das Bundesarbeitsgericht hat sich den Auffassungen im Schrifttum mit der gleichen Begründung angeschlossen1213.

1206 Siehe dazu insbesondere DKK-Däubler § 117 Rdnrn. 4 ff.; Fitting § 11 Rdnr. 8; Grabherr NZA 88, 532 ff.; Schmitt Handbuch BV, S. 129 (S. 133 ff.); Mussgnug FS Duden, S. 335 (S. 342 ff.); leicht zweifelnd im Hinblick auf eine (noch) vorhandene Rechtfertigung der Herausnahme des Flugpersonals aus der Betriebsverfassung auch Schmid/Sarbinowski NZA-RR 03, 113 (121). 1207 Begründung zum RegE, BT-Drucks. VI/1786, S. 58. 1208 ErfK-Kania § 117 Rdnr. 1; Fitting § 117 Rdnr. 8; GK-Wiese § 117 Rdnr. 6; Halberstadt § 117 Rdnr. 2; HSWG-Hess § 117 Rdnrn. 3, 6; Joost MünchArbR § 321 Rdnr. 121; Richardi-Richardi/Thüsing § 117 Rdnrn. 1 f.; Schmid/Sarbinowski NZARR 03, 113 (120 f.); Schmitt Handbuch BV, S. 129 (S. 135); wohl auch Weiss § 117 Rdnr. 2. 1209 Halberstadt § 117 Rdnr. 2; in diesem Sinne auch Mussgnug FS Duden, S. 335 (S. 341): „Die Vertreter des Bodenpersonals müssten permanent auf die Terminnot ihrer fliegenden Kollegen Rücksicht nehmen“; siehe dazu auch Schmid/Roßmann Rdnrn. 509 ff.; Spinner, S. 149 f.; Wißmann, S. 64 f. 1210 Fitting § 117 Rdnr. 8; Mussgnug FS Duden, S. 335 (S. 340). 1211 Mussgnug FS Duden, S. 335 (S. 340); dies anerkennt auch Grabherr NZA 88, 532 (533). 1212 Siehe statt vieler nur BVerfG v. 11.01.1995 – 1 BvR 892/88 = AP Nr. 209 zu Art. 3 GG Gründe C. I. 1.; v. 07.10.1980 – 1 BvL 50, 89/79 = NJW 81, 271 f. (st.Rspr.); dazu auch Jarass/Pieroth Art. 3 Rdnrn. 18 ff.; Schmidt/Bleibtreu Art. 3 Rdnrn. 13 c ff. m.w. N. zur Rspr. d. BVerfG. 1213 BAG v. 13.10.1981 – 1 ABR 35/79 = AP Nr. 1 zu § 117 BetrVG 1972 Gründe B. II. 1.; v. 05.11.1985 – 1 ABR 56/83 = AP Nr. 4 zu § 117 BetrVG 1972 Gründe II. 2.; v. 20.02.2001 – 1 ABR 27/00 = AP Nr. 6 zu § 117 BetrVG 1972 Gründe B. II. 1.

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Eine Verletzung des Gleichheitssatzes und damit eine verfassungswidrige Herausnahme des Flugpersonals aus den gesetzlichen Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes wird demgegenüber mit Blick auf die Arbeitnehmer der Seeschiffahrt, die Fernfahrer und andere Außendienstmitarbeiter gesehen. Auch hier seien nämlich die gleichen mit der Ortsungebundenheit verbundenen Schwierigkeiten vorhanden, gleichwohl seien diese Arbeitnehmer nicht von der gesetzlichen Betriebsverfassung ausgenommen worden1214. Diese Differenzierung auch innerhalb der Gruppe der nicht ortsgebundenen Arbeitnehmer1215 sei allenfalls im Hinblick auf die luftverkehrsrechtlichen Vorgaben für diejenigen Arbeitnehmer sachgerecht, denen bei Nichteinhaltung der Mindestflugzeiten der Verlust der Fluglizenz drohe1216. Die letztgenannte Auffassung hat angesichts der Tatsache, dass das Problem der mangelnden Ortsgebundenheit bei weitem nicht auf den Bereich der Luftfahrt beschränkt ist, viel für sich. Es ist deshalb letztlich nicht (mehr)1217 plausibel, warum es unmöglich sein sollte, wie in jenen Bereichen auch, eine Interessenvertretung zu organisieren, welche das Boden- und das Bordpersonal integrieren kann1218. Däubler1219 hat in diesem Zusammenhang zusätzlich den nachvollziehbaren Verdacht geäußert, dass die Herausnahme des fliegenden Personals aus dem Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes unausgesprochen auch dem besonderen sozialen Status und den vergleichsweise guten Arbeitsbedingungen dieser Arbeitnehmergruppe geschuldet gewesen sein dürfte – und dass diese motivatorische Unterlegung des § 117 Abs. 2 BetrVG angesichts der geänderten tariflichen und wirtschaftlichen Bedingungen im Luftverkehrsbereich heute kaum noch tragfähig sein könne1220. An der Verfassungsmä-

1214 DKK-Däubler § 117 Rdnrn. 2, 4 ff.; Grabherr NZA 88, 532 (533); kritisch auch Friese, S. 279 (Fn. 516). 1215 Diese Differenzierung hält Mussgnug FS Duden, S. 335 (S. 340 ff.) im Hinblick auf das Cockpitpersonal wegen der Mindestflugzeiten und im Hinblick auf das Kabinenpersonal wegen der besonderen Arbeitszeiten grundsätzlich für angebracht; was allerdings nur Abweichungen von der Betriebsverfassung im organisatorisch-verfahrensmäßigen Bereich, nicht aber bei der materiellen Mitbestimmung rechtfertigen könne; deshalb bestehe für die Tarifpartner ein diesbzgl. Zwang zur Errichtung einer tariflichen Betriebsverfassung gem. § 117 Abs. 2 BetrVG. 1216 So Grabherr NZA 88, 532 (533) mit Hinweis auf die Freistellungsregel des § 38 BetrVG. 1217 Zur rechtshistorischen Entwicklung des betriebsverfassungsrechtlichen „Sonderbereichs“ Luftverkehr siehe Grabherr NZA 88, 532; Schmitt Handbuch BV, S. 129 (S. 130). 1218 So auch Schmid/Sarbinowski NZA-RR 03, 113 (121. 1219 DKK-Däubler § 117 Rdnr. 2. 1220 Solche Erwägungen des Gesetzgebers müssten damit jedenfalls heute wohl als sachfremd und damit als willkürlich angesehen werden, weil sie den strengen Bindungen des Gesetzgebers an eine Verschiedenbehandlung von Personengruppen nicht entsprechen können; siehe dazu allgemein Schmidt/Bleibtreu Art. 3 Rdnrn. 13 c ff.

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ßigkeit des § 117 Abs. 2 BetrVG sind deshalb unter dem Aspekt der Verletzung des Gleichheitssatzes des Grundgesetzes ganz erhebliche Zweifel angebracht.

B. Weitere Aspekte einer möglichen Verfassungswidrigkeit Giesen1221 kommt – wie schon im Hinblick auf §§ 3 Abs. 1 und 76 Abs. 8 BetrVG – auch im Hinblick auf § 117 Abs. 2 BetrVG zu dem Ergebnis, dass in Ermangelung der Erfüllung der verfassungsrechtlichen Konkretisierungserfordernisse diese Vorschrift verfassungswidrig ist. Der ganz allgemein und offen gehaltene § 117Abs. 2 BetrVG könne im Hinblick auf die Erfassung der Außenseiter – zu ergänzen ist: respektive der bei der Minderheitsgewerkschaft Organisierten – keine Legitimationsgrundlage für die staatliche Normsetzungsdelegation darstellen. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts1222 merkt er zudem an, dass diese nicht die Wirkungsweise des § 117 Abs. 2 BetrVG im Hinblick auf die Außenseiter zum Gegenstand gehabt habe, sondern sich nur mit der Frage der Zulässigkeit der Ungleichbehandlung von Boden- und fliegendem Personal beschäftigen musste1223. Dieser Auffassung ist zuzustimmen: § 117 Abs. 2 BetrVG beschränkt sich alleine darauf, nur seinen Anwendungsbereich zu formulieren. Die Ausgestaltung der Errichtung der Vertretung, deren Zuständigkeit und Regelungsbefugnisse bleiben völlig offen1224. Auch die Herstellung von Legitimation durch ein behördliches Zustimmungserfordernis, welches als Inkorporation der Tarifinhalte in den Willen des Staates parlamentarische Letztverantwortung für die Normunterwerfung der Außenseiter herstellen könnte1225, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Stattdessen hat der Gesetzgeber das ehedem gem. § 117 Abs. 2 HS 2 BetrVG a. F. bestehende Genehmigungserfordernis1226 als „Folgeänderung aufgrund der Neufassung des § 3“1227 in der Sache begründungslos mit der Be1221

