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German Pages 592 [606] Year 1976
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Das Römische Reich vom IJh. v.u.Z. bis zum 3. Jh. u.Z. Erwerbungen bis zum Tode Casars H v.u.Z. Erwerbungen bis zum Tode Trajans 117u.Z. bis Ende des 3. Jh. wieder verlorene Gebiete zeitweilig dem Reich angehörende Gebiete
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Grenzbefestigung Legionslager Kriegsflotten römische Vorstöße über die Reichsgrenze Provinzgrenzen Klassenkämpfe und Volksaufstände 1 Alpes Graiae et Poeninae 1 Alpes Caltiae 3Alpes Maritimae
1
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DIE RÖMER AN R H E I N UND DONAU
BAND
3
VERÖFFENTLICHUNGEN des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR HERAUSGEGEBEN VON
JOACHIM H E R R M A N N
DIE RÖMER AN RHEIN UND DONAU Zur politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in den römischen Provinzen an Rhein, Mosel und oberer Donau im 3. und 4. Jahrhundert
AU T O R ENKOLLEKTIV: Burkhard Böttger, Gerda von Bülow, Hans-Joachim Diesner, Bernhard Döhle, Gudrun Gomolka, Rigobert Günther, Gottfried H ä r t e l , Wieland Held, Karin Iffert, Klaus-Peter Johne, Leiva Petersen, Heinz Schulz-Falkenthal, Wolfgang Seyfarth, Ilse Ulmann, Volker Weber unter Leitung von RIGOBERT GÜNTHER
UND
HELGA
KÖPSTEIN
2., unveränderte Auflage
AKADEMIE-VERLAG • B E R L I N 1978
Redaktion: Helga Köpsteiii
Erschienen i m Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1975 Lizenznummer: 202 - 100/136/78 - P 220/75 E i n b a n d und Schutzumschlag: Nina Striewski Karten: Konrad Kunz Herstellung: V E B Druckerei „ T h o m a s M ü n t z e r " , 582 B a d Langensalza Bestellnummer: 7525496 (2153/3) - LSV 0225 Printed in G D R D D R 68, - M
Vorwort
Vor reichlich eineinhalb Jahrtausenden traten große Teile Europas, darunter vor allem auch Mitteleuropas, in ihre erste bedeutende revolutionäre Umwälzungsepoche ein: in die Epoche der Niederringung der antiken Sklavenhaltergesellschaft und der Ausbildung einer neuen Gesellschaft, der Feudalgesellschaft. I m Verlauf von jahrhundertelangen Auseinandersetzungen und K ä m p f e n ist ein Teil der Völker, die sich bis in unsere Tage als geschichtswirksam und stabil erwiesen haben, entstanden. Ein Teil dieser Umwälzungen wurde in den Randgebieten Mitteleuropas ausgetragen, sowohl im donauländischen Südosten als auch im rheinländischen Westen. Verschiedene Stämme und Völker von den Kelten, Thrakern und Dakern bis zu den Germanen und Slawen stießen in diesen Gebieten mit der Expansionspolitik der antiken Sklavenhaltergesellschaft und mit dieser selbst als gewaltige politische Weltmacht, im Römischen Reich organisiert, zusammen. Sie setzten sich mit den Angriffen Roms seit den Zeiten Cäsars und Augustus' in hartnäckigem Widerstand und mehrfach in umfangreichen Volksaufständen auseinander. Es war ein erbittertes Ringen zwischen dem Militärapparat und der gesamten Staatsmacht der herrschenden Klasse der römischen Sklavenhalterordnung, die eine Ausdehnung ihrer Herrschaft über große Teile Mitteleuropas anstrebte und deren materielle K r ä f t e denen der urgesellschaftlichen Stämme weit überlegen waren, und diesen Stämmer selber. Der höheren Organisation der Arbeit und der Gesellschaftsverhältnisse hatten die urgesellschaftlichen Stämme vor allem ihre größere urkommunistische moralische Überlegenheit entgegenzustellen. Dieses Gewicht erwies sich jedoch teilweise als bedeutend genug, um einer zunächst ökonomisch überlegenen Gesellschaftsformation die weitere Ausdehnung zu erschweren. In der Spätantike war die römische Sklavenhalterordnung, von schweren Krisen erschüttert, in eine ausweglose Sackgasse geraten. „Die Sklaverei war ökonomisch unmöglich, die Arbeit der Freien war moralisch geächtet. Die eine konnte nicht mehr, die andere noch nicht Grundform der gesellschaftlichen Produktion sein. Was hier allein helfen konnte, war nur eine vollständige Revolution". ' Mit diesen Worten schloß Friedrich Engels seine Analyse der verfal1
Engels Ursprung 145.
6
Vorwort
lenden antiken Gesellschaftsordnung. Im Verlauf der Auseinandersetzung zwischen der römischen Sklavenhaltergesellschaft und den verschiedenen Stämmen an den Grenzen des Römischen Reiches entwickelten sich in hohem Maße gerade in den Grenzgebieten die gesellschaftlichen Kräfte, die in der Lage sein sollten, die antike Gesellschaftsordnung aus dieser Sackgasse herauszuführen und den revolutionären Umwälzungsprozeß maßgeblich zu vollziehen. Diese komplizierten Prozesse können selbstverständlich in dem vorliegenden Band bei weitem nicht untersucht werden — lediglich einige geographische und gesellschaftliche Teilbereiche sind Gegenstand gründlicheren Studiums: die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklungen in den Rhein-Donau-Provinzen am Rande des mitteleuropäischen Germaniens und die Krise der antiken Sklavenhaltergesellschaft in diesen Provinzen bis zur Zerschlagung der alten Gesellschaft im 5. Jh. Die damit verbundenen Probleme werden Sowohl in ihrer historischen Tiefe als auch in ihrer Verknüpfung zum römischen Gesamtreich verfolgt. Ferner wird dort, wo es angebracht erscheint, jeweils ein Ausblick auf die Bedingungen vorgenommen, unter denen die Feudalgesellschaft entstand und bei der Ausbildung ihrer Wirtschafts- und Klassenstruktur an antike Grundlagen anschloß. Die Herausbildung der Feudalgesellschaft und der Völker dieser Gesellschaftsordnung, darunter auch des deutschen Volkes, ist daher nicht ohne eine gründliche Untersuchung der antiken Produktionsweise, ihres Zerfalls und der Herausbildung der Keime des Neuen sowie der Kämpfe um ihre Durchsetzung zu verstehen. Insofern bietet die folgende Darstellung, die von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Rigobert Günther und Helga Köpstein ausgearbeitet wurde, eine bedeutsame Voraussetzung für die Erforschung von welthistorischen Entwicklungslinien, aus denen unter anderem auch das deutsche Volk hervorging.1 Die komplizierten Quellenverhältnisse — es mußten sowohl chronikalische, erzählende und epigraphische Aufzeichnungen als auch archäologische, numismatische und philologisch-onomastische Sachquellen durchforscht werden schienen nur durch einen Kreis von Spezialisten ausreichend zu bewältigen, der jedoch von vornherein auf die Zusammenführung der einzelnen Ergebnisse bedacht war. Und auch diese Arbeitsweise stieß auf unzählige Schwierigkeiten, die vor allem von der oftmals unüberschaubaren, unaufbereiteten Flut der Quellenfragmente einerseits und von den großen klaffenden Überlieferungslücken, vor allem zu Problemen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, andererseits verursacht wurden. Insbesondere erwies es sich, daß in der bisherigen Forschung die Möglichkeiten naturwissenschaftlicher Untersuchungen zu Fragen der Wirtschaftsgeschichte nahezu völlig vernachlässigt worden sind. Es wurde daher mit der Bearbeitung einiger Fragen begonnen, und einige erste 1
Vgl. u. a. den zusammenfassenden Bericht über die Problemdiskussion auf der Tagung der Historiker-Gesellschaft der D D R im Dezember 1972 in Dresden: ZfO 21 (1973) 441—454; die Thesen des Hauptreferates von J. Herrmann: ebd. 20 (1972) 1228-1233.
Vorwort
7
Ergebnisse wurden erreicht, ohne daß sie jedoch für den Gang der Ausarbeitung des Buches noch in nennenswerter Weise Berücksichtigung finden konnten. Es sei jedoch wenigstens an dieser Stelle darauf hingewiesen. 1 An diesem Beispiel zeigt sich, wie sehr Voraussetzungen der historischen Forschung beinahe täglich noch durch neue, weiterführende Einzeluntersuchungen erbracht werden können, ganz abgesehen davon, daß im großen Umfang durch ausgedehnte archäologische Forschungen regelmäßig neue Quellengruppen und neue bedeutsame Erkenntnisse gerade zu Fragen der Wirtschafts- und Sozialentwicklung hinzukommen. Das vorliegende Buch kann daher nur eine erste Zwischenbilanz darstellen. Es fügt sich in seiner Anlage und in seinen Zielstellungen in andere umfassendere Arbeits vor haben des Zentralinstituts ein, die auf dem Wege der interdisziplinären Zusammenarbeit möglichst ausgewogene, wesentliche Bereiche des Lebens umfassende Darstellungen anstreben. Dieses Anliegen wurde mit der Ausarbeitung des Handbuches zur Geschichte und Kultur der Slawen in Deutschland vor einigen Jahren begonnen. 2 Es findet in der Darstellung der Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa, dessen erster Band sich ebenfalls in dieser Reihe im Druck befindet, seine Fortsetzung. Wir hoffen, daß es auf diese Weise gelingen wird, nach und nach dem bedeutenden Interesse an überschaubaren Darstellungen von Problemen und Perioden der älteren Geschichte und Kulturgeschichte nachzukommen und zugleich auch die Untersuchung von neuen Fragestellungen anzuregen. Berlin, September 1973 1
2
Joachim Herrmann
Eine systematische Auswertung der Pollenanalyse und der botanischen Großreste zu Fragen der Wirtschaftsentwicklung bei E. Lange, Botanische Beiträge zur mitteleuropäischen Siedlungsgeschichte, Berlin 1971; weitere, ausführliche Arbeiten der Autorin befinden sich in Vorbereitung. Die Slawen in Deutschland vom 6.—12. Jh.. Autorenkollektiv-, hrsg. von J. Herrmann, Berlin 1970; 3. Aufl. Berlin 1974.
Inhalt
Einleitung
15-
Von Rigobert Günther und Helga Köpstein I. Politische, militärische und ethnische Entwicklung Einführung: Z u r S i t u a t i o n im R ö m i s c h e n R e i c h i m 3. u n d Jahrhundert Von Wolfgang Seyfarth A.
21 4.
Überblick über Entstehung und Entwicklung der römis c h e n P r o v i n z e n a m R h e i n u n d a n d e r o b e r e n D o n a u i m 1. u n d 2. J a h r h u n d e r t (58 v. u . Z. - 193 u . Z . ) Von Leiva Petersen 1. Die Periode der römischen Eroberungen (besonders 16 v. u.. Z. — 16/17 ii. Z.) 2. Erhebungen des Heeres und der einheimischen Bevölkerung (68—80er Jahre) 3. Ausbau des Limes und relative Konsolidierung der Verhältnisse a n der Rheingrenze (2. Jh.)
B.
C.
D i e K r i s e d e s 3. J a h r h u n d e r t s Von K l a u s - P e t e r J o h n e
(193-306)
21
32
32 43 52 59
1. Der Beginn der Krise in den Rheinprovinzen (193—235) 2. Der Fall des Limes u n d das Gallische Teilreich (235—274) 3. Zeitweilige Stabilisierung und Reorganisation des römischen Herrschaftssystems (274-306)
59 75
Die E n t w i c k l u n g im 4. J a h r h u n d e r t Von Wolfgang Seyfarth
98
(306-406/407)
1. Weitere Sicherung der Rheingrenze unter u n d nach K o n s t a n t i n I . (306-350) 2. Der Zusammenbruch der Rheinfront und die Usurpation des Magnentius (350-355)
91
103 10fr
10
Inhalt 3. Die E r n e u e r u n g der römischen H e r r s c h a f t im linksrheinischen Gebiet u n t e r J u l i a n (355-363) 4. Der endgültige Ü b e r g a n g zur Defensive an R h e i n u n d oberer Donau (365-383) 5. L e t z t e A b w e h r k ä m p f e der R ö m e r u n d Ü b e r w i n d u n g der Rheinlinie durch die G e r m a n e n (383-406/407) 6. Ausblick auf die E n t w i c k l u n g in Gallien bis zur Konsolidierung des Frankenreichs
109 121 129 133
II. Zu Stand und Entwicklung der Wirtschaft in einigen ausgewählten Bereichen der P r o d u k t i o n
137
A.
Die L a n d w i r t s c h a f t Von B u r k h a r d Böttger
138
1. Die Produktionsweise
139
a) Siedlungsformen — Flurgrctßen — Besiedlungsdichte — Die Villae rusticae Lage im Gelände 147; Lage zum K o m m u n i k a t i o n s n e t z 148; Villent y p e n 149; Villengrößen 150; Der Wirtscliaftshof 159 (Hofanlage 159; G e s i n d e u n t e r k ü n f t e 159; Scheunen u n d Speicher 161; Stallungen 162; Sonstige W i r t s c h a f t s b a u t e n 162; W e r k s t ä t t e n u n d H a n d w e r k 163)
139 139 142 14C
b) W i r t s c h a f t s f o r m e n — Ackerbau F l u r f o r m e n 167; B o d e n b e a r b e i t u n g s i n s t r u m e n t e 168; D ü n g u n g 170; E r n t e - u n d Verarbeitungsgerät 171; F e l d b a u k u l t u r e n 173 — Viehzucht Haustiere 175; Wildtiere 177 — Garten- u n d O b s t b a u
166 167
2. Absatz u n d H a n d e l 3. K o n t i n u i t ä t der ländlichen Besiedlung u n d der A g r a r p r o d u k t i o n
179 181
B.
. .
174 177
Die M e t a l l p r o d u k t i o n Von G u d r u n Gomolka
189
1. D a s Metallhandwerk im 2. u n d 3. J h
189
a) b) c) d)
r
W affenherstellung Andere Erzeugnisse des Schmiedehandwerks Schmiedewerkstätten Verarbeitung v o n B u n t - u n d Edelmetallen — Messinggefäße u n d Bronzegeschirr — Erzgießereien — Schmuck u n d T r a c h t b e s t a n d t e i l e — Sog. Münzfälscherwerkstätten
190 196 200 204 204 207 209 212
Inhalt
C.
D.
11
2. Das Metallhandwerk im 4. J h 3. Metallgewinnung
213 218
a) L a g e r s t ä t t e n b) A b b a u c) V e r h ü t t u n g der Erze
218 220 223
4. Zur K o n t i n u i t ä t des provinzialrömischen Metallhandwerks
227
Die K e r a m i k p r o d u k t ion Von Gerda von Bülow
230
1. S t a n d der K e r a m i k p r o d u k t i o n a m E n d e des 2. J h 2. Technologie der Keramikherstellung 3. W e r k s t ä t t e n u n d P r o d u z e n t e n
230 234 238
a) Terra-sigillata-Werkstätten — Besonderheiten der Technologie — E n t w i c k l u n g der Terra-sigillata-Produktion bis zum E n d e des 2. J h . — Materielle Hinweise auf Terra-sigillata-Werkstätten — Größe der Betriebe — S t a t u s der Betriebe u n d der B e s c h ä f t i g t e n b) W e r k s t ä t t e n f ü r einfaches Gebrauchsgeschirr — Wichtige Veränderungen in der P r o d u k t i o n im 3./4. J h . . . . . . . — Das Z e n t r u m bei Mayen c) Ziegeleien u n d L a m p e n w e r k s t ä t i e n
238 239 240 244 247 250 253 255 255 258
4. K e r a m i k h a n d e l 5. Veränderungen in der K e r a m i k p r o d u k t i o n während des 3. u n d 4. J h . u n d ihr E i n f l u ß auf die nachrömische Töpferei
261 264
Die G l a s p r o d u k t ion Von B e r n h a r d Döhle
269
1. S t a n d der Glasproduktion im 2. J h 2. Die rheinische Glasherstellung im 3. u n d 4. J h
271 274
a) Die P r o d u k t e b) Die Technologie der Glasproduktion — E i n r i c h t u n g der W e r k s t a t t — Arbeitsgänge bis zum fertigen Gefäß — Oberflächengestaltung der Gefäße — Diatretgläser
274 279 279 281 284 288
3. Die P r o d u z e n t e n
290
a) Erschlossene W e r k s t ä t t e n b) Die Glasmacher: H e r k u n f t , rechtliche u n d soziale Stellung
290 292
4. Besitz u n d Gebrauch der Glasprodukte 5. Glashandel 6. Zum F o r t b e s t a n d der Glasproduktion
294 296 298
12
Inhalt
III. Die sozialökonomischen Verhältnisse Von Rigobert G ü n t h e r in Z u s a m m e n a r b e i t mit G o t t f r i e d H ä r t e l (Recht), Wieland Held (Kolonat) u n d Heinz Schulz-Falkenthal (Kollegien)
300
1. W i r t s c h a f t l i c h e u n d s o z i a l e S t r u k t u r
302
a) b) c) d) e)
302 310 322 325 336
S t a d t u n d städtisches Territorium, Lagersiedlungen u n d Vici . . . . H a n d w e r k , H a n d e l u n d Kollegien Munizipales E i g e n t u m u n d Sklaverei Exemptes Grundeigentum und Kolonat Rolle u n d M a ß n a h m e n der Zentralgewalt
2. W i r t s c h a f t l i c h e u n d s o z i a l e L a g e d e r i n d e n donau-Provinzen lebenden Germanen
Rhein-Ober342
a) S t ä m m e , die bereits bis z u m 3. J h . angesiedelt waren b) L ä t e n , F ö d e r a t e n u n d Gentilen
342 344
3. K l a s s e n k ä m p f e
353
IV. Zur Rolle der Religion unter besonderer Berücksichtigung des Christentums
358
Von H a n s - J o a c h i m Diesner 1. a) b) c)
Die Periode vor dem E i n d r i n g e n des C h r i s t e n t u m s Einheimische K u l t e u n d Gottheiten (vorrömische Zeit) S y n k r e t i s m u s (seit beginnender Kaiserzeit) Mysterienkulte (seit d e m 2. J h . )
358 358 363 366
2. a) b) c)
Der Prozeß der Christianisierung Rätien Obergermanien m i t D e k u m a t l a n d , besonders Mainz U n t e r g e r m a n i e n u n d Moselland, besonders K ö l n u n d Trier
369 370 373 375
3. Die S i t u a t i o n a m E n d e der römischen H e r r s c h a f t ( R e p r ä s e n t a n t e n Salvian; Severin; Chlodwig) Ausblick
382 391
Von Rigobert G ü n t h e r Inschriften-Anhang
403
Vorbemerkungen
403
Inhaltsübersicht
405
A. Ober- u n d U n t e r g e r m a n i e n Zusammengestellt von K a r i n I f f e r t u n d Ilse U l m a n n (Verwaltung u n d Militär 407; Landwirtschaftliche P r o d u k t i o n u n d H a n d w e r k 418; H a n d e l u n d Verkehr 423; Ideologie u n d K u l t u r 427)
407
Inhalt B. Rätien Zusammengestellt von Volker Weber (Verwaltung und Militär 434; Landwirtschaftliche Produktion und Handwerk 438; Handel und Verkehr 442; Ideologie und Kultur 445)
13 434
Zeittafel Zusammengestellt von Volker Weber
450
Literatur-und Abbildungsnachweise
473
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Abkürzungsverzeichnis SiglenVerzeichnis Verzeichnis der abgekürzt zitierten antiken Autoren Verzeichnis der abgekürzt zitierten selbständigen Sekundärliteratur Verzeichnis der Abbildungen Verzeichnis der Figuren und Karten
R e g i s t e r der geographischen, Stammes-, Personen- und Götter-Namen . . .Zusammengestellt von Karin Iffert und Ilse Ulmann
473 473 475 476 479 490 493
Einleitung
Die römischen Provinzen Niedergermanien, Obergermanien und Rätien umfassen etwa den Bereich der römisch-germanischen Kontaktzone am Bhein und an der oberen Donau. Hier begegneten sich seit den Eroberungen Casars und Augustus' Römer und Germanen, zunächst in meist kriegerischer Auseinandersetzung, später zunehmend auch im friedlichen Kontakt — im Handel und vor allem auch im ständigen Zusammenleben im zivilen Bereich oder im Heer —, bis, beginnend mit dem 3. Jh., die Germanen Herren auf provinzialrömischem Boden wurden und schließlich mit dem römischen Staat auch die alte Gesellschaftsordnung zerschlugen. Aus den feudalen Keimen innerhalb der germanischen Gesellschaft und den sich in der späten antiken Klassengesellschaft im rheinisch-nordostgallischen Raum zögernd entwickelnden feudalen Elementen bildeten sich — unter anfangs aktiver Mitwirkung breiter bäuerlicher Bevölkerungsteile — schließlich seit dem 5./6. Jh. Feudalverhältnisse heraus, deren spezifische Prägung die weitere westeuropäische Feudalentwicklung bestimmte. Das spezielle Interesse gilt also der Frage, inwieweit die Verhältnisse in den Rhein-Oberdonau-Gebieten Voraussetzungen dafür boten, daß die Entwicklung im späteren Frankenreich zum Feudalismus verlief und daß sich in West- und Mitteleuropa gerade diese — fränkische — Form des Feudalismus durchsetzte, d. h. inwieweit objektive historische Faktoren auf der römischen Seite die spezifisch fränkische Entwicklung begünstigten. Unter universalhistorischem Gesichtspunkt ebenso wie aus der Sicht der Geschichte des deutschen Volkes ergibt sich die Konzentration auf das RheinOberdonau-Gebiet. Soweit es das Thema erfordert, wird — zumindest partiell — auch das Moselgebiet bis etwa zur Maas einbezogen (die spätere Belgica I) so wieder nordostgallische Raum (Teil der späteren Belgica II), der ja mit zu den von Franken am frühesten eroberten Gebieten gehört. Die Belgica und die beiden Germaniae standen zudem unter gemeinsamer Finanzverwaltung; das gallische Gebiet ist schließlich auch für das Problem der Läten von Interesse. Damit werden all die provinzialrömischen Gebiete erfaßt, die in der späten Kaiserzeit von Franken und Alamannen ständig bedroht und schließlich erobert wurden und die au& inneren wie äußeren Ursachen für die spätere Entwicklung Bedeutung gewannen-
16
Einleitung
Von der Fragestellung her stehen das 3. und 4. J h . als Phase der verstärkten unmittelbaren römisch-germanischen Auseinandersetzung im Rhein-Oberdonau Gebiet im Vordergrund. Diese Auseinandersetzung war dadurch bedingt, daß die Stärkung der germanischen Stämme, ihr Zusammenschluß zu Stammesverbänden im 3. J h . und verstärkte Tendenzen zur Zersetzung der urgesellschaftlichen Produktionsverhältnisse auf der germanischen Seite zusammentrafen mit der allgemeinen Krise der antiken Klassengesellschaft seit Ende des 2. Jh., verbunden mit politischem und militärischem Niedergang, auf der römischen Seite. So sind diese beiden Jahrhunderte gekennzeichnet zum einen durch erneute und wirksamere Vorstöße der Germanen über Rhein und Donau ins Römische Reich und zum anderen durch den auf eine kurze Stabilisierung folgenden Zusammenbruch der Römerherrschaft in den von den Einfällen betroffenen Gebieten — ein Zusammenbruch, dem durch die im ganzen noch ungelösten sozial-ökonomischen Widersprüche der späten antiken Klassengesellschaft der Boden bereitet war, der aber erst mit der Eroberung der Germanen und der Übernahme der staatlichen Macht durch sie im 5. J h . vollendet wurde. Damit war auch der Weg frei für die Herausbildung der neuen, der feudalen Gesellschaftsordnung. Im allgemeinen enden die Untersuchungen mit dem Jahr 406/407, als im Gefolge rovincia und spricht nur von der Mündung der Elbe, nicht dem Strom selbst, den seine Heere erreicht hätten — ein vergleichsweise vager Ausdruck 3 —; er wollte auch nach seinem Testament Donau und Rhein als Grenzen des Reiches festgelegt sehen, öffentlich proklamiert wurde jetzt der Triumph desGermanicus „über die Cherusker, Chatten, Angrivarier", Münzen feierten die „zurückgewonnenen Feldzeichen", „die besiegten Germanen". 4 Dennoch verzeichnen die Quellen keinen Verzicht, sondern lassen eher einen fortgesetzten Anspruch vermuten. 5 Die Legaten des ober- und des niedergermanischen Heeres befehligten zusammen das größte Grenzheer des Reiches und besaßen eine Sonderstellung, die sie den Statthaltern großer Provinzen gleichstellte. I n der Finanzverwaltung gehörte das Rheinland auch jetzt zu Gallien, und nach der Varusschlacht wurde auch der schmale linksrheinische Streifen am Unterlauf des Stromes der Provinz Belgica zugeschlagen. So sind das an die Belgica und die Lugdunensis angrenzende linksrheinische Gebiet und der dünn besiedelte Landstrich rechts des Stromes, der zu dieser Zeit unter römischer Kontrolle stand, in erster Linie als „Militärgrenze" zu verstehen; jedoch gerade an dieser entwickelten sich zivile provinziale Lebensformen und eine blühende Wirtschaft, entstanden B a u t e n und Kunstwerkstätten. Offenbar wurde eine solche Entfaltung begünstigt durch die Zusammendrängung großer italischer Truppenverbände, der Legionen, und zahlreicher germanischer und keltischer Hilfstruppen und Stammesangehöriger sowie nach dem Dienst dort angesiedelter Veteranen auf engem R ä u m e . Aber auch in der späteren Umformung des Militärbezirks in die ober- und niedergermanische Provinz blieb der militärische Charakter der Romanisierung erhalten (vgl. Abb. 4 - 6 ) . Die Beibehaltung der Truppenmacht von acht Legionen in diesem R a u m bis in die Regierungszeit Trajans ist kaum anders zu verstehen, als daß das Problem „Germanien" für den Prinzeps und für das Bewußtsein der herrschenden Schichten in R o m seine endgültige „Erledigung" noch nicht gefunden hatte. Denn eine wirkliche Bedrohung ging für Gallien und Italien in dieser Zeit nicht von den Tac. ann. 1, 5 5 - 7 1 . Tac. ann. 2, 26: posse et Cheruscos ceterasque rebellium gentes intemis discordiis relinqui. 3 RGDA 26: Gallias et Hispanias provincias item Germaniam, qua includit Oceamts a Gadibus ad ostium Albis fluminis pacavi; dazu Vell. Paterc. 2, 108, 1; 2, 97, 4. '' Tac. ann. 2, 41, 2. 3; Suet. Caligula 1, 1; Dio 59, 15, 2; Fasti Ostienses Inscriptiones Italiae 13, 1, S. 184f.; Kalendae Amiternini, ebd. 13, 2, S. 187; weitere Belege P I R 2 J 221, S. 181. 5 Vgl. D. Timpe, Chiron 1 (1971) 268-284, bes. 284. 1
2
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Politische, militärische, ethnische Entwicklung
Germanen aus, und allein als Schutz gegen das Einsickern einzelner germanischer Gruppen in einen zweifellos siedlungsverdünnten Raum im Stromgebiet wäre •dieser militärische Aufwand kaum zu rechtfertigen gewesen. Hatte nach der Varusschlacht ein Einbruch nach Gallien im Bereich der Möglichkeit gelegen, so verringerte sich in den nächsten Jahren diese Gefahr mit der Auflösung des Kampfbündnisses: Arminius hatte nicht als Exponent oder Herrscher eines •größeren Verbandes und erst recht nicht eines geeinten Germanien gehandelt, und er fiel jetzt selbst den Adelskämpfen zum Opfer, nachdem er sich seinerseits gegen Marbod — im Bunde mit einem Teil von dessen abgefallenen Anhängern gewandt hatte. 1 Ein germanisches Königtum mit weitreichender Wirkung konnte noch keinen Bestand haben; auch für die Bildung eines Stammesverbandes war die Entwicklung innerhalb der Stämme noch nicht reif. Erst ein halbes Jahrhundert nach der Abberufung des Germanicus sollte ein weiteres entscheidendes Ereignis die Geschichte der Rheinlande bestimmen- und zugleich die im ersten Jahrhundert dauernde enge Verknüpfung dieses Gebietes mit der Reichsgeschichte ganz besonders deutlich zeigen. Auch in den dazwischenliegenden Jahrzehnten wurde jedoch unter der Regierung jedes der Kaiser aus dem iulisch-claudischen Hause in Germanien gekämpft, gab es Bewegungen und Aufstände der einheimischen Bevölkerung. Im Jahre 21 mußte eine Erhebung, die unter der Führung keltischer, seit langem romanisierter Adliger in der Gegend um Trier ausgebrochen war, niedergeworfen werden;- sieben Jahre später erhoben sieh die am Ozean quasi innerhalb der Reichsgrenzen lebenden Friesen, um sich ihrer Naturaltribute zu entledigen, erst 20 Jahre später unter Kaiser Claudius gelang es, sie wieder auf ihrem Siedlungsgebiet festzusetzen und Rom botmäßig zu machen. 3 Im gleichen Jahrzehnt galten mehrere Feldzüge den Chauken, Nachbarn der Friesen;''sie beschäftigten den linken Flügel der den Rhein überschreitenden römischen Heeresmacht, während am rechten, im heutigen Hessen, erstmals die Chatten gegenüber den stark mit römischen Truppen belegten Gebieten um Mainz erschienen und nun die Hauptgegner werden sollten. Die südlich angrenzenden Mattiaker (um Wiesbaden) wurden hingegen in bundesgenössischer Abhängigkeit gehalten und ihre Silbervorkommen seit der Mitte des Jahrhunderts unter römischer Regie bergwerksmäßig ausgebeutet. Die nördlich von den Chatten angesiedelten Cherusker traten um diese Zeit (47) noch einmal mit der römischen Macht in unmittelbare Berührung, als sie sich von Kaiser Claudius den in Rom erzogenen, mit römischem Bürgerrecht begabten Neffen des Arminius. Italicus, als rex (so Tacitus) erbaten. Der Adel des Landes 1
Semnonen, Langobarden. Hermunduren, die sich seinem Machtbereich angeschlossen hatten, fielen von Marbocl ab. 2 Tac. ann. 3, 4 0 - 4 2 . 4 4 - 4 6 ; 4, 18; Vell. Paterc. 2. 129, 3. 3 Tac. ann. 11, 19. Nach den Ereignissen des Jahres 70 gibt es wiederum reg\iläre bundesgenössische Einheiten der Friesen. 4 Dio 60, 30, 4.
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hatte sich in seinen Zwistigkeiten und Parteiungen gegenseitig aufgerieben. Die Mutter des Italicus scheint eine Chattin gewesen zu sein, 1 ein Zeugnis für die Verbindung zwischen den Adelsschichten verschiedener Stämme, auch solcher, die wie Chatten und Cherusker miteinander rivalisierten. Die alten Gegner der Römer, die Cherusker, traten nicht mehr in Erscheinung, der Nachfolger und vielleicht Sohn des Italicus, Chariomerus 2 , wurde von den Chatten wegen seiner Freundschaft zu R o m vertrieben, und der Stamm verschwand, sich vielleicht weiter östlich mit suebischen Gruppen vermischend. 3 So sind die Jahrzehnte bis zur Mitte des Jahrhunderts gekennzeichnet durch vielfältige Bewegungen und Begegnungen — nicht nur kriegerischer Art — an einer offenen Grenze; denn der Rhein markierte diese Grenze mehr, als daß er zwei streng getrennte Bereiche voneinander schied. Ein Zeugnis für das Leben unmittelbar an der Grenze ist die Erhebung des ehemaligen Vororts der Ubier am linken Rheinufer, der Ära Ubiorum, in den Rang einer römischen Kolonie, der ersten auf dem später deutschen Territorium, als Colonia Claudia Ära Agrippinensium (Köln; CCAA in Inschriften, auf Ziegelstempeln und auf Geräten). Kaiser Claudius verlieh ihr den Namen seiner Gattin Agrippina, die während der Feldzüge ihres Vaters Germanicus in Köln geboren ist. Erst 50 J a h r e später verlieh Kaiser Trajan das gleiche Recht einem zweiten Ort, dem Kugernervicus bei X a n t e n am Niederrhein, den er als Colonia Ulpia Traiana (CUT) mit vollem Stadtrecht einer römischen Kolonie neu anlegte. 4
2. E r h e b u n g e n des Heeres und der einheimischen Bevölkerung (68—80er J a h r e ) Mit der Aufstandsbewegung des Iulius Vindex, eines römischen Statthalters der Provinz Gallia Lugdunensis, beginnt der entscheidende Zeitraum von drei Jahren, der auch in der Geschichte der Rheinlande Epoche gemacht hat (68). Wieder entstammte der Führer des Aufstandes dem einheimischen Adel, einer keltischen, aquitanischen Familie, die, schon seit Generationen romanisiert, bereits in der dem Vindex vorangehenden Generation auf Grund des Erlasses des Claudius in den Senat gelangt war. 5 Iulius. Vindex stand an der Spitze des reichsten grundbesitzenden Teils der aquitanisch-lugdunensischgn Bevölkerung, der durch die Steuerauflagen der römischen Verwaltung besonders bedrängt i Tac. arm. 11, 16. 17; PIR2 J 60. Dio 67. 5. 1; P I R 2 C 714. 3 Über ethnische Veränderungen am Ober- und Niederrhein s. unten S. 342—344. 4 Ptol. 2. 9, 8. Über den Charakter der Kolonien Colonia Claudia Ära Agrippinensium und Colonia Ulpia Traiana: Rüger 76—87. Über die sog. Titularkolonien, zu denen viele Vororte der ländlichen Civitates gehörten, z. B. Stein Truppenkörper 9 f. 5 Die Rede des Claudius im Senat ist erhalten CIL X I I I 1668 = ILS 212; Tac. nnn. 11, 24.
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war. Seine Erhebung gibt das Zeichen zum Abfall von Nero an vielen Orten des Reichs, und seine Stellung als römischer Senator und Provinzialstatthalter gibt ihm die Möglichkeit, Verbindung zu den senatorischen grundbesitzenden Kreisen in Rom zu suchen, indem er Nero seine Senatsfeindlichkeit vorwirft. 1 Direkte schriftliche Verbindungen zu Sulpicius Galba in Spanien, der dort als römischer Statthalter ebenfalls einen Kreis einheimischen besitzenden Adels als eine Art „Senat" um sich schart, werden geknüpft, während innerhalb Galliens nur ein Teil der keltischen Stämme, wenn auch ein recht bedeutender, nämlich Häduer. Arverner, Sequaner, Viennenser, sich ihm anschließen. Die ebenfalls stark romanisierten Treverer der Provinz Belgica und die Lingonen (jenen benachbart und später zur Germania superior gehörig) bleiben dem Aufstand fern. Die obergermanischen Legionen unter ihrem Befehlshaber Verginius R u f u s machen diesem ersten Versuch, ein „freies" Gallien unter einer zentralistischen einheimischen Adelsherrschaft, aber in weitgehend von Rom beeinflußten staatlichen Formen zu errichten, bei Vesontio (Besanijon/Doubs) ein rasches Ende. Die Frage nach dem Charakter dieser Erhebung ist oft gestellt worden. Ihr politisches Ziel weisen die Legenden Salus gentris humani, Fax et libertus, Ultor, Adsertor der von Vindex in der Münzstätte von Vienna (Vienne/Rhöne) geschlagenen Münzen aus, und ihre Ambivalenz ist mit Recht hervorgehoben worden Gallische Freiheitsbestrebungen vermischen sich mit dem ursprünglich den Anstoß gebenden Wunsch, Nero zu stürzen und selbst die Herrschaft des Reiches an sich zu reißen. So jedenfalls beurteilen die antiken Quellen den Abfall des Vindex, deren Niederschlagsich bei den späten römischen Chronographen findet. Erst die beiden folgenden Jahre, in denen die Ereignisse in den Rheinlanden aufs engste mit dem Bürgerkrieg und den Krisenerscheinungen im ganzen Reich verschmelzen und das Imperium von den großen Geschlechtern nach Aussterben des iulisch-claudischen Hauses auf die aus dem italischen Munizipaladel stammenden Flavier übergeht, erst diese J a h r e 69/70 zeigen die ganze Gefahr, die für Rom in der Erhebung des Iulius Vindex bereits angelegt war. Als der Niederrhein durch den Abzug eines Teils der Legionen, die mit ihrem zum Kaiser ausgerufenen Legaten Vitellius nach Italien ziehen, von römischen Truppen weitgehend entblößt ist, erhebt sich Iulius Civilis'1, aus „königlichem Stamm" der germanischen Bataver, Befehlshaber eines Teils der im römischen Heer inkorporierten batavischen Auxiliartruppen" 1 und Eigentümer von Ländereien und 1
Sämtliche Belege zur Erhebung des Vindex: P 1 R - J 628. Der Beiname scheint aus keltischem Wortstamm gebildet zu sein, obwohl seine Münzen „Rächer" deuten. - Literatur zur Frage s. P I R 2 J 628. S. 295, vor allem R. Syme, Tacitus, 1958, 4 6 1 - 4 6 3 . ;l tyrannus sub Jerone-. MGH AA, Chron. minora ed. Mommsen, Berlin 1892, 520. Über Iulius Civilis: P I R 2 J 264 mit allen Belegen, bes. Tac. bist. 1, 59; 4, 5 5 - 6 6 . 7 0 - 7 9 ; 5, 1 4 - 2 6 . 5 Tac. hist. 4, 32, 3.
Vindex ihn als Oxford B(l. 1, 13-37.
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Villen, die b e m e r k e n s w e r t erscheinen. Die m i t d e n C h a t t e n e n g v e r w a n d t e n u n d e i n s t m a l s wohl m i t ihnen z u s a m m e n siedelnden B a t a v e r lebten ebenso wie ihre g e r m a n i s c h e n N a c h b a r n i n n e r h a l b des n i e d e r g e r m a n i s c h e n Militärbezirks, also als gens foederutu a u t Reichsgebiet (am U n t e r r h e i n , a m W a a l u n d auf d e r R h e i n insel) u n d stellten — anstelle von T r i b u t z a h l u n g e n — seit l a n g e m S o l d a t e n , die in eigenen H i l f s k o n t i n g e n t e n u n t e r einheimischen Offizieren d i e n t e n . Z u m e i s t w a r e n sie a u c h in ihrem eigenen S t a m m e s g e b i e t s t a t i o n i e r t . A c h t K o h o r t e n d e r B a t a v e r a b e r w a r e n a n d e r B e s e t z u n g B r i t a n n i e n s beteiligt, die n u n z u r ü c k k e h r t e n , u m Vitellius n a c h I t a l i e n zu folgen, s t a t t dessen als e r p r o b t e S o l d a t e n ein gewichtiger Z u z u g f ü r Civilis werden sollten. Bisher h a t t e es keine V e r a n l a s s u n g f ü r R o m gegeben, diesen einheimischen T r u p p e n , deren Offiziere r ö m i s c h e s B ü r g e r r e c h t b e s a ß e n u n d in der r ö m i s c h e n Disziplin erzogen w a r e n , zu miß-, t r a u e n ; d o c h h a t t e m a n o f f e n b a r die W a n d l u n g e n , die sich i n n e r h a l b d e r S t a m m e s s t r u k t u r . n i c h t zuletzt d u r c h die B e r ü h r u n g u n d im engen Z u s a m m e n l e b e n mit r ö m i s c h e n T r u p p e n u n d der zivil-römischen G r e n z b e v ö l k e r u n g vollzogen h a t t e n , n i c h t b e m e r k t . Civilis selbst h a t t e in seiner E i g e n s c h a f t als Offizier schon zweimal u n t e r d e m V e r d a c h t d e r Rebellion g e s t a n d e n , w a r a b e r sowohl von G a l b a wie von Vitellius freigesprochen w o r d e n . D o c h scheinen die rücksichtslose B e h a n d l u n g , die er im römischen Dienst e r f a h r e n h a t t e , u n d die willkürlichen R e k r u t i e r u n g e n u n t e r den B a t a v e r n d u r c h die A n h ä n g e r des Vitellius z u m Ausb r u c h des A u f s t a n d s beigetragen zu h a b e n . D e r erste römische Gegenschlag scheitert a u f d e r „Insel d e r B a t a v e r " im holländischen R h e i n , d a die b a t a v i s c h e n R e i t e r s c h w a d r o n e n zu Civilis ü b e r g e h e n . A u c h in einem zweiten Gegenschlag vor d e m Legionslager B o n n wird die U m z i n g e l u n g d e r römischen T r u p p e n v o n d e n B a t a v e r n g e s p r e n g t , die j e t z t weiteren Zuzug d u r c h die b a t a v i s c h e n K o h o r t e n e r h a l t e n , die Vitellius gen Süd e n nachfolgen sollten. Als im S o m m e r 69 die e r s t e K u n d e von d e r E r h e b u n g V e s p a sians im Orient n a c h G e r m a n i e n d r i n g t , gibt Civilis vor, in seinem N a m e n zu h a n deln, u n d er k a n n sich dabei auf Briefe des A n t o n i u s P r i m u s , eines e n t s c h i e d e n e n A n h ä n g e r s Vespasians, u n d des o b e r g e r m a n i s c h e n L e g a t e n H o r d e o n i u s F l a c c u s b e r u f e n m i t der W e i s u n g , keine weiteren T r u p p e n f ü r Vitellius n a c h I t a l i e n zieh e n zu lassen; j e d o c h h ä n g e n die in G e r m a n i e n verbliebenen Teile der Legionen weiterhin Vitellius a n u n d ziehen sich n a c h V e t e r a C a s t r a z u r ü c k . D e r E n t s a t z d e r d o r t von Civilis Eingeschlossenen d u r c h d e n schwächlichen L e g a t e n H o r d e onius gelingt n i c h t , d a germanische S c h a r e n schon bis ins K ö l n e r u n d Trierer Gebiet g e d r u n g e n sind, ja d a s Mainzer Lager selbst u n d die von d o r t a u f g e b r o chenen T r u p p e n im R ü c k e n bedrohen. Die Teile d e r in V e t e r a C a s t r a eingeschlossenen 5. u n d 15. Legion k ö n n e n sich d o r t n i c h t h a l t e n , die V e r b i n d u n g zum N a c h s c h u b l a g e r N o v a e s i u m (Neuß) wird u n t e r b r o c h e n ; die selbst zwischen Vitellius u n d Vespasian s c h w a n k e n d e n T r u p p e n f ü h r e r , H o r d e o n i u s F l a c c u s u n d d e r t a t k r ä f t i g e r e Legionslegat Dillius Vocula, müssen n a c h ihrer A n k u n f t — erst in G e l d u b a (Gellep) a m Rhein, d a n n in N e u ß — den j e t z t o f f e n sich gegen sie e m p ö r e n d e n T r u p p e n weichen. H o r d e o n i u s wird in N e u ß von den S o l d a t e n g e t ö t e t , Vocula e n t k o m m t , als Sklave verkleidet.
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Erst als der T o d des Vitellius im K a m p f gegen Vespasian (in einer Schlacht bei Cremona) bekannt wird, leisten die Legionstruppen widerstrebend den E i d auf Vespasian sowohl am Niederrhein wie in Mainz. Dennoch brechen im W i n t e r 69/70 die Gegensätze innerhalb des römischen Heeres, zwischen den nieder- und obergermanischen Truppenteilen, vollends auf, und diese Zerwürfnisse tragen dazu bei, daß der batavische Aufstand zu einer umfassenden Erhebung der germanischen Stämme am Niederrhein innerhalb und außerhalb des Reichsgebiets werden kann. Es erheben sich schließlich alle germanischen Stämme rechts des Rheins von der Küste bis nach K ö l n und Mainz: Chauken, Friesen, Brukterer, Tenkterer, Usiper, Chatten. Der Krieg, dessen Anlaß einerseits die Rivalität von um die Macht im Reich kämpfenden Truppen verbänden und besonders ihrer Heerführer war, in welchem aber andererseits zu gleicher Zeit Legionen gegen ihre eigenen Hilfstruppen und Bundesgenossen im Felde standen, dieser K r i e g verbandsich mit einer so kräftigen und vollkommenen, durch eine geübte und große germanische Streitmacht aus vielen Stämmen gestützten Erhebung, daß Civilis jetzt denVorwand, für Vespasian zu kämpfen, ohne weiteres fallen lassen konnte. Dabei ist festzuhalten, daß eine übergreifende politische Konzeption des germanischen Aufstands weder am Anfang noch jetzt sichtbar wurde und auf allen Seiten auch Macht- und Beutegewinn zweifellos eine Rolle spielte. Das mag der Grund dafür sein, daß der W i derhall der Bewegung in Gallien, wo das Andenken an Iulius Vindex noch lebendig gewesen sein muß, lange Zeit gering blieb und daß sie erst im Jahre 70 einen erheblichen Teil Galliens ergriff und so zu einer germanisch-gallischen wurde. „Dank der Sorglosigkeit der Heerführer, der Meuterei der Legionen, dem Eingreifen äußerer Feinde und der Treulosigkeit der Bundesgenossen geriet" nach den W o r t e n des Tacitus „ R o m an den R a n d des Verderbens". 1 I n Gallien sind es vor allem Treverer und Lingonen — also diejenigen, die Vindex ferngeblieben waren —, die sich Civilis anschließen. Auch hier ist ein Teil des Adels in Verbindung mit der einheimischen Priesterkaste der Druiden die treibende K r a f t der Erhebung, wie das politische und religiöse Zentrum für die Germanen um Civilis die Seherin Veleda ist. Dabei ist es nicht so, daß römerfeindliche und -freundliche Parteiungen mit den Stammesgrenzen oder auch nur den Stammeshäuptern übereinstimmten, die Spaltung geht o f t mitten durch die Stämme, ja, ihre Familien, hindurch. Sogar unter den Batavern vertritt z. B. ein Claudius Labeo 2 einen gegenüber R o m gemäßigten Teil des Adels und wird deshalb von seinem Rivalen Civilis zu den Friesen verbannt. Den radikalen Vorkämpfern einer „gallischen Freiheit", die jetzt in den Vordergrund treten, dem Treverer Iulius Classicus, auch er adliger Abkunft und Offizier einer Ala, und seinem St am niesgenossen Iulius Tutor, der noch unter Vitellius praefectws ripoc Rheni war, steht Iulius Auspex gegenüber, der in der bei den Remern durchgeführten Versammlung der gallischen Stammeshäupter im Jahre 70 zum Frieden 1 Tac. hist. 3, 46, i . 2 Tac. hist. 4, 18. 56. 66. 70.
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rät. Dem B a t a v e r Iulius Maximus, dem Civilis einen Teil seiner Scharen anvertraut hatte, steht Civilis'Neffe Iulius Briganticus gegenüber, der mit seiner R e i terschwadron erst für Vitellius, dann für Vespasian kämpft, aber stets auf römischer Seite bleibt und im K a m p f gegen Civilis fällt. 1 I m Gegensatz zu dem ungestümen Vorwärtsdrängen des Civilis richtet sieb das Ziel der mit römischen Staats- und Verwaltungseinrichtungen vertrauteren und fortgeschritteneren gallischen Adelsschicht auf ein eigenes „gallisches R e i c h " , dessen Unabhängigkeit von Rom und selbständige Herrschaft auch weiterreichend sein sollten, als sie von Vindex erstrebt worden waren. Iulius Sabinus 2 , Haupt der mit den Treverern verbündeten Lingonen, der sich selbst der Abstammung vom Diktator Cäsar rühmt, macht sich zum Cäsar ebendieses Reiches und vereidigt darauf nicht nur alle verbündeten gallischen Stämme, Treverer, Lingonen und die linksrheinischen germanischen Triboker und Wangionen, sondern auch Civilis selbst muß sich nach einem Gefecht zusammen mit seinen b a tavischen Scharen dem Eid auf das „gallische R e i c h " unterwerfen ; 3 doch werden die Widersprüche innerhalb der Verbündeten von Anfang an deutlich. Auch bleiben schon die den Lingonen benachbarten Sequaner im Bereich des obergermanischen Heeres und die den Treverern benachbarten Mediomatriker (um Metz) in der Belgica dem Bündnis fern. Den Truppen der 22. Legion, die nochmals und wieder vergeblich versuchen, von Mainz nordwärts bis nach X a n t e n zu dringen und das Lager mit Truppenteilen aus Bonn und Neuß zu entsetzen, wird von Classicus und Tutor eine furchtbare Niederlage beigebracht. Nach grausamer Niedermetzelung aller Offiziere außer denen, die trotz gallischer Abstammung, die Truppe noch nicht verlassen hatten, bleibt es dieser nicht erspart, auch selbst den Eid auf das „gallische Reich" zu leisten. Die Gefangenen werden der Veleda über bracht. Die Überwältigung der Legionäre durch ihre Hilfstruppen, die für die Freiheit ihrer Heimat kämpfen, und des Reiches durch seine gallischen Provinzen scheint, wenn man die Verhältnisse vom Rheinland aus betrachtet, bevorzustehen. Die Radikalsten der Verbündeten, die germanischen Tenkterer, versuchen jedoch vergeblich, Civilis dazu zu bewegen, das ihnen gegenüber gelegene mächtige Köln zu zerstören und auszuplündern. Die Stadt ist zu dieser Zeit schon so weit romanisiert, daß sie das Ansinnen der Tenkterer ablehnen kann, die Römer in ihren Mauern zu morden, die doch „ihre Väter, Brüder, K i n der"' 1 sind, und so stark, daß sie es verweigern kann, ihre Mauern schleifen zu lassen. Nur gezwungen schließt sie sich Civilis an, um später als erste wieder abzufallen und den neuen römischen Legionen ihre Tore zu öffnen. F ü r den Augenblick aber wird das unversehrte Potential der Ubier, wenn auch seiner Zollvorrechte gegenüber seiner Umgebung beraubt, für Civilis und die Veleda Mittelpunkt und starker Rückhalt ihrer Position. 1
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Zu den hier genannten Treverer- und Bataverführern s. PIR 2 J 267. J J 607. J 421. J 211. Hauptquelle ist das 4. Buch der Historien des Tacitus. PIR2 J 535; Tac. hist. 4, 55. Tac. hist. 4, 58-60. Tac. hist. 4, 65.
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Mit der Festigung der Lage im Osten des Reiches, im Donauraum und in Italien muß dann doch die machtvolle Aufstandsbewegung der Bataver und das „gallische Reich", die einer Vorwegnahme dessen gleichen, was sich knapp 200 Jahre später, nun aber erfolgreich, wiederholen sollte, zusammenbrechen. Mucianus, der mächtigste Gefolgsmann Vespasians in Rom, kann, während der Kaiser selbst noch im Osten weilt, einen geübten Feldherrn, Petilius Cerialis, in der Begleitung des Prinzen Domitian mit einer gewaltigen Trüppenmacht von sechs Legionen und weiteren Vexillationen nach Norden entsenden. 1 Über verschiedene Pässe das Heer nach Obergermanien führend, erreicht Cerialis Mainz und eilt von dort weiter ins Treverergebiet; in kurzem steht er vor Iligodulum bei Trier und nimmt die Hauptstadt der Belgica selbst ein, wohin sich die Reste der früheren Legionen nach ihrer vollständigen Kapitulation geflüchtet hatten. Fast wäre durch die Sorglosigkeit der römischen Truppen, deren Abteilungen durch die Mosel getrennt waren, noch einmal der Sieg an die Verbündeten gefallen, aber die 21. Legion gibt schließlich nach hartem Kampfe gegen Treverer und Lingonen den Ausschlag für den Sieg, und mit ihm findet das „gallische Reich" sein Ende. Während App. Annius Gallus, der mit Cerialis über die Alpen gekommen war, als Legat am Oberrhein das obergermanische Heer neu konsolidiert, wendet sich Cerialis von Trier gegen Civilis selbst und seine Verbündeten ani Niederrhein. In Köln findet er sogleich eine feste Stütze, und in einer großen, drei Tage währenden Schlacht im überfluteten Rheintal in der Nähe vonVetera Castra gegen Bataver, Kugerner, Brukterer und Tenkterer wird das Schicksal des Aufstands besiegelt. Die mangelnde Gemeinsamkeit und die fehlenden Vorbereitungen gegen einen systematischen und konzentrierten Angriff frischer römischer Kräfte mußten — zumal angesichts der noch bedeutenden inneren Stärke des Reichs — schließlich zum Zusammenbruch führen, der fast an der Stätte des Ausgangspunkts, auf der „Insel der Bataver" im Rheinmündungsgebiet, eintrat.Nach den Wendepunkten in der Geschichte der römischen Rheinlande von 12 v. Z. und von 9 und 17 u. Z. haben die Ereignisse des Bataverkrieges die größte Bedeutung für die folgenden zwei Jahrhunderte gehabt, und zwar nicht nur für das römische Gebiet, sondern ebenso sehr für das freie Germanien, dessen enge Wechselbeziehungen zum Militärbezirk am Rhein in diesen Jahren deutlich wurden. Unmittelbare Folge war die Neuaufstellung beider germanischer Heere und die völlige Umgestaltung des Systems der Auxiliartruppen und bald auch der Grenzsicherung überhaupt. Von der römischen Zentralgewalt wurden Lehren gezogen aus diesen drei Jahren, an deren Ende kein Legions- und kein Auxiliarlager unzerstört war außer Mainz und Vindonissa (nahe Windisch) im südlichsten Bereich des obergernianischen Heeres. Die frisch in Germanien ein1
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Die 8. und 9. Legion werden von der Donau, die 6. aus Spanien, die 14. aus Britannien, die 21. aus Vindonissa herangeführt. Vorstärkt werden sie durch zwei neu ausgehobone. Die taciteisclie ilberlieferung bricht mit der Zusammenkunft zwischen Civilis und Cerialis auf einer Brücke über den Waal a b : Tac. bist. .">. 20.
