Die Shoah im Distrikt Krakau: Deutsche Besatzung und jüdische Selbstbehauptung in Tarnów 1939-1945 3534267869, 9783534267866

Die Stadt Tarnów in Galizien unweit von Krakau war eines der bedeutendsten Zentren des Judentums in Polen mit einem jüdi

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German Pages 352 [353] Year 2016

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
Einleitung
1. Galizisches Sztetl und besetzte Stadt
1.1 Tarnów im Vorkriegspolen
1.1.1 Die Entwicklung zum Sztetl
1.1.2 Jüdisch-nichtjüdische Beziehungen
1.2 Die Etablierung der „neuen Ordnung"
1.2.1 Polen unter Militärverwaltung
1.2.2 Generalgouvernement und Kreishauptmannschaft Tarnów– Gebiet und Bevölkerung
1.2.3 Der deutsche Besatzungsapparat
1.2.4 Die Deutschen in Tarnów
2. Entrechtung und Verfolgung
2.1 Die „Judenpolitik" – Ausgangslage und Entwicklung
2.2 Die Umsetzung der antijüdischen Politik in Tarnów
2.2.1 Isolierung der Juden
2.2.2 Ausschaltung aus der Wirtschaft
2.2.3 Zwangsarbeit und Arbeitseinsatz
2.2.4 Terror jenseits antijüdischer Verordnungen
2.3 Die jüdische Bevölkerung in Tarnów angesichts der Verfolgungsmaßnahmen
2.3.1 Deportationen, Fluchtbewegungen und Umsiedlungen
2.3.2 Jüdische Institutionen
2.3.3 Der Alltag der jüdischen Bevölkerung
3. Vernichtung
3.1 Die „Aktion Reinhard" im Distrikt Krakau
3.1.1 Der systematische Massenmord im Generalgouvernement
3.1.2 Judenmord im Distrikt Krakau
3.2 Die Ermordung der jüdischen Bevölkerung Tarnóws
3.2.1 Der Auftakt: Erste Deportation und Ghettobildung
3.2.2 Mordkampagnen und Teilung des Ghettos
3.2.3 Zeugenschaft, Taten und Täter
3.2.4 Ghettoalltag
3.2.5 Reaktionen – Verzweiflung, Selbstbehauptung und Widerstand
3.3 Das Ende
4. Nach dem Massenmord
4.1 Juden in Tarnów in der unmittelbaren Nachkriegszeit
4.2 Die Ahndung der in Tarnów begangenen NS-Verbrechenan der jüdischen Bevölkerung
Fazit
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsnachweis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Unveröffentlichte Quellen
Veröffentlichte Quellen und Literatur
Veröffentlichte Quellen, Erinnerungsberichte,Tagebücher und Memoiren
Sekundärliteratur
Namensregister
Ortsregister
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Die Shoah im Distrikt Krakau: Deutsche Besatzung und jüdische Selbstbehauptung in Tarnów 1939-1945
 3534267869, 9783534267866

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Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 28 Herausgegeben von Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers

Melanie Hembera

Die Shoah im Distrikt Krakau Jüdisches Leben und deutsche Besatzung in Tarnów 1939–1945

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar. D 93 Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2016 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: SatzWeise GmbH, Trier Einbandgestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Einbandbild: Tarnów Marktplatz, Juni 1942, auf ihren Abtransport wartende Menschen. Foto: © United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Belarusian State Archive of Documentary Film and Photography, # 81421 Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-26786-6

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74147-2 eBook (epub): 978-3-534-74148-9

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Galizisches Sztetl und besetzte Stadt . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Tarnów im Vorkriegspolen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Die Entwicklung zum Sztetl . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Jüdisch-nichtjüdische Beziehungen . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Etablierung der „neuen Ordnung“ . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Polen unter Militärverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Generalgouvernement und Kreishauptmannschaft Tarnów – Gebiet und Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Der deutsche Besatzungsapparat . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Die Deutschen in Tarnów . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Entrechtung und Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die „Judenpolitik“ – Ausgangslage und Entwicklung . . . 2.2 Die Umsetzung der antijüdischen Politik in Tarnów . . . . 2.2.1 Isolierung der Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Ausschaltung aus der Wirtschaft . . . . . . . . . . . 2.2.3 Zwangsarbeit und Arbeitseinsatz . . . . . . . . . . . 2.2.4 Terror jenseits antijüdischer Verordnungen . . . . . . 2.3 Die jüdische Bevölkerung in Tarnów angesichts der Verfolgungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Deportationen, Fluchtbewegungen und Umsiedlungen 2.3.2 Jüdische Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Der Alltag der jüdischen Bevölkerung . . . . . . . .

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Einleitung

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3. Vernichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die „Aktion Reinhard“ im Distrikt Krakau . . . . . . . . . . 3.1.1 Der systematische Massenmord im Generalgouvernement 3.1.2 Judenmord im Distrikt Krakau . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3.2 Die Ermordung der jüdischen Bevölkerung Tarnóws . 3.2.1 Der Auftakt: Erste Deportation und Ghettobildung 3.2.2 Mordkampagnen und Teilung des Ghettos . . . . 3.2.3 Zeugenschaft, Taten und Täter . . . . . . . . . . 3.2.4 Ghettoalltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Reaktionen – Verzweiflung, Selbstbehauptung und Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Das Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Nach dem Massenmord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Juden in Tarnów in der unmittelbaren Nachkriegszeit . . . . . 4.2 Die Ahndung der in Tarnów begangenen NS-Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit

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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . Unveröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . Veröffentlichte Quellen und Literatur . . . . Veröffentlichte Quellen, Erinnerungsberichte, Tagebücher und Memoiren . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . .

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Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort Die vorliegende Studie ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im August 2014 unter dem Titel „Die Shoah im Distrikt Krakau des Generalgouvernements. Eine Fallstudie am Beispiel der Stadt Tarnów“ an der Universität Heidelberg angenommen wurde. An dieser Stelle möchte ich einer Reihe von Menschen meinen ausdrücklichen Dank aussprechen, die zum Gelingen dieser Arbeit einen wesentlichen Anteil beitrugen. Zunächst will ich meinem Doktorvater Edgar Wolfrum besonders danken. Durch fachliche und persönliche Gespräche trug er im besonderen Maße zum Gelingen der Arbeit bei. Auch mein Zweitgutachter Cord Arendes hat mich stets unterstützt; ihm sei an dieser Stelle ebenfalls gedankt. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen gaben mir wertvolle Ratschläge und Hinweise, von denen die vorliegende Untersuchung sehr profitierte: Jochen Böhler, Martin Cüppers, Martin Dean, Tomasz Frydel, Imke Hansen, Alicja Jarkowska-Natkaniec, Stephan Lehnstaedt, Andrea Löw, Klaus-Michael Mallmann, Dieter Pohl, Markus Roth, Gunnar Seelow, Dagmara Swałtek sowie Mario Wenzel danke ich sehr herzlich. Viele Institutionen und Stiftungen haben meine Forschungen in den letzten Jahren großzügig unterstützt. Zunächst möchte ich mich beim Akademischen Auslandsamt der Universität Heidelberg für die Teilnahme an Sommersprachkursen in Polen bedanken. Das Deutsche Historische Institut in Warschau hat mein Promotionsvorhaben durch Stipendien großzügig gefördert. Darüber hinaus hatte ich in Warschau einen regen wissenschaftlichen Austausch, von dem meine Arbeit sehr profitierte. Stellvertretend möchte ich mich dafür bei Ruth Leiserowitz herzlich bedanken. Auch hatte ich das Glück, in Israel und in den Vereinigten Staaten meine Archivrecherchen realisieren zu können: Während eines Stipendiums am International Institute for Holocaust Research/Yad Vashem konnte ich nicht nur im dortigen Archiv recherchieren, sondern ich traf auch viele Menschen, die meine Arbeit positiv beeinflussten. So hatte ich die Chance, mit dem renommierten Holocaust-Historiker Israel Gutman ein Gespräch zu führen, von dem ich sehr profitierte. Als 2011–2012 Institut für Zeitgeschichte – United States Holocaust Memorial Museum Exchange Fellow konnte ich für vier Monate einen Forschungsaufenthalt in

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Vorwort

Washington D.C. realisieren. Möglich machte dies die Curt C. and Else Silberman Foundation, der ich zu großem Dank verpflichtet bin. Auch dem DAAD sowie der Stiftung Targum Shlishi danke ich für die Gewährung von Stipendien. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diversen Archiven im In- und Ausland haben mich bei meinen Recherchetätigkeiten maßgeblich unterstützt. Nennen möchte ich vor allem Mitarbeiter des Bundesarchivs-Außenstelle Ludwigsburg. Dem ehemaligen Leiter Dr. Andreas Kunz danke ich stellvertretend. Eine große Hilfe waren auch Megan Lewis, Vincent Slatt und Ron Coleman vom Archiv des United States Holocaust Memorial Museum in Washington: Sie alle halfen mir mit unermüdlicher Geduld. Im Staatsarchiv-Krakau, Außenstelle Tarnów hatte ich das Glück, auf Jan Chmura zu treffen, der mich bei meinen Archivrecherchen sehr unterstützte. Ihm sei auf diesem Wege gedankt. Auch Elżbieta Jakimek-Zapart von der Bezirkskommission zur Verfolgung von Verbrechen am polnischen Volk in Krakau möchte ich ausdrücklich danken. Sie machte vieles Unmögliche möglich und ihre herzliche und mütterliche Art machten die dortigen Recherchen zu etwas Besonderem. Auch danke ich den Mitarbeitern des Regionalmuseums in Tarnów. Nicht nur wurden mir auf unbürokratische Weise alle Materialien zur Einsicht gegeben, sondern man nahm mich dort auch herzlich auf. Mein besonderer Dank gilt Adam Bartosz, der immer ein offenes Ohr für mich hatte. Kurz vor Abschluss meiner Dissertation hatte ich das große Glück, an der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart einen Arbeitsplatz zu finden. Für dies und vor allem für die herzliche Aufnahme danke ich besonders Wolfram Pyta, Martin Cüppers sowie Eva Samuel-Eckerle. Martin Cüppers sowie Klaus-Michael Mallmann lasen nicht nur das gesamte Manuskript, sondern gaben mir auch wertvolle Hinweise. Eva Samuel-Eckerle half mit der Anfertigung der Orts- und Namensregister. Allen sei hiermit herzlich gedankt. Der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt und ihrem Lektor Daniel Zimmermann danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in ihr Verlagsprogramm. Ein großer Dank gilt auch den Überlebenden und Nachkommen aus Tarnów, die mich an ihrer Geschichte teilhaben ließen, mich unterstützten und in meinem Vorhaben bestärkten. Last but not least danke ich besonders meinen Eltern Sybille und Hans Hembera, die durch ihre beständige und bedingungslose Unterstützung mehr als alle anderen zur Fertigstellung dieser Dissertation beigetragen haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Ludwigsburg, Dezember 2015

Melanie Hembera

Einleitung Wir schreiben das Jahr 1994. Ein Rabbiner aus dem US-amerikanischen Baltimore organisiert eine Reise nach Polen. Auch Felicia Graber nimmt gemeinsam mit ihrem Ehemann Howard daran teil. In Polen angekommen, besichtigt die Reisegruppe verschiedene Ortschaften, auch ehemalige Lager, die von den Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs errichtet worden waren, um die jüdische Bevölkerung auszubeuten und zu ermorden – Majdanek, Auschwitz und Treblinka. Nach zehn Tagen ist die Reise zu Ende. Die Gruppe kehrt in die Vereinigten Staaten zurück. Felicia und Howard allerdings beginnen nun ihre eigene, ganz persönliche Reise.1 Ihr Ziel ist Tarnów, rund 80 Kilometer ostwärts von Krakau gelegen, gegenwärtig die nach Krakau zweitgrößte Stadt der heutigen Wojewodschaft Kleinpolen (małopolskie). In Tarnów angekommen, findet Felicia Graber das Haus und die Wohnung, in der sie geboren wurde. Jenes Haus, in dem sie gemeinsam mit ihren Eltern bis zur zwangsweisen Umsiedlung ins Ghetto lebte. In ihrer einstigen Wohnung lebt nun eine ältere Polin, die, wie sich herausstellt, bereits seit vielen Jahrzehnten dort wohnt. Sie hatte diese übernommen, nachdem die jüdische Familie sie verlassen musste. Im Gespräch mit der Frau fragt sich Felicia, ob die alten Massivmöbel wohl einst ihren Eltern gehört hatten. Sie scheut sich jedoch, danach zu fragen. Neben der Wohnung findet Felicia auch das Geschäft, in dem ihr Vater und Großvater arbeiteten. Zufälligerweise trifft sie auf einen alten polnischen Uhrmacher, der sich sogar an ihre Familie zu erinnern scheint. Auch das Haus, in dem sie nach der Ghettobildung mit vielen anderen Menschen leben musste, kann Felicia Graber finden. Bevor das Ehepaar Tarnów verlässt, besucht es den jüdischen Friedhof der Stadt. Sie hofft, mit Hilfe einer Fotografie das Grab ihrer Großmutter zu finden. Felicias Mutter hatte den Grabstein restaurieren lassen, ehe sie im Jahre 1947 aus Polen emigrierte. 2 Jahre zuvor bildete Tarnów ein bedeutendes jüdisches Zentrum im einstigen Westgalizien. 3 Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zählte die Stadt 1 2 3

Graber, Journey, S. 148–151. Ebd., S. 152. Westgalizien bezeichnet den Teil des Königreichs Polen, der mit der dritten pol-

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Einleitung

rund 25.000 jüdische Einwohner, was 45 Prozent der Gesamtbevölkerung entsprach. 4 Somit war beinahe die Hälfte der Bewohner Tarnóws mosaischen Glaubens. Die jüdische Gemeinde nahm nicht nur zahlenmäßig, sondern auch im sozialen, kulturellen, politischen und vor allem im ökonomischen Bereich eine wichtige Rolle innerhalb des städtischen Gesellschaftsgefüges ein. Dies sollte sich jedoch mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs schlagartig ändern. Unmittelbar nach dem deutschen Einmarsch Anfang September 1939 folgten antijüdische Verordnungen, die auf Entrechtung, Ausbeutung und Isolierung der jüdischen Bevölkerung abzielten. Ein geschlossenes Ghetto wurde in der Stadt erst im Juni 1942 eingerichtet. Das Ghetto in Tarnów war eines der größeren im gesamten Generalgouvernement, in dem nicht nur die Ortsansässigen, sondern auch Juden aus anderen Städten und Ländern auf engstem Raum leben mussten. Im September 1943, zu einer Zeit, als die meisten anderen Ghettos im Distrikt Krakau bereits aufgelöst waren, wurde das Ghetto in Tarnów liquidiert; das Gros der Insassen deportierte man nach Auschwitz. Sieht man von jenen Juden ab, die bereits 1939 in das sowjetisch besetzte Gebiet geflohen waren, überlebten lediglich einige hundert Juden aus Tarnów die NS-Besatzungszeit, hiervon ein geringer Teil außerhalb des Ghettos mit falschen Papieren oder in Verstecken. Innerhalb der westlichen Holocaust-Historiographie gleicht Tarnów immer noch einem weißen Fleck auf der Landkarte. Dies verwundert angesichts der Größe und der Bedeutung, die diese Kehilla, die alte jüdische Gemeinde, im Vorkriegspolen hatte: Schließlich war sie die viertgrößte jüdische Gemeinde im einstigen Galizien. Aber auch unter NS-Besatzung nahm Tarnów eine Sonderrolle ein: Das dortige Ghetto war eines der größten im gesamten Distrikt Krakau. Obgleich vor allem in den letzten Jahren einige Regionalstudien entstanden sind, wurde die Geschichte der jüdischen Bevölkerung Tarnóws unter NS-Besatzung von der bisherigen westlichen Forschung nur unzureichend beleuchtet. Die Historiographie verfügt über keine weitreichenden Erkenntnisse in Bezug auf die vor Ort agierenden Täter und die von ihnen praktizierten nationalsozialistischen Maßnahmen gegenüber der jüdischen Bevölkerung. Analoge Befunde gelten für die Betroffenen: Auch deren konkrete Lebensbedingungen im Zuge der fortschreitenden Entrechtung und Verfolgung, deren Reaktionen, nischen Teilung im Jahr 1795 an Österreich fiel und mit dem damaligen Kronland Galizien, welches seit der ersten polnischen Teilung 1772 österreichisch war, vereinigt wurde. 4 Vgl. Bartosz, Tarnowskie Judaica, S. 26.

Stand der Forschung

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Handlungsspielräume und damit einhergehende Überlebensstrategien bleiben bis dato im Dunkeln. In der vorliegenden Studie werden diese Themenkomplexe umfassend behandelt, um das Forschungsdesiderat zu beheben. Stand der Forschung Bereits unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs setzte in Polen eine intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit der deutschen Besatzungspolitik im Allgemeinen und mit der deutschen „Judenpolitik“ im Speziellen ein. Eine Fülle von Publikationen entstand. 5 Demgegenüber beschäftigte sich die westliche Historiographie erst viel später mit der Judenverfolgung und dem Judenmord in den besetzten polnischen Gebieten. Seit den 1960er Jahren erfolgte ganz allmählich eine wissenschaftliche Annäherung an diesen Gegenstand. Erstmalig umfassend wurde der deutsche Besatzungsapparat und die durch ihn praktizierte Politik von Martin Broszat und Gerhard Eisenblätter untersucht. 6 Im folgenden Jahrzehnt beschäftigte sich zunächst Christoph Kleßmann mit der NS-Kulturpolitik und der polnischen Widerstandsbewegung im Generalgouvernement, während sich Hans Umbreit den deutschen Militärverwaltungen in Polen und der Tschechoslowakei widmete.7 Nach der Veröffentlichung der Quellenedition des Diensttagebuches von Generalgouverneur Hans Frank durch Werner Präg und Wolfgang Jacobmeyer 8 sowie Diemut Majers Monographie über die rechtliche Behandlung der „Fremdvölkischen“ im Dritten Reich 9 verschwand das Generalgouvernement zunächst von der wissenschaftlichen Agenda. Im Vordergrund der westlichen Historiographie stand in den 1970er und 1980er Jahren vor allem die intensiv geführte Debatte zwischen Intentionalisten und Funktionalisten. 10 Erst zu Beginn der 1990er Jahre, mit dem Ende des Kommunismus in Mittel- und Osteuropa und den damit einhergehenden Archivöffnungen, setzte innerhalb der westlichen Geschichtswissenschaft ein Wandel in der Themensetzung ein, wobei nun auch die besetzten Gebiete Ost- und Ost5 Einen Überblick über die ältere polnische Forschung zur NS-Besatzung in Polen liefert Frieske, Materiały. Im Speziellen zum Judenmord vgl. Krakowski, Holocaust; Dobroszycki, Historiografia; Tomaszewski, Historiography; Aleksiun, Historiography. 6 Broszat, Polenpolitik; Eisenblätter, Grundlinien. 7 Kleßmann, Selbstbehauptung; Umbreit, Militärverwaltungen. 8 Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch. 9 Majer, „Fremdvölkische“. 10 Einen hervorragenden Forschungsüberblick liefert Kühne, Vernichtungskrieg.

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Einleitung

mitteleuropas zunehmend untersucht wurden. In den Blick der Forschung rückte das Generalgouvernement wieder mit der Arbeit von Götz Aly und Susanne Heim über die „Vordenker der Vernichtung“, die erstmalig 1990 veröffentlicht wurde.11 In der Folgezeit wurden einige ausführliche Regionalstudien publiziert, die sich mit unterschiedlichen Regionen sowie Teilbereichen deutscher Besatzungspolitik 12, vor allem jedoch mit dem Mord an der jüdischen Bevölkerung im besetzten Polen befassten. Den Anfang machte Dieter Pohl, der sowohl die „Judenpolitik“ im Distrikt Lublin als auch im Distrikt Galizien analysierte.13 Ebenfalls mit Galizien befasste sich Thomas Sandkühler, allerdings legte er einen Schwerpunkt auf die Rettungsaktionen von Berthold Beitz für jüdische Zwangsarbeiter.14 Die Rolle der Zivilverwaltung bei der Organisation und Realisierung der „Endlösung“ wurde von Bogdan Musial am Beispiel des Distrikts Lublin untersucht.15 Auch David Silberklang forschte zum Distrikt Lublin, wobei er sich auf die Judenverfolgung und -vernichtung in diesem Gebiet konzentrierte.16 Robert Seidel analysierte demgegenüber die Ausbeutungs-, Terror- sowie Vernichtungspolitik im Distrikt Radom, wobei er die Behörden der Distrikt- und Kreisebene untersuchte. 17 2007 erschien zudem eine von Jacek Andrzej Młynarczyk verfasste Studie zur gleichen Region, die den Fokus allerdings speziell auf die dort realisierte Judenverfolgung und den Judenmord legte.18 Die genannten Arbeiten analysieren nicht nur die Organisation und den konkreten Ablauf der Judenverfolgung im regionalen Bereich, sondern sie fokussieren auch auf die Täter vor Ort und deren Motivation. Innerhalb des „frühen Täterdiskurses“ 19 allerdings, der in der unmittelbaren Nachkriegszeit geführt wurde, beließ man es bei der Distanzierung vom Gros der Täter. Gerhard Paul merkte hierzu an, dass ein bipolares Täterprofil entstanden sei, das die Täter der Shoah entweder auf dämonische Führungspersonen oder aber auf kriminelle Exzesstäter ein- und damit aus der deutschen Gesellschaft ausgegrenzt habe. 20 Angesichts des Eich11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Aly/Heim, Vordenker. Vgl. exemplarisch Jockheck, Propaganda. Pohl, „Judenpolitik“; ders., Judenverfolgung. Sandkühler, „Endlösung“. Musial, Zivilverwaltung. Silberklang, Gates. Seidel, Besatzungspolitik. Młynarczyk, Judenmord. Paul, Psychopathen, S. 16. Vgl. ebd., S. 17.

Stand der Forschung

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mann-Prozesses in Jerusalem und Hannah Arendts These von der „Banalität des Bösen“ 21 wurde das Bild des bürokratischen „Schreibtischtäters“ geprägt, der als emotionsloser Befehlsempfänger innerhalb der ihm vorgegebenen Strukturen agierte. 22 Eine Überwindung des bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden „amorphen Täterbegriffs“ 23 ging von dem Kriminologen Herbert Jäger aus, der in seiner Habilitationsschrift auf Grundlage von NS-Ermittlungsakten drei Formen der Tatbeteiligung herausarbeitete: Exzess-, Initiativ- und Befehlstaten. 24 Darüber hinaus gelang es Jäger, den „Befehlsnotstand“ zu entkräften, auf den sich zur damaligen Zeit viele Täter vor bundesdeutschen Gerichten beriefen. Empirisch konnte dieser in keinem der analysierten Fälle nachgewiesen werden. 25 Allerdings sollten noch einige Jahre vergehen, bis sich die westliche Forschung den Tätern des Holocaust auf breiter Basis wissenschaftlich annahm. 26 Zu diesem Paradigmenwechsel trugen vor allem die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung „Verbrechen der Wehrmacht“ 27 sowie die kontroversen Studien von Christopher R. Browning und Daniel Jonah Goldhagen bei. Browning entwarf in seiner Monographie über das Reserve-Polizeibataillon 101 28 ein multikausales Erklärungsmuster, wobei er nicht nur ideologische, kulturelle und situative Rahmenbedingungen berücksichtigte, sondern auch individuelle Motivlagen und Dispositionen betonte. 29 Brownings Ergebnisse standen in scharfem Kontrast zu Daniel Jonah Goldhagens Publikation „Hitlers willige Vollstrecker“. 30 Goldhagen, der gleichfalls das Bataillon 101 analysiert hatte, schlussfolgerte, dass sich die Täter aus freiem Willen an den Verbrechen beteiligten und auf diese Weise zu „willigen Vollstreckern“ avancierten. Begründet sah Goldhagen deren Hauptmotivation in einem „eliminatori-

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Arendt, Eichmann. Paul, Psychopathen, S. 20 f. 23 Ebd., S. 33. 24 Jäger, Verbrechen, S. 22 ff. 25 Ebd., S. 158 f. 26 Zur Entwicklung der Debatte über die Täter der Shoah vgl. Longerich, Tendenzen. 27 Hamburger Institut für Sozialforschung, Vernichtungskrieg. 28 Browning, Männer. 29 Vgl. ders., Debatte, S. 149. Auch der Sozialpsychologe Harald Welzer widmete sich in seiner Arbeit der Frage, wie aus „ganz normalen Menschen Massenmörder werden“. Vgl. Welzer, Täter. 30 Goldhagen, Vollstrecker. 22

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Einleitung

schen“ Antisemitismus. 31 Nach der Goldhagen-Kontroverse gingen Historiker zunächst verstärkt dazu über, die Funktionseliten des Dritten Reiches zu analysieren. 32 Seit den letzten Jahren zeichnet sich jedoch der Trend ab, auch Täter der mittleren und unteren Hierarchieebene in den Blick zu nehmen. 33 Im Gegensatz zu den Distrikten Radom, Lublin, Galizien, die inzwischen relativ gut erforscht sind, mangelt es jedoch an westlichen Studien über den Warschauer 34 und Krakauer Distrikt, während in Polen selbst bereits frühzeitig einige Arbeiten über diese Gebiete publiziert wurden. 35 Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenvernichtung im Distrikt Krakau veröffentlichte die polnische Historikerin Elżbieta Rączy im Jahr 2014. 36 Trotz der Tatsache, dass Rączy wichtige Aspekte kaum oder gar nicht berücksichtigt und auch zentrale Quellenbestände (beispielsweise bundesdeutsche NS-Ermittlungsakten) vernachlässigt hat, gibt die Arbeit einen ersten systematischen Überblick über die Judenverfolgung und -ermordung im Distrikt und kann so wichtige Anknüpfungspunkte für künftige Forschungsarbeiten bieten. Obgleich innerhalb der westlichen Geschichtswissenschaft bis dato keine Arbeit über den gesamten Distrikt vorliegt, wurden in den letzten Jahren zumindest einige Teilaspekte analysiert. Klaus-Michael Mallmann beschäftigte sich erstmalig umfassender mit dieser Region. In einem 2002 publizierten Aufsatz ging er der Frage nach der Beteiligung der Sicherheitspolizei am Judenmord im Distrikt Krakau nach, wobei er nicht nur die Organisation und das Personal darstellte, sondern auch die Täter und die durch sie begangenen Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung charakterisierte. 37 Mallmann widmete sich auch der Biografie des berüchtigten Leiters des Grenzpolizeikommissariats Neu-Sandez, Heinrich Hamann, der weder ein „ganz normaler Mann“ noch ein „gewöhnlicher 31

Ebd., S. 439–531. Herbert, Best; Wildt, Generation. 33 Beispielsweise folgender Sammelband, in dem 23 Täterbiographien vorgestellt werden: Mallmann/Paul, Karrieren. 34 Speziell zum Besatzeralltag in Warschau: Lehnstaedt, Okkupation. 35 Vgl. Podhorizer-Sandel, O Zagładzie Żydow; weitere Literatur zum Distrikt Krakau in Auswahl: Agatstein-Dormontowa, Żydzi; Dabrowa-Kostka, W okupowanym Krakowie; Zabierowski, Rzeszowskie pod okupacją; Cynarski/Garbacik, Jasło; Cyran/Rachwał, Eksterminacja; Kowalski, Polityka; Rachwał, Eksterminacja; Wieliczko, Jasielskie; Kotula, Losy; Rączy, Ludność; Roth, Starostowie powiatowi. 36 Rączy, Zagłada. 37 Mallmann, Mensch. 32

Stand der Forschung

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Deutscher“ gewesen sei. 38 Die Rolle der Kreishauptleute im Generalgouvernement untersuchte Markus Roth, der an einigen Stellen auch den Distrikt Krakau näher beleuchtete. 39 Daneben beschäftigte sich Dieter Schenk mit der Krakauer Machtzentrale des Generalgouverneurs Hans Frank. 40 Ebenfalls zu Krakau arbeiteten Andrea Löw und Markus Roth. Sie stellten die Judenverfolgung in der Stadt von 1939 bis 1945 dar. 41 Im selben Jahr, 2011, erschien Jan Grabowskis polnischsprachige Studie zur Jagd nach Juden im ländlichen Raum Dąbrowa Tarnowska, die kurze Zeit später auch in englischer Sprache vorgelegt wurde. 42 Darüber hinaus veröffentlichte die israelische Wissenschaftlerin Rochelle G. Saidel 2013 eine Untersuchung über die Vernichtung der jüdischen Gemeinde in der Ortschaft Mielec. 43 Die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager, die auf dem Gebiet des besetzten Polen errichtet wurden, sind unterschiedlich gut erforscht. Immerhin wurde in den vergangenen Jahren zu verschiedenen Lagerstandorten eine Fülle von Veröffentlichungen vorgelegt. 44 Schwieriger gestaltet sich die Forschungslage 45 zu den von den Nationalsozialisten errichteten jüdischen Zwangsarbeitslagern 46 und Ghettos. In Letzteren lebten – zumindest temporär – rund fünfzig bis sechzig Prozent der jüdischen Opfer. 47 Raul Hilberg schätzt die Zahl der in den Ghettos umgekommenen Juden auf rund 600.000. 48 38

Ders., Hamann. Roth, Herrenmenschen. 40 Schenk, Krakauer Burg. 41 Löw/Roth, Juden in Krakau. 42 Grabowski, Judenjagd [in englischer Sprache: Ders., Hunt]. 43 Saidel, Mielec. 44 Vgl. Orth, System; dies., Konzentrationslager-SS; Arad, Belzec; Marszałek, Majdanek; Długoborski/Piper, Auschwitz; Schelvis, Vernichtungslager; Młynarczyk, Treblinka; Schwindt, Majdanek; Kuwałek, Vernichtungslager. Sara Berger beschäftigte sich hingegen mit den Tätern in den Vernichtungslagern der „Aktion Reinhard“: Berger, Experten. 45 Einen Überblick über den Stand der Forschung bietet Pohl, Ghettos. Hervorzuheben ist auch Michman, Angst [in englischer Sprache: Ders., Emergence]. 46 Es existieren nur vereinzelt Studien zu jüdischen Zwangsarbeitslagern im besetzten Polen. Vgl. etwa Kowalski, Obozy; Pilichowski, Obozy; Rutkowski, Hitlerowskie obozy pracy; Kunicka-Wyrzykowska, Kalendarium; Zabierowski, Pustków; ders., Szebnie; Janczewska, Obozy pracy; Marszałek, Obozy pracy; Browning, Survival; Wenzel, Ausbeutung. Einen hervorragenden Forschungsüberblick über die „späten“ Zwangsarbeitslager liefert Pohl, Zwangsarbeitslager. 47 Dieckmann/Quinkert, Einleitung, S. 9. 48 Hilberg, Vernichtung, S. 1299. 39

16

Einleitung

Bereits Anfang der 1950er Jahre legte Philip Friedman einen Überblick über die Ghettoisierungspolitik vor. 49 Auch Christopher R. Browning beschäftigte sich in seinen Arbeiten intensiv mit dieser Thematik. 50 Gerade das Warschauer Ghetto gilt als verhältnismäßig gut erforscht, obgleich auch zu anderen Ghettos mittlerweile Einzelstudien vorliegen. 51 So befasste sich der polnische Historiker Robert Kuwałek mit unterschiedlichen Ghettos im Distrikt Lublin. 52 Das Ghetto Lublin wurde von Tadeusz Radzik erforscht 53, während Adam Kopciowski den jüdischen Wohnbezirk in Zamość analysierte. 54 Sara Bender untersuchte die Ghettos Białystok und Kielce. 55 Andrej Angrick und Peter Klein beschäftigten sich in ihrer Studie mit dem Pendant in Riga. 56 Auch das Krakauer Ghetto wurde im Rahmen von Monographien behandelt. 57 Der italienische Historiker Gustavo Corni widmete sich in seiner Untersuchung den Menschen im Ghetto. 58 Litzmannstadt stand im Zentrum von Andrea Löws Dissertation. 59 Ihre Arbeit, die sich mit der Innenansicht des Ghettos befasst, stellte innerhalb der westlichen Historiographie Neuland dar: Sie rückte die jüdische Sichtweise in das Zentrum ihrer Studie. Die meisten zuvor publizierten Arbeiten hatten aufgrund ihrer Quellenauswahl eher die Täterperspektive eingenommen und die Seite der Opfer vernachlässigt. Eine Ausnahme bildete hier die bereits erwähnte Arbeit von Jacek Andrzej Młynarczyk. Er rekonstruierte nicht nur die Perspektive der Täter, sondern auch die der Opfer und „Zuschauer“. 60 Demgegenüber muss jedoch resümiert werden, dass Arbeiten, die sich mit Ghettos von kleinerer und mittlerer Größe befassen, innerhalb der Historiographie immer noch ein Desiderat darstellen. 61

49

Friedman, Research. Browning, Entfesselung. 51 Zum Ghetto Warschau vgl. Sakowska, Menschen; Engelking/Leociak, Getto Warszawskie; Löw/Roth, Warschauer Getto. 52 Kuwałek, Durchgangsghettos. 53 Radzik, Lubelska dzielnica. 54 Kopciowski, Judenrat; ders., Zagłada. 55 Bender, Jews; dies., Be’erez ojev. 56 Angrick/Klein, „Endlösung“. 57 Zimmerer, Zamordowany świat; Bieberstein, Zagłada; Löw/Roth, Juden in Krakau. 58 Corni, Hitler’s Ghettos. 59 Löw, Juden; weitere Studien zum Ghetto Litzmannstadt sind Trunk/Shapiro, Łódż Ghetto. 60 Młynarczyk, Judenmord. 61 Vgl. Lehnstaedt, Kleine Ghettos. 50

Ziel und Aufbau der Studie

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Speziell mit Blick auf das Ghetto in Tarnów und hinsichtlich des Schicksals der jüdischen Bevölkerung unter NS-Besatzung lässt sich festhalten, dass westliche Studien, die sich mit der Judenverfolgung und dem Judenmord in Tarnów befassen, fehlen. In Polen selbst wurden zwar wenige knappe Studien publiziert, die sich der Thematik annähern. Allerdings erschienen viele bereits in den 1970er und 1980er Jahren; es wurden daher nicht die heute zugänglichen Quellen genutzt und darüber hinaus kaum moderne Fragestellungen entwickelt. 62 Vor allem Mitarbeiter des Regionalmuseums in Tarnów (Muzeum Okręgowy w Tarnowie) legten einige Veröffentlichungen vor, die sich auch der Geschichte der jüdischen Bevölkerung Tarnóws unter NS-Besatzung widmeten. 63 Über die Juden in Tarnów nach 1945 veröffentlichte der polnische Historiker Julian Kwiek zwei Aufsätze. Auf Grundlage umfangreicher Quellenbestände zeichnete er die Entwicklung der jüdischen Gemeinde, den Aufbau des jüdischen Bezirkskomitees in der Stadt, sowie den Versuch der Reaktivierung der jüdischen politischen Parteien nach. 64 Auch in den Ghettoenzyklopädien des United States Holocaust Memorial Museum sowie von Yad Vashem wurde das Ghetto in Tarnów behandelt. 65 Damit lässt sich festhalten, dass die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Tarnów bis dato nur unzureichend erforscht wurde. Die existierenden polnischen Veröffentlichungen können einen ersten Zugriff auf das Thema ermöglichen, wobei bei den vor dem Ende des Sozialismus erschienenen Publikationen auch der politische Entstehungskontext Berücksichtigung finden muss. Von bisherigen Veröffentlichungen profitiert die vorliegende Studie, gleichzeitig erweitert sie die Analyse erheblich. Dies ergibt sich einerseits aufgrund der Darstellung der jüdischen Perspektive, die bis dato kaum von der Forschung beachtet wurde. Andererseits wurden umfangreiche und zum Teil bislang unberücksichtigte Quellenbestände ausgewertet, die in unterschiedlichen Archiven eingesehen worden sind. Ziel und Aufbau der Studie Thema dieser Studie ist die Frage nach dem Schicksal der jüdischen Bevölkerung in Tarnów unter nationalsozialistischer Besatzung. Die Stadt soll

62 Pietrzyk, Z dziejów zagłady żydowskiej; Pietrzykowa, Region; Pietrzyk, Ziemia tarnowska. 63 Bartosz, Tarnowskie Judaica; ders., Żydowskim szlakiem; Bańburski/Bogacz/ Kozioł, Żydzi. 64 Kwiek, Z dziejów ludności żydowskiej; ders., Dzieje. 65 Miron, Encyclopedia; Dean, Encyclopedia.

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Einleitung

einer grundlegenden lokalgeschichtlichen Analyse in Bezug auf die nationalsozialistische „Judenpolitik“ unterzogen werden. Allerdings geht es dabei nicht nur um eine Darstellung des Handelns und Verhaltens der Täter vor Ort. In jedem Stadium der nationalsozialistischen Entrechtung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung wird auch die Perspektive der Opfer berücksichtigt, deren Lebensbedingungen, Verhalten, Reaktionen und konkrete Handlungsspielräume werden analysiert. Die Studie intendiert demzufolge, die Geschichte der jüdischen Bevölkerung Tarnóws unter nationalsozialistischer Besatzung aus einer multiperspektivischen Sicht auszuleuchten. Die Arbeit folgt dabei einem zu großen Teilen diachronen Aufbau, der sich an den Phasen der Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Tarnóws orientiert. Der zeitliche Fokus umfasst die Zeit vom deutschen Überfall auf Polen im September 1939 bis Februar 1944, als die letzten Juden aus Tarnów deportiert wurden. Allerdings erscheint es darüber hinaus sinnvoll, auch auf die Vor- und Nachgeschichte einzugehen. Die Analyse des Schicksals der jüdischen Bevölkerung unter NS-Besatzung bildet den Hauptteil der vorliegenden Untersuchung, der in zwei große Teile gegliedert ist: Der erste Teil behandelt die Phase ab dem deutschen Einmarsch bis zum Beginn des systematischen Genozids an der jüdischen Bevölkerung. Im Zentrum des zweiten Teils steht sowohl das Ghetto also auch die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Tarnóws im Rahmen der „Aktion Reinhard“. Daraus ergibt sich für die vorliegende Arbeit folgender Aufbau: In dem der Einleitung folgenden ersten Kapitel wird zunächst das jüdische Leben in Tarnów vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bis zur Besetzung der Stadt im September 1939 dargestellt. Welche Bedeutung nahm die jüdische Bevölkerung im dortigen Leben ein? Wie gestaltete sich deren Gemeindeleben? Und schließlich: In welcher Beziehung standen Juden und Christen in der Vorkriegszeit? Im darauffolgenden Unterkapitel wird die Etablierung der „neuen“, nationalsozialistischen Ordnung in Tarnów beschrieben. Diesem folgt eine Darstellung des Besatzungsapparats sowohl für die Distriktebene als auch für Tarnów. Diese Analyse liefert den biographisch-institutionellen Hintergrund für das Nachfolgende. Die Phase der allmählichen Radikalisierung der nationalsozialistischen „Judenpolitik“ bis unmittelbar vor Beginn der „Aktion Reinhard“ steht im Zentrum des zweiten Kapitels. Zunächst wird ein allgemeiner Überblick über die nationalsozialistische Politik gegeben, die seit dem Einmarsch der Deutschen in Polen gegenüber der jüdischen Bevölkerung praktiziert wurde. Im Anschluss erfolgt eine Rekonstruktion der in Tarnów realisierten

Ziel und Aufbau der Studie

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antijüdischen Entrechtungs- und Verfolgungsschritte, wobei der Fokus zunächst auf den von der Zivilverwaltung betriebenen Maßnahmen liegt. Jenseits der von der Kreishauptmannschaft erlassenen NS-Verordnungen entwickelte sich seit September 1939 eine Eigendynamik der Gewalt gegenüber den jüdischen Einwohnern, was in einem separaten Unterkapitel behandelt wird. Die Betrachtungsebene der Täter wird anschließend durch die Perspektive der jüdischen Bevölkerung durchbrochen und erweitert. Zunächst erfolgt eine Analyse der jüdischen Bevölkerungsentwicklung in Tarnów, die angesichts des Kriegs einer massiven Veränderung unterlag. Nachfolgend werden die einzelnen jüdischen Institutionen, die im Rahmen der „Selbstverwaltung“ agierten, dargestellt und deren genaue Tätigkeit näher beleuchtet. Im darauffolgenden Unterkapitel wird jüdisches Leben im Angesicht der seit September 1939 forcierten nationalsozialistischen „Judenpolitik“ untersucht. Wie gestaltete sich die Situation unter deutscher Besatzung für die Menschen konkret? Mit welchen Problemen war die einfache jüdische Bevölkerung im Zuge der fortschreitenden NS-Maßnahmen konfrontiert? Existierten Wege, sich einzelnen Verordnungen zu entziehen? Die Phase der systematischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Tarnów im Zuge der „Aktion Reinhard“ wird im dritten Kapitel beleuchtet. Zunächst allerdings wird die Entscheidungsbildung zur „Aktion Reinhard“ sowie das Personal, die Organisation und der Verlauf der Mordkampagnen im Distrikt Krakau nachgezeichnet. Diese Rekonstruktion erscheint notwendig, liefert sie doch den makrohistorischen Hintergrund für die folgenden Kapitel. Danach wird die NS-Vernichtungspolitik in Tarnów rekonstruiert. Dabei werden nicht nur die einzelnen Mordkampagnen und die Ghettobildung nachgezeichnet, sondern es wird auch ein spezielles Augenmerk auf die Täter und die durch sie verübten Verbrechen gerichtet. Anschließend wird die Perspektive der jüdischen Bevölkerung eingenommen, indem das Ghetto aus dessen Innenansicht beleuchtet wird. Der Begriff des „Ghettos“ war und ist, wie der israelische Historiker Dan Michman aufzeigte, keineswegs immer eindeutig konnotiert und unterlag zudem im zeitlichen Verlauf einem steten Wandel. 66 Im Nationalsozialismus definierte sich der Begriff primär durch die Sprache, der ein Gebiet als „Wohngebiet der Juden“, „Jüdisches Wohnviertel“ oder eben als Ghetto umschrieb. 67 In der vorliegenden Arbeit wird auf die Definition von 66 67

Michman, Angst. Dean, Encyclopedia, S. XLIII; Lehnstaedt, Kleine Ghettos, S. 14.

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Einleitung

Martin Dean, Herausgeber der „United States Holocaust Memorial Museums Encyclopedia of Camps and Ghettos“, zurückgegriffen: Er charakterisiert ein Ghetto als einen abgetrennten Bezirk, in welchem die Juden auf Befehl der Deutschen konzentriert wurden. In diesem Bereich durften lediglich Juden leben; nichtjüdischen Menschen war dies nicht gestattet. 68 Als weiteres Kriterium sei ergänzt, dass es der jüdischen Bevölkerung unter Strafandrohung verboten war, das Ghetto ohne Erlaubnis der Deutschen zu verlassen. Im Zentrum des Kapitels über das Ghetto stehen Fragen nach den konkreten Lebensbedingungen der eingeschlossenen Menschen. Von besonderem Interesse ist hierbei die Frage, auf welche Weise sich deren Alltag gestaltete. Welcher Arbeit gingen die Ghettoinsassen nach? Wie gelangten sie an Waren des täglichen Bedarfs? Und schließlich: Welche Überlebensstrategien wurden entwickelt, um der Vernichtung entkommen zu können? Das dritte Kapitel schließt mit einer Beschreibung der Ghettoliquidierung, die im September 1943 realisiert wurde. Das vierte Kapitel widmet sich der unmittelbaren Nachkriegszeit. Zunächst geht es um die Frage, auf welche Weise versucht wurde, jüdisches Leben nach der Shoah in der Stadt zu reaktivieren. Im Zentrum des zweiten Teils steht die justizielle Ahndung der NS-Verbrechen, die an der jüdischen Bevölkerung begangen wurden. Quellenlage Die vorliegende Studie basiert in der Hauptsache auf unveröffentlichten Quellen, die sich in drei Quellengattungen unterteilen lassen: Erstens zeitgenössische Überlieferungen, zweitens NS-Ermittlungsakten und drittens sogenannte „Ego-Dokumente“ und Selbstzeugnisse. Die zeitgenössische Quellenlage zur vorliegenden Thematik ist nicht unproblematisch. Ein großer Teil der Dokumente der Besatzungsinstitutionen wurde vor dem deutschen Rückzug vernichtet. Die erhalten gebliebenen Unterlagen befinden sich verstreut in unterschiedlichen deutschen und polnischen Archiven. Kopien einschlägiger Dokumente verwahrt zudem das Archiv des United States Holocaust Memorial Museum in Washington D.C., wie beispielsweise Quellen aus dem Staatsarchiv Krakau-Außenstelle Tarnów. 69 Im letztgenannten Archiv lassen sich zentrale Überlieferungen der lokalen Besatzungsbehörden finden, wie der Bestand des Kreishauptmanns in Tarnów, der Einblicke in die zahlreichen antijüdischen Verordnungen und 68 69

Dean, Encyclopedia, S. XLIII. USHMM, RG-15.020M.

Quellenlage

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NS-Maßnahmen gegen die jüdische Gemeinde der Stadt gewährt. 70 Im Bereich der Kreisverwaltung sind in Teilen die Lageberichte des Kreishauptmanns überliefert, die Aufschlüsse über die Tätigkeit der Kreisbehörde erlauben. Die Berichte sind in den polnischen Prozessunterlagen gegen Josef Bühler, einstiger Stellvertreter des Generalgouverneurs, zu finden. Die Unterlagen dieses Prozesses sind umfangreich: Beinahe 300 Bände umfassend, sind darin unzählige Originaldokumente und Kopien, Vernehmungsprotokolle und Gutachten enthalten, die weitreichende Erkenntnisse über die Besatzungspolitik im Generalgouvernement ermöglichen. 71 Auch das Regionalmuseum in Tarnów verwahrt eine Reihe von Quellendokumenten diverser Provenienz. Ein Großteil dieser Bestände wurde für die vorliegende Arbeit ebenfalls ausgewertet. Als wenig ergiebig erwiesen sich Recherchen nach Akten des SS- und Polizeiapparats in Tarnów. Die meisten Dokumente sind nicht überliefert, vielmehr sind lediglich Aktensplitter auffindbar. Ähnliche Befunde gelten für die Schriftstücke der jüdischen Gemeinde in Tarnów. Allerdings finden sich einige Dokumente im Archiv des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau.72 Ebenfalls von Interesse für die vorliegende Studie sind schließlich die im dortigen Archiv aufbewahrten Akten des Zentralkomitees der Juden in Polen (Centralny Komitet Żydów Polskich, CKŻP), die Aufschluss über die Situation der jüdischen Gemeinde kurz nach Kriegsende zu geben vermögen. 73 Einige der Unterlagen von Yad Vashem über die „Gerechten unter den Völkern“ sind im Archiv des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau in Kopie einsehbar. Diese Quellen können einen Eindruck der Rettungsaktionen von Juden durch christliche Polen vermitteln. In diesem Bestand sind auch Informationen über Hilfeleistungen für Juden in Tarnów auffindbar, obgleich diese lediglich eine Annäherung an die Thematik sein können.74 Als aufschlussreich erwiesen sich zudem die überlieferten Akten der Staatsanwaltschaft beim Bezirksgericht in Tarnów, die Ermittlungstätigkeiten aufgrund diverser Delikte unter deutscher Besatzung dokumentieren. 75 Neben den bereits genannten Quellen wurde für die vorliegende Arbeit die polnischsprachige Jüdische Zeitung (Gażeta Żydowska, GŻ) systematisch ausgewertet. Die GŻ, die 70

ANK-T, 33/12. AIPN, GK 196; USHMM, RG-15.170M. Die Lageberichte der Kreis- und Stadthauptleute befinden sich in Kopie auch im IfZ sowie im BAB. 72 AŻIH, 211/1018–1026. 73 Ebd., 303/II, 303/V, 303/VIII, 303/XVIIII. 74 Ebd., 349. 75 ANK-T, 33/98. 71

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Einleitung

erstmalig am 23. Juli 1940 veröffentlicht wurde, stand unter deutscher Aufsicht und erschien jeweils dienstags und freitags, wobei der Umfang jeweils zwischen sechs und 16 Seiten variierte. Die GŻ wurde bis Juli 1942 veröffentlicht.76 Inhaltlich lag ihr Fokus vor allem auf unterschiedlichen Bereichen des alltäglichen Lebens der jüdischen Gemeinden im Generalgouvernement. 77 Die Zeitung ist in digitalisierter Form im Archiv des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau einsehbar. Den zweiten wichtigen Quellenfundus bilden die Ermittlungsakten bundesdeutscher sowie polnischer Staatsanwaltschaften der Nachkriegszeit. Diese beinhalten neben den Vernehmungsprotokollen 78 auch die Anklage- und Urteilsschriften sowie, falls vorhanden, die Einstellungsverfügungen. Die bundesdeutschen Justizakten lassen sich auszugsweise im Bundesarchiv-Außenstelle Ludwigsburg finden. Die vollständigen Ermittlungsakten sind hingegen bei der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft, die das Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigten führte oder im jeweiligen Landesarchiv einzusehen. Neben zahlreichen Beständen im Bundesarchiv-Außenstelle Ludwigsburg wurden für die vorliegende Studie Verfahrensakten der Staatsanwaltschaft Bochum herangezogen, die nun im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen lagern.79 Diese Überlieferungen wurden bislang nicht auf historischer Basis ausgewertet. Rechtskräftige Urteile bis 2012 sind zudem in der Sammlung „Justiz und NS-Verbrechen“ veröffentlicht. 80 Darüber hinaus finden sich einige einschlägige Anklage- und Urteilsschriften in Kopie im Institut für Zeitgeschichte in München. Neben den bundesdeutschen Ermittlungsverfahren sind polnische Verfahren für das Thema der vorliegenden Arbeit von Relevanz. Die polnischen Gerichtsakten befinden sich entweder im Archiv des Instituts für Nationales Gedenken (Archiwum Instytutu Pamięci Narodowej, AIPN) in Warschau oder in dessen regionaler Abteilung in Krakau. Darüber hinaus 76

Vgl. Kurek, Relations, S. 214. Nicht über alle jüdischen Gemeinden finden sich Informationen in der GŻ. Dies war wohl stark von dem Engagement der jeweiligen Autoren abhängig. Die Beiträge, die Tarnów betreffen, sind jedoch sehr umfangreich. 78 In der vorliegenden Arbeit wurden Namen von Personen, die im Rahmen von Ermittlungsverfahren befragt wurden, aufgrund des Persönlichkeitschutzes in der Regel anonymisiert. Wurden Namen bereits im Zusammenhang mit anderen Veröffentlichungen genannt, wurde auf eine Anonymisierung verzichtet. 79 LNW, 16 Ks 63/01 StA Bochum, 16 Ks 68/01 StA Bochum, 16 Ks 70/02 StA Bochum. 80 Rüter, JNSV. 77

Quellenlage

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wurden umfangreiche Ermittlungsverfahren eingesehen, die sich in der Bezirkskommission zur Verfolgung der Verbrechen gegen das polnische Volk in Krakau befinden. 81 Auch polnische Prozessakten auf Basis des sogenannten „August-Dekrets“ zur Verfolgung von Verbrechen gegen die polnische Nation liefern wichtige Informationen, die Rückschlüsse auf Verbrechen gegen die jüdische Bevölkerung in Tarnów zu geben vermögen. 82 Schließlich wurden auch Kopien einiger umfangreicher Prozessunterlagen polnischer Provenienz, wie das Verfahren gegen Amon Leopold Göth, im Archiv des United States Holocaust Memorial Museum ausgewertet. 83 Gerade angesichts des Mangels an zeitgenössischen Dokumenten avancierten NS-Ermittlungsakten zu einer wichtigen Grundlage der NS-Forschung. Obgleich das Hauptaugenmerk solcher Justizakten auf den Taten und Tätern liegt, werden diese Quellen auch zunehmend für andere historische Fragestellungen herangezogen. 84 Allerdings sollte auch im Umgang mit diesen Überlieferungen nicht auf die nötige Quellenkritik verzichtet werden. 85 Gerade mit der Heranziehung von NS-Ermittlungsakten verbinden sich eine Reihe methodischer Probleme, wie deren Entstehungszusammenhang: Akten aus NS-Prozessen spiegeln die Ermittlungsarbeit von Staatsanwälten, Richtern sowie Polizeibeamten wider. 86 Wolfgang Scheffler formulierte hierzu zutreffend, das Ziel eines Strafprozesses sei es, die Verletzung der Gesetzesnorm zu untersuchen und zu ahnden. Es sei nicht sein Zweck, Geschichtsforschung zu betreiben. 87 Sich dessen bewusst zu sein, ist eine notwendige Voraussetzung für den Umgang mit diesen Akten. Eine weitere methodische Problematik betrifft den Zeitpunkt der Aussagen und Vernehmungen, da diese häufig erst viele Jahre nach den Ereignissen zu Protokoll gegeben wurden. Die Erinnerung an das Erlebte kann in der Zwischenzeit vielfältigen inneren und äußeren Einflüssen und damit Veränderungen unterlegen haben. Dies zu berücksichtigen ist ebenso erforderlich wie die Vergegenwärtigung, welche Stellung die befragte Person zu Zeiten des historischen Ereignisses als auch im Moment der Befragung einnahm. So neigten Täter im Rahmen von Ermitt81

OKŚZpNP Kr, Ds 3/67, Ds 1/70 sowie Ds 14/67. Hierbei handelt es sich um den Bestand des Berufungsgerichts in Krakau: ANK, 29/SAKr. 83 USHMM, RG-15.170M. 84 Vgl. exemplarisch Lehnstaedt, Täterforschung. 85 Ausführlicher Hembera, Ermittlungsakten. 86 Vgl. Wildt, Wahrheiten. 87 Scheffler, NS-Prozesse, S. 16. 82

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lungen natürlich dazu, Tatsachen zu verschweigen, zu verharmlosen oder andere Personen für Verbrechen verantwortlich zu machen. Demgegenüber wird man bei der Auswertung von Aussagen des Opferkreises häufig mit ganz anderen Schwierigkeiten konfrontiert. So stellten Jürgen Finger und Sven Keller fest, dass der Holocaust die Überlebenden mit lang andauernden existenziellen Ausnahmesituationen konfrontiert, sie nicht selten als einzige Überlebende des eigenen familiären und sozialen Umfeldes zurückgelassen und tief traumatisiert habe. 88 Die dritte relevante Quellengattung für diese Arbeit sind persönliche Aufzeichnungen. Neben Tagebüchern, die während der NS-Besatzung geführt wurden 89, berücksichtigt die vorliegende Arbeit in der Hauptsache Memoiren und Erinnerungsberichte, die nach Kriegsende entstanden sind. Hierbei ist zunächst der Bestand 301 aus dem Archiv des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau von großer Bedeutung. 90 Diese Sammlung beinhaltet Berichte, die von Überlebenden vor der jüdischen Kommission in Polen mündlich gegeben und aufgezeichnet wurden, sowie selbst verfasste Berichte. Letztere entstanden vielfach unmittelbar nach der Befreiung, was sich meist günstig auf deren Detailgenauigkeit auswirkte. Weitere, unveröffentlichte Erinnerungsberichte jüdischer Überlebender lassen sich zudem im Archiv von Yad Vashem in Jerusalem und im Archiv des United States Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. finden. Neben diesen wichtigen Quellen existiert ein zweibändiges Erinnerungsbuch über die jüdische Gemeinde in Tarnów, das nach Kriegsende entstand. Verfasst wurde dieses sogenannte Yizkor-Buch in jiddischer und hebräischer Sprache; es beinhaltet Beiträge von Überlebenden über die jüdische Gemeinde in Tarnów vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Die historische Abteilung des Regionalmuseums in Tarnów ließ dieses Erinnerungsbuch vor einigen Jahren ins Polnische übersetzen. 91 Teile dieser Übersetzungen, die sich auf die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung beziehen, wurden veröffentlicht. 92 Einige Überlebende aus Tarnów haben ihre Erinnerungen niedergeschrieben, 88

Finger/Keller, Täter und Opfer, S. 121. Tagebuch Dr. Goldfein, YVA, O.33/195; dto. Michał Weichert, AŻIH, 302/25. 90 Ebd., 301. 91 Chomet, Tarnów. 92 Pietrzykowa/Potępa, Zagłada. Da jene Teile des Buches, die publiziert vorliegen, für die Leserschaft einfacher zugänglich sind, wurden diese für die vorliegende Studie herangezogen. Bei jenen Beiträgen des Yizkor-Buches, die nicht veröffentlicht sind, wurde die polnische Übersetzung des Regionalmuseums benutzt. Dieses ist in der dortigen Bibliothek einsehbar. 89

Quellenlage

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um diese der Nachwelt zugänglich zu machen. Vor allem in den letzten Jahren wurden zahlreiche Memoiren publiziert. 93 Die meisten liegen in englischer Sprache vor; nur vereinzelt wurden diese ins Deutsche übersetzt. 94 Manche Memoiren sind allerdings nicht veröffentlicht und daher lediglich im jeweiligen Archiv einsehbar, in dem sie abgegeben wurden. Für die vorliegende Studie wurden vor allem unveröffentlichte Memoiren im Archiv des United States Holocaust Memorial Museum hinzugezogen. 95 Auch bei den Quellenüberlieferungen der jüdischen Überlebenden, die zum Teil eine große Emotionalität hervorrufen können, ist es erforderlich, sorgfältige Quellenkritik zu üben: So existieren Widersprüche in Bezug auf historische Fakten, Ereignisse, Personen sowie vor allem Daten. Zudem sollte auch die zeitliche Distanz zu den Aussagen der jüdischen Überlebenden stets als Kriterium präsent sein. 96 Eine weitere Quellenart, deren Stellenwert innerhalb der Historiographie in den kommenden Jahren zunehmen dürfte und die gerade für Fragestellungen nach dem Alltag der jüdischen Bevölkerung unter nationalsozialistischer Besatzung äußerst gewinnbringend sein kann, sind Interviews mit Holocaust-Überlebenden. 97 Die größte Sammlung aufgezeichneter mündlicher Zeitzeugenbefragungen von NS-Verfolgten bietet die von Steven Spielberg im Jahre 1994 gegründete „Survivors of the Shoah Visual History Foundation“. Einige dieser Oral History Testimonies wurden im United States Holocaust Memorial Museum ausgewertet, wie auch Zeitzeugeninterviews, die sich im Bestand des Museums selbst befinden. 98 Die für die vorliegende Studie benutzten Quellen vermögen eine multiperspektivische Sicht auf die Frage nach dem Schicksal der jüdischen Bevölkerung unter NS-Besatzung zu geben. Die meisten zeitgenössischen Überlieferungen deutscher Provenienz ermöglichen es, die einzelnen nationalsozialistischen Entrechtungs- und Verfolgungsschritte gegenüber der jüdischen Bevölkerung zu rekonstruieren. Aufgrund der Tatsache, dass eine Vielzahl der Behördenschriftstücke systematisch vernichtet wurde, ist die Heranziehung anderer Dokumente von Nöten. Gerade NS-Ermitt93 Vgl. in Auswahl Frankel, Hell; Goetz, Face; Melnick, Hand; Gammon/Unger, Diary. 94 Beispielsweise Schönker, Ich war acht. 95 Etwa USHMM, RG-02.169M. 96 Löw, Juden, S. 51. 97 An dieser Stelle können keine Überlegungen zum methodischen Umgang mit dieser Quellenart stehen, allerdings sei auf einschlägige Literatur verwiesen. Vgl. Greenspan, Survivors; Langer, Testimonies. 98 USHMM, RG-50.

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lungsakten geben wichtige Hinweise auf die begangenen NS-Verbrechen sowie über die an der Verfolgung und Entrechtung beteiligten Institutionen und Individuen. Welche konkreten Auswirkungen die Umsetzung der „Judenpolitik“ allerdings auf die Betroffenen hatte, wird nur anhand von Überlieferungen der jüdischen Perspektive deutlich. Die Quellen der jüdischen Institutionen, im Falle Tarnów in der Hauptsache der Jüdischen Sozialen Selbsthilfe, geben mitunter Einblicke in die immer größer werdende Not der Bevölkerung im Zuge der NS-Maßnahmen. Sie ermöglichen damit wichtige Erkenntnisse über die allgemeine Situation der jüdischen Gemeinde Tarnóws. Für die Rekonstruktion des Alltags unter NS-Besatzung sowie des Verhaltens und der Reaktionen der Menschen sind individuelle Zeugnisse von großem Belang. Das Gros dieser Quellen entstand nach 1945 und spiegelt im Gesamten nur einen kleinen Ausschnitt wider, da die Mehrzahl der jüdischen Bevölkerung die Shoah nicht überlebte und somit auch kein Zeugnis über ihre Lebenssituation während des Zweiten Weltkriegs ablegen konnte. Aber auch Zeugenaussagen im Rahmen von Ermittlungen können tiefe Einblicke in individuelle Lebenssituationen gewähren. Zwar lassen die vorhandenen Überlieferungen keine allgemeingültigen Befunde über die gesamte jüdische Gemeinde Tarnóws unter NS-Besatzung zu, allerdings mindert dies keineswegs den Wert dieser Quellen: Die eine und einzige Geschichte der Juden Tarnóws unter NS-Besatzung kann es ohnehin nicht geben; zu heterogen war nicht nur die Gemeinde, sondern auch deren Alltag, ihr Denken, Fühlen und Handeln. Kurzum: Die soziale Wirklichkeit tausender Individuen ist nicht generalisierbar. Durch die Heranziehung einer Vielzahl der vorhandenen Überlieferungen ist es allerdings möglich, sich auf breiter Basis der Erfahrungswelt der Betroffenen anzunähern. Ergänzend wurden in der vorliegenden Arbeit einige Quellen der „Zuschauer“ – jene Personen, die a priori weder der Täter- noch der Opferseite zuzurechnen sind – hinzugezogen. Hierdurch werden die beiden anderen Perspektiven ergänzt und erweitert. Anmerkungen zur Terminologie Abschließend sei angemerkt, dass in der Regel die Schreibweise der Ortsnamen im zweiten und dritten Kapitel der Arbeit, die die Zeit unter der NS-Besatzung beleuchten, in der zeitgenössischen deutschen Bezeichnung erfolgt (beispielsweise Reichshof anstelle des polnischen Rzeszów). In den Kapiteln, die die Zeit vor und nach der deutschen Besatzung behandeln, wird die gebräuchliche polnische Schreibweise der Ortsnamen benutzt. Eine Ausnahme gibt es in Bezug auf die Schreibweise von „Tarnów“. Die-

Anmerkungen zur Terminologie

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ses wurde durchgängig in der polnischen Schreibweise verwendet. Sofern in den Quellen allerdings die deutsche Schreibweise benutzt wurde (Tarnow), wurde dies in Zitaten nicht angeglichen. In Zitate wurde möglichst wenig eingegriffen. Stillschweigend angepasst wurden offensichtliche Tippfehler sowie die Kommasetzung. Auslassungen sowie notwendige Zusätze werden in eckige Klammern gesetzt. Bei übersetzten Zitaten wird in der jeweiligen Fußnote vermerkt, aus welcher Sprache das betreffende Zitat übertragen wurde. Um den Anmerkungsapparat möglichst zu begrenzen, werden Literaturangaben mit dem jeweiligen Kurztitel angeben; für sonstige Quellen sowie Archivstandorte werden Abkürzungen verwendet, deren genaue Aufschlüsselung im Abkürzungsverzeichnis erfolgt.

1. Galizisches Sztetl und besetzte Stadt 1.1 Tarnów im Vorkriegspolen 1.1.1 Die Entwicklung zum Sztetl Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs lebten in Tarnów 25.000 Juden. Dies entsprach einem Bevölkerungsanteil von rund 45 Prozent.1 Die nach Lwów, Krakau und Stanisławów viertgrößte jüdische Gemeinde im einstigen Galizien wies somit im Vergleich zu anderen umliegenden Städten den prozentual höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil auf. 2 Die Geschichte der Juden in Tarnów reicht Jahrhunderte zurück; bereits Mitte des 15. Jahrhunderts ließen sie sich dort nieder.3 Als im Jahr 1772 große Teile Südpolens durch Österreich besetzt worden waren, wurde die Stadt Teil des neu proklamierten Westgalizien. Zu jener Zeit zählte die jüdische Gemeinde lediglich rund 900 Mitglieder.4 In der Folgezeit wuchs die jüdische Bevölkerung in Galizien stetig an. So kamen nach 1881 Juden aus Russland in das galizische Gebiet, die sich aufgrund antisemitischer Ausschreitungen nach der Ermordung des Zaren Alexander II. im eigenen Land nicht mehr sicher fühlen konnten. Im Jahr 1903 flohen rumänische Juden aufgrund von Pogromen nach Galizien, und 1905 immigrierten erneut russische Juden in Folge der Revolution. Demgegenüber wanderten in den 1880er und 1890er Jahren viele galizische Juden in die Vereinigten Staaten aus. Darüber hinaus emigrierten zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Personen im Zuge der zionistischen Bewegung nach Palästina. 5 Im Jahr 1900 zählte Tarnów insgesamt 31.691 Einwohner. Von diesen waren 18.960 römisch-katho-

1

1936 lebten in Tarnów rund 53.000 Menschen. Hiervon waren 47 Prozent mosaischen Glaubens. Vgl. Schreiben Stadtverwaltung in Tarnów betr. Bevölkerungszahl v. 3. 9. 1936, ANK-T, 33/ZMTo/44, Bl. 207; vgl. auch die Zahl des American Joint Distribution Committees: AŻIH, 210/13, Bl. 2. 2 Bartosz, Żydowskim szlakiem, S. 6; im Vergleich dazu der jüdische Bevölkerungsanteil in anderen Städten der Region: Krakau 26 Prozent, Nowy Sącz 30 Prozent und Jasło 25 Prozent. Vgl. ders., Tarnowskie Judaica, S. 26. 3 Ebd., S. 64. 4 Ebd., S. 13. 5 Ebd., S. 17 f.

Tarnów im Vorkriegspolen

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lisch, 12.586 mosaischen Glaubens, 110 griechisch-katholisch, 33 protestantisch und zwei Personen griechisch-orthodox. 6 Während des Ersten Weltkriegs kämpften viele jüdische Männer auf Seiten Österreichs. Tarnów war von 10. November 1914 bis 5. Mai 1915 russisch besetzt. Während der über sechs Monate andauernden Besatzung Galiziens kam es zu Ausschreitungen gegenüber Juden, die auf offener Straße ausgeraubt und geschlagen wurden. Die Erfahrung der Gewalt war vor allem Grund dafür, dass sich viele galizische Juden nach Ende des Ersten Weltkriegs in den Städten niederließen. Dort empfanden sie es sicherer als auf dem Lande. Dies führte dazu, dass sich nach 1918 die Zahl der jüdischen Bevölkerung in den Städten Galiziens stark erhöhte.7 Gemäß einer Volkszählung von 1921 lebten in Tarnów zu dieser Zeit insgesamt 35.347 Menschen. Hiervon waren 15.608 Personen jüdischen Glaubens, was 44,1 Prozent der Gesamtbevölkerung entsprach. Von diesen fühlte sich allerdings circa ein Drittel der polnischen Nationalität zugehörig. Zurückzuführen ist dies vor allem auf die assimilatorischen Tendenzen jener Zeit. Bereits zehn Jahre später zählte die jüdische Gemeinde 20.000 Mitglieder.8 Somit war beinahe die Hälfte der Einwohner mosaischen Glaubens, was auch das Erscheinungsbild der Stadt in hohem Maße beeinflusste. In einigen Straßenzügen lebten bis zu 90 Prozent Juden. Zudem war sowohl der gesamte östliche Teil der Stadt, das Viertel Grabówka, wie auch die Gegend um den Rynek, den Marktplatz der Stadt, jüdisch geprägt. 9 Tarnów war vor allem durch die Wirtschaft und den Handel gekennzeichnet und bildete das eigentliche gewerbliche Zentrum des alten Galiziens. Neben unterschiedlichen Betrieben der Glas-, Holz- und Stickstoffindustrie erlangte die Stadt vor allem durch ihr Textilwesen Bekanntheit. In Tarnów gab es zahlreiche kleinere und mittlere Handwerksbetriebe.10 Einige Wirtschaftszweige wie die gesamte Bekleidungsindustrie mit über 60 Unternehmen in den 1920er Jahren wurden von Juden geprägt. Die Stadt war zudem vor 1914 das größte Zentrum der Hutmacherei in der Habsburger Monarchie, wobei die Produzenten auch überwiegend jüdischen Glaubens waren. Darüber hinaus florierten der jüdische Handel

6

Chomet, Do dziejów Żydów, S. 58. Bartosz, Tarnowskie Judaica, S. 21; Bańburski, Żydzi, S. 32. 8 Ebd., S. 33 f.; Bartosz, Tarnowskie Judaica, S. 25; Chomet, Do dziejów Żydów, S. 75. 9 Bartosz, Tarnowskie Judaica, S. 27; ders., Żydowskim szlakiem, S. 8. 10 Anklage Schwurgericht beim LG Bochum v. 9. 4. 1964, IfZ, Gb 08.10/1, Bl. 35 ff. 7

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Galizisches Sztetl und besetzte Stadt

und die Industrie in der Stadt. 80 Prozent der lokalen Läden wurden von jüdischen Inhabern betrieben. Die jüdische Beteiligung in der Industrie lag zwischen 50 und 90 Prozent, was von der jeweiligen Gewerbebranche abhängig war.11 Aber nicht nur aus wirtschaftlicher Perspektive war die jüdische Gemeinde innerhalb des städtischen Gesellschaftsgefüges fest verankert. Auch ein Großteil der intellektuellen und kulturellen Elite der Stadt war jüdischen Glaubens. Viele Juden waren als Rechtsanwälte, Lehrer oder auch Physiker tätig. Allerdings bildete diese gut situierte Elite nicht die Regel. Die meisten Juden lebten in ärmlichen Verhältnissen.12 Unabhängig von sozialem und wirtschaftlichem Status bot das kulturelle und gesellschaftliche Leben ein großes Angebot an Freizeitbeschäftigungen. So gab es zahlreiche jüdische Verbände, kulturelle Einrichtungen sowie Sportvereine. Allein von Letzteren existierten neun in der Stadt. 13 Religiöse gemeinnützige Einrichtungen unterstützten die Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Die erste Organisation dieser Art stellte die seit 1889 existierende „Bikur Cholim“ dar, die sich um die Gesundheitsversorgung der ärmeren Bevölkerung kümmerte. Demgegenüber versorgte „Bejs Lechem“ die Armen mit Nahrung und Kleidung. Die Vereine und sozialen Einrichtungen konnten nicht gänzlich für die soziale Fürsorge der Bedürftigen aufkommen. Ein Krankenhaus, ein Waisenhaus, ein Altenpflegeheim sowie Kindergärten wurden von staatlicher Seite finanziert.14 Ein wichtiger Bestandteil jüdischen Lebens bildete selbstverständlich die Religion, für deren Ausübung es diverse Einrichtungen und Plätze gab. In Tarnów existierten über 40 jüdische Gebetsorte wie Synagogen und kleinere Gebetshäuser. Die größte unter ihnen war die „Synagoga Nowa“, die „Neue Synagoge“. 15 Glaubensrichtungen in der Stadt waren äußerst heterogen. Das Spektrum reichte vom orthodoxen Judentum, über den Chassidismus 16, bis hin zur Haskalah.17 Aber auch die politischen Orientierungen waren sehr verschieden. Stark vertreten waren Zionisten sowie Bundisten.18 Aktiv beteiligte sich die jüdische Bevölkerung am lokalpolitischen Geschehen. So wurden am 9. Mai 1867 zum ersten Mal Juden in den 11

Bartosz, Tarnowskie Judaica, S. 27 f. Ders., Żydowskim szlakiem, S. 6. 13 Ders., Tarnowskie Judaica, S. 31 f. 14 Ebd., S. 33 f. 15 Ebd., S. 41. 16 Chassidismus, eine jüdische Frömmigkeitsbewegung, entstand um 1750 in Osteuropa. Vgl. Schulte, Aufklärung, S. 138. 17 Bartosz, Tarnowskie Judaica, S. 22 ff. 18 Chomet, Ostatni, S. 801. 12

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Abb. 1. Jüdische Männer in Tarnów, vermutlich 1930er Jahre.

Stadtrat gewählt. Die elf Männer stellten beinahe ein Viertel des Rats.19 In Bezug auf die jüdische Teilhabe am politischen Leben in der Stadt markierte 1906 eine wichtige Zäsur. In diesem Jahr wurde Elias Goldhammer 19

Bańburski, Żydzi, S. 24.

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zum ersten jüdischen Vizebürgermeister der Stadt ernannt. Bis 1939 sollte das Amt des stellvertretenden Bürgermeisters jeweils von jüdischen Männern bekleidet werden. 20 Tarnów hatte sich seit dem 15. Jahrhundert ganz allmählich zu einem Zentrum jüdischen Lebens in Galizien entwickelt. Nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert stellte die jüdische Gemeinde nicht nur beinahe die Hälfte der Einwohner der Stadt, sondern sie trug in außerordentlichem Maße zum ökonomischen, gesellschaftlichen, kulturellen, sozialen und politischen Leben Tarnóws bei. All dies konnte jedoch die Distanziertheit und die Spannungen, die zwischen jüdischer und christlicher Bevölkerung häufig vorherrschten, nicht unterbinden. 1.1.2 Jüdisch-nichtjüdische Beziehungen Die Beziehungen zwischen polnischen Juden und Christen waren vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs durch viele Gegensätze gekennzeichnet. Die Juden unterschieden sich von ihren christlichen Nachbarn nicht nur durch ihre religiöse Zugehörigkeit, sondern auch durch ihre Berufsstruktur, ihre Sitten und Gebräuche, sowie häufig durch ihr äußeres Erscheinungsbild. Oft lebten sie in eigenen Vierteln. Andererseits waren jedoch Kontakte zur christlichen Bevölkerung notwendig, so im ökonomischen Bereich. Ein Problem im Umgang miteinander stellte oft die Sprache dar. Nur ein geringer Teil der jüdischen Bevölkerung beherrschte Polnisch fließend. Gaben im Jahr 1897 lediglich dreieinhalb Prozent der Juden Polnisch als Muttersprache an, waren es 1931 rund zwölf Prozent. Zu dieser Zeit konnten weniger als zehn Prozent der jüdischen Bevölkerung als assimiliert gelten. 21 Gerade das orthodoxe Judentum mit der Andersartigkeit der Religion, der Tradition, dem Aussehen und der eigenen Sprache war vielen ethnischen Polen fremd. Die christliche Bevölkerung stand den Juden nicht nur mit Neugierde, sondern häufig auch mit Vorurteilen und Neid gegenüber. Trotz der alltäglichen Begegnungen und Kontakte auf den Straßen, den Arbeitsstellen und in den Geschäften war das Verhältnis zwischen Juden und Christen vielfach von Distanz geprägt. 22 Wie in anderen polnischen Städten kam es auch in Tarnów zu antisemitischen Übergriffen. So versammelte sich am 15. August 1870, dem katholischen Fest zu Mariä Himmelfahrt, ein antisemitischer Mob. Die Täter plünderten nicht nur jüdische Wohnungen, sondern übten auch Gewalt 20 21 22

Ebd., S. 26; Chomet, Ostatni, S. 801 f. Musial, Zivilverwaltung, S. 104 f.; Haumann, Geschichte, S. 115. Młynarczyk, Judenmord, S. 39.

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Abb. 2. Tarnów, im Hintergrund die Neue Synagoge, vermutlich 1930er Jahre.

gegenüber ihren jüdischen Nachbarn aus. Rund 50 Häuser wurden ausgeraubt und etwa 30 Juden schwer verletzt. Ein Opfer starb an seinen Verletzungen. 23 Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verschlechterten sich die Beziehungen zwischen beiden Bevölkerungsteilen kontinuierlich. Vielerorts kam es zu antisemitischen Ausschreitungen. Dies hatte zur Folge, dass ein Großteil der jüdischen Bevölkerung dem neugeschaffenen polnischen Staat mit großer Zurückhaltung begegnete und ihnen deshalb wiederum von polnischer Seite Antipatriotismus vorgeworfen wurde. 24 So merkte der Historiker Heiko Haumann an, dass sich in den Unruhen dieser Jahre die Unzufriedenheit über Mangel, Not und Teuerung gegen Juden gerichtet habe, die man mit dem Klischee des Wucherers, Hamsterers oder Volksverderbers belegt habe, oder man habe sie als politische Feinde angesehen, die die neue Ordnung bekämpften. 25

23 24 25

Bartosz, Tarnowskie Judaica, S. 18 f. Haumann, Geschichte, S. 196 f. Ebd., S. 197.

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Nach den Pariser Friedensverhandlungen verstärkte sich die antisemitische Stimmung im Land. Die Siegermächte hatten dem polnischen Staat am 28. Juni 1919 einen Vertrag vorgelegt, der auch einen Minderheitenschutz für die jüdische Bevölkerung Polens zum Inhalt hatte. Generell wurde jedoch auch der Antisemitismus der politischen Rechten nicht zuletzt aufgrund wahltaktischer Motive zusehends stärker. Bemerkbar machte sich dies bei den polnischen Wahlen im Jahr 1922. Als die Rechten weniger Stimmen als erwartet erhielten, folgten antijüdische Kampagnen und Übergriffe. In den nächsten Jahren beruhigte sich die Situation allerdings etwas und der offene Antisemitismus ging zurück. Zu dieser Entspannung trug Józef Piłsudski bei, der 1926 im Zuge des Maiputsches an die Macht gelangt war. In der Folgezeit kam es zwar zu einigen Erleichterungen für die Juden Polens, allerdings währte diese Situation nicht lange. Die Weltwirtschaftskrise, die Ende der 1920er Jahre einsetzte, entfachte eine neue Welle des Antisemitismus, die auch vor dem polnischen Staat nicht Halt machte und sich alsbald in der offiziellen Regierungspolitik niederschlug. Innerhalb der christlichen Bevölkerung manifestierte sich der Antisemitismus nun auch in der Mittelschicht und unter Akademikern. Angesichts der ökonomischen Krise sahen diese ihren Status bedroht. Erneut kam es zu Boykottaktionen jüdischer Geschäfte. Die Stimmung radikalisierte sich nach dem Tod Piłsudskis im Jahr 1935. Eine Reihe antisemitischer Verordnungen wurde erlassen, die das Alltagsleben der jüdischen Bevölkerung in Polen stark einschränkte. Beispielsweise führten Universitäten einen Numerus Clausus ein, in Folge dessen die Zahl der jüdischen Studenten drastisch zurückging. Viele Berufsverbände nahmen „Arierparagraphen“ in ihre Verbandssatzungen auf; 1936 wurde ein Schächtverbot erlassen. Zudem nahm die Regierung den Boykott jüdischer Geschäfte im Zuge der „Polonisierung der Wirtschaft“ billigend in Kauf. Allerdings wurde das antisemitische Klima im Land nicht nur von Seiten der Parteien und des Staates toleriert und gefördert, sondern auch die katholische Kirche vertrat antijüdische Einstellungen und bediente sich in ihren Äußerungen ebenfalls klischeebehafteter Stereotype gegenüber der jüdischen Bevölkerung. 26 In den frühen 1930er Jahren nahmen auch in Tarnów die judenfeindlichen Kampagnen zu. So wurden in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 1931 mehrere antisemitische Flugblätter verteilt, die einen Zusammenhang zwischen der Weltwirtschaftskrise und dem Judentum herstellten. Die Bevölkerung wurde dazu aufgerufen, nichts mehr bei Juden zu kau26

Vgl. ebd., S. 198–202.

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fen. 27 Auch in den kommenden Jahren gingen antisemitische Übergriffe in der Stadt nicht zurück. Im Jahr 1936 wurden die Fenster mehrerer jüdischer Gebäude demoliert. 28 Mitte des Jahres 1937 wurde der ethnische Pole Aleksander B. verurteilt, weil er wenige Monate zuvor antijüdische Propaganda auf einer Hauswand angebracht hatte. Die Strafe fiel allerdings sehr mild aus. Der Täter hatte die Wahl zwischen einer viertägigen Freiheitsstrafe und der Bezahlung eines geringfügigen Bußgeldes. 29 Dass jedoch selbst innerhalb der polnischen Polizei antisemitische Ressentiments vorherrschten, belegt der folgende Fall: Im Januar 1934 wurde der 28-jährige Pinkas I. aus Szczurowa von Studenten in Tarnów angegriffen. Als er sich zur Befragung im örtlichen Polizeikommissariat befand, wurde dem jungen Mann nicht geholfen. Die zwei Polizeibeamten beleidigten ihn vielmehr, unter anderem mit den Worten: „Was willst du hier, du dreckiger Jude? Wenn du deine Rechte möchtest, geh nach Palästina!“ 30 In den Erinnerungen jüdischer Überlebender, die die 1930er Jahre als Kinder erlebten, waren antisemitische Einstellungen christlicher Einwohner vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs noch äußerst präsent. William Kornbluth gab in seinen Memoiren an, während der Schulzeit häufig von christlichen Kindern beleidigt und geschlagen worden zu sein. 31 Samuel Goetz’ Bruder, dessen Eltern entschieden hatten, ihren Sohn auf eine öffentliche Oberschule zu schicken, litt ebenfalls unter antisemitischen Anfeindungen: „Er beschwerte sich häufig zu Hause über die antijüdischen Äußerungen, die seine Klassenkameraden gegenüber ihm tätigten, und er wurde häufig aufgrund seiner jüdischen Herkunft gehänselt und bei mehreren Gelegenheiten nach der Schule schikaniert.“ 32 Aber auch außerhalb des Schulumfelds wurden jüdische Kinder zu Opfern des Antisemitismus. So berichtete Ian Lichtig, der als Kind einer zionistischen Organisation angehörte, von entsprechenden Erlebnissen, die sich während eines Ferienlagers der Organisation ereigneten. 33 Allerdings machten die Menschen nicht nur negative Erfahrungen in Bezug auf die Einstellung und das Verhalten ihrer christlichen Nachbarn. Der Überlebende Naftali Frankel be27 Telefonogram Nr. 210/6202/31 Kreispolizei Tarnów an Staatsanwaltschaft Tarnów v. 25. 12. 1931, Akte PT 45 718/31, USHMM, RG-15.020M, reel 1. 28 Schreiben Kreispolizei Tarnów v. 19. 3. 1936, Akte PT 109, ebd., reel 2. 29 Urteil Bezirksgericht Tarnów v. 18. 6. 1937, Akte PT 217 W 2446/37, ebd., reel 3. 30 Aussage Pinkas I. v. 3. 6. 1935, Akte PT 84, ebd., reel 1 [Übersetzung aus dem Polnischen]. 31 Kornbluth, Sentenced, S. 59 ff. 32 Goetz, Face, S. 6 [Übersetzung aus dem Englischen]. 33 Lichtig, Story, S. 5.

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richtete vom Umzug der Familie von einer strikt jüdischen Nachbarschaft in eine religiös heterogene Wohngegend. Obgleich es keine „nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen den Gläubigen der Religion gab“, so Frankel, konnte er jedoch auch keine „Diskriminierung zwischen beiden Gruppen“ feststellen. 34 Es bleibt festzuhalten, dass während der Zwischenkriegszeit in allen Bereichen des alltäglichen Lebens ein latent vorhandener Antisemitismus vorherrschend war. Tarnów, wo fast fünfzig Prozent der Einwohner jüdischen Glaubens waren, bildete keineswegs eine Ausnahme. Vor allem in den 1930er Jahren überwogen in Polen die Gefühle von Andersartigkeit und Fremdheit gegenüber der jüdischen Bevölkerung, die nicht zuletzt durch die vermeintliche Gefährdung, die durch die Juden in wirtschaftlicher Hinsicht ausging, begründet wurde. Juden und ethnische Polen entfernten sich immer mehr voneinander, wobei diese Tendenz kurzfristig durch die äußere Bedrohung Polens durch das Dritte Reich abgemildert wurde. 35 Der jüdische Historiker Emmanuel Ringelblum äußerste sich hierzu folgendermaßen: „Kurz bevor der Krieg ausbrach, kam die polnische Gemeinde zur Vernunft. Nun verstand man, dass der Antisemitismus in Polen eine Waffe in Hitlers Hand war. Die Dinge waren etwas ruhiger; die antisemitische Presse, offenbar auf Anweisung, änderte ihren Ton und beendete die Hetze gegen die Juden. Die jüdische Frage, die das gesamte Leben des Landes in Form von Marktständen, Schächten und Numerus Clausus dominierte und all ihre wirklich drängenden Probleme überschattete, verschwand von der politischen Bühne. […] Selbst die leidenschaftlichsten Antisemiten begriffen, dass Juden und Polen in dieser Zeit einen gemeinsamen Feind hatten.“ 36 1.2 Die Etablierung der „neuen Ordnung“ 1.2.1 Polen unter Militärverwaltung Seit dem 1. September 1939, dem Tag des deutschen Überfalls auf Polen, nahm der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst von Brauchitsch, mit den untergeordneten Armeeoberbefehlshabern die Exekutivgewalt in den okkupierten polnischen Gebieten wahr. Im besetzten Territorium waren insgesamt fünf Armeeoberkommandos eingesetzt worden. Diesen waren Chefs der Zivilverwaltung (CdZ) zugeteilt, die die Militärverwaltung 34 35 36

Frankel, Hell, S. 7 [Übersetzung aus dem Englischen]. Młynarczyk, Judenmord, S. 48. Ringelbum, Relations, S. 24 [Übersetzung aus dem Englischen].

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bei den einzelnen Armeen aufbauen sollten. 37 Nachdem Adolf Hitler die besetzten Gebiete am 25. September unter Militärverwaltung gestellt hatte, wurden diese in vier Militärbezirke aufgeteilt. 38 Das Territorium des zukünftigen Generalgouvernements wurde in die Militärbezirke Łódź/ Litzmannstadt (Grenzabschnitt Mitte) und Krakau (Grenzabschnitt Süd) gegliedert. Während der Grenzabschnitt Mitte aus Teilen der einstigen Wojewodschaften 39 Łódź/Litzmannstadt, Kielce, Warschau Stadt, Warschau Land und Lublin bestand, umfasste der Grenzabschnitt Süd die einstige Wojewodschaft Krakau und Teile der Wojewodschaft Lemberg. Hitler ernannte den Juristen Hans Frank zum Oberverwaltungschef für das gesamte polnische Gebiet und zugleich zum Verwaltungschef des Militärbezirks Łódź/Litzmannstadt. Der Militärbezirk Krakau wurde künftig von Arthur Seyß-Inquart verwaltet. 40 Frank sowie Seyß-Inquart waren dem Oberbefehlshaber Ost, Generaloberst Gerd von Rundstedt, und den Befehlshabern der jeweiligen Militärbezirke unterstellt. Als Militärbefehlshaber im Militärbezirk Łódź/Litzmannstadt wurde ebenfalls von Rundstedt, im Militärbezirk Krakau Generaloberst Wilhelm List eingesetzt. 41 Nachdem die Militärverwaltung aufgebaut und die Verwaltungschefs eingesetzt worden waren, wurden die CdZ jedoch noch nicht abgelöst. Gemeinsam mit den eingesetzten Landräten führten sie ihre Arbeit teilweise bis zum Ende der Militärverwaltung fort. 42 Die primäre Aufgabe der CdZ bestand im Aufbau der deutschen Verwaltung auf Gemeinde-, Stadtund Kreisebene. Hierfür wurden ihnen vom Oberkommando des Heeres reichsdeutsche Landräte mit Hilfspersonal bereitgestellt. Diese Verwaltungstrupps waren allerdings personell sowie materiell schlecht ausgestattet. Auch waren die Anweisungen der Verwaltungschefs in den meisten Fällen sehr allgemein gehalten und ließen sich aufgrund der unterschiedlichen örtlichen Verhältnisse schwer umsetzen. Daher versuchten die

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Umbreit, Militärverwaltungen, S. 120; Seidel, Besatzungspolitik, S. 24. Diese vier Militärbezirke waren: Westpreußen, Posen, Łódź/Litzmannstadt sowie Krakau. 39 Eine Wojewodschaft bezeichnet einen polnischen Bezirk. 40 Arthur Seyß-Inquart, geboren 1892 in Stammern, studierte nach seinem Schulabschluss Jura. 1938 trat er sowohl der NSDAP als auch der SS bei. Nach Ende des Kriegs wurde Seyß-Inquart am 1. 10. 1946 in Nürnberg zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vgl. Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 953. 41 Röhr, Europa, S. 123; Musial, Zivilverwaltung, S. 13; Umbreit, Militärverwaltungen, S. 85–119; Seidel, Besatzungspolitik, S. 24. 42 Ebd. 38

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Landräte, Volksdeutsche als Bürgermeister, Dolmetscher oder Bürokräfte für den Verwaltungsaufbau zu gewinnen. 43 Insgesamt kam während der kurzen Zeit der Militärverwaltung kein geordneter Aufbau der Besatzungsverwaltung zustande. Sowohl das Desinteresse des Generaloberst von Rundstedt, als auch des Oberverwaltungschefs Hans Frank hatten zur Folge, dass sich die deutsche Verwaltung im Generalgouvernement in einem „Schwebezustand“ befand. 44 Die Militärverwaltung war von Beginn an nur für einen kurzen Zeitraum vorgesehen. Schon in Hitlers Erlass vom 25. September 1939 wurde darauf verwiesen, dass die Verwaltungschefs lediglich „für die Dauer der Militärverwaltung“ den Militärbefehlshabern untergeordnet seien. 45 Die Ablösung der Militärverwaltung durch einen rein zivilen Verwaltungsapparat war in der Theorie nur mangelhaft vorbereitet. 46 Frank wartete deshalb eine für ihn positive Entwicklung ab, ehe er seine Tätigkeit aufnahm, ohne das Amt als Oberverwaltungschef überhaupt wahrzunehmen. 47 Die plötzliche Beendigung der Militärverwaltung war jedoch ganz im Sinne Hitlers, der sich keinen völkerrechtlichen Regeln unterwerfen wollte, die einem „Volkstumskampf“ im Wege gestanden hätten. Durch die Ablösung der Militärverwaltung sollte der Krieg gegen Polen nicht beendet, sondern besatzungspolitisch vielmehr als ein Vernichtungskrieg weitergeführt werden 48, der künftig gar „keine gesetzliche Bindungen gestattet.“ 49 Die Zielgruppe, gegen die sich die seit Kriegsbeginn mit Hilfe der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD geführte „Volkstumspolitik“ richtete, war zunächst die polnische Führungselite, die nach Hitlers Auffassung unverzüglich ausgeschaltet werden sollte. Die Wehrmacht allerdings betrachtete die einheimische Zivilbevölkerung nicht per se als Feind. Ihr ging es vielmehr um die Ausnutzung Polens in rüstungswirtschaftlicher Hinsicht. Diese differierende Interessenlage sollte vor allem Konflikte mit dem SS- und Polizeiapparat schaffen. 50 Über die zukünftige Ausrichtung des Generalgouvernements besprach 43

Musial, Zivilverwaltung, S. 15; Seidel, Besatzungspolitik, S. 25. Ebd., S. 25 f.; Musial, Zivilverwaltung, S. 14 f. 45 Eisenblätter, Grundlinien, S. 6. 46 Umbreit, Militärverwaltungen, S. 106, 118. 47 Seidel, Besatzungspolitik, S. 29. 48 Umbreit, Militärverwaltungen, S. 110; Seidel, Besatzungspolitik, S. 29. 49 Niederschrift v. 20. 10. 1939 über die Instruktion Adolf Hitlers für Wilhelm Keitel am 17. Oktober zu den Okkupationszielen im Generalgouvernement, in: Röhr, Europa, S. 133; Seidel, Besatzungspolitik, S. 29. 50 Ebd., S. 30. 44

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man sich am 17. Oktober in der Berliner Reichskanzlei. Hitler kündigte hierbei nicht nur das Ende der Militärverwaltung an, sondern er benannte auch die Zielvorstellungen, die mit der Errichtung des Generalgouvernements verfolgt werden sollten. Die „Volkstumspolitik“, deren Hauptinhalt eine „ethnische Flurbereinigung“ sein sollte, hatte höchsten Stellenwert: „Unerwünschte Elemente“ aus dem Reich und den eingegliederten Gebieten sollten fortan in das Generalgouvernement abgeschoben werden. 51 Aus militärischer Sicht hatte das Verwaltungsgebiet vor allem als „Schutzwall“ gegen die Sowjetunion zu dienen. Darüber hinaus wollte man aus dem Territorium auch ökonomischen Gewinn schlagen, indem man es in erster Linie als Arbeitskräftereservoir nutzen wollte. 52 Konkrete deutsche Pläne in Bezug auf Maßnahmen gegenüber der einheimischen jüdischen Bevölkerung sind für die Zeit vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nicht bekannt. Allerdings scheint es, dass zumindest hinsichtlich der Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft allgemeine Richtlinien bestanden. 53 1.2.2 Generalgouvernement und Kreishauptmannschaft Tarnów – Gebiet und Bevölkerung Das „Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete“ wurde am 26. Oktober 1939 proklamiert. Es avancierte zu einem „Nebenland des Deutschen Reiches“ mit einem kolonieähnlichen Status. 54 Geographisch umfasste es 95.743 Quadratkilometer, was 24,6 Prozent des polnischen Vorkriegsterritoriums entsprach. 55 Verwaltungstechnisch gliederte man das neugeschaffene Gebiet zunächst in die vier Distrikte Warschau, Krakau, Lublin und Radom. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 wurde Galizien als fünfter Distrikt dem Generalgouvernement zugeschlagen, das nun aus einer Gesamtfläche von insgesamt 145.180 Quadratkilometern bestand. Die Einwohnerzahl des Generalgouvernements betrug im März 1940 12,1 Millionen; im Februar 1942 lebten dort einschließlich des Distrikts Galizien 17,8 Millionen Menschen. Im März 1943, nachdem der Großteil der jüdischen Bevölkerung ermordet worden war, lag die Einwohnerzahl nunmehr bei 14,9 Millionen. Von der Gesamtbevölkerung des Gebietes waren zirka 65 Prozent auf dem Land und 35 Prozent in den Städten beheimatet. Die Mehrheit der jüdischen 51 52 53 54 55

Eisenblätter, Grundlinien, S. 66–72; Musial, Zivilverwaltung, S. 20. Ebd.; Eisenblätter, Grundlinien, S. 68. Musial, Zivilverwaltung, S. 105. Benz, Generalplan Ost, S. 40. Musial, Zivilverwaltung, S. 21; Madajczyk, Okkupationspolitik, S. 59.

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Bevölkerung allerdings, 80 Prozent, lebte in größeren Städten. Im Juni 1940 setzte sich die ethnische Struktur der Bevölkerung wie folgt zusammen: Sie bestand aus 81 Prozent ethnischen Polen, 11,5 Prozent Juden, 5,7 Prozent Ukrainern sowie 0,82 Prozent Deutschen. Der übrige Teil der Bevölkerung waren Weißrussen und andere Minderheiten. 56 Der Distrikt Krakau, in welchem Tarnów lag, befand sich im südwestlichen Teil des Generalgouvernements und hatte eine Fläche von rund 27.000 Quadratkilometern. Das Territorium umfasste beinahe die gesamte ehemalige Wojewodschaft Krakau, Teile der Wojewodschaft Kielce sowie große Gebiete der früheren Wojewodschaft Lemberg. 57 Nach der Einführung der deutschen Verwaltungsstruktur wurde der Distrikt zunächst in die Stadthauptmannschaft Krakau sowie in zehn Kreishauptmannschaften gegliedert: Debica, Jaroslau, Jaslo, Krakau-Land, Miechów, Neumarkt, Neu-Sandez, Reichshof, Sanok sowie Tarnów. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion errichtete man zusätzlich die Kreishauptmannschaften Krosno und Przemyśl. 58 Die Bevölkerung im Distrikt war heterogen. Es lebten hier nicht nur ethnische und jüdische Polen, sondern auch Ukrainer, Goralen 59 sowie Deutschstämmige. Während Letztgenannte in geschlossenen Siedlungen vor allem in den Kreisen Neu-Sandez und Debica ansässig waren, lebten Ukrainer hauptsächlich in den Grenzregionen um die Gegend von Jaroslau, Przemyśl und Sanok. 60 Heinz-Peter Seraphim, deutscher Ökonom und „Sachverständiger für Juden“ im Institut für Deutsche Ostarbeit in Krakau, schätzte die Zahl der Bevölkerung im Jahr 1941 auf rund 3,4 Millionen. 61 56 Musial, Zivilverwaltung, S. 22; Seidel, Besatzungspolitik, S. 31; Seraphim, Wirtschaftsstruktur, S. 23, 27. 57 Ebd., S. 12. 58 Ebd., S. 79. 59 Die Deutschen sahen die Goralen, ein in der Tatra lebendes Bergvolk, als eigene Ethnie an. Max Du Prel, zeitweilig Abteilungsleiter für Presse und Propaganda im Amt des Generalgouverneurs, schrieb hierzu im Jahr 1940: „Im westlichen Gebirge von der Reichsgrenze bis an den Kreis Jaslo wohnen ausschließlich Goralen, die sich durch Wuchs, Sitten und Gebräuche, sowie ihre sonstigen ausgeprägten Überlieferungen stark von den Polen unterscheiden. Sie tragen eine eigene Tracht und zeigen, angefangen vom Hausbau bis zu den handwerklichen Erzeugnissen einen eigenen Stil, eine eigene Volkskunst, die mit polnischen Ausdrucksformen nicht zu vergleichen ist.“ Du Prel, Generalgouvernement, S. 70. 60 Ebd. 61 Seraphim, Wirtschaftsstruktur, S. 12 f.; Max du Prel ging von einer Einwohnerzahl von ca. 3,7 Millionen Menschen im Jahre 1940 aus. Vgl. Du Prel, Generalgouvernement, S. 70.

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Aus ökonomischer Sicht nahm die Landwirtschaft im Distrikt einen hohen Stellenwert ein. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung, in der Hauptsache ethnische Polen, waren in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt. 62 Rohstoffvorkommen wie Salz und Holz bildeten weitere Grundlagen der Wirtschaft. 63 Handwerkliche Arbeiten wurden häufig in Heimarbeit ausgeübt. Große Zentren der Heimindustrie ließen sich in Krakau, Reichshof und Tarnów finden. Hier gab es zahlreiche Tischlereien, Schmieden, Schlossereien, Schuhmanufakturen und Bürstenbindereien. 64 Die Kreishauptmannschaft Tarnów umfasste das Gebiet der einstigen Landkreise Tarnów, Brzesko, Dąbrowa sowie den Stadtkreis Tarnów. 65 Sie erstreckte sich zwischen der Weichsel im Norden und den Gebirgsausläufern der Beskiden im Süden und grenzte an die Kreishauptmannschaften Debica, Jaslo, Neu-Sandez, Krakau-Land und Miechów. Neben der Kreisstadt Tarnów und rund 300 Landgemeinden zählte die Kreishauptmannschaft noch fünf weitere Landstädte wie Dąbrowa Tarnowska und Brzesko im Norden sowie Tuchów im Süden des Kreises. 66 1.2.3 Der deutsche Besatzungsapparat Nach der Etablierung des Generalgouvernements bestand der deutsche Besatzungsapparat aus drei Institutionen: Der Zivilverwaltung, dem SSund Polizeiapparat sowie der Wehrmacht. Letztere hatte im Generalgouvernement die geringsten Handlungsbefugnisse, da die Ablösung der Militärverwaltung mit einem starken Kompetenzverlust der Wehrmacht einherging. In der Folgezeit konnte sich diese durch die Übernahme zahlreicher Rüstungsbetriebe in wirtschaftlicher Hinsicht jedoch eine wichtige Stellung sichern. 67 Der zivile Verwaltungsapparat war nach dem Muster der deutschen Verwaltung im klassischen Sinne aufgebaut. Unterhalb der Organe der deutschen Zivilverwaltung existierte darüber hinaus eine polnische Selbstverwaltung mit Gemeindevorstehern (Wójts) und Bürgermeistern in kleineren Städten sowie Dorfschulzen (Sołtys). Der deutsche zivile Verwaltungsapparat war demnach eine Mischform aus einer Regierungsver-

62

Ebd., S. 81; Seraphim, Wirtschaftsstruktur, S. 23. Du Prel, Generalgouvernement, S. 83. 64 Seraphim, Wirtschaftsstruktur, S. 66 f. 65 Anordnung Nr. 45 Chef des Distrikts Krakau v. 3. 12. 1939, USHMM, RG15.041M, reel 1. 66 Urteil LG Bochum v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 323. 67 Pohl, „Judenpolitik“, S. 36; Broszat, Polenpolitik, S. 76 f. 63

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waltung und einer Kolonialverwaltung. 68 Adolf Hitler ernannte den Juristen Hans Frank zum Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete, der fortan die höchste zivile Instanz auf Verwaltungsebene bilden sollte. Franks zentrale Behörde war das Amt des Generalgouverneurs in Krakau 69, das im Wawel, dem alten polnischen Königsschloss, eingerichtet wurde. Als Franks Stellvertreter amtierte zunächst Arthur Seyß-Inquart. Nach dessen Ernennung zum Reichskommissar für die besetzten Niederlande im Mai 1940 folgte Josef Bühler.70 Dieser hatte als langjähriger Mitarbeiter Franks die Leitung des Amts des Generalgouverneurs bis zum Ende der deutschen Besatzung in Polen inne. Bühlers Aufgabe bestand darin, die unterschiedlichen Behörden dieses Amts zu leiten und zu koordinieren. Als oberste Instanz im Generalgouvernement war die Regierung allein befugt, Rechtsverordnungen zu erlassen.71 Insgesamt setzte sich die Regierung aus zwölf Hauptabteilungen zusammen, die sich an der Ressorteinteilung des Reiches orientierten 72: Innere Verwaltung, Justiz, Finanzen, Wirtschaft, Ernährung und Landwirtschaft, Forsten, Arbeit, Propaganda, Wissenschaft und Unterricht, Bauwesen, Eisenbahnen und Post. Daneben bestand die Regierung aus dem Staatssekretariat, das sich in folgende Ämter gliederte: Amt für Außenhandel, Kanzlei des Generalgouverneurs, Regierungskanzlei, Amt für Gesetzgebung, Amt für Preisbildung, Amt für Raumordnung, Personalamt, Betriebsamt und Direktion der Archive des Generalgouvernements. Die einzelnen Hauptabteilungen waren wiederum in Abteilungen, Unterabteilungen, Hauptreferate und Referate unterteilt. 73 Für die jeweiligen Verwaltungen der Distrikte bildete die erste Verordnung über den Aufbau der Verwaltung der besetzten polnischen Gebiete vom 26. Oktober 1939 die Rechtsgrundlage. Demnach stand an der Spitze eines Distrikts ein Distriktchef, ab 25. September 1941 der Gouverneur des Distrikts. Dessen Aufgabe war es, die gesamte Verwaltungstätigkeit im Namen des Generalgouverneurs innerhalb des Distrikts zu leiten. Der 68

Musial, Zivilverwaltung, S. 23. Ab dem 30. 7. 1940 wurde das „Amt des Generalgouverneurs“ in „Regierung des Generalgouvernements“ umbenannt. 70 Josef Bühler wurde 1904 in Waldsee geboren. Bühler, promovierter Jurist, trat 1933 in die NSDAP ein. Nach Kriegsende wurde er in Krakau am 10. 7. 1948 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vgl. Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 946. 71 Musial, Zivilverwaltung, S. 24, 32. 72 Diese Hauptabteilungen wurden zunächst als „Abteilungen im Amt des Generalgouverneurs“ bezeichnet. 73 Musial, Zivilverwaltung, S. 32 f. 69

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Gouverneur war dem Generalgouverneur sowie dem Chef der Regierung persönlich unterstellt. Die für ihn bindenden Verwaltungsrichtlinien erhielt er von der Regierung des Generalgouvernements. Die zentrale Behörde des Gouverneurs stellte das Amt des Gouverneurs dar, das von einem Chef des Amts, der zeitgleich der Stellvertreter des Gouverneurs war, geleitet wurde. Gegliedert war es in mehrere Fachabteilungen, die wiederum aus Unterabteilungen und Referaten bestanden.74 Verglichen mit einem preußischen Regierungspräsidenten verfügte der Gouverneur über einen umfangreicheren Zuständigkeitsbereich sowie einen größeren Verwaltungsbezirk. Generell war er in Personalunion für seinen Distrikt der Hoheitsträger der NSDAP. Darüber hinaus übte er Funktionen in diversen Institutionen, wie beispielsweise in den Wohnungs- und Siedlungsgesellschaften oder den Wirtschaftskammern innerhalb des Distrikts aus. Auch besaß er maßgebliche Zuständigkeiten im Gnadenrecht. So konnte er im Falle von Juden, die aufgrund des Verlassens des Ghettos zum Tode verurteilt worden waren, als letzte Instanz über die Ablehnung des Gnadengesuchs entscheiden. Wurde das Gesuch befürwortet, musste eine Entscheidung des Generalgouverneurs erwirkt werden. Nominell hatten die Gouverneure alle administrativen und ökonomischen Kompetenzen in ihren Machtbereichen inne.75 Im Distrikt Krakau amtierten während der annähernd fünfjährigen deutschen Besatzung insgesamt vier Distriktchefs (Gouverneure). 76 Ihr Lebensweg wies einige Parallelen auf. Sie alle waren Juristen und bereits frühzeitig in rechtsnationalen Kreisen aktiv. Der erste, der die Position des Distriktchefs besetzte, war seit 7. November 1939 der promovierte Jurist Otto Wächter. Am 8. Juli 1901 in Wien geboren, war er bereits in jungen Jahren in diversen rechtsnationalen Kreisen aktiv. Von 1919 bis 1922 war er Mitglied im Freikorps „Deutsche Wehr“, im Folgejahr trat Wächter der Wiener Sturmabteilung (SA) bei. 1930 wurde er Mitglied der NSDAP, 1931 ernannte man Wächter im Range eines SS-Gruppenführers zum Bezirksleiter Innere Stadt in Wien; anschließend war er dort Gauamtsleiter sowie Hauptschulungsleiter in der Landesleitung Österreich der NSDAP. 1934 nahm Wächter am Juliputsch teil, ein Jahr später erfolgte sein Eintritt in die Schutzstaffel (SS). Nach dem „Anschluss“ Österreichs wurde er Chef der Inneren Verwaltung. Im Zuge des deutschen Besatzungsaufbaus in Polen wurde Otto Wächter am 7. November 1939 zum Gouverneur des 74 75 76

Ebd., S. 34, 40. Seidel, Besatzungspolitik, S. 35 f.; Musial, Zivilverwaltung, S. 34 f. Gutachten Scheffler, BAL, B 162/144, Bl. 37 f.

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Distrikts Krakau ernannt. Er bekleidete dieses Amt bis Anfang 1942, anschließend wechselte er in den Distrikt Galizien.77 Abgelöst wurde Wächter von Richard Wendler, der ein Verwandter Heinrich Himmlers war. Der am 22. Januar 1898 in Oberdorf geborene Wendler besuchte zunächst ein humanistisches Gymnasium in München. Nach dem Abitur leistete er von 1916 bis 1919 Kriegsdienst, in der Folgezeit war er in mehreren Freikorps aktiv. Wendler studierte Rechts- und Staatswissenschaften in München und legte 1925 die große juristische Staatsprüfung ab. Wie Wächter war auch Wendler bereits in frühen Jahren in der NSDAP, SA und der SS aktiv: 1928 war er der NSDAP und der SA, am 1. April 1933 der SS beigetreten. Im Oktober 1933 wurde er zum Oberbürgermeister von Hof ernannt. Nach dem deutschen Überfall auf Polen meldete sich Wendler freiwillig für den Dienst in der Besatzungsverwaltung, wo er in der Folgezeit diverse Ämter an unterschiedlichen Standorten bekleidete. Zunächst war er Stadtkommissar in Kielce, ab 1. November 1939 Stadthauptmann in Tschenstochau, anschließend Stadthauptmann in Radom. Mitte Februar 1942 trat Richard Wendler schließlich das Amt des Gouverneurs im Distrikt Krakau an.78 Wendlers Nachfolger wurde Ende Mai 1943 Ludwig Losacker. Am 29. Juli 1906 in Mannheim geboren, nahm Losacker nach dem im zweiten Bildungsweg erworbenen Abitur ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Heidelberg auf. Dort gehörte er der NSDAP-Studentengruppe an und beteiligte sich aktiv an den Kampagnen gegen den jüdischen Universitätsprofessor Emil Julius Gumbel. Seit dem 1. Dezember 1931 war er Mitglied der NSDAP, am 1. Juni 1933 trat er der SS bei. Nachdem er im Jahr 1933 promoviert hatte, legte Losacker im Folgejahr die zweite große juristische Staatsprüfung ab. Von 1934 bis 1936 war er als Regierungsassessor bei der Polizeidirektion in Baden-Baden tätig. Nachdem er 1937 ein Praktikum bei der I.G. Farben absolviert hatte, wurde er im Dezember 1938 bei den Wanderer-Werken beschäftigt und war in Chemnitz als Rechtsanwalt tätig. Kurze Zeit nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, Anfang Oktober 1939, begab sich Losacker freiwillig in das besetzte Polen. Er war zunächst Landkommissar in Jaslo, anschließend wurde er zum Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD (KdS) in Krakau abkommandiert, im Dezember 1940 übernahm er die Leitung 77

Lebenslauf Wächter, in: Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 954; SSO-Akte Otto Wächter, IfZ, Fb 106/50. 78 Lebenslauf Wendler, in: Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 955; Musial, Zivilverwaltung, S. 398.

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der Kreishauptmannschaft in Jaslo. Ab Mitte Januar 1941 war er Amtschef im Distrikt Lublin, ab 1. August 1941 Amtschef im Distrikt Galizien. Von 1. Januar 1943 bis Oktober 1943 übernahm Losacker die Leitung der Hauptabteilung Innere Verwaltung in der Regierung des Generalgouvernements. Am 25. Mai 1943 erfolgte seine Ernennung zum kommissarischen Gouverneur des Distrikts Krakau.79 Losacker war ein überzeugter Nationalsozialist und Antisemit. Als die systematische Ermordung der Juden im gesamten Generalgouvernement ihren Höhepunkt erreichte, betonte er auf einer Polizeisitzung am 18. Juni 1942, dass „[v]or allem dafür gesorgt werden müsse, daß die Juden entfernt würden“. 80 Der letzte amtierende Gouverneur im Distrikt Krakau war der am 16. Dezember 1886 in Chemnitz geborene Kurt Ludwig Ehrenreich von Burgsdorff. Nach dem Besuch eines humanistischen Gymnasiums studierte er Rechts- und Staatswissenschaften in Dresden, Freiburg und Leipzig. 1910 war von Burgsdorff als Verwaltungsbeamter in Sachsen tätig. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Offizier teil, danach übte er die Stellung eines Regierungsamtmanns in Sachsen aus. Von 1928 bis 1933 war er Amtshauptmann in Löbau/Sachsen. Von Burgsdorff, Gründungsmitglied der Deutschnationalen Volkspartei, trat am 1. Mai 1933 in die NSDAP ein. Am 1. Oktober 1933 wurde er zum Ministerialdirektor im sächsischen Innenministerium befördert. 1938 kam er als Vertreter des Innenministeriums zum Reichsstatthalter in Wien, Arthur Seyß-Inquart. Im März 1939 erfolgte seine Ernennung zum Stabschef des CdZ in Mähren, wo er als Ministerialdirektor beim Reichsprotektor tätig war. Anfang April 1942 wurde von Burgsdorff aufgrund von Differenzen mit Heydrich zur Wehrmacht abkommandiert. Ab November 1943 bekleidete er schließlich das Amt des Gouverneurs im Distrikt Krakau. 81 Die unterste Stufe des dreistufigen Verwaltungsaufbaus im Generalgouvernement stellten die einzelnen Kreis- und Stadthauptmannschaften in den jeweiligen Distrikten dar. An der Spitze der Kreise und Städte standen die Kreis- beziehungsweise Stadthauptmänner. 82 Zu Beginn ihrer Tätig79 Lebenslauf Losacker, in: Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 950; Sandkühler, „Endlösung“, S. 449 f.; Musial, Zivilverwaltung, S. 389 f. 80 Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 509. 81 Lebenslauf von Burgsdorff, in: Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 946; Musial, Zivilverwaltung, S. 282 f.; Ilse von Massow, Curt von Burgsdorff. 16. 12. 1886– 26. 2. 1962. Verwaltungsbeamter im Wandel der Systeme, Starnberg 1991, IfZ, Ms 573. 82 Im Folgenden wird zusammenfassend der Begriff „Kreishauptmänner“ beziehungsweise „Kreishauptleute“ verwendet.

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keit existierte für diese keine einheitliche Verwaltungsorganisation. Es stand in ihrem Ermessen, wie sie ihre Dienststelle in organisatorischer Hinsicht gestalteten. Zunächst verfügten die ins Generalgouvernement abkommandierten Kreishauptleute nur über wenig Personal, was sich auch bis Frühjahr 1940 nicht ändern sollte. Generell waren die Kreishauptleute für die Ausführung der in der Krakauer Zentrale getroffenen Anordnungen zuständig.83 Gesetzlich exakt geregelt war ihr Arbeitsgebiet nicht, allerdings leitete sich dieses in Teilen durch die Distriktverwaltung und die Regierung sowie durch die Verordnungen für einzelne Verwaltungsbereiche ab. In ihren Zuständigkeitsbereich fiel zunächst die Sicherung und Festigung der deutschen Herrschaft, die Erfassung landwirtschaftlicher Kontingente und die Rekrutierung von Arbeitskräften, die Erschließung von Rohstoffen, die Sicherstellung des Funktionierens der Wirtschaft sowie die Beaufsichtigung der polnischen, ukrainischen und jüdischen „Selbstverwaltung“. Auch das Pass- und Meldewesen, die Preisüberwachung, die Schleichhandelsbekämpfung, die staatliche Fürsorge für die deutsche und polnische Bevölkerung, das Straßenverkehrswesen, die Aufsicht über die Krankenhäuser sowie das medizinische Personal lag in ihrer Verantwortung.84 Einigen Kreishauptmännern standen Land- und Stadtkommissariate zur Seite, die ihnen bei der Ausübung ihrer Aufgaben zur Hand gingen. In der Regel waren auch diese personell schwach besetzt. 85 Zur Unterstützung der Umsetzung polizeilicher Aufgaben wurde den Kreishauptmännern Personal der deutschen Gendarmerie zur Verfügung gestellt, wobei sie jedoch nur über ein sachliches Weisungsrecht gegenüber den Polizisten verfügten. Dieses bezog sich auf die Erfüllung polizeilicher Einzeldienstaufgaben, soweit reichs- oder volksdeutsche Interessen tangiert waren. 86 Darüber hinaus war den Kreishauptleuten sowohl die polnische Polizei als auch der Sonderdienst unterstellt. 87 Unterhalb des deutschen Verwaltungsapparats existierte die sogenannte polnische beziehungsweise ukrainische Selbstverwaltung, deren Organisationsstruktur weitgehend aus der Vorkriegszeit weitergeführt wurde. In den Städten übten die Bürgermeister die polnische Verwaltung aus. In ländlichen Gegenden waren in den meisten Fällen mehrere Dörfer zu 83

Roth, Herrenmenschen, S. 72. Ebd., S. 73 f.; Musial, Zivilverwaltung, S. 47. 85 Ebd., S. 63. 86 Ausarbeitung ZSL „Die Beteiligung der Kreis- und Stadthauptleute an nationalsozialistischen Verbrechen“ v. Oktober 1967, BAL, B 162/19153, Teil 2, Bl. 5. 87 Vgl. Roth, Herrenmenschen, S. 75 f. 84

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Sammelgemeinden zusammengefasst, denen ein Vogt vorstand. In den einzelnen Dörfern waren Dorfschulzen eingesetzt. Diese sollten primär für die Umsetzung der deutschen Befehle innerhalb ihrer Orte Sorge tragen. In diesen Bereich fiel das Zusammenstellen von Kontingenten oder die Rekrutierung von Zwangsarbeitern. Die Wojts sollten die Arbeit der Dorfschulzen lenken und überwachen. Häufig wurden die Bürgermeister, Vögte und Dorfschulzen, die bereits in der Vorkriegszeit ihrem Amt nachgegangen waren, übernommen. Entsprach ihr Verhalten nicht den Vorstellungen der deutschen Besatzer, wurden sie mit der Zeit ersetzt. Die Position der Dorfschulzen und Vögte zwischen der einheimischen Bevölkerung einerseits und den deutschen Behörden andererseits war heikel. Die Deutschen versuchten die Wojts und Dorfschulzen für ihre Belange zu gewinnen, unter anderem durch Erpressung oder auch Belohnung. 88 Neben der zivilen Verwaltung nahm der SS- und Polizeiapparat eine außerordentliche Stellung im Machtgefüge des Generalgouvernements ein. An seiner Spitze stand SS-Obergruppenführer Friedrich-Wilhelm Krüger, der am 4. Oktober 1939 von Heinrich Himmler zum Höheren SSund Polizeiführer (HSSPF) ernannt worden war. 89 Krüger, 1894 in Straßburg geboren, diente nach dem Besuch einer Kadettenanstalt im Ersten Weltkrieg als Offizier. Nach seiner Tätigkeit im Freikorps Lützow übte er ab 1920 diverse Berufe aus. 1929 erfolgte sein Eintritt in die NSDAP, 1931 in die SS, im darauffolgenden Jahr wechselte er zur SA. 1932 wählte man ihn für die NSDAP in den Reichstag. Krüger war in den Jahren 1934/1935 Chef des Ausbildungswesens innerhalb der SA; 1935 wurde er zum Obergruppenführer befördert. Vom 4. Oktober 1939 bis zum 9. November 1943 hatte Krüger das Amt des HSSPF im Generalgouvernement inne. Sein Nachfolger wurde der ehemalige HSSPF im Gau Wartheland, SS-Obergruppenführer Wilhelm Koppe. 90 Dem HSSPF oblag es, die Tätigkeit der gesamten Polizei im Generalgouvernement zu leiten und aufeinander abzustimmen. Unterstellt war der HSSPF einerseits dem Generalgouverneur, andererseits jedoch direkt Heinrich Himmler. Priorität für Krüger hatten die Befehle des Reichsführers SS (RFSS). 91 Darüber hinaus wurde Himmler am 7. Oktober 1939 von

88

Ebd., S. 83 f.; Musial, S. 64 f. 1942 lautete die Bezeichnung „HSSPF Ost“. 90 Madajczyk, Okkupationspolitik, S. 24; Seidel, Besatzungspolitik, S. 60; Birn, Höheren SS- und Polizeiführer, S. 340. 91 Buchheim, Anatomie, S. 133; Birn, Höheren SS- und Polizeiführer, S. 197–205; Musial, Zivilverwaltung, S. 27. 89

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Hitler mit den „Aufgaben zur Festigung des deutschen Volkstums“ betraut. Dies hatte weitreichende Konsequenzen. Himmler, der nun den Titel „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ (RKF) führte und Krüger zu seinem Stellvertreter im Generalgouvernement ernannte, konnte mit den neu erworbenen Befugnissen eine autarke Volkstumspolitik in den besetzten Ostgebieten betreiben. Diese Kompetenzen nutzte er bereits Ende 1939 zur Vertreibung der polnischen und jüdischen Bevölkerung aus den eingegliederten Ostgebieten in das Generalgouvernement. 92 Der Polizeiapparat im Generalgouvernement gliederte sich in Sicherheitspolizei und Ordnungspolizei. Dem HSSPF waren der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD (BdS), der Befehlshaber der Ordnungspolizei (BdO) 93 sowie die SS- und Polizeiführer (SSPF) in den einzelnen Distrikten unterstellt. Dem BdS nachgeordnet waren auf der Distriktebene die KdS. Entsprechend war die Ordnungspolizei in den BdO und den ihm unterstellten Kommandeuren der Ordnungspolizei (KdO) gegliedert. Die Ordnungspolizei übernahm zunächst den Behörden- und Objektschutz, Verkehrskontrollen sowie den Feuer- und Luftschutz. In der Folgezeit wurden deren Aufgaben erweitert und Einheiten beispielsweise auch für paramilitärische Einsätze herangezogen. 94 Demgegenüber bestand die primäre Aufgabe der Sicherheitspolizei in der Anfangszeit in der Verfolgung und Ermordung der polnischen politischen Funktionäre. Sie war allerdings auch für Grenzschutzaufgaben, Fragen des Passwesens sowie für die Verbrechensbekämpfung verantwortlich. Der Sicherheitsdienst (SD) übernahm Aufgaben eines Nachrichtendiensts. Aber auch für „polizeiliche Maßnahmen“ gegenüber der jüdischen Bevölkerung im Generalgouvernement war generell der BdS, in den einzelnen Distrikten die KdS und die ihnen unterstehenden Außenstellen der Sicherheitspolizei zuständig.95 Das Amt des BdS bekleidete zunächst der 1902 in Hamburg geborene Bruno Streckenbach. Nachdem dieser 1919 die Schule verlassen hatte, schloss sich Streckenbach einem Freikorps an. Im Oktober 1930 trat er 92

Adam, Judenpolitik, S. 177; Musial, Zivilverwaltung, S. 28. Das Amt des BdO wurde von 1939 bis 1945 folgendermaßen bekleidet: September–Oktober 1939: Emil Höring; Oktober 1939–Oktober 1940: Herbert Becker; Oktober 1940–August 1941: Paul Riege; November 1941– März/April 1942: Gerhard Winkler; September 1942–Sommer 1943: Herbert Becker; Oktober 1943–März 1944: Hans-Dieter Grünewald; März 1944–Januar 1945: Emil Höring. Vgl. Gutachten Scheffler, BAL, B 162/144, Bl. 50. 94 Seidel, Besatzungspolitik, S. 61 f. 95 Vgl. ebd., S. 61 f., 66. 93

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der NSDAP, im Dezember 1930 der SA bei. Im September 1931 wechselte er zur SS. 96 Streckenbach wurde Mitte Januar 1941 von SS-Brigadeführer Eberhard Schöngarth abgelöst. Der letzte amtierende BdS war SS-Oberführer Walter Bierkamp, der dieses Amt von Sommer 1943 bis Ende 1944 bekleidete. 97 Der Vertreter des BdS im Distrikt Krakau war zunächst SS-Sturmbannführer Walter Huppenkothen, der als erster KdS in Krakau eingesetzt wurde. 1907 im rheinländischen Haan geboren, nahm Huppenkothen nach seiner Schulzeit ein Jurastudium auf, das er 1934 mit dem Großen Staatsexamen in Berlin abschloss. 1933 erfolgte sein Partei- und SS-Beitritt; 1934 wurde er zum SD beurlaubt. Seit 1935 war er beim Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin tätig, 1937 avancierte Huppenkothen zum Leiter der Staatspolizeistelle und des SD-Abschnitts Lüneburg. Im Februar 1940 wurde er nach Lublin versetzt. 98 Als KdS im Distrikt löste ihn der 1908 in Eitzen bei Lüneburg geborene Ludwig Hahn ab. Hahn, promovierter Jurist, trat 1930 in die NSDAP, 1933 in die SS ein. Im Jahr 1936 wurde er stellvertretender Leiter der Staatspolizeistelle Hannover, im Folgejahr Leiter der Staatspolizeistelle Weimar. 1939 führte er das Einsatzkommando 1 nach Polen. Im August 1940 wurde Hahn als Sonderbeauftragter des RFSS nach Preßburg (Bratislava) versetzt. 99 Hahns Nachfolger als KdS, SS-Obersturmbannführer Max Großkopf, wies einen etwas anderen Werdegang auf: Zwar war auch er Jurist und darüber hinaus Ökonom, jedoch wurde er bereits 1892 geboren und nahm am Ersten Weltkrieg teil. Seit 1932 NSDAP-Mitglied, ging Großkopf im Jahr 1933 zum Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin. Er blieb bis Mitte 1943 in Krakau, war anschließend zunächst Leiter der Staatspolizeistelle Graz und wurde Anfang des Jahres 1945 Verbindungsführer beim Stab der Wlassow-Armee.100

96

SSO-Akte Bruno Streckenbach, BAB. Gutachten Scheffler, BAL, B 162/144, Bl. 50. 98 Urteil LG München I v. 16. 2. 1951, ebd., B 162/14062; Mallmann, Mensch, S. 111. 99 Ebd.; SSO-Akte Ludwig Hahn, BAB; Anklage StA beim LG Hamburg v. 18. 8. 1971, BAL, B 162/6703, Bl. 53–57; Urteil LG Hamburg v. 5. 6. 1973, ebd., B 162/14491, Bl. 8090 ff. In einer vom RSHA v. 31. 3. 1944 abgegebenen Beurteilung über Hahn hieß es: „Seit 1933 gehört Dr. Hahn der Sipo an und war nach informatorischer Tätigkeit im RSHA ständig Leiter von Dienststellen. Er ist ein alter bewährter Nationalsozialist und tatkräftiger SS-Führer, der die ihm übertragenen Aufgaben stets gemeistert hat. Vielseitige Erfahrung, sorgfältige Arbeitsweise und führungsmäßige Eignung zeichnen ihn besonders aus.“ Ebd., Bl. 8096. 100 Mallmann, Mensch, S. 112. 97

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Der letzte amtierende KdS im Distrikt war der 1903 geborene SS-Obersturmbannführer Rudolf Batz. Der studierte Jurist war seit 1933 Mitglied der NSDAP und seit 1935 der SS. Im gleichen Jahr kam Batz zum Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin, im Folgejahr avancierte er zum stellvertretenden Leiter der Staatspolizeistelle in Breslau, ab 1938 leitete er die Staatspolizeistellen in Linz und Hannover. Zwischenzeitlich war Batz zudem als stellvertretender BdS in Den Haag und 1941 als Chef des Einsatzkommandos 2 in Lettland tätig.101 Allen KdS Krakau war gemeinsam, dass sie Juristen waren. Mit Ausnahme von Großkopf gehörten sie der Kriegsjugendgeneration an. Bestimmend für ihre Karrieren war zudem ein Wechsel zwischen bürokratischer Tätigkeit in Berlin und der exekutiven Arbeit an der Peripherie.102 Im künftigen Distrikt Krakau erreichte das Gros der Angehörigen der Sicherheitspolizei das Gebiet bereits als Mitglieder der Einsatzgruppe I, die von Bruno Streckenbach geführt worden war. Ab November 1939 bildete deren Einsatzkommando 1 den Mitarbeiterstab des KdS in Krakau. Das Personal der KdS-Außenstellen im Distrikt wurde hingegen aus den Mitgliedern der Einsatzkommandos 2, 3 und 4 zusammengestellt. An den Grenzregionen zur Slowakei wurden Grenzpolizeikommissariate in Zakopane, Neu-Sandez, Jaslo, Sanok mit Außenstellen in Krosno, Gorlice und Przemyśl geschaffen. Darüber hinaus wurden bis 1943 KdS-Außenstellen in Miechów, Tarnów, Debica, Mielec, Reichshof, Jaroslau, Stalowa Wola sowie Dobromil eingerichtet. Die Sicherheitspolizei in Krakau verfügte im März 1940 über 2.250 Stellen, hiervon entfielen allerdings allein auf die KdS-Zentrale 479 Stellen. Demgegenüber waren die Außenstellen personell meist nur schwach besetzt. So zählte die KdS-Außenstelle Jaroslau einschließlich Dolmetscher und Schreibkräften zwischen sechs und acht Personen.103 Dem HSSPF unterstanden in den jeweiligen Distrikten auch die SSPF, die für polizeiliche Sonderaufgaben zuständig waren. Ihnen waren innerhalb der jeweiligen Distrikte alle Polizeieinheiten untergeordnet. 104 Die Dienststelle des SSPF Krakau war personell nur schwach besetzt, sodass diese in der Regel nicht exekutiv tätig werden konnte und sich aus diesem Grund an die KdS, KdO oder auch an Einheiten der Waffen-SS wenden

101 102 103 104

Ebd. Ebd. Vgl. ebd., S. 110 f. Pohl, Judenverfolgung, S. 83 f.; Musial, Zivilverwaltung, S. 27.