Giesen, S. 326 ff. BAG v. 13.10.1981 – 1 ABR 35/79 = AP Nr. 1 zu § 117 BetrVG 1972 Gründe B. II. 1.; v. 05.11.1985 – 1 ABR 56/83 = AP Nr. 4 zu § 117 BetrVG 1972 Gründe II. 2.; v. 20.02.2001 – 1 ABR 27/00 = AP Nr. 6 zu § 117 BetrVG 1972 Gründe B. II. 1. 1223 Giesen, S. 326. 1224 Giesen, S. 327. 1225 Dieses wird auch von Rieble RdA 93, 140 (144) im Hinblick auf die Außenseiter ausdrücklich als für die Verfassungsmäßigkeit des § 117 Abs. 2 BetrVG entscheidend angesehen; siehe dazu allgemein bereits ausführlich oben 4. Kap. § 2 C. III.; IV. 3. 1226 Das Genehmigungserfordernis bezog sich allerdings auch seinerzeit alleine auf das Übergreifen tariflich geschaffener Vertretungen auf die Betriebsräte des Bodenpersonals wegen der hiermit verbundenen organisatorischen Probleme, siehe dazu Fitting 18. Auflage § 117 Rdnr. 3; S. Giesen, 326 (Fn. 178), S. 327, S. 328 (Fn. 185); Grabherr NZA 88, 532 (534); GK-Wiese § 117 Rdnr. 14; Weiss § 117 Rdnr. 8; vgl. dazu auch BAG v. 14.10.1986 – 1 ABR 13/85 = AP Nr. 5 zu § 117 BetrVG 1972 Gründe B. II. 4. 1222

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triebsverfassungsnovelle 2001 abgeschafft. Damit ist endgültig die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des § 117 Abs. 2 BetrVG in dem Sinne, dass das Zustimmungserfordernis gem. § 117 Abs. 2 Satz 2 HS 2 BetrVG a. F. über den Wortlaut hinaus auf alle Tarifverträge über die Bildung von Vertretungen für das Personal im Flugbetrieb bezogen werden könnte1228, ausgeschlossen worden1229. Dass das oben als für die tarifvertragliche Gestaltung von betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen unbedingt als notwendig angesehene Zustimmungserfordernis im vorliegenden Zusammenhang nicht nur im Hinblick auf die Außenseiter-Arbeitnehmer, sondern auch unter dem Gesichtspunkt des gewerkschaftlichen Minderheitenschutzes höchst praktische Bedeutung hat bzw. hätte, veranschaulicht das von Däubler1230 zu Recht problematisierte existierende und Minderheitskoalitionen damit benachteiligende tarifliche Quorum von einem Zehntel der Wahlberechtigten einer Gruppe1231 für die Aufstellung eines Wahlvorschlags der Arbeitnehmer1232: Diese Regelung hätte angesichts der eindeutigen diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei einem vorgeschalteten behördlichen Genehmigungserfordernis wohl keine Chance mehr darauf, in Geltung gesetzt werden zu können1233. Im Hinblick auf diese Legitimationsdefizite mag es zwar technisch denkbar sein, ausschließlich die organisierten Arbeitnehmer den Regelungen der Tarifverträge nach § 117 Abs. 2 BetrVG zu unterwerfen. Damit würde nur für diese ein betriebsverfassungsrechtlicher Verbund geschaffen. Das im Rahmen von § 3 Abs. 1 BetrVG bestehende Problem der Schaffung eines durch Tarifvertrag gewillkürten, und damit für Nicht- oder Andersorganisierte legitimationslosen Zwangsverbandes durch Tarifvertrag1234, könnte damit umgangen werden. Allerdings würde dies so elementar von den Grundprinzipien des Betriebsverfassungsgesetzes abweichen, dass von dieser Möglichkeit ohne diesbezügliche Anhaltspunkte im Gesetz nicht ausgegangen werden kann1235. 1227 1228

BT-Drucks. 14/5741, S. 53. In diesem Sinne seinerzeit Spinner, S. 150 f.; wohl auch Rieble RdA 93, 140

(144). 1229

Giesen, S. 328. DKK-Däubler § 117 Rdnr. 17. 1231 Gemeint sind die Gruppen: Kapitäne, Copiloten, Fluglehrer, Flugingenieure, Pursetten/Purser, Stewardessen/Stewards, siehe dazu DKK-Däubler § 117 Rdnr. 15 ff.; Schmitt Handbuch BV, S. 129 (S. 136 f.). 1232 Dazu oben ausführlich 4. Kap. § 3 A. 1233 Eine behördliche Zustimmung hätte sich übrigens auch mit dem Problem der rechtlichen Zulässigkeit der extremen tariflichen Differenzierung nach Beschäftigtengruppen und der hiermit verbundenen Verzerrung des Erfolgswerts von Stimmen auseinander zusetzen; DKK-Däubler spricht hier vom fünf- bis zehnfachen Erfolgswert der Stimme eines Flugkapitäns im Verhältnis zur Stimme einer Stewardess; die Unvereinbarkeit mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl ist hier mit Händen greifbar; zweifelnd auch Schmitt Handbuch BV, S. 129 (S. 140). 1234 Siehe dazu oben 4. Kap. § 2 C. III. f. 1230

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Außerdem wäre eine solche Auslegung auch unter einem weiteren Gesichtspunkt angreifbar: Der Druck auf Nicht- oder Andersorganisierte zum Beitritt zur tarifschließenden Mehrheitsgewerkschaft würde alleine deren Koalitionsgrundrecht effektivieren1236. Damit geriete die Ermöglichung der Errichtung tariflicher Vertretung gem. § 117 Abs. 2 BetrVG in bedenkliche Nähe zur verbotenen staatlichen Erfolgsverschaffung1237 zugunsten der Mehrheitsgewerkschaften. Damit aber würde der bereits im Koalitionsgrundrecht selbst angelegte Koalitionspluralismus durch staatliche Ausgestaltung torpediert werden. Im Ergebnis ist § 117 Abs. 2 BetrVG deshalb als verfassungswidrig anzusehen.

C. Folgeproblem: Völliger Ausfall der betriebsverfassungsrechtlichen Vertretung für das fliegende Personal? Dieser Sicht des § 117Abs. 2 BetrVG als einer verfassungswidrigen Vorschrift könnte – rechtspraktisch gesehen – der Vorhalt gemacht werden, dass in Konsequenz dieser Sichtweise die Arbeitnehmer im Flugbetrieb überhaupt nicht mehr in der Lage wären, eine Vertretung in Mitbestimmungsangelegenheiten zu erlangen. Indessen ist diese Folge einer Verfassungswidrigkeit des § 117 Abs. 2 BetrVG nicht zwingend: Denkbar – und am ehesten wahrscheinlich – wäre bei der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 117 Abs. 2 BetrVG durch das Bundesverfassungsgericht unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes nämlich die übergangsweise Tolerierung des Gesetzes bis zur Herstellung eines nach den Auflagen des Gerichts verfassungsmäßigen Zustands durch den Gesetzgeber1238. Denn es ist kaum zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht bei festgestellter Verfassungswidrigkeit einen vertretungslosen Zustand eintreten lassen würde, der noch weiter von einer verfassungskonformen Lösung entfernt wäre1239.

