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German Pages 304 [258] Year 2009
Insa Meinen
Die Shoah in Belgien
Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 15 Herausgegeben von Klaus-Michael Mallmann
Insa Meinen
Die Shoah in Belgien
Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn Titelfoto: Innenhof der Dossin-Kaserne Malines (Mechelen) – Durchgangslager für die Transporte nach Auschwitz, wahrscheinlich Sommer/Herbst 1942. © Musée Juif de la Déportation et de la Résistance, Malines, Fonds Kummer.
Der Abschluss der Arbeiten an diesem Buch wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
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ISBN 978-3-534-22158-5
Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Besatzung, Kollaboration und Judenverfolgung . . . . . . . . Das Besatzungsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Sipo-SD und das Judenreferat in Belgien . . . . . . . . . Die belgischen Behörden und Kollaborationsbewegungen . . . Antijüdische Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Der Judenstern war der Auftakt der eigentlichen Verfolgung“ Deportation nach Nordfrankreich . . . . . . . . . . . . . . . Die Brüsseler Administration lehnt die Verhaftung von Juden ab Grenzen der Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Beginn der „Endlösung“ in Belgien . . . . . . . . . . . . Arbeitseinsatzbefehle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Großrazzien des Sommers 1942 . . . . . . . . . . . . . . Antwerpen: Drei Razzien im August 1942 . . . . . . . . . . Die Brüsseler Razzia vom 3. September . . . . . . . . . . . Die Antwerpener Razzia vom 11./12. September . . . . . . . Eine Razzia in Lüttich . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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17 17 19 20 24 26 30 33 35 39 42 44 44 47 48 49
„Die Abschiebungsaktion nimmt trotz der Schwierigkeiten ihren Fortgang“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die belgischen Juden werden deportiert . . . . . . . . . . . . . .
50 56
2. Die jüdische Zwangsvereinigung . . . . L’Association des Juifs en Belgique (AJB) Deutsche Zuständigkeiten . . . . . . . Zweck, Aufgaben, unsicherer Status . . . Demarchen . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . Wohin fahren die Züge? . . . . . . . . . Taktiken der Besatzer . . . . . . . . . . Zur Rolle der Militärverwaltung . . . . .
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Inhalt
3. Wie wurden die Juden in Belgien verhaftet? . . . . . . . Tausende von Einzelaktionen . . . . . . . . . . . . . . Stellenwert der deutsch-belgischen Behördenkooperation Das Devisenschutzkommando . . . . . . . . . . . . . Mitwirkung der Zollfahnder bei der „Endlösung“ . . . .
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92 95 99 102 105
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Vorgehen der Täter . . . . . . . . . . . . . . Wer nahm die Juden fest? . . . . . . . . . . . . Verhaftungstechniken . . . . . . . . . . . . . .
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Antwerpen und Brüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Verhaftung von Juden in Antwerpen ab Herbst 1942 . . . . . . Die Festnahmekommandos des Brüsseler Judenreferats . . . . . .
154 156 158
Reaktionen und Selbstverteidigung der Juden Verhaftung jüdischer Flüchtlinge . . . . . . V-Leute . . . . . . . . . . . . . . . . . . Raub von Devisen . . . . . . . . . . . . . Willige Vollstrecker . . . . . . . . . . . . .
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4. Der XXI. Transport nach Auschwitz . . . . . . . . Biographische Studien . . . . . . . . . . . . . . Kinderaustausch Holland/Belgien . . . . . . . Passagiere der St. Louis . . . . . . . . . . . . Fluchthilfe von Belgien nach Frankreich 1941/42 Fluchtversuche nach Frankreich 1942 . . . . . . Fluchten aus den Niederlanden 1942/43 . . . . . Heiraten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verstoß gegen antijüdische Verordnungen . . . . Nichttragen des „Judensterns“ . . . . . . . . . Falsche Papiere . . . . . . . . . . . . . . . . Résistance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhaftung außerhalb der Wohnung . . . . . . Versteckte Kinder . . . . . . . . . . . . . . . Festnahme im Versteck . . . . . . . . . . . . . Fluchten aus Transporten . . . . . . . . . . . Die Opfer und ihre Rettungsanstrengungen . . . . Woher kamen die deportierten Juden? . . . . . Individuelle Überlebensstrategien in Zahlen . . .
5. Menschenjagd
83 83 85 87 90
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Inhalt
Andere deutsche Dienststellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die belgische Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gegenwehr der Juden aus der Sicht der Täter . . . . . . . . .
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Die Besatzungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Belgische Behörden und Kollaboration . . . . . . . . . . . . . . Selbstverteidigung der Juden und organisierte Hilfe . . . . . . . .
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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Karte Belgiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Biographische Notizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schlussbetrachtung
Abkürzungen
Tabelle: Die Deportation von Juden aus Malines nach Auschwitz
Schaubild: Die an der Judenverfolgung beteiligten deutschen Stellen
Einleitung Belgien findet in Deutschland wenig Aufmerksamkeit. Beide Länder haben im 20. Jahrhundert entscheidende Perioden gemeinsamer Geschichte geteilt. Und doch gibt es im Land der Täter mehr als 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs keine Gesamtdarstellung der deutschen Besatzung Belgiens. Daher dürfte kaum jemand wissen, dass die deutschen Machthaber nur kurze Zeit nach dem Überfall der Wehrmacht auf das neutrale Belgien 1940 in dem halbwegs zwischen Brüssel und Antwerpen gelegenen Fort Breendonk ein Konzentrationslager einrichteten, das sich zu einer der übelsten Folterstätten im besetzten Westeuropa entwickeln sollte. Jean Amérys Essay über die Tortur geht auf die Gefangenschaft des 1938 aus Wien entkommenen jüdischen Flüchtlings in diesem Lager zurück. Dass Belgien in der Lebensgeschichte eines anderen Juden ebenfalls eine zentrale Rolle spielte, ist der Öffentlichkeit womöglich besser bekannt. Paul Spiegel, bis zu seinem Tod im Jahr 2006 Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, musste 1939 als Kind aus Westfalen mit seinen Eltern in das Nachbarland fliehen, wo er bei einem belgischen Bauern versteckt wurde und der Verfolgung entging. Ein dritter Flüchtling war der erst nach seinem Tod zu Ruhm gelangte Maler Felix Nussbaum, der seine künstlerische Arbeit im Brüsseler Versteck fortsetzte, bis er im Jahr 1944 verhaftet und mit dem letzten Transport nach Auschwitz deportiert wurde. Nussbaums Geburtsstadt Osnabrück stellt seine Bilder in einem von Daniel Libeskind entworfenen Museum aus. Eine gewisse Publizität hat schließlich ein in Belgien stattgefundenes Ereignis gefunden, das einmalig in der Geschichte des Judenmords ist: 1943 brachten drei junge Männer den XX. Transport nach Auschwitz noch in Belgien zum Halten und befreiten annähernd 20 darin gefangene Juden. Mehr als 200 weiteren Frauen, Männern und Kindern gelang der Ausbruch aus dem Todeszug aus eigener Kraft. Der jüdische Arzt Youra Livschitz, der den Transport zusammen mit zwei ehemaligen nichtjüdischen Schulfreunden überfallen hatte, wurde 1944 auf Weisung des Militärbefehlshabers als Geisel durch die Wehrmacht hingerichtet. Die Journalistin Marion Schreiber hat dieser Widerstandsaktion eine Buchveröffentlichung gewidmet 1 . Hingegen mangelt es in Deutschland an wissenschaftlichen Werken über die Deportation von 25 000 Juden aus Belgien. Das Interesse der deutschen Holocaustforschung konzentriert sich auf Osteuropa. Die erste deutschsprachige Darstellung der Shoah in Belgien wird mit diesem Buch vorgelegt.
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Einleitung
Es ist nicht zuletzt den hartnäckigen Bemühungen französischer und belgischer Juden zu verdanken, dass die Kieler Justiz im Jahr 1980 mit Kurt Asche wenigstens einen der Hauptverantwortlichen für die „Endlösung“ in Belgien, die jahrzehntelang unbehelligt in der Bundesrepublik lebten, zur Rechenschaft gezogen hat. Im selben Jahr publizierte der belgische Historiker Maxime Steinberg, der an diesem Verfahren als wissenschaftlicher Berater der belgischen Nebenkläger beteiligt war, seine Forschungsergebnisse in Buchform und gab gemeinsam mit dem französischen Rechtsanwalt und Historiker Serge Klarsfeld einen deutschsprachigen Dokumentenband zum Kieler Prozess heraus 2 . Zwei Jahre später folgte das Mémorial der aus Belgien deportierten Juden. Mitte der achtziger Jahre erschien Steinbergs opus magnum unter dem Titel: „L’Étoile et le fusil“ (Gelber Stern und Gewehr) – bis heute übrigens nicht ins Deutsche übersetzt. Darin findet sich nicht nur eine differenzierte Analyse der antijüdischen Politik der Besatzer, die ausführlich auf die Beteiligung belgischer Behörden und belgischer Kollaborateure eingeht, sondern der Autor hebt zugleich die Reaktionen der Juden hervor. Er kontrastiert die Tätigkeit der vom Militärbefehlshaber eingesetzten jüdischen Zwangsvereinigung mit der jüdischen Selbstverteidigung und dem organisierten Widerstand gegen die Besatzer, wobei er auch die von Nicht-Juden geleistete Hilfe und die Haltung der belgischen Bevölkerung beleuchtet. Mit seiner vierbändigen Studie, der das vorliegende Buch manche Einsicht verdankt, hat Maxime Steinberg die Geschichte der Verfolgung und Deportation und des Widerstands der Juden in Belgien geschrieben. Die immense Forschungsleistung, die „L’Étoile et le fusil“ zugrunde liegt, dürfte von niemandem einzuholen sein. Dies ändert nichts daran, dass die Klärung der historischen Ereignisse, auch durch nachfolgende Schriften desselben Autors, inzwischen weiter vorangeschritten ist. Die einzige außerhalb Belgiens publizierte wissenschaftliche Buchveröffentlichung zum Thema „Belgien und der Holocaust“, die von dem israelischen Gelehrten Dan Michman herausgegeben wurde und Beiträge eines bereits 1989 veranstalteten Kolloquiums versammelt, beschäftigt sich vorrangig damit, wie ausgewählte Gruppen der jüdischen Gemeinschaft und verschiedene gesellschaftliche Kräfte auf antijüdische Maßnahmen im Vorkriegsdeutschland oder im deutsch besetzten Belgien reagierten 3 . Ein Standardwerk des flämischen Historikers Lieven Saerens zur Geschichte der Juden in Antwerpen, wo etwa die Hälfte der jüdischen Bevölkerung lebte, zeichnet die Mitwirkung von einheimischen Dienststellen sowie belgischen SS-Angehörigen und Antisemiten bei der Judenverfolgung in der flämischen Metropole nach 4 . Saerens’ These, dass aus Antwerpen prozentual weit mehr Juden deportiert wurden als aus Brüssel, hat sich in der belgischen Forschung durchgesetzt. Der Verlauf der sogenannten „Arisierung“ und die ökonomische Ausplünderung der Juden wurden erstmals von einer durch die belgische Regierung eingesetzten Kom-
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mission untersucht5 . Eine Forschergruppe unter der Leitung der Historiker Jean-Philippe Schreiber und Rudi Van Doorslaer hat die Geschichte der vom Militärbefehlshaber eingesetzten Zwangsvereinigung der Juden aufgearbeitet und dabei Maxime Steinbergs Interpretationsrahmen von Kollaboration oder Widerstand der Juden deutlich erweitert 6 . Was die Rolle der belgischen Behörden betrifft, so wurde jüngst im Auftrag des belgischen Senats am Brüsseler zeitgeschichtlichen Centre d’études et de documentation guerre et sociétés (CEGES) unter der Leitung Rudi Van Doorslaers eine weit ausgreifende Gesamtdarstellung angefertigt 7 . Es wird noch darauf einzugehen sein, dass die Mitwirkung der Brüsseler Polizei bei der Deportation der Juden in diesem detaillierten, jedoch mit manchen Irrtümern behafteten Forschungsbericht überbewertet wird. Die vorliegende Monographie setzt nicht auf Vollständigkeit; ich glaube jedoch, alle wesentlichen Sachverhalte angesprochen zu haben. Die Beraubung der Juden, zu der eine umfassende Studie existiert, deren Ergebnisse auch in deutscher Übersetzung vorliegen, wird lediglich am Rande behandelt 8 . Mein Ausgangspunkt waren Forschungsdefizite, deren Bearbeitung mir für die Geschichte der Shoah in Belgien von zentraler Bedeutung schien. Die Frage, wie und mit wessen Beihilfe Eichmanns Brüsseler Statthalter die Juden in ihre Gewalt brachten, die sie nach Auschwitz in den Tod schickten, bildet einen Leitfaden des Buches. Ein weiterer Schwerpunkt betrifft die Rettungsanstrengungen der Juden. Die organisierte Selbstverteidigung, der Widerstand von Juden und die Hilfe von nicht-jüdischen Unterstützern haben in der Literatur bereits viel Aufmerksamkeit gefunden und werden daher hier nicht ausführlich geschildert 9 . Ich untersuche vor allem, wie und in welchem Umfang die Masse der jüdischen Bevölkerung sich vor der Verhaftung und Deportation zu schützen versuchte. Das erste Kapitel vermittelt einem Überblick über die Herrschaftsverhältnisse und die Judenverfolgung im besetzten Belgien. Die eigentümlichen Beziehungen zwischen Militärverwaltung und Sipo-SD sind ebenso relevant wie die keineswegs reibungslose Zusammenarbeit des deutschen Besatzungsapparats mit den belgischen Behörden bei der Durchsetzung der antijüdischen Maßnahmen. Im Mittelpunkt stehen die dramatische Phase der Verfolgung ab dem Frühjahr 1942, die Vorbereitung der Deportationen nach Auschwitz und die großen Verhaftungsaktionen, die 1942 und 1943 in Belgien durchgeführt wurden, um die Juden abzutransportieren. Hieran wirkte zunächst die auf deutsche Anordnung gegründete Vereinigung der Juden in Belgien (AJB) mit. Die AJB war freilich alles andere als ein passives Instrument der deutschen Machthaber. Dies ist einer der Schlüssel, um ihre Geschichte zu begreifen, mit der sich das zweite Kapitel befasst. Die Umstände ihrer Tätigkeit wurden durch die Arbeitsteilung zwischen der Mili-
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tärverwaltung und den Vertretern der Sicherheitspolizei bestimmt, die die jüdischen Repräsentanten mit jeweils verschiedenen Vorgehensweisen konfrontierten. Bemerkenswerterweise hatten die Militärs einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Funktionalisierung der Zwangsorganisation. Die belgische Forschung rückt Großrazzien oder sonstige Massenaktionen in den Vordergrund. Indes wurden die aus Belgien deportierten Juden in ihrer Mehrheit einzeln oder in kleinen Gruppen verhaftet. Offenbar kam es hierbei weniger auf die belgische Polizei und um so mehr auf deutsche Dienststellen an, deren Mitwirkung bei der Judenverfolgung man bislang kaum berücksichtigt hat. Dieser zweifache Perspektivenwechsel gegenüber der vorliegenden Fachliteratur wird in Kapitel III begründet. Erstmals ausgewertete Akten zur Verhaftung von Juden durch das Devisenschutzkommando – ein Ableger der Reichsfinanzverwaltung – und die deutschen Grenzschutzorgane an der niederländischen und französischen Grenze verweisen nicht zuletzt auf die Anstrengungen der jüdischen Bevölkerung, der drohenden Deportation zu entkommen. Belgien, wo mehr als 90 Prozent der Juden entweder Immigranten vorwiegend osteuropäischer Herkunft oder Flüchtlinge aus Deutschland waren, blieb noch in den Jahren 1942 und 1943 Transitland für Juden aus den Niederlanden, die aus dem deutschen Herrschaftsgebiet fliehen wollten. Sofern wir Näheres über die Gegenwehr der von der Deportation bedrohten jüdischen Bevölkerung wissen, stützen sich unsere Kenntnisse zumeist auf veröffentlichte und unveröffentlichte Zeugnisse der entkommenen und überlebenden Juden oder auf die Erinnerung der „Retter“. Dabei geraten diejenigen, die nicht aus den Vernichtungslagern zurückkehrten, aus dem Blick. Und doch hatten sie vielfach bis zur letzten Minute vor ihrer Verhaftung versucht, sich oder ihre Familie in Sicherheit zu bringen. Ihre Überlebensstrategien sind in nicht wenigen Fällen dokumentiert – selbst wenn sie keine Tagebücher oder Briefe hinterließen. Ausgehend von einem Transport des Jahres 1943 widmet sich das vierte Kapitel der Frage, welche Rettungsbemühungen die deportierten Juden unternommen hatten, bevor sie der Gestapo schließlich doch in die Hände fielen. Außerdem wird untersucht, wie die Sicherheitspolizei mehr als 1500 Frauen, Männer und Kinder in diesen Deportationszug brachte, ohne große Razzien durchzuführen. Ein Vergleich mit vier anderen Transporten der Jahre 1942 und 1944 findet sich in Kapitel V, das neue Aufschlüsse zur Verteilung der Opferzahlen zwischen den Großstädten Brüssel und Antwerpen enthält. Im Zentrum stehen die Techniken der Menschenjagd. Die Aktivitäten des „Judenreferats“ der Brüsseler Sipo-SD werden detailliert nachgezeichnet. Die Mitwirkung der Feldgendarmerie oder der Geheimen Feldpolizei bei der Verhaftung der Juden wird ebenso behandelt und gewichtet wie der Rückgriff der Besatzungsmacht auf die belgische Polizei und andere einheimische Helfershelfer. Neue Quellen
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beleuchten die Sicht der Täter auf die Gegenwehr der jüdischen Bevölkerung. So lässt sich die Wechselwirkung zwischen dem Vorgehen der Deutschen und den Reaktionen der Juden ermessen. Die Quellen deutscher und belgischer Provenienz, auf die sich die folgende Darstellung stützt, sind vorwiegend unveröffentlicht und stammen aus deutschen, belgischen und französischen Archiven, wobei die Quellenlage einerseits dürftig und andererseits reichhaltig genannt werden kann. Der überlieferte Bestand der verantwortlichen deutschen Dienststellen weist große Mängel auf. Zwar verfügen wir über die Berichte und ausgewählte Aktendossiers der deutschen Militärverwaltung – die bezeichnenderweise nicht den Schriftverkehr des in der Zeit der Deportationen für die „Judenfrage“ zuständigen Referats einschließen – sowie über einige relevante Schriftstücke des Brüsseler Vertreters des Auswärtigen Amts. Doch die in Belgien tätigen Statthalter des RSHA haben ihre Akten vor dem Rückzug vollständig beseitigt, und auch ihre nach Berlin gesandten Meldungen zur Judenverfolgung gelten fast ausnahmslos als verschollen. Immerhin konnte ich im Berliner Bundesarchiv mehrere sehr aussagekräftige Meldungen aus dem Jahr 1942 ausfindig machen. Aktenbestände der Feldgendarmerie oder der Wehrmachtgerichte sind nicht vorhanden. Von der Geheimen Feldpolizei liegen zumindest die Tätigkeitsberichte vor, die einige Aufschlüsse bieten, zumal sie in der einschlägigen Literatur nicht berücksichtigt werden. Eine Reihe von Schriftstücken der genannten deutschen Stellen sowie der deutschen Grenzschutzorgane an den Grenzen zu Holland und Frankreich, die die Verhaftung von Juden betreffen, finden sich in dem teilweise überlieferten Bestand des Devisenschutzkommandos, der nicht zuletzt aus diesem Grund eine wichtige Quelle bildet. Schließlich sind in den Archiven der belgischen Behörden Schriftstücke deutscher Provenienz auffindbar – in nennenswertem Umfang, was die Umsetzung der antijüdischen Verordnungen betrifft, an der die belgische Verwaltung nicht unerheblich beteiligt war. Bezüglich der Verhaftung der Juden handelt es sich lediglich um wenige Dokumente. Von großer Bedeutung ist die Überlieferung des Archivs der Zwangsvereinigung der Juden, das Verhandlungen der jüdischen Repräsentanten mit deutschen Dienststellen und Eingaben für verhaftete Juden beinhaltet. Außerdem sind für individuelle Personenrecherchen – für die vorliegende Darstellung wurden Nachforschungen nach mehr als 5000 aus Belgien deportierten Juden durchgeführt – reichhaltige Bestände verfügbar. Hierzu gehören die Karteien des Brüsseler Judenreferats der Sipo-SD, des Devisenschutzkommandos, der jüdischen Zwangsvereinigung, die auf deutsche Veranlassung angelegten „Judenregister“ belgischer Kommunen, die Transportlisten der Todeszüge nach Auschwitz und die teilweise aufbewahrten persönlichen Dokumente, die den Juden nach der Verhaftung abgenommen wurden, darunter falsche Papiere.
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Hierzu zählen gleichermaßen die nach 1945 angelegten Personendossiers des belgischen Kriegsopferdienstes (SVG). Sie enthalten zeitgenössische Quellen – wie Kriegsgerichtsurteile oder Karteiblätter aus deutschen Haftanstalten – sowie in der Nachkriegszeit protokollierte Angaben und polizeiliche Vernehmungen von Überlebenden, Angehörigen der deportierten Juden oder belgischen Augenzeugen der Verhaftung. Sehr ergiebig sind schließlich die Akten der belgischen Militärgerichtsbarkeit, die nach der Befreiung gegen ehemalige Angehörige deutscher und belgischer Dienststellen und belgische Kollaborateure ermittelte. Die zahlreichen Vernehmungen inhaftierter deutscher Polizeibeamter, die in der Brüsseler Gestapo oder in dem zur Zusammenstellung der Todeszüge zwischen Brüssel und Antwerpen errichteten Sammellager Malines tätig gewesen waren, und ihrer einheimischen Handlanger stellen angesichts der defizitären Überlieferung deutscher zeitgenössischer Quellen einen Glücksfall für die historische Forschung dar. Von unschätzbarem Gewinn ist auch, dass die belgischen Ermittlungsbehörden schon sehr früh – zumeist 1949 – mehr als die Hälfte der etwa 1200 Überlebenden der Shoah vernommen haben. Diese Quellen haben, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, in der Forschung bisher keine Berücksichtigung gefunden. Hinzu kommen die Vernehmungen von Juden, die der Deportation entgangen waren, darunter ehemalige Funktionshäftlinge oder Mitarbeiter der jüdischen Zwangsvereinigung, die Auskunft über das Vorgehen der deutschen Polizei erteilten. Die 20 Jahre später begonnenen Ermittlungen der deutschen Justizbehörden, die schließlich zum Kieler Prozess führten, bezogen einen teilweise abweichenden Personenkreis ein. Die in diesem Rahmen protokollierten Vernehmungen von ehemaligen Angehörigen des deutschen Besatzungsapparats bieten manche neuen Aufschlüsse zu den Großrazzien und Einzelverhaftungen, die in Belgien durchgeführt wurden, um die Züge nach Auschwitz zu füllen. Dass Einlassungen solcher Art besonders kritisch gelesen werden müssen, versteht sich von selbst. Zur Verwendung der Quellen sind einige technische Hinweise angebracht. Personennamen der aus Belgien deportierten Juden, die bereits in den einschlägigen Verzeichnissen und in Datenbanken öffentlich zugänglich sind, werden im Folgenden genannt. In wenigen anderen Fällen wurde der Name von verfolgten Personen durch ein Pseudonym ersetzt und entsprechend gekennzeichnet. Die Namen von belgischen oder jüdischen informellen Handlangern der deutschen Polizei wurden ebenfalls anonymisiert, sofern sie nicht seit Jahren aus der belgischen Literatur bekannt sind. Dasselbe gilt für einige wenige untergeordnete deutsche Angehörige des Besatzungsapparats, deren Name ausschließlich durch ihre in der Nachkriegszeit erfolgte Vernehmung dokumentiert ist. Sofern nicht anders vermerkt, wurden die in französischer oder niederländischer Sprache vorliegenden und im Text zitierten Quellen von der
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Verfasserin ins Deutsche übersetzt. Die nach zwei Fundorten angeführten Zeugenvernehmungen aus dem Kieler Prozess sind vollständig im Brüsseler CEGES und lediglich in begrenztem Umfang in der Ludwigsburger Außenstelle des Bundesarchivs vorhanden. Deutsche Dokumente aus dem im CEGES verfügbaren Bestand German Records Microfilmed at Alexandria sind auch im Freiburger Militärarchiv aufzufinden. Mein Dank geht an die Leiter und Mitarbeiter der aufgesuchten Archive, vor allem an Laurence Schram (MJDR) und Sophie Vandepontseele (SVG), die mir den Zugang zu Karteien, Akten und Datenbanken ermöglicht und die mein Vorhaben mit wichtigen Hinweisen und Auskünften unterstützt haben. Sophie Vandepontseele war darüber hinaus bei der ersten Durchsicht von mehr als 4000 Personendossiers behilflich. Ohne meine Mitarbeit in dem von Wolfgang Seibel an der Universität Konstanz durchführten und der Volkswagen-Stiftung geförderten Projekt „Holocaust und ‚Polykratie‘ in Westeuropa“ wäre dieses Buch über Belgien nicht begonnen worden. Wolfgang Seibel ermöglichte mir überdies auf großzügige Weise, meine Forschungen mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Brüssel fortzuführen. Die Diskussionen mit belgischen Kollegen und die Mitarbeit in dem von Jean-Philippe Schreiber (Université libre de Bruxelles) und Rudi Van Doorslaer (CEGES) geleiteten Projekt über die Geschichte der Zwangsvereinigung der Juden in Belgien haben mich dazu ermutigt, die ausschließliche Perspektive auf die Täter aufzugeben. Dass ich auf die freundliche Unterstützung durch die von Albert Mingelgrün und Jean-Philippe Schreiber an der Université libre de Bruxelles geleiteten Fondation de la Mémoire contemporaine zählen konnte, hat den Abschluss der Arbeiten wesentlich erleichtert. Die Recherchen zum XXI. Transport (Kapitel IV) wurden gemeinsam mit Ahlrich Meyer durchgeführt, dem ich außerdem die kritische Durchsicht des Buchmanuskripts verdanke. Dank gebührt schließlich dem Lektor der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Daniel Zimmermann, der das Erscheinen des Buches sicherte, und Klaus-Michael Mallmann, dem wissenschaftlichen Leiter der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, für die Aufnahme in die von ihm herausgegebene Schriftenreihe. Brüssel, im Mai 2009
Insa Meinen
1. Besatzung, Kollaboration und Judenverfolgung Das Besatzungsregime Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 10. Mai 1940 wurde Belgien dem General der Infanterie Alexander von Falkenhausen unterstellt, der ab Juni 1940 als „Militärbefehlshaber in Belgien und Nordfrankreich“ auch für die beiden französischen Departements Nord und Pas-de-Calais zuständig war, während die ostbelgischen Gebiete Eupen und Malmedy abgetrennt und vom Deutschen Reich annektiert wurden1 . Von Falkenhausen verfügte über einen Kommandostab unter Bodo von Harbou zur Ausübung der militärischen Gewalt und über einen Militärverwaltungsstab, dem die Regierung und Ausplünderung des besetzten Landes oblag. Als Chef der Militärverwaltung fungierte der ehrgeizige Eggert Reeder, Regierungspräsident in Köln und ehrenamtliches SS-Mitglied, der während seiner Tätigkeit in Belgien zum SS-Gruppenführer aufstieg. Reeder wusste sich eine außerordentliche Machtfülle zu sichern. Seine am nationalsozialistischen Führerprinzip orientierte Formel von der „Einheit der Verwaltung“, die er in seinen Berichten nach Berlin und in zeitgenössischen Veröffentlichungen wiederholt zur Vorbedingung der Besatzungsherrschaft über Belgien erklärte, stand für die sehr weitgehend durchgesetzte Absicht, sämtliche in seinem Befehlsbereich agierenden deutschen Verwaltungs- und Wirtschaftsstellen selbst zu kontrollieren 2 . Dies bezog sich bemerkenswerterweise auch auf die Brüsseler „Dienststelle“ bzw. den „Beauftragten“ des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD (Sipo-SD) – also auf die Außenstelle des Berliner Reichssicherheitshauptamts. Heydrichs Stellvertreter in Brüssel unterstanden aufgrund der Vereinbarungen zwischen dem RSHA und der Wehrmacht dem Militärbefehlshaber3 . Auf Betreiben Reeders wurden sie nicht – wie ursprünglich geplant – dem Kommandostab, sondern dem Militärverwaltungschef selbst untergeordnet. Während das Oberkommando des Heeres (OKH) und der Militärbefehlshaber in Paris die Einflussnahme der Sipo-SD zu begrenzen suchten, setzte Reeder sie in Belgien als Exekutivorgan der Militärverwaltung ein und stattete sie im Februar 1941 mit eigenen Festnahmekompetenzen aus. Ein zugleich eingeführtes Haftprüfungsverfahren begründete eine Kontrolle der sicherheitspolizeilichen Verhaftungen durch die Militärverwaltung, von deren Zustimmung jede Inhaftierung abhängig gemacht wurde, die länger als vier Wochen währte. Mithin
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Besatzung, Kollaboration und Judenverfolgung
konnte die Gestapo in Belgien – und dies dürfte für den nationalsozialistischen Terrorapparat einmalig gewesen sein – auf eine von der Militärverwaltung autorisierte Form der „Schutzhaft“ zurückgreifen, die als „Sicherheitshaft“ bezeichnet wurde und zu deren Durchführung der Militärverwaltungschef explizit ein Konzentrationslager bestimmte 4. Das mitten in Belgien errichtete Lager Breendonk war eine der grauenvollsten Haft- und Mordstätten des NS-Regimes und unterstand ab Mai 1942 direkt Militärverwaltungschef Reeder 5 . Im Gegensatz zu Frankreich, wo die Einflussgewalt des Militärbefehlshabers auf die Sipo-SD spätestens im Frühjahr 1942 mit der Berufung eines Höheren SS- und Polizeiführers endete, blieb der Beauftragte des Chefs der Sipo-SD in Belgien auch später dem Militärverwaltungschef unterstellt. Denn Heinrich Himmler sah bis kurz vor dem Ende der Besatzungszeit davon ab, in Belgien einen HSSPF einzusetzen. Obwohl es an entsprechenden Planungen und Vorstößen nicht mangelte, behauptete Reeder sich bis Juli 1944 6 . Lediglich auf dem Gebiet der Volkstumspolitik, die im flämisch-wallonischen Belgien bei der Förderung von Kollaborationsbewegungen eine nicht unwesentliche Rolle spielte, konnte er nicht verhindern, dass Himmler und insbesondere der Chef des SSHauptamtes und Leiter der „Germanischen Leitstelle“, Gottlob Berger, fortlaufend auf eine seinen eigenen Optionen zuwiderlaufenden Weise in die Besatzungspolitik eingriffen. Reeder musste die Einsetzung von Himmlers Bevollmächtigtem Richard Jungclaus hinnehmen, der ihm nicht untergeordnet war. Dagegen stellten die Statthalter Heydrichs bzw. Kaltenbrunners Reeders Führungsanspruch nicht in Frage. In dem hier interessierenden Zeitraum, als die Deportation der Juden vorbereitet wurde und der Großteil der Züge aus Belgien nach Auschwitz fuhr, fungierte Ernst Ehlers als Beauftragter des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) in Brüssel. Er löste im Dezember 1941 Constantin Canaris ab und leitete die Sipo-SD in Brüssel bis einschließlich Januar 1944 7 . Ehlers war 15 Jahre jünger als Reeder. Als SS-Sturmbannführer und Regierungsrat stand er bei seiner Ankunft in Brüssel einem Militärverwaltungschef gegenüber, der ihm als SS-Brigadeführer und Regierungspräsident in mehrfacher Hinsicht übergeordnet war. Der Beauftragte war also relativ schwach, und es kam vor, dass er sich von Reeders Mitarbeitern abfertigen ließ, wenn er bei der Militärverwaltung vorstellig wurde8. Noch wichtiger war, dass es zwischen der Militärverwaltung und dem BdS nicht zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen, sondern vielmehr zu einer „harmonischen“ Zusammenarbeit kam 9 . Dieses von den Beteiligten noch in der Nachkriegszeit gegenüber der belgischen Justiz unisono unterstrichene Faktum steht allerdings im Widerspruch zu der gleichzeitig von Reeder und von Falkenhausen ausgegebenen Rechtfertigungslegende, derzufolge die SipoSD ihnen lediglich formell unterstanden habe und tatsächlich ihrer Kontrolle
Das Besatzungsregime
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zunehmend entglitten sei 10 . Dass die Unterstellung alles andere als formal war, zeigt die Tatsache, dass der BdS seine „Meldungen aus Belgien und Nordfrankreich“ im Entwurf und vor der Absendung nach Berlin Reeders politischem und persönlichem Referenten Günter Heym zur Durchsicht vorlegen musste 11. Vor allem jedoch war die Sicherheitspolizei bei der Ausführung ihrer Verbrechen von der Autorisation der Militärverwaltung abhängig. Dies gilt ebenso für die Verschleppung von Juden und Widerstandskämpfern in das Lager Breendonk wie für die Deportation der Juden nach Auschwitz.
Die Sipo-SD und das Judenreferat in Belgien Am 1. Juli 1940 traf Feldpolizeidirektor Franz Straub, zur Abwehr einberufener Mitarbeiter der Münchner Gestapo, mit einem Sonderkommando von 20 bis 25 in die Geheime Feldpolizei (GFP) aufgenommenen Polizeibeamten in Brüssel ein und meldete sich weisungsgemäß bei Militärverwaltungschef Reeder 12 . Dass die ersten Kommandos des RSHA sowohl in Frankreich als auch in Belgien in Uniformen der GFP – dem Vollzugsorgan der deutschen Abwehr – auftraten, ging darauf zurück, dass das Heeresoberkommando sich zunächst gegen eine Tätigkeit der Sicherheitspolizei im besetzten Gebiet sperrte. Allerdings besteht kein Zweifel darüber, dass Reeder Heydrich im Juni 1940 um Personal zur Verstärkung der unzureichenden GFP-Kräfte ersucht hatte. Nachdem die Wehrmacht dem RSHA eine Mitwirkung im Brüsseler Besatzungsapparat zugestanden hatte, kam Heydrich am 27. Juli in die belgische Hauptstadt, um seine Statthalter offiziell einzuführen. In seiner Begleitung befanden sich sein Beauftragter für Belgien und Frankreich, SS-Brigadeführer Max Thomas, und der zukünftige Leiter von Thomas’ Brüsseler Dienststelle, Obersturmbannführer Haselbacher. Reeder setzte durch, dass diese Dienststelle seinem Stab angegliedert wurde, und Heydrich holte seine Zustimmung ein, bevor er den bereits im September 1940 verstorbenen Haselbacher durch Obersturmbannführer Constantin Canaris ersetzte. Anfang Oktober ermächtigte das OKW die Sicherheitspolizei zum Tragen ihrer eigenen Uniformen in Frankreich und Belgien, räumte ihr allerdings keine Exekutivbefugnisse ein, sondern beauftragte sie in erster Linie mit der „Erfassung und Überwachung von gegen das Reich gerichteten Bestrebungen“ der Juden, Emigranten, Freimaurer, Kommunisten und Kirchen 13 . Drei Monate später schrieb der Oberbefehlshaber des Heeres von Brauchitsch die Unterstellung unter die Militärbefehlshaber fest, erteilte diesen generelle Weisungsbefugnisse und erlaubte der Sicherheitspolizei lediglich in Ausnahmefällen die Durchführung von Verhaftungen, sofern die militärischen Stellen unverzüglich informiert würden. Kurz darauf erhielt die Brüsseler Sipo-SD jedoch von Reeder umfassende exekutive Vollmachten, während die Militärverwaltung sich zugleich die Entscheidungsgewalt über alle länger dauernden Inhaftierungen
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sicherte. Ende 1941 berief Heydrich seinen Beauftragten für Belgien und Frankreich ab, womit die Brüsseler Dienststelle selbstständig wurde. Daher amtierte Ernst Ehlers, der im gleichen Zeitraum mit Reeders Einverständnis die Nachfolge von Canaris antrat, als „Beauftragter des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD für den Bereich des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich“. Der Apparat der Sipo-SD mit Hauptquartier in der Brüsseler Avenue Louise entsprach weitgehend der Gliederung des RSHA. Abteilung IV war die Gestapo und Abteilung V wurde von der Kriminalpolizei gebildet. Im Gegensatz zur Organisation in Deutschland und im besetzten Frankreich unterstand das Judenreferat allerdings zunächst nicht der Abteilung IV, sondern der Abteilung II (Kirche, Freimaurer, Juden), die ab August 1940 von dem SD-Mann und zeitweiligen Stellvertreter des BdS Alfred Thomas geleitet wurde 14. Erst nach dessen Tod gehörte das Judenreferat ab Ende Februar 1943 zur Gestapo; deren Chef war der erwähnte Franz Straub, inzwischen SS-Sturmbannführer. Parallel dazu existierte ein direkter Befehlsweg von Eichmann zur Brüsseler Judenabteilung II C bzw. IV B 3 (ab Frühjahr 1944: IV 4 B 4 [sic]) – insofern bildete Belgien keine Ausnahme. Der erste Judenreferent Viktor Humpert, dessen Aktivitäten kaum dokumentiert sind 15 , wurde Mitte 1941 von Kurt Asche abgelöst, der schon in den dreißiger Jahren in der Judenabteilung des Berliner SD tätig gewesen war 16 . Asches Nachfolger Fritz Erdmann, im November 1942 berufen, kam aus dem Amt VII des RSHA, wo er „Freimaurerfragen“ bearbeitet hatte 17. Aufgrund von kriminalpolizeilichen Ermittlungen des BdS gegen Asche u. a. wegen Unterschlagung des den Juden geraubten Eigentums wurde Erdmann im Oktober 1943 seines Amtes enthoben18 . Von nun an leitete der Kriminalpolizeibeamte Fritz Weidmann das Judenreferat, bis er im März 1944 durch SS-Obersturmführer Werner Borchardt ersetzt wurde19. Unter den fünf Außendienststellen des BdS (Antwerpen, Lüttich, Charleroi, Gent und Lille), ist Antwerpen hervorzuheben, wo SS-Oberscharführer Erich Holm von 1940 bis 1944 für die Judenabteilung verantwortlich war. Auch in Lüttich und Charleroi wurden mit Willi Stade und Heinrich Knappkötter spezielle Sachbearbeiter zur Verfolgung der Juden bestimmt, wenngleich dort lediglich ein kleiner Teil der jüdischen Bevölkerung Belgiens lebte 20.
Die belgischen Behörden und Kollaborationsbewegungen Im Vordergrund der Besatzungspolitik stand die ökonomische Ausbeutung des Landes für die deutsche Kriegswirtschaft. Hierbei und bei der Aufrechterhaltung ihrer militärischen Sicherheit waren die Deutschen auf die einheimische Verwaltung angewiesen. Die Leitlinie der Militärverwaltung, die belgische Administration weitmöglichst dazu heranzuziehen, das Land gemäß der deut-
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schen Weisungen zu verwalten, und ihr insbesondere die Anordnung bzw. die Durchführung unpopulärer Maßnahmen zu übertragen, traf sich auf belgischer Seite mit dem Interesse, die Kontrolle nicht vollständig der Besatzungsmacht zu überlassen und zu diesem Zweck eine pragmatische Kooperation mit den deutschen Machthabern einzugehen, für die der Begriff „Politik des geringeren Übels“ geprägt werden sollte. Hintergrund waren die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, und die vorrangigen Interessen betrafen – ebenso wie auf deutscher Seite – den Wirtschaftssektor. Die Ernährung der belgischen Bevölkerung war zu einem erheblichen Teil von Nahrungsmittelimporten abhängig21 , die Erwerbslosenrate lag im Sommer 1940 bei über 25 Prozent, und aus Sicht der belgischen Eliten sollte die Indienststellung der Wirtschaft für die deutsche Kriegsökonomie vor allem verhindern, dass die Besatzer wie im Ersten Weltkrieg Industrieanlagen aus Belgien nach Deutschland transferierten und zu Massendeportationen belgischer Arbeiter schritten. Hinzu kam das Bestreben, einer Herrschaft der belgischen Kollaborationsbewegungen zuvorzukommen, die eine faschistische Gesellschaftsordnung nach deutschem Vorbild bzw. den Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland durchsetzen wollten – zumal die deutsche „Flamenpolitik“ während des Ersten Weltkriegs eine Radikalisierung des flämischen Nationalismus bewirkt und die Ausrufung eines autonomen Flanderns nach sich gezogen hatte. Im Zweiten Weltkrieg verfolgte die Militärverwaltung ausdrücklich einen anderen Kurs. Hitlers Weisung lautete, die Flamen zu bevorzugen, jedoch einer Entscheidung über die politische Zukunft Belgiens nicht vorzugreifen. Reeder begriff die vorläufige (!) Fortexistenz des belgischen Staates und die Mitwirkung der frankophonen Eliten sowie des großen Teils der flämischen Bevölkerung, der den Kollaborationsbewegungen nicht angehörte, als Voraussetzung der wirtschaftlichen Ausplünderung des Landes. Aus diesem Grund kam es zum Konflikt mit Himmler und insbesondere mit Gottlob Berger, der Flandern baldmöglichst dem Reich angliedern wollte. Wenngleich die Militärverwaltung auch die Einsetzung ideologischer Kollaborateure in administrative Funktionen für zwiespältig hielt, weil sie sich darüber im Klaren war, dass diese keine Massenbasis hatten und von der Mehrheit der belgischen Bevölkerung nicht akzeptiert wurden, sollte sie bei der massenhaften Auswechselung von Funktionsträgern in der belgischen Verwaltung ab Ende 1940 zunehmend auf Angehörige der beiden Kollaborationsbewegungen „VNV“ (Vlaams Nationaal Verbond) und „Rex“ zurückgreifen 22 . Dies waren die wichtigsten, von der Militärverwaltung geförderten Organisationen der „Neuen Ordnung“, wobei Rex unter Léon Degrelle, dessen Anhänger sich aus dem französischsprachigen Bevölkerungsteil Brüssels und der Wallonie rekrutierten, eine wesentlich kleinere Größenordnung aufwies als der
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flämische VNV, der zunächst Staf De Clercq, ab Herbst 1942 Hendrik Elias unterstand. Ihre Konkurrenz bildete die von Gottlob Berger protegierte und unter seiner Präsidentschaft Mitte 1941 in die SS integrierte DeFlag (Deutsch-Flämische Arbeitsgemeinschaft/Duitsch-Vlaamsche Arbeidsgemeenschap). Im Gegensatz zu dem VNV, der einen flämischen bzw. großniederländischen Staat anstrebte, propagierte die DeFlag den Anschluss Flanderns an das Deutsche Reich. Beide Organisationen waren antisemitisch ausgerichtet. Allerdings kam dem – aus der NS-Ideologie übernommenen – radikalen Antisemitismus in der politischen Kultur des VNV und des Rex lediglich ein untergeordneter Stellenwert zu 23 . Noch im Sommer 1942 meldete der BdS nach Berlin: „In der Tagespresse ist ein größeres Interesse an der Judenfrage auch heute noch ebenso wenig wie bei den politischen Erneuerungsbewegungen festzustellen.“ 24 Unter den übrigen, von der Mitgliederzahl her unbedeutenden, Kollaborationsorganisationen gab es zwei, die bei der Judenverfolgung eine wichtige Rolle spielten, auch wenn ihre Angehörigen nicht in den belgischen Behördenapparat gelangten, sondern mit der Sipo-SD zusammenarbeiteten: Die Allgemeine SS-Flandern – 1942 in Germanische SS-Flandern umbenannt und ab 1943 faktisch mit der DeFlag identisch – stand ebenfalls in Konkurrenz zu dem von der Militärverwaltung favorisierten und geförderten VNV und repräsentierte Himmlers Machtansprüche und seine Volkstumspolitik. Außerdem stellte sie freiwillige flämische Polizeikräfte, die insbesondere in Antwerpen, aber auch in Brüssel bei der Verhaftung von Juden mitwirken sollten. Die Antwerpener Gruppierung Volksverwering (Défense du Peuple), 1937 von dem Anwalt René Lambrichts als eine der ersten antisemitischen Organisationen Belgiens gegründet, betrieb antijüdische Hetzpropaganda und rief zur Denunziation von Juden auf 25 . Die Sipo-SD holte sie 1941 in die belgische Hauptstadt. Alfred Thomas, Leiter der Abteilung II, zu der das Judenreferat gehörte, bis es Anfang 1943 der Gestapo unterstellt wurde, wollte Lambrichts offenbar zum Chef einer belgischen Behörde machen, die dem französischen „Generalkommissariat für Judenfragen“ gleichen sollte. Als aus deren Einrichtung nichts wurde, gründete das Judenreferat mit Hilfe von Volksverwering ein von der offiziellen Verwaltung unabhängiges Büro unter dem Namen Centrale Anti-Juive pour la Flandre et la Wallonie, dessen hauptamtliche Mitarbeiter von deutscher Seite besoldet wurden 26 . Diese „Antijüdische Zentrale“ baute die „Judenkartei“ der Sipo-SD auf. Ihr Leiter Pierre Beeckmans, einer der Köpfe der Volksverwering, war überdies ab 1943 für die rassenkundlichen Expertisen zuständig, die darüber entschieden, ob den Anträgen von verfolgten Personen, die sich selbst als Nicht-Juden im Sinne der deutschen Definition bezeichneten, stattgegeben wurde oder ob die Antragsteller deportiert wurden. Darüber hinaus fahndete die Zentrale bereits ab 1941 nach Juden, die die deutschen Ver-
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ordnungen unterliefen und unterhielt zu diesem Zweck zumindest in Antwerpen einen eigenen Kontroll- und Streifendienst. Zwar hatten antisemitische bzw. xenophobe, gegen die jüdischen Flüchtlinge gerichtete, Ressentiments in der Metropole Antwerpen bereits vor der deutschen Besatzung in verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Milieus Platz gegriffen. Gleichwohl gingen die Sipo-SD wie die Militärverwaltung davon aus, dass der Antisemitismus in Belgien nur von einer kleinen Minderheit befürwortet wurde, und diese Tatsache bewog den Militärverwaltungschef dazu, die Verfolgung und Deportation der Juden möglichst unauffällig durchzuführen, um Rückwirkungen auf seine Besatzungspolitik zu vermeiden. Reeder suchte diese Taktik auch in Berlin begreiflich zu machen: „Da der Belgier, teils weil er den Juden nicht kennt [sic], für die Berechtigung der Judenmaßnahmen kein Verständnis aufbringt und darüber hinaus durch die jahrelange Hetze gegen das Dritte Reich in diesem Punkt besonders empfindlich ist, würden großaufgezogene Judenaktionen verfehlt sein. Die Militärverwaltung wird fortfahren, den jüdischen Einfluss ohne laute Aktionen aus dem öffentlichen und wirtschaftlichen Leben auszuschließen.“ 27 .
Die Grundlagen der Zusammenarbeit von deutschen und einheimischen Behörden waren in Belgien wesentlich fragiler und komplizierter als in Frankreich. Da die Regierung sich im Exil in London befand und Hitler dem kriegsgefangenen König Léopold jede politische Tätigkeit untersagte, gab es in Belgien keinen Souverän. Es kam daher nicht wie in Frankreich zu einer „Staatskollaboration“ (Stanley Hoffmann 28 ), die – etwas verkürzt ausgedrückt – dazu führte, die von deutscher Seite gewünschten Maßnahmen in vorauseilender Weise selbst einzuleiten, um so die eigene Souveränität unter Beweis zu stellen. Allerdings hatte die belgische Regierung mit Blick auf die Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg am Tag des deutschen Überfalls ein Gesetz erlassen, das die Beamten dazu ermächtigte, in dringenden Fällen die Amtsbefugnisse ihrer verhinderten Vorgesetzten auszuüben. Die belgischen Generalsekretäre – den deutschen Staatssekretären vergleichbar – und ihr Kollegium, das Comité des Secrétaires généraux, bildeten die oberste belgische Verwaltungsinstanz während der Besatzungszeit. Auf Drängen Reeders unterzeichneten die Generalsekretäre Mitte Juni 1940 ein Protokoll, in dem sie sich dazu bereit erklärten, (1) die deutschen Verordnungen, sofern sie den Rahmen der Haager Landskriegsordnung respektierten, ebenso wie die belgischen Gesetze auszuführen, (2) selbst Verordnungen mit Gesetzeskraft zu erlassen, sofern es sich nicht um politische Angelegenheiten handelte, und (3) diese vor Erlass vom Militärverwaltungschef genehmigen zu lassen. Mit dieser weiten Auslegung der Kompetenzen der Generalsekretäre schien die Militärverwaltung ihr Ziel erreicht zu haben, die Umsetzung der von deut-
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scher Seite gewünschten Maßnahmen großenteils der belgischen Verwaltung übertragen zu können. In der Praxis sollte sich jedoch zeigen, dass sie hierbei immer wieder auf beträchtliche Widerstände traf, obwohl sie Tausende von Beamten austauschte und in nicht unerheblichem Maße in die Verwaltungsstrukturen eingriff. Diese Widerstände resultierten in Belgien, wo die Justiz traditionell eine herausragende Stellung genoss, aus der Beachtung rechtstaatlicher Normen. Für die Besatzer stellte dies ein erhebliches Hindernis dar. Zum einen ging es um die Frage, wie weit die unter Punkt 2 genannte Rechtsetzungskompetenz der Generalsekretäre reichte und inwieweit die Häupter der belgischen Administration tatsächlich dazu bereit waren, die deutschen Vorgaben in eigene Gesetzesverordnungen zu übersetzen. Zum anderen beriefen sich die Generalsekretäre und andere belgische Funktionsträger, wenn sie die Ausführung deutscher Vorgaben verweigerten, immer wieder auf deren Unvereinbarkeit mit der belgischen Verfassung, und dabei beharrten sie auf Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung (HLKO), der – außer im Falle eines zwingenden Hindernisses – die Einhaltung der landeseigenen Gesetze durch den Besatzer verlangte. Beides war für die Judenverfolgung relevant, wie sich schon im Herbst 1940 erweisen sollte.
Antijüdische Verordnungen Da die belgische Verfassung die Erhebung der Religionszugehörigkeit verbot, weiß man nicht genau, wie groß die jüdische Gemeinschaft im Frühjahr 1940 war 29 . 65 000 Juden, die vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht in Belgien lebten, sind nach 1945 von den belgischen Behörden namentlich identifiziert worden. Doch ist beispielsweise ungeklärt, wie viele der jüdischen Flüchtlinge aus dem Deutschen Reichsgebiet – 25 000 von ihnen sollen sich noch am 10. Mai 1940 in Belgien aufgehalten haben30 – sich überhaupt in ihrem Zufluchtland hatten registrieren lassen. Auch gibt es keine verlässlichen Zahlen darüber, wie vielen Juden nach der deutschen Invasion die Flucht aus Belgien gelang. Zudem wies die belgische Administration noch in den Maitagen 1940 annähernd 10 000 „unerwünschte Ausländer“ – in der Mehrzahl Juden – nach Frankreich aus. Fest steht hingegen, welchen Personenkreis die deutschen Machthaber in Belgien ausfindig machten: In der überlieferten Kartei des „Judenreferats“ der Brüsseler Sipo-SD sind 56 186 Frauen, Männer und Kinder registriert, die den deutschen Bestimmungen zufolge als Juden galten 31 . Weniger als sieben Prozent von ihnen besaßen die belgische Staatsangehörigkeit. Bei den Juden in Belgien handelte es sich überwiegend um Immigranten, die seit dem späten 19. Jahrhundert vorrangig aus Osteuropa gekommen bzw. seit 1933 und vor allem 1938/39 aus Deutschland geflohen waren. Polnische Staatsangehörige standen mit Abstand an erster Stelle. Ein großer Teil der jüdischen Einwanderer arbeitete in kleinen Handwerks- und Familienbetrieben, die sich
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in der Textil- und Lederbranche oder, insbesondere in Antwerpen, im Diamantensektor konzentrierten. Die jüdische Bevölkerung lebte – von wenigen tausend Personen in anderen Städten abgesehen – in Antwerpen und Brüssel. Waren noch Anfang 1941 wesentlich mehr Juden in der flämischen Metropole registriert als in der belgischen Hauptstadt, so kehrte sich das Zahlenverhältnis bis zum Frühjahr 1942 um, da die Besatzer die Verfolgung in Antwerpen schärfer vorantrieben als in Brüssel. Als die Militärverwaltung die Generalsekretäre im Oktober 1940 zur Herausgabe einer Verordnung aufforderte, die u. a. die Registrierung der Juden und ihrer Vermögen sowie ihren Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst beinhalten sollte, lehnten diese ab, wobei sie sich ausdrücklich auf die belgische Verfassung beriefen, vor der alle Belgier gleich seien, und auf Artikel 43 der HLKO hinwiesen, der den Besatzer zur Beachtung der Landesgesetze verpflichtet 32 . Daraufhin erließ der Militärbefehlshaber am 28. Oktober 1940 selbst eine erste „Judenverordnung“. Sie umfasste die Definition und Registrierung, das Rückkehrverbot für Juden, die vor dem deutschen Einmarsch nach Frankreich geflohen waren, die Anmeldung und das Verfügungsverbot von bzw. über Unternehmen sowie die Kennzeichnung von Gaststätten jüdischer Inhaber. Eine weitere Verordnung vom gleichen Tag schloss Juden aus dem öffentlichen Dienst und öffentlichen Ämtern aus 33 . Die Unvereinbarkeit dieser Verordnungen mit der belgischen Verfassung hinderte die Generalsekretäre und die Kommunalverwaltungen allerdings nicht daran, bei der Umsetzung mitzuwirken. Denn das mit hochrangigen belgischen Juristen besetzte Comité permanent du Conseil de Législation – ein einflussreiches Beratungsgremium – traf die folgenschwere Entscheidung, dass die „passive Mitwirkung“ (collaboration passive) bei der Durchführung der Verordnungen mit dem belgischen Recht vereinbar sei 34 . Die Kommunen legten – wenngleich manche zunächst eine gewisse Hinhaltetaktik verfolgten – „Judenregister“ an und sorgten für die Entlassung der relativ wenigen im öffentlichen Dienst beschäftigten Juden. Anders verhielt es sich mit der Registrierung der Unternehmen, die die Militärverwaltung selbst durchführen musste. Das gleiche gilt für den gesamten Prozess der sogenannten „Arisierung“. Die grundlegenden Verordnungen zur Ausplünderung und Enteignung der jüdischen Bevölkerung ergingen im Mai 1941 von Seiten des Militärbefehlshabers, und an ihrer Umsetzung war die belgische Administration nicht beteiligt. Militärverwaltungschef Reeder betonte in diesem Zusammenhang ausdrücklich den grundlegenden Unterschied zwischen den Besatzungsstrukturen in Frankreich und in Belgien: „Während die französische Regierung unter der Leitung des Marschalls als Staatschef souverän und selbstverantwortlich ist, fühlen sich die belgischen Generalsekretäre weit-
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gehend nur als Platzhalter und sind innerlich um so unsicherer, als sie – oft ungewollt – von London beeinflusst werden, von wo das Ministerium Pierlot durch Rundfunk und Flugblätter ihnen laufend Anweisungen zu erteilen versucht […]. Insofern muss hier die Militärverwaltung von sich aus manche Maßnahmen erzwingen oder selbstverantwortlich durchführen, die in Frankreich die Regierung unter dem Staatschef von sich aus treffen kann und auch trifft. Dies galt in den letzten Monaten insbesondere für die politischen Maßnahmen, z. B. gegen die Juden, Freimaurer, Kommunisten; Anordnungen, die in Frankreich von der französischen Regierung und ihren Organen beschlossen und durch ihre Organe durchgeführt werden, in Belgien dagegen von der Militärverwaltung getroffen werden mussten.“ 35
Bestrebt, ihren Einfluss auf die belgische Verwaltung zu verstärken, sorgte die Militärverwaltung dafür, dass das Innenministerium ab April 1941 dem VNVAngehörigen Gerard Romsée unterstellt wurde, dessen bereitwillige Kooperation mit der Besatzungsmacht Reeder in der Folgezeit unablässig in seinen Berichten hervorheben sollte. Romsée hatte zuvor, seit dem Sommer 1940, den Posten des Gouverneurs der Provinz Limburg bekleidet, und in diesem Zusammenhang die Kontrolle der etwa 3300 Juden organisiert, die auf Weisung von Falkenhausens Ende 1940 und Anfang 1941 unter militärischen Vorwänden aus Antwerpen nach Limburg deportiert worden waren 36 . An der Spitze des Innenministeriums angelangt, wies Romsée die belgischen Kommunen auf deutsche Veranlassung im Juli 1941 an, die Ausweise von Juden mit dem roten Stempel „JUIF-JOOD“ zu versehen und der Sipo-SD Abschriften der kommunalen Judenregister zuzusenden. Diese Kopien dienten zur Anlage der deutschen Judenkartei. Eine im November 1941 vom Militärbefehlshaber gegründete Zwangsvereinigung der Juden in Belgien (Association des Juifs en Belgique – AJB) sollte den Ausschluss aus der belgischen Gesellschaft vervollständigen und den Besatzungsdienststellen zugleich als zentraler Ansprechpartner bei der Durchführung der antijüdischen Maßnahmen dienen. Ein halbes Jahr darauf radikalisierte die Militärverwaltung die Judenverfolgung mit einer Serie von Verordnungen, die der Deportation nach Auschwitz unmittelbar vorausgingen.
„Der Judenstern war der Auftakt der eigentlichen Verfolgung“ Ende Mai 1942 führten von Falkenhausen und Reeder auf Drängen des Reichssicherheitshauptamts den sogenannten „Judenstern“ in Belgien ein – zeitgleich mit einem entsprechenden Erlass im besetzten Frankreich 37 . Die Unterwerfung der Juden unter den Kennzeichnungszwang wurde zwischen den deutschen Dienststellen in Westeuropa koordiniert. Dabei kam der Sipo-SD Frankreich eine maßgebliche Rolle zu. Bereits Ende Februar 1942 sandten der stellvertretende Befehlshaber Lischka und Judenreferent Dannecker ein Schreiben an den BdS in Brüssel, in dem sie behaupteten, dass in Frankreich
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in Kürze eine Kennzeichnungsverordnung erlassen werde, und in dem sie zugleich „im Interesse einer einheitlichen Handhabung in den besetzten Westgebieten“ darauf drängten, den Brüsseler Militärbefehlshaber zur Herausgabe einer entsprechenden Verordnung zu bewegen 38 . Der nächste Schritt erfolgte am 4. März anlässlich einer im Gefolge der Wannseekonferenz angesetzten Tagung der Judenreferenten bei Eichmann in Berlin, bei der die gleichzeitige Einführung des „Judensterns“ in den Niederlanden, Belgien und Frankreich geplant wurde 39. Als Eichmanns Vertreter in Brüssel war zu dieser Zeit Kurt Asche tätig. Am 14. März trafen Dannecker und Asche zu einer Besprechung über die Kennzeichnung der westeuropäischen Juden in Paris zusammen, wobei sie insbesondere skizzierten, wie die von den Militärbefehlshabern bzw. dem Reichskommissar zu erlassenden Verordnungen aussehen sollten. Zentrale Bedeutung kam den Strafbestimmungen zu, die bei Zuwiderhandlung die Einweisung von Juden in Konzentrationslager vorsahen 40 . Die Verordnungen von Stülpnagels und von Falkenhausens entsprachen dieser Vorgabe41. Bis zu ihrer Herausgabe sollten allerdings noch mehr als zwei Monate vergehen, während der „Judenstern“ bereits Ende April 1942 in den besetzten Niederlanden eingeführt wurde. In Belgien äußerte Militärverwaltungschef Reeder Bedenken, eine Verordnung zur Kennzeichnung der Juden zu erlassen, da er negative Rückwirkungen auf seine Besatzungspolitik befürchtete. Er sah voraus, dass die Einführung von Kennzeichen – im Gegensatz zu den bis dahin erlassenen antijüdischen Verordnungen – die nichtjüdische belgische Bevölkerung mobilisieren würde bzw. „dass hierdurch zugunsten der Juden eine Mitleidsbewegung entsteht, der die bisher uninteressierte Bevölkerung fernstand“ 42 . Kaum hatte er von Reeders Standpunkt erfahren, wurde der Befehlshaber der Sipo-SD Paris (!) bei Eichmann vorstellig, um eine Einflussnahme des RSHA auf den Brüsseler Militärverwaltungschef herbeizuführen 43 . Ob Himmler sich daraufhin an Reeder gewandt hat, lässt sich nicht ermitteln. Fest steht, dass von Falkenhausen am 27. Mai 1942 eine entsprechende Verordnung erließ. Eine am selben Tag ergangene Durchführungsverordnung des Militärverwaltungschefs Reeder sah vor, dass die belgischen Kommunen die Ausgabe der Kennzeichen übernahmen; sie machte jedoch die Juden selbst für deren rechtzeitige Beschaffung verantwortlich 44 . Kurz darauf teilte die Militärverwaltung sowohl den belgischen Behörden als auch der vom Militärbefehlshaber eingesetzten Zwangsvereinigung der Juden mit, dass der Verstoß gegen die Verordnung mit der Einweisung in das Konzentrationslager Breendonk beantwortet würde 45. Der Plan der Militärverwaltung, die belgischen Kommunen mit dem Verkauf der „Gelben Sterne“ zu beauftragen, ließ sich in Antwerpen verwirklichen. In der belgischen Hauptstadt kam es jedoch zu entschiedenem Widerstand. Die Brüsseler Bürgermeisterkonferenz, die alle 19 Kommunen des Großraums
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Brüssel repräsentierte, lehnte eine Mitwirkung kategorisch ab. Ihr Sprecher Jules Coelst, Bürgermeister der Stadt Brüssel, scheute sich nicht, den Deutschen unmissverständlich mitzuteilen, dass Reeders Verordnung eine unmittelbare Verletzung der allgemeinen Menschenwürde darstellte: „Es kommt uns nicht zu, die Opportunität der gegen die Juden getroffenen Maßnahme mit Ihnen zu erörtern. Aber wir sind verpflichtet Ihnen mitzuteilen, dass Sie nicht von uns verlangen können, bei ihrer Ausführung mitzuwirken. Viele Juden sind Belgier, und wir können uns nicht dazu entschließen, uns an einer Anordnung zu beteiligen, die so offen gegen die Würde jedes Menschen verstößt, wer er auch immer sei.“ 46
Diese Weigerung gilt als Wendepunkt in der Haltung der Brüsseler Bürgermeister, die sich an der Ausführung der bis dahin ergangenen antijüdischen Verordnungen durchaus beteiligt hatten. Die Aufkündigung ihrer Kooperationsbereitschaft dürfte wesentlich dem Inhalt der neuen Verordnung zuzuschreiben sein, die die Juden im Unterschied zu den früheren antijüdischen Maßregeln öffentlich und alltäglich sichtbar zu Menschen zweiter Klasse abstempeln sollte. Dass eine große Bevölkerungsgruppe zum Tragen eines stigmatisierenden Abzeichens gezwungen würde, hätte im Westeuropa des 20. Jahrhunderts vor der NS-Herrschaft wohl kaum jemand für denkbar gehalten und musste die Nicht-Juden beschämen. Daher löste die Einführung der Kennzeichnungspflicht auch in Belgien einen Schock aus 47 . Dass damit eine neue Qualität der antijüdischen Politik erreicht war, hat niemand besser auf den Punkt gebracht als der nach Portugal geflohene frühere Verwaltungschef der jüdischen Zwangsvereinigung, Maurice Benedictus, der 1943 in einem Bericht für die belgische Exilregierung schrieb: „Die Verordnung zur Einführung des Judensterns bildete den Auftakt der eigentlichen Verfolgung. Von nun an hatten die Juden in Belgien keine ruhige Minute mehr.“ 48 In der jüngeren belgischen Forschung wird dagegen die These vertreten, dass ein schwerwiegender politischer Vorfall, der nicht mit der Judenverfolgung in Zusammenhang stand – am 5. Juni 1942 zog die Feldgendarmerie unter dem Vorwand einer Routinekontrolle 60 Brüsseler Polizisten zur Verhaftung ehemaliger belgischer Militärs als Geiseln heran – die Brüsseler Bürgermeister dazu bewogen habe, die Ausgabe der Kennzeichen zu verweigern 49 . Diese Annahme erübrigt sich, wenn man berücksichtigt, dass der Entwurf des oben zitierten Schreibens an die Oberfeldkommandantur vom 4. Juni datiert 50 . Doch wie man die Motive der Brüsseler Bürgermeister auch immer beurteilen mag, entscheidend bleibt ihre Handlungsweise. Sie lehnten die Ausgabe der Kennzeichen ab. Bemerkenswerterweise differenzierten sie dabei keineswegs zwischen ausländischen und belgischen Juden. Es kann daher keine Rede davon sein, dass der von belgischer Seite gegen die deutsche Juden-
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verfolgung erhobene Einspruch sich stets auf die belgischen Staatsangehörigen beschränkt habe51. Auch die Zwangsvereinigung der Juden sprach sich gegen eine Mitwirkung aus, vermied jedoch eine Weigerung, für die sie die Verantwortung kaum übernehmen konnte, da Reeders Verordnung die Juden selbst für die Beschaffung der Kennzeichen verantwortlich machte und seine Mitarbeiter angekündigt hatten, dass ein Verstoß mit der Einweisung in das Konzentrationslager Breendonk beantwortet würde 52. Daraufhin gab die Oberfeldkommandantur Brüssel die Kennzeichen selbst an ihrem Dienstsitz aus 53 . Sie setzte dafür lediglich zwei Tage an. Dieser Zeitraum war wesentlich zu knapp bemessen, um an den betroffenen Personenkreis im Großraum Brüssel Kennzeichen verteilen zu können; zudem war der Vorrat der Besatzungsmacht bereits am zweiten Tag erschöpft. Unter diesen Umständen gelang es ihr, die AJB zur Fortsetzung der Ausgabe zu bewegen. Die Zwangsvereinigung musste darum fürchten, dass Juden im Konzentrationslager Breendonk interniert wurden, weil sie noch kein Kennzeichen erhalten konnten. Sie wurde wiederholt bei verschiedenen Repräsentanten der Militärverwaltung vorstellig, um dies zu verhindern, und handelte unter dem Damoklesschwert der drakonischen Strafandrohung. Dass die Bürgermeister in Antwerpen und Brüssel unterschiedliche Entscheidungen treffen konnten, hatte seine Ursache in der dezentralisierten Organisation des belgischen Staates und den traditionell ausgeprägten Selbstverwaltungskompetenzen der belgischen Kommunen, die dem nazistischen Führerprinzip extrem zuwiderliefen und die die Militärverwaltung mit lediglich begrenztem Erfolg zu beschneiden versuchte. Das weitreichendste Reformprojekt, das die Besatzungsmacht ab 1941 mit Hilfe von Gerard Romsée vorantrieb, war die Bildung von Großgemeinden anstelle der herkömmlichen Agglomerationen der sieben Großstädte Belgiens 54 . Entsprechende Pläne waren in Belgien durchaus nicht neu, jedoch sehr umstritten. Die 19 Bürgermeister der Stadt Brüssel und der Brüsseler Agglomeration, die in der Brüsseler Bürgermeisterkonferenz zusammengeschlossen waren, leisteten erheblichen Widerstand gegen die Bildung Groß-Brüssels und verweigerten im Februar 1942 ihre Mitwirkung bei dem Projekt. Dies war nicht zuletzt für die Judenverfolgung relevant. Denn die Bürgermeister beratschlagten jeweils, wie sie sich gegenüber deutschen Anforderungen verhalten sollten 55 . Dabei konnte eine kritische Stimme viel Gewicht erhalten. So soll die Entscheidung, die Ausgabe der Kennzeichen zu verweigern, auf Betreiben des Vorort-Bürgermeisters Jean Herinckx zurückgegangen sein, den der AJB-Verwaltungschef Maurice Benedictus „als Seele des Widerstands in der Brüsseler Bürgermeisterkonferenz“ bezeichnete und der posthum als Gerechter unter den Völkern geehrt werden sollte 56. Erst im September 1942 setzten die Deutschen die Eingemeindungs-
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reform in Brüssel durch. Die Errichtung von „Groß-Antwerpen“ hatte die Militärverwaltung dagegen bereits im September 1941 erreichen können. In der flämischen Metropole war die Kollaborationsbereitschaft der einheimischen Behörden eindeutig stärker ausgeprägt als in Brüssel. Die Ausgabe der Kennzeichen ist dafür ein Beispiel. Es ist auch belegt, dass das Antwerpener Standesamt (Bureel van den Burgerlijken Stand), die kommunale Polizei und die örtliche Gendarmeriebrigade zumindest in Einzelfällen Juden anzeigten, die sich der Kennzeichnungspflicht widersetzten 57 . Nichts deutet jedoch darauf hin, dass die belgische Polizei oder Gendarmerie – und dies gilt sowohl für Brüssel als auch für Antwerpen – Juden ohne „Gelben Stern“ verhaftet hätte. Dokumentiert ist indessen, dass die Brüsseler Kommunalpolizei gegen die Drangsalierung von Juden vorging, die die Kennzeichnungsverordnung nach sich zog. So nahm sie Mitte Juni 1942 zwei flämische SS-Männer fest, die durch ein von jüdischen Immigranten bewohntes Viertel zogen, um die angetroffenen Juden zu schlagen oder zum Niederknien zu zwingen 58 .
Deportation nach Nordfrankreich Im Frühjahr 1942 trieb die Militärverwaltung die Verfolgung der Juden Schlag auf Schlag weiter voran. Unmittelbar im Anschluss an die Einführung des Kennzeichnungszwangs erließ von Falkenhausen zwei weitere antijüdische Verordnungen, deren erste den Ausschluss der Juden aus dem Berufsleben vervollständigte, während die zweite ausschließlich dem Zweck diente, die Festnahme der jüdischen Bevölkerung zu erleichtern. Denn die bereits im Vorjahr eingeführte Sperrstunde für Juden wurde jetzt um die Verpflichtung ergänzt, die registrierte Wohnadresse vom Abend bis zum Morgen nicht zu verlassen. Als Reeder die jüngsten antijüdischen Verordnungen in seinem Tätigkeitsbericht vom 15. Juni 1942 resümierte, ließ er keinen Zweifel daran, dass diese mit Blick auf die bevorstehende Deportation der Juden durch das Reichssicherheitshauptamt erlassen worden waren. Zugleich informierte er das OKH über die Deportation von Juden aus Belgien nach Nordfrankreich, mit der die Militärverwaltung auf eigene Initiative kurz zuvor begonnen hatte: „In der Ausschaltung des Judentums aus dem öffentlichen und wirtschaftlichen Leben wurde mit der Untersagung der Ausübung des Heilberufes durch Verordnung des Militärbefehlshabers vom 1. Juni 1942 die letzte Lücke geschlossen. Ferner wurde die sicherheitspolizeiliche Überwachung der Juden durch die Anordnung vervollständigt, dass sie sich während der Nachtzeit von 20–7 Uhr in ihren eigenen Wohnungen aufzuhalten haben. Schließlich ist durch die mit Wirkung vom 7. Juni 1942 – gleichzeitig mit dem besetzten Frankreich – verordnete Einführung des Judensterns die Absonderung des Judentums auch nach außen hin sichtbar zum Ausdruck gebracht worden. […] Mit den vorstehend genannten Maßnahmen kann die Judengesetzgebung in Belgien
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nunmehr als abgeschlossen betrachtet werden. Die Juden haben nur noch äußerst beschränkte Lebensmöglichkeiten. Der nächste Schritt wäre nunmehr ihre Evakuierung aus Belgien, die jedoch nicht von hier aus, sondern nur im Zuge der allgemeinen Planung von den zuständigen Reichsstellen veranlasst werden kann. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Militärverwaltung dafür sorgen, dass die arbeitseinsatzfähigen Juden bei kriegswichtigen Arbeiten nützlich eingesetzt werden. Zur Zeit sind die ersten jüdischen Arbeitsgruppen zu Bauarbeiten in Nordfrankreich in Marsch gesetzt worden.“ 59
Nachdem die Militärverwaltung der jüdischen Bevölkerung seit Oktober 1940 sukzessive die Berufsausübung verboten und im Frühjahr 1942 mehr als 80 Prozent der registrierten Wirtschaftsbetriebe in jüdischer Hand stillgelegt hatte, sollten die Juden zur Zwangsarbeit „nützlich“ eingesetzt werden 60 . Die ideologische Fundierung von Reeders antijüdischer Politik kommt vielleicht nirgends so deutlich zum Vorschein wie in diesem Projekt. Der Leiter der Wirtschaftsabteilung, Dr. Karl Schlumprecht, hatte das in Reeders Bericht lediglich angedeutete antisemitische Stereotyp des angeblich nicht produktiv arbeitenden Juden in aller Deutlichkeit formuliert, als er den untergeordneten Verwaltungsdienststellen im Mai 1942 grundlegende Direktiven zum Arbeitseinsatz der Juden erteilte: „Nachdem die Arbeitslosigkeit beseitigt und ein Mangel an Arbeitskräften entstanden ist, ist es dringend erforderlich, die bisher aus dem geordneten Wirtschaftsleben ausgeschalteten Juden bei nutzbringender Arbeit anzusetzen. Nur dadurch kann der einzelne Jude dem Schwarzhandel und anderen Schiebergeschäften weitgehend ferngehalten und zugleich gezwungen werden, seinen Unterhalt durch ehrliche Arbeit zu verdienen. Eine Freistellung von der Arbeit wegen des Vorhandenseins eines gesicherten Lebensunterhalts kommt nicht infrage.“ 61
Antisemitisch begründet, war die Zwangsarbeit der Juden Bestandteil des antijüdischen Regelwerks, das die Militärverwaltung seit Herbst 1940 errichtet hatte. Im Gegensatz zum Kennzeichnungszwang handelte es sich wohlgemerkt um eine eigenständige Verfolgungsmaßnahme der Militärverwaltung, an der die Sipo-SD keinerlei Anteil hatte. Überdies trug der Plan, jüdische Zwangsarbeiter nach Nordfrankreich zu deportieren, den allgemeinen besatzungspolitischen Erwägungen des Militärverwaltungsstabs Rechnung. Ein Ausgangspunkt war der immense Arbeitskräftebedarf beim Bau der deutschen Befestigungsanlagen („Atlantikwall“) an der nordfranzösischen Küste. Die Anwerbung von Freiwilligen stieß aufgrund der verschärften und extrem gefährlichen Arbeitsbedingungen auf den laufend bombardierten Baustellen an ihre Grenzen 62 , und für die Zwangsrekrutierung französischer Arbeiter fehlte den Deutschen im Frühsommer 1942 noch die Handhabe, da die Vichy-Regierung sich erst Anfang September 1942 dazu bereitfinden sollte, ein Gesetz zur Dienstverpflichtung zu erlassen. Resultierte hieraus offenkundig
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der Entschluss, auf Arbeitskräfte aus Belgien zurückzugreifen, so suchte die Militärverwaltung den zwangsweisen Einsatz belgischer Staatsangehöriger im Ausland jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen zu vermeiden. Denn es bestand kein Zweifel, dass alle Schritte, die an die Massendeportation von Belgiern nach Deutschland während des Ersten Weltkriegs erinnerten, die Kooperationsbereitschaft der belgischen Behörden und die politische Lage im besetzten Gebiet zu gefährden drohten. Als von Falkenhausen im März 1942 eine erste Verordnung zur Zwangsarbeit von Landeseinwohnern „im Befehlsbereich“ herausgab – seine Verordnung zur Deportation von Arbeitskräften ins Reichsgebiet sollte exakt sieben Monate später ergehen –, sagte Schlumprecht dem Generalsekretär des Arbeitsministeriums, Charles Verwilghen, daher zu, dass belgische Staatsangehörige weder in Deutschland noch in Nordfrankreich zur Arbeit gezwungen werden würden63 . Ungeachtet dessen trat der Generalsekretär von seinem Amt zurück, das bis zum Ende der Besatzungszeit kommissarisch verwaltet werden musste, weil niemand diesen Posten übernehmen wollte. Um die weiteren politischen Folgewirkungen zu begrenzen, verknüpfte die Militärverwaltung die Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften für die Organisation Todt mit der Verfolgung der Juden, die zum größten Teil nicht die belgische Staatsangehörigkeit besaßen. Die am 8. Mai 1942 von Reeder erlassenen allgemeinen Bestimmungen zur Beschäftigung von Juden 64 verpflichteten diese zur Aufnahme jedweder Arbeit, die ihnen von den Arbeitsämtern zugewiesen wurde, führten spezielle Vergütungsbestimmungen ein und regelten insbesondere den „Arbeitseinsatz“. Juden sollten demnach „nur gruppenweise zur Arbeit eingesetzt werden“, wobei jeder Kontakt mit Nicht-Juden zu unterbinden war. Sofern die Zwangsarbeit außerhalb des Heimatorts erfolgte, sah die Militärverwaltung die Unterbringung der Juden „in besonderen Unterkünften“ vor. Diese Bestimmung bedeutete nichts Geringeres, als dass der Militärbefehlshaber in seinem Zuständigkeitsbereich Zwangsarbeiterlager für Juden legalisierte 65. An der nordfranzösischen Küste richtete die Organisation Todt (OT) etwa zehn solcher Lager ein, die die Bezeichnung „Israel I“, „Israel II“ usw. trugen. Ein weiteres Zwangsarbeiterlager für Juden aus Belgien wurde in den französischen Ardennen bei Charleville-Mézières errichtet. Den Statistiken des belgischen Kriegsopferdienstes zufolge deportierte die Militärverwaltung zwischen Juni und September 1942 insgesamt 2252 jüdische Männer aus Belgien in die OT-Lager nach Frankreich. Mehr als zwei Drittel von ihnen kamen aus Antwerpen, während aus Brüssel, wo lediglich einer von insgesamt neun Deportationszügen zusammengestellt wurde, höchstens 86 Juden deportiert wurden 66 . Die Federführung lag bei der zuständigen Gruppe VII („Sozialwesen und Arbeitseinsatz“) in Reeders Wirtschaftsabteilung und ihren lokalen Verant-
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wortlichen in den zur Anwerbung belgischer Arbeitskräfte errichteten Werbestellen der Oberfeld- und Feldkommandanturen67 . In der belgischen Forschung ist unbestritten, dass die einheimische Administration, die von der Besatzungsmacht mit der praktischen Durchführung beauftragt wurde 68, maßgeblich dazu beitrug, dass aus Brüssel wesentlich weniger Juden deportiert wurden als aus Antwerpen. Allerdings war hierfür nicht die traditionelle belgische Arbeitsverwaltung verantwortlich. Vielmehr konnte die Militärverwaltung auf das von ihr selbst 1941 gegründete und faktisch der Kontrolle des belgischen Arbeitsministeriums entzogene Nationale Arbeitsamt (ONT) zurückgreifen, das unter der Leitung des VNV-Mitglieds Fritz-Jan Hendriks mit den deutschen Arbeitseinsatzstäben kollaborierte69. Vom ONT instruiert, setzten dessen örtlichen Filialen die deutschen Vorgaben gleichwohl auf unterschiedliche Weise um. Die lokalen Arbeitsämter erhielten die Aufgabe, auf der Basis von Abschriften der „Judenregister“ alle arbeitsfähigen Juden festzustellen und diese zur medizinischen Voruntersuchung und zum Abtransport vorzuladen. Das Antwerpener Arbeitsamt kam der zugewiesenen Aufgabe nach, wobei der zuständige Mitarbeiter, der wie sein Amtsleiter den Kollaborationsorganisationen VNV und DeFlag angehörte, „erbarmungslos“ vorgegangen sein soll 70 . Der Leiter des Brüsseler Arbeitsamts setzte sich dagegen für die Freistellung bestimmter Gruppen ein und verzögerte die Durchführung71 . Hinzu kam, dass die Vorladungen in Antwerpen durch die kommunale Polizei zugestellt wurden72 . Trotzdem weigerten sich viele Juden, den Befehlen Folge zu leisten. Zumindest in Brüssel nahmen die Deutschen daher offenbar selbst eine Festnahmeaktion vor. Jedenfalls haben Überlebende der Shoah, die in Nordfrankreich Zwangsarbeit leisten mussten, bevor sie nach Auschwitz deportiert wurden, im Rahmen polizeilicher Nachkriegsvernehmungen bezeugt, dass sie am 26. Juni – dem Abfahrtstag des ersten und einzigen Transports aus Brüssel – bei einer von Feldgendarmerie bzw. SS und Gestapo durchgeführten Razzia im Brüsseler Stadtzentrum aufgegriffen und umgehend zum Südbahnhof in den Deportationszug nach Nordfrankreich geführt worden sind 73 .
Die Brüsseler Administration lehnt die Verhaftung von Juden ab Um weitere Juden aus Brüssel nach Nordfrankreich zu deportieren, forderte der Verwaltungschef der Oberfeldkommandantur Brüssel, Dr. Oesterhelt, den interimistischen Leiter der kommunalen Polizei, Van Autgaerden, Anfang Juli 1942 zur Verhaftung von Juden auf: „Mehrfach ist von Juden die Vorladung des belgischen Arbeitsamtes zum Erscheinen zur ärztlichen Untersuchung oder zum Arbeitseinsatz nicht befolgt worden. Die Oberfeldkommandantur […] wird Ihnen eine Liste der betreffenden Juden übersenden mit dem
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Ersuchen, diese zur ärztlichen Untersuchung, bezugsweise [sic] zur Meldung zum Arbeitseinsatz zwangsweise vorzuführen. Unter Bezugnahme auf den Erlass des Militärbefehlshabers vom 24. 7. 1941 an den Herrn Generalsekretär des Innern wird darauf hingewiesen, dass solche Vorführungen durch die belgische Polizei unverzüglich auszuführen sind.“ 74
Der vorsorgliche Verweis auf einen Grundsatzerlass von Falkenhausens, der der belgischen Polizei die Durchführung der von deutscher Seite angeordneten Verhaftungen befahl, sollte der Militärverwaltung nichts nützen. Wenige Tage später beantwortete der Brüsseler Bürgermeister Jules Coelst – dem die städtische Polizei unterstand – die Aufforderung Oesterhelts mit einer eindeutigen Absage. Wie er bereits anderen Repräsentanten der Besatzungsmacht mitgeteilt habe, so Coelst an Oesterhelt, komme der kommunalen Polizei in Belgien lediglich die administrative Funktion zu, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. In diesem Rahmen könne sie gemäß der Vorschriften der Haager Konvention mit der Besatzungsmacht kooperieren. Insoweit weitergehende Belange berührt seien, dürfe sie nicht einschreiten, da der Bürgermeister als Oberhaupt der Kommunalpolizei sich andernfalls wegen willkürlicher Verhaftungen vor Gericht zu verantworten habe. Sofern es sich um die Verhaftung wegen Verbrechen oder Straftaten handele, so sei die Kriminalpolizei (Police judicaire) zuständig, die dem Oberstaatsanwalt (Procureur du Roi) unterstehe 75. Hob der Bürgermeister explizit auf die Organisation der belgischen Polizei und die Frage der Zuständigkeiten ab, so lief seine Argumentation implizit darauf hinaus, dass die von der Militärverwaltung geplanten Verhaftungen mit rechtstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar waren, da sie weder der Verfolgung von Straftätern noch der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung dienten 76 . Die Weigerung der Brüsseler Verwaltung, willkürliche Verhaftungen durchzuführen, richtete sich gegen ein zentrales Element der NS-Diktatur. Dass belgische Funktionsträger die polizeiliche Freiheitsberaubung von ihrer Verfassungskonformität abhängig machten, hatte Reeders Militärverwaltungsstab bereits im Vorjahr als schwerwiegendes Hindernis erkannt. Er wertete „die starre Gebundenheit an das Gesetz“ als „Hauptmangel der hiesigen Polizei“ und berichtete nach Berlin: „Der belgische Polizeibeamte ist grundsätzlich nicht darauf geschult, auch dort einzugreifen, wo eine spezielle Legalisierung für seine Tätigkeit fehlt.“ 77 Was die Besatzungsmacht als typisch belgisches Problem begriff, war unter anderem für die Festnahme solcher Personen relevant, die die Deutschen ausschließlich deswegen ins Visier nahmen, weil sie als Juden galten. Insofern ist die kategorische Weigerung des Brüsseler Bürgermeisters vom Juli 1942 sehr aufschlussreich für die Zusammenarbeit deutscher und einhei-
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mischer Polizeikräfte und für die Judenverfolgung im besetzten Belgien. Dies gilt umso mehr, als die Sipo-SD zwei Monate später mit einer vergleichbaren Ablehnung konfrontiert werden sollte, als sie die Brüsseler Polizei zur Mitwirkung bei der Deportation von Juden nach Auschwitz heranzuziehen versuchte. Daher lohnt sich ein kurzer Blick auf die näheren Umstände. Grenzen der Kooperation In Belgien war es schon seit 1940 zu Auseinandersetzungen über die Durchführung von Verhaftungen im Auftrag der Besatzungsmacht gekommen 78 . Als die belgische Gendarmerie die nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion angeordnete Festnahme mehrerer Hundert Kommunisten mit der Begründung verweigert hatte, dass es sich um willkürliche Festnahmen handele, die gegen die belgische Verfassung verstießen, reagierte der Militärbefehlshaber im Juli 1941 mit dem oben angeführten Erlass, der die belgischen Polizeibehörden grundsätzlich zur Durchführung der von deutscher Seite verlangten Verhaftungen verpflichtete 79. Auf belgischer Seite war keineswegs eindeutig geklärt, wie weit die Kooperation mit der Besatzungsmacht reichen sollte. Den einschlägigen, aufgrund der Erfahrungen des Ersten Weltkriegs in der Zwischenkriegszeit erlassenen Bestimmungen zufolge hatten die belgischen Beamten loyal mit den Besatzungsbehörden zusammenzuarbeiten, doch sich jeder Handlung zu enthalten, die ihrer Treuepflicht gegenüber Belgien widersprach. Eine Stellungnahme des juristischen Beratungsgremiums Comité permanent du Conseil de Législation vom Februar 1942 präzisierte, dass die belgische Polizei die von deutscher Seite angeordneten Verhaftungen ablehnen müsse, sofern diese nicht den Interessen des besetzten Landes entsprachen, sondern ausschließlich im militärischen oder politischen Interesse des Besatzers lagen. In Zweifelsfällen sei die Entscheidung der Vorgesetzten einzuholen. Die praktischen Auswirkungen dieses Votums, dessen Umsetzung komplizierter war, als es auf den ersten Blick erscheinen mag, sind allerdings unklar. Da die nationalen Verantwortlichen des Innen- und Justizministeriums es vermieden, allgemeine Richtlinien auszugeben, kam es wiederum auf die örtlichen Entscheidungsträger an 80 . Es hatte seinen Grund, dass die Militärverwaltung Brüssel als „Sonderfall“ einstufte, „wo die Verhältnisse, sowohl was die Leistung als auch was die [politische, d. Verf.] Zuverlässigkeit der Polizei angeht, besonders im argen“ lagen 81 . Festnahmeersuchen von deutscher Seite wurden in Brüssel wenn nicht grundsätzlich, so doch regelmäßig negativ beschieden. Im März 1941 erreichte der Brüsseler Oberstaatsanwalt Van Beirs, dass die Gruppe Justiz des Militärverwaltungsstabes die Oberfeldkommandantur Brüssel anwies, die Brüsseler Polizei nicht mit der Vollstreckung der von deutschen Seite verhängten Freiheitsstrafen zu beauftragen. Und was die Verhaftungen im allgemeinen betrifft,
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so bestätigte der Oberstaatsanwalt dem wiederholt um seine Stellungnahme nachsuchenden Brüsseler Polizeikommissar Van Autgaerden einige Zeit darauf, dass die belgische Polizei im Prinzip keine Verhaftungen für die Besatzungsmacht durchzuführen habe, sondern das belgische Recht strikt einhalten müsse. Ein belgischer Funktionsträger, der die gegen belgisches Recht verstoßenden Festnahmebefehle von deutscher Seite befolge, ohne direktem Zwang ausgesetzt zu sein, mache sich der illegalen und willkürlichen Verhaftung schuldig 82 . Derart bestärkt und abgesichert, ignorierte Van Autgaerden – der bald darauf zum Brüsseler Polizeichef ernannt wurde – in der Folgezeit die im Juli 1941 ergangene Grundsatzverfügung von Falkenhausens und berief sich den deutschen Stellen gegenüber laufend auf die im März ergangene Weisung der Gruppe Justiz, wohlwissend, dass diese lediglich die Vollstreckung von Haftstrafen ausschloss83 . Die deutschen Behörden ergriffen keinerlei Sanktion. Doch Ende Juni 1942 reagierte der Justizreferent der Oberfeldkommandantur auf die erneute Ablehnung eines Festnahmeersuchens mit einem Schreiben, in dem er explizit darauf hinwies, dass der vom Polizeichef herangezogene Erlass durch die Grundsatzverfügung des Militärbefehlshabers vom Juli 1941 überholt sei, und dass die belgische Polizei daher die von deutscher Seite verlangten Verhaftungen vornehmen müsse 84. Angesichts dieses „verbindlichen Befehls“ ersuchte Van Autgaerden die vorgesetzten Bürgermeister um eine definitive Entscheidung85 . Der Bürgermeister der Stadt Brüssel und Vorsitzende der Brüsseler Bürgermeisterkonferenz, Coelst, lehnte daraufhin mehrere deutsche Festnahmebefehle persönlich ab und informierte die Bürgermeisterkonferenz, die am 2. Juli 1942 entschied, dass die Kommunalpolizei die von deutscher Seite angeordneten Verhaftungen nicht ausführen dürfe, da ihre Aufgabe gemäß der belgischen Verfassung lediglich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sei und die verlangten Verhaftungen einen anderen Charakter hätten 86 . Damit lag auf belgischer Seite bereits ein definitiver Entschluss vor, die von deutscher Seite verlangten Festnahmen nicht durchzuführen, bevor die Besatzungsbehörden mit dem oben zitierten Schreiben vom 3. Juli 1942 erstmals die Verhaftung einer größeren Gruppe von Juden befahlen. Die Frage nach den Motiven der Brüsseler Bürgermeister, die in der jüngeren belgischen Literatur vor der Folie der allgemeinen politischen Entwicklung diskutiert werden, ist für die Holocaustforschung meiner Ansicht nach weniger bedeutsam als die bislang nicht beachtete Tatsache, dass die Ablehnung willkürlicher Verhaftungen den Kern des nationalsozialistischen Polizeiregimes traf. Diese Haltung stellte die zuverlässigste Bastion gegen die Festnahme von Juden dar. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Brüsseler Administration die Verhaftung von Arbeitskräften zur Deportation nach Frankreich in jedem Fall
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abgelehnt hätte. Sie hatte nämlich bereits vor Eingang der betreffenden Weisung der Oberfeldkommandantur Brüssel vom 3. Juli 1942 beschlossen, gegen das Vorgehen der Militärverwaltung Protest einzulegen. Im Auftrag der Brüsseler Bürgermeisterkonferenz forderte Bürgermeister Coelst den seinerzeitigen Präsidenten des Kollegiums der Generalsekretäre zur Intervention bei der Besatzungsmacht auf, damit die „zahlreichen Deportationen ins Ausland, die der zwangsweisen Durchführung militärischer Arbeiten dienen“, beendet würden87 . Es verdient Beachtung, dass die Bürgermeister ihre Intervention – ebenso wie im Falle der Kennzeichnungsverordnung – nicht auf die belgischen Staatsangehörigen beschränkten, sondern sich generell gegen die Deportation von Arbeitskräften ins Ausland wandten. Noch wichtiger ist, dass sie auch ihre Ablehnung, den deutschen Verhaftungsbefehlen Folge zu leisten, keineswegs von der Staatsangehörigkeit abhängig machten. Sie weigerten sich somit, die ausländischen Juden preiszugeben. Dies ist das entscheidende Faktum, demgegenüber es als zweitrangig gelten kann, welche Zielsetzungen ihr Handeln möglicherweise beeinflussten. Um den Widerstand der Brüsseler Verantwortlichen zu überwinden, wandte der Verwaltungschef der Oberfeldkommandantur sich an die nächsthöhere Instanz und ersuchte den Gouverneur der Provinz Brabant, Baron Albert Houtart, den Bürgermeister Coelst anzuweisen, die deutschen Verhaftungsbefehle auszuführen. Der Provinzgouverneur unternahm nichts dergleichen. Stattdessen forderte er seinen Vorgesetzten Gerard Romsée, Generalsekretär im Innenministerium, dazu auf, an höchster deutscher Stelle zu intervenieren. Dabei stellte er nicht auf die administrative Argumentation des Brüsseler Bürgermeisters ab. Vielmehr wandte er sich speziell gegen die „Verhaftung von Juden zwecks Zwangsarbeit“ 88 . Ohne grundsätzlich die umstrittene Weisung der Besatzungsmacht anzuzweifeln, derzufolge die belgische Polizei auf deutschen Befehl Verhaftungen vorzunehmen hatte, wies Houtart darauf hin, dass der entsprechende Erlass des Militärbefehlshabers vom Juli 1941 ausdrücklich einen Ausweg offenhielt. Wenn die belgische Polizei in besonderen Fällen Bedenken habe, bestimmte Festnahmen für die deutschen Behörden auszuführen, so hatte von Falkenhausen eingeräumt, so würden diese durch die deutsche Sicherheitspolizei vorgenommen 89 . Houtart erklärte nun gegenüber dem Innenministerium die Verhaftung jüdischer Zwangsarbeiter zu einem solchen Ausnahmefall und zu einer „sehr heiklen Angelegenheit“. Das Kollegium der Generalsekretäre hatte bereits Ende Juni 1942 bei der Besatzungsmacht gegen die Deportationen nach Nordfrankreich protestiert, dabei allerdings lediglich daran Anstoß genommen, dass sich unter den deportierten Juden auch belgische Staatsangehörige befanden 90 . Daher konnte der auf deutsche Veranlassung als Generalsekretär des Innenministeriums eingesetzte VNV-Kollaborateur Romsée sich in diesem Fall kaum auf die Seite der Besatzungsmacht
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stellen. Er ersuchte seinerseits den Militärbefehlshaber am 29. August 1942, die belgische Polizei nicht zur Verhaftung „arbeitsunwilliger“ Juden aufgrund der Verordnung vom Mai 1942 heranzuziehen, da diese Verhaftungen bei der belgischen Polizei „sehr verständliche psychologische Bedenken“ hervorriefen 91 . Damit war die Angelegenheit offenbar erledigt, zumal die Deportation von Juden nach Nordfrankreich inzwischen nicht mehr auf der deutschen Tagesordnung stand und auch aus Antwerpen im September nur noch ein letzter Zug mit Juden zur französischen Küste fahren sollte. Die Militärverwaltung war mit ihrem Versuch gescheitert, auf die Brüsseler Polizei zurückzugreifen, um eine größere Gruppe von Juden zu verhaften. Bleibt hinzuzufügen, dass sie zuvor bereits vergeblich versucht hatte, die Zwangsvereinigung der Juden als Instrument zur Rekrutierung jüdischer Zwangsarbeiter einzusetzen. Als ein Vertreter der Oberfeldkommandantur Brüssel den Verwaltungschef der AJB Ende Juni 1942 dazu aufforderte, Listen mit den Namen von etwa 5000 (!) erwerbslosen Brüsseler Juden zwecks Deportation nach Nordfrankreich vorzulegen, lehnte Benedictus ab92. Stattdessen unternahm die AJB große Anstrengungen, Juden vor dem Abtransport in die Lager der Organisation Todt zu bewahren93 . Besondere Bedeutung erlangte die Tätigkeit des AJB-Ortskomitees Charleroi, wo schon Juden in den Minen und in der Metallindustrie arbeiteten, bevor dann ab Mitte Juni 1942 viele Juden aus Brüssel und insbesondere aus Antwerpen in die belgische Kohlengruben- und Industrieregion flohen, um der Zwangsarbeit in Nordfrankreich zu entgehen. Weitere Arbeitsplätze konnten bspw. in der nationalen Waffenfabrik Herstal (Lüttich) oder in der Firma Lustra (Brüssel-Schaerbeek) gefunden werden, die Waffen bzw. Bekleidung für die deutsche Armee lieferten. Die Suche nach Anstellungsmöglichkeiten wurde allerdings durch die strengen antisemitischen Auflagen der Militärverwaltung (Isolierung der Juden von NichtJuden, geschlossene Unterbringung usw.) eingeschränkt. Angesichts der katastrophalen Situation der in Nordfrankreich zur Arbeit eingesetzten Juden (mangelhafte Ausstattung der Baracken, unzureichende Lebensmittelversorgung, unzureichende Arbeitskleidung usw.) bemühte sich die AJB überdies um deren Versorgung. Die deutschen Verantwortlichen der Organisation Todt nutzten den Fürsorgewillen der AJB, um nicht nur Schuhe, Arbeitskleidung, wasserdichte Überzieher, sondern auch Arzneimittel und weiteres mehr von der AJB anzufordern und die Ausstattung der Zwangsarbeiter auf die AJB abzuwälzen 94 . Ab Ende Juli 1942 überlagerte sich die Verschickung von Juden in die deutschen OT-Lager am Ärmelkanal mit der Deportation nach Auschwitz, was der ausgegebenen Fiktion, dass es sich in beiden Fällen um die Heranziehung einer begrenzten Gruppe von Juden zur Zwangsarbeit handele, zunächst Plausibilität verlieh. Im Oktober sollte die Militärverwaltung die nach Nordfrankreich de-
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portierten Juden an Eichmanns Gehilfen ausliefern. Manche Transporte wurden von den Küstenbaustellen über das Sammellager Malines direkt in den Osten geleitet.
