Das Königtum in Belgien


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I. ...
Gewicht, durch das normale Entfalten der in ihm ...
II. ...
III. ...
einmal Vollmachten zu Unterhandlungen auf der ...
IV. ...
weigerte. 3a die Annahme des Vertrages ſelbſt von ...
V. ...
das was Belgien für ſein Recht hielt, zu vertheidigen...
VI. ...
VII. ...
genoß, das politiſche Bewußtſein der Nation, die ſich ...
VIII. ...
Gelegenheit den Grundſätzen, nach welchen er ſich während ...
IX. ...
1 ...
Grenzfrage wurde, Dag vor der Weigerung Englands ...
X. ...
XI. ...
Dieſen Umtrieben gegenüber gab es für den Fürſten ...
XII. ...
zu arbeiten, war von Anfang an nicht zu zweifeln...
XIII. ...
XIV. ...
in dem alle Einzelintereſſen in letter Inſtanz aufzugeben ...
1 ...
geworden, daß in Belgien ſeltener als in irgend einem ...
XVI. ...
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Das Königtum in Belgien

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Das Königthum in Belgien.

Un ihren Frütülen ſollt Ihr ſie erkennen !

brüſſel und Leipzig bei Garl Muquardt.

STALTANIVERSITEIT TE GENT 28325

* ?. MRT1950

Vorwort. Belgien iſt im Begriff Feſte zu feiern , deren tiefe Be deutung Niemandem entgehen fann.

Für Viele , die der innern Geſchichte und Entwickelung dieſes Landes während der letzten fünfundzwanzig Jahre nur in ihren allgemeinen Umriſſen gefolgt ſind, mag es erwünſcht ſein , die Motive einer Bewegung , welche eine

ganze Nation in einmüthiger Hingabe und Begeiſterung um den Thron ihres Fürſten verſammelt, näher dargelegt zu ſehen. Dieſe Betrachtung wurde die Veranlaſſung des nachfolgenden anſpruchsloſen Verſuchs. Die Form einer Skizze bot ſich von ſelbſt bar , zun

Verſtändniß genügt Andeutung des Weſentliden , weitere Ausführung wäre Aufgabe einer hiſtoriſchen Arbeit. Als oberſte Pflicht wurde angeſehen nichts zu geben , was nicht auf Thatſachen beruht und die Dinge ohne andern Schmuck zu ſagen , als den der Wahrheit. Löwen , 19. Juli 1856. Areidt .

!

I.

Es giebt auf politiſchem Gebiete kaum lehrreichere und lohnendere Studien , als diejenigen, welche den Gang, die 1

Wirkungen und Einflüſſe einer Inſtitution, während irgend einer Reihe verſchiedenartiger Entwickelungen des Ganzen, zu dem ſie gehört, verfolgen. Werth oder Unwerth größe:

rer Einrichtungen und Verfaſſungsformen wird auf dieſem Wege am klarſten der Anſchauung vorgeführt und ein reines Urtheil über dieſe Dinge möglich gemacht, weil alles ſubjektive Auffaſſen beſeitigt , Nugen und Bedeutung nur an Thatſachen und poſitiven Reſultaten gemeſſen und der oft getrübte Standpunkt der Partei von vorn herein

von der Aufrichtigkeit des hiſtoriſchen überwunden iſt. Das alte Wort : „ an ihren Früchten ſollt ihr ſie erken

nen “, wird auch hier angewendet, und dieſe Anwendung iſt mehr als je gerechtfertigt, in einer Zeit des heftigſten Meinungskampfes , wo die Dialektik der ſtreitenden Sty 1

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ſteme und die bewältigende Macht der Ereigniſſe auch an den feſteſten Ueberzeugungen rüttelt und ſelbſt an dem , was

über allen Zweifel gewiß ſchien, irre werden läßt. Die Inſtitution , deren Wirkſamkeit wir in der Ge ſchichte Belgiens , feit der Befeſtigung ſeiner Unabhängig keit , verfolgen wollen, gehört gerade zu denjenigen, über welche der Streit der Meinungen am heftigſten entbrannt

iſt. Während die Einen in dem Königsthum den Grund pfeiler aller geſellſchaftlichen Ordnung finden, ſeben Andre

in demſelben ein Hinderniß, dieſe Ordnung auf ihren wah ren Grundlagen zu erbauen , noch Andre meinen , das Kö nigsthum ſei trefflich, wo es ſich handelt , ein Volk zum ſtaatlichen Leben zu erziehen , es zu politiſcher Reife zu I

bringen , aber einmal dort angelangt, bedürfe die mündige Nation nicht mehr des früheren Leiters.

Die Geſchichte Belgiens , als ſelbſtändiger Staat, bietet, ſo kurz ſie auch iſt, eine treffliche Gelegenheit dar, 1

die Inſtitution in den verſchiedenſten Lagen und Verhält

niſſen thätig zu ſehen , die eigenthümliche Art ihres Wir fens zu ſtudieren und ſo dem Leben und der Erfahrung entlehnte Beiträge zu ihrer Beurtheilung zu liefern. In ruhigen Zeiten wirkt das Königsthum durch ſein eigenes

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Gewicht, durch das normale Entfalten der in ihm woh nenden Kräfte ; ſtürmiſche und ſchwierige, wo es in die Konflikte und Kämpfe größerer ſtaatlicher Bewegungen hineingezogen wird, geben in einem noch höheren Grade das Kriterium ſeines Werthes und laſſen ſeine Bedeutung

in ihrem ganzen Umfange erkennen . Belgien hat beide, und in ſehr ausgeprägter Weiſe, aufzuzeigen. Alle, die be wegteſten wie die geregeltſten Zuſtände hat es durchlaufen ,

es hat, mit den Waffen in der Hand, um ſeine Exiſtenz ge rungen, dann Jahre lang den ſchwierigeren Kampf mit der Diplomatie gefämpft , hat in frieg und Frieden innere und äußere Kriſen der erſchütterndſten Art durchgemacht, fein ſtaatliches Gebäude , man kann ſagen , ſeine ganze ge fellſchaftliche Bedeutung auf Grundlagen und Ideen hin konſtruirt, die neu und , in Europa wenigſtens, in dieſem

Umfange noch nirgend erprobt waren ; und an dieſem reichen und vollen Stück Leben der Nation hat das Kö nigsthum den eingreifendſten, unmittelbarſten Antheil ge habt, es hat alle ihre guten wie böſen Schickſale mit Treue und Hingabe durchgemacht. In der That, wenn es je eine Sdule gab , in der es ſich hat bewähren und ſeine ganze Geltung offenbaren können , ſo iſt es dieſe geweſen. 1

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Zwei Dinge ſind bei dieſer Betrachtung wohl zu unter ſcheiden , und wir machen es uns in der folgenden Dar ſtellung zur beſonderen Pflicht, ſie wohl auseinander zu I

halten : der Werth der Inſtitution an ſich, und der An theil, den die Perſönlichkeit deſſen, der ſie vertritt, an ihren Wirkungen und Erfolgen hat. Wird die Würde und die

Gewalt der Krone von einer großen Perſönlichkeit ge tragen, ſo wirkt ſie doppelt und es können die höchſten Er

folge erreicht werden , die in menſchlichen Dingen über haupt möglich ſind. Nur darf man dann nicht der inneren Kraft des Königsthums zuſchreiben, was dem Könige ge hört, eben ſo wenig, wie es gerecht ſein würde, die Fehler

und Unvollkommenheiten eines ſchwachen, ſeiner Aufgabe nicht gewachſenen , Regenten auf die Rechnung der In ſtitution zu ſetzen. Es gehört zu den glücklichen Fügungen,

deren ſich Belgien mehrerer zu erfreuen gehabt hat , daß ſeine Wahl auf einen durch Charakter und Einſicht gleich

hochſtehenden Fürſten fiel, der der Krone an hervorragen den Eigenſchaften und ausgezeichneten Befähigungen , an weitreichendem Einfluß und Achtung mindeſtens eben ſo viel

zubrachte, als er an Glanz und Macht von ihr empfing.

II.

An die Spige der Thatſachen , die wir vorzuführen haben, ſtellt ſich ſogleid die, daß das Königsthum den bel giſchen Staat als einen ſelbſtändigen und unabhängigen

eigentlich erſt möglich gemacht hat. Die Heilung des tiefen Riſſes, welchen die belgiſche Revolution in die Machtver hältniſſe Europa's gebracht hatte , konnte auf friedlichem Wege nur dann verſucht werden, wenn der neue Staat ſich an die monarchiſchen Formen und Traditionen anſchloß. 1

Die Republik hätte ihm nur die Gewißheit ſchnellen Un terganges gebracht. Unter der geringen Zahl von Anhän

gern , die dieſe Regierungsform damals in Belgien zählte, geſtanden die Aufrichtigen und Klarſehenden ſelbſt, daß ihr Idol nicht drei Monate Beſtand haben würde.

Die

Energie , mit der ſich die unendliche Mehrheit der Nation für die konſtitutionelle Monarchie ausſprach , erleichterte den Beginn der Unterhandlungen in London , die Profla

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mation der Republik hätte ſie nicht allein unmöglich ge macht, ſondern auch die unmittelbare Beſeßung des Landes

durch die Mächte herbeigeführt. Erſt als jede Ungewißheit über die künftige Regierungsform verſchwunden war , und die bündigſten und bindendſten Erklärungen und Akte der Volksvertretung zu Gunſten der Monarchie vorlagen, erſt da öffnete die Konferenz die Thür zu weiteren Unterhand lungen. Am 22. November 1830 hatte der Rongreß mit 164 Stimmen gegen 13 beſchloſſen , daß der belgiſche Staat eine konſtitutionelle Monarchie bilden ſolle, und am

20. Dezember unterzeichneten die Bevollmächtigten der fünf großen Mächte jenes berühmte Protokoll , den erſten Ring einer langen Rette , in dem die Konferenz erklärt:

,,Das Königreich der vereinigten Niederlande ſei aufge löſt; die Mächte würden ſich mit den erforderlichen Maß regeln beſchäftigen , um die fünftige ſtaatliche Exiſtenz

Belgiens mit den Verträgen , den Intereſſen und der Sicherheit der übrigen Staaten Europa's in Einklang zu bringen .“

Wenn Belgien ſo die Anerkennung ſeiner Selbſtändig keit der Annahme des monarchiſchen Prinzipes verdankt, ſo ſchuldet es die vollſtändige, definitive Begründung ſeiner

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Eriſtenz dem Könige. Und hier bietet ſich die erſte Ge legenheit dar, auf den eben bezeichneten Unterſchied zwiſchen dem Antheil , den das Königsthum als Inſtitution , und

dem, den die Perſönlichkeit des Fürſten an den gewonnenen Reſultaten hat, aufmerkſam zu machen. Daß überhaupt unterhandelt werden konnte , iſt dem erſteren zuzuſchreiben,

daß aber in dieſen ſchwierigſten Unterhandlungen , welche die neuere Geſchichte kennt, die großen dauernden Ergeb niſſe erreicht wurden, auf denen, wie auf breiteſter Grund lage, das Glück, die Freiheit und der Wohlſtand Belgiens ſich erbaut haben , das iſt das perſönlichſte, ihm durchaus und vor allen zugehörende Verdienſt des Königs. Es be ſteht dieſes Verdienſt nicht allein in dem , was man ge wöhnlich diplomatiſche Geſchicklichkeit nennt , ſondern

hauptſächlich in jenem höheren politiſchen Geſchick, das den wahren Staatsmann charakteriſirt und das , wenn es ſich mit der Würde und dem Glanze der Souveränität ge paart findet , die vollendetſte Erſcheinung auf dieſem Ge biete bildet.

Dieſes Geſchick, ohne welches keine dauernde politiſche Schöpfung möglich iſt, und an deſſen Mangel bei ſeinen Beherrſchern mehr als ein Staat zu Grunde gegangen,

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beſigt König Leopold in der eminenteſten Weiſe. Er ver einigt ſchnellen und ſicheren Ueberblick, überlegenen Taft, rechtes Maß im Nachgeben und rechtes Maß im Wider:

ſtande mit dem unentbehrlichſten und nüblicyſten aller Ta lente des echten Staatsmannes , der Gabe , das Mögliche zu erkennen , wir möchten ſagen , herauszufühlen und es mit unbeirrter Feſtigkeit durchzuführen. Die Fragen , die bei dieſen Unterhandlungen zur

Sprache kamen , berührten die ſchwierigſten und delika 1

teſten Bezüge der Ponderation und Machtverhältniſſe

zwiſchen den Kabineten. Belgien hatte mit einem klugen, beharrlichen, mächtig unterſtüşten Gegner zu kämpfen, der jeden Zoll breit Terrain mit Aufbietung aller erdenkbaren Mittel vertheidigte , es bedurfte , ihm gegenüber, eben ſo

vieler Einſicht wie Feſtigkeit des Charakters und Sicherheit des Blickes, um die Intereſſen des neuen Staates, die mit ſo vielen andern , wirkſam und nachdrücklich vertretenen , kollidirten , zu wahren und die mühſam errungenen Reſul tate zu vertheidigen. Dazu kamen noc) Schwierigkeiten beſonderer Art.

Das Land , ſeit Jahrhunderten von Fremden beherrſcht, mußte ſeine eigenen Staatsmänner ſich erſt bilden , und

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wenn es auch einen oder den andern beſaß , der durch Tat lent und Charakter hervorragte und ein ausgezeichnetes Werkzeug in der Hand des Königs werden konnte , jo waren alle eben doch Neulinge und mußten erſt lernen . Dann waren diejenigen Klaſſen der Nation , welche ſich

mit Politik beſchäftigten , zu ſehr in der Bewegung befan gen , zu ausſchließlich dem bewältigenden Intereſſe des

Moments hingegeben, von dem Verlauf der Begebenheiten zu ſehr in Anſpruch genommen , als daß ſich bei ihnen von vorn herein eine geſunde und richtige Anſchauung über die auswärtigen Verhältniſſe hätte geltend machen können,

und die größere Menge durchdringen. Dieſelben Motive, welche anderswo in ähnlichen Lagen ſo nachtheilige und ſchädliche Wirkungen hervorgebracht haben , zeigten ſich

auch hier thätig. Ungenaue Auffaſſung der Sachlage, un vollſtändige Kenntniſſe der diplomatiſchen Thatſachen, vor ſchnelles Urtheil , Partei-Intereſſen und Partei-Deklama

tionen, nachgebetete Stichworte, Leidenſchaften und Intri guen , beeinflußten und regelten auch hier nur zu oft die öffentliche Meinung über die auswärtigen Fragen und die

irre geführte, anſtatt der Regierung die Löſung derſelben zu erleichtern , erſchwerte ſie mehr als einmal in den wich

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tigſten Momenten , und verwirrte ſelbſt die konſervative,

ſonſt ſo tüchtige Majorität in den Kammern . Man denke nur an die Haltung dieſer legteren im Augenblicke der Be lagerung der Citadelle von Antwerpen, an das Votum vom 5. April 1833, das ihre Auflöſung zur Folge hatte, an die lange und tiefgehende Aufregung, welche die Wiederauf nahme der Verhandlungen über den Vertrag der 24 Ar tikel im Jahre 1838 begleitete und die Stellung der Re:

gierung , den Mächten gegenüber , zu einer ſo unendlich ſchwierigen machte. Bei allen dieſen Gelegenheiten wurde die europäiſche

Seite der belgiſchen Frage faſt allein vom Könige vertreten . Seine Bemühungen, denen der glüdliche Ausgang haupt ſächlich zu verdanken iſt, wurden anfangs nur von einer

verhältniſmäßig geringen Anzahl einſichtsvoller Männer gewürdigt, und zu wiederholten Malen bedurfte es großer

Anſtrengungen, um dem eingehaltenen Syſteme, das allein zum Ziele führen konnte, die Zuſtimmung der Rammern zu ſichern.

III.

Es ſei erlaubt nur an eine dieſer Situationen aus

führlicher zu erinnern , weil ſie eine der intereſſanteſten und für die Staatskunſt König Leopold's charakteriſtiſchſten

iſt. Der Vertrag der 24 Artikel , den Belgien im Novem ber 1831 unter dem Druck einer faſt zwingenden Noth wendigkeit angenommen hatte , enthielt bekanntlich Stipu lationen verſchiedener Art. Die einen konnten unmittelbar ausgeführt werden, die andern machten weitere Unterhand

lungen und Verſtändigung mit Holland nöthig. König Wilhelm hatte beharrlich ſeine Zuſtimmung zu dieſem Vertrage verweigert, und Belgien war dadurch nur gegen die fünf Großmächte, mit denen es ihn unterzeichnet hatte, gebunden.

Die Konferenz ſuchte nun im Mai 1832 die

direkten Unterhandlungen zwiſchen den beiden ſtreitenden Kabineten anzubahnen. Die Stellung der belgiſchen Regie rung dieſem Verſuche gegenüber war nicht eine ganz freie.

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Unter den fünf Mächten hatten drei, Preußen, Deſterreich und Rußland den Vertrag der 24 Artikel nur unter Reſer

ven verſchiedener Art ratifizirt und durch dies auffallende Verfahren in Brüſſel einen jener damals ſo häufigen par lamentariſchen Stürme hervorgerufen , in denen ſich das

tief verlette Nationalgefühl mit der energiſchſten Heftigkeit Luft gemacht hatte , anſtatt durch Mäßigung und leiden ſchaftsloſe Behandlung der Sache der Regierung ihre Löſung zu erleichtern. In Folge davon hatte das Rabinet

ſich verpflichtet, ſo lange auf keine Unterhandlungen mit Holland einzugehen , als diejenigen von den Holländern noch beſeßten Territorien , die der Vertrag Belgien zu ſprach, nicht geräumt und ihm übergeben ſein würden .

Die Konferenz hatte anerkannt , daß Belgien zu dieſer Forderung berechtigt, und die diplomatiſche Stellung deſſel ben war dadurch , für einen Augenblick wenigſtens, eine treffliche geworden.

Aber der Gegner, mit dem man zu thun , war zu ge ſchickt, als daß er es an Verſuchen hätte ſollen fehlen laſſen, das Brüſſeler Rabinet aus dieſer günſtigen Stellung zu verdrängen. Er wußte ſehr wohl, daß der belgiſche Miniſter in London ſich bei keiner neuen Unterhandlung betheiligen

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konnte , ſo lange die Citadelle von Antwerpen und die Scheldeforts von den Holländern befekt blieben. Darauf

fußend, zeigte ſich König Wilhelm plötlich der Konferenz gegenüber, bedeutend umgeſtimmt und zu Verhandlungen bereit, ohne jedoch irgend wie auf die von Belgien ver langte Räumung einzugehen.

Die Lage der beiden Ra

binete wurde dadurch in den Augen der großen Mächte

eine ganz andere. Holland, dem man über ſeine Hart nädigkeit bittre Vorwürfe gemacht, erſchien jetzt als das den Frieden und endlichen Abſchluß wollende , während Belgien dem Anſchein nach das Unrecht auf ſich lud , die ſen allen ſo erwünſchten und nöthigen Abſchluß unmöglich I

zu machen , indem es auf einer zuleßt doch unweſentlichen

Bedingung beſtand, da ihm die Territorien, deren vor hergehende Räumung es forderte , ſobald der Friede ge ſchloſſen wurde, doch jedenfalls zufallen mußten . Die Konferenz ließ fich, faſt möchte man ſagen, betho ren , ſie ging auf die neuen Ideen des Haager Kabinets ein und verlangte von dem Brüſſeler, daß es von der vorläu

Figen Räumung abſtehen ſolle. Von allen Seiten wurde König Leopold angegangen , die gebotene Hand nicht zu rückzuweiſen ; unter denen, die ſich am meiſten beeiferten,

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ihn dazu aufzufordern, befand ſich ſein natürlicher Verbün

deter, der König Louis Philipp. Die Lage der belgiſchen Regierung wurde von Tage zu Tage ſchwieriger. Kammer und Preſſe, wie ſo häufig in jenen Zeiten, die diplomatiſche Sachlage oberflächlich und ungenau würdigend, forderten

dringend ſchnelle Erledigung, im Nothfall ſelbſt durch Wie deraufnahme der Feindſeligkeiten. Die Armee hatte, troy der Unterzeichnung der 24 Artikel, immer noch auf dem Kriegs fuß gehalten werden müſſen ; das Land fonnte die großen

Laſten , die ihm aufgebürdet waren , nicht lange mehr tra gen , ohne in ſeinem Wohlſtand , in ſeinen weſentlichſten

Intereſſen tief erſchüttert zu werden. Alles drängte mit der gewöhnlichen Heftigkeit und Leidenſchaftlichkeit nach einem Ausgang.