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Giesen, S. 328. Dieser faktische Druck bestünde darin, dass Arbeitnehmer regelmäßig ein Interesse daran haben dürften, von den Wirkungen auch einer gewillkürten betriebsverfassungsrechtlichen Organisation erfasst zu werden. 1237 Hierzu siehe oben 2. Kap. § 1 F. IV. 2. e). 1238 Siehe in jüngster Zeit BVerfG v. 12.10.2004 – 1 BvR 2130/98 (Verfassungsmäßigkeit des Quorums für die Wahl der Delegierten bei Aufsichtsratswahlen DB AG) = AP Nr. 2 zu § 12 MitbestG.; das BVerfG hat hier trotz Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Quorums die Vorschrift für längstens bis 31.12.2005 anwendbar erklärt und den Gesetzgeber diesbzgl. zur Neufassung des Gesetzes angehalten. 1239 DKK-Däubler § 117 Rdnr. 6; in diese Richtung auch Grabherr NZA 88, 532 (534). 1236

Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse der Untersuchung – Die Stellung der Minderheitsgewerkschaften und ihrer Vertreter in der Betriebsverfassung, und darüber hinaus im gesamten Bereich des Mitbestimmungssektors ist zunehmend Gegenstand der Auseinandersetzung in Literatur und Rechtsprechung. Dabei steuern zentrale Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zunehmend auch die Rechtsprechung der Instanzgerichte. Zwar wird dem Schutzbedürfnis der Minderheitsgewerkschaften in der Rechtsprechung nicht immer der ihm gebührende Rang eingeräumt – jedenfalls aber sieht sich die Rechtsprechung zunehmend dazu gezwungen, sich in ihrer Entscheidungspraxis mit den verfassungsrechtlichen Aspekten des Minderheitenschutzes auseinanderzusetzen. – Die „Gewerkschaftslandschaft“ in Deutschland stellt sich als wesentlich deutlicher ausdifferenziert dar, als es allgemein in der öffentlichen Wahrnehmung zur Kenntnis genommen wird. Neben den großen Mehrheitsgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes finden sich viele kleinere Gewerkschaften. Diese Minderheitsgewerkschaften befinden sich – allerdings auf vergleichsweise niedrigem Niveau – in einem mitgliedschaftlichen Aufwärtstrend, während die großen Gewerkschaften in besonderer Weise vom Mitgliederschwund betroffen sind. – Diese Tendenzen lassen (auch) den Schluss zu, dass die Arbeitnehmerschaft zunehmend dienstleistungsorientierte Ansätze favorisiert, und dass die pointierte Inanspruchnahme eines allgemeinpolitischen Mandats durch die Gewerkschaften vor allem des Deutschen Gewerkschaftsbundes zunehmend an Attraktivität verliert. – Der „Mitgliedermarkt“ wird insgesamt enger. Korrespondierend hierzu wird die gewerkschaftliche Konkurrenz um Mitglieder und um programmatische Inhalte härter. Die gewerkschaftliche Konkurrenz schlägt sich innerhalb der betrieblichen Mitbestimmung auch durch heftige Auseinandersetzungen nieder – vor allem im Bereich der Selbstorganisation und der Mandatsverteilung in den betriebsverfassungsrechtlichen Gremien. – Gewerkschaftliche Konkurrenz fungiert als Freiheitsgewähr des Einzelnen gegenüber den gewerkschaftlichen Kollektivmächten. Es ist deshalb notwendig, neben der Perspektive des Machtungleichgewichts zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber auch die Perspektive des Schutzbedürfnisses des Einzelnen gegenüber den Gewerkschaften im Betrieb zu erkennen.

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Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse

– Die kollektive Koalitionsfreiheit ist ihrem Wesen nach nicht delegataristisch, sondern vielmehr als der Privatautonomie der Koalitionsmitglieder zugehörig einzuordnen. Der Pluralismus der Koalitionen ist von vorneherein dem Koalitionsgrundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG inhärent und in diesem angelegt. Wegen dieses hohen Ranges des Koalitionspluralismus’ hat der grundrechtliche Schutz der Minderheitsgewerkschaften und ihrer Vertreter eine Stellung, die eine besonders hohe Sorgfalt und die grundsätzliche Berücksichtigung bei der Auslegung der Einzelvorschriften des Betriebsverfassungsrechts nach sich ziehen muss. – Der hohe Wert des Koalitionsgrundrechts auch der Minderheitsgewerkschaften führt dabei bei der Einzelfallprüfung betriebsverfassungsrechtlicher Vorschriften zu einem Prüfungsmaßstab, der als „ausdifferenziertes Anforderungsprofil“ bezeichnet werden kann. Die Anforderungen an erlaubte Differenzierungen zwischen Mehrheits- und Minderheitskoalitionen und damit an die Verhältnismäßigkeit der staatlichen Ausgestaltung des Koalitionsgrundrechts der Minderheitsgewerkschaften erreichen dort ihr höchstes Maß und damit die höchste Prüfungsintensität, wo Wahlakte Gegenstand der Betrachtung sind. – Bei der Prüfung zulässiger Differenzierungen zwischen Mehrheits- und Minderheitsgewerkschaften im Rahmen solcher Wahlakte ist das „Zersplitterungsargument“ mit besonderer Vorsicht zu betrachten. Es erweist sich im Wesentlichen eher als schillernder Kampfbegriff der Mehrheitsgewerkschaften, denn als tragfähiges und nachvollziehbares Argument für die staatlichdifferenzierende Ausgestaltung des Wahlrechts. – Die These vom „einheitlichen Gewerkschaftsbegriff für die gesamte arbeitsrechtliche Gesetzgebung“ ist abzulehnen. Sie wird den Anforderungen eines am Verhältnismäßigkeitsmaßstab ausgeformten „differenzierten Anforderungsprofils“ nicht gerecht. Es ist stattdessen bei der Betrachtung der einzelnen betriebsverfassungsrechtlichen Vorschrift stets zu untersuchen, ob der Gewerkschaftsbegriff des Tarifrechts mit seiner Implikation der „sozialen Mächtigkeit“ (Ebene der „primären“ Gewerkschaftsrechte) Anwendung zu finden hat. Regelmäßig erfordern die in der Betriebsverfassung gewährten „sekundären“ Rechte nicht die für das Tarifvertragswesen erforderliche Mächtigkeit der Koalition. – Auch Ad-hoc-Koalitionen genießen grundsätzlich den Schutz der Koalitionsfreiheit. Es muss daher bei Prüfung der Gewerkschaftsrechte innerhalb der Betriebsverfassung im Einzelfall geprüft werden, ob diese Rechte ihrer Funktion nach geeignet sind, durch Ad-hoc-Koalitionen wahrgenommen werden zu können oder zu dürfen. – Den Arbeitgeber trifft im Hinblick auf alle im Betrieb vertretenen Koalitionen eine Neutralitätspflicht. Dies ist vor allem für die Informationspolitik des

Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse

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Arbeitgebers und für die Gestattung der Nutzung seiner kommunikativen Infrastruktur durch die Gewerkschaften von Bedeutung. – Den noch nicht im Betrieb vertretenen Gewerkschaften steht ein aus der Verfassung herzuleitendes Recht auf Zugang zum Betrieb zwecks Mitgliederwerbung zu. Ob darüber hinaus ein allgemeines koalitionsrechtliches Zugangsrecht zum Betrieb auch für die bereits im Betrieb vertretenen Gewerkschaften besteht, bleibt unentschieden. – Die Tarifvertragsparteien haben auf dem Gebiet der betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsstruktur keine Normsetzungsprärogative. Hier kommt vielmehr dem Gesetzgeber der Vorrang zu. Die staatlichen Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes gestalten die Koalitionsfreiheit in verhältnismäßiger Weise aus. – Weil durch tarifvertragliche Organisationstarifverträge notwendig auch Nichtoder Andersorganisierte erfasst werden müssen, ergeben sich erhebliche Legitimitätsprobleme für solche tarifvertraglichen Regelungen. Der Wegfall des staatlichen Genehmigungsvorbehalts mit der Novelle 2001 des Betriebsverfassungsgesetzes erweist sich im Ergebnis als unüberbrückbar. Insbesondere stellt § 3 Abs. 2 TVG keine Vorschrift dar, die dieses Defizit überbrücken könnte. § 3 Abs. 2 TVG begegnet selbst ganz erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. – Das Quorum des § 14 Abs. 4 Satz 1 BetrVG i.V. m. § 14 Abs. 3 BetrVG ist verfassungsfest. Nicht verfassungsfest ist aber das 1988 eingeführte gewerkschaftliche Wahlvorschlagsrecht. – Die Vorgabe des Verhältniswahlsystems für die Betriebsratswahlen ist verfassungsrechtlich zwingend. Entgegen der h. M. wäre der Gesetzgeber bei allgemein-politischen Wahlen nicht dahingehend frei, dieses durch ein Mehrheitswahlsystem zu ersetzen. Demokratisch verfasste Repräsentation ist schon wegen der Normunterworfenheit der Betriebsangehörigen auch in der Betriebsverfassung notwendig. In rechtsanaloger Übertragung des Befundes einer Bindung des Wahlrechts-Gesetzgebers für allgemein-politische Wahlen an die Vorgaben eines minderheitsschützenden Wahlrechts auf das Betriebsverfassungsrecht folgt, dass auch dort grundsätzlich eine Bindung an demokratisch-minderheitenschützende Prinzipien im Sinne einer Beachtung des Verhältniswahlgrundsatzes zu erfolgen hat. – Dementsprechend ist die Vorgabe des Mehrheitswahlprinzips für Kleinbetriebe nicht verfassungskonform. Zwingende sachliche Gründe für ein Mehrheitswahlsystem in Kleinbetrieben sind nicht vorhanden. – Das gewerkschaftliche Wahlvorschlagsrecht entfaltet zwar minderheitsschützende Wirkungen; es ist aber wegen des verfassungsrechtlich verbürgten Quorums von einem Zwanzigstel der Wahlberechtigten selbst nicht verfassungsfest.

