Die Rechtsprechung des Deutschen Oberhandelsgerichtes zu Leipzig: Band 7 [Reprint 2022 ed.] 9783112679944


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German Pages 203 [404] Year 1874

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Inhalt
I. Rechtsfälle und Entscheidungen des OHG
a. aus dem Jahre 1872
30. März. Personal-Arrest zur Sicherung einer Zwangsvollstreckung
1. Erk. v. 16. April. Seeschiffer. Erwerb für die Rhederei. Ausfuhrprämie
2. Erk. v. 20. Aktiengesellschaft. Streit mit einem Aktionär. Auslegung des Statuts
3. Erk. v. 20. Konventionalstrafe und Verzugszinsen nach ALR
4. Erk. v. 23. Facturaklauseln, Auslegung. Internationales Prozeßrecht
5. Erk. v. 23. Handelskauf, Abnahmefrist und Verzug
6. Erk. v. 24. Aktiengesellschaft, Verpflichtung der Beitretenden
7. Erk. v. 26. Dingliche Rechte an beweglichen Sachen. Territorialitätsprinzip, Ortsveränderung
8. Erk. v. 26. Barattohandel. Bestimmtheit des Kaufpreises
9. Erk. v. 26. Vollmacht, Umfang. Inspektor einer Versicherungs- Gesellschaft
10. Erk. v. 27. Darlehn, Vorschuß. Schuldschein. Preuß. Konkursrecht
11. Erk. v. 30. Werkverdingung. Mängel des gelieferten Werks, Schadenersa
12. Erk. v. 30. Vertragserfüllung in österreichischer Währung, Papier oder Silber
13. Erk. v. 30. April. L'öschzeit, Einrechnung von Sonn- und Feiertagen
14. Erk. v. 3. Mai. Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit; Bestand, Grundkapital
15. Erk. v. 4. Personalarrcst als Sicherungsmaaßregel
16. Erk. v. 4. Wechselklage des Indossatars, Einrede der Arglist
17. Erk. v. 7. Haftpflicht der preuß. Eisenbahnen für Beschädigungen
18. Erk. v. 7. Giro nach Verfall
19. Erk. v. 7. Handelskauf. Erfüllungsort. Preisminderungsanspruch des Käufers. Beweislast
20. Erk. v. 10. Bürgschaft, Umfang, Auslegung
21. Erk. v. 10. Wechsel, Zahlungszeit, Jahreszahl
22. Erk. v. 10. Eidesleistung einer Handelsgesellschaft
23. Erk. v. 10. Handelsgesellschafter. Antrag auf Ausschließung eines Socius neben Kündigung der Societät
24. Erk. v. 11. Aktiengesellschaft. Gründungscomit6, Gläubiger und Akticnär
25. Erk. v. 11. Wechsel. Ort und Zeit der Ausstellung. Mandat non acceptable, Rückforderung der Valuta. Richteramt
26. Erk. v. 14. Feuerversicherung, besondere Feststellung des Schadenbetrages
27. Erk. v. 14. Aktienkauf, Miterwerb rückständiger Dividende, Haftung für unterbliebene Einzahlungen
28. Erk. v. 14. Handlungsbevollmächtigter, Befugnisse
29. Erk. v. 15. Genuskauf, Vertragsklage des Käufers, Beweislas
30. Erk. v. 15. Konkurs und Zinsenlauf, Wechselregreßsorderung, Zinsen
31. Erk. v. 17. Bezahlung des Wechsels durch eine Nothadresse, Wirkung
32. Erk. v. 17. Rechenschaftspflicht eines Gesellschafters
33. Erk. v. 17. Handelskauf, Dispositionsstellung des Käufers, Kaufpreisziel
34. Erk. v. 24. Frachtvertrag, Stellung des Frachtführers
35. Erk. v. 24. Nachdruck, Thatbestand, richterliches Ermessen
36. Erk. v. 25. Bürgschaft nach ALR
37. Erk. v. 25. Frachtgeschäft der Eisenbabnen, Haftpflicht, Kassationsmittel
38 Erk. v. 25 Mai. Mandat, Widerruf, Verbindlichkeiten des Mandanten
39. Erk. v. 28 Propergeschäft des Kommissionärs. Wahlrecht und Schadenersatz beim Handelskauf
40. Erk. v. 28 Vorschußverein als Kaufmann. Vereinskassirer. Vereinsmitzlieder als Zeugen. Zurückbehaltungsrecht. Retention von Hypothekendokumenten
41. Erk. v 28 Gesetzliches Pfandrecht des Vermiethers
42. Erk. v. 29 Flußschifffahrt. Haftung des Schiffseigenthümerö für den Schiffsführer
43. Erk. v. 1 Juni. Handelskauf, Fixgeschäft, Nachfris
44. Erk. v. 4 Handelskauf, Fixgeschäft, Schadenersatz
45. Erk. v. 5 Wechselklage. Verjährungssrage
46 Erk. v. 7 Versolgungsrecht des Absenders, Zurückbehaltungsrecht des Spediteurs
47 Erk. v. 7 Beschlagnahme einer Wechselforderung
48 Erk. v. 8 Handelskauf. Platz- oder Distanz-Geschäft?
49. Erk. v. 11 Wechsel auf „Dato nach Sicht"
50. Erk. v. 12 Oberappellation in Handelssachen aus Reuß ä. L
51. Erk. v. 14 Kaufsofferte
52. Erk. v. 18 Handelskauf, Rügepflicht des Käufers. Beweislast des Verkäufers
53 Erk. v. 18 Betrug des Prokuristen, Haftung der Prinzipals
54. Erk. v. 19 Bertragsschließung
55. Erk. v. 21 Eisenbahnfracht - Vertrag, bösliche Handlungsweise
56 Erk. v. 22 Unbefugte Firmaführung, Klage aus Art. 27 HGB
57. Erk. v. 22 Contocurrentvertrag
58. Erk. v. 22 Aufhebung eines schriftlichen Vertrages nach ALR
59. Erk. v. 25 Handel in schwimmender, ostindischer Baumwolle. Amsterdamer Usanz. Recht des Auslands. Gewohnheitsrecht und Usanz
60. Erk. v. 26 Restitutio in integrum wegen Minderjährigkeit. Bundes-Jndigenat. Dispositionsfähigkeit eines Minderjährigen
61. Erk. v. 27. Juni. Nebenberedungen im Wechsel, Verzicht auf Verjährung
62. Erk. v. 28. „ Handelsgebräuche, ihre Bedeutung. Vertragswille
63 Erk. v. 28. ,, Jnterventionsklage, Gerichtsstand. Deposition. Recht des Auslands. Ansprüche des Kommittenten. Bescheinigung im Arrestprozeß
64. Erk. v. 28. „ Kautionswechsel
65. Erk. v. 28. „ Kaufmann, Gebrauch einer nicht eingetragenen Firma
66. Erk. v. 29. „ Vertragsschluß, Perfektion. Handelsbrauch
67. Erk. v. 29. „ Handelskauf, Fixgeschäft. Stellung des Nichtigkeitsrichterö
68. Erk. v. 6. Aug. Haussohn, Wechselfähigkeit. Dispositionsfähigkeit hinsichtlich des freien Vermögens. Aufhören der väterlichen Gewalt
69. Erk. v. 6. „ Verjährung der Wechselklage gegen den Acceptanten
70. Erk. v. 3. Sept. Wechsel als Zahlungsmittel
71. Erk. v. 20. „ Fixgeschäft, Kündigung, Verkauf der Waare
72. Erk. v. 24. „ Handelsgesellschaft, Schulden
II. Lach-Register.
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Die Rechtsprechung des Deutschen Oberhandelsgerichtes zu Leipzig: Band 7 [Reprint 2022 ed.]
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Die Rechtsprechung des

Deutschen

zu Leipzig, herausgegeben von

A. Stege mann, ÄnNalt am genannten Gerichtshöfe, preußischem Justizrath rc.

Siebenter Sand.

Verlag von I. Guttentag (D. Collin). 1873.

Inhalt. ------

Seite

I. Rechtsfälle und Entscheidungen des OHG . . 1 bis 385 (nach der Zeitfolge der mitgetheilten Entscheidungen)

a, aus dem JaKre 1872: Nr.

(1872)

— Erk. v. 30. März. Personal-Arrest zur Sicherung einer Zwangsvollstreckung......................................G9 n, 1. Erk. v. 16. April. Seeschiffer. Erwerb für die Rhederei. Ausfuhrprämie...................................................1 2. Erk. v. 20. „ Aktiengesellschaft. Streit mit einem Ak­ tionär. Auslegung des Statuts ... 4 3. Erk. v. 20. „ Konventionalstrafe und Verzugszinsen nach ALR........................................................................ 9 4. Erk. v. 23. „ Facturaklauseln, Auslegung. Internatio­ nales Prozeßrecht............................................12 5. Erk. v. 23. 6. Erk. v. 24. 7. Erk. v. 26.

8. Erk. v. 26. 9. Erk. v. 26.

10. Erk. v. 27.

Handelskauf, Abnahmefrist und Verzug . lfr Aktiengesellschaft, Verpflichtung der Bei­ tretenden ........................................................... 18„ Dingliche Rechte an beweglichen Sachen. Territorialitätsprinzip, Ortsveränderung 21 „ Barattohandel. Bestimmtheit des Kauf­ preises ................................................................. 27 „ Vollmacht, Umfang. Inspektor einer Ver­ sicherungs-Gesellschaft ......................................33 „ Darlehn, Vorschuß. Schuldschein. Preuß. Konkursrecht...................................................... 34

„ „

11. Erk. v. 30.



12. Erk. v. 30.



Werkverdingung. Mängel des gelieferten Werks, Schadenersatz..................................... 41 Vertragserfüllung in österreichischer Wäh­ rung, Papier oder Silber?...........................54

IV

Mr.

(1872)

Seite

13. Erk. v. 30. April. L'öschzeit, Einrechnung von Sonn- und Feiertagen........................................................... 60 14. Erk. v. 3. Mai. Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitig­ keit; Bestand, Grundkapital...........................62 15. Erk. v. 4. „ Personalarrcst als Sicherungsmaaßregel. 67 16. Erk. v. 4. „ Wechselklage des Indossatars, Einrede der Arglist.................................................................71 17. Erk. v. 7. „ Haftpflicht der preuß. Eisenbahnen für Beschädigungen.................................................... 76 18. Erk. v. 7. „ Giro nach Verfall............................................81 19. Erk. v. 7. „ Handelskauf. Erfüllungsort. Preismin­ derungsanspruch des Käufers. Beweislast. 85 -20. Erk. v. 10. „ Bürgschaft, Umfang, Auslegung ... 92 21. Erk. v. 10. „ Wechsel, Zahlungszeit, Jahreszahl . . 99 22. Erk. v. 10. „ Eidesleistung einer Handelsgesellschaft . 103 23. Erk. v. 10. „ Handelsgesellschafter. Antrag auf Aus­ schließung eines Socius neben Kündigung der Societät................................................. 104 24. Erk. v. 11. „ Aktiengesellschaft. Gründungscomit6, Gläu­ biger und Akticnär......................................... 108 25. Erk. v. 11. „ Wechsel. Ort und Zeit der Ausstellung. Mandat non acceptable, Rückforderung der Valuta. Richteramt...............................109 26. Erk. v. 14. „ Feuerversicherung, besondere Feststellung des Schadenbetrages....................................115 27. Erk. v. 14. „ Aktienkauf, Miterwerb rückständiger Di­ vidende, Haftung für unterbliebene Ein­ zahlungen ..........................................................119 28. Erk. v. 14. „ Handlungsbevollmächtigter, Befugnisse . 125 29. Erk. v. 15. „ Genuskauf, Vertragsklage des Käufers, Beweislast..........................................................128 30. Erk. v. 15. „ Konkurs und Zinsenlauf, Wechselregreßsorderung, Zinsen..........................................133 31. Erk. v. 17. „ Bezahlung des Wechsels durch eine Noth­ adresse, Wirkung.............................................. 137 32. Erk. v. 17. „ Rechenschaftspflicht eines Gesellschafters . 140 33. Erk. v. 17. „ Handelskauf, Dispositionsstellung des Käu­ fers, Kaufpreisziel......................................... 143 34. Erk. v. 24. „ Frachtvertrag, Stellung des Frachtführers 146 35. Erk. v. 24. „ Nachdruck, Thatbestand, richterliches Er­ messen ............................................................... 150 36. Erk. v. 25. „ Bürgschaft nach ALR.....................................159 37. Erk. v. 25. „ Frachtgeschäft der Eisenbabnen, Haftpflicht, Kassationsmittel.............................................. 165

38. Erk. v. 25. Mai. Mandat, Widerruf, Verbindlichkeiten des Mandanten...................................................... 171

39. Erk. v. 28.

Propergeschäft des Kommissionärs. Wahl­ recht und Schadenersatz beim Handels­ kauf ;................................. 173

40. Erk. v. 28.

Vorschußverein als Kaufmann. Vereinskassirer. Vereinsmitzlieder als Zeugen. Zurückbehaltungsrecht. Retention von Hy­ pothekendokumenten 184

41. Erk. v. 28. 42. Erk. v. 29.

192:

43. 44. 45. 46.

Erk. Erk. Erk. Erk.

v. v. v. v.

47. Erk. v. 48. Erk. v. 49. Erk. v. 50. Erk. v. 51. Erk. v. 52. Erk. v. 53. Erk. v.

54. Erk. v. 55. Erk. v. 56. Erk. v. 57. Erk. v. 58. Erk. v.

Gesetzliches Pfandrecht des Vermiethers . Flußschifffahrt. Haftung des Schiffseigenthümerö für den Schiffsführer .... 1. Juni. Handelskauf, Fixgeschäft, Nachfrist. . . Handelskauf, Fixgeschäft, Schadenersatz . Wechselklage. Verjährungssrage . . . 7 Versolgungsrecht des Absenders, Zurück­ behaltungsrecht des Spediteurs .... Beschlagnahme einer Wechselforderung . 7. Handelskauf. Platz- oder Distanz-Ge­ 8. schäft? ...................................... . . Wechsel auf „Dato nach Sicht" . . 11. Oberappellation in Handelssachen aus 12. Reuß ä. L Kaufsofferte. . ...................................... 14. Handelskauf, Rügepflicht des Käufers. 18. Beweislast des Verkäufers...................... Betrug des Prokuristen, Haftung der Prin­ 18. zipals . ..................................................... Bertragsschließung 19. Eisenbahnfracht - Vertrag, bösliche Hand­ 21. lungsweise Unbefugte Firmaführung, Klage aus Art. 22. 27 HGB...................................................... Contocurrentvertrag ..... 22. Aufhebung eines schriftlichen Vertrages 22. nach ALR.................................................

219 245 249 252

254 254 253 259 268

271 281 283 297

Handel in schwimmender, ostindischer Baumwolle. Amsterdamer Usanz. Recht des Auslands. Gewohnheitsrecht und Usanz 304

59. Erk. v. 25.

60. Erk. v. 26.

204 203 214 219



Restitutio in integrum wegen Minder­ jährigkeit. Bundes-Jndigenat. Dispo­ sitionsfähigkeit eines Minderjährigen . . 319

— vr — Nr. (1872) Seite *61. Erk. v. 27. Juni. Nebenberedungen im Wechsel, Verzicht auf Verjährung....................................................325 62. Erk. v. 28. „ Handelsgebräuche, ihre Bedeutung. Ver­ tragswille ................................ 330

63 Erk. v. 28.

,,

64. Erk. v. 28. 65. Erk. v. 28.

„ „

— Erk. v. 29.



Contocurrentvertrag................................. 294 Vertragsschluß, Perfektion. Handels­ brauch .............................................................. 359 v. 29. „ Handelskauf, Fixgeschäft. Stellung des Nichtigkeitsrichterö................................. 362 v. 6. Aug. Haussohn, Wechselfähigkeit. Dispositions­ fähigkeit hinsichtlich des freien Vermögens. Aufhören der väterlichen Gewalt . . . 365 v. 6. „ Verjährung der Wechselklage gegen den Acceptanten...................................... 374 v.3. Sept. Wechsel als Zahlungsmittel.......................... 376 v. 6. „ Depotwechsel.................................................... 353 v. 20. „ Fixgeschäft, Kündigung, Verkauf der Waare 382 v. 24. „ Handelsgesellschaft, Schulden.......................... 383

— Erk. v. 29. 66. Erk. v. 29.

67. Erk.

68. Erk. 69. Erk. 70. — 71. 72.

Erk. Erk. Erk. Erk.

Jnterventionsklage, Gerichtsstand. Deposition. Recht des Auslands. Ansprüche des Kommittenten. Bescheinigung im Arrest­ prozeß ...................................... 338 Kautionswechsel................................................350 Kaufmann, Gebrauch einer nicht einge­ tragenen Firma.............................................. 356 Genehmigung einer Vertragserfüllung, Nachfrist........................................... 210 n., 211 n.

„ „

— Erk. v. 16. Okt. Fixgeschäft, Richteramt.................................... 212

b. aus dem Jahre 1873: — Erk. v. 19. Febr. Bösliche Handlungsweise im Bahnfracht­ geschäft, Beweiölast........................... . . 273 n. — Erk. v. 5.März.! Haftpflicht der Eisenbahnen,bösliche Hand- 278 — Erk. v. 23. April. >lungsweise.............................................279 — Erk. D. 23. „ J.............................................. .280

— Erk. v.

9. Mai. Verfolgungsrecht desAbsenders....

232

II. Sachregister........................................................... 386 ff.

Nr. 1.

I. Senat. — Erkenntniß v. 16. April 72. (Z.) Siebolds |. Bredeslow (Nr. 104 v. 72).

Preußen.

Seerechtsfall.

Nichtigkeitsbeschwerde.

I. Instanz: Kreisgericht Memel, II. Instanz: Ostpreußisches Tribunal zu Königsberg. Seeschiffer.

Erwerb für die Rhederei.

Ausfuhrprämie.

1. Was der Seeschiffer mit dem Schiffe in Ausübung seiner Pflicht erwirbt, gebührt grundsätzlich der Rhederei. An diese hat er daher auch Geschenke der Ladungsempfänger und das abzuliefern, was er für Rechnung eines Ladungs­ empfängers eingenommen und Letzterer ihm gelassen hat. HEB Art. 496, 513.

2. Ausfuhrprämien darf der Seeschiffer niemals für sich behalten, sie gebühren dem Ladungsinteressenten oder -er Rhederei. HGB Art. 504, 505 ff., 513, 634.

Entscheidung des OHG: Nach der kgl. spanischen Order v. 17. April 20 wird Schiffskapitänen, welche in Mata, Torrevieja oder Ibiza Salz zur Ausfuhr kaufen, eine Ausfuhrprämie von 6% gewährt. Kläger fKapitän eines Seeschiffs aus Memels hat für zwei von Torrevieja nach Memel geführte Salz­ ladungen diese Exportbonifikation im Gesammtbetrage von 160 Thlrn. 16 Gr. empfangen und weigert deren Aufnahme in die Schiffsrechnung zu Gunsten der Rhederei. Der VII.

1

2 Appellrichter hat ihn dazu verurtheilt. Er gründet seine Entscheidung einmal darauf, daß nach HGB Art. 513, 496, 503 Abs. 5 grundsätzlich Alles, was mit dem Schiffe ver­ dient wird, der Rhederei in Einahme gestellt werden muffe, und daß Art. 513 nur eine einzelne Anwendung dieses Grundsatzes enthalte, daher nicht streng nach seinem Wort­ laut zu interpretiren sei; sodann darauf, daß die spanische Regierung die Ausfuhrprämie dem Exporteur bewillige, und daß als Exporteur, solange (wie in vorliegendem Falle) der Befrachter keinen Anspruch, erhebe, die Rhederei des betreffenden Schiffs, der Schiffer als Vertreter der Rhederei und nicht der Schiffer persönlich gelte. Trifft der erste Entscheidungsgrund zu, so kann die Richtigkeit des zweiten auf sich beruhen bleiben. Denn mag dem exportirenden Kapitän als solchem oder mag dem Kapitän als Vertreter der wirklichen Exporteure, somit als Vertreter nicht der Rhederei, sondern der Ladungsintereffenten — HGB Art. 504; vgl. Art. 505—511, 634 Abs. 1, Art. 697 Abs. 2, Art. 700, 479; vgl. Protokolle S. 2461 ff., 3831 bis 3833 — die Ausfuhrprämie bewilligt werden: so darf er dieselbe doch niemals für sich behalten. Art. 513 HGB bestimmt: „Was der Schiffer vom Befrachter, Ablader oder Ladungsempfänger außer der Fracht als Kaplaken, Primage oder sonst als Belohnung oder Ent­ schädigung, gleichviel unter welchem Namen erhält, muß er dem Rheder als Einnahme in Rech­ nung bringen." Die preuß. Entwürfe (I. Entw. § 470, vgl. Prot. der Berliner Sachverständigen-Kommission S. 125; II. Entw. Art. 432 Abs. 1) enthielten den gleichen Grundsatz, jedoch mit Beschränkung auf den Fall, daß der Schiffer selber den

3 Frachtvertrag abgeschlossen hat.

Die Motive S. 239 recht­

fertigen diesen „Mittelweg" damit, daß zwar prinzipiell der

Mandatar Alles, was er bei Ausführung

des Mandats

erwirbt, dem Mandanten herausgeben müsse, daß aber an­

dererseits ein unbedingtes Gebot würde,

daß der Schiffer die

der Art

dahin führen

unter Umständen mögliche

äußerste Anstrengung unterließe; es genüge daher, möglichen

Kollisionen zwischen den Interessen des Schiffers und des Rheders dadurch vorzubeugen, daß man die vom Schiffer bei eigener Abschließung des Frachtvertrags ausbedungenen persönlichen Vortheile dem Rheder zu Gute kommen lasse.

Indeß die Seerechtskonferenz hat diese Beschränkung verworfen.

Sie ging davon aus, daß Kollisionen zwischen

den Interessen des Schiffers und des Rheders nur dadurch

vermieden werden könnten, daß dem Rheder Alles zuge­

billigt werde, was der Schiffer mit dem Schiffe durch Aus­

übung seiner Pflicht erwerbe, wenngleich der Geber es dem Schiffer persönlich zugedacht hätte, somit Alles, was der Schiffer erhält, auch die ohne besondere Verabredung be­

zahlten Vergütungen sowie die nach Vollendung der Reise

freiwillig gegebenen Geschenke. Prot. S. 1921 — 1924, 3739. Dieser in das Gesetzbuch aufgenommene, über das bis­

her geltende Seerecht gemeinen

Prinzipien

hinausgehende und mit den allge-

mindestens

des

gemeinen

Rechts

[L. 6 § 6, L. 10 § 8 Big. 17, 1] nicht vereinbare Grund­

satz

verhindert

den Schiffer (in Ermangelung

entgegen­

stehender Vereinbarung), irgend etwas zu behalten, was er in seiner Eigenschaft als Schiffer, sei es für sich per­ sönlich, sei es für die Rhederei, sei es für die Ladungs­

interessenten empfangen

hat.

Auch

wenn

die Ladungs-

betheiligten ihm etwas geschenkt hätten, müßte er es dem Rheder in Einnahme stellen. Hat er es für die Ladungs­ interessenten empfangen, .so muß er freilich denselben

4 Rechnung legen, und es kann dahin gestellt bleiben, ob er auch nur zu vorläufiger Aufnahme in die dem

gelegte Schiffsrechnung verbunden ist.

Rheder

Aber Kläger behaup­

tet selber nicht, den Ladungsempfängern die empfangene

Ausfuhrprämie noch zu schulden oder diesen rechnungs­ pflichtig zu sein; er will es nur dahingestellt lassen, ob etwa die Käufer des Salzes einen Anspruch auf die Gratifikation

haben, begehrt somit dem Rheder gegenüber den Vortheil für sich.

Dies aber steht ihm nicht zu.

Der Appellrichter hat somit weder den Art. 513 HGB noch ... den Rechtsgrundsatz verletzt:

„Niemand

darf

ohne vorgängigen translativen Titel Ansprüche aus der Rechtssphäre eines Dritten für sich geltend machen"; denn

das Gesetz erkennt eben hinsichtlich der vom Schiffer als

solchem empfangenen Vergütung eine eigene Rechtssphäre des Schiffers, gegenüber dem Rheder, nicht an.

Nr. 2.

II. Senat. — Erkenntniß v. 20. Äprit 72. (Z.) A. Barlholony

die Aktiengesellschaft Phönix (Nr. 767 v. 71).

Nichtigkeitsbeschwerde.

Preußen.

I. Instanz: Kreisgericht Duisburg, II. Instanz: Appellationsgericht Hamm. Aktiengesellschaft.

Streit mit einem Aktionär. Statuts.

Auslegung des

1. Das Statut einer Aktiengesellschaft stellt — auch wenn (vor dem Bundesgesetz v. 11. Juni 70) landesherr­ lich bestätigt — nur einen privatrechtlichen Vertrag dar, und ist nicht Rechtsquclle im Sinne der preuß. Nich­ tigkeitsbeschwerde-Verordnung v. 14. Dezember 33. Vgl. Rspr. IV Fall 58 S. 348.

5

2. Zu Den (regelmäßig schiedsrichterlicher Beurtheilung unterliegenden) „Streitigkeiten zwischen einer Aktiengesell­ schaft und einzelnen Aktionären" gehört auch der Fall, wenn die Gesellschaft dem Aktionär den Inbegriff seiner Rechte bestreitet nnd denselben gänzlich aus ihrem Verbände ansschließen will. HEB Art. 207, 216, 220 Abs. 2, 224. Vgl. Reichsgesetz v. 12. Juni 69 § 13 Nr. 3, a.

Kläger ist Besitzer alter, von der Gesellschaft Phönix (Aktiengesellschaft für Bergbau und Hüttenbetrieb zu Laar) im August 55 ausgegebener, auf den Inhaber lautender Aktien. Seit der im Jahre 60 erfolgten Umgestaltung der Gesellschaft sind ihm von dieser — durch Präkludirung seiner Aktien und durch Vorenthaltung neuer (jetzt gelten­ der) Aktien — alle Befugnisse und Vortheile eines Aktionärs entzogen worden. Er verlangt deshalb Umtausch seiner (praktisch werthlosen) Aktien gegen neue. Seine Klage wird in zwei Instanzen abgewiesen, als statutenmäßig vor ein gewiffes Schiedsgericht gehörig.

Entscheidung des OHG: Die Nichtigkeitsbeschwerde bestreitet nicht die Giltigkeit des im § 43 der revidirten Statuten der Gesellschaft Phönix fvom Jahre 60] enthaltenen Kompromisses. Ihr Angriff richtet sich allein gegen die Entscheidung des Appell­ richters, daß der Fall, wo das im § 43 angeordnete Schiedsgericht eintreten und die Kompetenz des ordentlichen Richters ausgeschloffen sein soll, vorliege, daß es sich näm­ lich um Streitigkeiten zwischen der Gesellschaft und einem Aktionär in Beziehung auf die dem Letzteren nach dem revidirten Statut zustehenden Rechte handle. Soweit der Angriff zunächst auf Verletzung der Sta­ tuten der Gesellschaft Phönix gestützt wird, steht ihm ent­ gegen, daß diese Statuten keine Rechtsquelle im Sinne

6 der Verordnung v. 14. Dez. 33 sind.

Sie bilden einen

privatrechtlichen Vertrag und verlieren diese Natur nicht durch die landesherrliche Bestätigung, deren es

nach den zur Zeit

ihrer Errichtung

bestehenden spreuß.s

Gesetzen bedurfte und die im öffentlichen Interesse erfolgte, den privatrechtlichen Charakter der Gesellschaft aber nicht

änderte und den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages nicht die Natur gesetzlicher Vorschriften verlieh.

Das Gegentheil

hievon folgt auch nicht aus § 2 der Einleitung zum ALR, da bei den dort bezeichneten Statuten einzelner Gemein­ heiten rc.,

die

durch

landesherrliche

Bestätigung

Kraft

der Gesetze erhalten, an staatlich genehmigte Verträge von

Privatgesellschaften nicht zu denken ist, darunter viel­ sind, welche durch die

mehr Rechtsnormen zu verstehen

landesherrliche Bestätigung in die Reihe der geschriebenen Gesetze treten. Der Gesichtspunkt, unter dem die Nktbschw. zu prüfen ist, ist also nicht der, ob der Appellrichter durch die An­

nahme, daß es sich hier um einen Streit zwischen einem

Aktionär und der Gesellschaft über die Rechte des Ersteren

handle, das Gesellschaftsstatutrichtig ausgelegt* hat, sondern nur, ob er durch diese Auslegung bestehenden gesetzlichen

Bestimmungen zu nahe getreten ist. So aufgefaßt, erscheint die Nktbschw. hinfällig.

Wie

der Richter die allgemeinen handelsrechtlichen Vorschriften

der Art. 1, 207, 216, 224, 237, 239, 242 Nr. 2, 244, 245, 248 HGB verletzt haben soll, ist nicht näher begründet. Es konzentrirt sich die Deduktion auf die Behauptung, der Richter habe, indem er annehme, der Kläger streite „als Aktionär der Gesellschaft" mit dieser über seine Rechte, hin­

sichtlich deffen, was ein Aktionär sei, rechtlich geirrt, und auch,,was die Klage eigentlich gewollt habe, unrichtig ver­ standen, hiedurch die gesetzlichen Vorschriften über das Ver-

* Vgl. Rspr. I S. 396 unter c, VI S. 42*, 236.

7 hältniß des Aktionärs zur Gesellschaft verletzt und eine

Nichtigkeit im Sinne der Nr. 9 der Instruktion v. 7. April

39 „durch Verkennung des wahren Klagegrundes" begangen. Der Vorwurf ist unbegründet.

Wenn der Kläger behauptet, Aktionär der Gesellschaft auch in ihrer gegenwärtigen Gestalt und Verfassung zu

sein, und wenn sein Prinzipälantrag darauf gerichtet ist, ihm die vorenthaltenen Aktien und Dividendenscheine aus­

zuhändigen: so läuft es fast auf ein Wortspiel hinaus, wenn er daneben doch in Betreff der Frage, ob seine An­ sprüche einen Streit „zwischen Aktionär und Gesellschaft"

darstellen, die Behauptung aufstellen zu können glaubt,

er

sei nicht Aktionär, weil die Gesellschaft dieses sein Recht dem ganzen Umfange nach ihm streitig mache, ihn von der

Gesellschaft ausschließe.

Streitigkeiten zwischen der Gesell­

schaft und den Aktionären werden immer darin bestehen, daß Letztere Rechte behaupten, die Erstere nicht anerkennen will. Auf den Umfang des beanspruchten bzw. bestrittenen "'Rechts kommt es hiebei nicht an, und es ist unhalt­

bar zu behaupten, eine Streitigkeit zwischen Aktionär und

Gesellschaft höre auf, eine solche zu sein, wenn die Gesell­ schaft dem Aktionär den Inbegriff seiner Rechte bestreitet, ihn ganz und gar präkludiren will. Demnach hat der Appellrichter, indem er das Verhält­

niß so aufgefaßt und den Fall des § 43 des Gesellschafts­ vertrages als vorhanden angesehen hat, in keiner Weise

das zwischen dem Aktionär und der Gesellschaft bestehende

Rechtsverhältniß unrichtig beurtheilt.

Ebensowenig hat er

die Klage und deren eigentlichen Grund mißverstanden, so

daß von einer Nichtigkeit im Sinne der Nr. 9 der In­

struktion vom 7. April 39 nicht die Rede sein könnte, wenn diese Bestimmung, welche sich auf die Verkennung der

rechtlichen Natur eines Vertrages bezieht, einer Anwendung auf das vorliegende Verhältniß empfänglich wäre.

8 Die Klage geht selbst von der (auch durch den Appell­ richter anerkannten) Prämisse aus, daß durch das revidirte Statut von 1860 keine neue Gesellschaft gegründet, viel­ mehr die alte Phönix-Gesellschaft nur reorganisirt worden ist. Hierauf, sowie auf die Ansicht, daß seine Ausschließung auf einer unrichtigen Interpretation des neuen Statuts beruhe, stützt Kläger seinen Anspruch, als Aktionär der Gesellschaft Phönix, so wie dieselbe jetzt in Gemäßheit des neuen Statuts existirt, anerkannt zu werden, und es ist hiemit vollkommen in Harmonie, wenn der vorige Richter den Gegenstand der Klage als einen Streit zwischen der jetzigen Gesellschaft Phönix und einem ihrer Aktionäre be­ handelt. Dem gegenüber ist es auch ohne Werth, wenn Kläger im Laufe des Prozesses (an gewissen Stellen der Klage­ schrift und in der Berufungsschrift) es als zweifelhaft oder streitig hingestellt hat, ob ihm die Eigenschaft eines Aktionärs noch beiwohne, und wenn er daraus jetzt einen Vorwurf der Aktenwidrigkeit (§ 5 Nr. 10 der Verordnung v. 14. Dez. 33) konstruiren will. Neben dem klaren Sinne der Anspruchsbegründung im Allgemeinen können jene Aeußerungen als selbständige Behauptungen nicht in Be­ tracht kommen. Es sind vielmehr Argumentationen, die als solche nicht geeignet sind, das Gewicht derjenigen Er­ klärungen, auf welche die richterliche Entscheidung in Wirk­ lichkeit gestützt ist, zu entkräften. Auch sind die feststehenden Thatsachen: daß im Jahre 60 ein neuer Gesellschaftsvertrag abgeschloffen, auf Grund dessen eine „neue Gesell­ schaft" gebildet und hierauf die Liquidation der alten Gesellschaft thatsächlich vollzogen worden, keineswegs omittirt sRspr. I S. 97, 396]. Der Richter hat vielmehr die Frage, ob im Jahre 60 eine neue Gesell­ schaft zu Stande gekommen oder nur die alte reorganisirt.

9 worden, eingehender Prüfung unterzogen und dabei die thatsächlichen Vorgänge des Jahres 60 nicht unberücksichtigt gelassen. Endlich bedarf es keiner näheren Ausführung, daß der Appellrichter durch seine, auf guten Gründen beruhende, Entscheidung die in den §§ 46, 54, 57 der Einleitung zum ALR ausgesprochenen Rechtsgrundsätze nicht verletzt hat, sowie endlich auch die auf die Auslegung des § 43 der Gesellschaftsstatuten gestützte Annahme, daß in vorliegendem Falle einer giftigen Vertragsbestimmung gemäß die Kom­ petenz des Schiedsgerichts begründet sei, mit den gesetz­ lichen Kompetenzregeln* (§§ 1, 6, 7, 20, 21 der Ein­ leitung und §§ 1, 2, 8 Th. I Tit. 2 der AGO) nicht im Widerspruch steht. * Vgl. Rspr. I S. 195 f.

Nr. 3.

II. Senat. — Erkenntniß v. 20. April 72. (V.) G. Michaelis •/. S. Jacoby (Nr. 72 v. 72).

Preußen.

Nichtigkeitsbeschwerde.

I. Instanz: Kreisgericht Stargard in Pommern, II. Instanz: Appellationsgericht Stettin. Konventionalstrafe und Verzugszinsen nach ALR.

1. Verzugszinsen sind nach MR nur als ein ge­ setzlich festgestelltes Durchschnittsmaaß für den dem Gläu­ biger aus der Nichtzahlung einer Geldschuld erwachsenden Schaden anzusehen. Sie repräsentiren nicht unbedingt das ganze Interesse des Gläubigers. § 64 ALR I. 16; § 285 ff. ALR I. 5.

2. Die für den Fall der Nichtzahlung einer Geldschuld bedungene Konventionalstrafe ist nach MR nicht an das

10

Maaß gebunden, welches der doppelte Betrag der gesetz­ lichen Verzugszinsen ergeben würde. § 287, 300, 301 ALR I. 5.

3. § 304 ALR I 5, welcher die Ausbedingung der Verzinsung einer Konventionalstrafe verbietet, hindert nicht die Forderung von Verzugszinsen für eine bedungene Straf­ summe. Entscheidung des OHG: Dem Appellrichter ist zuzugeben,

daß Zögerungs­

zinsen bestimmt sind, dem Gläubiger den ihm präsumtiv

aus der Zögerung des Schuldners erwachsenen Nachtheil zu vergüten, und daß sich der Gläubiger mit diesen Zinsen, als Schadenersatz, der Regel nach begnügen muß.

Keines­

wegs aber hat mit der Bestimmung des § 64 ALR I. 16 der Rechtsgrundsatz aufgestellt werden sollen, daß der Be­

trag der Verzugszinsen den des ganzen Interesse des

Gläubigers repräsentire. heißt,

Wenn es im § 287 ALR I. 5

daß bei Bestimmung des Interesse nicht blos auf

den wirklichen Schaden, sondern auch auf den durch Nichterfüllung des Kontrakts entgangenen Vortheil Rücksicht genommen werden muß: so unterliegt es keinem Bedenken, daß der Ausdruck „Nicht­

erfüllung" jede nicht gehörige Erfüllung, also auch die ver­

zögerte Erfüllung des Kontrakts mitumfaßt.

Gerade in

Bezug auf die Konventionalstrafe spricht dies das Ge­

setz in den §8 293 bis 296 unzweideutig aus.

Dieses ganze

Interesse soll durch Vereinbarung einer Konventionalstrafe, nach der vom Gesetz (§ 292) den Kontrahenten unterstellten

Absicht, gedeckt werden, während die Verzugszinsen nur ein gesetzliches Entgeld für die widerrechtlich dem Gläubiger

entzogene Kapitalnutzung bilden sollen und können, und ihr Betrag nur als ein vom Gesetz festgestelltes Durchschnitts­

maaß für die Größe des zu ersetzenden Schaden anzusehen

11 ist; §§ 803 ff., 827 ff. ALR I. 11. Demgemäß spricht § 301 ALR I. 5 nur vom „Betrage des wirklich auszumittelnden Interesse" und kann daher mit dem Ausdruck: „Jntereffe" nicht Verzugszinsen gemeint haben, da es bei diesen, indem ihre Höhe gesetzlich festgestellt ist, einer Ausmittelung nicht weiter bedarf und zugleich das nicht geleugnet wer­ den kann, daß in Wirklichkeit der Betrag der Verzugs­ zinsen mit der Gesammthöhe des Schaden und entgangenen Gewinns nicht zu kongruiren pflegt. Zu diesen Erwägungen treten die Gründe hinzu, aus welchen das OTr. zu Berlin im Erk. v. 7. Okt. 67 (Entsch. B. 58 S. 171) zu der Annahme gelangt, daß das ALR das Interesse des durch die Zögerung des Schuldners verletzten Gläubigers auf den Betrag der Verzugszinsen nicht hat fixiren wollen. Hienach hat der Appellrichter dadurch, daß er in An­ wendung des § 64 Tit. 16 auf den Fall des § 301 Tit. 5 Th. I ALR die zwischen den Parteien vereinbarte Kon­ ventionalstrafe auf den doppelten Betrag der Verzugszinsen, welche Beklagter bezahlen müßte, wenn die Konventional­ strafe nicht stipulirt wäre, ermäßigt hat, allerdings beide Gesetzesbestimmungen verletzt. Hienach schon wird die Vernichtung des Appellurtels, soweit es in der Hauptsache angegriffen worden, nothwen­ dig, insoweit nämlich, als es den Anspruch des Klägers auf eine Konveütionalstrafe von 500 Thlrn. verwirft. Die übrigen Angriffe gegen diese Vorentscheidung können daher unerörtert bleiben. In der Sache selbst steht sowohl die Stipulation einer Konventionalstrafe v. 500 Thlrn., als auch der Eintritt der Bedingung des Verfalls derselben fest. Die Forderung von Verzugszinsen fvon diesen 500 Thlrn.) ist gerechtfertigt, da § 304 ALR I. 5 nur die Ausbedingung der Ver­ zinsung einer Konventionalstrafe verbietet. Auch herrscht

12 weder in Bezug

noch

auf den Prozentsatz der Verzugszinsen,

in Bezug auf den Anfangspunkt deren Laufs unter

den Parteien Streit. Verzugszinsen von der seitens des Bekl. herauszugebenden Geldsumme neben der Konven­

tionalstrafe und deren Verzinsung kann Kläger nicht bean­ spruchen, weil mit der Konventionalstrafe seine Schad­ loshaltung wegen der vom Bekl. verzögerten Herausgabe

jener Kapitalssumme vollständig bewirkt werden sollte.

Nr. 4.

I. Zenat. — Erkenntniß v. 23. Äpril 72. (Z.) R, Hcrtzog •/. Fr. Teeters (No. 67 v. 72).

Nichtigkeitsbeschwerde.

Preußen.

I. Instanz: Stadtgericht Berlin, II. Instanz: Kammergericht daselbst. Facturaklauseln, Auslegung.

Internationales Prozeßrecht.

1. Die Auslegung einer Facturaklausel wird nicht durch die einseitige Auffassung des Verkäufers bestimmt. Etwaige Handelsusanz kommt dabei, als Jnterpretationsmittel, nur in Betracht, wenn und weil sie als von den Betheiligten gewollt gelten kann. HGB Art. 278, 279.

2. Bei Vernehmung ausländischer Zeugen oder Sachverständigen entscheidet — sofern der rcquirirte Rich­ ter nicht aus freien Stücken die Formen des requirirenden Prozeßgcrichts beobachtet — das betreffende Recht des Aus­ landes über die Formen der Vernehmung und Vereidigung. Vgl. Rspr. V S. 45 und Entwurf einer deutschen CivilPO v. 1371 § 309.

Kläger hat

Entscheidung des OHG: auf Bestellung eine Partie

verschieden­

artiger Waaren an den Bekl. nach Riga gesendet, dieser aber dem Verkäufer davon 5 Stück Taffet als fehlerhaft

13 zur Verfügung gestellt und deren Preis nebst Unkosten zur Last geschrieben, sich auch zur Rücksendung der übrigen noch unverkauften und nicht erheblich angeschnittenen Zeuge be­ reit erklärt. Hiegegen hat Verkäufer Zahlung des ganzen Facturapreises oder Rücksendung sämmtlicher Waaren ver­ langt und dem entsprechend Klage im Gerichtsstände des Arrestes erhoben, ist jedoch durch beide Vorderrichter mit der Kaufpreisforderung für die 5 Stück Taffet abge­ wiesen. Seine RktBschw. war zu verwerfen. I. Der Appellrichter nimmt an, die Sendung v. 29. April 69 sei nicht als untheilbar anzusehen, namentlich sei die Untheilbarkeit „nicht vertragsmäßig stipulirt." Die hiegegen erhobenen Rügen sind grundlos. Die angeblich handelsübliche Deutung der Facturaklausel: „Retourwaaren werden ohne vorherige Genehmigung nicht angenommen": daß nämlich die eine Sendung bil­ denden Waaren ein untheilbares Ganzes darstellen und daß der Empfänger überhaupt nur zur Preisminderung wegen Fehler befugt sei, braucht Beklagter keineswegs gegen sich gelten zu lassen. Denn ihrem Wortlaut nach untersagt die Klausel keineswegs die Zurückweisung oder Redhibition fehlerhafter Waaren, weder ganz noch theilweise, sondern nur die Zurücksendung von Waaren, gleichviel aus welchem Grunde; sie entscheidet über die Verpflichtung zur Zurücknahme oder, genauer, zur Erstattung des etwa bereits gezahlten Kaufpreises gar nicht und will nur verhüten, daß der Em­ pfänger durch Zurücksendung die etwaigen anderweitigen Dispositionen des Absenders (z. B. durch Verkauf an Ort und Stelle, durch einstweilige Lagerung, durch Versendung an einen dritten Ort) durchkreuze. Hätte daher auch Kläger die Klausel in dem von ihm behaupteten, die Rechte des Empfängers höchst gefährdenden Sinne verstanden: so lag doch für Letzteren keinerlei Grund zu der gleichen Auffassung vor, und vermag unter diesen Umständen Kläger auf seine

14

eigenthümliche, aber nirgend ausgesprochene Auffassung der Klausel sich um so weniger zu berufen, ALR I. 4 § 58, 73; I. 5 § 129, 253, 266 — 268, als auch diese im günstigsten Falle nur zu dem gleichen praktischen Ergebniß führen würde, welches durch das an­ gefochtene Urteb herbeigeführt ist. Man müßte nämlich alsdann den ganzen Vertrag wegen Dissenses der Kon­ trahenten für nichtig erachten, Kläger müßte die unver­ kaufte Waare zurücknehmen und könnte die redlicher Weise verkaufte Waare nicht zurückfordern, sondern hätte für diese sich mit dem bedungenen Preise zu begnügen. ALR I. 4 § 75; I. 16 § 190, 202; I. 7 § 188. Soll aber . . . der behauptete Handelsgebrauch nur Jnterpretationsmittel des Vertrages sein (HGB Art. 279),* soll, mit anderen Worten, vermöge Handelsgebrauchs an­ genommen werden, wer mit dieser Klausel kontrahire, wolle stillschweigend den Ausschluß der Redhibition: so mußte mindestens dargethan werden, daß der Rigaer Käufer in Kenntniß dieses Handelsgebrauchs kontrahirt habe. Denn nur alsdann wäre anzunehmen, daß auch er einen Vertrag gleichen Inhalts habe schließen wollen. Dies aber hat Kläger nicht einmal versucht. Es läßt sich aus seiner Be­ rufungsschrift nicht erkennen, ob damit ein nur in Berlin oder in ganz Deutschland oder gar im Welthandel oder doch im deutsch-russischen Verkehr geltender Handelsgebrauch dieser Art hat behauptet werden sollen. Nur in letzterem Falle aber wäre derselbe erheblich. Der Vertrag wurde in Berlin geschloffen und wurde in Berlin durch Absendung der Waare erfüllt (HGB Art. 324, 342); Gesetz und Gewohnheitsrecht von Berlin waren somit maaßgebend. Dagegen gilt dies keineswegs schlechthin von denjenigen Usancen oder Handelsgebräuchen, welche nicht als objektive Rechtsnorm, sondern als bloßes * Rspr. II S. 347, V S. 199, 210.