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musste.105 Im Distrikt Krakau bekleideten insgesamt vier Männer das Amt des SSPF. Der erste war SS-Gruppenführer Karl Zeck, der bis Herbst 1940 amtierte. Sein Nachfolger war SS-Oberführer Hans Schwedler, der Anfang August 1941 von SS-Oberführer Julian Scherner abgelöst wurde. Scherner übte das Amt des SSPF für den längsten Zeitraum aus: Er war bis März 1944 auf diesem Posten. Unter seiner Regie wurde die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Distrikt realisiert. Abgelöst wurde Scherner von SS-Brigadeführer Theobald Thier, der bis zum Ende der Besatzungszeit in Polen diesen Posten bekleiden sollte. 106 In einem Brief resümierte Scherner sein Aufgabengebiet folgendermaßen: „Beim SS- und Polizeiführer laufen die Aufgaben der Polizeiverwaltung, der Sicherheit im Distrikt, der Arbeitseinsatz der Juden, die polnischen Zwangsarbeitslager und die des Beauftragten des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums zusammen.“ 107 Die unterschiedlichen deutschen Behörden auf höchster Regierungsebene verfolgten im Generalgouvernement während der gesamten Besatzungszeit in einigen Bereichen divergierende Zielvorstellungen. So erwuchs bereits im Herbst 1939 ein Konflikt zwischen der Zivilverwaltung und dem SS- und Polizeiapparat um die Frage der Zuständigkeit für die „Judenangelegenheiten“. Vor allem aber seit der Ingangsetzung der „Endlösung“ sollten sich die Interessenskonflikte innerhalb des Besatzungsgefüges im Generalgouvernement verschärfen. 1.2.4 Die Deutschen in Tarnów Als die deutschen Kriegsvorbereitungen für den Überfall auf das Nachbarland Polen bereits auf Hochtouren liefen, wurde Tarnów Ziel eines durch Angehörige der deutschen Minderheit verübten Anschlags. In der Nacht des 28. August 1939 explodierten im städtischen Bahnhofsgebäude zwei mit Sprengstoff bestückte Koffer, die durch Zeitzünder aktiviert worden waren. Das im Auftrag der militärischen Abwehr der Wehrmacht umgesetzte Bombenattentat traf die Einwohner Tarnóws überraschend. Es starben 22 Menschen, mehr als 30 wurden schwer verletzt. Der Attentäter deutsch-polnischer Abstammung, Antoni Guzy, sowie sein Komplize Ja-

105

Urteil LG Hamburg v. 5. 6. 1973, BAL, B 162/14491, Bl. 8150. Gutachten Scheffler, ebd., B 162/144, Bl. 50; Liste der Höchsten und Höheren SS- und Polizeiführer sowie der SS- und Polizeiführer v. 14. 8. 1944, ebd., B 162/ 21760. 107 Zitiert nach: Gutachten Scheffler, ebd., B 162/144, Bl. 18. 106

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kob Hessler konnten allerdings innerhalb weniger Tage von der polnischen Polizei festgenommen werden.108 In der Stadt kehrte danach nur für eine kurze Zeit Ruhe ein. Einige Tage nach dem Attentat, in der Nacht vom 5. auf den 6. September, wurde Tarnów von der Luftwaffe bombardiert. Am 7. September marschierten deutsche Truppen in die Stadt ein, die nun zunächst unter der Kontrolle des militärischen Stadtkommandanten Berg stand.109 Am 9. September wurde mit deutscher Genehmigung eine provisorische Stadtverwaltung geschaffen, die allerdings nur als vermittelnde Instanz zwischen der deutschen Besatzungsmacht und der besetzten Stadt fungieren sollte. Geleitet wurde diese von Julian Kryplewski; weitere Mitarbeiter waren Edward Okoń sowie Stanisław Komusiński. 110 Am 16. September übernahm Dr. Becht als Landrat die Leitung der zivilen Verwaltung in den Kreisen Tarnów und Dąbrowa. 111 Wenige Tage später, am 20. September, wurde Fliegerhauptmann Ernst Kundt zum Stadtkommissar berufen und war somit für die zivile Verwaltung Tarnóws verantwortlich.112 Eine herausgehobene Stellung innerhalb des zivilen Verwaltungsapparats kam zudem Stadtinspektor Engel und Stadtdirektor Tamke zu.113 Am 25. September erfolgte die Auflösung der provisorischen polnischen Stadtverwaltung. Kundt ernannte den einstigen Vorsitzenden Kryplewski sowie dessen Mitarbeiter zu seinen kommissarischen Beratern.114 Im Januar 1940 wurde die Verwaltung in Tarnów gemäß dem eigentlich vorgesehenen zivilen Besatzungsapparat im Generalgouvernement modifiziert, indem Ernst Kundt am 14. Januar 1940 zum Kreishauptmann ernannt wurde.115 Er übte dieses Amt jedoch lediglich bis Ende August aus. Im Oktober wurde Regierungsrat Ludwig Stitzinger zum neuen Kreis-

108

Böhler, Überfall, S. 61 f.; Wróbel, Opowieście, S. 116. Ebd., S. 118; Chomet, Zagłada, S. 9; Pietrzykowa, Region, S. 82; Potępa, Tarnów, S. 167; Kommandanturbefehl v. 9. 9. 1939, ANK-T, 33/ZMTo/1. 110 Schreiben Julian Kryplewski an die Einwohner der Stadt Tarnow, ebd., Bl. 31; Pietrzykowa, Region, S. 83. 111 Lagebericht Landrat der Kreise Tarnów und Dąbrowa an CdZ Krakau v. 21. 9. 1939, IfZ, MA 682, fr. 631. 112 An Ernst Kundt verliehene Urkunde v. 14. 10. 1940, abgedruckt in: Pietrzykowa, Region, S. 99. 113 Schreiben CdZ Krakau betr. Stadtverwaltung in Tarnow v. 20. 9. 1939, IfZ, MA 682, fr. 1131; dto. Landrat der Kreise Tarnów und Dąbrowa an CdZ Krakau v. 25. 9. 1939, ebd., fr. 1163. 114 Pietrzykowa, Region, S. 89. 115 An Ernst Kundt verliehene Urkunde v. 14. 10. 1940, abgedruckt in: Ebd., S. 99. 109

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hauptmann berufen. Sein Stellvertreter wurde Dr. Karl-Hans Broschegg 116, ehemaliger Landkommissar des Kreises Brzesko. 117 Im Januar 1942 avancierte der frühere Landrat Dr. Alfred Kipke 118 zum Kreishauptmann, der dieses Amt bis zum Rückzug der Deutschen aus Tarnów Anfang 1945 innehatte. Kipkes Stellvertreter war der Rechtsanwalt Dr. Karl Pernutz 119, der Ende März 1942 in der Stadt eintraf.120 Dem Kreishauptmann in Tarnów unterstanden die Landkommissare in Dąbrowa sowie Brzesko wie auch der Stadtkommissar. 121 Als Stadtkommissar folgte auf Ernst Kundt im Januar 1940 Dr. Reinhold Eckert, der bis Oktober amtierte.122 Eckert wurde von Rudolf Hein abgelöst, der bis 1942 Stadtkommissar war. Der letzte Stadtkommissar war Gustaw Hackbarth, der diese Position bis zum deutschen Rückzug im Jahre 1945 innehatte.123 Die Kreishauptmannschaft in Tarnów, die gerade in der Anfangszeit personell schwach besetzt war 124, gliederte sich nach der 4. Verwaltungsanordnung vom 18. August 1941 in folgende Ämter: Innere Verwaltung, Polizeiangelegenheiten, Wirtschaft (samt Treuhandwesen), Ernährung und Landwirtschaft, Schulamt, Referat für Jugend, Baudienstführer sowie

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Karl-Hans Broschegg wurde 1898 in Wien geboren. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften in Innsbruck erfolgte im Jahr 1924 seine Promotion. Broschegg trat 1930 der NSDAP und 1937 der SA bei. Ab 1938 war er hauptamtlicher Geschäftsführer im Gauwirtschaftsamt der NSDAP Kärnten. Nach Beendigung seines Amts als stellvertretender Kreishauptmann in Tarnów im März 1942 wurde er zum Kreishauptmann in Kalusz bestellt. Ab August 1943 war Broschegg Leiter der Abt. Innere Verwaltung im Distrikt Krakau. Vgl. Roth, Herrenmenschen, S. 462. 117 Lagebericht Kreishauptmann Tarnów für den Monat Oktober 1940, BAB, R 52 III/25, Bl. 5. 118 Alfred Kipke wurde am 28. 7. 1898 in Karschau geboren. Sein Parteieintritt erfolgte im Jahr 1933. Vgl. Liste, USHMM, RG-15.041M, reel 1. 119 Karl Pernutz, ebenfalls Jurist, wurde am 23. 9. 1904 geboren. Er trat am 1. 3. 1932 in die NSDAP ein. Vgl. Liste, OKŚZpNP Kr, Ds 14/67, Bd. 2; SA-Dienstbescheinigung v. 9. 10. 1934, ebd. 120 Anklage Schwurgericht beim LG Bochum v. 9. 4. 1964, IfZ, Gb 08.10/1, Bl. 84; Vern. Karl Pernutz (undat.), BAL, B 162/2149, Bl. 201; Schreiben Pernutz an Oberlandespräsidenten in Naumburg/Saale v. 9. 2. 1943, OKŚZpNP Kr, Ds 14/67, Bd. 2. 121 Urteil LG Bochum v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 323 f. 122 Sowohl in den Quellen als auch in der Literatur finden sich unterschiedliche Schreibweisen des Nachnamens. 123 Pietrzykowa, Region, S. 100. 124 Lagebericht Kreishauptmann Tarnów für Juni 1940, USHMM, RG-15.174M, Bl. 182; dto. für September 1940, AIPN, GK 196/275, Bl. 96.

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Sonderdienst. Das Amt für Innere Verwaltung umfasste folgende Sachgebiete: Hoheitsangelegenheiten, Grundstückverkehr, Kirchenwesen, Standesamt, Bevölkerungswesen und Fürsorge, Gesundheitswesen, Veterinärwesen, Preisüberwachung, Wohnungsamt, Straßenverkehrsamt, Haushalts- und Kassenwesen, Gemeindeaufsicht, Sparkassenaufsicht sowie Leitung des Gemeindeverbandes in Vertretung des Kreishauptmannes.125 Eine übergeordnete Bedeutung hatte das Wirtschaftsamt. Primär hatte dieses die Aufgabe, die Arbeit der im Kreis bestehenden Wirtschaftsbetriebe zu koordinieren und für die Erfüllung der für die Kriegswirtschaft relevanten Produktionsaufträge zu sorgen. Im Rahmen dessen musste das Wirtschaftsdezernat mit dem Leiter des Arbeitsamts und den Inhabern oder Treuhändern der Wirtschaftsbetriebe die auf jeden einzelnen Betrieb entfallenden Arbeitskontingente festlegen. 126 In diesem Bereich gab es also eine enge Zusammenarbeit zwischen der Kreishauptmannschaft und dem deutschen Arbeitsamt. Letzteres nahm bereits am 21. September 1939 seine Tätigkeit in Tarnów mit Nebenstellen in Brzesko, Debica, Mielec und Tarnobrzeg auf.127 Das Arbeitsamt, vornehmlich mit deutschen Beamten und Angestellten besetzt, war in unterschiedliche Abteilungen gegliedert. Vor allem der Abteilung Arbeitseinsatz kam eine zentrale Rolle zu. Sie hatte die Aufgabe, die von den Betrieben benötigten Arbeitskräfte zu vermitteln sowie den Abtransport polnischer Arbeiter ins Deutsche Reich zu organisieren. Darüber hinaus war sie auch an Selektionen der jüdischen Bevölkerung im Rahmen von Deportationen beteiligt.128 Als Vollzugsorgane zur Erfüllung ordnungspolizeilicher Aufgaben standen dem Kreishauptmann die Abteilung der Schutzpolizei sowie die deutsche Gendarmerie zur Verfügung. Auch unterstanden ihm der aus Volksdeutschen gebildete Sonderdienst sowie der polnische Baudienst. 129 Letzterer wurde durch Verordnung vom 1. Dezember 1940 gegründet.130 125 Ausarbeitung ZSL „Die Beteiligung der Kreis- und Stadthauptleute an nationalsozialistischen Verbrechen“ v. Oktober 1967, BAL, B 162/19153, Teil 23, Bl. 1 f. 126 Urteil LG Bochum v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 324. 127 Abt. „Die Aufbauarbeit im Distrikt Krakau“ v. Juli 1940, USHMM, RG15.174M, reel 13, Bl. 17. 128 Urteil LG Bochum v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 324. 129 Ebd. 130 Durch die Verordnung über den Baudienst im Generalgouvernement v. 1. 12. 1940 wurde der Baudienst gemäß der Volkszugehörigkeit geordnet: a) polnischer Baudienst; b) ukrainischer Heimatdienst; c) goralischer Heimatdienst. In späteren Verordnungen wurde der Baudienst jedoch nicht mehr anhand der Nationalitäten differenziert. Vgl. Wasser, Himmlers Raumplanung, S. 264, Fn. 255.

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Der erste Chef der Baudiensthauptstelle war Oberfeldmeister Bartsch, der vermutlich im März 1942 durch Alfred Eckmann abgelöst wurde. Eckmann blieb bis zum deutschen Rückzug im Amt. Organisatorisch gliederte sich der Baudienst in Abteilungen, diese wiederum in Trupps beziehungsweise Züge. Verwaltungsmäßig unterstand der Baudienst zwar dem Kreishauptmann, gleichzeitig jedoch auch der Baudienstkommandostelle in Krakau, die wiederum dem dortigen Generalarbeitsführer unterstellt war.131 Die Angehörigen des Baudiensts waren zunächst mit dem Straßenbau, Entwässerungs- sowie Wegebauarbeiten betraut. Zu einem späteren Zeitpunkt standen verstärkt Arbeiten am Eisenbahnausbesserungswerk in Tarnów, Gleiskörperbau sowie Instandhaltungsdienst im Vordergrund.132 Für den polnischen Baudienst wurden in der Regel jüngere, ethnische Polen rekrutiert. Die Dienstzeit betrug ein Jahr, konnte jedoch unter gewissen Umständen verlängert werden.133 Ehe die polnischen Anwärter in den Baudienst vor Ort aufgenommen wurden, mussten sie sich einer ärztlichen Musterung unterziehen. 134 Die Baudiensthauptstelle in Tarnów war in insgesamt drei Abschnitte gegliedert: Tarnów, Lisia Dora sowie Sczuczyn. Jedem dieser drei Abschnitte stand ein Abschnittsleiter vor. In Tarnów umfasste die Hauptdienstelle des polnischen Baudiensts rund 1.400 Angehörige.135 Die Errichtung des durch Verordnung vom 6. Mai 1940 gegründeten Sonderdiensts erschien den Deutschen notwendig, da man der polnischen Polizei nur einen Teil der Exekutivaufgaben in beschränktem Umfang übertragen wollte. Die höchste Instanz des Sonderdiensts war die entsprechende Inspektion in Krakau. Diese war unmittelbar Generalgouverneur Frank unterstellt. Bei den jeweiligen Distriktchefs waren die Beauftragten für den Sonderdienst nachgeordnet. Auf unterster ziviler Verwaltungsinstanz befanden sich die Kommandoführer des Sonderdiensts bei den Kreis- und Stadthauptleuten. Die Angehörigen des Sonderdiensts, anfänglich in der Hauptsache Ehemalige des Selbstschutzes, wurden keineswegs zum Dienst gezwungen. Sie taten dies vielmehr aus freiem Willen.136 Neben dem zivilen Verwaltungsapparat agierten diverse SS- und Polizei131

Vern. Alfred Eckmann v. 29. 3. 1963, BAL, B 162/2151, Bl. 944. Ebd., Bl. 945. 133 Grabowski, Hunt, S. 122. 134 Vern. Alfred Eckmann v. 29. 3. 1963, BAL, B 162/2151, Bl. 944. 135 Ebd., Bl. 945. 136 Ausarbeitung ZSL „Die Beteiligung der Kreis- und Stadthauptleute an nationalsozialistischen Verbrechen“ v. Oktober 1967, ebd., B 162/19153, Teil 23, Bl. 4. 132

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einheiten in der Stadt. So war bereits im Oktober 1939 eine Abteilung der Schutzpolizei in Tarnów stationiert.137 Ende Oktober gehörten dieser Einheit ein Oberleutnant, zwei Polizeimeister sowie 27 Polizeiwachtmeister an.138 Leiter dieser Dienststelle war für den längsten Zeitraum der Revieroberleutnant der Schutzpolizei Julius Strauß. Generell hatte die Schutzpolizei für die Wahrnehmung der ordnungs- und gewerbepolizeilichen Aufgaben Sorge zu tragen. Allerdings wurde sie auch zu Partisaneneinsätzen, zur Absperrung des Ghettos, zur Sicherung von Erschießungsstellen sowie zu Exekutionen von Juden herangezogen. Zwar war die Schutzpolizei in organisatorischer Hinsicht dem KdO Krakau nachgeordnet, sie musste jedoch auch den Weisungen des Kreishauptmannes Folge leisten. Da sich die Zuständigkeit der Schutzpolizei-Abteilung nur auf den Bereich des Stadtgebiets beschränkte, war für das übrige Kreisgebiet die deutsche Gendarmerie verantwortlich. Diese unterstand dem Kommandeur der Gendarmerie in Krakau und war in Gendarmeriehauptmannschaften eingeteilt, die jeweils für mehrere Kreishauptmannschaften zuständig waren. In Tarnów befand sich eine dieser Gendarmeriehauptmannschaften, deren Leiter Theodor Sielaff bei gemeinsamen Einsätzen auch das Kommando über die Schutzpolizei in Tarnów innehatte. Der Kreishauptmannschaft Tarnów war ein Gendarmeriezug zugeteilt, der sich in der Stadt befand. Aufgeteilt war der Zug in drei Posten, von denen sich einer in Tarnów, einer in Brzesko und ein weiterer in Dąbrowa befand. Diesen Posten war wiederum die polnische Polizei in den Landgemeinden nachgeordnet. Wie die Stadtpolizei wurde auch die Gendarmerie zu Partisaneneinsätzen sowie zu Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung eingesetzt. 139 Der Schutzpolizei untergeordnet war die polnische Polizei, die von Oberleutnant Stanisław Łasky geleitet wurde. Ende Dezember 1939 waren in der Stadt 29 polnische Polizeibeamte eingesetzt. In Anlehnung an die Vorkriegszeit gab es im Kreis Tarnów insgesamt zehn polnische Polizeiposten in Ciężkowice, Gromnik, Gumniska, Klikowa, Lisia Góra, Mościce, Pleśna, Ryglice, Tuchów sowie Wierzchosławice, die mit je zwei bis fünf 137 Vgl. Vorläufige Wachvorschrift für die Wache der Schutzpolizeidienstabteilung Tarnow v. 2. 10. 1939, ANK-T, 33/ZMTo/2, Bl. 155 ff. Demgegenüber gibt Wolfgang Curilla an, dass die Schutzpolizei-Abteilung in Tarnow erst im Sommer 1940 errichtet wurde. Vgl. Curilla, Judenmord, S. 54. 138 Schreiben Schutzpolizeidienstabteilung an Stadtkommissar Kundt v. 23. 10. 1939, ANK-T, 33/ZMTo/2, Bl. 185. 139 Urteil LG Bochum v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 324 f.; Anklage Schwurgericht beim LG Bochum v. 9. 4. 1964, IfZ, Gb 08.10/1, Bl. 38 ff.; Vern. Julius Strauß v. 12. 2. 1962, BAL, B 162/2150, Bl. 907 ff.

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polnischen Polizeibeamten besetzt waren. Die dünne Personaldecke, die wenige Monate nach der deutschen Besatzung vorherrschend war, wurde von Łasky bemängelt, da ihm im Vergleich zum eingesetzten Personal der Vorkriegszeit noch 49 Polizeibeamte „zur vollen Besetzung und richtige[n] Dienstausübung“ fehlten. 140 Ab 1940 stieg jedoch die Zahl der polnischen Polizeibeamten durch Rekrutierungsmaßnahmen stetig an.141 Eine besondere Rolle in der NS-Verfolgungspolitik gegenüber der jüdischen Bevölkerung nahm die Sicherheitspolizei in Tarnów ein. Im Zuge bundesdeutscher Nachkriegsermittlungen konnten im Jahr 1961 drei Dienststellenleiter, 14 Angehörige der Gestapo sowie zwei der Kriminalpolizei ermittelt werden.142 Diese Dienststelle, die offiziell die Bezeichnung „Außenstelle Tarnów des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD Krakau“ trug, befand sich in einem vierstöckigen Haus in der Ursulinenstraße. Im Gebäude selbst waren Diensträume, ein Wachraum sowie Wohnräume der Dienststellenangehörigen untergebracht. Daneben existierten im Keller Zellen, die zur vorübergehenden Aufnahme von Inhaftierten genutzt wurden.143 Zu einer längeren Verwahrung von Gefangenen beiderlei Geschlechts diente das städtische Gefängnis, das nach Beginn der deutschen Besatzung die Bezeichnung „Deutsche Strafanstalt Tarnów“ erhielt. Geleitet wurde dieses von einem deutschen Beamten, dem sowohl deutsches als auch polnisches Personal unterstand. 144 Wie angedeutet, erreichte die Mehrzahl der späteren Beamten und Angestellten der KdS-Außenstelle Tarnów Polen bereits als Angehörige einer Einsatzgruppe. Ende September 1939 wurden das Personal, das sich zu diesem Zeitpunkt in der Dienststelle des KdS in Krakau befand, auf einzelne Ortschaften im Distrikt verteilt. Rund ein halbes Dutzend Männer schickte man nach Tarnów, um die dortige Außenstelle aufzubauen. In der Folgezeit wurde etappenweise weiteres Personal dorthin abgestellt. 145 Zu den ersten, die in der Stadt eintrafen, gehörte Hanns Mack, der den 140 Schreiben Kreiskommando der polnischen Polizei Tarnow an den Stadtkommissar Tarnow v. 27. 12. 1939, ANK-T, 33/ZMTo/4, Bl. 1. 141 Pietrzyk, Ziemia tarnowska, S. 28. 142 Schreiben ZSL an LKA Baden-Württemberg betr. Voruntersuchung gegen Martin Fellenz u. a. wegen Mordes und Aufklärung von NS-Gewaltverbrechen in Tarnow v. 4. 5. 1961, BAL, B 162/2150, Bl. 419 ff. 143 Urteil LG Bochum v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 326. 144 Dto. v. 27. 6. 1972, in: ebd., Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 305 f.; Schreiben Einzeldienstkommando der Schutzpolizei an Stadtkommissar Tarnow v. 12. 9. 1940, ANKT, 33/ZMTo/6, Bl. 843. 145 Vern. Karl Oppermann v. 26. 10. 1964, BAL, B 162/2155, Bl. 2078 f.

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Posten des Dienststellenleiters bekleiden sollte. Mack, Jahrgang 1904, hatte nach seinem Schulabschluss im Jahr 1924 zunächst ein Maschinenbaustudium aufgenommen, das er jedoch mehrfach unterbrechen musste. 1931 trat er sowohl der NSDAP als auch der SS bei. Zwei Jahre später fand Mack Anstellung bei der Württembergischen Politischen Polizei, wo er zunächst als technischer Angestellter tätig war. 1938 absolvierte er einen Kriminalkommissar-Lehrgang; im Anschluss wurde er zum Hauptsturmführer ernannt. Im August 1939 beorderte man ihn nach Wien zu einem im Aufbau befindlichen Einsatzkommando. Im Laufe des Monats September erreichte Mack schließlich Tarnów. Dort war er jedoch nur für kurze Zeit eingesetzt. Bereits 1940 wechselte er zur Sicherheitspolizei-Außenstelle Reichshof, wo er bis 1944 als Leiter tätig war.146 In Tarnów abgelöst wurde Mack von Walter Baach. Geboren 1908, war Baach nach Abschluss der mittleren Reife in den 1920er Jahren im öffentlichen Verwaltungsdienst tätig. Bereits im Alter von 22 Jahren trat er der NSDAP bei. Mitte 1933 versetzte man ihn zur politischen Polizei ins württembergische Innenministerium nach Stuttgart, die zu Beginn des Jahres 1934 zum politischen Landespolizeiamt Württemberg verselbständigt wurde. Im Frühjahr 1938 wurde Baach zum Kriminalkommissar bei der Staatspolizeistelle Stuttgart ernannt. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde er zu einem in Wien aufgestellten Einsatzkommando abgeordnet. Nach der Kapitulation Polens schickte man ihn zunächst mit weiteren Kommandoangehörigen nach Reichshof, um dort die SicherheitspolizeiAußenstelle aufzubauen. Ende Mai 1940 wurde Baach nach Tarnów abkommandiert, wo er die Leitung der dort befindlichen Außenstelle übernahm. 147 Wie ersichtlich wird, fand zwischen Tarnów und Reichshof ein Personaltransfer der Dienststellenleiter statt, über dessen Gründe nur spekuliert werden kann. Baach blieb jedenfalls bis Ende Mai beziehungsweise Anfang Juni 1942 in Tarnów, anschließend wurde er zur Dienststelle des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD in Athen versetzt. 148 Sein Nachfolger in Tarnów wurde der 1901 geborene Josef Palten. Der SS-Untersturmführer war bis August 1939 Kriminalsekretär in Oppeln gewesen und am 1. August 1935 zur Gestapo versetzt worden. Mitte August 1939 wurde er nach Wien abkommandiert. Wenige Tage nach Kriegsaus146

Anklage LG Memmingen v. 27. 11. 1963, IfZ, Gm 07.70, Bl. 24 ff. Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 297, 310–312; Personalbogen Walter Baach, OKŚZpNP Kr, Ds 1/70, Bd. 21, Bl. 2 f.; Schreiben Baach an KdS Krakau betr. Dienstantritt v. 5. 6. 1940, ebd., Bl. 8. 148 Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 313. 147

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bruch kam Palten zum Grenzpolizeikommissariat in Sanok. Dort verblieb er bis August oder September 1941. Im Anschluss wurde er nach Tarnów abgeordnet, wo er bis Ende Dezember 1943 tätig war. Am 1. Januar 1944 übernahm er die Dienststelle der Sicherheitspolizei in Jaslo.149 In Tarnów war ab Sommer 1944 Wilhelm Bernhard als Leiter der SicherheitspolizeiAußenstelle eingesetzt. Bernhard, am 27. September 1908 in Kassel geboren, übte zunächst den Beruf eines Elektrokaufmanns aus. 1935 wurde er hauptamtlich beim SD in Frankfurt am Main angestellt, wo er als Sachbearbeiter tätig war. 1938 versetzte man Bernhard zunächst nach Darmstadt, anschließend nach Troppau. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gelangte er mit einem Einsatzkommando nach Polen. Ab Sommer 1940 leitete er die SD-Dienststelle in Tarnów.150 Allen Dienststellenleitern war gemeinsam, dass sie als nach 1900 Geborene der sogenannten Kriegsjugendgeneration angehörten. Sie hatten somit den Ersten Weltkrieg als Jugendliche erlebt, allerdings nicht aktiv als Soldaten daran teilgenommen. Bei Aufnahme ihrer Tätigkeit im besetzten Polen waren alle in Tarnów eingesetzten Dienststellenleiter noch verhältnismäßig jung. Charakteristisch für die Dienststellenleiter war darüber hinaus ihr früher Eintritt in nationalsozialistische Organisationen. Unter ihnen befanden sich Laufbahnbeamte, die bereits in der Weimarer Republik im Polizeidienst tätig waren. Andererseits gab es wie im Falle von Hanns Mack auch Quereinsteiger, die erst über die Parteiorganisation den Weg zum Polizeidienst fanden. Mack war auch der einzige Leiter der Sicherheitspolizei-Außenstelle, der zumindest temporär eine akademische Laufbahn eingeschlagen hatte. Wie die Dienststellenleiter waren auch die Angestellten und Beamten auf der unteren Personalebene größtenteils nach 1900 geboren. In Bezug auf die Mitgliedschaften in NS-Organisationen ergibt sich für die untere Personalebene kein einheitliches Bild. Einige Männer traten der NSDAP bereits zu einem frühen Zeitpunkt, vor 1933, bei. Rekrutiert wurden die späteren Angehörigen der Sicherheitspolizei auf unterschiedliche Arten. Viele von ihnen fanden in den 1930er Jahren über Umwege in den Polizeidienst. Nicht selten war ihr Lebensweg durch Arbeitslosigkeit im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise geprägt. Gerhard Gaa etwa, Jahrgang 1905, verließ die Mittelschule ohne Abschluss. Zunächst absolvierte 149

Vern. Josef Palten v. 26. 1. 1955, BAL, B 162/2154, Bl. 1963 f. Urteil v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 325; Schreiben v. 4. 5. 1961, BAL, B 162/2150, Bl. 419 f.; Vern. Willi Bernhard v. 18. 1. 1961, ebd., B 162/2149, Bl. 329 f. 150

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er eine kaufmännische Ausbildung, war danach im Ausbildungsbetrieb sowie einige Jahre im Familienbetrieb beschäftigt, in der Folgezeit bei diversen Firmen im Außendienst. 1930 wurde er beschäftigungslos. Nachdem 1935 seine Bewerbung zur Wehrmacht abgelehnt worden war, versuchte Gaa im Polizeidienst Fuß zu fassen. Zunächst als Kraftfahrer bei der Gestapo in Bielefeld tätig, absolvierte er in der Folgezeit mehrere Lehrgänge und wurde schließlich zum Kriminalassistenten ernannt. Nachdem man ihn im Sommer 1940 für rund zwei Jahre zu einer Bewachungseinheit nach Paris abgeordnet hatte, wurde Gaa nach kurzem Aufenthalt in seiner Heimatdienststelle zum KdS Krakau versetzt. Dort blieb er einige Wochen, bis er schließlich nach Tarnów kam. 151 Allerdings versahen auch Polizeibeamte in Tarnów ihren Dienst, die schon vor 1933 der Polizei angehört hatten. Zu dieser Gruppe zählte beispielsweise Wilhelm Heinrich Rommelmann. 1907 in Bremen geboren, trat er 1927 nach Abschluss der Mittelschule in den Dienst der Schutzpolizei ein, wo er bis 1937 zuletzt als Oberwachtmeister Dienst in Bremen versah. Nach seiner Versetzung zur Kriminalpolizei besuchte er ab Jahresende 1938 die Polizeischule in Berlin. Erst im Frühjahr 1940 wurde Rommelmann ins Generalgouvernement abgeordnet. Zunächst kam er nach Krakau, von dort wurde er zur Sicherheitspolizei nach Tarnów versetzt.152 Seit Sommer 1942 war Rommelmann Sachbearbeiter des Judenreferats und einer der gefürchtetsten Männer in der Stadt. 153 Neben den reichsdeutschen Angehörigen wurden für die Außenstelle der Sicherheitspolizei auch Volksdeutsche angeworben, die die Funktion von Dolmetschern ausübten. Alle in Tarnów eingesetzten Übersetzer, deren Biographien überliefert sind, waren ebenfalls nach 1900 geboren und somit jüngeren Alters. Jerzy (Georg) Kastura, Jahrgang 1905, wurde in Kattowitz geboren. Im Jahr 1939 ließ sich der gelernte Mechaniker in die „Deutsche Volksliste“ eintragen und trat im Oktober freiwillig der Sicherheitspolizei bei, wo er den Rang eines Scharführers erhielt. 154 In der Folgezeit war Kastura in Tarnów tätig. Dort ebenfalls als Dolmetscher beschäftigt war der aus Hohenbach stammende Oskar Jeck. Geboren 1915, gehörte er zu den jüngsten Angestellten der Sicherheitspolizei in Tarnów.

151

Urteil LG Bochum v. 12. 9. 1974, in: JNSV, Bd. 40, Lfd. Nr. 814, S. 178 ff. Dto. Bezirksgericht VI. Strafkammer Tarnów v. 25. 3. 1948, BAL, B 162/2151, Bl. 999, 1003 f. 153 Dto. v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 303; Aussage Josef L. v. 27. 8. 1946, BAL, B 162/746, Bl. 33. 154 Vern. Jerzy Kastura v. 30. 10. 1945, AIPN Kr, Kr 502/1937, Bl. 10 ff. 152

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Jeck, der 1935 das Abitur absolviert hatte, war in den folgenden zwei Jahren zunächst beschäftigungslos. 1937 fand er eine Anstellung als kaufmännischer Angestellter in Bromberg, in den folgenden zwei Jahren bei einer Baufirma im polnischen Nisko. Nach dem deutschen Überfall auf Polen war er zunächst als Dolmetscher beim Landratsamt in Mielec tätig; zwei Jahre später ordnete man ihn als Volksdeutschen zum Sonderdienst nach Lublin ab. Über den Sicherheitsdienst in Krakau gelangte er schließlich zu Beginn des Jahres 1942 zur Sicherheitspolizei-Außenstelle Tarnów, wo er zunächst administrative Tätigkeiten übernahm, ehe er Dolmetschertätigkeiten ausübte.155 Der Sicherheitspolizei-Außenstelle Tarnów angegliedert war eine Abteilung der Kriminalpolizei mit zwei Nebenstellen in Dąbrowa Tarnowska und Brzesko, die dem KdS Krakau unterstanden. Leiter dieser Abteilung war seit Sommer 1940 Kriminalobersekretär Karl Klee, der 1896 in der Nähe von Mannheim geboren wurde.156 Der Zuständigkeitsbereich der Kriminalpolizei im Kreis erstreckte sich hauptsächlich auf die Verfolgung und Aufklärung gewöhnlicher Straftaten. Daneben führte sie Personenfeststellungsverfahren in Bezug auf polnische Staatsangehörige durch, die zum Arbeitseinsatz ins Deutsche Reich verschickt werden sollten. 157 Neben der Sicherheitspolizei befand sich in Tarnów auch eine Dienststelle des SD, die vom bereits erwähntem Wilhelm Bernhard geleitet wurde. Die primäre Aufgabe des SD bestand in der Sammlung und Auswertung der Meldungen und Mitteilungen, die Aufschluss über das Verhalten, die Einstellung und die Stimmung der polnischen Bevölkerung des Kreises gaben. Darüber hinaus verfassten die SD-Angehörigen Berichte, die an die übergeordneten Behörden übermittelt wurden. Um an die gewünschten Informationen zu gelangen, bediente sich der SD einer Reihe von Verbindungspersonen. 158 Nach Beendigung der Militärverwaltung wurde auch der militärische Apparat im Oktober 1939 reorganisiert. So wurde der Militärbezirk Krakau in die vier Oberfeldkommandanturen Rzeszow, Tarnów, Myslenice und Tschenstochau sowie in die Stadtkommandantur Krakau gegliedert. Die Oberfeldkommandantur Tarnów setzte sich aus den Kreisen Busko, Pinczow, Mielec, Dabrowa, Brzesko, Debica, Tarnów, Jaslo, Gorlice sowie 155

Dto. Oskar Jeck v. 2. 3. 1947, BAL, B 162/2151, Bl. 1078. Dto. Karl Klee v. 11. 5. 1962, ebd., Bl. 1115 f.; Schreiben v. 4. 5. 1961, ebd., B 162/ 2150, Bl. 420. 157 Urteil LG Bochum v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 326. 158 Ebd., S. 327. 156

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Neu-Sandez zusammen. Geleitet wurde die Oberfeldkommandantur, die aus den Feldkommandanturen 570 und 647 gebildet worden war, zunächst durch Generalleutnant Alfred Streccius.159 Die unterschiedlichen deutschen zivilen und militärischen Besatzungsinstitutionen, die in Tarnów seit September eingerichtet worden waren, zeigten sich allesamt – wenngleich zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlicher Intensität – an der seit Herbst 1939 forcierten antijüdischen Politik beteiligt. Welche konkreten Maßnahmen gegenüber der jüdischen Bevölkerung Tarnóws von deutscher Seite getroffen wurden und welche Rolle die einzelnen Besatzungsorgane in Bezug auf die Entrechtung, Ausbeutung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung einnahmen, soll im folgenden Kapitel analysiert werden.

159 Dok. Neugliederung des Militärbezirks Krakau v. 3. 10. 1939, IfZ, MA 682, fr. 845; Pietrzyk, Ziemia tarnowska, S. 20.

2. Entrechtung und Verfolgung 2.1 Die „Judenpolitik“ – Ausgangslage und Entwicklung Die „Judenpolitik“ im lokalen Bereich lässt sich nur vor dem Hintergrund genereller Entwicklungslinien der nationalsozialistischen Judenverfolgung verstehen. Bereits mit dem deutschen Einmarsch der Wehrmacht setzte in Polen die Entrechtung und Verfolgung der dort lebenden Juden ein. Allein bis Ende 1939 waren schätzungsweise 7.000 Juden in Polen Opfer der NSBesatzungsherrschaft geworden.1 Die exzessive deutsche Gewalt gegenüber der jüdischen Bevölkerung gehorchte jedoch zunächst keiner Systematik, sondern zeigte sich in spontanen Aktionen. 2 So wurden Juden an vielen Orten erniedrigt, beispielsweise indem man Orthodoxe zur öffentlichen „Gymnastik“, zum Absingen von Liedern oder auch zur Reinigung von Toiletten zwang. Gezielt entweihte und zerstörte man auch religiöse Einrichtungen. 3 So wurde in Mielec, einer kleinen Ortschaft in der Gegend von Debica im Distrikt Krakau, die Synagoge niedergebrannt. 4 Dies war keineswegs eine Ausnahme; vielmehr wurden in vielen Orten jüdische Gebetshäuser systematisch in Brand gesetzt, sodass Himmler Mitte September per Fernschreiben anordnen musste, zumindest die Synagogen in Litzmannstadt, Warschau und Krakau zu verschonen. 5 Schon in dieser frühen Zeit der deutschen Besatzung waren die Juden auch Opfer physischer Gewalt, wie in Mielec, wo zwischen 30 und 40 Juden ermordet wurden. 6 Auch in der unweit von Krakau entfernten Ortschaft Wieliczka kam es bereits im September zu Tötungen jüdischer Einwohner.7 Mit der Besetzung Polens waren es die Einsatzgruppen sowie die Militärverwaltung, die die ersten antijüdischen Maßnahmen veranlassten. Diese sollten fortan die Grundlagen der künftigen „Judenpolitik“ bilden. Eine entscheidende Rolle kam hierbei den Einsatzgruppen von Sicher1

Pohl, Ermordung, S. 99; Musial, Ursprünge, S. 56. Ders., Zivilverwaltung, S. 106. 3 Pohl, „Judenpolitik“, S. 23 f. 4 Saidel, Mielec, S. 20 ff. 5 Böhler, Überfall, S. 199; Umbreit, Militärverwaltungen, S. 207. 6 Saidel, Mielec, S. 22. Zu den antijüdischen Maßnahmen in Mielec Anfang September 1939 vgl. Bericht Berta Lichtig, AŻIH, 301/1029. 7 Aussage Barbara S., BAL, B 162/1969, Bl. 267. 2

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heitspolizei und SD zu, allerdings bestimmte die Militärverwaltung den wirtschaftlichen Bereich. Die jüdische Bevölkerung sollte schrittweise aus dem ökonomischen Leben verdrängt werden. 8 Die CdZ leiteten bereits weitgehende antijüdische Maßnahmen auf wirtschaftlichem Sektor in die Wege. So wurden jüdische Devisen und Konten gesperrt und die Registrierung der jüdischen Vermögen veranlasst. 9 Am 6. September 1939 erließ der CdZ in Krakau, Gottlob Dill, eine Verordnung, die eine Verlagerung oder Übertragung des beweglichen und unbeweglichen jüdischen Vermögens verbot.10 Diese trat rückwirkend zum 1. September in Kraft. Kurze Zeit später erging in Krakau eine vorläufige Anordnung über die Kennzeichnungspflicht jüdischer Geschäfte, Restaurants und Cafés.11 Allerdings ließen sich nicht alle NS-Maßnahmen problemlos umsetzen, wie in einem Tagesbericht der Einsatzgruppen offenbar wird: „Erhebliche Aufgaben stellt die Ausschaltung des Judentums aus der Wirtschaft, da [es] z. B. in Krakau rund 100 000 Juden hat, die fast die gesamte gewerbliche Wirtschaft in Händen haben. Eine sofortige Beseitigung führt vermutlich zu chaotischen Zuständen (Verfall wertvoller Wirtschaftsgüter, schlagartiges Erliegen ganzer Wirtschaftszweige, z. B. des Lebensmittelhandels usw.).“ 12 Viele Landräte nahmen auf die ökonomische Situation jedoch keinerlei Rücksicht und verfügten die Schließung jüdischer Geschäfte. Alles in allem führten die genannten Maßnahmen dazu, dass eine wirtschaftliche Betätigung der jüdischen Bevölkerung fortan nur noch in geringstem Maße möglich war.13 Während die Militärverwaltung speziell die wirtschaftliche Ausschaltung der jüdischen Bevölkerung im künftigen Generalgouvernement in Gang setzte, waren die Einsatzgruppen für die eigentliche antijüdische Politik verantwortlich.14 Bereits 1938 erhielt die Gestapo im Deutschen Reich die Kompetenzen für all jene Fragen, die die jüdische Bevölkerung berührten. 15 Der berüchtigte Heydrich-Schnellbrief vom 21. September 1939 leg8

Musial, Zivilverwaltung, S. 106. Ebd.; Pohl, „Judenpolitik“, S. 72 f. 10 Verordnung betr. Verbot der Verlagerung und Übertragung jüdischen beweglichen und unbeweglichen Vermögens in den von den deutschen Truppen besetzten Gebieten v. 6. 9. 1939, USHMM, RG-15.020M, reel 11, Bl. 421. 11 Vorläufige Anordnung v. 8. 9. 1939, ebd., RG-15.170M, reel 26, Bl. 12. 12 Tagesbericht der Einsatzgruppen über den 16./17. 9. 1939, in: Lehnstaedt/Böhler, Berichte, S. 156. 13 Pohl, „Judenpolitik“, S. 73. 14 Musial, Zivilverwaltung, S. 107 f. 15 Pohl, „Judenpolitik“, S. 60. 9

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te schließlich die zu erfüllenden Maßnahmen der Einsatzgruppen fest. 16 Der Kompetenzanspruch der Einsatzgruppen in Bezug auf die „Judenfrage“ wurde von der Militärverwaltung nicht nur toleriert, sondern die Instanzen bemühten sich vielmehr um Kooperation. 17 So in der im Distrikt Krakau gelegenen Ortschaft Tarnobrzeg, wo man mehr als 2.500 Juden vertrieb, wie der dortige Landkommissar berichtete: „Tarnobrzeg, der Sitz des ehem. polnischen Kreises Tarnobzeg, war zum größten Teil verjudet. Auf hundert Geschäfte kam ein arisches. Diesem Zustand wurde unter Leitung der Gestapo im Laufe des 2. und 3. Oktober 1939 dadurch Wandel geschaffen, daß die Juden freiwillig nach Entrichtung einer Kriegssteuer, die ich im Benehmen mit dem hiesigen Bürgermeister zu Gunsten der Stadt einführte und nach Unterzeichnung eines Reverses über die Freiwilligkeit ihres Auszuges die Stadt verließen. Dadurch verlor die Stadt, die zuvor 5500 Einwohner zählte, etwa 2500 Bewohner.“ 18 Wie sich später herausstellte, war der eingesetzte Bürgermeister Halbjude. Allerdings, so stellte der Landkommissar fest, arbeitete „er ganz glänzend, insbesondere auch bei der Auswanderung der Juden“ mit. 19 Für die systematische Verbreitung des Terrors in Westgalizien waren zwei Einsatzgruppen verantwortlich: Die Einsatzgruppe I sowie die Einsatzgruppe zur besonderen Verwendung (z. b. V.). Die Erstgenannte, aufgestellt in Wien, wurde von SS-Brigadeführer Bruno Streckenbach geleitet. 20 Sie bestand aus insgesamt vier Einsatzkommandos zu je 90 Mann und war die größte der vor Beginn des Polenfeldzugs gebildeten Einsatzgruppen. Sie sollte von Wien aus über die Ostslowakei nach Westgalizien vordringen. 21 Die Einsatzgruppe z. b. V. unterstand Obergruppenführer Udo von Woyrsch. 22 Unterstellt waren die vier Polizeibataillone dieser Einsatz16

Schnellbrief Heydrichs an Chefs aller Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei v. 21. 9. 1939, in: Jüdisches Historisches Institut Warschau, Faschismus, S. 37–41. 17 Musial, Zivilverwaltung, S. 109. 18 Lagebericht Landkommissar Tarnobrzeg v. 13. 10. 1939, IfZ, MA 682, fr. 580. 19 Ebd., fr. 583. 20 Streckenbach, 1902 in Hamburg geboren, 1920 Teilnehmer am Kapp-Putsch, trat 1930 der NSDAP und SA bei, im September 1931 wechselte er zur SS. Im Dezember 1933 übernahm Streckenbach die Leitung der Stapo-Stelle in Hamburg, 1938 wurde er zum Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD für den Wehrkreis X ernannt. Vgl. Mallmann/Böhler/Matthäus, Einsatzgruppen, S. 20. 21 Ebd., S. 18. 22 Geboren 1895 in Schanowitz/Breslau, nahm von Woyrsch als Offizier am Ersten Weltkrieg teil. 1919 als Freikorpskämpfer in Schlesien aktiv, beteiligte er sich 1920 am Kapp-Putsch. 1929 trat er der NSDAP bei und wurde 1930 Mitglied der SS. Nachdem von Woyrsch von 1934 bis 1936 den SS-Oberabschnitt Südost in Bres-

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gruppe zunächst Oberst Dr. Friedrich Wolfstieg. Bald wurde dieser jedoch von Oberst Karl Brenner abgelöst. 23 Die Einsatzgruppe z. b. V. bahnte sich ihren Weg von Ostoberschlesien nach Westgalizien, wo sie Angst und Terror verbreitete: In Bendzin ermordete sie mehrere hundert und in Trzebinia rund 50 Juden. Danach marschierte die Einsatzgruppe von Krakau nach Tarnów. 24 Auch in dieser Region sollen von Woyrschs Einheiten Juden ermordet haben. 25 Am 16. September 1939 erreichten sie schließlich Przemyśl. Vor Ort war auch das Einsatzkommando 3/I, das unter dem Kommando von Alfred Hasselberg stand. In Przemyśl realisierten die Einsatzgruppen vom 16. bis 19. September Massenverhaftungen. Nach der erfolgten Festnahme wurden die jüdischen Männer entweder zu Fuß oder auf Lastwagen an unterschiedliche Plätze inner- und außerhalb der Stadt verschleppt, wo man sie erschoss. 26 Wie viele Personen in diesen Tagen in Przemyśl ihr Leben verloren, ist nicht eindeutig rekonstruierbar, allerdings muss es sich um mehrere hundert Opfer gehandelt haben. 27 Mit der Ausrufung des „Generalgouvernements für die besetzten polnischen Gebiete“ am 26. Oktober 1939 trat an die Stelle der Militärverwaltung der zivile Verwaltungsapparat mit Dr. Hans Frank als Generalgouverneur an der Spitze. Die Zivilverwaltung war es, die in den ersten zwei Jahren der Besatzung die „Judenpolitik“ überwiegend selbständig festlegte, obgleich man sich an den Inhalten im Reich orientierte. 28 Für die Umsetzung der Politik sorgten die jeweiligen Kreis- beziehungsweise Stadthauptleute. Die Zivilverwaltung im Generalgouvernement verfolgte das Ziel, „die Juden durch Verfolgung auf wirtschaftlichem Gebiet und durch sonstige schrittweise durchgeführte Entrechtung, Absonderung von der Außenwelt und Zusammenballung in Lagern und Ghettos unter unwürdigsten Bedingungen zu einer halt- und willenlosen, durch Hunger und Krankheit entkräfteten Masse zu machen, über die beliebig verfügt werden konnte.“ 29 Während bereits die Entrechtungs- und Isolierungspolitik gegenüber lau leitete, erfolgte seine Versetzung zum Persönlichen Stab des RFSS. Vgl. ebd., S. 36 f.; Vern. Udo Wilhelm Gustav Egon von Woyrsch v. 14. 12. 1967, BAL, B 162/ 7705, Bl. 196 ff. Mein Dank gilt Jochen Böhler für den Hinweis auf diese Quelle. 23 Mallmann/Böhler/Matthäus, Einsatzgruppen, S. 37. 24 Ebd., S. 85. 25 Mallmann, Mißgeburten, S. 72. 26 Böhler, Überfall, S. 202 f. 27 Ebd. 28 Musial, Ursprünge, S. 57. 29 Anklage Schwurgericht beim LG Bochum v. 9. 4. 1964, IfZ, Gb 08.10/1, Bl. 74 f.

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der jüdischen Bevölkerung in Gang gesetzt waren, wurden bald auch erste Gespräche über umfangreiche Vertreibungen geführt. Geplant war nach anfänglichen anderen Ideen, eine „Gesamtlösung der Judenfrage“ durch die Errichtung eines „Judenreservats“ im Distrikt Lublin zu verwirklichen. 30 Nachdem Adolf Eichmann, Leiter der neu geschaffenen „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ im Reichssicherheitshauptamt (RSHA), Mitte Oktober 1939 selbst in das besetzte Polen reiste, erschien nicht Lublin, sondern das in der Nähe befindliche Gebiet Nisko geeigneter zu sein, um die Reservatspläne zu realisieren. Als bereits Deportationen in den Raum Nisko umgesetzt worden waren, unterbrach Himmler das Projekt jedoch abrupt. Als neu ernannter RKF hatte für ihn die Ansiedlung von Volksdeutschen zunächst Priorität. Aber auch nach der Einstellung des Nisko-Plans sollte das Ziel einer „ethnischen Säuberung“ keineswegs fallengelassen werden. Nachdem erneut der Distrikt Lublin als zukünftiges Reservat für die im deutschen Machtbereich lebenden Juden in den Blick geriet, aber im März 1940 bereits wieder ad acta gelegt worden war 31, entwickelte man im Zuge des Krieges gegen Frankreich eine neue Idee. Die jüdische Bevölkerung sollte nun in die französische Kolonie Madagaskar deportiert werden. 32 Generalgouverneur Hans Frank äußerte sich über den Madagaskar-Plan im Juli 1940 folgendermaßen: „Allgemein politisch möchte ich dazu sagen, daß geplant ist, die ganze Judensippschaft im Deutschen Reich, im Generalgouvernement und im Protektorat in denkbar kürzester Zeit nach Friedensschluß in eine afrikanische oder amerikanische Kolonie zu transportieren. Man denkt an Madagaskar. […] Hier wird auf einer Fläche von 500.000 km2 reichlich Gelände für ein paar Millionen Juden sein. Ich habe mich bemüht, auch die Juden des Generalgouvernements dieses Vorteils teilhaftig werden zu lassen, sich auf neuem Boden ein neues Leben aufzubauen. Das wurde akzeptiert, so daß in absehbarer Zeit auch hier eine kolossale Entlastung gegeben sein wird.“ 33 Wenige Wochen später war jedoch auch der Madagaskar-Plan aufgrund des ausbleibenden Sieges gegen Großbritannien nicht realisierbar. Nun wurde nach anderen Möglichkeiten gesucht, die „Judenfrage“ zu lösen. 34 Im Generalgouvernement waren die Angehörigen der deutschen

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Goshen, Eichmann, S. 79; Pohl, „Judenpolitik“, S. 47 f. Ebd., S. 48–51; Browning, Judenmord, S. 17 f. 32 Vgl. Brechtken, Madagaskar. 33 Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 252. 34 Mommsen, Wendepunkt, S. 60; Benz, Geschichte, S. 217; Browning, Entfesselung, S. 140; ders., Weg, S. 28. 31

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Dienststellen seit dem Aufkommen des Madagaskar-Projekts der Ansicht, dass die Juden in absehbarer Zeit aus ihrem Territorium entfernt werden würden. Nachdem jedoch das Reservatsprojekt gescheitert war, büßte das Generalgouvernement für eine „Lösung der Judenfrage“ an Bedeutung ein. Damit avancierte die antijüdische Politik nunmehr zunehmend zu einer regionalen Sache. 35 Abgesehen vom sicherheitspolitischen Aspekt, der in den Händen des SS- und Polizeiapparats verbleiben sollte, gelang es der Zivilverwaltung bis Sommer 1940, sich alle wichtigen Kompetenzen für die Judenangelegenheiten zu sichern. Um die antijüdische Politik einheitlich zu gestalten, wurde im März 1940 im Amt des Generalgouverneurs ein Judenreferat eingerichtet, die Unterabteilung (zu einem späteren Zeitpunkt Abteilung) Bevölkerungswesen und Fürsorge. Zuständig war diese Abteilung für die Isolierungspolitik der jüdischen Bevölkerung sowie für die Unterbringung Deportierter aus den eingegliederten Ostgebieten und dem Deutschen Reich. Darüber hinaus führte sie die Aufsicht über die Jüdische Soziale Selbsthilfe. Aber auch andere Abteilungen in der Regierung des Generalgouvernements waren in antijüdische Maßnahmen eingebunden. So oblag der Abteilung Wirtschaft die Aufgabe, die Juden aus der Ökonomie auszuschalten. Während die Zuteilung von Lebensmitteln für die jüdische Bevölkerung durch die Abteilung Ernährung und Landwirtschaft übernommen wurde, war die Abteilung Gesundheitswesen für die Gesundheitspolitik („Seuchenbekämpfung“) zuständig.36 Eine zentral gesteuerte „Ghettoisierungspolitik“ aus Krakau existierte nicht. Man war sich in der Anfangsphase der Besatzung nicht im Klaren darüber, was zukünftig mit den Juden im Generalgouvernement geschehen sollte. Dies führte in Bezug auf die Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung zu regional sehr unterschiedlichen Entwicklungen. 37 Zu ersten willkürlichen Bildungen jüdischer Wohnbezirke kam es bereits im Herbst 1939. In dem im Distrikt Radom gelegenen Petrikau erfolgte die Gründung eines Ghettos durch den Stadtkommissar Hans Drechsel Anfang Oktober. In der Folgezeit gingen weitere zivile Behörden ebenfalls dazu über, abgeschlossene Wohnbezirke für die in ihrem Machtbereich lebenden Juden zu errichten. 38 Eine Grundlage für die Schaffung von Ghettos und „Judenwohnbezirken“ wurde erst am 13. September 1940 mit der „Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen im Generalgouvernement“ ge35 36 37 38

Seidel, Besatzungspolitik, S. 224; Pohl, Ermordung, S. 100. Ebd., S. 119 f.; Seidel, Besatzungspolitik, S. 226. Musial, Zivilverwaltung, S. 126 f. Seidel, Besatzungspolitik, S. 230.

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schaffen. 39 Diese ermöglichte es nun den einzelnen Kreis- und Stadthauptleuten, „den Aufenthalt allgemein oder für einen bestimmten Personenkreis örtlich oder zeitlich zu beschränken.“ 40 Damit konnten die lokalen zivilen Verwaltungen die jüdische Bevölkerung in bestimmten Gebieten, künftig beispielsweise in Ghettos, konzentrieren. 41 Ergänzt wurde die im September 1940 erlassene Bestimmung durch die „2. Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen“ vom 29. April 1941. Nunmehr konnten Personen, die die Aufenthaltsbeschränkung missachteten, im Verwaltungsverfahren wie nach der 1. Verordnung geahndet werden, oder aber die Verfahren konnten an eine deutsche Staatsanwaltschaft abgegeben werden. Das stellte ein Novum dar. Bei Missachtung drohte den Menschen Freiheitsentzug oder eine Geldstrafe von bis zu 10.000 Złoty. Allerdings sollte auch die Androhung hoher Strafen nicht verhindern, dass sich Einzelne auch nach der Bekanntmachung der 2. Verordnung außerhalb ihres zugewiesenen jüdischen Wohnbezirks bewegten, um Lebensmittel zu erwerben. 42 In vielen Ortschaften des Generalgouvernements wurden jedoch bis in das Jahr 1942 keine Ghettos eingerichtet, so vor allem in den Distrikten Radom, Warschau und Krakau. 43 Das Ghetto in Krakau, das am 15. März 1941 im Stadtteil Podgórze errichtet wurde, war im Distrikt das erste größere Ghetto. 44 Kurze Zeit später erfolgten dort weitere Ghettogründungen. So wurde ebenfalls im Frühjahr 1941 ein Ghetto in der Stadt Bochnia geschaffen, welches Anfang 1942 geschlossen wurde. 45 Der Kreishauptmann von Jaslo, Walter Gentz, ordnete 1941 die Bildung eines Ghettos in der Stadt an, das zunächst noch unbewacht war.46 Die jüdischen Gemeinde Reichshofs wurde im Dezember 1941 in ein abgesperrtes Gebiet gezwungen. 47 39

VoBlGG 1940, S. 288. Ausarbeitung ZSL „Die Beteiligung der Kreis- und Stadthauptleute an nationalsozialistischen Verbrechen“ v. Oktober 1967, BAL, B 162/19153, Teil 251, Bl. 1. 41 Ebd., Bl. 2. 42 Musial, Zivilverwaltung, S. 143 f.; Ausarbeitung ZSL „Die Beteiligung der Kreis- und Stadthauptleute an nationalsozialistischen Verbrechen“ v. Oktober 1967, BAL, B 162/19153, Teil 252, Bl. 1. 43 Pohl, Ermordung, S. 101. 44 Anordnung Wächter betr. Bildung eines jüdischen Wohnbezirkes in der Stadt Krakau v. 3. 3. 1941, AŻIH, 233/66, Bl. 3–5. 45 Urteil LG Kiel v. 19. 3. 1968, in: JNSV, Bd. 27, Lfd. Nr. 667a, S. 357. 46 Dto. LG Arnsberg v. 5. 12. 1970, in: ebd., Bd. 37, Lfd. Nr. 780, S. 532. 47 Vgl. Story of the ghetto in Rzeszów, in: Bulletin „The rescue committee of the Jewish agency for Palestine“ v. September 1945, YVA, M.4/65, Bl. 27. 40

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Im Zuge der Planungen für den deutschen Überfall auf die Sowjetunion ergaben sich für eine territoriale Lösung der „Judenfrage“ neue Perspektiven. Die Juden sollten nunmehr in den Osten abgeschoben werden 48: „Der Herr Generalgouverneur wünscht keine weitere Ghettobildung mehr, da nach einer ausdrücklichen Erklärung des Führers vom 19. Juni d. J. die Juden in absehbarer Zeit aus dem Generalgouvernement entfernt würden und das Generalgouvernement nur noch gewissermaßen Durchgangslager sein solle.“ 49 Der Hoffnung auf eine baldige Entfernung der Juden lag die Annahme zu Grunde, dass der Krieg gegen die Sowjetunion binnen weniger Wochen gewonnen werden würde. Verhältnismäßig rasch war jedoch absehbar, dass die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aufgrund der sich in die Länge ziehenden Kriegshandlungen unrealistisch war.50 Seit Sommer 1941 verlangten unterschiedliche Stellen im Generalgouvernement, auf das unerlaubte Verlassen von Ghettos die Todesstrafe zu verhängen. 51 Die zivile Verwaltung ging schließlich im Oktober 1941 auf diese Forderung ein, indem sie am 25. Oktober, rückdatiert auf den 15. Oktober, die „3. Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen im Generalgouvernement“ erließ. Demnach sollten all jene, die unbefugt ihren zugewiesenen Wohnbezirk verließen, mit dem Tode bestraft werden. Für die Aburteilung von Verstößen gegen diese Anordnung waren Sondergerichte zuständig. Die Sicherheitspolizei-Außenstellen gingen allerdings seit 1940 vermehrt dazu über, Juden, die gegen die Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen verstießen oder andere deutsche Befehle missachteten, ohne Verfahren an Ort und Stelle zu ermorden. 52 Die Bestimmung vom 15. Oktober 1941, die nun das Töten von Juden legalisierte, fand innerhalb aller Besatzungsbehörden großen Zuspruch. So wurde beispielsweise auf einer Mitte Oktober 1941 stattgefundenen Ärztetagung in der im Distrikt Krakau gelegenen Ortschaft Bad Krynica das Töten aufgegriffener Juden unter den Teilnehmern sehr begrüßt. Dr. Jost Walbaum, Leiter der Abteilung Gesundheitswesen im Generalgouvernement, äußerte sich hierzu folgendermaßen: „Natürlich wäre es das beste und einfachs48

Musial, Ursprünge, S. 59. Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 386. 50 Musial, Ursprünge, S. 59. 51 Pohl, Judenverfolgung, S. 92. 52 VoBlGG 1941, S. 595; Ausarbeitung ZSL „Die Beteiligung der Kreis- und Stadthauptleute an nationalsozialistischen Verbrechen“ v. Oktober 1967, BAL, B 162/19153, Teil 253, Bl. 1 ff.; Anklage Schwurgericht beim LG Bochum v. 9. 4. 1964, IfZ, Gb 08.10/1, Bl. 77–79; Seidel, Besatzungspolitik, S. 245. 49

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te, den Leuten ausreichende Ernährungsmöglichkeiten zu geben, das geht aber nicht, das hängt eben mit der Ernährungs- und Kriegslage im allgemeinen zusammen. Deshalb wurde jetzt die Massnahme des Erschiessens angewandt, wenn man einen Juden ausserhalb des Ghettos ohne besondere Erlaubnis antrifft. Man muss sich, ich kann es in diesem Kreise offen aussprechen, darüber klar sein, es gibt nur 2 Wege, wir verurteilen die Juden im Ghetto zum Hungertode oder wir erschiessen sie. Wenn auch der Endeffekt derselbe ist, das andere wirkt abschreckender. Wir können aber nicht anders, wenn wir auch möchten, denn wir haben einzig und allein die Aufgabe dafür zu sorgen, dass das deutsche Volk von diesen Parasiten nicht infiziert und gefährdet wird und dafür muss uns jedes Mittel recht sein.“ 53 Die Zuhörer der Tagung waren wegen der Ausführungen Walbaums keineswegs schockiert, das Protokoll vermerkte als Reaktion vielmehr „Beifall, Klatschen“. 54 Vermutlich kurze Zeit nachdem die 3. Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen im Generalgouvernement erlassen worden war, trat die Zivilverwaltung an die Sicherheitspolizei heran. Die Verfahren der Sondergerichte gegen aufgegriffene Juden waren ihr zu langwierig. Sie forderten nun unbürokratischere Maßnahmen ein. 55 Am 21. November 1941 ordnete BdS Schöngarth an, „daß derartig umherwandernde Juden sofort zu erschießen sind, wenn sie nur den geringsten Widerstand leisten oder flüchten wollten“. 56 Dieser Befehl hatte eine Radikalisierung der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen gegenüber der jüdischen Bevölkerung im Generalgouvernement zur Konsequenz: Er legalisierte generell das Töten von außerhalb der Städte aufgegriffener Juden. 57 2.2 Die Umsetzung der antijüdischen Politik in Tarnów Wie in anderen Gebieten setzte auch in Tarnów zeitgleich mit der Besetzung der Stadt durch deutsche Truppen die Entrechtung und Unterdrückung der jüdischen Bevölkerung ein. Nur kurze Zeit nach dem deutschen Einmarsch wurden zahlreiche Verordnungen erlassen, die das Leben der Bevölkerung, allen voran der jüdischen, schrittweise einschränkten. So wurde eine Sperrstunde eingeführt. Für die christliche Bevölkerung galt 53

Protokoll der Arbeitstagung der Abt. Gesundheitswesen in der Regierung des Generalgouvernements in Bad Krynica v. 13. 10.–16. 10. 1941, USHMM, RG15.174M, reel 42, Bl. 20. 54 Ebd. 55 Pohl, „Judenpolitik“, S. 94. 56 Zitiert nach: Ebd. 57 Ebd.

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diese ab zehn Uhr, für die jüdische Bevölkerung ab acht Uhr am Abend. 58 Jüdische Geschäftsinhaber wurden bis zum 8. Oktober 1939 gezwungen, sämtliche Waren- sowie Kohlebestände listenmäßig zu erfassen und zu melden. Auch mussten Familien umfangreicheren Besitz bestimmter Lebensmittel und Waren wie Zucker, Seife und Petroleum bei den deutschen Behörden anmelden. 59 Am 20. Oktober erging die Anordnung, die es männlichen Juden unter 50 Jahren verbot, „aus sanitären Gründen ab dem 25. Oktober 1939 […] Vollbärte und Backenbärte zu tragen“. 60 Der Judenrat hatte „dafür zu sorgen, dass auch jenen Juden, die keinerlei Geldmittel zur Bezahlung des Raseurs haben, durch die jüdischen Raseure der Vollbart beseitigt wird“. 61 Nach Ablösung der Militärverwaltung und der Ausrufung des Generalgouvernements am 26. Oktober 1939 verschärfte sich die Situation für die örtliche Bevölkerung, und es erging eine Welle antijüdischer Verordnungen. Eine Bestimmung verbot künftig „das Schächten, d. h. die qualvolle, durch allmähliche Entziehung des Blutes herbeigeführte Tötung von Tieren zum Zwecke sogenannten koscheren Fleischgenusses“. 62 Eine Nichtbefolgung konnte drakonische Strafen zur Folge haben. So wurde eine Haftstrafe von mindestens einem Jahr oder auch die Einweisung in ein Konzentrationslager angedroht. 63 Bis November 1939 versuchte man alle in Tarnów lebenden Juden zu registrieren. Hierfür sollten die Besitzer oder Verwalter eines Hauses per Liste alle jüdischen Bewohner des Objektes erfassen und diese beim Meldeamt der Stadt bis zum 10. November einreichen. 64 Anschließend erhielten die bis zu diesem Zeitpunkt offiziell gemeldeten Personen eine Bestätigung, für die eine Gebühr entrichtet werden musste. Sie betrug für Menschen, die bereits vor Kriegsbeginn ihren Wohnsitz in der Stadt besaßen, 20 Groschen, während jene, die nach dem 1. September nach Tarnów zugezogen waren, fünf Złoty bezahlen 58 Anordnung Stadtkommissar Tarnow v. 19. 10. 1939, USHMM, RG-15.020M, reel 11, Bl. 439. Die Polizeistunde wurde im Laufe der Zeit noch einmal geändert. Im April 1940 wurde eine Anordnung erlassen, die die Polizeistunde für die christliche Bevölkerung auf 22.30 Uhr, für die jüdische Bevölkerung auf 21.00 Uhr festlegte. Vgl. dto. v. 17. 4. 1940, ebd., Bl. 407. 59 Bekanntmachung Stadtkommissar Tarnow, ebd. 60 Anordnung Stadtkommissar Tarnow v. 17. 4. 1940, ebd., Bl. 453. 61 Ebd. 62 Verordnung Generalgouverneur über das Schächtverbot v. 26. 10. 1939, ebd., Bl. 461. 63 Ebd. 64 Anordnung Stadtkommissar Tarnow v. 4. 11. 1939, ebd., Bl. 429.

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sollten. Juden, die sich nach dem 20. November ohne diese Meldebescheinigung in der Stadt aufhielten, mussten mit einer Verhaftung rechnen. 65 Ebenfalls im November wurden jüdische Bankkonten gesperrt. 66 Autos und Motorräder mussten bis Ende November der Zivilverwaltung gemeldet und vorgeführt werden. 67 Ende des Jahres wurden jüdische Schulen geschlossen, und Kinder jüdischen Glaubens, die öffentliche oder private Schulen besuchten, mussten diese verlassen. Darüber hinaus entließ man auch alle jüdischen Lehrer fristlos. 68 Inhaber von Gast- und Kaffeehäusern sowie Ladenbesitzer wurden gezwungen, ihrem jüdischen Personal bis 1. November zu kündigen und diese durch christliche Mitarbeiter zu ersetzen. Ausnahmen von dieser Regelung wurden lediglich dann zugelassen, wenn der „jüdische Arbeitnehmer nachweislich als Fachkraft unersetzbar“ war.69 Die Deutschen zwangen die Juden zudem, bis Mitte Oktober 1940 ihre Gasmetallheizöfen beim städtischen Gaswerk abzuliefern. Ein Zuwiderhandeln gegen diese Anordnung wurde mit einer Geldstrafe von 1.000 Złoty belegt. 70 Auch Fernsprech- und Radioapparate aus Privathaushalten wurden eingezogen. Für die Nichtbefolgung drohten den Besitzern nach dem 31. Oktober 1940 hohe Strafen.71 Aber auch das soziale und kulturelle Leben wurde durch die antijüdischen Verordnungen massiv eingeschränkt. So war plötzlich der Besuch von Theatern und Kinos nicht mehr gestattet.72 Selbst den Besuch einer Vorstellung im Zirkus versagte man der jüdischen Bevölkerung fortan 73, ebenso das Betreten nichtjüdischer Gast- und Kaffeehäuser und das „Herumstehen auf Straßen und Plätzen und vor den Haustüren“.74 Die jüdische Gemeinde erfüllte für die zivile Verwaltung in Tarnów auch eine gewisse „Sündenbockfunktion“, indem sie für vielerlei Missstände innerhalb des Stadtgebiets verantwortlich gemacht wurde. Deutlich

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Ebd. Chomet, Zagłada, S. 12. 67 Anordnung Stadtkommissar Tarnow v. 15. 11. 1939, ANK-T, 33/ZMTo/33. 68 Dto. Nr. 56 Chef des Distrikts Krakau v. 11. 12. 1939, USHMM, RG-15.041M, reel 1. 69 Anordnung, ANK-T, 33/ZMTo/2, Bl. 109. 70 Dto. Stadtkommissar Tarnow v. 30. 9. 1941, USHMM, RG-15.020M, reel 11. 71 Aufruf Deutsche Post Osten v. 17. 10. 1940, ebd. 72 Frankel, Hell, S. 31. 73 Anordnung Stadtkommissar Tarnow betr. Besuch der Abendvorstellungen des Circus Busch v. 22. 6. 1940, USHMM, RG-15.020M, reel 11, Bl. 479. 74 Dto. v. 17. 4. 1940, ANK-T, 33/ZMTo/33. Diese Anordnung wurde erstmalig am 20. 10. 1939 erlassen. 66

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wird dies in einer vom Stadtkommissar Reinhold Eckert erlassenen Verordnung vom 19. Juni 1940, in der er sich über Feldschäden äußerte, die durch die Bevölkerung verursacht worden seien. In reichlich absurd anmutender Weise hob der Stadtkommissar die Juden als vermeintliche Schuldige hervor: „Besonders muss festgestellt werden, dass das Publikum, am meisten aber die Juden, scharenweise über die Feldwege spazieren gehen, in das Gras treten und das Getreide und andere Feldfrüchte vernichten. Ein derartiges Benehmen muss sofort aufhören!“ 75 Wie am Beispiel Tarnóws ersichtlich wird, wurden unmittelbar nach dem Einmarsch deutscher Truppen zahlreiche antijüdische Verordnungen verfügt, die innerhalb kurzer Zeit alle Bereiche des alltäglichen Lebens der jüdischen Bevölkerung beschnitten. Viele der bereits unter Militärverwaltung erlassenen Verordnungen wurden nach Gründung des Generalgouvernements von der Regierung aufgegriffen und erweitert. Konkret realisiert wurden die NS-Maßnahmen von der lokalen Zivilverwaltung. Um die Juden der Stadt zu entrechten, waren aus deutscher Perspektive vor allem drei Bereiche von großer Bedeutung: Die Isolierung, die Ausschaltung der jüdischen Bevölkerung aus der Wirtschaft sowie deren Heranziehung zur Zwangsarbeit. 2.2.1 Isolierung der Juden Eine wichtige Voraussetzung, um Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung einleiten zu können, war deren Isolierung. Im Generalgouvernement stellte sich die Situation jedoch gänzlich anders als im Reich dar. Die polnischen Juden waren in den ländlichen Gebieten meist nur zu einem geringen Teil assimiliert und lebten in ihren eigenen Wohnvierteln. Hier sprachen sie ihre eigene Sprache, das Jiddische, und gingen ihren eigenen kulturellen Traditionen und Gebräuchen nach, die stark von denen der ethnischen Polen differierten. 76 In größeren Städten allerdings war es für die deutschen Besatzer schwieriger, die assimilierten Juden von der übrigen, christlichen Bevölkerung zu unterscheiden. Die Deutschen bedienten sich daher nicht selten ethnischer Polen, die bei der Identifizierung ihrer jüdischen Nachbarn behilflich sein sollten. 77 Die Grundlage zur Isolierung der Juden bildete die am 23. November 1939 von Generalgouverneur Frank erlassene Verordnung über die Kenn-

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Dto. v. 19. 6. 1940, USHMM, RG-15.020M, reel 11, Bl. 445. Pohl, „Judenpolitik“, S. 62. Ebd., S. 63; Tec, Light, S. 40.

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zeichnung der Juden. Demnach mussten ab dem 1. Dezember alle Juden ab dem zehnten Lebensjahr eine weiße Armbinde mit dem Davidstern auf ihrer Kleidung tragen.78 Diese im Generalgouvernement realisierte Maßnahme stellte etwas Neuartiges dar, schließlich wurde die Kennzeichnungspflicht der Juden im Deutschen Reich „erst“ am 1. September 1941 eingeführt. 79 Ebenfalls am 23. November 1939 ordnete Frank die Kennzeichnung der jüdischen Geschäfte mit einem Davidstern an. 80 Für den Distrikt bestimmte Otto Wächter die Kennzeichnung der jüdischen Bevölkerung durch eine weiße Armbinde mit blauem Davidstern. 81 In Tarnów wurde den Juden auferlegt, ab dem 22. Oktober 1939 am linken Oberarm eine weiße Armbinde in einer Breite von zwölf Zentimetern mit einem grünen Davidstern im Durchmesser von acht Zentimetern zu tragen. 82 Auch in der Folgezeit hielt die Zivilverwaltung zunächst am eingeführten andersfarbigen Davidstern fest: „1) Die Juden des Bereiches der kreisfreien Stadt Tarnow bleiben weiterhin berechtigt, den von mir ab 1. November ds Js. eingeführten grünen Zion-Stern zu tragen. 2) Die von mit gewährten Ausnahmebescheinigungen bleiben bis auf Widerruf in Kraft. Sie gelten jedoch nur für den Bereich der kreisfreien Stadt Tarnow. Im übrigen Bereiche des Generalgouvernements haben auch diese Juden die Judenbinde zu tragen.“ 83 An diesem konkreten Vorgehen zeigt sich, in welchem Maße die lokale Zivilverwaltung Handlungsspielräume in der Auslegung von Verordnungen der Krakauer Behörde besaß und diese auch nutzte. Erst am 18. Dezember beugte sich die Kreishauptmannschaft der Zentrale in Krakau. Fortan war auch für die Juden in Tarnów eine weiße Armbinde vorgeschrieben. 84 Kontrollen wurden sowohl von der deutschen als auch von der polnischen Polizei organisiert. Bei Nichtbefolgung drohten anfänglich Geld- oder sogar Gefängnisstrafen. 85 Allein im Zeitraum von 23. September bis 30. November wurden in der

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VoBlGG 1939, S. 61. Musial, Zivilverwaltung, S. 124. 80 VoBlGG 1939, S. 61. 81 Anordnung Distriktchef von Krakau betr. Kennzeichnung der Juden im Distrikt Krakau v. 18. 11. 1939, USHMM, RG-15.020M, reel 11, Bl. 433b. 82 Anordnung (undat.), ANK-T, 33/ZMTo/2, Bl. 109. 83 Mitteilung Stadtkommissar zur Verordnung Generalgouverneur über die Kennzeichnung der Juden, USHMM, RG-15.020M, reel 11, Bl. 433b. 84 Bekanntmachung Stadtkommissar v. 18. 12. 1939, ebd., RG-15.149M, Bl. 260. 85 Aufzeichnungen Josef K. „Die Epoche des Hitlerismus in Tarnów“ v. 14. 3. 1946, BAL, B 162/2151, Bl. 1017 f. 79

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Stadt 42 „Verstöße gegen die Verordnung über das Tragen von Armbinden für Juden“ durch die örtliche Schutzpolizei festgestellt. 86 Dabei waren die Juden auch vor Denunziationen seitens ihrer christlichen Nachbarn nicht sicher, wie folgender Fall belegt: Am 6. November erstattete die Polin Berta K. bei der örtlichen Schutzpolizei Anzeige. Sie hatte nach eigenen Angaben seit rund sechs Wochen täglich zwei Kinder im Alter von zehn bis zwölf Jahren vor der Stabskaserne beobachtet, die sich bei den Soldaten Essen erbetteln würden. Diese Kinder, so die Anzeigeerstatterin, seien im Vorjahr aus Berlin ausgewiesen worden und mit ihren Eltern nach Tarnów gekommen. Da sie die deutsche Sprache fließend beherrschen und sich als Volksdeutsche ausgeben, erregen diese Kinder bei den Soldaten Mitleid „und erhalten für sich und ihre Eltern alles, was sie zu ihrem Lebensunterhalte brauchen“. 87 Eine Armbinde trügen die Kinder, so die Polin, die darum bat, die Anzeige vertraulich zu behandeln, nicht. 88 Wie sich herausstellte, waren die Kinder halbjüdisch: Der Vater war Jude, die Mutter, Emmi S., eine christliche Deutsche. Während ihrer Vernehmung bei der Schutzpolizei Tarnów wusste sich die Mutter der Kinder allerdings zu verteidigen: „Wenn mir vorgehalten wird, dass nach der bestehenden Verordnung, meine Kinder verpflichtet sind Armbinden, die sie als Judenkinder kennzeichnen, zu tragen, so kann ich mich damit durchaus nicht abfinden. Ich bin der festen Meinung und Überzeugung, dass meine Kinder, da sie von mir abstammen, nicht als volljüdisch bezeichnet werden können.“ 89 Ob das Nichttragen der Armbinde der beiden Kinder von deutscher Seite geahndet wurde, kann aufgrund fehlender Quellen nicht nachvollzogen werden. Knapp zwei Jahre später wurde jedoch der Ehemann von Emmi S. im Zuge der ersten Mordaktion deportiert. Ihr gelang es, beide Kinder zu retten. Sie versteckten sich und überlebten die Shoah. 90 Den Quellen nach zu urteilen scheint ein Nichttragen der Armbinde in Tarnów allerdings zeitweilig auf unterschiedliche Weise geahndet worden zu sein. Es sind Fälle überliefert, in denen man die ohne Davidstern aufgegriffenen Personen direkt erschoss. 91 Judith L. allerdings, die am 7. Dezember 1941 von den Sicherheitspolizisten Hans Nowak und Otto von 86

Tätigkeitsbericht Schutzpolizei Tarnow v. 30. 11. 1939, ANK-T, 33/ZMTo/2, Bl. 189–191. 87 Anzeige Schutzpolizei Tarnow v. 15. 11. 1939, ebd., 33/ZMTo/4, Bl. 217. 88 Ebd. 89 Schreiben Schutzpolizei Tarnow v. 22. 11. 1939, ebd., Bl. 221. 90 Aussage Emmi S. v. 10. 11. 1965, BAL, B 162/2159, Bl. 2827. 91 Dto. Regina G. v. 15. 11. 1966, ebd., B 162/2161, Bl. 3130.

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Malottki aufgrund des Nichttragens der Armbinde verhaftet worden war, wurde in das örtliche Gefängnis eingeliefert. Dort hielt man sie bis zum 7. März 1942 fest. 92 Auch an diesem Fall zeigt sich der Handlungsspielraum der deutschen Besatzungsinstitutionen im lokalen Bereich. Neben der Einführung des Judensterns mussten künftig auch die Geschäfte in Tarnów gekennzeichnet werden. Demnach sollte die „Kennzeichnung […] durch die deutlich sichtbare Anbringung des Davidsterns an den Schaufenstern, bei offenen Verkaufsständen durch Aushang eines entsprechenden Plakats [erfolgen]“. 93 Als jüdisch galten jene Geschäfte, „die sich entweder ganz oder mehr als 50 % in jüdischen Händen befinden oder mit jüdischen [sic] Geld betrieben werden“. 94 Versäumten die Ladenbesitzer, den vorgeschriebenen Davidstern anzubringen, mussten sie mit einer Geldstrafe rechnen, die in der Regel fünf Złoty betrug. Sofern die Geldbuße nicht beglichen werden konnte, wurde diese in eine Haftstrafe von einem Tag umgewandelt. Für die Eintreibung von Geldstrafen war das Kreiskommando der polnischen Polizei in Tarnów zuständig.95 Mit weiteren Einschränkungen wurden jüdische Geschäftsinhaber Anfang 1940 konfrontiert. Ab dem 1. Januar war es ihnen verboten, deutsche Geschäftsbezeichnungen zu benutzen sowie die hebräische oder jiddische Sprache für öffentliche Anschriften zu verwenden. 96 Zur gleichen Zeit wurde die Freizügigkeit der jüdischen Bevölkerung beschnitten, indem man ihr untersagte, künftig mit der Bahn zu reisen. 97 Bereits im November 1939 verboten die Deutschen die Durchreise jüdischer Personen durch Tarnów. 98 Ferner sollte es den Menschen nicht mehr möglich sein, ohne vorherige schriftliche Genehmigung ihren Wohnort überhaupt zu verlassen. 99 An bestimmten Tagen durften fortan auch gewisse Straßen und Plätze nicht mehr betreten werden. So war am 14. Juli 1940 ab 14.00 Uhr ein Begehen der Bahnhofstraße, Wallstraße, Pilsudskistraße, Tertilstraße, Rogoyskistraße sowie der Chopinstraße verboten. 92 Strafbefehl Sondergericht an Judita L. v. 28. 1. 1942, ebd., B 162/2153, Bl. 1680; Schreiben Dr. Froese an ZSL, ebd., Bl. 1678. 93 Verordnung Stadtkommissar Tarnow betr. Kennzeichnung jüdischer Geschäfte, ANK-T, 33/ZMTo/33. 94 Ebd. 95 Strafverfügung v. 20. 12. 1939, ebd., 33/ZMTo/4, Bl. 520. 96 Anordnung Stadtkommissar Tarnow, USHMM, RG-15.020M, reel 11, Bl. 485b. 97 Chomet, Zagłada, S. 24. 98 Anordnung Stadtkommissar Tarnow v. 4. 11. 1939, USHMM, RG-15.020M, reel 11, Bl. 429. 99 Öffentliche Bekanntmachung Kreishauptmann Tarnow v. 28. 2. 1940, ebd.

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Auch mussten die Fenster derjenigen jüdischen Wohnungen, die an den genannten Straßen lagen, geschlossen bleiben. 100 Ähnliches wurde für den NSDAP-Reichsfeiertag am 9. November bestimmt. Die Juden der Stadt durften an diesem Tage manche Straßenzüge nicht betreten. Denjenigen, die am Marktplatz wohnten, war es nicht einmal gestattet, „durch die geschlossenen Fenster auf den Rynek [Marktplatz] zu schauen“.101 Auch anlässlich des Geburtstags Adolf Hitlers wurde der jüdischen Bevölkerung unter Androhung von Strafe untersagt, zu einer festgelegten Zeit bestimmte Straßen und Plätze aufzusuchen.102 An diesem besonderen Tag wollten die Deutschen nicht mit Juden zusammentreffen. Ab dem 17. April 1940 verbot man der jüdischen Bevölkerung dann, die städtischen Anlagen – hierzu zählten der Stadtpark und die Anlagen am Bahnhof – zu betreten. 103 Ebenfalls im Laufe des Jahres 1940 wurden wohlhabendere Juden, die Wohnungen in der Krakauer- und Walowastraße bewohnten, gezwungen, binnen zwölf Stunden ihre Wohnungen zu räumen und in den jüdischen Stadtteil Grabówka zu ziehen.104 Nachdem Anfang 1941 spezielle Kennkarten ausgehändigt worden waren 105, erfuhr auch die räumliche Isolierung der Juden eine Ausweitung. Am 18. Februar erging durch den Stadtkommissar eine Anordnung, die es untersagte, die Bürgersteige bestimmter Straßenzüge im westlichen Stadtbereich zu begehen.106 Außerdem wurde in dieser Verordnung festgelegt, dass „Juden […] das Begehen der Bürgersteige vor allen Kasernen und Dienstgebäuden, vor welchen ein Militär- oder Polizeiposten Wache steht, verboten“ 107 ist. Um zu ihren Wohnungen oder Geschäften zu gelangen, war „das Überschreiten der verbotenen Gehwege […] nur auf dem kürzes100

Anordnung Stadtkommissar Tarnow v. 13. 7. 1940, ebd., Bl. 489. Dto., ebd., Bl. 481. 102 Dto. v. 17. 4. 1940, ebd., Bl. 425. 103 Ebd. 104 Chomet, Zagłada, S. 24. 105 Ebd., S. 28. 106 Es handelte sich um folgende Straßen: Bahnhofstraße–östliche Seite; Krakauerstraße von der Bahnhofstraße bis Bandrowskistraße–südliche Seite, von Krasińskistraße bis Wallstraße–nördliche Seite; Wallstraße von Krakauerstraße bis Kupieckastraße–nördliche Seite; Kathedralstraße–südliche Seite; Breitestraße–östliche Seite; Bernardinerstraße–nördliche Seite; Marktgasse–östliche Seite; Ursulinerstraße–östliche Seite; Tertilstraße–nördliche Seite; Brodzińskistraße–westliche Seite; Pilsudksistraße, von Wallstraße bis Mickiewiczstraße–östliche Seite; Mickiewiczstraße vom Sienkiewiczplatz bis Pilsudskistraße vorerst südliche Seite. Vgl. Anordnung Stadtkommissar Tarnow v. 18. 2. 1941, USHMM, RG-15.149M. 107 Ebd. 101

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ten Wege gestattet“. 108 Zuwiderhandlungen gegen diese Anordnung wurden mit einer Geldstrafe von 50 Złoty oder dreitägiger Haft belegt.109 Im Jahr 1941 organisierten die Deutschen eine großangelegte „Umsiedlung“ von Einwohnern der Stadt, die der weiteren Wohnungsplanung dienen sollte.110 Allein in den Monaten April und Mai mussten insgesamt 704 jüdische und christliche Familien ihre Wohnungen verlassen. Ein Teil der freigewordenen Wohnungen war für Angehörige der Wehrmacht bestimmt.111 Die Isolierung der Juden Tarnóws wurde im Herbst 1941 durch eine am 16. Oktober vom Stadtkommissar erlassene Verordnung verschärft.112 Künftig war es für unbestimmte Dauer untersagt, festgelegte Straßen und Plätze zu begehen.113 Darüber hinaus galt als gesetzwidrig, die Querstraßen zu den „verbotenen“ Straßen bis zu einer Entfernung von 100 Meter zu begehen. In der Anordnung wurde explizit darauf verwiesen, dass den Juden der Aufenthalt im gesamten Westteil der Stadt verboten sei. Diejenigen, die dort noch lebten, durften den Ostteil Tarnóws lediglich über bestimmte Straßenzüge erreichen. Ein Zugang zu Arbeitsstätten, die auf den verbotenen Straßen lagen, war künftig nur durch die nächste Querstraße möglich. Ein Antrag auf Ausstellung von Passierscheinen konnte bei der örtlichen Zivilverwaltung gestellt werden. Wurden Menschen jedoch ohne einen solchen angetroffen, drohte die Zahlung eines Bußgeldes in Höhe von 100 Złoty. 114 Wenige Monate später, im Februar 1942, wurde erneut ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich Juden weder auf Straßen noch auf Plätzen der Weststadt aufhalten dürfen. Verstöße gegen diese Anordnung wurden fortan mit einer Geldstrafe von bis zu 100 Złoty oder „sofortigem Gas- und Stromentzug bis zur Dauer von 4 Wochen“ geahndet.115 108

Ebd. Ebd. 110 Umquartierungsbescheid des Wohnungsamts, MO-T, MT-AH/DH/1127/1–181. 111 Statistisches Verzeichnis der Umsiedlungsaktion in Zahlen v. 3. 5. 1941, ebd., MT-AH/DH/1145/1–9. 112 Anordnung Stadtkommissar Tarnow v. 16. 10. 1941, USHMM, RG-15.020M, reel 11, Bl. 431. 113 Es handelte sich dabei um die Folgenden: Krakauerstraße, Wallstraße, BreiteStraße, Bernadinerstraße, Marktstraße, Kathedralstraße einschließlich KasimirPlatz bis zum Ring, Kleine und Große Treppe, Bastei-Treppe, Fischgasse sowie die Festungsgasse. Vgl. ebd. 114 Ebd.; Schreiben an Handwerkskammer in Krakau v. 30. 10. 1941, ANK-T, 33/ 214/11. 115 Anordnung Stadtkommissar Tarnów v. 7. 2. 1942, USHMM, RG-15.020M, reel 11, Bl. 427. 109

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Auf dieses Weise versuchte die Zivilverwaltung in Tarnów neben der bereits früh einsetzenden Stigmatisierung, die Juden aus dem westlichen Stadtbereich in das östliche Viertel Grabówka zu verdrängen. Diesem schleichenden Ghettoisierungsprozess lag ein differenziertes Motivbündel zu Grunde. Zunächst ging es den deutschen Besatzern darum, der vorherrschenden Wohnraumknappheit entgegenzutreten, die sich nicht nur aufgrund der Ankunft deutscher Besatzungsangehöriger, sondern auch durch den Zuzug tausender Umsiedler und Flüchtlinge immer weiter zuspitzte. Darüber hinaus mussten bereits früh jene Juden, die die besseren Gegenden in der Stadt bewohnten, ihre Wohnungen für die Deutschen räumen. Vor allem die Häuser im westlichen Stadtbereich entsprachen am ehesten deren Ansprüchen.116 Daneben war die zivile Verwaltung in Tarnów bestrebt, die Hauptstraßen der Stadt, vor allem die Krakauerstraße, zu „verschönern“. Die Stadt sollte sich repräsentativ zeigen und hierzu gehörte in deren Augen auch die Verbannung der jüdischen Bevölkerung.117 Unter den Besatzungsinstitutionen herrschte allein schon aufgrund vorherrschender ideologischer Motive insgesamt Einigkeit darüber, dass die Juden in Tarnów isoliert werden mussten. Während die Realisierung dieser Politik keinerlei größere Schwierigkeiten verursachte, verlief die Ausschaltung der jüdischen Bevölkerung aus der städtischen Ökonomie nicht ohne Komplikationen. 2.2.2 Ausschaltung aus der Wirtschaft Eine ökonomische Verdrängung wurde von den deutschen Besatzern nicht nur als hinreichende Voraussetzung für die Abschiebung der Juden betrachtet, sondern sollte auch als Basis für die Brechung des angeblichen jüdischen Einflusses dienen. Darüber hinaus spielten materielle Gewinne, die sich die Deutschen aus der „Arisierung“ erhofften, eine zentrale Rolle.118 Die bereits während des Septemberfeldzugs und zu Zeiten der Militärverwaltung in die Wege geleitete Einschränkung der ökonomischen Tätigkeit der jüdischen Bevölkerung wurde nach Ausrufung des Generalgouvernements zwischen November 1939 und Januar 1940 fortgeführt und 116 Diese Vorgehensweise ist auch für andere Ortschaften im Generalgouvernement bekundet. Vgl. Musial, Zivilverwaltung, S. 128 f. 117 So gab der Stadtkommissar Dr. Hein im November 1940 eine Anordnung heraus, die bestimmte, dass alle auf der Krakauerstraße befindlichen Häuser, Vorplätze, Gärten und Höfe instand gesetzt werden müssen. Darüber hinaus sollten auch alle „unschönen Reklameschilder entfernt“ werden. Anordnung Stadtkommissar v. 6. 11. 1940, USHMM, RG-15.020M, reel 11. 118 Pohl, „Judenpolitik“, S. 72 f.

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vereinheitlicht und zwar mit folgenden Erlassen 119: Der Anordnung zur Sperrung jüdischer Konten vom 20. November 1939, der Verordnung über die Bezeichnung jüdischer Geschäfte vom 23. November 1939 sowie der Verordnung über die Pflicht zur Anmeldung jüdischen Vermögens im Generalgouvernement vom 24. Januar 1940. 120 Die wichtigsten Maßnahmen, um die ökonomische Verdrängung der jüdischen Bevölkerung zu forcieren, war die Verordnung über die Beschlagnahme von privatem Vermögen im Generalgouvernement vom 24. Januar 1940121 sowie die Verordnung zur Errichtung einer Treuhandstelle für das Generalgouvernement vom 15. November 1940.122 Diese beiden Bestimmungen ermöglichten es den Deutschen, sogenanntes herrenloses Vermögen sowohl der christlichen als auch der jüdischen Bevölkerung einzuziehen, das fortan unter Verwaltung von eingesetzten Treuhändern stand.123 In Tarnów sowie in den Landkreisen musste die jüdische Bevölkerung bis zum 15. März 1940 Formblätter über ihre Vermögensverhältnisse ausfüllen und diese beim Stadtkommissar oder beim für sie zuständigen Landkommissar einreichen. Wurde Vermögen nicht fristgemäß angemeldet, definierten die Deutschen dieses als „herrenlos“ und zogen es ein. Zuwiderhandlungen gegen die Meldepflicht sollten mit hohen Freiheits- und Geldstrafen „bis zu unbegrenzter Höhe“ geahndet werden.124 Wie im Deutschen Reich sollten die Juden im Generalgouvernement aus Industrie, Handel, Grundbesitz, Versicherungen, Banken, Verkehr und Lagerhaltung entfernt werden. Die Kreis- und Stadthauptleute waren für die direkte „Entjudung“ der Wirtschaft in ihrem Herrschaftsbereich zuständig, wobei sie sich an den Vorgaben der Krakauer Zentrale unter Berücksichtigung örtlicher Gegebenheiten orientierten. Generell verfüg-

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Ebd., S. 73; Seidel, Besatzungspolitik, S. 250 f. Ebd., S. 251. 121 Die Deutschen hatten die Befürchtung, dass die jüdische Bevölkerung versuchen würde, ihren Besitz vor der Übernahme durch die Deutschen zu schützen: „Es stand ferner zu erwarten, daß jüdische Vermögen sich dem Zugriff des Staates zu entziehen trachten würden. Demzufolge wurde auch sofort eine Verordnung, betreffend des Verbotes der Verlegung und Übertragung jüdischen beweglichen und unbeweglichen Vermögens erlassen und im Verordnungsblatt vom 12. September 1939 veröffentlicht.“ Vgl. Jahresbericht der Abt. Wirtschaft 1940, USHMM, RG-15.174M, reel 13, Bl. 64. 122 VoBlGG, 1939, S. 36 f. 123 Seidel, Besatzungspolitik, S. 251. 124 Öffentliche Bekanntmachung Kreishauptmannschaft Tarnow v. 28. 2. 1940, ANK-T, 33/12/2. 120

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ten die Kreishauptleute über enorme Handlungsspielräume, wenn es darum ging, die „Arisierung“ in ihrem Kreis zu forcieren.125 Nach den anfänglichen Plünderungen und Enteignungen stellte sich jedoch bald die Erkenntnis ein, dass eine abrupt realisierte völlige „Entjudung“ der Wirtschaft im Generalgouvernement weder machbar noch aus ökonomischer Perspektive wünschenswert erschien. 126 Obgleich starke Überlieferungslücken bestehen, die eine genaue Rekonstruierung der „Arisierungspolitik“ in Tarnów verhindern, lässt sich doch eine bestimmte Tendenz ausmachen. Wir erinnern uns: In Tarnów, wo das Handwerk mit kleinen und mittleren Handwerksbetrieben in wirtschaftlicher Hinsicht eine ganz zentrale Rolle spielte, waren viele Wirtschaftszweige jüdisch geprägt.127 Die Zivilverwaltung erkannte verhältnismäßig rasch, dass eine völlige Entfernung der Juden aus der Wirtschaft nicht organisierbar war. Bereits im September 1939 verwies Landrat Becht in einem Lagebericht auf diesen Umstand: „Ebenso wie die Waffenverordnung sind die Preisstopverordnung und die Verordnung über jüdische Vermögen in der Stadt und den meisten Amtsbezirken veröffentlicht. Die Märkte werden – soweit möglich – überwacht. Ausnahmen von der Verordnung über jüdische Vermögen sind erforderlich, um die Versorgung der Bevölkerung überhaupt zu ermöglichen. Von den vorhandenen Geschäften sind mindestens 90 % in jüdischer Hand. Ich habe daher stillschweigend zugelassen, dass Lebensmittel und Bedarfsartikel des täglichen Gebrauches auch in jüdischen Geschäften weiter verkauft werden können. Hierzu bitte ich stillschweigende Genehmigung.“ 128 Darüber hinaus befürchtete die zivile Verwaltung in Tarnów jedoch im Rahmen der „Arisierungspolitik“ auch, dass „die Juden immer mehr aus einer Verdienstmöglichkeit ausgeschalten werden“. 129 Der Kreishauptmannschaft war demnach klar, dass ihr die jüdische Gemeinde ohne hinreichende Einkünfte finanziell zunehmend zur Last fallen würde. Zudem äußerte der Kreishauptmann Bedenken im Hinblick auf eine Etablierung des polnischen Mittelstandes, was ebenfalls ungewollt war: „Ich vertrete den Standpunkt, daß eine planlose Arisierung jüdischer Betriebe politisch bedenklich ist, da diese dem polnischen Volke einen Mittelstand schafft,

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Musial, Zivilverwaltung, S. 147. Ebd. 127 Anklage Schwurgericht beim LG Bochum v. 9. 4. 1964, IfZ, Gb 08.10/1, Bl. 35 ff.; Bartosz, Tarnowskie Judaica, S. 28. 128 Lagebericht Landkommissar Tarnow v. 21. 9. 1939, IfZ, MA 682, fr. 635. 129 Dto. Kreishauptmann Tarnow für Mai 1940, USHMM, RG-15.174M, Bl. 150 f. 126

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den es bisher noch nie gehabt hat. Zumindest möchten polnische Mittelstandsexistenzen durch starke Konzentrierung des Handels und Gewerbes nur in beschränktem Ausmaße zugelassen werden.“ 130 Nach der Auffassung des Kreishauptmanns Kundt sollten wirtschaftliche Schlüsselstellungen ausschließlich von Deutschen besetzt werden.131 Gerade die „Arisierung“ des Handwerks erwies sich als schwierige Aufgabe, da es einfach nicht genügend Ersatzpersonal gab und ein Erlernen handwerklicher Fähigkeiten eine gewisse Zeit in Anspruch nahm.132 Dieser Tatsache war sich auch die Zivilverwaltung in Krakau bewusst. Auf einer Abteilungsleitersitzung am 12. September 1940 äußerte sich Generalgouverneur Hans Frank hierzu folgendermaßen: „Im übrigen sind die Juden im Generalgouvernement nicht nur immer verlotterte Gestalten, sondern ein notwendiger handwerklicher Teil innerhalb des Gesamtgefüges des polnischen Lebens. Das haben wir nicht gewußt, wir wissen es heute, im Reich weiß man es nicht. […] Von unserem Standpunkt ist die Frage nicht von heute auf morgen zu lösen. Wir können den Polen weder die Tatkraft noch die Fähigkeit beibringen, an Stelle der Juden zu treten. Daher sind wir gezwungen, diese jüdischen Handwerker weiterarbeiten zu lassen.“ 133 In Tarnów wollte der zivile Verwaltungsapparat der Problematik zumindest teilweise dadurch entgegengetreten, indem eine Fachschule für Konfektionsschneider gegründet wurde. Die dort auszubildenden Fachkräfte sollten die jüdischen Arbeiter zu einem späteren Zeitpunkt ersetzen. In einem Lagebericht des Kreishauptmanns für den Monat September 1940 hieß es hierzu: „Es ist anzunehmen, daß die jüdischen Konfektions-Schneider in 1–2 Jahren ersetzt werden können und daß damit verhängnisvollen Folgen einer Evakuierung der Juden aus dem Generalgouvernement hinsichtlich der Tarnower Bekleidungsindustrie begegnet werden kann. Auf diesem Gebiete werden sich nicht nur in Tarnow weitgehende Planungsmaßnahmen schon jetzt notwendig machen.“ 134 Die Juden der Stadt wurden jedoch auch auf indirektem Weg an der Produktion gehindert, indem man diese bei der Materialzuteilung unzureichend oder gar nicht berücksichtigte.135 Ersichtlich wird dies beispielsweise anhand eines Schreibens des Verbands der Mützenmacher an die Abtei130

Dto. für September 1940, AIPN, GK 196/275, Bl. 98. Ebd. 132 Musial, Zivilverwaltung, S. 148. 133 Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 281. 134 Lagebericht Kreishauptmann Tarnow für September 1940, AIPN, GK 196/275, Bl. 97 f. 135 Vgl. Pohl, „Judenpolitik“, S. 75. 131

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lung Wirtschaft in Tarnów: „Unser Verband zählt 16 selbstständige Mützenmacher, die ihr Gewerbe rechtmässig ausüben und im Besitze von Gewerbesteuerkarten für das Jahr 1941 sind. Dieselben sind in ihrer Erwerbstätigkeit gehindert, da sie nicht genügend Rohstoffe für die Erzeugung von Mützen haben. Wir ersuchen demnach um gütige Zuteilung der Stoffreste, die in den einzelnen Textilgeschäften beim Verkauf der Waren verbleiben, für unsere Mützenmacher zwecks Herstellung von Mützen.“ 136 Die Ausschaltung der Juden aus der Industrie war für die Deutschen einfacher umzusetzen. Bereits im September 1939 wurden einige Betriebe in Tarnów und den umliegenden Ortschaften beschlagnahmt, wie aus einem Lagebericht des Landrats hervorgeht: „In der Stadt Tarnow selbst und in den umliegenden Gemeinden, befindet sich eine Anzahl wichtiger Betriebe, die baldigst in Betrieb genommen werden können. […] Die Inbetriebnahme dieser Werke, die im Eigentum des polnischen Staates bezw. geflohener Juden stehen und von mir vorläufig sichergestellt sind, würde ausser dem wirtschaftlichen Vorteil für das Reich, auch das dringende Problem der Arbeitslosigkeit erheblich vereinfachen.“ 137 Auch in der Folgezeit stellte man Unternehmen in Tarnów unter Treuhandverwaltung, so beispielsweise im Sommer 1941 zahlreiche Konfektionsbetriebe. Die Besitzer mussten sämtliche Vermögenswerte und Bücher einem Treuhänder abliefern; zudem wurden ihnen auch die Gewerbesteuerkarten abgenommen.138 Die meisten eingesetzten Treuhänder waren Volksdeutsche, die fortan die jüdischen Geschäfte und Unternehmen unter ihrer Regie leiteten. Anfänglich wurden die einstigen jüdischen Besitzer im Unternehmen oft weiterbeschäftigt, da man auf deren Erfahrung und Hilfe angewiesen war. Später allerdings entfernte man sie völlig aus ihren ehemaligen Betrieben. 139 Die Abteilung Treuhandwesen konfiszierte jedoch nicht nur Industrie-, Handels-, und Handwerkerbetriebe, sondern ihr kam darüber hinaus die Aufgabe zu, jüdische Miet-, Wohn- sowie Bürohäuser und Grundstücke zu beschlagnahmen und zu verwalten.140 In Tarnów wurde eine „Zentralverwaltung für herrenlose und jüdische Häuser sowie Grundstücke“ eingerichtet. Für diese waren ebenfalls Treuhänder tätig.141 Einer war beispiels136 Schreiben Verbandsobmann an Abt. Wirtschaft v. 1. 7. 1941, ANK-T, 33/12/8, Bl. 45. 137 Lagebericht Landrat der Kreise Tarnów und Dąbrowa v. 22. 9. 1939, IfZ, MA 682, fr. 632. 138 Schreiben an Abt. Wirtschaft v. 25. 6. 1941, ANK-T, 33/12/8, Bl. 51. 139 Chomet, Zagłada, S. 29. 140 Seidel, Besatzungspolitik, S. 259. 141 Schreiben Zentralverwaltung der herrenlosen und jüdischen Häuser und

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weise Felix L., der im Mai 1942 insgesamt vierzehn ehemals jüdische Häuser verwaltete.142 Beschlagnahmungen hatten jedoch bereits zu Beginn der deutschen Besatzung System. So wurden beispielsweise Wohnungen und Einrichtungsgegenstände geflohener Juden konfisziert und anschließend sowohl Reichsdeutschen als auch ethnischen Polen zugeteilt.143 In vielen Fällen wandten sich Personen persönlich mit der Bitte um Zuteilung einer jüdischen Wohnung sowie der Überlassung jüdischer Wohnungseinrichtungen an das Wohnungsamt der zivilen Verwaltung.144 So wünschte sich der Volksdeutsche Alois B. einige Möbelstücke, unter anderem Betten, Nachttische sowie einen Kleiderschrank. Im Schreiben der Abteilung Fürsorge an das Wohnungsamt wurde jedoch explizit darauf verwiesen, dass die Gegenstände in einem ordentlichen Zustand sein sollten: „Ich bitte darauf achten zu lassen, dass diese Möbelstücke ungezieferfrei sind bezw. desinfiziert werden, wofür – da es sich sicher immer um judeneigene Möbel handeln wird – der Judenrat heranzuziehen wäre.“ 145 Derartige Beispiele unterstreichen, dass die „Arisierungspolitik“ stark von örtlichen Verhältnissen abhängig war. In allen Bereichen, in denen eine Verdrängung der jüdischen Bevölkerung ökonomisch sowie praktisch realisierbar war, wurde diese auch schrittweise umgesetzt. Von der Politik profitierten allerdings nicht nur die lokalen deutschen Besatzungsbehörden, sondern auch einzelne Deutsche und ethnische Polen in hohem Maße. 2.2.3 Zwangsarbeit und Arbeitseinsatz Der Arbeitseinsatz der jüdischen Bevölkerung war seit Beginn der deutschen Besatzung einer der wichtigsten Bereiche antijüdischer Politik im Generalgouvernement. Dies zeigte sich nicht nur auf höchster Regierungsebene, sondern auch im lokalen Bereich. Bereits mit dem Einmarsch der Deutschen begannen diverse Stellen, Juden zu Zwangsarbeiten heranzuziehen.146 Im Laufe der ersten Kriegswochen kam es vielerorts zu FestGrundstücke des Kreises Tarnow an Stadtkommissar Tarnow v. 19. 8. 1942, MO-T, MT-AH/DH/1148/II, Bl. 136; sowie auch: Ebd., MT-AH/DH/1127/1–181. 142 Schreiben Felix L. an Wohnungsamt v. 13. 5. 1942, ebd., MT-AH/DH/1127/III/ 1–16. 143 Dto. an Stadtkommissariat Tarnow v. 7. 6. 1940, ebd., Bl. 10. 144 Dto. Teofil S. an Wohnungsamt v. Januar 1942, ebd., Bl. 2; dto. Paul G. an dto., ebd., Bl. 11; dto. Eberhard W. an dto. v. 10. 12. 1942, ebd., Bl. 13. 145 Dto. Abt. Fürsorge der Kreishauptmannschaft an dto. v. 22. 9. 1941, ebd., MTAH/DH/1132/1–2, Bl. 13. 146 Pohl, „Judenpolitik“, S. 80; Seidel, Besatzungspolitik, S. 260; Herbert, Arbeit, S. 393.

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nahmeaktionen, um jüdische Arbeiter zu rekrutieren. Auch in Tarnów wurden Juden im Zuge von Razzien aufgegriffen, um sie dazu zu verpflichten. So forderte die in Tarnów stationierte Feldkommandantur 647 im Oktober 1939 die Heranziehung jüdischer Männer zu Aufräumarbeiten: „Es haben sich ab heute Nachmittag 14 Uhr bis auf weiteres 30 Juden zur gründlichen Säuberung des jüdischen Bades zu stellen.“ 147 Aber auch für andere Arbeiten, wie zur Ausbesserung von Straßen, zur Reinigung der Bahngleise oder zum Bau von Latrinen wurden Juden eingesetzt. 148 Diese Vorgehensweise wurde schließlich durch die Verordnung über den jüdischen Arbeitszwang, die am 26. Oktober 1939 erlassen wurde, legalisiert: „Für die im Generalgouvernement ansässigen Juden wird mit sofortiger Wirkung der Arbeitszwang eingeführt. Die Juden werden zu diesem Zwecke in Zwangsarbeitertrupps zusammengefasst.“ 149 Der Arbeitszwang galt für alle Juden vom 14. bis zum 60. Lebensjahr.150 Mit dessen Durchsetzung wurde der HSSPF Krüger beauftragt.151 Durch die zweite Durchführungsvorschrift vom 12. Dezember wurde der Arbeitszwang auf männliche Juden ab dem 12. Lebensjahr erweitert. Zudem wurde festgelegt, dass eine Unterbringung der Juden in Lagern erfolgen sollte. Die Männer sollten dem Arbeitszwang zwei Jahre unterliegen, jedoch existierte auch die Möglichkeit einer Verlängerung und zwar dann, „wenn innerhalb dieser Zeit ihr erzieherischer Zweck nicht erreicht sein sollte“. 152 SS-Obergruppenführer Krüger veranlasste zunächst die Registrierung der arbeitsfähigen Juden mittels einer Kartei, die Aufschluss über deren Berufe geben sollte.153 Eine rechtliche Grundlage erhielt das Vorgehen durch den am 20. Januar 1940 erlassenen „Dienstbefehl an die Judenräte für die Erfassung und Gestellung der Juden zur Zwangsarbeit“. 154 In Tarnów bemühte sich der Judenrat, die Situation etwas zu mildern, indem er den Deutschen Arbeitskontingente stellte. Dies sollte vor allem 147 Schreiben Feldkommandantur 647 Tarnow v. 10. 10. 1939, ANK-T, 33/ZMTo/ 24, Bl. 797. 148 Ebd., Bl. 799; dto. Eisenbahn-Ausbesserungswerk an Verwaltung der Stadt Tarnow betr. Ausbesserung von Straßen, ebd., 33/ZMTo/3, Bl. 623. 149 VoBlGG 1939, S. 6 f. 150 Ebd. 151 Musial, Zivilverwaltung, S. 111. 152 VoBlGG 1939, S. 246. 153 Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 77. 154 Gutachten betreffend Arbeitseinsatz der jüdischen Bevölkerung des Generalgouvernements Polen in den Jahren 1939–1942, erstattet von Dr. Hans Günther Seraphim v. 31. 3. 1985, BAL, B 162/146, Bl. 10.

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Abb. 3. Tarnów, 1940, Zusammentreiben von Juden zur Zwangsarbeit.

dazu dienen, der ständigen Angst und Unsicherheit entgegenzutreten, während einer Razzia aufgegriffen und zur Arbeit herangezogen zu werden.155 Für die Zuweisung der jüdischen Arbeiter an die deutschen Dienststellen war fortan das jüdische Arbeitsamt zuständig, das eine Abteilung des Judenrats war und formal den Deutschen unterstand. 156 Die Zivilverwaltung erteilte dem Judenrat in Tarnów die Erlaubnis, ihre Gemeindemitglieder beiderlei Geschlechts an einem Tag in der Woche zur unentgeltlichen Zwangsarbeit heranzuziehen, wobei diese für die zur Arbeit benötigte Ausrüstung selbst Sorge tragen mussten.157 In Tarnów erhielt jeder zur Zwangsarbeit Registrierte eine Legitimationskarte, die er zu Ausweiszwecken mit sich zu führen hatte. Aus dieser ging hervor, ob der Karteninhaber seiner Arbeitspflicht nachgekommen war. Wer diese nicht vorweisen konnte, hatte mit strengen Strafen zu rechnen. Die Zwangs-

155

Chomet, Zagłada, S. 19. Lagebericht Kreishauptmann Tarnow für September 1940, AIPN, GK 196/272, Bl. 103 f. 157 Aufruf Stadtkommissar Tarnow v. 1. 4. 1940, ANK-T, 33/ZMTo/33. 156

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arbeiter mussten die ihnen aufgetragene Arbeit persönlich verrichten; die Stellung einer Vertretung war untersagt. 158 In der Stadt und im Kreis Tarnów erfolgte die Erfassung der männlichen Juden zur Zwangsarbeit im März 1940. Zunächst mussten sich Männer vom vollendeten 16. bis zum vollendeten 25. Lebensjahr beim zuständigen Judenrat melden, wobei der Meldeschluss auf den 10. März festgelegt worden war. Vom 11. bis zum 20. März erfolgte die Registrierung vom 12. bis zum 15. Lebensjahr, während die Männer im Alter vom 41. bis zum 60. Lebensjahr sich in der Zeit vom 21. bis zum 31. März beim Judenrat einzufinden hatten. Eine Nichteintragung zur Zwangsarbeitserfassung konnte drakonische Strafen nach sich ziehen. Gedroht wurde mit Einziehung des gesamten Vermögens und zehn Jahren Zuchthaus.159 Auch der Ablauf für die Umsetzung von Zwangsarbeiten war von deutscher Seite detailliert geregelt. So sollten die vom Judenrat Einberufenen an einem zuvor bestimmten Sammelplatz erscheinen und Verpflegung für zwei Tage sowie zwei Schlafdecken mit sich führen. Handwerkern wurde darüber hinaus auferlegt, ihre gesamten Arbeitsgeräte zu stellen. 160 Die Zahl der Arbeiter, die der Judenrat diversen Bedarfsstellen zur Ausführung von Arbeiten zuteilte, war enorm. So wurden allein im Zeitraum von 1. bis 18. Mai 1940 12.084 Arbeitskräfte – 7.640 bezahlte und 4.444 unbezahlte – vermittelt. 161 Über das Ausmaß des Einsatzes stellte der Kreishauptmann fest: „Die Tatsache, dass der Judenrat nunmehr an bezahlten und unbezahlten Arbeitskräften täglich durchschnittlich 1000 bis 1400 Juden stellt und dass die Zahl der nach dem Zwangsarbeitsgesetz in Frage kommenden männlichen Juden in Tarnów 5–6000 ausmacht, offenbart, in welch hohem Maße in Tarnow die Juden bereits zur Zwangsarbeit herangezogen sind.“ 162 Es wurden allerdings nicht nur erwerbslose Personen zu Zwangsarbeiten eingesetzt, sondern auch Menschen, die in freien Beschäftigungsverhältnissen standen.163 Dies wiederum sorgte bei den Arbeitgebern für Unmut. So wandte sich beispielsweise der Treuhän158

Bekanntmachung Stadtkommissar Tarnow v. 9. 5. 1940, USHMM, RG15.020M, reel 11, Bl. 519. 159 Öffentliche Bekanntmachung, ebd. 160 Ebd. 161 Lagebericht Kreishauptmann Tarnow für Mai 1940, AIPN, GK 196/272, Bl. 103 f. 162 Ebd. 163 Im Zuge der Razzien wurde keinerlei Rücksicht auf die Anstellung der Männer genommen. Dies zeigt sich beispielhaft daran, dass am 26. September 1941 fünf Mitarbeiter der JSS-Delegatur in Ciężkowice aufgegriffen und in das Lager Pust-

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der der Firma Gans und Hochberger, Walter Tidow, Ende Mai an den Stadtkommissar in Tarnów, Reinhold Eckert, und bat ihn, den Judenrat in Kenntnis zu setzen, seine jüdischen Arbeiter fortan nicht mehr zu Zwangsarbeiten heranzuziehen: „Aus diesem Grunde ist es widersinnig, mir meine Arbeiter zu nehmen, die für Deutsche Unternehmungen arbeiten, während sich tausende von arbeitslosen Juden auf der Lembergerstrasse und im Ghetto herumdrücken.“ 164 Die Zwangsarbeit der Juden gehörte 1939/1940 zum zentralen Feld der Krakauer „Judenpolitik“, wie beispielweise der für den Arbeitseinsatz verantwortliche HSSPF Krüger am 8. November 1939 in einer Besprechung betonte: „Besonders vordringlich sei die Einrichtung des Arbeitszwangs der Juden. Die jüdische Bevölkerung müsse möglichst aus den jüdischen Städten herausgezogen und zu Straßenarbeiten herangezogen werden.“ 165 Allerdings riefen die allgemeinen Zustände bald die Krakauer Zentrale auf den Plan. Die bisherige Praxis des SS- und Polizeiapparats verschlimmerte nämlich die Situation der jüdischen Gemeinden drastisch. Einerseits mussten diese den Arbeitseinsatz finanzieren, indem sie für die Verpflegung der Zwangsarbeiter aufzukommen hatten. Andererseits fielen die Zwangsarbeiter jedoch auch als Ernährer der Familie sowie als potentielle Steuerzahler aus. Dies stellte insofern eine Schwierigkeit dar, da die jüdischen Gemeinden ihren Haushalt in der Hauptsache durch Selbstbesteuerung bestritten. 166 Auf einer am 30. Mai 1940 stattgefundenen Polizeisitzung in Krakau warnte der BdS Bruno Streckenbach vor den möglichen Folgen dieses Verfahrens: „Wenn die jüdischen Gemeinden weiter so ausgebeutet würden wie bisher, dann fielen eines schönen Tages Millionen von Juden dem Generalgouvernement zur Last. Schließlich könne man sie ja nicht verhungern lassen. Die dem Judentum zur Verfügung stehenden Mittel seien recht bescheiden, denn im Generalgouvernement gebe es keine reichen Juden mehr, sondern in der Hauptsache nur noch ein Judenproletariat.“ 167 Um der finanziellen Belastung der jüdischen Gemeinden zumindest in Teilen entgegenzutreten, musste etwas an der Entlohnungssituation der

kow verschleppt wurden. Vgl. Schreiben an Arbeitsamt Tarnow v. 20. 10. 1941, AŻIH, 211/1020, Bl. 25. 164 Schreiben Treuhänder der Firma Gans und Hochberger an Stadtkommissar Tarnow v. 31. 5. 1940, ANK-T, 33/ZMTo/6, Bl. 116. 165 Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 61. 166 Musial, Zivilverwaltung, S. 117. 167 Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 216.