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Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse

– Die Anordnung der Erfüllung einer Geschlechterquote für das Minderheitsgeschlecht im Betrieb ist verfassungswidrig. Diese Verfassungswidrigkeit verstärkt sich noch durch die Möglichkeit des Listensprungs, mit der tendenziell kleinere bei Wahlen antretende Koalitionen benachteiligt werden können. – Auch im Hinblick auf die für die Besetzung der „weiteren“ Sitze im Betriebsausschuss im Wege der Verhältniswahl gilt von Verfassungs wegen eine Veränderungssperre. – Die Verhältniswahl ist entgegen der h. M. und der höchstrichterlichen Rechtsprechung als Grundprinzip der Betriebsverfassung anzusehen. Deshalb sind auch innerorganisatorische Wahlakte grundsätzlich im Wege der Verhältniswahl vorzunehmen. Dem parlamentsrechtlichen Grundsatz der „Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen“ kommt hierbei in rechtsanaloger Anwendung herausragende Bedeutung zu. – Geschäftsordnungsbeschlüsse des Betriebsrats mit personalem Charakter sind grundsätzlich als Wahlakte mit den sich hieraus ergebenden Konsequenzen anhand des „ausdifferenzierten Anforderungsprofils“ bei Wahlen einzuordnen. Dies gilt insbesondere auch für die „Entsendung“ in den Gesamtbetriebsrat. – Auf Ausschussebene und bei Freistellungen von Betriebsratsmitgliedern findet der Minderheitenschutz dadurch seine Verwirklichung, dass Nachbesetzungen freigewordener Sitze der Minderheitskoalition grundsätzlich im Wege des Nachrückens aus dem Minderheitswahlvorschlag erfolgen müssen. Die Nachbesetzung per Mehrheitsbeschuss findet in diesen Fällen grundsätzlich nicht statt. – Minderheitsschützend ist das „Entkernungsverbot“ im Hinblick auf die Aufgabenübertragung aus dem Betriebsratsplenum heraus auf die Ausschüsse des Betriebsrats. Dieses in der Rechtsprechung anerkannte Verbot ist auch verfassungsrechtlich zugunsten der Minderheitsgewerkschaften im Betriebsrat unterlegt. – Bei der Besetzung des Wirtschaftsausschusses durch den Betriebsrat handelt es sich zwar um Akte mit personalem Charakter. Grundsätzlich ist allerdings die Notwendigkeit der Sachkompetenz der Funktionsträger im Wirtschaftsausschuss dazu geeignet, die Bestellung im Wege des Mehrheitsbeschlusses zu rechtfertigen. – Die Ersetzung der Einigungsstelle durch eine tarifliche Schlichtungsstelle ist derselben Kritik ausgesetzt, wie die Gestaltung des betriebsverfassungsrechtlichen Organisationsrechts durch Tarifvertrag. Das Argument nicht hinreichender Bestimmtheit der staatlichen Delegation dieser Kompetenz an die Tarifpartner hat hierbei ausschlaggebendes Gewicht.

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Schlagwortverzeichnis Abberufungsquorum 20, 151, 366, 382, 383, 412, 413, 416, 417, 425, 442, 443, 444, 447 Ad-hoc-Ergänzung, Tagesordnung der Betriebsratssitzung 388 Ad-hoc-Koalitionen 9, 104, 106, 107, 191, 427, 480 Allgemeinverbindlicherklärung, bestehenden Tarifvertrags 15, 228, 240, 244, 248, 250, 251, 257 Amtsführung des Betriebsratsvorsitzenden, gewerkschaftsneutrale 387 Andersorganisierte, bei tarifvertraglicher Regelung der Betriebsverfassung 14, 15, 234, 235, 236, 238, 239, 243, 245, 246, 253, 254, 256, 260, 261, 264, 267, 450, 472, 477, 478, 481 Anforderungsprofil, erlaubtes Maß der Differenzierung bei stattlicher Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit 10, 144, 147, 184, 187, 199, 330, 351, 480 Angemessenheits-Verhältnismäßigkeit 128, 130, 133, 435 Arbeitnehmerbank 78, 277, 279, 384 Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen 7, 8, 11, 13, 37, 43, 50, 51, 59, 60, 79, 81, 82, 83, 84, 88, 95, 97, 101, 102, 103, 104, 105, 109, 121, 125, 126, 153, 166, 191, 192, 208, 224, 225, 226, 227, 228, 233, 268, 273, 327, 338, 386, 393, 433 Außenseitergeltung, tarifliches Betriebsverfassungsrecht 14, 15, 224, 236, 237, 239, 240, 244, 245, 247, 250, 252, 256, 261, 267 Aufgabenentzug, Betriebsratsmitglieder der Minderheitskoalition 21, 400 Ausdrücklichkeitsbeschluss 381, 412, 418

Ausgestaltung, des Koalitionsgrundrechts durch den Staat 10, 11, 14, 16, 18, 96, 102, 126, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 154, 162, 179, 194, 195, 210, 217, 220, 223, 224, 225, 231, 232, 266, 270, 272, 273, 275, 278, 280, 293, 296, 298, 300, 301, 303, 316, 317, 319, 329, 330, 331, 339, 343, 346, 347, 351, 352, 354, 359, 360, 369, 371, 390, 391, 392, 399, 401, 408, 409, 471, 476, 478, 480 Ausschüsse, des Betriebs-, Gesamt- und Konzernbetriebsrats 20, 22, 23, 40, 78, 96, 298, 302, 303, 335, 348, 366, 369, 370, 371, 372, 374, 376, 377, 378, 379, 381, 382, 383, 384, 392, 394, 395, 396, 398, 399, 410, 422, 429, 433, 441, 442, 444, 447, 454, 465, 466, 468, 469, 470, 471, 472, 482 Ausschussmitglied, geborenes 20, 85, 96, 134, 147, 256, 299, 316, 343, 390, 392, 394, 395, 398, 399, 416, 450, 471, 477 Ausschussmitglieder 380, 382, 383, 385, 395, 397, 398, 399, 430, 468, 469, 470, 471 Ausstrahlungswirkung, der Grundrechte bei Gesetzesauslegung 19, 194, 197, 283, 359, 360, 377, 380, 383, 406, 410, 414, 424, 429, 441, 446, 461 Beamtenverbände, als 12, 65, 66, 185, 186

Gewerkschaften

Beamtenverbände, Sonderstatus in der Personalverfassung 12, 65, 185 Betriebsratswahlen 17, 157, 221, 264, 269, 272, 303, 308, 310, 316, 318,