Der Beginn der „Endlösung“ in Belgien Am 11. Juni 1942 fand in der Abteilung IV B 4 des Reichssicherheitshauptamts in der Berliner Kurfürstenstraße jene zentrale Sitzung statt, auf der Eichmann mit den Judenreferenten aus dem besetzten Westeuropa vereinbarte, im Laufe des Sommers 1942 insgesamt 100 000 Juden aus Frankreich, 15 000 Juden aus den Niederlanden und 10 000 Juden aus Belgien nach Auschwitz zu deportieren 95 . Wer die Höhe des ersten Kontingents aus Belgien festlegte, ist nicht dokumentiert. Dagegen ging die im Protokoll der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 aufgelistete Gesamtzahl der Juden in Belgien (43 000) offensichtlich auf die von der Militärverwaltung eingeführten Judenregister zurück, die annähernd 43 000 Personen über 15 Jahre verzeichneten 96 . Während die im RSHA vereinbarten Transporte aus den Niederlanden und aus Frankreich ab Mitte Juli fuhren, begann die Deportation der Juden aus Belgien nach Auschwitz erst am 4. August. Steinberg führt diese Verzögerung darauf zurück, dass Reeder Anfang Juli – infolge des Protests der belgischen Generalsekretäre gegen die Zwangsarbeit belgischer Juden in Nordfrankreich – zunächst die politischen Folgekosten kalkuliert habe, bevor er seine Zustimmung erteilte 97. Doch der Kalender zum Start der „Endlösung“ in Westeuropa wurde bereits im Juni festgelegt. Unmittelbar nach seiner Rückkehr von der Berliner Tagung notierte der Pariser Judenreferent Dannecker, dass die Züge aus Belgien, deren Anforderung er mit übernommen hatte, ab August abfahren sollten 98 . Infolge der eigentümlichen Besatzungsstrukturen in Belgien kam den Vertretern des OKH eine nicht zu unterschätzende Entscheidungskompetenz zu: Das Reichssicherheitshauptamt benötigte für die Deportation der Juden das Einverständnis Reeders, dem der Beauftragte der Sipo-SD unterstand. Dieses Faktum ist übrigens ein wichtiger Beleg dafür, dass die sachliche Unterstellung des BdS unter den Militärverwaltungschef keinesfalls nur formal war. Folgt man einer Nachkriegsaussage von Wilhelm von Hahn, ab Frühjahr 1942 in der Gruppe Politik tätig, die „federführend für die Behandlung der Judenfrage“ war 99 , so teilte der BdS – in Gestalt von Alfred Thomas – Reeder Ende Juni 1942 den Befehl des RSHA mit, Juden aus Belgien zum „Arbeitseinsatz“ nach Schlesien zu deportieren. Von Hahn erinnerte präzise, dass es sich um Juden im Alter zwischen 16 und 40 handeln sollte, während er die Zahl der Opfer, die sich offenbar nicht in sein Gedächtnis eingeprägt hatte, auf „1000 oder 10 000“ (sic) bezifferte 100. Angeblich verlangte Reeder die Vorlage eines schriftlichen Befehls, der von Eichmann übermittelt worden sei und den von Hahn selbst gesehen haben will.
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Auf Veranlassung oder jedenfalls mit Zustimmung des Militärbefehlshabers vereinbarte Reeder daraufhin mit Himmler, den er in anderer Sache am 8. Juli in Berlin aufsuchte 101, dass die wenigen tausend Juden belgischer Staatsangehörigkeit von dem Deportationsprogramm ausgenommen wurden102 . Es spricht für die enge Zusammenarbeit des Militärverwaltungschefs mit dem BdS Ehlers, dass dieser, offenbar um Reeder mit Argumenten zu versorgen, am Vortag im Judenreferat in Paris anfragte, ob aus Frankreich auch französische Juden deportiert würden, was von dort allerdings erst am 9. Juli verneint wurde 103. Die Stellungnahme des Brüsseler Vertreters des Auswärtigen Amts Werner von Bargen, Ende Juni aus Berlin angefordert, datiert ebenfalls vom 9. Juli und damit nach der Unterredung zwischen Reeder und Himmler. Sie bietet den einzigen zeitgenössischen Beleg für das Vorgehen der Militärverwaltung und ist um so aufschlussreicher, als von Bargen, der sich wie der BdS mit Reeder abstimmte, dessen politische Einschätzung weitergab104. Sein Telegramm lässt keinen Zweifel an der Einwilligung der Militärs in die Deportation: „Militärverwaltung beabsichtigt, gewünschten Abtransport von 10 000 Juden durchzuführen. Militärverwaltungschef gegenwärtig im Hauptquartier, um Angelegenheit mit Reichsführer-SS zu erörtern. Bedenken gegen Maßnahme könnten sich einmal daraus ergeben, dass Verständnis für Judenfrage hier noch nicht sehr verbreitet und Juden belgischer Staatsangehörigkeit in Bevölkerung als Belgier angesehen werden. Maßnahme könnte daher als Beginn allgemeiner Zwangsverschickungen ausgelegt werden. […] Militärverwaltung glaubt jedoch, Bedenken zurückstellen zu können, wenn Verschickung belgischer Juden vermieden wird. Es werden daher zunächst polnische, tschechische, russische und sonstige Juden ausgewählt werden, womit das Soll theoretisch erreicht werden könnte.“ 105
Das Dokument wirft ein Licht auf die Machtverhältnisse in Belgien und die Verantwortung der Militärs für die „Endlösung“. Die Beschränkung auf ausländische und staatenlose Juden, deren Anteil bei über 90 Prozent lag, konnte das im Reichssicherheitshauptamt vereinbarte Deportationsprogramm in keiner Weise behindern, sondern sollte den Interventionen offizieller Vertreter des besetzten Landes vorbeugen und die Zusammenarbeit mit ihnen nicht aufs Spiel setzen. Es war die Erinnerung an die Deportation belgischer Arbeitskräfte im Ersten Weltkrieg, die die Militärverwaltung bereits bei der Rekrutierung jüdischer Zwangsarbeiter für die Organisation Todt als wichtige politische Größe berücksichtigt hatte, die nun zu dem Kalkül führte, die belgischen Staatsangehörigen auszunehmen. Die Statthalter des OKH suchten solange wie möglich den Anschein von Arbeiterdeportationen zu vermeiden, da diese nach Reeders Auffassung „das Ende jeder nennenswerten wirtschaftlichen Leistung“ zur Folge haben konnten106 . Ein energischer Protest gegen die beginnende Deportation von Seiten der
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belgischen Autoritäten blieb im Sommer 1942 tatsächlich aus – wenn man davon absieht, dass Königin Elisabeth in Unkenntnis von Reeders Strategie davon ausging, durch ein Gesuch bei Hitler die Freistellung der belgischen Staatsangehörigen erreicht zu haben107 . Indem die Militärverwaltung die in das Land immigrierten und geflohenen Juden zu den Opfern bestimmte, verwirklichte sie ihre Absicht, Rückwirkungen auf die Besatzungspolitik zu vermeiden und die Ausbeutung Belgiens für die deutsche Kriegswirtschaft zu gewährleisten. Damit folgte die Ausklammerung der Juden belgischer Staatsangehörigkeit aus dem Deportationsprogramm des Sommers 1942 in Belgien einer ganz anderen Zielsetzung als in Frankreich, wo die Deutschen die Deportation französischer Juden vorerst ausschlossen, um die Vichy-Polizei zur Mitwirkung bei der Massenverhaftung der Juden heranziehen zu können. Was die Vorbereitung der Transporte nach Auschwitz betrifft, so war der Militärbefehlshaber auch in die Errichtung des Durchgangslagers Malines (Mechelen) involviert. Am 15. Juli 1942 ermächtigte Reeders Stellvertreter Harry von Craushaar den Kommandanten des Konzentrationslagers Breendonk, SS-Sturmbannführer Philip Schmitt, offiziell dazu, „die Einrichtung des Sammellagers in Mechelen für den Arbeitseinsatz der Juden in die Wege zu leiten“ 108 . Der Kommandostab stellte hierfür die Dossin-Kaserne zur Verfügung 109 . Dem BdS unterstellt, wurde das Lager von Mitarbeitern des Judenreferats geführt, denen einige flämische SS-Leute zur Hand gingen. Die Wehrmacht übernahm in der Anfangszeit die Außenbewachung, bevor dafür Angehörige der Wachkompanie des BdS kommandiert wurden. Die Wachkompanie des BdS umfasste rund 150 Mann, davon etwa 20 deutsche SS-Leute, die die Befehlsstellen inne hatten, während die Mannschaften vorwiegend aus flämischen, vermutlich auch wallonischen, ungarischen und rumänischen SSAngehörigen bestanden110 . Sie stellte Wachen für die BdS-Büros, Folterkeller und Zellen sowie die Lager Breendonk und Malines. Auf ihre Mitwirkung bei der Verhaftung von Juden wird noch einzugehen sein. Eine im Lager Malines unter Leitung des Diplom-Kaufmanns und Buchprüfers Erich Crull installierte Außenstelle der von der Militärverwaltung gegründeten und faktisch der Wirtschaftsabteilung unterstellten „Brüsseler Treuhandgesellschaft“, die das den Juden abgenommene Vermögen verwaltete, beraubte die Ankömmlinge ihrer letzten Habe sowie ggf. ihrer Wohnungsschlüssel, um die Durchführung der sogenannten „Möbelaktion“ zu erleichtern 111 . Schließlich wurden zumindest bei einigen Transporten Landesschützen eingesetzt, um die in Malines internierten Juden in die Deportationszüge zu bringen 112 , die größtenteils von einem direkt neben dem Lager befindlichen Gleisanschluss abfuhren113 . Im RSHA war festgelegt worden, dass Juden beiderlei Geschlechts zwischen 16 und 40 Jahren deportiert werden sollten, und dass die Transporte 10 Prozent nicht-arbeitsfähige Juden einschließen konnten. Zusätzlich wurden in der Pla-
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nung diejenigen Juden ausgenommen, die von dem Kennzeichnungszwang befreit worden waren oder in sogenannter Mischehe lebten. Wer die Initiative dazu ergriff, die Altersgrenzen sehr rasch auszuweiten, ist nicht dokumentiert. Doch schon im ersten Transport stellten Kinder unter 16 Jahren und Erwachsene, die 41 oder mehr Jahre zählten, 28 % der Opfer 114 .
Arbeitseinsatzbefehle Im Gegensatz zu Frankreich zog das im Reichssicherheitshauptamt am 11. Juni 1942 beschlossene Programm in Belgien zunächst keine Massenrazzia nach sich. Stattdessen versuchten die Besatzungsbehörden – wie in den Niederlanden –, die Juden mithilfe individueller Vorladungen in ihre Gewalt zu bekommen, und dabei bezogen sie die 1941 vom Militärbefehlshaber gegründete Zwangsvereinigung der Juden ein. Mitte Juli 1942 brachte SS-Obersturmführer Anton Burger – kurzfristig nach Belgien abgesandter Mitarbeiter Eichmanns, ab 1943 mitverantwortlich für die Deportation der Juden aus Griechenland und Lagerkommandant von Theresienstadt – die AJB mit massiven Drohungen und falschen Versprechungen dazu, beim „Arbeitseinsatz“ von 10 000 Juden aus Belgien in Deutschland mitzuwirken – tatsächlich handelte es sich um den Beginn der Deportation nach Auschwitz. Mitarbeiter der AJB legten ein neues Judenregister an, und sie stellten die vom Judenreferat des BdS ausgefertigten „Arbeitseinsatzbefehle“ zur Vorladung in das Lager Malines persönlich zu 115 . Waren die Vorladungen von Ehlers unterzeichnet, so gab der Briefkopf (Militärbefehlshaber // Militärverwaltungschef // B.d.S. Abt. II) das Unterstellungsverhältnis des Judenreferats korrekt und wie üblich an 116 . Zu den Planungen, die dem Entwurf der Arbeitseinsatzbefehle vorausgingen, sind keinerlei Quellen überliefert. Gleichwohl wird man davon ausgehen müssen, dass die Militärverwaltung hieran beteiligt war, zumal der Aufruf der Juden zum „Arbeitseinsatz“ – im Gegensatz zu Massenverhaftungen – nur allzu gut Reeders Generallinie entsprach, die Juden möglichst unauffällig zu verfolgen und auch bei der Deportation jedes Aufsehen zu vermeiden. Ende Juli 1942 wurden in Malines die ersten Juden interniert. Am 4. August fuhr der erste Zug mit 998 Frauen, Männern und Kindern nach Auschwitz. Wenige Tage später meldete der Brüsseler Vertreter des Auswärtigen Amts, von Bargen, nach Berlin: „Nach Angabe des hiesigen Sicherheitsdienstes ist die Aktion bisher reibungslos verlaufen. Die vorgesehene Zahl von 10 000 Personen kann ohne Schwierigkeiten erreicht werden.“ 117 Diese Einschätzung sollte sich als zu optimistisch erweisen. Denn bereits Ende Juli wurden die Deutschen mit der massenhaften Weigerung der Juden konfrontiert, den Vorladungen nachzukommen, obwohl den Adressaten bei Zuwiderhandlung die Einweisung in ein deutsches Konzentrationslager angedroht wurde. Die SipoSD hielt in ihrem Bericht an das RSHA vom 15. August 1942 zwar noch fest,
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dass sie die „Aktion […] bisher reibungslos und ohne nennenswerte Störungen“ durchgeführt habe, sie wies jedoch zugleich auf die Gegenwehr der Juden hin: „Übereinstimmend wird aus allen Teilen des Landes gemeldet, dass die Juden unter Ausnutzung aller Mittel und Möglichkeiten versuchten, die Befehle zum Arbeitseinsatz zu umgehen. […] Während in den ersten Tagen ein größerer Teil der Juden dem Arbeitseinsatzbefehl keine Folge leistete und zu dem angegebenen Termin nicht in Mechelen erschien, ist in jüngster Zeit festzustellen, dass die Gestellungsbefehle besser befolgt werden. Beigetragen haben dürften hierzu vor allen Dingen die Maßnahmen der Dienststelle gegen Säumige und deren Angehörige.“ 118
Es liegen keine Informationen darüber vor, welche Repressalien das Judenreferat einleitete. Fakt ist jedoch, dass die Furcht, die eigene Familie den deutschen Verfolgungsmaßnahmen auszusetzen, manche dazu bewog, der Vorladung des BdS Folge zu leisten 119 . Dass die Sipo-SD den AJB-Vorstand dazu bewegen konnte, die Arbeitseinsatzbefehle ab Anfang August mit einem Begleitschreiben zu versehen, in dem vor den Konsequenzen einer Weigerung gewarnt wurde, dürfte hierzu beigetragen haben. Gleichwohl nahm die Zahl der Widerständigen stetig zu. Während das Judenreferat zwischen dem 25. Juli und dem 3. September 1942 mindestens 12 000 Befehle ausstellte und verteilen ließ, fanden sich höchstens 4023 Juden selbst in Malines ein; wahrscheinlich waren es noch weniger 120 . Hinzu kamen Akte organisierter Résistance. Zumindest im Einzelfall wurden die mit der Verteilung der Vorladungen beauftragten Juden auf offener Straße von anderen Juden angegriffen 121 . Ende August 1942 verübten jüdische Partisanen, die bereits im Vormonat einen Brandanschlag auf das von der AJB angelegte Namensregister ausgeführt hatten, ein Attentat, dem der für den „Arbeitseinsatz“ zuständige Mitarbeiter der AJB-Verwaltung zum Opfer fiel 122 . Doch es war der individuelle Widerstand der vorgeladenen Juden, der die Besatzungsbehörden dazu zwang, ihr Vorgehen zu verschärfen, wollten sie das geplante Programm in die Tat umsetzen und bis zum 15. September 1942 123 insgesamt 10 000 Juden aus Belgien nach Auschwitz deportieren. Zwischen Mitte August und Mitte September 1942 organisierte das Judenreferat der Sipo-SD sechs Großrazzien gegen die ausländische jüdische Bevölkerung in Belgien, davon vier in Antwerpen. Sowohl in Antwerpen als auch in Brüssel versuchte die Sipo-SD, die belgische Polizei zur Mitwirkung bei der Massenverhaftung jüdischer Frauen, Kinder und Männer heranzuziehen.
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Die Großrazzien des Sommers 1942 Antwerpen: Drei Razzien im August 1942 Am 15. August 1942, als die Besatzungsmacht den dritten Transport aus Belgien nach Auschwitz schickte, führte sie die erste Großrazzia gegen die ausländischen Juden in Antwerpen durch. Die überlieferten Quellen geben keinen Aufschluss darüber, wer den Befehl hierzu erteilte. Zwar erhielt der Antwerpener Polizeichef eine entsprechende Order von der Sicherheitspolizei, doch muss zumindest zwischen den deutschen Stellen am Ort eine Abstimmung erfolgt sein, da SS und Feldgendarmerie bei der Razzia zusammenwirkten. Dass die Deutschen die flämische Metropole auswählten, in der sie die Judenverfolgung seit 1940 besonders scharf vorantrieben, dürfte vorrangig darauf zurückzuführen sein, dass sie hier – im Gegensatz zu Brüssel – auf die Unterstützung einheimischer Polizeibeamter rechnen konnten. Auf deutschen Befehl stellte der Antwerpener Polizeichef Jozef De Potter der Sipo-SD für den Abend des 15. August 50 Polizisten und drei stellvertretende Kommissare zur Verfügung 124 . Von einem Teil dieser Beamten (7. Kommissariat) verlangte die Sipo die Verhaftung von 77 Juden anhand einer vom Judenreferat vorbereiteten Namensliste. 20 Juden wurden verhaftet. Andere Beamte (6. Kommissariat) erhielten Arbeitseinsatzbefehle mit der Weisung, die betreffenden Juden in ihr Kommissariat zu bringen. Kaum hatten sie damit begonnen, erging der neue Befehl, eine Razzia durchzuführen, wobei die belgische Polizei lediglich Hilfsaufgaben übernahm. Zusammen mit der Feldgendarmerie sperrte sie diejenigen Straßen ab, in denen besonders viele Juden lebten. Die Verhaftung der Bewohner erfolgte durch SS und Feldgendarmerie. Es dürften rund 40 SS-Leute und 45 Feldgendarmen beteiligt gewesen sein, wenngleich genaue Angaben fehlen 125 . Das Grauen der folgenden Stunden und die Erbarmungslosigkeit, mit der die Deutschen sich der jüdischen Kinder, Frauen und Männer bemächtigten, ist von Zeugen beschrieben worden und geht auch aus den Berichten der belgischen Polizei hervor. 845 Juden, die am 18. August mit dem vierten Transport, bzw. am 25. August mit dem fünften Transport nach Auschwitz fahren sollten, wurden in dieser Nacht in Antwerpen verhaftet 126 . Der belgische Historiker Lieven Saerens hebt hervor, dass selbst im Nachhinein und ungeachtet der Tatsache, dass die Verhaftung der Juden gegen die belgische Verfassung verstieß, keiner der Vorgesetzten der Antwerpener Polizei gegen die Mitwirkung bei der Razzia protestiert hat. Das Schweigen von Bürgermeister Delwaide und dem zuständigen Oberstaatsanwalt Baers sollte den Deutschen ermöglichen, die Antwerpener Polizei erneut zu Großverhaftungen für die „Endlösung“ heranzuziehen. Innerhalb des Polizeikorps setzte jedoch offenkundig ein Umdenken ein. Vermutlich trug hierzu der Umstand
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bei, dass die kommunistische Widerstandsbewegung nach der Razzia in Antwerpen öffentlich zum Widerstand gegen die Deportation der Juden aufrief, wie der BdS Ende August nach Berlin meldete: „In Antwerpen wurde von der illegalen kommunistischen Partei ein Flugblatt unter der Überschrift ‚Die Nazibestien am Werk‘ in zahlreichen Briefkästen abgeworfen. In der Hetzschrift wird behauptet, dass die Deportation der Juden nach dem Osten nur der Anfang sei und die übrige Bevölkerung demnächst folgen werde. Nur Streiks und Sympathiekundgebungen für die Juden könnten die Deutschen an der Ausführung ihrer weiteren Pläne hindern und ihre Niederlage beschleunigen. Das Flugblatt ist in anderen Städten des Landes bisher nicht erfasst worden. Doch hat es den Anschein, als ob die darin gemachten Angaben sich auch über die Grenzen Antwerpens hinaus herumgesprochen haben, worauf nicht zuletzt die in jüngster Zeit stark verminderte Bereitschaft der Juden, den Arbeitseinsatzbefehlen nachzukommen, zurückzuführen sein dürfte. Genau so dürften die von den Mechelner Einwohnern in Antwerpen und Brüssel verbreiteten Gerüchte, dass in der Kaserne in Mechelen viele Juden gestorben seien, nicht ohne Einfluss geblieben sein.“ 127
Infolgedessen war vorauszusehen, dass die Heranziehung der Antwerpener Polizei zu einer zweiten Großrazzia am 27. August möglicherweise nicht reibungslos vonstatten gehen würde. Erich Holm, der sich als Leiter der zuständigen Abteilung der BdS-Außenstelle bei der Judenverfolgung durch seinen Eifer und seine Brutalität auszeichnete, forderte die belgische Polizei diesmal erst wenige Stunden vor Beginn und damit so kurzfristig an, dass den belgischen Beamten kaum Bedenkzeit blieb. Der Antwerpener Polizeichef De Potter unterstrich bei der Weitergabe des deutschen Befehls an die unterstellten Einheiten mehrfach, dass die georderten Polizeikräfte gestellt werden müssten – was auf vorausgegangene Erörterungen innerhalb der Kommunalpolizei schließen lässt. Und doch muss zumindest ein Angehöriger des Antwerpener Polizeikorps die Entscheidung getroffen haben, die Verhaftung der Juden zu sabotieren. Kurz nach Beginn sah Holm sich zum Abbruch der Razzia gezwungen, da die Juden mithilfe eiligst geschriebener Flugzettel gewarnt worden waren und ihre Wohnungen großenteils verlassen hatten 128 . Auch in diesem Fall ist nicht dokumentiert, welche deutschen Dienststellen die Durchführung der Razzia beschlossen hatten. Allerdings berief sich der in der deutschen Rangordnung weit unten angesiedelte SS-Oberscharführer Holm ausdrücklich auf einen Befehl aus Brüssel, als er am folgenden Abend vier Antwerpener Stadtteilkommissare in sein Büro zitierte und ihnen mitteilte, dass sie zur „Strafe“ für den begangenen „Verrat“ ohne Mitwirkung der deutschen Polizei bis zum nächsten Morgen um 8 Uhr 1000 Juden festzunehmen hätten. Sollten sie den Befehl nicht strikt befolgen und die vorgeschriebene Zahl nicht pünktlich erreichen, so drohte Holm, würden sie und die verant-
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wortlichen Polizeikräfte in das Lager Breendonk eingewiesen. Das Kriegsgericht werde jegliche Sabotage streng bestrafen. Der Besatzungsmacht seien die Namen und Dienstnummern derjenigen Polizisten bekannt, die die Juden am Vortag gewarnt hätten. Diese Drohungen waren um so ernster zu nehmen, als Grund zu der Annahme bestand, dass der SS-Oberscharführer der Antwerpener Polizei tatsächlich nicht eigenmächtig, sondern in Übereinstimmung mit seinen Vorgesetzten schärfste Repressionsmaßnahmen ankündigte. Der Militärbefehlshaber hatte erst im Vormonat 50 belgische Polizisten und Gendarmen als Geiseln festsetzen lassen und bekanntgegeben, dass er damit auf die wachsende Illoyalität der belgischen Polizei gegenüber der Besatzungsmacht reagiere und dass diese Geiseln mit ihrem Leben für „besatzungsfeindliche“ Handlungen der Polizeieinheiten hafteten 129 . Vor diesem Hintergrund konnten die angeblich auf Weisung Brüssels angekündigten Repressalien nicht als selbstherrliche Wichtigtuerei des skrupellosen untergeordneten SS-Führers abgetan werden, der Holm fraglos war. Wenngleich man bezweifeln kann, ob die Besatzungsbehörden Holms Drohung wahrgemacht hätten, verfehlte sie am Abend des 28. August ihre Wirkung nicht, da die betreffenden Polizeikommissare eine Intervention ihrer Vorgesetzten nicht erwarten konnten. Sie sorgte dafür, dass die Antwerpener Polizei in der folgenden Nacht zum ersten und einzigen Mal in eigener Regie tätig wurde. Nach Rücksprache mit Polizeichef De Potter mobilisierte das Hauptpolizeikommissariat Antwerpen mindestens 68 kommunale Polizisten zur Festnahme von Juden. Wie von Holm ausdrücklich befohlen, gingen die Beamten mit offener Gewalt vor, um die deutschen Vorgaben zu erfüllen. Sie brachen Türen ein, um versteckte Juden aufzuspüren, und sie verhafteten Kranke mit ärztlichem Attest. Insgesamt fielen den nächtlichen Verhaftungen am 28./29. August 943 Frauen, Männer und Kinder zum Opfer. Eichmanns Gehilfen registrierten sie noch am 29. August im Lager Malines und schickten sie mit den Transporten Nr. VII (1. September) und VIII (10. September) in den Tod 130 . Bei keiner anderen Razzia in Belgien wurden so viele Juden verhaftet. Dies hat den belgischen Historiker Maxime Steinberg dazu veranlasst, die Ereignisse in Antwerpen mit der am 16./17. Juli 1942 in Paris von der französischen Polizei durchgeführten Massenfestnahme von fast 13 000 Männern, Frauen und Kindern – der sogenannten rafle du Vélodrome d’Hiver – zu vergleichen 131 . Dieser Vergleich ist allerdings nicht nur in quantitativer Hinsicht irreführend. Dass dem Rückgriff auf die Antwerpener Polizei jedenfalls bei der dritten Razzia massive Drohungen gegen Leib und Leben der ausführenden Organe vorausgingen (eine Einweisung in das Konzentrationslager Breendonk war im Wortsinne lebensgefährlich), verweist auf einen wesentlichen Unterschied zu
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Frankreich, wo der Razzia des Vel’d’Hiv eine deutsch-französische Vereinbarung auf höchster Ebene zugrunde lag. Letztlich blieb in Belgien das Verhalten der kommunalen und regionalen Vorgesetzten entscheidend. Sie hatten einen beträchtlichen Handlungsspielraum, wie der Vergleich zwischen Antwerpen und der belgischen Hauptstadt zeigt. Die Brüsseler Razzia vom 3. September Wenige Tage nach der dritten Razzia in Antwerpen organisierte der BdS auch in der belgischen Hauptstadt eine Massenverhaftung. Alfred Thomas, Leiter der Abteilung II des BdS, in der das Judenreferat seinerzeit angesiedelt war, unternahm den Versuch, die Brüsseler Polizei zur Mitwirkung zu bewegen. Angesichts der vorausgegangenen Ablehnungen deutscher Festnahmeersuchen seitens der Brüsseler Verwaltung ging Thomas mit Bedacht zu Werke. Er schaltete den auf deutsche Veranlassung zur Reformierung der belgischen Polizei eingesetzten Leiter der Polizeiabteilung im belgischen Innenministerium ein, um einen Vertreter der Brüsseler Polizei zur Unterredung zu ersuchen; diesem erklärte er, dass die belgischen Beamten bei der geplanten Polizeioperation ausschließlich Hilfsaufgaben ausführen sollten und dass die deutsche Polizei keine Belgier, sondern ausschließlich Ausländer verhaften werde. Dessen ungeachtet fand die Brüsseler Polizei sich nicht zur Mitwirkung bereit und informierte den vorgesetzten Bürgermeister, der sich seinerseits damit begnügte, dem SS-Sturmbannführer eine Kopie desjenigen Schreibens an die Oberfeldkommandantur vom Juli 1942 zu übermitteln, mit dem er seinerzeit die Verhaftung einer Gruppe von Juden zur Vorladung beim Arbeitsamt abgelehnt hatte 132. Freilich verfügten die Deutschen über genügend Personal, um die Razzia am 3. September 1942 auch ohne Unterstützung der belgischen Polizei auszuführen. Sie zogen hierfür Polizeikräfte des BdS Brüssel, der Feldgendarmerie, der Geheimen Feldpolizei (GFP) und Wehrmachtangehörige zusammen. Dies hat jedenfalls ein ehemaliger Mitarbeiter der Brüsseler Gestapo, der seinerzeit an der Razzia mitwirkte, Ende der 1960er Jahre den westdeutschen Ermittlungsbehörden zu Protokoll gegeben: „Ich selbst bin, obwohl ich seinerzeit noch nicht im Judenreferat tätig war, zu einer Razzia eingesetzt worden. Meines Wissens waren bei dieser Aktion Angehörige der gesamten Dienststelle eingesetzt, soweit sie Uniformträger waren. An dieser Aktion war die GFP und die FG sowie Teile der Wehrmacht eingesetzt. Bei der Razzia wurde ein ganzes Stadtviertel in der Nähe des Südbahnhofs abgeriegelt. Die Juden wurden in ihren Wohnungen festgenommen und abtransportiert. Ich selbst bin mit in die Wohnungen gegangen und habe die Juden aufgefordert, auf die Straße zu gehen. […] Ich meine, dass ihr Abtransport mit LKW’s der Wehrmacht durchgeführt wurde.“ 133
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Die Beteiligung der Feldgendarmerie ist auch durch Zeugnisse derjenigen Juden belegt, die der Razzia entkommen und dabei teilweise auf die Unterstützung nicht-jüdischer Nachbarn zählen konnten. Die Entkommenen und Geretteten berichten außerdem von den furchtbaren Umständen der Razzia: von den Kommandos der Deutschen, dem Lärm der Lastwagen, den schreienden Kindern und den weinenden Frauen 134 . Ein zeitgenössischer Kurzbericht stammt von zwei Brüsseler Polizisten, die in dem Viertel Dienst taten, als die Razzia begann, und bis 22.45 Uhr in der abgeriegelten Zone festgehalten wurden 135 . Dieser Bericht bestätigt, dass es deutsche Einheiten waren, die die Juden verhafteten. Der Razzia fielen 660 Juden zum Opfer, die mit den Transporten Nr. VIII und IX am 8. und 12. September 1942 aus Malines nach Auschwitz deportiert wurden136 . Die Antwerpener Razzia vom 11./12. September Mehr als zwei Drittel der Juden im Transport Nr. IX vom 12. September hatte die Sicherheitspolizei nicht in Brüssel, sondern bei der vierten großen Razzia in Antwerpen in ihre Gewalt gebracht. Am Jüdischen Neujahrsfest, dem 11. September 1942, eingeleitet, dauerte diese Razzia bis zum Nachmittag des folgenden Tages. Insgesamt wurden 745 Frauen, Männer und Kinder verhaftet, die die Lagerverwaltung Malines für den IX. und X. Transport registrierte 137. Im Gegensatz zu den vorangegangen Razzien erstreckten sich die Festnahmen über einen längeren Zeitraum einschließlich der Tagesstunden. Sie beschränkten sich nicht auf die Wohnungen der jüdischen Bevölkerung, sondern wurden auf öffentliche Einrichtungen und die Straßen ausgeweitet, wo erstmals am hellichten Tag in großer Zahl ausländische Juden ergriffen wurden. So suchten SS-Oberscharführer Holm und seine Gehilfen die Büros und die Suppenküche der AJB heim, um alle Anwesenden festzunehmen, die nicht die belgische Staatsangehörigkeit besaßen. Am Sitz des Antwerpener Arbeitsamts bemächtigten sie sich der Familienangehörigen, die die zum letzten Transport in die nordfranzösischen OT-Lager vorgeladenen jüdischen Zwangsarbeiter begleiteten. Die angewandten Techniken unterschieden sich deutlich von den früheren Razzien, bei denen die deutsche bzw. die belgische Polizei die von Juden bewohnten Quartiere am Abend abgeriegelt und die Opfer aus ihren Wohnungen geholt hatte. Maxime Steinberg wertet die Festnahmeoperationen des 11. und 12. September als Übergang von einer ersten Phase der Großrazzien (Sommer 1942) zu einer zweiten Phase der Menschenjagd (ab Herbst 1942), in der die Sipo-SD zu Einzelfestnahmen gezwungen war, weil die ausländischen Juden spätestens nach der vierten Antwerpener Razzia in den Untergrund gingen. Wie die von der Forschung bisher nicht berücksichtigten Meldungen des BdS belegen, registrierten die Deutschen bereits Ende August 1942, dass die Juden „laufend“ versuchten, für die Übernachtung außerhalb ihrer
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Wohnung eine Unterkunft bei nicht-jüdischen Belgiern zu finden 138 . Demnach war möglicherweise schon das Vorgehen am 11./12. September, als die deutsche Sicherheitspolizei Straßen und Lokale auf der Suche nach Juden durchkämmte, eine Reaktion auf die Überlebensstrategien der jüdischen Bevölkerung. Die Frage der verfügbaren Exekutivkräfte dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Zwar sind kaum Angaben dazu überliefert, welche Einheiten die Razzia durchführten. Doch war die Antwerpener Polizei diesmal offenbar nur marginal involviert 139 . Vor allem stellte sie kein größeres Kontingent zur Verhaftung der Juden. Weshalb nicht? Nachdem die Antwerpener Polizei im August dreimal mehr als 50 Beamte eingesetzt und bei der selbständig durchgeführten dritten Razzia sogar mehr als die von deutscher Seite verlangten tausend Juden festgenommen hatte, ist davon auszugehen, dass die Sipo-SD auch die vierte Razzia in die Hände der belgischen Polizei gelegt oder zumindest in großem Umfang einheimische Polizisten zur Mitwirkung herangezogen hätte, wenn diese Möglichkeit bestanden hätte. Außerdem ist auffällig, dass die Sipo-SD auch bei der darauffolgenden Verhaftungswelle fast vollständig auf die Antwerpener Polizei verzichtete. Etwa ab dem 21. September 1942 nutzte das Judenreferat Antwerpen die Ausgabestellen für Lebensmittelmarken als Hinterhalt 140 . Innerhalb weniger Tage verhafteten Angehörige der Sipo-SD und der Feldgendarmerie mit Unterstützung flämischer SS-Leute viele Hundert Juden. Antwerpener Polizeibeamte waren nicht beteiligt; sie wurden selbst von der SS festgenommen, als sie gegen die in Zivil agierenden Kollaborateure des Judenreferats einschritten. Die Durchführung der letzten Razzia am 11./12. September und der Festnahmen an den Markenausgaben lassen meiner Ansicht nach darauf schließen, dass die Antwerpener Polizei für Großverhaftungen von Juden ab Mitte September nicht mehr zur Verfügung stand. Es muss daher zu Interventionen von belgischer Seite gekommen sein, auch wenn hierfür bislang kein Beleg aufgefunden wurde. Denn die Angaben von Antwerpens Bürgermeister Delwaide, der sich Ende August 1942, nach der dritten Razzia, an die Besatzungsmacht und an die zuständigen Generalsekretäre des Justiz- und des Innenministeriums gewandt und daraufhin die Zusage erhalten haben will, dass die belgische Polizei künftig nicht mehr für Razzien gegen Juden herangezogen würde, sind nicht zu verifizieren und werden von der Forschung angezweifelt 141 . Eine Razzia in Lüttich Ungeachtet der wiederholten Klage über ihre personelle Unterbesetzung waren die Besatzungsbehörden dazu imstande, Großverhaftungen von Juden auch dann durchzuführen, wenn sie nicht von einheimischen Polizeikräften unterstützt wurden. Dies hat sich am Beispiel Brüssels gezeigt, und dies gilt ebenfalls für die wallonische Stadt Lüttich. Dort lebten wesentlich weniger Juden
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(registriert wurden 1300 Personen über 15 Jahren), doch das Verfahren war in beiden Fällen dasselbe: Es kam zum Zusammenwirken verschiedener deutscher Polizei- und Wehrmachteinheiten. Bei der um den 25. September eingeleiteten Razzia in Lüttich brachten Eichmanns Helfershelfer 100 Juden in ihre Gewalt, die am 26. September 1942 mit dem XI. Transport aus Malines nach Auschwitz deportiert wurden142 . Was die Exekutoren der Razzia betrifft, so mangelt es an zeitgenössischen Quellen. Einer von ihnen, 1942 Kriminaloberassistent und SS-Hauptscharführer der BdS-Außenstelle Lüttich, hat die Arbeitsteilung zwischen SS und Wehrmacht indes 1968 in einer polizeilichen Vernehmung beschrieben: „Ich selbst habe an einer Festnahmeaktion teilgenommen, die ich nun schildern werde: Diese Aktion fand nach meiner Erinnerung vor Oktober 1942 statt und war der eigentliche Beginn aller weiteren Festnahmen von Juden im Raume Lüttich. Es war die erste und zugleich auch einzige Aktion, an der die gesamte Dienststelle der AD [Außendienststelle] Lüttich beteiligt war. Die weiteren Festnahmen wurden von den Angehörigen des Judenreferats allein durchgeführt. Nach meiner heutigen Erinnerung wurden alle Angehörigen der Dienststelle am Vorabend der Aktion zusammengerufen und mit einem Großeinsatz, der für den nächsten Tag geplant war, vertraut gemacht. […] Am nächsten Morgen hat sich die Dienststelle versammelt. Zu uns stießen Angehörige der Wehrmacht und der FG [Feldgendarmerie] mit PKW’s und LKW’s. Es wurden Festnahmetrupps gebildet. […] Der Einsatz wurde am frühen Vormittag gestartet. Schon in den Vormittagsstunden kamen die ersten Festnahmetrupps mit Juden zu unserer Unterkunft.“ 143
Dies war die einzige Razzia in Lüttich. Sie erstreckte sich – ebenso wie die September-Razzia in Antwerpen – auf die Tagesstunden und auf öffentliche Einrichtungen wie die Räume der AJB. Die Verhaftung von Juden in Lüttich für die „Endlösung“ hatte allerdings schon früher begonnen. Am 27. August waren bereits 75 Personen aus ihren Wohnungen abgeholt worden, die mit dem VIII. Transport am 8. September in den Tod fuhren144 . Auch im August hatten deutsche Exekutivkräfte die Juden festgenommen.
„Die Abschiebungsaktion nimmt trotz der Schwierigkeiten ihren Fortgang“ Am 15. September 1942 fuhr der Transport Nr. X mit 1048 Juden aus dem Lager Malines ab. Seit Anfang August, also in nur sechs Wochen, hatten die deutschen Besatzungsbehörden insgesamt 10 040 Frauen, Männer und Kinder nach Auschwitz deportiert. Damit hatten sie das im Juni 1942 von Eichmann und seinen Mitarbeitern vereinbarte erste Programm pünktlich erfüllt. Sowohl Reeder als auch der BdS Ehlers meldeten die Deportation von 10 000 Juden in ihren Berichten vom 15. September nach Berlin. Dabei wies jedoch insbesondere die Sipo-SD auf die massive Gegenwehr der Opfer hin. Die Juden hatten
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sich zum größten Teil den zunächst ausgegebenen Arbeitseinsatzbefehlen widersetzt. Infolge der daraufhin von den Deutschen eingeleiteten Verhaftungen waren sie massenhaft aus ihren Wohnungen geflohen und hatten sich falsche Ausweispapiere beschafft. Zudem registrierten die Besatzungsorgane ihre verzweifelten Versuche, aus dem besetzten Belgien in die noch unbesetzte französische Südzone zu fliehen 145 . Der Brüsseler Vertreter des Auswärtigen Amts fasste die Erkenntnisse des BdS über die Reaktionen der jüdischen Bevölkerung zusammen, als er seinerseits die Wilhelmstraße informierte: „Die bis zum 15. September vorgesehene Abschiebung von 10 000 hier ansässigen staatenlosen Juden ist durchgeführt. Nachdem zu Anfang der Aktion die Juden sich auf den Arbeitseinsatzbefehl hin meist gestellt hatten, musste im weiteren Verlauf derselben zu Razzien und Einzelfestnahmen geschritten werden, da den Gestellungsbefehlen in zahlreichen Fällen nicht mehr Folge geleistet wurde. Viele der in Frage kommenden Juden haben ihre Wohnungen verlassen und versuchen, bei arischen Belgiern ein Unterkommen zu finden. Diese Bemühungen werden von einem beträchtlichen Teil der belgischen Bevölkerung unterstützt. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus der Tatsache, dass sehr viele Juden im Besitze falscher belgischer Identitätskarten sind. Dieser Umstand erleichtert auch die illegale Abwanderung in das besetzte und unbesetzte Frankreich. Die Abschiebungsaktion nimmt jedoch trotz der obengenannten Schwierigkeiten ihren Fortgang. Bis Ende Oktober hofft die hiesige Sicherheitspolizei, im ganzen etwa 20 000 der in Frage kommenden Personen abtransportieren zu können.“ 146
Von Bargen zeigte in seinem Bericht die inzwischen auch ihm bekannte Tatsache an, dass die Deportation der Juden aus Belgien nach Abschluss des ersten Programms fortgesetzt wurde. Der von dem Diplomaten angeführte Zeitraum (bis Ende Oktober) ging auf eine Absprache des RSHA mit der Reichsbahn zurück. Bei einer Sitzung der Judenreferenten in Berlin am 28. August 1942 hatte Eichmann die Direktive ausgegeben, „dass der Abschub in den nächsten Monaten verstärkt durchzuführen ist, da die Reichsbahn voraussichtlich in den Monaten November, Dezember und Januar keine Transportmittel zur Verfügung stellen kann“ 147 . Tatsächlich sollten zwischen dem 26. September und dem 31. Oktober 1942 insgesamt sieben Züge aus Belgien nach Auschwitz fahren. Am 25. September 1942 – als die Deutschen die Razzia in Lüttich durchführten – fand in Brüssel eine Unterredung zwischen Reeder und Ehlers über die Deportation der Juden statt. Meiner Ansicht nach diente dieses kurz nach Abschluss des ersten RSHA-Programms angesetzte Gespräch dazu, die Fortsetzung der Deportationen zu besprechen, wobei es insbesondere um die Modalitäten der Verhaftung ging. Eine solche Interpretation legt jedenfalls ein Schreiben nahe, das Reeder noch am selben Tag an die Verwaltungschefs der (Ober-) Feldkommandanturen sandte und das die untergeordneten Instanzen über die mit Ehlers getroffenen Vereinbarungen informierte:
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„Nach dem bisher durchgeführten Arbeitseinsatz von 10 000 Juden im Osten wird jetzt die völlige Evakuierung der Juden aus dem Befehlsbereich in Angriff genommen. Infrage kommen vorläufig [folgen Staatsangehörigkeiten]. Im übrigen ist bei der Evakuierung auf das Zusammenbleiben von Familien zu achten und möglichst unauffällig vorzugehen. Die Durchführung der Aktion, die zunächst voraussichtlich bis Ende Oktober d. J. läuft, liegt in den Händen der Sicherheitspolizei. Es wird gebeten, dieser für die Erfassung bei größeren Aktionen im Rahmen des Möglichen polizeiliche Exekutivkräfte zur Verfügung zu stellen. Von einer Zuziehung der belgischen Polizei ist abzusehen. […] Es ist dafür zu sorgen, dass auch die in Arbeit befindlichen Juden zusammen mit ihren Familien abtransportiert werden. Die in Nordfrankreich bei der O. T. eingesetzten Juden werden in einigen Wochen aus dem dortigen Bereich freigegeben werden, soweit eine Evakuierung jetzt infrage kommt. […] Schließlich ist auch im Einvernehmen mit der Sicherheitspolizei auf die in letzter Zeit zunehmende illegale Abwanderung der Juden besonders zu achten. Es muss vermieden werden, dass die Juden aus den 4 großen Städten illegal unter Ablegung des Judensterns aufs Land oder in kleinere Orte verziehen. Die Dienststelle der deutschen Sicherheitspolizei ist angewiesen, die Aktion so durchzuführen, dass sie möglichst wenig in der Öffentlichkeit auffällt und keine Sympathie für die Juden innerhalb der Bevölkerung erwirkt [sic].“ 148
Es handelt sich um einen Rahmenplan zur Deportation sämtlicher ausländischer Juden aus Belgien, der alle zentralen Fragen beinhaltet: Reeder informiert die unterstellten Verwaltungschefs über die Auswahl der Opfer, er fordert zu Maßnahmen gegen die Flucht der Juden in den Untergrund auf und er unterstreicht seine Generallinie, derzufolge die Verhaftung der Juden möglichst unauffällig vonstatten gehen soll, um Folgewirkungen auf die allgemeine politische Situation zu vermeiden. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die Besatzungsbehörden die jüdische Bevölkerung in ihre Gewalt bekommen. Bemerkenswert ist zum einen die hier festgeschriebene Zusammenarbeit von Sipo-SD und Militärverwaltung, zum anderen der Ausschluss der belgischen Polizei. Die direkte Mithilfe der Militärs bei den großen Festnahmeoperationen war, auch in quantitativer Hinsicht, nicht zu unterschätzen. Sie erfolgte auf zwei Wegen: 1.) Wie in dem oben angeführten Schreiben angekündigt, lieferte die Militärverwaltung der Sipo-SD in der zweiten Oktoberhälfte diejenigen Juden aus, die sie seit dem Frühjahr 1942 als Zwangsarbeiter an der französischen Kanalküste einsetzte. Mitarbeiter der Lagerverwaltung Malines – neben Lagerkommandant Schmitt auch Karl Meinshausen, ein Angehöriger des Brüsseler Judenreferats, sowie der gleichermaßen für seine Brutalität berüchtigte Leiter der in Malines installierten Außenstelle der „Brüsseler Treuhandgesellschaft“, Erich Crull – fuhren nach Nordfrankreich, um zumindest einen Teil der jüdischen
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Zwangsarbeiter selbst auszusuchen und abzuholen149 . Bis zu 1592 von der Militärverwaltung in den OT-Lagern internierte Männer wurden am 24. und 31. Oktober mit den letzten drei Transporten des Jahres 1942 aus Belgien nach Auschwitz deportiert 150 . 2.) Bei der Durchführung von Razzien arbeitete die Sipo-SD mit der Feldgendarmerie zusammen, und den weiter oben zitierten Aussagen der Beteiligten zufolge wurden zusätzlich Landesschützen und Angehörige der Geheimen Feldpolizei für die großen Verhaftungsaktionen eingesetzt. Im August und September 1942 hatte die Feldgendarmerie bereits an fünf Razzien gegen die Juden – drei in Antwerpen, je eine in Brüssel und Lüttich – mitgewirkt und sich außerdem an der Massenfestnahme von Juden an den LebensmittelmarkenAusgabestellen in Antwerpen beteiligt. Nun forderte Reeder die (Ober-) Feldkommandanturen schriftlich dazu auf, der Sicherheitspolizei auch für das ausgeweitete Deportationsprogramm Polizeikräfte zur Verfügung zu stellen. Warum verzichtete der Militärverwaltungschef ausdrücklich auf die Hinzuziehung der belgischen Polizei? Da der Militärbefehlshaber und seine Dienststellen in der Folgezeit keineswegs generell davon abrücken sollten, belgische Polizeikräfte mit Verhaftungen zu beauftragen, die dem belgischen Recht zuwiderliefen, gibt es für Reeders Weisung kaum eine andere Erklärung, als dass belgische Stellen gegen die Inanspruchnahme der belgischen Polizei für die Verhaftung von Juden interveniert hatten 151 . Wie bereits dargestellt, ersuchte der Generalsekretär des Innenministeriums, Romsée, den Militärbefehlshaber Ende August, bei der Verhaftung von Juden nicht auf die belgische Polizei zurückzugreifen 152 . Obschon sein Schreiben die Razzien in Antwerpen mit keinem Wort erwähnte, sondern ausschließlich auf die Verhaftung jüdischer Arbeitskräfte für die Organisation Todt Bezug nahm, wies Romsée von Falkenhausen gleichwohl auf die „psychologischen Bedenken“ der belgischen Polizei hin: Dass derartige Festnahmen an die Verschleppung belgischer Zwangsarbeiter während des Ersten Weltkriegs erinnerten und dass die Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht aus belgischer Sicht dazu dienen sollte, vergleichbaren Deportationen im Zweiten Weltkrieg zuvorzukommen, musste der Generalsekretär dem Militärbefehlshaber nicht erläutern. Als der Militärverwaltungschef den Rückgriff auf die belgische Polizei bei den größeren Festnahmeoperationen gegen die Juden untersagte, bereitete die Militärverwaltung den Zwangseinsatz belgischer Arbeitskräfte im Reich vor. Am 6. Oktober 1942 sollte die entsprechende Verordnung des Militärbefehlshabers erscheinen. Reeder sah voraus, dass die politische Situation im besetzten Belgien dadurch auf das äußerste belastet werden würde. Tatsächlich sollte die Verordnung vom 6. Oktober das Ende der belgischen Kooperationsbereitschaft auf Polizeiebene nach sich ziehen. Ende September bestand also genügend Anlass, zusätzliche Konflikte zu vermeiden. Hinzu kommt, dass die Mi-
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litärverwaltung auf die Zusammenarbeit mit Romsée dringend angewiesen war, wie sie immer wieder hervorhob153. Sein Einspruch von Ende August 1942 hatte daher mutmaßlich großes Gewicht. Wenngleich dies nicht nachweisbar ist, erscheint es doch plausibel, dass Reeder Romsées Intervention berücksichtigte, als er mit Ehlers die Verhaftung weiterer Juden plante. Hatte Reeder den BdS am 25. September angewiesen, bei der Verhaftung und Deportation der Juden jegliches Aufsehen zu vermeiden, so tat das Judenreferat der Sipo-SD, insbesondere in Antwerpen, im September 1942 alles andere, als diese taktische Vorgabe einzuhalten. Zu Beginn des neuen Schuljahrs am Anfang des Monats nahmen Holm und seine Mitarbeiter an den auf Befehl des Militärbefehlshabers eingerichteten jüdischen Schulen Eltern und Schüler fest 154 . Mitte September suchten sie im Rahmen der vierten Antwerpener Großrazzia unter anderem das Arbeitsamt auf, um dort die Angehörigen der auf Weisung der Militärverwaltung einberufenen jüdischen Zwangsarbeiter zu ergreifen. Kurz darauf begann die Sipo-SD Antwerpen mit der systematischen Verhaftung von Juden an den Ausgabestellen für Lebensmittelmarken. Dies geschah in aller Öffentlichkeit. Nicht-jüdische Belgier, die Marken für Juden abholten, wurden mit Waffengewalt und Verhaftungsdrohung dazu gezwungen, die Adressen ihrer Auftraggeber preiszugeben. Überdies ließ das Judenreferat nicht nur ausländische, sondern auch belgische Juden festnehmen – darunter Führungsmitglieder und Angestellte des AJB-Ortskomitees – die aufgrund der Vereinbarungen Reeders mit Himmler noch von der Deportation ausgenommen waren. Die AJB intervenierte auf mehreren Wegen. Verwaltungschef Benedictus und der Vorsitzende der Antwerpener Zweigstelle suchten Bürgermeister Delwaide auf, der sich nach massivem Drängen schließlich dazu bereit fand, den Verwaltungschef der Antwerpener Feldkommandantur, SS-Hauptsturmführer Martin Seyfert, anzurufen. Dieser erklärte den in sein Büro gerufenen AJBMitarbeitern, sie müssten ein für allemal begreifen, dass die ausländischen Juden nicht in Belgien bleiben könnten und dass er nichts gegen die Gestapo ausrichten könne, sagte ihnen jedoch eine Intervention gegen die Verhaftungen an den Ausgabestellen zu 155 . Vermutlich schritt die Militärverwaltung tatsächlich ein. Denn kurz darauf wurden die großen Festnahmeaktionen an den Markenbüros eingestellt. Die Dokumentenlage bietet keinen Aufschluss darüber, ob dies auf Veranlassung Seyferts zurückging, zumal wahrscheinlich auch der Generalsekretär des Justizministeriums beim Militärverwaltungsstab Einspruch erhob; jedenfalls wurde Generalsekretär Gaston Schuind anscheinend sowohl von Bürgermeister Delwaide als auch vom Präsidenten der AJB, Großrabbiner Salomon Ullmann, angegangen 156 . SS-Obersturmführer Kurt Asche nahm die für das Judenreferat offensichtlich sehr hinderlichen Fürsprachen belgischer Autoritäten zugunsten der belgischen Juden zum Anlass, um Prä-
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sident Ullmann und vier andere Führungsmitglieder der AJB am 24. September in das Konzentrationslager Breendonk einzuweisen 157 . Vier Tage später intervenierte Schuind bei Reeder, und Erzbischof Van Roey, Oberhaupt der katholischen Kirche, soll bei Falkenhausen vorstellig geworden sein. Daraufhin musste Asche auf Befehl von Reeders Stellvertreter Craushaar die prominenten jüdischen Häftlinge aus Breendonk wieder freilassen. Das vom Judenreferat verursachte Aufsehen kam der Militärverwaltung, die angesichts der bevorstehenden Deportation belgischer Zwangsarbeiter mit einer gravierenden Zuspitzung der politischen Lage rechnete, äußerst ungelegen und lief überdies Reeders Anweisungen zuwider. Doch der Militärverwaltungschef wusste seine Autorität gegenüber dem Judenreferat zu behaupten. Am 30. September wandte er sich an den BdS, um die angewandten Methoden zu beanstanden, „die im Widerspruch mit den vorherigen Vereinbarungen stehen und politisch höchst unerwünschte Folgen hervorzurufen drohen“. Im einzelnen benannte er die Verhaftung belgischer Staatsangehöriger und anderer von der Deportation vorerst ausgenommener Juden sowie die Festnahmen an den Schulen, am Arbeitsamt und an der Markenausgabestelle in Antwerpen. Als Sanktion verlangte er von der Sipo-SD, in Zukunft „alle größeren Judenaktionen“ vorab mit den Verwaltungschefs der jeweiligen (Ober-) Feldkommandanturen abzusprechen158 . Dass Reeder das Vorgehen des Judenreferats der Kontrolle der Militärverwaltung unterwarf, kennzeichnet die Machtverhältnisse im besetzten Belgien, wo die Vertreter des OKH das Sagen hatten. Von spektakulären Großverhaftungen etwa an den Lebensmittelmarkenbüros musste die Sipo-SD in der Folgezeit absehen. Dafür ließ die Militärverwaltung ihr bei der Festnahme von einzelnen Juden, Familien und kleineren Gruppen einen großen Spielraum. So konnten die deutschen Polizeibeamten weiterhin einzelne Juden an den Markenausgaben ergreifen, und die fortgesetzte Verhaftung jüdischer Schüler und Lehrer veranlasste das Brüsseler Ortskomitee der AJB dazu, die Schulen zunächst befristet und dann im Januar 1943 endgültig zu schließen 159 . Was die belgischen Staatsangehörigen und andere von der Deportation vorerst ausgenommene Gruppen betrifft, so deportierten die Besatzungsbehörden bereits seit August 1942 solche Juden, denen ein Verstoß gegen die antijüdischen Bestimmungen vorgehalten wurde. In Antwerpen verhaftete Erich Holm im Herbst und Winter 1942/43 laufend AJB-Mitarbeiter, selbst wenn diese die belgische Staatsangehörigkeit besaßen 160 . Schließlich hielt die Sipo-SD die in der flämischen Metropole verhafteten belgischen Juden, die sie noch nicht deportieren konnte, im Lager Malines fest, während die Vertreter der Dienststelle Westen in Rosenbergs Ostministerium ihre Wohnungen ausräumten und das Mobiliar im Rahmen der „Möbelaktion“ an bombengeschädigte Familien ins deutsche Reichsgebiet lieferten. Im Sommer 1943 wurden die Juden belgischer
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Nationalität in die „Endlösung“ einbezogen. Daraufhin organisierte die Gestapo, die die Transporte nach Auschwitz seit Herbst 1942 mit Hilfe von Einzelund Gruppenverhaftungen auf den Weg gebracht hatte, eine weitere und letzte Großrazzia in Belgien.
Die belgischen Juden werden deportiert In der Nacht vom 3. auf den 4. September 1943 unter dem Decknamen „Aktion Iltis“ in Brüssel und Antwerpen eingeleitet, ist die Massenverhaftung der belgischen Juden ein weiteres Beispiel dafür, dass die Besatzungsbehörden zur Durchführung von Razzien keineswegs auf die Mithilfe der belgischen Polizei angewiesen waren. Der damalige BdS-Judenreferent Erdmann, der die Operation vorbereitete, verzeichnete in seinem Einsatzplan für die belgische Hauptstadt lediglich 14 Angehörige der Gestapo – davon sieben aus dem Judenreferat – und das Devisenschutzkommando, das in der Tat etwa 30 Kräfte stellen sollte 161. (Auf die Tätigkeit der deutschen Devisenpolizei wird in Kapitel III näher einzugehen sein). Als Hilfspersonal für die Festnahmetrupps der Gestapo sah Erdmann ferner 28 flämische SS-Männer der BdS-Wachkompanie vor. Dass diese tatsächlich zu der Verhaftungsaktion kommandiert wurden, ist wahrscheinlich, lässt sich jedoch mangels Quellen nicht belegen. Möglicherweise beteiligten sich – ebenso wie bei der Großverhaftung im Jahr zuvor – auch Feldgendarmen oder andere Wehrmachtangehörige an der Razzia 162 . Männer, Frauen und Kinder wurden anhand von vorbereiteten Listen aus ihren Wohnungen geholt. Insgesamt sollen die Deutschen in dieser Nacht 750 Juden in Brüssel und 225 Juden in Antwerpen festgenommen haben163 . Am 20. September 1943 stellte die Lagerverwaltung in Malines den Transport Nr. XXII B zusammen, der 794 belgische Staatsangehörige nach Auschwitz brachte. Die Antwerpener Außenstelle war von Erdmann ersucht worden, Feldgendarmerie bzw. Geheime Feldpolizei anzufordern. Sie mobilisierte – den Angaben eines flämischen Kollaborateurs zufolge – die gesamte Dienststelle und Angehörige der Feldgendarmerie 164. Doch mehr als die Hälfte der Opfer brachte Erich Holm mit einem für seine Methoden typischen Manöver in seine Hand. Ende Juni hatte die Sipo-SD infolge einer Intervention von Königin Elisabeth rund 300 belgische Staatsangehörige aus Malines freigeben müssen, die bei ihrer Rückkehr nach Antwerpen großenteils mittellos waren und deren Wohnungseinrichtungen das Ostministerium geraubt hatte. Holm lud sie und die Vertreter der AJB für den 3. September in sein Büro ein und versprach, dass nun die Rückgabe des Mobiliars durch eigens anreisende Verantwortliche des Ostministeriums endlich geklärt werden würde. Am Abend wurden alle Anwesenden, einschließlich des AJB-Personals, verhaftet. Bei der Überfüh-
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rung aus Antwerpen nach Malines sind neun Juden in einem überfüllten Möbelwagen erstickt. Die Ereignisse lösten schwerwiegende politische Reaktionen aus und bewogen die Generalsekretäre dazu, ihre Demission anzudrohen. Reeder und sein für die Beziehungen zu den Generalsekretären zuständiger politischer Referent wussten die Wogen indes zu glätten, indem sie jegliche Verantwortung von sich wiesen 165 . Sie zogen sich auf eine Schutzbehauptung zurück, die die Vertreter der Militärverwaltung für gewöhnlich ins Feld führten und die ihnen möglicherweise auch selbst das Gewissen erleichterte: Der Befehl zur Deportation der Juden sei aus Berlin gekommen, die Militärverwaltung habe auf diesem Gebiet keinerlei Entscheidungskompetenz inne, ihr Einfluss auf die Gestapo beschränke sich darauf, auf eine möglichst milde Umsetzung der Berliner Anweisungen hinzuwirken, dies habe sie stets getan und werde sie auch in Zukunft tun 166 . Zutreffend ist, dass Reeder sich 1942 bei seiner Einwilligung in das erste Deportationsprogramm aus politischen Erwägungen dafür eingesetzt hatte, die ausländischen Juden als Opfer auszuwählen. Auch ließen er und von Falkenhausen in Übereinstimmung mit Ehlers dem auf eine Einbeziehung der belgischen Staatsangehörigen drängenden Staatssekretär Luther aus dem Berliner Außenministerium noch im Januar 1943 mitteilen, dass sie zunächst alle ausländischen Staatsangehörigen deportieren wollten. Es war Himmler, der im Juni 1943 die Deportation der Belgier befahl. Doch selbstverständlich war das Plazet der deutschen Machthaber in Belgien erforderlich. Von Falkenhausen stimmte der Deportation der belgischen Juden am 20. Juli 1943 zu, nachdem Reeder – folgt man dessen Nachkriegsangaben – vergeblich das OKH und das OKW um Intervention ersucht hatte 167. Um den Handlungsspielraum der beiden führenden Männer des deutschen Besatzungsapparats in Belgien zu ermessen, empfiehlt sich ein Blick nach Frankreich, wo der Befehlshaber der Sipo-SD die Deportation der – weitaus zahlreicheren – französischen Juden Anfang 1943 abgelehnt hatte 168. Die Entscheidung Falkenhausens und Reeders dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Zwangsverschickung nicht-jüdischer Arbeitskräfte nach Deutschland inzwischen längst begonnen hatte und somit der Grund, die Deportation der belgischen Juden vorerst zurückzustellen, entfallen war 169 . Um die politischen Folgewirkungen aufzufangen, ließ Reeder den Tod von neun Antwerpener Juden durch ein SS- und Polizeigericht untersuchen und zugleich mindestens 88 der verhafteten Belgier aus dem Lager Malines entlassen, um diese in Zwangsunterkünfte zu überführen. Schließlich sagte der Militärverwaltungschef zu, dass vorerst keine weiteren belgischen Staatsangehörigen deportiert werden würden170 . Es hat den Anschein, als wenn in der Folgezeit tatsächlich nur wenige Belgier verhaftet worden wären; zumindest leitete die „Aktion Iltis“ keine Verhaftungswelle ein.
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Während die Razzia in Antwerpen jeglicher legalen Existenz von Juden ein Ende gesetzt hatte, suchten Reeder und seine Berater in Brüssel ein rudimentäres legales Leben von Juden aufrechtzuerhalten. Nach dem 3. September 1943 wurden mehr Personen als je zuvor in Kinder- und Altersheimen der jüdischen Zwangsvereinigung untergebracht. Auf diese Weise sicherte die Besatzungsmacht sich einen minimalen Verhandlungsspielraum für belgische offizielle Stellen: Ausnahmen von der Deportation konnten nach wie vor bewilligt werden. Sie sollten zumindest einen Teil der Juden vom Gang in den Untergrund abhalten. Dieses Kalkül hatte die Politik der Militärverwaltung gegenüber der AJB seit 1942 geprägt.
2. Die jüdische Zwangsvereinigung L’Association des Juifs en Belgique (AJB) Am 25. November 1941 erließ von Falkenhausen die „Verordnung über die Errichtung einer Vereinigung der Juden in Belgien“ (Association des Juifs en Belgique – AJB) 1 . Ebenso wie in anderen deutsch besetzten Ländern ging die Initiative zur Schaffung einer jüdischen Zwangsorganisation von der Sipo-SD aus, die einen entsprechenden Verordnungsentwurf vorgelegt hatte. Während dieser Entwurf nicht überliefert ist, dokumentiert der erhaltene Schriftverkehr des Militärverwaltungsstabs die Absichten der deutschen Dienststellen. Indem die Besatzer alle Juden unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit zur Mitgliedschaft verpflichteten und die bestehenden jüdischen Verbände zwangsweise in die AJB zusammenfassten, etablierten sie eine Repräsentantin der in Belgien lebenden Juden, die sie in der Folgezeit für die Durchführung der antijüdischen Maßnahmen verantwortlich machen konnten. Ziel der Verordnung war nach Auffassung der zuständigen Referenten in Reeders Verwaltungsstab außerdem „die moralische Ghettoisierung der Judenwirtschaft in Belgien, insbesondere deren Ausschaltung aus dem sozialen Leben“. 2 Um den Ausschluss der jüdischen Bevölkerung aus der belgischen Gesellschaft voranzutreiben, wurde die neu geschaffene Zwangsvereinigung – ebenso wie die 1939 in Deutschland gegründete „Reichsvereinigung der Juden“ – mit der Organisation einer eigenen Wohlfahrtspflege und eigener Schulen beauftragt, während die Militärverwaltung die jüdischen Schülerinnen und Schüler aus den öffentlichen Schulen verbannte 3. Gemäß seiner politischen Leitlinie, die Ausführung deutscher Verordnungen der belgischen Verwaltung zu übertragen, unterstellte der Militärbefehlshaber die AJB der Aufsicht des belgischen Innenministeriums und veranlasste Generalsekretär Gerard Romsée dazu, die von Reeder vorgegebene Satzung im belgischen Gesetzblatt zu veröffentlichen 4 . Allerdings machte die Verordnung „alle grundsätzlichen Entscheidungen“ über die Tätigkeit der AJB von der Genehmigung des Militärverwaltungschefs abhängig, und faktisch wurde die Zwangsorganisation von Militärverwaltung und Sipo-SD kontrolliert. Es war auch die Militärverwaltung, die den Vorstand der AJB einsetzte 5. Zum Vorsitzenden bestellte sie Dr. Salomon Ullmann, seit Herbst 1940 amtierender Großrabbiner in Belgien. Sein Stellvertreter Nico Workum, von Beruf Ingenieur, leitete zugleich das Antwerpener Ortskomitee der AJB, während
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die Zweigstelle Brüssel dem Möbelgroßhändler Salomon Van den Berg unterstellt wurde, der schon vor der Besatzung eine Leitungsfunktion in der Jüdischen Gemeinde ausgeübt hatte. Maurice Benedictus, ein Antwerpener Zigarrenfabrikant, übernahm das zentrale Amt des Verwaltungschefs der AJB. Waren alle vorgenannten Vorstandsmitglieder – zumeist naturalisierte – belgische Staatsangehörige, so galt dies nicht für die polnischen Immigranten Noé Nozice und Juda Mehlwurm, die die AJB-Ortskomitees Lüttich und Charleroi leiteten. Der Rücktritt eines Vorstandsmitglieds bedurfte der Zustimmung des Militärverwaltungschefs. Um die Tätigkeit der AJB zu finanzieren, wurde eine Beitragspflicht für alle Mitglieder eingeführt. Die Haushaltspläne mussten den Besatzungsbehörden zur Bewilligung vorgelegt werden.
Deutsche Zuständigkeiten Wenn man die überlieferten Akten durchsieht, fällt die Vielzahl deutscher Dienststellen ins Auge, mit denen die Mitarbeiter der AJB mündlich und schriftlich kommunizierten. Während der Militärbefehlshaber die Zwangsvereinigung zur offiziellen Repräsentantin aller in Belgien lebenden Juden bestimmte, stand ihr umgekehrt auf deutscher Seite kein verantwortlicher Ansprechpartner gegenüber. Stattdessen musste sie mit zahlreichen Vertretern des Besatzungsregimes verhandeln, von denen viele lediglich einen Teilbereich der antijüdischen Verfolgungsmaßnahmen unter sich hatten und deren Kompetenzen sich wechselseitig überlagerten. Der Grund dafür war, dass es kaum eine deutsche Verwaltungs- oder Polizeiabteilung gab, die nicht an der Judenverfolgung mitgewirkt hätte. Auch für das deutsch besetzte Belgien gilt der Befund Raul Hilbergs, dass die Entrechtung, Enteignung und Deportation der Juden nicht einer speziellen Behörde oblag, sondern von einem dezentralisierten Apparat bewerkstelligt wurde. Als der AJB-Vorstand die Militärverwaltung darum ersuchte, einen verantwortlichen Ansprechpartner zu benennen, gab der Leiter der Gruppe Fürsorge in der Verwaltungsabteilung, Duntze, nicht einen, sondern drei Funktionsträger an. Für „grundsätzliche Fragen der Judenvereinigung“, so teilte er im März 1942 mit, sei Dr. Heym zuständig und für die Durchführung der „Judenverordnung“ er – Duntze – selbst, sofern es nicht um Fragen des „Judenvermögens“ ginge, die von Dr. Scherer bearbeitet würden6 . Georg Scherer leitete seinerzeit die Gruppe XII (Feind- und Judenvermögen) der Wirtschaftsabteilung. Johannes Duntze, war seit Herbst 1940, als die Militärverwaltung mit der Einleitung antijüdischer Maßnahmen begann, mit Entwurf und Umsetzung der „Judenverordnungen“ befasst – spätestens Anfang Februar 1941 nahm er den Zusatz „Referat J“ in seinen Briefkopf auf 7 . Auch die Vorarbeiten für die Verordnung zur AJB liefen über seinen Schreibtisch. Er koordinierte die Zusammenarbeit der jeweils beteiligten Fachreferenten, führte entsprechende Verhandlungen
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mit den belgischen Verwaltungsdienststellen und widmete sich darüber hinaus auch der individuellen Verfolgung von Juden, indem er bspw. Gesuche auf Ausnahmegenehmigungen prüfte und Stammbäume skizzierte, um festzustellen, ob Antragsteller nach deutscher Ansicht Juden waren oder nicht. Die AJB sollte jedoch faktisch nur am Rande mit Duntze zu tun haben, da die Zuständigkeit für die sogenannte „Judenfrage“ im Frühjahr 1942 von Duntzes Gruppe Fürsorge in der Verwaltungsabteilung auf die Gruppe Politik im Präsidialbüro überging. Deren Leiter, Oberregierungsrat und SS-Sturmbannführer Günter Heym war der persönliche und politische Referent Reeders. Er hatte „la haute main sur la question juive“, das heißt ihm oblag die Federführung bei der „Judenfrage“, wie sein Mitarbeiter Wilhelm von Hahn sich 1948 gegenüber der belgischen Justiz ausdrückte8. Der Jurist Dr. Wilhelm von Hahn, im März 1942 von der Gruppe Polizei in die Gruppe Politik übergewechselt, wurde der wichtigste Ansprechpartner der AJB in Reeders Stab. Ab August 1942 war er fast ausschließlich mit dem Sachgebiet „Juden“ befasst 9 . Allerdings verzichtete die Militärverwaltung darauf, einen offiziellen „Judenreferenten“ zu ernennen. Sie war offenbar darauf bedacht, die Kompetenzen aufzuteilen. So musste sich die AJB wegen der Folgen der antijüdischen Verordnungen nicht nur an von Hahn, sondern auch an die jeweils zuständigen Sachbearbeiter der Militärverwaltung wenden: wegen der partiellen Freigabe gesperrter Vermögen an die Gruppe XII („Feind- und Judenvermögen“), wegen des Ausschlusses von Juden aus öffentlichen Schulen an die Gruppe Kultur (Dr. Löffler), wegen polizeilicher Sonderbestimmungen wie Aufenthaltsbeschränkungen oder Kennzeichnungszwang an die Gruppe Polizei (Dr. Leiber), wegen der Deportation zur Zwangsarbeit für die Organisation Todt in Nordfrankreich an die Gruppe Arbeitseinsatz (Dr. Fründt), wegen des Berufsverbots für jüdische Ärzte an die Gruppe Medizin (Dr. Holm) usw. Hinzu kamen die lokalen Dienststellen wie die Oberfeldkommandantur Brüssel und die Feldkommandantur Antwerpen. Beim BdS hatten die Verantwortlichen der Zwangsvereinigung dagegen in erster Linie mit dem jeweiligen Judenreferenten zu tun. Dies war bei Gründung der AJB SS-Obersturmführer Kurt Asche, ab Ende November 1942 SSHauptsturmführer Fritz Erdmann, ab Mitte Oktober 1943 SS-Hauptscharführer Felix Weidmann und ab März 1944 SS-Obersturmführer Werner Borchardt. Darüber hinaus musste die AJB mit den Außenstellen des BdS in Kontakt treten, insbesondere mit SS-Oberscharführer Erich Holm, Eichmanns Vertreter in der Außenstelle Antwerpen. Schließlich unternahm die AJB ab August 1942 laufend Demarchen bei der Leitung des Lagers Malines. Asche unterstrich schon bei der ersten offiziellen Zusammenkunft am 17. April 1942 den Führungsanspruch der Sipo-SD gegenüber dem Militärbefehlshaber10 . Seinen eigenen Worten zufolge sah er seine Aufgabe darin,
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sämtliche antijüdischen Maßnahmen der Militärverwaltung vorzubereiten. Doch sollte sich zeigen, dass die AJB von beiden Besatzungsorganen Befehle erhielt und sich mit beiden abstimmen musste. Im Juli 1942, am Vorabend der Deportationen nach Auschwitz, wurde die Sipo-SD zur entscheidenden Behörde, ohne dass die Militärverwaltung allerdings sämtliche Kompetenzen an sie abgegeben hätte. So blieb Reeders Stab weiterhin für die Durchsetzung der Judenverordnungen zuständig und seine Gruppe XII („Feind- und Judenvermögen“) behielt die Oberhand über die gesperrten Vermögen. Schließlich sah sich die AJB in vielen Fällen dazu gezwungen, wegen der gleichen Angelegenheit bei beiden Dienststellen vorstellig zu werden. Wenn es um die materielle Ausplünderung der Juden ging, waren überdies weitere Schritte bei den einschlägigen deutschen Sonderbehörden erforderlich – beim Devisenschutzkommando, das Geld und Vermögenswerte beschlagnahmte, und bei der Einsatzleitung Belgien des Ostministeriums, die die sogenannte „Möbelaktion“ durchführte. Beide Dienststellen konnten ohne Einwilligung der Militärverwaltung nicht tätig werden11 .
Zweck, Aufgaben, unsicherer Status In der Verordnung des Militärbefehlshabers vom November 1941 zur Errichtung der AJB heißt es: „Die Vereinigung der Juden in Belgien hat den Zweck, die Auswanderung der Juden zu fördern“. Ferner solle sie, und die folgenden Aufgaben finden sich wohlgemerkt erst an zweiter Stelle, Trägerin der jüdischen Schulen und Fürsorge werden. Was an dieser Zweckbestimmung irritiert, ist der Zeitpunkt. Bekanntlich galt die Emigration im Herbst 1941 keineswegs mehr als Ziel der deutschen Judenpolitik. Schon im Mai 1941 war der Beauftragte des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD für Belgien und Frankreich, Max Thomas, vom Reichssicherheitshauptamt aufgefordert worden, „im Hinblick auf die zweifellos kommende Endlösung der Judenfrage […] die Auswanderung von Juden aus Frankreich und Belgien zu verhindern“, und im Oktober hatte Heinrich Himmler das generelle Emigrationsverbot für Juden verhängt 12 . Weshalb also bestimmte die Militärverwaltung noch Ende November 1941 die „Auswanderung“ zum Zweck der AJB, während das im gleichen Monat in Frankreich auf deutsche Veranlassung verabschiedete Gesetz der Vichy-Regierung zur Errichtung der Zwangsvereinigung der Juden die Emigration nicht einmal erwähnte? Es ist nicht auszuschließen, dass die Juristen in Reeders Verwaltungsabteilung die Zweckbestimmung unbesehen und sozusagen irrtümlich aus der bereits im Juli 1939 ergangenen Verordnung zur Errichtung der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland übernahmen, die ihnen offenkundig zur Orientierung, wenn auch nicht als Muster diente 13. Eine solche Nachlässigkeit erscheint jedoch wenig plausibel, zumal die Militärverwaltung den Juden kurz
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darauf, im Januar 1942, die Ausreise aus Belgien ohne schriftliche Genehmigung untersagen sollte 14 und gleichwohl weiterhin die Förderung der Emigration zur Aufgabe der AJB erklärte – so noch in der im März 1942 im belgischen Gesetzblatt veröffentlichten und von Militärverwaltungschef Reeder abgezeichneten Satzung der Zwangsvereinigung. In diesem Zusammenhang ist der allgemeine Entscheidungsprozess zur „Judenfrage“ in Berlin zu berücksichtigen, über den SS-Brigadeführer Reeder offenbar gut informiert war. Im Reichssicherheitshauptamt wurde spätestens im Frühjahr 1941 der Plan erwogen, im Zuge des deutschen Angriffskriegs gegen die UdSSR alle europäischen Juden auf das sowjetische Territorium abzuschieben 15 . Von diesem Planungsstand einer „territorialen Lösung der Judenfrage“ im Osten, der noch nicht die systematische Vernichtung einschloss, dürfte Reeder im Mai 1941 ausgegangen sein, als er in seinem Tätigkeitsbericht betonte, dass „die Frage der Abschiebung der Juden nur planmäßig und zentral geregelt werden“ könne 16. Daher meinte der Militärverwaltungsstab sehr wahrscheinlich auch noch Ende November 1941 eine solche Massendeportation der Juden, wenn er öffentlich von „Auswanderung“ sprach. Dies legt jedenfalls ein antijüdischer Presseartikel nahe, der Anfang Dezember 1941 in der Brüsseler Zeitung, dem Sprachrohr der Militärverwaltung, erschien und der die kurz zuvor eingeleiteten Verfolgungsmaßnahmen propagandistisch begleitete. Darin ist unter dem Titel: „Der Weg ins Ghetto“ zu lesen: „Und wenn die Verordnung zur Errichtung einer Judenvereinigung in Belgien mit einer jüdischen Selbstverwaltung gleichzeitig die Vorbereitungen für eine spätere geregelte Auswanderung bezweckt, ist damit wohl angedeutet, dass man […] auch das Ghetto nicht als die endgültige Lösung der Judenfrage für Europa ansieht“ 17 . Demnach wurde die Zweckbestimmung „Auswanderung“ nicht versehentlich in die Verordnung zur AJB aufgenommen. Noch weniger konnte es darum gehen, unter Missachtung von Himmlers Emigrationsverbot letzte Fluchtwege und Aufnahmeländer für die Juden aus Belgien zu finden. Vielmehr deutete die veröffentlichte Formel „spätere geregelte Auswanderung“ ein zukünftiges Abschiebungsprojekt an. Im internen Schriftverkehr des Militärverwaltungsstabs wurde dies klarer formuliert; hier sprach man Anfang 1942 in Bezug auf die Entlassung jüdischer Beamter von der „Notwendigkeit, die Juden aus dem europäischen Raum zu entfernen“ 18 . Für eine solche Interpretation spricht auch die Tatsache, dass bei den Zusammenkünften der AJB-Leitung mit den deutschen Behörden von einer organisierten Emigration der Juden keine Rede war. Vielmehr konzentrierten sich die Vertreter der Militärverwaltung bei der ersten offiziellen Unterredung im April 1942 auf die Tätigkeitsfelder Schulen und Fürsorge, die der Judenreferent der Sipo-SD, Kurt Asche, kurz darauf ebenfalls zu den Hauptaufgaben der AJB „zum jetzigen Zeitpunkt“ (!) erklärte 19. Als Asche dann Ende April
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1942 beim zweiten Gesprächstermin in der Avenue Louise, wo die Brüsseler Außenstelle des RSHA ihren Sitz hatte, erstmals die Emigration ansprach, ging es um die Durchsetzung des Verbots, nämlich um die Repression der illegalen Flucht von Juden aus Belgien nach Frankreich 20 . Erst Mitte Juli 1942 kam die Sipo-SD auf den Satzungszweck „Auswanderung“ zurück. Als sie die Deportation der Juden aus Belgien nach Auschwitz vorbereitete, berief sie sich auf die von der Militärverwaltung ausgearbeitete Satzung der AJB. Dem in die Brüsseler Gestapozentrale vorgeladenen Verwaltungschef Maurice Benedictus wurde eröffnet, dass die Juden außerhalb Belgiens zur Arbeit eingesetzt würden und dass die AJB „wie in ihrer Satzung vorgesehen“ sich um diesen Arbeitseinsatz zu kümmern habe21. Aus der „Auswanderung“ war nun der „Arbeitseinsatz“ geworden, und diese Formel diente inzwischen zur Tarnung für den Judenmord. Die erste Aufgabe der AJB bestand darin, die institutionellen Vorbedingungen für die zwangsweise Mitgliedschaft aller in Belgien lebenden Juden zu schaffen. Wie von der Militärverwaltung vorgeschrieben, gründete der Vorstand zu diesem Zweck Ortskomitees in Brüssel, Antwerpen, Lüttich und Charleroi und rief die Juden im Februar und März 1942 dazu auf, ihrer Verpflichtung zur Einschreibung nachzukommen. Was die innere Organisation betrifft, so errichteten sowohl der Vorstand als auch die örtlichen Zweigstellen jeweilige Abteilungen für die hauptsächlichen Sachgebiete wie Schulen, Wohlfahrtspflege und Finanzen. Eine zusätzliche, zentrale Einrichtung ging auf Anweisung der Sipo-SD zurück. Ende April 1942 verlangte Asche, eine zuständige Kontaktperson für die individuellen Demarchen zugunsten verfolgter Juden einzusetzen, weil er sich nicht länger mit Einzelanfragen abgeben wollte. Die am 11. Mai 1942 von der AJB-Leitung gegründete Eingabestelle (service d’interventions) wurde die wichtigste Instanz für solche Fürsprachen, auch wenn die führenden Repräsentanten der AJB ausgewählte Fälle weiterhin direkt mit den Deutschen verhandelten 22 . Um die bei deutschen Dienststellen erforderlichen Interventionen aus ganz Belgien in diesem Brüsseler Büro bündeln zu können, sandte der Vorstand den Ortskomitees speziell zu diesem Zweck entworfene Formulare. Sie enthielten neben Fragen zur Person und zum Sachverhalt die Rubriken „Verhaftungsdatum“ und „Gefangenennummer“ 23 . Denn in erster Linie zielten die Eingaben bei deutschen Dienststellen ab dem Frühjahr 1942 auf die Freilassung jüdischer Kinder, Frauen und Männer ab, die in den Gestapokellern, in Gefängnissen, im Internierungslager Breendonk oder, ab Juli 1942, im Durchgangslager Malines eingesperrt waren. Judenreferent Asche nahm auf die Besetzung der neuen Kontaktstelle Einfluss und setzte schließlich durch, dass der AJB-Vorstand dafür den ehemaligen kaiserlichen Offizier Hans Berlin verpflichtete, der als Mitarbeiter des von deutsch-jüdischen Immigranten gegründeten „Hilfswerks für Juden aus
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Deutschland“ bereits vor Gründung der Zwangsvereinigung in Kontakt zur Sipo-SD und zur Militärverwaltung gestanden hatte. Im August 1942 integrierte die AJB-Direktion Berlins Büro in die neu gegründete Abteilung „Eingaben“, die über die individuellen Demarchen hinaus auch die allgemeinen Verhandlungen und regelmäßigen Besprechungen mit den Besatzungsbehörden übernahm. Leiter dieser Abteilung war zunächst Noé Nozice, Vorsitzender des Ortskomitees Lüttich und Mitglied des AJB-Vorstands, ab Dezember 1942 dann Louis Rosenfeld, der sich ebenso wie Hans Berlin in dem Hilfswerk für deutsche Flüchtlinge engagiert hatte. Parallel zu der internen Organisation bemühte sich die AJB-Verwaltung im Frühjahr 1942 darum, die in der Verordnung vom November 1941 vorgeschriebenen Schulen und Fürsorgestellen einzurichten 24 . Ab Juni 1942 wiesen die Besatzungsbehörden der AJB neue Aufgaben zu, die unmittelbar mit den Vorbereitungen für die Deportation in Zusammenhang standen. Nach Erlass der Kennzeichnungsverordnung brachte die Militärverwaltung die zunächst widerstrebende AJB-Leitung dazu, die von der Oberfeldkommandantur Brüssel begonnene Ausgabe der „Gelben Sterne“ fortzusetzen 25 . Mitte Juli 1942 bereiteten die Deutschen die Deportation von 10 000 Juden aus Belgien nach Auschwitz vor. Dem Verwaltungschef der AJB, Maurice Benedictus, wurde die Verantwortung für den angeblichen „Arbeitseinsatz“ übertragen. Er sagte zu, bis zum 25. Juli ein Judenregister anfertigen zu lassen. Als Basis hierfür sollte die Familienkartei dienen, die die Zwangsorganisation anlässlich der Einschreibung ihrer Mitglieder auf ausdrückliche Anweisung und nach den Vorgaben Asches erstellt und in Kopie an den Judenreferenten abgeliefert hatte. Allerdings war die Sipo-SD auf das neue Register gar nicht angewiesen 26 . Die Ausfertigung der „Arbeitseinsatzbefehle“ durch einen belgischen SSMann hatte schon vor dessen Ablieferung begonnen. Sie stützte sich auf die Kartei des Judenreferats, die die von dem belgischen Kollaborateur Pierre Beeckmans geleitete „Antijüdische Zentrale“ ab Mitte 1941 mithilfe der von den belgischen Kommunen auf deutsche Veranlassung angelegten Judenregister erstellt hatte. Möglicherweise wollte die Sipo-SD mit dem kurz vor der Deportation verlangten neuen Register prüfen, ob sich die AJB in die Vorbereitungen zur Deportation einbinden ließ, wie Maxime Steinberg vermutet. Die Anlage immer neuer Karteien dürfte allerdings vor allem auf den bürokratischen Übereifer zurückzuführen sein, der für den deutschen Verfolgungsapparat so typisch war. Tatsächlich forderte die Sipo-SD in der Folgezeit und bis August 1944 27 laufend weitere Namenslisten von der AJB an, um sich den Zugriff auf jene Personengruppen zu sichern, die vorerst oder zwischenzeitlich von der Deportation ausgenommen worden waren. Nach Fertigstellung des Registers verteilte die AJB-Verwaltung die vom Judenreferat vorbereiteten „Arbeitseinsatzbefehle“, die die namentlich eingetra-
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genen Adressaten dazu verpflichteten, zum Abtransport nach Deutschland im neu errichteten Sammellager Malines zu erscheinen 28 . Angesichts des Widerstands gegen die Vorladungen, denen viele Juden keine Folge leisteten, fügte die AJB-Leitung auf Weisung des Judenreferats den Arbeitseinsatzbefehlen ab Anfang August ein Schreiben bei, das die Unterschrift der Vorstandsmitglieder sowie der Repräsentanten der Jüdischen Gemeinden Brüssels und Antwerpens trug. Hierin wurde festgehalten, dass es sich den Versicherungen der Deutschen zufolge nicht um eine Deportation, sondern tatsächlich um einen Arbeitseinsatz handele und dass eine Weigerung missliche Folgen sowohl für die eigene Familie als auch für die jüdische Bevölkerung Belgiens nach sich ziehen könnte29. Dessen ungeachtet meldete sich höchstens ein Drittel der einberufenen Juden im Lager Malines. Spätestens ab Mitte September 1942, als der zehnte Transport abgefahren und das erste Deportationsprogramm abgeschlossen war, stellte die Sipo-SD das System der Vorladung zum Arbeitseinsatz ein. Stattdessen beauftragte sie die AJB nun damit, die Juden vor dem Abtransport mit Lebensmitteln, Arbeitskleidung, Essgeschirren usw. auszustatten. Damit bediente sie sich der Zwangsvereinigung, um den in Berlin getroffenen Vereinbarungen zur Ausrüstung der Deportationszüge nachzukommen. Erst Ende August 1942 hatte der Kommandant des Lagers Auschwitz bei einer Tagung der Judenreferenten im Reichssicherheitshauptamt darauf bestanden, dass die einschlägigen Vorschriften strikt eingehalten würden 30 . Die AJB-Verwaltung konnte nicht wissen, dass die von ihr – unter beträchtlichen Schwierigkeiten und mit Hilfe belgischer Organisationen wie dem Roten Kreuz – aufgebrachten Versorgungsgüter ausschließlich für die Deutschen bestimmt waren 31 . Aus ihrer Sicht reihten sich die Lieferungen für die Transporte nach Deutschland in die Unterstützungsleistungen für jüdische Zwangsarbeiter und Gefangene ein, die sie in breitem Umfang ab dem Herbst 1942 organisierte. Denn sie sandte auch Nahrungsmittel, Kleidungsstücke usw. in die Lager der Organisation Todt in Nordfrankreich, wohin die Militärverwaltung ab Juni 1942 jüdische Männer zur Zwangsarbeit deportiert hatte; außerdem versorgte sie Juden, die im Lager Breendonk, im Keller der Brüsseler Gestapo und im Lager Malines festgehalten wurden. Ging die Initiative zumindest in manchen Fällen von der AJB aus, so bürdeten die deutschen Dienststellen ihr nicht nur die Ernährung der internierten Juden auf, sondern forderten überdies medizinische Hilfsmittel, Decken und anderes an 32 .Wenn Asche den Mitarbeitern der AJB ab Oktober 1942 wiederholt befahl, mehr Geld für den Unterhalt der Gefangenen in Breendonk oder im Keller der Avenue Louise auszugeben, oder erklärte, dass das gesamte Budget für die Ausrüstung der aus Malines deportierten Juden verwendet werden müsse, dann suchte er möglicherweise auch auszuschließen, dass die AJB im Untergrund lebende Juden materiell unter-
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stützte, was die Sipo-SD dem AJB-Vorstand im Jahr 1944 formell untersagen sollte 33. Fakt ist, dass manche Funktionsträger der AJB-Sozialfürsorge, unter ihnen die führenden Mitglieder Chaïm Perelman und Maurice Heiber, zugleich im Comité de défense des Juifs (CDJ) tätig waren, das ab September 1942 jüdische Kinder versteckte und „untergetauchten“ Erwachsenen half. Die Mitarbeit in der AJB gab ihnen die Möglichkeit, Mittel abzuzweigen und Kontakte zwischen hilfesuchenden Juden und der klandestinen Unterstützungsorganisation herzustellen 34 . Die Stellung der AJB war von Beginn an prekär, zumal die Deutschen früh in einer Weise in die internen Angelegenheiten eingriffen, die über die in der Satzung festgeschriebenen Kontrollmöglichkeiten noch hinausging. In Wirklichkeit behandelten sie die von ihnen vorgegebene Satzung als Makulatur, wie sich bei der Berufung neuer Vorstandsmitglieder herausstellte, die gemäß der Statuten dem Vorstand oblag, doch faktisch schon im April 1942 von Asches Präferenzen abhing35 . Nachdem Präsident Ullmann im Anschluss an seine Internierung in Breendonk im Oktober 1942 seinen Rücktritt bei Reeders Gruppe Politik eingereicht hatte, berief der AJB-Vorstand den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Antwerpens, der die polnische Staatsangehörigkeit besaß, zum Nachfolger. Dies löste heftigen Widerspruch des Judenreferenten aus, der schon vor der Wahl darauf hingewiesen hatte, dass er einen Kandidaten aus dem ehemaligen „Hilfswerk für Juden aus Deutschland“ bevorzuge, und angesichts der Nichtbeachtung dieser Vorgabe nun androhte, führende Mitarbeiter der AJB ins Lager Breendonk einzuweisen und ihre Leitung kommissarisch selbst zu übernehmen 36 . Tatsächlich sollte Asche zwei kurz darauf in die Avenue Louise vorgeladenen deutschen Immigranten den Vorsitz der AJB antragen, während Salomon Ullmann den für die AJB zuständigen Generalsekretär des belgischen Innenministeriums, Gerard Romsée, um seine Intervention ersuchte und ihm erklärte, dass ein deutscher Jude als Präsident untragbar sei. Dieser Standpunkt entsprach dem der Militärverwaltung, die ohnehin der Ansicht war, dass die Leitung der AJB in den Händen eines Belgiers liegen müsse, und gegen Asches Pläne einschritt. Als Kompromiss wählte der Vorstand daraufhin den Belgier und Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Brüssel, Marcel Blum, zum neuen Präsidenten und berief zugleich den von Asche bestimmten deutschen Immigranten Louis Rosenfeld als neuen Beisitzer – zum Ersatz für den Leiter des AJB-Ortskomitees Charleroi, Juda Mehlwurm, der Ende September „untergetaucht“ war, als die Deutschen – zweifellos zur Durchführung einer Razzia – von ihm eine aktuelle Liste der in der Region lebenden Juden verlangten 37 . Was den Rückgriff auf jüdische Flüchtlinge aus Deutschland betrifft, so be-
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standen lediglich in der Frage der Präsidentschaft Meinungsverschiedenheiten zwischen Militärverwaltung und Sipo-SD. Beide Organe untergruben den offiziellen Status der AJB als einziger Repräsentantin der in Belgien lebenden Juden, indem sie die schon vor Gründung der AJB bestehenden Kontakte zu Vertretern des ehemaligen Hilfswerks deutscher Flüchtlinge aufrechterhielten und zur Umsetzung ihrer Judenpolitik nutzten. So erhielt der Vorstand offizielle Mitteilungen wie etwa die Vorladung des Präsidenten Ullmann in die Avenue Louise oder Aufträge der Gruppe Polizei in der Militärverwaltung zur Kennzeichnungsverordnung im Juni 1942 über deutsche Immigranten zugestellt, die zum fraglichen Zeitpunkt keinerlei Amt in der AJB-Verwaltung ausübten38 . Dieses die AJB desavouierende Vorgehen von Sipo-SD und Militärverwaltung, gegen das Verwaltungschef Benedictus immer wieder Einspruch einlegte, musste Kompetenzstreitigkeiten auslösen, die um so gravierender waren, als der deutsche Immigrant Felix Meyer ohne Mandat als Sprecher der AJB auftrat und im Juni 1942 gegenüber der OFK Brüssel die Ausgabe der Kennzeichen durch die AJB für möglich erklärte 39. Die Handlungsweise der Besatzungsbehörden, vermutlich eher der Bequemlichkeit als einem Kalkül geschuldet, stand im Widerspruch zu dem von Reeder festgelegten Alleinvertretungsauftrag. Doch vor allem verschärfte sie die ohnehin komplizierten und schwierigen Rahmenbedingungen, unter denen die AJB tätig war. Der unklare und unsichere Status der Institution AJB fand seinen Ausdruck ebenfalls in der Lage ihrer Mitarbeiter, die unter der ständigen Drohung ihrer Verhaftung arbeiteten. Hatte Judenreferent Asche noch Anfang Juli 1942 betont, dass die AJB sämtliche Angestellten für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötige und von der Zwangsarbeit für die Organisation Todt in Nordfrankreich freistellen lassen müsse, wobei er gleichzeitig jene Sondersitzung ankündigte, in der Maurice Benedictus für den angeblichen „Arbeitseinsatz“ verantwortlich gemacht werden sollte, so verhafteten die Deutschen ab September 1942, als sie die AJB nicht mehr zur Verteilung der Arbeitseinsatzbefehle benötigten, auch deren Mitarbeiter 40 . Besonders gefährdet waren die Angestellten in Antwerpen, wo Eichmanns Statthalter Holm ab dem 11. September mit der planmäßigen Festnahme belgischer Juden begann, die zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer Vereinbarung Reeders mit Himmler noch von der Deportation ausgenommen waren. Bald darauf suchte das Judenreferat des BdS sich der Interventionen der AJB zu entledigen. Die Zwangsorganisation erwies sich zunehmend weniger als Instrument für die Durchführung der Deportationen, sondern vielmehr als Institution, die gegen die Verhaftung von Juden einschritt. Als zwei Vorstandsmitglieder Asche darum ersuchten, das Personal der AJB vor der Festnahme zu bewahren, stellte der SS-Obersturmführer ihnen eine Falle. Er lud eine
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Gruppe von 20 führenden jüdischen Persönlichkeiten für den 24. September 1942 vor, um den ungarischen Juden Edouard Rotkel – Mitglied der Anfang September gegründeten jüdischen Widerstandsorganisation Comité de défense des Juifs – am 26. September nach Auschwitz deportieren zu lassen, während er fünf belgische Vorstandsmitglieder der AJB, darunter Präsident Ullmann und Verwaltungschef Benedictus, in das Lager Breendonk einwies. Zuvor warf er der AJB Illoyalität und Sabotage der Deportation vor und bezichtigte sie der Mitverantwortung sowohl für die Interventionen nicht-jüdischer belgischer Funktionsträger zugunsten der belgischen Juden als auch für das tödliche Attentat, das jüdische Partisanen Ende August 1942 auf den für die Verteilung der Arbeitseinsatzbefehle zuständigen AJB-Angestellten verübt hatten 41 . In Zukunft, so kündigte Asche an, könne die AJB nicht mehr zugunsten ihrer Mitglieder intervenieren, stattdessen würden die nach Breendonk eingewiesenen Führungskräfte als Geiseln und zur Abschreckung interniert, bis alle Juden aus Belgien deportiert worden seien 42 . Auch wenn Proteste nicht-jüdischer belgischer Stellen für die baldige Freilassung der Gefangenen sorgten, fuhr die Sipo-SD fort, AJB-Angestellte zu verhaften und nach Malines zu verschleppen. Die Legitimationspapiere, die der Vorstand nach Absprache und mit Einwilligung der deutschen Behörden ausstellte, schützten insbesondere dann nur begrenzt vor der Verhaftung, wenn die Inhaber nicht die belgische Staatsangehörigkeit besaßen oder wenn sie in Antwerpen wohnten. Ab Herbst 1942 bezog das Judenreferat selbst leitende Mitarbeiter der AJB in die „Endlösung“ ein. Eugène Hellendall, in der Brüsseler AJB-Direktion tätig und außerdem Gründungsmitglied der jüdischen Widerstandsorganisation Comité de défense des Juifs, wurde zusammen mit seiner Familie am 24. Oktober mit dem XV. Transport nach Auschwitz verschleppt; als Begründung für die Deportation der belgischen Staatsangehörigen gab der Judenreferent an, dass sie das Kennzeichen nicht getragen hätten 43 . Im April 1943 deportierte die Sipo-SD den Vorsitzenden des Ortskomitees Lüttich, Noé Nozice, und sieben weitere Mitarbeiter, womit die Arbeit der wallonischen Zweigstelle zum Erliegen kam 44 . Im September 1943 wurden die Angestellten der AJB Antwerpen und deren Leiter Nico Workum im Rahmen der „Aktion Iltis“ festgenommen und deportiert. Das Ortskomitee Brüssel, das als einziges seine Arbeit aufrechterhalten konnte, fusionierte daraufhin mit dem AJB-Vorstand.