15 Jnterpretationsmittel der Rechtsgeschäfte in Betracht kom­ men. Sie bilden einen stillschweigenden Bestandtheil der Willenserklärung, ihr Inhalt gilt nur, weil er gewollt ist, und dieser Wille ist ohne Kenntniß derselben undenk­

bar, es habe denn der Kontrahent sich erkennbar auch den ihm unbekannten Usancen nahme

aber fehlt

es

in

unterworfen.

Für

diese An­

vorliegendem Falle

an jedem

Anhalt. II. Es war allerdings Sache des Klägers, den Nach­

weis zu führen, daß das Verhör der in Riga vernom­ menen Zeugen und Sachverständigen den Vorschriften des

Riga geltenden Prozeßrechts nicht entsprochen habe. Denn diese entscheiden — nach den allgemeinen Grundsätzen

in

des internationalen Rechts, wie nach der ausdrücklichen Vor­ schrift des § 223 AGO I. 10 —, sofern der requirirte Rich­ ter nicht aus freien Stücken die Formen des requirirenden

Prozeßgerichts beobachtet, allerdings ausschließlich über die

Form der Vernehmung, insbesondere darüber, in welcher Weise sich der Richter über die Glaubwürdigkeit und Un­

parteilichkeit

der Zeugen oder Sachverständigen zu

ver­

gewissern und in welchen Formen deren Vereidigung zu

geschehen hat.

v.

Bar

S. 457

internationales Privat-

ff.

und

und

Strafrecht

die dort genannnten Schrift­

steller;

Renaud Lehrbuch des gemeinen deutschen Civilpro-

zesses § 9 n. 12 ff.; Seuffert's Archiv XIII Nr. 180, XV Nr. 159, XXII Nr. 80. Entwurf einer deutschen Civil-PO von 1871 § 309. Die gegen diese internationale Praxis in neuerer

Zeit erhobenen Bedenken (v. Duhn, Archiv für civil. Praxis B. 42 S. 22 ff.) kommen nur darauf hinaus, daß in jedem

einzelnen Falle der Prozeßrichter zu prüfen habe, inwie­ fern die Glaubwürdigkeit des im Auslande nach dessen

16 Formen abgegebenen Zeugnisses durch die Nichtbeobachtung der erschwerenderen inländischen Formen beeinträchtigt wird.

Daß in vorliegendem Falle die Prozeßformen des in Riga

geltenden Rechts beobachtet sind, ist nach Form und Inhalt der durch die requirirte Behörde übersendeten Vernehmungs­

Protokolle des kaiserlich Rigaischen Vogteigerichts nicht zu bezweifeln

und

hinsichtlich

der

Eidesleistung

durch

das

Schreiben von Bürgermeister und Rath der Stadt Riga v. 9. Nov. 70 sogar ausdrücklich festgestellt.

Ob im Streit­

fälle der Beweis des in Riga geltenden Prozeßrechts durch Kläger oder durch Beklagten zu führen war, und ob eine unrichtige Vertheilung der „Beweislast" über auswärtiges Recht als Verletzung eines Rechtsgrundsatzes zu erachten ist, kann unerörtert bleiben, da ein Streit über den Inhalt des

nicht vorliegt, ja Kläger nicht einmal behauptet hat, daß andere, als die nach in Frage stehenden Prozeßrechts gar

dem Vernehmungsprotokoll beobachteten Grundsätze zu Riga in Geltung seien.

Nr. 5.

I. Senat. — Erkenntniß v. 23. April 72. (V.) Levin *|. Jastrow (Nr. 125 v. 72).

Preußen.

Nichtigkeitsbeschwerde. I. Instanz: Kreisgericht Rogasen,

II. Instanz: Appellationsgericht Posen. Handelskauf, Abnahmefrist und Verzug.

Hat bei einem Handelskauf Käufer die Waare im Wohnort des Verkäufers abzunehmen, Letzterer aber inner­ halb einer gewissen Frist nach seiner Wahl zu liefern: so geräth Käufer in Abnahmeverzug, wenn er, in Ermangelung einer früheren Kündigung, nicht am letzten Tage der Lie­ ferungsfrist die Waare beim Verkäufer abfordert. HGB Art. 326, 330 Abs. 1, 342 Abs. 2, 346. Vgl. Rspr. IV S. 310 n.

17

Kläger (Handelsmann in Rogasen) hatte von dem in Obornik wohnenden Beklagten Roggen gekauft, „zu liefern nach Wahl des Verkäufers in der Zeit vom 1. bis zum 30. Sept. 70." Um die Mitte des September erschien Kläger beim Beklagten und forderte den gekauften Roggen. Beklagter verweigerte die Lieferung, weil er noch bis zum Ablauf des Monats Zeit habe. Käufer hat sich dann nicht wieder beim Beklagten gemeldet behufs Abnahme der Waare, aber, weil die Lieferung unterblieben, die Differenz zwischen dem Marktpreise v. 30. Sept. 70 und dem bedungenen Kaufpreise als Entschädigung eingeklagt. Be­ klagter ward in 2 Instanzen verurtheilt. Der Appellrichter nahm an, dieser hätte so zeitig kündigen müssen, um dem Kläger die Abnahme an dem dadurch fixirten Lieferungs­ tage zu ermöglichen. Unter Vernichtung des Appellurtels hat das OHG den Kläger abgewiesen. Gründe:

Beklagter, verpflichtet den Roggen im Monat September zu liefern, war allerdings berechtigt, einen von den 30 Sep­ tembertagen nach seinem Belieben als Tag der Erfüllung dem Kläger zu bezeichnen. Machte er, wie geschehen, von diesem Recht keinen Gebrauch, ließ er vielmehr die Tage vom 1. bis 29. Sept, ungenützt verstreichen: so blieb für die Erfüllung seiner Lieferungspflicht nur noch der 30. Sept, übrig, und die Sache lag an diesem Tage gerade so, als wenn von Hause aus der 30. Sept, als einziger Lieferungs­ tag vertragsmäßig bestimmt oder vom Beklagten kraft seines Wahlrechts als solcher ausdrücklich bezeichnet worden wäre. Ganz wie in diesen beiden letzteren Fällen hatte sich also nunmehr Kläger am 30. Sept, beim Beklagten zur Empfangnahme des Roggens zu melden, und erst wenn hierauf die Lieferung unterblieben wäre, -würde Beklagter in Verzug gesetzt, also nach Art. 342, 357, 355 HEB entschädigungspflichtig geworden sein. VII.

2

18

Hienach hat der Appellrichter, unter Verkennung des Rechtsbegriffs der niora, die Art. 355 u. 357 HGB verletzt, und das angefochtene Urtel unterliegt der Vernichtung. In der Sache selbst folgt hieraus — in Verbindung mit dem (obigen) unstreitigen Sachverhalt, und da unzweifelhaft ein Fixgeschäft im Sinne des Art. 357 a. «.•£). vorliegt —, daß das Urtel I. Instanz abzuändern und Kläger abzuweisen war. Derselbe bestreitet zwar eine ausdrückliche Verab­ redung,. daß er den Roggen aus Obornik hätte abholen sollen; indeß behauptet er doch auch nirgend eine Verab­ redung, nach welcher Beklagter den Roggen nach Rogasen zu senden gehabt hätte. Er sagt im Gegentheil, die Uebergabe hätte in Obornik, gegen Zahlung des Kaufpreises, erfolgen muffen; dem entsprechend, will er auch dort Jemand zur Empfangnahme und Zahlung ermächtigt haben. Fehlte es aber an einer besonderen Verabredung, so lag dem Kläger ob, den Roggen in Obornik zu empfangen, sich also dort zur Empfangnahme zu melden, vgl. Art. 324, 342, 346 HGB.

Nr. 6.

II. Senat. — Erkenntniß v. 24. Äpril 72. Weitzgcrbcr *|. Nordd. Packelbeförderungsgesellschaft zu Berlin (Nr. 297 v. 72).

Ober-Appellation.

Hessen.

I. Instanz: Stadtgericht Gießen, II. Instanz: Hofgericht daselbst. Aktiengesellschaft, Verpflichtung der Beitretenden.

Der statutenmäßig zur Zeichnung mehrerer Aktien verpflichtete Agent einer Kommandit-Gesellschaft auf Aktien darf, nach Niedcrlegung seiner Agentur, weder die Boll­ einzahlung der (unbedingt gezeichneten) Aktienbeträge weigern, noch das bereits Eingezahlte zurückfordern. HGB Art. 165, 184, 203,

19

Entscheidung des OHG: Beklagter hat sich im Zeichnungsschein v. 22. Sept. •69 aufs Bündigste und ohne Klauseln oder Bedingungen verpflichtet, der mit dem 2. Nov. 69 ins Leben getretenen klagenden Kommandit-Gesellschaft als Aktionär mit drei Aktien beizutreten, bzw. diese Aktien zu übernehmen, sowie die Bedingungen der Aktien-Zeichnung und sämmtliche Be­ stimmungen des Statuts zu erfüllen. Die jetzt eingeklagten 10 und 15 Prozent der Aktien sind unbestritten von den berechtigten Gesellschafts-Organen statutengemäß aus­ geschrieben. Die Anführungen, mit welchen Beklagter seine Pflicht zur Leistung dieser Einzahlungen zu widerlegen und zugleich seinen Wiederklage-Anspruch auf Rückzahlung der von ihm bereits eingezahlten 25 Prozent zu begründen sucht, sind offenbar hinfällig. Seine Verpflichtung, die Beträge der von ihm gezeichneten Aktien nach Maaßgabe der erfolgenden Ausschreibungen bis zum vollen Betrage einzuzahlen, unterliegt nach dem Zeichnungsschein nicht dem mindesten Bedenken. Der § 19 der Statuten rechtfertigt die Annahme, daß die Aktien-Zeichnung nur die Natur einer Kaution in dem vom Beklagten behaupteten Sinne* habe, keineswegs; er ergiebt, wie bereits die vorige Instanz richtig hervorgehoben hat, nur, daß die dort bezeichneten Gesellschafts-Aemter nur nach erfolgter Aktien-Zeichnung erlangt werden können, keineswegs aber, daß nach erfolgter Niederlegung eines solchen Amtes die Pflicht zur Einzahlung der vollen Beträge der gezeichneten Aktien zessire, und ein Rückforderungsrecht bezüglich der bereits eingezahlten Be­ träge entstehe. Es ist auch unmöglich, die vom Beklagten angeführten Aeußerungen des Subdirektors B. in Reitern * Beklagter hatte sich als angestellter General-Agent statutenmäßig mit drei Aktien bei der Gesellschaft zu betheiligen; er hat demgemäß 3 Aktien gezeichnet, aber vor Einzahlung der vollen Aktienbeträge die Agentur niedergelegt.

20 vom Beklagten behaupteten Sinne zu verstehen; eine eigent­ liche Kaution konnte der Gesellschaft gegenüber seitens der Agenten nur auf die Art bestellt werden, daß die Agenten

sich durch Aushändigung der Aktien oder Jnterimsscheine an die Gesellschafts-Organe der Möglichkeit der Veräußerung

derselben begaben und der Gesellschaft ein eventuelles Exe­

kutionsobjekt

einhändigten.

Durch

die

bloße

Zeichnung

konnte nur eine moralische Gewähr dafür erlangt werden,

daß die Agenten um ihres eigenen Jntereffe willen auch

im Interesse der Gesellschaft handelten. Subdirektor

B. dem Beklagten

wirklich

Sollte aber der

die Zusicherung

gegeben haben, daß dieser im Falle der Niederlegung seines

Amtes die Aktien nicht voll einzuzahlen verpflichtet und zur Rückforderung der eingezahlten Beträge berechtigt sei: so

würde ein solches, nicht bloß den Statuten, sondern auch

den Artt. 165, 184, 203 HGB

offenbar widersprechendes

Verhalten jenes Subdirektors der Gesellschaft nicht präjudiDie Behauptung

ziren.

des Beklagten, daß er sich der

Gesellschaft nicht weiter, als nach Maaßgabe der Verhand­

lungen mit dem Subdirektor B. verpflichtet habe, widerlegt sich einfach durch den klar und bündig abgefaßten Zeichnungs­

schein.

Die fernere Einrede, daß Beklagter durch betrügliche

Vorspiegelungen zur Zeichnung der fraglichen Aktien verleitet

sei, ist gleich unbegründet.

Aus den bezüglichen Vorträgen

des Beklagten ist nirgend zu entnehmen, daß ein Vertreter

der

Gesellschaft

dem Beklagten

wissentlich

unwahre

Thatsachen vorgespiegelt habe, um ihn zur Aktienzeichnung

zu vermögen, sondern nur, daß man übertriebene Hoffnungen bezüglich der Rentabilität des Unternehmens gehegt, auch

dem Beklagten gegenüber ausgesprochen haben mag, welche nachher nicht verwirklicht worden sind.

Wenn aber auch

von den Vertretern der Gesellschaft — von welchen Per­

l' onen? hat Beklagter nicht einmal bestimmt angegeben — dem Beklagten

die behaupteten Vorspiegelungen gemacht

21 wären: so könnte dies der Gesellschaft nicht präjudiziren, da Beklagter sich dieser gegenüber ohne alle Bedingung nusweise des Zeichnungsscheins nach Maaßgabe der Statuten Verpflichtet hat, demnach verpflichtet ist, zur Gesellschaftskasie diejenigen Einzahlungen zu machen, durch welche nach den Bestimmungen des HGB den Gesellschaftsgläubigern die Gewähr für ihre Sicherung und Befriedigung gegeben werden soll. Beklagter könnte sich also, wenn er durch Täuschungen zur Zeichnung vermocht wäre, immer nur persönlich an die­ jenigen, welche ihn getäuscht haben, halten, und selbst wenn er der Gesellschaft gegenüber Ansprüche erlangt hätte, könnte er nicht die Einzahlung der Aktien weigern, sondern er müßte einzahlen und dann seine Ansprüche gegen die Gesellschaft liquidiren.

Nr. 7.

I. Senat. — Erkenntniß v. 26. April 72. (Nef.) Mahler -|. Schirmer & Schlick (Nr. 261 v. 72).

Königreich Sachsen.

Weitere Bernfung.

I. Instanz: Handelsgericht im Bezirksgericht Dresden, II. Instanz: Appellationsgericht Dresden. Dingliche Rechte an beweglichen Sachen. Territorialitätsprinzip, OrtSverLnderung.

Welche Wirkung äußert die in Preußen erfolgte Be­ stellung eines Pfandrechts an einem preußischen Stromfahrzeug, wenn dieses Schiff sich demnächst in Sachsen befindet und dort Gegenstand richterlicher Hilfsvollstreckuug wird? Bürger!. GB für das Königreich Sachsen § 10.

Der preußische Elbdampfer „Borussia", dem Schiffs­ eigner Karl S. zu Torgau gehörig, wurde im Mai 68 zu Dresden, woselbst das Schiff behufs Weiterreise vorüber­ gehend lag, vom dortigen Handelsgericht auf Antrag einer Leipziger Firma wegen eines Darlehns mit Beschlag belegt.

22 Im Sept. 68 ließ weiter zu Dresden derselbe Gläubiger wegen einer Wechsel-Forderung

das Schiff

Exekution in

vollstrecken, dessen Zwangsverkauf jedoch ausgesetzt ward-

Gegen

Hilfsvollstreckung

diese

erhob

Kläger

Einspruch

mit der Behauptung, daß ihm wegen einer Darlehnsforderung von 5000 Thlrn. die Borussia bereits 1865 zu Torgau

dem dortigen Recht gemäß (durch notariellen Vermerk im Meßbrief) verpfändet worden sei. Diesem angeblichen Pfandrecht sprach der I. Richter das

Vorrecht zu, der Appellrichter aber die Geltung im König­

Sachsen

reich

ab.

Das

OHG

hat

das I. Erkenntniß

hergestellt.

Gründe: § 10 des kgl. sächs. bürgerl. GB bestimmt:

Die

Rechte

an

beweglichen

und

unbeweglichen

Sachen, ingleichen der Besitz derselben, werden nach

den Gesetzen des Orts beurtheilt,

wo dieselben

liegen.

Der früher lebhafte Streit, ob bei beweglichen Sachen

das Recht des Wohnsitzes des Eigenthümers oder das Recht

des Orts der gelegenen Sache den Ausschlag gebe, ist durch diesen § für Sachsen im Sinne der zweiten Alternative

entschieden; während die preußische, österreichische und fran­ zösische Gesetzgebung auf der Annahme der ersteren beruht.

Für die Anwendung des § 10 ist jedoch nicht allein der Ort maaßgebend, an welchem die Sache

richterlichen

Entscheidung

zur Zeit der

Beide Vorinstanzen

liegt.

haben dies bereits überzeugend nachgewiesen.

Weder nach

dem Wortlaut, noch nach der Absicht des Gesetzes ist die Annahme möglich,

daß bei der richterlichen Beurtheilung

der Rechte an der Sache Rechtsakte, Orten,

wo

die Sache

gleichfalls

welche früher

gelegen,

einstimmung mit der dortigen lex rei sitae vermöge der Nicht - Uebereinstimmung

worden,

an

in Ueber­ vollzogen

mit dem

23 Recht im Lande des später urtheilenden Richters schlecht­

hin nicht für existent angesehen werden dürften; denn die allgemeine — insbesondre auch für das sächsische Recht von

Siebenhaar (Kommentar B. 1 S. 49 n. 2) anerkannte — Regel geht dahin, daß alle juristischen facta nach

den Gesetzen des Orts, wo sie geschehen, zu beurtheilen sind. Rechtshandlungen sind sonach, sofern sie im Bereich des einen Landes zu bereits vollendeten Thatsachen ge­ worden, an sich auch in jedem anderen Lande anzuerkennen.

Freilich kann der Sachstand sich dadurch wesentlich ändern, daß an dem Orte, wohin die Sache später gebracht worden, von dritten Personen an derselben Sache selbständige Rechte

erworben

werden.

Für die Beurtheilung

Rechte

dieser

gilt dann nach obigem § 10 das Gesetz des Inlands. Treten also die im Inland erworbenen Rechte mit den vorher im Ausland begründeten inKollision, so entscheidet über den Inhalt der Rechte das einheimische Gesetz.

Der sächsische Richter kann hienach im Einzelfalle in der Lage sein, alle rechtlichen Beziehungen der beweglichen

Sachen nach den Anforderungen des inländischen Rechts seiner Prüfung zu unterstellen.

Immer hängt aber die

Zulässigkeit dieser Prüfung von der wesentlichen Voraus­ setzung des rechtlichen Eintritts der Sache in das Herrschafts­

gebiet des sächs. Rechts ab.

Die Sache

muß

alsdann

innerhalb Sachsens „liegen." Hiebei aber ist das momen­ tane Gelegensein nicht ausschließlich entscheidend.' Es giebt Gegenstände, die ihrer Bestimmung nach einen fortwährenden Ortswechsel erfahren, ohne darum ihre rechtliche Beziehung

zu demjenigen Ort, von dem sie ausgehen, zu verlieren. Dies gilt namentlich von den wichtigsten Transportmitteln:

den Schiffen und Dampfwagen. Verwendung

Dieselben berühren in der

durch ihren Eigenthümer

fremde Orte nur

vorübergehend und mit der Bestimmung der Rückkehr an

denjenigen Ort, an welchem der Sitz ihrer Rechtsverhältnisse

24 sich befindet. — Die Anerkennung dieses Ausgangsorts als der Richtschnur aller ihrer rechtlichen Beziehungen erscheint als ein Gebot praktischer Nothwendigkeit. Ohne diese Anerkennung würde ein Verkehr zwischen verschiedenen Ländern nicht durchführbar sein und eine Rechtsunsicherheit entstehen, die dem modernen Rechtsbedürfniß widerstrebt. Sie hat sich deshalb auch betreffs der Seeschiffe längst durchgesetzt. Das gleiche Prinzip muß aber wegen Gleichheit des Grundes im Wesentlichen für Stromschiffe gelten. Die Schiffe bilden (wie Goldschmidt, Handbuch des HR 8 60 S. 527, treffend bemerkt) gleichsam die „Immobilien des Handels" und sind daher manchen Grundsätzen des Jmmobiliarrechts unterworfen. Sie haben nach der, eine allgemeine Tragweite rechtfertigenden, Auffassung in den seerechtlichen Vorschriften des HGB, gleich den Grundstücken, einen festen Standort, ein Quasidomizil, nämlich den Heimathshafen, welcher den rechtlichen Mittelpunkt des Rhedereibetriebs bildet (Goldschmidt a. a. O. Note 8> Von diesem Gesichtspunkt aus hatte die „Borussia" den Mittelpunkt ihrer rechtlichen Verhältnisse im Königreich Preußen. Das Schiff lag behufs Weiterreise vorübergehend in Dresden vor Anker, als es, zunächst zur Sicherstellung der Jnterventin S. & S-, int Mai 68 vom sächs. Richter mit Beschlag belegt wurde. Sein Eigenthümer war in Torgau wohnhaft und preußischer Unterthan. Die im Sept. 68 vollzogene Hilfsvollstreckung (Exekution) war nur auf Grund jener vorläufigen Arrestirung des Schiffs in Dresden möglich geworden, und dieser durch die Jnterventin erzivungene Rechtsakt hielt voraussetzlich allein das Schiff im sächs. Staatsgebiet zurück, wie er auch voraussetzlich den ferneren Aufenthalt seines Eigenthümers in Dresden bedingte. Die Legitimationspapiere des Schiffs waren sämmtlich von preußischen Behörden ausgestellt. Dem preuß. Staate

25

gehörte das Schiff seinen rechtlichen Beziehungen nach an, — dies um so gewisser, als nach den zwischen Preußen

und Sachsen abgeschlossenen Staatsverträgen bezüglich der Elbschifffahrt ausdrücklich anerkannt wird, daß das preuß. Schiff, auch wenn es innerhalb Sachsens sich befindet, noch der Rhederei des preuß. Staats angehört (Art. IV

der Elbschifffahrtsakte v. 23. Juni 21, Ges.-Sammlg. v.

1823 S. 95; § 10 der Additionalakte v. 13. April 44, Des.-Sammlg. v. 1844 S. 284; Berordng. v. 16. Febr. 66, betr. das Formular für Manifeste rc., Ges.-Sammlg. v. 1866

S. 49, Worte: „jedes Fahrzeug muß mit dem Namen des

Orts, wohin es gehört rc., dauernd bezeichnet sein"); — ein Verhältniß, das nach § 11 der angef. Additionalakte

nicht durch den wechselnden Aufenthalt den Schiffs, sondern nur. dadurch sich löst, daß unter Rücknahme des von dem einen Staate ausgestellten Schiffspatents das Schiff an die

Rhederei des anderen übergeht.

Dafür daß ein solcher

Wechsel der Rhederei der Borussia

bieten die Akten keinen Anhalt.

stattgefunden habe,

Hienach läßt sich keines­

wegs annehmen, daß das Schiff zur Zeit der Hilfsvoll­ streckung im Sinne des § 10 des Bürgers. GB in Sachsen

gelegen habe.

Der Sitz der Rechtsverhältnisse des Schiffs

zur Zeit der Beschlagnahme war also nicht in Dresden.

Letztere war folglich nicht geeignet, das Schiff der aus­ schließlichen Herrschaft des sächs. Rechts

zu unterwerfen.

Dies wird auch von Siebenhaar a. a. O. S. 49 anerkannt; im Einklang mit vorstehenden allgemeinen Ausführungen

hebt er hervor, daß bei beweglichen Sachen nicht unter allen Umständen das Recht des Orts, wo sie sich augen­

blicklich befinden, vielmehr das desjenigen Orts entscheide, wo sie nach der Disposition des Eigenthümers dauernd zu bleiben bestimmt seien, ein Fall, der namentlich'dann

in Frage komme, wenn Waaren auf der Post oder Eisen­

bahn durch Sachsen nur durchgehen oder ein Sachsen durch-

26 reisender Ausländer Sachen bei sich führt.. . . Der Sitz aller rechtlichen Beziehungen des Schiffs Borussia war und blieb hienach, auch wenn sein Eigenthümer noch nicht in die Heimath zurückgekehrt war, in Preußen. — Deshalb kann auf Grund des § 10 dem vom Intervenienten in Anspruch genommenen Pfandrecht die Giltigkeit um so weniger abgesprochen werden, als eine wirkliche Kollision zwischen den an dem Schiffe succesiv begründeten Rechten, auch vom Standpunkt des sächs. Rechts aus, nicht einmal vorliegt. Die Rechte nämlich, welche sich in vorliegendem Falle gegenüberstehen, sind auf der einen Seite das behauptete, nach dem preuß. Recht durch symbolische Uebergabe erworbene vertragsmäßige Pfandrecht, auf der anderen Seite das zu Gunsten der Jnterventin durch die Exekutions-Verfügung entstandene sogen. Hilfspfandrecht... Keinenfalls kann der Bestellung eines Hilfspfandrechts, auch vom Standpunkt des sächs. Rechts aus, eine so exklusive Wirkung beigelegt werden, daß daneben ein schon bestehendes Pfandrecht nicht anerkannt werden dürfte, das letztere vielmehr, wennschon ortsrechtlich gehörig bestellt, dem ersteren weichen müßte. Das richterliche Pfandrecht kann nicht ohne Weiteres einem Dispositionsakt des Eigenthümers der Sache, durch welches das Schiff im Inland mit Verpflichtungen.belastet worden wäre, gleichgestellt werden. Zudem erfaßt es die Sache immer nur unbeschadet der dinglichen Rechte, welche dritte Personen bereits vorher an der Sache erworben haben. So ist in Sachsen nie bezweifelt worden, daß dem Vermiether ungeachtet der von einem Dritten erlangten Hilfsvollstreckung in bewegliche Sachen des Miethers das daran wegen der Miethzinsschuld begründete Retentionsrecht insofern intakt verbleibt, als er aus dem Erlöse der Sachen prioritätische Befriedigung zu verlangen berechtigt ist, — ebenso wie der Eigenthümer einer bei seinem Schuldner zu

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Gunsten eines Dritten mit Beschlag belegten Sache durch die Hilfsvollstreckung sein Eigenthumsrecht nicht verliert. Der Richter kann die Sache dem Hilfspfandrecht nur inso­ weit unterwerfen, als sie der Disposition des Schuldners untersteht; das Hilfsrecht übt mithin insoweit keine Wirkung, als die Sache bereits mit ihr anhaftenden Rechten Dritter affizirt ist.

Nr. 8.

I. Senat. — Erkenntniß v. 26. April 72. (Z.) Morgenbrod

Neumann (Nr. 282 v. 72).

Ober-Appellation.

Sachsen-Coburg-Gotha.

I. Instanz: Kreisgericht Gotha, II. Instanz: Appellationsgericht Eisenach. Barattohandel.

Bestimmtheit des Kaufpreises.

Welchen rechtlichen Charakter hat das Handelsgeschäft, wenn nach Abschluß eines Kaufvertrags verabredet wird, daß Verkäufer statt Baarzahlung vom Käufer auch gewisse Waaren zu handelsüblichem Preise anzunehmen habe? Vgl. Gajus Institutionen III. 141.

Leist in der Ztschr. für Civilrecht u. Prozeß B. 17 S. 364.

Nach einem Vertrage vom Dez. 68 hat Beklagter der Klägerin für deren Pechkocherei „möglichst viel Harz" zu liefern. Demnächst ist (im Januar 69) unter den Parteien, bei ausdrücklicher Festhaltung dieses Lieferungsgeschäfts, vereinbart worden, daß Käuferin „an Stelle des baaren Geldes für das empfangene Harz auch Pechabfälle zu civilen Preisen liefern dürfe." Beklagter stellte Anfangs Nov. 69 die Harzlieferungen ein und ließ die Mahnungen der Klägerin unbeachtet, nahm jedoch von Letzterer noch bis zum Mai 70 verschiedene Lieferungen von Pechabfällen an. Außer diesem Geschäftsverkehr fordert Klägerin einen

28

Preisüberschuß v. 202 Thlrn., während Beklagter sich be­ rechtigthält, seine Schuld durch nachträgliche Harzlieferungen abzutragen.

Der Rechtsstreit ist zu Gunsten der Klägerin

entschieden worden, vom OHG aus folgenden

Gründen:

Im späteren Uebereinkommen vom Jan. 69 liegt, mit Rücksicht auf die Preisbestimmung, nicht die Verabredung

eines künftigen Tauschgeschäfts oder einer künftigen datio in solutum,

sondern ein zweiter

Kaufvertrag.

Wenn

nämlich der Lieferungsvertrag über Harz festgehalten wurde, so behielt derselbe seinen Charakter als Kaufvertrag nach

Art. 338 HGB.

War aber das eine Geschäft ein Kauf,

so kann nicht der spätere Vertrag über eine Gegenleistung

des Käufers einen Tausch bilden, da bei diesem Sache um Sache hingegeben wird, während vorliegend eine Geldschuld für den Kaufpreis entstand und nur auf deren Abtragung sich das weitere Uebereinkommen bezog.

Sodann ist der

Tausch ein einziger, zweiseitiger Vertrag, der untergebene

Fall dagegen enthält zwei solche Verträge.

Leist, über die Natur gewisser doppelseitiger Ver­

träge, in der Ztschr. für Civilrecht und Prozeß B. 17 S. 364, 365. Das

kaufmännische

sogenannte Baratto-Geschäft,

welches der I. Richter unterstellt hat, ist in seiner eigentlichen

Bedeutung lediglich ein Tausch, und davon kann hier nach

Obigem keine Rede sein.

In einer

weiteren Bedeutung

versteht man unter Barattogeschäft allerdings auch jenes Geschäft, bei welchem von beiden Kontrahenten Waaren

hingegeben werden, aber die Leistung eines jeden Theils zu Geld angeschlagen und festgesetzt wird, so daß entweder die Preise sich gleichstehen und durch Kompensation aufheben

oder der eine Theil dem anderen zur Ausgleichung noch eine Zahlung macht oder verspricht. Allein dieses un-

29

eigentliche Barattogeschäft ist kein Tausch, sondern es liegen darin zwei . Kaufverträge, bei welchen die Kompensation der Kaufpreise bis zum entsprechenden Betrage sogleich Anfangs verabredet wurde (Treitschke, Kaufkontrakt S. 50). Aber auch nicht in diesem uneigentlichen Sinne läßt das Rechtsgeschäft der Parteien sich als Barattohandel auffassen, weil hier die Waare nur allgemein der Gattung nach, der Preis aber noch gar nicht bestimmt ist, während bei jenem Handel beides spezialisirt und fixirt wird. Die Hingabe an Zahlungsstatt (datio in solutum) ferner setzt ihrem Wesen nach eine bereits bestehende Schuld voraus, welche getilgt wird, indem etwas Anderes, als die ursprüngliche Erfüllung, vom Schuldner gegeben und vom Gläubiger angenommen wird. Vorliegend aber handelt es sich um Tilgung einer künftig entstehenden Schuld, und wollte man auch (was allerdings möglich) eine Verabredung über eine künftige datio in solutum statuiren: so ist dies im Streitfälle dadurch ausgeschlossen, daß nicht durch Lieferung von Pechabfällen die Kaufpreisschuld für Harz direkt'getilgt, sondern die Lieferung der Pechabfälle noch der von beiden Kontrahenten abhängigen Festsetzung des Preises bedurfte, so daß in Wahrheit nur die beider­ seitigen Kaufpreisschulden mit einander kompensirt werden sollten (Puchta Pandekten § 240 n. g, am Ende — 10. Ausgabe von Rudorfs). Hieraus ergiebt sich die wirkliche Natur des in Frage stehenden Rechtsgeschäfts dahin, daß mit der Uebereinkunft vom Januar 69 beide Theile ein weiteres Lieferungs-, also Kaufgeschäft über Pechabfälle zu dem Zweck verabredeten, um mit dem dadurch entstehenden Guthaben der Klägerin dasjenige des Beklagten für Harz abzutragen (Gajus III. 141). Auch in der mit Bezug auf den Kaufvertrag v. Dez. 68 abgeschlossenen Uebereinkunft vom Januar 69 lassen sich sehr wohl die Rollen des Käufers und Verkäufers unter-

30

scheiden, obwohl in beiden Verträgen die Verpflichtung auf Lieferung von Sachen gerichtet ist. Der nächste Zweck der zweiten Uebereinkunft war allerdings die Tilgung der Kaufpreisschuld der Klägerin für Harz, und so wäre Beklagter nicht verpflichtet gewesen, mehr Pechabfälle von der Klägerin anzunehmen, als sein Guthaben an dieselbe betrug. Wenn er aber dessenungeachtet größere Lieferungen von Pechabfällen ohne Anstand acceptirte und die von der Klägerin angesetzten Preise genehmigte: so ist er für den unbestrittenen Mehrbetrag der Lieferungen von Pechabfällen mit 202 Thlrn. Schuldner der Klägerin geworden. Möglicherweise hat Beklagter bei seiner Handlungsweise unterstellt, daß er diesen Mehrbetrag durch Lieferung von Harz ausgleichen könne; allein dies berechtigt ihn nicht, jetzt noch die von der Klägerin begehrte Zahlung zu verweigern und statt Geldes Harz anzubieten. Zwar kann man nicht (vgl. Goldschmidt Ztschr. IV S. 386) aus der Unbestimmtheit von Preis und Quantität der beiderseits zu liefernden Waare ableiten, daß das Recht auf Erfüllung weder durch Klage noch durch Einrede geltend gemacht werden ckönne. Denn solche Unbestimmtheit läßt sich, nach der für den Handelsverkehr maaßgebenden bona fides (HGB Art. 278, 279), durch das richterliche Er­ messenleichtbeseitigen, indem der Vertragswille der Parteien dahin aufzufaffen, daß ein dem Verhältniß entsprechendes Quantum der Waare als Gegenstand des Kontrakts und der handelsübliche Preis als Preis gemeint ist. Leist a. a. O. S. 366 n. 1. Dagegen hat die Kombination der beiden Verträge v. Dez. 68 und v. Januar 69 nicht die Folge, daß der Ver­ käufer in dem einen oder anderen Kontrakt nie den Kauf­ preis der von ihm gelieferten Waare, sondern nur die Lieferung der vom Gegentheil zugesagten Waare fordern

31 könne. Vielmehr bleibt gerade, weil es zwei Kaufverträge sind, -jedem Verkäufer der Anspruch auf den Kaufpreis, welcher nur dann wegfällt, wenn der andere Theil geliefert hat (in welchem Falle die Kompensation der beiden Kauf­ preise bis zum entsprechenden Betrage eintritt) oder ordnungs­ gemäß zu liefern'bereit war, in welchem Falle Jenem die exceptio doli zusteht, da er ein Recht hat auf Erfüllung des ihm gegebenen Versprechens, statt des Preises die von ihm zu liefernde Sache anzunehmen. Leist a. a. O. S. 378, 379. Nun hat aber Beklagter (unbestritten) seit 9. Nov. 69 an Klägerin kein Harz mehr geliefert, und zwar auch dann nicht, als er am 18. Nov. und 1. Dez. 69 weitere Liefe­ rungen von Pechabfällen erhalten und aus dem pro 1. Jan. 70 empfangenen Contocurrent seine Schuld mit 90 Thlrn. 12 Gr. ersehen hatte. Vielmehr setzte Beklagter sein passives Verhalten auch dann noch fort, als er im Januar bis Mai 70 vier Lieferungen von Pechabfällen erhalten und angenommen hatte; er hat sogar zwei Mahn­ briefe der Klägerin vom Sept, und Okt. 70 ohne Antwort gelassen. Danach hat Beklagter die ihm kontraktlich obliegende Lieferungsverbindlichkeit schon jvor dem Kriegsausbruch wesentlich verletzt, kann deshalb sich nicht mit den durch den Krieg entstandenen Verkehrsstockungen entschuldigen, und ist sohin durch eigene Nichterfüllung des Rechts ver­ lustig geworden, von der Klägerin die Annahme von Harz anstatt ihres Kaufpreisguthabens zu verlangen, sofern ihm nicht dieses Recht durch eine (von ihm behauptete) Uebereinkunft von Juni 70 wieder eingeräumt worden ist. Durch dieses Uebereinkommen soll Klägerin sich ver­ pflichtet haben, für ihr Kaufpreisguthaben Harz anzunehmen, und Beklagter will daraus in dieser Instanz ableiten, daß das ganze Rechtsverhältniß in einen Tausch umgewandelt

32 worden sei, während doch offenbar nur eine datio in solutum verabredet war. Nach obiger Ausführung war Klägerin durch das ur­ sprüngliche (d. h. vor dem Abkommen v. Juni 70 bestandene) Vertragsverhältniß nicht gehindert, ihr Kaufpreisguthaben zu fordern, und erscheint daher die hierauf gerichtete Klage als wohlbegründet. Hieraus ergiebt sich aber weiter, daß das Abkommen vom Juni 70 nicht (wie Beklagter meint) einen nothwendigen Theil der Klage bildet, sondern eine wahre Einrede gewährt, da Beklagter aus demselben das Recht ableitet, seiner Zögerung ungeachtet auch jetzt noch Harz liefern zu dürfen. Was Klägerin hierauf entgegnete, gehört mithin nicht zur Klage, sondern zur Beantwortung der Exceptionsschrist und konnte mit dieser Beantwortung rechtsgiltig vorgetragen werden, wie die darin enthaltene Behauptung einer Bedingung (daß nämlich jenes Abkommen durch die im Sept. 70 geschehende Harzlieferung bedingt worden) ohne Zweifel als erheblich erscheint. Auch ist es nicht richtig, daß (wie Beklagter behauptet) Klägerin selbst ihr Vorbringen nur als Erläuterung der Klage bezeichnet habe, da sie in der Eingabe v. 7. Juni 71 von Beant­ wortung eines Einredevorbrigens spricht, und nur für den Fall sofortigen Zugeständniffes von Seiten des Beklagten von Anberaumung eines Verhandlungstermins abstrahirt. Uebrigens würde auch die irrige Charakterisirung eines solchen Parteivortrags für den Richter*, nicht bindend sein. Mit Recht hat daher das Appellationsgericht wie die Klage, so auch jene Einrede-Beantwortung für zulässig erachtet und jedenfalls nicht den Bekl. beschwert, wenn es seiner Einrede die Kraft einer die Klage zerstörenden Exception beigelegt. *• Vgl. Rspr. I S. 317, II S. 232, IV 234.

33 Nr. 9.

I. Senat. — Erkenntniß v. 26. Äpril 72. (Z.) Rascher •/• «North British and Mercantilc, Feuerversicherungs-Gesellschaft (Nr. 285 v. 72).

Ober-Appellation.

Reutz.

I. Instanz: Kreisgericht Gera, II. Instanz: Appellationögerichr Eisenach. Vollmacht, Umfang.

Inspektor einer Versicherungsgesellschaft.

1. Ueber den Umfang einer Handlungsvollmacht ent­ scheidet zunächst deren (durch den erklärten Willen des Macht­ gebers sich bestimmender) wahrer Inhalt. Darüber hin­ aus umfaßt die Vollmacht —nach gesetzlicher Vermuthung — nur diejenigen Rechtshandlungen, welche die Ausführung derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt. Art. 47, 58 HGB; vgl. Rspr. II S. 207, V S. 150. L. 1 § 12 Dig. 14, 1; L. 5 § 11 Big. 14, 8.

2. Der Inspektor einer Feuerversicherungs-Gesellschaft gilt, auch wenn mit Feststellung des Schadenbetrages beauf­ tragt, nicht zu definitiver Anerkennung eines Schadenersatz­ anspruchs ermächtigt. HGB Art. 278, 279.

Vgl. Rspr. II S. 154.

Die beklagte Feuerversicherungs - Gesellschaft war in I. Instanz zur Erfüllung einer von ihrem „Inspektor" dem

Kläger ertheilten Zahlungszusage für den Fall schuldig er­ achtet worden, daß dieser Inspektor zur Schadenfeststellung Auftrag gehabt.

Der Appellrichter hat die Beweisfrage

abändernd entschieden, und ebenso das OHG

in Erwägung: daß die auf Auszahlung einer Entschädigungssumme ge­

richtete Klage auf dies Behauptung gegründet ist, es habe der

von

der

Bekl. hiezu

ausdrücklich

beauftragte

Inspektor G. den dem Kläger erwachsenen Feuerschaden auf

536 Thlr. festgestellt und deren Bezahlung dem Kläger ver­

sprochen; daß dieser Klagebehauptung die angefochtene Be­ weisauflage vollkommen entspricht, und es bei derselben VII.

3

34

um so mehr bewenden muß, als einestheils Umstände, aus denen etwa eine stillschweigende Ermächtigung des G. seitens der Bekl. gefolgert werden könnte, nicht angeführt sind,

anderntheils die allgemeine Behauptung,

daß der

sogen. „Inspektor" einer Feuerversicherungs-Gesellschaft als

deren „Geschäftsführer, institor, Handlungsbevollmächtigter"

anzusehen sei, sich zur Beweisauflage nicht eignet, Kläger eine solche auch gar nicht begehrt, vielmehr ohne nähere Begründung lediglich aus dem Namen und der angeblichen

Stellung eines solchen Inspektors jene Folgerung gezogen

hat; daß auch über den Umfang einer Handlungsvollmacht zunächst deren wahrer Inhalt entscheidet und dieselbe darüber

hinaus nach gesetzlicher Präsumtion (HGB Art. 47, L. 1

§ 12 Big. 14, 1; L. 5 § 11 Big. 14, 3) nur diejenigen Geschäfte und Rechtshandlungen umfaßt, welche die Aus­ führung derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt — ein Anhalt dafür aber, daß zum Geschäftskreise des

„Inspektors" einer Feuerversicherungs-Gesellschaft die defi­ nitive Feststellung Zahlungszusage

von Schadenersatzansprüchen

gehöre,

überall

nicht

gegeben

und die ist;

daß

endlich aus der Ermächtigung zur Feststellung der Scha­ denhöhe keineswegs

von selber die Ermächtigung folgt,

für die Bersicherungsgesellschaft die Erstattung der Ent­

schädigungssumme zu versprechen, jene Feststellung viel­ mehr sehr wohl nur eventuell — nämlich nur für den Fall, daß eine Verpflichtung der Gesellschaft zur Zahlung

bestehen sollte — erfolgen kann.

Nr. 10.

H. Senat. — Erkenntniß v. 27. Äprit 72. (Z.) Liebingscher Konkursverwalter • . I. C. Zachmann (Nr. 84 v. 72).

Preußen.

Revision.

35 I. Instanz: Kreiögericht Crossen, II. Instanz: Appellationsgericht Frankfurt a/O. Darlehn.

Vorschuß.

Schuldschein. — Preuß. Konkursrecht.

1. Wann sind Geldzahlungen als darlehnsweise gegeben zu betrachten? (Vgl. Rspr. VI S. 273.)

Gemäß der Bedeutung, in welcher das Wort „vor­ schießen" gewöhnlich gebraucht wird, kann das als ein Geld­ vorschuß bezeichnete Rechtsgeschäft — beim Mangel ent­ gegenstehender Behauptungen — nur als Darlehnsvertrag aufgefaßt werden. ALR Th. I Tit. 11 § 653.

2. Der Schuldschein über ein Darlehn verliert durch die Feststellung, daß die verschriebene Valuta nicht als Darlehn gegeben worden, nicht jede rechtliche Bedeutung. Dasselbe gilt von einer in solchem Schuldschein enthaltenen Pfandbestellung. Vgl. Rspr. VI S. 132; Strieth. Arch. B. 55 S. 277, B. 67 S. 157.

3. Was gehört nach preuß. Konkursrecht zur An­ meldung einer Forderung? Bei weiterer Verfolgung einer angemeldeten und be­ strittenen Forderung sind (im Spczialprozeß) die bei der Anmeldung bezeichneten Grenzen — bezüglich des Betra­ ges und des beanspruchten Vorrechts — einzuhalten. Sonstige Aenderungen des Vortrags sind nicht schlechthin unzulässig, nur darf die Identität der angemeldeten nnd der weiter im Spezialverfahren geltend gemachten Fordernng keinem Zweifel ausgesetzt werden. Preuß. Konkurs-O. v. 8. Mai 55 § 169, 230 Abs. 3.

4. Bezüglich des nach § 101 Nr. 1 der preuß. Konkurs-Ordnung von 1855 für die Anfechtung einer Hypothek wichtigen zehntägigen Zeitraums kommt es auf das Aus­ bcdingen (nicht auf die wirkliche Eintragung) der betreffen­ den Hypothek an.

36

5. Im § 102 Nr. 3 der preuß. Konkurs-Ordnung umfaßt der Ausdruck „Veräußerung" auch eine Hypothek­ bestellung. Ebenso: die altpreuß. Gerichtspraxis.