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gerückten Verbände bezogen weitgehend die alten Plätze nach Wiederaufbau und Instandsetzung. Im Batavergebiet selbst wurde nun Noviomagus (Nijmegen) für einige Jahrzehnte Legionslager. 1 Mit acht Legionen stand aber noch immer fast ein Drittel der römischen Heeresmacht an der Rheingrenze in Bereitschaft. Die den Legionen zugeteilten Alen und Kohorten der Bundesgenossen dienten jetzt grundsätzlich nicht mehr unter einheimischen Offizieren und wurden auch überwiegend nicht in ihren Heimatgebieten eingesetzt; vor allem wurden die Bataver- und Canninefaten-Kohorten in andere Provinzen verlegt, während fremde Einheiten in Germanien einzogen (Abb. 5). Die Lager der Auxiliaren blieben weiterhin noch in unmittelbarer Nähe der Legionen oder wurden auf Schwerpunkte verteilt, 2 nicht an einer Grenzlinie aufgereiht. Mit einem für ein begrenztes Ziel außerordentlich starken Aufgebot, den Legionen des obergermanischen Heeres und ihren Hilfstruppen, zu denen wahrscheinlich auch in Rätien zwei neue Kohorten ausgehoben wurden, 3 unternahm Vespasian durch seinen obergermanischen Legaten Pinarius Clemens im Jahre 73/74 einen neuen Vorstoß, aber in anderer Richtung als bisher/* Von Argentoratum (Strasbourg) aus wurde die Rheinebene, dann durch das Kinzigtal der Schwarzwald überquert und auf einer neuen Straße die Via Claudia erreicht, die von Norditalien durch Tirol an die Donau führte. So wurde eine Verbindung zwischen Rhein- und Donaugrenze mit erheblicher Verkürzung der Grenzlinie geschaffen, die sog. decumates ugri5 rechts des Oberrheins dem Reiche eingegliedert und damit einer neuen ethnischen, kulturellen, Wirtschaft liehen und politischen Entwicklung entgegengeführt. Dies Gebiet war wahrscheinlich nur äußerst dünn besiedelt, solurn dubiue possessionis nennt Tacitus zwei Jahrzehnte später das Dekumatland bei Erwähnung seiner Besitzergreifung durch Rom. 0 Seit dem Zug des Clemens wurde das Land zwischen Kinzigtal, oberem Neckar, Schwäbischer Alb und oberer Donau durch eine Anzahl auf das Gebiet verteilter Ka1
Vier der bisher in Germanien stehenden Legionen wurden zur Strafe aufgelöst, eine weitere ( V Alaudae) nach Mösien verlegt. Die 22. Legion verblieb in Niedergermanien, in das neue Lager im Batavergebiefc kam die Legio X . 2 Zur Umformung der Auxiliareix nach dem Jahre 70 s. die Untersuchungen und Zusammenfassungen bei Alföldy Hilfstruppen, bes. 148ff. :l Rätische Kohorten waren außer im Jahre 15 nach der Eroberung nochmals 69 während des Bürgerkrieges ausgehoben worden, als die 21. Legion auf ihrem Marsch nach Italien von Helvetiern angegriffen wurde: Raetica aitxilia Tac. hist. 1, 67; H. U. Nuber. in: Studien zu den Militärgrenzen Roms. Köln 1967, 91. 4 Zu diesem Zug zuletzt H. Lieb, in: Studien zu den Militärgrenzen Roms, Köln 1967, 9 4 - 9 7 . 5 Die Etymologie und Bedeutung des einzig von Tacitus (Germ. 29, 4) gebrauchten Begriffs der decumates agri ist noch immer nicht eindeutig geklärt. Bestimmt hat er nichts mit „Abgaben", „Zehnten" zu tun. eher mit einer Gliederung der Einwohner dieses Gebiets und ihrer Civitates: Norden Alt-Germanien 147—190; hier auch über die Stammeseinteilung in diesem Gebiet. e Tac. Germ. 29, 4. 4
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stelle befestigt. 1 Als kleinste zivile Verwaltungseinheiten tauchen dazwischen die Namen keltischer Civitates auf, die offenbar wegen des Fehlens zusammenhängender Bevölkerungsgruppen neu aus mehreren geschaffen und nun nach Landschaften benannt wurden. Auch die Civitas Sueborum Nicretum dürfte keine andere Bedeutung haben. Der am weitesten nördlich der Donau auf dieser Linie vorgeschobene Posten wurde gegen Ende des Jahrzehnts durch ein Kastell, Guntia (Günzenhausen), befestigt (78). So tritt das Gebiet am Oberrhein seit der Eroberung Hätiens erstmalig wieder in den Vordergrund. Ein Aufstand der Brukterer im Vorfeld des Niederrheins scheint von Vespasian unbeantwortet geblieben zu sein (75). Erst ein volles Jahrzehnt nach dem Zug des Clemens nimmt Domitian die kriegerische Initiative seines Vaters durch einen unter großem Aufwand ausgerüsteten Kriegszug gegen die Chatten wieder auf (83), an dem die vier obergermanischen Legionen, verstärkt durch die 1. Legion aus Bonn und britannische Vexillationen, teilnehmen. 2 Mit einem ausgreifenden Stoß zwischen Lahn — Taunus — Main werden das Neuwieder Becken und die Wetterau — also ein recht kleines Gebiet, aber eben jenes, durch das die südliche Heeressäule schon seit Jahrzehnten in das freie Germanien hineingeführt worden war — endgültig unterworfen und besetzt. Darüber, ob am nördlichsten Punkt dieses Feldzuges — am Knie des späteren obergermanischen Limes zwischen Gießen und Butzbach — dem weiteren römischen Vordringen Einhalt geboten wurde oder ob das Unternehmen von vornherein begrenzt angelegt war, gehen die Meinungen auseinander.3 Zweifellos dürfen die innerpolitischen Gründe, die Domitian zum Chattenkrieg veranlaßten, nicht unterschätzt werden. Die Annahme des Namens Germanicus'1, den Drusus auf seinen Sohn und Enkel vererbt hatte und den auch die folgenden Kaiser sich als Siegestitel zulegten, das ungeheure Gepränge, mit dem der Triumph „über die Germanen" noch Ende 83 gefeiert wurde, Münzlegenden, die den Kaiser mit Germania cupta, de Germanis als summus Rheni domitor feiern (bis zum Jahre 87), lassen darauf schließen, daß Domitian hinter einem räumlich begrenzten Erfolg das „Germanenproblem" endgültig als abgeschlossen erklären wollte. 5 Mit der Erneuerung solcher alten Formeln sollte — so will es scheinen — jenes seit einem dreiviertel Jahrhundert unerfüllte Versprechen der endlichen „Befriedung Germaniens" als scheinbar eingelöst dokumentiert werden. Das Unwirkliche und Scheinhafte dieses Vorganges zeigt Tacitus in seiner „Germania", die dieser politischen und ideologischen Situation entstammt, indem er die Weite, Freiheit und Unabhängigkeit Germaniens darstellt in dem Augenblick, als die endgültige Unterwer1
Rottweil, Waldmössingen, Sulz. — Hüfingen am Hochrhein, das seit Claudius auf der erheblich weiteren Strecke die Verbindung nach Windisch und zur Donau schützte, wurde in der Folge aufgelassen. — H. Nesselhauf, JRGZM 7 (1960) 161 f. mit Anm. 15. 2 Über Reitergefechte Front. 2, 3, 23. 3 Zur KontroverseH. Nesselhauf a. O. 163f.; H. Schönberger, J R S 59 (1969) 157ff. < Vgl. z. B. Mart. 2, 2. 5 H . Nesselhauf, Hermes 80 (1952) 2 3 4 - 2 4 5 , bes. 236.
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fung Germaniens öffentlich proklamiert wird. Folgerichtig wurde von Domitian jetzt — vielleicht noch im Jahre 83, jedenfalls aber vor dem Jahre 90 —, also unmittelbar nach der Vorverlegung des obergermanischen Militärbezirks im Chattenkrieg, der eigenartige Ausnahmezustand, den die Rheingrenze gegenüber anderen Grenzgebieten des Reiches darstellte, beseitigt: der Zustand nämlich, daß es de jure keine germanische Provinz, wohl aber zwei Militärbezirke mit zwei großen Besatzungsheeren gab, deren Befehlshaber an Macht und Rang Provinzialstatthaltern mit konsularischen Heeren gleichstanden.1 Die Einrichtung neuer linksrheinischer gallischer Provinzen zu einem früheren Zeitpunkt hätte den endgültigen Verzicht auf Germanien offenkundig gemacht, während eine wirkliche Provinz Germania zu jedem Zeitpunkt des Jahrhunderts einen umfassenden Krieg bedeutet hätte, den die Lage des Reichs und die Situation an der Rheingrenze seit dem Jahre 17 offenbar nicht gestattete. Domitian gelang es, nach der Sicherung seines Teilerfolgs im Chattenland durch die Taunuskastelle (Heddernheim und Saalburg vor allem) die Bereiche des ober- und niedergermanischen Heeres mit propagandistischem Aufwand in zwei regelrechte Provinzen umzuwandeln und damit den endgültigen Verzicht auf eine wirkliche Eroberung Germaniens zu verschleiern. Seit dem Ende der 80er Jahre 2 wurden die Legaten der germanischen Heere konsularische Statthalter der beiden schmalen Grenzprovinzen Ober- und Niedergermanien. Im Rang und in ihrer Laufbahn standen sie etwa zwischen den Statthalt ern der beiden mösischen und denen der großen, mit drei Legionen besetzten Provinzen, wie Britannien, wohin der militärische und politische Aufstieg die Statthalter der germanischen Provinzen häufig führte. Census und Finanzverwaltung, damit auch das gesamte Steuerwesen, unterstanden in Germanien auch weiterhin dem Prokurator von Gallien (in Trier). Die Hauptstädte der beiden Provinzen und Sitze der Statthalter blieben Köln und Mainz, wo sich auch das Oberkommando der beiden Heere befunden hatte. In diesen Jahren des militärischen Ausgreifens auf einem begrenzten Gebiet schien sich die gefahrvolle Situation des Jahres 69 wiederholen zu sollen, als Antonius Saturninus, Statthalter von Obergermanien, die Waffen gegen Domitian erhob und sich von seinen Truppen zum Imperator ausrufen ließ. Noch einmal, zum letzten Mal, schien die Gefahr eines Umsturzes im Reich von der außerordentlichen Truppenansammlung in Germanien, in der Gegend um Mainz, auszugehen — aber der Versuch des Antonius Saturninus blieb eine kurze Episode, da der von ihm angestrebte Übergang in niederrheinisches Gebiet und die Ver1
Spätestens unter Vespasian sprach man in den Militärdiplomen bereits von T r u p penteilen, die in Germania standen, also wie v o n einer Provinz, ohne aber die beiden Heeresteile zu kennzeichnen: C I L X V I 20. 23. 28. 158.
2
D a s frühste D i p l o m mit der Bezeichnung in Germania superiore ist v o m Jahre 90 : C I L X V I 36. — D e r Prokurator der Provinz Belgica führte seitdem meist den Titel procurator
Belgicae
et duarum
Germaniarum,
nach H . - G . P f l a u m , Les carrières
procuratoriennes équestres, Paris, B d . 1, 1960, N r . 23 u n d B d . 3, 1961, S. 1056, zum ersten Male e t w a im Jahre 83. 4*
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bindung mit den dortigen Legionen durch plötzliches Überfluten des Rheines mißlang und auch ein Zusammenwirken mit den Chatten nicht zustande kam. I m einzelnen bleiben die Zusammenhänge für uns im dunkeln: es ist ungewiß, ob die wenige J a h r e später sich gegen Domitian erhebende Senatorengruppe, etwa auch der Kreis reicher Provinzialen um den späteren Kaiser Trajan, der im J a h r e 97 selbst Statthalter von Obergermanien sein und als solcher den Purpur empfangen wird, mit ihm in Übereinstimmung gewesen sind. J e t z t , im J a h r e 89, nahm Trajan, mit einem Truppenkontingent aus Spanien herbeieilend, an der Niederwerfung des Aufstandes teil. Als Sieger über die Erhebung ging der Legat von Niedergermanien, A. Bucius Lappius Maximus, hervor, der, anstatt sich Saturninus anzuschließen, seine Legionen gegen ihn wendete. Vielleicht entschloß er sich dazu erst, als die Aussichtslosigkeit der Revolte klar wurde: Jedenfalls verbrannte er die Briefschaften des bezwungenen Gegners, 1 was auf frühere geheime Verbindungen deuten dürfte. Gefeiert wurde er als confector belli Germanici2, ein Zeichen, daß die römische Propaganda, wie häufig, so auch hier, innere Kämpfe und bürgerkriegsähnliche Zustände an den Grenzen mit dem Krieg gegen einen äußeren Feind verbrämte; ein zweiter Chattenkrieg unter Lappius Maximus ist nicht anzunehmen.
3. Ausbau des Limes und relative Konsolidierung der Verhältnisse an der Rheingrenze (2. J h . ) Die politische Bedeutung des Feldzuges gegen die Chatten und die neue Epoche, die sich in der Begründung der duae Oermaniae als Provinzen abzeichnet, wird dokumentiert einerseits in der sofort begonnenen Verminderung der Truppen — schon während des Feldzuges verließen verschiedene Einheiten das Rheinland, 85/86 wurde die Legio I Adiutrix von Mainz an die Donau verlegt —, andererseits aber in dem entscheidenden Umbau des gesamten Grenzschutzes. Diese Änderung zielt auf ein reines Verteidigungs-System, das für die nächsten anderthalb Jahrhunderte in Germanien wirksam werden sollte: Domitian begann mit der Anlage des obergermanischen Limes. Zunächst nicht mehr als ein kontrollierter und das Vorfeld kontrollierender Grenzpfad, der bei Nacht nicht überschritten werden durfte, wurde der Limes im Verlauf des 2. J h . zu einer starken und unbemerkt nicht zu durchbrechenden Grenze. E r beginnt an der Grenze zwischen Nieder- und Obergermanien bei Brohl am Vinxtbach (nahe Andernach), wo die obergermanische Grenze den Rhein verläßt, erreicht — Rheingau, Taunus und Wetterau nördlich umfassend — bei Seligenstadt den Main und folgt seinem L a u f zunächst bis Obernburg und Wörth. Im Zusammenhang mit der Auflösung des nach dem Chattenkrieg noch im Mainmündungsgebiet massierten Truppenaufgebots, das vielleicht seinen Befehlshaber zu dem Versuch verDio 67, 11, 1. 2. — G. Walser, in: Provincialia. Festschrift für Laur-Belart, Basel u. Stuttgart 1968, 497 ff. 2 CIL VI 1347 = 37049 = ILS 1006: PIR2 L 84. 1
2. J a h r h u n d e r t
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I i i i 4 i 1 M m i l i ^ I l l l l l M o u o Willger 103. SHA vita tyr. trig. 5,4, vgl. vita Probi 13, 5. 3 H. Nesselhauf, KB Baden 22 (1962) 7 9 - 8 4 . 4 Paneg. Lat. 9 (4) 4 , 1 ; 5 (8) 4 , 2 f . 5 Aur. Victor 33,12. 13; Eutr. 9, 9, 3; SHA vita tyr, trig. 6, 3. Aur. Victor 33, 14; Eutr. 9, 10; SHA vita tyr. trig. 24, 1.
2
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worden ist. Ob Victoria, die treibende Kraft dieser Erhebung, die Titel „Augusta" und „Mater castroruni" getragen hat, wie in der Historia Augusta behauptet wird, ist ungewiß.' Tetricus erhob seinen gleichnamigen Sohn zum Cäsar lind versuchte dadurch, die Herrscherwürde in seiner Familie erblich zu machen. E r konnte jedoch nur noch einige Jahre bis 274 das Gallische Teilreich in dem seit Victorinus geschmälerten Umfang regieren. Eine Reihe von Meilensteinen bezeugen Straßenbau und -ausbesserung. An der Rheingrenze hatte Tetricus ebenfalls mit nach Gallien eingefallenen Germanen zu kämpfen. Im Zusammenhang mit diesen neuen Einbrüchen ist wohl auch die Verlegung der Residenz von Köln nach Trier zu sehfen.2 Dann erreichten jedoch die innenpolitischen Spannungen mit dem Militär ihren Höhepunkt. Eine neue Meuterei unter einem Faustinus erschütterte den Separatstaat. Als Ort ist Trier genannt, so daß bei der Person an den Statthalter der Belgica gedacht werden kann. 3 Vielleicht handelt es sich hier um eine ähnliche Erscheinung wie bei der Erhebung des Laelianus gegen Postumus. In dieser Situation faßte der seit 270 regierende Kaiser Aurelian den Entschluß, Gallien, das Rheinland und Britannien wieder dem übrigen Imperium einzuverleiben. Vorher hatte er die Lage an den Grenzen stabilisiert und im Osten den dort entstandenen Separatstaat von Palmyra, ein Pendant zum Gallischen Reich, wieder eingegliedert. Als die Truppen Aurelians 274 in Gallien einmarschierten, führte Tetricus das Heer gegen sie, verriet es aber und verständigte sich mit seinem Gegner. In der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern ging Tetricus während des Kampfes zu Aurelian über und lieferte ihm sein Heer aus. So fand das Gallische Reich auf dem Schlachtfeld von Catalaunum (Chalon-sur-Saône) sein Ende. 4 . Wie läßt sich dieser abrupte Ausgang erklären? Der akute Anlaß ist wohl durchaus in dem Unvermögen der Regierung der Großgrundbesitzer zu sehen, mit dem unbotmäßigen Militär fertig zu werden. Zudem war die Chance, auf die Dauer allein mit der rheinischen und britannischen Armee den Legionen im übrigen Reich zu widerstehen, gering. Aber man muß noch zwei andere Aspekte beachten. Weniger als ein Jahrzehnt nach dem ruhmlosen Ende des Teilreiches wurden die gallischen Provinzen von dem Bagaudenaufstand, einer der bedeutendsten sozialen Erhebungen des spätrömischen Reiches, erschüttert. Sicher waren Anzeichen dieser Bewegung schon in den 70er Jahren spürbar. Die drohende Verschärfung des Klassenkampfes bewog die Aristokratie zweifellos, einen Kompromiß mit der Zentralregierung zu schließen und wieder in das Gesamtreich zurückzukehren. Nach dem Tode des Gallienus 268 hatte sich auc h einiges verändert. Dieser Kaiser war einer Verschwörung hoher Offiziere illyrischer Abkunft zum Opfer gefallen. Ein Mitglied dieser Kamarilla, Claudius II., wurde sein Nachfolger. Demselben Kreis hatte auch der Befehlshaber der SHA vita t y r . trig. 5, 3 ; 6, 3 ; 25, 1 ; 31, 2. - Aur. Victor 3 5 , 3 ; SHA vita tyr. trig. 24, 2. ;i Aur. Victor 35, 4 ; Polemii Silvii Laterculus, Chronica minora ed. Mommsen, Berlin 1892, 522. Aur. Victor 3 5 , 3 - 5 ; E u t r . 9 , 1 3 , 1; SHA vita tyr. trig. 24, 2—3 ; vita Aureliani 32, 31
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Reiterarmee des Gallienus, Aureolus, angehört, der sich zuletzt offen für Postumus erklärt hatte. Claudius I I . gelang es, Spanien und Teile des südlichen Gallien auf seine Seite zu ziehen. Offenbar waren die Gegensätze zwischen dem Kaiser in R o m und den Kräften in den Provinzen nicht mehr so groß wie unter Gallienus. Die auf ihn folgenden Soldatenkaiser Claudius I I . und Aurelian, die der führenden Offiziersschicht angehörten, suchten offenbar den Kompromiß mit der provinzialen Großgrundbesitzerschicht. Eine Folge dieser Entwicklung waren die Ereignisse bei Catalaunum im Jahre 274. Tetricus und sein Sohn haben ihre Usurpation überlebt. Aurelian begnadigte den Gegenkaiser nicht nur, sondern belohnte ihn mit der Aufnahme in den Senat und einem hohen Amt in der Verwaltung Italiens. 1 Auffällig ist auch, daß kein gallischer Kaiser der sonst bei Gegenkaisern unvermeidlichen Damnatio memoriae, der Tilgung ihrer Namen in allen Urkunden und der Verdammung ihres Andenkens, verfiel. Die Annäherung der sozialen Interessen spielte demnach eine nicht zu unterschätzende Rolle. Mit dem Fall des Gallischen Teilreiches war nach anderthalb Jahrzehnten die Reichseinheit wiederhergestellt. Kaiser Aurelian wurde als Restihitor orbis, als „Erneuerer des Erdkreises", gefeiert. Dennoch blieb diese Einigung ein nur zeitweiliger Kompromiß. I m Gallischen Teilreich wurde die Grundbesitzeraristokratie in den westlichen Provinzen zum ersten Mal für längere Zeit politisch wirksam. Rätien hat nicht zum Gallischen Reich gehört. Nach dem Fall des Limes wurde diese Provinz von den Alamannen überschwemmt, doch kann man zumindest südlich der Donau im 3. Jh. noch nicht von einer Landnahme sprechen. Selbst in dem von den römischen Besatzungen endgültig geräumten heutigen Baden-Württemberg haben noch lange Zeit Teile der gallorömischen Bevölkerung gesessen.2 Zweifellos ist es jedoc h damals zu großen Zerstörungen und zu einer schweren Erschütterung der römischen Herrschaft gekommen. Außer dem Raum nördlich der Donau mußte im Zusammenhang mit dem Fall des Dekumatlandes der Westen der Provinz aufgegeben und die Grenze bis zu dem Winkel Bodensee—Argen—Iiier zurückverlegt werden. A n der Donau blieben nur die Festungen von Eining, Regensburg (Abb. 13) und Passau intakt. Bisher unbefestigte Städte im Innern der Provinz erhielten Mauern oder mindestens Wälle. Durch ihre Lage ungenügend geschützte Siedlungen wurden an besser zu verteidigende Stellen verlegt. 3 Rätien ist wohl während der 60er Jahre des 3. Jh. ein ständiger Kriegsschauplatz gewesen. 268 hatte Gallienus erneut dort Truppen zusammengezogen. Mit ihrer Hilfe erhob sich Aureolus zum Gegenkaiser.4 Eine in Rätien stehende Streitmacht war 253 für Valerian das Sprungbrett Aur. Victor 35,5; Eutr. 9, 13, 2; Epitome 35,7; SHA vita tyr. trig. 24, 5; 25, 2f.; vgl. H.-G. Pflaum (s. S. 86 Anm.) hinsichtlich eines von Aurelian übernommenen Beamten des Tetricus. 2 R. Straub, F B Baden 20 (1956) 127-137; s. auch oben S. 81. 3 F. Wagner, Bayer. Vorgesch. 18/19 (1951/52) 28-35. « Aur. Victor 33,17. 1
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für den Thron gewesen, 15 Jahre später bildete eine Rebellion in dieser Provinz den Auftakt für das Ende seiner Dynastie. Valerian war mit seinen Truppen gegen Aemilianus nach Italien gezogen, und es folgte der Alamanneneinfall von 254. Auch Aureolus brauchte das Heer gegen Gallienus in Oberitalien, und ebenso folgte wiederum 268 ein Einbruch der Germanen. Die Alamannen kamen über den Brenner bis an den Gardasee. Dort errang Claudius II. noch im gleichen Jahre einen beachtlichen Sieg, der sie zum Rückzug nach Rätien nötigte. 1 Da die Gotengefahr auf dem Balkan im Augenblick dringlicher war, mußte man sich auf den Schutz der Alpenübergänge beschränken. Schon 270 stehen die Alamannen wieder in Italien, dieses Mal zusammen mit dem später in ihnen aufgegangenen Stamm der Juthungen, der damals nördlich der Donau wohnte. Kaiser Aurelian wird bei Piacenza von ihnen besiegt. Da die Hauptstadt Rom selbst in Gefahr ist, beginnt man mit dem Bau einer Stadtbefestigung, der nach etwa einem Jahrzehnt fertiggestellten großen „Aurelianischen Mauer". Doch in Umbrien können die Germanen aufgehalten, zurückgedrängt und bei Pavia schließlich entscheidend geschlagen werden. 2 Einige Jahre später hat dann Aurelian auch in Rätien die römische Herrschaft wieder etwas stärker zur Geltung gebracht. Aber auch er kam bei seinen Feldzügen im Nahen Osten nicht ohne Truppenteile aus der bedrohten Donauprovinz aus. 3
3. Zeitweilige Stabilisierung und Reorganisation des römischen Herrschaftssystems (274—306) Die Kämpfe an der Rheingrenze hatten unter der Regierung des Tetricus wieder zugenommen. Die Einfälle der Franken und Alamannen hielten auch in den folgenden Jahren an und erreichten nach dem Tode des Aurelian in den Jahren 275—276 ihren Höhepunkt. Die Münzdepots zeigen Frankenvorstöße entlang der Straße Köln—Tongeren—Bavai und im Moseltal an. Trier ist damals teilweise zerstört worden. Viele andere Städte wurden geplündert. 4 Der nach der kurzen Regierung des Kaisers Tacitus an die Macht gelangte M. Aurelius Probus eröffnete 277 eine neue Offensive und vertrieb die Germanen aus dem linksrheinischen Gebiet. 5 Ob er wirklich weit in das ehemalige Dekumatland über Neckar und Schwäbische Alb vorgedrungen ist, bleibt unsicher. Wahrscheinlicher ist die Nachricht über die Anlage von Brückenköpfen am rechten Rheinufer und über die verstärkte Einstellung von Germanen in das römische Heer. 6 ' E p i t o m e 34, 2. Dexippos, F G r H i s t 2, 456ff.; Aur. Victor 35. 2; E p i t o m e 35, 2; SHA vita Aureliani 19, 2—4; 21, l ; Z o s . 1, 49, 1; B. Overbeck, J b . f ü r Numismatik und Geldgeschichte 20 (1970) 8 5 - 8 9 . 3 SHA vita Aureliani 35,4; 41, 8; Zos. 1. 52, 3. « SHA vita P r o b i 13, 5f.; Zöllner 10. E u t r . 9, 17, 1; SHA vita Probi 13, 6. « SHA vita Probi 13, 7f.; 14. 7.
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Im folgenden J a h r (278) vertrieb der Kaiser mit seinen Truppen eingefallene Burgunder und Wandalen aus Rätien. 1 Teile dieser ostgermanischen Stämme waren in der Mitte des Jahrhunderts in die bisherigen Wohnsitze der Alaniannen zwischen Main und Donau vorgedrungen und erwuchsen dort zu neuen Gegnern für Rom. Eine 1947 in Augsburg gefundene Weihinschrift vom Jahre 281 hebt die Verdienste des Probus um die Provinzen und ihre Befestigungsbauten hervor und zeigt, daß Rätien zu dieser Zeit bereits wieder fest in römischer Hand war. 2 Die systematische Sicherung der neuen Rhein- und Donaugrenze begann unter Probus in der zweiten Hälfte der 70er J a h r e und ist dann in der Folgezeit weiter ausgebaut worden. Zu einem kurzen Nachspiel des Gallischen Reiches kam es unter Probus. Die Usurpation der Gegenkaiser Proculus und Bonosus zeichnet sich allerdings nur schattenhaft in den Quellen ab. Proculus stammte aus dem Gebiet der Seealpen und wurde bei Einfällen der Alamannen nach Gallien in Lyon zum Kaiser erhoben. Etwa zur gleichen Zeit gelang es den Franken, die in Köln liegende Rheinflotte anzuzünden. Ihr Befehlshaber Bonosus soll sich aus Furcht vor zu erwartender Bestrafung erhoben haben. Das neue, kurzlebige Teilreich u m f a ß t e neben Gallien und den germanischen Provinzen ebenfalls Spanien und Britannien. Probus sah sich zu einem Feldzug gegen Proculus und Bonosus gezwungen und besiegte mit germanischer Hilfe die Gegenkaiser bei Köln. Proculus hat Hilfe bei den Franken gesucht und flüchtete zu ihnen, wurde aber ausgeliefert und getötet. Bonosus endete durch Selbstmord. 3 Wie bei dem Gallischen Teilreich der Jahre 259—274 waren auch bei der Erhebung von Proculus und Bonosus, die zwischen 279 und 281 stattfand, Germaneneinfälle der Anlaß zur Usurpation. Wie zur Zeit von Clodius Albinus spielte Lyon hierbei eine Rolle. Proculus suchte, allerdings ohne Erfolg, die Zusammenarbeit mit Teilen der Germanen. Die kurze Dauer dieser separatistischen Bewegung der westlichen Provinzen läßt sich aus mehreren Ursachen erklären. Die von Probus verkörperte Zentralgewalt befand sich in einer weit vorteilhafteren Lage als unter Gallienus. Auch die Gegensätze zwischen dem Kaiser in Rom und der oppositionellen Provinzaristokratie waren im Jahre 280 nicht mehr so groß wie 260. Außerdem nahmen die Unruhen der Landbevölkerung gegenüber dem Staat und den Großgrundbesitzern gleichermaßen immer bedrohlichere Ausmaße 8n. Sie führten kurze Zeit später zu dem großen Bagaudenaufstand. Diese Aspekte waren wohl der Grund dafür, daß sich das gallische Großgrundeigentum nicht in dem gleichen Maße hinter die neuen Gegenkaiser wie hinter Postumus, Victorinus und Tetricus gestellt hat. Mit dem Aufstand der Bagauden erreichte der Klassenkampf im 3. J h . in Gallien seinen Höhepunkt. Die Vorläufer dieser sozialen Bewegung reichen bis in die zweite Hälfte des 2. J h . zurück, bis zum Maternus-Aufstand von 186. 1 Zos. 1, 67f. 2 S. Inschriften-Anhang Xr. 52; vgl. S H A vita Probi 16, 1. •'• Aur.Victor 37, 3; E p i t o m e 37, 2; Eutr. 9. 17, 1; SHA vita Probi 18, 5 - 7 ; vita quaclr. tyr. 1 2 - 1 5 ; vgl. CIL I I 3738.
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Seitdem rissen kleinere Unruhen nicht mehr ab. Die römischen Quellen bezeichnen die sozialen Bewegungen allgemein als latrocinium und alle diejenigen, die sich der herrschenden Gesellschaftsordnung entgegenstellen, als latrones, als „Räuber". Von Aktionen dieser Art war zu Beginn des 3. Jh. auch Italien in größerem Umfang betroffen. Alles Bisherige übertraf dann aber in den 80er Jahren der Aufstand der Bagauden. Dieser Name ist keltischen Ursprungs, stammt aus dem gallischen Raum und bedeutet vermutlich „ K ä m p f e r " . Obwohl die Quellenlage für die Bagaudenaufstände recht dürftig ist, wird deutlich, daß es sich bei den Aufständischen wohl ausschließlich um Landbevölkerung handelt. Sie werden außer bagaudae und latrones noch ugrestes, agricolae, aratores, rustici und rusticuni genannt. Es tauchen also fast alle lateinischen Termini für die Bauern und Landarbeiter auf. Die wichtigste Nachricht über die soziale Zusammensetzung ist in einem rhetorisch ausgeschmückten Panegyricus enthalten, in dem es heißt: „. . . als die des Militärwesens unkundigen Landleute nach militärischer Ordnung strebten, als der Bauer den Fußsoldaten, der Hirt den Reiter, der Landmann den feindlichen Barbaren nachahmte . . . " . ' Die Erhebung richtete sich gegen den römischen Staatsapparat mit seinem drückenden Steuersystem und gegen das sich immer mehr ausbreitende Großgrundeigentum, das die Lage der Bauern und Kolonen verschlechterte. Unter dem Nachfolger des Probus. dem nur kurz regierenden Carus, brach der Aufstand 283 in Gallien aus. Er dauerte mehrere Jahre. Als Führer der Aufständischen nennen alle Quellen übereinstimmend einen Amandus und einen Aeliarius. Für die lange vertretene These, beide hätten sieh zu Gegenkaisern erhoben, gibt es keine ausreichenden Hinweise. U m der Bewegung Herr zu werden, mußte der auf Carus folgende Kaiser Diokletian den Feldherrn Maximian entsenden, der nach längeren Kämpfen schließlich 285/286 den Aufstand unterdrücken konnte. 2 Inwieweit der Bagaudenaufstand auch das Rheinland miterfaßte, läßt sich aus den Quellen nicht sicher ersehen, wohl aber hat er das Moselland erreicht. Jedenfalls wurde die Provinzaristokratie mit der Erhebung nicht allein fertig und benötigte dafür die Zentralgewalt. Den Sieger über die Bagauden, Maximian, hatte Diokletian 285 zum Cäsar erhoben und ernannte ihn nun286 zum Augustus und damit zum gleichberechtigten Mitregenten. In zwischen den Jahren 289 und 291 von gallischen Rhetoren gehaltenen Lobreden wurde er wegen der Wiederherstellung der Ordnung und des Friedens gefeiert. Angesichts der Volksbewegungen kam es zum Kompromiß zwischen den verschiedenen Richtungen der herrschenden Klasse. Die Bagaudenbewegung war vorerst unterdrückt, lebte aber in den Stürmen der Völkerwanderungszeit im 5. Jh. wieder auf. 1 2
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Paneg. Lat. 2 (10) 4.3. Aur. Victor 39, 17-20; Eutr. 9.20. 3; B. Czuth. Die Quellen zur Geschichte der Bagauden, Szeged 1965. Paneg. Lat. 2 (10) 4,3f.; 3 (11) 5, 3.
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Die Krise in der Jahrhundertmitte hatte gezeigt, daß das Römische Reich in der bisherigen Form nicht weiter regiert werden konnte. Gallienus hatte bereits mit einzelnen Traditionen gebrochen, Aurelian ging noch einen Schritt weiter, und unter Kaiser Diokletian (284—305) fand schließlich die Umwandlung des römischen Staates in eine faktisch absolute Monarchie ihren Abschluß. Diokletians Reformen in der Reichseinteilung, im Heer und Beamtenapparat, im Steuer- und Finanzsystem sollten der Stabilisierung des Imperiums dienen. Allein die Form des bürokratischen Zwangsstaates, für den sich im Gegensatz zum „Prinzipat" der ersten drei Jahrhunderte die Bezeichnung „Dominât" eingebürgert hat, ermöglichte der antiken Klassengesellschaft noch eine weitere Existenz. Die Niederwerfung des Bagaudenaufstandes zeigt deutlich das Bündnis zwischen den absolut herrschenden Militärdiktatoren und dem Großgrundbesitz, der auch der größte Nutznießer dieser neuen Staatsform war. Vom Verwaltungsumbau und der militärischen Neuordnung waren natürlich auch die Provinzen an Rhein und Donau betroffen. Im ganzen Reich wurden im wesentlichen in dem Jahrzehnt bis 297 die bisherigen Provinzen in kleinere Verwaltungseinheiten aufgeteilt und diese neuen Kleinprovinzen zu Diözesen zusammengefaßt. Diokletian hatte 286 einen Mitregenten eingesetzt, 293 wurden zwei weitere Mitherrscher im Cäsarenrang ernannt, so daß verschiedene Reichsteile von je einem Regenten verwaltet werden konnten. Die beiden Cäsaren waren als oberste Gehilfen und Nachfolger der Augusti gedacht. Diokletian behielt jedoch die Regierung in seiner Hand und war der Lenker der Tetrarchie. Das Kaiserkollegium sollte Usurpationen vorbeugen und der Situation des Mehrfrontenkrieges besser gerecht werden. Das Gebiet der beiden germanischen Provinzen gehörte von jetzt an zur Diözese des nördlichen Gallien. Germania inferior wurde in Germania I I umbenannt, behielt aber ihren Umfang und Köln als Hauptstadt. Die Grenze zu der anderen germanischen Provinz bildete wie bisher der Vinxtbach südlich von Remagen. Von dort verlief die Grenze zur Maas. Germania superior wurde in Germania I umbenannt und wesentlich verkleinert. Den Südwesten schloß man einer innergallischen Provinz an. Aus dem südlichen Elsaß, der westlichen Schweiz und dem Gebiet bis zur Saône entstand die neue Verwaltungseinheit Maxima Sequanorum oder Sequania mit der Hauptstadt Vesontio (Besançon). In Germania I blieb Mainz Hauptort. Das Legionslager wurde in die Stadt hineingezogen und diese ummauert. Die Civitas Mogontiacensium war im 4. J h . ein Munizipium. 1 In Strasbourg, jetzt Civitas Argentoratensium, wurde das Militärlager zum Stadtgebiet. In die diokletianische Zeit fällt somit auch die Umwandlung der Legionslager in Garnisonstädte. Die Provinz Belgica wurde ebenfalls geteilt. Den östlichen Teil bis etwa zur Maas bezeichnete man fortan als Belgica I mit der Hauptstadt Trier. Die Stadt im Moseltal wurde jetzt endgültig zur bedeutendsten in den gallischen Provinzen. Sie war i C I L X I I I 6733. 6727; H. v. Petrikovits, MZ 58 (1963) 30.
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eeit 293 Sitz des Cäsars des westlichen Reichsteils und auch Hauptstadt der Diözese. Trier gehörte zu den neuen Kaiserresidenzen, die in der Zukunft Rom als Hauptstadt weitgehend ersetzten. Die Stadt wurde mit prächtigen Bauten geschmückt . Zu der damals schon etwa ein Jahrhundert existierenden Porta Nigra, die heute das bedeutendste Wahrzeichen der Römerherrschaft in Mitteleuropa ist, 1 kamen noch die gewaltigen Kaiserthermen, deren eindrucksvolle Ruinen ebenfalls noch zu sehen sind (Abb. 16.17). Den Höhepunkt seiner kulturellen Entwicklung sollte Trier aber erst im 4. Jh. erleben. Neben der Einteilung der Provinzen änderte sich auch die Form der Verwaltung. Seit der Regierung des Kaisers Domitian am Ende des 1. Jh. waren die beiden germanischen Provinzen von einem dem Senatorenstande entstammenden Legatus Augustipro praetore verwaltet worden, der das Konsulamt bereits innegehabt haben mußte. Die Statthalter der Belgica führten zwar den gleichen Titel, waren jedoch dem Range nach niedriger, da sie aus Senatoren ausgewählt wurden, die noch nicht Konsul gewesen waren. Dieses Verwaltungssystem bestand bis zur Regierung des Gallienus, der den Senatoren die militärische Befehlsgewalt entzog. Die Provinzen von militärischer Bedeutung wurden in der Folgezeit von Offizieren aus dem Ritterstand verwaltet, die den Titel Praeses führten. Gleichzeitig begann die Trennung von Zivil- und Militärgewalt. Der Titel der neuen Militärbefehlshaber, denen die Legionskommandeure und die Truppen einer Provinz unterstanden, lautete Dux. Der erste Praeses in den germanischen Provinzen taucht 260 in Germania superior auf, und einen weiteren aus derselben Provinz kennen wir aus der Zeit um 273/274.'In der Belgica gibt es einen Praeses schon unter Tetricus, und in der neugeschaffenen Provinz Maxima Sequanorum kennen wir einen solchen 294. Ein Militärbefehlshaber mit der Bezeichnung Dux läßt sich in diokletianischer Zeit bisher nur für Belgica I in Trier aus der Zeit zwischen 293 und 305 nachweisen. 3 Die Verhältnisse in Rätien haben sich parallel entwickelt. Bis zum Jahre 171 stand an der Spitze der rätischen Verwaltung ein Prokurator aus dem Ritterstand. Nachdem eine Legion in die Provinz verlegt worden war, gewann die Funktion an Bedeutung und wurde seitdem von einem senatorischen Legaten bekleidet. Auch hier griff Gallienus mit seinen Reformen verändernd ein. 281 gab es in Augsburg einen Stellvertreter des Praeses, 290 einen praeses provinciae Raetiae, und weitere drei Praesides entstammen dem ausgehenden 3. oder dem Anfang des 4. Jh. 4 Im 4. Jahrhundert wurde auch Rätien geteilt, dabei blieb jedoch ein Militärbefehlshaber weiterhin für beide Provinzen zuständig. Das rätische Gebiet gehörte zur Diözese Italia annonaria, die im wesentlichen Norditalien umfaßte. Unter Diokletian nahm an der gesamten Rhein-Donau-Grenze der Bau von 1
Die Porta Nigra in Trier, hrsg. v o n E . G o s e , Trier 1969, zur Datierung Textband 57-59. 2 CIL X I I I 5203; V I 1641. a Aur. Victor 35, 4; CIL X I I I 5249 = ILS 640; X I I I 3672. « Inschriften-Anhang Nr. 52; CIL I I I 5810 = I L S 618; CIL I I I 5785. 5862. 1 4 3 7 0 " .
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befestigten Städten, L a g e r n und T ü r m e n zu. Zu den zahlreichen Bauten dieser Zeit gehört das große Castrum Rauracense bei Basel am Oberrhein, das sich an Stelle der früheren Colonia Augusta Baurica (Kaiseraugst) befand. Es wurde das L a g e r der neu gegründeten L e g i o I Martia. Überhaupt w i d m e t e man der nördlichen Schweiz als der v o n den Alamannen häufig benutzten Einbruchsstelle j e t z t größte Aufmerksamkeit bei Festungsbauten. I n der P r o v i n z M a x i m a Sequanorum wurde noch eine weitere L e g i o n stationiert.' D i e Legionen am R h e i n verblieben mindestens bis zur M i t t e des 4. Jh. in ihren bisherigen Lagern. Freilich wurden Teile v o n ihnen in das seit K o n s t a n t i n bestehende bewegliche Feldheer eingegliedert. A u c h in Rätien verblieb die Begensburger Einheit, vielleicht um eine neue L e g i o n in derselben P r o v i n z verstärkt.Große Bedeutung gewannen die befestigten Straßen des Hinterlandes, v o n denen besonders die Linie Köln—Tongeren—Bavai zu einer A r t neuem L i m e s gegenüber dem so o f t von Germaneneinbrüchen heimgesuchten B a t a v e r l a n d wurde. :l Die Grenzkämpfe rissen auch unter Diokletian nicht ab. Zu den bisherigen Gegnern gesellten sich jetzt noch die germanischen Sachsen, die nach Westen vordrangen und von ihren Sitzen an der Nordseeküete aus ebenso wie jetzt auch die Franken zur See B a u b z ü g e an die K ü s t e n Galliens und Britanniens unternahmen. Kaiser M a x i m i a n übertrug den K a m p f gegen die Seeräuber seinem Offizier Carausius, der sich bei der Niederschlagung der Bagauden hervorgetan hatte. E r kam aus dem keltischen S t a m m der Menapier in der Belgica. V o n Boulogne aus operierte er gegen die Sachsen und Franken im K a n a l , errang auch Erfolge, wurde aber von M a x i m i a n wegen Unterschlagung v o n Kriegsbeute zur Verantwortung gezogen und erhob sich daraufhin mit H i l f e germanischer Söldnertruppen zum Kaiser. Es gelang ihm, Britannien zu besetzen und den Stützpunkt Boulogne in seiner H a n d zu behalten. Sieben Jahre (286—293) dauerte seine Herrschaft, die sich in vielem mit der des Postumus vergleichen läßt.'1 Sicher standen auch hinter ihm Kreise des britannischen Großgrundbesitzes. Die Insel war im Gegensatz zu Gallien nicht von der Bagaudenbewegung erfaßt worden. Der P r o v i n z a d e l scheint so größeren politischen Spielraum gehabt zu haben. Maximian konnte vorerst gegen den Usurpator nichts unternehmen und mußte sich der Verteidigung der Bheingrenze zuwenden. Das Jahr 286 brachte Einfälle der Alamannen, Burgunder und Franken. Eine Schar gelangte im W i n t e r 286/287 bis nach Trier. 5 Nach den Miinzfunden war wieder die Straße Köln—Bavai ein v o n den Franken besonders stark heimgesuchtes Gebiet. 287/288 überschritt Maximian zweimal den Bhein. Bei dem zweiten Feldzug mußte sich der Frankenkönig Genobaudes unterwerfen und die römische Ober' CIL X I I I 5270. 5249 = I L S 640: C I L X I I I 525«; Hoff mann Bewegungsheer 188 f. mit Anm. 589. 2 Hoffmann Bewegungsheer 188 mit Anm. 584; 191. 342-344 mit Anm. 289; 227 f. ' H. Schönborger. JRS 59 (1969) 178f.; 183; s. mich oben S. 91. Aur. Victor 39. 20. 21; Eut-r. 9,21; Paneg. L.-it. 8 (ö) Amm. Marc. 27, 10, 3 f . ; 30. 7. 7.
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fiel zu Epiphanias oder Ostern 368 die Stadt Mainz, die damals keine Besatzung hatte, plünderte sie und führte neben vielen Gefangenen beiderlei Geschlechts reiche Beute davon. 1 Valentinian I. plante nun eine größere Expedition auf alamannisches Gebiet und zog zu ihrer Vorbereitung illyrische und italische Einheiten des Bewegungsheeres unter dem Befehl des Comes Sebastianus in Gallien zusammen. Auf diesem Feldzug wurde der Kaiser von seinem ältesten Sohn Gratian, den er am 24. August 367 in Amiens zum Augustus hatte proklamieren lassen, und von dessen Erzieher, dem Dichter Ausonius, begleitet. Als Beuteanteil erhielt Ausonius das Alamannenmädchen Bissula zugesprochen, das er in einigen kleinen Versen besang (ed. Schenkl MGH AA V 2 p. 125-127). Wo die Römer im Juni 368 den Rhein überschritten, ist nicht sicher, doch vermutet man, daß sie an der Neckarmündung übersetzten oder aui der Heerstraße von Metz über Saverne, Strasbourg und Offenburg ins Kinzigtal vorstießen. Möglicherweise aber war Vindonissa die Ausgangsbasis. Am Zusammenfluß von Aare, Reuß und Limmat beim heutigen Brugg, wo sich der uralte Aareübergang der Bötzbergstraße befindet, haben die Römer in hervorragender strategischer Lage das Legionslager Vindonissa (unmittelbar beim heutigen Dorf Windisch) angelegt. Nach Norden durch den Schweizer J u r a geschützt, an der einzigen Stelle, wo die Ketten des Gebirges vom Wasser durchschnitten werden, war das Lager seit 16/17 u. Z. Standquartier einer römischen Legion, zunächst der Legio X I I I Gemina (bis etwa 45), dann der Legio X X I Rapax (bis etwa 70), danach der Legio X I Claudia Pia Fidelis, zu denen zeitweise noch die eine oder andere Kohorte von Hilfstruppen hinzukam. Mit der Anlage des Limes seit etwa 74 wurde das Lager allmählich überflüssig und im Jahre 101 geräumt (s. auch oben S. 54). Als die Alamannen um 260 den Limes überrannten, wurde Vindonissa eiligst befestigt und der Südteil des Lagers wieder militärisch besetzt (s. auch oben S. 82). Auf der äußersten Spitze der Windischen Terrasse baute man ein Kastell, zu dem als Rückendeckung ein zweites in Altenburg am Aare-Knie oberhalb Bruggs hinzukam. Mauern und Gräben des Castrum Vindonissense sind heute nicht mehr vorhanden. Die Bedeutung von Vindonissa schwand, als der Bischofssitz, der hier für das 6. J h . bezeugt ist. im 7. J h . nach Konstanz verlegt wurde. J
Amm. Marc. 27, 10, l f . Nach Hoffmann ist diese Ammian-Stelle ein Beweis dafür, daß Mainz damals tatsächlich keine Grenzgarnison hatte (Bewegungsheer Bd. I, 345). Als möglichen Termin des Rando-Überfalls zieht Hoffmann auch Pfingsten 368 (8. Juni) in Betracht (a. O. Bd. 2. 149 Anm. 293). Hoffmann hält es für möglich, daß die Unterteilung der Provinz Germania I in einen Tractus Moguntiacensis und einen Tractus Argentoratensis bereits von Valentinian I. während der Hauptphase seiner Verteidigungsmaßnahmen'am Rhein vorgenommen worden ist. Kein Zweifel könne darüber bestehen, daß die Grenzverteidigung der südlich des Mainzer Dukates gelegenen Rheinstrecke, die in derNotitia dignitatum dem Comes Argentoratensis zugewiesen wird, von Valentinian damals neuorganisiert worden ist (a. O. Bd. 1, 340).
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Valentinian I. wandte sich nach Lopodunum (Ladenburg), etwa 13 km vom heutigen Mannheim entfernt, und zog nach einigen Kämpfen an den oberen Neckar. Bei Solicinium (Sulz/Neckar) kam es etwa im September 368 zu einer Schlacht. Die Alamannen wurden über den Fluß zurückgeworfen. Ausonius war neben Gratian Augenzeuge des Kampfes. Die Schlacht hatte zwar keine größere Bedeutung, sie diente jedoch zur Warnung und damit auch zur Sicherung der Rheingrenze: In den nächsten Jahren unterblieben die Alamanneneinfälle. Die Römer erlitten starke Verluste und konnten den Feind nicht bis ins Hinterland verfolgen. 1 Ende April/Anfang Mai 369 brach Valentinian I. von Trier, wo er den Winter verbracht hatte, auf, um die Rekonstruktion der Rheinverteidigung, die Julian begonnen hatte, fortzusetzen und zu vollenden. „Den ganzen Rhein, von Rätien bis zum Ozean, ließ er mit großen Dämmen befestigen und Militärlager und Kastelle höher errichten, ferner in dichten Abständen an geeigneten und günstigen Stellen Türme bauen, soweit sich die gallischen Länder erstrecken. Zuweilen wurden auch Bauwerke jenseits des Stromes angelegt, wo er das Land der Barbaren berührt." Mit diesen Worten faßt Ammian das gewaltige Unternehmen zusammen, das den Provinzen Galliens für fast vier Jahrzehnte Schutz vor feindlichen Überfällen bot.- Die Verteidigungslinie war so angelegt, daß sich ihr kein Feind nähern konnte, ohne bemerkt zu werden. Die Aufgabe, diese Befestigungswerke zu verteidigen, fiel neugeschaffenen Limitaneinheiten zu, die vom Bewegungsheer und anderen Formationen abgespalten wurden.3 An der rätischen Donaufront konnte sich Valentinian 1. in der Regel mit Ausbesserungsarbeiten an den Kastellen und der Errichtung zahlreicher Wachttürnie begnügen und brauchte nur an vereinzelten Stellen neue Truppenformationen einzuschieben, da die Oberdonaufront niemals einen so totalen Zusammenbruch erfahren hatte wie die Rheinlinie/1,.An dieser entfaltete er eine umfassende Bautätigkeit, wie noch die Notitia dignitatum und die Ergebnisse der umfangreichen Ausgrabungen an den von ihm geschaffenen Bauwerken erkennen lassen. Allerdings sind wir nicht über alle Abschnitte der Rheinlinie gleich gut informiert. Zu den von Valentinian 1. geschaffenen Kastellen gehören u. a. Alteia (Alzey), Cruciniac um (Bad Kreuznach), Argent(ov)aria (Horburg östlich Colmar) und die „vielleicht schon damals rechtsrheinische Festung auf dem Möns Brisiacus (Breisach)" sowie auf heutigem Schweizer Gebiet — zum Teil in Anlehnung an Plan oder Bauart von Alzey — die durchweg im Hinterland
Amin. Marc. 27, 10, 6—16; Auson. Mosella 4 2 4 ; epigr. 3, 4. Hierzu und zum Folgenden, insbes. zur Chronologie der FeldzügeValentinians, s. Norden Alt-Germanien 32—37 gegen W . Hering, Kaiser Valentinian I . , Phil. Diss. J e n a 1927, 42 ( s. Norden a. O. 32 Anm. 2). 2 Amm. Marc. 28, 2, 1; vgl. 2 9 , 4 , 1 ; Einzelheiten über die Befestigungstätigkeit Valentinians bei Hoffmann Bewegungsheer Bd. 1, 346—349. 3 Hoffmann a. O. Bd. 1, 349f. 4 Hoffmann a. O. Bd. 1, 257. 1
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angelegten Kastelle Montagny-Chancy an der Rhone westlich Genf, Eburodunum (Yverdon), Salodurum (Solothurn), Ölten, Altenburg (westlich BruggWindisch) und Turicum (Zürich). Besonders erwähnenswert sind die am Schweizer Rhein in großer Anzahl ausgegrabenen Wachttürme (burgi), die zumeist im Jahre 371 errichtet wurden, und der dem Castrum Rauracense (Kaiseraugst) auf dem rechten Rheinufer gegenüberliegende Brückenkopf bei Wyhlen.i Zwei derartige vorgeschobene Befestigungswerke werden von Ammianus Marcellinus erwähnt. Valentinian I . gab den Befehl, an der Neckarmündung ein Kastell zu errichten, und überwachte selbst den Bau, der technisch außerordentlich schwierig war. 2 Noch weiter vorgeschoben war die Befestigung des Möns Piri, unter dem man vielleicht den Königsstuhl bei Heidelberg zu verstehen hat. Gegen den Bau dieser Festung beriefen sich die Alamannen auf alte Abmachungen. womit sie jedoch keinen Erfolg hatten, griffen dann zu den Waffen und schlugen die Römer. Valentinian I. mußte den Plan, diese Befestigung anzulegen und damit auch seine Absicht, den Neckar zur Reichsgrenze zu machen, aufgeben. 3 Im Jahre 369 besichtigte er auch die Brückenkopfstellungen am Rhein, die den Zugang nach Trier sperrten und Offensive wie Defensive gegen die Alamannen in den Tälern von Main, Neckar und Dreisam ermöglichten. In diesem Zusammenhang macht Ammian eine Bemerkung, die ein weiteres Mal die damalige Unsicherheit im Innern Galliens verdeutlicht : Die „Straßenräubereien" hätten sehr um sich gegriffen, und zu den Opfern derartiger Überfälle habe auch der „Tribun des kaiserlichen Stalls" und Schwager, des Kaisers, Constantianus, gehört. Der Autor spricht zwar von latrocinio, aber trotzdem kann man hier wohl einen Zusammenhang mit den Bagauden vermuten, 4 die j a für das 4. J h . sonst nirgends ausdrücklich bezeugt werden, aber doch wohl kaum vom Ende des 3. bis zum Beginn des 5. J h . tatenlos gewesen sein dürften. Im Juni 369 traf eine Gesandtschaft der Burgunder bei Valentinian I. ein, und der Kaiser gewann sie als Bundesgenossen gegen die Alamannen, mit denen sie wegen Salzquellen in Streit lagen. Mit ihren Königen hatte er einen längeren geheimen Briefwechsel und versprach, selbst den Rhein zu überschreiten, wenn sie gegen die Alamannen zu Felde zögen. Sie erschienen dann auch mit ausgesuchten Truppen, jedoch in so großer Zahl, daß Valentinian I. sich angesichts dieser Bedrohung nicht entschließen konnte, über den Rhein zu gehen, und so Hoffmann a. O. Bd. 1, 3 4 7 ; Bd. 2, 150f. Anm. 3 1 0 - 3 2 0 . Amm. Marc. 28, 2, 2—4 mit Anm. 63 Seyfarth. Das Kastell (heute Neckarau) erhielt den Namen Munimentum Valentiniani und bestand noch um das J a h r 390. F ü r seinen B a u schafften die Alamannen Material aus dem zerstörten Lopodunum herbei. Vgl. hierzu Norden Alt-Germanien 33. Amm. Marc. 28, 2. 5 - 9 mit Anm. 65 Seyfarth. « Amm. Marc. 2 8 , 2 . 10; vgl. dazu R . Günther. ZfG 13 (1965) Sonderheft 29f. Zum Latrncinium s. auch unten S. 355 f. 1
2
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zogen die Burgunder wieder ab, da sie sich betrogen fühlten. 1 Dies ist eines der vielen Beispiele dafür, daß sich die Römer die Differenzen der germanischen Stämme so weit wie möglich zunutze machten, daß sie aber umgekehrt einer Stärkung dieser Stämme oder etwa einer militärischen Machtkonzentration in keiner Weise Vorschub zu leisten gedachten. Während des Burgundereinmarschee in das Gebiet der Alamannen griff der Heermeister der Reiterei Theodosius, der Vater des späteren gleichnamigen Kaisers, die Alamannen von Rätien aus an und besiegte sie. Die gefangengenommenen Alamannen schickte er auf Befehl des Kaisers nach Italien, „wo sie fruchtbare Äcker erhielten und noch immer in der Po-Ebene als Zinspflichtige ihre Wohnsitze haben" (nach 390). 2 Die Gefangenen wurden, wie damals üblich, nicht als Sklaven verkauft, sondern als zinspflichtige Bauern, also Kolonen, angesiedelt. Im J a h r 372 plante Valentinian I. einen Feldzug gegen den Alamannenkönig Macrianus, dessen Gau gegenüber Mainz, zwischen Lahn, Main und Rhein, lag. Hauptort der Bukinobanten war Mattiacum (Aquae Mattiacae), das heutige Wiesbaden. Macrianus hatte großen Einfluß auf die anderen Alamannengaue gewonnen und bedeutete eine ähnliche Gefahr für Rom wie vorher Vithicab. Als Valentinian I. in Begleitung von Theodosius in aller Heimlichkeit über den Rhein zog und gegen Mattiacum vorrückte, wurde sein Vorhaben zu früh entdeckt, und Macrianus entkam. Der Kaiser setzte an seiner Stelle als neuen König Fraomar ein, doch konnte sich dieser bei den Bukinobanten nicht halten und trat in römische Dienste. Als Tribun erhielt er den Befehl über eine in Britannien stehende starke alamannische Einheit. 3 Von August 372 bis 374 hielt sich Valentinian I. nieist in Trier auf. Im J u n i 374 begab er sich nach Rätien und unternahm von dort aus einen Zug durch einige Gaue der Alamannen. Unter seiner Leitung erfolgte dann in der Nähe von Basel der Bau der Festung Robur. Vorher hatte er Vindonissa instandsetzen lassen. Auch die Festung Summa Rapida ließ er erbauen/ 1 I n Robur erhielt Valentinian I. die Nachricht von einem Einfall der Quaden und Sarmaten in Pannonien. I n dieser Provinz und in dem an Rätien angrenzenden Noricum vervollständigte der Kaiser ebenfalls den Grenzschutz an der Donau. 1
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Amm. Marc. 28, 5, 8—13. I m folgenden Paragraphen (14) schließt der Autor einige aufschlußreiche Bemerkungen über Königtum und Priestertum bei den Burgundern an. Amm. Marc. 28, 5, 15. Amm. Marc. 29, 4, 7. Von Aquae Mattiacae (Mattiacum) zu unterscheiden ist das Castellum Mattiacorum, eine Festung, die gegenüber Mogontiacum (Mainz) am rechten Rheinufer angelegt und mit Mogontiacum durch eine feste Brücke verbunden war. Noch heute trägt die auf diesem Gelände entstandene moderne Stadt den Namen Kastel. Amm. Marc. 30, 3, 1 mit Anm. 35 Seyfarth. Die Festung erhielt den Namen Robur von den Anwohnern. Über die Grenzwehr am schweizerischen Oberrhein vgl. Stähelin 2 6 7 - 2 7 6 und B R G K 10 (1918) 86ff. 145.