Die Regierung befand ſich zwiſchen zwei gleich gefähr lichen Klippen. Folgte ſie dem Drange des Landes , und wies jie jede Unterhandlung, der nicht die Räumung vor:

herging , zurück, ſo brach ſie mit der Konferenz und nahm Europa gegenüber eine Stellung ein , aus der Holland allein Nußen gezogen hätte. Fügte ſie ſich dagegen dem Verlangen der Konferenz, jo brad, ſie mit den Rammern

und der öffentlichen Meinung im eigenen Lande , und zu

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welchen ſchlimmen Eventualitäten das führen konnte, wußte ſie beſſer als irgend einer. In ſolcher Lage konnte nur ein großer Entſchluß retten ; daß er ihn faßte und wie er ihn

faßte, iſt einer der Glanzpunkte in dem politiſchen Leben König Leopold's. Mit unbeirrtem Scharfblick das ganze Verhalten und den eigentlichen Zweck des holländiſchen Kabinets durch ſchauend, beſchloß er den Plan des klugen Gegners zu durchkreuzen und den mit ſo vielem Geſchick geführten Stoß gegen ihn ſelbſt zu lenken. Belgien ſtand von der Forderung der vorhergehenden Räumung ab , erklärte ſich

bereit mit Holland zu unterhandeln , und fandte ſeinem Vertreter bei der Konferenz die nöthigen Vollmachten. Wenn man die Stellung bedenkt, in welche die Regierung auf eine Zeitlang dadurch dem Lande gegenüber fam , ſo

iſt der Entſchluß wirklich beldenmüthig zu nennen . Von allen Seiten wurde ſie auf das heftigſte angegriffen, Feinde und Freunde überſchütteten ſie mit den bitterſten Vorwür fen, die maßloſeſten Anſchuldigungen wurden vorgebracht, man ſprach von Verrath, Feigheit , kleinherzigem Aufgeben der Sache und der Rechte der Nation. Und damit feine

Schwierigkeit fehlte , kam es gleich anfangs zu einer Kabi

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netskriſis. Die Miniſter gaben ihre Entlaſſung, indem ſie

fich gegen Kammer und Land verpflichtet glaubten , dem Könige auf dieſem neuen Wege nicht zu folgen. Alle Ver ſuche ein andres Rabinet zu bilden ſcheiterten, und der König

mußte dieſe ganze ſo gefährliche Situation mit einem inte rimiſtiſchen Miniſter des Auswärtigen , der noch dazu den

größten Theil der Zeit in London verbrachte, und drei der früheren Miniſter, die ohne alle politiſche Verantwortlich keit nur als Direktoren zur Erledigung der laufenden Ge ſchäfte an der Spiße der Departements blieben , durch

machen. Mit der ihm eigenthümlichen , unerſchütterlichen Ruhe, die mit der Gefahr wächſt, beſtand der Fürſt dieſe ſchlimme Zeit. Glücklicherweiſe ließ der vollſtändigſte Er folg nicht zu lange auf ſich warten. Sobald der belgiſche Miniſter in London ſich zum Be

ginn der direkten Verhandlungen mit Holland bereit er klärte , ſtürzte das ganze Gebäude , das man auf die hol ländiſche Friedensbereitwilligkeit gebaut hatte , zuſammen. Gleich bei der erſten Konferenz zeigte ſich , wie richtig König Leopold geurtheilt hatte, als er in dem ganzen Ver

fahren des Haager Kabinets nichts als eine Taktik ſah. Es ſtellte ſich heraus, daß der holländiſche Geſandte nicht

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einmal Vollmachten zu Unterhandlungen auf der Grund lage des Balmerſton'ſchen Thema's hatte. Der Triumph Belgiens war ſo vollſtändig als nur möglich. Die Ron

ferenz, zu ſpät enttäuſcht , wurde genöthigt , zu dem legten Mittel, der Anwendung von Zwangsmaaßregeln zu greifen, die Belgien in den Beſig der Citadelle von Antwerpen ſeba ten und zu der Ronvention vom Mai 1833 führten , die

dem Lande fünfjährige Waffenruhe und Vortheile andrer Art , die nicht hoch genug angeſchlagen werden können, brachten .

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IV .

Die Situation, welche auf die Uebergabe der Citadelle von Antwerpen folgte , iſt eine der wichtigſten in der Ge 1

ſchichte des belgiſch - holländiſchen Streites. Die Motive, welche das Verhalten Belgiens während derſelben beſtimm =

ten, ſind bisher, wie uns ſcheint, nicht gewürdigt worden , wie ſie es verdienen. Das Syſtem der Zwangsmaaßregeln gegen Holland hatte einen erſten Erfolg von großer Be deutung gehabt. Belgien war in den vollſtändigen Beſit der militäriſch wichtigſten Poſition gelangt, die der König

von Holland bis dahin im Herzen des Landes ſelbſt ſichy zu erhalten gewußt hatte , es konnte mit größerer Ruhe und Sicherheit als früher die Erledigung aller noch ſtreiti gen Fragen abwarten . Und allerdings blieb noch viel zu erledigen . Noch waren die Forts an der untern Schelde, die der Vertrag der 24 Artikel Belgien zuſprach), vom Feinde befekt , der jede Räumung derſelben hartnäckig ver

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weigerte. 3a die Annahme des Vertrages ſelbſt von Sei

ten Hollands , die doch allen weiteren Unterhandlungen zu deſſen Durchführung vorhergehen mußte, ſchien um nichts näher gerücft.

Frankreich und England hatten die ſchwerwiegendſten Gründe die Sache zum Abſchluß zu bringen. Die Ron

vention vom 22. Oktober 1832 , durch welche die Kabinete von London und Paris ſich zur Ausführung der Zwangs

maaßregeln gegen Holland verpflichteten, hatte, das konnte niemand verkennen, die ganze Situation zu einer mehr als geſpannten und im Grunde höchſt gefährlichen gemacht. Rußland hatte ſich in Folge davon von der Konferenz zu

rückgezogen, Deſterreich und Preußen jede Betheiligung an dem Zwangsverfahren gegen den König Wilhelm geweigert. Preußen hatte außerdem zwei Armeekorps an der belgiſch

niederländiſchen Grenze und in der Rheinprovinz in Bereit ſchaft geſtellt, und der deutſche Bund , in Erwiederung auf die ihm von dem preußiſchen Geſandten darüber gemachte Mittheilung, erklärte ; daß die Intereſſen des Bundes an

der nordweſtlichen Grenze bedroht ſeien. In dieſen That ſachen waren offenbar die Keime und mehr als die Keime einer Sziſſion enthalten , welche die Möglichkeit eines all 2*

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gemeinen Krieges nahe , ſehr nahe rückten. Dazu bedenke man die Nachtheile , welche nicht allein für die materiellen

Intereſſen Hollande , ſondern auch, und in nicht geringem Umfange , für die Frankreichs und Englands , aus der Durchführung der Zwangsmaaßregeln , der Blokade der Scheldemündungen und dem Embargo hervorgehen mußten. Was war natürlicher, als daß man in London und Baris lebhaft wünſchte , ſobald als möglich aus dieſer

Situation herauszukommen. Zwei Wege boten ſich dazu dar.

Einmal konnte man verſuchen , das angenommene

Roerzitiv - Syſtem bis auf den Grund durchzuführen, die letten Konſequenzen daraus zu ziehen, indem man mit Auf bietung aller Kräfte und ohne die Gefahr eines allgemei nen Krieges zu berückjichtigen, Holland forcirte. Das Ein ſchlagen dieſes Weges , außer der troy aller Ueberlegenheit der Seemächte doch immer vorhandenen Unſicherheit des

Reſultats, hatte ſeine großen materiellen Schwierigkeiten. Von allen andern abgeſehen, machte der Winter die Fort ſetzung der Maaßregeln zur See , der wirkſamſten und für Holland empfindlichſten, ſehr bedenklich. Der zweite Weg war, die Unterhandlungen wieder aufzunehmen, mit der Abſicht auf die Annahme des Vertrags von Seiten Hol

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lands hinzuwirken und ſo ein Definitivum herbeizuführen.

Dieſer Weg bot den großen Vortheil, daß, da man für ein ſolches Ziel mit Sicherheit auf die Kooperation der Rabi nete von Petersburg , Wien und Berlin rechnen konnte, die im Auseinanderfallen begriffenen Elemente der Kon ferenz fich ſo wieder zuſammenfanden und der Erweiterung

des ſehr bedenklichen Riſſes dadurch vorgebeugt wurde. Selbſt dann , wenn man auf dieſem Wege auch nicht zu dem gewünſchten Reſultate einer definitiven Erledigung ge

langte, blieb immer noch ein Ausweg, auf ein Proviſorium hinzuarbeiten , das die Gefahr eines Wiederausbruchs der Feindſeligkeiten zwiſchen Holland und Belgien beſeitigte und zu ſpäterem Verſtändniß die Thür offen ließ. Nichts iſt demnach gerechtfertigter, als daß England

und Frankreich dieſen zweiten Weg einſchlugen. Einmal dazu entſchloſſen, war zuerſt nothwendig , daß man ſich der Zuſtimmung der beiden unmittelbar betheiligten Parteien, Belgiens und Hollands, zur Wiederaufnahme der direkten Unterhandlungen , die allein zum definitiven Frieden führen konnten, vergewiſſerte. Wir entbehren aller und jeder No

tizen , um die Frage , ob zu dieſem Zwecke Schritte offi zieller oder offiziöſer Natur bei dem Haager Kabinete ge

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macht worden ſind, und welchen Erfolg die etwa verſuchten hatten, beantworten zu können . Außer allem Zweifel aber iſt, daß König Leopold auf das Dringendſte Seitens der Seemächte angegangen wurde , die Hand zu dieſen Unter 1

handlungen zu bieten . In einer Zuſammenfunft, die bei

Rückmarſch der franzöſiſchen Armee nach der Einnahme der Citadelle von Antwerpen, zwiſchen beiden Monarchen in lille ſtattfand, bot der König Louis Philipp alles auf

um die Zuſtimmung ſeines Schwiegerſohns zu erlangen. Der ſehr nahe liegende Einwurf, daß man vor allem ſich

von der Bereitwilligkeit des Königs von Holland, auf dieſe 1

Wendung einzugehn, und von der Möglichkeit ein Defini

tivum herbeizuführen , überzeugen müſſe , wurde von den Nabineten von Paris und London dadurch beſeitigt, daß beide ſich in der ausdrücklichſten und bindendſten Weiſe an heiſchig machten , die Zuſtimmung König Wilhelms zu er: halten. Welche Urſache ſie hatten darauf zu rechnen , iſt

uns unbekannt; daß ſie aber dieſe Verſicherung gaben, ſehen wir als vollkommen gewiſſe Thatſache an .

Andre Betrachtungen der allerwichtigſten Natur konnten geltend gemacht werden und wurden es, um den König Leo

pold im Sinne der Aufforderung der beiden verbündeten

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Kabinete zu beſtimmen. Der definitive Friede brachte ihm die Anerkennung aller europäiſchen Mächte, Holland mit einbegriffen , ſeine Stellung wurde eine vollkommen ge

ſicherte, ebenbürtige , mit dem öffentlichen Rechte Europa's verſchmolzene , er trat vollberechtigt in die Reihe der legi timen Souveräne. Alle Eventualitäten, die möglich waren , ſo lange man im Proviſorium verharrte und unter denen, neben den günſtigen , auch manche ungünſtige waren , wur den von vorn herein abgeſchnitten. Durch ſeine Zuſtim

mung den Schluß des langen Streites erleichternd, erwarb er ſich gegründete Anſprüche auf die Dankbarkeit der

Mächte, die mannigfachen Veranlaſſungen zu Aufregung und ungeordneten Bewegungen im Innern , welche die Unſicherheit und die Gefahren der äußern Frage erzeugt hatten , verſchwanden und die reichen Kräfte des Landes konnten ungeſtört, in dem Gefühl einer geſicherten Zu funft, dem Ausbau der Verfaſſung und der Entwickelung des innern Wohlſtandes zugewendet werden . Und doch gab König Leopold dem Drängen ſeiner Ver

bündeten nicht nach. Hätte er nur ſein eigenes perſönliches, oder das Intereſſe ſeiner Dynaſtie zur Richtſchnur ſeiner Bolitif genommen , ſo konnte und mußte er auf die Auf

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forderungen der Kabinete von London und Paris eingehen ; da er aber von dem erſten Augenblick ſeiner Regierung an ſein Handeln nie anders als nach den Intereſſen des Lan des beſtimmte , ſo ſchlug er alle Anerbietungen aus und zog das Proviſorium dem Definitivum vor. Der Vertrag der 24 Artikel legte Belgien harte , ſehr

harte Bedingungen auf, Abtretung von Territorien und ſchwere finanzielle Verbindlichkeiten. kam es in Folge der wiederaufgenommenen Unterhandlungen auf dieſer Ba

fis zu einem Abſchluß, ſo ließ ſich mit Beſtimmtheit vor ausſehen , daß irgendwie bedeutende Erleichterungen jener ſo läſtigen Beſtimmungen nicht erzielt worden wären.

Abgeſehen von Verluſten an Land und Leuten , blieb der Staat auf alle Zeiten mit übermäßigen , drückenden , pekuniären Leiſtungen an Holland behaftet. Die einzige Möglichkeit, dieſen Laſten momentan zu entgehen und

ſpäter vielleicht eine Minderung derſelben zu erhalten, war im Broviſorium gegeben, zudem es auch an formeller

Berechtigung dazu für Belgien nicht fehlte , ſo lange der König von Holland die Auslieferung der Scheldeforts verweigerte. Belgien blieb ſo im einſtweiligen Beſitz der ſpäter abzutretenden Territorien , gewann die Nichtzahlung

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der jährlichen Rente von 8,400,000 Gulden an Holland, und erhielt ſich mögliche günſtigere Chancen in der Zukunft offen. Allerdings bedurfte es großer Klarheit des Blickes und

noch größerer Feſtigkeit des Willens , um dem Drängen nach einer andern Entſcheidung zu widerſtehen , es ge

hörte eine bedeutende moraliſche Kraft dazu , in den Augen eines Theils von Europa für einen Uſurpator zu gelten, wenn es nur eines Wortes bedurfte, um von Allen im

legitimen Beſitz der Krone anerkannt zu werden . Aber König Leopold hatte alle Eigenſchaften , die ein ſolcher -

Entſchluß erforderte. Als Frankreich und England ſich überzeugt hatten , daß er unwiderruflich genommen war, ſchlugen ſie den eben angedeuteten Ausweg ein. Nach mehrmonatlichen Unterhandlungen fam die Ronvention

vom 21. Mai 1833 zu Stande, der eine langjährige Waffenruhe folgte, die der Nation Sicherheit nach außen, dann Zeit und Mittel gab , dem ungläubigen und zweifeln den Europa zu zeigen, daß ſie ihrer neuen , beſſern Geſchicke

würdig ſei. Vor aller Augen bewährte es ſich , daß Bel gien neben der Freiheit auch die Ordnung wolle, und mit dem Willen auch die Kraft befiße , ſie zu wahren. Zugleich

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begann jene bewundernswerthe Thätigkeit in der Ent

wickelung und Förderung der materiellen Intereſſen , die alle Kräfte und Hülfsmittel des Landes zu ſo reicher Ent faltung führten. Die ſechs Jahre , welche bis zum Abſchluß des definitiven Friedens verfloſſen , bilden die Epoche der Rehabilitation Belgiens in der Meinung Europas , und 1

daß dieſe Rehabilitation möglich wurde , verdankt das Land dem Entſchluſſe des Königs.

V.

Als König Wilhelm von Holland, fünf Jahre ſpäter, im März 1838, um den gefährlichen Folgen ſeiner bis herigen Politik zu entgehen , ſich bereit erklärte , den Ver trag der 24 Artikel zu unterzeichnen , war die Lage Bel giens Europa gegenüber eine ganz andere. Die Wohl

thaten des Proviſoriums zeigten ſich in ihrem ganzen Um fange. Das Land fonnte auf die Garantien hinweiſen,

welche ſeine Haltung während dieſer langen Periode der Unentſchiedenheit gab , es fonnte ſich mit gutem Glauben für berechtigt anſehen , weſentliche Erleichterungen der

drückenden Opfer, die die 24 Artikel ihm auferlegten , zu beanſpruchen. Die Umſtände, unter denen jener Vertrag

ihm auferlegt wurde , waren nicht mehr dieſelben , die lange Weigerung des Königs von Holland hatte, ohne Zuthun Belgiens, Verhältniſſe geſchaffen , welche die ernſteſte Be

rückſichtigung verdienten und auf die , auf den erſten Wink

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ſeines Gegners zu verzichten , man vielleicht nicht ohne Ungerechtigkeit, gewiß nicht ohne Härte , von Belgien ver langen konnte. Von allen politiſchen Geſichtspunkten , die dabei in Betracht kamen , abgeſehen, dürfte vom rein völ ferrechtlichen Standpunkte aus zweifelhaft ſcheinen , daß !

die bindende Kraft des Vertrages für Belgien noch in ihrem ganzen Umfange beſtand. Was Wunder, daß unter ſolchen Umſtänden ſich die

Meinung der Nation mit Heftigkeit gegen die Ausführung der 24 Artikel erhob , und nicht allein gegen die pekuniären

Verpflichtungen, für deren Minderung die triftigſten faktiſch und rechtlich ſo ſtart als nur immer möglich be

gründeten Motive vorlagen , ſondern auch gegen die durch den Vertrag geforderte Abtretung von Territorien in Lu remburg und Limburg proteſtirte. Man weiß, wie allge mein, wie tiefgehend die Bewegung in kurzer Zeit wurde, mit welcher Energie ſich das Nationalgefühl ausſprach , wie

entſchieden und einſtimmig ſich die Bevölkerungen aller Provinzen , alle Klaſſen der Geſellſchaft äußerten. Man hat die Haltung der Regierung dieſen Mani feſtationen gegenüber oft getadelt , es ihr zum Vorwurf ge

macht, daß ſie ihnen von Anfang an nicht ſo nachdrücklich

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ſie konnte, entgegentrat , und die öffentliche Meinung in

andere Bahnen zu lenken ſuchte, und dies im ſo mehr, als ſie nicht lange in Zweifel über die Geſinnungen und Anſichten der Mächte bleiben konnte und früh ſchon fich

von der Unmöglichkeit des Widerſtandes gegen ihren be ſtimmten Willen , den Vertrag aufrecht zu erhalten , über zeugen mußte. Dieſe Vorwürfe beruhen auf einer unge nauen Würdigung der wahren thatſächlichen Lage ; man

braucht den Dingen nur einigermaßen auf den Grund zu gehen , um einzuſehen , daß es für die belgiſche Regierung ſchwer , faſt unmöglich geweſen wäre, anders zu handeln, als ſie gehandelt hat.

Die Erklärung des Königs Wilhelm in Betreff der

Annahme der 24 Artikel iſt vom 14. März 1838. Als ſie in London anlangte , konnten ſich die Vertreter der Mächte zuerſt nicht über das einzuſchlagende Verhalten einigen,

der engliche Bevollmächtigte wurde angewieſen , dem holländiſchen einfach den Empfang der Note zu beſcheinigen ; die Vertreter von Deſterreich, Preußen und Rußland

mußten die Inſtruktionen ihrer Sabinete einholen . Mo nate vergingen, ehe die Konferenz zuſammentrat, und erſt im Auguſt konnten die eigentlichen Verhandlungen be

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ginnen. Während dieſer ganzen Zeit blieb die Frage voll kommen unentſchieden in der Schwebe. Es fehlte nicht an

Beſprechungen , Auseinanderſetzungen , einzelnen Erklä 1

rungen , die Verhandlungen von Rabinet zu Rabinet waren

ſogar ſehr lebhaft , aber es blieb bei dem Meinungsaus

tauſch , zu Entſcheidungen kam es nicht. Die belgiſche Regierung hatte hinreichende Urſache , ſich auf große Schwierigkeiten gefaßt zu machen , ſie mochte den ungün ſtigen Eindruck, den die Manifeſtationen des Landes auf

die Großmächte hervorbrachten , wahrnehmen ; eine offi zielle Veranlaſſung zu glauben, daß alle ihre Bemühungen vergeblich ſein , alle ihre Remonftrationen in Bezug auf die Territorialfrage zurückgewieſen werden würden , hatte ſie nicht. Ja es gab Augenblicke , wo es ungewiß ſcheinen

konnte , ob die Politik der Mächte eine einſtimmige ſein würde.