6. Nur eine unredliche Bevortheilung (nicht jede Be­ vorzugung) eines Gläubigers vor den Anderen fällt unter 8 103 Nr. 1 der preuß. Konkurs-Ordnung. Entscheidung des OHG: Was die rechtliche Natur der Klageforderung an­ langt,

so

hat Beklagter

(Konkursverwalters zugestanden,

daß 500 Thlr. den Restbetrag von zwei Darlehnen bil­ den,

welche Kläger in den Jahren 61 und 62 dem am

17.Febr. 67 verstorbenen ersten Ehemann der Gemeinschuld­ nerin, Feodor S., gegeben hatte.

In Ansehung von 651

Thlrn. steht (durch Eid) fest, daß sie in verschiedenen Be­

trägen vom Kläger für Rechnung der Handlung Feodor S. auf Ansuchen — also im Auftrage — der S.'schen Ehe­ leute, bzw. der Wittwe S., jetzigen Gemeinschuldnerin, an

dritte Personen

gezahlt

worden

sind.

Vom rechtlichen

Standpunkt aus sind diese Zahlungen—da nicht behauptet ist, daß den bezüglichen Aufträgen und deren Erfüllung ein

anderes Rechtsgeschäft zu Grunde gelegen habe — so zu

behandeln, als wenn sie an die Auftraggeber selbst, und zwar darlehnsweise, geleistet worden wären (§653 Tit. 11 in Verbindung mit §§ 215, 216 Tit. 14 und § 72 Tit. 13 Thl. I ALR, vgl. Erk. des OTr. zu Berlin v. 17. Nov. 59 und 30. April 67, Strieth. Arch. B. 35 S. 277 u. B. 67 S. 157; L. 180 Big. 50, 17). Der hiedurch be­

gründete

Erstattungsanspruch

des

Klägers

umfaßt

nach

§ 65 ALR I. 13 die Verauslagung der 10 Sgr. Porto. Von den übrigen 347 Thlrn. sind, gemäß der Feststellung durch jenen Eid, im Jahre 67 an die Gemeinschuldnerin selbst 300 Thlr. und an die Handlung Feodor S. 47 Thlr.

„vorgeschossen"

worden.

Gemäß

der Bedeutung,

in

37 welcher gewöhnlich das Wort „vorschießen" gebraucht wird, kann das mit diesem Ausdruck bezeichnete Rechts­ geschäft, bei dem Mangel entgegenstehender Behauptungen, ebenfalls nicht anders, wie als Darlehnsvertrag, auf­ gefaßt werden.

Insofern, nach dieser Entstehungsweise der Klagefor­ derung, für einzelne Bestgndtheile derselben Feodor S. als ursprünglicher

bzw. Mit-Verpflichteter zu haften

hatte, kommt in Betracht, daß zugeständlich die Gemein­

schuldnerin den Nachlaß des Feodor S. mit allen Aktiven und Passiven übernommen, also beim Uebergang der fragt

Schuldoerbindlichkeiten des Feodor S. auf sie (die Gemein­

schuldnerin) eine Aenderung des Rechtsgrundes der Til­ gungsverpflichtung nicht stattgefunden hat. Daß die Ge­ meinschuldnerin zufolge der Uebernahme der Verlassenschaft des Feodor S. für dessen Privat- und Handlungs-Schulden

den Gläubigern aufkommen muß, ist unstreitig. Ferner muß dem Appellrichter in der Ausführung bei­ getreten werden, daß die Anmeldung der eingeklagten For­

derung im Konkurse — durch welche die Verfolgung der

Klageansprüche in gegenwärtigem Spezialprozeß nach §§ 164 ff., 229, 230 Abs. 3 der preuß. Konkurs-O. v. 8. Mai 55

bedingt ist — für gehörig erfolgt zu erachten. Bei der fraglichen Anmeldung nahm Kläger Bezug

auf die Schuld- und Pfandverschreibung v. 22. April 69, in welcher die Gemeinschuldnerin bekennt, „ein Kapital

von

1500 Thlrn.

halten zu haben".

von ihm baar dargeliehen er­ Zur Erläuterung und Berichtigung er

dieses Schuldbekenntnisses bemerkte Klüger dabei, daß

3 Jahre vor Ausstellung der Urkunde 500 Thlr. an den Feodor S. und am 1. Januar 68 die übrigen 1000 Thlr.

der Gemeinschuldnerin dargeliehen habe.

Vergleicht man

diese Angaben mit Dem, was die vorliegende Klage über

die Entstehung und Zusammensetzung der eingeklagten For-

38 derung besagt: so zeigt sich die Konkurs-Anmeldung nicht blos als eine ungenaue, sondern auch als eine thatsächlich

unrichtige.

Allein die Identität zwischen der angemel­

deten und der eingeklagten Forderung steht durch ausdrück­ liches Zugeständniß des Bekl. fest, und jene Anmeldung

entspricht trotz ihrer Mängel, dem Wortlaut nach, der Anforderung des § 169, welcher verordnet: „Die Anmeldung der Forderung muß den Namen,

Wohnort und Stand des Gläubigers, sowie den Be­

trag und den Rechts gründ der Forderung enthalten."

Nur

bezüglich

der

Angabe

könnte ein Zweifel entstehen.

des

Rechtsgrundes

Derselbe fände jedoch seine

Erledigung in der Erwägung, daß, nach dem Vorbemerkten, als Nechtsgrund der fragl. Forderung, ebenso wie bei ihrer Anmeldung im Konkurse, auch in gegenwärtiger

Klage die darlehnsweise erfolgte Hingabe des Geld­ betrages, welcher den Gegenstand der Forderung bildet, bezeichnet ist. Eine, die Bedeutung des Wortausdrucks

einschränkende Interpretation des § 169 erscheint nach

dem Zweck der Anmeldung und bzw. nach der Bestimmung des § 230 Abs. 3 unstatthaft.

Letztere besagt nämlich:

Er (der Gläubiger) kann seine Forderung nur in

dem Umfange geltend machen, in welchem er sie angemeldet hat. in Betreff

Eine Erweiterung des Anspruchs

des Betrages oder des Vorrechts

ist in dem Spezialprozeß nicht zulässig;

dieselbe

kann nur mittelst einer neuen Anmeldung geltend

gemacht werden.

Demgemäß ist für die weitere Verfolgung einer angemeldeten und bestrittenen Forderung, d. h. für deren Einklagung im Spezialprozeß, nur die Innehaltung

der bei Anmeldung der Forderung bezeichneten Grenzen, sowohl was den Betrag der Forderung, als auch das für

dieselbe beanspruchte Vorrecht anbetrifft, vorgeschrieben.

39

Und hieraus folgt, daß eine Aenderung des Vortrags in der Anmeldung, aus welchem das Begehren des Gläubigers zu erkennen ist, keineswegs für schlechthin unzulässig zu er­

achten.

Inwieweit solche Aenderung, ohne den Effekt der

Anmeldung

aufzuheben,

statthaft

als

angesehen werden

kann, läßt sich nur aus dem Zweck der letzteren entneh­

men, nach welchem die Forderung so bezeichnet werden muß,

daß die übrigen Konkursgläubiger sowie der Konkursver­ walter in der Lage sind, darüber schlüssig zu werden: ob und inwiefern oder inwieweit die Forderung zu bestreiten oder anzuerkennen sei? (Vgl. die §§ 164 ff. der Konkurs-O- und die

Materialien zu §§ 169 bis 171, 230 in Goltdammer's

Komm. S. 345 ff., 404, 405).

Da die rechtliche Natur,

und somit das Wesen, einer Forderung durch deren Rechtsgrund bestimmt wird, ist dessen Angabe bei der Anmeldung im § 169 ausdrücklich vorgeschrieben. Für die Frage aber: ob und wieweit es dem Gläubiger gestattet sein kann, die bei der Anmeldung in Bezug auf

die Entstehung der Forderung gemachten Anführungen in der

Klage

des

Spezialprozesses

zu

ergänzen

und

abzu­

ändern, muß — wenngleich dadurch der Rechtsgrund betrof­ fen, ihm jedoch ein anderer nicht substituirt wird — der

Schwerpunkt der Beurtheilung darin erblickt werden: daß

die Identität zwischen der angemeldeten und der einge­ klagten Forderung keinem Zweifel ausgesetzt ist. Außerdem kommt in Betracht: ob sich annehmen läßt, daß, wenn eine

Forderung schon bei ihrer Anmeldung in der Weise substantiirt worden wäre, wie dies sodann in der Klage des

Spezialprozesses wirklich geschehen ist, seitens des Konkurs­

Verwalters oder einzelner Gläubiger eine andere Erklärung als die abgegebene, bzw. überhaupt eine Gegenerklärung — wenn eine solche von Seiten der Gläubiger nicht er­ folgt ist — abgegeben worden sein würde.

In vorliegen­

dem Falle steht (wie schon bemerkt) die Identität der an-

40 gemeldeten und eingeklagten Forderung fest, und die letzt­ gedachte Frage ist um so unbedenklicher zu verneinen, als ein Vorrecht für die fragliche Forderung (bei der Mobi­ liar-Masse) nicht in Anspruch genommen ist und daher kein

Sonderinteresse einzelner K>onkurs-Gläubiger konkurrirt. Was endlich die Angriffe des Bekl. gegen die Giltig­ keit! der Hypothekenbestellung v. 22. April 69 betrifft, so

erscheinen auch diese grundlos. Bereits im Erk. v. 9. März 72 Mipr. VI S. 132 ff.] ist angenommen worden, daß der Schuldschein über ein Darlehn seine rechtliche Bedeutung durch die Feststellung

allein, daß die verschriebene Valuta nicht als Dar lehn Dasselbe gilt von einer Schuldverschreibung, welche zugleich eine Pfandbestellung

gegeben worden ist, nicht verliert.

enthält, in Ansehung der letzteren; und es kann in dieser

Beziehung auf die vom Appellrichter citirten Entscheidungen des OTr. zu Berlin [ö. 17. Nov. 59 und 30. April 67, Strieth. Arch. B. 55 S. 277 u. B. 67 S. 157] verwiesen werden. Ferner greift §' 101 Nr. 1 der Konkurs-O. nicht Platz,

weil es, nach seinem wortdeutlichen Inhalt, bezüglich des

zehntägigen Zeitraums

auf

den Zeitpunkt der Ausbe-

dingung einer Hypothek, nicht aber auf den Zeitpunkt

ihrer Eintragung ankommt, und die in Rede stehende Hy­ pothek bereits am 22. April 69 eingeräumt, auf Konkurs­ eröffnung aber erst am 4. Mai 69, also mehr als zehn

Tage später, angetragen worden ist. Wenn weiter der Appellrichter den § 102 Nr. 3 der Konkurs-O. deshalb für unanwendbar erklärt, weil der Aus­ druck „Veräußerung" die Hypothekenbestellung nicht mitumfaffe: so ist dem Bekl. die Zweifelhaftigkeit dieses Grundes zuzu­ geben (vgl. B eifert in Gruchot's Beiträgen rc. B. X S. 1 ff. und Sutro in der preuß. Gerichts-Zeitung v. 1861S. 154), jedoch der fragliche Zweifel zu Gunsten der Auffaffung des Appell-

41

richters aus den vom preuß. OTr. in den Erk. v. 16. Dez. 54, 1. Nov. 59 (Strieth. Arch. B. 15 S. 290 und B. 35 S. 213) und v. 31. Okt. 61 (Entsch. B. 43 S. 463) ent­ wickelten Motiven umsomehr zu entscheiden, als diese Auf­ fassung in- der preuß. Rechtspraxis die vollste Anerkennung erlangt hat; vgl. Meischeider, die preuß. Gesetzgebung über das Anfechtungsrecht der Gläubiger rc. S. 47 und 81. § 103 Nr. 1 der Konkurs-O. endlich kann nicht An­ wendung finden, weil nicht behauptet ist, daß die fragt Hypothekbestellung nur zum Schein vereinbart worden, und weil, wenn damals (wie Beklagter behauptet) die Ge­ meinschuldnerin bereits zahlungsunfähig und dies dem Kläger bekannt war, die Einräumung der Hypothek auch eine Be­ vorzugung des Klägers vor anderen Gläubigern bezweckte, hieraus allein noch keineswegs die Absicht einer unred­ lichen Bevortheilung der Letzteren gefolgert werden kann, solche aber vom Gesetz hier erfordert wird.

Nr. 11.

I. -Senat. — Erkenntniß v. 30. April 72. (Nef.) Wallls •/ Vulcan (Nr. 29 v. 72).

Preußen.

Revision. I. Instanz: wel­ che- seiner Natur nach einen wisseuschaftkichew Charakter trögt, d. h. durch seine« Inhalt sowie die Art »nd Weise der Erörterung, Darstellung re. die Bestimmung bekundet, einem wissenschaftlichen Zweck zu dienen. Der innere Werth der Schrift bleibt dabei außer Betracht. 4. Ob eine Schrift, dem Werk eines Anderen gegen« über, „timt geringerem Umfange" ist, hat der Richter, unter Berücksichtigung aller Umstände des Falle-, z» ermessen. Welche Gesichtspunkte sind hiebei maaßgebend? RchGes. v. 11. Ium 70 § 7, lit, a. Der Literat I. Löwenberg zu Berkin hat 1866 im Wiener „Jahrbuch für Israeliten" 12 Briefe, die Alexander und Wilhelm v. Humboldt an David Friedländer geschrie­ ben, mit einer Einleitung und verschiedenen erläuternden Bemerkungen unter dem Titel: „W. und A. v. Humboldt im Verkehr mit ihren ältesten jüdischen Freunden" veröffent­ licht. Als einen Nachdruck dieses Aufsatzes verfolgt er jetzt die 1871 im Verlage der F. W. P.schen Buchhandlung zu Leipzig erschienenen Schrift von A. Kht., betitelt: „Alexan­ der v. Humboldt und das Judenthum". Ein Gutachten des Literarischen Sachverständigen-Vereins für das König­ reich Sachsen v. 23. Mai 71 erklärte das Löwenbergsche Werk für eine selbständige geistige Arbeit, charakterisirte 28 Seiten der Khtschen Schrift als einen völlig wört­ lichen, wenn auch nicht im strengsten Sinne ausschließlichen Abdruck jenes Werks und bejahte, daß dem Denunzianten durch diesen Abdruck seines Geistesprodukts ein Vermögens­ schade zugefügt worden. In I. Instanz wurde Denunziat

152 freigesprochen und die auf Grund des Gutachtens verfügte

Beschlagnahme

der Khtschen

Schrift

wieder

aufgehoben.

Der Appellrichter erkannte bestätigend, ebenso das OHG. Gründe: Zur Rechtfertigung der Berufung fdes Denunzianten)

wird zuerst die Behauptung aufgestellt, daß der Richter in rein technischen Fragen sich an das Gutachten des Sach-

verständigen-Vereins halten müsse und nicht befugt sei, selbst

zu prüfen und seiner eigenen, mit jenem Gutachten im Widerspruch stehenden Ueberzeugung zu folgen.

Diese Be­

hauptung beruht auf völliger Verkennung des Sinnes der hier maaßgebenden §§ 29 und 30 des RchG v. 11. Juni 70.

Nachdem im § 29 das allgemeine Prinzip ausgespro­

chen ist, daß der Richter den Thatbestand nach seiner freien, aus den Verhandlungen geschöpften Ueberzeugung

festzustellen habe, fügt § 30 hinzu: „Sind technische Fragen, von welchen der That-

„bestand des Nachdrucks oder der Betrag des Scha­ den oder der Bereicherung abhängt, zweifelhaft

„oder streitig: so ist der Richter befugt, das Gut-

„achten Sachverständiger einzuholen." Hienach ist klar, daß der Richter bei technischen Fragen von Einholung eines Gutachtens Sachverständiger

Umgang nehmen kann, falls er durch eigene Prüfung zu einer festen Ueberzeugung gelangt. Folgerichtig muß. ihm die Befugniß eigener Prüfung auch zustehen, falls ein

solches Gutachten erhoben worden ist. von Sachverständigen soll,

Das Gutachten

wie es im Begriff des Worts,

liegt, den Richter bei seiner Prüfung nur unterstützen,,

ihm durch das Gewicht der Ansichten sachkundiger Männer und durch die. von diesen entwickelten technischen Gründe Hilfsmittel bieten, um die richtige Entscheidung zu finden, soll aber nie selbst an Stelle der richterlichen Be­

urtheilung treten.

Die Entscheidung liegt immer in

153

der Hand des Richters.

Daß dies der Sinn des Gesetzes

ist, kann um so weniger zweifelhaft sein, als es in den Motiven zum Gesetzentwurf und bei den Reichstags-Ver­

handlungen auf's Klarste und Bestimmteste ausgesprochen worden ist.

Der

Entwurf

wollte zwar

bei

der Ent­

schädigungsfrage das Gutachten des SachverständigenVereins für bindend erklären; allein es drang die Ansicht durch, daß auch hier die freie Beurtheilung des Richters nicht geschmälert werden dürfe; bezüglich der Frage aber,

ob Nachdruck vorliege, wurde ein Zweifel nicht einmal angeregt. Wenn im § 30 die technischen Fragen besonders her­ vorgehoben sind, so hat dies blos darin seinen Grund, daß man besorgte,

es möchten

manche Richter sich verleiten

lassen, sogar über Rechtsfragen sich an die Sachverständigen-

Vereine zu wenden;

es geschah also in der Absicht, die zu wahren, nicht aber sie

„richterliche Selbständigkeit"

zu beschränken (Reichstags-Verhandlungen

bis 852).

B. II S. 849

Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die

Behauptung, es hänge die Entscheidung in vorliegendem Falle von rein technischen Fragen ab, überhaupt begründet ist.

Was nun die Würdigung des Thatbestands betrifft, so ist von beiden Vorinstanzen — in Uebereinstimmung mit

dem Gutachten des Sachverständigen-Vereins — anerkannt, daß jener Aufsatz des I. L., welcher unbefugt nachgedruckt

worden sein soll,

1) als eine selbständige geistige Arbeit zu betrachten also unter den Begriff eines den Schutz des Gesetzes genießenden Schriftwerks fällt, und

ist, an und für sich

2) in

dem

Werke

von

Kht.

vollständig

abgedruckt

worden ist. In beiden Richtungen kann den Vorinstanzen beige­

pflichtet werden; es ist also nur zu prüfen, ob eine der im

§ 7 des Nachdrucksgesetzes vorgesehenen Ausnahmen vorliegt.

154 Appellant macht — gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen-Bereins — geltend, die Ausnahme im § 7 lit a habe, wenn sie von Schriften geringeren Umfangs

spreche, nur selbständig erschienene Schriften im Auge,

könne also auf Aufsätze in Zeitschriften nicht bezogen werden, für welche nur § 7 lit. b maaßgebend sei.

Diese

Ansicht ist jedoch irrig und beruht auf Verkennung des Sinnes der gesetzlichen Bestimmungen.

Weder Wortlaut

noch Geist des Gesetzes erlauben, für Aufsätze, welche in

Zeitschriften erschienen find, eine derartige Ausnahme zu machen.

Was den Wortlaut betrifft, so spricht § 7 lit. a

überhaupt von „Schriften".

Schrift aber ist der allge­

meine Ausdruck für Mittheilungen der Gedanken durch blei­ bende Zeichen und bildet den Gegensatz zu Mittheilungen

durch Worte oder Geberden. Wenn man mit dem Aus­ druck: „Schriften eines Autors" nur schriftliche Aufzeichnun­ gen von einiger

geistiger Bedeutung,

also nicht ge­

wöhnliche Briefe und dergleichen zu bezeichnen pflegt: so ist damit nur der Begriff gegeben, welchen das Nachdrucks­

gesetz überhaupt mit dem Wort: „Schriftwerk" verbindet; keineswegs aber läßt sich sagen, jener Ausdruck schließe alles aus, was in Zeitschriften veröffentlicht sei, z. B. selbst

Romane oder wichtige wiffenschaftliche Abhandlungen. Sinn des Gesetzes

tritt mit

Der

vollster Klarheit aus dem

Gegensatz hervor, welchen die unmittelbar folgenden Worte: „ein selbständiges wiffenschaftliches Werk" bil­

den; indem diese zeigen, wie der Gesetzgeber spricht, wenn er die selbständig erschienenen Schriften und die Artikel einer Zeitschrift unterscheiden will.

Was den Geist des Gesetzes betrifft, so ist klar, daß

daffelbe die Artikel

in Zeitschriften

nicht

günstiger,

sondern ungünstiger behandeln will, als die selbständig

herausgegebenen Schriftwerke.

Bei letzteren versteht es sich

155 von selbst und bekundet sich schon durch die Art der Ver­ öffentlichung, daß der Schriftsteller oder Verleger Werth

auf Wahrung des Urheberrechts legt; bei ersteren jedoch barf eher vermuthet werden, daß die Veröffentlichung

nur vorübergehende Bedeutung haben solle und kein Werth

auf das Urheberrecht gelegt werde.

In dieser Erwägung

sand sich der Gesetzgeber veranlaßt, int § 7 lit. b diejenigen

Fälle zu bezeichnen, in denen eine solche Vermuthung nicht Platz greift, nämlich 1) bei novellistischen Erzeugnissen, 2)

bei

wissenschaftlichen Ausarbeitungen und 3) bei

größeren Mittheilungen sonstiger Art, wenn ausdrück­ lich bemerkt ist, es werde der Nachdruck untersagt.

Für

diese Fälle läßt der Gesetzgeber die gewöhnlichen Grund­ sätze gelten, gewährt also den Artikeln der Zeitschriften den­

selben Schutz, wie selbständigen Schriftwerken; in allen an­

deren Fällen ist den Zeitungsartikeln ein Schutz nicht ge­ währt, deren Abdruck also unbedingt gestattet, auch wenn die Voraussetzungen int § 7 lit. a nicht vorliegen.

Die

Bestimmung int § 7 lit. b hat daher keineswegs den int Gutachten des Sachverständigen-Vereins unterstellten Zweck, für Zeitungsartikel die allein uno ausschließlich maaßgebende

Norm zu sein.

Wäre übrigens diese Unterstellung richtig,

so würde sich immerhin fragen, ob der Aufsatz von I. L.

unter den Begriff einer „wissenschaftlichen Ausarbeitung" ge­

bracht werden könnte, welcher Begriff offenbar mehr foröert,

als daß eine

selbständige geistige Arbeit vorliege,

b. h. jene Voraussetzungen gegeben seien, an welche sich die Eigenschaft eines „Schriftwerks"

und

der Schutz

gegen

Von näherer Erörterung dieser Frage kann jedoch abgesehen werden, da klar ist, daß der

Nachdruck überhaupt knüpft.

Appellrichter die Bestimmungen int § 7 lit. a auf den vorlie­ genden Fall richtig angewendet hat.

Appellant behauptet zwar, es fehlten die sämmtlichen Voraussetzungen des Gesetzes, indem 1) das Werk von Kht.

156 kein wissenschaftliches Werk, 2) der

Aufsatz von I. L keine Schrift von geringerem Umfange, auch noch nicht vollständig veröffentlicht, und 3) die Quellen­

angabe ungenügend sei.

Diese Einwendungen erscheinen

jedoch nicht begründet. Was zuerst den Charakter langt,

des Kht'schen Werks an­

so ist es für die Frage,

ob

ein Werk

als ein

„wissenschaftliches" zu bezeichnen, gleichgiltig, welchen

wissenschaftlichen Werth dasselbe hat, ob es gut oderschlecht, gründlich oder oberflächlich ausgearbeitet ist. Das Gesetz verlangt blos, daß das Werk seiner Natur nach zu den wissenschaftlichen Werken zu zählen sei, d. h. daß sein In­

halt und die Art und Weise der gegebenen Erörterungen

und Darstellungen seine Bestimmung bekunden, einem wissenschaftlichen Zweck zu dienen.

Geschichtswerk

Werks

nicht

die

Eigenschaft

So könnte z. B. einem

eines

abgesprochen werden unter

wissenschaftlichen dem

Vorwand

es sei nach Form und Inhalt ein seichtes, geistloses Mach­ werk, von welchem die Wissenschaft keinen Gewinn ziehe. Hieraus ergiebt sich, daß dem vorliegenden Werk von Kht.,

welches sich zur Aufgabe gemacht hat, eine

erschöpfende

Darstellung der Stellung zu geben, welche A. v. Humboldt

dem Judenthum

gegenüber eingenommen habe, und das

diese Aufgabe durch Eingehen auf die verschiedenen, in dieser

Beziehung maaßgebenden Gesichtspunkte und durch Samm­ lung aller bezüglichen biographischen Thatsachen zu erreichen

sucht, an und für sich der Charakter eines wissenschaft­

lichen Werks nicht abgesprochen werden kann; und es er­ scheint

unstatthaft,

auf

die vom Appellanten

angeregte

Kritik des Werks weiter einzugehen.

Appellant behauptet ferner, sein Aufsatz sei als eine Schrift „von geringerem Umfange" dem Kht-schen Werk gegen­

über nicht zu betrachten;

allein auch in dieser Beziehung

kann ihm nicht beigepflichtet werden.

Ob besagte Voraus-

157 setzung gegeben sei, muß vom Richter — unter Berücksichtigung

aller Umstände des der Beurtheilung unterliegenden Falles —

geprüft werden.

Es wurde dies in den Motiven des Ge­

setzentwurfs ausdrücklich anerkannt und selbst die Möglich­ keit als gegeben erachtet, daß der Abdruck ganzer Dramen oder ganzer Romane, sogar wenn deren Umfang ein größe­ rer wäre, unter besonderen Umständen als erlaubt betrachtet

werden dürfe (Reichstags-Verhandlungen B. III S. 132).

Die Gesichtspunkte, welche für die richterliche Beurthei­ lung hiebei als maaßgebend in Betracht kommen, sind ins­

besondere: 1) die Bedeutung, welche die abgedruckte Schrift dem Werk, in welches sie ausgenommen worden, gegen­

über hat, sowohl nach dem räumlichen Umfang, als nach dem Gehalt; 2) die innere Verbindung beider Schriftwerke, ob

nämlich, dem Zweck des wissenschaftlichen Werks gemäß, der Abdruck für dasselbe Bedürfniß war, oder ob der Abdruck ohne ein.solches Bedürfniß nur

in der Absicht erfolgte, von der geistigen Arbeit

eines Anderen Gewinn zu ziehen. Rach beiden Gesichtspunkten erscheint der Ausnahme­

fall des § 7 lit. a hier gegeben.

Der Aufsatz des Appellan­

ten nämlich füllt nur etwa die Hälfte des zweiten, die Be­ ziehungen A. v. Humboldt's zu Juden behandelnden Ab­

schnitts des Werks von Kht., und macht im Ganzen etwa den siebenten Theil dieses Werks dem Raume nach aus, wobei in Betracht zu ziehen ist, daß drei der nachgedruckten Briefe

vom Appellanten selbst aus anderen Werken entnommen waren.

Es bildet daher der abgedruckte Aufsatz nur einen

verhältnißmäßig kleinen Theil des Materials, welches von Kht. verarbeitet ist. Auch hinsichtlich des Gehalts läßt sich nicht sagen, daß der Inhalt des abgedruckten Aufsatzes von überwiegender oder unverhältnißmäßiger Bedeutung sei.

158 Was die innere Verbindung beider Schriftwerke an­ geht, so erscheint die Aufnahme der frag!. Briefe durch den Zweck der Kht.schen Schrift gerechtfertigt, ja zur völligen Er­ reichung desselben nothwendig. Dieser Zweck erforderte nämlich eine Sammlung aller wichtigeren Briefe, welche Humboldt mit Juden gewechselt hatte, da diese die sicher­ sten Belege für seine bezüglichen Meinungen und Gesin­ nungen sein mußten, weshalb denn auch eine Reihe anderer Briefe gleicher Art abgedruckt worden ist. Dabei kommt in Betracht, daß gerade dergleichen Sammlungen zu eigenthümlich literarischen Zwecken vom Gesetzgeber beson­ ders hervorgehoben sind.

Schließlich kann auch die Natur der abgedruckten Schrift nicht ganz gleichgiltig sein; es verdient Beachtung,, ob der Verfasser des neuen Werks sich originale gei­ stige Schöpfungen eines Anderen aneignet, um seinem Werk Werth und Gehalt zu verleihen, oder aber, ob er nur historische Belege (Urkunden, Briefe rc.) sammelt, deren Mittheilung der Zweck seines Werks nothwendig oder wünschenswerth macht. Letzteres ist hier der Fall; denn die Noten des Appellanten erscheinen den Briefen gegenüber nur als Nebensache, sind übrigens von Kht. durch einige eigene Zusätze vermehrt worden.

Wenn ferner Appellant in Frage stellt, ob seine Schrift als veröffentlicht gelten könne, so ist unerfindlich, rot? der Umstand, daß der Inhalt der Schrift auf eine spätere Fort­ setzung deuten soll, die wirkliche Veröffentlichung des voll­ endeten und in der That veröffentlichten Theils des Werks auch nur entfernt zweifelhaft zu machen vermöchte. Ueber die Frage endlich, ob die Quelle genügend an­ gegeben worden, kann ein wesentlicher Zweifel nicht bestehen. Kht. sagt S. 68 seines Werks:

„vor vier Jahren hat Herr I. Löwenberg zu Berlin.

159

im Jahrbuch rc. eine Reihe Briefe der Brüder Humboldt . . . veröffentlicht rc.", und dann folgt Abdruck des betr. Aufsatzes. Eine bestimm­ tere Bezeichnung, als sie hier gegeben wird, verlangt das Gesetz nicht. Demnach war das angefochtene Erk... zu bestätigen. Nr. 36.

II. Senat. — Erkenntniß v. 25. Mai 72. (Z.) Spar- und Vorschutzkasse zu Bleicherode, in Liq. (Nr. 243 v. 72).

A. Schein

Preußen.

Revision.

I. Instanz: Kreisgericht Nordhausen, II. Instanz: Appellationsgericht Halberstadt. Bürgschaft nach ALR.

1. Zur Rechtsgiltigkeit einer Bürgschaft gehört nach ALR nicht die Bezeichnung der ursprünglichen Verpflich­ tung (der Hauptschuld) und ihres Rechtsgrnndes. ALR I. 14 § 202, 266; I. 5 § 71. Vgl. Erk. des OTr. v. 4. Januar 66, Strieth. Arch. B. 61 S. 311, u. Rspr. II S. 287 Nr. 3. Anders: OTr. Erk. v. 21. Okt. 62, Gruchot's Beiträge B. 7 S. 233 fs., und Förster Theorie rc. B. II S. 357.

2. Dir (landesgesetzlich gebotene) Schriftlichkeit des Bürgschastsvertrags gestattet zur Feststellung und Ergänzung des Brrtragswillens die Heranziehung von Momenten, die außerhalb der Bürgschaftsurkunde liegen. § 252 fs., 259 ALR I. 5; § 259 ff. Th. I Tit. 14.

3. Haftet der Bürge auch für die Zinsen der Haupt­ schuld? Vgl. § 257, 259, 260, 265 ALR I. 14.

Entscheidung des OHG:

Die über die Sitzung des Vorstands der klagenden Genoffenschaft v. 21. Mai 69 aufgenommene schriftliche Verhandlung lautet unter Nr. 3:

160

„Herr Sch. (Beklagter) tritt nach seinem dem

Vorstand gegebenen Worte für den Handelsmann Fr. H. von hier als Bürge bei der Spar- und

Vorschußkasse ein." Sie ist auch vom Bekl. mit dem Zusatz „zu 3 bin

ich einverstanden"

unterschrieben worden.

ausdrücklich

hienach

bezeichneten

Dritten

über

Bürge

als

für Verpflichtungen

bestimmt

der Klägerin gegen­

die Haftung

übernommen,

Beklagter hat eines

und

es

fragt

sich

nur, ob 1) der Gegenstand der von ihm eingegangenen Bürg­ schaftsverpflichtung mit der erforderlichen Bestimmtheit erkennbar ist, um nicht nur überhaupt zur Begründung einer rechtlichen Verbindlichkeit geeignet zu sein, sondern auch speziell auf die hier

in Rede stehende Schuld des

Fr. H. bezogen werden zu können, und ob 2) die nach § 203 ALR I. 14 gesetzlich erforderliche Schriftlichkeit des Bürgschaftsvertrages es gestattet, außer­

halb der Bürgschaftsurkunde liegende Momente bei Beur­ theilung jener Frage heranzuziehem

Beide Fragen sind aber unbedenklich zu bejahen. Nach § 71 ALR I. 5 sind nur solche Verträge, deren Gegenstand sich gar nicht bestimmen läßt oder deren Be­

stimmung oder Erfüllung der Willkür des Verpflichteten Im Uebrigen sind

lediglich überlaffen ist, unverbindlich.

dagegen die für zweifelhafte Willenserklärungen geltenden

Auslegungsregeln (ALR I. 5 § 252 ff.) in Anwendung zu bringen.

In vorliegendem Falle kann nun offenbar zu­

nächst davon, daß der Gegenstand der Bürgschaft lediglich

von der Willkür des Bekl. abhänge, keine Rede sein.

Die

begleitenden Umstände ergeben aber auch, daß der Gegen­ stand der Bürgschaft kein absolut unbestimmbarer ist. Denn es steht durch Zugeständniß des Bekl. fest, daß der Fr. H.

aus der frag!. Kaffe und zwar durch den Bekl., als da-

161

maligen Kassirer der Klägerin, die verschiedenen in der Klage angeführten Darlehne von zusammen 840 Thlrn., worüber

er die von der Klägerin gegen ihn ausgeklagten Wechsel ausgestellt hat, erhalten hatte, mithin einen genau bestimm­ ten Betrag schuldete,

dies aber

beiden Theilen bei der

Bürgschaftsleistung des Bekl. bekannt war.

Es kann kei­

nem Zweifel unterliegen, daß der Eintritt des Bekl. als

Bürge sich gerade auf diese Darlehns- und Wechselschuld

des Fr. H. an die Klägerin bezog, deren inzwischen ein­ getretene Tilgung überall nicht behauptet ist.

Es könnte

höchstens in Frage kommen, ob Beklagter die Bürgschaft für Fr. H. nicht auch in Betreff noch anderer Verbind­

lichkeiten deffelben übernommen habe; was hier aber nicht von Erheblichkeit ist, da für die Existenz solcher ferneren

Verbindlichkeiten nichts

vorliegt.

Ebenso wenig erscheint

es indizirt, daß die Bürgschaft für Forderungen, welche Klägerin

erst in Zukunfft gegen Fr. H. neu erwerben

würde, habe übernommen werden sollen.

Dieser Auslegung

würde, außer dem auf eine schon bestehende Verbindlichkeit

des Hauptschuldners hindeutenden Wortlaut der Erklärung, schon entgegenstehen, daß nach des Bekl. eigener Angabe

Fr. H. die Darlehne schon im Jahre 67 erhalten, die ur­ sprünglich darüber ausgestellten Wechsel aber bei deren

Fälligkeit im Jahre 68 nicht eingelöst, sondern neue Wechsel

darüber ausgestellt hat, mithin ein unzuverlässiger Schuld­ ner war, welchem noch weiteren Kredit zu schenken der Klä­

gerin nicht wohl in den Sinn kommen konnte. 2) Es ist aber auch

eine Ergänzung

des Ver­

tragswillens aus den erwähnten Thatsachen durch die für Bürgschaften vorgeschriebene Form der Schriftlichkeit

nicht ausgeschlossen.

Das Requisit der Schriftlichkeit bezieht sich nach § 203 ALR I. 14 lediglich auf die im voraufgegangenen § 202 zu einer verbindlichen Bürgschaft in der Regel geforderte ausdrückliche Erklärung, „für die VII. n

162

Verpflichtungen eines Dritten haften zu wollen." Diesem Erforderniß ist hier aber durch die fragt. Urkunde offenbar genügt, da unter einer „ausdrücklichen" nichts an­ deres als eine „deutlich ausgedrückte" Erklärung verstanden werden darf, wie auch eine Vergleichung mit den nach­ folgenden §§ 206 ff. unzweifelhaft ergießt, da es hienach für den Bestand der Bürgschaft auf die gebrauchten Worte nicht ankommt. Vgl. Bornemann, Systematische Darstellung des preuß. Civilrechts B. 3 S. 275. Nun ist freilich in einem Erk. des kgl. OTr. zu Berlin v. 21. Okt. 62 (vgl. Gruchot's Beiträge B. 7 S. 232 ff.) die Ansicht aufgestellt worden, daß zum Wesen der die Rechts­ giltigkeit der Bürgschaft bedingenden schriftlichen Erklärung, wenn sie nicht ganz eigentlich ohne rechtlichen Gegenstand sein solle, auch die Bezeichnung der ursprünglichen Ver­ pflichtung (des Hauptschuldners) und ihres Rechtsgrunds gehöre. Dieser Ansicht, welcher sich auch Förster (Theorie und Praxis des preuß. Civilrechts B. 2 S. 357) anschließt, kann jedoch nicht beigepflichtet werden. Denn zunächst beruht die Annahme, daß die ursprüngliche Verpflichtung des Dritten den rechtlichen Gegenstand der Bürgschaft ausmache, auf einer Verwechselung mit der thatsächlichen Voraussetzung derselben auf Grund ihres accessorischen Cha­ rakters. Thatsächlich wird die Geltendmachung einer Bürgschaftsverbindlichkeit durch das Bestehen der Haupt­ schuld eines Dritten allerdings bedingt, der rechtliche Inhalt der Bürgschaft besteht aber nur in dem Eingehen einer, neben die Hauptschuld tretenden, besonderen Ver­ pflichtung des Bürgen, mithin eben in einer dem angeführ­ ten § 202 entsprechenden Erklärung, wie sie hier vorliegt. Wollte man weiter gehen und verlangen, daß in der, diese Erklärung enthaltenden Schrift auch der Gegenstand der prinzipalen Verbindlichkeit dem Betrage und Rechtsgrunde

163

nach genau bezeichnet sein müsse: so würde man die Bürg­ schaft zu einem Formalkontrakt im engeren Sinne, nach Analogie der wechselmäßigen Verbindlichkeiten, erheben. Das hat aber das ALR nicht beabsichtigt. Denn eines Theils verlangt dasselbe bei Bürgschaften die Schriftlichkeit nur, um die leichtsinnige Uebernahme fremder Schulden durch eine übereilte mündliche Erklärung zu verhüten, und anderen Theils enthält dasselbe auch anderweitige Be­ stimmungen, aus welchen erhellt, daß, wenn nur das We­ sentliche der Bürgschaft — die Uebernahme der Haftung für eine fremde Verbindlichkeit — durch schriftliche Er­ klärung feststeht, der thatsächliche Inhalt dieser Haftung anderweitig ergänzt werden kann. Dies beweisen zunächst die in §§ 259 ff. Th. I Tit. 14 enthaltenen Auslegungs­ vorschriften über den Umfang der vom Bürgen übernom­ menen Verbindlichkeit, und § 266 zeigt speziell, daß auch die schriftliche Angabe des Rechtsgrunds der Hauptschuld nicht für erforderlich erachtet ist, da hier der Fall einer Verbürgung für das, was ein Anderer „überhaupt" schuldig geworden, als möglich gedacht wird, worunter doch, zumal mit Rücksicht auf den unmittelbar nachfolgenden Gegensatz „oder aus einem gewissen Geschäft", füglich nur eine Verbürgung ohne Bezeichnung der Rechtsgründe der einzelnen Verbindlichkeiten des Dritten verstanden sein kann. Bestätigt wird dieser Sinn des § 203 aber durch die für Verträge im Allgemeinen vorgeschriebenen, eventuell auch für Bürgschaften zur Anwendung zu bringenden Auslegnngsregcln der §§ 252 ff. Th. I Tit. 5, welche — wie ans der besonderen Ausnahme des § 259 hervorgeht — auch für schriftliche Verträge gelten sollen. Nur soviel ist allerdings richtig, daß, wenn umgekehrt in der schrift­ lichen Erklärung der Bürgschaft der Nechtsgrund der Haupt­ schuld, für welche sie geleistet wird, bezeichnet wird und sich dann herausstellt, daß eine auf diesem Rechtsgrund ii*

164

beruhende Hauptschuld nicht existirte, diese falsche Angabe des Rechtsgrunds unter Umständen die Bürgschaft un­ verbindlich zu machen geeignet ist, sofern sich nämlich nicht ergeben sollte, daß lediglich ein unwesentlicher Irrthum in dieser Beziehung vorlag. Vgl. Entsch. des OTr. zu Berlin B. 43 S. 402. Erscheint hienach die Bürgschaft des Bekl. in vorlie­ gendem Falle an sich als verbindlich, so hat der Appell­ richter auch mit Recht angenommen, daß die Voraussetzungen vorliegen, unter welchen der Gläubiger nach §§ 283 ff. ALR I. 14 sich an den Bürgen halten kann. . . Endlich ist Beklagter auch mit Recht nicht nur in den Betrag der Hauptschuld selbst, sondern auch in die vollen Zinsen derselben verurtheilt worden. Denn § 260 ALRI. 14 — auf welchen Beklagter sich dafür, daß er höchstens auf die Zinsen eines Jahres haften würde, beruft — leidet hier keine Anwendung, da diese Vorschrift sich, wie ihr Zu­ sammenhang mit dem voraufgehenden § 259 ergiebt, ledig­ lich auf Fälle bezieht, wo die Bürgschaft auf die Kapital­ summe beschränkt ist. In vorliegendem Falle hatte Be­ klagter sich aber, wie oben gezeigt worden, für alles das­ jenige verbürgt, was Fr. H. der Klägerin — wenn nicht überhaupt, so doch — aus den über die Darlehne ausge­ stellten Wechseln schuldig geworden war. Er haftet also nach § 266 und 267 ALR 1.14 für alles, was Klägerin zur Zeit der vollzogenen Bürgschaft zu fordern hatte, auch wenn der Termin zur Leistung noch nicht eingetreten war, mithin sowohl für die Wechselbeträge selbst, als auch für die miteingeklagten gesetzlichen Zinsen derselben, mochten die einzelnen Wechsel nun schon fällig sein oder erst später fällig werden, da der Rechtsgrund für die Zahlung der Zinsen bereits eingetreten war. Vgl. Koch Komm. B. 2 S. 229 Anm. 84. Ob der vom Appellrichter auf diese Verbindlichkeit

165 des Bekl. zum Zinsenersatz angewendete § 259 ALR I. 14 auch auf den vorliegenden Fall und

nicht vielmehr nur

auf eine Bürgschaft für die dem Gläubiger aus einem ge­ wissen Geschäft erst entstehenden Ansprüche an Zinsen rc.

sich bezieht, kann hienach dahingestellt bleiben.

Nr. 37.

II. Senat. — Erkenntniß v. 25. Mai 72. (V.) Hessische Ludwigs-Bahn

Rheinhessen.

Lchwarz Löhne (Wr. 289 v. 72).

Kassatiousreknrs.

I. Instanz: Handelsgericht Mainz, II. Instanz: Obergericht daselbst. Frachtgeschäft der Eisenbahnen, Haftpflicht, Kaffationsmittel.

1. Unter dem Schaden, für welchen die EisenbahnVcrwaltungen im Frachtgeschäft ihre Haftpflicht gemäß HGB Art. 424 Nr. 1, 2 und 3 ausschließcn dürfen, sind auch die durch Dritte verübten Diebstähle am Frachtgut begriffen. HGB Art. 395, 421, 424. 2. Die gemäß Art. 424 Abs. 2 HGB geltende Vermuthung, daß ein eingetretener Schade aus der nicht übernommenen Transportgefahr entstanden sei, findet auch auf Diebstähle Anwendung. 3. Im Art. 424 Nr. 3 HGB ist unter „Aus- und Abladcn" auch das etwa durch den Empfänger des Frachtguts erfolgende zu verstehen. 4. Die Bestimmungen dec Bahnreglements, welche die Haftpflicht der Bahnverwaltungen regeln bzw. beschränken, haben, soweit sic im Frachtgeschäft zur Anwendung kommen, die Kraft eines mit den Absendern geschlossenen Vertrages *.

* Anscheinend abweichend, bezeichnet der I. Sen. des OHG ein Balmbetriebsreglement als Gesetz; vgl. Rspr. IIS. 174, VII S. 149.

166

Sie geben nicht Rcchtsqrundsätze, aus deren Verletzung ein Kassationsmittel zu entnehmen wäre. Sb'jt. Rspr. IV S. 348, VII S. 4.