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jüdischen Arbeiter geändert werden. Viele Kreishauptleute wurden nun selbst aktiv, so auch in Tarnów. Ernst Kundt schrieb in einem Lagebericht für den Monat Mai 1940, dass er die „Art der Stellung von Arbeitskräften durch den Judenrat im Sinne des Zwangsarbeitsgesetzes“ umorganisiert habe.168 Die Bedarfsstellen konnten nicht mehr, wie dies ursprünglich geregelt war, jüdische Arbeitskräfte unmittelbar vom Judenrat anfordern, sondern diese mussten zunächst die Genehmigung des HSSPF zur „Beistellung von jüdischen Arbeitskräften“ einholen. Bewilligte dieser, sollten die Arbeiter über den Judenrat vom Kreishauptmann namentlich einberufen werden. Entgegen der einstigen Durchführungsvorschrift waren es nun die Bedarfsstellen selbst, die für die Ernährungskosten der Arbeitenden aufkommen mussten, da, wie der Kreishauptmann schrieb, „der Judenrat die erforderlichen Mittel nicht mehr aufbringen kann“.169 In seinem Lagebericht machte Kreishauptmann Kundt auf ein ganz zentrales Problem aufmerksam, das durch das bisherige Verfahren des jüdischen Arbeitseinsatzes verursacht worden war: „Dadurch, dass ich im Zuge der Neuordnung auf dem Gebiete der Wirtschaft und Ernährungsorganisation immer mehr und mehr Juden aus einer Verdienstmöglichkeit ausschalte, entsteht immer mehr und mehr die Frage, was mit den Juden in Hinkunft zu geschehen hat. Die Einschaltung der Juden für die Zwangsarbeit ermöglicht lediglich die Beschäftigung und dürftige Ernährung eines Teiles der männlichen Juden, aber nicht der Frauen und Kinder.“ 170 Aus diesem Grund ging Ernst Kundt noch einen Schritt weiter. Er ordnete im Einvernehmen mit dem Arbeitsamt an, dass zwei deutsche Straßenbaufirmen, die die Gestellung von 300 Arbeitskräften pro Tag beantragt hat-

168 Dieses Problem existierte nicht nur in Tarnów, sondern im gesamten Generalgouvernement. So berichtete der Kreishauptmann in Krakau-Land hierzu: „Der Einsatz der Juden zum Arbeitszwang nimmt immer größeren Umfang an. Mehrfach reicht die vorhandene Anzahl der Juden für den geforderten Einsatz nicht mehr aus. Einer dringenden Regelung bedarf die Bezahlung der jüdischen Zwangsarbeiter. Die Judenräte, denen die Bezahlung zum großen Teil auferlegt worden ist, verfügen nicht mehr über genügend Mittel, um die Zwangsarbeiter von sich aus zu entschädigen. Wiederholt fallen Zwangsarbeiter an den Arbeitsstellen wegen Unterernährung zusammen, da sie keine Möglichkeit haben, ausreichend Lebensmittel zu kaufen.“ Lagebericht Kreishauptmann Krakau-Land für Juni 1940 v. 8. 7. 1940, in: Jüdisches Historisches Institut Warschau, Faschismus, S. 214. 169 Lagebericht Kreishauptmann Tarnow für Mai 1940, AIPN, GK 196/272, Bl. 103. 170 Ebd., Bl. 104.

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ten, 30 Groschen pro Arbeitsstunde an den örtlichen Judenrat zur „Sicherung der Ernährung“ der Arbeitskräfte zahlen mussten.171 Während viele Kreis- und Stadthauptleute ihren Unmut über die Praxis des Arbeitszwangs der Juden äußerten, zeichnete sich bereits ab, dass das durch den HSSPF im Januar 1940 eingeführte Karteikartensystem zur Erfassung der jüdischen Bevölkerung zur Zwangsarbeit nicht realisierbar war: Die Anlage der Kartei sollte Anfang März fertiggestellt sein. Im Mai wurde jedoch immer noch daran gearbeitet.172 Selbst Friedrich-Wilhelm Krüger gestand nun ein, dass sein Projekt gescheitert war: „Für ein dringendes Erfordernis halte er die Erfassung der Juden. Bekanntlich habe er seinerzeit den Auftrag erhalten, die jüdische Zwangsarbeit zu organisieren. […] Durch die Einführung der Zwangsarbeit werde der Jude tatsächlich vielfach von der Arbeit abgehalten, und deshalb sei es notwendig geworden, die jüdischen Arbeitskräfte unter bestimmten Kautelen in der freien Wirtschaft unterzubringen. Damit würde dann dieses Gebiet auf den Leiter der Abteilung Arbeit [zu] übertragen sein. Übrigens sei es nicht so einfach, die Juden in Läger [sic] zusammenzufassen. Im großen und ganzen jedenfalls sei das nicht möglich, da Verwaltung, Bewachung, Ernährungslage und auch Finanzierung eine große Rolle spielen.“ 173 Im Juni 1940 gab der HSSPF schließlich seine Kompetenz für den Arbeitseinsatz der Juden an die Abteilung Arbeit in der Regierung des Generalgouvernements ab. Fortan sollte nur noch die Bewachung der jüdischen Arbeiter durch den SS- und Polizeiapparat erfolgen. 174 Bereits im Folgemonat gab Max Frauendorfer 175, Leiter der Abteilung Arbeit der Regierung des Generalgouvernements, die neuen Änderungen im Bereich des jüdischen Arbeitseinsatzes bekannt. Demnach sollten die Juden in den normalen Arbeitsmarkt integriert werden, wobei Frauendorfer den Vorschlag unterbreitete, den jüdischen Arbeitern 80 Prozent des üblichen Lohnes zu bezahlen. Lediglich jene Personen, die man nicht in die freie Ökonomie vermitteln könne, sollten unter den Arbeitszwang fallen. Frauendorfers Entwurf stieß jedoch keineswegs auf ungeteilte Zustimmung. Viele Stellen, die zuvor in hohem Maße vom jüdischen Arbeitszwang pro171

Ebd., Bl. 103. Musial, Zivilverwaltung, S. 112. 173 Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 232. 174 Pohl, Zwangsarbeitslager, S. 416. 175 Max Frauendorfer wurde am 14. 6. 1909 in München geboren. Er trat bereits im Jahre 1928 der NSDAP und der SS bei. Seit 1. 11. 1939 war Frauendorfer Leiter der HA Arbeit in der Regierung des Generalgouvernements sowie Reichstreuhänder der Arbeit. SSO-Akte Max Frauendorfer, IfZ, Fb 106/18. 172

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fitiert hatten, weigerten sich, die Arbeiter ordnungsgemäß zu entlohnen. 176 Nach dem sogenannten Runderlass der Hauptabteilung Arbeit vom 5. Juli 1940 änderte sich nun der Arbeitgeber der jüdischen Arbeitskräfte. Fortan waren nicht mehr die Judenräte, sondern die tatsächlichen Arbeitgeber für die Bezahlung der Juden verantwortlich.177 In Folge des Runderlasses erfuhr auch der Arbeitseinsatz der jüdischen Bevölkerung in Tarnów rasch eine Änderung. Seit dem 25. Juli existierte beim Arbeitsamt eine Dienststelle Judeneinsatz in der Tertil-Straße 11.178 Fortan war diese Behörde für die Organisation und Umsetzung der jüdischen Arbeit verantwortlich. Im Zuge der neuen Zuständigkeit mussten sich nun erneut alle Männer ab dem 12. Lebensjahr einer Registrierung beim Arbeitsamt unterziehen. Hier wurde ihnen eine Arbeitskarte ausgehändigt, die einmal im Monat beim Amt abgestempelt wurde.179 Beschäftigungslose Menschen hingegen, die lediglich einen Judenpass besaßen 180, mussten sich wöchentlich beim Arbeitsamt melden, bis ihnen eine Arbeitsstelle vermittelt werden konnte.181 Dem Judenrat in Tarnów war es bis zum 3. August 1940 gestattet, Anträge auf Gestellung jüdischer Arbeitskräfte entgegenzunehmen. Nach dieser Zeit war ausschließlich das örtliche deutsche Arbeitsamt zuständig. Die Firmen und Unternehmen, die jüdische Arbeitskräfte anfordern wollten, sollten in der Regel mindestens drei Tage vorab einen Gestellungsantrag einreichen, wobei die Auswahl der Arbeiter allein dem Arbeitsamt oblag. Dieses wies in einem Schreiben explizit auf die Wichtigkeit der Entlohnung jüdischer Arbeitskräfte hin: „Um die Arbeitskraft der Juden zu erhalten, den nötigen Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen und Krankheiten und Seuchen zu vermeiden, hat der Leiter der Abteilung Arbeit im Amt des Generalgouverneurs angeordnet, dass die jüdischen Ar-

176

Browning, Attempt, S. 174. Lehnstaedt, Arbeitsverwaltung, S. 428. 178 Schreiben Arbeitsamt Tarnow betr. Arbeitseinsatz der jüdischen Bevölkerung – Einrichtung einer Dienststelle Judeneinsatz Tarnow v. 25. 7. 1940, ANK-T, 33/ ZMTo/6, Bl. 1049 ff.; Abt. Arbeit „Die Aufbauarbeit im Distrikt Krakau“ v. Juli 1940, AIPN, GK 196/297, Bl. 17. 179 Kundmachung Arbeitsamt Tarnow an jüdische Bevölkerung v. 25. 7. 1940, USHMM, RG-15.020M, reel 11, Bl. 539a; Bericht Józef Korniło, AŻIH, 301/4600. 180 Dto. Blanka Goldman, ebd., 301/2059. 181 Anonymisiertes Gutachten von Imke Hansen für das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (im Fall L 18 R 27/09) v. 20. 7. 2009, Bl. 151; Schreiben Arbeitsamt Tarnow an Einzeldienstkommando der Schutzpolizei v. 2. 9. 1940, ANK-T, 33/ ZMTo/6, Bl. 879; Meldenachweis Arbeitsamt Tarnow, MO-T, MT-H/2049. 177

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beitskräfte von ihren Arbeitgebern ordnungsgemäss entlohnt werden. Nur bei einer lagermässigen Unterbringung findet eine Entlohnung, wie auch eine Sozialbetreuung durch den Arbeitgeber (z. B. Sozialversicherung) nicht statt. Vielmehr ist dies Sache des örtlichen Judenrates.“ 182 Trotz des Versuchs der Arbeitsverwaltung, die Juden in freien Beschäftigungsverhältnissen unterzubringen, konnte dem Pauperisierungsprozess der jüdischen Bevölkerung nicht entgegengewirkt werden, da die Entlohnung zu geringfügig war. Mehr als 80 Prozent des Lohnes, den ein polnischer Arbeiter für dieselbe Arbeit erhielt, konnte die Arbeitsverwaltung letztlich nicht durchsetzen, da die Arbeitsleistung der jüdischen unqualifizierten Arbeiter meist geringer als die der polnischen war.183 Dies lag vor allem in der schlechten Ernährungssituation begründet. Die zivile Verwaltung in Tarnów interpretierte den Zusammenhang antisemitisch. So hieß es in einem Lagebericht der Kreishauptmannschaft, dass die „Erfahrungen in der Zwangsarbeit der Juden beweisen, dass diese für körperliche Arbeiten absolut ungeeignet sind. Ein ganz erheblicher Teil, etwa 30 %, musste wegen körperlicher Fehler und Krankheiten nach Gutachten des Amtsarztes zurückgestellt werden.“ 184 Nach Ansicht des Kreishauptmanns betrage die Arbeitsleistung der Juden teilweise nur 10 Prozent der Leistung eines polnischen Arbeiters. 185 Der Einsatz zur Zwangsarbeit der Juden sollte fortan lediglich bei größeren Projekten erfolgen, die eine hohe Anzahl jüdischer Arbeitskräfte erfordere. Diese Arbeiter sollten in Lager untergebracht und bewacht werden. Darüber hinaus untersagte das Arbeitsamt, dass unterschiedliche Stellen eigenmächtig Juden zur Zwangsarbeit heranzogen.186 Für Reinigungs- sowie Hilfsarbeiten durften künftig lediglich jene Personen rekrutiert werden, die für schwerere Arbeiten, wie Außen- oder Erdarbeiten, nicht geeignet waren. 187 Seit Juli 1940 wurde im Generalgouvernement im Auftrag des Ober182 Schreiben Arbeitsamt Tarnow betr. Arbeitseinsatz der jüdischen Bevölkerung – Einrichtung einer Dienststelle Judeneinsatz Tarnow v. 25. 7. 1940, ANK-T, 33/ ZMTo/6, Bl. 1050. 183 Musial, Zivilverwaltung, S. 169. 184 Lagebericht Kreishauptmann Tarnow für Juni 1940, AIPN, GK 196/273, Bl. 69 f. 185 Ebd., Bl. 70. 186 Schreiben Arbeitsamt Tarnow betr. Arbeitseinsatz der jüdischen Bevölkerung – Einrichtung einer Dienststelle Judeneinsatz Tarnow v. 25. 7. 1940, ANK-T, 33/ ZMTo/6, Bl. 1049 f. 187 Dto. betr. Arbeitseinsatz der jüdischen Bevölkerung v. 20. 8. 1940, ebd., Bl. 1047.

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kommandos des Heeres das sogenannte „Otto-Programm“ 188 realisiert. Im Zuge dessen sollten 990 Kilometer Straßen ausgebaut werden. Im Februar 1941 wurde dieses Projekt um den Bau von zusätzlichen 850 Kilometern östlich von Weichsel und San ausgedehnt.189 Schwerpunktmäßig wurde das Straßenbauprojekt zunächst vor allem in den Distrikten Krakau und Lublin von Privatfirmen im Auftrag der Wehrmacht ausgeführt. Die Firmen setzten hauptsächlich polnische Arbeiter, jedoch auch eine geringe Anzahl jüdischer Zwangsarbeiter ein. 190 Auch Männer aus Tarnów wurden zum „Otto-Programm“ herangezogen, so zu Straßenarbeiten auf der Hauptstraße Krakau-Przemyśl.191 In Rożnów, in der Kreishauptmannschaft Neu-Sandez gelegen, waren Mitte des Jahres 1940 Juden aus Tarnów zum Bau einer Talsperre eingesetzt.192 Der Bedarf an Arbeitern auf der Baustelle war derart groß, dass sogar jüdische Arbeiter „gegen normale Entlohnung dorthin vermittelt“ 193 wurden. Da innerhalb der Kreishauptmannschaft allerdings die Nachfrage an jüdischen Arbeitskräften nicht gedeckt werden konnte, wurden auch Juden aus anderen Gebieten des Distrikts für die dortigen Bauarbeiten herangezogen, wie der Kreishauptmann in NeuSandez in einem Lagebericht für den Monat August 1940 berichtete: „Der Bedarf wurde zunächst abgedeckt durch Juden aus Krakau, bei Einsetzen der Krakauer Aktion jedoch umgestellt auf Tarnów und Rzeszów. Es sind 188 Das sogenannte „Straßenbau-Ost“-Projekt wurde Ende Juli 1940 in das umfassendere „Otto-Programm“ integriert. Das „Straßenbau-Ost“-Projekt diente ebenfalls dem Auf- und Ausbau des Eisenbahn-, Straßen- und Wasserwegenetzes. Die Abt. Bauwesen, Gruppe Straßenbau im Amt des Generalgouverneurs hatte im Frühjahr 1940 deutsche Baufirmen damit beauftragt, Verkehrsverbindungen zwischen dem Deutschen Reich und dem Generalgouvernement, sowie zwischen den Distrikten innerhalb des Generalgouvernements auszubauen und zu erneuern. Vgl. Wenzel, Arbeitslager, S. 175 f. 189 Bericht der Abt. Straßenwesen zum 26. 10. 1944, AIPN, GK 196/288, Bl. 25 f. 190 Musial, Zivilverwaltung, S. 166. 191 Lagebericht Kreishauptmann Tarnow für Mai 1940, AIPN, GK 196/272, Bl. 103 f. 192 Der Kreishauptmann in Neu-Sandez, Reinhard Busch, gab in einem Lagebericht für Juli 1940 an: „In immer stärkerem Umfange werden Juden mit Arbeiten, die auf Grund des Arbeitszwanges durchgeführt werden, beschäftigt. Zur Zeit sind allein bei den mit dem Talsperrenbau in Roźnow zusammenhängenden Arbeiten 300 Juden aus Neu-Sandez eingesetzt. Es sind etwa 1000 Juden zur Zwangsarbeit herangezogen worden. Die Zahl der so Beschäftigten wird dauernd erhöht. Insbesondere soll die Zahl der beim Straßenbau bei Roźnow jetzt beschäftigten Juden von 100 auf 500–600 erhöht werden.“ Dto. Kreishauptmann Neu-Sandez für Juni 1940, ebd., GK 196/273, Bl. 45. 193 Ebd., Bl. 44.

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schon mehrere Hunderte von Juden im Kreisgebiet tätig und zunächst in Rożnów eingesetzt. Sobald Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen sind, werden weitere 600 Juden antransportiert.“ 194 Das Gros der jüdischen Männer aus Tarnów allerdings, die im Rahmen größerer Bauprojekte zu Zwangsarbeiten herangezogen wurden, war im Lager Pustkow eingesetzt. Mitte des Jahres 1940 wurde in einem Waldgebiet nordöstlich von Debica ein Truppenübungsplatz der Waffen-SS eingerichtet.195 Da in der Anfangszeit noch keine Unterkünfte für die jüdischen Männer auf dem Terrain existierten, mussten diese aus den umliegenden Ortschaften mit der Bahn anreisen.196 Für die aus Tarnów stammenden Männer war die tägliche Anfahrt äußerst beschwerlich, da sich der Truppenübungsplatz rund 40 Kilometer entfernt befand. Ein provisorisches Lager auf dem Gelände wurde schließlich im August errichtet, das in der Folgezeit ausgebaut und umstrukturiert sowie noch einige Male geographisch verlegt wurde.197 Für das Lager in Pustkow wurde eine große Zahl an Männern aus Tarnów für Zwangsarbeiten angefordert. So stammten von den insgesamt 600 Arbeitern, die sich im November im Lager befanden, allein 467 Juden aus der Stadt. 198 In der Anfangszeit waren die dort eingesetzten Männer vorrangig mit dem Aufbau des Truppenübungsplatzes beschäftigt. So wurden Straßen und Baracken erbaut oder auch Wälder gerodet. Es wurden auch zahlreiche SS-Werkstätten eingerichtet, in denen die Arbeiter angestellt waren. Jüdische Facharbeiter verrichteten zudem Arbeiten bei diversen SS-Dienststellen, beispielsweise bei der Kommandantur.199 Jene, die auf den Baustellen Zwangsarbeiten ausführen mussten, wurden sowohl für den Aufbau militärischer als auch nichtmilitärischer Anlagen herangezogen. Im Zuge der Errichtung der militärischen Anlagen wurden Schießstände auf dem Truppenübungsplatz gebaut, später auch ein Versuchsgelände für sogenannte Vergeltungswaffen. Während die Arbeiten für die militärischen 194

Dto. Kreishauptmann Neu-Sandez für August 1940, BAB, R 52 III/22, Bl. 54. Vgl. Urteil LG Hannover v. 14. 11. 1972, BAL, B 162/14516, Bl. 10. Zum jüdischen Zwangsarbeitslager Pustkow vgl. Zabierowski, Pustków; Kowalski, Obozy, S. 43–49; Hembera, Ermittlungsakten. 196 Aussage Josef W. v. 14. 1. 1971, BAL, B 162/5292, Bl. 2241; Urteil LG Hannover v. 14. 11. 1972, ebd., B 162/14516, Bl. 27. 197 Vgl. ebd., Bl. 42 ff.; Vern. Franz B. v. 28. 5. 1962, ebd., B 162/5284, Bl. 234; Aussage Mosche B. v. 30. 12. 1970, ebd., B 162/5292, Bl. 2171 f. 198 Protokoll der Verteilung von 540 Hosen in Pustkow v. 9. 11. 1940, AŻIH, 211/ 1018, Bl. 54. 199 Bericht ZSL v. 18. 1. 1963, BAL, B 162/5284, Bl. 495 f. 195

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Anlagen unmittelbar durch die Waffen-SS ausgeführt wurden, standen die nichtmilitärischen Objekte unter der Aufsicht reichsdeutscher Firmen. 200 Die Bedingungen für die auf dem Truppenübungsplatz eingesetzten Arbeiter waren im Allgemeinen schlecht, variierten allerdings auch stark. Abhängig war dies vor allem von der jeweiligen Art der Arbeit sowie dem Ort, wo diese verrichtet werden musste. So war die Tätigkeit bei den Dienststellen und in den Werkstätten nicht so hart wie die Arbeiten auf den diversen Baustellen. Darüber hinaus erhielten einige Facharbeiter Vergünstigungen, wie bessere Ernährung und Bekleidung sowie teilweise auch eine bessere Unterkunft. 201 Auf den Baustellen hingegen hatten die Männer schwerste Erdarbeiten zu verrichten, die vor allem vor dem Hintergrund einer mangelnden Ernährung äußerst kräftezehrend waren. Neben der hohen Arbeitsbelastung wurden die Arbeiter auf den Baustellen häufig Opfer gewaltsamer Übergriffe. Bereits ab 1940 wurden fast täglich Leichen zurück ins Lager gebracht. Die Arbeiter waren angeblich „auf der Flucht“ erschossen worden. 202 Allerdings waren die jüdischen Häftlinge in Pustkow nicht nur willkürlichen Übergriffen während der Arbeit ausgesetzt, sondern auch im Lager selbst, durch das Bewachungspersonal. Die Bewachung fand anfänglich durch ein Bataillon der SS-Totenkopfstandarte „Oranienburg“ statt. Dieses unterstand zunächst der Befehlsgewalt des SS-Führungshauptamts in Berlin. Später unterstellte man es direkt dem Kommandanten des SS-Truppenübungsplatzes. 203 Dieses Bataillon bildete den Stamm für das am 18. August 1941 neu aufgestellte und aus vier Kompanien bestehende SS-Bataillon „SS-Truppenübungsplatz Debica“. 204 Es waren Angehörige dieses Bataillons, die ab Sommer 1942 eine zentrale Rolle bei der systematischen Ermordung der Juden im Distrikt Krakau einnehmen sollten. Gerade aufgrund der katastrophalen Existenzbedingungen versuchten einige Häftlinge zu fliehen, was in Einzelfällen auch gelang. 205 Allerdings 200

Urteil LG Hannover v. 14. 11. 1972, ebd., B 162/14516, Bl. 12 f. Aussage Mosze B., ebd., B 162/5283, Bl. 179; dto. Salo S. v. 7. 1. 19171, ebd., B 162/5292, Bl. 2214 f. 202 Dto. Leopold Arie W. v. 10. 8. 1961, ebd., B 162/5283, Bl. 170; Anklage StA Hannover v. 11. 9. 1972, ebd., B 162/4631, Bl. 2495. 203 Vern. Ernst F. v. 9. 3. 1961, ebd., B 162/5283, Bl. 59. 204 Anklage StA Hannover v. 11. 9. 1972, ebd., B 162/4631, Bl. 2480; Vern. Hans S. v. 23. 4. 1969, ebd., B 162/5290, Bl. 1826; dto. Ernst F. v. 9. 3. 1961, ebd., B 162/5283, Bl. 59. 205 Vgl. Aussage Oskar F. v. 27. 6. 1946, ebd., B 162/5291, Bl. 2005; dto. Ignaz W. v. 19. 3. 1962, ebd., B 162/2150, Bl. 920. 201

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Abb. 4. Tarnów, 1940, öffentliche Erniedrigung jüdischer Menschen.

wurden diejenigen, die aus Pustkow zurück in ihre Heimatstadt Tarnów flüchteten, mit einem ähnlichen Bild konfrontiert: Auch dort entstand seit September 1939 ein Klima, in dem Gewalt gegenüber der jüdischen Bevölkerung zu einer festen Größe des Alltags avancierte. 2.2.4 Terror jenseits antijüdischer Verordnungen Abgesehen von den antijüdischen Verordnungen, die unter Militärverwaltung und ab Ende Oktober 1939 von der Zivilverwaltung erlassen wurden, sahen sich die Juden Tarnóws bereits seit Anfang der Besetzung der Stadt mit extremem Terror konfrontiert. Schikanen, Demütigungen und Gewalt wurden zu bestimmenden Faktoren, die den Alltag fortan prägen sollten. Mit der Ankunft deutscher Truppen im September 1939 wurden Juden

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erniedrigt; häufig wurden Orthodoxe Opfer von Übergriffen. Ihnen wurden die Bärte und Schläfenlocken gewaltsam herausgerissen, nicht selten hielten die Täter ihre Übergriffe fotografisch fest. 206 Auch zwang man die Menschen, niedere Arbeiten zu verrichten, wie das Kehren von Straßen oder das Einsammeln von Müll. 207 Selbst Pferdemist musste mit bloßen Händen von den Straßen geräumt werden. 208 Vielfach waren es völlig unsinnige Arbeiten, die sie im Auftrag der Deutschen ausführen mussten. Deren alleiniger Zweck bestand in der Erniedrigung: „Die Nazis zwangen die Kehilla, die jüdische Gemeinde, sinnlose Arbeitsbrigaden zu organisieren, um Steine vor und zurück von Ort zu Ort zu bewegen.“ 209 Als Anfang November, genau ein Jahr nach der Reichspogromnacht, die bedeutenden Synagogen und Gebetshäuser in Tarnów unter dem Vorwand der Nichtbezahlung auferlegter Kontributionen niedergebrannt wurden, versetzte dies die Gemeinde in Angst und Schrecken, wie sich ein Überlebender erinnerte 210: „Während des Brandes der großen Synagoge stand ich dienstlich auf dem Platz ‚Pod Dembem‘ und zwar etwa 20 m vom Brandherd entfernt. Es begann in der Nacht zum 9. November 1939. In der Umgebung der Synagoge wohnten lauter Juden, die in Hemden und barfuß aus den Häusern zu fliehen begannen, da es den Anschein hatte, als würde das Feuer den ganzen Stadtteil erfassen. Die Polen begannen aus Hütten und Baracken am Pogwizdowie – lauter Abschaum – mit Wissen und Einverständnis sowie Zureden der deutschen Gendarmen alles herauszutragen. Ringsumher erhob sich Weinen, Schreien und Lamentieren. […] Ich war Zeuge, wie Soldaten einen fliehenden Juden in die Flammen der Synagoge warfen, dem jedoch die Flucht gelang. Er war angeschmort und brannte.“ 211 Die in dieser Nacht praktizierte Gewalt sollte in Tarnów bald zur Alltäglichkeit werden, wie ein Überlebender berichtete: „Es fanden Einzelerschiessungen statt, […] es erfolgte das Auffangen zur Zwangsarbeit, Herauswerfen aus den besseren Wohnungen, ‚Pelz-Aktionen‘ und ‚Gold-Aktionen‘ wurden durchgeführt.“ 212 In der Folgezeit waren es in der Hauptsache die Angehörigen der Si206

Aussage Josef D., BAL, B 162/2149, Bl. 269; Goldscheider/Green, Jew, S. 13. Bericht Józef Korniło, AŻIH, 301/4600. 208 Ebd.; Interview mit Martin Spett, USHMM, RG-50.030*0218. 209 Goldscheider/Green, Jew, S. 13 [Übersetzung aus dem Englischen]. 210 Bericht Józef Korniło, AŻIH, 301/4600; Chomet, Zagłada, S. 17; Aufzeichnungen Josef K. „Die Epoche des Hitlerismus in Tarnów“ v. 14. 3. 1946, BAL, B 162/ 2151, Bl. 1017; dto. David U. v. 5. 7. 1966, LNW, 8892, Bl. 4948. 211 Dto. Izak I. v. 10. 12.–12. 12. 1945, ebd., Bl. 92. 212 Dto. Aussage Josef D., BAL, B 162/2149, Bl. 269. 207

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cherheitspolizei, die unterschiedliche Maßnahmen gegen die Juden der Stadt ergriffen. Hierbei handelte es sich einerseits um spontane und befehlslose Verbrechen. Andererseits lassen sich diese aber auch als systematisch realisierte, befohlene Taten charakterisieren. Zu einer ersten gezielten Aktion gegenüber der jüdischen Gemeinde kam es am 3. Mai 1940, einem polnischen Nationalfeiertag. 213 In der Stadt wurde vor allem die polnische, aber auch ein Teil der jüdischen Intelligenzschicht verhaftet und in das städtische Gefängnis gebracht. Zu den Festgenommenen gehörten vor allem bekannte Juden, unter anderem der Direktor des jüdischen Gymnasiums, aber auch Rechtsanwälte der Stadt. In Haft wurden die vermeintlichen Widerständler grausam gefoltert. Nachdem die im Zuge der berüchtigten „Außerordentlichen Befriedungsaktion“ („AB-Aktion“) in Tarnów verhafteten Personen für mehrere Wochen im Gefängnis ausharren mussten, deportierte man am 14. Juni 728 Gefangene aus Tarnów nach Auschwitz. Dies war der erste Transport, der überhaupt in Auschwitz eintraf. In den darauffolgenden Monaten erhielten die Familien der Deportierten die Nachricht, ihre Angehörigen seien im Lager verstorben. Gegen Entgelt wollte man ihnen die Urne mit der Totenasche zukommen lassen. 214 Die Tochter des jüdischen Rechtsanwaltes Dr. Emil W., der zu den Opfern dieser Aktion zählte, erinnerte sich an die damaligen Geschehnisse: „In der Nacht vom 2. zum 3. Mai 1940 haben Gestapoangehörige und Gendarmen bezw. Polizisten meinen Vater […] in der Wohnung verhaftet. Wir schliefen noch, als die mir nicht namentlich bekannten Beamten in die Wohnung hereinkamen. Dabei wurde unsere Wohnung durchsucht und die Beamten nahmen Wertsachen mit. Ich erinnere mich, daß sie Schmuck, Pelze, Uhren und anderes mitnahmen. Mein Vater kam in das Gefängnis, welches in Tarnow neben dem Gericht lag. […] Mein Vater kam nach etwa 6 Wochen zusammen mit anderen nach Auschwitz. Gegen Ende des Jahres 1940 wurde uns die Urne zugeschickt, voran ging ein Telegramm. Meine Mutter wurde zudem zur Gestapo befohlen, ging aber zunächst nicht hin. Schließlich kam ein Bote, und sie musste hingehen. In dem Gestapogebäude trieben Beamte ihren Spaß mit ihr, taten sozusagen so, als ob sie eine sehr freudige Nachricht erhalten hätten, machten grobe Scherze und schlugen dann auf sie ein, nachdem sie zu verstehen gegeben hatte, daß sie die Scherze nicht verstünde.“ 215 Die Angehörigen der Sicherheitspoli-

213 214 215

Bericht Lila Wider, AŻIH, 301/2053. Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 306 f. Aussage Lina R. v. 1. 6. 1965, LNW, 8481, Bl. 3725 f.

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zei-Außenstelle hatten offenkundig keine Hemmschwelle, auch Frauen brutal zu misshandeln und zu erniedrigen. Nach dieser ersten, systematisch umgesetzten Verhaftungsaktion kam es auch in der Folgezeit zu Festnahmen, wobei als Grund häufig eine vermeintliche Untergrundtätigkeit diente. So nahm von Malottki am 8. April 1941 unter anderem Dr. Goldberg und Dr. Schenkel fest. Die beiden ehemaligen Mitglieder des Judenrats wurden im Februar 1942 mit einem Transport nach Auschwitz deportiert. 216 Ähnlich erging es den Kaufleuten Salomon W. und Chaim B., Inhaber des Konfektionsbetriebes „Weketa“. Von Malottki verhaftete die Männer am 19. April 1941. Während Chaim B. ebenfalls nach Auschwitz deportiert wurde, überlebte Salomon W. die Haft nicht. Er war im Rahmen eines Verhörs von zwei Angehörigen der Sicherheitspolizei derart misshandelt worden, dass er kurze Zeit später in seiner Gefängniszelle verstarb. 217 Gerade im Zuge „verschärfter Vernehmungen“ wurden Gefangene von Angehörigen der Sicherheitspolizei auf brutale Weise misshandelt und gefoltert. Betroffen von derartigen Übergriffen waren nicht nur Personen, die auf Grund konkreter Anlässe festgenommen worden waren. Um mögliche Aussagen zu erpressen, benutzten die Täter diverse Folterinstrumente, wie Stöcke, Reitpeitschen oder Ochsenziemer.218 Der Pole Józef K., von 1924 bis 1948 Aufseher im Gefängnis Tarnów, berichtete im Zuge einer Aussage über die Misshandlungen von Häftlingen Folgendes: „Ich versah meinen Dienst im Gefängniskorridor und hörte manchmal Schreie der geschlagenen und gemarterten Häftlinge bei den Vernehmungen durch Oppermann im Gefängnis. Öfters mußte ich diese Häftlinge in die Zellen abführen und ihnen beim Gehen helfen, denn mit eigenen Kräften konnten sie nach diesen Schlägereien nicht gehen. Es sind Fälle vorgekommen, daß diese Häftlinge mit Blut besudelt waren und ausgeschlagene Zähne hatten. Zeitweise sind diese zur Gestapo befohlenen Häftlinge nicht wieder zurückgekehrt, und man brachte ihre Leichen zurück oder beförderte sie in unbekannte Richtung.“ 219 Auch Ende 1941 wurden weitere Menschen verhaftet, so 19 Juden wegen angeblicher „Betätigung für die polnische Widerstandsbewegung“.

216 Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 307; Aussage Ignacy P. v. 22. 11. 1966, LNW, 8622, Bl. 5481. 217 Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 307; Bericht Marceli Tesse, AŻIH, 301/571. 218 Urteil LG Bochum v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 329. 219 Aussage Józef K., BAL, B 162/2154, Bl. 1889.

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Nach einer Meldung des RSHA habe „die jüdische Gruppe innerhalb der polnischen Widerstandsbewegung unter den Juden Gelder gesammelt und diese an die örtliche Leitung der Organisation abgeführt“. 220 Eine Festnahme von weiteren 45 Juden, so hieß es, stehe kurz bevor. 221 Eine größere Aktion, die auch in anderen Städten des Distrikts stattfand, war die sogenannte „Kommunistenaktion“, die sich mit aller Wahrscheinlichkeit Ende April 1942 ereignete. Einige Wochen zuvor hatten die Sicherheitspolizei-Außenstellen aus Krakau die Direktive erhalten, diejenigen Juden festzustellen, die als Kommunisten verdächtig seien oder mit diesen sympathisierten. Nachdem entsprechende Zahlen nach Krakau gemeldet worden waren, kam von dort der Befehl, die Personen vor Ort zu liquidieren. 222 Von dieser Aktion betroffen waren jene, die unmittelbar vor Beginn des deutschen Überfalls auf Polen sowie in den ersten Tagen der Besatzung von Tarnów nach Ostgalizien geflohen waren, um auf diese Weise der nationalsozialistischen Herrschaft zu entkommen. Viele kehrten jedoch nach und nach wieder nach Tarnów zurück. Dort mussten sich die Rückkehrer beim örtlichen Judenrat in einer Kartei erfassen lassen. Nachdem sich die Zahl der Heimkehrer deutlich erhöht hatte, wurden sie von der Sicherheitspolizei erschossen. Als Vorwand diente den Deutschen der bloße Verdacht, dass die Rückkehrer kommunistischen Organisationen beziehungsweise Widerstandsgruppen angehörten oder auch Spionageaufträge erhalten hätten. Wie viele Personen im Rahmen dieser „Kommunistenaktion“ in Tarnów getötet wurden, ist schwer zu beziffern, allerdings dürfte sich die Zahl auf mindestens 50 Personen belaufen haben. 223 Abgesehen von umfangreicheren Aktionen wurden in Tarnów seit 1940 wiederholt Einzelmisshandlungen und -erschießungen realisiert. 224 „Der Terror“, resümierte der Überlebende Ignaz W., „gegen die jüdische Bevölkerung war offenkundig. Er hatte sich später, bis die letzten Juden Tarnów verlassen hatten, immer mehr verstärkt. Der Unterschied zu den ersten Jahren, also zur der Zeit 1940/41 bestand darin, daß in erster Zeit die Willkürakte unüberschaubar und schleichend waren. Die jüdische Bevölkerung wußte 1940/41 nicht, wo und wann zugegriffen wurde.“ 225 Zum Kreis 220

Meldung Nr. 5 RSHA Amt IV v. 10. 12. 1941, LNW, 8855. Ebd. 222 Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 308; Beschluss gg. Rudolf L. v. 12. 5. 1967, BAL, B 162/2164, Bl. 5889. 223 Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 318 f.; Aussage David U. v. 5. 7. 1966, BAL, B 162/2160, Bl. 3019 f. 224 Anklage Schwurgericht beim LG Bochum v. 9. 4. 1964, IfZ, Gb 08.10/1, Bl. 104. 225 Aussage Ignaz W. v. 14. 5. 1965, BAL, B 162/2156, Bl. 2324. 221

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der Täter gehörten vor allem Angehörige der örtlichen Sicherheitspolizei: „In den Jahren 1940 und 1941 wurde im wesentlichen von Angehörigen der Gestapo geschossen“ 226, erinnerte sich eine Überlebende. Durch die Sicherheitspolizei vorgenommene Erschießungen waren bereits in der frühen Besatzungszeit keine Seltenheit, wie von jüdischer Seite bekundet wurde: „Auch vor Juni 1942, also vor der ersten Aussiedlungsaktion wurde von der Gestapo gegen Juden vorgegangen und erschossen. So gab es für die Juden eine Sperrstunde. Die Gestapo kontrollierte, ob die Juden die Sperrstunde einhielten. Wer in der Sperrzeit als Jude außerhalb der Häuser angetroffen wurde, wurde von der Gestapo gestellt und bei Nichtlegitimation erschossen. Das hat sich schon 1940 und 1941 ereignet, also vor der Errichtung des Ghettos. […] Jedenfalls wurden Juden dezimiert und auch ‚auf der Flucht erschossen‘. Die jüdische Bevölkerung wurde, das ist sicher, auch 1940/41 gezielt verfolgt. Die gezielte Verfolgung setzte sich später fort.“ 227 Eines „Fehlverhaltens“ seitens der Opfer bedurfte es keineswegs; Übergriffe fanden in vielen Fällen aus den nichtigsten Gründen und vollkommen willkürlich statt. So berichtete der Überlebende Sigmund G., dass Nowak im Frühjahr 1942 einen Hutmacher erschoss, weil die für ihn bestimmte Mütze nicht rechtzeitig fertig geworden war.228 Klara F. schilderte, dass ihr Vater und ihr Bruder Ende 1940 auf der Straße getötet wurden: „Sie wurden offenbar ohne ersichtlichen Grund niedergeschossen, wie damals auch sonst schon Juden einfach umgelegt wurden.“ 229 Ähnliches berichtete Henna K.: „Bei den zahlreichen Einzelerschießungen handelte es sich aber um Willkür der Schießer. Die Gestapo-Leute schossen je nach Laune.“ 230 Aus den exemplarisch genannten Aussagen wird ersichtlich, dass die verübten Verbrechen keineswegs immer auf Befehl höherer Stellen begangen wurden, sondern sich spontan entwickelten, wie auch folgende Szene untermauert: Anfang 1942 hielten sich die Sicherheitspolizisten Karl Oppermann, Gerhard Grunow und der Dolmetscher Oskar Jeck im jüdischen Viertel auf. Ihre Anwesenheit verbreitete sich unter den Bewohnern wie ein Lauffeuer. Es herrschte große Unruhe, und jeder versuchte, den drei Deutschen aus dem Weg zu gehen. Nachdem die Polizisten für eine kurze Zeit eine Bierstube besucht hatten, kehrten sie zum Platz Pod Dębem zu226 227 228 229 230

Dto. Regina K. v. 3. 6. 1965, ebd., B 162/2158, Bl. 2618. Vern. Walther J. v. 6. 5. 1965, ebd., Bl. 2537. Aussage Sigmund G. v. 14. 11. 1961, ebd., B 162/2150, Bl. 693. Dto. Klara F. v. 2. 6. 1965, B 162/2158, Bl. 2602. Dto. Henna K. v. 3. 12. 1964, ebd., B 162/2155, Bl. 2121.

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rück. Hier trafen sie auf einen Jugendlichen, den sie zu sich riefen. Anschließend schlug Grunow auf diesen derart ein, dass er zu Boden fiel, worauf die Deutschen begannen, ihn zu verspotten. Oppermann trat anschließend auf das Opfer ein, das bewegungslos auf der Erde liegen blieb. 231 Deutlich wird, dass Tarnów bereits vor der Ingangsetzung der „Endlösung“ zu einem quasi rechtsfreien Raum avancierte, in dem sich die Angehörigen der Sicherheitspolizei-Außenstelle als „willkürliche Herrscher über Leben und Tod der in ihrem Machtbereich lebenden Juden“ 232 aufspielen konnten. Menschen jüdischen Glaubens waren nun „vogelfrei“. 233 Die Erschießungen jüdischer Menschen, die durch die SicherheitspolizeiDienststelle zu dieser frühen Zeit der Besatzung vorgenommen wurden, waren allerdings keineswegs rechtmäßig. Verstöße, beispielsweise gegen die Verordnung über die Aufenthaltsbeschränkung, mussten von Sondergerichten abgeurteilt werden. Das eigenmächtige Vorgehen durch Angehörige der Sicherheitspolizei oder anderer Einheiten war demnach auch nach der damaligen Rechtsgrundlage im Generalgouvernement illegal. Allerdings legte man vor Ort nicht immer Wert auf Formalitäten, und zentrale Vorgaben wurden umgangen, sofern man keine Repressionen seitens der KdS-Zentrale fürchten musste: „Daß die jüdische Bevölkerung in Polen nach dem Willen der höchsten Führung ausgerottet werden sollte, war uns natürlich bekannt“ 234, gab der ehemalige Angehörige der Sicherheitspolizei Gerhard Gaa zu Protokoll. Er fuhr fort: „Schon damals wurde bei den Juden nicht viel Federlesen gemacht. Mir ist bekannt, daß Juden aus allen möglichen und unmöglichen Gründen liquidiert worden sind. Auch habe ich gehört, daß in Judensachen keinerlei Berichte zu erstatten oder Rückfragen in Krakau zu halten waren. Juden, die in irgendeiner Weise aufgefallen waren, konnten erschossen werden. Die Entscheidung oblag dem Dienststellenleiter.“ 235 Gaas Aussage verweist auf einen wichtigen Aspekt: Die Dienststellenleiter der Sicherheitspolizei nahmen im System von Unterdrückung, Gewalt und Mord eine wichtige Stellung ein. Sie waren es, die die Verantwortung für ihre Untergebenen trugen und auch das Verhalten und Agieren

231 Dto. Akiwa R. v. 8. 2. 1965, LNW, 8631, Bl. 3437; Anklage Schwurgericht beim LG Bochum v. 9. 4. 1964, IfZ, Gb 08.10/1, Bl. 100. 232 Ebd., Bl. 102. 233 Aussage Regina K. v. 3. 6. 1965, BAL, B 162/2158, Bl. 2618. 234 Vern. Gerhard Gaa v. 21. 6. 1963, ebd., B 162/2154, Bl. 1775. 235 Ebd., Bl. 1779.

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des unteren Personalsockels in einem gewissen Grade beeinflussen konnten: Entweder indem sie bestimmten Verhaltensweisen ihrer Männer ablehnend gegenüberstanden, Taten tolerierten oder diese sogar noch beförderten. Auch von Seiten eines Überlebenden wurde die zentrale Rolle des Dienststellenleiters hervorgehoben: „Aber es ist für mich unzweifelhaft, daß der offenkundige Terror, der bereits 1940/41 vom Chef der Dienststelle gebilligt, wenn nicht gar gelenkt worden ist. Der Terror hatte System, sein Zweck war, Juden in Schach zu halten und sie durch Arbeit und wirtschaftlich einzuengen.“ 236 Josef W., der die Shoah überlebte, äußerte sich in ähnlicher Manier: „Dadurch, daß ich Elektriker war und die geschilderten näheren Kontakte zur Gestapo hatte, bleibe ich bei meiner Überzeugung, daß Baach von den Maßnahmen gegen die Juden gewußt haben muß. Als Chef der Dienststelle muß er an den Maßnahmen entscheidenden Anteil gehabt haben.“ 237 Generell tolerierten die Dienststellenleiter Gewalt gegenüber Juden. Auf diese Weise bildeten sie die Basis für das brutale Vorgehen der unteren Personalebene. Die Angehörigen der Sicherheitspolizei konnten dadurch ihre neuerworbene Macht an der jüdischen Bevölkerung vor Ort ausleben, konnten im Schatten von NS-Ideologie und antijüdischer Politik ihre eigenen, ganz persönlichen Interessen verfolgen. Um die rechtswidrigen Taten gegenüber den vorgesetzten Dienststellen zu verschleiern, bediente man sich häufig Tarnbezeichnungen, wie „auf der Flucht erschossen“ oder auch „sonderbehandelt“. 238 Nachdem der sogenannte Schießbefehl von Schöngarth erlassen worden war, war das eigenmächtige Töten innerhalb der Sicherheitspolizei gang und gäbe, wie seitens eines Angehörigen der Sicherheitspolizei-Außenstelle bestätigt wurde: „Bei meiner Anwesenheit in Tarnów war innerhalb der Außenstelle die Gepflogenheit üblich, angefallene Juden zu erschießen, also etwa Juden, die ohne Armbinde, ohne Ausweispapiere oder aus einem sonstigen zu damaliger Zeit ordnungswidrigen Anlaß angetroffen oder aufgegriffen wurden.“ 239 Der Befund, dass in den ersten Jahren deutscher Besatzung vor allem Angehörige der Sicherheitspolizei äußerst brutal gegen die Juden vorgingen, deckt sich mit anderen Untersuchungen. 240 Erstaunlich ist dies keines-

236

Aussage Ignatz W. v. 14. 5. 1965, ebd., B 162/2158, Bl. 2562 f. Dto. Josef W. v. 15. 5. 1965, ebd., Bl. 2603. 238 Anklage Schwurgericht beim LG Bochum v. 9. 4. 1964, IfZ, Gb 08.10/1, Bl. 77– 79; Vern. Walter Baach v. 11. 8. 1961, BAL, B 162/2150, Bl. 600. 239 Dto. Gerhard Gaa v. 13. 3. 1968, ebd., B 162/2167, Bl. 4653. 240 Vgl. Mallmann, Hamann. 237

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wegs, zieht man in Betracht, dass ein ständiger personeller Austausch und eine Rotation der Angehörigen der Sicherheitspolizei innerhalb des Distrikts bestimmend waren. 241 Dies führte dazu, dass sich die Täter, abgesehen von den Dienststellenleitern, die sich ohnehin in regelmäßigen Abständen in der Krakauer Zentrale trafen, auch über die Grenzen ihrer Kreishauptmannschaft kannten. Dies hatte wiederum zur Konsequenz, dass die einzelnen Außenstellen über die örtlichen Verhältnisse in anderen Städten gut informiert waren. Der ehemalige Leiter des Grenzpolizeikommissariats in Neu-Sandez, Heinrich Hamann, wurde im Zuge einer Vernehmung zu den Vorkommnissen in Tarnów befragt. Der unter der jüdischen Bevölkerung aufgrund seiner Grausamkeit gefürchtete SS-Täter äußerte sich folgendermaßen: „Als ich noch in Neu-Sandez war, hörte ich gesprächsweise, dass in Tarnow viele Juden erschossen worden seien. […] Tarnow galt damals als die Judenstadt, d. h. die Stadt mit den meisten jüdischen Einwohnern.“ 242 Hamanns Aussage impliziert zum einen, dass es in seinen Augen gerechtfertigt erschien, aufgrund der hohen Anzahl jüdischer Einwohner gegenüber diesen gnadenlos vorzugehen. Auf der anderen Seite wird ein radikaler Antisemitismus erkennbar, den die Mehrzahl der Angehörigen der Sicherheitspolizei teilte: Antisemitische Stereotype und Feindbilder prägten das Denken und Handeln der Männer. „Scheißjude“ 243 oder „dreckiger Jude“ 244 waren gängige Begriffe, um Personen zu titulieren und damit herabzuwürdigen. „Ausdrücke wie ‚Schwein‘ waren bei ihm gegenüber den Juden allgemein üblich“ 245, erinnerte sich ein Überlebender über den Angehörigen der Sicherheitspolizei Karl Oppermann. Die Männer betrachteten Juden nicht als Menschen, sondern stilisierten sie zu Feinden, die man nach Belieben erniedrigen, ausbeuten und misshandeln konnte, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ob die Beamten und Angestellten der Sicherheitspolizei allerdings bereits vor 1939 im Sinne der NS-Ideologie gefestigt waren, sich erst während des Polenfeldzugs als Mitglieder der Einsatzgruppen stark ideologisierten oder gar erst im Zuge ihrer Tätigkeit in Tarnów in ihrer Weltanschauung immer radikaler wurden, muss offen bleiben. Nichtsdestotrotz änderte dies nichts an ihrer vor Ort vorherrschenden Meinung, die die jüdische Bevölkerung als minderwertig betrachtete, gegen die man willkürlich vorgehen konnte. 241 242 243 244 245

Vern. Alwin K. v. 23. 11. 1965, BAL, B 162/2157, Bl. 2469. Dto. Heinrich Hamann v. 7. 7. 1960, ebd., B 162/2148, Bl. 84. Aussage Salomon G. v. 29. 12. 1964, LNW, 8855, Bl. 2588. Graber/Bialecki, Voice, S. 22. Aussage Isaak I. v. 20. 4. 1964, BAL, B 162/2152, Bl. 1544.

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Am Terror beteiligten sich viele Dienststellenangehörige. Selbst die Dolmetscher gingen weit über ihre eigentlichen Befugnisse hinaus und wirkten an der Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung mit. 246 So erschoss der volksdeutsche Dolmetscher Nowak im Frühjahr 1941 „eine elegant gekleidete Jüdin“ und „urinierte auf die Leiche“. 247 Auch unter den Angehörigen der Sicherheitspolizei-Dienststelle war bekannt, dass gerade dieser Dolmetscher seine Macht, die er durch seine Stellung innerhalb des SS- und Polizeiapparats erhielt, massiv missbrauchte: „Über Nowak kann ich sagen, dass sein Auftreten der Bevölkerung gegenüber über seine eigentliche Bedeutung – er war nur Dolmetscher – weit hinausging. Im Laufe der Monate hat er sich Aufgaben angemaßt, die ihm eigentlich gar nicht zustanden.“ 248 Dieses Zitat verweist auf ein mögliches Motiv, dem ein großer Stellenwert zuteil wird, wenn es um die Beurteilung des lokalen Täterhandelns geht. Die Angehörigen der Sicherheitspolizei konnten in Tarnów bisher nicht erfahrene Macht ausleben. Sie konnten sich als „Herrenmenschen“ betrachten; ihre vermeintliche Überlegenheit gegenüber der örtlichen Bevölkerung wurde facettenreich und demonstrativ zur Schau gestellt. So ließ sich Rommelmann mit einer Droschke durch die Stadt kutschieren, während er auf einen Juden schoss. 249 Karl Oppermann hingegen pflegte die Juden mit einer Reitpeitsche zu schlagen. Darüber hinaus gewann man der Judenverfolgung auch „Unterhaltungswert“ 250 ab, wie das nachfolgende Beispiel zeigt: An einem Sonntagmorgen machten sich einige Männer einen Spaß daraus, Juden, derer sie habhaft werden konnten, Sprengpatronen in die Taschen zu stecken. Anschließend befahl man ihnen, zu einer bestimmten Stelle zu laufen. Dabei versicherten die Deutschen, dass derjenige, der als erster ankomme, nach Hause gehen dürfe. Sämtliche Opfer kamen dabei ums Leben. 251 Gravierende Unterschiede im Täterhandeln zwischen Reichs- und Volksdeutschen können nicht ausgemacht werden. Die Volksdeutschen begleiteten ihre reichsdeutschen Kollegen häufig und standen ihnen in 246

Vern. Walter Baach v. 11. 8. 1961, ebd., B 162/2150, Bl. 601. Aussage Josef K. (undat.), ebd., B 162/2149, Bl. 307; Anklage Schwurgericht beim LG Bochum v. 9. 4. 1964, IfZ, Gb 08.10/1, Bl. 103. 248 Vern. Walter Baach v. 11. 8. 1961, BAL, B 162/2150, Bl. 601. 249 Aussage Henna K. v. 1. 2. 1962, LNW, 8632, Bl. 1093 f. 250 Mallmann, Mensch, S. 119. 251 Anklage Schwurgericht beim LG Bochum v. 9. 4. 1964, IfZ, Gb 08.10/1, Bl. 103. Auch der Überlebende Shmuel G. berichtete, dass die Deutschen Juden aus Vergnügen töteten. Vgl. Aussage Shmuel G., YVA, O.3/6462. 247

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ihrer Gewaltbereitschaft und Grausamkeit in nichts nach. Gerade die Integration der Volksdeutschen deutet darauf hin, dass sich zumindest zwischen einem Großteil der Angehörigen der Sicherheitspolizei Kameraderie entwickelte. Überraschend ist diese Tatsache keineswegs. Einerseits verbrachte man den Arbeitsalltag zusammen, andererseits ging man auch im Privaten gemeinsame Wege und teilte sich sogar ein Zimmer. Gerhard Gaa etwa bewohnte mit dem Dolmetscher Oskar Jeck einen Raum im oberen Stockwerk der Dienststelle. 252 Die Erfahrungswelt Polen schweißte die Männer zusammen. Dieser vorherrschende Korpsgeist schuf wiederum eine Gruppendynamik, die das Handeln der Männer immer schrankenloser werden ließ. Für den Einzelnen mag das Auftreten und Agieren als Kollektiv ein Gefühl von vorherrschendem Konsens erzeugt haben, und so wurden Verbrechen häufig in einer Gruppe begangen. So ist beispielsweise belegt, dass Karl Oppermann mehrfach Verbrechen mit Grunow oder auch dem Dolmetscher Jeck realisierte. 253 Walter Baach, Dienststellenleiter der Sicherheitspolizei-Außenstelle, sagte im Zuge einer Vernehmung aus, dass es „nicht ausgeschlossen [sei], dass Malottki im Zusammenwirken mit Nowak eigenmächtig vorgegangen ist“. Er fuhr fort: „Ich glaube mich zu erinnern, dass von Malottki und Nowak sozusagen ein ‚Gespann‘ bildeten.“ 254 Konsens und gegenseitige Absicherung dürften wiederum Gewalt begünstigt haben, die häufig als Selbstzweck in den Alltag der Täter integriert wurde. Ein alltägliches Phänomen war auch das Aneignen jüdischer Wertsachen durch die Besatzungsinstitutionen. Bereits im November 1939 wurde in Tarnów eine Durchsuchungsaktion organisiert, im Zuge derer mehrere Brillantringe aus jüdischem Besitz beschlagnahmt wurden. 255 Daran nahmen neben dem Polizeibataillon 5 des Polizeiregiments Krakau auch ein Sonderkommando des Devisenfahndungsdiensts Krakau teil. Höchstwahrscheinlich wurden darüber hinaus auch Angehörige der Schutzpolizei, der Sicherheitspolizei sowie Beamte der Zollpolizei eingesetzt. Insgesamt konfiszierten die Deutschen Werte in Höhe von 35.000 bis 40.000 Złoty. 256 Daneben profitierte auch die Waffen-SS von der jüdischen Ge252

Vern. Gerhard Gaa v. 21. 6. 1963, BAL, B 162/2154, Bl. 1774. Antrag auf Erweiterung und Ausdehnung der Voruntersuchung v. 21. 9. 1967, ebd., B 162/2162, Bl. 3530 ff. 254 Vern. Walter Baach v. 11. 8. 1961, ebd., B 162/2150, Bl. 601. 255 Schreiben Helene O. an Stadtkommissar Tarnow v. 29. 11. 1939, ANK-T, 33/ ZMTo/2, Bl. 537. 256 Äußerung Max W. v. 15. 2. 1940, ebd., Bl. 539; Schreiben an Kommandeur Pol.Batl. 5 v. 9. 4. 1940, ebd., Bl. 547 f. 253

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meinde in Tarnów. Zu Beginn des Jahres 1940 wirkte die 6. SS-Reiterschwadron an Kontrollen gegen angebliche „Schmuggler“ in der Stadt mit. „Durch geschicktes Auskundschaften bei der jüdischen Bevölkerung“, hieß es in einem Bericht eines SS-Sturmmannes, sei es gelungen, „in einer Juden-Wohnung eine in die Wand eingemauerte Kassette mit einem Geldbetrag von 5.120 Złoty, 2 Perlenketten und einem Brillantring“ 257 festzustellen. Die gefundene Kassette wurde angeblich den deutschen Besatzungsbehörden vor Ort übergeben. 258 Bereits im Dezember des Vorjahres hatte die SS-Schwadron durch den Stadtkommissar in Tarnów die Berechtigung erhalten, „aus jüdischen Wohnungen und Beständen, Wohnungseinrichtungen und Schmiedegeräte zu entnehmen.“ 259 Der Judenrat war gezwungen, der 6. SS-Schwadron Gegenstände im Wert von rund 10.000 Złoty auszuhändigen. 260 Auch ein Zug der 4. SS-Schwadron benötigte zur Einrichtung ihrer Kasernenunterkunft Mobiliar, das vom Judenrat beschafft werden sollte: „Die Männer, die heute noch vollkommen unzulänglich eingerichtet sind, haben zum Teil zu 8–10 Mann einen Tisch von der Größe eines halben Meters, einen Stuhl usw.“ 261 Nur wenige Monate später, im November 1940, gelang der Wirtschaftspolizei ein großer „Clou“: Bei einem einzelnen Juden konfiszierten sie einen großen Gold- und Devisenvorrat, der einen Wert von rund 370.000 Złoty hatte. 262 Jenseits der systematisch realisierten Beschlagnahmungen bereicherten sich jedoch auch einzelne Täter an jüdischem Eigentum. Gewalt war hierbei eng mit persönlichem Profitstreben Einzelner verknüpft: „Es kam häufiger vor, daß die jüdischen Bewohner in Tarnow durch die Gestapisten erpreßt wurden. Dies ging im allgemeinen folgendermaßen vor sich: Dem Judenrat wurde befohlen, innerhalb einer bestimmten Zeit eine bestimmte Menge Geld oder andere Wertgegenstände wie Fotoapparate, Schmuckstücke, Devisen usw. sowie Spirituosen, Geflügel und ähnliches bei der Gestapodienststelle abzuliefern. Der Gestapo war bekannt, daß die Juden im Besitz derartiger Sachen waren bzw. wurden sie gezwungen, solche Ge-

257

Zitiert nach: Cüppers, Wegbereiter, S. 38 f. Ebd., S. 39. 259 Schreiben Stadtkommissar Tarnow v. 9. 12. 1939, ANK-T, 33/ZMTo/4, Bl. 273. 260 Dto. betr. Lieferung von Einrichtungsgegenständen an 4. SS-Schwadron in Tarnow v. 13. 6. 1940, ebd., 33/ZMTo/6, Bl. 205. 261 Dto. 4. SS-Schwadron in Tarnow an Amt GG über das Stadtkommissariat Tarnow v. 8. 6. 1940, ebd., Bl. 207. 262 Lagebericht Kreishauptmann Tarnow für November 1940, USHMM, RG15.174M, reel 11, Bl. 99. 258

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genstände von Polen durch Kauf zu erwerben.“ 263 Um die Menschen massiv unter Druck zu setzen, nahmen Mitglieder der Gestapo auch willkürliche Erschießungen vor. 264 Viele Angehörige der Sicherheitspolizei erhielten vom Judenrat auch Waren des täglichen Bedarfs, wie etwa Bohnenkaffee oder Wurstwaren. Der Judenrat hatte für diese Befriedigung der materiellen und finanziellen Interessen der Deutschen eine inoffizielle Kasse angelegt, die auf Spenden der jüdischen Bevölkerung basierte. Man hoffte, durch Schenkungen die Angehörigen der Gestapo „bei Laune zu halten“. 265 Allerdings gingen Einzelne auch dazu über, sich am jüdischen Besitz einfach zu bedienen. 266 So berichtete ein Mitarbeiter des deutschen Arbeitsamts in Tarnów, der die Aufsicht über einen Lagerraum führte, in dem Geld, Schmuck und andere Wertgegenstände aus jüdischen Wohnungen aufbewahrt wurden, dass Gestapobeamte einige Male nach Belieben wertvolle Dinge aus diesem Magazin für ihren persönlichen Bedarf entwendet hätten. 267 Auch wurde es zur Regel, dass die jüdische Bevölkerung ihre Dienste den Angehörigen der Sicherheitspolizei und deren Ehefrauen kostenlos zur Verfügung stellen mussten. Der jüdische Schneider Paul R. sollte bereits 1940 Anzüge für Oppermann anfertigen. Für seine Arbeit erhielt er nie einen Lohn. 268 Ähnlich erging es dem Kutscher Izaak I., der gezwungen wurde, unentgeltlich der Sicherheitspolizei zur Verfügung zu stehen. 269 Aber nicht nur Angehörige der Sicherheitspolizei bereicherten sich am Eigentum der jüdischen Bevölkerung. Als Beispiel hierfür mag eine Szene dienen, die von der Überlebenden Klara F. zu Protokoll gegeben wurde. Nachdem ihr Bruder verhaftet worden war, erschienen bei ihr der Leiter der Kriminalpolizei, Kriminalobersekretär Karl Klee, und weitere Deutsche, die zahlreiche Wertgegenstände einpackten. Kurios fand es die Frau jedoch, dass auch ihre gebrauchte Kleidung beschlagnahmt wurde: „Klee ließ auch meine persönlichen Kleidchen mitgehen. Ich fragte Klee, wes263

Aussage Ignatz W., LNW, 8526, Bl. 21. Ebd.; Anklage Schwurgericht beim LG Bochum v. 9. 4. 1964, IfZ, Gb 08.10/1, Bl. 106. 265 Aussage Osias F. v. 19. 12. 1966, LNW, 8622, Bl. 5548. 266 Dto. Hanka O., BAL, B 162/2149, Bl. 304. 267 Anklage Schwurgericht beim LG Bochum v. 9. 4. 1964, IfZ, Gb 08.10/1, Bl. 107. 268 Aussage Paul R. v. 19. 2. 1969, LNW, 9106, Bl. 193. 269 Dto. Izak I. v. 10.–12. 12. 1945, ebd., 8569, Bl. 92. Auch Ignacy P. berichtete, dass er und weitere jüdische Facharbeiter für die Gestapo arbeiten mussten, ohne hierfür einen Lohn zu erhalten. Vgl. dto. Ignacy P. v. 29. 8. 1946, BAL, B 162/746, Bl. 34. 264

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halb denn meine Kleidchen und meine Wäsche mitgehen müssten. Er meinte, ich sollte mir keine Gedanken machen, meine Kleidchen und meine Wäsche würden schon einer bestimmten Person passen.“ 270 Derartige Beispiele belegen, in welchem Umfang Einzelne einen persönlichen Nutzen aus der Judenverfolgung ziehen konnten. Unter den vor Ort agierenden Besatzungsorganen herrschte im Großen und Ganzen Konsens hinsichtlich der Behandlung der jüdischen Bevölkerung. In vielen Bereichen der „Judenpolitik“ arbeitete man Hand in Hand. Wie weit die Kooperationsbereitschaft selbst mit externen Institutionen gehen konnte, zeigt sich auch anhand einer anthropologischen Studie, die im März 1942 an jüdischen Familien in Tarnów realisiert wurde. Das Anthropologische Institut der Universität Wien hatte bereits Untersuchungen an rund 1.000 Juden und „Judenmischlingen“ in Wien umgesetzt, sodass für die Anthropologen nun der „Gedanke nahe“ lag, „auch im Stammland der meisten Wiener Juden, dem ehemaligen Polen, eine größere Zahl von Juden zu untersuchen, um so Vergleichsmaterial für die Wiener Erhebungen zu erhalten“. 271 Dr. Dorothea Maria Kahlich 272, Mitarbeiterin des Anthropologischen Instituts der Universität Wien, korrespondierte diesbezüglich bereits seit einiger Zeit mit Anton Plügel 273, Referatsleiter der Sektion Rassen- und Volkstumsforschung des Instituts für 270

Aussage Klara F. v. 2. 6. 1965, ebd., B 162/2158, Bl. 2608. Fliethmann, Bericht, S. 92. 272 Dorothea Maria Kahlich, geborene Könner, wurde am 5. 12. 1905 in Persenbeug a. d. Donau geboren. Nach ihrem Studium an der Universität Wien promovierte sie 1934 zum Thema „Der rassendiagnostische Wert des Humerus. Untersuchungen an Hominiden und Anthropoiden“. Von 1934 bis 1936 war Kahlich wissenschaftliche Hilfskraft, von 1936 bis 1945 Assistentin am Anthropologischen Institut der Universität Wien. Von 1938 bis 1945 war sie zudem NS-Abstammungsgutachterin. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war sie als Spezialistin für „Erbbiologie“ am Gerichtsmedizinischen Institut der Universität Wien angestellt. Kahlich verstarb am 28. 3. 1960 in Wien. Vgl. Keintzel/Korotin, Wissenschafterinnen, S. 339 ff. 273 Anton Plügel wurde 1913 in Wien geboren. Er studierte Anthropologie und Ethnologie an der Universität Wien. 1930 war er wissenschaftlicher Hilfsreferent am Völkerkundemuseum in Wien. Von 1935 bis 1938 betätigte er sich als Programmreferent beim Reichsrundfunk in Berlin, anschließend kehrte er zur Promotion nach Wien zurück. Im Jahr 1940 wurde er zum Referenten für Museumangelegenheiten, Bücherei und Schulfilm in der Abt. Schulwesen beim Chef des Distrikts Krakau ernannt. 1941 erfolgte seine Anstellung als Ethnologe in der Sektion „Rassen- und Volkstumsforschung“ beim Institut für Deutsche Ostarbeit in Krakau. Im Folgejahr stieg er zum Stellvertretenden Sektionsleiter auf. Vgl. Harten/Neirich/Schwerendt, Rassenhygiene, S. 213 f. 271

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Deutsche Ostarbeit in Krakau. 274 Kahlich und Plügel kannten sich aus Wien und verfolgten nun das gemeinsame Ziel, Untersuchungen im besetzten Polen zu initiieren. 275 Allerdings, so war auch den Forschern bewusst, war Eile geboten. Das geplante Vorhaben sollte schnellstmöglich realisiert werden, da man befürchtete, dass wichtiges „Material“ – so wurden die Versuchspersonen von den Anthropologen bezeichnet – in naher Zukunft nicht mehr für Untersuchungen zur Verfügung stehen würde: „Ich bin selbstverständlich von mir aus auch mit den von Ihnen genannten Terminen einverstanden, immerhin möchte ich ein Bedenken vorbringen: wir wissen nicht, welche Massnahmen über die Aussiedlung der jüdischen Bevölkerung für die nächsten Monate geplant sind, unter Umständen könnte uns durch zu langes Warten wertvolles Material entgehen, vor allem könnte es geschehen, dass unser Material aus einem natürlichen Familienzusammenhang und aus der gewohnten Umwelt herausgerissen würde, wodurch nicht nur die Aufnahmen selbst unter sehr erschwerten Umständen durchgeführt werden müssten, sondern auch die Aufnahmemöglichkeiten sehr verändert würden.“ 276 Ursprünglich sollte eine kleine, isolierte jüdische Gemeinde in Ostgalizien erforscht werden. Dieses Vorhaben wurde jedoch „aus verkehrstechnischen Gründen“ 277 aufgegeben. Schließlich erschien den Forschern Tarnów ein geeigneter Ort für ihre Studie zu sein, nicht zuletzt, weil die Stadt „auch als Ausgangspunkt für die während des Weltkriegs nach Wien gewanderten Juden nicht ohne Bedeutung war“. 278 Neben guten Arbeits-

274 Die Sektion Rassen- und Volkstumsforschung gliederte sich in drei Referate, der Volkstumsforschung, der Rassenforschung sowie der sogenannten Judenforschung. Vgl. Gliederung der Sektion, USHMM, RG-67.016M, series 1, subseries 1, folder 14, Bl. 2. Einem Arbeitsbericht der Sektion zu Folge, war es deren Ziel „den Menschen in der Gesamtheit seines Wesen und seines Lebens [zu] erfassen, sie beschäftigt sich daher sowohl mit dem Einzelnen, seiner körperlichen und geistigen Beschaffenheit, seiner Bedeutung als Erbträger, seiner sozialen Stellung, wie auch mit den Gemeinschaften, deren Glied er ist, ihrer Kulturfähigkeit, ihren geschichtlichen, völkischen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen, ihrer Bedeutung und Entwicklungsfähigkeit.“ Vgl. Arbeitsbericht der Sektion Rassenund Volkstumsforschung, ebd., Bl. 4. 275 Schafft, Racism, S. 17. 276 Schreiben Plügel an Kahlich v. 22. 10. 1941, Archiwum Uniwersytetu Jagiellońskiego (AUJ), IDO, folder 70. 277 Fliehtmann, Bericht, S. 92. 278 Ebd.

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bedingungen 279 war auch die Sozialstruktur der jüdischen Bevölkerung vor Ort für die Auswahl des Untersuchungsortes ausschlaggebend. So betonte Plügel, dass in Tarnów unterschiedliche Schichten vertreten seien: Angehörige der jüdischen Intelligenz, Handwerker sowie Arbeiter, deren Vorfahren vielfach aus Wien stammten. 280 Finanziert wurde die Studie vom Krakauer Institut für Deutsche Ostarbeit. Dieses beauftragte die Wienerin Dr. Elfriede Fliethmann mit der eigentlichen Umsetzung. 281 Am 22. März 1942 traf Dorothea Maria Kahlich mit ihren Mitarbeitern, darunter die Sekretärin Marianne Pevny, samt ihren Messinstrumenten in Krakau ein, wo sie Dr. Fliethmann und deren polnische Hilfskräfte traf. Am Folgetag reisten sie weiter nach Tarnów; die Zeit für die anthropologische Untersuchung war knapp bemessen. Das neue Semester begann bereits am 9. April, und so blieb den Wissenschaftlerinnen für die Untersuchung lediglich zwölf Tage Zeit. 282 In Tarnów selbst wurde die Forschergruppe von den deutschen Besatzungsorganen bereits freudig erwartet. So kümmerten sich Kreishauptmann Kipke und Stadtkommissar Hein um deren Unterkunft sowie um Arbeitsräume und Verpflegung.283 Auch der örtliche SD arbeitete eng mit den Anthropologen zusammen. Dieser versorgte die Wissenschaftler mit Informationen und bot ihnen vermutlich Schutz, sofern Personen Widerstand leisten sollten. 284 Daneben musste sowohl der Judenrat als auch der jüdische Ordnungsdienst dem Forscherteam zur Verfügung stehen. 285 Die anthropologische Untersuchung begann am 23. März. Die Auswahl, die vermutlich anhand spezieller Vorgaben durch den örtlichen Judenrat vorgenommen werden musste 286, folgte genau definierten Kriterien. So sollte es sich bei den zu Untersuchenden um die „typischsten Vertreter des ursprünglichen galizischen Judentums“ handeln, weshalb die Wahl auf kinderreiche Familien mit mehr als zwei Nachkommen fiel. 287 „Da“, so Fliethmann, „durch diese Forderung und Begrenzung zwangsläufig eine Auslese in sozialer Beziehung erfolgte – auch die jüdische Intelligenz Polens zeichnet sich bereits durch starke Kinderarmut aus –, wurden als Er279 280 281 282 283 284 285 286 287

Schreiben Plügel an Kahlich v. 13. 3. 1942, AUJ, IDO, folder 70. Ebd. Vgl. Fliethmann, Bericht, S. 92. Schreiben Kahlich an Plügel v. 4. 3. 1942, AUJ, IDO, folder 70. Dto. Plügel an Kahlich v. 13. 3. 1942, ebd.; Fliethmann, Bericht, S. 93. Burleigh, Germany, S. 268. Schafft, Racism, S. 20. Fliethmann, Bericht, S. 100. Ebd., S. 93.

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Abb. 5. Fotoaufnahmen eines Mannes im Rahmen der in Tarnów realisierten anthropologischen Studie.

Abb. 6. Fotoaufnahmen eines Mädchens im Rahmen der in Tarnów realisierten anthropologischen Studie.

gänzung und zum Vergleich einige Einzeltypen aus der jüdischen Intelligenz und aus der niedersten Schicht, es handelt sich um berufsmäßige Bettler, herangezogen.“ 288 Im Zeitraum zwischen 23. März und 2. April wurden insgesamt 578 Personen untersucht. Es handelte sich um 106 jüdische Familien mit 565 Personen sowie 13 Einzelpersonen. 289 Die Erhebung bestand aus umfangreichen Vermessungen und Fotografien der Menschen. Zusätz288

Ebd. Ebd., S. 94; Personenausweis der Juden, die bei der anthropologischen Kommission in Tarnow ab 23. 3. 1942 erschienen sind, USHMM, RG-17.010M, reel 5. 289

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lich zu den Angaben zu Körpertyp, Kopfform, Augenfarbe und weiteren physischen Charakteristika, mussten die Untersuchten auch persönliche Angaben machen. Name, Alter, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Muttersprache, Religion, Schulbildung, Beruf, Besitzverhältnisse, Militärdienst, sportliche Betätigung, Auslandsreisen, Krankheiten, auch innerhalb der Familie, wurden abgefragt. Darüber hinaus sollten Name, Beruf sowie die Todesursache der vier Großeltern angegeben werden, sofern dies bekannt war.290 Die Ergebnisse fasste Fliethmann in einem Bericht zusammen, der noch im Jahr 1942 in der Zeitschrift „Deutsche Forschung im Osten“ erschien. 291 Dass dieser Beitrag überhaupt publiziert wurde, mag überraschen: Im Dritten Reich waren rassenwissenschaftliche Untersuchungen an Juden rar. Schließlich hätten derartige Studien die auf vermeintlich wissenschaftlicher Basis bestehenden Rassengesetze unterminieren können. 292 Vor diesem Hintergrund ist es auch verständlich, dass der historische Teil von Fliethmanns Bericht vor der Drucklegung einer Überprüfung durch einen „Judenhistoriker“ unterzogen wurde. 293 Fliethmann entdeckte bei den Wiener Juden einen stärkeren vorderasiatisch-orientalischen Rasseneinschlag als bei den Untersuchten in Tarnów, „bei denen sich Komponenten der europäischen Rassen, besonders der ostisch-ostbaltischen, bemerkbar machten“. 294 Dann schob Fliethmann in bester NS-Diktion nach: „Das jüdische Volk besteht aus einem Gemisch verschiedener Rassen, deren jede ihren Anteil an der Charakterbildung dieses Volkes hat. Es soll aber besonders die vorderasiatische Rasse sein, die den Juden, besonders den Juden Osteuropas, in körperlicher und geistiger Beziehung ihr typisches, uns fremdartig anmutendes Gepräge gibt. Gerade der starke Erwerbs- und Geschäftssinn und die Skrupellosigkeit in vielen Dingen sind Eigenschaften, die besonders der vorderasiatischen Rasse zugeschrieben werden und die auch bei nichtjüdischen, vorderasiatisch bestimmten Völkern, wie z. B. den Armeniern deutlich zum Ausdruck kommen.“ 295 Allerdings, so musste auch Fliethmann eingestehen, „lässt sich mit dem Aufzählen einzelner Merkmale das Wesentliche und Gemeinsame des jüdischen Gesichts, der typische Ausdruck nicht erfassen, der oft auch Menschen als Juden erken-

290 291 292 293 294 295

Vgl. Fliethmann, Bericht, S. 94; Steinweis, Jew, S. 60. Fliethmann, Bericht. Ehrenreich, Proof, S. 8. Schreiben Fliethmann an Kahlich v. 13. 5. 1942, AUJ, IDO, folder 70. Fliehtmann, Bericht S. 108. Ebd.

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nen lässt, die ihrem rassischen Erscheinungsbild nach nicht als solche zu erkennen waren.“ 296 Die SD-Außenstelle in Tarnów, die die Arbeit vor Ort unterstützt hatte, blieb auch nach der Erhebung mit den Wissenschaftlerinnen in regem Kontakt, wie ein Schreiben des Leiters des SD, Wilhelm Bernhard, hindeutet: „Die hiesige Dienststelle bittet Sie um einen Bericht über den Erfolg Ihrer Arbeit in Tarnow. Vor allem besteht daran Interesse, ob deutsches Blut in den einzelnen untersuchten jüdischen Familien vorkommt. Auch interessieren die Erfahrungen, die Sie hier in Tarnow bei der rassischen Untersuchung gemacht haben.“ 297 Dr. Fliethmann konnte allerdings keine Antwort auf Bernhards Frage geben: „Ihre Frage, ob deutsches Blut in den untersuchten Familien vorkommt, kann ich leider nicht beantworten, da sich zwar Rassen, aber keine Volkstümer vererben und durch anthropologische Messungen erfassen lassen.“ 298 Da jedoch die SD-Mitarbeiter ein derart großes Interesse an den Ergebnissen bekundeten, sandte Fliethmann ihnen den vorläufigen Bericht zu. Ferner versicherte sie, dass sie die Dienststelle über die Ergebnisse der Studie auf dem Laufenden halten würde. 299 Fliethmann verabschiedete sich im Schreiben an Bernhard in bester NS-Manier mit dem Hitlergruß. 300 2.3 Die jüdische Bevölkerung in Tarnów angesichts der Verfolgungsmaßnahmen 2.3.1 Deportationen, Fluchtbewegungen und Umsiedlungen Seit Beginn der deutschen Besatzung in Polen fanden große Bevölkerungsverschiebungen statt, die sich nicht nur auf die demographische Entwicklung von Regionen, Städten und Dörfern auswirkten, sondern auch das alltägliche Leben der davon Betroffenen massiv beeinflussten. Rund 250.000 Juden lebten vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im künftigen Distrikt Krakau. 301 Bereits im September und Oktober 1939 flüchtete eine 296

Ebd., S. 111. Schreiben Bernhard an Fliethmann betr. rassische Untersuchung von Juden v. 28. 4. 1942, AUJ, IDO, folder 70. 298 Dto. Fliethmann an SS-Obersturmführer Bernhard v. 12. 5. 1942, ebd. 299 Ebd. 300 Ebd. 301 Gutachten Scheffler, BAL, B 162/144, Bl. 60. Insgesamt reduzierte sich bis Juli 1940 – trotz der Ansiedlungen von Juden aus den annektierten Gebieten im Distrikt Krakau – die Zahl der jüdischen Bevölkerung auf rund 215.000. Vgl. Monatliches geschätztes Budget für die Außenstelle der AJDC des Distrikts Krakau v. 4. 7. 1940, 297

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größere, nicht eindeutig quantifizierbare Anzahl von Juden in das sowjetische besetzte Ostpolen, um der nationalsozialistischen Herrschaft zu entgehen. Gleichzeitig trieben die Deutschen viele jüdische Menschen aus den Ortschaften nahe der Grenze über den Fluss San in das sowjetisch besetzte Territorium. 302 Daneben wurden jene, die in Kurorten des Distrikts Krakau lebten, gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen und in andere Ortschaften umzusiedeln. Auch Gegenden, wo Flug- oder Truppenübungsplätze errichtet wurden, mussten von der ansässigen Bevölkerung geräumt werden. 303 Im Dezember nahm die Zahl der jüdischen Bevölkerung in den Städten des Distrikts beträchtlich zu. Grund hierfür war eine Anordnung Heinrich Himmlers, der es sich als neu ernannter Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums zur Aufgabe gemacht hatte, umfangreiche Umsiedlungsprojekte zu realisieren. Am 30. Oktober 1939 kündigte er unter anderem die Abschiebung aller Juden aus den eingegliederten Gebieten an. 304 Die Krakauer Zentrale allerdings machte hinsichtlich der Aufnahme jüdischer Flüchtlinge einige Vorgaben. So bestimmte Distriktchef Otto AŻIH, 210/20, Bl. 33. Im Mai 1940 gab das AJDC für den Distrikt Krakau noch eine Bevölkerungszahl von 295.540 Juden an. Vgl. Hinweis über die Verteilung der Gaben an die jüdische Bevölkerung v. 14. 5. 1940, Archiwum Akt Nowych (AAN), 125/111. 302 Podhorizer-Sandel, O Zagładzie Żydów, S. 89. 303 Ebd., S. 90; Mallmann, Mensch, S. 116. 304 Mit dieser Anordnung Himmlers wurde festgelegt, dass im November und Dezember 1939 sowie im Januar und Februar 1940 folgende Umsiedlungen vorzunehmen sind: „1.) Aus den ehemals polnischen Gebieten; jetzt reichsdeutschen Provinzen und Gebieten alle Juden. 2.) Aus der Provinz Danzig-Westpreußen alle Kongresspolen. 3.) Aus den Provinzen Posen, Süd- und Ostpreußen und Ostoberschlesien eine vorzuschlagende Anzahl besonders feindlicher polnischer Bevölkerung. 4.) Der Höhere SS- und Polizeiführer Ost gibt die Aufnahmemöglichkeit des Gouvernements für die Umzusiedelnden bekannt und zwar getrennt nach Kreishauptmannschaften und größeren Städten. 5.) Die Höheren SS- und Polizeiführer Weichsel, Warthe, Nordost, Südost und Ost (Generalgouvernement) bezw. die Inspekteure und Befehlshaber der Sicherheitspolizei legen gemeinsam den Umsiedlerplan fest. Für jede Provinz ist ein besonderer Distrikt des Generalgouvernements, für jede Stadt der deutschen Provinzen eine besondere Stadt bezw. ein besonderer Landkreis der Distrikte als Umsiedlungsraum festzulegen. 6.) Verantwortlich für den Abmarsch und für den Transport ist der Höhere SS- und Polizeiführer innerhalb seines Gebietes; verantwortlich für die Unterbringung im neuen Wohngebiet die polnische Verwaltung bezw. Selbstverwaltung.“ Anordnung 1/II RFSS als Reichskommissar zur Festigung deutschen Volkstums v. 30. 10. 1939, USHMM, RG-15.174M, reel 4, Bl. 2.

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Wächter, dass bei „Einweisung der Flüchtlinge in die einzelnen Gemeinden […] zunächst die Aufnahmefähigkeit in finanzieller, ernährungsmäßiger und räumlicher Hinsicht (Unterbringungsmöglichkeit) zu berücksichtigen“ sei. 305 Eine „prozentuale Zuteilung nach Einwohnerzahlen“ sollte vermieden werden. Vielmehr sollten Juden „Städten oder Märkten, die bereits größere jüdische Minderheiten aufweisen, zugeteilt werden“, während eine „Einweisung in Landgemeinden […] unbedingt zu unterlassen“ sei. 306 Dass diese Anweisung der Distriktverwaltung einzelnen Kreishauptmännern noch massive Probleme im regionalen Bereich bereiten sollte, war der Zivilverwaltung zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch nicht bewusst. In der Folgezeit gelangten vor allem Menschen aus den eingegliederten Gebieten in den Distrikt Krakau. Zwischen dem 14. und 20. Dezember 1939 kamen 20 Transporte aus Litzmannstadt, Kalisz, Kolo, Sieradz, Konin, Gostyn, Posen, Rawicz, Gnesen, Mogilno sowie Hohensalza an. 307 Allein in Krakau trafen in diesem Zeitraum sechs Transporte ein, die insgesamt 8.486 Personen zählten. Rund die Hälfte davon waren Juden. Bis Dezember erreichten weit mehr als 25.000 Menschen den Distrikt. 308 Ursprünglich waren sogar noch weitere Transporte in dieses Gebiet vorgesehen, diese wurden jedoch aus Versehen in den Distrikt Lublin geleitet. Demgegenüber kam Mitte Dezember ein Transport mit über 3.000 Juden irrtümlich in Krakau an. Der eigentlich für die Stadt Zamość bestimmte Zug war unter einer falschen Nummer geführt worden. 309 Die Deutschen vor Ort waren angesichts der eintreffenden Menschenmengen mit großen Problemen konfrontiert. In einem an den Gouverneur des Distrikts Krakau gerichteten Schreiben wurde auf die Erschwernisse in Bezug auf die Unterbringung in den zugewiesenen Wohngebieten hingewiesen. 310 „In einzelnen Bezirken“, so hieß es, „scheint die Aufnahmefähigkeit der Gemeinden bereits erschöpft zu sein.“ 311 Aber nicht nur die Unterkünfte, sondern auch die Umsetzung der Transporte selbst fand un305

Anordnung Nr. 44 Chef Distrikt Krakau betr. Einweisung von Flüchtlingen v. 4. 12. 1939, ebd., RG-15.041M, reel 1, Bl. 73. 306 Ebd. 307 Deren Zielbahnhöfe waren Krakau, Reichshof, Neu-Sandez, Bochnia, Jaslo, Tarnobrzeg, Krosno, Limanowa, Debica, Mielec, Jaroslau und Tarnów. 308 Schreiben an Gouverneur für den Distrikt Krakau v. 29. 12. 1939, ebd., RG15.174M, reel 4, Bl. 82–84. 309 Ebd., Bl. 83. 310 Ebd., Bl. 82–84. 311 Ebd., Bl. 84.

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ter katastrophalen Bedingungen statt: „Ich möchte bereits heute hervorheben, dass die meisten Umsiedler 2–3 Tage hindurch in ungeheizten Viehwagen transportiert wurden, die zumeist während der Fahrt überhaupt nicht geöffnet wurden. Aus dem letzten Transport nach Krakau allein, der noch vor Einbruch der strengen Kälte stattfand, mussten über 100 Personen wegen Erfrierungen verschiedenen Grades in ärztliche Behandlung gezogen werden. Die Transporte waren mit wenigen Ausnahmen ohne jede Verpflegung, ja häufig auch ohne Möglichkeit, Trinkwasser zu sich zu nehmen, gelassen worden. Als allgemein wahrgenommene besondere Härte und Erschwerung erwies sich die mangelhafte Ausstattung der Umsiedler mit Decken und Essgeschirr, da ihnen teilweise keine Möglichkeit gegeben war, diese von zuhause mitzunehmen, teilweise ihnen sogar mitgenommenes Essgeschirr vor dem Abtransport weggenommen wurde. Die Wegnahme jedes größeren Geldbetrages vor dem Abtransport macht die Umsiedler vom ersten Tage in den neuen Aufenthaltsgemeinden hilfsbedürftig.“ 312 Im Rahmen des sogenannten 1. Nahplans wurden allein im Dezember 87.000 Menschen aus dem Warthegau ins Generalgouvernement verschleppt. 313 Hinzu kamen zusätzlich noch rund 30.000 Personen „außerhalb der regulären Zugtransporte“. 314 Auch in der Folgezeit dauerten die Umsiedlungen in das deutsch besetzte polnische Gebiet an. 315 Im Zuge des sogenannten Zwischenplanes, durch den zwischen dem 10. Februar und 15. März 1940 rund 40.000 Menschen ins Generalgouvernement ausgewiesen wurden, gelangten erneut 20.039 Menschen allein in den Distrikt Kra312

Ebd., Bl. 84 f. Browning, Entfesselung, S. 85. 314 Alberti, Verfolgung, S. 136; vgl. Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 95. 315 Zwischen 7. 5. 1940 und 31. 1. 1941 wurde der „2. Nahplan“ umgesetzt, im Rahmen dessen rund 120.000 Polen aus den Ostgebieten des Deutschen Reiches evakuiert wurden, und zwar zu dem Zweck, die Ansiedlung von Balten- und Wolhyniendeutschen zu ermöglichen. Im Rahmen des „2. Nahplans“ wurden rund 22.000 Personen in den Distrikt Krakau deportiert. Der „3. Nahplan“, der vom 1. 2. 1941 bis 30. 4. 1941 realisiert werden sollte, wurde bereits am 15. 3. 1941 gestoppt. Im Zuge des „3. Nahplans“ sollten Polen und Juden aus den Ostgebieten des Deutschen Reiches, sowie Juden aus Wien in das Generalgouvernement deportiert werden. Bis zum 16. 3. 1941 wurden insgesamt 52.000 Personen in das Generalgouvernement (47.000 Evakuierte aus den Ostgebieten, sowie 5.000 Juden aus Wien) umgesiedelt, wobei hiervon insgesamt 11.000 in den Distrikt Krakau gelangten. Vgl. Bericht Unterabteilung BuF, 1941, AIPN, GK 196/282, Bl. 81, 83. Wie viele Juden im Zuge der erwähnten „Nahpläne“ in Tarnów eintrafen, ist aufgrund fehlender Quellen nicht zu rekonstruieren. 313

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kau, wovon 2.018 Personen jüdischer Herkunft waren. Die Umsiedler kamen diesmal aus Posen, Konin, Znin, Kalisch, Leslau, Hohensalza, Gnesen, Litzmannstadt sowie Kosten. 316 Die meisten Vertriebenen waren mittellos. Sie kamen, wie der Kreishauptmann von Sanok berichtete, nur mit notdürftiger Bekleidung und in der Regel ohne Hausrat an. Zudem wurde den noch in den eingegliederten Gebieten Wartenden bis auf zehn Reichsmark all ihr Bargeld, manchmal auch wichtige Ausweisdokumente und Papiere beschlagnahmt. Gerade die volksdeutsche Hilfspolizei im Warthegau war unter den Umsiedlern gefürchtet, da sie sich das Hab und Gut der Menschen illegal aneignete. Ferner wurden sogar ganze Familien auseinandergerissen: In einigen Fällen kamen Kinder alleine im Generalgouvernement an, deren Eltern sich noch in Posen befanden. In Gnesen wurden selbst Personen, die eigentlich gar nicht für den Flüchtlingstransport vorgesehen waren, versehentlich in das Generalgouvernement umgesiedelt. 317 Trotz der verheerenden Umstände erreichten bis Oktober 1940 weitere 16.500 Juden aus den annektierten polnischen Gebieten den Distrikt. 318 Zur gleichen Zeit fand mit der Umsiedlung der Krakauer Juden eine der umfassendsten Umsiedlungsaktionen im Generalgouvernement selbst statt. Diese hatte nicht nur fatale Folgen für die jüdische Bevölkerung Krakaus, sondern auch verheerende Auswirkungen auf andere jüdische Gemeinden, wie in Tarnów. 319 Externe Faktoren konnten erheblichen Einfluss auf die Situation im lokalen Bereich haben. Nach Krakau, das zu Kriegsbeginn rund 56.000 jüdische Einwohner zählte 320, flohen schon Anfang September 1939 einige tausend Juden. 321 Ende November 1939 lebten dort sowie in den Nachbar- und Vorortgemeinden insgesamt 68.482 Juden. 322 Auch in der Folgezeit nahm der Zustrom nicht ab. 323 Für Generalgouverneur Hans Frank war dies ein unannehmbarer Zustand. Abhilfe 316 Schreiben an Gouverneur des Distrikts Krakau betr. Umsiedlung von Polen und Juden aus dem Warthegau, hier: Durchführung des 1. Nahplanes v. 12. 4. 1940, USHMM, RG-15.174M, reel 4, Bl. 92 f. 317 Ebd., S. 94–96. Zu den Auswirkungen der Germanisierungspolitik vgl. Stiller, Gewalt. 318 Podhorizer-Sandel, O Zagładzie Żydów, S. 90. 319 Ausführlicher: Hembera, Stadt. 320 Faksimile „Ein Jahr Aufbauarbeit im Distrikt Krakau“, AŻIH, 233/66, Bl. 1. 321 Bericht Franz Guen „Die jüdische Gemeinde in Krakau in der Zeit v. 13. Sept. 1939 bis 30. Sept. 1940 und ihre Tätigkeit“, ebd., 218/4, Bl. 71. 322 Ebd., Bl. 88. 323 Ebd., Bl. 90.

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erhoffte er sich durch die Umsiedlung der jüdischen Bevölkerung: „Er beabsichtige deshalb, die Stadt Krakau bis zum 1. November 1940, soweit irgend möglich, judenfrei zu machen und eine große Aussiedlungsaktion der Juden in Angriff zu nehmen. […] Die Stadt Krakau müsse die judenreinste Stadt des GGs werden.“ 324 Die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Krakau verlief in zwei Phasen: Einer „freiwilligen Abwanderung“ und einer Zwangsevakuierung. Bis zum 15. August sollte es den betroffenen Menschen gestattet sein, ihren zukünftigen Wohnort selbst zu bestimmen und ihr gesamtes bewegliches Eigentum mit sich zu führen. 325 Ab dem 16. August beabsichtigten die Deutschen, eine zwangsweise Umsiedlung in die Wege zu leiten, nach der sich künftig nicht mehr als 15.000 Juden in Krakau aufhalten durften. 326 Zu den Bleibeberechtigten zählten in der Hauptsache Juden in ökonomisch wichtigen Stellungen, wie etwa Kaufleute, Handwerker oder Facharbeiter. 327 Obwohl die gesamte Aktion bis zum 1. Oktober abgeschlossen sein sollte, hatten bis Ende September jedoch nur 29.610 Juden Krakau verlassen. Zur gleichen Zeit kehrten sogar wieder Personen in die Stadt zurück. 328 Nachdem auch die Einführung eines Fragebogensystems die Umsiedlung nicht zügiger voranbrachte 329, schritt schließlich Distriktchef Otto Wächter ein und kritisierte das bisherige Vorgehen. 330 Er bestimmte Ru-

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Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 165. Schreiben Rabbinat in Krakau an Chef Distrikt Krakau v. 11. 12. 1940, AŻIH, 233/66, Bl. 25. 326 Dto. über die Sitzung beim Generalgouverneur v. 2. 8. 1940, AIPN, GK 196/ 340, Bl. 185. In einigen Quellen ist zunächst die Rede von 10.000 Juden, die in Krakau verbleiben sollten. Vgl. Bericht über die Sitzung betr. Aussiedlung der Juden aus Krakau am 24. 7. d. J. v. 26. 7. 1940, AŻIH, 228/52, Bl. 6. 327 Bericht Franz Guen „Die jüdische Gemeinde in Krakau in der Zeit v. 13. Sept. 1939 bis 30. Sept. 1940 und ihre Tätigkeit“, ebd., 218/4, Bl. 105; Runderlass Nr. 105/ 40 Abt. Arbeit an Leiter der Abt. Arbeit bei den Distriktchefs und an die Leiter der Arbeitsämter v. 21. 7. 1940, ebd., 233/33, Bl. 3; Schreiben Abt. BuF an Obmann des Judenrates Krakau betr. Aussiedlung der Juden aus Krakau v. 2. 8. 1940, ebd., 228/53, Bl. 35. 328 Bericht Franz Guen „Die jüdische Gemeinde in Krakau in der Zeit v. 13. Sept. 1939 bis 30. Sept. 1940 und ihre Tätigkeit“, ebd., 218/4, Bl. 107; Auszug aus den Lageberichten der Kreis- und Stadthauptleute für September 1940, AIPN, GK 196/269, Bl. 204. 329 „Fragebogen zur Erfassung der jüdischen Bevölkerung der Stadt Krakau“, ANK, 29/208/77 und 29/208/78. 330 Schreiben Chef Distrikt Krakau an Stadthauptmann Krakau betr. Judenaussiedlungsaktion Krakau v. 21. 11. 1940, AIPN, GK 196/340, Bl. 222. 325

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dolf Pavlu zum Sonderbeauftragten, der künftig für die Umsetzung der Abwanderung die Verantwortung tragen sollte. 331 Am 25. November wies Wächter an, dass sich nur noch diejenigen, die Ausweise hatten, in der Stadt aufhalten dürfen. Personen ohne Aufenthaltserlaubnis mussten sich zwischen dem 2. und 11. Dezember bei der Aussiedlungsstelle einer Registrierung zur Zwangsumsiedlung unterziehen. 332 Ab dem 29. November sollte „eine laufende polizeiliche Überprüfung sämtlicher Juden im Stadtgebiet Krakau durchgeführt“ werden. 333 Erhalten gebliebene Listen geben Aufschluss über die Transporte aus Krakau und deren Zielorte. Von 29. November 1940 bis 2. April 1941 verließen insgesamt 80 Transporte die Stadt. Meist lagen die Ziele in den Distrikten Krakau und Lublin; nur jeweils ein Zug ging nach Kielce im Distrikt Radom und nach Warschau ab. 334 Am 25. Februar 1941 bestimmte Wächter, dass alle bisher ausgestellten Ausweise ab dem 27. Februar ihre Geltung verlieren sollten. Zum Aufenthalt berechtigt seien künftig nur Kennkarteninhaber und jene, die bis zum 15. März eine solche ausgehändigt bekamen. 335 Zu dieser Zeit wurden bereits „alle Vorbereitungen zur Bildung des Judenwohnbezirkes im Stadtteil Podgorze getroffen“. 336 Damit galt die „Judenaussiedlungsaktion nach den Anordnungen des Herrn Generalgouverneurs als durchgeführt und gesichert.“ 337 Während die Stadt Krakau damit, abgesehen von den Menschen im Ghetto, als „judenfrei“ galt, ergab sich in anderen Ortschaften, wie in Tarnów, ein ganz anderes Bild: Tausende Vertriebene kamen verstärkt seit Dezember 1939 in die Stadt, auch im Laufe des Jahres 1940 schien sich noch kein Ende des Zustroms abzuzeichnen. Bereits im Dezember 1939 waren in 331

Ebd., Bl. 222 f.; dto. Stadthauptmann Krakau an Chef Distrikt Krakau v. 23. 11. 1940, AŻIH, 228/54, Bl. 21. 332 Dto. Vorstand der jüdischen Gemeinde an Chef Distrikt Krakau v. 5. 12. 1940, ebd., Bl. 32; Verwaltungsbericht Pavlu „Stadt Krakau 26. Oktober 1939–1941“ v. 6. 10. 1941, AIPN, GK 196/286, Bl. 20. 333 Einsatzbefehl Nr. 10 des KdS im Distrikt Krakau betr. Aktion gegen einheimische Juden im Stadtgebiet Krakau, die sich nicht ausweisen können v. 27. 11. 1940, ebd., GK 196/340, Bl. 232. 334 Transportlisten „Judenaussiedlung aus Krakau“, AŻIH, 228/73 und 228/74. 335 Anordnung Chef des Distrikts Krakau zur Aussiedlung von Juden aus dem Stadtgebiet Krakau v. 25. 2. 1941, in: Jüdisches Historisches Institut Warschau, Faschismus, S. 122. 336 Lagebericht Chef des Distrikts Krakau für Februar 1941, BAL, B 162/2254, Bl. 2574. 337 Ebd.

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Tarnów im Rahmen des 1. Nahplans aus den Ortschaften Konin sowie Gostyn zwei Transporte abgeschobener Polen und Juden aus den eingegliederten Gebieten eingetroffen. Exakte Zahlen der eingetroffenen Umsiedler sind nicht rekonstruierbar, es dürften jedoch mehr als 2.000 Personen gewesen sein. 338 Darüber hinaus kam im Zuge des „Zwischenplans“ im Februar/ März 1940 ein Umsiedlerzug aus Leslau mit 1.023 Personen an. Hiervon waren 345 Personen jüdischen Glaubens. 339 Einen enormen Zulauf von Flüchtlingen verzeichnete Tarnów schließlich im Rahmen der Umsiedlungsaktion aus Krakau: Bereits im Zuge der „freiwilligen Umsiedlung“ der jüdischen Bevölkerung aus der Stadt kamen mehrere tausend Juden nach Tarnów. Bis August 1940 handelte es sich bereits um rund 4.000 Menschen. 340 Im September waren es bereits rund 6.000, die in der Stadt Zuflucht suchten. 341 Aber auch im Rahmen der Umsiedlertransporte, die Krakau ab Ende November verließen, gingen mehr als zehn Transporte nach Tarnów ab. Der erste, neun Personen umfassende Transport erreichte die Stadt am 21. Dezember. 342 Am 3. März 1941 trafen 237 Männer, Frauen und Kinder aus Krakau ein. 343 Bereits einen Tag später waren es 174 Krakauer Juden, darunter befanden sich 77 Männer, 78 Frauen und 19 Kinder.344 Auch in der Folgezeit kamen weitere Transporte aus Krakau an. Der letzte verzeichnete Transport nach Tarnów vom 31. März umfasste 14 Personen. 345 Insgesamt wurden damit zwischen November 1940 und Ende März 1941 mehr als 650 Krakauer Juden zwangsweise nach Tarnów umgesiedelt. 346 Die Ankunft tausender Flüchtlinge stellte die Zivilverwaltung vor große Probleme; der Mangel an Wohnraum gestaltete sich besonders schwierig 347, wie dies auch der Kreishauptmann in einem Lagebericht für den 338

Schreiben G.Z. 10 b an Gouverneur für den Distrikt Krakau v. 29. 12. 1939, USHMM, RG-15.174M, reel 4, Bl. 82–84. 339 Dto. an Gouverneur des Distrikts Krakau betr. Umsiedlung von Polen und Juden aus dem Warthegau, hier: Durchführung des 1. Nahplanes v. 12. 4. 1940, ebd., Bl. 92 f. 340 Dto. G.Z. 10 b an Gouverneur für den Distrikt Krakau v. 29. 12. 1939, ebd., Bl. 82–84. 341 Schreiben Judenrat Tarnow an Stadtkommissariat Tarnow v. 19. 9. 1940, ebd., 211/1018, Bl. 32. 342 Transportliste, Transport Nr. 6, Abgang: 21. 12. 1939, ebd., 228/73, Bl. 91. 343 Dto., Nr. 22, 3. 3. 1941, ebd., Bl. 107–118. 344 Dto., Nr. 24, 4. 3. 1941, ebd., Bl. 125–133. 345 Dto., Nr. 78, 31. 3. 1941, ebd., Bl. 193. 346 Transportlisten, ebd., 228/73 und 228/74. 347 1940 gab es in Tarnów 3.602 Häuser mit insgesamt 27.595 Wohnungen. Vgl.

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Monat August 1940 betonte: „Die Tatsache jedoch, daß mehrere tausend Juden aus Krakau in das Kreisgebiet zugezogen sind, hat zu einer ganz erheblichen Verknappung des Wohnraumes und zur Überfüllung von Wohnungen geführt. […] Dieser Umstand hat selbstverständlicherweise auf die Stimmung gedrückt.“ 348 Im Folgemonat äußerte sich der Kreishauptmann in ähnlicher Weise: „Die Evakuierung von Krakauer-Juden führte in den Städten der Kreishauptmannschaft Tarnów zu einer außerordentlichen Anspannung der Wohnungslage. Dies gilt insbesondere für Tarnów, wo etwa 5000 Juden zuzogen.“ 349 Selbstverständlich sorgte nicht nur der Zuzug der Krakauer Juden für Missmut unter den deutschen Besatzern: „Besonders Sorge macht den Kreishauptleuten die Unterbringung der evakuierten Polen und Juden aus den Ostgebieten“ 350, betonte die Innere Verwaltung im Dezember 1940. Aber auch die aus den eingegliederten Gebieten abgeschobenen Menschen vergrößerten die Wohnungsnot. Obgleich die in Tarnów ankommenden Umsiedler zum Teil anderen Ortschaften innerhalb des Kreises zugeteilt wurden, war immer noch zu wenig Wohnraum vorhanden, sodass die zivile Verwaltung Überlegungen anstellte, Baracken zu errichten, um zumindest einige Unterkünfte zur Verfügung stellen zu können. 351 Gerade die schwierige Situation der Menschen in Tarnów, die sich angesichts der Umsiedlungsmaßnahmen enorm verschlimmerte, macht deutlich, welche verheerenden Auswirkungen die Direktiven der Krakauer Behörde und der Zentrale in Berlin für die Menschen in der Peripherie haben konnten. 2.3.2 Jüdische Institutionen Für die von den Deutschen geplante Entrechtung, Isolierung und Ausbeutung der jüdischen Bevölkerung benötigte die Besatzungsverwaltung eine Institution, die als Bindeglied zur Bevölkerung fungieren und darüber hinaus für die Umsetzung der antijüdischen Bestimmungen sorgen

Zusammenstellung der Häuser- und Wohnungszahl bis 31. 12. 1940, MO-T, MT-AH/ DH/1145/1–9. 348 Lagebericht Kreishauptmann Tarnow für August 1940, BAB, R 52 III/23, Bl. 7. 349 Dto. für September 1940, AIPN, GK 196/275, Bl. 94. 350 Auszug aus den Lageberichten der Kreis- und Stadthauptleute für Oktober 1940, BAB, R 52 III/24, Bl. 12. 351 Lagebericht Kreishauptmannschaft Tarnow für September 1940, AIPN, GK 196/275, Bl. 94; Schreiben Kreishauptmannschaft Tarnow Polizei-Abt. an Kreisausschuss Tarnow betr. Umsiedlerzug am 23. 5. 1940 v. 21. 5. 1940, ANK-T, 33/12/11, Bl. 577.

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konnte. 352 Am 21. September 1939 wies Reinhard Heydrich in seinem Schnellbrief die Chefs der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD zur Schaffung von Judenräten an. 353 Demnach sollten sich die Judenräte aus bis zu 24 männlichen „maßgebenden Persönlichkeiten und Rabbinern“ zusammensetzen. 354 Heydrich bestimmte ferner: „Er [der Judenrat] ist im Sinne des Wortes vollverantwortlich zu machen für die exakte und termingemäße Durchführung aller ergangenen oder noch ergehenden Weisungen.“ 355 Für das Generalgouvernement erließ Hans Frank am 28. November eine Verordnung, die die Schaffung von Judenräten festlegte. 356 In manchen Ortschaften wurden diese jedoch bereits vor dem Erlass Franks eingerichtet. So wies in Krakau der Chef des Judenreferats von Sicherheitspolizei und SD, SS-Oberscharführer Paul Siebert, Marek Biberstein bereits am 8. September an, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde zu werden. 357 Die Hauptaufgabe der Judenräte bestand in der Entgegennahme deutscher Befehle und deren korrekter Ausführung. 358 Daneben organisierten sie jedoch auch das gesamte jüdische Leben der Gemeinden. 359 Letzteres stand allerdings jenseits des von deutscher Seite vorgeschriebenen Aufgabenspektrums und wurde zusätzlich zu den vorgesehenen Tätigkeiten umgesetzt. 360 Innerhalb der historischen Forschung wurde nicht selten Kritik gegenüber den Mitgliedern der Judenräte geübt. So wies Raul Hilberg in seiner Gesamtdarstellung über die Vernichtung der europäischen Juden darauf hin, dass die Judenräte zu Kollaborateuren wurden. 361 In einer später erschienenen Monographie revidierte er seine Einschätzung teilweise: „Die Judenräte saßen selber in der Falle, auch sie waren Opfer. […] Sie sahen ihren Dienst als eine Pflicht an und waren völlig davon überzeugt,

352

Trunk, Judenrat, S. 43 f. Schnellbrief Heydrichs an Chefs aller Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei v. 21. 9. 1939, in: Jüdisches Historisches Institut Warschau, Faschismus, S. 37–41. 354 Ebd., S. 38. 355 Ebd. 356 Verordnung Generalgouverneur Hans Frank über die Einsetzung von Judenräten v. 28. 9. 1939, in: Berenstein/Eisenbach/Rutkowski, Eksterminacja, S. 73 f. Zur Institution der Judenräte vgl. v. a.: Trunk, Judenrat. 357 Bieberstein, Zagłada, S. 17; Zimmerer, Zamordowany świat, S. 14 f. 358 Verordnung Generalgouverneur Hans Frank über die Einsetzung von Judenräten v. 28. 9. 1939, in: Berenstein/Eisenbach/Rutkowski, Eksterminacja, S. 73 f. 359 Löw, Juden in Krakau, S. 121. 360 Trunk, Judenrat, S. 44. 361 Hilberg, Vernichtung, S. 1100–1115. 353

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daß sie die ganze Last der Sorge für die jüdische Bevölkerung trugen.“ 362 Ganz anderer Meinung war jedoch Hannah Arendt. In ihrer Studie „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen“ argumentierte sie, dass ohne eine aktive Mitwirkung der Judenräte die Umsetzung des Holocaust nicht realisierbar gewesen wäre: „Diese Rolle der jüdischen Führer bei der Zerstörung ihres eigenen Volkes ist für Juden zweifellos das dunkelste Kapitel in der ganzen dunklen Geschichte.“ 363 Im Gegensatz zu Arendt betrachtete Isaiah Trunk die Judenräte und deren Aufgabenspektrum differenzierter. In seiner grundlegenden Abhandlung über die Judenräte im deutsch besetzten Osteuropa gelang es ihm, unterschiedliche Strategien dieser Institution gegenüber den deutschen Besatzungsbehörden herauszuarbeiten. 364 Inzwischen sind einige Studien publiziert worden, die sich mit diversen Ghettos und den dort agierenden Judenräten befassen. Anhand dieser Lokalstudien wird ein breites Panorama unterschiedlicher Verhaltensweisen der Judenräte offenbar, die durch viele gemeinsame, aber auch gegensätzliche Muster charakterisiert waren. In Tarnów wurde die Schaffung eines 24 Mitglieder umfassenden Judenrats im November 1939 angeordnet 365, wobei die Deutschen auf Personal aus der Vorkriegszeit zurückgriffen: Der erste Vorsitzende des Judenrats war der frühere Obmann der jüdischen Gemeinde, Rechtsanwalt Dr. Józef Offner. Dieser legte sein Amt jedoch nach kurzer Zeit nieder. Er war nicht bereit, mit den deutschen Besatzern zu kooperieren. Auch sein Nachfolger, Dawid Lenkowicz, amtierte lediglich für kurze Dauer. Er floh mit einem weiteren Mitglied des Judenrats, Ruwen Waksman, nach Lemberg, vermutlich einen Tag nachdem die Synagogen der Stadt in Brand gesetzt worden waren. 366 1940 wurde ein neuer Judenrat ernannt, der von Dr. Szlomo Goldberg und Dr. Wolf Schenkel geleitet wurde. Wie dargestellt, waren es diese beiden, die von den Deutschen verhaftet und im Zuge des ersten Transports nach Auschwitz deportiert wurden. 367 Schließlich wurde Artur Volkmann zum Judenratsvorsitzenden bestimmt, sein Stellvertreter war Julius Lehrhaupt. Diese beiden sowie weitere Mitglieder des Juden-

362

Ders., Täter, S. 135. Arendt, Eichmann, S. 153. 364 Trunk, Judenrat, S. 388–450. 365 Aussage Hirsch L. B. v. 10. 11. 1971, LNW, 8574, Bl. 29; dto. Osias F. v. 19. 12. 1966, ebd., 8622, Bl. 5547. 366 Chomet, Zagłada, S. 17; Trunk, Judenrat, S. 318. 367 Aussage Josef D. v. 1. 12. 1967, BAL, B 162/2166, Bl. 4432; Chomet, Zagłada, S. 26. 363

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rats sollten ihre Ämter hingegen für eine lange Zeit bekleiden. 368 Der Judenrat in Tarnów arbeitete in der Altstadt in einem Eckgebäude zwischen den Straßen Folwarczna und Nowa. Das Haus war mehrstöckig und umschloss einen rechteckigen Innenhof, der von der Folwarcznastraße aus begehbar war.369 Gegliedert war der Judenrat in unterschiedliche Abteilungen. So gab es ein Generalsekretariat, eine Personal- sowie Finanzabteilung, ein Verwaltungsreferat, ein Referat für Soziales sowie unter anderem auch eine Abteilung für Rechtsberatung. 370 Das Agieren der Judenräte ist historisch generell nur schwer zu beurteilen. Im Gegensatz zu vielen anderen Ghettos sind für Tarnów jedoch kaum schriftliche Dokumente überliefert. Lediglich in den Akten der Jüdischen Sozialen Selbsthilfe finden sich für die ersten Monate unter deutscher Besatzung einige Schriftwechsel des Judenrats. Die meisten, wenngleich bruchstückhaften Informationen, lassen sich in Aufzeichnungen Überlebender finden, die die Angehörigen des Tarnówer Judenrats im Allgemeinen ambivalent beurteilten. Speziell in Bezug auf konkrete Maßnahmen werden in den Quellen einige Verhaltens- und Handlungsmuster offenbar, die von Überlebenden negativ beurteilt wurden. Dies betrifft allerdings erst die vierte Generation des Judenrats. Dies mag angesichts der Tatsache, dass sowohl der erste als auch der zweite Judenratsvorsitzende sich weigerten, den Deutschen bei der Organisation und Realisierung der antijüdischen Maßnahmen zur Hand zur gehen, nicht verblüffen. Auch gegenüber den führenden Mitgliedern der dritten Generation, die von der örtlichen Sicherheitspolizei nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden, wird keinerlei Kritik geäußert. Es finden sich lediglich Beschreibungen, die die Verhaftung der Judenratsangehörigen schildern, wie die Folgende: „Sturmführer Baach hat im Mai 1940 den ganzen Judenrat in Tarnow aufgelöst. […] Er hat den ganzen Judenrat nach Auschwitz überstellt. Wenige Tage später kam von der Gestapo Tarnow aus die Mitteilung an die Angehörigen, daß die Asche gegen eine Geldsumme abgeholt werden könnte.“ 371 Ob tatsächlich der gesamte Judenrat nach Auschwitz de368 Aussage Hirsch L. B. v. 10. 11. 1971, LNW, 8574, Bl. 29; dto. Rachela N. v. 23. 11. 1971, ebd., Bl. 58; Bericht Józef Kornilo, AŻIH, 301/4600. 369 Urteil LG Bochum v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 343. Im November 1941 wurden neue Büroräume des Judenrats in der Powrożniczastraße 4 eingerichtet, wo sich fortan die Gesundheitsabteilung und das Rechtsreferat des Judenrats befanden. Zudem wurde das Ernährungsreferat in die Lembergerstraße 7 verlegt. Vgl. GŻ, Nr. 112, 16. 11. 1940; GŻ, Nr. 116, 26. 11. 1940. 370 GŻ, Nr. 22, 2. 9. 1940; GŻ, Nr. 9, 21. 8. 1940. 371 Aussage Ignacy P. v. 22. 11. 1966, LNW, 8622, Bl. 5482.

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portiert wurde, ist zu bezweifeln. Allerdings gilt es als gesichert, dass sowohl der Judenratsvorsitzende sowie dessen Vertreter ihrer Stellung enthoben und ermordet wurden. Über den konkreten Anlass, der zur Neubildung des Judenrats führte, kann nur gemutmaßt werden. Wie aus Nachkriegsaufzeichnungen offenbar wird, setzten sich Goldberg und Schenkel sehr für die jüdische Gemeinde ein. 372 Möglicherweise waren sie nicht bereit, mit den Deutschen umfassend zu kooperieren und wurden aus diesem Grunde getötet. Erst mit der anschließenden vierten Generation unter dem Judenratsvorsitzenden Artur Volkmann und seinem Stellvertreter Julius Lehrhaupt kam es zu einer personellen Kontinuität, die sich bis zur Liquidierung des Lagers erstrecken sollte. Volkmann wurde vermutlich im Herbst 1943 nach Szebnie überführt, sein Stellvertreter Lehrhaupt kam nach Angaben eines Überlebenden um. 373 Ob diese Beständigkeit innerhalb des Judenrats mit einer höheren Kooperationsbereitschaft gegenüber den Deutschen einherging, kann anhand der Quellen nicht belegt werden. Der letzte amtierende Judenrat versuchte allerdings mehrfach, die Deutschen milde zu stimmen, indem ihnen Geschenke gemacht wurden. Osias F., der dem Judenrat angehörte, verwaltete gemeinsam mit einem weiteren Mitglied Geld, das an die Angehörigen der Sicherheitspolizei weitergegeben wurde, wie er berichtete: „Ich führte die sogenannte inoffizielle Kasse, und zwar gemeinsam mit Herrn Stub. Die Kasse beruhte auf Sammlungen. Wir mussten den persönlichen Bedarf der Gestapoherren, die über uns Macht hatten, befriedigen, um sie bei Laune zu halten.“ 374 Durch die Bestechungsgelder, so ein Überlebender, versuchten die Judenratsmitglieder, den Verfolgungsprozess zu verlangsamen: „Und sie versorgten die deutschen Handlanger mit einem stetigen Fluss von Alkohol, Schmuck, Möbeln und anderen Luxusartikeln – erfolglos.“ 375 Allerdings bezahlten die Judenratsmitglieder nicht nur hohe Summen an die Deutschen, sie erhielten selbst auch Gelder von Einzelpersonen ihrer Gemeinde und ließen sich somit bestechen. So konnten sich wohlhabende Juden in der frühen Besatzungsperiode vom Arbeitsdienst freikaufen. In der Zeit, als die systematischen Mordaktionen realisiert wurden und ein Stempel in der Arbeitskarte zumindest temporären Aufschub vor

372 373 374 375

Chomet, Zagłada, S. 26. Aussage Osias F. v. 19. 12. 1966, BAL, B 162/2161, Bl. 3274. Ebd., Bl. 3273. Kornbluth, Sentenced, S. 68.