Demarchen Ab Juli 1942 waren die wichtigsten Interventionen, die die AJB direkt oder mit Hilfe nicht-jüdischer belgischer Funktionsträger bei Sipo-SD und Militärverwaltung unternahm, darauf ausgerichtet, vorgeladene bzw. verhaftete Juden vor der Deportation zu bewahren. Selbst die Freistellung derjenigen Juden, die etwa wegen ihres Alters oder ihrer Staatsangehörigkeit vorerst vom „Ar-
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beitseinsatz“ ausgenommen waren, erforderte unzählige Eingaben und Verhandlungen. Bereits seit ihrer Gründung engagierte die AJB-Verwaltung sich außerdem dafür, die Folgen der ab Oktober 1940 erlassenen antijüdischen Verordnungen des Militärbefehlshabers und der nachgeordneten Stellen zu begrenzen. Da diese die Existenzbedingungen der jüdischen Bevölkerung Zug um Zug beschnitten, versuchten die zuständigen Mitarbeiter mit Anträgen auf Ausnahmegenehmigungen ein legales Leben von Juden in Belgien weiterhin zu ermöglichen. Ein Beispiel ist der Zugang zu Grünflächen. Als Reeder die unteren Militärverwaltungsbehörden Anfang September 1941 über die kurz zuvor ergangene „Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen für Juden“ informierte, die den Juden eine allgemeine Sperrstunde und ein Zuzugsverbot für alle Orte außer Brüssel, Antwerpen, Lüttich und Charleroi auferlegte, stellte er den Kommandanturen anheim, „im Wege der Polizeiverfügung für ihren Bereich nach Bedarf weitergehende Einschränkungen für Juden anzuordnen (z. B. Verbot des Aufenthalts von Juden in genau bestimmten öffentlichen Parkanlagen, Verbot des Besuchs öffentlicher Bäder u. ä.)“ 45 . Ein entsprechendes Verbot der Feldkommandantur Antwerpen veranlasste drei örtliche Ärzte dazu, die AJBZweigstelle Mitte März 1942 auf den besorgniserregenden Gesundheitszustand kleiner Kinder und Säuglinge in ärmlichen Wohnverhältnissen hinzuweisen, die kaum noch Sonne und frische Luft erhielten und dringend Zugang etwa zu einem großen Garten benötigten. Die AJB Antwerpen versuchte daraufhin – vergeblich – eine Ausnahmeregelung bei der Feldkommandantur zu erwirken und leitete außerdem die Anlage eines eigenen Gartens in die Wege 46. Neben solchen speziellen Aktivitäten beantragte die AJB laufend und teilweise mit Erfolg: • Umzugsgenehmigungen • Genehmigungen zum Schulbesuch vor Errichtung eigener Schulen • Sperrstundenausweise • die Befreiung Kranker oder alter Menschen von Meldepflichtauflagen • die Fortführung der zur Liquidierung vorgesehenen Firmen • die Freigabe beschlagnahmter bzw. gesperrter Geldmittel zum individuellen Lebensunterhalt oder zur Finanzierung der Tätigkeit der AJB • die Zulassung jüdischer Ärzte zur Versorgung der jüdischen Bevölkerung • die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für davon ausgenommene Personengruppen wie etwa Angehörige bestimmter ausländischer Staaten. Die Liste der genehmigungspflichtigen Handlungen war lang, zumal die Verordnungen des Militärbefehlshabers durch weitere antijüdische Erlasse seiner örtlichen Dependancen ergänzt wurden. So musste die AJB ab Herbst 1942 die Aufnahme von Juden in Krankenanstalten bei den deutschen Kommandanturen beantragen. Wann und von wem eine entsprechende Verordnung erlassen
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wurde, ist nicht dokumentiert; fest steht dagegen, dass der Leiter der Gruppe Medizin im Militärverwaltungsstab, Oberstabsarzt Dr. Holm, Anfang Oktober 1942 eine Initiative startete, um zu verhindern, dass Juden im Hospital Zuflucht vor der Deportation fanden. Neun Tage nach Abfahrt des XI. Transports aus Malines nach Auschwitz schrieb er an Reeders Stellvertreter Harry von Craushaar: „Die Juden versuchen sich den Erfassungsmaßnahmen zu entziehen, indem sie entweder eine Ehe mit arischen belgischen Personen eingehen, oder sich in die Krankenhäuser begeben, wo sie sich vielfach sogar Operationen unterziehen. […] Zwei Entwürfe zur Steuerung dieses Missstandes sind beigefügt.“ 47
Der erste der anliegenden Verordnungsentwürfe sah die Kontrolle der Krankenhausaufenthalte von Juden durch deutsche Sanitätsoffiziere vor. Der zweite verbot die Eheschließung zwischen Juden und Nichtjuden in Anlehnung an die „Nürnberger Gesetze“, da die in Mischehe lebenden Juden gemäß der einschlägigen Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes nicht deportiert werden durften. Zumindest die zweite Initiative sollte keine neue Verordnung nach sich ziehen, da Reeder ein förmliches Verbot offenbar für überflüssig hielt. Wie er schon im September 1942 nach Berlin gemeldet hatte, wurden „solche Heiraten hinsichtlich des Arbeitseinsatzes stillschweigend als ungültig behandelt“. Nur solche Ehen boten Schutz vor der Deportation, die vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 10. Mai 1940 geschlossen worden waren 48 . Die beschriebenen Demarchen bei den deutschen Stellen bewegten sich im Rahmen des antijüdischen Sonderrechts, das die Militärverwaltung in Belgien einführte. Wie die Aktenüberlieferung zeigt, war dieser „Legalismus“ der AJB (Maxime Steinberg) auch mit dem Versuch verbunden, die fortlaufend radikalisierte und zunehmend grenzenlose Verfolgung an Regeln zu binden, oder wie Dan Diner in anderem Zusammenhang geschrieben hat, das „willkürliche und unberechenbare Verhalten der Nationalsozialisten der jüdischen Bevölkerung gegenüber kalkulierbar zu machen“ 49 . Mit einem Verfolgungsapparat konfrontiert, dem jeder Vorwand recht war, um Juden festzunehmen, versuchte die AJB solchen Vorwänden vorbeugend zu begegnen. Das bedeutete, die deutschen Behörden vorausschauend – zumeist unter höchstem Zeitdruck und mit großem persönlichen Engagement – darüber zu informieren, dass die Einhaltung einer Vorschrift objektiv ausgeschlossen war, bevor Feldgendarmerie oder Gestapo zur Verhaftung schritten. So wurde die AJB in der ersten Junihälfte 1942 mehrfach bei verschiedenen deutschen Behörden vorstellig, um zu verhindern, dass Juden wegen Verstoß gegen die Kennzeichnungspflicht ins Lager Breendonk verschleppt wurden, solange die Kennzeichen noch nicht allgemein erhältlich waren. Ähnliche Demarchen wurden auf individueller Ebene für na-
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mentlich erfasste und von Verhaftung bedrohte Juden laufend unternommen. Im September 1942 beispielweise beeilte sich die AJB-Antwerpen, die Deutschen darauf hinzuweisen, dass mehrere Juden der Einberufung zur Zwangsarbeit in Nordfrankreich wegen Krankheit oder Nichtzustellung des Einberufungsbescheids keine Folge leisten konnten50 . Dass die AJB-Verwaltung sich dafür einsetzte, die antijüdischen Maßnahmen an Regeln zu binden, zeigen auch ihre Interventionen gegen Angehörige des Besatzungsregimes, die die offizielle Judenverfolgung zum Anlass nahmen, den Juden nach eigenem Gutdünken nachzustellen und ihnen das Leben zur Hölle zu machen. Die Verantwortlichen der AJB hatten voraus gesehen, dass die „wilde“ Verfolgung nach Einführung des Kennzeichnungszwangs Anfang Juni 1942 zunehmen würde, und sich vom Leiter der Gruppe Polizei im Militärverwaltungsstab, Rudolf Leiber, zusichern lassen, dass individuelle Übergriffe den Kommandanturen angezeigt werden könnten. Schon Mitte Juni 1942 mussten sie Leiber eine „Reihe von Zwischenfällen“ mitteilen, die sich nicht ausschließlich, aber vor allem in Antwerpen ereignet hatten, wo die Feldgendarmerie Juden gezielt schikanierte, schlug und mit willkürlichen Geldbußen belegte 51. Hierbei tat sich besonders ein Feldgendarm der Ortskommandantur hervor, der sich schon vor dem Juni 1942 darauf spezialisiert hatte, Juden nachzustellen. Nachdem die AJB in der gleichen Angelegenheit weitere Interventionen bei der Feldkommandantur Antwerpen unternommen hatte, ging deren Verwaltungschef Martin Seyfert gegen den Machtmissbrauch durch Feldgendarmen niederen Rangs vor. Im Dezember 1942 intervenierte die AJB Antwerpen erfolgreich dagegen, dass uniformierte SS-Männer auf eigene Faust Juden ausraubten und Geld oder Wertgegenstände erpressten, indem sie ihnen die Einweisung ins Durchgangslager Malines androhten 52 . In beiden Fällen dürfte es den deutschen Verantwortlichen vor allem um die Disziplinierung des eigenen Personals gegangen sein. Der Einspruch gegen allzu auffällige Formen der privaten Bereicherung hatte außerdem deshalb Erfolg, weil die Ausplünderung der Juden den damit beauftragten Behörden vorbehalten bleiben sollte, was selbstverständlich nicht ausschloss, dass die Mitarbeiter des Judenreferats bei der Freilassung jüdischer Gefangener aus Gestapozellen, Gefängnissen oder dem Lager Malines auf ihren finanziellen Vorteil bedacht waren 53 . Allerdings versuchte die AJB vergeblich, auch dem offiziellen Raub des Eigentums von Juden Schranken zu setzen. Ihre fruchtlosen Eingaben beim Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete sind dafür typisch. Im August 1942 hatte Reeders persönlicher und politischer Referent Günter Heym noch darauf gedrungen, „aus optischen Gründen“ erst nach der Deportation des ersten Kontingents von 10 000 Juden deren Wohnungseinrichtungen ins Deutsche Reich abzutransportieren, „da sonst die Gefahr (bestünde), dass die Juden den Einberufungen nicht Folge leisten und sich allenfalls Gewaltmaßnahmen
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durch Flucht entziehen“ 54 . Nachdem die Besatzer die Aufrufe zum „Arbeitseinsatz“ eingestellt hatten und stattdessen Razzien und Einzelverhaftungen durchführten, wurden solche Überlegungen hinfällig. Spätestens im Jahr 1943 ließen sich die Mitarbeiter des Ostministeriums auch dann nicht vom Ausräumen der Wohnungen abhalten, wenn sie die jüdischen Mieter darin antrafen, die ihnen Bescheinigungen über ihre „Freistellung vom Arbeitseinsatz“ vorlegten, oder wenn sie von der AJB-Verwaltung im voraus entsprechende Mitteilungen erhielten 55 .
Wohin fahren die Züge? Ab Mai 1942 nutzte der AJB-Vorstand den Kontakt zu den Besatzungsbehörden, um die deutschen Pläne zum Fortgang der Judenverfolgung in Erfahrung zu bringen. Der Ausgangspunkt lässt sich einem Schriftstück aus der Aktenüberlieferung der AJB entnehmen. Demnach kündigte die Sipo-SD die Deportation der Juden aus Belgien früher an, als bislang vermutet wurde. Als der gerade zum Beauftragten für Interventionen bei den deutschen Behörden ernannte Hans Berlin am 13. Mai 1942 seine erste offizielle Unterredung in der Avenue Louise führte, ließ Asche sich zu der Bemerkung hinreißen, dass man die Ehen zwischen jüdischen Immigranten und nichtjüdischen Belgiern mit neuen Verordnungen per Federstrich auflösen werde, und er fuhr fort: „Wir werden die Eheleute trennen und den jüdischen Teil zusammen mit den anderen evakuieren“ 56 . Der Zeitpunkt dieses Gesprächs lag immerhin zwei Monate vor der Bestellung von Maurice Benedictus zum Verantwortlichen für den „Arbeitseinsatz“ und einen Monat vor der entscheidenden Tagung am 11. Juni 1942 im Reichssicherheitshauptamt in Berlin, bei der die Deportation von 10 000 Juden aus Belgien im Laufe des Sommers 1942 vereinbart wurde. Für die Repräsentanten der AJB war dies nach Lage der Dokumente der erste Hinweis von deutscher Seite auf die bevorstehende Deportation. Infolgedessen versuchten sie herauszubekommen, ob der Bemerkung des unberechenbaren Asche konkrete Planungen zugrunde lagen. Drei Tage später sprach Hans Berlin den Judenreferenten auf dessen Äußerung an. Die Antwort protokollierte er wie folgt: „Es scheint sich um Pläne zu handeln, deren Umsetzung für die Zeit nach dem Krieg vorgesehen ist. Er hat sich insofern auf die ‚Frankfurter Reden‘ von Alfred Rosenberg berufen“ 57 . Sehr wahrscheinlich handelte es sich um einen taktischen Schachzug gegenüber der AJB, wenn Asche sich nun auf die veröffentlichten Aussagen des NS-Ideologen und Reichsministers für die besetzten Ostgebiete zurückzog, der im März 1941 in seiner Rede zur Eröffnung des Frankfurter „Instituts zur Erforschung der Judenfrage“ erklärt hatte, dass die „Judenfrage erst dann gelöst“ sei, wenn alle Juden den europäischen Kontinent verlassen hätten 58 . Denn es dürfte gewiss sein, dass Asche im Mai 1942 vom baldigen Beginn der Depor-
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tation der Juden aus Belgien ausging, den er vermutlich selbst bereits zwei Monate zuvor bei Eichmann beantragt hatte 59. Der AJB-Vorstand versuchte daraufhin, von anderen Vertretern des Besatzungsapparats Informationen darüber zu erhalten, ob mit weiteren antijüdischen Maßnahmen zu rechnen sei. Da die Deutschen, welcher Dienststelle sie auch angehören mochten, sich hüteten, die Juden über die drohende Deportation ins Bild zu setzen, fragten die Verantwortlichen der AJB vergeblich, aber sie bemühten sich immerhin um Auskunft60 . Auch nachdem die „Endlösung“ längst begonnen hatte, stellten sie Militärverwaltung und Sipo-SD wiederholt die Frage, wohin die Züge fuhren. Am 14. September 1942, einen Tag vor Abfahrt des X. Transports aus Malines, mit dem das erste Deportationsprogramm abgeschlossen wurde, ersuchte Verwaltungschef Benedictus den zuständigen Referenten der Militärverwaltung, Wilhelm von Hahn, „ein weiteres Mal um genaue Angaben darüber, wohin die zum Arbeitseinsatz vorgeladenen Personen gebracht würden.“ Er fügte hinzu, „dass man ihm seinerzeit zugesichert habe, dass die Zwangsarbeiter nicht außerhalb der alten Reichsgrenzen Deutschlands eingesetzt würden.“ 61 Dabei sei es seiner Kenntnis nach geblieben, antwortete von Hahn, der möglicherweise selbst nicht besser informiert war. Benedictus reagierte mit der Anschlussfrage, ob man mit den zwangsverschickten Juden per Post Kontakt aufnehmen könne, da große Beunruhigung über ihr Schicksal vorherrsche. Nach einer hinhaltenden Antwort von Hahns beantragte die AJB auch bei der Sipo-SD eine Erlaubnis zum Briefverkehr und zur Sendung von Paketen. Aber erst Anfang Januar 1943, als Louis Rosenfeld beim BdS erneut nach dem Verbleib der aus Malines abtransportierten Juden fragte, erteilte der inzwischen amtierende Judenreferent Fritz Erdmann die Genehmigung, einen Brief- und Paketdienst zu errichten, und am 21. Januar 1943 verzeichnete der AJB-Vorstand die Übergabe von etwa 210 Nachrichten aus deutschen Lagern durch das Judenreferat62 . Bald darauf hängte die AJB-Eingabestelle Plakate auf, die auf die Möglichkeit hinwiesen, über die Zwangsvereinigung Pakete an die deportierten Juden zu versenden. Wenngleich die Deutschen den Paketversand kurz darauf untersagen sollten, ließen sie die AJB die Karten aus Auschwitz verteilen und Tausende von Antwortschreiben in die Avenue Louise zur Kontrolle und zur Rücksendung weiterleiten 63 . Aus Sicht der AJB diente der Antrag auf Genehmigung des Postversands dazu, endlich Lebenszeichen der deportierten Juden und Informationen über ihren Aufenthaltsort zu erhalten. Wie man heute weiß, ließ sich diese Initiative der AJB – ebenso wie ihre Bemühungen zur Versorgung jüdischer Gefangener – auf fatale Weise in die von den Deutschen entwickelten Strategien einbinden. Ab Januar 1943 setzte das Reichssicherheitshauptamt die Übermittlung zensierter Karten aus Auschwitz planmäßig zur Tarnung des Judenmords ein 64 .
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Dies trug auch in Belgien dazu bei, die Ungewissheit über den wahren Charakter der „Endlösung“ aufrechtzuerhalten 65 .
Taktiken der Besatzer Die AJB war alles andere als eine passive Befehlsempfängerin der Deutschen. Wie die überlieferten Gesprächsprotokolle vielmehr zeigen, suchte der AJBVorstand den Kontakt zu Militärverwaltung und Sipo-SD, um seine Belange durchzusetzen, und trat hierbei nicht selten offensiv auf 66 . Das Protokoll des ersten offiziellen Treffens mit Asche im April 1942 bringt das Verhältnis zwischen der Zwangsvertretung und den deutschen Stellen auf den Punkt. Als der Judenreferent seine Erwartung äußerte, dass die AJB die ihr übertragenen Aufgaben „gewissenhaft“ erfüllen werde, gab Verwaltungschef Benedictus zurück, dass sie seiner Ansicht nach in erster Linie die Interessen der Juden gegenüber den Behörden zu verteidigen habe67. Das Vorgehen der deutschen Machthaber war in mancher Hinsicht dazu angetan, das Führungspersonal der AJB in der Hoffnung zu bestärken, dass die Zusammenarbeit mit dem Verfolgungsapparat diesem Zweck dienen könne. Freilich kann von einer zielstrebig verfolgten Strategie gegenüber der AJB keine Rede sein. Aus den überlieferten Dokumenten ergibt sich vielmehr eine Kombination unterschiedlicher Anforderungen, Versprechen, Befehle, Hinhaltetaktiken, Erpressungen und Zugeständnisse, die nicht zuletzt aus der Zuständigkeit verschiedener Besatzungsorgane resultierte. Das zweifellos wichtigste Instrument zur Funktionalisierung der AJB war die Drohung, die Judenverfolgung weiter zu radikalisieren, sofern der AJBVorstand sich nicht kooperationswillig verhalte. Bereits im Juni 1942 bei der Ausgabe der Kennzeichen eingesetzt, als die Militärverwaltung die Juden für die Beschaffung der „Gelben Sterne“ verantwortlich machte und als Sanktion für den Verstoß gegen die Kennzeichnungspflicht die Internierung im Konzentrationslager Breendonk ankündigte 68, erfolgten die massivsten Drohungen im Monat darauf, als die Sipo-SD die Zwangsorganisation in die Vorbereitung der Deportationen nach Auschwitz einbezog. Der Abgesandte Eichmanns, Anton Burger, versprach Maurice Benedictus, dass der angebliche „Arbeitseinsatz“ ein begrenztes Kontingent von 10 000 Juden betreffe, die auf humane Weise, ohne Trennung der Familien [!] innerhalb der alten Reichsgrenzen Deutschlands eingesetzt würden. Sie erhielten einen Lohn und könnten Briefe und Pakete empfangen. Wenn die AJB mitwirke, so sagte Burger vor allem zu, werde es in Belgien keine Razzien geben. Andernfalls greife die Sipo-SD zu Methoden, die sich in anderen Ländern als wirksam erwiesen hätten. Burger machte Benedictus persönlich für den „Arbeitseinsatz“ verantwortlich und verlangte von ihm, auf der Stelle zu entscheiden, ob die AJB kooperiere oder nicht 69 . Zwei Wochen später befahl Burger der AJB, die Vorladungen in das
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Lager Malines mit einem Begleitschreiben zu versehen, um der massenhaften Nichtbefolgung der „Arbeitseinsatzbefehle“ entgegen zu steuern. Sollten sie sich weigern, so erklärte er den leitenden AJB-Mitarbeitern, werde die Gestapo „die Straßen abriegeln, alle Juden verhaften, ohne Rücksicht auf ihr Alter oder ihren Gesundheitszustand zu nehmen, und die Judenfrage innerhalb einer Nacht erledigen“ 70 . Diese Erpressungen verfehlten ihre Wirkung nicht. Hinzu kamen Burgers Versprechen, die ebenfalls schwer wogen. Dass sie sich als wertlos herausstellen sollten, war zum fraglichen Zeitpunkt keineswegs gewiss. Denn manchmal, wenn auch längst nicht immer, hielten die Deutschen ihre Zusagen durchaus ein. Dies war eine wesentliche Grundlage für die Einbindung der AJB, für Demarchen und Verhandlungen. Noch komplizierter wurde die Lage dadurch, dass die Zwangsvereinigung mit mehreren deutschen Dienststellen konfrontiert war, deren Kompetenzen sich wechselseitig überschnitten und deren Vertreter gegenüber den Verantwortlichen der AJB unterschiedlich auftraten. Der eine Pol des Verhaltensspektrums wurde von Burger repräsentiert, den Maurice Benedictus folgendermaßen beschrieb: „Ich wurde von dieser Person vorgeladen und auf die gröbste Art empfangen. Bis dahin hatte ich mit Asche verkehrt, der die äußeren Höflichkeitsformen mehr oder weniger einhielt. Burger rückte hiervon völlig ab und zwang die AJB-Vertreter, vor ihm strammzustehen.“ 71 Um diese Charakterisierung richtig einordnen zu können, muss man wissen, dass Asche die AJB-Mitarbeiter mit antisemitischen Reden schmähte. Für den anderen Pol konnte Rudolf Leiber aus der Militärverwaltung stehen, der die Gruppe Polizei im Militärverwaltungsstab leitete, bevor er im Herbst 1942 in das Polizeireferat der Feldkommandantur Antwerpen versetzt wurde. Nach Ansicht von Maurice Benedictus „weniger unhöflich als all die anderen Deutschen, mit denen ich zu tun hatte“, meinte Leiber seine Mitarbeit an der Kennzeichnungsverordnung im Juni 1942 durch eine persönliche Entschuldigung bei den Verwaltern der AJB kompensieren zu können 72 . Die unterschiedlichen Vorgehensweisen von Burger und Leiber waren nachrangig, solange diese ihre jeweiligen Aufgaben im Repressionsapparat erfüllten. Allerdings verfolgten die von ihnen repräsentierten Dienststellen der Sipo-SD und der Militärverwaltung verschiedene Taktiken. Daher sah sich der AJB-Vorstand sachlichen Unklarheiten und Widersprüchen gegenüber, die Verhandlungsspielräume zu eröffnen schienen.
Zur Rolle der Militärverwaltung Wie bereits gezeigt, wirkten die Statthalter des OKH auf mehrfache Weise bei der „Endlösung“ in Belgien mit. Sie erließen im Vorfeld ab Herbst 1940 die antijüdischen Verordnungen und sorgten für die Enteignung der jüdischen Be-
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völkerung. Die Deportationen nach Auschwitz bedurften ihrer Einwilligung. Hinzu kam die Bereitstellung von Feldgendarmeriekräften für Festnahmen und die Auslieferung der zur Zwangsarbeit in Nordfrankreich eingesetzten Juden an Eichmanns Männer. Andere Maßnahmen der Militärverwaltung, deren Bedeutung kaum geringer einzuschätzen ist, bewegten sich auf der politischen Ebene und trugen zum Funktionieren der AJB nach Beginn der Transporte am 4. August 1942 bei. Als Reeder die Zustimmung zur Deportation der Juden 1942 davon abhängig machte, dass keine belgischen Staatsangehörigen abtransportiert würden, richteten seine politischen Erwägungen sich auf die belgischen Generalsekretäre und die nichtjüdische Bevölkerung, keineswegs auf die Juden selbst und ihre Zwangsvereinigung. Gleichwohl begünstigte seine Entscheidung faktisch die Kooperationsbereitschaft der AJB. Denn sie konnte auf Seiten der AJBVerwalter die falsche Hoffnung nähren, dass die Deportation zum „Arbeitseinsatz“ nach Deutschland, ebenso wie die kurz zuvor einsetzende Deportation zur Zwangsarbeit in Nordfrankreich, einen begrenzten und ausgewählten Teil der jüdischen Bevölkerung traf, nämlich ein Kontingent ausländischer Juden, das sich gemäß Burgers Versprechen auf 10 000 Personen beschränkte. Vielleicht noch wichtiger war, dass die Militärverwaltung sich gegenüber der AJB als eine Dienststelle ausgab, die keinerlei Verantwortung für die Deportation der Juden trage, gleichwohl jedoch bei der Sipo-SD ihren Einfluss zugunsten bestimmter Einzelpersonen oder Gruppen von Juden geltend machen könne. Dass der Kontakt zu Reeders Mitarbeitern einen Verhandlungsspielraum eröffnete, erschien um so plausibler, als das Judenreferat deren Einschaltung auszuschließen suchte und der AJB-Führung ausdrücklich verbot, wegen der Deportation bei der Militärverwaltung vorstellig zu werden 73 . Diese Konstellation setzte die Besatzer in den Stand, weiterhin in ihrem Sinne auf die AJB-Verwaltung einzuwirken, wie sich im Spätsommer 1942 zeigte. Anfang September stellte der AJB-Vorstand seine Tätigkeit grundsätzlich in Frage. Der Hintergrund war, dass die Deutschen entgegen der Zusage Burgers Großrazzien in Antwerpen und Brüssel durchgeführt hatten und ein mit dem „Arbeitseinsatzdienst“ beauftragter Mitarbeiter der AJB von der Résistance getötet worden war; zudem hatte die Sipo-SD erstmals auch AJB-Mitarbeiter verhaftet. In dieser Situation wandten sich Präsident Ullmann und der Leiter des Ortskomitees Antwerpen, Nico Workum, am 7. September 1942 an Reeders zuständigen Referenten Wilhelm von Hahn, um ihn zu fragen, ob die AJB noch eine Existenzberechtigung habe. Von Hahn stellte daraufhin ein Ende der Deportationen in Aussicht – dem achten Transport, der am folgenden Tag aus Malines nach Auschwitz abfuhr, sollten noch 19 weitere Deportationszüge folgen – und erklärte es für notwendig, dass die AJB erneut mit dem Judenreferat verhandele, das inzwischen ausschließlich für das „Judenproblem“ zuständig
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sei. Zugleich versicherte er, selbst jederzeit für dringende Interventionen bei der Sipo-SD zur Verfügung zu stehen 74 . Dieser Appell zur Fortsetzung der Arbeit erhielt dadurch Gewicht, dass von Hahns Aufgabenbereich den Auftrag einschloss, die Sipo-SD zur Freilassung einzelner Juden zu bewegen 75 , und dass seine Dienststelle ferner gegen die Festnahme bestimmter Personengruppen einschritt. Auf Drängen des AJBVorstands befahl die Militärverwaltung am 17. September 1942 nach Absprache mit dem BdS Ehlers, die Mitarbeiter der Zentralverwaltung von der Deportation auszunehmen – wobei von Hahn nicht versäumte, eine starke Einschränkung der Mitarbeiterzahl und die vermehrte Anstellung der zu diesem Zeitpunkt noch von der Deportation ausgenommenen Juden belgischer Staatsangehörigkeit zu verlangen 76 . Dass sich damit das Kontingent der potentiellen Opfer für die Todeszüge erhöhte, muss von Hahn bewusst gewesen sein. Zudem ist daran zu erinnern, dass Reeders Stellvertreter Ende September 1942 die Freilassung leitender AJB-Vertreter aus dem Lager Breendonk veranlasste. Außerdem führten die Proteste von Benedictus und Ullmann dazu, dass der Militärverwaltungschef am 30. September bei Ehlers gegen die Festnahme belgischer Juden und die Razzien an der Ausgabestelle für Lebensmittelmarken in Antwerpen einschritt. Ebenfalls Ende September 1942 wies Reeder die ihm unterstellten Kommandanturen an, gegen die Flucht von Juden in die Illegalität vorzugehen 77 . Die Militärverwaltung hatte schon seit Beginn der Deportationen das Anliegen verfolgt, einer solchen Reaktion der jüdischen Bevölkerung entgegenzuwirken 78 , und diesem Zweck sollten ihre Zugeständnisse gegenüber der AJB dienen. Anfang Oktober 1942 lud von Hahn zwei Vorstandsmitglieder der AJB vor und kündigte schärfste Verfolgungsmaßnahmen gegen belgische Juden an, die sich ohne Kennzeichen in der Öffentlichkeit bewegten; ab dem 15. Oktober müssten auch belgische Staatsangehörige im Übertretungsfalle mit ihrer Deportation in den Osten rechnen. Die belgischen Juden hätten stets ihre richtigen Ausweispapiere mit sich führen und der „Gelbe Stern“, so fügte er hinzu, „schütze seinen Träger“. Als die Vertreter der AJB zur Antwort auf ihre im Lager Malines internierten belgischen Mitarbeiter aus Antwerpen verwiesen, versprach von Hahn, mit Asche über einen besseren Schutz der AJB-Angestellten und ihrer Familien zu sprechen. Der AJB-Vorstand ließ in Synagogen und sonstigen Anlaufstellen der jüdischen Bevölkerung Plakate aushängen, um die Warnung des Militärverwaltungschefs vor dem Schritt in die Illegalität bekanntzugeben 79 . Die Taktik der Militärverwaltung wurde indes von Asche durchkreuzt, der den Vertretern der AJB schon im Monat darauf ankündigte, dass ab dem Frühjahr 1943 auch sämtliche belgischen Juden deportiert würden80 . Verwaltungschef Benedictus kam nicht zuletzt aufgrund dieser Mitteilung zu dem Schluss,
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dass die Arbeit der AJB keinen Nutzen mehr erfüllen könne, und floh aus Belgien. Als von Falkenhausen im Juli 1943 in die Deportation der belgischen Juden einwilligte, gab er seiner Befürchtung Ausdruck, dass diese einen weiteren Teil der jüdischen Bevölkerung in den Untergrund treiben würde. Er sah als Folge ein Anwachsen der belgischen Widerstandsbewegung voraus und benannte damit eine der allgemeinen besatzungspolitischen Optionen, die die Militärverwaltung zu Zugeständnissen gegenüber der AJB bewog: „General von Falkenhausen war der Ansicht, dass zuerst die illegal in Belgien lebenden Juden erfasst werden sollten, da bei Bekanntwerden des Vorhabens von Festnahmen belgischer Juden auch diese illegal würden und damit das Heer der Illegalen und auch der terroristischen Truppen verstärkt würde“ 81 .
Um einer nach wie vor vorausgesehenen politischen Krise in der Zusammenarbeit mit den belgischen Behörden begegnen zu können, behielt der Militärbefehlshaber sich ein Interventionsrecht für diejenigen Juden vor, „die aus irgendwelchen Gründen von der Militärverwaltung als zur Evakuierung ungeeignet bezeichnet würden“. Es sollte sich dabei in der Folgezeit nicht zufällig vor allem um Kinder und alte Juden handeln, für deren Freilassung die Generalsekretäre und das Königshaus schon mehrfach bei den Besatzungsbehörden interveniert hatten 82 . Aufgrund der Einflussnahme von Königin Elisabeth musste die Sipo-SD bereits Anfang November 1942 insgesamt 58 Kinder aus Malines freilassen, die Erich Holm in einem Kinderheim der AJB in Wezembeek verhaftet hatte – zumeist „allein stehende“ Kinder, die durch die Deportation ihrer Eltern zu Waisen geworden waren. Das bedeutete nicht, dass die Deutschen daraufhin von der Internierung und Deportation von Kindern Abstand genommen hätten. Vielmehr trugen Erdmann und Asche der AJB Anfang Januar 1943 auf, künftig täglich um 17 Uhr bei der Sipo-SD telefonisch anzufragen, ob im Keller der Brüsseler Gestapo verhaftete jüdische Kinder festgehalten wurden, um sie mit „Milch und Zwieback“ (!) zu versorgen 83 . Anfang Mai lehnte die Lagerleitung Malines das Ersuchen der AJB ab, einen gerade zur Welt gekommenen Säugling in eine Anstalt überführen zu lassen 84 . Und in den ersten drei Transporten des Jahres 1943, die am 15. Januar und am 19. April aus Malines abfuhren, befanden sich mehr als 500 Kinder. Zwei Tage nach Falkenhausens Einwilligung in die Deportation der belgischen Juden konnte Louis Rosenfeld dem AJB-Vorstand berichten, dass die Sipo-SD die Errichtung neuer Heime befürworte85. Die AJB gründete mehrere neue Einrichtungen zur Aufnahme von minderjährigen und alten Juden 86 . Diese wurden keineswegs von der Deportation ausgenommen, vielmehr waren immer neue Demarchen erforderlich, um dem Judenreferat tatsächlich die
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Freigabe von Kindern oder Alten zur Überführung in ein Heim abzuringen. Die Erfolge, die die AJB dabei verbuchte, gaben Anlass zu der Hoffnung, auf dem legalen Weg weiterhin einige Juden vor der Deportation bewahren zu können. Dagegen war die Militärverwaltung bei der Förderung der Heime der AJB – neben ihrer vorrangigen Sorge um die Begrenzung der politischen Folgewirkungen im Verhältnis zu den belgischen Behörden – wiederum darauf bedacht, Juden den Weg in den Untergrund zu versperren. Um beispielsweise dem Verstecken von Kindern vorzubeugen, hatten die Leiter der Gruppen Kultur und Fürsorge, Löffler und Duntze, das belgische Innenministerium bereits Mitte September 1942 angewiesen, für den Ausschluss von jüdischen Minderjährigen aus Erholungsheimen der freien und öffentlichen Wohlfahrtspflege zu sorgen 87 . Außerdem fahndete die Militärverwaltung offenbar nach jüdischen Kindern, die in nichtjüdischen Einrichtungen versteckt waren. Zur Kontrolle der Kinder in den AJB-Heimen ließ sie sich laufend aktuelle Namenslisten vorlegen 88 . Im Falle der Kinder konnte es nicht um den vom Militärbefehlshaber befürchteten Zulauf zur Résistance gehen, sondern hier handelte es sich ausschließlich um den Zweck, den deutschen Zugriff auf Juden zu sichern, die vorerst von der „Endlösung“ ausgenommen wurden, um sie jederzeit deportieren zu können. Aus politischen Erwägungen intervenierte die Militärverwaltung bei der Sipo-SD für bestimmte Gruppen von Juden und bot sich damit der AJB als Vermittlerin an, um zugleich dem Untertauchen der Juden entgegenzuwirken. Diese Strategie erwies sich als tödliche Falle, als die Sipo-SD in der Nacht vom 3. auf den 4. September 1943 zum Schlag gegen die belgischen Staatsangehörigen ausholte. Wie Maxime Steinberg gezeigt hat, konnten die Deutschen in Brüssel in nur einer Nacht 750 Juden verhaften, weil diese der Zusage vertrauten, als Belgier bei strikter Beachtung der Bestimmungen vor der Deportation geschützt zu sein. Deswegen hatten sie die Verordnung des Militärbefehlshabers von Anfang Juni 1942 befolgt und ihre registrierte Wohnung am Abend nicht verlassen 89 . Ein Jahr später, als der deutsche Rückzug bevorstand, kam Anton Burger erneut nach Belgien, um die Juden aus den Heimen und Krankenhäusern sowie das Personal der AJB-Verwaltung zu deportieren. Unmittelbar vor der geplanten letzten Razzia konnten die Verantwortlichen der AJB und der Widerstandsorganisation Comité de défense des Juifs die Kinder aus den Heimen in Sicherheit bringen. * * *
Zur Rolle der Militärverwaltung
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Die Besatzer verfügten über ein wichtiges Machtmittel gegenüber der AJB. Sie konnten damit drohen, die Judenverfolgung weiter zu radikalisieren, sofern der AJB-Vorstand sich weigerte, die ihm abverlangten Aufgaben zu erfüllen. Es ist jedoch sehr fraglich, ob diese Drohung allein dazu ausgereicht hätte, die Kooperation der Zwangsvereinigung mit dem Repressionsapparat zwischen 1942 und 1944 zu gewährleisten. Dies gilt um so mehr, als die AJB-Verwaltung sich nicht als passives Ausführungsorgan der Deutschen, sondern als aktive Interessenvertretung der Juden verstand. Sie richtete unablässig Demarchen an die jeweils zuständigen Besatzungsorgane, während sich die Verfolgung Zug um Zug verschärfte und auch die Stellung der Institution AJB immer prekärer wurde. Diese im ständigen Wettlauf mit der Zeit verfolgten Bemühungen setzten – neben dem persönlichen Engagement und der oftmals demütigenden Konfrontation mit den Vertretern des NS-Regimes – eine gewisse Gesprächsbereitschaft der Verfolger voraus. Außerdem hätten sie sich erübrigt, wenn keinerlei positive Ergebnisse zu verzeichnen gewesen wären. Es kam daher darauf an, welche Haltung die verschiedenen Repräsentanten der Besatzungsmacht gegenüber der AJB an den Tag legten. Zweifellos reagierten sie sehr unterschiedlich auf die Demarchen. Das für den Raub der Wohnungseinrichtungen der Juden zuständige Büro des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete beispielsweise hielt es in der Regel nicht für nötig, Anfragen der Zwangsvereinigung überhaupt zu beantworten 90 . Die Reaktionen des Brüsseler Judenreferats der Sipo-SD waren unberechenbar und üblicherweise negativ; sofern Kurt Asche und seine Nachfolger den Anträgen der AJB stattgaben, geschah dies häufig nur aufgrund von Interventionen der Militärverwaltung. Reeders Verwaltungsstab dürfte in der Tat die einzige Institution gewesen sein, die gezielt auf die Einbindung der AJB und gelegentliche Konzessionen setzte. Die Einflussnahme des Militärverwaltungschefs auf die Umsetzung der im Reichssicherheitshauptamt festgelegten Deportationsprogramme galt dem Judenreferat der Sipo-SD als hinderlich. Daher untersagte es der AJB schon im Vorfeld, bei Reeders Mitarbeitern vorstellig zu werden. Tatsächlich beschränkten sich die Vertreter des OKH darauf, das Vorgehen des BdS an die politische Situation im besetzten Belgien anzupassen und so zu modifizieren, dass die vorrangigen Ziele der Besatzungsmacht – die wirtschaftliche Ausbeutung und die Aufrechterhaltung der militärischen Sicherheit – nicht gefährdet wurden. Ihre Interventionen sollten Protesten nicht-jüdischer belgischer Persönlichkeiten zuvorkommen, die AJB funktionstüchtig erhalten und dem Untertauchen der Juden entgegenwirken. Nachdem die Militärverwaltung seit Herbst 1940 mit antijüdischen Verordnungen sukzessive die Entrechtung und Enteignung der jüdischen Bevölkerung durchgesetzt hatte, schaltete sie sich ab dem Frühsommer 1942 in die
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vom Reichssicherheitshauptamt unter ihrer Oberhoheit durchgeführte Deportation der Juden ein, um negative Rückwirkungen auf ihre Besatzungspolitik zu verhindern. Aufgrund dessen war die AJB nicht ausschließlich dem Diktat der Sipo-SD unterworfen. Vielmehr sah sie sich verschiedenen Machthabern und einem diffusen Feld von Drohungen, Zugeständnissen und Versprechen gegenüber. Es war vor allem die Taktik der Militärverwaltung, die bei den jüdischen Verantwortlichen die Hoffnung nähren konnte, im Kontakt mit dem Verfolgungsapparat über Verhandlungsspielräume zu verfügen.
3. Wie wurden die Juden in Belgien verhaftet? Tausende von Einzelaktionen Zwischen August 1942 und Juli 1944 deportierten die deutschen Besatzungsbehörden 24 906 Juden aus Belgien und Nordfrankreich über Malines nach Auschwitz. Lediglich 1207 von ihnen überlebten das Kriegsende 1. Die zentrale Frage, wie die deportierten Juden in die Gewalt der deutschen Sicherheitspolizei und in das Durchgangslager Malines gerieten, ist bis heute nicht zureichend geklärt. Wer verhaftete Frauen, Männer und Kinder? Wie versuchten die Juden sich vor der Festnahme zu schützen? In welchem Wechselverhältnis standen die Verweigerungs-, Flucht- und Überlebensstrategien der jüdischen Bevölkerung zu der Technik der Verhaftungen? Unser Bild von der „Endlösung“ in Belgien verdanken wir der wegweisenden Analyse des belgischen Historikers Maxime Steinberg. Was die Festnahme der deportierten Juden betrifft, konzentriert Steinberg sich in allen seinen Arbeiten auf die von ihm so bezeichneten „cent jours de la déportation“. Damit ist das dramatische Vierteljahr zwischen August und Oktober 1942 gemeint, in der die Deutschen etwa zwei Drittel der Opfer nach Auschwitz brachten. Steinberg wertet die „cent jours“ auch deshalb als die entscheidende Phase des Judenmords in Belgien, weil dies die Zeit der großen Festnahmeaktionen war, bei denen die Besatzer auf die Mitwirkung der vom deutschen Militärbefehlshaber eingesetzten Zwangsvereinigung der Juden bzw. der belgischen Behörden in Antwerpen zurückgreifen konnten. Bereits gegen Ende des Sommers 1942 verloren die Militärverwaltung und die Sicherheitspolizei Steinberg zufolge die Kontrolle über das Geschehen, weil die immigrierte jüdische Bevölkerung untertauchte. Die „cent jours de la déportation“ wurden durch die Zeit des jüdischen Widerstands abgelöst. Daher konnten die Deutschen in den folgenden zwei Jahren keine Massenfestnahmen mehr realisieren und nicht einmal halb so viele Juden in ihre Gewalt bringen wie in den drei Monaten zwischen August und Oktober 1942. Die Bedeutung von Steinbergs Interpretation für das Verständnis der Geschichte des Judenmords und des jüdischen Widerstands gegen die deutsche „Endlösung“ in Belgien ist kaum zu überschätzen. Gleichwohl relativiert eine kritische Überprüfung der Zahlen die Dimension der großen, im ersten Kapitel dieses Buches beschriebenen Festnahmeaktionen des Jahres 1942 2 . Um der Masse der jüdischen Bevölkerung habhaft zu werden, wandten die deutschen
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Machthaber drei Techniken an: (1) sogenannte „Arbeitseinsatzbefehle“, die die namentlich eingetragenen Adressaten dazu verpflichteten, zum Abtransport nach Deutschland im Durchgangslager Malines zu erscheinen; (2) Großrazzien und (3) Rückgriff auf jüdische Zwangsarbeiter aus Belgien, die die Militärverwaltung seit dem Frühjahr 1942 in nordfranzösischen Lagern der Organisation Todt interniert hatte, um sie auf den Baustellen des Atlantikwalls einzusetzen. Den Vorladungen zum „Arbeitseinsatz“, die die Sicherheitspolizei zwischen Juli und September 1942 mit Hilfe der AJB an mindestens 12 000 Juden aushändigen ließ, folgten maximal 4023 Personen3 . Bei den im August und September 1942 durchgeführten Großrazzien in den Metropolen Antwerpen und Brüssel, wo mehr als 90 Prozent der in Belgien registrierten Juden lebten, wurden 3954 jüdische Frauen, Männer und Kinder verhaftet und in das Lager Malines gebracht 4 . Ende Oktober 1942 ließ der Militärbefehlshaber bis zu 1592 Juden in mehreren großen Gruppen aus den nordfranzösischen Arbeitslagern über Belgien nach Auschwitz deportieren 5 . Bei vier weiteren Polizeioperationen, die die Besatzungsbehörden im August und September 1942 in Lüttich und Nordfrankreich durchführten, nahmen sie 689 Juden fest 6 . Damit fielen den großen Verhaftungswellen des Jahres 1942 insgesamt maximal 10 258 Juden zum Opfer. Zugleich müssen die Deutschen jedoch schon in der Zeit der „cent jours“ mindestens 6366 jüdische Frauen, Kinder und Männer einzeln oder in kleinen Gruppen in ihre Gewalt gebracht haben. Anders ausgedrückt: Mehr als 38 Prozent derjenigen Juden, die die Besatzungsmacht zwischen August und Oktober 1942 nach Auschwitz deportierte, gerieten nicht infolge von Vorladungen oder Razzien in das Lager Malines. In der Folgezeit kam es nur noch einmal zur Ergreifung einer großen Gruppe, als die Sicherheitspolizei im September 1943 auf 794 belgische Staatsangehörige zurückgriff, die zunächst von der Deportation ausgenommen worden waren, um den Transport XXII B zu füllen. Die großen Festnahmeaktionen brachten demnach 11 052 von 24 906 Juden in die Todeszüge. Umgekehrt betrachtet wurden mehr als die Hälfte der aus Belgien deportierten Juden einzeln oder in kleinen Gruppen verhaftet. Dieser Befund verweist im westeuropäischen Vergleich auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Belgien einerseits und Frankreich und den Niederlanden andererseits, da in den beiden Nachbarländern größere Festnahmeaktionen die Regel waren 7 . Er wirft eine Reihe von Fragen auf. Eine davon lautet, welche Dienststellen und Akteure an der Verhaftung der Juden beteiligt waren und welchen Stellenwert die Zusammenarbeit deutscher und belgischer Behörden bei der Deportation der Juden hatte.
Stellenwert der deutsch-belgischen Behördenkooperation
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Stellenwert der deutsch-belgischen Behördenkooperation Meiner Ansicht nach kam der Mitwirkung der belgischen Administration weniger Gewicht zu, als die vorliegende Forschung nahelegt. Maxime Steinberg und auch der flämische Historiker Lieven Saerens, der die Geschichte und Verfolgung der Juden in Antwerpen aufgearbeitet hat, führen die Tatsache, dass der „Endlösung der Judenfrage“ ein – im Vergleich zu Brüssel – hoher Anteil der in Antwerpen registrierten Juden zum Opfer fiel, vorrangig auf die Antwerpener Verwaltung und Polizei zurück 8 . Steinberg zieht den Vergleich mit der Kollaboration der französischen Vichy-Regierung. Er wertet die Großrazzien, an denen die Antwerpener Polizei im August 1942 mitwirkte, wie erwähnt als Pendant zur größten Razzia in Frankreich (rafle du Vélodrome d’Hiver), bei der die Pariser Polizei am 16./17. Juli 1942 fast 13 000 Juden verhaftete 9. Der relative Umfang der Razzien unterschied sich jedoch beträchtlich: Während die große Razzia in Paris annähernd 17 Prozent aller aus Frankreich deportierten Juden in die Gewalt der Deutschen brachte, stellten die bei den Antwerpener AugustRazzien 1788 Verhafteten weniger als 8 Prozent der aus Belgien deportierten Juden. Eine weitere und letzte Großaktion, an der reguläre belgische Polizeikräfte – allerdings offenbar nur am Rande – beteiligt waren, brachte Mitte September 745 Juden aus Antwerpen in das Durchgangslager Malines 10 . Im Rahmen der Razzien, die die Deutschen in Belgien mit Unterstützung der belgischen Polizei durchführten, wurden also insgesamt 2533 Juden und damit weniger als 11 Prozent der Opfer des Judenmords in Belgien verhaftet. Selbst wenn man berücksichtigt, dass belgische Verwaltungs- und Polizeidienststellen insbesondere in Antwerpen bei der Deportation jüdischer Zwangsarbeiter nach Nordfrankreich mitwirkten – wobei es sich allerdings nicht um Verhaftungen handelte – und dass die deutsche Militärverwaltung insgesamt bis zu 1685 dieser Zwangsarbeiter über Malines nach Auschwitz deportieren ließ 11 , ist offensichtlich, dass die Kooperation der belgischen Verwaltungs- und Polizeidienststellen bei den großen Verhaftungswellen nicht der entscheidende Faktor für die Deportation der Juden aus Belgien war. Ein Blick nach Frankreich relativiert die Bedeutung der Zusammenarbeit deutscher und belgischer Behörden. Der Vergleich der beiden westeuropäischen Länder zeigt vor allem, wie beschränkt die Rolle belgischer Dienststellen war, oder, anders ausgedrückt, an welchen Verfolgungsmaßnahmen belgische Verwaltungs- und Polizeiorgane sich nicht beteiligten. Um einige zentrale Punkte anzuführen: • Während sich die Sicherheitspolizei bei der Verhaftung der Juden in Frankreich auf ein zentrales Kollaborationsprojekt mit dem französischen VichyRegime stützen konnte, stand ihr die belgische Polizei nur im Raum Antwerpen und lediglich bis zum Herbst 1942 für die Festnahme von Juden zur Verfügung.
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• Im Gegensatz zu den maßgeblichen Vertretern der Vichy-Regierung, die sich im Juli 1942 zunächst zur Verhaftung der ausländischen Juden bereit erklärten und der Sicherheitspolizei kurz darauf vorschlugen, auch Kinder zu deportieren, was die Vorgaben des RSHA seinerzeit noch ausschlossen, unterbreitete kein hoher Repräsentant des belgischen Staatsapparats den Deutschen Vorschläge zur Auswahl der Opfer. Auch untergeordnete belgische Dienststellen hatten hierauf keinen Einfluss. • Während die Vichy-Behörden – über das in der Südzone betriebene Lagersystem hinaus – die Internierungslager Beaune-la-Rolande und Pithiviers und das Durchgangslager Drancy verwalteten und bewachten, unterstand das von der Besatzungsmacht in Belgien errichtete Konzentrationslager Breendonk dem Militärverwaltungschef und das zur Deportation der Juden nach Auschwitz errichtete Durchgangslager Malines dem Beauftragten der Sicherheitspolizei und des SD; beide Lager wurden von der Sicherheitspolizei geführt 12 . Der wichtigste Unterschied betrifft die Verhaftungen selbst. In Frankreich erfolgte die „Verhaftung der großen Mehrheit der deportierten Juden durch reguläre französische Polizei“ 13 . Dass die Vorbereitung des Judenmords und die Beteiligung einheimischer Polizeikräfte in Belgien ganz anders verlief als in Frankreich, zeigt nicht nur der im Verhältnis zur Gesamtzahl der Opfer geringe Anteil derjenigen Juden, die bei den Razzien in Antwerpen festgenommen wurden. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass die Mitwirkung regulärer belgischer Polizeikräfte auch bei den Einzelfestnahmen, die wie gesagt die Mehrheit der Deportierten in die Hände der Sicherheitspolizei brachten, marginal blieb. In Brüssel bildete die generelle Weigerung der Kommunalpolizei, nach belgischem Recht illegale Verhaftungen auszuführen, eine Bastion gegen die Festnahme von Frauen, Männern und Kindern, die keiner strafbaren Handlung bezichtigt wurden und die die Deutschen ausschließlich deswegen ins Visier nahmen, weil sie als Juden galten. Wie weiter oben dargelegt, scheiterte der Versuch der Besatzungsmacht, die Brüsseler Polizei im Juli 1942 zur Verhaftung einer größeren Gruppe von Juden zu bewegen, die die Militärverwaltung in die Lager der Organisation Todt nach Nordfrankreich deportieren wollte, und zwei Monate später lehnte Bürgermeister Coelst als Chef der kommunalen Polizei eine Mitwirkung bei der Großrazzia gegen die ausländischen Juden ab, die die Deutschen Anfang September 1942 in Brüssel durchführten, um die Deportationszüge nach Auschwitz zu füllen. Folgt man den überlieferten Archiven der Brüsseler Polizei, so war diese in die Verhaftung einzelner Juden nur ausnahmsweise involviert 14 . Was Antwerpen betrifft, so hat der Historiker Lieven Saerens an die 20 Fälle ausfindig gemacht, in denen Antwerpener Polizeikräfte einzelne Juden im Auftrag der Besatzungsmacht verhafteten bzw. bewachten 15 . Dass in den einschlä-
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gigen Akten nicht mehr Hinweise zu finden sind, schließt zwar nicht aus, dass die Antwerpener Polizei im Sommer 1942 weitere Verhaftungen vornahm oder unterstützte, da eine generelle Verweigerung deutscher Festnahmeersuchen in Antwerpen erst im November 1942 erfolgte. Man wird allerdings angesichts der Aktenlage wohl davon ausgehen können, dass die reguläre belgische Polizei in der Zeit der „cent jours“ lediglich sporadisch einzelne Juden verhaftete und dass ihre Mitwirkung im Herbst 1942 endete. Die Exekutoren der Einzelverhaftungen dürften also kaum in der regulären belgischen Polizei zu suchen sein. Im Gegensatz zu Frankreich war die Zusammenarbeit von deutschen und einheimischen Behörden demnach nicht der ausschlaggebende Faktor für die Durchführung der sogenannten „Endlösung“ in Belgien. Da lediglich eine Minderheit der deportierten Juden von der belgischen Polizei festgenommen wurde, müssen die Hauptverantwortlichen anderswo gesucht werden.
Das Devisenschutzkommando Von wem und unter welchen Umständen der Großteil der Juden festgenommen wurde, ist bislang kaum erforscht. Der belgischen Literatur ist immerhin zu entnehmen, dass sich Kräfte aus dem antisemitischen, belgischen Kollaborationsmilieu an der Jagd auf die Juden beteiligten, dass es zu Denunziationen aus der nicht-jüdischen Bevölkerung kam und dass die Sicherheitspolizei spätestens ab Anfang 1943 einige Juden dazu bewegen konnte, untergetauchte Juden auf der Straße zu identifizieren. Ich möchte vorschlagen, die deutschen Repressionsorgane in den Blick zu nehmen, zumal für die Verhaftung und Lagerinternierung der Juden eine Reihe deutscher Dienststellen verantwortlich waren, deren Tätigkeit bislang zu wenig oder gar keine Beachtung gefunden hat. Neben den Angehörigen der Sicherheitspolizei und des SD sind die Feldgendarmerie, die Geheime Feldpolizei, das Devisenschutzkommando, die deutschen Grenzwachttruppen und Zolldienststellen an den Grenzen zu Holland und Frankreich, die Kommandanten der Haftanstalten sowie Gerichte der Feld- bzw. Oberfeldkommandanturen zu berücksichtigen. Dass all diese Organe bei der Einweisung von Juden in das Lager Malines Hand in Hand arbeiteten, bestätigen beispielhaft die überlieferten Akten des Devisenschutzkommandos Belgien. Obwohl die zuständigen Beamten auf vielfache Weise an der Verfolgung der Juden mitwirkten und die von ihnen angelegten Ermittlungsdossiers an ihrem Eifer und ihrer Rücksichtslosigkeit keinen Zweifel lassen, wurde die Geschichte des Devisenschutzkommandos (DSK) bisher kaum aufgearbeitet 16 . Während des Zweiten Weltkriegs im gesamten deutsch beherrschten Europa tätig, trafen bereits im Mai und Juni 1940 Devisenschutzkommandos in Belgien, Frankreich und in den Niederlanden ein. Ihr Auftrag bestand darin, nach De-
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visen, Gold und anderen Werten in Privatbesitz zu fahnden, die für die deutsche Kriegswirtschaft zwangsweise aufgekauft bzw. beschlagnahmt oder eingezogen wurden. Der Einsatz erfolgte auf Veranlassung des Beauftragten für den Vierjahresplan, doch die Zuständigkeits- und Unterstellungsverhältnisse waren kompliziert. Es handelte sich um Dienststellen der Reichsfinanzverwaltung 17 . Sie wurden mit Zollbeamten besetzt, und der Leiter der Zollfahndungsstelle Köln, die beim dortigen Oberfinanzpräsidenten angesiedelt war, kam im Mai 1940 mit den deutschen Truppen nach Brüssel, um die Leitung des DSK Belgien zu übernehmen. Denn die Devisenschutzkommandos setzten die Arbeit der Zollfahndungsstellen im Ausland fort. Seit Mitte der dreißiger Jahre vorrangig mit der Überwachung der fortlaufend verschärften Devisenbestimmungen befasst, richtete sich die Tätigkeit der Zollfahnder im Schwerpunkt gegen jüdische Flüchtlinge 18. Um die Abgabe der Reichsfluchtsteuer19 zu gewährleisten und die Mitnahme von Werten ins Ausland zu verhindern, sammelten sie Hinweise auf Juden, die eine Auswanderung planten, unternahmen Hausdurchsuchungen und sorgten für die Sperrung von Bankkonten. Ab 1938, als die Ausplünderung der jüdischen Emigranten einen Höhepunkt erreichte, öffneten sie auch Banksafes von Juden und kontrollierten das weitreichenden Beschränkungen unterworfene Umzugsgut jüdischer Auswanderer. Dabei kooperierten die den Oberfinanzpräsidenten unterstellten Zollfahnder mit den übrigen einschlägigen Dienststellen der Finanzverwaltung, des Wirtschaftsministeriums, der Gestapo und mit Görings Devisenfahndungsamt, das auch an der Errichtung der Devisenschutzkommandos beteiligt war 20 . Göring unmittelbar unterstellt, firmierte das von Reinhard Heydrich gegründete Devisenfahndungsamt unter der Adresse der NS-Terrorzentrale in der Prinz-Albrecht-Str. 8, und der spätere Gestapochef Heinrich Müller trat als stellvertretender Leiter auf. Es wurde von einer kleinen Gruppe von Beamten getragen, die der Reichsfinanzminister (RFM) abordnete. Als eine Art Aufsichts- und Koordinierungsbehörde besaß das Devisenfahndungsamt eine sachliche Weisungsbefugnis gegenüber den mit der Verfolgung von Devisenvergehen befassten Organen, wenngleich Anordnungen allgemeiner Natur vom Einverständnis des RFM abhingen. Dies galt auch für diejenigen Zollfahndungsstellen und Devisenschutzkommandos, die ab 1938 in den vom Reich annektierten oder besetzten Gebieten gegründet wurden, wobei die Federführung teils beim Devisenfahndungsamt, teils beim RFM lag. Es herrschte also eine gewisse Konkurrenz zwischen der Reichsfinanzverwaltung und dem Göring und Heydrich unterstellten Amt. Inhaltliche Differenzen sind dagegen nicht überliefert. Vielmehr kam es zu jener Koexistenz von sachlicher Übereinstimmung und Kompetenzstreitigkeiten, die für die Umsetzung der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik so typisch war 21 .
Das Devisenschutzkommando
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Die Errichtung von Devisenschutzkommandos in Frankreich, Belgien und in den Niederlanden wurde dem Zollbeamten Herbert Staffeldt übertragen, der seit 1936 unter Heydrich und Müller als zentrale Figur des Devisenfahndungsamts fungierte. Zum „Leiter des Devisenschutzes in den besetzten Gebieten“ des Westens ernannt, soll Regierungsrat und SS-Hauptsturmführer Staffeldt über sehr gute persönliche Beziehungen zu Göring verfügt haben22 . Im April oder Mai 1940, also in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Besetzung Westeuropas, zogen er und seine Mitarbeiter aus der Prinz-Albrecht-Straße aus. Im Frühjahr 1941 wurde die Sonderbehörde auf Betreiben Heydrichs aufgelöst, während Göring in seiner Eigenschaft als Beauftragter für den Vierjahresplan sich zugleich ein Weisungsrecht gegenüber dem in die Reichsfinanzverwaltung zurückkehrenden Staffeldt vorbehielt, der weiterhin als „Leiter des Devisenschutzes“ in Westeuropa amtierte. Auch wenn Staffeldt ursprünglich dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD unterstellt war, gehörten die von ihm koordinierten Devisenschutzkommandos zumindest in Belgien nicht dem RSHA an 23 . Sofern die DSK-Beamten über ehrenamtliche SS-Ränge verfügten, führten sie im dienstlichen Schriftverkehr gleichwohl ihre Dienstgrade in der Zollverwaltung. Tatsächlich unterstand das DSK dem Militärbefehlshaber von Falkenhausen 24 . Die sachliche Weisungsbefugnis lag bei der Wirtschaftsabteilung der Militärverwaltung. Die Zollfahndungsbeamten waren in erster Linie dafür zuständig, Falkenhausens Devisenverordnung auszuführen, die eine Anmeldepflicht bzw. Zwangsverkäufe und Verfügungsverbote für Devisen, Gold, Edelmetalle usw. begründete 25. Sie fahndeten nach Verstößen gegen diese Verordnung sowie gegen zusätzliche, speziell antijüdische Bestimmungen und beteiligten sich in diesem Rahmen maßgeblich an der Ausplünderung der Juden. Es war wohlgemerkt das Verordnungsrecht des Militärbefehlshabers, auf das sich die Tätigkeit des DSK stützte. Lediglich in einem Ausnahmefall berief sich der Dienststellenleiter auf seine allgemeine Ermächtigung durch Göring, um über die vom Statthalter des Heeresoberkommandos erlassenen Rechtsvorschriften hinausgehen zu können26 . Zwar kam es zwischen dem DSK und Angehörigen der Militärverwaltung in Bezug auf die Verfolgung jüdischer Diamantenbesitzer zu taktischen Auseinandersetzungen über die effizienteste Methode des Diamantenraubs27 . Doch insgesamt belegen die überlieferten Akten ein effektives Zusammenwirken bei der Judenverfolgung. Ein führender Beamter der Wirtschaftsabteilung hob im Mai 1943 ausdrücklich seine gute Kooperation mit dem DSK hervor und würdigte deren Mitarbeiter als „geschulte Beamte einer anerkannt guten Reichsverwaltung“28 . In disziplinarischer Hinsicht schließlich gehörten die Mitarbeiter des DSK zum Wehrmachtgefolge, während der Oberfinanzpräsident in Köln lediglich für die personelle Betreuung zuständig war. Es kann also kein Zweifel daran
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bestehen, dass die Verantwortung für das Vorgehen des DSK beim Militärbefehlshaber lag, dem die Devisenfahnder sowohl sachlich als auch disziplinarisch unterstanden. Neben dem erforderlichen Fachwissen und der Ermittlungsroutine der Zollbeamten waren für die praktische Arbeit die auf den Militärverwaltungsstab zurückgehenden Verordnungen maßgeblich. Dagegen spielte die sachliche Weisungsbefugnis Görings faktisch kaum eine Rolle. Was die eigentümliche Stellung der DSK-Beamten betrifft, ist hinzuzufügen, dass sie schon 1940 mit Ausweisen der Geheimen Feldpolizei – dem Exekutivorgan der Wehrmachtabwehr – ausgestattet wurden. Vermutlich sollte ihren polizeilichen Befugnissen im besetzten Gebiet auf diese Weise Legitimation und Nachdruck verliehen werden: Die Beamten hatten Durchsuchungs-, Vernehmungs- und Festnahmekompetenzen und trugen Schusswaffen. Sie gehörten allerdings weder einer der in Belgien eingesetzten GFP-Gruppen an, noch führten sie ihren GFP-Rang im laufenden dienstlichen Schriftverkehr29 . Auch traten sie nicht in der Uniform der GFP auf. Stattdessen mussten sie ihre Zolluniform bei der Abordnung aus dem Reichsgebiet mit sich führen, doch arbeiteten sie üblicherweise in Zivil. Geheimdienstliche Methoden prägten ihre Arbeit gleich in mehrfacher Hinsicht. Die Zivilkleidung ermöglichte eine verdeckte Ermittlungstätigkeit. Darüber hinaus griffen die Zollfahnder – ebenso wie in Deutschland – in beträchtlichem Umfang auf den Einsatz von Informanten zurück. Der erste Leiter des DSK Belgien wurde im Juni 1942 zurück ins Reichsgebiet beordert. Sein Nachfolger war Oberzollinspektor Fritz Berckholz, der zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre beim DSK Luxemburg und Frankreich gearbeitet hatte 30. Als er das DSK Belgien spätestens im August 1943 wieder verließ, wurde sein Posten nicht wieder besetzt bzw. vom „Leiter des Devisenschutzes“ Staffeldt selbst wahrgenommen. Das Devisenschutzkommando Belgien mit Sitz in Brüssel errichtete Außendienststellen in Antwerpen, Gent, Namur, Charleroi, Lüttich und Luxemburg. Während die vier letztgenannten Stellen ab 1941 sukzessive aufgelöst wurden, arbeiteten die Nebenstellen Antwerpen und Gent bis zum Sommer 1944 weiter. Der relativ kleine Apparat des DSK (im April 1942 insgesamt 60 Mann) wurde bis Ende Juli 1942 auf 41 Mann reduziert. Der Großteil von ihnen saß in Brüssel, da den Außenstellen nur wenige Mitarbeiter zugeteilt wurden.
Mitwirkung der Zollfahnder bei der „Endlösung“ Die Zollbeamten beschränkten sich keineswegs auf das Aufspüren materieller Güter. Vielmehr gehörte das Devisenschutzkommando zu denjenigen deutschen Polizeieinheiten, die Juden in die Gewalt der Sicherheitspolizei und in die Deportationszüge brachten. Es ist seit langem bekannt, dass das DSK auf dem polizeilichen „Einsatzplan“ für die Brüsseler Großrazzia gegen die belgi-
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schen Staatsangehörigen am 3./4. September 1943 verzeichnet war 31 . In dieser Nacht stellten die Devisenfahnder, die zum Teil eigens für die Razzia aus den Außenstellen in Antwerpen und Gent nach Brüssel beordert worden waren, elf Festnahmetrupps, durchsuchten Dutzende von Wohnungen und übergaben die angetroffenen Juden der Gestapo 32. Dass das DSK überdies laufend einzelne Juden und Familien festnahm, an das Judenreferat auslieferte und damit ab August 1942 gezielt an der Deportation der Juden „nach dem Osten“ mitwirkte, ist dagegen bislang noch nicht untersucht worden. Die direkte Beihilfe des DSK zu der Deportation der Juden aus Belgien erstreckte sich auf den gesamten Zeitraum vom Sommer 1942 bis zum Sommer 1944. Im ersten Transport, der am 4. August 1942 aus Malines nach Auschwitz fuhr, befand sich der deutsche Kaufmann Erich Berwin, der auf seiner 1933 begonnenen Fluchtodyssee im Juli 1942, als er bereits über 52 Jahre alt war, aus Holland nach Belgien gelangte. Kurz darauf nahm ihn das DSK bei einer Razzia an der Brüsseler Börse fest. Nachdem ihm ein Verstoß gegen die Devisenbestimmungen nicht nachgewiesen werden konnte – Berwin trug bei seiner Festnahme gerade noch 33 holländische Gulden bei sich – lieferte das DSK ihn an die Sicherheitspolizei aus. Zu den Opfern des letzten Transports vom 31. Juli 1944 gehörte der 58jährige Niederländer Abraham Albert Da Costa Senior. Ein Beamter des DSK hatte ihn, wie er wörtlich in den Akten notierte, „am 12. 6. 44 dem SD in Brüssel zwecks Zuführung zum Arbeitseinsatz überstellt“ 33 . Es handelte sich nicht um Einzelfälle, sondern um die systematische Mitwirkung bei der Deportation der Juden. Dies belegt die Niederschrift einer Besprechung, die der seit wenigen Wochen mit der Leitung des DSK Belgien betraute Oberzollinspektor Berckholz Mitte August 1942 mit Vertretern der Wirtschaftsabteilung führte. Gegenstand der Unterredung waren die von der Sicherheitspolizei durchgeführten „Maßnahmen gegen Juden zum Zwecke ihres Arbeitseinsatzes“. Berckholz und die Militärverwaltungsbeamten verständigten sich darauf, wie die Ausplünderung der vom DSK verhafteten Juden bürokratisch organisiert werden sollte. Dabei hielten sie fest, dass für jeden eines Devisenvergehens beschuldigten Juden, sofern er zwischen 14 und 45 Jahren alt und nicht aufgrund seiner Staatsangehörigkeit vor der Deportation geschützt war, folgende Dienstanweisung gelten solle: „Die sichergestellten Devisenwerte sowie Bargeld werden ihm abgenommen. Er wird vorläufig festgenommen und in das Wehrmachtgefängnis eingeliefert. Gleichzeitig wird er dem SD zum Zwecke des Arbeitseinsatzes überstellt. Der SD veranlasst das Erforderliche.“ 34
Dass die genannte Altersgrenze überschritten werden konnte, wurde bereits in diesem Schriftsatz vermerkt, und das DSK übergab der Sicherheitspolizei auch Kinder unter 14 Jahren. Außerdem hing die Auslieferung zur Deportation
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nicht davon ab, ob das DSK bei den aufgespürten Juden Devisen oder andere Werte fand. Vielmehr war die Judenverfolgung für die Zollbeamten des DSK ein eigenständiges Ziel und viele der Verfolgten verfügten über kaum mehr als das, was sie auf dem Leib trugen. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Allerdings, und dies ist bezeichnend für die Machtverhältnisse im besetzten Belgien, achtete das DSK bei der Auslieferung von Juden an die Sipo-SD darauf, die Autorität, d. h. eventuelle Vorbehalte des Militärbefehlshabers zu respektieren. Ende November 1942 wies der Leiter einer Fahndungsgruppe des DSK Brüssel, Zollinspektor Hellvoigt, zwei Zollsekretäre an, in einem Ermittlungsfall besonders korrekt vorzugehen, da die betreffende Frau möglicherweise über Empfehlungsschreiben höherer Dienststellen der Militärverwaltung verfüge 35. Es handelte sich um die schwerkranke Alice von Wassermann, Witwe des bekannten deutsch-jüdischen Arztes August von Wassermann, die zusammen mit ihrem Sohn Robert und dessen nichtjüdischer Ehefrau in Brüssel lebte. Sie zeigte den bei ihr erschienenen Zollsekretären verschiedene Bescheinigungen der Militärverwaltung vor und verwies auf ihre guten Beziehungen zum Militärbefehlshaber. Daraufhin sah das DSK von einer Durchsuchung ihrer Wohnung ab, und Berckholz trug die Angelegenheit seiner vorgesetzten Stelle in Reeders Wirtschaftsabteilung vor. Erst nachdem Reeders Stellvertreter Harry von Craushaar mitgeteilt hatte, dass der Militärbefehlshaber Alice von Wassermann nicht kenne, die vorgezeigten Passierscheine gefälscht seien und das gegen sie eingeleitete Devisenermittlungsverfahren ebenso wie jedes andere Verfahren durchgeführt werden müsse, schritt das DSK zur Durchsuchung. Der Fund falscher Ausweispapiere begründete die Auslieferung von Mutter und Sohn an die Sipo-SD. Das RSHA verfügte die Deportation der 68jährigen Witwe und ihres Sohnes. Am 16. April 1943 wurden ihre Namen im Lager Malines auf die Liste für den XX. Transport gesetzt. Robert von Wassermann gehörte zu den mehr als 230 Juden, denen die Flucht aus dem Zug gelang, der am 19. April 1943 von einer kleinen Widerstandsgruppe noch in Belgien zum Halten gezwungen wurde 36. Seine Mutter wurde nach Auschwitz deportiert und kehrte nicht zurück.
Reaktionen und Selbstverteidigung der Juden Weist schon unser Wissen über die deutschen Verantwortlichen und ihre Helfershelfer auch 60 Jahre nach Kriegsende noch beträchtliche Lücken auf, so gilt dies um so mehr für unsere Kenntnis der Reaktionen der verfolgten jüdischen Bevölkerung. Angesichts der Tatsache, dass der größte Teil der aus Belgien deportierten Juden nicht im Rahmen von Großrazzien und anderen Massenfestnahmeaktionen in das Lager Malines geriet, sondern vielmehr einzeln oder in kleinen Gruppen verhaftet wurde, kam den individuellen Verteidigungsstrategien der Juden eine zentrale Bedeutung zu. Maxime Steinberg zufolge konn-
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ten die Besatzer ab Herbst 1942 deswegen keine Massenfestnahmen mehr bewerkstelligen, weil die in Belgien lebenden Juden, die zu mehr als 90 Prozent Immigranten und Flüchtlinge waren, in den Untergrund gingen. Ob diese These zutrifft und welcher zeitliche und kausale Zusammenhang tatsächlich zwischen den Reaktionen der jüdischen Bevölkerung und den Einzelfestnahmen bestand, ist allerdings unzureichend geklärt, weil das individuelle Fluchtverhalten im Gegensatz zur organisierten Résistance bislang nicht näher untersucht worden ist. Während die Unterstützungsstrukturen des Comité de Défense des Juifs, die vor allem die Rettung jüdischer Kinder ermöglichten, in einer Reihe von Zeugnissen sowie in wissenschaftlichen und journalistischen Publikationen dargestellt worden sind, wissen wir noch wenig über die Möglichkeiten und Bedingungen, die die Masse der jüdischen Bevölkerung tatsächlich zur Flucht in die Klandestinität vorfand37 . Es war jene Grauzone, in der die Mehrheit der Juden leben musste, die weder den Arbeitseinsatzbefehlen Folge leisteten noch dem organisierten Widerstand angehörten, in der die Einzelverhaftungen stattfanden. Daher dokumentieren die betreffenden Primärquellen mitunter auch die von Juden entwickelten Flucht- und Überlebensstrategien. Der Bestand des Devisenschutzkommandos ist in dieser Hinsicht außergewöhnlich reichhaltig. Immer wieder kam es vor, dass die Besatzungsmacht jüdische Frauen, Männer oder Familien nicht in ihre Gewalt zu bringen vermochte, weil diese kurz vor oder während der Verhaftung entfliehen konnten. Manchmal befreiten Juden sich sogar noch nach ihrer Festnahme aus dem Gewahrsam deutscher Beamter. Als Zollinspektor Göthling vom DSK Brüssel am 23. Oktober 1942 zwei jüdische Ehepaare aus Gouda und Amersfoort auf ihrem Weg aus Holland in die Schweiz verhaftet hatte und in die örtliche Wehrmachthaftanstalt bringen wollte, gelang der 50jährigen Hausfrau Elisabeth Blazer und ihrem vier Jahre älteren Mann gegen 20.30 Uhr unmittelbar vor dem Gefängnis die Flucht 38 . Während ihr Ehemann dem Zollinspektor in der Dunkelheit entkam und das Kriegsende überlebte, wurde Elisabeth Blazer erneut ergriffen. Sie fuhr zusammen mit dem gleichzeitig vom DSK verhafteten Ehepaar Mirjam und Juda Weijl mit dem XVIII. Transport aus Malines in den Tod. Die Eheleute Weijl – sie war Schneiderin, er Bäcker von Beruf – zählten beide erst 22 Jahre. In zahlreichen anderen Fällen handelt es sich um detaillierte Aktenvorgänge über Juden und jüdische Familien, die den Deutschen in die Hände fielen, obwohl sie den Schritt in den Untergrund getan oder das Wagnis einer illegalen Emigration auf sich genommen und manchmal bereits mehrere Exilstationen hinter sich gebracht hatten. Die überlieferten Akten des DSK lassen darauf schließen, dass viele Deportierte bemüht gewesen waren, sich vor den deutschen Verfolgungsmaßnahmen zu schützen und in Sicherheit zu bringen, bevor
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sie verhaftet wurden. So gerieten Juden bei dem Versuch, sich falsche Papiere oder Devisen zu beschaffen, um in das unbesetzte Frankreich zu fliehen, an V-Leute, die für deutsche Polizeiorgane arbeiteten. Auch nahmen die Beamten Juden fest, die über falsche Papiere verfügten, kein Kennzeichen trugen oder sich nicht hatten registrieren lassen: Drei Tage nach Abfahrt des ersten Transports aus Malines durchsuchte Zollinspektor Hellvoigt vom DSK Brüssel die Wohnung des 44jährigen Zelman Rembalski. Die von einem V-Mann angezeigten Devisen, die der Schneider angeblich besitzen sollte, wurden nicht gefunden. Hellvoigt stellte jedoch fest, dass Rembalski kein Kennzeichen trug und einen falschen Ausweis hatte. Der Zollbeamte sperrte den Mann umgehend in das Brüsseler Wehrmachtgefängnis ein und lieferte ihn zugleich an das Judenreferat der Sicherheitspolizei aus, wobei er ausdrücklich zur Deportation aufforderte: „Ich halte ihn zur Beschäftigung in einem Arbeitslager für geeignet.“ 39 Zelman Rembalski wurde mit dem XIII. Transport nach Auschwitz deportiert und kehrte nicht zurück. Andere Festnahmen erfolgten im Versteck. Daher sind in den Akten etwa die Rettungsversuche jüdischer Familien verzeichnet, die im Sommer 1942 aus Antwerpen in den Großraum Brüssel flohen und dort in Privatwohnungen Schutz suchten. Anfang September 1942 machte Zollsekretär Bertrand die dreiköpfige Familie Friedman ausfindig, die sich nach Erhalt eines Arbeitseinsatzbefehls in eine Pension außerhalb Brüssels geflüchtet hatte, und rief telefonisch die Sicherheitspolizei zur Festnahme herbei. Mehreren anderen Juden, die sich in derselben Pension aufhielten, gelang – unter Zurücklassung ihres umgehend beschlagnahmten Gepäcks – noch die Flucht, als der Beamte schon in das Gebäude eingedrungen war und den Familienvater verhörte 40. Dagegen geriet Mitte November 1942 eine ganze Gruppe von zehn Erwachsenen und zwei Kindern, die vermutlich seit etwa Mitte September in einem Haus in der Brüsseler Agglomeration untergetaucht waren, dem DSK in die Hände. Während Devisen, wie so oft, nicht gefunden wurden, ließ Bertrand alle Juden von der Sicherheitspolizei abholen41 . Unter ihnen befand sich der 46jährige Schneider Szlama Magier und seine 23jährige Tochter Margarethe mit ihrem sieben Jahre älteren Mann, dem Handelsvertreter Hans Fritz, und ihrer vierjährigen Tochter Monika. Margarethe und Hans Fritz waren beide in Wien geboren und von dort geflohen. Die Tochter kam 1938 in Brüssel zur Welt. Die belgischen Behörden deportierten Hans Fritz im Mai 1940 zusammen mit fast zehntausend anderen ausländischen Juden in das südfranzösische Lager St. Cyprien, von wo er später nach Brüssel zurückkehren konnte. Nach der Festnahme im November 1942 durch das DSK schickte die Besatzungsmacht die Familie Fritz am 15. Januar 1943 mit dem XVIII. Transport nach Auschwitz. Die Eltern flohen mit ihrer Tochter zwischen Tirlemont und Lüttich aus dem Zug. Hans Fritz wurde erneut verhaftet. Am 19. April 1943 wurde er ein zweites Mal deportiert.
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Er befand sich in dem XX. Transport nach Auschwitz. Bei dem Massenausbruch aus diesem Konvoi gelang Hans Fritz wiederum die Flucht. Im gleichen Zug war sein Schwiegervater Szlama Magier, der mehrere Lager überlebte und nach dem Ende der NS-Herrschaft nach Belgien zurückkehrte. Seiner Tochter und ihrer Familie glückte es Ende 1943, mit falschen Papieren nach Frankreich zu entkommen, wo sie die Befreiung erlebten.
Verhaftung jüdischer Flüchtlinge Die Akten der deutschen Täter geben nicht zuletzt Aufschluss über Fluchten und Fluchtversuche der Juden ins Ausland, insbesondere im Sommer 1942 42 . Dies gilt vor allem für die illegale Ausreise nach Frankreich, aber auch für die illegale Einreise aus Holland. Belgien war die erste Station für unzählige Juden, die noch nach Beginn der Deportationen aus dem nördlichen Nachbarland in die französische Südzone zu entkommen suchten, um von da aus möglicherweise in die Schweiz oder via Spanien nach Übersee beziehungsweise Palästina zu gelangen 43 . Die Zahl derjenigen, die beim Überschreiten der Grenze in die Gewalt der Deutschen gerieten, dürfte jedenfalls im Sommer 1942 nicht gering gewesen sein. Am 15. Juli fuhr der erste Zug aus den Niederlanden nach Auschwitz. Einen Monat darauf meldete der deutsche Sicherheitsdienst aus Belgien nach Berlin: „Die in Holland durchgeführten Maßnahmen hatten einen lebhaften Zustrom von Juden im hiesigen Raum zur Folge […]. Durch eine verstärkte Bewachung der belgisch-holländischen Grenze sowie der Bahnhöfe Antwerpens wurden weit über 300 dieser illegalen Zuwanderer festgenommen, von denen ein großer Teil gefälschte Papiere und Ausweise mit sich führte.“ 44
Louis de Jong hat darauf hingewiesen, dass sich schon in dem ersten Transport, der Ende August 1942 aus der niederländischen Provinz Noord-Brabant in das Durchgangslager Westerbork fuhr, mehr als 80 Juden befanden, denen der Grenzübertritt nach Belgien misslungen war 45 . Selbst noch im Jahr 1943 entschlossen sich viele niederländische Juden zu dem schwierigen und riskanten Unterfangen, aus dem deutschen Herrschaftsbereich zu fliehen 46 . Bei der Jagd auf die jüdischen Flüchtlinge arbeiteten verschiedene deutsche Besatzungsorgane zusammen. Das niederländisch-belgische Grenzgebiet wurde seit Beginn der Besatzung von dem Grenzwachtregiment Clüver kontrolliert, das dem Befehl des Militärbefehlshabers von Falkenhausen unterstand47 . Zu seinen Aufgaben gehörte nicht nur die Kontrolle der Grenzgänger, sondern auch die Überwachung der grünen Grenze durch „bewegliche Sicherer“, also Wehrmachtangehörige, die die Grenzbezirke durchstreiften. Schon im ersten Besatzungsjahr hatte die Einheit mehr als 15 000 Personen bei dem Versuch festgenommen, die belgische Grenze illegal zu überschreiten. Spätestens ab
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Juli 1942 lieferte das Grenzwachtregiment Clüver jüdische Familien, Gruppen und einzelne Frauen oder Männer, die im Grenzgebiet gefasst wurden, regelmäßig an den Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in den Niederlanden aus. Dutzende dieser gescheiterten Fluchten von Juden aus Holland sind in den Akten der DSK-Außenstelle Antwerpen dokumentiert, da die Wehrmacht die Barmittel, die sie den verhafteten Juden als erstes abnahm, größtenteils an die Antwerpener Devisenfahnder übergab. Wie der Schriftverkehr zwischen den deutschen Dienststellen zeigt, war allen Beteiligten bekannt, dass die Juden vor der Deportation aus Holland flohen, und dass die an die Sicherheitspolizei ausgelieferten Flüchtlinge „dem Arbeitseinsatz zugeführt“ wurden48 . Am 1. August 1942 verhaftete das Grenzwachtregiment Clüver David Levi Frankenhuis 49 . Der niederländische Kaufmann stand kurz vor seinem 42. Geburtstag. Seine Festnahme erfolgte in einem kleinen Grenzort zwischen seinem Wohnort Breda und dem belgischen Antwerpen. Ob Frankenhuis über falsche Papiere verfügte, lässt sich nicht mehr feststellen, aber jedenfalls gab er sich den deutschen Militärs gegenüber nicht als David Levi, sondern als Dirk Lodewijk Frankenhuis aus. Trotzdem identifizierte die Wehrmacht ihn als Juden, wie Kompaniechef Söding in seinem Schreiben an das DSK Antwerpen vermerkte, und übergab ihn an die deutsche Sicherheitspolizei in Tilburg. Frankenhuis kam wahrscheinlich Ende Dezember 1942 im Auschwitz-Nebenlager Fürstengrube zu Tode. Neben dem Grenzwachtregiment Clüver fahndeten motorisierte Streifen der Feldgendarmerie im holländisch-belgischen Grenzgebiet nach fliehenden Juden und kontrollierten planmäßig Straßen und öffentliche Verkehrsmittel. Nichtsdestoweniger gelang es den Deutschen keineswegs, alle illegalen Grenzgänger aufzuspüren. Allerdings stellte die Grenze nur die erste Hürde dar. Immer wieder wurden jüdische Flüchtlinge, denen von Holland aus die Einreise nach Belgien geglückt war, in Brüssel oder Antwerpen verhaftet – manchmal von Beamten des Devisenschutzkommandos. Zu ihnen gehörten Rosa Samson und ihr erwachsener Sohn Rudolf 50 . Beide waren bereits aus Deutschland nach Holland geflohen, hatten sich in Utrecht mit der Herstellung von Spielzeug über Wasser gehalten und erfolglos versucht, in die USA zu gelangen. Am 17. August 1942 erhielten der 22jährige Rudolf Samson und seine 52jährige Mutter einen Deportationsbefehl. Daraufhin entfernten sie die Kennzeichen von ihren Kleidern, nahmen ihre Geldmittel zusammen und flohen am 18. August bis zur belgischen Grenze hinter Tilburg, die sie zu Fuß überschritten. Mit Bus und Straßenbahn gelangten sie nach Brüssel, wo ihnen ein Fluchthelfer, dessen Anschrift sie noch in Holland erhalten hatten, falsche Papiere und eine Hotelunterkunft besorgte. Mindestens einer ihrer Kontaktleute in Brüssel arbeitete jedoch mit den Deutschen zusam-
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men. Das Auto, das sie am nächsten Morgen nach Frankreich bringen sollte, fuhr direkt zum Büro des Devisenschutzkommandos. Sie wurden dem Zollsekretär Jaeschke vorgeführt, der Mutter und Sohn durchsuchte, ihr Geld, ihren Schmuck und ihre Briefmarken beschlagnahmte und sie zu den Umständen und der Route ihrer Flucht verhörte, bevor er sie im Brüsseler Wehrmachtgefängnis internierte. Eine Woche darauf lieferte er Rosa und Rudolf Samson dem Judenreferat des BdS aus, wobei er als Zweck ausdrücklich angab, dass „sie für den Arbeitseinsatz in Malines in Frage kommen“ 51 . Wie die Akten ferner ausweisen, erfolgte der Verrat der Samsons durch den V-Mann Nr. 193 des Devisenschutzkommandos, der 10 Prozent der beschlagnahmten Werte zur Belohnung erhielt, d. h. rund 41000 belgische Franken aus dem eingezogenen Besitz. Rosa und Rudolf Samson wurden am 10. Oktober 1942 mit dem XIII. Transport nach Auschwitz deportiert. Auch in Belgien lebende Juden, die sich vor der Deportation nach Osten in das unbesetzte Frankreich zu retten versuchten, fielen weit vor der französischen Grenze den Nachstellungen des deutschen Devisenschutzkommandos zum Opfer 52 . Ein Beispiel: Chana und Mojzek Witelsohn, 1924 als Zwillinge in Łódz´ geboren und von Beruf Verkäuferin bzw. Schneiderlehrling, und ihre noch ein Jahr jüngere Schwester Mirjam hatten am 28. Juli 1942 einen „Arbeitseinsatzbefehl“ erhalten. Sie lebten zusammen mit ihrer Mutter und zwei jüngeren Geschwistern in einer Brüsseler Vorstadt, der Vater war im Juni 1942 verstorben. Am Freitag, den 31. Juli, als sie sich im Lager Malines einfinden sollten, verließen sie zusammen mit der Familie Topor in zwei Autos Brüssel. Die in der belgischen Hauptstadt geborene Helene Topor war wie die Zwillinge Witelsohn 18 Jahre alt. Ihre Eltern Sura Topor-Felzensztajn und Moszek Topor stammten beide aus Osteuropa. Sie wollten über Namur in das unbesetzte Frankreich und von dort aus in die Schweiz fliehen. Nachdem ein V-Mann des DSK sie verraten hatte, errichteten die Zollsekretäre Bertrand und Blase hinter Brüssel eine Straßenkontrolle und nahmen beide Familien fest. Moszek Topor war der einzige von ihnen, der aus Auschwitz zurückkehrte. Für die Überwachung der Grenze zwischen Belgien und Frankreich zog die Besatzungsmacht französische und belgische Zollbeamte heran. Ab Herbst 1940 setzte sie deutsche Zollgrenzschutzbeamte ein, die die Tätigkeit der einheimischen Zöllner überwachten und eigene Personenkontrollen vornahmen, wenn der Verdacht bestand, dass es sich um Juden handeln könnte 53. Die deutschen Grenzschutzbeamten gehörten – ebenso wie ihre Kollegen beim DSK – der Reichsfinanzverwaltung an und wurden vom Reichsfinanzminister abgeordnet. Die ihnen vorgesetzte Zollgrenzschutz-Befehlsstelle Brüssel, die ab Mitte 1941 für die gesamte belgisch-französische Grenze zuständig war, unterstand dem Oberfinanzpräsidenten in Köln. Zugleich war der in den besetzten Westgebieten und an den Küsten von Dänemark bis Südfrankreich eingesetzte
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Zollgrenzschutz der Wehrmacht unterstellt. Das Oberkommando des Heeres bzw. die von ihm beauftragten Militärbefehlshaber in Belgien/Nordfrankreich und in Frankreich bestimmten nicht zuletzt darüber, welchen Beschränkungen der Personenverkehr unterworfen wurde und welche Papiere und Sichtvermerke beim Überschreiten der belgisch-französischen Grenze vorzuzeigen waren. Im Jahr 1942 unterhielt die Befehlsstelle Brüssel Außenstellen in Aulnoye (zuständig für den Grenzübergang Feignies an der Haupteisenbahnstrecke Brüssel-Paris), Tourcoing (für die Grenzübergangsstellen, die in das Departement Nord führten) und Charleville (für die südliche Eisenbahnstrecke Brüssel-Nancy). Nicht nur in diesen Außenstellen, sondern auch an vielen Grenzübergängen und in den Zügen von Belgien nach Frankreich waren deutsche Zöllner präsent. Allein am Grenzübergang Feignies nahmen drei deutsche Zollbeamte zwischen dem 25. Juli und dem 10. August 1942 mindestens 70 Personen als Juden fest 54 . Diese Angabe beruht auf einem Zufallsfund von Akten und ist sehr wahrscheinlich unvollständig, zumal die Besatzungsmacht die Grenzüberwachung spätestens ab Herbst 1942 verschärfte, um die Flucht von Juden nach Frankreich zu unterbinden. Die Verhafteten kamen aus zahlreichen Orten Belgiens, manche auch aus den Niederlanden. Ebenfalls aus den Niederlanden flohen fünf Juden, die am 6. August 1942 beim Grenzübergang Baisieux im Zug nach Lille aufgegriffen wurden. Der deutsche Zollsekretär König vermerkte in den Akten: „Bei der Personenkontrolle des D 42 um 1.30 Uhr am 6. August 1942 fiel mir ein Mann durch sein aufgeregtes Wesen bei der belgischen Abfertigung auf. Nach dem Personalausweis befragt, erklärte die Person, er [sic] hätte keinen. Gleichzeitig bemerkte ich, dass zwei Frauen mit einem Kinde und ein Mann meine Kontrolle aufgeregt verfolgten. Ich ließ die vier Personen mit dem Kinde zur GÜST [Grenzübergangsstelle] kommen. An Hand der Ausweispapiere stellte ich fest, dass sämtliche Personen Juden waren. Nach Angaben stammten sie aus Rotterdam und versuchten nach dem unbesetzten Frankreich zu gelangen. Sie waren nicht im Besitze eines Judensterns.“ 55
Den verantwortlichen Zöllnern blieb die existentielle Angst der Verhafteten nicht verborgen, zumal mehrere von ihnen bei ihrer Vernehmung aussagten, dass sie ihr Leben in Gefahr sahen. Der Kürschner Sandel Palasz, 1912 in Krakau geboren, gab dem deutschen Zoll zu Protokoll: „Als Grund für meine Ausreise gebe ich an, dass ich durch diese Ausreise mein Leben retten wollte.“ Er wünsche, fügte er hinzu, in Belgien oder Frankreich Arbeit für die Wehrmacht als Kürschner zu übernehmen. Seine 28jährige Ehefrau Lola, geb. Rozenzweig, erklärte: „Um mein Leben zu retten, habe ich Holland verlassen. Ich habe den Wunsch, in Frankreich oder Belgien zu bleiben, um da zu arbeiten. Weiter habe ich zu dieser Angelegenheit nichts zu sagen. Ich befinde mich in anderen Umständen.“
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Die Schneiderin Estera Laja Frank-Ickowicz, die sich Stella nannte und 34 Jahre alt war, sagte aus: „Ich bin aus Rotterdam ausgewandert, um irgendwo hin zu fahren, um, wie auch mein Mann, mein Leben zu retten. Bei mir ist mein siebenjähriger Junge.“ Während sie ursprünglich aus Polen stammte, war ihr gleichaltriger Ehemann, der Kaufmann Hartog Frank, in Rotterdam geboren worden, wo auch ihr gemeinsames Kind zur Welt kam. Nachdem er die Vernehmungsprotokolle unterzeichnet und geschlossen hatte, informierte Königs Vorgesetzter, Zollinspektor Hollenbach, das Judenreferat der Sicherheitspolizei in Brüssel und übergab das Ehepaar Palasz und die Familie Frank an die Feldgendarmerie Tournai, die den Auftrag übernahm, die verhafteten Juden in das Brüsseler Hauptquartier der Sicherheitspolizei zu bringen. Am 17. August 1942 wurden Sandel und Lola Palasz und Stella, Hartog und Louis Salomon Frank nach Auschwitz deportiert. Oft war es die Feldgendarmerie, die die an der belgisch-französischen Grenze von deutschen Zöllnern verhafteten Juden dem Judenreferat in Brüssel auslieferte 56. Von den nahe den großen Grenzübergängen stationierten Feldgendarmerietrupps dürfte wohl kaum einer nicht in die Deportation der jüdischen Flüchtlinge involviert gewesen sein. Aufgrund der überlieferten Dokumente lässt sich jedenfalls feststellen, dass zumindest Feldgendarmen aus Maubeuge, Tournai oder Roubaix Juden, die an der französischen Grenze verhaftet worden waren, in die Brüsseler Avenue Louise oder direkt in das Lager Malines brachten. Außerdem übergab die Zollgrenzschutzaußenstelle Tourcoing in manchen Fällen aufgegriffene Juden an die Geheime Feldpolizei in Kortrijk. Was den Umfang der Fluchten von Juden aus Belgien nach Frankreich zwischen 1942 und 1944 betrifft, so gehen vorliegende Schätzungen von lediglich einigen Hundert Personen aus 57 . Diese Schätzung dürfte in jedem Fall zu tief gegriffen sein, zumal wenn man auch die Zahl der gescheiterten Fluchtversuche berücksichtigt. Manche der aus Holland und Belgien geflohenen Juden, die das französische Territorium erreichten, wurden an der Demarkationslinie festgenommen, die das bis November 1942 unbesetzte Frankreich vom Herrschaftsgebiet des Militärbefehlshabers trennte, und wo die deutschen Polizeiorgane im Sommer 1942 eine Massenflucht von Juden aus Holland, Belgien und Paris in die französische Südzone feststellten 58 .