Die beklagte Eisenbahngesellschaft hat verschiedene Cetreidesendungen zur Beförderung an die Klägerin erhalten. Für fehlende Quantitäten wird jetzt Ersatz begehrt, Beklagte will reglementsmäßig keine Vergütung leisten. Das verurtheilende Appellurtel ist im Wege des Kassationsrekurses angegriffen und dabei Verletzung der betreffenden Bahn­ reglements-Bestimmungen, des Art. 424 HGB sowie der Art. 1352, 1134 des rheinhessischen Civil-GB gerügt. Das OHG vernichtet das Appellurtel in Erwägung:

1) daß wenn eine Eisenbahngesellschaft auf Grund der ihr durch Art. 424 HGB ertheilten Ermächtiguug ihre Haft­ verbindlichkeit regelt bzw. beschränkt, die diesfälligen Be­ stimmungen zwischen ihr und den Interessenten, die sich der Bahn als Transportmittel bedienen und dadurch dem Regle­ ment unterwerfen, vertragsmäßig verbindliche Kraft erhalten, denselben aber damit der Charakter einer'gesetz­

lichen Vorschrift nicht verliehen wird; daß daher auch ihre Verletzung einen Kassationsgrund nicht bilden, solcher vielmehr nur auf Verletzung der bei Handhabung der Reg­ lementsbestimmungen maaßgebenden gesetzlichen Vorschriften gegründet werden kann; daß sich hienach beim ersten Kassationsmittel die Be­ urtheilung auf die Frage, inwiefern eine Verletzung der allegirten Gesetze nachgewiesen ist, zu beschränken hat; 2) daß der Appellrichter von der Voraussetzung, daß die Verluste, deren Ersatz die Klage zum Gegenstand hat, auf Diebstahl durch Dritte zurückzuführen seien, aus­ geht, und dabei annimmt, daß zwar an sich die Gefahr, für welche nach Art. 424 die Eisenbahngesellschaft die Verant­ wortlichkeit von sich ablehnen könne, sich nicht blos auf

167 Beschädigungen in einem engeren Sinne, sondern auch auf den Diebstahl durch Dritte beziehe, daß hiebei aber doch

zwischen Diebstahl und sonstigem Schaden zu unterscheiden

sei, indem die Eisenbahngesellschaft auf Grund des Art. 424 von der Verantwortlichkeit für Diebstahl nicht unbedingt, sondern nur unter besonderen Umständen sich befreien könne,

und daß es, wo von einem Verlust durch Diebstahl die Rede sei, ihr obliege, diejenigen Umstände darzuthun, nach welchen sich

beurtheilen lasse,

ob durch die vereinbarte

Transportart rc. jbie Ausführung eines Diebstahls erleich­ tert worden, daß die Eisenbahngesellschaft in vorliegendem

Falle einen solchen Beweis nicht geführt habe, sie sich da­ her durch Art. 424 nicht decken könne, vielmehr verurtheilt

werden müsse, wenn nur die allgemeinen Voraussetzungen für ihre Verantwortlichkeit als Frachtführerin aus Art. 395 HGB dargethan würden;

daß der,

dieser Entscheidung zu Grunde liegenden nicht beigepflichtet werden kann; daß

Rechtsanschauung

wenn Art. 424 ganz allgemein vom Schaden spricht, wel­ cher aus der mit der betreffenden Transportart rc. verbun­

denen Gefahr entsteht, kein Grund vorhanden ist, diesen Ausdruck in einem engeren Sinne zu (nehmen, und etwa auf nachtheilige Wittemngseinflüsse und dergleichen zu be­ schränken, daß derselbe „Beschädigungen und Verluste" um­

faßt und die legislatorischen Vorberathungen insbesondere keinen Zweifel darüber lassen, daß auch der Diebstahl durch Dritte darunter begriffen ist; daß aber, wenn letz­

teres richtig und es nicht zulässig ist, die Entwendung durch Dritte vom Kreise derjenigen Beschädigungen und Verluste

auszuschließen, in Bezug auf welche der Eisenbahngesell­ schaft sich der Verantwortlichkeit zu entziehen gestattet ist,

die vom Appellrichter in Betreff des Diebstahls, im Gegen­ satz zu Beschädigungen anderer Art, aufgestellte Unterschei­ dung der Berechtigung entbehrt;

168 daß bei dieser Unterscheidung davon ausgegangen wird, daß in den Fällen des Art. 424 die Eisenbahngesellschaft

zwar von der Haftpflicht für den durch Dritte verübten Diebstahl befreit sein solle, jedoch nicht unbedingt, sondern nur unter besonderen Umständen,

Verübung

des

Diebstahls

durch

nur dann, wenn Vie die vereinbarten Be­

stimmungen leichter ausführbar und schwerer zu verhüten

gewesen wäre;

daß letzteres nun allerdings bei den Vorberathungen zum HGB (Prot. 575 S. 4797) ausgesprochen worden ist,

dies indeß die Konsequenz, welche der Appellrichter hieraus zieht, nicht

rechtfertigt;

daß mit jenen Aeußerungen im

Allgemeinen der Ansicht Ausdruck gegeben ist, daß zwischen der vereinbarten, die Nichtverantwortlichkeit der Eisenbahn­ gesellschaft bedingenden Transportart und dem Diebstahl

im konkreten Falle ein erkennbarer Kausalnexus bestehen müsse;

daß aber nicht intendirt worden ist, damit in Be­

treff des Diebstahls wesentlich abweichende Grundsätze auf­ zustellen; daß

es als selbstverständlich behandelt wurde, daß

der Diebstahl unter den Begriff des Schaden, wovon Art.

424 handelt, zu subsumiren sei, so daß die Aufnahme eines hierauf bezüglichen Zusatzes für überflüssig erachtet ward,

und daß, wenn hiebei gesagt wurde, daß der Diebstahl unter Umständen als eine Folge der ungewöhnlichen Trans­

portart rc. angesehen werden könne,

als solche aber nicht

absolut gelte, damit auf die mögliche Verschiedenheit der konkreten Thatumstände, nicht auf eine nothwendige Ver­

schiedenheit der rechtlichen Beurtheilung des durch Dieb­ stahl verursachten Verlusts von jedem anderen Verlust hin­ gewiesen ist;

daß

der Schwerpunkt immer in der durch

Art. 424 aufgestellten Vermuthung

ruht,

nach

welcher,

wenn eine der dort zugelassenen Bestimmungen bedungen ist,

angenommen wird, daß der eingetretene Schade aus

der

nicht übernommenen Gefahr entstanden ist, und daß

169 diese Vermuthung auch für Diebstahl gelten muß, wenn an der ersten Prämisse festzuhalten ist, daß der Diebstahl Dritter zu dem Schaden, auf welchen sich die Fälle des Art. 424

beziehen, überhaupt gehört; daß die vom Appellrichter statuirte Unterscheidung mit

dem gesetzgeberischen Gedanken im Widerspruch steht, indem sie daraus hinausläuft, die Eisenbahngesellschaft mit dem­

jenigen Beweise zu belasten, von welchem befreit zu sein,

für sie gerade der wesentlichste Zweck der getroffenen Be­

stimmung war; daß endlich auch die Betrachtung, daß Art.

424 als Ausnahme von der Regel des Art. 423 nicht ausdehnend zu erklären ist, nicht berechtigen kann, in den­ selben eine Beschränkung hineinzutragen,

die das

darin

fanktionirte Prinzip zerstören würde; daß demnach der Appellrichter der von der Eisenbahn­

gesellschaft aus Art. 424 hergeleiteten Vertheidigung aus

unzureichenden Gründen keine Berücksichtigung hat wider­ fahren lassen; daß er vielmehr, soweit die Voraussetzungen

des einen oder anderen Falles vorlagen, zur Abweisung der Klage hätte gelangen müssen;

3) daß die beklagte Eisenbahngesellschaft behauptet hat: daß

durch

ihr Reglement ihre Haftbarkeit

auf

Grund des Art. 424 Nr. 1, 2 und 3 in der dort

gestatteten Weise beschränkt sei, und daß a) der Transport aller in der Klage begriffenen Ge­

treidesendungen auf Grund des Tarifs und ge­ troffener Uebereinkunft in Wagenladungen zu er­

mäßigter Fracht stattgehabt habe; daß in diesem Falle nach § 7 Nr. 3 des Reglements die Absen­

der das Ausladen und die Empfänger das Abladen zu besorgen gehabt, und die Bahn nicht für die hiemit verbundene Gefahr hafte; b) außerdem bei einzelnen Sendungen der Transport

in offenen Waggons und

170

c) bei einer Sendung unter mangelhafter Verpackung

stattgefunden habe; daß nun zwar sder Appellrichter das Vorhandensein der unter b und c erwähnten Thatsachen hat dahingestellt sein

lassen, dagegen festgestellt hat: daß die sämmtlichen Getreide­ sendungen von den Absendern an den Absendungsstationen als Wagenladungen den betr. Bahnen aufgegeben wordeu

sind und das Auf- und Abladen von den Absendern bzw. den Empfängern reglementsmäßig besorgt worden ist;

daß diese Feststellung der gesetzlichen Bestimmung in 3tr. 3 des Art. 424 adäquat ist, da der Zusatz in Betreff

des Abladens durch den Empfänger, wenn auch nicht dem Wortlaut, doch dem Sinne des Artikels und der Ab­ sicht des Gesetzgebers entspricht; daß eben so wenig fest­

gestellt ist, daß der eingetretene Verlust aus der übernom­ menen Gefahr nicht habe entstehen können, wie daß der

Schade durch Verschulden der Bahnverwaltung oder ihrer

Leute entstanden sei; daß endlich auch der zur Widerlegung der für die

Eisenbahngesellschaft streitenden Vermuthung allein geeignete Gegenbeweis durch den der Klägerin auferlegten Beweis,

daß die betr. Quantitäten verladen worden und bei der Ablieferung die betreffenden Quantitäten gefehlt haben,

nicht ersetzt wird, da dieser letztere Beweis sich nur auf die der Eisenbahngesellschaft als Frachtführerin an sich ob­

liegende Verantwortlichkeit, nicht auf die davon verschiedene, durch die Einwendung der Bekl. angeregte Frage bezieht, ob und in welchem Umfange die Bahn durch die auf Grund

des Art. 424 getroffene Vereinbarung von der ihr sonst obliegenden Verantwortlichkeit frei geworden ist (Prot. 576 S. 5002, v. Hahn Komm, zu Art. 424 Nr. 6);

daß somit das angefochtene Urtel, als mit dem rich­

tigen Sinne des Art. 424 HGB im Widerspruch befindlich, der Kaffation unterliegt; . . .

171 4) daß nunmehr

(in revisorio) die

oben entwickel­

ten Grundsätze dahin führen,: bie] Klage

ihrem ganzen

Umfange nach abzuweisen, da bei freier Beurtheilung der Thatfrage es für erwiesen zu erachten ist, daß bei

sämmtlichen

in Rede (stehenden Getreidesendungen

regle­

mentsmäßig das Auf- und Abladen von den Absendern

bzw. dem Empfänger besorgt worden ist, da ein Grund für die Annahme, daß der eingetretene Verlust aus der nicht

übernommenen Gefahr nicht habe entstehen können, nicht vorliegt, vielmehr die Umstände dafür sprechen, daß die muthmaaßliche Ursache des Verlusts — Entwendung durch Dritte — in Folge des vereinbarten Modus des Auf- und

Abladens gerade leichter auszuführen und schwerer zu ver­

hüten war, da endlich ein Verschulden der Bahnverwal­ tung oder ihrer Leute im untergebenen Falle nicht einmal

behauptet worden ist.

Nr. 38.

II. Senat. — Erkenntniß v. 25. Mai 72. (Z.) Krebs -|. Bauer (Nr. 316 v. 72).

Preußen.

Nichtigkeitsbeschwerde. I. Instanz: Stadtgericht Berlin, II. Instanz: Kammergericht daselbst.

Mandat, Widerruf, Verbindlichkeiten des Mandanten.

Durch den Widerruf des Mandats wird der Auftrag­ geber von seiner vertragsmäßigen Gegenleistung an den Bevollmächtigten nicht frei. § 159 ALR I. 13. Vgl. HGB Art. 54 Abs. 1 und Rspr. VI S. 281. In einer Berliner Sache angenommen vom OHG

daß

in Erwägung: der Appellrichter seine Entscheidung

wesentlich

darauf gründet, daß Kläger das dem Bell, ertheilte Mandat

172

nach § 159 ALN I. 13 einseitig und willkürlich zu wider­ rufen berechtigt gewesen und daßBeklagter daher das volle vertragsmäßige Honorar nur als entgangenen Gewinn habe fordern können, daß aber ein Anspruch auf entgangenen Gewinn, namentlich mit Rücksicht auf die in der Klage angeführte Korrespondenz, nicht begründet sei; daß diese Ausführung insofern eine rechtsirrthümliche ist, als aus der allerdings in jenem § 159 statuirten Befugniß des Mandanten zu einseitigem Widerruf des Mandats noch nicht folgt, daß der Mandant durch den Widerruf auch sich einseitig von der Verpflichtung zur Zahlung seiner vertragsmäßigen Gegenleistung los­ machen kann; daß aber auch ein einfaches Mandat hier nicht vor­ liegt, nach den übereinstimmenden Partei-Behauptungen vielmehr Beklagter es übernommen hat, Schulden des Sohnes des Klägers nach Verhandlung mit dessen Gläubi­ gern mit der vom Kläger dazu ausgesetzten Geldsumme zu tilgen und daß nach den getroffenen Verabredungen die Zahlung des vom Kläger versprochenen Honorars wesentlich von der Erreichung jenes Erfolgs abhängig, übrigens es ganz unwesentlich war, ob Beklagter bei den Verhandlungen mit den Gläubigern sich alsVertreterdesKlägers gerirte; daß, da jener Erfolg nicht erreicht worden, Beklagter das ihm zugesagte volle Honorar nur dann würde fordern können, wenn Kläger durch eine vertretbare Handlung ihm die Erreichung jenes Erfolgs unmöglich gemacht hätte, daß aber eine solche Handlung des Klägers vom Bekl. überall nicht substantiirt ist, nach Lage der Akten vielmehr den Kläger ein Vorwurf nicht trifft, wenn dieser, nachdem Beklagter ihm anheimgestellt hatte, die noch un­ getilgten Forderungen selbst zu tilgen oder durch einen Anderen tilgen zu lassen, auf diesen Vorschlag ein­ gegangen ist.

173 Nr. 39.

I. Senat. — Erkenntniß v. 28. Mai 72. (3.) Chr. Rexroth -/. Gebr. Baß (Nr. 113 t). 72).

Preußen (Frankfurt).

Ober-Appellation.

I. Instanz: Stadtgericht Frankfurt a. M., II. Instanz: Appellationsgericht daselbst. Propergeschäft des Kommissionärs. Wahlrecht Handelskauf.

und Schadenersatz beim

1. Ist der als Selbstkontrahcnt eintretende Kommissio­ när nunmehr lediglich als Käufer, bzw. Verkäufer zu be­ handeln? Mit dem Augenblick seines Eintretens endet das Mandatsverhältniß für die Zukunft mindestens inso­ weit, als es mit dem neu begründeten Rechtsverhältniß aus dem Kaufgeschäft unvereinbar ist. HGB Art. 376.

2. Beim Handelskauf darf eine gemäß Art. 354 oder 355 HGB bindend getroffene Wahl nicht wieder geändert werden. L. 112 pr. Dig. 45, 1; L. 4 § 2 Dig. 18, 3. Vgl. Rspr. IV S. 114, 183.

3. Es ist unstatthaft, mit derselben Klage Schadenersatz wegen Nichtlieferung und eventuell Lieferung zu begehren. 4. Der Schadenersatz-Anspruch des Käufers wegen Nichterfüllung beschränkt sich, als Surrogat der Erfüllung, auf denjenigen Nachtheil, welcher zur Erfüllungszeit durch Unterbleiben der am Erfüllungsort zu machenden Lieferung entstanden ist. Er umfaßt nicht auch die weiteren Nachtheile, welche seitdem durch den Nichtbesitz der Waare etwa ent­ standen sein mögen. HGB Art. 283, 355; Rspr. VI S. 92.

Entscheidung des OHG: Parteien streiten, ob Klägerin die Rechte und Pflichten einer, Verkäuferin oder die einer Kommissionärin gehabt habe. . .

174 Wäre nun das Verhältniß der Parteien hinsichtlich der Rechtsfolgen des Verzuges lediglich nach den Grund­

sätzen des Kaufgeschäfts zu beurtheilen: so erscheinen die Ansprüche der Bekl. und Wiederklägerin schon dann als hinfällig, wenn sie ein Anderes begehrt, als der Käufer von

dem im Verzüge

befindlichen Verkäufer

zu fordern

befugt ist. . . 1) Die Geschäftsbeziehungen der Parteien wurden durch folgendes Schreiben der Bekl. an die klagende Handlung v.

30. Sept. 59 eingeleitet: „Ich erlaube mir mit Gegenwärtigem die Anfrage, ob und unter welchen Bedingungen Sie geneigt

sind, mir eine laufende Rechnung bei Ihnen zu eröffnen,

auf die

hin

ich Ihnen

successive

die

Summe von etwa 8000 bis 10000 sl. übermachen würde, um zeitweise Effekten dafür für mich annnd zu verkaufen."

Seit jener Zeit hat zwischen den Parteien eine lau­ fende Rechnung bestanden, in welche namentlich die für Beklagte besorgten Effektengeschäfte ihrem Endergebniß nach ausgenommen wurden.

Klägerin kaufte und verkaufte im

Auftrage der Bekl. Werthpapiere auf Zeit der Art, daß entweder am Stichtage die Effekten bezogen wurden unter Gut- oder Lastschreibung der Differenz im Contocurrent

oder so, daß im Auftrag der Bekl. die Spekulation mittelst

Prolongation fortgesetzt und bei der Prolongation die jedes­ malige Kursdifferenz im Contocurrent kreditirt oder debitirt

wurde. Regel

Letzteres hat, gebildet.

Bei

Ausweis des

allen

diesen

Contocurrents, Geschäften

die

fungirte

Klägerin als Selbstkontrahentin, indem sie der Bekl. einen anderen Käufer bzw. Verkäufer nicht bezeichnete und

solche Bezeichnung nicht verlangt wurde.

Mitte August 66

liefen zwischen den Parteien noch zwei solcher Prolon-

175

gationsgeschäfte, nämlich über 8000 Dollars United States Bonds 1882er, ursprünglich am 8. Febr. 66 per ultimo Febr. 66 geschlossen, und über 75 Oesterreichische Creditaktien, dessen ursprünglicher Abschluß über 50 Stück auf ultimo Dez. 62, über 25 Stück auf den 16. März 63 zurückreichte. Diese Mitte August zum Kurse von 126, bzw. 71 zu liefernden Effekten (Lieferungs-Papiere) pro» longirte Klägerin auf Verlangen der Bekl. bis zum 30. August zum Kurse von 127 und bzw. 72, verweigerte weitere Prolongationen uni)' verlangte, unter Androhung des Ver­ kaufs nach gerichtlicher Ermächtigung, Realisirung bis spä­ testens zum 3. Sept. Ferner verlangte sie Berichtigung ihres angeblich nicht hinreichend gedeckten Contocurrentguthabens, welches am 4. Sept, sich auf 6540 fl. belief, in­ dem sie Verkauf auch der dafür in ihrem Besitz befindlichen anderweitigen Effekten (Depot-Papiere) androhte und für dieses Guthaben im Schreiben v. 4. Sept, sich an den Lieferungspapieren sowie deren etwaigem Erlöse Pfanvund Retentionsrecht vorbehielt. Nach empfangener gericht­ licher Ermächtigung hat sie am 14. Sept, die Lieferungs­ papiere verkauft, ungeachtet Beklagte gegen diesen Verkauf protestirt und am 12. Sept, die Lieferung derselben gegen Oblation des Bezugspreises von 24902 fl. nebst Zinsen seit dem 30. August 66 begehrt hatte. Der Verkauf ergab bei den inzwischen gestiegenen Kursen gegen den Bezugs­ preis eine Differenz von 1741 fl., welche der Bekl. im Contocurrent gutgeschrieben ward. Nach HGB Art. 376 ist bei der Kommission zum Ein­ kauf von Waaren rc., welche einen Börsenpreis oder Marktpreis haben, der Kommissionär (wenn der Kommittent nicht ein anderes bestimmt hat) befugt, das Gut, welches er einkaufen soll, selbst als Verkäufer zu liefern. Macht der Kommissionär nicht zugleich mit der Anzeige über die Ausführung des Auftrags eine andere Person als Käufer

176

namhaft, so ist der Kommittent befugt, den Kommissionär selbst als Verkäufer in Anspruch zu nehmen *.

Ob man . . . das Prolongationsgeschäft v. 15. August 66 als ein von Anfang utt; reines, nur etwa unter der

Form

des

Kommissionsgeschäfts

verdecktes

Kaufgeschäft ansieht oder der . . . Auffassung beitritt,

daß Klägerin von der ihr durch vorstehendes Gesetz ge­

währten Befugniß, die in Prolongation gegebenen Effekten selber liefern

zu

dürfen,

Gebrauch gemacht habe:

das

begründet für die hier allein in Betracht kommenden Fra­ gen feinen Unterschied. Nicht minder kann dahin gestellt bleiben, ob bereits mit der einfachen Anzeige der erfolgten

Ausführung des Auftrags ohne Benennung eines dritten Kontrahenten der Selbsteintritt des Kommissionärs sich mit

bindender Wirkung für diesen oder doch für den Kommit­ tenten vollzogen habe.

Denn Parteien sind darüber einig,

daß Klägerin, wie in die zahlreichen, früher mit der Bekl. geschlossenen gleichen Geschäfte, so auch in dieses als Selbst­

kontrahentin eingetreten ist, daß somit Beklagte die Pa­ piere, bzw. die etwaige Kursdifferenz nicht durch Klägerin von einem Dritten, sondern von Klägerin hat beziehen

wollen und müssen; und es läßt hierüber auch der Wortlaut (gewisser) Schreiben der Klägerin keinen Zweifel.

Ja, Klä­

gerin scheint von der gesetzlichen Befugniß**, neben dem

Börsenpreise zur Zeit der Ausführung des Auftrags auch die gewöhnliche Provision und die sonst bei Kommissions­ geschäften regelmäßig vorkommenden Unkosten in Rechnung zu stellen, nicht (oder doch nur ausnahmsweise) Gebrauch

gemacht zu haben. . .

Daß nun gleichwohl Klägerin, nach ihrem Eintritt als Selbstkontrahentin,

neben den Pflichten eines Ver-

* Vgl. Rspr. IV S. 90 ff., 104; V S. 17, 189 ff. ** Vgl. Rspr. IV S. 119 ff.

177

käufers auch die Pflichten eines Kommissionärs ge­ habt, somit gemäß Art. 362 HGB wegen Nichtlieferung auf Schadenersatz hafte, ist eine mit den gesetzlichen Vor­ schriften unvereinbare Annahme. Der preuß. Entwurf zum HGB bestimmte im Art. 294 Abs. 3 für den Fall des Eintritts des Kommissionärs als Selbstkontrahent: In diesem Falle ist die Pflicht des Kommissionärs, Rechenschaft zu geben, insoweit dies die Abschlie­ ßung des Kaufs oder Verkaufs betrifft, auf den Nachweis beschränkt, daß bei dem berechneten Preise der Börsenkurs rc. zur Zeit der Ausführung des Auftrags eingehalten ist. Der Kommissionär hat zugleich die Rechte und Pflichten des Käufers oder Verkäufers; er ist zu der gewöhn­ lichen Provision berechtigt. In welchem Sinne der letzte [gesperrt gedrucktes Satz gemeint war, ergiebt sich aus den Motiven S. 163 nicht mit Zuverlässigkeit; doch scheinen die Verfasser des Ent­ wurfs davon ausgegangen zu sein, daß mit dem Augenblick seines Eintritts als Selbstkontrahent — ein Zeitpunkt, welcher nach der Fassung des Entwurfs Abs. 2 sich stets mit Sicherheit bestimmen ließ — der Kommissionär lediglich als Käufer oder Verkäufer behandelt werden müsse, nur daß ihm außer dem Börsenpreise der Waare auch die gewöhnliche Provision als Theil des Kaufpreises zuzu­ billigen sei. In erster Lesung ward die Streichung des ganzen dritten Absatzes beantragt, aber mit großer Mehrheit ab­ gelehnt, der Antrag auf Streichung der oben hervorgehobenen Worte sogar mit 15 gegen 1 Stimme. Der Antragsteller ging von einem anderen Prinzip aus, als der Entwurf. Er wollte jedem Kommissionär schlechthin bei jeder VII. 12

178 Waare (in Ermangelung abweichender Bestimmung des Kom­ mittenten) dieBefugniß einräumen, die einzukaufenden Waaren selbst zu liefern und die zu verkaufenden Waaren selbst zu kaufen, und er nahm an, daß der Kommissionär, welcher von dieser Befugniß Gebrauch mache, noch innerhalb des Kommissionsverhältnisses bleibe, somit die weiter­ gehenden Pflichten eines Kommissionärs behalte, dem­ gemäß auch nicht etwa den Marktpreis, sondem den niedrigst möglichen, bzw. den höchst möglichen Preis zu berechnen habe. Es dürfe dem Kommittenten „gegen sein Wißen und Wollen nicht ein anderes Rechtsverhältniß (Kauf) aufge­ drungen werden." Die Mehrheit der Konferenz nahm jedoch mit dem Entwurf an, daß allerdings durch eigenes Liefern bzw. Behalten der Kommissionär Verkäufer, bzw. Käufer werde, und sie hat dieser Ansicht wiederholten Ausdruck gegeben (Prot. S. 732 bis 743). Nach dieser Auffassung wird dem Kommittenten nicht ein anderes, als das gewollte, Rechtsverhältniß aufgedrängt, sondern er hat eventuell statt des Kommissionsverhältnisses das Kauf­ verhältniß gewollt. In zweiter Lesung ward der abgelehnte Antrag in gleichem Sinne wiederholt mit dem Hervorheben: „eine Verwechselung des Properhandels und des Kommissions­ handels liege in dem berührten Prinzip selbst dann nicht, wenn es verallgemeinert werde; denn der Kommissionär behalte immerhin neben den Pflichten des Käufers und Verkäufers die weitergehenden Obliegenheiten des Kommissionärs, er habe fortwährend die Verbindlichkeit nachzuweisen, daß er aufs Beste für das Jntereffe des Kommitenten bedacht gewesen." Dieser Antrag wurde wiederum (mit 9 gegen 5 Stimmen) abgelehnt, zugleich aber (mit derselben Mehrheit) die Streichung der oben hervorgehobenen Worte beschlossen (Prot. S. 1209 bis 1213).

179 Ueber die Gründe dieser Streichung erhellt aus den

Protokollen nichts.

Sicher

aber wollte man

durch die

Streichung nicht der von der Mehrheit verworfenen Ver­

mischung des Proper- und des Kommissionsgeschäfts Vor­ schub leisten, vielmehr umgekehrt diese Vermischung, welche nach dem Wortlaut des Entwurfs („zugleich") nahe lag,

beseitigen, im Uebrigen es der Wissenschaft überlassen, fest­ zustellen, inwiefern trotz seines Selbsterntritts der Kommissio­

när noch Rechte und Pflichten

geschäft habe.

aus

dem

Kommissions­

Das Gegentheil erhellt auch nicht daraus,

daß im HGB Art. 385 für den Spediteur, welcher den Transport der Güter selber ausführt, ausdrücklich bestimmt ist: „wenn er sich dieser Befugniß bedient, so hat er zugleich die Rechte und Pflichten eines Frachtführers", und daß in

den Protokollen (S. 1220) hervorgehoben wurde, es sei von Interesse, einen solchen Satz ausdrücklich auszusprechen, ungeachtet der entsprechende Satz

des Art.

322 (preuß,

Entw. Art. 294) gestrichen sei, weil die Lage des Kommissio­

närs gerade in dieser Beziehung nicht dieselbe, wie die des Spediteurs sei, — denn der Frachtführer

habe größere

Pflichten als der Spediteur, Käufer und Verkäufer aber geringere als der Kommissionär. Denn wenn selbst diese beiläufige Bemerkung die wahre Ansicht der Gesetzgebungs­ Konferenz über den Inhalt des Art. ,376 ausdrücken sollte:

so ließe sich doch nicht erkennen, in welchem Sinne der als Selbstkontrahent

eintretende Kommissionär

noch

als

Kommissionär behandelt werden sollte.

So mag es richtig sein, was v. Hahn (Komm. B. II S. 362 ff., 406) hervorhebt, daß durch die Streichung der oben hervorgehobenen Worte eine Abweichung von dem

wahren Sinne derselben nicht bezweckt worden ist; und es ist jedenfalls unrichtig, daß der als Selbstkontrahent ein­

tretende Kommissionär überall nur als Kommissionär zu behandeln sei. Vielmehr sagt das Gesetz mit dürren

180 Worten, daß der Kommissionär unter gewissen Voraus­ setzungen befugt ist, daß Gut, welches er einkausen soll, selbst als Verkäufer zu liefern, bzw. das Gut, welches er zu verkaufen beauftragt ist, als Käufer für sich zu behalten, und daß der Kommittent den Kommissionär als Käufer oder Verkäufer in Anspruch nehmen darf. Daß er aber gleichwohl in gewissen Beziehungen noch als Kommissionär gilt, sagt das Gesetz ausdrücklich. Denn: a) er hat Rechenschaft zu geben — freilich nur über die Innehaltung des Börsenpreises; b) er darf außer dem Börsenpreise die gewöhnliche Provision und die sonst bei Kommissionsgeschäften ge­ wöhnlich vorkommenden Unkosten berechnen; juristisch berechnet er damit freilich lediglich den stillschweigend ge­ wollten Verkaufs- oder Einkaufspreis, dessen Faktoren nur hatsächlich so wie bei Kommissionsgeschäften kalkulirt werden fvgl. Rspr. III S. 105, 256; IV S. 119 ff.]. Ob er auch, darüber hinaus, die durch HGB Art. 374, 375 dem Kommissionär gewährten Rechte hat, und ob er bis zu seinem Eintritt als Selbstkontrahent oder durch diesen sich nach den Grundsätzen des Kommissions­ geschäfts verantwortlich machen kann, ob er sonach bis dahin zugleich die Pflichten eines Kommissionärs hat, kann dahin gestellt bleiben. Denn mit dem Augenblick seines Eintritts muß nothwendig für die Zukunft das Mandatsverhältniß mindestens insoweit sein Ende erreichen, als es mit dem neubegründeten Rechtsverhältniß aus dem Kaufgeschäft unvereinbar ist; da es juristisch völlig undenkbar erscheint, zwischen denselben Personen zwei einander ausschließende Rechtsver­ hältnisse als kumulativ begründet anzunehmen. Daher denn auch die Wirkungen des Verzugs sich ledig­ lich nach HGB Art. 354 ff. bestimmen (v. Hahn, Komm.

B. II S. 362, 363).

181 Die entgegengesetzte Annahme würde dahin führen, daß ein nach den Grundsätzen der Art. 354 ff. statthaf­ ter Verkauf den als Selbstkontrahenten eingetretenen Kom­ missionär von seiner fortdauernden Verpflichtung aus dem Kommissionsgeschäft nicht zu befreien vermöchte, da für den Kommissionär das Verkaufsrecht ohne gerichtliche Ermächtigung (HGB Art. 343, 354) nicht besteht (HGB Art. 375, 310). 2) Wäre nun Klägerin in ihrer somit allein maaß­ gebenden Eigenschaft als Verkäuferin durch die Oblation von 24902 fl. nebst Zinsen am 12. Sept. 66 in Lieserungsverzug gesetzt worden: so stand der Bekl. als Käuferin die Wahl zu, ob sie Erfüllung nebst Schaden­ ersatz wegen verspäteter Erfüllung verlangen, oder ob sie statt der Erfüllung Schadenersatz wegen Nichterfüllung for­ dern, oder ob sie vom Vertrage abgehen wollte, gleich als ob derselbe nicht geschloffen wäre (HGB Art. 355). Es ist unerheblich, ob sie dieses Wahlrecht schon vor gegenwär­ tigem Prozeß in bindender Weise ausgeübt hat; denn die bindende Ausübung ist jedenfalls im Prozeß erfolgt. Sie hat nämlich als Wiederklägerin folgende Anträge gestellt: a) unentgeltliche Auslieferung der im Besitz der Klä­ gerin befindlichen Faustpfänder nebst Erstattung des durch Weigerung der Herausgabe verursachten, später besonders zu liquidirenden Schaden, b) Schadenersatz wegen verweigerter Auslieferung von 75 Stück Oesterr. Kreditaktien und 8000 Dollars 6 °/0 Amerik. Obligationen 1882er, . . . eventuell Lieferung von 75 Stück Oesterr. Kreditaktien zum Kurse von 127, und von 8000 Dollars zum Kurse von 72, gegen Zahlung des Bezugspreises von 24902 fl. nebst 5% Zinsen rc., sowie Ersatz alles durch die nicht rechtzeitige Lieferung erwachsenen Schaden

182

und entgangenen Gewinns, d. h. alles dessen, worauf der prinzipale Anspruch auf Schadenersatz wegen verwei­ gerter Lieferung geht, c) Herauszahlung aller seit dem 12. Sept. 66 von der Klägerin für Beklagte vereinnahmten Beträge (abzüglich gewisser Kosten) nebst 6 °/0 Zinsen seit dem Tage ihrer Vereinnahmung. Die Posten a und e dieser Wiederklage können auf sich be­ ruhen, da sie einen die Klageforderung überschreitenden Schadenersatz-Anspruch zur Voraussetzung haben. Der zu­ nächst allein in Betracht kommende zweite Antrag der Wiederklage ist, als prinzipaler und eventueller gedacht, völlig unstatthaft, da der Käufer mindestens im Prozeß erklären muß, welches unter den verschiedenen Rechten er wählt. Es mußte daher entweder die Wiederklage von vornherein als unstatthaft zurückgewiesen werden, — da die von einigen Neueren (z. B. v. Wächter Erörterun­ gen III S. 117, Windscheid Pandekten II § 255 n. 10) bei alternativen Obligationen dem wahlberechtigten Gläubiger gestattete alternative Klage jedenfalls mit der Natur dieser alternativen Berechtigung unverträglich ist; oder es mußte, korrekter, lediglich der prinzipale Antrag berücksichtigt werden. Dies hat der Appellrichter gethan. Ohnehin aber erledigte sich auch prozessualisch das eventuelle Petitum schon dadurch, daß der Appellrichter unter Umständen Schadenersatz wegen Nichtlieferung zubilligte, die Wiederklage aber abwies, weil der zustän­ dige Schadenersatz bereits geleistet sei. Der hiegegen er­ hobene Vorwurf ist völlig grundlos. Wenn nun in dieser Instanz Wiederklägerin ihr prinzipales Petitum für den Fall daß solchem nicht in vollem Umfange entsprochen werde, zu Gunsten des eventuellen Petitums zurückzieht: so liegt hierin nicht nur eine unstatthafte Aenderung der ein­ mal bindend getroffenen Wahl —

183

L. 112 ,pr. Big. 45, 1; L. 4 § 2 Big. 18, 3; vgl. v. Wächter a. a. O. und v. Vangerow Pand. III S. 14 — sondern zugleich die unberechtigte Zumuthung an den Richter, nach Vergleichung des materiellen Ergebnisses verschievener Anträge über jben einen oder den anderen zu befinden. Handelt es sich hienach lediglich um Schadenersatz wegen Nichterfüllung, somit um ein Surrogat der Erfüllung: so ist nur derjenige Nachtheil zu ersetzen, wel­ cher durch Nichtlieferung am Erfüllungstage erwachsen, nicht der weitere Nachtheil, welcher durch Nichtbesitz der Papiere seit dem Erfüllungstage denkbarerweise ent­ standen ist und etwa vergütet werden müßte. Mit dem Verlangen des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung verträgt sich ein darüber hinausgehender Anspruch nicht, weil Erfüllung und Besitz der Papiere nicht gewollt sind. Der Betrag des wegen Nichterfüllung zu leistenden Schadenersatzes aber besteht regelmäßig in der Diffe­ renz zwischen dem Kaufpreise und dem Börsenpreise zur Zeit und am Orte der geschuldeten Lieferung *. Eine solche Differenz ist entstanden: am 12. Sept, war der Kurs der verkauften Papiere ein höherer als ihr Bezugspreis, am 14. Sept, ein höherer als am 12. Aber diese Kurs­ differenz von 1741 st. ist der Bekl. durch Gutschreibung im Kontokurrent vergütet worden. Allerdings darf der Käufer „einen erweislich höheren Schaden" geltend machen, jedoch selbstverständlich nicht einen solchen, welcher mit dem Verlangen des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung unvereinbar ist. Der Schade aber, welchen Beklagte ersetzt begehrt, ist ihr (wenn überhaupt) nur daraus erwachsen, daß sie die Lieferungspapiere seit dem 12. Sept. 66 nicht be* Vgl. Rspr. III S. 196, VI S. 92.

184 sessen hat. (Vgl. Prot. S. 4596; Auerbach, neues Han­ delsgesetz II S. 81; Erk. des OHG Stuttgart v. 27. April 69, Central-Organ Neue Folge IV S. 210 ff.)

Nr. 40.

I. Senat. — Erkenntniß v. 28. Mai 72. (V.) Frankensteiner Vorschußverein

!. H. Reichens Konkursverwalter (Nr. 216 v. 72).

Preußen.

Nichtigkeitsbeschwerde.

I. Instanz: Kreisgericht Frankenstein i/Schl., II. Instanz: Appellationsgericht Breslau. Dorfchußverein

als

Kaufmann.

Bereinsmitglieder alS Zeugen.

Zurückbehaltungsrecht.

Bereinskafsirer.

Retention von Hypothekendokumenten.

1. Wenn ein kaufmännischer Prinzipal einen selb­ ständigen Kaufmann als Kassirer annimmt nnd dieser eine solche Stellung als Nebenamt übernimmt: so bildet der Engagementsvertrag für beide Theile ein Handelsge­ schäft. Forderungen des Prinzipals gegen den Kassirer, welcher seine Pflichten verletzt hat, auch Ausprüche wegen Kassendefekts entspringen aus diesem Handelsgeschäft. HGB Art.

273, 274; Preuß. Entwurf Art. 987.

2. Für das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht ge­ nügt es, daß dessen Gegenstand auf Grund eines nur ein­ seitigen Handelsgeschäfts in den Besitz des retinirenden Kaufmanns gelangt ist. HGB Art.

277, 313.

3. Der Kaufmann, welcher für eine geschäftliche For­ derung sich vertragsmäßig Deckung gewähren läßt, macht ein Handelsgeschäft. HGB Art. 5, 164, 319.

273, 274; Rspr. IV S. 150, 156 n.,

185

4. Hytzotheken-Dokmnente sind geeignete Gegenstände Mr Ausübung des kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts. HGB Art. 313; Rspr. III S. 334.

5. Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht erlischt nicht durch Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des SchuldnersRspr. II S. 69, III S. 341.

6. Eingetragene Erwerbs- und Wirthschafts-Genossenschaften im Sinne des BdGes. v. 4. Juli 68 gelten als Kaufleute. BdGes. v. 4. Juli 68 § 11 Abs. 3; Rspr. I S. 393.

7. Sind Mitglieder solcher Vereine in einem Pro­ zeß der Genossenschaft zulässige Zeugen? Der jetzige Gemeinschuldner, Kaufmann H. N., besten Zahlungseinstellung auf den 15. März 70 festgesetzt wor­

den ist, hatte als Nebengeschäft die Kassenverwaltung des als eingetragene Genossenschaft bestehenden Vorschußvereins zu Frankenstein besorgt.

Zur Deckung beträchtlicher Defekte

verpfändete er am 12. März 70 dem Verein mehrere Hypo­ theken-Dokumente. Diese Pfandbestellung ist vom R.schen Konkursverwalter nach 8 101 Nr. 1 der preuß. Konkurs­ Ordnung v. 8. Mai 55 als Kläger angefochten worden.

Bezüglich zweier Hypotheken aber hat der beklagte Ver­ ein sich auf frühere Verpfändungsakte berufen und eventuell

ein Zurückbehaltungsrecht in Anspruch genommen. Entscheidung des OHG: Nach dem Revers v. 12. März 70 sind [seitens des jetzigen Gemeinschuldners H. R.j dem

beklagten Vorschuß­

verein zwei Hypotheken-Jnstrumente . . . über zusammen 4000 Thlr. verpfändet. In der Klagebeantwortung be­ hauptete Beklagter, es seien ihm bereits im Dez. 69 bzw. Januar 70 diese beiden „Hypotheken"

geben; in der Duplik aber heißt es:

als Pfand über­

186

die Klagebeantwortung stützt sich gerade darauf, daß die beiden Instrumente dem Verein im Januar 70 verpfändet worden, und zwar. . . „unter schriftlicher Verpfändung". Hieran ist auch in II. Instanz festgehalten: die Berufungsschrift spricht überall nur von Verpfändung und Uebergabe der „Instrumente" bzw. „Dokumente" . . . Die Beurtheilung des Appellrichters beruht im We­ sentlichen auf folgenden Sätzen: 1) auf das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht könne der Verein sich nicht berufen. Dasselbe unterliege nach § 101 Nr. 1 der Konkurs-Ord­ nung v. 8. Mai 55 der Anfechtung. Auch bestehe es nur für bewegliche Sachen und Werthpapiere, zu welchen nach handelsrechtlicher Auffassung Hypothekenforderungen nicht gehörten. 2) Wesentlich aber sei die (angebliche) schriftliche Verpfändung der beiden Hypothekenforderungen im Dez. 69 oder Januar 70; die Schriftlichkeit sei für Verpfändung von Hypothekenforderungen (neben Ausantwortung der Instrumente) erforder­ lich, und zwar ungeachtet des Art. 317 HGB. Denn „ein Handelsgeschäft liege bei Verpfändung von Hypothekenforderungen, zumal für De­ fekte, nicht vor," der Beweis für eine schrift­ liche Verpfändung sei aber mißglückt. Diese Zusammenstellung zeigt, daß die Entscheidungs­ gründe den Thatbestand nicht decken. Auf das Zurück­ behaltungsrecht hatte sich Beklagter in doppelter Be­ ziehung gestützt, zunächst weil ihm am 12. März 70 (zu­ folge der Klagebeantwortung) unter Verpfändung der Hypotheken die Hypothekeninstrumente tradirt seien, so­ dann, weil ihm bereits vor dem März 70 die Hypotheken­ instrumente verpfändet worden. Der erste der obigen

187 beiden Sätze verwirft das Zurückbehaltungsrecht schlechthin, begründet diese Verwerfung jedoch nur dadurch, daß ein innerhalb der 10 Tage vor der Zahlungseinstellung dem Gläubiger gegebenes Retentionsobjekt zur Retention nicht berechtige, eine Hypothekenforderung auch zu den handels­ rechtlichen Retentionsobjekten nicht gehöre. Dieser Grund trifft nicht die angebliche Verpfändung vor dem März 70 und nicht die der Hypothekeninstrumente. — Der zweite der obigen Sätze leugnet die Rechtsgiltigkeit einer nur mündlichen Verpfändung der Hypothekenforderung unter Aushändigung des Instruments; aber er prüft nicht die Retentionsberechtigung an dem solchergestalt erlangten Instrument. Beide Sätze leiden also in der Begründung an derselben Unvollständigkeit. Für die Nichtigkeitsinstanz ist entscheidend, daß der Appellrichter, dem von ihm selbst vorgeführten Thatbestände gegenüber, das (kaufmännische) Zurückbehaltungsrecht ver­ sagt. Dieser Thatbestand geht dahin, daß dem Verein geraume Zeit vor dem März 70 die Hypothekeninstrumente entweder als solche ver­ pfändet und tradirt, oder unter mündlicher Ver­ pfändung der Hypothekenforderungen ausgeliefert

seien. Im einen, wie int anderen Falle hat der Appell­ richter die Art. 313 und 315 HGB . . . durch Nichtan­ wendung verletzt. Denn 1) der beklagte Verein ist eine eingetragene Genossen­ schaft und als solche Kaufmann (§ 11 des BdGes. v. 4. Juli 68, BdGesBl. S. 415); dies ist auch vom Appell­ richter nicht in Zweifel gezogen; 2) die Forderung, zu deren Gunsten das Zurück­ behaltungsrecht beansprucht wird, war nach der Feststellung des Appellrichters bereits vor der Konkurseröffnung fällig (vgl. übrigens Art. 314 HGB);

188 3) der Schuldner, jetzige Cridar H. R-, war unbestrit­ ten damals noch Kaufmann; 4) es handelte sich um Defekte, welche dieser Kauf­ mann H. R. als Kassirer des beklagten Bereins gegen dessen Kasse verübt hatte, also um eine Forderung, welche aus einem beiderseitigen Handelsgeschäft hervor­ gegangen ist. Denn wenn ein kaufmännischer Prinzipal einen selbständigen Kaufmann als Kassirer an- und dieser eine solche Stellung als Nebenamt übernimmt, so bildet der Engagementsvertrag für jeden von ihnen ein Handels­ geschäft und die Forderungen des Prinzipals gegen den untreuen Kassirer, welcher seine Pflichten verletzt, entsprin­ gen aus demselben. Vgl. Goldschmidt Handbuch § 490 bis 493; preuß. Entwurf eines HGB Art. 987; österreichischer revidirter Entwurf § 3 Nr. d; Art. 273, 274 HGB; preuß. Einführungs-Ges. v. 24. Juni 61 Art. 2 Nr. 5. Abweichendes ist vom Appellrichter nicht sestgestellt, hätte auch ohne besondere thatsächliche Begründung nur in Verletzung der allegirten Art. 273, 274 angenom­ men werden können. Wenn man hier entgegenstellt, ein Kassendefekt sei kein Handelsgeschäft: so wird ver­ kannt, daß es sich nicht um die isolirte oder straf­ rechtliche Natur dieses Vergehens, sondern darum handelt, daß der Kassirer H. R. nach dem Engagementsvertrage die Kasse treulich zu verwalten und ihren Bestand zu gewäh­ ren hatte, daß also seine Ersatzpflicht der Forderung des Bell, auf Erfüllung dieses Vertrages, d. h. einer Forderung „aus" dem beiderseitigen Handelsgeschäft (Art. 313), ent­ spricht. 5) Nach dem vorausgesetzten Thatbestände sind die Hypothekeninstrumente mit dem Willen des H. R. auf Grund eines Handelsgeschäfts in den Besitz des Ver-

189 In dieser Beziehung genügte, daß die Ver­

eins gelangt.

pfändung derselben auf Seiten des Vereins, also nur einseitig ein Handelsgeschäft war (vgl. Goldschmidt a. a. O.