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Auch hier sollten Brückenköpfe jenseits des Flusses den Einmarsch römischer Truppen in das „Barbaricum" ermöglichen. 1 Auf die Nachricht von den Einfällen der Quaden und Sarmaten war Valentinian zunächst anscheinend bereit, trotz der späten Jahreszeit nach Pannonien aufzubrechen, doch bewogen.ihn seine Ratgeber, das Vorhaben auf das Frühjahr zu verschieben. Sie verwiesen erstens auf den schlechten Zustand der Straßen zur Winterszeit und den Mangel an Futter für Reitpferde und Zugtiere und zweitens auf die Bedrohung Galliens durch die benachbarten Könige, insbesondere den schon mehrmals erwähnten Macrianus. 2 Daher (ut conducebat rei communi) wurde dieser König mit aller Freundlichkeit in die Nähe von Mainz geladen, zumal er selbst, wie man annahm, bereit war, einen Vertrag (foedus) einzugehen. Valentinian I . traf sich mit Macrianus auf dem rechten Rheinufer — von der Bedeutung dieses Entgegenkommens kaiserlicherseits war schon die Rede (s. S. 31. 100) —, und es kam zu einem formellen Vertrag. Offenbar haben die Römer den Alamannen Zugeständnisse gemacht, und der König blieb den Römern von nun an ein treuer Bundesgenosse. Als er später fränkisches Gebiet verwüstete, geriet er in einen Hinterhalt und fiel. 3 I m Frühjahr 375 zog Valentinian I., vermutlich auf der Donau-Limes-Straße, nach dem Balkan; auf dem W e g dorthin starb er am 17. November in Brigetio (Komärom), einem Hauptlager in Pannonien auf dem rechten Donauufer. Seinen Sohn Gratian hatte er in Trier zurückgelassen und zum Heermeister den Fran-. ken Merobaudes ernannt, der von nun an eine außerordentliche Machtstellung einnahm und als erster der allmächtigen Heermeister im Westreich des ausgehenden 4. Jh. angesehen werden kann. 4 I m Zusammenhang mit dem plötzlichen T o d des Kaisers auf dem Balkanfeldzug macht Ammian eine interessante Bemerkung. Er verweist nämlich darauf, daß man bei Hofe voller Sorge war, wie die „gallischen Truppen, die den legitimen Kaisern nicht immer treu ergeben waren"', das Ereignis aulnehmen würden, und daß man von ihrer Seite eine Erhebung befürchtete. 3 Daß diese Sorge durchaus berechtigt war, wurde in der bisherigen Schilderung schon mehrfach deutlich. I n den nun folgenden Jahren tritt die schon bestehende enge Verflechtung der politischen und militärischen Ereignisse in den verschiedenen Reichsteilen beSpuren eines solchen Brückenkopfs fand man z. B. in Lauriacum (nahe Lorch an der Enns), seit Diokletians Neuordnung des Reichs Hauptstadt der Provinz Noricum ripense. Vgl. E. v. Nischer, Das Vorgelände des norisch-pannonischen Limes, Unsere Heimat, N F 5 (1932) 227-252. 2 Amm. Marc. 30, 3, 1-3. a Amm. Marc. 30, 3, 4-6. Zos. 4, 17, 1. 1
5 A m m . Marc. 30,10, 1: . . . cohortibusGallicanis,
quae non Semper dicataelegitimorum
principum fidei velut imperiorum arbitrae ausurae novum quoddam in tempore sperabantur . . .; 30, 10, 3: . . . rupturum concordiae iura Gallicanum militem suspicalus (Merobaudes) . . .
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sonders deutlich zutage (vgl. oben S. 28—30.) Nicht nur Aimnian weist gelegentlich darauf hin, sondern auch Zosimos. Nach der Erhebung des Maurenfürsten Firmus zum Kaiser im Jahre 373 (?) entsandte, so berichtet er, Valentinian I. pannonische und mösische Einheiten nach Afrika, und sogleich fielen die Sarniaten und Quaden unter Ausnutzug dieser Lage in Pannonien und Mösien ein. 1 Im Jahre 377 schickte Gratian seinem Onkel Valens Truppen zu Hilfe gegen die Goten. Dieser Schritt bot den alamannischenLentiensern eine günstige Gelegenheit, wieder einen Überfall auf Rätien zu unternehmen. Ammian berichtet uns darüber: Ein Soldat der kaiserlichen Leibgarde, ein Skutarier, von Geburt Lentienser. erzählte gelegentlich eines Urlaubs von dem bevorstehenden Abmarsch Gratians in den Osten. Die Lentienser griffen diese Nachricht begierig auf, überschritten den zugefrorenen Rhein im Februar 378 und überfielen zwei römische Elite-Einheiten. Als sie erfuhren, daß der größte Teil des Westheers nach dem Osten aufgebrochen war, zogen sie Truppen zusammen, angeblich 40000 oder sogar 70000 Mann, und marschierten in Rätien ein. Bei Argentaria schlug Gratian, der die nach Pannonien vorausgesandten Einheiten zurückbeordert hatte, die Lentienser, von denen 30000 (!) gefallen sein sollen. Auch ihr König Priarius wurde in der Schlacht getötet. 2 Durch den Erfolg in seiner Zuversicht bestärkt, setzte Gratian über den Rhein, konnte aber die Lentienser nicht entscheidend schlagen und schloß mit ihnen Frieden. Hauptbedingung war, wie schon so oft bei früheren Friedensschlüssen mit germanischen Stämmen, die Stellung von Rekruten für das römische Heer.' Gratian marschierte nunmehr über Arbor Felix (Arbon am Südufer des Bodensees) und Lauriacum (in der Nähe des heutigen Lorch an der Einmündung der Enns in die Donau) nach Osten, um Valens Hilfe gegen die Goten zu bringen.' 1 Aber im Jahre 379 hört man erneut von Raubzügen der Alamannen in Gallien, im folgenden J a h r von einem Sieg Gratians, den er wahrscheinlich über sie davontrug. 3 Um dieselbe Zeit, als die Juthungen wieder in Rätien einfielen (383) und Gratian von Mailand aus gegen sie zog, wurde in Britannien der dortige Militärbefehlshaber Maximus zum Kaiser erhoben/Kurz danach landete er an der Rheinmündung und traf im Raum von Paris auf Gratian. Während leichter Geplänkel. die der Hauptschlacht voraufgingen, verstand es Maximus. den größten Teil von Gratians Truppen auf seine Seite zu ziehen, so daß der rechtmä1 Zos. 4, 16. 5 f . - Amin. Marc. 31. 10. (¡—10; E p i t o m e 47. 2. Gegen Julian hatte sicli Priarius neutral verhalten. » Amin. Marc. 31. 10. 1 5 - 1 7 . 20. A m m . Marc. 31, 10. 20. mit A n m . 109 Seyfarth. — Mit der Niederlage des Valens bei Adrianopel im August 378 endet das Werk A m m i a n s . das eine so hervorragende Geschiehtsquelle für die E n t w i c k l u n g der Verhältnisse an R h e i n u n d oberer Donau darstellt. Sokrates Ii. e. 5. (>. 2; S o z o m e n o s h. e. 7. 4. 1. Die Wandalen nennt als Besiegte Iord. 27. 141.
TAFEL 1
Abb. 1 Grabstein des Centurio M. Caelius, gefallen in der Schlacht im Teutoburei Wald (9 u. Z.)
TAFEL 2
Abb. 2
G e m m a A u g u s t e a m i t d e m T r i u m p h des T i b e r i u s
TAFEL 3
Abb. 3
Gefangene Germanen
TAFEL 4
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b. 133 (1928) 5 1 - 1 4 0 . 4 K. B o d e w i g . Xass. Ann. 3(5 (1906) 1 5 0 - 1 5 4 . 5 A. Holling. B D S 10 (1903) 80. 6 A. Holling. Germania 39 (1961) 479; rters.. B D S * (1961) 103. 2
D i e Villae rusticae
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Brandgräberfeld
& . j 50m
7 Wohnhaus für das Gesinde 2 Herrenhaus 3 Trockenspeicher (horreuml 4 Große Scheune 5 Offener Schuppen 6 Mehrstöckiger Getreidespeicher (Silo) 7 Pferdestall 8 Schafstall 9 Schweinestalt 10 Kuhstall mit eingebautem Fachwerkhaus Tl Keller 12 Offene Feldscheune — Moderne Situation
F i g . Ö. Gnindrißplun der Villa rustica von K ö l n - M ü n g e i s d o r f
Einzelheiten hierzu bietet d a s , . T r i k o n c h e n " - B a d in der Villa v o n Fitten ( K r . Morzig-Wadern) Leiwen/Mosel: TrZ 24-2fi ( 1 9 5 0 - 1 9 5 8 ) 583. II Wittlich/Lieser: G. Kropatscheck. B R Ö K (i (1910/11) 65. 7 Contiaeum (Konz. Kr. Saarburg) war Sominersitz Valentinians I. 8 In der Schweiz: Avenches. Kloten, Orbe. Oberentfelden und Seeb; in Lothringen: St.Ulrich, Teting. Rouhling und Mackwiller; in den südlichen Niederlanden: De Plasmolen-Klosterberg und Voerendaal. I
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Landwirtschaft
wertige Anlagen bei Haltenberg (Kr. Landsberg/Lech) und Baisweil (Kr. Kaufbeuren) bekannt. 1 Die Trennung der pars urbana von der pars rustica führte neben dem Ausbau des Wohnhauses auch zu einer Neuordnung des Wirtschaftshofes. Innerhalb des jetzt gewaltige Dimensionen annehmenden Mauerringes wurden in zwei Reihen freistehend oder an die Mauer angelehnt zahlreiche ökonomiebauten angelegt. Die zu den Luxusvillen von Odrang, Blankenheim und Nennig gehörenden Hofanlagen scheinen nach dem Vorbilde gallischer Großgüter, die wie Anthee in der belgischen Provinz Namur mit 450 X 700 m Hoffläche und über 20 Wirtschaftsgebäuden- oder Martres-Tolosanes-Chiragan an der oberen Garonne mit 340 X 420 m großer pars rustica und 45 kleineren Häusern Dorfmaßstab erreichen, 3 organisiert worden zu sein. Das beste Beispiel für großwirtschaftlichen Betriebsaufbau bietet wohl das Gut von Odrang/ 1 Im Vorderteil lag inmitten von Gärten der schloßartige Landsitz mit 66 Räumen allein im Erdgeschoß, mit Säulenhallen, Veranden und Bädern, zahlreichen Mosaiken und farbigem Wand verputz. Die Baugeschichte dieser dreifassadigen Anlage mit Haupteingang von Westen verrät, daß sie sich aus dem einfachen Kernbau einer bescheidenen Villa rustica entwickelt hat. Durch rückwärtiges Aneinandersetzen zweier Portikusvillen mit Eckrisaliten ergab sich endlich diese individuelle Variante des Standardtyps. Man darf wohl hieraus auf eine zunehmend verbesserte ökonomische Position des Besitzers schließen. Entsprechende Parallelen liefern übrigens die Luxusvillen von Leudersdorf, wo eine langgestreckte Säulenhalle vor das alte Wohngebäude gelegt wurde, und Blankenheim mit drei Ausbauphasen, während andere — wie Nennig und Wittlich — nach einem großzügigen, einheitlichen Entwurf gebaut wurden. Ganz planmäßig ist die pars rustica in Odrang angelegt, die hinter einer Quermauer im rund 250 X 132 m großen Hinterhof untergebracht war. Eine Reihe hallenartiger Gebäude zog sich an der südlichen Längsseite hin, und auch an der Nordmauer sind gleichartige Bauten zu erwarten. Da das direkt an die Quermauer anschließende Haus als Wohnung des Vilicus gedeutet wurde, können in den anderen Anlagen u. a. Arbeitskräfte gelebt haben. Ihre sich daraus ergebende Konzentration innerhalb des Mauerringes unter der Aufsicht und Leitung eines Inspektors läßt vermuten, daß es sich um Sklaven handelte, die bei der Bewirtschaftung dieses Großgutes als Arbeitskräfte eingesetzt wurden, 5 obwohl auch die Deutung auf Prokurator und Kolonen möglich erscheint. 1
Wagner R ö m e r 75. P . Spitaels, Hclinium 10 (1970) 2 0 9 - 2 4 1 . 3 F. Oelmann, Bonner J b b . 128 (1923) 80; H. Ament, in: Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, Bd. 12, 1969, 143ff 130ff. 218ff.
230
Keramikproduktion
fanden an den großen merowingischen Herrenhöfen wie an den Königshöfen neue Auftraggeber. Von dort aus wurden ihre Erzeugnisse verhandelt. Nach den Beigaben aus völkerwanderungszeitlichen Goldschmiedegräbern 1 muß man mit wandernden Metallkunsthandwerkern rechnen, die an den fränkischen Gutshöfen im Auftrage der Grundherren tätig waren. Sie waren zwar Eigentümer der Werkzeuge, erhielten jedoch die kostbaren Rohstoffe vom Auftraggeber. Auch den Waffen- und Grobschmieden der Merowingerzeit waren die römischen Techniken bekannt, was ebenfalls eine kontinuierliche Entwicklung dieser Handwerkszweige voraussetzt. Anders verhielten sich die Alamannen zu den römischen Wehranlagen; denn sie ließen sich nicht in den bestehenden spätrömischen Orten nieder, sondern gründeten in deren Umgebung neue. In Rätien, am Mittelrhein und in der Schweiz bedeutete deshalb die alamannische Eroberung das Ende der römischen Siedlungen 2 und wohl auch das Ende des römischen Metallhandwerks.
C. Die Keramikproduktion
3
1. Stand der Keramikproduktion am E n d e des 2. Jh. Durch das Vordringen der Römer bis an den Rhein trafen die Produktionsverhältnisse der entwickelten römischen Klassengesellschaft auf die der sich auflösenden Gentilordnung der dort ansässigen keltischen und germanischen Stämme. Die Konfrontation unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen führte zu einer spezifischen Entwicklung der römischen Provinzen. Der Charakter der provinzialrömischen Wirtschaft wurde bestimmt durch das Zusammenwirken der auf sehr hohem Niveau stehenden römischen Technologien und Organisationsformen und der einheimischen Traditionen. Denn die Römer veränderten nur in dem Maße die vorgefundenen Organisationsformen der Wirtschaft, wie es zur Befriedigung der Bedürfnisse einer entwickelten Klassengesellschaft notwendig war. Die Kenntnis des römischen Lebensniveaus weckte andererseits bei der einheimischen Bevölkerung auch neue Ansprüche, die sie zur Aufnahme römischer Einflüsse veranlaßten und die Entwicklung der eigenen Produktivkräfte förderten. Die Romanisierung trug in den besetzten Gebieten zur Durchsetzung der zweiten gesellschaftlichen Arbeitsteilung bei und schuf so die Grundlagen für die Entwicklung der Warenproduktion. Diese Entwicklung vollzog sich in Rätien später und war dort auch weniger tiefgreifend. Hier wurde erst in der zweiten Hälfte des 2. Jh. eine römische Le1 2 a
J. Werner, in: Early Medieval Studies. Bd. 1, Stockholm 1970. 69 f. Kellner 45 ff. Ausführlicher zu den Problemen: G. v. Bülow, Studien zur Organisation des Töpferhandwerks und zum Status der Töpfer in den römischen Rhein-OberdonauProvinzen im 3. und 4. Jh. u. Z.. Phil. Diss. Berlin 1972
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Keramikproduktion
fanden an den großen merowingischen Herrenhöfen wie an den Königshöfen neue Auftraggeber. Von dort aus wurden ihre Erzeugnisse verhandelt. Nach den Beigaben aus völkerwanderungszeitlichen Goldschmiedegräbern 1 muß man mit wandernden Metallkunsthandwerkern rechnen, die an den fränkischen Gutshöfen im Auftrage der Grundherren tätig waren. Sie waren zwar Eigentümer der Werkzeuge, erhielten jedoch die kostbaren Rohstoffe vom Auftraggeber. Auch den Waffen- und Grobschmieden der Merowingerzeit waren die römischen Techniken bekannt, was ebenfalls eine kontinuierliche Entwicklung dieser Handwerkszweige voraussetzt. Anders verhielten sich die Alamannen zu den römischen Wehranlagen; denn sie ließen sich nicht in den bestehenden spätrömischen Orten nieder, sondern gründeten in deren Umgebung neue. In Rätien, am Mittelrhein und in der Schweiz bedeutete deshalb die alamannische Eroberung das Ende der römischen Siedlungen 2 und wohl auch das Ende des römischen Metallhandwerks.
C. Die Keramikproduktion
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1. Stand der Keramikproduktion am E n d e des 2. Jh. Durch das Vordringen der Römer bis an den Rhein trafen die Produktionsverhältnisse der entwickelten römischen Klassengesellschaft auf die der sich auflösenden Gentilordnung der dort ansässigen keltischen und germanischen Stämme. Die Konfrontation unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen führte zu einer spezifischen Entwicklung der römischen Provinzen. Der Charakter der provinzialrömischen Wirtschaft wurde bestimmt durch das Zusammenwirken der auf sehr hohem Niveau stehenden römischen Technologien und Organisationsformen und der einheimischen Traditionen. Denn die Römer veränderten nur in dem Maße die vorgefundenen Organisationsformen der Wirtschaft, wie es zur Befriedigung der Bedürfnisse einer entwickelten Klassengesellschaft notwendig war. Die Kenntnis des römischen Lebensniveaus weckte andererseits bei der einheimischen Bevölkerung auch neue Ansprüche, die sie zur Aufnahme römischer Einflüsse veranlaßten und die Entwicklung der eigenen Produktivkräfte förderten. Die Romanisierung trug in den besetzten Gebieten zur Durchsetzung der zweiten gesellschaftlichen Arbeitsteilung bei und schuf so die Grundlagen für die Entwicklung der Warenproduktion. Diese Entwicklung vollzog sich in Rätien später und war dort auch weniger tiefgreifend. Hier wurde erst in der zweiten Hälfte des 2. Jh. eine römische Le1 2 a
J. Werner, in: Early Medieval Studies. Bd. 1, Stockholm 1970. 69 f. Kellner 45 ff. Ausführlicher zu den Problemen: G. v. Bülow, Studien zur Organisation des Töpferhandwerks und zum Status der Töpfer in den römischen Rhein-OberdonauProvinzen im 3. und 4. Jh. u. Z.. Phil. Diss. Berlin 1972
Stand der Keramikproduktion Ende des 2. Jh.
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giop stationiert. Erst dadurch und mit dem damit in Zusammenhang stehenden Ausbau der Provinz Verwaltung waren wesentliche Voraussetzungen für die Romanisierung der Provinz geschaffen. In den germanischen Grenzgebieten jedoch ist der Einfluß der römischen Klassengesellschaft schon seit dem 1. Jh. zu beobachten, so daß hier die Wirtschaft und die klassenmäßige Differenzierung erheblich weiter entwickelt waren. Hier wirkten sich auch die engen Beziehungen zum gallischen Hinterland aus, wo schon vor der Eroberung des Landes durch die Römer die soziale Differenzierung in der Gesellschaft stärker spürbar war als bei den Germanen. In Rätien dagegen gab es vor dem Zusammentreffen mit den Römern keine vergleichbaren Einflüsse. Als ein Maßstab für den römischen Anteil an der Entwicklung der Provinzen können die Erzeugnisse der keramischen Produktion gelten. In ihr zeigt sich in hervorragendem Maße die unterschiedliche Organisation der römischen und der einheimischen Wirtschaft. Denn Tongefäße waren in den Provinzen ein wichtiger Konsumartikel. Sie konnten an fast jedem Ort hergestellt werden, besitzen aber andererseits durch ihre Zerbrechlichkeit nur eine begrenzte Lebensdauer. Daher konnte die Gefaßherstellung besonders gut auch auf jede Veränderung im Geschmack reagieren und kurzfristig neue Einflüsse aufnehmen. Im Laufe des 2. Jh. hatten sich im Limesgebiet die neuen Produktionsverhältnisse der antiken Klassengesellschaft weitgehend durchgesetzt, wodurch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erheblich gesteigert und die Provinzen am Rhein ökonomisch relativ selbständig wurden. In der Keramikproduktion zeigte sich diese Blüte in einer Vielfalt von Gattungen. Dem Versuch, an Hand ausgewählter Gefäßarten Aussagen über die Veränderungen in der Struktur der provinzialrömischen Keramikproduktion im 3. und 4. Jh. und ihre Bedeutung für das nachantike Töpfereigewerbe zu machen, soll eine Charakteristik der verschiedenen keramischen Gattungen bis zum Ende des 2. Jh. vorausgeschickt werden. Auf allen provinzialrömischen Fundplätzen ist das rauhwandige Gebrauchsgeschirr die vorherrschende Keramik. Diese Gattung diente hauptsächlich als Kochgeschirr, ihre Haupttypen waren Töpfe, Schüsseln, Kannen, Teller. Hergestellt wurde die rauhwandige Keramik in zahlreichen kleinen Töpfereien.' Das Gebrauchsgeschirr mit glatter Oberfläche umfaßt alle wesentlichen Gefäßtypen römischer Zeit. Die Vielfalt der Formen sowie die Verwendung verschiedenster Dekorationen und Überzüge 2 stammt aus zahlreichen Herstellungsorten mit lokal begrenzter Verbreitung. 1 Die Herstellung ist z. B. nachgewiesen in Köln: Fremersdorf Topographie 58—68; in Echzell: D. Baatz, Saalburg-Jb. 24 (1967) 37; in Welzheim (Schwaben): G. Bersu u. a., FB Schwaben 19(1911) 129; in Halfingen bei.Rottenburg: A. Stroh. Germania 18 (1934) 99; in Trier: Fölzer 51. Vgl. auch Schumacher 225. 2 Z. B. Kammstrichverzierung: G. Burkhardt. F B Schwaben 18 (1910) 29; schachbrettartige Muster: O. Paret, FB Schwaben 19 (1911) 118; verschiedenfarbige Bemalung: Oelmann Niederbieber 57; unterschiedliche Tonfarben und weißtonige Gefäße aus Köln: P. La Baume.Kölner Jb. für Vor- u. Frühgeschichte 6 (1962/63)
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Kerainikprotluktion
Zur glattwandigen Keramik gehören auch die Gefäße mit roter oder bräunlicher llammenartiger Bemalung aus den Töpfereien von Köln, Speicher, Kr. Bitburg in der Eifel, und im Neuwieder Becken, 1 wo sie bereits seit der frühen Kaiserzeit hergestellt wurden.-- Die Blütezeit der marmorierten Keramik liegt im späten 2. und frühen 3. Jh.. :i aber sie wurde vereinzelt noch im 4. Jh. produziert/ Für die sog. Firnisware ist ein roter bis schwarzer Überzug typisch, der jedoch nichts mit echtem Firnis gemeinsam hat, sondern aus einer Tonsubstanz besteht ». In dieser Technik wurden fast ausschließlich Trinkgefäße hergestellt ."Die Produktion dieser Gattung begann am Ende des 2. Jh., erreichte ihren Höhepunkt in der 1. Hälfte des 3. Jh. und hielt sich bis ins 4. Jh. (vgl. S. 268). Einen ähnlichen Überzug weisen die Gefäße der Rätischen Keramik auf, deren Hauptformen dünnwandige Becher und Schalen mit stark eingezogenem Fuß sind." Ihre Verbreitung erstreckt sich im wesentlichen auf die Provinz Rätien mit Ausstrahlungen in östlicher Richtung. 8 Produktionsorte waren Nassenfeis, Kr. Eichstätt (Vicus Seuttarensium), 9 und vermutlich Westheini bei Augsburg. Die Produktion glasierter Keramik kam in römischer Zeit nur vereinzelt vor 10 und besaß nie hervorragende Bedeutung. Terra sigillata ist die technisch anspruchsvollste Keramik von römischen Fundplätzen. Es ist eine sehr feintonige, hart gebrannte Ware mit glänzendem Überzug in verschiedenen Rottönen, die vielfach mit Relief verziert ist. Die Haupttypen dieser Ware sind Schüsseln, Teller, Tassen, Becher, aber auch Reibschalen und Krüge. 11 Die helvetische Terra-sigillata-Imitation war in ihrer Verbreitung auf die Stammesgebiete der Helvetier (heute Westschweiz) beschränkt und kommt be21; orangefarbene bis rote Töne in Weil im Schönbuch: G. Bersu u. a., F B Schwaben 19 (1911) 121-124. Vgl. auch Öelmann Niederbieber 57-70. I Köln: L. H. Barfield u. a., Beiträge zur Archäologie des römischen Rheinlandes, Düsseldorf 1968, 70; Speicher: S. Loeschcke, Trierer Heimatblätter 1 (1922) 10f.; Neuwieder Becken: Oelmann Niederbieber 45. 50. ^ K. Bettermann, Saalburg-Jb. 8 (1934) 103-129. 3 Oelmann Niederbieber 51. 4 S. Loeschcke, Trierer Heimatblätter 1 (1922) 12. 5 A.Winter, Saalburg-Jb. 14 (1955) 78. «Z. B. auch in Echzell: D. Baatz, Saalburg-Jb. 24 (1967) 34. Vgl. auch Oelmann Niederbieber 35—42. 7 V. v. Gonzenbach, JbSGU 43 (1953) 145. 8 F. Drexel, Das Kastell Faimingen, ORL B VI Nr. 66 c. Heidelberg 1911. 81. 9 Germania 30 (1952) 437. 10 Z. B. Köln: Schmitz CCAA 190; Krefeld-Gellep: R. Pirling, Bonner Jbb. 159 (1959) 217; Pirling Krefeld-Gellep 232; Asperden: H . H i n z , I. Homberg, Ausgrabung eines spätrömischen Burgus in Asperden, Kr. Kleve, Düsseldorf 1969, 183. II H. Dragendorff, Bonner Jbb. 96 (1895) 18—155; E. Gose, Gefäßtypen der römischen Keran ; k im Rheinland, Kevelaer 1950, 7—15. Vgl. auch unten S. 238—253.
Stand der Keramikproduktion E n d e des 2. Jh.
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sonders häufig'im Legionslager bei Windisch (Vindonissa) vor. 1 In Form und Überzug ahmte sie echte Terra sigillata nach.'-Sie wurde in Windisch und auf der Engehalbinsel bei Bern produziert Der Terra sigillata durch eines der Verfahren zu ihrer Herstellung verwandt ist die Terra nigra/ 1 I n ihren Typen lehnt sich die Terra nigra an Spätlatenefornien an, ahmt aber auch frühe Terra-sigillata-Formen nach."' Ihre Hauptproduktionszeit lag im 1. Jh. G Sie wurde im 2. J h . weitgehend von der „Firnisware" verdrängt, 7 lebte aber im 4. J h . wieder auf." Lampen und Terrakottafiguren unterscheiden sich von den Tongefäßen grundsätzlich durch ihre Herstellungstechnologie. Sie wurden aus je zwei Negativformen herausgepreßt und zusammengesetzt. Die Nahtstelle wurde mit einem Modellierstab geglättet. 1 ' Lampenwerkstätten wurden in Mainz-Weisenau, Windisch, Trier, Xanten, Köln und Westheim bei Augsburg nachgewiesen. 10 Großen Anteil an der gesamten Keramikproduktion hatte in römischer Zeit die Herstellung von Baukeramik, denn viele Militärbauten waren ganz oder z. T. aus Ziegeln errichtet. Außerdem verwendete man vielfach Ziegel zu Spezialzwecken auch an nichtmilitärischen Bauten. So finden sich z. B. sehr viele Dachziegelplatten
und
H o h l z i e g e l (tegulae
und
imbrires),
Fußbodenplatten,
Wand- und Heizkacheln, Platten von Hypokaustpfeilern und Wasserleitungsröhren. 11 Von den charakterisierten Gefäßgattungen werden im folgenden nur die Terra sigillata und das rauhwandige Gebrauchsgeschirr eingehender untersucht — da ' W. Drack, Die helvetische Terra-sigillata-Imitation, Basel 1945, 20f. 132—156. - W. Drack a. O. 43. E s lassen sich aber auch einheimische Einflüsse erkennen: V. v. Gonzenbach, J b S G U 43 (1953) 151. 1 Windisch: W. Drack a. O. 29; F. Drexel (s. S. 232 A. 8) 75; R. Fellmann, Ur-Schweiz 20 (1956) 3 8 - 4 2 ; Bem-Engehalbinsol: Repertorium 23; 0 . Schultheß, B R G K 15 (1923/24) 29; O. Tschumi, Jb. des Bernischen Histor. Mus. 3 (1923) 76. A. Winter, Saalburg-Jb. 14 (1955) 7 4 - 7 9 ; Ludowici K a t . 3. 2 9 2 f . Spätlatenetradition: Unverzagt Alzei 25; Nachahmung v o n Terra-sigillata-Form e n : E . Gose (s. S. 232 Anm. 1) 24; E. Denninger u. H . Ebinger. Germania 31 (1953) 67. Werkstätten dieser Zeit befanden sich / . B. in Trier: Fölzer 50; in Heddernheim: Oelmann Niederbieber 56; in Köln: Fremersdorf Topographie 67; P. La B a u m e , Kölner Jb. f. Vor- u. Frühgesch. 6 (1962/63) 21. 7 Oelmann Niederbieber 56; Unverzagt Alzei 25. ''Werkstätten der späten Terra nigra sind bekannt in Mayen/Eifol: R . Roeren, JRGZM 7 (1960) 234; in der Gegend von Worms und Speyer: Schumacher 266. " Fremersdorf Bil'dlampen 44—46. 1,1 Mainz-Weisenau: Fremersdorf Bildlampen; Windisch: S. Loeschcke, Lampen aus Vindonissa, Zürich 1919,306; Trier und X a n t e n : F. Fremersdorf, D a s Beleuchtungsgerät in römischer Zeit, Mainz 1924, 25; K ö l n : Schmitz CCAA 185; Westheim bei Augsburg: F. Drexel (s. S. 232 Anm. 8) 101; W. Hübener, JRGZM 5 (1958) 197; W. Hübener, JRGZM 10 (1963) 114. M Schumacher 259. E i n Lager von Tonröhren wurde z. B. in Rheinzabern gefunden: Sprator Pfalz T. 2, 122, Abb. 174. 175.
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Keramikproduktion
ihre Entwicklung während des ganzen zu behandelnden Zeitraums verfolgt werden kann —, um die Veränderungen aufzuzeigen, die sich im 3./4. Jh. in der provinzialrömischen Keramikproduktion vollzogen. Zuvor ist jedoch eine kurze Darstellung der Technologie der keramischen Produktion unerläßlich, weil die im Herstellungsverfahren auftretenden Besonderheiten eine Reihe wichtiger Schlüsse auf die Organisation der Produktion, z. T. auch auf die Produktionsverhältnisse, gestatten. 2. Technologie der Keramikherstellung Da Ton zu den Sedimentgesteinen gehört, ist seine Zusammensetzung entsprechend dem Ausgangsgestein sehr unterschiedlich. Außerdem beeinflussen weitere Beimengungen von Sand, Kalk, Eisen Verbindungen, organischen Stoffen u. a. seine Eigenschaften. Nach der Plastizität, der wichtigsten Eigenschaft des Tones als Rohmaterial für die Keramikproduktion, unterscheidet man zwischen fetten und mageren Tonen: Fette Tone sind weniger stark verunreinigt und bildsamer als magere. Die für die Keramikproduktion verwendbaren Tone liegen meist nahe der Oberfläche und können im Tagebau gewonnen werden, dessen Spuren sich bei mehreren römischen Töpfereien nachweisen lassen.1 Daneben ist für die römische Zeit aber auch der Tonabbau unter Tage durch Funde belegt. 2 Die Aufbereitung des Rohtones zur keramischen Masse umfaßt mehrere Arbeitsgänge: 3 Der Ton wird sortiert, gereinigt, geschlämmt und gemaukt, zum Wettern gelagert und so seine Bildsamkeit erhöht. 4 Außerdem können die Eigenschaften des Tones durch den Zusatz verschiedenster Materialien beeinflußt werden. Die ältere Technologie der Handformung — hierbei ist zu unterscheiden zwischen der Treib- und der Wulsttechnik 5 — hatte in den römischen Provinzen nur noch geringe Bedeutung. Die Masse der Gefäße wurde auf der schnell rotierenden Drehscheibe durch „Ziehen" des Tones geformt. 6 Die Töpferscheiben brachte man durch Stabantrieb in Schwung (s. Abb. 56), wie durch den Fund einer Drehscheibe mit Kerben am Rand aus Speicher in der Eifel belegt ist.7 Hilfsgeräte, wie Schablonen, Drehschienen, Modellierhölzer u. ä., sind 1
Z. B. in Rheinzabern: Sprater Rheinzabern 71; in Heiligenberg: Forrer Heiligenberg 12; in Mayen: Unverzagt Alzei 32; in Weatheim bei Augsburg: W. Hübener, JRGZM 5 (1958) 197; in Cannstatt: Paret Württemberg 138. 2 Z. B. in Rheinzabern: Sprater Rheinzabern 71—73; in Lingenfeld i. d. Pfalz: F. Sprater, in: Schumacher-Festschrift, Mainz 1930, 2 6 7 - 2 6 9 . 3 I. Liebscher, F. Willert, Technologie der Keramik, Bd. 1, Dresden 1955, 118-164. 4 H. Salmang, Die Keramik, 3. Aufl. Berlin, Göttingen, Heidelberg 1954, 6 0 - 6 2 . Ä D. Drost, Alt-Thüringen 6 (1962/63) 641-651. « Filip Bd. 2, 1473, s. v. Töpferei. 7 A. Rieth, 5000 Jahre Töpferscheibe, Konstanz 1960, 51; ders., F B Schwaben N F 17 (1965) 153; vgl. ebd. 155, Taf. 39, 2 auch die Darstellung einer Töpferscheibe mit Stabantrieb auf einem römischen Wandbild.
Technologie der Keramikherstellung
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bisher nicht gefunden worden:1 ihre Verwendung ist jedoch mit Sicherheit anzunehmen. Henkel, Griffe, Ausgüsse u. ä. wurden nachträglich an die Gefäße angesetzt. Vor dem Brand mußten die Gefäße an der Luft getrocknet werden, bis sie „lederhart" waren, d. h. nicht mehr verformbar.2 Die römischen Tonwaren brannte man in stehenden Öfen, in denen sich der Feuerraum unter dem Brennraum befand und von diesem durch einen Rost getrennt war.3 Sie hatten runden, ovalen, eckigen oder hufeisenförmigen Grundriß4 und waren etwa bis zur Höhe des Rostes in den Boden eingetieft. Der Brennrost bestand aus einer 10 bis
Fig. 21. Grundriß eines römischen Töpferofens (s. Fig. 24 i) 1 I . Liebscher, F . Willert a. O. 182. 2 H . Salmang a. O. 8 2 - 9 3 . :l Die frühesten Öfen dieses Typs sind aus Susa bekannt. Sie wurden in derselben Grundform auch in Griechenland verwendet (Tonpinakes aus Korinth), u n d von den Griechen übernahmen sie die Römer. 4 Z. B. ein runder und ein quadratischer Ofengrundriß aus Windisch: R . Fellmann, Ur-Schweiz 20 (1956) 38—42; ein hufeisenförmiger Ofen in Emerkingen (Schwaben): G. B u r k h a r d t , F B Schwaben 18 (1910) 28; ein ovaler Ofen in H a l f i n g e n : A. Stroh, Germania 18 (1934) 99; runde und eckige Geschirröfen in R h e i n z a b e r n : Ludowici K a t . 3. 143; K a t . 2. 151-169.
236
Keramikproduktion
Fig. 22. R e k o n s t r u k t i o n eines Ziegelofens 2 0 cm starken, durchlöcherten Lehnidecke, die auf unterschiedlich gestalteten Stützmauern auflag (Abb. 55). 1 V o n den wahrscheinlich meist kuppeiförmigen 1
I n den meisten Fällen war es eine Z u n g e n m a u e r , die von der R ü c k w a n d des Ofens a u s in R i c h t u n g des Heizkanals verlief: z. B. in W a l h e i m (Schwaben): G. Bersu. u . a., F B Schwaben 19 (1911) 126; in Sinzig: J . H a g e n , B o n n e r J b b . 124 (1917) 177'; in Speicher: S. Loeschcke, TrZ 6 (1931) 2. Vgl. dagegen Mainz: Fremersdorf Bildlampen 20, wo die S t ü t z m a u e r keinen Anschluß a n der R ü c k w a n d h a t .
Technologie der Keramikherstellung
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oberirdischen Teilen der Öfen sind nur geringe Reste erhalten. 1 Eine Vorstellung von ihrem Aussehen vermittelt das Tonmodell eines Töpferofens aus Nijmegen (Abb. 54).'2 Der Durchmesser des Brennraumes betrug zwischen ca. 0,8 und 3 m, und die Öfen waren etwa 2 m hoch. 3 Für den Brand von Tongefäßen verwendete man runde und viereckige Öfen,4 f ü r den Ziegelbrand jedoch nur eckige, die im allgemeinen größer waren als die für den Geschirrbrand. 5 Außerdem besitzen sie ein stärkeres Stützsystem, um das Gewicht des Ziegelstapels tragen zu können. Als Brennmaterial wurde in römischer Zeit Holz oder Holzkohle genutzt, womit in den stehenden Öfen Temperaturen von oa. 1000 ° C erreicht werden konnten, allerdings mit Schwankungen bis zu 200 ° C.6 Der Brennprozeß römischer Keramik begann mit der Phase des Schmauchens, wobei während des Temperaturanstieges bis etwa 300 ° C der Ton vollkommen unplastisch wurde. Der Garbrand der Gefäße fand bei Erhöhung der Temperatur bis etwa 1000 ° C statt. Durch die Regulierung der Sauerstoffzufuhr konnte die Brennfarbe eisenhaltiger Tone beeinflußt werden.7 Während des Brandes auftretende Fehler am Brenngut können durch die Zusammensetzung des Materials, durch die Temperaturschwankungen im Ofen oder durch schlecht regulierten Brand verursacht worden sein, oder die Gefäße konnten sich in der Hitze verziehen oder zusammenbrennen. Die römischen Tongefäße wurden in der Regel vor dem Brand verziert. Man versah sie mit verschiedenen Arten von Überzügen, wie Engobe, Sinterengobe oder Glasur.8 Ein besonderer Überzug aus kolloidal gelöster Tonsubstanz wurde zur Herstellung von Terra sigillata verwendet (s. S. 239). Die Gefäße wurden auch bemalt oder mit plastischen Verzierungen versehen, die nach verschiedenen Methoden angebracht werden konnten: Eindrücken von Mustern mit Rollrädchen (s. S. 268) oder Einzelstempeln. 9 Reliefs preßte man ent1
Z. B. in Remagen: E. Funck, Bonner Jbb. 119 (1910) 326; in Walheim: G. Bersu u. a., F B Schwaben 19 (1911) 126. 2 P. Steiner, RGKbl 3 (1910) 75f. Vgl. die Proportionen des Ofenmodells aus Nijmegen: hier ergibt sich ein Verhältnis zwischen der Höhe des Feuerraumes und des Brennraumes von etwa 1 zu 2: P. Steiner, R G K b l 3 (1910) 75. Die Höhe des Feuerraumes betrug ca. 60 cm, entsprechend der Höhe des Heizkanals (ein vollständig erhaltener Heizkanal mit Gewölbe wurde in Windisch gefunden. Er ist 60 cm breit, 65 cm hoch und 80 cm lang): R. Fellmann, Ur-Schweiz 20 (1956) 3 8 - 4 2 . 4 Forrer Heiligenberg 56; Ludowici Kat. 2, 151. 169. 5 Forrer Heiligenberg 56. Zu den größten Öfen sind einer in Sinzig mit quadratischem Grundriß zu rechnen, der eine Seitenlänge von etwa 8 m hat (J. Hagen, Bonner Jbb. 124 [1917] 176), sowie ein rechteckiger Ofen bei Mürlenbach/Kyll mit 8,43 X 8,07 m (TrZ 2 4 - 2 6 [1956-1958] 562f.). e A. Winter, Keramische Zeitschrift 8 (1956) 111. ? H. Salmang (s. S. 234 Anm. 4) 113-118. 8 A. Winter a. O. 110; W. Schleimeracher, Germania 33 (1955) 416. s W. Unverzagt, Praehistor. Zeitschr. 16 (1925) 132-136.
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Keramikproduktion
weder aus einer F o r m u n d legte sie auf das Gefäß auf (Relief d'applique), 1 oder man trug sie freihändig aus zähflüssigem TonschlickeT mit einem Malhorn auf (Relief à la barbotine). 2
3. W e r k s t ä t t e n u n d P r o d u z e n t e n a) Terra-sigilla ta- Werkstätten U n t e r der Keramik von Fundstellen in den römischen Provinzen Germanien u n d Rätien fällt immer wieder die G a t t u n g der Terra sigillata ganz besonders auf. Sie unterscheidet sich durch ihren meistens gut erhaltenen roten Überzug und häufige ornamentale oder figürliche Reliefverzierung von der übrigen Keramik. Außerdem ist ihr hartgebrannter Ton feiner geschlämmt als der der meisten anderen Gefäße. Diese Merkmale weckten schon f r ü h das Interesse der Archäologen an dieser Keramik, dessen sie sich auch heute noch in besonderem Maße erfreut. 3 Anfangs waren es vornehmlich ästhetische Gesichtspunkte, die die Untersuchungen der Terra sigillata anregten. Durch ihre Auffälligkeit und die gründliche Erforschung gewann diese K e r a m i k g a t t u n g bald große Bedeut u n g f ü r die Datierung von Fundplätzen, weil nach u n d nach ihre stilistische Entwicklung, 4 ihre Herstellungszentren u n d deren Geschichte bekannt wurden. 5 Zwar bestehen auch heute in vielen Fällen über die absolute Chronologie der Terra sigillata noch verschiedene Ansichten, 0 aber keine andere Keramikg a t t u n g dieses R a u m e s ist so detailliert erforscht u n d bekannt wie die Terra sigillata. Einen Gesichtspunkt wird m a n in den meisten Untersuchungen zur Terra sigillata jedoch vermissen bzw.. n u r angedeutet finden. Das ist die Frage nach d e m Stand der Produktivkräfte im Bereich der handwerklichen Produktion in diesen Gebieten. Aber gerade die weitgehende Erforschung der formalen Pro1 2 3
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Vgl. Oelmann Niederbieber 6. Vgl. Oelmann Niederbieber 7. Z . B . H . Dragendorff, Bonner Jbb. 96 (1895) 18-155; Ludowici Kat. 1 - 5 ; J. Déchelette, Vases céramiques ornés de la Gaule, Paris 1904; P. Karnitsch, Die Sigillaten von Veldidena (Wilten-Innsbruck), Innsbruck 1960. Z. B. H. Dragendorff a. O.; R. Knorr, Töpfer und Fabriken verzierter Terra sigillata des ersteh Jahrhunderts, Stuttgart 1919. Z . B . Rheinzabern: Ludowici Kat. 1—5; Westerndorf: J. Hefner, Die römische Töpferei in Westerndorf, München 1862; Fölzer; Sinzig: Fischer Sinzig. Z. B. über Anfang und Ende der Töpfereien in Rheinzabern und die Betriebe von Westerndorf: G. Juhasz, Die Sigillaten von Brigetio, Budapest o. J. 192; P. Karnitsch, F i L 6/7 (1960) 115-117;H.-J.Kellner,Bayer. Vorgesch. 25 (1960) 331-333H.-U. Nuber, Mitteilungen des histor. Vereins der Pfalz 67 (1969) 136-147; R Nierhaus, JRGZM 2 (1955) 239; N. Walke, Verzierte Terra Sigillata von EpfachDorf und aus dem Gräberfeld Mühlau, München 1964, 44.
Terra-sigillata-Werkstätten
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bleme der Terra sigillata ermöglicht es, mit Hilfe dieser Gattung diese Fragen einer Lösung näherzubringen. Die Terra sigillata wurde wegen ihrer vergleichsweise hohen künstlerischen Qualität als Luxus- oder Tafelgeschirr bezeichnet. 1 Dem stehen aber ihre große Verbreitung und ihr fast industriell zu nennendes Herstellungsverfahren entgegen. Man wird also die Terra sigillata als normalen Konsumartikel vorrangig der römischen Soldaten im Grenzgebiet zu verstehen haben, nur mit der Einschränkung, daß ihr relativ begrenzter Typenschatz auch ihre Verwendungsmöglichkeiten einschränkte. Aus diesen Gründen wird bei der Besprechung der Keramik die besonders aussagekräftige Terra sigillata vorangestellt. Besonderheiten der Technologie Die Besonderheiten der Terra sigillata beruhen auf ihrem glänzenden roten Uberzug, der unlösbar mit dem Gefäßkern verbunden ist und nicht abblättert, und ihrer verschiedenartigen Reliefverzierung sowie auf ihrem sehr guten und gleichmäßigen Brand. Diese Merkmale rühren von speziellen technologischen Verfahren her. Das größte Problem für die Untersuchungen der Technik der Terra-sigillataHerstellung bedeutete ihr Überzug, dessen Verwandtschaft mit der „RotSchwarz-Malerei" der griechischen Gefäßkunst erst spät erkannt wurde: 2 Der gestochene Ton wird längere Zeit in völliger Ruhelage geschlämmt. Dabei bildet sich an der Oberfläche eine glänzende H a u t , die nur aus den feinsten Bestandteilen des Tones besteht und den Schlicker für den Überzug der Gefäße ergibt. Dieser Schlicker erhält seine rote Farbe durch die Oxydation des enthaltenen Eisens während des Brandes. 3 Auch das Formungsverfahren weicht von dem anderer Gefäße ab: Aus Ton werden sog. Fornischüsseln oder Modeln hergestellt, in deren Innenwand mit Hilfe von einzelnen Bilderstempeln ein Fries im negativen Relief eingedrückt wird (s. Abb. 57)/' In diese Modeln, die gebrannt sind, wird dann der weiche Ton hineingepreßt, so daß an seiner Außenseite der Relieffries in positiver Abformung erscheint. Aus einer Model konnten mindestens 50 Gefäße abgeformt werden. 5 Anschließend wurden auf der Drehscheibe die unverzierten Gefäßteile, F u ß und Mündung, angearbeitet. Die so geformten und mit dem Überzug versehenen Gefäße wurden in sauerstoffreicher Brennatmosphäre gebrannt. I n den einfachen, S. 235-237 beschriebenen Töpferöfen herrschten jedoch zu große Temperaturschwankungen, und durch die direkte Berührung mit dem offenen Feuer wäre die Oberflächenfarbe beeinträchtigt worden. Darum wurden auf die Pfeifen im Brennrost verschiedene Tonröhren gestellt, die dazu 1 Z. B. H. Gummerus, R E 18 (1916) 1477 s. v. Industrie und Handel. 2 Th. Schumann, F u F 19 (1943) 3 5 6 - 3 5 8 . 3 W. Schleiermacher, Germania 33 (1955) 416. 4 Ludowici Kat. 5, 248; G. Reubel, Römische Töpfer in Rheinzabern, Speyer 1912,. 9 f. 5 v. Petrikovits Novaesium 57.
240
Kerainikproduktion
dienten, das Brenngut nur einer indirekten Hitze auszusetzen, den. Rauch nach ob^n abzuleiten und gleichzeitig die Kuppel des Ofens abzustützen. Damit das Zusammenbacken des eingestellten Materials nach Möglichkeit vermieden wurde, waren die Gefäße durch verschieden geformte Brennständer voneinander getrennt. Brennständer und Reste des Röhrensystems von Terra-
sigillata-Brennöfen wurden an verschiedenen Orten gefunden, 1 und aus dem Fundmaterial von Heiligenberg im Elsaß ist versucht worden, einen solchen Ofen zu rekonstruieren.Die genannten Voraussetzungen deuten schon an, daß die Terra-sigillataHerstellung bestimmter Kenntnisse und Fertigkeiten bedurfte, über die nach Aussage der Funde die einheimischen Töpfer vor dem Kindringen der Römer nicht verfügten. Entwicklung der Terra-sigillata-Produktion bis zum Ende des 2. J h . In Italien wurde bereits im 1. J h . v. u. Z. Terra sigillata hergestellt, das bekannteste Produktionszentrum befand sich bei Arezzo (Arretium) in Oberitalien. 1
Z. B. Aquae Helveticae: W. Drack, Die römisclienTöpfereifiuide von Baden-Aquae Helveticae. Basel 1949, 3 1 f . ; Sinzig: J. Hagen. Bonner Jbb. 124 (1917) 174; Canns t a t t : Paret Württemberg 133f. - Forrer Heiligenberg 69—78.
Terra-sigillata-Werkstätten
241
Von hier aus gelangte das feine rote Tongeschirr seit deni Anfang des 1. J h . u. Z. auch in das Rheinland. 1 Aber mit zunehmender Zahl römischer Soldaten am Rhein und an der oberen Donau stieg der Bedarf an diesem Geschirr so stark an. daß er von den weit entfernten oberitalischen Werkstätten und ihren Filialen am Rhein- nicht mehr gedeckt werden konnte. Das wird einer der Gründe dafür gewesen sein, daß in der 1. Hälfte des 1. J h . u. Z. diesseits der Alpen in Südgallien neue Werkstätten für Terra sigillata gegründet wurden, deren Erzeugnisse sich in allen römischen Kastellen des mittleren und späteren 1. J h . an Rhein und oberer Donau finden.11 Die Werkstätten bei La Graufesenque (Condatomagus), Montans und Banassac lieferten bis ins frühe 2. J h . Keramik in die Kastalle der Linieszone/' Schon um die Jahrhundertmitte zogen einige Töpfer weiter in Richtung Rheingrenze und errichteten in Mittelgallien neue Werkstätten für Terra sigillata an Orten, in denen sie einheimische Keramikproduktion antrafen. Die Errichtung von Werkstätten an Orten mit Töpfereitradition bot den Zuwandernden viele Vorteile: Sie fanden verwendbare Werkstatteinrichtungen und geschulte Arbeitskräfte vor und erhielten leicht Kenntnisse über die Qualität der anstehenden Tone. Die Anfänge der mittelgallischen Betriebe standen unter dem stilistischen Einfluß der südgallischen Werkstätten. 5 Der Hauptproduktionsort war Lezoux (Ledosus), wo sich schon in der Latenezeit ein Töpferzentrum befand. Die Terrasigillata-Werkstätten von Lezoux erlebten im 2. J h . ihre größte Blüte und belieferten den Markt von Britannien bis Pannonien. 1 ' Sie sind die einzigen gallischen Betriebe, die sich neben Rheinzabern (Tabernae) und Trier auch in der zweiten Hälfte des 2. J h . noch behaupten konnten." Die mittelgallischen Produktionsorte wurden wiederum Ausgangspunkt f ü r die Gründung von Betrieben in Ostgallien, die bald nach 100 entstanden. Es sind die Fabricae von Luxeuil, La Madeleine. Blickweiler, Eschweiler Hof u. a. Konnte man bis zu den mittelgallischen Betrieben die Wanderung der Töpfer von einem Zentrum zu einem neuen Produktionsort verfolgen, so ist das bei den 1
A. Oxc. Arretuiische Reliefgefäße vom Rhein. Frankfurt/M. 1933. A. Oxc a. O. 36f. Straubing: N. Walke. Das römische Donaukastell Surviodurum-Straubing. (West-) Berlin 1965. 27; Neuß: v. Petrikovits Novaesiurn 58; Augsburg: W. Hübener. JRGZM 5 (1958) 204; Künzing: H. Schönberger, Bayer. Vorgesch. 24 (1959) 132. 137—145; Bregenz: J . J a c o b s . Jb. f. Altertumskunde 6 (1912) 174f.; Köngen: H.-G. Simon. Saalburg-Jb. 20 (1962) 8ff. u. a. m. Gauting: N. u. Z. Walke. H.-J. Kellner. BRGK 46/47 (1965/66)90. llOff.; Epfacli: N. Walke (s. S. 238 Anm. 6) 47. " •> Filip Bd. 2. 1446 s. v. Terra sigillata. D.Gabler. Arch. Ert. 95 (1968) 241; P. Karnitsch. Die verzierte Sigillata von Lauriacum (Lorch-Enns). Linz 1955. 19. ~ G. Müller. Das Lagerdorf des Kastells Butzbach. (West-)Berlin 1968. 14; N. u . Z . Walke,H.-J. Kellner. B R G K 46/47 (1965/66) 103-105. 110ff.;P. Karnitscha. 0 . 1 9 f .
