Die Selbstbestimmung Sterbewilliger: Sterbehilfe im deutschen und amerikanischen Verfassungsrecht [1 ed.] 9783428517725, 9783428117727


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German Pages 465 [466] Year 2005

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Die Selbstbestimmung Sterbewilliger: Sterbehilfe im deutschen und amerikanischen Verfassungsrecht [1 ed.]
 9783428517725, 9783428117727

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U L F KÄMPFER

Die Selbstbestimmung Sterbewilliger

Schriften zum Internationalen Recht Band 154

Die Selbstbestimmung Sterbewilliger Sterbehilfe im deutschen und amerikanischen Verfassungsrecht

Von

Ulf Kämpfer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-11772-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Januar 2004 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung befinden sich im Wesentlichen auf dem Stand September 2003. Für die Veröffentlichung wurde die Arbeit gekürzt, teilweise konnte noch neue Literatur und Rechtsprechung berücksichtigt werden. Ich danke Prof. Dr. Bernhard Schlink für die Betreuung der Arbeit. Er ließ mir alle Freiheiten und war doch immer zur Stelle, wenn ich Rat und Unterstürzung brauchte. Privatdozent Dr. Klaus Joachim Grigoleit danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Ludwig Schreiber, Prof. Dr. Ralf Dreier und Prof. Dr. Erwin Bernât schulde ich Dank für Unterstützung zu Beginn des Vorhabens. Der Studienstiftung des deutschen Volkes und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst danke ich für die großzügige finanzielle Förderung der Dissertation. Die Columbia University Law School in New York hat mir auf Vermittlung von Prof. Gerald L. Neuman unbürokratisch im Herbst/Winter 2000/2001 einen Forschungsaufenthalt ermöglicht. Ihre stets gesprächs- und hilfsbereiten Professoren haben mir viele neue Perspektiven des Themas Sterbehilfe eröffnet. Dankbar für vielfältige Unterstützung bin ich schließlich den Freundinnen und Freunden Dr. Jörg Antoine, Jan Dirk Bohage (LL. M.), Dr. Christian Grote, Alexandra Kemmerer (LL. M.), Dr. Iris-Carola Keun und Dr. Matthias Klatt. Der größte Dank gebührt meiner Frau Anke Erdmann. Ohne ihre Solidarität und Ermutigung wäre gar nichts gegangen. Ich widme die Arbeit meinen Eltern Lilo und Hermann Kämpfer. Kiel, Frühjahr 2005

Ulf Kämpfer

Inhaltsübersicht Einleitung

27

Α. Aktualität des Themas Sterbehilfe

27

B. Sterbehilfe im Verfassungsrecht

29

C. Rechtsvergleichende Perspektive

30

D. Gang und Grenzen der Arbeit

31 Erster Teil

Die Selbstbestimmung Sterbewilliger im einfachen Recht

34

A. Begriffe

34

B. Sterbehilfe im einfachen Recht der USA

38

C. Sterbehilfe im einfachen Recht Deutschlands

54

D. Zusammenfassung erster Teil

66 Zweiter Teil

Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen

69

A. Einleitung

69

B. Verfassungsgerichtsbarkeit und Verfassungsinterpretation in den USA

69

C. Verfassungsgerichtsbarkeit und Verfassungsinterpretation in Deutschland

81

D. Zusammenfassung zweiter Teil

89

-.·. Dritter Teil

Selbstbestimmungsrechte Sterbewilliger im amerikanischen Verfassungsrecht

90

A. Einleitung

90

B. Fundamentales Freiheitsinteresse unter der Due Process-Klausel

91

8

Inhaltsübersicht

C. Religionsfreiheit

150

D. Zusammenfassung dritter Teil

155 Vierter Teil

Selbstbestimmungsrechte Sterbewilliger im deutschen Verfassungsrecht

159

A. Einleitung

159

B. Aktueller Meinungsstand

159

C. Verfügungsrecht über das eigene Leben

171

D. Zusammenfassung vierter Teil

249 Fünfter Teil

Beschränkungen und ihre Rechtfertigung im amerikanischen Verfassungsrecht

252

A. Beschränkungen

252

B. Rechtfertigungsmaßstäbe

254

C. Staatliche Interessen an der Beschränkung

257

D. Exkurs: Struktur und Relevanz des „Arguments der schiefen Ebene"

264

E. Rechtfertigung von Beschränkungen

291

E Gleichheitssatz und Selbstbestimmung Sterbewilliger

309

G. Zusammenfassung fünfter Teil

320 Sechster Teil

Beschränkungen und ihre Rechtfertigung im deutschen Verfassungsrecht

324

A. Beschränkungen

324

B. Rechtfertigungsmaßstäbe

327

C. Legitime Zwecke bei der Beschränkung

328

D. Rechtfertigung von Beschränkungen

332

E. Gleichheitssatz und Selbstbestimmung Sterbewilliger

375

E Zusammenfassung sechster Teil

377

Inhaltsübersicht

9

Siebenter Teil Rechtsvergleich

381

A. Grundrechtsdogmatik

383

B. „Verfassung der Freiheit" versus „Verfassung der Würde"?

394

C. Rolle der Verfassungsgerichte

396

D. Gewährleistung der Selbstbestimmung Sterbewilliger

397

E. Die Bedeutung außerrechtlicher Faktoren

406

F. Erträge des Rechtsvergleichs

413 Achter Teil Schluss und Ausblick

421

Literaturverzeichnis

425

Sachregister

460

Inhaltsverzeichnis Einleitung

27

Α. Aktualität des Themas Sterbehilfe

27

B. Sterbehilfe im Verfassungsrecht

29

C. Rechtsvergleichende Perspektive

30

D. Gang und Grenzen der Arbeit

31 Erster Teil

Die Selbstbestimmung Sterbewilliger im einfachen Recht

34

A. Begriffe

34

B. Sterbehilfe im einfachen Recht der USA

38

I. Beihilfe zur Selbsttötung

39

Π. Aktive Sterbehilfe

41

ΠΙ. Indirekte Sterbehilfe

42

IV. Passive Sterbehilfe

43

1. Passive Sterbehilfe bei entscheidungsfahigen Personen

44

2. Passive Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Personen

45

a) Entscheidungsmaßstäbe

48

b) Gesetzlich geregelte Möglichkeiten antizipierter und stellvertretender Entscheidung

50

V. Aktuelle Entwicklungen C. Sterbehilfe im einfachen Recht Deutschlands I. Beihilfe zur Selbsttötung

53 54 55

nsverzeichnis Π. Aktive Sterbehilfe

56

ΙΠ. Indirekte Sterbehilfe

57

IV. Passive Sterbehilfe

59

V. Reformbestrebungen und aktuelle Entwicklungen D. Zusammenfassung erster Teil

63 66

Zweiter Teil Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen

69

A. Einleitung

69

B. Verfassungsgerichtsbarkeit und Verfassungsinterpretation in den USA

69

I. Der Supreme Court im Verfassungsgefiige Π. Die Methoden der Verfassungsinterpretation

69 72

1. Textualism

72

2. Structural Interpretation

73

3. Originalism

74

4. Doctrine of Precedents

75

5. Teleologische Argumente

76

6. Minimalism

78

7. Integration der verschiedenen Ansätze

79

C. Verfassungsgerichtsbarkeit und Verfassungsinterpretation in Deutschland I. Das Bundesverfassungsgericht im Verfassungsgefiige II. Grundrechtstheorien III. Die Methoden der Verfassungs- und Grundrechtsinterpretation

81 81 82 84

1. Kanon der Auslegungsarten?

84

2. Grundrechtswandel und Verfassungsaktualisierung

86

3. Expansion der Grundrechte

87

D. Zusammenfassung zweiter Teil

89

Inhaltsverzeichnis

13

Dritter Teil Selbstbestimmungsrechte Sterbewilliger im amerikanischen Verfassungsrecht

90

A. Einleitung

90

B. Fundamentales Freiheitsinteresse unter der Due Process-Klausel

91

I. Substantive Due Process

91

1. Die Geburt des Substantive Due Process

91

2. Right of Privacy

93

3. Stagnation oder vorsichtiger Ausbau? - Substantive Due Process heute ...

96

a) Bowers v. Hardwick

96

b) Planned Parenthood of Southeastern Pennsylvania v. Casey

98

II. Die konkurrierenden Anerkennungsparadigmen III. Selbstbestimmung Sterbewilliger als fundamentales Freiheitsinteresse

99 101

1. Ausdehnung des Right of Privacy auf den Bereich der Sterbehilfe

101

2. Case of First Impression: Cruzan v. Director, Missouri Dep't of Health —

104

3. Zwischenergebnis

108

4. Washington v. Glucksberg

108

a) Die Argumentation der Kläger

110

b) Die Entscheidungen der Vorinstanzen

112

c) Die Entscheidung des Supreme Court

113

(1) Die Urteilsbegründung (2) Concurring Opinions (a) Herangehensweise an Substantive Due Process

113 116 117

(b) Umschreibung des streitgegenständlichen Freiheitsinteresses .. 117 (c) Subsumtion

118

(d) Resümee

121

5. Analyse und Kritik

122

a) Die Auswirkung der gewählten Interpretationsmethode

122

b) Die Bedeutung der Rechtstradition im Interpretationsprozess

124

c) Die Beschreibung des Freiheitsinteresses

126

nsverzeichnis (1) Mögliche Beschreibungen

126

(2) Der angemessene Generalitätslevel

127

(3) Die Anschlussfähigkeit der Selbstbestimmungsinteressen Sterbewilliger an Präjudizien 131 (4) Abtreibung und Selbstbestimmung Sterbe williger d) Institutionell-demokratische Erwägungen 6. Ausprägungen der Selbstbestimmungsrechte Sterbewilliger

134 136 138

a) Right to Suicide

138

b) Right to Die

139

c) Partikularrechte

141

(1) Passive Sterbehilfe

141

(2) Indirekte Sterbehilfe

142

(3) Ärztlich assistierte Selbsttötung

143

(4) Aktive Sterbehilfe

144

7. Resümee und Ausblick

146

C. Religionsfreiheit

150

D. Zusammenfassung dritter Teil

155 Vierter Teil

Selbstbestimmungsrechte Sterbewilliger im deutschen Verfassungsrecht

159

A. Einleitung

159

B. Aktueller Meinungsstand

159

I. Grundrechtliche Zuordnung

160

1. Stellungnahmen zu Art. 1 Abs. 1 GG

160

2. Stellungnahmen zu Art. 2 Abs. 1 GG

162

3. Stellungnahmen zu Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

164

4. Andere verfassungsrechtliche Aspekte

168

Π. Ausprägungen der Selbstbestimmung Sterbewilliger ΙΠ. Entwicklungslinien

168 170

nsverzeichnis C. Verfügungsrecht über das eigene Leben I. Art. 1 Abs. 1 GG - Schutz der Menschenwürde

15 171 172

1. Begriff und rechtliche Struktur der Menschenwürde

172

2. Menschenwürde und Selbstbestimmung Sterbewilliger

174

II. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG - Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit 1. Integritätsorientierter Schutzbereich

177 178

a) Recht auf Leben als Integritätsschutz

178

b) Recht auf körperliche Unversehrtheit als Integritätsschutz

180

c) Auf Integrität der Schutzgüter bezogene staatliche Schutzpflicht

180

2. Verfügungsrecht aus Art. 2 Abs. 2 S . 1 G G

181

a) Verfügungsrecht als Grundrechtsverzicht

182

b) Verfügungsrecht als negative Grundrechtsseite

189

c) Verfügungsrecht als Gewährleistung handlungsorientierter Freiheit ....

194

(1) Wortlaut

195

(2) Entstehungsgeschichte

195

(3) Systematisch-teleologische Auslegung

197

(a) Selbstbestimmung als Gegenstand des Grundrechte

198

(b) Freiheit der Verfügung über die körperliche Unversehrtheit ....

199

(c) Freiheit der Verfügung über das Leben

203

(aa) Normative Offenheit des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG

203

(bb) Verschränkung der Schutzgüter Leben und Körper in einheitlichem Lebenszusammenhang 203 (cc) Behandlungsabbruch als anerkannte Ausübung eines Verfügungsrechts über das Leben 205 (dd) Neue Selbstbestimmungsbedürfnisse in der modernen Medizin 206 (ee) Existenzielle Bedeutung der Verfügungsfreiheit

207

(ff) Keine Einengung des Schutzbereichs auf bestimmte Verfügungen 209 (gg) Keine Einengung des Schutzbereichs auf aktuelle Verfügungen 209 3. Einwände gegen ein Verfügungsrecht über das eigene Leben a) Schutz der Menschenwürde als Dispositionsgrenze (1) Objektiv-rechtliche Wirkungen des Menschenwürdeschutzes

212 213 213

(2) Inpflichtnahme durch das „Menschenbild des Grundgesetzes"? .... 216

nsverzeichnis

16

(3) Verhältnis von Art. 1 Abs. 1 GG zu Art. 2 Abs. 2 S. 1 und S. 3 GG

218

(4) Unantastbarkeit des im Grundrecht auf Leben repräsentierten Menschenwürdegehalts 219 b) Wesensgehaltsgarantie gemäß Art. 19 Abs. 2 GG als Sperre für ein Verfügungsrecht 220 c) Das Lebensgrundrecht als „vitale Basis" aller Grundrechte

221

d) Das Argument der Irreversibilität von Verfügungen

222

e) Das Argument der gesellschaftlichen Existenzerhaltung

223

4. Zwischenergebnis

224

5. Die Beteiligung Dritter an Lebensbeendigungen

224

a) Beteiligung Dritter als Fremdverfügung?

224

b) Verstoß gegen Fremdtötungstabu?

226

c) Unterschiede zwischen hoheitlicher und privater Beteiligung

229

6. Resümee

231

III. Art. 2 Abs. 1 GG - Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit

232

1. Allgemeine Handlungsfreiheit

233

2. Allgemeines Persönlichkeitsrecht

233

3. Resümee

236

IV. Art. 4 Abs. 1, 2 GG - Glaubens-, Religions- und Gewissensfreiheit V. Konkurrenzen

237 241

1. Horizontale Konkurrenzen

242

2. Vertikale Konkurrenzen

244

a) Europäische Menschenrechtskonvention

244

b) Landesverfassungen

249

D. Zusammenfassung vierter Teil

249 Fünfter Teil

Beschränkungen und ihre Rechtfertigung im amerikanischen Verfassungsrecht

252

A. Beschränkungen

252

B. Rechtfertigungsmaßstäbe

254

nsverzeichnis C. Staatliche Interessen an der Beschränkung I. Allgemeines Interesse am Schutz des Lebens II. Schutz vor unerwünschten sozialen Konsequenzen

17 257 258 259

ΠΙ. Verhinderung von Suiziden

260

IV. Schutz besonders gefährdeter Patientengruppen

261

V. Aufrechterhaltung der ethischen Integrität der Ärzteschaft VI. Schutz „unschuldiger Dritter" VII. Resümee D. Exkurs: Struktur und Relevanz des „Arguments der schiefen Ebene" I. Arten von Schiefe-Ebene-Argumenten

262 263 264 264 265

1. Logisch-konzeptuelle Schiefe-Ebene-Argumente

266

2. Empirische Schiefe-Ebene-Argumente

269

3. Schiefe-Ebene-Argument und Missbrauchsargument

269

Π. Plausibilität und Entkräftung von Schiefe-Ebene-Argumenten ΙΠ. Schiefe-Ebene-Argumente in der Sterbehilfediskussion

270 271

1. Fehlen rationaler Abgrenzungskriterien

272

2. Verwendung vager Begriffe

276

3. Sozialpsychologische Auswirkungen und empirische Argumente

277

a) Eugenik und „Euthanasie"-Vernichtungsprogramm

278

b) Die Erfahrungen mit aktiver Sterbehilfe in den Niederlanden

280

c) Die Erfahrungen mit Physician-Assisted Suicide in Oregon

282

4. Motive für das Hinabgleiten auf der schiefen Ebene

283

5. Die Schwierigkeit, den letzten Punkt vor der schiefen Ebene zu benennen

283

IV. Schiefe-Ebene-Argumente im juristischen Diskurs

285

1. Schiefe-Ebene-Argumente als Folgenargumente

285

2. Schiefe-Ebene-Argumente und Präzedenzfälle

287

3. Die verfassungsrechtliche Bedeutung von Schiefe-Ebene-Argumenten

287

V. Resümee 2 Kämpfer

289

nsverzeichnis E. Rechtfertigung von Beschränkungen I. Rechtfertigung von Beschränkungen assistierter Selbsttötung II. Rechtfertigung von Beschränkungen indirekter Sterbehilfe

291 292 295

ΙΠ. Rechtfertigung von Beschränkungen aktiver Sterbehilfe

295

IV. Rechtfertigung von Beschränkungen passiver Sterbehilfe

296

1. Entscheidungsfähige Patienten

296

2. Entscheidungsunfähige Patienten

297

a) Beweismaßstäbe bei der Ermittlung des Sterbewillens

298

b) Einstellung künstlicher Ernährung

301

c) Kampf um die Deutungshoheit über den Patientenwillen: Der Fall Theresa Schiavo 302 V. Objektive Kriterien und Lebensqualität im Rechtfertigungsprozess VI. Resümee F. Gleichheitssatz und Selbstbestimmung Sterbewilliger I. Dogmatik der Equal Protection-Klausel II. Equal Protection und Selbstbestimmung Sterbewilliger

306 308 309 309 310

1. Der Ansatz substanzieller Äquivalenz: Quill v. Vacco

310

2. Der restriktive Ansatz: Lee v. Oregon

314

3. Behandlungsabbruch und ärztlich assistierte Selbsttötung im Vergleich

315

a) Vorsatzstrukturen

316

b) Kausalzusammenhänge

317

c) Missbrauchs-und Schiefe-Ebene-Gefahren

318

4. Resümee G. Zusammenfassung fünfter Teil

319 320

Inhaltsverzeichnis

19

Sechster Teil Beschränkungen und ihre Rechtfertigung im deutschen Verfassungsrecht

324

A. Beschränkungen

324

B. Rechtfertigungsmaßstäbe

327

C. Legitime Zwecke bei der Beschränkung

328

I. Schutz von Grundrechten Dritter und Verwirklichung objektiv-rechtlicher Grundrechtsgehalte 328 II. Schutz des Sterbewilligen vor sich selbst

330

ΠΙ. Sonstige legitime Zwecke

331

D. Rechtfertigung von Beschränkungen

332

I. Ermessensspielraum des Gesetzgebers II. Die Kriterien der Verhältnismäßigkeitsprüfung

332 333

ΙΠ. Missbrauchs- und Schiefe-Ebene-Argumente in der Verhältnismäßigkeitsprüfung 336 IV. Rechtfertigung von Beschränkungen der Rechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ... 338 1. Schranke des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG

338

2. Verhältnismäßigkeit von Beschränkungen

339

a) Passive Sterbehilfe bei entscheidungsfahigen Patienten

339

b) Passive Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Patienten

339

(1) Allgemeine Wertvorstellungen und objektive Kriterien im Rechtfertigungsprozess 342 (2) Einstellung künstlicher Ernährung

347

(3) Resümee

348

c) Aktive Sterbehilfe

349

d) Indirekte Sterbehilfe

360

e) Selbsttötung und Beihilfe zur Selbsttötung

361

V. Rechtfertigung von Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts .. 363 VI. Rechtfertigung von Beschränkungen der Rechte aus Art. 4 GG VII. Verletzungen der Menschenwürde 2*

365 367

nsverzeichnis VIE. Schutzpflichten und Selbstbestimmung Sterbewilliger

368

1. Schutzpflicht zugunsten der Grundrechte des Sterbewilligen

368

2. Schutzpflicht zugunsten der Grundrechte Dritter

371

a) Schutzpflichtaktivierende Gefahrenschwelle (Ob der Schutzpflicht)

372

b) Staatlicher Beurteilungsspielraum (Wie der Schutzpflicht)

373

E. Gleichheitssatz und Selbstbestimmung Sterbewilliger I. Gewährleistungsgehalt und Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG Π. Bedeutung für die Selbstbestimmung Sterbewilliger E Zusammenfassung sechster Teil

375 375 376 377

Siebenter Teil Rechtsvergleich

381

A. Grundrechtsdogmatik

383

I. Recht auf Leben

383

Π. Selbstbestimmung

383

1. Anerkennungs- und Prüfungsmaßstab bei nicht ausdrücklich gewährleisteten Freiheitsrechten 384 2. Staatliche Interessen und Schutzpflichten

386

3. Abtreibung und Selbstbestimmung Sterbewilliger

387

4. Right to Die - Verfügungsfreiheit über das eigene Leben

388

ΙΠ. Menschenwürde

390

IV. Glaubens-, Religions- und Gewissensfreiheit

392

V. Gleichheitssatz

393

B. „Verfassung der Freiheit" versus „Verfassung der Würde"?

394

C. Rolle der Verfassungsgerichte

396

D. Gewährleistung der Selbstbestimmung Sterbewilliger

397

I. PassiveSterbehilfe

397

Π. Indirekte Sterbehilfe

400

nsverzeichnis

21

ΠΙ. Aktive Sterbehilfe

401

IV. Ärztlich assistierte Selbsttötung

402

V. Ansätze für eine Prozeduralisierung von Sterbehilfe E. Die Bedeutung außerrechtlicher Faktoren I. Das gesellschaftspolitische Klima II. Einfluss der,»Lehren aus dem Nationalsozialismus"

404 406 406 407

ΠΙ. Einfluss der Kirchen

408

IV. Einfluss der Medizin

409

V. Einfluss von Moralphilosophie und Bioethik F. Erträge des Rechtsvergleichs

411 413

Achter Teil Schluss und Ausblick

421

Literaturverzeichnis

425

Sachregister

460

Abkürzungsverzeichnis Das Verzeichnis enthält eine Auswahl der verwendeten Abkürzungen. Nicht aufgeführte amerikanische Abkürzungen folgen weitgehend dem von der Harvard Law Review Association herausgegebenen The Bluebook - A Uniform System of Citation, 17. Aufl., Cambridge, Mass., 2003, nicht aufgeführte deutsche Abkürzungen folgen weitgehend Kirchner, Hildebert/Butz, Cornelie, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Aufl., Berlin 2003. A.2d

Atlantic Reporter, Second Series

a. A.

anderer Ansicht

Abs.