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dem sicheren Tod bedeutete, bezahlten die Menschen wiederum hohe Summen, um eine Arbeitsstelle zugewiesen zu bekommen. 376 Über die einzelnen Judenratsmitglieder ist ebenfalls nur wenig bekannt. In den Memoiren Heinrich Schönkers findet sich zumindest ein Hinweis auf den stellvertretenden Judenratsvorsitzenden Lehrhaupt. Dieser nahm Familie Schönker, die Ende August 1942 nach Tarnów kam, zunächst bei sich auf und half ihnen schließlich, eine Unterkunft im Ghetto zu finden. 377 Auch der Überlebende William Kornbluth berichtete, dass Lehrhaupt vor dem Krieg ein anständiger Mann gewesen sei, allerdings habe er unter NSBesatzung vollkommen mit der Sicherheitspolizei kooperiert. 378 Äußerst negativ fällt allerdings seine Beurteilung über Volkmann aus, während er ein anderes Mitglied des Judenrats, den er fälschlicherweise als Judenratsvorsitzenden bezeichnete, positiv hervorhebt: „Es gab einige Ausnahmen. Paul Reiss, ein jüdisch-deutscher Flüchtling, war der amtierende Chef des Judenrates. Am 11. Juni 1942, nach den schrecklichen Ereignissen der ersten „Aktion“, rief ihn Grunov, der Schlimmste der Gestapo in Tarnow, an und befahl ihm, innerhalb einer Stunde eintausend Juden zur Exekution auszuhändigen. ‚Ich kann nur einen Juden aushändigen‘, antwortete Reiss, ‚und er wartet genau hier‘. ‚Fein‘, antwortete Grunov, ‚warte genau an deinem Schreibtisch. Ich werde drüben sein‘. Er tauchte in weniger als 30 Minuten auf und Reiss wurde auf der Stelle erschossen. Grunov erschoss auch acht andere Mitglieder des Judenrates […] Ein Mann namens Volkman [sic] wurde amtierender Direktor und bekam dieselbe Anordnung. Die Tausend Juden wurden pünktlich ausgehändigt“. 379 Auch die Überlebende Regina K. äußerte sich negativ über Artur Volkmann. Sie gab zu Protokoll, dass dieser „den Tarnower Juden viel Böses angetan“ 380 habe. Noch mehr als die Mitglieder des Judenrats wurden die Angehörigen des jüdischen Ordnungsdiensts von der jüdischen Bevölkerung kritisiert. In Tarnów erfolgte die Gründung der jüdischen Polizei im Vergleich zu anderen Städten im Distrikt Krakau verhältnismäßig spät. Erst im Oktober 1941 wurde die Aufstellung, die auf eine Anordnung von Stadtkommissar Hein zurückging, angeordnet. 381 Durch Etablierung des Ordnungsdiensts sollten die Juden selbst am Vollzug der deutschen Maßnahmen 376

Graber/Bialecki, Voice, S. 36 f. Schönker, Ich war acht, S. 114–120. 378 Kornbluth, Sentenced, S. 68. 379 Ebd., S. 85 [Übersetzung aus dem Englischen]. 380 Aussage Regina K., BAL, B 162/2149, Bl. 254 f. 381 Anordnung Stadtkommissar Tarnow v. 16. 10. 1941, USHMM, RG-15.020M, reel 11, Bl. 431. 377

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gegenüber der jüdischen Bevölkerung beteiligt werden. Darüber hinaus ging es den Deutschen nicht zuletzt darum, eigenes Personal einzusparen. Der Ordnungsdienst bestand aus rund 300 jüdischen Männern. Gekleidet waren seine Angehörigen einheitlich. Sie verfügten über Schlagstöcke und waren vermutlich auch mit speziellen Mützen ausgestattet. Die Dienststelle der Miliz befand sich im Gebäude eines Busdepots am Magdeburger Platz. Dort gab es auch provisorische Arrestzellen. Leiter der jüdischen Polizei war zunächst Miller, dann Wasserman und anschließend Diestler. Gerade letzterer, ein deutscher Jude, war für seine Grausamkeiten von der Bevölkerung sehr gefürchtet. 382 Obgleich für Tarnów keine genaue Aufgabenbeschreibung der jüdischen Polizei überliefert ist, dürften sich deren Funktionen mit jenen anderer Städte gedeckt haben. Bis zum Anlaufen der Deportationen waren dies allgemeine Aufgaben, wie sie für Warschau folgendermaßen zusammengefasst galten: 1. Regelung des Straßenverkehrs sowie Verhindern von Menschenansammlungen in den Straßen; 2. Sauberhaltung von Straßen, Hinterhöfen und Treppen; 3. Bekämpfung der Kriminalität; 4. Aufrechterhaltung der Ordnung in Gebäuden, Büros und Institutionen des Judenrats. 383 Nach Etablierung des Ghettos kamen weitere Tätigkeitsbereiche hinzu. Die Mitglieder des Ordnungsdiensts mussten nun außerdem die Ghettomauern und -tore bewachen. Darüber hinaus oblag es den jüdischen Polizisten, all diejenigen Personen zu sanktionieren, die sich nicht an die Befehle des Judenrats hielten, beispielsweise in Bezug auf Steuer- und Geldzahlungen für verhängte Kontributionen. Zudem mussten sie die Realisierung der Zwangsarbeit der Juden unterstützen. 384 In den Erinnerungen der Überlebenden finden sich insgesamt nur wenige positive Beurteilungen über die Angehörigen des Ordnungsdiensts. William Kornbluth äußerte sich über jüdische Polizisten, die den Menschen vor der Mordkampagne im September 1942 Hinweise auf die bevorstehende Aktion gaben, um einigen die Chance zur Flucht zu geben. 385 Viel häufiger jedoch wurden die Mitglieder des Ordnungsdiensts mit großem Zwiespalt betrachtet und nicht selten einer umfassenden Kollaboration mit den deutschen Besatzern beschuldigt. Kornbluth berichtete detail382

Bericht Józef Kornilo, AŻIH, 301/4600; Urteil LG Bochum v. 30. 4. 1964, in: JNSV, Bd. 20, Lfd. Nr. 571, S. 116; Leseabschrift d. Stellungnahme v. Karl Oppermann v. 25. 11. 1967, BAL, B 162/2167, Bl. 4579; Chomet, Zagłada, S. 14. 383 Trunk, Judenrat, S. 478. Diese Aufstellung bezieht sich auf die Aufgabengebiete des jüdischen Ordnungsdiensts in Warschau. 384 Ebd. 385 Kornbluth, Sentenced, S. 90.

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liert über den Ordnungsdienstmann Avram T., der weit über seine eigentlichen Pflichten als Polizist hinausging. Während einer in Tarnów stattfindenden Mordkampagne erhielt er von den Deutschen eine mehrere hundert Namen umfassende Liste. Die genannten Personen sollten zu einer bestimmten Zeit „ausgeliefert“ werden. Da den Menschen zu dieser Zeit bereits bekannt war, was die Deutschen vorhatten, konnte der jüdische Polizist einige der auf der Liste genannten Personen nicht auffinden, da sich diese versteckt hatten. „Seine Zeit war fast vorbei; eine unvollständige Lieferung würde zu seiner Exekution führen“, schilderte Kornbluth und fuhr fort: „T[…] wusste von einem großen Bunker mit versteckten Juden in seinem Haus. Er wusste davon, weil seine Mutter sich dort versteckte. Dennoch ging er dorthin und schrie in den Bunker: ‚Jeder raus!‘ Es gab keinen Zweifel – er wollte seine eigene Haut retten. ‚Avrumele‘, rief seine Mutter auf seinen Befehl hin: ‚Hast du vergessen, dass deine Mutter hier ist?‘ ‚Nein, habe ich nicht‘, war die Antwort ihres Sohnes. ‚Alle! Kommt sofort raus! Ich werde nicht meinen Kopf für deinen hinhalten, Mutter. Du hast lange genug gelebt.‘“ 386 Dieses Beispiel mag einen Ausnahmefall darstellen, dennoch verdeutlicht es, dass sich die Angehörigen der jüdischen Institutionen in Tarnów generell in einem Dilemma befanden. So waren die Mitglieder der Judenräte einerseits für die korrekte Ausführung der nationalsozialistischen Maßnahmen innerhalb der jüdischen Gemeinde verantwortlich. Auf der anderen Seite waren sie jedoch vielfach die einzige Behörde, mittels derer die Gemeindemitglieder Appelle oder Bittgesuche an die deutschen Besatzer richten konnte. 387 Der Judenrat musste aufgrund seiner Stellung innerhalb des Herrschaftsgefüges als „Transmissionsriemen“ mit den Deutschen kooperieren und dafür Sorge tragen, dass unliebsame Verordnungen innerhalb der jüdischen Gemeinde durchgesetzt wurden. Auch in der Wahrnehmung der jüdischen Überlebenden wird stellenweise eine gewisse Dissonanz offenbar, wenn es um die Bewertung des Judenrats ging: „In vielen Fällen war der Judenrat die einzige Stelle, an die sich Juden wenden konnten, um die Freilassung einer geliebten Person aus einem Arbeitslager oder Gefängnis zu erzielen. Aber unter dem Druck der Gestapo änderte sich die Funktion des Rates, als die Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung härter wurden. Der Rat musste nun viele neue Befehle und Forderungen der Gestapo, der Nazi-Zivilverwaltung und oft der deutschen Armee umsetzen. […] Die Mitglieder des Rates wurden zur 386 387

Ebd., S. 86. Hilberg, Täter, S. 123.

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neuen ‚Elite‘ der jüdischen Gemeinde und wurden von den übrigen Juden in Tarnow mit gemischten Gefühlen betrachtet. Durch die Gewährung bestimmter trügerischer Privilegien arbeiteten sie in der Illusion, dass sie von den harten antijüdischen Maßnahmen ausgenommen seien. Und, als die antijüdischen Aktionen und Verhaftungen fortgesetzt wurden, begannen die Juden den Rat in Tarnow als machtlose Institution anzusehen.“ 388 William Kornbluth äußerte sich zusammenfassend über die Mitglieder der jüdischen Institutionen folgendermaßen: „Es muss ehrlich gesagt werden, dass diejenigen, die versuchten, aus dem O.D. [sic] oder Judenrat herauszukommen, die Ausnahme waren. Die meisten waren feige Individuen, die bereit waren, jeden Befehl der SS zu erfüllen, in der leisen Hoffnung, ihre Familie und sich selbst zu retten.“ 389 Andererseits waren sich allerdings auch große Teile der jüdischen Bevölkerung bewusst, dass sich die Angehörigen der jüdischen Institutionen in der Stadt in einer fast ausweglosen Situation befanden: „Fairerweise muss gesagt werden, dass sich der Judenrat und der O.D. in einem Dilemma befanden. Diese beiden Gremien wurden von der SS und der GestapoVerwaltung geschaffen, und einige Leute nahmen diese Arbeitsplätze mit altruistischen Absichten an – sie dachten, dass sie ihren jüdischen Glaubensgenossen helfen könnten. Keinem, was auch immer ihre Motive waren, war auch annährend bewusst, was diese Arbeitsplätze mit sich bringen würden. Als einige von ihnen die schreckliche Wahrheit ihrer Situation realisierten, versuchten sie, zurückzutreten.“ 390 Einigkeit herrschte jedoch darüber, dass in der Tat einige Mitarbeiter der jüdischen Institutionen versuchten, ihre neuerworbene Stellung auszunutzen. Dieser Machtmissbrauch war nicht zuletzt mit der Hoffnung verbunden, von den Deutschen eine bessere Behandlung als die einfachen Gemeindemitglieder zu erfahren. Im Gegensatz zum Judenrat und zum jüdischen Ordnungsdienst ging die Gründung einer weiteren in Tarnów agierenden jüdischen Institution auf jüdische Eigeninitiative zurück: Die Jüdische Soziale Selbsthilfe (JSS) war eine soziale Einrichtung, deren primäre Aufgabe es war, die jüdischen Bedürftigen im Generalgouvernement zu unterstützen. Nach Kriegsbeginn schlossen sich die jüdischen Hilfsorganisationen zu einer Koordinierungskommission zusammen, die am 1. September 1939 dem „Hauptstädtischen Komitee der Sozialen Selbsthilfe“ (Stołeczny Komitet Samopomocy 388 389 390

Goetz, Face, S. 16 f. [Übersetzung aus dem Englischen]. Kornbluth, Sentenced, S. 86 [Übersetzung aus dem Englischen]. Ebd., S. 85 f. [Übersetzung aus dem Englischen].

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Społecznej) angegliedert wurde. 391 Die Koordinierungskommission wurde dann im Mai 1940 in „Jüdische Soziale Selbsthilfe“ umbenannt und von deutscher Seite offiziell anerkannt. 392 Die Satzung der JSS wurde am 29. Mai verabschiedet und der aus sieben Mitgliedern bestehende Vorstand genehmigt. 393 Fortan war die JSS gemeinsam mit dem Polnischen und dem Ukrainischen Hilfsausschuss unter dem „Haupthilfsausschuss für die besetzten polnischen Gebiete“ zusammengefasst. 394 Die JSS hatte sich künftig um sämtliche Belange der jüdischen Wohlfahrt und Fürsorge zu kümmern. In ihrer Satzung wurden sieben Hauptaufgaben beschrieben: „1. Die gesamte jüdische offene und geschlossene Fürsorge zu betreiben; 2. alle Organisationen der freien Wohlfahrt im Generalgouvernement zu einheitlich ausgerichteter Arbeit zusammenzufassen; 3. allgemeine Wohlfahrtspflege zu treiben; 4. alle Massnahmen zu treffen, um die zur Erreichung des Satzungszweckes benötigten Mittel zu beschaffen; 5. Sach- und Geldspenden an die unterstützungsbedürftige Bevölkerung zu verteilen; 6. Wohlfahrtsanstalten und -einrichtungen zu errichten, zu unterhalten oder zu unterstützen; 7. Die Zusammenarbeit mit ausländischen Wohlfahrtsorganisationen durch Vermittlung des Beauftragten des Deutschen Roten Kreuzes beim Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete zu pflegen.“ 395 Nach der Gründung der JSS wurde umgehend mit deren Ausbau im gesamten Generalgouvernement begonnen. Während in den Distrikthauptstädten Krakau, Warschau, Radom und Lublin sowie später auch in Lemberg jeweils ein Berater für den gesamten Distrikt bestimmt wurde, schuf man in den Kreisstädten Kreishilfskomitees und in den kreisfreien Städten städtische Hilfskomitees. In den einzelnen Ortschaften wiederum wurden JSS-Delegaturen aufgebaut. Während die Hilfskomitees aus jeweils fünf Personen bestanden, umfassten die Delegaturen je drei Mitglieder. Bezüglich der Auswahl der Mitglieder der regionalen JSS-Vertretungen existierten Vorgaben. Das Präsidium der JSS wollte sich darum bemühen, sowohl die führenden politischen Richtungen, als auch die seit der Vorkriegszeit bestehenden Wohlfahrtsvereine zu berücksichtigen. Be391

Löw/Roth, Juden in Krakau, S. 91 f. „Kurzer Bericht über die Tätigkeit der JSS, später JUS, 1939–1944“, Institute of Jewish Research (YIVO), RG 532, Box 2, Bl. 3. 393 Ebd. Der Vorstand setzte sich aus folgenden Personen zusammen: Józef Jaszuński, Michał Weichert, Gustaw Wielikowski, Benjamin Zabłudowski, Marek Biberstein, Chaim Hilfstein und Eliasz Tisch. 394 Ebd. 395 Satzung der JSS, AŻIH, 211/1, Bl. 23. 392

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rufen werden sollten nur bewährte und im öffentlichen Leben bereits vor dem Krieg bekannte Männer. 396 Insgesamt entstanden über 350 JSS-Außenstellen, nach dem Anschluss des Distrikts Galizien an das Generalgouvernement waren es 412. 397 Auf Grund des umfangreichen Aufbaus und der Tätigkeit der JSS wurden seit deren Etablierung alle anderen jüdischen gemeinnützigen Organisationen im Generalgouvernement aufgelöst und der JSS untergeordnet. 398 Ihre Einnahmen schöpfte die JSS aus unterschiedlichen Quellen. Zunächst wurden ihr, da staatlich anerkannt, unter anderem von der Abteilung Bevölkerungswesen und Fürsorge Zuschüsse bewilligt. Die regionalen JSSVertretungen mussten jedoch auch selbst dafür sorgen, Gelder zu mobilisieren. Ab April 1941 wurden die jüdischen Gemeinden an der Einwohnerabgabe beteiligt. 399 Im Oktober 1942 erhielt die JSS eine neue Bezeichnung. Fortan nannte sie sich Jüdische Unterstützungsstelle für das Generalgouvernement. Kurze Zeit später, im Dezember, musste diese ihre Arbeit auf „behördliche Anweisung“ einstellen. Im April 1943 nahm sie ihre Fürsorgetätigkeit jedoch erneut auf und zwar mit Genehmigung des HSSPF Krüger und unter Aufsicht der Abteilung Bevölkerungswesen und Fürsorge der Regierung des Generalgouvernements. 400 Während viele JSS-Vertretungen ihre Arbeit bereits im Herbst 1940 begannen, wurde das JSS-Hilfskomitee für den Kreis Tarnów erst zu Beginn des Folgejahres geschaffen. 401 Bis zu diesem Zeitpunkt war es allein der Judenrat, der sich um die Belange der Gemeinde kümmerte. Zuvor in einem anderen Gebäude untergebracht, befand sich das Büro des JSSHilfskomitees seit September 1941 in der Folwarcznastraße 8 und damit im selben Gebäude wie der Judenrat. Dort wurden drei Zimmer speziell für die JSS eingerichtet. 402 Das Hilfskomitee in Tarnów hatte die Aufgabe, erhaltene Gelder gemäß der jeweiligen Einwohnerzahl auf die einzelnen 396 „Kurzer Bericht über die Tätigkeit der JSS, später JUS, 1939–1944“, YIVO, RG 532, Box 2, Bl. 4. 397 Ebd., Bl. 3; Rundschreiben Nr. 4 v. September 1940, AŻIH, 211/4, Bl. 21. 398 Młynarczyk, Judenmord, S. 201. 399 Vgl. ebd.; zu Tarnów vgl. Protokoll der JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow über die Sitzung v. 27. 5. 1941, AŻIH, 211/1019, Bl. 58. 400 Bericht des Wirtschaftsprüfers Bruno Siebert über die bei der jüdischen Unterstützungsstelle für das Generalgouvernement, JUS, vorgenommene generelle Überprüfung des Kassenwesens und der allgemeinen Finanz- und Wirtschaftsführung, USHMM, RG-14.025M, reel 12. 401 GŻ, Nr. 10, 4. 2. 1941. 402 GŻ, Nr. 91, 28. 9. 1941.

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Delegaturen aufzuteilen. 403 Geleitet wurde das örtliche JSS-Hilfskomitee zunächst von Bogumił Speiser. Der 1896 geborene Rechtsanwalt war eine bekannte Persönlichkeit in der Stadt. Anfang April 1941 wurde Speiser von Angehörigen der Sicherheitspolizei verhaftet und während einer Vernehmung derart misshandelt, dass er an seinen Verletzungen verstarb. 404 An Speisers Stelle trat der Judenratsvorsitzende Artur Volkmann. Weitere Mitglieder der örtlichen JSS waren Paul Reiss, Julius Lehrhaupt sowie Szyja Grünewiese. 405 Damit bestand in Tarnów keine personelle Trennung mehr zwischen örtlichem Judenrat und JSS-Hilfskomitee. Dieser Umstand sorgte in einigen Ortschaften des Kreises für Unmut. 406 So beklagte sich beispielweise der Vorsitzende der JSS-Delegatur in Gumniska, Jakub Gans, sowie der örtliche Judenratsvorsitzende, Majer Basler, über das JSS-Hilfskomitee in Tarnów. Dieses würde seit dem Tod Speisers lediglich auf dem Papier existieren. Die Mitglieder der JSS in Tarnów hätten aufgrund ihrer Beschäftigung beim Judenrat keine Zeit für die Arbeiten des JSS-Komitees. 407 In der Tat hatten die jüdischen Institutionen der Stadt umfangreiche Aufgaben zu bewältigen. Aufgrund der fortschreitenden nationalsozialistischen Entrechtungsmaßnahmen gegenüber der jüdischen Bevölkerung wurde die soziale Fürsorge immer wichtiger. Unter Regie des Judenrats wurden diverse Wohlfahrtsinstitutionen geführt, um die Menschen zu unterstützen. So existierten im Oktober 1940 unter anderem eine Wohlfahrtsküche, ein Waisenhaus, ein Altersheim und ein jüdisches Krankenhaus. Auch gewährte der Judenrat finanzielle Unterstützungen und bot Wohnungshilfe an. 408 Die Mittel, die der Judenrat für die Unterhaltung der sozialen Wohlfahrt aufzubringen hatte, waren enorm. Allein im ge-

403 Vgl. Protokoll der JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow v. 30. 9. 1941, AŻIH, 211/1020, Bl. 7 f.; im Kreis wurden unterhalb der Komitee-Ebene Delegaturen in folgenden Ortschaften errichtet: Brzesko, Ciężkowice, Czchów, Dąbrowa, Gromnik, Gumniska, Pleśna, Radłów, Ryglice, Szczucin, Szczurowa, Tuchów, Ujście Jezuickie, Wojnicz, Zaliczyn sowie Żabno. Vgl. Rączy, Zagłada, S. 239. 404 Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 330 f.; Chomet, Socialna działalność pomocy, S. 285. 405 Vgl. Protokoll der JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow v. 27. 5. 1941, AŻIH, 211/1019, Bl. 56; dto. v. 30. 9. 1941, ebd., 211/1020, Bl. 7; dto. v. 26. 1. 1942, ebd., 211/1024, Bl. 3. 406 Chomet, Socialna działalność pomocy, S. 284. 407 Notiz betr. Jüdisches Hilfskomitee in Tarnow v. 20. 11. 1941, AŻIH, 211/2021, Bl. 36. 408 GŻ, Nr. 2, 26. 7. 1940.

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nannten Monat betrugen die Gesamtausgaben inklusive der allgemeinen Aufwendungen für die administrative Verwaltung 60.500 Złoty. 409 In der Folgezeit wuchsen die finanziellen Belastungen stetig an. Dies hing vor allem mit der Tatsache zusammen, dass der auf die soziale Fürsorge angewiesene Personenkreis immer größer wurde. Durch den Ausbau der sozialen Tätigkeit versuchte man, der großen Nachfrage möglichst gerecht zu werden. So wurden bis Dezember 1941 insgesamt vier Großküchen in Tarnów eingerichtet. 410 Ein spezielles Augenmerk lag auch auf der Kinderbetreuung. Neben dem Waisenhaus, das bereits seit 1919 existierte, wurde im März 1941 eine Speisungsstätte für Kinder eingerichtet. 411 Darüber hinaus versorgte das Wohlfahrtsreferat des Judenrats Kinder mit Kleidung.412 Der Judenrat initiierte auch Kleidersammlungen, indem er die jüdische Gemeinde aufforderte, gebrauchte Kleidung sowie Schuhe zu spenden. 413 Bedürftige konnten Anträge auf Zuteilung der gesammelten Kleidungsstücke beim Judenrat einreichen. 414 Allerdings war die Nachfrage zu groß, um diese auch nur annähernd decken zu können. 415 Von Beginn an musste sich der Judenrat neben seinen lokalen Aktivitäten auch um die Belange der Männer kümmern, die im Lager Pustkow auf dem SS-Truppenübungsplatz für die Deutschen Zwangsarbeiten verrichten mussten. Er lieferte nicht nur Kleidung, sondern versorgte die Männer vor Ort auch mit Lebensmitteln. 416 Darüber hinaus wurden der jüdischen Sanitätsstelle des Lagers Medikamente für die medizinische Versorgung der Insassen bereitgestellt. 417 Ein zentrales Thema für die jüdischen Institutionen stellte die Unterstüt409

Ebd. Ebd.; GŻ, Nr. 37, 9. 5. 1941; GŻ, Nr. 40, 20. 5. 1941; Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an JSS-Präsidium v. 11. 12. 1941, ebd., Bl. 21; dto. v. 5. 12. 1941, ebd., Bl. 11; Protokoll über Sitzung JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow v. 31. 12. 1941, ebd., 211/1023, Bl. 4. 411 Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an JSS-Präsidium v. 8. 10. 1941, ebd., 211/1020, Bl. 3. 412 Ebd. 413 GŻ, Nr. 4, 14. 1. 1941. 414 GŻ, Nr. 8, 28. 1. 1941. 415 GŻ, Nr. 14, 18. 2. 1941. 416 Protokoll v. 28. 10. 1940, AŻIH, 211/1018, Bl. 41; Schreiben an Judenrat Tarnow betr. Berichte über Zuweisung v. 26. 11. 1940, ebd., Bl. 52; Notiz v. 20. 11. 1940, ebd., Bl. 53; Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an JSSPräsidium v. 11. 11. 1941, ebd., 211/1021, Bl. 26; dto. an Judenrat Tarnow v. 15. 12. 1940, ebd., 211/1019, Bl. 30; Empfangsbestätigung v. 10. 12. 1940, ebd., Bl. 35. 417 Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an JSS-Präsidium 410

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zung jüdischer Flüchtlinge dar. So gewährte der Judenrat den Neumitgliedern der Gemeinde nicht nur Zuschüsse, sondern bot ihnen auch ärztliche und medizinische Hilfe an. 418 Vor allem der Beistand der aus Krakau stammenden Menschen stellte den Judenrat vor große finanzielle Schwierigkeiten. So musste dieser eine Anfrage des Krakauer JSS-Präsidiums um Hilfestellungen für umgesiedelte Juden aus dem Distrikt Lublin Ende 1940 ablehnen: „Wir haben derzeit schon in Tarnów ein paar Tausend Krakauer Umsiedler, die auf eigene Initiative hierher kamen und von denen der wesentliche Teil über keine Mittel verfügt und unsere Sozialfürsorge belastet. Außerdem erwarten wir im Januar offizielle Transporte Ausgesiedelter aus Krakau, von denen ein paar Tausend in Tarnów ankommen werden.“ 419 Neben dem Judenrat war es das örtliche JSS-Hilfskomitee, das sich ab Frühjahr 1941 mit großem Eifer der Betreuung von Flüchtlingen widmete. Die jüdischen Institutionen kümmerten sich allerdings nicht nur um die Verpflegung, die Wohnraumbeschaffung sowie um die materielle und finanzielle Unterstützung der Menschen, sondern sorgten sich auch um die hygienischen Zustände innerhalb der Stadt. Zu Beginn des Jahres 1941 wurde beim Judenrat eine Gesundheitsabteilung eingerichtet, deren Hauptaufgabe es war, Infektionskrankheiten zu verhindern. 420 Praktisch standen dafür rund 120 Personen als medizinisches Personal zur Verfügung. 421 Die medizinische Kommission des Judenrats überwachte auch den Gesundheitszustand der Kinder und stellte nach Möglichkeit deren Versorgung sicher. 422 Über das regionale Hilfskomitee der JSS wurden Medikamente und Impfstoffe angeschafft. 423 Kostenfreie Schutzimpfungen bot auch das Gesundheitsamt der Stadt an. Die jüdische Gemeinde wurde vom Judenrat aufgefordert, sich freiwillig den Impfungen zu unterziehen, um auf diese Weise die Verbreitung von Infektionskrankheiten möglichst gering zu halten. 424 In Tarnów existierte auch eine Abteilung v. 19. 11. 1941, ebd., 211/1021, Bl. 46; Aufstellung jüdische Sanitätsstelle Pustkow bei Debica, ebd., Bl. 48. 418 GŻ, Nr. 2, 26. 7. 1940. 419 Dto. betr. Hilfe für Ausgesiedelte v. 27. 12. 1940, ebd., 211/1019, Bl. 48 [Übersetzung aus dem Polnischen]. 420 GŻ, Nr. 17, 28. 2. 1941. 421 GŻ, Nr. 22, 18. 3. 1941. 422 Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an JSS-Präsidium v. 8. 10. 1941, AŻIH, 211/1020, Bl. 4. 423 Protokoll JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow über Sitzung v. 27. 5. 1941, ebd., 211/1019, Bl. 59. 424 GŻ, Nr. 43, 30. 5. 1941.

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für epidemische Krankheiten beim jüdischen Krankenhaus, eine Entlausungsanstalt für Personen und Sachgegenstände und eine Badeanstalt. Darüber hinaus gab es spezielle Sanitätskolonnen, die jüdische Wohnungen kontrollierten und wenn nötig Desinfektionen vornahmen. 425 Die Gesundheitsfürsorge sowie die anderen umfangreichen sozialen Maßnahmen belasteten das Budget der jüdischen Wohlfahrt immer stärker. Aufgrund der sinkenden Einnahmen wirkte sich dies auf deren finanzielle Situation umso fataler aus. 426 Zwar erhielt die Gemeinde in Tarnów auch Unterstützung aus dem Ausland, so beispielsweise durch das American Joint Distribution Committee 427, allerdings war auch dies nicht ausreichend, um den Bedarf, beispielweise an Lebensmitteln, auch nur annähernd zu decken. Trotz der Tatsache, dass die jüdischen Organisationen bemüht waren, der fortschreitenden Not der Bevölkerung entgegenzutreten, gelang dies nur bedingt. Zu massiv waren die Auswirkungen der NSMaßnahmen, die das alltägliche Leben der einfachen jüdischen Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit von Grund auf änderten. 2.3.3 Der Alltag der jüdischen Bevölkerung Die Ankunft deutscher Truppen in Tarnów wurde von der jüdischen Bevölkerung mit ambivalenten Gefühlen wahrgenommen. 428 Neben Reaktionen von Angst hatten viele Menschen noch vor Ausbruch des Kriegs und 425 Schreiben an Kreishauptmannschaft Tarnow, Abt. Fürsorge v. 22. 10. 1941, AŻIH, 211/1020, Bl. 34. 426 Dto. an Kreishauptmannschaft Tarnow, Abt. Fürsorge v. 6. 1. 1942, ebd., 211/ 1023, Bl. 16; dto. v. 6. 2. 1942, ebd., 211/1024, Bl. 48. 427 Vgl. hierzu beispielsweise Empfangsbestätigung v. 24. 9. 1941, ebd., 211/1020, Bl. 1; außerdem ebd., 210/685. 428 Der Militärbefehlshaber Krakau äußerte sich in einem Lagebericht über die Stimmung innerhalb der jüdischen Bevölkerung folgendermaßen: „Die jüdische Bevölkerung in den unteren und mittleren Schichten ist vollständig deprimiert, sieht ihr Schicksal in schwärzesten Farben. Es sind Gerüchte über Massenerschießungen von Juden in Umlauf. Vorläufig befindet sich diese Bevölkerung in einem Massentaumel angesichts der gegenwärtig zu machenden Geschäfte. Trotz mancher Schwierigkeiten ist jetzt für trübe Geschäftemacher eine gute Konjunktur. Ausserdem sind die kleinen jüdischen Geschäftsleute vorläufig noch der Ansicht, daß ohne sie der ganze Handel ins Stocken geraten würde und die Deutschen eine Aufbauwirtschaft ohne sie nicht durchführen könnten. Sie glauben an ihre Unentbehrlichkeit in Polen gerade unter den gegenwärtigen Umständen, erhoffen Gnade oder eine mehr oder weniger günstige Lösung der jüdischen Frage.“ Lage- und Stimmungsbericht für den Zeitraum vom 1.–7. Oktober v. 9. 10. 1939, IfZ, MA 682, fr. 488. Vgl. hierzu übergreifend Löw, Melancholie.

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auch in den ersten Tagen nach dem deutschen Überfall auf Polen die Hoffnung gehegt, dass alles nicht so schlimm werden würde. So berichtete ein Überlebender, als im Monat August 1939 Nachrichten über einen möglichen deutschen Angriff kursierten und sich auch die Informationen über die Vertreibung der Juden polnischer Herkunft aus Deutschland sowie die von deutscher Seite begangenen Gräueltaten verbreiteten, habe sein Vater diesen Gerüchten keinen Glauben geschenkt. Er, der mit der österreichisch-ungarischen Armee am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte und auch die deutschen Truppen kannte, hielt dies schlicht für unmöglich. 429 Mit Beginn der deutschen Besatzung gab es für die jüdische Bevölkerung Tarnóws zwei Handlungsoptionen: Sie konnte in der Stadt verbleiben oder aber flüchten. Allerdings war eine Entscheidung darüber keineswegs einfach. Die meisten hatten, wie schon ihre Vorfahren, bereits ihr gesamtes Leben in der Stadt verbracht. Tarnów war Heimat, zu der durch familiäre Beziehungen, soziale Kontakte und religiöse Gemeinschaft Verbundenheit bestand. Darüber hinaus gingen die Menschen dort ihren Berufen nach und hatten ihren Besitz. 430 Hinzu kamen individuelle Lebenssituationen, die eine Entscheidung über Verbleib oder Flucht erschwerten. So war beispielsweise Tosia Lederberger bei Kriegsausbruch im fünften Monat schwanger. Sie und ihr Ehemann Salomon verfolgten den Plan, nach Osten zu fliehen, jedoch bereitete die Schwangerschaft dem Ehepaar Sorgen: „Meine Freunde wollten in den Osten fliehen, und sie kamen mit dem Wunsch zu mir, dass wir mitgehen. Meine Frau wollte eine Abtreibung haben, sodass wir in der Lage sein würden, uns ihnen anzuschließen.“ 431 Der von ihnen aufgesuchte Arzt weigerte sich allerdings, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Obgleich sie mit dem Gedanken spielten, trotz der erschwerten Umstände die Flucht auf sich zu nehmen, musste dieses Vorhaben rasch verworfen werden. Es standen keinerlei Transportmöglichkeiten mehr zur Verfügung. Somit blieb dem Ehepaar nichts anderes übrig, als in der Stadt zu bleiben. 432 Vor allem das Niederbrennen der Synagogen im November 1939 schürte unter der jüdischen Bevölkerung Ängste und Panik. Als Folge flüchteten viele jüdische Einwohner der Stadt in die von den Sowjets besetzten Gebiete, um so dem nationalsozialistischen Terror zu entkommen. 433 Bereits 429 430 431 432 433

Lichtig, Story, S. 7. Vgl. etwa Frankel, Hell, S. 30; Aussage Abraham O., YVA, O.3/2117. Graber/Bialecki, Voice, S. 18 [Übersetzung aus dem Englischen]. Ebd. Chomet, Zagłada, S. 19; Aufzeichnungen Josef K. „Die Epoche des Hitleris-

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vor Beginn des deutschen Überfalls auf Polen sowie in den ersten Tagen der Besatzung waren Juden in den ostgalizischen Raum, vermehrt in die Gegend um Lemberg geflohen. Die Menschen waren einer Aufforderung der jüdischen Gemeinde nachgekommen und schlossen sich dem zurückweichenden polnischen Militär an. Im weiteren Kriegsverlauf fiel das gesamte ostgalizische Gebiet Polens inklusive Lemberg unter sowjetische Besatzung. Nachdem die Kampfhandlungen beendet waren, bestand zwischen dem von den Deutschen besetzten Generalgouvernement und den von den Sowjets eingenommenen Gebieten eine Demarkationslinie, die östlich von Tarnów von dem Fluss San gebildet wurde. Diese Grenze war beidseitig stark bewacht; Grenzübergänge wurden nicht zugelassen. Hinzu kam, dass der San nur schwer zu überwinden war, nicht zuletzt deshalb, weil fast alle Brücken zerstört worden waren. 434 Wie vielen der aus Tarnów geflohenen Menschen es tatsächlich gelang, sich in den sowjetisch besetzten Gebieten eine neue Existenz aufzubauen, bleibt ungewiss. Da der Grenzübergang sehr gefährlich sein konnte, entwickelte sich aus der Fluchthilfe geradezu ein eigener Geschäftszweig: Flüchtlinge wurden mit der Hilfe ethnischer Polen über die Demarkationsgrenze geschmuggelt. Entsprechende Erfahrungen hatte der Überlebende Samuel Goetz gemacht, dessen damals 18-jähriger Bruder kurze Zeit vor der deutschen Besetzung geflohen war: „Meine Mutter kontaktierte einen bekannten Schmuggler in Tarnow und bezahlte ihn, um ihren ältesten Sohn in Lwow zu finden und ihn über die Grenze nach Hause zu bringen. Wir warteten auf Nachrichten, aber für die nächsten Wochen erreichte uns keine Information über die Schmuggel-Bemühungen. […] Schließlich, Anfang Februar 1940, erschien ein großer Umschlag, der bunte russische Briefmarken trug. Ich lief schnell zum Haus, und meine Mutter begann, den Brief zu lesen. Ihr Gesicht wurde blass. Mein Bruder schrieb, dass er bald mit uns vereint sei. Uns wurde ganz mulmig, da der Brief drei Wochen zuvor versendet worden war. Etwas war eindeutig falsch gelaufen. Wir kontaktierten den Schmuggler und fanden bald heraus, dass Bernard gemeinsam mit anderen am Flussübergang geschnappt worden war, von den Sowjets verhaftet und in das Innere der Sowjetunion deportiert wurde.“ 435 Jene, denen die Rückkehr in ihre Heimatstadt tatsächlich glückte, sahen sich jedoch, wie dargestellt, der Verfolgung durch die Sicherheitspolizei im Rahmen mus in Tarnów“ v. 14. 3. 1946, BAL, B 162/2151, Bl. 1017; Bericht Janina Schiffówna, AŻIH, 301/2081. 434 Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 318. 435 Goetz, Face, S. 15 [Übersetzung aus dem Englischen].

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der „Kommunistenaktion“ ausgesetzt, im Zuge derer viele Rückkehrer getötet wurden. Während dieser Aktion wurden vermutlich selbst Personen erschossen, die sich die gesamte Zeit über in der Stadt aufgehalten hatten. 436 Während sich einige Menschen dazu entschlossen, sich dem NS-Terror durch eine Flucht in den Osten zu entziehen, wurden die in Tarnów gebliebenen Juden mit dem antisemitischen Terror der Deutschen konfrontiert. Aus diesem Grund vermieden es viele, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Auch Martin Spetts Vater weigerte sich entgegen der deutschen Verordnung eine geraume Zeit lang, seinen Bart zu entfernen, sodass er die meiste Zeit zu Hause bleiben musste. Es brauchte einige Überredungsversuche seiner Familie, bis er schließlich zustimmte, sich zu rasieren. 437 Im Hinblick auf ihre Zukunft unter nationalsozialistischer Besatzung verstärkte auch die Einführung des Judensterns die Angst innerhalb der Gemeinde. 438 Seit diesem Zeitpunkt waren Juden aus der Gemeinschaft ihrer Mitmenschen separiert. 439 Sie waren öffentlich stigmatisiert; auch war ihre Konfessionszugehörigkeit nun offensichtlich, was die Gefahr von Übergriffen auf der Straße verstärkte. Andere nationalsozialistische Maßnahmen der zivilen Verwaltung trugen zusätzlich zu einer systematischen Verarmung der jüdischen Bevölkerung bei. So wurden jüdische Pensionäre und auch Kriegsopfer des Ersten Weltkriegs bereits zu einem frühen Zeitpunkt der deutschen Besatzung aus der polnischen Sozialversicherung ausgeschlossen. Darüber hinaus bekamen viele auf Grund des Arbeitszwangs auch keine Arbeitslosenhilfe mehr ausbezahlt. 440 Vielfach wurden die Menschen im Zuge der Heranziehung zur Zwangsarbeit auch von der Ausübung ihres eigentlichen Berufes abgehalten. Nachdem die Kontrolle des jüdischen Arbeitseinsatzes im Sommer 1940 an die Zivilverwaltung abgegeben worden war, mussten die Tarnówer Juden, die nicht bei größeren Bauprojekten eingesetzt waren, bis zu zwei Mal pro Woche Zwangsarbeit leisten. 441 Hiervon waren in der Regel jene ausgenommen, die in festen Beschäftigungsverhältnissen mit Deutschen standen. 442 Sofern sie nicht noch selbst ihr eigenes Geschäft führten, waren die Men436

Aussage Andrzej B. v. 27. 11. 1964, BAL, B 162/2155, Bl. 2112. Kornbluth, Sentenced, S. 72. 438 Ebd., S. 22. 439 Anklage Schwurgericht beim LG Bochum v. 9. 4. 1964, IfZ, Gb 08.10/1, Bl. 75. 440 Vgl. Majer, „Fremdvölkische“, S. 556, 562; Musial, Zivilverwaltung, S. 171 f. 441 Anonymisiertes Gutachten von Imke Hansen für das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (im Fall L 18 R 27/09) v. 20. 7. 2009, Bl. 148, 151. 442 Chomet, Zagłada, S. 35. 437

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schen bei deutschen Firmen, bei Wehrmachtsbetrieben oder bei deutschen Dienststellen angestellt. 443 Eine weitere Form der Beschäftigung fand sich in Arbeitsgemeinschaften. Diese wurden durch den Verband der jüdischen Handwerker in Tarnów im Herbst 1941 gegründet. Geleitet wurde das Zentralbüro der Arbeitsgemeinschaften jüdischer Handwerker in Tarnów von Dawid Gutter. 444 Im Oktober gab es insgesamt sechs von ihnen: Die der Schneider, der Tischler und Holzarbeiter, der Kürschner, der Schuhund Schäftemacher, der Wäscheerzeuger sowie der Riemer und Sattler. In der Folgezeit wurden die jüdischen Handwerksgemeinschaften weiter ausgebaut. 445 Um dort einen Arbeitsplatz zu erhalten, mussten die Handwerker, die zuvor entweder einen eigenen Betrieb besessen hatten oder in einem jüdischen Betrieb angestellt gewesen waren, ihre Arbeitsmaschinen und Werkzeuge im Tausch abgeben. 446 In einem Bericht der JSS wird auf das Konzept der jüdischen Handwerksgemeinschaften näher eingegangen: „In manchen Städten wurden Arbeitsgemeinschaften jüdischer Handwerker ins Leben gerufen, in erster Reihe in der Bekleidungs- und Wäscheindustrie, aber auch in anderen Gewerbezweigen, wie Schuherzeugung, Metallverarbeitung, Galanterie, Papierverarbeitung u. ä. Die in die Betriebe aufgenommenen Handwerker mussten zum grossen Teil ihre Maschinen als Apport bringen, so dass der Unternehmer, der Rohstoff und Zubehör vom Auftraggeber oder gegen Kredit erhielt, Arbeitsräume der ehemals jüdischen Betriebe zugewiesen bekam, gar kein Kapital zu investieren hatte, was überaus verlockend wirkte. Die Juden – und nicht nur die Fachkräfte sondern auch in noch grösserem Maße Angehörige geistiger Berufe – gaben oft ihr Letztes hin, um eine Nähmaschine zu erwerben und Aufnahme in einen Betrieb zu finden. Es galt, Existenz und Leben zu retten.“ 447 Diese Art der Arbeitsorganisation gab es auch in vielen anderen Städten des Generalgouvernements wie in Warschau, Litzmannstadt, Krakau, Radom, Bochnia, Reichshof oder auch Neu-Sandez. 448 443

Anonymisiertes Gutachten von Imke Hansen für das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (im Fall L 18 R 27/09) v. 20. 7. 2009, Bl. 154. 444 Schreiben v. 26. 2. 1942, ANK-T, 33/213/4. 445 Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an JSS-Präsidium betr. Unterstützung im Bereich Arbeit und Zuteilung von Rohstoffen v. 18. 3. 1942, AŻIH, 211/1025, Bl. 21. 446 Bieberstein, Zagłada, S. 55. 447 Kurzer Berichte über die Tätigkeit der J.S.S., später J.U.S., 1939–1944 v. Februar 1946, YIVO, RG 532, Box 2, Bl. 12. 448 Tagebuch Michał Weichert, ebd., 302/25, Cz. II, Bl. 30. Zu Reichshof vgl.

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In Tarnów produzierten die Arbeitsgemeinschaften vor allem für die Wehrmacht sowie für Firmen, die unter Treuhandverwaltung standen. 449 Im März 1942 arbeiteten insgesamt 1.450 Menschen in den Handwerksgemeinschaften, wobei deren Stundenlohn bei durchschnittlich 0,40 Złoty lag. 450 Dementsprechend lag der Verdienst eines Arbeiters dort bei annähernd 100 Złoty monatlich. Vergleicht man die Entlohnungssituation jüdischer Arbeiter mit jener in anderen Ortschaften, lag dieses Gehalt eher im unteren Bereich. So erhielt ein Schäftemacher in Lublin beispielsweise bis zu 158 Złoty pro Monat. 451 In Warschau konnte ein Angestellter in den ghettoeigenen Betrieben rund 400 Złoty Monatslohn erwirtschaften. 452 Noch schwieriger war die Lage für Menschen in bestimmten Berufszeigen. So mussten Lehrer, Beamte, Angestellte des öffentlichen Diensts oder auch Hausangestellte ihre Arbeit niederliegen. 453 Darüber hinaus wurden viele angesichts der von den Deutschen vorangetriebenen „Arisierungspolitik“ gezwungen, ihre Geschäfte und Betriebe aufzugeben. Die Folge dieses Prozesses war, dass vielfältige Existenzgrundlagen entzogen wurden. Abgesehen davon trug auch die Wohnungslage zu einer Verschlimmerung der allgemeinen Not der Menschen bei. Neben dem Zustrom tausender Flüchtlinge verschärfte sich die Lage auch durch die schrittweise Übernahme jüdischer Wohnungen durch die Deutschen. Für jene, die ihre Wohnungen innerhalb kürzester Zeit verlassen mussten, bedeutete dies einen tiefgreifenden Einschnitt. Hunderte Personen mussten ihr Zuhause räumen, die an sich angespannte Wohnungsmarktlage verschlimmerte die Situation. 454 Nicht nur mussten sie ihre Wohnungen, in denen sie vielfach bereits seit Jahrzehnten lebten, aufgeben und in minderwertigere, kleinere

Rundschreiben des Amts Wirtschaft beim Kreishauptmann Reichshof betr. Auftragserteilung an jüdische Arbeitsgemeinschaften v. 1. 3. 1942, Archiwum Państwowe w Rzeszowie (APRz), 1/3454, Bl. 689. Zu Neu-Sandez vgl. Archiwum Narodowe w Krakowie-Oddział w Nowym Sączu (ANK-NS), 15/335 und 15/511. 449 Schreiben an Judenrat Tarnow betr. wehrwirtschaftliche Aufträge sowie Aufträge von deutschen Dienststellen und Firmen für das jüdische Handwerk v. 13. 2. 1942, ANK-T, 33/ZMTo/4. 450 Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an JSS-Präsidium betr. Unterstützung im Bereich Arbeit und der Zuteilung von Rohstoffen v. 18. 3. 1942, AŻIH, 211/1025, Bl. 22. 451 Vgl. Lehnstaedt, Arbeitsverwaltung, S. 430. 452 Trunk, Judenrat, S. 82 f. 453 Musial, Zivilverwaltung, S. 171. 454 Graber/Bialecki, Voice, S. 7 f.

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Räume umziehen, sondern der Umzug ging darüber hinaus nicht selten mit einer materiellen Deklassierung einher. Samuel Goetz schilderte in seinen Memoiren dieses Erlebnis: „Der Umzug von der Pilsudski-Straße zu unserer neuen Wohnung auf der Urwana-Straße war schmerzlich für meine Eltern. Die Mehrzahl unseres Mobiliars passte nicht in die kleine Wohnung, und daher mussten meine Eltern es weggeben.“ 455 Noch gravierender entwickelte sich die Ernährungslage. Innerhalb des zivilen Verwaltungsapparats herrschte eine ambivalente Haltung gegenüber der Versorgung der Juden vor.456 Im April 1940 erklärte Generalgouverneur Frank hierzu: „Die Juden interessieren mich überhaupt nicht. Ob die etwas zu futtern haben oder nicht, ist für mich die allerletzte Frage.“ 457 Demgegenüber war der Leiter der Abteilung Ernährung und Landwirtschaft, Hellmut Körner, der Auffassung, dass diese, „wenn auch nicht unsere Freunde, doch ernährt werden müssen.“ 458 Auch in Tarnów vertrat man zumindest temporär die Auffassung, dass die Frage der Ernährung der jüdischen Bevölkerung ein zentrales Thema sei. 459 Allerdings erfolgte eine einheitliche Lebensmittelzuteilung im Generalgouvernement zunächst nicht. Geregelt wurde diese vor Ort von der zuständigen Kreishauptmannschaft. 460 Erst am 1. Januar 1941 wurde ein Zuteilungssystem eingeführt, wobei die jüdische Bevölkerung hierbei wie selbstverständlich auf dem letzten Platz rangierte. 461 Als wöchentliche Rationssätze für Juden sollten 700 Gramm Brot, bis zu 50 Gramm Zucker und 40 Gramm Getreidekaffee ausgegeben werden. Darüber hinaus „nach Bedarf“ Kartoffeln sowie „nach jahreszeitlichem Anfall“ Gemüse und täglich „nach Vorhandensein“ ein Viertel Liter Milch. 462 Dies entsprach pro Person lediglich rund 200 Kalorien täglich. 463 Selbst wenn die Menschen diese Zuteilung regelmäßig erhalten hätten, wäre dies für ein Überleben nicht ausreichend gewesen und hätte den sicheren Hungertod bedeutet. 464 Im Laufe der Besatzung wurden die Lebensmittelrationen weiter gekürzt. Drastische Re455

Goetz, Face, S. 26 [Übersetzung aus dem Englischen]. Pohl, „Judenpolitik“, S. 70. 457 Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 186. 458 Zitiert nach: Pohl, „Judenpolitik“, S. 70. 459 Lagebericht Kreishauptmann Tarnow für Mai 1940, AIPN, GK 196/269, Bl. 150 f. 460 Seidel, Besatzungspolitik, S. 274. 461 Ebd. 462 Rationssätze für Juden, USHMM, RG-15.174M, reel 35, Bl. 12. 463 Madajczyk, Polityka, S. 226. 464 Seidel, Besatzungspolitik, S. 275. 456

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duzierungen erfolgten Anfang 1942 im gesamten Generalgouvernement. In manchen Kreishauptmannschaften wurden die Zuteilungen sogar um 50 Prozent herabgesetzt. 465 In den einzelnen Städten und Ortschaften übernahmen die Judenräte die Verteilung der Lebensmittel an die Gemeindemitglieder, die diese wiederum von den Stadt- und Kreishauptleuten erhielten. 466 Auch in Tarnów wurde der örtliche Judenrat von der Kreishauptmannschaft mit der Zuweisung von Lebensmitteln beauftragt. 467 Dieser gab innerhalb eines bestimmten Zeitraums Lebensmittelkarten aus, die zum Erwerb rationierter Waren in gewissen Geschäften berechtigten. Allerdings wurden diese Karten nicht an einzelne Personen verteilt. Vielmehr wurde für jedes Haus eine Person autorisiert, die die Bezugsscheine für alle jüdischen Bewohner gesammelt beim Judenrat erhielt. Die jeweilige Anzahl der Bewohner wurde anhand von Registrierungsdaten überprüft, um die exakte Zahl der auszugebenden Lebensmittelkarten zu ermitteln. 468 Um ihre Rationen zu erhalten, mussten die Menschen häufig lange vor den Geschäften anstehen. Aber nicht nur dies sorgte für Unmut. Die Wartenden waren dort auch großen Gefahren ausgesetzt, wie ein Überlebender berichtete: „Sogar das Warten in den Essensschlangen wurde gefährlich. Für die Deutschen war es ein guter Platz, Juden zu finden, um sie zu beleidigen oder zu schlagen. Manchmal trieb der O.D. alle Leute in der Essensschlange zusammen und brachte sie zur Arbeit, entweder vor Ort oder in ein nahegelegenes Arbeitslager.“ 469 Da die ausgegebenen Lebensmittel kaum für das alltägliche Überleben ausreichten, waren viele Menschen auf die Nutzung der bestehenden Großküchen in der Stadt angewiesen. 470 Hier erhielten sie gegen ein geringes Entgelt von fünf Groschen eine warme Mahlzeit. 471 Weil sich die Gesamtsituation stetig verschlechterte, nahm auch die Nachfrage nach Verpflegung in den Wohlfahrtsküchen zu: Wurden im Oktober 1940 noch

465

Löw, Arbeit, S. 73. Seidel, Besatzungspolitik, S. 275. 467 GŻ, Nr. 10, 4. 2. 1941. 468 GŻ, Nr. 75, 22. 8. 1941. 469 Kornbluth, Sentenced, S. 73 [Übersetzung aus dem Englischen]. 470 In Tarnów hatten viele jüdische Bewohner der Stadt kurze Zeit nach Ausbruch des Kriegs noch Kontakte zum Ausland, vor allem zu Verwandten in der Sowjetunion. Von diesen erhielten sie hin und wieder Lebensmittelpakete. Vgl. Chomet, Zagłada, S. 22. 471 GŻ, Nr. 3, 30. 7. 1940. 466

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1.715 jüdische Familien mit insgesamt 6.500 Personen versorgt 472, waren es im Mai 1941 bereits 9.541 Menschen. 473 Paul Reiss, Mitglied des Judenrats und des Hilfskomitees der JSS für den Kreis Tarnów 474, wies Ende Mai 1941 darauf hin, dass die „Zahl der Teilnehmer der Jüd. Wohlfahrtsküchen in der Stadt und im Kreis Tarnów ständig bedeutend wächst und dass zwecks Weitererhaltung der Küchen die Zuweisung der entsprechenden Mengen von Lebensmitteln dringend benötigt wird, umso mehr, dass die arme jüdische Bevölkerung auf die Ausspeisung in den Wohlfahrtsküchen ausschließlich angewiesen ist.“ 475 Die Lage sollte sich in den kommenden Monaten weiter zuspitzen. Im September berichtete Reiss, dass auf Grund der allgemeinen Verarmung eine wachsende Zahl von Menschen versuche, für die Volksküchen angenommen zu werden. Allerdings, so resümierte er, konnten die drei nur unzureichend ausgestatteten Großküchen, die zu diesem Zeitpunkt in Tarnów existierten, keine weiteren Personen für die Speisung zulassen. Aus diesem Grunde forderte er die Eröffnung einer weiteren, um der hohen Nachfrage Rechnung tragen zu können. 476 Die Lebensmittelsituation verschärfte sich in den kommenden Wochen derart, dass sich Reiss an die Abteilung Fürsorge der Kreishauptmannschaft wandte: „Die Wohlfahrtsküchen“, so Reiss, „welche nicht ausreichende Zuteilung von Lebensmitteln haben, befinden sich in einer schwierigen Lage, da sie die Teilnehmer dieser Küchen nicht ernähren können und auch die weiteren Bewerbenden, deren Zahl ständig bedeutend wächst, mangels Lebensmittel nicht annehmen können.“ 477 Ende November unterstrich Artur Volkmann, Vorsitzender des Judenrats und der JSS in Tarnów, auf einer Sitzung des regionalen JSS-Hilfskomitees die Notwendigkeit der Betreuung und der Ausgabe spezieller Mahlzeiten an die verarmten jüdischen Kinder im Kreis, denn diese seien in der Regel unterernährt. 478 Am 14. Dezember 472

GŻ, Nr. 37, 26. 11. 1940. GŻ, Nr. 48, 17. 6. 1941. 474 Im gesamten Kreis gab es 15 Wohlfahrtsküchen, sieben Kinderspeisungsstätten, ein jüdisches Altersheim, ein Hauptkrankenhaus in Tarnów sowie drei Epidemiespitale in Breszko, Dąbrowa und Żabno. Protokoll JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow über die Sitzung am 30. 5. 1942 v. 1. 6. 1942, AŻIH, 211/ 1026, Bl. 29. 475 Protokoll JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow über die Sitzung v. 27. 5. 1941, ebd., 211/1019, Bl. 59. 476 Dto. v. 30. 9. 1941, ebd., 211/1020, Bl. 11 f. 477 Schreiben an Kreishauptmannschaft Abt. Fürsorge v. 23. 10. 1941, ebd., Bl. 35. 478 Dto. v. 30. 11. 1941, ebd., 211/1022, Bl. 6. 473

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öffnete nach Genehmigung durch die zivile Verwaltung schließlich die vierte Volksküche in der Lembergerstraße 7. Diese war vor allem für jüdische Handwerker und deren Familien vorgesehen. 479 Allein in den folgenden zwei Wochen nahmen 1.677 Hilfsbedürftige die Einrichtung in Anspruch. Zum Vergleich: Im gleichen Monat besuchten 10.106 jüdische Männer, Frauen und Kinder die drei anderen Wohlfahrtsküchen. 480 Insgesamt wurden dabei in den vier Küchen 162.700 Mahlzeiten an 11.783 Juden ausgeben. 481 Bezieht man die anderen jüdischen Wohlfahrtsinstitutionen, wie das jüdische Krankenhaus, das Waisenhaus sowie das Altersheim, die Kinderspeisungsstelle und die vier Asyle mit ein, waren im Dezember knapp 13.000 jüdische Männer, Frauen und hilfsbedürftig. 482 Damit waren auf Grundlage der jüdischen Gesamtbevölkerung von 27.436 Personen 483 im Dezember fast die Hälfte, 42,9 Prozent, auf soziale Fürsorge angewiesen. Dieser Anteil verdeutlicht, wie im Zuge der fortschreitenden antijüdischen Entrechtungs- und Ausbeutungsmaßnahmen immer größere Teile der jüdischen Bevölkerung verarmten und ohne die Tätigkeiten der jüdischen Institutionen vor Ort kaum überleben konnten. Gerade aufgrund der existentiellen Not versuchten einige, das Wohlfahrtsystem auszunutzen. So wurde bei einer Überprüfung der Legitimationskarten für die Nutzung der Wohlfahrtsküchen festgestellt, dass manche nicht nur eine, sondern zwei oder gar drei Großküchen aufsuchten. Der Judenrat drohte diesen Personen mit dem Ausschluss aus diesen und anderen sozialen Einrichtungen, sollten sie ihr Verhalten nicht ändern. 484 Zu Beginn des Jahres 1942 verschlimmerte sich die Lebensmittellage weiter, sodass in den Wohlfahrtsküchen gar keine zusätzlichen Personen

479 Dto. JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an JSS-Präsidium v. 11. 12. 1941, ebd., Bl. 21; dto. v. 5. 12. 1941, ebd., Bl. 11; Protokoll über Sitzung JSSJüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow v. 31. 12. 1941, ebd., 211/1023, Bl. 4. 480 In einem Schreiben an die Kreishauptmannschaft v. 27. 1. 1942 wird angegeben, dass im Dezember 1941 ca. 13.000 Personen mit rund 200.000 Mahlzeiten verköstigt wurden. Vgl. Schreiben an Kreishauptmannschaft v. 27. 1. 1942, ebd., 211/ 1024, Bl. 10. 481 Dto. JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an Kreishauptmannschaft, Abt. Fürsorge v. 6. 1. 1942, ebd., 211/1023, Bl. 16. 482 Zusammenstellung über die Zahl der Wohlfahrtsempfänger, Stand: Dezember 1941, ebd., 211/1024, Bl. 13. 483 Vgl. Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an Kreishauptmannschaft Tarnow, Abt. Fürsorge v. 19. 12. 1941, ebd., 211/1022, Bl. 50. 484 GŻ, Nr. 57, 11. 7. 1941.

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mehr aufgenommen werden konnten. 485 Gemäß den Angaben des JSSHilfskomitees vom Januar handelte es sich bei den Hilfsbedürftigen um folgende Personen: 1. Aussiedler aus dem Reich; 2. Aussiedler aus Krakau; 3. Frauen und Kinder, deren Familienväter als Arbeiter im Lager Pustkow eingesetzt sind; 4. Angehörige der Arbeiter, die in verschiedenen deutschen Dienststellen oder heereswichtigen Betrieben tätig sind; 5. Arbeiter, die bei der Schneeräumung eingesetzt sind; 6. Schwerarbeiter, die bei den Eisenbahnausbesserungswerkstätten eingesetzt sind; 7. Arbeiter, die in verschiedenen Privat-Betrieben arbeiten; sowie 8. sonstige Wohlfahrtsempfänger. 486 Wie ersichtlich wird, waren nicht nur erwerbslose Personen auf die soziale Wohlfahrt angewiesen, sondern in hohem Maße auch Arbeiter, die einer geregelten Beschäftigung beispielsweise in deutschen Betrieben nachgingen. Grund hierfür war, abgesehen von der teils spärlichen Bezahlung der Arbeiter, dass die Juden lediglich 100 Gramm Brot pro Tag und in manchen Monaten 200 Gramm Zucker als Kontingentnahrung zugewiesen bekamen. 487 Aber nicht nur in Tarnów selbst, sondern auch in den anderen Ortschaften des Kreises war die Ernährungssituation der jüdischen Bevölkerung äußerst schlecht: „In schwierigen Verhältnissen befinden sich auch unsere Delegaturen im Kreise Tarnów, da dieselben zumeist eine sehr arme jüdische Bevölkerung, welche hauptsächlich aus Aussiedlern und Arbeitern besteht, zu betreuen haben.“ 488 Ab Februar 1942 bestand sogar das Risiko, die Essensausgabe aus Mangel an Lebensmitteln generell einstellen zu müssen 489: „Die in den letzten Monaten zugeteilten Lebensmittelmengen waren so gering, dass sie nicht einmal zur Deckung des allernotwendigsten Bedarfes der Volksküchen und übrigen Wohlfahrtsanstalten gereicht haben. Infolge immer geringerer Zuteilungen sind alle Vorräte erschöpft. Im März erfolgten überhaupt keine Zuteilungen mehr. Es besteht ernste Gefahr, dass die Volksküchen in der allernächsten Zeit werden geschlossen

485

Protokoll JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow v. 26. 1. 1942, AŻIH, 211/1024, Bl. 3. 486 Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an Kreishauptmannschaft Tarnow v. 27. 1. 1942, ebd., Bl. 10. 487 Ebd., Bl. 11; dto. Kreishauptmannschaft, Abt. Fürsorge v. 6. 2. 1942, ebd., Bl. 51. 488 Ebd. 489 Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an JSS-Präsidium betr. Lebensmittelzuteilungen v. 18. 2. 1942, ebd., Bl. 63; dto. v. 6. 3. 1942, ebd., 211/ 1025, Bl. 8.

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werden müssen.“ 490 Vor allem die Ärmsten der Bevölkerung traf die Lebensmittelverknappung hart. Aufgrund der unzureichenden Ernährung, dem daraus resultierenden Hunger und der Erschöpfung, wurden einige Todesfälle registriert. 491 Die Lage der Menschen spitzte sich in den Wintermonaten durch den Mangel an Kohle und Brennholz weiter zu. 492 Weder die jüdischen Institutionen noch die Gemeindemitglieder erhielten im Winter 1941/42 Kohle zugewiesen 493, sodass Viele nicht einmal ihre Wohnungen heizen konnten. 494 Die ohnehin schon schwierige Situation, in der sich die Menschen befanden, wurde durch den Ausbruch diverser Krankheiten noch verschlimmert. In der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. November 1941 wurden 54 Fälle von Fleckfieber, 28 Fälle von Lungentuberkulose, 19 Fälle von Diphtherie, jeweils 18 Fälle von Scharlach sowie Tripper-Gonorrhoe, 16 Fälle von Bauchtyphus, sieben Fälle von Trachom, drei Fälle von Rotlauf sowie ein Fall einer Gehirnentzündung registriert. 495 Im Jahre 1941 wurden 540 Todesfälle 496 und 235 Geburten verzeichnet. Vergleicht man diese Zahlen mit jenen aus der Vorkriegszeit, ergeben sich gravierende Unterschiede: Im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. August 1939 wurden lediglich 172 Todesfälle, allerdings 285 Geburten festgestellt. 497 Vor allem 490 Vermerk JSS betr. Approvisionierung der Wohlfahrtsanstalten in Tarnow v. 12. 3. 1942, ebd., Bl. 10. 491 Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an JSS-Präsidium v. 25. 3. 1942, ebd., Bl. 40. 492 Protokoll Sitzung JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow v. 31. 10. 1941, ebd., 211/1021, Bl. 18 f.; Dto. v. 31. 12. 1941, ebd., 211/1023, Bl. 4. 493 Dto. an Regierung des GG, HA Ernährung und Landwirtschaft v. 2. 2. 1942, ebd., Bl. 28; dto. an Kreishauptmannschaft, Abt. Fürsorge v. 6. 2. 1942, ebd., Bl. 51. 494 Goetz, Face, S. 25. 495 Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an Kreishauptmannschaft Tarnow, Abt. Fürsorge v. 19. 12. 1941, AŻIH, 211/1022, Bl. 50. 496 Vor allem in den Wintermonaten des Jahres 1941 wurden vermehrt Todesfälle registriert. Für das gesamte Jahr 1941 ergibt sich folgende Statistik: Januar: 47 Todesfälle; Februar: 44 Todesfälle; März: 52 Todesfälle; April: 44 Todesfälle; Mai: 29 Todesfälle; Juni: 29 Todesfälle; Juli: 40 Todesfälle; August: 33 Todesfälle; September: 36 Todesfälle; Oktober: 47 Todesfälle; November: 51 Todesfälle; Dezember: 88 Todesfälle. Vgl. Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an Kreishauptmannschaft Tarnow, Abt. Fürsorge v. 19. 12. 1941, ebd., Bl. 49. Die Zahl der Todesfälle für den Monat Dezember 1941 ergibt sich aus der Differenz des Schreibens v. 19. 12. 1941 sowie dem Bericht zur Bevölkerungsbewegung in Tarnow von JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an JSS-Präsidium v. 19. 1. 1942, ebd., 211/1023, Bl. 43. 497 Ebd.

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Anfang 1942 breitete sich Typhus wieder unter der städtischen Bevölkerung aus. 498 Allein in den Monaten Januar und Februar wurden im jüdischen Krankenhaus 101 Typhuspatienten behandelt, wobei die meisten Erkrankten aus dem Lager Pustkow stammten. 499 Aber auch Fälle von Fleckfieber kamen häufiger vor. 500 Die Kinderspeisungsstätte in Tarnów musste sogar aufgrund von vermehrt auftretendem Fleckfieber geschlossen werden. 501 Die Zahl der Todesfälle stieg seit Beginn des Jahres 1942 drastisch an. Im Januar wurden allein 98, im Februar 84 Todesfälle registriert. 502 Dass es nicht zu weiteren großen Epidemien innerhalb der jüdischen Gemeinde kam, die ohnehin durch den Lebensmittelmangel geschwächt war, ist auf die intensiven Bemühungen der jüdischen Institutionen vor Ort zurückzuführen. Gerade zur Bekämpfung von Fleckfieber entscheidend, wurden unermüdlich Entlausungen vorgenommen, und auch die jüdischen Wohnungen, Geschäfte und Werkstätten wurden laufend überwacht und gegebenenfalls einer Desinfektion unterzogen. 503 Allein im Monat Juni 1941 wurden 607 Häuser, 2.349 jüdische Wohnungen, 195 Geschäfte und Werkstätten überprüft. 504 Im Folgemonat waren es bereits 1.914 Häuser, 6.912 Wohnungen, 243 Geschäfte und 611 Werkstätten und andere Räume 505, während im September 1.165 Häuser, 4.455 Wohnungen, 238 Geschäfte, 581 Werkstätten und 8 weitere Räumlichkeiten kontrolliert wurden. 506 Die schwierigen finanziellen und materiellen Verhältnisse vieler Familien verschärften sich durch den massenhaften Einsatz jüdischer Männer auf dem Truppenübungsplatz der Waffen-SS bei Debica. Diejenigen, die zum Zwangsarbeitseinsatz dorthin kamen, waren in der Regel selbst berufstätig und konnten nun ihrer eigentlichen Arbeit nicht mehr nachgehen. Dies wiederum führte zu einer wirtschaftlichen Not vieler Familien,

498 Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an JSS-Präsidium betr. Zuteilung von Medikamenten v. 19. 1. 1942, ebd., Bl. 44; dto. betr. Kreiskonferenz JSS v. 11. 2. 1942, ebd., 211/1024, Bl. 56. 499 Bericht v. 12. 3. 1942, ebd., 211/1025, Bl. 15. 500 Ebd. 501 Reisebericht Herr Liebeskind nach Tarnów und Pleśna v. 26. 3. 1942, ebd., Bl. 34. 502 Schreiben JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow an JSS-Präsidium v. 25. 3. 1942, ebd., Bl. 39. 503 Ebd. 504 GŻ, Nr. 58, 14. 7. 1941. 505 GŻ, Nr. 74, 20. 8. 1941. 506 GŻ, Nr. 100, 19. 10. 1941.

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wie die jüdische Sammelinnung der Handwerker in Tarnów bemerkte: „Die Lage dieser Handwerker ist umso mehr besorgniserregend als circa 100 Tarnower jüdische Handwerker im jüdischen Arbeitslager in Pustków b. Dębica arbeiten und hier unversorgte Familien haben.“ 507 Viele Menschen wollten diese Situation nicht einfach so hinnehmen. Sie baten das Arbeitsamt in Tarnów um die Freilassung des in Pustków eingesetzten Familienmitglieds. So bemühte sich Estera A. im November 1941 um die Entlassung ihres Mannes. Dieser war im September auf der Straße aufgegriffen und nach Pustkow überführt worden. Da ihr Mann einen eigenen Kürschnerbetrieb führe, könnten die anfallenden Arbeiten nun nicht mehr realisiert werden. Sie selbst, schrieb sie, sei ohne Mittel zum Leben. 508 Ihr Bittgesuch hatte Erfolg und wurde vom Arbeitsamt befürwortet. 509 Für diejenigen, die keine Chance auf Befreiung vom Einsatz in Pustkow hatten, bot der Judenrat finanzielle Unterstützung für die betroffenen Familien an, was jedoch eine enorme finanzielle Belastung bedeutete. 510 Vermittelt wurden die jüdischen Arbeiter zu Beginn des Bestehens des Zwangsarbeitslager Pustkow häufig von den Judenräten der Umgebung. 511 Sie schickten allerdings nicht selten die Ärmsten nach Pustkow, reichere Personen konnten sich demgegenüber freikaufen. 512 Diese Praxis wurde jedoch nicht nur von der jüdischen Bevölkerung, sondern auch seitens der Kommandantur des SS-Truppenübungsplatzes stark kritisiert: „Es ist festgestellt worden und in Erfahrung gebracht worden, dass neben restlos verlausten, verhungerten und verkommenen Juden in Tarnow eine wohlhabende Schicht von auserwählten Juden sich befindet, die das Los der anderen Juden nicht tragen. Dieser Zustand wird in Kürze abgestellt. Wenn Juden zur Arbeit angefordert und herangezogen werden, so verbittet sich die Kommandantur grundsätzlich, dass nur die elendsten und verkommendsten Juden zur Arbeitsleistung hierher beordert werden, während ein anderer Teil in Tarnow Geschäfte tätigt und sich amüsiert.“ 513 507 Schreiben allgemeine jüdische Sammelinnung in Tarnow an Abt. Wirtschaft v. 9. 12. 1940, ANK-T, 33/214/12. 508 Dto. Estera A. an Leiter des Arbeitsamts Tarnow v. 5. 11. 1941, ebd., 33/214/13. 509 Ebd. 510 Notiz über Aufenthalt in Tarnów v. 6. 5. 1942, AŻIH, 211/1025, Bl. 50; Haushaltsplan der Wohlfahrtsanstalten des Judenrats für Oktober 1940, ebd., 211/1018, Bl. 34. 511 Aussage Benzion D. v. 21. 12. 1970, BAL, B 162/5292, Bl. 2182. 512 Dto. Samuel S., ebd., B 162/5291, Bl. 1967. 513 Schreiben Kommandantur SS-Truppenübungsplatz an Judenrat Tarnow v. 7. 10. 1940, AŻIH, 211/1018, Bl. 42.

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Die Zwangsarbeiter sahen sich in Pustkow katastrophalen Bedingungen ausgesetzt, was nicht nur die Bekleidung, sondern auch Hygiene, Ernährung sowie die medizinische Versorgung betraf. 514 Dies ging so weit, dass sich die Kommandantur des Truppenübungsplatzes an den Judenrat in Tarnów wandte: „Die Bekleidungs- und Ernährungsfrage der hier im Lager der Kommandantur untergebrachten Juden ist nicht mehr tragbar. Die aus Tarnow und Dębica [sic] zur Verfügung gestellten Juden sind abgerissen, unterernährt und ein großer Teil krank. Die Verpflegung ist nicht ausreichend, außerdem schlecht. Die Bekleidungsfrage ist katastrophal. Die Verpflegung wird in absehbarer Zeit von der Kommandantur übernommen. Für die Bekleidungsfrage wird der Judenrat restlos verantwortlich gemacht. […] Um noch vor Eintritt der kalten Jahreszeit die Bekleidung der am mangelhaftesten bekleideten Juden auszutauschen, wird folgendes angeordnet: Der Judenrat in Tarnow und Dębica liefert bis zum 1. 11. 1940 500 Anzüge, 500 Paar Schuhe, 500 Paar Strümpfe, 500 Stück Körperwäsche.“ 515 Bei Unterlassung wurde dem Judenrat mit einer Geldstrafe in Höhe von 5.000 Złoty gedroht, sowie der „Heranziehung und Erfassung sämtlicher Juden in Tarnów, einschließlich des Judenrates“. 516 Obgleich Arbeitslosen auferlegt war, sich einmal wöchentlich beim Arbeitsamt zu melden, kamen viele Menschen dieser Aufforderung nicht nach. Der Grund, so vermutete das deutsche Arbeitsamt, läge darin, dass „jeder Jude fürchtet, […] zur SS-Neubauleitung in Dembica […] vermittelt zu werden.“ 517 Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Arbeitsamt Tarnów bereits 800 jüdische Männer der Stadt zwangsweise in das Lager Pustkow vermittelt, allerdings hatte es noch den Bedarf an weiteren 600 jüdischen Arbeitskräften zu decken. Da sich Vorgeladene nicht beim Arbeitsamt meldeten, bat dieses nun die Schutzpolizei und die polnische Polizei um Amtshilfe. Diese sollten die „zwangsweise Vorführung von arbeitsfähigen Juden zum Arbeitsamt“ realisieren. 518 Weil die Polizeiaktion am 2. September 1940 nicht wie gewünscht verlief und nicht genügend jüdische Arbeiter zwangsrekrutiert werden konnten, bat das Arbeitsamt am Folgetag, eine Hundertschaft der deutschen Polizei für eine weitere Razzia zur Ver-

514

Ebd. Ebd. 516 Ebd., Bl. 42 f. 517 Schreiben Arbeitsamt Tarnow an Einzelkommando der Schutzpolizei betr. Polizeiassistenz bei dem Arbeitseinsatz von jüdischen Arbeitskräften v. 2. 9. 1940, ANK-T, 33/ZMTo/6, Bl. 879. 518 Ebd. 515

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fügung zu stellen. 519 Insgesamt war es gängige Praxis, jüdische Personen, die der Meldepflicht gegenüber dem Arbeitsamt nicht nachkamen, zu belehren und sie gegebenenfalls durch polnische Polizisten beim Arbeitsamt vorführen zu lassen: „Es ist dringend notwendig, dass gegen jüdische Elemente, die heute noch glauben behördliche Anordnungen missachten zu können, planmässig schärfstens vorgegangen wird und dies sofort, damit nicht die weiteren zur Meldung bestimmten Jahrgänge gleichfalls ihre Meldepflicht vernachlässigen.“ 520 Gerade auf Grund der katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen und der alltäglichen Gewalt, denen sich die Juden im Zwangsarbeitslager Pustkow ausgesetzt sahen, entschlossen sich einige Männern, aus dem Lager zu fliehen. 521 Der 1926 geborene David Faber, der bei Kriegsausbruch mit seiner Familie in Tarnów lebte, war im Mai 1941 nach Pustkow verschleppt worden. Im Lager schloss Faber rasch Freundschaft mit dem älteren Aaron W., der ebenfalls aus Tarnów stammte. Beide lebten nicht nur in derselben Baracke, sondern arbeiteten auch im gleichen Arbeitskommando, wo sie zum Baumfällen eingeteilt worden waren. Die neuen Freunde schmiedeten in der Folgezeit Pläne, wie es ihnen gelingen könnte, aus Pustkow zu entkommen. 522 Sie mussten nur die richtige Gelegenheit abwarten. Diese bot sich ihnen auf der Arbeitsstelle, als die Angehörigen der Bewachungsmannschaft für einen kurzen Augenblick mit ihrem Mittagessen abgelenkt waren. „Wir ließen die Äxte fallen und rannten durch den Wald davon. Unsere Kleider verhakten sich an Büschen, wir stolperten über Wurzeln und Steine, aber wir liefen weiter, bis meine Beine bleischwer waren und meine Kehle brannte.“ 523 Nach einer abenteuerlichen Flucht gelang es ihm, sich von Pustkow nach Tarnów durchzuschlagen und zu seiner Familie zurückzukehren. Obgleich die Flucht aus dem Arbeitslager ein gefährliches Unterfangen war, wagten dies viele Männer, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Ebenso wie die Juden Tarnóws, die in das von den Sowjets besetzte Gebiet geflohen waren, widersetzten sie sich ihrem von den deutschen Besatzern zugedachten Schicksal und leisteten ganz konkret Widerstand. Diese Handlungsweise steht in einem krassen Gegensatz zu einer häufig ange-

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Dto. v. 3. 9. 1940, ebd., Bl. 877. Schreiben Arbeitsamt Tarnow an Stadtkommissar Tarnow v. 30. 7. 1940, ebd., Bl. 607. 521 Vgl. Bericht Jochnowicz Majer, AŻIH, 301/804. 522 Faber, Romeks Bruder, S. 62 ff. 523 Ebd., S. 70. 520

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führten Passivität der jüdischen Bevölkerung. Raul Hilberg konstatierte in diesem Zusammenhang, dass das Reaktionsmuster der Juden durch ein nahezu vollständiges Fehlen von Widerstand gekennzeichnet gewesen sei. 524 Die neueren Forschungen hingegen haben mittlerweile vielfältige Versuche der jüdischen Seite aufgezeigt, sich der Entrechtung und Verfolgung zu entziehen. Insgesamt sind die Diskussionen um jüdische Widerstandsaktivitäten unter NS-Besatzung inzwischen ausdifferenzierter. Kwiet und Eschwege, die bereits 1984 eine grundlegende Abhandlung zu dieser Thematik vorgelegt haben, verstehen unter Widerstand jede Handlung, die darauf ausgerichtet war, gegen die Ideologie und Politik des Nationalsozialismus zu arbeiten. 525 Sie differenzierten den Widerstandsbegriff weiter aus, indem sie zwei Betrachtungsebenen unterschieden: Widerstand im engeren Sinne charakterisierten sie als Antifaschismus, der eine politische Programmatik und Organisierung impliziere. Zu einem erweiterten Widerstandsbegriff zählten sie alle nichtkonformen Verhaltensweisen, die ihren Ausdruck in der Verweigerung fanden, sich vollkommen dem Herrschaftssystem zu fügen. Im Gegensatz hierzu stand das konforme Verhalten, also „alle Handlungsweisen, die darauf abzielten, den Anordnungen der Nationalsozialisten Folge zu leisten“. 526 Das nonkonforme Verhalten der jüdischen Bevölkerung, also die Weigerung, sich der Politik der Nationalsozialisten voll und ganz unterzuordnen, fällt in den Bereich des jüdischen Widerstandes, der viele Facetten umfasste und nicht nur auf den aktiven bewaffneten Widerstand reduziert werden kann. 527 Yehuda Bauer spricht in diesem Zusammenhang von „Amida“, also „sich gegen jemanden richten“ oder auch „standhalten“. Dies erfasse jedoch „nicht den tieferen Sinn des Wortes“ 528, vielmehr gehe es um „unbewaffneten und bewaffneten Widerstand, um die Gemeinde funktionsfähig zu halten und der existentiellen Bedrohung, die vom deutschen Besatzungsregime ausging, die Stirn zu bieten“. 529 Darunter falle nicht nur der bewaffnete Widerstand, sondern auch der Lebensmittelschmuggel, das Opfer bringen innerhalb des Familienbundes, kulturelle, pädagogische, religiöse und politische Aktivität sowie andere Handlungsformen, die auf eine Stärkung des Lebensmutes abzielen und ein Über-

524 525 526 527 528 529

Hilberg, Vernichtung, S. 1110. Kwiet/Eschwege, Selbstbehauptung, S. 18. Ebd., S. 19. Ebd. Hilberg, Seite, S. 154. Bauer, Tod, S. 27.

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leben des Individuums und des Kollektivs unter NS-Besatzung ermöglichen. 530 Bauers Überlegungen zu Amida sind vor allem deshalb hervorzuheben, weil darunter eine weite Bandbreite von Formen jüdischen Verhaltens beschrieben wird. Auch für Tarnów finden sich in den Quellen zahlreiche Hinweise für Handlungsformen, die unter diesen Amida-Begriff fallen. Der aus Krakau stammende Joseph Kempler, der im Herbst 1941 nach Tarnów kam, beschrieb die Situation der Menschen vor Ort in seinen Memoiren folgendermaßen 531: „Überallhin wo ich sah, waren die Dinge schäbig und abgenutzt. Es gab kaum Möbel oder die typischen Dinge, die einen Ort bewohnbar machen würden. Es waren nur Wände und Boden und arme Menschen. Es war entmutigend für mich, aber die Haltung der Menschen war hoffnungsvoll. Sie lebten auf diese Weise, nur um bis zum nächsten Tag zu überleben, und jeder Tag brachte sie näher an das Ende des Kriegs. Solange die Dinge ruhig waren und sie von niemandem gestört wurden, ertrugen sie diese harten Lebensbedingungen mit Würde.“ 532 Dieses Zitat verweist darauf, dass sich die jüdische Gemeinde Tarnóws bemühte, nicht unter dem fortschreitenden Druck von deutscher Seite zu resignieren und sich selbst zu behaupten. Bereits in den ersten Jahren unter deutscher Besatzung, als noch kein geschlossenes Ghetto errichtet war, existierten diverse Formen von Amida. Selbstverständlich waren diese Handlungen, die darauf gerichtet waren, antijüdische Verordnungen zu umgehen, nur in einem bestimmten vorgegebenen Rahmen möglich. Der Spielraum, in dem die jüdische Bevölkerung agieren konnte, war gering. Dennoch versuchten die Menschen individuell und kollektiv, sich NSMaßnahmen zu entziehen, um sich auf diese Weise nicht vollkommen den Nationalsozialisten unterzuordnen und sich eine gewisse Normalität beizubehalten. Innerhalb der jüdischen Gemeinde Tarnóws war die schwierige Lebensmittelsituation, die sich zusehends verschlechterte, ein zentrales Thema. Die Lebensmittelrationen waren gering und auch die in der Stadt bestehenden Suppenküchen konnten eine ausreichende Ernährung kaum sicherstellen. Die Menschen waren daher gezwungen, Lebensmittel und andere lebensnotwenige Bedarfsgüter wie Medikamente auf dem Schwarz530

Ders., Seite, S. 154. Kempler spricht in diesem Zusammenhang vom Ghetto Tarnów. Nach der in dieser Arbeit verwendeten Ghetto-Definition ist dieser Begriff für Herbst 1941 allerdings nicht zutreffend. 532 Kempler, Memoir, S. 51. 531

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markt illegal zu erwerben: „Uns Juden war ja praktisch alles verboten, andererseits erhielten wir aber auch nicht in ausreichendem Maße Lebensmittel zugeteilt. Um Leben zu können, mußten wir uns bei den uns auferlegten strengen Bestimmungen im nationalsozialistischen Sinne strafbar machen“ 533, sagte der Überlebende Abraham I. im Zuge einer Befragung aus. Wer noch über Schmuck, Möbel, Kunstgegenstände oder Kleidung verfügte, verkaufte es, um so an Geld zu kommen und damit sein eigenes Überleben sichern zu können. Gerade der Verkauf von Habseligkeiten war ein weitverbreitetes Phänomen unter der jüdischen Bevölkerung, brachte dies doch zunächst etwas Geld ein, um zumindest eine gewisse Zeit lang benötigte Bedarfsgüter für das alltägliche Leben zu erwerben und die Familie auf diese Weise zu versorgen. Dass gerade die Veräußerung von Wertgegenständen, wie beispielsweise von Erbstücken, an denen der Einzelne nicht aufgrund des materiellen, sondern vielmehr eines ideellen Wertes hing, besonders schmerzte, wird durch folgende Aussage deutlich: „Es gab einen Mangel an Kohle und Grundnahrungsmitteln und um über die Runden zu kommen, entschied mein Vater, eine seiner Uhren zu verkaufen, eine dünne, in der Schweiz gefertigte goldene Uhr, die ein Hochzeitsgeschenk gewesen war. An einem Nachmittag im Dezember 1940 begleitete ich meinen Vater zu einem Besuch bei einigen polnischen Bekannten, die die Uhr kauften, die ich oft bewundert hatte. Es muss schmerzhaft für meinen Vater gewesen sein, sich von der Uhr zu trennen, aber er sagte nichts zu mir.“ 534 Diejenigen, die über nichts mehr verfügten, mussten andere Wege gehen. Sie bettelten, stahlen und betrieben illegalen Handel. 535 Aber nicht nur durch Lebensmittelschmuggel setzten sich die Menschen den NS-Bestimmungen entgegen, auch in anderen Bereichen wurde Amida geleistet, so beispielsweise in Bezug auf die Bildung der Kinder. Trotz deren Ausschlusses aus öffentlichen Schulen wollten viele Eltern nicht auf die Schulbildung ihres Nachwuchses verzichten. Sie organisierten Unterricht im privaten Rahmen, obgleich dies von deutscher Seite selbstverständlich untersagt war und gefährlich sein konnte, wie der Überlebende Samuel Goetz in seinen Memoiren berichtete: „Der Winter 1939 näherte sich schnell. Jüdischen Kindern wurde verboten, polnische Schulen zu besuchen und so entschied meine Mutter zusammen mit einigen Freunden Ende November, dass die Schulbildung zu Hause fortgesetzt werden sollte. 533 534 535

Aussage Abraham I. v. 4. 7. 1966, BAL, B 162/2160, Bl. 3013. Goetz, Face, S. 18 [Übersetzung aus dem Englischen]. Musial, Zivilverwaltung, S. 175; Seidel, Besatzungspolitik, S. 276 f.

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Einige der Freunde meiner Eltern boten ihre Wohnungen an, und wir wechselten den Ort für den Unterricht. Unterrichten war ein gefährliches Unterfangen und vor allem in unserem Wohngebäude, da mehrere NaziFunktionäre dort wohnten. So war jede Unterrichtsstunde begleitet mit einer Angst, entdeckt zu werden, und während des Laufens auf der Straße mussten Bücher getarnt werden. Die Lehrer waren die einstigen Lehrer meiner hebräischen Schule und der jüdischen Oberschule, die Tarnow nicht bereits verlassen hatten. Mittleren Alters riskierten sie täglich ihr Leben, um uns zu helfen, unsere Ausbildung fortzusetzen. Sie versuchten, dem alten Lehrplan des Gymnasiums oder der Oberschule zu folgen, boten polnische Grammatik, deutsche gotische Schrift, altes Latein und Algebra an. Ich habe auch Englisch-Stunden mit Hr. Wrubel fortgesetzt, einem Mann in seinen frühen fünfziger Jahren, der neun Jahre in den USA gelebt hatte. Ich lernte und prägte mir englische Grammatik ein und, als ich Fortschritte machte, führte er mich in englische Kurzgeschichten ein.“ 536 Quellen dieser Art, die Aufschluss über im Geheimen realisierte Bildungsanstrengungen geben, sind rar. Dies muss allerdings nicht bedeuten, dass diese nicht existierten. Im Vordergrund vieler Berichte der Überlebenden stehen vielfach weniger die Selbstbehauptungsversuche im erzieherischen, kulturellen oder religiösen Bereich, als vielmehr die an der jüdischen Bevölkerung begangenen NS-Verbrechen. Anzunehmen ist, dass auch unter der fortschreitenden Entrechtung in vielen jüdischen Familien Wert auf das Lesen von Büchern gelegt wurde. Dies trug schließlich nicht nur zur Bildung der Kinder bei, sondern entriss sie zumindest für einen kurzen Moment der Realität und verschaffte Ablenkung. Das gerade Letzteres ein wichtiger Aspekt im Alltag des Einzelnen sein konnte, wurde auch durch Joseph Kempler bezeugt: „Es gab hier nicht viel für mich zu tun. Ich hatte keine Freunde und es war sehr ruhig, während jeder auf der Arbeit war. Ich entdeckte ein dickes polnisches Wörterbuch und begann zu lesen. Von Beginn an arbeitete ich mich durch das Alphabet, den ganzen Tag damit beschäftigt, zu lesen. Es war wie eine Droge für mich, und ich kam erst wieder spät am Nachmittag zurück zur Realität, als Dziunka bei mir ankam.“ 537 Ein tiefgreifender Eingriff in das alltägliche Leben der Juden Tarnóws stellte das Verbot der Religionsausübung dar. Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs prägte das Judentum mit den über vierzig Synagogen und klei536 537

Ebd., S. 12 f. [Übersetzung aus dem Englischen]. Kempler, Memoir, S. 51.

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neren Gebetshäusern nicht nur das Stadtbild, sondern bestimmte auch den Alltag der jüdischen Bevölkerung in hohem Maße. Durch das Niederbrennen der Synagogen und das Religionsverbot erhofften sich die Deutschen, diesen zentralen Bestandteil jüdischen Lebens zu zerstören. Allerdings ordneten sich nicht alle diesem Verbot unter. Religion wurde als wichtiger Aspekt jüdischen Lebens individuell oder auch kollektiv weiterhin praktiziert. Auf diese Weise widersetzten sich die Menschen konkret den deutschen Besatzern. David Faber berichtete in seinen Memoiren über eine provisorische Synagoge, die anlässlich des deutschen Verbots eingerichtet wurde: „Den Juden diente eine alte Lagerhalle als Behelfssynagoge“ 538, schrieb er darüber. Dass gerade Gebetstreffen, sofern diese entdeckt wurden, mit großen Gefahren verbunden sein konnten, schilderte William Kornbluth: „Im Sommer 1940 trieb die Gestapo eine große Gruppe orthodoxer Juden zusammen, jagte sie mit Peitschen und bissigen Hunden auf den Marktplatz, befahl ihnen, ihre Gebetsschals anzuziehen, und traten über eine Torah und spuckten auf sie. Sie setzen sie dann in Brand. Viele deutsche Soldaten, die in Tarnow stationiert waren, beobachteten das Schauspiel. Im Anschluss an diese ‚Show‘ schnitten sie die Bärte und Schläfenlocken jener hoffnungslosen Juden ab. Die Juden wurden wahrscheinlich auch während eines im Untergrund abgehaltenen Gebetsdienstes gefunden.“ 539 Etwas ungefährlicher mag die Ausübung jüdischer Riten im privaten Bereich gewesen sein. Das Risiko entdeckt zu werden, war geringer. Ein Beispiel für individuelles Praktizieren von Religion liefert die Erinnerung von Samuel Goetz. Er beschrieb, wie seine Eltern seine Bar Mitzvah vorbereiteten. Gemeinsam mit weiteren Gästen wurde diese im Sommer 1941 gemeinsam gefeiert. 540 In anderen Städten des Generalgouvernements waren Zusammenkünfte dieser Art kaum noch mühelos möglich. Viele jüdische Gemeinden waren um die Jahreswende 1941/1942 bereits in Ghettos konzentriert. So war in der Hauptstadt Krakau die Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung schon im Frühjahr 1941 abgeschlossen. 541 Im nahegelegenen Reichshof wurde das jüdische Viertel zu Beginn des Jahres 1942 hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. 542 Zur gleichen Zeit existierte in Tarnów jedoch

538

Faber, Romeks Bruder, S. 56. Kornbluth, Sentenced, S. 72 [Übersetzung aus dem Englischen]. 540 Goetz, Face, S. 26 f.; Interview mit Samuel Goetz, USHMM, RG-50.005*0016. 541 Anordnung Wächter betr. Bildung eines jüdischen Wohnbezirkes in der Stadt Krakau v. 3. 3. 1941, AŻIH, 233/66, Bl. 3–5. 542 Urteil LG Memmingen v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Lfd. Nr. 711a, S. 414. 539

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noch kein geschlossener Wohnbezirk, in dem die Menschen eingepfercht auf engstem Raum leben mussten. Sie verfügten somit noch über einen etwas größeren Handlungsspielraum, um NS-Maßnahmen zu umgehen und ihren Alltag nach ihren Möglichkeiten bestreiten zu können. Gerade die unterschiedlich realisierte Ghettoisierungspolitik verdeutlicht, dass die NS-Entrechtung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung häufig von örtlichen Gegebenheiten abhängig und von lokalen Initiativen geprägt war. Es existierte keineswegs eine Gleichzeitigkeit hinsichtlich der „Judenpolitik“ in den einzelnen Städten des Generalgouvernements. Ghettos wurden vielfach erst zur konkreten Vorbereitung der Deportationen im Rahmen der „Aktion Reinhard“ geschaffen, deren Planung und Organisation bereits im Frühjahr 1942 mit besonderer Intensität vorangetrieben wurde.

3. Vernichtung 3.1 Die „Aktion Reinhard“ im Distrikt Krakau 3.1.1 Der systematische Massenmord im Generalgouvernement Während die „Judenpolitik“ in Tarnów durch die Anordnung zum Verbot der Begehung festgelegter Straßen und Plätze im Herbst 1941 eine Radikalisierung erfuhr, wurden andernorts zur gleichen Zeit die Weichen für den entscheidenden Wandel zum direkten Genozid an der jüdischen Bevölkerung gestellt.1 Bereits seit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion verschärfte sich die Judenverfolgung. Reinhard Heydrich wies die im besetzten Gebiet operierenden Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD an, neben Komintern- und Parteifunktionären auch Juden in „Partei- und Staatsstellungen“ zu liquidieren. 2 Seit Juli und August wurden allerdings auch Teile der Zivilbevölkerung getötet. 3 Obgleich Hermann Göring am 31. Juli Reinhard Heydrich die Ermächtigung zur Planung der „Endlösung“ erteilte, herrschte über die Art und Weise der konkreten Realisierung des Mordprogramms bis Anfang Oktober noch keine Gewissheit. 4 Aber nicht nur die deutsch besetzten Sowjetgebiete wurden im Herbst Schauplatz einer Verschärfung der „Judenpolitik“. Die Gauleiter in den annektierten polnischen Gebieten forderten, die Juden aus ihren jeweiligen Herrschaftsgebieten zu verbannen. Nachdem die Entscheidung gefallen war, im Reichsgau Wartheland ein Vernichtungslager zu errichten, wurden in Kulmhof bereits im Dezember systematische Tötungen in mit Fahrzeugabgasen betriebenen Gaswagen umgesetzt. 5 Beinahe zeitgleich begann man mit dem Bau eines weiteren Vernichtungslagers nahe

1 Hinsichtlich der zeitlichen Abfolge und entscheidenden Institutionen im Entscheidungsprozess zur Ingangsetzung der „Endlösung“ existieren unterschiedliche Akzentuierungen und Gewichtungen innerhalb der Forschung. Einen Überblick über die Debatte liefert Browning, Weg, S. 67–104. 2 Gerlach, Wannsee-Konferenz, S. 4–44. 3 Mommsen, Wendepunkt, S. 61; Pohl, „Judenpolitik“, S. 98. 4 Ebd., S. 98 f. 5 Ebd., S. 99; Cüppers, Wegbereiter, S. 283.

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Vernichtung

dem bestehenden Konzentrationslager Auschwitz. Im Frühjahr 1942 war Auschwitz-Birkenau „betriebsbereit“. 6 Im Generalgouvernement selbst vollzogen sich zu dieser Zeit unterschiedliche Entwicklungen. Im Distrikt Galizien wurden bereits im Herbst systematische Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung verübt. Verschärft wurde diese Situation durch den von BdS Schöngarth erlassenen „Schießbefehl“. 7 Parallel hierzu wurden im Distrikt Lublin die Grundlagen für die Ermordung der polnischen und europäischen Juden, die unter dem Decknamen „Aktion Reinhard“ Bekanntheit erlangen sollte, geschaffen. 8 Der Distrikt hatte allein schon durch seine geographische Lage als Grenzland im Zuge des deutsch-sowjetischen Kriegs eine Sonderstellung inne. 9 Hinzu kam, dass der dortige SSPF, Odilo Globocnik, seine regionale Machtstellung ausbauen konnte. Himmler hatte ihn im Juli 1941 mit den Planungen für eine künftige Ansiedlung Volksdeutscher im Distrikt Lublin sowie in der besetzten Sowjetunion beauftragt, die im Rahmen des Generalplans Ost 10 realisiert werden sollte. Die veränderte Kriegslage sollte jedoch die Germanisierung des Distrikts hinfällig erscheinen lassen, da hunderttausende polnische Juden nicht wie vorgesehen in den Osten deportiert werden konnten. Etwa zur selben Zeit wurden in der Berliner Zentrale weitreichende Entscheidungen getroffen: Ende August 1941 ließ Adolf Hitler das „Euthanasieprogramm“, die erste systematische Mordkampagne der Nationalsozialisten, im Deutschen Reich offiziell einstellen. Mit einem auf Kriegsbeginn rückdatierten Schreiben hatte er im Oktober 1939 seinen Begleitarzt Karl Brandt und den Leiter der Kanzlei des Führers, Philipp Bouhler, mit der Realisierung der Mordaktion an psychisch und physisch Erkrankten beauftragt. Das Kriminaltechnische Institut im Reichssicherheitshauptamt sollte sich auf die Suche nach geeigneten Tötungsmethoden 6

Piper, Zahl, S. 199; Orth, System, S. 199 ff. Pohl, „Judenpolitik“, S. 92–95; ders., Ermordung, S. 103 f.; Longerich, Politik, S. 421. 8 Zur Schreibweise dieses systematischen NS-Vernichtungsprogramms vgl. Black, Trawniki-Männer, S. 309 f., Fn. 3. 9 Vgl. hierzu auch Pohl, Stellung. 10 Das Dokument, welches als Generalplan Ost bezeichnet wird, entstand 1941 und sah ein groß angelegtes Germanisierungsprojekt Osteuropas vor. Zwischen 1940 und 1941 gab Himmler den Befehl zur Ausarbeitung einer Gesamtkonzeption. An der Erstellung des Plans waren neben dem RSHA auch das „Stabshauptamt des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums“ beteiligt. Vgl. Benz, Generalplan Ost, S. 42 ff. 7

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begeben, das letztlich den Einsatz von Kohlenmonoxid für die bald anlaufende Mordkampagne favorisierte.11 Da die Kanzlei des Führers, Hitlers Privatkanzlei, im Zusammenhang mit den Tötungen nicht öffentlich in Erscheinung treten sollte, wurde eine Sonderverwaltung gebildet, die formal dem Hauptamt II der Führerkanzlei unterstand. Seit April 1940 befand sich diese für den Massenmord gebildete Sonderabteilung in der Berliner Tiergartenstraße 4, die fortan unter der Bezeichnung „Zentraldienstelle T4“ operierte. Bis Mitte des Jahres 1941 wurden im Rahmen der „T4-Aktion“ über 70.000 körperlich und geistig versehrte Menschen in den Anstalten Grafeneck, Hadamar, Brandenburg, Bernburg, Hartheim bei Linz und Sonnenstein in Gaskammern mit reinem Kohlenmonoxid getötet. 12 Das im Morden wehrloser Menschen konditionierte T4-Personal war nach dem vorläufigen Abschluss der Mordkampagne zunächst unter anderem mit Bürotätigkeiten und Aufräumarbeiten beschäftigt.13 Allerdings, so wird anhand einer Nachkriegsvernehmung des Leiters der Hauptabteilung II in der Kanzlei des Führers, Viktor Brack, offenbar, wurde nach anderen Einsatzmöglichkeiten für die nun fungiblen Männer der Berliner Tiergartenstraße gesucht: „Im Jahre 1941 erhielt ich mündlichen Befehl, das Euthanasie Programm einzustellen. […] Um das durch die Einstellung freigewordene Personal zu erhalten und um die Möglichkeit zu haben, nach dem Kriege ein neues Euthanasie Programm in die Wege zu leiten, forderte mich Bouhler nach einer Konferenz mit Himmler – wie ich glaube – auf, dieses Personal nach Lublin abzustellen, zur Verfügung des Brigadeführers Globocnik.“ 14 Dieser stand seit geraumer Zeit in engem Kontakt mit den Führungsspitzen der Kanzlei des Führers. Bereits im September 1941 waren Bouhler und Brack in Lublin, um dort den „Bau von Arbeitslagern“ zu inspizieren.15 Einen Monat danach, am 13. Oktober, fand ein Treffen zwischen Himmler, dem HSSPF Krüger und Globocnik statt. An diesem Tag fiel vermutlich die vorläufige Entscheidung, mit Hilfe des im Töten erfahrenen T4-Personals das Vernichtungslager Belzec zu errichten. 16 11

Beer, Gaswagen, S. 405. Berger, Experten, S. 31. 13 Ebd., S. 34. 14 Vern. Viktor Brack v. 12. 10. 1946, Nbg. Dok. NO-426, BAL, B 162/27199, Bl. 114. 15 Berger, Experten, S. 34. 16 Belzec, eine kleine Ortschaft mit wenigen Einwohnern, lag im Südosten des Distrikts Lublin. Zu Beginn des Jahres 1940 schufen die Deutschen dort ein Zwangsarbeitslager für Juden, das jedoch bereits im Herbst 1940 aufgelöst wurde. 12

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Vernichtung

Innerhalb der Holocaust-Forschung herrscht keineswegs Einigkeit, ob der Entschluss vom Oktober 1941, die Juden Lublins zu ermorden, lediglich für den Distrikt Lublin oder aber für das gesamte Generalgouvernement Geltung besaß: Während Dieter Pohl der Meinung ist, Globocnik habe nicht a priori die Ermächtigung erhalten, die gesamte jüdische Bevölkerung im Generalgouvernement zu ermorden, da allein schon die Aufnahmekapazität des verhältnismäßig kleinen Lagers Belzec nur begrenzt gewesen war 17, vertritt Bogdan Musial die These, dass Belzec zur Ermordung aller Juden im Generalgouvernement dienen sollte. Als wichtigstes Indiz hierfür sieht er vor allem eine Besprechung am 17. Oktober, an der sowohl Generalgouverneur Hans Frank, Staatssekretär Ernst Boepple, der Gouverneur des Distrikts Lublin, Wilhelm Engler, sowie Odilo Globocnik teilnahmen. Während dieses Treffens kam man überein, Juden – bis auf unentbehrliche Handwerker und andere Gruppen – aus Lublin „über den Bug“ zu evakuieren.18 Im Verlauf der Sitzung äußerte Frank, dass er „in der nächsten Zeit auf Grund eines besonderen Auftrages des Führers“ noch häufiger in Lublin erscheinen werde. 19 Musial ist der Auffassung, dass mit dem Euphemismus „Evakuierung über den Bug“ nur die Ermordung der Juden gemeint sein konnte. Darin sei somit der Auftakt zum staatlich organisierten Massenmord zu sehen. 20 Demgegenüber ist Pohl der Ansicht, dass der Plan vielmehr genau an der Schwelle zwischen Plänen zur Vertreibung und zum Massenmord gestanden habe. 21 Um den Genozid im Generalgouvernement vorbereiten und vollziehen zu können, war eine aktive Teilnahme der Zivilverwaltung erforderlich, die bereits seit längerer Zeit an einer „Lösung der Judenfrage“ großes Interesse hatte. Dies hing vor allem mit der Verschlechterung der Ernährungslage im Deutschen Reich, aber auch im Generalgouvernement selbst zusammen. So merkt Musial hierzu an, dass durch die „Entfernung“ von Am 1. November 1941 begann die SS-Zentralbauleitung mit dem Bau des Vernichtungslagers in Belzec. SS-Oberscharführer Josef Oberhauser führte die Bauaufsicht. Mitte Dezember 1941 wurde SS-Hauptsturmführer Christian Wirth zum Lagerleiter ernannt; Oberhauser wurde dessen Adjutant. Vgl. Arad, Belzec, S. 23 ff. 17 Pohl, „Judenpolitik“, S. 101. Auch Christian Gerlach ist der Ansicht, dass der Bau des Vernichtungslagers Belzec nicht mit der Absicht verbunden gewesen sei, alle Juden im Generalgouvernement zu ermorden. Vgl. Gerlach, Wannsee-Konferenz, S. 9; ders., Krieg, S. 90. 18 Musial, Zivilverwaltung, S. 196. 19 Zitiert nach: Ebd., S. 199; vgl. hierzu auch Seidel, Besatzungspolitik, S. 284. 20 Musial, Zivilverwaltung, S. 196. 21 Pohl, „Judenpolitik“, S. 108.

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rund 2,5 Millionen Juden aus dem Generalgouvernement, die aus Sicht der Behörden zum großen Teil „unproduktive Esser“ gewesen seien, sich die zivilen Behörden im Generalgouvernement unter anderem eine Entspannung der Versorgungslage erhofften. 22 Dieser Utilitarismus erscheint durchaus plausibel, allerdings nur unter Berücksichtigung des NS-Antisemitismus, der erst die Grundlage für dieses Motiv bildete und einer „Beseitigung“ der jüdischen Bevölkerung die nötige Legitimation verschaffte. Während einer am 16. Dezember 1941 stattgefundenen Regierungssitzung in Krakau berichtete Generalgouverneur Frank äußerst offenherzig über den sich immer stärker abzeichnenden Massenmord an der jüdischen Bevölkerung: „Mit den Juden – das will ich Ihnen auch ganz offen sagen – muß so oder so Schluß gemacht werden. […] Ich habe Verhandlungen zu dem Zwecke angeknüpft, sie nach dem Osten abzuschieben. Im Januar findet über diese Frage eine große Besprechung in Berlin statt, zu der ich Herrn Staatssekretär Dr. Bühler entsenden werde. […] Aber was soll mit den Juden geschehen? Glauben Sie, man wird sie im Ostland in Siedlungsdörfern unterbringen? Man hat uns in Berlin gesagt: weshalb macht man diese Scherereien; wir können im Ostland oder im Reichskommissariat auch nichts mit ihnen anfangen, liquidiert sie selber! […] Die Juden sind auch für uns außergewöhnlich schädliche Fresser. […] Diese 3,5 Millionen Juden können wir nicht erschießen, wir können sie nicht vergiften, werden aber doch Eingriffe vornehmen können, die irgendwie zu einem Vernichtungserfolg führen, und zwar im Zusammenhang mit den vom Reich her zu besprechenden großen Maßnahmen.“ 23 Bei der von Hans Frank angesprochenen Besprechung handelte es sich um die Berliner „Wannsee-Konferenz“, bei der am 20. Januar 1942 beteiligte Dienststellen auf Staatssekretärsebene über die bisher getroffenen Maßnahmen informiert wurden. Vor allem erfolgten an dem Tag Absprachen über die künftige Vorgehensweise. 24 Während der SS- und Polizeiapparat die Aufgabe erhielt, den Massenmord zu organisieren und umzusetzen, sollte die zivile Verwaltung den Genozid organisatorisch unterstützen. 25 Während der Berliner Besprechung betonte Bühler, „daß das Generalgouvernement es begrüßen würde, wenn mit der Endlösung dieser

22

Musial, Zivilverwaltung, S. 195. Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 457 f. 24 „Wannsee-Protokoll“ v. 20. 1. 1942, in: Jüdisches Historisches Institut Warschau, Faschismus, S. 263–268. 25 Vgl. Roseman, Wannsee-Konferenz, S. 100; Gerlach, Krieg, S. 87; Musial, Verfolgung, S. 196. 23

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Frage im Generalgouvernement begonnen würde, weil einmal hier das Transportproblem keine übergeordnete Rolle spielt und arbeitseinsatzmäßige Gründe den Lauf dieser Aktion nicht behindern würden. Juden müßten so schnell wie möglich aus dem Gebiet des Generalgouvernements entfernt werden, weil gerade hier der Jude als Seuchenträger eine eminente Gefahr bedeutet und er zum anderen durch fortgesetzten Schleichhandel die wirtschaftliche Struktur des Landes dauernd in Unordnung bringt. Von den in Frage kommenden etwa 2 ½ Millionen Juden sei überdies die Mehrzahl der Fälle arbeitsunfähig.“ 26 Bereits im Herbst 1941, als sich der Mord an der jüdischen Bevölkerung noch in der entscheidenden Planungsphase befand, war man sich über die Probleme, die durch den Entzug jüdischer Arbeiter im Generalgouvernement verursacht werden konnten, im Klaren. 27 Reinhard Heydrich traf sich am 4. Oktober mit Alfred Meyer, dem Stellvertreter Alfred Rosenbergs im Ostministerium. Bei dieser Unterredung wies er darauf hin, dass einige Unternehmer ihre jüdischen Arbeitskräfte als unentbehrlich reklamieren könnten. Nach Ansicht Heydrichs würde gerade dies für die Pläne einer Gesamtentfernung der Juden aus den besetzten Ostgebieten äußerst hinderlich sein. 28 Im Oktober zeichnete sich eine Verschlechterung der Arbeitsmarktlage ab, sodass Hitler schließlich am 31. Oktober die Heranziehung sowjetischer Kriegsgefangener zum Arbeitseinsatz anordnete. Allerdings konnte auch dies nicht wie vorgesehen realisiert werden, da vor allem in den folgenden Wintermonaten hunderttausende sowjetische Kriegsgefangene verstarben. 29 Aus diesem Grund wurde nun dazu übergegangen, auch russische, polnische und ukrainische Zivilisten zu Zwangsarbeiten einzusetzen. Zudem sollten auch jüdische Arbeiter zumindest temporär von der physischen Vernichtung verschont bleiben. 30 Obgleich es zu diesem Zeitpunkt noch den Anschein erweckte, der jüdische Arbeitseinsatz würde aufgrund des akuten Arbeitskräftemangels ausgeweitet werden, wurde auch dies innerhalb weniger Monate obsolet. Bis Mitte 1942 waren bereits Zehntausende in den Lagern Belzec und Sobibor vergast worden, und auch das dritte Vernichtungslager der „Aktion Reinhard“, Treblinka, war Ende Juli „betriebsbereit“. 26

„Wannsee-Protokoll“ v. 20. 1. 1942, in: Jüdisches Historisches Institut Warschau, Faschismus, S. 267 f. 27 Browning, Judenmord, S. 107. 28 Burrin, Hitler, S. 143 f. 29 Herbert, Arbeit, S. 397; ders., Fremdarbeiter, S. 141. 30 Vgl. ebd., S. 144 f., 154–161; Pohl, Judenverfolgung, S. 184; Browning, Judenmord, S. 108.

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Unter dem Decknamen „Aktion Reinhard“ fand die systematische Ermordung der polnischen und der europäischen Juden in den im Generalgouvernement erbauten Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka statt. Mehr als 1,6 Millionen Juden fielen dem Massenmord zum Opfer. 31 Dieses größte, systematisch umgesetzte Vernichtungsprogramm der Nationalsozialisten war ein arbeitsteiliges Kollektivverbrechen, an dem sich nicht nur der SS-Apparat mit sämtlichen Polizeisparten sowie die zivile Verwaltung beteiligten, sondern auch Angehörige der Wehrmacht sowie ausländische Kollaborateure. 32 Selbst die aktive Mitwirkung eher unverdächtiger Berufsgruppen wie Bahnpolizisten und Zollangehörige an den Mordkampagnen ist überliefert. 33 Die „Aktion Reinhard“ begann mit Deportationen der Juden aus den Distrikten Lublin und Galizien, wobei die Nähe des Vernichtungslagers Belzec hierfür den Ausschlag gegeben haben dürfte. 34 Unter Leitung Globocniks wurde am 16. März 1942 das Ghetto Lublin geräumt und rund 18.000 Menschen nach Belzec deportiert. 35 Im Anschluss fanden Deportationen jüdischer Gemeinden aus anderen Ortschaften des Distrikts statt. Im Zeitraum von März bis Mai ermordete man in der Hauptsache die als arbeitsunfähig Eingestuften aus Lublin, Lemberg und den Städten Ostgaliziens. 36 Unterbrochen wurden die Transporte zeitweise von April bis Ende Mai, da sich die Aufnahmekapazität von Belzec als zu gering erwies. Personal aus Belzec wurde anschließend in das gerade im Aufbau befindliche Lager Sobibor versetzt, um bei der Beendigung der Baumaßnahmen behilflich zu sein. 37 Als Sobibor, das zweite Vernichtungslager der „Aktion Reinhard“, Anfang Mai funktionsfähig war, wurden die Mordkampagnen aus dem Distrikt Lublin fortgesetzt. Allerdings zunächst nur für einen kurzen Zeitraum, denn die Transporte wurden am 10. Juni erneut gestoppt. 38 Dies resultierte vermutlich aus der Entscheidung, den Genozid an den übrigen Juden des Generalgouvernements noch während des Sommers zu vollziehen. Gefällt wurde dieser Beschluss vermutlich im Zeitraum zwi31

Berger, Experten, S. 387. Zur Rolle der Wehrmacht beim Vollzug der Shoah vgl. etwa: Böhler, Verstrickung, S. 36–56; Manoschek, Wehrmacht, S. 167–185; einen Überblick über die ausländischen Kollaborateure liefert Hilberg, Täter, S. 103–120. 33 Pohl, Ermordung, S. 111 f. 34 Seidel, Besatzungspolitik, S. 293. 35 Musial, Zivilverwaltung, S. 229 f.; ders., Einleitung, S. 8. 36 Ders., Zivilverwaltung, S. 230 f.; Pohl, Ermordung, S. 105. 37 Zum Vernichtungslager Sobibor vgl. etwa Schelvis, Vernichtungslager. 38 Seidel, Besatzungspolitik, S. 293. 32

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schen dem Attentat auf Heydrich am 27. Mai und dessen Tod am 4. Juni. 39 Nachdem das Lager Belzec ab Ende Mai wieder aufnahmebereit war, wurden dort tausende Menschen aus dem Distrikt Krakau ermordet. 40 Im dritten und größten Vernichtungslager der „Aktion Reinhard“, Treblinka, sollten neben Personen aus unterschiedlichen europäischen Ländern vornehmlich Juden aus dem Distrikt und der Stadt Warschau, dem Distrikt Radom sowie aus Białystok getötet werden. 41 Zu jener Zeit, als die „Aktion Reinhard“ im Generalgouvernement bereits angelaufen war, unterlag das dortige politische Machtgefüge einer bedeutenden Modifikation: Heinrich Himmler setzte durch, dass der HSSPF Krüger zum Staatsekretär für das Sicherheitswesen berufen wurde. Dies bedeutete einen enormen Machtzuwachs für den SS- und Polizeiapparat, denn Krüger bekleidete damit einen formalen Rang in der Regierung des Generalgouvernements. Zeitgleich blieb er jedoch auch Himmler unterstellt. Durch den Erlass des Generalgouverneurs zur Überweisung von Dienstgeschäften an den Staatssekretär für das Sicherheitswesen vom 3. Juni erklärte Generalgouverneur Frank die „Judenangelegenheiten“ zum Sachgebiet der Sicherheitspolizei, womit Krüger fortan die alleinige Kompetenz hierfür beanspruchen konnte. 42 Die Zivilverwaltung blieb allerdings auch in der Folgezeit für einige verwaltungsmäßige Aufgaben im Rahmen der „Judenpolitik“ zuständig.43 Da das Generalgouvernement verstärkt seit Frühjahr 1942 in die Kriegsproduktion involviert war, wuchs auch die Bedeutung des jüdischen Arbeitseinsatzes. Vor allem die Wehrmacht verfolgte das Ziel, anstelle der polnischen und ukrainischen Arbeitskräfte jüdische Zwangsarbeiter einzusetzen. Diesem Vorhaben stimmte Friedrich-Wilhelm Krüger zunächst zu, indem er der Rüstungsproduktion am 20. Mai zusicherte, 100.000 polnische Arbeiter durch Juden ersetzen zu lassen. 44 Auch von Seiten der Zivilverwaltung wollte man auf den Arbeitseinsatz der jüdischen Bevölke39

Longerich, Politik, S. 506. Ebd., S. 508; Pohl, „Judenpolitik“, S. 122. 41 Młynarczyk, Treblinka, S. 258; Rückerl, NS-Vernichtungslager, S. 200; Musial, Zivilverwaltung, S. 302; Wissenschaftliches Gutachten erstattet von Dr. Wolfgang Scheffler „Übersicht über die Transporte in das Vernichtungslager Treblinka für die Zeit vom 1. September 1942 bis zum 31. Juli 1943“, BAL, B 162/156, Bl. 5. 42 Seidel, Besatzungspolitik, S. 294. 43 Ausarbeitung ZSL „Die Beteiligung der Kreis- und Stadthauptleute an nationalsozialistischen Verbrechen“, BAL, B 162/19153, Bl. 19. 44 Seidel, Besatzungspolitik, S. 305; Sandkühler, „Endlösung“, S. 97, 182; Pohl, Judenverfolgung, S. 200. 40

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rung nicht verzichten. Max Frauendorfer, der Chef der Hauptabteilung Arbeit, betonte in einer am 22. Juni stattgefundenen Hauptabteilungssitzung, dass er „auf den jüdischen Arbeitseinsatz absolut angewiesen“ 45 sei. Dieser Meinung habe sich auch der Rüstungsinspekteur des Generalgouvernements, Max-Josef Schindler, angeschlossen: „Die Juden sollen den von der SS durchgeführten Aktionen zwar nicht entzogen, aber für die Dauer des Kriegs arbeitsmäßig erhalten bleiben.“ 46 Am 25. Juni 1942 traten die Arbeitsämter offiziell ihre Zuständigkeit für den jüdischen Arbeitseinsatz ab, obgleich es vielerorts noch längere Zeit dauern sollte, bis die SS auch in der Praxis die entsprechenden Kompetenzen übernommen hatte. Die Arbeitsverwaltung informierte die Arbeitsämter, dass Juden zukünftig nur noch mit der Erlaubnis des zuständigen SSPF vermittelt werden können: „Beim Arbeitseinsatz von Juden werden Belange der Polizei auf das engste berührt. Ich bestimme daher mit sofortiger Wirkung, daß Arbeitseinsatz von Juden nur noch nach vorherigem Einvernehmen mit dem örtlichen zuständigen Polizeiführer vorgenommen werden darf. […] Es ist zu erwarten, daß die Polizei in Zukunft die Auswertung der jüdischen Arbeitskraft in gewissem Umfange, insbesondere für die Rüstungsindustrie, selbst vornimmt. In diesen Fällen entfällt insoweit die Vermittlungstätigkeit der Arbeitsämter. Etwaigen Bitten der Polizei um Unterstützung durch die Arbeitsämter ist selbstverständlich nach Möglichkeit zu entsprechen.“ 47 Eine Neuregelung des jüdischen Arbeitseinsatzes erfolgte schließlich im Rahmen eines Treffens zwischen Himmler, Krüger und Globocnik am 9. Juli. Einige Tage später, am 17. Juli, informierte Krüger die Rüstungsinspektion darüber, dass alle bis zu diesem Zeitpunkt getroffenen Vereinbarungen ungültig seien. Die Rüstungswirtschaft sollte die Arbeiter fortan aus den Zwangsarbeitslagern des HSSPF erhalten. Darüber hinaus sollten lediglich noch Juden im Alter zwischen 16 und 35 Jahren zu Arbeiten herangezogen werden dürfen. 48 Zwischen dem 11. und 14. Juli traf sich Himmler wiederholt mit Hitler. Zwei Tage später, am 16. Juli, kontaktierte er über den Chef seines Persönlichen Stabes das Reichsverkehrsministe45

Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 516. Zitiert nach: ebd. 47 Schreiben Leiter HA Arbeit an Leiter der Abt. Arbeit in den Ämtern der Distrikte und an Leiter der Arbeitsämter im Bereiche des GG betr. Arbeitseinsatz der Juden v. 25. 6. 1942, BAL, B 162/21913, Bl. 69. 48 Schreiben Krüger an Schindler v. 17. 7. 1942, Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg (BA-MA), RH 53–23/87, Bl. 51; Longerich, Politik, S. 510; Pohl, „Judenpolitik“, S. 127 f.; ders., Judenverfolgung, S. 214 f.; Seidel, Besatzungspolitik, S. 306 f. 46

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rium und bat um die Beseitigung des bestehenden Transportengpasses der Reichsbahn. An den beiden Folgetagen besichtigte Himmler Auschwitz. 49 Anschließend reiste er zu Globocnik und telegrafierte Krüger am 19. Juli die entscheidende Anweisung: „Ich ordne an, dass die Umsiedlung der gesamten jüdischen Bevölkerung des Generalgouvernements bis 31. Dezember 1942 durchgeführt und beendet ist. Mit dem 31. Dezember 1942 dürfen sich keinerlei Personen jüdischer Herkunft mehr im Generalgouvernement aufhalten. Es sei denn, dass sie sich in den Sammellagern Warschau, Krakau, Tschenstochau, Radom, Lublin aufhalten.“ 50 Mit dieser Verordnung wurde nicht nur die zweite Phase der „Aktion Reinhard“ angekündigt, sondern es wurde auch ein konkreter Zeitpunkt festgelegt, wann der Genozid an den Juden im Generalgouvernement beendet sein sollte. 51 Wenige Tage nach Himmlers folgenreicher Anordnung wurden erste Mordkampagnen im Warschauer Ghetto initiiert. Nun war auch das Lager Treblinka „betriebsbereit“. 52 Rund 250.000 Warschauer Juden wurden innerhalb weniger Wochen dorthin deportiert und umgehend ermordet. In der Folgezeit durchkämmte man die kleineren Gemeinden im Distrikt Warschau. Ebenfalls im Juli setzten erneute Deportationen aus dem Distrikt Galizien ein. Im August folgte der Distrikt Radom, wo die Mordaktionen bis November andauerten. 53 Im Rahmen der Ghettoräumungen kam es im Sommer vor allem im Distrikt Radom zu Neugründungen von Zwangsarbeitslagern für Juden. In den Distrikten Galizien und Lublin hingegen fand ein Ausbau bestehender Lager statt. Das größte Zwangsarbeitslager für Juden wurde im Distrikt Krakau errichtet: Das Lager KrakauPlaszow existierte seit dem 28. Oktober. 54 Im Distrikt Warschau hingegen gab es kaum größere Zwangsarbeitslager für Juden. Der Grund hierfür lag in der Tatsache begründet, dass alle Juden im westlichen Teil des Distrikts bereits 1941 in das Warschauer Ghetto gepfercht worden waren. 55 Während die Mordkampagnen umgesetzt wurden, entstand ein Konflikt zwischen SS und Wehrmacht um die Frage des Erhalts jüdischer Arbei49

Longerich, Politik, S. 508; Pohl, „Judenpolitik“, S. 127 f. Schreiben Himmler an Krüger v. 19. 7. 1942, BAL, B 162/1725, Bl. 5540. 51 Musial, Zivilverwaltung, S. 284 ff. 52 Młynarczyk, Treblinka, S. 258; Rückerl, NS-Vernichtungslager, S. 200; Musial, Zivilverwaltung, S. 302. 53 Longerich, Politik, S. 508 f. 54 Ein umfassender Bericht über das Lager Krakau-Plaszow, der auf einer Zeugenaussage beruht, findet sich im Archiv von Yad Vashem: YVA, M.1.E./2375. 55 Pohl, Zwangsarbeitslager, S. 419 ff. 50

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ter. 56 Am 5. September 1942 bestimmte der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, sämtliche für die Wehrmacht tätigen jüdischen Arbeiter durch polnische Arbeiter zu ersetzen. 57 Kurze Zeit später erklärte sich Hitler mit dem Entwurf des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel, einverstanden: Qualifizierte Arbeiter sollten zumindest temporär im Generalgouvernement belassen werden. Diese Entscheidung muss vor allem im Zusammenhang mit dem für die Deutschen ungünstigen Verlauf des Kriegs gegen die Sowjetunion gesehen werden. 58 Nun intervenierte Himmler, der zwischen den „sogenannten“ und den „wirklichen“ Rüstungsarbeitern unterschied: Die „sogenannten“ Arbeiter, die lediglich Ausrüstungsartikel herstellten, wollte man in Lagern der SS kasernieren. Die „wirklichen“ Arbeiter hingegen, die in die militärische Produktion von Waffen und Munition eingebunden waren, sollten in geschlossenen Hallen, die somit zu „Konzentrationslager-Betrieben“ avancierten, interniert werden. 59 Aber auch zu dieser Zeit betonte Himmler den temporären Einsatz der jüdischen Arbeitskräfte: „Jedoch auch dort sollen eines Tages dem Wunsche des Führers entsprechend die Juden verschwinden.“ 60 Am 10. Oktober 1942 übernahm das Oberkommando der Wehrmacht Himmlers Weisung, drei Tage später verhandelte HSSPF Krüger mit der Rüstungsinspektion. Vereinbart wurde, dass die Wehrmacht fortan für die Arbeitsjuden pro Tag einen Betrag von fünf Złoty für Männer und vier Złoty für Frauen bezahlen sollte. 61 Vermutlich im März 1943 wandte sich die Berliner Zentrale dann an den SS- und Polizeiapparat im Generalgouvernement und ordnete eine Reduzierung der noch verbliebenen jüdischen Zwangsarbeiter an. Mit Ausnahme des im Wartheland gelegenen Ghettos Litzmannstadt wurden im Verlauf des Jahres sämtliche noch bestehenden Arbeitsghettos liquidiert. Diese zweite Auflösungswelle bislang verbliebener Ghettos ging jedoch mit Neugründungen jüdischer Zwangsarbeitslager einher, sodass das Lagersystem der SSPF vor allem zwischen März und Mai die zahlenmäßig höchste Ausdehnung erfuhr. 62 Himmler betonte jedoch zu Beginn des Mo56

Ders., Judenverfolgung, S. 235. Młynarczyk, Judenmord, S. 336. 58 Schulte, Zwangsarbeit, S. 46 f. 59 Schreiben Himmlers v. 9. 10. 1942, in: Grabitz/Scheffler, Spuren, S. 179. 60 Ebd. 61 Pohl, Judenverfolgung, S. 236; Seidel, Besatzungspolitik, S. 335. 62 Pohl, Judenverfolgung, S. 252; ders., Zwangsarbeitslager, S. 420; Golczewski, Polen, S. 473. 57

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nats Mai, eine „vordringliche Aufgabe im Generalgouvernement sei es, die dort noch vorhandenen 3–400000 Juden zu entfernen“. 63 Entsprechend gab der HSSPF Krüger auf einer Arbeitssitzung Folgendes bekannt: „Er habe neulich erst wieder den Befehl erhalten, in ganz kurzer Zeit die Entjudung durchzuführen. Man sei gezwungen gewesen, die Juden auch aus der Rüstungsindustrie und den wehrwirtschaftlichen Betrieben herauszuziehen, falls sie nicht ausschließlich im kriegswichtigsten Interesse eingesetzt seien. Die Juden seien dann in großen Lagern zusammengefaßt worden, und würden von dort für die Tagesarbeit in diesen Rüstungsbetrieben abgegeben. Der Reichsführer SS wünsche aber, daß auch die Beschäftigung dieser Juden aufhöre“. 64 3.1.2 Judenmord im Distrikt Krakau Wie in anderen Teilen des Generalgouvernements mussten auch im Distrikt Krakau von deutscher Seite Vorbereitungen für die Deportation der jüdischen Bevölkerung getroffen werden, was in die Zuständigkeit des örtlichen SSPF fiel. Im Frühjahr 1942 wurde Julian Scherner von Friedrich-Wilhelm Krüger mit der Ermordung der Juden seines Distrikts betraut. 65 Um die Vernichtungsmaßnahmen gegen die Juden im Krakauer Distrikt zu planen, zu organisieren und zu realisieren, wurde sein Stab, der zuvor lediglich aus sechs bis zehn Personen bestand, annähernd verdoppelt. 66 An den großen Vernichtungsmaßnahmen nahm entweder Scherner persönlich oder aber ein Vertreter teil, der nicht nur einen detaillierten schriftlichen Bericht über die jeweilige Aktion anfertigte, sondern auch bei potentiellen Schwierigkeiten während der Aktion den SSPF fernmündlich zu informieren hatte. 67 Innerhalb des SSPF-Stabes nahmen vor allem der Stabsführer und der Adjutant eine bedeutende Stellung ein. Einer von ihnen war es, der in der Regel die Einsatzbesprechungen mit den örtlichen Dienststellen führte und auch während der Umsetzung der Mordkampagne vor Ort war 68, wie Wilhelm Kunde zu Protokoll gab: „Zu jeder Aussiedlung kamen noch Angehörige des SS- und Polizeiführers. Es waren dann zugegen entweder 63

Zitiert nach: Pohl, „Judenpolitik“, S. 166. Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 682. 65 Urteil LG Bochum v. 14. 2. 1967, in: JNSV, Bd. 36, Lfd. Nr. 762b, S. 403. 66 Dto. LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: ebd., Bd. 23, Lfd. Nr. 619a, S. 74; vgl. hierzu auch Stellenbesetzung des Stabes des SSPF im Distrikt Krakau, BAL, B 162/21968, Bl. 330. 67 Urteil LG Arnsberg v. 5. 12. 1970, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 780, S. 530. 68 Roth, Herrenmenschen, S. 204. 64

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Scherner selbst oder sein Stabsführer Fellenz oder schließlich sein Adjutant Bartsch.“ 69 Während der Vorbereitung und Realisierung der Vernichtungsaktionen übte zunächst Martin Fellenz die Funktion eines Leiters des persönlichen Büros und des Stabsführers beim SSPF aus. Ihm folgte Ende Oktober 1942 Sturmbannführer Willi Haase. Während der gesamten Zeit der Judenvernichtung war Untersturmführer Hans Bartsch der Adjutant Scherners. Als Referent für Judenangelegenheiten war von Sommer 1942 bis Herbst 1943 Wilhelm Kunde eingesetzt. Julian Scherner bekleidete das Amt des SSPF seit August 1941. 1895 in Bagamoyo (damalig Deutsch-Ostafrika) geboren, besuchte er von 1905 bis 1914 eine Kadettenschule in Deutschland. Von 1914 bis 1920 diente Scherner im Heer und war nach Ende des Ersten Weltkriegs als Berufsoffizier tätig. Im Jahre 1932 erfolgte sein Eintritt in die NSDAP, zwei Jahre später wurde er hauptamtlicher SS-Führer. 1937 übernahm Scherner die Leitung der SS-Führung Dachau, 1939/40 führte er bereits diverse SS-Standarten und SS-Infanterie-Regimenter. Nachdem man Scherner im Januar 1941 zum SS-Standortkommandanten Prag ernannt hatte, erfolgte im August seine Ernennung zum SSPF im Distrikt Krakau.70 Scherner war eine äußerst undurchsichtige Person. Selbst von Seiten der SS wurde ihm wenig Vertrauen entgegengebracht, und man verdächtigte ihn der Korruption. Himmler persönlich nahm sich im März 1942 der „Causa Scherner“ an und erteilte ihm unter anderem auf Grund seines maßlosen Lebenswandels einen Verweis: Des Öfteren nahm der SSPF an Zechgelagen in diversen Lagern teil, wobei auch junge Mädchen sexuell missbraucht worden sein sollen.71 Obgleich das Verfahren wegen Korruption gegen ihn eingestellt wurde, haftete ihm innerhalb der SS weiterhin sein schlechter Ruf an, wie anhand einer Auskunft durch den Chef des SSPersonalhauptamts deutlich wird: „[Er] fühlt sich in Krakau sehr unwohl, da er dort nach seiner Meinung nicht zur Eigenentwicklung kommen kann. Scherner ist sehr von sich eingenommen, hat keine eigene Meinung und dürfte seinen höchsten Dienstgrad und Dienststellung erreicht haben. HSSPF Krüger hält ihn für seinen schwächsten SSPF.“ 72 Auch die am 22. Juni 1944 niedergeschriebene abschließende Beurteilung Scherners durch Krügers Nachfolger, HSSPF Koppe, fiel negativ aus: „Er ist zeit69

Vern. Wilhelm Kunde v. 13. 7. 1965, BAL, B 162/2156, Bl. 2359. Tagesbefehl Nr. 27 Kommandeur der Gendarmerie im Distrikt Krakau v. 18. 9. 1941, Archiwum Państwowe w Przemyślu (APP), 24/33, Bl. 59. 71 Aussage Michał Weichert v. 25. 10. 1946, BAL, B 162/26384, Bl. 28. 72 SSO-Akte Julian Scherner, BAB. 70

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weise sehr tatkräftig, läßt dann aber auch wieder die Zügel schleifen. […] Scherner ist dann und wann ein Freund fröhlichen Zechens. […] Nach reichlichem Alkoholgenuß verliert Sch. etwas die Beherrschung und zeigt dann gestützt auf seinen Dienstgrad und seine Dienststellung eine gewisse Großmannssucht. Auch nimmt er es mit Geschenken von Seiten nachgeordneter SS-Führer, deren Herkunft manchmal zweifelhaft sein mußte, nicht sehr genau. Oberf. Sch. bedarf, solange er sich charakterlich und haltungsmäßig nicht fest in der Hand hat, zunächst einer strengen Dienstaufsicht.“ 73 Im Gegensatz zu Scherner, der bei Dienstantritt als SSPF bereits das 45. Lebensjahr erreicht hatte, waren seine engsten Mitarbeiter, Stabsführer Fellenz und Haase sowie Adjutant Bartsch, jünger. Sie gehörten der Kriegsjugendgeneration an und erlebten den Ersten Weltkrieg nicht aktiv auf einem der Schlachtfelder. Während Scherner eine militärische Ausbildung in einer Kadettenschule absolviert hatte, wiesen die führenden Stabsangehörigen in Krakau einen ganz anders gelagerten Werdegang auf. Martin Fellenz, der nach Beendigung der Mittleren Reife erst für ein Jahr eine höhere Handelsschule besuchte, begann 1926 eine Banklehre. Nach deren Abschluss war er zunächst als Bankangestellter tätig, wurde jedoch nach eineinhalb Jahren arbeitslos. In der Folgezeit bemühte sich der musikalisch begabte Fellenz um eine Anstellung bei der Westdeutschen Operettenbühne in Duisburg-Hamborn als Pianist und Repetitor, wo er schließlich bis zum Kapellmeister aufstieg. 1935 verzog Fellenz nach Berlin. Zunächst arbeitslos, fand er schließlich am Stadttheater Bautzen kurzfristig eine Stelle. Im Frühsommer 1936 – Fellenz wohnte mittlerweile wieder in Berlin – traf er den damaligen SS-Standartenführer Fritz Katzmann, der ihm aus Duisburg bekannt war. Katzmann sollte als späterer SSPF des Distrikts Galizien und wegen seines „Katzmann-Berichts“ über die „Lösung der Judenfrage im Distrikt Galizien“ traurige Berühmtheit erlangen. Er bot Fellenz eine Anstellung bei der SS an, die dieser dankend annahm. Am 1. Juli 1936 wurde er mit dem Rang eines SS-Unterscharführers als Schreiber der 75. SS-Standarte der Allgemeinen SS in Berlin angestellt. Das war der Beginn einer ansehnlichen Karriere. Am 15. Mai 1938 wurde er zum Untersturmführer der Allgemeinen SS sowie zum Adjutanten des Führers der 15. SS-Standarte in Neuruppin ernannt. Am 20. April 1939 erfolgte seine Beförderung zum Obersturmführer der Allgemeinen SS. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zog man Fellenz zur Polizei ein. Nach kurzer Absolvierung eines Lehrgangs an den Polizeischulen in Berlin 73

Ebd.