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Börner
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Keramikproduktion
ostgallischen Werkstätten nicht mehr möglich. Die Betriebe standen, wie sich an den Namensstempeln, mit denen die Töpfer oder Werkstattbesitzer ihre Gefäße häufig signierten, ablesen läßt, untereinander in engen Beziehungen, ohne daß ihr exaktes zeitliches Verhältnis zueinander genau festzulegen wäre. 1 Für die Verlegung des Zentrums der Terra-sigillata-Herstellung von Oberitalien bis an den Rhein sind bestimmt viele Gründe anzuführen; aber sicher treffen nicht für alle Phasen dieser Wanderung dieselben in gleichem Maße zu. Die allgemein als Hauptursache angeführte Handelsrentabilität 2 kann zumindest im 1. J h . nur eine sekundäre Rolle gespielt haben. Denn die römischen Truppen lagen bereits am Rhein, als die Terra-sigillata-Produktionszentren erst nach Süd- und später nach Mittelgallien verlagert wurden. Für die Abwanderung von Töpfern aus diesen Gebieten muß man auch in Betracht ziehen, daß der Bedarf am Rhein beim Militär und bei der Zivilbevölkerung ständig wuchs und die Betriebe sich folglich vergrößern mußten. Mit der Erweiterung der Produktion war auch ein Anwachsen der Zahl von „Facharbeitern" verbunden. Aber die herkömmliche Betriebsorganisation mußte sie an der vollen Ausnutzung ihrer Möglichkeiten hindern. Außerdem waren der Ausdehnung der Werkstätten wahrscheinlich auch natürliche Grenzen gesetzt durch die Ergiebigkeit der genutzten Tonlager, die Wasserversorgung u. ä. Diese inneren und äußeren Gründe mögen verschiedene Töpfer bewogen haben, neue Produktionsstätten in Siidund später in Mittelgallien zu errichten. Daß sie diese aus Handelsüberlegungen näher an den Rhein verlegten, ist verständlich und hatte zur Folge, daß ihre Produkte durch Verringerung der Transportkosten billiger auf den Markt kamen und mit der Zeit die Waren der entfernteren Werkstätten verdrängten. Die ostgallischen Betriebe, die ihrem Haupt Verbreitungsgebiet, der Limeszone, schon sehr nahe waren, konnten ihre Erzeugnisse ohne größere Transportwege besonders rentabel absetzen. Daher entstanden hier mehrere Betriebe mit einem weniger ausgedehnten Verbreitungsgebiet. Von den ostgallischen Produktionsstätten erlangte daher auch keine eine alle anderen überragende Bedeutung, wie z. B . vorher L a Graufesenque und nachher Rheinzabern. Etwa gleichzeitig mit den Produktionsorten im ostgallischen Raum entstanden auch im Elsaß, vor allem bei Heiligenberg, Terra-sigillata-Werkstätten, die von den mittelgallischen Betrieben abhängig waren. 3 Einige der in Heiligenberg arbeitenden Meister lassen sich vorher in Lezoux und später in Rheinzabern nachweisen/* Im Elsaß wurde wahrscheinlich noch an mehreren Orten Terra sigillata hergestellt. 5 Im Gegensatz zu den ostgallischen Gebieten gab es hier jedoch mit Heiligenberg einen zentralen Töpfereiort. Aber noch im zweiten Viertel des 2. J h . begann die Abwanderung einiger Töpfer aus Heiligenberg. Die Gründe für diese Abwanderung sind nicht bekannt. » N. Walke (s. S. 2 3 8 Anm. 6) 187. P . Karnitsch a. O. 2 1 ; Juhäsz (s. S. 238 Anm. 6) 182 u. a. 3 Forrer Heiligenberg. 4 Forrer Heiligenberg 167 f. 5 Forrer Heiligenberg 1 8 9 - 2 2 3 . 2
Terra-sigillata-Werkstätten
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Dem Konkurrenzkampf innerhalb der Werkstatt kann dabei höchstens eine untergeordnete Bedeutung zukommen, denn z. B. der mit IANVF stempelnde Töpfer gehört zu den profiliertesten Meistern in Heiligenberg,1 hatte also die Konkurrenz nicht zu fürchten. Aber dennoch war er einer der ersten Töpfer, die sieh in Rheinzabern niederließen. Wahrscheinlich ist in diesem Falle doch die Frage der günstigeren Absatzbedingungen von größerer Bedeutung: Heiligenberg liegt weder an einem größeren Land- noch an einem Wasserweg, so daß der Export in die Gebiete rheinaufwärts verhältnismäßig aufwendig gewesen sein muß.- Rheinzabern dagegen liegt einerseits am Rhein und zum anderen an der Rheinstraße. Hier befanden sich im 1. Jh. die Ziegeleibetriebe der beiden in Mainz stationierten römischen Legionen. Die Ziegelei wurde jedoch mit der Errichtung des inneren Limes unter Domitian nach Nied bei Höchst, also in rechtsrheinisches Gebiet, v e r l e g t D a m i t war der Ort für die Entwicklung privaten Handwerks freigegeben, und es entstanden hier vermutlich zunächst Werkstätten für einfaches Gebrauchsgeschirr und private Ziegeleien. Bald begann jedoch auf Grund der vorzüglichen Eignung der Tone die Terra-sigillata-Produktion mit der Niederlassung der ersten Töpfer am Ort (s. Abb. 59). Mit der verkehrsmäßig günstigen Lage und den guten Tonvorkommen sowie mit dem Vorhandensein von Töpferwerkstätten waren die besten Voraussetzungen für die Entwicklung dieses Ortes zum Zentrum der rheinischen Terra-sigillata-Herstellung geschaffen. Bereits im dritten Viertel des 2. Jh. beherrschten die Erzeugnisse aus diesen Werkstätten den obergermanischen Markt. In Rheinzabern ließen sich in kurzer Zeit zahlreiche Töpfer nieder. Sie kamen vorwiegend aus den Töpfereien im Elsaß,'1 aber auch aus anderen Werkstätten. Daher kann man in Rheinzabern nicht wie bei früheren Zentren einen einheitlichen Stil der Gefäße finden,^ sondern man muß die Produkte den verschiedenen hier produzierenden Meistern zuordnen. Der durch die Neuanlage von Kastellen am äußeren Limes nach 150 bedingte steigende Bedarf an Terra-sigillata-Geschirr konnte bald von den Betrieben herkömmlichen Umfangs nicht mehr gedeckt werden. Daher bildeten sich in Rheinzabern wahrscheinlich im dritten Viertel des 2. Jh. die ersten Großbetriebe heraus, über deren Aussehen und Organisation weiter unten zu sprechen sein wird. Man kann wohl in der jetzt verstärkt einsetzenden Massenproduktion auch eine Ursache für die immer deutlicher in Erscheinung tretende Qualitätsminderung seheii.0 Auf jeden Fall ist es bemerkenswert, daß die große wirtschaftliche Blütezeit Rheinzaberns, die zusammenfällt mit dem allgemeinen ökonomischen Aufschwung des römischen Rheinlandes, gekennzeichnet ist von 1
Forrer Heiligenberg 141—153. - Forrer Heiligenberg 127. 165f. :1 Ludowici Kat. 5, 200f. ; Sprater Rheinzabern 79f. « Forrer Heiligenberg 167-181. 207-217. 6 G. Juhäsz (s. S. 238 Anm. 6) 190. ü G. Juhäsz a. O. 191; G. Müller (s. S. 241 Anm. 7) 15. 16*
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Keramikproduktion
zunehmendem Nachlassen der künstlerischen und auch technischen Qualität der Erzeugnisse. Diese Tatsache wirft ein bezeichnendes Licht auf die Entwicklung der provinzialröniischen Wirtschaft. Denn hier setzen die zu besprechenden Veränderungen in den Wirtschaftsformen des 3. und 4. J h . ein. Die Massenproduktion in den Großbetrieben der Rheinzaberner Töpfereien war für ein ausgedehntes Exportgebiet bestimmt. das sich hauptsächlich rheinaufwärts und bis an die obere und mittlere Donau erstreckte und ebenfalls das rechtsrheinische Dekumatland mit erfaßte (s. Fig. 28). 1 Zwar lagen die Töpfereien von Rheinzabern verkehrsmäßig sehr günstig, aber die Transportwege waren z. T. doch recht erheblich, was die empfindlichen Tonwaren einerseits gefährden und andererseits verteuern mußte. Daher gründeten einige Rheinzaberner Großbetriebe Filialen in anderen Orten, die einen Teil des Absatzgebietes belieferten. Solche Tochtergründungen finden sich z. B. in StuttgartKräherwald — Filiale vom Betrieb des Reginus — i n Waiblingen-Beinstein, nordöstlich von Stuttgart, wo u. a. der Rheinzaberner Töpfer Avetedo arbeitete/' und in Westerndorf am Inn, ein Töpfereibetrieb, der als eine Filiale von Comitialis im letzten Drittel des 2. J h . begann/1 Daß es sich in den genannten Fällen nicht um die Abwanderung von Töpfern aus Rheinzabern handelte, sondern um echte Filialgründungen, beweist das gleichzeitige Vorkommen derselben Namensstempel aus Werkstattfunden in Rheinzabern und an anderen Orten."' Man muß also konsequent unterscheiden zwischen der Abwanderung von Töpfern aus einem Ort zur Gründung einer neuen Werkstatt, wie wir sie in der frühen Kaiserzeit finden und wofür die Gründe noch nicht restlos bekannt sind, und der Anlage von Filialbetrieben, die mit der Existenz von Großbetrieben zusammenhängt und seit dem späten 2. J h . in Germanien erfolgte, um den Absatz der Produkte rentabler zu gestalten.11 Die eben nur angedeuteten Veränderungen in der Arbeitsorganisation lassen sich an Hand der Terra-sigillata-Funde besonders gut erkennen, sie waren aber möglicherweise nicht auf die Sigillata-Produktion beschränkt. Materielle Hinweise auf Terra-sigillata-Werkstätten Generell sind wir über die Anlage der Werkstätten für Terra sigillata unterrichtet, die im Prinzip anderen Töpferwerkstätten gleichen. 7 Die zu den Töpfei R . Knorr, F B Schwaben 14 (1906) 89; G. Juhäsz a. O. 190. - P . Gößler, Vor- und Frühgeschichte von Stuttgart-Cannstatt. Stuttgart 1921. 57. :l O. P a r e t . in: Festschrift Oxc. Darmstadt 1938. 63f. 6 4 - 8 3 . P . Karnitsch. F i L 6/7 (1960) 117. 6 H.-U. Nuber. Mitteilungen des histor. Vereins der Pfalz 67 (1969) 137 Anin. 12. '' Ludowici K a t . 5. 201. Bereits von den Werkstätten in Arezzo sind Filialen im Rheinland bekannt (vgl. z. B. A. Oxö [s. S . 2 4 1 A. 1] 36f.), aber für die provinzialrömische Produktion läßt sich vor Rheinzabern keine solche Gründung nachweisen. 7 Die Beispiele werden ohne Berücksichtigung ihrer Datierung angeführt, da sich die Technologie nicht grundsätzlich gewandelt hat.
Terra-sigillata-Werkstätten
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reien gehörenden Tongruben sind in mehreren Fällen bekannt 1 oder vermutet, 2 aber nur selten auch gründlicher untersucht. Zu diesen seltenen Fällen gehören die Tonlager von Rheinzabern-Jockgrim, :1 wo der Ton in der Hauptsache im Tagebau gewonnen wurde (Abb. 53), was auch für die Tonlager der Töpfereien in Heiligenberg belegbar ist/ 1 Bei Rheinzabern ist aber auch der Abbau in tieferen Schichten nachgewiesen durch in die Tonschichten geschlagene kleine Treppen. Bergmännische Tongewinnung ist in der Pfalz bei Lingenfeld festgestellt, 5 wo aber die dazugehörigen Töpfereien nicht bekannt sind. Der Ton wurde in den möglichst nahegelegenen Werkstätten gereinigt und aufbereitet. Das geschah in den .Schlämmgruben, von denen ebenfalls einige aus verschiedenen Orten bekannt sind.1' Das dazu benötigte Wasser, dessen Nähe auch eine Voraussetzung für die Errichtung von Werkstätten bildete, entnahm man natürlichen Flußläufen,' künstlich angelegten Wasserleitungen 8 oder Brunnen.11 Man konnte den Ton mit anderen Materialien zur keramischen Masse mischen, indem man die verschiedenen Bestandteile zusammen lagerte. Zu dem Zweck war ursprünglich ein Tonhaufen in Heiligenberg bestimmt, bei dem ein fetter und ein magerer Ton in abwechselnden Lagen iibereinandergeschichtet gefunden wurde. 10 Der sicherste Nachweis einer Keramik Werkstatt sind die Ofenfunde. Ihre ehemalige Verwendung läßt sich jedoch nur bedingt an ihrer äußeren Form ablesen. Auf den Gebrauch eines Ofens zur Terra-sigillata-Herstellung lassen z. B. Reste der inneren Ofenkonstruktion, Teile des Röhrensystems oder Brennständer schließen. 11 Die zu einem Betrieb gehörenden Öfen konnten so angelegt sein, daß sich die Schürhälse mehrerer Öfen auf einen gemeinsamen, eventuell auch gepflasterten. Platz öffneten, von dem aus durch geringeren Arbeitsaufwand alle Öfen gleichzeitig bedient werden konnten. 12 Die Öfen konnten aber auch beziehungslos I Paret Württemberg 138. -Fölzer 54. • Sprater Rheinzabern 71—73; F. Sprater. in: Schumacher-Festschrift, Mainz 1930, 265 f. ''Forrer Heiligenberg 11—14. 5 F . Sprater, in: Schumacher-Festschrift, Mainz 1930, 267—269. II Sinzig: J . H a g e n , Bonner Jbb. 124 (1917) 179; Rheinzabern: Ludowici Kat. 2, 7
166.
Z. B. Heiligenberg. »Als Abflußleitung z. B. in Sinzig: J. Hagen, Bonner Jbb. 124 (1917) 178; BernEngehalbinsel: O. Tschumi, Jb. des Bernischen Histor. Mus. 7 (1927) 59. ,J Waiblingen-Beinstein: Paret Württemberg 139; O. Paret, in: Festschrift Oxe, Darmstadt 1938, 60; Rheinzabern: Ludowici Kat. 2, 165; Cannstatt: Paret Württemberg 138. 1,1 Forrer Heiligenberg 41. " O . E. Mayer, Germania 18 (1934) 102; W. Drack (s. S. 240 Anm. 1) 3 1 - 3 3 . '-'Forrer Heiligenberg 47.
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Keramikproduktion
nebeneinanderliegen, so d a ß jeder einzeln — vielleicht auch von jeweils einem anderen Brenner — bedient werden mußte. I n Sinzig wurden Reste von Stützen f ü r die Überdachung eines Arbeitsraumes vor einem Ofen entdeckt. 1 Die Arbeitsräume waren z. T. leicht in den Boden eingetieft, entsprechend den vertieft angelegten Heizräumen des Ofens. 2 Außer den Öfen selbst bieten die F e h l b r a n d f u n d e einen verhältnismäßig sicheren Hinweis auf eine W e r k s t a t t . All dieser Abfall, zu dem auch verbrauchte Brennständer und Teile der Ofenkonstruktion zu rechnen sind, wurde in Gruben oder auf H a u f e n in der Nähe der Brennöfen gesammelt. Bekannt sind solche Abfallstellen an sehr vielen Orten, z. B. Rheinzabern, 3 Heiligenberg/ 1 BernEngehalbinsel, 5 Aachen-Schönforst , F. Fremersdorf. Saalburg-Jb. 9 (1939) 12: vgl. auch Denkmäler V I 8 zu den blaugrünen prismatischen und sechseckigen Flaschen: diese oft als gallisch bezeichnet, jedoch ohne Zweifel unter ihnen auch kölnische Produkte. 6 Denkmäler IV, bes. 5 6 - 5 8 .
Stand der Glasprodiiktion im 2. Jh.
273
tieella, Überfangtechnik) nicht bis Köln vor. 1 Diese kostspieligen Gefäße (darunter Zirkus- und Gladiatorenbecher) waren demnach sicherlich Importgut für den Gebrauch der oberen Schichten der Bevölkerung. Ein neuer Abschnitt in der Glasproduktion beginnt für das Rheingebiet, im besonderen für Köln, um die Mitte des 2. J h . Äußerlich zeigt sich dies an den Glasprodukten (soweit sie nicht gefärbt sind) darin, daß die Glasmasse, aus der sie angefertigt sind, nicht mehr die (durch Verunreinigung des Glassandes verursachte) blaugrüne „Naturfarbe"' aufweist. Vielmehr setzt sich jetzt e>n völlig kristallklares, durchsichtiges Glasinaterial durch, das bis zur Mitte des 4. J h . für einfache wie kunstvoll bearbeitete Gläser verwendet wird. 2 Als Mittel zur Entfärbung des Glases sind die sog. Glasmaeherseifen (Braunstein, Arsenik) bekannt, doch ist diese Technik offenbar erst eine Erfindung aus dem 16./17. J h . 3 Auch wenn man für das Altertum die Kenntnis dieser Entfärbungsmittel annimmt und ihre Anwendung in der rheinischen Glasfabrikation der Römerzeit erwägt/' so erscheint doch die Erklärung Fremersdorfs 5 einleuchtend und ungezwungen: Die Glasmacher fanden ein Rohmaterial, mit dem sie ohne weitere Zusätze farbloses Glas erzeugen konnten, unmittelbar vor den Toren Kölns, zwischen Frechen und Buschbell. Dort befinden sich „ungeheure Lager feinsten weißen diluvialen Sandes", der bis zu 9 9 , 9 7 % reine Kieselsäure ist. Dafür gibt es im ganzen Bereich des römischen Rheinlandes und weit darüber hinaus keine Parallele.' 1 Das bedeutet nun — in Anbetracht der Einmaligkeit des Rohstoffvorkommens im weiten Umkreis —, daß die Glasverhüttung im Rheingebiet sich zu einem überwiegenden Teil auf das nahegelegene Köln konzentriert haben muß. 7 Eine Produktionsstätte farblosen Glases konnte — im Gegensatz zu denen blaugrünen Materials — in Köln allerdings noch nicht nachgewiesen werden; lediglich unter den Funden von der an der Nahe festgestellten Werkstatt befanden sich einige Gefäßböden aus farblosem Glas. 8 Dies kann jedoch der gut begründeten Ansicht Fremersdorfs keinen Abbruch tun (s. unten S. 291 f.). 1 Fremersdorf Denkmäler III. bes. 7. - Fremersdorf Denkmäler VIII (Textband) 33; erst im 4. Jh. kommt neben dem kristallklaren ein grünlich gefärbtes Glas auf. das sich später ganz durchsetzt. 1 W. Bernt. Altes Glas. München (1950). 12. '' Dazu F. Fremersdorf. Kölner Jb. für Vor- und Frühgeschichte 8 (1965/66) 35 mit Anm. 18; vgl. G. Faider-Feytmans. Germania 38 (1960) 442. Zuletzt nachdrücklich gegenüber allen Einwänden vertreten: Denkmäler VIII (Text band) 13. Fremersdorf Denkmäler VIII (Textband) 13. Ausführlich zu diesem Rohstoffvorkommen und zur Frage seiner Ausnutzung in römischer Zeit: F. Fremersdorf, Kölner Jb. für Vor- und Frühgeschichte 8 (1965/66) 3 5 - 3 9 . 7 So bereits Kisa 228: Schon die unvergleichliche Menge der Funde kennzeichnet Köln nicht nur als Hauptsitz der römischen Glasindustrie am Rhein, sondern als den der gesamten westlichen Hälfte des ehemaligen Imperiums." Diese Annahme ist durchaus noch nicht allgemein akzeptiert, vgl. G. Faider-Feytmans. Germania 38 (1960) 443. « Kisa 13.
18 Römer
274
Glasproduktion
Die Periode, in der vornehmlich farbloses Glas gebraucht wurde, brachte auch das Entstehen einiger neuer Techniken mit sich, die von einer hohen Blüte des Glasmacherhandwerks während dieser Zeit zeugen. Dieser Zeitabschnitt der Glasproduktion, der um die Mitte des 2. Jh. beginnt und die hier zu behandelnde Zeit, das 3. und 4. Jh., umfaßt, läßt sich daher gut zusammenfassend darstellen. 2. Die rheinische Glasherstellung im 3. und 4. Jh. a) Die
Produkte
Über die Fülle und Formenvielfalt der aus dem Boden geborgenen Glasprodukte wird im folgenden nur ein summarischer Überblick gegeben. In der Hauptsache handelt es sich um Hohlgefäße, unter denen nach den Typen unterschieden wird. Jeder Typ erscheint wiederum in zahlreichen Varianten hinsichtlich der Ausbildung des Gefäßkörpers, des Gefäßfußes, des Halses und der Mündung sowie der Henkel. Wenn wir beispielshalber die Flaschen herausgreifen, so lassen sich birnförmige,1 doppelkonische,- kugelförmige,3 prismatische'' und sechseckige (die sog. Merkurflaschen [Abb. 80]),5 viereckige,« hohe zylindrische,7 kegelförmige8 voneinander unterscheiden. Eine besondere Ausprägung erfuhren die Flaschen in Gestalt einer Traube,CJ einer Muschel,10 eines menschlichen Kopfes 11 oder eines sitzenden Affen. 12 Analoge Ausformungen des Gefäßkörpers sind auch bei den Kannen (vgl. Abb. 72) feststellbar 13 (einschließlich kopfförmiger und traubenförmiger Beispiele). Es schließen sich an: Krüge (birnförmige, konische, zylindrische) sowie Kantharoi, Aschenurnen und andere kleine Behälter;1'1 Rüger 42. (i M. Bersu. in: Germania R o m a n a . Ein Bilderatlas. 2. A u f l . B a m b e r g 1930, 5.
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Sozialökonomische Verhältnisse
Kontinuität spätrömisch-frühfränkischer Produktion im keramischen Gewerbe und in der Glasherstellung haben die Gräberfelder von Krefeld-Gellep erbracht.1 Aus Kölner Inschriften kennen wir auch die meisten Kollegien Untergermaniens; es sind Vereinigungen der Zimmerleute (XIII 8344), der Stukkateure (Nachtrag BRGK 17 [1927] Nr. 293), der Walker (XIII 8345) und vermutlich auch der Bäcker (XIII8255). Römische Veteranen, die in Köln ein Schmiedehandwerk betrieben, arbeiteten dort unter der Aufsicht eines Präfekten (XIII 8288). Außerhalb Kölns fanden sich Töpfer im Batavergebiet (XIII 8729) und ein Kollegium von Zimmerleuten in Nijmegen (Nachtrag: BRGK 40 [1959] Nr. 252). Viele'Händlerinschriften stehen den Handwerkerinschriften zur Seite und bestätigen das Bild. Besonders erwähnenswert ist ein Sklavenhändler, ein mango, der für Köln bezeugt ist (CIL XIII 8348). Außerdem kennen wir aus dieser Stadt Großhändler für Backwaren, sicher auch für die Heeresversorgung (XIII 8338), Tonhändler für das keramische Handwerk (XIII 8224. 8350), Fleisch Warenhändler (XIII 8351), Händler für Steinmetzarbeiten (XIII 8352), Holzhändler (Nachtrag: BRGK 17 [1927] Nr. 294), Salbenhändler, sicher in Verbindung mit der Kölner Glasindustrie (XIII 8354). In anderen Orten Untergermaniens treten Tonhändler in Middelburg am Unterrhein (XIII 8793), Getreidehändler in Aachen (XIII 7836) und im Batavergebiet (XIII 8725), Weinhändler in Bonn (XIII 8105) und Händler für Bekleidungswaren in Neuß (XIII 8568) auf. In Köln lebten auch Kaufleute aus anderen Civitates, so aus Britannien (XIII 8164 a ), aus den Gebieten der Nervier (XIII 8338 - 8340) und der Virumanduer (XIII 8341 f.). Wie aus dem Dargelegten hervorgeht, spielte der Bergbau in den Provinzen am Rhein keine geringe Rolle. Allerdings besitzen wir keine schriftlichen Quellen, die sich direkt auf den Bergbau beziehen. Aus den Digesten geht aber hervor, daß sich die Lage der im Bergbau Tätigen nach dem 2. Jh. sehr veränderte und daß auch ein Wandel in den Eigentumsverhältnissen eintrat. 2 Im Gegensatz zum 2. Jh. wurden seit dem 3. Jh. in stärkerem Maße als vorher Strafgefangene zur Arbeit in den Bergwerken gezwungen (Dig.48,19, 8). 325 verbot Konstantin die Verurteilung ad cruenta spectacula, „zu blutrünstigen Schauspielen", um dafür mehr Strafgefangene in die Bergwerke schicken zu können (CTh 15, 12, 1). Seit dem 3. Jh. bewirtschaftete auch der Staat die Bergwerke immer mehr direkt. Die Bergwerksverpachtung ging rapide zurück. Im 4. Jh. flohen immer häufiger Arbeitskräfte aus den Bergwerken. Deshalb wurden die Bergleute im Jahre 424 erblich an ihren Beruf und ihre Schürfstelle gebunden (CTh 10, 19, 15). Ob dies Gesetz sich noch in den römischen Provinzen am Rhein auswirkte, ist fraglich, da zu dieser Zeit die Produktionsstätten selbst mehr und mehr in germanische Hände gerieten. » Pirling Krefeld-Gellep 230ff.; R. Pirling, Bonner Jbb. 159 (1969) 234ff.; G. Chenet, Germania 14 (1930) 64ff. 2 J. Burian, ZfG 5 (1957) 535ff.; ders., ZfG 5 (1957) 1198ff.; St. Mrozek, in: Die Rolle der Plebs im spätrömischen Reich. Görlitzer Eirene-Tagung, Bd. 2, Berlin 1969, 61 ff.
Handwerk, Handel, Kollegien
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Seit dem 3. Jh. befanden sich die Bergwerke fast ausschließlich in kaiserlichem Eigentum. Sklaven werden im 4. Jh. als Bergleute kaum noch erwähnt; außer den genannten Strafgefangenen war es vor allem die freie Provinzialbevölkerung, die im Tagelohn diese Arbeiten ausführte : 1 die in den Quellen genannten metallariiy die 424 erblich an ihren Beruf gebunden wurden. Es sind aber keine Kollegien der metallarii bekannt. Von großer Bedeutung für den Kaufhandel, die Warenzirkulation und den Wirtschaftsablauf innerhalb der Provinzen überhaupt waren die Händler, Unternehmer und Transporteure, die in steigendem Maße mit zur Entwicklung der Ware-Geld-Beziehungen beitrugen und weitere Absatzmärkte für die agrarische und handwerkliche Produktion erschlossen. In Korporationen vereinigt, stellten sie eine nicht zu verachtende Wirtschaftsmacht dar, nicht selten auch eine beachtliche Finanzquelle für die Städte. Besonderes Ansehen z. B. genoß das vielgegliederte corpus splendidissimum. negotiatorum Cisalpinorum et Transalpinorum, dessen Mitglieder auch in den größeren Städten des Rheinlandes und des Alpengebiets vertreten waren. Sie hatten Handelskontore und Zweigstellen in Gallien, in den germanischen Provinzen und in Rätien und transportierten Produkte aus dem südlichen Gallien nach dem Norden auf dem Flußweg und auf den Landstraßen bis in die Schweiz und nach Pannonien. 2 Auch die Rheinschiffer, andere Flußschiffer sowie die Schiffer des Genfer Sees bildeten Kollegien, die weit über den Bereich einer Stadt hinaus vertreten waren und als Korporationen der Lastentransporteure Anteil am Ein- und Ausfuhrhandel hatten. 3 Große wirtschaftliche Bedeutung besaßen z. B. die inkorporierten Händler von Luxusgewändern und Gebrauchskleidung in Augsburg, die Weinhändler in Neumagen sowie die Tuchhändler von Trier (vgl. Abb. 87). Bekannt ist, allerdings aus Gallien, der Streit von fünf Kollegien der Frachtschiffer (navicularii) aus Arles vom Anfang des 3. Jh. mit dem Präfekten für die Getreideversorgung (annona), dem sie direkt unterstanden. Sie beschwerten sich bei ihm über unangenehme Zwischenfälle und zunehmende Unregelmäßigkeiten im Ablauf ihrer Geschäfte für den Staat und drohten wegen Erhöhung der Zwangsleistungen, für die der Provinzstatthalter vonGalliaNarbonensis mit verantwortlich war, mit einem Ausstand, der die Lebensmittelversorgung bedrohte. 4 Hierbei handelt es sich um eins der ersten Beispiele für die Unterdrückung eines Kollegiums •"> (und dessen Protest) sowie für den Übergang der freien Kollegien 1
Vgl. U. Täckholm, Studien über den Bergbau der römischen Kaiserzeit, Uppsala 1937, 149f. - A. Alföldi, Ur-Schweiz 16 (1952) 3—9; W. Schleiermacher, in: Germania Romana Bd. 1, 83ff. 3 Stähelin 480ff.; Fellmann 96. 4 J.-P. Waltzing, Etude historique sur les corporations professionnelles chez les Romains depuis les origines jusqu'à la chute de l'Empire d'Occident, Louvain 1899, Bd. 3, 526f.; Bd. 4, 616-623; M. Rostovtzeff, Gesellschaft und Wirtschaft im römischen Kaiserreich, übs. von L. Wickert, Bd. 2, Leipzig 1929, 326 Anm. 37 (zu CIL III 14165»). 5 Schtajerman Krise 177.
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Sozialökonomische Verhältnisse
zu Zwangsgenossenschaften im Dienste einer vom Staat gelenkten und systematisch betriebenen Ausbeutung. Wenn es zu Beginn des 3. J h . angesichts der drückenden staatlichen Verpflichtungen und mancher Unzulänglichkeiten bei der Ausführung von Dienstleistungen einem Mitglied der Kollegien noch möglich war, dem Staat den Dienst aufzukündigen, so h a t t e der S t a a t nach Auflösung der freien Vereinsverhältnisse seit dem Ende des 3. J h . das Recht, Personen zum Dienst in einer Körperschaft zu verpflichten und seit den ersten J a h r z e h n t e n des 4. J h . deren Zugehörigkeit zu einem Beruf wie bei den Kolonen erblich zu machen. 1 Ziel dieser Maßnahmen war es, Dienste, Abgaben und die produktive Leistungsfähigkeit einzelner Berufe und-Kollegien f ü r den Staat zu stabilisieren, nach Möglichkeit zu erhöhen und die Berufsvereine der kaiserlichen Verfügungsgewalt als verwendbare Werkzeuge der Staatsmaschinerie direkt zu unterstellen. I m Zuge der Entwicklung zum Dominât wurde es üblich, mit Reskripten und Konstitutionen in das Berufsvereinswesen entscheidend einzugreifen. Die Folge war freilich bald eine Massenflucht der Mitglieder aus den Korporationen.^ Zahlreiche städtische Handwerker versuchten n u n durch diese Form des „passiven Widerstandes", sich wieder auf dem Lande niederzulassen. Aber durch die Stadtflucht erfolgte ein Rückgang zur Kleinproduktion. Die Folge davon war, d a ß das H a n d werk in zunehmendem Maße aufhörte, ein „selbständiger Produktionszweig zu sein". E s vereinigte sich wieder „auf niederem Niveau mit der bäuerlichen Kleinproduktion", : l die einer Kollegienbildung k a u m förderlich war. Diese Entwicklung schloß nicht aus. d a ß in den Städten, solange sie noch existierten, das Handwerk nicht zur völligen Bedeutungslosigkeit herabsank. Die spätantiken Zwangsverbände suchten trotz Aufgabe ihrer Selbstverwaltung den demokratischen Aufbau der autonomen Kollegien der Republik und der frühen Kaiserzeit als Leitbild und strukturbestimmendes Prinzip zu bewahren. Sie faßten auch weiterhin gemeinschaftlich Beschlüsse nach dem Mehrheitsprinzip, sie wählten ihre Vorsteher (magistri), stellten ein S t a t u t auf, verwalteten die Gemeinschaftskasse, kooptierten ihre Patrone und gestalteten gemeinsam die Versammlungsstätte (scholu) aus. Dennoch konnten sie sich in der Krisenzeit der antiken Klassengesellschaft nicht von den ökonomischen Fesseln und der politischen Bevormundung befreien, die ihnen die herrschende Klasse durch Überwachung, Reglementierung und Administration sowie durch ein starres, überholtes Rechtssystem auferlegte. Deshalb stagnierte ihre Entwicklung und f ü h r t e schließlich nicht zu den westeuropäischen Zünften im Feudalismus. Dabei darf nicht übersehen werden, daß sich bei den Mitgliedern der römischen Berufsvereine trotz positiver Merkmale des Zusammenschlusses doch > Vgl. CTh 13. 5. 1. 2; 8. 4. 11 ; 10. 20. 1; 15. 14. 4; 5, 17, 1; CJ 11, 53 (52); J.-P. Waltzing a. O. Bd. 2. 16—246; R. Etienne. Le travail en Grèce et à Rome. Paris 1966. 123f. 2 J.-P. Waltzing a. O. Bd. 2. 336ff. -3 W. Jonas. V. Linsbauer. H. Marx, Die Produktivkräfte in der Geschichte. Bd. 1. Berlin 1969. 56.
Handwerk, Handel. Kollegien
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auch negative Auswirkungen der Korporationsbildung zeigten. Statt eines einheitlichen Bewußtseins und Klasseninteresses entwickelte sich in den Kollegien im verstärkten Maße ein Individualismus, der, berufsständisch orientiert, zur Herausbildung eines separaten Vereinsgeistes beitrug. I n wirtschaftlich unsicheren und politisch kritischen Zeiten korinte das ausgeprägte und individuell ausgerichtete Erwerbs-, Berufs- und Versorgungsstreben der einzelnen Kollegienmitglieder trotz mancher spontaner Solidaritätsmaßnahmen letzten Endes nicht zu einer aktivierenden Ideologie im politischen K a m p f gegen den auf der antiken Produktionsweise beruhenden untergehenden römischen Klass&nstaat führen. 1 Die Ausbeutung der inkorporierten Handwerker und Gewerbetreibenden im gesamten Reichsgebiet erregte zwar manche Widerstände gegen die herrschende Klasse, führte aber nicht etwa zu einem geschlossenen Aufstand der Berufsgenossen. Dennoch blieben besonders die Kollegien der Provinzen latente Herde des Protests, des Ungehorsams und der Widersetzlichkeit gegen den außerökonomischen und den ökonomischen Zwang. 2 I m Laufe der Zeit gerieten die collegiati, nicht zuletzt auch durch den Kollegienpatronat reicher, angesehener „Schutzherren", den Angehörige der sozialen Oberschichten übernahmen, immer mehr in Abhängigkeit, wodurch sie vom gemeinsamen K a m p f der Volksbewegungen im Innern des Reiches gegen die parasitäre und reaktionäre herrschende Klasse abgehalten wurden. Als im 5. Jh. Franken, Alaniannen. Burgunder und andere Stammes verbände bzw. Großstämme die römischen Provinzen am Rhein, an der Mosel und an der oberen Donau eroberten, blieb ein beachtlicher Teil der ansässigen keltischgermanisch-römischen handwerklich tätigen Bevölkerung dort, z. B. Glasmacher und Edelmetallschmiede in Köln. TöpferhandwerkeT besonders in der Eifel und in den Argonnen, Metallhandwerker in Trier und im mittleren und unteren Maasgebiet. Ein bedeutendes Zentrum der provinzialröniischen materiellen Kultur blieb das Gebiet zwischen Maas und Sainbre. Diese Handwerker vermittelten die spät römischen Erfahrungen der handwerklichen Produktion an die Germanen weiter. :i Eine kontinuierliche Entwicklung von der spätrömischen zur frühfränkischen Keramik finden wir in dem ausgedehnten Gräberfeld von Krefeld-Gellep und in den Töpfereien von Mayen in der Eifel. Eine Kontinuität der Begräbnisstätten gibt es besonders in Trier, Metz, Köln. Bonn, Krefeld-Gellep und X a n ten/1 Die römische Oberschicht floh vor dem Germanenansturm, aber viele Handwerker. Bauern. Kolonen und Kleinhändler blieben. An die neuen germanischen Fürstensitze zogen auch provinzialrömische Wanderhandwerker 1 Vgl. H. Schulz-Falkenthal, WZ Hallo 19 (1970) H . 2. 46. Für die Provinz Asia bezeugt es W. H. Buckler, in: Anatolian Studies presented to William Mitchell Ramsay. Manchester 1923, 27—50; vgl. auch J.—P. Waltzing a. O. Bd. 3. 49f.; Bd. 1, 191f.; R. Macmullen. The Classical Journal 58 (1963) 269-271. J. Werner, Bonner Jbb. 158 (1958) 372ff. 4 H. v. Petrikovits (s. S. 309 Anm. 5) 65ff. 2
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Börner
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Sozialökonomische Verhältnisse
u. a. auch Goldschmiede. Der Goldschmuck der reichen und adligen fränkischen Dame, deren Grab unter dem Kölner Dom gefunden wurde, stammt aus einer Kölner Werkstatt. 1 Etwas vereinfachend wird man wohl dahingehend verallgemeinern dürfen, daß wir zwar einen Niedergang der städtischen Organisation, aber eine Kontinuität, zumindest eine partielle, der Handwerker und der handwerklichen Erfahrungen beobachten können. c) Munizipales Eigentum, und Sklaverei Wie steht es im 3. und 4. Jh. im Rhein-Oberdonau-Gebiet mit der produktiven Verwendung von Sklaven, die ja vornehmlich mit den munizipalen Eigentümern verbunden waren? Über die Sklaverei in den römischen Provinzen am Rhein und an der oberen Donau besitzen wir nur spärliche Quellen. In Inschriften, die etwas über Sklaven aussagen, fassen wir nur eine kleine Oberschicht der Sklaven, die als Verwalter, Rechnungsführer, Aufseher, Kanzleisekretäre usw. funktionell im Dienste der herrschenden Klasse standen. Diese sind zwar juristisch, also ihrem Stande nach, Sklaven, sind aber — entsprechend dem Leninschen Klassenbegriff — nicht eigentlich der Klasse der Sklaven zuzuordnen. Die Klasse der Sklaven, die produktiv tätig waren, sei es in der Landwirtschaft oder in den Handwerksstätten, wird uns quellenmäßig nur indirekt sichtbar, etwa im Vorhandensein eines Sklavenhändlers in Köln oder in Sklavenunterkünften in ländlichen Villen, wo archäologische Funde in diesem Sinne interpretiert werden können. Eine besonders große oder gar zentrale Bedeutung scheint aber die Sklaverei nach allem, was wir über das wirtschaftliche und soziale Leben in diesen Provinzen wissen, im 3. und 4. Jh. nicht mehr gehabt zu haben. Besonders für Rätien fehlen Quellen zur Sklaverei so gut wie gänzlich. Man muß hierbei berücksichtigen, was eingangs schon betont wurde, daß die antike, auf Sklaverei und munizipalem Grundeigentum beruhende Produktionsweise im 3. Jh. allgemein im Römischen Reich ihren Höhepunkt überschritten hatte. Natürlich gab es, besonders in Kleinwirtschaften, auch weiterhin Sklaven, in den Städten ebenso wie auf den Gütern, neben abhängigen und freien Bauern, abhängigen und freien Handwerkern. Sklaven arbeiteten auf den Feldern, in Werkstätten, in den Häusern der Großgrundbesitzer und der munizipalen Oberschicht und in verschiedenen Verwaltungen. Aber das Schwergewicht begann sich schon im 2. Jh. von der Sklaverei auf den Kolonat und auf andere Formen abhängiger Arbeit zu verschieben, die z. B. aus der fortbestehenden Bindung der Sklaven an den Herrn auch nach der Sklavenfreilassung und aus der Entwicklung des Patroziniums resultierten. Große, von Sklavenmassen bearbeitete Latifundien, sind in diesen Provinzen nicht bekannt, sind aber für das 3. Jh. auch nicht anzunehmen.2 1
O. Doppelfeld, R. Pirling, Fränkische Fürsten im Rheinland, Düsseldorf 1966, 14. 2 S. auch oben S. 303. Vgl. H. Aubin, HZ 141 (1930) 5; v. Petrikovits Rheinland 122.
Sklavereiverhältnisse
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Inschriften von Freigelassenen künden ebenfalls von der Sklaverei. Ein Teil der ehemaligen Sklaven wurde Kolonen; Sklaven, die noch in der Sklaverei lebten, erhielten als Peculium einen Vermögensanteil des Sklavenhalters zur selbständigen Wirtschaftsführung mit anteiliger Gewinnabführung an den Sklavenhalter, meist in Gestalt einer Landparzelle, und wurden somit QuasiKolonen. Die tatsächliche wirtschaftliche Lage der Sklaven wurde der der untersten Schichten des Kolonats (adscripticii) und der verelendeten städtischen Plebejer immer ähnlicher, wobei die Rechtsnormen der Sklaverei allmählich auf alle Nichteigentümer von Produktionsmitteln übertragen wurden, ohne daß die Kolonen und Plebejer damit zu Sklaven wurden. Damit bahnte sich ein grundlegender sozialer Wandel an, in dessen Verlauf sich Elemente der neuen, feudal abhängigen Klasse bildeten.1 Die Sklaverei selbst unterschied sich im 4./5. Jh. von der „klassischen" Sklaverei der späten Republik. Aus Furcht vor Erhebungen und aus wirtschaftlichen Gründen erleichterte die herrschende Klasse das Los der Sklaven seit dem 2. Jh., zumindest partiell. Aber in der Regierungszeit Konstantins wurden die Bestimmungen über die Sklaverei wieder verschärft. Bedeutende Germaneneinfälle veranlaßten die römische Zentralgewalt im Jahre 406, Sklaven zum Heeresdienst zuzulassen — natürlich nachdem man sie vorher auf Staatskosten freigelassen hatte. Aber diese Maßnahme bedeutete für die untergehende Gesellschaftsordnung keine Rettung. In den römischen Provinzen am Rhein und an der oberen Donau wirkte sich dieses Gesetz von 406 auch kaum noch aus. Ünaufhörlich strömten salische und mittelrheinische Franken und seit der Jahrhundertmitte auch die Alamannen über die alten Grenzen in die Provinzen, und es galt schon als ein erwähnenswertes Ereignis, wenn ein römischer Feldherr im Gegenzug noch einmal den Rhein erreichte. Die archäologischen Quellen .bestätigen, daß die Sklaverei besonders mit den städtischen Villenwirtschaften verbunden war. Die Kontrolle dieser Grundbesitzungen durch ihre in der nahen Stadt wohnenden Herren war leicht möglich. Die Zahl der Sklaven auf den Villen war überschaubar und ihre Arbeit vom Sklavenhalter leicht zu kontrollieren. Dabei übertrug er die unmittelbaren wirtschaftlichen Leitungsfunktionen Aufsehern, die selbst Sklaven oder Freigelassene waren. Wie der römische Agrarschriftsteller Columella mitteilt, ließ man in den Weinbergen lieber spezialisierte Sklaven als Kolonen arbeiten, während im Getreideanbau, der sich im Rheinland besonders seit Beginn des 3. Jh. ausdehnte, der Kolonat als rentabler galt. Im Trierer Land lag in römischer Zeit ein Zentrum des Weinanbaus. Auch in den verschiedenen staatlichen Verwaltungen waren dort viele Sklaven tätig, so daß das Trierer Gebiet wahrscheinlich den höchsten Anteil von Sklaven in unseren Provinzen aufzuweisen hat. Auf Getreidefeldern des Trierer Landes wurde auch eine „Mähmaschine" (oder „Erntemaschine") verwendet, die von Kolonen oder Sklaven bedient wurde.2 Es ist auch zu vermuten, daß in 1 2
Engels Ursprung 148 f. Vgl. N. Brockmeyer, Arbeitsorganisation und ökonomisches Denken in der Gutswirtschaft des römischen Reiches, Phil. Diss. Bochum 1968, 240f.
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Sozialökonomische Verhältnisse
einigen ausgegrabenen Villën Gehöfte und Nebengebäude als Sklavenunterkünfte dienten, so z. B. in Villen bei Mayen und bei Fließem in der Eifel, 1 bei Stahl, bei Köln-Braunsfeld, bei Köln-Müngersdorf und in Veteranenwirtschaften ebenfalls im Kölner Raum. 2 Im Vergleich zu den Terra-sigillata-Werkstätten Italiens im 1. J h . v. u. Z. haben in Gallien und im Rheinland in diesen Werkstätten viel weniger Sklaven gearbeitet.3 In Mainzer Inschriften wird ein vilicus genannt (CIL X I I I 6768. 7215). Der Vilicus war in der Regel ein Sklave, der eine Villen Wirtschaft im Auftrag seines Herrn verwaltete. Diese Gutsverwalter gehörten zur sozialen Oberschicht der Sklaven, und häufig besaßen sie, vom Herrn als Peculium zugewiesen, selbst Sklaven. In einer Inschrift aus Metz wird die Freigelassene (libertu) eines Vilicus erwähnt (XIII4352). Zu dieser Gruppe „reicher" Sklaven, die selbst eigene Sklaven besaß, gehörten auch die Haus- und Kassenverwalter {dispensatores), die privates oder auch kaiserliches Vermögen verwalteten. Die „UnterSklaven"' nannte man vicarii (Stellvertreter). Solche Inschriften kennen wir aus Ladenburg/Neckar ( X I I I 6423) und aus Koenigsfelden bei Windisch in der Schweiz ( X I I I 5194). Im letztgenannten Fall war selbst dieser vican'ws-Sklave noch so wohlhabend, daß er von seinem Peculium einen kleinen durch Brand zerstörten Jupitertempel restaurieren lassen konnte. In Trier setzten Sklaven (Vater und Mutter) ihrem verstorbenen Sohn einen Grabstein ( X I I I 4199; ähnlich Speyer : X I I I 6109). Aus Langres in Obergermanien kennen wir Grabsteine von Sklaven, die der Stadt gehörten ( X I I I 5693— 5696). Verschiedentlich setzten Sklaven ihrem verstorbenen Herrn einen Grabstein, wohl in der Hoffnung, daß diese Leistung vom Erben bald mit der Freilassung belohnt würde (Beispiele aus Mainz: X I I I 7247; Kastel: X I I I 7310. 7311; Neuß: X I I I 8569; Andernach: X I I I 7684). Andererseits gibt es Grabinschriften, die Sklavenhalter einem Sklaven setzten (z. B. Mainz: X I I I 6888) oder die ein Sklave für einen Mitsklaven (conservus) aufstellte (bei Epinal auf dem Gebiet der Leuci in Obergermanien: X I I I 4714). In bisher zwei Fällen sind Inschriften auf uns gekommen, die eine ganze Sklavenfamilie den SklavenhalterGroßgrundeigentümern weihte ; eine — auf dem ager Nerviorum bei Faniars gefundene — Inschrift stiftete die familia Aiausu, die einem Camillus Victor gehörte, die andere stiftete die familia Vindonissae bei Le Châtelet auf dem Gebiet der Leuci für das Wohl ihrer Herren und deren Kinder ( X I I I 3580. 4665). Die Namen Aiausa und Vindonissa gehen wahrscheinlich auf Fundusnamen zurück. Besonders fallen die Inschriften kaiserlicher Sklaven auf; ein Sklave setzte sogar einmal dem Kaiser Pertinax eine Ehreninschrift von seinem Peculium (Metz: X I I I 4323); andere Inschriften kaiserlicher Sklaven aus Finanzverwaltungen kennen wir aus Besançon ( X I I I 5370. 5371. 5385. 5386) und aus Langres ( X I I I 5697. 5699). 1 2 3
N. Brockmeyer a. O. 238; andere Forscher treten auch für Kolonenwohnungen ein. N. Brockmeyer a. O. 239. Vgl. F . W. Walbank, The Décliné of the Roman Empire in the West, London 1946, 30.
Exemptes Grundeigentum und Kolonat
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Die freien germanischen Stämme, die außerhalb der Grenzen des Römischen Reiches lebten, kannten ebenfalls die Sklaverei, obgleich sie insgesamt in ihrer Wirtschaft keine führende Rolle innehatte. Wenn auch in den Quellen zuweilen hohe Kriegsgefangenenzahlen genannt werden, die die Germanen bei ihren Feldzügen gegen die Römer einbrachten, so verkauften sie diese doch oft als Sklaven an römische Sklavenhändler. 1 Von Sklavenhändlern bei den Alamannen berichtet Ammianus Marcellinus. 2 Bei den Alamannen gab es in der zweiten Hälfte des 4. Jh. wohl die meisten Sklaven unter den germanischen Stämmen. 3 Kaiser Julian schrieb an die Athener, er habe selbst an die 20000 Römer aus den Händen der Barbaren befreit/' Sicher ist diese Zahl zu hoch gegriffen; aber sie muß doch recht groß gewesen sein, sonst hätte sich Julian bei der Übertreibung der Lächerlichkeit preisgegeben. Auch die Germanen, die im 5. Jh. auf ehemals römischem Gebiet ihre Staaten gründeten, schafften keinesfalls die Sklaverei ab. 5 Aber dennoch blieb die Sklaverei im ganzen bei den Germanen eine nur sporadisch auftretende Ausnahmeerscheinung.6 Ein noch deutlicheres Bild von der Bedeutung der Sklaverei und des munizipalen Grundeigentums in unserem Gebiet gewinnen wir, wenn wir dazu den Entwicklungsstand des Kolonats und des exterritorialen Großgrundeigentums in Beziehung setzen. d) Exemptes
Grundeigentum'und
Kolonat
Ein großer Teil des Landes der Rhein-Oberdonau-Provinzen war im 3./4. Jh. im Besitz des kaiserlichen Fiskus oder gehörte zum kaiserlichen Privatvermögen. Welche Ausmaße diese Saltus in den Rhein-Oberdonau-Provinzen hatten, ist noch unklar, sind doch erst für wenige Gebiete Argumente oder gar Beweise ihrer Zugehörigkeit zu dieser Eigentumskategorie erbracht worden. Kaiserlicher Großgrundbesitz war von Anfang an exterritorial und exempt, d. h. er war mit seiner Entstehung aus dem Provinzialboden herausgelöst worden und wurde von kaiserlichen Prokuratoren verwaltet. Diesem Vorbild strebten seit dem Ende des 3. Jh. auch private Großgrundbesitzer nach, die damit ihre Grundbesitzungen aus dem munizipalen Bereich absonderten und danach der kaiserlichen Zentral Verwaltung direkt unterstanden. Es wurde schon hervorgehoben, welchen nachteiligen Einfluß dieser Prozeß auf die Städte der Provinzen hatte. 1
E . A . T h o m p s o n , in: M. I. Finley, Slavery in Classical Antiquity, Cambridge 1960, 199. Zum Problem der Sklaverei bei den Germanen vgl. auch H. Grünert, EAZ 10 (1969) 501 ff. 2 Amm. Marc. 29, 4, 4; W. Seyfarth, EAZ 11 (1970) 542. 3 E. A. Thompson a. O. 200; Amm. Marc. 17, 10, 4 - 7 ; 18, 2, 13. 19; 27, 10, 4. Iulian. epist. ad. Athen. 280 C. 5 Vgl. D. Rothenhöfer, Untersuchungen zur Sklaverei in den ostgermanischen Nachfolgestaaten des Römischen Reiches, Phil. Diss. Tübingen 1967; Zöllner 32. 46. 6 E. A. Thompson a. O. 203.
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Sozialökonomische Verhältnisse
Während die Zusammenstellung des kaiserliehen Großgrundbesitzes in den Rhein-Oberdonau-Provinzen wegen des spärlichen Quellenmaterials schon Schwierigkeiten bereitet und häufig auf Vermutungen beruht, ist es uns bei privaten exterritorialen Besitzungen nur möglich, Hypothesen über deren Verbreitung aufzustellen. Es ist anzunehmen, daß große Güter, die sich nicht kaiserlichen Besitztümern zuordnen lassen, im 4. Jh. exterritorial wurden und nicht mehr auf städtischem Territorium lagen. Nach einem Inschriftenfund, dem Grabstein eines Saltuariers auf der Heideisburg bei Waldfischbach (Kr. Pirmasens), läßt sich dort für die Mitte des 4. Jh. eine kaiserliche Domäne erschließen. Da sie in wenig fruchtbarem Waldgelände lag, wurde hier sicher in großem Stil Holzwirtschaft betrieben. Darauf deutet auch das Amtsinsigniuni des Saltuariers, des Oberaufsehers über die Waldarbeiten, hin, der auf zwei weiteren Grabsteinen vom selben Ort mit einer kleinen Axt zum Markieren der Bäume dargestellt ist. 1 Es ist möglich, daß die Heideisburg im 3./4. Jh. die Straßenstation einer kaiserlichen Domäne war. 2 Eine andere Saltuarierinschrift fand sich in Weilerswist (Kr. Euskirchen) in der Nordeifel, 3 wo man ebenfalls eine kaiserliche Domäne vermutet. Allerdings können Saltuarii in der Spätantike, z. B. in Afrika, auch kasernierte Polizisten bedeuten. Ein sicher bestimmter kaiserlicher Saltus lag nördlich Trier bei Bitburg in der Südeifel. Durch eine Begrenzungsmauer — die „Lang-" oder „Landmauer" — von 72 km Länge sind dort etwa 220 km- recht fruchtbaren Bodens umschlossen. Im Innern dieses Bezirks, der eine Vorstellung von der Ausdehnung dieser Kaiserdomänen vermitteln kann, wurden rund 100 Villenstellen festgestellt, von denen im 4. Jh. etwa noch 40 in Betrieb waren. 4 Die keramischen Produktionsstätten von Speicher (Kr. Bitburg) und ein enges Wege- und Straßennetz geben weitere Hinweise auf den wirtschaftlichen Aufbau dieses Gutes. Trotz der zahlreichen Gehöfte ist der Landmauerbezirk immer noch dünner besiedelt als vergleichsweise der Bezirk von Dautenheim in der Pfalz. Wahrscheinlich war in diesen Saltus die Landwirtschaft nicht der Hauptproduktionszweig. Es ist die Vermutung geäußert worden, daß dort auf einem kaiserlichen Gestüt Pferdezucht für den Bedarf der in der Spätantike zahlenmäßig sehr starken römischen Reiterei betrieben wurde. 5 Dies könnte einerseits in der schriftlich überlieferten Existenz kaiserlicher Gestüte in Kappadokien und Kilikien im 4. Jh. seine Parallele finden, andererseits würde es auch den besonderen Schutz dieser Domäne durch zeitweise abkommandierte stationurii der pseudocomitatensischen Legion in Trier erklären. Die Anwesenheit dieser Truppe ist durch Funde zweier Bauinschriften in der Umfassungsmauer gesichert. 0 Es wird angenommen, daß die 1
Sprater Pfalz T. 1, 62. Sprater Pfalz T. 1, 67; F. Sprater, Die Pfalz in der Vor- und Frühzeit. Speyer 1948, 60; W. Schleiermacher, Bonner Jbb. 162 (1962) 173. 3 BRGK 17 (1927) Nr. 359. < J. Steinhausen, TrZ 6 (1931) 59. 5 J. Steinhausen a. O. 68-70. 6 J. Steinhausen a. O. 59. 2
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große und luxuriös ausgestattete Villa von Welschbillig die Verwaltungszentrale dieser Domäne war. 1 Bisher n u r auf Grund archäologischer Tatbestände rekonstruiert ist eine weitere kaiserliche Domäne in der Nordeifel bei Berg vor Nideggen (Kr. Düren). Die Erforschung eines Geländeabschnittes von etwa 9 km 2 ergab eine Reihe ziemlich gleichmäßig angelegter Villae rusticae, die jede etwa 90 ha umfaßte. Die Besitzungen lagen auf einem f ü r Ackerbau nicht sehr geeigneten Boden. Neben der Landwirtschaft, die wohl n u r dem eigenen Unterhalt diente, wurde äuf diesen Höfen extensiv Eisenerztagebau und Metallverhüttung betrieben, wie aus den gefundenen Pingen, einem Schmelzofen und Bleibarren hervorgeht. 2 Da die Villen normalerweise nur f ü r den Eigenbedarf metallurgische Arbeiten kleineren Umfanges ausführten, auf Großgütern und vor allem auf kaiserlichen Domänen f ü r den Nah- und Fernhandel produziert wurde, liegt der Schluß nahe, in der hier vorliegenden Verbindung von Landwirtschaft und Metallurgie eine von Kolonen betriebene Metallproduktion im R a h m e n eines kaiserlichen Saltus zu sehen. Ebenso wird in dem Bergland zwischen den Ardennen und der Eifel ein kaiserlicher Traetus, der aus mehreren Saltus bestand, vermutet. 4 Dies Gebiet k a n n keiner besonderen Civitas zugeordnet werden. Auch die genauen Grenzen dieses n u r hypothetisch erschlossenen Domänenkomplexes sind noch nicht bekannt. Inschriftlich gesichert ist im rechtsrheinischen Gebiet der Provinz Obergermanien der kaiserliche Saltus Sumelocennensis bei R o t t e n b u r g (Kr. Tübingen). 5 Dieser Inschrift verdanken wir auch Kenntnisse über den Verwaltungsaufbau einer kaiserlichen Domäne. Die Pächter des Gutes bildeten einen ordo, dem zwei mugiatri vorstanden, die aber keine Gerichts- und Polizeibefugnisse besaßen. 6 W e n n wir von der Vermutung ausgehen, daß das gesamte rechtsrheinische neueroberte Gebiet zunächst als kaiserlicher Besitz in Domänen aufgeteilt wurde, so läßt sich die aus der Rottenburger Inschrift gewonnene Kenntnis über die Domänertstruktur sicher auf weitere, bisher nur vermutete Saltus im rechtsrheinischen Gebiet übertragen. Während in der Nähe des Limes und in schwach und ethnisch uneinheitlich bewohnten Gegenden der kaiserliche Besitz länger erhalten blieb, was vielleicht auch auf die staatliche Ausbeutung von Bergwerken und Salinen, die Anlage von Staatsgütern und -manufakturen zurückzuführen ist. gelangte der größere Teil des Bodens durch Verkauf und Verpachtung an Neusiedler, Veteranen und Kolonen. 7 Bei fortschreitender Romanisierung und 1
J. Steinhausen (s. S. 305 Artm. 7) 444; vgl. Hatt 320, v. Petrikovits Rheinland 115; s. auch oben S. 221. H. v. Petrikovits, Germania 34 (1956) 124; v. Petrikovits Rheinland 110; H. Hinz, in: Germania Romana Bd. 3. 68. 4 Rüger 43 f. • CIL X I I I 6365. D. Baatz, in: Germania Romana Bd. 3, 98. • M. I. Rostovtzeff, Gesellschaft und Wirtschaft im Römischen Kaiserreich, Bd. 1, Leipzig 1929, 185; Paret Württemberg 122; G. Schell, Nass. Ann. 75 (1964) 12.