S. 1037). Als solches aber erscheint sie deshalb, weil in ihr einem Kaufmann (dem Bell.) vertragsmäßige Deckung für

eine in seinem Handelsbetrieb entstandene Forderung ge­ währt, letztere also dadurch gesichert werden sollte. Vgl, Goldschmidt a. a O. S. 490, 498, 892;

Erk. des OHG v. 26. Sept. 71 sRspr. III S. 340 f.] u. v. 17. Febr. 71 sRspr. II S. 49]; HGB Art. 274.

Der Appellrichter hat zwar ausgesprochen:

bei

den Verpfändungen

von Hypothekenfor­

derungen, zumal für Defekte liege ein Handels­ geschäft nicht vor. Allein dieser Satz trifft nicht die Faustpfandbestellung

an einem Hypothekeninstrument; und wäre er auch

hiefür gemeint gewesen, so würde er, da durch besondere Thatumstände die durch die Art. 273 und 274 gebotene

Präsumtion * nicht widerlegt ist, gegen diese Bestimmungen verstoßen.

6) Endlich will Beklagter Hypothekeninstrumente, also bewegliche Sachen, mithin zur Retention geeignete Ob­ jekte, retiniren.

Daß sie Gegenstand des Faustpfands und

namentlich im Falle formell ungiftiger Verpfändung der durch sie verbrieften Hypothekenforderungen selbst Gegen­ stand des Retentionsrechts sein können, ist vom OHG be­

reits

in

einem

früheren

Falle

(Erk.

v. 26. Sept. 71,

Rspr. III S. 334 ff.) entschieden, mnd es genügt, hier auf

jene Entscheidung zu verweisen. — Der Appellrichter hat sich abweichend nicht geäußert; nur von den Hypotheken­

forderungen hat er bemerkt, sie gehörten „nach handelsRspr. II S. 52; IV 150, 319.

190 rechtlicher Auffassung" weder zu den beweglichen Sachen noch zu den Werthpapieren.

Sonach ist, obigem Thatbestand zufolge, den gesetzlichen Erfordernissen des kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts

überall genügt.

Denn daß zu diesen Erfordernissen Kon­

nexität nicht gehört, und daß das Recht durch Eröffnung

des Konkurses über das Vermögen des Schuldners nicht er­ lischt, bedarf kaum der Bemerkung. * Art. 313, 314 HGB;

Goldschmidt a. a. O. S. 1038, 1050 bis 1052. Hat also der Appellrichter, indem er dessen ungeachtet dem Bell, das Zurückbehaltungsrecht an den Hypotheken­

instrumenten schlechthin und ohne besonderen Grund ab­ sprach und die Verurtheilung des Bekl. zu deren Heraus­ gabe bestätigte, die Art. 313, 314 HGB durch Nichtan­ wendung verletzt, so unterliegt seine Entscheidung der Ver­

nichtung.

In der Sache selbst kommt es darauf an, ob die beiden Hypothekeninstrumente

dem Bekl. schon vor dem

5. März 70, d. h. schon vor den der Zahlungseinstellung vorangehenden 10 Tagen, von H. R. auf Grund eines dem

Art. 313 HGB entsprechenden Hergangs übergeben sind. § 101 Nr. 1 der preuß. Konkurs-Ordnung v. 8. Mai 55;

preuß. Einf.-Ges.

zum HGB v. 24. Juni 61,

Art. 30.

Beklagter will sie von R. im Dez. 69 oder Januar 70

pfandweise, nämlich zur Sicherung eines schon damals er­

mittelten Guthabens, empfangen haben — und zwar mit einer schriftlichen Verpfändungserklärung.

Ueber diese Behauptung ist Beweis erhoben, welchen

der Appellrichter für mißlungen erachtet. * Vgl. Rspr. II S. 69, III S. 341.

Aber es kann

191

nicht dafür gehalten werden, daß die Beweisaufnahme in genügender und erschöpfender Weise erfolgt sei. Der Beweisbeschluß v. 30. März 71 nahm, wie es sich gehörte, die streitige Behauptung des Bekl. nach ihrem Wortlaut auf. Die Vernehmung der Zeugen aber schloß sich, wie schon am 26. April 71 vom Bekl. monirt wurde, anscheinend zu eng an diesen Wortlaut an. Anstatt die Zeugen zu umfassender Darlegung des Sachverhalts, so­ weit er ihnen erinnerlich, anzuhalten, bzw. sie dazu zu ver­ statten, wurde für hinreichend erachtet, nur ihre dem Wort­ laut des Beweisbeschluffes entsprechenden Antworten zu verzeichnen. Der Hauptzeuge B. gelangte erst auf besondere Anordnung des Appellrichters zum Gehör mit einer voll­ ständigen Darlegung des Hergangs. Diese Darlegung aber ist zu Vorhalten an die übrigen Zeugen nicht benutzt. . . . Es erscheint nothwendig, dies nachzuholen. Vor Allem aber kommt es nicht darauf an, ob die beiden streitigen Hypothekeninstrumente dem Bekl. vor dem 5. März 70 schriftlich verpfändet worden. Es genügt, wenn sie mündlich als Deckung übergeben sind. Gerade aber nur über die schriftliche Verpfändung sind die Zeugen be­ fragt und nur diese haben sie verneint. — Sie müssen also, unter Beachtung der B.schen Darstellung, anderweit vernommen, insbesondere muß der Gemeinschuldner H. R. unter Vorlegung der Verpfändungsurkunde v. 12. März 70 näher gehört, allenfalls auch mit dem Zeugen B. konfrontirt werden. Diese Vervollständigung der Beweisaufnahme wäre zwecklos, wenn den Zeugen Beweissähigkeit schlechthin abgesprochen werden dürfte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Allerdings haften sie fals Mitglieder des Vereins) für ihre Person den Genossenschaftsgläubigern für die Schulden der Genossenschaft (§ 12 des BdGes. v. 4. Juli 68), aber nur bei der Unzulänglichkeit des Gesellschafts-Vermögens, und

192 von dessen Stande ist nichts

ersichtlich.

Ob einige von

ihnen für die Defekte des H. R. wegen vernachlässigter Aufsicht haftbar sind, ist ebenfalls nicht bekannt; und wenn­ schon Verlust oder Gewinn der Genossenschaft ihren Mit­

gliedern Schaden oder Nutzen bringt, so erhellt doch nicht,

mit welchem Betrage die Zeugen bei der Genossenschaft be-

theiligt sind, ob also ihr Interesse an dem Ausgang.dieses Prozesses überhaupt ein nennenswerthes ist.

Dazu kommt,

daß sie — mit Ausnahme des Gemeinschuldners R. — be­

eidet sind (§ 232 AGO I. 10); und daß die B.sche Aus­ sage durch einen Zusatz in der Urkunde v. 12. März 70

schon jetzt einigermaaßen unterstützt wird (§ 111 der Kon­

kurs-Ordnung v. 8. Mai 55).

Sonach war die Sache zur Vervollständigung der Be­

weisaufnahme und zu demnächstiger anderweitiger Entschei­ dung in die II. Instanz zurückzuweisen.

Nr. 41.

I. Leimt. — Erkenntniß v. 28. Mai 72. (Z.) Cederholm's Konkursverwalter

Baasner (Nr. 218 v. 72).

Preußen.

Revision. I. Instanz: Kreisgericht Graudenz, II. Instanz: Appellationsgericht Marienwerder.

Gesetzliches Pfandrecht des Dermiethers.

1. Das gesetzliche Pfandrecht des Bcrmiethers an den eingebrachten Sachen (invecta et illata) des Miethers ergreift auch zum Verkauf bestimmte Kaufmannswaaren. Es kommt hiebei nicht darauf an, daß die betr. Sachen zu dauerndem Verbleiben in den gemietheten Räumen be­ stimmt sind, vielmehr nur darauf, daß sie dort (sei es auch blos zeitweise) ihren regelmäßige» Standort haben. Seuffert praktisches PandektenR. § 201|; Windscheid Pandekten § 231 n. 4, 5;

193 Dernburg Pfandrecht l § 36 S. 301, II S. 429. § 395 ALR I. 21; § 33 Nr. 4 der Konkurs-Ordnung v. 8. Mai 55.

2. Dieses Pfandrecht geht verloren, wenn der Bermiether eine Fortschaffung der betr. Sachen wissentlich ge­ schehen läßt. AM Th. I Tit. 20 § 118—120, Tit. 16 § 381, Tit. 5 § 133, 134.

3. Das Zurückbehaltungsrecht entsteht nicht erst mit der thatsächlichen Zurückbehaltung, sondern es erlischt durch das Aufhören der Retention. ALR I. 20 § 536, 559 ff. Goldschmidt Handbuch des HR I. 2 S. 988, vgl. 1031,1053.

4. Beim Konkurs des Schuldners erlischt das Pfand­ recht des Bermiethers (nach preuß. Recht) nicht durch Ver­ abfolgung der Sachen an die Konkursmasse, auch nicht durch deren demnächstige wirkliche Veräußerung. Der Verkaufs­ erlös haftet dem Bermiether in Stelle der Sachen. Preuß. Konkurs-O. v. 8. Mai 55 § 145, 264, 376.

Entscheidung des OHG: Der Appellrichter setzt als feststehend voraus, und dem ist in der Revisionsschrift nicht widersprochen, daß diejenigen

Waaren, aus deren Erlös die abgesonderte Befriedigung im Sinne des § 33 Nr. 4 der Konkurs-Ordnung v. 8. Mai

55 beansprucht wird — denn nur so ist das begehrte und vom Appellrichter zugesprochene „Vorrecht" zu verstehen — sich zur Zeit der Konkurseröffnung in den gemietheten Lokalitäten

befunden haben.

Gleichwohl

ficht Beklagter

die Entscheidung des Appellrichters aus folgenden Gründen

an, von welchen nur der erste bereits in den Vorinstanzen

geltend gemacht ist:

1) Zum Verkauf bestimmte Waaren seien über­

haupt nicht als „eingebrachte" Gegenstände im Sinne des § 33 Nr. 4 der Konkurs-Ordnung und des § 395 ALR I. VII.

13

194

21 anzusehen; denn sie seien nicht zu dauerndem Ver­ bleiben während der Miethszeit in den gemietheten Räumen bestimmt, seien daher nicht als invecta et illata im Sinne weder des römischen, noch des mit demselben übereinstimmenden preuß. Rechts zu erachten. Dieser, unter den Schriftstellern des preuß. Rechts nur von Förster* (Theorie und Praxis des preuß. Privat-R. B. II § 136 n. 237), in der neueren gemein­ rechtlichen Literatur aber von keiner Seite aufgestellten Ansicht vermag so wenig für das römische wie gar für das preuß. Recht beigetreten zu werden. Das Pfand­ recht des Vermiethers eines praedium urbanum an den invecta et illata des Miethers (einer der ersten Fälle der Hypothek und der erste Fall einer gesetzlichen Hy­ pothek) ist aus den üblichen Verpfändungsformularen her­ vorgegangen, indem die allgemein übliche Verpfändung als stillschweigend gewollt präsumirt wurde. L. 4 pr. Dig. 2, 14; L. 3, L. 4 pr., L. 5 § 1, L. 6, L. 7 pr. Dig. 20, 2; L. 32 pr. Dig. 20, 1; L. 11 § 5 Dig. 13, 7; L. 1 Dig. 43, 32; L. 5 Cod. 4, 65; L. 7 Cod. 8, 15. Es fand darum seine Begrenzung in dem vermuth­ lichen Parteiwillen, und in diesem Sinne mußte, ähnlich wie bei der generellen Konventionalhypothek, die Juris­ prudenz der mißbräuchlichen Ausdehnung desselben auf solche Sachen, welche sich zwar thatsächlich auf dem gemiethe­ ten Grundstück befanden, von vornherein aber ersichtlich zu nur vorübergehendem Verbleib daselbst be­ stimmt waren, entgegentreten. Daher heißt es in L. 7 § 1 Dig. 20, 2: Videndum est, ne non omnia illata vel inducta, sed ea sola, quae ut ibi sint, illata fuerint, pignori * Anderer Meinung sind Bornemann (System, 2. Auflage, B. IV S. 335) iw. C. F. Koch (Komm, zu ALR I. 21 § 395 n. 9).

195 sint; quod magis est. Desgleichen wird in dem verwand­ ten Falle einer vertragsmäßigen Verpfändung der invecta et illata entschieden, daß nur diejenigen nachträglich auf das Grundstück zur Bewirthschaftung gesendeten Skla­ ven, qui hoc animo a domino inducti essent, ut ibi perpetuo essent, non temporis causa accommodarentur, verpfändet sein sollen. L. 32 pr. Dig. 20, 1; vgl. L. 1 § 5 Dig. 43, 32: pignoris nomine inducta. Auch für andere Rechtsverhältnisse wird in ähnlicher Weise zwischen einer nur zeitweisen und einer dauern­ den Bestimmung oder Verwendung unterschieden. L. 79 § 1, L. 44 Dig. de legatis III (32); L. 35 pr., § 3—5 Dig. 28, 5: quas perpetuo quis ibi habuerit . . . ut ibi esset. Allein es ist unrichtig, daß nur die zu dauerndem Verbleiben — etwa für die ganze Dauer der Miethe — eingebrachten Gegenstände als verpfändet gelten; es genügt, daß dieselben auch nur zeitweise in den gemietheten Räu­ men ihren regelmäßigen Standort haben sollen, und ausgenommen ist nur das gelegentlich, vorübergehend, ohne jede innere Beziehung zum gemietheten Raum Eingestellte. Namentlich besteht, falls gerade zum Zweck vorübergehen­ der Aufbewahrung ein Raum gemiethet wird, das Pfand­ recht unzweifelhaft auch an den so eingebrachten Sachen. Glück Pandektenkommentar XVIII S. 417 ff.; Meißner die Lehre vom stillschweigenden Pfand­ recht I S. 155 ff.; Gestaltung Pfandrecht S. 97; Sintenis Pfandrecht S. 293 ff., Civilrecht I § 72 n. 4. Was insbesondere verkäufliche Waaren anlangt, welche naturgemäß nicht zu bleibendem Aufenthalt in dem Aufbewahrungsraum bestimmt sind: so ist klar, daß diese 13*

196

doch bis zur Fortschaffung am Aufbewahrungsort ihren regelmäßigen Aufenthalt, gleichsam ihren festen Sitz, haben. Daß auch an ihnen das Pfandrecht des Vermiethers besteht, ergiebt sich völlig zweifellos nicht allein daraus, daß auch bei vermietheten Gasthöfen (deversoria), Magazinen jeder Art (horrea), Tennen (areae) u. bergt die Hypothek Platz greift, L. 3, L. 4 § 1 Dig. 20, 2; L. 6 § 2 Dig. 20, 4; sondern allem Anschein nach auch aus der Entscheidung der L. ult. § 1 Dig. 20, 4 (verglichen mit L. 11 § 2 daselbst), nach welcher dem Vermiether des Magazins nur darum das Pfandrecht an den zum Verkauf bestimmten Waaren versagt wird, weil ihm das privilegirte Pfandrecht eines anderen Gläubigers vorgeht. Nur darüber kann gestritten werden, ob dieses gesetz­ liche Pfandrecht des Vermiethers an den verkäuflichen Waaren, nach Analogie des Konventionalpfandrechts an einem Waarenlager (L. 34 pr. Dig. 20, 1), erlischt, sobald die Waaren ihrer Bestimmung gemäß veräußert werden. Indessen ist diese Frage nach dem vermuthlichen Wil­ len der Betheiligten zu bejahen, und erscheint insofern das Pfandrecht des Vermiethers an den inferirten ver­ käuflichen Waaren des Miethers (anders als sonst die Hypothek des römischen Rechts) der Endigung durch Veräußerung des Verpfänders unterworfen. Meißner und Schweppe a. a. O.; Thibaut Pandektenrecht, 8. Auflage, § 788, n. d; Dernburg Pfandrecht I § 36; Urtel des OAppGer. zu Berlin v. 31. März 69 (Seufferts Archiv XXIV Nr. 194). Allerdings war man im Mittelalter geneigt, ver­ käufliche Waaren dem Pfandrecht. des Vermiethers zu ent­ ziehen, weniger auf Grund der L. 7 § 1 Dig. 20, 2, als vielmehr von dem (theoretisch unrichtigen, aber durch die

197 Verkehrsbedürfnisse gerechtfertigten) Postulat ausgehend, daß Waaren überhaupt in einer generellen — gleichviel ob vertragsmäßigen oder gesetzlichen — Verpfändung nicht oder doch nicht schlechthin begriffen seien.

Negusantius jtractatus de pignoribus et hypothecis pars II membr. II Nr. 14 ff., membr. IV Nr. 153 ff.; Goldschmidt Handbuch des HR I. 2 § 91 n. 10,11. Allein diese Ansicht hat in Deutschland keinen Ein­ gang gefunden, vielmehr ist die Praxis den richtigen Grund­ sätzen des römischen Rechts gefolgt: vgl. (außer Bachov ab Echt, Lauterbach, Voet) v. Pufendorf Observat.II.29; v. Gmelin, die Ordnung der Gläubiger beim Gantprozeß S. 518 bis' 521. Die vom Revidenten behauptete Beschränkung in das preußische Recht hineinzutragen, liegt kein auch nur schein­ barer Anlaß vor, zumal die Fassung der betr. Gesetzes­ stellen eher der vielfach vertretenen, Ansicht Raum giebt, daß die nackte Thatsache der Einbringung entscheide, dq auch die gesetzlichen Pfandrechte des preuß. Rechts von ihrer geschichtlichen Grundlage nur präsumtiver Konventionalpfänder mehr als im römischen Recht losgelöst sind. IALR Th. I Tit. 21 § 395 spricht von eingebrachten „Sachen und Effekten", AGO Th. I Tit. 50 § 382 a von eingebrachten „Mobilien und Effekten", AGO Th. I Tit. 44 § 60 von eingebrachten „Mobilien", die Deklaration v. 21. Juli 46 von „Sachen und Effekten", endlich die Konkurs-Ordnung v. 1855 § 33 sNr. 4 von eingebrachten „Sachen", und wie der Ausdruck „Sachen", so schließt auch

der Ausdruck „Effekten" die zum Handel bestimmten Waaren ein; ALR I. 2 § 13. 2) Revident macht ferner geltend, Kläger habe nicht einmal behauptet, an den Waaren sein Retentionsrecht ausgeübt zu haben, könne also im ungünstigsten Falle nur

198

zur Geltendmachung seiner Rechte in separate verstattet werden. Sollte hierin die selbständige Behauptung liegen, daß Kläger sein Retentionsrecht nicht ausgeübt habe, so wäre dieselbe, weil in den früheren Instanzen nicht vorgebracht, verspätet. Soll aber damit die Begründung der Klage bemängelt werden, so verkennt Revident die Natur des in Rede stehenden Rechts. Denn durch die Ausübung der Zurückhaltungsbefugniß, die sogen. Perklusion, wird dasselbe nicht begründet, und es kann sich nur fragen, ob es durch deren Nichtausübung erlischt. Nach römischem Recht geht die einmal durch die Jllation begründete Hypothek (L. 11 § 2 Dig. 20, 4) durch die bloße, sogar geduldete Fortschaffung der Jllaten aus den Miethsräumen nicht verloren; wenngleich still­ schweigende Einwilligung in die Weiterverpfändung oder Veräußerung auch hier als Erlaß des Pfandrechts gelten kann, . . . und ordnungsmäßige Veräußerung so verpfän­ deter Waaren die Hypothek aufhebt. Im Uebrigen haftet die Hypothek auf den Jllaten auch bei jedem dritten, selbst redlichen Erwerber derselben. Schwarze und Heym, Untersuchung praktisch­ wichtiger Materien aus dem Gebiet des im Königreich Sachsen geltenden Rechts (1841) S. 124 ff.; Dernburg Pfandrecht I S. 296, 297; v. Vangerow Pandekten, 7. Auflage, I S. 850. Indessen trat hier, wie sonst im Hypothekenrecht, die Konsequenz des römischen Rechts mit den Bedürfnissen des Verkehrs einerseits, mit der deutschrechtlichen Anschauung, daß an Mobilien prinzipiell nur ein mit dem Besitz fallen­ des Faustpfandrecht statthaft sei und daß redlicher Erwerb Dritter auch bestehende Hypotheken beseitige, andererseits in schroffen Gegensatz. So bildete sich, unter dem Einfluß

199 deutschrechtlicher Anschauungen, eine partikulär auch gesetz­ lich oder gewohnheitsrechtlich befestigte Praxis, welche die gesetzliche Hypothek des Vermiethers auf ein sogen, qualifizirtes Retentionsrecht oder ein gesetzliches Faustpfand­ recht im Sinne des deutschen Rechts herabminderte, mit der Folge, daß die mit Wissen und ohne Einspruch des Ver­ miethers fortgeschafften Jllaten vom Pfandnexus frei wurden. Vgl. namentlich Voet Commentar. in Pandectas XX. 2 § 3 ft.; Cocceji jus civile controversum zu lib. XX. 1, quaestio 7; Glück Pandekten-Kommentar XVIII S. 422 ft.; Sintenis Civilrecht I § 376. n. 20. Dieser Auffassung hat sich das preußische Recht angeschlossen, und erklärt sich daraus der Wechsel zwischen den Ausdrücken „Zurückbehaltungsrecht" und „Pfandrecht". Es sprechen AGO Th. I Tit. 29 § 10 Nr. 2 und Tit. 44 § 56 bis 58, 60 vom Zurückbehaltungsrecht oder Reten­ tionsrecht, vgl. Anhangs^ 302; AGO I. 50 § 382 a aber bestimmt:

den Pfandgläubigern sind diejenigen gleich­ zuachten, welche dem Gemeinschuldner ein Grund­ stück vermiethet haben — insofern die zur Zeit der Konkurseröffnung in dem vermietheten Grundstück befindlichen Effekten des Gemein­ schuldners zur Befriedigung des Vermiethers hin­ reichend sind. Hieraus folgt, daß, wenn Letzterer den Gemeinschuldner hat ausziehen lassen, ohne das Zurückbehaltungsrecht auf die einge­ brachten Mobilien und Effekten auszu­ üben, keine Priorität in der zweiten Klasse statt­ findet. ALR I. 21 § 395 giebt dem Vermiether „auf die vom Miether eingebrachten und zur Zeit der Endigung des Kontrakts im Hause noch vorhandenen Sachen und

200

Effekten die Rechte eines Pfandgläubigers. Ebenso spricht die Deklaration v. 21. Juli 46 von den dem Bermiether im gedachten § 395 beigelegten „Rechten eines Pfandgläubigers." Daß hiemit ein wahres, wenngleich modifizirtes Pfand­ recht hat begründet werden sollen, geht auch daraus her­ vor, daß dem Pächter oder Miether wegen seiner Gegen­ ansprüche ein bloßes Zurückbehaltungsrecht einge­ räumt ist; ALR I. 21 § 396, 397; AGO I. 44 § 55, Anhangstz 300, 301.

Hienach geht die herrschende Ansicht mit Recht dahin, daß dem Vermiether -mit dem Augenblick der Jllation 'an den Jllaten des Miethers ein dem Faustpfand glei­ ches Recht zustehe, daß der Vermiether der Fortschaffung der Jllaten zu widersprechen und dieselben zu verhindern befugt ist; daß heimliche oder gegen Widerspruch geschehene Fortschaffung das Recht auf Wiedereinbringung begründet — soweit nicht die Rechte redlicher Dritter entgegenstehen; daß aber das wissentliche Geschehenlaffen der Fort­ schaffung eine Besitzaufgabe beim Faustpfand, bzw. als Verzicht auf das Pfandrecht wirkt, somit das bestehende Pfandrecht verloren geht; ALR Th. I Tit. 20 § 118 bis 120, Tit. 16 § 381, Tit. 5 § 133, 134.

Vgl. BorneMann System IV S. 327 ff.; Simon und v. Strampff Rechtssprüche IIIS. 274 ff.; C. F. Koch Kommentar zu ALR I. 21 § 395 n. 4 ff.; v. Rönne Ergänzungen und Erläuterungen zu demselben § 395; Förster Theorie rc. II § 136 und die dort allegirten Entscheidungen des preuß. Ober-Tribunals. An diesem Rechtszustand hat die Konkurs­ Ordnung v. 8. Mai 55 nichts geändert. Nachdem sie im § 32 bestimmt hat:

201 „Faustpfandgläubiger

erhalten,

soweit

das

Pfand reicht und haftet, abgesonderte Befriedigung

aus demselben",

fährt sie fort (§ 33): Mit den Faustpfandgläubigern haben gleiche Rechte: Vermiether und Verpächter wegen des Zinses

und anderer Forderungen aus dem Mieth- und Pacht-Verhältniß in Ansehung! der vom Miether oder Pächter eingebrachten Sachen — soweit der

Vermiether oder Verpächter das

ihm zu­

stehende Zurückbehaltungsrecht an densel­

ben ausübt. Mit den hervorgehobenen Worten hat nicht eine Vyraussetzung für die Entstehung des Pfandrechts, bzw. des Rechts auf abgesonderte Befriedigung bezeichnet werden sollen, sondern dieselben wollen nur die Wirksamkeit des

entstandenen

Pfandrechts

begrenzen.

Eine

Abweichung

vom geltenden Recht lag den Verfassern der Konkurs-Ord­ nung völlig fern, wie denn auch die Motive lediglich her­

vorheben: „das Pfandrecht des Vermiethers und Verpäch­ ters an den eingebrachten Sachen des Miethers und Päch­ ters besteht schon gegenwärtig, ALR I. 21 § 395; AGO I.

50 § 382 a, Deklaration v. 21. Juli 46" (Goltdammer Kommentar und vollständige Materialien zur Konkurs-Ord­ nung S. 130). Will man indessen auf die Worte „soweit — ausübt"

besonderes Gewicht legen, so würden dieselben, auch bei engster Auslegung, jedenfalls den Fall treffen, daß sich die Sachen zur Zeit der Konkurseröffnung noch in den ge­ mietheten Räumen befinden, da vor intendirter Fortschaffung zu einem besonderen Ausübungsakt des Retentions­

rechts überall kein Grund vorliegt. Es führt hierauf schon die Analogie der verwandten, unter Nr. 5 bis 10 des § 33 aufgezählten Fälle, ja die Analogie des bloßen

202 Zurückbehaltungsrechts, welches keineswegs erst mit der thatsächlichen Zurückbehaltung entsteht, sondern durch das Aufhören der Retention erlischt. (Goldschmidt Handbuch des HR I. 2 S. 988, vgl. S. 1031, 1053.) Hienach hatte [in vorliegendem Falle) nicht Kläger die Be­ gründung seines Pfandrechts durch Ausübung der Zurückbehaltungsbefugniß, sondern Beklagter dessen Erlöschen durch unterlassene Ausübung zu behaupten und darzuthun. Indessen ist auch aus materiellen Gründen der Widerspruch des Bekl. ungerechtfertigt. Das Pfandrecht des Klägers ist weder dadurch erloschen, daß die demselben unterworfenen Waaren zur Konkursmasse gezogen, noch da­ durch, daß sie im Konkurse veräußert sind; vielmehr ist nur an Stelle der Waaren deren Erlös als Objekt abgesonder­ ter Befriedigung getreten; Konkurs-Ordnung § 38, vgl. § 44. Vor der Konkurs-Ordnung von 1855 konnte hierüber kein Zweifel bestehen; denn auch die Pfandgläubiger waren verpflichtet, die Pfandobjekte zur Konkursmaffe abzuliefern und aus der Konkursmaffe, wenngleich mit Vorrecht hin­ sichtlich des Erlöses der Pfandobjekte, ihre Befriedigung zu suchen. AGO I. 50 § 206, § 2 der Verordnung v. 28. Dez. 40. An Stelle der Ablieferungspflicht ist nach § 32, 38, 39, 146, 264 der Konkurs-Ordnung die bloße Anzeigepficht getreten. Allein sofern der Konkurs-Verwalter die Herausgabe der Pfandstücke behufs Realisirung derselben im Interesse der übrigen Gläubiger verlangt, müssen die Pfandgläubiger, unbeschadet ihrer Rechte auf den Erlös, diesem Begehren nachkommen. Konkurs-Ordnung § 145, 264, 376. Vgl. die Motive und den Kommissionsbericht bei Goltdammer Komm. S. 501.

203

C. F. Koch Ordnung.

Komm,

zu

§ 376

der

Konkurs­

Gestattet nun der Vermiether im Konkurse des Miethers die Fortschaffung der ihm pfandweise haftenden Waaren zum Zweck ihrer Realisirung, so verliert er dadurch das ihm zustehende Pfandrecht nicht, da die Erlaubniß zu einer Fortschaffung, welcher er zu widersprechen nicht befugt ist, weder als freiwillige Besitzaufgabe, noch als Verzicht auf das Pfandrecht angesehen werden kann. Wenn daher bei Berathung der Konkurs-Ordnung dem in der Begutachtungs­ Kommission gestellten Anträge, ausdrücklich hinzuzufügen, daß es dem Vermiether unnachtheilig sei, wenn er durch gerichtliches Einschreiten an der Ausübung seines Zurück­ behaltungsrechts gehindert worden ist, keine Folge gegeben wurde (Goltdammer Komm. S. 136): so hat wenigstens für den Fall, daß nach eröffnetem Konkurse die Pfandobjekte zur Realisirung verabfolgt werden, nicht das Gegentheil bestimmt werden sollen und können.

ALR I. 20 § 116—118, 562; C. F. Koch PO. nach ihrer heutigen Geltung, 1. Auflage, zu AGO I. 50 § 382 a, n. 56; C. F. Koch Komm, zu ALR I. 21 § 395 n. 6, 10; Strieth. Arch. B. 6 S. 43, B. 11 S. 81, B. 15 S. 309, 310; Entsch. des OTr. B. 42 S. 174. 4) Der Grundsatz der L. 34 pr. Dig. 20, 1 endlich, daß verkaufte zu den Jllaten gehörige Waaren aus dem Pfandnexus heraus-treten, gilt nach preußischem Recht allgemein für alle Jllaten, jedoch erst mit dem Augenblick ihrer Fortschaffung aus den Miethsräumen.

ALR I. 21 § 395; AGO I. 50 § 382 a; Konkurs-Ordnung § 33 Nr. 4;

204 Präjudizien des OTr. Nr. 22, 401 (Sammlung I S. 127); Entsch. 1 S. 28. Ob der Vermiether der Fortschaffung veräußerter Waaren zu widersprechen befugt ist, kann dahin gestellt bleiben, da in vorliegendem Falle weder eine dem Gläu­ biger nachtheilige Fortschaffung, noch auch eine im ordnungsmäßigen Geschäftsgang geschehene Ver­ äußerung erfolgt ist.

Nr. 42. II. Senat. — Erkenntniß v. 29. Mai 72. (Z.) E. L. Anesorge I. die Aktiengesellschaft „Kettenschleppschifffahrt der Oberelbe" (Nr. 305 v. 72).

I. Instanz: Handelsgericht im Bezirksgericht Dresden, II. Instanz: Appellationsgericht Dresden. Flußschifffahrt.

Haftung des SchtffseigenthümerS für den SchtffSfnhrer.

Die seerechtlichen Bestimmungen des HGB sind ans die Fluß- und Stromschifffahrt nicht anwendbar. Makower Komm, zu Art. 390 n. 2, S. 290 der 4. Auflage.

Vgl. Rspr. VI S. 159 ff.

Entscheidung des OHG:

Dem Appellrichter ist darin beizupflichten, daß im Art. 451 HGB die Verpflichtung der Bell, (als Besitzerin eines Elbschleppdampfersj, für die hier in Frage kommende schadenbringende Handlungsweise ihres Schiffsführers (näm­ lich für die durch vorschriftswidrige Leitung des Schlepp­ dampfers verursachte Beschädigung eines dem Kläger ge­ hörigen Fahrzeugs) aufzukommen, keine Begründung findet. Es ist bekannt, daß die Vorschriften des fünften Buches im HGB über das Seerecht an sich nicht auf die Flußund Stromschifffahrt berechnet gewesen sind, daß vielmehr bei den Verhandlungen der Kommission die Absicht gleich

205

anfänglich nur dahin gegangen ist, diejenigen dieser Vor­ schriften, welche auch für die Flußschifffahrt wichtig und zutreffend seien, bzw. mit den erforderlichen Modifikationen auszuheben und als für die Flußschifffahrt giltige Normen in einem besonderen Abschnitt des HGB zusammenzustellen.

Ebenso bekannt ist es, daß bei der Schlußberathung diese Absicht wegen

der

großen Verschiedenheit

der faktischen

Verhältniffe *, welche die Aufstellung allgemeiner Normen

für ganz Deutschland unthunlich machen, wieder aufgegeben worden

ist

(Kommissions-Prot.,

Th. VIII S. 5126 ff.).

herausgegeben

v.

Lutz

Als direkte Gesetzesnorm können

sonach jene Vorschriften, und mit ihnen die des Art. 451, auch für den vorliegenden Fall nicht angezogen werden.

Aber auch für deren bloß analoge Anwendung hat sich

eine allgemeine Rechtsanschauung nicht herausgebildet, und mehrfache,

im Appellurtel angezogene Präjudizien lassen

deutlich die Mannigfaltigkeit der thatsächlichen Verhältniffe

in der Verschiedenheit der einzelnen Entscheidungen hervor­ treten. Mangelt aber für den Streitfall ebensowohl eine Be­

stimmung des HGB, als ein erweislicher Handelsgebrauch:

so ist nach Art. 1 HGB auf das bürgerliche Recht zu­ rückzugehen. Die Bestimmungen des letzteren aber — § 116, 177,

773 ff., 1483 ff. des bürgerl. GB für das König­

reich Sachsen — stehen dem Kläger nicht zur Seite; nach

denselben hat Beklagte keineswegs für einen Schaden auf­ zukommen, welchen nicht sie, sondern ein Dritter (Kapitän Baum) verursacht hat, den in mandatswidrigen delikt­ ähnlichen Handlungen zu vertreten kein Gesetz sie verpflichtet.

Dies sowie die Unanwendbarkeit des Art. 400 HGB hat schon das Appellnrtel richtig gezeigt. * Vgl. wegen der Rechtsstellung des Stromschiffers Rsvr. VI S. 159.

206 Nr. 43.

II. Senat. — Erkenntniß v. 1. Sunt 72. (Ref.) E. Friedländer -|. H. Wengler & Co. (Nr. 184 v. 72).

Preußen.

Revision. I. Instanz: Kreisgericht Gleiwitz, II. Instanz: Apvellationsgericht Ratibor. Handelskauf.

Fixgeschäft.

Nachfrist.

1. Das Fixgeschäft (im Sinne des Art. 357 HGB) bildet einen Ausnahmefall, welcher nur angenommen werdm darf, wo nach Intention der Kontrahenten die be­ stimmte Erfüllungszeit zweifellos etwas dergestalt Wesent­ liches sein soll, daß durch Einhaltung dieser Zeit der Be­ stand des Geschäfts bedingt erscheint, die Erfüllung mithin nur dann als die von den Kontrahenten gewollte gelten kann, wenn sie genau zur festbestimmten Zeit, bzw. inner­ halb der gesetzten Frist erfolgt. Rspr. I S. 397, II S. 79; III S. 352, 371; IV S. 177, 204; V S. 12, 351; VI S. 91, 97; vgl. B.Erk. des II. Senats v. 16. Okt. 72 in einer rheinpreuß. Sache, unten Nachtrag S. 212.

2. Zur Entstehung giltiger Bertragsverhältnisse sind nach Handelsrecht weder besondere Förmlichkeiten, noch ausdrückliche Willenserklärungen erforderlich. HGB Art. 279, 317; vgl. Rspr. I S. 352; II S. 277, 339, 342; III S. 256, 261; V S. 256, 278 Nr. 4.

3. Ist die Gewährung einer Nachfrist im Falle des Art. 356 HGB eine unbedingte Voraussetzung für die Geltendmachung der im Art. 356 erwähnten Befugnisse? Vgl. Rspr. III S. 2 n„ 371; IV S. 59, 124; V S. 362.

Entscheidung des OHG: Nach einem Vertrage v. Juli 68 war Beklagter ver­ pflichtet, gewisse Quantitäten Kohlen von 3 verschiedenen Gruben den Klägern franco Sosnowice „bis ultimo Sept. 68" zu liefern. Da er nur einen Theil davon — theils innerhalb der Frist, theils später — geliefert hat, sind Kläger vom Vertrage zurückgetreten und haben in gegen-

207

wärtigem Prozeß einen Entschädigungsanspruch wegen der nicht ausgeführten Lieferungen auf Grund des Art. 357 HGB mit der Behauptung geltend gemacht, daß der Ver­ trag als „Fixgeschäft" beurtheilt werden müsse. Dieser Auffassung ist seitens des Bell, durch Berufung auf die Anwendbarkeit des Art. 356 widersprochen worden. Beide Vorderrichter haben jedoch, ohne eine Motivirung für nöthig zu halten, ein Fixgeschäft für vorliegend erachtet. Zu difformer Entscheidung des Rechtsstreits sind sie dadurch gelangt, daß der I. Richter in den nachträglichen Hand­ lungen und Erklärungen der Parteien ein Aufgeben der ursprünglichen Verabredung einer bestimmten Lieferungs­ frist gefunden, der Appellrichter dagegen in dieser Richtung keine Erwägungen angestellt hat. Die Unanwendbarkeit des Art. 357 HGB erscheint nach Lage der Sache zweifellos. Schon im Erk. des Reichsgerichtshofs v. 24. März 71 sRspr. IIS. 79] ist angenommen, daß nicht jedes Geschäft, bei welchem eine bestimmte Erfüllungszeit verabredet wor­ den, als Fixgeschäft im Sinne des Art. 357 angesehen werden dürfe, daß vielmehr nicht nur aus den Worten: „Ist bedungen, daß die Waare genau zu einer fest bestimmten Zeit oder bin-, nen einer fest bestimmten Frist geliefert werden soll" rc., sondern auch aus den der Emanation des HGB vorhergegangenen Ver­ handlungen sich ergebe, daß im Art. 357 diejenigen Aus­ nahmefälle haben vorgesehen werden sollen, in welchen die verabredete Erfüllungszeit nach der — entweder ausdrücklich und mit unzweideutigen Worten („genau", „präcis", „fix", oder Beifügung der cassatorischen Klausel) ausgesprochenen oder sich aus den vorliegenden Umständen zweifellos ergebenden — Intention der Kontrahenten etwas dergestalt Wesent­ liches sein soll, daß mit dieser Zeit der Vertrag stehen und fallen, eine spätere Leistung nicht mehr als Vertragserfüllung angesehen werden, nach Ablauf der Zeit

208

oder Frist auf Annahme späterer Lieferung nicht mehr ge­ rechnet werden soll. Auf diese Ausführung nimmt das Erk. v. 3. Nov. 71 fRspr. IV S. 203] Bezug; und in vollem Einklang mit ihr stehen die Entscheidungen v. 27. Sept., 28. Okt. und 28. Nov. 71 (Rspr. III S. 351, IV S. 177, V S. 12]. In den Gründen des letztgedachten Urtels ist besonders hervorgehoben, daß aus Natur und Zweck der frag!. Bestimmung, sowie aus den Nürnberger KonferenzProtokollen hervorgehe, daß man nur die Fälle im Auge gehabt habe, bei welchen nach Absicht der Kontrahenten die Zeitbestimmung eine wesentliche Bedingung des Geschäfts bilde. Demgemäß wird im Erk. v. 27. Febr. 72 (Rspr. VI S. 91] als Rechtssatz an­ erkannt: „Beim Fixgeschäft geht das Gesetz von der Vor­ aussetzung aus, daß die Erfüllung für die Kontrahenten nur dann als die gewollte gelten kann, wenn sie genau in der festbestimmten Zeit oder Frist erfolgt . . ." (vgl. Rspr. I S. 397, VI S. 96]. Von dem durch diese Interpretation des Art. 357 ge­ botenen Gesichtspunkt aus erscheint der Umstand allein, daß der Vertrag der Parteien den Endzeitpunkt der Lieferungen auf „ultimo Sept. 68" bestimmt, daß also die Lieferungen in dem Zeitraum vom August 68 (wann mit denselben be­ gonnen werden sollte) bis zu gedachtem Zeitpunkt ausge­ führt werden sollten, nicht ausreichend, dem Vertrage den Rechtscharakter eines Fixgeschäfts zu verleihen. Es fehlt an jeder Andeutung dafür, daß Kläger nur unter Voraussetzung der pünktlichen Erfüllung den Vertrag ein­ gegangen seien, daß für sie überhaupt die präcise Ein­ haltung der Lieferungszeit von wesentlicher Bedeutung gewesen sei. Zwei Momente sprechen sogar für das Gegen­ theil. Das eine davon besteht in der eigenen Angabe der Kläger, daß die zu liefernden Kohlen für ihren Detailverkauf bestimmt gewesen seien. Danach kann es den

209 Klägern unmöglich darauf angekommen sein, in den Besitz des ganzen Quantums der zu liefernden Kohlen schon Ende Sept, zu gelangen. Es läßt sich gar nicht einsehen, wie ihr Interesse dadurch geschädigt werden konnte, wenn ein Rückstand erst einige Tage später geliefert wurde. Das zweite Moment liegt in der vorbehaltlosen An­ nahme der nachträglichen Lieferungen. Aus dieser ergiebt sich, daß auch nach Ablaus der Lieferungsfrist den Klägern an der weiteren Vertragserfüllung gelegen war; und es erscheint der Rückschluß wahlberechtigt, daß von vornher­ ein durch Verabredung der Lieferungszeit nur, wie dies in der Regel geschieht, eine Zeitgrenze gesetzt werden sollte, diesseits welcher von den Klägern die Lieferungen gewär­ tigt und angenommen werden mußten, und die Beklagter als Lieferant zur Vermeidung der generellen Folgen des Verzugs innezuhalten hatte. Durch solche Zeitbe­ stimmung wird nur die Anwendung des Art. 326 HGB ausgeschlossen. Entstände dennoch ein Zweifel darüber, ob bezweckt ist, dem Geschäft die Natur eines Fixgeschäfts zu verleihen: so müßte gegen diese Absicht der Kontrahen­ ten interpretirt und hiedurch der Zweifel erledigt werden, eben deshalb, weil der Fall des Art. 357 als Ausnahme zu betrachten. Wäre gleichwohl die vorliegende Uebereinkunst der Parteien, ihrem ursprünglichen Inhalt gemäß, als Fix­ geschäft zu beurtheilen: so würde mit dem I. Richter an­ zunehmen sein, daß sie nachträglich den Charakter eines solchen Geschäfts eingebüßt habe*. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Gewicht, welches in dieser Beziehung der I. Richter auf die Korrespondenz der Parteien und die Rechnungen des Bekl. aus dem Okt. und Nov. 68 gelegt hat, für diese Annahme allein ausreicht. Unzweifelhaft begründet wird dieselbe durch Hinzutritt des Umstands, * Vgl. Rspr. I S. 254, 258, 260. VII.