V-Leute Wie machte das Devisenschutzkommando Juden ausfindig? Manche Juden fielen kleinen Razzien zum Opfer, die das DSK mit Hilfe der Feldgendarmerie etwa in Cafés oder an der Brüsseler Börse durchführte. Außerdem erhielten die Devisenfahnder von anderen deutschen Dienststellen Hinweise auf Juden, die im Verdacht standen, Devisen, Gold usw. zu besitzen. Zumindest in Einzelfällen gingen solche Hinweise auf eine Denunziation von Seiten nicht-jüdischer
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Belgier zurück. Die hauptsächliche Informationsquelle waren jedoch „V-Leute“, also Spitzel. Solche Informanten wurden von den meisten deutschen Polizeiorganen (BdS, GFP) und von der Abwehr eingesetzt 59 . Die V-Leute des DSK sammelten Informationen über Juden, die ihr Eigentum in Verstecken vor dem deutschen Zugriff zu schützen suchten oder die die deutschen Handelskontrollen unterliefen – was im NS-Jargon „Schleichhandel“ genannt wurde. Darüber hinaus fahndeten sie nach Juden, die sich um falsche Papiere oder Devisen bemühten, eine illegale Emigration planten oder im Versteck lebten. Als Entgelt erhielten die verdeckten Ermittler 5 bis 10 Prozent der den verhafteten Juden abgenommenen Werte. Dies Verfahren trug sicherlich dazu bei, dass die Spitzel des DSK nicht nur Leute aushorchten, einschlägige Cafés beschatteten oder Fluchthilfemilieus infiltrierten, sondern überdies als agents provocateurs auftraten, indem sie sich selbst als Passfälscher oder Fluchthelfer ausgaben und Juden zur Flucht überredeten. Dass die verzweifelte Lage, in die die Deutschen die Juden brachten, überall im deutsch beherrschten Europa von Privatpersonen zur persönlichen Bereicherung ausgenutzt wurde, ist seit langem bekannt. Im vorliegenden Fall liegt die eigentliche Perfidie allerdings woanders. Wenn die V-Leute des DSK Juden planmäßig in die Falle lockten, handelten sie nämlich mit Billigung, wenn nicht im ausdrücklichen Auftrag der Besatzer. Im Juli 1942 sprach ein V-Mann in einem Brüsseler Lokal zwei deutsche Juden an, die kurz zuvor illegal aus Holland nach Brüssel geflohen waren. Der 1906 in Leipzig geborene Kaufmann Benjamin Sandler 60 hatte von Amsterdam aus, wo er seit 1933 lebte, vergeblich versucht, in die USA zu gelangen, bevor er Anfang Juli zusammen mit seiner Familie mit Hilfe eines Fluchthelfers zwischen Putte und Heide über die grüne Grenze nach Belgien floh 61 . Der 1918 in Berlin geborene Techniker Simon Landau 62 , dem es gelungen war, sich schon in Amsterdam einen falschen Ausweis der Stadt Antwerpen zu beschaffen, floh mit Hilfe einer Skizze, die ein früher emigrierter Verwandter angefertigt hatte, mit dem Fahrrad auf Feldwegen von Breda nach Kapellen. In Brüssel zusammengetroffen, suchten die beiden Männer, die sich bereits aus Amsterdam kannten, nach einer Fluchtmöglichkeit in die Schweiz, als sie an den V-Mann des DSK gerieten. Dieser gab sich als Diplomat aus und bot ihnen an, sie in seinem Dienstwagen ins unbesetzte Frankreich zu bringen. Simon Landau sagte in seiner Vernehmung: „Obgleich wir zuerst etwas misstrauisch waren, entschlossen wir uns, alles auf eine Karte zu setzen, und zu versuchen, auf diese Weise nach Frankreich bzw. nach der Schweiz zu kommen.“ 63 Daraufhin nahm das DSK am 10. Juli wenige Kilometer hinter Brüssel beide Männer sowie die Ehefrau von Benjamin Sandler und ihre beiden Kinder fest. Aus den Akten geht hervor, dass der V-Mann diese Falle im Auftrag des DSK-Zollinspektors Karl Hellvoigt aufgebaut hatte. Der Leiter einer Fahndungsgruppe
V-Leute
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des DSK Brüssel hatte aktiv an der Täuschung mitgewirkt und seinem Informanten sogar Passierscheine für die Flüchtlinge zukommen lassen. Das DSK übergab die beiden Kinder an eine in Brüssel lebende Tante. Um die drei inhaftierten Erwachsenen freizubekommen, zahlten diese Tante und ein weiterer Verwandter dem DSK Haftkautionen in Höhe von insgesamt 8000 Dollar und ließen sich außerdem die Erklärung abnötigen, dass die Deutschen diese Summen auf die zu verhängenden Geldstrafen anrechnen, also einbehalten konnten. Trotzdem ließ das DSK die Juden nicht frei, sondern ersann einen Weg, sie deportieren zu lassen, obwohl die Deportationen aus Belgien nach Auschwitz noch nicht begonnen hatten: „Nach Stellung der Sicherheiten wurden die Beschuldigten am 18. Juli 1942 aus der Haft entlassen und auf Anordnung des Herrn Leiters des Devisenschutzes in den besetzten Gebieten, Herrn Reg[ierungsrat] Staffeldt, dem Devisenschutzkommando Niederlande in Rotterdam überstellt, damit sie bei den in Holland zur Zeit durchgeführten Maßnahmen gegen Juden (Deportation) mit erfasst werden können.“ 64
Doch zumindest Simon Landau gelang ein weiteres Mal die Flucht, und er sollte der Deportation nach Auschwitz entkommen 65 . Die ausgeklügelte Verfolgungsstrategie, den Juden von agents provocateurs einen scheinbaren Ausweg aus dem deutschen Machtbereich anbieten zu lassen, wurde auch solchen Juden zum Verhängnis, die schon länger in Belgien lebten. Wie beharrlich manche Informanten Juden in die Falle lockten, zeigt die Vernehmung zweier Männer, die am Morgen des 31. Juli 1942 zusammen mit ihren Angehörigen und sieben weiteren Personen von zwei Zollbeamten des DSK im Zug von Brüssel Richtung Lille verhaftet wurden. Der in BrüsselSchaerbeek lebende Verkäufer Leo Knepel, 1914 in Polen geboren und 1933 aus Deutschland nach Belgien emigriert, schilderte das Vorgehen eines V-Mannes wie folgt: „Vor etwa drei Wochen sprach mich im Café Frasquatie ein Gast an und fragte mich, ob ich nicht ins unbesetzte Frankreich wollte. Ich konnte mich dazu erst nicht entschließen, hinterließ ihm aber meine Anschrift. Am 27. des Monats erschien der Gast aus dem Café Frasquatie und sagte, die Ausreise solle am 31. Juli vor sich gehen. Ich erklärte ihm, dass ich illegal nicht auswandern wolle. Dieser mir unbekannte Gast kam dann am Dienstag und am Donnerstag und redete mir mit allen Mitteln zur Auswanderung zu. Ich ließ mich von ihm überreden und sagte schließlich zu.“ 66
Im Brüsseler Café Métropole fand der V-Mann zwei weitere Opfer, darunter Saul Knoll. Der 1897 in Polen geborene Schneider, im Juli 1942 als Landarbeiter beschäftigt, gab nach seiner Festnahme zu Protokoll, wie der Handlanger der Deutschen ihn zur Flucht überredet hatte:
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„Da ich den Judenstern trug, sah er sofort, dass ich Jude bin. Er kam mit mir ins Gespräch und fragte mich, ob ich nicht illegal in das unbesetzte Frankreich gehen wollte. Ich sagte ihm, ich hätte vorläufig überhaupt keine Absicht, illegal auszuwandern. Der Gast sagte mir daraufhin, dass er eine gute Agentin an der Hand hätte, die mich unter Garantie in das unbesetzte Frankreich bringen wird. Nach vielem Zureden gab ich meine Zustimmung und sagte ihm, dass ich mit meiner 14jährigen Tochter ins unbesetzte Gebiet auswandern wollte.“ 67
Neben Leo Knepel, seiner 22jährigen, in Österreich geborenen Ehefrau Helene, Saul Knoll und seiner Tochter gehörten zu der Gruppe, die die Zollbeamten Jaeschke und Johannsen im Zug nach Lille verhafteten, noch sieben weitere Personen: Die 26jährige Wäscheschneiderin Rosa Fuchs und ihr 13 Jahre älterer Ehemann, der Fotograf Bruno Fuchs, die 1939 aus Berlin nach Antwerpen geflohen waren und seit März 1941 in Brüssel lebten; der 1904 in Polen geborene und 1939 aus Deutschland nach Belgien geflohene Zahnarzt Salo Friedmann mit seinem achtjährigen Sohn; und der 1907 in Berlin geborene Vertreter Ferdinand Wassermann, seine in Polen geborene kranke Ehefrau und ihr dreijähriger Sohn. Außer der kranken Frau Wassermann und den drei Kindern internierte das DSK alle Festgenommenen im Brüsseler Wehrmachtgefängnis und lieferte sie am 1. August 1942 zugleich an die Sicherheitspolizei aus. Die generelle Auslieferung zur Deportation war zu diesem Zeitpunkt zwischen den beiden Besatzungsorganen noch nicht vereinbart. Stattdessen begründete das DSK die Auslieferung der Juden damit, dass sie illegal ausreisen wollten und gegen die Kennzeichnungspflicht verstoßen hatten. Im antijüdischen Jargon der deutschen Beamten hieß dies: „Außerdem haben sie sich als Arier getarnt, indem sie die Judensterne von ihrer Bekleidung entfernt haben“. 68 Die Sicherheitspolizei brachte sie am 15. August in das Lager Malines, wo ihnen die Transportnummern 387 bis 393 für den fünften Konvoi zugeteilt wurden, der am 25. August 1942 nach Auschwitz fuhr. Am 23. August erhielt Saul Knolls Ehefrau aus Malines die letzte Nachricht von ihrem Mann. Leo Knepel war der einzige, der zurückkehrte.
Raub von Devisen Das Devisenschutzkommando hatte den Auftrag, Devisen und andere Werte für die deutsche Kriegswirtschaft zu beschaffen, die eingezogen oder – auf Kosten des belgischen Steuerzahlers – zwangsweise angekauft bzw. auf dem Schwarzmarkt erworben wurden. Zweifellos sahen die Zollbeamten es darauf ab, der jüdischen Bevölkerung ihren Besitz abzunehmen. Sie beschlagnahmten nicht nur Bargeld, Wertpapiere, Gold, Diamanten, Uhren oder Schmuck, sondern sie gingen beispielsweise auch gegen Spediteure vor, die den erfolgreich nach Südfrankreich geflohenen Juden deren Kleidung und Wäsche nachlieferten. Sie verwandten beträchtliche Energie darauf, das von Juden versteckte
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Eigentum aufzuspüren. Wenn entsprechende Hinweise vorlagen, begaben sie sich in Gefängnisse oder in das Lager Malines, um schon verhaftete Juden und deren Gepäck erneut zu kontrollieren. Außerdem führten sie Hausdurchsuchungen durch und brachen Mauern auf, in denen sie verborgene Werte vermuteten. Gemäß seiner Vereinbarungen mit der Militärverwaltung deponierte das DSK Bargeld, Wertpapiere und Wertgegenstände unter dem Namen des Verhafteten bei dem unter deutscher Kontrolle stehenden Geldinstitut Société française de Banque et de Dépots – dies gilt auch für den Erlös der für die deutsche Reichsbank zwangsweise angekauften Devisen, Diamanten usw. – und setzte hiervon sowohl die zuständige Gruppe XII („Feind- und Judenvermögen“) der Wirtschaftsabteilung als auch die Brüsseler Treuhandgesellschaft (B. T.) in Kenntnis. Die für die jüdischen Eigentümer gesperrten Konten und Schließfächer wurden von der B. T. verwaltet – eine von der Militärverwaltung gegründete und kontrollierte Einrichtung, deren Geschäftsführer Martin Drath zu den Mitarbeitern der Gruppe XII gehörte. Allerdings war diese nicht dazu befugt, die blockierten Vermögen zu plündern, und das Gros der deponierten Werte sollte niemals in die deutsche Reichskasse fließen, sondern in Belgien verbleiben 69 . Offenbar entschied sich die Besatzungsmacht dazu, in diesem Fall zunächst das belgische und internationale Recht zu beachten, das eine Vereinnahmung ausschloss. Dies ändert freilich nichts daran, dass die deutschen Behörden sich zur Tatzeit von der Enteignung der Juden einen materiellen Vorteil versprachen. Denn die verantwortlichen Stellen gingen spätestens ab Herbst 1942 davon aus, dass das von ihnen vorerst lediglich verwaltete Vermögen früher oder später dem Deutschen Reich zufallen würde. Wie ein kürzlich aufgefundenes Dokument zeigt, schlugen drei Vertreter von Reeders Wirtschaftsabteilung – unter ihnen Kriegsverwaltungsrat Pichier von der Gruppe „Feind- und Judenvermögen“ (Gruppe XII) – dem Berliner Reichsfinanzministerium bereits im Oktober 1942 vor, das Vermögen der Juden dazu zu nutzen, die deutschen Clearingschulden gegenüber der belgischen Staatskasse zu verringern 70 . Zur Begründung ihres Vorstoßes, dem das Finanzministerium rechtliche Bedenken entgegenhielt, führten sie aus, es sei doch zu erwarten, dass die Vermögen der Juden „eines Tages an das Reich gelangten, denn die ausländischen Staatsverwaltungen wollten diese Gelder nicht haben“. Die belgische Administration habe erklärt: „Die Judenmaßnahme sei eine deutsche Angelegenheit; der belgische Staat wolle mit diesen Geldern nichts zu tun haben“ 71 . Das bedeutet immerhin, dass die belgische Verwaltung eine Partizipation an der Enteignung der Juden ausdrücklich abgelehnt hatte. Noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass die jüdischen Eigentümer im Kalkül der Militärverwaltung keine Rolle spielten. Demzufolge schloss Reeders Stab schon im Ok-
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tober 1942 aus, dass die aus Belgien deportierten Juden zurückkehren bzw. vom Ausland aus Ansprüche auf ihr Eigentum geltend machen könnten. Sofern sie nicht bereits über den Genozid informiert war, hielt die Militärverwaltung also zumindest die Enteignung der Juden für irreversibel. Doch zu welchem Zweck legte sie dann fortlaufend individuelle Namenskonten an, um das gesperrte Vermögen zu verwalten? Dass es sich hierbei um eine Tarnungsmaßnahme handelte, lässt sich beim jetzigen Forschungsstand nur vermuten. Der Vorstoß der Militärverwaltung in Berlin belegt allerdings unzweideutig, dass die Besatzungsbehörden die Ausplünderung der Juden im Interesse der deutschen Staatskasse betrieben, auch wenn sie deren Vermögen vorerst nicht raubten, sondern lediglich blockierten und unter Zwangsverwaltung stellten. Überdies wurde keineswegs das gesamte beschlagnahmte Eigentum deponiert. Vielmehr gelangten nicht wenige Werte unmittelbar auf deutsche Konten. Einen Teil dieser abgezweigten Gelder erhielt die Sicherheitspolizei – zur Finanzierung des Lagers Malines und der Deportation der Juden nach Auschwitz 72 . Ein weiterer Teil wurde zu Gunsten des Deutschen Reichs eingezogen. Ein solcher Einzug hing nach Besatzungsrecht davon ab, dass ein Verstoß gegen die deutschen Devisenbestimmungen oder antijüdischen Verfügungsbeschränkungen vorlag. In solchen Fällen verhängten die Kriegsgerichte nicht nur Geldstrafen, sondern sie konnten auch den Einzug der beschlagnahmten Vermögenswerte verfügen 73 . In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die vom Militärbefehlshaber erlassene Devisenverordnung die Mitnahme von Werten ins Ausland verbot. Die Festnahme von Juden auf der Flucht nach Frankreich bot der Besatzungsmacht daher den materiellen Vorteil, beschlagnahmte Barmittel und Wertgegenstände umgehend einziehen zu können. Vielleicht war dies einer der Gründe dafür, weshalb das DSK Juden zur illegalen Emigration nach Frankreich überredete. Ein weiterer Grund lag vermutlich darin, dass Flüchtlinge ihr bewegliches Vermögen, das sie vor der Flucht in Verstecken vor dem deutschen Zugriff gerettet hatten, in der Regel bei sich trugen. Jedenfalls war dem DSK jedes Mittel recht, um den Raub des Eigentums durchzusetzen. In Bezug auf diejenigen Juden, die auf der Flucht aus Holland nach Belgien verhaftet wurden, konstruierten die Zollfahnder einen Tatbestand, der noch gar nicht eingetreten war. Da keine deutsche Bestimmung die Einfuhr ausländischer Währungen74 nach Belgien verbot, unterstellte das DSK pauschal, dass die im holländisch-belgischen Grenzgebiet verhafteten Juden die illegale Ausreise aus Belgien nach Frankreich geplant hätten. So im Falle der 29jährigen Anna-Betsy Philipson, eine in den Ruhestand versetzte Beamtin des niederländischen Staates, die am 10. August 1942 vom Grenzwachtregiment Clüver verhaftet worden war. Die Wehrmachteinheit lieferte sie an die Sicherheitspolizei in den Niederlanden aus. Im September 1942 kam Anna-Betsy Philipson in Auschwitz zu Tode. Das ihr abgenommene Bar-
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geld hatte das DSK Antwerpen erhalten, das die geplante Einziehung dieser Mittel gegenüber dem zuständigen Gericht der Feldkommandantur 520 wie folgt begründete: „Da sich in letzter Zeit viele holländische Juden durch die Flucht ihrem zu erwartenden Arbeitseinsatz zu entziehen suchen, wollte zweifelsohne auch die Philipson dasselbe tun. Doch ist die mögliche Annahme, dass jene nur ihren Wohnsitz nach Belgien verlegen wollte, nicht wahrscheinlich, da sie auch in Belgien ihren Arbeitseinsatz zu gewärtigen hätte. Vielmehr ist anzunehmen, dass die Beschuldigte das unbesetzte Gebiet Frankreichs zu erreichen suchte. Durch die Mitnahme der innerdeutschen Zahlungsmittel liegt ein strafbarer Devisentatbestand vor. Da aus bestimmten Gründen eine Vernehmung in den Lagern nicht angängig ist, dürfte die Einziehung des beschlagnahmten Betrages im objektiven Strafverfahren gegeben sein.“ 75
Die Wehrmachtgerichtsbarkeit machte sich die Argumentation des DSK nicht nur in diesem Fall zu eigen und verfügte die Einziehung. Konnte das DSK den Juden die letzte Habe am leichtesten auf der Flucht rauben, so vermitteln die Akten freilich ein Bild davon, wie wenig der jüdischen Bevölkerung im Sommer 1942 noch geblieben war. Bei manchen Juden, die sich gezwungenermaßen in die Ungewissheit des Exils begaben, fanden die Deutschen lediglich einzelne Banknoten oder ein persönliches Schmuckstück. Auch bei denjenigen Verhaftungen, die nicht mit einem Fluchtversuch ins Ausland in Zusammenhang standen, stellte sich die materielle Ausbeute nicht selten bescheiden dar. Dies ist ein Anzeichen dafür, dass die Expropriation der Juden zu Gunsten der deutschen Bevölkerung mitnichten das einzige Ziel des DSK war. In der Tat zeichnete sich das Vorgehen der Devisenfahnder durch eine entschieden antijüdische Stoßrichtung aus.
Willige Vollstrecker Weshalb gingen die Beamten des DSK, deren eigentliche Aufgaben devisenpolizeilicher Art waren, ab Juli 1942 umstandslos dazu über, Juden gezielt festzunehmen und an die Sicherheitspolizei auszuliefern, damit die Besatzungsmacht sie – vorgeblich zum „Arbeitseinsatz“ – deportieren konnte? Nichts deutet darauf hin, dass die Mitarbeiter des DSK in persönlicher Hinsicht für ihre Mitwirkung am Verbrechen prädestiniert gewesen wären. Berücksichtigt man dagegen die Vorgeschichte des DSK und seine Tätigkeit in Belgien vor Mitte 1942, dann zeigen sich deutliche Kontinuitätslinien antisemitischer Praxis. Die Judenverfolgung durch die Devisenfahnder setzte bereits 1940 ein, und wenn die jüdische Bevölkerung auch keineswegs die einzige Zielgruppe der Behörde bildete, so verhielt sich der Umfang der gegen Juden eingeleiteten Ermittlungsverfahren umgekehrt proportional zu ihrem geringen Anteil an
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der belgischen Gesamtbevölkerung. Wie sich aus dem überlieferten Aktenbestand ergibt, war das DSK auf ein Vorgehen gegen Juden gut vorbereitet. Denn die Zollbeamten brachten für ihre Arbeit einschlägige Erfahrungen und Routinen aus dem Reichsgebiet mit. Schon vor 1940 hatten die Zollfahndungsstellen, aus denen die Mitarbeiter des DSK kamen, nicht unwesentlich daran mitgewirkt, dass die Juden vor ihrer Vertreibung aus Deutschland ihr Eigentum verloren, die Reichsfluchtsteuer auf Heller und Pfennig entrichteten und das Reich mit leeren Taschen verließen. Kaum war die Wehrmacht in Belgien eingefallen, stellte das DSK jüdischen Flüchtlingen nach, denen die unerlaubte Mitnahme von Werten aus Deutschland, ein Geldtransfer in Drittländer oder Verstöße gegen die Reichsfluchtsteuerverordnung vorgehalten wurden. Manche Emigranten wurden so ihrer letzten Unterhaltsmittel beraubt. Es kam vor, dass DSK-Beamte in Belgien die Verfolgung derselben Juden fortsetzten, die sie in den dreißiger Jahren als Zollfahnder in Deutschland aufgespürt hatten. In anderen Fällen erhielten sie entsprechende Hinweise von ihren Kollegen aus den deutschen Zollfahndungsstellen, Finanzämtern oder auch von den Auslandsbriefprüfstellen. Nachdem der Militärbefehlshaber im Juni 1940 die Ausfuhr von Umzugsgut, Zahlungsmitteln und Werten aus Belgien unter Strafe gestellt hatte, überzog das DSK die aus Belgien nach Frankreich fliehenden Juden mit entsprechenden Verfahren. Eine Reihe weiterer, ebenfalls aufgrund deutscher Verordnung verbotener Handlungen, die zum Überleben bzw. zur Vorbereitung einer Flucht aus dem deutschen Herrschaftsgebiet erforderlich waren, wurden ebenfalls vom DSK verfolgt, so der Verstoß gegen die Anmeldepflicht für Devisen usw., der Tausch von Währungen oder der sogenannte Schleichhandel. Die Beamten versuchten mit allen Mitteln, Juden strafbare Handlungen anzuhängen, und keine Begründung war zu abstrus, um nicht von der Wehrmachtgerichtsbarkeit anerkannt zu werden. Im Juni 1942 leitete das DSK Brüssel mit folgender Erklärung ein Strafverfahren gegen einen Juden in die Wege, nachdem bei einer Hausdurchsuchung einige Banknoten gefunden worden waren, die nicht ordnungsgemäß angemeldet waren: „Er will dies nicht getan haben, weil die 6 Dollar und 2 engl. Pfunde ihm insgesamt zu gering waren, um der Anbietungspflicht nachzukommen. Diese Angabe […] ist nicht glaubhaft. Dies geht schon aus der Tatsache hervor, dass er die Dollar und engl. Pfunde auf schwer zu entdeckende Art unter Papier in einer Schublade versteckt hatte.“ 76
Aktenvorgänge solcher Art bestätigen, dass das DSK keineswegs nur den materiellen Profit der Besatzungsmacht im Auge hatte, sondern sich gleichermaßen die Verfolgung der Juden zur Aufgabe machte. Handelte es sich bei dem Beschuldigten um einen Juden, war dies für die Devisenbehörde Grund genug, von einer vorsätzlich begangenen Straftat auszugehen 77 .
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Die Feinderklärung gegenüber der jüdischen Bevölkerung wurde mit jeder neuen Verordnung, die weitere inkriminierbare Tatbestände schuf, ausgeweitet. Noch bevor die ersten Transporte aus Belgien nach Auschwitz fuhren, war die Arbeit der Devisenfahnder von dieser Feinderklärung geprägt. Ab August 1942 suchte DSK die Deportation der Juden mindestens ebenso sehr voranzutreiben wie den Raub ihres Eigentums. Sollte die Auslieferung zum „Arbeitseinsatz“ gemäß der schriftlichen Richtlinien nur solche Juden treffen, die gegen die Devisenbestimmungen verstoßen hatten, so gingen die Zollbeamten über ihren Auftrag regelmäßig hinaus. Denn sie verhafteten auch jüdische Frauen und Männer, die keinerlei Devisen besaßen und infolge der deutschen Arbeitsverbote fast völlig mittellos waren. Manche der Verhafteten wurden lediglich zufällig angetroffen. Anfang Dezember 1942 machte Zollsekretär Bertrand in einem nahe Brüssel gelegenen Sanatorium für Lungenkranke 14 Juden ausfindig. Zwar fand er in ihrem umgehend durchsuchten Gepäck keinerlei Werte, doch Bertrand versäumte nicht, die Sicherheitspolizei auf den Aufenthaltsort dieser Juden hinzuweisen und zu einer Entscheidung darüber aufzufordern, ob sie „für den Arbeitseinsatz in Malines in Frage kommen“ 78 . In diesem Fall ist offensichtlich, dass die Initiative keineswegs bei Eichmanns Gehilfen, sondern beim DSK lag, das auf den Abtransport drängte. Das war keine Ausnahme. Um auszuschließen, dass ein von seiner Dienststelle verhafteter Jude der Deportation entging, nahm Zollinspektor Karl Hellvoigt, Leiter einer Fahndungsgruppe des DSK Brüssel, sich Ende Oktober 1942 die Zeit, dem Judenreferenten Asche folgende Mitteilung zukommen zu lassen: „Mit Schreiben vom 7. Juli 1942 überstellte ich Ihnen den im Kriegswehrmachtgefängnis St. Gilles in Brüssel einsitzenden Juden Bernhard Wajnstock, geb. am 25. Dezember 1916 in Mainz, zuletzt wohnhaft in Brüssel, Quai de Commerce 35. Am 19. Okt. 1942 ging ein Brief des W. hier ein, aus dem zu ersehen ist, dass W. sich immer noch im Kriegswehrmachtgefängnis befindet. Ich bitte zu veranlassen, dass W. dem Arbeitseinsatz zugeführt wird.“ 79
Bereits Tage zuvor, am 24. Oktober 1942, hatte die Sicherheitspolizei den Elektriker Bernhard Wajnstock nach Auschwitz deportiert. Hellvoigts Intervention hatte hierauf keinen Einfluss mehr. Sie belegt jedoch, dass das DSK keineswegs als passives Hilfsorgan des Judenreferats agierte, sondern sich tatkräftig dafür einsetzte, dass die von ihm festgenommenen Juden deportiert wurden. Der Abtransport der Juden hatte für die Devisenfahnder sogar Vorrang vor der Abrechnung der entwendeten Geld- und Devisenwerte. Als Hellvoigts Kollege Schillings im September 1942 den aus Polen stammenden Kürschner Wolf Henoch Slawny auf der Flucht von Brüssel in das unbesetzte Frankreich festnahm, vermerkte er in den Akten, dass die Umwechselung der Slawny abgenommenen 35 US-Dollars durch die Berliner Reichsbank einen gewissen Zeitraum in Anspruch nehmen werde, und fügte hinzu: „Damit der
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Jude Slawny jedoch möglichst bald zum Arbeitseinsatz kommt, ist er bereits jetzt dem SD zu überstellen. Die Abrechnung der beschlagnahmten Vermögenswerte kann später erfolgen.“ 80 Am 24. Oktober 1942 wurde Wolf Henoch Slawny im selben Transport wie Bernhard Wajnstock aus Malines nach Auschwitz deportiert. Die gegen die Juden gerichtete Tätigkeit des DSK diente lediglich partiell dem Devisenraub. Denn weder beschränkten die Zollbeamten sich darauf, der jüdischen Bevölkerung die Habe abzunehmen, noch richteten ihre Nachstellungen sich ausschließlich gegen vermögende Juden. Vielmehr betrieben sie die Verfolgung der Juden offenkundig als Selbstzweck. Dies zeigt nicht zuletzt der Sprachduktus, in dem die Beamten ihre Aktenvermerke und Ermittlungsberichte abfassten. Es kann nicht überraschen, dass sich in den Akten antisemitische Stereotype („echt jüdische Verlogenheit“) und Hetzvokabeln („Diamantjude“, „Rassengenosse“) finden. Auffällig sind vielmehr die höhnischen und zynischen Bemerkungen über die Rettungsversuche der jüdischen Bevölkerung. So sprachen die Zollfahnder noch von „auswanderungslustigen Juden“, als schon die Todeszüge nach Auschwitz fuhren 81 . Oder die gescheiterte Flucht wurde im Festnahmeprotokoll auf hämische Weise kommentiert. Im August 1942 vermerkte Zollsekretär Bertrand zur Verhaftung des Brüsseler Juden Szlama Frydman, der Ende Oktober 1942 zusammen mit seiner Ehefrau Leia Mussler deportiert werden sollte: „Frydman hatte in seiner Wohnung alles eingepackt. Seine Schlafstätte befand sich auf dem Boden. Alles deutete darauf hin, dass Frydman in den nächsten Tagen verschwinden wollte, wie es z. Zt. bei allen Juden der Fall ist.“ 82
Im übrigen nahmen die DSK-Beamten die Entscheidung über den Abtransport vorweg, indem sie sich die vom Reichssicherheitshauptamt festgelegten Kriterien zu eigen machten. Immer wieder beendeten sie ihre Mitteilungen zur Auslieferung der von ihnen verhafteten Juden an die Sicherheitspolizei mit der Tarnfloskel: „Sie [Er] erscheint mir zum Arbeitseinsatz geeignet“. Letzten Endes liefert das Vorgehen des DSK gegen die Juden ein Beispiel dafür, wie Ideologie in die Wirklichkeit umgesetzt wird. Die Philosophin Hannah Arendt hat dies als die logische Konsequenz des Antisemitismus beschrieben 83 . Die Ermittlungsarbeit der Zollbeamten war von einem der am meisten verbreiteten antisemitischen Klischees geprägt: der Beziehung des Juden zum Geld. Hält man sich an die überlieferten Dossiers, so entsteht der Eindruck, als befände sich das in Belgien von deutscher Seite abzuschöpfende Privatvermögen zu einem beträchtlichen Teil in den Händen von Juden und als wendeten Juden unzählige Tricks und kriminelle Machenschaften an, um der Besatzungsmacht diesen Reichtum vorzuenthalten. Es war die antijüdische Verfolgung selbst, die dieser Obsession einen scheinbaren Realitätsgehalt ver-
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lieh. Indem der NS-Staat die Juden zunächst aus Deutschland und Österreich, dann aus den besetzten Teilen Westeuropas vertrieb und zugleich ihre Verfügung über ihr Eigentum und die von ihnen angewandten Überlebensstrategien zunehmend kriminalisierte, machte er die jüdische Bevölkerung zur Zielgruppe der Zollfahnder. Diese Selbstbestätigung der Ideologie durch Verfolgungspraxis tritt im Fall der jüdischen Flüchtlinge deutlich zutage. Wenn etwa in den Akten des DSK wiederholt von „überschweren goldenen Armbändern“ die Rede ist, die bei Juden auf der Flucht nach Frankreich konfisziert wurden, so bestätigte der verzweifelte Versuch der zur Emigration gezwungenen Juden, ihr verbliebenes Geld in Form eines persönlichen Schmuckstücks vor dem deutschen Zugriff über die Grenze zu retten, in den Augen der Zollfahnder das Zerrbild des unrechtmäßig erworbenen jüdischen Reichtums. Der Großteil der jüdischen Bevölkerung Belgiens lebte in prekären materiellen Verhältnissen. Die antisemitische Ideologie verselbständigte sich bei den Zollbeamten bereits vor der Zeit der Deportation in dem Maße, in dem das DSK gegen mittellose Juden vorging, auch wenn deren Verfolgung in keinerlei Zusammenhang mit dem Auftrag der Devisenfahndung stand. * * * Die Deportation der Juden aus Belgien stützte sich nicht vorrangig auf Großrazzien und andere große Festnahmeaktionen wie die Vorladung zum „Arbeitseinsatz“ in das Lager Malines. Anders als in Frankreich und in den Niederlanden brachten die deutschen Besatzungsbehörden in Belgien vielmehr den Großteil der nach Auschwitz deportierten Frauen, Männer und Kinder einzeln oder in kleinen Gruppen in ihre Gewalt. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der Opfer wurde offenbar lediglich ein geringer Teil der Juden von belgischen Polizeibehörden verhaftet. Daher bildete die Kooperation der einheimischen Verwaltung mit der Besatzungsmacht nicht das entscheidende Datum. Im Gegenteil konnten tausende von Einzelfestnahmen nur durchgeführt werden, weil verschiedene deutsche Besatzungsorgane mit Unterstützung einheimischer Hilfskräfte jüdische Frauen, Männer und Kinder aufspürten bzw. an die Sicherheitspolizei auslieferten. Zu den verantwortlichen Einheiten zählten unter anderen das Devisenschutzkommando, das an der holländisch-belgischen Grenze eingesetzte Grenzwachtregiment Clüver und der deutsche Zollgrenzschutz, der die Grenze zu Frankreich überwachte. Keine dieser Dienststellen gehörte dem SS-Apparat an, doch stand die Verfolgungswut, mit der beispielsweise das DSK gegen Juden vorging, derjenigen der politischen Polizei keineswegs nach. Nicht wenige Opfer fielen gerade dann in die Hände der Deutschen, als sie versuchten, sich in Sicherheit zu bringen oder ihre Flucht vorzubereiten. Fest-
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nahmen erfolgten im Versteck, bei der Beschaffung von Devisen und falschen Papieren oder während der illegalen Emigration nach Frankreich. Die Verhaftungsstrategie des DSK, so lässt sich zusammenfassend sagen, war direkt auf die Gegenwehr jüdischer Einzelpersonen und Familien abgestellt, die sich noch im letzten Moment ihrer Deportation zu entziehen suchten. Daher führt uns die Analyse der Einzelverhaftungen, und dies ist das Gegenstück zu der tatkräftigen Mitwirkung deutscher Zollbeamter oder Militärs bei der „Endlösung“, die Gegenwehr der jüdischen Bevölkerung vor Augen. Die Reaktionen der Juden und ihre individuellen Überlebensstrategien stehen im Mittelpunkt des folgenden Kapitels.
4. Der XXI. Transport nach Auschwitz Es ist kein leichtes Unterfangen, die Spuren der Opfer von Verfolgung und Deportation zu rekonstruieren, die größtenteils ermordet wurden und niemals Zeugnis ablegen konnten. In diesem Kapitel geht es um die Geschichte der deportierten Juden. Ihre Reaktionen auf die Verfolgung und ihre Anstrengungen, den Repräsentanten und Helfershelfern des NS-Regimes zu entkommen, kennen wir zumeist nur aus zeitgenössischen Tagebüchern und Chroniken oder aus den Zeugnissen der wenigen Überlebenden. Aber es gibt noch einen anderen Zugang. Personenbezogene Nachforschungen, ausgehend von den Deportierten eines Transports und durchgeführt anhand von zeitgenössischen Meldeunterlagen, Karteien, „Judenregistern“ und sonstigen behördlichen Dossiers 1 , können erstaunlich viel über diejenigen erbringen, die nicht aus Auschwitz zurückkehrten und von denen die Deutschen jede Spur auslöschen wollten. Bis heute ist nicht einmal genau erforscht, woher die deportierten Juden aus Belgien kamen. In welchen belgischen Städten waren sie zuletzt gemeldet? 2 Lebten sie schon längere Zeit im Land oder waren sie erst kurz vor Kriegsbeginn hierher geflüchtet? Woher und unter welchen Umständen waren die jüdischen Immigranten und Flüchtlinge – weniger als sieben Prozent der Juden waren belgische Staatsangehörige 3 – nach Belgien eingereist? Insbesondere diejenigen, die nach 1938 aus Deutschland oder ab 1942 aus Holland geflohen waren, hatten unter größten Risiken versucht, sich in Sicherheit zu bringen, bevor sie schließlich verhaftet wurden. Darüber hinaus gilt es, die individuellen Überlebensstrategien 4 der später Deportierten im besetzten Belgien zusammenzutragen – Strategien, die weder der Résistance noch der organisierten jüdischen Selbstverteidigung zuzurechnen sind. Was lässt sich beispielsweise über Formen des Untertauchens, über falsche Identitäten oder über Fluchtversuche nach Frankreich herausfinden? Und schließlich: Wie konnte es der Besatzungsmacht gelingen, in relativ kurzer Zeit und mit relativ wenig Personal tausende von Menschen im Lager Malines zu internieren, ohne große Razzien durchzuführen? Während über den XX. Deportationszug nach Auschwitz, aus dem mehr als 230 Juden flohen, viel geschrieben wurde, ist über den XXI. Transport nur wenig bekannt 5 . Es handelte sich um einen der größten Todeszüge aus Belgien. Doch in den Monaten vor der Abfahrt Ende Juli 1943 hatte es keinerlei Massenverhaftung gegeben. Die Zeit der großen „Judenaktionen“, als die Besat-
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zungsbehörden zunächst „Arbeitseinsatzbefehle“ ausgaben, dann mit Unterstützung der Antwerpener Polizei Razzien durchführten und schließlich die jüdischen Männer aus den nordfranzösischen Zwangsarbeiterlagern holten, war bereits Ende 1942 vorbei. Zwar hatten die Deutschen schon 1942 fast 40 Prozent der deportierten Juden einzeln oder in kleinen Gruppen festgenommen; seit Beginn des Jahres 1943 aber wurden nahezu alle Transporte nach Auschwitz auf den Weg gebracht, ohne dass Großrazzien stattgefunden hätten 6 . Der XXI. Transport fuhr am 31. Juli 1943 mit 1560 Juden aus Malines ab 7. In dem Zug befanden sich 244 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren; davon waren 105 Jungen und 69 Mädchen jünger als 15 Jahre, 62 von ihnen hatten das sechste Lebensjahr noch nicht erreicht. Zu den Kleinkindern gehörten 14 Säuglinge, die fast alle in ihrem Geburtsjahr 1943 zusammen mit ihren Müttern auf die Transportliste gesetzt wurden. Der überwiegende Teil (75 Prozent) der Deportierten bestand aus erwachsenen Frauen oder Männern im Alter zwischen 18 und 59 Jahren. 151 Juden waren zwischen 60 und 80 Jahre alt, eine Frau hatte das 84. Lebensjahr vollendet. 57 Juden waren bereits aus früheren Zügen nach Auschwitz geflohen, davon 41 aus dem Transport XX. Mindestens sechs Männer und zwei Frauen wagten die Flucht aus dem XXI. Transport. Fünf von ihnen konnten entkommen und entgingen einer erneuten Verhaftung, drei fielen den Schüssen der Begleitmannschaften zum Opfer. Ein weiterer Mann wurde unter ungeklärten Umständen erschossen, möglicherweise handelte es sich ebenfalls um einen Fluchtversuch. Zur Bewachung der Züge aus Belgien bis zur deutschen Grenze setzte das Reichssicherheitshauptamt üblicherweise Kommandos der deutschen Ordnungspolizei ein, die jeweils vor Abfahrt des Transports aus Deutschland kamen. Nach der Massenflucht von Juden aus dem XX. Transport fuhren zusätzlich ein Begleitkommando der SSWachkompanie des BdS sowie Angehörige des Brüsseler Judenreferats mit 8 . Am 2. August 1943, zwei Tage nach der Abfahrt, traf der Zug in Auschwitz ein. Es lässt sich nicht ermitteln, wie viele Menschen unterwegs zu Tode gekommen waren. Ohne Berücksichtigung dieser Dunkelziffer muss man davon ausgehen, dass 1085 Juden sofort nach der Ankunft vergast wurden. Unter den ermordeten Opfern befanden sich 565 Frauen und 520 Männer, Säuglinge und Kleinkinder eingerechnet. 466 Juden, darunter 211 Frauen, wurden zur Arbeit selektiert und erhielten eine Häftlingsnummer. Ein großer Teil der Männer kam in das erst kurz zuvor errichtete Nebenlager Jaworzno, wo sie als Sklavenarbeiter in den Kohlengruben eingesetzt wurden. Von den 1560 Juden, die mit dem XXI. Transport aus dem Lager Malines abfuhren, waren 1945 – abgesehen von den Geflohenen – nur noch 42 Frauen und Männer am Leben. Das Martyrium der Juden begann mit der Ankunft des Zuges in Auschwitz. Und doch beschränken wir uns hier auf die Vorgeschichte. Im Mittelpunkt ste-
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hen jüdische Frauen, Männer und Kinder aus dem XXI. Transport. In ihren Lebensgeschichten bilden sich nicht nur die Etappen der stetig radikalisierten Verfolgung ab, sondern auch die verzweifelten Anstrengungen, sich selbst oder ihre Angehörigen vor dem Zugriff der Deutschen und der Deportation zu retten. An die biographische Darstellung schließen sich statistische Auswertungen und historische Analysen an, die über die individuellen Schicksale hinausgehen.
Biographische Studien Kinderaustausch Holland/Belgien Die Pogrome des 9./10. November 1938 und der Massenexodus von Juden aus Deutschland führten die bisherige Asylpolitik Belgiens und der übrigen westlichen Nachbarländer, die am traditionellen Begriff des politischen Flüchtlings, nicht aber am Faktum einer in ihrer physischen Existenz bedrohten Bevölkerungsgruppe orientiert blieb, endgültig ad absurdum9 . Das wohl nachdrücklichste Anzeichen dafür war die Ankunft unbegleiteter jüdischer Kinder in Belgien, die von ihren Eltern, Verwandten oder Bekannten in den Expresszug Köln-Aachen-Brüssel gesetzt worden waren in der Hoffnung, man möge ihnen Einlass und Hilfe gewähren, und die manchmal weder Papiere noch Geld, sondern nur eine Anlaufadresse in Brüssel oder Antwerpen bei sich trugen. Die deutschen Grenzorgane ließen die Kinder passieren, wie sie ohnehin daran interessiert waren, unter Verletzung getroffener Abkommen und Umgehung der belgischen Grenzkontrollen möglichst viele Juden außer Landes zu bringen. Auf dem damaligen belgischen Grenzbahnhof Herbesthal empfing das Rote Kreuz diese minderjährigen Flüchtlinge, aber in mehreren dokumentierten Fällen verfuhr die Brüsseler Fremdenpolizei ebenso wie gegenüber den im Grenzbereich illegal angetroffenen Erwachsenen und veranlasste die Rückschiebung nach Deutschland. Ein solches Ereignis – die Zurückweisung eines Transports von 35 Kindern – führte Anfang Januar 1939 zu einem innenpolitischen Skandal, zu einer Welle spontaner Hilfsbereitschaft im ganzen Land und zu einer zeitweiligen Lockerung der belgischen Asylpolitik, die ohnehin nicht sehr kohärent und daher eher von Vorteil für Flüchtlinge aus Deutschland war. Insbesondere erklärte sich die belgische Regierung zur Aufnahme von Kontingenten jüdischer Kinder bereit, und mehrere Hilfswerke bemühten sich, diese Kinder bei Familien oder in Heimen unterzubringen 10 . Eine dieser privaten Organisationen, das im November 1938 in Brüssel gegründete Comité d’Assistance aux Enfants juifs réfugiés, setzte sich in der Folgezeit auch für einen Kinderaustausch zwischen den Niederlanden und Belgien ein, um jüdische Kinder aus Deutschland und Österreich, die alleine nach Holland gelangt und dort in Kinderheimen unterge-
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bracht worden waren, mit ihren nach Belgien geflüchteten Eltern zusammenzuführen – im Gegenzug zu ähnlich gelagerten Fällen im Nachbarland. Auf diese Weise konnte der damals sechsjährige Hermann Gold noch im April 1940 – drei Wochen, bevor die Wehrmacht nach Holland und Belgien einmarschierte – aus Amsterdam zu seinen Eltern zurückfinden 11 , denen im Januar 1939 die Flucht aus Duisburg nach Antwerpen gelungen war. Leibus Gold und Bajla Birmann wurden beide 1897 in Polen geboren, hatten sich nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland niedergelassen und galten bereits 1935 als staatenlos. Gold war gelernter Maler und Anstreicher, verdiente den Lebensunterhalt seiner fünfköpfigen Familie in der rheinischen Industriestadt Duisburg jedoch offenbar als Obsthändler. Unmittelbar nach dem Novemberpogrom muss die Familie die Entscheidung zur Auswanderung getroffen haben, denn Anfang Dezember 1938 genehmigte die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten Düsseldorf die Ausfuhr des Umzugsgutes. Hermann Gold wurde in die Niederlande verschickt. Die Eltern gingen über die belgische Grenze. Am 20. Januar 1939 meldeten sie sich in Antwerpen an, vermutlich um ihre Weiterreise zu arrangieren. Doch es begann eine Zeit des ständigen Wohnungswechsels, zunächst innerhalb Antwerpens. Dort wurde die Familie – Hermann Gold war inzwischen in Belgien eingetroffen – im Dezember 1940 in das von den Besatzern zur Erfassung angeordnete „Judenregister“ eingeschrieben. Vorübergehend von der deutschen Militärverwaltung in die Provinz Limburg evakuiert wie viele Juden, konnten Bajla Gold-Birmann und ihr Sohn in der zweiten Jahreshälfte 1941 aus ihrer Zwangsresidenz im limburgischen Zutendaal nach Antwerpen zurückkehren, während Leibus Gold auf die Hauptstadt verwiesen wurde, wo er sich zunächst in der Kommune Brüssel-Schaerbeek, einem Zentrum der jüdischen Bevölkerung, wechselnde Unterkünfte suchte. Anscheinend kam die Familie für lange Zeit nicht mehr zusammen. Noch am 5. Juni 1943 verlängerte Gold seine mit dem roten Stempelaufdruck „JUIF-JOOD“ versehene Identitätskarte für Ausländer bei den zuständigen Brüsseler Behörden um ein halbes Jahr, seine Frau blieb weiterhin offiziell in Antwerpen gemeldet. Aber spätestens um diese Zeit gingen beide gemeinsam mit ihrem Jungen in den Untergrund. Sie fanden ein Versteck bei einer befreundeten belgischen Familie in Brüssel. Anfang Juli 1943 wurden alle drei dort verhaftet und in die Dossin-Kaserne nach Malines gebracht. Der neue Lagerkommandant Frank hatte, um den Unterhalt der Internierten von privaten Zusendungen abhängig zu machen, den Empfang von Paketen mit Bekleidung und Lebensmitteln erlaubt, und so kümmerten sich die Wohnungsgeber aus Brüssel noch bis zum 27. Juli um die Versorgung der Familie Gold. Vier Tage später, am 31. Juli 1943, fuhr der jetzt neunjährige Hermann Gold zusammen seinen Eltern mit dem Deportationszug Nr. XXI in den Tod.
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Passagiere der St. Louis Die Irrfahrt des Dampfers „St. Louis“ der Hamburg-Amerika-Linie im Mai 1939 und die Tragödie seiner jüdischen Passagiere, die legal aus Deutschland ausreisten, denen die Landung auf Kuba aber unter dem Vorwand verwehrt wurde, die Visa seien ungültig, weil von einem kubanischen Beamten gegen hohe Summen verkauft, ist oft beschrieben worden. Weniger bekannt ist, dass Belgien – nachdem auch die Vereinigten Staaten die Einreise verweigert hatten – das erste europäische Land war, dass sich zur Aufnahme eines Teils der Flüchtlinge bereiterklärte 12. Das Schiff ging auf Kurs zurück nach Europa, und am 17. Juni lief die „St. Louis“ in Antwerpen ein; Belgien nahm mehr als 200 Passagiere auf. Das Ehepaar Ludwig Bendheim und Berta Schlessinger, das zu diesem Kontingent zählte, bewahrte die Schiffsfahrkarte 1. Klasse von Hamburg nach Havanna, die fast 2000 Reichsmark gekostet hatte, und die von der Antwerpener Hafenbehörde abgestempelte Einreisebescheinigung auf, bis sie ihnen 1943 im Lager Malines abgenommen wurden. Berta Schlessinger und Ludwig Bendheim wurden beide in Frankfurt am Main geboren. Als sie nach Kuba und von dort womöglich in die USA hatten auswandern wollten, war der frühere Kaufmann Bendheim bereits 65 Jahre alt. Im Ersten Weltkrieg war er beim Kaiserlichen Deutschen Bezirksgericht im belgischen Charleroi als Dolmetscher und Bürohilfsarbeiter tätig gewesen, noch 1935 hatte man ihm das vom Reichspräsidenten Hindenburg gestiftete „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“ verliehen. Nun fand er sich mit seiner mehr als zehn Jahre jüngeren Frau, einer gelernten Schneiderin, als Flüchtling in dem Land wieder, das kurz darauf abermals von den Deutschen besetzt werden sollte. Dem Vormarsch der Wehrmacht im Mai 1940 suchten beide in Richtung Frankreich zu entkommen, inmitten eines Exodus zahlloser fliehender Menschen. Kurz vor Dünkirchen, im westflämischen Küstenort De Panne, gerieten sie zwischen die Fronten, wurden vorübergehend interniert und – von den deutschen Panzern eingeholt – nach Brüssel zurückgeschickt. Ende 1940 ließen sie sich dort in das „Judenregister“ eintragen, nach mehreren Wohnungswechseln lebten sie schließlich ab Mai 1942 in dem vornehmen Stadtteil WatermaelBoitsfort, bevor sie ein Versteck fanden. Am 29. April 1943 führte die Geheime Feldpolizei bei einer der Résistance angehörenden Belgierin eine Haussuchung durch. Dabei traf sie auf das Ehepaar Bendheim und eine weitere jüdische Frau, die sich ebenfalls verborgen hielt. Nachdem sie mehrere Wochen in dem von der Besatzungsmacht requirierten Kriegswehrmachtgefängnis Saint-Gilles festgehalten worden waren, wurden Ludwig Bendheim und Berta Schlessinger am 5. Juni in Malines interniert und am 31. Juli 1943 nach Auschwitz geschickt.
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Fluchthilfe von Belgien nach Frankreich 1941/42 Der verwitwete Icek Goldberg, 1894 im polnischen Piotrków geboren und 1920 nach Belgien ausgewandert, war Buchhändler und Buchbinder in Antwerpen, wo auch seine Kinder Max, Hélène und Ruben aufwuchsen. Ab 1941 verlegte er sich auf die Herstellung von Koffern, die mit Geheimfächern oder doppelten Böden versehen waren und die Flüchtlingen von Nutzen sein konnten. Einen solchen Koffer verkaufte er an den Aachener Tuchkaufmann Walter Rubens, der Deutschland schon 1933 verlassen hatte. Rubens wollte versuchen, zusammen mit seiner Ehefrau Berta geb. Lindheimer, seiner Mutter und seiner Schwiegermutter von Belgien aus in das unbesetzte Frankreich und von dort weiter in die Schweiz zu gelangen. Dabei sollte Goldbergs ältester Sohn, der 20jährige Diamantenschneider Max Goldberg, die Aufgabe des Fluchthelfers und „Reiseleiters“ übernehmen – nicht zum ersten Mal, denn er hatte schon 1941 Flüchtlinge nach Südfrankreich gebracht. Im Juni 1942 wurde die Gruppe, die durch einen V-Mann verraten worden war, von Beamten des Devisenschutzkommandos auf dem Brüsseler Nordbahnhof in einem Zug nach Kortrijk festgenommen und der Sicherheitspolizei übergeben. Alle Personen waren im Besitz falscher Pässe. Bei der Nachschau des Gepäcks wurden versteckte Wertsachen und Devisen gefunden, als deren Eigentümer man Walter Rubens identifizierte. Vom DSK vernommen, sagte Rubens aus: „Anlässlich meiner Bekanntschaft mit Max Goldberg im vergangenen Jahr [1941] lernte ich auch seinen Vater, der damals in Antwerpen […] wohnte, kennen. Ich hatte von ihm gehört, dass er Reisekoffer mit Geheimverstecken herstellte. Da ich selbst im Besitze zahlreicher Goldmünzen noch aus der Vorkriegszeit her war und ich in den Geheimverstecken dieser Koffer das sicherste Versteck für diese Münzen sah, ließ ich mir auch zur damaligen Zeit von Goldberg einen Koffer mit Geheimversteck herstellen. Ich selbst nahm die in meinem Besitz befindlichen Goldmünzen mit zu Goldberg, der diese Münzen in meinem Beisein in einen Koffer in der oberen Holzleiste einarbeitete. Seit dieser Zeit befinden sich die Goldmünzen in diesem Koffer. Zum Zwecke meiner Auswanderung und zur Mitnahme dieser Goldmünzen war dieser Koffer nunmehr erst recht geeignet. […] Ich wollte diese Goldstücke nunmehr mit in die Schweiz nehmen, um dort hiervon meinen Lebensunterhalt zu bestreiten.“ 13
Als das Gericht der Feldkommandantur Antwerpen Walter Rubens Ende August 1942 verurteilte und seine Wertsachen „im objektiven Verfahren zu Gunsten der deutschen Militärverwaltung“ einzog, also geradewegs raubte, war dieser bereits mit seiner Frau und den beiden Müttern nach Auschwitz gebracht worden – mit dem ersten Transport, der am 4. August 1942 aus Belgien abfuhr. Wie von Kriegsgerichtsrat Dr. Schmiegelow festgehalten wurde, der den makaberen Prozess leitete, konnte der Angeklagte zur Hauptverhandlung nicht geladen werden, „weil er Ende Juli durch den Sicherheitsdienst zum Zwecke
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des Arbeitseinsatzes mit unbekanntem Ziel nach dem Osten in Marsch gesetzt wurde“ 14 . Auch der Fluchthelfer Max Goldberg wurde deportiert, er fuhr Mitte September mit dem Transport Nr. IX nach Auschwitz. Gegen seinen Vater, den Hersteller der Koffer mit den Geheimfächern, schwebte zu diesem Zeitpunkt ein Verfahren wegen „Devisen- und Menschenschmuggels“, das bereits Ende 1941 seinen Anfang genommen hatte. Schon damals hatte das Antwerpener DSK mehrere V-Leute auf Juden angesetzt, die nach Frankreich zu fliehen versuchten. Auf diese Weise war den Zollfahndern bekannt geworden, dass ein „Judentransport“ (wie der DSK-Bericht das nannte) vom Brüsseler Südbahnhof aus stattfinden sollte. Tatsächlich wurde daraufhin Anfang November 1941 eine Gruppe von illegalen Auswanderern zusammen mit einem belgischen Helfer verhaftet, und so geriet Icek Goldberg in die Hände der Deutschen: „Bei der Durchsuchung der Wohnung und der Arbeitsräume des Beschuldigten Goldberg wurden drei fertige und zwei halbfertige Koffer vorgefunden, die mit Geheimbehältern versehen waren. Diese Koffer hat Goldberg selbst hergestellt. Nach seinen Angaben wollte er die Koffer an Leute verkaufen, die die Absicht hatten auszuwandern und mit Hilfe der Koffer Geld und andere Wertsachen ohne Genehmigung nach dem Ausland verbringen wollten.“ 15
Das Ermittlungsverfahren gegen Goldberg u. a., in das mehrere Fluchthelfer und Passfälscher einbezogen waren und das zeitweilig auch von der Sicherheitspolizei bearbeitet wurde, sollte erst im Dezember 1942 zu einem Urteil des Antwerpener deutschen Militärgerichts führen. Goldberg, der schon bald gegen eine hohe Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen worden war, Anfang 1942 von Antwerpen nach Brüssel umzog und offenbar seine Fluchthilfeaktivitäten zwischenzeitlich mit Unterstützung seines Sohnes Max bis zu dessen Verhaftung im Juni 1942 hatte fortsetzen können, wurde nun wegen Devisenvergehens zu einer Geldstrafe verurteilt, die der Höhe der Kaution entsprach. Sechs fertige und halbfertige Schmuggelkoffer aus seinem Besitz wurden eingezogen. Ob er anschließend wieder in Haft genommen oder der Gestapo übergeben wurde, die das Verfahren wegen „Personenschmuggels“ weiterverfolgte, ist nicht dokumentiert. Am 9. Juni 1943 wurde Icek Goldberg gemeinsam mit seiner 16jährigen Tochter Hélène und dem jüngeren, zehn Jahre alten Sohn Ruben (René) in Malines für den XXI. Transport registriert. Keiner von ihnen kehrte aus Auschwitz zurück. Fluchtversuche nach Frankreich 1942 Im Juli 1942 hatten die Massendeportationen von Juden aus Frankreich und den Niederlanden begonnen, und Anfang August wurde der erste Transport in Malines zusammengestellt. Die Flucht über mehrere Grenzen und Demar-
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kationslinien hinweg nach Südfrankreich – und von dort womöglich weiter in die Schweiz oder nach Spanien – eröffnete für Juden, die der deutschen Herrschaft in Westeuropa unterworfen waren, eine der wenigen verbliebenen Rettungsmöglichkeiten. Anfang August 1942 nahmen Beamte der Außenstelle Lille des Devisenschutzkommandos Frankreich im Zug von Lille nach Nancy-Besançon zwei jüdische Frauen, Alta Altman verh. Ejgier und deren Tochter Sura Ejgier, sowie den französischen Staatsangehörigen René D. fest. Die Verhaftung ging auf einen V-Mann zurück, der angegeben hatte, ein Fluchthelfer wolle zwei Jüdinnen aus Belgien illegal über die innerfranzösische Demarkationslinie in die freie Zone bringen. Das Verhör der beiden Frauen, die unter massivem Druck standen, brachte die Zollbeamten auf die Spur einer zweiten beteiligten Fluchthelferin, der belgischen Staatsangehörigen Irène M. aus Brüssel. Von Lille aus informiert, eröffnete das Brüsseler DSK ein Ermittlungsverfahren gegen sie. Irène M. erklärte bei ihrer Vernehmung, sie habe Alta Altman und Sura Ejgier erst kurz zuvor kennengelernt: „Die Jüdinnen wollten ins unbesetzte Frankreich auswandern. Sie wollten mir eine Belohnung geben, wenn ich ihnen über die Demarkationslinie verhelfen würde. Ich sagte dies zu und versprach ihnen, sie nach Lille zu dem mir bekannten Ehepaar D. zu bringen, von wo sie weitertransportiert würden. […] Am 30. Juli 1942 fuhr ich mit dem Zug mit den beiden Jüdinnen nach Lille. Bei dieser Gelegenheit führte ich [größere Geldbeträge] aus Belgien nach Frankreich aus. Die ausgeführten Gelder übergab ich den Jüdinnen in Lille. […] Sonst habe ich mit der Angelegenheit nichts zu tun. Es ist zutreffend, dass ich auch die beiden jüdischen Identitätskarten nach Frankreich gebracht habe. […] Es war mir bekannt, dass es verboten ist, Juden bei der illegalen Auswanderung behilflich zu sein und dass Zahlungsmittel nur mit Genehmigung aus Belgien ausgeführt werden dürfen. Ich wollte mir jedoch durch meine Handlungsweise etwas zum Lebensunterhalt verdienen.“ 16
Die ihr zugesagte Belohnung in Höhe von 20 000 belgischen Francs, die hinterlegt worden war und die ihr erst nach Ankunft der beiden Frauen im unbesetzten Frankreich ausgehändigt werden sollte, erhielt Irène M. allerdings nicht. Ein deutsches Militärgericht verurteilte sie wegen Devisenvergehens und Beihilfe zum unbefugten Verlassen des belgischen Staatsgebiets zu vier Monaten Gefängnis. Wer waren diese beiden Frauen, die die Flucht im letzten Moment wagten? Alta Rosa Altman wurde 1898 in Polen geboren, sie heiratete in eine große Familie aus Opatów ein, wo auch ihre beiden Töchter Sura-Rywka und Mindla 1922 bzw. 1923 zur Welt kamen. 1929 wanderte sie mit ihrem Mann Uszer Ejgier und den Kindern von Łódz´ nach Belgien aus. Beide Eltern betrieben das Schneiderhandwerk. Während der Zeit der deutschen Besatzung wohnten sie in dem Brüsseler Stadtviertel Marolles, einem Zentrum der jüdischen Im-
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migration. Uszer Ejgier und die jüngere Tochter Mindla entschlossen sich bereits in der ersten Jahreshälfte 1942, nach Frankreich zu fliehen. Sie gelangten in das unbesetzte Gebiet und erreichten Nizza. Ende Juli, als in Belgien schon die Deportation drohte, versuchten die Mutter und die ältere Tochter, ihnen dorthin zu folgen. Sie hatten sich in Brüssel für insgesamt 4000 oder 6000 belgische Francs falsche Identitätskarten beschafft, und sie trugen keinen „Judenstern“. Mit Unterstützung der Fluchthelferin Irène M. war ihnen die Ausreise aus Belgien geglückt. Während der Zugfahrt ab Lille hatten sie – der Strafanzeige des DSK zufolge – ihr Geld „äußerst raffiniert versteckt“. Auch die richtigen Ausweise mit dem aufgestempelten „JUIF-JOOD“ fanden die deutschen Beamten im Gepäck verborgen vor, sie waren in die Deckel eines Buches eingeklebt worden. Etwa einen Monat nach der Festnahme setzte das DSK Lille im September die Sicherheitspolizei von dem Fluchtversuch in Kenntnis und beantragte gleichzeitig beim Gericht der dortigen Feldkommandantur, die Frauen zu einer Gefängnisstrafe von je acht Monaten zu verurteilen. Beide wurden zur Strafverbüßung in das Brüsseler Gefängnis Saint-Gilles gebracht und am 20. November 1942 – mit Zustimmung des Wehrmachtgerichts Lille, das sich zum Erfüllungsgehilfen des Judenreferats machte – in das Lager Malines überstellt. Offensichtlich sollten sie mit dem Transport Nr. XVIII vom 15. Januar 1943 deportiert werden. Doch es gelang ihnen, eine sogenannte „W-Nummer“ zu erhalten, die für Häftlingsarbeiterinnen bestimmt war; wahrscheinlich wurden sie zeitweilig in der Schneiderei des Lagers beschäftigt. Erst zu einem sehr späten Zeitpunkt, nämlich am 27. Juli 1943, wurden die beiden Frauen auf die Liste des XXI. Deportationszuges gesetzt. Fluchten aus den Niederlanden 1942/43 Im XXI. Transport befanden sich 102 Juden, die in keiner belgischen Kommune gemeldet waren, sondern ihren Wohnsitz in den Niederlanden hatten – mehr als zwei Drittel von ihnen in Amsterdam. Diese Flüchtlinge, die zwischen Mai und Juli allein oder in kleinen Gruppen auf der Transportliste registriert wurden, dürften fast ausnahmslos erst 1943 und lediglich zur Durchreise in Belgien eingetroffen sein. Aus Holland kommend, wo die meisten von ihnen seit ihrer Geburt lebten, versuchten sie, das französische Territorium zu erreichen, um von dort aus in die Schweiz oder nach Spanien zu gelangen, als sie im Transitland Belgien verhaftet wurden. Am 20. Mai 1943 geriet eine Gruppe von fünf Amsterdamer Juden am Brüsseler Nordbahnhof in die Fänge der Besatzer: Flora Cohen, in Amsterdam geboren, Schneiderin von Beruf, stand kurz vor ihrem 27. Geburtstag. Ihren Ehemann hatten die Deutschen bereits 1941 aus den Niederlanden in das Konzentrationslager Mauthausen deportiert. Die 28jährige Pelznäherin Liesel Sondheimer war ebenfalls Witwe. Sie stammte ursprünglich aus Hessen in
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Deutschland und hatte 1936 in Holland ihren Sohn Wolfgang Wijnman zur Welt gebracht, der gemeinsam mit seiner Mutter verhaftet wurde. Sein Vater war Ende 1942 in Auschwitz ermordet worden. Lea Batist und Levie Dupont wurden beide 1920 geboren – sie in Berlin, er in Amsterdam – und hatten Ende der dreißiger Jahre in Amsterdam geheiratet. Beide besaßen, ebenso wie Flora Cohen, die niederländische Staatsangehörigkeit und führten bei der Flucht ihre niederländischen Ausweise mit sich, die mit einem großen „J“ gestempelt waren. Es waren jedoch nicht die echten Papiere, die ihnen zum Verhängnis wurden. Denn ihre Verhaftung erfolgte nicht im Rahmen einer Ausweiskontrolle. Vielmehr erfuhr das Devisenschutzkommando durch einen seiner Spitzel von ihrer Ankunft in Brüssel, woraufhin Zollsekretär Bertrand sich auf den Nordbahnhof begab und die holländischen Flüchtlinge festnahm. Zumindest das Ehepaar Batist-Dupont gehörte zu der großen Gruppe derjenigen niederländischen Juden, die noch im Vorjahr hatten hoffen können, vor einer Deportation nach Deutschland geschützt zu sein. Im Juli 1942, als die ersten Züge aus dem niederländischen Westerbork nach Auschwitz fuhren, arbeitete Levie Dupont als Kürschner in einem für die deutsche Wehrmacht produzierenden Betrieb. Spätestens ab August 1942 war Lea Batist-Dupont, die denselben Beruf wie ihr Mann erlernt hatte, als Pelznäherin ebenfalls für die Rüstungsinspektion der Wehrmacht tätig. Noch Ende November 1942 konnte sie eine neue Bescheinigung über ihre „Freistellung“ von der Deportation erlangen. Doch ab Beginn des Jahres 1943 gaben die deutschen Machthaber in Holland das System massenhafter „Freistellungen“, von dem etwa ein Drittel der niederländischen Juden abhingen, weitgehend auf. Zugleich führten sie in Amsterdam und in den Provinzen große Razzien durch und beschleunigten die Verhaftung jüdischer Frauen, Männer und Kinder auf dramatische Weise 17. In dieser Situation nahmen die Eheleute Batist-Dupont und viele andere in Holland lebende Juden im Frühjahr 1943 das Risiko einer Flucht Richtung Frankreich auf sich. Nach der Festnahme am Brüsseler Nordbahnhof lieferte das Devisenschutzkommando alle vier Erwachsenen und das sechsjährige Kind an die Sicherheitspolizei aus. Kaum waren sie nach Malines gebracht worden, verhafteten die Deutschen Levie Duponts verwitwete Mutter Duifje Zegerius und seine jüngeren Geschwister Judith und Jopie, 18 bzw. 13 Jahre alt. Auch sie waren aus Amsterdam geflohen. Auch sie fielen in Belgien in die Hände ihrer Verfolger. Keiner von ihnen gehörte zu den Überlebenden des XXI. Transports. Dass mehrere Angehörige einer holländischen Familie, die nach Frankreich zu fliehen versuchten, kurz hintereinander in Belgien in die Gewalt der Gestapo gerieten, war kein Einzelfall. Rebecca Kesing-De Vos, 1907 in Amsterdam geboren und Hausfrau, flüchtete zusammen mit ihrem zwei Jahre älteren Mann und ihren drei kleinen Kindern nach Belgien, um von dort aus über Frankreich
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in die Schweiz zu gelangen. Wann sie Holland verließen, lässt sich nicht genau aufklären, doch zweifellos hielt sich die Familie längere Zeit illegal in Belgien auf und wartete dort auf einen günstigen Zeitpunkt zur Weiterreise. Im Winter 1942/43 wurden die Mutter, ihre achtjährige Tochter Roosje Yvonne, die siebenjährige Ingrid Marietta und der sechs Jahre alte Kees in ihrem Versteck verhaftet, wahrscheinlich Anfang Februar 1943 nach Malines gebracht und für den XX. Konvoi registriert. Der Familienvater konnte der Verhaftung entkommen. Goedman Kesing verfügte über Kontakte in dem Land, das er in der Vorkriegszeit als Handelsreisender besucht hatte, und fand Unterstützung bei einem ehemaligen belgischen Geschäftspartner in Brüssel-Etterbeek und dessen Ehefrau. Während er sich selbst verstecken musste, unternahm Kesing, der sich einen falschen belgischen Ausweis beschafft hatte, zwischen Februar und April 1943 verzweifelte Anstrengungen, um seine Frau und seine drei Kinder aus Malines zu befreien. Eine Rettungschance versprach der Kontakt zu einer in Brüssel lebenden Frau, die vorgab, einen deutschen SS-Offizier bestechen zu können. Die Frau verlangte eine Menge Geld, das Kesing zahlte, nicht ohne verschiedene Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Doch er war an eine Betrügerin geraten. Immer neue Termine, an denen die Freilassung angeblich erfolgen sollte, verstrichen. Am 19. April fuhr der XX. Transport mit Rebecca Kesing-De Vos und ihren drei Kindern nach Auschwitz. Kesing erhielt dagegen die Auskunft, dass seine Familie an einem dritten Ort in Sicherheit gebracht worden sei. Obwohl er bereits seit längerem einen Betrug befürchtete, hoffte er daraufhin noch mehrere Tage auf die Nachricht der Freilassung seiner Angehörigen, während diese bereits von den Deutschen ermordet worden waren. Anfang Mai 1943 beschloss er, gegen die Betrügerin Anzeige bei der belgischen Polizei zu erstatten. Gegen Ende Juni 1943 wurde Goedman Kesing verhaftet, als er in sein Versteck zurückkehren wollte. Einen Monat darauf deportierte die Sipo-SD ihn mit dem XXI. Transport nach Auschwitz. Heiraten Am 21. Juli 1943 verhaftete die Gestapo Sura Gliksman zusammen mit ihrer 11jährigen Tochter Liliane in ihrer eigenen Wohnung in Brüssel. Zwei Tage später wurden Mutter und Tochter in Malines dem XXI. Transport zugeteilt. Sura Rywka Gliksman zählte 40 Jahre. Selbst in Polen geboren, hatte sie ihre Tochter Liliane in Brüssel-Ixelles zur Welt gebracht. Damals war sie noch unverheiratet. Als sie sich 1940 in das auf Veranlassung der Besatzungsmacht angelegte „Judenregister“ eintragen ließ, gab sie als Beruf Hausiererin an. 1941 verzog sie mit ihrer Tochter in den Norden Brüssels, wo sie in der Folgezeit ein Wäschegeschäft führte. Anfang Juni 1943 wurde sie vom deutschen Devisenschutzkommando belangt, das aufgrund der Anzeige eines seiner V-Leute Goldmünzen und Devisen bei ihr suchte. Wenngleich das Verfahren ergebnis-
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los eingestellt wurde, ist nicht auszuschließen, dass die kurz darauf erfolgende Verhaftung durch die politische Polizei auf einen Hinweis der Devisenfahnder zurückging. In jedem Fall hatte Sura Rywka Gliksman frühzeitig versucht, sich und ihre Tochter vor der Deportation zu schützen. Am 4. August 1942, dem Abfahrtstag des ersten Zuges aus Malines nach Auschwitz, war sie die Ehe mit dem belgischen Staatsangehörigen Gustave R. eingegangen. Im XXI. Transport befanden sich ein Dutzend Frauen, die unter deutscher Besatzung nicht-jüdische Belgier geheiratet hatten. Manche von ihnen lebten wie Sura Gliksman seit vielen Jahren im Land, andere waren erst 1939 aus Deutschland geflohen. Doch fast alle hatten den Weg zum Standesamt im August 1942 angetreten. Es handelte sich um zweckgerichtete Mischehen, die die letzte Chance versprachen, das Leben in Belgien auf legalem Wege zu sichern. Im dramatischen Sommer 1942 entschlossen sich manche Jüdinnen zur raschen Heirat. Das damit verbundene persönliche Risiko versuchten sie jedenfalls im Falle regelrechter Scheinehen durch einen notariellen Vertrag zu vermindern, der die Auflösung der Ehe nach dem Abzug der Deutschen ermöglichen sollte 18. Der Brüsseler Oberstaatsanwalt Van Beirs unterstützte diese Rettungsbemühungen gezielt, indem er Juden unverzüglich traute und die gesetzlich vorgeschriebenen Fristen außer acht ließ. Doch die Besatzer machten alle damit verbundenen Hoffnungen zunichte. Ungeachtet der Tatsache, dass die jüdischen Immigrantinnen mit der Eheschließung in der Regel auch die belgische Staatsangehörigkeit erhielten, ermächtigte Militärverwaltungschef Reeder die Sipo-SD bereits 1942 dazu, die in Mischehe lebenden Juden nach Auschwitz zu deportieren, sofern sie nicht bereits vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht geheiratet hatten 19 . Verstoß gegen antijüdische Verordnungen Im April 1940 fiel der Polizei in Brüssel ein dreißigjähriger deutscher Flüchtling namens Erich Bier auf. Bier, dessen Beruf Sprachlehrer, aber auch Drucker gewesen sein soll, war ein Jahr zuvor aus Köln mit seiner Familie nach Belgien gekommen. Offenbar hatte ihn jemand angezeigt, denn im Bericht des Polizeikommissariats heißt es, eine anonyme Person habe behauptet, „dass der Dr. R. Bier [sic], wohnhaft in St. Gilles, 35 avenue du Roi, und ein gewisser S. […], den man täglich gegen 13 Uhr telefonisch erreichen kann, versprechen, gegen einen Betrag von mindestens 3500 belgischen Franken deutschen Juden zur Emigration aus Deutschland in unser Land zu verhelfen“. 20 Ob der Hinweis auf Tatsachen beruhte, bleibt ungewiss; auch lässt sich nicht sagen, ob Bier, der anderen Juden Englischunterricht erteilte, wirklich einen falschen Doktortitel verwendet hatte. Immerhin war der genannte Preis, mit dem eine illegale Einreise finanziert und mehrere Helfer bezahlt werden mussten, nicht ungewöhnlich hoch. Im Mai 1940 wurde Bier von den belgischen Behörden mit Tausen-
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den von „unerwünschten Ausländern“ zeitweilig nach Frankreich ausgewiesen und interniert, konnte jedoch bald nach Brüssel zurückkehren. Ab Ende 1941 erhielt er eine Beschäftigung als Kellner oder Küchengehilfe in einem zum deutschen „Künstlerhaus“ erklärten Hotel am Brüsseler Nordbahnhof. Dies führte nach dem Krieg, als er längst von den Deutschen ermordet worden war, zu dem Verdacht, er habe mit den Besatzern kollaboriert. Überliefert ist freilich, dass er unter nicht ganz geklärten Umständen, vielleicht aufgrund einer Denunziation oder nach tätlichen Auseinandersetzungen mit einem Wehrmachtangehörigen, im April 1942 auf seiner Arbeitsstelle verhaftet und in Untersuchungshaft genommen wurde. Während der Vorwurf, er habe Lebensmittelmarken entwendet, fallengelassen wurde, verurteilte ihn das Gericht der Oberfeldkommandantur Brüssel im Juni 1942 wegen Verstoßes gegen die antijüdischen Bestimmungen zu einer einjährigen Gefängnisstrafe, weil er sich nicht in das obligatorische „Judenregister“ hatte eintragen lassen, einen falschen Namen benutzt und die für Juden geltende Sperrstunde nicht eingehalten hatte. Dieser Spruch eines deutschen Kriegsrichters kam einem Todesurteil gleich. Von 1942 bis zum Frühsommer 1943 verbüßte Erich Bier seine Strafe im Wehrmachtgefängnis Saint-Gilles und im Lager Merksplas, einer ehemaligen Flüchtlingsunterkunft, die die Besatzungsmacht als Strafgefangenenlager nutzte. Im Juni 1943 brachte man ihn nach Malines, von wo er mit dem XXI. Transport deportiert wurde. Seine Frau und seine beiden Söhne haben die Verfolgung überlebt. Nichttragen des „Judensterns“ Leopold Wachs war im Mai 1939 aus Wien nach Brüssel geflohen. Seine Ehefrau Eugenie und ein 15jähriges Kind blieben in Österreich zurück. 1891 in Rumänien geboren, besaß Wachs die österreichische bzw. deutsche Staatsangehörigkeit. Die jüdische Kultusgemeinde Wien hatte er bereits 1927 verlassen. Dies sollte ihn vor dem rassenbiologisch begründeten Antisemitismus der Nationalsozialisten nicht bewahren. Nachdem die Deutschen den Flüchtling in Brüssel eingeholt hatten, leistete Wachs den antijüdischen Verordnungen zunächst Folge: Er ließ sich 1940 im „Judenregister“ und 1942 bei der Zwangsvereinigung der Juden einschreiben. Während er in Wien als Handelsangestellter tätig gewesen war, bestritt er seinen Lebensunterhalt in Brüssel als Gärtner und Portier. Als die deutsche Militärverwaltung im Juni 1942 die Kennzeichnungspflicht für Juden einführte, verlor Leopold Wachs seine Arbeitsstelle in der von den deutschen Truppen besuchten Brüsseler Gaststätte „Winzerhof“, wo er seit fast zwei Jahren als Portier sein Geld verdient hatte. Vor demselben Lokal wurde er im September 1942 von einem ihm bekannten Wehrmachtangehörigen angehalten. Der Unteroffizier, der bemerkte, dass Wachs keinen Stern trug, führte ihn der nächst-
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gelegenen deutschen Kommandantur vor. Die Feldgendarmerie nahm Leopold Wachs in Gewahrsam und wies ihn in das Gefängnis Saint-Gilles ein. Vom Gericht der Oberfeldkommandantur Brüssel verurteilt, wurde er von dort in das Strafgefangenenlager Merksplas überführt. Dass die Wehrmachtgerichtsbarkeit ihn nach Verbüßung der Haftstrafe nicht umgehend an die Gestapo auslieferte, wie dies anderen verurteilten Juden widerfuhr, mag darauf zurückzuführen sein, dass Wachs seine vorläufige „Freistellung“ vom Arbeitseinsatz erreicht hatte. Ende Oktober 1942 aus Merksplas entlassen, gelang es ihm, erneut eine Anstellung als Portier in Brüssel zu erhalten, die er bis Ende März 1943 ausübte. Zugleich wechselte er mehrfach seine Wohnung. In der Folgezeit hielt er sich offenbar mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. So verteilte er im Juni 1943 auf der Straße Werbezettel für den deutschsprachigen „Winzerhof“, von dem bereits die Rede war. Diese Tätigkeit schloss, ebenso wie die vorangegangene Beschäftigung als Portier, das Tragen eines Kennzeichens aus. Wachs führte daher vermutlich eine halblegale Existenz, als er erneut verhaftet wurde. Am 10. Juni 1943 wurde er in Malines für den XXI. Transport registriert. Er überlebte seine in Wien zurückgebliebene Ehefrau lediglich um ein Jahr. Eugenie Wachs war im August 1942 in das bei Minsk errichtete Lager Maly Trostenez deportiert und dort erschossen worden. Die Feststellung von Verstößen gegen den von der Militärverwaltung erlassenen Kennzeichnungszwang gehörte zu den typischen Aufgaben der deutschen Feldgendarmerie, die auch nach Beginn der Deportationen fortfuhr, Juden „ohne Stern“ zu verhaften – nicht nur in Belgien, sondern auch in Nordfrankreich. Im Juni 1943 ging bei der Brüsseler Zwangsvereinigung der Juden (Abteilung Eingaben) ein Brief aus dem nordfranzösischen Roubaix ein. In dieser Stadt lebte Alexandre Raby, der in Polen geboren worden war, doch schon 1914 in Frankreich geheiratet hatte. Seine Ehefrau wandte sich an die AJB, weil Alexandre Raby aus Frankreich verschleppt worden war: „Mein Mann wurde den 22. 4. 1943 wegen Nichttragen des ‚Judensterns‘ durch die Feldgendarmerie verhaftet, bis zum heutigen Tage keine Spur. Seine Akten sollen sich angeblich in Brüssel befinden. Ich bitte Sie, alles Mögliche anzuwenden, um meinen Mann zu finden. Mein Mann ist französischer Staatsbürger [und] Frontkämpfer 14–18.“ 21
Das Gericht der Oberfeldkommandantur Lille, wenn nicht die Feldgendarmerie selbst, hatte den 55jährigen Raby offenkundig an die Sicherheitspolizei ausgeliefert. Nach mehreren Wochen Haft im Brüsseler Gefängnis Saint-Gilles wurde er am 5. Juni nach Malines überführt. Seine französische Staatsbürgerschaft sollte ihn nicht schützen. Der Verstoß gegen deutsche Bestimmungen galt den Besatzungsbehörden als Vorwand, um auch Juden französischer Staatsangehörigkeit, die in Nordfrankreich lebten und den allgemeinen Richtlinien zufolge noch von der Deportation ausgenommen waren, zu deportieren.
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Von der Gestapo für „staatenlos“ erklärt, erhielt Alexandre Raby die Nummer 553 im XXI. Transport zugewiesen. Falsche Papiere Viele Juden, die im Frühjahr oder Frühsommer 1943 verhaftet wurden, hatten nicht nur das Kennzeichen von ihrer Kleidung entfernt, sondern sie hatten sich darüber hinaus falsche Ausweise beschaffen können. Isaac Groisman, im bessarabischen Kischinew geboren, lebte seit den zwanziger Jahren in Belgien. Als er im Februar 1943 vom DSK in Brüssel auf der Straße aufgegriffen wurde, war er 37 Jahre alt, ledig und besaß die rumänische Staatsangehörigkeit. Seine gefälschten Papiere wiesen ihn als Italiener aus, doch bei der Vernehmung durch die deutschen Beamten musste er seine richtige Identität preisgeben. Zollinspektor Göthling und Zollsekretär Johannsen, die einen Tip von einem ihrer V-Männer erhalten hatten, überraschten Groisman bei dem Versuch, durch den An- und Verkauf von Goldmünzen Geld zu verdienen. Das Verbot eines solchen Handels sei ihm bekannt, gab Groisman zu Protokoll, doch habe er zur Zeit keine andere Verdienstmöglichkeit. Der gelernte Kellner konnte seinen Beruf infolge der antijüdischen Verordnungen des Militärbefehlshabers nicht mehr ausüben. Aber die Beamten vom DSK sahen in den Reaktionen und Überlebensstrategien der Verfolgten nichts anderes als die Bestätigung ihrer antisemitischen Ressentiments. Zollinspektor Göthling schrieb in seinen Ermittlungsbericht: „Groisman ist ein Schieber und Lügner übelster Sorte, der seinen Lebensunterhalt nur durch solche illegalen Geschäfte bestreitet“ 22 . Mit Zustimmung seines Vorgesetzten lieferte er den Gefangenen „zum Zwecke des Arbeitseinsatzes“ an die Sicherheitspolizei aus. Anfang April 1943 holte die Gestapo Groisman aus dem Wehrmachtgefängnis Saint-Gilles und brachte ihn nach Malines. Als rumänischer Staatsangehöriger erhielt er vorerst eine sogenannte E-Nummer, die ihn vor der Abfahrt mit dem XX. Transport bewahrte. Der Status der rumänischen Juden war in Belgien ebenso unsicher wie in Frankreich 23 . Nachdem die rumänische Regierung ihren jüdischen Staatsangehörigen in Westeuropa im Sommer 1942 ihren Schutz entzogen hatte, deportierten die Deutschen eine große Zahl rumänischer Juden – im XII. Transport, der im Oktober 1942 aus Belgien abfuhr, befanden sich mehr als 80 Rumänen 24 . In der Folgezeit intervenierte die rumänische Regierung wiederholt in Einzelfällen beim Auswärtigen Amt, und während über die Repatriierung rumänischer Juden verhandelt wurde, konnte das Reichssicherheitshauptamt diese nicht deportieren. So war der Stand im Frühjahr 1943. Kurz nachdem das Brüsseler Judenreferat der AJB mitgeteilt hatte, dass ein Vertreter des rumänischen Konsulats zur Prüfung in das Lager Malines kommen werde, ließ die Gestapo Isaac Groismann am 11. Juni aufgrund seiner Nationalität frei. Unter ungeklär-
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ten Umständen wurde er zwei Wochen später erneut verhaftet. Die SS-Lagerverwaltung teilte ihm die Nummer 1304 für den XXI. Transport zu. Nun hatte das Gericht der Oberfeldkommandantur Brüssel auf Antrag des DSK ein Verfahren gegen Groisman angestrengt, dessen Durchführung Zeit in Anspruch genommen und womöglich sein Leben gerettet hätte. Doch einen Tag vor Abfahrt des XXI. Transports hielt das Gericht seine Zustimmung zur Deportation von Isaac Groisman schriftlich fest. Generalleutnant von Hammerstein, als Kommandant der Oberfeldkommandantur Brüssel amtierender Gerichtsherr, und der zuständige Feldkriegsgerichtsrat stellten das Verfahren gegen ihn ein, „da der Beschuldigte durch die Sicherheitspolizei im Lager in Mecheln untergebracht [sic] und in Kürze nach Deutschland abtransportiert werden soll“ 25 . Damit war das Schicksal von Isaac Groisman besiegelt. Besonders schwierig war die Lage der Flüchtlinge aus den Niederlanden. Manche Juden versahen sich mit einem ganzen Satz gefälschter niederländischer bzw. deutscher Papiere, um die zahlreichen Kontrollen zu passieren, die ihnen auf dem langen Weg aus Holland über Belgien nach Frankreich bevorstanden26 . Die meisten niederländischen Flüchtlinge, von denen falsche Ausweise überliefert sind, benutzten allerdings belgische Identitätskarten. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die unter deutscher Besatzung in den Niederlanden neu eingeführten Personendokumente sehr viel schwieriger zu fälschen waren 27 . Um so bemerkenswerter ist, dass viele niederländische Juden, die den illegalen Grenzübertritt wagten, dieses Hindernis zu umgehen und sich bereits in Amsterdam falsche belgische Papiere zu besorgen wussten 28 . In Belgien, wo Mitarbeiter von weit mehr als 100 frankophonen Kommunen Ausweise für „untergetauchte“ Juden zur Verfügung stellten, konnten die Vertreter des nationalsozialistischen Polizeistaats eine tatsächliche Kontrolle der einheimischen Bevölkerung nicht durchsetzen. Hijman Perels, 1903 in Amsterdam geboren, wo er bis zu seiner Deportation offiziell gemeldet und zuletzt wahrscheinlich als Händler tätig war, gab sich auf seiner Flucht nach Frankreich als belgischer Staatsangehöriger namens Robert Jacques Verheyleweghen aus. Er konnte einen entsprechenden Ausweis der Brüsseler Gemeinde Schaerbeek vorweisen, als er am 7. Mai 1943 von dem deutschen Gestapoangehörigen Siegburg auf der Straße angehalten wurde. Doch Siegburg, Leiter eines Festnahmekommandos des Brüsseler Judenreferats, schöpfte Verdacht und unterwarf Hijman Perels der Körperkontrolle. Anschließend vermerkte er in seinem Ausweis: „Belgischer Jude ohne Stern auf der Straße angetroffen. Ist beschnitten. Als Arier ausgegeben. Zugegeben das [sic] Jude.“ 29 Am folgenden Tag brachten die Deutschen Perels nach Malines. Kurz darauf wurde sein zehnjähriger Sohn Louis aus den Niederlanden in das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Seine Ehefrau Lena Perels-Coster war der „Endlösung“ schon zum Opfer gefallen, bevor ihr Mann die Niederlande
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fluchtartig Richtung Belgien verließ. Hijman Perels kam knapp ein Jahr nach ihr mit dem XXI. Transport in Auschwitz an. Die Festnahmekommandos der Gestapo nahmen Leibesvisiten vor, um Juden zu identifizieren. In diesem Fall blieb jüdischen Männern keine Chance, ihre Identität zu verschleiern. Jüdische Frauen versuchten dagegen nicht selten, auch nach der Festnahme ihre Tarnung aufrecht zu halten. Die Kürschnerin Elsa Eder war im Juni 1938 als Kind zusammen mit ihrer Mutter Rosa EderKünstler und ihrer jüngeren Schwester Hertha aus ihrem Geburtsort Wien nach Brüssel geflohen. Wie auch ihre noch in Polen geborene Mutter besaß sie die österreichische bzw. die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Familie lebte offiziell zusammen in Brüssel-Anderlecht. Ob die Mutter und beide Töchter sich tatsächlich noch 1943 an ihrer Meldeadresse aufhielten, lässt sich nicht mehr herausfinden. Sicher ist, dass zumindest Elsa Eder sich mit einer falschen belgischen Identitätskarte zu schützen versuchte. Ihr Ausweispapier stammte von der Gemeinde Roux (Provinz Hainaut) und lautete auf den Namen Lisette Vranckx. Im April 1943 verhaftet, weigerte Elsa Eder sich hartnäckig, ihren richtigen Namen preiszugeben. Sie bestritt, Jüdin zu sein. Auch verweigerte sie Angaben zu ihrem Wohnort. Die Gestapo muss sie massiv bedroht haben, um schließlich ihre Identität festzustellen. In das Lager Malines eingeliefert, erhielt sie eine sehr niedrige Nummer für den XXI. Transport, dessen Vorbereitung gerade erst begann. Drei Monate später, elf Tage vor ihrem 20. Geburtstag, traf sie in Auschwitz ein. Ihre Mutter und ihre Schwester sollten erst im Jahr darauf gemeinsam deportiert werden. Keine von ihnen hat überlebt. Résistance Dagegen gaben sich jüdische Partisanen und Angehörige belgischer Résistance-Gruppen bei ihrer Verhaftung oft selbst als Juden zu erkennen, um der Folter zu entgehen und sich keine Namen und Informationen über die Untergrundstrukturen abpressen zu lassen. Widerstandskämpfer, die die Shoah überlebten, haben dies vielfach bezeugt. Falsche Papiere oder das Leben im Versteck ließen sich allemal plausibel damit begründen, dass man der Judenverfolgung zu entkommen suchte, und sofern die Besatzer nicht präzise Hinweise auf eine subversive politische Tätigkeit der Verhafteten besaßen, brachten sie ihre Opfer ohne weitere Anstalten in das Lager Malines. Kaum einer der Résistance-Angehörigen, der sich den Deutschen gegenüber selbst als Jude ausgab, dürfte geglaubt haben, dass die Deportation der jüdischen Zivilbevölkerung aus Malines nach „dem Osten“ dem einzigen Zweck diente, Kinder, Frauen und Männer an ihrem Bestimmungsort systematisch zu ermorden. Auf die Frage nach dem Wissen um die „Endlösung“ wird noch zurückzukommen sein. Im XXI. Transport befanden sich eine Reihe von Angehörigen der Partisans
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armés (P. A.), die der kommunistisch dominierten Dachorganisation Front de l’Indépendance (F. I.) angehörten. Aus den Berichten der überlebenden Partisanen wissen wir einiges über die Verfolgung und die Reaktionen derjenigen deportierten Juden, die sich am bewaffneten Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht beteiligt hatten 30 . Was die Mitglieder nicht-bewaffneter Untergrundorganisationen betrifft, so liegen die Erinnerungen von Sara Gutfrajnd-Felzenstein vor, die im Comité de Défense des Juifs (CDJ) mitgearbeitet hat 31 . Über andere Angehörige der Résistance, die mit dem XXI. Konvoi deportiert wurden, ist weniger bekannt. Dies gilt beispielsweise für Estera Najberger, eine polnische Immigrantin und gelernte Schneiderin. Auch sie engagierte sich für die Arbeit des CDJ. Sie sammelte Kleidung, Lebensmittelmarken und Geldsummen, die zur Unterstützung „untergetauchter“ Juden benötigt wurden32 . Gelegentlich soll sie außerdem das zur Verbreitung von Informationen vom CDJ herausgegebene Untergrundorgan Le Flambeau weitergegeben haben. Am 31. Mai 1943 wurde Estera Najberger zusammen mit ihrem Mann Mordka Gutman verhaftet. Ihre Festnahme stand weder in Zusammenhang mit der anderer Widerstandsangehöriger, noch erfolgte sie während einer Aktion. Ein Angehöriger der belgischen Kollaborationspartei Rex und dessen Gehilfe suchten die Eheleute in ihrer Wohnung im Brüsseler Stadtteil Uccle auf und sagten ihnen auf den Kopf zu, dass sie Juden seien. Bei der Unterkunft handelte es sich um ein Versteck, denn die Meldeadresse von Estera Najberger und ihrem Mann lautete nach wie vor auf Brüssel-Saint-Gilles. Vergeblich versuchte Estera Najberger den Rexisten zu bestechen, um ihre Freilassung zu erreichen. Sie und ihr Mann wurden in die Avenue Louise gebracht, um wenige Tage darauf in Malines einzutreffen, wo die Lagerverwaltung ihre Namen auf der Liste für den XXI. Transport vermerkte. Estera Najberger wurde in Auschwitz-Birkenau registriert und musste im Munitionskommando Zwangsarbeit leisten. Sie überlebte die Todesmärsche und mehrere Lager. Im Mai 1945 nach Belgien zurückgekehrt, war die 32jährige, deren Ehemann die Deutschen ermordet hatten, so sehr vom Leid gezeichnet, dass sie dauerhaft arbeitsunfähig blieb. Im Jahre 1949 wurde sie ebenso wie andere überlebende Juden von der belgischen Polizei als Zeugin vernommen. Um die Täter verurteilen zu können, versuchte das Brüsseler Militärgericht herauszufinden, ob die SS-Leute im Lager Malines vom eigentlichen Zweck der Deportationen gesprochen hatten. Estera Najberger erinnerte sich an Äußerungen des stellvertretenden Lagerleiters Boden. Ihre Aussage ist insofern typisch, als sie die Widersprüchlichkeit der Hinweise bescheinigt, die den Juden vor Abfahrt der Transporte gegeben wurden:
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„Niemals habe ich gehört, dass die nach Auschwitz deportierten Juden dem Tod geweiht waren. Am Tag vor unserer Abreise hielt Boden in unserem Saal einen Vortrag, um uns mitzuteilen, dass wir in ein Arbeitslager fahren und es dort gut haben würden. Doch am folgenden Tag war er betrunken und schrie: ‚Himmelkommando‘. Damals verstand ich nicht, was er damit sagen wollte. Erst als ich in Auschwitz eintraf, habe ich es begriffen.“ 33
Maurice Sztajman, nach dem Krieg offiziell als Angehöriger des bewaffneten Widerstands anerkannt, wurde im Rahmen seiner Mitarbeit bei der bürgerlichen Résistancegruppe Les Insoumis verhaftet 34 . Der 1903 in Warschau geborene Schneider übte seinen Beruf noch bis Ende 1941 aus. In Heimarbeit stellte er in seiner Brüsseler Wohnung Regenmäntel her. Dann ging er nach eigenen Angaben in den Untergrund. Am 20. Juli 1943 war „Martin“ – so lautete sein Deckname – am frühen Abend zu einem konspirativen Treffen auf der Straße in Etterbeek bestellt. Nach seiner Ankunft wurde er von der Geheimen Feldpolizei verhaftet 35 . Sie brachte ihn in die Brüsseler Rue Traversière, wo die GFP-Gruppe 530 ihren Sitz hatte. Wie Maurice Sztajman nach dem Krieg angab, verhörte die GFP ihn zu seiner Widerstandsorganisation und überstellte ihn, nachdem er trotz der erlittenen Schläge nicht ausgesagt hatte, an die Sicherheitspolizei. Von der Gestapo in der Avenue Louise erneut verhört und geschlagen, gab er sich als Jude zu erkennen, woraufhin man ihn in das Lager Malines brachte. Zehn Tage später fuhr der XXI. Transport ab. In Auschwitz wurde Sztajman zunächst einem Kommando zugeteilt, das die Waggons leeren musste. Dann kam er in das Nebenlager Jaworzno, wo er zur Arbeit in den Kohlengruben gezwungen wurde. Auf dem Todesmarsch konnte er schließlich fliehen und kehrte über Czestochowa und Odessa nach Brüssel zurück. Verhaftung außerhalb der Wohnung In der Literatur findet sich die Annahme, dass diejenigen Juden, die ihren legalen Wohnsitz in Belgien nicht aufgaben, fast alle verhaftet worden seien 36 . Holten die Deutschen ihre Opfer also in ihren registrierten Wohnungen ab? Die Frage ist bedeutsam, weil sie gleichermaßen die Überlebensstrategien der jüdischen Bevölkerung, die deutschen Verhaftungstechniken und die Relevanz der von den belgischen Behörden bzw. der jüdischen Zwangsvereinigung AJB angelegten Register betrifft. Auf die Festnahmen in bzw. an der eigenen Wohnung, die in der Tat einen großen Umfang annahmen, werden wir noch zurückkommen. Nachweisbar ist jedoch ebenfalls, dass Hunderte von Juden, die Belgien am 31. Juli 1943 mit dem XXI. Transport verließen, nicht zuhause verhaftet worden waren. Zu den Verhaftungsorten außerhalb des Hauses zählten neben der Straße öffentliche Verkehrsmittel und Ausgabestellen für Lebensmittelmarken. Zyman-Szmul Chrzanowski wurde 1902 im oberschlesischen Dombrowa geboren und erlernte das Schneiderhandwerk. Er besaß die polnische Staats-
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angehörigkeit. 1943 wohnte er in Brüssel-Molenbeek, während seine falschen belgischen Papiere aus der wallonischen Gemeinde Tilly stammten. Seine Verhaftung erfolgte in der Tram in Brüssel. Von einem flämischen SS-Mann Mitte April 1943 angehalten, wurde Chrzanowski kurzfristig in der Rue Van Orley festgehalten, wo das Brüsseler Büro der Germanischen-SS seinen Sitz hatte. Am 19. April lieferten die belgischen Kollaborateure, die offiziell gar keine Exekutivbefugnisse hatten, ihn an das Judenreferat in der Avenue Louise aus. Der Jude, so wurde der Gestapostelle mitgeteilt, habe einen sehr verdächtigen Eindruck gemacht und sich in Begleitung eines anderen Juden befunden, der angeblich bewaffnet gewesen und der Festnahme entkommen sei. Eine dem Gefangenen nahestehende Frau, wahrscheinlich seine Cousine, versuchte ihm in einem Brief in seine Haftstätte Mut zuzusprechen: „Sei tapfer und gib die Hoffnung nicht auf. Die Herrschaften, die Dich gefangen halten, werden schließlich merken, dass Du nur ein einfacher Jude bist.“ 37 Die Schreiberin ahnte offenkundig nicht, dass diese Feststellung, zu der die Deutschen in der Tat rasch gelangten, gleichbedeutend mit Chrzanowskis Todesurteil war. Die Gestapo brachte ihn in das Durchgangslager Malines, wo er noch drei Monate festgehalten wurde, bevor der XXI. Transport abfuhr. Herzek Goldfarb zählte 38 Jahre. Er hatte drei Kinder. Die beiden ältesten Söhne waren in Polen geboren worden, der jüngste in den dreißiger Jahren in Brüssel-Ixelles. Nach dem deutschen Überfall wohnte die Familie im wallonischen Seraing, dann in Brüssel-Anderlecht, bevor sie – noch 1940 – nach Charleroi umzog. Goldfarb, der in Brüssel Diamantenschneider gewesen war, ging nun als Grubenarbeiter in die Minen. Während viele andere Juden sich im Jahr 1942 durch die Verpflichtung zur Arbeit in der wallonischen Kohlenindustrie vor einer Zwangsrekrutierung für die Organisation Todt schützen konnten, wurde Goldfarb im Juni oder Juli 1942 in Charleroi verhaftet, in das nordfranzösische OT-Lager Boulogne überwiesen und auf den Baustellen des Atlantikwalls eingesetzt. Doch bereits nach wenigen Wochen ergriff er die Flucht. Er fand ein Versteck in einem Vorort von Charleroi und beschaffte sich einen falschen Ausweis. Fast ein Jahr lang vermochte er sich im Untergrund zu verbergen. Mitte Juni 1943 geriet er zusammen mit seinem ältesten, 15jährigen Sohn in eine Ausweiskontrolle am Bahnhof des kleinen flandrischen Ortes Booischot in der Provinz Antwerpen. Es waren zwei in Zivil auftretende Männer, höchstwahrscheinlich SS-Angehörige, die die Goldfarbs verhafteten; einer von ihnen gehörte zu den belgischen Kollaborateuren und sprach niederländisch. Sie brachten ihre Opfer zunächst in eine lokale Gaststätte. Dort konnte der Sohn entkommen und sich erfolgreich verstecken, während sein Vater mit Handschellen an eine Bank gekettet wurde. Auch Herzek Goldfarb suchte sich zu befreien und bat eine Augenzeugin um Hilfe. Doch die Angehörigen bzw. Helfershelfer der deutschen Polizei führten ihn aus der Gaststätte ab. Da sie
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selbst nur Fahrräder zur Verfügung hatten, requirierten sie ein weiteres Rad, um Goldfarb persönlich in das nächstgelegene Gefängnis oder möglicherweise direkt nach Malines zu eskortieren. Dem XXI. Transport zugeteilt, kam Goldfarb in Auschwitz ums Leben. Seine drei Söhne erlebten das Kriegsende in Belgien; mindestens einen von ihnen hatte der Vater schon Ende 1942 versteckt 38 . Der Schneider Mordka Kawa und seine Frau Chana Kawa-Benich lebten seit mehr als zehn Jahren in Belgien, als die Deutschen das Land besetzten. Beide waren kurz vor der Jahrhundertwende in Polen zur Welt gekommen. Zusammen mit ihren zwei Kindern wohnten sie nach und nach in verschiedenen Brüsseler Kommunen, spätestens ab Ende 1940 in Schaerbeek. Die älteste Tochter Tauba wurde bereits im August 1942 im Alter von siebzehn Jahren mit dem zweiten Transport aus Belgien nach Auschwitz geschickt. Im Verlauf desselben Jahres gingen die Eltern zusammen mit ihrer jüngeren Tochter in die Illegalität. Sie blieben in Schaerbeek, wo sie von Versteck zu Versteck flohen. Unterstützung fanden sie bei einem Brüsseler Polizisten, in dessen eigener Wohnung sie zwischenzeitlich auch unterkamen. Im Juni 1943 wurde Mordka Kawa an der Ausgabestelle für Lebensmittelmarken in der Schaerbeeker Stadtverwaltung verhaftet. Die Täter gehörten vermutlich der Gestapo an, denn tatsächlich war es die Gestapo, die die Markenausgaben häufig als Falle benutzte 39. Wie im ersten Kapitel beschrieben, hatte sie schon im Herbst 1942 in Antwerpen Massenverhaftungen von Juden an den Ausgabestellen vorgenommen. Damals hatte die jüdische Zwangsvereinigung AJB allerdings erreicht, dass der Militärverwaltungschef die spektakulären Festnahmeaktionen unterband, bei denen auch nichtjüdische Belgier belangt wurden, weil sie seinem Ziel zuwiderliefen, bei der Deportation der Juden möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Gelegentliche Einzelfestnahmen „untergetauchter“ Juden in den Markenbüros waren jedoch mit Reeders Politik durchaus vereinbar. Im Anschluss an die Verhaftung von Mordka Kawa brachten die Deutschen die Adresse seines Verstecks heraus. Seine Ehefrau Chana Mordka-Benich wurde dort verhaftet und zusammen mit ihrem Mann in Malines auf die Liste für den XXI. Transport gesetzt. Doch ihre jüngere Tochter entging den Mordgehilfen. Sie blieb bis zum Ende der Besatzung bei dem Brüsseler Polizisten versteckt. Im XXI. Transport befanden sich viele Mütter und Väter, die sich zur Trennung von ihren Kindern durchgerungen und einen Weg gefunden hatten, ihre Söhne oder Töchter in Sicherheit zu bringen, bevor sie selbst verhaftet wurden. Versteckte Kinder Schon im August 1942, als die ersten Züge aus Belgien nach Auschwitz fuhren, hatten manche jüdischen Eltern ihre Kinder in katholischen Institutionen oder bei nicht-jüdischen Privatpersonen in Pflege gegeben 40 . Im September 1942
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wurde das Comité de Défense des Juifs gegründet, dessen Mitarbeiter das Verstecken von Kindern organisierten, Eltern gezielt dazu überredeten, sich von ihren Kindern zu trennen, und „untergetauchte“ Juden unterstützten. Im selben Monat erhielten auch die Deutschen erste Hinweise darauf, dass jüdische Kinder in katholischen Heimen oder bei Bauern auf dem Land untergebracht wurden41 . Acht Monate später, als der XXI. Transport vorbereitet wurde, teilte das Judenreferat der AJB mit, dass der illegale Aufenthalt jüdischer Kinder bei „Ariern“ nicht mehr länger hingenommen werde. Mitte Mai 1943 gingen die Besatzer von etwa 800 versteckten Kindern aus – tatsächlich waren es noch mehr. Am 20. Mai erschien ein Festnahmekommando der Gestapo – der deutsche Kriminalsekretär Siegburg wurde von dem jüdischen Spitzel „Jacques“ begleitet – in einem katholischen Konvent in Brüssel-Anderlecht, der zu diesem Zeitpunkt 15 jüdische Mädchen beherbergte. Doch diese Kinder konnten gerettet werden. Nachdem die Oberin ihre sofortige Auslieferung unter einem Vorwand verweigert hatte, wurden Königin Elisabeth und die AJB bei verschiedenen deutschen Dienststellen vorstellig, während eine kleine Gruppe jüdischer und nichtjüdischer Partisanen die Mädchen aus der Anstalt entführte und auf diese Weise endgültig dem deutschen Zugriff entzog 42 . Tags darauf reagierten die Deutschen mit der Verhaftung des Ehepaars Heiber. Maurice Heiber stand offiziell an der Spitze der Abteilung Sozialfürsorge der AJB. Im Untergrund leitete er die Kinderkommission im CDJ, in der auch seine Ehefrau Estera Heiber eine maßgebliche Rolle spielte. Salomon Van den Berg, führender Mitarbeiter der AJB, vermerkte in seinem Tagebuch: „Der Krieg gegen die Kinder scheint also begonnen zu haben.“ 43 Hierauf deuteten auch zwei weitere Verhaftungen hin, die im Mai 1943 ebenfalls Mitarbeiter der AJB bzw. des CDJ trafen. Doch in Wirklichkeit tappte die Gestapo, wie Maxime Steinberg nachgewiesen hat, im Dunkeln, und sie erlangte keine Kenntnis der jüdischen Widerstandsorganisation. Das Ehepaar Heiber, dessen Untergrundtätigkeit im CDJ dem Judenreferat unbekannt blieb, sollte nach einer längeren Internierung im Lager Malines 1944 wieder freikommen. Es muss ein Zufall oder eine Denunziation gewesen sein, der die Deutschen einige Wochen später auf die Spur einer anderen Gruppe versteckter Kinder führte. Am 12. Juni 1943 verhafteten sie in einem laizistischen Mädchenpensionat in Brüssel-Woluwé-Saint-Pierre zehn Mädchen und Jungen im Alter zwischen 2 ½ und 15 Jahren. Chaja Gancarski, eine selbst erst knapp 18jährige jüdische Mitarbeiterin des CDJ, die noch im Vorjahr als bei der AJB beschäftigte Kindergärtnerin von der Deportation „freigestellt“ worden war, hatte sich um die Gruppe gekümmert 44 . Auch sie fiel den Besatzern in die Hände, und ebenso erging es einem jüdischen Ehepaar, das sich in der Anstalt verborgen hielt. Neun der Kinder lebten seit ihrer Geburt in Brüssel, und mehrere von ihnen waren Geschwister. Dies gilt auch für David, Abraham, Rosa und Paul Kwiat-
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kowski. Die drei Brüder zählten 13, 12 und 2 ½ Jahre, ihre Schwester hatte ihren 10. Geburtstag Ende Mai 1943 erlebt. Ihr Vater, polnischer Staatsangehöriger und Schneider von Beruf, war wie seine Kinder offiziell in BrüsselSaint-Josse gemeldet. Er sollte im Jahr darauf mit einem der letzten Transporte aus Belgien nach Auschwitz gebracht werden. Von der Gruppe, die zusammen mit seinen Kindern David, Abraham, Rosa und Paul 1943 im Pensionat verhaftet und mit dem XXI. Konvoi deportiert wurde, kehrte ausschließlich Chaja Gancarski aus Auschwitz zurück. Die Direktorin des Pensionats und ihr Ehemann, ebenfalls nach Deutschland deportiert, bezahlten ihren Mut mit dem Leben. Die Verhaftung einer Gruppe versteckter Kinder war freilich ein Einzelfall. Es gelang Eichmanns Männern kaum, die Kinder ausfindig zu machen. Recherchen nach dem Schicksal der Familienangehörigen der deportierten Juden belegen dies auf eindrückliche Weise. Mindestens 74 in Belgien registrierte Kinder unter 16 Jahren, deren Eltern sich im XXI. Transport befanden, entkamen der „Endlösung“ 45 . Wie viele dieser Kinder von ihren Eltern in katholischen Einrichtungen untergebracht, „arischen“ Familien übergeben oder den Mitarbeiterinnen des CDJ anvertraut worden waren, wie viele von ihnen in letzter Sekunde im Haus verborgen wurden und wie viele der Festnahme durch reinen Zufall entgingen, lässt sich zwar nicht ermitteln. Doch in der Mehrzahl dürften diese Kinder früher oder später versteckt worden sein. Umgekehrt wurden weitaus die meisten minderjährigen Opfer des XXI. Transports nicht getrennt von ihrer Familie an einem klandestinen Unterbringungsort, sondern zusammen mit ihren Eltern oder mit jedenfalls einem Elternteil verhaftet. Von den insgesamt 194 Kindern unter 16 Jahren fuhren weniger als 30 ohne Mutter oder Vater bzw. ohne ihre Groß- oder Pflegeeltern nach Auschwitz. Das Leid dieser Kinder, die zusammen mit fremden Erwachsenen in Viehwaggons an die Stätte ihres Todes gebracht wurden, übersteigt die Vorstellungskraft. Sofern sich Näheres über ihre Festnahme herausfinden lässt, handelte es sich, von den zehn Kindern aus dem Mädchenpensionat in Brüssel-Woluwé abgesehen, indessen nicht um einzeln oder in Gruppen versteckte Kinder. Es bleiben lediglich ein Dutzend Fälle, in denen die Verhaftungsumstände vollständig unbekannt sind. Demnach kann die Gestapo höchstens ausnahmsweise „allein stehende“ versteckte Kinder in ihre Gewalt gebracht haben. Die geringe Zahl derjenigen Minderjährigen, die unter ungeklärten Umständen allein verhaftet wurden, verweist zugleich darauf, dass die Deutschen auch nicht auf die Heime der AJB zurückgriffen, um den XXI. Transport zu füllen. Seit die Sipo-SD im November 1942 mehr als 50 Kinder hatte wieder freigeben müssen, die sie in dem Heim Wezembeek festgenommen hatte 46, waren Razzien in den von der jüdischen Zwangsvereinigung getragenen Kinderheimen
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ohnehin vorerst ausgeschlossen. Diese liefen den politischen Optionen des Militärbefehlshabers zuwider, der die Kooperation mit der belgischen Verwaltung und mit der AJB aufrechterhalten und zugleich die Illusion einer legalen Existenz der Juden fördern wollte, um deren „Untertauchen“ entgegenzuwirken. Was die Überführung einzelner Kinder aus den Heimen in das Lager Malines betrifft, so wissen wir zwar, dass die Antwerpener Gestapo die gemeinsam mit ihren Eltern verhafteten Minderjährigen bis zur Abfahrt nach Malines im AJB-Waisenhaus unterbrachte, doch mangelt es an Untersuchungen darüber, ob und in welchem Umfang einzelne „allein stehende“ Kinder, deren Zahl mit jedem nach Auschwitz abfahrenden Zug zunahm, in den Heimen der AJB festgenommen wurden47 . Es ist daher nicht unwichtig festzuhalten, dass für die Zeit der Vorbereitung des XXI. Transports lediglich zwei solche Festnahmen nachweisbar sind. Die erst 1940 und 1942 in Antwerpen geborenen Mädchen Sara und Paula B., deren Eltern im Herbst 1942 deportiert worden waren, befanden sich zusammen mit zwei weiteren Kindern in einem Versteck in Ekeren (Antwerpen), als ihre Betreuerin im Mai 1943 verhaftet wurde und sie allein zurücklassen musste 48. Die AJB nahm die Schwestern in ihr Antwerpener Waisenhaus auf. Spätestens im Juli 1943 brachten die Deutschen Sara und Paula B. nach Malines. Zu diesem Zeitpunkt verhandelte die AJB bereits seit Monaten mit der Sicherheitspolizei über die Freilassung der in Malines internierten allein stehenden Kinder. Zwar lehnte die Gestapo kurz vor der Abfahrt des XXI. Transports Freilassungen generell ab, ließ aber immerhin 18 Kinder aus Malines in ein Brüsseler Waisenhaus der AJB überführen49 . Die Schwestern Sara und Paula B. gehörten zu dieser Gruppe und entgingen der Deportation in den Tod. Festnahme im Versteck Fela Orensztein, 1888 in Sosnowice geboren, lebte seit den zwanziger Jahren in Belgien. Sie war verheiratet und hatte vier Kinder zur Welt gebracht. Als die deutsche Wehrmacht das Land überfiel, waren ihre beiden Töchter schon erwachsen, und auch die beiden Söhne, die in Antwerpen geboren waren, zählten beinahe 16 beziehungsweise fast 18 Jahre. Ihr Ehemann, der ebenso wie sie selbst aus Sosnowice kam, verstarb im März 1941. Die Söhne versuchten spätestens im Herbst 1942, in das unbesetzte Frankreich zu entkommen. Sie wurden an der innerfranzösischen Demarkationslinie verhaftet, nacheinander in mehreren französischen Lagern festgehalten und im März 1943 über Drancy nach Majdanek deportiert. Fela Orensztein verließ ihre registrierte Wohnung im Laufe des Jahres 1942. Sie suchte bei ihrer ältesten Tochter Zuflucht, die wie sie in Antwerpen-Berchem wohnte, aber zunächst durch ihre belgische Staatsangehörigkeit vor der Deportation geschützt war. Zudem beschaffte sie sich falsche Papiere.