516

Schlagwortverzeichnis

331, 336, 339, 353, 357, 362, 366, 367, 431, 433, 436, 450, 461 Berufsverband Agrar, Ernährung, Umwelt e. V. 44, 47 Berufsverband Bayerischer Hygienebeamten 44 Berufsverbandsprinzip 7, 47, 48, 50 Bestellung, Wahlakt oder einfacher Beschlussvorgang im Betriebsrat und in anderen mitbestimmungsrechtlichen Organen 18, 19, 22, 77, 178, 179, 180, 283, 350, 354, 356, 357, 358, 359, 360, 361, 367, 378, 416, 418, 429, 448, 449, 450, 453, 455, 465, 467, 482 Bestimmtheitsgebot, Anforderungen durch das Bundesverfassungsgericht 15, 258, 259, 265 Betriebsausschuss 19, 40, 299, 366, 375, 376, 378, 379, 381, 382, 383, 384, 385, 394, 399, 441, 470, 482 Betriebsausschussmitglieder 366, 367, 375, 378, 379, 380, 381 Betriebsausschusssitze 376 Betriebsgewerkschaften 7, 49 Betriebsrat, Geschäftsordnung 20, 78, 357, 394, 395, 396, 397, 398, 399, 400, 401, 418, 421, 471 Betriebsräteversammlung 22, 445, 446 Betriebsratsmitglied, freigestelltes 413, 463 Betriebsratssitzung 20, 178, 219, 385, 386, 387, 388, 389, 391 Betriebsratswahlen 15, 16, 18, 74, 76, 104, 191, 203, 264, 268, 269, 273, 278, 280, 296, 298, 300, 304, 308, 313, 316, 317, 318, 320, 327, 328, 334, 335, 337, 344, 346, 347, 351, 352, 353, 356, 360, 362, 363, 364, 368, 401, 420, 450, 451, 453, 454, 481 Betriebsverhältnis 12, 195, 196, 197 Betriebsversammlungs-Erzwingungsrecht 21, 426 Botenübermittlung, Briefwahlunterlagen 17, 41, 77, 305, 306, 307, 309, 310 Briefwahl 77, 304, 352

Briefwahlunterlagen 17, 41, 305, 306, 307, 308, 309, 310, 311, 312, 314 BTE-Gewerkschaft Mess- und Eichwesen 44, 47 Bund der Ruhestandsbeamten, Rentner und Hinterbliebenen 43, 47 Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands e. V. 44, 47 Bund Deutscher Forstleute 43, 47 Bund Deutscher Rechtspfleger 44, 48 Bund Deutscher Zollbeamten 43 Bündelung, Interessenverfolgung und Grundrechtswahrnehmung 86, 87, 88, 90, 101, 116, 144, 238 Bundesgrenzschutz-Verband e. V. 43 Bundespost 34, 116 Bundesverband der Ärzte des öffentliche Gesundheitsdienstes e. V. 44, 47 Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an berufliche Schulen e. V. 44, 48 Bündnis 90/Grüne 35 Chancengleichheit, Bewerber und Koalitionen 16, 17, 271, 273, 274, 275, 278, 287, 289, 290, 309, 316, 317, 325, 329, 330, 331, 339, 346, 347, 348, 349, 352, 354, 362, 364, 365, 369, 448 Christlich Demokratische Partei Deutschlands 35, 36, 51, 52, 63, 160, 284, 392 Christlich Soziale Union 35, 36, 46, 51, 52, 160, 284, 392 Christliche Gewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie 38, 44, 68 Christliche Gewerkschaften 45, 53, 62, 63, 64 Christlicher Gewerkschaftsbund 34, 35, 36, 43, 44, 45, 50, 51, 52, 54, 56, 59, 60, 63, 64, 67, 68 Christlicher Gewerkschaftsbund, Mitgliedsgewerkschaften und -verbände 36, 38, 44, 45, 64, 68

Schlagwortverzeichnis dbb beamtenbund und tarifunion 8, 36, 43, 46, 47, 50, 51, 52, 57, 59, 60, 64, 65, 66, 67, 68, 74, 221 dbb-Gewerkschaften 42, 43, 47, 74, 75, 221, 263, 337 Demokratieprinzip 11, 16, 19, 91, 100, 155, 160, 161, 162, 246, 287, 291, 294, 295, 372, 390, 391, 394, 410, 411, 438 Deutsche Justiz-Gewerkschaft 44, 47 Deutsche Polizeigewerkschaft 43 Deutsche Steuer-Gewerkschaft 43, 47 Deutsche Verwaltungs-Gewerkschaft 44, 47 Deutscher Amtsanwaltsverein 44, 48 Deutscher Berufsverband für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Heilpädagogik e. V. 44, 47 Deutscher Gerichtsvollzieherbund 44, 47 Deutscher Gewerkschaftsbund 33, 34, 35, 36, 37, 39, 42, 43, 45, 46, 47, 48, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 62, 63, 67, 68, 73, 74, 90, 119, 147, 221, 269, 280, 298, 320, 325, 335, 338, 366, 371 DGB-Gewerkschaften 33, 34, 35, 36, 37, 43, 49, 52, 54, 58, 60, 63, 67, 73, 74, 75, 77, 190, 221, 338 Diskriminierungsverbot 10, 141, 183, 187 Doppelgrundrecht, Lehre vom Koalitionsgrundrecht als 85, 87, 92, 117 Dualismus, Tarifvertrags- und Betriebsverfassungssystem 9, 114, 190 d’Hondt’sches Höchstzahlverfahren, Zählweise im Verhältniswahlsystem 301, 302, 303, 335, 397, 413, 419, 420, 422, 435, 436 Effektivität, Grundsatz bei Bestimmung des Umfangs der Reichweite des Grundrechtsschutzes 10, 139, 149, 160, 263, 320, 366, 433, 452 Ehrenamtlichkeit. Betriebsratstätigkeit 21, 401

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Einberufung, Betriebsratssitzung 20, 178, 298, 385, 389, 427 Einberufungsrecht, der Minderheit für Betriebsratssitzungen 390, 391 Einheitlichkeit, des Gewerkschaftsbegriffs im gesamten Bereich der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung 11, 12, 38, 42, 77, 91, 92, 167, 168, 169, 172, 173, 174, 184, 185, 187, 256, 276 Einheitsgewerkschaft 7, 46, 50, 54, 56, 63, 66, 78, 89, 117, 148, 149, 184, 269, 275, 276, 326 Einigungsstelle 22, 180, 416, 418, 448, 449, 450, 453, 455, 482 Einschätzungsprärogative, staatliche bei der Ausgestaltung des Koalitionsgrundrechts 10, 132, 133, 134, 137, 138, 139, 273, 275, 278, 280, 293, 296, 298, 303, 330, 343, 347, 351, 354, 390, 391 Einsichtsrecht, für Betriebsratsmitglieder in Unterlagen des Betriebsrats 20, 392, 394 Einzelgewerkschaften 33, 36, 37, 43, 44, 45 Entkernungsverbot, betreffend den Betriebsrat als Gremium im Hinblick auf seine gesetzliche Aufgaben 20, 375, 376, 378, 482 Entsendung, Gesamt- und Konzernbetriebsrat, Wahlvorstand 22, 40, 178, 179, 201, 282, 348, 350, 352, 353, 357, 358, 360, 361, 373, 374, 428, 429, 430, 432, 434, 435, 436, 438, 440, 441, 446, 447, 448, 451, 465, 482 Entsendungsrecht, gewerkschaftliches in den Wahlvorstand 305, 350, 352, 355, 357, 360 Entsendungsregelungen, tarifliche 22, 436 Erfolgsverschaffung, dem Staat verbotene 13, 141, 150, 151, 195, 217, 218, 295, 330, 351, 355, 371, 391, 401, 446, 478 Ersatzmitglieder 151, 379, 380, 457 Europäische Sozialcharta 164 Ewigkeitsgarantie 383