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wachsender Bevölkerung konnte dann eine solche kaiserliche Domäne auch in den Hang einer Civitas mit ziviler Selbstverwaltung erhoben werden, wie es uns im Falle des Saltus von Sumelocenna bekannt ist. 1 Bis dahin unterstand jedoch die Domäne einem kaiserlichen Prokurator, der unter Umständen auch einen Tractus als Vereinigung mehrerer Saltus beaufsichtigte.- Im allgemeinen erfolgte die Verpachtung durch einen Generalpächter, den condtictor, der Staatsbeamter oder Privatunternehmer war.'' Dies Gut war wahrscheinlich im 2. und 3. Jh. die bedeutendste Domäne im rechtsrheinischen Gebiet. (Zum juristischen Status des rechtsrheinischen Bodeneigentums s. auch unten S. 338). In Rätien sind bisher keine kaiserlichen Großgrundbesitzungen entdeckt worden. Damit konzentrierten sieh die kaiserlichen Güter im 4. Jh. besonders auf das Moselgebiet, auf das Gelände zwischen den Ardennen und der Eifel und auf das Eifelland selbst. Die rechtsrheinischen Güter gingen im Germanenansturni Mitte des 3. Jh. verloren. Bis zum 3. Jh. hatte sich der kaiserliche Domänenbesitz auf der Basis intensiver Kleinwirtschaft mit Kolonen erhalten. Diese Entwicklung ist auch in Nordafrika zu verfolgen. So sprach die Lex Manciana schon unter Kaiser Trajan jedem, der unbebautes Domanialland in Kultur nehmen wollte, das ius colendi zu. Unter Hadrian wurde es auf Dauerpächter erweitert und betraf nun durch das ius colendi und den usus proprius der neuen Besitzer (possessores) über das unbebaute Land hinaus auch den vom Großpächter zehn Jahre hindurch ungenutzten Boden. Dieses Recht wurde auf alle Ackerbauern vererbbar.4 Kaiser Pertinax setzte diese Bauernpolitik fort, um die Zahl selbständig wirtschaftender Produzenten auf den kaiserlichen Domänen zu vergrößern. In den Wirren des 3. Jh. rissen aber viele große Grundherren Teile kaiserlicher Domänen an sich, so daß am Ende des 3. Jh. umfangreiche Gebiete der Saltus im Besitz dieser „Landmagnaten" waren.5 Unter Kaiser Konstantin erfolgte noch einmal eine Vermehrung des kaiserlichen Grundbesitzes, zum Teil durch Konfiskation und Verstaatlichung munizipaler Ländereien, und eine Reorganisation seiner Finanzverwaltung in einem Domänenressort — res privata —, dessen Leiter für Obergermanien als praepositus rei privatae per Sequanicum et Germaniam primam bezeichnet wurde.6 Doch im 4. und 5. Jh. setzte sich der Niedergang des kaiserlichen Domänenwesens bei gleichzeitiger Stärkung des privaten Großgrundbesitzes fort, bis die germanische Landnahme die Umwandlung seiner letzten Überreste in fränkisches Königsgut 1
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E. Sadee, Bonner Jbb. 128 (1923) 115; Schumacher 212; W. Schleiermacher, Bonner Jbb. 162 (1962) 165; D. Baatz a. O. 99. Schumacher 212. M. I. Rostovtzeff a. O. Bd. 2, 102; D. Baatz, in: Germania Romana Bd. 3, 10. M. I. Rostovtzeff a. O. Bd. 2, 81 f. M. I. Rostovtzeff a. O. Bd. 2, 236; F . M . H e i c h e l h e i m , RAC 4 (1959) 54, s . v . Domäne. Not. dign. occ. 12, 19.
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mit sich brachte.1 Häufig wurden die Gutsgebäude schon vor dem Eintreffen der Germanen von ihren Eigentümern bzw. Verwaltern verlassen, die sich in das südliche Gallien absetzten. Privates Großgrundeigentum ist nur aus archäologischen Funden zu erschließen, das in Einzelfällen noch durch literarische Quellen, wie Ausonius und Ammianus Marcellinus, präzisiert werden kann. Inwieweit sich große private Domänen im 4. Jh. bereits aus dem Civitas-Territorium herausgelöst hatten, ist wiederum nur aus analogen Vorgängen in Italien und in anderen Provinzen anzunehmen. In der Provinz Belgica I konzentrierten sich solche Großvillen vor allem im Moselgebiet. Die bedeutendsten, die noch im 4. Jh. existierten, lagen in dieser Provinz bei Palzem, Bierbach, Wittlich, Odrang-Fließem, Oberweis, Weitersbach und Blankenheim an der Grenze zur Provinz Untergermanien. Die Villa von Nennig bei Palzem kann Sitz eines gallorömischen Großgrundbesitzers gewesen sein. Sie besaß eine Umfassungsmauer von 620 m Länge und wurde durch ihren prunkvollen Mosaikfußboden im Hauptgebäude berühmt. 2 Die Großvilla von Bierbach im Saargebiet besaß mehrere Hypokausten und Wasserleitungen und schloß nach der Straßenseite mit einer imposanten Säulenreihe ab. 3 In der Nähe von Wittlich wurde eine weitere Villa eines Großgrundbesitzers ausgegraben. Auch dort wurden Badeanlagen, Hypokausten und eine repräsentative Säulenreihe gefunden/ 1 Bei Odrang-Fließem in der Nähe von Bitburg in der Eifel lag eine weitere bedeutende Villa. Neben dem prunkhaften Hauptgebäude wurden auch Reste landwirtschaftlicher Nutzbauten gefunden. Ein kleines Gebäude innerhalb des Gutskomplexes enthielt vermutlich die Wohnung des Verwalters und die Unterkünfte der Sklaven oder Kolonen. 5 Die große Villa bei Oberweis enthielt ein Bad, Hypokausten und eine Wandheizung. Im Herrenhaus befanden sich auch sechs Mosaiken. Außerdem gehörten zu dieser Villa auch Werkstätten. Stallungen, Scheunen und ein Haus des Verwalters." Ein weiteres Zeugnis für römischen Großgrundbesitz im Moselgebiet bietet die Villa von Weitersbach (Kr. Bernkastel). Im 3./4. Jh. erlebte dieser Gutshof seine größte Ausdehnung. Die Umfassungsmauer der Villa umgrenzte ein Gebiet von 9842 m-. Neben dem Hauptgebäude wurden auch hier Reste von Wirtschaftsgebäuden entdeckt. Außerhalb der Umfassungsmauer des Gutes lagen noch zwei kleinere Behausungen, aus vergänglichem Material errichtet, mit Spuren von 1 H. Dachs, in: Festschrift Wagner 319; Wenskus 538f. P. Steiner, Die römische Villa von Nennig, Trier 1936; ders., Römische Landhäuser im Trierer Bezirk, Berlin 1923, 2 0 - 2 4 ; J. Steinhausen (s. S. 305 Anm. 7) 244; H . Jankuhn (s. S. 303 Anm. 3) 128. :» A. Kolling, B D S 15 (1968) 7ff. '< L. Hussong, Rheinische Vorzeit in Wort und Bild 4 (1941) 66ff. 5 Schumacher 202; P. Steiner a. O. 30ff. e H. Koethe, TrZ 9 (1934) 20ff. 2
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Pfostenlöchern, Zwischenwänden und Feuerstellen. Wahrscheinlich waren dies Hütten der Kolonen. 1 In Blankenheim in der Eifel wurde ebenfalls eine Prunkvilla gefunden, die wahrscheinlich das Zentrum eines größeren Gutes bildete. 2 Ausonius hat in seinem Moselgedicht die Schönheit des Moseltales zu seiner Zeit hervorgehoben. Dabei efwähnte er auch prunkartige Villen, die der Moselschiffer von seinem Boot aus erblicken kann. 3 Ein Vergleich mit dem Moselgedicht des Venantius Fortunatas aus dem 6. J h . zeigt das veränderte Bild. Das Moseltal bietet nur noch einen Abglanz der Zeit des 4. J h . , wobei man allerdings auch den dichterischen Zweck des Ausonius berücksichtigen muß, der Kaiser Gratians Interesse für Trier wecken wollte. Auch in der Provinz Untergermanien gibt es Reste großer Güter, die zeitlich bis in das 4. J h . reichen und die bis jetzt nicht eindeutig kaiserlichen Besitzungen zugeordnet werden konnten. Dies bezieht sich u. a. auf Funde im Kreis Bergheim. Grabungen auf dem Emmerich zu Blatzheim brachten eine große Villa zutage, von der eine dazugehörige Gutsfläche von 1200 ha vermutet wird. 4 Südlich von Tollhausen im gleichen Kreis zeichnete sich bei archäologischen Untersuchungen ebenfalls eine große Villa ab, deren Territorium auf etwa 600 ha geschätzt wird. Große Steinsarkophage, Begräbnisstätten von Großgrundbesitzern, wurden in Glesch, Kaster, Heppendorf und Niederaußem gefunden. 5 Diese vermuteten Gutsareale von 1200 ha und 600 ha — das Gut von Köln-Müngersdorf hatte wahrscheinlich 300 ha — erscheinen im Verhältnis zu den südgallischen Großgütern des 3. und 4. J h . als klein. Die riesige Villa von Nebouzan (Fundus Nepotianus) hatte eine Umfassungsmauer, die allein ca. 18 ha umschloß. Die außerordentlich große Villa von Chiragan, 30 km östlich der Villa von Nebouzan, erstreckte sich im 4. J h . einschließlich der abhängigen Dörfer auf ein Gebiet von etwa 200 km 2 . Die Luxusvilla dieses Riesengutes wurde zu Beginn des 5. J h . durch Feuer vernichtet. 6 Eine weitere große Villa rustica würde in Morken (Kr. Bergheim) freigelegt. 7 Außer den archäologischen Befunden und direkten literarischen Nachrichten verfügen wir auch über indirekte Hinweise auf Großgrundeigentum, und zwar über die Matronenkulte. Diese Kulte findet man besonders in Untergermanien, viele Denkmäler finden sich in der Eifel. Möglicherweise lassen sich die Beinamen der Matronen von großen Gutsbezirken ableiten. -Träger dieser Matronenverehrung waren aller Wahrscheinlichkeit nach die Familien der Großgrundbe1 E. Gose, Arch. Belg. 61 (1962) 65-76. 2 E. Sadee, Bonner Jbb. 128 (1923) 113; Schumacher 199. 3 Auson. Mosella 284. 320. 4 Hinz Kreis Bergheim 58. 5 Hinz Kreis Bergheim 82. 6 G. Fouet, La villa gallo-romaine de Montmaurin (Suppl. 20 Gallia), 1969; vgl. Stroheker Adel 39. 7 H. Hinz, Die Ausgrabungen auf dem Kirchberg in Morken, Kreis Bergheim (Erft). Von der Steinzeit bis ins Mittelalter, Düsseldorf 1969.
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sitzer. 1 1958 fand man bei Morken-Harff einen aufsehenerregenden komplexen "Fund von 250 bis 300 Matronenaltären, die zu einem heiligen Bezirk der Matronae Austriahenae gehörten. 2 Da es sich um einen geschlossenen Fundkomplex handelt, besteht die Möglichkeit, ihn einem Gutsbezirk zuzuordnen. Vergleichbar sind etwa die Matronae-Vacallinehae-Weihungen aus Pesch und die AufaniaeWeihungen aus Bonn. 3 I n einer Weihinschrift erscheint auch als Siedlungs- oder Bezirksname die Bezeichnung Austriates. 4 Ist unsere Annahme richtig, so hätten wir darin vielleicht den Namen des Gutsbezirkes von Morken. I n Köln-Müngersdorf konnte Fritz Fremersdorf Haupt-, Neben- und W i r t schaftsgebäude eines großen Gutes freilegen und zugleich die Baugeschichte dieses Besitztums vom 1. bis zum Ende des 4. Jh. darstellen. I n das 4. Jh. gehören die Bauperioden V und V I . Die Eigentümer des Gutes ließen sich in Steinsärgen bestatten. Die Brandgräber der familia waren sehr einfach ausgestattet und lagen außerhalb der Umfassungsmauer. 5 Auch in Weiden bei K ö l n fand man das Mausoleum eines reichen Großgrundbesitzers. I m linksrheinischen Gebiet der Provinz Obergernianien - das rechtsrheinische ging ja in der Mitte des 3. Jh. verloren — sind große Villen nur aus Rheinhessen und aus der Schweiz bekannt. Größere Luxusvillen fand man in Münster bei Bingerbrück ( K r . B a d Kreuznach), in Bad Kreuznach, bei Niederingelheim und bei Stromberg, westlich von-Bingen. 6 Zu diesen Villen gehörten Badeanlagen, Mosaiken in den Herrensitzen und verschiedene Wirtschaftsgebäude. Andere Prunkvillen fand man im Gutshof von Gambach und im Steinbachtal von Praunheim. Einige Räume der Villa enthielten Malereien, Mosaiken und Glasfenster.' Funde im Wiesbadener Stadtwald lassen auf Vorwerke eines in der Nähe liegenden großen Gutes schließen. Ein reicher römischer Großgrundbesitzer, Remigius, besaß in der zweiten Hälfte des 4. Jh. große Privatgüter in der Gegend von Mainz, wie Ammianus Marcellinus berichtet. 8 Aber welche der bekannten Großvillen in Rheinhessen ihm gehörte, konnte noch nicht festgestellt werden. I m Schweizer Teil der Provinz Obergermanien wurden Uberreste von Großvillen bei Ormalingen ( K t . Basel), Alpnach ( K t . Obwalden), Kirchberg (nördlich von Aarau) und bei Zurzach ausgegraben. Luxusvillen, die den Schluß auf Großgrundbesitz zulassen, fanden sich bei P f e f f i k o n und Kloten ( K t . Luzern) und in L a Grange bei Genf. I n der Innenausstattung standen diese Villen den Luxusbauten im Moseltal kaum nach.n 1 La Baume Römer 52. 2 H.-G. Kolbe, Bonner Jbb. 160 (1960) 50-124. a L. Weißgerber, Bonner Jbb.. 162 (1962) 108. 4 Inschriften-Anhang Nr. 41. '> Fremersdorf Köln-Müngersdorf 85. « H. Bayer, MZ 62 (1967) 136ff. ' G. Schell, Nass. Ann. 75 (1964) 18ff. « Amm. Marc. 30, 2, 10. « Fellmann 79ff.; Stähelin 389ff.
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Zahlreiche große Villen fielen in der zweiten Hälfte des 3. Jh., besonders zwischen 270 und 280, den germanischen Einfällen zum Opfer und verödeten. Dazu gehören z. B. die Villa von Oberentfelden bei Aarau in der Schweiz, die große Villa von Anthée im Maas-Sambre-Gebiet und die erst kürzlich ausgegrabene bedeutende Villa von Haccourt bei Liège in Belgien,1 auch andere Großvillen in Belgien, wie von Jemelle, Maillen-Ronchinne, Maillen-Sauvenière und Rognée.'2 Andere Güter wurden zwar auch zerstört, aber danach wieder aufgebaut und florierten noch bis zum Ende des 4. oder bis zum Anfang des 5. Jh., wie z. B. die große Römervilla bei Remerschen in Luxemburg, die wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem großen Germaneneinfall von 407 dann endgültig zerstört wurde.3 Rätien ist demgegenüber ärmer an reichen, bedeutenden Villen. Ganz fehlen sie aber auch nicht, wie die Funde von Mindelheim bei Dirlewang zeigen. Aber auch dieses Gut fiel dem Alamanneneinfall von 233 zum Opfer.4 Eine größere Villa, die noch im 4. J h . existierte, wurde im Landkreis Peiting gefunden. Diese Villa enthielt u. a. auch Malereien, von denen Reste sichergestellt werden konnten. 5 Eine große Villa mit einem besonders bemerkenswerten Peristyl fand man in Steinbühel bei Bregenz.6 Eine andere Villa ähnlichen Ausmaßes wurde auf dem Mühlfeld von Burgweinting bei Regensburg freigelegt. Zu dieser Villa gehörten auch mehrere Wirtschaftsgebäude.7 Eine luxuriös ausgestattete Villa wurde in der Nähe von Westerhofen bei Ingelstadt entdeckt; auch sie enthielt mehrere Mosaiken.8 Bei Hechendorf-Murnau an der Isar fand man ebenfalls eine größere Villa mit Umfassungsmauer, Türmen und Toranlagen.9 Auch in der Umgebung von Berchtesgaden lagen einige größere Güter, die aber wohl alle im 3. J h . zugrunde gingen.10 Über die Produzenten auf diesen Gütern haben wir nur spärliche Nachrichten. Vieles kann auch hierfür nur vermutet oder erschlossen werden, da insgesamt nur zwei Koloneninschriften gefunden wurden, die im Mosel-Saar-Gebiet liegen. In der einen Inschrift, aus Pachten (Kr. Saarlouis), handelt es sich um eine Weihung an Merkur, errichtet von den coloni Crutisiones. Diese Inschrift enthält auch den Namen und die keltische Amtsbezeichnung des KolonenVorstehers, eines dannus mit dem Namen Giamillus.11 Höchstwahrscheinlich geht das Wort Crutisiones auf eine römische Fundusbezeichnung zurück. Die zweite Kolonen1 G. de. Boe, Arch. Belg. 132 (1971) 15ff. 2 G. de Boe a. O. 31. 3 G. Thill, Hémecht 22 (1970) 455ff. « B. Eberl, Bayer. Vorgesch. 11 (1933) 77ff. s K. Fliegauf, Peitinger Heimatfreund 2 (1959) 3ff.; W. Tietze. ebd. 21 f. ® Wagner Römer 58. i P. Reinecke, RGKbl 9 (1916) 54ff.; Wagner Römer 56. 8 Wagner Römer 58. 9 F . Schaehle, Aus unserer Heimat. Lech-Isar-Land 16 (1939) 4ff. w R. Christlein, Bayer. Vorgesch. 28 (1963) 30ff.; J . Discherl, Bayer. Vorgesch. 30 (1965) 269 ff. ; Wagner Römer 58. l1 Inschriften-Anhang Nr. 17.
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inschrift stammt aus der Nähe von Weidesheim im Gebiet der Mediomatriker. Wieder handelt es sich um eine Weihinschrift, die die coloni Aperienses der Juno setzten. 1 Auch in diesem Falle geht Aperienses vermutlich auf einen Gutsnamen zurück. Es ist von vornherein nicht anzunehmen, daß der Kolonat sich nur in der östlichen Belgica, nicht aber in den anderen Provinzen im Rheinland und Rätien entwickelt habe. Vor dem Eingriff der Römer in die gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse dieser Ländereien scheinen große Teile des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens noch im Gentileigentum der Stämme und in Händen kleiner und mittlerer Grundbesitzer gewesen zu sein. Das linksrheinische Gebiet war nach dem — wenn auch lückenhaften — Ausweis der Bodenfunde besonders dicht mit gallischen und germanischen Ansiedlungen in Waldtälern, auf geschützten Terrassen, an Bächen und auf Bergkuppen in meist verstreuter Siedlungsweise bewohnt. 2 Rechtsrheinisch dagegen erscheint die Bevölkerungsdichte als wesentlich geringer, so daß von vornherein nur mit wenigen alten Siedlungen zu rechnen ist. Meist dienten sie bei entsprechender Lage als Ausgangspunkt für römische Kastellvici am Rhein, im Neuwieder Becken und in der Wetterau.:) Im keltisch besiedelten Rätien sind einheimische vorrömische Siedlungsspuren bisher kaum bekannt. 4 Die Wohnstätten der Einheimischen bestanden als breitstirnige Pfostenhäuser sicher nur aus einfachem Lehmfachwerk in Pfosten- und Schwellentechnik 5 oder waren einfache Flechtwerkhütten mit abgewalmter Strohbedeckung, 6 sofern es sich nicht lediglich um Wohnkeller mit Holzbohlen- und Bretterverkleidung unter Schindel- oder Strohdach handelte. 7 Nach der römischen Eroberung, die das Land mit einem Fundusnetz und Ketten von Villae rusticae überzog, verloren die Einheimischen meist ihren Boden und wurden Tagelöhner oder zunehmend Kolonen. Aus günstigen Wohnlagen verdrängt, konnten ihre Siedlungen wohl nur noch in Rückzugsgebieten mit niederer Bodenqualität — wie in den Vogesen, im Hunsrück und in der Eifel — weiterbestehen, wo anstelle der Villen leichte Fachwerkhütten gefunden wurden.8 Sofern Einheimische auf ihrer Hofstelle blieben, 9 gerieten sie als Kolonen in Abhängigkeit der neuen 1
Inschriften-Anhang Nr. 18. 2 Schumacher 1 7 2 - 1 7 5 ; F. Oelmann, Bonner Jbb. 133 (1928) 137; H. Mylius, Bonner Jbb. 133 (1928) 141f.; K. A. Seel, Bonner Jbb. 163 (1963) 323; H. Cüppers, TrZ 30 (1967) 138. 142; Fremersdorf Köln-Müngersdorf 47; H. Schmitz, Bonner Jbb. 139 (1934) 83; W. Piepers, Germania 37 (1959) 298; H. Hinz, in: Niederrhein 181 f.; W. C. Braat, in: Germania Romana Bd. 3, 43. 3 Schumacher 50f. 172f. « R. Knussert, Bayer. Vorgeseh. 22 (1957) 227. 8 Wie die Kugernerhäuser unter der Colonia Ulpia Traiana, vgl. H. Hinz, in: Niederrhein 181 f. « Wie in Mayen, vgl. F. Oelmann, Bonner Jbb. 133 (1928) 95; H. Mylius, ebd. 142. 7 So in Württemberg, besonders auf der Schwäbischen Alb, vgl. Paret Württemberg' 8 114f. Schumacher 165f. 9 Z. B. Mayen: F. Oelmann, Bonner Jbb. 133 (1928) 82; H. Mylius, ebd. 141; Mayener Stadtwald, am „Narrenborn": K . A . Seel, Bonner Jbb. 163 (1963) 323; Horath:
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Grundherren. Auffällig ist dabei, daß besonders in Württemberg, also im rechtsrheinischen Saltusgebiet, viele Villen auf vorrömischen Vorgängern, zum Teil noch in der alten, nicht streng rechtwinkligen Bauweise 1 der Kelten aufgeführt wurden, was zumindest auf einheimische Bauleute, wenn nicht sogar auf keltische Kolonen schließen läßt. Daraus wäre zu entnehmen, daß die Bewirtschaftung der Domänen zum Teil bei den Einheimischen als Erb'pächtern verbliebt Als hinlänglich sicher kann gelten, daß seit dem 2. Jh. auf den Legionsterritorien und auf den kaiserlichen Gütern, etwa seit Beginn des 3. Jh. auch auf den munizipalen großen Grundbesitzungen das Nutzungsrecht am Boden größtenteils auf Pächter überging, wobei sich die Kolonen in erster Linie aus einheimischen, ehemals freien Bauern rekrutierten. Auch die keltische Amtsbezeichnung des schon erwähnten Kolonen Vorstehers läßt auf einheimische gallische Kolonen schließen. Beispiele des Übergangs zur Pächterwirtschaft, wobei durchaus nicht immer an arme Kleinpächter zu denken ist, sind die militärischen Pachthöfe auf den Territorien von Vetera I I , Novaesiunv1 und Vindonissa4, die Auflösung der Saltus in der Wetterau und im Rheingau in Einzelfundi für Veteranen, Neusiedler und Einheimische,5 die dichte und gleichmäßige Besiedlung des westlichen Erftufers, die offensichtlich eine Landzuweisung an Pächter zum Ausgang hatte." der Übergang des Gutshofes von Köln-Müngersdorf aus Offiziersbesitz an einen Ubier 7 und die soziale Degradierung des alten treverischen Eigentümers des Bauernhofes am „Narrenborn'' im Mayener Stadtwald in der Eifel zu einem Kolonen.8 Mit großer Wahrscheinlichkeit also wird die gallische und germanische Bevölkerung der beiden Rheinprovinzen sowie die keltische, rätisch-vindelikische Rätiens den Hauptteil der Kolonen gestellt haben. Die Pachtzahlungen erfolgten in Geld oder in Naturalien (vgl. Abb. 84. 85). Die Pachtverträge liefen im allgemeinen über fünf Jahre, wurden später verlängert und brachten durch die zunehmende Verschuldung den Kolonen in immer größere Abhängigkeit vom Großgrundbesitzer.9 Seit dem Ende des 3. Jh. an H. Cüppers, TrZ 30 (1967) 138. 142; Köln-Müngersdorf: Fremersdorf Köln-Müngersdorf 47; H . Schmitz, Bonner Jbb. 139 (1934) 83; Großgartach (Kr. Heilbronn): Paret Württemberg 114. 1
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Wie in Bibracte auf dem Mont Beuvray und in den Heidenlöchern bei Deidesheim (Kr. Neustadt) an der Weinstraße. Wie in Württemberg ist das Festhalten an der alten Bautradition in römischer Zeit auch in der Schweiz beobachtet worden: Repertorium 13. M. I . Rostovtzeff (s. S. 327 Anm. 7) 185; Paret Württemberg 122; D . Baatz, in: Germania Romana Bd. 3, 98. H . v. Petrikovits (s. S. 305 Anm. 3) 287. V. v. Gonzenbach, Bonner Jbb. 163 (1963) 125f. G. Schell, Nass. Ann. 75 (1964) 12; Baatz a. O. 98. J. Curschmann, MZ 17-19 (1921-1924) 106; Hinz Kreis Bergheim 66. H . Schmitz, Bonner Jbb. 139 (1934) 82. 85. K . A . Seel, Bonner Jbb. 163 (1963) 338. Schumacher 210; D . Baatz, in: Germania Romana Bd. 3, 11.
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den Boden gebunden, können die Kolonen des 4. Jh. nur noch theoretisch als frei angesehen werden.1 Als ihre Grundherren nach 260 die rechtsrheinischen Gebiete und Teile Rätiens verließen, blieben die Kolonen und andere untere Bevölkerungsschichten hier zurück,2 was aus dem Weiterleben der Steinbautechnik im Dekumatland zumindest bis zum Jahre 357 hervorgeht. 3 Derselbe Vorgang wiederholte sich um die Wende zum 5. Jh., als die Großgrundbesitzer zusammen mit den römischen Truppen vom Rhein und aus Rätien abzogen. Wieder blieben die Kolonen auf den Gütern sitzen und wurden wohl mit diesen von den Pranken und den Alaniannen übernommen/» Sicher veränderte sich damit aber ihr sozialer Status; denn in den Quellen der Merowingerzeit erscheinen Kolonen dann nur in den Gebieten Galliens, in denen sich der gallorcmische Großgrundbesitz im wesentlichen erhalten hatte, also vornehmlich südlich der Loire und in Burgund. Die meist einheimischen Produzenten waren zu einem weiteren Teil sicher als Tagelöhner und Saisonarbeiter auf den größeren Gütern beschäftigt. Zwar ist es bisher nur selten und in unzureichendem Ausmaß gelungen, ihre Wohnstätten auf den Gutshöfen selbst nachzuweisen, doch sind die vermuteten selbständigen Siedlungen, zu denen z. B. kleine, von den Villen abgelegene und in ihrer Ausstattung dürftige Gräbergruppen in der Wetterau gehören sollen,5 vorerst noch ganz unsicher. Da davon auszugehen ist, daß diese Hütten in sehr anspruchsloser Technik ausgeführt wurden und deshalb kaum Spuren hinterlassen haben, kann dem heutigen Forschungsstand nach vorläufig wohl mit keiner Verbesserung des Fundbestandes gerechnet werden. Blockhütten auf der Schwäbischen Alb und am Schwarzwaldrand mit häufigen Funden keltischer Keramik deuten darauf hin, daß einheimische Arbeitskräfte für die Villenbesitzer auch im Bergland das Vieh hüteten. Die mächtige Stallung im Rotwildpark bei Stuttgart 6 gibt ein gutes Beispiel für diesen von keltischen Hirten geführten Saisonweidebetrieb fern der dazugehörigen Villa rustica. Auch im Weinbau, dessen Verbreitungsgebiet sich ständig vergrößerte, war während der Saison ohne Tagelöhner nicht auszukommen. Regelrechte Bauerndörfer sind aus den Provinzen am Rhein und an der Mosel nicht bekannt und wohl auch nicht zu erwarten. Auch im belgischen Raum wurde bisher noch kein Bauerndorf ausgegraben.7 Nur in Rätien sind in den letzten Jahren dörfliche Siedlungen an zwei Stellen bekannt geworden. Eine davon liegt bei Pöcking im Landkreis Griesbach nahe der Vereinigung der Flüsse Inn und Rott. Das Dorf hatte eine West-Ost-Ausdehnung von etwa 400 m und eine 1 E. Sadee, Bonner Jbb. 128 (1923) 116; F. M. Heichelheim, RAC 4 (1959) 54, s. v. Domäne. 2 F. Wagner, Bayer. Vorgesch. 18/19 (1951/52) 30. 3 Amm. Marc. 17, 1, 7. < H. Aubin, B R G K 13 (1921) 51. 55. 6 Schumacher 209. 6 O. Paret, Germania 6 (1922) 122-fr; Paret Württemberg 130. 7 G. de Boe, Arch. Belg. 132 (1971) 5ff.; H. Roosens, Rheinische Vierteljahrsblätter 35 (1971)7ff.
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Nord-Süd-Ausdehnung von ca. 140 m. Nach den Funden läßt sich diese Siedlung bis in das Ende des 1. J h . u. Z. zurück verfolgen. Sie bestand aus einfachen hölzernen Hütten. Die Blütezeit dieses Dorfes lag im 2. und in der ersten Hälfte des 3. J h . Die letzten Münzen f a n d m a n in einer Brandschicht aus der Zeit Gordians I I I . Vermutlich hat diese Siedlung danach auch ihr Ende gefunden. 1 Eine andere dörfliche Siedlung läßt sich nach Siedlungsspuren bei Wittislingen im Landkreis Dillingen erschließen. Auch dort hören die Münzfunde mit dem Jahre 247 auf, so daß sie ebenfalls wohl mit den Alamanneneinfällen jener Zeit zerstört wurde.- Im 4. J h . zogen sich die Bauern in Rätien in befestigte Höhensiedlungen zurück. Dörfer sind auch in Rätien im 4./5. J h . nicht mehr bekannt. :t Zusammenfassend kann hervorgehoben werden: Das vor allem mit Kolonen wirtschaftende kaiserliche und private Großgrundeigentum setzte sich etwa seit der Mitte des 3. J h . in immer höherem Maße durch. Die Sklaverei verschwand natürlich nicht völlig, hielt sich noch besonders in den Städten, verlor aber seit dieser Zeit ökonomisch stetig an Bedeutung. e) Rolle und Maßnahmen
der
Zentralgewalt
Die römischen Provinzen am Rhein und an der oberen Donau waren bis zur Verwaltungsreform Diokletians am Ende des 3. J h . kaiserliche Provinzen/ 1 An der Spitze dieser Provinzen standen daher im 3. J h . Legati Augusti pro praetore als Stellvertreter der kaiserlichen Gewalt, die immer aus der Reihe früherer Konsuln ausgewählt wurden. Diese kaiserlichen Legaten hatten nach dem Kaiser die oberste militärische und zivile Gewalt in ihren Händen. Unter Gallienus und dann besonders unter Diokletian erfolgte die Trennung der beiden Macht bereiche, die zivile Gewalt unterstand einem Praeses der Provinz, während die Truppen im 4. J h . von Duces oder Comités befehligt wurden. Die Provinzstatthalter besaßen auch die oberste richterliche Gewalt in ihren Provinzen: ihnen unterstand die polizeiliche Kontrolle, sie überwachten die städtischen Verwaltungsorgane und die Durchsetzung staatlicher Maßnahmen innerhalb der Provinz. Für die kaiserliche Post, die Domänen Verwaltung und für die Steuereintreibung bestanden besondere Verwaltungseinrichtungen. Den Provinzstatthalter unterstützte der Procurator Augusti provinciae. Er stand an der Spitze der Finanzverwaltung, die ihren Sitz in Trier hatte und die finanziellen Angelegenheiten der Belgica und der beiden germanischen Provinzen gemeinsam leitete. Diese Provinzprokuratoren entstammten dem Ritterstand, der in der frühenKaiserzeitals zuverlässige Stütze der kaiserlichen Macht galt.Die Finanzverwaltungder Provinzen unterstand direkt der kaiserlichen zentralen Kas1 H.-J. Kellner. Bayer. Vorgeseh. 25 (1900) 132ff. 2 H.-J. Kellner a. 6 . 142ff. :l Kellner (s. Literaturverzeichnis) 66. Das Folgende (ohne (lie rechtlichen Abschnitte) nach: C. M. Termes. La vie quotidienne en Rhénanie à l'époque romaine (I er au I V e siècle). Paris 1972, 93—97.
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337
se (fiscus) in Rom. Der Prokurator kontrollierte den Eingang der Steuern (tributa) und die Eintreibung der Rückstände von den Munizipien. Die wichtigsten indirekten Steuern, die in den Provinzen erhoben wurden, waren: die einprozentige Umsatzsteuer (centesima rerum venalium), die vierprozentige Steuer, die bei Sklavenverkäufen erhoben wurde (vicésima quinta venalium mancipiorum), und die fünfprozentige Freilassungssteuer (vicésima libertatis). Andere Abgaben, wie die fünfprozentige Erbschaftssteuer (vicésima hereditatvm) und der nur für Gallien geltende zweieinhalbprozentige Zoll (qvadragesima Galliarum), wurden von besonderen Finanzverwaltungen in Lugdunum (Lyon) überwacht. Die gallischen und germanischen Provinzen und Rätien bildeten einen gemeinsamen Zollbereich. Andere Prokuratoren hatten bestimmte spezielle Aufgaben; sie kontrollierten beispielsweise die kaiserliche Münzprägung in Trier und in Köln, sie beaufsichtigten die Bergwerke und Steinbrüche, verwalteten die kaiserlichen Domänen, leiteten die kaiserliche Post usw. Dieser örtliche Machtapparat der herrschenden Klasse bildete ein reibungsloses und gut funktionierendes System zur Ausbeutung und Unterdrückung der Sklaven, Bauern, Handwerker und anderer niederer Schichten, in die allmählich wie in einen Sog auch ehemals wirtschaftlieh führende städtische Schichten hineingezogen wurden. Die diokletianische Verwaltungsreform trug wesentlich zur Straffung der staatlichen Administration und damit zur zunehmenden Unterdrückung in den Provinzen bei. Die Teilung der Provinzen, wovon in den von uns behandelten Gebieten Rätien und die Bélgica betroffen wurden, erleichterte den Statthaltern in ihren nun kleiner und besser überschaubar gewordenen Gebieten das Verwalten und vor allem auch das Kontrollieren. Durch die Trennung der zivilen von der militärischen Gewalt konnte sich der Provinzstatthalter jetzt völlig der ihm von der Zentral Verwaltung zugewiesenen Hauptaufgabe zuwenden,nämlich diePolitik und jede einzelne Maßnahme der Zentralgewalt bis in den letzten Winkel auch durchzusetzen — was in den meistenFällen für die Provinzialbevölkerung verschärfte Unterdrückung bedeutete. Dabei spielte die Durchsetzung der römischen Rechtsordnung eine große Rolle. Das römische Recht reflektierte in dieser Zeit allerdings auch in den RheinOberdonau-Provinzen recht widersprüchliche Tendenzen, wie die zusammenfassende Übersicht auf den nächsten Seiten zeigen wird. Während noch im 3. J h . für die Rechtsprechung im Römischen Reich Juristen eine größere Rolle spielen, ist für die Zeit des 4. und 5. J h . die kaiserliche Gesetzgebung „die einzige, die das Recht der Spätzeit kennt". 1 Stellvertretend für den Kaiser waren im 3. Jh. die Provinzstatthalter für die Rechtsprechung zuständig. Mit den diokletianisch-konstantinischen Reformen waren die Praefeeti praetorio, die höchsten zivilen Beamten eines Reichsteils, Stellvertreter des Kaisers u. a. auch auf dem Gebiet der Rechtsprechung. Die Provinzen im Rheinland und an der Mosel gehörten zur gallischen Präfektur; die Provinz Rätien dagegen unterstand der italischen Präfektur. 1
22
W. Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, 4. Aufl. Weimar 1964, 136. Römer
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Sozialökonomische Verhältnisse
Neben grundsätzlichen Entscheidungen, die für das gesamte Imperium Gesetzeskraft erhielten, sind Verfügungen und Erlasse bekannt, die sich besonders an das Territorium eines bestimmten Präfekten wandten. Aus der Zusammenstellung von Gesetzen, die z. B. an Inhaber der gallischen Präfektur gerichtet wurden, läßt sich in etwa erkennen, wie weit das römische Recht in seiner Gesamtheit in einem bestimmten Reichsteil wirksam war und wie weit spezielle Bestimmungen erforderlich wurden. Zunächst sollen einige Verordnungen und Gesetze genannt werden, die unmittelbar auf die römischen Provinzen am Rhein und an der oberen Donau Bezug nahmen. Von dem unter den Kaisern Septimius Severus, Caracalla und Severus Alexander wirkenden Juristen Paulus stammt folgende aufschlußreiche Digestenstelle über die rechtliche Qualität des ager provincialis im Rheinland: Ein gewisser Lucius Titius kaufte Grundstücke in Germanien jenseits des Rheins und zahlte einen Teil des Preises im voraus; als der Erbe des Käufers wegen der restlichen Kaufsumme belangt wurde, erhob er dagegen Klage und argumentierte, daß diese Besitzungen auf Grund einer kaiserlichen Anweisung (ex praecepto principali) teils einzeln verkauft, teils den Veteranen zur Belohnung angewiesen wurden. Der Streitfall bestand nun darin, ob den Käufer oder den Verkäufer der Grundstücke der Verlust treffen müsse. Der Jurist Paulus beschied darüber, daß zukünftige Fälle der gerichtlichen Wiedererlangung seines Eigentums durch den ursprünglichen Eigentümer (evictio) nach abgeschlossenem Kaufvertrag den Verkäufer nicht treffen könnten. Deshalb sei der Verkäufer im Recht, wenn er den rückständigen Preis der Grundstücke vom Käufer fordere, auch wenn dieser nun sein Eigentunisrecht nicht nutzen könne. 1 Diese Quelle bestätigt, daß der Kaiser im rechtsrheinischen Provinzland das Recht der entschädigungslosen Enteignung besaß, wenn er aus Anlässen, die er den dortigen Grundstücksbesitzern nicht zu begründen brauchte, Veränderungen in den Besitzverhältnissen vornahm. Im allgemeinen galten alle Provinzen nach römisch-rechtlicher Auffassung als Besitztümer „des römischen Volkes" (praedia populi Romani), d. h. der Kaiser als Repräsentant des populus Romanus besaß dort das Eigentumsrecht. Kam es im Verlauf der Kaiserzeit in den Provinzen im Rahmen einer Colonia oder eines Municipium auch zu einer römisch-rechtlichen Eigentumsbildung durch Einzelpersonen, so blieb der obenerwähnte Grundsatz auf dem rechtsrheinischen Okkupationsland, das im wesentlichen kaiserliches Domänenoder Militärland war, vollauf und ungeschmälert bestehen. Diese Digestenstelle wirft daher auch Licht auf die rechtliche Unsicherheit solch neu erworbenen Eigentums — wenn dieser Eigentümer z. B. nicht gerade Veteran war — im Gebiet hinter dem Limes. Eine kaiserliche Konstitution, gerichtet von Valentinian, Gratian und Theodosius 382 an den praefectus praetorio Italiae, Illyrici et Africae Hypatius, be1
Dig. 21, 2. 11; zum Problem der Eviktion vgl. M. Käser, Das römische Privatrecht, Abschnitt 1, München 1955, 462.
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trifft hohe Würdenträger, deren Amtsgeschäfte sich u. a. auch auf Rätien beziehen. Das genannte (besetz befreit einen genau bezeichneten Personenkreis der Bürokratie des Kaiserhofs von den munera sordida, den niederen Lasten. Zu diesen so Ausgezeichneten gehören die consistoriani (Beisitzer in der kaiserlichen Kanzlei), die Comités der kaiserlichen Kanzlei, die Notarii (Sekretäre), die gewesenen und die amtierenden Cubicularii (Kammerherren). E s handelt sich also durchweg um höchste Würdenträger der kaiserlichen Kanzlei, die nicht nur mit der herrschenden Klasse am engsten verbunden, sondern auch mit ihr identisch sind. Allen anderen Dienstträgern der kaiserlichen Kanzlei wurde diese Befreiung von den munera sordida nur unter Vorbehalt zugestanden. Damit brauchen die Genannten für das Militär kein Mehl zu mahlen und kein Brot zu backen. Sie brauchen auch keine Lastfuhren für militärische Dienste zu stellen, es sei denn, es handele sich um die Versorgung der rätischen Grenze oder der in Illyricum stationierten Armee. Sie müssen auch kein Dienstpersonal für besondere Aufgaben stellen, dürfen nicht zum Kalklöschen herangezogen werden, sind von Holzlieferungen aus ihren eigenen Vorräten befreit, außer, wenn die Münze oder die Waffenwerkstatt nach alter Sitte dies erfordert, usw.1 Die rätische Grenze war in den 70er Jahren des 4. J h . kaum zur Ruhe gekommen; besonders nach der Schlacht bei Adriânopel rührten sich wieder die Alamannen, die Kaiser Gratian um 379/380 besiegte. 382 zog Gratian wieder nach Viminacium an der Donau (im nördlichen Serbien östlich Belgrad), um gotische Scharen abzuwehren. Aus dieser schwierigen militärischen Situation ist die erwähnte Konstitution mit der besonderen Hervorhebung der rätischen Grenze zu verstehen. Mit dem Grenzschutz, und zwar mit der Sicherung der Rheingrenze, beschäftigt sich auch die Anweisung der Kaiser Valentinian und Valens von 367 an den Magister equitum Jovinus. Darin fordern sie diesen Heerführer auf, die Duces und Comités seines Heeres umgehend dahingehend anzuweisen, daß die Soldaten nicht mehr für königliche Gesandtschaften oder für kaiserliche Gesandte Packpferde stellen. Diese Gesandten sollen mit eigenen Pferden bis zu dem Platz kommen, wo sie die kaiserliche Post weiterführt. 2 Dem Heer des Jovinus, des Magister equitum per Gallias, war besonders der Schutz der Rheingrenze anvertraut, die in jenen Jahren aüßerordentlicher Aufmerksamkeit bedurfte. Kaiser Valentinian selbst hatte sein Quartier in Reims. In schweren Kämpfen waren die Alamannen im Jahre 366 bei Metz und bei Châlons-sur-Marne von Jovinus geschlagen worden, so daß sie sich über den Rhein zurückziehen mußten. Wie notwendig der kaiserliche Erlaß von 367 war, dem Heer keine Packpferde zu entziehen, zeigt die Eroberung von Mainz Ostern 368 durch Alamannen. Wie schon in anderem Zusammenhang einer Bitte der Kölner Dekurionen statt, berufen zu können. Dies wurde nicht nur Einzelentscheidung — zugestanden, Köln 1 CTh 11, 16, 15. 2 CTh 7, 1, 9. 22*
erwähnt, gab Kaiser Konstantin 321 in Zukunft auch Juden in die Kurie den Kölner Dekurionen — durch eine war lediglich der Präzedenzfall; eine
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Sozialökonomische Verhältnisse
Lex generalis des Kaisers ermöglichte nunmehr allen Kurien im Reich, diese Ergänzung vorzunehmen. 1 Schließlich beschäftigte sich eine weitere Konstitution der Kaiser Valens, Gratian und Valentinian von 376, gerichtet an den Praefectus praetorio Galliarum Antonius, mit der Besoldung der Rhetoren und Grammatiker in Gallien; darin wird besonders die Stadt Trier hervorgehoben. Die Trierer „Professoren" erhielten ein höheres Gehalt als die Lehrer in anderen gallischen Städten: Rhetoriker erhielten dort ein Jahresgehalt von 30 Annona-Anteilen, die Lehrer der lateinischen Sprache bekamen 20, die der griechischen Sprache 12 AnnonaAnteile, während in allen anderen gallischen Städten die Rhetoren 24 AnnonaAnteile Gehalt und die Latein- und Griechisch-Lehrer undifferenziert 12 AnnonaAnteile erhielten. Daraus ergibt sich eine besondere Wertschätzung der Trierer Hochschule im 4. J h . , die wohl besonders auf das Wirken und den Einfluß des Ausonius zurückzuführen ist. 2 Vom Cäsar und Kaiser Julian ist bekannt, daß er sich besonders den Städten in Gallien wie auch im ganzen Reich widmete, um sie wirtschaftlich und finanziell neu zu beleben. Ammian berichtet, daß sich Julian im Jahre 357 vor allem der Gemeinden in der Provinz Belgica I I annahm, das Steuerwesen, das sonst in Nordgajlien in den Händen des Präfekten oder des Provinzstatthalters lag, für diese Provinz selbst übernahm und alle zusätzlichen und außerordentlichen Steuern, die eine besondere Bedrückung der Stadtbewohner darstellten, abschaffte. 3 Die Ursache, daß in Nordgallien nicht die Kurien, sondern die Kanzlei des Präfekten oder des Statthalters die Steuern erhoben, ist wohl darin zu sehen, daß es sich hier um eine Provinz mit schwach entwickelter Munizipalorganisation handelt, die diese Aufgabe den genannten Kanzleien überlassen mußte. In den römischen Städten im Rheinland scheint aber die Steuereinziehung wie in dem munizipal hochentwickelten südlichen Gallien von den Städten wahrgenommen worden zu sein. Natürlich übten im Laufe der Zeit die umwohnenden Großgrundbesitzer auf eximierten Ländereien indirekt einen für die Städte immer nachteiliger werdenden Einfluß auf die Steuerberechnung und -aufteilung der Städte aus, 4 was auch die den munizipalen Grundeigentümern günstige Politik Julians, die sowieso nur vorübergehend wirksam war, nicht verhindern konnte. Damit sind die juristischen Zeugnisse erschöpft, die direkt etwas über die Wirksamkeit des römischen Rechts in den römischen Provinzen am Rhein und an der oberen Donau aussagen. Indirekte Zeugnisse gibt es dagegen bedeutend mehr. Denn jedes Gesetz und jede kaiserliche Verfügung, die z. B . an den Prae1 2 :i
4
CTh 16, 8. 3 ; s. auch oben S. 307. CTh 13. 3. 11. Amin. Marc. 1 7 , 3 . 1—6; v g l . R . Gaîighofer. L'évolution des institutions municipales en Occident et en Orient an Bas-Empire. Paris 1963, 176; S.Mazzarino, Aspetti sociali del quarto secolo. R o m 1951. 185. — S. auch oben S. 117. 308 R . Ganghofer a. O. 204ff.
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fectus praetorio per Gallias gerichtet war, betraf unter anderer» auch die beiden germanischen Provinzen und die Provinz Bélgica I. Ebenso bezog sich jedes Gesetz, das an den Praefectus praetorio Italiae, Illyrici et Africae adressiert war auch auf die Provinz Rätien. Daraus ergibt sich ein noch bedeutend anschaulicheres Bild. Es gibt Verfügungen über den Schutz der Veteranen (CJ 12, 46 [47] 2; CTh 7,20, 11), Bestimmungen über unerlaubte Dienstleistungen für Provinzialbeamte (CTh 11, 1, 1), über die Rechtsprechung (CTh 1, 16,12; CJ 7, 44, 3), über Ehrungen verdienter Dekurionen und Verbote ihrer übermäßigen Belastung (CTh 12, 1, 75; 15, 1, 33), über das Beschwerderecht bei zu hoher Steuerveranlagung und bei ungerechtfertigten Steuern (CTh 13, 10, 5; 1,16, 11), gegen Willkürmaßnahmen der wirtschaftlich Mächtigen.potentes) (CTh 1, 16, 4; 7, 1, 7; 11, 1, 26), über das Verbot der Verpachtung munizipaler Landgüter und Weiden (CTh 10, 3, 2), über das Verbot der Abwanderung von Stadtbürgern aus Kurie und Kollegium (CTh 12, 19, 3.1), über Sklaven, Freigelassene und Kolonen des kaiserlichen Vermögens (CJ 7, 38, 1), über geflohene Sklaven, Gefangene, Kolonen (CTh 10, 12, 1; 9, 3, 5; 4, 23, 1; CJ 11, 48, 6), über das Heiratsverbot zwischen Provinzialen und Barbaren (CTh 3, 14, 1) und noch andere mehr. Diese und andere Gesetze und Verfügungen zeigen, daß die Kaiser die Provinzialbevölkerung der Gewalt der Großgrundbesitzer nicht völlig ausliefern wollten, da man ihrer Steuerkraft für die Staatskasse bedurfte. Die kaiserliche Zentralgewalt richtete im 4. J h . z. B. das besondere Amt des Defensor civitatis ein, um damit bis zu einem gewissen Grade ein kaiserliches Patrozinium über die vom Großgrundbesitz bedrängten Stadtbewohner den überhand nehmenden privaten Patrozinien der Potentiores entgegenstellen zu können. Man suchte ein kontinuierliches Steueraufkommen aus den Provinzen zu sichern, das durch die steuerfeindliche Politik der Großgrundbesitzer gefährdet war. Diese Erlasse geben somit auch Auskunft über bestehende Gegensätze zwischen der Zentralgewalt, die noch die Rechtsnormen der antiken Klassengesellschaft vertrat, und der Großgrundbesitzeraristokratie der Spätantike. Andere Verordnungen beweisen die besondere ökonomische Macht des Kaisers in den Provinzen, die Sorge um die Bestellung ungenutzten Landes und andererseits das Verbot der ungerechtfertigten Nutzung der Provinzländereien. Weiter geht es in den Gesetzen darum, der herrschenden Klasse die Produzenten, Kolonen und Sklaven, zu erhalten. Mit allen Mitteln sollten Flüchtige wieder ihren Herren zugeführt werden. Aus allem ergibt sich ein Bild der völligen Integration der römischen Provinzen am Rhein und an der oberen Donau in das römische Recht. Auf der einen Seite versucht die römische Zentralgewalt in dieser Periode des Untergangs der antiken Klassengesellschaft, mit allen ihr zur Verfügung stehenden juristischen Mitteln die alte Ordnung im Reich aufrechtzuerhalten. Andererseits zeigen die Gesetze selbst den Niedergang der antiken Klassengesellschaft, der auch durch juristische Verordnungen nicht mehr aufzuhalten war. Kaiser, wie z. B. Julian und Valentinian I., suchten den Machtansprüchen der Großgrundbesitzeraristokratie mit Erlassen und anderen politischen Maßnahmen entgegenzutreten und
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Sozialökonomische Verhältnisse
den Städten ihren alten Rang wiederzugeben. Aber insgesamt gesehen waren diese Versuche nicht erfolgreich. Im 5. Jh. hatten sich die Großgrundeigentümer endgültig gegenüber der Munizipalaristokratie durchgesetzt. 2. Die wirtschaftliche und soziale Lage der in den Rhein-Oberdonau-Provinzen lebenden Germanen Die Gebiete an Rhein und oberer Donau waren nicht nur bei ihrer Unterwerfung durch Rom und Organisierung als römische Provinzen keltische und germanische Siedlungsgebiete, sie hatten auch in Zeiten der stärksten Romanisierung noch immer ein beträchtliches einheimisches Substrat, was für die wirtschaftliche, soziale, aber auch sozialökonomische Entwicklung ja nicht ohne Bedeutung war. Im Zusammenhang mit der politischen Geschichte dieser Provinzen würde bereits auf die ethnischen Veränderungen eingegangen. Im folgenden sei rekapitulierend ein kurzer, mehr systematischer Überblick gegeben.
«) Stämme,
die bereits bis zum 3. Jh. angesiedelt
waren
Links des Oberrheins siedelten vom südlichen Elsaß bis in die Maingegend die germanischen Stämme der Triboker, Nemeter und Wangionen. Die literarische Überlieferung läßt diese Stämme bereits durch C. Iulius Caesar nach der Zurückdrängung der Sueben unter Ariovist dort ansässig werden. Diese Darstellung der Ereignisse durch Cäsar selbst wurde jedoch von archäologischen Forschungen bisher nicht bestätigt. Verschiedene Forscher sind der Ansicht, daß diese Stämme vermutlich erst zwischen der augusteischen und frühclaudischen Zeit von Rom die Erlaubnis zur Ansiedlung erhielten. Die genannten germanischen Stämme waren nach Ausweis der archäologischen Funde bereits in der frühen Kaiserzeit so stark keltisiert, daß man sie mit archäologischen Forschungsmethoden so gut wie nicht von den benachbarten keltischen Stämmen unterscheiden kann. 1 Das linksrheinischè Gebiet von der Schweiz bis nach Rheinhessen ist in der frühen Kaiserzeit kulturell noch eng mit der späten Latènezeit Galliens verknüpft. 2 Die Triboker erhielten erst mit der Constitutio Antoniniana römisches Bürgerrecht, von einzelnen früheren Verleihungen abgesehen. Ihr Gebiet fiel zu Beginn des 5. Jh. in germanische Hand. 3 Der Stamm der Nemeter hatte seinen Hauptort in Speyer (Novioniagus). Als Magistrate dieser Civitas sind inschriftlich Dekurionen bezeugt. 4 Im Neme1 2
3
R. Nierhaus. Das swebische Gräberfeld von Diersheim, (West-)Berlin 1966, 9. H. v. Petrikovits, in: V I I I e Congrès International d'Archéologie Classique. Rapports et Communications, Paris 1963, 55. Hier, epist. 123: translatas esse in Germaniam. CIL X I I I 6106. 6404.
Bereits angesiedelte Stämme
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tergebiet erhielten auch römische Soldaten der in Argentoratum stationierten Legion Landzuweisungen.1 Römische Straßengendarmerieposten (benéficiarii) lagen bei Germersheim und bei Altrip zur Sicherung der rückwärtigen Verbindungen. Um 400 gehörte das Gebiet zum Amtsbereich des Dux Mogontiacensis ; in der Mitte des 5. Jh. wurde es von den Alamannen, dann von den Franken besetzt. Nördlich des Nemetergebietes schloß sich das Territorium des germanischen Stammes der Wangionen an. Dekurionen standen auch dort an der Spitze der Civitasverwaltung.2 Veteranen wurden angesiedelt.3 und Benefiziarstationen künden von der militärischen Bedeutung dieses Hinterlandes.4 Das Wangionengebiet wurde besonders stark von Latrones bedroht (s. auch unten S. 355). Der politische Schwerpunkt dieser Civitas verlagerte sich allmählich immer stärker von Worms nach Mainz. Auch die Wirtschaft dieses Territoriums diente vor allem den militärischen Bedürfnissen des Mainzer Lagers. Teile des Wangionengebiets wurden im zweiten Jahrzehnt des 5. Jh. von den Burgundern besetzt, später wurde das ganze Land von den Franken in Besitz genommen. Der nächste germanische Stamm links des Rheins, der Stamm der Ubier, wurde im früher von den Eburonen bewohnten Gebiet angesiedelt. Mit der Gründung der Colonia Claudia Agrippinensium veränderte sich das Leben der Ubier viel stärker als das Dasein der germanischen Stämme am Oberrhein. Durch die Urbanisierung drang der Romanisierungsprozeß tiefer in ihre Gesellschaft ein. Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse Kölns an dieser Stelle weiter zu behandeln wäre eine Wiederholung. Die Inschriften aus dem Gebiet der alten Ubiercivitas bezeugen die intensive Romanisierung dieses Territoriums. Straßenposten, Veteranen, Kaufleute, Militärpersonen. Handwerker sind hier häufiger vorhanden als anderswo. Nordwestlich von Gellep (Gelduba) grenzte an die Ubiercivitas das Stammesgebiet der Kugerner. Eine Civitas der Kugerner ist nicht bekannt. Tacitus überliefert die Existenz von Pagi im Kugernergebiet. Diese Pagi machen das Vorhandensein einer Civitas im Kugernergebiet wahrscheinlich, wenngleich inschriftliche Belege bis heute fehlen.5 Aber auch von der Civitas Ubiorum berichten keine inschriftlichen Quellen. Das Land der Kugerner ging dann wohl ähnlich wie in Köln in der unter Trajan gegrtindetén Colonia Ulpia Traiana auf. Zum Kugernergebiet gehörte auch das Land der Baetasii in der Nähe der Maas, wo sich ebenfalls ein besonderer Pagus. der Pagus Catualinus, befand.0 Es ist auch möglich, daß die Pagi in Niedergermanien eigene kleine Verwaltungsein' CIL X I I I 6076 (Lauterburg). CIL X I I I 6225. 6244. CIL X I I I 6223 (Worms); zahlreiche Veteraneniuschriften finden sich außerdem in Mainz und in seiner näheren Umgebung. < CIL X I I I 6143 (Erpolzheim). 6279 (Oppenheim). s Tac. hist. 4. 26; Rüger 96f. « B R G K 17 (1927) Nr. 306-3Ö8; 40 (1959) Nr. 247.