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Möglicherweise führte eine Denunziation dazu, dass sie trotzdem im Juni 1943 in ihrem Versteck verhaftet wurde. Belgische Kollaborateure betätigten sich als ausführende Organe. Ein flämischer Handlanger des deutschen Judenreferats namens Lauterborn soll bei der Verhaftung mitgewirkt haben. Nach einem kurzen Aufenthalt in der deutschen Abteilung des Antwerpener Gefängnisses wurde Fela Orensztein Mitte Juni 1943 im Lager Malines dem XXI. Transport zugeteilt. Zu diesem Zeitpunkt war sie 55 Jahre alt. Sie kehrte nicht aus Auschwitz zurück. Ihre älteste Tochter floh nach der Verhaftung ihrer Mutter aus ihrer Wohnung in die Ardennen, wo sich ihre Schwester bereits seit längerem versteckte. Beide Töchter konnten sich vor der Deportation retten. Während der deutschen Besatzung flüchteten viele Juden aus Antwerpen nach Brüssel, da die antijüdischen Verfolgungsmaßnahmen in der flämischen Metropole früher verschärft wurden. Die großen Razzien des Sommers 1942, die die deutschen Machthaber zuerst und vorrangig in Antwerpen durchführten, verstärkten diese Fluchtbewegungen. Diejenigen Fälle, in denen der Zufluchtsort dokumentiert ist, lassen darauf schließen, dass die Mehrzahl der Opfer des XXI. Transports, die im Versteck gelebt hatten, in den Brüsseler Kommunen „untergetaucht“ waren. Dies dürfte freilich auch damit zusammenhängen, dass sich in diesem Konvoi ganz überwiegend Juden aus Brüssel befanden 50 . Manche Juden verließen die Brüsseler Agglomeration und suchten im angrenzenden flämischen oder wallonischen Teil der Provinz Brabant Schutz vor der Deportation. Abram Gerszon Freilich, 1896 geboren, war 1921 aus Deutschland nach Belgien eingewandert. Seine sechs Jahre jüngere Ehefrau Chaja Kossower, 1922 aus Polen immigriert, besaß wie ihr Mann die polnische Staatsangehörigkeit. Er bestritt den Lebensunterhalt für sich und seine Familie als Lederarbeiter, sie war Hausfrau. Ihre beiden Kinder kamen 1928 und 1930 in Brüssel zur Welt. Ende 1942 oder Anfang 1943 entschlossen sich die Eltern, ihre legale Existenz aufzugeben. Zusammen mit einer verwandten Familie mieteten sie eine Wohnung in Strombeek-Bever, jenseits der nördlichen Stadtgrenze von Brüssel. In dieses Versteck nahmen sie ihre Tochter mit, während sie den jüngeren Sohn mit Hilfe des CDJ unter falschem Namen in Brüssel-Anderlecht unterbrachten, wo er als verstecktes Kind der Verhaftung entging. Im Juni 1943 machte die Gestapo die klandestine Unterkunft ausfindig. Als sie in die Wohnung eindrang, waren fast alle Mieter ausgegangen. Doch Abram Freilich fiel den Deutschen in die Hände. Er wurde in das Lager Malines gebracht, wo man ihm die Nummer 557 für den XXI. Transport zuwies. Nach seiner Festnahme mussten die übrigen Familienmitglieder ihr Versteck Hals über Kopf verlassen und eine neue Bleibe suchen. Sie trennten sich in mindestens zwei Gruppen. Chaja Kossower, die nun auf sich allein gestellt war, konnte für sich und ihre Tochter eine Wohnung in der Nähe finden. Dadurch verrin-
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gerte sich die mit dem Umzug verbundene Gefahr, auf der Straße entdeckt zu werden. Allerdings beherbergte das neue Refugium bereits mehrere andere „untergetauchte“ Juden. Es soll sich um eine Gruppe von Erwachsenen und Kindern russischer Herkunft gehandelt haben, deren Identität nicht zweifelsfrei aufzuklären ist. Chaja Kossower und Esther Freilich lebten erst wenige Tage dort, als die Gestapo kam. Sie wurden zusammen mit ihren Mitbewohnern verhaftet. Anfang Juli in Malines mit den Transportnummern 1117 und 1118 registriert, befanden sie sich im selben XXI. Transport wie der kurz zuvor verhaftete Ehemann und Familienvater Abram Freilich. Das jüngste Kind der Familie, ein damals 12jähriger Junge, blieb als Waise in Belgien zurück, doch es entging der Deportation. Auf der Flucht vor Verfolgung und Verhaftung verließen manche Juden nicht nur Brüssel und dessen nähere Umgebung. Schon seit dem Frühjahr 1942, als die Militärverwaltung die Zwangsarbeit für Juden einführte, flohen viele Juden aus den belgischen Metropolen in die Provinz Hainaut. Chaim Szmulewicz und Jenta Mlocik immigrierten in den dreißiger Jahren aus Polen nach Belgien. Ihre Tochter wurde in Brüssel geboren. Jenta Mlocik war Hausfrau, ihr Mann arbeitete als ambulanter Straßenphotograph. Spätestens im Jahr 1942, noch bevor die Deportationen begannen, verzog die Familie aus Brüssel in den kleinen Ort Bon-Secours an der nordfranzösischen Grenze im Hainaut. Die Eheleute taten alles, um der Aufmerksamkeit der Besatzer zu entkommen. Sie ließen sich weder in dem „Judenregister“ noch in der Kartei der AJB einschreiben. Auch ignorierte Szmulewicz die von der deutschen Militärverwaltung erlassene Vorschrift, sein Gewerbe als „jüdisch“ zu kennzeichnen. Mitte Mai 1942 wurden Jenta Mlocik und Chaim Szmulewicz von Knappkötter, dem hauptamtlichen Sachbearbeiter zur Verfolgung der Juden in der BdS-Außenstelle Charleroi, verhaftet und in das dort von den Deutschen requirierte Gefängnis eingewiesen. Als ihnen vorgehalten wurde, gegen die deutschen Verordnungen verstoßen zu haben, gaben sie an, nicht lesen und schreiben zu können und daher die gegen sie gerichteten Bestimmungen nicht zu kennen. Das Wehrmachtgericht ließ diese Begründung nicht gelten und verurteilte Chaim Szmulewicz zu sieben Monaten Gefängnis, seine Ehefrau erhielt eine Haftstrafe von drei Monaten. Ob Jenta Mlocik ihre Haftstrafe komplett verbüßen musste, lässt sich nicht ermitteln. Für Chaim Szmulewicz zog das Urteil nachweislich eine Odyssee durch mehrere Haftanstalten nach sich. Er wurde in das Brüsseler Gefängnis Saint-Gilles gebracht, um von dort in das Lager Merksplas überstellt zu werden, das der deutsche Militärbefehlshaber angesichts der massiv überbelegten Gefängnisse zur Unterbringung verurteilter Häftlinge bestimmt hatte. Anfang Oktober 1942 ließ die Militärverwaltung Szmulewicz zur Zwangsarbeit für die Organisation Todt in das Lager Marck bei Calais bringen. Mitte Dezember zurück im Lager Merksplas, wurde er An-
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fang Januar 1943 freigelassen. Die Strafzeit war beendet. Obwohl die Besatzungsmacht mit der Deportation der Juden nach Auschwitz längst begonnen hatte, wurde Chaim Szmulewicz nicht an die Gestapo ausgeliefert, wie dies anderen Juden widerfuhr. Möglicherweise konnte seine Ehefrau, die vorläufig von der Deportation „freigestellt“ war, zu seinen Gunsten intervenieren. In jedem Fall gaben die Eheleute ihre legale Existenz nun vollständig auf. Sie fanden ein Versteck in Brüssel-Schaerbeek. Doch ein weiteres Mal waren ihre Anstrengungen, sich in Sicherheit zu bringen, zum Scheitern verurteilt. In der zweiten Junihälfte in ihrem Versteck verhaftet, wurden beide mit dem XXI. Transport deportiert. Ihre Tochter wurde gerettet. Die Eltern hatten sich im März 1943 von ihrem Kind getrennt und es dem Comité de Défense des Juifs anvertraut. Fluchten aus Transporten Anna Ziegel, 1918 in Berlin geboren, floh Anfang 1939 mit ihrer Familie nach Belgien. Sie war ledig und lebte mit den Eltern und zwei jüngeren Schwestern zusammen in Antwerpen-Borgerhout. Die Eltern stammten ursprünglich aus Polen, und ihre fünf Töchter besaßen die polnische Staatsangehörigkeit. Der Vater war Schuhmacher, die Mutter Hausfrau. Anna Ziegel hatte wie ihre älteste Schwester den Beruf der Näherin erlernt. Im Januar 1941 wurde die Familie von der deutschen Militärverwaltung aus Borgerhout in die Provinz Limburg ausgewiesen. Dort erfolgte ihre Erfassung in dem von den Besatzern vorgeschriebenen „Judenregister“. Ende April 1941 konnten die Ziegels nach Borgerhout zurückkehren. Ein Jahr darauf mussten sie erneut umziehen. Obwohl der Vater Israel Ziegel bereits über 60 Jahre alt war, entschlossen sie sich zur Flucht aus Antwerpen. Im Mai 1942, noch vor Beginn der Deportationen „nach dem Osten“, wich die Familie nach Brüssel-Schaerbeek aus. Dorthin waren kurz zuvor bereits die älteste Tochter Rosa Ziegel und deren Ehemann Bruno Fuchs verzogen, die ebenfalls 1939 aus Deutschland nach Antwerpen geflüchtet waren. Rosa Ziegel und ihr Mann versuchten im Sommer 1942 nach Frankreich zu entkommen. Sie gerieten jedoch in eine Falle des Devisenschutzkommandos, wurden auf der Flucht verhaftet und beide mit dem V. Transport in den Tod geschickt 51 . Unter welchen Umständen Anna Ziegel der Sicherheitspolizei in die Hände fiel, wissen wir nicht. Sie wurde im April 1943 festgenommen und dem XX. Transport zugeteilt. Wie mehreren hundert anderen gelang ihr die Flucht aus dem Zug. Sie entging dem Gewehrfeuer der Begleitmannschaften und konnte entkommen. Ihr blieben zwei Monate in Belgien, bevor die Deutschen sie erneut aufspürten und ein zweites Mal deportierten. Zusammen mit ihrer 53jährigen Mutter Golda Henner und ihrem Vater Israel Ziegel wurde sie in Malines für den XXI. Transport registriert. Auf der Liste folgen die Namen
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ihrer Schwester Marie, ein Jahr jünger als Anna Ziegel und Schneiderin von Beruf, sowie der jüngsten Schwester Bertha, die erst 16 Jahre alt war. Keine von ihnen hat überlebt. Nach dem Ende der NS-Herrschaft konnten die belgischen Behörden lediglich bescheinigen, dass Anna Ziegel zwischen dem 31. Juli 1943 und dem 1. Juni 1945 verstorben ist.
Die Opfer und ihre Rettungsanstrengungen Woher kamen die deportierten Juden? Dass es bis heute an näheren Untersuchungen über die Herkunft der Opfer der Shoah in Belgien mangelt, obwohl der Anteil der belgischen Staatsangehörigen sehr gering war, dürfte damit zusammenhängen, dass entsprechende Forschungen viel Zeit in Anspruch nehmen. Während die Nationalitäten der Deportierten beispielsweise in Frankreich in den überlieferten Transportlisten verzeichnet sind, lassen die Transportlisten aus Belgien jeglichen Aufschluss vermissen, da die Besatzungsmacht die in den Tod geschickten Juden kurzerhand für „staatenlos“ erklärte oder – bei der Deportation belgischer Juden mit dem Transport XXII B – gänzlich auf Angaben zur Staatsangehörigkeit verzichtete. Die folgende Übersicht zum XXI. Transport stützt sich vorrangig auf die vergleichende Auswertung der drei großen zwischen 1940 und 1942 zur Judenverfolgung angelegten Karteien 52 . Staatsangehörigkeiten der Juden im XXI. Transport Polen 849 Deutschland/Österreich 287 Staatenlos 130 Niederlande 97 Tschechoslowakei 35 Belgien 23 Rumänien 10 Frankreich 10 Ungarn 9 Griechenland 4 Lettland 2 Litauen 2 Türkei 2 Jugoslawien 1 Ungeklärt 99 Summe 1560
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Die großen Zahlen der Liste entsprechen in etwa dem, was wir über die damalige Zusammensetzung der ausländischen jüdischen Bevölkerung in Belgien wissen 53 : Bei den Opfern des XXI. Transports handelte es sich in erster Linie um Immigranten und Flüchtlinge. Ehemals polnische Staatsangehörige standen mit Abstand an erster Stelle. Juden aus Deutschland und Österreich nahmen den zweiten Rang ein, aber auch Niederländer waren relativ zahlreich vertreten. Allerdings lässt sich die Herkunft der in Auschwitz ermordeten Juden nur bedingt an der jeweiligen Nationalität ablesen. Denn die Staatsangehörigkeiten folgten dem in Deutschland geltenden ius sanguinis sowie den seit der Zwischenkriegszeit geltenden Naturalisierungsbestimmungen Belgiens und anderer Immigrationsländer. Sie können die Zusammensetzung einer zwangsmobilisierten Bevölkerungsgruppe lediglich verzerrt widerspiegeln. Erst der Vergleich mit Geburtsorten und Einwanderungsdaten vermittelt präzise Aufschlüsse, insbesondere über die Flüchtlinge aus dem deutschen Herrschaftsbereich. Ihre Zahl überstieg bei weitem die Zahl der deutschen Staatsangehörigen: Mindestens 430 Juden, und damit annähernd 30 Prozent der Opfer des XXI. Transports, waren ab 1938 aus Deutschland oder Österreich geflohen. Hervorzuheben ist außerdem die große Zahl der aus Belgien stammenden Juden. Angesichts der sehr kleinen Gruppe der belgischen Staatsangehörigen, von denen überdies 13 die belgische Nationalität erst durch Heirat erhielten, könnte man meinen, dass sich im XXI. Transport kaum Juden aus Belgien befunden hätten. Tatsächlich waren aber 170 Personen, also mehr als 10 Prozent der 1560 Deportierten, in Belgien geboren und dürften seit ihrer Geburt im Land gelebt haben. In welchen Städten waren die Juden registriert, als sie verhaftet wurden? Wie einleitend bemerkt, wurden die Wohnorte der aus Belgien nach Auschwitz deportierten Männer, Frauen und Kinder noch nicht zureichend erforscht. Die Ermittlung der Meldeadressen, die von mir durchgeführt wurde, hat zunächst gezeigt, dass nicht selten mehrere Anschriften für eine Person überliefert sind und dass der letzte Wohnsitz nicht immer leicht herauszufinden ist. Dieses für sich genommen aufschlussreiche Faktum verweist auf die hohe Mobilität der jüdischen Bevölkerung, die sich, insbesondere ab 1942, vielfach zum Wohnungswechsel gezwungen sah – sei es, um der Verfolgung und Verhaftung zu entgehen, sei es aufgrund materieller Notlage. Alle drei auf Veranlassung der Besatzungsmacht zwischen 1940 und 1942 angelegten Großkarteien zur Registrierung der Juden wurden zwar damals fortlaufend aktualisiert, doch jeweils in unvollständiger Weise. Als umfassendes und zuverlässigstes Auskunftsmittel kann zweifellos die SD-Kartei gelten, zumal der belgische Kriegsopferdienst dieser Kartei nach 1945 die Ergebnisse seiner eigenen Nachforschungen bei Melde- und Polizeibehörden sowie Angaben von Überlebenden der Shoah
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und von Familienangehörigen der in Auschwitz ermordeten Juden hinzugefügt hat. Schließlich bleibt anzumerken, dass weniger als die Hälfte der mit dem XXI. Transport deportierten Juden im überlieferten Teil der AJB-Kartei verzeichnet sind. Der relativ geringe Anteil ist darauf zurückzuführen, dass die in Brüssel lebenden Juden in dieser Kartei stark unterrepräsentiert sind. Im XXI. Transport aber befanden sich in erster Linie Juden aus Brüssel. 78 Prozent der Deportierten waren in der belgischen Hauptstadt, 10 Prozent in Antwerpen wohnhaft. Die Adressen verteilen sich folgendermaßen: Groß-Brüssel Groß-Antwerpen Belgien: andere Kommunen Geburt im Lager Malines Frankreich Niederlande keine Meldeadresse (abgemeldet) Meldeadresse nicht überliefert Summe
1214 157 42 2 9 102 33 1 1560
Zu der großen Gruppe der Brüsseler Juden müssten auch die beiden Säuglinge gezählt werden, deren Mütter zum Zeitpunkt ihrer Geburt im Sammellager Malines interniert waren. Denn die Eltern des Mitte März 1943 geborenen Karl-Pierre Wenger hatten in Brüssel-Schaerbeek gelebt. Der Vater war aus dem XVIII. Transport geflohen, bevor er im Juli 1943 zusammen mit seiner Frau und dem dreieinhalb Monate jungen Sohn nach Auschwitz fuhr. Chil Jehoda Epsztajns Eltern hatten ihren Wohnsitz in Brüssel-Anderlecht. Seine Mutter war hochschwanger, als sie zusammen mit seinem Vater verhaftet wurde. Anfang Juni 1943 kam er im Hospital Malines auf die Welt. Noch an seinem Geburtstag teilte die SS-Lagerverwaltung ihm die Nummer 507 für den XXI. Transport zu. Die Verteilung der Adressen über die verschiedenen Kommunen der Brüsseler Agglomeration (seit Herbst 1942: Groß-Brüssel) weicht in prozentualer Hinsicht kaum ab von der Verteilung der jüdischen Bevölkerung in der Hauptstadt, wie sie bei den 1941 und 1942 durchgeführten Zählungen registriert wurde. Die Schwerpunkte liegen in Brüssel (276), Saint-Gilles (226), Schaerbeek (220) und Anderlecht (173) 54 . Für Groß-Antwerpen ergibt sich ein ähnliches Bild: Die meisten Deportierten (115) waren in der Stadt Antwerpen gemeldet, die übrigen in den eingemeindeten Kommunen Berchem (20), Borgerhout (16) und Deurne (6). Außerhalb der beiden Metropolen Brüssel und Antwerpen in Belgien gelegene Wohnsitze sind nur selten verzeichnet. Sie lagen überwiegend in der Wal-
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lonie: neunzehn Juden kamen aus Charleroi, acht aus Lüttich. Von den insgesamt neun Einwohnern Frankreichs, die mit dem XXI. Transport aus Belgien nach Auschwitz fuhren, waren acht in dem nordfranzösischen Gebiet wohnhaft, das dem Militärbefehlshaber Belgien und Nordfrankreich unterstand. Sie dürften aus dem Nachbarland nach Malines gebracht worden sein. Auffällig ist die große Zahl derjenigen Juden, die keinerlei reguläre Anschrift im Herrschaftsbereich des Militärbefehlshabers hatten. Nicht weniger als 135 Personen waren weder in Belgien noch in Nordfrankreich registriert. Teils gehörten sie zu der großen Gruppe der im Untergrund Lebenden, teils handelte es sich um Juden aus den Niederlanden, die auf der Flucht nach Südfrankreich in Belgien verhaftet worden waren. Individuelle Überlebensstrategien in Zahlen Die biographischen Recherchen zum XXI. Transport belegen, dass die deportierten Juden zu einem sehr großen Teil die Entscheidung getroffen hatten, sich ihren Verfolgern zu entziehen. Sie nahmen schwierig zu bewältigende Rettungsanstrengungen auf sich, die um so riskanter waren, als sie illegale Praktiken einschlossen. Hunderte von ihnen befanden sich jahrelang auf der Flucht, bevor sie gefasst wurden. Mindestens 430 von den Juden aus Deutschland und Österreich, die am 31. Juli 1943 aus Malines nach Auschwitz deportiert wurden, waren erst 1938 oder 1939 – einzelne noch später – nach Belgien gekommen. Die Fluchtbewegungen in diesem Zeitraum, keineswegs mit irgendeiner organisierten Form von Emigration vergleichbar, wurden durch offene Gewalt erzwungen. Wer jetzt aus dem deutschen Reichsgebiet floh, handelte notgedrungen überstürzt und in Panik, weil seine physische Existenz bedroht war. Die zweite große Flüchtlingsgruppe im XXI. Transport kam aus den Niederlanden. Schon der Beginn der Deportationen Mitte 1942 hatte im Nachbarland, ebenso wie in Belgien und Frankreich, eine Massenflucht ausgelöst 55 . Anfang 1943, als die Besatzungsbehörden die Verhaftungen beschleunigten und auch den vom Umfang her beträchtlichen Personenkreis einbezogen, der zunächst von der Deportation „freigestellt“ worden war, stieg die Zahl der Fluchten und Fluchtversuche erneut sprunghaft an. Dies registrierten auch die deutschen Machthaber. Im April 1943 meldete der BdS aus Belgien nach Berlin, „dass die Zuwanderung von Juden aus Holland infolge der neuesten Maßnahmen der dortigen Dienststellen wieder zugenommen“ habe56. Man kann davon ausgehen, dass eine größere Gruppe dieser Juden noch im selben Monat mit dem XX. Transport deportiert wurde 57. Denn die Verhaftung derjenigen Flüchtlinge, die sich im XXI. Transport befanden, erfolgte ganz überwiegend erst zwischen Mai und Juli 1943. Einer der früher Geflohenen war zuerst für den XX. Transport registriert worden und aus diesem Zug abgesprungen, bevor er ein zweites Mal nach Auschwitz geschickt wurde.
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Der XXI. Transport nach Auschwitz
Zu den insgesamt 102 mit dem XXI. Transport deportierten Juden, die noch im letzten Moment allein oder mit ihren Angehörigen aus den Niederlanden zu entkommen versucht hatten, zählten 48 Frauen, 44 Männer und zehn Kinder. Dreizehn Personen waren bereits zwischen 50 und 60 Jahre alt, sechs weitere älter als 60, eine stand im 74. Lebensjahr. Während also manche Flüchtlinge, zumal nach damaligen Maßstäben, betagt waren, verließen andere zusammen mit Säuglingen oder Kindern ihre Wohnung, um eine Odyssee mit ungewissem Ausgang anzutreten. In der großen Mehrzahl handelte es um gemeinsam flüchtende Familienangehörige aller Altersstufen, die – im Gegensatz etwa zu allein stehenden jungen Männern – keineswegs zum mobilen Teil der Bevölkerung zu rechnen sind. Dass sie gleichwohl ihr Zuhause aufgaben, ohne den obligatorischen „Gelben Stern“ zur belgischen Grenze reisten und diese heimlich zu überqueren versuchten, ist ein Indiz für ihre existentielle Angst vor dem drohenden Abtransport nach Deutschland, aber auch für ihren verzweifelten Überlebenswillen. Überdies verfügten vier Fünftel der aus den Niederlanden fliehenden Juden über keinerlei Migrationserfahrung, da sie seit ihrer Geburt im Lande lebten. Die übrigen stammten ursprünglich aus dem Deutschen Reich oder aus Osteuropa. Fast alle Flüchtlinge aus den Niederlanden dürften Belgien lediglich als erste Station einer Flucht aus dem deutschen Herrschaftsgebiet aufgesucht haben, für die weitere Grenzlinien zu überwinden waren. Mindestens einem Amsterdamer Ehepaar gelang es, das nordfranzösische Territorium zu erreichen, wo sie festgenommen und in das belgische Sammellager Malines zurückgebracht wurden. In Belgien wohnhafte Juden dürften ebenfalls noch 1943 versucht haben, nach Frankreich zu entkommen, wenngleich die Quellen keine quantitative Schätzung dieser Fluchtbewegung zulassen. Nimmt man daher lediglich die verfügbaren Zahlen über nachweisbare grenzüberschreitende Fluchten der Opfer des XXI. Transports zusammen, so ergibt sich, dass mindestens 532 Personen ab 1938 aus Deutschland (430) oder noch 1942/1943 aus den Niederlanden nach Belgien (102) gekommen waren. Anders ausgedrückt: Mehr als ein Drittel der insgesamt 1560 deportierten Juden waren unter großen persönlichen Risiken ein- oder mehrmals illegal ins Ausland geflüchtet, um ihr Leben in Sicherheit zu bringen. Das Ausmaß dieser Fluchten ist relativ gut dokumentiert. In alle drei auf Veranlassung der Besatzungsmacht zwischen 1940 und 1942 angelegten Karteien zur Erfassung der jüdischen Bevölkerung wurden Daten zur Immigration eingetragen, die zwar jeweils lückenhaft sind, doch in der Summe immerhin Hunderte von Fluchten aus Deutschland ab 1938 belegen. Und für die Flüchtlinge aus den Niederlanden, die auf dem Weg nach Frankreich oder in die Schweiz verhaftet und aus Belgien deportiert wurden, liegen die jeweiligen Meldeadressen aus Amsterdam, Rotterdam usw. vor.
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Dagegen lässt sich nicht annähernd feststellen, wie viele Opfer des XXI. Transports sich in Belgien verborgen gehalten hatten. Lediglich in etwa 30 Fällen verzeichnete das Brüsseler deutsche Judenreferat in seiner Kartei den Schritt in den Illegalität. Die betreffenden Personen waren lange vor ihrer Verhaftung, im Jahr 1942 oder 1943, von den belgischen Behörden aus den Einwohnermelderegistern gestrichen worden, weil sie als verschwunden galten; einige wenige hatten sich selbst abgemeldet. Hinzu kommt die eine oder andere Verfahrensakte deutscher Repressionsorgane (DSK, Gericht usw.), aus der hervorgeht, dass die Gefangenen in ein Versteck geflüchtet waren. Zeugnisse der wenigen Überlebenden des XXI. Transports sowie Angaben, die Familienangehörige oder Bekannte der ermordeten Juden nach 1945 gegenüber den belgischen Behörden machten, müssen daher auch in quantitativer Hinsicht als wichtigste Quelle gelten. Doch selbst auf diesem Weg lässt sich lediglich ein Bruchteil derjenigen Personen ermitteln, die tatsächlich „untergetaucht“ waren. Dies vorausgeschickt, können wir festhalten, dass 174 Juden, die mit dem XXI. Transport nach Auschwitz fuhren, nachweislich in Belgien im Versteck gelebt hatten. Sie stellten 11 Prozent der insgesamt 1.560 Deportierten. Die Gesamtzahl der „Untergetauchten“ war größer, wie sich ebenfalls belegen lässt. Um nur ein Beispiel anzuführen: Wir wissen von Szypa Maleck Broner, der aus Auschwitz zurückkehrte, dass er gemeinsam mit 17 anderen Juden in einer klandestinen Unterkunft in Bruxelles-Woluwé-Saint-Lambert verhaftet worden ist, konnten indessen lediglich fünf von ihnen ausfindig machen 58 . In anderen Fällen deutet die Abweichung zwischen den während der Besatzung verzeichneten Meldeadressen und den nach 1945 festgehaltenen Auskünften überlebender Familienmitglieder zu der letzten Wohnadresse darauf hin, dass die betreffende Person in einer klandestinen Unterkunft gelebt hatte. Doch mangelt es zumeist an Nachweisen 59 . Etwa die Hälfte der ermittelten 174 Personen hatten sich zusammen mit Ehepartnern oder anderen Familienangehörigen in den Untergrund geflüchtet. Insgesamt 16 Ehepaare sowie 13 Familien mit drei oder mehr Mitgliedern wurden jeweils gemeinsam verhaftet. Die Zahl der „untergetauchten“ Frauen und Mädchen war fast ebenso groß wie die der Männer und Jungen. Zehn Erwachsene zählten mehr als 60 Jahre. Zehn Kinder waren, wie oben geschildert, in einem Mädchenpensionat in Brüssel-Woluwé-Saint-Pierre untergebracht gewesen, zwölf der fünfzehn übrigen Mädchen und Jungen befanden sich mit mindestens einem Elternteil zusammen. Vier von ihnen hatten das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet, als ihre Eltern sie mit in ihr Versteck nahmen. Eines der größten Hindernisse beim Schritt in die Illegalität bestand darin, das erforderliche Geld für die Miete und den Lebensunterhalt aufzubringen. Das Comité de Défense des Juifs konnte längst nicht alle „untergetauchten“ Erwachsenen erreichen, geschweige denn unterstützen. Spätestens im Jahr 1943
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jedoch verfügten selbst ehemals gutsituierte Juden oft nur noch über beschränkte Ressourcen, weil die Militärverwaltung sie längst aus dem Erwerbsleben ausgeschlossen und ihr Vermögen gesperrt hatte. Um so mehr ist hervorzuheben, dass es vielen Frauen und Männern gelang, sich zu verstecken, obwohl sie niemals vermögend gewesen sein dürften. Für 100 von den insgesamt 174 ermittelten Personen, die vor ihrer Deportation mit dem XXI. Transport im Untergrund gelebt hatten, liegen Angaben zu den von ihnen erlernten und früher ausgeübten Berufen vor 60 . (In den übrigen Fällen handelte es sich zumeist um Hausfrauen oder Kinder.) Diese Angaben lassen darauf schließen, dass nur wenige der versteckten Juden vor der deutschen Verfolgung zu den Besserverdienenden gehört hatten. Die meisten (80 Personen) waren im Kleinhandwerk, in Arbeiterberufen oder als kleine Angestellte tätig gewesen, wobei die Schneiderinnen und Schneider – was nicht wundert – die größte Gruppe stellten. Das letzte Mittel der Selbstverteidigung gegen die Deportation aus Belgien war die Flucht aus dem Todeszug. Aus dem XXI. Transport flohen mindestens acht Juden. Fünf von ihnen konnten sich retten und überlebten die Besatzungszeit. Der 19jährige, in Antwerpen-Borgerhout geborene David Kanner wurde dagegen von den Bewachern in der Gemeinde Langdorp (zwischen Malines und Hasselt in der Provinz Brabant gelegen) erschossen. Auch das Brüsseler Ehepaar Chaja und Joseph Benkiel, beide Mitte 30, in Polen geboren und Schneider von Beruf, bezahlte die Flucht aus dem Zug mit dem Leben. Ob der Tod von Arthur Sonnenschein, den die Deutschen während der Fahrt erschossen, ebenfalls mit einem Fluchtversuch in Verbindung stand, lässt sich nicht aufklären 61 . Die Lagerverwaltung in Malines hatte für den XXI. Transport eine „Liste der vom 20. Transport entwichenen Personen“ aufgestellt 62 . 39 auf dieser Liste verzeichnete Juden – 35 von ihnen waren aus dem XX., vier aus einem früheren Konvoi entkommen – fuhren am 31. Juli 1943 in den Tod. Mindestens 18 weitere Männer und Frauen, die ebenfalls aus einem Deportationszug geflohen, doch der Gestapo erneut in die Hände gefallen waren, wurden auf der regulären Transportliste registriert. Zwei Männer, die schon aus dem XVI. bzw. XVII. Transport gesprungen waren, bevor sie dem Konvoi Nr. XXI. zugeteilt wurden, wagten ein zweites Mal die Flucht. Sie gehörten zu den fünf Geretteten, die sich vor den Deutschen in Sicherheit bringen konnten. Mindestens einer, höchstwahrscheinlich aber zwei der mit dem XXI. Transport deportierten Juden hatten zuvor aus zwei anderen Zügen entkommen können. Insgesamt unternahmen die Juden, die sich im XXI. Transport befanden, 69 Fluchtversuche:
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Die Opfer und ihre Rettungsanstrengungen
Personen im XXI. Transport, die aus frheren Deportationszgen geflohen waren bzw. aus dem XXI. Transport flohen Transport
XVI XVII XVIII XIX XX XXI 31. 10. 1942 31.10. 1942 15. 1.1943 15. 1.1943 19. 4. 1943 31. 7. 1943
Fluchten
11
Summe
Zweite Flucht
4
4 1 (oder 3)*
41
8
69 (68?)*
2 (oder 1)*
2
4 (3?)*
Geflohene Personen Überlebende
65 5
* Arthur Holzer war vor seiner Deportation mit dem XXI. Transport wahrscheinlich bereits aus zwei früheren Zügen (XVIII und XX) geflohen. Seine Flucht aus dem XVIII. Transport lässt sich nicht zweifelsfrei belegen (* in der obigen Tabelle), doch sprechen die meisten Indizien dafür63 .
Der größte Teil der Flüchtlinge war aus eben jenem XX. Transport aus Belgien entkommen, der in der öffentlichen Erinnerung Belgiens präsent ist, weil mehr als 230 in diesem Zug eingesperrte Juden den Ausbruch wagten, während drei junge Männer von außen einen Überfall ausführten, der als beispielloser Widerstandsakt gegen die „Endlösung“ gelten kann 64 . Zu einer ersten Massenflucht war es bereits im Herbst 1942 gekommen, als die Deutschen rund 1300 jüdische Zwangsarbeiter aus Belgien, die sie auf den nordfranzösischen Baustellen der Organisation Todt eingesetzt hatten, mit den Konvois XVI und XVII über Malines nach Auschwitz schickten. Jüngeren Nachforschungen zufolge flohen aus diesen beiden Transporten 240 Juden 65 . 100 fielen der Gestapo erneut in die Hände. 15 von ihnen wurden im Folgejahr für den XXI. Transport registriert. Fluchten aus dem Zug waren lebensgefährlich, weil die Bewachungskräfte, die im Anschluss an den XX. Transport noch verstärkt wurden, Schießbefehl hatten und von ihren Waffen Gebrauch machten. Überdies stellte ein Sprung aus den fahrenden Waggons für sich genommen ein Wagnis dar, das bspw. alte oder gebrechliche Personen kaum auf sich nehmen konnten. Lediglich zwei der insgesamt 65 genannten Personen im XXI. Transport waren älter als 50 Jahre, eine Frau war knapp 65 Jahre. Es scheint, als wenn die Flucht aus dem Zug für Frauen noch schwieriger war als für Männer. Jedenfalls befanden sich unter den 65 Juden, die dem XXI. Konvoi zugeteilt wurden und aus mindestens einem Zug nach Auschwitz abspringen konnten, lediglich elf Frauen 66 . Im Gegensatz dazu war das Verhältnis der Geschlechter unter denjenigen Ju-
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Der XXI. Transport nach Auschwitz
den, die sich in Belgien verborgen hielten, nahezu ausgeglichen, und in der großen Gruppe der Flüchtlinge aus Deutschland waren Frauen überrepräsentiert. Eine quantitative Bilanz der geschilderten individuellen Überlebensstrategien lässt keinen Zweifel daran, dass die Juden sich massenhaft gegen die Bedrohung ihrer physischen Existenz zur Wehr setzten. Diese Feststellung bezieht sich wohlgemerkt nicht auf diejenigen, die sich ihren Verfolgern bis zur Befreiung Belgiens erfolgreich entzogen, sondern auf die Opfer der Shoah, die schließlich doch gefangen, deportiert und ermordet wurden. Angesichts der oben beschriebenen Quellenlage hat die folgende Übersicht zu den Rettungsanstrengungen der Juden, die sich im XXI. Transport befanden, fragmentarischen Charakter und berücksichtigt ausschließlich die nachweisbaren Fälle. Handlung Anzahl Fluchten aus Deutschland ab 1938 430 Fluchten aus den Niederlanden 1942/1943 102 Fluchten nach Frankreich 1942/1943 4 12 Heirat eines Belgiers ab Mitte 1942 67 Ablegen des Kennzeichens 165 Falsche Ausweise 92 Leben im Versteck 174 Résistance 20 Fluchten aus Transporten 69 Summe der Handlungen Summe der Personen
1068 754
Die Gesamtzahl der Personen umfasst annähernd die Hälfte der insgesamt 1560 Deportierten. Zu den verzweifelten Versuchen, sich gegen das Deportationsprogramm der Besatzer zu stellen, ist zusätzlich die Rettung der eigenen Kinder zu rechnen. Wie oben dargestellt, müssen mindestens 74 Kinder, die der Deportation entgingen, in der Mehrzahl von ihren mit dem XXI. Transport nach Auschwitz gefahrenen Eltern versteckt worden sein. Sich von ihrem Kind zu trennen, es in oftmals fremde Hände zu geben und einem ungewissen Schicksal zu überantworten, dürfte für viele Mütter und Väter schwieriger gewesen sein, als für das eigene Überleben zu kämpfen. Dass die Summe der ermittelten Personen weit unter der Summe der Rettungsanstrengungen liegt, ist in mancher Hinsicht evident: Wer zum Beispiel versuchte, sich mit falschen Papieren vor der Festnahme zu schützen, der entfernte auch den „Gelben Stern“ von seiner Kleidung. Doch die Personen und ihre jeweiligen Handlungen verhalten sich anders zueinander, als ursprünglich
Das Vorgehen der Täter
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angenommen. Diejenigen, die bereits ab 1938 vor der Bedrohung ihres Lebens aus Deutschland oder Österreich flohen, waren in der Zeit der Deportationen – im Gegensatz zu unserer Vermutung – eher unterdurchschnittlich mit falschen Papieren oder mit einer klandestinen Unterkunft versehen. Dies dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass sie nicht über die erforderlichen Kontakte in Belgien verfügten. Von den 92 überlieferten gefälschten Ausweisen wurden lediglich 14 bei Flüchtlingen aus dem deutschen Herrschaftsgebiet gefunden, und nur 29 der insgesamt 174 Personen, die nachgewiesenermaßen vor ihrer Verhaftung im Untergrund gelebt hatten, waren Flüchtlinge aus dem Vorkriegsdeutschland, die doch fast 30 Prozent der Opfer des XXI. Transports stellten. Dagegen lag der Anteil der Flüchtlinge viel höher in der Gruppe derjenigen, die aus einem Todeszug entwichen. Nicht weniger als 23 dieser insgesamt 65 Juden waren erst 1938 oder später aus Deutschland geflohen. Jedenfalls dürfte die Tatsache, dass relativ viele deutsche Flüchtlinge den Ausbruch aus einem Deportationszug wagten, mit dem erhöhten Gefahrenbewusstsein zusammenhängen, das die ab 1938 nach Belgien entkommenen Juden aus dem nationalsozialistischen Deutschland mitbrachten. Denn die Einschätzung der Gefahr spielte bei der Flucht aus dem Zug eine vorrangige Rolle. Alle Versuche, sich der Deportation auf illegale Weise zu entziehen, waren mit erheblichen Risiken behaftet, doch wer aus dem Deportationszug sprang, setzte sehenden Auges sein Leben aufs Spiel. Der Anblick der Scharfschützen oder der aus dem Zug entwichenen Todesopfer hielt selbst manche Frauen und Männer, die ihre Flucht gründlich vorbereitet hatten, davon ab, das Vorhaben zu wagen 68 .
Das Vorgehen der Täter Wer nahm die Juden fest? Obwohl die Sipo-SD und andere Besatzungsorgane den Schriftverkehr, der ihre Mitwirkung am Judenmord dokumentierte, 1944 beseitigten, lassen sich die Umstände der Verhaftung der aus Belgien deportierten Juden weitgehend erhellen. Dies zeigen nicht zuletzt die hier vorgestellten Biographien. Immerhin in gut 200 Fällen liegen konkrete Hinweise auf diejenige Dienststelle vor, die die Juden verhaftete bzw. an die Gestapo auslieferte. Diese Angaben finden sich in den Akten des DSK, im Archiv der AJB, in den hinterlassenen Papieren der deportierten Juden („Reliques“), in Zeugnissen der Überlebenden oder in den Dossiers und Unterlagen des belgischen Kriegsopferdienstes (SVG) 69 . Sie führen zu drei zentralen Ergebnissen, die die im dritten Kapitel formulierten Annahmen erhärten: • Nicht nur Angehörige von SS und Gestapo, sondern auch Stellen der Wehrmacht (Feldgendarmerie, Geheime Feldpolizei, Wehrmachtgerichtsbarkeit,
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Der XXI. Transport nach Auschwitz
einzelne Wehrmachtangehörige) und der Reichsfinanzverwaltung (DSK) wirkten daran mit, Juden in das Deportationslager Malines zu bringen. • Dagegen deutet kein einziges Indiz darauf hin, dass sich reguläre belgische Polizeikräfte an der Verhaftung der Opfer des XXI. Transports beteiligt hätten. • In 63 von 200 Fällen gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Gestapo sich bei der Verhaftung jüdischer Frauen, Männer und Kinder auf informelle Gehilfen stützen konnte. Dies waren Angehörige der belgischen Kollaborationsgruppierungen (in 12 Fällen Rexisten), von den Besatzungsorganen eingesetzte V-Leute (30 Fälle) oder andere Denunzianten 70 . Diese Helfershelfer traten zumeist nicht allein, sondern zusammen mit Deutschen auf den Plan. Unter den dokumentierten deutschen Verhaftungsorganen stehen die Sicherheitspolizei und der SD erwartungsgemäß mit Abstand an erster Stelle. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass in manchen der herangezogenen Quellen zwischen den einzelnen deutschen Polizeieinheiten nicht unbedingt zuverlässig unterschieden wird 71 . Doch die führende Rolle der Sipo-SD bestätigt sich, wenn man über die oben genannten mehr als 200 Fälle hinausgeht und die Techniken der Verhaftung analysiert, die die Deutschen im Frühjahr 1943 anwandten. Verhaftungstechniken Wie brachten Eichmanns Statthalter in Brüssel die Juden in ihre Gewalt? Dass in den Monaten vor der Abfahrt des XXI. Transports nachweislich keine Großrazzia stattgefunden hat, belegt nicht zuletzt die Verteilung der Adressen der deportierten Juden, die prozentual sehr weitgehend der Verteilung der jüdischen Bevölkerung über Groß-Brüssel und Groß-Antwerpen entspricht 72 . Gingen die Deutschen, die seit 1940 drei große Karteien zur Registrierung der Juden anlegen lassen hatten, im Rahmen kleinerer Razzien von Haus zu Haus? Oder durchkämmten sie systematisch die Stadtviertel, in denen viele Juden registriert waren? Diese Fragen lassen sich auf der Basis eines eingehenden Vergleichs zwischen den erhobenen Meldeadressen der Opfer und den Transportlisten beantworten. Die Transportlisten, die anhand einer nicht überlieferten Kartei der Aufnahmeabteilung im Sammellager Malines erstellt wurden 73 , verzeichnen u. a. für den XXI. Transport das jeweilige Ankunftsdatum der verhafteten Juden im Lager 74 . Die in Brüssel verhafteten Juden, die die große Mehrzahl der Opfer des XXI. Transports stellten, wurden in der Regel noch am Tag ihrer Verhaftung oder im Anschluss an einen kurzfristigen Aufenthalt im Keller der Brüsseler Gestapo oder im deutschen Teil des Gefängnisses Saint-Gilles in das Lager Malines überstellt. Da die Verlegung gruppenweise erfolgte – in Lastwagen, die von Angehörigen der Brüsseler SS-Wachkompanie gefahren und mit
Das Vorgehen der Täter
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Karabiner bewacht wurden –, wurden gemeinsam verhaftete Personen fast immer auch gemeinsam nach Malines gebracht und dort gemeinsam für den XXI. Transport registriert 75 . Daher lassen die Daten auf der Transportliste Rückschlüsse auf die deutschen Verhaftungstechniken zu. Die Gestapo begann Anfang Mai 1943 mit der planmäßigen Verhaftung der Opfer des XXI. Transports. Nur wenige von ihnen befanden sich bereits vorher im Lager Malines. Dies gilt für einige Flüchtlinge aus früheren Transporten, die die Deutschen erneut verhaftet hatten, oder auch für solche Personen, die ursprünglich einem früheren Konvoi zugewiesen worden waren, aber zwischenzeitlich ins Krankenhaus überführt werden mussten. Als ersten setzte die Lagerverwaltung den 19jährigen deutschen Flüchtling Herman Hirsch auf die Liste. Er war bereits für den XVIII. Transport vom Januar 1943 registriert gewesen. Doch nachdem der damalige Lagerkommandant Philip Schmitt seinen Schäferhund auf ihn gehetzt hatte, wurde Herman Hirsch schwer verletzt in das Krankenhaus Malines gebracht, wo man ihm ein Bein amputieren musste, bevor die SS-Schergen ihn mit dem XXI. Transport in den Tod schickten. Zwischen dem 5. Mai und dem 27. Juli 1943 wurden unter 49 Tagesdaten Juden aus Brüssel in Malines registriert 76 . Da vier dieser Tagesdaten fiktiv sein dürften, ist von 45 Tagen auszugehen, an denen die Aufnahmeabteilung 1149 in Brüssel wohnhafte Juden auf die Transportliste setzte (weitere 65 Personen wurden an einem nicht exakt zu bestimmenden Datum interniert). Im Durchschnitt wurden also 24 Personen pro Registrierungstag verzeichnet, wobei die Zahl der Opfer von Tag zu Tag schwankte. Die insgesamt mehr als 1200 Brüsseler Juden, die sich im XXI. Transport befanden, hatten an rund 700 verschiedenen Adressen gelebt. Bemerkenswerterweise ist keinerlei signifikante Häufung von Verhaftungen in einzelnen Straßen festzustellen. So führt die Prüfung der am häufigsten verzeichneten Straße zu folgendem Ergebnis: 34 der dem XXI. Transport zugeteilten Juden hatten ihre reguläre Wohnung in der Rue de Mérode, die die Brüsseler Kommunen Saint-Gilles und Forest verbindet. Mindestens vier von ihnen lebten in Ixelles bzw. Uccle im Versteck, eine weitere Frau wurde nachweislich außerhalb ihrer Wohnung verhaftet. Die übrigen 29 Personen, die an 19 verschiedenen Hausnummern gemeldet waren, wurden an 13 verschiedenen Tagen in Malines registriert. Es steht demnach außer Zweifel, dass die Deutschen keine Razzien von Haus zu Haus durchführten. Stattdessen lassen sich gezielte und fortlaufend wiederholte Verhaftungsoperationen in verschiedenen Quartieren oder Stadtvierteln nachweisen, die jeweils kleine Gruppen von Juden in das Sammellager Malines brachten. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen: 1. Als die Sipo-SD mit der Vorbereitung des XXI. Transports begann, schickte sie ein Festnahmekommando nach Brüssel-Schaerbeek. Am 5. Mai regis-
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trierte die Lagerverwaltung in Malines auf der Transportliste 19 Frauen, Männer und Kinder aus dieser Gemeinde, die an 12 verschiedenen Adressen gemeldet waren. Alle Adressen, darunter fünf Hausnummern in der Rue Jolly, liegen dicht beieinander. Hinzu kommen drei weitere Personen, die ihren Wohnsitz in angrenzenden Straßen der Kommunen Saint-Josse und Brüssel hatten, sowie ein anderswo gemeldeter, jedoch im Versteck lebender Ingenieur, der in einem Schaerbeeker Café verhaftet wurde. Insgesamt handelte es sich um 23 Juden aus Schaerbeek und Umgebung, die fast die Hälfte der an diesem Tag dem Transport XXI zugeteilten Juden aus Groß-Brüssel stellten. 2. Dass die Deutschen planmäßig bestimmte Quartiere aufsuchten, um dort Juden zu verhaften, bestätigt sich, wenn man die jeweiligen Adressen der Opfer an verschiedenen Tagen miteinander vergleicht. Am 10. Juni beispielsweise verzeichnete die Aufnahmeabteilung in Malines niemanden aus Schaerbeek, dafür jedoch 18 Personen aus Saint-Gilles, die an acht verschiedenen Adressen gemeldet waren. Für den 24. Juni lässt sich feststellen, dass die internierten Juden weder aus Schaerbeek noch aus Saint-Gilles oder Anderlecht stammten, dafür waren sechs von ihnen im Stadtteil Ixelles, und zwar an sechs verschiedenen Adressen wohnhaft. Sieben weitere Personen hatte die Gestapo in einem Versteck aufgespürt, das sich ebenfalls in Ixelles befand. 3. Im Vergleich der verschiedenen Brüsseler Gemeinden, die unter deutscher Besatzung zwangsweise zu Groß-Brüssel zusammengeschlossen worden waren, nimmt die Stadt Brüssel den ersten Rang ein, denn hier hatte die größte Gruppe der mit dem XXI. Transport deportierten Juden gelebt. Der Tag, an dem die Zahl der Opfer und der Meldeadressen aus dem Brüsseler Zentrum den Höchststand erreichte, war der 11. Mai. An diesem Dienstag wurden in Malines 17 Juden aus der Stadt Brüssel registriert, die in 12 verschiedenen Häusern gewohnt hatten. Nicht weniger als 13 von ihnen kamen aus dem jüdischen Immigrantenquartier Marolles im Süden Brüssels sowie aus einigen benachbarten Straßen. Die am folgenden Tag auf die Transportliste gesetzten Juden aus der Kommune Brüssel hatten ihren Wohnsitz fast alle in demselben Gebiet. Drei Tage später, am Samstag, den 15. Mai, brachten die Deutschen zum dritten Mal in dieser Woche Juden aus Brüssel nach Malines. Doch nur einer von ihnen war in Brüssel-Süd wohnhaft, wogegen sechs Männer und Frauen aus dem Brüsseler Norden (fünf Adressen) stammten. Weitere 24 Personen kamen aus den angrenzenden Teilen der nördlichen Vorstadtgemeinden Saint-Josse (fünf Adressen) und Schaerbeek (fünf Adressen). Somit lässt sich auch für das Brüsseler Zentrum ein gezieltes Vorgehen nachweisen. 4. Schließlich ist ein Blick auf diejenigen Stadtteile aufschlussreich, in denen relativ wenige Juden lebten. Während am 16. Juni insgesamt 31 Personen in Malines interniert wurden, die an 18 verschiedenen Adressen im Süden Brüssels – vorrangig wiederum in den Marolles – sowie in den angrenzenden Teilen
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von Anderlecht und Saint-Gilles gemeldet waren, registrierte die Lagerverwaltung am darauffolgenden 17. Juni niemanden aus dem Süden der belgischen Hauptstadt. Dagegen wohnten dreizehn der insgesamt vierzehn an diesem Tag verhafteten Juden in den Gemeinden Molenbeek, Ganshoren, Jette und Berchem-Sainte-Agathe (insgesamt sieben Adressen). Da diese benachbarten Kommunen im Norden der Brüsseler Agglomeration eine sehr geringe Zahl der Opfer des XXI. Transports stellten, ist evident, dass die hier erfolgten Festnahmen keineswegs zufällig auf denselben Tag fielen, sondern Bestandteil einer örtlich begrenzten, speziell gegen die Juden gerichteten Verhaftungsserie waren. In diesem Fall liegt auch das Zeugnis eines Überlebenden vor. Hersz Dombrowicz aus Ganshoren, ein 34jähriger, aus Czestochowa stammender Anstreicher, der zusammen mit seiner Ehefrau verhaftet und deportiert wurde, kehrte alleine aus Auschwitz zurück. Er bestätigte 1946, dass ihn die Gestapo, in Begleitung von Rexisten, am 17. Juni 1943 zu Hause in seiner Ganshorener Wohnung abgeholt hat 77 . Vergleicht man alle 45 Tage, an denen Brüsseler Juden für den XXI. Transport registriert wurden, sowie die verschiedenen Wochen in systematischer Weise, lassen sich viele kleine Verhaftungsaktionen erkennen, die sich jeweils auf ein begrenztes Gebiet in der Brüsseler Agglomeration erstreckten. Dabei wurden die einzelnen Kommunen bzw. der Norden und der Süden nicht in abwechselnder Reihenfolge heimgesucht. Vielmehr konzentrierten sich die Festnahmen an manchen Tagen auf dicht beieinander liegende Adressen etwa in Schaerbeek und Saint-Josse einerseits sowie in Saint-Gilles und Forest andererseits. Dieses Faktum deutet auf den Einsatz mehrerer Festnahmekommandos hin. Insgesamt betrachtet ist festzuhalten, dass mindestens die Hälfte der mit dem XXI. Transport deportierten Juden aus Groß-Brüssel im Rahmen solcher kleinen Festnahmeoperationen in die Gewalt der Gestapo gerieten. Dabei handelt es sich um einen Schätzwert, der eher zu niedrig als zu hoch angesetzt ist 78 . Dieses Ergebnis lässt nun auch Rückschlüsse auf die Täter zu. Denn die gezielten Gruppenverhaftungen in jeweiligen Quartieren wurden durch Einheiten der Brüsseler Gestapo durchgeführt. Ihre Tätigkeit wird im folgenden Kapitel näher beleuchtet.
5. Menschenjagd Die deutsche Besatzungsmacht schickte insgesamt 27 Transporte mit Juden aus Belgien nach Auschwitz 1 . Nicht weniger als 17 von ihnen wurden zwischen August und Oktober 1942 zusammengestellt. Im Jahr 1943 fuhren sechs und 1944 vier Todeszüge aus dem belgischen Malines ab, der letzte am 31. Juli. Etwa 70 Prozent der mit den ersten elf Transporten deportierten Juden gerieten im Rahmen großer Festnahmeaktionen (Vorladungen zum „Arbeitseinsatz“, Großrazzien, Verhaftungen an der Antwerpener Ausgabestelle für Lebensmittelmarken) in die Hand der Sipo-SD. In den Transporten XV bis XVII befanden sich zu etwa 70 Prozent jüdische Zwangsarbeiter, die die Besatzer in großen Gruppen aus den nordfranzösischen Lagern der Organisation Todt geholt hatten. Dagegen kam es vor Abfahrt der Transporte XII, XIII und XIV zu keinerlei Massenverhaftung. Was die deutschen Festnahmetechniken im Jahr 1942 betrifft, als während eines Vierteljahres annähernd 17 000 Juden verhaftet und deportiert wurden, ist der Erklärungsbedarf für diese Transporte daher am größten. Vergleicht man sie miteinander sowie mit jeweils einem Transport der Jahre 1943 und 1944, so ergibt sich folgendes Bild 2 : Transport
XII 10. 10. 1942
XIII 10. 10. 1942
XIV 24. 10. 1942
Deportierte Juden 3
1000
XXI 31. 7. 1943
XXV 19. 5. 1944 507
679
996
1560
Meldeadresse Brüssel 246 (25 %)
205 (30 %)
393 (39 %)
1214 (78 %) 341 (67 %)
Meldeadresse Antwerpen
691 (69 %)
333 (49 %)
534 (54 %)
157 (10 %)
90 (18 %)
Zeitraum der Festnahmen 4
12 Tage
5 Tage
14 Tage
85 Tage
45 Tage
Durchschnittliche Zahl der Festnahmen pro Tag in Brüssel 5
21
41
28
14
8
58 Durchschnittliche Zahl der Festnahmen pro Tag in Antwerpen
67
38
2
2
Der weitaus größte Teil der annähernd 4800 verhafteten Juden, die mit den genannten fünf Transporten deportiert wurden, war in Groß-Antwerpen oder im Großraum Brüssel gemeldet, was angesichts der Konzentration der jüdi-
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Menschenjagd
schen Bevölkerung Belgiens in diesen beiden Großstädten nicht überraschen kann. Auffällig ist, dass sich im XIII. Transport relativ viele Juden aus anderen belgischen Orten befanden6 , zumal mehr als 70 von ihnen aus der Provinz Limburg kamen, die unter den Meldeadressen der übrigen Transporte kaum verzeichnet ist, da dort nur wenige Juden lebten. 39 dieser Personen hatte die Besatzungsmacht aus dem Lager Rekem geholt. Im diesem Flüchtlingslager, in dem sich auch eine Abteilung für psychisch Kranke befand, hatte die belgische Fremdenpolizei seit 1940 Ausländer interniert, die aufgrund verschiedener Kriterien als gefährlich für die nationale Sicherheit eingestuft wurden7 . Der sehr kurze Zeitraum, in dem der Transport Nr. XIII zusammengestellt wurde, veranlasste die Sipo-SD offenkundig dazu, die Jagd auf die Juden auszuweiten und in verstärktem Maße auf Gefangene zurückzugreifen. Auch aus der Brüsseler Kriegswehrmachthaftanstalt Saint-Gilles brachte das Judenreferat wenige Tage vor der Abfahrt des XIII. Transports eine größere Gruppe von Juden nach Malines 8 . Doch das wichtigste Resultat des oben dargestellten Vergleichs ist zweifellos die Entwicklung der Festnahmezahlen in Antwerpen und Brüssel.
Antwerpen und Brüssel Zu den landesspezifischen Merkmalen der Judenverfolgung in Belgien gehören die Unterschiede zwischen den Metropolen Antwerpen und Brüssel. Um die zentralen, in den vorigen Kapiteln beschriebenen Fakten zu resümieren 9 : Die Zuspitzung der antijüdischen Maßnahmen in der flämischen Hafenstadt – nicht zuletzt die zeitweilige Deportation von Frauen, Männern und Kindern in die Provinz Limburg im Winter 1940/41 – hatte bis zum Frühjahr 1942 bereits Tausende von Juden aus ihrem Wohnort vertrieben und bewirkt, dass nicht mehr Antwerpen, sondern Brüssel mit Abstand den höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil in Belgien aufwies. Die ab Juni 1942 in die Wege geleitete Deportation von Zwangsarbeitern in die nordfranzösischen OT-Lager hatte ebenfalls in erster Linie Juden aus Antwerpen getroffen. Im Zuge der „Endlösung“ führte die Sipo-SD im August und September 1942 in Antwerpen vier Großrazzien und anschließende Massenverhaftungen an den Lebensmittelmarkenbüros durch, wohingegen es in Brüssel lediglich zu einer einzigen Großrazzia kam. In Antwerpen setzten die Deutschen der legalen Existenz von Juden mit der Deportation der belgischen Staatsangehörigen im September 1943 („Aktion Iltis“) ein Ende, während sie in Brüssel die jüdische Zwangsvereinigung AJB und ein ghettoisiertes Leben ausgewählter Juden bis zur militärischen Niederlage der Wehrmacht im September 1944 aufrechterhielten. Man geht folglich davon aus, dass die Antwerpener Juden der Shoah in weit größerem Umfang zum Opfer fielen als die Juden in Brüssel. Der belgische Historiker Lieven Saerens beziffert den Anteil der Opfer für Antwerpen auf 65 Prozent und für Brüssel auf 37 Prozent der jeweiligen jüdischen Gesamt-
Antwerpen und Brüssel
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bevölkerung. Ob der Unterschied tatsächlich so groß war, bedarf meiner Ansicht nach allerdings weiterer Forschungen. Das Hauptproblem liegt darin, dass Saerens’ Statistik sich auf knapp 60 Prozent der aus Belgien deportierten Juden beschränkt und dass die Brüsseler Juden in der von ihm herangezogenen, unvollständig überlieferten AJB-Kartei stark unterrepräsentiert sind 10 . Das bedeutet vor allem, dass noch keine absoluten Zahlen vorliegen. Wir wissen bis heute nicht, wie viele der nach Auschwitz deportierten Juden aus Antwerpen bzw. aus Brüssel kamen. Mit Blick auf die großen Festnahmeaktionen des Sommers 1942 ist hervorzuheben, dass die vom Brüsseler Judenreferat zunächst ausgegebenen „Arbeitseinsatzbefehle“ sowohl Brüsseler als auch Antwerpener Juden in das Lager Malines vorluden. Die sodann durchgeführten Razzien und Massenverhaftungen konzentrierten sich zwar eindeutig auf Antwerpen; doch stellten die im Rahmen der Antwerpener Großaktionen verhafteten Frauen, Männer und Kinder weit weniger als die Hälfte der in diesem Zeitraum deportierten Juden 11 . Die Frage nach dem Verhältnis der Opfer im Vergleich zwischen Antwerpen und Brüssel ist daher, so meine ich, noch keineswegs geklärt. Unsere in der obigen Tabelle abgebildeten Untersuchungsergebnisse bestätigen dies. Sie deuten außerdem darauf hin, dass sich die Festnahmezahlen in den beiden Städten gegenläufig entwickelten: Nachdem die Massenverhaftungen der ausländischen Juden des Sommers 1942 beendet waren, wurden zunächst mehr Juden in Antwerpen festgenommen als in Brüssel. Doch schon im Oktober 1942 vergrößerte sich zunehmend der Anteil der Brüsseler Juden. In den Transporten der Jahre 1943 und 1944 bildeten die in der belgischen Hauptstadt wohnhaften Juden dann die übergroße Mehrheit. Dass dies auch für die weiteren Transporte der Jahre 1943/44 gilt, ist sehr wahrscheinlich, weil die ausländischen Juden spätestens ab Herbst 1942 massenhaft aus Antwerpen flohen oder untertauchten. Da es an entsprechenden Dokumenten mangelt, lässt sich lediglich mutmaßen, weshalb die Besatzungsmacht die Verhaftung der Juden zunächst in Antwerpen forcierte 12. Dies gilt auch für die Hypothese, dass die in der SS-Führung favorisierten Pläne zum Anschluss Flanderns an Deutschland zu dem Entschluss geführt haben könnten, Antwerpen so rasch wie möglich zu einer Stadt ohne Juden zu machen. In der Zeit der Großrazzien dürfte der Rückgriff auf die kommunale Polizei, die in Antwerpen durchaus, in Brüssel hingegen nicht zur Mitwirkung herangezogen werden konnte, entscheidend gewesen sein. Hinzu kam das politische Klima in der flämischen Metropole, wo der Vlaams Nationaal Verbond, die flämische SS sowie die antisemitische Gruppierung Volksverwering relativ stark verankert waren – wiewohl lediglich eine kleine Minderheit der Bevölkerung diesen Organisationen angehörte – und wo flämische Kollaborateure schon im Frühjahr 1941 gewalttätige Ausschreitungen
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Menschenjagd
in den von Juden bewohnten Vierteln angezettelt hatten, bei denen Häuser demoliert und Synagogen in Brand gesteckt worden waren. Möglicherweise meinten die Deutschen daher auf eventuelle politische Folgewirkungen in Antwerpen weniger Rücksicht nehmen zu müssen als in Brüssel, wo überdies die Bürgermeister bereits im Juni 1942 die Ausgabe des „Gelben Sterns“ verweigert und damit ein deutliches Signal gesetzt hatten. Insofern entsprach das Dispositiv, die spektakulären Großverhaftungen auf Antwerpen zu konzentrieren und anschließend den größten Teil der Opfer in Antwerpen festzunehmen, der vorrangigen Sorge des Militärverwaltungschefs Reeder, bei der Deportation der Juden soweit nur irgend möglich jedes Aufsehen zu vermeiden. Die Juden waren in Antwerpen nicht zuletzt deshalb besonders gefährdet, weil ihre Wohnungen dicht beieinander in einem kleinen Teil des Stadtgebiets lagen, während die jüdische Bevölkerung in Brüssel in mehreren, voneinander entfernten Quartieren lebte. Diese Voraussetzung ist für die Durchführung von Verhaftungsaktionen gegen die Zivilbevölkerung, die auch auf Kinder, Alte und ganze Familien abzielten, kaum zu überschätzen. Vergleicht man die von mir ermittelten Meldeadressen der Juden für die fünf untersuchten Transporte, so ist offensichtlich, dass die Festnahmen sich in Brüssel auf ein wesentlich größeres Territorium erstreckten als in Antwerpen. Die Brüsseler Juden verteilten sich auf eine größere Zahl von Kommunen bzw. Stadtvierteln, und daher mussten die verantwortlichen Polizeikräfte viel mehr Straßen aufsuchen, um sie zu verhaften 13 . Dieser Faktor, der möglicherweise bereits bei der Organisation der großen Razzien des Sommers 1942 eine Rolle spielte, trug zweifellos dazu bei, dass die Deutschen zur Zusammenstellung der Transporte XII, XIII und XIV vom Oktober 1942 mehr Juden in Antwerpen verhafteten als in Brüssel. Offenbar traf die Besatzungsmacht gezielt die Entscheidung, die Festnahme der Antwerpener Juden im Herbst 1942 zu beschleunigen. Hierfür spricht zum einen die Tatsache, dass die Sipo-SD durchaus dazu in der Lage war, die Opferzahlen auch in Brüssel zu erhöhen, wie die oben angeführten Befunde für den XIII. Transport zeigen, für dessen sehr rasche Zusammenstellung außergewöhnlich viele Juden in der Hauptstadt verhaftet wurden. Zum anderen setzten die deutschen Machthaber in Antwerpen im Herbst 1942 ein großes Kontingent an Exekutivkräften ein.
Die Verhaftung von Juden in Antwerpen ab Herbst 1942 Die Abteilung II C bzw. IV B der Sipo-SD-Außendienststelle Antwerpen war personell bescheiden ausgestattet. Ihrem Leiter Erich Holm stand wahrscheinlich nur ein weiterer deutscher Beamter zur Seite 14. Hinzu kamen im Zeitraum ab September 1942 jeweils zwei bis drei flämische Übersetzer 15 , die vermutlich – ebenso wie manche deutschen oder einheimischen Übersetzer in Brüssel – als
Die Verhaftung von Juden in Antwerpen ab Herbst 1942
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Hilfspolizeibeamte angestellt waren. Daher hatten sie exekutive Befugnisse und konnten auch ohne Begleitung deutscher Beamter Juden verhaften. Auffällig ist, dass die deutschen Entscheidungsträger diesen insgesamt vier bis sechs Kräften im September und Oktober 1942 beträchtliche personelle Verstärkung zukommen ließen 16 . Zuerst konnten Holm und seine Mitarbeiter auf Angehörige der Feldgendarmerie sowie auf den gesamten Sturmbann Antwerpen der SS-Flandern zurückgreifen, um die bereits mehrfach erwähnten Razzien an der Ausgabestelle für Lebensmittelmarken durchzuführen, die Hunderte von Opfern in den Transport Nr. XI brachten. Im Oktober sollen dann mindestens 20 bis 30 Feldgendarmen und 20 freiwillige flämische SS-Leute für Festnahmekommandos bereitgestellt worden sein, die unter der Leitung von Holms Mitarbeitern Juden in Antwerpen verhafteten 17 . Wie die von uns ermittelten Meldeadressen belegen, nahmen die Besatzungsbehörden mit Hilfe dieses Aufgebots zwischen Ende September und Ende Oktober 1942 mehr als 1500 Antwerpener Juden fest, die mit den Transporten XII, XIII und XIV deportiert wurden. Danach wurde das deutsche und flämische Hilfspersonal Holms erheblich reduziert. Saerens führt dies darauf zurück, dass die flämischen SS-Angehörigen sich zu hemmungslos persönlich bereichert hätten 18 . Doch der Grund dürfte vorrangig darin liegen, dass zwischen November 1942 und Mitte Januar 1943 kein Transport nach Auschwitz fuhr. Ab Ende Oktober oder Anfang November 1942 zog die Sipo-SD kontinuierlich eine Gruppe von fünf flämischen Kollaborateuren zur Menschenjagd heran. Fast alle gehörten der antisemitischen Organisation Volksverwering sowie der flämischen SS an und hatten schon vorher bei der Verhaftung von Juden mitgewirkt. Eine führende Rolle unter diesen willigen Verfolgern kam Felix Lauterborn zu, der als einziger eine offizielle Anstellung als Dolmetscher in Holms Abteilung erhielt 19 . Die übrigen hatten den Status von V-Leuten, die selbst nicht zur Verhaftung befugt waren 20 . Sie traten daher zusammen mit deutschen bzw. flämischen Angehörigen der Sipo-SD oder mit Feldgendarmen in Aktion. Saerens rückt die belgischen Kollaborateure in den Vordergrund. Ihre Beteiligung trieb die Zahl der Opfer fraglos in die Höhe 21. Und doch ist der Anteil der Deutschen meiner Ansicht nach nicht zu vernachlässigen, zumal sich nachweisen lässt, dass die Besatzer noch im Zeitraum 1943/44 mehrfach das Personal der gesamten Sipo-SD-Außenstelle Antwerpen mobilisierten, um Festnahmetrupps zu bilden und kleine Razzien zur Verhaftung von Juden durchzuführen. Aus deutscher Sicht fungierten die Flamen dabei lediglich als Assistenten. Ein deutscher Kriminalbeamter namens Theo S., der ab März 1943 in der Antwerpener Sipo-SD – nicht unter Holm – tätig war, hat dies noch in den sechziger Jahren zu Protokoll gegeben:
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Menschenjagd
„Während meiner Dienstzeit in Antwerpen habe ich an etwa 3 oder 4 Judenfestnahmeaktionen teilgenommen. Sie gingen in der Form vonstatten, dass Holm Gesamtleiter der Aktion war. Er organisierte die Durchführung der Aktionen. An diesen Aktionen mussten alle Angehörigen der Dienststelle, ausgenommen der Fernschreiber und die Schreibkräfte, teilnehmen. Es wurden Trupps von einem Deutschen und zwei Flamen als Hilfskräfte gebildet. Außerdem wurde jedem Trupp ein PKW gestellt. Von Holm bekamen die Deutschen auf einer Liste bzw. auf einem Zettel die Anschriften von 3 bis 5 Juden mit dem Auftrage, sie zu einer festgesetzten Zeit (meistens in den frühen Morgenstunden) aus den Wohnungen zu holen. Ich weiß noch, dass von Holm große Möbelwagen besorgt worden waren, die in bestimmten Stadtbezirken als Sammelpunkte dienten. Die Greiftrupps brachten die festgenommenen Juden zu diesem Wagen und gaben sie dort ab. […] Meine Aufgabe war die, die in der Liste oder auf den Zetteln aufgeführten Juden festzunehmen und an dem bezeichneten Sammelpunkt abzuliefern. Diesen Befehl habe ich auch ausgeführt.“ 22
Der von den deutschen Ermittlungsbehörden als Zeuge vernommene Theo S. erinnerte sich ferner daran, dass auch Angehörige der Feldgendarmerie, der Geheimen Feldpolizei und der flämischen SS an Festnahmeoperationen der Sipo-SD beteiligt waren. Er wusste jedoch nicht mit Bestimmtheit anzugeben, ob diese lediglich bei Razzien gegen die Widerstandsbewegung oder auch zur Verhaftung von Juden eingesetzt wurden.
Die Festnahmekommandos des Brüsseler Judenreferats Die Judenabteilung des BdS-Hauptquartiers in der Brüsseler Avenue Louise hatte wesentlich mehr deutsche Beamte zur Verfügung als ihr Antwerpener Ableger, wenngleich es nie mehr als zehn waren. Zunächst wurde auch sie von der Feldgendarmerie unterstützt. Mitte August 1942, als in Antwerpen die erste Großrazzia stattfand, führten Feldgendarmerie und Sipo-SD in Brüssel laufend kleine Razzien durch. Sie suchten mit Lastwagen Wohnviertel der jüdischen Immigranten wie die Brüsseler Kommune Anderlecht auf und nahmen Juden in ihren Wohnungen und auf der Straße fest. Dies ist nicht nur durch zeitgenössische Veröffentlichungen in einem von den Deutschen autorisierten Kollaborationsblatt und in der Untergrundpresse belegt 23 , sondern auch durch die Aussagen von Überlebenden. So gab der Schneider Chaim Helman den belgischen Ermittlungsbehörden 1949 zu Protokoll: „Ich wurde auf offener Straße in Anderlecht […] verhaftet. Männer der Gestapo in Zivilkleidung haben meinen Ausweis verlangt, und als sie sahen, dass ich Jude bin, musste ich sofort in einen Lastwagen einsteigen. Darin befanden sich schon andere Juden, die mir nicht bekannt waren. Ich wurde direkt zur Dossin-Kaserne in Malines gebracht.“ Chaim Helman wurde am 18. August in Malines auf die Liste für den V. Transport gesetzt. Am folgenden Tag geriet Hersz-Chil Lembergier auf dieselbe Weise in die Gewalt der Deutschen, bevor er mit dem Transport Nr.
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VI nach Auschwitz fuhr. Er hat die Beteiligung der Feldgendarmerie bezeugt: „Ich wurde als Jude bei einer Razzia am 19. August 1942 von der deutschen Feldgendarmerie an der Place Bara in Anderlecht verhaftet, in einen Armeelastwagen verfrachtet und zur Dossin-Kaserne in Malines gebracht.“ 24 Diese kleinen Razzien, die möglicherweise vereinzelt schon Ende Juli begonnen hatten, wurden im September 1942, im Anschluss an die Brüsseler Großrazzia, noch fortgesetzt 25 . Ab Herbst 1942, als die Transporte XII, XIII und XIV vorbereitet wurden, ging das Judenreferat dazu über, eigene kleine Kommandos einzusetzen, die in der belgischen Hauptstadt zirkulierten und die zumeist nicht mit Lastwagen, sondern mit Personenfahrzeugen operierten. Polizeiliche Verhöre der Täter und Beteiligten sowie Aussagen überlebender Juden aus der Nachkriegszeit bieten die Grundlage dafür, die Zusammensetzung und Arbeitsweise der Festnahmekommandos sehr weitgehend aufzuklären 26 . Die Ergebnisse lassen an der führenden Rolle der Angehörigen der Sipo-SD bei der Verhaftung der Juden keinen Zweifel. Während die vorliegende Forschungsliteratur regelmäßig den beschränkten Personalbestand der deutschen Judenabteilungen hervorhebt27 , ergibt sich aus den Vernehmungen der ehemals Verantwortlichen ein anderes Bild. So sagte der ehemalige Judenreferent Kurt Asche aus: „Die normalen (sic!) Festnahmen von Juden wurden durch Angehörige unserer Dienststelle durchgeführt.“ 28 Asche wirkte bis zum Herbst 1943 im Brüsseler Judenreferat mit, das er bis Ende 1942 auch leitete. Felix Weidmann – ab Anfang 1943 Mitglied und zwischen Oktober 1943 und März 1944 Leiter des Judenreferats (IV B) – gab zu Protokoll, dass „die Beamten der Abteilung IV B im Außendienst (…) mit der Festnahme von Juden befasst waren“. Er fügte hinzu, dass sie „täglich und auch nachts unterwegs waren und laufend Juden festnahmen“ 29 . Im September bzw. Anfang Oktober 1942 holte der BdS mindestens zwei Polizeibeamte zurück nach Brüssel, die vor Beginn der Deportationen in das Lager Malines abgeordnet worden waren. Einer von ihnen, der bis zum deutschen Rückzug im Brüsseler Judenreferat tätig blieb, gab in einer Nachkriegsvernehmung an, es habe in Brüssel mehrere Festnahmekommandos gegeben 30 . Im Frühjahr 1943 erhielt der BdS drei neue Beamte aus Berlin zugewiesen, die zur Menschenjagd für die Transporte nach Auschwitz eingesetzt wurden, darunter Otto Siegburg. Der Kriminalsekretär und Hauptsturmführer Siegburg, der von der Bottroper Gestapo kam und 1939 einem Einsatzkommando in Polen angehört hatte 31, war bald dafür bekannt, bei der Festnahme von Juden gleichermaßen eifrig wie brutal vorzugehen 32 . Mitte Juni 1943 misshandelte er den 42jährigen Hilel Erner, der sich nach seiner Flucht aus Antwerpen unter falscher Identität in einer nördlich Brüssel gelegenen Kommune versteckte, bei der Festnahme so schwer, dass dieser kurz darauf im Keller des Gestapo-
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Hauptquartiers in der Avenue Louise verstarb 33. Am 31. Juli begleitete Siegburg den XXI. Transport, in dem sich viele von ihm verhaftete Juden befanden, von Malines bis Aachen 34 . Er gehörte zu der Gruppe Brüsseler SS-Leute, die nach der Massenflucht aus dem XX. Transport zur Verstärkung der deutschen Schutzpolizei eingesetzt wurden, um Ausbrüche von Juden aus dem Todeszug zu verhindern. Es gibt Hinweise darauf, dass Siegburg auf fliehende Juden geschossen hat, wenngleich die Quellenlage in dieser Hinsicht nicht eindeutig ist 35 . Feststeht, dass das Begleitpersonal mindestens drei Juden, die aus dem XXI. Transport zu entkommen suchten, erschoss. Feststeht außerdem, dass es nicht erst auf den Transporten, sondern schon bei der Festnahme zur Erschießung von Juden auf belgischem Territorium durch deutsche Polizeiorgane kam. Dies war bereits 1942 der Fall. So erschoss ein deutscher Polizeibeamter am 20. November 1942 mitten in Brüssel auf offener Straße einen Juden, dessen Identität die belgische Polizei nicht aufklären konnte, da er lediglich einen falschen Ausweis bei sich trug. Einen Monat darauf wurde der 38jährige Familienvater Jacob Segal in seiner Wohnung in Brüssel-Schaerbeek von zwei Beamten der Sicherheitspolizei erschossen36 . Diese Verbrechen, für die sich weitere Beispiele anführen ließen, belegen den Verfolgungseifer der deutschen ausführenden Organe. Sie sind Ausdruck eines auch in Belgien zunehmenden Terrors gegen die jüdische Bevölkerung. Es bedurfte nur wenig Personal für die Festnahmekommandos, die in wechselnder Zusammensetzung arbeiteten und oft lediglich aus zwei bis drei Männern bestanden, darunter ein Chauffeur, welcher zumeist von der Fahrbereitschaft des BdS angefordert wurde. Zwischen Herbst 1942 und Ende 1943 waren laufend mindestens vier bis sieben Polizeikräfte für Festnahmekommandos abgestellt – bis auf einen Hilfspolizisten luxemburgischer Herkunft sämtlich Deutsche 37. 1944 waren es mindestens drei Beamte. Die Beamten „im Außendienst“ der Judenabteilung verwandten ihre gesamte Arbeitszeit darauf, jüdische Frauen, Männer und Kinder in die Gewalt der SS zu bringen. Sie waren allerdings nicht die einzigen Täter. Andere Beamte des Judenreferats – das rund acht (Herbst 1942 und 1944) bzw. rund zehn (1943) Mitarbeiter hatte – und der Brüsseler Gestapo nahmen ebenfalls Juden fest. Außerdem verließen manche der nach Malines abgeordneten BdS-Angehörigen zumindest im Sommer und Herbst 1942 das Sammellager immer wieder, um sich an der Verhaftung von Juden zu beteiligen 38 . Dies gilt etwa für den bis zum Frühjahr 1943 als stellvertretender Lagerleiter in Malines tätigen Kriminaloberassistenten und SS-Untersturmführer Karl Meinshausen. Möglicherweise handelte Meinshausen, der sich bei der Misshandlung der gefangenen Juden besonders hervortat, während er zugleich eine komplette Wohnungseinrichtung für seine Recklinghausener Familie aus den Wohnungen der Opfer zusammengeraubt haben soll, auf eigene Initiative. Erst nach seiner Abberufung aus Malines wurde er haupt-
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amtlich zur Menschenjagd eingesetzt 39 . Im Transport Nr. XX vom April 1943 befanden sich eine Reihe von Juden, die Meinshausen festgenommen hatte, unter ihnen Suzanne Kaminski, das jüngste aus Belgien deportierte Kind, das keine sechs Wochen alt wurde 40. Ferner wirkten Mitglieder der BdS-Wachkompanie bei der Festnahme von Juden im Raum Brüssel mit. Sofern sie sich nicht aus eigenem Antrieb beim Judenreferat für die Teilnahme meldeten, wurden sie jeweils für gezielte Operationen zur Gestapo abgeordnet41 . Wenn auch nicht feststellbar ist, ob dies gelegentlich oder regelmäßig geschah, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die deutschen Führungskräfte der Wachkompanie Angehörige des Judenreferats bei der Jagd auf die Juden begleiteten. Dass dasselbe für die Mannschaftsgrade gilt, die in erster Linie aus flämischen SS-Männern bestanden und unter anderem in Malines als Wachpersonal eingesetzt wurden, ist sehr wahrscheinlich, allerdings kaum dokumentiert. Auf jeden Fall zogen die Deutschen auch in Brüssel einheimische Gehilfen zu den Festnahmekommandos heran. Bei diesen handelte es sich nur im Ausnahmefall um offizielle Mitarbeiter des Judenreferats, wie den bereits erwähnten Luxemburger Lambert N., der ab Herbst 1942 zunächst als Chauffeur beteiligt, doch spätestens ab Frühjahr 1943 als Übersetzer regulär angestellt war und dessen Befugnisse bezüglich der Verhaftung von Juden faktisch denjenigen der deutschen Beamten entsprachen. In der Regel waren die Handlanger nicht regulär bedienstet. Dieses Faktum ist insofern bedeutsam, als die nicht angestellten Kräfte keine exekutiven Befugnisse hatten. Stattdessen assistierten sie den Deutschen, denen stets die Verantwortung und Leitung der Kommandos oblag. Einer dieser Helfershelfer, der bereits während der Ereignisse zu trauriger Berühmtheit gelangte, war der jüdische Spitzel Icek Glogowski, genannt „Jacques“. Kurz nachdem seine Frau und seine drei Kinder Ende September 1942 verhaftet worden waren – sie sollten mit dem XII. Transport deportiert werden –, begann Glogowski für das Judenreferat zu arbeiten 42 . Wahrscheinlich stellten die Deutschen ihm die Rückkehr seiner Familie aus Deutschland in Aussicht; daran muss er jedenfalls selbst geglaubt haben. Denn als ihr Abfahrtstag nach Auschwitz schon einen Monat zurücklag und er selbst die Wohnung wechselte, meldete er auch seine Frau in der neuen Wohnung an und sorgte dafür, dass seine neue Adresse auf der vom Judenreferat für seine Frau angelegten Karteikarte eingetragen wurde 43. Otto Siegburg und andere Angehörige der Judenabteilung ließen sich regelmäßig von Glogowski begleiten, um in Brüsseler Straßen und Häusern klandestin lebende Juden zu finden, die „Jacques“ zu identifizieren vermochte, oder sie bedienten sich seiner Ortskenntnis, die ihnen die Mühe ersparte, selbst Adressen auf dem Stadtplan zu lokalisieren. Sie erlaubten ihm das Tragen einer Waffe und ermächtigten ihn, ebenso wie sie selbst auf Juden zu schießen, die der Verhaftung zu entfliehen
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versuchten, oder Juden zu misshandeln. Es lässt sich nicht ermitteln, wie viele Personen unter Mitwirkung von Glogowski in die Hände der Deutschen fielen, doch zweifellos wurde dessen Stellenwert in der öffentlichen Erinnerung überschätzt 44 . In den Monaten vor der Abfahrt des XXI. Transports konnten Eichmanns Statthalter in Brüssel zusätzlich auf ein Kontingent flämischer SS-Leute zurückgreifen, die nicht in deutschen Diensten standen 45 . Dass diese nicht schon früher eingesetzt wurden, dürfte darauf zurückgehen, dass erst seit Ende 1942 ein vom „Sturmbannführer Brabant“ der Germanischen-SS, Robert Verbelen, aufgestellter „Polizeizug“ existierte – eine Art Todesschwadron, die vor allem Terror- und Mordanschläge zur Vergeltung von Aktionen der belgischen Widerstandsbewegung unternahm 46 . Mindestens elf Freiwillige der Brüsseler Germanischen-SS wurden abwechselnd dazu bestimmt, zusammen mit Mitgliedern des Judenreferats, unter ihnen Siegburg, des Nachts Juden im Raum Brüssel festzunehmen. Aus den von der belgischen Nachkriegsjustiz vorgenommenen Vernehmungen der belgischen SS-Angehörigen ist zu schließen, dass diesen regelmäßigen Festnahmeaktionen, die nach der Abfahrt des XXI. Transports jedenfalls noch einige Wochen fortgesetzt wurden, insgesamt mindestens 200 Juden zum Opfer fielen. Als zentrale Figur und Verbindungsmann zwischen dem BdS und der Germanischen-SS fungierte der Belgier Jean Bollen. Bollen, der seit 1940 – zunächst wegen einer Meldeauflage – in der deutschen Terrorzentrale an der Avenue Louise ein und aus ging, betätigte sich spätestens ab 1943 als V-Mann der Judenabteilung und genoss das Vertrauen des damaligen Judenreferenten Fritz Erdmann. Als enger Mitarbeiter Robert Verbelens leitete er gleichzeitig das Brüsseler Büro der Germanischen-SS und rekrutierte belgisches Personal für die Allgemeine und für die Waffen-SS. Nachdem Bollen Mitte August 1943 von den Deutschen verhaftet worden war – anscheinend wegen Unterschlagung des den Juden geraubten Eigentums 47 – organisierte sein Nachfolger Julianus Van Dooren, der sich über einen längeren Zeitraum tatkräftig an der Verhaftung von Juden beteiligte, die Mitwirkung flämischer SS-Leute bei den Festnahmekommandos. Die freiwilligen Gehilfen wurden mit Kopfgeldern bezahlt, doch erlangten sie keinen offiziellen Status. Daher wurden sie niemals allein, sondern stets unter der Leitung eines Mitglieds des Judenreferats tätig. Dass sie nur beschränkte Befugnisse innehatten, schloss allerdings nicht aus, dass sie bei der Misshandlung von Juden mitwirkten. Im Juni 1943 wurde der aus Deutschland emigrierte Familienvater Moszek Woydislawski auf dem Balkon seiner Wohnung in Brüssel-Woluwé-SaintPierre von einem belgischen SS-Mann erschossen48 . Noch am selben Tage registrierte die SS-Lagerverwaltung in Malines seine Ehefrau Dora Schwarz und seinen zehnjährigen Sohn Léon für den XXI. Transport. Tagsüber wurden Juden in ihrer Wohnung, im Versteck oder auf der Straße
Die Festnahmekommandos des Brüsseler Judenreferats
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verhaftet, gelegentlich auch in Gaststätten oder öffentlichen Einrichtungen wie Lebensmittelmarkenbüros, sowie in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf Bahnhöfen. In dem im November 1943 in Brüssel errichteten jüdischen Krankenhaus, wo bis zum Ende der Besatzungszeit mindestens 800 Juden behandelt wurden, fanden keine Razzien statt, da es sich um eine derjenigen Einrichtungen handelte, deren Existenz die Militärverwaltung nach der Verhaftung der belgischen Juden im September 1943 („Aktion Iltis“) aus politischen Erwägungen vorerst protegierte, und da es zu einer Mitte 1944 geplanten letzten Großrazzia nicht mehr kam 49 . Aus demselben Grund blieben Gruppenverhaftungen in den Brüsseler Anlaufstellen der AJB eine Ausnahme 50 ; erst im Juli 1944 suchten die Deutschen eine AJB-Suppenküche heim, wo sie 50 Juden festnahmen 51 . Schließlich wurden bereits 1942 einige Juden verhaftet, die sich in Brüsseler Sanatorien versteckt hielten 52 . Im Mai 1943 brachte die Gestapo zwölf Juden aus einer Lungenheilanstalt in das Durchgangslager Malines, die nur aufgrund der unverzüglichen Demarchen des zuständigen Chefarztes der Deportation entgingen und sich retten konnten53 . Die in der Nacht operierenden Festnahmekommandos suchten ihre Opfer stets gezielt zuhause auf – sei es an der Meldeadresse, sei es im Versteck. Wie gelangte das Judenreferat an die Versteckadressen? Typisch für das Vorgehen der Gestapo war die Methode, verhaftete Juden unter Druck zu setzen, um den Aufenthaltsort von Verwandten oder Bekannten zu erpressen. Entsprechende Verhöre erfolgten nachweislich bereits während der Verhaftung, dann in den Büros der Avenue Louise, wo sie mitten in der Nacht im Kellergefängnis fortgesetzt wurden, und schließlich im Lager Malines. Dabei waren Fausthiebe ins Gesicht, Fußtritte und Schläge mit dem Revolverknauf an der Tagesordnung. Brutale Gewalt bekamen insbesondere diejenigen zu spüren, die Auskünfte über ihre Unterkunft, den Verbleib von Angehörigen oder etwa die Herkunft falscher Papiere verweigerten. Ende 1942 beging ein Jude im Brüsseler BdSHauptquartier Selbstmord, nachdem er schwer gefoltert worden war, weil er seine Identität und die Adresse seiner Familie nicht preisgeben wollte 54. Mindestens vier Juden kamen in der Avenue Louise zu Tode. Allerdings haben zahlreiche Überlebende angegeben, niemals verhört worden zu sein. Dass die Beamten des Judenreferats oftmals auf ein Verhör verzichteten, könnte darauf hindeuten, dass die dabei erzielten Resultate wenig ergiebig waren. Jedenfalls waren sie offenbar nicht auf die Verhöre angewiesen, um die sich verbergenden Juden ausfindig zu machen, verfügten sie doch über weitere Auskunftsquellen. So konnten sie auf die Mitwirkung anderer deutscher Dienststellen zählen, die zufällig erlangte Kenntnisse über den Aufenthaltsort von Juden an sie weiterleiteten. Weitere Hinweise auf versteckt lebende Juden gingen aus der belgischen Zivilbevölkerung bzw. aus dem Kollaborationsmilieu ein. Die Presseorgane der antisemitischen Gruppierung Volksverwering, die allerdings einen
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kleinen Leserkreis hatten, riefen zur Denunziation von Juden auf. In welchem Ausmaß solche Mitteilungen erfolgten und welche Bedeutung der Aussetzung von Kopfprämien zukam, lässt sich nicht ermitteln, da schriftliche Anzeigen lediglich in Ausnahmefällen überliefert sind 55 . Überdies bauten die deutschen Polizeiorgane in Belgien ein Netz von Informanten auf, die zum Teil für mehrere Dienste zugleich tätig waren und deren Zahl beträchtlich gewesen sein dürfte 56. Für das Judenreferat der Brüsseler Sipo-SD und das Devisenschutzkommando in Brüssel haben wir nicht weniger als jeweils rund 20 V-Leute namentlich identifiziert, die zwischen 1942 und 1944 zur Verhaftung jüdischer Frauen, Männer und Kinder beitrugen, darunter eine Anzahl von Juden. Diese Zuträger suchten nach Juden. Sie überwachten Orte, die von Untergetauchten aufgesucht wurden, weil dort etwa falsche Papiere oder Lebensmittel ohne Marken zu erhalten waren, und kundeten Versteckmöglichkeiten aus. Sie folgten „untergetauchten“ Frauen und Männern auf der Straße bis zu deren Unterkunft und meldeten die Adresse an die SipoSD. Es kam auch vor, dass die Informanten Namenslisten erhielten, die der belgische Kollaborateur und Leiter der „Antijüdischen Zentrale“, Pierre Beeckmans, anhand der von ihm kontrollierten Karteien und Register des Judenreferats anfertigte 57. Sie hatten zu verifizieren, ob die Betreffenden noch in ihrer gemeldeten Wohnung lebten, oder sollten versuchen, den Aufenthaltsort derjenigen herauszufinden, die ihren Wohnsitz verlassen hatten. Andere Agenten fahndeten im Auftrag des Judenreferats oder des Devisenschutzkommandos gezielt nach denjenigen Personen und Familien, die eine illegale Flucht in das Ausland planten, wobei sie selbst als falsche Fluchthelfer auftraten, um Juden in die Falle zu locken, die aus den Niederlanden nach Belgien – und von dort zumeist weiter nach Frankreich oder in die Schweiz – oder aus Belgien nach Frankreich zu entkommen versuchten 58 . Die V-Leute wurden mit Prämien vergütet. Während das DSK jeweils 5 bis 10 Prozent der bei dem Opfer beschlagnahmten Werte zahlte, erhielten die Informanten der Sipo-SD in den Jahren 1942/43 ein Kopfgeld von 100, später 200 oder mehr belgischen Franken 59 . Dies war nicht wenig, denn ein festangestellter Hilfspolizist des Judenreferats verdiente im Monat brutto 2000 belgische Franken. Die Prämien dürften dafür gesorgt haben, dass auch verdeckte Ermittler, die nicht dem Judenreferat, sondern anderen BdS-Abteilungen zuarbeiteten, gelegentlich Hinweise auf Juden lieferten. Sofern es sich bei den V-Leuten um Juden handelte, was nicht selten der Fall war, wurden sie in einer extremen Zwangssituation zu Helfershelfern des Judenreferats. SS-Leute wie Otto Siegburg hatten sie verhaftet und vor die Alternative gestellt, deportiert zu werden oder den Deutschen Namen und Adressen anderer Juden zu liefern. Mutmaßlich wurde manchen auch versprochen, die eigene Familie durch die Denunziation anderer Juden retten zu können.