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Schlagwortverzeichnis

Fachverband Wasser- und Schiffahrtsverwaltung e. V. 43, 47 Fortschrittsziele, allgemeinpolitische 58 Fraktionsvorbesprechungen 20, 219, 386, 387, 388 Freie Demokratische Partei 35, 52 Freistellung, von Arbeitsleistung zum Zwecke der Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben 17, 21, 40, 42, 66, 77, 147, 151, 298, 325, 348, 372, 378, 380, 381, 382, 401, 403, 407, 410, 411, 412, 413, 414, 415, 416, 417, 418, 419, 420, 421, 422, 423, 424, 425, 461, 462, 463, 482 Freistellungskontingent, Herabsetzung zu Lasten der Minderheitenliste 21, 421, 422, 424 Freistellungsstaffel 21, 403, 423, 424 Freistellungsverzicht 21, 77, 415, 420, 421, 422, 424 Fremdbestimmung, durch betriebsverfassungsrechtliche Strukturtarifverträge 14, 15, 236, 237, 247, 252 Friedenspflicht, betriebsverfassungsrechtliche 12, 173, 174, 176, 187 GdP 33, 43 Gegengewichtsprinzip, tarifrechtliches 175, 180 Gegenmachtprinzip, System der Tarifautonomie 101, 108, 151 Gegnerunabhängigkeit 9, 108, 109, 110, 115 Genossenkonzern 36 Gesamtbetriebsausschuss 22, 442, 443, 444, 447 Gesamtbetriebsrat 22, 40, 221, 357, 360, 373, 374, 428, 430, 431, 432, 433, 434, 435, 436, 437, 438, 439, 440, 441, 445, 446, 451, 468, 482 Geschäftsordnung 20, 78, 357, 394, 395, 396, 397, 398, 399, 400, 401, 418, 421, 471 Geschlechterquote 18, 334, 340, 482

GEW 33, 43 Gewerkschaft der Polizei 33, 43 Gewerkschaft der Sozialverwaltung 43, 47 Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer 43, 47, 74, 75, 337 Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft 33, 43 Gewerkschaft für den Kommunal- und Landesdienst 43, 47 Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten 33, 43, 74 Gewerkschaft Technik und Naturwissenschaft im öffentlichen Dienst 44, 47 Gewerkschaftsbeauftragte 192, 194, 201, 207, 212, 218, 219, 220, 304, 309, 352, 353, 355, 360, 386, 392, 427 Gewerkschaftsbegriff 12, 37, 64, 105, 115, 171, 172, 173, 174, 175, 181, 182, 184, 188, 191, 426, 427, 480 Gewerkschaftsbegriff im gesamten Arbeitsrecht, Notwendigkeit betriebseinheitlicher Normgeltung, Arbeitnehmer und Gruppeninteressen 11, 12, 42, 167, 168, 172, 173, 174, 184, 185, 187, 276 Gewerkschaftseigenschaft 36, 37, 38, 45, 53, 64, 68, 116, 151, 166, 167, 171, 173, 180, 182, 183, 185, 186, 187, 326, 327, 330 Gewerkschaftsrechte, allgemeine und primäre sowie sekundäre 12, 103, 106, 107, 109, 120, 154, 167, 173, 177, 179, 180, 181, 182, 184, 185, 187, 190, 191, 277, 480 Gewerkschaftswirklichkeit, plurale 37 Gewerkschaftszugehörigkeit 40, 192, 199, 274, 401, 406, 408, 409 Gleichheitssatz, allgemeiner 10, 131, 141, 146, 147, 159, 199, 438 Gleichstellungsauftrag, aus Art. 3 Abs. 2 GG 18, 345, 346, 349 Globalisierung, Bedeutungswandel der Gewerkschaften 70

Schlagwortverzeichnis Grundprinzip, Verhältniswahl in der Betriebsverfassung 19, 155, 282, 361, 362, 367, 368, 374, 375, 380, 410, 429, 430, 432, 443, 444, 465, 482 Grundrechtsaufweichung 136, 138 Grundrechtseffektivierung 85, 88, 116, 149, 150, 295, 300, 334, 363, 392, 427, 435 Grundrechtsgewährleistung, unfertige 10, 126, 129 Grundrechtsschutz, effektiver 8, 10, 11, 12, 15, 20, 22, 54, 82, 83, 113, 128, 139, 140, 141, 149, 154, 160, 161, 162, 174, 189, 195, 197, 230, 262, 263, 264, 265, 281, 293, 324, 329, 351, 355, 361, 362, 365, 366, 370, 371, 372, 383, 385, 386, 387, 389, 390, 391, 408, 414, 421, 429, 453 Grundrechtsverständnis, etatistisches 87, 90, 91, 95, 96, 98, 99, 100, 157, 207, 238 Gruppenegoismus 9, 112 Gruppeninteressen, geschlechtsspezifische 18, 339, 340, 341, 344, 346 Güterabwägung 132, 134, 135, 138, 383, 458 Hans-Böckler-Stiftung 36 Hare-Niemeyer-Verfahren, Zählweise im Verhältniswahlsystem 302, 303 Hausrecht, des Arbeitgebers gegenüber dem gewerkschaftliche Zugangsrecht 13, 211, 216 IG Bauen-Agrar-Umwelt 33, 43, 49 IG BCE 33, 49 IG Bergbau, Chemie, Energie 33, 49 IG Metall 33, 43, 49 Indienstnahme, verbotene des sozialen Gegenspielers 13, 203, 204, 211, 216 Industriegewerkschaften 7, 47, 48, 66 Industrieverbandsprinzip 47 Internationale Arbeitsorganisation, ILOÜbereinkommen 13, 165, 213, 225

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Jugend- und Auszubildendenvertretung 22, 178, 437, 438, 447, 456 Kartellfunktion, gewerkschaftliche und tarifvertragliche 9, 97, 100 Kernbereich 20, 120, 121, 122, 125, 126, 139, 160, 214, 224, 228, 341, 376, 377 Kernbereichslehre des Bundesverfassungsgerichts 10, 120, 121, 124, 126 Kleinbetriebe, zwingende Mehrheitswahl 17, 18, 330, 331, 333, 334, 367, 368, 481 Koalition 9, 10, 12, 13, 37, 40, 42, 56, 58, 60, 68, 79, 81, 84, 85, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 110, 112, 113, 114, 115, 117, 118, 119, 120, 121, 125, 126, 128, 129, 131, 135, 136, 140, 141, 144, 146, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 161, 173, 175, 176, 177, 180, 182, 183, 184, 185, 187, 190, 191, 192, 194, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 204, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 238, 246, 248, 251, 254, 263, 268, 270, 273, 274, 275, 278, 280, 285, 296, 297, 301, 304, 309, 316, 317, 325, 326, 327, 328, 329, 330, 331, 332, 337, 338, 339, 344, 347, 349, 351, 352, 353, 354, 359, 364, 365, 366, 369, 370, 371, 372, 373, 377, 388, 391, 398, 404, 408, 427, 429, 431, 433, 445, 446, 451, 461, 480, 482 Koalitionsfreiheit, individuelle und kollektive 8, 9, 10, 11, 14, 19, 22, 41, 79, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 104, 106, 107, 116, 117, 119, 120, 122, 124, 125, 127, 128, 130, 131, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 144, 147, 148, 150, 152, 153, 154, 157, 163, 164, 165, 177, 183, 185, 186, 187, 193, 194,

520

Schlagwortverzeichnis

198, 199, 200, 202, 203, 204, 207, 210, 212, 214, 216, 224, 225, 226, 227, 229, 231, 233, 235, 238, 239, 241, 242, 246, 247, 248, 249, 250, 254, 255, 256, 264, 267, 270, 273, 275, 282, 295, 297, 300, 301, 303, 317, 325, 346, 349, 359, 364, 399, 408, 432, 448, 451, 452, 480, 481 Koalitionsgrundrecht 92, 108, 122, 126, 128, 131, 139, 197, 210, 212, 216, 233, 263, 301, 327, 329, 478, 480 Koalitionspluralismus 8, 9, 13, 46, 50, 54, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 98, 99, 100, 101, 102, 117, 118, 119, 120, 149, 153, 162, 183, 200, 215, 216, 218, 220, 254, 262, 263, 268, 269, 270, 276, 297, 301, 326, 329, 334, 351, 355, 359, 361, 363, 365, 366, 368, 371, 377, 386, 389, 390, 409, 433, 478, 480 Kollektivmächte, Freiheitsgewähr und Freiheitsbedrohung 363, 409 Kollektivwettbewerb 89 Kommunikationsgewerkschaft DPV 43, 47, 302 Konkurrenzsituation, gewerkschaftliche 8, 35, 41, 42, 66, 72, 74, 75, 89, 150, 153, 298, 304, 305, 313, 315, 394, 415, 473 Konzernbetriebsrat 22, 40, 178, 179, 348, 438, 446, 447, 451 Kooptation 471 Kooptationsmöglichkeit, Mitglieder des Wirtschaftsausschusses 23, 470, 471, 472 Kräfteverhältnisse 38, 39, 166, 461 Landesverfassungen, Regelungen der Koalitionsfreiheit 163 Legitimationsprobleme, bei Erfassung gewerkschaftsexterner Arbeitnehmer 14, 23, 157, 235, 236, 239, 241, 245, 246, 247, 253, 255, 260, 261, 267, 439, 452, 454, 455, 472, 477 Listenerschöpfung, der Minderheitskoalitionäre bei Freistellungen und Aus-