Absatz

abw.

abweichend(e)

AcP

Archiv für civilistische Praxis

AE

Alternativentwurf

a. F.

alte Fassung

AG

Amtsgericht

Alas.

Alaska

Alt.

Alternative

a. M.

anderer Meinung

Am.

American; Amendment

AMA

American Medical Association

Ann.

Annotated

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

App.

Appeals

Ariz.

Arizona

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

Art.

Artikel

AT

Allgemeiner Teil

B.

Boston

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

Bd.; Bde.

Band; Bände

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

Β GHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BT

Besonderer Teil

BT-Drs.

Bundestag-Drucksache

BtMG

Betäubungsmittelgesetz

Abkürzungsverzeichnis

23

BtPrax

Betreuungsrechtliche Praxis

BVerfG; BVerfGE

Bundesverfassungsgericht; Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG; BVerwGE

Bundesverwaltungsgericht;

Entscheidungen

tungsgerichts Cal.; Calif.

California

Cal. App.

California Appellate Reports

Cal. Rptr.

West's California Reporter

Cent.

Center

cert.

certiorari

ch.

chapter

Chi.

Chicago

Cir.

Circuit

Cl.

Clause

Co.

Company

Colo.

Colorado

Colum.

Columbia

Comp.

Comparative

conc.

concurring opinion

Conn.

Connecticut

Ct. App.

Court of Appeals; Court Appellate

D.

District Court (Federal)

DÄB1.

Deutsches Ärzteblatt

D.C.

District of Columbia

Del.

Delaware

Dep't

Department

diss.

dissenting opinion

Dist. Ct.

District Court

DJT

Deutscher Juristentag

DNotZ

Deutsche Notar-Zeitschrift

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DVB1.

Deutsches Verwaltungsblatt

ed.

edition

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

f.; ff.

folgende; fortfolgende

F.2d

Federal Reporter, Second Series

F.3d

Federal Reporter, Third Series

FamRZ

Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

Fla.

Florida

FS

Festschrift

des Bundesverwal-

24

Abkürzungsverzeichnis

F.Supp.

Federal Supplement

GA

Golthammers Archiv für Strafrecht

Ga.

Georgia

GS

Gedächtnisschrift

GSA

Grundsatzaussschuss

Harv.

Harvard

h. L.

herrschende Lehre

h. M.

herrschende Meinung

Hosp.

Hospital

How.

Howard

HStR

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland

HVerfR

Handbuch des Verfassungsrechts

i. e. S.

im engeren Sinne

Π1.

Illinois

Inc.

Incorporated

Ind.

Indiana

J.

Journal

JA

Juristische Arbeitsblätter

JAMA

Journal of the American Medical Association

JöR

Jahrbuch für öffentliches Recht

JR

Juristische Rundschau

JRE

Jahrbuch für Recht und Ethik

Jura

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

Kan.

Kansas

KJ

Kritische Justiz

KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

L.

Law

LG

Landgericht

L. Rev.

Law Review

Mass.

Massachusetts

Md.

Maryland

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

Med.

Medicine; Medical

MedR

Medizinrecht

Mich.

Michigan

Minn.

Minnesota

Miss.

Mississippi

Mo.

Missouri

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

Abkürzungsverzeichnis N.E.2d

North Eastern Reporter, Second Series

Neb.

Nebraska

N. Engl. J. Med.

New England Journal of Medicine

Nev.

Nevada

n.E

neue Folge

NJ

Neue Justiz

N.J.

New Jersey

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

No(s).

Number(s)

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

N.W.2d

North Western Reporter, Second Series

N.Y.

New York

N.Y.2d

New York Reports, Second Series

N.Y.S. 2d

West's New York Supplement, Second Series

ÖJZ

Österreichische Juristen-Zeitung

OLG

Oberlandesgericht

Or.

Oregon

ÖStGB

Österreichisches Strafgesetzbuch

P2d

Pacific Reporter, Second Series

Pa.

Pennsylvania

Phil.

Philosophy

Rep.

Report

Rev.

Review; Revised

RG

Reichsgerichtshof

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

Rich.

Richmond

RR

Rechtsprechungs-Report

S.

Satz; Seite

Sch.

School

seil.

scilicet, nämlich

S.Ct.

Supreme Court Reporter

S.E.2d

South Eastern Reporter, Second Series

Sec(s).

Section(s)

s. o.

siehe oben

So.2d

Southern Reporter, Second Series

st. Rspr.

ständige Rechtsprechung

Stat.

Statutes

s. u.

siehe unten

sub nom.

sub nomine

Sup. Ct.

Supreme Court (State)

Supp.

Supplement

25

26

Abkürzungsverzeichnis

S.W.2d

South Western Reporter, Second Series

Tenn.

Tennessee

Tex.

Texas

U.

University

UCLA

University of California at Los Angeles

U.S.

United States Reports; Supreme Court (federal); United States

U.S.C.

United States Code

U.S.C.A.

United States Code Annotated

v.

versus; von

Va.

Virginia

Var.

Variante

VerwArch.

Verwaltungsarchiv

VG

Verwaltungsgericht

vol.

volume

WDStRL

Veröffentlichung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

W.

West(ern); Week

Wash.

Washington

Wis.

Wisconsin

WL

West Law

WRV

Weimarer Reichsverfassung

ZfL

Zeitschrift für Lebensrecht

ZME

Zeitschrift für medizinische Ethik

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung „ A m e r i c a n s say they want to die at home, quickly, painlessly, and in the company of friends and family. Most, however, die in hospitals, slowly, often in pain, and surrounded by strangers." 1

„Der größte Verstoß gegen die Heiligkeit des Lebens ist es, vor ihrer Komplexität in Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit auszuweichen."2

A. Aktualität des Themas Sterbehilfe Der Wunsch, in der letzten Lebensperiode die Lebensqualität zu erhalten und die eigene Würde und Autonomie zu wahren, wird durch die moderne Medizin nicht nur gefördert, sondern auch in Frage gestellt. Geistiger und körperlicher Verfall führen heute nicht mehr notwendig zu einem schnellen, als schicksalhaft empfundenen Tod, sondern zum immer weiter perfektionierten Einsatz lebenserhaltender intensivmedizinischer Maßnahmen. In einem früher undenkbaren Maße lässt die Medizin den Anschein der Natürlichkeit und Schicksalhaftigkeit des Todeszeitpunktes verblassen. Dadurch ist die Bedeutung von Entscheidungen über Hilfe im und Hilfe zum Sterben gewachsen und aus der Intimität, Diskretion und Selbstgesetzlichkeit ärztlichen Handelns herausgelöst worden. Durch diese und andere Entwicklungen3 sind die bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse des Sterbens unter Rechtfertigungsdruck geraten. Ob und inwieweit der Einzelne selbst über die Umstände des Sterbens - insbesondere den Zeitpunkt des eigenen Todes - entscheiden darf, ist eine Rechtsfrage von existenzieller Bedeutung geworden. Die nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern aufgeworfenen Probleme der Zulässigkeit und der Grenzen lebensverkür1

Annas, Some Choice, S. 209. R. Dworkin, Die Grenzen des Lebens, S. 334. 3 Gesellschaftliche Individualisierung, das veränderte Arzt-Patienten-Verhältnis und die allmähliche Enttabuisierung der Selbsttötung sind weitere, den komplexen gesellschaftlichen Wandel im Bereich des Sterbens kennzeichnende Stichworte. Hinzuweisen ist zudem auf die durch die Krise des Wohlfahrtstaates, demographische Entwicklungen und technische Innovationen verursachte gesundheitsökonomische Debatte, dazu aus verfassungsrechtlicher Sicht Höfling, in: Rationierung im Gesundheitswesen, S. 143 ff., Nettesheim, VerwArch. 93 (2002), 315 ff. 2

28

Einleitung

zender Sterbehilfe werden seit über zwanzig Jahren an der Schnittstelle von Sozialmoral, medizinischer Ethik und Recht diskutiert.4 Es mangelt in Deutschland nicht an Versuchen von Gerichten, Rechtswissenschaft und gesellschaftlichen Institutionen, einen Beitrag zur Klärung der vielen offenen Fragen zu leisten. Der Bundesgerichtshof hat sich mittlerweile mit fast allen Formen der Sterbehilfe aus vorwiegend strafrechtlicher Sicht auseinander gesetzt.5 Auf dem 56. (1986) und 63. (2000) Deutschen Juristentag wurde über strafbzw. zivilrechtliche Reformen des Sterbehilferechts gestritten. 1998 verabschiedete die Bundesärztekammer nach intensiver öffentlicher Diskussion neue „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung".6 Anfang 2003 fasste der Bundesgerichtshof einen Grundsatzbeschluss zur Rolle des Betreuungsrechts bei der Entscheidung über lebensbeendende Behandlungsabbrüche.7 Sowohl der Nationale Ethikrat als auch die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Ethik und Recht der modernen Medizin" befassten sich in der Folgezeit mit dem Thema Sterbehilfe. 8 In einigen Nachbarländern Deutschlands traten in den letzten Jahren Gesetze zur Zulassung aktiver Sterbehilfe in Kraft (2001 in den Niederlanden, 2002 in Belgien). In der Schweiz wurden auf kommunaler Ebene praktische Regelungen über die Leistung von Selbsttötungsbeihilfe getroffen, das Land wird zudem mit dem Phänomen eines „Sterbehilfetourismus" konfrontiert. 9 Auch in den

4 Einen guten Überblick bieten Giesen, JZ 1990, 929 ff.; Benzenhöf er, Der gute Tod?, insbesondere S. 145 ff., 184 ff. Zur Entwicklung in den USA Urofsky, Lethal Judgments. Assisted Suicide and American Law, und Meisel, The Right to Die. Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat das Wort „Sterbehilfe" in die Liste der „100 Wörter des Jahrhunderts" aufgenommen, siehe Schmidt, in: 100 Wörter des Jahrhunderts, S. 280 ff.; in der 20. Auflage der Brockhaus-Enzyklopädie, 21. Band, S. 95 ff., wird das Stichwort Sterbehilfe als sogenannter „Schlüsselbegriff" erläutert. Zur Aktualität des Themas Sterbehilfe auf europäischer Ebene siehe nur das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur aktiven Sterbehilfe in Pretty ν. United Kingdom, EuGRZ 2002, 234, die im Januar 2003 veröffentliche Studie des Europarats zu Rechtslage und Praxis hinsichtlich aktiver Sterbehilfe und assistierter Selbsttötung in den Mitgliedstaaten, verfügbar unter www.coe.int/euthanasia-report, sowie die Debatte über Sterbehilfe in der parlamentarischen Versammlung des Europarats im April 2004, vgl. Hausmann, Neue Zürcher Zeitung, 28. 4. 2004, S. 17. 5 Vgl. nur BGHSt 32, 367 (1984); BGH, NJW 1987, S. 1092 f. (1986); BGHSt 37, 376 (1991); 40, 257 (1994); 42, 301 (1996); 46, 279 (2001). 6 Abgedruckt in NJW 1998, 3406 f.; zur Kritik Tolmein, MedR 1997, 534 ff.; Kommentierung bei Laufs /Uhlenbruch, Arztrecht, § 132, Rn. 17 ff. 2004 hat die Bundesärztekammer die Grundsätze erneuert, ohne grundlegende Änderungen vorzunehmen, vgl. FAZ, 7. 5. 2004, S. 40. Die Grundsätze sind im Internet verfügbar unter www.bundesaerztekammer.de. 7 BGH, NJW 2003,1588. 8 Vgl. www.ethikrat.org und www.bundestag.de/parlament/kommissionen/ethik_med/, sowie den „Zwischenbericht Patientenverfugung" der Enquete-Kommission (BT-Drs. 15/3700). 9 Der Stadtrat von Zürich hat Ende 2000 Beihilfe zur Selbsttötung in kommunalen Altenund Pflegeheimen erlaubt, vgl. Spöndlin, Bioskop 2001(13), S. 6 f., Ernst/Ernst, Neue Zür-

Β. Sterbehilfe im Verfassungsrecht

29

USA findet seit den siebziger Jahren eine lebhafte Auseinandersetzung über end-of -life-decisions, assisted suicide und die Anerkennung eines right to die statt.10 Anders als in Deutschland hat sie zu umfangreichem gesetzgeberischen Handeln geführt. 1990 und 1997 nahm zudem der amerikanische Supreme Court zu verfassungsrechtlichen Aspekten der Selbstbestimmung Sterbewilliger Stellung.11

B. Sterbehilfe im Verfassungsrecht Die verfassungsrechtlichen Bezüge der Sterbehilfe sind wegen der besonderen Gefährdung menschlicher Würde am Lebensende und des in der Problematik zu Tage tretenden Konflikts zwischen Lebensschutz und Selbstbestimmung vielfältig: „Das Recht auf ,Würde im Sterben' ist zur Verfassungsfrage geworden"12, die zu den „wichtigsten heute anstehenden Fragen" gehört.13 Obwohl viele Aspekte der Sterbehilfe in einer unüberschaubaren Anzahl von Stellungnahmen untersucht wurden und werden, sind die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Themas in Deutschland bislang unzureichend geklärt. Zwar werden Beiträge zur Sterbehilfe häufig durch verfassungsrechtliche Erwägungen ergänzt, diese bilden aber regelmäßig nur einen mehr oder weniger schmalen Rahmen, mit dem moralphilosophische, medizinische, zivil- oder strafrechtliche Untersuchungen angereichert werden.14 Verfassungstheoretisch und grundrechtscher Zeitung, 11./12. 11. 2000, S. 49; kritisch zur Selbsttötungsbeihilfe in der Schweiz Frei, FAZ, 8. 11. 2001, S. 13. Allgemein zum Recht und zur Praxis der Sterbehilfe in der Schweiz Seelmann, in: Suizid und Sterbehilfe, S. 135 ff.; Marti, Schweizerische Ärztezeitung 2002, 570 ff.; Heusser, Neue Zürcher Zeitung, 21. 7. 2003, S. 7; Steudler, Neue Zürcher Zeitung, 20. 6. 2004, S. 17. 10 Insbesondere seit dem Grundsatzurteil des Supreme Court von New Jersey 1976 im Fall Karen Quinlan, vgl. Matter of Quinlan, 355 A.2d 647, cert, denied 429 U.S. 922 (N.J. 1976). Erst in den neunziger Jahren begann eine intensive Auseinandersetzung über ärztlich assistierte Selbsttötung, u. a. ausgelöst durch einen Beitrag von Quill, 324 N. Engl. J. Med. 691 ff. (1991). h Cruzan v. Director, 497 U.S. 261 (1990), Washington v. Glucksberg, 521 U.S. 702 (1997), Vacco v. Quill, 521 U.S. 793 (1997). 12 Benda, in: HVerfR, § 6, Rn. 53. 13 So schon 1976 Leisner, in: Das Recht auf Leben, S. 5, 9, mit Bezug auf Euthanasie und das Recht auf Leben. Stern, Staatsrecht, Bd. I I I / l , S. 1052, zählt Fragen im Kontext von Mensch, Leben, Geburt und Tod zu „Verfassungsfragen von noch nicht vollständig zu übersehender Dimension." Als aktuelles Beispiel statt vieler Anderheiden, in: Verantwortung, S. 149, 173: „Der Streit um die Sterbehilfe ist ( . . . ) ein Streit um die ( . . . ) Grundrechte." 14 So finden sich ζ. B. in vielen Dissertationen einschlägige verfassungsrechtliche Aussagen, jedoch nur in Form eines eingeschobenen oder „vor die Klammer gezogenen" allgemeinen Teils, dem straf- oder zivilrechtliche Hauptteile folgen, vgl. Heyers, Passive Sterbehilfe, S. 187 ff.; Laber, Der Schutz des Lebens im Strafrecht, S. 6 ff.; Rieger, Die mutmaß-

30

Einleitung

dogmatisch fundierte Stellungnahmen sind eher selten. Erst in den letzten Jahren hat die verfassungsrechtliche Perspektive stärkere Aufmerksamkeit erfahren. 15 Die vorliegende Arbeit bemüht sich vor diesem Hintergrund um die spezifisch verfassungsrechtliche Verankerung der Sterbehilfediskussion. Sie nimmt rechtsvergleichend die verfassungsrechtlichen Diskussionen in Deutschland und den USA in den Blick. Leitfrage der Untersuchung ist, welchen Rahmen die deutsche und die amerikanische Verfassung der rechtlichen Regelung der Selbstbestimmung Sterbewilliger vorgibt. I m Zentrum steht die Bestimmung des Schutzbereichs verfassungsrechtlich gewährleisteter Selbstbestimmung Sterbewilliger sowie Umfang und Grenzen seiner Einschränkbarkeit. Damit werden die derzeit wichtigsten Referenzverfassungen der (westlichen) Welt auf ihr Orientierungspotenzial in einem Problemfeld untersucht, das in vielen Gesellschaften auf der politischen und juristischen Tagesordnung steht. 16

C. Rechtsvergleichende Perspektive Über viele Jahre war die vergleichende Untersuchung der verfassungsrechtlichen Fragen der Abtreibung „the showpiece of comparative constitutional law". 1 7 liehe Einwilligung in den Behandlungsabbruch, S. 27 ff.; Seibert, Aktive indirekte Sterbehilfe, S. 65 ff. Ebenso fehlt moralphilosophischen Beiträgen meistens die hinreichende verfassungsrechtliche Anbindung, vgl. ζ. B. Hoerster, Sterbehilfe, S. 12 ff.; Eibach, Medizin und Menschenwürde, S. 183 ff. Auch in der spezifisch verfassungsrechtlichen Literatur wird Sterbehilfe regelmäßig nur als Teilaspekt behandelt, siehe Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 11 ff., 228 ff.; Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 178 ff.; Hollenbach, Grundrechtsschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 288 ff. Die verfassungsrechtliche Kommentarliteratur streift das Problem meistens nur am Rande, s. u. S. 169. 15 Kleinere Beiträge im jüngeren Schrifttum von Höfling, JuS 2000, 111 ff., Hufen, NJW 2001, 849 ff., Czerner, MedR 2001, 354 ff., Knopp, MedR 2003, 379 ff., und Hufen, ZRP 2003, S. 248 ff. Umfassender jüngst die Dissertationen von Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung (2004), Linke, Grundrechtliche Spannungslagen am Lebensende (2004). Zu Österreich Kneihs, Grundrechte und Sterbehilfe (1998), zur Schweiz Hangartner, Schwangerschaftsabbruch und Sterbehilfe: Eine grundrechtliche Standortbestimmung (2000). 16 Siehe die Länderberichte in Eser/Weigend (Hrsg.), Materialen zur Sterbehilfe, in Taupitz (Hrsg.), Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens, sowie Scherer/ Simon, Euthanasia and the right to die: a comparative view, S. 27 ff. 17 Neuman, 43 Am. J. Comp. L. 273 (1995). Vgl. ferner die ausführliche Darstellung in Jackson/Tushnet, Comparative Constitutional Law, S. 1 ff. Eine der seltenen Stellen, in denen Richter des Supreme Court sich direkt auf die Rechtsprechung des BVerfG beziehen, betrifft ebenfalls die Abtreibungsfrage und findet sich in der opinion von Richter Rehnquist in Planned Parenthood v. Casey , 505 U.S. 833, 944 Fn. 1 (1992); weitere Beispiele verfassungsvergleichender Bezugnahmen bei Tushnet, 108 Yale L.J. 1225, 1230 ff. (1999).