Während dieſer Zeit , wo allen Möglichkeiten Thür und Thor offen ſtanden, begann jene Bewegung im Lande

ſelbſt, und wie es bei der tief aufregenden Natur der Frage und unter der Herrſchaft unſrer Inſtitutionen , die jeder .

Meinungsäußerung in politiſchen Dingen die abſoluteſte

Freiheit laſſen, gar nicht anders ſein konnte, ſteigerte ſich

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bald zu einer Höhe , die es der Regierung nicht erlaubte, jie ohne große Gefahr zu unterdrücken , wozu ihr ohnehin ſchon die geſetzlichen Mittel fehlten. Wenn ſie auch be

dauern mochte , daß man zu weit ging, ſich zu Ueber treibungen hinreißen ließ , die die Lage des Landes ſpäterhin ſehr ſchwierig machen konnten , ſo mußte ſie doch die Motive, I

die dem Ganzen zu Grunde lagen , als gerecht anerkennen und konnte ſich in keiner Weiſe der Vertheidigung einer ſo durchaus nationalen Sache entziehen. Ihre Aufgabe war, zur Mäßigung zu ermahnen und alle ihre Sorgfalt auf die Führung der Unterhandlungen in London und bei den einzelnen Kabineten zu verwenden .

Das erſte that der

König ſelbſt mit allem Nachdruck und bei jeder Gelegenheit.

Als die Kammer gleich im Anfang der Bewegung , am 30. April , eine Adreſſe an die Strone einſtimmig votirte, worin ſie die Territorialfrage anregte , vermied der König

in ſeiner Antwort darauf einzugehen und begnügte ſich mit der Aufforderung, Ruhe , Würde und Vertrauen zu zeigen . Dem Senat gegenüber wies er auf die großen Dienſte hin,

die er dem Frieden Europas geleiſtet und ſprach Wunſch und Verlangen aus, daß man ihm im Intereſſe Belgiens davon Rechnung tragen möchte.

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Selbſt nach ihrem Zuſammentritt blieb die Konferenz noch eine geraume Zeit, ohne der Frage irgend eine ent

ſcheidende Wendung zu geben , vor der die Anſprüche Bel giens ſich hätten beugen müſſen. Alle Elemente der Frage , politiſche ſowohl wie finanzielle, waren unterdeſſen mit einer fieberhaften Thätigkeit von allen Geſichtspunkten aus behandelt worden , Publiziſtik und Preſſe hatten ſie bis

in ihre kleinſten Details zerlegt und das gute Recht Bel giens, gegen mehrere der wichtigſten Beſtimmungen des Vertrags Einſprache zu erheben , war für die Nation zu einer Sache der tiefſten Ueberzeugung geworden. Die Stimmung war von der Art, daß , als der König bei der Eröffnung der Kammern in der Thronrede erklärte , die einzige Richtſchnur ſeiner Politik ſeien die Rechte und die

Intereſſen des Landes , die mit Ausdauer und Muth ver theidigt werden ſollten , er nur ausſprach , was alle Ge müther beſeelte. Man hat dieſe Erklärung oft angefochten, ohne zu bedenken , daß die erſte Pflicht der Regierung war, I

die nationale Politik zu vertreten. So lange der entſchei dende Schiedsrichterſpruch der Konferenz nicht vorlag, war, das wird niemand läugnen können, die nationale Politik, mit äußerſter Beharrlichkeit und unerſchüttertem Muth,

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das was Belgien für ſein Recht hielt , zu vertheidigen.

Der König war dem Lande ſchuldig bis an die äußerſte Grenze des diplomatiſchen Widerſtandes zu gehen , nichts unverſucht zu laſſen , jedes Mittel, um den Verluſt der Territorien abzuwenden , zu erſchöpfen. Und daß er dieſe

Pflicht, troß alles Drängens ſeiner nächſten Verbündeten, trotz aller Schwierigkeiten und Gefahren , denen er während der ganzen Dauer der Kriſe ausgeſegt war, redlich, mit

Hingabe und Aufopferung erfüllt hat, das bezeugen die Thatſachen. Der Endſpruch der Konferenz erfolgte erſt im De zember 1838 und erſt am 22. Januar 1839 wurde das Protokoll, das ihn enthielt, durch die Unterzeichnung Frank

reichs, vollgültiges Ultimatum . Alle Reklamationen Bel giens gegen die Abtretung der Territorien waren zurück gewieſen, aber die pekuniären Leiſtungen an Holland, die die 24 Artikel ihm auferlegten , von 8,400,000 Gulden auf 5,000,000 Gulden jährlich herabgeſeßt und das Cand von jeder Verpflichtung zu Rückſtandszahlungen ent bunden. Jegt erſt änderte ſich die Lage der Regierung;

wie früher der Widerſtand, ſo wurde nun Annahme des Schiedsrichterſpruche nationale Politik , Pflicht gegen das 3

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Cand und Pflicht gegen Europa. Zur Erfüllung dieſer Pflicht gehörte ein größerer Muth , als man im Auslande

glauben mochte. Welche Schwierigkeiten es hatte , die Meinung umzuſtimmen , die auf das leidenſchaftlichſte er regten Gemüther zu beſchwichtigen , die Annahme des Ver trages durch die Kammern zu ermöglichen, das richtig zu beurtheilen, ſind nur die im Stande, welche inmitten der Dinge waren und ſie in der Nähe ſahen. Aber auch dieſe

Schwierigkeiten wurden überwunden und Belgien , die Früchte der Weisheit ſeines Fürſten erntend , trat in die Reihe der definitiv konſtituirten Staaten Europa's.

VI.

Mit dem Abſchluß der großen Verträge von 1839 be ginnt für die äußere Geſchichte Belgiens ein neuer Ab ſchnitt. Dieſe Verträge regelten die Beziehungen des neuen Staates zu dem politiſchen Syſtem Europa’s auf

die Grundlage einer beſtändigen Neutralität und zeichneten ſo im Allgemeinen ſeiner Regierung den Gang vor , den ſie in ihrem Verhalten zu den Mächten zu befolgen hat.

Aber auch nur im Allgemeinen , denn die ſtrenge und ge wiſſenhafte Durchführung dieſer Politik der Neutralität bietet im Einzelnen oft Schwierigkeiten beſonderer Art dar und erfordert einen größeren Aufwand von umſichtiger Klugheit, Ueberblick und Geſchicklichkeit, ale man auf den erſten Anblick glauben möchte.

Es liegt in der Natur der beſondern Stellung,

die

Belgien in dem europäiſchen Staatenſyſtem einnimmt, daß ſeine Beziehungen zu den großen Mächten eine Wichtigkeit

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haben , welche den Umfang und die materielle Bedeutung des Landes weit überſteigt. Alle Fragen , die ſeine äußern und innern Verhältniſſe tiefer und dauernd berühren , ſind von größerer Tragweite und brennender, als dies bei

andern Staaten gleichen Ranges und ähnlicher Macht ſtellung der Fall iſt. Man betrachte, um nur ein Beiſpiel anzuführen , das Nachbarland Holland. Wir ſind weit, ſehr weit entfernt, die Wichtigkeit Hollands herabzuſeßen, im Gegentheil , wir ſchlagen ſie in mehr als einer Be ziehung ſehr hoc an , aber Jedermann wird zugeſtehen, daß es nicht dieſelbe europäiſche Bedeutung wie Belgien hat und daß , welche Partei dort herrſcht, wohin die

herrſchende zielt , welche auswärtige Macht einen beſondern Einfluß ausübt , für die allgemeinen Intereſſen der Po litik des Kontinents, von nicht ſo großem Gewicht iſt, wie die gleichen Umſtände in Belgien. Neben manchen Vor: theilen , die wir nicht verkennen wollen , hat dieſe Aus

nahmsſtellung des Landes auch ihre Laſten und fügen wir hinzu , ihre Gefahren. Daß die einen für die Nation weniger drückend geweſen , die andern von ihr ferngehalten

ſind, das verdankt ſie der Meiſterſchaft, mit der ihre aus wärtigen Bezüge von dem Könige geleitet wurden.

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Der beſte Prüfſtein und der ſchlagendſte Beweis dieſer Meiſterſchaft liegt, wie uns ſcheint, in der Art, wie König

Leopold die Verhältniſſe Belgiens zu Deutſchland und Frankreich gelenkt hat. Die Beziehungen zu dieſen beiden Ländern bilden den kapitalen Theil in der auswärtigen Politik des Landes, deren eigentlicher Schwerpunkt hier

zu ſuchen iſt. Das Verhältniß zu England iſt von der tiefgehendſten Wichtigkeit für die Sicherung der Gegen wart und die ganze Zukunft des Staates , aber es iſt ein facherer Natur und bietet weniger Veranlaſſung zu Rom plikationen und Schwierigkeiten , während die Beziehungen zu Deutſchland und Frankreich durch die Natur der Dinge

felbſt, mehr Anlaß zu Verwickelungen enthalten und außer dem die materiellen Intereſſen Belgiens auf das unmittel barſte berühren. Wenn man ſich auf den Standpunkt der Verträge ſtellt

und die Dinge äußerlic) und im Allgemeinen betrachtet, ſo ſcheint es nicht eben ſchwer , die Linie zu beſtimmen , die

in dem Vernehmen Belgiens zu den beiden großen Nach

barn einzuhalten iſt. Gleiches Wohlwollen, gleiche Sym pathien für beide , gleiche Bereitwilligkeit auf ihre billigen

Wünſche einzugehen ; Alles vermeiden , was der belgiſchen .

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Politik den Schein eines überwiegenden Hinneigens zu einem von ihnen geben fönnte, zugleich aber auch wohl ſid) hüten , die beſonderen Stympathien , die der eine oder der 1

andere dieſer Nachbarn in beſtimmten Situationen für Belgien zeigen möchte , zurückzuweiſen oder zu erfälten , ſonſt in Allem ſtrenges Gleichgewicht, kein Unterſchied, keine Bevorzugung; daß dies das einzig richtige ſei , dar

über wird man , auf dem rein theoretiſchen Standpunkte, bald einig , aber nun die Ausführung ! Die erſten Schwierigkeiten kommen von den Nachbarn ſelbſt her , von denen jeder zuweilen glauben mag , beſondre 1

Rechte auf Bevorzugung zu haben und dem gemäß fordert, daß man ſeine Wünſche, ſeine Intereſſen vor benen des

andern berückſichtige. Wobei dann öfters noch der er ſchwerende Umſtand eintritt, daß die Intereſſen des einen in und an Belgien mit denen des andern kollidiren und

eine Ausgleichung ſchwer , manchmal unmöglich iſt. Für Belgien gilt es alsdann, ſich nicht ausſchließlich auf eine Seite ziehen zu laſſen , ohne jedoch denjenigen der beiden Nachbarn , dem es eine abídlägige Antwort geben muß, 1

1

ſich zum Feinde zu machen .

Andere Schwierigkeiten haben ihren Grund in beſondern

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Verhältniſſen im Lande ſelbſt. Es beſtehen hier Intereſſen und Tendenzen , welche das unverrückte Einhalten der Gleichgewichtspolitik zwiſchen Deutſchland und Frankreich nicht gerade erleichtern , die materiellen Intereſſen einiger Provinzen mochten früher mehr noch als jeßt den Wunſch

nach näherem Anſchluß an Frankreich rege machen , wäh rend in andern die flämiſche Bewegung, beſonders in ihrer

erſten leidenſchaftlichen Periode , einen bedeutenden Theil der Bevölkerungen nach Deutſchland drängte.

Daß König Leopold die ſchwierige Aufgabe, inmitten dieſer widerſtrebenden Tendenzen , die Stellung Belgiens zwiſchen Frankreich und Deutſchland unverrückt zu er

halten, mit Feſtigkeit und Geſchick zu löſen gewußt hat, das beweiſen die Thatſachen. Das gute Vernehmen zwi ſchen Belgien und Deutſchland und Belgien und Frank reich iſt, ſelbſt in den ſchwierigſten und kritiſcheſten Situa

tionen, nie weſentlich beeinträchtigt worden, und daß es an ſolchen nicht gefehlt hat , weiß jeder, der den Begeben heiten ſeit 1831 gefolgt iſt. Es mag genügen , nur an die

eine oder die andere Phaſe dieſer Verhältniſſe zu erinnern, um den wahren Charakter der Politik des Königs in ein

helleres Licht zu ſeben.

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Die Umſtände, unter denen die Konſtituirung Bel giens erfolgt war , hatten Frankreich mehrmals Gelegen

heit gegeben , dem neuen Staat ſehr anerkennenswerthe Dienſte zu leiſten , die demſelben unſtreitig eine Schuld politiſcher Dankbarkeit gegen ſeinen weſtlichen Nachbar auflegten. Allerdings konnte man behaupten, was die hervorragendſten franzöſiſchen Staatsmänner jener Zeit

auch zugeſtanden haben, daß die Politik Frankreichs in der belgiſchen Frage von ſeinen eigenen wohlverſtandenen Inter eſſen nach Innen und Außen geboten war und daß man,

bei der thatkräftigen Unterſtützung Belgiens , in Paris vor allen Dingen im Auge hatte , ſich die großen Vortheile dauernd zu ſichern , welche die Auflöſung des Königreichs der Niederlande der Stellung Frankreichs auf dem Ron

tinent gebracht hatte. In Folge davon mochten die Ver pflichtungen Belgiens minder groß erſcheinen , aber daß ſie beſtanden, konnte nicht wohl geläugnet werden . Was lag nun näher als die Erwartung, Belgien werde I

ſeine Sduld gegen Frankreich dadurch abtragen , daß es ſich demſelben vorzugsweiſe willfährig bezeigte , daß in allen Fragen , wo der Brüſſeler Hof bei ſeinen Entſchließungen die Anſichten der Großmächte zu berückſichtigen hatte , der

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Anſicht des franzöſiſchen Rabinets ein überwiegender Ein fluß zugeſtanden werden würde. Man konnte glauben, daß

dieſer Einfluß durch die nahen verwandtſchaftlichen Bande, die ſich zwiſchen den beiden Dynaſtien gebildet hatten, noch verſtärkt werden müßte. Aber nichts von Alledem geſchah. König Leopold hat

ſich zu jeder Zeit die vollſtändige Unabhängigkeit ſeiner auswärtigen Politik von jedem ausſchließlichen Einfluß Frankreichs zu bewahren gewußt. Man ſuche und unter ſuche ſo viel man will, man wird keinen Aft derſelben aus findig machen , deſſen lette Motive einer Unterordnung der Intereſſen Belgiens unter die Frankreichs zugeſchrieben

werden könnten. Wenn oder wo die Pflichten der Stellung, welche die Verträge Belgien in Europa angewieſen haben, oder andere vitale Intereſſen des Landes es erheiſchen, hat der Fürſt ſich nie , weder durch Bitten noch durch)

Gegenvorſtellungen oder Unmuthsbezeigungen abhalten laſſen , zu thun , was er für redyt und durch die Umſtände geboten hielt. Berlangt man Beweiſe, ſo ſei nur einer,

allerdings aber ein ſchlagender angeführt. Es iſt bekannt, daß zu wiederholtenmalen über die

Herſtellung eines franzöſiſch-belgiſchen Zollvereins unter

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den Rabineten von Brüſſel und Baris verhandelt worden iſt. Frankreich mochte neben den materiellen , bedeutende politiſche Vortheile in einer ſolchen Fuſion der Zollſyſteme beider Länder ſehen und hat es nicht an Bemühungen , ſie

möglich zu macien, fehlen laſſen. Alle Geſichtspunkte, die bei einem Akt von ſolcher Bedeutung in Erwägung kom men mußten, wurden auf das gründlichſte unterſucht und debattirt , es unterliegt keinem Zweifel, daß die beiden Souveräne ſelbſt der Sache ihre perſönliche, eingehendſte

Aufmerkſamkeit zuwandten. Als Reſultat aller dieſer Be mühungen, die mehreremale unterbrochen , mehreremale

wieder aufgenommen wurden , ſtellte ſich heraus , daß ohne großer ſchwer zu beſeitigender adminiſtrativer Schwierig feiten zu gedenken , die Grundverſchiedenheit der Zollgeſetz gebung beider Länder einer Vereinigung dieſer Art unüber ſteigliche Hinderniſſe in den Weg legte. Ob noch andere

Motive dabei zur Berückſichtigung kamen , wiſſen wir nicht, ſo viel aber ſteht feſt, daß der Gedanke daran auf gegeben wurde und während der ganzen Dauer der Juli regierung zwiſchen den beiden Ländern nichts als Special

konventionen über einzelne Zollgegenſtände abgeſchloſſen wurden .

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Unter dieſem Verhältniſſe ſchloß Belgien kurze Zeit

nachher, im Jahre 1844 , einen Vertrag mit den deutſchen Zollvereinen auf ſehr breiten Grundlagen , deſſen Trag weite eine ganz andere war , als die aller Uebereinfünfte, die man mit Frankreich getroffen. Welchen Eindruck dieſer

Scyritt in Paris hervorbrachte, iſt leicht z11 ermeſſen . Der Gedanke einer ſolchen Annäherung Belgiens an

Deutſchland mit allen ihren möglichen Folgen wurde von König Louis Philipp mit einer Antipathie aufgenommen , deren Heftigkeit ſich keinerlei Rückhalt auflegte und die es gewiß nicht an den abmahnendſten Vorſtellungen fehlen ließ. Rönig Leopold blieb unbeirrt, das Intereſſe Bel

giens überwvog in ſeinen Augen alle andre Rückſichten , der Vertrag mit dem Zollverein wurde unterzeichnet.

VII.