Die Festnahmekommandos des Brüsseler Judenreferats
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Manche Nicht-Juden arbeiteten sowohl für den deutschen Verfolgungsapparat als auch auf eigene Rechnung, indem sie Juden erpressten und sich deren Eigentum aneigneten 60 . Dies geschah zum Teil in organisierter Form. Zuträger und Gehilfen, die die verschiedenen Besatzungsdienststellen um sich scharten, bildeten ein Milieu, das der Organisation von privaten Raubzügen gegen die jüdische Bevölkerung Vorschub leistete. Zu einer Gruppe von Belgiern, die spätestens seit September 1942 laufend zum eigenen Vorteil Juden ausplünderten, gehörten beispielsweise ein V-Mann des BdS-Judenreferats, ein V-Mann des DSK und ein flämischer SS-Mann, der auch der antisemitischen Liga Volksverwering angehörte. Letzterer arbeitete für den Heereskraftfahrpark der Wehrmacht und brachte einen Wehrmachtlastwagen nebst Kraftfahrer zum Transport des Raubguts mit. Einer der Chefs dieser Bande, die das DSK Ende 1942 auffliegen ließ, soll allerdings der Deutsche Hermann Müller gewesen sein. Dieser wirkte als Übersetzer und Hilfspolizeibeamter im Judenreferat bei der Verhaftung von Juden mit. Dass Müller, der die Wohnungen verhafteter Juden mit Wissen, wenn nicht im Auftrag seiner Vorgesetzten Asche und Erdmann zur privaten Bereicherung ausraubte, durch die Abteilung V (Kripo) des BdS verhaftet wurde, trug schließlich zur Absetzung und Verurteilung der beiden Judenreferenten durch ein SS- und Polizeigericht bei 61 . In der Summe kam den einheimischen Kollaborateuren und Gehilfen ein wichtiger Stellenwert bei der Verhaftung der Juden in Belgien zu. Ohne ihre Mitwirkung hätte der deutsche Polizeiapparat weniger Juden verhaftet. Allerdings ist nicht zu vergessen, dass sie, abgesehen von den als Hilfspolizeibeamten vom BdS angestellten Übersetzern, im wahrsten Sinne des Wortes als Helfershelfer agierten. Sofern sie den deutschen Beamten nicht lediglich Informationen zutrugen, sondern sich auch an der Verhaftung beteiligten, waren in der Regel verantwortliche Mitglieder der Sipo-SD oder der Feldgendarmerie dabei. Denn offiziell hatten sowohl die V-Leute als auch die Angehörigen der belgischen Formationen der Allgemeinen SS keine exekutiven Befugnisse. Dies gilt schließlich auch für die in Brüssel und in der Wallonie agierenden Mitglieder der Kollaborationsbewegung Rex, der 1943 ebenfalls der SS unterstellt wurde und eine eigene Polizeiabteilung errichtete. Doch im Gegensatz zu Heinrich Himmlers Bevollmächtigtem für Volkstumsfragen in Belgien, Richard Jungclaus, der unter Überschreitung seiner eigenen Kompetenzen innerhalb der von ihm kontrollierten SS-Organisationen eine polizeiliche Exekutive aufzubauen trachtete, suchten die Verantwortlichen der Sipo-SD, einschließlich des Gestapochefs, die Befugnisse von Rex zu begrenzen 62 . Erst 1944 scheint die Brüsseler Polizeibrigade von Rex regelmäßig ohne deutsche Begleitung Juden verhaftet zu haben, wobei die Gesamtzahl offenbar gering blieb 63. Üblicherweise traten die belgischen Gehilfen gemeinsam mit Angehörigen der deutschen Polizei auf. Die Verantwortung der Deutschen ist daher nicht zu übersehen.
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Ziehen wir eine Zwischenbilanz: Die Gruppenverhaftungen, auf die die Sipo-SD sich ab Herbst 1942 verlegte, brachten viele Juden in die Züge nach Auschwitz. Dies belegt der von uns angestellte Vergleich der Meldeadressen und der Ankunftsdaten im Lager Malines. Er liefert ein Abbild davon, dass im Herbst 1942 (Transporte XII, XIII und XIV) in Brüssel und Antwerpen gezielte Verhaftungsaktionen in den Wohngegenden der jüdischen Bevölkerung stattfanden. Dabei wurden die einzelnen Straßen nicht sukzessive durchgekämmt, sondern stets aufs Neue aufgesucht, wobei der Schwerpunkt mal auf dieses, mal auf jenes Areal gelegt wurde 64. Wie in Kapitel IV dargelegt, lässt sich dasselbe Verfahren in Brüssel auch für das Frühjahr 1943 (XXI. Transport) belegen. Im Durchschnitt ist für nicht weniger als die Hälfte der deportierten Juden nachweisbar, dass sie bei solchen Festnahmeaktionen verhaftet wurden65 . Möglicherweise waren es noch mehr. Denn die Korrelation von Meldeadressen und Internierungsdaten – eine andere Methode ist mangels Quellen nicht verfügbar – bietet lediglich die Möglichkeit, einen Mindestanteil der Gruppenfestnahmen festzustellen. Obschon nur ein Teil der Opfer in der eigenen Wohnung aufgesucht wurde, nahmen die Polizeikommandos zumindest in der Nacht Adressenlisten zur Hilfe. Vielleicht wurden solche Listen auf der Basis der von dem belgischen Kollaborateur Pierre Beeckmans nach Straßen sortierten AJBKartei angefertigt 66 . War die Sipo-SD das hauptverantwortliche Organ für die Gruppenfestnahmen, so konnte sie doch im Herbst 1942 in Antwerpen auf massive Unterstützung der Feldgendarmerie zählen, ohne die die Zahl der Opfer aus der flämischen Metropole wohl kaum so hoch ausgefallen wäre.
Andere deutsche Dienststellen Schon bei der Durchführung der Razzien arbeitete die Sicherheitspolizei mit anderen deutschen Organen zusammen. Dass Kräfte der Wehrmacht bei den großen Verhaftungsoperationen für die Transporte nach Auschwitz mitwirkten, war keine Ausnahme, sondern die Regel, wie die Zusammenfassung folgender Ereignisse verdeutlicht, die zum Teil bereits geschildert wurden: Noch vor der Ausgabe der ersten Arbeitseinsatzbefehle zur Deportation nach Auschwitz führten Feldgendarmerie und Sipo-SD gegen Ende Juli 1942 an zwei Tagen Razzien auf dem Antwerpener Bahnhof sowie in den Zügen aus und in Richtung Brüssel/Malines durch 67 . Mindestens 170 Juden wurden verhaftet und von der BdS-Außenstelle Antwerpen in das Konzentrationslager Breendonk gebracht 68 . Nach der Eröffnung des Sammellagers Malines, die erst wenige Tage später erfolgte, wurden sie sukzessive dorthin überführt und deportiert 69 . Im August 1942 beteiligte sich die Feldgendarmerie an den Großrazzien in Antwerpen und an kleinen Razzien in Brüssel 70 . Anfang September wurde dem Judenreferat für die einzige Großrazzia gegen die ausländischen Juden in Brüssel wiederum die Feldgendarmerie und zusätzlich offenbar die GFP zur
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Verfügung gestellt. Dieselbe Arbeitsteilung zwischen Sipo, Feldgendarmerie und GFP ermöglichte Eichmanns Männern gegen Ende September die Durchführung einer Razzia in Lüttich. Im gleichen Zeitraum konnte die Dienststelle Holm sich bei der Massenverhaftung von Juden an den Antwerpener Ausgabestellen für Lebensmittelmarken auf die Feldgendarmerie stützen. Was die Razzien gegen die Juden belgischer Staatsangehörigkeit im September 1943 („Aktion Iltis“) anbelangt, so gehörte in Antwerpen ein weiteres Mal die Feldgendarmerie zu den Tätern, während in Brüssel zumindest das DSK mitwirkte. Alles deutet daraufhin, dass die Feldgendarmerie – nach der Sipo-SD – die meisten Juden verhaftete, zumal sie für die kleineren Festnahmeaktionen, wie erwähnt, im Oktober 1942 in Antwerpen ein Kontingent stellte, das 20 bis 30 Kräfte umfasst haben soll. Außerdem ist hervorzuheben, dass die Feldgendarmerie nahezu im gesamten besetzten Belgien Juden festnahm. Einzelverhaftungen von Juden durch Feldgendarmen erfolgten nachweislich in Brüssel und Brabant, in Antwerpen und seiner Provinz, in der Stadt und Provinz Lüttich, in Charleroi und der Provinz Hainaut, in Gent sowie in den belgischen Provinzen Namur, West-Vlaanderen, Luxembourg, Limburg, zudem in Nordfrankreich. Dies ergibt sich vornehmlich aus Vernehmungen überlebender Juden, die freilich jeweils Einzelfälle betreffen 71 . Andere Quellen sind nur wenige vorhanden, weil so gut wie kein Schriftverkehr der Feldgendarmerie überliefert ist. Zufällig in anderen Aktenbeständen überlieferte Dokumente lassen indes darauf schließen, dass auch die Feldgendarmerie geheimdienstliche Methoden anwandte. Anfang Juli 1942 schickte der Dienststellenleiter des Feldgendarmerietrupps der Ortskommandantur Lüttich seinen Dolmetscher zu dem ungarischen Juden Miksa Klein, der des verbotenen Devisenhandels verdächtigt wurde72. Der Zivil tragende Dolmetscher trat auftragsgemäß als agent provocateur auf, und nachdem Klein auf den von ihm vorgeschlagenen Währungstausch eingegangen war, erschien die Feldgendarmerie und verhaftete Miksa Klein sowie zwei andere in seiner Wohnung angetroffene Juden. Von der Feldgendarmerie informiert, stellte das DSK Strafantrag gegen Klein, während die beiden anderen Gefangenen freigelassen wurden. Das Gericht der Oberfeldkommandantur Lüttich verurteilte Klein Anfang August 1942 wegen Devisenhandels und der Nichtanbietung eines US-Dollars zu einer sechswöchigen Gefängnisstrafe. Noch während der Vollstreckung des Urteilsspruchs oder direkt im Anschluss lieferte die Wehrmachtgerichtsbarkeit Miksa Klein an die Sipo-SD aus. Am 23. August wurde sein Name im Lager Malines auf die Liste für den VI. Transport nach Auschwitz gesetzt. Seit Beginn der Deportationen gingen manche Wehrmachtrichter dazu über, im Falle ausländischer Juden auf ein Strafverfahren gänzlich zu verzichten 73 .
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Stattdessen wurden die beschuldigten Juden direkt an den BdS überstellt. Nun kam es auch vor, dass die Feldgendarmerie die von ihr verhafteten Juden gleich selbst in das Lager Malines brachte 74. Diejenigen deutschen Polizeiorgane und Ordnungskräfte, die nicht zum SSApparat gehörten und die sich an der Verhaftung von Juden in der Zeit der Deportationen beteiligten, wurden zum Teil im Rahmen ihrer jeweiligen Aufgabenfelder tätig. Die Feldgendarmerie verhaftete beispielsweise Personen, die gegen die deutschen Verordnungen verstießen oder die sich der Zwangsarbeit in Deutschland widersetzten; zu den Arbeitsgebieten der Geheimen Feldpolizei gehörte die Repression der belgischen Widerstandsbewegung; das Devisenschutzkommando verfolgte die Übertretung der Devisenbestimmungen des Militärbefehlshabers; und die Grenzschutzorgane der Wehrmacht bzw. der Reichsfinanzverwaltung gingen gegen die illegale Überschreitung der niederländisch-belgischen und der belgisch-französischen Grenzen vor. Bei der Erledigung dieser Aufgaben verhafteten alle genannten Stellen Juden und lieferten sie zur Deportation an die Sipo-SD aus. Dass die Einzelverhaftungen im Rahmen des laufenden Dienstes erfolgten, bedeutete allerdings nicht unbedingt, dass die Juden lediglich zufällig in die Hand ihrer Verfolger gerieten. Am Beispiel des Devisenschutzkommandos haben wir bereits auf den systematischen Charakter der Verhaftungen hingewiesen, die dem erklärten Zweck der Dienststelle nicht entsprachen, sondern vielmehr auf deren antijüdische Ausrichtung zurückgingen 75 . Verordnungen wie diejenige zur Einführung des sogenannten „Judensterns“, deren Nichtbefolgung die Feldgendarmerie zur Verhaftung von Juden veranlasste, richteten sich explizit gegen Juden und ihre Überlebensstrategien. Vergehen wie die Fälschung von Ausweispapieren oder Lebensmittelmarken, die die Geheime Feldpolizei als Organ der militärischen Abwehr verfolgte, dienten nicht zuletzt den Rettungsversuchen der jüdischen Bevölkerung, weshalb auch die GFP in diesem Zusammenhang keineswegs zufällig Juden verhaftete. In der Praxis überschnitten sich die Tätigkeitsbereiche der deutschen Verhaftungsorgane. Nichts kennzeichnet das Zusammenwirken aller deutschen Stellen gegen die Juden besser als die Verfolgung derjenigen Juden, die aus dem deutschen Machtbereich zu fliehen versuchten. Denn dieser Aufgabe widmeten sich sämtliche genannten Organe. Dagegen gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass belgische Polizeibeamte oder Grenzschützer bei der Verhaftung der jüdischen Flüchtlinge im Zeitraum der Deportationen mitgewirkt hätten 76 . Wie gesagt verpflichteten sowohl das DSK als auch die Sipo-SD eine Reihe von V-Leuten gezielt dazu, Juden mit Fluchtplänen ausfindig zu machen oder selbst als angebliche Fluchthelfer aufzutreten. Im niederländisch-belgischen Grenzgebiet setzte die Wehrmacht – neben dem Grenzwachtregiment Clüver – motorisierte Streifen der Feldgendarmerie ein, um die vor der Deportation aus
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Holland nach Belgien fliehenden Frauen und Männer festzunehmen. Auch an der Grenze nach Frankreich gerieten jüdische Flüchtlinge in die Fänge der deutschen Feldgendarmerie, wobei nicht dokumentiert ist, ob spezielle Trupps nach Juden fahndeten oder ob die Verhinderung der Fluchten vor der „Endlösung“ zu den Routineaufgaben der im Grenzgebiet stationierten Einheiten zählte 77. Hinzu kam der deutsche Zollgrenzschutz, der an den Grenzübergängen und in den internationalen Zügen Richtung Frankreich nach Juden fahndete. Schließlich verwandte auch die Geheime Feldpolizei Energie auf die Unterbindung klandestiner Fluchtbewegungen. Observierte sie als militärisches Abwehrorgan die Strukturen und Fluchtrouten der Résistance, so machte sie zugleich immer wieder auch „Schlepper“ ausfindig, die Juden über die Grenzen halfen; zudem verhaftete sie selbst jüdische Flüchtlinge und lieferte sie dem Judenreferat aus. Einige Beispiele aus den überlieferten Tätigkeitsberichten können davon einen Eindruck vermitteln 78 . Im Juli 1942 nahm die GFP zehn Juden „wegen verbotenen Grenzübertritts mit gefälschten Ausweisen“ fest. In diesem Zusammenhang kam sie mehreren „gewerbsmäßigen Personenschmugglern“ auf die Spur, die „die Juden über die Grenze geschmuggelt und diesen die gesamten Barmittel sowie die Koffer mit Bekleidungsstücken abgenommen und unterschlagen“ hatten; die gefälschten Ausweise waren angeblich in einem Brüsseler Café hergestellt worden. Für den Monat August wurden Festnahmen von Flüchtlingen im Bereich der nordfranzösischen Grenze nahe Mouscron gemeldet. Im September gelang es der GFP nach eigener Darstellung, „durch umfangreiche Nachforschungen eine Personenschmuggelbande von 23 Personen auszuheben“. Die Leitung der Organisation soll in den Händen einer Belgierin gelegen haben, die ihrerseits Verbindungen zu einem Personenkreis unterhielt, „der sich mit der Herstellung von gefälschten französischen Identitätskarten befasste und diese zu hohen Summen an 8 verschiedene Personen, hauptsächlich Juden und polnische Saboteure, die nach dem unbesetzten Frankreich bezw. nach der Schweiz ausreisen wollten, verkaufte.“ Im November verhaftete sie wiederum in Brüssel einen Juden wegen „Personenschmuggel“, und in der Provinz Lüttich einen katholischen Vikar, der Juden bei der Beschaffung falscher Ausweise behilflich war 79 . Im Dezember fielen der GFP ein Franzose und zwei Belgier in die Hände, die „sich mit dem Transport von Juden nach Frankreich befasst“ hatten. Im folgenden Jahr setzte die GFP die einschlägigen Ermittlungen fort. Im Herbst und Winter 1943/44 deckte sie eine Fluchthilfeorganisation auf, die alliierte Piloten und Juden aus den Niederlanden nach Belgien schleuste und auch mit dem CDJ zusammenarbeitete 80. Manche der festgenommenen Fluchthelfer, die großenteils aus den Niederlanden stammten, waren selbst Juden, unter ihnen der 24jährige Paul Van Cleef. Er war 1942 vor der Deportation aus Holland geflohen und über Belgien bis
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nach Nordfrankreich gelangt, bevor er in Lille verhaftet wurde. Anfang 1943 aus Malines mit dem XVIII. Transport deportiert, gelang es ihm, aus dem Todeszug zu entkommen, woraufhin er von Brüssel aus die Fluchten von Juden aus den Niederlanden unterstützte, bis er im Herbst 1943 von der GFP verhaftet wurde. Die Verurteilung der gefassten nichtjüdischen Fluchthelfer zu Haftstrafen war Sache der deutschen Kriegsgerichte 81. Dasselbe gilt für nichtjüdische Passfälscher, sofern die deutschen Polizeiorgane ihrer habhaft wurden. Als das Gericht der Oberfeldkommandantur Brüssel wenige Wochen nach Beginn der Deportation einen städtischen Beamten des Brüsseler Standesamts wegen dieses Delikts zu neun Monaten Gefängnis verurteilte, fehlte in dem Urteil nicht der Hinweis, dass die Ausweisfälschungen für Juden in jüngster Zeit sehr zugenommen hätten, da die Juden sich den gegen sie gerichteten Maßnahmen zu entziehen suchten, und dass das Gericht hiergegen mit einer hohen Strafe einschreiten zu müssen meinte 82. Im Juli 1943 erhielt der Lütticher Rechtsanwalt Max-Albert Van den Berg eine fünfmonatige Haftstrafe. Auf Veranlassung des Lütticher Bischofs und als Leiter einer katholischen Ferienkolonie hatte er Juden nicht nur falsche Ausweise vermittelt, sondern vor allem jüdische Kinder versteckt. Letzteres konnte das örtliche Wehrmachtgericht zwar nicht nachweisen, doch der Chef der Brüsseler Gestapo ließ ihn explizit aus diesem Grund nach Verbüßung der Haftstrafe deportieren. Van den Berg sollte im April 1945 im Konzentrationslager Neuengamme zu Tode kommen 83 . Mindestens 257 Kinder wurden durch das von ihm und seinen Mitarbeitern aufgebaute Netzwerk gerettet 84 . In manchen Fällen verhafteten die deutschen Polizeiorgane auch Belgier, die erwachsenen Juden oder jüdischen Familien Unterkunft gewährt hatten, und belegten diese mit Gefängnisstrafen 85 . Schärfste Maßnahmen ergriff die Gestapo vornehmlich gegen die Retter von Kindern, die sie nur in wenigen Fällen ausfindig machte. Aus Lüttich deportierte sie Van den Berg, aus Brüssel die Direktorin eines laizistischen Mädchenpensionats und ihren Mann, und aus Antwerpen brachte sie mindestens zwei nichtjüdische Belgierinnen, die Kinder von Juden versteckt hatten, in das Konzentrationslager Ravensbrück86 .
Die belgische Polizei Unsere Untersuchung hat die in Kapitel III vertretene These bestätigt, dass belgische Ordnungskräfte zur Festnahme der Juden – außerhalb der Antwerpener Großrazzien – nur sehr begrenzt zur Verfügung standen. Dies ergibt sich aus allen Quellen, darunter die Archive der AJB, die Akten der deutschen Dienststellen, die Nachkriegsvernehmungen der Täter und Kollaborateure, die Aussagen der überlebenden Juden und mehrere tausend Personendossiers des belgischen Kriegsopferdienstes.
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So ist bemerkenswert, dass wir lediglich eine Verhaftung gefunden haben, die die belgische Gendarmerie vorgenommen hat 87 . Auf Verlangen der Besatzungsmacht nahm sie Mitte September 1942 in der Provinz Brabant die hochschwangere Fajga Pawe fest, die womöglich im Versteck lebte, während ihr Mann in Nordfrankreich Zwangsarbeit für die OT leisten musste 88. Fajga Pawe fuhr mit dem Transport Nr. X in den Tod 89 . Die Brüsseler Kommunalpolizei war ihren überlieferten Archiven zufolge an der Festnahme von drei Juden beteiligt 90 . Da der belgische Historiker Nico Wouters im Rahmen eines international beachteten Forschungsberichts des Brüsseler CEGES über die Rolle der belgischen Behörden bei der Judenverfolgung diese drei Fälle wiederholt anführt, irrtümlicherweise von weiteren Verhaftungen ausgeht und zudem schreibt, dass die belgischen Polizeiorgane ab 1943 nicht mehr „systematisch“ an der Verhaftung von Juden mitgewirkt hätten, könnte man meinen, solche Einzelverhaftungen seien häufiger vorgekommen 91 . Davon kann keine Rede sein. Es handelte sich ohne jeden Zweifel um Ausnahmefälle, was auch dadurch belegt wird, dass wir in allen anderen Quellen lediglich eine weitere Verhaftung gefunden haben: Im September 1942 führte ein Polizist der Brüsseler Kommune Watermael-Boitsfort drei deutsche Sipo-Beamte zu einer jüdischen Familie, die sich in dieser Gemeinde versteckte, wo nur wenige Juden lebten. Cudyk Szerman, der zusammen mit seiner Frau und seinen Eltern mit dem XII. Transport deportiert wurde, war der einzige von ihnen, der aus Auschwitz zurückkehrte 92. Wouters rechnet zur „Jagd auf die Juden“ auch andere Aufgaben, die die Brüsseler Polizei übernahm. Sie registrierte beispielsweise im Sommer 1942 auf deutsche Weisung den Verlust der Staatsangehörigkeit der deutschen Juden in den amtlichen Dokumenten und sandte der Militärverwaltung eine Liste mit den Namen ehemals deutscher Juden, im Herbst 1943 auch Listen der Angehörigen verschiedener neutraler oder mit Deutschland verbündeter Staaten. Ferner übermittelte sie der deutschen Behörde auf Anfrage in mehreren Einzelfällen die Meldeadressen von Juden, so wie sie dies ebenso für Nicht-Juden tat 93 . Ob die Listen vom Herbst 1943 für die Sipo-SD bestimmt waren und ob sie Verhaftungen nach sich zogen, ist nicht bekannt. Gewiss ist allerdings, dass Kurt Asche und seine Nachfolger keine Übermittlung einzelner Meldeadressen benötigten, nachdem die Antijüdische Zentrale auf der Basis der von den Kommunen angelegten Judenregister eine Judenkartei erstellt hatte, die Beeckmans und seine Mitarbeiter fortlaufend kontrollierten 94 . In der ersten Phase der Deportation griff die Sipo-SD auf diese Kartei zurück, um die Arbeitseinsatzbefehle zur Vorladung von Juden in das Lager Malines auszustellen. Doch zur Durchführung der Razzien und Gruppenverhaftungen kann diese Kartei nicht herangezogen worden sein, da sie nach Personennamen sortiert war. Auch in dieser Hinsicht ist die Mitverantwortung der belgischen Behörden
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für die Shoah daher relativ gering einzustufen95 . Sofern die deutsche Polizei sich bei den Verhaftungen auf Listen von Meldeadressen stützte, dürfte sie die nach Adressen sortierte Kartei der AJB zur Hilfe genommen haben. In erster Linie waren die Mitarbeiter des Judenreferats jedoch auf die Versteckadressen der Juden angewiesen, die sie, wenn überhaupt, höchstens ausnahmsweise von einzelnen belgischen Polizeibeamten erhielten. Eine Kooperation zwischen deutscher und belgischer Verwaltung, die nachweislich Konsequenzen hatte, war die Auslieferung von Juden aus belgischen Haftanstalten. Auch diese scheint allerdings nicht sehr oft geschehen zu sein. Im IX. und im XXV. Transport befand sich jeweils ein Jude, der im Anschluss an eine von den belgischen Behörden verhängte Haftstrafe im Jahr 1941 beziehungsweise 1944 an die Deutschen überstellt worden war 96 . In dem Lager Rekem konnte die Sipo-SD – wie oben erwähnt – 45 jüdische Männer in ihre Gewalt bringen; aus einer entsprechenden Einrichtung der belgischen Fremdenpolizei für Frauen in Brügge-Sint-Andries wurden ihr zwei jüdische Frauen ausgeliefert 97 . Wie dieser Überblick verdeutlichen mag, wurde die übergroße Mehrheit der Juden nicht von der belgischen Administration festgenommen. Selbst wenn es durchaus möglich ist, dass zukünftige Forschungen noch weitere Einzelfälle zutage fördern, dürfte dies an der Gesamtbewertung nichts ändern 98 . Zu den in quantitativer Hinsicht relevanten Fakten zählte in erster Linie die im ersten Kapitel beschriebene Mithilfe der Antwerpener Polizei bei den Großrazzien des Sommers 1942, ferner die Mitwirkung insbesondere der Antwerpener Behörden bei der Deportation jüdischer Zwangsarbeiter nach Nordfrankreich im Frühjahr 1942. Als verhängnisvoll erwies sich schließlich die bereits 1940 getroffene Entscheidung der belgischen Fremdenpolizei, am Tag des deutschen Überfalls mehr als 8000 Ausländer, überwiegend Juden, die als „fünfte Kolonne“ verdächtigt wurden, nach Frankreich auszuweisen. Von der französischen Verwaltung in Südfrankreich interniert, fand sich ein großer Teil der im Mai 1940 aus Belgien abgeschobenen jüdischen Flüchtlinge im Sommer 1942 in den Deportationszügen wieder, die von Drancy bei Paris nach Auschwitz fuhren 99 .
Die Gegenwehr der Juden aus der Sicht der Täter Konnten die Deutschen bei der Verhaftung der Juden nur in beschränktem Maße auf die belgische Polizei zurückgreifen, so war dies freilich nicht der Grund dafür, dass sie von Großrazzien zur Menschenjagd übergingen. Den Ausschlag gab vielmehr die Reaktion der jüdischen Bevölkerung. Maxime Steinberg hat stets die These vertreten, dass das zunehmende „Untertauchen“ der Juden ab Herbst 1942 die Besatzer dazu zwang, von Razzien größeren Ausmaßes abzusehen, ohne dies allerdings nachweisen zu können. Die Meldungen des Brüsseler BdS zur Judenverfolgung aus dem Jahr 1942, die bisher als nicht
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überliefert galten und die wir im Berliner Bundesarchiv gefunden haben, belegen erstmals, dass Eichmanns Gehilfen in Belgien die Rettungsbemühungen der Juden registrierten, detailliert nach Berlin meldeten und bei der Verhaftung in Rechnung stellten 100 . Wie aus diesen Akten hervorgeht, bestand ein direkter Zusammenhang zwischen den individuellen Überlebensstrategien der Juden und den deutschen Verfolgungstechniken. Außerdem ist darin bereits kurz nach Beginn der Deportationen die Flucht der jüdischen Bevölkerung in die Illegalität verzeichnet, während die frühesten diesbezüglichen Quellen, die der Forschung bislang vorlagen, von Ende September 1942 datieren 101 . In den Meldungen vom 15. August 1942 – die ersten beiden Deportationszüge aus Belgien waren am 4. und 11. August nach Auschwitz gefahren – schrieben die Beamten zwar noch nach Berlin: „Die Aktion verlief bisher reibungslos und ohne nennenswerte Störungen“. Sie wiesen aber zugleich darauf hin, dass der Beginn der Deportationen die illegale Ausreise von Juden aus Holland und nach Frankreich verstärkt habe und dass „ein größerer Teil der Juden“ den zunächst ausgegebenen Arbeitseinsatzbefehlen nicht nachgekommen sei 102 . Daher sah das Judenreferat sich dazu veranlasst, am Abend des Berichtstages die erste Großrazzia zur Verhaftung der Juden in Belgien durchzuführen. In den Meldungen vom 31. August – kurz zuvor hatte der sechste Transport den Bahnhof Malines verlassen – fanden die „illegalen Grenzübertritte von Juden“ erneut Erwähnung: „An den Hauptfluchtrichtungen in das unbesetzte Frankreich, nach der Schweiz oder Nordafrika hat sich auch in der Berichtszeit nichts geändert.“ Zugleich konstatierten die Brüsseler Vertreter des RSHA den stetigen Anstieg der Preise für falsche Papiere. Doch vor allem hoben sie hervor, „dass der überwiegende Teil der in Belgien wohnenden Juden in der Öffentlichkeit den Judenstern heute nicht mehr trägt“. Schließlich wurde zum ersten Mal festgehalten, dass Juden „laufend“ versuchten, für die Übernachtung außerhalb ihrer Wohnung ein Versteck bei nichtjüdischen Belgiern zu finden. Damit waren die wichtigsten individuellen Überlebensstrategien der Juden bereits Ende August aktenkundig. Zu diesem Zeitpunkt lagen die erste Großrazzia in Antwerpen und die ersten kleineren Razzien in Brüssel erst zwei Wochen zurück. Allerdings setzten die Täter nach eigenen Angaben die Deportationen noch „ohne wesentliche Störungen“ fort. Tatsächlich wurde mit der Abfahrt des X. Transports am 15. September 1942 das im Berliner RSHA am 11. Juni 1942 vereinbarte Programm erfüllt, bis zum Ende des Sommers 10 000 Juden aus Belgien zu deportieren. Die auf denselben Tag datierten Meldungen des Brüsseler BdS lassen keinen Zweifel daran, dass die Gegenwehr der Juden der Sipo-SD inzwischen erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Da die Juden die Arbeitseinsatzbefehle nicht befolgten, so vermerkte der Bericht, hätten sie mit Hilfe von Razzien und Einzelfestnahmen in die
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Transporte gebracht werden müssen. Dies wiederum habe die Flucht der Juden in die Klandestinität verstärkt: „Auf Grund dieser Festnahmen und Aktionen haben nunmehr die Juden im allgemeinen ihre feste Wohnung verlassen und versuchen unter allen Umständen, besonders in den Nachtstunden bei belgischen Ariern unterzukommen.“ Die Sipo-SD ging nun davon aus, dass die Juden „in der Mehrzahl“ falsche belgische Ausweise besäßen. Nur „in den wenigsten Fällen“, so bekannte sie im übrigen, sei es „gelungen, die Kartenfälscher festzustellen“. Die Fluchten nach Frankreich wurden nach wie vor für erwähnungsbedürftig gehalten. Zudem lagen dem Judenreferat inzwischen Anhaltspunkte für den Verdacht vor, dass jüdische Eltern sich von ihren Kindern trennten und diese mit Unterstützung belgischer Institutionen versteckten. Dass im selben Monat das Verteidigungskomitee der Juden (CDJ) gegründet wurde, das vor allem die Rettung jüdischer Kinder ermöglichte, sollten Eichmanns Brüsseler Vertreter nie in Erfahrung bringen. Zwei Wochen später mussten sie „immer größere Schwierigkeiten“ verzeichnen und einräumen, dass die Reaktionen der Juden sie erneut zur Veränderung ihrer Verfolgungstechniken nötigten. Am 1. Oktober 1942 – die Verhaftungen für den XII. Transport hatten gerade begonnen – führte der BdS Brüssel in seinen Meldungen nach Berlin die verstärkte Flucht der Juden in die Illegalität und deren Unterstützung seitens der nichtjüdischen Bevölkerung als Grund dafür an, dass größere Razzien nicht mehr durchführbar waren: „Die Verbergung und illegale Beherbergung von Juden ist inzwischen zu einer allen bekannten Tatsache geworden, die durch eigene Feststellungen der Sicherheitspolizei immer wieder bestätigt wird. Unter diesen Umständen hatten auch die durchgeführten Razzien immer geringeren Erfolg, so dass die Zusammenbringung der Transportzüge nur noch im Wege von Einzelaktionen durchführbar ist.“ Nur kurze Zeit nach Beginn der Deportationen aus Belgien sahen sich die Täter also mit einer massiven Gegenwehr von Seiten der jüdischen Bevölkerung konfrontiert. Keine der zentralen Überlebensstrategien der Juden blieb in den Berichten an das RSHA unerwähnt. Und das Judenreferat selbst war sich darüber im klaren, dass es sein Vorgehen in Zukunft auf diese Gegenwehr abstellen musste. Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Meldungen des BdS der Einflussnahme der Militärverwaltung unterlagen, deren Bestreben dahin ging, die Deportation der Juden möglichst unauffällig durchzuführen; die kleineren Festnahmeaktionen entsprachen durchaus auch diesem taktischen Kalkül. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der BdS im wesentlichen die tatsächliche Situation im besetzten Belgien schilderte. Denn die zahlreichen von uns ausgewerteten biographischen Einzeldaten, die Ermittlung der vom Judenreferat angewandten Methoden und die systematische Rekonstruktion von Verhaftungsumständen bestätigen, dass die Deutschen dazu gezwungen waren, einen Kleinkrieg gegen die Opfer zu führen.
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Hatte die Sipo-SD geplant, bis Ende Oktober 1942 insgesamt 20 000 Juden aus Belgien nach Auschwitz zu deportieren, so betrug die Gesamtzahl der Opfer unter 17 000 Personen, nachdem die letzten Transporte des Jahres 1942 am 31. Oktober abgefahren waren 103 . Auch in der Folgezeit ließen die Berichte aus dem deutschen Besatzungsapparat keinen Zweifel daran, dass die Juden sich massenhaft vor ihrer Verhaftung zu retten versuchten und die deutschen Polizeiorgane damit vor erhebliche Schwierigkeiten stellten. So verwies Militärverwaltungschef Reeder Ende des Jahres 1942 in seinem Quartalsbericht auf die Flucht der Juden in den Untergrund bzw. ins Ausland, während der BdS kurz darauf mitteilte, „dass die Judenfamilien nicht mehr zusammenwohnen“, und dass daher immer weniger Familien verhaftet würden104 . 1943 vergrößerte sich die Zeitspanne zwischen den Transporten. Dass die Zahl der Verhaftungen zurückging, dürfte auch damit zusammenhängen, dass jetzt zunehmend mehr Opfer in Brüssel festgenommen wurden, wo die jüdische Bevölkerung ohnehin verstreuter lebte als in Antwerpen. Doch erforderte die Verhaftung von Juden in Brüssel im Frühjahr 1943 wesentlich mehr Aufwand als noch im Herbst 1942. Denn die Deutschen hatten zur Vorbereitung des XXI. Transports im Frühjahr 1943 ausnehmend viele Exekutivkräfte zur Verfügung – darunter die Freiwilligen der Germanischen-SS – und verhafteten trotzdem weniger Personen als im Vorjahr105 . Dies belegt im übrigen, dass die Zahl der verfügbaren Kräfte im Vergleich mit den Reaktionen der Juden eine nachgeordnete Rolle spielte. Wenngleich die Sipo-SD von Massenrazzien in den Wohnquartieren absehen musste, weil die Zahl der „Untergetauchten“ so groß war, so konnten längst nicht alle Juden ein Versteck beziehen – vorausgesetzt, dass sie ihr Zuhause überhaupt verlassen wollten. Manche hielten sich in der eigenen Wohnung oder in der unmittelbaren Nachbarschaft verborgen. Daher wurden noch im Frühjahr 1943 in Brüssel etwa die Hälfte der mit dem XXI. Transport deportierten Juden an bzw. nahe ihrer Wohnung verhaftet. Im Frühjahr 1944 kam es kaum noch zu solchen Gruppenfestnahmen in den Wohnquartieren. Unser Vergleich von Meldeadressen und Verhaftungsdaten für den Transport Nr. XXV lässt hieran keinen Zweifel. Jetzt wurde der größte Teil der Opfer zudem ohne Familienangehörige festgenommen 106 . Die Gestapo brachte immer weniger Personen in ihre Gewalt. Diejenigen aber, die sie ergriff, hatten – wie schon für die Opfer des XXI. Transports vom Juli 1943 gezeigt wurde – ihre Kraft und immensen Mut darein gesetzt, der deutschen Polizei zu entkommen. Mehr als die Hälfte der Juden, die im Mai 1944 mit dem XXV. Transport deportiert wurden, hatten solche Rettungsanstrengungen unternommen. Ein Viertel der insgesamt 508 Deportierten dieses Transports waren 1938 oder später aus Deutschland geflohen oder hatten noch 1942/43 die illegale Flucht aus Holland beziehungsweise aus Belgien nach Frankreich gewagt. 12 Prozent hatten sich falsche Papiere beschafft, 18 Prozent lebten nach-
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weislich im Versteck – die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher gelegen haben. 35 Personen gehörten dem aktiven organisierten Widerstand gegen die Besatzer an. Zehn Frauen und Männer waren aus früheren Todeszügen nach Auschwitz oder aus diesem Transport geflohen.
Schlussbetrachtung Die Besatzungsmacht Es steht außer Frage, dass die Deportation der Juden aus Belgien in Berlin entschieden wurde und dass die Durchführung in den Händen der Brüsseler Sipo-SD lag. Doch herrschten in dem kleinen westeuropäischen Land besondere Machtverhältnisse. Das Okkupationsregime in Belgien zeichnete sich durch die führende Stellung der Militärverwaltung aus. Die Vertreter der Wehrmacht hatten einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Deportation der Juden, und zwar auf ganz andere Weise, als dies im besetzten Frankreich der Fall war. Fuhren schon ab Frühjahr 1942 die ersten Transporte aus Frankreich nach Auschwitz, weil die Pariser Militärbehörden auf den Abtransport von Juden gedrängt hatten, um die zur Vergeltung von Aktionen der französischen Widerstandsbewegung verhängten Repressalien nach Osten zu verlagern 1 , so gibt es hierfür in Belgien keine Parallele. Im selben Frühjahr 1942 begann der Stab des Brüsseler Militärverwaltungschefs Reeder allerdings auf eigene Initiative damit, ausländische Juden aus Belgien zur Zwangsarbeit auf den Baustellen des sogenannten Atlantikwalls nach Nordfrankreich zu deportieren. Und im Herbst 1942 lieferte Reeder die in den nordfranzösischen Lagern der Organisation Todt internierten jüdischen Arbeitskräfte der Sipo-SD für die Transporte der „Endlösung“ aus. Bei der Durchführung von Razzien zur Festnahme von Frauen, Männern und Kindern konnte die Sicherheitspolizei zudem stets auf die Mitwirkung der Feldgendarmerie zählen. Die Verantwortung der Brüsseler Militärs ging indes über die Beihilfe zur Verhaftung weit hinaus. Denn in Belgien erfolgte die Deportation der Juden, um die Worte Maxime Steinbergs zu gebrauchen, „unter der Befehlsgewalt des Militärbefehlshabers und gemäß der Anweisungen seines Militärverwaltungschefs“ 2 . Ohne das Einverständnis Falkenhausens und Reeders, die ihre Macht im Gegensatz zu ihren Amtskollegen in Paris nicht im Mai 1942 an einen Höheren SS- und Polizeiführer abgaben, hätte das Reichssicherheitshauptamt keinen einzigen Zug nach Auschwitz schicken können. Überdies mussten sich Eichmanns Brüsseler Statthalter von Reeder, der den ihm unterstellten Beauftragten der Sipo-SD, Ehlers, in seine Politik einzubinden wusste, Vorschriften hinsichtlich ihres Vorgehens machen lassen. Im Interesse der vorrangigen Kriegsziele sorgten Reeder und seine Berater dafür, dass die „Endlösung“ so durchgeführt wurde, dass die Proteste belgi-
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scher Autoritäten sich in Grenzen hielten und den status quo der Besatzungsherrschaft nicht tangierten. Dies war von grundlegender Bedeutung, zumal die unter dem Vorwand des „Arbeitseinsatzes“ eingeleitete Deportation der Juden in Belgien die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und die damaligen Arbeiterdeportationen wachrief. Um eine Wiederholung solcher Ereignisse zu verhindern, hatten die Belgier sich dazu entschlossen, mit dem Okkupationsregime zusammenzuarbeiten und ihre Wirtschaft in den Dienst der deutschen Kriegsökonomie zu stellen. Für die Besatzungsmacht kam es nun also darauf an, einer Aufkündigung der deutsch-belgischen Kooperation vorzubeugen. Daher beharrten die Militärs im Juli 1942 darauf, dass die Sipo-SD vorerst nicht die relativ kleine Gruppe der belgischen Staatsangehörigen, sondern stattdessen ausländische Immigranten und Flüchtlinge deportierte. In die gleiche Richtung zielten Reeders Anweisungen, bei der Verfolgung und Verhaftung der Juden jedes öffentliche Aufsehen zu vermeiden. Mindestens ebenso wirkungsvoll war ein Schachzug, der auf den ersten Blick paradox erscheinen mag: Nachdem die Militärverwaltung den Abtransport der Juden ermöglicht hatte, gab sie in ausgewählten Fällen den Interventionen belgischer Stellen zugunsten verhafteter Juden statt und veranlasste die Freilassung jüdischer Erwachsener und Kinder bzw. deren Überführung in kontrollierte Zwangsunterkünfte. Dass die Militärverwaltung nicht nur gegenüber den Repräsentanten des belgischen Staates, sondern auch gegenüber der jüdischen Zwangsvereinigung gesprächsbereit auftrat und deren Angehörige zunächst von der Deportation „freistellen“ ließ, diente ihrer Absicht, die Association des Juifs en Belgique auch noch fortbestehen zu lassen, als die Sipo-SD die Mithilfe der AJB zur Vorladung von Juden in das Lager Malines nicht mehr benötigte. Die Tätigkeit der AJB verhinderte nicht zuletzt, dass die extreme materielle Notlage, in der sich viele Juden aufgrund der antijüdischen Verordnungen des Militärbefehlshabers befanden, zum öffentlich sichtbaren Skandal wurde. Mit Blick auf die belgischen Stellen setzte die Militärverwaltung gleichzeitig darauf, nach Beginn der „Endlösung“ die legale Existenz von Juden in Belgien nicht schlagartig zu beenden. Doch vor allem versuchte sie seit dem Sommer 1942, die Flucht der Juden in den Untergrund aufzuhalten. Daher versprach sie der AJB, die belgischen Staatsangehörigen könnten der Deportation entgehen, indem sie die deutschen Bestimmungen strikt befolgten. Dies sollte der Gestapo dann ermöglichen, die Opfer eines gesamten Transports in nur einer Nacht zu verhaften, nachdem Falkenhausen im Sommer 1943 auch zur Deportation der belgischen Juden grünes Licht gegeben hatte. Dass es der Militärverwaltung im Anschluss gelang, die hierdurch ausgelöste politische Krise beizulegen und die von den belgischen Generalsekretären angedrohte Demission abzuwenden, führt vor Augen, wie sehr die Führungsrolle der Militärs die Besatzungsherrschaft in Belgien stabilisierte.
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Falkenhausen und Reeder verfügten über den Willen und die Fähigkeit, die aus Berlin vorgegebenen Maßnahmen auf die realpolitischen Erfordernisse abzustimmen und damit in Belgien durchführbar zu machen. In gewisser Weise war ihr Part mit demjenigen des Pariser Befehlshabers der Sipo-SD, Knochen, vergleichbar, der die antisemitischen Maximalforderungen des Pariser Judenreferenten Dannecker auf das in Frankreich realisierbare Maß begrenzte 3. Diese Parallele verweist auf die Relevanz der Besatzungsstrukturen für die Shoah. Die niederländischen Historiker Pim Griffioen und Ron Zeller betonen im Rahmen ihres westeuropäischen Ländervergleichs, dass die Struktur der jeweiligen Okkupationsregime in Frankreich und den Niederlanden – Militärverwaltung resp. Zivilverwaltung – die unterschiedliche Höhe der Opferzahlen (Frankreich 25 Prozent, Niederlande 75 Prozent der jüdischen Gesamtbevölkerung) nicht beeinflusst habe, da die SS sowohl in den Niederlanden als auch in Frankreich bei Beginn der Deportationen die alleinige Kompetenz innehatte 4. Für Belgien, wo etwa die Hälfte der registrierten Juden deportiert wurde, stellen sich die Verhältnisse meiner Ansicht nach allerdings anders dar. Hier sorgten die relative Schwäche des SS-Apparats und die Vormachtstellung der Militärverwaltung dafür, dass die Deportationen nach Auschwitz weitgehend reibungslos vonstatten gingen. Wie immer die Geschichte unter umgekehrten Vorzeichen auch verlaufen wäre, gewiss ist jedenfalls, dass die Militärs die negativen Rückwirkungen auf die Besatzungsherrschaft in Belgien, die eine Deportation unter dem Vorwand des „Arbeitseinsatzes“ auszulösen drohte, zu verhüten wussten.
Belgische Behörden und Kollaboration Anfang Juli 1942 fanden in Paris jene verhängnisvollen deutsch-französischen Verhandlungen statt, bei denen der Generalsekretär der französischen Polizei, Bousquet, der Sipo-SD die Verhaftung von 20 000 ausländischen Juden in Paris und die Auslieferung der nicht-französischen Juden aus der noch unbesetzten Südzone zusagte 5. Zur selben Zeit lehnte die Brüsseler Polizei die Aufforderung der Militärverwaltung ab, eine größere Anzahl von Juden festzunehmen, und zwei Monate später weigerte sie sich ebenfalls, an einer Großrazzia der Sipo-SD zur Verhaftung von Juden mitzuwirken. Dies ist um so mehr hervorzuheben, als ihr striktes Nein – ebenso wie die vorausgegangene Ablehnung der Brüsseler Bürgermeister, die „Judensterne“ auszugeben – sich mitnichten auf belgische Staatsangehörige beschränkte, sondern in erster Linie jüdische Immigranten und Flüchtlinge betraf. Ihre Weigerung, willkürliche Verhaftungen durchzuführen, erwies sich als unüberwindliche Barriere für die Vertreter des nationalsozialistischen Polizeistaats. Dass es im dezentral strukturierten Belgien, anders als in Frankreich, keinen nationalen Polizeisekretär gab und die Entscheidungsgewalt bei den kom-
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munalen Verantwortlichen lag, bot der Besatzungsmacht allerdings den Vorteil, dass sie die Polizei in Antwerpen 1942 mehrfach zur Beteiligung an solchen Verhaftungen bewegen konnte, die auf nationaler Ebene kaum durchsetzbar gewesen wären, da sie belgischem Recht widersprachen. Eine Razzia, bei der mehr als 1000 Frauen, Männer und Kinder verhaftet wurden, führte die Antwerpener Polizei sogar eigenständig durch – nachdem die Sipo-SD mehreren untergeordneten Antwerpener Polizeikommissaren die Einweisung in das Konzentrationslager Breendonk angedroht hatte, sollten sie die deutschen Forderungen nicht unverzüglich erfüllen. Am Vortag angesetzte Verhaftungen waren bemerkenswerterweise durch einen Hinweis aus den Reihen des Antwerpener Polizeikorps an die jüdische Bevölkerung vereitelt worden. Die nun ausgesprochene Drohung konnte nur verfangen, weil die örtlichen Vorgesetzten der kommunalen Polizei ohnehin in weit stärkerem Maße mit den Deutschen kooperierten als ihre Brüsseler Kollegen und den Rückgriff der Sipo-SD auf ihre Ordnungskräfte bereits bei zwei vorausgegangenen Razzien ermöglicht hatten. Zweifellos war der Antwerpener Stadtrat unter Bürgermeister Delwaide darum bestrebt, sich durch die bereitwillige Zusammenarbeit mit der siegreichen Besatzungsmacht seinen Platz in der politischen Neuordnung zu sichern, und der dortige Polizeichef verfolgte die Generallinie, alle deutschen Befehle pünktlich durch seine Beamten ausführen zu lassen 6 . Ein Vergleich mit der Politik Vichys, wie ihn zuerst Maxime Steinberg angestellt hat, führt daher meiner Ansicht nach in die Irre. Nichts verdeutlicht den Gegensatz zu den Mechanismen der Staatskollaboration im besetzten Frankreich besser als die Tatsache, dass die Antwerpener Polizei bei der Verhaftung der Juden als Befehlsempfängerin der deutschen Machthaber agierte. Denn der Generalsekretär der französischen Polizei erklärte sich zur Verhaftung der Juden bereit, um im Gegenzug die Autonomie der französischen Exekutivkräfte im besetzten Gebiet durchzusetzen 7 . Auch in quantitativer Hinsicht waren die Antwerpener Razzien gegen die Juden des Sommers 1942 keineswegs mit der Massenrazzia in Paris, der rafle du Vélodrome d’Hiver vom Juli 1942, vergleichbar. Ihr Stellenwert für die Shoah in Belgien wird in der vorliegenden Literatur überschätzt. Dies gilt zumal, seit der belgische Historiker Lieven Saerens berechnete, dass der „Endlösung“ in Antwerpen ein größerer Anteil der jüdischen Bevölkerung zum Opfer gefallen ist als in Brüssel, und hierfür in erster Linie die Antwerpener Behörden verantwortlich machte 8. Jedoch kann kein Zweifel daran bestehen, dass bei den Großrazzien in der flämischen Metropole lediglich ein geringer Prozentsatz der insgesamt aus Belgien deportierten Juden verhaftet wurde. Da Saerens’ Statistik sich auf knapp 60 Prozent der Opfer beschränkt, ließe sich nur durch die Untersuchung aller Transporte mit der in diesem Buch vorgestellten Methode der personenbezogenen Recher-
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chen klären, wie viele Juden tatsächlich in den beiden Großstädten jeweils festgenommen worden sind. Es ist paradox, dass die jüngere belgische Geschichtsschreibung die Mitwirkung der Belgier bei der Judenverfolgung zunehmend in den Mittelpunkt rückt 9 , während die Taten der deutschen Verantwortlichen in der Forschungsliteratur der Bundesrepublik bislang kaum Beachtung fanden. Insbesondere in dem vom Brüsseler CEGES im Auftrag des belgischen Senats vorgelegten Forschungsbericht „La Belgique docile“ wird die Rolle der belgischen Behörden stark herausgestrichen. Dahinter steht das verständliche Bestreben, alle Handlungen von belgischer Seite zusammenzutragen, die eines Landes mit freiheitlichen Traditionen unwürdig sind. Allerdings kommt dabei die Einordnung der zahlreichen angeführten Details in die Gesamtgeschichte der „Endlösung“ in Belgien meines Erachtens zu kurz. So könnte beispielsweise die in diesem Bericht enthaltene Darstellung der materiellen Enteignung der Juden auf eine signifikante Mitwirkung belgischer Dienststellen schließen lassen. Doch in Wirklichkeit war die Situation auch auf diesem Gebiet ganz anders als im besetzten Frankreich. Die Ausplünderung und der Ausschluss der Juden aus der Wirtschaft – ganz überwiegend übrigens keine „Arisierung“ im eigentlichen Sinne, sondern die Stilllegung der von den jüdischen Immigranten geführten Familienbetriebe – wurden im wesentlichen von der Militärverwaltung angeordnet, organisiert und durchgeführt10 . Wer nicht weiß, welche Relevanz den Handlungen der belgischen Stellen, die in „La Belgique docile“ unter dem Titel „Jagd auf die Juden“ subsumiert werden, jeweils zukam, dürfte auch übersehen, dass zwischen der Weitergabe von Meldeadressen und der Verhaftung jüdischer Familien ein gravierender Unterschied bestand. Ziehen wir eine Bilanz des Anteils der belgischen Behörden bei der Deportation der Juden. Berücksichtigt man alle Antwerpener Razzien – auch die September-Razzia, an der die kommunale Polizei höchstens am Rande mitwirkte –, die Einzelverhaftungen, die Überführung aus Haftanstalten oder Flüchtlingslagern und schließlich die Gesamtzahl der aus den OT-Lagern in Nordfrankreich nach Auschwitz deportierten Juden (da die belgische Administration in die Vorladungen nach Nordfrankreich involviert war), so brachten die Deutschen etwa ein Fünftel der Opfer mit Hilfe der belgischen Polizei oder Verwaltung in ihre Gewalt 11 . In Frankreich verhaftete die Vichy-Polizei dagegen den weitaus größten Teil der Juden, die in die Vernichtungslager geschickt wurden. Seit Jahren wird in der internationalen Forschungsliteratur betont, dass die deutschen Machthaber in den besetzten Ländern angesichts ihrer schwachen personellen Ausstattung auf die Kooperation mit einheimischen Stellen angewiesen waren, um die Juden zu verhaften. In der Tat sparten die zeitgenössischen deutschen Berichte nicht mit Hinweisen auf die beschränkten Personal-
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kapazitäten. Aus Brüssel wurde bereits im Vorfeld der Deportationen nach Berlin gemeldet, dass die vorhandenen Polizeikräfte für Zwangsmaßnahmen zum Abtransport der Juden nicht ausreichten 12 . Solche Angaben entsprachen freilich nicht unbedingt der Realität. Denn in Belgien konnten die Deutschen ganz ohne Unterstützung einheimischer Polizeibeamter zwei große und mehrere kleine Razzien in Brüssel durchführen; auch bei der Razzia in Lüttich kamen sie ohne belgische Ordnungskräfte aus. Im Unterschied zu Frankreich und den Niederlanden wurde die Mehrheit der aus Belgien deportierten Juden nicht bei großen Festnahmeoperationen, sondern einzeln oder in kleinen Gruppen verhaftet. Hierbei blieb die Beteiligung belgischer Polizeikräfte eine Ausnahme. Dass es der Besatzungsmacht unter diesen Umständen gleichwohl gelang, viele Tausend Juden zu verhaften, erklärt sich nicht zuletzt aus dem Zusammenwirken aller deutschen Polizeiorgane sowie weiterer Dienststellen der Wehrmacht und der Reichsfinanzverwaltung (Grenzwachtregiment Clüver; Zollgrenzschutz; Devisenschutzkommando). Außerdem wurden für die laufend durchgeführten kleinen Verhaftungsaktionen relativ wenig Exekutivkräfte benötigt. Ohne Zweifel griffen die deutschen Stellen in beträchtlichem Umfang auf einheimische Kollaborateure und Informanten zurück, unter ihnen Mitglieder der antisemitischen Organisation Volksverwering, der flämischen SS und Rexisten. Hinzu kamen Juden, die als V-Leute eingesetzt wurden. Auffällig ist allerdings, dass die Besatzungsbehörden nur wenige – vor allem als Übersetzer und Hilfspolizeibeamte angestellte – belgische Gehilfen mit exekutiven Kompetenzen ausstatteten. Die übrigen Handlanger führten Verhaftungen von Juden in der Regel nicht alleine, sondern gemeinsam mit deutschen oder einheimischen BdS-Angehörigen oder zusammen mit der Feldgendarmerie durch. Insofern unterschied sich der Rückgriff auf Helfershelfer in Belgien von der Situation in den besetzten Niederlanden und im Reichsgebiet. In Amsterdam nahmen rund 50 niederländische Verwaltungsangestellte der Kolonne Henneicke, die der Zentralstelle für jüdische Auswanderung unterstand, auf eigene Faust Tausende von Juden fest, und in Berlin ließ die Gestapo mehrere Hundert im Versteck lebende Juden durch den „Jüdischen Fahndungsdienst“ verhaften 13 .
Selbstverteidigung der Juden und organisierte Hilfe Die systematische Fahndung nach den „untergetauchten“ Juden begann sowohl in Berlin als auch in den Niederlanden im Frühjahr 1943. In Belgien mussten die Deutschen schon im September 1942 zur Menschenjagd übergehen. Die Meldungen des BdS aus dem Frühherbst belegen, was Maxime Steinberg früh vermutet hat: Es war die massenhafte Flucht der Juden in den Untergrund und nicht etwa eine unzureichende Personalkapazität, die die Sipo-SD zum Wech-
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sel ihrer Methoden zwang. Hatte die Besatzungsmacht im August Razzien durchführen müssen, weil der Großteil der zunächst in das Lager Malines vorgeladenen Juden die Arbeitseinsatzbefehle nicht befolgte, so reagierte die ausländische jüdische Bevölkerung auf die Razzien mit dem Schritt in die Illegalität. Schon Ende August 1942, im ersten Monat der Deportation, berichtete der BdS nach Berlin, dass die Juden das Kennzeichen ablegten und aus ihren Wohnungen flohen. Die Gegenwehr der Juden war ein zentraler Faktor für den Verlauf der „Endlösung“ in Belgien. Sie wurde dadurch begünstigt, dass es mit dem Comité de défense des Juifs eine starke jüdische Widerstandsorganisation gab, die in Brüssel und Charleroi bereits im September 1942 ihre Arbeit aufnahm 14 . Von dem jüdischen Kommunisten Hertz Jospa gegründet und dem kommunistisch dominierten Dachverband des belgischen Widerstands Front de l’Indépendance angeschlossen, wurde das Komitee von Persönlichkeiten sehr verschiedener politischer Couleur getragen. Zu den Mitgliedern der ersten Stunde gehörten der Industrielle Benjamin Nykerk, der Linkszionist Abusz Werber, der Rechtszionist Chaïm Perelman und der Kommunist Israël Mandelbaum. Außerdem konnten die Gründer, unter ihnen auch der Katholik Émile Hambresin, in hohem Maße auf die Mitarbeit oder Unterstützung von Nicht-Juden zählen. So arbeitete die Organisation bei der massenhaften Herstellung falscher Ausweise und falscher Lebensmittelkarten mit Beamten von weit über 100 belgischen Kommunalverwaltungen zusammen. Dass das CDJ mindestens 2500 Kinder zu retten vermochte, ging wesentlich auf den Beistand von Yvonne Névejean zurück, die als Leiterin des Nationalen Kinderhilfswerks – eine Einrichtung des Innenund Familienministeriums – beträchtliche Geldsummen beschaffte, ihre Mitarbeiterinnen zur Begleitung der Kinder zur Verfügung stellte und schließlich selbst in dem Komitee aktiv mitwirkte. Nicht nur der amerikanische JOINT und jüdische wie nicht-jüdische Privatpersonen, sondern auch belgische Banken, die Ministerien für Justiz und Finanzen und die Londoner Exilregierung stellten Mittel bereit, mit denen das Verstecken von Kindern und Hilfeleistungen für erwachsene Juden im Untergrund finanziert wurden. Das vom CDJ aufgebaute Netzwerk zur klandestinen Unterbringung jüdischer Kinder umfasste gegen Ende der Besatzungszeit fast 140 vorwiegend katholische Institutionen und 700 Privatpersonen. Einige Angehörige des katholischen Klerus bauten darüber hinaus eigene Strukturen auf, die die Rettung von mehr als 500 weiteren Kindern ermöglichten. Dass die belgische Bevölkerung vielfach Solidarität bewies, verstand sich um so weniger von selbst, als es sich bei den Juden zumeist um Immigranten vorwiegend osteuropäischer Herkunft und Flüchtlinge aus Deutschland handelte. Umgekehrt dürften die Migrations- und Fluchterfahrungen dazu beigetragen haben, dass ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung sich frühzeitig dazu ent-
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schloss, die legale Lebensweise teilweise oder vollständig aufzugeben, um der Verhaftung zu entgehen. Durch jahrelange Entrechtung, Verfolgung und Ausplünderung in ihren Handlungsmöglichkeiten extrem beschnitten, gelang es dennoch vielen Juden, im Untergrund zu überleben. Der Umfang der individuellen Gegenwehr ist in seiner Bedeutung erst einzuschätzen, wenn man berücksichtigt, welche Schwierigkeiten die Juden überwinden mussten. Die äußerst widrigen Rahmenbedingungen zwangen die Verfolgten zu einer Reihe illegaler Praktiken – Ablegen des „Judensterns“, Passfälschungen, Devisenvergehen, klandestine Grenzübertritte oder Aufenthalt außerhalb des regulären Wohnsitzes, den der Militärbefehlshaber den Juden im Vorfeld der Deportationen per Verordnung verboten hatte. Alle diese Rettungsversuche erforderten Mut und waren mit einem hohen persönlichen Risiko verbunden. Es mussten Gelder aufgebracht werden, über die viele Juden nicht verfügten und die Erwachsene nur in begrenztem Umfang von Seiten des CDJ erhalten konnten. Oft erwies sich die Inanspruchnahme kommerzieller Unterstützer (wie Wohnungsgeber, Passfälscher, Fluchthelfer) als notwendig. Mehr als die Hälfte der in der Kartei des Brüsseler Judenreferats registrierten 56186 Juden entgingen der Deportation aus dem Lager Malines nach Auschwitz. Knapp 45 Prozent von ihnen wurden deportiert 15 . Doch auch die verhafteten und deportierten Juden hatten sich ihrer Festnahme widersetzt. Die Umstände der vom Devisenschutzkommando durchgeführten Einzelverhaftungen vermitteln hiervon ein eindrückliches Bild. Wie viele Opfer der Shoah aus Belgien ihr Leben zu verteidigen versucht hatten, zeigen die für dieses Buch durchgeführten biographischen Recherchen. Obwohl die Überlebensbemühungen derjenigen, die in Auschwitz ermordet wurden, nur zu einem Bruchteil dokumentiert sind, lässt sich am Beispiel von zwei Transporten der Jahre 1943 und 1944 nachweisen, dass nicht weniger als die Hälfte der deportierten Juden vor ihrer Verhaftung ins Ausland geflohen waren, sich versteckt hatten, mit falschen Papieren versehen waren oder weitere, meist illegale Rettungsanstrengungen unternommen hatten. Noch in den Jahren 1942 und 1943, während die Todeszüge fuhren, versuchten jüdische Frauen, Männer und ganze Familien, nach Frankreich und von dort in ein sicheres Land zu entkommen. Allein im XXI. Transport vom Juli 1943 befanden sich mehr als 100 solcher Flüchtlinge aus Holland, die ihren Verfolgern in Belgien in die Hände gefallen waren. Wie viele Juden insgesamt bei der gescheiterten Flucht in letzter Minute verhaftet wurden, bedarf ebenso weiterer Untersuchungen wie der Umfang der aus Nazi-Deutschland geflohenen Juden, die die Besatzer in Westeuropa einholten und in die „Endlösung“ einbezogen 16 . Immerhin steht fest, dass aus dem belgischen Malines Tausende von Juden nach Auschwitz deportiert wurden, die erst 1938 oder später aus dem Reichsgebiet in das Land geflohen waren. Mehr als 20 Prozent aller Opfer
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waren Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich. Dies allein ist Grund genug, der Geschichte der Shoah in Belgien mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Anmerkungen Einleitung 1
Marion Schreiber, Stille Rebellen. Der Überfall auf den 20. Deportationszug nach Auschwitz, Berlin 2000. Eine historische Darstellung, die manche dem Ereignis zugeschriebene Mythen widerlegt, findet sich bei Steinberg, Traque II, S. 63–120, sowie in: Steinberg/Schram, Transport XX Malines – Auschwitz. Vgl. die Erinnerungen von Simon Gronowski, L’Enfant du 20ème convoi. – Gekürzte Titelangaben verweisen auf die Auswahlbibliographie im Anhang. 2 Steinberg, Dossier Bruxelles-Auschwitz; Klarsfeld/Steinberg, Dokumente. Zum Kieler Prozess s. auch: Serge Klarsfeld, L’Affaire Ehlers, in: Le Monde Juif, 83 (1976), S. 85– 92; Kerstin Freudiger, Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen, Tübingen 2002, S. 203 ff. 3 Michman, Belgium. Seit jüngstem liegt ferner eine problematische Publikation des britischen Juristen David Fraser vor, der die Judenverfolgung in Belgien als Ausgangspunkt für rechtshistorische Studien gewählt hat („Beyond the obvious attractions of beer and chocolate, Belgium has much to offer as a site for legal historical research and lessons for any study of legality and the Holocaust.“). Der Autor meint ungeachtet der vorliegenden Literatur, dass die Mitwirkung belgischer Verwaltungs- und Justizbehörden bei der Judenverfolgung bislang unzureichend erforscht und zumeist missverstanden worden sei. Er liefert allerdings keinen Beleg für seine gewagten Thesen, „that the Shoah in Belgium was necessarily dependent on Belgian state and legal cooperation“, und dass „the government of Belgium found a way to accommodate itself to this Nazi process of the […] killing of that country’s Jewish population.“ David Fraser, The Fragility of Law. Constitutional Patriotism and the Jews of Belgium, 1940–1945, Abingdon 2009, S. 225, 6, 12. Auf weitere Probleme dieser Arbeit ist hier nicht einzugehen. 4 Saerens, Vreemdelingen. Eine Zusammenfassung, die weitere Hinweise insbesondere zu den flämischen Handlangern der deutschen Polizei bietet, findet sich in: ders., Jodenjagers. 5 Les Biens des victimes. 6 Les Curateurs. 7 Van Doorslaer u. a., La Belgique docile. Auf diese Gesamtdarstellung wird im folgenden lediglich in den Fällen verwiesen, in denen die dort festgehaltenen Ergebnisse über die vorliegende einschlägige Forschungsliteratur hinausgehen. 8 Van Doorslaer, Raub und Rückerstattung. Dieser Aufsatz fasst die in Anm. 5 angeführte Studie zusammen. 9 Hierzu liegen auch Veröffentlichungen in deutscher und englischer Sprache vor: Saerens, Hilfe, und Michman, Encyclopedia.
1. Besatzung, Kollaboration und Judenverfolgung 1 Die wichtigste Primärquelle zum deutschen Besatzungsregime in Belgien bildet der überlieferte Aktenbestand des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich, der
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Anmerkungen zu S. 17–18
im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg (BA-MA, RW 36) bzw. in den Pariser Archives Nationales (AJ 40) überliefert ist. Siehe folgende Standardwerke: Gérard-Libois/Gotovitch, L’An 40; Warmbrunn, German Occupation; Verhoeyen, La Belgique occupée. Eine kommentierte Quellensammlung bietet Nestler (Hg.), Okkupationspolitik. Die oft angeführte Darstellung von Wagner (Belgien in der deutschen Politik) blendet zentrale Inhalte der Besatzungs- und Repressionspolitik aus – dies gilt etwa für die Bekämpfung der Widerstandsbewegung, die Geiselerschießungen, die Judenverfolgung und die Deportation belgischer Zwangsarbeiter ins Deutsche Reich, während der Autor einleitend mutmaßt, dass die Besatzungszeit in Belgien tabuisiert werde. Tatsächlich löste bereits die 1971 publizierte Arbeit „L’An 40“ von Gérard-Libois u. Gotovitch, die drei Tage nach Erscheinen vergriffen war und von der insgesamt 25 000 Exemplare gedruckt wurden, breite öffentliche und wissenschaftliche Debatten in Belgien aus. 2 Vgl. Reeders Aufsatz über „Die Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich“, der 1943 in der Zeitschrift „Reich – Volksordnung – Lebensraum“ erschien. Zu diesem Organ s. Ahlrich Meyer, Großraumpolitik und Kollaboration im Westen, in: Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Bd. 10 (1992), S. 29–76, insb. S. 35 ff. 3 Das bedeutete konkret, dass der Militärbefehlshaber Heydrichs Gehilfen sachliche Weisungen, bspw. hinsichtlich der Festnahme oder Freilassung von Personen, erteilen konnte, Vern. Reeder, 29. 3. 1950, CEGES, AA 278, pièce 2433. Zu den folgenden Angaben s. Teil 1 u. 2 der fünfteiligen Pionierstudie von De Jonghe, Lutte. Eine Gegenposition formulierte explizit Wolfram Weber, dem De Jonghes differenzierte Auseinandersetzung mit den Unterstellungsverhältnissen offenbar entgangen ist (vgl. Weber, Innere Sicherheit, S. 40, Anm. 69, und De Jonghe, Lutte, Teil 1). Weber macht sich den Standpunkt der deutschen Militärverwaltung bzw. die Nachkriegsaussagen Falkenhausens und Reeders zu eigen und ignoriert daher auch deren Verantwortung für die Deportation der Juden, obwohl ihm die einschlägigen Dokumente vorlagen. Weber, Innere Sicherheit, S. 131, 171. 4 MVChef, Jahresbericht, 15. 07. 1941, BA-MA, RW 36/201, S. B 118. 5 Erlass Falkenhausens betr. „Organisation des Lagers Breendonk“, 12. 5.1942, BAMA, RW 36/236. Reeder unterstellt, wurde Breendonk vom BdS geführt. Das Wachpersonal gehörte teils der SS, teils der Wehrmacht an. Erster Lagerkommandant war Philip Schmitt. Vgl. Patrick Nefors, Breendonk. 1940–1945, Brüssel 2005 (niederländische Originalausg. 2004), sowie die deutschsprachige Kurzübersicht von Markus Meckl in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Terror im Westen. Nationalsozialistische Lager in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg 1940–1945, Berlin 2004, S. 25–38. Bedauerlicherweise wird die direkte Unterstellung des Lagers unter den Militärverwaltungschef in diesen Studien nicht berücksichtigt. – Auf die Internierung in Breendonk geht Jean Amérys Auseinandersetzung mit der Folter zurück (Die Tortur). 6 Etwa sechs Wochen vor der Befreiung Brüssels am 3. September 1944 setzte die NSFührung eine Zivilverwaltung und einen HSSPF ein und ernannte den Beauftragten Heydrichs zum Befehlshaber der Sipo-SD. 7 Canaris hatte, wie schon sein im November 1940 verstorbener Vorgänger Haselbacher, die Brüsseler „Dienststelle“ geleitet, die dem Beauftragten des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD für Belgien und Frankreich, Max Thomas, unterstand. Erst nach der Abberufung von Thomas erklärte Heydrich im Dezember 1941 die beiden Dienststellen in Brüssel und Paris für unabhängig und unterstellte sie jeweils eigenständigen Beauftragten. Nach Ehlers’ Abberufung Anfang 1944 setzte das RSHA Canaris erneut in Belgien ein.
Anmerkungen zu S. 18–20 8
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MVChef Wi (Domke), Vertraulicher Aktenvm., 5. 6. 1943, GRMA, T77/R1217. Reeder erklärte noch 1951: „Unsere dienstliche Zusammenarbeit war nicht nur reibungslos, sondern harmonisch, weil sie auf einem persönlichen Vertrauensverhältnis beruhte. Äußerlich war Ehlers das Organ des Reichssicherheitshauptamtes, mit dem ich als Chef der Militärverwaltung in einen wachsenden Konflikt geriet. Innerlich aber stand er der Grundanschauung der Militärverwaltung über die Verwaltung Belgiens und Nordfrankreichs sehr nahe.“ Zugleich ließ der ehemalige Militärverwaltungschef keinen Zweifel daran, dass er selbst bei dieser Zusammenarbeit den Ton angegeben hatte, bzw. dass „Ehlers sich in vielen schweren Fällen nicht gescheut (hat), sich dem durch mich vertretenen Standpunkt anzuschließen“. Eidesst. Erkl. Reeders, 29. 5.1951, CEGES, AA 377/XVI. 10 Ab Herbst 1950 mussten der Militärbefehlshaber und sein Militärverwaltungschef sich vor dem Brüsseler Kriegsgericht verantworten. Falkenhausens und Reeders Weisungsrecht gegenüber der Sipo-SD stellte ihre Verteidiger vor das Problem, dass man in diesem Fall nicht wie üblich alles Belastende auf den SD abwälzen konnte, wie der einschlägige Nazi-Verteidiger Kurt Behling damals schriftlich festhielt (De Jonghe, Lutte, Teil 2, S. 158). Reeder bekundete folglich wiederholt, dass Militärverwaltung und BdS nicht gegeneinander gearbeitet, sondern gemeinsam für eine möglichst milde Umsetzung der Befehle des RSHA gestritten hätten, weshalb Ehlers dann Anfang 1944 als BdS abberufen worden sei. 20 Jahre später versicherte der ehemalige „Judenreferent“ beim BdS Brüssel, Kurt Asche, den westdeutschen Ermittlungsbehörden: „Zu der Einstellung von Ehlers zu den Judendeportationen kann ich nichts sagen. Ich weiß nur eines ganz gewiss, nämlich dass Ehlers unter keinen Umständen sich in Widerspruch zum Militärbefehlshaber setzen wollte.“ Vern. Asche, 22. 4.1971, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Bd. 37 b, Bl. 1204 ff., S. 5. Auch wenn es sich bei dem Topos der angeblich gemeinsam geübten Opposition gegen das RSHA um eine durchsichtige juristische Entlastungsstrategie handelte, kann kein Zweifel an der engen Kooperation der beiden Dienststellen bestehen. 11 RSHA III, „Die nachrichtendienstliche Arbeit der Dienststelle Brüssel …“, 20. 10. 1942, BAB, R 58/977; Karl Reimer (1940–1944 Leiter Kripo BdS Brüssel), „Lebenslauf und Tätigkeitsbericht“, 13. 1. 1946, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 10, S. 61. 12 Vernehmungen Straub, 5. 11.1964, 1. 9. 1966, CEGES, AA 377/I, Bl. 192 ff., 369 ff. Zu den folgenden Angaben: Vm. Heydrich, 2.7. 1940, abgedr. in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 11 (1963), S. 206 ff.; De Jonghe, Lutte, Teil 1 u. 2. 13 Erlass OKW Abwehr betr. „Einsatz der Sicherheitspolizei in den besetzten Gebieten“, 4. 10. 1940, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Anl. 5, Handakten Bd. 10, Bl. 26 f. Zum folgenden: Erlass von Brauchitsch betr. „Einsatz der Sicherheitspolizei und des SD in den besetzten Gebieten“, 2. 1. 1941, CEGES, AA 558; Heydrich an Wagner (OKH), 2.12. 1941, CEGES, AA 279, pièce 0086; Reeder an Canaris, Befehl zur Verhängung der Sicherheitshaft durch die Sicherheitspolizei, 4. 2. 1941, CEGES, AA 279, pièce 0270 (franz. Übers.). Die hier zusammengefasste, erstmals von De Jonghe (Lutte, Teil I u. II) aufgearbeitete Entwicklung wird mit Blick auf das besetzte Frankreich dargestellt bei Meyer, Täter im Verhör, S. 36 f. 14 Geschäftsverteilungspläne, Telefonverzeichnisse und Organigramme der Sipo-SD in Belgien sind überliefert in: CEGES, AA 542, 558, 1312/14; AG, dossier Sipo-SD Bruxelles. Für das Jahr 1944 s. ferner: BdS IV 4 B 4 an Wehrmachtgefängnis Brüssel-St. Gilles, 11. 5. 1955, SVG, R497/Tr6719, DSTG 0006. Vgl. auch zum folgenden Steinberg, Persécution, S. 177 ff. 15 Er dürfte in jedem Fall an der Beschaffung der umfänglichen Informationen mitgewirkt haben, die in den Ende 1941 abgeschlossenen Bericht über „Das Judentum in 9
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Anmerkungen zu S. 20–24
Belgien“ (s. Anm. 25) eingingen. Dass Humpert erster Judenreferent war und erst 1941 abgelöst wurde, ist u. a. belegt durch: „Personalbedarf für das Einsatzkommando […] auf Grund der Besprechung vom 1. August 1940“, o. D., CEGES, AA 558; Vern. Humpert, 8. 10. 1969, CEGES, AA 377/X; Vern. Kurt Asche, 27. 6. 1967, CEGES, AA 377/V. 16 Urteil Landgericht Kiel 2 Ks 1/75, 8. 7. 1981, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, S. 17. 17 Lebenslauf Fritz Erdmann, o. D. [1943/44], AG, dossier Erdmann. 18 Vgl. Kap. V, S. 165. 19 Vern. Weidmann, 16. 2. 1968, CEGES, AA 377/VI, Bl. 1117 ff. 20 Vern. Heinz B., 3. 10. 1968, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Bd. 37, Bl. 363 ff. Siehe auch: La Belgique docile, S. 985 ff., 992 (Wouters). 21 Tatsächlich sollten die Besatzungsbehörden neben dem belgischen Gold und Gütern aller Art auch Lebensmittel aus Belgien nach Deutschland abtransportieren, während die Rationierungssätze der belgischen Bevölkerung nicht nur diejenigen des Besatzungspersonals und der deutschen Bevölkerung, sondern auch das Niveau in den besetzten Niederlanden unterschritten, so dass der Militärverwaltungschef sich wiederholt dazu veranlasst sah, auf die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen des Hungers hinzuweisen. 22 MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 17, 22. 09. 1941, BA-MA, RW 36/187, S. A 6. Vgl. die Übersichten von Alain Colignon (La collaboration francophone: autopsie post-mortem) und von Bruno De Wever (La collaboration en Flandre) in: Gotovitch/Kesteloot, Collaboration. Die Kollaboration gehört zu den am gründlichsten erforschten Phänomenen des Zweiten Weltkriegs in Belgien. Als Standardwerke s. neben De Jonghe, Lutte, Bruno De Wever, Greep naar de macht. Vlaams-nationalisme en Nieuwe Orde. Het VNV 1933– 1945, Tielt/Gent 1994, und Martin Conway, Collaboration in Belgium: Léon Degrelle and the Rexist Mouvement, 1940–1944, New Haven/London 1993. 23 Vgl. Schreiber, La Belgique et les Juifs, S. 89 f.; Nico Wouters, Local Government and the Persecution of the Jews in Belgium (1940–1944), Beitrag zu dem von Johannes Houwink ten Cate im Dezember 2003 in Amsterdam organisierten Kolloquium „National Socialist Perpetrators of the Shoah and their Local Helpers“; ders., Oorlogsburgemeesters 40/44. Lokaal bestuur en collaboratie in Belgïe, Tielt 2004, S. 460 ff. 24 Meldungen aus Belgien und Nordfrankreich Nr. 17/42, 31. 8. 1942, BAB, R 58/6399. 25 „Sonderbericht: Das Judentum in Belgien“, Anl. zu: BdS II C, gez. Ehlers, „Das Judentum in Belgien“, 31. 1. 1942, AN, AJ 40/52, dossier 15, S. 52 f., Auszug abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 6 ff. Siehe ferner: Steinberg, Persécution, S. 118 ff., 129 ff., 170 ff.; Saerens, Vreemdelingen, S. 368 ff., 531 ff. 26 Niederschrift Johannes Frank, 27. 10. 1946, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 1, S. 2; Vern. Kurt Asche, 8. 9. 1966, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Handakten Bd. 3, Bl. 170 ff. 27 MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 13, 2. 2. 1941, BA-MA, RW 36/183, S. 27. Vgl. Steinberg, Question juive, S. 167 ff. 28 Stanley Hoffmann, Collaborationism in France during World War II, in: Journal of Modern History 40 (1968), S. 375–395. 29 Die folgende Darstellung stützt sich im wesentlichen auf: Steinberg, Question juive; ders., Persécution; Saerens, Vreemdelingen, sowie den Forschungsbericht: „Les Biens des victimes“. Siehe inzwischen auch: Van Doorslaer u. a., La Belgique docile. 30 Schreiber, L’Accueil des réfugiés juifs, S. 71. Als Standardwerke zur jüdischen Immigration vgl. ders., L’Immigration juive en Belgique du Moyen Âge à la Première Guerre mondiale, Brüssel 1996, und Caestecker, Ongewenste gasten. 31 Diese Zahl schließt 516 Juden aus Nordfrankreich ein, die über Malines nach Auschwitz deportiert wurden. Siehe Steinberg, Persécution, S. 132.
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Der gesamte, auch in der einschlägigen Literatur dargestellte, Vorgang ist im Nachlass des damaligen Generalsekretärs des Innenministeriums überliefert, CEGES, mic 74/3. 33 Zwischen Oktober 1940 und September 1942 erließen Falkenhausen und Reeder insgesamt 17 explizit gegen die Juden gerichtete Verordnungen, die im Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers (VOBlB) erschienen. 34 Vgl. hierzu auch Delplancq, Des Paroles et des actes. 35 MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 17, 22. 09.1941, BA-MA, RW 36/187, S. A 4. Hubert Pierlot war der Ministerpräsident der 1940 ins Exil geflohenen belgischen Regierung. 36 Vgl. Steinberg, Persécution, S. 134 ff.; Saerens, Vreemdelingen, S. 557 ff.; Van Doorslaer u. a., La Belgique docile, S. 402 ff. (Debruyne). Die Ausweisungen gingen nicht auf eine Entscheidung der dortigen Feldkommandantur zurück, wie alle Autoren meinen, sondern auf einen geheimen Küstensperrerlass des Militärbefehlshabers v. 12. 11. 1940, der sich ausdrücklich u. a. gegen Juden richtete; BA-MA, RW 36/8. Zu einer biographisch orientierten Darstellung vgl. Meinen/Meyer, Le XXIe convoi (Teil I), S. 83 ff. 37 Vgl. auch zum folgenden Steinberg, Question juive, S. 176 ff.; ders., Persécution, S. 176 f.; Laurence Schram, La Distribution de l’étoile, in: Schreiber/Van Doorslaer, Les Curateurs, S. 263–276. 38 Lischka an BdS Brüssel, 26. 2. 1942, abgedr. in: Klarsfeld, Vichy-Auschwitz, S. 400. 39 Knochen (Dannecker) an Ehlers, 10. 3. 1942, abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 15 f. 40 Lischka an Lages, Außenstelle Amsterdam, 16. 3.1942, abgedr. in: ebd., S. 18 f. 41 Die Achte Verordnung des Militärbefehlshabers in Frankreich über Maßnahmen gegen Juden v. 29. 5. 1942 (CDJC, Les Juifs sous l’occupation. Recueil des textes officiels français et allemands 1940/1944, Paris 1982, S. 155) kündigte die Einweisung in ein „Judenlager“ als Kann-Bestimmung an. Vgl. hierzu Serge Klarsfeld, L’Étoile des Juifs, Paris 1992. Falkenhausens Verordnung über die Kennzeichnung der Juden v. 27. 5. 1942 (VOBlB, S. 943 f.) sah neben bzw. an Stelle von Geld- und Gefängnisstrafen „polizeiliche Maßnahmen“ vor. 42 MVChef, Allgemeine Übersicht, 16. 3. 1942, abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 20. 43 Knochen (Dannecker) an Eichmann, 20. 3. 1942, abgedr. in: Klarsfeld, Vichy-Auschwitz, S. 406. 44 VOBlB, S. 943 ff. 45 AJB, Protokoll Besprechung Leiber (MVChef pol) mit Benedictus u. Pinkous am 4. 6. 1942, SVG, R497/Tr146.665; OFK Brüssel (Gentzke) an Provinzgouverneur Brabant, 3. 6. 1942, AVB, Police 40–45, boîte 41. 46 Coelst an OFK Brüssel (Gentzke), 5. 6.1942, AVB, Cabinet du bourgmestre, 866. 47 Zu Reaktionen in der belgischen Untergrundpresse und Bevölkerung s. Steinberg, Question juive, S. 176 ff.; Schreiber, La Belgique et les Juifs, S. 73 ff. 48 Benedictus, Historique du problème juif, S. 16 (CEGES). 49 Van Doorslaer u. a., La Belgique docile, S. 549 f., S. 653 (Wouters). 50 AVB, Cabinet du bourgmestre, 846. 51 Dies meint Maxime Steinberg, Persécution, S. 221; ähnlich argumentiert Wouters in: Van Doorslaer u. a., La Belgique docile, S. 550, ebenso David Fraser, A Passive Collaboration: Bureaucracy, Legality and the Jews of Brussels, 1940–44, in: Brooklyn Journal of International Law, 30.2 (2004), S. 365–420. 52 Wie bedrohlich der AJB-Vorstand die Situation einschätzte, ist daran ablesbar, dass Benedictus sich direkt an den Militärverwaltungschef wandte – ein exzeptioneller Vor-
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gang –, um zu verhindern, dass die deutschen Polizeikräfte Juden wegen Verstoß gegen die Verordnung verhafteten, obwohl die Kennzeichen noch nicht verfügbar waren. Die Militärverwaltung unterließ es tunlichst, die AJB darüber zu informieren, dass sie das Inkrafttreten der Verordnung (Stichtag 7. Juni 1942) am 5. Juni auf unbestimmte Zeit ausgesetzt hatte. AJB, Protokoll Besprechung Ullmann u. Benedictus mit Gentzke (OFK Brüssel), 6. 6. 1942, SVG, R497/Tr146.665; AJB, „Note destinée à l’entretien avec les autorités allemands“, o. D., MJDR, AJB-CNHEJ, 11; AJB, Protokoll Besprechung Callisch [muss heißen: Callies] u. Gentzke (OFK Brüssel) mit Benedictus, Workum u. Pinkous, 8. 6. 1942, MJDR, A007410; Benedictus an Reeder, 8. 6. 1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 11. Vgl. Benedictus, Historique du problème juif, S. 18 ff. (CEGES). 53 Auch zum folgenden: Gentzke (OFK Brüssel) an Coelst, 8. 6. 1942, AVB, Cabinet du bourgmestre, 866; Rundschreiben Gentzke, 10. 6. 1942, AVB, Police 40–45, boîte 41; Benedictus an AJB-Brüssel, 10. 6. 1942; Pinkous an Gentzke, 11. 6.1942; Benedictus an Leiber (MVChef pol), 11. 6. 1942 (3 Schreiben); AJB an Gentzke, 13. 6. 1942, MJDR, CNHEJAJB, 11. 54 Vgl. die umfassende Darstellung von Wouters, Groot-Brussel. 55 Majerus (Logiques administratives, S. 185 f.) hat auf dieses Faktum bereits hingewiesen. 56 Jean Herinckx, Bürgermeister von Uccle, lehnte im Mai 1942 den Ausschluss jüdischer Schüler aus öffentlichen Schulen ab; aufgrund seiner Initiative weigerte sich die Brüsseler Bürgermeisterkonferenz zunächst auch, Lokale für die Einrichtung separater jüdischer Schulen zur Verfügung zu stellen. Er unterstützte die im September 1942 gegründete Widerstandsorganisation Comité de Défense des Juifs, die jüdische Kinder versteckte und versteckt lebenden Erwachsenen Hilfe leistete. Schreiben Herinckx, 17. 6. 1942; Coelst an Callies, 19. 6.1942, AVB, Cabinet du bourgmestre, 866. Siehe Mordecai Paldiel, The Rescue of Jewish Children in Belgium During World War II, in: Michman, Belgium, S. 307–325, hier S. 310; Majerus, Logiques administratives, passim; Barbara Dickschen, L’AJB et l’enseignement, in: Schreiber/Van Doorslaer, Les Curateurs, S. 233–261, hier S. 240; dies., École, S. 162, 164. 57 Vgl. Saerens, Vreemdelingen, S. 588; Van Goethem, Convention de La Haye, S. 168 f. 58 Bericht Polizei Brüssel 2. Division, 13. 6.1942, AVB, Police 40–45, boîte 41. 59 MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 20, 15. 6. 1942, BA-MA, RW 36/189, S. A 50, Auszug abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 26 f. (Hervorh. im Original). 60 MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 20, 15. 6. 1942, BA-MA, RW 36/189, S. C 31; MVChef, Abschlussbericht, 16. Teil (Treuhandvermögen), o. D. [1944], BA-MA, RW 36/227, S. 157; Les Biens des victimes, Teil 2, S. 93. Vgl. auch zum folgenden Steinberg, Persécution, S. 207 ff. Wie Steinberg (ebd. S. 215) schätzt, entzog die Schließung der Familienbetriebe mindestens einem Drittel der jüdischen Bevölkerung Belgiens die materielle Lebensgrundlage. 61 MVChef Wi VII („Sozialwesen und Arbeitseinsatz“), gez. Schlumprecht, an Verw.Chefs OFK u. FK, betr. „Arbeitseinsatz der Juden“, o. D. [28. 5.1942], AN, AJ 40/ 104.1a. Zur Datierung s. ebd.: FK 681 an MVChef Wi VII, 17. 6. 1942; OFK 570 an MVChef Wi VII, 18. 6. 1942. 62 Van den Berg, Journal de guerre, S. 42 (SVG); MVChef Wi VII, Lagebericht, 14. 08. 1942, SVG, R184/Tr35779, film X, no 389, S. 3. Zum folgenden s. auch: MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 20, 15. 6. 1942, BA-MA, RW 36/189, S. C 13. 63 MBB, Verordnung über die Sicherstellung des Kräftebedarfs für Arbeiten von besonderer Bedeutung, 6. 3.1942, abgedr. in: Nestler, Okkupationspolitik, nach S. 160; Ver-
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wilghen, Protokoll Besprechung mit Schlumprecht am 17. 3.1942, 17. 3. 1942, CEGES, AA 278, pièce 2004; s. auch: Vervaeck (Arbeitsministerium) an Reeder, 23. 6. 1942, AG, Procès Schuind, boîte 327, farde XXe, Bl. 105. Vgl. Verhoeyen, La Belgique occupée, S. 261 ff. 64 Durchführungsverordnung v. 8. 5. 1942 zur Verordnung über die Beschäftigung von Juden in Belgien v. 11. 3.1942, VOBlB, S. 911 f. 65 So auch Steinberg, Persécution, S. 217, zum folgenden: ebd., S. 254, Anm. 70. Siehe auch: www.dannes-camiers.org 66 Vandepontseele, Le travail obligatoire, S. 212 ff. Zwei weitere Züge brachten Juden aus Charleroi bzw. aus Lüttich in die nordfranzösischen Lager. Zu Lüttich vgl. Thierry Rozenblum, Une illustration locale: Le Comité de Liège de l’AJB, in: Schreiber/Van Doorslaer, Les Curateurs, S. 345–371, hier S. 356 ff. 67 Die Gruppe VII (Leitung OKVR Schultze, zuständig für die Deportation der Juden nach Nordfrankreich: KVR Fründt u. KVR Baron) residierte zusammen mit der Gruppe XII (Feind- und Judenvermögen) und der ebenfalls für die Enteignung der Juden zuständigen „Brüsseler Treuhandgesellschaft“ im Shellhaus an der Rue Cantersteen, während der Großteil des deutschen Militärverwaltungsstabs seinen Sitz in der Brüsseler Regierungsstraße Rue de la Loi hatte. „Verzeichnis der Fernsprechanschlüsse und Diensträume beim Militärverwaltungsstab“ (Stand 1.11. 1942), BA-MA, RW 36/218. 68 Dagegen lag die zwangsweise Rekrutierung von Belgiern für die Arbeit in Deutschland, die der Militärbefehlshaber im Oktober 1942 einführen sollte, in den Händen der deutschen Stellen. 69 Gérard-Libois/Gotovitch, L’An 40, S. 157. 70 Benedictus, Rapport condensé sur quelques personnalités belges (CEGES), s. ebd. auch Notiz zum Brüsseler Amtsleiter Albert Halloy. Zur Umsetzung in Antwerpen s. auch AG, dossier Robert Van der Heyden; dossier Joseph Dysan (ich danke Sophie Vandepontseele, die mir die Einsichtnahme ermöglichte). Vgl. Vandepontseele, Le travail obligatoire. 71 AJB, Protokoll Besprechung Halloy (Leiter Arbeitsamt Brüssel) mit Feiertag u. Ferdman, 29. 6. 1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 13 A. Vgl. Van den Berg, Journal de guerre, S. 41 (SVG), sowie: Van Doorslaer u. a., La Belgique docile, S. 466 (Seberechts). 72 Für Brüssel gibt es keinerlei Hinweis auf eine polizeiliche Zustellung. 73 Vern. Abraham Chorowicz, 22. 4. 1949; Vern. Noech Chorowicz, 14. 4.1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 21. Vater und Sohn wurden beide in Nordfrankreich von der Firma Julius Berger zur Zwangsarbeit eingesetzt und am 31. Oktober 1942 mit dem XVI. Transport, in dem sich eine große Gruppe von Zwangsarbeitern befand, aus Nordfrankreich über Malines nach Auschwitz deportiert. 74 Oesterhelt an Van Autgaerden, 3. 7. 1942, AVB, Police 40–45, boîte 39. Das von Oesterhelt unterzeichnete Schreiben trägt das Aktenzeichen von OKVR Dr. Gentzke, Justizreferent der OFK Brüssel, der 1942 maßgeblich an der Umsetzung der antijüdischen Verordnungen beteiligt war. 75 Coelst an Oesterhelt, 6. 7.1942, AVB, Cabinet du bourgmestre, 845, abgedr. in: Majerus, Logiques administratives, S. 200. Majerus, dem ich für seine Hinweise zu den seinerzeit nicht-inventarisierten Beständen der Brüsseler Polizei aus dem Zweiten Weltkrieg danke, hat diese Fakten erstmals ermittelt. – Bei den Beamten der Kommunal- bzw. der Kriminalpolizei handelte es sich z. T. um dieselben Personen, doch unterstand erstere dem Innen- und letztere dem Justizministerium. 76 Dagegen meint Majerus (Logiques administratives, S. 200, 204), Bürgermeister Coelst habe sich lediglich für unzuständig erklärt, ohne grundsätzlich zu der Frage der Ver-
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haftung von Juden Stellung zu nehmen. M. E. war ein Verweis auf die Rechtlosigkeit, der von den tatsächlichen oder angeblichen Merkmalen der betroffenen Personen absah, die entschiedenste Antwort auf die von deutscher Seite verlangte Festnahme von Juden. 77 MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 18, 21.12. 1941, BA-MA, RW 36/188, S. B 50. 78 Gérard-Libois/Gotovitch, L’An 40, S. 78 ff.; Rudi Van Doorslaer, De Belgische politie en magistratur en het probleem van de ordehandhaving, in: Etienne Verhoeyen (Hg.), Het minste kwaad, Kapellen 1990, S. 100 ff.; Verhoeyen, La Belgique occupée, S. 97 ff.; Saerens, Vreemdelingen, S. 593 ff., Majerus, Logiques administratives, S. 195 ff. Siehe inzwischen auch ders., Occupations et logiques policières: La police bruxelloise en 1914– 1918 et 1940–1945, Brüssel 2007. 79 MBB an Romsée, 24. 7.1941, AVB, Police 40–45, boîte 39 (Abschrift). 80 Grauls an Romsée, 20. 7.1943, AVB, Police 40–45, boîte 39; Zur Haltung des Generalsekretärs Schuind (Justiz): AG, Procès Schuind, boîte 327. Vgl. Majerus, Logiques administratives, S. 197; Van Goethem, Convention de La Haye, S. 133 f. 81 MVChef pol (Nagel/Brunner), Bericht „Die belgische Polizei“, März 1943, BA-MA, RW 36/439, S. 52. 82 Van Beirs an Van Autgaerden, 7.7. 1941, abgedr. in: Majerus, Logiques administratives, S. 198. 83 Siehe auch zum folgenden im überlieferten Archiv der Brüsseler Polizei folgende Dokumente: MVChef Justiz (Hartz) an Justizministerium Brüssel, 18. 3. 1941; Van Autgaerden an Oesterhelt, 14. 2. 1942; Van Autgaerden an Coelst, 24. 6.1942, AVB, Police 40–45, boîte 35; Bulletin d’informations aux autorités de police et de gendarmerie de l’agglomération bruxelloise (B. I.) no 524, 11. 7.1941; Van Autgaerden an Philipp (OK/FG), 17. 7.1941 u. 21. 7. 1941; Van Autgaerden an Van Beirs (Oberstaatsanwalt Brüssel), 29. 8. 1941; Van Autgaerden an Oesterhelt, 1.12. 1941 u. 26. 3. 1942; Van Autgaerden an Dannhausen (OFK Brüssel), 22. 5. 1942, AVB, Police 40–45, boîte 39. 84 Gentzke (OFK Brüssel) an Van Autgaerden, 20. 6. 1942, AVB, Police 40–45, boîte 35. 85 Van Autgaerden an Coelst, 24. 6. 1942, AVB, Police 40–45, boîte 35. 86 Coelst an Van Autgaerden, 28. 6. 1942; Aktennotiz Coelst, 1 [?].7. 1942, der Bürgermeisterkonferenz bekanntgegeben am 2. 7.1942, AVB, Police 40–45, boîte 35; Vm. Jean Herinckx, o. D., Anlage zu: Herinckx an Bürgermeister Saint-Gilles, 30. 6.1942, Kopie mit Vm. Putzeys (Stadtsekretär Brüssel) v. 3. 7.1942 an Van Autgaerden, AVB, Police 40– 45, boîte 35. 87 Coelst an Nyns (Präsident Kollegium Generalsekretäre), 4. 07. 1942, SVG, R695/ Tr252.644. Die betreffende Sitzung der Bürgermeister der Agglomeration Brüssel fand am 2. Juli 1942 statt (AVB, Cabinet du bourgmestre, 415). 88 Houtart an Romsée, 22. 07. 1942; Oesterhelt an Houtart, 16. 7. 1942, CEGES, mic 79/3. 89 Falkenhausen an Romsée, 24. 7. 1942, AVB, Police 40–45, boîte 39. 90 Vervaeck (Arbeitsministerium) an Reeder, 23. 6. 1942, AG, Procès Schuind, boîte 327, farde XXe, Bl. 105; Sitzungsprotokolle des Kollegiums der Generalsekretäre v. 19. 6., 27. 6. u. 3. 7. 1942, CEGES, L 3/11. Vgl. Steinberg, Persécution, S. 221, der irrtümlicherweise davon ausgeht, dass die Protestnote erst in der Sitzung vom 3. 7. 1942 verabschiedet wurde. 91 Romsée an Falkenhausen, 29. 8. 1942, abgedr. bei Majerus, Logiques administratives, S. 202 f. 92 AJB, Protokoll Besprechung D’Hoedt (Arbeitsamt Brüssel) mit Benedictus u. Feiertag, 27. 6. 1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 13 A. Ein Vertreter der OFK Brüssel nahm an dem Gespräch teil.