D. Gang und Grenzen der Arbeit

31

Auch die vergleichende Betrachtung des deutschen und des amerikanischen Verfassungsrechts unter dem Blickwinkel der Selbstbestimmung Sterbewilliger ist aus mehreren Gründen vielversprechend.18 Wahrend sich bei der Abtreibung die jeweiligen verfassungsgerichtlichen Problemlagen mittlerweile konsolidiert haben, ist die verfassungsrechtliche Diskussion hinsichtlich der Selbstbestimmung Sterbewilliger in den USA noch nicht abgeschlossen und in Deutschland erst im Anfang begriffen. Anders als beim Schwangerschaftsabbruch finden sich im Bereich der Sterbehilfe nicht in beiden Verfassungsjudikaturen einschlägige Leitendscheidungen. Nur die amerikanische Rechtssphäre verfügt über eine reichhaltige Rechtsprechung zu verfassungsrechtlichen Fragen der Selbstbestimmung Sterbewilliger. Das Bundesverfassungsgericht kann demgegenüber lediglich eine nicht zur Entscheidung angenommene, eine abgewiesene und eine für unzulässig erklärte Verfassungsbeschwerde vorweisen, die jeweils keine substanzielle Auseinandersetzung mit dem Thema erforderten. 19 Einem deutsch-amerikanischen Verfassungsvergleich ist deswegen nicht von vornherein „mangels Masse" auf deutscher Seite der Boden entzogen. Die allgemeinen Grundrechtslehren und spezifischen Grundrechtsdogmatiken sowie die bislang von der Literatur entwickelten Ansätze erlauben die Untersuchung des Grundgesetzes auf seinen Orientierungsgehalt für die Fragen der Sterbehilfe. Die Leerstelle in der deutschen Grundrechtsjudikatur ist in gewisser Weise sogar von Vorteil, ermöglicht sie doch, die spezifischen Verfassungsprobleme der Sterbehilfe zu erörtern, ohne durch den oft beklagten „Bundesverfassungsgerichtspositivismus" 20 der verfassungsrechtlichen Wissenschaft eingeengt zu werden.

D. Gang und Grenzen der Arbeit Nach einer knappen Darstellung der derzeitigen Rechtslage in den Vergleichsländern im ersten Teil und einem Blick auf die verfassungsinterpretatorischen Implikationen und Bezüge des Themas im zweiten Teil folgt die Arbeit bei der Untersuchung der Selbstbestimmungsrechte Sterbewilliger in den folgenden Teilen der vor allem im deutschen Verfassungsrecht verbreiteten dreistufigen Grundrechts18 Zur Heranziehung rechts vergleichender Argumente in der amerikanischen verfassungsrechtlichen Debatte über physician-assisted suicide ausführlich McCrudden, in: Law at the End of Life, S. 125, 131 ff. m. w. Ν.

Vgl. BVerfG, NJW 2002, 206: Betreuerbestellung und medizinische Behandlung bei einer Zeugin Jehovas, die in einer schriftlichen Patientenverfügung Bluttransfusionen abgelehnt hatte; BVerfGE 76,248: Polizeiliche Unterlassungsverfügung gegen zur aktiven Sterbehilfe bereiten Arzt; schließlich die in NStZ-RR 2002, 2807 f. abgedruckte Kammerentscheidung, die die strafrechtliche Verantwortung eines Arztes bei der Missachtung einer Patientenverfügung zum Gegenstand hatte. 20 Schlink, Der Staat 28 (1989), 161.

32

Einleitung

struktur von Grundrechtstatbestand, Beschränkung und verfassungsrechtlicher Rechtfertigung. Ausgangspunkt der grundrechtstheoretischen Untersuchung im dritten und vierten Teil ist die Frage nach der verfassungsrechtlichen Position des Sterbewilligen. Zunächst wird der Diskussionsstand bezüglich Existenz und Gestalt eines durch die amerikanische Verfassung gewährleisteten „right to die" und anderer Ausprägungen der Selbstbestimmung Sterbewilliger aufgearbeitet. Daran anschließend wird der Verankerung eines „Verfügungsrechts über das eigene Leben" im deutschen Verfassungsrecht nachgegangen. Aufbauend auf dieser Schutzbereichsfundierung werden im fünften und sechsten Teil die noch und die nicht mehr verfassungsrechtlich rechtfertigungsfähigen Beschränkungen der Selbstbestimmung Sterbewilliger in beiden Verfassungsordnungen herausgearbeitet. Da das sogenannte „Argument der schiefen Ebene" (, slippery slope argument) neben Unverfügbarkeitsaxiomen den archimedischen Punkt der meisten Argumentationsstränge gegen erweiterte Möglichkeiten der Selbstbestimmung Sterbewilliger bildet21, wird dieses Argument in einem Exkurs eingehend auf seine Struktur und Relevanz untersucht. Im siebenten Teil werden abschließend die gewonnenen Ergebnisse im Rechtsvergleich auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten hin analysiert mit dem Ziel, rechtliche Problem- und Lösungsstrukturen herauszuarbeiten, die über die einzelnen Rechtsordnungen hinausweisen. Die Breite des Problemfeldes Sterben und Tod und seine vielfältig ausgreifenden Bezüge machen thematische Abgrenzungen erforderlich. Sie ergeben sich zunächst aus der Konzentration auf die „Selbstbestimmung Sterbewilliger": Fragen von unfreiwilliger „Sterbehilfe" aufgrund von externen Nutzenkalkülen, insbesondere aufgrund von gesundheitsökonomischen Erwägungen, sowie Fragen des einseitigen Behandlungsabbruchs gegen den Willen des Patienten können nur gestreift werden. Ebenso ist die auch „Früheuthanasie" genannte Nichtbehandlung oder gar Tötung von geschädigten Neugeborenen wegen der dort besonderen Problemlagen nicht Gegenstand dieser Arbeit. 22 Nicht ausführlich behandelt wird ferner die umstrittene Frage des verfassungsrechtlich adäquaten Todeskriteriums, die für die Bestimmung der „hinteren Grenze" der Selbstbestimmung Sterbewilliger und für praktische Fragen der Organ21 Exemplarische Verwendung des Arguments der schiefen Ebene bei Robbers, in: Aktive Sterbehilfe? Zum Selbstbestimmungsrecht des Patienten, S. 71 ff.; für die USA Hendin, 10 Issues L. & Med. 123 ff. (1994). 22 Zur Problematik eingehend Kaufmann, JZ 1982, 481 ff., Merkel, JZ 1996, 1145 ff., und die „Einbecker Empfehlungen" der deutschen Gesellschaft für Medizinrecht, MedR 1992, 206 f. In den letzten Jahren sind eine Reihe ausführlicher Untersuchungen erschienen, insbesondere Merkel, Früheuthanasie; ferner Everschor, Probleme der Neugeboreneneuthanasie; zu verfassungsrechtlichen Fragen auch Antoine, Aktive Sterbehilfe, § 16, S. 347 ff. Zur Sterbehilfe bei Mindeijährigen Rouka, Das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen bei ärztlichen Eingriffen; Rixen, MedR 1997, 351 ff.

D. Gang und Grenzen der Arbeit

33

transplantation große Bedeutung hat. Die Orientierungspotenziale des Verfassungsrechts für die Beurteilung des Hirntodkriteriums sind in den letzten Jahren erschöpfend ausgelotet worden. 23

23 Vgl. zu den widerstreitenden Konzeptionen nur Rixen, Lebensschutz am Lebensende, einerseits und Klinge, Todesbegriff, Totenschutz und Verfassung, anderseits, jeweils m. w. N., ferner die Kontroverse zwischen Höfling, JZ 1995, 26 ff., 615 ff., und Heun, JZ 1996, 213 ff., 618 f., schließlich die Darstellung bei Ingelfinger, Grundlagen und Grenzbereiche des Tötungsverbots, S. 137 ff. Nach der hier vertretenen und im Folgenden entwickelten Auffassung stehen einer Organentnahme bei Hirntoten selbst dann keine unüberwindbaren verfassungsrechtlichen Schranken entgegen, wenn man mit den Kritikern des Himtodkriteriums davon ausgeht, das Hirntote Lebende sind und unter dem Schutz von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG stehen. Näher dazu Antoine, Aktive Sterbehilfe, § 15, S. 336 ff.

3 Kämpfer

Erster Teil

Die Selbstbestimmung Sterbewilliger im einfachen Recht A. Begriffe Die Diskussionen um die Zulässigkeit und die Grenzen der Selbstbestimmung Sterbewilliger leiden unter der Verwendung uneinheitlicher, unpräziser und normativ aufgeladener Begriffe. Am Anfang müssen deshalb präzise Begriffsbestimmungen stehen. Der übergreifend verwendete Begriff der „Selbstbestimmung Sterbewilliger" abstrahiert bewusst von den gängigen Kategorien im deutschen und amerikanischen Verfassungsrecht. Für einen unvoreingenommene Rechtsvergleich ist es wichtig, die Formulierung des zu untersuchenden Sachproblems von den Begriffen der zu untersuchenden Rechtsordnung frei zu halten1, um die notwendige „Distanz zu Wertungen der einzelnen Rechtsordnungen zu gewinnen"2. „Selbstbestimmung Sterbewilliger" bezieht sich auf alle in der jeweiligen Verfassungsordnung geschützten Verhaltensweisen, die eine an der Autonomie eines Sterbewilligen ausgerichtete Lebensbeendigung bewirken und/oder in Kauf nehmen bzw. bezwecken. Der Begriff schließt auch die Beteiligung anderer an der Lebensbeendigung mit ein, sofern sich das Gesamtgeschehen als Selbstbestimmung des Betroffenen darstellt. Der Ausdruck „Sterbewilliger" soll weit verstanden werden. Er soll auch Personen einbeziehen, die die Verursachung ihres Todes nicht bezwecken, ihn aber als Konsequenz ihres eigenen Verhaltens oder des Verhaltens Dritter in Kauf nehmen. Ferner werden auch bewusstlose oder aus anderen Gründen aktuell entscheidungsunfähige Personen als Sterbewillige bezeichnet, wenn eine von einer anderen Person vollzogene Lebensbeendigung auf dem mutmaßlichen Willen oder einer antizipierten Verfügung des Patienten beruht oder auf der Entscheidung eines vom Betroffenen bevollmächtigten Stellvertreters. 3 Selbstbestimmung setzt Selbstbestimmungsfähigkeit voraus. In den USA wird diese Fähigkeit mit dem Begriff der competence umschrieben.4 In Deutschland ι Zweigert/Kötz, Einführung, S. 33 f.; Hartmut Krüger, in: FS Kriele, S. 1393, 1405. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 13. 3 Zur Begründung für die Anwendung der Kategorien „Sterbewilliger" und „Selbstbestimmung" auf diese Fälle s. u. S. 343. 2

Α. Begriffe

35

werden verschiedene Begriffe - uneinheitlich - verwendet. Sofern nicht ausdrücklich auf eine abweichende Verwendung hingewiesen wird, wird nachfolgend von einem einwilligungsfähigen 5 oder synonym von einem entscheidungsfähigen 6 Patienten, Sterbewilligen etc. gesprochen, um dessen grundsätzliche Fähigkeit zur Selbstbestimmung und die rechtliche Anerkennungswürdigkeit seiner Willensäußerung zu kennzeichnen. Als frei- oder eigenverantwortlich wird eine Entscheidung bezeichnet, die von einer entscheidungsfähigen Person bei klarem Bewusstsein und ohne Manipulation oder Täuschung gefasst wurde. „Sterbehilfe" ist der Oberbegriff im deutschen Diskussionszusammenhang.7 Er enthält mit seinen Wortteilen „Sterben" und „Hilfe" zwei die Begriffsausfüllung strukturierende Komponenten.8 Das Wort „Hilfe" weist zunächst auf die Beteiligung anderer Personen am Sterbensgeschehen hin und scheidet die ohne fremde Hilfe vollzogene Selbsttötung aus der Sterbehilfedefinition aus. Besonders wichtig ist die Orientierung des Wortes „Hilfe" auf das Wohl und den Willen des Betroffenen. Auch wenn es begrifflich nicht zwingend ist9, soll der Begriff „Hilfe" im Folgenden allein für solche Verhaltensweisen verwendet werden, bei denen sich der (Sterbe-)Hilfe Leistende an dem Willen und der Autonomie des Betroffenen orientiert, was die Unterordnung des Helfers unter diesen selbstbestimmten Willen voraussetzt. Ausgeschlossen wird damit jede Lebensbeendigung, die gegen oder ohne den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen stattfindet. Weiter eingegrenzt wird der Begriff durch die Beschränkung auf „Hilfe" mit einer lebensverkürzenden Wirkung. Nicht Gegenstand von Sterbehilfe im hier verstandenen Sinn ist somit eine Sterbebegleitung, die durch Pflege, Schmerzstillung, psychisch-seelischen Beistand und medizinische Versorgung dem Sterbenden zwar hilft, ihre Bedeutung aber in der Hilfe im Sterben, nicht jedoch in der lebensver4 Ein zur Selbstbestimmung fähiger Patient wird als competent, Entscheidungsfähigkeit auch als decision making capacity bezeichnet. Zu den Konzepten und rechtlichen Folgen von competence und incompetence ausführlich Meisel, The Right to Die, § 4.2 ff., S. 113 ff. 5 Zur herrschenden Definition vgl. den Beschluss II. 1.1 des 63. Deutschen Juristentages in Leipzig, in: 63. DJT (2000), Bd. Π / 1 , S. Κ 61: „Wirksamkeitsvoraussetzung für die Einwilligung ist die sog. natürliche Einsichts-, Urteils- und Steuerungsfahigkeit des Patienten (Einwilligungsfähigkeit)." 6 Entscheidungs- und Einwilligungsfähigkeit werden insbesondere im Zivilrecht häufig nicht synonym verwendet, siehe ζ. B. Eisenbart, Patienten-Testament und Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten, S. 115 ff. Während aus zivilrechtlicher Perspektive meist auf die Einwilligungsfähigkeit Bezug genommen wird, bezieht sich ζ. B. BGHSt 40, 257 (Kemptener Fall) im ersten Leitsatz auf den (nicht mehr) „entscheidungsfähigen" Patienten. 7 In den USA ist nur selten von „aid in dying" die Rede. Eine substanzielle rechtliche Bedeutung hat der Begriff nicht. s Ausführlich zur Ausfüllung dieser Begriffe Saliger, KritV 2001, 382, 391 ff. 9

Denn „Hilfe" könnte auch so verstanden werden, dass sie an einem objektiven Interesse oder Wohl des Betroffenen ausgerichtet wird, das von dessen tatsächlichem oder mutmaßlichem Willen abgekoppelt ist, vgl. Saliger, ebd. 394. 3*

36

1. Teil: Die Selbstbestimmung Sterbe williger im einfachen Recht

kürzenden Hilfe beim bzw. zum Sterben hat. 10 Somit bezieht sich „Hilfe" auf jedes Verhalten, dass kausal zu einer Lebensbeendigung führt oder diese auf andere Weise fördert, sofern die Lebensbeendigung vom Sterbehelfer wenigstens in Kauf genommen wurde. Problematischer ist die Umgrenzung des Teilbegriffs „Sterben", da er sich sowohl zeitlich auf die einem unausweichlichen Tod unmittelbar vorausgehende Phase beziehen kann als auch weitergehend auf einen das Sterben bewirkenden Akt, mithin die Todesverursachung durch den Sterbehelfer. Stellt man allein auf die Lebensbeendigung ab, gerät der Begriff Sterbehilfe zu weit: Das Problem der Sterbehilfe wird geprägt von der Verstrickung in unheilbare Krankheit, Leid, körperliche Einschränkungen und Todesgeweihtheit und ist „auf die Phase des Sterbens bzw. den Tod als deren Endpunkt bezogen"11. Mag die Abgrenzung an den Rändern auch unscharf sein, gibt es doch einen Konsens darüber, dass nicht jede Mitwirkung an der Verwirklichung des Sterbewunsches eines Lebensmüden Sterbehilfe ist. Wer sich allein durch Liebeskummer, finanziellen Ruin oder persönliches Scheitern zur Lebensbeendigung gedrängt sieht, entspricht nicht dem typischen Bild des um Sterbehilfe bittenden Patienten. Unstreitig umfasst vom Begriff der Sterbehilfe sind jedenfalls Konstellationen, in denen die unmittelbare Sterbephase schon begonnen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird. Zu Recht werden zunehmend auch solche Fälle zum Bereich der Sterbehilfe gezählt, in denen die lebensbeendende Hilfe angesichts einer unheilbaren, tödlichen und weit fortgeschrittenen Krankheit geleistet wird, ohne dass der eigentliche Sterbeprozess schon begonnen hat, sowie Fälle des Behandlungsabbruchs12 bei entscheidungsunfähigen, oft schwer hirngeschädigten Patienten, die ihr Bewusstsein irreversibel verloren haben bzw. unter einem apallischen Syndrom 13 leiden.14

10

Hilfe beim Sterben soll nach verbreiteter Ansicht lebensverkürzende Sterbehilfe in der unmittelbaren Sterbephase, Hilfe zum Sterben eine Lebensbeendigung vor Beginn der Sterbephase bezeichnen, näher Saliger, ebd. 404 f. π Ebd. 419. 12 Der Begriff des ,3ehandlungsabbruchs" ist hier wie im Folgenden regelmäßig nicht als abrupte und vollständige Einstellung ärztlichen Handelns zu verstehen, sondern als Beendigung einer auf Lebenserhaltung bzw. -Verlängerung abzielenden Behandlung, die meistens von einer auf Schmerzbehandlung, Basispflege und weitere palliative Bemühungen gerichteten Behandlung abgelöst wird. Soweit sich aus dem jeweiligen Kontext nichts anderes ergibt, wird der Begriff „Behandlungsabbruch" im Folgenden zur besseren Lesbarkeit regelmäßig auch als Oberbegriff benutzt, der alle Fälle des Behandlungsverzichts umfasst, also auch die Nichtaufnahme einer lebenserhaltenden Behandlung. 13 Patienten mit einem apallischen Syndrom, das in den USA meistens als persistent vegetative state bezeichnet wird, haben zwar motorische Reflexe, aber offenbaren keine Anzeichen signifikanter kognitiver Funktionen. Sie sind sich weder ihrer selbst noch ihrer Umwelt bewusst. Obwohl höhere cerebrale Funktionen verloren gegangen sind, ist das Stammhirn, das die vegetativen Funktionen steuert, intakt und erhält den Patienten (vorläufig) am Leben. Näher Cranford, 18(1) Hastings Cent. Rep. 27, 28 ff. (1988); Höfling /Rixen, JZ 2004, 884;