2
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Sozialökonomische Verhältnisse
heiten darstellten, die nicht zu einer bestimmten Civitaa gehörten. 1 Eine solche kleine Verwaltungseinheit bildete vielleicht auch das Gebiet der Sunuker westlich der Ubier. Dagegen war der Pagus im Trierer Land (Treverer-Gebiet) eine Verwaltungsunterteilung der Civitas. Der archäologische Befund zieht auch am Niederrhein keine scharfe Grenze zwischen den linksrheinischen und rechtsrheinischen Stämmen. Die Umsiedlung rechtsrheinischer Stämme auf Gebiete links des Rheins ist archäologisch nicht nachweisbar. Der Grund dafür liegt wohl darin, daß der Rhein im 1. Jh. v. u. Z. keine Kulturgrenze war. 2 I n der Folgezeit wurde das linksrheinische Land dann so weitgehend romanisiert, daß auch die Kunst in der römischen Rheinzone nur schwach eine eigene Entwicklung erkennen läßt.1' b) Läten, Föderalen und Gentilen Die germanischen Stämme, die im vorigen Abschnitt genannt wurden, lebten auf römischem Provinzboden als tributpflichtige Bauern und Handwerker oder als pachtzinspflichtige Kolonen auf den Gütern kaiserlicher oder privater Großgrundeigentümer. Soweit sie frei waren, erhielten sie alle nach der Constitutio Antoniniana des Kaisers Caracalla das römische Bürgerrecht, sofern nicht einzelne unter ihnen dies Recht schon früher bekommen hatten. Von diesen unterschieden sind Germanen, die einzeln, in Familien oder in größeren ethnischen Einheiten seit dem 2. Jh., besonders aber seit dem Ende des 3. Jh., auf römischem Provinzialland angesiedelt wurden. Mit Läten (laeti) wird eine bestimmte sozial abhängige Gruppe germanischer Abstammung bezeichnet, die den spätrömischen Kolonen und Inquilinen nahesteht. 4 Sie werden zuerst im Jahre 297 genannt, zuletzt 465. Sie lebten in geschlossenen Bauernsiedlungen auf Ländereien, die ihnen der Kaiser zugewiesen hatte (terrae laeticae). Ammianus Marcellinus charakterisiert sie als Leute, die entweder in Gallien von germanischen Eltern geboren sind oder aus den Reihen der im Kriege unterworfenen Germanen (dediticii) stammen, die in römische Dienste traten. 5 Sie waren meist kriegsgefangene Germanen, die nicht mehr versklavt wurden, sondern als abhängige Bauern verödete Ländereien bestellten. Die Läten waren auch zum Kriegsdienst für R o m verpflichtet. Sie stellten besondere Kontingente, die unter dem Befehl eines römischen Offiziers kämpften. Standorte der Läten waren über weite Teile Galliens verteilt. Uns interessieren hier in erster Linie die Läten, die in der Nähe des Rhein-Mosel-Landes staBüger 101. Rüger 9 mit weiterer Literatur. 3 H. v. Petrikovits (s. S. 342 Anm. 2) 55. * Das Folgende nach R. Günther, ZfA 5 (1971) 42ff.; ders., Helinium 1972, H. 3, 268-272. 5 Amm. Marc. 20, 8, 13. 1
2
Laten, Föderalen, Gentilen
• Stahonierungsorte der Loten •• 1 Baiocas (Bayeta) 2 ConstanHa(Coutonces) 3 Nemetacum(Arras) i NoriomaguslNoyon) 5 Condate(Rennest 6 Cintas Cenomanorvm (LeMans! 7 AugustonemetumíOermont-Férrandl 6 ñemi(Retms) 3 SilvanectisISenlis) 10 Autricum (Chaires) 11 Epossium(Carignan) 12 Tungriflbngeren) 13Lingones(Langres) % Fanum Mortis (famarst IS Ambiani (Amiens) IBBeUomci(Beoumis) 17Tncasses(Troyest o Fundorte germanischer Reihengraber (.Lätengröber") 1 2 3 it 5 6 7
345-
200tim
Verwand 8 Eprave Chouy S Han-Sur-Lesse Carignan TOCortrat Furtboz TtVert-la-Gravetle Samson 12Abberitk-Hombliéres Spontin 13Monceau-te-Neuf Haittot
Fig. 30. Germanische und keltische Läten in Gallien im 3,/4. Jh.
tioniert waren. Wir finden sie dort vor allem an der Maas-Linie, also - an der spätantiken zweiten „Auffangstellung" hinter dem Rhein. Unsere einzige Quelle über diese Lätenstandorte, die Notitia dignitatum, erwähnt dort in der Nähe von Tongeren im Gebiet der Tungri in der Provinz Germania II ein Kontingent der Lagenses. Jules Vannerus 1 vermutet das Kastell der Laeti Lagenses bei Caster-sous-Lanaya an der Maas, südlich von Maastricht und östlich von Tongeren. Der Name Lagenses ist wahrscheinlich von der örtlichkeit, nicht von einem Volksnamen abgeleitet. Ein anderer Lätenstandort an der "Maas-Linie lag im Treverergebiet bei Carignan, dem antiken Epossium. Der Name dieses Kontingents ist in der Quelle nur verstümmelt enthalten, als Acti (?), worin man die gallischen Häduer zu erkennen glaubt. Aber die Deutung dieses Namens ist umstritten. Außerdem hat es noch an verschiedenen zerstreuten Orten der Provinz Belgica I Lätenstützpunkte der gallischen Lingonen gegeben.2 Alle anderen Lätenkontingente lagen außerhalb der Provinzen Germania I I und Belgica I in den Provinzen Belgica II, in den verschiedenen lugdunensischen Provinzen und in Aquitania I. Aüs der Provinz Germania I ist kein Lätenstandort überliefert. 1 2
J . Vannerus, Le Limes et les fortifications gallo-romaines de Belgique, Brüssel 1943, 243 f. Not. dign. occ. 42.
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D a die Läten in geschlossenen Siedlungen lebten, wohnten sie vermutlich in eigenen Dörfern und nicht verstreut auf den Gutshöfen wie die meisten Kolonen. Aber bis heute ist noch kein Läteijdorf ausgegraben worden, so daß keine näheren Angaben über die Lebensweise der Läten gemacht werden können. Eine Kontinuität der Lätensiedlungen vom Ende des 3. Jh. an ist sehr unwahrscheinlich. I n einigen Quellen ist davon die Rede, daß die römischen Kaiser nach der Zurückwerfung der Germanen am Ende des 3. Jh. die Läten erst erneut wieder ansiedeln mußten. Sie waren durch die Einfälle der freien Germanen aus ihren Wohnsitzen vertrieben worden. Dasselbe spielte sich aucty um 355 in Nord- und Nordostgallien ab, als der spätere Kaiser Julian von Kaiser Constantius II. dorthin beordert wurde, um die früheren Verhältnisse wiederherzustellen und die Germanen über den Rhein zurückzudrängen. E s ist mit Sicherheit anzunehmen, daß es zwischen der ersten und der zweiten H ä l f t e des 4. Jh. keine Siedlungskontinuität der Läten an der Maas-Linie gab. Die älteren Lätensiedlungen werden von den einfallenden Franken und Alamannen genau so vernichtet worden sein wie etwa 70 Jahre vorher. Man muß also an eine Neuansiedlung von Läten denken, die erst nach 358 dort eingesetzt haben kann.' D a s Läten-Problem ist im einzelnen noch sehr strittig. D a s hängt vor allem mit der ungenügenden Quellenlage zusammen. Jedenfalls fassen wir aber in den Läten eine Kategorie kleinerer abhängiger Grundbesitzer in der späten römischein Kaiserzeit, die zusammen mit anderen abhängigen kleinbäuerlichen Schichten für die Periode des Übergangs zum Feudalismus in Westeuropa von Bedeutung sind. 2 D a s FöderatenVerhältnis bezog sich nicht auf Einzelpersonen oder auf einzelne Familien, sondern immer auf einen Stamm, zumindest größere Teile eines Stammes, oder auch auf einen Stammesverband. Dieses Verhältnis beruhte auf einem Vertrag (foedus). den der römische Staat mit benachbarten S t ä m m e n abschloß. I n diesem Vertrag wurden die gegenseitigen Beziehungen geregelt. Die S t ä m m e lebten vor dem Vertragsabschluß stets außerhalb der Reichsgrenzen, 3 mit dem Vertragsabschluß wurden sie keine römischen Bürger, sondern behielten ihre alten Volksrechte. Meist erhielten sie Jahreslieferungen an Lebensmitteln (annonae foederaticae), bekamen in Grenzgebieten Siedlungsland zugewiesen und übernahmen dafür den Grenzschutz. I m Kriege stellten sie dann besondere Kontingente, jedoch unter eigenen Anführern. D a s Föderatenverhältnis begünstigte die weitere soziale Zersetzung der urgesellschaftlichen Verhältnisse der mit der römischen Klassengesellschaft föderierten Stämme. Mehrere gentilaristokratische Sippen dieser S t ä m m e suchten in engem Anschluß an die herrschende Klasse R o m s die sich entwickelnden eigenen Machtpositionen im R a h m e n des Stammesverbandes zu festigen. I m 5. Jh. kam es in vielen Föderatenterritorien zur Herausbildung klassengesellschaftlicher Verhältnisse, die sich — zunächst 1
Vgl. R. Günther, ZfA 5 (1971) 55-57.
2
V g l . A . P . KopcyHCKHii. V D I 1970, H . 2, 172. Dig. 49, 15. 7.
a
Läten, Föderaten, Gentilen
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noch stark von der untergehenden antiken Klassengesellschaft beeinflußt — tendenziell zum Feudalismus entwickelten. Germanische Föderatenverbände wurden im 5. Jh. in Gallien nach dem Grundsatz der hospitulitas einquartiert bzw. angesiedelt, in der Regel erhielten sie ein Drittel der Ländereien ihrer römischgallischen „Gastgeber".1 Seit dem Anfang des 5. Jh. verstand man aüch kleinere Söldnerverbände barbarischer Herkunft, die eigentlich mehr zum Typ der Bukellarier zu rechnen sind, als Föderaten. 2 Die ersten überlieferten germanischen Föderatenstämme der Römer waren die westgotischen Terwinger und die mit diesen verbündeten Taifalen, die 332 nach einer schweren Niederlage in Kämpfen gegen die Römer römische Föderaten wurden und den Grenzschutz nördlich der Donau übernahmen. 3 Die ersten römischen Föderaten am Rhein scheinen die salischen Franken gewesen zu sein, die spätestens seit 358 dort in ein Vertragsverhältnis mit Rom eingetreten sind. Sie erhielten vom Cäsar Julian Siedlungsrecht in der Landschaft Toxandrien, einem Gebiet, das die Rheinmündung, das nördliche Belgien und das südliche Holland umschloß. Dafür übernahmen sie den Schutz der gefährdeten Grenze am Niederrhein, und wir finden auch in der Notitia dignitatum keine römischen Truppenstationierungen auf diesem Territoriuiji. In dieser Zeit oder etwas später wurde auch mit den Franken am Mittelrhein (im Kugernerland) ein Föderatenvertrag vereinbart. Anders ist wohl der kontinuierliche Übergang von spätrömischer zu fränkischer Bestattung in den ausgedehnten Gräberfeldern von Krefeld-Gellep nicht erklärbar. Außerdem werden auch in jenem Gebiet in der Notitia dignitatum keine römischen Grenztruppen mehr erwähnt. In der Forschung ist jedoch noch umstritten, ob es sich bei den Franken um wirkliche Föderaten handelte. Ammianus Marcellinus bezeichnete sie in seinem Geschichtswerk im Zusammenhang mit den Ereignissen von 358 noch als dediticii, genauer gesagt: als se dedentes, aber das kann inhaltlich dasselbe bedeuten/' Auf der anderen Seite stehen aber die Zeugnisse bei Julian und Zosimos, die die Interpretation eines Föderaten Verhältnisses zulassen.5 Möglicherweise ist von einigen römischen Schriftstellern ein solcher Vertrag pro gloria liomana öfters als deditio oder traditio bezeichnet worden. Zumindest sollte dies mit in Erwägung gezogen werden, da z.B. das Chronicon minus (1,243) einen Föderatenvertrag, den Kaiser Theodosius I. im Jahre 383 mit den Westgoten abschloß, traditio nennt (se tradidervnt) und ein römischer Panegyriker einen gleichen Vorgang im Hinblick auf die Goten als servitium bezeichnet, 6 während andere Quellen eindeutig von einem Föderatenvertrag sprechen.' 1
Vgl. CTh 7, 8, 3 (384); 7, 8, 5, 2 (398); 7. 8, 10, 2 (413); 7, 8, 11 (414); 7, 8, 12 (414). * Claud. in Rufin. 2, 76; Olympiodor. frg. 7 (FHG 4, 59); vgl. H.-J. Diesner, Klio 54 (1972) 3 2 1 - 3 5 0 . 3 W.-D. v. Barloewen, in: Abriß der Geschichte antiker Randkulturen, München 1961, 73. 4 Amm. Marc. 17, 8, 4. Iulian. epist. ad Athen, p. 361 (Hertlein); Zos. 3, 8, 1. u 7 Paneg. Lat.2, 22, 3. Themistiosor. 16,211; 34, 2 0 - 2 4 ; Synesiosderegno 14f.
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Sozialökonomische Verhältnisse
Römische Föderaten Verträge mit einzelnen alamannischen Stammesfürsten sind in der zweiten Hälfte des 4. Jh. möglich, aber nicht gesichert. Aber selbst wenn sie bestariden haben, wurden sie von alamannischer wie von römischer Seite oft gebrochen. Da die Nötitia dignitatum zu Beginn des 5. Jh. noch römische Grenztruppen unter dem Befehl des Dux von Mainz und des Comes von Argentoratum hervorhebt, ist ein Föderaten Verhältnis der Alamannen, denen ja dann der Grenzschutz übertragen worden wäre, sehr unwahrscheinlich. Eine dritte Form germanischer Niederlassungen im römischen Gallien und Germanien war seit dem 3. Jh. die Ansiedlung der Gentilen. Die Gentilen sind Germanen, die einzeln oder in Gruppen freiwillig über den Rhein ins römische Imperium gekommen waren, um als Söldner im römischen Heer zu kämpfen. Sie sind also keine Kriegsgefangenen wie die Läten, und sie kämpfen nicht unter eigenen Befehlshabern in eigenen Schlachthaufen wie die Föderaten, sondern sind vollkommen in das römische Feldheer integriert. Ein Zeugnis bei Ammianus Marcellinus ist von besonderem Interesse, weil es über die Bedeutung der Gentilen und der mit ihnen verwandten germanischen Truppenteile im römischen Heer Galliens etwas aussagt. 1 Aus dieser Quelle ergibt sich, daß die Gentilen bei den römischen Heerführern in höherem Ansehen standen als die Läten. 2 Als Kaiser Constantius II. 359 einen neuen Feldzug gegen die Sassaniden vorbereitete, wandte er sich an seinen Cäsar Julian in Gallien und forderte von ihm verschiedene Truppen zu seiner Unterstützung an. Unter anderem legte er besonders großen Wert auf die germanischen Gentilen und Skutarier. Die letzteren waren Schwerbewaffnete in besonderen, aus Germanen zusammengesetzten Truppenkörpern. Julian weigerte sich, gerade diese ihm zu schicken, und er begründete es so, „ . . . nämlich daß jene Leute keine Belästigungen über sich ergehen lassen sollten, die ihre Wohnsitze jenseits des Rheines verlassen hatten und unter der Bedingung gekommen waren, daß sie niemals in die Länder jenseits der Alpen geführt würden. Er brachte die Befürchtung zum Ausdruck, die barbarischen Freiwilligen, die oft unter derartigen Abmachungen zu unseren Truppenteilen überzugehen pflegten, könnten in der Folge abgeschreckt werden, wenn sie hiervon Kenntnis bekämen." 3 Julian sah also wichtige Gründe, den Abmarsch der germanischen Gentilen und Skutarier zu verhindern. Nach Ammian waren diese Germanen keine Unterworfenen, keine dediticii. Mit ihnen war aber auch kein besonderer Vertrag abgeschlossen worden. Um Kaiser Constantius zu besänftigen, schickte ihm Julian anstelle der Gentilen und Skutarier lieber Läten. Auf diese wollte er eher verzichten. Wie aus dem Codex Theodosianus hervorgeht, erhielten die Gentilen ähnlich wie die Läten und Föderaten Ländereien in Grenznähe, die sie dann auch schützen sollten. 4 „In Anbetracht dessen, daß wir erfahren haben, daß die Landstriche, die den Gentilen für die Sorge und den Schutz der Grenze und der Grenz1 2 3 4
Amm. Marc. 20, 4, 3f. V g l . R . Günther, ZfA 5 (1971) ö l f f . Amm. Marc. 20, 4, 4 Übs. Seyfarth. CTh 7, 15, 1 (409).
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befestigungen durch einè gütige Vorsorge der Vorfahren gewährt wurden, nun durch einige andere Menschen in Besitz genommen wurden, so sollen solche Menschen, die diese Ländereien teils wegen ihrer Habgier, teils wegen ihres Wunsches danach eingenommen haben, wissen, daß sie mit Eifer und Arbeit für die Besorgung und für den Schutz der Grenze und der Grenzbefestigungen ebenso wie jene dienen müssen, denen diese Aufgabe seit altersher übertragen war." Die Einrichtung von Gentilen-Verbänden im römischen Heer ist keine Neuschöpfung des 4. J h . , sondern eine ältere Einrichtung. I n der T a t sind Gentilen als Militäreinheiten zum Schutz der Grenze und zur bäuerlichen Bewirtschaftung des Militärlandes schon im 2. J h . in den Kastellen des Odenwaldlimes, am äußeren Limes und im Taunus in Obergermanien nachweisbar. Hier handelte es sich allerdings um keltische Gentilen der Brittonen, 1 nicht um Germanen. I n der zweiten Hälfte des 4. J h . gab es unter den germanischen Gentilen regelrechte Condottieretypen, wie etwa den Charietto, der sich in Trier angesiedelt hatte und kurz vor 355 begann, „auf eigene Faust gegen die in Gallien einfallenden Germanen zu kämpfen. E r bot Julian seine Dienste an und fiel 365 im K a m p f gegen die Alamannen als Comes per utramque Germaniam." 2 E r hatte also in römischen Diensten einen sehr hohen Offiziersrang erreicht. Die Gentilen bildeten u. a. auch die persönliche Leibgarde des Kaisers. 3 I n enger Beziehung zu ihnen stand die armatura, auch eine schwerbewaffnete Leibgarde aus Germanen, standen die comités, eine ausgewählte Truppe, teils beritten, teils zu Fuß, die aus vornehmen Germanen bestand, die schon erwähnten scutarii und die candidati, eine meist aus Germanen bestehende Leibwächtertruppe des Kaisers. 4 Diese germanischen Krieger waren durchaus keine aufgeputzte Paradetruppe, sondern Reiter und Fußsoldaten, ausgezeichnet bewaffnet, mit höherem Sold als die anderen Feldtruppen und mit verschiedenen Pri-, vilegien versehen. 5 Sie sind seit der Zeit Konstantins bekannt. Diese Truppen standen oft unter dem Kommando von Offizieren germanischer Abstammung. 354 führte der Franke Malarich die Gentilen an. 6 Nach Ammianus Marcellinus (16,4, 1) sind die germanischen Angreifer im J a h r e 356 deshalb von besonderer Zuversicht, weil der Cäsar Julian weder seine Skutarier noch seine Gentilen bei sich im Heere hatte. 360 war der Alamanne Agilo Tribun der Gentilen. 7 368 taten sich erneut vor allem die Skutarier und die Gentilen in Kämpfen gegen die F . Hertlein, Die Geschichte der Besetzung des römischen Württemberg, Stuttgart 1928, 85ff.; W. Schleiermacher, BRGK 33 (1943-1950) 141-148; CIL X I I I 6592 (Walldürn) vom Jahre 232. 2 Amm. Marc. Seyfarth Bd. 1, 311; s. auch oben S. 122. 3 R. Grosse, Römische Militärgeschichte von Gallienus bis zum Beginn der byzantinischen Themenverfassung, Berlin 1920, 93f. mit Anm. 23. < Vgl. Amm. Marc. 15,5,10; 14, 11, 21; 15,5, 16; 25,3, 6; 31,13, 1 4 - 1 6 ; 31,15, 8. 5 Vgl. Th. Mommsen, in : Gesammelte Schriften, Bd. 6, Berlin 1910, 232; R. Günther, ZfA 5 (1971) 56 f. 6 Amm. Marc. 15, 5, 6. 7 Amm. Marc. 20, 2, 5. 1
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Sozialökonomische Verhältnisse
Alamannen hervor. 1 Tribun der Armatura-Truppe war um 354 der Franke Mallobaudes. 2 Alamanmische Gentilen gewann Julian als Hilfstruppen für das römische Heer in Gallien. 3 In all diesen Gruppen gab es eine reiche und stark romanisierte Oberschicht. Mit diesen Kriegern und Siedlern ist zugleich die Problematik der historischen Zuordnung von Reihengräberfeldern in Nord- und Nordostgallien verknüpft, die in der archäologischen Forschung schon seit dem vergangenen Jahrhundert bekannt sind. Diese Reihengräberfelder, in denen man gleichsam Vorstufen der merowingischen Reihengräberkultur erblickt, beginnen etwa in der Mitte des 4. Jh. Teilweise enden sie im 5. Jh., teils setzen sie sich in frühfräökischen Gräberfeldern fort. Die bekanntesten Gräberfelder befinden sich in den nordfranzösischen Départements Aisne, Ardennes, Somme und Marne. Darüber hinaus konzentrieren sich diese Reihengräber in Belgien links und rechts der Maas und zwischen Sambre und Maas; einige liegen auch in der belgischen Provinz Luxemburg. 4 Hier handelt es sich um Orte, die in den damaligen römischen Provinzen Niedergermanien und Belgica I lagen. Es ist von Bedeutung, daß bisher im gesamten westbelgischen Gebiet, an der Scheide und in Toxandrien, wo seit der Mite des 4. Jh. die salischen Franken siedelten, keine derartigen frühen Reihengraber gefunden worden sind. Es besteht zur Zeit noch keine Einigkeit darüber, welchen der vorher genannten germanischen Gruppen von Kriegern und Siedlern diese Reihengräber des 4. und 5. Jh. zuzuordnen sind. Die Mehrheit der Archäologen und Historiker hält sie für Lätengräber, 5 andere deuten sie als Föderatengräber, 6 und im folgenden sei auf eine dritte, vielleicht noch wahrscheinlichere Möglichkeit verwiesen, daß es sich nämlich hier um die Nekropolen von Gentilen handelte. 7 Die meisten dieser Gräberfelder wurden bereits im vorigen Jahrhundert entdeckt und ausgegraben. Da die Fundberichte jener Zeit nicht den modernen wissenschaftlichen Anforderungen genügen, wurden einige besonders wichtige Nekropolen neu untersucht und die vor allem im Museum von Namur liegenden Funde genau mit den alten Grabungsunterlagen verglichen. 8 Die Forscher stimmen darin überein, daß die in den Gräbern Bestatteten germanischer Herkunft waren; dafür sprechen besonders die Waffen- und Schmuck1
Amm. Marc. 27, 10, 12. Amm. Marc. 14, 11, 21. 3 Amm. Marc. 14, 10, 14. 4 H. Roosens, Arch. Belg. 104 (1968) 93, Abb. 2. 5 Vor allem J. Werner, Arch. geogr. 1 (1950/51) 23ff.; ders., Bonner Jbb. 158 (1958> 372ff. ; E. Demougeot, in: Beiträge zur Alten Geschichte und deren Nachleben. Festschrift für Franz Altheim, Bd. 2, (West-)Berlin 1970, 101 ff. 6 Bes. K. Böhner, JRGZM 10 (1963) 139ff.; C. Redlich, Arch. geogr. 7 (1958) 25ff.; S.'ch. Hawkes, BRGK 43 (1962/63) 158ff. i R. Günther, ZfA 5 (1971) 39ff. 8 Vgl. A. Dasnoy, Annales de la société archéologique de Namur 55 (1969) 121 ff. ; ders., ebd. 54 (1968) 277ff. 2
Läten, Föderaten, Gentilen
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beigaben, wobei aber die Fundgegenstände selbst im wesentlichen provinzialrömischen Herstellungsorten entstammen. Die Produktionszentren der keramischen Funde liegen vor allem in den Argonnen und in der Eifel, und die Gläser gehören zu Glashütten zwischen Sambre und Maas. Außer diesen Stücken und den Waffen wird das Fundbild besonders von bronzenen Gürtelgarnituren in Kerbschnittechnik und verschiedenen von Germanen verwendeten Fibelarten geprägt. In diesen Gräberfeldern ist eine soziale Oberschicht durch reichere Grabbeigaben, vor allem an Waffen, deutlich erkennbar. Eine Konfrontation der literarischen mit den archäologischen Quellen erbringt weder für die Läten- noch für die Föderatenhypothese ein befriedigendes Ergebnis. Den schriftlichen Quellen zufolge waren die Läten stets in ihrer Gesamtheit eine sozial unterdrückte Gruppe, die fortwährend der kaiserlichen Kontrolle unterstand. Erst seit derZeit um 400, als diese Kontrolle im untergehenden Westreich weniger wirksam wurde, versuchten einzelne Läten, mehr Land zu erwerben und die oziale Schranke, die ihnen gesetzt war, zu überwinden. Aber immer wieder stieß die kaiserliche Gesetzgebung sie in ihre Grenzen zurück. Im militärischen Dienst waren sie weniger geachtet als die Gentilen. Zwischen der reichen Waff ngräbern dieser Gräberfelder, besonders von Haillot und Furfooz, und den Laxen bestand doch ein bemerkenswerter Unterschied. Von einer lätis hen „Oberschicht" ist in den schriftlichen Quellen nichts bekannt. Demgegenüber vermittelt die Reihengräberkultur ein anderes Bild. Dort finden wir in der Tat eine aristokratische Oberschicht. D ir belgische Forscher H. Roosens hat andererseits auch gewichtige Einwände gegen die Föderatenhypothese vorgetragen.1 Als die Reihengräber im MaasSambre-Gebiet einsetzten, waren die Franken dort noch nicht seßhaft. Ihre Sitze lagen nordwestlich davon in Toxandrien; erst in der ersten Hälfte des 5. Jh. stießen sie von dort aus weiter südlich und südöstlich vor. Aber gerade in Toxandrien fehlt bisher jede Spur von Reihengräberfeldern. Da jedoch die salischen Franken dort seit 358 in ein Vertragsverhältnis mit Rom getreten sind, müßte es eigentlich auch dort solche oder ähnliche Gräberfelder geben. Denn bei den Föderaten finden wir auch eine soziale Oberschicht. Aus den genannten Widersprüchen wird man diese Gräberfelder doch nicht den Föderaten zuschreiben können. Anders steht es mit den Gentilen und den mit ihnen verwandten Gruppen. Auch bei ihnen gab es eine reiche und stark romanisierte Oberschicht. Auch sie besaßen Ländereien im Grenzgebiet. Es scheint doch kein Zufall zu sein, daß die Reihengräberfelder oft vor allem in jenen Gegenden liegen, in denen große römische Villen seit den schwerwiegenden germanischen Einfällen in der zweiten Hälfte des 3. Jh. zerstört bzw. von ihren Besitzern verlassen wurden. Erinnert sei nur an die Villen von Haccourt (bei Liège) in der Nähe von Tongeren,2 an 1 H . Roosens, Arch. Belg. 104 (1968) 93. 2 G. de Boe, Arch. Belg. 132 (1971) 15ff.
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Sozialökonomische Verhältnisse
die großen Villen im Gebiet von Namur, wie Anthée, Jemelle, Maillen-Ronchinne, Maillen-Sauvenière u. a.1 Gerade in ihrer Nähe, also auf Ländereien, die Ende des 3. Jh. verödet waren, liegen die Reihengräberfelder, die teilweise auch mit Bergbefestigungen verbunden sind. Der Charakter der Funde in den Bestattungen spricht eher für die Gentilen als für die Läten. 2 Außerdem stimmen die örtlichkeiten der Reihengräberfelder nicht — außer in zwei Fällen — mit den Stationierungsorten der Läten, die die Notitia dignitatum nennt, überein. In den Nekropolen des Rhein-Mosel-Landes gibt es im 4. Jh. noch keine Reihengräber, so daß Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Auch durch die Reihengräber erhält die Maas in der Spätantike die Bedeutung einer wichtigen zweiten Verteidigungslinie gegenüber den freien Germanen. Die Gentilen stellen aber möglicherweise auch ein Element der Kontinuität dar. Wir besitzen im belgisch-nordfranzösischen Raum, im Gebiet der Provinz Belgica I I , eine bemerkenswerte Vergleichsmöglichkeit zwischen den Reihengräbern Ostbelgiens der zweiten Hälfte des 4. Jh. und einem Friedhof, in dem Angehörige römischer Limitantruppen, Verteidiger des Litus Saxonicum, bestattet wurden. Zahlreiche Münzfunde datieren dies Gräberfeld ebenfalls in die zweite Hälfte des 4. Jh. Dieser Friedhof ist in Oudenburg an der damaligen Kanal 1 küste, in der Nähe von Oostende, von dem belgischen Archäologen J. Mertens gefunden worden.3 Die Nekropole lag in der Nähe eines steinernen Kastells (ca. 150 X 150 m), dessen antiker Name noch unbekannt ist. Bisher wurden an die 220 Bestattungsgräber, gar keine Brandgräber, entdeckt. 4 I m Gegensatz zu den Reihengräbern wurden fast keine Waffenbeigaben gefunden (nur eine Lanze, ein Beil und sechs Pfeilspitzen, diese alle in einem Grab). Kreuzbogen- und Tutulusfibeln weisen auf germanische Kultureinflüsse. In einem Grab, vermutlich eines militärischen Anführers, fand man drei vergoldete Kreuzbogenfibeln und ein silbernes Armband mit der Inschrift Votus Savajivs. Aber die meisten Gräber hinterlassen im Vergleich zu den Reihengräbern derselben Zeit einen ärmlicheren Eindruck.
1 G. cte Boe a. O. 31. Über die letzten Ergebnisse der Reihengräberforschung in Nord- und Nordost frankreich und in Belgien informiert das Protokoll des Kolloquiums „Hauptprobleme der Siedlung, Sprache und Kultur des Frankenreiches", das 1969 in Bonn durchgeführt wurde: Rheinische Vierteljahrsblätter 35 (1971) 1—106. und H . W . Böhme. Germanische Grabfunde des 4. bis 5. Jahrhunderts. 2 Bde.. München 1974. 3 J.Mertens u. L. van Impe, Het laat—romeins Grafveld van Oudenbourg. T. 1. 2. Brüssel 1971 ( = Arch. Belg. 135). Über das spätrömische Kastell von Oudenburg zuletzt J. Mertens, in: Actes du V I I e Congrès Internationale des Sciences préhistoriques et protohistoriques. Prag 1966. Bd. 2. Prag 1971. 966. 2
'« J. Mertens. Archeologie 1968. H. 1. 22.
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Das neue Diatretglas von Köln
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Abb. 75
Der Muschelpokal von Köln
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Abb. 76
Das sog. Meisterstück der Kölner Schlangenfadenwerkstatt
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Abb. 78
Glockenförmiger Humpen
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A b b . 79 A k t a i o n u n d A r t e m i s , d a r gestellt in F a c e t t e n s c h i i f f auf e i n e m H a l b kugelbecher a) S e i t e n a n s i c h t , b) B o d e n , c) Z e i c h n u n g
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Abb. 82
Fränkischer Rüsselbecher
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Abb. 83
Die Igeler Säule
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Abb. 88
Tankwagen für den Wein transport
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Transport von Weinfässern
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Abb. 90
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Dionysos-Mosaik, Ausschnitt
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Die J u p i t e r s ä u l e in Mainz
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Abb. 96 Terrakottastatuette der Großen Göttermutter
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Mithrasaltar aus Heddernheim
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A b b . 98 G r a b s t e i n a u s N i e d e r d o l l e n d o r f , a) V o r d e r s e i t e , b) R ü c k s e i t e
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Abb. 99
Priester mit zwei T a u b e n
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Abb. 100
Grabinschrift für das Kind Barbario
Klassenkämpfe
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3. Klassenkämpfe Die Krise der antiken Klassengesellschaft war mit heftigen und sich verschärfenden Klassenkämpfen verbunden. Über diese Klassenkämpfe setzte sich letzten Endes der soziale Fortschritt durch, der aber zunächst noch in sich selbst widersprüchlich blieb. In der allgemeinen Krise, die im Untergang der antiken Gesellschaftsformation endete, wurden die germanischen Bauern und die Bauern der römischen Provinzen die Hauptmacht im Klassenkampf. 1 Die Führungskräfte wurden der germanische Adel, die Großgrundbesitzer und zum Teil auch christliche Kleriker, wenn sie die sozialen Verhältnisse ihrer Zeit realistisch einschätzten und besonders, wenn sie mit dem aufkommenden Mönchtum verbunden waren, Obwohl die Sklaven keine revolutionäre Klasse darstellten, 2 die Sklaven als Klasse auch zahlenmäßig im Rückgang begriffen waren, wurde doch im komplexen Zusammenhang der Klassenkämpfe des 3., 4. und 5. J h . auch der Druck der Sklavenhalter auf die Sklaven immer heftiger. „So mußte auch ihr Protest anwachsen, zumal wenn es sich um Sklaven handelte, die erst kürzlich in die Sklaverei geraten w a r e n . D e r Klassenkampf hatte die beiden Klassen zersetzt, die in erster Linie mit den antiken Eigentumsformen verbunden waren, die in den Munizipien konzentrierte Klasse der SklavenhalterVilleneigentümer und die auf Villeneigentum und in Ergasterien arbeitenden Sklaven. „Als die auf Sklaverei gegründeten Beziehungen zerfielen, begann eine neue Entwicklung, und dieser kam eine immer wichtigere Rolle zu. Sie brachte eine neue Eigentumsform hervor, deren Keime sich allerdings schon in den vorangegangenen Etappen der Geschichte der Gesellschaft entwickelt hatten. Sie wurden in den folgenden Jahrhunderten der Reichsgeschichte zur Hauptgrundlage für die Bildung von Elementen der Feudalbeziehungen und für die Entstehung der Klassen der Feudalgesellschaft. Es fehlte im 3.. 4. und 5. J h . nicht an Ideen des sozialen Protestes gegen die bestehende gesellschaftliche Ordnung. Der christliche Dichter Commodianus (wahrscheinlich Mitte des 3. J h . ) empörte sich über das Leben der hohen Würdenträger und Anführer des Staates (primäres. praepositi, legati, duces), die nach seiner Auffassung im Jüngsten Gericht in Sklaven verwandelt würden,5 um so den Gerechten zu dienen.u In Kleinasien hatte eine Mönchsbewegung unter Führung des Eustathius in der ersten Hälfte des 4. J h . u. a. die Sklavenflucht so begünstigt, daß ein 340 nach Gangra im paphlagonischen Kleinasien einberufenes Konzil sich bemühte, unter Androhung schwerster Kirchenstrafen diese rebellische Mönchsbewegung wieder in den Schoß der Kirche zurückzu1 Schtajerman - Schtajerman :l Schtajerman Schtajerman Commodian. I! Schtajerman
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Römer
Krise 105. Krise V I I . Krise 461. Krise 463. Instructiones 2. 1. 43; Carmen apologeticum 980f. Krise 134—136.
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Sozialökonomische Verhältnisse
führen. 1 Auch die mönchische Bewegung der Circumcellionen in Nordafrika (Mitte und zweite Hälfte des 4. J h . ) war von einer verstärkten Sklavenflucht begleitet. 2 Selbst bedeutende Ideologen der Kirche, wie Basilius und Hieronymus. schwankten und kamen zu einer toleranteren Auslegung der bis daliin von der Kirche vertretenen Vorschriften, die den Sklaven bedingungslos dem Herrn unterwarfen. Einige christliche Gruppen traten um 400 und später sogar für die Abschaffung der Sklaverei ein. :! Die offizielle Führung der Kirchenorganisation trat jedoch gegen diese und ähnliche Stimmungen unter christlichen Gruppen stets mit größter Schärfe auf. In den römischen Provinzen am Rhein und an der oberen Donau finden wir keine Spuren solcher rebellischen Ideen. Sicher lag dies mit daran, daß dort die Sklaverei keine überragende Bedeutung innehatte, daß innerhalb der Sklaven durch die Anwesenheit zahlreicher kaiserlicher und provinzieller Verwaltungen der Anteil der „Sklavenaristokratie" besonders groß war. daß eine radikale christliche, etwa mönchische Bewegung nicht Puß fassen konnte und daß die Anwesenheit der römischen Armee — viele Sklaven gehörten dort den Militärpersonen — im Grenzland dafür sorgte, etwaige Verfechter solch kühner Theorien in kurzer Zeit zu vernichten oder zu vertreiben. Dennoch sind aus den Provinzen am Oberrhein und an der Mosel Volksbewegungen bekannt. Uni 185/186 erhoben sich Teile der zivilen Bevölkerung im Dekumatland gegen die Herrschaft desCommodus: an der Erhebung beteiligten sich Bürger und Nichtbürger. Leider sind wir nur durch eine Inschrift und eine schwer lesbare Wachstafel, deren Text sehr umstritten ist, darüber informiert. Teile der Legio V I I I Augusta, die in Argentoratum ihren Standort hatte, waren von den Aufständischen umzingelt worden und mußten erst von anderen, herbeigerufenen Truppen befreit werden.'1 Zu Beginn der Regierungszeit des Kaisers Commodus war es in mehreren Provinzen des Reiches zu Unruhen gekommen, die aber bald unterdrückt wurden: die Historia Augusta nennt unter den aufständischen Provinzen auch ganz allgemein Germanien, ohne näher auf Einzelheiten einzugehen. Unter Umständen gab es vielleicht Beziehungen zwischen dem Aufstand des Maternus in Gallien, der ebenfalls zu Beginn der Herrschaft des Commodus die dortigen Provinzen erschütterte, und der erwähnten Bewegung in Obergermanien. 5 Rund 100 Jahre später wurde das Moselland von der breiten, von Gallien kommenden und sich rasch ausbreitenden Volksbewegung der Bagauden erergriffen. Die Bagauden waren in erster Linie aufständische Bauern und Hirten, 1
2 3 4
5
Vgl. H . Bellen, Studien zur Sklavenflucht im Römischen Kaiserreich. Wiesbaden 1971, 81 f. 149. Th. Büttner, E . Werner, Circumcellionen und Adamiten. Berlin 1959, 45f. H. Bellen a. O. 150; Theodor von Mopsuestia. epist. ad Philem. arg. I I 262 (Swete). Inschriften-Anhang Nr. 9 mit weiteren Literaturhinweisen; SHA vita Comm. 13. 5 ; s. auch oben S. 60. Vgl. H. Schönberger, J R S 59 (1969) 172; Alföldy Legionslegaten 45 Anm. 2 3 2 ; H.-G. Simon, Saalburg-Jb. 25 (1968) 199.
Klassenkämpfe
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die um 285/2S6 die Römermacht mit der Waffe in der Hand bekämpften. E s war eine Zeit, in der die einfachen Bauern das Kriegskleid anlegten und der Pflüger den Fußsoldaten, der Hirte den Reiter nachahmte, wie es in einer Lobrede auf den Kaiser Maximian heißt, in der die Niederwerfung des Bagaudenaufstandes gefeiert wird. 1 In der Rede, die 289 in Trier gehalten wurde, wird 11. a. erwähnt, daß sich diese Bewegung bis in die Trierer Umgebung ausgedehnt habe. 2 Inwieweit die Bagauden im Moselgebiet Unterstützung von der dort einheimischen Bevölkerung fanden, wissen wir nicht. Wenn auch weitere Aufstände bisher nicht überliefert sind, so ist doch anzunehmen, daß diese und ähnliche soziale Bewegungen gewissermaßen unter der Oberfläche weiter schwelten. Dafür spricht auch die zunehmende Verbreitung des Latrocinium in der zweiten Hälfte des 4. J h . in Gallien. Die einzelnen Teilnehmer an dieser Bewegung nannte man Latrones (latro, latrones „Räuber"). Als Latro galt jeder, der sich mit der Waffe in der Hand gegen die römische „Ordnung" erhob. Daraus folgt, daß man unter den Latrones sowohl „Straßenräuber'' als auch „Partisanen" findet: oft läßt sich beides unter antiken Verhältnissen nicht trennen. Latrocinium war also eine niedere Form des Klassenkampfes, ein Kleinkrieg, ein Guerillakrieg, der von geflohenen Sklaven, Kolonen, Gefangenen. Verbannten, von Aufständischen geführt wurde in Gegenden, in denen man sich leicht vor römischen Heeresabteilungen verstecken konnte. F ü r die offene Feldschlacht war man nicht gerüstet, dazu reichten auch meist die schwachen K r ä f t e nicht aus. E s gibt ein interessantes Eingeständnis Senecas, aus dem hervorgeht, daß die Armen nichts von den Latrones zu befürchten h a t t e n : „Auch an der von Latrones belagerten Straße herrscht für den Armen der Friede", heißt es an dieser Stelle. 3 Wurden Latrones gefangengenommen, so erwartete sie immer das •m mm um supplicium bzw. die ultima poena, die härteste S t r a f e : Sie wurden gehenkt (ad furcam damnutio), bei lebendigem Leibe verbrannt (vivi crematiu). geköpft (capitis amputatio) oder bestenfalls zur Zwangsarbeit in die Bergwerke verurteilt.' 1 Der römischen Militärmacht gelang es nicht, des Latrociniums Herr zu werden. Wenn sie einzelne Gruppen vernichtete, so bildeten sich anderswo bald neue. In von Latrones besonders gefährdeten Gegenden richtete das römische Militärkommando spezielle' Stationen unter Führung eines Präfekten ein. I n Obergermanien finden wir zwei Inschriften, die über die Existenz dieser Abwehr- und Latronessuchkommandos informieren: ein praefectus arcendis latrociniis stammt aus Noviodununi (Nyon), 5 ein anderer aus Dhaun im Wangionengebiet in der Nähe des Rheins.' 1 I Paneg. Lat. 2 (10) 4, 3 f. - in Irisce terris; dies hat zuerst J . Steinhausen (s. S. 305 Anm. 7) 386f. erkannt. Sen. epist. 14. 9. 4 Dig. 48, 19, 28. r' Inschriften-Anhang Nr. 14. II CIL X I I I 6211.
23'
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Sozialökonomische Verhältnisse
Wo diese P r ä f e k t e n waren, k o n n t e n Latrones nicht fern sein; u n d in der T a t berichten uns einige Inschriften über die Tätigkeit dieser Latrones. I n Trier k ü n d e t eine Inschrift von Nuncius Sabinus, einem kaiserlichen L ä u f e r (cursor), der durch Latrones u m k a m . 1 Vermutlich belegt auch eine Inschrift aus dem Gebiet der Raurici (Colonia Augusta R a u r a c o r u m ) das Latrocinium. 2 Mit Sicherheit werden L a t r o n e s in Gehaborn bei D a r m s t a d t g e n a n n t e Bei Mainz wurde der Freigelassene I u c u n d u s , ein Weidepächter, von seinem Sklaven getötet/• Viatorinus, Befehlshaber einer römischen T r u p p e n a b t e i l u n g im rechtsrheinischen Kölner Brückenkopf Divitia (Deutz), wurde dort von einem F r a n k e n umgebracht (4. J h . ) . 5 Latrocinium in Obergermanien in der zweiten H ä l f t e des 4. J h . überliefert auch der römische R h e t o r u n d Senator Symmachus.'' Besonders die Alamannen galten den R ö m e r n als gefährliche Latrones, 7 u n d A m m i a n u s Marcellinus schrieb, d a ß sich in den J a h r e n 368/369 das Latrocinium in ganz Gallien ausbreitete. 8 So sporadisch u n d spärlich auch die Quellen etwas über diese F o r m des Klassenkampfes aussagen, so zeigt sich doch, d a ß Obergermanien ein gewisses Zent r u m der Latronesbewegung darstellte. Sicher h a t t e sie u. a. in den Vogesen, im Schweizer J u r a , im H u n s r ü c k ihre verborgenen S t ü t z p u n k t e , während Niedergernianien wohl weniger Möglichkeiten des Unterschlüpfens bot. So widersprüchlich auch ihre Z u s a m m e n s e t z u n g u n d die Ziele ihrer K ä m p f e waren, auf jeden Fall banden die L a t r o n e s durch ihre Aktionen militärische K r ä f t e , beunruhigten das Nachschubsystem u n d die Straßenverbindungen von der Grenze in das H i n t e r l a n d . Über andere F o r m e n des Klassenkampfes u n t e r d r ü c k t e r Klassen u n d Schichten, etwa im wirtschaftlichen Bereich, berichten uns die Quellen nichts. Sicher hat er nicht völlig gefehlt, obgleich er wahrscheinlich im Rheinland nicht diese B e d e u t u n g gewann wie in den Provinzen, in welchen Sklavenarbeit eine besonders große Rolle spielte. Der Klassenkampf im I n n e r n der römischen Provinzen am R h e i n und a n der oberen D o n a u ist n a c h allem, was die Quellen aussagen, sehr differenziert zu beurteilen. E s steht wohl außer F r a g e , daß die Z w a n g s m a ß n a h m e n des spätrömischen Staates, besonders was die Steuerpolitik und Heeresrekrutierung u n d -Versorgung a n b e t r i f f t , auch in den hier in F r a g e k o m m e n d e n Provinzen zu erheblichen Widerständen unterschiedlichster Art geführt haben. I n u n m i t telbarer R h e i n n ä h e ' h a t t e dieser W i d e r s t a n d wegen der stärkeren T r u p p e n - u n d Polizeikonzentration (Benefiziarierposten) gewiß eine geringere B e d e u t u n g . 1
CIL XIII 3689. 2 CIL XIII 5295. a CIL XIII 6429. 4 Inschriften-Anhang Nr. 19. 5 CIL XIII 8274. •> Symm. or. 2, 16. 7 SHA vita quadr. tyr. 13,3. 8 Amm. Marc. 28, 2, 10; s. auch oben S. 125.
Klassenkämpfe
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Andererseits ist aber auch nicht zu bezweifeln, daß Bagaudenbevvegung, Desertionen von Soldaten und auch das Latrocinium den im Niedergang begriffenen spätrömischen Staat doch recht beträchtlich schwächten. Etwa seit der zweiten Hälfte des 4. J h . bekamen auch die germanischen Einfälle und Eroberungszüge in die römischen Provinzen am Rhein und an der oberen Donau tendenziell den Charakter von Klassenkämpfen. Die allmähliche Zerrüttung der militärischen und staatlichen Macht der niedergehenden römischen Klassengesellschaft im Rhein-Mosel-Land und in Rätien wurde j a in dieser Phase zu einem wesentlichen Teil durch die Kämpfe der germanischen Bauern und wenigstens eines Teils der germanischen Stammesaristokratie sowie zu Beginn der germanischen Staatsbildungen durch die germanischen Oberschichten bewirkt. Diese Auseinandersetzungen trugen daher inhaltlich den allmählich bestimmbaren Charakter von Klassenkämpfen zwischen den germanischen Bauern und Handwerkern der dort entstehenden Feudalgesellschaft einerseits und den herrschenden Klassen der untergehenden römischen Sklavenhaltergesellschaft andererseits. Auch die Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Klasse, zwischen der Munizipal- und Großgrundeigentümeraristokratie und zwischen der Zentralgewalt und den lokalen Mächtigen, waren nicht nur Ausdruck dieser Krise, sondern verschärften sie noch. Dekurionen, Kuratoren, Defensoren und andere Amtsträger, die die munizipale Ordnung und besonders die städtische Plebs gegen die zunehmende Machtkonzentration der Großgrundeigentümeraristokratie verteidigen sollten, hatten zuletzt alle versagt. Gewiß spielte bei der Betonung der Schutzfunktion der Zentralgewalt für die Städte durch einzelne Kaiser auch ihre soziale Demagogie eine bestimmte Rolle. Aber diese Politik läßt sich nicht völlig darauf reduzieren. Das zunehmende politische Gewicht der Großgrundbesitzeraristokratie war für die kaiserliche Macht eine reale Bedrohung geworden. Viele dieser Landmagnaten stimmten in ihren wirtschaftlichen und politischen Interessen nicht mehr mit den Interessen der Zentralgewalt überein. Diese suchte aus politischen Gründen die Städte und das städtische Land zu erhalten, um die Rekrutierung der Armee und die Steuerzahlung-zu sichern. Damit förderte sie aber zugleich jene Kräfte, die in Sklavereiverhältnissen immer noch einen Rückhalt fanden. Im 5. J h . gewannen die Bischöfe einen zunehmenden politischen Einfluß auf die Städte. Aber gerade sie und andere kirchliche Kreise gehörten mit zu den potentes, deren Einfluß auf die Munizipien die kaiserliche Zentralgewalt bisher in Grenzen zu halten versuchte. Die gallische Großgrundbesitzeraristokratie unterstützte allerdings zum großen Teil die weströmische Zentralgewalt, wahrscheinlich besonders deshalb, weil sie der Volksbewegung im Innern Galliens mit eigenen Kräften nicht Herr werden konnte. Aber einige Beispiele, wie sie sich aus der Politik des Usurpators Jovinus und einiger Begebenheiten nach dem Sturz des Kaisers Avitus in Gallien deuten lassen, offenbaren auch gegensätzliche Tendenzen, die in der Haltung gallischer Kreise gegen die Politik Ricimers, d. h. der Zentralgewalt, zum Ausdruck kommen.
IV. Zur Rolle der Religion unter besonderer Berücksichtigung des Christentums
In einer Übergangszeit, in der sich alle Widersprüche verschärften, insbesondere die sozialökonomischen und die politischen, sind Reflexe und Reflektionen dieser Widersprüche auch im Überbau zu erwarten. Allerdings hatte sich die Krise in den Rhein-Oberdonau-Provinzen nicht mit der gleichen Härte wie in denstärker romanisierten Gebieten des Römischen Reiches und auch erst später niedergeschlagen. Im folgenden wird nur- ein Ausschnitt aus dem breiten religiös-ideologischen Komplex herausgegriffen, allerdings ein besonders wichtiger. Ist doch das Christentum, das sich zunächst im Gegensatz zum römischen Staat entwickelte, dann aber gleichsam als ein Teil der Romanisierung in die auch entfernteren Provinzen drang, am Ende der römischen Herrschaft schließlich die Religion und die kirchliche Institution geworden, die im religiös-kultischen wie im kirchlieh-politischen Bereich, aber teilweise auch darüber hinaus, den Sieg davontrug und im Mittelalter beherrschenden Einfluß gewann.
1. Die Periode vor d e m Eindringen des Christentums In den zu behandelnden Gebieten ist es schon in gentilgesellschaftlicher Zeit zu mannigfachen Ausprägungen von Kult und Religion gekommen. Gewiß reicht die Menge der uns zur Verfügung stehenden historischen Zeugnisse nicht aus, um die Entwicklung bestimmter Kulte und religiöser Auffassungen im einzelnen zu verdeutlichen, am allerwenigsten für die Periode vor dein Beginn des römischen Einflusses. Und was sich aus dem Bereich der späteren nordkeltischen und nordgermanischen Entwicklungen als Vergleichsmateiial anbietet, ist für den hier in Frage stehenden chronologischen und geographischen Raum nur mit Vorsicht zu verwenden. a) Einheimische
Kulte und Gottheiten (vorrömische
Zeit)
F ü r unseren Bereich scheint so viel festzustehen, daß die ansässigen wie die durchziehenden keltischen, germanischen und illyrischen Bevölkerungsgruppen
Vor Eindringen des Christentums
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an Glaubensformen gebunden waren, die teilweise noch dem vorpolytheistischen Stand entsprachen. Der sowjet ische Ethnograph Tokarew 1 weist offenbar zu Recht auf die lang nachwirkende Existenz desTotemismus.der sich etwa in den Namen einiger germanischer Stämme oder in der Verehrung bestimmter Tiere äußert, die zumindest anfänglich Totemtiere gewesen sein dürften, bis ihr Kult allmählich blassere Formen annahm (Wolf; Rabe; B ä r ; Pferd). Bei den Kelten spiegelt die Existenz der Bärengöttin Artio, der Pferdegöttin Epona und des Schweinegottes Moccus eine ähnliche Entwicklung wider. Die Pferdeopfer bzw. -ganzbestattungen der Völkerwanderungszeit, die auch zu einem Vergleich mit „Vorläufern" wie der skythischen Kultur herausfordern, dürften als Relikt eines ursprünglich mit Equiden bzw. Pferden zusammenhängenden Totemismus anzusehen sein. Andere primitive Formen der kultischen Verehrung galten bei Germanen wie Kelten verschiedenen Naturphänomenen wie dem Wasser (Quellen), dem Feuer, den Himmelserscheinungen und Himmelskörpern, aber auch bestimmten, eng lokalisierten, mit wirkkräftigem Mana ausgestatteten Objekten wie heiligen Bäumen, Steinen oder Quellen. Ähnlich wie in anderen Gebieten gleicher Kulturhöhe haben sich zahlreiche Kulte miteinander und auch gegeneinander entwickelt, wobei Übergänge meist nicht klar zu erkennen sind. I n der Periode, die vonTacitus in der Germania geschildert wird, hat sich aus den erwähnten primitiveren Vorstufen allenthalben eine Entwicklung auf den Polytheismus hin angebahnt. Naturgeister und Dämonen sind individualisiert und personifiziert worden; während einige, ja ganze Gruppierungen wie die Elfen, Trolle, Nixen oder Gnomen einer relativ niedrigeren Stufe verhaftet bleiben, sind andere Geister zu Göttern ausgestaltet und damit auf eine Stufe gehoben worden, die sich dem „klassischen" Polytheismus wie dem Monotheismus näherte. Tacitus kennt drei germanische Hauptgötter, die er Merkur. Mars und Herkules nennt; sie entsprechen offenbar Odin (Wodan), Tvr (Ziu) und Thor. Andererseits nennt Tacitus die Göttin Isis, in der wir Frigg (Freva) zu sehen haben. Seit Cäsar ist aber auch die Verehrung von Sonne und Mond als den höchsten Göttern überliefert — und damit deutet sich eine Linie an, die zum spätantiken Sol-invictus-Kult, aber auch zum Christentum führt. Die germanischen wie keltischen Gottheiten, die vor allem als Reflex einer sich zur Klassengesellschaft entwickelnden Sippen- und Stammesordnung anzusehen sind, nahmen verschiedene Formen der Verehrung in Anspruch. Der Kult war vor allem bei den Kelten 2 genau geordnet.DasBerufspriestertum der Druiden führte zum sog. Druidismus, einer religiösen Institution, die später entwickelte kirchliche Formen (Hierarchie, Amtskirche) gewissermaßen schon vorwegnimmt. Die Druiden bildeten zwar keine erbliche Kaste, stellten aber doch 1
2
S . A . Tokarew, Die Religion in der Geschichte d,er Völker, Berlin 1968, 270. Vgl. auch K. Goldammer, in: F. Heiler, Die Religionen der Menschheit. Stuttgart 1959, 79 ff. Hierzu S. A. Tokarew t). O. 290-290. Vgl. K. Goldammer, in: F. Heiler a. O. 5 4 2 551.
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Rolle der Religion
zusammen mit der weltlichen Aristokratie, zu der sich enge persönliche Verbindungen ergaben, eine privilegierte Oberschicht dar. Aus der Mitte der Druiden wurde der Oberpriester bestellt, der auf Lebenszeit über die ganz Gallien unifassende Organisation herrschte. Die Autorität der Druiden gründete sich auf ihre umfassende Position als Opferpriester, Wahrsager und Heilkundige, die durch Festsetzung von Menschenopfern und Teilnahme an Prozessen bedeutenden Einfluß auf die breiten Massen der Bevölkerung ausübten. Mit den Druiden stehen die bei den Opfern assistierenden Euhagen sowie die sog. Barden in Zusammenhang. Mit ihren Gesängen haben die Barden offenbar auf ekstatische Zustände hingeführt, so daß sie mit dem Schamanismus in Zusammenhang zu bringen sind. Einzelheiten dieses für europäische Verhältnisse doch seltenen schamanistischen Phänomens sind kaum bekannt. 1 Trotz der straffen Organisation des Druidentums und der von ihm getragenen offiziellen Religionsformen ist die Entwicklung der Kulte bei den Kelten keinesfalls einheitlich gewesen. Der Glaube an eine Seelenwanderung, an ein Fortleben nach dem Tode war wohl genieinkeltisch. Man stößt auf Vorstellungen einer unterirdischen Totenwelt, aber auch einer Insel der Seligen; ein leuchtendes Land, eine Art Elysium, und ein Jugendland der Feen wurde besonders von den Inselwelten beschrieben.'- Wenn man sich diesen überirdischen Welten durch Entrückung zu nähern versuchte, so dürfte dies am ehesten wieder unter Mitwirkung von Schamanen möglich gewesen sein. Viele der keltischen und ebenso der germanischen Gottheiten bleiben aber auf bestimmte Gebiete beschränkt, sind mithin als Lokal-, Sippen- oder Stamniesgottheiten anzusprechen. Bereits die Götternamen weisen oft auf enge Beziehungen zu gentilizischen Gruppierungen hin. Bei den Allobrogern wurde ein Gott Allobrox verehrt, während die Arverner den Arvernorix und die Nervier die sog. Nervinen anbeteten. Einige der lokalen Gottheiten gewannen allmählich übergreifende Bedeutung, so Mogons, der Gott der Mogontiaker, der auch in Zentralgallien Anerkennung fand. Viele der keltischen Gottheiten, so etwa die meist in der Dreizahl auftretenden Matronae, wurden auch im Rheinland bzw. im keltisch-germanischen Grenz- und Mischgebiet verehrt. Der endgültige Niedergang der keltischen Religion, deren Kernstück, der Druidismus, bereits von den ersten Kaisern bekämpft worden ist, war mit dem Vordringen des Christentums nach Gallien und in die Rhein-Donau-Gebiete aufs engste verknüpft. Die sog. spätkeltischen Viereckschanzen und entsprechende hölzerne Umgangstempel zeugen jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, von der Resistenz der oft synkretistisch veränderten keltischen Religion bis ins 3. und 4. J h . hinein.'1 1
2 3
Zum Schamanismus vgl. allgemein: M. Eliade, Schamanismus und archaische Ekstasetechnik, Zürich u. Stuttgart 1957; H. Findeisen, Schamanentum, Stuttgart 1957; G. Widengren, Religionsphänomenologie, Berlin 1969. E . Goldammer a. O. 549. K. Schwarz, Atlas der spätkeltischen Viereckschanzen Bayerns. Pläne und Karten, München 1959; J . A .'Fischer, Jb. für Altbayr. Kirchengesch. 1963, 23.