schusspositionen 21, 381, 382, 412, 418, 419, 461, 462 Listenwahl 332, 361, 367 Luftfahrtunternehmen 23, 472 Mandat, allgemeinpolitisches 57, 67 Marktmodell 95 Mehrheits-Nachwahl 382, 412, 413, 414, 416, 417, 419 Mehrheitsgewerkschaft 21, 38, 39, 40, 41, 42, 75, 76, 77, 89, 93, 147, 152, 162, 195, 200, 203, 217, 218, 221, 222, 234, 242, 255, 259, 261, 263, 268, 280, 294, 295, 296, 298, 300, 303, 304, 308, 309, 310, 311, 313, 314, 316, 317, 319, 322, 323, 326, 328, 331, 332, 338, 352, 354, 355, 360, 363, 365, 366, 383, 386, 389, 392, 394, 397, 399, 400, 401, 404, 405, 409, 410, 413, 417, 420, 423, 438, 439, 446, 450, 456, 457, 462, 472, 478, 479, 480 Mehrheitswahl 16, 17, 20, 147, 281, 283, 285, 286, 289, 290, 293, 296, 330, 331, 332, 333, 334, 367, 368, 371, 372, 374, 375, 378, 379, 384, 390, 413, 414, 415, 419, 425, 430, 442, 444, 446, 450, 468 Minderheitenproblematik, gewerkschaftliche 7, 39, 40, 146, 166, 194, 224, 276, 282, 295, 356, 372, 396, 440, 461 Minderheitenschutz 20, 41, 63, 89, 91, 92, 101, 130, 149, 150, 154, 160, 161, 163, 182, 263, 276, 280, 283, 286, 295, 298, 355, 361, 366, 372, 374, 376, 378, 379, 380, 381, 383, 385, 386, 390, 391, 397, 399, 401, 410, 411, 412, 413, 414, 415, 416, 417, 420, 421, 423, 425, 430, 433, 434, 441, 442, 443, 447, 448, 449, 468, 469, 471, 472, 482 Minderheitenvertreter 20, 21, 78, 295, 378, 387, 389, 390, 394, 400, 401, 405, 407, 409, 421, 457, 464 Minderheitsgewerkschaften 7, 8, 10, 12, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23, 33, 37, 38,

Schlagwortverzeichnis 39, 40, 41, 42, 43, 46, 60, 61, 75, 76, 77, 79, 89, 92, 93, 102, 107, 109, 117, 120, 145, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 154, 162, 166, 189, 191, 195, 197, 198, 199, 200, 203, 214, 215, 216, 217, 219, 220, 221, 222, 234, 246, 247, 252, 254, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 277, 280, 293, 294, 295, 296, 297, 300, 301, 303, 304, 305, 308, 309, 310, 311, 313, 317, 319, 322, 324, 329, 331, 334, 337, 338, 339, 350, 351, 352, 353, 355, 356, 357, 360, 361, 363, 365, 366, 369, 370, 371, 372, 373, 374, 376, 377, 380, 381, 382, 385, 386, 387, 388, 389, 390, 391, 392, 393, 394, 395, 396, 397, 398, 399, 400, 401, 404, 405, 406, 408, 409, 411, 413, 414, 420, 421, 423, 424, 426, 427, 428, 429, 430, 431, 432, 433, 434, 435, 436, 437, 438, 440, 443, 445, 446, 448, 450, 451, 456, 457, 461, 462, 463, 464, 472, 473, 476, 477, 479, 480, 482 Mitbestimmungsgesetz 40, 53, 80, 84, 99, 111, 122, 127, 146, 153, 155, 156, 160, 177, 181, 216, 225, 227, 228, 229, 233, 264, 272, 274, 275, 278, 279, 354, 364, 478 Mitgliedermarkt 8, 74, 75, 479 Mitgliederzahl, deutsche Gewerkschaften 22, 33, 34, 37, 62, 65, 69, 109, 110, 193, 262, 279, 398, 436, 437 Monopolstellung, gewerkschaftliche 33, 34, 46, 167 Multibranchengewerkschaften 7, 48, 49, 50 Nachbesetzung, freiwerdende Amtsfunktionen 20, 21, 378, 379, 380, 382, 411, 414, 415, 482 Nachrücken, in freigewordene Amtspositionen in Ausschüssen des Betriebsrats und in Freistelllungen ohne konstitutiven (Wahl-)beschluss 378, 380, 381, 382, 415, 416, 418

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Nachrücker 378, 380, 381, 382, 414, 415, 416, 417, 418, 419 Nachwahl 21, 77, 286, 379, 380, 382, 412, 413, 414, 415, 417, 418, 419, 430 Neutralitätspflicht, staatliche und des Arbeitgebers 12, 13, 146, 148, 149, 151, 195, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 308, 351, 480 Neuwahl 21, 380, 381, 382, 412, 415, 416, 417, 419, 421, 422, 424, 425, 426, 466 NGG 33, 43, 74 Normerstreckung, auf Außenseiter 15, 236, 238, 245, 253, 257 Normsetzungsmacht, tarifautonome und staatliche 13, 83, 93, 94, 157, 166, 177, 227, 228, 240, 437, 438 Optimierungsgebot, Anforderungen an staatliche Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit 16, 132, 150, 294, 300 Organbildung, innerhalb der Mitbestimmungsgremien 19, 368 Organisationsgrade, gewerkschaftliche 8, 34, 35, 69, 70, 71, 116, 151, 203, 210, 294, 315, 450 Organisationsrecht, betriebsverfassungsrechtliches 14, 191, 223, 230, 232, 233, 235, 482 Organstreitigkeiten 407 Parlamentswahlrecht, Ausstrahlungswirkung auf Wahlen im Mitbestimmungssektor 16, 270, 271, 273, 279 Pluralismus 8, 9, 13, 39, 46, 50, 54, 63, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 98, 99, 100, 101, 102, 117, 118, 119, 120, 149, 150, 153, 162, 183, 200, 215, 216, 218, 220, 254, 262, 263, 268, 269, 270, 276, 288, 297, 301, 326, 329, 334, 351, 355, 359, 361, 363, 365, 366, 368, 371, 377, 386, 389, 390, 409, 433, 478, 480 Praktische Konkordanz, Grundrechtsabwägung und -ausgleich 22, 118, 128, 130, 133, 215, 224, 239, 346, 432, 435

522

Schlagwortverzeichnis

Privatautonomie 85, 93, 95, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 174, 241, 480 Quorumsvorschriften, im Betriebsverfassungsgesetz und im Mitbestimmungsgesetz 20, 389 Quotenregelung 18, 345, 347, 348, 349 Rechtsmissbrauch 21, 77, 415, 420, 421, 422, 424 Regelungsmacht, tarifliche und gesetzliche 13, 98, 99, 118, 224, 229, 239 Regierungsbildung, im staatlichen und im betriebsverfassungsrechtlichen Bereich 16, 283, 291, 297 Richtungsgewerkschaften 7, 45, 50, 54 Rücksendevermerke, Einsichtnahme beim Wahlvorstand 17, 310, 312, 313, 314 Schlichtungsstelle, tarifliche 22, 93, 180, 240, 450, 451, 452, 453, 454, 455, 456, 482 Schulungsanspruch, des Betriebsratsmitglieds der Minderheitskoalition 21, 405, 406, 408, 409, 410, 463 Selbstverwaltung, soziale und quasi-öffentlich-rechtliche 8, 9, 38, 86, 87, 90 Sozialdemokratische Partei Deutschlands 35, 36, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 63, 284, 325 Soziale Selbstverwaltung 86 SPD-Bundestagsabgeordnete 35 Spiegelbildlichkeit, Grundsatz d. von Parlament und Ausschüssen 19, 369, 374, 379, 383, 396, 399, 410, 414, 429, 432, 443, 448, 465, 467, 471, 482 Spitzenfunktionäre 35, 51, 58 Spitzenfunktionäre, gewerkschaftliche 35, 51, 58 Statusgewerkschaften 7, 48 Stimmengewichtung, der Betriebsratsmitglieder im Gesamtbetriebsrat als Folgeproblem der durchzuführenden Ver-