Aber auch außerhalb der rein belgiſchen Angelegen heiten fand die politiſche Wirkſamkeit König Leopolds einen

entſprechenden Schauplay in der Betheiligung des Fürſten bei den meiſten der großen Fragen , die ſeit 1840 unter den

Kabineten Europa's verhandelt wurden . Die perſönlichen Verbindungen des Monarchen mit den Souveränen , die hohe Achtung, das unbedingte Vertrauen , welches ſein Charakter, fein Urtheil , ſeine gerechte in der Regierung des eigenen Landes ſo glänzend bethätigte Weisheit den Kabineten einflößte, wurden Veranlaſſung, daß der Fürſt mehr als einmal auf das erfolgreichſte zur friedlichen Pöjung ſchwieriger und verwickelter Situationen mit wir fen konnte. Soll je die diplomatiſche Geſchichte der letzten

Jahrzehnte mit Treue und Vollſtändigkeit geſchrieben werden , ſo wird eins der reichſten und inhaltsſchwerſten

Kapitel der vermittelnden , ſchlichtenden, verſöhnenden , die

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höchſten Intereſſen Europa's auf das wirkſamſte fördern

den Thätigkeit König Leopolds zu widmen ſein. Was ihm der , trop der gefährlichſten Komplikationen, zum Beile der Völker ſo lange bewahrte allgemeine Frieden zu verdanken !

hat, wiſſen die Staatsmänner am beſten , die mit ihm an

dem großen Werke gearbeitet und aus ſeinen Bemühungen reichen Nußen gezogen haben . Es liegt in der Natur dieſer Verhältniſſe , daß darüber

nur Andeutungen gegeben werden fönnen , die Zeit aus führlich zu ſein , iſt noch nicht gekommen. Die Ver

wickelungen , welche die orientaliſche Frage im Jahre 1840 herbeiführte, boten dem Könige eine willkommene Ge legenheit zu dieſer im großartigſten Sinne vermittelnden Thätigkeit. Von Anfang der Kriſis an waren alle ſeine

Bemühungen darauf gerichtet, den tiefen Riß zu heilen, den die Konvention vom 15. Juli in die Beziehungen

Frankreichs zu den Mächten gebracht hatte. Mit uner müdlichem Eifer benutzte er ſeine nahen Beziehungen zum König Louis Philipp , das große Anſehn und Vertrauen ,

deſſen er zu allen Zeiten bei den engliſchen Staatsmännern genoß , die Ueberzeugung, die man in Wien von ſeiner Unparteilichkeit, der Richtigkeit feines Blicks und ſeiner

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tiefen Kenntniß der Verhältniſſe hatte , um die ſtreitenden Parteien zu nähern und die Grundlagen einer Ausgleichung

zu finden, die fein weſentliches Intereſſe eines der Be theiligten verlebte , und es einem jeden von ihnen möglidy

machte, einen ehrenvollen Ausgang aus der gefährlichen Situation, in der Alle waren, zu finden. Daß eine friedliche

Löſung endlich zu Stande kam , daran hatte König Leopold einen Antheil, deſſen Umfang erſt ſpäter ganz wird ge würdigt werden können . König Louis Philipp insbeſondre,

deſſen Lage mehr als kritiſch war, verdankt ihm unendlich viel ; wenn man die frühern Dienſte, die dieſer Monarchy Belgien geleiſtet hat , mit denen , die der König von Bel

gien ihm bei dieſer Gelegenheit unter den ſchwierigſten Umſtänden leiſtete, zuſammenhält, ſo kann kein Zweifel bleiben , daß die Ausgleichung eine vollfommene war. Es iſt nicht überflüſſig, ein Wort über eine ſpätere

Angelegenheit zu ſagen , um die Stellung, die der König Leopold ihr gegenüber eingenommen hat , in ihr rechtes Licht zu ſetzen. Wir meinen die ſpaniſchen Heirathen. Als natürlicher Vertreter der Intereſſen ſeines Hauſes, konnte man glauben , daß er vorzugsweiſe eine Kombination be günſtigen würde, die neben unfängbaren Vortheilen für

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Spanien, dem lebhaften Wunſch der Königin Chriſtine entſpracy und außerdem auf den thatkräftigen Beiſtand

einer in Spanien höcyſt einflußreichen Großmacyt zählen konnte. Aber auch hier blieb der Fürſt ſeinem beſtändig bewährten Grundſatz treu , die Intereſſen ſeiner Familie wie ſeine eigenen den europäiſchen zu unterordnen. Von dem erſten Augenblick an , wo der Name ſeines Neffen

unter denen der Prinzen genannt wurde , welchen die Hand der Königin von Spanien zu Theil werden könnte , hat König Leopold beſtändig und unter allen Umſtänden er

klärt , daß , wenn der Prinz von Roburg der Gemahl Iſabellens werden ſolle , dies nur unter der Zu

ſtimmung aller bei der Frage betheiligten Mächte geſchehen könne.

Es kann nur als natürliche Folge dieſer in ſeiner gan

zen politiſchen Laufbahn bewieſenen uneigennütigen Weis heit und Loyalität betrachtet werden , wenn dem Könige von allen Mächten , die mit ihm in näherer Verbindung waren , die anerkennendſten und ehrendſten Beweiſe des Vertrauens , das ſie in ihn ſebten , bei allen Gelegenheiten

gegeben wurden. Wir erinnern nur an die Vermittelung, die Spanien und England ihm antrugen und der es nach

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langen , ſchwierigen , mehrmals unterbrochenen Unter handlungen , die von Seiten des Vermittlers großes Ge 1

ſchick, große Mäßigung und große Beharrlichkeit erfor

derten , endlich gelang , das tiefe Zerwürfniß zwiſchen den Kabineten von London und Madrid beizulegen und ihre direkten Beziehungen wieder herzuſtellen.

Am glänzendſten bewährte ſich dies allgerneine Ver trauen während der durch die Kataſtrophen des Jahres

1848 geſchaffenen Situationen. Die neuere Geſchichte hat nicht viel Beiſpiele aufzuweiſen , daß die Leiter der poli tiſchen Geſchicke Europa's einem unter ihnen eine ſolche

Anerkennung ſeiner Weisheit , ſeines überlegenen Blicks und ſeiner Erfahrung , ein ſolches Vertrauen in ſeinen Charakter , eine ſolche Beeiferung ſeiner Rathſchläge theil haftig zu werden , gezeigt hätten , als dies in jener Zeit

von allen Seiten , ſelbſt den entgegengeſegteſten her , dem König Leopold zu Theil wurde. Seinem eigenen Lande wurde dieſe eminente Stellung des Rönigs in Europa in doppelter Weiſe erſprießlich und vortheilhaft. Einmal erleichterte ſie alle Beziehungen Bel giens zu den fremden Mächten , dann aber auch erhob die Achtung und Verehrung , deren ihr Souverän überall

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genoß , das politiſche Bewußtſein der Nation, die ſich in ihrem Fürſten geehrt ſah und machte das Vertrauen in

ihn zu einem unbegrenzten. Es bahnte ſich ſo ein Zuſtand an , der in einem jungen mit ſoviel Freiheit, als er nur immer tragen kann , verſehenen Staat von großer Wichtig keit iſt, und der gewöhnlich erſt als Reſultat langer, oft bitter und mit ſchweren Opfern erkaufter politiſcher Er fahrungen ſich einſtellt. Parlament und Preſſe laſſen die

Krone die auswärtigen Angelegenheiten lenken , ohne die ſelben zum Gegenſtand ſo rücffichtsloſer Diskuſſionen zu machen , wie dies bei innern Angelegenheiten ſo häufig der Fall iſt. Wenn man die Art , wie die auswärtigen Fragen in der belgiſchen Kammer während der erſten Jahre ihrer Wirkſamkeit behandelt wurden , mit derjenigen vergleicht, 1

wie ſie jetzt aufgefaßt und erledigt werden , ſo kann man der Kammer zu der Veränderung , die darin vorgegangen

iſt, nur Glück wünſchen. Es iſt unmöglich , den wahren und weſentlichen Fortſchritt zu verkennen , den das Land nach dieſer Seite ſeiner politiſchen Ausbildung hin unter der Leitung des Königsthums gemacht hat.

4

VIII.

Wir haben uns im Vorhergehenden auf Thatſachen geſtügt, um die Anerkennung hervorzuheben , welche der Charakter und die eminenten politiſchen Befähigungen

König Leopolds bei den Mächten gefunden haben , ſeitdem er den belgiſchen Thron beſtiegen. Der Antheil , den der Fürſt vor dieſer Zeit an großen europäiſchen Fragen hatte, mußte , bei der Aufgabe , die wir uns geſtellt haben , außer halb des Kreiſes unſrer Betrachtungen bleiben. Eine Seite dieſes Antheils aber iſt Gegenſtand ſo unrichtiger und un

gerechter Beurtheilung geworden , daß wir uns der Pflicht nicht entziehen fönnen , ſie näher zu beſprechen. 1

Die Motive , welche den Prinzen Leopold bewogen,

die griechiſche Krone abzulehnen , ſind öfter ungenau dar geſtellt worden , neuerdings aber iſt eine Beurtheilung

derſelben veröffentlicht worden , die , wenn ſie der Wahr heit entſpräche, beweiſen würde, daß der Fürſt bei dieſer

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Gelegenheit den Grundſätzen , nach welchen er ſich während ſeiner ganzen politiſchen Laufbahn geregelt hat, nicht treu

geblieben iſt. Dieſe Beurtheilung gewinnt dadurch eine befondre Bedeutung , daß ſie von einem Manne ausgeht,

deſſen Andenken mit Recht ſeiner Nation heilig und theuer iſt, der unter ihren reinſten , edelſten , hervorragendſten Charakteren zählt , und deſſen Verdienſte als Staatsmann wir ſo hoch ſtellen , als irgend einer ſeiner Landesgenoſſen es thun fann. Wir meinen den Freiherrn vom Stein . Die hohe Verehrung , welche wir dieſem Manne zollen,

hat uns lange anſtehen laſſen, dieſen Gegenſtand hier zu berühren; wenn wir es dennoch thun , ſo geſchieht es in der Ueberzeugung, daß die Bietät gegen große Todte nicht verlegt wird, wenn man Irrthümern entgegentritt, in die ſie verfallen ſind und die zuletzt nur beweiſen , daß eben niemand dem Looſe , dem auch die Beſten unterliegen, auch mit dem redlichſten Willen nicht immer das Wahre zu ſehen , entgehen kann . Das Recht der Geſchichte auf Wahrheit iſt ein abſolutes , das ihr die Achtung vor dem 1

Todten , wie groß ſie auch ſei , nicht verfümmern darf ; ohne des Rechtes der Lebenden zu gedenken , das jedenfalls doch

auch ein gut begründetes iſt. 4*

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Der treffliche Biograph des Freiherrn vom Stein hat

im letzten Bande ſeines Werkes Fragmente aus dem Brief wechſel des Miniſters gegeben , in welchen die Stellung des Prinzen Leopold zur griechiſchen Frage mehrfach be ſprochen wird. Die dahingehörenden Mittheilungen be ginnen mit einer DenkſchriftSteins vom 19. März 18301),

in der er ſich unter „ die treuen Anhänger und Verehrer“ des Fürſten zählt. An der Aufrichtigkeit dieſer Ge ſinnungen iſt um ſo weniger zu zweifeln , als ſie unſtreitig auf einer genauen Kenntniß des Charakters des Fürſten

beruhten, den Stein ſelbſt einige Zeilen ſpäter mit über raſchender Treue ſchildert. ,,Die Wahl E. A. H.," ſagt er, hat den Wünſchen aller Freunde Griechenlands ent ſprochen , weil ſie einen Fürſten traf , der mit hoher Geburt, ruhige ernſte Beſonnenheit, eine durch Theilnahme an den

Zeitbegebenheiten gebildete Geſchäftserfahrung verbindet, der eine die Gemüther gewinnende, die Leidenſchaften be fänftigende und leitende Milde beſitzt, der mit den poli tiſchen Inſtitutionen konſtitutioneller Länder bekannt iſt,

1 ) S. G. H. Perk : Das Leben des Miniſters Freiherrn vom Stein , 6. Bd., 2. Hälfte , S. 859 ff.

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der endlich von Fremden unabhängig iſt und daher die Intereſſen ſeines Landes ausſchließlich zu berückſichtigen ſich im Stande ſieht.“

In dem intereſſanten Dokument geht Stein auf die Reorganiſation Griechenlands näher ein , und bethätigt

neben dem tiefen Intereſſe , das das Land ihm einflößt, die gründliche Aufmerkſamkeit, die er den dabei in Betracht kommenden Fragen zugewendet hatte. Der Brinz ſandte

ihm ſchon am 10. April cine Antwort darauf, aus welcher Stein hinreiciend den eigentlichen Stand der Sachen er jehen konnte. Die ungenügenden Beſtimmungen, welche die Mädyte , trotz aller Gegenbemühungen des Prinzen, über die Grenzen des neuen Staates getroffen hatten,

werden als eine Hauptſchwierigkeit bezeidynet und ſchon jett erklärt ſich der Prinz ſo ausdrücklidy als nur immer möglich : ,,Die Finanzen ſind in dieſem Augenblick der Gegenſtand meiner Diskuſſionen mit den Mächten ; es

jollen von ihnen Anleihen garantirt werden, ich habe einen Betrag beſtimmt , den der traurige Zuſtand Griechenlands

nothwendig macht, wenn überhaupt etwas aus der Sache werden ſoll, die Mächte wollen nur wenig über die Hälfte meines Vorſchlags garantiren , das werde ich nun nicht

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annehmen , es iſt möglich , daß es hierüber zum Bruch kommt, ich gebe nicht nachy, darüber bin ich mit mir ſelbſt einig 1)." Zwei Monate ſpäter, am 10. Juni, ſchreibt der Prinz von neuem dem Herrn vom Stein und motivirt ausführlich 1

ſeine unterdeſſen erfolgte Ablehnung, indem er ſich zuletzt

noch auf frühere Unterhaltungen bezieht, in denen Stein ſelbſt ihn aufgefordert hatte, ohne hinlängliche Mittel zur Ausführung die Sache nicht zu übernehmen. - Wer, „ wenn er ein Mann von Ehre iſt," ſagt der Prinz , „wird „ die Souveränetät mit der Verbindlichkeit übernehmen ,,wollen , die Griechen aus Afarnania und Aetolia zu ver

„,treiben , in deſſen ruhigem und vollſtändigem Beſitz ſie ſich ,,befinden. Alle Parteien haben nicht reiflich genug die ,,Folgen berechnet, auch Graf Kapodiſtria hat außer ſeinen „ gerechten Proteſtationen gegen die neuen Grenzen , in den „ innern Verhältniſſen Inſtitutionen in großer Eile aus „gebacken , durch die er die komplikationen um Vieles ver ,,mehrt hat. Mir that es wehe, daß ich gezwungen wurde, aus einem Arrangement herauszutreten , das , wenn gleich

1 ) Perk a. a. O. S. 868.

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,,mühevoll, doch auch nüglich und rühmlich ſein konnte, „ wenn man es den Griechen annehmlich gemacht hätte.

,, Von dem Augenblick, wo die Griechen daſſelbe als ihren „ beſten Intereſſen verderblicy anſahen und die Mächte „nichts ändern wollten , ward es ſchwer , wenn nicht un

,,möglic) , Succeß zu erwarten, man würde in der traurigen 1

„ lage geweſen ſein , es keiner Partei recht zu machen ; „ während beide verſucht haben würden, die Schuld auf ,,den Souverän zu bürden und ihn der Unfähigkeit anzu „ klagen . - Sie haben mir dies wohl gepredigt , als wir „ zum letztenmal über dieſen Gegenſtand ſprachen, ohne ,,hinlängliche Mittel zum

Gelingen die Sache nicht zu

„ übernehmen )."

So ſtark und überzeugend auch die Gründe des Prinzen

ſind, ſo iſt es doch erklärlich , daß Herr vom Stein durch deſſen Ablehnung unangenehm berührt wurde. Er hatte jid) mit der ihm eigenen Wärme für die griechiſche Sache

intereſſirt, vielfach und eingehend mit ihr beſchäftigt, und eben weil er die hohen Befähigungen des Prinzen Leopold kannte , große Hoffnungen für die Regeneration des .

1 ) Perß a . a . D. S. 871 .

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Landes auf ihn gebaut. Die Art aber, wie er dieſem Ein druck Worte lieh und ſeine Mißbilligung der Ablehnung gegen den Prinzen ausſprach , iſt, um das mindeſte zu ſagen , auffallend und befremdend. Es handelt ſich um rein politiſche Verhältniſſe, um ganz poſitive Fragen der Macht und der Mittel und da hält der Herr vom Stein

dem Fürſten, der die Aufgabe für unlösbar anſieht, weil ihm dieſe nicht gewährt ſind, „ das gläubige Auge vor, das feſt und fühn zum Himmel empor ſich rafft“ und erinnert ihn an das Beiſpiel des Kaiſers Alexander im Kampfe gegen Napoleon :) ! Man erſtaunt, einen Mann wie Herrn vom Stein , der bei den größten Angelegen heiten mitrathend und mithandelnd geweſen war und tiefe Einſichten in die Natur der ſtaatlichen Dinge hatte , den

preziſen durchaus korrekten und ſchlagenden Motiven des Brinzen ſolche Gefühlspolitik entgegenſeben zu ſehen .

Und wenn es nur dabei geblieben wäre ! In den Brie fen an Herrn von Spiegel und an Herrn von Gagern geht er viel weiter, ohne alle und jede Veranlaſſung ſchiebt er dem Fürſten ſelbſtſüchtige Motive unter, beſchuldigt ihn 1 ) Perß a. a. D. S. 872.

ca

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des Kleinmuths , unwürdiger Charakterſchwäche. Statt „ die Schwierigkeiten zu beſeitigen ,“ ſchreibt er an Spieget , „ ſtatt das von ihm begonnene Unternehmen zu vollenden ,

„ zieht er feige die Hand vom Pflug , indem er die durch ,,den nahen Tod des Königs Georg IV. ſid) entwickelnden

„ Veränderungen berechnet. Ein Mann von dieſem un ,, kräftigen Charakter iſt durchaus nicht geeignet in das ,, Leben kräftig einzugreifen , er hat keine Farbe 1)." Wie dieſe Aeußerungen mit den frühern , aus derſelben 1

Feder gefloſſenen , Betheurungen der Verehrung , der Würdigung des Charakters des Prinzen in Einklang zu bringen ſind, geſtehen wir nicht wohl zu begreifen. Daſ

ſie, ſo wie die ähnlichen an Gagern und von Gagern ſelbſt wiederholten2), aus der Luft gegriffen ſind , jeder that ſächlichen Begründung entbehren , wird , denken wir, die weiter unten folgende Darſtellung erhärten. In der That bedauernswerth aber iſt, daß in ſpätern Korreſpondenzen über das den Verhältniſſen durchaus entſprechende, um ſichtige Benehmen des Prinzen Leopold bei dem Anerbieten

der belgiſchen Krone dieſelbe unrichtige und unwürdige 1 ) Perß a. a. O. S. 932. 2 ) A. a . D. S. 946. S. 943.

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Auffaſſung ſich wiederholt. Herr vom Stein ſchreibt am 27. Mai 1831 an Herrn von Gagern: „ Das Schwanken „ des Prinzen Leopold , eine Folge ſeiner Lage, mehr noch ſeines Charakters 1)." Dieſe Beurtheilungen ſind zu ſchlagend von den Er eigniſſen widerlegt, als daß es nöthig wäre , ſich lange

dabei aufzuhalten. Der Fürſt, dem Herr vom Stein und

ſeine Freunde Charakterſchwäche, ja Feigheit einer po littſchen Aufgabe gegenüber vorwerfen , hat eine der größ ten politiſchen Aufgaben des Jahrhunderts mit einem Muth, einer Beharrlichkeit, mit einer Ueberlegenheit der Einſicht und Feſtigkeit des Willens gelöſt, die ſeine Tadler verſtummen und hoffen wir , erröthen gemacht hätte , wenn es ihnen vergönnt geweſen wäre , die großen Reſultate

dieſer fünf und zwanzig Jahre von Herrſcherthätigkeit und Hingabe zu ſehen. Ueberhaupt macht es einen eigen thümlichen Eindruck, wenn man die Urtheile lieſt, welche die Schreiber dieſer Korreſpondenzen über Belgien , ſeine

Revolution , die ganze Phaſe der dahingehörigen Ereigniſſe, die ſich in ihrer Nähe, faſt unter ihren Augen zutrugen, 1) Perß a. a . D. S. 1190 .

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fällen und ſie dam mit der Geſchichte und Entwickelung dieſer damals ſo tief verkannten Nation zuſammenhält, das Belgien der Wirklichkeit, mit dem Belgien , wie es in

den Auffaſſungen jener Herren erſcheint , vergleicht und dazu bedenkt, daß dieſe Auffaſſungen in jener Zeit von einer Menge hochſtehender und einflußreicher deutſcher Staats

männer getheilt wurden . Wir verſagen uns jede weitere Ausführung dieſer Parallelen , wobei natürlich nicht ver

mieden werden könnte, an das Jahr 1848 zu erinnern , und begnügen uns nur, aus alle dieſem die Lehre zu ziehen , daß es in politiſchen Dingen eben für niemand ein

Privilegium der Untrüglichkeit gibt , und es auch hohen Stellungen wohl anſteht , beſcheiden zu ſein . Wir laſſen auf dieſe Bemerkungen, deren wir gern überhoben geweſen wären , eine kurze Darſtellung des eigentlichen Sachverhalts in Betreff der Betheiligung des

Prinzen Leopold bei der griechiſchen Frage und der Motive ſeiner Ablehnung folgen. Wem es darum zu thun iſt, Meinungen nach Thatſachen zu berichtigen , der findet hier Gelegenheit bazu .

IX.

Die erſten Eröffnungen in Betreff Griechenlands wur den dem Prinzen Leopold ſchon im Jahre 1825 Bemacyt.