Anmerkungen zu S. 38–41 93
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AJB, Protokoll Besprechung Pfunt [muss heißen: Fründt] mit Benedictus, 24. 6. 1942, MJDR, A005148.1; AJB, Protokoll Besprechung Baron mit Benedictus u. Heiber, 13. 7. 1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 13 A. Siehe ferner, auch zum folgenden, Anne Godfroid, À qui profite l’exploitation des travailleurs forcés juifs de Belgique dans le nord de la France? Modalités de payement et de rétrocession, in: Cahiers d’Histoire du Temps présent, Bd. 10 (2002), S. 107–128. 94 OT-Lager Dannes an „Judenrat“ Brüssel bzw. an „Judenrat“ Antwerpen, 25. 8.1942, MJDR, A003741; AJB Antwerpen Tätigkeitsbericht, 5. 10. 1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 13. 95 Vm. Dannecker betr. „Weitere Judentransporte aus Frankreich“, 15. 6. 1942, abgedr. in: Klarsfeld, Vichy-Auschwitz, S. 410 f.; zu dieser Besprechung und den dort ursprünglich festgelegten Zahlen für die Deportationen aus Westeuropa s. ausführlich ebd. S. 78 ff. 96 Reeder meldete am 2. 2. 1941 nach Berlin, dass bei der Registrierung 42 500 Juden erfasst worden seien, davon 22 500 in Antwerpen, 17 000 in Brüssel und 1 300 in Lüttich. In seinem Jahresbericht vom Juli 1941 gab er dann die Zahl 43 000 an. MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 13, 2. 2. 1941, S. 25; Jahresbericht, 15. 07. 1941, S. A 63, BA-MA, RW 36/183; RW 36/201. Siehe auch den vom Judenreferat der Sipo-SD erstellten Bericht „Das Judentum in Belgien“, den Ehlers am 31. 1. 1942 vorlegte, AN, AJ 40/52, dossier 15, S. 5 f. 97 Steinberg, Cent jours, S. 155 ff. 98 Klarsfeld, Vichy-Auschwitz, S. 81. Siehe hierzu auch Eichmann an AA, 22. 6.1942, ADAP, Serie E, Bd. III, Nr. 26. 99 Vern. Hahn, 4./5. 4. 1968, CEGES, AA 377/VII, Bl. 1279 ff. 100 Vern. Hahn, 21. 4. 1948, CEGES, AA 279, pièce 427. 101 Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42, bearb., kommentiert und eingeleitet von Peter Witte u. a., Hamburg 1999, S. 480 f. Den Nachkriegsangaben Reeders zufolge ging es in der von Gottlob Berger angeregten Besprechung vor allem um die Zusammenarbeit mit Himmlers Bevollmächtigtem Richard Jungclaus, dem späteren HSSPF. Vgl. De Jonghe, Lutte (Teil 2), S. 140 f.; Steinberg, Persécution, S. 229 f. 102 Vern. Reeder, 21. 3. 1950, CEGES, AA 278, pièce 2425. Dass Falkenhausens Einflussnahme maßgeblich gewesen sei, hat von Bargen (Brüsseler Vertreter des AA) angegeben, vgl. Browning, The Final Solution and the German Foreign Office, S. 101. 103 Ehlers an Dannecker, 7. 7.1942; Dannecker an Ehlers, 9. 7. 1942, abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 31. Der vorläufige Ausschluss von Juden französischer Staatsangehörigkeit ging auf eine Absprache zwischen dem BdS Paris, Knochen, und dem Vichy-Polizeichef Bousquet von Anfang Juli zurück. 104 Reeder und Bargen kannten sich seit ihrer Studienzeit und sollen persönlich befreundet gewesen sein. Vern. Bargen, 4. 2. 1950, CEGES, AA 278, pièce 2109; Steinberg, Persécution, S. 222. Im Gegensatz zum besetzten Frankreich ergriff der Vertreter des Auswärtigen Amts in Belgien keine Initiativen zur Judenverfolgung. 105 Telegramm Bargen an AA, 9. 7. 1942, abgedr. in: Poliakov/Wulf, Das Dritte Reich, S. 98; auch ADAP, Serie E, Bd. III, Nr. 74. 106 MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 14, 2. 3. 1941, BA-MA, RW 36/184, S. 7. 107 Vgl. im einzelnen Steinberg, Persécution, S. 220 ff. 108 MJDR, A009127. Der eigentliche Leiter von Malines (niederl. Mechelen oder Mecheln) war zunächst Schmitts Stellvertreter Rudolf Steckmann, am 9. 3. 1943 ordnete Ehlers den Mitarbeiter des Judenreferats Johannes Frank nach Malines ab, der am 9. 4. 1943 offiziell zum Lagerkommandanten ernannt wurde. Zum Lager Malines: AG, dossier SipoSD Bruxelles, 1; dossier Johannes Frank; dossier Max Boden; Steinberg, Un pays occupé, S. 97 ff.; ders., Persécution, S. 281 ff. Vgl. Laurence Schram, The Transit Camp for Jews in
196
Anmerkungen zu S. 41–44
Mechelen: The Antechamber of Death (2008), in: Online Encyclopedia of Mass Violence, ed. J. Semelin, http://www.massviolence.org 109 Vern. Günter Heym, 2./3. 4. 1968, CEGES, AA 377/VII, Bl. 1224 ff. Zur Unterstellung des Lagers: Vern. Franz Straub (1940–1944 BdS, Leiter Abt. IV – Gestapo), 1. 9. 1966, CEGES, AA 377/I, Bl. 369 ff. 110 Vern. Ernst B., 23. 4. 1968, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Bd. 37, Bl. 308 ff.; Vern. Hans L., 5.12. 1968, ebd., Bl. 483 ff.; Schriftl. Erkl. Johannes Frank, 27. 10. 1946, CEGES, AA 279, pièce 0426; Vern. Ernst H., 7. 12. 1968, CEGES, AA 377/VIII, Bl. 1568 ff.; Vern. Robert K., 10. 9. 1968, ebd., Bl. 1462 ff.; MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 24, 1. 8. 1943, BAMA, RW 36/193, S. A 41. 111 Ein Konvolut der bei der Ankunft der Juden im Lager jeweils ausgefüllten Vermögensaufstellungen ist überliefert in: AN, AJ 40/230. Zu dem Verfahren im einzelnen s. insbesondere Vern. Anna L., 17. 3.1949, CEGES, AA 377/XII, Bl. 2291 ff.; Vern. Johannes Frank, 28. 2. 1949, ebd., Bl. 2221. Zur „Möbelaktion“ in Belgien s. Johanna Pezechkian, La Möbelaktion en Belgique, in: Cahiers d’histoire du temps présent, Bd. 10 (2002), S. 153– 180. 112 Vern. Walter Kaiser, 7. 10. 1969, CEGES, AA 377/X, Bl. 1865 ff. 113 Vern. Max Boden, 19. 2. 1968, CEGES, AA 377/VI, Bl. 1148 ff. 114 Dies ergibt sich aus der Auswertung der Geburtsdaten, die auf der Transportliste (MJDR) verzeichnet sind. Steinberg (Persécution, S. 231 ff.) hat auf den großen Anteil der nicht-arbeitsfähigen Juden zuerst aufmerksam gemacht. Zu den Transporten aus Belgien nach Auschwitz vgl. Mémorial; L’Exposition belge à Auschwitz sowie Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz, Bd. 1, S. 279–312. 115 Siehe ausführlich hierzu: Schram, Convocations. 116 Der Wortlaut des Arbeitseinsatzbefehls ist abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 38 f. Dass die Militärverwaltung gegen die Verwendung ihres Briefkopfs unverzüglich eingeschritten sei, wie von Hahn 1968 im Rahmen einer Besch.Vern. behauptet hat, dürfte nicht den Tatsachen entsprechen, zumal viele Befehle, doch keine verschiedenen Briefköpfe überliefert sind. Vern. Hahn, 4./5. 4. 1968, CEGES, AA 377/VII, Bl. 1279 ff. 117 Bargen an AA, 8. 8. 1942, PA-AA, R 100862, Bl. 43. Zum Folgenden s. Steinberg, Persécution, S. 233 ff., und Schram, Convocations. 118 Meldungen aus Belgien und Nordfrankreich Nr. 16/42, 15. 8. 1942, BAB, R 58/6399. 119 Vgl. Dickschen, École, S. 217 f. 120 Die von Schram ermittelte Maximalzahl basiert auf den Transportlisten, in denen die Nummer des Arbeitseinsatzbefehls ggf. vermerkt wurde, und auf Unterlagen der AJB (s. Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz, Bd. 1, S. 143). Der Vergleich mit anderen Quellen zeigt jedoch, dass auch die von den deutschen Repressionsorganen verhafteten Juden in manchen Fällen auf der Transportliste mit einer solchen Nummer verzeichnet sind. Dies gilt bspw. für Erich Berwin (s. Kap. III, S. 91) und für die Familie Rubens/Lindheimer (s. Kap. IV, S. 116 f.). Weitere Beispiele ließen sich anführen. 121 Bericht Polizei Brüssel-Saint-Gilles, 15. 8. 1942, AVB, Police 40–45, boîte 41. 122 Siehe Maxime Steinberg/José Gotovitch, Otages de la terreur nazie. Le Bulgare Angheloff et son groupe de Partisans juifs. Bruxelles, 1940–1943, Brüssel 2007. 123 Dass die Deportation von 10 000 Juden aus Belgien am 15. September 1942 abgeschlossen werden sollte, stand spätestens am 8. August fest. Schreiben Bargen v. 8. 8. 1942 (Anm. 117). 124 Siehe auch zum folgenden Saerens, Vreemdelingen, S. 601 ff. 125 Die genannten Zahlen entsprechen dem Umfang deutscher Exekutivkräfte, die das
Anmerkungen zu S. 44–49
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Judenreferat für eine kurz darauf angesetzte zweite Razzia in Antwerpen zur Verfügung hatte. Bericht Polizeikommissariat Deurne, 29. 8.1942, MJDR, A000846. 126 Steinberg und Schram haben diese Zahl anhand des Vergleichs der Transportlisten mit den Meldeadressen der Deportierten ermittelt, s. Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz, Bd. 1, S. 153 ff. Saerens’ Angaben weichen hiervon ab, weil sie sich auf ältere Schätzungen Steinbergs aus den 1980er Jahren beziehen. 127 Meldungen aus Belgien und Nordfrankreich Nr. 17/42, 31. 8. 1942, BAB, R 58/6399. Es dürfte sich um jenes Flugblatt handeln, dessen Verbreitung die Antwerpener Polizei am 21. 8. 1942 registrierte (Saerens, Vreemdelingen, S. 605). 128 Auch zum folgenden: Bericht Polizeikommissariat Deurne, 29. 8.1942, MJDR, A000846; Dienstbefehl Hauptkommissar Antwerpen (De Potter), 27. 8. 1942, MJDR, A001072. Vgl. Steinberg, Cent jours, S. 211 ff.; Saerens, Vreemdelingen, S. 608 ff. 129 Bekanntmachung MVChef, 23. 7.1942, AVB, Police 40–45, boîte 39. Siehe auch MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 21, 15. 9. 1942, BA-MA, RW 36/190, S. A 10. 130 Steinberg/Schram (wie Anm. 126). Saerens’ Angaben weichen hiervon ab, weil sie sich auf die belgischen Polizeiberichte, nicht auf die Zahl der deportierten Juden beziehen. Zur Durchführung der Razzia s. Saerens, Vreemdelingen, S. 610 ff. 131 Steinberg spricht wörtlich von einem „Vel’ d’Hiv ‚belge‘“; Persécution, S. 20, vgl. S. 134 f. 132 Tasseel (Polizei Brüssel) an Coelst, 3. 9. 1942; Coelst an Thomas, 3. 9. 1942, AVB, Police 40–45, boîte 39. Majerus (Logiques administratives) hat diese Fakten erstmals ermittelt. 133 Vern. Georg E., 14. 5.1969, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Bd. 37, Bl. 615 ff. Diese Aussage muss sich auf die Razzia vom 3. 9.1942 beziehen, da die Deutschen vor September 1943 keine weitere Razzia in Brüssel durchführten und E. nur bis zum Frühjahr 1943 in Brüssel eingesetzt war. 134 Siehe Loncin, Rafle, S. 89 ff. Auch ein Überlebender der Shoah, der bei dieser Razzia verhaftet worden ist, hat angegeben, dass Feldgendarmerie und Gestapo zusammenwirkten. Vern. Moer Badler, 3. 8. 1945, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 21. 135 Bericht Polizei Brüssel 2. Division, 3. 9.1942, AVB, Police 40–45, boîte 41. Der Bericht wird bei Majerus (Logiques administratives, S. 208) vollständig zitiert. Wenn Majerus vermutet und Wouters (in: Van Doorslaer u. a., La Belgique docile, S. 596) behauptet, die beiden Beamten hätten bei der Razzia mitgewirkt, so fehlt hierfür jeglicher Beleg. 136 Steinberg/Schram (wie Anm. 126). 137 Ebd. Die wesentlich höheren Zahlenangaben bei Saerens (Jodenjagers, S. 136) beruhen auf überholten Schätzungen Maxime Steinbergs aus den 1980er Jahren und beziehen irrtümlicherweise mehr als 500 Personen mit ein, die die Deutschen keineswegs in Antwerpen, sondern in Nordfrankreich verhafteten. Zum folgenden s. Steinberg, Persécution, S. 292 ff. 138 Meldungen aus Belgien und Nordfrankreich Nr. 17/42, 31. 8. 1942, BAB, R 58/6399. Auf eine kritische Bewertung der BdS-Berichte wird in Kap. V eingegangen. 139 Vgl. Saerens, Vreemdelingen, S. 620 f., der Autor kommt zu anderen Schlussfolgerungen. 140 AJB Antwerpen an AJB-Vorstand, 22. 9. 1942, MJDR, A002863.1. Vgl. Steinberg, Cent jours, S. 228; Saerens, Vreemdelingen, S. 637 ff.; Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz, Bd. 1, S. 164 f. 141 Vgl. Saerens, Vreemdelingen, S. 615 ff., S. 626 ff.; Van Doorslaer u. a., La Belgique docile, S. 587 ff. (Wouters).
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Anmerkungen zu S. 50–56
Siehe Rozenblum, Cité. In Lüttich lebten im Mai 1940 insgesamt 2.560 Juden. Etwa 700 von ihnen fielen der Shoah zum Opfer. 143 Vern. Heinz B., 3. 10. 1968, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Bd. 37, Bl. 363 ff. B. war nicht in der für Juden zuständigen Abt. der Außendienststelle tätig. 144 Rozenblum, Cité, S. 44 f. Ich danke Thierry Rozenblum für zusätzliche Informationen zur Deportation der Juden aus Lüttich. 145 Meldungen aus Belgien und Nordfrankreich Nr. 18/42, 15. 9. 1942, BAB, R 58/6399; MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 21, 15. 9. 1942, BA-MA, RW 36/190, S. A 38, Auszug abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 44 f. 146 Bargen an AA, 24. 9. 1942, abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 45. 147 Vm. Ahnert, 1. 9. 1942 betr. „Tagung beim Reichssicherheitshauptamt am 28. 8. 1942 über Judenfragen“, abgedr. in: Klarsfeld, Vichy-Auschwitz, S. 469 f. 148 MVChef polit (gez. Reeder) an Verw.Chefs OFK u. FK, 25. 9.1942, AG, Procès Falkenhausen, pièce 2394; s. hierzu auch: Reeder an Ehlers, 30. 9. 1942, ebd. pièce, 2396. Ich danke Maxime Steinberg für die freundliche Überlassung von Kopien. 149 Eine unter Crull in der Lagerverwaltung eingesetzte Jüdin musste an der Reise in die OT-Lager nach Nordfrankreich teilnehmen. Vern. Anna L., 17. 3.1949, CEGES, AA 377/XII, Bl. 2291 ff. 150 Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz, Bd. 1, S. 295 f. Die dort angeführten, von Schram ermittelten Zahlen liegen etwas höher als die älteren Angaben des belgischen Kriegsopferdienstes („Statistique des entrées au camp de rassemblement de Malines établie d’après les relevés journaliers repris dans les listes officielles des convois“, 15. 7. 1987, SVG, R706/Tr272.394). Faktisch dürfte sich in vielen Fällen nicht ermitteln lassen, ob die nach Auschwitz deportierten ehemaligen Zwangsarbeiter direkt aus den OT-Lagern überführt oder im Anschluss an eine Flucht oder Freilassung aus diesen Lagern später erneut verhaftet wurden. Bei Schrams Angaben handelt es sich daher um Maximalzahlen. 151 Zu einer gegenteiligen Interpretation s. Steinberg (Persécution, S. 273, 275), der eine Intervention von belgischer Seite ausschließt und im Gegenzug betont, dass die SipoSD die belgische Polizei ab der zweiten Septemberhälfte 1942 nicht mehr benötigt habe, weil viele Juden untergetaucht und deshalb Großrazzien nicht mehr durchführbar waren. Doch weshalb sollte Reeder in diesem Fall deutsche Polizeikräfte zur Verfügung gestellt haben, die aufgrund ihrer unzureichenden Orts- und Sprachkenntnisse nicht dazu in der Lage waren, untergetauchte Juden aufzuspüren? 152 Siehe oben S. 38. 153 Zum hier interessierenden Zeitraum: MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 22, 31. 12. 1942, BA-MA, RW 36/191, S. A 4. 154 Steinberg, Cent jours, S. 224 f. 155 Benedictus, Historique du problème juif, S. 29 (CEGES). 156 AJB-Antwerpen an AJB-Vorstand, 22. 9. 1942, MJDR, A002863.1; Majerus, Logiques administratives, S. 213, Anm. 83. 157 Benedictus, Rapport sur l’arrestation (CEGES). Zum folgenden: Schuind an Reeder, 28. 9. 1942; Craushaar an Schuind, 30. 9. 1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 184; Van den Berg, Journal de guerre, S. 73 (SVG). 158 Reeder an Ehlers, 30. 9. 1942, AG, Procès Falkenhausen, pièce 2396. 159 Dickschen, École, S. 217 ff. Zu Einzelverhaftungen an den Markenbüros s. Kap. IV. 160 AJB-Antwerpen Tätigkeitsbericht, 6. 11. 1942, MJDR, A003188.1; Zusammenfassung Besprechung Workum u. Seyfert, 20. 1. 1943, MJDR, Archives Maxime Steinberg. 161 BdS IV B 3 (Erdmann), „Einsatzplan“, 1. 9.1943, abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg,
Anmerkungen zu S. 56–61
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Dokumente, S. 78 ff. Zur Beteiligung des DSK an der Großrazzia vom September 1943: CEGES, AA 585/80.2, 111. 162 Der an der Razzia beteiligte Nachfolger Erdmanns im Judenreferat, Felix Weidmann, hat angegeben, dass auch Feldgendarmerie und GFP eingesetzt worden seien. Vern. Weidmann, 16. 2. 1968, CEGES, AA 377/VI, Bl. 1117 ff. 163 Kollegium der Generalsekretäre, Sitzungsprotokoll v. 8. 9. 1943, CEGES, L3. Die dort angeführten Angaben zur Zahl der Opfer in Brüssel und Antwerpen, die sich in der gesamten Literatur finden, sind möglicherweise leicht überhöht. 164 Erdmann an Außendienststelle Antwerpen, 1. 9. 1943, abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, S. 77; Saerens, Vreemdelingen, S. 642. Zum Folgenden s. Steinberg, Traque II, S. 217 ff. 165 Platteau (Justizministerium), Vm. Besprechung mit Streit (politischer Referent Reeders), 6. 9. 1943, CEGES, AA 278, pièce 2414. Siehe auch Van den Berg, Journal de guerre, S. 114 ff. (SVG). 166 Dass die Militärs sich generell als Vertreter einer Politik des geringeren Übels zu präsentieren wussten, trug wesentlich dazu bei, die Kooperationsbereitschaft der belgischen Stellen und Eliten zu sichern. Vgl. Warmbrunn, German Occupation. 167 Luther an Bargen, 4.12. 1942, ADAP, Serie E, Bd. IV, Nr. 254; Bargen an AA, 5. 1. 1943; Erdmann an Lagerverwaltung Malines, 29. 6.1943, abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 55, 60, 70; Vm. Straub (Leiter BdS IV), 26. 7.1943, CEGES, AA 558, abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 74 (dort irrtümlich datiert auf 28. 7.1943); Bericht Reeder, 4. 4. 1949, CEGES, AA 278, pièce 230, S. 19. 168 Knochen an Müller (RSHA IV), 12. 2. 1943, abgedr. in: Klarsfeld, Vichy-Auschwitz, S. 504 f. Vgl. die Interpretation Klarsfelds, ebd., S. 239 f. 169 Vgl. Schreiber, La Belgique et les Juifs, S. 81 f. 170 Steinberg, Traque II, S. 226 ff.
2. Die jüdische Zwangsvereinigung 1
VOBlB, S. 798. MVChef fürs Referat J (Duntze), Vm. über eine Besprechung betr. „Errichtung einer Vereinigung der Juden in Belgien“, 15. 10. 1941, AN, AJ 40/52, dossier 14. Siehe auch: MVChef fürs Referat J (Duntze), Stellungnahme, 30. 9. 1941, ebd. 3 MVChef, Verordnung über das jüdische Schulwesen, 1.12. 1941, VOBlB, S. 801. Zum Ausschluss der Juden aus den öffentlichen Bildungseinrichtungen und zu den Kinderhorten und Schulen der AJB s. Dickschen, École. 4 Moniteur belge, 21. 3. 1942, S. 1736, MJDR, A000895. 5 MVChef polit/volk (gez. Reeder), „Bestallungsurkunde“, 24. 12. 1941, CEGES, mic 41. Zu den folgenden Angaben s. in dem Band „Les Curateurs“ vor allem die Einleitung der Hrsg. Jean-Philippe Schreiber u. Rudi Van Doorslaer sowie den Beitrag von André Donnet (L’Instruction par la justice militaire: un non-lieu de mémoire). 6 MVChef fürs Referat J (Duntze) an AJB, 25. 3. 1942, MJDR, A007397; Sitzungsprotokoll AJB-Vorstand, 19. 3. 1942, SVG, R497/Tr146.665. 7 Vgl. seine Aktenüberlieferung zum Referat J, AN,AJ 40/52, dossiers 10–14. Siehe auch Vern. Duntze, 21. 9.1970, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Bd. 37 b. 8 Vern. Hahn, 21. 4. 1948, CEGES, AA 279, pièce 427. 9 Vern. Hahn, 4. 2. 1950, CEGES, AA 279, pièce 380. 10 AJB, Bericht Besprechung Asche mit Benedictus u. Pinkous, 17. 4. 1942, SVG, R497/ Tr146.665. 2
200 11
Anmerkungen zu S. 62–67
Aktenvm. RmfdbO Einsatzleitung Belgien (Mader) betr. „M-Aktion-Erlassentwurf“, 10. 8. 1942, abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 40; Falkenhausen an (Ober-) Feldkommandanturen betr. „Möbel und Haushaltungsgegenstände aus Judenbesitz“, 7.12. 1943, SVG, R123/Tr 48.282. Zum Devisenschutzkommando s. Kap. III. 12 RSHA IV B 4 an alle Stapo(leit)stellen u. den Beauftragten des Chefs der Sicherheitspolizei u. d. SD für Belgien und Frankreich, 20. 5. 1941, Nbg. Dok. NG-3104; RSHA IV B 4 (Müller) an den Beauftragten des Chefs der Sicherheitspolizei u. d. SD für Belgien und Frankreich, 23. 10. 1941, abgedr. in: Peter Longerich (Hrsg.), Die Ermordung der europäischen Juden. Eine umfassende Dokumentation des Holocaust 1941–1945, München 1989, S. 82. 13 Zehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz, 4.7. 1939, RGBl. 1939, I, S. 1097. 14 Verordnung Reeders v. 17.1.1942, VOBlB, S. 836. 15 Siehe Götz Aly, „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden, Frankfurt am Main, 1995, S. 268–279, 392 f. 16 MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 16, 9. 5. 1941, S. A 23, BA-MA, RW 36/186. 17 Brüsseler Zeitung, 7.12. 1941. 18 MVChef staat an MVChef fürs Referat J, 7. 2. 1942, AN, AJ 40/52, dossier 13. 19 AJB, Protokolle Besprechung Löffler (MVChef kult) u. Hahn mit Van den Berg u. Benedictus, 8. 4. 1942, sowie Besprechung Asche mit Benedictus u. Pinkous, 17. 4.1942, SVG, R497/Tr146.665. 20 AJB, Protokoll Besprechung Asche mit Benedictus u. Nozice, 27. 4. 1942, SVG, R497/ Tr146.665. 21 Benedictus, Historique du problème juif, S. 24 (CEGES). Siehe auch Sitzungsprotokoll AJB-Vorstand, 16. 7.1942, SVG, R497/Tr146.665. 22 Benedictus an Asche, 11. 5. 1942, MJDR, A007402. 23 AJB-Vorstand an Ortskomitees, 11. 5. 1942, MJDR, A0027619. 24 Zur Sozialfürsorge der AJB s. Catherine Massange, La politique sociale, in: Schreiber/Van Doorslaer, Les Curateurs, S. 277–316. 25 Siehe Kap. I, S. 29. 26 Siehe Steinberg, Persécution, S. 233 ff., insbesondere S. 238 f. 27 Sitzungsprotokoll AJB-Vorstand u. AJB-Brüssel, 1. 8.1944, SVG, R497/Tr202.700. 28 Siehe ausführlich hierzu, Schram, Convocations. 29 Faksimile in: L’Exposition belge à Auschwitz, S. 97. Siehe Steinberg, Persécution, S. 244 ff. 30 Vm. Ahnert, 1. 9. 1942 betr. „Tagung beim Reichssicherheitshauptamt am 28. 8. 1942 über Judenfragen“, abgedr. in: Klarsfeld, Vichy-Auschwitz, S. 469 f. 31 Vgl. Meyer, Täter im Verhör, S. 238 ff. Schon im Lager Malines wurde ein Teil der Hilfslieferungen für die Besatzer abgezweigt, die infolgedessen eine reichliche Verpflegung genossen. Vern. Anna L., 17. 3. 1949, CEGES, AA 377/XII, Bl. 2291 ff.; Vern. Benno W., 20. 4. 1968, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Bd. 37, Bl. 298 ff. 32 AJB-Brüssel an MVChef med, 4. 2. 1943, AN, AJ 40/57, dossier 1 a; AJB-Antwerpen an Sipo-SD Antwerpen (II c), Tätigkeitsbericht, 5. 3. 1943, MJDR, A0032011; Sitzungsprotokoll AJB-Vorstand u. AJB-Brüssel, 27. 10. 1943, SVG, R497/Tr202.700. 33 AJB, Gesprächsprotokolle Sipo-SD, 10.10.1942, 23. 10. 1942, 10. 11.1942, 14.11. 1942, SVG, R497/Tr146.665; Sitzungsprotokoll AJB-Vorstand u. AJB-Brüssel, 30. 3. 1944, SVG, R497/Tr202.700. 34 Massange, La politique sociale, S. 296 f., 307 f., 315. Zu den historiographischen und politischen Kontroversen über die Verbindungen zwischen AJB und CDJ s. Einleitung u.
Anmerkungen zu S. 67–73
201
Schlussteil der Hrsg. in: Schreiber/Van Doorslaer, Les Curateurs, S. 5–25; 433–466. Zum CDJ siehe S. 183, 248 f. 35 AJB, Protokoll Besprechung Asche mit Benedictus u. Nozice, 27. 4. 1942, SVG, R497/ Tr146.665. 36 AJB, Gesprächsprotokolle Sipo-SD, 27. 10. 1942, 30. 10. 1942, 10.11. 1942, 14.11.1942, SVG, R497/Tr146.665; Benedictus, Historique du Problème juif, S. 29 (CEGES). 37 Steinberg, Cent jours, S. 115. 38 Hans Berlin an Salomon Ullmann, 10. 1. 1942, CEGES, mic 41; Felix Meyer an AJBVorstand, 3. 6. 1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 11. 39 AJB, Protokoll Besprechung Gentzke (OFK Brüssel) mit Ullmann u. Benedictus, 6. 6. 1942, SVG, R497/Tr146.665. 40 AJB, Protokoll Besprechung Asche mit Benedictus u. Berlin, 7.7. 1942, SVG, R497/ Tr146.665; AJB Abt. Eingaben an Lagerkommandant Malines, 5. 9. 1942, MJDR, AJBCNHEJ, 14; AJB-Antwerpen an Sipo-SD Antwerpen (IIc), 12. 9.1942, MJDR, A005517; AJB, Protokoll Besprechung Hahn mit Benedictus u. Nozice, 14. 8. 1942, SVG, R497/ Tr146.665. 41 Siehe Kap. I, S. 43. 42 Benedictus, Rapport sur l’arrestation (CEGES); Ullmann, Report on the Nazi period (CEGES); Van den Berg, Journal de guerre, S. 57 f. (SVG). 43 AJB, Gesprächsprotokoll Sipo-SD, 27. 10. 1942, SVG, R497/Tr146.665; Schuind (Generalsekretär Justizministerium) an Salomon Ullmann, 6.11. 1942, CEGES, mic 41. 44 Thierry Rozenblum, Une illustration locale: Le Comité de Liège de l’AJB, in: Schreiber/Van Doorslaer, Les Curateurs, S. 345–371, hier S. 366. 45 Reeder an Oberfeld-, Feld- und Kreiskommandanturen, 4. 9.1941, BA-MA, RW 36/ 231. 46 AJB-Antwerpen an AJB-Vorstand, 22. 3. 1942, MJDR, A004714.1–3; FK Antwerpen (Seyfert) an AJB-Antwerpen, 25. 4. 1942, CEGES, mic 41. 47 MVChef med (Holm) an Craushaar, 5. 10. 1942, AN, AJ 40/57, dossier 1a. 48 MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 21, 15. 9. 1942, BA-MA, RW 36/190, S. A 38; AJB, Allgemeiner Bericht zur Tätigkeit der Arbeitseinsatzdienststelle, o. D. [Sommer 1942], MJDR, A005220. Vgl. Kap. IV, S. 121 f. 49 Dan Diner, Historisches Verstehen und Gegenrationalität. Der Judenrat als erkenntnistheoretische Warte, in: Frank Bajohr (Hg.), Zivilisation und Barbarei: Die widersprüchlichen Potentiale der Moderne, Hamburg 1991, S. 307–321, hier S. 313. 50 AJB-Antwerpen an Sipo-SD Antwerpen (IIc), 12. 9.1942, MJDR, A005516. 51 Siehe zu den folgenden Angaben: Benedictus an Leiber, 18. 6. 1942, MJDR, AJBCNHEJ, 11; AJB Eingabestelle (Berlin) an Sipo-SD Antwerpen (IIc), 24. 6. 1942; Bericht AJB-Vorstand v. 26. 6. 1942; undatierter Bericht zu Übergriffen auf Juden in Antwerpen; Aktennotiz AJB-Antwerpen (Workum) zu Unterredung mit FK (Seyfert), 3. 7. 1942, MJDR, A003178, A002912, A004526, A004528, A002913. 52 AJB-Antwerpen an FK Antwerpen (Polizeireferat), 6. 12. 1942; FK Antwerpen (Polizeireferat), an AJB-Antwerpen, 9. 12. 1942, MJDR, A002930, A002932). 53 Steinberg, Traque I, S. 218 f., 225 f. (Anm. 67, 68). 54 Aktenvermerk RmfdbO Einsatzleitung Belgien (Mader) betr. „M-Aktion-Erlassentwurf“, 10. 8. 1942, abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 40. 55 AJB Eingabestelle an RmfdbO Brüssel, 30. 8.1943; AJB, „Aktennotiz betr. das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete“, 19. 11. 1943, MJDR, AJB-CNHEJ, 16.
202 56
Anmerkungen zu S. 73–76
AJB Eingabestelle (Berlin), Bericht zu Unterredungen mit Asche, Lausmann u. GFP am 13., 16., 17. 5.1942, MJDR, A007403. 57 Ebd. 58 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg, Nürnberg 1947–1948, Bd. V, S. 57 f. (Völkischer Beobachter v. 29. 3. 1941). 59 Vm. Dannecker (Judenreferent Sipo-SD Paris) betr. „Abschub von 5000 Juden aus Frankreich“, 10. 3. 1942, abgedr. in: Klarsfeld, Vichy-Auschwitz, S. 402. Dannecker hielt im Besprechungsprotokoll fest, Eichmann habe der Deportation von mehreren tausend Juden aus Frankreich „unter Zurückstellung des unmittelbar im Anschluss an meine Bitte vorgebrachten Antrages des Brüsseler Judenreferenten“ zugestimmt. 60 AJB, Protokoll Besprechung Rodenbüsch (BdS II C) mit Benedictus u. Pinkous, 1. 6. 1942; Protokoll Besprechung Leiber (MVChef pol) mit Benedictus u. Pinkous, 4. 6. 1942, SVG, R497/Tr146.665. Auch den verantwortlichen Referenten der Militärverwaltung war bekannt, dass nach den letzten, seinerzeit erlassenen antijüdischen Verordnungen mit der Deportation der Juden aus Belgien zu rechnen war. MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 20, 15. 6. 1942, BA-MA, RW 36/189, S. A 50, zitiert in Kap. I, S. 30 f. 61 AJB, Protokoll Besprechung Hahn mit Benedictus u. Nozice, 14. 9. 1942, SVG, R 497/ Tr146.665. Auch im Jahr 1943 bemühte sich die AJB weiterhin um Auskünfte nach dem Verbleib der Deportierten. Siehe Aussagen Hans Berlin, 13. 2. 1948, AG, dossier Siegburg, und Maurice Heiber, 25. 2. 1949, AG, dossier Boden. 62 AJB, Protokoll Besprechung Erdmann u. Asche mit Rosenfeld, 6.1.1943; Sitzungsprotokoll AJB-Vorstand, 21. 1. 1943, SVG, R497/Tr146.665. Den überlieferten Meldungen des BdS zufolge wurden bereits Ende September 1942 die ersten Mitteilungen aus Auschwitz in Belgien registriert, doch finden sich hierzu keine weiteren Hinweise. Meldungen aus Belgien und Nordfrankreich Nr. 19/42 v. 1.10.1942, BAB, R 58/6399. 63 Sitzungsprotokoll AJB-Vorstand, 18. 2. 1943, SVG, R497/Tr146.665; AJB-Brüssel, Tätigkeitsbericht f. d. Monate Februar, März u. April 1943, SVG, R715/Tr 248.745. 64 Zur Postkartenaktion vgl. Stéphane Courtois u. Adam Rayski, Qui savait quoi. L’Extermination des Juifs, 1941–1945, Paris 1987, S. 170; Georges Wellers, De Drancy à Auschwitz, Paris 1946, S. 71; Louis de Jong, Die Niederlande und Auschwitz, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 17 (1969), S. 1–16, hier S. 2, 14. 65 Vgl. Steinberg, Traque I, S. 257. 66 Da die Protokolle von den Vertretern der AJB geschrieben wurden und den Deutschen vorgelegt werden mussten, kann man davon ausgehen, dass sie den offiziellen Teil der Gespräche im wesentlichen zuverlässig wiedergeben, während sie selbstverständlich keine Hinweise auf inoffizielle Absprachen wie die nachweislich von Asche und Erdmann erhobenen Bestechungsgelder liefern. Im übrigen verzichtete die AJB auf die Niederschrift antisemitischer Beschimpfungen. 67 AJB, Protokoll Besprechung Asche mit Benedictus u. Pinkous, 17. 4. 1942, SVG, R497/Tr146.665. 68 Siehe ausführlich Kap. I, S. 27 ff. 69 Benedictus, Historique du Problème juif, S. 24 (CEGES). Vgl. Steinberg, Persécution, S. 236 ff. 70 Ullmann, Report on the „Association des Juifs“, S. 3 (CEGES), s. ebd. auch Ullmanns Report on the Nazi period. 71 Benedictus, Historique du Problème juif, S. 23 (CEGES). 72 Ebd., S. 17 f.
Anmerkungen zu S. 77–84
203
73
AJB-Vorstand an Ortskomitees, 12. 8. 1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 13. Siehe auch Benedictus, Historique du Problème juif, S. 24 (CEGES). 74 Benedictus, Historique du Problème juif, S. 27 (CEGES); Sitzungsprotokoll AJBVorstand, 7. 9. 1942; AJB, Protokoll Besprechung Hahn mit Benedictus u. Nozice, 14. 9. 1942, SVG, R497/Tr146.665. 75 Vm. Aspremont (Kabinett König Léopold III), 12. 8.1942, MJDR, A000494.2; Vern. Felix Weidmann, 16. 2. 1968, CEGES, AA 377/VI, Bl. 1117, S. 19; Vern. Reeder, 21. 3.1950, CEGES, AA 278, pièce 2425. 76 AJB, Protokoll Besprechung Hahn mit Benedictus u. Nozice, 14. 9. 1942, SVG, R497/ Tr146.665; AJB-Antwerpen an Sipo-SD Antwerpen (Holm), 27. 9. 1942, MJDR, A003185.1; AJB-Antwerpen an FK Antwerpen (Seyfert), 27. 9. 1942, MJDR, A002918.1; AJB-Antwerpen an FK Antwerpen (Leiber), 4.12. 1942, MJDR, A005312, A005313. Zu den folgenden Angaben s. Kap. I, S. 54 f. 77 Siehe das in Kap. I, S. 51, zitierte Schreiben Reeders vom 25. 9. 1942. 78 Siehe die oben zitierte Äußerung von Günter Heym (S. 72 f.). 79 AJB, Protokoll Besprechung Hahn mit Workum u. Benedictus, 8. 10. 1942, SVG, R497/Tr146.665; Benedictus u. Workum an Hahn, 9. 10. 1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 11. 80 AJB, Protokoll Besprechungen Asche mit Rosenfeld am 10. u. 14.11. 1942, SVG, R497/Tr146.665. Zum Folgenden: Benedictus, Historique du Problème juif, S. 30 (CEGES). 81 Vm. Straub (Leiter BdS IV), 26. 7. 1943, CEGES, AA 279, pièce 0417, abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 74 (dort irrtümlich datiert auf 28. 7. 1943). 82 Steinberg, Traque II, S. 229 ff. Vgl. Schreiber, La Belgique et les Juifs, S. 62, 84 f. 83 AJB, Protokoll Besprechung Erdmann u. Asche mit Rosenfeld, 6. 1. 1943, SVG, R497/Tr146.665. 84 AJB-Antwerpen an Lagerleiter Malines, 30. 4. 43, MJDR, A003461. 85 Sitzungsprotokoll AJB-Vorstand, 22. 7. 1943, SVG, R497/Tr146.665. 86 Siehe hierzu Massange, La politique sociale, S. 300 ff. 87 MVChef fürs an belgisches Innenministerium, [13. VIII.1942 – Entwurf], 17. 9.1942, AN, AJ 40/52, dossier 14. 88 FK Antwerpen an Jongenstehuis Antwerpen-Mortsel, 6. 7. 1943, MJDR, AJBCNHEJ, 10; Schreiben FK Antwerpen (Leiber) an AJB-Antwerpen v. 27. 10. 1942 u. 13. 11. 1942, MJDR, A002923.1, A002926.1; Garfinkels, Les Belges face à la persécution, S. 81 f.; Lucien Steinberg, Le Comité de défense, S. 91 f. 89 Steinberg, Traque II, S. 222 f. Zum folgenden s. ebd., S. 236 ff. und Massange, La politique sociale, S. 313 f. 90 AJB, „Aktennotiz betr. das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete“, 19. 11. 1943, MJDR, AJB-CNHEJ, 16.
3. Wie wurden die Juden in Belgien verhaftet? 1
Vgl. S. 238. Den im folgenden begründeten Perspektivwechsel in der Forschung habe ich erstmals 2005 dargestellt in: Face à la traque. Die dort angeführten Zahlen zu den großen Verhaftungsaktionen stützten sich auf Steinberg, Persécution. Da Steinberg seine Zahlenangaben inzwischen überprüft, geringfügig korrigiert und erweitert hat, beziehe ich mich im folgenden auf seine jüngste Veröffentlichung: Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz. 3 Siehe Kap. I, S. 43. 4 Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz, Bd. 1, S. 153. (In einer hiervon abweichenden, 2
204
Anmerkungen zu S. 84–88
ebd., S. 147, abgedr. Gesamtberechnung werden die Razzien in den Antwerpener Lebensmittelmarkenbüros vom 22./23. 9. 1942 irrtümlicherweise zweimal veranschlagt). 5 Kap. I, S. 52 f. 6 Diese Verhaftungsaktionen brachten 175 Juden aus Lüttich und 514 Juden aus Nordfrankreich in das Lager Malines. Zu Lüttich s. Rozenblum, Cité, und Kap. I, S. 49 f., zu der Razzia in Nordfrankreich: OFK Lille, Lagebericht, 31. 10. 1942, CEGES, L 3/22, S. 6, sowie Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz, Bd. 1, S. 153. 7 Vgl. Klarsfeld, Vichy-Auschwitz, sowie Griffioen/Zeller, Judenverfolgung, Teil I. Dieser sehr aufschlussreiche Aufsatz weist allerdings in Bezug auf Belgien einige Irrtümer auf, die insbesondere die Zahlenangaben betreffen. 8 Saerens, Vreemdelingen. 9 Vgl. Kap. I, S. 46 f. 10 Zu den Zahlenangaben s. Adriaens u. a. (wie Anm. 4). 11 Ministère de la Santé publique (Brüssel), „Liste des israélites domiciliés en Belgique au 10 mai 1940, internés dans des camps de travail forcé du nord de la France, employés par des firmes effectuant des travaux pour l’Organisation Todt, transférés dans les camps de rassemblement de Malines, de Drancy, au camp de concentration de Breendonk et dans les prisons belges. Déportés, évadés, libérés et décédés“, 1978, SVG. 12 Erst im Juni 1943 übernahmen die Deutschen selbst die Kontrolle über das Lager Drancy. Zu den Lagern Breendonk und Malines siehe Kap. I, S. 18, 41. 13 Klarsfeld, Vichy-Auschwitz, S. 22. 14 AVB, Police 40–45. Siehe ausführlich, auch zur Auseinandersetzung mit der jüngeren belgischen Forschung Kap. V. 15 Saerens, Vreemdelingen, S. 606 ff., 623 f.; s. auch französische Fassung, Étrangers, S. 729 f., 751. Ich danke Lieven Saerens für zusätzliche Auskünfte. 16 Zu einzelnen Hinweisen auf das DSK s. für die Niederlande: Gerard Aalders, Geraubt! Die Enteignung jüdischen Besitzes im Zweiten Weltkrieg, Köln 2000; für Frankreich: Mission d’étude sur la spoliation des Juifs en France [Mission Mattéoli], Rapport général, Paris 2000, sowie: La spoliation financière, hrsg. von Claire Andrieu, 2 Bde., Paris 2000, und für Belgien: Les Biens des victimes, sowie Laureys, Meesters van het diamant. 17 Reichsfinanzministerium (RFM) an Oberfinanzpräsident Köln, 19. 4. 1941, Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (HStAD), BR 1336, Nr. 17. Ein umfangreicher, von der Forschung bislang kaum berücksichtigter Aktenbestand des DSK Belgien ist in Brüssel überliefert (CEGES, AA 585). Zusätzliche Angaben zum Personal und zu den Unterstellungsverhältnissen finden sich insbesondere in zwei Dossiers der Personalstelle bzw. der Wirtschaftsabteilung der Brüsseler Militärverwaltung (GRMA, T78/R61; T77/R1217). Zur Einflussnahme Görings siehe ferner: Oberfinanzpräsident Köln an Regierungspräsident Aachen, 18. 6. 1940, HStAD, Reg. Aachen, Nr. 19988, Bl. 32; Schreiben Leiter DSK Belgien, 12. 9. 1940, BA-MA, RW 36/327; MVChef, Abschlussbericht, 10. Teil (Devisenverkehr), o. D. [1944], CEGES, AA 577/7, S. 10. 18 Zur Tätigkeit der Zollfahndungsstellen s. Wolfgang Leesch/Ilse Birkwald/Gerd Blumberg, Geschichte der Finanzverfassung und -verwaltung in Westfalen seit 1815, Münster 1998; Martin Friedenberger/Klaus-Dieter Gössel/Eberhard Schönknecht (Hg.), Die Reichsfinanzverwaltung im Nationalsozialismus. Darstellung und Dokumente, Bremen 2002, S. 10–94; Susanne Meinl/Jutta Zwilling, Legalisierter Raub. Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzverwaltung in Hessen, Frankfurt 2004.
Anmerkungen zu S. 88–92 19
205
Die bereits 1931 eingeführte Reichsfluchtsteuer diente nach 1933 als eines derjenigen Mittel, den aus Deutschland emigrierenden Juden ihr Vermögen zu entziehen. 20 Diese und die folgenden Angaben stützen sich auf zwei überlieferte Dossiers des RFM zum Devisenfahndungsamt bzw. zu den Zollfahndungsstellen (1938–1941), BAB, R 2/5927, 6000; sowie auf die Akten R 2/Anh./82 und R 58/239. Vgl. Peter Longerich, Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, München 1998, S. 124. 21 Vgl. hierzu genauer: Meinen, Deportation der Juden aus Belgien, S. 60. 22 Vm. MVChef Wi (Domke), 14. 5. 1943, GRMA, T77/R1217. Zur Person Staffeldts (29. 7. 1905 in Potsdam geboren, 1930 NSDAP, 1933 Ausschluss aus SA wegen Gehorsamsverweigerung): BAB (ehem. BDC), RS, PK. 23 Einem Erlass des RSHA zufolge wurde das DSK Frankreich dem 1940 eingesetzten Beauftragten des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD für Frankreich und Belgien unterstellt. Sofern es sich hierbei nicht um einen Irrtum handelte, galt diese Regelung lediglich zu Beginn der Besatzungszeit. Spätestens ab Juni 1941 unterstand das DSK Frankreich auf Befehl des Heeresoberkommandos dem Militärbefehlshaber (MBF). RSHA Amt I betr. „Organisation des Einsatzes der Sicherheitspolizei und des SD in Frankreich und Belgien“, 24. 8. 1940, HStAD, Rep. 158, Nr. 1698; MBF Verwaltungsstab an Kommandant von Groß-Paris betr. „Zugehörigkeit des Devisenschutzkommandos Frankreich“, 2. 2. 1942, BAB, R 2/Anhang/82. 24 Vm. MVChef Personalabt., 11. 4. 1942, GRMA, T78/R61; Vm MVChef Wi (Domke), 1. 6. 1943, GRMA, T77/R1217. 25 Devisenverordnung des Militärbefehlshabers für die besetzten Gebiete Belgiens, Luxemburgs und Nordfrankreichs, 17. 6.1940, VOBlB, S. 51. Bis Mitte 1942 wurden insgesamt zehn Durchführungsverordnungen erlassen. 26 MVChef, Abschlussbericht, 16. Teil (Treuhandvermögen), o. D. [1944], BA-MA, RW 36/227, S. 79. Vgl. Steinberg, Persécution, S. 83. 27 Laureys, Meesters van het diamant, S. 250 ff. 28 Vm. MVChef Wi (Domke), 14. 5. 1943, GRMA, T77/R1217. Domke war im Generalreferat der Wirtschaftsabteilung für die Verfolgung des sog. Schleichhandels zuständig, an der sich auch das DSK beteiligte, wenngleich es ungeachtet zwischenzeitlicher Planungen Görings niemals offiziell mit der Regulierung des von der Besatzungsmacht angekurbelten Schwarzmarkts beauftragt wurde. 29 Die DSK-Beamten besaßen den Ausweis der Gruppe Geheime Feldpolizei z. b. V. 30 Zu Fritz Berckholz, geb. 5. 4.1898 in Magdeburg, 1940 NSDAP: BAB (ehem. BDC), NSDAP-Gaukartei. 31 BdS IV B 3 (Erdmann), „Einsatzplan“, 1. 9.1943, abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 78 ff. 32 Siehe hierzu folgende Aktendossiers des DSK: CEGES, AA 585/80.2, 111. 33 DSK Brüssel an MVChef Wi XII, 24. 6. 1944, SVG, R494/Tr194.609. Zum Verfahren gegen Erich Berwin: CEGES, AA 585/110, Verf. II 483/42. 34 Leiter DSK Belgien an B. T. betr. „Devisenablieferung der zum Arbeitseinsatz herangezogenen Juden“, 18. 8. 1942, SVG, R494/Tr194.609, siehe hierzu in der gleichen Akte: MVChef Wi Leiter XII an B. T., 15. 10.1942. 35 Vm. DSK Brüssel (Bertrand), 20. 11. 1942, CEGES, AA 585/110, Verf. II 810/42. Karl Hellvoigt, geb. 29. 7. 1906 in Itzehoe, 1933 NSDAP, Mai 1940 Leiter der DSK-Außenstelle Lüttich, leitete spätestens ab Juli 1942 eine Fahndungsgruppe des DSK Brüssel. BAB (ehem. BDC), NSDAP-Gaukartei.
206 36
Anmerkungen zu S. 92–96
Siehe S. 9. Vgl. Jean-Philippe Schreiber, Entre communauté traditionelle et communauté obligatoire, in: ders./Van Doorslaer, Les Curateurs, S. 91–140; ders., La Belgique et les Juifs, S. 79 ff. Zu der organisierten Hilfe siehe S. 131 ff., 183, 248 f. 38 Vm. DSK Brüssel, 23. 10. 1942, CEGES, AA 585/110, Verf. II 717/42. Sofern nicht anders vermerkt, stützen sich die im folgenden angeführten biographischen Angaben zu den aus Belgien deportierten Juden auf die überlieferte Kartei des Brüsseler Judenreferats (SVG, Fichier SD), die Transportlisten der Züge nach Auschwitz (MJDR) und auf folgende Verzeichnisse: Mémorial; www.yadvashem.org; www.joodsmonument.nl; Gedenkbuch. 39 Vm. DSK Brüssel, 7. 8. 1942, CEGES, AA 585/110, Verf. II 456/42. 40 Vm. DSK Brüssel, 4. 9.1942, CEGES, AA 585/110, Verf. II 550/42. Mutter, Vater und Tochter Friedman wurden höchstwahrscheinlich mit dem IX. Transport deportiert, doch die Personenidentität lässt sich nicht zweifelsfrei aufklären. 41 Vm. DSK Brüssel, 18. 11.1942, CEGES, AA 585/110, Verf. II 798/42. Zu den folgenden Angaben siehe: SVG, dossiers SDR für Hans Fritz (* 13. 1. 1912), Monique Fritz (* 3.11. 1938), Margarethe Magier (* 17. 8. 1919) und Szlama Magier (* 15. 3. 1896). 42 Vgl. Meyer/Meinen, Transitland Belgien. 43 Zur Flucht von Juden aus Holland ab 1942 vgl. Avni, The Zionist Unterground; De Jong, Het Koninkrijk der Nederlanden, Bd. 6.1., S. 45 ff.; Steinberg, Traque I, S. 180 ff. 44 Meldungen aus Belgien und Nordfrankreich Nr. 16/42, 15. 8. 1942, BAB, R 58/6399. 45 De Jong, Het Koninkrijk der Nederlanden, Bd. 6.1, S. 36, 45 ff. 46 Siehe Kap. IV. 47 MBB, Allgemeiner Jahresbericht, Juni 1941, CEGES, L3/21, S. B 6 f. Siehe auch: MBB Kdo.Stab Ia, Einsatzgliederung (Stand: 15. 12. 1942), Anlage zum KTB, Bd. 8, BAMA, RW 36/13. Das Grenzwachtregiment Clüver hatte seinen Stab und fünf Kompanien in Brüssel, drei weitere Bataillone waren in der belgischen Provinz stationiert, eines davon in Maria ter Heide, im Norden von Antwerpen. Angehörige dieses Bataillons sowie der in Brüssel stationierten Kompanien verhafteten jüdische Flüchtlinge aus den Niederlanden. Bei dem Grenzwachtregiment Clüver, 1943 umbenannt in Sicherungsregiment 16, handelte es sich um eine Wehrmachteinheit und nicht um den der Reichsfinanzverwaltung angehörenden Zollgrenzschutz, der die meisten Grenzen im deutsch besetzten Europa überwachte. Letzerer war zwar seit 1940 an den holländischen und belgischen Küsten und an der Grenze zu Frankreich eingesetzt (s. unten), doch erst im Mai 1943 wurde er an die niederländisch-belgische Landesgrenze kommandiert. Eine erste kritische Überblicksdarstellung zur Tätigkeit des Zollgrenzschutzes im Zweiten Weltkrieg (Thomas Sandkühler, Von der „Gegnerabwehr“ zum Judenmord. Grenzpolizei und Zollgrenzschutz im NSStaat, in: Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 16 [2000], S. 95–154) geht auf die Überwachung der Grenzen zwischen den Niederlanden, Belgien und Frankreich nicht ein. 48 Siehe bspw.: FK Antwerpen Gericht, Strafverfügung, 3. 9.1942, CEGES, AA 585/42/ 3, Verf. 295/42; DSK Belgien (Möckel) an Gericht FK Antwerpen, 26. 8. 1942, AA 585/42/ 3, Verf. 264/42. 49 CEGES, AA 585/42/3, Verf. 272/42. 50 Die folgenden Angaben stützen sich auf die Protokolle der Vernehmungen von Rosa und Rudolf Samson durch das DSK (CEGES, AA 585/54/6, Verf. II 496/42). Da solche Vernehmungsprotokolle eine wichtige Quelle des vorliegenden Kapitels bilden, ist darauf hinzuweisen, dass die zugrunde liegenden Aussagen in einer Zwangssituation, zumeist unmittelbar nach der Verhaftung, erfolgten und von deutschen Repressionsorganen 37
Anmerkungen zu S. 96–102
207
schriftlich festgehalten wurden. Unter Berücksichtigung des Zustandekommens ist der Realitätsgehalt mancher Angaben kritisch zu bewerten. So verneinten etwa viele Juden, den Namen dritter Personen zu kennen, die ihnen bei der Beschaffung falscher Papiere oder bei der Flucht behilflich gewesen waren. In vielen anderen Fällen gibt es dagegen keinen Grund dafür, die Validität von Aussagen zur individuellen Verfolgungsgeschichte oder zu Fluchtversuchen anzuzweifeln. Solche Angaben werden im folgenden herangezogen. 51 DSK Brüssel (Jaeschke) an Sipo-SD Brüssel, 27. 8.1942, CEGES, AA 585/54/6, Verf. II 496/42. Hans Jaeschke, geb. 11. 4. 1892 in Rywoczin, 1940 NSDAP, war seit Mai 1942 beim DSK Belgien. BAB (ehem. BDC), NSDAP-Gaukartei. 52 Zum folgenden: CEGES, AA 585/54/5, Verf. II 421/42 u. II 420/42; SVG, dossiers SDR für Chana Witelsohn (* 28. 3. 1924), Mojzek Witelsohn (* 28. 3. 1924) Mirjam Witelsohn (* 21. 1. 1925), Helene Topor (* 22. 6. 1924) u. Mojtek Topor (* 2. 2. 1898). 53 Siehe MVChef, Tätigkeitsberichte Nr. 10 (2. 11. 1940, S. 34–35a), Nr. 12 (3. 1. 1941, S. 33–34), Nr. 18 (21.12. 1941, S. B 20–21), Nr. 22 (31. 12. 1942, S. A 38–39), Nr. 24 (1. 8. 1943, S. B 24–26), BA-MA, RW 36/180, 182, 188, 191, 193 und CEGES, L 3/20; Dossier des Zollgrenzschutzes, CEGES, AA 585/81; sowie Walter Eulitz, Der Zollgrenzdienst. Seine Geschichte vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Bonn 1968, S. 176 ff. 54 Einige von ihnen bezeichneten sich selbst als Nichtjuden, wurden jedoch trotzdem verhaftet. Dossier des Zollgrenzschutzes, CEGES, AA 585/81. 55 Grenzübergangsstelle Baisieux, „Anzeige des Zollsekretär König gegen den Juden Sandel Palasc wegen Verstoß gegen Auswanderung“, 6. 8. 1942, CEGES, AA 585/81. 56 So brachte die in Givet stationierte Feldgendarmerie am 22. August 1942 sechs Juden nach Malines, die am Vortag am dortigen Grenzübergang mit falschen Papieren verhaftet worden waren. Grenzübergangsstelle Givet an Außenstelle des Zollgrenzschutzes in Charleville, 22. 8. 1942, CEGES, AA 585/54/9, Verf. II 762/42. 57 Lucien Lazare, Belgian Jews in France, 1940–1944, in: Michman, Belgium, S. 445– 455, hier S. 447. 58 Siehe hierzu Meyer/Meinen, Transitland Belgien. 59 Zum Rückgriff auf V-Leute bei der Verhaftung der Juden s. ausführlich Kap. V. 60 Pseudonym; s. Einl., S. 14. 61 Vern. B. S., 11.7. 1942 u. 18. 7. 1942, CEGES, AA 585/54/4, Verf. II 340/42. 62 Pseudonym; s. Einl., S. 14. 63 Vern. S. L., 11. 7. 1942, CEGES, AA 585/54/4, Verf. II 340/42, s. auch Vern. S. L., 18. 7. 1942, ebd. 64 DSK Brüssel (Jaeschke), Bericht, 12. 8. 1942, ebd. 65 Nach einer erneuten Verhaftung in Brüssel blieb er eineinhalb Jahre als Arbeiter im Lager Malines, bevor er im Juni 1944 im Rahmen des sogenannten Palästina-Austauschs (Austausch internierter Juden gegen deutsche Wehrmachtangehörige in britischer Kriegsgefangenschaft) freigelassen wurde. Das weitere Verfolgungsschicksal von B. S. und seiner Familie konnte nicht aufgeklärt werden. 66 Vern. Knepel, 31.7. 1942, CEGES, AA 585/54/5, Verf. II 419/42. Siehe dossier Statut für Samuel Léon Knepel (* 10. 1. 1914), SVG. 67 Vern. Knoll, 31. 7.1942, CEGES, AA 585/54/5, Verf. II 419/42. Siehe dossier SDR für Saul Knoll (* 4.7. 1897), SVG. 68 DSK Brüssel (Jaeschke), Bericht, 1. 8.1942, CEGES, AA 585/54/5, Verf. II 419/42.
208 69
Anmerkungen zu S. 103–108
Auf die Fälle direkter Enteignung (ausgebürgerte deutsche Juden, „Möbelaktion“, Raub von Diamanten und Gold u. a.) ist an dieser Stelle nicht einzugehen. 70 Zu einer präzisen Kurzdarstellung des Clearing – eines derjenigen Instrumente, mit der Deutschland die Staatshaushalte besetzter Länder zur Kriegsfinanzierung plünderte – in Belgien siehe Nestler, Die faschistische Okkupationspolitik, S. 39 f. 71 Vm. Ministerialdirigent Dr. Bender (RFM Ref. I/3) betr. „Finanzfragen der Militärverwaltung Belgien und Nordfrankreich, Einnahmen und Ausgaben bei Abtransporten von Juden, politische Ausgaben der Militärverwaltung“, 22. 10. 1942, BAB, R 2/3780, Bl. 166. Ich danke Alexander Ruoff für den Hinweis auf dieses Schriftstück. 72 Als „Verpflegungs- und Transportkosten“ erhob die Sipo-SD zwischen 1000 und 1500 belgischen Franken pro Person. MVChef, Abschlussbericht, 16. Teil (Treuhandvermögen), o. D. [1944], BA-MA, RW 36/227, S. 130 f. 73 Immerhin zogen die Wehrmachtgerichte in Belgien im Rahmen der Devisenstrafverfahren, die sich sowohl gegen Juden als auch gegen Nicht-Juden richteten, allein im Jahr 1942 Edelmetall- und Devisenwerte im Gegenwert von 4 306 630 Reichsmark ein. Bericht der Militärverwaltung über die wirtschaftlichen Leistungen Belgiens im Jahr 1942 vom 1. 4. 1943, abgedr. in: Nestler, Die faschistische Okkupationspolitik, S. 208–211. Überdies wurde der gesamte Enteignungsprozess mit einem ausgefeilten Gebührensystem zu Lasten der jüdischen Eigentümer überzogen, dessen Erträge in geringerem Maße zur Finanzierung der Verwaltungskosten und der Vergütung der Treuhänder dienten, während der Großteil der deutschen Reichskasse zufloss (Leistungsstatistik der B. T., 23. 2. 1943, abgedr. in: Les Biens des victimes, Teil 10, S. 20; siehe auch ebd., Teil 2, S. 89 ff.). Die bei Aly (Hitlers Volksstaat, S. 233) irrtümlicherweise angeführten Zahlen für Vereinnahmungen beruhen offenbar auf einem Missverständnis der belgischen Forschungsergebnisse. Vgl. Van Doorslaer, Raub, S. 139 f. 74 Im Sinne der deutschen Devisenverordnung galten die belgische Währung sowie Reichskreditkassenscheine als inländische Zahlungsmittel. 75 DSK Antwerpen (Streiter), Ermittlungsbericht, 31. 8. 1942, CEGES, AA 585/42/3, Verf. 288/42. 76 DSK Brüssel, Bericht, 11. 6. 1942, CEGES, AA 585/54/3, Verf. 182/42. 77 Als typisch kann folgende Passage aus einem Bericht des DSK Brüssel vom 18. 4. 1942 gelten: „Diese Einlassung [Unkenntnis der deutschen Verordnungen] muss bei einem Juden als unglaubwürdig zurückgewiesen werden. Es ist bekannt, dass Juden über die einschlägigen Devisenbestimmungen sehr gut unterrichtet zu sein pflegen.“ CEGES, AA 585/53/11. 78 DSK Brüssel (Bertrand) an Sipo-SD, 3. 12. 1942, CEGES, AA 585/110, Verf. II 832/ 42. 79 DSK Brüssel (Hellvoigt) an Asche, 27. 10. 1942, CEGES, AA 585/54/4, Verf. II 302/ 42. 80 Vm. DSK Brüssel (Schillings/Möckel), 18. 9. 1942, CEGES, AA 585/110, Verf. II 580/ 42. 81 Aktenvm. DSK Antwerpen (Braun), 22. 12. 1942, CEGES, AA 585/42/5, Verf. EB 502/42. 82 Aktenvm. DSK Brüssel (Bertrand), 20. 8. 1942, CEGES, AA 585/54/6, Verf. II 499/ 42. 83 Siehe Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 2. Aufl. München 1991, Kap. 13, insbesondere S. 718–722.
Anmerkungen zu S. 108–114
209
4. Der XXI. Transport nach Auschwitz 1 Alle statistischen und biographischen Angaben in diesem Kapitel stützen sich, wo nicht Einzelnachweise angeführt werden, auf folgende Quellen der Besatzungs- und der Nachkriegszeit: Judenkartei der Sipo-SD (Fichier SD, SVG), Personendossiers der belgischen Entschädigungsbehörden (Dossiers SDR/Statut, SVG); Registre des Juifs (MJDR); Kartei der jüdischen Zwangsvereinigung (Fichier Beeckmans – AJB, MJDR); Transportlisten Malines (MJDR); Persönliche Papiere der Deportierten (Reliques, MJDR); Fichier und Ermittlungsakten Devisenschutzkommando Belgien (CEGES, AA 585); Nachkriegsvernehmungen der belgischen Militärjustiz (AG); Mémorial; Gedenkbuch; Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz; www.yadvashem.org; www.joodsmonument.nl; Transportlisten Drancy (CDJC), www.memorialdelashoah.org. Sophie Vandepontseele war bei der Durchsicht von rund 2000 Dossiers SDR/Statut behilflich. 2 Laurence Schram hat auf der Basis der überlieferten SD-Kartei (Fichier SD) für einen Teil der Deportierten der Transporte IV bis XI die Meldeadressen recherchiert, um die Zahl der Opfer der großen Razzien im Sommer 1942 zu bestimmen. Vgl. Steinberg, Persécution, passim; Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz, Bd. 1, S. 153 ff. Für die Mehrzahl der Konvois sind die Meldeadressen der deportierten Juden bislang nicht erhoben worden. Lieven Saerens stützt sich bei seiner statistischen Berechnung des Anteils der deportierten Juden an der jüdischen Gesamtbevölkerung in Antwerpen, Brüssel usw. auf den Fichier Beeckmans – AJB (MJDR), in dem die Brüsseler Juden allerdings massiv unterrepräsentiert sind. Saerens’ Ergebnisse beziehen sich daher auf knapp 60 Prozent der aus Belgien deportierten Juden. Siehe Saerens, De Jodenvervolging in België in cijfers, S. 217. 3 Vgl. Steinberg, Persécution, S. 131 f. 4 Ich übernehme den Begriff „stratégies individuelles de survie“ von Annie Kriegel, De la Résistance juive, in: Pardès 2 (1985), S. 191–209, hier S. 202. 5 Vgl. Maxime Steinberg, Historique des convois, in: Mémorial, S. 19–36, hier S. 31, sowie die dort abgedruckten Statistiken. 6 Bereits für die Transporte XII, XIII und XIV des Jahres 1942, auf die im folgenden Kapitel näher eingegangen wird, liegen keinerlei Hinweise auf vorausgegangene Großrazzien vor. 7 Die von mir ermittelten Basisdaten weichen leicht ab von den Angaben in: Mémorial; L’Exposition belge à Auschwitz, sowie bei Adriaens u. a., Mecheln 1942–1944, und bei Danuta Czech, Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939–1945, Reinbek 1989, S. 562. 8 Vern. Leonard K., 11.12. 1968, CEGES, AA 377/VIII, Bl. 1577 ff.; Vern. Hans L., 5. 12. 1968, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Bd. 37, Bl. 483 ff. Unter den deutschen SS-Leuten war die Begleitung der Todeszüge wegen damit verbundener materieller Vorteile „besonders beliebt“; Vern. Ernst B., 23. 4. 1968, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Bd. 37, Bl. 308 ff. 9 Siehe Caestecker, Ongewenste gasten. 10 1940, unter der deutschen Besatzung, wurden ganze Gruppen dieser Kinder wieder in das Reichsgebiet zurückgeschickt. Vgl. Mordechai Ansbacher, Rescue and Return: Post-Kristallnacht German-Jewish Refugee Children in Belgium and their Return to Germany in 1941, in: Michman, Belgium, S. 433–443. 11 Schreiben des Comité d’Assistance aux Enfants juifs réfugiés v. 16. 2. 1940 u. 19. 4. 1940; Note Sûreté Publique, 21. 2.1940, Archives Générales du Royaume, Brüssel (AGR), dossiers généraux de la police des étrangers (2e versement), dossier 793.
210 12
Anmerkungen zu S. 115–130
Vgl. Betty Garfinkels, Belgique, terre d’accueil, Bruxelles 1974, S. 149 ff.; Caestecker, Ongewenste gasten, S. 245 ff. 13 Vern. Rubens, 24. 6. 1942, CEGES, AA 585/41/4, Verf. E. B. 546/41. 14 Gericht FK Antwerpen, Feldurteil, 26. 8. 1942, CEGES, AA 585/42/2, Verf. 159/42. 15 Bericht DSK Antwerpen (Zepf), 30. 12.1941, CEGES, AA 585/41/4, Verf. E. B. 546/ 41. 16 Vern. Irene M., 23. 9. 1942, CEGES, AA 585/54/7, Verf. II 597/42. 17 Annähernd ein Drittel der insgesamt 107 000 aus den Niederlanden deportierten Juden wurden zwischen März und Juli 1943 aus Holland nach Sobibor gebracht. Für einen Kurzüberblick vgl. Griffioen/Zeller, Judenverfolgung. 18 Vgl. Moszkiewiez, Inside The Gestapo, S. 49 f. 19 Siehe hierzu AG, Procès Schuind, boîte 329, farde XV, sowie Kap. II, S. 71. 20 Bericht v. 11. 4. 1940, AGR, dossiers généraux de la police des étrangers (2e versement), dossier 35. 21 In deutscher Sprache gehaltenes Schreiben o. D. (Eingangsstempel 11. 6.1943), MJDR, AJB-CNHEJ, 14 B. 22 Ermittlungsbericht DSK Brüssel (Göthling), 4. 3.1943, CEGES, AA 585/54/12, Verf. II 997/42. 23 Siehe auch zum folgenden die von der AJB-Eingabestelle protokollierten Mitteilungen der Besatzungsbehörden v. 6. 5., 20. 5. u. 11. 6. 1943, SVG, R497/Tr146.665; sowie Mitteilung der AJB v. 1. 6. 1943 an rumänische Juden, MJDR, A002631. Vgl. Browning, The Final Solution and the German Foreign Office, S. 104; Meyer, Täter im Verhör, S. 412, Anm. 71, und passim. 24 Diese Zahlenangabe stützt sich auf die von mir durchgeführte Auswertung der überlieferten Kartei des Judenreferats der Sicherheitspolizei Brüssel (SVG). 25 Verfügung Gericht der OFK Brüssel, 30. 7. 1942, CEGES, AA 585/54/12, Verf. II 997/ 42. 26 Zur Nutzung falscher OT-Papiere bei der Flucht aus den Niederlanden vgl. Avni, The Zionist Unterground, S. 567, sowie Meinen/Meyer, Le XXIe convoi (Teil II), S. 41. 27 Vgl. De Jong, Het Koninkrijk der Nederlanden, Bd. 5.1, S. 445 ff., vor allem S. 454 f. Ich danke Pim Griffioen und Ron Zeller für diesen Hinweis. 28 Dies geht etwa aus den Vernehmungsakten des DSK hervor. 29 Reliques Heyman [Hijman] Perels, MJDR. 30 Vgl. beispielhaft: Partisans armés Juifs. 31 Siehe ebd. Zum CDJ s. S. 183, 248 f. 32 Die Angaben zu Najbergers Tätigkeit für den CDJ beruhen ausschließlich auf Zeugnissen aus den Unterlagen des belgischen Kriegsopferdienstes (SVG). Steinberg hat darauf hingewiesen, dass solche Quellen kritisch zu bewerten sind. 33 Vern. Estera Najberger, 5. 3. 1949, AG, dossier Boden. In der Sprache der AuschwitzHäftlinge wurde die Bezeichnung „Himmelkommando“ für Personen gebraucht, die bereits ermordet waren. 34 Zu der patriotischen Organisation Les Insoumis vgl. Fabrice Maerten, Du murmure au grondement. La Résistance politique et idéologique dans la province de Hainaut pendant la Seconde Guerre mondiale (mai 1940- septembre 1944), Mons 1999, Bd. 2, S. 617 ff. 35 Siehe hierzu auch eine Zeugenvernehmung von Moise (Maurice) Sztajman v. 27. 7.1949, AG, dossier GFP 530, 193. 36 Sylvain Brachfeld, Ils ont survécu, S. 71. 37 Schreiben v. 20. 4. 1943, Reliques Zyman-Szmul Chrzanowski, MJDR.
Anmerkungen zu S. 131–138 38
211
Vgl. Steinberg, Traque I, S. 168. Auf diese Weise geriet auch der 15jährige Henri Liebman in den XXI. Transport. Vgl. Liebman, Né juif, S. 109 ff. 40 Siehe auch zum folgenden Van den Berg, Journal de guerre, S. 96 ff. (SVG); Steinberg, Traque I, S. 65 ff., 123 ff., 143 ff. Vgl. Bernard Suchecky, Résistances juives à l’anéantissement, Brüssel 2007, S. 182 f., 188 ff. 41 Meldungen aus Belgien und Nordfrankreich Nr. 18, 15. 9. 1942, BAB, R 58/6399. Zum folgenden: Sitzungsprotokoll AJB-Brüssel v. 19. 5. 1943, SVG, R497/Tr202.700. 42 Zu den Umständen der Rettungsaktion vgl. Steinberg, Traque I, S. 158 f.; Traque II, S. 204 f. 43 Van den Berg, Journal de guerre, S. 98 (SVG). Siehe hierzu auch Vern. Maurice Heiber v. 25. 2. 1949, AG, dossier Boden. Zum Zusammenwirken von AJB und CDJ vgl. Kap. II, S. 67. 44 Bescheinigung der AJB-Brüssel für Chaja Gancarski, 4. 8. 1942, MJDR, AJBCNHEJ, 13. Die meisten Quellen zu dieser Verhaftung finden sich im Dossier Statut für Chaja Gancarski (SVG). 45 Die Gesamtzahl der geretteten Kinder dürfte noch größer sein. Meine Recherchen nach den Kindern der mit dem XXI. deportierten Eltern stützen sich auf den überlieferten Teil der 1942 von der AJB angelegten Familienkartei (Fichier Beeckmans – AJB, MJDR), in dem weniger als die Hälfte der Opfer des XXI. Transports verzeichnet sind, auf Vermerke der belgischen Nachkriegsbehörden in der überlieferten Kartei des deutschen Judenreferats (Fichier SD, SVG) und auf Zufallsfunde. Berücksichtigt wurden lediglich diejenigen Kinder, deren Mütter und Väter beide mit dem XXI. bzw. mit einem früheren Transport aus Belgien deportiert worden sind, sofern die Mutter nicht alleine für das Kind gesorgt hatte, etwa weil sie Witwe oder ledig war. 46 Siehe Kap. II, S. 79. 47 Vgl. Steinberg, Traque II, S. 242, Anm. 72. Dass die mit ihren Eltern zusammen verhafteten Kinder in Antwerpen zwischenzeitlich im Waisenhaus interniert wurden, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die deutschen Gefängnisverwaltungen keine Kinder aufnahmen, die in Antwerpen verhafteten erwachsenen Juden jedoch in der Regel zuerst in die örtliche Wehrmachthaftanstalt gebracht wurden. In Brüssel hielt die Sicherheitspolizei Kinder zusammen mit ihren Eltern im Keller ihres Hauptquartiers in der Avenue Louise fest. 48 Schriftwechsel AJB-Antwerpen/Sipo-SD Antwerpen (IV B 3), 29. 5. 1943, MJDR, A003205.1; Liste der aus dem Lager Malines entlassenen Kinder, 19. Juli 1943, MJDR, A004407.1. 49 Zu den Umständen der Freilassung vgl. Steinberg, Traque I, S. 218 f. Der jüdische Geschäftsmann David Ferdmann, der in der AJB und im CDJ mitarbeitete, musste der Gestapo für die Freilassung dieser Kinder einen Betrag zwischen 7500 und 15 000 Reichsmark zahlen. 50 Zu den Meldeadressen s. unten, S. 140, zu den Versteckorten: Meinen/Meyer, Le XXIe convoi (Teil II), S. 72. 51 Siehe hierzu Kap. III, S. 101 f. 52 Die Besatzungsmacht leitete drei verschiedene Erfassungen der jüdischen Bevölkerung in die Wege: 1) die von den belgischen Kommunen ab 1941 geführten „Judenregister“, in denen alle Juden über 15 Jahre erfasst wurden (MJDR, Registre des Juifs); 2) die auf dieser Grundlage ab 1941 aufgebaute Kartei der Sipo-SD und 3) eine von der jüdischen Zwangsvereinigung AJB im Frühjahr 1942 angelegte Familienkartei, die von dem 39
212
Anmerkungen zu S. 138–148
belgischen Kollaborateur des deutschen Judenreferats, Pierre Beeckmans, nach Meldeadressen sortiert wurde (MJDR, Fichier Beeckmans – AJB). Diese Kartei ist allerdings sehr unvollständig. – Im Falle der staatenlosen Tschechoslowaken, Polen, Deutschen und Österreicher wurden in der obigen Liste die ursprünglichen Staatsangehörigkeiten berücksichtigt, sofern die Quellen diese verzeichnen. Der hohe Anteil der ungeklärten Staatsangehörigkeiten geht wesentlich darauf zurück, dass die betreffenden Einträge in den jeweiligen Karteien lückenhaft sind und nicht selten voneinander abweichen. 53 Vgl. Saerens, Vreemdelingen, S. 551 f. 54 Die restlichen Adressen befanden sich in den Brüsseler Kommunen Saint-Josse (82), Ixelles (69), Forest (54), Molenbeek (49), Uccle (15), Etterbeek (13), Ganshoren (8), Jette (6), Woluwé-Saint-Lambert (5), Woluwé-Saint-Pierre (3), Berchem-Sainte-Agathe (5), Evere (5), Koekelberg (2), Watermael-Boitsfort (2) und Auderghem (1). Zu den Zählungen der Jahre 1941 und 1942 vgl. Saerens, De Jodenvervolging in België in cijfers, S. 205. 55 Vgl. Kap. III, S. 95 ff. 56 Meldungen aus Belgien und Nordfrankreich Nr. 6/43, 1. 4. 1943, BAB, R 58/6399. 57 Wie der überlieferten Transportliste (MJDR) zu entnehmen ist, waren im Vergleich mit früheren Konvois ungewöhnlich viele Juden im XX. Transport in den Niederlanden geboren worden: Es handelte sich um über 90 Personen, die zum größeren Teil aus den Niederlanden geflohen sein dürften. 58 Vern. Broner, 15. 3. 1949, AG, dossier Frank. 59 Sofern nahestehende Personen, die sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit einer Suchanfrage – oder später wegen Entschädigungszwecken – an die belgischen Behörden wandten, überhaupt wussten, dass die letzte ihnen bekannte Wohnung ein Versteck gewesen war, verzichteten sie häufig auf entsprechende Hinweise, zumal in den einschlägigen Vordrucken danach nicht gefragt wurde. 60 Soweit möglich, wurden die auf der Transportliste verzeichneten Berufsangaben mit denjenigen in anderen Karteien und Dokumenten verglichen, um den früher ausgeübten Beruf zu ermitteln. 61 Siehe Meinen/Meyer, Le XXIe convoi (Teil I), S. 66. 62 MJDR, Transportliste XXIs. 63 Siehe Meinen/Meyer, Le XXIe convoi (Teil I), S. 65 f. 64 Zur Flucht aus dem Transport Nr. XX s. Einleitung, S. 9. 65 Übersicht Steinberg/Schram, in: Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz, Bd. 1, S. 296 f. 66 Frauen waren in der Gruppe der Flüchtlinge aus den Todeszügen generell unterrepräsentiert, wie die von Laurence Schram zusammengestellten Daten zeigen. Ich danke Laurence Schram dafür, dass sie mir Einsicht in ihre Datenbank gewährte. 67 In fast allen Fällen lässt sich nachweisen, dass die Heirat im August 1942 erfolgte. 68 Siehe exemplarisch ein von der Fondation Auschwitz (Brüssel) durchgeführtes Videointerview mit Jacques Raffeld von 1995 (YA/FA/94). 69 Die Archive des SVG beinhalten zum einen zeitgenössische Quellen wie bspw. Verfahrensakten deutscher Dienststellen oder Karteiblätter aus deutschen Haftanstalten, zum anderen Nachkriegsakten, darunter polizeiliche Vernehmungen von Überlebenden, von Augenzeugen der Verhaftung oder Angaben von Familienangehörigen der Deportierten. 70 Lediglich in vier Fällen lässt sich eine Denunziation nachweisen. Die in den Angaben von Überlebenden oder Familienangehörigen häufig zu findenden Hinweise auf Denunzianten, die zumeist auf Vermutungen zurückgehen dürften und daher mit Vorsicht zu bewerten sind, wurden hier nicht berücksichtigt.
Anmerkungen zu S. 148–153
213
71
Während die Angaben von Überlebenden und von Augenzeugen zu den an der Verhaftung beteiligten belgischen Kollaborateuren fast immer sehr präzise sind, kann dies in Bezug auf die deutschen Dienststellen nicht vorausgesetzt werden. Denn die Sicherheitspolizei und der SD bzw. „die Gestapo“, firmierten bereits während der Ereignisse und auch in der Nachkriegszeit als Synonym für den deutschen Repressions- und Terrorapparat. Hinzu kommt, dass die deutschen Polizeieinheiten zum Teil objektiv kaum auseinanderzuhalten zu waren. So agierten die Beamten des Devisenschutzkommandos grundsätzlich in Zivil, was eine Unterscheidung von der ebenfalls getarnt auftretenden Gestapo für Augenzeugen ausschloss. Auch dürfte die Geheime Feldpolizei den meisten Belgiern, sofern sie nicht selbst im Widerstand engagiert waren oder aus anderen Gründen genaue Kenntnisse der Besatzungsorgane besaßen, weitaus weniger bekannt gewesen sein als die Gestapo oder die Feldgendarmerie. 72 Auch griff die Gestapo zur Zusammenstellung des XXI. Transports nicht auf größere Gruppen bereits internierter Juden zurück. Im Konzentrationslager Breendonk befanden sich im Mai 1943 etwa 50 Juden, von denen 30 aus den OT-Lagern in Nordfrankreich kamen. Anfang Juni überstellten die Deutschen etwa die Hälfte von ihnen in das Lager Malines. (Protokolle Besprechungen Sipo-SD/AJB v. 20. 5. u. 11. 6. 1943, SVG, R497/ Tr146.665; AJB-Antwerpen an AJB-Vorstand, 7. 6. 1943, MJDR, A005725). Die meisten erhielten als belgische Staatsangehörige sogenannte „B-Nummern“, doch zwei Männer ehemals polnischer Nationalität wurden am 4. Juni für den XXI. Transport registriert. 73 Vern. des ehemaligen Lagerkommandanten Johannes Frank, 21. 2. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 1. 74 Ein Vergleich mit anderen Primärquellen – die Ankunft in Malines ist bspw. auch auf den Karteikarten des Judenreferats (fichier SD) verzeichnet – und Aussagen überlebender Juden bestätigt, dass die Daten auf der Transportliste zwischen Mai und Juli 1943, von Ausnahmen abgesehen, dem jeweiligen Ankunftsdatum der verhafteten Juden in Malines entsprechen, wie dies für die Zeit der Großrazzien des Jahres 1942 ohnehin gilt. 75 Zur Überführung der Juden nach Malines liegen Aussagen der ehemaligen Angehörigen der Brüsseler Wachkompanie vor, z. B. Vern. Robert K., 10. 9.1968, CEGES, AA 377/VIII. 76 Zwar beginnt die Liste im April 1943, doch hier verzeichnete die Lagerverwaltung summarisch rund 50 Personen, die zum größten Teil erst später, wenige auch früher, verhaftet wurden, wie die Auswertung der SD-Kartei und anderer Quellen belegt. Mehr als 1200 der insgesamt 1560 deportierten Juden waren in Brüssel wohnhaft. Für Antwerpen führt die Korrelation von Meldeadressen und Internierungsdaten angesichts der relativ geringen Zahl der Verhafteten in Bezug auf den XXI. Transport nicht weiter. 77 Vern. Dombrowicz, 9. 3. 1949, AG, dossier Boden. 78 Zwar ist nicht auszuschließen, dass einzelne Personen fern von ihrer registrierten Wohnung alleine verhaftet wurden, ohne dass dies dokumentiert ist. Doch im Gegenzug blieb in unserer Statistik manche nicht zweifelsfrei nachweisbare Gruppenverhaftung unberücksichtigt.
5. Menschenjagd 1 Siehe Übersicht im Anhang, S. 238. Vgl. Steinbergs und Schrams Übersichten zu den einzelnen Transporten, in: Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz, Bd. 1., S. 279–312. Zum Umfang der großen Verhaftungsaktionen s. Kap. III, S. 83 ff. 2 Die von mir durchgeführte Ermittlung der Meldeadressen und der Festnahmedaten folgt dem in Kap. IV (S. 139 f., 147 ff., 209, Anm. 1) für den XXI. Transport beschriebenen
214
Anmerkungen zu S. 153–154
Verfahren. Für die Auswahl der Transporte XXI und XXV waren vor allem quellentechnische Gründe maßgeblich: Im Gegensatz zu den vorangegangen Transporten sind für den XXI. Transport in großem Umfang sogenannte „Reliques“ überliefert, also die von der Sicherheitspolizei konfiszierten persönlichen Schriftstücke der deportierten Juden. Von dem XXV. Transport, der erst im Frühjahr 1944 nach Auschwitz fuhr, kehrten 134 Überlebende zurück, von denen viele Zeugnis über ihre Verhaftung ablegten. 3 Geringfügige Abweichungen zu den Angaben auf S. 238 gehen in erster Linie darauf zurück, dass die hier angeführten Zahlen auch Personen einschließen, die nachweislich noch in Belgien aus dem Deportationszug fliehen konnten. 4 Es geht hier um den Zeitraum, in dem die gezielten Verhaftungen durch die Sipo-SD erfolgten, die weiter unten im Text ausführlich behandelt werden. Dass einzelne Juden früher verhaftet und längere Zeit in Gefängnissen festgehalten wurden, bevor sie in das Lager Malines kamen, ist hier nicht zu berücksichtigen. Die Transporte XII und XIII, die am selben Tag nach Auschwitz fuhren, wurden nacheinander zusammengestellt. Die Registrierung der Opfer des XIII. Transports in Malines begann ausweislich der Transportliste am 6. Oktober. Wie der Vergleich mit anderen Quellen – darunter die Aussagen überlebender Juden – zeigt, begann die Verhaftung für den XIII. Transport tatsächlich erst am 5. Oktober. Zum XXI. Transport s. Kap. IV, S. 148 f. Da die Transportliste des XXV. Transports keine Datumsangaben enthält, wurden insoweit die Kartei des Brüsseler Judenreferats (fichier SD, SVG), die Personendossiers des belgischen Kriegsopferdienstes (SVG, dossiers SDR/Statut) sowie polizeiliche Nachkriegsvernehmungen der überlebenden Juden (AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 21–24) herangezogen. Die so ermittelte Tageszahl entspricht dem Zeitraum, der zwischen der Abfahrt des XXIV. und des XXV. Transports lag. 5 Diese Angaben gehen von den jeweiligen Meldeadressen aus. Daher lagen die Festnahmezahlen in Brüssel möglicherweise leicht höher und in Antwerpen etwas niedriger als angegeben. Denn es ist nicht feststellbar, wie viele Juden sich außerhalb ihres Wohnorts versteckten. Kein Zweifel besteht daran, dass Juden aus Antwerpen nach Brüssel flohen und nicht umgekehrt. 6 Der Anteil der Opfer aus anderen belgischen Kommunen betrug im XIII. Transport mehr als 16 Prozent, in den vier übrigen Transporten dagegen zwischen 3 und 8 Prozent. Zu den nicht in Antwerpen oder Brüssel gemeldeten Juden gehörten ferner diejenigen, die nicht registriert waren oder ihren Wohnsitz in den Niederlanden oder Frankreich hatten. 7 Insgesamt brachte die Sipo-SD 45 Juden aus Rekem in das Lager Malines, die mit den Transporten XIII und XVIII deportiert wurden. Siehe hierzu: SVG, R497/Tr35257, 124858. Vgl. Van Doorslaer u. a., La Belgique docile, S. 356 ff. (Wouters). Manches deutet daraufhin, dass zumindest einige der betreffenden Personen auf Veranlassung der Besatzungsmacht in das Lager Rekem eingewiesen worden waren. 8 Am 7. Oktober 1942 erhielt die AJB von deutscher Seite die Auskunft, dass in den kommenden Tagen alle Juden aus dem Gefängnis Saint-Gilles nach Malines überstellt würden. Nachweisen lässt sich eine Überführung für 13 Juden, die das DSK verhaftet hatte und die am 8.10.1942 auf der Liste des XIII. Transports registriert wurden. AJBEingabestelle an AJB-Sozialfürsorge, 7.10. 1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 22; DSK Brüssel, Haftliste von Sept. 1940 – März 1944, CEGES, AA 585/97; Transportliste XIII. Transport, MJDR. Vor der Abfahrt anderer Transporte brachte das Judenreferat ebenfalls jeweils kleine Gruppen von Juden aus dem Brüsseler Gefängnis Saint-Gilles nach Malines. Siehe Schreiben BdS II C an Wehrmachtuntersuchungsgefängnis St. Gilles, 1. 8. 1942, abgedr. in:
Anmerkungen zu S. 154–157
215
Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 37. Überliefert ist ein ähnliches Schreiben vom 11. 5. 1944, das die Namen von fünf Juden enthält, die mit dem Transport Nr. XXV deportiert wurden. SVG, dossiers SDR/Statut für Ruchla Crin (* 12. 9.1877). 9 Vgl. Steinberg, Pays occupé, S. 91 ff.; Saerens, Vreemdelingen, S. 649 ff.; Steinberg, Persécution, S. 135. 10 Saerens, De Jodenvervolging in België in cijfers, S. 209, 217. Demnach sind in dem überlieferten Teil der AJB-Kartei, auf den Saerens sich stützt, 13779 Antwerpener und 12045 Brüsseler Juden verzeichnet. Doch ursprünglich waren in der AJB-Kartei 16557 Antwerpener Juden und 22699 Brüsseler Juden registriert, wie eine Statistik der Sipo-SD dokumentiert. Dass diese – auch ebd., S. 208, erwähnte und im Nachlass Salomon Ullmanns (CEGES, mic 41) überlieferte – Statistik auf der AJB-Kartei basiert, belegen die Meldungen aus Belgien und Nordfrankreich Nr. 19/42 v. 1. 10. 1942, BAB, R 58/6399. Saerens’ Berechnung berücksichtigt also 83 % der in Antwerpen gemeldeten und 53 % der in Brüssel gemeldeten Juden. 11 Bei den großen Verhaftungsaktionen im August und September wurden in Antwerpen annähernd 3300 Juden festgenommen. Mit den Transporten IV bis XI, die in diesem Zeitraum fuhren, wurden insgesamt 8785 Juden deportiert. 12 Vgl. Steinberg, Cent jours, S. 209 ff.; ders., Un Pays occupé, S. 91 ff.; Saerens, Vreemdelingen, S. 733–750. 13 So befanden sich beispielsweise im XIV. Transport 534 Antwerpener Juden aus 108 Straßen und 393 Brüsseler Juden aus 150 Straßen. 14 Vgl. Saerens, Jodenjagers, S. 39 f. Saerens nennt außer Holm lediglich SS-Oberscharführer Karl Vierk, der 1943 durch SS-Untersturmführer Ernst-Friedrich Lais abgelöst worden sei. Einem von der belgischen Nachkriegsjustiz angefertigten Organisationsschema zufolge könnte ferner SS-Oberscharführer Alois Schiesser in Holms Abteilung tätig gewesen sein. Ein Sipo-SD-Angehöriger namens Schiesser wirkte jedenfalls im Frühjahr 1944 nachweislich bei der Verhaftung von Juden in Antwerpen mit. AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 26; SVG, dossier SDR/Statut für Frieda Jülich (* 14. 5. 1915). 15 Saerens, Jodenjagers, S. 41–49. 16 Wer die Entscheidung traf, lässt sich mangels Quellen nicht klären. Zumindest der Einsatz der Feldgendarmerie war von der Entscheidung der Militärdienststellen abhängig. 17 Saerens, Jodenjagers, S. 147–181. 18 Ebd., S. 183. 19 Siehe ebd., S. 183–196. Saerens’ Angaben zur Stellung und zu den Befugnissen von Lauterborn sind allerdings widersprüchlich (s. ebd., S. 48, 186). Doch da Lauterborn auch alleine Juden verhaftete, ist davon auszugehen, dass er als Dolmetscher angestellt wurde. Siehe auch: Van Doorslaer, La Belgique docile, S. 873 ff. (Wouters). 20 Neben der Gruppe um Lauterborn setzte Holm weitere informelle Gehilfen ein. Siehe Steinberg, Persécution, S. 291, S. 305, Anm. 85; Saerens, Jodenjagers, S. 139 f. 21 Zu Einzelverhaftungen unter Beteiligung flämischer Kollaborateure s.: SVG, dossiers SDR/Statut für Chaia Edel Jeger (* 2. 11. 1925); Maurits Jeger (* 17. 07. 1927); Irène Weinberger (* 13. 08. 1913); Vern. Maurits Van Straten, 20. 1. 1945, AG, dossier Boden; Vern. Rebecca Schumiliver, 3. 8. 1948, AG, dossier Schmitt; Vern. Lysla-Brandla Blajwas, 25. 6. 1949; Vern. Joseph Dobrik, 22. 4. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 21; Vern. Estera Ickovic, 4. 5. 1949, ebd., 22; Vern. Brajndla Lejderman, 27. 4. 1949; Vern. Eliasz Linhart, 21. 3. 1949; Vern. Vilmos Precz, 2. 4. 1949, ebd., 23; Vern. Esther Stein, 14. 3.1949; Vern. Marjem Steinberg, 22. 3. 1949, ebd., 24. Saerens (Jodenjagers, S. 190–196) führt vierzehn weitere Fälle an.