14

210 daß thatsächlich nach Ablauf des vereinbarten Lieferungs­ zeitraums vom Bekl. noch mehrere Lieferungen ausgeführt und dieselben von den Klägern ohne Vorbehalt angenom­ men worden sind. Es beweist sogar diese Thatsache schon für sich allein, daß die Parteien, wenn nach ihrer Ab­ sicht bei Schließung des Vertrages vom Juli 68 die da­ rin angegebene Frist als eine „festbestimmte" im Sinne des Art. 357 HGB gelten sollte, nach Ablauf derselben ultimo Sept. 68 darin einverstanden gewesen sind, daß die rück­ ständigen Lieferungen dennoch geleistet und angenommen werden sollten. Durch dieses stillschweigende Uebereinkommen der Parteien hat — unter der fragt. Voraussetzung — der ursprüngliche Vertrag die Modifikation erlitten, welche selbstredend es nicht weiter gestattet, auf ihn die Vorschrift über Fixgeschäfte anzuwenden. Daß der Gesichtspunkt der Entsagung (von welchem aus dem Appellrichter es un­ erheblich erscheint, daß Kläger auch nach dem letzten Sept. 68 noch Kohlenlieferungen verlangt und angenommen haben) für zutreffend nicht erachtet werden kann, folgt schon daraus, daß, wenn in der Leistung und Annahme der nachträglichen Lieferungen ein beiderseitiges Einverständniß über weitere Vertragserfüllung zu erblicken ist, diesem volle rechtliche Wirksamkeit nicht abgesprochen werden kann, da vom Handelsrecht zur Entstehung giltiger Vertragsverhält­ nisse weder besondere Förmlichkeiten noch ausdrückliche Willenserklärungen erfordert werden; Art. 317 HGB (vgl. oben S. 106, auch § 57 bis 59, 94 ALR I. 4]. * * Aus vorbehaltloser Annahme der nach Ablauf der ver­ tragsmäßigen Frist gelieferten Waare von geringerer Qualität (Braunstein, der weniger Procente Mangansuperoxyd enthielt, als be­ dungen war), in Verbindung mit erfolgter Bezahlung des Empfange­ nen, hat das OHG II. Sen. in der Nassauer Revisionsfache Siebert •|. Rolfs & Co. (Nr. 341 v. 72) durch Erk. v. 29. Juni 72 „in Ge­ mäßheit der Prinzipien, welche der Gerichtshof schon mehrfach, z. B. im Erk. v. 27. Sept. 71 Mspr. III S. 351] ausgesprochen hat", ge­ folgert, „daß Klägerin mit der derartigen Lieferungsweise auch sür

211 Bei dieser Sachlage kann unerwogen bleiben: ob die im Art. 356 HGB demjenigen Kontrahenten, welcher, we­ gen der vom Gegenkontrahenten verzögerten VertragsErfüllung statt dieser Schadenersatz verlangen oder vom Kontrakt abgehen will, auferlegte Verpflichtung zur Ge­ währung einer Frist für die Nachholung des Versäum­ ten als unbedingte Voraussetzung der Geltendmachung vorgedachter Befugnisse zu betrachten ist — ob insbesondere nicht die vom Bekl. ^angeblich gegen einen früheren Mit­ gesellschafter der Kläger gemachte Aeußerung: die bis ultimo Sept. 68 nicht angenommenen Lieferungen für die vereinbarten Preise nicht nachholen zu können, die Kläger von jener Obliegenheit zur Gewährung einer Nach­ frist dispensirte? * Abgesehen nämlich davon, daß sich Kläger ihrerseits die Zukunft [ber Vertrag war über 8000 Centner Braunstein in Partien von mindestens 1000 Centnern vom April bis spätestens Ende Okt. 68 zu liefern, geschlossen) insofern, als durch Lieferung des zu 8000 Centnern Braunstein noch fehlenden Quantums der Mangan­ gehalt der ganzen Masse auf die (als durchschnittlicher Minimalgehalt be­ dungenen) 58 Prozent noch gebracht werden konnte, einverstanden ge­ wesen — selbstverständlich unter Vorbehalt anderweiter Fristbestimmung für die vollständige Erfüllung der Lieferungsverpflichtung des Bekl."^ * Vgl. Rspr. in S. 2 n., 371; IV S. 59, 124; V S. 362. — In dem vorher S. 210 n. * erwähnten Revisionsurtel v. 29. Juni 72 sagt das OHG: „Anlangend dieBefugniß der Klägerin zum Rück­ tritt vom Vertrage ist dem Appellrichter in der Annahme beizutreten, daß es der Klägerin gemäß Art. 356 HGB obaelegen habe, dem Bekl. eine den Umständen angemessene Frist zur Nachholung der versäumten Vertragserfüllung zu gewähren. Diese Obliegenheit ist auch an sich nicht streitig. In Rücksicht hierauf sei nur hervorgehoben, daß für die Restlieferung keinerlei Frist mehr bestand und dieselbe weder dem Vertrage noch der Natur der Sache nach in einem einzigen Lieferungsakt zu bewerkstelligen war — worauf bereits im Erk. v. 1. Juni 72 in dem gleichartigen Rechtsfalle Friedländer -|. Wengler [oben S. 206 ff.] Gewicht gelegt worden, sowie daß Beklagter zu vertragsmäßiger Nach­ lieferung des noch fehlenden Braunsteinquantums stets bereit gewesen ist. Deshalb braucht hier auf eine Erörterung nicht eingegangen zu werden, ob auch unter anderen Umständen nach Art. 356 HGB dem säumigen Kontrahenten die fragt Nachfrist gewährt werden muß, ohne daß sie von ihm nachgesucht worden".

212

auf obgedachte Aeußerung des Bekl. nicht berufen, diese vielmehr bestritten haben, kommt in Betracht, daß Beklag­ ter dieselbe durch seine späteren Lieferungen zu den ver­ einbarten Preisen revozirt hat, und daß es bei dem Einverständniß der Parteien über die nachträgliche Vertrags­ erfüllung an einer Vereinbarung über die Zeit der Voll­ endung gänzlich fehlte, einer Zeitbestimmung aber es unbedingt bedurfte, weil es sich nicht um die durch eine einzige Handlung zu bewirkende, sondern um eine stück­ weise Vertragserfüllung handelte; vgl. Art. 326 HEB. Muß deshalb hier angenommen werden, daß die im Art. 356 HGB vorgeschriebene Fristgewährung eine Be­ dingung des eingeklagten Schadenanspruchs bildete: so entbehrt, da diese Bedingung von den Klägern nicht er­ füllt worden, deren Beschwerde über die in I. Instanz aus­ gesprochene Zurückweisung der Klage jeder Begründung. Daraus folgt weiter, daß das Appellurtel, indem es den Bekl. zum Ersatz eines Theils des streitigen Schaden verurtheilt hat, abgeändert und daß auf Abweisung der ganzen Klageforderung erkannt werden mußte, ohne daß auf eine Erörterung der, von obiger Rechtsausführung unberührt gebliebenen, Einreden des Bekl. einzugehen war. Nachtrag. In Kassationssachen I. Jaeger -i. M. Hoffmann & Söhne (OHG Nr. 544 v. 72, I. Instanz: Handelsgericht Coblenz) hat das OHG, II. Sen. durch Erk. v. 16. Okt. 72

das Appellurtel kassirt in Erwägung: daß nach Feststellung der Jnstanzrichter es sich nur um ein Kaufgeschäft handelt, geschlossen unter der Bedingung, daß die Waare im März 68 durch die Käufer in Empfang ge­ nommen werden solle, daß diese Fristbestimmung für sich allein dem Kauf den Charakter eines Fixgeschäfts nicht nothwendig verlieh;

213 daß der Fall des Art. 357 ein Ausnahmefall ist, welcher nur da eintritt, wo die Worte des Vertrages oder die sonstigen Umstände klar ergeben, daß nach Absicht der Par­

teien die bestimmte Frist dergestalt wesentlich ist, daß eine

nach Ablauf der Frist erfolgende Erfüllung nicht mehr als

Erfüllung angesehen werden soll, daß aber, wo dies nicht nicht Anwendung findet und es vorhergehenden Artikeln gegebenen

vorhanden ist, Art. 357

bei ^der

in

den

Regel bewendet; daß vorliegend nur eine dahin gehende Absicht der

Parteien von der Klägerin (die ihre Klage ausdrücklich auf die Art. 343, 354 HGB gestützt hat) selbst nicht behauptet, auch von den Jnstanzrichtern sonst in keiner Weise fest­

gestellt ist, daß eine solche aus den Worten des Vertrages oder aus den obwaltenden Umständen zu entnehmen sei;

daß der vorige Richter dennoch, ersichtlich blos wegen der dem Kaufgeschäft zugefügten Fristbestimmung, den Art. 357

angewendet und der Klägerin das aus ihm herzuleitende Recht, deshalb, weil Beklagter innerhalb der gesetzten Frist (vor Ende März) keine Anstalt zur Abnahme des Roggens

getroffen hatte, nach Ablauf der Frist (am 1. April) ohne

Weiteres zum Verkauf der Waare überzugehen und den Bekl. für die Differenz zwischen dem Erlöse dieses Verkaufs und dem vertragsmäßigen Kaufpreise in Anspruch zu nehmen, zuerkannt hat, während nach

Art. 356

hätte

der

zur Anwendung

festgestellten Sachlage nach

kommen müssen,

welchem, wenn der Käufer mit der Empfangnahme int Ver­

züge war, und der Verkäufer statt der Erfüllung die Waare

(unter Beobachtung der Bestimmungen des Art. 343) ver­ kaufen und Schadenersatz fordern wollte, es einer vorherigen Anzeige hierüber und, soweit die Natur des Geschäfts es

gestattete,

der Bewilligung einer angemessenen Frist be­

durfte ; daß demnach

die den Bekl.

zur geforderten Preis-

214

Differenz verurteilende Entscheidung die Gesetze der Materie, insbesondere die vom Kaffationskläger bezeichneten Art. 357,

343, 354, 356 HGB durch falsche Anwendung und bzw

durch Nichtanwendung verletzt; daß auch der Kassationskläger diese Gesetzesverletzung

zu rügen dadurch nicht verhindert

ist,

daß

er bei sei­

nem Widerspruch gegen die Klage und seiner Anfechtung des I. Urtels nicht auf die entscheidenden Rechtsgründe Be­

zug genommen hat, da dies den Richter nicht der Noth­ wendigkeit enthob, auf den von den Parteien seiner Be­ urtheilung unterbreiteten Thatbestand das richtige Gesetz

anzuwenden svgl. Rspr. I S. 317, II S. 232, IV S. 234, VI S. 95, 285, VII S. 216];

daß deshalb das angefochtene Erk. der Vernichtung —-------------

unterliegt.

3lr. 44.

I. Senat. — Erkenntniß v. 4. Äuni 72. (ö.) R. Birkholz -|. F. u. L. Herzberg (Nr. 262 v. 72).

Preußen.

Nichtigkeitsbeschwerde. I. Instanz: Kreisgericht Stettin, II. Instanz: Appellationsgericht daselbst. Handelskauf, Fixgeschäft, Schadenersatz.

1. Der im Art. 357 Abs. 3 HGB ausgesprochene Vorbehalt einer höheren Entschädigungsforderung des Käu­ fers umfaßt auch den Fall, wenn es wegen der Quantität der betr. Waare dem Käufer nicht möglich war, diese am Erfüllungsort überhaupt oder zum gewöhnlichen Marktpreise anzuschaffen. 2. Ein Fixgeschäft ist im Zweifel nicht anzunehmen, wenn die Waare dem Käufer von einem entfernten Orte ans zugesendet werden soll und vertragsmäßig blos die Zeit der Absendung bestimmt ist. HGB Art. 357.

Wegen Nichterfüllung eines

als Distanzgeschäft ge­

schlossenen Handelskaufs fordert der Käufer, gestützt auf

215

Art. 357 Abs. 3 HGB, Schadenersatz und legt seiner Schadenberechnung denjenigen Preis zu Grunde, welchen er einige Zeit nach Ablauf der Lieferfrist angeblich hat zahlen müssen, um sich die Waare an seinem Wohnort, dem vertragsmäßigen Bestimmungsort, zu verschaffen. Der Appell-richter verwarf, die Entscheidung I. Instanz bestätigend und der Annahme eines Fixgeschäfts beitretend, diese SchadenLiquidation, weil der im Art. 357 Abs. 3 vorbehaltene Nachweis eines höheren Schaden auf die Darlegung be­ schränkt sei, daß der Käufer wegen besonderer Umstände die Waare zur vertragsmäßigen Lieferzeit höher als zum da­ maligen Marktpreise hätte verwerthen können. Das OHG hat anders entschieden. Gründe:

Das Gesetz geht bei Fixgeschäften von der Unter­ stellung aus, es seien beide Theile, Käufer und Verkäufer, in der Lage, zur Erfüllungszeit und am Erfüllungsort so­ fort zu handeln — sei es, indem sie ihren Willen, Er­ füllung zu verlangen, sofort erklären, sei es, indem sie, falls die Waare am Erfüllungsort einen Markt- (oder Börsen-) Preis hat, sich durch Ankauf bzw. Verkauf derselben zu diesem Presse die Waare bzw. den Preis verschaffen. Insbesondere gilt für die Schadenberechnung des Käufers dem Gesetzgeber als Regel, daß einerseits die Anschaffung der Waare zu dem am Stichtage bestehenden Marktpreise möglich und daß andrerseits durch diese An­ schaffung der Käufer schadlos gestellt werde. Wenn er gleichwohl den Nachweis eines höheren Schaden vorbehält, so erscheint ihm. doch immerhin der Preis, zu welchem die Waare am Erfüllungsort und zur Erfüllungszeit zu be­ ziehen ist, als Grundlage der Berechnung, und er hatte bei jenem Vorbehalt nur Fälle im Auge, wo aus beson­ deren Gründen der gewöhnliche Marktpreis nicht hinreicht, um den Käufer schadlos zu stellen. Irrig ist es, wenn der

216 Appellrichter meint, diese Ausnahme treffe nur den von ihm bezeichneten Fall; vielmehr begreift sie eine Reihe an­

derer Fälle, insbesondere auch den Fall, wo es wegen der Quantität der zu liefernden Waare nicht möglich war, sie überhaupt oder zum gewöhnlichen Marktpreise am Er­ füllungsort anzuschaffen (vgl. Prot. der Nürnberger Kon­

ferenz S. 675).

Die Auslegung, daß der fragliche Vorbehalt sich auf den Fall beschränke, wo dem Käufer nachweisbar Gelegen­

heit geboten war, die Waare sofort zu einem höheren Preise weiter zu verwerthen und ihm diese Gelegenheit wegen des Vertragsbruchs entgangen sei, findet im Wortinhalt der

Vorschrift keinen Anhalt; sie wird auch durch die Ent­

stehungsgeschichte derselben nach Ausweis der Nürnberger Berathungs-Protokolle* nicht unterstützt, welche Entstehungs­ geschichte vielmehr das Gegentheil lehrt.

Sie widerstreitet

ferner der ratio legis, welche offenbar dahin geht, dem Käufer das volle Interesse zu sichern, wenn der Verkäufer

rechtswidrig den Vertrag bricht und wegen der besonderen Umstände des Falles die Zahlung der gedachten Differenz zur Ausgleichung des Jntereffes nicht genügt. Sie wird auch in der Theorie und Praxis als begründet nicht anerkannt (vgl. v. Hahn, Komm. II S. 283 und die dort allegirten

Schriftsteller); der vom preuß. OTr. entschiedene, in Strieth.

Arch. B. 57 S. 262 mitgetheilte Fall liegt anders**.

Das

Appellurtel war demnach wegen Verletzung der Schlußvor­ schrift des Art. 357 HGB zu vernichten.

Bei freier Beurtheilung wirft sich zunächst die Frage

auf, ob überhaupt ein Fixgeschäft vorliegt. Zwar wurde diese Frage von keiner Seite angeregt, allein da der Richter

* S. 675, 682, 685, 1399, 1417, 4602, 5081 ff. ** Vgl. noch Erk. des OAppGer. Lübeck v. 20. Juni 67, Gold­ schmidts Ztfchr. für HR B. 18 S. 247.

217 in der rechtlichen Würdigung der Sachlage an die An­

sichten der Parteien nicht gebunden ist, so steht nichts im Wege,

dieselbe zu prüfen

fvgl. oben S. 214].

Sie ist

zu verneinen. Ein Fixgeschäft kann nur angenommen werden, wenn

genau zu festbestimmter Zeit (oder Frist) geliefert werden soll, in der Weise, daß die Zeitbestimmung wesentliche Be­

dingung des Vertrages ist und eine zu früh oder zu spät geschehende Lieferung als die gewollte nicht mehr gelten kann

(vgl.

oben S. 206].

Diese Voraussetzungen liegen hier

nicht vor. Im Vertrage selbst sind zwar Lieferungsfristen (auf

Mitte August und ultimo Oktober) bestimmt, allein in der

gewöhnlichen Weise und ohne irgend einen Beisatz, welcher die Absicht, der Fristbestimmung die bezeichnete hohe Be­

deutung zu geben, ankündigte. — Die Umstände sprechen entschieden gegen eine solche Absicht.

Vor Allem ist ins

Auge zu fassen, daß ein Geschäft in Frage steht, bei welchem

die Waare dem Käufer an einen entfernten Ort zugesendet

werden sollte, und daß blos der Zeitpunkt der Absendung

bestimmt ist, dieser mithin als Stichtag zu gelten hätte, falls ein Fixgeschäft angenommen werden könnte.

nun klar,

Es ist

daß der Käufer nicht sowohl auf die Zeit der

Absendung, als auf die Zeit der Ankunft der Waare Werth legt, und wenn auch der Zeitpunkt der Ankunft durch die Absendung bedingt ist, so beibt er doch immer mehr oder minder unsicher und von Zufällen abhängig. Schon dieser

Gesichtspunkt legt es nahe, daß auf genaue Einhaltung

der Zeit kein so entscheidendes Gewicht gelegt werden sollte, wie es bei Fixgeschäften vorausgesetzt wird.

Hiezu kommt, daß bei Geschäften, wo

der Verkäufer

die Uebersendung der Waare zu besorgen hat, und der Käufer die Ankunft der Waare am Bestimmungsort er­

wartet, um sie dort zu prüfen und sich über deren Em-

218

pfangbarkeit zu erklären, die Anwendung der Bestimmungen des Art. 357 HGB, welche ein sofortiges Handeln am Erfüllungsort voraussetzen*, Schwierigkeiten bietet und für den Käufer erhebliche Nachtheile zur Folge hat. Es ist des­ halb nicht leicht anzunehmen, daß sich Käufer den beengen­ den Bestimmungen jenes Artikels habe unterwerfen wollen. Endlich ist zu beachten, daß die Parteien nach Verlauf der Fristen längere Zeit wegen Erfüllung des Vertrages unterhandelten und zwar in einer Weise, die klar erkennen läßt, daß beide Theile damals das Geschäft nicht als ein Fixgeschäft im Sinne des Gesetzes betrachteten und be­ handelten. Was die weitere Frage betrifft, ob Beklagte ihre Ver­ tragspflicht verletzt haben, indem sie sich weigerten, anders als gegen Baarzahlung zu liefern, so ist dieselbe nach dem klaren Inhalt der getroffenen Abrede zu bejahen. . . . Die Entschädigungspflicht derselben unterliegt hienach keinem Zweifel, da bei der entschieden erklärten Weigerung, vertragsmäßig zu erfüllen, auch von Gewährung einer Nachfrist nicht die Rede sein kann fRspr. III S. 2n., IV S. 59, 124, V S. 362, VII S. 211]. Was die Substantiirung des Entschädigungsbegehrens anlangt, so kann dieselbe bei der Unterstellung, daß ein Fixgeschäft nicht vorläge, mit Grund nicht bemängelt werden. Es tritt die Regel ein, daß derjenige Kontrahent, welcher den Vertrag bricht, allen Schaden ersetzen muß, welcher durch seinen Vertragsbruch erweislich dem anderen Kontrahenten verursacht worden. Wenn nun Kläger sich zu erweisen erbietet, daß er die Waare bedurfte und, weil sie ihm vom Bekl. nicht vertragsmäßig geliefert wurde, genöthigt war, sie um anderweite Vertragspflichten zu er­ füllen am Bestimmungsort zu höherem Preise anzuschaffen: * Vgl. Rspr. VI S. 92, VII S. 215.

219

so sind diese Thatsachen vollkommen geeignet, sein Ent­ schädigungsbegehren zu begründen (vgl. Art. 283 HGB). Da die bezüglichen Behauptungen bestritten sind, so war die Sache zum Zweck der Beweiserhebung in die I. Instanz zurückzuweisen.

Nr. 45.

H. Senat. — Bescheid v. 5. Juni 72. (3. Änf.) Wechselsache. Querel.

Mecklenburg-Schwerin.

Wechselklage, Verjährungsfrage.

Das Obergericht Rostock hatte die Wechselregreßklage eines Indossanten (aus Art. 51 DWO) von Amtswegen ohne Weiteres (a limine) abgewiesen, weil dieselbe verjährt, und der in der Klage behauptete ausdrückliche Verzicht des Bekl. auf die Verjährungseinrede wirkungslos sei. Das OHG trat zwar letzterem Entscheidungsgrunde — unter Hinweisung auf das Urtel v. 13. Jan. 72 (Rspr. B. V S. 235), in welchem die Unzulässigkeit eines Verzichts auf die Verjährungseinrede nach gemeinem Recht anerkannt ist — bei, verordnete aber dennoch (in Sachen 446 v. 72) die Einleitung der Wechselklage, weil „nach gemeinem Recht die Verjährung vom Bekl. zu excipiren, und diese Einrede thatsächlich zu substantiiren, also weder in der Klage thatsächlich zu widerlegen, noch vom Richter vor Einleitung des Verfahrens von Amtswegen zu berück­ sichtigen sei". (Vgl. Rspr. S. 355, III S. 306, VI S. 1.]

Nr. 46.

I. Senat. — Erkenntniß v. 7. Juni 72. (lief.) Joh. Förster jun. (durch Bratz) •> Heinrich Alexander (Nr. 277 v. 72).

I. Instanz: Handelsgericht Hamburg,

II. Instanz: Ober-Gericht daselbst. Verfolgungsrecht des Absenders, Zurückbehaltungsrecht des Spediteurs.

220

1. Bei Waarenversendungen ist das Verfolgungs­ recht des Absenders (right of stoppage in transitu, droit de suite) vom HGB nicht geregelt, daher nach Landesrecht zu beurtheilen. Durch dasselbe kann das vom HGB gegebene kauf­ männische Zurückbehaltungsrecht (Rspr. II S. 69, 323; III S. 334; VI S. 201) demjenigen, welchem die Waare zugehen soll, gegenüber außer Wirksamkeit kommen. HGB Art. 1, 313 ff.

2. Welchen Umfang hat dieses Berfolgungsrecht, gilt es auch einem ausländischen Waarenbesteller gegenüber? Welche Beschränkungen erleidet es durch dingliche Rechte, die inzwischen von gutgläubigen Dritten erworben worden? Die Londoner Firma L. u. R. bestellte gegen Ende des Jahres 70 Leinenwaaren beim Kläger (Kaufmann zu Rumburg in Böhmen) mit dem Bemerken, daß ihr Ham­ burger Agent A. (Beklagter) die näheren Weisungen über Verpackung und Versendung der Waare ertheilen werde. Bezüglich des Transports bestimmte A. demnächst, daß die über Hamburg zu verladende Waare an die Adresse des A. nach Hamburg abzufertigen sei. Im Januar 71 stell­ ten L. u. R. ihre Zahlungen ein und der vom Kläger auf sie über den Facturabetrag der Waare gezogenen Wechsel blieb unbezahlt. Zur Zeit dieser Zahlungseinstellung be­ fand die Waare sich in Hamburg, weil Frost ihre Weiter­ sendung verhindert hatte. Kläger fordert nunmehr die Waare von A. zurück. Beklagter hält das Klagebegehren an sich für unbegründet und macht eventuell geltend, daß L. u. R. ihm höher, als der Werth der Waare betrage, verschuldet seien, weshalb er an den Waaren Retention ausüben wolle. Dieses Retentionsrecht ist in II. Instanz anerkannt, vom OHG aber verworfen worden.

221 Gründe: 1) Kläger hat sich zur Begründung des von ihm gel­ lend gemachten Verfolgungsrechts auf Art. 25 der Ham­

burger Falliten-Ordnung berufen.

Anwendbarkeit

Beklagter leugnet die

dieser Gesetzesbestimmung,

weil sie einen

Hamburger Waarenbesteller, mithin einen fallit ge­

wordenen Hamburger Schuldner voraussetze, während das hier

geltend gemachte Verfolgungsrecht auf eine an

einen zahlungsunfähig gewordenen Englischen Waaren­

besteller abgefertigte Waare gerichtet sei.

Dieser Einwand

ist unbegründet.

Art. 25 der Falliten-Ordnung enthält die Prinzipien, nach welchen die Hamburger Gesetzgebung das schon im vorigen Jahrhundert in weiten Kreisen des Handelsverkehrs

als giltig anerkannte Verfolgungsrecht des Absenders (droit de suite, stoppage in transitu) behandelt wissen wollte. Der bei Abfassung des Gesetzes vornehmlich in Betracht zu ziehende Fall war, wie von selbst einleuchtet, der, daß ein

Hamburger Waarenbesteller durch

eintretende Insolvenz

den Absender gefährdete und demselben dadurch zur Be­ nutzung des Verfolgungsrechts Veranlassung gab. So er­

klärt es sich, daß der Gesetzgeber jene Prinzipien im An­ schluß an die Umstände eines solchen Falles darlegte. Ohne

Zweifel hat aber, ungeachtet dieser anscheinend engen Fassung des Gesetzes, der Richter im Art. 25 den Ausdruck

des Willens der Landesgesetzgebung zu erblicken, sowohl

daß das Verfolgungsrecht des Absenders allgemein als bestehend anerkannt werden solle, als auch, nach welchen

Prinzipien die sämmtlichen vorkommenden Fälle zu ent­

scheiden seien. — Die Praxis hat denn auch niemals darüber

geschwankt, den Art. 25 für Fälle der Insolvenz auswär­ tiger Waarenbesteller, wenn die betreffenden Waaren vom Absender in Hamburg angetroffen und dort zurückgefordert als maaßgebend zu behandeln; vgl. z. B. die

wurden,

222 Erk. des Lübecker O.App.Ger. v. 31. Okt. 32 und 27. Juni

43 (neues Archiv für HR III S. 311 und 324, 325). Der Umstand, daß das HGB des Verfolgungsrechts unter den, den Verkäufern und sonstigen Waarenabsendern

zustehenden Rechtsmitteln keine Erwähnung thut, steht der Anerkennung seiner Wirksamkeit nicht entgegen. Die Handels­ rechts-Kommission sah das Verfolgungsrecht als dem Kreise

der ihr zunächst gestellten Aufgabe nicht angehörend an. Der preuß. Entwurf hatte dasielbe im Abschnitt „vom Kon­

kurse" behandelt (Art. 726 und 727, Motive S. 400), und in den Kommissions-Verhandlungen ist wiederholt ausge­ sprochen worden,

daß der in Rede

stehende Gegenstand

späterer Regulirung vorbehalten bleibe (Prot. S. 2225, 2226,

2218, 4027, 4774). Anlangend das Verfolgungsrecht selbst, so sind die Voraussetzungen desselben durch Art. 25 der FallitenOrdnung — im Wesentlichen übereinstimmend mit dem be­ züglichen Inhalt der in anderen Handelsstaaten geltenden

Rechte — folgendermaaßen bestimmt.

Damit der Absender

den Uebergang der abgefertigten Waare in das Vermögen des Bestellers, bzw. in dessen insolvente Masse, verhindern könne, ist erforderlich, daß

1) die Waare unbezahlt sei, 2) der Absender durch „schlechte Umstände" des Bestellers

gefährdet erscheine, und 3) das Verfolgungsrecht zu einer Zeit ausgeübt werde,

wann die Waare noch „unterwegs" (in transitu) sich be­ findet, oder (wie dieser Begriff im Art. 25 näher angegeben

wird) wenn sie „noch nicht in des Schuldners wirkliche

Gewahrsam gekommen ist." — Auch darf 4) das Verfolgungsrecht nicht zum Nachtheil solcher

Personen angewendet werden, welche bona fide und titulo oneroso Rechte an der Waare erworben haben (nach der Regel „Hand muß Hand wahren" und Art. 306 HGB),

223

mit welchem Punkte die Frage nach

der Zulässigkeit der

Retention des Spediteurs wegen ihm an den Destinatär zustehender Forderungen zusammenhängt.

Daß nun, den vorliegenden Fall anlangend, zu 1) die in Rede stehenden Waarenballen unbezahlt

geblieben sind, liegt außer Streit.

Die vom Kläger für

den Belauf derselben gezogene Tratte befindet sich, von den Bestellern L. u. R. zwar acceptirt, aber nicht eingelöst, bei

den Akten. Nicht minder ist

2) die Zahlungseinstellung der Besteller zweifellos als

eingetreten anzusehen. . . Nachdrücklich bestreitet aber Beklagter 3) daß die vom Kläger durch die Verfolgungsklage in

Hamburg angehaltene Waare sich dort in transitu befunden habe.

Er behauptet, dieselbe habe in Hamburg das Ziel

ihres Transports schon erreicht gehabt. Hiefür beruft er sich

darauf, daß dem Kläger die Bestimmungen der Besteller L. & R. über die Verpackung und Abfertigung der Waare

durch ihn zugekommen und u. a. des Inhalts gewesen

seien, Kläger solle die Waare an den Bekl. in Hamburg expediren.

Diesen Umständen ist indessen keine Erheblichkeit

beizulegen.

Jene dem Kläger durch den Bekl. zugekommenen

Mittheilungen enthielten nur die schließlichen Weisungen über die Art der Ausführung desjenigen Geschäfts, welches

der Versendung der Waare zu Grunde lag, während aus diesem selbst die Frage zu beantworten ist, ob London oder

Hamburg der Bestimmungsort der Waare war. Unbestritten war ein Distanzgeschäft zwischen dem Kläger und L. & R. geschlossen. Bei jedem Distanzgeschäft ist von erheblicher Bedeutung, welcher Platz als Desti­

nationsplatz der Waare anzusehen ist.

Dort soll das

Geschäft seine schließliche Beendigung erhalten.

Der De­

stinationsplatz ist zugleich der Ort, an welchem der Käufer

224 oder Besteller die Kontraktmäßigkeit der Waare zu prüfen

hat, unter dem Präjudiz, daß er die Waare als genehmigt gelten lassen müsse*.

Gesetzt, Hamburg wäre in vor­

liegendem Falle Destinationsplatz gewesen, so würden L. & R. ihrer etwaigen Monita verlustig geworden sein, wenn sie

die Waare ohne eine in Hamburg vorgenommene Prüfung

nach England hätten verschiffen lassen; war dagegen Lon­ don Bestimmungsort, so

mußte andererseits Kläger eine

erst alsbald nach dortigem

Eintreffen

der Waare statt­

gehabte Prüfung und Monitur als zeitgemäß gelten taffen. Es leuchtet von selbst ein, daß ein so wichtiger Theil des

Geschäfts eben so wenig ungeordnet geblieben sein kann, wie er von der Willkür der Besteller abhängen durfte. Es stellen aber die bei den Akten befindlichen Korre­ spondenzstücke außer Zweifel, daß London der vertrags­

mäßige Bestimmungsort gewesen ist, wie denn auch hieran

keine spätere Aenderung stattgefunden hat. Wenn ein Londoner Haus bei einem deutsch-inlän­

dischen Kaufmann oder Fabrikanten Waaren bestellt und

in Betreff der Verladung anordnet oder durch seine Agen­ ten anordnen läßt, daß die Waare an ein gewisses Haus in Hamburg abzufertigen sei, ohne daß dabei dem Platze

„Hamburg" eine besondere Bedeutung beigelegt wird: so ist

im Zweifel anzunehmen, daß London als Bestimmungs­ platz zu gelten habe und Hamburg nur Speditions­

und Verschiffungsort sein solle. insbesondere fehlt es nicht

Iveichende

Auffassung

In vorliegendem Falle

nur an jeder

hinführenden

auf eine ab-

Grundlage,

sondern

gewisse Theile der Korrespondenz sprechen entschieden für London als Destinationsplatz. . .

Daß auch Kläger von der Annahme des Destinations­ platzes London' ausgegangen

ist und in diesem Sinne

* Vgl. Rspr. II S. 137, III S. 183, IV S. 233, VII S. 143.

225 gegen den Bekl. sich geäußert hat, ergiebt sich aus des Klägers Schreiben v. 23. Dez. (dem Avisbrief der Sendung

der streitigen Ballen): »Ich hoffe Sie rasch im Besitz der Kisten, damit

Sie selbige, bevor die Elbe zu wird, noch nach London

befördern können";

und übereinstimmend schrieb Beklagter dem Kläger am 7. Januar: „Wäre ich schon in Besitz der Waare (nämlich der streitigen Ballen) gelangt, so wäre doch der ge­

schlossenen Schifffahrt wegen an eine Absendung nicht zu denken."

Nach diesem Schreiben ist zweifellos ein Distanzgeschäft mit dem Bestimmungsort „London"

geschlossen worden,

und Hamburg, wie oben bemerkt worden, nur Speditions­ und Verschiffungsort gewesen. Die Waare befand sich dem­ zufolge in Hamburg in transitu oder, wie der Art. 25 sich ausdrückt, „unterwegs".

Es liegt auch nicht etwa die Behauptung des Bekl. vor, daß die Waare in Folge eines hinzugetretenen neuen

Umstandes in Hamburg aufgehört hätte, in transitu

zu sein.

Ohne Zweifel kann dem Absender

das Ver­

folgungsrecht vorkommenden Falls dadurch verloren gehen,

daß der Besteller den Transport abkürzt, nämlich diesen schon an einem Speditions- oder sonstigen Zwischenplatze entweder selbst beendigt oder durch einen Vertreter been­ digen läßt, und neue Verfügungen über die Waare (etwa

durch beordertes Sagent, dortige Veräußerung, Versendung

nach einem anderen, als dem ursprünglichen Bestimmungs­ orte rc.) trifft.

Wie Won bemerkt, ist ein in der ange­

gebenen Richtung wirksames Factum vom Bekl. nicht be­

hauptet. . . Nach dem Bisherigen kommt Frage an, ob vn.

es

nur noch auf die

226 4) dem Bekl. das in Anspruch genommene Reten­ tionsrecht an der Waare wegen der nach seiner Behaup­ tung ihm

an L. & R.

zustehenden Forderung gebührt.

Sollte dies zu bejahen sein, so würde, außer einer Ver­

handlung und eventuellen Beweisführung über die Existenz und Größe jener Forderung, das Eingehen auf die Frage nach dem Uebergang des Eigenthums an der Waare auf

die Londoner Firma erforderlich sein, da Beklagter nur für

den Fall ein Retentionsrecht sich beilegt, wenn seine Schuld­ ner Eigenthümer der in Rede stehenden Waare geworden sein sollten.

Ohne Zweifel würde Beklagter, im Besitz der Waare, um sich aus deren Erlös für die in Rede stehende For­

derung bezahlt zu machen, dem Kläger gegenüber zu schützen

sein, wenn ihm dieselbe vom Londoner Hause (dieses möge Eigenthum daran erworben haben oder nicht) durch ein

Rechtsgeschäft entweder zu Eigenthum übertragen oder ver­ pfändet wäre, vorausgesetzt, daß Beklagter dabei in gutem Glauben sich befunden hätte. Dies würde schon aus einer Anwendung der allgemeinen Regel des Art. 306 HGB,

außerdem aber auch aus der Spezialbestimmung des Art. 25 der (Hamburger) Falliten-Ordnung folgen, welcher vorschreibt,

daß dem Absender, welcher die unbezahlte Waare verfolge, Derjenige vorgehen solle, welchem der Besteller das Connossement veräußert oder verpfändet haben möchte. Allein ein Rechtsgeschäft behauptet Beklagter nicht. ein solches sich zu stützen,

Statt auf

beruft er sich lediglich auf das

Factum, daß er als Spediteur Eigenthum seiner Schuldner, der Destinatäre der Waare, in seine Detention erhalten

habe, und legt sich das Recht bei,

an diesem Eigenthum,

wie den Schuldnern, so auch jedem Anderen — also auch dem Kläger — gegenüber, ein Retentionsrecht auszuüben.

Ob unter Umständen, wie solche hier vorliegen, das Retentionsrecht anzuerkennen sei oder nicht, ist eine in der

227 Hamburger Rechtsprechung sehr bestrittene Frage. In früherer Zeit scheint man dort dem Retentionsrecht eine in solchem Maaße weit reichende Wirksamkeit beigelegt zu haben, daß jede nicht mala fide erlangte Detention eines dem Schuldner eigenthümlich zugehörigen Gegenstands schlecht­ hin genügte, um jeden, wenngleich an sich begründeten An­ spruch eines Dritten auf Auslieferung desselben auszu­ schließen oder zu beschränken. In neuerer Zeit ist die Korrektheit dieser Auffassung in Zweifel gezogen und die­ selbe von einigen Hamburger Gerichten gänzlich, von an­ deren wenigstens in gewissen Richtungen verlassen worden. Letzteres ist vom Hamburger Obergericht insofern ge­ schehen, daß dasselbe in neueren Erkenntnissen dahin sich ausgesprochen hat, daß gegenüber der aus dem Spe­ ditionsauftrage des Absenders abgeleiteten actio mandati directa die auf das Eigenthumsrecht des Be­ stellers gestützte Einrede der Retention unzulässig sei; Obergerichts-Erk. v. 8. Jan. 66 (Hamburger Ger.-Ztg. 6 S. 20) und v. 27. Jan. 71, (Hamb. Ger.-Ztg. 4 S. 61); dagegen ist das Obergericht bei der älteren Praxis insofern verblieben, daß der vom Destinatär bestellte Spediteur die an sich begründete Verfolgungsklage des Absenders zu seinen Gunsten dadurch ganz oder theilweise unwirksam machen könne, daß er an der in transitu befindlichen Waare Retention wegen Forderung an den Destinatär ausübe. Das Ober-Appellationsgericht zu Lübeck hat sich dagegen für die Unstatthaftigkeit der Einrede der Retention unter den hier in Betracht kommenden Umständen ausgesprochen (Erk. v. 29. Juni 65, Kierulff Sammt. I S. 644), und das Hamburger Handelsgericht ist dieser Auffassung beigetreten (Erk. v. 17. Sept. 65, Hamburger Ger.-Ztg. 5 S. 39). Im Sinne der Auffassung des Obergerichts hat sich 15"

228

später wiederum ausgesprochen die Juristenfakultät Jena in einer an dieselbe auf dem Wege der Aktenversendung

gelangten Hamburger Sache (Erk. v. 14. Sept. 66, Ham­ burger Ger.-Ztg. 6 S. 349 ff.), wie denn auch diese An­

sicht eine Vertretung gefunden hat in Goldschmidt (HR

B. I, Abth. 2 S. 1056 ff.). Das OHG hat sich dahin entscheiden muffen, daß

dem Verfolgungsrecht gegenüber die fragliche Reten­ tions-Einrede des Spediteurs nicht aufrecht zu erhalten sei.

Selbstverständlich ist hier nur der Fall ins Auge zu soffen, in welchem das Verfolgungsrecht noch wirklich exi­

stent ist. Hat dasselbe dadurch, daß schon vor dem Ein­ schreiten des Absenders in Folge unmittelbarer oder mittel­ barer Verfügung des Destinatärs (und zwar wie selbst­ verständlich,

ohne Verletzung der bona fides auf Seiten

des Spediteurs) die Waare in transitu zu sein aufhörte, bereits seine Endschaft erreicht: so bedarf es für den Bekl. ohnehin der in Rede stehenden Einrede nicht.

Die Fälle,

in welchen es auf diese Einrede ankommen kann, sind mit­

hin solche, in welchen auf Seiten des Destinatärs der Er­

werb der Waare noch

kein vollendeter

ist und

die

Vollendung berechtigter Weise vom Absender verhindert wird. Wenn nun für solche Fälle Art. 25 der (Hamburger) Falliten-Ordnung

keinen

anderen

Erlöschungsgrund

des

Verfolgungsrechts aufführt, als denjenigen, daß solche dritte

Personen, welche durch seitens des Destinatärs an sie ge­

schehene Veräußerung 'oder Verpfändung der in transitu befindlichen Waare Eigenthums- oder Pfandrechte an der­

selben erworben haben, dem Absender gegenüber geschützt werden sollen (was

zweifellos nur im Interesse des zu

sichernden dona-fide-Verkehrs geschehen ist): so führt schon dies auf die Annahme hin, daß dem bloßen Factum

der Dktention — in Verbindung mit dem einseitigen Entschluß des Detinenten,

hier

des

Spediteurs,

229 der Waare zur Deckung gegen den Destinatär sich zu be­

dienen — nach der Absicht des Gesetzes nicht gleiche Wir­ kung, wie Rechtsgeschäften der angegebenen Art, beigelegt werden soll. Es findet sich indessen im Art. 25 eine andere Vor­ schrift, welche dies in hohem Grade verstärkt. In der Num­ mer 5 desselben wird dem Absender die Befugniß einge­

räumt: „das versetzte Connoffement gegen die darauf vor­ gestreckte Schuld einzulösen." Das Vorgangsrecht des vom Destinatär mit Pfandrecht ausgerüsteten Dritten vor dem

Absender geht hienach so weit, wie die der Pfandbestellung zu Grunde liegende Forderung reicht. Ohne Zweifel würde

es unzulässig sein, jene Worte der Nr. 5 so aufzufassen, als wenn sie lauteten:

„das versetzte Connoffement

gegen Zahlung

der

darauf vorgestreckten Schuld und 'alles dessen,

was der Inhaber 'etwa sonst an den De­ stinatär zu fordern haben möchte, einzulösen." Zu solchem Verständniß würde man aber gelangen,

wenn man dem faktischen Inhaber des dem Verfolgungs­

recht unterliegenden Gegenstands schlechthin auf Grundlage

der Detention ein allgemeines Retentionsrecht beilegte. Die rechtliche Lage desjenigen Dritten, welcher durch

ein Rechtsgeschäft die in transitu befindliche Waare vom Destinatär zu Eigenthum oder zu Pfandrecht erwirbt, ist

eine wesentlich andere, als diejenige des einseitig die fak­

tische Detention zur Ausübung einer Deckung benutzen­ den Inhabers. Wenn der durch ein Rechtsgeschäft vom Destinatär bona fide Erwerbende selbst dann geschützt wird, wenn jener ohne eigenes Verfügungsrecht oder sonst wider­

rechtlich über die Waare disponirte: so wird dies letztere nur deshalb übersehen, weil der vom Erwerber dem Autor

geschenkte gute Glaube nicht getäuscht werden soll.

Dem­

jenigen, welcher (wie hier Beklagter als Spediteur) nur die

230 faktische Detention über die Waare erlangt hat, ist aber

keinerlei

Zusicherung

vom

Destinatär

gemacht

worden; er kann sich also äußersten Falles nur auf das

Recht seines Autors in dem Umfange, in welchem dieses wirklich bestand und besteht, berufen.

Wie aber aus dem

Wesen des Verfolgungsrechts sich ergiebt, ist der Erwerb

des Destinatärs an der versendeten Waare bis dahin, wo diese in seine „wirkliche Gewahrsam" gekommen ist, ein unvollendeter und dem Absender gegenüber unwirksamer. Dem Spediteur, welcher als solcher keineswegs ausnahms­ weise in der Lage ist, größere Rechte geltend machen zu

dürfen, als seinem Autor selbst zustandcn, würde aber in Wirklichkeit dies gestattet werden, wenn man von einer an­

deren Auffassung, als der hier vertretenen, ausginge. Die allgemeine Verstattung des Retentionsrechts in den Art. 313 HGB und 34 Nr. 3 der Hamb. FallitenOrdnung * steht dem Ergebniß der vorstehenden Argumen­

tation nicht entgegen.

Die betr. Vorschriften beider Ge­

daß der Schuldner Eigenthümer der Gegenstände sei, deren Retention in Frage steht. Wenn

setze setzen voraus,

aber das bürgerliche Recht dem Absender das Verfolgungs­

recht gewährt, um die Konsequenzen des Uebergangs des Eigenthums an Waaren auf den Destinatär (gleichsam im Wege einer Restitution oder „revendication“) zu beseitigen,

so trifft diese entscheidende Voraussetzung hier nicht zu.

Dies ist auch bei Berathung des HGB nach Ausweis der Berathungsprotokolle (S. 4776 bis 4778; 5047, 5048) an­ erkannt worden. Es kann somit dahin gestellt bleiben, ob

nicht das Retentionsrecht überhaupt nur wegen solcher For» Nr. 3 des Art. 34 lautet: „Gläubiger, welche des falliti Güter in ihrer Gewalt haben, insofern sie iusto titulo zum Besitz derselben gekommen sind, haben des Retentionsrechts zu genießen." Diese Ge­ setzesbestimmung, welche weiter reicht als Art. 313 HGB, ist im Hamburger Einf.-Ges. zum HGB beibehalten und durch § 3, B Nr. 3 des Reichsges. v. 5. Juni 69 bestätigt worden.

231

berungen stattfinde, für welche der Kläger, gegen den dieses Recht ausgeübt werden soll, persönlich haftet. Daß dem Retentionsrecht durch das HGB eine Wirk­ samkeit beigelegt worden, welche derjenigen des Faust­ pfandrechts in manchen Beziehungen gleich kommt (HGB Art. 315, verglichen mit Art. 311) ist hier unerheblich. Ist dem Spediteur das Retentionsrecht überhaupt abzu­ sprechen, so kommt es nicht darauf an, welche pfandrecht­ ähnlichen Befugnisse derselbe daraus ableiten könnte, wenn es ihm zustände.

Die im Vorstehenden vertretene Ansicht ist übrigens im großen Handelsverkehr herrschend. Das französische Handelsrecht und dessen Nachbildungen schützen der revendication (dem Verfolgungsrechtj des Absenders gegen­ über nur den bona fide Eigenthums- oder PfandrechtsErwerber, überdies unter Anwendung großer Strenge (neues Arch. für HR 3 287 ff.). Das englische und das nord­ amerikanische Recht gehen von der nämlichen Auffassung aus. Diese Rechte geben dem Spediteur gegenüber der Partei, welche stoppage in transitu aus übt, ein Reten­ tionsrecht nur wegen der auf die betreffende Waare ge­ machten Aufwendungen (particular lien), versagen ihm aber das Retentionsrecht wegen Forderungen an den Destinatär (lien for the general balance between bim and the consignee). . Ross, leading cases in the commercial law, Vol. 2 S. 254; Smith, mercantile law, 6. Ausgabe S. 562; Kent, commentaries on the American law, 10. Ausgabe B. 2 S. 761.

Demnach war definitiv zu Gunsten des Klägers zu erkennen.