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und Rathenow gelangte er mit dem Polizeiregiment „Warschau“ nach Polen. Am 12. Dezember wurde er als Zugwachtmeister der Reserve aus dem Polizeidienst entlassen und als Obersturmführer der Allgemeinen SS zum Stabsführer des SS- und Selbstschutzführers in Warschau berufen. Am 1. März 1940 erfolgte seine Ernennung zum Adjutanten des SSPF im Distrikt Krakau. Am 1. Juli 1941 – er hatte bereits seit dem 1. Februar als Adjutant die Geschäfte des Stabsführers erledigt – wurde er zum Stabsführer des SSPF im Distrikt Krakau bestellt. Am 1. September 1942 beförderte man ihn zum Sturmbannführer der Waffen-SS sowie der Allgemeinen SS.74 Fellenz erledigte die ihm übertragenen Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit seines Vorgesetzten, der ihn im April 1943 wie folgt beurteilte: „Straffe, soldatische Erscheinung, mit guten Umgangsformen. Unermüdlich und mitreißend im Einsatz, sowohl auf der Dienststelle, als auch bei der Lösung von praktischen polizeilichen Aufgaben, verstand er es mit einem zahlenmäßig geringen Stabe höchste Leistungen zu erzielen. Geistig sehr regsam, selbstständiger Arbeiter, der das Wesentliche schnell erfasst. Trotz der hohen Anforderungen, die er an seine Mitarbeiter stellte, war er durch sein kameradschaftliches Verständnis beliebt. […] Er hat als Stabsführer vorbildlich seine Pflicht erfüllt. Sein zeitweiliges Ausscheiden ist nur deshalb erfolgt, um ihm als Soldat die Möglichkeit der Frontbewährung zu geben.“ 75 Eine ähnliche Vita wie Fellenz wies auch Scherners Adjutant Hans Wilhelm Bartsch auf, der nach Beendigung der Mittelschule eine Ausbildung in der Konditorei seines Vaters begann. Nach der dreijährigen Lehrzeit war Bartsch im elterlichen Betrieb angestellt, der jedoch wegen der Wirtschaftskrise 1931 aufgegeben werden musste. Es folgte eine Zeit der Beschäftigungslosigkeit, ehe er gemeinsam mit seinem Vater Ende 1933 erneut eine Konditorei eröffnete. Allerdings blieb auch hier der Erfolg aus; der Betrieb wurde 1935 geschlossen. Zunächst fand Bartsch eine Anstellung beim Arbeitsamt in Trebnitz, wo er im Laufe seiner Dienstzeit die Inspektorenprüfung ablegte und anschließend in das Beamtenverhältnis übernommen wurde. Ende 1937 trat er in den Sonderdienst der WaffenSS beim SS-Oberabschnitt Süd-Ost in Breslau ein. Zu Beginn des Jahres 1940 erfolgte seine Versetzung in das Generalgouvernement. Zunächst kam er zur Dienstelle des SSPF im Distrikt Radom. Am 1. Juni des Folge74

Urteil LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: JNSV, Bd. 23, Lfd. Nr. 619a, S. 69 ff. Beurteilung Martin Fellenz durch SSPF Krakau v. 7. 4. 1943, SSO-Akte Martin Fellenz, BAB. 75

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jahres wurde er schließlich in den Distrikt Krakau zum damaligen SSPF Schwedler versetzt. 76 Auch Bartsch wurde den Ansprüchen Scherners gerecht, der vor allem dessen Verdienst bei den Deportationen der jüdischen Bevölkerung hervorhob: „U’Stuf. Bar. ist ein unbedingt sauberer und zuverlässiger Charakter. In seinen Leistungen bedarf er manchmal des Ansporns. Die ihm übertragenen Aufgaben führt er einwandfrei durch, darunter die besonders schwierigen Aussiedlungen.“ 77 Im Februar 1944, als der systematische Massenmord in den Vernichtungslagern bereits beendet war, ließ sich Bartsch auf eigenen Wunsch versetzen. 78 Die Biografien von Fellenz und Bartsch weisen einige Gemeinsamkeiten auf. Beide waren Angehörige der Mittelschicht, legten die Mittlere Reife ab und begannen einen Ausbildungsberuf. Gemeinsam war beiden Männern, dass sie häufig ihren Arbeitsplatz wechselten beziehungsweise aufgeben mussten. Beide litten persönlich unter der Weltwirtschaftskrise; Monate der Arbeitslosigkeiten begleiteten sowohl Fellenz als auch Bartsch. Von einem linearen Berufsweg, der ihnen eine gewisse Sicherheit hätte geben können, kann mitnichten gesprochen werden. Durch den Machtantritt der Nationalsozialisten wurde ihnen eine neue Karrierechance offeriert, die sie augenscheinlich zu nutzen wussten. Über Willi Haase sind nur sehr wenige Quellen überliefert, die Aufschluss über dessen Werdegang geben könnten. Aus dem Vorhandenen wird jedoch ersichtlich, dass Haase anders als Fellenz und Bartsch zunächst eine andere berufliche Karriere einschlug. Er war studierter Maschinen- und Motoreningenieur. Auf welche Weise er den Weg zur SS fand, kann nicht rekonstruiert werden, allerdings war er bereits seit 1927 in diversen SS-Einheiten tätig und erhielt 1940 einen Offiziersrang.79 Anfang September 1942 versetzte man Haase zunächst nach Krakau zur Dienststelle des HSSPF Krüger. Wenige Wochen später, nachdem Fellenz Anfang November 1942 auf eigenen Wunsch zum Fronteinsatz bei der Waffen-SS versetzt wurde, trat er seinen Dienst bei Scherner an. In der Anfangszeit scheint Scherner mit Haase einige Schwierigkeiten gehabt zu haben, wie aus einer Beurteilung ersichtlich wird: „SS-Sturmbannführer Haase ist seit 15. September 1942 als Leiter des persönlichen Büros beim SS- und Polizeiführer Krakau nach Krakau versetzt. In der Beurteilung vom 4. 5. 43 hatte ich Grund zu erheblichen Beanstandungen über das Auf76 77 78 79

Urteil LG Arnsberg v. 5. 12. 1970, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 780, S. 536 f. Zitiert nach: Ebd., S. 541. Ebd., S. 536 f. SSO-Akte Willi Haase, BAB.

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treten des SS-Stubaf. Haase in der Dienststelle.“ Nach einem Gespräch jedoch verbesserte sich deren Verhältnis und Scherner fand positive Worte für seinen Untergebenen: „Nach einer grundsätzlichen Aussprache […] kann ich heute feststellen, [dass] die Zusammenarbeit mit ihm reibungslos und positiv geworden ist. Hervorzuheben ist, dass er nach den gegebenen Richtlinien selbstständig und zuverlässig arbeitet, sodass er mich nunmehr wesentlich entlastet. Er verstand es auch, verschiedene ihm übertragene Außenaufgaben, wie Einsatz gegen Banden und in zwei Fällen bei Aussiedlungen, durch gewissenhafte organisatorische Planung und Vorarbeit und unter Einsatz seiner Person, diese Aufgaben einwandfrei und selbstständig zu lösen.“ 80 Sowohl Fellenz, Haase als auch Bartsch erfüllten ihre Aufgaben im Zusammenhang mit der „Aktion Reinhard“ nach Auffassung ihres Vorgesetzten anstandslos. Die Beurteilungen des SSPF weisen sogar darauf hin, dass alle drei Männer die im Zuge der Deportationen anfallenden Tätigkeiten routiniert und mit einem beträchtlichen Maß an Eigeninitiative erledigten und ihrem Vorgesetzten zuarbeiteten. Moralische Bedenken im Hinblick auf die Mordkampagnen scheinen ihnen fremd gewesen zu sein. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Stabsführer sowie der Adjutant ideologisch im Sinne der NS-Ideologie gefestigt waren. Hierfür spricht auch deren frühzeitiger Parteieintritt. Haase war bereits seit November 1925 Mitglied der NSDAP, zwei Jahre später wurde er innerhalb der SS aktiv. 81 Seit 1932 waren Fellenz und Bartsch sowohl Mitglieder der NSDAP als auch der SS. 82 Bartsch war darüber hinaus bereits Jahre zuvor in rechtsgesinnten Kreisen aktiv. 1923 war er für kurze Zeit Mitglied des Freikorps „Oberland“, von 1924 bis 1928 gehörte Bartsch dem „Stahlhelm“ an. Allesamt gehörten sie damit zum Kreis der „alten Kämpfer“ und dürften somit in einem Milieu, in dem ein Klima des Hasses und der Gewalt dominierten, politisch sozialisiert worden sein. Da die Umsetzung der anstehenden Judenvernichtung umfangreiches Personal erforderte, musste SSPF Scherner auch auf die ihm unterstellten Einheiten der Sicherheits- und Ordnungspolizei sowie auf weitere SS-Verbände zurückgreifen. Eine Einheit, die für die Shoah im Distrikt Krakau eine zentrale Bedeutung einnehmen sollte, war das bereits erwähnte Bataillon der Waffen-SS des SS-Truppenübungsplatzes Debica. Innerhalb des 80

Beurteilung Willi Haase durch SSPF Krakau v. 17. 9. 1943, dto., ebd. SSO-Akte Willi. Haase, ebd. 82 Urteil LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: JNSV, Bd. 23, Lfd. Nr. 619a, S. 70; dto. LG Arnsberg v. 5. 12. 1970, in: ebd., Bd. 37, Lfd. Nr. 780, S. 537. 81

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Distrikts wurde es zu mehreren Mordkampagnen gegen die jüdische Bevölkerung herangezogen. 83 Geleitet wurde das Bataillon seit Januar 1942 von Hauptsturmführer Johannes Kleinow. Geboren 1901 in Prenzlau, trat der einstige Handelsgehilfe 1929 der NSDAP, 1932 der SS bei und galt im Sinne der NS-Weltanschauung als gefestigt. 84 Er und seine Männer wurden jedoch nicht nur bei größeren Mordkampagnen, sondern auch in kleineren Ortschaften eingesetzt, wie ein von Kleinow verfasster Brief an dessen Ehefrau dokumentiert 85: „Liebe Grete! In den letzten Tagen konnte ich nicht an dich schreiben, wir waren in der Gegend von Tarnow auf Judentreibjagd. Morgens um 1 hiess es heraus aus den Betten, die Dörfer umstellen und die Juden zusammentreiben. Tolle Drecksjuden sage ich dir. Gestern wars am Schlimmsten. 3 500 haben wir geholt, Männer, Weiber und Kinder. Bei diesem in Lumpen gehüllten Pack haben wir schätzungsweise ¼ Million Mark und viele goldene Uhren und Schmuck gefunden.“ 86 Männer vom Zuschnitt Kleinows waren es, die durch Eigeninitiative, radikalem Antisemitismus und entgrenzte Gewalt einen radikalisierenden Einfluss auf die Judenvernichtung im regionalen Bereich ausübten. Die Organisation und Umsetzung der euphemistisch „Aussiedlungsaktionen“ genannten Deportationen der Juden in die Vernichtungslager der „Aktion Reinhard“ verlief nach einem ähnlichen Grundschema, wie es für Tarnów und mit geringen Abweichungen für das gesamte Generalgouvernement nachweisbar ist. Zur Vorbereitung wurden zunächst die in den Ghettos zusammengedrängten Menschen registriert, um auf diese Weise einen genauen Überblick über die Anzahl der zu deportierenden Personen zu erhalten. Realisiert wurden diese Maßnahmen von den jeweiligen Kreis- beziehungsweise Stadthauptleuten. 87 Zu den konkreten Vorbereitungen zählten auch Einsatzbesprechungen beim zuständigen SSPF, an welchen auch der KdS, der KdO sowie der Kommandeur der Gendarmerie teilnahmen. Dabei wurden Details über den geplanten Ablauf erörtert sowie die Aufgabenverteilung festgelegt. Im Anschluss schickte der SSPF Einsatzbefehle an die beteiligten Einheiten. Gleichzeitig wurde auch der betreffende Kreishauptmann über die geplante Aktion infor83

Verfügung StA beim LG Hannover v. 9. 3. 1971, BAL, B 162/5293, Bl. 2284. SSO-Akte Johannes Kleinow, BAB. 85 Cüppers, Wegbereiter, S. 290. 86 Vgl. Auszug aus einem aus Debica an seine Ehefrau gerichteten Brief des SSObersturmbannführers Johannes Kleinow aus dem Jahre 1942, BAL, B 162/1340, Bl. 17. Ich danke Martin Cüppers für den Hinweis auf diese Quelle. 87 Gutachten Scheffler, ebd., B 162/144, Bl. 62 f.; vgl. Roth, Herrenmenschen, S. 204. 84

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miert. In einigen Fällen ließ dieser Plakate mit dem Hinweis anbringen, dass etwaige Hilfeleistungen für Juden unter Androhung von Strafen verboten seien. 88 Vor der geplanten Mordkampagne fanden erneut Vorbesprechungen mit allen beteiligten Dienststellen beim zuständigen Kreishauptmann statt, um letzte Einzelfragen zu klären. Hier war der SSPF entweder persönlich anwesend oder er wurde durch seinen Stabsführer oder Adjutanten vertreten. Hinzugezogen wurden in der Regel auch der Stadtkommissar, die Leiter der örtlichen Sicherheitspolizei und Ordnungspolizei sowie der Leiter des Arbeitsamts, in vielen Fällen auch Vertreter der Wehrmacht. Bei diesen Einsatzbesprechungen artikulierten alle Teilnehmer ihre Interessen; nicht selten kam es zu einem regelrechten „Feilschen“ um die begehrten „Arbeitsjuden“. In der Nacht vor der geplanten Aktion wurde das jeweilige Ghetto umstellt und abgeriegelt; auch den vorgesehenen Sammelplatz sowie den Marschweg zum Bahnhof sperrte man ab. Für diese Maßnahmen setzte man in den meisten Fällen Angehörige der Ordnungspolizei, der deutschen Gendarmerie, des polnischen Baudiensts, der polnischen Polizei, des volksdeutschen Selbstschutzes oder auch Angehörige der Waffen-SS ein. 89 Die zur Deportation bestimmten Menschen wurden am gleichen Tag zum Sammelplatz getrieben, wo ihnen Geld- und Wertsachen abgenommen wurden. Anschließend hetzte man die verängstigten Personen zum Bahnhof. Häufig wurden hierbei jene, die nicht Schritt halten konnten oder flüchten wollten, vom Begleitpersonal erschossen. Am Bahnhof angekommen, wurden die Menschen in Viehwaggons gepfercht. Ohne Wasser und Lebensmittel erfolgte der Transport in eines der Vernichtungslager, wo die Juden umgehend nach der Ankunft ermordet wurden. 90 Im Zuge der Mordkampagne hatte die SSPF-Dienststelle auch die Aufgabe, die Wohnungen deportierter Juden zu versiegeln und deren zurückgelassene Wertgegenstände zu sammeln. Diese wurden in speziell eingerichteten Lagern deponiert; Geldbeträge und Wertgegenstände wurden unter anderem an das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt abgeführt. 91 Erich Scharf, seit September 1941 im Stab Scherners tätig, hatte mit dem Beginn der „Aktion Reinhard“ im Distrikt Krakau die zusätzliche Aufgabe, das Inventar sowie das jüdische Vermögen zu erfassen: „Meine 88 89 90 91

Ebd., S. 204 f.; Gutachten Scheffler, BAL, B 162/144, Bl. 64 f. Ebd., Bl. 77; Roth, Herrenmenschen, S. 205; Mallmann, Mensch, S. 117. Gutachten Scheffler, BAL, B 162/144, Bl. 77 f.; Pohl, „Judenpolitik“, S. 142. Urteil LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: JNSV, Bd. 23, Lfd. Nr. 619a, S. 74 f.

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Aufgabe war es, die Sammlung des beweglichen Inventars in den Ghettos und in den umliegenden Ortschaften aus den dort geräumten Häusern zu veranlassen und dieses Inventar zu katalogisieren. Schmuckgegenstände und Geld wurden von den örtlichen Stellen des KdS selbst gesammelt.“ 92 Allerdings war auch hierbei eine enge Zusammenarbeit mit den jeweiligen Stadt- beziehungsweise Kreishauptleuten sowie mit Angehörigen des SD notwendig.93 Während die „Aktion Reinhard“ in anderen Distrikten bereits angelaufen war, wurden von Seiten des SS- und Polizeiapparats im Distrikt Krakau noch die letzten Vorbereitungen getroffen, die spätestens im Mai 1942 abgeschlossen waren. Als das Vernichtungslager Belzec für die Transporte aus dem Krakauer Distrikt aufnahmebereit war, konnte auch dort die Umsetzung des Massenmords beginnen. Ehe die Deportationen realisiert wurden, fand am 9. März 1942 eine „Sonderaktion“ in der Kleinstadt Mielec statt. Die dortigen Geschehnisse nehmen gewissermaßen eine Sonderstellung ein, da dies die erste Auslöschung einer jüdischen Gemeinde im gesamten Generalgouvernement darstellte. Mielec lag in der Kreishauptmannschaft Debica, auf deren Gebiet in der Vorkriegszeit rund 15.000 Juden lebten. 94 Eingeleitet und umgesetzt wurden die Ereignisse in Mielec durch das Referat V der Krakauer Abteilung Bevölkerungswesen und Fürsorge und der zuständigen Kreishauptmannschaft in Debica unter dem damaligen Kreishauptmann Ernst Schlüter. Abgesehen von einigen hundert arbeitsfähigen Männern 95 ließ die Abteilung Bevölkerungswesen und Fürsorge in Krakau alle Juden in Ortschaften im östlichen Teil des Distrikts Lublin deportieren, die sich in der Nähe von Belzec und des im Aufbau befindlichen Vernichtungslagers Sobibor befanden. Höchstwahrscheinlich sollten die Deportierten bald nach ihrer Ankunft in die anlaufende „Aktion Reinhard“ einbezogen werden. 96 Auch Besatzungsorgane aus Tarnów waren bei dieser ersten Vernichtungsaktion zugegen, was durch ein Schreiben Scherners an den Hauptmann der Gendarmerie, Theodor Sielaff, bezeugt wird. Scherner erkennt hierbei ausdrücklich den „vorbildlichen Einsatz und Durchführung der Juden-Aktion am 9. März 1942 in Mielec“ von Sielaff, seinen Offizieren sowie den Mannschaften an. 97 92

Vern. Erich S. v. 9. 11. 1966, BAL, B 162/2253, Bl. 2436. Ebd., Bl. 2435. 94 Abschlussverfügung StA Hannover 11 Js 7/76 v. 7. 5. 1976, ebd., B 162/7478, Bl. 54 f. 95 Urteil LG Freiburg/B. v. 18. 5. 1967, in: JNSV, Bd. 26, Lfd. Nr. 655, S. 313. 96 Musial, Zivilverwaltung, 224 ff. 97 Schreiben SSPF Scherner an Sielaff v. 10. 3. 1942, LNW, 9490.2, Bl. 99. 93

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Wenige Monate nach der Aktion in Mielec begannen die eigentlichen Deportationen im Rahmen der „Aktion Reinhard“. Die Hauptdeportationswelle, die die jüdische Bevölkerung des Distrikts Krakau erfasste, wurde zwischen dem 1. Juni und Mitte September organisiert. Wie in den anderen Distrikten des Generalgouvernements bildete eine Mordaktion in der Distrikthauptstadt den Auftakt der ersten Vernichtungskampagne, die unter persönlicher Leitung des SSPF zwischen dem 1. und 8. Juni im Krakauer Ghetto realisiert wurde. Juden, die einer in den Augen der NSBesatzer wichtigen Arbeit nachgingen und zudem körperlich gesund erschienen, erhielten einen Stempel oder „Blauschein“ des KdS in ihre Kennkarte, der sie und die Familienangehörigen berechtigte, zunächst im Ghetto zu verbleiben. Diejenigen, die keinen Stempel bekamen, wurden in das Vernichtungslager Belzec deportiert und dort in den Gaskammern ermordet. Während der Aktion in Krakau kam es zu Plünderungen, brutaler Gewalt und Mord. Der ersten Vernichtungsmaßnahme in Krakau fielen circa 6.000 bis 7.000 Menschen zum Opfer. 98 Nach den schrecklichen Geschehnissen in der Hauptstadt folgten weitere Deportationen im gesamten Distrikt. Die Täter gingen hierbei mit wenigen Ausnahmen nach einer gewissen geographischen Systematik vor: Der Distrikt wurde von Westen nach Osten, anschließend im Uhrzeigersinn wieder zurückgehend durchkämmt. 99 Nach der Aktion in Krakau realisierten die Deutschen eine großangelegte Mordkampagne im unweit entfernten Tarnów. Anfang Juni wurde der Kreis Reichshof in das systematische Morden einbezogen. Die Vernichtung der jüdischen Gemeinde begann in Reichshof am frühen Morgen des 7. Juli. Alle Personen, die keinen Stempel erhielten, sollten sich auf dem Marktplatz der Stadt einfinden, wo ihnen ihre Gepäckstücke abgenommen wurden. Alte und nicht transportfähige Menschen wurden separiert und zu einem späteren Zeitpunkt mit Lastwagen in ein Waldstück nahe Głogów transportiert, wo man sie kurzerhand erschoss. Auch in Reichshof kam es zu unsagbarer Gewalt gegenüber den Ghettoinsassen; viele Menschen wurden getötet. An dem mörderischen Treiben beteiligten sich jedoch nicht nur Einheiten des SS- und Polizeiapparats, sondern auch Angehörige der Zivilverwaltung, wie der örtliche Stadtkommissar. Am 10., 14., und 19. Juli deportierte man erneut Juden aus der Stadt nach Belzec. Mit wenigen Ausnahmen war der Kreis

98 Anklage StA beim LG Kiel, IfZ, Gk 05.09, Bl. 74 ff.; Urteil LG Kiel v. 19. 3. 1968, ebd., Gk 05.18. 99 Gutachten Scheffler, BAL, B 162/144, Bl. 82.

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nun „judenfrei“. 100 Für den Kreishauptmann Heinz Ehaus stellte dies ein solch „grandioses“ Ereignis dar, dass er am Reichshofer Rathaus eine Tafel samt Reichsadler mit folgender Aufschrift anbringen ließ: „Dieser Adler, das deutsche Zeichen der Erhebung und Größe wurde anläßlich der Befreiung der Stadt Reichshof von allen Juden im Juli des Jahres 1942 hier angebracht. Die Anbringung erfolgte während der Amtszeit des ersten Kreishauptmannes und Kreisstandortführers der NSDAP der Kreishauptmannschaft Reichshof, des SS-Sturmbannführers Dr. Heinz Ehaus.“ 101 Während die meisten Juden des Kreises Reichshof bereits ermordet worden waren, wurde die Vernichtung eines großen Teils der in der Kreishauptmannschaft Debica lebenden jüdischen Gemeinde Ende Juli realisiert. Rund 15.000 Menschen der Ghettos in Baranów, Rozwadów, Tarnobrzeg, Pilzno, Radomyśl Wielki, Ropczyce und Wielopole Skrzyńskie wurden deportiert. Im Zeitraum vom 21. bis 25. Juli schloss man einige tausend Personen der Ghettos in Debica und Sedziszów den Transporten nach Belzec an. Nach dieser Vernichtungswelle im Bezirk Debica existierten dort lediglich noch das Ghetto in Debica sowie einige jüdische Zwangsarbeitslager, hierunter unter anderem das Lager Pustkow.102 Bis Ende Juli verlief die Massenvernichtung im Distrikt Krakau ohne größere Störungen. Dies sollte sich jedoch mit der Aktion in Przemyśl, das gerade aufgrund seiner grenznahen Lage zur Sowjetunion eine wichtige Stellung einnahm, ändern. Die Grenzstadt war bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion eine geteilte Stadt gewesen, die sowohl von deutschen als auch von sowjetischen Truppen besetzt war. Der Fluss San bildete die Demarkationslinie zwischen beiden Besatzungsregimen. Der Großteil der jüdischen Bevölkerung lebte im östlichen Teil der Stadt; nicht einmal 70 Juden befanden sich damals unter deutscher Besatzung.103 Im Sommer 1941 fiel schließlich auch der sowjetisch besetzte Stadtteil und somit auch die im östlichen Teil Przemyśls lebenden Juden unter deutsche Besatzung. Für die rund 16.500 Juden 104 wurde erst Mitte Juli 1942 ein geschlossenes Ghetto eingerichtet.105 Als die Ortskommandantur der Wehr100

Roth, Herrenmenschen, S. 209, 211. Zitiert nach: Musial, Zivilverwaltung, S. 299. 102 Podhorizer-Sandel, O Zagładzie Żydów, S. 95. 103 Im Mai 1941 lebten im westlichen Teil der Stadt lediglich 66 Juden. Vgl. hierzu Haushaltsvorschlag der Stadt Deutsch-Przemyśl v. 20. 5. 1941, Archiwum Państwowe w Przemyślu (APP), 129/2286, Bl. 2. 104 Vgl. hierzu Haushaltsplan der Stadt Przemyśl 1941 v. 18. 10. 1941, ebd., 129/ 2297, Bl. 3. 105 Urteil LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: JNSV, Bd. 23, Lfd. Nr. 619a, S. 92 f.; Bekannt101

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macht einen Tag vor der geplanten Aktion am 26. Juli erfuhr, dass auch ihre Arbeiter deportiert werden sollten, sperrte sie die Sanbrücke, um so den Abtransport der Menschen zu verhindern. Nach Aufhebung der Brückensperrung kam es an diesem Tag allerdings erneut zu einem Konflikt, als der Adjutant des Ortskommandanten, Alfred Battel, die Freilassung von 80 bis 100 Arbeitsjuden aus dem Ghetto erzwang. Der SS-und Polizeiapparat ließ am Folgetag allerdings wie vorgesehen rund 3.850 Juden nach Belzec deportieren.106 Obgleich dieser beschriebene Zwischenfall eine absolute Ausnahme darstellte, zeigt er doch, wie die Interessen unterschiedlicher Besatzungsorgane bei der Frage des Erhalts der kriegswichtigen jüdischen Arbeitskräfte divergierten. Die Wehrmacht betonte, dass „durch den plötzlichen Abzug der jüdischen Arbeitskräfte schwerwiegende Störungen im Nachschub u. kriegswichtigen Arbeiten eintreten“.107 Sie konnte sich jedoch nicht gegen das absolute Vernichtungsinteresse des SS- und Polizeiapparats durchsetzen: „Nach Auffassung des Reichsmarschalls müsse davon abgegangen werden, daß der Jude unentbehrlich sei. Weder Rü.[stungs]In[spektion] noch die sonstigen Dienststellen im GG. würden die Juden bis zum Kriegsende behalten. Die ergangenen Befehle seien klar und hart“ 108, hieß es von dort. In den kommenden Monaten verlief das Mordprogramm für die Deutschen allerdings wieder nach Plan: Anfang August wurde die jüdische Gemeinde des Kreises Jaroslau deportiert, die zuvor im 14 Kilometer entfernten Lager Pełkinie konzentriert worden war. Ende Juli und Anfang August verschleppte man weitere Juden aus Łańcut, Lezajska, Żołynia, Radmin und anderen Ghettos in das Lager. Zu Beginn des Monats August, als dann rund 10.000 Juden in Pełkinie zusammengepfercht waren, deportierte man diese nach Belzec. Die wenigen noch verbliebenen Menschen wurden anschließend im Ghetto Sieniawa konzentriert und Ende des Monats ebenfalls in das Vernichtungslager deportiert.109 In Krosno fand die Ermordung der jüdischen Gemeinde am 10. August statt. Rund 100–150 ältere und nicht gehfähige Personen wurden selektiert und mit Lastwagen zu machung über Abgrenzung des Judenwohnbezirks der Stadt Przemyśl v. 3. 7. 1942, APP, 129/2280, Bl. 5. 106 Urteil LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: JNSV, Bd. 23, Lfd. Nr. 619a, S. 94 ff. 107 Fernschreiben MiG an OFK Krakau v. 8. 8. 1942, BA-MA, RH 53–23/87, Bl. 29. 108 Bericht über Besprechung über den Einsatz jüdischer Arbeitskräfte v. 15. 8. 1942, ebd., Bl. 48. 109 Vgl. Podhorizer-Sandel, O Zagładzie Żydów, S. 95 f.

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einem in der Nähe der Stadt befindlichen Gelände gebracht, wo man sie kaltblütig erschoss. Mindestens 3.000 Menschen wurden im Zuge dieser Aktion in Belzec getötet.110 Nur wenige Tage danach realisierte man die systematische Vernichtung der Gemeinde Jaslo, die noch rund 3.000 Mitglieder zählte. Am 18. August wurde den Menschen befohlen, sich früh morgens auf dem alten Marktplatz im Ghetto zu versammeln. Zu diesem Zeitpunkt war der Judenwohnbezirk bereits umstellt. Während rund 200 als arbeitsfähig Eingestufte ausgesondert wurden, fuhren die Deutschen nicht transportfähige Personen mit Lastwagen zu einer Erschießungsstätte im Wald von Warzyce, wo bereits Gruben ausgehoben worden waren. Diejenigen, die auf dem Marktplatz verbleiben mussten, waren für den Transport nach Belzec vorgesehen. Da allerdings die zum Abtransport benötigten Güterwaggons nicht fristgerecht in Jaslo eintrafen, mussten die Deutschen vor Ort improvisieren: Am Nachmittag wurden die hilflosen Menschen kolonnenweise in ein in der Nähe des Bahnhofs gelegenes Kloster getrieben und dort eingesperrt. Erst ein bis zwei Tage später führte man sie zum Bahnhof der Stadt, wo sie in Güterwagen verladen und nach Belzec deportiert wurden.111 Im Anschluss begannen die systematischen Räumungen der Ghettos der Kreise Neu-Sandez, Neumarkt sowie Krakau-Land. Im rund 80 Kilometer südöstlich von Krakau gelegenen Neu-Sandez wurde rund sechs Wochen vor der geplanten Deportation die jüdische Bevölkerung der Stadt in zwei geschlossene Ghettos 112 – eines für die Arbeitsfähigen und eines für die Nichtarbeitsfähigen – gesperrt. Damit war die anstehende Vernichtung vorbereitet und deren Umsetzung für die Täter erleichtert.113 Innerhalb weniger Tage, vom 24. bis 28. August, wurden rund 16.000 Menschen aus dem Kreis Neu-Sandez nach Belzec deportiert.114 Ebenfalls Ende August folgten Deportationen aus der Kreishauptmannschaft KrakauLand. So fand in Bochnia die erste Vernichtungsmaßnahme am 25. August statt. Bis auf 300–400 Personen, die zunächst noch verbleiben sollten, wurde das Ghetto Bochnia geräumt. Während SS und Polizei rund 800 alte und kranke Juden, die nicht mehr transportfähig waren, in einem Wald110 Anklage ZSt. Dortmund v. 23. 5. 1972, BAL, B 162/6282, Bl. 807–809; Urteil LG Bonn v. 3. 7. 1973, in: JNSV, Bd. 39, Lfd. Nr. 796, S. 150. 111 Dto. LG Arnsberg v. 5. 12. 1970, in: ebd., Bd. 37, Lfd. Nr. 780, S. 535 f. 112 Das Ghetto für die Arbeitsfähigen befand sich an der Lembergerstraße, das für die Nichtarbeitsfähigen an der Kazimierzastraße. Vgl. dto. LG Bochum v. 22. 7. 1966, in: ebd., Bd. 24, Lfd. Nr. 635, S. 309. 113 Ebd. 114 Podhorizer-Sandel, O Zagładzie Żydów, S. 96.

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gebiet und an Ort und Stelle im Ghetto erschossen, deportierte man 5.000 bis 6.000 Juden in das Vernichtungslager.115 Am 28. August wurden die in der Kreishauptmannschaft befindlichen Ghettos in Skawina und Wieliczka aufgelöst.116 Ebenfalls Ende August fanden die Deportationen der Juden Neumarkts statt. Nach einer am 29. August abgehaltenen Einsatzbesprechung unter dem Vorsitz des Leiters der Sicherheitspolizei-Außenstelle, Robert Weißmann, mussten sich die Juden am Folgetag auf dem Sportplatz der Stadt versammeln. Mehr als 3.000 Menschen wurden am 30. August von dort nach Belzec deportiert, während mindestens 100 transportunfähige Juden auf dem Friedhof der Stadt erschossen wurden. 117 Die Juden des Kreises Miechów waren vor den Deportationen in einem speziell zu diesem Zweck eingerichteten Übergangslager in Słomniki konzentriert worden. Die Vernichtung setzte am 29. August ein und dauerte bis zum 7. September an. Einige der jungen, als arbeitsfähig eingestuften Männer wurden in das Arbeitslager nach Prokocim verschleppt, während ältere und kranke Personen vor Ort ermordet wurden. Nachdem eine erneute Selektion stattgefunden hatte, bei der wiederum einige Arbeitsfähige ausgesondert wurden, deportierte man die restlichen Menschen in das Vernichtungslager Belzec.118 Die erste Vernichtungswelle im Distrikt fand schließlich in Sanok ihren vorläufigen Abschluss.119 Die Bekanntmachung, die dort über die anstehende Vernichtungsaktion informierte, wurde Anfang September 1942 veröffentlicht. Den Menschen war aufgetragen worden, sich am 10. September vor ihren Häusern einzufinden, wobei die Haustürschlüssel steckenbleiben sollten, damit die Deutschen freien Zugang zu den Wohnungen erhalten konnten. Während ein großer Teil der zur Deportation bestimmten Menschen mit von christlichen Polen bereitgestellten Fuhrwerken nach Zasław gebracht wurden und jüngere Männer sich zu Fuß dorthin begeben mussten, blieben rund 300 Personen im Ghetto Sanok zurück. In Zasław selbst herrschten unmenschliche Zustände, nicht zuletzt aufgrund der katastrophalen Überfüllung des Lagers, wo sich nun 15.000 bis 20.000 Juden befanden. Nur wenige Tage nach der Ankunft im Lager fand eine großangelegte Selektion statt, im Zuge derer zwei Bahntrans-

115 Urteil LG Kiel v. 19. 3. 1968, in: JNSV, Bd. 27, Lfd. Nr. 667a, S. 366 f.; dto. v. 10. 7. 1970, BAL, B 162/14276, Bl. 19. 116 Podhorizer-Sandel, O Zagładzie Żydów, S. 96. 117 Urteil LG Freiburg/B. v. 25. 6. 1965, in: JNSV, Bd. 21, Lfd. Nr. 593, S. 193 f. 118 Podhorizer-Sandel, O Zagładzie Żydów, S. 96 f. 119 Mallmann, Mensch, S. 116.

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porte mit je rund 60 Waggons aus Zasław Richtung Belzec abfuhren. Die Mehrheit der Juden Sanoks wurde in diesen Tagen ermordet. 120 Mit dieser ersten Deportationswelle, in der Kreis für Kreis systematisch durchgekämmt worden war, fand die Mordkampagne jedoch keineswegs ein Ende. In einigen Städten, in denen noch eine größere Anzahl jüdischer Menschen lebte, wurden weitere Vernichtungsmaßnahmen realisiert. Den Auftakt zur Fortsetzung der Mordkampagne bildete die Deportation einiger tausend Juden aus Tarnów. Kurze Zeit später wurden am 28. Oktober rund 7.000 Juden aus dem Krakauer Ghetto in das Vernichtungslager Belzec deportiert.121 Ebenfalls am 28. Oktober wurde der jüdische Wohnbezirk in Wieliczka aufgelöst; rund 1.000 nicht transportfähige Personen wurden in einem Waldgebiet nahe der Ortschaft erschossen. 122 Am 4. Dezember räumten die Deutschen schließlich das Ghetto in Krosno, in dem noch rund 100 Juden lebten. Während rund 25 Arbeitsfähige selektiert wurden, verschleppte man die restlichen Menschen aus Krosno nach Reichshof.123 Doch selbst nach den Ghettoräumungen im Distrikt Krakau war der systematische Massenmord noch nicht zu Ende. Vielmehr setzte nun die Jagd nach verborgenen Juden ein. Die Deutschen wandten sich fortan auch gezielt an die christliche Bevölkerung, um das Ziel der „Judenfreimachung“ zu erreichen: Einerseits wurden harte Strafen für die Unterstützung von Juden angedroht, andererseits setzte man auch Belohnungen für das Auffinden jüdischer Menschen aus. In vielen Fällen waren es vor allem die Kreishauptleute, die sich erfinderisch zeigten, wenn es darum ging, versteckte Juden in ihrem Herrschaftsgebiet ausfindig zu machen. So ließ der Kreishauptmann von Sanok, Hans Claß, am 14. September 1942 und damit rund eine Woche nach der Mordkampagne im Kreis, eine Bekanntmachung veröffentlichen, der zufolge drei Ghettos bestehen bleiben sollten: Sanok, Trepczy sowie Zasław. Claß war der Annahme, dass er auf diese Weise eine ansehnliche Zahl versteckter Juden dingfest machen könne. Diese Methode sollte alsbald im gesamten Generalgouvernement Anwendung finden.124 Als die Deportationen im Distrikt Krakau zu einem vorläufigen Abschluss gelangten, erließ der HSSPF Krüger am 10. November 1942 eine 120 121 122 123 124

Urteil LG Berlin v. 23. 8. 1973, in: JNSV, Bd. 39, Lfd. Nr. 799, S. 243. Anklage StA beim LG Kiel, IfZ, Gk 05.09, Bl. 81. Aussage Barbara S. (undat.), BAL, B 162/1969, Bl. 267 ff. Urteil LG Bonn v. 3. 7. 1973, in: JNSV, Bd. 39, Lfd. Nr. 796, S. 95. Podhorizer-Sandel, O Zagładzie Żydów, 97 f.

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Polizeiverordnung über die Errichtung jüdischer Wohnbezirke in den einzelnen Distrikten. Im Distrikt Krakau waren lediglich Przemyśl, Reichshof, Tarnów, Bochnia, sowie Krakau-Stadt als Ghettos vorgesehen. 125 Mit dieser Verordnung sollten nicht nur die noch am Leben befindlichen Juden an wenigen Orten konzentriert werden, sondern man beabsichtigte, die „illegal“ im Distrikt befindlichen Menschen aus ihren Verstecken zu locken.126 Kurze Zeit nach der Anweisung Krügers wurden im Distrikt Krakau erneute Deportationen aus den noch verbliebenen Ghettos in das Vernichtungslager Belzec realisiert. Innerhalb weniger Tage transportierte man rund 10.000 Juden aus den Ghettos Bochnia, Tarnów, Reichshof sowie Przemyśl nach Belzec. 127 Mitte November 1942, als der überwiegende Teil der jüdischen Gemeinden im Distrikt Krakau bereits ausgelöscht war, fand in Miechów noch eine Massenexekution statt, die vor allem den Handlungsspielraum der zivilen Verwaltung und deren Beteiligung an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung dokumentiert. So ordnete der dortige stellvertretende Kreishauptmann, Dr. Friedrich Schmidt, eine Massenerschießung an, die am 18. November im unweit der Stadt gelegenen Wald von Chodówek stattfand. Allerdings wurde diese Aktion nicht nur von Schmidt angeordnet, sondern er beteiligte sich auch mit großem Eifer selbst am Morden, indem er annähernd 90 Juden eigenhändig erschoss.128 Neben den wenigen letzten noch bestehenden Ghettos befanden sich weitere Juden lediglich noch in den Zwangsarbeitslagern des Distrikts. Diese Lager unterschieden sich nicht nur in ihrer Größe, den Lebensbedingungen der Insassen und der zu verrichtenden Arbeit, sondern auch in ihrem Unterstellungsverhältnis erheblich: So existierten Zwangsarbeitslager staatlicher Unternehmen, Zwangsarbeitslager privater Firmen sowie Arbeitslager innerhalb von Ghettos.129 Das größte jüdische Zwangsarbeitslager im Distrikt bildete das bereits erwähnte Lager Plaszow.130 Insgesamt waren durch die Deportationen in das Vernichtungslager Belzec sowie durch das Morden vor Ort bis Ende 1942 annähernd 180.000 Juden 125 Auszug Polizeiverordnung des HSSPF Krüger über die Errichtung jüdischer Wohnbezirke in einigen Orten der Distrikte Radom, Krakau und Galizien, in: Jüdisches Historisches Institut Warschau, Faschismus, S. 344 f. 126 Podhorizer-Sandel, O Zagładzie Żydów, S. 98. 127 Roth, Herrenmenschen, S. 222 f.; ders., Starostowie powiatowi, S. 282. 128 Anklage der StA beim LG Köln v. 20. 4. 1971, ebd., B 162/5976, Bl. 1746; vgl. Musial, Zivilverwaltung, S. 303 f. 129 Wenzel, Ausbeutung, S. 191. 130 Pohl, Zwangsarbeitslager, S. 420.

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umgekommen. Der einschlägig bekannte Korherr-Bericht von Himmlers Inspekteur für Statistik schlüsselt auf, dass im Distrikt Krakau zur Jahreswende 1942/43 ungefähr 37.000 Juden vorläufig überlebt hatten.131 Die in der Verfügungsgewalt der Deutschen vorerst noch Überlebenden arbeiteten nicht nur in den zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden fünf Ghettos in Bochnia, Krakau, Reichshof, Tarnów und Przemyśl, sondern auch in unterschiedlichen Lagern. Wie viele Menschen der Vernichtung entgangen waren und versteckt oder mit falscher christlicher Identität lebten, lässt sich kaum beziffern. Schon im März 1943 erfolgten weitere großangelegte Vernichtungsaktionen. So wurde im Distrikt noch das Ghetto in Krakau liquidiert. Allein 14.000 als arbeitsfähig eingestufte Personen kamen am 13. und 14. März nach Plaszow, während rund 3.000 Menschen nach Auschwitz deportiert und zahlreiche Ghettoinsassen an Ort und Stelle in der Hauptstadt des Generalgouvernements ermordet wurden.132 Mit diesem weiteren Schub der Ghettoauflösungen erfolgten weitere Lagerneugründungen. Seit März 1943 wurden arbeitsfähige Juden in das Lager Szebnie deportiert.133 Dieses Lager, östlich von Tarnów gelegen, war bereits 1941 entstanden. Es diente zunächst zur Inhaftierung sowjetischer Kriegsgefangener, wurde jedoch 1942 vorübergehend aufgelöst. Anfang 1943 übernahm der SSPF Scherner das Lager. Er wollte dort ein Zwangsarbeitslager für ethnische Polen errichten. Im Mai betrug die Zahl der eingewiesenen polnischen Zwangsarbeiter rund 300, wobei in der Folgezeit weitere ethnische Polen hinzukamen. Seit März befanden sich in Szebnie jedoch auch jüdische Häftlinge. Beim ersten Transport handelte es sich um eine Gruppe von Handwerkern, die aus dem Zwangsarbeitslager Plaszow verlegt worden waren. In der Folgezeit deportierte man weitere Häftlingsgruppen in das Lager.134 Nach der Märzaktion in Krakau herrschte für kurze Zeit relative Ruhe, die jedoch Anfang September auf brutale Weise endete: An den ersten drei Septembertagen wurde die Vernichtung der noch bestehenden Ghettos im Distrikt Krakau realisiert. Die Ghettos Przemyśl, Tarnów, Bochnia und Reichshof, die inzwischen in Zwangsarbeitslager umgewandelt worden waren, liquidierte man mit Ausnahme jüdischer Arbeiter für die Aufräumkommandos vollständig. Die meisten Menschen wurden nach Ausch131 Auszug aus dem Korherr-Bericht v. 23. 3. 1943, in: Jüdisches Historisches Institut Warschau, Faschismus, S. 348. 132 Browning, Judenmord, S. 118 f. 133 Pohl, Zwangsarbeitslager, S. 420. 134 Anklage StA beim LG München v. 17. 4. 1968, IfZ, Gm 07.68, Bl. 20.

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witz-Birkenau deportiert; das Vernichtungslager Belzec war zu diesem Zeitpunkt bereits aufgelöst. Einige als arbeitsfähig eingestufte Personen wurden in andere Arbeitslager gebracht, beispielsweise nach Szebnie, wo sich Anfang September im Zuge der Ghettoliquidierungen die Zahl jüdischer Insassen drastisch erhöhte. Faktisch fungierte Szebnie damit zeitweilig als „Durchgangslager“ für Transporte nach Auschwitz. In der Hauptsache trafen größere Häftlingstransporte aus den Ghettos in Bochnia, Reichshof, Przemyśl und Tarnów dort ein. So umfasste das Lager mehrere tausend Häftlinge, sowohl Männer als auch Frauen.135 Der größte Teil der Menschen in Szebnie wurde Anfang November nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort trafen am 5. November insgesamt 3.989 Juden ein. Während die SS 952 Männer und 396 Frauen in das Lager einlieferte, wurden die restlichen 2.550 Menschen direkt nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet. Zuvor war eine Gruppe mit rund 120 Facharbeitern aus diesem Transport ausgesondert worden, die man in das Zwangsarbeitslager Pustkow verbrachte.136 Vorerst blieben noch rund 500 jüdische Häftlinge in Szebnie zurück, von denen bald schon 400 in der Nähe des Lagers erschossen und verbrannt wurden. Die restlichen 100 Insassen mussten schließlich noch das Aufräumkommando bilden.137 Damit existierten Ende 1943 im Distrikt Krakau, abgesehen von den Mitgliedern der „Säuberungskommandos“ in den wenigen noch bestehenden Restghettos, lediglich noch eine kleine Anzahl Zwangsarbeitslager, in denen sich Juden „legal“ aufhielten. Neben Plaszow waren dies unter anderem das Lager Pustkow in der Kreishauptmannschaft Debica, das Zwangsarbeitslager der Heinkel-Flugzeugwerke in Mielec sowie das Lager beim Flugmotorenwerk Reichshof.138 Zu Beginn des Jahres 1944 erfolgte die Übernahme mehrerer Zwangsarbeitslager in das System der Konzentrationslager. Im Distrikt Krakau war hier zunächst das Lager Plaszow betroffen, das im Januar 1944 einen solchen Status erhielt und somit unmittelbar dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt unterstellt war.139 Diesem war auch das Lager Mielec als Außenlager des Konzentra-

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Ebd. Ebd. 137 Ebd., Bl. 22; Urteil LG München I v. 18. 6. 1960, in: JNSV, Bd. 34, Lfd. Nr. 735, S. 335; The Jewish Agency for Palestine, The Extermination of the Jews of Bochnia v. 28. 5. 1945, BAL, B 162/742, Bl. 20. 138 Golczewski, Polen, S. 487. 139 Aktenvermerk v. 13. 1. 1944, BA-MA, N-756/34a. 136

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tionslagers Plaszow angegliedert. 140 Anfang März setzten neue Deportationen aus Plaszow ein: Während rund 8.000 Juden nach Auschwitz deportiert wurden, kamen rund 6.000 jüdische Männer nach Mauthausen. Im Juli sowie in den Folgemonaten gingen weitere Transporte von Plaszow unter anderem nach Auschwitz, Stutthof und Flossenbürg ab.141 Während das Lager Szebnie bereits Anfang Februar aufgelöst und die verbliebenen Häftlinge nach Plaszow verbracht worden waren 142, erfolgte die Räumung des jüdischen Zwangsarbeitslagers Pustkow auf dem SS-Truppenübungsplatz Debica erst am 26. Juli. Die dort bislang noch überlebenden 400 bis 450 jüdischen Häftlinge deportierte man zunächst nach Auschwitz. Die jüdischen Facharbeiter wurden nach einem kurzen Zwischenhalt weiter nach Westen transportiert. Sie gelangten in unterschiedliche Konzentrationslager, wo sie bis zu ihrer Befreiung weiterhin Zwangsarbeiten für die Deutschen verrichten mussten.143 Im September zählte das Lager Plaszow rund 2.200 Häftlinge, zu Beginn des Jahres 1945 waren es nur noch 636 jüdische Insassen. Diese wurden schließlich am 14. Januar aufgrund des Herannahens der Roten Armee nach Auschwitz verschleppt.144 Von den 218.000 Juden 145, die zu Beginn des Jahres 1942 im Distrikt lebten, wurden allein zwischen Anfang Juni und Ende Oktober 1942 circa 165.000 Männer, Frauen und Kinder nach Belzec deportiert, wo sie in den Gaskammern des Vernichtungslagers den Tod fanden.146 Daneben wurden tausende Juden während der Mordaktionen vor Ort getötet. Unter den Opfern des systematisch betriebenen Massenmords befanden sich viele Männern, Frauen und Kindern aus Tarnów. Auf welche Weise die Ermordung der jüdischen Bevölkerung der Stadt geplant, organisiert und umgesetzt wurde, wird im Folgenden analysiert werden.

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Urteil LG Freiburg/B. v. 18. 5. 1967, in: JNSV, Bd. 26, Lfd. Nr. 655, S. 317. Podhorizer-Sandel, O Zagładzie Żydów, S. 107 f. 142 Anklage StA beim LG München v. 17. 4. 1968, IfZ, Gm 07.68, Bl. 22; Urteil LG München I v. 18. 6. 1960, in: JNSV, Bd. 34, Lfd. Nr. 735a, S. 335. 143 Aussage Salo S. v. 3. 10. 1961, BAL, B 162/5283, Bl. 178; dto. Josef D., ebd., Bl. 166; Zabierowski, Pustków, S. 55. 144 Golczewski, Polen, S. 487. 145 Ebd., S. 452. 146 Nach den Angaben von Yitzhak Arad wurden vom 1. 6. 1942 bis 29. 10. 1942 insgesamt 165.030 Juden aus dem Distrikt Krakau in das Vernichtungslager Belzec deportiert. Vgl. Arad, Belzec, S. 387–389. 141

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3.2 Die Ermordung der jüdischen Bevölkerung Tarnóws 3.2.1 Der Auftakt: Erste Deportation und Ghettobildung Noch im Sommer 1942 lebte die jüdische Bevölkerung im Kreis Tarnów in unterschiedlichen Ortschaften, auch wenn sich bereits eine gewisse Konzentrierung in den größeren Siedlungen des Kreises abzeichnete. Tarnów selbst zählte im Juni schätzungsweise 30.000 Juden.147 Obgleich von diesen Menschen bereits viele im traditionellen jüdischen Viertel Grabówka wohnhaft waren, lebten einige auch noch verstreut im gesamten Stadtgebiet. Ab Mai wurden von deutscher Seite die konkreten Vorbereitungen für die Vernichtungsaktionen getroffen, die im Folgemonat beginnen sollten: Ende des Monats befahlen die Deutschen dem Leiter des jüdischen Ordnungsdiensts, die Zahl der jüdischen Polizeikräfte zu erhöhen. 148 Auch die Registrierung der jüdischen Bevölkerung, die bereits im Frühjahr 1942 angeordnet worden war, zählte zur direkten Vorbereitung der ersten Deportationen, die zwischen dem 11. und 18. Juni in Tarnów stattfanden. Sie waren der Auftakt der systematischen Vernichtung, die innerhalb weniger Monate umgesetzt wurde. Einige Tage vor der ersten Aktion mussten sich die Juden, die aufgrund ihres Alters als Arbeitskräfte in Betracht kamen, bei zwei Kontrollstellen einfinden. Dort waren sie gezwungen, ihre Arbeitsausweise sowie ihre Kennkarten vorzulegen. Die dort eingesetzten Angehörigen der Sicherheitspolizei und des deutschen Arbeitsamts hatten die Aufgabe, die „tatsächliche Arbeitsfähigkeit“ der jüdischen Arbeiter zu überprüfen. Diejenigen Menschen, die nach Ansicht der Kontrolleure aufgrund ihres physischen Eindruckes als arbeitsfähig eingestuft wurden, erhielten einen

147 Die Forschung ging bislang davon aus, dass im Juni 1942 annähernd 40.000 Juden in Tarnów lebten. Vgl. hierzu beispielsweise Bartosz, Tarnowskie Judaica, S. 54. Im Zuge umfangreicher Quellenrecherchen für die vorliegende Studie konnten jedoch wichtige Dokumente ausfindig gemacht werden, die eine Modifizierung bisheriger Forschungsergebnisse notwendig machen. Bei den aufgefundenen Quellen handelt sich um eine Splitterüberlieferung der Kriminalpolizei, die den Bevölkerungsstand der Stadt zu unterschiedlichen Zeiten exakt dokumentiert. Aus den Quellen ergibt sich, dass die Zahl der jüdischen Bevölkerung Anfang Juni 1942 27.322 betrug. Vgl. hierzu Kriminalpolizei Tarnow „Bevölkerungsstand am 1. 6. 1942“, AŻIH, 233/104, Bl. 8. Auf dem Dokument wurde handschriftlich der Verweis „vor der Judenaktion“ angebracht. Stellt man in Rechnung, dass sich zu dieser Zeit auch Personen in der Stadt befanden, die nicht registriert waren, erscheint die Zahl von annähernd 30.000 plausibel. 148 Chomet, Zagłada, S. 34.

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Stempel der Sicherheitspolizei-Dienststelle in ihre Arbeits- und Kennkarten, der sie zunächst zum Verbleib in Tarnów berechtigte. Jenen, die hingegen als nichtarbeitsfähig galten, druckte man lediglich den Buchstaben K in ihre Papiere. Damit waren sie für die anstehende Deportation gekennzeichnet.149 Einen Tag vor der Aktion, am 10. Juni, wurden Plakate innerhalb des Stadtgebiets angeschlagen, die die Bevölkerung über die bevorstehende Aktion informierten: „An alle Juden! 1. In Tarnow erfolgt heute eine Judenaussiedlung. 2. Ausgenommen von der Aussiedlung sind Juden mit Ehefrau und Kindern, deren Judenpässe bzw. Arbeitsausweise von der Sicherheitspolizei überprüft und abgestempelt worden sind. 3. Das jüdische Krankenhaus bleibt weiter bestehen. Die in den Krankenhäusern befindlichen Kranken werden von der Umsiedlung ausgenommen. 4. Jeder jüdische Umsiedler darf 10 kg. Gepäck (einschl. Geld- und Wertsachen) und Verpflegung für 4–5 Tage mitnehmen. 5. Der Sammelort des Transportes ist der Ringplatz. Der Judenrat und die Mitglieder des jüdischen Ordnungsdienstes haben dafür Sorge zu tragen, dass die auf anliegender Liste aufgeführten Personen mit ihren Familienangehörigen am Donnerstag, den 11. 6. um 6 Uhr früh anmarschbereit stehen. 6. Jeder Jude, welcher eine Handlung unternimmt, die Aussiedlungsmaßnahmen zu übergehen – wird erschossen. 7. Jede jüdische Person, die die Mithilfe bei einer Handlung ausübt, die geeignet ist, die Umsiedlungsaktion zu umgehen – wird erschossen. 8. Jeder Jude, der versucht, irgendwelche Gegenstände (Wertgegenstände, Möbel, Kleider usw.) an Juden oder Polen zu veräussern – wird erschossen. 9. Während der Dauer der Umsiedlung am 11. 6. ist den Juden jedes eigenmächtige Verlassen der Wohnung untersagt. Ausgenommen von dieser Bestimmung sind die zur Aussiedlung gelangenden Juden und die Mitglieder des Judenrates, JSS und Ordnungsdienstes. 10. Zuwiderhandlungen gegen diese Anordnung wird mit sofortiger Erschiessung bestraft. 11. Auch nach dem 11. 6. muss jeder Jude seine bisherige Wohnung beibehalten.

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Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 308.

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Wer gegen diese Anordnung verstösst, oder die Wohnung einer ausgesiedelten Familie betritt – wird erschossen. 12. Die Mitglieder des Judenrates und die Mitglieder des jüdischen Ordnungsdienstes haften persönlich und mit ihrer Familie bei Todesstrafe für die Durchführung dieser Anordnung. Desgleichen haften sie persönlich und mit ihrer Familie bei Diebstahl aus den verlassenen Wohnungen der bereits ausgesiedelten Juden.“ 150 Am Morgen des 11. Juni hielt Scherner im Gebäude der Kreishauptmannschaft eine Vorbesprechung ab, um die genauen Einzelheiten der Mordkampagne mit den beteiligten Akteuren zu koordinieren.151 Dass der SSPF persönlich vor Ort war, hing höchstwahrscheinlich mit der Tatsache zusammen, dass es sich in Tarnów erst um die zweite Vernichtungsmaßnahme im gesamten Distrikt Krakau handelte. Scherner wollte offenbar persönlich die Organisation und den reibungslosen Ablauf der Aktion überwachen. Entgegen den Interessen der SS war der Zivilverwaltung eher daran gelegen, diejenigen jüdischen Arbeiter, die für die Erfüllung von Wehrmachtsaufträgen abgestellt waren, zu erhalten. Damit begann ein „Feilschen“ um die Arbeitskräfte, wie der stellvertretende Kreishauptmann, Dr. Karl Pernutz, während einer Vernehmung zu Protokoll gab: „Die zahlreichen in Tarnow bestehenden Wirtschaftsbetriebe waren reichsdeutschen, volksdeutschen Kaufleuten als Treuhänder übergeben worden. […] In allen größeren Treuhandbetrieben arbeiteten jüdische Männer und Frauen; vor allem als Schneider, aber auch als Sattler. Die Wirtschaftsbetriebe hatten Wehrmachtsaufträge zu erfüllen, welche sehr strengen Fristerfüllungen unterworfen waren. In diesen Aufträgen der Fristerfüllung sah Herr Dr. Kipke die Möglichkeit der Einschaltung. Er beauftragte Herrn Dr. Schniederkötter, die Treuhänder zusammenzurufen und zusammen mit Herrn Autzinger zu überlegen, was zur Rettung einer möglichst hohen Zahl von jüdischen Arbeitskräften geschehen könnte.“ 152 Franz Josef Müller, 1941 bis 1943 Angehöriger des SSPF-Stabes im Distrikt Krakau, gab über die erste Mordkampagne in Tarnów Folgendes an: „Es war Anfang 1942, zu der Zeit als ich noch beim Stab Scherner war. Eines Tages bekam ich die Order, Fellenz nach Tarnów zu begleiten. Wir fuhren zunächst zum Ghetto Krakau, wo noch Kunde zugestiegen ist. Der Wagen wurde von Fellenz gefahren. Wir drei fuhren dann zum Ghetto Tarnów. Vor dem Ghettoeingang blieben wir stehen. Eingezäunt war das 150 151 152

Aufruf zur Judenaussiedlung Tarnow, IfZ, Fb 95/70, Bl. 126. Urteil LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: JNSV, Bd. 23, Lfd. Nr. 619a, S. 86. Vern. Karl Pernutz (undat.), BAL, B 162/2149, Bl. 203 f.

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dortige Ghetto seinerzeit noch nicht. Ich kann es nicht näher beschreiben und weiss auch nicht, wieviel Juden dort damals untergebracht waren. Während Fellenz und Kunde in eines der dortigen Gebäude gingen, um mit dem Lagerleiter oder Judenrat zu verhandeln, verblieb ich im Auto. Mit wem dort verhandelt wurde, weiss ich nicht. Auf der Fahrt dorthin erfuhr ich jedenfalls im Auto, dass es sich um eine Aussiedlung handelt, die vom Ghetto Tarnów beabsichtigt war. Während ich vor dem Ghetto wartete, kamen zwischen 10 und 12 LKW’s mit SS-Soldaten, insgesamt 100 bis 120 Mann. […] Nachdem diese Kompanie eingetroffen war, kam Fellenz mit Kunde und verhandelte mit dem Kompanieführer. Die Soldaten verblieben auf den LKW’s. […] Nachdem Kunde mit Fellenz und dem Kompaniechef verhandelt hatte, wurden die Juden aus den Häusern geholt. Dabei gingen jeweils Juden mit den SS-Leuten, die nun abgestiegen waren von den LKW’s, in die Häuser, aus denen sie dann die Personen brachten. Dazu wurde vorher schon ein Stadtviertel von einer Polizeieinheit umstellt. […] Auf diese eben geschilderte Weise wurden dann laufend Gruppen von ca. 30 Juden zusammengestellt und zum Friedhof in Tarnów in Marsch gesetzt. […] Die Häuser, die auf diese Weise geräumt wurden, hat Kunde mit einem Papiersiegel versehen, auf diesem Papier war ein Stempel und außerdem die Aufschrift ‚Eigentum des SS und Polizeiführers Krakau‘.“ 153 An der ersten Vernichtungsaktion beteiligten sich nicht nur Angehörige des Wachbataillons des SS-Truppenübungsplatzes bei Debica, sondern neben der örtlichen Sicherheitspolizei, der Schutzpolizei, der deutschen Gendarmerie und dem jüdischen Ordnungsdienst auch der dem Kreishauptmann untergeordnete Sonderdienst, der polnische Baudienst sowie mehrere Angehörige des Arbeitsamts. Darüber hinaus war ein Teil der 3. Kompanie des Reserve-Polizeibataillons 307 sowie Angehörige der Gendarmerie aus Reichshof sowie deren Außenposten eingesetzt.154 Wie auf den Aushängen stadtweit aufgefordert, hatte die jüdische Gemeinde den Befehl erhalten, sich am Morgen des 11. Juni mit Handgepäck auf dem Marktplatz der Stadt zu sammeln. Suchtrupps durchkämmten Straßen und Häuser auf der Jagd nach jenen, die nicht auf dem Sammelplatz erschienen waren.155 Auf dem Marktplatz, wo sich die zu deportie153

Dto. Franz Josef Müller, ebd., B 162/1340, Bl. 3 f. Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 308; dto. LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: ebd., Bd. 23, Lfd. Nr. 619a, S. 86. 155 Ebd.; Aufzeichnungen Josef K. „Die Epoche des Hitlerismus in Tarnów“ v. 14. 3. 1946, BAL, B 162/2151, Bl. 1019. 154

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Abb. 7. Tarnów Marktplatz, Juni 1942, auf ihren Abtransport wartende Menschen.

renden Juden sammeln mussten, bot sich ein unmenschliches Bild, da die dortigen Männer, Frauen und Kinder in allgemeiner Ungewissheit in der größten Sommerhitze kauern mussten.156 Auch vor exzessiver Gewalt seitens der Deutschen wurde nicht zurückgeschreckt, sodass selbst der Leiter des Baudiensts von den schrecklichen Ereignissen an diesem Tag erschüttert war: „Als ich dann ebenfalls morgens zum Dienst ging, hörte ich fast im ganzen Stadtbezirk, insbesondere natürlich in dem von Juden bewohnten Gebiet, Schießereien. Man fühlte sich seines Lebens nicht sicher. 156

Postrong, Refleksje, S. 104.

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Überall verstreut und zwar auf den Straßen, in den Vorgärten und Höfen sah ich erschossene Juden liegen. Es war ein einfach furchtbares Bild.“ 157 Auch der Überlebende Salomon H. war von der Kaltblütigkeit der Täter zutiefst erschrocken: „Die Aktion selbst war schauerlich. Ich selbst habe z. B. mit eigenen Augen gesehen, dass in dem Haus, in dem ich wohnte, etwa 30 jüdische Personen, und zwar Frauen, Männer und Kinder, blindlings erschossen wurden. Ein besonders brutaler Fall schwebt mir dabei noch klar vor Augen. Es handelt sich um die Erschiessung einer jüdischen Mutter mit ihren 7 Kindern. Die Frau und die Kinder wurden vor meinen Augen der Reihe nach erschossen.“ 158 Kinder wurden auch an anderer Stelle ermordet. So erinnerte sich ein Zeuge, dass während der ersten Aktion ungefähr 700 Kinder abtransportiert und außerhalb der Stadt getötet wurden.159 Abgesehen davon wurden auch Angehörige des Judenrats erschossen, unter anderem Paul Reiss.160 Personen, die nicht mehr transportfähig schienen, wurden zunächst gesammelt und anschließend von Einsatzkräften des SS-Truppenübungsplatzes bei Debica in Lastwagen zu einem in der Nähe der Stadt befindlichen Waldgebiet bei Zbylitowska Góra gebracht, wo zuvor ein Massengrab ausgehoben worden war. Dort mussten sich die verängstigten und wehrlosen Menschen entkleiden, sie wurden dann von SS-Angehörigen durch Genickschüsse ermordet. Daneben wurden auch auf dem jüdischen Friedhof der Stadt Massenexekutionen nicht transportfähiger Personen realisiert. Der Leiter des polnischen Baudiensts, Alfred Eckmann, kommandierte einige seiner Angehörigen auf den Friedhof ab, um dort Massengräber auszuheben. Die Gruben dienten sowohl zur Bestattung jener, die während des Zusammentreibens erschossen worden waren, als auch solcher Menschen, die zum jüdischen Friedhof gebracht wurden, um dort direkt getötet zu werden. Eckmann, der sich auch vor Ort befand, gab über die dortigen Ereignisse Folgendes zu Protokoll: „Auf dem Friedhof sah ich dann einen Berg Leichen. Laufend wurden neue Wagenladungen von Leichen abgekippt. Angehörige der Polizei, zumindest meine ich, dass es sich um solche gehandelt hat, sie trugen jedenfalls Polizeiuniformen, gaben den noch nicht tödlich Getroffenen, die sich zwischen den Leichen befanden, Gnadenschüsse. Die meisten Leichen waren unbekleidet. Das Abladen der Leichen von den Wagen wurde durch Juden vorgenommen, die auch, 157 158 159 160

Vern. Alfred Eckmann v. 29. 3. 1963, BAL, B 162/2151, Bl. 946. Aussage Salomon H. v. 15. 1. 1962, ebd., B 162/2150, Bl. 761. Dto. Leon L. v. 7. 2. 1962, ebd., B 162/2151, Bl. 1044. Chomet, Zagłada, S. 42; Bericht Renia Froelich, AŻIH, 301/436.

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Abb. 8. Tarnów Marktplatz, Juni 1942, auf ihren Abtransport wartende Menschen.

soweit ich es noch in Erinnerung habe, bekleidete Leichen entkleideten. […] Nach meiner Erinnerung veranlasste ich sofort, dass Baudienstmänner zum Friedhof beordert wurden, um dort Gruben zur Beerdigung der durcheinander liegenden Leichen auszuheben. […] Die Arbeiten dauerten bis spät in die Nacht. Es musste zum Teil bei künstlichem Licht geschafft werden.“ 161 Nach Aussagen eines Überlebenden, der die Leichen der im Stadtzentrum umgekommenen Menschen zum Friedhof transportieren

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Ebd.

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musste, waren die dort eingesetzten SS-Angehörigen stark alkoholisiert.162 Nicht zuletzt dadurch wurden wohl letzte Hemmschwellen abgebaut und eine vollkommen entgrenzte Gewalt an diesem Tag befördert. Über die Massenexekution im nahegelegenen Waldgelände, die wie in vielen anderen Orten auch in zynischem NS-Jargon als „örtliche Aussiedlung“ bezeichnet wurde, gab ein ehemaliger Fahrer der Sicherheitspolizei im Rahmen von Nachkriegsermittlungen detailliert Auskunft: „Die erste Massenerschiessung von Juden in Tarnow, die zugleich die erste in meinem Leben gewesen ist, erlebte ich in einem Waldgelände bei Zbylitowska Gora in der Nähe der Straße von Tarnow nach Brzesko. Ich war mit dem Steyr-Pkw. zusammen mit Rommelmann zu dem Erschiessungsgelände gefahren. Ich meine, daß die Aktion von Rommelmann geleitet worden ist. In diesem Gelände, das bewaldet war, war eine Art Grube oder eine grubenähnliche Vertiefung, vor der sich ein mit einer strauchähnlichen Hecke bewachsener Wall befand. Vor diesem stellte ich mein Fahrzeug ab. Unweit von mir, vielleicht in 6 bis 7 m Entfernung, standen eine größere Anzahl jüdischer Menschen, die sich dort ausziehen und sodann an den Wall bezw. die dahinterliegende Vertiefung treten mußten und dort erschossen wurden. Laufend wurden neue Gruppen von Juden mit Lastkraftwagen herangebracht. Es waren Männer, Frauen und auch Kinder. So wie sie an die Grube bezw. Mulde herantraten, erhielten sie einen Schuß ins Genick. Ein Teil von ihnen wurde in der Grube, ein anderer Teil am Rand derselben erschossen. Die Erschiessungen sind hauptsächlich von den Angehörigen der Gestapo, Dienststelle Tarnow, durchgeführt worden. Unter den Schützen befanden sich auch Angehörige der Gendarmerie, die braune Stiefel trugen. Die Uniform der Gendarmerieleute war grün oder grüngrau. Schätzungsweise mögen es fünf Gendarmerieangehörige gewesen sein, die geschossen haben. […] Unter den Gestapoangehörigen haben sich u. a. Rommelmann, Hufer, Kastura befunden. Diese meine ich noch mit ziemlicher Sicherheit gesehen zu haben. Ich glaube, daß auch einige der Dolmetscher, und zwar Jeck, Ilkiw und Nowak zugegen gewesen sind und geschossen haben. […] Wer im Laufe der Erschießung die neuen Gruppen von Juden mit Lastkraftwagen heranbrachte, weiss ich nicht. Nachdem die Juden von den Fahrzeugen heruntergesprungen waren, fuhren die Wagen jeweils sofort wieder weg und brachten nach einiger Zeit weitere Juden. Die Zahl der an diesem Tag erschossenen Juden kann ich nicht angeben. Es ist aber eine große Anzahl gewesen. Das Erschiessungs-

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Bericht Herman R., YVA, O.69/204.

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gelände war nicht von Posten abgesichert.“ 163 Da am ersten Tag aber nicht die von den deutschen Dienststellen erwartete Anzahl an Personen zusammengetrieben werden konnte, realisierte man noch an zwei weiteren Tagen „Teilaussiedlungen“. Hierbei wurden selbst Menschen auf den Sammelplatz getrieben, die eine Arbeitsbescheinigung nachweisen konnten. 164 Die Zahl der Opfer der Juni-Aktion ist nur schwer zu rekonstruieren, da die in den Quellen genannten Angaben stark voneinander abweichen.165 Nach Analyse aller bekannten Dokumente dürften den drei Teilaktionen in der Stadt insgesamt ungefähr 12.000 Menschen zum Opfer gefallen sein. Rund 8.000 Männer, Frauen und Kinder wurden in das Vernichtungslager Belzec deportiert, wo sie direkt nach ihrer Ankunft in den Gaskammern getötet wurden. Annähernd weitere 4.000 Juden erschoss man in den Häusern, auf den Straßen und auf dem Marktplatz sowie auf dem jüdischen Friedhof und im nahegelegenen Waldgebiet bei Zbylitowska Góra. 166 Bereits einen Tag nach diesen dramatischen Ereignissen ordnete die zivile Verwaltung die Bildung eines geschlossenen Ghettos in der Stadt an. Es sollte bis zum 24. Juni, 20.00 Uhr abgeschlossen sein; für jeden nach dieser Frist ungenehmigten Zuzug drohte man den Menschen mit der Todesstrafe. Ethnische Polen, die im designierten Ghettogebiet lebten, mussten ihre Wohnungen räumen. Ihnen wurde aufgetragen, einen „schriftlichen Antrag auf Umsiedlung in den judenfreien Stadtteil an das Wohnungsamt des Stadtkommissars“ zu richten, wobei die exakten Wohnverhältnisse anzugeben waren. Darüber hinaus drohte man ihnen, dass sie „mit sofortigen polizeilichen Strafmaßnahmen zu rechnen“ hätten, sollten sie die „Bildung des Judenwohnbezirkes in irgendeiner Weise behindern“. 167 Das Ghettoareal erstreckte sich über mehrere Straßenzüge: Im Süden bildete die Lembergerstraße, im Westen die Wallstraße, die Goldhammera163

Vern. Gustav P. v. 30. 3. 1962, BAL, B 162/2151, Bl. 953–955. Urteil LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: JNSV, Bd. 23, Lfd. Nr. 619a, S. 86. 165 So gab beispielsweise Chomet an, dass man 10.000 Juden deportierte und rund 10.000 Menschen vor Ort ermordete. Vgl. Chomet, Zagłada, S. 45. In diversen bundesdeutschen Urteilen findet sich eine Opferzahl von 20.000. Vgl. Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 309; dto. v. 12. 9. 1974, in: ebd., Bd. 40, Lfd. Nr. 814, S. 175. 166 Dto. LG Bochum v. 30. 4. 1964, in: ebd., Bd. 20, Lfd. Nr. 571, S. 114. Auf einer Polizeisitzung in Krakau, die am 18. Juni 1942 stattfand, berichtete SSPF Scherner, dass sich in Tarnów noch rund 32.000 Juden befänden. Vgl. Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 512. 167 Anordnung zur Judenumsiedlung des Kreishauptmanns in Tarnów im Zuge der auf Anordnung des SSPF erfolgten Judenaktion v. 19. 6. 1942, USHMM, RG15.020M, reel 11, Bl. 434a. 164

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straße, die Mieciwiczstraße sowie die Nowodabrowskastraße die Grenze. Im Norden wurde das Ghetto durch den zwischen der Spitalgasse und der Staradabrowskastraße liegenden jüdischen Friedhof sowie der Stonecznastraße, im Osten durch die Gorbarskastraße begrenzt. Während Zufahrtsstraßen durch einen Holzzaun abgeriegelt worden waren, wurden Fenster und Türen, die zur Außenseite des Ghettobereiches zeigten, zugemauert oder durch Bretter vernagelt. Ein Zutritt war lediglich durch vier Tore möglich. Von diesen Zugängen befanden sich zwei am Magdeburger Platz, einer am Platz Pod Dębem und ein weiterer an der Folwarcznastraße in der Nähe des Gebäudes des Judenrats. Für die Bewachung der Tore und die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung war der jüdische Ordnungsdienst zuständig.168 Angehörige der Stadtpolizeiabteilung sowie der polnischen Polizei nahmen die äußere Ghettobewachung vor.169 Kurze Zeit nach der Ghettoerrichtung ordnete der Stadtkommissar die Registrierung der jüdischen Bevölkerung Tarnóws an. Diese sollte am Sonntag, den 28. Juni, durch den Judenrat erfolgen. An diesem Tag durfte der jüdische Wohnbezirk nicht verlassen werden. Jede Person sollte bis zum Eintreffen des Beauftragten des Judenrats in dem Gebäude verbleiben, in dem er oder sie sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag aufhielt. In der Anordnung wurde damit gedroht, dass jene, die bei der Zählung nicht anwesend seien oder falsche Angaben machen, die Umsetzung der Zählung verhindern oder erschweren, in ein Konzentrationslager eingewiesen werden würden. 170 Gemäß der Erfassung befanden sich Anfang Juli 15.828 Personen im Ghetto.171 Die tatsächliche Zahl dürfte allerdings aufgrund nicht gemeldeter Menschen faktisch höher gelegen haben. Zur Zeit der ersten Vernichtungsaktion in Tarnów wurden die Juden in Ghettos in der gesamten Kreishauptmannschaft konzentriert. Dies war aus Sicht der deutschen Besatzer notwendig, um weitere Deportationen im gesamten Kreis realisieren zu können. Am 15. Juli bestimmte der Kreishauptmann die Isolierung der jüdischen Bevölkerung in den fünf Ghettos 168

Chomet, Zagłada, S. 49; Urteil LG Bochum v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 327. 169 Ebd., S. 328. 170 Bekanntmachung betr. Zählung der Juden, USHMM, RG.15.020M, reel 11, Bl. 419. 171 AK-Bericht Tarnow, AAN, 203/III/117, Bl. 8. Für den Hinweis auf diese Quelle danke ich Tomasz Frydel. Diese Zahlen nennt auch die Kriminalpolizei Tarnów in einem überlieferten Bericht über den Bevölkerungsstand in der Stadt, allerdings mit Stand am 1. 9. 1942. Vgl. Kriminalpolizei Tarnow „Bevölkerungsstand am 1. 9. 1942“, AŻIH, 233/104, Bl. 10.

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in Dąbrowa Tarnowska, Brzesko, Tuchów, Zakliczyn sowie in Żabno.172 Ein Teil dieser Ghettos existierte zu diesem Zeitpunkt schon länger; andere waren erst kurze Zeit zuvor eingerichtet worden. In Żabno waren die Menschen bereits im Mai in ein Ghetto gedrängt worden.173 Aus Dąbrowa Tarnowska wurden im Juni einige hundert Juden nach Tarnów geschickt, von wo aus sie direkt dem Transport in das Vernichtungslager Belzec angeschlossen wurden.174 Demgegenüber bildeten die Deutschen in Zakliczyn erst am 10. Juli ein geschlossenes Ghetto.175 In der Folgezeit waren dort mehr als 2.000 Menschen inhaftiert, wovon 1.439 Personen aus der direkten Umgebung dorthin umsiedeln mussten: Aus Wojnicz 356, aus Czchów 290, aus Ciężkowice 286, aus Iwkowa 183, aus Uszew 147, aus Pleśna 58, aus Gromnik 57, aus Radłów 33, aus Szczurowa 14, aus Gumniska 11 und aus Wietrzychowice 4 Personen. 176 Alle im Kreis Tarnów errichteten Ghettos dienten den Deutschen nur zu einem Zweck: Durch die Konzentrierung der jüdischen Bevölkerung sollten die in naher Zukunft zu realisierenden Deportationen aus den ländlichen Gebieten erleichtert werden. 3.2.2 Mordkampagnen und Teilung des Ghettos Nach den ersten Deportationen und der anschließenden Errichtung des geschlossenen Ghettos herrschte in Tarnów nur für kurze Zeit Ruhe. Bereits drei Monate später wurde durch Plakatanschlag am 9. September 1942 eine weitere Mordkampagne durch die Kreishauptmannschaft angekündigt.177 In der Bekanntmachung, in der die vom SSPF angeordnete Vernichtungsmaßnahme angekündigt wurde, hieß es diesmal: „Ab 10. IX. 1942 172 Protokoll Sitzung JSS-Jüdisches Hilfskomitee für den Kreis Tarnow v. 3. 8. 1942, ebd., 211/1026, Bl. 54; GŻ, Nr. 90, 31. 7. 1942. 173 Schwarz, Lager, S. 148. 174 Grabowski, Hunt, S. 32. 175 „Kwestionariusz o obozach“ Zakliczyn, USHMM, RG-15.019M, reel 14, Bl. 42. 176 Schreiben JSS-Delegatur Zakliczyn an JSS-Präsidium Krakau v. 1. 8. 1942, AŻIH, 211/1141, Bl. 45. 177 Vermutlich wurde diese Anordnung extra von der Kreishauptmannschaft unterschrieben, um der jüdische Bevölkerung vorzutäuschen, dass es sich um eine harmlose Maßnahme der zivilen Verwaltung handle: „Mir ist allgemein bekannt, daß die seinerzeit herausgegebenen Bekanntmachungen von der Gestapodienststelle entworfen wurden und die Unterschriftsleistung durch den jeweiligen Amtschef der Zivilverwaltung nur formale Bedeutung hatte, um gegenüber der Bevölkerung zu dokumentieren, daß es sich um eine harmlosere Maßnahme durch die Zivilverwaltung handele.“ Vern. Ernst August W. v. 4. 1. 1962, BAL, B 162/2150, Bl. 724.

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erfolgen Judenaussiedlungen. […] Jeder Pole, der in irgendeiner Form durch seine Handlung die Aussiedlung gefährdet oder erschwert oder bei einer solchen Handlung Mithilfe ausübt, wird strengstens bestraft.“ 178 Darüber hinaus wurde allen ethnischen Polen mit der Todesstrafe gedroht, sofern sie Juden versteckten oder deren Hab und Gut in ihren Besitz brachten. Die Deutschen befahlen der örtlichen Bevölkerung zudem, bestimmte Straßen und Plätze der Stadt, die Schauplatz der Vernichtungsaktion werden konnten, nicht zu betreten: „§ 6 Während des Transportes der Juden vom Sammelplatz zum Bahnhof ist das Betreten folgender Strassen und Plätze verboten: Lembergerstr., Holzplatz, Bernadinerstr., Alter Markt, Gartenstr., Narutowiczastr., Kommandanturstr., Sportplatz am Bahnhof.“ 179 Wie bereits vor der ersten Mordaktion mussten sich auch dieses Mal die Menschen einen Tag vor der geplanten Aktion, am 9. September, von deutscher Seite ihre Arbeitsfähigkeit bescheinigen lassen. Diejenigen, die als Facharbeiter oder für bestimmte Arbeitskommandos noch benötigt wurden, erhielten einen Stempel in ihre Ausweise, während die als arbeitsunfähig Eingestuften keinen Stempel bekamen und somit faktisch ihr Todesurteil erhielten. Der ersten Gruppe wurde zynischerweise mitgeteilt, dass es ihnen erlaubt sei, ihre Frauen und Kinder bei sich im Ghetto zu behalten. Aus diesem Grunde könnten sie ihre Familien zum Sammelplatz mitbringen. 180 Am Morgen des 10. September mussten sich alle im Ghetto Befindlichen auf dem Magdeburger Platz versammeln. Geleitet wurde die Aktion vom Chef der Sicherheitspolizei-Außenstelle Tarnów, Josef Palten. Neben der örtlichen Sicherheitspolizei waren Angehörige der kasernierten Polizei, der deutschen Gendarmerie, des Sonderdiensts, der Stadtpolizei und der polnischen Polizei eingesetzt. Vor der Selektion durchkämmten Suchtrupps das Ghettogelände nach versteckten Personen, die am Vortag keinen Stempel erhalten hatten. Während einige der Aufgefundenen an Ort und Stelle erschossen wurden, brachte man die restlichen Personen zu dem durch eine Postenkette abgesperrten Sammelplatz. Die Selektion begann, nachdem einige tausend Juden auf dem Platz zusammengepfercht waren. An einem in der Nähe des Ghettotores aufgestellten Tisch befanden sich mehrere Angehörige der Sicherheitspolizei sowie Wachposten, die über Verbleib oder Abtransport und somit über Leben oder Tod entschieden. 178 179 180

Bekanntmachung Kreishauptmann Tarnow v. 9. 9. 1942, ebd., B 162/36cf. Ebd. Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 338 f.

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Die verängstigten Menschen wurden gezwungen, der Reihe nach an diesen vorbeizugehen und ihre Ausweise und Arbeitskarten vorzuzeigen. Diejenigen, die am Vortag einen Stempel erhalten hatten, wurden auf einer Seite des Platzes versammelt und konnten anschließend wieder zurück in ihre Wohnungen. All jene, die keinen Stempel in ihren Dokumenten vorweisen konnten, wurden auf die andere Seite des Platzes verwiesen. 181 Am Nachmittag wurde die zur Vernichtung bestimmte Gruppe zunächst in Pferdeställen am Stadtrand untergebracht. Dort mussten die Menschen unter verheerenden Bedingungen und schärfster Bewachung zwei Tage ausharren. Währenddessen wurden am 11. und 12. September, dem zweiten und dritten Tag der Vernichtungsaktion, nicht nur die Selektionen, sondern auch die Jagd nach Versteckten im Ghetto fortgesetzt. Paradoxerweise wurden auch Juden, die bereits zur Deportation bestimmt waren und in den Ställen abwarten mussten, von Deutschen wieder herausgeholt. Man benötigte sie nun doch noch als Facharbeiter und tauschte sie daher gegen andere Personen aus. Am späten Nachmittag des 12. September endete die Aktion. Die seit Tagen eingesperrten Menschen wurden zum örtlichen Bahnhof geführt, von dort in das Vernichtungslager Belzec deportiert und anschließend ermordet. 182 Der Überlebende Sigmund Grünkraut erinnerte sich an die brutalen Umstände der Mordaktionen: „Im September 1942 fand die zweite Aktion statt. Am Tage vorher war durch den Judenrat bekannt gegeben worden, dass sich alle Frauen, die den sogenannten großen Stempel hatten, mit ihren Kindern auf dem Magdeburger Platz im Ghetto versammeln sollten. Zweck dieser Aktion war, alle Kinder, die ja als Arbeitskräfte unbrauchbar waren, verschwinden zu lassen. Meine Frau hatte sich mit meiner jüngeren Tochter ebenfalls zu dem Platz begeben. Da meine Frau den großen Stempel in ihrem Ausweis hatte, blieb sie zunächst auf dem Platz und konnte dann nach Hause gehen. Meine Tochter wurde mit vielen anderen Kindern zu einer Baracke am Stadtrand geführt. Nur einem Zufall ist es zu verdanken, dass das Kind nicht abtransportiert worden ist. Soviel ich weiß, sind sämtliche anderen jüdischen Kinder in das Vernichtungslager Belzec überführt und dort umgebracht worden.“ 183 Auch in jenen Tagen war es wieder zu extremer Gewaltanwendung gegenüber den wehrlosen Menschen gekommen. Einige Kinder, die auf den Rat ihrer Eltern versuchten, durch ein Loch im Ghettozaun zu flüchten 181 182 183

Ebd., S. 339. Ebd., S. 339 ff. Aussage Sigmund G. v. 14. 11. 1961, BAL, B 162/2150, Bl. 695 f.

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und ihr Leben zu retten, wurden von den Deutschen kurzerhand erschossen.184 Weil gerade der Anteil der deportierten und ums Leben gekommenen Kinder hoch war, wurde diese zweite Aktion von der jüdischen Bevölkerung auch als „Kinderaktion“ bezeichnet. 185 Vielfach hatten sich die Eltern nicht von ihren Kindern trennen wollen. Die Deutschen zögerten in solchen Fällen nicht und reihten die gesamte Familie in die Gruppe der Abzutransportierenden ein oder töteten sie kaltblütig an Ort und Stelle: „Viele Eltern gesellten sich zu ihren Kindern und wurden mit diesen gemeinsam nach Belsen [sic] abtransportiert. Während dieser Aussiedlung kam es zu einem Vorfall, der von den sadistischen deutschen Methoden Zeugnis ablegt. Ein Vater, der sein Kind in den Armen hielt und es nicht in die Hände der Häscher fallen lassen wollte, musste es sich gefallen lassen, dass ihm das Kind mit Gewalt entrissen wurde, er gab jedoch trotz Misshandlungen und Geißelungen nicht nach und wurde nach Torturen mit dem Kind im Arm niedergeschossen.“ 186 Vor allem das grausame Vorgehen gegenüber Kleinkindern erschreckte viele Menschen. Eine Aussage der Überlebenden Mina R. spiegelt die allgemeine Fassungslosigkeit darüber wider: „Ich habe mit eigenen Augen sehen müssen, wie ein nur wenige Monate altes Kind aus einem Fenster des 2. oder 3. Stockwerkes auf die Straße heruntergeworfen wurde. Zerschlagen und blutend blieb es als Bündel auf der Straße liegen. Dieses Erlebnis wirkt bis heute nach.“ 187 Auch für Heinrich Schönker, der sich während der Aktion versteckt hielt, war diese brutale Aktion ein Geschehnis, das ihm immer im Gedächtnis bleiben sollte: „Den 10. September 1942 im Ghetto von Tarnów werde ich als einen der schrecklichsten Tage meines Lebens in Erinnerung behalten. Nicht wegen unserer Erlebnisse im Versteck, sondern wegen der furchtbaren Szenen, die sich danach im Hof abspielten. Die Menschen kehrten aus den Betrieben zurück, aber ihre Kinder, Mütter, Väter und Ehepartner waren nicht mehr da. Weinend fielen sie sich um den Hals. Alle versammelten sich im Hof und fragten sich gegenseitig, wen sie verloren hatten. Wer sich gerettet hatte, musste erzählen, was geschehen war, und jeder hoffte, etwas über seine Angehörigen zu erfahren. […] Die Frauen warfen sich aus Verzweiflung schluchzend auf

184 Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 337; Aussage Leon L. v. 22. 4. 1964, BAL, B 162/2152, Bl. 1552 f. 185 Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 337. 186 Aufzeichnungen Josef K. „Die Epoche des Hitlerismus in Tarnów“ v. 14. 3. 1946, BAL, B 162/2151, Bl. 1021. 187 Dto. Mina R. v. 17. 2. 1965, ebd., B 162/2156, Bl. 2265.

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den Boden, die Männer standen in Gruppen zusammen und weinten laut. Manche standen herum, als hätten sie den Verstand verloren und wüssten nicht, wie ihnen geschah. Im Hof brannte elektrisches Licht, in dem die wehklagenden Menschen lange Schatten warfen. Dieses Bild werde ich niemals vergessen.“ 188 Im Verlauf dieser zweiten Vernichtungsaktion wurden schätzungsweise 7.000 Personen nach Belzec verschleppt, wo sie umgehend nach Ankunft in den Gaskammern ermordet wurden.189 Wenige Tage danach deportierte man die Menschen aus den im Kreis befindlichen Ortschaften Brzesko, Dąbrowa Tarnowska, Zakliczyn, Żabno und Tuchów in das Vernichtungslager und liquidierte damit zum größten Teil die genannten Ghettos.190 Nach dem zweiten Massenmord waren nunmehr annähernd 9.000 Menschen im Ghetto isoliert.191 In der Folgezeit verschleppten die Deutschen allerdings noch weitere Personen nach Tarnów, sodass sich die Zahl der Ghettoinsassen im Oktober 1942 noch etwas erhöhte. 192 Bereits knapp zwei Monate nach der Vernichtungswelle im September geriet das Ghetto erneut in das Visier der Besatzer: Am Morgen des 15. November umstellten Angehörige der Schutzpolizei, der deutschen Gendarmerie und der polnischen Polizei das Gelände. Den jüdischen Arbeitskommandos wurde erlaubt, wie üblich zu ihren inner- oder außerhalb des Ghettos gelegenen Arbeitsplätzen auszurücken. Die Anderen mussten sich auf Befehl der Sicherheitspolizei auf dem Sammelplatz einfinden. Dort wurden sie gezwungen, ihre gesamten Wertsachen und ihr Bargeld bis auf zehn Złoty abzuliefern. Deutsche Suchtrupps durchkämmten in gewohnter Manier mehrfach die Häuser im Ghetto auf der Suche nach versteckten Juden. Wurden sie fündig, erschoss man die Aufgespürten entweder an Ort und Stelle oder brachte sie zu den übrigen Menschen auf den Magdeburger Platz. 193 Da jedoch auch bei der Durchsuchung des Ghettos nicht alle verborgenen Personen gefunden werden konnten, wurde die Zahl der zum Abtransport vorgesehenen Menschen nicht erreicht. Nun rückten Ange188

Schönker, Ich war acht, S. 119. Chomet, Zagłada, S. 61; siehe auch: Kriminalpolizei Tarnow „Bevölkerungsstand am 1. 11. 1942“, AŻIH, 233/104, Bl. 12. 190 Podhorizer-Sandel, O zagładzie Żydów, S. 98. 191 Gemäß des Berichts der Kriminalpolizei befanden sich zum 1. 11. 1942 noch 8.642 Juden in Tarnów. Vgl. Kriminalpolizei Tarnow „Bevölkerungsstand am 1. 11. 1942“, AŻIH, 233/104, Bl. 12. 192 Chomet, Zagłada, S. 62. 193 Dto. LG Bochum v. 12. 9. 1974, in: JNSV, Bd. 40, Lfd. Nr. 814, S. 182 f. 189

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hörige der Sicherheitspolizei, Ordnungsdienstmänner, möglicherweise auch Angehörige weiterer Polizeieinheiten auf Befehl des Leiters der Sicherheitspolizei-Außenstelle aus und begaben sich zu den einzelnen Betrieben, wo die Arbeiter eine Selektion über sich ergehen lassen mussten und zum Teil ebenfalls auf den Marktplatz geschickt wurden. Auf diese Weise wollten die Deutschen den Transport bestmöglich auslasten. Am Mittag wurden die auf dem Magdeburger Platz verängstigten Menschen gezwungen, kolonnenweise anzutreten. Unter strenger Bewachung eskortierte man sie in Marschgruppen zum Bahnhof, wo sie umgehend in Güterwagen gezwängt wurden. Gegen sechs Uhr abends verließ der rund 2.500 Personen umfassende Transport Tarnów. Die Fahrt ging allerdings nicht sofort nach Belzec, vielmehr machte der Zug zunächst einen Zwischenstopp im rund 85 Kilometer entfernten Reichshof. 1.500 Menschen, die im Rahmen einer dort stattfindenden Razzia selektiert worden waren, wurden dem Transport aus Tarnów angeschlossen. Erst danach fuhr der Zug mit 4.000 Insassen in das Vernichtungslager Belzec.194 Nachdem an diesem Tag binnen weniger Stunden erneut tausende Juden aus Tarnów deportiert worden waren, teilten die Deutschen das Ghetto in zwei Bereiche: Im Bereich A befanden sich fortan nach Geschlechtern getrennt die arbeitenden Frauen, Männer und Jugendliche ab dem 12. Lebensjahr. Im Bereich B lebten die arbeitsunfähigen und nicht arbeitenden Juden sowie Kinder unter 12 Jahren. Die Bereiche A und B wurden durch einen zwei Meter hohen Bretterzaun mit Stacheldraht getrennt. Obgleich ein Hinüberwechseln von einem zum anderen Bereich strengstens verboten war, blieb dies dennoch möglich. 195 Diese Trennung der noch in den Ghettos lebenden Menschen war kein Sonderfall; dieses Vorgehen wurde auch in anderen Städten von den deutschen Besatzern praktiziert. Es diente der Vorselektion der zu deportierenden Opfer und sollte deren späteren Abtransport ins Vernichtungslager Belzec erleichtern.196 Ende 1942 unterlag das Ghetto in Tarnów einer weiteren strukturellen Veränderung. Der Ghettobereich A wurde durch ein Rundschreiben Scherners Ende November 1942 in ein Zwangsarbeitslager umgewandelt.197 Während der Ghettobereich A nun in die Kompetenz des SSPF

194 Ebd., S. 183; Chomet, Zagłada, S. 67; Urteil LG Memmingen v. 10. 7. 1969, IfZ, Gm 04.04/2, Bl. 22. 195 Dto. LG Bochum v. 30. 4. 1964, in: JNSV, Bd. 20, Lfd. Nr. 571, S. 115. 196 Vgl. Pohl, Ghettos, S. 47. 197 Rundschreiben Scherner betr. Einsatz jüdischer Arbeitskräfte v. 27. 11. 1942, YVA, 0.51/59, Bl. 9–15.

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überging, war für den Bereich B, in dem die als arbeitsunfähig eingestuften Menschen lebten, weiterhin die Sicherheitspolizei-Außenstelle Tarnów zuständig. 198 Vermutlich am 1. Januar 1943 wurde der Bereich A von SSOberscharführer Hermann Blache in der Funktion als „Kommissarischer Leiter“ übernommen, der fortan offiziell die Bezeichnung „Zwangsarbeitslager Tarnów“ trug.199 Gemäß den Absprachen zwischen SS und Wehrmacht mussten nun Wehrmachtsbetriebe, die jüdische Arbeiter beschäftigten, für diese einen Tagessatz an die SS entrichten: „Vom Zeitpunkt der Kasernierung bezw. der geschlossenen Unterbringung an erhalten die jüd. Arbeitskräfte keinen Barlohn mehr. Für diese Regelung ist als Stichtag der 10. 12. 1942 anzusehen. Die Dienststellen bezw. Betriebsleitungen führen an den SS- und Polizeiführer Krakau für jede jüd. Arbeitskraft je Kalender und Schichttag für den Mann 5.-Zl. und für die Frau 4.-Zl. ab.“ 200 Hermann Blache, 1900 geboren, zuvor im Wachdienst im Konzentrationslager Buchenwald tätig, war erst im Dezember 1942 zur Dienststelle des SSPF im Distrikt Krakau versetzt worden. Während einer mehrwöchigen Schulung wurde er dort auf die vorgesehene Tätigkeit als Leiter des jüdischen Zwangsarbeitslagers Tarnów vorbereitet. 201 Nach seiner Ankunft in der Stadt bezog Blache zunächst ein Haus gegenüber der Sicherheitspolizei-Außenstelle in der Ursulinenstraße. Im Herbst 1943 zog er samt seiner Ehefrau und seinen drei Kindern, die er im April hatte zu sich kommen lassen, in ein Haus am Rande des Ghettos. 202 Blaches primäre Aufgabe bestand in der Überwachung des Arbeitseinsatzes der Insassen. Zudem hatte er die Habseligkeiten der Menschen zu erfassen und diese anschließend in Krakau abzuliefern. Ein Überlebender erinnerte sich: „Etwa im Januar 1943 erschien Blache im Getto und übernahm das Kommando. […] Seine Haupttätigkeit bestand darin, sich von den Juden Wertsachen, Geld und Diamanten, Pelze und andere Gegenstände geben zu lassen. In dieser Richtung hat Blache nach meiner Auffassung eine besondere Karriere gemacht. Ich bin davon überzeugt, dass er Geld und Wertsachen im Werte von Millionen Mark aus den Juden herausgepresst hat.“ 203 Blache erhielt darüber hinaus auch durch die Sicherheitspolizei-Außen198

Vgl. etwa Vern. Hermann Blache v. 28. 9. 1961, BAL, B 162/2150, Bl. 631.. Dto. v. 30. 4. 1964, in: ebd., Bd. 20, Lfd. Nr. 571, S. 115. 200 Rundschreiben Scherner betr. Einsatz jüdischer Arbeitskräfte v. 27. 11. 1942, YVA, 0.51/59, Bl. 13. 201 Dto. v. 30. 4. 1964, in: ebd., Bd. 20, Lfd. Nr. 571, S. 109, 115. 202 Vern. Hermann Blache v. 28. 9. 1961, BAL, B 162/2150, Bl. 631. 203 Aussage Salomon H. v. 15. 1. 1962, ebd., Bl. 762. 199

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stelle Tarnów Pakete mit Wertsachen getöteter oder deportierter Juden, die er nach Krakau zur Dienststelle des SSPF weiterleiten sollte, wie er selbst angab. 204 Als Lagerleiter hatte er zudem die Aufgabe, Berichte anzufertigen, die er in regelmäßigen Zeitabständen an den SSPF sandte. 205 Zur Umsetzung der unterschiedlichen Arbeiten und zur Aufrechterhaltung der Ordnung standen Blache der Judenrat und der jüdische Ordnungsdienst zur Verfügung. Diese mussten dessen Anordnungen entgegennehmen, an die jüdischen Häftlinge weitergeben und deren Durchsetzung notfalls auch mit Gewalt erzwingen. 206 Auch nach der Übernahme des Ghettobereiches A durch Blache blieb die Zahl der Ghettoinsassen in Tarnów keineswegs konstant, vielmehr kam es zu einigen Zu- und Abgängen. So gelangten bereits kurze Zeit nach der dritten Vernichtungsmaßnahme Transporte aus Neu-Sandez, Brzesko oder aus Dąbrowa nach Tarnów. 207 Auch das Säuberungskommando aus Tuchów, das zunächst im dortigen Ghetto zu Räumungsarbeiten verblieb, wurde nach Beendigung der Arbeiten nach Tarnów überführt. 208 Im Jahre 1943 erreichten weitere Personen das Restghetto, sodass sich die Zahl der jüdischen Bevölkerung vorübergehend wieder erhöhte. Menschen aus umliegenden Ortschaften wurden im Frühjahr nach Tarnów deportiert; alle kamen in den Bereich B. 209 Zur gleichen Zeit erhielt der aus Wien stammende Unternehmer Julius Madritsch unter dem Vorwand der „Beschleunigung eines dringenden Rüstungsauftrages“ die Erlaubnis, Juden aus Krakau nach Tarnów zu überführen. Am 25. und 26. März wurden 232 Männer, Frauen und Kinder durch Madritsch und seine Mitarbeiter dorthin gebracht. 210 Während das Ghetto im Februar noch 5.967 Juden zählte, stieg die Zahl bis zum 1. Mai auf 7.023 Insassen. 211 Allerdings wur204

Vern. Hermann Blache v. 18. 9. 1962, ebd., B 162/2152, Bl. 1297, 1303 f. Urteil LG Bochum v. 30. 4. 1964, in: JNSV, Bd. 20, Lfd. Nr. 571, S. 115. 206 Ebd., S. 116. 207 Aussage Jakub G. v. 30. 6. 1946, USHMM, RG-15.170M, reel 1; Chomet, Zagłada, S. 69. 208 Leseabschrift d. Stellungnahme v. Karl Oppermann v. 25. 11. 1967, BAL, B 162/ 2167, Bl. 4573 f. 209 Urteil LG Bochum v. 30. 4. 1964, in: JNSV, Bd. 20, Lfd. Nr. 571, S. 115; dto. LG Bochum v. 12. 9. 1974, in: ebd., Bd. 40, Lfd. Nr. 814, S. 178; Kriminalpolizei Tarnow „Bevölkerungsstand v. 1. 12. 1942“, AŻIH, 233/104, Bl. 14; Bericht Perla M., YVA, 0.3/1136. 210 Madritsch, Menschen, S. 17; Schreiben SSPF Krakau betr. Umsiedlung jüdischer Arbeiter v. 18. 3. 1943, YVA, 0.51/59, Bl. 18. 211 Kriminalpolizei Tarnow „Bevölkerungsstand v. 1. 2. 1943“, AŻIH, 233/104, Bl. 16; dto. v. 1. 5. 1943, ebd., Bl. 18. 205

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den Anfang August auch rund 500 Juden aus Tarnów in das Lager Szebnie überführt. 212 3.2.3 Zeugenschaft, Taten und Täter Anfänglich bemühte sich das nationalsozialistische Regime, eine öffentliche Diskussion über die begangenen Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung nach Möglichkeit zu verhindern. Dies gelang jedoch nicht. Bereits wenige Wochen nach Beginn des Genozids war dieser der internationalen Öffentlichkeit bekannt. 213 Im Gegensatz zur westeuropäischen Bevölkerung lebten die ethnischen Polen in dessen Epizentrum und waren somit zwangsläufig mit dem mörderischen Treiben im Zuge der „Aktion Reinhard“ konfrontiert. In Tarnów berücksichtigten die Deutschen vor der ersten Mordkampagne im Juni 1942 allerdings noch nicht, dass Teile der christlichen Bevölkerung „Zuschauer“ des Massenmordes werden könnten. Die brutale Aktion, als Kombination von bereits eingeübtem gewalttätigem Vorgehen und spontaner Improvisation, wurde von vielen beobachtet. Der Pole Stanisław Dychtoń erinnerte sich noch in der Nachkriegszeit daran, wie die Juden auf dem Waldgelände nahe Tarnów ermordet wurden: „Dann begannen die Transporte zu kommen. Am Rande des Waldes mussten die Juden sich ausziehen und alle ihre Kleidung an einen Platz legen. Die Kleidung wurde nach Geld und Gold durchsucht. Es ist schwer zu beschreiben, was später passierte. Kleine Kinder wurden gewaltsam ihren Müttern weggenommen. Es gab dort einen Stein, die Deutschen nahmen die Kinder an den Beinchen und schlugen ihre Köpfchen gegen diesen Stein.“ 214 Auch Janina und Augustyn Żmuda, die in der Nähe des Waldes wohnten, sahen zu jener Zeit all die Grausamkeiten, die in direkter Nähe begangen wurden. 215 Der aus Tarnów stammende Roman Jagiencarz gab ebenfalls detailliert Auskunft über die Verfolgung der Juden. So beschrieb er nicht nur deren Zusammentreiben auf dem Marktplatz, sondern schilderte unter anderem auch die kaltblütig umgesetzte Massenexekution auf dem jüdischen Friedhof. 216

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„The Jewish Agency for Palastine, Forced labour camp for Jews at Trzebnia“ v. 16.1945, BAL, B 162/742, Bl. 30. 213 Bajohr/Pohl, Holocaust, S. 12. 214 Erinnerungen Stanisław Dychton, in: Muzeum Okręgowe w Tarnowie, Wspomnienia, S. 13 [Übersetzung aus dem Polnischen]. 215 Dto. Janina und Augustyn Żmuda, in: ebd., S. 14. 216 Dto. Roman Jagiencarz, in: ebd., S. 17 f. [Übersetzung aus dem Polnischen].

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Nach der ersten Mordaktion änderten die Deutschen ihr Vorgehen, um eine Zeugenschaft des Genozids möglichst zu unterbinden. In der am 9. September erlassenen Bekanntmachung wurde von deutscher Seite ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Betreten bestimmter Straße und Plätze während des Transports der Juden vom Sammelplatz zum Bahnhof strikt verboten war.217 Darüber hinaus drohte man der christlichen Bevölkerung: „Die Bewohner der Häuser der genannten Straßen und Plätze haben bei Annäherung des Zuges die Haustüren und Fenster zu verschließen und jede Art der Beobachtung des Zuges zu unterbinden. Verstöße gegen diese Anordnung werden bestraft.“ 218 Allerdings sollte auch die deutsche Androhung nicht verhindern, dass die Öffentlichkeit die Vorkommnisse heimlich verfolgte. Nicht nur die lokale Bevölkerung, sondern auch die im Untergrund agierende polnische Heimatarmee war über die NS-Verfolgungs- und Vernichtungsmaßnahmen an der jüdischen Bevölkerung Tarnóws zum Teil gut informiert. Der Pole Roman R., laut eigenen Angaben einstiges Mitglied des polnischen Widerstandes, hatte sich während des Kriegs in der rund zehn Kilometer von Tarnów entfernten Ortschaft Zaczarnie aufgehalten. Zum Wissen über die in Tarnów begangenen NS-Verbrechen gab er im Zuge von Nachkriegsermittlungen Folgendes zu Protokoll: „Im Zusammenhang hiermit bekam ich Informationen über die verbrecherische Tätigkeit von Angehörigen der ehem. Gestapo in Tarnów. Dies geschah zwecks Warnung vor diesen und Bewahrung der gebotenen Vorsicht. Mir waren die Namen der besonders gefährlichen Gestapisten bekannt, die konsequent Polen und Juden liquidierten und die man unbedingt meiden mußte, da eine Begegnung mit ihnen oft mit dem Tode endigte oder bestenfalls mit einer bestialischen Folterung und Entsendung in ein Konzentrationslager. Von ihnen hatte Karl Oppermann den allerschlimmsten Ruf als Henkersknecht und Schinder, der die Menschen ermordete.“ 219 Auch in den geheimen Berichten der polnischen Heimatarmee, deren Einstellung und Verhalten gegenüber der jüdischen Bevölkerung sehr ambivalent war und kaum generalisierbar ist 220, finden sich Angaben zur Anordnung über die Ghettobildung vom 19. Juni 1942 sowie Informationen über Erschießungen von Ghettoinsassen. Das Wissen der polnischen Widerstandsorganisa217 Bekanntmachung Kreishauptmann Tarnow v. 9. 9. 1942, BAL, Ordner „Die Verwaltung des Generalgouvernements“, Bl. 36c. 218 Ebd. 219 Aussage Roman R. v. 18. 3. 1964, BAL, B 162/2154, Bl. 1907. 220 Vgl. hierzu beispielsweise Golczewski, Heimatarmee.

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tion hatte jedoch auch seine Grenzen. So wurde im Eintrag vom 19. August darauf verwiesen, dass trotz großer Bemühungen bisher noch nicht in Erfahrung gebracht werden konnte, wohin die aus Tarnów deportierten Juden gebracht worden waren. 221 Die NS-Vernichtungspolitik gegen die Juden fand nicht nur in aller Öffentlichkeit statt, sondern geriet für manche Deutsche auch zu einem öffentlichen Event 222, bei dem sie gerne ihre freie Zeit opferten, um die grausamen Ereignisse genauer zu verfolgen. So zeigte ein Sanitäter der 3. Kompanie des Polizeibataillons 307 für die Vorgänge, die sich während der ersten Vernichtungsaktion im Juni 1942 ereigneten, großes Interesse: „Eines Tages, an dem er wachfrei gehabt habe, habe er einen Spaziergang durch die Stadt gemacht. Dabei habe er auf dem Marktplatz in Tarnów, der die Größe eines Fußballplatzes gehabt habe und von Häusern umrahmt gewesen sei, mehrere Tausend jüdische Männer, Frauen und Kinder in kniender Stellung lagern sehen. Die Juden hätten den Kopf gesenkt nach unten halten müssen. Die Polizei habe den Auftrag gehabt, mit dem Karabiner auf den Kopf eines jeden Juden zu schlagen, der seinen Kopf hochnahm. Dieses habe er etwa eine Stunde lang beobachtet.“ 223 Genozid und Voyeurismus gingen häufig Hand in Hand. Selbst für Kinder war der Judenmord zu einem alltäglichen Phänomen avanciert. So erinnerte sich eine ehemalige Stenotypistin der Kreishauptmannschaft daran, dass „deutsche [ ] Kinder anfingen ‚Judenerschießen‘ zu spielen“. 224 Wer nicht selbst Augenzeuge der grausamen Taten war, hatte zumindest mittelbar von den fürchterlichen Ereignissen gehört. Ein Wehrmachtsangehöriger, der im Sommer 1942 mit seiner Truppe nach Tarnów gekommen war, gab an, von Polen erzählt bekommen zu haben, „daß die Juden zum Teil ihre Gräber selbst schaufeln mußten und sich vor der Erschießung ganz zu entkleiden hatten“. 225 Auch außerhalb der Stadtgrenzen wurden die erschütternden Maßnahmen gegenüber der jüdischen Bevölkerung Tarnóws bekannt. So berichtete der Landkommissar in Gorlice, seine Dienststelle habe erfahren, „dass es bei den Judenaktionen in Tarnow sehr übel zugegangen sein soll“. In Erinnerung sei ihm jedenfalls geblieben, „dass in Tarnow schreckliche Zustände geherrscht haben sollen“. 226

221 222 223 224 225 226

AK-Bericht Tarnow, AAN, 203/III/117, Bl. 8–10. Mallmann, Mensch, S. 121. Aussage Marian (undat.), BAL, B 162/21464, Bl. 5. Dto. Eva S. v. 3. 3. 1966, ebd., B 162/2160, Bl. 2966. Vern. Michael S. v. 8. 11. 1962, ebd., B 162/2152, Bl. 1402. Dto. Alfred K. v. 9. 7. 1965, ebd., B 162/2156, Bl. 2356.