Α. Begriffe

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Die zeitlich hinterste Grenze des Anwendungsbereichs von Sterbehilfe wird durch den Eintritt des Todes markiert. Trotz ernstzunehmender Einwände ist in Deutschland und den USA de lege lata einfachrechtlich von der Verbindlichkeit, verfassungsrechtlich von der Zulässigkeit des Hirntodkriteriums auszugehen. Auf der Basis der gewonnenen Definition sind folgende Begriffsbildungen möglich, denen jeweils der entsprechende Begriff in der amerikanischen Diskussion beigestellt ist.15 Als Passive Sterbehilfe wird das Unterlassen, Nichtfortsetzen oder Abbrechen16 einer lebenserhaltenden bzw. lebensverlängernden medizinischen Behandlung bezeichnet. Auch im landläufigen Sinn aktives Verhalten wie das Ausschalten eines Beatmungsgerätes („technischer Behandlungsabbruch") gehört hierzu, zudem wird im Folgenden die Nichtaufnahme bzw. Beendigung einer künstlichen Ernährung zu den möglichen Formen passiver Sterbehilfe gezählt. Im amerikanischen Kontext wird meist von withdrawal oder withholding of life-sustaining medical treatment bzw. of hydration and nutrition , vereinzelt auch von passive euthanasia gesprochen. Aktive Sterbehilfe 17 ist das über die Beendigung einer medizinischen Behandlung hinausgehende aktive Handeln Dritter, das gezielt, kausal und unmittelbar zu einer Lebensbeendigung führt, ζ. B. eine tödliche Injektion durch den Arzt. 18 Der amerikanische Ausdruck dafür ist (voluntary ) active euthanasia }9 Bernât, in: Intensivmedizin, S. 46 f.; vgl. ferner Cruzan v. Director, 497 U.S. 261, 265 f.; Nagel Passive Euthanasie, S. 14 ff. 14 Ζ. T. werden solche Fälle als „Sterbehilfe im weiteren Sinne" eingeordnet oder als „Abbruch einer einzelnen lebenserhaltenden Maßnahme" bezeichnet und die Einbeziehung in den Sterbehilfebegriff abgelehnt, vgl. BGHSt 40, 257, 260 (Kemptener Fall); Vogel, MDR 1995, 337; H. Schneider, in: MünchKommStGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 93. 15 Auf die Verwendung des Begriffes „Euthanasie" wird verzichtet, weil er wegen seiner Vagheit unbrauchbar und wegen der missbräuchlichen Verwendung während des Nationalsozialismus semantisch „hinreichend ruiniert,, ist, vgl. Merkel, Merkur 1992, 951. Ausführlich zur Inadäquatheit des Begriffs Euthanasie Saliger, KritV 2001, 382, 392 ff. Insbesondere in den Niederlanden und im angloamerikanischen Sprachraum ist der Begriff Euthanasie nach wie vor gebräuchlich, wird aber sehr uneinheitlich verwendet. Sofern im Rahmen dieser Arbeit bei der Widergabe fremder Äußerungen von Euthanasie oder euthanasia die Rede ist, wird nötigenfalls die jeweilige Bedeutung erläutert. 16 Nicht gemeint ist damit wie dargelegt die Einstellung jeglicher medizinischer Behandlung, etwa von palliativen Maßnahmen. Teilweise wird deshalb statt von Behandlungsabbruch bzw. Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen euphemistisch von einer „Änderung des Therapiezieles" gesprochen, ζ. B. in den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, NJW 1998, 3406 f. 17

Streng genommen müsste bei dieser Fallgruppe von direkter aktiver Sterbehilfe, bei der folgenden von indirekter aktiver Sterbehilfe gesprochen werden. Wegen des verbreiteten Sprachgebrauchs wird aus Gründen der Verständlichkeit im Folgenden die jeweilige Kurzform verwendet. Die Verwendung des Begriffs „aktive Sterbehilfe" wird verschiedentlich wegen seiner vermeintlich verharmlosenden Semantik abgelehnt. Da „aktive Sterbehilfe" richtigerweise

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1. Teil: Die Selbstbestimmung Sterbewilliger im einfachen Recht

Von indirekter Sterbehilfe wird gesprochen, wenn die Lebensverkürzung als zwar nicht beabsichtigte, aber mögliche oder als unvermeidbar in Kauf genommene Folge bei der Behandlung von Schmerzen eintritt. In der amerikanischen Diskussion werden verschiedene Umschreibungen benutzt, ζ. B. aggressive palliative care oder risky pain relief Unter terminal sedation firmiert die Praxis, einen Patienten zur Schmerzstillung unter Inkaufnahme lebensverkürzender Wirkung bis zur Bewusstlosigkeit zu sedieren, u. U. verbunden mit der (lebensbeendenden) Einstellung oder Nichtaufnahme künstlicher Ernährung. 20 Beihilfe zur Selbsttötung ist die nicht tatherrschaftliche Beteiligung an einer Selbsttötung, insbesondere durch die Eröffnung einer Möglichkeit zur Selbsttötung, die hinsichtlich des unmittelbar tödlichen Vollzugsakts von dem Sterbewilligen selbst verwirklicht wird. In den USA wird diese Fallgruppe als assisted suicide bezeichnet und unter dem Blickwinkel der Bereitstellung oder Verschreibung letal wirkender Medikamente durch einen Arzt als physician-assisted suicide diskutiert. 21 Der in den USA häufig verwendete Begriff des right to die bezeichnet eine (verfassungsrechtliche, politische oder moralische Kategorie, die sehr unterschiedlich und meist schlagwortartig gebraucht wird. Die verschiedenen Verwendungs- und Bedeutungsarten des right to die werden im dritten Teil bei der Behandlung des amerikanischen Verfassungsrechts erörtert.

B. Sterbehilfe im einfachen Recht der USA Anders als in Deutschland gibt es in den USA eine Vielzahl von gesetzlichen Bestimmungen im Bereich der Sterbehilfe. Die Regelungen sind wegen der größtenteils auf Ebene der Gliedstaaten angesiedelten Gesetzgebungskompetenz sehr vielfältig und wegen des umfangreichen, einzelfallorientierten und nicht immer eindeutigen Fallrechts bisweilen unübersichtlich und komplex. Gleichwohl lassen sich für die gesamte USA gültige Leitlinien aufzeigen.

allein die freiverantwortlich vom Sterbewilligen gewollte Lebensbeendigung durch einen Dritten meint, halte ich an der überkommenden Begrifflichkeit fest. 19 Veraltet und wegen der nicht hinreichend deutlich werdenden Bedeutung des Patientenwillens missverständlich wird teilweise auch von mercy killing gesprochen. 20 Dazu Rousseau, 156 Archives of Internal Medicine 1785 f. (1996); Loewy, in: „ E u t h a nasie" und die aktuelle Sterbehilfe-Debatte, S. 313, 328 f. 21 Die American Medical Association (AMA) definiert ärztlich assistierte Selbsttötung wie folgt: „(A)ssisted suicide occurs when a physician facilitates a patient's death by providing the necessary means and/or information to enable the patient to perform the life-ending act (e.g., the physician provides sleeping pills and information about the lethal dose, while aware that the patient may commit suicide)", 267 JAMA 2229 (1992).

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I. Beihilfe zur Selbsttötung Die Forderung nach der Zulassung ärztlicher Beihilfe zur Selbsttötung (physician-assisted suicide) dominiert seit mehr als zehn Jahren die juristische und politische Diskussion über Sterbehilfe in den USA. In praktisch allen Gliedstaaten ist die Beihilfe zur Selbsttötung strafbar. In der Mehrzahl der Gliedstaaten ist die Strafbarkeit ausdrücklich gesetzlich geregelt. Meistens erfüllt die Beteiligung an einer Selbsttötung als Beihilfe (assisting oder aiding) bzw. Anstiftung (promoting oder soliciting) besondere, im Strafmaß im Vergleich zu anderen Tötungsdelikten herabgesetzte Straftatbestände. In einigen Gliedstaaten ist das Verbot der Selbsttötungsbeihilfe Teil des common law, ζ. T. ist die Rechtsquelle des Verbots nicht endgültig geklärt. Wegen der teilweise unklaren Rechtslage wurden in einer Reihe von Gliedstaaten in den letzten Jahren zudem Gesetze verabschiedet, die ausdrücklich (ärztliche) Selbsttötungsbeihilfe kriminalisieren. 22 Lediglich im Bundesstaat Oregon trat 1997 nach langen gesellschaftlichen und rechtlichen Auseinandersetzungen mit dem „Death with Dignity"-Gesetz eine Regelung in Kraft, die es unheilbar kranken Patienten erlaubt, sich von einem Arzt letal wirkende Medikamente verschreiben zu lassen.23 Das Gesetz sieht sowohl materielle als auch verfahrensrechtliche Voraussetzungen vor, die bei einer ärztlich assistierten Selbsttötung erfüllt sein müssen.24 Die 22 Meisel, The Right to Die, § 18.17, S. 478; Brunner, Die vorsätzliche Tötung, S. 74. Mittlerweile ist assisted suicide in mehr als zwei Drittel der Gliedstaaten ausdrücklich verboten. Einige Gliedstaaten haben in den letzten Jahren außerdem zivilrechtliche „anti-suicide"Gesetze verabschiedet, ζ. B. Maryland und North-Dakota, vgl. Meisel, ebd. § 18.26 (Supp. 2000). η Ausführlich Curran, 86 Georgetown L. J. 725 ff. (1998); Keown, Euthanasia, Ethics and Public Policy, S. 167 ff. Versuche, im Wege des Referendums physician-assisted suicide bzw. aid in dying unter Einschluss aktiver Sterbehilfe zu legalisieren, waren vorher in verschiedenen Gliedstaaten gescheitert, so 1991 in Washington die „Initiative 119" (46:54 Prozent) und 1992 in Kalifornien (46:54 Prozent), vgl. Grant /Forsythe, in: Euthanasia: The Good of the Patient, the Good of Society, S. 151 ff.; Filene, In the Arms of Others, S. 196 f. Insgesamt wurde seit Mitte der achtziger Jahre in mehr als 20 Gliedstaaten durch Volksentscheid oder durch Gesetzgebungsorgane über Gesetzentwürfe zur Regelung der Sterbehilfe abgestimmt, die mit Ausnahme Oregons allesamt scheiterten, ein Volksentscheid zuletzt 2000 in Maine (49:51 Prozent). 24 Das Gesetz bestimmt: „An adult who is capable, is a resident of Oregon, and has been determined by the attending physician and consulting physician to be suffering from a terminal disease, and who has voluntarily expressed his or her wish to die, may make a written request for medication for the purpose of ending his or her life in a humane and dignified manner in accordance to this act." Death with Dignity Act, Or. Rev. Stat. ch. 127.805, § 2.01 (1995). Siehe auch Loewy, in: „Euthanasie" und die aktuelle Sterbehilfe-Debatte, S. 313, 325 f. „Terminal disease" wird im Gesetz definiert als „an incurable and irreversible disesase that has been medically confirmed and will, within reasonable medical judgment, produce death within six (6) months." Ch. 127.800, § 1.01 (12). Der Staat Oregon verfolgt mit dem Gesetz nach eigenen Aussagen folgende Ziele, vgl. Lee v. Oregon, 891 F. Supp. 1429, 1434

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1. Teil: Die Selbstbestimmung Sterbe williger im einfachen Recht

Patienten müssen das Medikament selbst und ohne Hilfe von Dritten einnehmen. Zwei Ärzte müssen vor der Verschreibung übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen sein, dass der Patient entscheidungsfähig ist und eine Lebenserwartung von weniger als sechs Monaten hat. Die verfahrensrechtlichen Anforderungen des Gesetzes werden überwiegend als streng angesehen.25 Physician-assisted suicide wird nicht zuletzt wegen des auf wenige Anwendungsfälle beschränkten und strengen Verfahrens in Oregon nur selten in Anspruch genommen. Im ersten Jahr nach Inkrafttreten nahmen 24 Patienten das Recht auf Verschreibung einer lebensbeendenden Medikamentendosis in Anspruch, 16 von ihnen nahmen die Medikamente tatsächlich ein und starben. Bis zum Jahr 2003 stieg die Zahl der Verschreibungen auf 67 an (1999: 33; 2000: 39, 2001: 44, 2002: 58), wobei 2003 in 42 Fällen der Tod aufgrund der Einnahme des tödlichen Mittels eintrat. 26 Dies entspricht einem Anteil von unter 0,2 Prozent an den jährlichen Todesfällen in Oregon.27 Zu erkennbarem Missbrauch ist es in den ersten fünf Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht gekommen. Das in allen anderen Gliedstaaten bestehende strafrechtliche Verbot von assisted suicide bedeutet freilich nicht, dass auf bekannt gewordene Fälle auch immer entsprechende Anklagen und Verurteilungen folgen. Meist kommt es nur zu symbolischen Strafen oder Freisprüchen durch Geschworenengerichte, die sich trotz eindeutiger Gesetzeslage nicht zu einem Schuldspruch durchringen können. Nicht selten bescheinigen sie Sterbehelfern die „vorriibergehende Unzurechnungsfähigkeit" während der Tat oder nehmen Kausalitätsfragen zum Anlass für einen Freispruch aus Mangel an Beweisen.28

(D, Or. 1995): „(1) avoiding unnecessary pain and suffering; (2) preserving and enhancing the right of competent adults to make their own critical health care decisions; (3) avoiding tragic cases of attempted or successful suicides in a less humane and dignified manner; (4) protecting the terminally ill and their loved ones from financial hardships they wish to avoid; and (5) protecting the terminally ill and their loved ones from unwanted intrusions into their personal affairs by law enforcement officers and others." 25 Als zu streng wird teilweise die Warteperiode von 15 Tagen angesehen, vgl. Miller/ Brody/Quill, 24 J. of Law, Medicine & Ethics 225, 226 (1996). Es gibt aber auch Kritik an der Konstruktion des Gesetzes, derzufolge die vorgesehenen safeguards keinen ausreichenden Schutz vor Missbrauch bieten würden, siehe ζ. B. Capron, 5 Cambridge Quarterly of Healthcare Ethics 10, 14 ff. (1996). 26 Die Diskrepanz zwischen Verschreibung und Einnahme lässt sich beispielhaft an den Daten des Jahres 2001 erklären. Obwohl 44 Patienten eine Verschreibung erhielten, nahmen nur 19 das tödlich wirkende Medikament ein. Von den übrigen 25 Patienten starben 14 an ihrer Krankheit, elf waren am Ende des Berichtsjahres noch am Leben, und es stand noch nicht fest, ob sie ihr Leben mit Hilfe der tödlichen Medikamentendosis beenden würden. Näher Hedberg/Hopkins/Southwick, 346 N. Engl. J. Med., 450 ff. (2002) und die dortigen Nachweise zu den vorangegangenen Jahresberichten. 27 Ausführliche Informationen zur Praxis ärztlicher Suizidbeihilfe in Oregon sind im Internet verfügbar unter www.dhs.state.or.us.publichealth / chs / pas / pas.cfm. 2 « Pugliese , 44 Hastings L.J. 1291, 1298 (1993).

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Π. Aktive Sterbehilfe Voluntary active euthanasia ist in den USA ausnahmslos verboten. Allerdings ist die Verurteilungspraxis ebenfalls sehr diffus und wenig voraussagbar. Aktive Sterbehilfe fallt zwar unter die normalen Tötungsdelikte und wird folglich mit hohen Strafen bedroht. Trotzdem oder deswegen ist die Rechtsanwendung flexibler als die Rechtslage vermuten ließe. Ähnlich wie bei der Beihilfe zur Selbsttötung werden Angeklagte in den wenigen bekannten Fällen strafrechtlicher Verfolgung häufig freigesprochen oder nur milde bestraft. 29 Sehr starke Beachtung in den USA fanden die Prozesse gegen den Arzt Dr. Jack Kevorkian, der von 1990 bis 1998 in über 130 Fällen Beihilfe zur Selbsttötung und in einigen Fällen auch aktive Sterbehilfe geleistet hatte. Nachdem mehrere von ihm bewusst provozierte Anklagen wegen Beihilfe zur Selbsttötung erfolglos geblieben waren, wurde Dr. Kevorkian nach einem Fall von aktiver Sterbehilfe 1999 wegen Mordes (second degree murder) zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. 30 Abseits der spektakulären Geschehnisse um Dr. Kevorkian steht aktive Sterbehilfe angesichts der Konzentration der öffentlichen und rechtswissenschaftlichen Debatte auf physician-assisted suicide deutlich weniger im Rampenlicht als in Deutschland.31 Bei der Abgrenzung von Beihilfe zur Selbsttötung und aktiver Sterbehilfe wird darauf abgestellt, wer die letzte (Tötungs-)Handlung vornimmt. 32 In bioethischen33 und juristischen34 Stellungnahmen wird nicht selten die Abgrenzbarkeit aktiver Sterbehilfe von indirekter oder passiver Sterbehilfe bezweifelt. Die Erfahrungen mit der Freigabe aktiver Sterbehilfe in den Niederlanden werden intensiv erörtert 35, meistens aber nur, um daraus Argumente für oder gegen die Zulassung von physician-assisted suicide zu gewinnen.

29 Ausführlich zu Ausmaß und Gründen dieser Dichotomie Nußbaum, The Right to Die, S. 102 ff.; ferner Roger Dworkin, Limits, S. 113 f. 30 Behuniak/Svenson, Physician-Assisted Suicide, S. 17 f. 31 Zu einer erheblichen öffentlichen Resonanz führte z. B. die Veröffentlichung des anonymen Berichts „It's over Debbie" über einen Fall aktiver Sterbehilfe in 272 JAMA 259 (1988). 32 People v. Cleaves, 280 Cal.Rptr. 146 (Ct.App. 1991); Edinburgh v. State, 896 P.2d 1176 (Okla. Crim. App. 1995). 33 Ζ. B. Brock, in: Life Choices, S. 258 ff.

3* Ζ. Β. Richter Stevens in Vacco v. Quill, 521 U.S. 793, 2310 (1997) (Stevens, conc.); Note, 105 Harv. L. Rev. 2021, 2028 ff. (1992). 35 Vgl. Hendin, Seduced by Death: Doctors, Patients and the Dutch Cure, sowie die Kritik an Hendin bei R. Dworkin, New York Review of Books, 25. 9. 1997, S. 40. Ausführlich Griffiths/Bood/ Weyers, Euthanasia and the Law in the Netherlands.