232

Nachtrag. Im Anschluß hieran geben wir die in der alt­ preußischen Nktbschw.-Sache D. Traugott Gebr. Levi (Nr. 335 v. 73, I. Instanz: Kommerz- und Admiralitäts­ Kollegium zu Königsberg i/Pr., II. Instanz: Ostpreuß. Tribunal daselbst) am 9. Mai 73 ergangene und das preußische Konkursrecht erläuternde, das Appellurtel ver­ nichtende

Entscheidung des OHG I. Sen.: Kaufmann Lehnhoff zu Moskau hat bei C. H. Bor­ chardt in Berlin durch D. Traugott daselbst 20 Groß Zünd­ holzdosen bestellt mit der Anweisung, deren Versendung „an Gebrüder Levi in Königsberg i/Pr. zur Verzollung in Wirballen, Weiterbeförderung an mich" zu bewirken. Am 12. Nov. 71 schrieb Kläger Traugott an die Bekl., Ge­ brüder Levi: „Mit heutigem ersuche ich Sie ergebenst, unter ge­ wöhnlicher Fracht die Ihnen -zugesendete Kiste .. . in gewohnter Weise in den Besitz des Herrn Lehn-

choff in Mosco zu bringen, verauslagte Fracht und Spesen auf den Herrn Empfänger Sich zu er­ heben." Am 20. Nov. 71 haben Beklagte die Kiste empfangen. Am 27. Nov. 71 schrieb Lehnhoff an Kläger: „Eingetretener Umstände halber halte ich mich nicht mehr zur Empfangnahme der mir mit Ihrem Ge­ ehrten v. 12. Nov. fakturirten Kiste Zündholz­ dosen berechtigt und stelle solche deswegen wiederum zu Ihrer Verfügung, indem Ich Sie bitte, mich für den Betrag der Faktur . . . entlasten zu wol­ len. Es wird in Ihrem Jntereffe sein, wenn Sie ungesäumt Ihre Verfügungen über fragt. Kiste bei Herren Gebrüder Levi in Königsberg treffen und Sich solche gegen Erstattung der darauf haftenden

233 Spesen ausliefern lassen. Näheres über meine traurigen Verhältnisse bin erst in nächster Zeit zu sagen im Stande." Am 6. Dez. 71 begehrte Kläger von den Bekl., daß

dieselben die Kiste nicht ausliefern, vielmehr zu Klägers weiterer Disposition an sich halten und erforderlichen Falls per Telegraph aufhalten möchten.

Beklagte erwiderten um­

gehend, „daß sie mit Rücksicht auf die jetzt bekannt gewordene Zahlungseinstellung von Lehnhoff die in ihrem Besitz be­

findliche Kiste wegen ihrer bedeutend höheren Forderungen an diesen Herrn zurückbehalten, bis sie anderweitig voll­ ständig gedeckt oder befriedigt seien, was auch Herrn Lehn­

hoff sofort mitgetheilt worden."

Nachdem inzwischen über

das Vermögen des Lehnhoff durch das Handelsgericht Moskau Konkurs eröffnet worden ist, auch Gebrüder Levi gegen Lehnhoff et), gegen dessen Konkursmasse bei dem Kommerz-

und Admiralitätscollegium zu Königsberg dahin Klage er­ hoben haben, daß sie für berechtigt erklärt werden, gewisse für Rechnung des Lehnhoff in ihren Besitz gekommene und

ihrer Gewahrsam bzw. Verfügung unterworfene Waaren — darunter auch die oben genannte Kiste mit Zündholz­ dosen — wegen einer gegen Lehnhoff zustehenden Forderung von 3779 Thlrn. aus laufender Rechnung in Speditions­

geschäften nebst Zinsen und Kosten im Wege der Auktion zu verkaufen und sich aus dem Verkaufserlöse vor den

Gläubigern des Lehnhoff zu befriedigen: hat D. Traugott

wider Gebrüder Levi Klage auf Herausgabe der oben­ genannten Kiste mit Zündholzdosen gegen Nachnahme der auf dieselbe erwachsenen Spesen, event, auf Ersatz des in «eeparato zu ermittelnden Werths der Kiste (abzüglich jedoch der etwa durch den Transport bis Königsberg entstandenen

Spesen und Auslagen) nebst 6°/0 Prozeß-Zinsen erhoben. Der Appellrichter geht davon aus, daß Kläger unbe­

zahlter

Absender (Verkäufer

oder

Einkaufskommissionär)

234

der Kiste, daß deren Eigenthum bereits vom Augenblick ihrer Absendung an auf Lehnhoff übergegangen sei, daß

Beklagte ohne Kenntniß von der Zahlungseinstellung des Lehnhoff deren Gewahrsam erlangt und gegen denselben eine den Werth der Kiste weit übersteigende Forderung aus

anderweitigen Geschäften haben. Er folgert hieraus aus Grund des § 27 Nr. 3 der preuß. Konkursordnung v. 8. Mai 55,

daß Beklagte als gutgläubige Spediteure in gleicher Weise bei ihrem, gemäß Art. 313 HGB gegen den Destinatär

einmal erworbenen Pfandrecht bzw. Retentionsrecht geschützt

werden müssen, wie derjenige, welcher während des Trans­

ports der Waare Eigenthum

oder

ein

vertragsmäßiges

Pfandrecht daran erworben hat. In dieser Richtung hat die Nktbschw. zwei Angriffe

erhoben:

1) Verletzung der Art. 313, 314 HGB und des Rechts­

satzes, daß der vom Absender beauftragte Spediteur auch

daun nicht dem Absender gegenüber wegen seiner ander­ weitigen Forderungen an den Destinatär ein Retentions­

recht habe, wenn über das Vermögen des Destinatärs der Konkurs eröffnet ist oder sonst die Voraussetzungen des Art.

314 HGB vorliegen, vielmehr schlechthin und nur vorbehalt­ seiner Ansprüche aus dem Speditions­

lich der Deckung

verträge, den späteren Anweisungen des Absenders wegen

Zurückgabe des Guts Folge leisten muffe;

2) Verletzung des § 27 Nr. 3 der Konkursordnung, weil dieser nicht von dem kaufmännischen Zurückbehaltungs­

recht der Art. 313, 314 HGB spreche. Der erste Angriff supponirt zunächst, was der Appell­

richter nicht feststellt, daß Beklagte vom Kläger mit der Transportbesorgung beauftragt waren. Die als verletzt be­

zeichneten Art. 313, 314 des HGB entscheiden die Frage nicht, ob das gegen den Schuldner (hier Lehnhoff) an dessen Sachen allerdings begründete kaufmännische Zurückbehal-

235

lungsrecht dem kollidirenden Anspruch eines Drit­ ten zu weichen habe. Insbesondere hat hier, wie bei anderen verwandten Fragen, der Umfang derjenigen Modi­ fikationen, welche etwa die Grundsätze des HGB durch das partikuläre Institut des Verfolgungsrechts erleiden, überall nicht fixirt werden sollen. Goldschmidt Handbuch des HR § 82, n. 67; § 66 n. 35; § 73 n. 68; § 75 n. 36. Der formulirte Rechtssatz endlich kann nicht anerkannt werden. Es scheint dabei an die Rückforderungsklage des Absenders gegen den von ihm beauftragten Spediteur (actio mandati directa) gedacht zu sein. Allein nur für das depositum gilt der Grundsatz, daß der Verwahrer schlecht­ hin die deponirte Sache ohne Rücksicht auf eigene dingliche Rechte an derselben herauszugeben hat (ALR I. 14 § 69, vgl. 77 bis 79), nicht auch für das Mandat. Ist aber, wie vom OHG wiederholt anerkannt worden, das in den Art. 313 bis 315 HGB geregelte „kaufmännische Zurück­ behaltungsrecht" ein in der Rechtsverfolgung beschränktes gesetzliches Pfandrecht, da es die Befugniß zur Befriedigung aus der Sache und vor allen anderen Gläubigern des Eigenthümers gewährt: so braucht ein solcher Spediteur, soweit sein Pfandrecht reicht, nicht einfach der actio mandati zu weichen. Das Gegentheil ließe sich nur annehmen, sofern man aus dem Mandat die Verpflichtung herleiten könnte, jeden, nicht sowohl der Ausführung als der Revokation oder Aenderung des Mandats zuwiderlaufenden eigenen Erwerb zu unterlassen, im Kollisionsfalle somit solchen Erwerb dem Mandanten gegenüber für nichtig erklären wollte. Allein ein solcher Rechtssatz, welcher selbstverständlich und in noch höheremGrade auch jede vertragsmäßige Pfandbestellung des Destinatärs an den Spediteur vernichten müßte, könnte höchstens für den Fall vertheidigt werden, daß der

236

Spediteur sich mala fide, nämlich um die Contreordre zu vereiteln, vom Destinatär Rechte an dem Gut ein­ räumen läßt. Den Kern der Frage trifft der zweite, wegen Ver­ letzung der preuß. Konkursordnung § 27 Nr. 3 erhobene Angriff. Es handelt sich um die Grenzen des Verfolgungs­ rechts, der sogenannten „Vindikation", nach den Grundsätzen der preuß. Konkursordnung. In einer Hamburger Sache hat durch Urtel v. 7. Juni 72 (vorher S. 219 ff.) das OHG der Verfolgungsklage des unbezahlten Absenders gegenüber dem Spediteur das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht wegen deffen For­ derungen an den Destinatär abgesprochen. Es wurde da­ von ausgegangen, daß aus dem HGB so wenig, als aus der Natur des Verfolgungsrechts einerseits, des kauf­ männischen Zurückbehaltungsrechts andererseits eine allge­ meine Entscheidung zu gewinnen sei, vielmehr festgestellt werden muffe, in welchem Umfang und mit welchen Be­ schränkungen das Institut des Verfolgungsrechts im Par­ tikulargesetz anerkannt werde, daß aber nach der Hamburger Neuen Fallitenordnung das Verfolgungsrecht zwar aus­ geschloffen sei, sofern gutgläubige Dritte durch Rechts­ geschäft dingliche Rechte an der Sache erworben hätten, für gesetzliche Pfandrechte hingegen nach Wortlaut und Tendenz der Hamburger Gesetzgebung ein Gleiches nicht gelte. Für das preußische Recht stehen diesek Auffaffung erhebliche Bedenken entgegen. Nach § 27 der Konkursordnung v. 8. Mai 55 ist das Recht der Rückforderung der an den Gemeinschuldner ver­ kauften und abgesendeten Waaren (§ 26 Nr. 3) u. a. aus­ geschlossen: „wenn die Waaren vor der Konkurseröffnung durch einen Dritten in gutem Glauben auf Grund des Connossements oder des Frachtbriefs gekauft worden sind;

237

hat ein Dritter vor der Konkurseröffnung ein Pfandrecht an den Waaren erworben, so findet die Rückforderung nur gegen Bezahlung der Pfandschuld statt." Der Wortlaut des Gesetzes gewährt keinen irgend sicheren Anhalt, daß nur das Kouventioualpfand, nicht auch das in gutem Glauben erworbene gesetzliche Pfandrecht habe geschützt werden sollen, wenngleich die Regierungs­ Motive nur den Fall erwähnen, daß „der Gemeinschuldner einem Dritten in rechtsgiltiger Weise ein Pfandrecht an den Waaren bestellt hat." Goltdammer Komm, und vollständige Materialien zur Konkursordnung, S. 120.

Vielmehr darf ein Doppeltes nicht übersehen werden. Einmal werden unmittelbar hinter den „Vindikationsan­ sprüchen" die „Ansprüche der Gläubiger auf abgesonderte Befriedigung" dargestellt. Zu diesen Separatisten zählt § 32 die Faustpfandgläubiger, § 33 diejenigen Personen, „welche mit den Faustpfandgläubigern gleiche Rechte haben" — Befugnisse, deren § 34 als „Pfandrechte" gedenkt. Unter Nr. 4 bis 10 werden nun im § 33 diejenigen Personen genannt, denen ein gesetzliches Zurückbehaltungsrecht zusteht, welches entweder schon nach dem bisher geltenden Recht als gesetzliches Pfandrecht behandelt wurde, oder welches diesen Charakter erst durch die Konkursordnung erhalten hat. In letztere Kategorie gehört die, auf Andringen des Handels­ standes, nach dem Vorgang des französischen Rechts aufge­ nommene Nr. 8: „Kaufmännische Kommissionäre und Spediteure in Ansehung der ihnen anvertrauten oder von ihnen angekauften oder besorgten Güter wegen der auf dieselben verwendeten Kosten und gegebenen Vorschüsse oder Darlehne; ingleichen wegen aller Forderungen aus laufender Rech-

238

nung im Kommissionsgeschäft."

und Speditions­

Es liegt die Annahme überaus nahe, daß der Gesetz­ geber, welcher gleichzeitig das Verfolgungsrecht einerseits, das gesetzliche Pfandrecht des Kommissionärs und Spediteurs andrerseits neu geregelt hat — und zwar beide, im Gegen­ satz zum älteren preuß. Recht, wesentlich nach dem Vor­ bilde des englisch-französischen Systems — diesem gesetzlichen Pfandrecht auch gegen die Verfolgungsklage des Absenders den gleichen Schutz hat gewähren wollen, welchen er un­ zweideutig für das vertragsmäßige Pfandrecht festgestellt hat. Dazu kommt, baß sowohl der württembergische Ent­ wurf eines HGB, welcher erweislich der preuß. Konkurs­ ordnung als Vorbild gedient hat (Goltdammer a. a. O. Seite 120, Motive zum Entwurf eines HGB für die preuß. Staaten Seite 403), im Art. 1117 bestimmt: „wäre das zurückgeforderte Gut vor seinem Ein­ treffen bei dem Käufer von diesem verpfändet oder einem Kommissionär in Lagerung oder Bewahrung gegeben worden, so kann der Ver­ käufer sein Recht nur nach vorheriger Befriedigung des Pfandgläubigers oder Kommissionärs aus­ üben",

wie namentlich, daß im Gebiet des französischen Rechts, aus welchem die entsprechenden Vorschriften entnommen sind, eine völlig konstante Praxis die Verfolgungsklage (revendication) insoweit ausschließt, als das ge­ setzliche Pfandrecht (privilege) des Kommissionärs bzw. Spediteurs reicht. Vgl. namentlich Urtel des Pariser Kassationshofes v. 8. Juni 29 und 1. Dez. 40, überhaupt SireyGilbert zu Code de Commerce Art. 576 Nr. 45 bis 48, zu Art. 93 Nr. 57, 60;

239 Pardessus,"cours de droit commercialNo. 1203, 1291; Delamarre et Lepoitvin, traite theo-

rique etpratique de droit commercial III No. 252? Masse, droit commercial No. 2961, 2906; B6-

darride faillite No. 1155. Dieses gesetzliche Pfandrecht aber

nach der

besteht,

durch das Ges. v. 23. Mai 66 bestätigten Praxis, schlecht­

hin wegen des ganzen Rechnungssaldo des Kommissionärs an allen Kommissionswaaren. Goldschmidt Handbuch des HR S. 1009, 1010, Ztschr. für das gesammte HR B. VII S. 158.

Wollte man indessen nach Vorstehendem auch aner­ kennen, daß die preuß. Konkursordnung dem Spediteur ein gegen

die Verfolgungsklage

des

unbezahlten

schlechthin schützendes gesetzliches Pfandrecht

Absenders

wegen aller

auch nur wider den Destinatär begründeten Forderungen

aus laufender Rechnung im Speditionsgeschäft ge­ währt habe — ein Fall,

welcher durch die Entscheidung

des preuß. OTr. v. 6. Okt. 59 (Strieth. Arch. B. 34, S. 309 ff.) nicht getroffen wird —: so hat doch mit der Einführung des deutschen Handelsgesetzbuchs dieses Zu­ stand eine erhebliche Aenderung zum Nachtheil des Spe­

diteurs erfahren. Der Art. 302 des preuß. Entwurfs, welcher, entsprechend dem § 33 Nr. 8 der preuß. Konkursordnung, dem Spedi­

teur wegen aller Forderungen aus laufender Rechnung im Speditionsgeschäft ein gesetzliches Pfandrecht zusprach, hat

durch Art. 382 HGB die Beschränkung erfahren, daß das Pfandrecht nur wegen der Fracht, der Provision, der Aus­

lagen, Kosten und Verwendungen und wegen der dem Ver­ sender auf das Gut geleisteten Vorschüsse zusteht.

Freilich

ist diese Einschränkung nur aus dem Grunde erfolgt, damit

nicht der Spediteur an Gütern, welche vielleicht weder dem Absender noch dem Destinatär gehören, ein Pfandrecht in

240

unbeschränkter Höhe geltend mache, und weil der Spediteur durch das in Gemäßheit des § 50 des revidirten öster­ reichischen Entwurfs (durch HGB Art. 313 bis 315) ihm ge­ währte allgemeine „Pfandrecht" ausreichend gesichert sei (Prot. S. 768 bis 771). Man wollte somit dem Spediteur zwar nicht das Recht einräumen, sich schlechthin wegen seiner sämmtlichen Forderungen wider den Absender oder wider den Destinatär an das Gut zu halten; man wollte ihm aber andererseits nicht das Recht entziehen, sich gemäß HGB Art. 313 bis 315 in dem Falle an das Gut zu halten, daß der Destinatär Eigenthümer deffelben geworden war, der Spediteur dessen Gewahrsam bona fide erlangt hatte und Gläubiger des Destinatärs war. Allein bei Einreihung der Art. 382, 313 bis 315 HGB in das System des preuß. Konkursrechts ist dieser Tendenz, gleichviel ob absichtlich oder unabsichtlich, keine Rechnung getragen worden. Art. 28 des preuß. Einf.-Ges. v. 24. Juni 61 bestimmt: § 32 der Konkursordnung v. 8. Mai 55 findet auch auf diejenigen Gläubiger Anwendung, welchen das HGB in den Artikeln 374, 382, 409, 624, 629, 675 ein Pfandrecht beilegt. Diese Bestimmung tritt an die Stelle der Vorschriften unter Nummer 6, 7, 8 im § 33 der Konkursordnung. Das gesetzliche „Pfandrecht" somit, welches nach § 33 Nr. 8 der preuß. Konkursordnung dem Spediteur wegen aller Forderungen aus laufender Rechnung im Speditions­ geschäft zustand, besteht im Sinne des preuß. Konkurs­ rechts nicht mehr, und daß das auf Art. 313 bis 315 des HGB gegründete kaufmännische Retentionsrecht des Spe­ diteurs im Sinne des Art. 27 Nr. 3 der Konkurs­ ordnung als ein Pfandrecht angesehen werden dürfe, er­ hellt nicht. Denn zur Zeit der Emanation der Konkurs-

241

ordnung bestand dieses Retentionsrecht in dem Umfange und mit den Wirkungen, welche ihm durch Art. 313 bis

315 HGB beigelegt sind, im Gebiet des altpreuß. Rechts nicht; so weit es anerkannt war, fiel es unter § 33 der

Konkursordnung.

Auch ist nicht ohne Bedeutung, daß das

preuß. Einf.-Ges. das kaufmännische Retentionsrecht nirgend als „Pfandrecht", vielmehr überall nur als „Zurückbehaltungs­ recht" bezeichnet und sowohl in den Art. 28 bis 30, wie

in den Art. 45, 46 von den „Pfandrechten" scheidet.

Es

läßt.sich daraus schließen, daß im Gebiet des preuß. Konkursrechts eine Gleichstellung nicht bezweckt ist. Auch ist sonst diese Gleichstellung dritten Berechtigten gegenüber nicht schlechthin durchgeführt.

Denn während der Grund­

satz „Hand muß Hand wahren" den „gesetzlichen Pfand­

rechten" des Kommissionärs, Spediteurs, und Frachtführers

in gleicher Weise wie einem vertragsmäßig erworbenen Pfandrecht zu Gute kommt (HGB Art. 306 Abs. 3): gilt derselbe keineswegs zu Gunsten auch des kaufmännischen

Zurückbehaltungsrechts. Erscheint so nach dem gegenwärtigen Stande des preuß. Konkursrechts die Verfolgungsklage des unbezahlten

Absenders dem Spediteur gegenüber mindestens insoweit durchgreifend, als diesem nicht ein gesetzliches Pfandrecht

im Sinne des Art. 382 HGB zusteht: so mußte das Appell­

urtel,

welches durch

die

entgegenstehende Annahme den

§ 27 Nr. 3 'der Konkursordnung unrichtig angewendet hat, vernichtet werden. In der Sache selbst ist der klägerische Anspruch be­

gründet, und war daher, wenngleich aus anderen Gründen, Mögen auch Beklagte mit Lehnhoff

das I. Erk. zu bestätigen.

als dessen regelmäßige Spediteure für alle demselben nach Rußland bestimmte Waaren in laufender Rechnung gestan­

den, und mag Lehnhoff auch den Kläger angewiesen haben, alle vom Kläger erkauften Waaren zur weiteren Verfügung VII.

16

242

an die Beklagten als seine Spediteure und Vertreter in Königsberg zu senden;

mag ferner Kläger während der

Jahre 70 und 71 dem entsprechend gehandelt haben: so ist doch

für

die Rechtsbeziehungen zwischen

den streitenden

Parteien in erster Linie des Klägers Schreiben v. 12. Nov. 71 maaßgebend, durch welches er völlig unzweideutig nicht Namens des Lehnhoff, sondern in eigenem Namen den Speditionsauftrag an Beklagte ertheilt.

Nur auf Grund

dieses Avisbriefes, gegen deffen Inhalt sie sich nicht ver­

wahrt haben, sind Beklagte in den Besitz der Kiste gelangt,

demzufolge verbunden, den Kläger als ihren Kommittenten gelten zu lassen.

Daraus ergiebt sich, daß Beklagte der

bestimmten, einen Widerruf oder doch eine Modifikation des Speditionsauftrags involvirenden Order

des

Klägers v.

6. Dez. 71 nachzukommen verbunden waren (ALR I. 13 § 159 ff., vgl. HEB Art. 371 Abs. 2, Art. 377) — freilich

zu deren Sicherung das durch HGB Art. 382 anerkannte Pfandrecht

nur gegen Befriedigung derjenigen Ansprüche, dient.

Allein dazu hatte Kläger sich erboten und nur so

hat derselbe geklagt.

Anlangend hingegen die den Bekl.

gegen den Destinatär Lehnhoff zustehenden Ansprüche aus

laufender Rechnung im Speditionsgeschäft, wegen deren sie diesem gegenüber unzweifelhaft zur Retention des Guts und

unter den vorliegenden Umständen zur Befriedigung aus demselben gemäß HGB Art. 313 bis 315 befugt wären:

so erscheinen dieselben zum Ausschluß der Mandatsklage nicht geeignet. Denn der auf das gesetzliche Pfandrecht der Art. 313 ff. gestützten Einrede steht die Replik des Ver­ folgungsrechts

gemäß

§ 26

der

Konkursordnung

v.

8. Mai 55 entgegen, und es ist bereits gezeigt, daß dem zuwider sich Beklagte auf § 27 Nr. 3 der Konkursordnung

nicht berufen können. Die Voraussetzungen des Verfolgungs­

rechts aber liegen ohne Zweifel vor.

243 § 26 der Konkursordnung bestimmt: Wer Waaren an den Gemeinschuldner verkauft und abgesandt hat, kann dieselben zurückfordern, wenn sie nicht schon vor der Konkurseröffnung in das Waarenlager oder in einen anderen Auf­ bewahrungsort des Gemeinschuldners oder eines Dritten abgeliefert sind, welcher den Auftrag hat, sie zur Verfügung des Gemeinschuldners zu halten. Um ihr Pfandrecht zu begründen, behaupten Beklagte selber, daß Kläger das Eigenthum der Kiste auf Lehnhoff durch deren Verkauf und Absendung in Gemäßheit des ALR I. 11 § 128 ff. * übertragen habe, sie wollen somit den Kläger als Verkäufer der Waare betrachtet wissen. Unter diesen Umständen braucht weder erörtert zu werden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des Eigenthumsüber­ gangs auf Lehnhoff — welchen der I. Richter aus dem unzutreffenden Grunde verneint hat, daß die Versen­ dung verkaufter Waaren nach preußischem Recht als ein bloßer Traditionsversuch zu erachten sei — vorliegen, noch auch, ob das dem unbezahlten Verkäufer zustehende Verfolgungsrecht in gleicher Weise dem nicht befriedigten Einkaufskommissionär — als welchen Kläger sich gerirt — gewährt sei, noch endlich, ob nach Lage der Akten Kläger nicht als bloßer Agent des Lehnhoff zu erachten ist. Denn letzteres haben Beklagte nicht behauptet, und daß er nur Einkaufskommissionär sei, haben sie bestritten. Im Uebrigen unterliegt es keinem Zweifel, daß die Kiste im Sinne des § 26 der Konkursordnung zur Zeit der Zurückforderung noch nicht „abgeliefert" war. Denn sie war von Lehnhoff bestellt mit der Aufgabe der „Versendung an Gebrüder Levi zur Verzollung in Wirballen, Weiter­ beförderung an mich", und vom Kläger den Bekl. mit der * Vgl. Rspr. IV S. 230, 296, VI S. 346.

244 Weisung aufgegeben, „dieselbe in gewohnter Weise in den Besitz des Herrn Lehnhoff in Mosco zu bringen". Der Transport sollte somit erst durch Auslieferung in Moskau beendigt sein, bis dahin war die Waare unter­ wegs und unterlag, nach den feststehenden Grundsätzen des im § 26 der Konkursordnung anerkannten Verfolgungs­ rechts (right of stoppage in transitu), der Rückforderung. Erk. des OHG v. 7. Juni 72 (oben S. 219 ff.); Goldschmidt Handbuch des HR S.725, 866, 867. Daß der Transport durch irgend welchen, der Zurück­ forderung vorausgehenden Akt beendigt worden sei und Beklagte aufgehört haben, das Gut in der Rolle einer nur mit dem Transport betrauten Zwischenperson zu besitzen, ist nicht behauptet worden. Das Schreiben Lehnhoff's v. 27. Nov. 71 beendigte zwar den Transport, aber nicht zum Nachtheil des Klägers, sondern bezweckte umgekehrt, dem Kläger die Rückforderung zu ermöglichen. Endlich macht auch das keinen Unterschied, daß der unstreitig über das Vermögen des Lehnhoff eröffnete Kon­ kurs ein auswärtiger Konkurs ist. Es versteht sich von selbst, daß die Rechte, welche das Gesetz dem inländischen Gemeinschuldner und deffen Gläubigern gegenüber gewährt, und welche zu normiren es allein Veranlassung findet, gegen den auswärtigen Gemeinschuldner und deffen Gläubiger nicht versagen können (vgl. oben S. 221), zumal auch das russische Reglement über die Handelsinsolvenz v. 25. Juni 32 § 68 (russisches Handelsgesetzbuch Art. 1779, nach der Ausgabe von 1842) den auswärtigen Verkäufer in wesent­ lich gleichem Umfange schützt.

245 Nr. 47.

I. Senat. — Erkenntniß v. 7. Ämn 72. (Z.) F. Droste (Nr. 310 v. 72).

I. H. Petring & Sohn

Wechselsache.

Preußen.

Nichtigkeitsbeschwerde.

I. Instanz: Kreisgericht Bielefeld,

II. Instanz: Appellationsgericht Paderborn. Beschlagnahme einer Wechselforderung.

Wird eine Wechselfordcrung gerichtlich mit Arrest 6e* legt, ohne daß zugleich eine Beschlagnahme des Wechsels selbst erfolgt, bleibt also der freie Umlauf des Wechsels ungehemmt: so berührt eine solche Arrestlegung jedenfalls den späteren redlichen Erwerber und Inhaber des Wechsels nicht. Art. 9, 10, 36, 74, 82 DWO. Ebenso: Erk. des II. Senats des OHG v. 30. März 72 in Sachen Notzer.p Wohlgemut-, Nr. 101 v. 72.

Anders:

Praxis des preuß. OTr.,

Borchardt ADWO

Zus. 540 a u. n. 384, S. 339.

Entscheidung des OHG: Der Appellrichter hat den Einwand der Bekl., daß der

Klage-Wechsel mit Arrest belegt und sie daher berechtigt

sei,

die Wechselsumme

zum gerichtlichen Depositum

ein­

zuzahlen, mit Recht verworfen und dadurch weder den § 84 AGO I. 29 noch den Art. 82 DWO verletzt. Auch kann der . . als verletzt bezeichnete Rechtsgrundsatz,

wonach der verklagte Wechselschuldner, bei welchem

der

Wechselbetrag

gerichtlich

mit Arrest

belegt

worden, gegen jeden dritten wider ihn klagenden Wechselinhaber

zur

gerichtlichen Deposition

Wechselsumme berechtigt,

der

Rechtmäßigkeit

des

und

der

eine Beurtheilung

Arrestbefehls

in

dem

Wechselprozeß nicht weiter zulässig sein soll, in dieser Allgemeinheit und Unbedingtheit nicht als richtig anerkannt werden.

246

Die Wechselforderung steht mit dem ihr zu Grunde liegenden Wechsel, welcher seiner Natur nach nicht sowohl die Beweisurkunde für dieselbe, als vielmehr die erzeu­

gende Quelle derselben bildet, in so unmittelbarem und

untrennbarem Zusammenhang, daß sie der Wechselgläubiger — abgesehen von den Fällen des Art. 73 DWO — nur unter Vorlegung des Wechsels einklagen und Zahlung nur gegen Aushändigung des Wechsels verlangen kann. Macht aber der nach Art. 36 DWO legitimirte Wechselinhaber in dieser Weise seine Wechselforderung geltend, so ist der Wechselschuldner zur Zahlung

zu verurtheilen,

falls

er

nicht nach Art. 82 DWO Einreden zu begründen vermag, welche aus dem Wechselrecht selbst hervorgehen oder ihm

unmittelbar gegen den jedesmaligen Kläger zustehen.

Wird

eine Wechselforderung mit Arrest belegt, ohne daß der ihr zu Grunde

liegende

Wechsel ebenfalls

in

gerichtlichen

und bleibt sonach der freie Umlauf dieses Wechsels im geschäftlichen Verkehr unge­

Beschlag genommen wird,

hemmt: so kann eine solche Arrestlegung

jedenfalls den

späteren redlichen Erwerber und Inhaber des Wechsels

nicht

tangiren;

dieser

erscheint vielmehr

befugt,

seine

Wechselforderung gegen den Wechselschuldner geltend zu machen, ja es kann beim Mangel aller diesfälligen Be­ hauptungen vorliegend dahin gestellt bleiben, ob einem solchen Wechselgläubiger der Einwand entgegengesetzt werden

dürfe, daß er vor oder bei Erwerb des Wechsels von der Arrestlegung Kenntniß gehabe habe. Es würde in den gesammten Wechselverkehr hemmend und störend eingreifen,

wenn der redliche

Erwerber eines Wechsels

zu fürchten

hätte, daß, falls die dadurch begründete Forderung gegen irgend einen seiner Vormänner mit Arrest belegt sein sollte, er in solchem Falle sich eine gerichtliche Deposition der Wechselsumme würde gefallen lassen müssen.

Nach den Grundsätzen der

DWO ist der durch den

247

Besitz des Wechsels und eine zusammenhängende bis auf ihn herunterreichende Reihe von Indossamenten legitimirte Wechselinhaber vom Wechselschuldner Zahlung zu verlangen befugt und nicht verpflichtet, die Deposition der Wechsel­ summe sich gefallen zu lassen, auch wenn einer seiner Vor­ männer durch ein unechtes Indossement den Wechsel er­ worben hat, sofern er nur seinerseits beim Erwerb in gutem Glauben war und auch eine grobe Fahrlässigkeit ihm nicht zur Last fällt (Art. 36, 74). Mit diesen Grundsätzen ist es schlechthin unverträglich, den Wechselinhaber, welcher in ihm nicht anzurechnender Unkenntniß eines gegen einen Vormann verhängten Arrests den Wechsel erwarb, un­ günstiger zu beurtheilen. Das kgl. preuß. OTr. führt zwar in einer Entscheidung v. 10. Juli 56 (Seuffert's Arch. B. 11 S.426) aus: „Wenn auch bei der Arrestanlegung der Wechsel selbst in Cirkulation geblieben, so sei doch der Schuld­ ner durch die Arrestirung in eine Lage gebracht worden, in welcher er, wenn er an einen Dritten zahle, dem gericht­ lichen Befehl ungehorsam würde und sich der Vertretung aussetze; jener Befehl erzeuge für ihn selbständige, vom Wechselrecht unabhängige Wirkungen, die dadurch hervor­ gerufene Lage sei nicht mehr eine rein wechselrechtliche, sondern zugleich eine wesentlich civilrechtlich zu beurtheilende geworden". Die Richtigkeit dieser Ausführung kann, ledig­ lich nach den Grundsätzen des preuß. Rechts beurtheilt, dahin gestellt bleiben; hier, wo die Grundsätze der DWO entscheiden, erscheint dieselbe nicht zutreffend. Der Arrest ist in vorliegendem Falle nur gegen den Trassanten Stein angelegt, nicht gegen den jetzigen Kläger (welcher sich auf den Besitz des Wechsels und ein Giro v. 3. Dez. 71 stützt), und der Bekl. ist in der arrestatorischen Verfügung v. 29. Nov. 71 nur anbefohlen, die Wechsel­ summe bei Vermeidung doppelter Zahlung nicht an Stein oder auf dessen Anweisung zu zahlen. Diese Zahlung wird

248 jetzt auch nicht seitens des Stein oder auf dessen Anweisung

von einem Dritten, sondern vom Kläger kraft seines eige­

nen, gesetzlichen und selbständigen, vom Recht des Stein wechselrechtlich unabhängigen Rechts gefordert, welches (wie gezeigt) durch den Arrest gar nicht tangirt wird, und Be­ klagter wird also, wenn er die Zahlung auf Grund richter­

lichen Urtels — nicht eigenmächtig, sondern kraft gesetzlicher Verpflichtung und durch Urtel gezwungen — leistet, jenem Befehl, nach dessen gesetzlichem Sinn, nicht ungehorsam; seine Lage würde sogar dieselbe bleiben, wenn jener Befehl dahin

gegangen wäre, die

Zahlung auch keinem der etwaigen

Giratare des Wechsels zu leisten, da durch solchen Befehl,

wenn der Wechsel in freier Cirkulation belassen wurde, das

gesetzliche Recht der redlichen Giratare (wie gezeigt) nicht § 84 AGO I. 29 ist also, soweit

beschränkt werden konnte.

seine Wirksamkeit

durch

die

entwickelten Grundsätze

der

DWO modisizirt und beschränkt wird, nicht verletzt.

Wenn ferner das kgl. OTr. in jener, sowie in der bei

Borchard (ADWO Zusatz 540a, S. 339) allegirten Ent­ scheidung v. 30. Okt. '60 bemerkt: „es dürfe die Recht­

mäßigkeit des

Arrests

im Wechselprozeß keiner

weiteren

Beurtheilung unterzogen werden": so erscheint dieserGrnnd vorliegend eben so wenig zutreffend, wo die Rechtmäßigkeit

des gegen Stein angelegten Arrests nicht in Frage gestellt, sondern nur die Wirkung desselben gegen den jetzigen

Kläger nach den Grundsätzen der DWO zu erörtern war. Wenn endlich das OTr. in der ersteren Entscheidung,- unter Berufung auf das Leipziger Konferenzprotokoll v. 6. Rov. 47

Nr. XIV, erwähnt, es sei dort zur Geltung gebracht, daß

die Befugniß des Wechselschuldners zur gerichtlichen Deposition des

fälligen Wechselbetrags

nicht auf die in den

Art. 40 u. 73 DWO bestimmten Fälle beschränkt ist, daß

vielmehr die gerichtliche Deposition auch in anderen geeig­

neten Fällen nach richterlichem Ermessen erfolgen könne:

249 so

hat

man

als

„geeignete"

Fälle

einleuchtend

nur

solche im Auge gehabt, in welchen die Deposition mit der

DWO im Einklang steht. Die Nktbschw. war hienach als überall unbegründet zurückzuweisen.

Nr. 48.

II. Senat. — Erkenntniß v. 8. Juni 78. (Z.) Käfemachcr & Schäfer -|. Bode & Co. (Nr. 261 v. 72).

I. Instanz: Stadt- und Kreisgericht Magdeburg, II. Instanz: Appellationsgericht daselbst. Handelskauf.

Platz, oder Diftanz.Geschäft?

1. Art. 347 HGB ist auch auf solche Kaufgeschäfte anwendbar, wo beide Theile an demselben Orte wohnen, wenn nur die Voraussetzung zutrifft, daß die Waare — nach dem beiderseitigen Bcrtragswillen — von einem an­ deren Orte aus übersendet worden ist. HGB Art. 278, 347; vgl. Rspr. II S. 66, III S. 68.

2. Bei Platz geschifften darf der Verkäufer sofort bei der Ueberlieferung der Waare eine Erklärung des Käufers über deren gehörige Beschaffenheit verlangen. Endemann DHR § 114, II. C, 1 (S. 579).

Entscheidung des OHG: 1. Der Appellrichter hat thatsächlich festgestellt, daß Beklagte den sihr auf Bestellung gelieferten] Knochenkohlen­

grus ohne Rüge übernommen habe.

Er folgert da­

raus, daß Beklagte, wenn sie jetzt die Waare bemängeln

wolle, den Nachweis führen müsse, daß die Waare bereits bei der Uebergabe mangelhaft (zu feucht)

gewesen sei.

Der Art. 349 HGB, dessen Verletzung Beklagte dem Appell­ richter dieserhalb vorwirft, bestimmt über die Beweislast für einen solchen Fall gar nichts, kann daher — abgesehen

davon,

ob er überhaupt auf Platzgeschäfte anwendbar ist

250 — schon deshalb durch jene Entscheidung nicht verletzt sein. Das Gleiche gilt von den §§ 325, 326 und 328 bis 331

ALR I. 5 . . . Die Entscheidung des Appellrichters ist vielmehr nach § 332 ALR I. 5 vollkommen gerechtfertigt.

2. Bei seiner Entscheidung in Betreff der im Januar 70 gemachten Lieferung soll der Appellrichter

a) den Art. 347 HEB durch unterlassene Anwendung verletzt haben, indem er auch hier ein sogen. Platzgeschäft

angenommen und die Beweislast der Bekl. zugetheilt hat. sich auch auf

Der gedachte Artikel ist nun allerdings an

solche Fälle anwendbar, wo Käufer und Verkäufer (wie hier

der Fall) an einem und demselben Orte wohnen, wenn

nur die Voraussetzung zutrifft, daß „die Waare von einem anderen Orte übersendet ist." Mit dieser Voraussetzung hat aber offenbar ausgesprochen werden sollen,

daß die

Uebersendung der Waare seitens des Verkäufers an einen

anderen Ort in Gemäßheit des zwischen den Kontrahenten abgeschlossenen Kaufgeschäfts geschehen ist, mithin nach dem beiderseitigen Vertragswillen auch die Ueber­ nahme der verkauften Waare erst an dem dritten Orte

wohin die Waare vom Verkäufer zu übersenden ist, erfolgen soll, der Käufer also, auch wenn er anwesend ist, die Em-

psangbarkeit

der Waare

untersuchen braucht.

vor deren Absendung

nicht zu

Art. 347 bezieht sich also nicht auf

solche Fälle, wo die Waare vertragsmäßig an dem Orte, an welchem der Verkäufer zur Zeit des Vertragsabschlusses seine Handelsniederlaffung oder seinen Wohnsitz hatte, bzw.

die Waare sich befand, vom Kläger ab- und in Empfang zu nehmen ist und der Verkäufer aus diesem Grunde sofort bei der Ablieferung und Uebergabe der Waare eine

Erklärung des Käufers über deren Vertrags- bzw. gesetz­ mithin nicht ver­ pflichtet ist, sich der Gefahr einer nachträglichen Beanstan­ mäßige Beschaffenheit verlangen darf,

dung der Waare seitens des Käufers nach ihrer Ankunft

251 in dem anderen Orte, wohin sie versendet wird, auszusetzen bzw. seinerseits den Beweis dafür zn übernehmen, daß die

Waare

zur

Zeit

der

Absendnng

empfangsmäßig

ge­

wesen sei. In diesem Sinne hat aber auch augenscheinlich der Appellrichter den Art. 347 HGB verstanden; denn er legt

darauf, daß die Parteien beide in Magdeburg wohnen, nur insofern Gewicht,

als er aus dieser Thatsache den

Schluß zieht, daß nach Intention der Parteien beim Ab­

schluß des Kaufs die Uebergabe und Empfangnahme der Waare in Magdeburg direkt unter den Kontrahenten selbst

zu geschehen habe, und er gelangt dann vermöge seiner

thatsächlichen Interpretation des Umstands, daß Beklagte die Klägerin angewiesen hat, den hier fraglichen Theil des Kaufobjekts an den Kaufmann L. in Magdeburg abzuliefern,

dieser wiederum die Klägerin beauftragte, die Waare unter

der Adresie des Kaufmanns D. nach Erfurt zu versenden und Klägerin sich hierauf eingelassen hat, zu dem Schluffe, daß dies für das zwischen den Parteien bestehende Rechts­ verhältniß gleichgiltig sei, da Klägerin dadurch ihr Recht, die Abnahme der Waare in Magdeburg zu verlangen, nicht aufgegeben habe, es vielmehr Sache der Bekl. geblieben sei, auch diese Waare vor weiterer Verfügung über dieselbe zu untersuchen und eventuell zu rügen, so daß sie, da dies nicht geschehen und die Waare erst nach ihrer Ankunft in Erfurt untersucht und beanstandet sei, auch hier als beweispslichtig erscheine und sich nicht darauf berufen könne,

daß jener D. sofort nach Empfang der Waare in Erfurt

die Feuchtigkeit derselben gerügt habe.

Einen Rechtssatz

des Art. 347 HGB hat der Appellrichter hiedurch also

nicht verletzt. b) Beklagte rügt ferner

die Verletzung des Rechts­

satzes:

Kein Käufer ist verpflichtet, eine gekaufte Waare

252 zu prüfen und zu bemängeln, so lange sie ihm nicht geliefert oder wenigstens vorgezeigt worden ist; denn der Appellrichter nehme an, Beklagte hätte die Waare vor ihrer Absendung nach Erfurt prüfen und rügen müssen, dies aber habe Beklagte nicht gekonnt, indem sie die Waare nicht gesehen und ausgehändigt erhalten. Ob ein Rechtssatz jenes Inhalts existirt, kann dahin gestellt bleiben, da derselbe jedenfalls vom Appellrichter nicht verletzt sein würde, indem dieser offenbar thatsächlich davon ausgeht, daß schon in der mit dem Willen der Bekl> erfolgten Absendung der Waare nach Erfurt eine Abliefe­ rung derselben an die Beklagte enthalten sei und Letztere es sich selbst und ihrer weiteren Verfügung über die Waare zuzuschreiben habe, wenn sie die Waare nicht sich selbst ab­ liefern ließ und prüfte. c) Ein Rechtsgrundsatz des Inhalts: der Empfänger einer nach einem anderen Orte versendeten, fehlerhaft ankommenden Waare hat nicht den Beweis zu liefern, daß die Waare fehlerhaft abgesendet ist, ist in dieser Allgemeinheit keineswegs anzuerkennen, kann daher auch vom Appellrichter nicht verletzt sein.

Str. 49. I. Senat. — Erkenntniß v. 11. Äuni 72. (V.) Rosenthal

Jung (Nr. 381 v. 72).

Preußen (Nassau). Wechselsache. Nichtigkeitsbeschwerde. I. Instanz: Kreisgericht Wiesbaden, II. Instanz: Appellationsgericht Wiesbaden.

Wechsel auf ,,Dato nach Sicht."

Ein auf „Dato nach Sicht" gestellter Wechsel ist gütig und ans Sicht, von der Ausstellung an, — bzw. auf Wiedersicht — zahlbar.

253

DWO Art. 4 Nr. 4, 32, 96 Nr. 4. Anders: das preuß. OTr., Borchard ADWO Zus. 96 S. 62. Der Klagewechsel ist auf „Dato nach Sicht" gestellt. Der Appellrichter hielt diese Bestimmung der Zahlungszeit für ungenügend, weil nicht allgemein-verständlich.

Er stützte

sich dabei auf ein Erk. des preuß. OTr. v. 17. Juli 58 (Siebenhaar's Arch. 8 S. 224, Strieth. Arch. B. 29

S. 231).

Das OHG hat anders entschieden. Gründe:

Ein blos auf „Dato" gestellter Wechsel ist allerdings am

Ausstellungstage zahlbar.

Ist aber der Ausdruck „Dato"

mit anderweiter Zeitbestimmung verbunden, so bedeutet er

soviel als a dato oder de dato. Die Bestimmung „3 Monat dato" oder „dato 3 Monat" enthält also nicht zwei Zahlungszeiten, sondern nur eine; sie stellt — wo­

rüber in Rechtslehre und Rechtsprechung kein Zweifel —

die Zahlungszeit deutlich auf 3 Monat nach dem Aus­ stellungstage (Rspr. B. VI S. 128). Dieselbe Bedeutung hat das Wort „Dato" bei der.Klausel „Dato nach Sicht": diese besagt, daß der Wechsel „von der Ausstellung, von heute an" auf Sicht zahlbar sein soll; sie ist nur eine (zwar nicht häufige, aber doch klare) Wiedergabe der nament­ lich bei eigenen Wechseln nicht seltenen Bestimmung „auf Wiedersicht". Das Wort „Dato" ist sonach in dieser Zeit­ bestimmung zwar überflüssig, nimmt aber dem Wechsel nicht die Geltung eines gewöhnlichen Sichtwechsels. — Zweifel­

haft könnte nur sein, ob ein solcher Wechsel noch am Aus­ stellungstage selbst zur Sicht und Zahlung präsentirt werden darf oder ob die Vorschrift des Art. 32 Abs. 1

DWO analog anwendbar ist; dies steht hier nicht in Frage,

unzweifelhaft aber erscheint, daß nicht der Ausstellungstag

allein und für sich selber der Zahlryrgstag sein soll.