Zwei Griechen, Orlando von Hydra und Curiotis , waren beauftragt , ſich mit ihm in Bernehmen zu ſeben. Sie traten zugleich auch in Beziehung zu Canning, dem ſie Eröffitungen machten , die dieſer dem Prinzen mittheilte,

jedoch nicht der Meinung war , näher darauf einzugehen. Canning fand den Stand der Dinge in Griechenland noch zu verwirrt und hielt außerdem die Gegenwart des Prinzen .

in England für nothwendig. Was den Prinzen ſelbſt be

trifft, ſo hätte er ſchon damals ſich gern und mit Þingabe und Eifer der Leitung der griechiſchen Angelegenheiten gewidmet, die dabei gewiß nur gewinnen konnten. Die Frage wurde übrigens in der nächſten Folgezeit noch mehreremale angeregt, aber immer traten allerlei politiſche

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Sonderintereſſen , beſonders die unrichtig verſtandenen

Deſterreiche, in den Weg und verhinderten die Löſung. Erſt im Jahre 1829 nahmen die Sachen eine ent ſchiedenere Wendung. Rußland zuerſt , dann Frankreich ſprachen ſich mit Nachdruck zu Gunſten des Prinzen aus und forderten ihn auf , eine Aufgabe zu übernehmen , an

die ſich die wichtigſten Intereſſen Europa's knüpften. Aber gleich im Anfang ſtieß man auf Schwierigkeiten. Deſter reich hatte zuerſt die Idee gehabt , nur die Halbinſel Morca als unabhängigen Staat zu konſtituiren , und in England war man darauf eingegangen. Das war an ſich ſchon voll kommen unannehmbar, außerdem famen aber noch eigen

thümliche Verwickelungen hinzu , die man kennen muß, um den Stand der Frage richtig beurtheilen zu können . König Georg IV. war bekanntlich bedeutend unter dem

Einfluß ſeines Bruders , des Herzogs von Kumberland,

der damals 'an der Spitze einer dem Kabinet des Herzogs von Wellington ſehr feindlichen Partei ſtand , nnd in Folge

davon war das Einverſtändniß zwiſchen dem König und ſeinen Miniſtern eben nicht das beſte. In der griechiſchen Frage hatte der Herzog von Kumberland ſeinen eigenen Kandidaten , den Herzog Karl von Mecklenburg -Strelitz,

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ſeinen Sdwager, den er durch den König Georg IV. nachdrücklich unterſtüßen ließ , während das engliſche Miniſterium anfangs den Prinzen Friedrich der Nieder lande vorſchlug. Rußland und Frankreich hingegen ſpra chen ſich entſchieden für den Prinzen Leopold aus, den ſie für geeigneter hielten , die großen Intereſſen der bei der Frage betheiligten Mächte in Einklang zu bringen. Aber auch über die Territorialfrage beſtand Meinungs verſchiedenheit. Während die Regierung den öſterreichiſchen Ideen Gehör ſchenkte , zeigte ſich das Parlament geneigt, zu dem griechiſchen Staat die Joniſchen Inſeln hinzuzu fügen. Um ſich davon zu überzeugen , braucht man nur die Debatten jener Zeit nachzuleſen . Außerdem beabſich

tigten die Freunde des Herrn Canning und die liberale Partei für den neuen Staat noch die Inſel Randia zu ver langen .

In dieſer , wie man leicht zugeben wird, ſehr delikaten Lage der Dinge, that das Kabinet des Herzogs von Wel lington einen entſcheidenden Schritt. Um den damals all

mächtigen Einfluß des Herzogs von Kumberland auf ſeinen föniglichen Bruder zu brechen, gab es die Kandidatur des Prinzen Friedrich der Niederlande auf, machte die des

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Prinzen Leopold zu der ſeinigen und erklärte dem Könige, daß, wenn er dieſe Randidatur nicht genehmigte, die Miniſter ihre Entlaſſung gäben. Dieſe bis jett wenig bekannte Thatſache war ein großes Unglück für die griechiſche Frage.

Prinz Leopold hatte beinah die Gewißheit, im Parla ment Sandia zu erhalten, noch ſichyrer war er der Ioniſchen Inſeln, ſchon war Sir 3. Murray gezwungen geweſen, als Antwort auf die darauf bezüglichen Anträge zu erklären : „ man müſſe die Herſtellung des neuen Staates abwarten .“ Das Rabinet hatte nicht gewagt, eine rein abſchlägige Ant wort zu geben . Aber die Miniſter, nachdem ſie durch das ſehr ernſt gemeinte Anerbieten ihrer Entlaſſung die Zu

ſtimmung des Königs zur Kandidatur des Prinzen erhalten hatten , jetzt in der Territorialfrage wider ihren Willen zu zwingen , wäre weder redlich noch delikat geweſen, und dem Prinzen Leopold waren ſo in Bezug auf dieſe Frage fataler

Weiſe die Hände gebunden. Das engliſche Rabinet wollte eine durchaus ſchlechte Gränze, gegen die alle Mittheilungen, die aus Griechenland ſelbſt kamen , energiſch proteſtirten.

Um dem neuen Staate wenigſtens eine erträgliche Exiſtenz zu verſchaffen, hätte es als eines Minimum jedenfalls der

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Linie vom Golfe von Volo bis zu dem von Arta bedurft. Dann brauchte er vor allen Dingen Geld.

Von dieſem

Letzteren Punkt aber wollte das engliſche Kabinet nichts

wiſſen . Rußland dagegen zeigte ſich in Bezug darauf ſehr günſtig, Frankreich bis auf einen gewiſſen Grad ebenſo, man wollte in Paris nur vermeiden, darüber in offene Oppoſition mit England zu gerathen. Um die franzöſiſche Regierung über dieſe beiden Fra= gen , der Gränzen und des Anlehns, zu einem beſtimmten 1

Entſchluß zu bringen , ging Prinz Leopold im April 1830 nach Paris. Es war abſolut nothwendig, daß ein Anlehn garantirt wurde. Es waren früher ſchon dergleichen ge macht worden , aber die Griechen hatten die Intereſſen

weder zahlen wollen , noch fönnen , und jeder Verſuch, ein neues Darlehn ohne die Garantie der Mächte aufnehmen zu wollen , wäre unbedingt vom Publikum zurückgewieſen

worden . Prinz Leopold hielt eine Summe von ungefähr ſechzig Millionen Franken für unentbehrlich. Man ſuchte auf alle Weiſe davon abzuhandeln , erſt nach höchſt ſchwie rigen Negoziationen und den außerordentlichſten Anſtreng ungen , erſt als der Prinz ſeinen vollſtändigen Rücktritt von der

ganzen Angelegenheit in Ausſicht geſtellt hatte, gelang es ihm,

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von der franzöſiſchen Regierung die verlangte Summe zu erhalten . Das engliſche Kabinet, allein in der Oppoſition

bleibend , wurde zulegt auch zum Nachgeben gezwungen und trat den Entſchlüſſen der beiden andern Mächte bei. Um dieſe Zeit, im Mai 1830, kamen aus Griechenland die allerentſchiedenſten Erklärungen gegen die vorgezeich neten Grenzen, die in der That auch unmöglich waren . Die Griechen befanden ſich ſeit geraumer Zeit ſchon im

vollkommenen und faktiſch unbeſtrittenen Beſit bedeutender Territorien , ſelbſt jenſeits der Golfe von Volo und Arta ; in ihren Augen wäre die Aufgabe, der freiwillige Verluſt 1

derſelben nie zu rechtfertigen geweſen. Wer fonnte unter dieſen Umſtänden dem Prinzen rathen, eine Grenze anzu

nehmen, die die Nation zurückwies, die den wohlberechtigten Intereſſen der Sicherheit und Unabhängigkeit des neuen Staates ſo wenig entſprach ?

Als die Weigerung Griechenlands befannt wurde, that der Prinz einen letzten Schritt. Er ſtellte den Mächten in möglichſt entſchiedener und preziſer Weiſe die Frage:

Wollt Ihr Griechenland geben , was es verlangt , ſo über nehme ich die Regierung; gebt Ihr abſchlägige Antwort, ſo iſt es mir unmöglich, gegen den Willen der Griechen Gren 5

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zen anzunehmen , die ſie nicht haben wollen. Annahme oder Rücktritt des Prinzen hingen einzig und allein von der Entſcheidung der Mächte ab. Bewilligten ſie die

Grenzen, ſo war er unwiderruflich gebunden, und hätte ſich durch keine Rückſicht, welcher Art ſie immer ſein mochte, abhalten laſſen anzunehmen. Wurden die Grenzen ver weigert, ſo ſtand ſein Entſchluß eben ſo unwiderruflich feſt, ſich durch nichts zur Uebernahme einer Aufgabe beſtimmen zu laſſen, zu deren genügender Durchführung ihm die noth wendigen Mittel verſagt wurdeu. Im Jahre 1831 , als ihm die belgiſche Krone angeboten wurde, hat er durchaus in demſelben Sinne gehandelt, er hat dem belgiſchen Ron:

greß gegenüber ſtrenge daſſelbe Verfahren eingehalten, wie in der griechiſchen Frage den Mächten gegenüber. Erſt als durch die Annahme der 18 Artikel von Seiten Bel

giens die Territorialfrage regulirt und entſchieden war,

ging er auf das Anerbieten der Krone ein. Wo iſt der mit einiger Einſicht in die politiſchen Dinge ausgerüſtete Mann, der dies Verfahren tadeln kann ?

Das engliſche Kabinet verweigerte jede Konzeſſion und der Prinz mußte zurücktreten. Aber ſeine Bemühungen blieben nicht ohne günſtigen Erfolg für die Griechen . Die

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Grenzfrage wurde, Dag pas vor der Weigerung Englands hätte geſchehen ſollen , einer Reviſion unterworfen. Die

Mächte ſandten zu dieſem Zweck Kommiſſarien an Ort und Stelle , das Reſultat dieſer Unterſuchung war , daß die

Rommiſſion dieſelben Grenzen für Griechenland vorſchlug , welche der Prinz verlangt , und an deren Gewährung er ſeine Annahme der griechi ſchen Krone geknüpft hatte.

Dieſer Erfolg war eine große Genugthuung für den Prinzen, der ſich, allen Entſtellungen gegenüber, mit Recht ſagen konnte , daß die Griechen ihm eine beſſere Grenze und das Anlehn von 60 Millionen verdanken, das gut ver

wendet , für das Land ein Hülfsmittel von unendlicher Wichtigkeit wurde. Uebrigens blieben auch nach der Ab lehnung des Thrones ſeine Sympathien der griechiſchen Sache zugewendet.

Diejenigen Berſonen , welche die Ehre

hatten , dem Fürſten in jener Zeit nahe zu ſtehen, wiſſen, daß noch im Jahre 1831 , als die Unterhandlungen mit Belgien ſchon begonnen hatten , ſeine Blicke ſich oft nach bem Cande ſeiner Theilnahme richteten, und daß es ihm Ueberwindung koſtete, demſelben ganz zu entſagen ! 5*

X.

Man hat oft und von vielen Seiten her behauptet, das

größte Lob , das dem Fürſten in Repräſentativſtaaten er theilt werden könne, ſei eben , daß er konſtitutionel regiert

habe, und dem König Leopold wird es zu beſonderem Ruhme nachgeſagt, daß er einer der weiſeſten Monarchen ſei , weil er das Land durch die Majorität ſeiner Vertreter habe regieren und ſich nie durch egoiſtiſche oder ehrgeizige Motive verleiten laſſen , die Majorität durch ſeinen perſönlichen Einfluß zu beſtimmen. Es iſt dieß letztere allerdings durch aus wahr , aber die ganze Anſicht, welche Wirkſamkeit und Aufgabe der Krone in fonſtitutionellen Staaten mit Paſſi vität den Kammern gegenüber beſchränkt und von ihrem

Träger verlangt, daß er ſich zwiſchen den Parteien nicht nur neutral, ſondern auch unthätig verhalte, iſt nichts weniger als vollſtändig wahr, und was Belgien ins beſon dere betrifft, durchaus ungenau und den Thatſachen wider

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ſprechend. Es liegt allerdings in der Natur des Reprä ſentativſyſtems, die Initiative der Krone zu ſchwächen , die Impulſe in faſt allen Zweigen der ſtaatlichen Thätigkeit der Volksvertretung anheim zu geben und dem Königsthum für ſeine Wirkſamkeit ſtrenge Grenzen vorzuzeichnen. Aber innerhalb dieſer Grenzen beſigt der ſeiner Aufgabe ge wachſene konſtitutionelle Fürſt eine Fülle von Gewicht, Einfluß, Beſtimmungsfähigkeit, er übt, wenn er das wahre Verſtändniß ſeiner Stellung, deſſen was ſie ihm erlaubt

und was ſie ihm verbietet , hat , eine wohlthätige und weit greifende Macht, die, wenn ſie auch nicht in jedem Moment

in die Augen ſpringt und der oberflädylichen Beurtheilung der Dinge ſich nicht immer ſogleich zu erkennen giebt, darum nicht minder groß , heilſam und wirkungsreich iſt. Der König ſoll neutral ſein , aber doch nur in dem Sinne, daß er nicht allein zwiſden , ſondern aud und vor Allem über den Barteien ſteht, und von ihm verlangen , daß , was

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dieſe auch beginnen mögen, er immer und überall paſſiv bleibe , und geſchehen laſſe, das heißt einfach, der Theorie zu Liebe das Wohl des Ganzen, das Heil des Staates bloßſtellen. In Repräſentativſtaaten , die ſeit lange als ſolche beſtehen, in denen die Gliederung der Intereſſen

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und Gewalten vollendet abgeſchloſſen iſt, deren innere Be wegung in althergebrachten, eingewohnten Formen geſchieht,

in denen mit einem Worte , alle Elemente des Syſtems ſich in einem normalen Gleichgewicht befinden , mag die Krone innerhalb der ihr durch Verfaſſung und Herkommen geſteckten Grenzen ſich ruhiger verhalten und mit einem geringeren Aufwand von Kraft und perſönlich eingreifender

Applikation begnügen und doch gut und im Intereſſe der Geſammtheit regieren . In einem jungen Staat aber und unter Verhältniſſen , wie die , in denen Belgien ſich befand,

muß ihr Auftreten nothwendig ein andres ſein , wenn ſie 1

dem Lande allen Nußen , deſſen die Inſtitution fähig iſt,

bringen will. Wilhelm der Dritte von England und Wil helm der Vierte waren beide konſtitutionelle Fürſten , die Verfaſſung, unter der ſie herrſchten , in ihren Grundzügen

dteſelbe, und doch wie verſchieden die Art, wie ſie regierten. Der eine faſt Selbſtherrſcher, ſo viel es nur immer mög lich war, ohne offenen Verfaſſungsbruch ; der andre ſtrenge in den vorgeſchriebenen Grenzen ſich haltend , vielmehr ge tragen als leitend, und doch gilt der erſte, und man kann zugeben , mit Recht, für einen der größten Regenten , die England gehabt, der andre für einen guten , der eben die

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Mittelhöhe nicht überragte. Wie ſtände es in England, wenn Wilhelm der Dritte ſich begnügt hätte zu regieren, wie Wilhelm der Vierte ?

Die Aufgabe des fonſtitutionellen Fürſten muß, wer wollte es leugnen, nach Zeit und Umſtänden eine andre ſein.

Wie ſtellte ſie ſich in Bezug auf die inneren Ver

hältniſſe für König Leopold beim Antritt ſeiner Re gierung ?

XI.

Als der neue Herrſcher unter dem Zujauchzen der Nation die Verfaſſung beſchwur und die Zügel des Regi ments ſelbſt in die Hand nahm , fand er das Land in den Nachwehen der größten politiſchen Erſchütterung begriffen, die es ſeit der Revolution des ſechszehnten Jahrhunderts durchgemacht hatte. Bis in ihre innerſten Tiefen aufge regt , war die Nation noch in jener überreizten, (dywanken den , zu Uebertreibungen und leidenſchaftlichen Ausbrüchen geneigten Stimmung befangen , welche die Gemüther aus

ihrem Schwerpunkt wirft und ſelbſt die konſervativen Ele mente in Gährung verſeßt. Man hatte ſeit den Septem bertagen eine Reihe der allerſchwierigſten Situationen durchgemacht, ſich mehr als einmal gradezu am Rande des

Abgrunds befunden , alle Kräfte, die ganze Energie des öffentlichen Willens hatte aufgeboten werden müſſen, um dem Einbruch der Unordnung , dem Ueberfluthen jener

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deſtruktiven Tendenzen zu wehren , die zum Theil in den Dingen ſelbſt, mehr noch in den Beſtrebungen der ertre

men Parteien lagen und denen die von den beſten Abſichten beſeelte , aber ihrer Aufgabe nicht ganz gewachſene Regie rung des Regenten einen ſchwachen Damm entgegengeſetzt hatte.

Inmitten ſolcher Stimmungen und Lagen ſollte eine

neue Verfaſſung voll der überſchwenglichſten Freiheiten und mit einer vielfach beſchränkten Regierungsgewalt ins Leben geführt werden. Dieſe Verfaſſung war ohne alles Zuthun , ohne alle Mitwirkung des Königthums mit der

offen ausgeſprochenen , bei allen Arbeiten des Kongreſſes feſtgehaltenen Abſicht entworfen , die Volksrechte ſo weit nur immer möglich und mit den unabweislichſten For derungen der öffentlichen Ordnung vereinbar war, auszu=

dehnen. Allerdings hatte der Kongreß mit anzuerkennender Weisheit die neuen ſtaatlichen Formen dem Bewußtſein

und den politiſdyen Gewohnheiten der Nation, wie ſie aus einer langen an Ruhm und Belehrung zugleich reichen Vergangenheit hervorgegangen waren , zum großen Theile

angepaßt, indem er die ſeit Jahrhunderten in den belgiſchen Provinzen üblichen und bewährten Normen und Prinzipien

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der innern Verwaltung und Regierung in erweiterter , den 1

neuen Bedürfniſſen angemeſſener Geſtalt reproduzirte. Aber neben dieſen hiſtoriſchen , durch und durch nationalen Elementen der Verfaſſung hatte man , bewogen durch die

herrſchenden Ideen eben ſo ſehr als durch innere, aus der Stellung und dem Beſtreben der Parteien hervorgehende Nothwendigkeiten , eine gewiſſe Anzahl neuer, bis an die Grenze des Möglichen ausgedehnter Freiheitsrechte einge führt , über deren Wirkung auf das öffentliche Wohl nie

mand Erfahrungen haben konnte. Der mäßige und gere gelte Gebrauch dieſer Freiheiten war im Augenblick, wo die Sonſtitution eingeführt wurde, um nichts wahrſchein ficher als ihr Mißbrauch mit allen Gefahren, die ſich daran knüpften. Hier nur ließ ſich mit Beſtimmtheit voraus

ſehen, daß es des höchſten Grades ſtaatsmänniſcher Alug heit bedürfen würde, um den jungen Staat mit dieſer Ver faſſung in die europäiſche Ordnung einzufügen und ihn in

dem großartig - konſervativen Sinne, den deren höchſte In tereſſen erbeiſchen , zu regieren. Ob das ſchwere Werk gelingen würde , mochte bei der

Unentſchiedenheit der allgemeinen Lage , wie ſie im Jahre 1831 noch beſtand, zweifelhaft ſcheinen und ſelbſt der en

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thuſiaſtiſchen und patriotiſchen Auffaſſung der Dinge konn ten ſich Bedenken aufdrängen. Gab es etwas Natürliche res , als daß , nachdem der erſte Rauſch der Begeiſterung über die endlich gewonnene Selbſtſtändigkeit vorüberge gangen , Befürchtungen , Schwanken , lähmendes Gefühl der Unſicherheit und Zweifel an die Dauer der neuen Zu ſtände bei einem Theil der Nation ſich einſtellte, während ein andrer die kaum geſchaffenen Freiheiten bis auf den

Grund auszubeuten ſich anſchickte und jeden Augenblick be reit war, zu den gefährlichen Waffen der Aufregung und Agitation zu greifen , wenn man zur Mäßigung, zum Ver

trauen auf die Regierung , zu einer vernünftigen Nach giebigkeit in den äußern Fragen aufforderte und vor Uebertreibungen warnte.