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1. Teil: Die Selbstbestimmung Sterbe williger im einfachen Recht

ΙΠ. Indirekte Sterbehilfe Zur indirekten Sterbehilfe gibt es in den USA nur sehr wenig Kasuistik. Sie wird allgemein für im Grundsatz zulässig gehalten. 36 Ähnlich wie im deutschen Recht ist die juristische Begründung der Zulässigkeit aber unklar und beschränkt sich oft auf einem Verweis auf die umstrittene doctrine of double effect. 37 I m Zuge der Diskussion über assisted suicide ist auch die Bedeutung indirekter Sterbehilfe stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit getreten und wurde auch vom Supreme Court ausführlich erörtert. 38 In der Folgezeit verabschiedeten immer mehr Gliedstaaten Gesetze, die indirekte Sterbehilfe regeln und ihre Zulässigkeit klarstellen. 39 Medizinische Richtlinien wurden auf eine bessere Schmerzversorgung ausgerichtet und Sanktionsmöglichkeiten bei Nichterfüllung bestimmter Standards geschaffen. 40 2000 wurde erstmals ein Arzt wegen unzureichender Schmerzversorgung seines Patienten in einem Disziplinarverfahren gemaßregelt. 41 Ganz sicher auf die Zulässigkeit indirekter Sterbehilfe vertrauen kann ein Arzt jedoch nicht, wie die Verurteilung eines Arztes in Kansas 1998 zeigt, die erst von einem Berufungsgericht aufgehoben wurde. 4 2

36 Näher Cantor /Thomas, 48 Buffalo L. Rev. 83, 110 ff. (2000). Auch die American Medical Association hält eine Schmerzbekämpfung in jenen Fällen für erlaubt, in denen der beschleunigte Tod des Patienten die unbeabsichtigte Folge der Schmerzmittelgabe ist. 37

Nach der auf Thomas v. Aquin zurückgehenden „Theorie des Doppeleffekts" soll eine Handlung, die einen legitimen Zweck verfolgt, nicht schon dadurch illegitim werden, weil ein weiterer, unbeabsichtigter Erfolg eintritt. Bei der indirekten Sterbehilfe ist per definitionem die Schmerzstillung die gute und angestrebte Hauptfolge, die in Kauf genommene lebensverkürzende Wirkung die unbeabsichtigte Nebenfolge. Ausführlich und mit Darstellung der Kritik an der Theorie Brody, in: Law at the End of Life, S. 105 ff.; siehe auch Holderegger, in: Das medizinisch assistierte Sterben, S. 123,133 f. 38 Dazu s. u. S. 142. 39 Vgl. z. B. Okla. Stats. § 3141.4; Rev. Code Wash. § 70.122.010. In den letzten Jahren wurde die Zulässigkeit indirekter Sterbehilfe etwa in Nebraska, New Mexico, Arkansas, Maryland ausdrücklich gesetzlich geregelt. Ausführlich Meisel, The Right to Die, § 9.38, S. 204 (Supp. 1998); Table 9 - 1 A (Supp. 2000); Cantor /Thomas, 6 Kennedy Institute of Ethics J. 102 ff. (1996). 40 Ζ. Β. durch die 2001 in Kraft getretenen Richtlinien der Joint Commission on Accreditation of Healthcare Organizations. 41 Vgl. Meisel, The Right to Die, § 1A.10, S. 98 f. (Supp. 2001). 42 Zuletzt State v. Naramore, 965 P.2d 211 (Kan. Ct. App. 1998). Hier wurde die Verurteilung eines Arztes wegen versuchten Mordes aufgehoben, der einer Krebspatientin starke Schmerzmittel injiziert hatte und diese einige Tage später aufgrund ihres Krebsleidens verstarb. Der Freispruch erfolgte letztlich aufgrund mangelnder Beweise und nachdem der Arzt einige Zeit in Haft gewesen war, vgl. Meisel, Right to Die, § 1A.8, S. 83 ff. (Supp. 2000).

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IV. Passive Sterbehilfe Ein Recht auf Ablehnung lebenserhaltender medizinischer Behandlung ist in der amerikanischen Rechtstradition keineswegs selbstverständlich. Es entwickelte sich parallel zur Entwicklung effektiver technisch-medizinischer Möglichkeiten der Lebenserhaltung und -Verlängerung. Zunächst bürgerte sich die Unterscheidung von gewöhnlichen (ordinary) und außergewöhnlichen (extraordinary) medizinischen Maßnahmen als Abgrenzungskriterium ein. 43 Nur außergewöhnliche Maßnahmen sollten abgelehnt werden können. Die Zuordnungsschwierigkeiten waren aber groß, weshalb die Unterscheidung bis Mitte der achtziger Jahre von den Gerichten aufgegeben wurde. Auch andere Unterscheidungen („aktive" Beendigung einer Behandlung, ζ. B. durch Abschalten eines Beatmungsgeräts, versus „passives" Sterbenlassen, Einstellung künstlicher Ernährung versus Abbruch anderer medizinischer Behandlungen) wurden allmählich zugunsten eines allgemeinen Rechts auf Behandlungsverzicht eingeebnet.44 Die Rechtsentwicklung verlief mittels einer vielfältigen und kaum überschaubaren Anzahl von Gerichtsverfahren, in denen die Gerichte über Entscheidungskriterien und -kompetenzen bei der Einleitung und Einstellung lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen zu entscheiden hatten. Die Gerichte neigen dazu, ihre Entscheidungen auf die Besonderheiten des einzelnen Falles abzustellen und möglichst wenig über den Einzelfall hinausreichende allgemeine Grundsätze zu formulieren. Vielfach werden keine klaren Voraussetzungen für die Zulässigkeit passiver Sterbehilfe benannt, sondern lediglich gesagt, dass jedenfalls dann, wenn die Dinge so liegen wie im zu entscheidenden Fall, passive Sterbehilfe erlaubt sei oder eben nicht erlaubt sei. Im Mittelpunkt der Rechtsprechung standen und stehen Fälle entscheidungsunfähiger Patienten.45 Weniger als das Ob der Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs bereitet das Wie der Entscheidungsfindung und der dabei anzulegende Entscheidungsmaßstab den Gerichten Kopfzerbrechen. Mangels klarer gesetzlicher Regelungen wurden als Rechtsquellen lange Zeit das common law sowie die Bundesverfassung bzw. die Verfassung des jeweiligen Gliedstaates herangezogen. Erst in einer nachholenden Entwicklung haben die Gliedstaaten begonnen, die sich aus 43 Superintendent of Belchertown v. Saikewicz, 370 N.E.2d 417, 424 (Mass. 1977); Matter of Quinlan, A.2d 647, 668 (N.J. 1976). 44 Eine strafrechtliche Verfolgung wegen passiver Sterbehilfe kommt praktisch nicht vor. Der einzige bekannte relevante Fall ist Barber v. Superior Court, 195 Cal. Rptr. 484 (Ct. App. 1983), wo die angeklagten Ärzte letztlich freigesprochen wurden. Zur theoretischen Anwendbarkeit des amerikanischen Strafrechts auf passive Sterbehilfe Roger Dworkin, Limits, S. 112 f. Nach Meisel, 24 Fordham Urban L.J. 817, 821 ff., 856 (1997), sei die Straflosigkeit passiver Sterbehilfe zwar i. E. zu begrüßen, könne aber mit den Regeln des common law nicht stichhaltig begründet werden. 45 Über achtzig Prozent der vor Gericht entschiedenen Fälle betrifft entscheidungsunfähige Personen, vgl. Hoefler, Deathright, S. 172 (bezogen auf den Zeitraum 1976-1992).

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1. Teil: Die Selbstbestimmung Sterbe williger im einfachen Recht

der Rechtsprechung herausschälenden Grundsätze und Fallgruppen in speziellen Gesetzen zu kodifizieren. Trotz eines weitgehenden Konsenses über die wesentlichen Rechtsgrundsätze bei der Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen ist in einigen Gliedstaaten die Rechtslage noch nicht abschließend geklärt.46

1. Passive Sterbehilfe bei entscheidungsfahigen Personen Das Recht eines entscheidungsfähigen Patienten auf die Ablehnung lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen ist heute weitgehend unumstritten 4 7 Maßstab für die Entscheidungsfähigkeit des Patienten ist nicht seine Geschäfts-, sondern seine Einsichtsfähigkeit, die von den Gerichten auf die spezifische Entscheidungssituation bezogen wird: „A competent patient is one who has a clear understanding of the nature of his illness and prognosis and of therisksand benefits of proposed treatment, and has the capacity to reason and make judgements about that information."48 In Satz v. Perlmutter 49 beantragte ein unter unheilbarer amyotropher Lateralsklerose50 leidender 73-jähriger Patient mit noch ca. zwei Jahren Lebenserwartung die Genehmigung, das ihn am Leben erhaltende Beatmungsgerät abschalten zu dürfen. Der Supreme Court Floridas sprach dem Kläger dieses Recht zu: Jedenfalls dann, wenn ein tödlich erkrankter, entscheidungsfähiger Erwachsener ohne Pflichten zur Versorgung minderjähriger Abhängiger eine außergewöhnliche medizinische Maßnahme ablehne und seine Angehörigen zustimmten, dürfe die lebenserhaltende Behandlung abgebrochen werden. In Bouvia v. Superior Court 51 wurde das Recht auf die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen (in diesem Fall der 46

Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist ein Fall in Virginia, wo staatliche Stellen mit Unterstützung des Gouverneurs die gerichtlich genehmigte Einstellung künstlicher Ernährung bei einem in einem irreversiblen Koma befindlichen Patienten (erfolglos) zu verhindern suchten, vgl. Gilmore v. Annaburg Manor Nursing Home, Chancery No. 44386 (Va. Oct. 2 1998), Gilmore v. Finn, 259 Va. 448; 527 S.E.2d 426 (Va. 2000), näher Meisel, Right to Die, § 1A.7, S. 71 f. (Supp. 2001). 47

Vgl. allerdings Fälle wie Battling v. Superior Court, 209 Cal. Rptr. 220 (Ct. App. 1984), wo einem entscheidungsfähigen Patienten erst nach sechsmonatiger Zwangsbehandlung auf der Intensivstation das Recht auf Behandlungsabbruch zugesprochen wurde - einen Tag nach seinem Tod. 4 8 Matter of Farell, 529 A.2d 404, 413 (N.J. 1987). Zu Grenzfällen noch bzw. nicht mehr bestehender Einsichtsfähigkeit siehe Lane v. Candura, 376 N.E.2d 1232 (Mass. App. Ct. 1978), Department of Human Services v. Northern, 563 S.W.2d 197 (Tenn. Ct. App. 1978). 4 9 Satz v. Perlmutter, 379 So.2d 359 (Fla. 1980). 50 Es handelt sich um eine meistens zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr auftretende, unheilbare neurologische Krankheit, die zu fortschreitenden Lähmungserscheinungen führt. Auch in Matter of Farrell, 529, A2d 404 (N.J. 1987) erstritt sich eine an amyotropher Lateralsklerose erkrankte 37-jährige Mutter von zwei mindeijährigen Kindern das Recht, das Beatmungsgerät abstellen zu dürfen. 51 Bouvia v. Superior Court, 225 Cal. Rptr. 297 (Ct. App. 1986).

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künstlichen Ernährung) auf nicht tödlich erkrankte Patienten ausgeweitet.52 Auch in State v. McAfee 53 wurde einem entscheidungsfähigen Kläger, der nach einem Motorradunfall von künstlicher Beatmung abhängiger Quadriplegiker 54 war, das Recht zum Abschalten des lebenswichtigen Beatmungsgeräts zugestanden, obwohl er weder tödlich erkrankt war noch der Tod unmittelbar bevorstand. Der Fall weist zwei weitere Besonderheiten auf: Die Apparaturen wurden so gestaltet, dass der Kläger selbst das Beatmungsgerät ausschalten konnte, es handelte sich somit nicht um einen typischen Fall passiver Sterbehilfe; außerdem wurde dem Kläger das Recht auf die Gabe von Schmerzmitteln zugestanden, damit die durch das Abschalten des Beatmungsgerätes verursachten Schmerzen gelindert werden konnten. In einigen Fällen, die meist vor dem Beginn der intensiven Sterbehilfedebatten ab Mitte der siebziger Jahre entschieden wurden, haben Gerichte mit Blick auf die minderjährigen Kinder eines Patienten dessen Recht auf Ablehnung einer lebenswichtigen Behandlung verneint. Dabei handelte es sich aber nicht um typische Sterbehilfefalle, sondern um die Verweigerung von Bluttransfusionen aus religiösen Gründen.55

2. Passive Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Personen Die große Welle der gerichtlichen Beschäftigung mit der passiven Sterbehilfe wurde von den Bemühungen Angehöriger geprägt, die Einstellung von lebenserhaltenden Maßnahmen im Namen eines nicht mehr entscheidungsfähigen Familienmitglieds zu erreichen. In weit mehr als 100 Fällen haben Gerichte das Recht auf passive Sterbehilfe auch Entscheidungsunfähigen zugestanden und dieses Recht im Laufe der Zeit sehr weit ausgedehnt. Im Grundsatz lässt sich der gesamten neueren Judikatur zur passiven Sterbehilfe entnehmen, dass es ausschließlich der Betroffene selbst ist, dem die Entscheidung 52 Die von Geburt an Cerebralparese leidende 28-jährige Elisabeth Bouvia hatte noch eine Lebenserwartung von mindestens 15 bis 20 Jahren. Überdies war die Klägerin anders als der Patient in Satz v. Perlmutter so stark gelähmt, dass sie bei der von ihr gewünschten Einstellung der künstlichen Ernährung auf ärztliche Hilfe angewiesen war. 53 State v. McAfee, 385 S.E.2d 651 (Ga. 1989). Ein ähnlicher Fall ist McKay ν. Bergstedt, 801 P.2d 617 (Nev. 1990). 54 Quadriplegiker sind brustabwärts gelähmt. 55 Raleigh Fitkin - Paul Morgan Memorial Hospital v. Anderson, 201 A.2d 537 (N.J. 1964); Matter of the President and Directors of Georgetown College, Inc., 331 F.2d 1000 (D.C. Cir.), cert, denied, 377 U.S. 978 (1964). In einigen Staaten verbieten zudem sogenannte pregnancy clauses zumindest bei weit fortgeschrittenen Schwangerschaften einen Behandlungsabbruch auf Verlangen der Schwangeren, vgl. Hoefler, Deathright, S. 202 ff. Nachweise zur Rechtsprechung bei 77 C.J.S. Right to Die § 2, 549. Pregnancy clauses beziehen sich häufig auf die NichtVerbindlichkeit einer Patientenverfügung oder definieren Grenzen der stellvertretenden Einwilligung in einen Behandlungsabbruch, vgl. Meisel, The Right to Die, § 11.11., S. 101 f.; § 12.27, S. 177 f.

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1. Teil: Die Selbstbestimmung Sterbe williger im einfachen Recht

über Beginn, Fortführung und Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme zusteht. Für die Fälle, in denen die Entscheidung aufgrund von Bewusstlosigkeit, Behinderung oder Alter nicht unmittelbar selbst getroffen werden kann, haben Gesetzgeber und Gerichte Verfahren und Kriterien entwickelt, die einerseits der Autonomie des Patienten Rechnung tragen, andererseits die eventuell entgegenstehenden staatlichen Interessen berücksichtigen sollen. Es begann mit dem 1976 vom Supreme Court des Staates New Jersey entschiedenen Fall Matter of Quinlan. 56 Ein Jahr nachdem die 21-jährige Karen Quinlan in ein irreversibles Koma gefallen war, beantragte ihr Vater gerichtlich die Einsetzung als ihr Pfleger und die Genehmigung, die Beendigung der künstlichen Beatmung verfügen zu dürfen. Das Gericht sprach Karen Quinlan ein Recht auf Ablehnung medizinischer Behandlung zu. 57 Da ihr mutmaßlicher Wille nicht erkennbar sei, müsse ihr Vater als Pfleger zusammen mit den Familienangehörigen darüber befinden, wie Karen Quinlan entschieden haben würde. 58 Der zweite leading case betraf 1977 einen im Unterschied zu Karen Quinlan zu keinem Zeitpunkt seines Lebens entscheidungsfähigen Patienten.59 Der 67-jährige Joseph Saikewicz war von Geburt an stark geistig behindert. Als er schwer erkrankte, wurde auf die Durchführung einer Chemotherapie wegen der geringen Erfolgschancen und der mit der Therapie verbundenen Belastungen und Schmerzen verzichtet. Das Gericht wog die zu erwartenden Schmerzen und Leiden mit den (geringen) Erfolgschancen der Therapie ab und überlegte, welche Entscheidung der Betroffene getroffen haben würde, wenn er entscheidungsfahig gewesen wäre und bei seiner Entscheidung die tatsächlichen Gegebenheiten, also insbesondere seine geistige Behinderung, bei der Entscheidung für oder gegen eine Operation zu berücksichtigen in der Lage gewesen wäre. Es kam zu dem Ergebnis, dass die Therapie nicht im Interesse von Saikewicz gelegen habe und die Behandlung deshalb unterbleiben durfte. 60 Passive Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Patienten ist in sehr verschiedenen Konstellationen für zulässig erachtet worden: bei Patienten im persistent vegetative state 51, bei Patienten ohne tödliche Erkrankung und mit hoher Lebenserwar56 Matter of Quinlan, 355 A.2d 647 (N.J. 1976). 57

Die Herleitung dieses Rechts in Matter of Quinlan und weitere Einzelheiten kommen erst im verfassungsrechtlichen Teil zur Sprache, s. u. S. 101. 58 Sogenannter substituted judgment test , dazu sogleich. Des Weiteren sollte vor einer Entscheidung die Ethikkommission des Krankenhauses hinzugezogen werden zur Feststellung, dass der Bewusstseinsverlust von Karen Quinlan aller Voraussicht nach irreversibel ist. 59 Superintendent of Belchertown State School v. Saikewicz, 370 N.E.2d 417, 431 (Mass. 1977). Während Quinlan überwiegend positiv aufgenommen wurde, fand Saikewicz ein eher negatives Echo. Dass die Grundprinzipien beider Entscheidungen nahezu identisch sind zeigt Annas, 4 Am. J. L. & Med. 367 ff. (1979). 60 Joseph Saikewicz war schon während des Verfahrens an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. 61 Zur Definition s. o. S. 36 Fn. 13.

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tung, bei Patienten ohne gegenwärtige Schmerzen oder Leidenszustände, bei Minderjährigen und auch bei zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens entscheidungsfähigen behinderten Patienten.62 Mindestens zwei Gemeinsamkeiten lassen sich bei allen Unterschieden in der Rechtsprechung erkennen: (1) Die entscheidungsunfähigen Patienten waren in fast allen Fällen von einer schweren körperlichen Krankheit oder Behinderung betroffen, die als Perspektive nur noch ein von Leid geprägtes Leben oder ein Leben ohne jede bewusste Wahrnehmung bereithielt; (2) Ohne die Zustimmung der Angehörigen kommt es so gut wie nie zu passiver Sterbehilfe, da Ärzte und Gerichte kaum je gegen den ausdrücklichen Willen der Angehörigen einem Behandlungsabbruch zustimmen. Die Gerichte beanspruchen keine originäre Entscheidungszuständigkeit in Fragen der passiven Sterbehilfe, sondern üben lediglich ein Wächteramt aus.63 Ihrer Auffassung nach ist die Entscheidungskompetenz über passive Sterbehilfe prinzipiell Familienangehörigen bzw. Betreuern und Ärzten gemeinsam zugewiesen.64 Die Gerichte werden deshalb nur tätig auf Wunsch von oder bei Konflikten zwischen den beteiligten Personen und Institutionen, also zwischen Angehörigen, Ärzten, Pflegepersonal und den an den Krankenhäusern eingerichteten Ethikkommissionen.65 Es wird dann häufig ein Prozess- bzw. Verfahrenspfleger (guardian ad litem) ernannt, der die Patienteninteressen vor Gericht vertreten soll.66 Die Verhandlung wird als kontradiktorisches adversary hearing gestaltet, um zu gewährleisten, dass akkurate Tatsachenfeststellungen getroffen werden und alle Interessen zu Wort kommen können.

62 Ausführlich Meisel, The Right to Die, § 7.9 ff., S. 383 ff., § 9.1 ff., S. 535 ff., P. Herzog, in: Zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie, S. 963 ff. Kritisch zum Fehlen klarer Abgrenzungen und Entscheidungskriterien in der Rechtsprechung Annas, 34 Duquesne L. Rev. 875 ff. (1996). 63 So schon die Position in Matter of Quinlan, 355 A.2d 647, 669 (N.J. 1976). Die gegenteilige Auffassung in Saikewicz, wonach die Gerichte in allen drei wichtigen Phasen der Entscheidung über passive Sterbehilfe beteiligt werden sollen - Feststellung der fehlenden Entscheidungsfähigkeit, Bestellung eines Betreuers oder Stellvertreters (surrogate), Überprüfung der getroffenen Entscheidung - , hat sich nicht durchgesetzt, vgl. Meisel, The Right to Die, § 5.25, S. 218. Zu den Fallgruppen gerichtlichen Tätigwerdens bei Entscheidungen über passive Sterbehilfe ebd. S. 222 ff. 64 Hoefler, Deathright, S. 177 f. 65 Meisel, The Right to Die, § 5.25, S. 218; Brunner, Die vorsätzliche Tötung, S. 104 f. Häufig sind es Pflegeinrichtungen, die sich aus Angst vor Schadensersatzklagen vor dem Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen gerichtlich absichern wollen und ein Gericht anrufen. Besonderes Aufsehen hat der Fall der künstlich ernährten Theresa Schiavo erregt, der wegen der Uneinigkeit zwischen Ehemann und Eltern der entscheidungsunfähigen Patientin über die Fortsetzung der künstlichen Ernährung von den Gerichten entschieden werden musste, ausführlich s. u. S. 302. 66 77 C.J.S. Right to Die § 5, 553.