216 22
Anmerkungen zu S. 158–160
Vern. Theo S., 10. 10. 1968, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Bd. 37, Bl. 392 ff. Steinberg, Cent jours, S. 196. 24 Vern. Chaim Helman, 18. 2. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 22; Vern. HerszChil Lembergier, 12. 2. 1949, AG, dossier Max Boden. Siehe auch die Vern. von Siegfried Hirsch, 12. 2. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 22. Dass die verhafteten Juden, deren Zeugnisse hier angeführt werden, auf der Transportliste mit dem Vermerk „A.B“ (= Arbeitseinsatzbefehl) registriert wurden, ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Zahl der Festgenommenen in den frühen Transporten größer war, als man bislang angenommen hat. Vgl. S. 196, Anm. 120. 25 Vermerke AJB-Eingabestelle betr. die Familie Wolf Markowicz (1. 8. 1942) und Marcel Rosenthal (9. 9. 1942), MJDR, AJB-CNHEJ, 14 C; Van den Berg, Journal de guerre, S. 49, 50, 55 (SVG); Steinberg, Cent jours, S. 196, 200 ff. 26 Sofern nicht anders nachgewiesen siehe zum Folgenden: AG, dossiers Paul Alscher; Kurt Asche (CG 1644); Max Boden; Reggie Claeys; Antoine D.; Josef Deichsel; Fritz Erdmann; Johannes Frank; Heinrich Lenzen; Karl Meinshausen (CG 6241); Hermann Reimann; Hans Rodenbüsch (CG 2112); Lambert N.; Philip Schmitt; Otto Siegburg; Felix Weidmann (CG 6241); dossier Sipo-SD Bruxelles, darin insbesondere 21–24 (Nachkriegsvernehmungen der überlebenden Juden); dossier DeVlag; dossier Icek Glogowski; dossiers Erich A.; Kurt A./Etel K.; Nicolas A.; Carlo D.; Bernat G.; Robert K./Louise T.; Heinrich R.; Hans H.; Pierre R.; Georges T.; Arthur V.; Vern. Helene Plum, 9. 5. 1969, CEGES, AA 377/IX, Bl. 1692 ff. 27 Vgl. z. B. Steinberg, Traque I, S. 205 ff. 28 Vern. Asche, 22. 4. 1971, S. 6, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Bd. 37b. 29 Vern. Weidmann, 16. 2. 1968, S. 7, 20, CEGES, AA 377/VI. 30 Vernehmungen Hans Rodenbüsch, 10. 9. 1966 (BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Handakten, Bd. 3, Bl. 203 ff.), 14. 2. 1968 (CEGES, AA 377/VI, Bl. 1057 ff.). Neben Rodenbüsch wurde aus Malines Walter Kaiser zurückkommandiert. Seinen Nachkriegsvernehmungen zufolge war Kaiser danach nicht mehr im Judenreferat tätig. Doch es ist belegt, dass er im Oktober 1942 Juden in Brüssel verhaftete. Vern. Kaiser, 7.10.1969, CEGES, AA 377/X, Bl. 1865 ff.; Vm. BdS II C, 9. 10. 1942, CEGES, AA 585/110, Verf. II 682/42; Vern. Moszek Aron Tenenbaum, 7. 3. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 24. Siehe auch Vern. Benita H., 3. 3. 1948 (2), AG, dossier Kaiser (CG 6241). 31 Vern. Siegburg, 3. 6. 1947, AG, dossier Otto Siegburg. 32 Siehe ebd. insbesondere: Vernehmungen Menasche Brunner v. 14. 6. 1949, Reggie Claeys v. 10. 3. 1948; P. V. de l’Audience publique, 12.12. 1949; Exposé des faits ./. Siegburg. Dass Siegburg in das Lager Malines abgeordnet worden sei, wie dies in: Van Doorslaer u. a., La Belgique docile (S. 572) angegeben wird, trifft nicht zu. 33 Vernehmungen Marie M. v. 27. 9.1949 u. Albert D. vom 11. 8. 1949, AG, dossier Otto Siegburg. Vgl. Steinberg, Traque II, S. 195. 34 Vern. Siegburg, 29. 6. 1949, AG, dossier Siegburg. Die Verhaftung von Opfern des XXI. Transports durch Siegburg ist in 25 Fällen in überlieferten falschen Ausweisen (MJDR, Reliques) dokumentiert, in die Siegburg Angaben zur Identität der von ihm festgenommenen Personen eintrug. Siehe exemplarisch S. 126. 35 Vern. Felix Weidmann, 4. 5. 1948 u. 12. 7. 1948; Vern. Hans Berlin, 13. 2. 1948; Vern. Siegburg, 29. 6. 1948, AG, dossier Siegburg. 36 Dass diese Fälle dokumentiert sind, verdanken wir der Brüsseler Polizei, die sich nicht scheute, Verbrechen der Sipo-SD zu dokumentieren und Anzeige zu erstatten. Be23
Anmerkungen zu S. 160–163
217
richt Polizei Brüssel 2. Division, 19. 11. 1942, Bericht Polizei Brüssel-Schaerbeek, 23. 12. 1942, AVB, Police 40–45, boîte 41. 37 Paul Alscher (Mai 1943–1944), Josef Deichsel (zumindest Mai 1943), Walter Kaiser (zumindest Herbst 1942), Karl Meinshausen (März/April 1943), Hermann Müller (zumindest 1942), Lambert N. (spätestens ab Nov. 1942–1944), Karl Noller (1942–1944), Hans Rodenbüsch (1942–mindestens Okt. 1943), Otto Siegburg (März 1943–Jan. 1944). 38 Vern. Benita H., 3. 3. 1948 (1); Vern. Anna L., 17. 3. 1948, CEGES, AA 377/XII, Bl. 2285 ff., 2291 ff. (amtl. Übersetzungen ins Deutsche). Beide Zeuginnen hatten zwischen Juli 1942 und September 1944 als Gefangene in der Verwaltung des Lagers Malines arbeiten müssen. Den Angaben zufolge wirkte auch der in Malines eingesetzte Polizeibeamte Hermann Reimann an den Verhaftungen mit. Die Verhaftung von Juden in Brüssel durch Reimann im September und Oktober 1942 wird durch Aussagen überlebender Juden bezeugt. AG, dossier Reimann (CG 6241). 39 Vern. Siegburg, 14. 12. 1948, AG, dossier Meinshausen (CG 6241); Niederschrift Johannes Frank, 27. 10. 1946, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 1. Die Brutalität Meinshausens haben zahlreiche Juden beschrieben. 40 Dies geht vor allem aus überlieferten falschen Ausweisen der deportierten Juden hervor, in denen Meinshausen nach der Verhaftung Vermerke anbrachte. Siehe MJDR, Reliques für Abraham Fischel, Naftali Heffner, Samuel Hellmann, Erwin Koschminski u. Frieda Gans, Berry Rose u. Nuchim Mitelsbach, Josephine Schütz u. Suzanne Kaminski, Alexandre u. Sally Süsser, Icek Moszek Wolman. Siehe auch Vern. Berck Lachmann, 8. 4. 1949, AG, dossier Philip Schmitt; Vern. Icek Moszek Wolman, 11. 6. 1948, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 10. 41 Vernehmungen Robert K., 10. 9. 1968; Leonhard K., 11. 12. 1968; Ludwig S., 11. 9. 1968, BAL, B 162/Vorl. AR-Z 18/61, Bd. 37. Zur Beteiligung flämischer SS-Leute in Brüssel – in der Zeit vor dem Einsatz eines Kontingents der Germanischen-SS: Vern. Hersz Bornstein, 25. 3. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 21; Vern. Kiwe Glotzer, 7. 5. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 22. 42 AG, dossier Icek Glogowski. Dass Glogowski schon Anfang Oktober 1942 für die Sipo-SD tätig wurde, wird dadurch belegt, dass er die Sipo-SD bereits damals zu einem seiner Nachbarn führte, der zusammen mit seiner Familie mit dem XII. Transport deportiert wurde und Auschwitz überlebte; Vern. Hercz Adler, 29. 4.1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 21. Vgl. zu Icek Glogowski und weiteren V-Leuten auch Steinberg, Traque II, S. 191–199. 43 Jodenregister (MJDR) und Fichier SD (SVG) für Eva Feldberg (* 9. 1. 1901). Die Sipo-SD hatte keinerlei Veranlassung, die Karten der deportierten Juden weiterzuführen, und tat dies üblicherweise nicht. 44 Die unbestrittene Gefährlichkeit Glogowskis führte bereits während der Besatzung zu einer Überbewertung seiner Rolle, vgl. Steinberg, Traque II, S. 193 f. 45 AG, dossier DeVlag, insbesondere: 290, 292, 293, 299, 504, 505. Kurze Angaben zu einigen der beteiligten belgischen SS-Angehörigen finden sich bei Saerens, Jodenjagers, S. 197 f. 46 Siehe hierzu: De Jonghe, Lutte, Teil 5, S. 70 ff. 47 Vern. Karl Windhorst (ehemals BdS, Abt. V), 28. 11. 1946, AG, dossier Antoine D. 48 Vern. Lambert N., 8. 4. 1947, AG, dossier DeVlag, 304. Der angeführten Vernehmung zufolge war der Erschießung, im Gegensatz zu Saerens Angaben (Jodenjagers, S. 198), kein Fluchtversuch vorausgegangen. 49 Siehe Catherine Massange, L’Hôpital israélite de Bruxelles (1943–1944), in: Les
218
Anmerkungen zu S. 163–165
Cahiers de la Mémoire Contemporaine 7 (2006–2007), S. 13–35. Vgl. S. 80, 243. Was die übrigen Hospitäler betrifft, so lassen sich lediglich einzelne Festnahmen in Antwerpen nachweisen. Vern. Fiszel Hercz Cholewa, 22. 6. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 21; Vern. Jitte-Feiga Treff recta Nadel, 24. 6. 1949, ebd., 24. Siehe auch: Steinberg, Traque I, S. 223, Anm. 31; vgl. ebd., S. 132. Ein weiterer Fall ist erwähnt in: Awret, Aber erst müßt ihr mich kriegen, S. 299. 50 Sitzungsprotokoll AJB-Vorstand, 21. 1. 1943; AJB, Protokoll Besprechung Rosenfeld mit Erdmann, 25. 1. 1943, SVG, R497/Tr146.665. 51 Steinberg, Traque II, S. 235. 52 Steinberg, Traque I, S. 223, Anm. 31. 53 Chefarzt Jean André an Commission d’Assistance Publique de la Ville de Bruxelles, 13. 5. 1943, Archives de la Commission d’Assistance Publique de la Ville de Bruxelles, Fonds Grand Bruxelles, 68. Ich danke Catherine Massange für den Hinweis auf dies Dokument. Siehe hierzu auch das Zeugnis von Joseph G., 3. 7. 1950, AG, dossier Icek Glogowski. Die Verhaftung dürfte auf einen Hinweis des DSK zurückgegangen sein, vgl. Kap. III, S. 107. 54 Vern. Antoine D., 24. 6. 1949, AG, Sipo-SD Bruxelles, 12. 55 Vgl. ausführlich hierzu Steinberg, Traque, I, S. 209 ff. Siehe auch Van Doorslaer, La Belgique docile, S. 860 ff. (Wouters). Ein größerer Bestand von Denunziationsbriefen, der sich früher im Archiv des belgischen Verteidigungsministeriums befunden haben soll, und auf den Jean-Philippe Schreiber mich freundlicherweise hinwies, ist nach Auskunft des Ministeriums vom 1.12. 2004 nicht mehr auffindbar. 56 Dies lässt sich jedenfalls für die Sipo-SD, die GFP und das DSK nachweisen. Vgl. auch die aufschlussreiche Studienabschlussarbeit von Céline Préaux über die Sipo-SD Dinant, Le procès de la Sipo de Dinant (Université libre de Bruxelles, Leitung Pieter Lagrou), 2005–2006, in Buchform erschienen unter dem Titel: La Gestapo devant ses juges en Belgique, Brüssel 2007. 57 Eine solche Liste vom 10. 12.1942 ist überliefert in: SVG, R497/Tr196.162. Siehe hierzu Vern. Reggie Claeys, 15. 10. 1942, AG, dossier Erich A. 58 Vgl. Kap. III, S. 99 ff. Eine biographisch-fiktionale Darstellung des organisierten Fluchthilfebetrugs in den Niederlanden/Belgien findet sich in: Grohs-Martin, Ich sah die Toten. 59 Nach dem von deutscher Seite festgelegten Wechselkurs entsprachen 100 belgische Franken zunächst acht, ab 1943 dann fünf Reichsmark. In Antwerpen sollen die V-Leute der Judenabteilung nicht bezahlt worden sein, sondern Gelegenheit erhalten haben, ihre Opfer selbst auszurauben (Saerens, Jodenjagers, S. 183). 60 Siehe exemplarisch: CEGES, AA 585/110, Verf. II 921/42; AG, dossier Carlo D., dossier Arthur V. 61 AG, dossier Alexandre D. et consorts, darin insbesondere Vern. Antoine D., 10. 1. 1947; dossier Kurt Asche (CG 1644), darin insbesondere Vern. Antoine D., 3. 2. 1947, u. Vern. Otto Beusse, 10. 2. 1947; dossier Fritz Erdmann; dossier Hermann Müller; CEGES, AA 585/54/10, Verf. II 841/42. Antoine D. war als belgischer Hilfspolizist des BdS, Abt. V (Kripo), in die Ermittlungen involviert. SS-Obersturmführer Otto Beusse war der zuständige Untersuchungsführer für das Verfahren gegen die deutschen Beteiligten beim Brüsseler SS- und Polizeigericht. Zur Untersuchung gegen Müller, Erdmann und Asche vgl. auch Steinberg, Traque I, S. 214 ff. 62 Siehe hierzu De Jonghe, Lutte, Teil 5, S. 70 ff. Jungclaus hatte keine polizeilichen
Anmerkungen zu S. 165–166
219
Kompetenzen, bevor er – kurz vor Ende der Besatzungszeit – zum Höheren SS- und Polizeiführer ernannt wurde. 63 Ich habe insgesamt für die Jahre 1943 und 1944 rund 50 Fälle gefunden, in denen Angehörige von Rex an der Verhaftung von Juden beteiligt waren oder diese selbst durchführten, die Mehrzahl im Raum Brüssel. Siehe auch die etwas niedrigeren Zahlen bei Maxime Steinberg (Traque I, S. 223, Anm. 28), der ebenfalls davon ausgeht, dass Rex lediglich marginal an der Verhaftung der Juden beteiligt war. Einzelmeldungen der RexPolizei zur Verhaftung von Juden sind überliefert in: AG, dossier Sipo-SD, 21–24. 64 Vgl. Kap. IV, S. 148 ff. Dass manche Straßen als Meldeadressen der Opfer für einige Transporte gar nicht, für andere dagegen vermehrt nachweisbar sind, ist ebenfalls ein Beleg für ein planmäßiges Vorgehen. 65 Der Anteil dieser nachweisbaren Gruppenverhaftungen liegt in Brüssel bei 39 Prozent für den XII. Transport, 65 Prozent für den XIII. Transport und 54 Prozent für den XIV. Transport. Zu der angewandten Untersuchungsmethode s. Kap. IV, S. 149 ff. Für Antwerpen ist ein gezieltes Vorgehen in jeweils wechselnden Straßen – ungeachtet der topographischen Unterschiede gegenüber Brüssel – ebenfalls augenfällig. Die feststellbaren Gruppenverhaftungen in Groß-Antwerpen liegen bei 58 Prozent (Transport XII), 46 Prozent (Transport XIII) und 45 Prozent (Transport XIV). 66 Auf die Bedeutung der Tatsache, dass Beeckmans die von der AJB angelegte Familienkartei nach Straßen ordnete, hat Saerens (Vreemdelingen, S. 549) aufmerksam gemacht. 67 AJB, Vermerk „Intervention“, 23. 7.1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 12; AJB, Abt. Eingaben, an Sipo-SD Antwerpen (II C), 24. 7. 1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 2; Rechtsanwalt Albert Brys an AJB, 27. 7. 1942 (Anl.), MJDR, AJB-CNHEJ, 22; Vernehmungen folgender überlebender Juden: Israel Rosengarten, 20. 2. 1949; Josef Gurfinkiel, 7. 2. 1949; Jacob Mendel Lajzerowicz, 17. 2. 1949; Adolf Rosenberg, 12. 2. 1949; Fischel Horowitz, 11. 2. 1949; Ide Lejo Kartuz, 8. 2. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 22 u. 23. Siehe auch Steinberg, Cent jours, S. 196 f.; Saerens, Vreemdelingen, S. 590 f. 68 Dies hat Gert De Prins, Mitarbeiter des belgischen Kriegsopferdienstes (SVG), im Rahmen seiner Forschungen für ein vom SVG derzeit vorbereitetes neues Gedenkbuch herausgefunden. Ich danke ihm für die Genehmigung zur Einsicht in sein noch unveröffentlichtes Manuskript: De gevangenen van het Auffanglager Breendonk, 1940–1944. Toelichting bij de herziene namenlijst (versie 7 november 2008), S. 51. 69 Es wird nicht zu klären sein, wie viele Juden insgesamt aus dem Lager Breendonk nach Malines gebracht worden sind, zumal die jüdischen Gefangenen in Breendonk nur teilweise registriert wurden (Manuskript De Prins, wie vorige Anm., S. 36). Die Archivarin des MJDR, Laurence Schram, hat die Namen von mehr als 200 Juden ermittelt, die zu einer gewissen Zeit in Breendonk interniert waren und später nach Auschwitz deportiert wurden. Darunter befinden sich allerdings auch Personen, die nicht aus Breendonk überstellt, sondern zwischenzeitlich freigelassen worden waren. Ich danke Laurence Schram, die mir ihre Daten zur Verfügung stellte. Vgl. Steinberg, Cent jours, S. 53 ff. 70 In Antwerpen standen der Ortskommandantur ein Trupp (d 830) und der Feldkommandantur zwei Trupps (a [mot] 835 / c [tmot] 821) zur Verfügung. In Brüssel waren ebenfalls zwei Trupps der Oberfeldkommandantur (a [mot] 810 / c [tmot] 811) und ein Trupp der Ortskommandantur (c [tmot] 831) zugeteilt. Insgesamt unterstanden dem MBB im Sommer/Herbst 1942 rund 1700 Feldgendarmen. Übersicht des Höheren FG-Offiziers beim MBB, 1.7. 1942, CEGES, AA 495; MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 22, 31. 12. 1942, BA-MA, RW 36/191, S. A 8.
220 71
Anmerkungen zu S. 167–170
Siehe beispielhaft: Vern. Jacob Gehlkopf, 23. 6. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 22; Vern. Antonio Berger, 17. 3. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 21; Vern. Hindla Pargament, 4. 4. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 23; sowie dossiers SDR/Statut für Hersch Chaim Toder (* 7. 9. 1911). 72 Bericht FG-Trupp d/803 der Ortskommandantur Lüttich, 14.7. 1942, CEGES, AA 585/54/5, Verf. II 387/42, dort auch die folgenden Angaben. Der betreffende Dolmetscher namens Grauman arbeitete zugleich, vermutlich als V-Mann, für das DSK Brüssel, das in Lüttich zu diesem Zeitpunkt keine Außenstelle mehr unterhielt. Siehe hierzu: Bericht FG-Trupp d/803, OK I/940, 15. 8. 1942, AA 585/54/6, Verf. II 488. 73 Offenbar verfügte die Wehrmachtgerichtsbarkeit über einen beträchtlichen Handlungsspielraum. Hatte der MVChef (Gruppe Polizei) Ende Juli 1942 verfügt, alle jüdischen Gefangenen aus deutschen Haftanstalten an den BdS zur Deportation auszuliefern, so empfahl der Oberkriegsgerichtsrat beim MBB einem Gericht auf dessen Rückfrage, die Verfahren der noch nicht verurteilten Häftlinge zunächst abzuschließen. Verfügung MVChef pol, 22. 7. 1942; Oberstkriegsgerichtsrat beim MBB an Gericht der OFK 570 (Zweigstelle Brügge), 13. 8.1942, CEGES, AA 278, pièce 2525, 2527. Tatsächlich wurden manche Juden sofort ausgeliefert, manche zunächst abgeurteilt und im Anschluss deportiert, und es sind auch wenige Fälle dokumentiert, in denen verurteilte Juden nach Ablauf der Strafzeit entlassen wurden. 74 FG-Trupp d/847 der Stadtkommandantur Gent an AJB Brüssel, 17. 11.1942; Rechtsanwalt M. Van Oye an AJB, 13. 11.1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 22. Zu Einzelverhaftungen durch die Feldgendarmerie s. auch Kap. IV, S. 123 f. 75 Vgl. Kap. III. 76 Siehe dagegen: Van Doorslaer u. a., La Belgique docile, S. 642 (Wouters). 77 SVG, dossier SDR/Statut für Richard Spiegl (* 20. 7. 1916); Vern. Oskar Spindler, 5. 2. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 24; Vern. David Albert Szpajer, 13. 5. 1949, ebd. 78 GFP-Tätigkeitsberichte für Monat Juli, August, September, November u. Dezember 1942, BA-MA, RW 36/165, Bl. 516 ff., 533 ff., 560 ff., 602 ff., 624 ff. Dort auch die folgenden Zitate. 79 Zu dem Vikar Paul Nolens s. Steinberg, Traque I, S. 150. 80 Feldgericht des Kommandierenden Generals und Befehlshabers im Feldluftgau Belgien/Nordfrankreich, Anklageverfügung u. Haftbefehl, Mai 1944, AG, dossier GFP 530. Siehe hierzu auch: Steinberg, Traque I, S. 181 ff. 81 In den Archiven des DSK sind eine Reihe solcher Urteile überliefert; s. bspw. Strafverfügung Gericht OFK 672, 2. 9. 1942, CEGES, AA 585/54/6, Verf. II 514/42; vgl. auch Kap. IV, S. 118. 82 Urteil OFK Brüssel, 28. 8. 1942, SVG, R497/Tr6719, dossier Roger L. In der Folgezeit konnten die Strafen erheblich höher ausfallen, s. Steinberg, Traque I, S. 139. 83 Siehe Steinberg, Traque I, S. 153 ff.; L’Exposition belge à Auschwitz, S. 139. 84 Mündliche Auskunft der Leiterin des belgischen Kriegsopferdienstes (SVG), Claire Barette, vom 7. 8. 2008. Diese belgische Behörde, die die einschlägigen Quellen verwahrt, hatte über die Anerkennung der ehemals versteckten Kinder als Kriegsopfer zu entscheiden. 85 Urteil OFK Brüssel, 28. 8. 1942, SVG, R497/Tr6719, dossier Clémentine B. Siehe auch Steinberg, Traque I, S. 154. 86 AG, dossier Erich Holm, Vernehmungen von Elza D. (24. 6.1946) u. Carolina T. (19. 10. 1946); SVG, dossiers Statut/SDR für Elza D. (* 24. 11.1913) u. Carolina T. (* 17. 10. 1892). Siehe auch Kap. IV, S. 132 f.
Anmerkungen zu S. 171–172 87
221
Die vorliegende belgische Forschung verzeichnet keine Verhaftung von Juden durch die Gendarmerie im Zeitraum der Deportationen, führt dies allerdings vorrangig auf die lückenhafte Aktenüberlieferung zurück. Dokumentiert ist ein Fall, in dem die Gendarmerie eine Gruppe von Kindern, die ein belgischer Mitarbeiter der deutschen Abwehr in der Provinz Antwerpen verhaftet hatte, mit dem Zug nach Antwerpen brachte. Van Doorslaer u. a., La Belgique docile, S. 594 (Wouters); Saerens, Jodenjagers, S. 139 f. 88 Vermerk AJB-Eingabestelle, 15. 9. 1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 14 c. 89 Was die belgische Polizei in der Provinz Antwerpen betrifft, haben wir – über die etwa 20 aus der vorliegenden Literatur bekannten Fälle hinaus – nur eine weitere Verhaftung durch die Polizei der Gemeinde Schoten nachweisen können. Vern. Suchen Benitz Torenhajm, 5. 3. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 24. 90 Nur einer dieser Fälle betrifft die Verhaftung eines Juden durch belgische Beamte im eigentlichen Sinne (Bericht Polizei Brüssel-Saint-Gilles, 31. 7.1942, AVB, Police 40–45, boîte 41). In einem anderen Fall verlangten Angehörige des BdS von einem auf der Straße angetroffenen Brüsseler Polizisten, sie zu einer von ihnen bestimmten Adresse führen, wo sie selbst einen Juden festnahmen (Bericht Polizei Brüssel 6. Division, 10. 7. 1942, ebd., boîte 39). Im dritten Fall erschien ein Angehöriger des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK) mit einer von ihm selbst verhafteten Jüdin, der er den Verstoß gegen die deutsche Kennzeichnungsverordnung vorwarf, in einem Brüsseler Polizeikommissariat. Der diensttuende Beamte benachrichtigte die Sipo-SD, woraufhin der NSKK-Mann die verhaftete Frau selbst zum BdS brachte (Bericht Polizei Brüssel-Saint-Gilles, 17. 4.1943, ebd., boîte 41). Vgl. Majerus, Logiques administratives, S. 209 f. 91 Van Doorslaer u. a., La Belgique Docile, S. 595, 639, 654. Bei weiteren Beispielen, die der Autor anführt, handelt es sich um Irrtümer. So gibt Wouters an, dass die Brüsseler Polizei 1943 eine Jüdin, die sich bei der versuchten Flucht vor der Verhaftung durch die Sipo-SD schwer verletzt hatte, auf deutschen Befehl bis zu ihrer Überführung in das Lager Malines im Hospital bewacht habe (ebd., S. 638 f.). Wie die Primärquellen zeigen, hob die Brüsseler Polizei die Bewachung nach einiger Zeit auf, woraufhin der Patientin die Flucht aus dem Hospital gelang. Bericht Polizei Brüssel-Schaerbeek, 22. 6. 1943, AVB, Police 40– 45, boîte 38. In einem anderen Fall wird die in Kap. IV (S. 132) beschriebene Rettung jüdischer Kinder durch Brüsseler Partisanen infolge der irrtümlichen Lesart eines Polizeiberichts mit einer Verhaftung verwechselt (La Belgique docile, S. 640). Wenn der Autor schließlich schreibt, dass die Brüsseler Polizei bis Mai 1942 Juden verhaftet und an die Deutschen ausgeliefert habe (ebd., S. 595 [franz. Ausg.], 651), so fehlt dafür jeglicher Beleg. In den Archiven der Brüsseler Polizei ist hingegen dokumentiert, dass die Brüsseler Polizei bereits im Mai 1942 die von deutscher Seite verlangte Verhaftung von Juden ablehnte. Van Autgaerden an OFK Brüssel, 22. 5. 1942, AVB, Police 40–45, boîte 39. 92 Vern. Szerman, 2. 3. 1949 u. 16. 5. 1949, AG, dossier Sipo-SD Bruxelles, 24. 93 Van Doorslaer u. a., La Belgique docile, S. 597 f., 637 ff. 94 Die Kommunen waren gehalten, der Sipo-SD Veränderungen wie Umzüge laufend mitzuteilen. 95 Eine gegenteilige Ansicht vertritt Steinberg, der allerdings nicht auf die Verhaftungen eingeht, sondern lediglich betont, die Judenregister der Kommunen seien für die Deportation der Juden unentbehrlich gewesen. Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz, Bd. 1, S. 137. 96 Vermerk AJB-Eingabestelle, 15. 5. 1942, MJDR, AJB-CNHEJ, 23; Vermerk AJBEingabestelle, 9. 5. 1944; ebd., 22; BdS IV B 4 an Kriegswehrmachtgefängnis Brüssel-SaintGilles, 11. 5. 1944, SVG, dossier Statut/SDR für Ruchla Crin (* 12. 9. 1877).
222
Anmerkungen zu S. 172–179
97
Siehe Van Doorslaer u. a., La Belgique docile, S. 359 f. (Seberechts), sowie S. 154. Nimmt man alle ermittelten Einzelverhaftungen und im Text erörterten Überführungen sowie die Antwerpener Großrazzien zusammen und rechnet die Gesamtzahl der aus den nordfranzösischen Arbeitslagern deportierten Juden hinzu, weil deren Vorladung größtenteils durch die belgische Administration erfolgte, so verhafteten die Deutschen insgesamt annähernd 4300 Juden mit Hilfe belgischer Stellen (= weniger als 18 Prozent der 24 906 Deportierten). Diese Berechnung schließt auch die Antwerpener SeptemberRazzia ein, an der die einheimischen Polizeikräfte nur marginal mitwirkten. Sie beansprucht nicht, jede Einzelverhaftung zu berücksichtigen, lässt jedoch die Schlussfolgerung zu, dass etwa ein Fünftel der deportierten Juden unter Beteiligung der belgischen Verwaltung und Polizei festgenommen wurden. Zu den Zahlen der großen Verhaftungsaktionen s. Kap. III, S. 84 f. 99 Vgl. Steinberg, Question juive, S. 85 ff.; Sabine Meunier, Les Juifs de Belgique dans les Camps de Sud-Ouest de la France, 1940–1944, Bruxelles 1999 (mémoire de licence en Histoire, ULB); Christian Eggers, Unerwünschte Ausländer. Juden aus Deutschland und Mitteleuropa in französischen Internierungslagern 1940–1942, Berlin 2002, S. 65 ff., 235 ff.; Marcel Bervoets-Tragholz, La Liste de Saint-Cyprien, Bruxelles 2006; sowie: Van Doorslaer u. a., La Belgique docile, S. 177–263 (Debruyne). 100 Meldungen aus Belgien und Nordfrankreich Nr. 16/42 v. 15. 8. 1942, Nr. 17/42 v. 31. 8. 1942, Nr. 18/42 v. 15. 9. 1942, Nr. 19/42 v. 1.10.1942, BAB, R 58/6399, dort auch die folgenden Zitate. Die Überlieferung dieser Meldungen zur Judenverfolgung ist der Forschung bisher entgangen. So wird in der Einleitung zu der einschlägigen Quellenedition hervorgehoben, dass zur Judenverfolgung in Belgien lediglich drei kurze Berichte aus den Jahren 1943/44 vorlägen, vgl. Boberach, Regimekritik (Erschließungsband), S. XXVIII. 101 Vgl. Steinberg, Persécution, S. 295 ff., sowie den in Kap. I, S. 51, zitierten Rapport des Gesandten von Bargen vom 24. September 1942. 102 Siehe Kap. I, S. 42 f. 103 Siehe den in Kap. I, S. 51, zitierten Bericht Bargens v. 24. 9.1942, vgl. Steinberg, Persécution, S. 298 f. 104 MVChef, Tätigkeitsbericht Nr. 22, 31.12. 1942, BA-MA, RW 36/191, Auszug abgedr. in: Klarsfeld/Steinberg, Dokumente, S. 59; Meldungen aus Belgien und Nordfrankreich Nr. 1/43 v. 15. 1. 1943, S. 14, in: Boberach, Regimekritik (Mikrofiche-Edition), S. B0039. 105 Siehe die oben, S. 153, angeführte Tabelle zum Vergleich der Verhaftungszahlen. Im Frühjahr 1943 waren mindestens sieben Angehörige des Judenreferats für die Festnahmekommandos abgestellt, s. o. Anm. 37. 106 Etwa zwei Drittel der Opfer befanden sich ohne nähere Familienangehörige im Transport Nr. XXV, während im XII. und XXI. Transport (1942/1943) hingegen zwei Drittel der Opfer mit zumindest einem Familienangehörigen zusammen deportiert wurden. 98
Schlussbetrachtung 1 Siehe hierzu: Ulrich Herbert, Die deutsche Militärverwaltung in Paris und die Deportation der französischen Juden, in: Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939– 1945. Neue Forschungen und Kontroversen, hrsg. von Ulrich Herbert, Frankfurt a. M. 1998, S. 170–208, hier S. 189 ff., 193; Ahlrich Meyer, Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940–1944. Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung, Darmstadt 2000, S. 72 ff. 2 Steinberg, Persécution, S. 221 f. 3 Klarsfeld, Vichy-Auschwitz, S. 52, 59 f., 206 f., 365; Meyer, Täter im Verhör, S. 59 ff. 4 Griffioen/Zeller, Anti-Jewish Policy, S. 459 f.
Anmerkungen zu S. 179–184 5
223
Klarsfeld, Vichy-Auschwitz, S. 104–155. Vgl. Van Doorslaer, Conclusion finale, in: Ders. u. a., La Belgique docile, S. 1138, sowie Van Gothem, Convention de La Haye. Der Autor kommt allerdings irrtümlicherweise zu dem Schluss, dass die Haltung der Antwerpener Polizei bei der Verhaftung der Juden derjenigen der Vichy-Polizei entsprochen habe (ebd., S. 195). 7 Vgl. Klarsfeld (wie Anm. 5). 8 Zu dieser Bewertung der Rolle der Antwerpener Behörden s. Saerens, Vreemdelingen, S. 747, ebenso: Steinberg, Persécution, S. 13, 24 f. 9 Zur Verschiebung der Gewichte in der belgischen Historiographie bzw. in der öffentlichen Erinnerung Belgiens vgl. auch die Besprechung von Jean-Philippe Schreiber, La Belgique docile: Les paradoxes d’un monument de l’historiographie locale de la Shoah, in: Les Cahiers de la Mémoire contemporaine 7 (2006–2007), S. 111–129. 10 Les Biens des victimes; Van Doorslaer, Raub und Rückerstattung; Van Doorslaer u. a., La Belgique docile, S. 404–449, 481 ff. (Seberechts). 11 Siehe hierzu S. 222, Anm. 98. 12 Telegramm Bargen an AA, 9. 7. 1942, abgedr. in: Poliakov/Wulf, Das Dritte Reich und seine Diener, S. 98; auch ADAP, Serie E, Bd. III, Nr. 74. 13 De Jong, Het Koninkrijk der Nederlanden, Bd. 6.1., S. 336 f., 360 ff.; Ad van Liempt, Kopfgeld. Bezahlte Denunziation von Juden in den besetzten Niederlanden, München 2005; Doris Tausendfreund, Erzwungener Verrat. Jüdische „Greifer“ im Dienst der Gestapo 1943–1945, Berlin 2006. 14 Siehe auch zum folgenden: Steinberg, Traque I, S. 32, 65–202; Lucien Steinberg, Le Comité de défense; Teitelbaum-Hirsch, Enfants cachés; Van Doorslaer u. a., La Belgique docile, S. 804–814 (Emmanuel Debruyne); Schreiber, Hertz Jospa. Vgl. Saerens, Hilfe, und Michman, Encyclopedia. Zu den Zahlen vgl. S. 220, Anm. 84. 15 Darunter befanden sich auch 218 Juden vorwiegend türkischer oder ungarischer Staatsangehörigkeit, die die Besatzungsmacht nach Buchenwald, Ravensbrück oder Vittel deportierte. Vgl. S. 238 f. 16 Siehe hierzu Meyer/Meinen, Transitland Belgien. Nach unseren Erhebungen lag der Anteil der Flüchtlinge, die zwischen 1938 und 1940 aus Deutschland bzw. Österreich nach Belgien gelangt waren, bei 15 % im Transport XII, 22 % im Transport XIII, 18 % im Transport XIV, 27 % im Transport XXI und 21 % im Transport XXV. Eine Aufstellung für insgesamt 70 Prozent der aus Belgien deportierten Juden deutet darauf hin, dass allein der Anteil der Flüchtlinge mit deutscher Staatsangehörigkeit über 20 Prozent betrug, s. hierzu: MVChef, Abschlussbericht, 16. Teil (Treuhandvermögen), o. D. [1944], BA-MA, RW 36/227, S. 119 f. Ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt unter dem Titel „Zwangsmigration und Holocaust. Jüdische Flüchtlinge in Westeuropa 1938– 1944“, das von Ahlrich Meyer und mir an der Universität Oldenburg durchgeführt wird, wird hierzu nähere Aufschlüsse erbringen. 6
Abkürzungen AA Abt. AD ADAP AG AGR AJB AN Anl. AVB BAB BAL BA-MA BDC BdS Besch.Vern. B. T. CDJ CDJC CEGES DeFlag/ DeVlag d. J. DSK Eidesst. Erkl. Erkl. F. I. FG FK Gestapa Gestapo GFP GRMA GÜST HLKO HSSPF HStAD Kdo.Stab KTB
Auswärtiges Amt Abteilung Außendienststelle Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945 Auditorat Général, Brüssel Archives Générales du Royaume, Brüssel Association des Juifs en Belgique Archives Nationales, Paris Anlage Archives de la Ville de Bruxelles Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv, Außenstelle Ludwigsburg Bundesarchiv, Abt. Militärarchiv, Freiburg Berlin Document Center Beauftragter des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD Beschuldigtenvernehmung Brüsseler Treuhandgesellschaft Comité de défense des Juifs Centre de documentation juive contemporaine, Paris Centre d’Études et de Documentation Guerre et Sociétés contemporaines, Brüssel Deutsch-Flämische Arbeitsgemeinschaft Duitsch-Vlaamsche Arbeidsgemeenschap des Jahres Devisenschutzkommando Eidesstattliche Erklärung Erklärung Front de l’Indépendance Feldgendarmerie Feldkommandantur Geheimes Staatspolizeiamt Geheime Staatspolizei Geheime Feldpolizei German Records Microfilmed at Alexandria Grenzübergangsstelle Haager Landkriegsordnung Höherer SS- und Polizeiführer Hauptstaatsarchiv Düsseldorf Kommandostab Kriegstagebuch
226 KVR M-Aktion MBB MBF MJDR MVChef fürs ges Justiz kult med pol polit volk Wi V VII VIII XII Nbg.Dok. NSDAP o. D. OFK OK OKH OKVR OKW ONT OT P. A. P. V. PA-AA RFM RGBl. RmfdbO RMI RSHA SA SD Sipo-SD SS Stapo stv. SVG ULB Verf. Vern.
Abkürzungen Kriegsverwaltungsrat Möbelaktion Militärbefehlshaber in Belgien und Nordfrankreich Militärbefehlshaber in Frankreich Musée juif de la Déportation et de la Résistance, Malines Militärverwaltungschef Verwaltungsabteilung/Gruppe Fürsorge Präsidialbüro/Gruppe Gesetzgebung Verwaltungsabteilung/Gruppe Justiz Verwaltungsabteilung/Gruppe Kultur Verwaltungsabteilung/Gruppe Medizin Verwaltungsabteilung/Gruppe Polizei Präsidialbüro/Gruppe Politik Verwaltungsabteilung/Gruppe Volkstumsfragen Wirtschaftsabteilung Gruppe V (Auswärtiger Waren-, Zahlungs- und Devisenverkehr) Gruppe VII (Sozialwesen und Arbeitseinsatz) Gruppe VIII (Bank-, Geld- und Kreditwesen) Gruppe XII (Feind- und Judenvermögen) Nürnberger Dokument Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ohne Datum Oberfeldkommandantur Ortskommandantur Oberkommando des Heeres Oberkriegsverwaltungsrat Oberkommando der Wehrmacht Office National du Travail Organisation Todt Partisans armés Procès-verbal Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin Reichsfinanzminister(ium) Reichsgesetzblatt Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete Reichsministerium des Innern Reichssicherheitshauptamt Sturmabteilung Sicherheitsdienst Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst Schutzstaffel Staatspolizei stellvertretender Service des victimes de la guerre auprès du Service public fédéral Sécurité sociale, Brüssel Université libre de Bruxelles Verfahren Vernehmung
Abkürzungen Verw.Chef Vm. VNV VOBlB z. b. V.
227
Verwaltungschef Vermerk Vlaams Nationaal Verbond Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich zur besonderen Verwendung
Quellen und Literatur Unveröffentlichte Quellen I. Belgien Service des victimes de la guerre auprès du Service public fédéral Sécurité sociale, Brüssel (SVG) R123 / R184 / R494 / R497 / R695 / R706 / R715, darunter jeweils umfangreiche Bestände vermischter Provenienzen, u. a.: • Fichier SD (Judenkartei des BdS Brüssel) • Documentation Marburg (u. a. MBB MVChef Wi VII) • Brüsseler Treuhandgesellschaft/Devisenschutzkommando • RmfdbO, Dienststelle Westen, Einsatzleitung Belgien • Dossiers judicaires de la prison de Saint-Gilles • Comité directeur de l’AJB: Procès-verbaux des séances • Comité local de Bruxelles de l’AJB: Procès-verbaux des séances/Rapports d’activités • Papiers Oscar Plisnier • Salomon Van den Berg, Journal de guerre • Auditorat Général (u. a. pièces à conviction/Lambrichts; Beeckmans) • Diverse Statistiken und Ermittlungen des belgischen Kriegsopferdienstes zur Verfolgung, Internierung und Deportation der Juden Dossiers SDR/Statut (nach 1944 angelegte Personendossiers)
Musée juif de la Déportation et de la Résistance, Malines (MJDR) • • • • •
Registre des Juifs (Judenregister, elektronische Kopie) Fichier Beeckmans – AJB (AJB-Kartei, elektronische Kopie) Transportlisten Malines – Auschwitz (elektronische Kopie) Reliques (Persönliche Schriftstücke der deportierten Juden) AJB (Archiv der Zwangsvereinigung der Juden)
Umfangreiche Einzeldokumente zur Verfolgung und Deportation der Juden verschiedener Provenienzen, darunter Besatzungsdienststellen; belgische Behörden auf nationaler, regionaler u. kommunaler Ebene; belgisches Königshaus.
Centre d’Études et de Documentation Guerre et Sociétés contemporaines, Brüssel (CEGES) AA 278 AA 279 AA 310 AA 377
Procès von Falkenhausen Procès Canaris Auditorats militaires, rapports des faits (Sipo-SD) Procès Ernst Boje Ehlers/Kurt Asche
230 AA 495 AA 542 AA 558 AA 585 AA 753 AA 1312 AA 1314 GRMA/ T 77/R1217 T 78/R 61 L3
mic 41 mic 51 mic 74 mic 79
Quellen und Literatur Oberkommando des Heeres (Fremde Heere West) Auditorat Général, pièces à conviction (Sipo-SD) BdS Brüssel (Correspondance 1940–1944) Devisenschutzkommando Archives R. D. Katz Auditorat Général, pièces à conviction (Abwehr/Sipo-SD) Auditorat Général, pièces à conviction (u. a. archives Pierre Beeckmans) MBB MVChef Wi MBB MVChef MBB (Allgemeiner Jahresbericht, Juni 1941) MBB MVChef (Tätigkeits- und Abschlußberichte) Lageberichte der Oberfeldkommandatur Lille Procès-verbaux du collège des Secrétaires Généraux Archives de guerre Salomon Ullmann Archives de guerre Gaston Schuind Archives de guerre Jean Vossen Archives de guerre baron Albert Houtart
Maurice Benedictus, Historique du problème juif en Belgique depuis le 10 mai 1940, jusqu’au 21 décembre 1942, Lissabon 16. 2. 1943 (AA 753). Ders., Rapport condensé sur quelques Allemands ayant joué un rôle dans le drame juif en Belgique, Lissabon 16. 2. 1943 (AA 753). Ders., Rapport condensé sur quelques personnalités belges ayant joué un rôle dans le drame juif en Belgique, Lissabon 16. 2.1943 (AA 753). Ders., Rapport sur l’arrestation de MM. S. Ullmann, Grand Rabbin de Belgique, S. Van den Berg, A. Blum, E. Hellendael, M. Benedictus et de leur séjour au camp de concentration de Breendonk du 24. 9. 42 au 3.10. 42, Lissabon 16. 2. 1943 (AA 753). Salomon Ullmann, Report on the Nazi period in Belgium (mic 41). Ders., Report on the „Association des Juifs en Belgique“ (mic 41).
Archives de la Ville de Bruxelles (AVB) Cabinet du bourgmestre Guerre 40–45, Grand Bruxelles Police 40–45
Auditorat Général, Brüssel (AG) Dossiers Sipo-SD Bruxelles; Sipo-SD Dinant; GFP 530; DeVlag Dossiers Erich A.; Kurt A./Etel K.; Paul Alscher; Kurt Asche; Nicolas A.; Wilhelm Asthalter; Max Boden; Roger B.; Reggie Claeys; Antoine D.; Josef Deichsel; Carlo D.; Alexandre D.; Joseph Dysan; Fritz Erdmann; Johannes Frank; Icek Glogowsky; Bernat G.; Hugo H.; Hans H.; Erich Holm; Walter Kaiser; Robert K./Louise T.; Heinrich Lenzen; Karl Meinshausen; Hermann Müller; Lambert N.; Karl Noller; Hermann Reimann; Hans Rodenbüsch; Pierre Gustave R.; Heinrich R.; Philip Schmitt; Gaston Schuind; Leopold S.; Gerhard Seeck; Otto Siegburg; Theo S.; Georges Abraham T.; Robert Van der Heyden; Arthur V.; Felix Weidmann.
Quellen und Literatur
231
II. Deutschland Bundesarchiv Berlin (BAB) R2 R 58 R 70 R 1501 NSDAP PK RS SSO
Reichsfinanzministerium Reichssicherheitshauptamt Polizeidienststellen in den besetzten Gebieten RMI / Personalabteilung Zentral- und Gaukartei (ehem. BDC) Parteikorrespondenz der NSDAP (ehem. BDC) Rasse- und Siedlungshauptamt (ehem. BDC) SS-Führerpersonalakten (ehem. BDC)
Bundesarchiv, Abt. Militärarchiv, Freiburg (BA-MA) RW 36 RH 36 N 246
Militärbefehlshaber in Belgien und Nordfrankreich Kommandanturen der Militärverwaltung Nachlass Alexander von Falkenhausen
Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin (PA-AA) R 29547 R 99406 R 100862
Büro des Staatssekretärs, Belgien (1940–1943) Inland II A/B, Judenfrage in Belgien (1939–1944) Inland II g, Judenfrage in Belgien (1939–1943)
Bundesarchiv, Außenstelle Ludwigsburg (BAL) B 162/Vorl. AR-Z 18/61: Verfahren gegen Ernst Ehlers u. a. (einschließlich Handakten) • Kopien der im Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem vorgelegten Dokumente
III. Frankreich Archives Nationales, Paris (AN) AJ 40
Archives allemandes de la Seconde Guerre mondiale
Centre de documentation juive contemporaine, Paris (CDJC) CCVIII-2
„Les Enfants“, Bericht von Maurice Heiber (November 1944)
IV. Israel Yad Vashem Archives, Jerusalem Testimonies (01) Paula Littauer: My Experiences during the Persecution of the Jews in Berlin and Brussels 1939–1944 (120) Testimonies and Reports (02 -Wiener Library) Renate Godin-Hirschfeld (171); Curtha Sulnik: „Illegal Life“ in Belgium. Jewish Resistance (299); Arnold Hirsch (326); Victor Martin: The First Information on Auschwitz (300); Bracha Rothschild (333); Oskar Wachsmann: Conditions in Belgium under the Occupation (334); Chaja Rywka Rozenszain (335); Maurice Bolle (569); Hetty Dab: Underground Life in Belgium (618); Bertha Reig (690); Selected Reports from OFIPRESSE –
232
Quellen und Literatur
edited by Chaïm Perelman (693/702); Josek Samoszul (799); Roger Van Praag (1084); Ester Tencer: Survival Through Solidarity (1087). Testimonies (03 – Yad Vashem) Bertha Klein (873); Bluma Zimet (2695); Fanny Shulamit Galanter (2899); Miriam Sterenzy (3296); Rosa Szmidt (3452);Joseph Spira (6527); Emmanuel Pels (6793); Sara Hirst (7000); Ruth Lowenthal (7080); Irene Goldberg (8972); Harry Mauer (10258); Ruth Golan (10534); Menashe Horowitz (11045); Ilse Gluckstadt (11439).
Veröffentlichte Quellen Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945. Heinz Boberach (Hrsg.), Regimekritik, Widerstand und Verfolgung in Deutschland und den besetzten Gebieten. Meldungen und Berichte aus dem Geheimen Staatspolizeiamt, dem SD-Hauptamt der SS und dem Reichssicherheitshauptamt 1933–1944. Mikrofiche-Edition u. Erschließungsband, München 2003. Commission des Crimes de guerre près du Ministère de la Justice, Les Crimes de guerre commis sous l’occupation de la Belgique 1940–1945. La persécution antisémitique en Belgique, Lüttich 1947. Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, 2. Aufl., Koblenz 2006. Walter Hailer, Organisation der Militärverwaltung und ihr Verhältnis zu den landeseigenen Behörden, in: Reich – Volksordnung – Lebensraum, Bd. 6 (1943), S. 24–52. Serge Klarsfeld (Hrsg.), Die Endlösung der Judenfrage in Frankreich. Deutsche Dokumente 1941–1944, Paris 1977. Ders./Maxime Steinberg (Hrsg.), Dokumente. Die Endlösung der Judenfrage in Belgien, New York/Paris o. J. [1980]. L’Exposition belge à Auschwitz. Le livre, hrsg. vom Musée Juif de la Déportation et de la Résistance, Malines 2006. Peter Longerich (Hrsg.), Die Ermordung der europäischen Juden. Eine umfassende Dokumentation des Holocaust 1941–1945, München/Zürich 1989. Mémorial de la Déportation des Juifs de Belgique, bearb. von Serge Klarsfeld u. Maxime Steinberg, Brüssel/New York 1982. Henri Monneray (Hrsg.), La Persécution des Juifs en France et dans les autres pays de l’Ouest, Paris 1947 (enthält u. a. Nbg. Dok. UK 76: Rapport du Gouvernement belge sur les persécutions des Juifs de Belgique durant l’occupation allemande, S. 202–228). Léon Poliakov/Josef Wulf, Das Dritte Reich und seine Diener. Dokumente, Berlin 1956. Eggert Reeder, Die Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich, in: Reich – Volksordnung – Lebensraum, Bd. 6 (1943), S. 7–23. Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich. www.joodsmonument.nl www.memorialdelashoah.org www.yadvashem.org
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Karte Belgiens
237
Die Deportation von Juden aus Malines nach Auschwitz 1 Transport Abfahrtsdatum
Deportierte
Mnner
Frauen
Kinder unter 15 Jahren
berlebende im Jahr 1945
I
4. 8. 1942
998
545
402
51
7
II
11. 8. 1942
999
460
488
51
3
III
15. 8. 1942
1000
380
522
98
5
IV
18. 8. 1942
999
339
415
245
0
V
25. 8. 1942
996
398
429
169
27
VI
29. 8. 1942
1000
355
531
114
35
VII
1. 9. 1942
1000
282
401
317
15
VIII
10. 9. 1942
1000
390
404
206
34
IX
12. 9. 1942
1000
408
401
191
30
X
15. 9. 1942
1048
406
413
229
17
XI
26. 9. 1942
1742
562
713
467
31
XII
10. 10. 1942
998
310
423
265
28
XIII
10. 10. 1942
675
230
258
187
26
XIV
24. 10. 1942
995
325
438
232
15
XV
24. 10. 1942
477
314
93
70
26
XVI
31. 10. 1942
822
686
93
43
49
XVII
31. 10. 1942
875
628
170
77
37
XVIII
15. 1.1943
946
361
416
169
4
XIX
15. 1.1943
612
241
270
101
8
XX
19. 4. 1943
1398
506
655
237
153
XXI
31.7.1943
1552
672
706
174
42
XXII A
20. 9. 1943
632
293
263
76
31
XXII B
20. 9. 1943
793
304
353
136
19
XXIII
15. 1.1944
654
308
290
56
99
XXIV
4. 4. 1944
625
302
275
48
146
XXV
19. 5. 1944
507
236
230
41
134
XXVI
31.7.1944
563
280
252
31
186
27
1942–1944
24 906
10 521
10 304
4081
1207
Die Deportation von Juden aus Malines nach Auschwitz
239
Weitere 218 Juden wurden in den Jahren 1943/44 aus Malines in die Lager Buchenwald, Ravensbrück, Bergen-Belsen und Vittel deportiert. Von ihnen waren 1945 noch 130 am Leben. Aus dem in Frankreich errichteten Durchgangslager Drancy deportierten die deutschen Besatzer mindestens 5034 Juden, die noch im Mai 1940 in Belgien gelebt hatten und die in das Nachbarland geflohen oder von den belgischen Behörden am Vorabend des deutschen Überfalls dorthin ausgewiesen worden waren2 . 317 von ihnen kehrten aus den Vernichtungslagern zurück.
1 Die folgenden Zahlen beruhen auf den Forschungen von Steinberg und Schram, die sich vor allem auf die überlieferten Transportlisten stützen und alle darin verzeichneten Personen berücksichtigen, die nicht nachweislich noch in Belgien aus dem Deportationszug fliehen konnten. Siehe Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz, Bd. 4, S. 43 ff. Differenzen zu den dort veröffentlichten Gesamtsummen gehen in erster Linie darauf zurück, dass die dortigen Tabellen die Deportation von 351 „Zigeunern“ mit dem Transport Z einschließen. Außerdem weichen meine Ergebnisse für die Transporte XIII und XXV geringfügig von Steinbergs und Schrams Statistik ab. Die hier angeführte Gesamtzahl der deportierten Juden entspricht den Angaben des belgischen Kriegsopferdienstes, s. Mémorial, S. 42 ff. – Die Transporte VI, VII, VIII, IX, XII und XIII hielten kurz vor Auschwitz in Kosel, wo insgesamt mehr als 1000 Männer zwischen 15 und 50 Jahren zur Arbeit selektiert und auf verschiedene Lager in Oberschlesien verteilt wurden. 2 Mémorial, S. 45, 56, vgl. Adriaens u. a., Mecheln – Auschwitz, Bd. 1, S. 179.
240
Die an der Judenverfolgung beteiligten deutschen Stellen
Oberkommando des Heeres (OKH)
Militärbefehlshaber von Falkenhausen
Kommandostab von Harbou
Militärverwaltungschef Reeder
Geheime Feldpolizei (GFP) Feldgendarmerie
Verwaltungsabteilung von Craushaar Fürsorge (Referat J.) Duntze Polizei Leiber Apetz (ab Sept. 1942) Kultur Löffler
Präsidialbüro von Craushaar Politik Heym/von Hahn
Wirtschaftsabteilung Schlumprecht Arbeitseinsatz (Gruppe VII) Schultze/Fründt Feind- und Judenvermögen (Gruppe XII) Scherer Pichier (ab Dez. 1942) Brüsseler Treuhandgesellschaft Drath
Medizin Holm Devisenschutzkommando
Verwaltungschefs der Oberfeldkommandanturen und Feldkommandanturen Oesterhelt (Brüssel: ab Herbst 1941) / Seyfert (Antwerpen: ab 1942)
Lager Breendonk Schmitt Schönwetter (ab Herbst 1943)
Die an der Judenverfolgung beteiligten deutschen Stellen
241
Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei Himmler
Reichssicherheitshauptamt (RSHA) Heydrich (bis Juni 1942) Kaltenbrunner (ab 1943) Amt IV (Gestapo) Müller
Judenreferat (IV B 4) Eichmann Der Beauftragte der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) Ehlers (bis Nov. 1941 Thomas/Canaris und ab Feb. 1944 Canaris)
II (Kirche, Freimaurer, Juden: bis Feb. 1943) Thomas
IV (Gestapo) Straub
Judenreferat (II C, ab 25. Feb. 1943: IV B) Humpert (bis Mitte 1941) Asche (bis 29. Nov. 1942) Erdmann (bis 6. Okt. 1943) Weidmann (bis 18. März 1944) Borchardt (ab März 1944)
Außendienststellen des BdS Antwerpen (Judenreferent: Holm) Charleroi (Judenreferent: Knappkötter) Lüttich (Judenreferent: Stade) Gent Lille
Lager Malines Schmitt (Vertreter: Steckmann) Frank (ab 10. März 1943)
Biographische Notizen Deutsche Funktionsträger1 Kurt Asche, 1909 in Hamburg geboren, gelernter Drogist, 1931 NSDAP und SA, 1935 Anstellung beim SD in Berlin, ab 1936 Mitarbeiter der Referate II 112 (Juden) und II 111 (Freimaurer), ab November 1939 beim Einsatzkommando Radom bzw. Lublin. Ab Januar 1941 war der SS-Obersturmführer in der Judenabteilung des BdS Brüssel tätig, von Mitte 1941 bis November 1942 als deren Leiter. In dieser Zeit wurden zwei Drittel der Opfer der Shoah aus Belgien deportiert. Nach seiner Ablösung blieb Asche zunächst Mitarbeiter des Judenreferats. Im Oktober 1943 wurde er zur BdS-Außenstelle Gent versetzt und im Mai 1944 wegen fortgesetzten militärischen Ungehorsams und Hehlerei (Eigentum von Juden) durch das SS- u. Polizeigericht Brüssel zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Nach 1945 nahm er zunächst eine falsche Identität an; ab 1955 lebte er unter seinem echten Namen unbehelligt in der Bundesrepublik, bis das Landgericht Kiel ihn im Jahr 1980 wegen Beihilfe zum Mord zu sieben Jahren Gefängnis verurteilte. Anton Burger, 1911 in Österreich geboren, Mitarbeiter Eichmanns, 1938 Zentralstelle für jüdische Auswanderung Wien, 1939 Zentralstelle Prag. Im Juli 1942 kam SS-Obersturmführer Burger für mehrere Wochen nach Brüssel, um die Deportation der Juden aus Belgien in die Wege zu leiten. Im Februar 1943 zur Deportation der mazedonischen Juden nach Saloniki gesandt, war er von Juli 1943 bis Januar 1944 Kommandant von Theresienstadt und ab März 1944 Leiter des Sipo-SD-Judenreferats Athen. Ende August 1944 erneut in Brüssel, bereitete Burger eine letzte Großrazzia zur Deportation der AJB-Mitarbeiter und der in den Heimen der AJB lebenden Juden vor, die angesichts des bevorstehenden deutschen Rückzugs nicht mehr durchgeführt wurde, da die britischen Truppen Brüssel am 3. September befreiten. Werner Borchardt, 1907 in Berlin-Niederschönhausen geboren, Polizeibeamter, ab 1927 Schupo Berlin, 1935 Gestapo Berlin, Juni 1942 RSHA. Am 1. Mai 1943 zum BdS Brüssel abgeordnet, zunächst stellvertretender Leiter der Außendienststelle Antwerpen. Ab Mitte März 1944 leitete SS-Obersturmführer Borchardt das Brüsseler Judenreferat. Während seiner Amtszeit, die erst mit dem deutschen Rückzug endete, fuhren drei Deportationszüge aus Malines, die insgesamt 1700 Juden nach Auschwitz brachten. Im Dezember 1944 gestorben. Constantin Canaris, 1906 in Duisburg geboren, Neffe des Abwehrchefs Canaris, Oberregierungsrat und SS-Standartenführer (1942). Zwischen 1937 und Juni 1940 Leiter der Stapostellen Liegnitz, Koblenz, Dortmund, im Anschluss in den besetzten Niederlanden unter anderem persönlicher Referent des Befehlshabers der Sipo-SD Harster und Chef der Gestapo Den Haag. Von Oktober 1940 bis November 1941 und ein zwei-
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Biographische Notizen
tes Mal ab Februar 1944 Beauftragter des Chefs der Sipo-SD in Brüssel. Im August 1951 vom Militärgericht Brüssel zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, im April 1952 freigelassen und nach Deutschland abgeschoben. Im Anschluss an Vorermittlungen der Zentralstelle Ludwigsburg gegen die Verantwortlichen für die Deportation der Juden aus Belgien ermittelte die Staatsanwaltschaft Kiel ab Ende der sechziger Jahre auch gegen Canaris. Infolge der jahrlangen Verschleppung dieses Verfahrens war Canaris jedoch nicht mehr verhandlungsfähig, als 1980 endlich die Hauptverhandlung eröffnet wurde, die mit der Verurteilung von Kurt Asche endete. Martin Drath, 1902 in Sachsen geboren, Jurist, ab September 1940 Mitarbeiter der Gruppe XII („Feind- und Judenvermögen“) in Reeders Wirtschaftsabteilung, ab Ende 1940 Teilhaber und Geschäftsführer der von der Militärverwaltung gegründeten Brüsseler Treuhandgesellschaft, die das den Juden geraubte Vermögen verwaltete. Von 1951 bis 1963 Richter am Bundesverfassungsgericht. Johannes Duntze, 1901 in Straßburg geboren, Verwaltungsjurist, 1937 NSDAP, 1940–1944 in der Brüsseler Militärverwaltung Leiter der Abteilung Fürsorge. Von Herbst 1940 bis Frühjahr 1942 kontinuierlich mit der Verfolgung der Juden befasst („Referat J“), koordinierte Duntze die Vorbereitung der Judenverordnungen und überwachte deren Durchführung. 1967 und 1970, inzwischen Ministerialdirektor im Ruhestand, von den deutschen Justizbehörden als Zeuge zur Judenverfolgung in Belgien vernommen. Ernst Ehlers, geboren 1909 in Sparrieshoop (Holstein), Jurist, 1928 SA und NSDAP (Goldenes Parteiabzeichen), 1938 Wechsel in die SS, ab September 1937 im Berliner Gestapa tätig, ab Januar 1939 als Leiter der Hauptabteilung II 2, Juni 1940 Leiter der Stapostelle Liegnitz, Sommer 1941 zum Leiter der Gestapo bei der Einsatzgruppe B berufen, Ende September 1941 versetzt zur Sipo-SD in Belgien. Von Dezember 1941 bis Januar 1944 war Ehlers Beauftragter des Chefs der Sipo-SD in Brüssel. 1943 Beförderung zum Oberregierungsrat und zum SS-Obersturmbannführer. Nach 1945 amtierte er unter seinem richtigen Namen als Richter in Schleswig-Holstein – auch noch Anfang der sechziger Jahre, als die dortige Justiz in Reaktion auf erste Anzeigen gegen Ehlers bestritt, einen Mann dieses Namens in ihren Reihen zu haben. Ehlers entzog sich dem Kieler Prozess gegen die Verantwortlichen für die Deportation der Juden aus Belgien durch Suizid. Fritz Erdmann, geboren 1902 in Reppersdorf (Schlesien), 1919/20 Freikorps, 1920 Schutzpolizei Westfalen, „Ruhrkampf“, 1923 fristlose Entlassung aus dem Polizeidienst, im Anschluss Sicherheitstätigkeit bei Bergwerksgesellschaft, 1926–1930 Asien/Afrika, 1931 SS und NSDAP, 1934/35 Lehrer an SS-Sportschule, 1935 SD Chemnitz, ab September 1941 in RSHA Amt VII zuständig für Freimaurer. Dasselbe Arbeitsgebiet übernahm SS-Hauptsturmführer Erdmann ab Januar 1942 beim BdS Brüssel, wo er zugleich stellvertretender Leiter der Abteilung II (Kirchen, Juden, Freimaurer) wurde. Zwischen Ende November 1942 und Anfang Oktober 1943 leitete er das Brüsseler Judenreferat (II C bzw. IV B). Er war damit für alle Transporte des Jahres 1943 verantwortlich, die fast 6000 Juden aus Belgien nach Auschwitz brachten. Ermittlungen der Brüsseler deutschen Kripo gegen Kurt Asche u. a. führten im Mai 1944 zur Verurteilung Erdmanns zu vier Jahren und sechs Monaten Zuchthaus wegen vorsätzlicher Versäu-
Biographische Notizen
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mung der Aufsichtspflicht und militärischen Ungehorsams durch das SS- u. Polizeigericht Brüssel. 1955 in Duisburg gestorben. Alexander Freiherr von Falkenhausen, geboren 1878 in Blumenthal (Schlesien), Militärkarriere, langjährige Asienaufenthalte, 1930 Deutschnationale Volkspartei und Stahlhelm, nicht Mitglied der NSDAP. Ab Juni 1940 amtierte der General der Infanterie als Militärbefehlshaber in Belgien und Nordfrankreich. Mit Erlass Hitlers vom 13. Juli 1944 abgesetzt. Eigenen Nachkriegsangaben zufolge keinerlei Anteil an dem gescheiterten Staatsstreich vom 20. Juli, danach jedoch verhaftet und unter anderem in Dachau interniert. 1951 von der Brüsseler Militärjustiz zu zwölf Jahren Zwangsarbeit verurteilt, wobei das Gericht auch seine Verantwortung für die Deportation der Juden berücksichtigte. Kurz darauf nach Deutschland entlassen. Wilhelm Freiherr von Hahn, geboren 1911 in Rengenhof (Lettland), Jurist, 1937 NSDAP, ab Ende 1940 Mitarbeiter der Brüsseler Militärverwaltung, zunächst in der Gruppe Polizei, ab März 1942 in der Gruppe Politik. Unter deren Leiter Heym war Hahn hauptzuständiger Sachbearbeiter für „Judenfragen“, nach Beginn der Deportationen auch mit der Bearbeitung von Freilassungsgesuchen beauftragt. Ab 1946 als (Ober-) Landesgerichtsrat in der Hamburger Justiz tätig. Hans-Gnter Heym, 1907 in Perleberg geboren, Jurist, 1930 NSDAP, seit 1938/39 enger Mitarbeiter Reeders. In Brüssel persönlicher Referent des Militärverwaltungschefs und Leiter der Gruppe Politik, federführend für die „Judenfrage“ im Militärverwaltungsstab ab Frühjahr 1942. SS-Sturmbannführer, Verbindungen zu Himmlers Entourage, zum Reichssicherheitshauptamt und zu deutschen Ministerialbeamten. Nach Einschätzung des AJB-Verwaltungschefs Maurice Benedictus: „Nazi-Prototyp. Sehr gefährlich“. Heym übte nach 1945 in der Bundesrepublik den Anwaltsberuf aus. Erich Holm, 1912 in Hamburg geboren, Seemann, Installateur, spätestens 1938 SS-Mann, 1939 Polizeibeamter in der Hamburger Gestapo. Zwischen 1940 und 1944 leitete SSOberscharführer Holm die Judenabteilung in der Außendienststelle Antwerpen des Brüsseler BdS. Im Jahr 1944 eingeleitete Ermittlungen der Brüsseler deutschen Kripo gegen Holm wegen Unterschlagung des den Juden entwendeten Eigentums blieben wegen des Rückzugs der Antwerpener Sipo-SD in die Niederlande ohne Folgen. Nach 1945 wurde Holm durch seine Ehefrau als verschollen gemeldet. Mitte der fünfziger Jahre gingen bei der Zentralstelle Ludwigsburg Hinweise ein, denen zufolge Holm auf Teneriffa bzw. in Südafrika lebte. Richard Jungclaus, geboren 1905 in Freiburg/Elbe, als Himmlers Bevollmächtigter für Volkstumsfragen in Brüssel war der SS-Brigadeführer (1943 Gruppenführer) für Ausbau und Kontrolle der belgischen SS-Formationen zuständig. Keine polizeilichen Kompetenzen vor seiner Ernennung zum Höheren SS- und Polizeiführer im Juli 1944. 1945 verstorben. Eggert Reeder, 1894 in Schleswig-Holstein geboren, 1914 Kriegsfreiwilliger, 1918 Freikorps, Jurastudium, Verwaltungsbeamter, 1921 Deutschnationale Volkspartei, 1926– 1932 Deutsche Volkspartei, 1933 NSDAP und Ernennung zum Regierungspräsidenten, zunächst in Aachen, dann in Köln, später in Düsseldorf, 1938 SS, 1939/1940 Leitung der
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Biographische Notizen
Studiengruppe des OKH zur Vorbereitung der Besatzungsherrschaft in Westeuropa. Von 1940 bis 1944 war Reeder Militärverwaltungschef in Brüssel. Im November 1940 Beförderung zum SS-Brigadeführer, drei Jahre später SS-Gruppenführer. 1951 von der Brüsseler Militärjustiz zu zwölf Jahren Zwangsarbeit verurteilt, wobei das Gericht auch seine Verantwortung für die Deportation der Juden berücksichtigte. Kurz darauf in die Bundesrepublik entlassen. Franz Straub, 1889 in Bergrothenfels geboren, ab 1913 Polizeibeamtenlaufbahn, 1940 bis 1944 Leiter der Gestapo beim Brüsseler BdS. Ende Februar 1943 wurde das Judenreferat seiner Abteilung IV zugeordnet. Von nun an war Straub Vorgesetzter der jeweiligen Judenreferenten. 1950 verurteilte das Brüsseler Militärgericht den Kriminaldirektor und ehemaligen SS-Sturmbannführer zu 15 Jahren Zwangsarbeit. Im Jahr darauf nach Deutschland abgeschoben, fungierte Straub von 1952 bis zu seiner Pensionierung als Polizeiamtmann beim Präsidium der Münchner Grenzpolizei. Alfred Thomas, 1905 in Bielefeld geboren, Kaufmann, 1930 NSDAP, 1931 SA und SS, 1934 Referent des SD in Pommern, dann beim Inspekteur der Sipo-SD in Stettin. Ab August 1940 leitete Thomas beim BdS Brüssel, als dessen Stellvertreter er zeitweilig amtierte, die Abteilung II (Kirche, Freimaurer, Juden). Am 20. Januar 1943 fand der SS-Sturmbannführer den Tod, als ein belgischer Pilot der Royal Air Force aus eigenem Entschluss das Hauptquartier der Sipo-SD in der Brüsseler Avenue Louise Nr. 453 bombardierte. Felix Weidmann, 1888 in Ludwigsthal geboren, Polizeibeamter bei der Kriminalpolizei Köln, im Januar 1943 als Kriminalsekretär und SS-Hauptscharführer zum BdS Brüssel abgeordnet. Spätestens ab Juni 1943 Mitarbeiter und ab Oktober 1943 Leiter des Judenreferats bis zu seiner Ablösung im März 1944. Während seiner Amtszeit fuhr ein Transport mit annähernd 700 Juden aus dem belgischen Malines nach Auschwitz. Nach 1945 mehrere Jahre in Belgien inhaftiert, doch lediglich als Zeuge verhört. 1968 von der Staatsanwaltschaft Kiel als Beschuldigter vernommen, 1972 verstorben.
Belgische Funktionsträger 2 Edouard Baers, Anfang 1942 auf Betreiben der Kollaborationspartei Vlaams Nationaal Verbond und der Militärverwaltung zum Oberstaatsanwalt in Antwerpen berufen. Von Amts wegen für die Aufsicht über die Antwerpener Polizei zuständig und für deren mehrfache Beteiligung an Razzien gegen Juden im August 1942 mitverantwortlich. Anfang 1943 von der Militärverwaltung abgesetzt. Jules Coelst, 1870 im belgischen Tirlemont geboren, katholischer Politiker, nach Absetzung seines Vorgängers durch die Militärverwaltung von Mitte 1941 bis September 1942 amtierender Bürgermeister der Stadt Brüssel und Vorsitzender der Brüsseler Bürgermeisterkonferenz. Weigerte sich in Übereinstimmung mit seinen Amtskollegen 1942, die Brüsseler Polizei für Verhaftungsaktionen gegen Juden zur Verfügung zu stellen. Im Zuge der von deutscher Seite verlangten Gründung Groß-Brüssels amtsenthoben. Leon Delwaide, 1897 im belgischen Rekem geboren, katholischer Politiker, nach der Flucht seines sozialistischen Vorgängers ins Londoner Exil von 1940 bis 1944 Bürgermeister von Antwerpen (ab 1942 Groß-Antwerpen). Nicht Mitglied einer Kollaborati-
Biographische Notizen
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onsbewegung, jedoch seit den dreißiger Jahren Verfechter einer engen Zusammenarbeit mit den flämisch-nationalistischen Parteien, deren Vertreter mit seiner Hilfe unter deutscher Besatzung in den Stadtrat gelangten. Trug als Vorgesetzter der städtischen Polizei eine Mitverantwortung für die Massenverhaftung von Juden im August 1942. Jozef De Potter, schon vor der Besatzung Polizeichef in Antwerpen, 1940 Flucht vor den deutschen Truppen, nach seiner Rückkehr ab 1941 und in der Zeit der großen Razzien erneut Chef der Antwerpener Polizei. Stellte seine Polizeikräfte der Sipo-SD zur Verfügung. Fritz-Jan Hendriks, seit Sommer 1940 Mitglied der Kollaborationspartei Vlaams Nationaal Verbond, Firmenpersonalchef, ab 1941 Leiter des Nationalen Arbeitsamts (ONT), das die Militärverwaltung im Frühjahr 1941 per Verordnung in Belgien errichtete und das auf deutsche Weisung 1942 die Vorladung jüdischer Zwangsarbeiter zur Deportation nach Nordfrankreich organisierte. Albert Houtart, 1887 geboren, Jurist, seit 1935 – mit kurzer Unterbrechung nach dem deutschen Einmarsch – Gouverneur der Provinz Brabant. Sollte den Vorgaben der Besatzer zufolge 1942 für die Verhaftung von Juden sorgen, sprach sich jedoch gegen eine Mitwirkung der Brüsseler Polizei aus. Bewegte den Generalsekretär Romsée zu einer entsprechenden Intervention bei von Falkenhausen. Trat Ende September 1942 aus Protest gegen die Gründung Groß-Brüssels von seinem Amt zurück. Gerard Romse, 1901 in der belgischen Provinz Limburg geboren, seit der Vorkriegszeit führendes Mitglied der Kollaborationspartei Vlaams Nationaal Verbond, auf Veranlassung der Militärverwaltung ab April 1941 bis August 1944 Generalsekretär des belgischen Innenministeriums. Willfährige Zusammenarbeit mit den deutschen Machthabern, auch bei der Judenverfolgung. Allerdings ersuchte er den Militärbefehlshaber Ende August 1942, die belgische Polizei nicht zur Festnahme jüdischer Zwangsarbeiter heranzuziehen. Louis Van Autgaerden, 1886 geboren, Brüsseler Polizeikommissar, nach Absetzung seines Vorgängers durch die Militärverwaltung ab Mitte Oktober 1941 Polizeichef ad interim der Stadt Brüssel. Lehnte mit Rückendeckung des Oberstaatsanwalts Van Beirs regelmäßig deutsche Festnahmeersuchen ab. Verlangte vor Beginn der Deportationen von den Brüsseler Bürgermeistern eine entsprechende Grundsatzentscheidung, die dafür sorgen sollte, dass die Brüsseler Polizei keine Razzien gegen die jüdische Bevölkerung durchführte. Im Herbst 1942 im Zuge der Gründung Groß-Brüssels amtsenthoben. Lucien Van Beirs, 1900 in Brüssel-Schaerbeek geboren, 1940 zum Oberstaatsanwalt in Brüssel ernannt. Bezog im Frühjahr 1941 Stellung gegen willkürliche Verhaftungen im Auftrag der Besatzungsmacht durch die belgische Polizei.
Die jüdische Zwangsvereinigung (AJB) 3 Maurice Benedictus, 1907 in Antwerpen geboren, belgischer Nationalität, Zigarrenfabrikant, Vorstandsmitglied und Verwaltungschef der AJB. Vom 24. September bis 3. Ok-
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Biographische Notizen
tober 1942 im Konzentrationslager Breendonk interniert. Ende Dezember 1942 illegale Flucht aus Belgien nach Lissabon. Juda Mehlwurm, geboren 1899 bei Lublin, polnischer Nationalität, Händler, Vorstandsmitglied der AJB und Leiter des Ortskomitees Charleroi. Als die Deutschen Ende September 1942, im Anschluss an die großen Razzien in Antwerpen und Brüssel, von Mehlwurm eine aktuelle Adressenliste der Juden in Charleroi verlangten, Flucht in den Untergrund, Auflösung des Ortskomitees und Übergabe der Geldmittel an das Jüdische Verteidigungskomitee (CDJ) in Charleroi. No Nozice, geboren 1904 in Teschen (Österreichisch-Ungarn), polnischer Nationalität, Pelzhändler, Vorstandsmitglied der AJB und Leiter des Ortskomitees Lüttich. Im April 1943 verhaftet und zusammen mit seinen Angehörigen sowie weiteren Mitarbeitern des Ortskomitees mit dem Transport Nr. XX deportiert. Noé Nozice verlor seine Familie in Auschwitz. Er selbst überlebte die Shoah und kehrte 1945 nach Belgien zurück. Salomon Ullmann, 1882 in Budapest geboren, belgischer Nationalität, Rabbiner und Militärgeistlicher, ab Oktober 1940 Großrabbiner in Belgien. Von der Militärverwaltung zum Vorsitzenden der AJB berufen. Vom 24. September bis 3. Oktober 1942 im Konzentrationslager Breendonk interniert. Kurz darauf Demission als Präsident der AJB. Ende August 1944 erneut verhaftet und mit seinen Familienangehörigen in das Lager Malines gebracht. Durch den Vormarsch der alliierten Truppen vor der Deportation gerettet. Salomon Van den Berg, geboren 1890 in Leiden (Niederlande), belgischer Nationalität, Möbelgroßhändler, vor der Besatzung leitende Mitwirkung in der Brüsseler Jüdischen Gemeinde. Von Beginn ihres Bestehens bis zur Befreiung Vorstandsmitglied der AJB und Leiter des Ortskomitees Brüssel. Vom 24. September bis 3. Oktober 1942 im Konzentrationslager Breendonk interniert. Nico Workum, 1907 in Amsterdam geboren, belgischer Nationalität, Ingenieur. Stellvertretender Vorsitzender der AJB und Leiter des Ortskomitees Antwerpen. Im Rahmen der „Aktion Iltis“ im September 1943 zusammen mit seiner Frau und vielen Hundert anderen belgischen Juden verhaftet und mit dem Transport Nr. XXII B deportiert. Nico Workum wurde in Auschwitz ermordet.
Das Komitee zur Verteidigung der Juden (CDJ) 4 Þmile Hambresin, 1907 geboren, politisch links orientierter Katholik, Ingenieur und Journalist, in der Vorkriegszeit Leiter der belgischen Liga gegen Rassismus und Antisemitismus, die für Solidarität mit den Flüchtlingen aus Deutschland eintrat; während der Besatzung Angehöriger der Unabhängigkeitsfront, der Dachorganisation der belgischen Résistance. Einziger Nicht-Jude unter den Gründern des CDJ, wurde Hambresin Mitte 1943 verhaftet und nach Deutschland deportiert, wo er den Tod fand. Eugne Hellendall, geboren 1905 in Brüssel-Schaerbeek, belgischer Nationalität, Industrieller, Vorstandsmitglied des AJB-Ortskomitees Brüssel. Ende September 1942 zu-
Biographische Notizen
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sammen mit seiner Familie verhaftet und nach Auschwitz deportiert, starb Eugène Hellendall im März 1945 im Lager Dora-Mittelbau. Hertz Jospa, 1905 in Bessarabien geboren, belgischer Staatsangehörigkeit, Ingenieur, Kommunist, seit den dreißiger Jahren aktives politisches Engagement gegen Faschismus und Antisemitismus. Während der Besatzung, wie Hambresin, Widerstandskämpfer der Unabhängigkeitsfront. Auf Jospas Initiative geht nicht nur die Gründung des CDJ, sondern auch der Überfall auf den XX. Transport zurück. Im Juni 1943 verhaftet, konnte die Gestapo seine Identität nicht ermitteln. Nach einer langen Gefangenschaft in Breendonk und in Buchenwald erlebte Jospa die Befreiung im Mai 1945. Isral Mandelbaum, 1913 in Lublin geboren, polnischer Nationalität, Chemie-Techniker, Mitglied der Kommunistischen Partei, zusammen mit seiner Ehefrau im April 1944 mit dem Transport Nr. XXIV aus Malines nach Auschwitz deportiert. Beide entgingen der Vernichtung und kehrten nach Belgien zurück. Benjamin Nykerk, 1906 in Amsterdam geboren, niederländischer Nationalität, Industrieller, Zionist, Vorsitzender einer von der Brüsseler Jüdischen Gemeinde zur Vorbereitung der Emigration betriebenen Gartenbau- und Landwirtschaftsschule. Anfang 1944 als Mitarbeiter der Fluchthilfeorganisation Dutch-Paris unter falscher Identität in Paris verhaftet und in das Lager Neuengamme deportiert, kam er Ende 1944 in Deutschland ums Leben. Cham Perelman, 1912 in Warschau geboren, belgischer Staatsangehörigkeit, Philosoph, vor dem Ausschluss der Juden aus dem Lehrbetrieb Professor an der Université libre de Bruxelles, Rechtszionist, ab Herbst 1942 auch Mitarbeit im AJB-Ortskomitee Brüssel, vor allem in dessen Sozialabteilung. Edouard Rotkel, 1898 in Budapest geboren, ungarischer Nationalität, Sekretär der Jüdischen Gemeinde Brüssel. Ende September 1942 nach Auschwitz deportiert, starb Edouard Rotkel am 7. Mai 1945 im Lager Ebensee (Mauthausen). Abusz Werber, 1908 in Radom geboren, polnischer Staatsangehörigkeit, Leiter der linkszionistischen (Untergrund-) Partei „Linke Poalei Zion“, die das Organ „Unzer Wort“ herausgab.
1 Dieser Abschnitt basiert vorrangig auf den Personenunterlagen des ehemaligen Berlin Document Center (BAB), den Dossiers der belgischen Militärjustiz (AG / CEGES) und den Akten des Kieler Prozesses gegen Kurt Asche u. a. (CEGES / BAL). Siehe ferner: Benedictus, Rapport condensé sur quelques Allemands (CEGES); MVChef, Abschlussbericht, 16. Teil (Treuhandvermögen), o. D. [1944], BA-MA, RW 36/227; Erklärung von Prof. Dr. jur. Martin Drath v. 28. 10. 1948, abgedr. in: Amelis von Mettenheim, Felix Meyer, 1890–1950, Frankfurt a. M. 1998, S. 192; http://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Drath, sowie Hans Safrian, Die Eichmann-Männer, Wien 1993, u. Hermann Weiß (Hrsg.), Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt a. M. 1998 (Burger); De Jonghe, Lutte, u. Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Darmstadt 2003 (Canaris, Erdmann, Jungclaus); Serge Klarsfeld, L’Affaire Ehlers, in: Le Monde Juif, 83 (1976), S. 85–92; Klars-
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Biographische Notizen
feld/Steinberg, Dokumente; Kerstin Freudiger, Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen, Tübingen 2002 (Ehlers); Warmbrunn, German occupation (Falkenhausen, Heym, Reeder). Vgl. Steinberg, L’Étoile et le fusil; Persécution, ferner Saerens, Jodenjagers (Holm). 2 Siehe zum folgenden: Delplancq, Des Paroles et des actes, S. 159, Anm. 43 (Coelst); Saerens, Vreemdelingen, u. Van Gothem, Convention de La Haye (Baers, Delwaide, De Potter, Romsée); Verhoeyen, La Belgique occupée (Hendriks, Romsée); Wouters, GrootBrussel (Houtart); Majerus, Logiques administratives (Coelst, Houtart, Romsée, Van Autgaerden, Van Beirs); Nieuwe Encyclopedie van de Vlaamse Beweging, Tielt 1998 (Delwaide, Romsée). Zur Mitte Oktober 1941 erfolgten Einsetzung Van Autgaerdens als Polizeichef s. AVB, Guerre 40–45, Grand Bruxelles, boîte „Juifs“, ordonnance du 7. 3. 41. 3 Die folgenden Angaben zu den Vorstandsmitgliedern der AJB, die Reeder bei deren Gründung einsetzte, stützen sich auf den Band „Les Curateurs“, vor allem auf die Einleitung der Hrsg. Jean-Philippe Schreiber u. Rudi Van Doorslaer sowie auf den Beitrag von André Donnet (L’Instruction par la justice militaire: un non-lieu de mémoire), s. außerdem Steinberg, Cent jours, S. 115. 4 Siehe zu den Gründern des CDJ: Lucien Steinberg, Le Comité de défense; Maxime Steinberg, Traque I; Schreiber, Hertz Jospa.
Personenregister Fett gedruckte Seitenzahlen verweisen auf Angaben im biographischen Anhang. Adler, Hercz 217 Alscher, Paul 217 Altman, Alta 118 Améry, Jean 9 Asche, Kurt 10, 20, 27, 54 f., 61, 63–69, 73, 75 f., 78 f., 81, 107, 159, 165, 189, 202, 243
Chorowicz, Noech 193 Chrzanowski, Zyman-Szmul 129 f. Coelst, Jules 28, 34, 36 f., 86, 193, 246 Cohen, Flora 119 f. Craushaar, Harry von 41, 55, 71, 92 Crull, Erich 41, 52, 198
Baers, Edouard 44, 246 Bargen, Werner von 40, 42, 51, 195 Baron 193 Batist, Lea 120 Beeckmans, Pierre 22, 65, 164, 166, 171 Bendheim, Ludwig 115 Benedictus, Maurice 28 f., 38, 54, 60, 64 f., 68 f., 73–76, 78, 191, 245, 247 f. Benkiel, Chaja 144 Benkiel, Joseph 144 Berckholz, Fritz 90–92, 205 Berger, Gottlob 18, 21 f., 195 Berger, Julius 193 Berlin, Hans 64 f., 73 Bertrand 94, 97, 107 f., 120 Berwin, Erich 91, 196 Beusse, Otto 218 Bier, Erich 122 f. Birmann, Bajla 114 Blase, Karl 97 Blazer, Elisabeth 93 Blum, Marcel 67 Boden, Max 128 f. Bollen, Jean 162 Borchardt, Werner 20, 61, 243 Bousquet, René 179, 195 Brauchitsch, Walther von 19 Broner, Szypa 143 Burger, Anton 42, 75–77, 80, 243
Da Costa Senior, Albert 91 Dannecker, Theodor 26 f., 39, 179, 202 De Clercq, Staf 22 De Potter, Jozef 44–46, 247 Degrelle, Léon 21 Deichsel, Josef 217 Delwaide, Leon 44, 49, 54, 180, 246 Dombrowicz, Hersz 151 Domke 205 Drath, Martin 244 Duntze, Johannes 60 f., 80, 244 Dupont, Jopie 120 Dupont, Judith 120 Dupont, Levie 120
Canaris, Constantin 18–20, 188, 243 f. Chorowicz, Abraham 193
Eder, Elsa 127 Eder, Hertha 127 Eder-Künstler, Rosa 127 Ehlers, Ernst 18, 20, 40, 42, 50 f., 54, 57, 78, 177, 189, 195, 244 Eichmann, Adolf 20, 27, 39, 42, 50 f., 74 f., 202 Ejgier, Mindla 119 Ejgier, Sura 118 f. Ejgier, Uszer 118 f. Elias, Hendrik 22 Elisabeth, Königin der Belgier 41, 56, 79, 132 Epsztajn, Chil Jehoda 140 Erdmann, Fritz 20, 56, 61, 74, 79, 162, 165, 202, 244 Erner, Hilel 159
252
Personenregister
Falkenhausen, Alexander von 17 f., 26 f., 30, 32, 34, 36 f., 53, 55, 57, 59, 79, 89, 95, 177–179, 189, 191, 195, 245, 247 Ferdman, David 211 Fischel, Abraham 217 Frank, Hartog 99 Frank, Johannes 114, 195 Frank, Louis Salomon 99 Frankenhuis, David Levi 96 Frank-Ickowicz, Estera Laja 99 Freilich, Abram 135 f. Freilich, Esther 136 Friedman 94, 206 Friedmann, Salo 102 Fritz, Hans 94 f. Fritz, Monika 94 Fründt 61, 193 Frydman, Szlama 108 Fuchs, Bruno 102, 137 Fuchs-Ziegel, Rosa 102, 137
Heiber, Maurice 67, 132 Hellendall, Eugène 69, 248 f. Hellmann, Samuel 217 Hellvoigt, Karl 92, 94, 100, 107, 205 Helman, Chaim 158, 216 Hendriks, Fritz-Jan 33, 247 Henner, Golda 137 Herinckx, Jean 29, 192 Heydrich, Reinhard 17–20, 88 f., 188 Heym, Hans-Günter 19, 60 f., 72, 245 Himmler, Heinrich 18, 21 f., 27, 40, 54, 57, 62 f., 68, 165, 195 Hirsch, Hermann 149 Hirsch, Siegfried 216 Holm, Dr. 61, 71 Holm, Erich 20, 45 f., 48, 54–56, 61, 68, 79, 156–158, 167, 245 Holzer, Arthur 145 Houtart, Albert 37, 247 Humpert, Viktor 20, 190
Gancarski, Chaja 132 f. Gans, Frieda 217 Gentzke 193 Gliksman, Liliane 121 Gliksman, Sura 121 f. Glogowski, Icek (Jacquesˆ) 132, 161 f., 217 Gold, Hermann 114 Gold, Leibus 114 Goldberg, Hélène 116 f. Goldberg, Icek 116 f. Goldberg, Max 116 f. Goldberg, Ruben 116 f. Goldfarb, Herzek 130 f. Göring, Hermann 88–90, 205 Göthling, Wilhelm 93, 125 Grauman 220 Groisman, Isaac 125 f. Gutfrajnd-Felzenstein, Sara 128 Gutman, Mordka 128
Jaeschke, Hans 97, 102, 207 Johannsen 102, 125 Jospa, Hertz 183, 249 Jungclaus, Richard 18, 165, 195, 245
Hahn, Wilhelm von 39, 61, 74, 77 f., 245 Halloy, Albert 193 Hambresin, Émile 183, 248 Hammerstein, von 126 Harbou, Bodo von 17 Haselbacher, Karl 19, 188 Heffner, Naftali 217 Heiber, Estera 132
Kaiser, Walter 216 f. Kaltenbrunner, Ernst 18 Kaminski, Suzanne 161, 217 Kanner, David 144 Kawa, Mordka 131 Kawa, Tauba 131 Kawa-Benich, Chana 131 Kesing, Goedman 120 f. Kesing, Ingrid Marietta 121 Kesing, Kees 121 Kesing, Roosje Yvonne 121 Kesing-De Vos, Rebecca 120 f. Klein, Miksa 167 Knappkötter, Heinrich 20, 136 Knepel, Helene 102 Knepel, Leo 101 f. Knochen, Helmut 179 Knoll, Saul 101 f. König 98 f. Koschminski, Erwin 217 Kossower, Chaja 135 f. Kwiatkowski, Abraham 131 f. Kwiatkowski, David 131 f.
Personenregister Kwiatkowski, Paul 131 f. Kwiatkowski, Rosa 131 f. Lachman, Berck 217 Lais, Ernst-Friedrich 215 Lambrichts, René 22 Lauterborn, Felix 135, 157, 215 Leiber, Rudolf 61, 72, 76 Lembergier, Hersz-Chil 158, 216 Léopold III, König der Belgier 23 Libeskind, Daniel 9 Liebman, Henri 211 Lindheimer, Berta 116, 196 Lischka, Kurt 26 Livschitz, Youra 9 Löffler, Dr. 61, 80 Luther, Martin 57 Magier, Margarethe 94 f. Magier, Szlama 94 f. Mandelbaum, Israël 183, 249 Mehlwurm, Juda (Jules) 60, 67, 248 Meinshausen, Karl 52, 160 f., 217 Meyer, Felix 68 Mitelsbach, Nuchim 217 Mlocik, Jenta 136 Müller, Heinrich 88 f. Müller, Hermann 165, 217 Mussler, Leia 108 Najberger, Estera 128 Névejean, Yvonne 183 Noller, Karl 217 Nozice, Noé 60, 65, 69, 248 Nussbaum, Felix 9 Nykerk, Benjamin 183, 249 Oesterhelt 33 f. Orensztein, Fela 134 f. Palasz, Lola 98 f. Palasz, Sandel 98 f. Pawe, Fajga 171 Perelman, Chaïm 67, 183, 249 Perels, Hijman 126 f. Perels, Louis 126 Perels-Coster, Lena 126 Philipson, Anna Betsy 104 f. Pichier 103
253
Raby, Alexandre 124 f. Reeder, Eggert 17–21, 23, 25–27, 30–32, 39 f., 42, 50–55, 57–59, 63, 68, 70 f., 77 f., 122, 131, 156, 175, 177–179, 189, 191, 195, 245 f. Reimann, Hermann 217 Rembalski, Zelman 94 Rodenbüsch, Hans 216 f. Romsée, Gerard 26, 29, 37, 53 f., 59, 67, 247 Rose, Berry 217 Rosenberg, Alfred 55, 73 Rosenfeld, Louis 65, 67, 74, 79 Rotkel, Édouard 69, 249 Rubens, Berta 116, 196 Rubens, Walter 116, 196 Samson, Rosa 96 f. Samson, Rudolf 96 f. Scherer, Georg 60 Schiesser, Alois 215 Schillings 107 Schlessinger, Bertha 115 Schlumprecht, Karl 31 f. Schmiegelow, Dr. 116 Schmitt, Philip 41, 52, 149, 195 Schütz, Josephine 217 Schuind, Gaston 54 f. Schultze 193 Schwarz, Dora 162 Segal, Jacob 160 Seyfert, Martin 54, 72 Siegburg, Otto 126, 132, 159–162, 164, 216 f. Slawny, Wolf Henoch 107 f. Söding 96 Sondheimer, Liesel 119 Sonnenschein, Arthur 144 Spiegel, Paul 9 Stade, Willi 20 Staffeldt, Herbert 89 f., 101, 205 Steckmann, Rudolf 195 Straub, Franz 19 f., 246 Stülpnagel, Carl-Heinrich von 27 Süsser, Alexandre 217 Süsser, Sally 217 Szerman, Cudyk 171 Szmulewicz, Chaim 136 f. Sztajman, Maurice 129
254
Personenregister
Thomas, Alfred 20, 22, 39, 47, 246 Thomas, Max 19, 62, 188 Topor, Helene 97 Topor, Moszek 97 Topor-Felzensztajn, Sura 97 Ullmann, Salomon 54 f., 59, 67–69, 77 f., 248 Van Autgaerden 33, 36, 247 Van Beirs, Lucien 35, 122, 247 Van Cleef, Paul 169 Van den Berg, Max-Albert 170 Van den Berg, Salomon 60, 132, 248 Van Dooren, Julianus 162 Van Roey, Erzbischof 55 Verbelen, Robert 162 Verwilghen, Charles 32 Vierk, Karl 215 Wachs, Eugenie 123 f. Wachs, Leopold 123 f. Wajnstock, Bernhard 107 f.
Wassermann, Alice von 92 Wassermann, August von 92 Wassermann, Ferdinand 102 Wassermann, Robert von 92 Weidmann, Felix 20, 61, 159, 246 Weijl, Juda 93 Weijl, Mirjam 93 Wenger, Karl-Pierre 140 Werber, Abusz 183, 249 Wijnman, Wolfgang 120 Witelsohn, Chana 97 Witelsohn, Mirjam 97 Witelsohn, Mojzek 97 Wolman, Icek Moszek 217 Workum, Nico 59, 69, 77, 248 Woydislawski, Léon 162 Woydislawski, Moszek 162 Zegerius, Duifje 120 Ziegel, Anna 137 f. Ziegel, Bertha 138 Ziegel, Israel 137 Ziegel, Marie 138