Die Mittel, welche die Verfaſſung dem Staatsober: haupt in die Hände gab , um ſeine große Aufgabe zu löſen, waren dabei ſehr beſchränkter Natur und von der Art , daß

bei ihrem Gebraudy große Vorſicht nöthig wurde. Das neue Königsthum hatte von vorn herein mit mehreren Uebelſtänden zu fämpfen, an denen es nicht ſchuld war , die ihm als ein ſchlimmes Theil der Erbſchaft ſeines Vor gängers zugefallen waren . Eines der größten Gebrechen

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der holländiſchen Herrſchaft war das perſönliche Verfahren des Königs Wilhelm in der Regierung geweſen; Belgien hat an deſſen Nachwehen noch lange Zeit nach der Tren nung zu leiden gehabt. Die Hartnäckigkeit, mit der dieſer 1

Fürſt ſeine perſönlichen An- und Abjichten durchzuſeßen

pflegte, die Hintergedanken , von denen ſeine innere Politik beſonders in den letten Jahren beherrſcht war , wo ſeine

Sonderintereſſen oft eine größere Rolle ſpielten , als die 1

allgemeinen, die meiſtens ſehr verdeckten Mittel , die er zur

Erreichung ſeiner Zwecke anwendete , das Alles hatte in Belgien in vielen Gemüthern ein tiefgewurzeltes Miß trauen nicht nur gegen die Perſönlichkeit des Königs,

ſondern ungerechter Weiſe gegen das Königsthum ſelbſt hervorgerufen, das dem neuen Herrſcher vielfach hindernd in den Weg treten mußte und erſt allmälig bei näherer

Kenntniß ſeines Charakters verſchwinden konnte. Dabei kam noch ein andrer ungünſtiger Umſtand ins

Spiel , der bei einer gerechten Würdigung der Schwierig keiten , mit denen König Leopold im Anfang zu kämpfen hatte , nicht unberückſichtigt bleiben darf. Die niederlän diſche Verfaſſung vom Jahre 1815 hatte dem Könige viele ausgedehnte und wichtige Befugniſſe ertheilt ; in einer

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Menge von Angelegenheiten , wo die individuellen Inter eſſen der Unterthanen betheiligt waren , konnte der König

nicht nur im Allgemeinen mit ſeinem Einfluß, ſondern ganz ſpeziell und allein entſcheidend eingreifen .

Daher die Ge

wohnheit, ſich bei unendlich vielen Dingen direkt an den Monarchen zu wenden, ſeine Dazwiſchenkunft, Hülfe, Ver mittelung in Anſpruch zu nehmen , und als Folge davon ein ſehr weit gehender perſönlicher Einfluß des Königs, der

ihm eine Menge von Leuten verpflichtete und von ſeinem Willen abhängig erhielt. Die belgiſche Verfaſſung ord nete dagegen die Stellung der Krone ben Kammern und den Behörden gegenüber ganz anders , und ſprach den letz

teren eine Menge von Befugniſſen zu , die nach der nieder ländiſchen Charte dem Könige gehörten. Die Gewohnheit, jich unmittelbar an den Monarchen zu wenden , war aber in allen, beſonders in den mittleren und untern Klaſſen der

Bevölkerung, in Belgien ſo allgemein geworden , daß man den neuen Monarchen , trotz ſeiner ganz veränderten Stel lung , um allerhand Gnaden , Hülfe, Vermittelung, Ein ſdreiten anging , die zu gewähren nicht mehr in ſeiner 1

Macht ſtand.

So viel Mühe man ſich auch geben mochte,

die Leute über den wahren Sachverhalt zu belehren, der

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Nußeffekt der Krone wurde doch durch die nothwendig ab

ſchlägigen Antworten in den Augen Vieler herabgeſeßt. Unter Denen , die ſich in ihren Erwartungen getäuſcht

ſaben , gab es nur Wenige , die vernünftig und gerecht genug waren , um nicht dem Könige zuzuſchieben , was allein auf Rechnung der Verfaſſung zu ſeben war . Dazu bedenke man , daß das neue Königsthum , eben weil es neu war , aller der Vortheile entbehrte , welche der föniglichen Gewalt in reichem Maaße , auch in den gefähr .

lichſten Lagen zu Gute kommen, da, wo ſie mit der Geſchichte des Volkes ſeit Jahrhunderten verſchmolzen iſt, wo der an geſtammte Herrſcher auf eine lange Reihe von Ahnen zu rückblicken fann, die die guten und böſen Tage der Nation getheilt, ihre politiſche Erziehung geleitet , ihre Größe ge gründet haben . Von den mannigfachen Banden ange borner Liebe und natürlichen Vertrauens , die zwiſdhen einer alten Dynaſtie und dem Volt ſich von ſelbſt bilden, 1

konnte in dieſem ganz neuen Verhältniß nicht die Rede ſein. König Leopold , um die Geſinnungen hervorzuru fen , die andern ſeiner Genoſſen in ſehr kritiſchen Lagen

ſo nüglich geworden ſind , hatte kein anderes Mittel, als ſeinen eigenen Werth und die Dienſte, die er der

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Nation leiſten konnte.

Sein Verdienſt iſt allerdings um

ſo größer.

Es muß einer leyten Schwierigkeit gedacht werden ,

die

auf Augenblicke wenigſtens die gefährlichſte von allen war, die ſich der neuen Regierung in den Weg warfen.

Ihre

Vorgängerin hatte ſich im Lande eine nicht zahlreiche, aber deſto thätigere und leidenſchaftlichere Partei zu erhalten .

gewußt, die , vom Nachbar und von andern Seiten her nacydrücklich unterſtüßt, unabläfig daran arbeitete , die

Aufregung zu unterhalten , Unzufriedenheit und Zwietracht zu ſäen und den gewaltſamen Umſturz der kaum geſchaffenen

Ordnung herbeizuführen. Leider boten die Verluſte mehr facher Art , welche die Revolution den unter der holländi

idhen Herrſchaft ſorgfältig gepflegten materiellen Intereſſen gebracht hatte , der gedrückte Zuſtand , in dem Handel und

Gewerbe ſich befanden , dieſen Beſtrebungen im Innern ſelbſt mehr als einen Anhaltspunkt, und die Partei , lange Zeit hindurch mit Geſchick und Energie geleitet, ſcheute vor keinem Mittel zurück, um den Boden unter den Füßen der 1

neuen Regierung zu untergraben.

Sie hatte von Anfang

an wohl begriffen, daß König Leopold in der Anerkennung der großen Mächte und in ſeinen perſönlichen Eigenſchaften

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alle Mittel beſaß , die Reſultate der Revolution gegen

Reſtaurationsverſuche ficher zu ſtellen und daß unter ſeiner Leitung Belgien bald einen integrirenden Theil des poli tiſchen Syſtems von Europa bilden würde , an dem zu rütteln ſchwer oder unmöglich wäre. Um dem zuvor zu kommen , richtete ſie einen Haupttheil ihrer Beſtrebungen, ihre heftigſten und giftigſten Angriffe gegen den König ſelbſt. Machinationen der verwerflichſten Art, maaßloſe

Herabwürdigungen und Entſtellungen, niedrige , ſchmußige Verläumdungen in der Preſſe, kein Mittel, das Haß und Leidenſchaft eingeben konnten , wurde verſchmäht , um den Fürſten in den Augen der Nation herabzuſeßen , ihm das Regieren zu erſchweren und Situationen herbeizuführen, in denen es nur eines Anſtoßes , ſei es durch Aufſtand im

Innern oder durch äußere Einflüſſe, bedurft hätte , um die ſo mühſam geſchaffene Ordnung in Frage zu ſtellen , und Belgien in den Abgrund einer Bewegung zu ſtürzen, aus der als legtes Rettungsmittel die Reſtauration hervorge

gangen wäre. Und das Alles auf einem Boden , der noch unter den Füßen zitterte und in dem dem neuen Königs

thum, neben vielem andern, vor Allem die Zeit gefehlt hatte, Wurzel zu ſchlagen.

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Dieſen Umtrieben gegenüber gab es für den Fürſten nur ein Mittel, deſſen Wirkſamkeit ſich vollſtändig bewährt

hat ; zu wachen , daß es den feindlichen Bemühungen nicht gelang , die weſentlichen Baſen der neuen Ordnung der Dinge im Innern ſelbſt zu erſchüttern und dem rein per ſönlichen Theil der Angriffe Würde und Schweigen ent gegenzuſeßen. Beides that König Leopold und that es mit

einer Ausdauer, Feſtigkeit, Mäßigung und Selbſtbeherr ſchung, die zulegt auch über dieſen ſchlimmſten aller Gegner den Sieg davon trug.

6

XII.

Es iſt eine Pflicht der Gerechtigkeit, neben dieſen

Schwierigkeiten und Gefahren auch diejenigen Elemente der Situation nicht unberührt zu laſſen, welche dem König

thum günſtig waren , ihm ſeine Aufgabe erleichtern und zu ihrer günſtigen Löſung beitragen konnten.

Dahin gehören zuerſt und vor allen ſeine eigene Noth-. wendigkeit und Unentbehrlichkeit für das Land.

Wenn

Belgien nicht mit Aufbietung aller ſeiner Kräfte die neue Ordnung der Dinge aufrecht erhielt, ſo ging es unaufhalt ſam einer Kataſtrophe entgegen , aus der es nur zwei Aus gänge gegeben hätte , beide gleich verderblich und der Nation gleich verhaßt , die Theilung oder die Reſtauration. In der Befeſtigung des Königthums war allein die Möga

lichkeit gegeben , dieſen Eventualitäten zu entgehen , das fühlte die unendliche Mehrheit der Nation und an ihrem entſchiedenen Willen nach Vermögen an dieſer Befeſtigung

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zu arbeiten , war von Anfang an nicht zu zweifeln.

Unab

hängigkeit und Nationalität , deren höchſter Ausdruck und Schlußſtein der König iſt, waren um dieſen Preis. Darin mußte der Fürſt von vorn berein einen mächtigen Stüt punkt finden .

Dann kam ihm auch, ſobald die Nation ihn näher kennen gelernt hatte, eine Eigenſchaft des belgiſchen Volkes zu Statten , die man oft beſtritten hat, die aber trotz allem Anſchein des Gegentheils ihm eigen geweſen iſt, wenn es auch nicht immer Gelegenheit fand, ſie zu üben. Trot des

vielfachen Haders , den die Belgier faſt in allen Perioden ihrer frühern Geſchichte, mit ihren Fürſten gehabt haben, und der alle Grade von Heftigkeit, alle Arten von Zer: würfniſſen darbietet, lebt in ihnen doch ein energiſches dynaſtiſches Gefühl, eine traditionelle Verehrung des Sou 1

veräns, die unter allen Klaſſen der Nation verbreitet, in

den mittleren und unteren , von dem þauche des modernen Indifferentismus , der in ſo vielen alt -monarchiſchen Län

dern über die Geſinnungen gefahren iſt, ſich frei gehalten hat. Um dies Gefühl, das, wenn der Fürſt ſeine Stellung zur Nation falſch auffaßt, leicht verlegt wird, ja momentan

in ſein Gegentheil unnſdılagen kann , in ſeiner ganzen 6*

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Stärke zu entwickeln , bedarf es vor allem Achtung der Rechte des Volks und ſeiner Eigenthümlichkeiten, leutſe liges Weſen und ſtrenges Einhalten des geſetzlichen Ganges in der Regierung. Uebt der Fürſt dieſes Verhalten, ſo giebt es kein Beiſpiel in der belgiſchen Geſchichte, daß ihm die Liebe, Anhänglichkeit, Opferbereitwilligkeit des Volkes, alle die Güter mit einem Worte , die aus dem Vertrauen

entſpringen , gefehlt hätten. Wer Beweiſe verlangt, der leſe die Geſchichte der Regierung der öſterreichiſchen Maria Thereſia in Belgien , und höre dann vom Volke ſelbſt, wie es noch heute von ihr denkt und ſpridit.

Die moraliſchen Eigenſchaften der Nation , die man im Auslande ſo lange verkannt hat , waren überhaupt für die

neue Regierung ein Hülfømittel von einem Werth , der nicht hoch genug angeſchlagen werden kann. Es giebt wenige Länder , in denen der Sinn für Geſeglichkeit, die Achtung verfaſſungsmäßiger Rechte größer wäre als in Belgien. Die althergebrachten Gewohnheiten der Arbeit ſamkeit, Ordnung, Sparſamkeit, das praktiſche Geſchick, der auf nugbringende Thätigkeit auf allen Gebieten gerich 1

tete Sinn , die mit dem ganzen öffentlichen Weſen tief ver: wachſene Achtung vor den Rechten Andrer, mit dem

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ſtrengen Halten am eigenen Recht Hand in Hand gehend, das alles ſind Eigenſchaften , die das Regieren in Belgien

unendlich erleichtern , und aus denen der Fürſt, der ſie zu würdigen und zu benußen verſteht, für die Lenkung der öffentlichen Angelegenheiten die größten Vortheile ziehen fann .

Der günſtigſte Umſtand aber iſt in der Fülle trefflicher Eigenſchaften und höchſter Befähigung für die große Auf gabe , die ſeiner harrte, zu ſuchen , welche der Fürſt der Nation bei dem Bunde , den er mit ihr einging , zubrachte, durch die König und Volt einander ergänzten und ihr

gegenſeitiges Verhältniß zu einem in ſeiner Art einzigen machen konnten , das für die Geſchicke Belgiens die reich ſten und herrlichſten Früchte getragen und Erfolge erzielt

hat, wie die Geſchichte in dieſem Umfang und in dieſer Reinheit ſie nicht oft aufzuweiſen hat. Die Männer,

welche die Angelegenheiten Belgiens bis zur Ankunft des Mönigs geleitet hatten , ſo tüchtig, gemäßigt , acht- und ehrbar ſie ſich auch in der ſchwierigen Führung der innern Geſchäfte bewährten , waren doch Neulinge in der ſichern

Staatskunſt, deren das Land gerade jegt am meiſten be durfte, wo es ſich darum handelte , die kaum gewonnene

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Stellung in Europa zu befeſtigen, und ſich den Mächten, denen man aufgedrungen war , auch genehm zu machen ,

ohne feiner eigenen Würde zu vergeben. Gerade was hierzu nöthig war, beſaß König Leopold im höchſten Grade : Eingewohntſein in den Regionen, mit denen die neue Regierung von jetzt an täglich über wichtige und große Angelegenheiten zu verkehren hatte, tiefgehende Kenntniß der europäiſchen Geſichtspunkte in allen Geſchäften , der Männer und der Grundfäße, die dieſe an den entſcheiden den Stellen in letzter Inſtanz leiteten, klares Erfaſſen auch der verwickelteſten Situation , eine Genialität und Sicherheit des politiſchen Blickes, welche die beſten und höchſtgeſtellteſten Richter in dieſen Dingen , und vielleicht mehr als einer unter ihnen mit eben ſo viel Neid als

Bewunderung, anerkannt haben , das ſchärfſte Urtheil, das ſich nie durch Aeußerlichkeiten oder untergeordnete Ge

ſichtspunkte, irgend welcher Art , verrücken läßt, Kraft des Entſchluſſes, Geduld und Selbſtbeherrſchung in der Ausführung, mit einem Wort vollendetſte Virtuoſität des

ſtaatsmänniſchen Talents in ſeiner höchſten Potenz, das war die Morgengabel, die der Fürſt dem Volk , das ihm

die Leitung ſeiner Geſchicke anvertraut hatte , zubrachte. 1

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Dieſe ſo große Superiorität konnte ihren Eindruck auf alle, die mit ihr in Berührung famen , nicht verfehlen

und mußte die Miniſter, die Leiter der Parteien und wer ſonſt von politiſchen Männern in die Nähe des Königs kam , mit Vertrauen und Hingebung gegen ihn erfüllen. Daß dies Vertrauen gleich in den erſten Zeiten ſeiner Regierung allgemeiner und von der unendlichen Mehrheit der Nation getheilt wurde, das bewirkte die Kataſtrophe, in die der Einfall der Holländer das Land warf. So unan genehm und drückend die augenblicklichen Folgen dieſer Ueberraſchung auch waren , im Grunde hat König Wilhelm Belgien damit doch, ohne es zu wollen, einen großen Dienſt geleiſtet. Die Niederlage, die man erlitt, brachte die Noth wendigkeit einer ſtrengeren Organiſation , das Aufgeber aller ingeordneten Beſtrebungen , die der Situation noch

einen revolutionären Charakter gaben , während die Revo lution doch ſchon längſt aufgehört hatte, zum Bewußtſein , und deckte zugleich tauſend Mißſtände und Mißbräuche auf, durch deren Abſtellung die innere Lage unendlich an Feſtig

keit gewann. Zugleich aber flößte auch die Haltung des Königs während der ganzen Kriſis der Bevölkerung Hoch achtung und rückhaltloſes Vertrauen gegen ihn ein.

1

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Selten hatte ein Fürſt ſich in bedrängterer und ge fährlicherer Lage befunden . Die Feſtlichkeiten , welche ſeine Thronbeſteigung feierten , waren faum verhallt, und ſchon 1

I

ſah er ſich von einem überlegenen Feinde angegriffen , in ſeiner Exiſtenz bedroht , das Land am Rande des Abgrunds, im Moment wenigſtens ohne hinreichende Mittel des Widerſtandes. Die perſönlichen Eigenſchaften König Leo polds fanden hier Gelegenheit , ſich vor den Augen der Nation zu bewähren. Die feſte Ruhe, die er in den augen

ſcheinlichſten Gefahren bewahrte, die entſchiedene Haltung, die perſönliche Hingabe, mit der er ſich den Ereigniſſen entgegenwarf, der ungebrochene Muth , mit dem er aus

ihnen hervorging , das Vertrauen , das er überall, wo er erſchien, um ſich zu verbreiten wußte , Alles ließ die Na

tion erkennen , daß ſie in ihm den Fürſten gefunden hatte, deſſen ſie bedurfte.

.

XIII.

Wer die innere Geſchichte der Staaten fennt, weiß,

von welcher Wichtigkeit zu allen Zeiten Alles , was ſich auf Umgebung und Einrichtung des Fürſten , Stellung und Auftreten ſeines Hofes bezieht, geweſen iſt. König Leopold bewies von den erſten Zeiten ſeiner Regierung an eine beſondre Weisheit in der Art, wie er den ſeinigen ordnete.

Die Belgier ſind, ihrem ganzen Weſen und Lebens

gewohnheiten nach , eine bürgerliche Nation. Der Adel, obgleich durch eine Anzahl alter , durch Reichthum aus gezeichneter, hiſtoriſcher Familien vertreten , bildet doch 1

keine , in dem Ganzen hervorragende und noch weniger

tonangebende klaſſe, er hat ſeine Sache nie von der des Volkes getrennt, ſich in allen großen politiſchen Bewe gungen ſeit der Revolution des ſechszehnten Jahrhunderts immer patriotiſch und national bewieſen, und wenn bei ihm

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von Diſtinktion die Rede ſein kann , ſo iſt dies von je her und unter der jetzigen Ordnung der Dinge mehr als jemals , nur eine Diſtinktion ſozialer und nicht politiſcher Natur. Man darf ihm zu ſeinem Ruhme nachſagen , daß

er die Gleichheit vor dem Geſetz, die Verzichtung auf alle

Privilegien und jede Sonderſtellung im Staate, mit einem Worte die Verfaſſung von 1831 mit allen ihren Konſe

quenzen, treu , redlich, ohne alle Hintergedanken ange nommen hat und ſein ganzes Auftreten in öffentlichen Dingen danach einrichtet.

In derſelben Weiſe, dem öffentlichen Geiſte, dem Weſen und den Lebensauffaſſungen der Nation gemäß , richtete König Leopold ſeinen Hof ein , mit gediegener Würde der äußern Erſcheinung, ohne allen überflüſſigen Lurus und auf Blenden berechneten Brunk. Das Perſonal wurde auf die

nothwendigen Chargen des Dienſtes beſchränkt, kein Hof

adel , kein beſonderes Ceremoniel, das den Zugang zum 1

Fürſten erſchweren könnte, und ſeine Umgebung auf gewiſſe Standes- oder Rangklaſſen , die es in Belgien nicht giebt, beſchränkte , keine Gewohnheiten oder Einrichtungen , die auch nur entfernt zu dem, was man anderswo „Ramarilla"

nennt, Anlaß geben könnten. Alle Verſuche, durch Hof

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intrigue oder derartige Mittel , Einfluß auf den König zu gewinnen , wurden dadurch von vorn herein abgeſchnitten. Der Hof iſt in Belgien ſtets vollkommen außerhalb der

Parteien geblieben , er iſt nie ein politiſcher Faktor in der innern Situation geworden, ein Umſtand, deſſen Nußen für das allgemeine Weſen nicht hoch genug angeſchlagen werden kann.

Der König iſt von Anfang an allen Klaſſen ſeiner Unterthanen zugänglich geweſen , ohne daß je die Würde

der Majeſtät durch unziemende Vertraulichkeit zu leiden gehabt hätte.