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a) Entscheidungsmaßstäbe

Wie weit die gerichtliche Praxis der Genehmigung eines Behandlungsabbruchs in vielen Gliedstaaten geht, zeigt sich besonders deutlich an den Maßstäben für die Feststellung, ob eine mutmaßlicher Wille des entscheidungsunfähigen Patienten für die Nichtaufnahme oder den Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme anzunehmen ist bzw. ob ein solcher Wille überhaupt notwendig ist. Es haben sich mit dem subjective test, dem substituted judgment test und dem objective test 67 drei mitunter auch kombinierte und weiter ausdifferenzierte Standards für eine dem Patienten gerecht werdende Entscheidung herauskristallisiert. Sie sind entweder gesetzlich geregelt oder durch Fallrecht etabliert worden. Nach dem strengen subjective test darf zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens nur auf Aussagen und Präferenzen zurückgegriffen werden, die der Betroffene vor dem Verlust der Entscheidungsfähigkeit ausdrücklich geäußert hat. Die Anforderungen an das Vorliegen des verlangten klaren und überzeugenden Beweises ( clear and convincing evidence) variieren allerdings: Teilweise werden schriftliche Patientenverfügungen gefordert, andere Gerichte lassen selbst weit zurückliegende und allgemein gehaltene mündliche Äußerungen genügen.68 Auch der häufig angewandte substituted judgment test versucht zu ergründen, wie sich der Betroffene bei Kenntnis seiner Lage entscheiden würde, stellt aber geringere Beweisanforderungen. 69 Äußere Umstände wie Lebensgewohnheiten, Religiosität, familiäre Bindungen oder vage Äußerungen des Patienten dienen als Hinweise auf die mittels bewertender Gesamtschau zu treffende Entscheidung, zusätzlich auch objektive medizinische Fakten, etwa Heilungschancen, Nebenwirkungen und Lebenserwartung.70 Statt lediglich Kenntnis zu nehmen von einer erkennbar getroffenen Entscheidung oder eindeutigen Präferenz des Patienten, wie es beim subjective test geschieht, versetzt man sich beim substituted judgment test 67

Statt test ist bei allen direi Methoden auch die Bezeichnung standard gebräuchlich. Vgl. zur praktischen Anwendung dieses Standards Matter of Eichner, 420 N.E2d 64 (N.Y. 1981); Matter of Storar, 420 N.E.2d 64; (N.Y. 1981); Severus v. Wilmington Medical Center, Inc., 425 A.2d 156 (Del. 1980); Bartling v. Superior Court, 209 Cal. Rptr. 220 (Ct. App. 1984); Matter of Peter, 529 A.2d 419 (N.J. 1987); Gray v. Romero, 697 F.Supp. 580 (D.R.I. 1988). Nur in den Staaten New York und Missouri ist der subjective test der allein zulässige Standard, während er in den anderen Staaten lediglich die erste Stufe der Prüfung bildet, vgl. Meisel, The Right to Die, § 7.2, S. 345 f.; § 7.5, S. 356 ff. Hält man ausschließlich den subjective test für zulässig, ist ein lebensbeendender Behandlungsabbruch bei niemals entscheidungsfähig gewesenen Patienten im Prinzip niemals zulässig, ebd. § 7.10, S. 389. 69 Angewandt z. B. in Superintendent of Belchertown v. Saikewicz, 370 N.E.2d 417 (Mass. 1977); Matter of Westchester County Medical Center (O'Connor), 531 N.E.2d 607 (N.Y. 1988); Brophy v. New England Sinai Hosp., Inc., 497 N.E.2d 626 (Mass. 1986); Matter of Fiori, 673 A.2d 905 (Pa. 1996) 70 Vgl. die Nachweise zu den jeweils herangezogenen Kriterien bei Nußbaum, The Right to Die, S. 76 ff. 68

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fiktiv in die Lage des Patienten und schöpft die Entscheidung aus den ermittelten Werthaltungen und Anschauungen des Betroffenen. 71 Ist ein Patient niemals entscheidungsfähig gewesen oder gibt es, was in der Praxis selten vorkommt, keine subjektiv geprägten Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Patientenwillen, verwenden einige Gerichte einen pure objective test (auch best interest test genannt), der an die objektivierten Patienteninteressen bzw. dessen objektives Wohl anknüpft. 72 Nutzen und Lasten des Weiterlebens werden anhand allgemein anerkannter Maßstäbe abgewogen 73 , Lebenserwartung, Heilungschancen und Operationsrisiken, Schmerzen und psychische Leiden des Patienten werden in die Abwägung eingestellt. Überwiegen klar und deutlich die Nachteile, so dass sich die Aufnahme oder die Fortführung der lebenserhaltenden Maßnahme als Inhumanität gegenüber dem Patienten darstellen würde (was namentlich beim Erleiden nicht vollständig zu lindernder schwerer Schmerzen der Fall sein soll), ist der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen zulässig. 74 Verfeinert und kombiniert wurden die Entscheidungsmaßstäbe 1985 durch die Entscheidung Matter of Conroy: Führt der rein subjektive Test nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, sei ein limited-objective test anzuwenden, der (subjektive) Hinweise auf die Einstellung zur Lebensverlängerung und (objektive) Abwägungselemente (Vor- und Nachteile des Weiterlebens) miteinander verbindet. 75 Erst wenn 71 Vgl. etwa Matter of A.C., 537 A.2d 1235, 1250 (D.C. 1990). Selbst eine allgemein als unvernünftig eingeschätzte Entscheidung kann deshalb Ergebnis des substituted judgment test sein, vgl. Meisel The Right to Die § 7.7., S. 371 ff. Die Gerichte lassen im Übrigen eine klare Rangordnung der heranzuziehenden Gesichtspunkte vermissen, was manchmal den Eindruck einer gewissen Ergebnisorientierung bei der Auswahl der jeweils bedeutsamen Aspekte erweckt. 72 Barber v. Superior Court, 195 Cal. Rptr. 484 (Ct. App. 1983). Gegenstand des Verfahrens war die strafrechtliche Verfolgung von Ärzten wegen Mordes, die eine Behandlung eines im persistent vegetative state befindlichen Patienten auf Wunsch der Familie abgebrochen hatten. Die Anwendung des pure objective test führte zur Aufhebung der Verurteilung. 73 Barber v. Superior Court, 195 Cal. Rptr. 484 (Ct. App. 1983); Matter of Conservatorship of Torres, 357 N.W.2d 332 (Min. 1984); Rasmussen v. Fleming, 741 P.2d 674 (Ariz. 1987). In allen drei Fällen gab es keine fassbaren Anhaltspunkte für einen individuell geäußerten oder auch nur mutmaßlichen Wunsch der Patienten nach Beendigung der lebenserhaltenden Behandlung. 74 Die am objective test geübte Kritik, vgl. z. B. Kadish, 60 Cal. L. Rev. 857, 881 (1992), liegt auf der Hand: Er ermögliche das Einsickern von autonomiefeindlichen, an objektiver Lebensqualität und sozialer Nützlichkeit orientierten Erwägungen, die in die Nähe unfreiwilliger Lebensbeendigung geraten. Tatsächlich finden sich vereinzelt Gerichtsentscheidungen, deren Herleitung eines mutmaßlichen Sterbewillens bzw. objektiven Sterbeinteresses kaum vertretbar sind, vgl. z. B. Matter of Spring, 405 N.E.2d 115 (Mass. 1980), dazu Roger Dworkin, Limits, S. 116 f. Besonders problematisch ist die Anwendung des objective test bei Patienten im persistent vegetative state . Dass ihnen das Recht auf Behandlungsabbruch zusteht, ist in der Rechtsprechung zwar unumstritten. Da sie aber weder bewusst Schmerzen empfinden noch offenkundig leiden, muss sorgfältig begründet werden, warum eine Lebensbeendigung in ihrem wohlverstandenen besten Interesse sein soll, vgl. Meisel, The Right to Die, §7.18, S. 411 f. 4 Kämpfer

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auch dieser Test zu keinem verlässlichen Ergebnis führt, sei auf den reinen objektiven Test zurückzugreifen, demzufolge der Abbruch bzw. die Nichtaufnahme der Behandlung zulässig ist, wenn die Nachteile der Behandlung deutlich die Vorteile des Weiterlebens überwiegen.

b) Gesetzlich geregelte Möglichkeiten antizipierter und stellvertretender Entscheidung In den siebziger Jahren stießen die Gerichte mit ihren Urteilen über die Zulässigkeit passiver Sterbehilfe bei entscheidungsunfähigen Patienten in ein gesetzliches Niemandsland vor. Erst nach und nach wurden sowohl in den Gliedstaaten als auch auf Bundesebene Gesetze verabschiedet, die verschiedene Formen antizipierter Patientenverfügungen regeln und Entscheidungszuständigkeiten über die Fortführung oder Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen bei Verlust der Einwilligungsfähigkeit vorsehen. Heute sind in allen Gliedstaaten die Voraussetzungen von Formen antizipierter Entscheidung über die eigene medizinische Behandlung (advance directive 76) gesetzlich geregelt. Zudem verpflichtet der 1990 vom Bundesgesetzgeber verabschiedete Patient Seif Determination Act 77 medizinische Einrichtungen, die aus den staatlichen Gesundheitsprogrammen Medicaid und Medicare Gelder erhalten, zur Information ihrer Patienten über den Umfang des im betreffenden Staat geltenden Rechts auf Behandlungsabbruch und die Möglichkeiten des Verfassens einer advance directive .78 Seit 1976 haben fast alle Gliedstaaten in Gesetzen (meist Natural Death Act oder Living Will Statute genannt) die Voraussetzungen und Wirkungen von schriftlichen Patientenverfügungen (living will) gesetzlich geregelt.79 In einem living will 75 Matter of Conroy, 486 A.2d 1209 (N.J. 1985); nachfolgend ebenso Matter of Rosebush, 491 N.W.2d 633 (Mich. 1992). 76

Der Ausdruck advance directive wird sowohl als Oberbegriff für sämtliche Möglichkeiten antizipierter Entscheidung verwendet als auch als Ausdruck für den Inhalt einer mündlichen oder schriftlichen Vorausverfügung über die Vornahme oder Unterlassung medizinischer Maßnahmen, die bei Verlust der Entscheidungsfähigkeit und dem Eintritt bestimmter medizinischer Umstände Geltung erlangen soll. Im Folgenden wird von der ersten, weiteren Definition ausgegangen. 77 Das ist die inoffizielle, aber gebräuchliche Bezeichnung für den Omnibus Budget Reconciliation Act (OBRA), Public Law No. 101 -508 §§ 4206, 4751; näher Meisel, The Right to Die, § 10.21, S. 51. 78 Die Verbreitung solcher Vorausverfügungen ist aber bislang noch relativ gering. Schätzungen gehen davon aus, dass höchstens 15-20 Prozent der Bevölkerung eine schriftliche Vorausverfügungen verfassen, siehe Cantor, 4 Psychology, Public Policy, and Law, 629, 630 (1998). 79 Es existieren einige Modellgesetze wie ζ. B. der Uniform Rights of the Terminally III Act.

Β. Sterbehilfe im einfachen Recht der USA

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wird vor allem festgelegt, unter welchen Bedingungen von einer lebenserhaltenden medizinischen Behandlung abgesehen werden soll, wenn der Betroffene seine Entscheidungsfähigkeit verloren hat. Bezugspunkt kann sowohl die krankheitsbedingte Verfassung des Patienten als auch eine bestimmte Behandlungsmethode sein. Die Gesetze enthalten oft Bestimmungen darüber, bei welchen Krankheitszuständen die Befugnis zum vorausverfügten Behandlungsverzicht überhaupt nur besteht, nämlich regelmäßig nur bei einer fortgeschrittenen tödlichen Krankheit (terminal illness ), bisweilen auch bei einem persistent vegetative state} 0 Der Unterzeichner eines living will muss volljährig und zurechnungsfähig sein. Die meisten Gesetze sehen vor, dass die Verfügung jederzeit - auch wenn der Unterzeichner mittlerweile unzurechnungsfähig geworden ist - widerrufen werden kann. Häufig muss ein living will von zwei unbefangenen Zeugen bestätigt werden, die mit dem Unterzeichner weder verwandt noch für seine medizinische Betreuung zuständig sein dürfen. 81 Die Bindungswirkung eines living will ist in den Gliedstaaten unterschiedlich stark. Nur selten werden Ärzte oder Krankenhäuser dadurch verpflichtet, eine lebenserhaltende Behandlung abzubrechen oder nicht aufzunehmen. In der Regel stellen die Gesetze sie lediglich von zivilrechtlicher und strafrechtlicher Haftung frei, wenn sie der Patientenverfügung folgen und auf eine lebenserhaltende Maßnahme verzichten.82 Ebenfalls in praktisch allen Gliedstaaten kann an Stelle oder in Ergänzung zu einer schriftlichen Patientenverfügung mit materiell-inhaltlichen Vorgaben für eine medizinische Entscheidungssituation auch eine formelle Vorausverfügung getroffen und ein Stellvertreter in medizinischen Angelegenheiten für den Fall eigener Entscheidungsunfähigkeit bestimmt werden. Solche Verfügungen werden als health care power of attorney bezeichnet.83 Selbst wenn einige Staaten dem Bevollmächtigten (health care proxy) eine unbeschränkte Vollmacht einräumen, so Meisel, The Right to Die, § 11.9, S. 94 ff. Bernât, in: Ethik und Recht an der Grenze zwischen Leben und Tod, S. 141, 171 f. Sehr unterschiedlich fallen die verwendeten Definitionen einer lebenserhaltenden medizinischen Maßnahme aus. Meist geht es um das Verbot, die Einstellung künstlicher Ernährung zu verfugen, Meisel, ebd. § 11.12, S. 103 ff.; Bernat, ebd. S. 172 f. Fn. 184. ei Meisel, ebd. § 11.6, S. 87 ff.; vgl. auch Bernat, ebd. S. 171. 82 Allerdings müssen Ärzte, wenn sie aus moralischen oder professionellen Gründen die Verfügung nicht befolgen wollen, den Patienten an einen anderen Arzt überweisen, vgl. P. Herzog, in: Zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie, S. 963, 978; Meisel, ebd. § 11.18, S. 112 f. Geschieht dies nicht, drohen dem Arzt standesrechtliche oder sogar strafrechtliche Konsequenzen, Meisel, ebd. § 11.19, S. 113 ff.; Hoefler, Deathright, S. 191 ff. 83 Es gibt eine Reihe weiterer Bezeichnungen, z. B. als health care proxy oder als durable powers of attorney (for health care). Der durch die Verfügung Bevollmächtigte wird als health care proxy, health care agent oder surrogate bezeichnet. Einer besonderen gesetzlichen Regelung bedurfte es nicht zuletzt deshalb, weil nach den im common law anerkannten Vertretungsregeln die Vertretungsbefugnis des Stellvertreters erlischt, sobald der Prinzipial seine Geschäftfähigkeit verliert, vgl. Bernat/H.-G. Koch/Meisel, JRE 4 (1996), 445,460. 4*

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bleibt er natürlich an den Numerus clausus der gesetzlich zulässigen Sterbehilfepraktiken gebunden. Darüber hinaus sehen viele Gesetze zusätzliche Voraussetzungen vor und verlangen ζ. B. bei der Beendigung künstlicher Ernährung zusätzlich eine entsprechende ausdrückliche Genehmigung in der Bevollmächtigung.84 Unterschiedlich geregelt ist, wer als health care proxy benannt werden darf. Während in einigen Gliedstaaten lediglich Ärzte health care proxy sein können, schließen andere Staaten gerade medizinisches Personal von einer Benennung als Stellvertreter in Gesundheitsangelegenheiten aus.85 Ist kein health care proxy benannt worden, greift in einigen Staaten eine gesetzliche Rangfolge ein, die bestimmt, wem die entsprechenden Befugnisse zustehen.86 Kurz zu erwähnen sind schließlich die sogenannten do-not-resusciate orders (DNR-Orders), mit denen bestimmte intensivmedizinische Formen der Wiederbelebung nach einem Herzstillstand verhindert werden sollen.87 Insbesondere tödlich erkrankte Patienten wollen damit vermeiden, dass durch (häufig sehr schmerzhafte) Wiederbelebungsversuche der Sterbeprozess verlängert wird. Der Status von DNR-Orders ist nicht unumstritten, weshalb eine Reihe von Staaten ihre Zulässigkeit und Verbindlichkeit gesetzlich verfügt haben.88 Die anfangs hochgesteckten Erwartungen an die gesetzlichen Regelungen über Patientenverfügungen und Vertreter in Gesundheitsangelegenheiten haben sich (noch) nicht erfüllt. Die Entscheidungsprozesse am Ende des Lebens sind durch die gesetzliche Regelung medizinischer Vorausverfügung und Entscheidungsfindung nicht grundsätzlich neu gestaltet worden und die Verbreitung der einzelnen Instrumente ist derzeit noch gering. Ein wichtiger rechtlicher Grund für die beliegt auch in ihrem grenzte Bedeutung der Gesetzgebung über end-of-life-decisions im Verhältnis zum common law lediglich ergänzend-kumulativen Charakter: Die gesetzlichen Regelungen über antizipierte medizinische Entscheidungen sind lediglich neben, nicht an die Stelle der von den Gerichten etablierten Grundsätze getreten. Deshalb kann ein lebensbeendender Behandlungsbruch nach common law erlaubt sein, obwohl er nach einem living will statute unzulässig ist. 89 84 R Herzog, in: Zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie, S. 963, 980. 85 Meisel, The Right to Die, § 12.20, S. 160 f.; § 12.12, S. 143 ff. 86 Hoefler, Deathright, S. 198 f. Der Uniform Rights of the Terminally 111 Act, dem die meisten Staaten folgen, sieht zuerst den Ehepartner, dann die erwachsenen Kinder, dann die Eltern, Geschwister und weiteren Verwandten als health care proxy vor. 87 Meisel, The Right to Die, § 9.4, S. 543. Gemeint sind Formen der cardiopulmonary resuscitation (kardiopulmonare Reanimation), die bei einem Herz- und/oder Atemstillstand eingesetzt werden, u. a. zählt dazu die Wiederbelebung mit Defibrillatoren, bei der durch Stromschläge Muskelkontraktionen ausgelöst werden. 88 Meisel, ebd. § 9.7 f., S. 555 f. sowie § 9.38 (Supp. 2000); R Herzog, in: Zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie, S. 963,982. 89 So lagen die Dinge in Corhett v. D'Alessandro, 487 So.2d 368 (Fla. App. 2 Dist. 1986), wo das Gericht aufgrund der Aussage des Ehemanns die künstliche Ernährung einer Patientin

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V. Aktuelle Entwicklungen Seit einigen Jahren kommt es auf bundesstaatlicher Ebene zu Versuchen, die Möglichkeiten der Einzelstaaten zur Legalisierung von physician-assisted suicide einzuschränken. Der Federal Assisted Suicide Funding Restriction Act von 1997 verbietet es, mit Finanzmitteln des Bundeshaushaltes Praktiken des physician-assisted suicide zu unterstützen.90 Ende 2001 erklärte der damalige amerikanische Justizminister in einer Direktive den bundesstaatlichen Controlled Substances Act auf die Verschreibung letal wirkender Medikamente im Rahmen des „Death with Dignity"-Gesetzes Oregons für anwendbar.91 Aufgrund dieser Auslegung hätten betroffene Ärzte das Recht zur Verschreibung bestimmter kontrollierter Substanzen verlieren und strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt werden können. Oregon reagierte auf diesen weiteren Obstruktionsversuch der Bundesebene mit einer Klage92, der im April 2002 durch ein Bundesgericht stattgegeben wurde. Nach Ansicht des Gerichts darf der Controlled Substance Act nicht so ausgelegt werden, dass Ärzte aus Oregon daran gehindert werden, bei der Ausübung von physician-assisted suicide Medikamente zu verwenden, deren Regulierung in die Zuständigkeit des Bundes fällt. 93 Im November 2002 wies der Justizminister dennoch die Drug Enforcment Administration an, Ermittlungen gegen physician-assisted suicide praktizierende Ärzte in Oregon aufzunehmen. Diese „battle between the state of Oregon and the federal government"94 entschied im April 2004 ein Bundesberufungsgericht vorläufig zugunsten von Oregon. Das Gericht betonte die Zuständigkeit der Gliedstaaten für die Regelung der Sterbehilfe und bestätigte die Auffassung der Vorinstanz, dass die Bundesregierung nicht gegen Ärzte vorgehen dürfe, die im Einklang mit den Gesetzen Oregons ärztliche Suizidbeihilfe leisten.95 Die Bundesregierung hat daraufhin den Supreme Court angrufen. Im Vergleich zu den neunziger Jahren haben die Initiativen auf Gliedstaatenebene zur Zulassung von physician-assisted suicide deutlich abgenommen. Eine neue Welle von Volksabstimmungen ist derzeit nicht zu erwarten, nachdem die einstellen ließ, obwohl dies nach dem Florida Life-Prolonging Procedere Act nur bei Vorliegen einer schriftlichen Verfügung geschehen durfte. Ebenso kann eine nicht den formellen Voraussetzungen genügende Patientenverfügung als common-law advance directive von einem Gericht anerkannt werden. 90 Assisted Suicide Funding Restriction Act of 1997, 11 Stat. 23, 42 U.S.C. § 14401, 14402. Vgl. 66 Federal Register 56, 607 (Nov. 9,2001), abgedruckt in Behuniak/Svenson, Physician· Assisted Suicide, S. 198 f. 92 New York Times, 27. 3. 2002, Editorial. 93 Oregon v. Ashcroft, 192 F. Supp. 2d 1077 (Or. 2002), vgl. dazu Behuniak/Svenson, Physician-Assisted Suicide, S. 202 ff.; FAZ, 19. 4. 2002, S. 9. 94 So Richter Jones in seiner Urteilsbegründung in Oregon v. Ashcroft, ebd. 95 Oregon v. Ashcroft, 368 F.3d 1118; (2004).