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Die deutsche Anordnung, die das Beobachten der Vorgänge während der Mordkampagnen unter Strafe stellte, legt die Vermutung nahe, dass die Täter ihre Verbrechen vor Ort zu verheimlichen suchten. Allerdings steht dies im Gegensatz zum Verlauf und der Art der während der Aktionen praktizierten Exzesstaten. Einzelne machten sich nicht die Mühe, Tötungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu realisieren. Obgleich ihnen eine mögliche Zeugenschaft bewusst war, begingen sie die Verbrechen offen und kaltblütig. Die Taten lösten kein Unrechtsbewusstsein in rechtlicher oder moralischer Hinsicht aus; Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern und „Zuschauern“ prägte vielmehr ihr Vorgehen. Während es in der ersten Phase deutscher Besatzung in der Hauptsache Angehörige der Sicherheitspolizei-Außenstelle waren, die Gewalt gegenüber der jüdischen Bevölkerung anwandten, sollte sich der Kreis der Täter im Rahmen der seit Mitte 1942 stattfindenden „Aktion Reinhard“ erweitern. Einher mit dieser Entwicklung ging eine Eskalation der Gewalt, die ein nie zuvor dagewesenes Ausmaß annehmen sollte. Während die Organisation der Massenverbrechen vom SSPF Krakau organisiert und überwacht wurde, war für die eigentliche Umsetzung eine große Zahl an Personal nötig. Die Zivilverwaltung in Tarnów verrichtete wichtige Aufgaben im Vorfeld der Deportationen: Sie war es, die die Zählung der jüdischen Bevölkerung anordnete und umsetzte. Zudem war sie für deren Konzentrierung im Ghetto der Stadt sowie in den Ortschaften des Kreises verantwortlich. Darüber hinaus ließ die Kreishauptmannschaft vor Beginn der Deportationen Plakatanschläge in der Stadt veröffentlichen. Auch die Vorbesprechungen zwischen allen beteiligten Dienststellen fanden in deren Räumlichkeiten statt. Über das persönliche Vorgehen des Kreishauptmanns und seines Vertreters liegen einige Nachkriegsaussagen vor. Alfred Kipke wurde seitens seiner ehemaligen Kollegen als „sehr zurückhaltend“ 227 und als „korrekter und geradliniger Verwaltungsbeamter“ 228 bezeichnet. Auch der einstige Chef der Baudiensthauptstelle, Alfred Eckmann, gab an, dass er „den Eindruck [hatte], daß Dr. Kipke keineswegs damit einverstanden war, wie mit den Juden umgegangen wurde. Er suchte sich möglichst aus diesen Sachen heraus zu halten.“ 229 Eine ehemalige Mitarbeiterin der Kreishauptmannschaft gab in der Nachkriegszeit zu Protokoll, Kipke habe im Vorfeld anstehender Aktionen versucht, durch Krankmeldung abwe227 228 229

Dto. Julius Strauß v. 16. 2. 1965, ebd., B 162/2156, Bl. 2259. Aussage Marianne G. v. 6. 2. 1962, ebd., B 162/2150, Bl. 823. Vern. Alfred Eckmann v. 15. 7. 1965, ebd., B 162/2159, Bl. 2685.

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send zu sein. Sein Stellvertreter Dr. Pernutz habe dann dessen Aufgaben übernehmen müssen. 230 Ein Angehöriger der zivilen Verwaltung berichtete über ein Gespräch mit Kipke, der hierbei ganz offen über seine Einstellung zu den Maßnahmen gegenüber der jüdischen Bevölkerung gesprochen habe: „Dr. Kipke machte, als ich später mit ihm alleine war, Bemerkungen, die ihm damals Kopf und Kragen gekostet hätten. Er zeigte seine ganze Empörung über die Judenvernichtung.“ 231 Ein etwas anderes Bild ergibt sich jedoch anhand von Aussagen jüdischer und christlicher Polen. So äußerte ein ethnischer Pole, dass Kipke und Pernutz während der ersten Aktion auf dem Marktplatz der Stadt anwesend waren. 232 Auch ein jüdischer Überlebender bezeugte, dass er den Kreishauptmann im Ghetto während einer Aktion gesehen habe. 233 Ob der Kreishauptmann und sein Stellvertreter allerdings auch aktiv Gewalt gegenüber den Menschen anwandten, muss unklar bleiben. Abgesehen von Hinweisen auf seine innere Ablehnung der Morde ist allerdings auch kein einziger Beleg für eine echte Opposition gegen die NS-Judenpolitik überliefert. Ganz anders verhält es sich mit den örtlichen Stadtkommissaren Reinhold Eckert und Gustaw Hackbarth: Diese sollen stets eine Peitsche bei sich getragen und damit auch Passanten misshandelt haben, die ihnen nicht schnell genug den Weg freimachten. 234 Am gefürchtetsten scheint Hackbarth gewesen zu sein, der aktiv an der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung mitwirkte. Er pflegte engen Kontakt zu den Angehörigen der Sicherheitspolizei und schlug Juden und Christen bei diversen Gelegenheiten eigenhändig. Darüber hinaus nahm er aktiv an den Deportationen teil; selbst Erschießungen durch ihn sind bezeugt. 235 Der ethnische Pole Piotr W. erinnerte sich: „Gustav [sic] Hackbarth war seit Mai 1942 Stadtkommissar in Tarnów. Er übte seine Funktion unerhört rigoristisch, brutal mit raffinierten Boshaftigkeiten aus. Auf diese Weise plagte er seine Untertanen. Bei jeder Gelegenheit drohte er mit Gefängnis und Konzentrationslager. […] Er war ständig Gast und Gehilfe der Gestapo und war aktiv an sämtlichen Razzien und Verhaftungen beteiligt. […] Bei den Ermordungen der Juden war er zugegen und inspizierte mit iro230

Aussage Marianne G. v. 6. 2. 1962, ebd., B 162/2150, Bl. 823. Vern. Bruno K. v. 13. 1. 1965, ebd., B 162/2159, Bl. 2198. 232 Aussage Michał Miszewski v. 19. 3. 1946, OKŚZpNP Kr, Ds 14/67, Bd. 2, Bl. 13. 233 Dto. Józef Birken v. 19. 3. 1946, ebd., Bl. 26. 234 Dto. Zdzislaw K. v. 5. 12. 1945, BAL, B 162/2165, Bl. 4083. 235 Schreiben Sonderstrafgericht in Krakau mit Dienstsitz des Richters in Tarnów v. 28. 6. 1946, ebd., Bl. 4071; Aussage Bronislaw T. v. 5. 12. 1945, ebd., Bl. 4085; Aussage Zdzislaw K. v. 5. 12. 1945, ebd., Bl. 6069. 231

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nischem Lächeln zusammen mit dem Kommandanten der Gendarmerie, Oberleutnant Strauß, die Häuser, Höfe und Plätze der ermordeten Juden, dieses ist mir aus eigener Wahrnehmung bekannt.“ 236 An den Aktionen in Tarnów nahmen sämtliche SS- und Polizeieinheiten der Stadt teil. 237 Zusätzlich wurde auch Personal anderer Dienststellen des Distrikts für die Deportationen herangezogen, wie Angehörige der Gendarmerie aus Reichshof und Gorlice. 238 Auch das Wachbataillon des SSTruppenübungsplatzes bei Debica nahm eine entscheidende Rolle bei der systematischen Judenvernichtung ein. Die Angehörigen des Bataillons erhielten entsprechende Einsatzbefehle vom Kommandanten des Truppenübungsplatzes; die Fahrzeuge wurden von der Kommandantur gestellt. 239 Ernst F., der als Adjutant des Bataillonskommandeurs an Einsätzen in Tarnów und Debica beteiligt war, machte im Zuge einer Vernehmung konkrete Angaben zum Aufgabenspektrum der Einheit: „Bei diesen Aussiedlungsaktionen mußten die Männer des Bataillons, so wie ich bei einer Gelegenheit festgestellt habe und mir auch bekannt war, den jeweiligen Ort bzw. das Wohnviertel abriegeln und die Bewachung auf den Sammelplätzen der auszusiedelnden Juden vornehmen.“ 240 Allerdings verrichteten die Waffen-SS-Angehörigen nicht nur Absperr- und Bewachungsmaßnahmen, sondern beteiligten sich auch aktiv an den Erschießungen. Der Kompanieführer des Wachbataillons, Johannes Kleinow, legte im Juni 1942 eigenhändig Hand an: „Am Friedhoftor stand Kleinow. In der Hand hatte er eine […] Pistole und nicht weit von ihm weg stand ein Soldat, von dem ich annehme, daß er für Kleinow die Magazine nachfüllte. Während die Gruppen von ca. 30 Juden beiderlei Geschlechts und jeder Altersklasse von SS-Leuten geführt zum Friedhof kamen und dann die Juden erkannten, was dort vor sich geht, zögerten einige Juden beim Betreten des Friedhofes in der Nähe vom Tor. Diese Juden griff dann Kleinow aus diesen Marschkolonnen heraus. Er zerrte sie einfach an Haaren, an der Brust oder an […] einem Kleidungstück zur Seite. Fast in einer Bewegung schoß er dann diese Personen nieder. So wie ich beobachtete, schoß er diese Leute vorwiegend in das Genick. Die Leichen ließ er an Ort und 236

Dto. Piotr W. v. 16. 12. 1945, ebd., Bl. 4037. Dto. Jakob J. v. 24. 10. 1966, ebd., B 162/2160, Bl. 3065 f. 238 Vern. Emil S. v. 14. 3. 1963, ebd., B 162/2154, Bl. 1770; dto. Alfred K. v. 9. 7. 1965, ebd., B 162/2156, Bl. 2356; dto. Franz L. v. 7. 3. 1963, ebd., B 162/2154, Bl. 1762. 239 Dto. Ernst F. v. 9. 3. 1961, ebd., B 162/5283, Bl. 57; vgl. Cüppers, Wegbereiter, S. 288 ff. 240 Vern. Ernst F. v. 7. 5. 1965, BAL, B 162/5283, Bl. 2292. 237

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Stelle liegen. Von anderen Juden wurden sie dann weggetragen. Kleinow schoß aber derart viele Menschen auf diese eben geschilderte Weise tot, daß trotzdessen, daß laufend die Leichen weggebracht wurden, um ihn herum mehrere Tote lagen.“ 241 Dass die SS-Angehörigen auf solche Weise schnell eine gewisse Routine im Morden entwickelten, wird anhand folgender Aussage eines Überlebenden deutlich: „Ich war zwangsweise dazu eingeteilt, zum Beerdigungskommando zu gehören. Ich war auf dem jüdischen Friedhof bei einer Gruppe von zehn Juden, die die erschossenen und angeschossenen Opfer in die Massengräber werfen und die Opfer mit Kalk bestreuen mußten. Die Arbeit war grauenvoll. […] Als Schießer traten Angehörige eines Totenkopfverbandes auf. Die SS-Leute schien das Grauen nicht zu berühren. Unter ihnen waren junge, aber auch schon ausgereifte Männer. Es gab SSMänner, die lachten und scherzten, während um sie herum Frauen und Kinder in ihrer Todesnot schrien.“ 242 Neben der Waffen-SS waren auch Angehörige eines Polizeibataillons der Ordnungspolizei vor Ort. So nahm an der ersten Aktion in Tarnów im Juni 1942 die 3. Kompanie des Polizeibataillons 307 teil 243, das bereits im Vorjahr Massenerschießungen in Brest-Litowsk realisiert hatte und somit im Morden konditioniert war.244 In Tarnów selbst war das Bataillon in der Hauptsache zu Absperr- und Begleitdiensten sowie zur Durchkämmung des Ghettos und zum Zusammentreiben der Männer, Frauen und Kinder eingesetzt. Auch bewachten sie die auf dem Marktplatz zusammengepferchten Menschen, bis diese abtransportiert wurden. 245 Aber nicht nur deutsche Dienststellen, sondern auch eine Reihe anderer Institutionen und Organisationen wirkten an den Vorbereitungen und der Umsetzung der Vernichtungsaktionen mit. Die polnischen Angehörigen des Baudiensts, die Yunaki, waren vor allem nach der Ingangsetzung der Shoah bei Suchaktionen nach versteckten Menschen im Raum Tarnów eingesetzt. 246 Das Tätigkeitsspektrum der jungen Polen war umfangreich. 241

Dto. Franz Josef Müller v. 9. 2. 1960, LNW, 8353, Bl. 385 f. Aussage Isak G. v. 23. 11. 1966, ebd., 8622, Bl. 5514. 243 Das Polizeibataillon 307 wurde im Januar 1940 in Lübeck aufgestellt. Im Oktober 1940 wurde das Bataillon von Lübeck nach Biała-Podlaska im Generalgouvernement verlegt. Nach Beginn des deutsch-sowjetischen Kriegs kam es nach Brest-Litowsk. Vgl. BAL, B 162/21463, Bl. 26–28. 244 Mallmann, Einstieg, S. 82–88; Studt, Das Dritte Reich, S. 160. 245 Vgl. hierzu beispielsweise die Aussagen von Angehörigen der 3. Kompanie des Polizeibataillons 307, BAL, B 162/21464, Bl. 180, 182 f. 246 Grabowski, Hunt, S. 121 ff. 242

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So erinnerte sich der Leiter des Baudiensts in Tarnów, Alfred Eckmann, an ein Gespräch mit dem damaligen Kreishauptmann Dr. Kipke sowie dessen Stellvertreter Dr. Pernutz, welches am Tag vor Beginn einer Aktion geführt wurde. Hierbei wurden unter anderem auch die Aufgaben des polnischen Baudiensts besprochen: „Dabei wurde u. a. erwähnt, dass der polnische Baudienst die von den abzutransportierenden Juden geräumten Häuser bewachen bezw. die jüdische Habe zusammentragen und in Lagerräumen oder sonstigen Magazinen unterbringen sollte.“ 247 Dementsprechend war der polnische Baudienst nicht nur für die Aushebung der Massengräber verantwortlich, sondern übernahm auch die Bewachung der nun leerstehenden Häuser und Wohnungen sowie das Zusammentragen der jüdischen Habseligkeiten. In einigen Fällen allerdings ging die Tatbeteiligung junger Polen weit darüber hinaus, wie mehrere jüdische Überlebende betonten. Lila W. schilderte zum Juni 1942, dass „die Deutschen den polnischen yunaki des Baudienstes Vodka gaben und ihnen befahlen, die Juden zu töten“. 248 Der einstige Droschkenkutscher Izaak I., der 1905 in Tarnów geboren worden war, beschrieb die durch den Baudienst grausam begangenen Verbrechen: „Mit Hilfe von Äxten schlugen sie die Wohnungen nach der Suche nach Juden ein. Während der Zeit der ersten Aktion (Juni 1942) befanden sich die Funktionäre vom Baudienst in meiner Wohnung. Als sie meine Wohnung betraten, gingen sie sofort an den Schrank und wollten rauben, aber der Gestapist gebot ihnen ‚Halt‘ und sagte: ‚die Papiere dieses Menschen sind in Ordnung‘ und gebot ihnen, die Sachen zurückzugeben.“ 249 Izaak I. fuhr fort: „Gegenüber meiner Wohnung […] wohnte ein Schneider namens Silberstein. Ich beobachtete, wie Angehörige des Baudienstes diesen Silberstein herausgezerrt haben. Silberstein wehrte sich und daraufhin zog einer der Funktionäre vom Baudienst eine Axt heran und schlug auf Silberstein ein, wobei er ihn auf der Stelle tötete.“ 250 Neben dem polnischen Baudienst beteiligten sich auch Angehörige der polnischen Polizei sowie des Sonderdiensts aktiv an den gewalttätigen Übergriffen gegen die jüdische Bevölkerung. 251 Ein Angehöriger der polnischen Miliz wurde sogar angeklagt, eine Jüdin erschossen zu haben. 252 247

Vern. Alfred Eckmann v. 29. 3. 1963, BAL, 162/2151, Bl. 945. Bericht Lila Wider, AŻIH, 301/2053. 249 Aussage Izaak I. v. 6. 8. 1967, BAL, B 162/2166, Bl. 4281. 250 Ebd. 251 Aussage Josef K. (undat.), ebd., B 162/2149, Bl. 231; Vern. Georg Julius Strauß v. 13. 2. 1962, ebd., B 162/2150, Bl. 910; Bericht Blanka Goldman, AŻIH, 301/2059. 252 IV 241/50, ANK, 29/SAKr/1041. 248

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Schließlich wurden auch Angehörige des jüdischen Ordnungsdiensts, von Michał Weichert als „verlängerter Arm der Gestapo“ 253 beschrieben, bei den Mordkampagnen eingesetzt, indem sie vor allem an der Suche nach versteckten Juden im Ghetto mitwirkten. Dies geschah jedoch nicht aus freiem Willen, vielmehr wurden sie von den Deutschen eindeutig zu diesem Handeln gezwungen. Einige Angehörige der jüdischen Polizei nutzten jedoch ihre Stellung aus und stachen durch besonderen Einsatzwillen und Brutalität hervor. Der 1909 in Tarnów geborene Wilhelm L. gehörte seit 1942 der Miliz im Ghetto an. Er half, Bunker aufzuspüren und schlug seine Mitinsassen bei verschiedenen Gelegenheiten. 254 Auch Maks Z., am 7. Juli 1919 in Tarnów geboren, partizipierte als Mitglied des Ordnungsdiensts im Ghetto von 1942 bis Herbst 1943 an der Verfolgung der Ghettoinsassen. Er verriet Dutzende Bunker, in denen sich Juden versteckt hielten, an die Sicherheitspolizei. Die durch ihn aufgespürten Menschen wurden anschließend an Ort und Stelle erschossen oder deportiert. Darüber hinaus wandte Maks Z. auch Gewalt gegen Ghettoinsassen an, beispielsweise wenn diese Arbeiten nicht wunschgemäß ausführten. 255 Die beiden Ordnungsdienstmänner verrichteten ihre Dienste gelegentlich gemeinsam: So berichtete ein Überlebender, dass Wilhelm L. sowie Maks Z. im Zuge der zweiten Vernichtungsaktion einen älteren Mann zum Erschießen auf den jüdischen Friedhof der Stadt brachten. 256 Gerade lokalgeschichtliche Studien zeigen in aller Deutlichkeit auf, dass die seit Sommer 1942 im Rahmen der „Aktion Reinhard“ realisierten Mordkampagnen ein Kollektiverbrechen waren. Hauptorganisator war der SS- und Polizeiapparat, allerdings wären die Aktionen ohne die Mitund Zuarbeit anderer deutscher Besatzungsinstitutionen und hinzugezogener Helfer personell kaum realisierbar gewesen. Dabei schreckten die Deutschen nicht einmal davor zurück, die jüdischen Institutionen in ihre Verbrechen miteinzubeziehen. Im Verlauf der von deutscher Seite euphemistisch genannten „Aussiedlungsaktionen“ wurde unabhängig von Rang und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Institution Gewalt gegenüber der jüdischen Bevölkerung angewandt. Anhand der Quellen wird jedoch deutlich, dass vor allem Angehörige des SS- und Polizeiapparats während der Aktionen äußerst brutal gegenüber den wehrlosen Menschen 253

Aussage Michał Weichert v. 25. 10. 1946, BAL, B 162/26384, Bl. 31. IV K 138/49, ANK, 29/SaKr/966. 255 Urteil Sonderstrafgericht v. 26. 6. 1946, USHMM, RG-15.179M, reel 7, Bl. 86. 256 Aussage Jakob C. v. 23. 6. 1946, Archiwum Instytutu Pamięci Narodowej Oddział w Krakowie (AIPN Kr), Kr 502/329, Bl. 27. 254

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vorgingen. Im Zuge der Realisierung der „Aktion Reinhard“ wurde das Vorgehen der Angehörigen der Sicherheitspolizei im lokalen Bereich noch hemmungsloser; die letzten noch bestehenden zivilisatorischen Schranken fielen. Der systematische Massenmord war nun von oben legitimiert. Begünstigt wurde das enthemmte Verhalten nicht zuletzt durch den exzessiven Konsum von Alkohol, der auch während der Vernichtungsmaßnahmen betrieben wurde: So erinnerte sich der Überlebende Josef K. an ein Zechgelage, das sich während der ersten Aktion im Juni 1942 ereignete. Betrunkene Männer der Sicherheitspolizei, der SS sowie der deutschen Gendarmerie suchten in Häusern und Wohnungen nach Juden, die sie dann in die jeweiligen Hofräume schleppten und dort erschossen. 257 Die Verbrechen während der Mordkampagnen wurden nicht allein nur auf Befehl begangen, sondern es handelte sich hierbei auch um eine Serie von Exzesstaten, die unvorstellbare Ausmaße annahmen, wie Josef K. beschrieb: „Bereits am frühen Morgen war der ganze Ring überfüllt von Juden, die knien und den Kopf zur Erde neigen mussten. In den Nebengassen wurden die Kranken und Alten erschossen, während die kleinen Kinder durch das Zerschlagen der Köpfe an den Mauern und Bordsteinen getötet worden sind.“ 258 Misshandlungen, ja sogar Tötungen schienen zahlreiche Männer emotional nicht zu berühren, einigen bereitete es offenbar sogar Freude und Lust. Die Übergänge von Machtauslebung und Spaß am Töten unschuldiger und wehrloser Menschen bis hin zum Sadismus waren fließend. Einige Aussagen deuten darauf hin, dass das Töten den Tätern auf die eine oder andere Weise Befriedigung verschaffte. So gab ein Überlebender über den Sicherheitspolizisten Oppermann Folgendes zu Protokoll: „Oppermann machte den Eindruck eines sadistischen Fanatikers. Ich hatte damals den Eindruck, daß Oppermann geradezu in seine Rolle hineinwuchs. Es war die Rolle eines blutdürstigen Sadisten.“ 259 Unklar muss bleiben, ob die sadistischen Züge einiger Täter bereits in jungen Jahren ausgebildet wurden oder sich erst im Zuge der vor Ort vorherrschenden Situation manifestierten. Manche Täter allerdings befriedigten auch ihre sexuellen Triebe im Schatten des Holocaust. 260 So wurden beispielsweise Jüdinnen vor dem 257 Aufzeichnungen Josef K. „Die Epoche des Hitlerismus in Tarnów“ v. 14. 3. 1946, BAL, B 162/2151, Bl. 1019 f. 258 Ebd. 259 Aussage Norbert R., LNW, 8892, Bl. 4903. 260 Vgl. auch Bericht Lila Mittler, AŻIH, 301/4022.

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Gebäude des Judenrats öffentlich ausgepeitscht. 261 Auch mussten Frauen im Rahmen der Aktionen besondere Übergriffe über sich ergehen lassen: „Später, als aus Anlaß der Aussiedlungsaktionen die jüdische Bevölkerung öfters in Massen gefilzt wurde, mußten etwa jüdische Frauen nackend in Hocke auf der Erde herumhopsen, damit der Schmuck möglicherweise zum Vorschein kam.“ 262 Einen Schritt weiter ging ein Deutscher, der während einer Vernichtungsmaßnahme ein jüdisches Mädchen im Ghetto sexuell missbrauchte. 263 Nachdem diese Tat aufgedeckt worden war, verurteilte man den Sexualstraftäter im Zuge eines standrechtlichen Verfahrens zum Tode. 264 Hierbei stand weniger die Tat an sich, als vielmehr die Herkunft des Opfers im Vordergrund. Sexueller Kontakt mit Jüdinnen galt als „Rassenschande“, die die SS nominell nicht tolerieren wollte, allerdings auch ganz unterschiedlich ahndete. Im Zuge der Vernichtungsaktionen konnte noch mehr Profit aus der Judenverfolgung geschlagen werden, wobei auch hier Angehörige sämtlicher Besatzungsinstitutionen beträchtliche Gewinne machten. Von offizieller Seite wurde eine Sortierstelle für das Hab und Gut, für Kleider, Gold und andere Wertsachen der Ermordeten in der Czacki-Schule eingerichtet, die vermutlich dem SSPF unterstand. Daneben existierte ein Möbellager in einem anderen Schulgebäude, wo die aus jüdischem Besitz stammenden Habseligkeiten sortiert und aufbereitet wurden. 265 Aber auch die zivile Verwaltung profitierte vom systematischen Massenmord, wie eine Vernehmung des Baudienstleiters belegt: „Die Männer [Angehörige des Baudiensts] wurden noch wochenlang nach der ersten Aussiedlungsaktion abgestellt. Die Judenhäuser standen leer, es bestand die Gefahr, daß die Polen die Häuser leerräumen würden und daher verkaufte die Kreishauptmannschaft die beschlagnahmten Gegenstände des Hausrats.“ 266 Die Wohnungseinrichtungen Deportierter fanden rasch Abnehmer. So richtete der Kreishauptmann in Tarnów ein Schreiben an den SSPF mit der Bitte um den Verkauf von Möbeln aus den „Judenbeständen“: Gewünscht waren je 100 Herrenzimmer, Schlafzimmer sowie Kü261

Aussage Ignaz W. v. 14. 5. 1965, BAL, B 162/2156, Bl. 2323. Dto. Ignaz W. (undat.), LNW, 8481, Bl. 3699. 263 Vern. Gustav P. v. 30. 3. 1962, BAL, B 162/2151, Bl. 958. Dieser Vorgang wird auch von anderer Seite bestätigt: Dto. Karl Pernutz, ebd., B 162/2149, Bl. 206. 264 Dto. Gustav P. v. 30. 3. 1962, ebd., B 162/2151, Bl. 958; dto. Kurt S. v. 1. 10. 1962, ebd., B 162/2162, Bl. 3427. 265 Aussage Ignacy P. v. 29. 8. 1946, ebd., B 162/746, Bl. 38; Bericht Izaak Izrael, AŻIH, 301/818; Aussage Josef L. v. 27. 8. 1946, AYV, M.21.1, Bl. 14. 266 Vern. Alfred Eckmann v. 15. 7. 1965, BAL, B 162/2156, Bl. 2369. 262

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chen. Diese sollten seine deutschen Angestellten erhalten. Eine erste Teillieferung des Mobiliars erfolgte schnell. 267 Wie die Habe der Ermordeten gesammelt wurde, berichtete Gustav P., Fahrer der Sicherheitspolizei in Tarnów: „Während ich dort stand, wurden mir laufend Uhren, Schmuckstücke und vor allem Geld, das die Juden vor ihrer Erschießung abgeben mußten, übergeben. Die Sachen legte ich auf den Rücksitz meines Fahrzeuges. Die Juden mußten ihre Bekleidungsstücke auf einen Haufen werfen. Wer nachher die Kleider der Erschossenen weggebracht hat, kann ich nicht sagen.“ 268 Wie schon vor der „Aktion Reinhard“ bereicherten sich viele Täter während der Realisierung des Genozids am Besitz der Opfer. Der Judenreferent der Sicherheitspolizei, Wilhelm Rommelmann, hortete in seiner Wohnung eine Vielzahl an Uhren, Ohrringen und Ringen. 269 Auch seine wertvollen Einrichtungsgegenstände stammten aus jüdischem Besitz. 270 In einem anonymen Schreiben, das nach dem Krieg an das Internierungslager Dachau gerichtet war, hieß es hierzu: „Ein Jahr vor Kriegsende kehrte Rommelmann als reicher Mann nach Bremen zurück und trat auf wie ein Millionär. Er selbst und seine Familie haben vorstehende Angaben hier persönlich verbreitet und prahlten damit herum. Rommelmann und seine Familie verheimlichten auch die nachstehenden Ausführungen nicht, sondern ließen jeden wissen von ihrem Reichtum. Wie Rommelmann selbst angab, hatte er einen kostspieligen Haushalt mit viel Schmuck und Kunstgegenständen sowie echten Teppichen, Pelzmänteln und allerlei Wäsche- und Bekleidungsstücken in einem großen Möbelwagen von Polen nach Minden in Westfalen geschafft und hält dort alles verborgen.“ 271 Dieser ökonomische Aspekt des Holocaust spielte auf lokaler Ebene eine nicht zu unterschätzende Rolle und gab der Judenverfolgung vor Ort enorme Schubkraft. Inwieweit die Vorstellung, dass die Juden „verschwinden“ müssen, verbreitet war und diese Einstellung keinerlei Unrechtsbewusstsein bei den Tätern hervorrief, wird nicht zuletzt durch Aussagen deutlich, die belegen, dass viele Täter auf ihr eigenes Handeln stolz waren. Während eines abendlichen Zechgelages wollte sich ein Angehöriger der Sicherheitspoli267

Schreiben Kreishauptmann Tarnow an Gouverneur des Distrikts Krakau Abt. Innere Verwaltung v. 4. 9. 1943, USHMM, RG-15.174M, reel 33, Bl. 66. 268 Vern. Gustav P. v. 30. 3. 1962, BAL, B 162/2151, Bl. 955. 269 Aussage Ignacy P. v. 29. 8. 1946, ebd., B 162/746, Bl. 38. 270 Schreiben an Gerichtshof des Internierungslagers Dachau v. 28. 10. 1946, AIPN Kr, Kr 502/1997, Bl. 43. 271 Ebd.

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zei in den Vordergrund spielen: „Im Laufe des Abends erzählte B. in wichtigtuerischer Weise, daß kurz vorher eine korpulente, fette Jüdin, die mit jüdischen Kindern eingemauert gewesen sein soll, aufgefunden worden und anschließend auf den jüdischen Friedhof geführt worden ist, wo sie erschossen wurde. Bruno brüstete sich mit seiner Erzählung. Dabei ahmte er noch die Schreie der Jüdin nach. Es war für uns ein widerliches Schauspiel.“ 272 Aber nicht nur die Täter selbst, sondern auch die Ehefrauen brüsteten sich mit dem Judenmord. Während einer Feier äußerte die Gattin des SS-Angehörigen Gerhard Grunow stolz, „daß ihr Mann bestimmt 100.000 Juden und sie selbst wohl an die 25.000 Juden umgebracht habe“. 273 Dieses Gehabe, das mit antisemitischen Feindbildern einherging, ist nicht allein für die Beamten und Angestellten der Sicherheitspolizei überliefert. Auch andere in Tarnów eingesetzte Männer legten ein ähnliches Verhalten an den Tag. Ein Angehöriger der Schutzpolizei etwa verhielt sich folgendermaßen: „Wenn er auf Urlaub kam, da hat er hier viel erzählt von den Judenpogromen, als erstes hätte er gegen Befehl ein kleines Kind erschiessen müssen, Judenweiber haben ihm Geld geboten, sie noch länger leben zu lassen usw. Also in dieser Art hat er hier sehr viel Heldentaten erzählt.“ 274 Ein Angehöriger der Feldgendarmerie berichtete seiner Frau, dass man „sie fertig gemacht [hätte], dass sie nur so gewinselt und um Gnade gefleht hätten“. 275 Allerdings kann bei den Tätern, die sich auf die eine oder andere Weise an den Vernichtungsaktionen beteiligten, längst nicht immer von einem Gleichklang im Handeln ausgegangen werden. 276 Es finden sich durchaus Belege dafür, dass das brutale Vorgehen gegenüber der jüdischen Bevölkerung nicht immer gut geheißen wurde und sich einzelne Besatzungsangehörige sowie Zivilpersonen von den Taten distanzierten, wenngleich dies in der Regel kein Handeln nach sich zog. SS-Angehörige des Truppenübungsplatzes wollten angeblich allerdings nicht mehr „mitmachen“, wie ein damaliger Ladenbesitzer beschrieb: „Ich kann mich wohl an folgenden Vorfall erinnern, der sich etwa im Herbst 1943 abspielte. Damals kamen zwei mir unbekannte uniformierte SS-Leute von der Strafkompanie aus Debitza [sic] in meinen Laden und klagten, daß sie ‚es‘ nicht tun könnten.

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Aussage Janina K. v. 11. 1. 1962, BAL, B 162/2150, Bl. 751. Dto. Therese M. v. 2. 2. 1962, ebd., Bl. 819. 274 Schreiben Kurt S. an Gemeindeverwaltung Tarnów v. 4. 6. 1946, AIPN Kr, Kr 502/3751, Bl. 2. 275 Aussage Hannelore A.-H. v. 26. 1. 1959, BAL, B 162/2148, Bl. 53. 276 Mallmann, Mensch, S. 120. 273

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Sie machten einen erschöpften und angetrunkenen Eindruck und brachten noch eine halbe Flasche Schnaps mit. Sie sagten ungefähr, daß sie die armen Menschen – gemeint waren die Juden – nicht mehr abknallen könnten. Meiner Meinung nach waren die beiden SS-Leute während der Vernichtungsmaßnahmen oder besser beim Zusammentreiben der Juden, bevor sie zum Bahnhof geschafft wurden, weggelaufen. Ich gab ihnen noch zu Essen, und sie schliefen auch bei uns noch etliche Stunden. Die beiden taten mir leid. Anschließend verließen sie meine Wohnung, wohin sie gingen, weiß ich nicht.“ 277 Ein Angehöriger des Arbeitsamts Tarnów schilderte, wie ihm die Leiterin des städtischen Schülerheimes erzählte, dass ein SS-Angehöriger während einer Judenaktion zu ihr gekommen sei und ihr berichtet habe, dass er bei der Räumung des jüdischen Waisenhauses einem Kind begegnet sei, das ihn wie sein eigenes Kind angelächelt habe. Dadurch habe er keine weiteren Erschießungen mehr vornehmen können. 278 Ähnlich erging es einem baltendeutschen SS-Angehörigen, der „mit den grausigen“ Bildern, die er sah, nicht mehr umgehen konnte und vor seinen Kameraden Suizid verübte. 279 Dass sich Direkttäter den durch sie begangenen Massenmord als Zivilisationsbruch eingestanden und daraus wirkliche Konsequenzen für ihr eigenes Handeln ableiteten, blieb jedoch eine absolute Ausnahme. Abgesehen davon sind nur ganz wenige Beispiele überliefert, in denen Juden konkret geholfen wurde. Einen dieser Sonderfälle schilderte Emmi S., die zu Protokoll gab, dass sie ein deutscher Polizist vor der ersten Vernichtungsaktion warnte: „Es hieß, wir würden umgesiedelt werden. Meine Kinder und ich wären mitgegangen, wenn ich nicht durch einen Beamten der Schutzpolizei aus Tarnow gewarnt worden wäre. Dieser Beamte sagte mir vor der Aussiedlung, daß es in Wahrheit keine Umsiedlung sei, sondern eine Vernichtung der Juden. […] Der Schutzpolizeibeamte sagte mir noch, er sei selbst verheiratet und habe zu Hause zwei Kinder. Diesem kräftigen Mann kamen die Tränen“. 280 Ein weiterer dieser Fälle wurde vom Überlebende Josef K. beschrieben, der mit seiner Frau und den beiden Kindern im September 1942 deportiert werden sollte. Die Familie wurde zu den erwähnten Pferdeställen gebracht, wo sie zunächst einige Tage mit weiteren Juden auf den Abtransport warten sollten. Am dritten Tag wurde die Familie auf Befehl des Dienststellenleiters der Schutzpolizei, 277 278 279 280

Vern. Wilhelm S. v. 4. 1. 1962, BAL, B 162/2150, Bl. 768. Dto. Ernst August W. v. 4. 1. 1962, ebd., Bl. 727. Aussage Hannelore A.-H. v. 26. 1. 1959, ebd., B 162/2148, Bl. 52. Dto. Emmi S. v. 10. 11. 1965, ebd., B 162/2159, Bl. 2829 f.

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Julius Strauß, überraschend wieder zurück ins Ghetto gebracht. Strauß, der nach Aussage von Josef K. immer korrekt gegenüber der jüdischen Bevölkerung auftrat, hatte eine Bekannte in Tarnów, die mit der jüdischen Familie befreundet war. Auf ihre Bitte hin wurde die vierköpfige Familie von der Deportation ausgenommen. 281 Eine ganz andere Sicht auf Strauß vermitteln wiederum die Schilderungen des Apothekers Josef D., der angab, dass dieser im Ghetto einen Mann erschoss. 282 Auch der Schutzpolizist Wunder soll während der zweiten Mordkampagne eine Familie gerettet haben. Allerdings bekam er hierfür offenbar deren gesamtes Vermögen, das er dann angeblich mit Strauß teilte. 283 Dass Wunder ähnlich wie Strauß womöglich in den genannten Fällen nicht aus Menschlichkeit, sondern aus Habgier gehandelt hat, legt die Aussage des Überlebenden Ettel P. nahe, der bekundete, dass Wunder seinen Vater während der zweiten Aktion in Tarnów erschossen habe. 284 Diese Beispiele deuten an, dass das Verhalten der Täter nicht immer von einer Gleichförmigkeit geprägt war und auch nur schwer zu beurteilende situative Momente bei der Frage nach deren Motivation Berücksichtigung finden müssen. Nimmt man die Taten und die Täter auf lokaler Ebene genauer in den Blick, muss resümiert werden, dass der Judenmord nicht erst mit Beginn der „Aktion Reinhard“ systematisch realisiert wurde. Bereits kurz nach dem deutschen Überfall häuften sich Erschießungen jüdischer Individuen und Gruppen. Hierbei handelte es sich in vielen Fällen keineswegs um „von oben“ angeordnete Maßnahmen, vielmehr wurden die Taten spontan und willkürlich verübt. In der Erinnerung der Überlebenden sind vor allem die Angehörigen der Sicherheitspolizei präsent, deren Namen unweigerlich mit den an der jüdischen Bevölkerung verübten Gräueltaten verbunden sind. Sie waren es, die bereits in der frühen Besatzungszeit für Terror, Angst und Schrecken auf den Straßen Tarnóws sorgten und die ab Sommer 1942 die ins Ghetto gepferchten Menschen täglich terrorisierten, misshandelten und töteten. Die Täter wussten ihre neuerworbene Stellung innerhalb des Besatzungsapparats auszunutzen. Dies war freilich nur möglich, da der SS- und Polizeiapparat im besetzten Polen ein System forcierte, das sich am ehesten als „Laissez-Faire-Prinzip“ beschreiben lässt: Im Regelfall wurden den Dienststellenleitern große Spielräume zugebilligt, die sie nach freiem Er281 282 283 284

Dto. Josef K. v. 14. 10. 1964, LNW, 8477.1, Bl. 2637. Dto. Josef D. v. 15. 3. 1967, BAL, B 162/2161, Bl. 3328. Dto. Josef K. (undat.), ebd., B 162/2149, Bl. 249. Dto. Ettel P. v. 17. 11. 1966, ebd., B 162/2161, Bl. 3135 f.

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messen nutzen konnten. Ausschreitungen wurden toleriert, ja sogar befördert, indem man Taten gegenüber der Zentrale zu vertuschen wusste. Auf diese Weise entstand für die Angehörigen der Sicherheitspolizei ein rechtsfreier Raum, in welchem sie sich nach eigenen Gutdünken verhalten konnten. Als „Herrenmenschen“ konnten sie die jüdische Bevölkerung herabwürdigen und die neu erworbene Macht an ihr ausleben. Ideologische Motive, seit Jahren von den NS-Machthabern forciert, spielten hierbei eine wichtige Rolle. Selbst jene, die per se keine Antisemiten waren, erhielten einen Freibrief, die jüdische Bevölkerung nach Belieben zu terrorisieren. Kameraderie und das Auftreten als Tätergruppe sorgten zusätzlich für eine Dynamik, die Gewalt beförderte. Das brutale Vorgehen wurde in den Alltag der Täter integriert; ja bestimmte diesen in hohem Maße. Für einige Täter fungierte die Judenverfolgung auch als Unterhaltung, die sie aus ihrem bisweilen öden Besatzeralltag in einer polnischen Kleinstadt riss und für Kurzweil sorgte. So schilderte die deutsche Theresa M., die in der Kriegszeit in Tarnów lebte und dort ein Fuhrunternehmen betrieb, hierzu Folgendes: „Mißhandlungen und Tötungen von Juden gehörten zu der täglichen Beschäftigung der Gestapoangehörigen. Wenn sie Langeweile hatten, gingen sie ins Getto und holten sich ihre Opfer.“ 285 Andere Täter lebten ihre Allmachtsfantasien aus; Misshandlungen und das Töten Unschuldiger bereitete ihnen Freude. Schwerer in den Quellen zu belegen sind sexuell motivierte Taten, die jedoch zweifellos begangen wurden, wenngleich von Täterseite versucht wurde, diese aufgrund möglicher Sanktionen im Geheimen zu verüben. Schließlich wird anhand der Quellen deutlich, dass die materielle und finanzielle Bereicherung eine nicht zu vernachlässigende Motivation für viele Täter darstellte. Die durch den Krieg vorherrschende Situation wurde schamlos ausgenutzt, um jüdisches Eigentum zu erpressen. Hiervon profitierten nicht nur viele Täter persönlich, sondern auch deren nahes Umfeld. Tarnów wurde für zahlreiche Deutsche nicht nur zum Dienstort fern der Heimat, sondern avancierte zum „Eldorado“ der eigenen Interessen. Insgesamt wird eine Fülle diverser Handlungsmotivationen auf Seiten der Täter ersichtlich, die sie in ihrem gewaltsamen Handeln antrieben. Gerade die von oben offerierten Handlungsspielräume schufen Raum zur Eigeninitiative in der Peripherie, den man lediglich für sich nutzen musste. Sanktionen für begangene Verbrechen mussten die Täter in der Regel nicht befürchten.

285 Dto. Theresa M. v. 2. 2. 1962, ebd., B 162/2150, Bl. 820; vgl. dto. v. 7. 12. 1961, ebd., Bl. 711 ff.

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3.2.4 Ghettoalltag Das auf Anordnung der Kreishauptmannschaft Ende Juni 1942 errichtete Ghetto in Tarnów gehörte im Vergleich zu anderen Orten im Distrikt Krakau zu jenen Ghettos, die verhältnismäßig spät eingerichtet wurden und mit am längsten Bestand hatten. Darüber hinaus weist dessen Bildung eine weitere Besonderheit auf: Das Ghetto wurde erst nach der ersten systematisch realisierten Mordkampagne errichtet. In den meisten anderen Ortschaften des Distrikts waren die jüdischen Gemeinden bereits geraume Zeit vor dem Anlaufen der „Aktion Reinhard“ in einem bestimmten Stadtteil isoliert worden. Das Ghetto in Tarnów war ein von den Deutschen inmitten der besetzten Stadt geschaffenes Areal, um die jüdische Gemeinde zu konzentrieren und in naher Zukunft zu deportieren. Die Geschichte des Ghettos ist vielschichtig. In der kurzen Zeit seines Bestehens änderte es stetig sein Gesicht. Nicht nur wurde es geographisch ständig verkleinert 286, sodass auch Insassen häufig innerhalb des eingegrenzten Gebiets ihre Bleibe wechseln mussten. 287 Auch die Ghettobevölkerung unterlag einem permanenten Wandel. Abgesehen von den Deportationen in die Vernichtung wurden viele Juden aus anderen Gebieten nach Tarnów gebracht oder sie fanden sich auf anderem, „illegalem“ Weg dort ein. Auf der anderen Seite trugen neben der praktizierten Gewalt durch die Deutschen auch der Mangel an Lebensmitteln und Krankheiten, die aufgrund der schlechten hygienischen Verhältnisse ausbrachen, zu einer Verminderung der Ghettobevölkerung bei. Die Lebensbedingungen der dort lebenden Menschen waren in hohem Maße von außen determiniert. Die Deutschen legten fast alle Rahmenbedingungen fest, unter welchen die jüdischen Männer, Frauen und Kinder innerhalb der Ghettogrenzen ihr Leben bewältigen mussten. Ein Verlassen des abgegrenzten Bereichs war unter Androhung der Todesstrafe verboten. Juden durften eines der Ghettotore lediglich dann passieren, wenn sie über eine Arbeitskarte oder einen Passierschein verfügten. 288 Allerdings kam es trotz der Todesdrohung zu Begegnungen mit der nichtjüdischen Umwelt: Nicht nur „legal“, um zu den Arbeitsstätten außerhalb des Ghettos zu gelangen, sondern auch auf „illegale“ Weise, um Lebensmittel 286 Die Verkleinerung des Ghettobereiches erleichterte die Kontrollen sowie die äußere Bewachung des Ghettos. Vgl. Anklage ZSt. Dortmund v. 21. 11. 1963, ebd., B 162/4695, Bl. 26. 287 Aussage Josef K. v. 10. 2. 1969, LNW, 9106, Bl. 170. 288 Urteil LG Bochum v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 328.

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oder andere Artikel des täglichen Bedarfs zu erwerben. Notwendig waren diese Kontakte auch, um eine Flucht zu planen und zu realisieren. Der Ghettobereich im Stadtteil Grabówka war ein ärmliches Gebiet, viele Häuser waren baufällig und verfügten kaum über modernere Sanitäranlagen. 289 Diejenigen, die bislang außerhalb gewohnt hatten, mussten sich in kürzester Zeit um eine neue Bleibe innerhalb des Ghettogeländes bemühen. Der Judenrat bildete hierfür extra eine Abteilung für die Zuteilung von Wohnraum. Allerdings lebten dort bereits viele Menschen, sodass es für die Neuankömmlinge trotz der Hilfe des Judenrats schwierig war, eine Unterkunft zu erhalten. „Wir kamen zum jüdischen Viertel in den letzten Minuten der angegebenen Zeit, aber es gab keine Möglichkeiten, eine Wohnung zu bekommen. Tausende Menschen drängten, um in das Büro der Wohnungsverteilungsstelle zu gelangen, wo Wohnungen verteilt wurden“, erinnerte sich ein Überlebender. 290 Für die Menschen bedeutete der Umzug in das abgesperrte Gebiet zunächst, dass sie den größten Teil ihres Eigentums zurücklassen mussten. Mit sich führten sie neben Wertsachen vor allem einige persönliche Habseligkeiten. 291 Im Gegensatz hierzu war es für jene, die bereits im designierten Ghettobereich wohnten, zunächst einfacher. Sie konnten ihr Hab und Gut behalten und waren daher nicht von einem abrupten materiellen Verlust betroffen. 292 Rund 16.000 Menschen waren seit dem Abend des 24. Juni 1942 im Ghetto eingeschlossen. In den Wohnungen, in denen die Menschen nun leben mussten, herrschte in den meisten Fällen eine beklemmende Enge, da das Gebiet nur wenige Straßenzüge umfasste. 293 Aus diesem Grund mussten mehrere Familien, die sich in vielen Fällen gar nicht kannten, gemeinsam in einer Wohnung leben, wie folgender Auszug aus einem Überlebendenbericht in eindringlicher Weise verdeutlicht: „Vier bis fünf kleine Familien lebten, zusammengekauert, in kleinen und ungepflegten Wohnungen; höchstens ein oder zwei Zimmer, eine kleine Küche, die man sich teilen musste.“ Um etwas Privatsphäre zu schaffen, so der Überlebende, „behalfen sich die Familien damit, die Zimmer etwa durch Decken oder Wandschränke abzuteilen“. 294 Ähnliches wurde vom Überlebenden Martin Spett berichtet: „Mittlerweile lebten wir in einer umgebauten öffentlichen 289

Goetz, Face, S. 31. Graber/Bialecki, Voice, S. 35 [Übersetzung aus dem Englischen]. 291 Frankel, Hell, S. 57. 292 Vgl. Mędykowski, Kampf, S. 230. 293 Ebd., S. 49. 294 Memoiren Sara Getzler „Hidden in broad daylight“, USHMM, RG-02.169M, Bl. 23. 290

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Wäscherei, die durch eine große Doppeltür vom Hof aus betreten werden musste. Der lange, gekachelte Raum war durch Decken und Laken in Kabinen geteilt, um ein klein wenig Privatsphäre zu schaffen.“ 295 Neben der Enge waren es vor allem die katastrophalen hygienischen Verhältnisse, die den Ghettoinsassen schwer zu schaffen machten. 296 Ein deutscher Militärarzt, der zeitweise in Tarnów stationiert war, benannte Jahre später die „unbeschreiblichen Zustände“: „Ich kann mich erinnern, daß ich manchmal einen Blick in das Ghetto werfen konnte, wenn ich in seine Nähe kam. Es verbreitete schon in der Umgebung einen scheußlichen Geruch nach zusammengepferchten Menschen, Unrat u. Krankheit.“ 297 Ein vergleichbares Bild über die katastrophale Situation der eingeschlossenen Menschen schilderte der Wehrmachtsangehörige Friedrich E.: „Die Verhältnisse dort waren schrecklich. Ich selber war nur einmal im Getto. […] Da habe ich gesehen, wie es im Getto zugeht. Ich meine, man sah, wie die Leute untergebracht waren, wie schlecht sie gekleidet waren, wie verängstigt sie waren.“ 298 Etwas detaillierter werden die konkreten Lebensumstände im Ghetto vom Überlebenden David Faber beschrieben: „Die Menschen lebten gedrängt in heruntergekommenen Wohnungen, in denen meistens die sanitären Einrichtungen nicht funktionierten und jegliche Elektrizität fehlte. Die einzigen Stellen, wo man Lebensmittel kaufen konnte, waren kleine Läden, in denen es nur noch das gab, was von früher übriggeblieben war. Die Menschen begannen zu sterben, manche in ihren Zimmern, andere auf den Straßen. Täglich fuhren Fuhrwerke die Leichen zu einem Massengrab.“ 299 Gerade die von den Deutschen aufgezwungenen unhygienischen Zustände trugen dazu bei, dass sich innerhalb des Ghettos Krankheiten wie beispielsweise Typhus ausbreiteten. Der Judenrat wurde angewiesen, rasch Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Er schickte medizinisches Personal zu den Ghettobewohnern, um die Sauberkeit in den Wohnungen zu überprüfen. 300 Die medizinische Versorgung übernahm größtenteils das jüdische Krankenhaus, in dem sich auch eine Apotheke befand. 301 Das 295

Spett, Reflections, S. 21 [Übersetzung aus dem Englischen]. Chomet, Zagłada, S. 50. 297 Schreiben Hannes K. an Kriminalpolizei Bamberg v. 27. 12. 1961, BAL, B 162/ 2150, Bl. 786 f. 298 Vern. Friedrich E. v. 9. 12. 1961, ebd., Bl. 714. 299 Faber, Romeks Bruder, S. 99. 300 Kornbluth, Sentenced, S. 77 f.; Wróbel, Opowieście, S. 130. 301 Aussage Josef D. v. 8. 5. 1974, LNW, 9107, Bl. 73; dto. Josef D., BAL, B 162/ 2149, Bl. 269. 296

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Krankenhaus war zunächst im Seniorenheim, nach der dritten Deportation dann in einem Gebäude in der Bóżnicastraße untergebracht. Trotz der unzureichenden Ausstattung versuchte das medizinische Personal, sein Bestmögliches zu geben, wie der Arzt Dr. Tesse in seinen Nachkriegserinnerungen betonte: „In dieser tragischen Zeit hat das Krankenhaus seine Aufgabe erfüllt. Keinem kranken Juden wurde die nötige ärztliche Hilfe verweigert und hunderte Kranke wurden erfolgreich behandelt, darunter auch ansteckende Krankheiten. Das Krankenhaus war nicht nur ein medizinisches Zentrum, sondern auch eine Zuflucht für Dutzende Juden in Zeiten der ‚Aussiedlungen‘. […] Jeder versuchte, einander aufzuheitern und verbreitete Optimismus, um die Energie aufzubringen, die wir brauchten, um unsere wichtige Arbeit fortzusetzen.“ 302 Für die elternlosen Kinder und Jugendlichen existierte innerhalb des Ghettos ein Waisenhaus. Dieses wurde nach der ersten Aktion im Juni 1942 ins Ghetto verlegt. 303 Die Beerdigungsbruderschaft Chevra Kadisha bot ihre Dienste kostenlos an. 304 Es gab auch ein jüdisches Sonderpostamt, das allerdings nach der dritten Vernichtungsmaßnahme im November geschlossen werden musste. Die Poststelle diente jedoch lediglich der Korrespondenz jüdischer Menschen; schriftliche Briefwechsel mit christlichen Personen waren natürlich von deutscher Seite untersagt und sogar unter Todesstrafe gestellt. So wurde Mania K. hingerichtet, da sie im Schriftverkehr mit christlichen Polen stand. 305 Einen zentralen Stellenwert im Alltag der Ghettobevölkerung nahm sowohl die Art der Arbeit als auch der Platz ein, wo diese verrichtet wurde. Die grundsätzliche Motivation, eine Arbeitsstelle zu erhalten, lag nicht nur im Lohn für die bezahlte Arbeit. Vielmehr herrschte der Glaube vor, dass ein Arbeitsplatz, vor allem bei kriegswichtigen Unternehmen und Firmen, vor einer Deportation bewahren könne. Der Leiter der JSS, Michał Weichert, brachte dies in seinem Tagebuch auf den Punkt: „All diejenigen, die kein festes Arbeitsverhältnis hatten, bemühten sich auf Biegen und Brechen um eine feste Arbeitszuteilung, wenn möglich bei deutschen Firmen.“ 306 Nach der ersten Deportation im Juni 1942 erwogen die Ghetto-

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Tesse, Żydowski szpital, S. 99 [Übersetzung aus dem Polnischen]. Chomet, Zagłada, S. 51. 304 Ebd. 305 Ebd., S. 50. 306 Tagebuch Michał Weichert, AŻIH, 302/25, Cz. II, Bl. 28 [Übersetzung aus dem Polnischen]. 303

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insassen, welche Arbeitsstellen sicherer seien. 307 Schließlich erhielten Menschen, die in bestimmten Branchen tätig waren, einen Stempel in ihre Arbeitskarte, die sie vor dem Abtransport ausnahm. Viele gingen daher zum Arbeitsamt und versuchten verzweifelt, eine andere Anstellung zu erhalten. 308 Gefragt waren insbesondere Arbeitsstellen bei deutschen Arbeitgebern, da diese als sicher galten, wie Weichert betonte: „Wer bei einem privaten Handwerker oder in einem Verband arbeitete, oder seinen eigenen Handwerksbetrieb hatte, bemühte sich um eine Zuteilung zu einer deutschen Firma. Wer eine Zuteilung zu einer deutschen Firma hatte, bemühte sich um einen Wechsel zu einer Außenarbeitsstelle, im Glauben, das sei ein sicherer Schutz.“ 309 Die beschäftigungslosen Menschen mussten sich in regelmäßigen Zeitabständen beim örtlichen Arbeitsamt melden, bis ihnen eine Arbeitsstelle zugeteilt wurde, wie Josek Mansdorf beschrieb: „Ich meldete mich beim Arbeitsamt, erhielt eine Arbeitskarte, und mir wurde gesagt, ich müsse mich zweimal wöchentlich melden.“ 310 Obgleich die Arbeitsämter am 25. Juni 1942 offiziell ihre Zuständigkeit für den jüdischen Arbeitseinsatz an den SS- und Polizeiapparat abgegeben hatten, wurden in Tarnów dennoch bis Anfang September Arbeiter durch die Abteilung Judeneinsatz des Arbeitsamts vermittelt. 311 Die Arbeit nahm, wie auch vor der Schaffung des geschlossenen Ghettos, ganz unterschiedliche Formen an. So waren längst nicht alle Juden im Ghetto in freien Beschäftigungsverhältnissen angestellt, vielmehr wurden die Menschen auch zu Zwangsarbeiten bei diversen Außenposten außerhalb des Ghettos eingesetzt. 312 Auch zu Zeiten, als das Ghetto bereits existierte, wurden Tarnówer Juden wie vorher zu Zwangsarbeiten im Lager Pustkow sowie zu Bauarbeiten im Rahmen des „Otto-Programms“ herangezogen. 313 Insgesamt bestanden damit eindeutige Kontinuitäten zur Zeit vor Schließung des Ghettos: In der Regel arbeiteten die Menschen weiter307 Anonymisiertes Gutachten von Imke Hansen für das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (im Fall L 18 R 27/09) v. 20. 7. 2009, Bl. 155. 308 Ebd. 309 Tagebuch Michał Weichert, AŻIH, 302/25, Cz. II, Bl. 49 [Übersetzung aus dem Polnischen]. 310 Bericht Josek Mansdorf, ebd., 301/570 [Übersetzung aus dem Polnischen]. 311 Schreiben an Stadtkommissar Tarnow v. 3. 9. 1942, MO-T, MT-AH/DH/1148 II/1–116, Bl. 91. 312 Chomet, Zagłada, S. 50. 313 Vgl. Schreiben Abt. Bauamt an KdS Krakau betr. Antrag auf Ausstellung eines Passierscheins v. 24. 8. 1942, MO-T, MT-AH/DH/1132/1–2, Bl. 6.

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hin in den Betrieben und Dienststellen, in denen sie vor Juni 1942 beschäftigt waren. In Tarnów gingen generell verhältnismäßig wenige Menschen innerhalb des Ghettos einer Arbeit nach. Dort existierten Beschäftigungsmöglichkeiten bei den jüdischen Institutionen oder aber auch in kleineren Betrieben, wie der Kistenfabrik Singer.314 Der Großteil der Arbeitsstätten befand sich dagegen außerhalb des geschlossenen Wohnbezirks. 315 Um das Ghettotor passieren und sich auf den Weg zur Arbeitsstätte begeben zu können, benötigten die Arbeiter einen Passierschein. Dieser musste über den Judenrat beim Stadtkommissar beantragt werden und wurde entweder für eine Person oder für mehrere Personen gleichzeitig ausgestellt. 316 Die meisten Arbeiter wurden täglich zu ihren Arbeitsstellen eskortiert. Nur wenigen Personen war es erlaubt, das Ghetto ohne jegliche Bewachung zu verlassen. 317 Für ihre Arbeit wurden die Menschen bis Mitte Dezember 1942 entlohnt. Durch das erwähnte Rundschreiben Scherners wurde dann bestimmt, dass die jüdischen Arbeitskräfte ab 10. Dezember keinen Barlohn mehr erhalten dürfen. 318 Zu den bekanntesten Betrieben der Textilbranche in Tarnów zählten die Zentrale für Handwerkslieferungen (ZfH) sowie der Konfektionsbetrieb von Julius Madritsch. Die Erinnerungen Michał Weicherts deuten die Bedeutung dieser Betriebe an: „Tarnów war schon vor dem Krieg die Stadt der Bekleidungsindustrie. Es gab qualifizierte Handwerker und Heimarbeiter, routinierte Werkstättenleiter und ehemalige Unternehmer und Auftraggeber, die einen reichen Erfahrungsschatz bei der Arbeitsverteilung und Preiskalkulation hatten. In der Stadt befand sich eine große Anzahl von Nähmaschinen und einige wenige Lochmaschinen, Zuschneidemaschinen und ähnliche, was angesichts der Schwierigkeit, auf dem Markt Maschinen oder gar Ersatzteile (beispielsweise Spulen für die Nähmaschinen) zu erwerben, nicht ohne Bedeutung war. Deswegen wurden in Tarnów am frühesten Konfektionswerkstätten errichtet, die Kleidung und Wäsche produzierten. Neben kleineren Werkstätten konkurrierten zwei große Firmen untereinander, hauptsächlich um Aufträge, manchmal sogar in der Werbung um Arbeiter. Konfekcja Krakowa/Ländische Konfektion 314

Urteil LG Bochum v. 30. 4. 1964, in: JNSV, Bd. 20, Lfd. Nr. 571, S. 120. Vgl. MO-T, MT-AH/DH/1148 II/1–116. 316 Ebd.; ebd., MT-AH/DH/1148/1–280, Bl. 645. 317 Chomet, Zagłada, S. 50; Interview mit Markus Ender, Interviewcode: 43669, Visual History Archive des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education. 318 Rundschreiben Scherner betr. Einsatz jüdischer Arbeitskräfte v. 27. 11. 1942, YVA, 0.51/59, Bl. 13. 315

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und ZfH. Jede von ihnen beschäftigte einige hundert jüdischer Arbeiter, in einigen Zeiträumen sogar über Tausend. Neben der Abteilung für Konfektion errichtete die ZfH in ihren Werkstätten auch andere Abteilungen, wie Sattler-, Tischler-, Schusterabteilungen, die immerzu neue Arbeiter beschäftigten.“ 319 Äußerst gefragt war eine Anstellung im Textilbetrieb von Julius Madritsch. Der Wiener Textilkaufmann erhielt Anfang März 1940 den Einberufungsbescheid zur Wehrmacht. Durch die Übernahme eines Wehrmachtsauftrags, es handelte sich um das Nähen von Hemden, konnte er dem Wehrdienst entgehen. Ende 1940 kam er mit Hilfe persönlicher Beziehungen als Textilfachmann zur Textilhandelsgesellschaft m.b.H. nach Krakau. Mitte Dezember bestellte ihn schließlich die Abteilung Wirtschaft in Krakau zum Treuhandverwalter der beiden Konfektionsbetriebe Firma Strassberg & Co. und der Firma Hoga. Seine Belegschaft bestand sowohl aus christlichen als auch jüdischen Arbeitern. 320 Madritsch versuchte zunächst, größere Lohnaufträge zu beschaffen, um auf diese Weise „beide Firmen wieder in Schwung zu bringen“. 321 Dies gelang ihm, da die Aufträge von der Textilhandelsgesellschaft m.b.H. verteilt wurden, bei der er zuvor angestellt gewesen war. Außerdem baute er auch Kontakte zu den neu entstandenen jüdischen Arbeitsgemeinschaften auf, „die in den damals bereits geschaffenen, geschlossenen jüdischen Wohnbezirken ihren Sitz hatten“. 322 Madritsch berichtete hierüber: „Auf Grund von Bescheinigungen, die ich namens meiner beiden Firmen an diese Arbeitsgemeinschaften ausstellte, waren die in letzteren tätigen Arbeiter und Angestellten ‚kriegswichtig‘ eingesetzt und blieben dadurch eine Zeit lang vor weiteren Verfolgungen verschont.“ 323 Trotz Bemühungen um Rückstellung wurde Madritsch Ende April 1941 doch zur Wehrmacht eingezogen. 324 Sein Nachfolger in Krakau wurde der ebenfalls aus Wien stammende Heinz Bayer. 325 Madritsch verabredete mit Bayer die Neugründung der eigenen Firma „Julius Madritsch Krakauer Konfektion“, die unter Aufsicht Bayers stehen sollte. 326 Im August 1942 319 Tagebuch Michał Weichert, AŻIH, 302/25, Cz. II, Bl. 33 [Übersetzung aus dem Polnischen]. 320 Madritsch, Menschen, S. 6. 321 Ebd., S. 7. 322 Ebd., S. 8. 323 Ebd. 324 Ebd., S. 8 f. 325 Ebd., S. 9; Zitat: S. 10. 326 Ebd., S. 8, 10.

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kehrte Madritsch nach Krakau zurück, wo er die Leitung seines Betriebs übernehmen konnte. Darüber hinaus eröffnete er auch eine Zweigstelle in Tarnów, während Bayer nach Wien zurückkehrte. 327 Nachdem Madritsch die erste Mordaktion in Krakau erlebt hatte, wollte er so viele Juden wie möglich vor den Deportationen schützen: „Die einzelnen jüdischen Arbeitsgemeinschaften, wie Slomniki, Miechow, Tarnow u. a. befanden sich in Auflösung, eine Aussiedlung folgte der anderen.“ 328 Er führte dazu geheime Besprechungen mit dem Judenrat. Unter anderem wurde hierbei der Entschluss gefasst, denkbar viele Nähmaschinen zu organisieren, da diese „das Erfordernis von weiteren zwei bis drei Menschen für die Rüstung rechtfertigen“. 329 Angesichts der Deportationen übernahmen Madritsch und die ZfH im Sommer 1942 die Handwerksgemeinschaften in weiteren Städten des Distrikts. 330 Madritschs Betriebe, die aufgrund zusätzlicher Wehrmachtsaufträge als Rüstungsbetriebe fungierten, konnten nun die Produktion erhöhen und gleichzeitig eine größere Anzahl Menschen vorübergehend vor dem Abtransport in das Vernichtungslager schützen: „Mein Betrieb in Krakau-Podgorze erreichte einen Stand von ca. 300 Maschinen mit ca. 800 Arbeitern, mein Betrieb in Tarnów kam auf den gleichen Umfang. […] Auf ständiges Drängen der Herren vom Judenrat beschäftigte ich auch noch in den Ghettos Bochnia und Tarnów neuerstandene und unter ‚fachmännischer Leitung‘ der SS geführte Werkstätten mit Lohnaufträgen und brachte damit weitere 1000–2000 Menschen unter den Schutz der ‚Rüstung‘.“ 331 Unter seinen Arbeitern sollen sich nach Einschätzung Madritschs lediglich 40 Prozent Fachkräfte befunden haben: „60 Prozent meiner Gefolgschaft hatten doch keine Ahnung von der Schneiderei – befanden sich doch Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure, Kaufleute u. a. mit ihren Familien darunter.“ 332 Gerade dieses Zitat verweist auf einen wichtigen Aspekt, auf welchen noch näher einzugehen sein wird: Innerhalb des Ghettos waren fast ausschließlich handwerkliche Fähigkeiten gefragt und eben nicht mehr die Kenntnisse von Lehrern, Ärzten, Künstlern und Intellektuellen. Für diese Berufsgruppen war es notwendig, Arbeitgeber zu finden, die ihnen die Möglichkeit einräumten, ihr Geschick auch in handwerklichen Berufs327

Ebd., S. 11. Ebd. 329 Ebd., S. 12. 330 Anonymisiertes Gutachten von Imke Hansen für das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (im Fall L 18 R 27/09) v. 20. 7. 2009, Bl. 154. 331 Madritsch, Menschen, S. 13. 332 Ebd., S. 14. 328

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feldern einbringen zu können, was laut den Aufzeichnungen Michał Weicherts in vielen Fällen auch gelang: „Ich komme nicht um die Gelegenheit umhin, an ein Faktum zu erinnern, das in allen Bezirken auffällig war, wo verschiedene Handwerkerstätten errichtet wurden, die zehntausende Juden beschäftigten, die nie zuvor ähnliche Arbeiten verrichtet hatten. Ich sprach über dieses Thema mit den Leitern der einzelnen Produktionsabteilungen in verschiedenen Orten, mit Leitern bzw. Eigentümern so großer Unternehmen wie ZHF (Wagner) und Julius Madritsch, mit Leitern der Gruppen ‚Rzemiosło‘ und ‚Przemysł‘, mit höheren Funktionären dieser Gruppen und der Abteilung Wirtschaft, schließlich auch mit anderen Deutschen, die diese Werkstätten in verschiedenen Distrikten – sei es dienstlich, oder aufgrund beruflicher oder privater Interessen – zu Prüfzwecken besichtigten. Sie alle stellten einig fest, dass die Fähigkeit, in kürzester Zeit eine Arbeit zu erlernen, bei den Juden verblüffend ist. Sie werden natürlich keine voll qualifizierten Handwerker, aber ihre Intelligenzund Ideenreichtum gleichen sehr oft eine gründliche Kenntnis des Handwerks aus, die von den anderen in jahrelangen Ausbildungen und Gesellenerfahrung erworben wurde. Bei einer entsprechenden Zugabe eines bestimmten Prozentsatzes – gewöhnlich ca. 20 % – der voll qualifizierten Kräfte steht die Arbeiterschaft auf der Höhe der Aufgaben, wobei die Intelligenz und der Ideenreichtum der unqualifizierten Juden oft zur Rationalisierung des Produktionsprozesses und einer Materialersparnis beiträgt.“ 333 Die Arbeit bei Madritsch war auch deshalb so beliebt, weil er sich für seine Arbeiter einsetzte, indem er Werksküchen einrichten ließ. Als Rüstungsbetrieb erhielt er zudem Sonderzuteilungen an Lebensmitteln, die er wiederum an seine Arbeiter verteilte, ebenso verhielt es sich mit Kleidung und Schuhwerk. Zudem stattete er seine Betriebe mit einem medizinischen Dienst aus. Mit Hilfe Weicherts gelang es, die nötigsten Medikamente zu besorgen. 334 Bei größeren Aufträgen konnten durch „geschicktes Zuschneiden“ Stoffmengen gespart werden, die anschließend durch Madritschs Angestellte auf dem Schwarzmarkt verkauft wurden. Durch diesen Gewinn bezahlte er nicht nur Bestechungsgelder, sondern konnte seinen Angestellten auch weitere Zuwendungen zukommen lassen. 335 333 Tagebuch Michał Weichert, AŻIH, 302/25, Cz. II, Bl. 32 [Übersetzung aus dem Polnischen]. Ich danke Imke Hansen für den Hinweis auf diese Quelle. 334 Madritsch, Menschen, S. 19. 335 Ebd., S. 9; auch von Seiten der Überlebenden wird Madritschs Engagement häufig betont. Vgl. Bericht Rosa W., YVA, O.3/2176.

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Betrachtet man das Engagement des Wieners Julius Madritsch, das er zum Schutz seiner jüdischen Arbeiter aufbrachte, stellt sich die Frage nach den Beweggründen. Madritsch ging von der humanen Haltung aus, dass seine Arbeiter Mitmenschen und letztlich Landsleute seien, für die es sich einzusetzen galt 336: „Leid und Gefahr war über Polen und Juden gekommen, die doch nichts anderes waren, als das, wozu mich meine Eltern erzogen hatten … Menschen, die dazu einst ein gemeinsames Vaterland hatten … Österreich!“ 337 Für seine Hilfe, die er den Arbeitern zukommen ließ, wurde er im Jahr 1964 schließlich von Israel als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. 338 Die humanen Arbeitsbedingungen bei Madritsch bildeten eine absolute Ausnahme. In anderen Betrieben dagegen herrschten schlechte Verhältnisse vor. So waren Arbeitszeiten von zwölf Stunden pro Tag die Regel. 339 Neftali Frankel war zunächst bei der Dachpappenfabrik Papapol angestellt, die sich rund drei Kilometer vom Ghetto entfernt befand. Allein der Fußweg, der auch bei schlechtem Wetter zurückgelegt werden musste, war für die geschwächten Arbeiter eine Strapaze. Die Menschen hatten jedoch nicht nur unter den hohen Arbeitsanforderungen zu leiden. Täglich mussten sie darüber hinaus mit Repressionen seitens des Treuhänders rechnen, der häufig körperliche Gewalt gegenüber den Arbeitskräften anwandte. 340 Frankel hatte jedoch das Glück, nach kurzer Zeit zu einer Lederwerkstätte versetzt zu werden, wo ihn der polnische Arbeitgeber menschlich behandelte: „Obwohl die Anlage von den Deutschen beschlagnahmt worden war, da Spieler, einer der früheren Besitzer, ein Jude war, war die verbliebene verantwortliche Person ein polnischer Partner, Krzak, von dem wir nie irgendeine Art von Misshandlung erfuhren, weder physisch noch verbal. Wir durften unsere Arbeit unterbrechen, um etwas zu essen, und nach und nach entwickelte ich ein Gefühl einer täglichen Routine, bis wir gezwungen wurden, das Ghetto zu verlassen.“ 341 Neben der Arbeit war auch der Mangel an Lebensmitteln ein zentrales Thema im Ghetto, wie Frankel in seinen Memoiren schrieb: „Eine der 336 Anonymisiertes Gutachten von Imke Hansen für das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (im Fall L 18 R 27/09) v. 20. 7. 2009, Bl. 162. 337 Madritsch, Menschen, S. 7; auch in einem Interview nannte er diese Motivation. Vgl. Interview mit Julius Madritsch, USHMM, RG-50.147*0011. 338 Gutman/Fraenkel/Borut, Lexikon, S. 336. 339 Goetz, Face, S. 43. 340 Auch in anderen Überlebenden-Erinnerungen wurde dieser Treuhänder als Sadist bezeichnet. Vgl. Bericht Oskar Hass, AŻIH, 301/1111. 341 Frankel, Hell, S. 60 [Übersetzung aus dem Englischen].

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Hauptsorgen unter denjenigen von uns im Ghetto hatte mit Essen zu tun. Wir waren Menschen von Hunger getrieben, und unsere Gedanken drehten sich darum, was wir am nächsten Tag oder in derselben Nacht zu essen bekommen oder wo wir überhaupt etwas zu essen finden, was unseren quälenden Hunger mildern würde, wenn auch nur vorübergehend.“ 342 Auch nach der Schließung des Ghettos versuchten die jüdischen Institutionen nach ihren Möglichkeiten, die Not der Ghettoinsassen zu lindern. In den Großküchen wurden täglich mehrere tausend Essen ausgegeben. Allerdings erhielten die Menschen meist nicht mehr als eine wässrige Suppe. 343 Nach der Errichtung des geschlossenen Wohnbezirks war es für die jüdischen Menschen grundsätzlich schwieriger, Lebensmittel und andere Bedarfsgüter zu besorgen. Die Gemeinde war nun von ihren christlichen Nachbarn räumlich getrennt. Nach deutschem Willen sollte der Kontakt zur Außenwelt gänzlich unterbunden werden; Schmuggel stellte generell eine kriminelle Handlung dar und wurde streng geahndet. 344 So berichtete die Überlebende Frieda K., dass „Juden deshalb erschossen [wurden], weil sie sich von der Arbeit geringwertige Lebensmittel mitgebracht hatten“. 345 Ähnliche Erfahrungen machte Tony H., der vom Ghetto Neu-Sandez nach Tarnów verschleppt worden war: „So wurde einmal eine Kolonne dabei erwischt, daß sie Lebensmittel ins Ghetto schmuggeln wollte. Es wurde gesagt, daß die Schmuggler getötet wurden.“ 346 Aufgrund der Lebensmittelrationierungen und des allgemeinen Mangels waren die Ghettoinsassen jedoch auf den zusätzlichen Erwerb von Essen dringend angewiesen. Dies war der einzige Weg, der existenziellen Not zu begegnen, auch wenn dies bedeutete, bei Entdeckung getötet zu werden. Der Lebensmittelschmuggel, eine Form von Amida, wurde trotz der Gefahren auch nach der Ghettoerrichtung praktiziert und war nun wichtiger denn je. Die Kontakte zur Außenwelt nahmen unterschiedliche Formen an. Im Allgemeinen gab es zwei Optionen 347, wie Essen und Bedarfsgüter ins Ghetto gelangten: Entweder fand der Erwerb am Ghettozaun oder außerhalb des Ghettos statt. Für beide Varianten war jeweils die Initiative der christlichen Bevölkerung 342

Ebd., S. 53 [Übersetzung aus dem Englischen]. Grossmann, Survival, S. 24; Chomet, Zagłada, S. 51; Melnick, Hand, S. 74. 344 Bethke/Schmidt, Lebenswelt, S. 46. 345 Aussage Frieda K. v. 25. 10. 1966, BAL, B 162/2160, Bl. 3075. 346 Dto. Tony H. v. 22. 7. 1964, ebd., B 162/2154, Bl. 1958. 347 In sehr seltenen Fällen kam es auch vor, dass ethnische Polen die Ghettogrenzen illegal passierten, um Güter ins Ghetto zu schmuggeln. Vgl. Chomet, Zagłada, S. 50. 343

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erforderlich. Da der Handel mit Juden von deutscher Seite strengstens verboten war und entsprechend geahndet wurde, gingen die ethnischen Polen bewusst gewisse Gefahren ein. 348 Auf welche Art und Weise der Handel über den Ghettozaun hinweg realisiert wurde, schilderte Heinrich Schönker in seinen Memoiren: „In Gedanken vertieft gelangte ich zu dem hohen Holzzaun, der das Ghetto von der Außenwelt trennte. Ich sah Leute dort stehen und durch die Lücken im Zaun mit Menschen auf der arischen Seite sprechen. Als ich näher kam, konnte ich beobachten, wie Ghettobewohner Brot, Butter und Gemüse kauften. Eines der Bretter konnte man zur Seite schieben und die Lebensmittel durchreichen. Alles spielte sich in Windeseile ab.“ 349 Auch der Überlebende Sigmund B. beobachtete nach der ersten Aktion, wie zahlreiche Menschen am Zaun standen, um Gegenstände mit ethnischen Polen zu tauschen. Auf einmal erschien jedoch der Sicherheitspolizist Oppermann, der seinen Hund auf die Menschen hetzte und in die Menge schoss. 350 Gerade die außerhalb des Ghettos beschäftigten Menschen waren in der Lage, jenseits der Ghettogrenzen Lebensmittel und andere Waren für sich selbst und für andere Menschen zu kaufen. Dieser Erwerb fand häufig an den Arbeitsstellen statt. Martin Spett beispielsweise arbeitete in einer Firma, die sich in der Lembergerstraße befand. Häufig suchten Bauern den Betrieb auf, um mit den Arbeitern Geschäfte abzuwickeln. So wurden Textilien gegen Butter, Eier, Käse und Brot getauscht. 351 Die Mitglieder des Ordnungsdiensts, die an den Ghettotoren Wachdienst versahen, ließen in aller Regel den Tauschhandel zu. Von Zeit zu Zeit fanden jedoch Kontrollen durch die Sicherheitspolizei statt, um den Schmuggel zu unterbinden. Martin Spett, der bei Madritsch angestellt war, berichtete in seinen Memoiren dazu Folgendes: „Einmal jedoch erwartete uns ein GestapoOffizier begleitet von der jüdischen Polizei. Sie hatten vor, uns zu durchsuchen, um sicherzustellen, dass niemand etwas unter seiner Kleidung versteckte. Als wir das Tor passierten, begannen die Menschen versteckte 348 Am 22. 10. 1942 wurde eine 40-jährige christliche Polin, die mit einer Fuhre Möbel unterwegs war, von der polnischen Polizei in Tarnów überprüft. Wie sich herausstellte, hatte sie die Möbel für 300 Złoty einem ihr unbekannten Juden abgekauft. Die Möbel wurden beschlagnahmt, und die Polin wurde zu einer Zahlung von 100 Złoty verpflichtet. Vgl. Schreiben polnische Polizei an Stadtkommissar Tarnow v. 23. 10. 1942, MO-T, MT-AH/DH/1151/1–4. 349 Schönker, Ich war acht, S. 121. 350 Aussage Sigmund B. v. 18. 10. 1966, LNW, 8527, Bl. 4987. 351 Spett, Reflections, S. 19.

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Lebensmittel auf den Boden unter ihre Füße fallen zu lassen. Sie traten auf Eier, Butter und andere Gegenstände, die sie so begehrten. Uns wurde dann gesagt, uns für eine Inspektion aufzustellen. Die Arbeiter der Madritsch Fabrik bildeten zwei Reihen, die sich gegenüberstanden, Männer und Frauen getrennt. Grunoff, der Gestapo-Offizier, begleitete die jüdische Polizei, die zu suchen begann, um sicherzustellen, dass niemand etwas unter seinen Mänteln versteckte.“ 352 Angesichts der großen Not versuchten auch Kinder durch das Schmuggeln von Waren ihre Familien zu unterstützen. Sie verkauften beispielsweise die außerhalb des Wohnbezirks erworbenen Güter an Ghettoinsassen und erzielten auf diese Weise gute Gewinne. So kam der damals zwölfjährige Josek Mansdorf auf die Idee, mit Zigaretten zu handeln. Er lieh sich 500 Złoty und begab sich unerlaubt auf die andere Seite, wo er viele Zigaretten erwarb, die er wiederum im Ghetto zum Kauf anbot. Diesem lukrativen Geschäft ging er bis zur dritten Mordaktion nach und nahm auf diese Weise immerhin rund 3.000 Złoty ein. 353 Auch der junge Heinrich Schönker, der durch das Austragen von Briefen etwas Geld verdiente, wollte für sich und seine Familie Lebensmittel erwerben. Als er einmal am Ghettozaun entlang ging, sprach ihn von der anderen Seite ein Junge an, der mit Zeitungen handelte. Schönker erstand die Zeitungen und verkaufte sie für den doppelten Preis im Ghetto. 354 Vom erzielten Gewinn kaufte er anschließend einen Laib Brot sowie Butter. Zu Hause stellte sich jedoch heraus, dass er von der christlichen Polin, von der er die Lebensmittel bekommen hatte, hintergangen worden war: „Entzückt musterte meine Mutter die Butter, bevor sie begann, sie aufzustreichen. […] Plötzlich stieß das Messer auf etwas Hartes. Ich hatte mich lumpen lassen. Die alte Frau am Zaun hatte mir eine Kohlrübe verkauft, die lediglich mit einer dünnen Schicht Butter bedeckt war. Ich fühlte mich schrecklich betrogen und war so beleidigt, dass ich nichts davon essen wollte.“ 355 Gerade dieses Beispiel verdeutlicht, welchen Regeln der Handel zwischen dem Ghetto und der nichtjüdischen Umwelt unterlag: Für die eingepferchten Menschen war er existentielle Notwendigkeit und schuf erst die Grundlage, um im Ghetto überhaupt überleben zu können. Für die christliche Bevölkerung war das Geschäft mit den Juden hingegen jenseits der bestehenden Gefahren ökonomisch lukrativ. Sie profitierten vom Verkauf 352 353 354 355

Ebd., S. 19 f. [Übersetzung aus dem Englischen]. Bericht Josek Mansdorf, AŻIH, 301/570. Schönker, Ich war acht, S. 121 f. Ebd., S. 123.

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und konnten exorbitante Preise für Lebensmittel und Waren des alltäglichen Bedarfs verlangen. Da Geld als Zahlungsmittel im Ghetto zurückging, wurden auch andere Dinge, wie Uhren, Schmuck oder Kleidung, als Zahlungs- und Tauschmittel akzeptiert. 356 Abnehmer diverser Waren gab es zu jeder Zeit. Problemlos konnten die jüdischen Käufer betrogen werden, ohne irgendwelche Sanktionen für dieses Handeln fürchten zu müssen. Diejenigen, die Geschäfte mit Juden machten, handelten aus ganz unterschiedlichen Motiven zwischen Mitmenschlichkeit und Habgier. Es waren keineswegs nur Menschen am Rande der Gesellschaft; vielmehr kamen sie scheinbar aus allen Schichten, unabhängig von Geschlecht, Alter oder sozialem Status. Die Ghettoisierung hatte jedoch nicht nur Auswirkungen auf die konkreten Lebensumstände der Menschen, sie veränderte auch tiefgreifend das Sozialgefüge der Gemeinde. Nicht mehr Reichtum oder berufliche Leistungen entschieden über den Status. Aspekte wie Anpassungsfähigkeit, Geschicklichkeit oder die Relevanz sozialer Kontakte waren fortan bestimmend. Nunmehr beeinflusste vor allem der Faktor Arbeit das alltägliche Leben der Menschen. Arbeit veränderte auch die soziale Hierarchie im Ghetto. Handwerker, deren Fähigkeiten nun bedeutend waren, konnten von vorher nicht gekannten Aufstiegsmöglichkeiten profitieren. Demgegenüber waren vor allem Akademiker, die in der Vorkriegszeit einen hohen sozialen Status besessen hatten, zunehmend von sozialer Deklassierung bedroht. So gab auch Abraham Chomet an, dass gerade die früher gut situierten jüdischen Bürger Tarnóws, Rechtsanwälte, Kaufleute oder Ärzte, nun diejenigen waren, die im Ghetto um ein Stück Brot betteln mussten. 357 Exemplarisch sei ein Erlebnis von Naftali Fuss geschildert, der in der Vorkriegszeit einige Jahre gemeinsam mit seiner Familie in Tarnów verbrachte. Den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erlebte er im benachbarten Reichshof. Einige Zeit nach der Errichtung des dortigen Ghettos flüchtete er mit seiner Eltern und einer Bekannten unter falscher Identität nach Tarnów. Über seine Rückkehr schilderte er Folgendes: „Einer der schlimmsten Momente war die Begegnung mit Elek Hauser. Wir kannten uns von der Jugendbewegung her, und er war dort vor allem durch sein gepflegtes und elegantes Äußeres aufgefallen. Seine wohlhabende Familie überschüttete den Lieblingssohn mit allem nur erdenklichen Luxus. […] Zu jedem Feiertag erschien er in neuer Kleidung aus feinstem Stoff, die 356 357

Frankel, Hell, S. 54. Chomet, Zagłada, S. 51.

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ihm auch immer paßte. Die meisten anderen Kinder mußten sich mit Kleidungsstücken begnügen, die von älteren Geschwistern weitergegeben wurden und immer einige Nummern zu klein oder zu groß waren. Besondere Aufmerksamkeit hatte er durch seine Gewohnheit erregt, sich genau alle zehn Tage die Haare schneiden zu lassen. Dies war für uns der Gipfel der Gepflegtheit und des Luxus. […] Einige Tage nach unserer Ankunft im Getto Tarnow besuchte uns dieser Elek Hauser, da er von meiner Rückkehr gehört hatte. Ich war von seinem vernachlässigten Äußeren zutiefst betroffen: die Kleidung zerrissen und verschmutzt, die Haare dünn und ungewaschen, der Gang gebeugt, der ganze Mann ein einziges Bild der Verzweiflung.“ 358 Massiv wirkten sich die NS-Verfolgungs- und Entrechtungsmaßnahmen auch auf die ärmeren Gemeindemitglieder aus und führten zu deren fortschreitenden Pauperisierung. Dennoch traf die generelle Senkung des Lebensstandards die einst wohlhabenden Menschen subjektiv härter; sie waren an ein Leben in Armut nicht gewöhnt, wie auch Naftali über seinen Bekannten resümierte: „Für Elek dagegen kam der Sturz plötzlich, er war nicht auf diesen grausamen Überlebenskampf vorbereitet gewesen und fiel hart auf den Boden der neuen Realität.“ 359 Zwar verschlechterte sich auch für seine eigene Familie die Lage, allerdings sei dies ein schleichender Prozess gewesen. 360 Aber nicht nur der Faktor Arbeit verschob das Sozialgefüge im Ghetto grundlegend, auch die traditionelle Rollenverteilung innerhalb der Familien unterlag erheblichen Modifikationen. So mussten nun in aller Regel auch die Frauen einer Arbeit nachgehen, was wiederum häufig zu einer Doppelbelastung führte. Auch Kinder konnten nicht mehr einfach sorglos Kind sein, sondern sahen sich mit der Verantwortung konfrontiert, ihren Familien bestmöglich zu helfen. So versuchten viele Jugendliche, eine Arbeit zu erhalten, um ihre Familien unterstützen zu können. „Als ich noch ein kleines Kind war“, erinnerte sich Halina Kornilo, „bemühte ich mich, älter auszusehen, um einen ‚Fragebogen‘ zu erhalten und zur Arbeit gehen zu können. Es gelang mir, dies zu erreichen, und ich wurde der Firma Madritsch zugeteilt.“ 361 Diejenigen Kinder und Jugendlichen, die keiner Arbeit nachgingen, 358

Fuss, Erinnerungen, S. 69 f. Ebd., S. 70. 360 Ebd. 361 Bericht Halina Kornilo, AŻIH, 301/3228, Bl. 14 [Übersetzung aus dem Polnischen]. 359

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blieben in der Regel tagsüber allein zu Hause. Am Tag war das Ghetto verhältnismäßig leer, da sich die meisten Bewohner an ihren Arbeitsstellen befanden. Heinrich Schönker erinnerte sich daran, wie er zum ersten Mal seine Umgebung erkundete: „An diesem Tag lief ich zum ersten Mal im Ghetto herum. Ich hatte meinen Eltern versprochen, mich sofort zu verstecken, wenn ich Deutsche sah. Ich ging durch armselige Gassen, die wie ausgestorben waren. Die meisten Menschen waren bei der Arbeit, die übrigen hatten Angst, auf die Straße zu gehen. Doch hier und da begegnete ich jemandem, auch Kindern.“ 362 Am Tag verblieben im Ghetto lediglich die dort arbeitenden Personen und jene, die keiner Beschäftigung nachgingen, vor allem Kinder und noch überlebende ältere Menschen. 363 Mit der Zeit und den fortwährenden Deportationen veränderten sich jedoch nicht nur soziale Hierarchien, sondern auch das Altersgefüge der jüdischen Gemeinde grundlegend. Ältere Menschen gab es kaum noch. Sie zählten zu den bevorzugten Opfern der Deportationen. Neben der Verschiebung des Sozialgefüges manifestierten sich innerhalb der Ghettogesellschaft zudem kaum absehbare Konfliktlinien, die die Menschen im Ghetto spalten sollten. In Überlebendenberichten wird hervorgehoben, dass eine Trennung zwischen den einheimischen Juden aus Tarnów und jenen, die aus anderen Gebieten im Laufe der deutschen Besatzung ins Ghetto kamen, bestand: „Menschen aus allen Teilen Polens, wie wir Flüchtlinge in Tarnúv [sic], lebten im Ghetto, eines der letzten, das in Polen eingerichtet wurde. Genau wie in jeder anderen Gemeinde hatten die lokalen Einwohner mehr Rechte, und Fremde wurden als Bürger zweiter Klasse betrachtet.“ 364 Unterschwellig existierte zudem ein Unterschied zwischen Gemeldeten und jenen, die sich illegal, ohne Registrierung im Ghetto aufhielten. Letztere waren in hohem Maße auf die Unterstützung ihrer Mitmenschen angewiesen, da sie auf offiziellem Weg keine Unterkunft erhalten und auch keiner Arbeit nachgehen konnten. Zudem wurden ihnen keine Lebensmittelkarten ausgestellt, was ihre Lage noch verschlechterte. Darüber hinaus mussten sie ständig auf der Hut sein, nicht von den Deutschen aufgegriffen zu werden. 365 Familie Schönker, die ursprünglich aus Oświęcim stammte und Ende August 1942 illegal nach Tar362

Schönker, Ich war acht, S. 120. Memoiren Sara Getzler „Hidden in broad daylight“, USHMM, RG-02.169M, Bl. 29. 364 Ebd., Bl. 24 [Übersetzung aus dem Englischen]. 365 So Ignaz W., der stets sehr vorsichtig war, wenn er sich innerhalb des Ghettos bewegte, um Lebensmittel zu besorgen. Vgl. Aussage Ignaz W. v. 19. 3. 1962, BAL, B 162/2150, Bl. 920 f. 363

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nów kam, hatte Glück: Sie erhielt von einem befreundeten Juden die Adresse des stellvertretenden Judenratsvorsitzenden. Familie Lehrhaupt nahm die vierköpfige Familie bei sich auf und stellte ihnen zunächst ein eigenes Zimmer zur Verfügung. Der stellvertretende Judenratsvorsitzende erklärte der Familie, dass es so gut wie unmöglich sei, Arbeit zu erhalten, da sie sich illegal im Ghetto befänden. Allerdings versprach er, ihnen Lebensmittelkarten zu beschaffen und sich um eine geeignete Unterkunft zu kümmern, was ihm auch gelang. In einem einstigen Geschäft fand er ein Zimmer für die Familie, das er eigens renoviert hatte. Die Menschen, die in dem Haus wohnten, brachten einige Möbelstücke, sodass nun jedes Familienmitglied sogar ein eigenes Bett hatte. 366 Wie in anderen Gesellschaftsstrukturen auch war unter der Ghettobevölkerung angesichts der harten Lebensbedingungen keineswegs nur gegenseitige Solidarität vorherrschend. Es gab Personen, die jede Möglichkeit nutzten, um eigene Überlebenschancen zu erhöhen. Dazu zählten die jüdischen Spitzel, die dem SD in Tarnów Informationen zukommen ließen und den Deutschen auf andere Weise zuarbeiteten. 367 Sie wurden zumindest eine gewisse Zeit von den Deportationen ausgenommen. 368 Spätestens Anfang 1943 waren in Tarnów offiziell keine jüdischen Spitzel für den SS- und Polizeiapparat mehr tätig. Der KdS Krakau jedenfalls ordnete im Januar an, künftig auf die Verwendung jüdischer Verbindungspersonen zu verzichten: „Gewisse Vorkommnisse geben mir Veranlassung, darauf hinzuweisen, ab sofort die Verwendung jüdischer V- und W-Personen zu unterlassen. Sofern jüdische V-Personen verwendet worden sind, sind geeignete Massnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass die in unseren Diensten erworbenen Kenntnisse in irgendeiner Weise ausgenutzt werden.“ 369 Bernard T., ein jüdischer V-Mann, hatte Glück: Er wurde im Laufe des Jahres 1943 gesondert nach Krakau-Plaszow überführt und damit zumindest vorläufig geschützt. 370 Neben den äußerst schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen gab es einen weiteren Faktor, der das alltägliche Leben der Ghettoinsassen in Tarnów bestimmte: die alltägliche Angst. Nicht nur während Mordaktionen, sondern faktisch jederzeit mussten die Menschen befürchten, Opfer 366

Schönker, Ich war acht, S. 114–120. Vern. Gerhard S. v. 21. 7. 1974, LNW, 9107, Bl. 109; dto. Gerhard S. v. 30. 1. 1962, BAL, B 162/2150, Bl. 806. 368 Aussage Gertrud B. v. 8. 1. 1962, ebd., Bl. 734. 369 Schreiben KdS Krakau an Sicherheitspolizei-Außenstellen, GPK und SD-Außenkommandos v. 20. 1. 1943, AŻIH, 233/104, Bl. 21. 370 Vern. Gerhard S. v. 30. 1. 1962, BAL, B 162/2150, Bl. 806. 367

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eines Übergriffs zu werden. Angehörige der Sicherheitspolizei suchten das Ghetto häufig auf und verbreiteten Furcht und Schrecken, schlugen und ermordeten Ghettoinsassen aus völlig nichtigen Gründen. 371 Die Menschen flüchteten sofort, wenn sie bestimmte SS-Angehörige sahen 372 und trauten sich oft kaum mehr auf die Straße 373: „Das Erscheinen des Angeklagten auf dem Terrain des Ghettos – und hier war er fast alltäglicher Gast – erfaßte diejenigen Menschen, die mit ihm in Berührung kamen – mit einer tödlichen Angst“ 374, hieß es im Urteil gegen den Judenreferenten Wilhelm Rommelmann. Gerade dieser Täter war einer der gefürchtetsten Deutschen. 375 Er tötete viele Juden innerhalb des Ghettos; allein nach der ersten Aktion im Juni 1942 erschoss er zwölf Personen. Selbst nachts waren die Menschen nicht vor den Angehörigen der Sicherheitspolizei sicher. 1943 ging Oppermann in das Ghetto und begab sich in die Wohnung eines aus Bielitz stammenden Mannes. Er befahl diesem, sich anzuziehen und führte ihn anschließend vor das Gebäude des Judenrats, wo er ihn erschoss. 376 „Sobald er ins Ghetto kam, versteckten sich alle Juden in die Bunker, denn jeder, welchen Rommelmann traf – konnte mit dem Leben bezahlen“, beschrieb ihn die Überlebende Tamara B. 377 Auch der Sicherheitspolizist Grunow war unter der jüdischen Bevölkerung berüchtigt, wie ein Überlebender betonte: „Einen der schrecklichsten Massenmörder, den die Welt je gesehen hat. Sein Name ist Grunow. […] Dieser Grunow war einer der gefürchtetsten Sadisten. Er war täglich im Ghetto, wo er vom Judenrat bestochen wurde. Auch das hat ihn nicht abgehalten […] zu morden.“ 378 Der Leiter des Ghettobereichs A, Hermann Blache, hatte zunächst vor allem daran Interesse, die Insassen zu einer hohen Arbeitsleistung zu zwingen. Daneben sollten sie alle Sach- und Geldwerte, die sich noch in

371 Urteil Bezirksgericht VI. Strafkammer Tarnów v. 25. 3. 1958, ebd., B 162/2151, Bl. 1006 f.; Aussage Josef Kornilo v. 27. 2. 1962, ebd., B 162/2150, Bl. 851; Bericht Naftali Spanglet, AŻIH, 301/3579. 372 Aussage Josef D. v. 1. 12. 1967, BAL, B 162/2166, Bl. 4432. 373 Schönker, Ich war acht, S. 120. 374 Urteil Bezirksgericht VI. Strafkammer Tarnów v. 25. 3. 1958, BAL, B 162/2151, Bl. 1007. 375 Vgl. Bericht Leon Leser, AŻIH, 301/3432; dto. Józef Kornilo, ebd., 301/3433; dto. Izaak Izrael, ebd., 301/3434; dto. Łucja Rausch, ebd., 301/3437; dto. Franciszka Kryształ, ebd., 301/3446. 376 Aussage Izaak I. (undat.), ebd., B 162/2148, Bl. 163. 377 Dto. Tamara B. v. 6. 9. 1946, YVA, M.21.1./326, Bl. 10. 378 Schreiben Jakob J. L. v. 11. 1. 1965, BAL, B 162/2156, Bl. 2243.

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ihrem Besitz befanden, bei ihm abliefern. Um das zu gewährleisten, versuchte er in der ersten Zeit seiner Tätigkeit das Vertrauen der hilflosen Menschen zu gewinnen, indem er ihnen zunächst eine bessere Behandlung zuteilwerden ließ, um sich vermutlich auf diese Weise von den Angehörigen der Sicherheitspolizei abzugrenzen. Eher selten wandte er in den ersten Monaten Gewalt an. 379 „Die Juden bemühten sich“, so hieß es in der Anklage gegen Blache, „seine ständig steigenden Forderungen zu erfüllen, weil sie hofften, dadurch die Einstellung und das Verhalten des Angeschuldigten in einem für sie günstigen Sinne beeinflussen zu können.“ 380 Ein Überlebender berichtete über dessen anfängliches Auftreten: „In der ersten Zeit seines Aufenthaltes im Getto hat Blache, soviel ich weiß, nicht auf Juden geschossen. Seine Haupttätigkeit bestand darin, sich von den Juden Wertsachen, Geld, Diamanten, Pelze und andere Gegenstände geben zu lassen. In dieser Richtung hat Blache nach meiner Auffassung eine besondere Karriere gemacht. […] Der Grund, dass Blache die Juden zunächst in Ruhe ließ, dürfte darin gelegen haben, dass die Juden ihm laufend die erwähnten Wertgegenstände übergaben.“ 381 Auch andere schilderten, dass sich der Deutsche anfangs relativ unauffällig verhielt: „Wir hatten auch noch nicht Angst vor ihm so wie z. B. vor Grunow, Rommelmann und anderen Angehörigen der Gestapo“. 382 Dennoch kam es auch zu dieser Zeit zu Übergriffen. So wurde beispielsweise bezeugt, dass die Menschen während eines Morgenappells aufgefordert wurden, alle sich in ihrem Besitz befindlichen Wertsachen abzugeben. Nach einer Durchsuchung wurden bei zwei Insassen doch noch Habseligkeiten entdeckt, die daraufhin von Blache erschossen wurden. 383 Ein weiterer Mord ereignete sich im Juni 1943. Im Zuge einer Kontrolle am Ghettotor wurden bei einem von der Arbeit zurückkehrenden Mann Kinderschuhe entdeckt. Da sich dieser weigerte, Auskunft über deren Herkunft zu geben, erschoss ihn Blache. 384 Blache hatte im Zuge seiner Funktion als Lagerleiter volle Befehlsgewalt und musste sich nur vor seinem unmittelbaren Vorgesetzten Julian Scherner rechtfertigen. 385 Im Laufe der Zeit schien sein Verhalten selbst innerhalb des deutschen zivilen Besatzungsapparats für Unmut zu sorgen,

379 380 381 382 383 384 385

Urteil LG Bochum v. 30. 4. 1964, in: JNSV, Bd. 20, Lfd. Nr. 571, S. 116. Anklage ZSt. Dortmund v. 21. 11. 1963, BAL, B 162/4695, Bl. 30. Aussage Salomon H. v. 15. 1. 1962, ebd., B 162/2150, Bl. 762. Dto. Josef K. v. 27. 2. 1962, ebd., Bl. 843. Vern. Philipp K. v. 30. 5. 1961, LNW, 9087, Bl. 432. Urteil LG Bochum v. 30. 4. 1964, in: JNSV, Bd. 20, Lfd. Nr. 571, Bl. 117. Vern. Hermann Blache v. 18. 9. 1962, BAL, B 162/2152, Bl. 1294.

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wie anhand der Aussage von Marianne G., seit August 1942 Vorzimmerdame der Kreishauptmannschaft Tarnów, deutlich wird: „Bei ihm handelte es sich um einen geistig m. E. kleinen Menschen, der sich aber in doppeltem Maße hervortat und den Eindruck erweckte, als sei er der König und Herrscher der Juden. Blache erschien häufiger in der Kreishauptmannschaft. Er wurde von uns […] nicht ‚für voll‘ genommen. Auf der anderen Seite war allgemein bekannt, daß Blache ein äußerst sadistischer und brutaler Mann war.“ 386 In der Wahrnehmung der Überlebenden änderte Blache aber erst nach der Ghettoliquidierung im Herbst 1943 sein Verhalten grundlegend. Die Angehörigen des Aufräumkommandos sahen sich nun immer häufiger brutalen Übergriffen durch ihn ausgesetzt: „Von der vierten Aktion ab änderte sich das Verhalten Blaches zu uns. Er begann, bei allen Gelegenheiten auf uns zu schimpfen, uns anzuschreien, uns zu schlagen und zu treten.“ 387 Da der lokale Täterapparat in Tarnów verhältnismäßig überschaubar war, hatte dies zur Konsequenz, dass die Menschen sich darüber bewusst waren, wer dem Täterkreis angehörte und vor wem sie sich besonders in Acht nehmen mussten. Mit der Zeit kannten die Menschen die Deutschen, beobachteten deren Verhalten und versuchten auf diese Weise, ihr Handeln einzuschätzen. 388 Neftali Frankel schrieb dazu in seinen Memoiren: „Novak [sic], Grunow, Opermann [sic] – das sind Namen, die nie aus meinem Gedächtnis gelöscht werden sollen. Für über ein Jahr, oder vielleicht ein bisschen mehr, während ich im Ghetto isoliert war, hörte ich diese Namen tausende Male, immer in dem Sinne, sich vor ihnen in Acht zu nehmen.“ 389 Ähnliches gab Tony H. zu Protokoll: „Wenn ich hörte, daß etwas los war, verstand ich es, mich zu entfernen oder zu verstecken.“ 390 Die Menschen warnten sich gegenseitig, sobald Angehörige der Sicherheitspolizei das Ghetto betraten. 391 Trotz der existentiellen Not und ständiger Gefahren versuchten dennoch viele Menschen, eine gewisse Normalität zu leben und sich auf irgendeine Weise von den katastrophalen Umständen im Ghetto abzu-

386

Dto. Marianne G. v. 6. 2. 1962, ebd., B 162/2150, Bl. 824. Aussage Josef K. v. 27. 2. 1962, ebd., Bl. 847. 388 So gab beispielsweise die Überlebende Mina R. noch im Jahre 1965 detaillierte Angaben über das Aussehen der Angehörigen der Sicherheitspolizei. Vgl. dto. Mina R. v. 17. 2. 1965, ebd., B 162/2156, Bl. 2264 f. 389 Frankel, Hell, S. 64 [Übersetzung aus dem Englischen]. 390 Aussage Tony H. v. 22. 7. 1964, BAL, B 162/2154, Bl. 1958. 391 Dto. Gisela L. v. 25. 10. 1966, ebd., B 162/2160, Bl. 3078. 387

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lenken. Kinder spielten mit einem Provisorium aus Lumpen Fußball 392, Erwachsene wiederum fanden in Gesprächen Halt und Trost, man las Bücher 393 oder widmete sich in seiner kostbaren freien Zeit beispielsweise dem Schachspiel. 394 Obgleich das Leben im Ghetto ein von außen oktroyiertes Leid bedeutete, gab es dennoch glückliche Momente, die den Menschen temporär Hoffnung gaben. So entstanden tiefe Freundschaften, und es entwickelten sich Liebesbeziehungen. 395 Henry Melnick, der im November 1942 als 19-jähriger vom Ghetto in Neu-Sandez nach Tarnów deportiert worden war, begegnete im Ghetto seiner ersten Liebe. Er erinnerte sich: „Ich hatte eine Freundin im Ghetto; wir teilten denselben Hof. Ihr Name war Chana. Sie war ein nettes Mädchen, kleiner als ich, mit langen wallenden dunklen Haaren. Sie erschien eines Tages in unserem Zimmer im Keller, nur um zu reden.“ 396 Henry und Chana lernten sich kennen und gingen schließlich eine Beziehung ein: „Wir gingen am Abend gemeinsam spazieren, Hände haltend. Sie war meine erste Liebe, und mit ihr hatte ich meinen ersten Kuss, genau dort in unserem Innenhof. Wir sprachen darüber, wie wir unsere Familien nach Kriegsende wiedersehen würden. Sie träumte davon, nach dem Krieg Lehrerin zu werden. Chana und ich versprachen einander, dass wir heiraten würden, wenn wir beide überlebten.“ 397 Eine Heirat blieb ihnen jedoch verwehrt. Während Henry mit weiteren Ghettoinsassen in das Lager Szebnie deportiert wurde, kam Chana mit ihrer Mutter nach Auschwitz, wo sie nicht überlebte. 398 Auch Marcel Rowen schrieb in seinen Memoiren über eine Liebesbeziehung im Ghetto Tarnów: „Im selben Gebäude lebte ein sehr nettes Mädchen. Sie hatte einen wunderschönen Körper, und wir sprachen bis spät in die Nacht, hielten Hände, küssten und hielten einander.“ 399 Selbst Hochzeiten im Ghetto

392

Schönker, Ich war acht, S. 120. Interview mit Ida Schwarz, Interviewcode: 32960, Visual History Archive des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education. Ihr Vater nahm beispielsweise einige Bücher mit ins Ghetto Tarnów. 394 Schönker, Ich war acht, S. 123 [Übersetzung aus dem Englischen]. 395 Vgl. auch die Aussage von Paul H., der gebürtig aus Bielsko stammte und eine Liebesbeziehung mit einer Frau im Ghetto Tarnów einging: Bericht Paul H., YVA, O.3/7109. 396 Melnick, Hand, S. 76 [Übersetzung aus dem Englischen]. 397 Ebd., S. 77 [Übersetzung aus dem Englischen]. 398 Ebd., S. 79. 399 Marcel Rowen Collection, USHMM, Acc.1999.A.0247, Bl. 25 [Übersetzung aus dem Englischen]. 393

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sind dokumentiert. 400 So heiratete Chaskiel S. seine Freundin. 401 Wie wichtig derartige zwischenmenschliche Beziehungen für den Einzelnen waren, verdeutlichen die Schilderungen Henry Melnicks. Dieser betonte, dass seine Freundin ihn zum Lachen brachte und dass sie gemeinsam vergessen konnten, wo sie sich befanden, wenn auch nur für einen Moment. 402 3.2.5 Reaktionen – Verzweiflung, Selbstbehauptung und Widerstand Die erste Deportation im Juni 1942 traf die Tarnówer Gemeinde vollkommen unvorbereitet. Obgleich es bereits zuvor zu Übergriffen gekommen war, stellten die brutalen Umstände dieser Aktion „alles in den Schatten, was vorher passiert war“. 403 Den Menschen war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, welches Ziel die Transporte haben würden. Die Deutschen ließen sie bewusst im Glauben, dass es sich lediglich um eine harmlose Umsiedlungsmaßnahme handelte. 404 An die Stelle von Ahnungslosigkeit traten jedoch bald anderslautende Gerüchte. Vielfach wurde in Aussagen bezeugt, dass die im Ghetto Verbliebenen von polnischen Bahnangestellten erfuhren, wohin die Züge tatsächlich geleitet wurden 405: „Daß die Juden bei der ersten Aussiedlungsaktion nach Belsec [sic] gekommen waren und daß es sich dabei um ein Vernichtungslager handelte, habe ich selbst nicht direkt von den polnischen Bahnbeamten gehört, sondern von anderen Juden. Die Sache hatte sich herumgesprochen, daß die polnischen Bahnarbeiter hiervon berichtet hätten. Gleichfalls wurde erzählt, daß die polnische Transportmannschaft vor Belsec [sic] ausgewechselt worden sein soll. Diese Information ging bei uns von Mund zu Mund, trotzdem hielten es viele bei uns für unmöglich.“ 406 Inwieweit die Mitglieder des Judenrats zu diesem frühen Zeitpunkt über das Ziel der Transporte Bescheid wussten, ist schwer zu beurteilen. Abraham B., ein Bekannter des Judenratsvorsitzenden, gab beispielsweise zur Protokoll, dass er nicht denke, dass

400

Auch Herman R. gab an, dass er seine erste Ehefrau im Ghetto heiratete. Vgl. Aussage Herman R., YVA, O.69/204. Auch Alice B. heiratete 1943 im Ghetto. Vgl. Aussage Alice B. v. 9. 12. 1966, BAL, B 162/2161, Bl. 3253. 401 Interview mit Chaskel Schlesinger, Interviewcode: 1680, Visual History Archive des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education. 402 Melnick, Hand, S. 76. 403 Vern. Ferdinand W. v. 25. 8. 1967, BAL, B 162/2164, Bl. 3973. 404 Aussage Emmy S. vom 28. 2. 1962, ebd., B 162/2150, Bl. 895. 405 Dto. Joschleib B. v. 8. 3. 1974, LNW, 9107, Bl. 9. 406 Dto. Abraham B. v. 27. 3. 1974, ebd., Bl. 34.

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Volkmann über das wahre Schicksal der Deportierten umfassend informiert gewesen sei. 407 Was die gesamte jüdische Gemeinde neben den umhergehenden Gerüchten zusätzlich misstrauisch stimmte, war die Tatsache, dass sie von den Deportierten, die angeblich in ein Arbeitslager verlegt worden waren, kein Lebenszeichen erhielten 408: „Wir selbst glaubten damals nicht mehr daran, daß die Transporte zum Arbeitseinsatz gingen. Uns war klargeworden, daß der Plan bestand, die Juden zu vernichten.“ 409 Wie geschildert, bemühten sich die Menschen nach der ersten Mordaktion um einen Arbeitsplatz, vorzugsweise bei einem deutschen Unternehmen, um sich so vor einer erneuten Deportation zu schützen. Aus den Erfahrungen der ersten Vernichtungsmaßnahme war nun unmissverständlich klar geworden, was die einzelnen Stempel bedeuteten, die vor der Aktion in die Meldekarten gedruckt worden waren. So kam es kurz vor der zweiten Vernichtungsmaßnahme im September 1942 zu chaotischen Szenen vor dem Judenrat, wie sich der Droschkenkutscher Izaak I. erinnerte: „Am Abend fuhr ich alle Meldekarten sämtlicher Juden aus dem Arbeitsamt nach dem Judenrat. Alle warfen sich auf die Droschke, und ein jeder suchte nach seiner Meldekarte. Es erhob sich ein Weinen und Schreien, die Menschen traten sich mit den Füßen, rissen sich die Meldekarten aus den Händen, sodaß einzelne beschädigt wurden. Diejenigen, die keine abgestempelten Meldekarten erhalten hatten, begannen die abgestempelten zu rauben, rissen die Lichtbilder ab und klebten ihre eigenen hinein. Alle fielen in den Saal des Judenrates, und es waren einige tausend. Es begann das Plündern und Rauben.“ 410 Im Verlauf der weiteren Deportationen wurden die Menschen zunehmend verzweifelter, und sie wussten nicht, wie sie noch aussichtsreich agieren sollten. Bernard T. unterhielt sich häufiger mit den Judenratsvorsitzenden Volkmann und Lehrhaupt über das weitere Schicksal der jüdischen Gemeinde. „Alle glaubten“, so der Überlebende, „daß das Endresultat der Tod war.“ 411 Einige verfielen in einen Zustand völliger Hoffnungslosigkeit und sahen keinen anderen Ausweg, als sich das Leben zu nehmen. 412

407

Ebd., Bl. 38. Ebd. 409 Dto. Mina R. v. 17. 2. 1965, BAL, B 162/2156, Bl. 2266. 410 Dto. Izak I. v. 10. 12.–12. 12. 1945, LNW, 8569, Bl. 113. 411 Dto. Bernhard T. v. 27. 6. 1974, ebd., 9107, Bl. 145. 412 So beging beispielsweise Herman Rosens Vater durch die Einnahme von Schlaftabletten Suizid. Vgl. Aussage Herman Rosen, YVA, O.69/204. 408

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Neben dem Suizid als „extremste Form der Flucht“ 413, existierten andere, ganz unterschiedliche Verhaltensweisen, um sich der NS-Vernichtungspolitik entgegenzustellen. Bereits nach der ersten Aktion im Juni 1942 wurde eine Widerstandsbewegung im Ghetto gegründet, die vor allem aus jungen Mitgliedern der links-zionistischen Organisation Hashomer Hatzair bestand. Zu dieser Gruppe gehörten Josef Bruder, dessen Ehefrau Giza Gross, Schussier mit seiner Schwester, Chaskala Kriuger, Kubcia Kupierberger und Melech Bienenstock sowie der Angehörige des jüdischen Ordnungsdiensts Smilek Springer. Zu Beginn beschränkte sich deren Tätigkeit vor allem auf Fluchthilfe. So wurden Menschen, die das Ghetto verlassen wollten, mit gefälschten Papieren ausgestattet. Die Gruppe stand vermutlich auch in Kontakt mit dem polnischen Widerstand sowie mit der jüdischen Widerstandsgruppe in Krakau. Mit Hilfe des Ordnungsdienstangehörigen Springer gelang es sogar, einige Waffen ins Ghetto zu schmuggeln. Springer nahm innerhalb der Organisation eine wichtige Stellung ein, denn durch seine Hilfe war es möglich, aus dem Ghetto zu entkommen. Zudem verschaffte er Josef Bruder eine Anstellung am Bahnhof, wo er von ethnischen Polen Munition erwerben konnte und genauere Informationen über die Deportationen der jüdischen Bevölkerung erhielt. Darüber hinaus brachte Bruder jüdischen Jungen im Ghetto den Umgang mit Waffen bei. Einige Aktivisten wurden, nachdem sie das Ghetto Tarnów verlassen hatten, im Wald bei Tuchów von Deutschen erschossen. 414 Abgesehen von dem Beispiel des organisierten, bewaffneten Widerstands sind für Tarnów auch Fälle von aktivem individuellem Aufbegehren überliefert. Während der Mordaktion im September 1942 versetzte ein Deutscher dem 19-jährigen Moshe Alban mit seinem Gewehr einen Schlag auf den Kopf. Dieser nahm die Misshandlung nicht einfach hin, sondern wehrte sich. Er schlug zurück und spuckte den Deutschen an. 415 Ein anderer Fall von Widerstand eines Einzelnen ereignete sich 1943. Familie Weiß lebte zu dieser Zeit getrennt voneinander. Während sich die Ehefrau mit dem gemeinsamen Kind außerhalb des Ghettos in einem Versteck befand, war der Ehemann im Ghetto inhaftiert. Ende Mai 1943 wurden die Mutter und das Kind von Angehörigen der Sicherheitspolizei aufgespürt. Als der 413

Kwiet/Eschwege, Selbstbehauptung, S. 194. Leserbrief Józef Birken „Udzial szomrów tarnowskich w ruchu oporu“ v. 20. 4. 1947, ANK-T, 33/226/60.; Chomet, Zagłada, S. 69 ff.; Borensztajn-Rus, Wspomnienia, S. 256 ff. 415 Chomet, Zagłada, S. 57. 414

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Ehemann hörte, dass seine Familie erschossen werden sollte, ging dieser zur örtlichen Sicherheitspolizei und bat darum, gemeinsam mit Frau und Kind getötet zu werden. 416 Der Überlebende Alter Pinkas T., dem die Ereignisse von den Söhnen des damaligen Friedhofsverwalters geschildert wurden, erinnerte sich daran folgendermaßen: „Am Abend dieses Tages erschienen die o. a. Brüder Appel und erzählten, daß sie auf dem Friedhof von Oppermann aufgefordert worden waren, die Leichen der Frau und des Kindes Weiß zu begraben. Die Beiden [sic!] waren von Oppermann erschossen worden. Während der Erschießung habe sich der Ehemann Weiß auf Oppermann gestürzt. Es sei zwischen beiden zu einem Handgemenge gekommen. Oppermann habe dann auch den Ehemann Weiß erschossen. Er sei so wütend gewesen, weil ein Jude es gewagt habe gegen ihn handgreiflich zu werden, daß er seine Pistole auf die beiden Gebrüder Appel gerichtet habe. Daraufhin seien die beiden Appel fortgerannt. Oppermann habe noch einen Schuß hinter ihnen hergegeben.“ 417 Neben aktivem Widerstand gegen die NS-Vernichtungspolitik im engeren Sinne existierte eine große Bandbreite jüdischer Verweigerung. 418 Dazu gehörten vor allem das Verstecken innerhalb des Ghettos sowie die Flucht. 419 Gemeinsam war beiden Widerstandsarten, dass sie eindeutig als resistente Handlungsweise gegenüber dem örtlichen Täterapparat zu werten sind. Im Ghetto Tarnów versuchten zahlreiche Menschen, sich durch Verstecken vor einer Deportation in Sicherheit zu bringen. Das stellte jedoch nur eine kurzfristige Rettung dar, wie auch ein Überlebender betonte: „Verstecken war nur eine temporäre Lösung. Die Person, die einen Platz zum Verstecken hatte, hatte einen vorübergehenden Aufschub.“ 420 Die Orte, die als Verstecke innerhalb des Ghettos genutzt wurden, waren sehr unterschiedlich: Das Spektrum reichte von Dachböden, Kellern, über die Kanalisation bis hin zu einem Backofen in einer Bäckerei. 421

416

Aussage Alter Pinkas T. v. 14. 4. 1964, BAL, B 162/2154, Bl. 1822 f. Ebd., Bl. 1823. 418 Vgl. Kwiet/Eschwege, Selbstbehauptung, S. 141. 419 Teile dieser Ausführungen werden als Aufsatz mit dem Titel „Verstecken und Flucht am Beispiel des Ghettos in Tarnów“ publiziert. 420 Transkript Aaron Schwarz, USHMM, RG-50.002*0048 [Übersetzung aus dem Englischen]. 421 Dto. Ida Schwarz, ebd., RG-50.002*0049; Interview mit Abraham Secemski, Interviewcode: 38093, Visual History Archive des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education; Bericht Josek Mansdorf, AŻIH, 301/570; Grossmann, Survival, S. 24. 417

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In der Hauptsache waren es Ältere 422 und Kranke, Frauen und Kinder sowie als „arbeitsunfähig“ eingestufte Menschen, die während einer Aktion Schutz in einem Versteck suchten. Trotz der Tatsache, dass die erste Mordkampagne im Juni 1942 die Menschen völlig unvorbereitet traf, gelang es einigen, sich zu verstecken. Dem 19-jährigen David Unger glückte es, seine Mutter und Schwester sowie sich selbst zu verbergen. Gemeinsam harrten sie in einer Mikwe aus. 423 Zu dieser Zeit lebte Familie Faber in einem Lagerhaus. Zwischen zwei Wänden hatten sie einen Hohlraum entdeckt, den sie für einige Tage als Versteck nutzten: „Wir hatten ein bisschen Wasser. Wir hatten keine sanitären Anlagen. Es war ziemlich schwierig. Aber wir waren froh, am Leben zu sein“ 424, berichtete David Faber. Nach der ersten Deportation war den Ghettoinsassen der grundsätzliche Ablauf einer Aktion bekannt, und so trafen viele Menschen nun Vorbereitungen, um sich vor zukünftigen Maßnahmen retten zu können: „Nach Errichtung des Gettos haben sehr viele Juden begonnen, unter ihren Häusern, in ihren Kellern, in danebenliegenden Grundstücken, in Häusern usw. bunkerartige Verließe zu bauen und einzurichten. Im Laufe der Zeit wurden diese Bunker zu immer größeren Verstecken und Gängen ausgebaut. Man kann fast sagen, dass es sich um katakombenähnliche Räume und Gänge gehandelt hat.“ 425 Nachdem die Fabers die erste Deportation im Versteck überlebt hatten, bezogen sie nach der Ghettoerrichtung einen Raum im obersten Dachgeschoss eines Hauses. Romek Faber, von Beruf Ingenieur, war sich im Klaren darüber, dass die Bewohner der oberen Stockwerke während einer weiteren Aktion ein größeres Zeitfenster zur Verfügung haben würden, um sich zu verbergen. Gleich nachdem die Familie das Zimmer bezogen hatte, machte sich Romek auf die Suche nach einer geeigneten Unterschlupfmöglichkeit. Hinter einer Wand konnte er erneut einen Hohlraum ausfindig machen, der sich zwischen dem abgeschrägten Dach und dem Boden befand. Dieser kleine Raum sollte der Familie fortan als Versteck dienen. 426 Die Zahl der Menschen, die sich während einer Vernichtungsaktion in den einzelnen Verstecken befanden, variierte stark, wie das folgende Bei-

422

Vgl. Bericht Renia Froelich, AŻIH, 301/437. Interview mit David Unger, Interviewcode: 10249, Visual History Archive des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education. 424 Dto. mit David Faber, dto.: 10416, ebd. [Übersetzung aus dem Englischen]. 425 Aussage Josef K. v. 27. 2. 1962, BAL, B 162/2150, Bl. 848. 426 Interview mit David Faber, Interviewcode: 10416, Visual History Archive des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education. 423

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spiel zeigt. Salomon Lederberger 427, 1909 geboren, wohnte nach der Ghettogründung mit seiner Ehefrau und seiner kleinen Tochter Felicia im ersten Stock des sogenannten Michalewicz-Arbeiterhauses. 428 Zu diesem Zeitpunkt lebten dort mehrere Familien, insgesamt rund 30 Personen. Bereits nach der ersten Aktion fasste Lederberger den Plan, ein Versteck zu errichten. Dieses wurde rasch gefunden: Neben dem Haupthaus befand sich ein niedrigeres Nebengebäude. Etwa in der Mitte des mit Blech bedeckten Dachs gab es eine Öffnung. Diese diente beispielsweise im Falle von Reparaturarbeiten als Zugang, um zwischen Dach und Decke zu gelangen. Um diesen Eingang zu verdecken, brachte der von Salomon Lederberger beauftragte Klempner Blech an, damit sich der Zugang nicht mehr vom restlichen Dach unterschied und das künftige Versteck somit gut getarnt war. 429 Als das Ghetto im Zuge der zweiten Mordkampagne im September 1942 umstellt wurde, ahnten bereits viele in größter Verzweiflung, was die Deutschen vorhatten: „Die Menschen gingen umher und weinten, andere jagten hin und her und wußten nicht, was sie tun sollten, während wieder andere Bunker für sich errichteten.“ 430 In dieser Situation versammelte Salomon Lederberger die Bewohner des Hauses und offenbarte, dass er ein Versteck errichtet habe. In dieses sollten sich jene begeben, die von den Deutschen keinen Stempel erhalten hatten. Er betonte jedoch auch, dass die Menschen niemandem davon berichten sollten, da der dortige begrenzte Platz nur für die im Haus befindlichen Personen vorgesehen war.431 Später erfuhr er jedoch, dass der gesamte Hausflur voll mit Menschen sei, da die Bewohner auch Bekannten und Verwandten vom Versteck berichtet hatten. Nach Angaben des Überlebenden wollten sich nun mehr als zweihundert Personen im Michalewicz-Haus in Sicherheit bringen. Lederberger verschloss zunächst die Haustür und überlegte hastig, wo er die Wartenden, die nun auf seine Hilfe hofften, unterbringen könnte. Er hatte die Befürchtung, dass die Menschen, sofern er sie nicht unterstützen würde, die Sicherheitspolizei oder den jüdischen Ordnungsdienst informieren könnten, um sich so womöglich selbst doch noch zu retten. Daher machte er sich mit anderen Personen auf die Suche nach weiteren Ver427

Als Salomon Lederberger aus dem Ghetto Tarnów flüchtete, nahm er den Namen Andrzej Białecki an, den er auch nach Kriegsende beibehielt. Vgl. Graber/ Bialecki, Voice, S. XI. 428 Ebd., S. 40 ff. 429 Ebd., S. 40 f. 430 Aussage Aussage Izak I. v. 10. 12.–12. 12. 1945, LNW, 8569, Bl. 111. 431 Graber/Bialecki, Voice, S. 41.