Die nähere Umgebung des Fürſten , die

jenigen ſeiner Diener, denen die unmittelbare Ausführung ſeines Willens obliegt, haben es ſich ſtets angelegen ſein laſſen, das Wohlwollen und die Leutſeligkeit, welche die Grundzüge des Charakters ihres königlichen Herrn bilden, in den Beziehungen des Hofes zu allen Klaſſen der Ge ſellſchaft zur Richtſchnur ihres Verfahrens in allen An gelegenheiten zu machen. Wenn der belgiſche Hof irgend eine Prärogative in Anſpruch nehmen kann , ſo iſt es die,

in der Unterſtüßung aller fünſtleriſchen und litterariſchen Beſtrebungen der Nation und in allen Werken der Wo

thätigkeit , beſtändig eine freigebige, oft großartige Initia

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tive genommen zu haben. In dieſen Dingen für ton

angebend und als Vorbild für die Geſellſchaft zu gelten, iſt ein Recht, das die Krone ſich durch unausgeſette Hin gabe an dieſe großen Intereſſen der Gegenwart ſo voll ſtändig und unbeſtreitbar, als nur immer möglich, er worben hat.

XIV.

Die Bewegung, in Folge deren Belgien von Holland ſich trennte , war bekanntlich aus der Union der liberalen

und der katholiſchen Partei hervorgegangen . So lange die äußere Frage offen blieb , beſtand dieſe Union , weil ſie im Intereſſe Aller war und die kaum errungene Selbſt ſtändigkeit durch nichts mehr wäre gefährdet worden , als durch innere Nämpfe. Auch hier hat die Politik Rönig

Wilhelm's von Holland, wider ſeinen Willen , Belgien große Dienſte geleiſtet. Dadurch, daß er jede definitive

Löſung weigerte, Alles in Frage ließ , mehrere Jahre hin durch mit äußerſter Hartnäckigkeit eine Stellung feſthielt, die Belgien nöthigte, ſich jeden Augenblick zur Ver

theidigung bereit zu halten , alle Energie, alle Hülføquellen der Nation aufzubieten , um ſtets zur Wiederaufnahme des Kampfes bereit zu ſein , wurde der Ausbruch des Parteikampfes im Innern zurückgehalten. Die neuen In

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ſtitutionen , die neue Regierung konnte ſich ſo befeſtigen ,

ohne mit den Schwierigkeiten zu ringen zu haben, die innere Kämpfe immer erzeugen , wenn ſie ſich auch in den geſegmäßigen Schranken halten.

Erſt als die Konvention vom Mai 1833 jenes Pro viſorium geſchaffen hatte , das neben andern Vortheilen auch den einer geſicherten und verbrieften Waffenruhe brachte, begann die innere Bewegung , wie die Natur der Inſtitutionen und das Beſtehen der Gegenfäße in der Auf

faſſung politiſcher Dinge, wie es ſich ſchon am Ende des achtzehnten Jahrhunderts während der brabantiſchen Re

volution gezeigt hatte, es mit ſidy brachte. Es galt, zuerſt die Verfaſſung vollſtändig in das Leben und die politiſchen Gewohnheiten der Nation einzuführen , ihren Ausbau durch eine Reihe organiſcher Geſetze zu vollenden , für

welche die Konſtitution nur die allgemeinen Geſichts punkte und maaßgebenden Prinzipe in mehr oder weniger

vagen Umriſſen aufgeſtellt hatte , die nun im Detail zu entwickeln und den Verhältniſſen anzupaſſen waren. Der Kongreß hatte ſelbſt noch die Aufgabe vorgezeichnet, welche der innern Entwickelung zunächſt geſtellt war , und es

genügt, an den Artikel 139 der Verfaſſung zu erinnern,

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um den Umfang und die Schwierigkeiten derſelben und die Unvermeidlichkeit des Meinungsſtreites , der dabei zum Ausbruch kommen mußte, zu erkennen. ,,Der National ,,kongreß ," heißt es in jenem Artikel, ,, erklärt, daß es

„nothwendig iſt, für folgende Gegenſtände in der möglichſt „ kürzeſten Zeit, durd, beſondere Geſeke, Vorſorge zu tref ,,fen : die Preſſe, die Einrichtung des Geſchwornengerichts, „ die Finanzen, die Provinzial- und Gemeindeeinrichtung, „ die Verantwortlichkeit der Miniſter und andrèr Regie „ rungsbeamten , die Einrichtung des Gerichtsweſens, die „ Maaßregeln, um die Mißbräuche der Vereinigung meh ,,rerer Dienſtſtellen abzuſchaffen , die Reviſion der Geſetz

„ gebung über Falliſſemente und Zahlungsfriſtungen , die „,Einrichtung der Armee, das militäriſche Strafgeſetzbuch „ und die Reviſion der bürgerlichen Geſetzbücher." Die erſte Richtung und Art des Rampfes der Parteien war ſo durch die Natur der Aufgabe ſelbſt beſtimmt. Der

Gegenſatz, der ſich ſpäter andern Gebieten zuwandte, bewegte ſich Anfangs mehrere Jahre hindurch um die Frage des größern und geringern Maaßes von Demo fratie, das in den verſchiedenen Abſtufungen der Re

gierungsgewalt zu realiſiren war. Die Parteien , obgleich

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ſich äußerlich nach Liberalen und Katholiken ſpaltend, waren dieſer Frage gegenüber doch keineswegs ſo geſchie den und rubrizirt , wie ſie es nach 1841 wurden. Zwei Syſteme ſtanden einander gegenüber. Das eine wollte die

Grundfäße der Verfaſſung in allen organiſchen Geſetzen bis zu ihren äußerſten Konſequenzen durchgeführt wiſſen, ſeine Anhänger vertheidigten das Recht auf Autonomie der einzelnen politiſchen Körperſchaften , dem Staate gegen über, bis zu den leßten Grenzen und kamen ſo zu Folge

rungen und praktiſchen Anwendungen , die, wenn der Ge ſergeber ſie ſanktionirt hätte , die Centralgewalt höchſt weſentlicher Attribute beraubt haben würden , und , den

allgemeinen Verband lockernd , aus dem belgiſchen Staate einen Bund faſt ſouveräner Provinzen , und aus der Pro vinz ein Agglomerat faſt ſouveräner Gemeinden gemacht bätten.

Das andere Syſtem wollte die von der Verfaſſung

den einzelnen Elementen des Staates gewährten Rechte und Freiheiten ſtreng geachtet und aufrecht erhalten ſehen, daneben aber eine in den geſetzlichen Grenzen ſtarke, zu

ſammenhaltende Centralgewalt herſtellen , mit allen Be fugniſſen ausgerüſtet, um die Idee des modernen Staates,

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in dem alle Einzelintereſſen in letter Inſtanz aufzugeben haben , zu realiſiren . Neben den in Belgien durch alt herfömmliche Einrichtungen und tiefgewurzelte Lebens

gewohnheiten hinreichend, vielleicht überflüſſig, vertretenen Centrifugalkräften , die unter dem Schutze der neuen Ver faſſung allen Raum hatten , ſidy zu entfalten , ſollten aud) die nöthigen Centripetalkräfte organiſirt werden , damit der Staat nicht auseinandergebe und das Ganze in ſeine Theile zerfalle.

Die Anhänger beider Syſteme gruppirten ſich feines wegs ausſchließlich nach den Parteien . Unter den Katho

liken gab es eine Fraktion , die durch Eifer und Beweglid) keit erſette, was ihr an Zahl und Anſehn abging und welche ſich auf das Entſchiedenſte dein Syſtem der mög lichen Demokratiſirung aller innern Staatseinrichtungen zuwandte , während die damals ſehr wichtige und einfluß

reiche Fraktion der liberalen Doktrinäre , deren Häupter in den ſchwierigen Zeiten vor der Ankunft des Königs ſich unverfennbare und große Verdienſte um das Land

erworben hatten, eben ſo entſchieden das zweite Syſtem vertheidigte. Der Kampf beider Anſichten konzentrirte ſichy und wurde am heftigſten , hauptſächlich bei der Berathung 7

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der organiſchen Gefeße über Provinzial- und Gemeinde

verfaſſung. Als die innere Organiſation , wenigſtens in ihren weſentlichen Theilen , abgeſchloſſen war, nahm die Be wegung einen andern Charakter an . Die Parteien , nach 1841 , ſchieden ſich beſtimmter , die katholiſchen Ultra I

traten , nicht ohne ſich weſentlich modifizirt zu haben , in den Schooß der großen konſervativen Partei zurück, von der ſie ſich eine Zeitlang abgezweigt hatten ; die Doktrinäre dagegen konſtituirten ſich als Kern der liberalen Partei

und begannen unter dieſer Fahne einen viel entſchiedeneren Kampf als früher gegen die katholifen. Die Fragen innerer Organiſation, die noch zu erledigen blieben , wur den allerdings noch zum Vorwand genommen und mußten die Stichwörter und Kampfſignale abgeben , im Grunde aber war es ein Ringen um die Macht , die Parteien wollten herrſchen , und eben weil es ſidy um das Regiment .

handelte, wurde der Kampf leidenſchaftlicher und ver breitete ſich in immer weiteren Kreiſen . Die Wahlen wur

den politiſche Schlachten, und Agitationen ganz andrer Art als die , welche die erſten Jahre erfüllt hatten , erhoben ſich. Die Zuſtände wurden , im Ganzen und Allgemeinen ge

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nommen , den engliſchen ähnlicher, die Rammern wurden der Mittelpunkt, um den das öffentliche Leben der Nation

ſich konzentrirte, die Mittel und Wege der Parteien , ihre Taktik, innerhalb und außerhalb des Barlaments, näherte 1

fich engliſchen Vorbildern, und das ganz von ſelbſt und natürlich , an abſichtliche Nachahmung dachte niemand.

Die tiefen Erſchütterungen , die ſeitdem über Europa er gangen ſind, haben dieſen Zuſtand einer vollkommen regel mäßigen parlamentariſchen Entwickelung nur befeſtigt und .

innerlich gekräftigt.

Allerdings hat es Zeit bedurft, um dahin zu gelangen, aber der Fortſchritt, obgleich langſam erkämpft und zu 1

weilen nicht ohne Mühe bewahrt, iſt doch ein regelmäßiger und darum um ſo ſicherer geweſen . Die belgiſchen Ram

mern haben von jeher , man iſt nur gerecht gegen ſie, in= dem man dies anerkennt , den beſten und redlichſten Willen

gehabt, die Angelegenheiten des Landes mit Treue, Ge wiſſenhaftigkeit, und nach beſter Einſicht zu ſeiten , aber neben den Schwierigkeiten , die in den Dingen ſelbſt lagen, hatten ſie lange Zeit hindurch mit ihrer eigenen Neuheit

und Unerfahrenheit zu ringen. Bei Verwaltungszuſtänden, wo faſt Atles erſt zu ſchaffen oder wenigſtens den neuen

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Grundſägen anzupaſſen war, fehlten die parlamentariſdien Traditionen, der Takt und die Ueberſicht in der Behandlung

der Geſchäfte. Es hat eine Zeit gegeben , wo die kammer vierzig Sizungen brauchte, um das Budget eines einzigen Departements zu berathen. Balt allen Eindrückungen einer bewegten Zeit hingegeben : allen Schwankungen der

momentanen Stimmung ausgeſeßt, wurden wichtige Ange legenheiten mit einer an Flüchtigkeit ſtreifenden , faſt leiden ſchaftlichen Eile erledigt , bald mit ängſtlicher Rigidität an den Prinzipien feſthaltend, fiel die Kammer in Kleinlich 1

keiten und gelangte zu den ſonderbarſten praktiſchen Kon

fequenzen ; wie es denn vorgekommen iſt, daß ſie lange berathen und nach allen Regeln über die Frage abgeſtimmt

hat , ob ein Deputirter, der zum Bürgermeiſter eines Dorfs von 250 Einwohnern, mit einer jährlichen Beſol dung von 20 Franken ernannt iſt, ſich einer Neuwahl unterwerfen muß ? Erſt allmälig verſchwand das Edige,

Schwankende , von einem Extreme in das andere fich Wer: fende aus ihrem Gange , es bildeten ſich Ueberlieferungen, eine der Würde der Nationalvertretung und der Wichtig

keit ihrer Aufgabe angemeſſene Haltung, welche die Kama mer ſeitdem , zu ihrer Ehre ſei es geſagt, mit ſeltenen

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Ausnahmen , auch in den ſchwierigſten und erregteſten

Situationen zu bewahren weiß. Das Parlament hat ſeinen Schwerpunkt gefunden und damit iſt für Belgien auf lange Zeit die Norm der Entwickelung ſeines öffentlichen Lebens

gegeben , an der durch innere Bewegungen wenigſtens fo leicht nicht gerüttelt werden wird .

1

XV.

Wir haben die Schwierigkeiten , welche die Anfänge des Königthums umgaben , ſowie die Stüßpunkte, die es in den Eigenſchaften der Nation und andern günſtigen Umſtänden fand, angedeutet und ſtellen uns jeßt die Frage,

wie es feine Aufgabe, den innern Verhältniſſen gegenüber, gelöſt hat ?

Wenn man fragt, was die innere Regierung König 1

Leopolds am meiſten und weſentlichſten charakteriſirt, ſo kann die Antwort nicht einen Augenblick zweifelhaft ſein. Es iſt die vollkommene , im Großen wie im Kleinen gleich

ſorgfältige Gewiſſenhaftigkeit, mit der der Fürſt den Eid, den er bei Uebernahme des Regiments leiſtete, gehalten bat , ſeine abſolute Verfaſſungstreue unter allen Lagen und Verhältniſſen. Er hat das Land nach dem beſchwornen

Grundgeſetz regiert. Es giebt keinen Staat in Europa, in dem die Konſtitution ſo ohne allen Rückhalt, in ihrem ,

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ganzen Umfange , ohne alles Deuteln an ihrem echten Sinn und Geiſt, mit allen ihren rationellen Konſequenzen , eine Wahrheit geworden wäre , wie in Belgien. Der König hatte ſie mit allen ihren Folgen, mit ihren Vor theilen und Laſten angenommen, er hat ſie ſtets ohne Zaudern und redlich durchgeführt, ſeine Regierung iſt die legalſte, im ſtrengſten Sinne verfaſſungsmäßige, die die neuere Geſchichte fennt. Es giebt keinen einzigen Akt 1

während der ganzen Dauer derſelben , der auch nur auf den Anſchein einer Abſicht ſchließen ließe, das Grundgeſet

zu umgehen , es im überwiegenden Intereſſe der Krone auszubeuten , oder die Umſtände zu benußen , um Abände rungen der Beſtimmungen zu erhalten , welche die Be

fugniſſe des Königs beſchränken , obgleich nicht geläugnet werden kann, daß es mehr als einen Punkt giebt , wo dies im Intereſſe des allgemeinen Beſten geſchehen könnte.

Daß in dieſem Sinne mit einer Konſtitution, wie die belgiſche, zu regieren leicht ſei, wird niemand behaupten, der ein unbefangenes oder nur einigermaßen berechtigtes Urtheil in dieſen Dingen hat. Es gehört mehr , viel mehr

und ganz Anderes dazu , ale paſſives Nachgeben , Gehen

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und Gewährenlaſſen oder ſorgfältiges Beobachten des äußern Buchſtaben des Geſetzes. Der Fürſt, der ſeine Aufgabe nur darin fände, würdé , in dein beſtändigen Rampfe, dem unausgefetten Ringen der Parteien , ihrer

Meinungen , Syſteme, Intereſſen und Leidenſchaften , die das Leben eines ſo überſchwänglich mit Freiheiten aus geſtatteten Staatsweſens bilden , bald zu weniger als einem Schattenkönige herabſinfen, in ſeinem Namen und

über ſeinem Haupte hinweg würden die Leidenſchaften regieren. Es giebt gar nichts falſcheres und Unwahreres als die Behauptung, König Leopold habe ſeine Aufgabe in

dieſem Sinne begriffen. Der Unverſtand, der dergleichen in Umlauf bringt, hat ſich nie die Mühe genommen , die

Reſultate dieſer Regierung näher anzuſehen, und ſich von der Art, wie ſie gewonnen ſind, Rechenſchaft zu geben. Er würde ſich bald überzeugt haben , daß ſie nur der

entſchiedenſten Ueberlegenheit des ſtaatsmänniſchen Ta lentes und des Charakters , ſo wie einer unausgeſeßt den 1

öffentlichen Dingen zugewendeten Thätigkeit erreichbar ſind. Verſuchen wir , dieſer Ueberlegenheit in ihren her vorragendſten Zügen und Manifeſtationen nachzugehen.

1

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Die Aufgabe, welche der König bei ſeiner Thron

beſteigung ſich geſtellt, war ſo einfach als möglich aus gedrückt, die , den durch eine Revolution geſchaffenen Staat

mit den ausgedehnteſten Freiheitsrechten , die damals in Europa beſtanden , verſehen , voll der entſchiedenſten demo fratiſchen Einrichtungen , zum großen Theil auf neue Theorien hin , deren Lebensfähigkeit und praktiſcher Nußen

nichts weniger als erprobt war, organiſirt, - dieſen ſo be ſchaffenen Staat in dem Sinne konſervativ zu regieren, daß dieſe Freiheiten, die das politiſche Leben der Nation bilden , in ihrem ganzen Umfange aufrecht blieben , und Belgien zugleich in das Staatenſyſtem Europa's eingefügt wurde, ohne eine Gefahr für die höchſten Intereſſen des ſelben zu werden . Im Intereſſe der Deutlichkeit unſres

Gedankens, erlaube man uns einen Bezug auf Ereigniſſe, die in der Erinnerung von Vielen ſind. Es handelte ſich

im Jahre 1831 darum , mit denſelben politiſchen Organi ſationselementen und Inſtitutionen , welche die Bewegung des Jahres 1848 in Deutſchland zum Schiffbruch geführt haben , Belgien vor dem Schiffbruch zu bewahren und ſo zu bewahren , daß daſſelbe Land , welches man in Deutſch

land , während ſeiner Anfänge und noch lange nachher,

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als einen Heerd der .Revolution , als die beſtändig offene Gefahr eines republikaniſchen Umſchlags anſah , für einen bedeutenden Theil deſſelben Deutſchlands, im Jahre 1848,

zu einem Schild gegen die Republik werden konnte. Daß dies geſchah, iſt dem König Leopold zu verdanken ; ſehen wir, wie er es möglich machte. 1

Er hat zuerſt und vor allem die Freiheit geachtet und

ſie in ihrem ganzen Umfange, mit allen ihren Nöthigungen und Folgen geachtet, er hat jedes Recht, das die Ver faſſung geſchaffen , in ſeinen Grenzen , mochten ſie auch noch ſo weit geſteckt ſein , gewähren laſſen , nicht allein, wenn ſeine Ausübung ihm zuſagte oder ihn gleichgültig ließ , ſondern auch, wenn ſie ihm läſtig wurde , und man

ihm von mehr als einer Seite rathen mochte , die Hand zu Beſchränkungen zu bieten. Den Parteien gegenüber

hat er ſeine Aufgabe als Herrſcher nie als ausſchließlich innerhalb des Programms einer von ihnen liegend be

tracytet, er hat ſich nie berufen geglaubt, irgend ein exkluſives Syſtem durchzuführen, das innere politiſche Leben der Nation dieſem Syſtem anzupaſſen . Man hat irgendwo geſagt, daß der Fürſt ſeiner königlichen Nichte von England , bei dem Antritt ihrer Regierung, gerathen habe,

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nie zu vergeſſen, daß ſie Souveränin von Großbrittanien und nicht Königin der Whigs allein oder der Tories ſei. Wir wiſſen nicht, was Wahres daran iſt, aber ſo viel ſteht feſt, daß König Leopold in Belgien zu allen Zeiten nach ſolchen Grundfäßen gehandelt hat. Er hat nie die Sachen ausſchließlich im Lichte einer Partei geſehen, nie nach vor gefaßten Meinungen gehandelt, nie ſich vollkommenſte Freiheit und Ueberſicht des Blicks trüben oder die Unab hängigkeit des Urtheils und der Entſcheidung rauben laſſen.