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Bürger bis auf die Ausnahme von Oregon in allen anderen Abstimmungen, zuletzt Ende 2000 in Maine, gegen die Zulassung von physician-assisted suicide votiert haben. Auch auf die Legalisierung von physician-assisted suicide gerichtete individuelle Klagen haben seit den Grundsatzentscheidungen des Supreme Court im Juni 1997 stark abgenommen.96 Im Bereich der passiven Sterbehilfe werden (mit unterschiedlichem Erfolg) vereinzelt Schadensersatzklagen gegen Krankenhäuser wegen der rechtswidrigen Aufrechterhaltung lebenserhaltender Maßnahmen angestrengt.97 Dies lässt nicht nur auf das gewachsene Rechtsbewusstsein der Betroffenen und ihrer Angehörigen, sondern auch auf die nach wie vor bestehenden Widerstände von Ärzten schließen, eine Entscheidung für passive Sterbehilfe zu respektieren. Darüber hinaus differenziert sich die Rechtsprechung zur passiven Sterbehilfe noch immer weiter aus. So hat 2001 der Supreme Court Kaliforniens in Conservatorship of WendlaruP 8 entschieden, dass bei Patienten, die zwar entscheidungsunfähig sind, sich aber nicht in einem persistent vegetative state, einem terminalen Krankheitsstadium oder einem Koma befinden 99 und die weder ausdrückliche Behandlungsverfügungen getroffen noch einen Vertreter in Gesundheitsangelegenheiten bestimmt haben, der lebensbeendende Abbruch künstlicher Ernährung nur unter vergleichsweise engen Voraussetzungen zulässig ist. Notwendig sei, dass anhand des strengen Beweismaßstabes des clear and convincing evidence nachgewiesen werde, dass ein Abbruch dem mutmaßlichen Willen oder dem „besten Interesse" des Patienten entspricht. 100 Sehr große öffentliche Beachtung fand in jüngster Zeit schließlich der erbitterte Steit vor den Gerichten Floridas im Fall der Theresa Schiavo, bei dem der Ehemann einer entscheidungsunfähigen Patientin gegen den Widerstand ihrer Eltern die Einstellung der künstlichen Ernähung erreichen wollte. 101

C. Sterbehilfe im einfachen Recht Deutschlands Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung der Sterbehilfe existiert in Deutschland nicht. Rechtsprechung und Rechtswissenschaft fällt es schwer, ein kohärentes dog96 2001 lehnte der Supreme Court des Gliedstaates Alaska eine entsprechende Klage ab, vgl. Sampson ν. Alaska, 31 P.3d 88 (Alas. Sup. Ct. 2001): Die Verfassung Alaskas enthalte kein Recht auf physician-assisted suicide, entsprechende Verbote seien verfassungsgemäß. 97 Vgl. die Nachweise bei Meisel, Right to Die, § 1 A.8, S. 79 f. (Supp. 2000). 98 Conservatorship of Wendland, 110 Cal. Rptr. 2d 412 (2001). 99

Der Patient war nach einem Autounfall schwer hirngeschädigt, aber bei Bewusstsein und zeitweise zu einfacher nonverbaler Verständigung in der Lage, vgl. ebd. 416 ff. 100 Ebd. 415. Das Gericht legte dabei das einen großzügigeren Beweismaßstab vorsehende Gesetz (Cal. Prob. Code, sec. 2355) verfassungskonform aus, vgl. ebd. 430 f. ιοί Ausführlich s. u. S. 302.

C. Sterbehilfe im einfachen Recht Deutschlands

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matisches Gerüst für den Umgang mit Selbsttötungen und Sterbehilfepraktiken zu entwickeln.102 Die vielen offenen Fragen und umstrittenen Begründungen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich im Ergebnis unter Juristen und Medizinern ungeachtet der Dynamik des Umfeldes und Streitigkeiten im Einzelnen ein Grundkonsens zu vielen Fragen der Sterbehilfe herausgebildet hat.

I. Beihilfe zur Selbsttötung Die vollendete wie die versuchte Selbsttötung sind für den Suizidenten strafrechtlich irrelevant, da die Tötungsdelikte sich nur auf Taten gegen andere Menschen beziehen. Anders als im Strafrecht Österreichs (§§ 77, 78 ÖStGB) und der Schweiz (Art. 115 schweizerisches StGB) ist in Deutschland auch die Beihilfe zu einer freiverantwortlichen Selbsttötung nicht strafbar. 103 Die Begründung ist vorwiegend intrasystematisch: Da es wegen der Tatbestandslosigkeit der Selbsttötung an einer rechtswidrigen Haupttat fehle, sei auch die Beteiligung daran rechtmäßig. Diese scheinbar klare Rechtslage wird durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Frage gestellt. So soll nach Auffassung der Rechtsprechung und Teilen des Schrifttums eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen möglich sein, wenn eine Person in Garantenstellung (wie ζ. B. die Ehefrau oder der behandelnde Arzt) keine Schritte zur Rettung des Sterbewilligen unternehmen.104 Dies soll insbesondere gelten, wenn der freiverantwortlich handelnde Suizident ζ. B. wegen eingetretener Bewusstlosigkeit handlungsunfähig geworden ist. 105 Nur in engen und an wertungsoffene Kriterien gebundenen Ausnahmefällen nimmt die Rechtsprechung eine Straflosigkeit an. Sie will damit namentlich Ärzten im Einzelfall eine an der Menschenwürde und dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten ausgerichtete eigenverantwortliche Entscheidung ermöglichen.106 Ein weiteres 102 Roxin, in: Medizinstrafrecht, S. 93, zählt die „Beurteilung der Sterbehilfe ( . . . ) zu den schwierigsten Problemen des Strafrechts." 103 Siehe nur BGHSt 2, 150, 152; 32, 367, 371 f. (Dr. Wittig-Fall); H. Schneider, in: MünchKommStGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 32 m. w. N. Zum für de Strafbarkeitsgrenze relevanten Streit über den Maßstab der Freiverantwortlichkeit der Selbsttötung ausführlich H Schneider ebd. Rn. 37 ff. Zur Kritik an der Straflosigkeit siehe ζ. B. Köhler, ZStW 104 (1992), 3, 25 f. m. w. N. 104 BGHSt 2,150; 32, 367, 375, 380 (Dr. Wittig-Fall); siehe aber auch OLG München, das im Hackethal-Fall bei einer freiverantwortlich handelnden Suizidentin eine auf Lebensschutz zielende Garantenstellung ablehnte, vgl. NJW 1987, 2940, 2943. 105 BGHSt 2, 150, 152 f.; 32, 367, 373 f. (Dr. Wittig-Fall). Zur zutreffenden Kritik statt vieler H. Schneider, in: MünchKommStGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 73 ff. m. w. N. 106 BGHSt 32, 367, 379 f. (Dr. Wittig-Fall). Zur weit überwiegenden Kritik an der Entscheidung des BGH siehe Herzberg, NJW 1986, 1635 ff. und die Nachweise bei Sch/ SchEser, vor §§ 211 ff., Rn. 41 ff. In BGHSt 46, 279, 290, hat der BGH die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen bzw. wegen unterlassener Hilfeleistung indirekt bestätigt, den Angeklagten im zu entscheidenden Fall wegen der nach Eintritt der

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1. Teil: Die Selbstbestimmung Sterbe williger im einfachen Recht

Strafbarkeitsrisiko wird schließlich dadurch geschaffen, dass Selbsttötungen grundsätzlich einen „Unglücksfall" im Sinne von § 323 c StGB (unterlassene Hilfeleistung) darstellen sollen. 1 0 7 Mit diesen Konstruktionen wird die Straflosigkeit des an einer Selbsttötung Beteiligten unterlaufen, weshalb sie von der weit überwiegenden Mehrheit des Schriftums abgelehnt werden. 1 0 8 Wegen der bestehenden rechtlichen Unsicherheiten und der bislang apodiktischen Belegung ärztlich assistierter Selbsttötung durch die ärztlichen und pflegerischen Institutionen als der medizinischen Ethik widersprechend 109 ist dieser Bereich im medizinischen Umfeld stark tabuisiert. In der Realität besteht für die allermeisten Patienten keine Möglichkeit, die rechtlich bestehende Option für eine Hilfe bei der Selbsttötung praktisch einzulösen. 110

II. Aktive Sterbehilfe Eine unfreiwillige oder auf einer nicht ausdrücklich und freiverantwortlich erteilten Zustimmung beruhende aktive Lebensbeendigung ist nach §§211,212 StGB als Mord oder Totschlag strafbar. § 216 StGB normiert darüber hinaus eine strikte Sperre für die Einwilligung in die eigene Tötung und verbietet auch die freiverantwortlich verlangte, konsentierte aktive Sterbehilfe. 111 Die herrschende Meinung Bewusstlosigkeit aussichtslosen Rettungsmaßnahmen aber nicht wegen Totschlags verurteilt, sondern eine straflose Selbsttötungsbeihilfe angenommen. 107 St. Rspr. seit BGHSt 6, 147, 152 f. In Ausnahmefällen soll eine Hilfspflicht mangels Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entfallen, vgl. ebd. 154; BGHSt 32, 367, 381 (Dr. Wittig-Fall). Zur Kritik an dieser Rechtsprechung H. Schneider, in: MünchKommStGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 84 m. w. N. io» Vgl. nur LK-Jähnke, Vor § 211, Rn. 24; H. Schneider, in: MünchKommStGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 74, jeweils m. w. N. 109 Vgl. Resolution der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie von 1979 unter IV., abgedruckt in AE-Sterbehilfe, S. 44 ff.: „Dem ärztlichen Auftrag widerspricht auch die aktive Mitwirkung bei der Selbsttötung, zum Beispiel durch Überlassen von Tötungsmitteln." Ähnlich die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung von 1998 (Präambel), NJW 1998, 3406: „Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen Ethos." no Unabhängig von der strafrechtlichen Beurteilung einer Selbsttötungsforderung wird ein umfassendes Interventionsrecht sowohl der Polizei als auch Dritten bei alleine oder mit Hilfe anderer ins Werk gesetzten Selbsttötungsversuchen eingeräumt, vgl. Schenke, Polizeiund Ordnungsrecht, Rn. 57, 141 m. w. N. Steht die Frei Verantwortlichkeit des SelbsttötungsPolizei- und willens hingegen fest, wird ζ. T. differenziert, vgl. Pieroth/Schlink/Kniesel, Ordnungsrecht, § 8 Rn. 31 ff.: Keine Eingriffsbefugnis, wenn entscheidungsfähiger, unheilbar Kranker im Beisein von Angehörigen und Arzt sein Leben beenden will. m § 216 Abs. 1 StGB (Tötung auf Verlangen): „Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen." Umstritten sind die an die von § 216 StGB vorausgesetzte „Ernstlichkeit" des ausdrücklichen Tötungsverlangens zu stellenden Anforderungen. Teils wird Verlangen mit Einwilligung gleichgesetzt (Einwilligungsprinzip),

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lehnt verschiedene Versuche ab, de lege lata bestimmte, eng begrenzte Fälle aktiver Sterbehilfe von der Strafbarkeit nach § 216 StGB auszunehmen. 112 Über das Rechtsgut Leben dürfe nicht disponiert und das Tötungstabu nicht gelockert werden. 1 1 3 Hinsichtlich der Abgrenzung von strafbarer Tötung auf Verlangen und strafloser Beihilfe zur Selbsttötung ist vieles umstritten. 114 Die herrschende Meinung stellt zur Abgrenzung von der Selbsttötungsbeihilfe darauf ab, in wessen Hand das zum Tode führende Geschehen liegt und folgt damit den Grundsätzen der strafrechtlichen Tatherrschaftslehre. 115

III. Indirekte Sterbehilfe Der Bundesgerichtshof hat 1996 im Einklang mit der fast einhelligen Auffassung in der Literatur die Zulässigkeit von Schmerzmittelgabe auch für jene Fälle bestätigt, in denen der beschleunigte Tod des Patienten die unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene Nebenfolge medizinisch gebotener Schmerzbehandlung ist. 1 1 6 Die „Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen" sei, so der Bundesgerichtshof, „ein höherwertiges Rechtsgut als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen." 117 Die Straflosigkeit der teils ein Verantwortungsprinzip (in Anlehnung an §§ 20, 35 StGB) oder ein strenges Verlangensprinzip angewandt. Ferner werden die Anforderungen an das Verlangen für bestimmte Fallgruppen variiert; ausführlich Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 3 Rn. 13, S. 24 ff. 112 Dies gilt jedenfalls hinsichtlich jener Konstellationen, die keine der unter § 216 StGB subsumierbaren, aber für zulässig gehaltenen Fälle indirekter und passiver Sterbehilfe (zu diesen sogleich unter III. und IV.) darstellen. 113 Vgl. nur Tröndle, in: 56. DJT (1986), Bd. II, S. M 29, 37; Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 ff. 114 Siehe ζ. B. den vom BGH entschiedenen Grenzfall in NStZ 1987, 365 (Scophedal-Fall) und die Besprechung von Roxin, NStZ 1987, 345 ff.; instruktive Darstellung des Abgrenzungsstreits bei H. Schneider, in: MünchKommStGB, § 216, Rn. 27 f. 115

Näher Roxin, in: Medizinstrafrecht, S. 111 f. 116 BGHSt 42, 301 (Dolantin-Fall), ausführlicher abgedruckt in NJW 1997, 807; dazu Verrei, MedR 1997, 248 ff.; Schöch, NStZ 1997, 409 ff. Es ist weitgehend ungeklärt, welche kognitiven und voluntativen Kriterien erfüllt sein müssen, um eine indirekte Sterbehilfe zu qualifizieren und sie verlässlich von einer aktiven Sterbehilfe abzugrenzen. Es wird von „möglicher", „unvermeidlicher", „potenzieller", „in Kauf genommener" Lebensverkürzung gesprochen, was Zuordnungen zu verschiedenen Vorsatzformen von der bewussten Fahrlässigkeit bis zu sicherem Wissen (dolus directus 2. Grades) ermöglicht. Die obskure Formulierung in BGHSt 42, 301 („unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge") hat die Unklarheit eher noch vergrößert. i n BGHSt 42, 301, 305 (Dolantin-Fall), unter Hinweis auf Kutzer, NStZ 1994, 110, 115 und dens., in: FS Saiger, S. 663, 672. Typisches Beispiel ist die Verabreichung hochdosierter Schmerzmittel bei Tumorpatienten, die die Atmung bis zur Atemlähmung verlangsamen und so den Tod herbeiführen können.

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indirekten Sterbehilfe versteht sich jedoch nicht von selbst, da bei Inkaufnahme bzw. hoher Wahrscheinlichkeit der Lebensverkürzung auf Seiten des Arztes meist ein Tötungsvorsatz (mindestens) in der Form des Eventualvorsatzes vorliegen wird und die Handlung deshalb eine aktive Tötung darstellt, die anders als bei der passiven Sterbehilfe keine durch den „natürlichen" Fortgang des Grundleidens bewirkte Lebensverkürzung ist. Insgesamt sind sowohl die dogmatische Begründung der Zulässigkeit118 als auch die genaue Grenzziehung zur Tötung auf Verlangen bzw. zur aktiven Sterbehilfe umstritten.119 Ungeklärt ist im Übrigen, wie nah der krankheitsbedingte Tod für die Zulässigkeit indirekter Sterbehilfe sein muss und ob sie auch außerhalb der unmittelbaren Sterbephase zur Bekämpfung schwerster Schmerzzustände angewandt werden kann. 120 Insgesamt gilt jedoch, dass „der aktiven Tötung im Rahmen indirekter Sterbehilfemaßnahmen ein weiter Anwendungsbereich eröffnet" ist. 121 Der Bundesgerichtshof und die Literatur gehen auch bei zwar einwilligungsunfähigen, aber weiterhin schmerzempfindlichen Patienten, etwa Demenzkranken, Patienten mit geistiger Behinderung oder bewusstseinsgetrübten Patienten, in der unmittelbaren Sterbephase von der Möglichkeit indirekter Sterbehilfe aus, wenn sie dem mutmaßlichen Patienten willen entspricht.122 Trotz der rechtlichen Zulässigkeit und medizinischen Möglichkeit einer effektiven Schmerzbehandlung bestehen große praktische Defizite in der tatsächlichen Gewährleistung von Schmerzfreiheit. 123 Deshalb wird mittlerweile nicht nur die Erlaubtheit indirekter Sterbehilfe hervorgehoben, sondern darüber hinaus betont, dass Patienten einen rechtlichen Anspruch auf die Bereitstellung wirksamer 118

Als Begründung vorgeschlagen werden: Ausschluss aus dem Anwendungsbereich der Tötungsdelikte wegen Sozialadäquanz (Herzberg, NJW 1996, 3403, 3048 f.), fehlender Tötungsvorsatz (Blei, Strafrecht BT, § 5 V I 3), rechtfertigender oder entschuldigender Notstand bzw. entschuldigende Pflichtenkollision (Merkel, JZ 1996,1145,1147 ff., Geilen, Euthanasie, S. 23 ff., SK-Horn, StGB, § 212 Rn. 26, Herzberg, NJW 1986, 1635, Schreiber, NStZ 1986, 340), erlaubtes Risiko (Nachweise bei Eser, in: Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe, S. 89 f.). Die zur Begründung der Nichtstrafbarkeit nach §§212, 216 StGB bisweilen herangezogene „Theorie der Doppelwirkung", wonach eine nicht beabsichtigte Nebenfolge einer Handlung bei Verfolgung eines legitimen Zwecks moralisch nicht zu beanstanden sei, ist strafrechtsdogmatisch ein Fremdkörper. 119 Vereinzelt wird die unbeabsichtigte Lebensverkürzung bei der Bekämpfung (anderer) schwerer Leidenszustände ebenfalls unter den Begriff der indirekten Sterbehilfe subsumiert oder entsprechend den für indirekte Sterbehilfe geltenden Grundsätzen behandelt, vgl. Roxin, in: Medizinstrafrecht, S. 93, 98, und Baumann u. a., AE-Sterbehilfe, S. 23. 120 BGHSt 42, 301 (Dolantin-Fall) und die Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung, NJW 1998, 3406 f., beschränken indirekte Sterbehilfe auf Sterbende, während sie von vielen anderen auch bei tödlich Erkrankten vor der Sterbephase als zulässig angesehen wird, vgl. z. B. Baumann u. a., AE-Sterbehilfe, S. 23. 121 H Schneider, in: MünchKommStGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 95. 122 BGHSt 42, 301, 305 (Dolantin-Fall). Gleiches muss für die Zustimmung des Betreuers zu einer aggressiven Schmerzbehandlung gelten. 123 Kutzer, MedR 2001, 77, 78.