Vor Eindringen des Christentums
361
Die in der keltischen Religion üblichen Blutopfer begegnen weithin auch im Bereich des germanischen, oft eben keltisch überschichteten Kultes der hier zu behandelnden Gebiete. Priesterinnen, die neben Seherinnen häufig als einzige offizielle Kultdiener auftauchen, hatten schon bei den Kimbern Kriegsgefangene zu opfern, um aus Blut und Eingeweiden zu weissagen.1 Die Mantik spielte überhaupt eine wichtige Rolle und orientierte sich vor allem am Vogelflug, am Verhalten heiliger Pferde und an den Aussagen der zu Orakeln benutzten Runen. Den offiziellen Kult der Stämme, der meist mit den StammesvQrsammlungen verbunden wurde, vollzog man normalerweise in heiligen Hainen oder Wäldern (so bei den Batavern, Friesen und Cheruskern). Solche örtlichkeiten konnten übergreifende Bedeutung erhalten und als besonders tabuiert gelten, wenn mehrere Stämme sich einem Heiligtum zugehörig empfanden. Das galt für den Hain im Lande der Semnonen,der zur Kultstätte des gesamten Suebenbundes wurde, auch für das Heiligtum der Nerthus, die Schutzgöttin von sieben auf der Halbinsel Jütland lebenden Stämmen war.'Während der Kult der Sippengötter, zu denen man ein nahes Verhältnis hatte, im Wohnhaus oder im eigenen Opferhaus nach althergebrachten Riten vollzogen wurde, wobei sich Opfer und Fest koppelten (Winter- und Sommeranfang, Julfest) und das Ganze wohl mehr einem fröhlichen Gelage als einer ernsten Kulthandlung glich, überwog bei den offiziellen Kulthandlungen für die Stammesgötter oder die Gottheiten von übergreifender Bedeutung doch wohl das ernste oder tragische Element. Im Namen der Götter wurden Verbrechen geahndet und Strafen vollzogen, unter bestimmten Umständen sogar an führenden Persönlichkeiten (Königsopfer). Hierbei trat mit der Zeit neben dem Gentiladel eine mehr oder minder stark ausgebildete Priesterschaft in Erscheinung, die neben oder über den zauberkundigen Frauen (Seherinnen) steht. So wie ursprünglich die Sippenältesten wurden nun die Priester zu den Hauptgaranten der Kultgemeinschaft, die meist mit der sozialen und politischen Gemeinschaft identisch war. Wie auf den meisten Vor- und Frühstufen religiöser Entwicklung ist dabei oft ein besonderer Heiligkeitscharakter, so der Sippe oder der politischen Gemeinschaft oder besonderer Örtlichkeiten, statuiert worden. Zahlreiche Tabus wurden in diesem Zusammenhang begründet, an die besonders die Priester selbst (die die Riten und die Runenweisheit kannten, die Hymnen sangen und die Beschwörungen aussprachen) gebunden waren. 3 Die antiken Quellen (Tacitus, Strabon) berichten viel Merkwürdiges von ihnen, das oft in der nordgermanischen Entwicklung (Völuspa) Nachhall und Widerklang findet. Während Namen männlicher Priester nur selten sicher überliefert sind, hat das Interesse der beteiligten Quellen auffällig viele Namen von Seherinnen gesammelt (Völva; Veleda. ' Strab. 7, 2, 3. Tac. Germ. 40. 3 Die mit Magiern oder Schamanen zumindest vergleichbaren Priester durften beispielsweise keine Waffen tragen und nicht auf einem Hengst reiten. Ähnliches gilt 2
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Rolle der Religion
Schon die Ausgestaltung führender Gottheiten wie Wodan und Thor, die natürlich nicht auf die uns besonders interessierenden Gebiete im engeren Sinne zu lokalisieren sind, offenbaren vieles vom düsteren Hintergrund der germanischen Götterwelt, der sich in der Vorstellung von einer Götterdämmerung und einem Weltuntergang — freilich mit folgender Auferstehung und Erneuerung — verdichtet. Hier-zeigt uraltes Traditionsgut um den sterbenden und wiederauferstehenden Fruchtbarkeitsgott Baidur (den man etwa mit Adonis oder OsirisSarapis vergleichen könnte), der gegen die Mächte der Dunkelheit und des Todes kämpft, Anklänge an Elemente christlicher Apokalyptik. Auch der Wodan der westgermanischen Stämme, der dem nordgermanischen Odin entspricht, ist eine komplizierte Göttergestalt. Als Gott des Sturmes Personifikation von Naturkräften, taucht er doch auch als Gott der Toten und Herr des Jenseits auf. Wie Tokarew hervorhebt, 1 ist Wodan offenbar in der Periode der ständigen Kämpfe der Stämme und Völkerschaften gegeneinander, als sich die militärische Demokratie zu hoher Blüte entfaltete, an die oberste Stelle im germanischen „Olymp" gerückt. Wodan galt auch als Gott der Raserei, worin sich Spuren des Schamanismus zu zeigen scheinen. Die späte Vorstellung vom Wilden Jäger ist. ein letzter Abglanz dieser anfangs wichtigen Funktion. Auf dieser Entwicklungsstufe tauchen bei Germanen und Kelten neben Naturund Himmelsgöttern nun auch solche Gottheiten auf, die für den Krieg zuständig waren. Den keltischen Kriegsgöttern wie Esus und Teutates entspricht bei den Germanen vor allem Wodan (Odin). Über Walhall gebietend, empfängt er dort die Seelen tapferer Krieger, die von Walküren zu ihm geleitet werden. Ist diese Ansicht in der nordgermanischen Mythologie besonders entwickelt, so dürfte sie doch auch schon bei den Westgermanen unserer Periode eine gewisse Ausprägung erfahren haben. Natürlich konnte sich das Prädikat des Kriegsgottes verschiedenen Gottheiten anheften. Das wurde in dem Moment besonders aktuell, als die Römer die Rhein-Donau-Provinzen fest in ihren Machtbereich eingliederten und den Unterworfenen wie auch den im weiteren römischen Interessengebiet Ansässigen die Möglichkeit gaben, sich mit Hilfe einer Interpretatio Celtica bzw. Germana heuer Gottheiten zu bemächtigen, die Schutz gewähren konnten. Das galt für Mars, später aber auch für Mithras und Sol invictus. In ungleich schwächerem Maße nur kann mit einer Interpretatio Romana keltischer oder germanischer Gottheiten gerechnet werden, obwohl sich diese Mächte im begrenzten Umkreis alter Lebensräume nicht nur behaupten mochten, sondern auch unter den neuen römischen und orientalischen Siedlern Anhänger finden konnten. für die Seherinnen, die mit Leinen bekleidet waren, normalerweise Bronzegürtel trugen, die mit religiösen Symbolen geschmückt waren, und meist auch durch einen Stab (walu; Name Walburga) gekennzeichnet waren, i S. A. Tokarew a. O. 280.
Vor Eindringen des Christentums b) Synkretismus
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(seit beginnender Kaiserzeit)
Unsere Kenntnis der Götterverehrung in den Rhein-Oberdonau-Provinzen stützt sich weithin auf die Bodenfunde, besonders auf Inschriften und Grabmonumente, in geringerem Umfang auch auf Kleinfunde aus verschiedenem Material. Die literarischen Quellen bieten außer den erwähnten Andeutungen (Cäsar, Tacitus) nicht viel: speziell die christliche Literatur gibt, soweit sie sich überhaupt mit dem Heidentum in diesen Gebieten befaßt, überwiegend polemisch verzerrte Information. Sie kann nur gelegentlich von Nutzen sein. In einem Grenzgebiet, wie es die Pfalz darstellt, finden wir in den ersten Jahrhunderten u. Z. einen deutlichen religiösen Synkretismus. Zunächst überwiegen, bei den oft zu mehreren gemeinsam verehrten Gottheiten, keltische und germanische Züge, lediglich die Benennung weist eben durch das Medium der Sprache auf beginnenden römischen Einfluß und Interpretatio. Romana hin. So werden auf einem Stein des Speyerer Museums, der wahrscheinlich aus der Westpfalz stammt, Mars und Diana dargestellt, Mars mit Lanze, Diana mit Köcher ausgestattet. In diesem Götterpaar sind wohl keltische Schützgottheiten zu sehen. Ihre auf Krieg und Jagd weisenden Attribute sind nicht zu übersehen. Dasselbe gilt für Darstellungen der keltischen Gottheiten Teutates, Esus und Taranis, deren Kult nach Aussage von Lukans Pharsalia mit Menschenopfern verbunden war.1 Sie werden oft mit Mars, Merkur und Jupiter gleichgesetzt. In diesem Zusammenhang ist auch ein meist als Smertrius benannter Gott wichtig, der z. B. auf einem Denkmal von Freckenfeld in der Zwittergestalt von Mars (mit Schwert) und Herkules (mit Keule) erscheint. Es gibt auch Denkmäler (mit Inschriften), die Mars und der im einzelnen strittigen Göttin Nemetona gemeinsam geweiht worden sind. Neben den kriegerischen Gottheiten stehen — weit über das Rheingebiet verbreitet — die sog. Heilgottheiten, z. B.Apollo, Grannus und Sirona. An Grannus' Stelle tritt Apollo auf, während Sirona auch durch Diana abgelöst wird. Zu den Fruchtbarkeitsgöttern leitet die auch aus dem zentralgallischen Raum bekannte Pferdeschutzgöttin Epona über. Sie wird z. B. auf einem Relief von Limbach, das sich im Museum Saarbrücken befindet, auf einem Thron sitzend dargestellt, mit einem Fruchtkorb und je einem Pferd zur Seite. 2 Gelegentlich wird sie auch selbst als Reiterin dargestellt. Besonders wichtig und weitverbreitet ist der Matronenkult gewesen. Die Matronen, deren Verehrung zumindest auch mit italischen Vorbildern zusammenhängt, sind Landschafts-. Orts- und zuweilen auch Familiengottheiten. Meist tauchen sie in Triaden auf, und zwar gern mit Fruchtkörben (Abb. 90). Auch Bronzeplättchen mit Phallusdaistellungen weisen auf die Matronen als Garanten für die Fruchtbarkeit hin. Besonders im Niederrheingebiet wurden die Matronae viel verehrt. — Im gut ausgegrabenen Gebiet des antiken Novaesium (Neuß) ist die Verehrung von Matronae besonders 1
Sprater Pfalz T. 2, 36. Sprater Pfalz T. 2, 49.
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Rollo der Religion
deutlich geworden. I n s c h r i f t l i c h e r g a b e n sich H i n w e i s e auf eine bisher u n b e k a n n t e « M a t r o n a A u s t r i a h e n a . E i n größerer K u l t b a u u n d ein Weihestein a u s Muschelk a l k beziehen sich e b e n f a l l s auf M a t r o n e n v e r e h r u n g . T y p i s c h ist hier die V e r e h r u n g einzelner M a t r o n e n , so einer A m m e m i t einem kleinen K i n d auf dem A r m . 1 A u c h H e r e e u r a , eine U n t e r w e l t g ö t t i n , wird als sitzende F r a u m i t einem F r u c h t k o r b auf dem S c h o ß dargestellt. Die lokale u n d territoriale Vielfalt u n d Vielgestaltigkeit dieser weiblichen G o t t h e i t e n m u ß , wie wir bereits dem m a n g e l h a f t überlieferten Material e n t n e h m e n k ö n n e n , erstaunlich gewesen sein. D a r a u s l ä ß t sich auf e n t s p r e c h e n d e religiöse B e d ü r f n i s s e schließen: Die Massen der keltischen u n d g e r m a n i s c h e n L a n d b e v ö l k e r u n g , die h ö c h s t e n s äußerlich v o n der R o m a n i s i e r u n g b e r ü h r t w a r e n , w a n d t e n sich eher a n v e r t r a u t e u n d seit langem b e k a n n t e G o t t h e i t e n als a n solche, die a u s der F r e m d e k a m e n u n d zu d e n e n m a n keinerlei V e r h ä l t n i s h a t t e , von d e n e n m a n sich infolgedessen a u c h n i c h t s zu erh o f f e n w a g t e . E t w a s a n d e r s v e r l ä u f t die E n t w i c k l u n g erst m i t dem allmählichen E i n d r i n g e n der h a u p t s ä c h l i c h orientalisch b e s t i m m t e n M y s t e r i e n k u l t e u n d -religionen, die a u c h im R h e i n - D o n a u - G e b i e t einen gewissen W a n d e l in diesem Bereich bewirkt h a b e n m ü s s e n . D o c h dieser P r o z e ß w a r langwierig, u n d ehe es so weit k a m , w u r d e die — d u r c h synkretistische T e n d e n z e n , d e n e n a u c h die B e h ö r d e n nolens volens d u l d s a m g e g e n ü b e r s t a n d e n , g e f ö r d e r t e — Vielfalt d e r G ö t t e r u n d der K u l t f o r m e n i m m e r größer. W i e auf vielen a n d e r e n Gebieten m a c h t e sich in diesen G r e n z p r o v i n z e n , in d e n e n die R o m a n i s i e r u n g vor allem in S ü d - N o r d - R i c h t u n g verlief, a u c h in der Religion die allmähliche A n p a s s u n g a n m e d i t e r r a n e Vorbilder auf e n t w i c k e l t e r S t u f e b e m e r k b a r . D a b e i d ü r f t e ein g e m e i n s a m e r G r u n d z u g der römischen, keltischen u n d g e r m a n i s c h e n Religion als wesentlich zu v e r m e r k e n sein, den m a n wohl a m besten m i t d e m E t i k e t t do ut des versieht, also die a l t e Zielsetzung, d u r c h Gebete, O p f e r u n d a n d e r e F o r m e n des G o t t e s d i e n s t e s e t w a s B e s t i m m t e s zu erreichen u n d sich sichtliche Vorteile von höheren M ä c h t e n zu v e r s c h a f f e n oder Nachteile d u r c h sie a b z u w e n d e n . Diese Zielsetzung ist erst in den Mysterienreligionen v e r ä n d e r t bzw. sublimiert w o r d e n . A m d r a s t i s c h s t e n wird sie wohl bei d e n e r w ä h n t e n F r u c h t b a r k e i t s k u l t e n o d e r a u c h bei der V e r e h r u n g solcher G o t t h e i t e n deutlich, die m a n am ehesten als erwerbs- oder b e r u f e v e r b u n d e n bezeichnen k a n n . E s w a r dabei gleichgültig, ob der H a n d e l s g o t t e c h t römisch als M e r k u r (mit Geldbeutel) dargestellt u n d gedac h t w u r d e oder o b m a n ihn mit einem a n d e r e n , der B e v ö l k e r u n g v e r t r a u t e r e n N a m e n versah. Die D a r s t e l l u n g e n sind je n a c h der Örtlichkeit künstlerisch wertvoller oder rustikaler, obwohl die ikonographische A u s g e s t a l t u n g u n d die A u s s t a t t u n g der G ö t t e r m i t b e s t i m m t e n E m b l e m e n meist v e r b l ü f f e n d einheitlich erscheinen. D e r G o t t , den wir normalerweise als V u l k a n bezeichnen, ist o h n e H a m m e r k a u m d e n k b a r . O f t wird ihm a u c h die Z a n g e beigegeben, w ä h r e n d kein E m b l e m 1
v. Petrikovits Rheinland 126f. Aufschlüsse zur Problematik der Matronen geben auch: H.-G. Kolbe, Bonner Jbb. 160(1960) 5 0 - 1 2 4 ; L. Weißgerber, ebd. 162 (1962) 108.
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auf das Töpfergewerbe verweist, für das er ja auch zuständig war. Insehriftliche Weihungen an Vulkan zeigen jedoch, daß man von ihm auch Schutz vor Feuersbrünsten erwartete. Es handelt sich hier also um eine Gottheit mit mehreren möglichen Funktionen, von der man berufliche Vorteile (Metallverarbeitung; Töpferhandwerk) oder allgemeinere Hilfe erwartete. Es liegt nahe, in ihm einen Vorläufer späterer Schutzheiliger (Nothelfer) zu sehe: . Minerva, obwohl überwiegend Schutzgöttin von Handel und Gewerbe, erscheint nie ohne Lanze und Schild. Der Vielfalt und Üppigkeit der Verehrung ist vor allem im privaten Bereich kaum eine Grenze gesetzt worden. Ein Beispiel für die Verherrlichung eines drgiastischen Gottes mit entsprechendem K u l t stellt das sog. Dionysosmosaik in Köln dar, das 1941 entdeckt worden ist (Abb. 92—94). Dieser große „steinerne"' Teppich, Ende des 2. Jh. entstanden, bildete den Fußboden im Speisesaal eines Palastes, der möglicherweise einem reichen römischen Händler gehörte. A n diesem Mosaik wird vor allem die Sinnenfreude des spätrömischen religiösen Synkretismus deutlich: Das Hauptmotiv ist der trunkene Dionysos, der sich auf einen Satyr mit Thyrsos stützt. Ein farbenprächtiger Kantharos liegt daneben umgestülpt am Boden. U m das Mittelbild gruppiert sich der dionysische Reigen: Satyrn, die Mänaden zu fangen suchen, daneben Amor, auf einem Löwen reitend. Dann sehen wir einen weiblichen Leoparden, der dem Gott heilig ist, und in seiner Begleitung den bocksfüßigen Pan mit einem Ziegenbock. Die Koniposition konzentriert im Mittelfeld auf das Kultische, das Dionysosbild, während in den Randfeldern die gelockerte Sphäre des bacchischen Reigens und der weltfreudigen Festlichkeit, die vor allem in musikalischen Szenen und üppigen Schwelgereien dargestellt ist, vorherrschend wird. 1 Auch die kriegerischen Gottheiten, vor allem Mars und Victoria, tauchen in den Grenzgebieten häufig auf. Erst allmählich erfolgt eine gewisse Ablösung durch Sol invictus und Mithras. Mars trägt nicht nur Lanze und Schild, sondern ist meistens gepanzert. Neben ihm befindet sich manchmal ein Gefangener; er ist auch zuweilen mit Victoria zusammen dargestellt, was sich schon aus ihrer „sachlichen" Verwandtschaft erklärt. Auch die Kaiser und die Angehörigen des' Kaiserhauses wurden in diesen Provinzen verehrt. Meist jedoch sind die Denkmäler, die Inschriften mit der Anrufung der Kaiser enthalten, anderen Gottheiten geweiht. Die Victoria Augustprum ist allerdings wohl des öfteren separat dargestellt worden; fragmentarisch erhalten ist ein Monument aus Schlossau (Museum Karlsruhe), auf dem sich die Gottheit zusammen mit Hygieia und einer Kriegergestalt — die den Kaiser oder auch Mars darstellen könnte — abgebildet findet. Die meisten dieser Weihungen entstammen der frühen Kaiserzeit, so auch die nicht seltenen Monumente für Iupiter Optimus Maximus, deren wichtigste die in Mainz gefundene, 12,50 m hohe Jupitersäule darstellt, die unter Nero gesetzt worden ist (Abb. 95). Auf dem Unterbau aus zwei vierseitigen Sockeln befand sich eine Säule aus fünf Trommeln, die ein Steinpostament mit einer bronzenen Statue des Gottes trug. Der reiche Reliefschmuck der Säule weist auf die 1
La Baume Colonia 29ff.
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Rolle der Religion
„Segnungen" der römischen Herrschaft hin, die dem kaiserlichen Regiment zu verdanken seien. Relikte des Jupiterkultes sind in letzter Zeit zahlreich aufgefunden worden: Im heiligen Bezirk, der zur „Festungsvorstadt" von Novaesium gehörte, standen mindestens zwei dieser Jupitersäulen. Allein im Stadtgebiet von Novaesium fand sich eine weitere Kultsäule. Auch in Iuliacum (Jülich) ist der Jupiterkult durch eine Säule nachgewiesen. Anderwärts fanden sich R e s t e von Heiligtümern der kapitolinischen Trias. 1 Ein anderes Element enthalten die Denkmäler, die dem Iupiter Dolichenus, der auf einen kleinasiatischen Himmels- und Blitzgott zurückgeht, geweiht sind. Diese Gottheit hatte eine lange Geschichte hinter sich, bevor sie durch Soldaten aus Komniagene auch in die Rhein-Donau-Provinzen übertragen wurde. Züge eines semitischen Baal hatten sich im Iupiter Dolichenus mit solchen des Ahuramazda-Kultes und des Zeus Oromasdes verbunden. E r wurde auf einem Stier stehend mit Doppelaxt und Blitz gepanzert dargestellt. Als Soldatengott zeigt er sich, da er von einer Victoria bekränzt wird, während die Anordnung von Sol und Luna, ggf. auch Isis neben ihm, mehr auf einen kosmischen Zusammenhang hinzudeuten scheint. Seine Heiligtümer im Rheinland (Köln, Bonn, X a n t e n . Remagen) und in Bayern (Pfünz, Boiodurum) beweisen, daß er, neben dem kapitolinischen Jupiter und den anderen Staatsgöttern, deren K u l t sich hauptsächlich auf Provinzhauptstädte und sonstige Vororte sowie Lagervorstädte wie Köln, Trier, Mainz, Rottweil oder Augsburg konzentriert haben dürfte, eine eigenständige Rolle spielte. Die Romanisierungspolitik der frühen Kaiserzeit stützte sich im wesentlichen auf die Städte. Dies Bild wird von religionsgeschichtlicher Seite her bestätigt. Die Durchdringung der römischen Provinzen an Rhein und oberer Donau mit den antiken Eigentumsformen wird vom zunehmenden Einfluß des römischen Kultwesens, wenn auch oft in der Interpretatio Romana älterer keltischer oder germanischer Kulte, begleitet. Das Land in diesen Provinzen war weitgehend Veteranenland; Gottheiten mit kriegerischen und mit schützenden Funktionen spielten dort demnach «iine besondere Rolle. c) Mysterienkulte
(seit dem, 2. Jh.)
Auch die Mysterienkulte, die vor allem mit Kybele, Isis und Mithras zusammenhängen, sind iin wesentlichen durch Funde aus städtischen Gebieten belegt. Der durch Griechenland und R o m auf europäische Verhältnisse zugeschnittene Isiskult, durch die Zusammenordnung mit Osiris, Sarapis, aber auch etwa Iupiter Dolichenus auf Synkretismus hin angelegt und in vieler Hinsicht ausweitungsfähig, zeigt andererseits durch seinen Mysteriencharakter viele, wenn nicht alle Anzeichen eines Geheimkultes. E s braucht hier nur an die entsprechenden Darstellungen bei Plutarch und Apuleius 2 erinnert zu werden. Mysterienweihen für 1 2
v. Petrikovits Rheinland 125. Plut. de Iside et Osiride; Apul. Metamorph!
Vor Eindringen des Christentums
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Isis kamen auch im Rhein-Donau-Gebiet frühzeitig vor, sicher auch unter den Germanen. Wenn Ammianus Marcellinus erwähnt, daß der Dux Mederich, der um 350 als Geisel in Gallien gelebt hatte und dort in die Mysterien eingeführt worden war. seinen Sohn Agenarich in Serapion umbenannt habe, 1 so ist das sicher ein auffallendes, aber religionsgeschichtlich bereits spätes Ereignis, da die Mysterienkulte damals längst im Schwinden waren. Isis als „olympische" Göttin neben Jupiter usw.. oft mit Diadem und Szepter ausgestattet, ist bald zusammen mit den anderen Göttern dahingeschwunden. Eine Nachwirkung der Göttin findet sich am ehesten in der Mutter Isis mit dem Horusknaben, die — ähnlich wie verschiedene Matronen — in der christlichen Madonna weiterleben konnte. Natürlich hat Isis auch ältere Gottheiten in sich aufnehmen können, so in Noricum die Noreia. die eine „primitive Muttergottheit" gewesen sein dürfte.-; Immerhin hat es in diesen Grenzgebieten noch lange Zeit Isisheiligtümer wie Mithräen gegeben, da Weihungen sonst nicht möglich gewesen wären. Kürzliche Ausgrabungen haben auch die Ausweitung des Kultes der Großen Göttermutter ( = Kybele) (Abb. 96) im Rheinland sowie in Bayern (z. B. Gauting) gezeigt. In Neuß wurde eine fossu sanguinis, ein Taufkeller, ausgegraben, in dem offenbar das sog. Taurobolium vorgenommen worden ist, durch das der Myste mit der Gottheit verbunden wurde. H. v. Petrikovits vermutet, 3 daß, zumindest im Gebiet von Novaesium. der ältere Matronenkult von dem der Kybele abgelöst worden ist. Das würde darauf hindeuten, daß in dieser Zeit für breite Bevölkerungsschichten ein orgiastischer Kult, wie es der der Kybele war, weit stärkere Anziehungskraft besaß als der schlichte Matronenkult. Dieser Entwicklung entsprach auch ein wachsendes Interesse für die Religion des Mithras. Die Zahl der Mithrasverehrer muß. nach der Menge der Funde und Heiligtümer (Saalburg; Dieburg; Heddernheim [Abb. 97]; Wiesbaden: Neuenheim; Gimmeldingen; Trier: Köln) zu urteilen, besonders groß gewesen sein, vor allem bei den Heereseinheiten, aber auch bei Händlern und Kaufleuten. Als „Berufsgott" der Soldaten eignete sich dieser iranische Gott besonders: Er war der unbesiegbare Sonnen- und Lichtgott, Symbol der Reinheit und Keuschheit. 4 Wer sich ihm anschloß, mußte einen Eid ablegen und sich auf die Tugenden Gehorsam, Treue und Wahrhaftigkeit festlegen. Der Gott forderte ein besonderes Engagement, das Risiko ständigen Kampfes gegen die Dämonen: Ein solcher Einsatz war Soldaten am ehesten verständlich, andererseits kam es auch dem imperialen römischen Interesse entgegen, wenn sich für die Soldaten auf diese Weise ; hr Kampf im Krieg, in diesen Gegenden also gegen die Germanen, verband mit dem Kampf gegen die Gestalten der Finsternis. Es ist kein Zufall, daß 1 2
4
Amin, Marc. 16, 12, 25, s. auch oben S. 101 A. Lippold u. E. Kirsten, RAC 4 (1959) 162, s. v. Donauprovinzen. v. Petrikovits Rheinland 129f. Zum Mithraskult M. J. Verinaseren. Mithras. Geschichte eines Kultes, Stuttgart 1965; F. Cumont, Textes et monuments figurös relatifs aux mystères de Mithra, 2 Bde. BrCssel 1896-1898.
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Holle der Religion
sich auch einige Kaiser des 2 . - 4 . Jh. in die Mithrasmysterien haben einweihen lassen (Comniodus, Diokletian, Galerius, Licinius), während sich andere dein mit Mithras verwandten Sol invictus weihten (Aurelian). W e n n Soldaten dem Kaiser in diesem P u n k t e folgten, mag das o f t sogar mehrfache Gründe gehabt haben. D i e herrschende Klasse propagierte den Gott als Schützer des Kaisers und damit des Reiches, und die Soldaten suchten deshalb auch selbst engere persönliche Beziehung zu ihm. Der gerade in den nördlichen Grenzgebieten verbreitete Gefolgschaftsgedanke dürfte dazu einen weiteren Anreiz gegeben haben, ebenso aber auch die Spekulation auf eine Förderung durch Vorgesetzte und Kaiser, die demselben K u l t anhingen. T r o t z der Schwierigkeiten, bis zu einem höheren Weihegrad — etwa dem des L ö w e n , durch den man die endgültige Teilnahme an Mysterien erlangte — vorzudringen, übte der Mithraskult eine starke Anziehungskraft aus. Je nach den örtlichen Gegebenheiten ordnete er sich auch andere Gottheiten zu, so in der Pfalz den Mercurius Cissonius. 1 Überhaupt ist eine engere Verbindung des Mithraskultes mit der olympischen Götterwelt nicht zu übersehen, obwohl das iranische Element normalerweise völlig überwiegt. Mithras ist der Mittler der Menschen bei Ahuramazda (manchmal =
Saturn), wenn s i e g e g e n die D ä m o n e n
Ahrimaris. die vor allem durch den Stier symbolisiert werden, k ä m p f e n ; sie dürfen dann ein gnädiges Gericht und am E n d e der W e l t auch die leibliche A u f erstehung erwarten. D i e W e i h e n mit den verschiedenen Weihegraden
(Rabe.
Greif. Soldat. L ö w e , Perser, Sonnenläufer, V a t e r ) , die Liebesmahle und andere Eigentümlichkeiten des K u l t e s sind die Stationen der Bewährung für die Mysten des felsgeborenen Gottes, der sich gleich Herkules durch W u n d e r (Wasserwunder) und durch die T ö t u n g des Stieres — die durchgängig Gegenstand des K u l t bildes ist — bewährt. Zur Begleitung des Mithras gehört meist außer den N e b e n figuren, denen die Weihegrade entsprechen, der Sonnengott (Helios — Sol) mit seiner Quadriga. N e b e n seiner natürlichen Anziehungskraft haben verschiedene Ähnlichkeiten des Mithraskultes mit dem Christentum (Liebesmahl: H i m m e l fahrt und W i e d e r g e b u r t ) zu heftigen Reaktionen der Kirche geführt. Diese Reaktionen der Kirche sind wohl nicht zuletzt auch auf die dem Mithraskult. noch stärker dann aber dem K u l t des Sol invictus innewohnenden henotheistischen Züge zurückzuführen, die die christliche Kirche als ernste Konkurrenz empfand, ganz besonders, seit Sol invictus 307 zum Reichsgott erklärt wurde. Der zeitig einsetzenden Bilderstürm er ei sind leider zahlreiche inschriftliche und monumentale Überreste der Mithrasreligion in R o m wie auch in den RheinOberdonau-Provinzen zum Opfer gefallen. Ks ist vei mutet worden, daß Beigaben von Kölner Gräbern v o m E n d e des 3. und A n f a n g des 4. Jh.. die aus Miniaturnachbildungen landwirtschaftlicher Geräte und chthonischer Tiere ( K r ö t e n . Eidechsen. Schlangen) bestehen, auf eine starke Anhängerschaft des Mithrasglaubens gerade im Raum Köln verweisen. H. v. P e t r i k o v i t s macht jedoch wahrscheinlich, daß diese Relikte auf eine 1
¡Sprater Pfalz T . 2. 6C.
Christianisierung
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vorläufig nicht genauer einzuordnende gnostische, neuplatonische oder auch chi'istliche Sekte hinweisen, die im Gebiet von K ö l n eine besondere Rolle gespielt haben muß. 1 Das Beispiel verdeutlicht, wie unsicher archäologische Zuweisungen von Relikten uneindeutiger Symbolik sein können, zumal in einer Krisen- und Übergangszeit. wie es gerade j a auch der Beginn des 4. J h . in den Rhein-Oberdonau-Provinzen auf dem Gebiet der Religion ist. I n den Städten vor allem begann sich das Christentuni immer stärker durchzusetzen, aber auf dem Land, dessen Bevölkerungszahl die relativ wenigen städtischen Inseln sicher übertroffen hat, hielten sich sowohl primitive heidnische K u l t e , die durch barbarische Zuwanderer aus Ost und Nord immer wieder R ü c k halt oder auch neue Impulse empfingen, wie auch die soeben erwähnten entwikkelteren Kulte der Mysterienreligionen. Diese allerdings spielten unter römischem Einfluß vor allem auch in den Städten noch eine nicht unwesentliche Rolle. E s ist aufschlußreich, daß z. B . in Novaesium (Neußj unter Konstantin I . für die Religion der Großen Göttermutter (== Kybele) eine fossu sanguinis gebaut und daß der Altar für die „Isis mit den zehntausend B e i n a m e n " — an dessen Stelle später die Kölner Friedhofskirehe St. Gereon trat — noch nach 345 für Opfer benutzt werden konnte. Manche städtischen Territorien, die weit abseits der Siedlungsmittelpunkte lagen, dürften normalerweise in religiöser Hinsicht der rustikalen Umwelt verhaftet geblieben sein.
2. D e r Prozeß der Christianisierung Die neue Religion, die zunächst neben Judentum und Mysterienreligionen zweifellos nur als eine unter vielen östlichen Kulten angesehen wurde, dringt relativ zeitig in den Rhein-Donau-Raum vor. Bereits für das 2. J h . macht Irenaus von Lyon'- auf christliche Gemeinden in Obergermanien aufmerksam, und wir haben trotz der bisher ausstehenden archäologischen Bestätigung 3 kaum Grund, diese Behauptung zu bezweifeln. Mit den Händlern. B e a m t e n und vereinzelt vielleicht auch schon mit den Soldaten kam der neue K u l t , auf denselben Wegen wie manche Vorgänger, rhöneaufwärts ins Mosel- und Rheingebiet. Auch von Aquileia und Mailand aus ergaben sich Möglichkeiten für seine Ausbreitung nach Norden. Gegen die Konkurrenz 1 der staatlichen Kulte, der Mysterienreligionen und der alten einheimischen Gottheiten konnte sich das Christentum zunächst aber offenbar nur schwer behaupten, geschweige denn durchsetzen. Der Prozeß seiner Ausbreitung war auch bei weitem langsamer und noch weniger eindeutig als etwa in Kleinasien oder Nordafrika, als in Italien oder Gallien selbst. Das kann nicht allein am Grenzcharakter der hier zu behandelnden Gebiete liegen. Zumindest wirkt auch der überwiegend rustikale Charakter des Donaugebietes und der rechtsrheinischen Territorien und die Unwegsamkeit solcher Gebiete wie des 1 2
24
v. Petrikovits Rheinland 134f. Irenaens, adv. haeres. 1. 10. '•'• v. Petrikovits Rheinland 137. Römer
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Rolle der Religion
Schwarzwaldes, der Schwäbischen Alb, des Odenwaldes oder des Hunsrücks hemmend auf die Ausbreitung einer Religion, die sich seit ihren ersten Missionaren überwiegend an städtische Bevölkerungen wandte. Die einheimische keltische und vor allem die germanische Bevölkerung der in Frage stehenden Zonen mag aber in diesem neuen Kult, der nur einer unter vielen war, zunächst auch nichts besonders Attraktives gesehen haben. Der K u l t wandte sich an alle, sprach aber infolgedessen keine Bevölkerungs- oder Berufsgruppe besonders an. Er bot äußerlich wenig, entbehrte aber auch weitgehend des Geheimnisvollen und Mystisch-Ekstatischen, wie es Isis- oder Mithrasdienst ihren Gläubigen boten. Vor allem aber waren die Hauptvertreter des christlichen Glaubens in den ersten Jahrhunderten ganz überwiegend Fremde — Kleinasiaten, Römer oder gar Afrikaner, wie die in mancher Hinsicht umstrittene Augsburger Märtyrerin Afra. 1 Eine bekannte Stelle aus Augustins Confessiones (8, 6) macht deutlich, daß die Asketengemeinden bzw. -gruppen im linksrheinischen Gebiet Ende des 4. Jh. meist noch aus Nichteinheimischen bestanden. Ähnliches gilt für Severin von Noricum und seinen Kreis, also noch für das Ende des 5. Jh. — zumindest für die südbayrischen und die nach Osten anschließenden Gebiete. Während die keltischen bzw. die germanisch-keltischen Gottheiten seit langem im Lande verwurzelt waren und die Mysterienreligionen sich aus den geschilderten Gründen leicht — zumindest in bestimmten Kreisen — Heimatrecht erwerben konnten, hatte das Christentum es schwerer. Dazu mögen auch die Verfolgungen der vordiokletianischen und diokletianischen Zeit beigetragen haben. a)
Rätien
Über die Verbreitung des Christentums bis zum Ende der offiziellen Verfolgungszeit läßt sich, wenn wir mit Rätien beginnen, folgendes sagen: In den wenigen größeren Städten Rätiens und Noricums, so Augsburg, Regensburg, Passau, befanden sich schon im 3. Jh., stellenweise vielleicht auch schon im 2. Jh., Gemeinden. Es ist mit einer allmählichen Verbreitung des Kultes und seiner Festigung zu rechnen. Denn die bischöfliche Verfassung setzte sich sukzessive durch, wobei der Rückhalt Mailands und Aquileias von Belang ist: - I n der mittelalterlichen Augsburger Liturgie lassen sich Teile der mailändischen Liturgie nachweisen; Reliquien der Heiligen Gervasius und Protasius hat sich Severin von Noricum zu verschaffen gewußt; Ambrosius von Mailand trat auch bereits mit Germanenfürsten nördlich der Alpen, so mit der Markomannin Fretigil, in Verbindung. Jurisdiktioneil war dieses Gebiet Aquileia unterstellt, aber selbstverständlich sind zahlreiche christliche Einflüsse, die sich zunächst in den genannten Gebieten sowie um Partanum (Partenkirchen), Cambodunum (Kempten) und Brigantium (Bregenz) herum verdichteten, auch aus anderen Richtungen und Gegenden gekommen. Besonders wesentlich erscheint es, daß hier wie 1 2
R. Bauerreiss, Kirchengeschichte Bayerns, St. Ottilien 1949, 2. R. Bauerreiss a. O. 4—6.
Christianisierung
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eigentlich in der gesamten „Germania Romana" eine Frührezeption des Christentums, die zwischen dem 2. und 4. J h . liegt, einer späteren erneuten Rezeption gegenüberzustellen ist. Fast nirgends ist diese frühere Rezeption sehr intensiv gewesen, zumindest aber ist die kirchliche Organisation, die sich vor allem im 4..Jh. stärker herauszubilden begann, in den Stürmen der Völkerwanderung und den Auseinandersetzungen zwischen Athanasianern und Arianern stark erschüttert worden, so daß sich oft nur geringe Reste christlicher Bevölkerung und kirchlicher Strukturen (oft nur kleine klösterliche Gemeinschaften) aus der Zeit römischen Einflusses in die Periode germanischer Beherrschung hinüberzuretten vermochten. Diese Situation hat den Bemühungen einiger Päpste (besonders Gregors I.) und der iroschottischen Missionare besonderen Auftrieb gegeben, die im 7. und 8. J h . den Gebieten zwischen Rhein, Donau und Elbe verstärkte Aufmerksamkeit zuwandten. 1 Das frühe Christentum im 2./3. J h . war eben noch vor allem von städtischen Bevölkerungsschichten getragen. Mit dem Niedergang der Städte ging zunächst auch der christliche Einfluß wieder zurück. Das macht die Notwendigkeit einer erneuten Rezeption des Christentums im 5./6. J h . verständlich, das sich nun auch besonders auf die Landbevölkerung orientierte. Möglicherweise war jedoch das gesamte südlich der Donau gelegene Gebiet des heutigen Südbayern und Österreich im 5. J h . bereits oberflächlich christianisiert. Denn neben anderen Quellen läßt vor allem Eugipps Vita Severini erkennen, daß es auch in den kleinsten Ortschaften christliche Gemeinden gab, sogar in den Gebirgseinöden, und daß Asketentum und Mönchtum sich leicht Eingang verschaffen konnten. Es war für die Festigung des Christentums von Belang, daß auch die im Laufe des 5. J h . aus verschiedenen Richtungen vordringenden, teilweise durchziehenden, teilweise aber auch landsuchenden germanischen Stämme (Rugier, Alamannen, Thüringer, Bayern) nicht mehr durchweg Heiden waren. Muß man auch oft noch mit dem Vorherrschen alter Glaubensvorstellungen rechnen, so kann man andererseits doch häufig germanische Gruppierungen in Betracht ziehen, die unter gotischem Einfluß bereits weitgehend das arianische Bekenntnis angenommen hatten (Rugier, Teile der Bayern).- Trotz des immer noch schaifen dogmatischen Gegensatzes zwischen der — oifiziell anerkannten — Lehre des Athanasius und der des Arius wird sich beim Einbruch solcher Gruppierungen eher eine Koexistenz mit der einheimischen romanisierten Bevölkerung herausgebildet haben als etwa beim Einfall der heidnischen Alamannen ins Dekumatland. Die dogmatische Unbekümmertheit der damals bereits in Noricum siedelnden arianischen Rugier wird durch die Vita Severini deutlich.^ Ähnliches mag wenigstens teilweise für die ab 500 ein1 Zur Problemlage R . Bauerreiss a. O. 11. 2 2 - 3 1 . 4 0 - 4 7 . - Zum Arianismus bei den Germanen: K . D. Schmidt, Die Bekehrung der Ostgermanen zum Christentum, Bd. 1, Göttingen 1939; M. Meslin, Los Ariens d'Occident ( 3 3 5 - 4 3 0 ) , Paris 1967. 3 Eug. 5 - 8 .
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Rolle der Religion
dringenden Bajuwaren gelten, für die eine vorherige Bekehrung zum Arianismus allerdings in Frage zu stellen ist. Das Problem hängt mit der strittigen Herkunft bzw. Zusammensetzung des Stammes zusammen, der heute meist noch mit den Markomannen in Verbindung gebracht wird, die möglicherweise zeitweilig in Ungarn siedelten. 1 Mit den Bajuwaren beginnen jedenfalls im südlich der Donau gelegenen Gebiet (Rätien) die Reihengräberfriedhöfe und die auf -ing endenden Ortsnamen. Wie die zahlreichen romanischen Ortsnamen zeigen, sind hier, auch außerhalb der städtischen Gebiete, Romanen sitzengeblieben (vor allem wohl Weinbauern), die am römisch-katholischen Christentum festhielten. Ein Teil der romanischen Bevölkerung war allerdings durch eine Anweisung Odoakers 488 aus Noricum (und Rätien?) nach Italien zurückgeführt worden.2 Geben Sprachgeschichte und literarische Quellen keine sicheren Anhaltspunkte für Anfangsperiode und Verbreitung des Arianismus bzw. Katholizismus bei den Bayern, so dürfte doch die in den Reihengräbern fast durchweg vorhandene Ostung auf eine bald erfolgreich einsetzende Mission hinweisen. Diese Ostung kann schlechterdings nicht aus germanisch-heidnischen Vorstellungen erklärt werden, vielmehr deutet sie durchweg auf den Glauben an Christus als (aufgehende) Sonne und an ein Totenreich oder Himmelreich im Osten, das den Germanen sonst fremd war.3 Wie Papstbriefe und andere literarische Zeugnisse des 8. Jh. zeigen, haben sich trotzdem starke Reste des Heidentums bis ins 8. Jh. gehalten, so der in Wort, Bild und Brauchtum häufige Wodanglaube. Örtlich unterschiedlich dürften allmählich Heilige an die Stelle germanischer Gottheiten getreten sein. So wurden die Heiligen Georg, Stefan und Leonhard wegen ihrer Beziehungen zum Pferd (Pferdekult?) oft als Schimmelreiter und Nachfolger Wodans hingestellt. Obgleich vielleicht gebrochen, lebte der Freyakult — wie anderwärts der Isis- oder Matronenkult — in der Muttergottesverehrung weiter. Auf germanischen Fruchtbarkeitszauber gehen Weihen von Speisen (z. B. Gebildbrote an Feiertagen) zurück. Auch der Begleiter des heiligen Nikolaus, der Knecht Ruprecht, knüpfte an einen germanischen Dämon an. Bonifatius berichtete noch 742 nach Rom über die weitverbreiteten heidnischen Sitten und Gebräuche, vor allem über Schmausereien und Tänze sowie den Mißbrauch mit Orakeln, Amuletten usw. Obwohl die sich allmählich festigende römisch-katholische Kirche in Fragen des Dogmas wenig tolerant war, mußte sie auf dem erwähnten Sektor doch gewisse Kompromisse schließen, am ehesten natürlich durch Uminterpretation heidnischer Sitten, Gebräuche oder auch Gestalten in christliche. Das dürfte hier und da auch im Zusammenhang mit dem germanischen Hauspriestertum und Eigentempelwesen geschehen sein, aus dem sich später — im Zusammenhang mit der Entwicklung der Grundherrschaft und damit einer neuen Pro1 E. Schwarz, Germanische Stammeskunde. Heidelberg 1956, 182. 186. 2 Eug. 44, 5. 7. 3 R. Bauerreiss a. O. 30f. (auch ^um Folgenden).
Christianisierung
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duktions weise — P a t r o n a t u n d Eigenkirchenwesen mit starken örtlichen Unterschieden entwickelt haben. Bei den arianischen Rugiern der Vita Severini sind höchstens erste Ansätze zu einem Eigenkirchenwesen zu verfolgen. 1 b) Obergermanien mit Dekumatland,
besonders
Mainz
Sehr viel langsamer als in dem Gebiet zwischen I n n u n d Bodensee d r a n g das Christentum in dem durch Oberrhein, D o n a u u n d obergermanischen Limes begrenzten Gebiet vor. 2 Hierfür sind ganz plausible Gründe geltend zu machen. Bis Mitte des 3. J h . gab es in diesem städtearmen Gebiet höchstens geringe Spuren einer Christianisierung, nach der Eroberung des Limes und des D e k u m a t landes durch die Alamannen aber (260) war einer christlichen Mission f ü r lange Zeit ein Riegel vorgeschoben. Die bis dahin heidnischen Alamannen schienen sich auch nicht mit der Rheinlinie zufriedengeben zu wollen. Sie besetzten gallische S t ä d t e und dehnten ihre Züge sogar bald bis nach Oberitalien hin aus. Gegenschläge vexschiedener Kaiser (Probus, Julian, Valentinian I.) vermochten nicht einmal die Neckailinie erneut f ü r das I m p e r i u m zu sichern; die Alamannen besetzten allmählich nicht nur die Kerngebiete Schwabens, sondern siedelten auch im Elsaß und in Lothiingen, in der nördlichen Schweiz und in den rätischen, heute zu Bayern gehörenden Distrikten zwischen Hier und Lech („Schwaben"). Augsburg, Regensburg und sogar Passau lagen, wenn auch n u r zeitweilig, in ihrem Interessenbereich. Während sich in diesen Städten u n d in den südlich anschließenden Siedlungen wie Kaiseraugst, Chur und Windisch das römischkatholische Christentum offenbar behauptete, konnte es unter den Alamannen selbst frühestens im 6. und 7. J h . stärker F u ß fassen. U m 500 mag es u n t e r den Alamannen, durch gotischen Einfluß bedingt, arianische Gruppen gegeben h a b e n ; die Masse des Stammes d ü r f t e geschlossen beim Heidentum verblieben sein, worauf damals entstandene Ortschaften mit N a m e n wie Berchta oder Hulda, die auf die alten Kriegsgottheiten zurückgehen, hinweisen. Vor allem W o d a n stand bei ihnen offenbar in hohem Ansehen. 3 Erst mit der Unterwerfung unter die F r a n k e n verstärkten sich die christlichen Einflüsse im alamannischen Gebiet, teilweise durch fränkische Kolonisten, teilweise durch fränkische und iroschottische Asketen, die zunächst recht primitive Klöster gründeten (nach 610 K o l u m b a n u n d Gallus: Kloster Bregenz, d a n n St. Gallen; um 724 Pirminius: Kloster Reichenau). U m 715 h a t die katholische Kirche bei den Alamannen mit den Bistümern Chur, Basel, Konstanz, Straßburg und Augsburg bereits eine feste Organisation erreicht. ' Z.B. Eug. 44 u. ö. Zum Eigenkirchenwesen: H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd: 1, Karlsruhe 1954, 168ff.; H. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, Bd. 1, Weimar 1954, 147ff. 184ff. ' R. Bauerreiss a. O. 3 2 - 3 4 ; E. Schwarz a. O. 168ff.; F. Hertlein, Die Geschichte der Besetzung des römischen Württemberg, Stuttgart 1928; V. Ji^ilojöic, JRGZM 13 (1966) 2 3 1 - 2 6 4 ; W. Müller, in: Zur Geschichte der Alemannen, Darmstadt 1975, 3 401-429. R. Bauerreiss a. O. 36.
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Das allmähliche Eindringen des Christentums läßt sich in der linksrheinischen Germania superior etwa am Beispiel von Mogontiacum (Mainz) zeigen. Die alte Siedlung im Gebiet der Wangionen, die über die Zwischenstufen des Legionslagers (auf dem Kästrich) mit den vorgelagerten Canabae und der Civitas diokletianischer Zeit im 4. J h . zum Sitz des Dux Mogbntiacensis und zur Metropole der Germania I aufgestiegen war, 1 sah neben Anhängern von imperialen Kulten und Mysterienreligionen auch relativ frühzeitig Christen in ihren Mauern. Ammianus Marcellinus berichtet, daß der Alamannenfürst Rando im J a h r e 368 die Stadt bei Gelegenheit eines christlichen Festes, als viele Menschen in der Kirche zusammengekommen waren, überfallen und geplündert habe. Neben anderer Beute führte Rando zahlreiche Gefangene mit sich. 2 Bei einem- ähnlichen Überfall des Jahres 407 sollen — wie Hieronymus mitteilt — sogar „viele tausend Menschen in der Kirche erschlagen" worden sein. 3 Die Zahl ist gewiß übertrieben, da die Kirchengebäude keine entsprechende Menschenmenge gefaßt haben können. Aber die Tatsache sonst ist kaum zu bezweifeln und legt zumindest die Vermutung nahe, daß Mainz — vielleicht auch seine Umgebung — um die Wende vom 4. zum 5. J h . bereits weitgehend christlich war. Dafür sprechen übrigens auch die in der Stadt und in ihrer Umgebung gefundenen christlichen Inschriften — meist Grabinschriften in üblicher Stilisierung, die sich oft nicht genau datieren lassen. Auch die Anfang des 10. J h . niedergeschriebene älteste Mainzer Bischofsliste nennt vor dem Bischof Sidonius, der nach Venantius Fortunatus in die Mitte des 6. J h . gesetzt werden muß, zumindest zwei Bischöfe: Aureus und Maximus. Spätere Bischofslisten haben die Reihe noch weiter nach vorn hin aufgefüllt, sind aber nicht unbedingt glaubwürdig. 4 F ü r die damalige Situation in der Germania I, vor allem im Gebiet zwischen Mainz und Worms, ist auch die Einstellung der zeitweilig hier siedelnden Burgunder wichtig. 5 Nach Orosius und Socrates 0 traten sie Anfang des 5. J h . zum Christentum über, möglicherweise erst zum arianischen Bekenntnis. Im Lauf ihrer bis 443 währenden Siedlungsperiode dürften sie die ansässige christlich-romanische Bevölkerung weniger behindert haben, als die Alamannen oder Franken dies taten. Nac h ihrer Umsiedlung in das Gebiet um Rhone und Saöne traten immer mehr Burgunder auch zum Christentum römisch-katholischer Prägung über, ein Beweis mehr für die Einwirkungsniöglichkeit der unterworfenen Bevölkerung auf die neue Herrenschicht in Fragen der Religion — sei es nun in Gallien oder in der Germania 1. 1
M. Besnier, R E 30 (1932) 2422-2433, s. v. Mogontiacum. Amm. Marc. 27, 10, l f . mit Anm. 86 Seyfarth. 3 Hier, epist. 123 (16). 4 A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands, Bd. 1, 7. Aufl. Berlin u. Leipzig 1952, 25ff.; vgl. W. Neuss, Die Anfänge des Christentums im Rheinlande, Bonn 1933, 12. 14. 5 E. Schwarz (s. S. 372 Anm. 1) 7 4 - 7 9 . o Oros. 7, 32, 13; Socrates h. e. 7, 30. 2
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c) Untergermanien und Moselland, besonders Köln und Trier Besaß für die Germania superior eine Stadt wie Mainz übergreifende Bedeutung, so ist für die Germania inferior Köln, das seit 50 u. Z. als Colonia Agrippinensis bekannt ist, besonders wichtig. Grabungen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben auch für die Entwicklung der Rheinmetropole im religiösen Bereich manche neuen Materialien zutage gefördert, aus denen sich teilweise neue Aspekte ergeben. Als Sitz des Statthalters der Germania inferior nahm Köln noch in der frühen Kaiserzeit einen beachtlichen Aufschwung, so daß es unter Postumus auch zur Hauptstadt des Gallischen Teilreiches gewählt wurde. Erneut konnte es unter Konstantin I. zeitweilig als Residenz Bedeutung gewinnen, unter dem in der linksrheinischen Stadt wie im Kastell Divitiacum (Deutz) zahlreiche Bauten aufgeführt worden sind. Archäologische Reste wie das Dionysosmosaik (s. oben S. 365) weisen auf die Bedeutung heidnischer Kulte im Raum von Köln. Grabungen in jüngster Zeit haben Relikte des Mithraskultes und der Isisverehrung nachweisen können. 1 Altertümlichere Kulte wie der der Matronae Aufanes sind ebenfalls nachweisbar.2 Natürlich spielte gerade in einer Stadt von solcher politischen und administrativen Bedeutung auch der Kult der Staatsgötter und des Kaisers eine erhebliche Rolle, wovon neben dem Kapitoltempel Inschriften, so der Seviri Augustales, Zeugnis geben.3 Dieser letzten römischen Blüteperiode sind also nicht nur verschiedene römische Profanbaaten (Prätorium), sondern auch manche Kultbauten zu verdanken, von denen einige bald in christliche Verfügungsgewalt übergingen. Dabei ließ sich, wie vor allem O. Doppelfeld 4 feststellte, eine interessante Siedlungs- und Baukontinuität — zumindest in verschiedenen Fällen — feststellen. So trat, allerdings wohl erst im 7. Jh., an die Stelle des nachweisbaren Kapitoltempels mit seinen drei Cellae ein von Plectrudis gegründetes Frauenstift, aus dem sich die Kirche St. Maria im Kapitol entwickelte. Im Bereich des Domes sind zwei reich ausgestattete fränkische Gräber entdeckt worden, die sich ehemals in einer dort etwa Mitte des 5. Jh. errichteten Gruftkirche befanden. Dieser nachrömische Bau geht möglicherweise auf einen spätrömischen Sakralbau zurück. Dasselbe gilt jedenfalls für eine Reihe sog. Märtyrergedächtniskirchen, die die Zeit der Christenverfolgungen mit der Periode der römischen wie der fränkischen Christianisierung im Raum von Köln verknüpfen. Iii erster Linie wäre hier an den frühchristlichen Zentralbau von St. Gereon zu erinnern, der bis in die zweite Hälfte des 4. Jh. zurückreicht. Mit St. Gereon tritt die sog. thebäische Legion ins Blickfeld, von der einige Angehörige - wohl Ende des 3. Jh. — in 1
v. Petrikovits Rheinland 129. '- S. Inschriften-Anhang Nr. 7. S. Inschriften-Anhang Nr. 2. O. Doppelfeld. St. Maria im Kapitol zu Köln. Köln 1958. 13ff.; v. Petrikovits Rheinland 87 f.