Zugleich aber hat er ſeine Aufgabe als die eines Mo derators des Staats im höchſten Sinne des Worts an geſehen. Ueber den Parteien ſtehend , keiner von ihnen manzipirt, hat er es ſich als erſte Regentenpflicht ange legen ſein laſſen , ſie vor ihren eigenen Uebertreibungen zu bewahren ; er hat nie zugegeben , daß die herrſchende

durch Zuweitgehen , durch Forciren ihrer Prinzipe, das Wohl des Ganzen gefährde. Er iſt ſo ein Bewahrer der Ordnung und der Freiheit zugleich geworden. Sein Kon ſervativismus beſteht nicht darin , daß er den Bewegungen

ſich entgegen wirft, ſie hemmt , die Zügel gewaltſam zurück reißt , ſondern er wendet Widerſtand an zur rechten Zeit

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und am recten Ort, lenft ein , wo es nothwendig iſt und

ſcheut keine Mühe, um die Konflikte auszugleichen, ehe ſie zum Ausbruch kommen . Neben ſeiner großen geiſtigen Ueberlegenheit kommt ihm dabei ſeine durchaus wohl wollende und bei aller Feſtigkeit milde Natur trefflich zu

Statten. Es heißt in einer franzöſiſchen Chronik des ſech zehnten Jahrhunderts, ein König folle ſein wie ein Bienen

weiſel ohne Stachel 1). Gehen wir den hauptſächlichſten Phaſen der inneren Geſchichte Belgiens nach , überall finden wir den König dieſen Grundſäßen unverbrüchlich treu. In der Periode des

erſten ſo heftigen Kampfes um die Prinzipien der innern Organiſation , als die Ultra beider Parteien den Provin zial- und ſtädiſchen Behörden faſt ſouveräne Befugniſſe wollten zugetheilt wiſſen , die die Rechte der Centralgewalt 1) „ Que le roi doit être comme le prince et chef des

„abeilles , qui est de n'avoir point d'aiguillon ou qu'il ne ,,le mette point dehors ; que sa plus grande louange étoit, „ ou de ne se mettre jamais en colère , ou comme bénin,

„ débonnaire ou mansuète , tempérer ou remettre son cour „ roux et indignation.“ Chronique de Humbert Vellay , bei Chroniques de Jean d'Auton, publiées etc. par Paul L. Jacob, tome quatrième p. 233 ..

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bis zur Ohnmacht herabgedrückt hätten , widerſtand der

Fürſt mit der entſchiedenſten Feſtigkeit, ohne ſich durch die Beſorgniß, unpopulär zu werden, die bei einer ſo neuen Gewalt doch gewiß in Betracht kommen durfte , abhalten zu laſſen. Der Kampf dauerte zwei Seſſionen hindurch. Das Rommunalgeſet , deſſen Berathung im Jahre 1834 begonnen war, wurde erſt 1836 promulgirt. Die ſchwie rige tief in die wichtigſten Bezüge des öffentlichen Lebens

in Belgien einſchneidende Angelegenheit wurde durd, eine Transaktion beendet, welche die Hoheits- und Aufjichts

rechte der Krone wahrt, ohne daß die altherkömmliche Selbſtſtändigkeit der Provinzen und Gemeinden in Ver waltungsſachen verkümmert wurde. Das reiche und volle Leben , welches ſich ſeitdem auf dieſen Gebieten entfaltet

hat, beweiſt, daß die Löſung eine glückliche war. Auch nach einer andern Seite hin manifeſtirte ſich in wohl

thätiger Weiſe der moderirende Einfluß des Fürſten. Das Weſen der Inſtitutionen , beſonders die Wirkungen einer ſtets im

weiteſten Umfange, oft bis über die

Grenzen des Mißbrauchs hinaus geübten Preßfreiheit, haben faſt nothwendig eine gewiſſe Inſtabilität der Ge ſebgebung in den wichtigſten Fragen zur Folge. Es

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allen recht zu machen , liegt außerhalb der Macht des Geſetgebers. Während in Staatsweſen, wo die Ver faſſung die Zügel ſtraffer zieht, die verleşten Meinungen oder Intereſſen ſchweigen müſſen, giebt ihnen die belgiſche

Konſtitution alle nur wünſchenswerthen Mittel und Wege, ihre Unzufriedenheit an den Tag zu legen, und daß zu jeder Zeit der vollſtändigſte Gebrauch davon gemacht iſt, verſteht

ſich von ſelbſt. Alles wird in Bewegung geſeßt, um das Geſez in der öffentlichen Meinung herabzuſetzen, die Uebel ſtände werden hervorgehoben und übertrieben , die guten

Seiten mit Stillſchweigen übergangen. Man läßt dem angenommenen Prinzip nicht die Zeit, ſich vollſtändig zu

entfalten. Die öffentliche Meinung, nur zu leicht durch die Preſſe und andere Demonſtrationen irre geführt, wird ſchnell ungeduldig, eine Bewegung bildet ſich um die Ab

änderung des Geſetzes, die Annahme eines neuen Syſtems

durchzuſegen, man pocht ſo lange an die Thüren der Legis latur, bis es angenommen iſt, um bald nachher dem Schick ſal ſeines Vorgängers zu verfallen. Dieſe Kurzlebigkeit oft ſehr weſentlicher, eine Menge von Intereſſen berührender Geſeße iſt ein großer Uebel ſtand. Ihin gründlich abzuhelfen iſt kaum möglich, wenn

in1

man nicht die Inſtitutionen abändern will, was niemanden in den Sinn fonımt und außerdem das lind mit dem

Bade ausſchütten hieße. Aber das Uebel wird durch kluge Behandlung von Seiten der Krone gemildert , die dem Strome nicht nachgiebt, ihn vorſichtig in Schranken zu halten ſucht, das angefochtene Geſek ſo lange als möglich

ſtützt, Zeit gewinnt, und wenn die Anfeindung zu weit geht und weſentlicher Schaden für das Allgemeine aus der Abänderung entſtehen fönnte, im Nothfall den Parteien eine Zuſtimmung zu verſagen weiß , ohne die ſie nichts be ginnen können . Unter vielen Beiſpielen nur eins. Wenn das ſo heilſame Geſetz von 1842 über den Primärunter ridit noch beſteht, wenn der Elementarſchule der Einfluß des religiöſen Elements , der eine Lebensfrage für ſie iſt, bewahrt worden iſt, ſo weiß Jedermann in Belgien , wem man dies zu verdanken hat. Wir haben oben ſchon die Richtung bezeichnet , welche nad) 1841 der Parteifampf nahm , als neben dem Prin zipienſtreit das Ringen um die Macht begann. Es hieße

die menſchliche Natur verkennen , wenn man verlangen wollte, daß die Parteien , wenn ſie in ihren Beſtrebungen durdy die moderirende Gewalt der Krone gehindert oder

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aufgehalten werden , ſich immer ohne Unmuth unterwerfen ſollen ; die neuere Geſchichte mehr als eines unter den Nachbarſtaaten Belgiens beweiſt nur zu ſehr , zu welchen

nachhaltigen Animoſitäten gegen den Fürſten , zu welchem unverſöhnlich feindſeligen Verhalten , politiſche Leiden ſchaften , verletter Ehrgeiz ſich oft hinreißen laſſen . Wer die belgiſchen Dinge kennt, weiß, daß dergleichen gegen

König Leopold nie beſtanden hat. Die Parteien im Ganzen, wie ihre vorzüglichſten Leiter ohne Ausnahme, haben ſtets dem Fürſten gegenüber ungeheuchelte Verehrung , man fann ſagen die entſchiedenſten royaliſtiſden Geſinnungen an den Tag gelegt.

Der Grund davon iſt einfach , er

liegt in der vollkommenen Gerechtigkeit, welche der König gegen eine jede von ihnen zu jeder Zeit beobachtet hat. Sobald eine der beiden Parteien legale Majorität ge

worden war , hat er ihr ſtets, ohne alle Schwierigkeiten, ohne irgend welchen Anſtand oder Rückhalt, die Mittel ge geben , das Regiment zu führen und hat ſie im Beſit deſſelben gelaſſen , ſo lange ſie die konſtitutionellen Bes

dingungen dazu erfüllte. Während ſie am Ruder war, hat er ihr nichts verweigert, was ſie innerhalb der ver faſſungsmäßigen Grenzen zu verlangen berechtigt war.

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Jedes Syſtem hat ſich ſo frei entfalten fönnen , die Strone

hat ihm nie Hinderniſſe in den Weg gelegt, ſie hat nie etwas gethan, um die Dauer ſeiner Herrſchaft abzukürzen, oder Oppoſition gegen daſſelbe hervorzurufen , noch erlaubt, daß dergleichen in ihrem Namen oder unter dem Schube

ihres Einfluſſes geſchah. So hat der König gegen die Katholiken bei ihrem Austritt nach einer langen Verwal tung gehandelt, ſo gegen die Vertreter des gemiſchten Syſtems, das ſich auf die Centren der beiden Parteien zit ſtützen ſuchte , jo endlich beim Austritt des liberalen Mi niſteriums nach 1848. Man weiß , unter welchen Ver

hältniſſen Belgien die Kriſis jenes Jahres durchgemacht hatte , und daß von einem plöglichen ſich überſtürzenden Umſchlag der Meinung , von einer mehr oder weniger ge waltſamten Reaktion hier nid)t die Rede ſein konnte. Erſt

lange nachher, als in den Nachbarländern die Umkehr ſchon vollſtändig erfolgt war, begann eine im natürlichen Lauf der Dinge liegende Bewegung gegen das liberale Syſtem

und die allmälige Rekonſtituirung einer konſervativen Ma jorität , wie ſie auch ohne die Ereigniſſe des Jahres 1848 eingetreten wäre.

Es lag in der Natur der Situation,

daß die Krone von mehr als einer Seite angegangen wurde, S

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dieſe Bewegung durch die Entlaſſung der liberalen Mi niſter zu unterſtüßen , um ſo mehr als triftige Gründe dafür geltend gemacht werden konnten. Das Miniſterium war in ſchwere Mißverſtändniſſe mit einer benachbarten

Großmacht verwickelt, die zu allerlei unangenehmen Kompli fationen ſchon geführt hatten und zu noch unangenehmeren führen konnten . Was lag näher, als der bedenklichen Lage durch einen Wechſel der Verwaltung ein Ende zu machen ?

Der König that es nicht, er ließ das Miniſterium am Ruder, bis es ſich unter dem Druck des Umſchlags der Meinung , der auf das deutlichſte durch den Ausgang der

Wahlen zur Rammer bethätigt war, von ſelbſt auflöſte und eines natürlichen Todes ſtarb.

Darf man ſich wundern, daß bei einem ſolchen Ver fahren der Krone diè hauptſächlichſte Lebensbedingung für Repräſentativverfaſſungen , an deren Beſtehen ſich die Möglichkeit jedes Gedeihens, jedes geordneten Fortſchritts, jeder bleibenden Förderung des öffentlichen Wohls knüpft, die Einheit zwiſchen dem Fürſten und der Volksvertretung, in Belgien ein Vierteljahrhundert hindurch , in der voll kommenſten Weiſe , ohne Störung oder Trübung irgend einer Art beſtanden hat ? Dieſe Einheit iſt zugleich Urſache

>

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geworden , daß in Belgien ſeltener als in irgend einem konſtitutionellen Lande die Regierung von den ertremen

Mitteln , welche die Verfaſſung ihr zu Gebot ſtellt, Ge brauch gemacht hat. Während der ganzen fünf und zwan zigjährigen Regierung König Leopolds ſind die Hammern nur einmal wegen politiſcher Motive aufgelöſt worden,

im April 1833 , als in der äußern Frage eine leiden ſchaftliche Majorität zum Kriege gegen Holland trieb und der Regierung fein andres Mittel blieb , wenn ſie nicht

wider ihren Willen zum Abbruch der Verhandlungen ge zwungen werden wollte.

Die eine oder zwei Auflöſungen ,

welche noch ſtattgefunden haben , hatten keinen politiſchen Charakter, ſondern waren durch Veränderungen der Wahl geſeke , Ausdehnung des Wählerrechts und dergleichen

geboten. Von ſeinem Rechte, einen von den Kammern angenommenen Geſebentwurf nicht zu beſtätigen , hat , ſo viel uns erinnerlich iſt, der König während dieſer langen

Periode nur zweimal Gebrauch gemacht, beidemale bei Fragen ganz unpolitiſcher Natur, es handelte ſich um Modifikation gewiſſer Eingangszölle, das Veto war außer dem durch beſondere Verhältniſſe vollkommen begrün det. Ein ausgezeichneter deutſcher Geſchichtsſchreiber hat 8 *

1

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irgendwo Belgien den geſundeſten Staat in Europa ge nannt. Was bedarf es , um die Wahrheit dieſes Aus ſpruchs zu beſtätigen , anderes , als eines Blickes auf die

innere Regierung des Landes ſeit der Thronbeſteigung des Königs ?

1

XVI.

Wir kommen zu unſrer Schlußbetrachtung. Die vor

hergehenden haben, auf Thatſachen geſtügt, die Tages arbeit einer hohen Intelligenz eines edlen Charakters , das

Werk eines Fürſten gezeigt , deſſen Platz in der Geſchichte ein beneideter ſein wird. Die vollendete Weisheit des

Regenten in ſchönem Verein mit den ausgezeichneten Eigenſchaften eines trefflichen Volkes , hat Europa ein Schauſpiel einzig in ſeiner Art gegeben , das eines Staates, der aus ſchweren Anfängen , aus erſchütternden politiſchen

Konvulſionen hervorgegangen , mit Mißtrauen von den meiſten , mit Unwillen von vielen , von einigen mit Gering achtung angeſehn , durch den gemäßigten Gebrauch großer Freiheiten, ſtrengſte Achtung der Geſeţe, die er ſich ſelbſt gegeben , unermüdliche Thätigkeit auf allen Gebieten der Arbeit, eine religiöſe Weihe des Lebens , deren wohl 1

thätige Folgen zu Tage liegen , durch ſeine bewunderungs

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würdige Haltung inmitten einer ſchweren Kriſis, die über Europa zog , die Anerkennung, die man ihm verſagte , im reichſten Maaße und mit dem vollgültigſten Recht erworben

hat. Man erlaube uns, dies Bild durch einige Züge , die uns noch zu ſkizziren übrig bleiben,1 zu vervollſtändigen . Die Nation hatte frühe ſchon die hohen Eigenſchaften des Königs erkannte , ſie fühlte , was ſie dieſer weiſen Lei

tung , dieſem Fürſten, der der beſte Hort und Schirmherr ihrer Freiheit war, verdankte , die unendlichen Dienſte, die er dem Ausbau ihrer Verfaſſung, ihren materiellen

Intereſſen leiſtete, deren Hebung, Förderung, Entwicklung er ſich mit der perſönlichſten , unermüdlichſten Sorge an

gelegen ſein ließ ; ſie hatte ihm ihre Erkenntlichkeit dafür bei allen Gelegenheiten bewieſen. Aber die Vollendung der Bildung des entſchiedenſten monarchiſchen Geiſtes in ihr, die Thatſache, daß es in Belgien nicht, wie anderswo,

eine royaliſtiſche Partei giebt, ſondern daß die Belgier ein Volk von Royaliſten ſind, dies datirt hauptſächlich vom Jahre 1848 und iſt die Antwort auf die Frage , welche der König gleich nach der Februarrevolution an ſie richtete. Wie der Fürſt in den erſten Augenblicken nach derſelben

ſich äußerte , iſt zu bekannt, als daß wir nöthig hätten , es !

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zu wiederholen . Dieſe vollkommene Uneigennüßigkeit,

das gänzliche Hintenanſetzen aller Selbſtintereſſen, die Achtung vor dem Willen der Nation , gewann dem Könige ohne Rückhalt die Herzen. Seit jener Zeit iſt faſt jedes Jahr an enthuſiaſtiſchen Ausbrüchen dynaſtiſcher Geſin nungen reich geweſen, die bei dem ſpröden Weſen der Be völkerungen auf dieſem Gebiete nichts weniger als zu den demonſtrativen gehören , bei der Stellung der Behörden

in Belgien, die offiziellem Antreiben und ſonſtiger Dienſt befliſſenheit nach dieſer Richtung hin wenig Spielraum gewährt, eine ganz beſondere Bedeutung haben. Wer den Belgier kennt, weiß , daß er den Ruf : Es lebe der König ! nur dann ertönen läßt, wenn er es in der That ſo meint,

ſonſt ſchweigt er. Dieſer loyale Royalismus , der in ſeiner Reinheit und Allgemeinheit bei einer freien Nation gewiß 1

eine der ſtärkſten Garantien der Zukunft iſt, den ſich an zueignen England zwei Revolutionen gebraucht hat, der von allem ſervilen Beigeſchmack ſo frei als nur immer

möglich iſt, Belgien beſikt ihn , Dank der Regierung 1

feines erſten Könige.

Ein Ereigniß , an das zu erinnern wehmüthige Pflicht iſt, bewies bald nach 1848 , wie tief dieſe Geſinnungen

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im Lande Wurzel geſchlagen hatten. Das frühe Hinſchei den jener hohen Frau , die neben ihrem föniglichen Gemahl den Thron geziert hatte, wurde für das Land Veranlaſſung

zu Trauerbezeugungen, wie ſie ſelten einer Souveränin zu Theil geworden ſind. Die Königin Louiſe Marie war eine vollendete Erſcheinung edelſter Weiblichkeit, mit reichen Gaben des Geiſtes und Herzens ausgeſtattet, be I

griff und übte ſie alle Pflichten ihrer Stellung mit einer

Hingabe , die ihr von den erſten Zeiten an die Sympathien der Nation ſicherte. Hohe Intelligenz und ein reich ge bildeter Geiſt hätten ihr die Beſchäftigungen mit den öffentlichen Angelegenheiten leicht gemacht , ſie enthielt ſich auf das ſtrengſte jeder Einmiſchung in dieſelben. Volt

Liebe und Verehrung gegen ihren Gemahl erfüllt, war ſein Wille ihr Geſetz, neben ihm in den Hintergrund zu treten , aller Blicke auf ihn zu lenken , ſeinen hohen Eigen ſchaften , ſeinen unabläſſigen Bemühungen um das Wohl des Staats , die Anerkennung, die ſie verdienten , zu ver I

ſchaffen , war ſie ſtets unausſchließlich beſchäftigt. Shre durchaus wohlwollende und gütige Natur ſuchte und fand ihren Beruf , dem Voffe gegenüber , in unermüdlichem Wohlthun. In dieſem an chriſtlicher Wohlthätigkeit ſo

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reichen Lande , war die Königin die barmherzigſte Tro

ſterin der Armen , die eifrigſte Helferin in jeder Noth. Ihr ganzes Leben und Wirken hat unendlich dazu beige tragen , das Volk durch die Bande der Liebe und Ver ehrung an ſeine Fürſten zu knüpfen , und an dem großen

Werke des Königs , die Dynaſtie mit dem Bewußtſein der Nation, mit ihrem Herzen und Sinn zu verſchmelzen , hat die Königin einen Antheil gehabt, der ihr Andenken den Belgiern für alle Zeiten heilig macht.

Und nun zum Schluß eine Frage. Wir haben eben von den wohlthätigen , dem Königthum als ſolchen bei

wohnenden Kräften geſprochen. Wenn die europäiſche Ge fellſchaft eine Zukunft hat , und wir glauben feſt an dieſe Zukunft, ſo mag es einem unter belgiſchem Geſet lebenden Manne erlaubt ſein , ſie im Lichte des Wahlſpruchs :

„ Freie Völker und freie Fürſten,“ zu ſehen. An die jenigen , die andern Sinnes, aber unbefangenen Sinnes ſind , möchten wir eine Frage richten. Man nehme einen Augenblick an , Belgien habe ſich im Jahre 1831 , ſtatt als monarchiſcher Staat , als Republik konſtituirt, und einen Präſidenten als Haupt der vollziehenden Gewalt an ſeine Spiße geſtellt. Man gebe den Präſidenten, die

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während fünfundzwanzig Jahren einander gefolgt wären, alle wünſchenswerthen, moraliſchen und ſtaatsmänniſchen Eigenſchaften , glaubt man , daß ſie für Belgien das ge

worden wären , was ihm das Königthum geworden iſt, und daß das Land unter ihnen geworden wäre , was es

unter ſeinen König geworden iſt ? Man lege die Hand auf's Herz und antworte.

Leipzig Druck von Gieſecke & Devrient.

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