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Schmerztherapie haben124 und unzureichende Schmerzlinderung nach §§ 223, 13 bzw. 323 c StGB strafbar sein kann. 125

IV. Passive Sterbehilfe Dogmatisch sichereren Stand als die indirekte hat die passive Sterbehilfe. Die Legitimation einer medizinischen Behandlung setzt als Zweckelement eine medizinische Indikation und als voluntatives Element eine Einwilligung des Patienten (oder ein Einwilligungssubstitut) voraus. Fehlt eine der beiden Voraussetzungen, kann bzw. muss die Behandlung unterbleiben.126 Fehlt es trotz Einwilligungsfähigkeit des Patienten an einer Einwilligung ζ. B. in eine Chemotherapie, in eine maschinelle Beatmung durch den Respirator oder in eine künstliche Ernährung, darf die Maßnahme nicht eingeleitet oder fortgesetzt werden. Dies gilt grundsätzlich selbst dann, wenn der alsbaldige Tod des Patienten die wahrscheinliche oder sichere Folge des Behandlungsverzichts ist und auch in zeitlichen Stadien vor Einsetzen der unmittelbaren Sterbephase.127 Dieses Ergebnis lässt sich sowohl zivil- als auch strafrechtlich begründen. Zivilrechtlich bedarf die Aufnahme oder Fortführung einer medizinischen Maßnahme grundsätzlich der privatautomen Zustimmung des Patienten.128 Der Arzt wird im Rahmen eines Arztvertrags tätig, dessen Umfang in Übereinstimmung mit dem Patienten festgelegt wird. 129 Strafrechtlich sieht die herrschende Meinung in einer körperinvasiven ärztlichen Heilbehandlung eine tatbestandliche Körperverletzung, die erst durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt wird, weshalb die Weiterbehandlung gegen den Willen des Patienten eine rechtswidrige Körperverletzung gemäß § 223 StGB ist. 130 Hingegen fällt die von der Einwilligung des Patien124 Kutzer, in: FS Saiger, S. 663, 667 ff.; Uhlenbruch, MedR 1993, 296 ff. 125 Roxin, in: Medizinstrafrecht, S. 93,95. 126 Dieser Grundsatz zieht sich von BGHSt 11,111, 114 (Myom-Fall), bis BGHSt 40, 257, 260 (Kemptener Fall) durch die Rechtsprechung des BGH. 127 Überbück bei H. Schneider, in: MünchKommStGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 105 ff. 128 Dies gilt nicht nur für den Arzt, sondern auch für das Pflegepersonal und andere Personen, die mit der Durchführung medizinischer Maßnahmen betraut sind. 129 Aus einem Arzt- oder Heimvertrag kann sich allerdings ergeben, dass Pfleger oder Ärzte nicht verpflichtet sind, an einer passiven Sterbehilfe mitzuwirken, vgl. OLG München, FamRZ 2003, 557, 558 f., in Bestätigung von LG Traunstein, NJW-RR 2003, 221. Sie müssen dann aber die Verlegung in eine anderes Krankenhaus oder Pflegeheim ermöglichen. Der vom OLG München entschiedene Fall betraf zwar einen schwer hirngeschädigten, einwilligungsunfähigen Patienten, doch wird bei entscheidungsfähigen Patienten jedenfalls dann nichts anderes gelten, sofern die passive Sterbehilfe nicht lediglich durch eine Unterlassung, sondern eine Umstellung der Behandlung verwirklicht werden soll, ζ. B. durch die langsame Reduzierung der künstlichen Ernährung und begleitende Schmerzmittelgabe. 130 Achenbach, Jura 2002, 542, 545 m. w. N.; BGHSt 11, 111, 112 (Myom-Fall); 32, 367, 379 (Dr. Wittig-Fall); 35, 246, 249; 37, 376, 378 f.

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ten getragene Einstellung einer lebenserhaltenden Maßnahme durch den Arzt oder das Pflegepersonal nach weit überwiegender Meinung nicht unter § 216 StGB, da selbst ein aktives Tun wie das Abschalten eines Respirators seiner sozialen Bedeutung nach lediglich als Unterlassung anzusehen sei und die Garantenstellung des Arztes durch die Einwilligung des Patienten erlösche. 131 Erheblich schwerer mit den Konturen passiver Sterbehilfe tun sich Rechtsprechung und Rechtswissenschaft bei nicht mehr entscheidungs- bzw. erklärungsfähigen Patienten. Der Bundesgerichtshof hat 1994 in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass in der Sterbephase ein lebensbeendender Behandlungsabbruch bei entscheidungsunfähigen Patienten grundsätzlich zulässig sei, bei einem unheilbar erkrankten Patienten vor Beginn des Sterbevorganges jedoch nur „ausnahmsweis e " 1 3 2 und bei Anlegung strenger Anforderungen an die Entscheidungsfindung. 133 Dieser Weichenstellung ist die Literatur im Grundsatz mehrheitlich gefolgt, und zwar auch bezüglich der Zulässigkeit der Einstellung einer unweigerlich zum Tode führenden künstlichen Ernährung. 134 Nicht abschließend geklärt ist hingegen, auf welcher Grundlage und von wem die Entscheidung für einen Behandlungsabbruch 135 getroffen werden darf. Nach 131 Sch/Sch-Ese/; vor §§ 211 ff., Rn. 32; H. Schneider, in: MünchKommStGB, Vor §§ 211 ff., Rn. 105 ff., jeweils m. w. N.; Roxin, in: Medizinstrafrecht, S. 93,101 f. Auch wenn wie im Fall des LG Ravensburg, NStZ 1987, 229, nicht der Arzt oder das Pflegepersonal, sondern der Ehemann auf ausdrücklichen Wunsch durch Ausstellen des Beatmungsgeräts den Tod seiner Frau verursacht, handelt es sich nach h. M. um eine straflose Unterlassung im Rahmen passiver Sterbehilfe. 132 Der BGH definiert im Kemptener Fall die Bedingungen für einen Behandlungsabbruch bei „unheilbar erkrankten, nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten", woraus m. E. nicht geschlossen werden kann, dass durch das Urteil der Behandlungsabbruch in anderen Fällen, etwa wenn der Patient nicht an einer unheilbaren Krankheit leidet, immer strafrechtlich verboten ist. Der BGH betont in seiner Urteilsbegründung ausdrücklich (BGHSt 40, 257, 262, vgl. auch 260) den Achtungsanspruch des entscheidungsunfähigen Patienten, „gegen dessen Willen eine ärztliche Behandlung grundsätzlich weder eingeleitet noch fortgesetzt werden darf 4 . Nach der Logik der Begründung wären in solchen Fällen allerdings noch höhere Anforderungen an die Überprüfung des antizipierten oder mutmaßlichen Patientenwillens zu stellen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Rezeption des Kemptener Falls durch einen Zivilsenat des BGH, NJW 2003, 1588, 1590, als unzutreffend: Der zuständige Strafsenat des BGH habe im Kemptener Urteil entschieden, dass die Rechtsordnung für die Unterlassung oder Nichtfortführung lebensverlängemder Maßnahmen in medizinischer Hinsicht voraussetze, „dass das Grundleiden des Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) sei und einen tödlichen Verlauf angenommen" habe. Da die Zivilrechtsordnung nicht erlauben könne, was das Strafrecht verbietet, würde die im Rahmen des Betreuungsrechts zulässige Sterbehilfe insoweit objektiv eingegrenzt. Sollte sich diese Ansicht durchsetzen, wäre ein Behandlungsabbruch vor Beginn eines „tödlichen Krankheitsverlaufs" (dessen Vorliegen in vielen Fällen des apallischen Syndroms durchaus angezweifelt werden kann) aufgrund einer Betreuerentscheidung selbst bei Existenz einer für diesen Fall konzipierten Patientenverfügung von vornherein unzulässig. 133 BGHSt 40, 257 (Kemptener Fall). 134 Kritisch gegenüber einer Ernährungseinstellung aber z. B. Deichmann, MDR 1995, 985; Wiese, NJW 1997, Heft 30, XXII; Dörner, ZRP 1996, 93, 94.

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Auffassung des Bundesgerichtshofs kommt es entscheidend auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen an, d. h. seinen individuellen hypothetischen Willen, zu dessen Ermittlung bei fehlenden Anhaltspunkten für individuelle Präferenzen auf „allgemeine Wertvorstellungen", etwa die Nähe des Todes, die Aussichtslosigkeit der Prognose oder die Chancen der „Wiederherstellung eines nach allgemeinen Vorstellungen menschenwürdigen Lebens" zurückgegriffen werden müsse. Im Zweifel gehe der Schutz des Lebens vor. 136 Damit scheint zur Strukturierung der Entscheidungsfindung bei passiver Sterbehilfe der Dreischritt ausdrücklicher Wille - mutmaßlicher Wille - Rückgriff auf allgemeine Wertvorstellungen zur Hand zu sein. 137 Doch so einfach ist es nicht. Erstens ist unklar, ob und unter welchen Umständen sogenannte Patientenverfügungen, in denen Umfang und Grenzen der Behandlung für den Fall eigener Entscheidungsunfähigkeit niederlegt werden 138, als „ausdrücklicher Wille" des Patienten gelten können. Zunächst dominierten insbesondere auf Seiten der Ärztevertretungen Versuche, Patientenverfügungen allenfalls als ein letztlich zu nichts verpflichtendes Indiz unter anderen herabzustufen. 139 Die Diskussion konzentriert sich mittlerweile auf die notwendigen Voraussetzungen, die eine Patientenverfügung erfüllen muss, um ein hilfreiches und verbindliches Instrument der Selbstbestimmung von Patienten sein zu können.140 Bislang ist allerdings ungeklärt, unter welchen Umständen die Missachtung einer Patientenverfügung durch den Arzt 135 Der Abbruch" bezieht sich lediglich auf die Einstellung lebenserhaltender (Intensiv-)Maßnahmen, nicht auf die Einstellung jeglicher medizinischer Behandlung. Eine Basisversorgung, die nach den Grundsätzen der Bundesärztekammer menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Linderung von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie das Stillen von Hunger und Durst umfassen soll, schließt sich an die Einstellung lebenserhaltender oder kurativer Maßnahmen an. Hinzuweisen ist darauf, dass „Stillen" von Hunger und Durst auch in der Unterdrückung dieser Empfindungen liegen kann, vgl. Kutzer, MedR 2001, 77, 78, also eine Reduzierung oder Einstellung künstlicher Ernährung nicht ausschließt. 136 BGHSt 40, 257, 263 (Kemptener Fall). Im Gegensatz zum BGH und der h. M. wollen andere einen Behandlungsabbruch bei irreversibler Bewusstlosigkeit schon dann zulassen, wenn es keine Anzeichen für einen gegenteiligen mutmaßlichen Willen gibt, siehe ζ. B. schon Baumann u. a., AE-Sterbehilfe, S. 13, 15; ferner Merkel, ZStW 107 (1995), 545, 573; Hoerster, Sterbehilfe, S. 87 ff.; nicht ganz so weitgehend, aber nur geringe Anforderungen an die Indizien für einen Sterbewillen stellend Roxin, in: Schutz des Lebens - Recht auf Tod, S. 87, 89; ders. y in Medizinstrafrecht, S. 93,108 f.

137 Vgl. Verrei,

JZ 1996, 225.

138 Grundlegend Uhlenbruch, NJW 1978, 566 ff.; zur Definition Berger, JZ 2000, 797, 800; Dodegge/Fritsche, NJ 2001, 176,182. 139 Vgl. z. B. Rieger, Die mutmaßliche Einwilligung in den Behandlungsabbruch, S. 85 ff.; Laufs, NJW 1999, 317, 319; Dölling, MedR 1987, 6, 9. 140 Aus dem umfangreichen Schrifttum zu Patienten Verfügungen und anderen zivilrechtlichen Formen selbstbestimmten Sterbens vgl. nur Eisenbart, Patienten-Testament und Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten, insbesondere S. 47 ff.; Lauf s / Uhlenbruch, Arztrecht, § 132, Rn. 35 ff.; Sternberg-Lieben, in: FS Lenckner, S. 349 ff.; Verrei, MedR 1999, 547 ff.; Taupitz, in: 63. DJT (2000), Bd. I, S. A 1 ff.; in der Schmitten, in: Neopaternalistische Medizin, S. 131 ff.

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strafrechtlich oder zivilrechtlich sanktioniert werden kann. 1 4 1 Zweitens ist klärungsbedürftig, wie sich Patientenverfügung und mutmaßlicher Wille zu den zivilrechtlichen Instituten der Bevollmächtigung und der Betreuung verhalten. Existiert eine aussagekräftige und aktuelle Patientenverfügung, ist diese nach zunehmender Meinung grundsätzlich zu beachten. 142 Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist auch ein Betreuer im Grundsatz an die (im Zustand der Entscheidungsfähigkeit verfasste) Patientenverfügung des Betreuten gebunden. 143 Gibt es keine (eindeutige) Patientenverfügung, kommt es auf die Entscheidung des gesetzlichen Vertreters an. Dies kann ein durch das Vormundschaftsgericht bestellter Betreuer oder ein im Rahmen einer sogenannten Vorsorgevollmacht gemäß § 1896 BGB zivilrechtlich Bevollmächtigter sein. 1 4 4 Von großer praktischer Bedeutung ist die sehr umstrittene Frage, ob der Betreuer oder Bevollmächtigte sich die Entscheidung für eine passive Sterbehilfe gemäß analoger Anwendung des § 1904 B G B 1 4 5 vom Vormundschaftsgericht genehmigen lassen muss, wie es etwa das O L G Frankfurt a. M . 1998 entschieden h a t . 1 4 6 Dani Für Strafbarkeit des Arztes zuerst Sternberg-Lieben, NJW 1985, 2734 ff.; bestätigt in ders., in: FS Lenckner, S. 349, 361; im Grundsatz zustimmend z. B. Baumann/Hartmann, DNotZ 2000, 594, 610; Spickhoff, NJW 2000, 2297, 2301 f.; Zöller, ZRP 1999, 317, 319; Wolfslast, in: FS Brauneck, S. 473,485 f. 1 42 Die Vielzahl der im Umlauf befindlichen Vordrucke für Patientenverfügungen und die fehlende rechtliche Festlegung der Anforderungen an und Wirkungen von Patientenverfügungen wirken sich im klinischen Alltag allerdings negativ auf ihre praktische Verbindlichkeit aus. 143 BGH, NJW 2003, 1588, 1591, allerdings schränkt der BGH den Anwendungsbereich von Betreuerentscheidungen und damit indirekt auch von Patientenverfügungen auf Fälle ein, in denen die Krankheit eines sterbewilligen Patienten einen „irreversiblen tödlichen Verlauf 4 angenommen hat, vgl. ebd. 1590. 144 Der Bundesgerichtshof ist in BGHSt 40, 257 (Kemptener Fall) offenbar von einem Nebeneinander von mutmaßlichem Willen und einer Entscheidung durch Betreuer bzw. Bevollmächtigen ausgegangen. Nach Meinung von Kritikern ist aber eine Betreuung eine „Stellvertretung im Willen", die nicht durch die unmittelbare Heranziehung eines mutmaßlichen Willens überspielt werden darf. Es komme allein auf die Entscheidung des Betreuers an, vgl. H. G. Koch, in: Das medizinisch assistierte Sterben, S. 297, 314. Beide Meinungen führen indessen bezüglich der Frage der Fortsetzung oder Einstellung einer lebenserhaltenden medizinischen Maßnahme kaum je zu unterschiedlichen Ergebnissen, da der Betreuer durch § 1901 BGB ohnehin dem Wohl und den Wünschen des Betreuten verpflichtet ist. Dazu BGH, NJW 2003, 1588, 1590 f. 1 45 § 1904 Abs. 1 BGB: „Die Einwilligung des Betreuers in ( . . . ) einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, daß der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt ( . . . )." - Abs. 2 dehnt die Genehmigungspflicht auf Bevollmächtigte aus. 146 OLG Frankfurt a. M., NJW 1998, S. 2747, das in seiner Entscheidung auf ein obiter dictum in BGHSt 40, 257, 261 f. (Kemptener Fall) Bezug nimmt; bekräftigt durch OLG Frankfurt a. M., NJW 2002, 689; zustimmend OLG Karlsruhe, NJW 2002, 685; LG Duisburg, NJW 1999, 2744; ablehnend OLG Schleswig, FamRZ 2003, 554; LG Augsburg, NJW 2000, 2363; AG Garmisch-Partenkirchen, FamRZ 2000, 319; LG München I, NJW 1999, 1788; AG Ratzeburg, SchlHA 1999, 50; AG Hanau, BtPrax 1997, 82; offen gelassen von

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durch wird de facto dem Gericht und damit dem Staat die Letztverantwortung bei der Entscheidung über den lebensbeendenden Behandlungsabbruch zugewiesen, was teils begrüßt 147, teils entschieden abgelehnt wird. 148

V. Reformbestrebungen und aktuelle Entwicklungen Die Dynamik der Sterbehilfediskussion lässt sich gut an der Weiterentwicklung der erstmals 1979 beschlossenen Richtlinien der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbehilfe ablesen.149 Insbesondere die Zulässigkeit eines Behandlungsabbruchs auch bei Einwilligungsunfähigen wurde mit der Zeit ausgeweitet, die Bedeutung von Patientenverfügungen aufgewertet, allerdings ohne eine rechtliche Verbindlichkeit anzuerkennen. Aktueller Ausdruck des vorsichtigen Bewusstseinswandels sind die Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung von 1998. 150 Weiterhin strikt abgelehnt werden aktive Sterbehilfe und ärztliche Selbsttötungsbeihilfe. Trotz der gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung der Patienten ist den Grundsätzen eine stark auf ärztliche Befugnisse zugeschnittene Ausdrucksweise eigen, die meist nicht Rechte oder Ansprüche der Patienten benennt, sondern den Rahmen zulässigen ärztlichen Verhaltens absteckt. Innerhalb der Rechtswissenschaft ist in den letzten Jahren der „weltanschauliche Konsens"151 bei der Beurteilung des § 216 StGB brüchig geworden. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln wurde und wird die ausnahmslose Strafbarkeit aktiver Sterbehilfe kritisiert. 152 Es wird eingewandt, die normative und strafrechtliche OLG Düsseldorf, NJW 2001, 2807. Zur Nichtabwendbarkeit des § 1904 Abs. 1 BGB auf die Heilbehandlung Mindeijähriger OLG Brandenburg, NJW 2000, 2361. 147 Saliger, JuS 1999, 16, 18 ff.; Heyers, Passive Sterbehilfe, S. 251 ff., mit umfangreichen Nachweisen zur Literatur. 148 Vgl. nur Alberts, NJW 1999, 835 f.; H.-G. Koch, in: Das medizinisch assistierte Sterben, S. 297, 315 f.; Eberbach, in: Der Wille des Menschen zwischen Leben und Sterben, S. 11, 25 ff. Vgl. auch AG Hanau, BtPrax 1997, 83 Fn. 6: Durch eine analoge Anwendung des § 1904 BGB auf Fälle des lebensbeendenden Behandlungsabbruchs maße sich der Staat die ihm verwehrte Rolle eines „Richters über Leben und Tod" an. 149 Solche Richtlinien haben keine rechtlich verbindliche Wirkung und können nichts erlauben, was das geltende Recht verbietet. Dennoch haben sie nicht nur Bedeutung für die Ärzteschaft, sondern beeinflussen Rechtswissenschaft und Rechtsprechung, wie ζ. B. die Auseinandersetzung des BGH mit den Richtlinien der Bundesärztekammer von 1993 in BGHSt 40, 257, 260 (Kemptener Fall) zeigt. Abdruck der älteren Richtlinien u. a. bei Baumann u. a., AE-Sterbehilfe, S. 44 ff. In den Grundsätzen von 1998 vermeidet die Bundesärztekammer die Verwendung des Wortes Sterbe/zi7/