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Köln den Märtyrertod erlitten haben sollen. Der Überlieferung nach soll die Kirche von der hl. Helena, Konstantins Mutter, errichtet worden sein. Unter den Franken ist diese Basilika dann zur Krönungs- und Huldigungskirche geworden. Die frühe Kirchengeschichte Kölns ist, nicht zuletzt infolge der Mangelhaftigkeit der Bischofslisten und der geringen Anzahl epigraphischer Zeugnisse, 1 weniger gut bekannt als die Triers. Um 313 muß die Gemeinde allerdings schon beträchtlich gewesen sein; denn der Bischof Maternus gehörte zu den kirchlic hen Würdenträgern, denen Konstantin I . ir*diesem J a h r die Entscheidung im donatistischen Streit übertrug. 2 D a die Stadt immer wieder unter fränkischen Angriffen und schließlich Besetzungen zu leiden hatte, dürfte sich ihre Gemeinde jedoch weniger gefestigt haben als etwa die Triers. Erst zum J a h r e 355 wird von einem Kirchengebäude gesprochen. 3 Allerdings ist die Frage der Kirchenbauten nicht restlos geklärt, und neuere Ausgrabungen haben verdeutlicht, daß besonders einige der Märtyrerkirchen außerhalb der römischen Stadt, wenngleich auf städtischem Territorium, lagen und mit frühchristlichen Friedhöfen und B e gräbnisstätten zusammenhingen. 4 Diese Tatsache wirft zahlreiche Probleme auf. So taucht die Frage auf, ob die zum städtischen Territorium gehörigen Gebiete außerhalb Kölns ebenso früh christianisiert worden sind wie die ummauerten Bezirke und ob das Christentum auch die rein ländlichen Gebiete erfaßt hat. 5 Ferner: W a r überwiegend nur die aus Beamten, Offizieren und Kaufleuten bestehende städtische Oberschicht christianisiert — was manche Grabanlagen zu bestätigen scheinen —, oder hat die neue Religion alle Bevölkerungsschichten erfaßt? Letzteres dürfte wahrscheinlicher sein und hat sicherlich zu Ansätzen einer Frührezeption des Christentums bei den im kölnischen Raum bzw. in der Stadt selbst siedelnden Franken und anderen Germanen bereits vor Chlodwigs Konversion geführt. Dessenungeachtet haben sich Reste des Heidentums lange gehalten, und auch eine jüdische Gemeinde ist mit Sicherheit nachweisbar. Auf diese Kölner Juden geht bereits ein Erlaß Konstantins I . aus dem J a h r e 321 ein; 6 später finden sie sich im Bereich des Prätoriums, wo auch die Hofbeamten (Ministerialen) siedelten und wo sich das Patrozinium des hl. Laurentius herausbildete. 7 Die oben erwähnte (S. 369) gnostisch-neuplatonische oder christliche Sekte, die man früher mit Anhängern des Mithrasglaubens identifizieren wollte, Fr. X . Kraus. Die altchristlichen Inschriften der Rheinlande von den Anfängen des Christentums am Rheine bis zur Mitte des 8. Jhs., Freiburg/Br. 1890, Nr. 283— 299. 2 A. Hauck (s. S. 374 Anm. 4) 31; E . L. Grasmück, Coercitio, Bonn 1964, 35. 47. 61. 3 Amm. Marc. 15, 5, 31. 4 v. Petrikovits Rheinland 140. 5 Nach J . Torsy, in: Das erste Jahrtausend Bd. 1. 711—733, ist daran sehr zu zweifeln. Die Entscheidung der Frage bedarf in erster Linie der Erschließung eines breiteren archäologischen Materials. 6 S. auch oben S. 307. 339. ' O. Doppelfeld, in: Das erste Jahrtausend Bd. 2, 630f. 1
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hat wahrscheinlich nur eine kürzere Lebensdauer gehabt . Solche kleinen Splittergruppen, die ohne .ökumenischen' Zusammenhang und sonstige nachhaltige Stützen bestanden, mußten im Verlauf der verschiedenen Völkerwanderungsstöße eigentlich zwangsläufig verschwinden. Von besonderer Wichtigkeit für die hier zu eruierende Entwicklungslinie ist wegen seiner Lage und historischen Bedeutung Trier, der Vorort des keltischgermanischen Mischstammes der Treverer, gewesen. Das untere Moselgebiet, in dem sich die Verkehrsströme des Rhein-Mosel-Landes mit denen des Rhöneund Seine-Gebietes trafen, bot eine günstige Placierung für die Augusta Treverorum, die schließlich am Schnittpunkt wichtiger Straßen in Richtung Koblenz, Köln, Mainz, Strasbourg und Paris zur Hauptstadt der Belgica wurde. Vom Versorgungszentrum der römischen Legionen avancierte die Stadt zur Residenz der gallischen Gegenkaiser und wurde — nach spürbarer Verwüstung durch Franken und Alamannen (275/276) — Verwaltungszentrum der Diözese Gallien. Seit und nach Konstantin I. war Trier, das zeitweilig den Charakter einer Residenz des Westreiches mit eigener Münzstätte erhielt, stark ausgebaut, so daß es als Mittelpunkt des geistig-kulturellen Lebens und ansätzweise auch einer höfisch-frühchristlichen Kultur ins Auge fällt. 1 Wie wir aus zahlreichen Resten von Grabanlagen und Kultbauten wissen, haben sich im Trierer Gebiet frühzeitig die verschiedensten Strömungen von Religion und Kult gekreuzt und vermischt. Für längere Zeit setzten sich keltische Kulte durch. Allein im Tempelbezirk an der Ausmündung des Altbachtales zwischen Petersberg und Kieweisberg ließen sich durch Kultbilder oder Inschriften vor allem folgende Gottheiten nachweisen: die dreigestaltige Göttin Icövellauna, die der Hekate gleichgesetzt wurde, die Bärengöttin Artio, die Fruchtbarkeitsgöttin Aveta, die Pferdegöttin Epona; weiterhin ein keltisch-germanischer, mit Jupiter oder Herkules verglichener Wettergott, ein einheimischer Hammergott, ein Deus Intarubus, ein Dens Vertumnus sive Pisintus, der Apollo Grannus und der den keltischen Esus vertretende Merkur. Weiterhin wurde hier ein stiergestaltiger Wassergott (der auf dem Kultbild von einer Quellnymphe geführt wird) verehrt; Bronzebilder bzw. Marmorbilder eines Merkur, einer Diana und eines Bacchus wurden hier ebenfalls gefunden, die wahrscheinlich für lokale Gottheiten bestimmt waren. In der Nähe dieses Heiligtums ist auch eine Orakelstätte mit einem sortilegus nachgewiesen. Ebenso wichtig dürfte der Kultbezirk des Lenus Mars gewesen sein, den sogar zahlreiche Kranke besuchten, i S. Rau, R E 12 (1937) 2301-2353, s. v. Treveri; W. Neuss (s. S. 374 Aiun. 4); E. Hegel, in: Das erste Jahrtausend Bd. 1, 9 3 - 1 1 3 ; F. Pauly, ebd. 1 2 8 - 1 5 8 ; Fr. X . Kraus (s. S. 376 Anm. 1); A. Ferrua, in: Akten des VII. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Trier, 5.—11. September 1965, Bd. 1, R o m u. (West-) Berlin o. J. 2 8 3 - 3 0 6 ; Th. K. Kempf, ebd. 579ff.; vgl. H. Reusch, ebd. 677ff.; H. Eiden, ebd. 485 ff.; E. Gose, Katalog der frühchristlichen Inschriften in Trier, (West-)Berlin 1958; J. Steinhausen, Archäologische Siedlungskunde des Trierer Landes, Trier 1936.
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um dort eine K u r wahrzunehmen. 1 Tempelbezirke fanden sieh auch sonst in dieser Gegend zahlreich, vor allem in der Stadt selbst, wo sich auch die Kultstätten der offiziellen Gottheiten der Kaiserzeit häufen. Das Kapitol wurde an Hand einer Marmorgruppe der kapitolinischen Trias erschlossen, aber auch ein Jupiterheiligtum und ein Bac-chustempel sind sicher nachgewiesen. Inschriften verweisen a u f e i n e n sacerdos Jiomae et Augnsti, n e h m e n a u f e i n e n flamen Leni Mortis quinquennulis, a u f einen antistes u n d ein Collegium d e r liaruspiccs publici
civitatis Trevcrorum sowie auf die Seviri Augustales in Trier (und anderen Siedlungen wie Neumagen und Niederemmel) Bezug. Von den Mysterienkulten hat sich im Trierer Gebiet vor allem der Mrthrasdienst durchgesetzt. Mithräen sind beispielsweise nachgewiesen in Schwarzerden (Kr. St. Wendel) und am Altbach bei Trier, wo ein pater namens Martius Martialis über den Sitzsteinen eines zerstörten Kulttheaters Mithräum und Wohnhaus miteinander verband. Auf die Anfänge des Christentums im Trierer Raum weisen neben einigen literarischen Quellen, auf die noch einzugehen ist, auch Gräberfelder und Grabinschriften wie die der Domitia civis Trevera aus Bordeaux/* Die außerordentlich zahlreichen Inschriften gehen grundsätzlich nicht bis ins 3. J h . zurück, vermögen daher über eine frühe Ausbreitung des neuen Kultes kaum etwas zu sagen. Auch die bekannte Stelle bei Irenäus und einige Angaben bei Tertullian und Arnobius r> können höchstens die allgemeine und allgemein bekannte Tendenz einer frühzeitigen Verbreitung des Christentums gerade in diesen Gebieten markieren. Der später auftauchenden apologetischen Legende, die Petrusschüler wie Eucharius und Valerius als erste Bischöfe von Trier kennen wollte, muß selbstverständlich entgegengetreten werden. Allerdings nahm im August 314 Bischof Agroecius von Trier in Begleitung des exorcist« Felix an der Synode von Arles teil. Das gibt zu erkennen, daß damals bereits eine größere Gemeinde in Trier bestanden haben muß. Die bischöfliche Organisation dieser Gemeinde läßt einen längeren Zeitraum christlicher Mission im Gebiet der Stadt und ihrer Umgebung zumindest auch vermuten. Es liegt nahe, daß sich der neue Kult auch in der diokletianischen Verfolgungszeit durch Constantius Chlorus, der in Trier residierte, geduldet — noch gegen Ende des 3. J h . ziemlich beschleunigt ausbreiten konnte. Das Gebiet von Trier bot dafür auch wegen seiner militärisch noch relativ geschützten Lage bessere Möglichkeiten als die unmittelbar am Rhein gelegenen Städte Worms, Mainz, Koblenz oder Köln. Wenn ein Eucharius und ein Valerius möglicherweise — worauf Reliquien und ein Oratorium hinweisen - doch schon mit Recjit als Bischöfe Triers bezeichnet werden können, 1
E. Gose, Der Tempelbezirk des Lenus Mars in Trier. (West-)Berlin 1955. 2 Die Seviri Augustales werden genannt: CIL X I I I 3695 (Trier); 4152—4154 (Neumagen); 4192 (Niederemmel); ein flamen Leni Mortis quinquennalis in Trier: CIL X I I I 4030. 3 S. Rau, R E 12 (1937) 2347, s. v. Treveri. 4 CIL X I I I 633; s. auch Inschriften-Anhang Nr. 46. "> Tertullianus. adv. Iudaeos 7; Arnobius, adv. nationes 1, 16.
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d a n n müßten sie zeitlich auf die Mitte oder das Ende des 3. J h . angesetzt werden. 1 I n dieser Zeit haben sich bei St. Maximin, St. Paulin und St. Matthias den heidnischen Gräberfeldern auch bereits christliche Bestattungen angeschlossen. Wenig später beginnt offenbar bereits die Produktion christlichen Glasschmuckes, der gerade auch in Trier hergestellt worden sein dürfte (Isaakschale), sowie entsprechender Bronze- und Silberbeschläge auf Särgen. In der konstantinischen und nachkonstantinischen Ära hat Trier ein schnelles Aufblühen des Christentums erlebt. Aus den Inschriften läßt sich das Überwechseln vieler Hofbeamter zu der neuen Religion ablesen, denn Amtsbezeichnungen wie ex comité, a veste sacra? tribun us oder protector domesticus tauchen in christlichen Grabinschriften auf. Die kirchlichen Ämter sind mit Inschriften von Presbytern, Diakonen und Subdiakonen vertreten. Auch sanctimoniales sind bereits für das 4. J h . nachweisbar. Durch den Residenzcharakter bedingt, wurde Trier auch bald in den Streit um die Lehre des Presbyters Arius hineingezogen. Athanasius lebte als Verbannter in Trier und fand bei Agroecius' Nachfolger Maximinus Rückhalt. Die Synode von Serdica bannte diesen 342 als Bekämpfer des Arianismus — der zeitweilig wohl auch in Trier direkt durch Soldaten, besonders germanische, Einfluß gewann. Die Aktivität des Maximinus richtete sich aber auch gegen die natürlich noch starken Reste des Heidentums, dem er offenbar durch Zerstörung des Tempelbezirkes im Altbachtal Abbruch zu tun s u c h t e . A u c h in der Umgebung des Kaisers Constans (337—350) von Einfluß, ließ Maximinus einen Kirchenneubau ausführen. Spätestens im 6. J h . wurde über seinem Grab im Norden der Stadt eine Basilika errichtet. Maximinus' Schüler und Freund Paulinus war zugleich sein Amtsnachfolger. Wegen seiner Teilnahme an der Synode von Arles (353) wurde er von dem arianisch gesinnten Constantius II. nach Phrygien in die Verbannung geschickt. Die Kette der Bischöfe dürfte von da ab aber nicht mehr abgerissen sein; das besagt natürlich nicht, daß Trier etwa, wie von manchen Forschern betont wurde, irgendwelche Metropolitanrechte über benachbarte Bistümer gehabt hat, die zumindest ganz unwahrscheinlich sind. — Neben den erwähnten Persönlichkeiten sind - für die folgende Zeit Hieronymus und Martin von Tours in Triér nachweisbar, das immer wieder Anziehungskraft auf die Christen dieser Periode ausübte. Allerdings ist zwischen der Stadt selbst und den umliegenden Landstrichen zu unterscheiden. Die Stadt mit ihrer überwiegend romanisierten Bevölkerung, die außerdem nicht wenige Einwohner orientalischer Herkunft zählte, wurde schneller und vollständiger christianisiert als das umliegende, bald stärker von Germanen eingenommene Landgebiet. Durch die Auseinandersetzung zwischen dem bald mit dem legitimen Anspruch der Staatskirche auftretenden Christentum athanasianischer Prägung, das auf dem Konzil von Nicäa den Sieg davon• S. R a u a. O. 2350. - S. den im Inschriften-Anhang Nr. 46 behandelten Felix. - S. R a u a. O. 2352.
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getragen hatte, und dem arianischen Christentum wie auch dem Priszillianisnius ist der Prozeß der Christianisierung sicherlich gehemmt worden, obwohl die theologische bzw. kirchliche Diskussion auch manche Impulse liefern konnte. Werbende Kraft mögen dem Christentum aber eher Persönlichkeiten wie Hieronymus, Martin oder Salvian verliehen haben, die durch ihre Autorität und ihr auf Nächstenliebe begründetes Ethos vor allem die ärmeren und benachteiligten Bevölkerungsschichten ansprechen konnten. Auch das nicht zum wenigsten ökonomischen Motivationen so oder so verhaftete asketische Ideal, das solche Männer repräsentierten, fand damals weithin Verbreitung.1 Beredtes Zeugnis dafür ist die bekannte Stelle aus den Confessiones (8, 6), in der Augustin anhand eines Augenzeugenberichtes zum Jahre 386 über eine kleine Asketencella außerhalb der Stadtmauern von Trier berichtet. Seine Erzählung gipfelt in einer Bekehrungsszene, die die Attraktivität solcher bescheidenen Asketenrefugien, die noch nicht monastisch organisiert waren, aber eine Vorform des Cönobiums darstellen, gut vor Augen führt. Wie hier, so waren es offenbar nicht selten junge Männer angesehener Herkunft, die, obwohl sie im kaiserlichen Dienst so viele Aufstiegsmöglichkeiten hatten, den neuen Weg gingen, mochte er nun Ausweg oder Erfüllung bedeuten. Legende und Hagiographie haben sich solcher Überlieferung häufig bemächtigt, um daraus apologetische Systeme oder zumindest Komplexe zu errichten. Solche idealisierenden Berichte erschweren oft eine realistische Einordnung. Die asketisch-monastische Bewegung sprach auf freiwilliger Grundlage einen relativ kleinen Kreis von Menschen an. Die offizielle Kirche ging seit Gratian und Theodosius zu Zwangsmaßnahmen gegen das Heidentum über, die vereinzelt auch in Trier aufspürbar sind. Gegen Ende des 4. Jh. wurde die um 370 errichtete Basilika in eine Kirche umgewandelt (heutiges Donigebäude). Etwas später wird die im Süden der Stadt gelegene Euchariuskapelle erwähnt (aus der die Benediktinerabtei St. Matthias entstand). Gerade in dieser Zeit der beginnenden Heidenverfolgung hielten sich aber auch in maßgeblichen Kreisen — sicherlich unter dem Einfluß der in Rom und Italien herrschenden Tendenzen — heidnische Strömungen. Von einer völligen Christianisierung selbst des städtischen Gebietes kann keine Rede sein, und neben dem Heidentum hielt sich auch das Judentum. 2 Es behaupteten sich neben den Christen nizänischen Bekenntnisses vor allem aber auch Arianer, Priszillianer und Pelagianer.. Priszillian wurde 385 in Trier durch den Usurpator Maximus zum Tode verurteilt. Aus unmittelbarem Erleben reflektiert über geistige und sonstige Auseinandersetzungen seiner Zeit der massaliotische Presbyter Salvian, selbst ein Mann aus dem Moselgebiet, der wahrscheinlich aus Trier (oder Köln) stammt. 3 Er zeigt am 1
Zu den Motivationen, die zu Askese und Mönchtum führten, vgl. folgende neuere Literatur: K. Heussi, Der Ursprung des Mönchtums, Tübingen 1936; H.-J. Diesner, Studien zur Gesellschaftslehre und sozialen Haltung Augustins, Halle 1954; F . P r i n z , in: Das erste Jahrtausend Bd. 1, 223—255. 2 A. Hauck (s. S. 374 Anm. 4) 80. 3 Zu Salvians Herkunft, Leben und Wirken: A. Schaefer, Römer und Germanen
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Lebensweg der eigenen Familie, seiner Verwandten und Schwiegereltern, daß es zwischen 420 und 440 noch zahlreiche Heiden und Katechumenen — Taufanwärter, die sich oft erst kurz vor dem Tode taufen ließen — in großen Städten wie Trier oder K ö l n gab. Manche ließen sich am ehesten noch bei feindlichen Belagerungen oder Plünderungen ihrer Stadt durch die Barbaren bekehren; dabei spielt sowohl die psychische Situation wie auch die Tatsache eine Rolle, daß die Kirchen am ehesten Asyl vor feindlichem Zugriff gewährten, da auch die Barbaren Scheu vor den Heiligtümern hatten. Einige Stationen von Salvians Lebensgang interessieren hier aus übergreifenden Gründen. U m 400 geboren, wandte sich der aus angesehener Familie stammende Salvian rhetorischen Studien zu, die er höchstwahrscheinlich in Trier absolviert hat. Jedenfalls erlebte er im Jahre 418 die dritte Eroberung der Stadt durch die Franken, die ihn gleich ähnlichen Ereignissen seiner Zeit tief erschütterte und darauf hingewirkt haben dürfte, daß er sich schließlich einer strengen Askese zuwandte. Dem frühzeitig zum Christentum, wenngleich noch nicht zum monastischen Leben gelangten Salvian war offenbar noch eine weitere Lebensstation wichtiger Denkanstoß: die afrikanische Metropole Karthago, über die er sich so gut und detailliert unterrichtet zeigt, daß man an eine — allerdings nicht beweisbare — Autopsie glauben muß. Möglicherweise hat Salvian, der zunächst auf die höhere Verwaltungslaufbahn hinzielte, in Karthago juristische Studien betrieben, von denen sein W e r k bis in die Diktion hinein zeugt. Zwischen 420 und 422 heiratete Salvian die Tochter eines heidnischen Ehepaares, Palladia, die bald zum Christentum übertrat. Auch ihre Eltern, Hvpatius undQuieta, wurden dann Christen. Das harmonische Familienleben, dem bald eine Tochter entsproß, wurde 424 insofern gestört, als Salvian sich der berühmten Leriner Asketengemeinschaft anschloß. Zwar billigte Palladia den Entschluß ihres Gatten — die asketische Forderung des kürzlich verstorbenen Hieronymus und seiner Anhänger machte damals vor allem auf die Christinnen großen Eindruck —, aber der Familienzusammenhang war gelöst, und die Schwiegereltern fühlten sich vor den K o p f gestoßen. 1 Das Beispiel steht so oder so bestimmt für viele und zeigt, wie einerseits die Auseinandersetzung zwischen Heidentum und Christentum ständig weiterging und wie andererseits innerhalb des Christentums neue Gegensätze über den rechten Glauben und die richtige Lebensführung aufbrachen. Diese Gegensätze wurden einmal im Kampf zwischen offizieller Kirche und den von ihr nicht anerkannten christlichen Lehren ausgetragen, zum anderen verschärfte sich aber auch — wenn auch weniger vordergründig —die Auseinandersetzung zwischen Weltkirche und
1
bei Salvian, Breslau 1930; J. Fischer, Die Völkerwanderung im Urteil der zeitgenössischen kirchlichen Schriftsteller Galliens unter Einbeziehung des heiligen Augustinus, Heidelberg 1948; A . G. Sterzl. Romanus, Christianus, Barbarus. Die germanische Landnahme im Spiegel der Schriften des Salvian von Massilia und Victor von Vita. Phil. Diss. Erlangen 1950; H.-J. Diesner. in: Kirche und Staat im spätrömischen Reich. 2. Aufl. Berlin 1964, 149—154. Salv. epist. 4.
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Mönehtum. Versuchte die offizielle Kirche, im Grunde schon seit der Konstantinischen Reform, sich der römischen Ordnung und ihren gesellschaftlichen Strukturen anzupassen (so daß der hierarchische Aufbau in Staat, Gesellschaft und Kirche einander sehr ähnlich wurden), so blieb das Asketentum und Mönehtum eigenständiger: einerseits dem urchristlichen Ideal und den egalitären Tendenzen verhaftet,. zum anderen realistisch und weltoffen, wenn es mit menschlichen Nöten und Sorgen konfrontiert wurde. Diese Eigenständigkeit und Offenheit ist es nicht zuletzt gewesen, die das Mönehtum damals für breitere Kreise attraktiv gemacht hat. Die Asketengemeinschaften boten jedem unabhängig von seiner Herkunft und sozialen Lage Zuflucht und garantierten ihm einen bescheidenen, aber sicheren Unterhalt. Salvian und der für Noricum aussagefähige Severin — um von Repräsentanten des Asketentums in anderen Gebieten abzusehen - wirkten aber auch darauf hin, daß Asketen und Mönche sich unifassend betätigten. Entsprechend dem später fixierten (benediktinisc-hen) Orn et laboru stand praktische, vor allem soziale und diakonische, Arbeit gleichberechtigt neben religiöser und theologischer Aktivität. Römischer Staat und werdende katholische Kirche ergänzten sich auch in den hier zur Erörterung stehenden Provinzen. In diesem Grenzgebiet unterstützte die christliche Kirche die römische Zentralgewalt besonders nachhaltig. Während in manchen Teilen des Römischen Reiches Sonderbestrebungen der Provinzialaristokratie mit religiösen nichtkatholischen Auffassungen ideologisch gestützt wurden (z. B. in Afrika, Kleinasien, Syrien, Ägypten), die sich auch dem sozialreligiösen Protest ausgebeuteter Klassen öffneten, um eine gewisse Massenbasis zu erhalten, finden sich in der Germania Romana keine dieser gegen die römische Zentralgewalt und gegen das katholische Christentum gerichteten religiösen Strömungen. Dies liegt sicher auch an der schwächeren ökonomisch-sozialen Fundierung der Großgrundbesitzeraristokratie in den römischen Provinzen am Rhein und an der oberen Donau, die zu Beginn des 5. J h . vor den Germaneneinfällen nach Südgallien .oder nach Italien flüchtete. Mit dem Niedergang der römischen Macht am Rhein und an der Mosel war daher auch der Niedergang der christlichen Kirche stärker als anderswo verbunden, so daß die neue Etappe der Christianisierung seit Chlodwig mit Ausnahme weniger Städte im wesentlichen einen Neubeginn darstellt.
3. Die Situation am E n d e der römischen Herrschaft (Repräsentanten Salvian; Severin; Chlodwig) Der bisherige Forschungsstand zum Problem der Christianisierung der RheinOberdonau-Gebiete stellt sich einer Zusammenfassung hinderlich in den Weg. Trotzdem sei eine Synthese gewagt, die vornehmlich das Ende des Prozesses vor Augen führt, den wir in aller Kürze dargelegt haben. Dabei sind neben der Fülle des immerhin zugänglichen archäologischen, epigraphischen und numismatischen Materials vor allem die Kronzeugen der Ereignisse selbst
Situation tvm E n d e der römischen Herrschaft
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zu berücksichtigen und ihre Auffassungen zu analysieren: insbesondere Salvian von Massilia. der dem Rheiri-Mosel-Gebiet entstammt, und Severin von Noricuii), der den Oberdonaugebieten in jahrzehntelanger Missionstätigkeit einen klaren Stempel aufgeprägt hat. Die beiden Kirchenmänner scheinen auch deshalb besonders aussagefähig zu sein, weil sie in W o r t (Salvian) und T a t (Severin) noch etwas vom urchristlichen Protest gegen Hierarchie und Klassengesellschaft spüren lassen. Die nachhaltige Wirkung beider, vor allein Severins, dürfte vorrangig von diesem Fundament aus zu sehen sein. Der Intention seines Hauptwerkes Dt gubernatione dei entsprechend, gibt Salvian nur wenige konkrete Einblicke in die religiöse Struktur der uns interessierenden Städte und Territorien, die er immerhin aus eigener Anschauung und durch zumeist mehrfache Aufenthalte kennt. Über die Verhältnisse auf dem flachen Land, für deren Erforschung wir dringend eine größere Materialfülle benötigten, sagt er eigentlich nichts, während Städte wie K ö l n , Mainz und Trier zumindest erwähnt werden. Salvian erweckt den Eindruck,als seien diese Städte bis zu ihrer Verwüstung bzw. Eroberung durch die Germanen Mittelpunkte des Christentums gewesen, wobei für ihn die Formel Gültigkeit hat: barbari = pagani1 a ut-liaeretiri. Romani — Christ inni ( = römisch-katholische Christen). Hierdurch wird zunächst die Meinung verstärkt, daß die römischen oder romanisierten Provinzialen auf die Städte konzentriert, die einfallenden Germanen hingegen - die paganil — über die ländlichen Territorien verstreut gewesen seien. Diese Meinung läßt sich weder bei kritischer Beleuchtung Salvians noch gar bei Heranziehung anderer Quellen halten. Lediglich eine A r t „Schwerpunktbildung" läßt r ieh von hier aus belegen, die bis Mitte oder gar Ende des 5. Jh. allerdings relevant gewesen ist. Von da ab spätestens bestimmen, wie vor allem das Beispiel Kölns zeigt,-die Germanen auch das städtische Siedlungsleben allenthalben mit, wobei in vielen Fällen neuer Wohnort und Übertritt zum Christentum Hand in Hand gegangen sein dürften. Wenn Salvian an der älteren Formel festhält, so hängt dies mit seiner streng religiösen Anschauung, aber wohl auch mit der paränetischen Tendenz seines Werkes zusammen. Er t betrachtet die „religiös irregeleiteten" Franken, Alamannen und Vertreter anderer germanischer Gruppierungen zwar als ein primitiveres Element, das sich kulturell mit den christlichen Römern nicht messen könne. Andererseits sieht er sie aber auch als Träger des Neuen und Zukunftsträchtigen, als diejenigen, die wegen ihrer Tüchtigkeit und moralischen Überlegenheit von Gott zu rechtmäßigen Besitzern der eroberten römischen Gebiete gemacht worden sind. Den immer sichtbarer werdenden Zusammenbruch des Weströmischen Reiches sieht er in eschatologischer Deutung als Strafe Gottes für den Sittenverfall der meisten R ö m e r an, wobei der Haupt Vorwurf die herrschenden Schichten trifft. 3 Zwar ist Salvian kein ausgesprochener Apologet der Sklaven oder sonstigen Unter1
Salv. 4,61. 67; 5, » . Z u m Grundsätzlichen vgl. B . Altaner, in: Kleine patristische Schriften. Berlin 1967. 582-Ö96.
2
v. Petrikovits Rheinland 102. 141.
3
S. die S. 380 A n m , 3 zitierte Literatur.
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Rolle der Religion
drückten; die harte Kritik, die er prinzipiell und mit Recht an der Regierung, den Beamten, Großgrundbesitzern und Kurialen zu üben hat und die sowohl ihre persönliche wie ihre gesellschaftliche Moral betrifft, drängt ihn aber zu einer gewissen Verteidigung und Aufwertung der Sklaven und Kolonen und sogar der aufständischen Bagauden. E r zeigt Verständnis für die vielen Unterdrückten, die entweder zu den Bagauden oder zu den — heidnischen oder arianischen — Germanen überlaufen, und wird damit in gewissem Sinne zum ideologischen Vorläufer eines Ausgleiches zwischen Römern und Germanen, zu einem Wegbereiter von Männern wie Cassiodor, Gregor von Tours oder Isidor von Sevilla. 1 Meist überwiegt jedoch seine heftige Kritik, die nebenden anderen Römern auch die Bewohner der rheinischen und gallischen Städte trifft. Als Augenzeuge — so behauptet er einmal'- — beobachtete er die Schwelgereien und Ausschweifungen, die die reichere Bevölkerung sich noch während der Belagerung der Städte zuschulden kommen ließ. Die Einwohner Triers, so berichtet er voll Entrüstung, haben sich vom Kaiser nach der Verwüstung ihrer Stadt nichts anderes als Zirkusspiele erbeten. 3 Mit solch kritischen Strichen entwirft Salvian ein beredtes Gemälde von den Verwüstungen, die die Völkerwanderung im Rheingebiet nicht nur materiell angerichtet hat. Auf den christlichen Bevölkerungsteil fällt dabei ein sehr dunkles, teilweise auch zu finsteres Licht; gibt doch der massaliotische Presbyter selbst zu erkennen, daß andererseits gerade die Zeit der Völkerwanderung viele Menschen in dem auf Nächstenliebe und Jenseitshoffnung orientierten Christentum einen Rückhalt finden ließ. Salvians Schwiegereltern Hvpatius und Quieta gehörten selbst zu diesen Neubekehrten/ 1 Es fällt nicht leicht, die progressiven Elemente Salvians von solchen zu sondern, die als konservativ und reaktionär gelten müssen. Zu den konservativen Zügen gehört sein häufiges Reflektieren über das alte Rom. das er — auf der Grundlage der älteren Chronistik — idealisiert und wohl in irgendeiner Form wiederhergestellt sehen möchte. Progressiv ist seine deutliche, gegen Teile, der herrschenden Klasse gerichtete Gesellschaftskritik: ebenso sind die Hoffnungen, die er auf die Germanen als potentielle Erneuerer der Moral und Begründer einer neuen Ordnung setzt, als Fortschritt zu bezeichnen, wodurch Salvian weit über den meisten zeitgenössischen Schriftstellern steht. Diese Tendenz beginnt etwa bei Orosius iui (= centurione) leg(ionis) III Ital(icae), item portas cum / turrib(us) IUI perfec(tas) ab Ael(io) Forte > (= centurione) / leg(ionis) III Ital(icae), praep(osito) coh(ortis) I Br(eucorum), imp(eratore) III Bur[ro co(n)as(ulibus)]. U n t e r Kaiser Lucius Aurelius Antoninus Augustus Commodus, dem Bezwinger der Armenier, P a r t h e r , Germanen u n d Sarmaten, dem I n h a b e r der tribunizischen Gewalt zum 6. Male ( = 10. 12. 180-10. 12. 181), dem Konsul zum 3. Male ( = 181), dem Vater des Vaterlandes, u n d unter dem Legatus Augusti pro p r a e t o r e Spicius Cerialis haben die Soldaten einer Abteilung der Legio I I I Italica u n t e r Leitung des Centurio der Legio I I I Italica Iulius Iulinus den Befestigungswall angelegt, desgleichen die Tore mit vier Türmen, die von dem Centurio der Legio I I I Italica Aelius Fortis, dem Befehlshaber der Cohors I Breucorum, unter dem dritten K o n sulat des Kaisers u n d dem Konsulat des Burrus ( = 181) vollendet wurden. Zu den Numeri, leichten u n d beweglichen Einheiten aus 200—900 Bewaffneten, s. S. 56. — Das Kastell in Böhming, wegen seiner geringen Größe allgemein als Numeruskastell angesehen, Jag an der Nordgrenze des Gebietes nördlich der Donau, das H a d r i a n dem I m p e r i u m einverleibte, das aber u n t e r Gallienus oder etwas später (s. zu Nr. 52. 54. 64) den Alamannen überlassen werden m u ß t e . Als im J a h r e 170 die Markomannen in das Römische Reich einfielen (s. oben S. 57), d ü r f t e die erste Kastellanlage zerstört worden sein. Die vorliegende Inschrift datiert den Abschluß des Neubaues in das J a h r 181. Vor einem der Lagertore gefunden, h a t t e die Inschrift offenbar einst über ihm am Mauerwerk ihren P l a t z . Die genannte Kohorte der Hilfstruppen, in der f r ü h e n Kaiserzeit, jedenfalls nicht vor dem Pannonieraufstand der J a h r e 6—9, gegründet, ist f ü r die Zeit von 107 bis 211 als Besatzung des wenige Kilometer f l u ß a b w ä r t s von Böhming gelegenen Kastells P f ü n z (Vetonianis) bezeugt. Aus 500 Mann bestehend, war sie zumindest ursprünglich u n d überwiegend aus Angehörigen des in Pannonien beheimateten illyrischen Stammes der Breuker rekrutiert. An den Arbeiten in Böhming beteiligten sich zweifellos höchstens 250 Mann, wie auch der Titel Praepositus — Bezeichnung f ü r einen nicht-ständigen Befehlshaber — f ü r den befehlshabenden Centurio zeigt. Bei der vermutlich im Zuge 26*
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Inschriften-Anhang
des Alamanneneinfalles der J a h r e 232/233 erfolgten Zerstörung der Kastelle von P f ü n z u n d Böhming (s. S. 70—72) d ü r f t e die gesamte „ E r s t e Breuker-Kohorte'" ihren U n t e r g a n g g e f u n d e n h a b e n . — Zu der seit dem J a h r e 179/180 in Regensburg stationierten Legio I I I Italica (s. N r . 55) u n d ihrem Befehlshaber, einem L e g a t u s pro praetore, der als P r o v i n z s t a t t h a l t e r in Augsburg residierte, s. S. 57 f. Der hier gen a n n t e Legat ist zwar noch in zwei weiteren I n s c h r i f t e n R ä t i e n s g e n a n n t , in C I L I I I 11933 = I B R 279 (183-185) u n d wohl auch in CIL X I I I 5255 (vgl. C I L X I I I Suppl. I V S. 69) = I L S 9267 = I B R 178, sonst aber u n b e k a n n t . - Ü b e r Commodus w u r d e n a c h seiner E r m o r d u n g (180) v o m Senat die D a m n a t i o memoriae. die „Verurteilung seines Angedenkens", v e r h ä n g t . Die Folge war u. a.. d a ß sein N a m e auf allen erreichbaren I n s c h r i f t e n getilgt wurde. Septimius Severus h o b im J a h r e 195 die D a m n a t i o a u f , n a h m also eine R e s t i t u t i o memoriae. eine „Wiederherstellung seines Angedenkens", vor, die 197 d u r c h d e n S e n a t bestätigt w u r d e . Die vorliegende Inschrift spiegelt D a m n a t i o wie R e s t i t u t i o : D a s kennzeichnende Cognomen des Kaisers. Commodus, ist ausgemeißelt, war aber, wie F a r b r e s t e erkennen lassen, später auf d e r gleichen Stelle mit F a r b e wieder eingetragen worden. Ferner weist die Inschrift im V o r n a m e n sowie in den Siegerbeinamen des Kaisers Unregelmäßigkeiten a u f . D a s mag auf mangelnde K e n n t n i s des in der P r o v i n z lebenden Verfassers zurückz u f ü h r e n sein. Allerdings sind die ungerechtfertigten Siegerbeinamen Armeniacus u n d P a r t h i c u s — offensichtlich v o m Vater Mark Aurel a u f C o m m o d u s ü b e r t r a g e n — in Ä g y p t e n z. B. generell bezeugt (dort zählte m a n ü b e r h a u p t die R e g e n t e n j a h r e des Commodus bereits v o m Regierungsantritt des Vaters an). Nr. 61 Weihinschrift f ü r Apollo G r a n n u s : CIL I I I 5874 = I B R 217.
219—221; Lauingen
(Kr. Dillingen):
[ d?]ei Apollinis Granni. / [Pro salute imp(eratoris) Caesaris M. Aujrelfii) Antoni[[ni ± 5]] / [f ]] / [[ ]], p(atris) patriae,) / [ Dio]r\ysivs le g(atus) Aug(usti) pr(o) pr(aetore) / [XVII?] kal(endas) Iunias. (Geweiht?) d e m G o t t e (?) Apollo G r a n n u s . . . Z u m Heile des Kaisers Marcus Aurelius A n t o n i n u s . . ., Vaters des Vaterlandes, (ließ es aufstellen) . . . Dionysius, Legatus Augusti pro praetore, a m 16. (?) Mai. Grannus, ein keltischer Wasser- u n d B ä d e r g o t t , wird in I n s c h r i f t e n aus keltisch besiedelten Gegenden nicht selten mit Apollo in dessen Eigenschaft als H e i l g o t t , identifiziert — so nicht n u r in R ä t i e n . sondern a u c h in Noricum u n d in S c h o t t l a n d ; sein K u l t ist bis nach Schweden u n d n a c h Westkleinasien bezeugt. I n dem Lauingen u n m i t t e l b a r b e n a c h b a r t e n Faimingen befand sich ein nach Ausweis der I n s c h r i f t e n vielbesuchtes Heiligtum des Apollo Grannus. Wahrscheinlich ist d a s vorliegende Zeugnis von d o r t h e r verschleppt. Auch Kaiser Caracalla soll bei einer E r k r a n k u n g im J a h r e 215 Apollo G r a n n u s angerufen (Dio 77, 15. 6). ja vielleicht sogar Faimingen aufgesucht haben, wo er zwei J a h r e zuvor, im Zuge seiner R ü s t u n g e n gegen die Germ a n e n , ein Kastell h a t t e anlegen lassen (s. S. 65. 68). — Wegen seiner Willkürherrs c h a f t verfiel Caracallas V e r w a n d t e r u n d Nachfolger Elagabal nach seiner E r m o r d u n g der D a m n a t i o memoriae (s. z u N r . 50); auch in der vorliegenden Inschrift ist sein N a m e — allerdings n u r unvollständig — ent fernt. — Den Tag der Weihung h a t m a n mit W a h r scheinlichkeit als den 16. Mai ergänzt, den Tag, a n d e m E l a g a b a l ( t 11. 3. 222) im J a h r e 218 z u m Kaiser ausgerufen wurde. — Dionysius, sonst u n b e k a n n t , ist der letzte datierbare senatorische S t a t t h a l t e r von R ä t i e n (s. zu N r . 50. 52).
Rätien Nr. 5 0 - 5 3
437
Nr. 52 E h r e n i n s c h r i f t f ü r Kaiser P r o b u s ; 281; A u g s b u r g ; B R G K 37/38 (1956/57) 224 Nr. 30. [Restitutori prjovinciarum et operum [publijcorum, providenjtiasimo ac super omnes fretro / principes forjtissimo imp(eratori) Caesfari) M. Aur(elio) [Probo / p(io) j(elici) invicto Aug(usto), p(ontifici)] m(aximo), trib(unicia) pöt(estate) VI. co(n)s(uli) IUI, patri [patriae, j proco(n)a(uli), ± 10]inus v(ir) p(erfectissimus), a(gens) v(ices)p(raesidis) prov(inciae) Raet(iae).nfumini J maiestatiq(ue) eiusj dicatissimus. Dem Wiederhersteller der Provinzen lind der öffentlichen B a u t e n , dem weit vorausschauenden, alle f r ü h e r e n Herrscher a n T a p f e r k e i t überragenden Kaiser Marcus Aurelius P r o b u s , d e m gnädigen, glücklichen u n d unbesiegten Ä u g u s t u s , d e m P o n t i f e x m a x i m u s , d e m I n h a b e r der tribunizischen Gewalt zum 6. Male ( = 10. 12. 2 8 0 - 1 0 . 12. 281), dem Konsul zum 4. Male ( = 281), d e m V a t e r des Vaterlandes u n d Prokonsul der Vir perfectissimus . . . inus, Stellvertreter des Praeses der Provinz R ä t i e n , in höchster Ergebenheit gegenüber dessen göttlicher H o h e i t u n d M a j e s t ä t . Nach d e n großen Alamannenfeldzügen von 259/260 gestaltete sich die Lage in R ä t i e n d e r a r t , d a ß in einer Lobrede vom J a h r e 296 (Paneg. L a t . 8, 10, 1) gesagt werden k o n n t e , u n t e r Gallienus sei R ä t i e n d e m Reiche verlorengegangen (s. zu Nr. 64). Nach wiederholten römischen B e m ü h u n g e n gelang es erst u n t e r Kaiser P r o b u s , die a n Iiier u n d Donau zurückverlegte Grenze durch neue Kastelle zuverlässig zu sichern (s. S. 91 f . ; vgl. zu N r . 54). Diese Befestigungswerke sind möglicherweise mit den „öffentlichen B a u t e n " der vorliegenden I n s c h r i f t gemeint. — H a t t e seit der Stationier)mg der Legio I I I Italica in R ä t i e n u n t e r Mark Aurel deren Befehlshaber, ein dem Senatorenstande angehöriger Legat, den S t a t t h a l t e r p o s t e n der Provinz inne (s. zu N r . 50), so bietet diese I n s c h r i f t den ersten sicher d a t i e r t e n Beleg (s. zu Nr. t-14) f ü r eine N e u o r d n u n g : den E r s a t z des L e g a t e n in Bezug auf die Zivilverwaltung durch einen dem R i t t e r s t a n d e angehörigen. Praeses im R a n g e eines Vir perfectissimus (s. oben S. 9 5 ) . Den Oberbefehl über die in der P r o v i n z stationierten T r u p p e n f ü h r t e ein D u x , der zunächst ebenfalls d e m R i t t e r s t a n d e im R a n g e eines Vir perfectissimus (s. oben S. 95), seit Kaiser Valentinian I. (364—375) allerdings dem S e n a t o r e n s t a n d e angehörte. Nr. 58 E h r e n i n s c h r i f t f ü r Kaiser Diokletian; 290; A u g s b u r g ; CIL I I I 5810 (vgl. C I L I I I S. 1853) = I L S 618 = I B R 121. l'rovidentissimo j principi, rectori / orbis ac domino, / fuiulatori pacis j aetemae / Diocletiano p(io) f(elici) / invicto Aug(usto), pont(ifici) / max(imo), Ger(manico) max(irno), Pers(ico) ] max(imo), trib(unicia) pot(estate) VII, / co(n)s(uli) IUI, patri pat(riae), / proco(n)s(uli) Sept(imius) / [Valejntio v(ir) p(erfectissimvs), p(raeses) p(rovinciae) It(aetiae), / d(evotus) it(umini) m(aiestati)que eiusde[m]. Dem weit vorausblickenden Kaiser, dem Lenker des Erdkreises u n d H e r r n , d e m Begründer des ewigen Friedens Diokletian, dem gnädigen, glücklichen u n d unbesiegten Augustus, dem P o n t i f e x m a x i m u s , d e m größten Germanenbezwinger, dem größten Perserbezwinger, dem I n h a b e r der tribunizischen Gewalt zum 7. Male ( = 290), d e m Konsul zum 4. Male ( = 290), dem V a t e r des Vaterlandes u n d P r o k o n sul der Vir perfectissimus Septimius Valentio, Praeses der Provinz R a e t i a , in E r gebenheit gegenüber dessen göttlicher H o h e i t u n d M a j e s t ä t .
438
Inschriften-Anhang
Kaiser Diokletian nahm eine verwaltungsmäßige Neugliederung des Reiches vor. die u. a. eine Zusammenfassung der Provinzen zu Diözesen beinhaltete; Rätien bildete seither einen Teil der Diözese Italia (s. S. 94f.). — I n Diokletians Titulatur fehlt der Siegerbeiname Britannicus maximus, der dem Kaiser in dem Zeitraum 285—288 verliehen worden war. — Septimius Valentio, Auftraggeber der Inschrift, ist der im J a h r e 290 in Augsburg residierende ritterliche Praeses Rätiens. Laut der in Rom gefundenen Inschrift CIL VI 1125 = I L S 619 stand er zwischen 293 und 296 an der Spitze einer Diözese; die Statthalterschaft in Rätien (vgl. Nr. 52) war also nur eine Stufe seiner Karriere in der Reichsverwaltung. II. Landwirtschaftliche (s. auch Nr. 63)
Produktion
und
Handwerk
Nr. 54 Grabinschrift des Verwalters Ursus; vor Mitte 3. J h . (?); Rotthof (Kr. Passau); CIL I I I 5616 = I B R 437. D(is) M(anibus). / Flora vilica / Urso adori. / marito caria/aimo 0 (= obito) an(norum) XLV, / et Iitcundo J aocro et Succ/eaa(a)e aocr(a)e pie/ntisaimis et / sibi viva fecit / et Succes(a)ua f(ilius) parentib(us) pientiaaimis. Den Manen. Flora, Verwalterin, hat (diesen Gedenkstein) ihrem teuren Gatten Ursus, Verwalter, gestorben im Alter von 45 Jahren, den liebevollen Schwiegereltern Iucundus und Successa und sich selbst zu ihren Lebzeiten fertigen lassen. Successus als Sohn den liebevollen Eltern. Alle Personen gehörten, wie ihre Namen verraten, nicht zum Kreis der römischen Bürger. Wahrscheinlich waren sie Sklaven, da mit solchen gewöhnlich die Stellen von Verwaltern auf Villen besetzt wurden (s. S. 324). Daß Flora und Ursus tatsächlich eine Villa verwalteten, ergibt sich aus der abgelegenen Lage des Fundortes am Rande des von Inn und Rott durchflossenen Tales und aus dem Fehlen eine« erläuternden Zusatzes zur Tätigkeitsbezeichnung. Der Unterschied der Bezeichnungen erklärt sich möglicherweise daraus, daß Flora für die technische. Ursus für die finanzielle Verwaltung zuständig war — letzteres eine Aufgabe, mit der auch sonst oft Actores speziell betraut waren. — Die letzte Zeile hat in wesentlich kleinerer Schrift nach dem Tode auch der Flora deren Sohn Successus hinzufügen. lassen ; möglicherweise besaß er nicht die Mittel, um die hohen Kosten für einen neuen Grabstein bestreiten zu können. Die Inschrift bietet keinen Hinweis für eine genaue Datierung. In Passau wurde in den Jahren 139—141 durch eine Einheit der Hilfstruppen, die Cohors I X Batavorum, auf dem Altstadthügel ein Kastell angelegt , nach dem der Ort seinen Namen erhielt (Castra Batava). Sollte die Inschrift erst nach den Chatten- und Markomanneneinfällen in den sechziger Jahren des 2. J h . (s. S. 57) entstanden sein, so könnte die zugehörige Villa im Schutze des Passauer Lagers betrieben worden sein. Die untere Grenze der Datierung ist wohl durch den großen Alamanneneinfall 259/260 (s. zu Nr. 50. 52. 64) gegeben (s. S. 182 f.). Nicht ganz auszuschließen ist freilich auch die Entstehung in der Zeit nach Wiederherstellung der römischen Macht in Rätien unter Probus (s. zu Nr. 52), als Passau wiederum Truppenstandort war, bis in die Mitte des 4. Jh., als die geordnete Bewirtschaftung eines Landgutes wegen der ständigen Einfälle nicht mehr möglich war (vgl. S. 183). Allerdings sind aus dieser letzten Periode der Geschichte des römischen Rätiens so gut wie keine (datierten) Inschriften erhalten.
Rätien Nr. 5 3 - 5 7
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Nr. 55 Ziegelstempel der Legio I I I Italica (Tonziegel), a) Vor 179/180, b—e) nach 179/180. a) Eining (Kr. Kelheim); CIL I I I 11989 c = I B R 496. b) Westheim bei Augsburg; CIL I I I 6000 i = I B R 496. c) Regensburg; CIL I I I S. 232853 a d n. 11988 = I B R 496. d) Abbach (Kr. Kelheim); CIL I I I 6000 d = I B R 496. e) Regensburg; CIL I I I S. 2328« ad n. 11988 = I B R 496. a) Leg(ionia) III Ital(icae) Con(cordis). (Erzeugnis) der Legio I I I Italica Concors. b) Leg(ionis) III Itali(cae). (Erzeugnis) der Legio I I I Italica. c) Leg(ionis) III Italic(a)e. (Erzeugnis) der Legio I I I Italica. d) Leg(ionia) III Italic(ae). (Erzeugnis) der Legio I I I Italica. e) Leg(ionia) Ter(tiae). (Erzeugnis) der Legio I I I . Zur Ziegelherstellung durch Truppen s. S. 258 f.; Nr. 22. 56; zur Technik des. Stempeins s. zu Nr. 57. — Die „Dritte Italische Legion" war seit der Zeit Mark Aurels zum Schutze Rätiens bestimmt (s. zu Nr. 50). Ihre Ziegelei befand sich in Abbach; sie arbeitete bereits vor der Stationierung der Legion in Regensburg, die nach dem Zeugnis der Steininschrift CIL I I I 11965 = I B R 362 in den Jahren 179/180 erfolgte (vgl. zu Nr. 50). Ihre Lieferungen gelangten westlich bis zur Provinzhauptstadt Augsburg, östlich bis nach Künzing an der Donau. Den auf dem Stempel aus Eining verzeichneten Beinamen Concors „die Einträchtige" (vielleicht ein Bezug auf die Mitregentschaft von Mark Aurels Bruder Verus, 161 — 169) trug die Legion bis zu ihrer Stationierung in Regensburg. Übrigens wird vermutet, daß die Legion unmittelbar nach der Gründung zunächst in Eining stationiert war. Nr. 56 Ziegelstempel der Cohors I I I Britannorum (Tonziegel); nach M. 2. J h . ; Eining (Kr. Kelheim); CIL I I I 11996 = IBR 506. Cho(rtis) (— cohortis) III Br(itannorum). (Erzeugnis) der Cohors I I I Britannorum. Über die Ziegelherstellung durch Truppeneinheiten s. zu Nr. 22, zur Technik des Stempeins s. zu Nr. 57. — Der vorliegende Stempel bezeugt eine Ziegelei, die von einer Abteilung der Hilfstruppen betrieben wurde. Diese Abteilung, die „Dritte Britannerkohorte", nach Aussage verschiedener Quellen beritten, befand sich möglicherweise schon im J a h r e 69 in Rätien; sicher bezeugt ist sie dort von 107 bis in die Zeit um 400. Frühestens seit der Mitte des 2. J h . bis in die Spätzeit befand sich ihr Standlager in Eining. Ausgehoben wurde die erste Mannschaft bei Gründung der Kohorte zweifellos, wenigstens zu einem bedeutenden Teil, im von den Römern in den Jahren 43 und 78—86 eroberten Britannien (vgl. zu Nr. 50 betr. Cohors I Breucorum). Nr. 57 Ziegelstempel des M. Vindelicius Surinus; 2./3. J h . (?) oder zwischen E. 1. J h . und M. 2. J h . (?). a) Sittling/Bad Gögging; Eining; Alkofen (? Exemplare aus Eining?) (alle Kr. Kelheim); Bayer. Vorgesch. 27 (1962) 108. 111; vgl. CIL I I I 12008; 29 Exemplare, 16 davon Bruchstücke, b) Eining (Kr. Kelheim); Bayer. Vorgesch. 27 (1962) 108. 110; 3 Exemplare.
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Inschriften-Anhang
a) M. Vindelficii) Surini. (Erzeugnis) des Marcus Vindelicius Sürhuis. b) Surini. (Erzeugnis) des (Marcus Vindelicius) Surinus. Die Ziegelstempel w u r d e n mit einer Negativform den noch u n g e b r a n n t e n Ziegeln aufgedrückt. Die vorliegenden S t e m p e l t e x t e s t a m m e n von zwei verschiedenen Art e n von F o r m s t e m p e l n . Der eingetiefte T e x t a) m i t seinen sorgfältigen B u c h s t a b e n wurde m i t einem Metallstempel (wohl Bronzetäfelchen m i t Ösengriff) hergestellt, der erhabene B u c h s t a b e n trug, der T e x t b) mit seinen erhabenen, vereinfachten B u c h s t a b e n m i t einem Holzstempel, in den die B u c h s t a b e n eingeschnitten waren. Als d r i t t e Art von Stempeln k e n n e n wir aus a n d e r e n F u n d e n noch F o r m s t e m p e l aus Ton mit eingetieften B u c h s t a b e n , deren A b d r ü c k e eine typisch r u n d e Kehlung der B u c h s t a b e n zeigen. — Surinus, seinem dreiteiligen N a m e n nach zu urteilen römischer Bürger, k ö n n t e wegen seines GentiJnamens Vindelicius einheimischer Herk u n f t gewesen sein: Die keltischen Vindeliker siedelten im heutigen S ü d b a y e r n bis zum Bodensee. E r w a r Besitzer oder a u c h n u r P ä c h t e r bzw. Werkmeister einer Privatziegelei im nordöstlichen R ä t i e n , in der U m g e b u n g von Regensburg. Auffällig ist, d a ß eben in Regensburg eine Grabinschrift •gefunden w u r d e (CIL I I I .3969 = I B R 414), die ein Vindel(icius) Surinus seinen Söhnen Vindelicius (H)erniogen i a n u s u n d Vindelicius Victor sowie seiner Tochter Vindelicia Sura h a t t e setzen lassen. Die I d e n t i t ä t beider Surini ist möglich, aber nicht zu beweisen; auf jeden Fall darf m a n m i t V e r w a n d t s c h a f t rechnen. — Die B u c h s t a b e n des metallenen Fornistempels, Stempel a), entsprechen n a c h dem Urteil G. Spitzlbergers, des Herausgebers in den Bayerischen Vorgeschichtsblättern, den B u c h s t a b e n von Steininschriften des 2./3. J h . Freilich ist eine D a t i e r u n g auf solcher Grundlage recht unsicher: Die T e x t e beider Stempel passen eher zu T e x t e n von T o n w a r e n s t e m p e l n des 1. J h . , die m a n in R o m g e f u n d e n h a t . F ü r einen relativ f r ü h e n Ansatz spricht auch der U m s t a n d , d a ß in Eining u n d Abbacli nach G r ü n d u n g der Legio I I I Italien u n t e r Mark Aurel (161—180) (s. S. 57f.) Ziegel verwendet wurden, die a u s der von dieser Legion in Abbacli betriebenen Ziegelei s t a m m e n (s. N r . 55), in Eining ferner Ziegel a u s der W e r k s t a t t der im dortigen Lager seit f r ü h e s t e n s der Mitte des 2. J h . stationierten Cohors I I I B r i t a n n o r u m (s. Nr. 56). D a s Auxiliarkastell in Eining wurde zwischen 79 u n d 81 angelegt; d a s wäre der f r ü h e s t e Z e i t p u n k t , zu dem iSuiin u s seine Ziegelei betrieben h a b e n k a n n . — Gestempelt sind mit beiden Stempeln n u r zwei G r ö ß e n t y p e n von Ziegeln, m i t dem Metallstempel a u ß e r d e m ein einziger G r ö ß e n t y p von Dachziegeln. Manche, bessere A b d r ü c k e des metallenen F o r m s t e m pel s zeigen hinter dorn M ein von Tonwarenherstellern auch sonst, verwendetes Zeichen, eine henkellose Amphore, die allerdings a u s R a u m m a n g e l ziemlich schmal ausgefallen ist. So läßt sich nicht ausschließen, d a ß Surinus auch Töpferei betrieb. Zu Betrieben mit d e r a r t kombinierter P r o d u k t i o n s. S. 2(i