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steckmöglichkeiten. Schließlich fanden sie in einem kleinen Zimmer, das von zwei Schwestern aus Krakau bewohnt wurde, eine kleine Nische, in der eine Leiter stand. Nachdem Lederberger dort hochgestiegen war, entdeckte er einen großen, dachbodenartigen Raum. Dieser schien wie geschaffen, um die wartenden Menschen unterzubringen. Eine Kommode diente dazu, die Nische zu verbergen. Da die beiden Schwestern Angst hatten, im Zuge einer möglichen Entdeckung des Verstecks getötet zu werden, fragte Lederberger ein Mitglied des Judenrats, Józef Fast, der ebenfalls im Haus wohnte, um Hilfe. Fast organisierte ein anderes Zimmer für die beiden Frauen, und da Lederberger niemanden fand, der das freigewordene Zimmer beziehen wollte, erklärte er sich dazu bereit. 432 Ehe die eigentliche Aktion begann, wurden die Wartenden in die Verstecke gebracht. Die Gemeinschaft der im Versteck befindlichen Menschen wurde durch Lederberger und andere versorgt. Von der SS wurden die beiden Verstecke nicht aufgespürt, und so überlebte eine größere Anzahl Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und sozialen Rangs die zweite Mordkampagne in Tarnów. 433 Insgesamt wurden diejenigen, die innerhalb des Ghettos untertauchten, mit ganz unterschiedlichen Schwierigkeiten konfrontiert. Die ständige Angst, entdeckt zu werden, war ein Aspekt. Die Deutschen und ihre Hilfswilligen gingen selbst ganz gezielt auf „Judenjagd“. 434 Wurden Verstecke ausfindig gemacht, erschoss man die darin befindlichen Personen vor Ort oder deportierte sie in die Vernichtung. 435 Aber nicht nur Angst, sondern auch der Mangel an Lebensmitteln und die Frage nach deren Beschaffung war ein großes Problem, das nicht selten zum frühzeitigen Verlassen der Unterschlupfmöglichkeiten führen konnte. Während Verstecke innerhalb des Ghettos dem kurzfristigen Ziel dienten, einer Deportation zu entgehen, beabsichtigten andere mit der Flucht aus dem Ghetto, die eigene Existenz langfristig zu retten. Weitere Menschen bemühten sich, wenigstens ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. So wurde am 18. Dezember 1942 ein zweieinhalbjähriger Junge auf dem Hof der „Albertiner Schwestern“ in der Szpitalnagasse abgelegt. Nach rund zwei Wochen informierten diese 432

Ebd. S. 42–44. Ebd., S. 44 f., 49, 59 f. 434 Jan Grabowski beschäftigte sich exzessiv in seiner regionalgeschichtlichen Studie mit der Thematik „Judenjagd“ im Kreis Dąbrowa Tarnowska und der Beteiligung der örtlichen polnischen Bevölkerung, vgl. Grabowski, Hunt. 435 Goetz, Face, S. 38 f.; Memoir Sara Getzler „Hidden in broad daylight“, USHMM, RG-02.169M, Bl. 29; Aussage Mina F. v. 2. 12. 1962, LNW, 8855, Bl. 2406; Graber/Bialecki, Voice, S. 55. 433

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jedoch die Sicherheitspolizei-Außenstelle, die das Kind von einem Amtsarzt untersuchen ließ. Wie dieser feststellte, handelte es sich bei dem Jungen um ein jüdisches Kind, das anschließend dem Judenrat übergeben wurde. 436 Auch Halina K. wollte ihre vierjährige Tochter Emilia retten, indem sie das Mädchen einem polnischen Kinderheim jenseits der Ghettogrenzen übergab. Am selben Tag, dem 26. Januar 1943, wurde die Mutter von der Sicherheitspolizei festgenommen und nach Auschwitz deportiert. Wenige Wochen später, am 23. April, übergab man ihre Tochter doch wieder dem Judenrat. 437 Generell muss bei der Möglichkeit einer Flucht aus dem Ghetto dessen Lage und Bewachung berücksichtigt werden. Nur in den seltensten Fällen waren Ghettos wie in Warschau hermetisch abgeriegelt. 438 In vielen Orten, vor allem im ländlichen Raum, mangelte es den Deutschen am nötigen Personal dazu. Fluchtversuche in Tarnów, den Quellen nach zu urteilen in der Mehrzahl der Fälle individuell oder mit wenigen anderen Personen realisiert, bildeten keine Einzelfälle, da das Ghetto etwas durchlässiger war. So bestand auch die umgekehrte Möglichkeit, von außerhalb ins Ghetto zu wechseln. Dies gelang Israel K., der im Sommer 1941 von Tarnów in das jüdische Zwangsarbeitslager Pustkow deportiert worden war. Nachdem er im Sommer 1942 von dort fliehen konnte, besuchte er hin und wieder Bekannte in Tarnów, wie er schilderte: „Während meiner illegalen Zeit fand ich auch Wege, Insassen dieses Ghettos [in Tarnów] aufzusuchen. Ich habe dann das Ghetto nie durch eines der vorhandenen Tore betreten, sondern überstieg jeweils einen Zaun in der Nähe des ‚Widok-Geländes‘.“ 439 Auch Familie Fuss und ihre Bekannte Lola, die mit gefälschten Papieren von Reichshof nach Tarnów kamen, hatten keine Schwierigkeiten, ins Ghetto zu gelangen: „Noch leichter war es, in das Getto von Tarnow zu kommen. Am Tor standen vom Judenrat eingesetzte jüdische Wächter, die selbstverständlich nicht versuchten, die Beweggründe von Juden zu erforschen, die in das Getto hineinwollten.“ 440 Ein weiterer wichtiger Faktor, der Einfluss auf eine erfolgreiche Flucht und das Überleben außerhalb des Ghettos hatte, war dessen geographische Lage. In ländlichen Gebieten und kleinen Städten kannten die Einwohner einander, weshalb eine fremde Person rasch deren Aufmerksam436 437 438 439 440

Bericht v. 12. 1. 1943, Ds 62/43, ANK-T, 33/98/30. Dto. v. 7. 5. 1943, Ds 237/43, ebd. Dieckmann/Quinkert, Einleitung, S. 15. Aussage Israel K. v. 15. 4. 1964, LNW, 8855, Bl. 2412. Fuss, Erinnerungen, S. 69.

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keit und Verdacht auf sich zog. Demgegenüber war es in der Regel einfacher, in einer Großstadt unentdeckt zu bleiben. So flüchteten einige Juden aus Tarnów bewusst nach Warschau. Hier konnten sie unerkannt untertauchen. 441 Mitbestimmend für die Möglichkeiten zur Flucht war auch die Umwelt außerhalb des Ghettos. Um fliehen zu können, war häufig die Hilfe ethnischer Polen notwendig. Deren Unterstützung wurde nicht nur zur Beschaffung einer Unterschlupfmöglichkeit sowie von gefälschten Papieren benötigt, sondern auch, um die Menschen später im Versteck mit Nahrung und Wasser zu versorgen und deren Unrat zu beseitigen. Die Kontakte zu ethnischen Polen beruhten in der Mehrheit der Fälle auf langjährigen Bekannt- und Freundschaften oder auf Dienstverhältnissen aus der Vorkriegszeit. Daneben kamen manche Beziehungen auch während der NS-Besatzung an Arbeitsstellen außerhalb des Ghettos zustande. Nicht unerheblich waren in einigen Fällen nicht zuletzt auch ökonomische Motive, die die ethnischen Polen zur Mithilfe veranlassten. Die Deutschen versuchten allerdings durch die Androhung harter Bestrafung, Hilfeleistungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung zu verhindern. So drohte man in der Bekanntmachung vom 9. September 1942, in der die zweite Aktion in Tarnów angeordnet wurde, ethnischen Polen mit der Todesstrafe, sofern diese Juden verstecken sollten: „Jeder Pole, der während und nach der Aussiedlung einen Juden aufnimmt oder versteckt, wird erschossen.“ 442 Diese öffentliche Drohung zeigte ihre Wirkung: „Die im Ghetto eingeschlossenen Juden suchten Hilfe und Schutz. Es war sehr schwer, denn einem Juden zu helfen, wurde mit dem Tod bestraft“ 443, erinnerte sich der Pole Aleksander Dagnan. Aber auch die Juden selbst nahmen einen tiefgreifenden Wandel wahr: „Nur einzelne Menschen (Polen) haben den Juden geholfen. Grundsätzlich fürchteten sich die Polen, den Juden Hilfe zu leisten, da der Kreishauptmann durch Plakate den örtlichen Polen bekannt gemacht hatte, daß jeder, der einen Juden verbirgt, erschos441 Beispielsweise Familie Lederberger, die sich nach erfolgreicher Flucht nach Warschau begab und dort unter falschen Namen im Untergrund lebte. Vgl. Graber/Bialecki, Voice. Auch Daniel Laubert floh mit weiteren aus dem Ghetto in Tarnów und begab sich mit gefälschten Papieren unter dem Namen Michał Duda nach Warschau. Vgl. Interview mit Michał Duda, # 46095, Visual History Archive des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education. 442 Bekanntmachung Kreishauptmann Tarnow zur Durchführung der vom SSPF in Krakau angeordneten Judenaussiedlung v. 9. 9. 1942, abgedruckt in: Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 338. 443 Erinnerungen Aleksander Dagnan, in: Muzeum Okręgowe w Tarnowie, Wspomnienia, S. 10 [Übersetzung aus dem Polnischen].

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sen wird. […] Infolge dieser Bekanntmachungen haben sogar anständige Polen aus ihren Wohnungen die Juden hinausgetrieben, welche infolgedessen in die Hände der Gestapo […] gerieten.“ 444 Ähnliches schilderte Josef D.: „Sie [die Verordnung des Kreishauptmannes] hatte damals für eine ganze Reihe von Juden tödliche Folgen. […] Ich kannte eine jüdische Ärztin namens S. Sie hatte mir damals weinend erzählt, daß ihre Mutter von Polen versteckt gehalten worden war. Die Polen hatten dann aus Angst vor der Androhung in der Bekanntmachung ihre Mutter auf die Straße gesetzt. Sie kam um.“ 445 Josef D. wollte sich selbst während der zweiten Aktion in einer Holzkammer eines ethnischen Polen verstecken. Im Zuge der deutschen Bekanntmachung war sein Helfer jedoch derart verängstigt, dass er ihn aufforderte, das Versteck so schnell wie möglich zu verlassen. Josef D. schlussfolgerte: „Ich bin überzeugt, daß es sehr vielen Juden so gegangen ist […]. Durch die Bekanntmachung sind zahlreiche an sich gutwillige Polen eingeschüchtert worden und haben Juden preisgegeben oder die Aufnahme verweigert. Das war uns damals bekannt.“ 446 Angesichts der deutschen Drohungen zerbrachen vielfach selbst feste soziale Bindungen zwischen Juden und ethnischen Polen, da aufgrund der Furcht vor Bestrafung Hilfe abgelehnt oder nachträglich widerrufen wurde. 447 Die deutsche Verordnung hatte allerdings nicht nur Auswirkungen auf das Verhalten und Handeln der ethnischen Polen. Künftig musste auch die jüdische Bevölkerung wachsamer sein. Unsicherheit prägte nun mehr denn je den Alltag. Niemand konnte sich mehr sicher sein, nicht plötzlich aus dem Versteck verwiesen oder denunziert zu werden. Dies geschah einem 14-jährigen Jungen, der Anfang Dezember 1942 im Eisenbahnpark, rund 40 Meter von der Krakauer Straße entfernt, ermordet aufgefunden wurde. In einem Polizeibericht über den Vorfall hieß es: „Der Kleidung und dem äußeren Aussehen nach, war die Leiche ein Jude. Der benachrichtigte Judenrat hat die Leiche auf den jüdischen Friedhof herübergeschafft, wo die Beerdigung stattfindet. […] Aus den durchgeführten Ermittlungen geht hervor, daß der Tote aus Tarnow stammte und am 6. 12. 1942 in den Abendstunden nach Tarnow kam, wahrscheinlich zur un-

444

Aussage Izaak I. v. 6. 8. 1967, BAL, B 162/2166, Bl. 4281. Dto. Josef D. v. 1. 12. 1967, ebd., Bl. 4430. 446 Ebd., Bl. 4431. 447 Grabowski merkte hierzu jedoch an, dass beim Auffinden von Juden die christlichen Helfer nicht selten verschont wurden, ja sogar eine Belohnung, in der Regel die Kleidung der jüdischen Opfer, erhielten. Vgl. Grabowski, Hunt, S. 56. 445

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bekannter [sic] Person, bei der er sich unbefugt aufhielt. Aus Angst vor Entdeckung, daß er einem Juden unbefugt Unterschlupf gewährt, führte er ihn unter irgendeinem Vorwand in den Eisenbahnpark, wo er ihn ermordete.“ 448 Die deutschen Besatzer versuchten die ethnischen Polen allerdings nicht nur einzuschüchtern, sondern schufen durch ein System finanzieller Belohnung auch Anreize für Hinweise, die zur Festnahme von Versteckten führten. 449 So erhielt beispielsweise ein ethnischer Pole für die Denunziation einer Frau und eines Mannes, die mit gefälschten Papieren in der Stadt lebten, 500 Złoty von der Sicherheitspolizei. 450 Auch eine fünfköpfige Familie, die aus Warschau stammte und sich mit falscher Identität in Tarnów aufhielt, wurde am 20. August 1943 festgenommen. Auch deren Verhaftung erfolgte höchstwahrscheinlich aufgrund einer Denunziation. 451 Gerade in der Nähe des Ghettos mussten sich auf der Flucht befindliche Menschen sehr in Acht nehmen: Hier warteten häufig die sogenannten Szmalcowniks, um Juden aufzuspüren und sie dann zu erpressen. 452 Trotz des deutschen Versuchs, die ethnischen Polen massiv einzuschüchtern oder durch Belohnungen sogar dazu zu bewegen, flüchtige Juden zu denunzieren, sind Beispiele für konkrete Hilfeleistungen ethnischer Polen überliefert. Sie halfen bei der Flucht, durch die Beschaffung gefälschter Papiere und eines Verstecks oder aber durch die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs. 453 Obgleich sich die Quellenlage zu der Thematik schwierig gestaltet, existieren einige Hinweise auf solche Rettungsversuche vor allem in Überlieferungen der israelischen Gedenkstätte Yad 448

Bericht v. 12. 12. 1942, Ds 88/43, ANK-T, 33/98/30. Vgl. auch Tec, Light, S. 41. 450 Schreiben Sicherheitspolizei-Außenstelle Tarnow betr. Anzeige wegen Aufenthaltes von Juden in Tarnow v. 20. 11. 1944, USHMM, RG-11.001M, reel 83, Bl. 6. 451 Bericht v. 25. 5. 1944, Ds 194/44, ANK-T, 33/98/35. 452 Kornbluth, Sentenced, S. 77. 453 Emmanuel Ringelblum schrieb hierzu: „Diese Bedrohungen und Belohnungen erzielten jedoch nicht immer die gewünschte Wirkung. In kleinen Städten, wo Juden mit der christlichen Bevölkerung für Jahrhunderte in Harmonie gelebt hatten, fanden Juden Zuflucht bei polnischen Nachbarn, Freunden und Bekannten, die sie seit langen Jahren und sogar über Generationen gekannt hatten und befreundet waren. […] Allerdings hing die Länge der Zeit, in der es möglich war, einen Juden weiterhin zu verstecken, von zwei Dingen ab – dem deutschen Terror und der umgebenden Atmosphäre. Wo die Umwelt mit Antisemitismus bereits vor dem Krieg infiziert war, stellte das Verstecken von Juden große Schwierigkeiten dar und Denunziationen durch antisemitische Nachbarn waren gefürchteter als der deutsche Terror.“ Ringelblum, Relations, S. 137 f. [Übersetzung aus dem Englischen]. 449

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Vashem 454, die Ehrungen christlicher Menschen betreffen, die sich während des Zweiten Weltkriegs für die Rettung von Juden einsetzten. 455 Auch in Tarnów unterstützten einige christliche Polen Juden, allerdings war gerade das Verstecken eine der riskantesten Formen, Hilfe zu leisten, was vor allem mit der Gefahr zusammenhing, von anderen entdeckt und anschließend an die Sicherheitspolizei verraten zu werden. Derartige Erfahrungen musste Jozef B. und dessen Tochter Irma machen. 1942 halfen sie insgesamt fünf Personen, darunter zwei Männer, zwei Frauen sowie ein Kind, aus dem Ghetto in einen Bunker zu fliehen, der sich in ihrem Gartenhaus befand. Obgleich die Gruppe ihr Versteck aus Angst vor Entdeckung nur äußerst selten verließ, war die deutsche Polizei über die Beherbergung der Juden informiert worden. Ein Freund der Familie warnte diese jedoch und so gelang es, die Menschen rechtzeitig aus dem Versteck zu holen, ehe sie aufgespürt werden konnten. Nachdem die Suche der Deutschen beendet worden war, kehrten die fünf Personen in den Bunker zurück. 456 Auch der christliche Pole Jerzy P. unterstützte seine Bekannte Blanka G., die er bereits aus der Vorkriegszeit kannte. Er hatte als Untermieter 454

YVA, Archiv der Righteous Among the Nations-Abteilung. Im Jahre 1953 verabschiedete das israelische Parlament, die Knesset, das sogenannten Yad-Vashem-Gesetz, welches die Gründung einer staatlichen Institution zu Erinnerung an die Märtyrer und Helden der Shoah vorsah. Schließlich wurde Yad Vashem auf dem Jerusalemer Gedenkhügel (Har HaZikaron) gegründet. Eine primäre Aufgabe war und ist die Ehrung sowie die Erinnerung an die „Gerechten unter den Völkern“ („Righteous Among the Nations“). Zu Beginn der 1960er Jahre initiierte Yad Vashem ein autonomes öffentliches Komitee, welches sich aus 35 Mitgliedern zusammensetzt und über die Vergabe des Titels entscheidet. Das Komitee besteht aus ehrenamtlichen Mitgliedern des öffentlichen Lebens, sowie Historikern, Juristen und Überlebenden des Holocaust. Die Antragsstellung und -beurteilung zur Vergabe des Titels des Gerechten unterliegt einem komplexen Entscheidungsprozess, der in mehreren Phasen verläuft: Zunächst werden zum eingehenden Fall Informationen zusammengetragen. Für jeden Antrag wird ein zuständiger Sachbearbeiter, der Mitglied des Komitees ist, berufen. Der Sachbearbeiter nimmt nun Zeugenaussagen zu Protokoll; zudem werden auch notariell beglaubigte Aussagen aus dem Ausland hinzugezogen. Soweit der Sachbearbeiter die Meinung vertritt, dass genügend glaubwürdige Informationen zum betreffenden Fall zusammengetragen worden sind, wird der Fall einem der Unterkomitees vorgelegt, das auf der Basis der Auswahlkriterien über die Vergabe zur Auszeichnung entscheidet. Das Direktorium von Yad Vashem nimmt hingegen keinerlei Einfluss auf die Entscheidung des Komitees. Vgl. Gutman/Bender/Krakowski, Encyclopedia, S. XIV; Gutman/ Fraenkel/Borut, Lexikon, S. 16 f. 456 Gutman, Encyclopedia, S. 70 f. 455

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im Haus ihrer Eltern gelebt und war daher mit der jüdischen Familie bereits seit Längerem bekannt. Während sich Blanka in der Zeit der ersten Vernichtungsmaßnahme in Tarnów in einem Bunker versteckt hielt, überlebten ihre Eltern und ihre Tante diese Aktion nicht. Jerzy P. und dessen Familie legten ihr nahe, aus dem Ghetto zu flüchten und bei ihnen unterzukommen. Kurze Zeit nach der ersten Aktion gelang dies. Blanka überlebte die Shoah und verließ nach Kriegsende die Stadt. 457 Abhängig war die Flucht aus dem Ghetto jeweils auch von persönlichen Faktoren des Einzelnen. So dürfte bereits die Entscheidung, ob eine Flucht aus dem Ghetto gewagt werden sollte, für die Betroffenen sehr schwer gewesen sein. Nicht nur Bekanntes musste zurückgelassen, sondern auch alte Gewohnheiten und die eigene Identität aufgegeben werden. Jenseits der Ghettomauern wartete eine weitgehend unbekannte Existenz. 458 Für die zur Flucht entschlossenen Menschen war es wichtig, in einem guten physischen und psychischen Zustand zu sein, um die Anstrengungen einer Flucht und eines Lebens in der Illegalität überhaupt ertragen zu können. Auch waren finanzielle und materielle Ersparnisse notwendig, um gefälschte Papiere erwerben und eine künftige Unterkunft in einem christlichen Haushalt bezahlen zu können. Ein christliches Äußeres war vorteilhaft, um nach einer geglückten Flucht aus dem Ghetto für einen längeren Zeitraum unentdeckt leben zu können. Es gab effiziente Methoden, um sein Äußeres christlicher wirken zu lassen, wie das Färben der Haare. 459 So berichtete Samuel Goetz über einen Bekannten, der sich sein Haar heller färbte. Ungeachtet dessen war Goetz jedoch skeptisch gegenüber dem nichtjüdischen Aussehen seines Bekannten: „Trotz des Wechsels der Haarfarbe, machte es Fleischman’s Erscheinung ihm schwierig, sich als katholischer Pole auszugeben. Dennoch war er optimistisch, die Stadt Lwow zu erreichen, wo er unbekannt war und wo er hoffte, sich in die Bevölkerung zu integrieren. Er war sich sicher, dass er überleben würde, und, einige Tage später, verschwand er 457

Bericht Hubert Poetschke, AŻIH, 349/24/2245, Bl. 3. Kwiet/Eschwege, Selbstbehauptung, S. 152. 459 Ähnlich berichtet Gizela Fudem (geborene Grünberg), dass sie sich zur Fluchtvorbereitung aus dem Ghetto Tarnów die Haare heller färbte. Vgl. Interview mit Gizela Fudem, Interviewcode: 7896, Visual History Archive des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education. Auch Maria Malinowska (Mädchenname: Rachela Markus) gibt an, dass sie sich die Haare vor ihrer Flucht aus dem Ghetto blondierte. Vgl. Interview mit Maria Malinowska, Interviewcode: 18178, Visual History Archive des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education. 458

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aus dem Ghetto und ich sah ihn nie wieder.“ 460 Auch körperliche Merkmale wurden nun als hinderlich für eine Flucht empfunden. Der Überlebende Naftali Fuss, der mit seinen Eltern sowie der Bekannten Lola aus dem Ghetto Tarnów flüchten wollte, erinnerte sich: „Ihre Nase war etwas groß. Früher hatte ich immer gedacht, sie passe gut zu ihrem schönen Gesicht, aber nun erschien sie mir ein wenig sehr jüdisch.“ 461 Aber nicht nur Lolas vermeintlich jüdisches Aussehen bereitete Naftali Sorgen, sondern auch ihr trauriger Gesichtsausdruck, der vor allem bei möglichen Kontrollen verdächtig wirken konnte. 462 Grundsätzlich war es jedoch für die Deutschen schwieriger, jüdische Frauen rein anhand physischer Merkmale zu identifizieren. Jüdische Männer hingegen gingen sogar so weit und ließen ihr Geschlechtsteil operieren, um die Beschneidung unkenntlich zu machen. 463 Auch die polnische Sprache fließend ohne jeglichen Akzent zu beherrschen, war wichtig, um sich jenseits der Ghettomauern unauffällig bewegen zu können. 464 Äußere Faktoren wie Aussehen, Auftreten und Sprache wurden dann zweitrangig, wenn sich die aus dem Ghetto geflohene Person unmittelbar in ein in der Stadt befindliches Versteck begab, so wie im folgenden Fall: Als die Deutschen Polen besetzten, war Lila M. sechs Jahre alt. Ihr Vater besaß vor 1939 eine Lederfabrik in Tarnów. Ein christlicher Angestellter ihres Vaters mit Namen Strzałkowski half der Familie nach der ersten Aktion, das Ghetto zu verlassen. Um die Familie bei sich verstecken zu können, hatte Strzałkowski einen kleinen Bunker eingerichtet, indem er einen seiner zwei Räume mit einer doppelten Wand ausgestattet hatte. Durch eine kleine Öffnung, die durch einen Nachttisch verdeckt wurde, war es möglich, die Versteckten mit dem Nötigsten zu versorgen. Dies gelang jedoch nicht immer, da im gleichen Haus auch einige Deutsche wohnten, sodass die Familie mehrere Male Hunger und Durst leiden musste. Als Lilas Bruder an Typhus erkrankte, war die Familie überzeugt, dass er nicht überleben würde. Schließlich konnte kein Arzt aufgesucht werden. Alles in allem versteckte sich die Familie erfolgreich knapp zweieinhalb Jahre im Bunker. Auch der Sohn der Familie überlebte seine schwere Krankheit. 465 Ein außergewöhnliches Versteck wurde nicht zuletzt in der sogenannten

460 461 462 463 464 465

Goetz, Face, S. 47 [Übersetzung aus dem Englischen]. Fuss, Erinnerungen, S. 77. Ebd. Kornbluth, Sentenced, S. 77. Chomet, Zagłada, S. 64. Bericht Lila Mittler, AŻIH, 301/4022.

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Dagnan-Mühle in Tarnów errichtet, die den Christen Augustyn und Antoni Dagnan gehörte. Markus David Unger, 1902 geboren, war vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Geschäftspartner der Brüder gewesen. Er hatte die Bäckereien der Stadt mit Mehl aus der Mühle beliefert. 466 Unter deutscher Besatzung war Unger weiterhin dort beschäftigt, jedoch nunmehr als Leiter der mechanischen Abteilung. 467 Unger, der täglich das Ghetto verlassen konnte, um seine Arbeitsstelle aufzusuchen, erfuhr eines Tages, dass ein Versteck auf dem Dachboden der Mühle errichtet wurde. Zwei polnische Angestellte der Brüder Dagnan bauten eine Wand, sodass der Dachboden nun in zwei Räume geteilt war und auf diese Weise ein wenige Quadratmeter umfassendes Versteck entstand. Maschinenteile und andere Gegenstände wurden vor der Wand platziert, so dass der Eingang des Verstecks verdeckt blieb. Unger gelang es, sich gemeinsam mit seiner Familie der Gruppe anzuschließen, die insgesamt neun Personen umfasste. Lebensmittel erhielten die Menschen zunächst von ethnischen Polen, die über das Versteck Bescheid wussten. Als dies nicht mehr gegeben war, suchten sie in der Mühle nach Essbarem, wo sie unter anderem Gerste und Mehl fanden. Da die Gruppe einen kleinen Kocher besaß, konnte sie die Lebensmittel im Versteck zubereiten. Über zwei Jahre hielt sich die Gruppe auf dem Dachboden der Mühle versteckt, bis sie im Januar 1945 schließlich von sowjetischen Truppen befreit wurde. 468 Israel Unger schrieb in seinen Memoiren über diesen lang ersehnten Moment: „Ich sah drei sowjetische Soldaten. […] Ich kann nicht ausdrücken, wie überglücklich wir waren, ein unbeschreibliches Gefühl der Erleichterung gemischt mit Freude, die sowjetischen Soldaten zu sehen. Ich stürzte hinaus, um sie zu begrüßen und fiel die Treppe vom Dachboden hinunter. Ich weiß nicht, ob es geschah, weil ich vergessen hatte, wie man auf der Treppe läuft oder weil ich so schwach war. Ich fand mich gleich neben den drei Soldaten wieder. Ich legte meine Arme um die Beine desjenigen, der mir am nächsten war und küsste seine Stiefel!“ 469 Nicht so glücklich verlief es für Renate Grossmann, die als 15-jährige ihre Flucht aus dem Ghetto plante. Zur damaligen Zeit arbeitete sie in einer Bekleidungsfabrik, wo sie mit der Ausbesserung von Uniformen beschäftigt war. Ein polnischer Bauer, der täglich in die Fabrik kam, um Kohle zu verkaufen, versprach ihr Hilfe und wollte ihr gefälschte Ausweis466 467 468 469

Gammon/Unger, Diary, S. 1, 9. Aufstellung der beschäftigten Arbeiter, MO-T, MT-AH/DH/1148II/79. Gammon/Unger, Diary, S. 9–21. Ebd., S. 21 [Übersetzung aus dem Englischen].

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dokumente besorgen: „Sein Name war Antek, und er plante, mir zu helfen auf einen Transport mit polnischen Mädchen zu gelangen, die nach Deutschland zur Arbeit reisen würden.“ 470 Als Gegenleistung erhielt er eine goldene Uhr, Schuhe sowie Kleidung. Eines Nachts stieg Renate über den Ghettozaun, wo Antek auf sie wartete und sie zu einem Bauernhaus mitnahm. Er schloss sie auf dem Dachboden ein und versprach dem jungen Mädchen, am Folgetag zurückzukehren, was er jedoch nicht tat. Vielmehr überließ er sie ihrem Schicksal: „Am nächsten Tag war es eiskalt, und ich wartete auf ihn, damit er kommt, aber er zeigte sich nicht. Ich weiß nicht, wie viele Tage und Nächte ich eingesperrt war. Ich rief, aber vergeblich, und ich wurde immer schwächer aufgrund des Mangels an Nahrung und der Kälte. Eines Nachts hörte ich Schritte, die Treppe heraufkommend. Kaum noch am Leben sah ich einen Mann mit einer Petroleumlampe über mir stehend, der wissen wollte, was ich bei ihm mache. Nicht im Stande zu antworten, warf er einen Blick auf mich und brachte mir Schnaps und etwas Wasser. Er wurde sehr wütend, als es mir langsam gelang, ihm zu erzählen, was passiert war. Er sagte mir, dass ich seinen Bauernhof sofort zu verlassen habe, da er nicht sein Leben für mich riskieren würde. Er hatte den Bauern Antek gesehen, der mir helfen sollte. Er hatte all meine Sachen verkauft und lag betrunken in der Gosse, ohne die Absicht, mir mit der Flucht zu helfen.“ 471 Im Gegensatz zu Renate Grossmann, die nicht freiwillig ins Ghetto zurückkehrte, entschieden einige andere aus diversen Motiven, das Leben außerhalb des Ghettos aufzugeben. Ester L., die aus Neu-Sandez floh, als das dortige Ghetto liquidiert wurde, gelang es mit Hilfe eines Pfarrers, die Stadt zu verlassen und nach Tarnów zu reisen. Dort angekommen, fühlte sie sich allerdings derart fremd, dass der Eindruck aufkam, nicht unter christlicher Identität leben zu können. Daher entschloss sie sich, ins Ghetto zu gehen, wo auch ihre gesamte Familie wohnte. 472 In einer ähnlichen Situation befand sich Samuel Goetz, der im Oktober 1942 entschloss, aus dem Ghetto zu fliehen. Er bat sein ehemaliges christliches Kindermädchen Tekla um Mithilfe, die ihm die Kennkarte sowie die Geburtsurkunde ihres Sohnes überließ. Nachdem er aus dem Ghetto geflohen war, begab er sich mit der Hilfe Teklas zu ihrer polnischen Bekannten, die ihm ein kleines möbliertes Zimmer bereitstellte. Tekla kam täglich vorbei, um ihn mit Lebensmitteln zu versorgen, wobei jedoch stets Vorsicht geboten war: „Wir 470 471 472

Grossmann, Survival, S. 21 [Übersetzung aus dem Englischen]. Ebd., S. 21 f. [Übersetzung aus dem Englischen]. Aussage Ester L. (undat.), BAL, B 162/2149, Bl. 224.

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führten unsere Gespräche im Flüsterton, da jedes Geräusch den Nachbarn meine Anwesenheit verraten hätte können.“ 473 Kurz Zeit nach der dritten Vernichtungsmaßnahme fasste Samuel jedoch den Entschluss, ins Ghetto zurückgehen: „Die Aktion, die dritte in den letzten vier Monaten gegen die Juden in Tarnow, war einstweilen vorbei. Ich blieb bei der polnischen Dame und ihrem Baby für ein paar Wochen, aber ich war einsam und erwog, ins Ghetto zurückzukehren, um das Schicksal der übrigen Juden in Tarnow zu teilen.“ 474 Ähnliches widerfuhr auch Gizela Fudem. Mit der Hilfe eines Bekannten gelang ihr die Flucht aus dem Ghetto. Nur wenig später deportierten die Deutschen ihre Eltern und ihren Bruder nach Belzec. Da ihre Schwester, die einzige Überlebende der Familie, sie bat, zu ihr zurückzukommen, fasste Gizela den Entschluss, ihr Versteck zu verlassen und ins Ghetto zurückzukehren. 475 Alles in allem stellte die Flucht aus dem Ghetto ein gefährliches Unterfangen dar, denn es war gerade in einer Stadt mittlerer Größe nicht einfach, als versteckt lebender Jude zu überleben. Die Gefahr, von Deutschen aufgespürt zu werden, war groß und ständig präsent. So wurden im Sommer 1943 fünf Juden, die sich als ethnische Polen getarnt hatten und entdeckt wurden, von Oppermann und Grunow ins Ghetto zurückgebracht, wo sie öffentlich erschossen wurden. Diese kaltblütige Inszenierung sollte als Abschreckung dienen. 476 Aber auch in den Verstecken waren die Menschen mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert. Der Mangel an Lebensmitteln, die unzureichende medizinische Versorgung, verheerende hygienische Zustände und die immerwährende Angst vor Entdeckung stellten eine körperliche und seelische Belastung dar, die allein durch den Willen zu überleben überhaupt nur ertragen werden konnte. 3.3 Das Ende Mitte Mai 1943 fand unter Leitung des SSPF Scherner eine Besprechung statt, an der Blache, der Leiter der Sicherheitspolizei-Außenstelle Tarnów, Josef Palten, sowie ein Vertreter des KdS Krakau teilnahmen. Scherner kündigte bei dieser Unterredung an, dass für Anfang September die vierte Mordkampagne und damit die endgültige Liquidierung des Ghettos in 473

Goetz, Face, S. 48 [Übersetzung aus dem Englischen]. Ebd., S. 49 [Übersetzung aus dem Englischen]. 475 Interview mit Gizela Fudem, Interviewcode: 7896, Visual History Archive des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education. 476 Schreiben ZSt. Dortmund an Untersuchungsrichter beim LG Bochum betr. Voruntersuchung gegen Karl Oppermann u. a. wegen Mordes v. 21. 9. 1967, BAL, B 162/2166, Bl. 4346. 474

Das Ende

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Tarnów geplant sei. Anscheinend bat der SSPF zunächst Blache, die Aktion zu führen, der sich der Aufgabe aber offenbar nicht gewachsen fühlte. Daraufhin ordnete Scherner an, dass SS-Untersturmführer Amon Leopold Göth, damaliger Leiter des Zwangsarbeitslager Krakau-Plaszow, die Leitung übernehmen solle. Ende August trafen sich die Verantwortlichen erneut in Krakau, um Einzelheiten der geplanten Vernichtungsaktion zu besprechen. 477 Mit aller Wahrscheinlichkeit stand zu diesem Zeitpunkt das exakte Datum der Ghettoauflösungen im Distrikt noch nicht fest. Nach Angaben Blaches erhielten die SS- und Polizeidienststellen in Tarnów erst am 1. September aus Krakau die Benachrichtigung, dass die Aktion bereits am Folgetag beginnen sollte. 478 Während die deutschen Dienststellen vor Ort die bevorstehende Auflösung des Ghettos planten, wurden im rund 80 Kilometer entfernten Krakau Vorbereitungen getroffen, um etwaige „Störfaktoren“ auszuschalten. Am Abend des 1. September wurden Julius Madritsch und dessen Mitarbeiter Raimund Titsch zu einem Abendessen in die Villa des Lagerkommandanten Göth in Krakau-Plaszow geladen. „Mit gemischten Gefühlen“ kamen beide der Einladung nach. Über die Begrüßung durch Göth schrieb Madritsch in seinen Memoiren: „Unser Unterbewußtsein hatte uns nicht getäuscht. Gleich mit den ersten Begrüßungsworten wurde uns freundschaftlich eröffnet, ‚daß heute Nacht die Umsiedlung aller Juden des Distriktes Krakau zur Durchführung gelange und wir bis zum Morgen bei ihm zu Gast bleiben müßten‘.“ 479 Göth verabschiedete sich und überließ Madritsch und Titsch der Bewachung durch zwei SS-Männer. 480 Für die beiden begann eine ungewisse Nacht: „Die Stunden bis zum Morgen, wir werden sie nie vergessen. Sie waren uns eine Qual, denn wir durften nicht zeigen, wie es in uns aussah, noch weniger von dem sprechen, was uns mit so viel Bangen erfüllte.“ 481 In Tarnów ahnten die Ghettobewohner noch nichts vom Bevorstehenden, obwohl schon im August Gerüchte über eine Auflösung des Ghettos kursiert waren. 482 Für die Geheimhaltung hatten die Deutschen umfassend gesorgt: „Es sollte vermieden werden“, so Blache, „die Juden auf den Abtransport in Vernichtungsläger [sic] aufmerksam zu machen, sie sollten möglichst ahnungslos bleiben.“ 483 477 478 479 480 481 482 483

Urteil LG Bochum v. 30. 4. 1964, in: JNSV, Bd. 20, Lfd. Nr. 571, S. 122. Vern. Hermann Blache v. 18. 9. 1962, BAL, B 162/2152, Bl. 1309. Madritsch, Menschen, S. 20. Ebd. Ebd. Goetz, Face, S. 52. Vern. Hermann Blache v. 18. 9. 1962, BAL, B 162/2152, Bl. 1309.

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Vernichtung

Am frühen Morgen des 2. September wurde das Ghetto von Polizeieinheiten, Angehörigen des Sonderdiensts, der Waffen-SS des Truppenübungsplatzes Debica und ukrainischen Hilfswilligen umstellt. Nachdem die Absperrung zwischen beiden Ghettobereichen entfernt worden war, mussten sich die jüdischen Arbeiter gegen fünf Uhr auf dem Magdeburger Platz sammeln und sich gemäß ihrer Arbeitsgruppen aufstellen. Nun war auch den hilflosen Menschen klar, dass dies kein Morgen wie jeder andere war. Die Judenratsvorsitzenden Lehrhaupt und Volkmann wandten sich an Blache, der ihnen jedoch nur zu verstehen gab, dass die Arbeiter verlegt werden würden. 484 Nachdem sich die Arbeitsgruppen versammelt hatten, begann eine Selektion, die lediglich unter den im Zwangsarbeitslager, dem Ghetto A, befindlichen Personen umgesetzt wurde. Die Insassen des Bereichs B waren von vornherein zur Deportation bestimmt. 485 Die Art, wie die Selektion an diesem Morgen verlief, erzeugte unter den Ghettoinsassen große Beunruhigung, wie Abraham B. feststellte: „Wir mußten alle nach Arbeitsstellen in Kolonnen auf dem Magdeburger Platz antreten. Ich selbst gehörte zur Sanitätskolonne. Man dachte damals, daß einige Arbeitsgruppen sicher zur Arbeit ausgesiedelt werden würden, andere dagegen zur Vernichtung. Ein Anzeichen dafür, daß die Sanitätskolonne keine ‚sichere Gruppe‘ war, war für mich, daß ihr Leiter Fast die Gruppe plötzlich verließ. Ich bemerkte auch, daß gewisse ‚prominente‘ Tarnover [sic] Juden in eine bestimmte Richtung gingen.“ 486 Abraham B. gelang es, sich in eine Arbeitsgruppe zu schmuggeln, die nicht für den Transport nach Auschwitz bestimmt war.487 Auch dem Überlebenden Salomon H. war bereits während der Selektion bewusst, dass die überwiegende Zahl der Menschen ermordet werden würde: „Als ich merkte, in welcher Weise die Aussiedlung vor sich ging, lief ich von meiner Gruppe fort. Zur Ergänzung möchte ich hierbei anführen, dass Blache zunächst erklärt hatte, wir würden in das Arbeitslager Plaszow überführt werden. Auf Grund der Tatsache, dass unter den nach Plaszow anzutransportierenden Personen sowohl 484

Ebd., Bl. 1310; Bericht Lieba Tiefenbrun, AŻIH, 301/1182; Aussage Hinda S. v. 15. 7. 1946, OKŚZpNP Kr, Bd. 15, Bl. 34, Chomet, Zagłada, S. 73. 485 Aussage Moses S. v. 25. 6. 1974, LNW, 9107, Bl. 158; dto. Leon L. v. 7. 2. 1962, BAL, B 162/2151, Bl. 1048; Bericht Samuel Gruenkraut, AŻIH, 301/1090; Chomet, Zagłada, S. 74 ff.; Aufzeichnungen Josef K. „Die Epoche des Hitlerismus in Tarnów“ v. 14. 3. 1946, BAL, B 162/2151, Bl. 1022; Interview mit William Kornbluth, Interviewcode: 568, Visual History Archive des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education; dto. Klara Pradelski, dto.: 28496, ebd. 486 Aussage Abraham B. v. 27. 3. 1974, LNW, 9107, Bl. 32. 487 Ebd.

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alte, arbeitsunfähige Menschen als auch Kinder waren, wusste ich, dass diese Gruppe niemals nach Plaszow kommen würde, sondern für die Vernichtung in Auschwitz oder in einem anderen Vergasungslager vorgesehen war. Dies war der Grund, dass ich fortrannte, und zwar lief ich in das am Magdeburger Platz liegende Gelände der Kistenfabrik Singer.“ 488 Als die Aktion bereits begonnen hatte, kam Julius Madritsch in Tarnów an: „Um 5 Uhr morgens waren wir wieder frei. Titsch übernahm die Sichtung der Aufgaben, die unsrer in Krakau harrten, ich fuhr mit meinem Wagen sofort nach Tarnow. In Bochnia machte ich kurzen Halt, um zu erkunden, was sich dort in der letzten Nacht zugetragen hatte. Ich sah dort den Stabschef Haase und den SD-Mann H[…] ihres Amtes walten und fuhr, um nicht zuviel Zeit zu verlieren, sogleich zu meinen Leuten nach Tarnow weiter.“ 489 Vor Ort traf Madritsch auf seinen Mitarbeiter Dr. Lenhardt sowie auf Göth. Dieser sicherte auf Bitten Madritsch zu, dass „seinen Leuten“ nichts geschehen werde. 490 Noch an diesem Tag wurden zwischen 7.000 und 8.000 Juden zum örtlichen Bahnhof geführt, von wo sie nach Auschwitz deportiert wurden. 491 Sigmund G. gehörte zu dieser Gruppe; allerdings gelang ihm die Flucht aus dem fahrenden Zug: „Die Türen und Fenster der Viehwaggons waren mit Brettern derart verschlagen u. verdichtet, sodass keine Luft hereinkam. Der Erfolg war, dass die Kinder nach 2 Stunden, die Frauen nach 4–5 Stunden nicht mehr lebten und auch die Männer, gestorben von Erstickung. Ich sah aus dem Fenster (es gelang uns, in diesem Waggon die Bretter wegzureissen und die Eisengitter auseinander zu biegen, sodass der Kopf nach Außen durchkam) den Eisenbahnknotenpunkt Skawina, sodass feststand dass wir nach Auschwitz gehen. Zu dieser Zeit waren in meinem Waggon schon ca. 90 % Tote. Drei von uns packte die Idee aus dem Fenster zu springen. Ich sprang als zweiter.“ 492 Sigmund G., der während der Flucht schwer verletzt wurde, versteckte sich während der Nacht zunächst bei einem Bauern und begab sich anschließend nach Krakau. Von dort aus

488

Dto. Salomon H. v. 15. 1. 1962, BAL, B 162/2150, Bl. 762 f. Madritsch, Menschen, S. 20. 490 Ebd. 491 Chomet, Zagłada, S. 77; Aussage Ignacy P. v. 29. 8. 1946, ebd., B 162/746, Bl. 39. 492 Schreiben Sigmund G. an Institute of Jewish Affairs betr. Tarnower Ghetto v. 6. 12. 1964, LNW, 8477.2, Bl. 2938e. Auch anderen Juden gelang die Flucht. So berichtete die Überlebende Lea Evron, dass auch ihrem Vater die Flucht aus dem Zug Richtung Auschwitz gelang. Vgl. dto. Lea Evron an USHMM v. 3. 11. 1994, USHMM, Acc. 1995.A.0526. 489

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gelangte er nach Ungarn, wo er schließlich im Januar 1945 von den Sowjets befreit wurde. 493 Auch Mina R. konnte aus dem Zug entkommen. Sie sprang ebenfalls, obgleich ihre Schwester sie warnte, dass die Transportbewacher auf sie schießen würden. Im Gegensatz zu Sigmund G. kehrte sie nach der erfolgreichen Flucht jedoch erneut ins Ghetto zurück: „Ich bin dann wieder nach Tarnow zurückgegangen. Ich habe ca. eine Woche für den Weg gebraucht, da ich nur nachts gehen konnte.“ 494 Tagsüber hatte sie sich in Getreidefeldern versteckt, um nicht entdeckt zu werden. 495 Von dem Transport, den die Deutschen nach Auschwitz leiteten, wurde vermutlich eine kleine Gruppe arbeitsfähiger Personen abgesondert, die man weiter Richtung Westen deportierte. So sagte ein Überlebender aus, dass man ihn im Zuge der Ghettoliquidierung in Tarnów über Auschwitz direkt nach Mauthausen brachte. 496 Während der Auflösung des Ghettos waren lediglich 2.000 bis 3.000 Juden als arbeitsfähig eingestufte Personen für einen Transport nach Krakau-Plaszow vorgesehen, der allerdings erst am Freitag, den 3. September 1943, aus Tarnów abgehen sollte. Unter den Menschen befanden sich auch die Arbeiterinnen und Arbeiter von Julius Madritsch. Göth hielt sich an die Zusage, dass den Juden nichts geschehen solle. 497 Einige Arbeiter Madritschs wurden zwar für den Transport nach Szebnie ausgewählt, allerdings gelang es einem seiner Mitarbeiter, diese Menschen zu retten, indem sie aus den Arbeitskolonnen herausgeschmuggelt wurden. 498 Aber auch Madritsch selbst setzte sich während der Ghettoauflösung in Tarnów persönlich für seine Arbeiter ein. So nahm er beispielsweise Wertgegenstände von Klara P. an sich, die er ihr in Plaszow wieder übergab. Einem Arbeiter, der nur unzureichend gekleidet war, schenkte Madritsch seinen Mantel. 499 Bis zum Abtransport ins Lager Krakau-Plaszow waren die Menschen 493 Dto. Sigmund G. an Institute of Jewish Affairs betr. Tarnower Ghetto v. 6. 12. 1964, LNW, 8477.2, Bl. 2938e. 494 Aussage Mina R. v. 4. 7. 1974, ebd., 9107, Bl. 119. 495 Ebd. 496 Aussage Mendel R. v. 15. 7. 1946, OKŚZpNP Kr, Ds 1/70, Bd. 15, Bl. 37; dto. Hela K. v. 17. 7. 1947, USHMM, RG-15.170M, reel 1. 497 Madritsch, Menschen, S. 21; Chomet, Zagłada, S. 76; Aussage Izaak I. v. 7. 12. 1945, OKŚZpNP Kr, Ds 1/70, Bd. 11, Bl. 13; dto. Mendel B. v. 15. 7. 1946, ebd., Bd. 15, Bl. 36; dto. Argand C. v. 19. 11. 1963, LNW, 8855, Bl. 2433. 498 Madritsch, Menschen, S. 21. 499 Interview mit Klara Pradelski, Interviewcode: 28496, Visual History Archive des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education.

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gezwungen, die Nacht auf dem Sammelplatz auszuharren, ehe sie in den Mittagsstunden des Folgetages den Weg zum Bahnhof antreten mussten. Auf den Straßen sammelten sich einige christliche Polen, die das Ereignis verfolgten: „Spät am Nachmittag wurde ich zusammen mit den anderen der ZHF in Richtung des Tarnower Bahnhofs abgeführt. Während wir durch die engen Gassen marschierten, standen Menschen am Bürgersteig; die polnische christliche Bevölkerung beobachtete, wie die letzten Juden Tarnows für immer weggingen.“ 500 Die für den Plaszow-Transport bestimmten Menschen wurden am städtischen Bahnhof in Güterwagen gepfercht, wobei sich rund 80 bis 100 Personen in einem einzelnen Waggon befanden. Als die Deutschen bemerkten, dass eine Frau ihr Kind bei sich hatte, wurde der gesamte Zug nach versteckten Kleinkindern durchsucht. 501 Die gefundenen Kinder, die sich in den Gepäckstücken der Eltern befanden, wurden mit ihren Müttern ins Ghetto zurückgeführt, wo man sie kaltblütig erschoss. 502 Ein Überlebender gab folgende Erinnerung über die furchtbaren Szenen zu Protokoll: „Bei der 4. Aktion kam eine Gruppe nach Auschwitz, während eine zweite Gruppe nach Plaszow kommen sollte. Letztere Gruppe wußte, daß in Plaszow vielleicht bis zum Kriegsende gearbeitet werden konnte. Manche Frauen packten daher ihre Kleinkinder in Rucksäcke und nahmen sie mit zum Bahnhof. Das wurde entdeckt, und die Frauen und Kinder wurden in einer kleinen Mulde im Getto von der Gestapo erschossen.“ 503 Bereits zuvor war es während der unter den Juden auch als „JudenreinAktion“ benannten Liquidierungsaktion zu Gewaltexzessen gekommen, die vor allem durch Göth, jedoch auch durch Blache und andere Täter verübt wurden. 504 Die im jüdischen Krankenhaus befindlichen Patienten wurden auf die Straße genötigt und dort unter anderem von Blache ermordet. 505

500

Goetz, Face, S. 53 [Übersetzung aus dem Englischen]. Bericht Erna Landau, AŻIH, 301/1591; dto. Lieba Tiefenbrun, ebd., 301/1182. 502 Aussage Moses S. v. 25. 6. 1974, LNW, 9107, Bl. 158; Urteil LG Bochum v. 30. 4. 1964, in: JNSV, Bd. 20, Lfd. Nr. 571, S. 126 ff.; Interview mit William Kornbluth, Interviewcode: 568, Visual History Archive des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education; Vern. Hermann Blache v. 18. 9. 1962, BAL, B 162/ 2152, Bl. 1311; Aussage Naftali B.-T. v. 8. 5. 1974, LNW, 9107, Bl. 72. 503 Dto. Herman R. v. 26. 2. 1969, ebd., 9106, Bl. 215. 504 Aussage Salomon H. v. 15. 1. 1962, BAL, B 162/2150, Bl. 763; dto. Sala S. v. 15. 7. 1946, OKŚZpNP Kr, Ds 1/70, Bd. 15, Bl. 35; dto. Joachim K. v. 12. 7. 1946, ebd., Bl. 33. 505 Anklage ZSt. Dortmund v. 21. 11. 1963, BAL, B 162/4695, Bl. 55; Tesse, Żydowski szpital, S. 99. 501

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Darüber hinaus wurden auch jene, die versuchten, sich in die Säuberungskolonne zu retten, vor Ort schwer misshandelt oder gar getötet. 506 Josef K. berichtete über den Überlebenskampf und die vergeblichen Versuche Einzelner, als Familie zusammenzubleiben, Folgendes: „Ich habe gesehen wie Blache mit einer ‚Reitpeitsche‘ auf diejenigen Juden einschlug, die sich bemühten aus einer Gruppe in eine andere zu gelangen in der Meinung, daß diese am Leben bleiben würden. Außerdem wollten die Glieder ein und derselben Familie, die in verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt waren, sich vereinigen und gemeinsam dessen harren, was sie erwartet. Und diese Menschen gerade wurden von den SS-Männern und unter ihnen von Blache geschlagen.“ 507 Den meisten Menschen gelang es nicht, dasselbe Schicksal wie ihre Verwandten zu teilen, wie sich ein Überlebender erinnerte: „Während der Aktion hat Get [sic] auch mich nach Plaszow mitgenommen. Ich wurde von meinem Bruder Heinrich getrennt, der zusammen mit anderen […] nach Auschwitz gebracht wurde.“ 508 Aber auch Menschen, die verzweifelt versuchten, einer Deportation durch Verstecken zu entgehen, wurden bei ihrem Auffinden an Ort und Stelle getötet: „Am 2. IX.1943 wurde bereits um 4 Uhr morgens das Lagerghetto ungewöhnlich stark belebt. Ein Teil war abgeschlossen und durch Gestapo umzingelt. In panischer Angst und Verzweiflung floh alles in die Bunker. Trotz der Gerüchte, daß die Werkstätten unter Schutz stehen, haben die Arbeiter, belehrt durch die Erfahrung, daß das deutsche Wort keinen Wert besitzt, Schutz in den Bunkern gesucht und sich nicht zur Arbeit gestellt. Auch ich versteckte mich im Bunker an der DeckertStr. 7, wo ich bereits ca. 100 Personen antraf. Vorhanden waren im Bunker: Wasser – Karbid usw. Gegen sechs Uhr abends verließ ich mit meinem Mann den Bunker und bereits eine Stunde später entdeckten die Gestapomänner denselben und schließlich auch andere Verstecke, in denen sich die Juden verborgen gehalten haben. Die Gestapomänner liquidierten die Bunker mit Handgranaten und Nebelleuchten, aus denen hunderte von Juden herausgeholt wurden, [die] an Ort und Stelle erschossen worden sind.“ 509 Allerdings kam es während der Auflösung des Ghettos auch zu aktivem Widerstand, der jedoch kaum mehr genauer zu rekonstruieren ist. 510 Meh506 507 508 509 510

Urteil LG Bochum v. 30. 4. 1964, in: JNSV, Bd. 20, Lfd. Nr. 57, S. 126 ff. Aussage Josef K. v. 19. 11. 1963, LNW, 8586, Bl. 2222. Dto. Dr. H. (undat.), ebd., 8553, Bl. 259. Rut G. „Reinigung der Bunker“ (undat.), BAL, B 162/2151, Bl. 1196. Anhand der Quellenlage bleibt ungewiss, ob es sich bei den Menschen, die

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rere Insassen versuchten, sich mit Waffen gegen die Täter zu verteidigen. Durch den Einsatz von Handgranaten konnten die Deutschen den Widerstand jedoch bald niederschlagen. 511 Eine polnische illegale Zeitung berichtete im Oktober über das Aufbegehren in Tarnów: „Am 1. und 2. September wurde in Tarnów das Getto liquidiert. Während der Liquidierung begannen die Juden, sich mit Äxten zu verteidigen. Die Deutschen wandten Granaten an und brachen den Widerstand der kämpfenden Juden. Die erfaßten Juden hatte man an einem Ort gesammelt und auf den Bahnhof geleitet, wo sie zu 150 Menschen in Güterwagen, die mit Karbid und ungelöschtem Kalk bestreut waren, verladen wurden. Nachher wurden die Waggons plombiert, mit Wasser begossen und die Juden zur Vernichtung deportiert. Während dieser Aktion marterte man sie auf barbarische Weise. […] Die Aktion führte die Gestapo und die SS mit Hilfe der polnischen Polizei durch.“ 512 Neben den Transporten, die nach Auschwitz und Plaszow geleitet wurden, deportierte man einige hundert Juden in das Lager Szebnie. 513 Rund 300 Juden – 100 Frauen und 200 Männer – sollten zudem als Säuberungsund Aufräumkommando im Ghetto zurückbleiben. Während der Selektion mussten sie sich auf dem Gelände der Fabrik Singer sammeln. Dieses Restkommando bestand hauptsächlich aus Arbeitern, die bis zu diesem Zeitpunkt in den im Ghetto befindlichen Betrieben tätig gewesen waren. Nach der Ghettoliquidierung wurden sie gezwungen, die Leichen der Getöteten zusammenzutragen. Ein Angehöriger dieser Gruppe, Leon S., der im Herbst 1942 nach Tarnów deportiert worden war, erinnerte sich: „Meine schwierigste Aufgabe war das Aufsammeln der Körper von den Frauen meiner Vetter und ihren Kindern. Ich werde nie mein Entsetzen und meine Trauer vergessen, dies tun zu müssen. Die Körper mit weißen Leinentüchern abgedeckt, brachten wir die Körper zum Friedhof, wo zwei große Gräber etwa je 50 auf 30 Fuß bereits ausgegraben waren.“ 514 Mit welchen erschütternden und traumatisierenden Erfahrungen jeder einzelne Überwährend dieser Aktion aktiv Widerstand leisteten, um Mitglieder bzw. Anhänger der bereits erwähnten Widerstandsbewegung handelte. 511 Nachricht einer polnischen illegalen Zeitung über den aktiven Widerstand der Juden im Getto von Tarnów, September 1943, in: Jüdisches Historisches Institut Warschau, Faschismus, S. 567. 512 Ebd. 513 Aufzeichnungen Josef K. „Die Epoche des Hitlerismus in Tarnów“ v. 14. 3. 1946, BAL, B 162/2151, Bl. 1022; dto. Andrzej B. v. 17. 1. 1961, ebd., B 162/2149, Bl. 327. 514 Bericht Leon Schagrin v. 14. 6. 1981, YVA, O.33/1707, Bl. 12.

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lebende der Shoah sein gesamtes Leben konfrontiert war, lässt sich anhand Aussagen wie dieser erahnen. In der Folge kam dem zurückgebliebenen Säuberungskommando die Aufgabe zu, die nach der Ghettoliquidierung leerstehenden Häuser und Werkstattbaracken zu räumen und Maschinen, Arbeitsgeräte sowie den zurückgelassenen Hausrat zu sortieren 515: „Die verbliebene Gruppe arbeitete intensiv und sortierte die verbliebenen Sachen (wie Bettzeug, Wäsche Konfektion, Kleidung und Schuhwerk) verpackte und transportierte sie nach der Eisenbahnstation, von der täglich etwa 10 Waggons abgefertigt wurden“ 516, erinnerte sich ein Überlebender. Die Angehörigen des Säuberungskommandos waren in zwei Gebäuden in der Szpitalnastraße untergebracht, wo sie nach ihrer Rückkehr von der Arbeit am Abend stets eingeschlossen wurden. Bewacht wurden die Insassen höchstwahrscheinlich von unter deutscher Aufsicht stehenden Trawniki-Männern. Diese hatte SSPF Scherner im Mai 1943 bei seinem Pendant in Lublin, Odilo Globocnik, angefordert. 517 Jeden Morgen mussten die Juden auf dem Appellplatz antreten, wo Blache sie aufforderte, „inzwischen aufgefundene Wertgegenstände auf einem Tisch, der auf dem Platz stand, abzulegen.“ 518 Er führte auch stichprobenweise Durchsuchungen der Kleider und Leibesvisitationen durch. 519 Um sicherzustellen, dass sich niemand mehr im Ghetto verborgen hielt, wurde das gesamte Gelände durch Blache und Angehörige des jüdischen Ordnungsdiensts durchsucht. 520 Zahlreiche Bunker, in denen sich verzweifelte Menschen versteckt hielten, wurden auf diese Weise auch von Ange515 Urteil Bezirksgericht VI. Strafkammer Tarnów v. 25. 3. 1958, BAL, B 162/2151, Bl. 1006; Aussage Andrzej B. v. 17. 1. 1961, ebd., B 162/2149, Bl. 327; dto. Josef K. v. 27. 2. 1962, ebd., B 162/2150, Bl. 847; dto. Leon L. v. 29. 8. 1946, USHMM, RG15.170M, reel 2, S. 61; Bericht Giza Beller, AŻIH, 301/2040; dto. Józef Korniło, ebd., 301/4600. 516 Aufzeichnungen Josef K. „Die Epoche des Hitlerismus in Tarnów“ v. 14. 3. 1946, BAL, B 162/2151, Bl. 1023. 517 Dto. Andrzej B. v. 17. 1. 1961, ebd., B 162/2149, Bl. 327; dto. Josef K. v. 27. 2. 1962, ebd., B 162/2150, Bl. 847; Chomet, Zagłada, S. 84; Urteil LG Bochum v. 30. 4. 1964, in: JNSV, Bd. 20, Lfd. Nr. 571, S. 117; Vern. Aussage Philipp K. v. 30. 5. 1961, BAL, B 162/2150, Bl. 431; Fernschreiben SSPF Scherner an Globocnik betr. Gestellung von Trawniki-Wachmännern für die ZAL Szebnie, Bochnia, Tarnow, Reichshof und Przemysl v. 19. 5. 1943, AIPN, GK 901/15, Bl. 1 (für den Hinweis auf diese Quelle danke ich Mario Wenzel). 518 Vern. Hermann Blache v. 20. 10. 1961, LNW, 8354, Bl. 657. 519 Ebd. 520 Dto. v. 18. 9. 1962, BAL, B 162/2152, Bl. 1312.

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hörigen der jüdischen Miliz ausfindig gemacht 521: „Meine Familie war verborgen auf dem Terrain des sogenannten ‚nicht arbeitenden Ghettos‘ an der Folwarczna-Straße 13 – in einem Hause in dem der jüdische Polizist Zymet wohnte. In diesem Hause war ein sogenannter ‚Bunker‘ eingerichtet. Außer meiner Familie befanden sich in diesem Schutzraum noch etwa 20 Personen, mithin insgesamt etwa 30 Menschen. Wie ich in Płaszów erfahren habe – von Menschen die derzeitig noch bei dem sogenannten ‚Reinigungskommando‘ verblieben waren – wurde dieser Schutzraum durch den jüdischen Polizisten Wassermann ausfindig gemacht. Alle sich darin befindlichen Personen wurden nach dem Hinausführen durch Blache persönlich niedergeschossen. Dies war meines Wissens einige Wochen nach unserer Ankunft in Płaszów.“ 522 Andererseits gab es auch Fälle, in denen Angehörige der jüdischen Miliz Menschen aus den Verstecken herausholten und diese anschließend dem Säuberungskommando zuordneten, um sie auf diese Weise zu retten. 523 Der Mangel an Lebensmitteln und Wasser trieb den Großteil der versteckten Personen ohnehin dazu, ihr Versteck nach einer gewissen Zeit zu verlassen. Hinzu kam, dass Blache unter anderem Wasser und Gas abstellen ließ, um die Menschen auf diese Weise aus ihren Verstecken zu zwingen. 524 Nach Aussage eines Überlebenden sollten die aufgefundenen Personen nach Szebnie deportiert werden; für diesen Zweck reiste extra ein SS-Angehöriger aus diesem Lager an. Von den rund 700 Juden, die aus Tarnów nach Szebnie transportiert werden sollten, kamen lediglich 120 dort an. Die übrigen sollen in einem in der Nähe gelegenen Waldgebiet erschossen und anschließend verbrannt worden sein. 525 Allerdings wurden mehrere Menschen, die ihr Versteck verließen und sich nicht ausweisen konnten, auch an Ort und Stelle getötet. 526 Trotz umfassender Bewachung gelang es Einzelnen, nach der eigentlichen Ghettoliquidierung aus Tarnów zu fliehen. So entkam Akiwa R. im November, zwei Monate nach der Auflösung, aus dem Restghetto. Bis zu seiner Befreiung hielt er sich in der Umgebung, allerdings nicht in der Stadt selbst auf. 527 Auch Chaja F. flüchtete mit ihrem Ehemann aus Tarnów

521 522 523 524 525 526 527

Aussage Henna K. v. 1. 2. 1962, LNW, 8632, Bl. 1094. Dto. Josef K. v. 19. 11. 1963, ebd., 8586, Bl. 2223. Dto. Chaja F. v. 2. 4. 1974, ebd., 8673. Dto. Josef K. v. 27. 2. 1962, BAL, B 162/2150, Bl. 849. Ebd. Dto. Norbert M. v. 8. 1. 1962, ebd., Bl. 1736. Dto. Akiwa R. v. 8. 2. 1965, LNW, 8631, Bl. 3436.

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und hielt sich bis Kriegsende versteckt. 528 Aus dem Säuberungskommando entfloh auch Salomon Lederberger. Bis zu seiner Befreiung hielt er sich mit seiner Ehefrau und seiner Tochter Felicia unter falscher Identität in Warschau auf. 529 Mehrere Personen wurden darüber hinaus durch Madritsch und seine Mitarbeiter gerettet. Er half einigen Menschen nach der Räumung des Ghettos Anfang September zu fliehen, wie er in seinen Memoiren berichtete: „Dafür gelang es uns noch in Tarnow so und so vielen behilflich zu sein, untertauchen zu können. Wir sprachen Aufräumkommandos zu 50 Mann an, die dann, nachdem kein ordnungsgemäßer Lagerbetrieb herrschte, 60 und noch mehr Köpfe stark in meinem Betrieb eintrafen. Am Abend rückten jedoch nur gezählte 50 Köpfe ins Lager zurück. Der Differenz ermöglichten wir, in den Räumen unserer Firma zu übernachten und bei günstiger Gelegenheit auf dem Weg über Piwnicza [sic] in die Slowakei zu flüchten.“ 530 In der Folgezeit ging die Jagd nach versteckten Juden weiter. Oppermann soll mit weiteren Angehörigen der Sicherheitspolizei im November 1943 mindestens zwanzig Personen, die sich in einem Bunker versteckt hielten, aufgespürt und anschließend erschossen haben. 531 Wenige Monate danach wurden weitere Menschen, die sich als Christen ausgaben, von ihm und Libor aufgegriffen und ebenfalls getötet. 532 Ende Oktober oder Anfang November wurden einige Juden mit Lastwagen nach Szebnie deportiert, darunter auch der Vorsitzende des Judenrats, Artur Volkmann. Andere Mitglieder, wie Stub und Fass, wurden kurze Zeit danach in Tarnów getötet. Höchstwahrscheinlich wurden sie von den Sicherheitspolizisten Grunow, Jeck und Ilkiw ermordet. 533 Die Hoffnung vieler Angehöriger jüdischer Institutionen, dass ein Überleben aufgrund ihrer privilegierten Stellung möglich sei, sollte sich für die meisten nicht bewahrheiten. Anfang 1944, als der überwiegende Teil der jüdischen Bevölkerung Tarnóws bereits vernichtet worden war, realisierten die Deutschen in Tarnów eine großangelegte Propagandaaktion. Durch die Ausstellung „Die jüdische Weltpest“ sollten die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung 528

Dto. Chaja F. v. 2. 4. 1974, ebd., 8673. Dto. Andrzej B. v. 17. 1. 1961, BAL, B 162/2149, Bl. 327. 530 Madritsch, Menschen, S. 22. 531 Schreiben ZSt. Dortmund an Untersuchungsrichter beim LG Bochum betr. Voruntersuchung gegen Karl Oppermann u. a. wegen Mordes v. 21. 9. 1967, BAL, B 162/2166, Bl. 4347. 532 Ebd., Bl. 4348. 533 Aussage Osias Frankel v. 19. 12. 1966, LNW, 8622, Bl. 5549; dto. Norbert M. v. 8. 1. 1962, BAL, B 162/2150, Bl. 737. 529

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nachträglich legitimiert werden. Die Deutschen wollten die örtliche Bevölkerung darüber informieren, „daß der Jude der Schmarotzer der gesamten Menschheit und der Alleinschuldige aller Kriege ist“. 534 Diese Wanderausstellung wurde erstmalig im September 1943 in der Hauptstadt und im Anschluss auch in anderen Städten des Generalgouvernements gezeigt. 535 Bei der Eröffnungsfeier am 11. Januar 1944 in Tarnów war auch der Gouverneur des Distrikts Krakau, Kurt von Burgsdorff, anwesend. In seiner Rede betonte er, dass die deutschen „Maßnahmen“ gegen die jüdische Bevölkerung für die Polen „die Beseitigung jahrhundertealten Unrechts“ bedeutet hätten. Darüber hinaus führte von Burgsdorff aus, dass die christliche Bevölkerung davon profitiert habe, denn es gäbe jetzt „die Möglichkeit einer besseren Existenz“. 536 Kurze Zeit später, Anfang Februar 1944, wurden schließlich die letzten verbliebenen Juden des Aufräumkommandos, rund 115 Personen 537, in das Zwangsarbeitslager Krakau-Plaszow gebracht. 538 Auch der stellvertretende Vorsitzende des Judenrats, Lehrhaupt, war unter den Menschen. 539 Philipp K., zu dieser Zeit für die Bewachung der jüdischen Arbeiter zuständig, begleitete den Transport: „Die endgültige Liquidierung des Arbeitslagers von Juden erfolgte im Februar 1944. Ich habe die letzten Juden aus Tarnów […] mit einem Autotransport nach Krakau begleitet, was aus diesen geworden ist, weiß ich nicht.“ 540 Bis auf jene Juden, die sich noch versteckt in Tarnów aufhielten, war die Stadt, die vor Kriegsbeginn eine blühende Gemeinde von 25.000 jüdischen Einwohnern gezählt hatte, gänzlich „judenfrei“. Innerhalb weniger Monate hatten die Deutschen mehr als 20.000 Menschen im Zuge der „Aktion Reinhard“ ermordet. Auch andere jüdische Gemeinden im Generalgouvernement waren zu diesem Zeitpunkt schon längst von den Deutschen ausgelöscht worden.

534 Schreiben Innere Verwaltung an Bürgermeister in Ostrow v. 15. 6. 1944, Archiwum Państwowe m.st. Warszawy (APW), 72/489/412, Bl. 7. 535 Grabowski, Propaganda, S. 396. Im Februar 1944 wurde die Ausstellung im benachbarten Reichshof gezeigt. Vgl. Schreiben Kreishauptmann Ehaus an die Bürgermeister, Vögte, und Schulzen der Kreishauptmannschaft Reichshof v. 3. 2. 1944, APRz, 397/75, Bl. 251. 536 Zitiert nach: Musial, Zivilverwaltung, S. 320. 537 Bericht Józef Korniło, AŻIH, 301/4600. 538 Aufzeichnungen Josef K. „Die Epoche des Hitlerismus in Tarnów“ v. 14. 3. 1946, BAL, B 162/2151, Bl. 1023; Kwestionariusz o obozach „Tarnów“, USHMM, RG-15.019M, reel 15. 539 Aussage Hirsch L. B. v. 7. 2. 1969, LNW, 9106, Bl. 152. 540 Vern. Aussage Philipp K. v. 9. 1. 1962, BAL, B 162/2150, Bl. 744.

272

Vernichtung

Die „Aktion Reinhard“ galt von deutscher Seite Ende 1943 als abgeschlossen. Während im Vernichtungslager Belzec bereits im Dezember 1942 der letzte Transport eintraf, wurden die systematischen Tötungsmaßnahmen in den Lagern Sobibor und Treblinka im Herbst 1943 eingestellt. Im Letzteren wurden vor allem Juden aus dem Warschauer Ghetto ermordet. Ab dem 22. Juli 1942 gingen täglich bis zu drei Transporte nach Treblinka ab; bis Oktober deportierte man 300.000 Menschen dorthin. 541 Seit April 1943 lieferten sich Widerstandsaktivisten dort einen erbitterten Kampf gegen die Deutschen. Im Mai wurde der Warschauer Aufstand jedoch mit Sprengung der Großen Synagoge seitens der SS als beendet erklärt. 542 Jürgen Stroop, der von Himmler mit der Niederschlagung des Widerstandes beauftragt worden war, telegrafierte seinem Vorgesetzten Mitte Mai einen Abschlussbericht mit dem zynischen Titel „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!“ 543 Im Distrikt Lublin wurden die endgültigen Auflösungen der „Arbeitsghettos“ zwischen März und Mai 1943 realisiert. 544 Ab diesem Zeitpunkt konnten sich Juden lediglich in den im Distrikt befindlichen Zwangsarbeitslagern „legal“ aufhalten. Nach den endgültigen Ghettoräumungen verging allerdings nur eine kurze Zeit, bis auch die Zwangsarbeitslager in den Fokus der Vernichtung gerieten. Nach den Aufständen in den Lagern der „Aktion Reinhard“ sowie im Warschauer Ghetto und in Białystok sahen die Deutschen ihre eigene Sicherheit gefährdet. Am 19. Oktober äußerte sich der BdO auf einer Sicherheitssitzung hierüber folgendermaßen: „Eine große Gefahr stellten auch die Judenlager im Generalgouvernement dar, was ein Ausbruch der Juden aus einem solchen Lager vor kurzem gezeigt habe.“ 545 Unter dem euphemistischen Tarnnamen „Aktion Erntefest“ fand am 3. und 4. November im Lubliner Distrikt ein Massaker statt, im Zuge dessen mehr als 42.000 jüdische Zwangsarbeiter ermordet wurden. Um diese Mordkampagne in kürzester Zeit realisieren zu können, schickte man Waffen-SS- und Polizeieinheiten aus dem Generalgouvernement und dem Deutschen Reich sowie ein Kommando aus Auschwitz mit einer Gesamtstärke von 2.000 bis 3.000 Mann nach Lublin. Unter der örtlichen Leitung von Jakob Sporrenberg, Globocniks Nachfolger als SSPF Lublin, wurden Juden aus den Lagern Majdanek, Lipowa, Alter Flughafen 541 542 543 544 545

Golczewski, Polen, S. 467. Scheffler/Grabitz, Ghetto-Aufstand, S. 153. Vgl. Wirth, Stroop-Bericht. Pohl, „Judenpolitik“, S. 165. Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 741.

Das Ende

273

sowie aus Trawniki und Poniatowa innerhalb von nur zwei Tagen grausam ermordet. 546 Nach dieser Mordaktion befanden sich im Distrikt nur noch einige tausend Juden in Lagern, die ab Februar 1944 aufgelöst wurden. 547 Nach offiziellen Angaben lebten im Distrikt Radom Ende Mai 1943 noch rund 22.000 Juden. Das „Arbeitsghetto“ in Ostrowiec wurde bereits im April aufgelöst; Ende Mai erfolgten die Liquidierungen der Ghettos in Kielce und Tomaschow. Die Insassen des Letzteren evakuierte man zunächst in das Zwangsarbeitslager Blizyn; ein Aufräumkommando blieb bis September des Jahres in Tomaschow zurück. Ende Juni wurde das Ghetto in Tschenstochau liquidiert, wobei einige hundert Menschen vor Ort erschossen und rund 4.000 Juden in die in der Stadt befindlichen HASAG-Werke verbracht wurden. Lediglich eine kleine Gruppe blieb zunächst als Restkommando zurück. 548 Damit existierten im Radomer Distrikt nur noch die „Arbeitsghettos“ in Petrikau und Radom. Ersteres wurde Anfang August geräumt; einige hundert Menschen verlegte man in Werkslager der städtischen Glashütten, anderen in die örtlichen Holzwerke. Die Auflösung des Restghettos in Radom wurde Anfang November realisiert, wobei rund 100 Menschen vor Ort getötet wurden. Zu Jahresende existierten auch im Distrikt Radom keine Ghettos mehr. Die wenigen noch lebenden Juden befanden sich in Werks- und Zwangsarbeitslagern, die jedoch im Sommer und Herbst 1944 aufgelöst wurden. 549 Im Distrikt Galizien wurden die letzten noch bis zu diesem Zeitpunkt existierenden Ghettos bis Ende Juni 1943 geräumt. 550 Laut den Angaben Fritz Katzmanns lebten am 27. Juni noch 21.156 Juden in den Lagern des SSPF. 551 Dieter Pohl allerdings schätzt, dass die tatsächliche Zahl höher gelegen haben dürfte, da Katzmann nur 21 der 40 zu diesem Zeitpunkt existierenden Lager benannte. 552 Mit dem Ende der Ghettoliquidierungen ging man im Distrikt nun dazu über, auch die Lager aufzulösen. So wurde am 23. Juni das Gros der Häftlinge des Lagers Czortkow ermordet; einige verschleppte man an die Durchgangstraße IV oder nach Jagielnica. Nur wenige Tage später wurden die letzten jüdischen Handwerker in Stanislau

546

Böhler, Totentanz, S. 235 ff.; Pohl, „Judenpolitik“, S. 170 ff. Ebd. S. 174 f. 548 Seidel, Besatzungspolitik, S. 344 ff. 549 Ebd., S. 347, 365 ff. 550 Pohl, Judenverfolgung, S. 263. 551 Bericht Fritz Katzmann „Lösung der Judenfrage in Galizien“ v. 30. 6. 1943, AIPN, GK 196/332, Bl. 139. 552 Pohl, Judenverfolgung, S. 265. 547

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Vernichtung

getötet. 553 Im Folgemonat wurden mit wenigen Ausnahmen auch die restlichen Zwangsarbeiter ermordet und die Lager, darunter auch jene an der berüchtigten Durchgangsstraße IV, geräumt. 554 Als im Frühjahr 1944 Truppen der Roten Armee bereits Teile des Distrikts eingenommen hatten, existierten dort lediglich die Zwangsarbeitslager der Karpathen-Öl AG in Drohobycz und Boryslaw. In der Folgezeit wurden jedoch auch diese schrittweise aufgelöst. 555 Die noch existierenden Ghettos im Distrikt Krakau, die zu Zwangsarbeitslagern umgewandelt worden waren, wurden wie dargestellt im Herbst 1943 liquidiert. Lediglich einige Juden, die die Aufräumkommandos bildeten, blieben zunächst zurück. Diese wurden jedoch auch, wie die letzten Häftlinge des Lagers Szebnie bei Jaslo, im Februar 1944 nach Krakau-Plaszow verschleppt. 556 Mitte des Jahres erfolgten schließlich die letzten Lagerauflösungen. Im Juli räumte man das „Zwangsarbeitslager für Juden beim Flugmotorenwerk in Reichshof“, ebenso das Arbeitslager des Flugzeugwerks Mielec und das Lager Pustkow auf dem Truppenübungsplatz der Waffen-SS. 557 Während man Arbeiter dieses Lagers nach Auschwitz und von dort zumindest einen Großteil der Menschen weiter ins Reichsinnere deportierte, wurde das Lager in Mielec vermutlich vorübergehend nach Wieliczka verlegt. 558 Die Häftlinge aus Reichshof verschleppte man wie die jüdischen Zwangsarbeiter aus Stalowa Wola zunächst nach Krakau-Plaszow. Dort wurden im Sommer 1944 einige zusätzliche Baracken errichtet, um die aus den geräumten Lagern verschickten Zwangsarbeiter bis zu ihrem Weitertransport nach Westen temporär unterzubringen. 559 Um die Spuren des Massenmordes zu beseitigen, erhielt Paul Blobel bereits im März 1942 den Auftrag, Vorbereitungen für das Entfernen der Massengräber zu treffen. Blobel, der das Verfahren bereits bei Verbrennungen der Opfer in den Vernichtungslagern Chelmo und Belzec grund553

Ebd., S. 350. Ebd., S. 353 ff. 555 Sandkühler, Berthold Beitz, S. 113. 556 Anklage StA beim LG München v. 17. 04. 1968, BAL, B 162/2023, Bl. 1382a; zu Bochnia exemplarisch: Urteil LG Kiel v. 19. 3. 1968, in: JNSV, Lfd. Nr. 667a, S. 358. 557 Dto. LG Memmingen v. 10. 7. 1969, in: ebd., Bd. 32, Lfd. Nr. 711a, S. 416; dto. LG Freiburg v. 18. 5. 1967, in: ebd., Bd. 26, Lfd. Nr. 655, S. 317. 558 Zu Pustków vgl. Aussage Josef D. (undat.), BAL, B 162/5283, Bl. 166; Zabierowski, Pustków, S. 55; zu Mielec: Urteil LG Freiburg v. 18. 5. 1967, in: JNSV, Lfd. Nr. 655, S. 317; Golczewski, Polen, S. 485. 559 Vgl. ebd., S. 487. 554

Das Ende

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sätzlich erprobt hatte, machte sich mit großem Eifer an die Planungen für Enterdungsaktionen im gesamten deutsch besetzten Osten. Das hierfür gebildete „Sonderkommando 1005“, benannt nach dem Aktenzeichen im Reichssicherheitshauptamt, hatte die Aufgabe, Massengräber zu öffnen und die darin befindlichen Leichen zu verbrennen. 560 Während das Sonderkommando 1005 speziell für das Gebiet der besetzten Sowjetunion aufgebaut worden war, waren für die Leichenbeseitigung im Generalgouvernement meist die lokalen Polizeidienststellen verantwortlich. 561 Auch in Tarnów wurden die Leichen hunderter Menschen, die im Zuge der Ghettoliquidierung aufgespürt und erschossen worden waren, vor Ort verbrannt. 562 Phillip K., der für die Bewachung zuständig war, gab im Rahmen einer Vernehmung detailliert Auskunft über den Ablauf der Aktion 1005 in Tarnów: „In Bezug auf die Juden, deren Leichen auf einem grösseren Scheiterhaufen verbrannt worden sind, hatte ich schon erwähnt, dass ich die Erschiessung der Juden nicht gesehen habe. Ich habe wohl die aufgeschichteten Leichen gesehen, zwischen denen jeweils Lagen von Brettern und sonstigem Holz sich befanden. […] Ich fragte noch Blache, der in der Nähe des Scheiterhaufens stand, wer die Leichen aufgeschichtet habe. Er sagte, dass es Juden getan hätten, die jedoch auch schon erschossen seien. Der Scheiterhaufen hat an diesem Tage gebrannt.“ 563 Bereits im Vorjahr hatten die Deutschen versucht, die materiellen Spuren des Genozids durch die Beseitigung der Leichen zu vertuschen. 564 Vermutlich ahnten die Täter zu diesem Zeitpunkt nicht, dass es einigen hundert Juden aus Tarnów gelingen sollte, das Kriegsende zu überleben.

560

Pohl, Judenverfolgung, S. 378 ff. Angrick, Experiment, S. 135. 562 Rut G. „Reinigung der Bunker“ (undat.), BAL, B 162/2151, Bl. 1196. 563 Vern. Philipp K. v. 1. 3. 1962, LNW, 8460, Bl. 1229. 564 Aussage Josef K. (undat.), BAL, B 162/2149, Bl. 233; Urteil Bezirksgericht VI. Strafkammer Tarnów v. 25. 3. 1948, ebd., B 162/2151, Bl. 1006. 561

4. Nach dem Massenmord 4.1 Juden in Tarnów in der unmittelbaren Nachkriegszeit Anfang Januar 1945 rückte die Front auch in der Gegend von Tarnów unaufhörlich näher. Die deutschen Besatzungsangehörigen waren im Begriff, die Stadt zu verlassen, sofern sie sich nicht bereits auf der Flucht Richtung Westen befanden. Allmählich kündigte sich das Ende des Kriegs und somit die Befreiung von der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft an. Für die wenigen Juden, die sich dort noch versteckt hielten, müssen die letzten Wochen und Tage unter deutscher Besatzung wie eine Ewigkeit vorgekommen sein. Israel Unger, der sich mit weiteren acht Personen seit beinahe zweieinhalb Jahren auf dem Dachboden der Dagnan-Mühle im Zentrum der Stadt versteckte, erinnerte sich an die letzten qualvollen Tage vor seiner Befreiung: „Eines Tages dachten wir, wir hätten die Front gehört. Vor der Befreiung, so ist mein Verständnis, kam die sowjetische Armee ganz in die Nähe Tarnows und stoppte dann, wurde neu beliefert und ausgestattet, ehe sie ihre letzte Offensive begann. Sie blieben dort, was uns wie eine Ewigkeit vorkam. Wir hofften jeden Tag, dass sie kommen würden, aber sie kamen nicht. Jeden Tag, jede Stunde zu überleben war solch eine verzweifelte Sache.“ 1 Mitte Januar 1945 wurde Tarnów von der Roten Armee befreit. Große Teile der Stadt, vor allem aber das Areal, wo die Deutschen ab Sommer 1942 das geschlossene Ghetto eingerichtet hatten, war völlig zerstört, eine Folge der Jagd nach versteckten Juden. Ethnische Polen gingen nun auf die Suche, um in den Trümmern Wertsachen ermordeter Juden zu finden oder auch nur, um Baumaterial in ihren Besitz zu nehmen 2: „Am ersten Tag meines Aufenthaltes in Tarnow ging ich den alten jüdischen Stadtteil überprüfen und stellte fest, dass nur noch sehr wenig dort stand. Mir wurde erzählt, dass polnische Menschen diese Gebäude Stein für Stein auf der

1

Gammon/Unger, Diary, S. 21. Bartosz, Tarnowskie Judaica, S. 56 f.; Chomet, Zagłada, S. 49. Die Aneignung jüdischer Wertsachen durch ethnische Polen war ein weitverbreitetes Phänomen in der unmittelbaren polnischen Nachkriegszeit. So suchte die christliche Bevölkerung systematisch ehemalige Ghettos, Konzentrationslager, ja sogar Orte einstiger Vernichtungslager nach jüdischen Wertsachen ab. Vgl. Gross, Golden Harvest. 2

Juden in Tarnów in der unmittelbaren Nachkriegszeit

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Suche nach ‚jüdischen Kostbarkeiten‘ auseinandernahmen. Sie gruben sogar in den Kellern, wenn sie wenig oder nichts in den Wänden fanden.“ 3 Aber nicht nur die zerstörten Teile der Stadt trugen dazu bei, dass sich das Tarnów des Vorkriegspolen von dem der unmittelbaren Nachkriegszeit erheblich unterschied. Auch die Bevölkerung war nicht mehr dieselbe wie vor dem Einmarsch der Deutschen Anfang September 1939. Von den einst rund 25.000 Juden, die vor Kriegsausbruch in der Stadt gelebt hatten, waren während der fünfjährigen deutschen Besatzung fast alle ermordet worden. Von der ehemals blühenden jüdischen Gemeinde war nichts mehr übrig geblieben. Damit war das Sztetl, das sich seit Jahrhunderten entwickelt hatte, ausgelöscht. Mit Kriegsende waren nicht nur die jüdischen Einwohner Tarnóws verschwunden, sondern mit ihnen auch die seit Jahrhunderten bestehende Kultur. Die NS-Besatzung bildete eine schreckliche Zäsur; das Tarnów vor September 1939 hatte mit der Stadt in der Nachkriegszeit kaum noch etwas gemein. Dies bezeugen auch die Erinnerungen von Dawid Eichenholtz in eindringlicher Weise: „Die Häuser, Fabriken und Werkstätten, die von Polen und Juden im Laufe von Generationen gebaut wurden, stehen immer noch. Die langen Straßen erstrecken sich wie zuvor, beginnend an der Krakowska, übergehend zur Walowa bis zum Pilsener Tor und zur Lwowska. Fest stehen auch die alten Mauern, das alte Rathaus, auf das Tarnów immer so stolz war, eine ganze Reihe von Kirchen mit ihren spitzen Türmen. […] Es fehlen nur die beinahe dreißigtausend Juden, Tarnower Juden, die einst starke, aktive und stolze Gemeinde, die hart und beharrlich wirkte, arbeitete und materielle Reichtümer schuf.“ 4 William Kornbluth, der nach seiner Befreiung zurück nach Tarnów gereist war, schilderte, dass seine Heimatstadt nun einer „Geisterstadt“ glich. 5 Nur sehr wenige jüdische Menschen erlebten die Befreiung vom Nationalsozialismus in Tarnów selbst. Dabei handelte es sich um diejenigen, denen es gelungen war, bei ethnischen Polen Unterschlupf zu finden oder sich mit Hilfe gefälschter Papiere bis zur Befreiung in der Stadt aufzuhalten. 6 Der überwiegende Teil der ohnehin wenigen Überlebenden befand sich zu dem Zeitpunkt, als weite Teile Polens Anfang des Jahres 1945 bereits befreit waren, noch in nationalsozialistischen Lagern oder wurde auf 3

Kornbluth, Sentenced, S. 146 [Übersetzung aus dem Englischen]. Eichenholtz, Moje miasto, S. 105 [Übersetzung aus dem Polnischen]. 5 Kornbluth, Sentenced, S. 145. 6 Vgl. beispielsweise die Menschen, die sich in der Dagnan-Mühle versteckten und den Krieg dort überlebten. 4

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Nach dem Massenmord

Todesmärschen Richtung Westen in das Deutsche Reich getrieben. Sofern diese Menschen nicht noch in den letzten Monaten und Wochen des Kriegs umkamen, wurden sie im April und Mai von den Alliierten befreit. Neftali Frankel war vom Ghetto Tarnów in das Zwangsarbeitslager Szebnie und anschließend nach Auschwitz deportiert worden. Von dort aus schickte man ihn auf einen Todesmarsch. Das Ende des Kriegs erlebte er schließlich in Bergen-Belsen. 7 William Kornbluth kam von Tarnów über Plaszow und Mauthausen nach Ebensee, wo ihn amerikanische Truppen befreiten. 8 Andere Überlebende fanden sich bei Kriegsende in Verstecken außerhalb Tarnóws wieder, in einigen Fällen in Großstädten wie Warschau. Für die wenigen Juden, die den Genozid überlebt hatten, begann nun eine ungewisse und schwierige Zeit. In den meisten Fällen waren ihre Mütter und Väter, Brüder und Schwestern, andere Familienangehörige, Freunde und Bekannte entweder vor Ort oder in den Gaskammern Belzecs grausam ermordet worden. In welcher psychischen Ausnahmesituation sich die Menschen befinden mussten, kann aus heutiger Perspektive nur ansatzweise erahnt werden. Die Normalität, die die Menschen nur wenige Jahre zuvor in ihrem Sztetl gemeinsam mit Familie, Freunden, Arbeitskollegen und Nachbarn erlebt hatten, existierte nicht mehr. Neben diesem persönlichen Verlust standen die Überlebenden in der Regel vor dem materiellen Nichts. Gerade in dieser Situation waren Institutionen gefragt, die sich um deren Belange kümmerten und sie in dieser schwierigen Zeit zumindest mit dem Lebensnotwendigsten unterstützen konnten. Eine solche überregional agierende Einrichtung wurde bereits vor Kriegsende, im November 1944 geschaffen und Zentralkomitee der Juden in Polen (Centralny Komitet Żydów Polskich, CKŻP) genannt. 9 Finanziert wurde diese bis in das Jahr 1950 agierende Institution sowohl vom polnischen Staat als auch vom American Jewish Joint Distribution Committee.10 Die Mitglieder des CKŻP waren Vertreter der jüdischen Parteien, die nach Ende des Kriegs ihre Arbeit wieder aufnahmen. Hierzu gehörten Bund, Ichud, die rechtsgerichtete Partei Poalej Zion-Prawicy, Poalej Zion, Hashomer Hazair sowie der jüdische Flügel der Polnischen Arbeiterpar-

7

Frankel, Hell, S. 145 f. Kornbluth, Sentenced, S. 140. 9 Am 4. November 1944 wurde das Provisorische Zentrale Komitee Polnischer Juden (Tymczasowy Centralny Komitet Żydów Polskich, TCKŻP) gegründet, welches im Februar 1945 in CKŻP umbenannt wurde. Vgl. Bruder, Handlungsstrategien, S. 228. Zum CKŻP vgl. auch Aleksiun, Zionists. 10 Engel, Reconstruction, S. 87 f.; Bruder, Handlungsstrategien, S. 228. 8

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tei. 11 Im Jahr 1946 umfasste das CKŻP insgesamt 19 Abteilungen, unter anderem für Soziales, für Finanzen und für Repatrierung. Vom CKŻP wurden im gesamten Land Wojewodschafts-, Bezirks-, Kreis- sowie Ortskomitees geschaffen. Mitte 1946 existierten insgesamt neun Wojewodschaftskomitees in Białystok, Kattowitz, Krakau, Lublin, Łódź, Przemyśl, Stettin, Warschau sowie Breslau. Daneben gab es sieben Bezirkskomitees in Bydgoszcz, Tschenstochau, Danzig, Allenstein, Posen, Włocławek und in Tarnów.12 Das jüdische Bezirkskomitee in Tarnów wurde im Februar 1945 unter dem Vorsitz von Chaim Schiffer eingerichtet und befand sich im Gebäude der Goldhammerastraße 3.13 1946 setzte sich das Komitee aus folgenden Personen ganz unterschiedlicher politischer Herkunft zusammen: Chaim Schiffer (Vorsitzender), Mila Kloppholz (Vizepräsidentin), Franciszka Kryształ (Sekretärin) sowie den Mitgliedern Uszer Bleiweiss, Wanda Rubin, Abraham Betrübniss, Marek Kohn, Leizer Rauch sowie Józef Korniło.14 Im Sommer desselben Jahres wurde ein neues Komitee gewählt, das eine ganz andere personelle Zusammensetzung aufwies.15 Gegliedert war das Komitee in mehrere unterschiedliche Abteilungen. So gab es eine Abteilung für Registrierung und Statistik, eine Abteilung für Soziales sowie für kulturelle Belange.16 In Tarnów waren Ende Februar 1945 232 jüdische Personen registriert, wobei die tatsächliche Zahl etwas höher gelegen haben dürfte.17 Für diese bot das regionale Komitee und andere Organisationen Hilfe an, wobei Ersteres fortan Unterstützung vom CKŻP erhielt. Neben der Versorgung mit Lebensmitteln und Bedarfsartikeln 18, leistete das CKŻP auch finanzielle Hilfe. So wurden allein 1945 81.000 Złoty an Hilfszahlungen gewährt.19 Allerdings war dies bei weitem nicht ausreichend, sodass die jü-

11

Żbikowski, Erinnerung, S. 115 f. Ebd., S. 116. 13 Kwiek, Dzieje, S. 188, 191 f. 14 Ebd., S. 188. 15 Tätigkeitsbericht Jüdisches Kreiskomitee Tarnów v. 16. 6. 1946–29. 6. 1946, AŻIH, 303 II/114, Bl. 29. 16 Dto. für das Jahr 1946 v. 25. 1. 1947, ebd., 303 V/331, Bl. 3. 17 Liste über die in Tarnów lebenden Juden v. 26. 2. 1945, USHMM, RG-15.020M, reel 5, Bl. 5–9. Bei diesen Zahlen muss jedoch auch Berücksichtigung finden, dass nicht alle der registrierten Personen zuvor in Tarnów lebten. 18 Vgl. Bericht über die Tätigkeit der sozialen Wohlfahrt im Monat August 1946, AŻIH, 303 VIII/432, Bl. 13. 19 Kwiek, Dzieje, S. 192. 12

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Nach dem Massenmord

dische Gemeinde auch auf die direkte Hilfe anderer Institutionen, wie dem American Jewish Joint Distribution Committee, angewiesen war. 20 Nach 1945 stiegen die Zahlungen des CKŻP an das Komitee in Tarnów jedoch beträchtlich an. So wurden in den ersten drei Monaten des Jahres 1946 insgesamt 937.300 Zloty ausbezahlt. 21 Im Oktober des Jahres waren es allein 346.000 Złoty, die das Bezirkskomitee in Tarnów vom CKŻP erhielt. 22 Eine der primären Aufgaben des Komitees bestand in der Hilfe bei der Wohnraumbeschaffung. So organisierte es in Tarnów zwei Übernachtungsstätten in den Straßen Lwowska und Goldhammera. Eine Herberge für Displaced Persons aus der Sowjetunion wurde in der Brodzińskiegostraße eingerichtet. Bis Mitte 1946 existierten insgesamt acht Schlafquartiere. Eines hiervon war für jüdische Repatrianten vorgesehen, also Rückkehrer, die im Zuge des Kriegs geflohen oder vertrieben worden waren. 23 Unter Regie der Gesellschaft zum Schutz der Gesundheit (Towarzystwo Ochrony Zdrowia, TOZ) wurde in Tarnów außerdem die Errichtung einer Krankenstation realisiert, wobei die TOZ auch für die Behandlungskosten aufkam. Auch eine Kindertagesstätte wurde geschaffen, die vornehmlich für Halbwaisen und Kinder aus den ärmsten Familien bestimmt war. 24 Darüber hinaus existierte eine Wohlfahrtsküche, die die Juden der Stadt versorgte. 25 Die Nachfrage war erheblich: Allein im Juli aßen dort 703 Personen, darunter 78 Kinder. 26 Im Jahr 1946 bestand ein Großteil der Arbeit des Komitees in Tarnów in der Unterstützung der Juden, die aus der Sowjetunion zurückgekehrt waren. Dies war wichtig, weil die Stadt auf Grund ihrer geographischen Lage einen wichtigen Knotenpunkt für Transporte aus der Sowjetunion darstellte. So wurden am örtlichen Bahnhof Lebensmittel sowie Medikamente an die Repatrianten verteilt. 27 Abgesehen davon kümmerte sich das Komitee aber auch um kulturelle Belange der Gemeinde, indem es beispielsweise in einer Bibliothek polnisch-, englisch- und jiddischsprachige Bücher und Zeitschriften zur Verfügung stellte und zudem kostenlose Englisch- und 20

Ebd., S. 191. Ebd., S. 192. 22 Tabelle 5 Hilfsgelder, Oktober 1946, AŻIH, 303 VIII/432, Bl. 22. 23 Kwiek, Dzieje, S. 192. 24 Ebd., S. 192; ders., Z dziejów ludności żydowskiej, S. 95. 25 Ebd. 26 Schreiben Jüdisches Bezirkskomitee betr. Volksküche v. 29. 8. 1946, AŻIH, 303 II/114, Bl. 61. 27 Kwiek, Dzieje, S. 189; Bericht 1. Halbjahr 1946 v. 23. 8. 1946, AŻIH, 303 VIII/ 432, Bl. 7. 21

Juden in Tarnów in der unmittelbaren Nachkriegszeit

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Hebräischkurse anbot. 28 Insgesamt wurden allein 1946 annähernd drei Millionen Złoty für die soziale Unterstützung der in Tarnów lebenden Juden aufgewendet. In der Folgezeit verringerte sich die Zahl der unterstützungsbedürftigen Menschen, nicht zuletzt aufgrund einer allgemeinen Verbesserung der materiellen Lage der jüdischen Bevölkerung. 29 Die Frage der Beschäftigung und der Beschaffung von Arbeitsplätzen für jüdische Überlebende war seit der Befreiung ein zentrales Thema. Bereits 1945 wurde eine Schneidergenossenschaft gegründet, die Ende 1946 70 Beschäftigte zählte, wovon 50 Personen jüdischen Glaubens waren. Darüber hinaus waren Juden auch in neu gegründeten Kibbuzim angestellt. 30 Zudem war es mit Hilfe eines Darlehens möglich, diverse Handwerksbetriebe, wie Schneider- und Hutmacherwerkstätten, aufzubauen. Bis Ende Juni 1946 fanden 168 Juden in insgesamt 43 Werkstätten Arbeit. 31 Im Mai 1947 waren dann 185 jüdische Personen – 127 Männer und 58 Frauen – in Tarnów beschäftigt. 32 Jenen Menschen, die nicht in der Lage waren, einer Arbeit nachzugehen, gewährte das Komitee zudem finanzielle Unterstützung. 33 Neben dem sozialen Bereich sollte auch der politische und religiöse Sektor in der Stadt wieder ganz allmählich reaktiviert werden, wenngleich auch dort die Bedingungen nichts mehr mit denen vor 1939 gemein hatten. Seit April 1945 war die jüdische Religionsgemeinschaft unter der Leitung von Rabbi Majer Lamet 34 in Tarnów aktiv. Ein Gebetsort für Gläubige entstand im Gebäude in der Goldhammerastraße 3. Darüber hinaus wurden unterschiedliche Hilfsaktionen initiiert. So wurden im Jahr 1947 27 Kilogramm Matzen während des Pessach-Festes ausgegeben und Geldspenden in Höhe von 25.220 Złoty an bedürftige Juden verteilt. 35 Im Mai 1946 nahm der allgemeine jüdische Arbeiterbund seine Aktivitäten in Tarnów wieder auf, der sich bald zur mitgliederstärksten Partei entwickeln 28 Bericht an CKŻP, ebd., 303 VIII/431, Bl. 1. Im März 1948 verfügte die Bibliothek bereits über 686 Bücher, hiervon 371 in jiddischer und 315 in polnischer Sprache. Vgl. Tabelle 33 Bibliothek v. März 1948, ebd., 303 VIII/434, Bl. 9. 29 Kwiek, Dzieje, S. 192 f. 30 Ders., Z dziejów ludności żydowskiej, S. 97. 31 Ders., Dzieje, S. 200. 32 Tabelle 30 Beschäftigung v. Mai 1947, AŻIH, 303 V/342, Bl. 60. 33 Tabelle 5 Hilfsgelder, Oktober 1946, ebd., 303 VIII/432, Bl. 22. 34 Majer Lamet wurde 1916 im polnischen Samborz geboren und besuchte vor Kriegsbeginn die Rabbiner-Universität in Lublin. Lamet kam erst im April 1945 nach Tarnów. Vgl. Kwiek, Z dziejów ludności żydowskiej, S. 98. 35 Ebd.

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sollte. Aber auch andere Parteien begannen wieder aktiv zu werden: Die zionistisch-demokratische Partei Ichud hatte im Januar rund 60 Mitglieder. Im August wurde die jüdische Arbeiterpartei Poalej Zion in Tarnów wieder gegründet. Daneben waren auch die linkszionistische Hashomer Hatzair, die Fraktion PPR sowie die Poalej Zion-C.S. dort tätig. Insgesamt unterschieden sich die nach Kriegsende in Tarnów agierenden jüdischen Parteien und Verbände nicht allein aufgrund ihrer generellen Ausrichtung; es existierten auch starke Differenzen in Bezug auf aktuelle Themen, wie der Frage der Auswanderung nach Palästina. 36 Bei einem bestimmten Thema herrschte jedoch allgemeine Einigkeit innerhalb der Gemeinde: Es sollte an das Schicksal der Ermordeten erinnert werden. 1946, ein Jahr nach der Befreiung vom Nationalsozialismus, wurde auf dem jüdischen Friedhof der Stadt, am Ort eines einstigen Massengrabes, wo die Deutschen im Juni 1942 einige tausend Juden ermordet und verscharrt hatten, ein erstes Denkmal errichtet: Eine gebrochene Säule als Symbol des Lebens, das auf so furchtbare Weise ausgelöscht worden war. Der Gestalter des Denkmals, Dawid Beker, verwendete dafür einen erhalten gebliebenen Obelisken der Neuen Synagoge, die die Deutschen zerstört hatten. 37 Abgesehen von den vielen Schwierigkeiten, mit denen sich die jüdischen Überlebenden in der unmittelbaren Nachkriegszeit konfrontiert sahen, war insbesondere das polnisch-jüdische Verhältnis von großen Spannungen überschattet. In mehreren Ortschaften ereigneten sich antisemitische Übergriffe auf Holocaustüberlebende. Mitte Juni 1945 wurden im unweit entfernten Rzeszów Juden von einem Mob bedroht. 38 Auch in Krakau kam es am 11. August zu einem Pogrom. Auslöser für die antisemitische Gewalt waren Gerüchte über einen vermeintlichen Ritualmord an einem christlichen Kind. Einige Synagogen wurden angegriffen und Juden durch die Stadt getrieben. 39 Wie in anderen Städten Polens war auch in Tarnów die Sicherheit der jüdischen Überlebenden bedroht. Bereits im Frühjahr, kurze Zeit nach der Befreiung, kam es in der Stadt verstärkt zu antisemitischen Vorfällen. 40 Im Mai erschienen antijüdische Hetzschriften; im Sommer wurden zwei Raubüberfälle registriert und am 4. August wurden ein Jude und eine Jüdin von unbekannten Tätern er-

36

Ebd., S. 96 f. Bartosz, Żydowskim szlakiem, S. 18. 38 Über die antisemitischen Übergriffe in Rzeszów vgl. Gross, Fear, S. 73 ff. 39 Ebd., S. 81. 40 Bericht Inspektionsreise v. 5. 14.–18. 4. 1945, Zentralkomitee der Juden Polens v. 25. 4. 1945, AŻIH, 303 II/23, Bl. 53. 37

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mordet. Nur einige Tage später ereignete sich ein weiterer Überfall auf eine jüdische Familie. 41 Neben dem fortbestehenden Antisemitismus lag ein Hauptgrund für den Konflikt zwischen Polen und Juden in der illegalen Aneignung jüdischen Eigentums durch christliche Polen. Jan Tomasz Gross argumentiert, die Ermordung der polnischen Juden habe ein soziales Vakuum geschaffen, das alsbald von der christlichen kleinbürgerlichen Bourgeoisie gefüllt wurde. 42 Gerade für Tarnów, wo vor Beginn des Zweiten Weltkriegs beinahe die Hälfte der Einwohner jüdischen Glaubens war, muss angenommen werden, dass dieses Phänomen – die illegale Aneignung und Übernahme jüdischen Eigentums durch die christliche Bevölkerung – weit verbreitet war. Nach Kriegsende befürchteten daher viele christliche Polen, die sich während des Kriegs jüdischen Eigentums bemächtigt hatten und teilweise auch in den ehemals jüdischen Wohnungen lebten, die Rückkehr der Eigentümer und einen möglichen Verlust des Besitzes. Für einen Großteil der Überlebenden war ihre einstige polnische Heimatstadt daher schlichtweg kein Ort mehr, an dem sie sich sicher fühlen konnten. Zu groß war die Angst, Opfer antisemitischer Übergriffe zu werden. Die 1928 geborene Ann Weisbord beispielsweise kehrte nach ihrer Befreiung in Mauthausen in ihren Geburtsort zurück. Ihr dortiger Aufenthalt war vor allem durch die Angst vor Übergriffen seitens der Polen geprägt, wie sie in einem Interview berichtete. Sie entschied sich daraufhin, Tarnów zu verlassen und nach Krakau zu gehen. 43 Tatsächlich war die örtliche Bevölkerung in vielen Fällen den zurückkehrenden jüdischen Überlebenden nicht freundlich gesonnen. So berichtete Yetta Brand, dass sie in Tarnów eine Bekannte traf, die sehr darüber verwundert war, dass sie – als Jüdin – noch am Leben sei, schließlich habe man ihr berichtet, dass alle Juden ermordet worden waren. 44 Karl Diamond, 1921 in Tarnów geboren, kehrte im Juni 1945 in seine Heimatstadt zurück. Nach seiner Ankunft begab er sich zu seinem einstigen Elternhaus, wo ihm eine Christin die Tür öffnete. Ihr war bereits von Nachbarn mitgeteilt worden, dass er wieder in der Stadt sei. Sie hatte nun die Befürchtung, dass er sein Eigentum zurückfordern könnte. Karl Diamond aber wollte lediglich wissen, wer nun in seinem Haus lebte. Kur41

Kwiek, Dzieje, S. 194 f. Gross, Fear, S. 39. 43 Interview mit Ann Weisbord, Interviewcode: 4819, Visual History Archive des USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education. 44 Dto. Yetta Brand, dto: 5343, ebd. 42

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ze Zeit nach diesen Ereignissen reiste er aus Tarnów ab, um sich auf die Suche nach überlebenden Familienangehörigen zu begeben. 45 Auch Markus Ender kam nach seiner Befreiung nach Tarnów zurück, um nach Verwandten zu suchen. Auf der Liste der Überlebenden, die vom jüdischen Komitee angelegt worden war, fand sich jedoch kein Name eines Familienangehörigen. In Enders einstigem Haus wohnten nun christliche Polen, wie er berichtete: „Mein Haus war von Polen besetzt. Ich konnte nichts beanspruchen, ich konnte nichts sagen, denn wenn man etwas tun würde, würden sie dich töten. […] Es gab Menschen, die dorthin zurück gingen und nach etwas suchten, und sie kamen nicht mehr zurück.“ 46 Markus Ender blieb zwei Wochen in der Stadt. Im Anschluss reiste er nach Österreich, von dort emigrierte er nach Israel. 47 Große Angst hatte auch William Celnik. Er ging nach seiner Befreiung nach Tarnów und begab sich zu seinem früheren Haus, das jedoch zerstört war. Vor Ort traf er auf zwei ehemalige Nachbarn, die mit ihm einst die Schule besucht hatten. Sie verlangten von Celnik Gold, der erwiderte, dass er keines habe. Er sagte ihnen jedoch, dass er am nächsten Morgen, wenn er aufgestanden sei, für sie nach dem Gold graben würde. Die beiden Polen gingen vermutlich davon aus, dass Celniks Familie in ihrem ehemaligen Haus Wertgegenstände versteckt habe. Noch in derselben Nacht verließ Celnik die Stadt. 48 Die Verhaltensweisen der Überlebenden bei ihrer Rückkehr waren insgesamt sehr unterschiedlich. Nicht alle konnten es ertragen, zu ihren einstigen Wohnungen und Häusern zurückzukehren. Gisela Glaser, die in Mauthausen befreit worden war und über Krakau in ihre Heimatstadt Tarnów zurückkehrte, weigerte sich, ihr einstiges Haus aufzusuchen. 49 Ähnliches durchlebte Helen Hammer, die sich ebenfalls nach Ende des Kriegs nach Tarnów begab. Auch sie wollte keinesfalls auch nur in die Nähe ihrer früheren Wohnung gehen. 50 Immer jedoch war die Rückkehr für die Überlebenden begleitet von einer Zeit der Ungewissheit, in der man auf ein Lebenszeichen der Familie oder des Freundeskreises wartete. Die 1905 in Berlin geborene Henny Adler, die im Ghetto Tarnów inhaftiert war, hielt sich nach der Befreiung einige Zeit in der Stadt auf. Jeden Tag, so beschrieb sie in einem Interview, wartete sie am Bahnhof in der Hoffnung,

45 46 47 48 49 50

Dto. Karl Diamond, dto.: 16039, ebd. Dto. Markus Ender, dto.: 43669, ebd. [Übersetzung aus dem Englischen]. Ebd. Dto. William Celnik, dto.: 1712, ebd. Dto. Gisela Glaser, dto.: 16457, ebd. Dto. Helen Hammer, dto.: 24177, ebd.

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dass ihre Brüder, die vermutlich nach Mauthausen deportiert worden waren, nach Tarnów kommen würden, was jedoch nicht geschah. Im August 1945 erfuhr sie von einem Bekannten, dass die Brüder ihres totgeglaubten Verlobten aus Russland zurückgekehrt seien. Wie sich allerdings herausstellte, war es ihr Verlobter selbst, der mit einem seiner Brüder in der Stadt angekommen war. Wenige Wochen später heirateten die beiden in Tarnów. 51 Dieses Beispiel stellte jedoch eine Ausnahme dar. Die Hoffnung, möglicherweise doch noch Familienmitglieder und Bekannte zu finden, erwies sich in den meisten Fällen als illusorisch. Im Juni 1946 waren in Tarnów 1.231 Juden (694 Männer und 527 Frauen) registriert. 52 Davon waren 457 Repatrianten (273 Männer und 184 Frauen). 53 In den Folgemonaten ging die Zahl jüdischer Einwohner markant zurück. Am 1. September waren nur noch 933 Jüdinnen und Juden verzeichnet. 54 Der Grund für die Abwanderung lag in einem Ereignis begründet, das im rund 120 Kilometer entfernten Kielce stattgefunden hatte. Am 4. Juli 1946 war es dort zu antisemitischen Ausschreitungen vor dem Haus der jüdischen Gemeinde gekommen, das neben mehreren jüdischen Institutionen auch mehr als die Hälfte der überlebenden Juden der Stadt beherbergte. Anlass für den Aufruhr war die vermeintliche Entführung eines christlichen Jungen. Vor dem Haus formierte sich ein von antisemitisch motivierten Gerüchten mobilisierter Mob; die polnische Polizei sowie Militär kamen hinzu. Diese stürmten schließlich das Gebäude, wobei sie auch nicht vor massiver Gewalt zurückschreckten. Auch die Menschenmenge beteiligte sich an der eskalierenden Gewaltorgie. Rund 40 Jüdinnen und Juden wurden dabei ermordet, viele weitere schwer verletzt. 55 Schnell verbreiteten sich Nachrichten über die erschütternden Ereignisse unter den Überlebenden anderer Städte und zerstörten nachhaltig die Aussicht auf eine ungefährdete Zukunft in Polen. Nach dem Pogrom von Kielce kam es zu einer ersten großen Emigrationswelle überlebender und zurückgekehrter Juden in der unmittelbaren Nachkriegszeit. So verließen allein im Sommer 1946 343 Juden Tarnów. Zum Jahresende 1946 zählte die Gemeinde 714, im April 1947 lediglich 652 Personen. Die Zahl sank in den Folgemonaten weiter, bis Ende 1947 nur noch 355 Jüdinnen und Juden in Tarnów 51

Dto. Henny Adler, dto.: 10481, ebd. Tabelle 1, Zahl der jüdischen Personen für den Monat Juni 1946, AŻIH, 303 V/ 327, Bl. 3. 53 Tabelle 2 a, Repatriiertenbewegung v. Juni 1946, ebd., Bl. 5. 54 Tätigkeitsbericht Jüdisches Kreiskomitee in Tarnów im Monat September v. 23. 10. 1946, ebd., 303 II/114, Bl. 46. 55 Gross, Fear, S. 81 ff. 52

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lebten. 56 Eine weitere Auswanderungswelle fand zwischen 1949 und 1950 statt. Lebten im Dezember 1949 dort 317 Juden, waren es im Herbst 1950 nur noch 200. Allein von Januar bis April 1950 emigrierten 40 weitere Menschen nach Israel. 57 Schon zuvor waren alle jüdischen Parteien und sozialen Institutionen in Polen aufgelöst und verboten worden. An deren Stelle trat die offizielle Sozial-Kulturelle Gesellschaft der Juden in Polen (Towarzystwo Społeczno-Kulturalne Żydów w Polsce, TSKZ). In Tarnów wurde eine Außenstelle dieser TSKZ Ende November 1950 eingerichtet. Deren Leitung übernahm der letzte Vorsitzende des Kreiskomitees, Uszer Bleiweiss. 1951 zählte die TSKZ in Tarnów gerade einmal 47, zwei Jahre später 76 Mitglieder. 58 In der Folgezeit verließen weitere Juden die Stadt. Unter den Emigrierten befanden sich auch sämtliche Mitglieder der lokalen TSKZ, die daraufhin 1957 geschlossen wurde. 59 Seitdem zählte Tarnów nur noch einzelne jüdische Einwohner. Im gesamten Gebiet des Bezirks Tarnów lebten Ende des Jahres 1948 nur noch 364 Juden. 60 Einer der wenigen, der in der Stadt blieb, war Abraham Ladner, der in Otfinów im Kreis Dąbrowa Tarnowska geboren worden war. Seit seiner Rückkehr aus der Sowjetunion 1946 lebte er in Tarnów. Er war dort, wie er sagte, weil die Stadt seine Heimat sei. Ladner starb dort 1993 im Alter von 88 Jahren. Nach seinem Tod erzählte man sich, dass er der letzte Hüter der Torah in Tarnów gewesen sei. 61 Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Überlebenden der Shoah bereits Jahrzehnte zuvor nach Israel, in die Vereinigten Staaten, Kanada, Frankreich oder in andere Länder emigriert. 62 Dort versuchten sie, sich ein neues Leben aufzubauen. Obgleich dies auch gelang, blieben die Bilder der grausamen Verbrechen, die in Tarnów an der jüdischen Gemeinde verübt worden waren, in ihren Erinnerungen immer präsent. Dafür sorgten nicht zuletzt auch die Ermittlungen gegen NS-Verbrecher, die in Polen und 56

Kwiek, Dzieje, S. 190 f. Ebd., S. 191. Mit Stand vom 23. 11. 1948 lebten im gesamten Kreis Tarnów 364 Juden. Vgl. Schreiben Jüdisches Kreiskomitee in Tarnów an Bezirksamt Tarnów v. 23. 11. 1948, USHMM, RG-15.020M, reel 5. 58 Kwiek, Dzieje, S. 203. 59 Ebd., S. 210 f. 60 Schreiben jüdisches Bezirkskomitee in Tarnów an das Bezirksamt in Tarnów v. 23. 11. 1948, USHMM, RG-15.020M, reel 5, Bl. 595. 61 Kwiek, Dzieje, S. 211; Fulara, Krzystof, Ostatni wybraniec jahwe, in: „Tarniny“, Nr. 3, 1993, S. 17. 62 Chomet, Tarnowscy Żydzi, S. 890 ff. 57

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in der Bundesrepublik eingeleitet wurden und die Opfer häufig mehr als nur ein Mal erneut mit den Tätern und den durch sie begangenen Taten konfrontierte. 4.2 Die Ahndung der in Tarnów begangenen NS-Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung Am 30. Oktober 1943 beschlossen die Außenminister der UdSSR, Großbritanniens sowie der USA die „Moskauer Erklärung“. Darin wurde festgelegt, diejenigen Deutschen, die Kriegsverbrechen in besetzten Ländern begangen hatten, an die jeweiligen Staaten auszuliefern und nach dort herrschendem Recht abzuurteilen. 63 Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs mangelte es jedoch an internationalen Vereinbarungen, die eine Auslieferung genauer regelten. Zwar schlug die United Nations War Crimes Commission im September 1944 die Schaffung eines einheitlichen Vertrags zur Auslieferung von Kriegsverbrechern vor. Allerdings stieß dies seitens der Großmächte auf Ablehnung. Erst am 20. Dezember 1945 trat mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 64 eine vereinheitlichte rechtliche Grundlage in Kraft. 65 Mit Blick auf die alliierten Besatzungszonen in Deutschland differierte die Auslieferungspraxis vermeintlicher Täter an Polen erheblich. Den größten Eifer zeigten die Amerikaner: Von den 1.817 Personen, die an Polen ausgeliefert wurden, stammten allein 1.315 und damit 72 Prozent aus der amerikanischen Besatzungszone. 66 In Polen, dem Land auf dessen Territorium ein erheblicher Teil der nationalsozialistischen Massenverbrechen begangen worden war, bemühte man sich bereits unmittelbar nach dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft, die Grundlagen zur Aburteilung deutscher Kriegsverbrecher zu legen. Um die Verbrechen zu ahnden, schuf die Regierung im März 1945 die Hauptkommission zur Untersuchung der deutschen Verbrechen in Polen. 67 Diese hatte die Aufgabe, Beweismaterial über die von den Deutschen verübten Verbrechen zu sammeln. Daneben existierten Be63

Musial, Prozesse, S. 25. In Artikel II. Absatz 1 des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 werden drei Tatbestände definiert: a) Verbrechen gegen den Frieden; b) Kriegsverbrechen; c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Vgl. Amtsblatt des Alliierten Kontrollrats vom 20. 12. 1945, S. 50 ff. 65 Musial, Prozesse, S. 26. 66 Ebd., S. 30. Detaillierte Informationen zur alliierten Auslieferungspraxis finden sich ebd., S. 30 ff. Zu den Prozessen in den einzelnen alliierten Besatzungszonen vgl. beispielsweise Eiber, Nürnberg. 67 Zudem wurde die Polnische Militärkommission zur Untersuchung der deut64

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zirkskommissionen, die in unterschiedlichen Regionen nach der Befreiung durch die Rote Armee eingerichtet wurden. In den Jahren 1946 bis 1949 waren insgesamt dreizehn Kommissionen in Bromberg, Tschenstochau, Danzig, Kattowitz, Krakau, Lublin, Łódź, Poźnan, Radom, Siedlce, Warschau, Breslau und in Tarnów tätig. Auf Bezirksebene erfüllten die Gremien eine ganze Reihe von Aufgaben. So wurden Zeugen befragt und Dokumente und Beweismaterial gesichert. Daneben wurden durch die Kommissionen auch Ermittlungen und Exhumierungen vollzogen. 68 Die rechtliche Basis zur Ahndung von NS-Verbrechen wurde in Polen mit dem sogenannten Augustdekret geschaffen, das am 31. August 1944 vom Polnischen Komitee der Nationalen Befreiung (Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego, PKWN) 69 erlassen worden war.70 Es bildete auch die Grundlage für die Errichtung der polnischen Gerichtsbarkeit, wobei die unter das Augustdekret fallenden Verbrechen von neugebildeten Sonderstrafgerichten und später auch vom Obersten Nationaltribunal (Najwyższy Trybunal Narodowy, NTN) geahndet wurden.71 Die Sonderstrafgerichte wurde im Oktober 1946 aufgelöst und ihre Zuständigkeiten an die jeweiligen Bezirksgerichte übertragen. Das NTN mit eigener Staatsanwaltschaft wurde im Januar 1946 gegründet, um die an Polen ausgelieferten Haupttäter abzuurteilen. Die polnischen Bezirksgerichte waren demgegenüber für die Prozessführung gegen die übrigen Ausgelieferten zuständig, wobei der NTN-Staatsanwaltschaft die Entscheidung darüber zufiel, welche Täter in welche Kategorie einzuordnen waren. 95 Prozent der an Polen ausgelieferten NS-Verbrecher wurden von Bezirksgerichten abgeurteilt.72 Die Mehrzahl der in Polen geführten Prozesse fand in den Jahren 1945 bis 1947 statt. Danach war ein starker Rückgang der Prozesszahlen zu verzeichnen.73 Einer offiziellen polnischen Statistik zufolge wurschen Kriegsverbrechen geschaffen, die auf dem Gebiet des besetzten Deutschland tätig war. Vgl. Musial, Prozesse, S. 27. 68 Ebd., S. 28. 69 Bei der PKWN handelt es sich um die von Josef Stalin eingesetzte polnische Übergangsregierung. 70 Musial, Prozesse, S. 36. Im Zuge dieses sogenannten „Augustdekretes“ wurden auch eine Reihe von Verfahren gegen polnische Staatsangehörige aus der Stadt sowie der Region Tarnów geführt: Vgl. in Auswahl AIPN Kr, Kr 502/329; ebd., Kr 502/2662; ebd., Kr 502/3663; ebd., Kr 502/3699. Zudem konnten zwei Ermittlungsverfahren gegen ehemalige jüdische Ordnungsdienstmänner ausfindig gemacht werden vgl. ANK, 29/SAKr/966 sowie USHMM, RG-15.179M, reel 7. 71 Musial, Prozesse, S. 37. 72 Ebd., S. 37–39. 73 Pohl, Strafverfahren, S. 134.