hältniswahl, tarifliche Regelungen 22, 287, 435, 436, 438, 439 Stinnes-Legien-Abkommen 94, 111 Streik 60, 163, 186, 211, 228 Tagesordnung, Betriebsratssitzung 298, 385, 388, 389, 391, 392, 445 Taktiken, gewerkschaftspolitische 8, 42, 75, 77 Tarifautonomie 9, 14, 38, 92, 103, 104, 112, 113, 114, 115, 125, 128, 129, 138, 139, 164, 166, 172, 177, 181, 187, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 236, 237, 238, 241, 242, 247, 252, 452, 454, 455 Tarifliche Betriebsverfassung 23, 472 Tarifzuständigkeit 38, 39, 209 Teilfreistellungen 21, 422 Transmissionsnormen, tarifvertragsgesetzliche als Legitimation der Außenseiterbindung 14, 244 Transnet – Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands 33, 43, 74, 75, 77, 221, 338 Überbetrieblichkeit 9, 50, 109, 110, 111, 112, 114, 115, 116, 188, 427 Unerlässlichkeit, zur Wahrung des effektiven Grundrechtsschutzes der Koalition 13, 122, 207, 214, 365 Unlauterkeitsgrenzen, Schutz der Koalitionen gegenüber Konkurrenten 11, 151 Untermaßverbot 10, 129, 139, 140, 141, 293, 351 Unterrepräsentation, geschlechtsbezogene 18, 348 Unterschriftenquorum 15, 17, 40, 76, 146, 160, 216, 269, 271, 274, 276, 277, 278, 325, 329, 352, 363, 433 Veränderungssperre, gesetzliche 19, 21, 22, 281, 301, 366, 374, 410, 411, 443, 444, 482

Schlagwortverzeichnis Verband Bildung und Erziehung e. V. 44, 47 Verband der Arbeitnehmer der Bundeswehr e. V. 43, 47 Verband der Beamten der Bundesanstalt für Arbeit 43 Verband der Beamten der Bundeswehr e. V. 43 Verband der Beschäftigten der obersten und oberen Bundesbehörden e. V. 43, 47 Verband der Beschäftigten des gewerblichen Rechtsschutzes 43, 47 Verband der Bundesbankbeamten e. V. 43 Verband Hochschule und Wissenschaft 44, 47 Verein der Rechtspfleger im Bundesdienst e. V. 43 Vereinigung der Rundfunk-, Film- und Fernsehschaffenden 44, 47 Vereinigungsrecht, Anforderungen an Arbeitnehmerkoalitionen 9, 102, 106 Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e. V. 33, 34, 43, 48, 49, 50, 67, 74, 75, 338, 473 Verfassungsfestigkeit, Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes 15, 17, 18, 19, 20, 269, 281, 325, 327, 328, 329, 350, 364, 367, 389, 390, 391 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 10, 131, 138, 183, 230, 293, 351 Verhältnismäßigkeitsprüfung 136, 137, 194 Verhältniswahl 16, 17, 18, 19, 22, 77, 147, 160, 271, 282, 283, 284, 286, 288, 289, 290, 292, 295, 298, 301, 331, 332, 333, 335, 336, 339, 347, 356, 358, 361, 366, 367, 368, 369, 371, 372, 373, 374, 375, 376, 378, 379, 380, 381, 382, 383, 384, 395, 397, 398, 399, 407, 410, 411, 413, 415, 421, 422, 423, 425, 428, 429, 430, 432, 433, 434, 435, 437, 440, 441, 442, 443, 444, 446, 447, 461, 465, 469, 470, 471, 482

523

Verhältniswahlrecht 16, 281, 283, 284, 287, 288, 291, 301, 432, 447 Verhältniswahlsystem 11, 16, 147, 162, 163, 281, 283, 284, 285, 286, 290, 291, 293, 294, 295, 300, 301, 331, 333, 361, 367, 368, 444, 448 Verhandlungsanspruch, gegenüber dem Arbeitgeber als Ausfluss der Neutralitätspflicht des Arbeitgebers 12, 200 Verkehrsgewerkschaft GDBA 42 Versetzungsschutz, Betriebsratsmitglieder 22, 456, 457, 460, 461 Versiegelung, der Wahlurne 17, 319, 320, 321, 322, 323 Vertrauensvolle Zusammenarbeit, Grundsatz der Betriebsverfassung 12, 189, 200, 366 Vertretensein, im Betrieb als Anknüpfungspunkt gewerkschaftlicher Rechte in der Betriebsverfassung 12, 192, 193, 194, 199, 205, 213, 218 Vertreter, geborene in innerorganschaftlichen Mandatspositionen 48, 78, 395, 398 Vertretungsmonopol 34, 190 Vorabinformation, bei Fraktionsvorbesprechungen 20, 219, 386, 387, 388 Wahlanfechtung 19, 77, 179, 185, 320, 321, 324, 353, 354, 362, 363, 364, 365 Wahlen 10, 16, 17, 18, 19, 39, 40, 42, 77, 145, 146, 148, 153, 155, 159, 233, 268, 270, 271, 273, 274, 275, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 284, 287, 292, 293, 294, 295, 296, 297, 298, 299, 300, 301, 303, 308, 312, 316, 322, 323, 325, 327, 329, 330, 331, 333, 334, 335, 339, 343, 345, 349, 350, 352, 353, 354, 355, 356, 359, 362, 364, 365, 366, 367, 368, 373, 377, 392, 410, 428, 429, 433, 456, 481, 482 Wahlfreiheit, Grundsatz im Wahlrecht 304, 305, 306, 307, 309, 310, 311, 315 Wahlkreise 41, 222, 284 Wahlkreiszuschnitt 76

524

Schlagwortverzeichnis

Wahlrechtsgleichheit 18, 19, 40, 159, 160, 161, 272, 275, 279, 290, 292, 317, 337, 339, 340, 342, 343, 345, 346, 349, 365, 368, 369, 370, 371, 372, 373, 374, 377, 383, 396, 397, 399, 424, 429, 436, 467 Wahlrechtsgrundsätze 17, 270, 282, 292, 295, 300, 303 Wahlsystem 16, 283, 284, 285, 286, 288, 290, 293, 294, 297, 333, 359, 361 Wahlurne 17, 77, 318, 319, 320, 321, 322, 323, 324, 352 Wahlvorschläge, gewerkschaftliche 16, 76, 149, 160, 178, 221, 269, 271, 276, 278, 280, 282, 292, 296, 297, 303, 304, 325, 326, 327, 328, 330, 334, 337, 338, 339, 344, 347, 367, 379, 382, 398, 413, 417, 418, 419, 420, 427, 434, 443, 457, 462 Wahlvorschlagsrecht, gewerkschaftliches 17, 269, 271, 276, 325, 327, 328, 329, 333, 334, 481 Wahlvorstandsmitglied 19, 305, 315, 322, 323, 353, 354, 356, 357, 360, 361, 367

Wechselwirkungslehre 10, 137, 138, 280 Wettbewerb, Markt der Koalitionen 70, 88, 90, 91, 100, 101, 148, 149, 150, 151, 175, 217 Wirtschaftsausschuss 23, 178, 465, 466, 468, 470, 482 Zersplitterungsargument 10, 16, 54, 65, 78, 92, 148, 149, 182, 231, 274, 275, 277, 278, 279, 280, 296, 297, 298, 299, 300, 329, 330, 366, 371, 384, 417, 480 Zugangsrecht, gewerkschaftliches zum Betrieb 13, 179, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220, 481 Zulassungsverfahren, staatliches zur Herstellung demokratischer Legitimation für Betriebsverfassungstarifverträge 14, 221, 239, 240, 241, 242, 245, 253, 263, 266, 476 Zwangskorporationen, staatliche als Konkurrenz zum Koalitionswesen 11, 153