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den insgesamt 100.000 Ermittlungsverfahren geführt. 5.400 Deutsche wurden dabei wegen NS-Verbrechen verurteilt, außerdem rund 13.000 polnische Staatsbürger, darunter vor allem sogenannte Volksdeutsche.74 Obwohl sich Polen bereits am Beginn eines Transformationsprozesses in Richtung kommunistischer Herrschaft befand, zeigte sich die polnische Justiz in der frühen Nachkriegszeit davon kaum betroffen. So herrschten tendenziell akzeptable Rechtsstandards in Bezug auf den justiziellen Umgang mit den NS-Verbrechen und den verantwortlichen Tätern vor.75 Der erste polnische Prozess zu Tarnów fand im Rahmen der sieben größeren Prozesse 76 vor dem NTN statt. Geführt wurde dieser gegen Amon Leopold Göth, den einstigen Kommandanten des Zwangsarbeitslagers und späteren Konzentrationslagers Krakau-Plaszow, der Anfang Mai 1945 in Bad Tölz verhaftet worden war.77 Ihm wurden fünf konkrete Tatvorwürfe zur Last gelegt, unter anderem soll er in Plaszow für den Tod von 8.000 Häftlingen verantwortlich gewesen sein sowie das Krakauer Ghetto und das Zwangsarbeitslager Szebnie liquidiert haben. 78 Darüber hinaus wurde er für in Tarnów begangene Verbrechen angeklagt: „Als SS-Hauptsturmführer führte der Angeklagte am 3. September 1943 die Liquidierung des Tarnówer Ghettos aus. Als Ergebnis dieser Aktion kam eine unbekannte 74

Ebd., S. 137. Ebd., S. 139. 76 Es fanden folgende Verfahren statt: 1.) Prozess gegen Arthur Greiser (21. 6. 1946–7. 7. 1946 in Posen), ehemaliger Gauleiter des Warthelandes, wurde zum Tode verurteilt. 2.) Prozess gegen Amon Leopold Göth (27. 8. 1946–5. 9. 1946 in Krakau), ehemaliger Kommandant des Zwangsarbeitslagers und späteren Konzentrationslagers Krakau-Plaszow, wurde zum Tode verurteilt. 3.) Prozess gegen Ludwig Fischer und dessen Mitarbeiter (17. 12. 1946–24. 2. 1947 in Warschau), ehemaliger Gouverneur des Distrikts Warschau, wurde zum Tode verurteilt. Josef Meisinger, ehemaliger Kommandant des SD in Warschau erhielt ebenfalls die Todesstrafe, während Ludwig Leist, Stadthauptmann in Warschau, eine achtjährige Gefängnisstrafe erhielt. 4.) Prozess gegen Rudolf Höß (11. 3. 1947–29. 3. 1947 in Warschau), ehemaliger Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz, wurde zum Tode verurteilt. 5.) Prozess gegen 40 ehemalige Angehörige der Lagermannschaft des KL Auschwitz (24. 11. 1947–16. 12. 1947 in Krakau), 23 Angehörige erhielten die Todesstrafe, sechs lebenslänglich, sieben 15-jährige und drei- bis fünfjährige Haftstrafen, während eine Person freigesprochen wurde. 6.) Prozess gegen Albert Forster (5. 4. 1948–27. 4. 1948), ehemaliger Gauleiter des Gaues Danzig-Westpreußen, Todesstrafe. 7.) Prozess gegen Josef Bühler (17. 6. 1948–5. 8. 1948 in Krakau), ehemaliger Regierungschef des Generalgouvernements, Todesstrafe. Vgl. Musial, Prozesse, S. 38 f. 77 Ebd., S. 38. Schreiben Headquarters Seventh Army Judge Advocate Section War Crimes Branch v. 21. 1. 1946, USHMM, RG-15.170M, reel 1. 78 Urteil Oberster Volksgerichtshof Krakau v. 5. 9. 1946, ebd., reel 2. 75

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Anzahl an Personen um, die vor Ort in Tarnów getötet wurden; andere starben durch Erstickung während des Transportes mit der Bahn oder wurden in anderen Lagern, insbesondere in Auschwitz, vernichtet.“ 79 Von der polnischen Öffentlichkeit wurde der am 27. August 1946 begonnene Prozess mit großem Interesse verfolgt. Zu Prozessbeginn legte Staatsanwalt Tadeusz Cyprian die Absichten dar, die man mit dem Prozess gegen den einstigen SS-Hauptsturmführer verfolgen wollte: „Wir wollen der Welt zeigen, wohin das totalitäre Regime Hitlers geführt hat – es machte aus normalen Bürgern KZ-Kommandanten und Schinderknechte, es schuf Schulen für Folter und für Henker, es lehrte den Menschen Bestialität und das Misshandeln des Nächsten. Die grauenvollen Dinge, die im Namen dieses Regimes passierten, übersteigen jede Vorstellungskraft: Kinder, die ihren Müttern unter den Händen ermordet wurden, indem man sie lebendig ins Feuer warf, Menschen, die von Hunden zerrissen wurden, Menschen, die schlimmer behandelt wurden als das Vieh von seinem Schlächter, zu Tausenden ohne Grund ermordet und zu Tode gehungert – das ist die Geschichte der Hitlerherrschaft. Vor diesem Hintergrund ist es unsere Aufgabe als Ankläger, nicht nur so viele Beweise zu präsentieren, die notwendig sind, um die Schuld des Angeklagten zu zeigen, sondern wir sollten die ganze Wahrheit aufdecken, die vollständige Wahrheit. […] Es sollte die Frage beleuchtet werden, in welchem Ausmaß sich das ganze deutsche Volk für die fürchterlichen Verbrechen, die von den Männern an seiner Spitze begangen worden sind, vor der Menschheit verantworten muss.“ 80 Abgesehen von den sehr ambitionierten Zielsetzungen des Staatsanwalts, ist die im Zitat beschriebene Sicht auf die NS-Täter interessant. Cyprian machte nicht allein die NS-Führungsspitze für die Massenverbrechen verantwortlich, sondern stellte auch die Frage nach einer Mitschuld der einfachen deutschen Zivilbevölkerung. Um Göth seine ihm vorgeworfenen Taten zu überführen, wurden viele Zeugen nach Krakau geladen, um gegen den „Schlächter von Plaszow“ auszusagen. Über die genauen Geschehnisse und seine Tatbeteiligung an der Ghettoauflösung in Tarnów Anfang September 1943 wurden zahlreiche Aussagen zu Protokoll gegeben, die dessen Grausamkeit detailliert bezeugten. So schilderte der Zeuge Berek F. in der Hauptverhandlung, wie der Angeklagte während der Ghettoliquidierung in Tarnów rund 50 Personen, darunter Kinder und Frauen, eigenhändig erschoss. 81 Hen79 80 81

Ebd. Zitiert nach: Sachslehner, Tod, S. 374 f. Aussage Berek F. v. 28. 8. 1946, USHMM, RG-15.170M, reel 2, Bl. 57.

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Abb. 9. Amon Leopold Göth bei seiner Gefangennahme.

ryk F. berichtete Entsprechendes. 82 Auch seitens des Überlebenden Leon L. wurden schwere Tatvorwürfe erhoben. Er schilderte den Fall einer jungen Jüdin, die sich während der Ghettoauflösung mit der Bitte an Göth wandte, wie ihr Verlobter in das Aufräumkommando eingeteilt zu werden. Als er dies verweigerte, bat sie ihn erneut um die Aufnahme in das Kommando. Daraufhin habe Göth der Frau befohlen, sich umzudrehen und habe sie anschließend erschossen. 83 Verhandelt wurde der Prozess bis zum 5. September 1946, an dem Tag erging das Todesurteil gegen den Intensivtäter. 84 Zwar bat Göth noch am selben Tag darum, die Todesstrafe in eine Freiheitsstrafe umzuwandeln, dies wurde jedoch abgelehnt. 85 Er wurde am 13. September in Krakau hingerichtet. 86

82

Dto. Henryk F. v. 29. 8. 1946, ebd., Bl. 89. Dto. Leon L. v. 28. 8. 1946, ebd., Bl. 61 f. 84 Urteil Oberster Volksgerichtshof Krakau v. 5. 9. 1946, ebd. 85 Amon Leopold Göth an Staatspräsidenten der polnischen Republik v. 5. 9. 1946, ebd. 86 Staatsanwalt des Bezirksgerichts Krakau an Sekretariat NTN in Warschau v. 24. 9. 1947, ebd., Bl. 225. 83

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Zur selben Zeit befand sich der einstige Angehörige der Sicherheitspolizei-Außenstelle Wilhelm Heinrich Rommelmann bereits in Haft. Der berüchtigte Judenreferent war nach seiner Tätigkeit in Tarnów vermutlich im September 1943 zur Gestapo nach Bremen versetzt worden, wo er bis Ende April 1945 arbeitete. Nach Auflösung der Dienststelle begab er sich nach Darmstadt. Von dort aus setzte er sich unter falschem Namen zunächst nach Wilstedt, kurze Zeit später nach Uelzen ab. Am 3. Juni 1946 wurde Rommelmann schließlich von britischen Behörden gefasst und anschließend in Dachau interniert. 87 Rommelmanns Inhaftierung wurde in Bremen rasch bekannt. So wurde im Oktober 1946 ein anonymes Schreiben an das Internierungslager Dachau gerichtet, in dem dessen in Tarnów begangene Verbrechen detailliert beschrieben wurden: „Wie wir in Erfahrung gebracht haben, befindet sich im dortigen Lager der Gestapobeamte Willy Rommelmann aus Bremen in Haft. Rommelmann war früher aktiver Polizeibeamter und hat sich kurz vor Anfang des Kriegs als aktiver Beamter zur Gestapo freiwillig gemeldet. In dieser Eigenschaft als Gestapobeamter kam Rommelmann nach Tarnow in Polen, wo er als Judenhenker jahrelang tätig war“ 88, hieß es in dem Schreiben. Der unbekannte Absender fuhr fort: „Als führender SS- und Gestapomann entschied er über Tod und Leben der Juden. Täglich bestimmte Rommelmann in dem Ghetto die dem Tode geweihten Juden.“ 89 Obgleich Rommelmann eine zentrale Rolle innerhalb der Dienststelle der Sicherheitspolizei in Tarnów innegehabt hatte, dauerten die Ermittlungen gegen ihn aufgrund der schwierigen Beweiserhebung verhältnismäßig lange. Eingeleitet wurde das Verfahren bereits im Sommer 1945, im Februar 1947 wurde er nach Polen ausgeliefert. 90 Nachdem genügend Zeugen gefunden worden waren, die vor Gericht aussagen wollten, konnte das Hauptverfahren vor dem Bezirksgericht in Tarnów eingeleitet werden. Rommelmann, der unter anderem angeklagt war, „in der Zeit von Mai 1942 bis zum Herbst 1943 in Tarnów, im Kreise Tarnów in den Brzeziner und Dąbrowaer Kreisen, wo er als Judenreferent die Aufsichtsfunktionen über die Ghettos ausübte, […] an Massen- und individuellen Morden an Personen jüdischer Herkunft [teilgenommen zu haben], indem er diese 87

Identifizierung des Gefangenen Wilhelm Heinrich Rommelmann v. 14. 11. 1946, AIPN Kr, Kr 502/1997, Bl. 68 f. 88 Schreiben an Gerichtshof des Internierungslagers Dachau v. 28. 10. 1946, ebd., Bl. 43. 89 Ebd. 90 Musial, Prozesse, S. 49; Urteil Bezirksgericht VI. Strafkammer Tarnów v. 25. 3. 1948, BAL, B 162/2151, Bl. 999.

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Personen erschoß oder auf andere Weise liquidierte“ 91, wurde am 25. März 1948 zum Tode verurteilt. 92 Er focht das Urteil mittels eines Kassationsgesuchs an, das er mit der Verletzung der „römisch-europäischen Rechtsauffassung“ begründete. Der Oberste Gerichtshof wies dieses jedoch zurück. Auch die letzte Möglichkeit das Todesurteil abzuwenden, ein Gnadengesuch beim Präsidenten, blieb erfolglos. 93 Rommelmann wurde am 9. November in Tarnów hingerichtet. 94 Die polnische Justiz fahndete jedoch nicht nur nach reichsdeutschen Tätern. Auch Volksdeutsche, die Verbrechen in Tarnów begangen hatten, gerieten in den Ermittlungsfokus. So wurde auch der 1905 in Kattowitz geborene Jerzy (Georg) Kastura, der als Dolmetscher bei der Sicherheitspolizei-Außenstelle Tarnów tätig gewesen war, noch zur Verantwortung gezogen. Er war unter anderem angeklagt, sich an den Deportationen der jüdischen Bevölkerung und an der Suche nach versteckten Juden beteiligt zu haben. 95 Am 17. Januar 1948 wurde Kastura vom Amtsgericht in Tarnów zum Tode verurteilt und am 5. Juni hingerichtet. 96 Auch gegen den 1894 in Sierot geborenen Volksdeutschen Feliks S. wurden Ermittlungen in Polen geführt. Der frühere Angehörige der Sicherheitspolizei wurde Anfang Juli 1947 verhaftet. Ihm wurde unter anderem zur Last gelegt, sich an den Aktionen gegen die Juden der Stadt beteiligt zu haben. 97 Obgleich ihm das Bezirksgericht in Tarnów keine konkrete Tatschuld nachweisen konnte, wurde er für seine Zugehörigkeit zur Sicherheitspolizei am 31. Dezember 1948 zu 84 Monaten Gefängnis verurteilt. 98 Einer der Hauptverantwortlichen für die Verbrechen im Distrikt Krakau, der einstige SSPF Julian Scherner, konnte dagegen nicht mehr belangt werden. Er kam bereits vor Ende des Kriegs um. 99 Allerdings gelang es, Willi Haase Anfang 1947 in der Steiermark zu verhaften. Haase nahm ebenfalls eine zentrale Rolle im Prozess der Judenverfolgung im Distrikt Krakau ein: Er hatte im November 1942 Martin Fellenz als Stabschef des 91

Ebd., Bl. 999 f. Ebd., Bl. 999 ff. 93 Musial, Prozesse, S. 51. 94 Schreiben v. 14. 1. 1970, OKŚZpNP Kr, Ds 1/70, Bd. 6, Bl. 16. 95 Urteil Bezirksgericht Tarnów v. 17. 1. 1948, ebd., Bl. 19. 96 Schreiben Staatsanwalt Bezirksgericht Tarnów v. 5. 6. 1948, AIPN Kr, Kr 502/ 1937, Bl. 252. 97 Haftbefehl Bezirksgericht Tarnów gegen Felix S. v. 5. 7. 1947, AIPN, GK 164/ 3856, Bd. 1, Bl. 12. 98 Urteil Bezirksgericht Tarnów v. 31. 12. 1948, ANK-T, 33/93/SOT V 48. 99 Dto. LG Bochum v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 320. 92

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Nach dem Massenmord

SSPF abgelöst. Nach seiner Verhaftung wurde Haase zunächst in das Internierungslager Wolfsberg gebracht. 100 Im April 1950 forderte Polen seine Auslieferung.101 Nach mehreren Terminverschiebungen stand Haase schließlich ab dem 31. Juli 1950 vor dem britischen Auslieferungstribunal in Hamburg. Es waren viele Zeugen geladen, die genaue Auskunft über seine Rolle und Beteiligung an der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Distrikt Krakau geben konnten. 102 Das Tribunal in Hamburg stimmte der Auslieferung schließlich zu. Unter anderem wurde Haase von den polnischen Behörden zur Last gelegt, für die Ghettoliquidierungen in Krakau und Bochnia verantwortlich gewesen zu sein. Während vor dem Hamburger Auslieferungstribunal keinerlei Bezug zu Tarnów hergestellt wurde, war dies im polnischen Urteil deutlich anders. Abschnitt drei erwähnte das Ghetto in Tarnów: „In den Jahren 1942 und 1943 auf dem Gebiet des Distrikts Krakau, unter Ausnutzung der durch den Krieg geschaffenen Bedingungen, hat er der jüdischen Bevölkerung unter Androhung von Repressionen allerlei wertvolle Gegenstände abgezwungen und sich auch größere Mengen an Schmuck, der den Juden gehörte, angeeignet, der in den Lagerstätten in Szebnie und Plaszow und im Ghetto in Tarnów gelagert wurde.“ 103 Haase wurde für die von ihm begangenen Verbrechen am 29. Juni 1951 zum Tode verurteilt.104 Während in Polen bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit Ermittlungsverfahren und Verurteilungen von NS-Tätern wegen der Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung in Tarnów stattgefunden hatten, wurden umfangreiche Ermittlungen gegen Angehörige des deutschen Besatzungsapparats in der Bundesrepublik Deutschland erst in den 1960er Jahren eingeleitet.105 In der unmittelbaren Nachkriegszeit hatten sich Spruchkammern und Spruchgerichte im von den Alliierten besetzten

100 Schreiben jüdische historische Dokumentation an die juristische Abt. des jüdischen Zentralkomitees in München v. 17. 2. 1950, AIPN Kr, Kr 502/2206, Bl. 230; dto. Zentralkomitee der befreiten Juden in der amerikanisch besetzten Zone in Deutschland an die polnische Militärkommission v. 22. 10. 1948, ebd., Bl. 134. 101 Protokoll Auslieferungstribunal v. 31. 7. 1950, ebd., Kr 502/2207, Bl. 41. 102 Ebd., Bl. 41–58. 103 Urteil Bezirksgericht Krakau v. 29. 6. 1951, ebd., Bl. 232 [Übersetzung aus dem Polnischen]. 104 Ebd., Bl. 233. 105 Demgegenüber konnten keine ostdeutschen NS-Verfahren ermittelt werden, die Bezug auf den Tatort Tarnów nahmen. Aus diesem Grund wurde auf eine Darstellung der Verfolgung und Ahndung von NS-Verbrechen in der Deutschen Demokratischen Republik verzichtet.

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Deutschland um die Aufklärung und Ahndung von NS-Verbrechen in den sogenannten Entnazifizierungsverfahren auf Grundlage des im März 1946 von den Ländern erlassenen Gesetzes „zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ bemüht. Mit Hilfe eines Fragebogens sollte die politische und gesellschaftliche Tätigkeit von Personen während der NSZeit überprüft werden.106 Anschließend erfolgte deren Einstufung in eine der folgenden fünf Gruppen: Entlastete, Mitläufer, Minderbelastete, Belastete oder Hauptschuldige.107 Schnell jedoch sollte nicht nur das oberflächliche Verfahren selbst, sondern auch die milde Beurteilungspraxis von NS-Tätern durch die Spruchkammern in Kritik geraten. Die alliierten Vorbehalte gegen die Ausübung einer deutschen Strafgerichtsbarkeit verloren mit dem 1. Januar 1950, als das Gesetz Nr. 13 der Alliierten Hohen Kommission in Kraft trat, ihre Gültigkeit. Nun konnten deutsche Gerichte auch Verbrechen verfolgen, die von Nicht-Deutschen begangen worden waren.108 Am 1. Juni 1951 zog der britische, am 31. August auch der französische Hochkommissar die Oberhoheit zur Ahndung von NS-Verbrechen nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 zurück. Seitdem war auf dem Gebiet der Bundesrepublik allein das deutsche Strafgesetzbuch bei der Ahndung von NS-Verbrechen maßgebend. 109 Allerdings kam es nach dem Wegfall der alliierten Vorbehalte keineswegs zu einer intensiv und systematisch geführten Strafverfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen durch die westdeutsche Justiz.110 Gerade zu Beginn der 1950er Jahre gingen die vor westdeutschen Gerichten geführten NS-Verfahren vielmehr stark zurück. 111 Erst mit der Einrichtung der Ludwigsburger Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen im Jahre 1958 wurde eine Wende bezüglich der systematischen Verfolgung von NS-Verbrechen eingeläutet. 112 Unmittelbarer Anlass für die Schaffung dieser Institution bildete der sogenannte Ulmer Einsatzgruppen-Prozess, in dessen Rahmen der Verdacht aufkam, dass ähnliche Verbrechenskomplexe noch nicht ermittelt und geahndet worden waren. Die Zentrale Stelle klärt bis heute durch systematische Recherchetätigkeiten Tatkomplexe auf, schließt die staatsanwaltschaftlichen Vorermittlungen gegen NS-Täter 106 107 108 109 110 111 112

Rückerl, Strafverfolgung, S. 38 f. Ebd., S. 39. Eichmüller, Generalamnestie, S. 42; Osterloh/Vollnhals, Einleitung, S. 23. Eichmüller, Generalamnestie, S. 3 f. Stoll, Herstellung, S. 68. Eichmüller, Strafverfolgung, S. 627. Vgl. hierzu übergreifend Weinke, Gesellschaft.

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Nach dem Massenmord

ab und leitet diese nach Abschluss der zuständigen Staatsanwaltschaft zu. Allein mit Beginn ihrer Tätigkeit im Dezember 1958 bis zum Jahresende 1964 führte die Zentrale Stelle 701 Vorermittlungsverfahren, wovon 545 an die jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgegeben worden waren.113 In der Folgezeit kam es zu umfangreicheren Ermittlungen gegen NS-Täter.114 Nach Recherchen des Münchner Instituts für Zeitgeschichte betrug die Gesamtzahl der rechtskräftigen Verurteilungen durch westdeutsche Gerichte wegen NS-Verbrechen insgesamt 6.656. 115 Zieht man in Betracht, dass westdeutsche und bundesdeutsche Staatsanwaltschaften zwischen 1945 und 2005 insgesamt 36.393 Strafverfahren wegen NS-Verbrechen führten, die sich gegen 172.294 Beschuldigte richteten 116, erscheint die Zahl der wegen NS-Verbrechen verurteilten Personen jedoch gering. Ein umfangreicher bundesdeutscher Prozess, der sich mit dem Tatort Tarnów befasste, fand gegen den 1909 geborenen Martin Fellenz, ehemaliger Stabsführer beim SSPF in Krakau und Vorgänger Willi Haases, statt. Gegen Hans Wilhelm Bartsch, Adjutant des SSPF Krakau, wurden ebenfalls Ermittlungen geführt, die allerdings andere Tatorte innerhalb des Distrikts Krakau betrafen.117 Fellenz, der 1960 in Untersuchungshaft kam, 113

Rückerl, Strafverfolgung, S. 58. Die Ludwigsburger Zentrale Stelle diente in den Verjährungsdebatten der Jahre 1964, 1969 und 1979 als Argument, dass bis dato noch nicht alle NS-Verbrechen hinreichend aufgeklärt worden seien. Vgl. Greve, Täter, S. 197. Bis zum 31. 12. 2007 gab die Ludwigsburger Zentrale Stelle 7.617 Vorermittlungsverfahren an die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft ab. Vgl. Schrimm/Riedel, Zentrale Stelle, S. 527. 115 Eichmüller, Strafverfolgung, S. 634. Diese Zahl weicht allerdings von der Statistik des Bundesministeriums der Justiz v. 1. 1. 2004 ab: Dieser zufolge wurden seit dem 8. 5. 1945 insgesamt 106.496 Vorermittlungs- und Ermittlungsverfahren geleitet, wobei lediglich 6.498 Personen rechtskräftig verurteilt wurden. Vgl. Stoll, Herstellung, S. 81. In den 1960er Jahren fand ein „Paradigmenwechsel in der Strafverfolgung“ statt. Nahmen vor den 1960er Jahren 29 Prozent der Verfahren Bezug auf Verbrechen gegenüber jüdischen Opfern, waren dies nach 1960 76 Prozent. Vgl. Wolfrum, Verbrechen, S. 7. 116 Eichmüller, Strafverfolgung, S. 624 f. 117 Hans Wilhelm Bartsch, Adjutant des SSPF Krakau, wurde am 14. 2. 1967 durch das Schwurgericht Bochum aufgrund seiner Mitwirkung an der „Judenaussiedlung“ in Neu-Sandez im August 1942 wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, allerdings sah das Gericht gemäß § 47 II des früheren Militärstrafgesetzbuches zunächst von einer Strafe ab. Nach einer zweimaligen Revision wurde Bartsch durch das Schwurgericht Bochum am 18. 10. 1971 wegen Beihilfe zum Mord zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, wobei die Untersuchungs- und Internierungshaft angerechnet und die Voll114

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war bis dahin kaum für sein Handeln zur Verantwortung gezogen worden. Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches flüchtete er zunächst mit dem Stab des HSSPF nach Lüneburg, wo er von den Briten in Haft genommen wurde. Er verbrachte eine Zeit im Schleswiger Reservelazarett, bis er am 13. Juni 1945 eine Haftstrafe zunächst in Munster-Lager und anschließend in Fallingbostel antreten musste. Ende Mai 1947 entließ man Fellenz nach Schleswig, allerdings mit der Auflage, die britische Besatzungszone nicht zu verlassen. Im Rahmen eines Entnazifizierungsverfahrens stufte man ihn am 22. Dezember 1947 groteskerweise in die Gruppe IV der Mitläufer ein. Mitte Oktober 1948 wurde er von der Spruchkammer V in Bielefeld wegen seiner Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Organisation zu 15 Monaten Haft verurteilt, wobei die Strafe durch seine vorherige Internierung als abgegolten galt.118 Nachdem Fellenz im Mai 1947 aus dem Gefängnis entlassen worden war, arbeitete er zunächst als Geschäftsführer in der Schleswiger Bäckerei seines Schwiegervaters. In den folgenden Jahren realisierte er als Mitglied der FDP sogar eine politische Karriere und wurde in den Jahren 1955 und 1959 zum Ratsherrn der Stadt Schleswig gewählt. Aber nicht nur in beruflicher Hinsicht war Martin Fellenz vollständig in der Bundesrepublik angekommen. Auch gesellschaftlich war er engagiert und angesehen. Fellenz, der stets seiner Leidenschaft für die Musik nachgegangen war, leitete nun drei Chöre und war als Kreischorleiter tätig.119 Nichts schien mehr an den ehemaligen Mitarbeiter des SSPF Krakau zu erinnern, der für die Deportationen tausender Juden aus dem Distrikt mitverantwortlich war. Dies änderte sich am 20. Juni 1960 schlagartig. Gerade als er von einer Reise aus Großbritannien in seine Heimat zurückkehrte, wurde er verhaftet. 120 Er stehe unter dem dringenden Tatverdacht, „an der von den Machthabern des Dritten Reiches aus rassischen Gründen betriebenen Ermordung von Justreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit Urteil vom 5. 12. 1972 verurteilte ihn das Landgericht Arnsberg aufgrund seiner Mitwirkung an der „Aussiedlungsaktion“ in Jaslo Mitte August 1942 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Das Gericht legte unter Berücksichtigung des Urteils vom 18. 10. 1971 eine Gesamtfreiheitsstrafe von insgesamt fünf Jahren und sechs Monaten fest. Vgl. Urteil LG Arnsberg v. 5. 12. 1970, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 780, S. 538 f., 598–600. 118 Dto. LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: ebd., Bd. 23, Lfd. Nr. 619a, S. 72. 119 Ebd. 120 Die Zeit v. 17. 9. 1965, „Angeklagt: Martin Fellenz. Das Porträt eines ‚guten Deutschen‘. http://www.zeit.de/1965/38/angeklagt-martin-fellenz (letzter Aufruf: 10. 2. 2014).

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den in Miechow, Tarnow, Michalowice, Reichshof und Przemysl mitgewirkt zu haben“ 121, formulierten die westdeutschen Juristen in Kiel. Seit dem 20. Juni befand er sich aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Schleswig in Untersuchungshaft in Flensburg.122 Vor dem dortigen Schwurgericht wurde ihm ab dem 14. November 1962 der Prozess gemacht. Fellenz führte zu seiner Verteidigung an, nicht gewusst zu haben, dass man die im Zuge der Mordaktionen deportierten Menschen in ein Vernichtungslager gebracht habe. Er sei vielmehr der Ansicht gewesen, dass die Juden zum Arbeitseinsatz in den Osten transportiert werden würden. Dies hätte allerdings, so die Staatsanwaltschaft, seiner Stellung innerhalb des SSPFApparats widersprochen. Als Stabsführer sei er mit den geheimsten Befehlen betraut gewesen und musste aus diesem Grund von den eigentlichen Zielen der Transporte genaue Kenntnis gehabt haben. 123 Er selbst sah sich als „kleines Rädchen“ innerhalb der Vernichtungsmaschinerie 124: „Ich bin mir keiner Schuld bewußt. Mit den Judenaussiedlungen habe ich nichts zu tun. Ich habe sie zwar gesehen. Aber ich war nur als Beobachter dabei. Nicht als Kontrolleur. Erst recht nicht als ‚Befehlsgeber‘.“ 125 Zu seiner Entlastung führte der Angeklagte an, die Taten aufgrund an ihn ergangener Befehle ausgeführt zu haben. Diesen so häufig vorgebrachten Befehlsnotstand ließ das Gericht allerdings nicht gelten. Die Richter in Flensburg sahen diese Entschuldigung als reine Schutzbehauptung an: „Es ist vielmehr festzustellen, dass der Angeklagte keineswegs bei den Judenaussiedlungen tätig geworden ist zum Zwecke der Rettung aus einer auch nur vermeintlichen Zwangs- und Gefahrenlage“ 126, hieß es in der Urteilsschrift. Selbst einen Putativnotstand, also den vermeintlich existenten persönlichen Notstand, sah das Gericht als widerlegt an.127 Fellenz verteidigte sich auch damit, nach der Mordkampagne in Tar-

121

Urteil LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: JNSV, Bd. 23, Lfd. Nr. 619a, S. 72. Auszug Schreiben StA beim LG Kiel, v. 16. 6. 1965, OKŚZpNP Kr, Ds 3/67, Bd. 1, Bl. 2. 123 Urteil LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: JNSV, Bd. 23, Lfd. Nr. 619a, S. 102. 124 Die Zeit v. 11. 1. 1962, „Abgeschossen – wie Hasen. In Flensburg ging der Prozeß gegen den ehemaligen SS-Sturmbannführer Martin Fellenz zu Ende“, in: http:// www.zeit.de/1963/02/abgeschossen-wie-hasen (letzter Aufruf: 10. 2. 2014). 125 Zitiert nach: Die Zeit v. 23. 11. 1962, „Martin Fellenz war ein angesehener Bürger. Ein Ratsherr in Schleswig wurde des 40 000-fachen Mordes angeklagt“, in: http://www.zeit.de/1962/47/martin-fellenz-war-ein-angesehener-buerger (letzter Aufruf: 10. 2. 2014). 126 Urteil LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: JNSV, Bd. 23, Lfd. Nr. 619a, S. 105 f. 127 Ebd., S. 106. 122

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nów einen Antrag auf Versetzung zur Front eingereicht zu haben. Ab 1. November 1942 wurde er tatsächlich für eine begrenzte Zeit an der Front bei der Waffen-SS eingesetzt. Die Staatsanwaltschaft sah jedoch entgegen Fellenz Ansicht das Versetzungsgesuch nicht als „Risiko für den Angeklagten im Sinne schädlicher Auswirkungen für seine Stellung“. 128 Was seine Beweggründe für den Antrag auf Versetzung anbelangte, so lagen „sie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keineswegs allein in seiner Abneigung gegen seine dienstliche Verwendung bei Judenaussiedlungen“.129 Einem Zeugen sagte Fellenz, dass er als Stabsleiter genug gearbeitet und zudem Spannungen mit Scherner habe, so daß er sich nun an der „Front bewähren“ wolle.130 Überdies habe er gegenüber einer Schreibkraft der Dienststelle geäußert, dass ihm der „Bürokram“ nicht liegen würde.131 Angesichts all dieser Erkenntnisse kam die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis, „dass für den Angeklagten […] als Beweggrund im Vordergrund gestanden hat, den Krieg nicht in einer Bürostellung, die er wohl mit Recht als Etappenstellung aufgefasst hat, zu verbringen, sondern im Interesse seiner weiteren Laufbahn bei der SS die nötige Frontbewährung bei der Waffen-SS hinter sich zu bringen“. 132 Um den Angeklagten zu überführen, lud die Flensburger Staatsanwaltschaft 145 Zeugen, die gegen den einstigen Angehörigen des SSPF-Stabes aussagen sollten. 133 Anfang 1963 erging schließlich das Urteil gegen Fellenz. Am 11. Januar wurde er aufgrund seiner Mitwirkung an den Deportationen in Reichshof und Przemyśl zu einer Gesamtstrafe von vier Jahren Zuchthaus verurteilt. In allen anderen Anklagepunkten, die den Judenmord in Miechów, Tarnów und Michalowice betrafen, wurde Fellenz freigesprochen. 134 Damit war die „causa Fellenz“ jedoch noch nicht endgültig abgeschlossen. Nachdem die Staatsanwaltschaft sowie der Verurteilte selbst in Revision gegangen waren, wurde das Urteil des Schwurgerichts Flensburg bezüglich Tarnów, Michalowice, Reichshof und Przemyśl am 8. Oktober 1963 durch den Bundesgerichtshof aufgehoben. Lediglich im Falle von Miechów galt der 128

Ebd. Ebd. 130 Ebd. 131 Ebd. 132 Ebd. 133 Die Zeit v. 23. 11. 1962, „Martin Fellenz war ein angesehener Bürger. Ein Ratsherr in Schleswig wurde des 40 000-fachen Mordes angeklagt“, in: http://www.zeit. de/1962/47/martin-fellenz-war-ein-angesehener-buerger/seite-2 (letzter Aufruf: 10. 2. 2014). 134 Urteil LG Flensburg v. 11. 1. 1963, in: JNSV, Bd. 23, Lfd. Nr. 619b. 129

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Freispruch als rechtskräftig. Das Verfahren wurde anschließend an das Schwurgericht Kiel zurückverwiesen. 135 Allerdings verurteilte die Kieler Staatsanwaltschaft Fellenz nicht wegen der ihm zur Last gelegten Einzeltötungen: „Die Basis, die die Zeugenaussagen ergeben hätten, sei zu schmal, um auf ihr eine Verurteilung des Angeklagten zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe wegen Mordes gründen zu können“,136 hieß es seitens des Gerichts. Aufgrund der gegebenen Umstände wurde Martin Fellenz am 27. Januar 1966 zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.137 Gerade am Fall Fellenz, der aufgrund seiner Stellung innerhalb des SS- und Polizei-Gefüges und der daraus resultierenden Tatbeteiligung bei zahlreichen Mordkampagnen im Distrikt Krakau involviert war, wird die milde Urteilspraxis deutscher Gerichte in den 1960er Jahren mehr als deutlich. Die siebenjährige Haftstrafe, die er verbüßen musste, stand in keinerlei Verhältnis zu seiner Involviertheit in die Shoah. Nach seiner Haftentlassung konnte der ehemalige SS-Sturmbannführer noch ein sorgenfreies und langes Leben führen. Er starb im Jahr 2007 als freier Mann. Einige Jahre vor Fellenz Verurteilung erging ein Urteil gegen einen anderen in Tarnów agierenden Täter. Hermann Blache, ehemaliger Leiter des jüdischen Zwangsarbeitslagers Tarnów (Ghettobereich A), wurde mit Urteil vom 30. April 1964 in 22 Fällen des Mordes und in einem Fall der Beihilfe zum Mord schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. 138 Dabei schien nach der Kapitulation NS-Deutschlands die Situation für Blache zunächst verhältnismäßig günstig zu sein. Nach Ende des Kriegs wurde er zwar von den Amerikanern gefangengenommen und verbüßte eine einjährige Internierungshaft in den französischen Lagern Cherbourg, Bolbeck und Le Havre, bis er im Juni 1946 über das Lager Babenhausen in das Internierungslager Darmstadt überführt wurde. Von dort kam er im Juni 1947 in das Internierungslager Recklinghausen, wo gegen ihn ein Spruchkammerverfahren aufgrund seiner Zugehörigkeit zur allgemeinen SS und der Waffen-SS geführt wurde. Mit Urteil vom 2. März 1948 wurde er jedoch lediglich zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, die allerdings aufgrund seiner vorherigen Internierungshaft als verbüßt galten. Nachdem er am 2. April 1948 aus der Haft entlas-

135

Dto. LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: ebd., Lfd. Nr. 619a, S. 69. Zitiert nach: Die Zeit v. 4. 2. 1966, „Das zweite Urteil. Sieben Jahre Zuchthaus für Fellenz“, in: http://www.zeit.de/1966/06/das-zweite-urteil (letzter Aufruf: 10. 2. 2014). 137 Urteil LG Kiel v. 27. 1. 1966, in: JNSV, Bd. 23, Lfd. Nr. 619a, S. 109. 138 Dto. LG Bochum v. 30. 4. 1964, in: ebd., Bd. 20, Lfd. Nr. 571, S. 142 f. 136

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sen worden war, ließ sich Blache mit seiner Familie in Bochum nieder. Dort arbeitete er in den folgenden Jahren zunächst als Bauhilfsarbeiter und Gleiswerker. Seit 1954 war er als Sägehilfe in einem Walzwerk beschäftigt. Am 28. September 1961 wurde Blache verhaftet. 139 Obwohl sich der Tatverdacht aufgrund einer Fülle von Überlebendenaussagen gegen ihn erhärtete, plädierte Blache während der Voruntersuchung sowie während des gesamten Prozesses auf unschuldig. Er könne nicht nachvollziehen, „daß [er] so belastet werde, zumal [er] soviel Gutes für die Juden getan habe“.140 Nie habe er auf Juden geschossen. Zudem käme es ihm so vor, „als ob man [ihm] jetzt die ganzen Sachen, die die Gestapo damals gemacht hat, in die Schuhe schieben [wolle]“. 141 Mit „man“ meinte er die jüdischen Überlebenden.142 Blache wies jede Schuld von sich, ja er verhöhnte die Opfer sogar, indem er sich selbst als „Judenfreund“ präsentierte: „Abschließend möchte ich bemerken, daß ich niemals einen Rassenhaß gehabt habe, insbesondere nicht gegen die Juden. Ich habe die Juden geliebt und geschätzt. Sie waren mir so lieb wie jeder andere. Ich habe mich in Tarnow beispielhaft für alle Deutsche verhalten.“ 143 Blaches Darstellung stand jedoch in unvereinbarem Gegensatz zu den Zeugenaussagen, die ihn, der einer Aussage nach auch als „Judenhäuptling“ bezeichnet wurde 144, schwer belasteten. So sagte beispielsweise ein Überlebender aus, dass Blache selbst seinen Sohn dazu angestiftet habe, Juden zu erschießen: „Blache hat sich verschiedenen Juden gegenüber damit gerühmt, dass sein Sohn schon ein guter Schütze sei, womit er nur gemeint haben kann, dass sein Sohn eine gute Treffsicherheit bei der Erschiessung von Juden habe.“ 145 Im Urteil wurde über den Täter festgestellt: „Der Angeklagte ist ein gefühlskalter Mensch. Das ergibt sich nicht nur aus seiner Haltung während der vierten Vernichtungsaktion, sondern war auch noch in der Hauptverhandlung zu erkennen. Von echter Reue und von Einsicht in die erschreckende Bilanz seines Wirkens als Gettoleiter war nichts zu spüren. Selbst angesichts der als Folge ihrer Inhaftierung und unvorstellbar grausamen Behandlung noch heute mehr oder weniger körperlich und seelisch

139 140 141 142 143 144 145

Ebd., S. 111. Zeugengegenüberstellung v. 4. 12. 1962, LNW, 8632, Bl. 46. Vern. Hermann Blache v. 10. 10. 1963, ebd., 8586, Bl. 2080. Ebd. Ebd., Bl. 2081. Aussage Gerda S. v. 11. 10. 1962, ebd., 8488.2, Bl. 1848. Dto. Josef K. v. 28. 2. 1962, BAL, B 162/2150, Bl. 856.

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kranken Zeugen kam kein Wort des Bedauerns von den Lippen des Angeklagten. Eindringliche Vorbehalte von Zeugenaussagen, die von den Zeugen wegen des grauenvollen Geschehens nur unter Anspannung aller Kräfte gemacht wurden, liessen den Angeklagten unberührt. Sein Wesen, das durch die Taten bereits hinreichend gekennzeichnet wird, hat durch eine an sich selbstverständliche Einsicht in die begangenen Verbrechen und Reue über das begangene Unrecht bisher keine günstige Veränderung erfahren.“ 146 Somit ließ sich auch die Staatsanwaltschaft nicht von den Unschuldsbekundungen des NS-Täters täuschen. Blache verstarb im Jahr 1985, allerdings als freier Mann. Man hatte ihn vorzeitig aus der Haft entlassen.147 Das Gericht in Bochum war jedoch nicht nur im Falle Blache tätig, sondern es ermittelte weitere Angehörige der Sicherheitspolizei-Außenstelle Tarnów, die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung verdächtigt waren. Es handelte sich hierbei um Karl Oppermann, Gerhard Gaa sowie Georg Peter Libor. Oppermann arbeitete kurze Zeit vor dem Zusammenbruch des Dritten Reiches bei einer Polizeidienststelle in Eutingen bei Pforzheim. Wenige Tage vor Kriegsende erhielt er einen gefälschten Ausweis auf den Namen Karl Opel, mit dem er zunächst einige Jahre unerkannt lebte. Als Oppermann vom Straffreiheitsgesetz vom 31. Dezember 1949 erfuhr, suchte er im April 1950 die Kriminalpolizei in Pforzheim auf. Obwohl er dort einräumte, unter falscher Identität gelebt zu haben, wurde das Ermittlungsverfahren aufgrund des Gesetzes vom Dezember 1949 gegen ihn eingestellt. Nachdem er seit Anfang 1950 über ein Jahr krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen war, fand der SS-Mörder Anfang Juni 1951 eine Beschäftigung als Aushilfe in einer Karlsruher Firma, die er bis 1953 ausübte. Im Juli des Jahres wurde er beim Finanzamt der Stadt Karlsruhe angestellt, wo er eine bescheidene Karriere machte: Am 1. Juni 1955 ernannte man ihn zum Steuerassistenten unter Berufung in das Beamtenverhältnis, Ende März 1958 stieg er zum Steuersekretär und Mitte Dezember 1962 zum Obersteuersekretär auf. Im September 1964 wurde Oppermann auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzt. 148 Einen Monat später befand sich Oppermann in Untersuchungshaft.149 Er wurde angeklagt, als Angehöriger der Sicherheitspolizei-Außenstelle in 55 Fällen Ju146

Urteil LG Bochum v. 30. 4. 1964, in: JNSV, Bd. 20, Lfd. Nr. 571, S. 143. Kopie Sterbeurkunde Hermann August Blache v. 26. 6. 1985, LNW, 8593, Bl. 80; Entscheidung v. 3. 10. 1979, ebd., Bl. 71. 148 Urteil LG Bochum v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 309. 149 Ebd., S. 307. 147

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den getötet beziehungsweise bei deren Tötung mitgewirkt zu haben. 150 Oppermann, der wegen seiner Grausamkeit in Tarnów sehr gefürchtet gewesen war, bestritt jegliche Tatbeteiligung und gab zu Protokoll, dass er „mit der Aussiedlung und Erschiessung von Juden nichts zu tun gehabt“ habe.151 Zwar sei er einmal einer Deportation zugeteilt worden, „bekam dann aber die Angina und lag im Bett.“ 152 Er selbst habe sich in Tarnów „gesetzmässig und korrekt verhalten“. 153 Das Landgericht in Bochum ließ sich von Oppermanns Unschuldsbekundungen allerdings nicht täuschen. Er wurde am 10. Juli 1969 des Mordes in 47 Fällen schuldig gesprochen. Das Urteil gegen ihn lautete lebenslänglich.154 Der 1905 in Köln geborene Gerhard Gaa war seit Herbst 1942 Angehöriger der Sicherheitspolizei-Außenstelle in Tarnów gewesen. Er wurde von der Staatsanwaltschaft Dortmund 1968 angeklagt, in den Jahren 1942 und 1943 durch mehrere selbstständige Handlungen aus niederen Beweggründen Beihilfe zur Tötung von Juden geleistet zu haben. Das Verfahren gegen Gaa wurde jedoch zunächst aufgrund von Verjährung mit Urteil vom 10. Juli 1969 eingestellt.155 Allerdings ging die Staatsanwaltschaft in Revision, sodass sich der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit dem Fall beschäftigte. Dieser hob mit Urteil vom 20. März 1973 das Urteil des Schwurgerichts Bochum in einigen Fällen der Tatbeteiligung Gaas auf, sodass das Verfahren gegen ihn nach Bochum zurückverwiesen wurde.156 Dort wurde der Fall ab dem 5. März 1974 erneut verhandelt. Mit Urteil vom 12. September wurde Gaa der Beihilfe zum Mord in zwei Fällen schuldig gesprochen. Das betraf seine Teilnahme an der dritten und vierten Vernichtungsaktion in Tarnów. Allerdings wurde gemäß Paragraph 47 Abs. 2 des Militärstrafgesetzbuches 157 im Fall Gaa von einer Strafe abge150

Ebd., S. 335. Vern. Karl Oppermann v. 2. 12. 1960, BAL, B 162/2148, Bl. 168. 152 Dto. v. 28. 1. 1965, ebd., B 162/2156, Bl. 2244. 153 Ebd. 154 Urteil LG Bochum v. 10. 7. 1969, in: JNSV, Bd. 32, Lfd. Nr. 710a, S. 397. 155 Ebd., S. 399. 156 Dto. BGH v. 20. 3. 1973, in: ebd., Bd. 32, Lfd. Nr. 710b, S. 400 f. 157 § 47 des Militärstrafgesetzbuches lautet: „I. Wird durch die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt, so ist dafür der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich. Es trifft jedoch den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers: 1. wenn er den erteilten Befehl überschritten hat, oder 2. wenn ihm bekannt gewesen ist, dass der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein allgemeines oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte. II. Ist die Schuld des Untergebenen gering, so kann von seiner Bestrafung abgesehen werden.“ Zit. nach: Schwinge, Militärstrafgesetzbuch, S. 100. 151

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Nach dem Massenmord

sehen.158 Zu dessen Verantwortlichkeit äußerte sich das Gericht bemerkenswert täterfreundlich: „Wenn man abschliessend die engere Tatschuld des Angeklagten, ferner das von ihm in Tarnow sonst gezeigte dienstliche Verhalten und seine darin zum Ausdruck gekommene negative Einstellung zur Judenpolitik des Nationalsozialismus, sowie seinen übrigen, nicht immer glücklich verlaufenden Lebensweg in einer Gesamtschau [sieht], dann erscheint die Schuld des Angeklagten so sehr gemindert, dass jede Strafe – auch die gesetzliche Mindeststrafe von jeweils 9 Monaten Freiheitsentzug […] – nicht mehr gerecht sein und eine unerträgliche Härte bedeuten würde. Dabei kann nicht ausser Betracht bleiben, dass die von G. begangenen Taten jetzt über 30 Jahre zurückliegen; wegen dieses langen Zeitablaufs braucht dem Gedanken der Sühne im vorliegenden Fall angesichts der geringen Schuld des Angeklagten heute nicht mehr unbedingt Rechnung getragen zu werden.“ 159 Neben Oppermann und Gaa war auch Georg Peter Libor angeklagt, der während der deutschen Besatzung in Tarnów als Dolmetscher der Sicherheitspolizei-Außenstelle eingesetzt war.160 Libor agierte bereits in Haft und während des Prozesses reichlich verhaltensauffällig. So berichtete die Stuttgarter Zeitung von einem Zwischenfall, der vom Angeklagten ausging. Dieser behauptete, „der die Anklage vertretende Staatsanwalt Edwin Walden sei nicht identisch mit dem Staatsanwalt, dem er bei Vernehmungen während der Untersuchungshaft gegenübergestanden habe.“ Darüber hinaus betonte Libor, „daß er seit Wochen keinen Schlaf habe finden können, da während der Untersuchungshaft nachts immer an seine Heizungsrohre geklopft worden sei“.161 Im Oktober 1967 erstattete er Anzeige wegen eines vermeintlichen Giftmordversuchs. In der Strafanstalt Gelsenkirchen habe ihm ein Sanitäter zwei Vitamintabletten gegeben, bei denen es sich seiner Meinung nach jedoch um Gift gehandelt habe. Auch im Bochumer Gefängnis habe man ihn mehrere Male vergiften wollen.162 Aber nicht nur die vermeintlichen Mordanschläge auf ihn thematisierte der frühere Sicherheitspolizist. Er lehnte auch alle im Ruhrgebiet befindlichen Gerichte ab: „Ich will mit Polen und polnischen Juden, die im ganzen Ruhrgebiet bei den Staatsanwaltschaften und bei den Gerichten tätig

158

Urteil LG Bochum v. 12. 9. 1974, in: JNSV, Bd. 40, Lfd. Nr. 814, S. 167, 216. Ebd., S. 218. 160 Anklage StA Dortmund v. 10. 4. 1968, BAL, B 162/2163. 161 Stuttgarter Zeitung v. 7. 11. 1968, BAL, B 162/2168, Bl. 4682. 162 Schreiben Libors an Generalstaatsanwalt beim OLG Hamm v. 11. 4. 1968, LNW, 8640. 159

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sind, nichts zu tun haben, weil diese befangen sind.“ 163 Ob Libors Äußerungen und sein Verhalten nur dazu dienten, ein milderes Urteil aufgrund von Unzurechnungsfähigkeit zu erlangen, oder aber tatsächlich Symptome einer psychischen Störung darstellten, bleibt ungewiss. Da er jedoch lebensgefährlich in Haft erkrankte und aus diesem Grund als nicht mehr verhandlungsfähig galt, wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt. 164 In weiteren Fällen kam es zwar zur Anklageerhebung wegen NS-Verbrechen in Tarnów, jedoch endeten diese Ermittlungen mit Freisprüchen oder Verfahrenseinstellungen. Wie so viele NS-Täter profitierten sowohl Walter Baach als auch Ernst W. von der milden Beurteilungspraxis bundesdeutscher Gerichte. Mit Urteil vom 27. Juni 1972 wurden beide durch das Landgericht Bochum freigesprochen.165 In der Anklageschrift vom 17. November 1970 war ihnen zur Last gelegt worden, sich an Vernichtungsmaßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung in Tarnów beteiligt zu haben.166 Walter Baach, von Mai 1940 bis Mai 1942 Leiter der Sicherheitspolizei-Außenstelle, wurde unter anderem angeklagt, zwischen 1940 und 1941 durch sieben selbstständige, teils grausame Handlungen in Tarnów mindestens 112 Menschen getötet zu haben. Auf Befehl Baachs sollen Angehörige seiner Dienststelle mindestens 110 Juden erschossen haben. Bei den Opfern soll es sich in der Hauptsache um jene Juden gehandelt haben, die nach der Besetzung der Stadt zunächst nach Osten geflohen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder nach Tarnów zurückgekehrt waren.167 Ernst W., Angehöriger der Schutzpolizei, war 1940 nach Tarnów gekommen, wo er bis Juli 1944 Dienst tat. Ihm wurde zur Last gelegt, am 10. September 1942 einen älteren Juden erschossen zu haben. Daneben habe er „durch zwei weitere selbstständige […] Handlungen zusammen mit anderen Personen zu der aus niedrigen Beweggründen und grausam begangenen Tötung von Menschen durch Tat wissentlich Hilfe geleistet“. 168 Hierbei handelte es sich um die Mordaktion im September 1942 sowie die im September 1943 stattgefundene Auflösung des Ghettos.169 Sowohl Walter

163

Dto. an StA Dortmund v. 3. 4. 1968, ebd., 8640. Schreiben Erster Staatsanwalt an das LKA, 45 Js 11/68, StA Bochum v. 13. 2. 1969, ebd., 8645. 165 Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 297. 166 Anklage StA Dortmund v. 17. 11. 1970, BAL, B 162/2169, Bl. 4861 ff. 167 Ebd., Bl. 4862 f. 168 Ebd., Bl. 4864. 169 Ebd., Bl. 4865 f. 164

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Nach dem Massenmord

Baach als auch Ernst W. konnten hinsichtlich der in der Anklageschrift genannten Tatvorwürfe nicht überführt werden.170 Insgesamt mussten sich damit nur wenige Täter vor polnischen und bundesdeutschen Gericht verantworten. In der Bundesrepublik wurden lediglich vier NS-Täter schuldiggesprochen, für Polen konnten in dem Zusammenhang insgesamt sechs rechtskräftige Verurteilungen ermittelt werden.171 Etliche Täter wurden für ihre begangenen Verbrechen juristisch nicht zur Rechenschaft gezogen, da man sie nicht ermitteln konnte 172, sie sich auf der Flucht befanden 173 oder sie verstarben, ehe ein Verfahren gegen sie eingeleitet werden konnte.174 Der einstige Dolmetscher Oskar Jeck etwa wurde zwar schon 1947 festgenommen, ihm gelang es jedoch, aus der Untersuchungshaft zu entkommen. Seither befand sich Jeck auf der Flucht.175 Bei den Verurteilten handelte es sich ausschließlich um Angehörige des SS- und Polizeiapparats. Ehemalige Angehörige der Zivilverwaltung wurden in Ermittlungen einbezogen, allerdings wenn überhaupt nur als Zeugen befragt. Letztlich musste sich keiner für seine Tätigkeiten in Tarnów vor Gericht verantworten.176 Erfolgreich berufen konnten sie sich 170

Urteil LG Bochum v. 27. 6. 1972, in: JNSV, Bd. 37, Lfd. Nr. 775, S. 357. Möglicherweise wurden in Polen noch weitere Täter aufgrund von in Tarnów begangenen NS-Verbrechen verurteilt. In Polen wurden mehrere Ermittlungen gegen Deutsche geführt, die Verbrechen in und um Tarnów an der jüdischen Bevölkerung begangen haben sollten; hierbei kam es jedoch zu keinen Verurteilungen. Vgl. die Ermittlungen gegen Hans J., einem Angehörigen der Schutzpolizei Tarnów, der sich aktiv während seiner Dienstzeit in Polen an der Judenverfolgung und -ermordung beteiligt haben soll. In einem Brief an die Stadt v. 4. 6. 1946 schrieb ein Bekannter von ihm unter anderem Folgendes: „Dieser Hans J., Hauptwachtmeister geb. 4. 7. 07 zu Wilsdruff, war längere Zeit in Tarnów stationiert. Wenn er auf Urlaub kam, da hat er hier viel erzählt von den Judenpogromen, als erstes hätte er gegen Befehl ein kleines Kind erschießen müssen, Judenweiber haben ihm Geld geboten, sie noch länger leben zu lassen usw.“ Vgl. AIPN Kr, Kr 502/3751, Bl. 2. 172 Schreiben ZSL an LKA Baden-Württemberg betr. Voruntersuchung gegen Martin Fellenz u. a. wegen Mordes und Aufklärung von NS-Gewaltverbrechen in Tarnow v. 4. 5. 1961, BAL, B 162/2150, Bl. 418 ff. 173 Vgl. Haftbefehl gegen Nikolaus Ilkiw v. 19. 5. 1965, ebd., B 162/2156, Bl. 2331. Im Schreiben ist vermerkt, dass Ilkiw flüchtig sei. 174 So die ehemaligen Sicherheitspolizisten Palten und von Malottki. Palten verstarb 1958, ehe gegen ihn ein Ermittlungsverfahren angestrebt werden konnte. Von Malottki starb bereits 1948 in einem Kriegsgefangenenlager. Vgl. Grabowski, Hunt, S. 264; Urteil LG Bochum v. 12. 9. 1974, in: JNSV, Bd. 40, Lfd. Nr. 814, S. 173. 175 Schreiben Leiter der ZSt. Nordrhein-Westfalen an Untersuchungsrichter beim LG Bochum v. 21. 7. 1965, BAL, B 162/2156, Bl. 2389. 176 Vgl. etwa folgende Ermittlungsverfahren gegen Angehörige der Zivilverwal171

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darauf, von dem eigentlichen Ziel der Deportationen nichts gewusst zu haben. Das stand ganz im Zeichen der Rechtspraxis der 1960er Jahre. Sofern Verfahren gegen einstige Kreishauptleute angestrebt wurden, endeten diese entweder mit Verfahrenseinstellung oder einem Freispruch.177 Simon Wiesenthal wies im Dezember 1964 in einem Schreiben an die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg auf diesen Missstand hin: „Nach langem Studium konnten wir feststellen, dass bisher eine Gruppe von Personen, die vom Schreibtisch aus die Verbrechen des Nationalsozialismus unterstützt hat, nicht unter Anklage gestellt worden ist. Es handelt sich hier um die Kreis- und Stadthauptmänner im Generalgouvernement.“ 178 Der Schwere der begangenen Verbrechen konnte letztlich weder die in Polen noch die in der Bundesrepublik versuchte justizielle Ahndung auch nur in Ansätzen gerecht werden.

tung und Treuhänder: AIPN, GK 164/619, Bd. 1; ebd., GK 351/117; OKŚZpNP Kr, Ds 14/67; AIPN, GK 164/5020. 177 Musial, Zivilverwaltung, S. 370. 178 Schreiben Dokumentationszentrum des Bundes jüdischer Verfolgter des Naziregimes an die ZSL v. 28. 12. 1964, OKŚZpNP Kr, Ds 14/67, Bd. 2, Bl. 5.

Fazit „Das Ghetto in Tarnów war eine riesige unbarmherzige Vernichtungsmaschinerie, die alles vernichtete, was ihr im Weg stand“ 1, betonte Heinrich Schönker in seinem Bericht. In der Tat überlebten von den Menschen, die im Sommer 1942 in dieses Ghetto gepfercht wurden, nur wenige die Shoah. Allerdings war es, anders als von dem Überlebenden in seinen Erinnerungen formuliert, keineswegs eine anonyme „Maschinerie“. Es waren vielmehr konkrete Personen, die für die Ermordung der jüdischen Bevölkerung verantwortlich waren. Sie alle trugen auf die eine oder andere Weise ihren persönlichen Teil dazu bei, dass von der einst prosperierenden jüdischen Gemeinde nichts mehr übrig blieb. Innerhalb weniger Jahre wurde eine gesamte Kehilla, deren Geschichte Jahrhunderte zurückreichte, verbrecherisch ausgelöscht. Die Frage nach dem Schicksal der jüdischen Bevölkerung Tarnóws unter nationalsozialistischer Besatzung war Ausgangspunkt der vorliegenden Studie. Während sich die westliche Historiographie bisher vor allem auf die Erforschung der Geschichte der Juden in Krakau konzentriert hatte, besteht kaum gesichertes Wissen über die nationalsozialistische Judenverfolgung und -ermordung in anderen Städten des Distrikts. Allerdings lassen die Befunde zur Realisierung der antijüdischen Maßnahmen in Krakau kaum verbindliche Generalia zu: Krakau hatte als Hauptstadt des Generalgouvernements einen Sonderstatus, der sich auch in der „Judenpolitik“ niederschlug. Die vorliegende Arbeit zeigt am Beispiel Tarnóws, auf welche Weise die nationalsozialistische Politik gegenüber der jüdischen Bevölkerung fernab des Zentrums im lokalen Bereich realisiert wurde und wie sich das Verhalten der örtlichen Täter darstellte. Hiermit reiht sich die Arbeit in eine neuere Täterforschung ein, deren Anliegen es ist, sich konkret den Verbrechen und den Tätern, deren Verhalten und Motivation zuzuwenden. Ergänzend plädierte der Historiker Saul Friedländer im Jahre 2007 für eine „integrierte Geschichte“. Jene, die sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus und der Verfolgung und Ermordung der Juden beschäftigten, sollten auch die jüdische Dimension miteinbeziehen. 2 Dies 1 2

Schönker, Ich war acht, S. 140. Friedländer, Holocaust, S. 7.

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erscheine notwendig, weil sich erstens die Geschichte des Holocaust nicht auf deutsche Entscheidungen und Maßnahmen beschränken ließe. Zweitens sei es offenkundig, dass in jedem Stadium jüdische Wahrnehmungen und Reaktionen (ob kollektiv oder individuell) ein untrennbarer Bestandteil dieser Geschichte gewesen seien und wir sie somit im Hinblick auf eine allgemeine historische Darstellung nicht als separaten Bereich ansehen können. 3 Wie Friedländer zu Recht betont, würde eine bloße Einnahme der Täterperspektive historischen Realitäten nicht gerecht werden. Abgesehen davon würde eine isolierte Tätergeschichte die jüdische Bevölkerung zu bloßen Objekten der Verfolgungsgeschichte herabwürdigen. Gerade um diesen Tendenzen entgegenzuwirken, wurde in der vorliegenden Arbeit in jedem Stadium der Entrechtung und Verfolgung auch die Erfahrungswelt und das Handeln der Betroffenen berücksichtigt. Vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs war Tarnów keine Stadt wie jede andere. Sie war mit annähernd 25.000 Menschen die viertgrößte jüdische Gemeinde im einstigen Galizien und wies im Vergleich zu anderen umliegenden Städten den prozentual höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil auf. Tarnów war eines der bedeutendsten Zentren jüdischen Lebens in Polen. In allen Bereichen des Gesellschaftsgefüges war die jüdische Bevölkerung präsent. Sie prägte nicht nur das ökonomische, sondern auch das kulturelle, politische und gesellschaftliche Leben der Stadt. Obwohl rege Kontakte zwischen Juden und Christen deren Alltag bestimmten, waren die Beziehungen nicht immer unproblematisch gewesen. Bereits im 19. Jahrhundert war Tarnów Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen. In der Folgezeit wurden judenfeindliche Schriften verbreitet, es wurde zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen, Eigentum wurde zerstört, und es ereigneten sich auch gewaltsame Übergriffe. Diese Ereignisse bildeten allerdings keineswegs eine lokale Ausnahme, sondern fügten sich in das zu dieser Zeit vorherrschende antisemitische Klima in Polen ein. Die Spaltung der örtlichen Bevölkerung wurde mit dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 weiter vorangetrieben und in zahlreichen nationalsozialistischen Verordnungen zementiert. Nach Errichtung des Generalgouvernements war es die Zivilverwaltung, die in den ersten zwei Besatzungsjahren die antijüdische Politik bestimmte. Allgemeine Richtlinien wurden zwar von der Krakauer Regierung des Generalgouvernements vorgegeben, für deren Auslegung und Umsetzung existierte jedoch, wie gezeigt werden konnte, ein großer Spielraum. Um die Umsetzung der NS-Befehle zu gewährleisten, ordneten die Deutschen 3

Ebd., S. 11.

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die Schaffung eines Judenrates sowie eines jüdischen Ordnungsdiensts in der Stadt an. Welches moralische Dilemma eine Beschäftigung innerhalb dieser Institutionen für den Einzelnen sein konnte, zeigt sich etwa am Beispiel des ersten Judenratsvorsitzenden Dr. Józef Offner. Er legte sein Amt bereits nach kurzer Zeit nieder, da er nicht bereit war, mit den Deutschen zu kooperieren. Für die einfache jüdische Bevölkerung der Stadt hatten die von der Zivilverwaltung erlassenen Verordnungen gravierende Auswirkungen, die alle Lebensbereiche bestimmten. Nicht nur trugen sie zu einer fortschreitenden Stigmatisierung, Entrechtung und Isolierung der Menschen bei, sondern sie führten auch zu einer stetig wachsenden Unsicherheit und Angst. Gerade am Beispiel Tarnóws wird deutlich, in welchem Ausmaß die NS-Maßnahmen der zivilen Verwaltung eine Pauperisierung der jüdischen Gemeinde bedingten, die alle sozialen Schichten erfasste. Besonders fatal wirkte sich die Zwangsarbeit aus, vor allem die massenhafte Heranziehung jüdischer Männer zu Arbeiten auf dem Truppenübungsplatz der Waffen-SS bei Debica. Welche verheerenden Auswirkungen die in Berlin und Krakau erdachte NS-Politik auf den regionalen Alltag haben konnte, zeigt auch der Zustrom von Flüchtlingen und Umsiedlern aus den annektierten polnischen Gebieten und aus Krakau. Tausende Menschen strömten nun in die Stadt, wodurch die Lage der jüdischen Gemeinde drastisch verschärft wurde. Neben der fortschreitenden Entrechtung, Ausbeutung und Isolierung war Gewalt eine bestimmende Größe, die im Leben der Juden zur bitteren Alltäglichkeit avancierte. Bereits unter Militärverwaltung sah sich die jüdische Gemeinde antisemitischen Übergriffen ausgesetzt; nach Etablierung des NS-Besatzungsapparats waren es hauptsächlich Angehörige der örtlichen Sicherheitspolizei, die die Menschen herabwürdigten und misshandelten. Exzessive Gewalt mit systematischem Charakter fand bereits ab 1940 statt, zu einem Zeitpunkt also, an dem sowohl die Berliner als auch die Krakauer Zentrale noch von einer territorialen „Endlösung der Judenfrage“ ausgingen. Wie am Beispiel Tarnóws belegt werden kann, können die Übergriffe vor dem Beginn der „Aktion Reinhard“ keineswegs als bloße Ausführung von Befehlen höherer Stellen gedeutet werden. Vielmehr wird eine Eigendynamik der Gewalt sichtbar, die von lokal agierenden Tätern ausging. Judenhass und Sadismus, gepaart mit der Möglichkeit des Auslebens neuerworbener Macht sowie der Drang nach materieller Bereicherung motivierten die Täter zu ihrem Handeln. Die fortschreitende Besatzungsdauer ging einher mit einer Radikalisierung und Brutalisierung der Maßnahmen gegenüber der jüdischen Bevölkerung. Ein Ver-

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gleich des Täterhandelns örtlicher Polizeieinheiten mit jenen aus anderen Gebieten des besetzten Polens liefert ähnliche Befunde: Innerhalb des Generalgouvernements differierte das Verhalten und Agieren der Angehörigen der Sicherheitspolizei kaum voneinander. Graduelle Verhaltensabweichungen lassen sich am ehesten im Hinblick auf die Zivilverwaltung ausmachen. In Tarnów forcierte zwar der Kreishauptmann antijüdische Maßnahmen, scheint jedoch ideologisch nicht derart aufgeladen gewesen zu sein wie viele andere seiner Kollegen. So drängte beispielweise sein Pendant aus dem benachbarten Reichshof, Heinz Ehaus, vehement auf eine „Judenfreimachung“ seines Kreises, und Friedrich Schmidt aus Miechów nahm sogar mit Eifer an einer Exekution teil. So sehr die Menschen unter der sich kontinuierlich zuspitzenden Lage zu leiden hatten, erschienen deren Lebensbedingungen bis in das Jahr 1942 doch noch etwas besser als in vielen anderen Städten des Generalgouvernements. Dies hing vor allem mit der Tatsache zusammen, dass bis Sommer 1942 noch kein geschlossenes Ghetto in Tarnów existierte. Die von deutscher Seite angeordneten Ghettos waren ein Phänomen des besetzten Ostens; sie entstanden weder im Deutschen Reich noch in Westeuropa. Im besetzten Polen erfolgte die Ghettobildung zunächst unsystematisch und avancierte zu einer regionalen Angelegenheit; eine zentral gesteuerte „Ghettoisierungspolitik“ wurde aus Krakau zunächst nicht forciert. Im Distrikt Krakau, wie auch in Radom, erfolgten Ghettobildungen verhältnismäßig spät. Bezüglich Krakaus war es die jüdische Gemeinde der Hauptstadt, die als erste in einen geschlossenen Wohnbezirk gedrängt wurde. Im Anschluss daran erfolgten weitere Gründungen, wie in Bochnia oder Reichshof. In Tarnów herrschte zu diesem Zeitpunkt noch eine ganz andere Situation vor: Trotz aller Versuche der Ausgrenzung waren die Juden der Stadt noch Teil des lokalen Gesellschaftsgefüges, was ihnen auch die häufig existentiellen Kontakte zur christlichen Bevölkerung ermöglichten. Obwohl von deutscher Seite streng geahndet, wagten es die Menschen, lebensnotwendige Waren bei ihren nichtjüdischen Nachbarn zu erwerben, um das eigene Leben und das der Familie sichern zu können. Aber auch in anderen Bereichen gelang es vielen noch, nicht unter dem fortschreitenden Druck zu resignieren. Menschen suchten nach Wegen, um ihren Alltag nach ihren Möglichkeiten zu bestreiten, auch wenn dies zur Konsequenz hatte, sich deutschen Maßnahmen zu entziehen oder sich diesen zu verweigern. Um die Jahreswende 1941/1942 liefen bereits die Vorbereitungen zur späteren „Aktion Reinhard“ in Berlin und Lublin auf Hochtouren. Die deutschen Pläne zum systematischen Mord an der jüdischen Bevölkerung

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hatten jedoch zunächst noch keine konkreten Auswirkungen auf die Juden Tarnóws. Erst im Frühjahr 1942 begann man auch dort mit deren Registrierung als Vorbedingung für eine spätere Vernichtung. Während die Realisierung der Deportationen der jüdischen Bevölkerung im gesamten Generalgouvernement nach einem ähnlichen Schema verlief, ergaben sich im Einzelnen doch erhebliche Abweichungen in Bezug auf die Ausgangsbedingungen, die konkrete Organisation und Umsetzung. Der Genozid im Distrikt Galizien begann bereits im Herbst 1941, als tausende jüdische Männer, Frauen und Kinder im Rahmen von Massenerschießungen systematisch getötet wurden. Abgesehen davon entwickelte der dortige SSPF Friedrich Katzmann ambitionierte Projekte in Bezug auf die Ausnutzung der jüdischen Arbeitskraft. Weit mehr als Katzmann baute der SSPF Lublin, Odilo Globocnik, seine Machtstellung im Laufe der Besatzungszeit aus. Nicht zuletzt aufgrund seines Ideenreichtums hinsichtlich der Germanisierung seines Distrikts stand er in enger Beziehung zu Heinrich Himmler. Obgleich die wichtigsten Entscheidungen zum Genozid an den Juden in Polen von der Berliner Zentrale ausgingen, hatte Globocnik einen nicht unerheblichen Anteil daran. In seinem Distrikt wurden zwei der insgesamt drei Vernichtungslager der „Aktion Reinhard“ errichtet. Im März 1942 setzten die ersten Deportationen von Juden in das Vernichtungslager Belzec ein. Kurz zuvor begann der Aufbau des Lagers Sobibor, wo Anfang Mai die ersten Transporte eintrafen. Das dritte Vernichtungslager des Mordprogramms, Treblinka, wurde im Distrikt Warschau errichtet. Der Distrikt nahm insofern eine spezielle Entwicklung, da die meisten der in diesem Gebiet lebenden Juden bereits 1940 im Warschauer Ghetto, dem größten überhaupt, isoliert waren. Als Treblinka Ende Juli 1942 schließlich seinen Betrieb aufnahm, begannen die Deportationen aus Warschau. Am ehesten gleichen die Entwicklungen im Distrikt Radom jenen des Krakauer Distrikts. Radom wurde im August 1942 in die „Aktion Reinhard“ einbezogen. Obgleich die jüdische Bevölkerung dort nach Treblinka deportiert wurde, ergaben sich viele Übereinstimmungen in Bezug auf die Judenverfolgung im Distrikt Krakau. Das Gebiet wurde, abgesehen von der Sonderaktion in Mielec, ebenfalls verhältnismäßig spät, im Juni 1942, in die „Aktion Reinhard“ einbezogen. Den Auftakt bildete die Deportation der Juden aus Krakau. Nur wenige Tage nach der ersten Vernichtungsmaßnahme wurden die ersten Teildeportationen der Juden in Tarnów realisiert. Tausende Menschen wurden in das Vernichtungslager Belzec deportiert und begleitend auf dem jüdischen Friedhof der Stadt sowie in einem naheliegenden Waldgebiet grausam ermordet. Wie am Beispiel Tarnów belegt werden konnte, waren die Mordaktio-

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nen ein arbeitsteiliges Kollektivverbrechen, an dem sich nicht nur die lokalen Besatzungsinstitutionen, sondern auch Einheiten aus anderen nahegelegenen Ortschaften beteiligten. Innerhalb des Distrikts leistete man sich bei den Aktionen „Amtshilfe“; es kam zu einem regen Personaltransfer im Zuge der „Aktion Reinhard“. Die Realisierung der Deportationen und die Massenerschießungen vor Ort waren also keineswegs immer eine lokale Angelegenheit. Die „Aktion Reinhard“ war allerdings auch kein Verbrechen, das an den Distriktgrenzen Halt machte. So standen die SSPF der einzelnen Distrikte in Kontakt; beispielsweise stellte Globocnik aus Lublin Scherner eine große Zahl an Trawniki-Männern zur Bewachung der jüdischen Zwangsarbeitslager zur Verfügung. Vermutlich handelte es sich auch um Trawnikis, die bei der Ghettoliquidierung in Tarnów im September 1943 eingesetzt waren. Erkennbar wird hierbei ein Distrikt-übergreifendes Handlungsfeld von Institutionen und Einheiten, die sich aktiv an der „Aktion Reinhard“ beteiligten. In Tarnów wurde erst nach Abschluss der ersten Mordkampagne die Bildung eines geschlossenen Ghettos im östlichen Stadtteil Grabówka angeordnet. Für die Menschen, die Tage zuvor erst völlig unerwartet die örtlichen Massaker und den Abtransport ihrer Verwandten, Freunde und Bekannten miterleben mussten, war der Umzug ins Ghetto ein zutiefst traumatisierender Einschnitt. Nicht nur war die verbleibende Gemeinde nun auf kleinstem Raum von der Außenwelt isoliert, die Menschen mussten auch ihre gewohnte Umgebung gegen ein Dasein im Ungewissen aufgeben und einen Teil ihres Eigentums zurücklassen. Auch dies verstärkte deren Pauperisierungsprozess. Die Geschichte des Ghettos in Tarnów weist einige Spezifika auf und unterscheidet sich damit von zahlreichen Ghettos im Generalgouvernement. Zunächst wurde es im Vergleich zu anderen zeitlich sehr spät eingerichtet, erst nach der ersten Mordaktion im Juni 1942. Dieses Vorgehen stellte eine absolute Ausnahme dar. In der Regel wurden Ghettos im Distrikt vor Anlaufen der „Aktion Reinhard“ geschlossen und dienten somit unmittelbar als Konzentrierungsmaßnahme für die anstehenden Deportationen. Die späte Errichtung hing vermutlich mit der Tatsache zusammen, dass es für die Deutschen aus rein praktischen Gründen unmöglich war, vor den ersten Deportationen, als die jüdische Gemeinde Tarnóws rund 30.000 Personen zählte, eine derart große Menschenmenge in einem geeignet erscheinenden Stadtteil zu konzentrieren. Auch an der späten Ghettobildung wird ersichtlich, inwieweit Handlungsspielräume im lokalen Bereich vorherrschend waren. Neben der späten Errichtung zählte das Ghetto auch zu jenen, die mit am längsten existierten. Als im Frühjahr

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1943 die meisten anderen Ghettos bereits liquidiert waren, lebten in Tarnów noch einige tausend Juden. Der Wiener Julius Madritsch schrieb hierzu in seinen Nachkriegserinnerungen: „Zu dieser Zeit [Frühjahr 1943] hatten die Juden der […] Stadt Tarnów ein noch insofern beneidenswertes Leben, als es dort noch ein Ghetto gab, in dem jeder seine eigene Wohnung und somit sein eigenes Bett hatte. […] Tarnów war gegenüber Plaszow damals ja wirklich eine Oase!“ 4 Insgesamt gehörte Tarnów aber zu jenen Ghettos, die nur verhältnismäßig kurz existierten: Von der Gründung Ende Juni 1942 bis zur endgültigen Vernichtung im September 1943 vergingen gerade einmal 14 Monate. Dies wiederum hatte Auswirkungen auf die Lebensumstände. Während in Wohnbezirken, die für mehrere Jahre bestanden, kulturelle Strukturen entwickelt werden konnten, scheint dies in Tarnów kaum der Fall gewesen zu sein. Die kurze Existenz sowie die in relativ kurzen Zeitabständen wiederkehrenden Selektionen dürften der Herausbildung eines kulturellen Sektors entgegengestanden haben. Neben den genannten Differenzen existierten jedoch auch viele Parallelen zwischen der Situation der Juden in Tarnów und der Lage der Menschen in anderen Städten. Das im Sommer 1942 geschaffene Ghetto war ein von den Deutschen abgetrenntes Areal inmitten der Stadt, das den Zweck hatte, die jüdische Gemeinde für künftige Deportationen zu isolieren. In dem nur wenige Quadratkilometer umfassenden Gebiet war sie den lokal agierenden Tätern schutzlos ausgeliefert. Vor allem Angehörige der Sicherheitspolizei suchten das Ghetto häufig auf, verbreiteten Angst und Schrecken und ermordeten Insassen häufig völlig willkürlich. Neben der Angst vor Übergriffen und wiederkehrenden Deportationen hatten die Menschen auch unter den unwürdigen Lebensbedingungen zu leiden. Die unerträgliche Enge wurde durch katastrophale hygienische Verhältnisse, die nicht zuletzt Krankheiten und Epidemien hervorriefen, verschlimmert. Ein zentrales Thema war immer der Mangel an Nahrung. Der Judenrat und das örtliche Hilfskomitee der JSS versuchten bereits vor der Ghettobildung durch umfangreiche soziale Fürsorgetätigkeiten der Not entgegenzutreten, allerdings reichten die Bemühungen nicht aus, um eine ausreichende Versorgung zu gewährleisten. Einen zentralen Stellenwert im Alltag der Menschen besaßen die jeweilige Arbeit und der Ort, wo diese verrichtet wurde. Im Herbst 1941 wurden in Tarnów sogenannte jüdische Handwerksgemeinschaften geschaffen, die es auch in anderen Städten des Generalgouvernements gab. Um in den Gemeinschaften einen Arbeitsplatz zu erhalten, mussten die Menschen in der Regel Arbeitsgeräte und -maschinen 4

Madritsch, Menschen, S. 17.

Fazit

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abgeben. Vor allem für Menschen, die zuvor in ganz anderen Bereichen tätig waren, boten die Handwerksgemeinschaften eine Chance auf Beschäftigung, deren Stellenwert im Laufe der deutschen Besatzung immer wichtiger werden sollte. Bereits nach der ersten Deportation versuchten viele, ihre Arbeitsstelle zu wechseln. Vor allem deutsche, kriegswichtige Firmen erschienen am sichersten, da eine dortige Anstellung mit der Erwartung verknüpft war, eine erneute Deportation zu überleben. Diese Annahme schien nicht unbegründet, denn bereits im September 1942 erfolgte eine weitere Aktion, zu deren Opfern vor allem Kinder und ältere Personen zählten. Nach der dritten Vernichtungsmaßnahme Mitte November wurde das Ghetto Tarnów schließlich in die Bereiche A und B geteilt. Der Ghettobereich A fiel kurze Zeit später in die Kompetenz des SSPF Scherner, der diesen fortan als jüdisches Zwangsarbeitslager führte. Die Situation, in der sich die eingepferchten Menschen im Ghetto befanden, war verheerend. Doch trotz der dramatischen Lebensumstände und vielen Momenten der Ohnmacht versuchten viele, ihren Lebensmut nicht zu verlieren. So gab es auch glückliche Augenblicke, die die Not wenigstens für eine kurze Zeit vergessen machten. Vielfach waren es die sozialen Bindungen, die den Menschen Halt gaben. Viele Ghettoinsassen versuchten ihr Alltagsleben unter den gegebenen Bedingungen zu meistern und nicht zu resignieren. In ihrem Kampf ums Überleben entsprachen sie damit nicht den von den Nationalsozialisten vorgegebenen Normen und Regeln und widersetzten sich somit auch im Alltäglichen der Besatzungsmacht. Viele NS-Maßnahmen wurden nicht einfach hingenommen, sondern man versuchte, diese wenn irgend möglich zu umgehen. So wurde unerlaubt Handel mit ethnischen Polen getrieben, Waren wurden ins Ghetto geschmuggelt und dort weiterverkauft. Einige suchten darüber hinaus ganz bewusst nach Überlebensstrategien, um der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik zu entkommen, wenn auch letztlich nur temporär durch das Verstecken während einer Aktion. Eine Flucht aus dem Ghetto war zwar grundsätzlich realisierbar, unterlag jedoch gewissen Grundvoraussetzungen. Nötig war in der Regel die Hilfe christlicher Menschen. Dieser Tatsache waren sich auch die deutschen Besatzer bewusst, die unter Androhung der Todesstrafe jegliche Hilfeleistung der nichtjüdischen Bevölkerung zu unterbinden versuchten. Diese deutsche Verordnung wirkte sich äußerst negativ auf das ohnehin belastete jüdisch-christliche Verhältnis aus. Der Wandel manifestierte sich nicht nur in der jüdischen Wahrnehmung, sondern hatte für viele versteckte Juden in der Konsequenz tödliche Folgen: Viele Juden, denen bislang Unterschlupf gewährt worden war, wurden nach dieser Bekanntmachung gezwungen, ihre Verstecke zu

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Fazit

verlassen. Die Deutschen beließen es jedoch nicht nur bei der Androhung von Strafe, sie setzten auch auf ein System der Belohnung. Dennoch erhielten einige Menschen Fluchthilfe von Nichtjuden, aber auch von der jüdischen Widerstandsbewegung, die sich kurze Zeit nach der ersten Aktion im Juni 1942 formierte. Auch im Zuge der Auflösung des Ghettos kam es zu aktivem Widerstand, als einige Ghettoinsassen sich gegen die Täter verteidigten. Obwohl das gewaltsame Aufbegehren von den Deutschen sofort gnadenlos niedergeschlagen wurde, war dies keineswegs bedeutungslos, ganz im Gegenteil: Insgesamt machen die Formen der individuellen und kollektiven jüdischen Verweigerung – so gering diese uns aus heutiger Perspektive auch erscheinen mögen – doch eines deutlich: Ein Teil der jüdischen Bevölkerung stand nicht passiv ihrem von den Nazis zugedachten Schicksal gegenüber, vielmehr wurden Überlebensstrategien entwickelt, um das eigene Leben und das der Familie zu schützen. Selbstverständlich war der Handlungsspielraum, in dem die verfolgten Menschen unter NS-Besatzung agieren konnten, gering. In Anbetracht der damaligen historischen Realitäten können alte Thesen, dass der jüdische Widerstand völlig bedeutungslos gewesen sei, als unangemessen und widerlegt gelten. Die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung wurde von den Deutschen stetig perfektioniert, ebenso das Auffinden geflohener Juden. Hilfestellungen erhielten die Nationalsozialisten von ausländischen Hilfswilligen und der einheimischen Bevölkerung, was es für die Juden immens erschwerte, der Vernichtung zu entrinnen. Und gerade wenn man diesen Umständen Rechnung trägt, so sollten bei der Beurteilung des jüdischen Widerstandes nicht die Resultate, sondern vielmehr die überzeugenden Versuche im Vordergrund stehen. Denn bereits die individuellen Entscheidungen zum Widersetzen und Aufbegehren sowie die Bemühungen, dies trotz aller Gefahren und meist unüberwindbarer Schwierigkeiten zu wagen, korrigiert das Klischee des widerstandslosen Verhaltens der jüdischen Bevölkerung in hohem Maße. Eng verbunden mit der Geschichte der Juden Tarnóws unter NS-Besatzung sind auch die Rettungsversuche von Julius Madritsch zu sehen. Der Wiener Unternehmer, der mehrere Betriebe an unterschiedlichen Standorten im Distrikt Krakau leitete, hatte im Herbst 1942 eine Zweigstelle im Ghetto Tarnów eröffnet. Im Gegensatz zum Gros der anderen Betriebe herrschten bei Madritsch humane Arbeitsbedingungen vor. Im Zuge der „Aktion Reinhard“ versuchte er, so viele Menschen wie möglich vor der Vernichtung zu bewahren. Am Ende hatten die „arbeitsfähig“ eingestuften Menschen, die zunächst als Aufräumkommando im Ghetto zurückblieben und diejenigen, die im

Fazit

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Zuge der Ghettoliquidierung nach Krakau-Plaszow deportiert wurden, die größten Chancen, die Shoah zu überleben. Ein Großteil der ins Lager Plaszow Deportierten waren Arbeiter des Österreichers Madritsch. Von dort wurden sie im Zuge des Herannahens der Roten Armee Richtung Westen evakuiert. Zur selben Zeit lebte in Tarnów nur noch eine geringe Anzahl jüdischer Menschen entweder in Verstecken oder getarnt als Christen. Sie wurden Mitte Januar 1945 durch die Rote Armee befreit. Große Teile der Stadt, vor allem der einstige Ghettobereich, waren zu der Zeit zerstört. Von den rund 25.000 jüdischen Einwohnern, die vor September 1939 in Tarnów lebten, waren fast alle der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft zum Opfer gefallen. Ergänzend zu dieser Opferbilanz wurden mehrere tausend Menschen aus anderen Städten in Tarnów ermordet oder von dort nach Belzec und Auschwitz deportiert. Kurze Zeit nach der Befreiung Tarnóws wurde ein jüdisches Bezirkskomitee eingerichtet, das sich fortan um die Belange der wenigen jüdischen Überlebenden der Shoah kümmern sollte. Dies war erforderlich, da diese weder über finanzielle noch materielle Mittel verfügten. Unter ihnen befanden sich viele jüdische Repatrianten, die aus der Sowjetunion zurückgekehrt waren. Seit Frühjahr 1945 stieg die Zahl der jüdischen Menschen in Tarnów ganz allmählich an, im Juni 1946 erreichte sie mit 1.231 jüdischen Personen einen neuerlichen Höchststand. In den Folgemonaten jedoch ging die jüdische Einwohnerzahl markant zurück. Den bestimmenden Hintergrund der Emigrationswelle bildete vor allem das schwierige jüdisch-nichtjüdische Verhältnis, das das Leben der Juden bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit überschattete. Mancherorts ereigneten sich antijüdischen Pogrome, infolge dessen sich die Menschen nicht mehr sicher fühlen konnten. In diesem Klima der Unsicherheit entschieden sich viele Überlebende, Polen zu verlassen. Auch in der Folgezeit, vor allem in den Jahren 1949/1950, kam es erneut zu einer verstärkten Emigration nach Israel, Kanada, Frankreich, in die Vereinigten Staaten und in andere Länder. Der Versuch, das jüdische Leben in der Stadt nach Kriegsende zu reaktivieren, gelang letztlich nicht. Zur selben Zeit lebten die meisten NS-Täter, die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung in Tarnów begangen hatte, unbehelligt. In Polen führte man zwar bereits kurze Zeit nach Kriegsende Ermittlungen gegen NSTäter, allerdings wurden nur wenige Täter aufgrund der verübten Verbrechen von der polnischen Justiz verurteilt. In der Bundesrepublik setzte demgegenüber eine Aufarbeitung der NS-Verbrechen erst in den 1960er Jahren ein, wobei sich auch hier nur wenige Täter für die in Tarnów begangenen NS-Verbrechen verantworten mussten. Insgesamt muss hinsichtlich

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Fazit

der justiziellen Ahndung resümiert werden, dass es weder der polnischen noch der bundesdeutschen Justiz gelang, die monströsen Verbrechen, die während der deutschen Besatzung in Tarnów an der jüdischen Bevölkerung begangen worden waren, auch nur ansatzweise hinreichend zu ahnden. Geht man heutzutage durch die Straßen Tarnóws, könnte man den Eindruck gewinnen, die Stadt habe sich gänzlich vom Zweiten Weltkrieg erholt. Mehr als 70 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus zählt Tarnów rund 115.000 Einwohner. Nicht nur demographisch, sondern auch im wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Bereich nimmt die Stadt wieder eine wichtige Rolle innerhalb der Region ein. Was jedoch vollständig fehlt, sind die jüdischen Menschen, die Jahrhunderte in der Stadt lebten und diese in hohem Maße prägten. An einigen zentralen Stellen Tarnóws befinden sich heute Gedenktafeln, die an das jüdische Leben erinnern sollen, das unter nationalsozialistischer Besatzung vernichtet wurde. Eine solche wurde beispielsweise am Ort der einstigen alten Synagoge angebracht, wo lediglich die Bimah erhalten blieb. 5 Der jüdische Friedhof Tarnóws, Schauplatz der Massenexekutionen und unter NS-Besatzung vollkommen zerstört, war für lange Zeit kein Ort des Gedenkens. Zwar errichtete man dort bereits 1946 ein Denkmal, allerdings wurde der Friedhof in den Folgejahren nicht restauriert, sodass das Gelände immer mehr verkam. Erst mit Ende des Kommunismus im Jahre 1989 wurde allmählich damit begonnen, den Friedhof instand zu setzen. 6 Heutzutage wird dieser Ort vor allem von Überlebenden der Shoah und deren Nachkommen aufgesucht. Auch Felicia Graber begab sich im Jahr 1994 dorthin. Sie wollte das Grabmal ihrer Großmutter finden, das ihre Mutter kurze Zeit vor ihrer Emigration im Jahr 1947 erneuern ließ – jedoch ohne Erfolg. Nach ihrer Abreise konnte der Grabstein ihrer Großmutter ausfindig gemacht werden. Felicia Graber kehrte im Jahr 2005 noch einmal nach Tarnów zurück. Zwischenzeitlich hatte sie jemanden mit der Restaurierung der Ruhestätte ihrer Großmutter Feiga beauftragt, die bereits im Jahre 1934 verstorben war 7 – zu einer Zeit, als die jüdische Gemeinde Tarnóws zu einem der bedeutendsten Zentren jüdischen Lebens in Westgalizien avanciert war. Niemand konnte zu dieser Zeit ahnen, dass Tarnów nur ein Jahrzehnt später „judenfrei“ sein würde und sich von den Jahren unter deutscher Besatzung bis heute nicht erholen sollte. 5

1987 wurde über der Bimah ein hölzernes Dach errichtet, um diese vor weiterer Zerstörung zu schützen. Vgl. Bartosz, Żydowskim szlakiem, S. 10. 6 Ebd., S. 18–20. 7 Graber, Journey, S. 13, 152, 172.

Fazit

Abb. 10. Ruine der „Alten Synagoge“ in Tarnów.

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Abkürzungsverzeichnis AAN Abt. AIPN AIPN Kr ANK ANK-NS ANK-T APP APRz APuZ APW AUJ AŻIH BAB BAL BA-MA BdO BdS BGK Bl. BuF BŻIH CdZ CKŻP Cz. Ders. Dies. Dok. dto. ebd.

Archiwum Akt Nowych (Archiv Neuer Akten) Abteilung Archiwum Instytutu Pamięci Narodowej w Warszawie (Archiv des Instituts für Nationales Gedenken in Warschau) Archiwum Instytutu Pamięci Narodowej Oddział w Krakowie (Archiv des Instituts für Nationales Gedenken in Krakau) Archiwum Narodowe w Krakowie (Nationalarchiv in Krakau) Archiwum Narodowe w Krakowie-Oddział w Nowym Sączu (Nationalarchiv in Krakau – Abteilung Nowy Sącz) Archiwum Narodowe w Krakowie-Oddział w Tarnowie (Nationalarchiv in Krakau – Abteilung Tarnów) Archiwum Państwowe w Przemyślu (Staatsarchiv Przemyśł) Archiwum Państwowe w Rzeszowie (Staatsarchiv Rzeszów) Aus Politik und Zeitgeschichte Archiwum Państwowe miasta Warszawy (Staatsarchiv der Stadt Warschau) Archiwum Uniwersytetu Jagiellońskiego (Archiv der JagiellonenUniversität) Archiwum Żydowskiego Instytutu Historycznego (Archiv des Jüdischen Historischen Instituts) Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde Bundesarchiv-Außenstelle Ludwigsburg Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg/B. Befehlshaber der Ordnungspolizei Befehlshaber der Sicherheitspolizei Biuletyn Głównej Komisji (Bulletin der Hauptkommission) Blatt Bevölkerungswesen und Fürsorge Biuletyn Żydowskiego Instytutu Historycznego (Bulletin des Jüdischen Historischen Instituts) Chef der Zivilverwaltung Centralny Komitet Żydów w Polsce (Zentralkomitee der Juden in Polen) Część (Teil) Derselbe Dieselbe, Dieselben Dokument Dito/gesagt ebenda

322 Fn. fr. Gestapo GPK GŻ HA HSSPF IDO IfZ JSS KdS LG LNW

Abkürzungsverzeichnis

Fußnote frame Geheime Staatspolizei Grenzpolizeikommissariat Gazeta Żydowska (Jüdische Zeitung) Hauptabteilung Höherer SS- und Polizeiführer Institut für Deutsche Ostarbeit Institut für Zeitgeschichte Jüdische Soziale Selbsthilfe Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD Landgericht Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen (früher: Staatsarchiv Münster) MiG Militärbefehlshaber im Generalgouvernement MO-T Muzeum Okręgowe w Tarnowie (Regionalmuseum in Tarnów) NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NTN Najwyższy Trybunał Narodowy (Das Oberste Nationaltribunal) o. O. ohne Ortsangabe OFK Oberfeldkommandantur OKŚZpNP Kr Oddziałowa Komisja Ścigania Zbrodni przeciwko Narodowi Polskiemu w Krakowie (Bezirkskommission zur Verfolgung der Verbrechen am polnischen Volk in Krakau) PKWN Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego (Polnisches Komitee der Nationalen Befreiung) RFSS Reichsführer SS RKF Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums RSHA Reichssicherheitshauptamt SA Sturmabteilung SAKr Sąd Apelacyjny w Krakowie (Berufungsgericht in Krakau) SD Sicherheitsdienst SS Schutzstaffel SSO SS-Offizierakte SSPF SS- und Polizeiführer StA Staatsanwaltschaft StGB Strafgesetzbuch TOZ Towarzystwo Ochrony Zdrowia (Gesellschaft zum Schutz der Gesundheit) TSKZ Towarzystwo Społeczno-Kulturalne Żydów w Polsce (Sozial-Kulturelle Gesellschaft der Juden in Polen) undat. undatiert USHMM United States Holocaust Memorial Museum, Washington D.C. Vern. Vernehmung VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VOBlGG Verordnungsblatt des Generalgouvernements YIVO Institute of Jewish Research, New York

Abkürzungsverzeichnis YVA z. b. V. ZfH ZSt. ZSL

Yad Vashem Archives, Jerusalem zur besonderen Verwendung Zentrale für Handwerkslieferungen Zentrale Stelle Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen, Ludwigsburg

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Abbildungsnachweis Abb. 1: Inwentarz Pomocy Naukowych, Dział Historii, Muzeum Okręgowe w Tarnowie. Abb. 2: Inwentarz Pomocy Naukowych, Dział Historii, Muzeum Okręgowe w Tarnowie. Abb. 3: The Ghetto Fighters’ House Museum, Israel/ The Photo Archive, 6722. Abb. 4: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, DOEW 5365/2. Abb. 5: Naturhistorisches Museum, Wien, TJ 0092. Abb. 6: Naturhistorisches Museum, Wien, TJ 0145. Abb. 7: United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Belarusian State Archive of Documentary Film and Photography, # 81420. Abb. 8: United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Belarusian State Archive of Documentary Film and Photography, # 21415. Abb. 9: United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Instytut Pamięci Narodowej, # 08875. Abb. 10: Privatbesitz Melanie Hembera.

Quellen- und Literaturverzeichnis Unveröffentlichte Quellen Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München Fb 95/70 Fb 106/18 Fb 106/50 Gb 08.10/1 Gk 05.09 Gk 05.18 Gm 04.04/2 Gm 07.68 Gm 07.70 MA 682 Ms 573 Archiv des United States Holocaust Memorial Museum, Washington D.C. Acc. 1995.A.0526 Lea Evron collection RG-02.169M Hidden in broad daylight RG-11.001M Osobyi Archive (Moscow) records RG-14.025M Records of the Regierung des Generalgouvernements (R 52) RG-15.019M Ankieta Sądów Grodzkich (Sygn. 163). Court Inquiries about Executions and Mass Graves in Districts, Provinces, Camps and Ghettos, 1945 RG-15.020M Selected records from the Polish State Archives Tarnów Branch RG-15.041M Records of the Amt des Gouverneurs des Distrikts Krakau (Sygn. 98) RG-15.149M Obwieszczenia i zarządzenia władz okupacyjnych (Sygn. 241). Announcements and orders RG-15.170M Proces Amon Göth (Sygn. GK 196). Trial against Amon Göth RG-15.174M Proces Josefa Bühlera (Sygn. GK 196). Trial against Josef Bühler RG-15.179M Sąd Specjalny Karny w Krakowie (SSKr) (Sygn. GK 203). Special Penalty Court in Kraków RG-17.010M Akten der Anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien. Records of the Department of Anthropology of the Natural History Museum Vienna RG-50.002*0048 Oral history interview with Aaron Schwarz RG-50.002*0049 Oral history interview with Ida Schwarz RG-50.005*0016 Oral history interview with Samuel Goetz

326 RG-50.147*0011 RG-50-030*0218 RG-67.016M

Quellen- und Literaturverzeichnis Oral history interview with Julius Madritsch Oral history interview with Martin Spett Records of the Institut für Deutsche Ostarbeit, Sektion für Rasse- und Volkstumsforschung (IDO)

Archiv des YIVO (Institute for Jewish Research), New York RG 532 Michał Weichert Papers Archiwum Akt Nowych w Warszawie (Archiv Neuer Akten in Warschau) 125 Rada Główna Opiekuńcza. Biuro Centrali w Krakowie 1940–1945 203 Armia Krajowa Archiwum Instytutu Pamięci Narodowej Oddział w Krakowie, Krakau (Archiv des Instituts für Nationales Gedenken in Krakau) Kr 502/329 Kr 502/3751 Kr 502/1997 Kr 502/2206 Kr 502/2207 Kr 502/3663 Kr 502/3699 Kr 502/1937 Archiwum Instytutu Pamięci Narodowej w Warszawie (Archiv des Instituts für Nationales Gedenken in Warschau) GK 164 Zbiór Głownej Komisji Badania Zbrodni Hitlerowskich w Polsce GK 196 Najwyższy Trybunał Narodowy GK 351 Prokuratura Generalna w Warszawie GK 901 Wyższy Dowódca SS i Policji Wschód Archiwum Narodowe w Krakowie (Nationalarchiv in Krakau) 208 Urząd Okręgu Kraków, 1939–1945 SAKr Sąd Apelacyjny w Krakowie SmKr Starosta Miasta Krakowa Archiwum Narodowe w Krakowie – Oddział w Nowym Sączu (Nationalarchiv Krakau – Abteilung Nowy Sącz) 15 Akta miasta Nowego Sącza, 1776–1945 [1949] Archiwum Narodowe w Krakowie – Oddział w Tarnowie (Nationalarchiv in Krakau – Abteilung Tarnów) 12 Starostwo Powiatowe w Tarnowie, 1940–1943 13 Urząd Pracy w Tarnowie, 1940–1944 98 Prokuratura Sądu Okręgowego w Tarnowie, 1939–1944 214 Akta cechów żydowskich w Tarnowie, 1940–1942 226 Zbiór materiałów „Tarnoviana“ (Varia)

Unveröffentlichte Quellen ZMTo

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Zarząd Miasta Tarnowa

Archiwum Państwowe w Przemyślu (Staatsarchiv Przemyśł) 24 Starosta Powiatowy w Sanoku, [1931] 1939–1944 129 Akta miasta Przemyśla, [1356] 1402–1944 [1950–1983] Archiwum Państwowe m.st. Warszawy (Staatsarchiv der Stadt Warschau) 489 Starostwo Powiatowe w Ostrowi Mazowieckiej, 1939–1945 Archiwum Państwowe w Rzeszowie (Staatsarchiv in Rzeszów) 1 Akta miasta Rzeszowa, 1569–1944 397 Akta miasta Głogowa Małopolskiego, 1578–1944 Archiwum Uniwersytetu Jagiellońskiego w Krakowie (Archiv der Jagiellonen-Universität in Krakau) IDO Institut für Deutsche Ostarbeit Archiwum Żydowskiego Instytutu Historycznego (Archiv des Jüdischen Historischen Instituts), Warschau 210 American Jewish Joint Distribution Committee, 1939–1941 211 Żydowska Samopomoc Społeczna (Jüdische Soziale Selbsthilfe), 1940–1942 [1944] 218 Jüdische Gemeinde in Krakau (Rada Żydowska w Krakowie), 1939–1942 228 Der Stadthauptmann der Stadt Krakau (Starosta miasta Krakowa), 1939–1944 233 Zbiór dokumentów niemieckich władz okupacyjnych, 1939–1944 301 Zbiór relacji Żydów Ocalałych z Zagłady 302 Zbiór pamiętników Żydów Ocalałych z Zagłady 303 II Centralny Komitet Żydów w Polsce. Wydział Organizacji Kontroli, 1946–1950 303 V Centralny Komitet Żydów w Polsce. Wydział Ewidencji i Statystyki 303 VIII Centralny Komitet Żydów w Polsce. Wydział Opieki Społecznej, 1944–1950 Archiwum Ringelbluma (Ring I) Gazeta Żydowska Bundesarchiv-Außenstelle Ludwigsburg B 162/36cf B 162/144 B 162/146 B 162/156 B 162/742 B 162/746 B 162/1340 B 162/1725

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Quellen- und Literaturverzeichnis

B 162/1969 B 162/2023 B 162/2148–2167 B 162/2169 B 162/2253 B 162/2254 B 162/4631 B 162/4695 B 162/5283 B 162/5284 B 162/5290–5293 B 162/5976 B 162/6282 B 162/6703 B 162/7478 B 162/7705 B 162/14062 B 162/14276 B 162/14491 B 162/14516 B 162/19153 B 162/21968 B 162/21463 B 162/21464 B 162/21760 B 162/21913 B 162/26384 B 162/27199

Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde NS 19 Persönlicher Stab Reichsführer SS R 52 III Kanzlei des Generalgouverneurs SSO SS-Offiziersakten Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg/B. N-756 Sammlung Vopersal RH 53–34 Wehrkreis Generalgouvernement Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen, Münster Verfahren 16 Ks 63/01 StA Bochum gg. Hermann Blache Verfahren 16 Ks 68/01 StA Bochum gg. Karl Oppermann Verfahren 16 Ks 70/02 StA Bochum gg. Walter Baach Muzeum Okręgowy w Tarnowie (Regionalmuseum Tarnów) MT-AH/DH/1127 MT-AH/DH/1142

Unveröffentlichte Quellen

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MT-AH/DH/1148 MT-AH/DH/1151 MT-H/2049

Oddziałowa Komisja Ścigania Zbrodni przeciwko Narodowi Polskiemu w Krakowie (Bezirkskommission zur Verfolgung der Verbrechen am polnischen Volk in Krakau) Ds 3/67 Ds 1/70 Ds 14/67 USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, United States Holocaust Memorial Museum, Washington D.C. Interviewcode 568, William Kornbluth Interviewcode 1680, Chaskel Schlesinger Interviewcode 1712, William Celnik Interviewcode 4819, Ann Weisbord Interviewcode 5343, Yetta Brand Interviewcode 7896, Gizela Fudem Interviewcode 10249, David Unger Interviewcode 10416, David Faber Interviewcode 10481, Henny Adler Interviewcode 16039, Karl Diamond Interviewcode 16457, Gisela Glaser Interviewcode 18178, Maria Malinowska Interviewcode 19518, Regina Horowitz Interviewcode 24177, Helen Hammer Interviewcode 28496, Klara Pradelski Interviewcode 32960, Ida Schwarz Interviewcode 38093, Abraham Secemski Interviewcode 43669, Markus Ender Interviewcode 46095, Michał Duda Yad Vashem Archiv, Jerusalem M.1.E Testimonies Collection of the Central Historical Committee in Munich M.21.1 Kriegsverbrecherreferat des Central-Komitees der befreiten Juden, München M.4 Bulletins of the Rescue Council (Vaad Hahatzalah) of the Jewish Agency for Palestine O.3 Testimonies Department of the Yad Vashem Archives O.33 Various Testimonies, Diaries and Memoirs Collection O.51 Nazi Documentation O.69 Gathering of Holocaust Survivors Testimonies Collection, 1991

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Namensregister Adler, Henny 284 Alban, Moshe 246 Alexander II. 28 Appel 247 Autzinger 191 Baach, Walter 58, 104, 107, 126, 305 f. Bartsch, Hans Wilhelm 55, 171–175, 296 Basler, Majer 134 Battel, Alfred 181 Batz, Rudolf 50 Bayer, Heinz 229 f. Becht 52, 82 Becker, Herbert 48 Beitz, Berthold 12 Beker, Dawid 282 Berg 52 Bernhard, Wilhelm 59, 61, 115 Betrübniss, Abraham 279 Białecki, Andrzej 249 Biberstein, Marek 124, 132 Bienenstock, Melech 246 Bierkamp, Walter 49 Blache, Hermann 205 f., 240–242, 260– 262, 265 f., 268 f., 275, 300–302 Bleiweiss, Uszer 279, 286 Blobel, Paul 274 Boepple, Ernst 162 Bouhler, Philipp 160 f. Brack, Viktor 161 Brand, Yetta 283 Brandt, Karl 160 Brauchitsch, Walther von 36 Brenner, Karl 66 Broschegg, Karl-Hans 53 Bruder, Josef 246 Bühler, Josef 21, 42, 163, 289 Burgsdorff, Kurt Ludwig Ehrenreich von 45, 271

Busch, Reinhard 94 Celnik, William 284 Chomet, Abraham 197, 236 Claß, Hans 184 Cyprian, Tadeusz 290 Dagnan, Aleksander 252 Dagnan, Antoni 258 Dagnan, Augustyn 258 Diamond, Karl 283 Diestler 129 Drechsel, Hans 68 Duda, Michał 252 Dychtoń, Stanisław 207 Eckert, Reinhold 53, 74, 89, 211 Eckmann, Alfred 55, 194, 210, 214 Ehaus, Heinz 180, 311 Eichenholtz, Dawid 277 Eichmann, Adolf 67, 125 Ender, Markus 284 Engel 52 Engler, Wilhelm 162 Evron, Lea 263 Faber, David 152, 157, 225, 248 Faber, Romek 248 Fast, Józef 250 Fellenz, Martin 171–175, 191 f., 293, 296–300 Fischer, Ludwig 289 Fleischman 256 Fliethmann, Elfriede 112, 114 f. Forster, Albert 289 Frank, Hans 11, 15, 37 f., 42, 55, 66 f., 74 f., 83, 119, 124, 143, 162, 163, 166 Frankel, Neftali 35 f., 232, 242, 278 Frauendorfer, Max 91, 167

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Namensregister

Fudem, Gizela 256, 260 Fuss, Naftali 236, 257 Gaa, Gerhard 59, 60, 103, 107, 302–304 Gans, Jakub 134 Gentz, Walter 69 Glaser, Gisela 284 Globocnik, Odilo 160–162, 165, 167 f., 268, 272, 312 f. Goetz, Samuel 35, 139, 143, 155, 157, 256, 259 Goldberg, Szlomo 100, 125, 127 Goldhammer, Elias 31 Göring, Hermann 159 Göth, Amon Leopold 23, 261, 263–265, 289–291 Graber, Felicia 9, 318 Graber, Howard 9 Greiser, Arthur 289 Gross, Giza 246 Großkopf, Max 49 f. Grossmann, Renate 258 f. Grünewald, Hans-Dieter 48 Grünewiese, Szyja 134 Grünkraut, Sigmund 201 Grunow, Gerhard 102 f., 107, 128, 219, 240–242, 260, 270 Gumbel, Emil Julius 44 Gutter, Dawid 141 Guzy, Antoni 51 Haase, Willi 171 f., 174 f., 263, 293 f., 296 Hackbarth, Gustaw 53, 211 Hahn, Ludwig 49 Hammer, Helen 284 Hasselberg, Alfred 66 Hauser, Elek 236 f. Hein, Rudolf 53, 80, 112, 128 Hessler, Jakob 51 f. Heydrich, Reinhard 45, 64, 124, 159, 164, 166 Hilfstein, Chaim 132 Himmler, Heinrich 44, 47 f., 63, 67, 116, 160 f., 166–169, 171, 186, 272, 312 Hitler, Adolf 13, 36–39, 42, 48, 78, 160 f., 164, 167, 169, 290

Höring, Emil 48 Höß, Rudolf 289 Hufer 196 Huppenkothen, Walter 49 Ilkiw 196, 270 Jagiencarz, Roman 207 Jaszuński, Jozef 132 Jeck, Oskar 60 f., 102, 107, 196, 270, 306 Kahlich, Dorothea Maria 110–112 Kastura, Jerzy 60, 196, 293 Katzmann, Fritz 172, 273, 312 Keitel, Wilhelm 169 Kempler, Joseph 154, 156 Kipke, Alfred 53, 112, 191, 210 f., 214 Klee, Karl 61, 109 Kleinow, Johannes 176, 212 f. Kloppholz, Mila 279 Kohn, Marek 279 Komusiński, Stanisław 52 Koppe, Wilhelm 47, 171 Korherr, Richard 186 Kornbluth, William 35, 128–131, 157, 277 f. Körner, Hellmut 143 Kornilo, Halina 237 Korniło, Józef 279 Kriuger, Chaskala 246 Krüger, Friedrich-Wilhelm 47 f., 86, 89, 91, 133, 161, 166–171, 174, 184 f. Kryplewski, Julian 52 Kryształ, Franciszka 279 Kunde, Wilhelm 170 f., 191 f. Kundt, Ernst 52 f., 83, 90 Kupierberger, Kubcia 246 Ladner, Abraham 286 Lamet, Majer 281 Łasky, Stanisław 56 f. Laubert, Daniel 252 Lederberger, Felicia 249, 270 Lederberger, Salomon 138, 249 f., 270 Lederberger, Tosia 138 Lehrhaupt, Julius 125, 127 f., 134, 245

Namensregister Lenhardt 263 Lenkowicz, Dawid 125 Libor, Georg Peter 270, 302, 304 f. Lichtig, Ian 35 List, Wilhelm 37 Losacker, Ludwig 44 f. Mack, Hanns 58 f. Madritsch, Julius 206, 228–232, 234 f., 237, 261, 263 f., 270, 314, 316 f. Malinowska, Maria 256 Malottki, Otto von 76, 100, 107, 306 Mansdorf, Josek 227, 235 Meisinger, Josef 289 Melnick, Henry 243 f. Meyer, Alfred 164 Miller 129 Müller, Franz Josef 191 Nowak, Hans 76, 102, 106 f., 196 Oberhauser, Josef 162 Offner, Józef 125, 310 Okoń, Edward 52 Oppermann, Karl 100, 102 f., 105–107, 109, 208, 216, 234, 240, 247, 260, 270, 302–304 Palten, Josef 58 f., 200, 260, 306 Pavlu, Rudolf 120 f. Pernutz, Karl 53, 191, 211, 214 Pevny, Marianne 112 Piłsudski, Józef 34 Plügel, Anton 110–112 Prel, Max du 40 Rauch, Leizer 279 Reiss, Paul 128, 134, 145, 194 Riege, Paul 48 Ringelblum, Emmanuel 36, 254 Rommelmann, Wilhelm Heinrich 60, 106, 196, 218, 240 f., 292 f. Rosenberg, Alfred 164 Rowen, Marcel 243 Rubin, Wanda 279 Rundstedt, Gerd von 37 f.

347

Sauckel, Fritz 169 Scharf, Erich 177 Schenkel, Wolf 100, 125, 127 Scherner, Julian 51, 170–175, 177 f., 186, 191, 197, 204, 228, 241, 260 f., 268, 293, 299, 313, 315 Schiffer, Chaim 279 Schindler, Max-Josef 167 Schlüter, Ernst 178 Schmidt, Friedrich 185, 311 Schniederkötter 191 Schöngarth, Eberhard 49, 71, 104, 160 Schönker, Heinrich 128, 202, 234 f., 238, 308 Schussier 246 Schwedler, Hans 51, 174 Seraphim, Heinz-Peter 40 Seyß-Inquart, Arthur 37, 42, 45 Siebert, Paul 124 Sielaff, Theodor 56, 178 Silberstein 214 Speiser, Bogumił 134 Spett, Martin 140, 224, 234 Sporrenberg, Jakob 272 Springer, Smilek 246 Stitzinger, Ludwig 52 Strauß, Julius 56, 212, 221 Streccius, Alfred 62 Streckenbach, Bruno 48–50, 65, 89 Stroop, Jürgen 272 Strzałkowski 257 Stub 127, 270 Tesse, Bernhard 226 Thier, Theobald 51 Tidow, Walter 89 Tisch, Eliasz 132 Titsch, Raimund 261, 263 Unger, David 248 Unger, Israel 258, 276 Unger, Markus David 258 Volkmann, Artur 125, 127 f., 134, 145, 245, 262, 270

348

Namensregister

Wächter, Otto 43 f., 75, 116 f., 120 f., 251 Waksman, Ruwen 125 Walbaum, Jost 70 f. Walden, Edwin 304 Wasserman 129, 269 Weichert, Michał 132, 215, 226–228, 231 Weisbord, Ann 283 Weißmann, Robert 183 Wendler, Richard 44 Wielikowski, Gustaw 132 Wiesenthal, Simon 307

Winkler, Gerhard 48 Wirth, Christian 162 Wolfstieg, Friedrich 66 Woyrsch, Udo von 65 f. Wrubel 156 Wunder, Ernst 221 Zabłudowski, Benjamin 132 Zeck, Karl 51 Żmuda, Augustyn 207 Żmuda, Janina 207

Ortsregister Allenstein 279 Arnsberg 297 Athen 58 Auschwitz (Oświęcim) 9 f., 99 f., 125 f., 160, 168, 186–188, 243, 251, 262–267, 272, 274, 278, 289 f., 317 Auschwitz-Birkenau 160, 187 Babenhausen 300 Bad Krynica 70 Bad Tölz 289 Baden-Baden 44 Bagamoyo 171 Baltimore 9 Baranów 180 Belzec (Bełżec) 161 f., 164, 166 f., 178– 188, 197, 199, 201, 203 f., 260, 272, 274, 278, 312, 317 Bendzin (Będzin) 66 Bergen-Belsen 278 Berlin 39, 49 f., 60, 76, 96, 110, 123, 160 f., 163, 169, 172, 284, 310–312 Bernburg 161 Biała Podlaska 213 Białystok 16, 166, 272, 279 Bielefeld 60, 297 Bielitz 240 Bochnia 69, 117, 141, 182, 185–187, 230, 263, 274, 294, 311 Bochum 22, 301–305 Bolbeck 300 Boryslaw (Borysław) 274 Bremen 60, 218, 292 Breslau (Wrocław) 50, 173, 279, 288 Brest-Litowsk 213 Bromberg (Bydgoszcz) 61, 279, 288 Brzesko 53 f., 56, 61 f., 134, 196, 199, 203, 206 Chemnitz 44 f.

Cherbourg 300 Ciężkowice 56, 88, 134, 199 Czchów 134, 199 Dachau 171, 218, 292 Danzig 279, 288 Darmstadt 8, 59, 292, 300 Dąbrowa Tarnowska 15, 41, 61, 199, 203, 250 Debica (Dębica) 50, 54, 63, 95 f., 117, 149–151, 175 f., 178, 180, 188, 192, 194, 212, 262, 310 Den Haag 50 Dobromil 50 Dortmund 303 Dresden 45 Drohobycz 274 Duisburg 172 Ebensee 278 Eitzen 49 Eutingen 302 Fallingbostel 297 Flensburg 298 f. Flossenbürg 188 Frankfurt/M. 59 Freiburg 45 Gelsenkirchen 304 Głogów 179 Gnesen (Gniezno) 117, 119 Gorlice 50, 209, 212 Gostyn (Gostyń) 117, 122 Grafeneck 161 Graz 49 Gromnik 56, 134, 199 Gumniska 56, 134, 199 Haan 49

350

Ortsregister

Hadamar 161 Hamburg 13, 48, 65, 294 Hannover 49 f. Hartheim 161 Heidelberg 7, 44 Hof 44 Hohensalza 117, 119 Innsbruck 53 Iwkowa 199 Jagielnica 273 Jaroslau (Jarosław) 40, 50, 117 Jaslo (Jasło) 44 f., 50, 59, 69, 117, 182, 274, 297 Jerusalem 13, 24, 125, 255

Lemberg (Lwów) Leslau (Włocławek) 119, 122, 279 Lezajska 181 Limanowa 117 Linz 50, 161 Lipowa 272 Lisia Dora 55 Lisia Góra 56 Litzmannstadt (Lódź) 16, 63, 117, 119, 141, 169 Löbau 45 Lublin 16, 49, 61, 67, 132, 142, 161 f., 165, 168, 268, 272, 279, 281, 288, 311–313 Ludwigsburg 8, 22, 295 f., 307 Lüneburg 49, 297 Łańcut 181

Kalisch (Kalisz) 117, 119 Kalusz (Kałuszyn) 53 Karlsruhe 302 Karschau 53 Kassel 59 Kattowitz (Katowice) 60, 279, 288, 293 Kiel 298, 300 Kielce 16, 44, 121, 273, 285 Klikowa 56 Köln 303 Kolo (Koło) 117 Konin 117, 119, 122 Kosten 119 Krakau (Kraków) 8 f., 15 f., 20, 22 f., 28, 40–42, 44, 46, 49 f., 55–57, 60 f., 63 f., 66, 68 f., 75, 81, 83, 89, 94, 101, 103, 105, 107, 110–112, 116–124, 132, 136 f., 141, 147, 154, 157, 163, 168, 171 f., 174, 178 f., 182, 184–186, 191 f., 197, 205 f., 229 f., 239, 246, 250, 260 f., 263 f., 271, 279, 282–284, 288–291, 294, 296 f., 308–312 Krakau-Plaszow (Kraków-Płaszów) 168, 185–188, 239, 261–267, 269, 271, 274, 278, 289 f., 294, 314, 317 Krosno 50, 117, 181, 184 Kulmhof (Chełmno) 159, 274

Majdanek 9, 272 Mannheim 44, 61 Mauthausen 188, 264, 278, 283–285 Michalowice (Michałowice) 298 f. Miechow (Miechów) 50, 185, 230, 298 f., 311 Mielec 15, 50, 54, 61, 63, 117, 178 f., 187, 274, 312 Minden 218 Mogilno 117 Mościce 56 München 22, 44, 91 Munster-Lager 297 Myslenice 61

Le Havre 300 Leipzig 45

Paris 34, 60 Pełkinie 181

Neumarkt (Nowy Targ) 182 f. Neuruppin 172 Neu-Sandez (Nowy Sącz) 14, 28, 50, 94, 105, 117, 141 f., 182, 206, 233, 243, 259, 296 Nisko 61, 67 Nürnberg 37 Oberdorf 44 Ostrowiec 273 Otfinów 286

Ortsregister Petrikau (Piotrków Trybunalski) 68, 273 Pforzheim 302 Pilzno 180 Pleśna 56, 134, 199 Poniatowa 273 Posen (Poźnan) 117, 119, 279, 289 Prag 171 Prenzlau 176 Preßburg (Bratislava) 49 Prokocim 183 Przemyśl 40, 50, 66, 94, 180, 185–187, 279, 298 f. Pustkow (Pustków) 95–97, 135, 147, 149–152, 180, 187 f., 227, 251, 274 Radłów 134, 199 Radmin 181 Radom 44, 132, 141, 168, 273, 288 Radomyśl Wielki 180 Rathenow 173 Rawicz 117 Recklinghausen 300 Reichshof (Rzeszów) 26, 41, 50, 58, 61, 69, 94, 117, 141, 157, 179, 180, 184–187, 192, 204, 212, 236, 251, 271, 274, 282, 298 f., 311 Riga 16 Ropczyce 180 Rozwadów 180 Rożnów 94 f. Ryglice 56, 134 Samborz 281 Sanok 40, 50, 59, 119, 183, 184 Schleswig 297 f. Sczuczyn 55 Sedziszów 180 Siedlce 288 Sieniawa 181 Sieradz 117 Sierot 293 Skawina 183, 263 Slomniki (Słomniki) 230 Sobibor (Sobibór) 164 f., 178, 272, 312 Sonnenstein 161

351

Stalowa Wola 50, 274 Stammern 37 Stanislau 273 Stanisławów 28 Stettin (Szczecin) 279 Straßburg 47 Stuttgart 58, 304 Stutthof 188 Szczurowa 35, 134, 199 Szebnie 127, 186–188, 207, 243, 264, 267, 269 f., 274, 278, 289, 294 Tarnobrzeg 54, 65, 117, 180 Tomaschow 273 Trawniki 268, 273, 313 Treblinka 9, 164–166, 168, 272, 312 Trebnitz 173 Trepczy 184 Troppau (Oppava) 59 Trzebinia 66 Tschenstochau (Częstochowa) 44, 61, 168, 273, 279, 288 Tuchów 41, 56, 134, 199, 203, 206, 246 Uelzen 292 Ulm 295 Uszew 199 Waldsee 47 Warschau (Warszawa) 7, 16, 21 f., 24, 63, 121, 129, 132, 141 f., 166, 168, 173, 251 f., 254, 270, 272, 278 f., 288 f., 312 Warzyce 182 Washington D.C. 8, 20, 24 Weimar 49 Wieliczka 63, 183 f., 274 Wielopole Skrzyńskie 180 Wien 43, 45, 53, 58 f., 65, 110–112, 114, 118, 206, 229 f., 232, 314, 316 Wierzchosławice 56 Wietrzychowice 199 Wilstedt 292 Wojnicz 134, 199 Wolfsberg 294 Zaczarnie 208

352 Zakliczyn 199, 203 Zakopane 50 Zamość 16, 117 Zasław 183, 184

Ortsregister Zbylitowska Góra 194, 196 f. Znin (Żnin) 119 Żabno 134, 145, 199, 203 Żołynia 181