254 Nr. 50.

II. Senat. — Erkenntniß v. 12. Äuni 72. (3.) Buschner

Albert (Nr. 451 v. 72).

Ober-Appellation.

Neust ä. L.

I. Instanz: Justizami Greiz, II. Instanz: Appellationsgericht Eisenach.

Overappellaiton in Handelssachen aus Reuß ä. L.

Nach dem Landesgesetz v. I.Sept. 68, die Organisation der Justiz- und Verwaltungsbehörden im Fürstentum Renß älterer Linie betreffend, ist in allen HandelSgerichtssacheu, zu denen nach dem Ges. v. 28. Sept. 64 § 6 die Wechsel­ sachen gehören, die Ober-Appellation durchweg ausgeschlossen. Angenommen v. II. Senat des OHG (die sind ohne allgemeines Jnteresie).

Gründe

Nr. 51.

I. Senat. — Erkenntniß v. 14. Juni 72. (3.) Fränkelsche Orleans-Weberei •/. Saust & Ries (Nr. 453 v. 72).

Königreich Sachsen.

Weitere Berufung.

I. Instanz: Bezirksgericht Zittau, II. Instanz: Appellationsgericht Bautzen.

Kaufsofferte.

Das Anbieten von Waaren ohne bestimmte Bezeichnung der Menge des zu Verkaufenden enthält keinen verbindlichen Kaufvertrag. HGB Art. 337. v. Hahn Komm, dazu § 1, 2, 3 (B. II S. 175 ff.)

Die

Entscheidung des OHG: Bestätigung des von der Bekl.

angefochtenen Appellurtels unterlag keinem Bedenken. Auf dieses Ergeb­ niß führte ohne Weiseres die Bestimmung des Art. 337 HGB hin: „ein Anerbieten zum Verkauf, ... bei welchem

255 die Menge (der zu verkaufenden Waare) nicht bestimmt be­ zeichnet ist, ist kein verbindlicher Antrag zum Kauf." Daß diese Bestimmung, deren Sinn und Ratio keiner weiteren Darlegung bedürfen, auf das Anerbietungsschreiben der Kläger v. 2. Juli Anwendung leidet, leuchtet ohne Weite­ res ein. Der in Betracht kommende Passus deffelben lautet: „Wir lasten Ihnen . . . diverse Muster . . . zu­ gehen und theilen Ihnen dazu folgende Preise mit .. .(es werden nun 14 verschiedene Garnsorten unter Beifügung der betr. Preise aufgeführt). Viel­ leicht finden Sie hievon etwas für Sie passend und wollen Sie für diesen Fall ein oder zwei Muster . . . zurückbehalten, das Uebrige an . . . senden." Dieses Schreiben enthält keinerlei Angabe einer be­ stimmten, der Bekl. angestellten Quantität Garn. Die Be­ klagte acceptirte ein Quantum von 45 Kisten, welches nach den vorher angegebenen Preisen 3735 Pfd. Sterling (etwa 26000 Thlr.) ausgemacht hätte. Wäre das Anerbieten der Kläger für diese ohne Weiteres bindend gewesen, so hätte Beklagte ebensowohl ein vielfach größeres Quantum acceptiren und hierauf als fest-kontrahirt in Anspruch nehmen können, was zu einem augenscheinlich unhaltbaren Ergebniß

geführt haben würde. Beklagte will ein Einverständniß über die „Menge" als vorhanden angenommen wissen, weil die Kläger nach Empfang des „Acceptations-Schreibens" gegen das darin angegebene Quantum der beklagter Seits verlangten Sorten kein Monitum erhoben, auch später nur eine Aenderung der Preise für nothwendig erklärt hatten. Dies ist grundlos. Daraus, daß Kläger erklärt haben, sich bemühen zu wollen, der Bekl. das in Rede stehende Quantum für einen erheb­ lich höheren Preis anzuschaffen, kann auch nicht mit einem Schein des Rechts gefolgert werden, daß sie durch obiges

256 Schreiben in Betreff

jenes Quantums unter Feststellung

der damals genannten Preise sich haben binden wollen.

Nr. 52.

I. Senat. — Erkenntniß v. 18. Juni 72. (Z.) Gebr. Reschke ./• Frau Mitthäter (Nr. 320 v. 72).

‘ Nichtigkeitsbes chrverde.

Preußen.

I. Instanz: Gerichtsdeputation Rastenburg, II. Instanz: Ostpreuß. Tribunal zu Königsberg. Handelskauf, Rügepflicht des Käufers.

Deweislast des Verkäufers.

1. Art. 347 HGB setzt die erfolgte „Ablieferung"* der Waare voraus, ist also unanwendbar, wenn die Waare zwar zur Abnahme angeboten, letztere aber sofort abgelehnt worden ist. 2. Beim Kauf nach Probe hat Verkäufer die Probe­ mäßigkeit der angebotenen, aber nicht angenommenen Waare zu beweisen. HGB Art. 340, ALR I. 5 § 271. Vgl. Rspr. II S. 90, V S. 184, 246.

Entscheidung des OHG: Zur Begründung der Klage ist in Ansehung der Ge­ schäftserfüllung geltend gemacht worden:

„Klägerin habe die Waare sRübsenj dem Bell, ge­ schickt und zur Annahme offerirt, Beklagter aber

die Annahme unter dem Vorgeben verweigert, daß

der Kauf nicht

fest geschlossen worden,

infolge

welcher Weigerung die Waare bei einem Dritten

auf Lager gebracht und

gegen den Bekl. wegen

Annahme-Verweigerung Protest erhoben sei."

Diese Thatsachen sind ... für feststehend erachtet. . . Sie reichen jedoch keineswegs hin, den im Art. 347 HGB

Vgl. darüber Rspr. IV S. 230, 296.

257 enthaltenen, vom Appellrichter für maaßgebend erachteten Grundsatz zur Anwendung zu bringen.

Art. 347 setzt — wie

sein Eingang klar und bestimmt hervorhebt, und in vollem

Einklänge mit dem Zweck des Gesetzes und der Natur der

Sache — zu

seiner Anwendung

die Ablieferung

der

Diese wesentliche Voraussetzung ist aber in jenen Thatsachen nicht enthalten, aus denselben auch Waare voraus.

keineswegs als sich von selbst verstehend herzuleiten.

Der

Appellrichter hat daher, wenn er abweichend vom I. Richter den Einwand der Bekl., die offerirte Waare sei von ver­ tragswidriger Beschaffenheit gewesen, auf Grund des Art.

347 zurückweist, den letzteren durch unpassende Anwendung verletzt. Sein Urtel unterliegt daher der Vernichtung. Bei freier Beurtheilung der Sache muß den beiden Vorrichtern zunächst insofern beigetreten werden, als sie

den Abschluß

des von der Klägerin

behaupteten Kauf­

geschäfts bis zur Anvertrauung eines Erfüllungseids für erwiesen erachten. . . .

Beklagter hat ferner die von der Klägerin rechtzeitig offerirte Waare nur deshalb anzunehmen verweigert, weil

er einen verpflichtenden Abschluß

des Geschäfts bestritt.

Diese grundlose Weigerung verlieh der Klägerin das Recht, bei Ablauf

der Erfüllungszeit die offerirte Waare nach

vorgängiger Androhung öffentlich verkaufen zu lassen und, wie geschehen, die Differenz des Kaufpreises nebst Jwn.

Unkosten als Schadenersatz zu liquidiren 343 HGB).

(Art. 354 und

Dabei erscheint gleichgiltig, ob das Geschäft,

wie der Appellrichter meint, als Fixgeschäft (im Sinne des Art. 357) zu betrachten sei. Denn auch bei Annahme

des Gegentheils würde Beklagter

nicht befugt sein, den

von Gewährung einer Nachfrist handelnden Art. 356 anzu­

rufen.

Dieser Artikel ist, wie der Gerichtshof bereits mehr­

fach entschieden hat, *

unanwendbar, wenn der säumige.

* Rspr. III S. 2n.; IV S. 59 Nr. 2, 124; V S.362; VIS. 278 VII.

17

258 Kontrahent entschieden

und bestimmt

die Erfüllung des

Vertrages abgelehnt und verweigert hat, die Gewährung

einer Nachschrift mithin zwecklos wäre und zu einem un­ löslichen Widerspruch mit der ratio legis führen würde.

Eine solche Weigerung ist aber in vorliegendem Falle vom Bekl. unbestritten erklärt worden, bevor Klägerin zum

öffentlichen Verkauf der Waare schritt. — Noch einleuch­ tender ist die Unerheblichkeit der Rüge des Bekl., die Waare

sei in zwei verschiedenen Theilen zu verschiedenen Zeiten offerirt. Entscheidend ist, daß vor Ablauf der kontraktlichen Erfüllungszeit die Waare vollständig angeboten wurde. — Ueber des Ergebniß des öffentlichen Verkaufs und den Be­

trag der liquidirten Unkosten besteht kein Streit.

Beklagter

hat zwar in Zweifel gezogen, ob gerade die offerirte Waare zum öffentlichen Verkauf gebracht sei.

Identität ist —

bis

Allein diese

zur Anvertrauung des Erfüllungs­

eides, auf welchen in den Vorinstanzen erkannt worden —

für genügend dargethan zu erachten. Es erübrigt noch der Einwand des Bekl., die offerirte Waare sei nicht von vertragsmäßiger Beschaffenheit ge­ wesen.

Der Einwand läßt sich, wie oben gezeigt worden,

nicht durch Art. 347 beseitigen.

Es ist dies um so ein­

leuchtender, als Klägerin nicht hat behaupten können und wollen, es sei zur Ablieferung der Waare gekommen. Nach ihrer Darstellung war es ihr Vertreter fund Gutsinspektors,

welcher, als Beklagter die Waare zurückwies, weil sie nicht gekauft sei, dieselbe bei einem Dritten zu Lager brachte.

Wie unter solchen Umständen — die sogar zweifelhaft kaffen, ob die Waare dem Bekl. auch nur einmal vorgezeigt, ge­ schweige ob sie von ihm dem Transportführer abgenommen worden — von einer Ablieferung die Rede sein könne, ist unerfindlich. — In der

Klage wird

behauptet, die

Waare sei nach Probe verkauft und die offerirte Waare

habe der Probe entsprochen.

Da Beklagter die Probe-

259 Mäßigkeit geleugnet hat, so ist Klägerin nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu beweisen verpflichtet, daß die offerirte

Waare der Probe entsprochen habe (ALR I. 5 § 271). Sie hat den ihr obliegenden Beweis erboten, welcher je­ doch nicht erhoben worden ist.

Demgemäß kann in der

Sache noch nicht 'erkannt. werden, diese ist vielmehr 'zur Nachholung jener Beweisaufnahme und zur anderweiten

Entscheidung über die Streitfrage: ob die offerirte und demnächst

öffentlich

sprochen habe,

in

verkaufte

Probe

ent­

zurückzuweisen.

Die

Waare

die II. Instanz

der

Meinung des I. Richters, auf die Probemäßigkeit komme es

nicht an, weil Beklagter geständlich die Probe erhalten und die Annahme der Waare unter dem Vorgeben verweigert

habe, dieselbe nicht gekauft zu haben, ist rechtsirrthümlich. erste Grund) ist unhaltbar, da der Empfang der Probe doch unmöglich die Probemäßigkeit der späteren Lie­

Der

ferung darzuthun vermag.

Nicht minder verwerflich ist

der zweite Grund, denn im Verneinen des Vertragsschluffes

ist weder der Verzicht auf vollständige Vertragserfüllung noch die Uebernahme einer in den Gesetzen nicht begrün­

deten Beweislast zu finden.

Nr. 53.

I. Senat. — Erkenntniß v. 18. Zum 72. (3.) Burgholdinghauser Hüttenwerk -|. Funcke & Elbers (Nr. 327 v. 72).

Preußen.

Nichtigkeitsbeschwerde.

I. Instanz: Kreisgcricht Siegen, II. Instanz: Appellationsgericht Arnsberg. Betrug des Prokuristen, Haftung des Prinzipals.

Eine vom Prokuristen bei Eingehung von Rechtsge­ schäften, welche in den Bereich seiner Prokura fallen, ver­ übte Betrngshandlnng ist bezüglich der Rechtsfolgen dem Prinzipal ebenso znzurechnen, als hätte er solche selbst 17*

260

begangen. Ein daraus zu begründender Anspruch steht gegen ihn in demselben Umfang zu, wie gegen den Pro­ kuristen. Ebenso: Erk. des OHG I. Sen. v. 18. Juni 72 in Sachen. Nr. 252 und 264 v. 72. Endemann DHR S. 150, 154.

Der Prokurist H. hatte an verschiedene Kunden seines Prinzipals (der bekl. Hüttenwerks-Firma) aufgekaustes Koakseisen als auf dem Hüttenwerk fabrizirtes reines Holzkohlen­ eisen verkauft und geliefert. Er ist deshalb, als des Be­ trugs schuldig, bestraft worden (vgl. Oppenhoff Rspr. des OTr. B. 12 S. 188). Beklagte wird jetzt auf Schaden­ ersatz belangt.

Entscheidung des OHG: Der Hauptangriff der Nktbschw. geht dahin, daß der Appellrichter — unter Verletzung des HGB Art. 52, welcher eine solche Bestimmung nicht enthalte, und der § 50 Tit. 6, § 90 Tit. 13, verbunden mit § 84 bis 93 Tit. 4, § 285 bis 287, 349 ff. Tit. 5 ALR Th. I, welche das Gegen­ theil vorschMben — mit Unrecht die beklagte Prinzipalin schlechthin für den von ihrem Prokuristen bei Eingehung von Handelsgeschäften gegen Kläger verübten Betrug ver­ antwortlich erklärt habe. Dieser Angriff ist verfehlt. Nach der thatsächlichen Feststellung des Appellrichters handelt es sich um einen die Eingehung von Verträgen über beträchtliche Quantitäten Eisen veranlassenden, bzw. bei Abschluß solcher Verträge gegen seine Kontrahenten be­ gangenen Betrug des Prokuristen, und es fielen diese Ge­ schäfte in den Handelsbetrieb des bekl. Prinzipals. Solcher Betrug erscheint nach gemeinem Recht nicht sowohl als ein selbständiges, die streng subsidiäre actio doli erzeugendes Delikt, sondern als eine Verletzung der schon bei Eingehung des Vertrages obliegenden Vertrags-

261

Verpflichtungen, und findet deswegen die Kontrakts­ klage statt. L. 35 § 8, L. 43 § 2, L. 45 Dig. 18, 1; L. 1 § 1, L. 4 pr., L. 11 § 5, L. 13 pr. und § 4, L. 39, 41 Dig. 19, 1; L. 37 Dig. 4, 3 etc. Für die rechtlichen Folgen eines solchen Betrugs steht nach römischem Recht der Prinzipal ganz so ein, als ob er ihn selber begangen hätte, d. h. er muß sich sowohl Klage wie Einrede aus demselben gefallen lassen, — nicht zufolge eines (dem römischen Recht regelmäßig fremden) Repräsen­ tationsverhältnisses, sondern weil das prätorische Edikt und die Praxis dem Gläubiger gestattete, die ganze Kon­ traktsobligation des Geschäftsführers nach seiner Wahl gegen den Geschäftsführer oder gegen den Prinzipal geltend zu machen, der Art, daß der Prinzipal die ganze Kontrakts-Obligation des Bevollmächtigten zu vertreten hatte. L. 11 § 4 Dig 14, 3; L. 1 § 5, 9 Dig. 14, 1; L. 5 pr. Dig. 14, 4; L. 51 § 1 Dig. 21, 1; L. 4 § 18, 19, L. 5 § 3 Dig. 44, 4; vgl. L. 10, 12 bis 14 Dig. 2, 14; Goldschmidt Ztschr. für das gesammte HR XVI S. 329 ff. Mit dem Repräsentationsprinzip des modernen Rechts ist dieses Wahlrecht unvereinbar. Soweit die Voll­ macht reicht, kann der Kontrahent nur an den Prinzipal, nicht mehr an den Bevollmächtigten sich halten *. Gleich­ wohl umfaßt auch nach heutigem gemeinem Recht die direkte Kontraktsklage gegen den Prinzipal die ganze durch den Vertragsschluß des Bevollmächtigten begründete Kontraktsobligation, und wie ein Irrthum, ein er­ littener Zwang oder Betrug des Bevollmächtigten dem * HGB Art. 52, 58, 298; vgl. Rspr. V S. 56 ff

262 Prinzipal nützt, so muß umgekehrt Arglist, Verschuldung, Wissen des Bevollmächtigten bei Eingehung des Ver­ trages dem Prinzipal schadens ohne Unterschied übrigens ob ein obligatorischer oder liberatorischer Vertrag in Frage kommt. Dies versteht sich nicht allein nach der den jrömischen Grundsätzen näher stehenden Ansicht, daß es auch im heutigen Recht eine nur mittelbare Vertretung gebe, somit Recht und Verpflichtung durch die Person des Ver­ treters hindurch gehen und auf den Prinzipal nur über­ tragen werden (Mühlenbruch, Puchta, v. Vangerow, Thöl, Arndts, Kuntze), sondern auch nach dem richtigeren Prinzip der wahren oder unmittelbaren Vertretung (Buchka, v. Savigny, v. Wächter, Dernburg, Sintenis, Unger, Schliemann, Laband). Auch nach dieser Ansicht wird nicht das Unmögliche fingirt, daß nicht der Vertreter, sondern der Prinzipal selber kontrahirt hätte, der Vertreter somit ein bloßes Instrument sei, durch welches der Prinzipal seinen Willen erklärt (v. Savigny) — daher auch un­ richtig, daß es lediglich auf Willen und Wisien des Prin­ zipals ankomme. Vielmehr wird [nur die Handlung des Vertreters dem Vertretenen so zugerechnet, als wäre sie seine eigene. Kontrahent ist der Vertreter, aber dessen Kontrahiren ist vom Prinzipal als eigenes Kontrahiren gewollt, und es treffen daher die Rechtswirkungen dieses fremden Kontrakts nach dem Willen aller Betheiligten un­ mittelbar und lediglich den Prinzipal. Daher in gleicher Weise auch das römische Recht in denjenigen Fällen ent­ scheidet, wo es ausnahmsweise einen direkten Rechtserwerb des Prinzipals anerkennt. L. 12, 13 Dig. 18, 1; L. 51 pr. u. § 1 Big. 21,1; L. 16 § 3, 4, L. 22 §' 5 (verglichen mit der streitigen L. 17) Dig. 40, 12; L. 2 Dig. 44, 6; § 4 Inst. 3, 19; L. 42 Dig. 39, 2; L. 79 Dig. 29, 2.

263

Wie weit in den

neueren

Gesetzgebungen des

bürgerlichen Rechts diese Grundsätze zur Geltung gelangt

sind, ob insbesondere die Verfasser des preuß. ALR den römischen Grundsatz anerkannt haben, daß Betrug des Be­

vollmächtigten beim Kontraktsschluß unter dem Gesichtspunkt der Kontraktsverletzung

aufzufassen

und

daher

vom

Machtgeber schlechthin zu vertreten sei — ALR Th. I Tit. 13 § 85, 147, 153, Th. II Tit. 8

§ 541, 542 verglichen mit Th. I Tit. 13 § 153, Th. I Tit. 6 § 50, 52, 53, 64, Th. I Tit. 13

§ 36, Th. II Tit. 8 § 515, 553 —

kann auf sich beruhen. Denn durch Art. 52 und 298 HGB (vgl. Art. 241, 360) sind für Handelsgeschäfte schlechthin die richtigen Grundsätze des heutigen gemeinen Rechts zur Geltung ge­ langt. Zunächst hat mit den Worten des Art. 52:

„Durch das Rechtsgeschäft, welches ein Prokurist

oder ein Handlungsbevollmächtigter gemäß der

Prokura oder der Vollmacht im,.Namen des

Prinzipals schließt, wird der Letztere dem Dritten gegenüber berechtigt und verpflichtet.

Zwischen dem Prokuristen oder Bevollmächtigten und dem Dritten erzeugt das Geschäft weder Rechte

noch Verbindlichkeiten."

keineswegs gesagt werden sollen, daß das Geschäft so geschloffen sein müsse, wie der Auftrag lautet, sondern nur daß ein Geschäft von der eingegangenen Art in den Be­ reich der Prokura oder Vollmacht fallen müsse,

mag auch

die Art seiner Eingehung insbesondere ein dabei begange­ ner Betrug des Bevollmächtigten, dem Auftrage nicht ge­

mäß sein, daher (zur Vermeidung von Mißverständnissen)

an Stelle der ursprünglichen Fassung des Art. 41

des

preuß. Entwurfs „auf Grund seines Auftrags", die gegen­ wärtige Fassung gewählt wurde (Prot. S. 78, 958, 959).

264 „Der Prokura gemäß" aber ist jedes in den Kreis eines

Handelsbetriebs fallende Rechtsgeschäft des Prokuristen, mit alleiniger Ausnahme der Veräußerung und Belastung von

Grundstücken (HGB Art. 42), und zwar gleichviel, ob das­ selbe' auf

Begründung

bindlichkeiten,

oder

auf

Erfüllung

von

Ver­

oder auf irgend sonstige Rechtszwecke ge­

richtet ist. Es wurde ferner an Stelle der ursprünglichen Fassung

des preuß. Entwurfs: „durch

das

Rechtsgeschäft,

welches

ein Faktor

... schließt, wird der Prinzipal dem Dritten gegen­ über ebenso verpflichtet, als wenn er das

Geschäft selbst geschlossen hätte"

die gegenwärtige Fassung gesetzt, um nicht der Annahme Raum zu geben, als ob das Geschäft in allen Beziehungen

nach der Person des Prinzipals zu beurtheilen sei, also z. B. ein dolus, eine mala fides, eine Wissenschaft des

Prokurainhabers von den Fehlern der erkauften Waare dem Prinzipal nicht schaden würde, wenn dieser sich nicht in

gleicher Lage befinde. Es sei, meinte man, bedenklich, die über die Stellvertretung im Civilrecht bestehenden Kontro­ versen durch Annahme und Sanktionirung der vielbekämpf­

ten Savignyschen Theorie zu entscheiden.

Man wollte keine

der bestehenden Theorien als maaßgebend anerkennen, viel­

mehr in dieser Richtung das Weitere der Wissenschaft überlassen und hier nur entscheiden, daß der Prinzipal aus

den Geschäften des Prokuristen nicht jure cesso, sondern sofort Rechte und Pflichten erlange (Prot. S. 78, 79).

Man

hat somit die vermeintlichen Konsequenzen der rich­ tigen Theorie abgelehnt, nicht aber diese selber, und hat es der Wissenschaft überlassen, aus dem anerkannten Prin­ zip die richtigen Folgesätze zu entwickeln, keineswegs aber

vermeint, daß hier eine Lücke des HGB durch das Landes­

recht auszufüllen sei.

265

In welchem Sinne endlich die Nürnberger Konferenz selber die hier zu entscheidende Frage aufgefaßt hat, ergiebt sich nicht allein aus der vorstehend referirten Aeußerung, sondern auch aus ihrem Verhalten gegenüber anderweitigen Bestimmungen des Entwurfs. Der preuß. Entwurf enthielt außer dem Art. 41 fol­ gende Sätze: Art. 42. Der Prinzipal ist für den Schaden ver­ antwortlich, welchen ein Faktor durch unerlaubte Handlungen in Ausführung eines Geschäfts, auf welches sich sein Auftrag erstreckt, einem Drit­ ten zugefügt hat. Art. 57. Für den Schaden, welchen ein Hand­ lungsgehilfe einem Dritten durch unerlaubte Handlungen in Ausführung der ihm obliegen­ den Vorrichtungen zufügt, ist der Prinzipal ver­ antwortlich.

Dieser Art. 57 wurde bereits in erster Lesung aus verschiedenen Gründen gestrichen, insbesondere weil es zu weit gehe, daß der Prinzipal nicht blos aus auftrags­ gemäßen Rechtsgeschäften, sondern aus allen auftrags­ gemäßen Verrichtungen seines Personals schlechthin einstehen solle (Prot. S. 99 bis 101). Dagegen wurde Art. 42 in erster und zweiter Lesung mit einigen Aenderungen ange­ nommen, und der gleiche Grundsatz auch hinsichtlich der Haf­ tung von Handelsgesellschaften anerkannt: I. Nürnberger Entwurf Art. 52, 116, 159, 211; II. Nürnberger Entwurf Art. 53, 117, 159, 218; Prot. S. 84 bis 86, 214, 1005, 1063, 1108, 1164.

Endlich wurde im Seerecht die Haftung des Rheders, wenngleich nur mit dem Schiffsvermögen, für den Schaden ausgesprochen, welchen eine Person der Schiffsbesatzung einem Dritten durch ihr Verschulden in Ausführung ihrer

266 Dienstverrichtungen

zufügt,

und ist es hiebei verblieben

(HGB Art. 451, 452 Nr. 3). Hingegen die Art. 53, 117, 159, 218 des Entwurfs

zweiter Lesung wurden, in Folge der Monita von Ham­ burg, Bremen, Mecklenburg und Kurhessen (Nr. 79, 80, 81,

144, 145), — vgl. auch Goldschmidt Kritik des Entwurfs eines Handelsgesetzbuchs für die preuß. Staaten I S. 39; Schliemann Kritische Bemerkungen S. 39 ff.;

Goldschmidt Gutachten S. 38 — gestrichen (Prot. S. 4518, 4519). Allein diese Streichung berührt die hier allein in-

teressirende Frage von der Haftung des Prinzipals gegen den Kontrahenten seines Bevollmächtigten für den dolus des Letzteren bei Eingehung von Rechtsgeschäften nicht. Mag auch Art. 53 des Entwurfs zweiter Lesung:

„der Prinzipal ist für den Schaden verantwort­ lich, welchen der Prokurist oder der HandlungsBevollmächtigte einem Dritten durch sein Ver­

schulden in Ausführung eines Geschäfts zufügt,

auf welches sich der Auftrag erstreckt", seiner sehr allgemeinen Fassung nach, nicht blos auf selb­ ständige gegen Dritte (d. h. Nichtkontrahenten) begangene

Delikte, sondern auch auf bloße Kontraktwidrigkeiten des Be­ vollmächtigten bezogen werden können: so erklärte doch der

Referent — ohne daß aus den Protokollen sich ein Wider­

spruch ergäbe —, daß alle Ansprüche aus Beschädigungen des Prokurainhabers, welche er dem anderen Kontra­ henten bei Eingehung eines Vertrages zufüge,

reits durch

Art. 41

be­

des preuß. Entwurfs (den jetzigen

Art. 52 HGB) geregelt seien (Prot. S. 84 bis 86).

Bei

der Seerechtsberathung ist zwar anscheinend eine entgegen­

gesetzte Ansicht geäußert (Prot. S. 3730), allein im Seerecht

267 selber ist gerade diese Scheidung scharf durchgeführt (vgl.-

HGB Art. 452 Nr. 1, 2, 3), und die in dritter Lesung durchgedrungenen Monita von Bremen und Hamburg gingen

von der als

aus,

selbstverständlich betrachteten Voraussetzung

daß der Prinzipal für die seitens des Prokuristen

oder Handlungsbevollmächtigten dem Kontrahenten zuge­ fügten Beschädigungen schlechthin einstehe, wie denn auch

die Gegner des Art. 53 hervorhoben, daß es sich nach dem­

selben nicht um Verschuldung bei Kontraktsab­ schlüssen, für welche der Prinzipal schon aus an­ deren Gründen einstehen müsse, sondern um Schäden

durch faktische Verrichtungen handle, und nach dieser Seite hin das Bedürfniß einer so weit gehenden Vorschrift nicht

anzuerkennen sei (Prot. S. 4518, 4519). Nach dieser Auffaffung der Konferenz blieb selbstverständlich zur Anwendung

der Landesgesetze kein Raum, und es ist unbedenklich, der­

selben in Bezug auf die hier vorliegende Frage beizutreten. Vgl. Anschütz und v. Völderndorff Komm. I

S. 385, 392, 393, 310, 311, 420 ff.;

Auerbach Neues Handelsgesetz I S. 75, 76; Busch's Archiv I S. 65 bis 68; v. Gerber Deutsches Privatrecht § 158a, n. 8. Ist es hienach richtig, daß dem Prinzipal die vom

Prokuristen bei der Eingehung von Rechtsgeschäften verübte Betrugshandlung so zugerechnet wird, als hätte er selber solche begangen: so steht gegen ihn der Anspruch

daraus in gleichem Umfange, wie gegen den Prokuristen

zu.

Daß in dieser Beziehung der Appellrichter gefehlt habe,

behauptet die Nktbschw. nicht.

Auch spricht der Appellrichter

nicht darum den Klägern die Differenz zwischen dem ge­ zahlten und dem angemessenen Preise zu, weil Beklagte

diese gewonnen habe, sondern weil sie ihrem betrügerischen Prokuristen zu Gute gekommen sei. Endlich gilt der Satz (Allg. Landrecht I. 16 § 10),

daß alle Verbindlichkeiten

268

durch Erfüllung aufgehoben werden, selbstverständlich nicht von Fällen, wo betrügerisch statt der vertragsmäßigen Leistung ein andere gewährt und irrthümlich angenom­ men ist. Nr. 54.

II. Senat. — Erkenntniß v. 19. Inni 72. (Z.) M. Ollendorf u. E. Dombrowski

Graf H. Henckel v.'^Donncrsmark (Nr. 314 v. 72).

I. Instanz: Gerichtsdeputation Tarnowitz, II. Instanz: Appellationsgericht Ratibor. Dertragsschließung.

Eine Bertragsoffcrtc gilt als solche, wenn sic nicht uneingeschränkt und rechtzeitig angenommen worden, regel­ mäßig bezüglich beider Theile für erloschen. HGB Art. 318, 31Ö, 322; § 84, 85 ALR I. 5. Vgl. Rspr. III S. 261, IV S. 178, V S. 286 ff.

Sachverhalt und Entscheidung des OHG: Es handelt sich lediglich darum: ob der von den Klä­ gern ihrem Entschädigungs-Anspruch unterstellte Kaufvertrag zu Stande gekommen ist? Unstreitig und unzweifelhaft ist die Frage nach dem HGB zu entscheiden, und die hier im 3. Abschnitt des 4. Buchs gegebenen Bestimmungen über Acceptation von Anträgen erscheinen in ihrer Anwendung auf den, von den Vorderrichtern festgestellten Thatbestand als für die Entscheidung des Streitpunkts vollkommen aus­ reichend. Wenn letztere gleichwohl vom Appellrichter haupt­ sächlich auf die §§ 84, 85 ALR I. 5 gegründet ist: so fällt dem Urtel dennoch — abgesehen davon, daß der erhobene Angriff sich nicht auf die unterlassene Anwendung des HGB stützt — eine Verletzung der §§ 1, 79, 84, 85, 103 ALR I. 5 nicht zur Last. Der Appellrichter hat nicht verkannt, daß die wechsel­ seitige Einwilligung zur Erwerbung oder Veräußerung

269

eines Rechts „Vertrag" genannt wird (§ 1); daß durch die Annahme eines giltigen Versprechens der Vertrag zum Ab­ schluß gelangt (§ 79) und daß nach § 103 a. a. O. der Antragende, sobald die in den §§ 90 ff. ebendaselbst be­ stimmten Fristen zur Erklärung über den Antrag fruchtlos verlaufen sind, zurücktreten kann. — Die vom Appellrichter für maaßgebend erklärten §§ 84, 85 a. a. O. lauten: (§ 84) Die Annahme muß unbedingt und un­ eingeschränkt sein, wenn dadurch der Abschluß des Vertrages erfolgen soll. (§ 85) Geschieht die Annahme nur unter Be­ dingungen oder Einschränkungen, so kann der Versprechende seinen Antrag zurücknehmen. Daraus folgt in Verbindung mit §§ 90 ff., daß ein Antrag, welcher entweder nicht unbedingt und uneingeschränkt oder nicht rechtzeitig acceptirt wird, dadurch seine rechtliche Bedeutung verliert und bei etwaigen weiteren Unterhand­ lungen nur noch als thatsächliches Interpretations-Moment in Betracht kommen kann. Ebendieselben Rechtssätze ergeben sich aus den Be­ stimmungen des HEB. Insonderheit verordnet Art. 322 daselbst ausdrücklich: Eine Annahme unter Bedingungen oder Ein­ schränkungen gilt als Ablehnung des Antrages verbunden mit einem neuen Anträge. Es kann dahin gestellt bleiben, ob sich diese Bestimmung auch auf Anträge unter Gegenwärtigen bezieht; denn nach Art. 318, 319 ist an solchen Antrag der Antragende bei nicht rechtzeitiger Annahme desselben nicht weiter ge­ bunden. Der andere Theil hat also sein Acceptationsrecht verloren. Für beide, in Vertragsunterhandlungen getretene, Theile gilt däher, nach dem HGB gleichwie nach den ein­ schlagenden Bestimmungen des ALR, der nicht pure und

270 rechtzeitig acceptirte (ursprüngliche) Antrag, als solcher, für erloschen — vorausgesetzt, daß nicht besondere Umstände

einzelnen Falles

des

eine andere Annahme rechtfertigen,

vgl. Erk. des OHN v. 16. Sept. 71 Mpr. III S. 261 ff.].

Dergleichen Umstände liegen in gegenwärtigem Falle

nicht vor. Es steht fest, daß Beklagter auf den Kaufantrag der

Kläger v. 27. Juli 68 nicht unbedingt eingegangen ist, viel­

mehr den Abschluß des Kaufvertrages von der Annahme besonderer Bedingungen seitens der Kläger abhängig ge­ macht und hiezu den Klägern nur bis zum 5. August 68

Vormittags 10 Uhr Frist gewährt hat.

Es steht ferner

fest, daß diese Frist von den Klägern nicht pünktlich ge­ wahrt worden, sowie daß es bei den Zusammenkünften der Kläger mit dem Vertreter des Bekl. am Vormittag und Nachmittag des gedachten Tages zu anderweiten Unterhand­ lungen gekommen ist.

In der Nichtigkeitsbeschwerde wird

von den Klägern ausdrücklich anerkannt, daß Beklagter auf ihre Erklärungen am Vormittag des 5. August 68 zu rück­ sichtigen nicht verpflichtet war.

Mit diesem Anerkenntniß

und der obigen Rechtsausführung treten Kläger in Wider­ spruch, wenn sie an anderer Stelle des Schriftsatzes behaup­

ten, daß ihre ursprüngliche Offerte damals nicht wirkungs­ los

gewesen sei.

Der Appellrichter hat mit Recht ange­

nommen, daß diese Offerte damals erloschen war, und daß sonach die vom Vertreter des Bekl. am Morgen jenes

Tages abgegebene Erklärung, sich die definitive Beschluß­ fassung bis zum nächsten Tage vorzubehalten, dadurch ihre rechtliche Bedeutung nicht verloren haben könne, daß

die Kläger am Nachmittag des 5. August 68 sich mit den

ursprünglichen Propositionen des Bekl. einverstanden erklärt haben.

Auch diese Propositionen hatten, da sie nicht recht­

zeitig angenommen worden, den Charakter der Offerte ver­ loren.

Eine solche lag daher an jenem Nachmittag über-

271 Haupt gar nicht mehr vor.

mittag

hatten

nur

zu

Die Verhandlungen am Vor­

dem vorerwähnten Vorbehalt

geführt, weshalb der Vertragsabschluß lediglich davon ab­

hing, daß Beklagter, in Erledigung des Vorbehalts, eine

Erklärung abgab, welche die beiderseitige Willensüberein­ stimmung in Ansehung der Vertragsbedingungen manifestirte.

Eine derartige Erklärung ist nicht abgegeben morden; im

Gegentheil hat der Appellrichter schließlich festgestellt, daß

die Erklärung des Bekl. ablehnend gelautet habe. Daraus resultirt, daß weder nach den bezüglichen Vor­ schriften des HGB, noch nach denen des ALR der fragliche Kaufvertrag als zustandegekommen angesehen werden kann, der Appellrichter also, indem er dies ausgesprochen, in keiner

Richtung rechtsgrundsätzlich gefehlt hat.

Nr. 55.

I. Senat. — Erkenntniß v. 21. Znni 72. (Nef.) Fulda

Thüringische Eisenbnhngesellschaft (Nr. 363 v. 72).

Königreich Sachsen.

Weitere Berufung.

I. Instanz: Handelsgericht Leipzig, II. Instanz: Appellationsgericht Leipzig.

Eisenbahnfrachtvertrag, bösliche Handlungsweise.

1. Die bösliche Handlungsweise der betr. Bahnver­ waltung oder ihrer Leute hat der Kläger nachzuweisen, welcher bei eingetretenem Frachtgutsverlust eine höhere als die rcglcmentsmäßige Entschädigung fordert. Feste Praxis des OHG, vgl. Rspr. II S. 9. Ebenso v. Hahn Komm. § 8 zu Art. 396.

2. Was heißt „bösliche Handlungsweise" im Art. 396 Abs. 5 und Art. 427 Schlußsatz (abgesehen von eigent­ licher Arglist, Veruntreuung rr.)?

272

3. Diese bösliche Handlungsweise ist nach der Gesammt­ heit der Umstände des Einzelfalles zn beurtheilen. (An­ wendung auf die anomalen Verhältnisse während des deutsch­

französischen Krieges.) Der bekl. Eisenbahngesellschaft sind zu Leipzig mehrere

Waarencolli zur Beförderung an den Kläger nach Worms übergeben worden.

Kläger fordert Werthersatz

für das

Frachtgut, weil dieses binnen sechs Monaten nach der Auf­

gabe nicht an ihn abgeliefert worden, daher als verloren

zu erachten und weil dieser Verlustfall auf eine bösliche Handlungsweise der Bahnverwaltungen zurückzuführen sei.

Abweichend von der Auffassung der Vorderrichter, hat das

OHG die Klage abgewiesen. Gründe:

Die Legitimation des Klägers erscheint begründet.

Ob

der „Empfänger" nach HGB Art. 405 schon um deswillen

zur Entschädigungsklage berechtigt erscheint, weil die Zeit,

zu welcher das Gut nach dem Frachtverträge in Worms hätte ankommen sollen*), verflossen ist, kann dahin gestellt bleiben.

Denn da Kläger sich im Besitz des Frachtbriefs­

duplikats befindet, und Bekagte zugestanden hat, daß solches

vom Absender der Waare, dem Spediteur L., an den im Frachtbrief als Empfänger bezeichneten Kläger abgegeben

worden ist, da auch nirgend erhellt, daß L. für sich Rechte geltend mache, Beklagte vielmehr selber behauptet, die an­

geblich wieder aufgefundenen Colli seien dem Kläger in Worms offerirt worden: so kann die stillschweigende Cession der Rechte aus dem Frachtvertrag nicht bezweifelt werden. **

Dagegen erscheint die Kläge ihrem Inhalt nach un­

begründet.

* v. Hahn Komm. I S. 478, 475; vgl. Prot. S. 5098 bis 5100 und Rspr. IV S. 286. ** Vgl. Rspr. V S. 203, VII S. 146.

273 Kläger begehrt vollen Schadenersatz wegen Verlusts von Frachtgut. Dieser Anspruch steht ihm nach Art. 396 Abs. 5 und Art. 427 Abs. 2 HGB nur' im Falle einer böslichen Handlungsweise der Bahnverwaltung oder ihrer Leute zu, da nach Art. 396 Abs. 2 HGB regelmäßig nur der gemeine Handelswerth des verlornen Guts (am Ort und zur Zeit der Ablieferung, nach Abzug ersparter Zölle und Unkosten) zu ersetzen ist und nach Art. 427 Nr. 1 HGB, verbunden mit den bekannten Bedingungen der Eisenbahnreglements, an Stelle des gemeinen Handelswerths der Maximalnormalsatz von 20 Thlrn. pro Ctr. tritt. Die bösliche Handlungsweise — sei es der beklagten Verwaltung der Aufgabebahn oder einer, derjenigen Anschlußbahnen, für welche Beklagte einsteht, bzw. der Leute einer dieser Eisenbahnen(HGBArt.401, 429) —hatKläger darzulegen. HGB. Art. 396 Abs. 5; Rspr. II S. 9. * Ist nun auch die Behauptung der Bekl., daß nach dem allgemein maaßgebenden Betriebsreglement für die Eisen­ bahnen im Norddeutschen Bunde v. 10. Juni 70 bei bös­ licher Handlungsweise überhaupt nicht mehr für vollen * Dasselbe ist feste Praxis des II. Senats des OHG. Dieser hat u. a. in der rheinpreuß. Kassationssache der Bergisch-Märkischen Bahn e|. F. W. Teschemacher Sohn (Nr. 855 v. 72) bei Kassirung eines handelsgerichtlichen Urtels am 19. Febr. 73 erwogen: daß wenn die Kassationsklägerin, in Ausübung der ihr durch Art. 427 HGB gewährten Besugniß, ihre Haftbarkeit für das ihr zum Transport übergebene,Gut auf einen Normalsatz beschränkt hat, das dies festsetzende Betriebsreglement das Vertragsrecht zwischen der Bahn und dem Versender bildet svgl. oben Fall Nr. 37 S. 165] und für die Ersatzansprüche des Letzteren wegen eiugetretener Verluste der Beschädigungen maaßgebend ist und dieser Maaßstab nur dann aus­ geschlossen und ein Anspruch auf Ersatz des vollen Werths in Ge­ mäßheit des Art. 396 Abs. 5 nur begründet ist, wenn Verlust oder Beschädigung durch eine bösliche Handlungsweise der Bahnverwal­ tung oder ihrer Leute herbeigeführt worden ist; daß demnach der Versender, welcher sich mit der reglements­ mäßigen Entschädigung nicht begnügen will und vollen Schadenersatz fordert, seinen Anspruch auf die Behauptung und den Nachweis einer der Bahnverwaltung oder ihren Leuten zur Last fallenden bös­ lichen Handlungsweise stützen muß. VII.

274 Schadenersatz gehaftet werde, vollkommen irrig: so bedarf

es doch gegenüber der auf bösliche Handlungsweise ge­ stützten, vollen Schadenersatz begehrenden Klage weder der Vorschützung einer der Befreiungsgründe, welche dem An­

spruch ex recepto entgegenstehen, somit insbesondere nicht der Berufung auf höhere Gewalt (HGB Art. 395), noch ist solche Einrede überhaupt denkbar, da bösliche Hand­

lungsweise mit einer

die Zurechnung

vollkommen

aus­

schließenden höheren Gewalt direkt unverträglich erscheint. Dem Klagegrund der böslichen Handlungsweise gegenüber erscheint die Berufung auf höhere Gewalt als bloßes Leug­

nen und dürfte das Beweisthema jedenfalls nicht auf Vor­

handensein höherer Gewalt beschränkt, sondern müßte auf

alle Umstände

erstreckt

werden,

welche

eine

bösliche

Handlungsweise ausschließen.

Allein auch nur eines solchen Beweises bedarf es nicht, da die vom Kläger behaupteten (geschweige denn die von

Beklagter zugestandenen) Thatsachen keineswegs ausreichen,

um den Vorwurf böslicher Handlungsweise zu begründen. Auch angenommen, daß jedes grobe Verschulden, lata

culpa im Sinne des gemeinen Rechts, als „bösliche Hand­ lungsweise" im Sinne des HGB zu erachten wäre*, an­

genommen ferner, daß die vom Kläger behaupteten That­ sachen an und

für sich und unter normalen Verhält-

niffen des Eisenbahnbetriebs sich

als grobes Verschulden

darstellten — was in dieser Allgemeinheit schwerlich zu­

trifft fRspr. II S. 10 ff.] —

so schließen doch

die noto­

rischen Umstände zur Zeit des angeblichen Verlustfalles den Vorwurf auch nur des groben Verschuldens, d. h. der Ge­

wissenlosigkeit oder völligen Kopflosigkeit, schlechthin aus. * Dafür: v. Hahn Komm. (1. Auflage) B. II S. 447, 448 und die bisherige Praxis, vgl. Scheffer und Groß, Repertorium zum HGB S. 431, 458; dagegerch die konstante Rechtsprechung des II. Senats des OHG, vgl. Nachtrag S. 277 ff.

275 Es kommt aber auf die Gesammtheit der konkreten Umstände an, nicht darauf, wie unter gewissen anderen

Voraussetzungen — gleichsam abstrakt — das Verhalten der Betheiligten zu beurtheilen wäre.

Nun behauptet die Klage nur:

Der Inhalt des auf

der Main-Neckar-Bahn zu Frankfurt a/M. am 27. Sept.

70 mit den Colli des Klägers angekommenen Wagens sei die

nicht sofort mit der Frachtkarte verglichen worden;

nach verschiedenen Richtungen hin zu expedirenden Güter seien nicht ausgeladen und entsprechend instradirt, sondern

der Wagen sei unausgeladen, ohne Verzeichnung des Ab­

gangs und

seiner Richtung

und

unter Zurückbehaltung

sämmtlicher Begleitpapiere nach Mannheim gesendet.

Die

Verwaltung der Main-Neckar-Bahn habe weder unaufge­

fordert noch nach mehrfachen Anfragen des Spediteurs L.

und persönlichen Aufforderungen des Klägers die „erforder­ lichen" Maßregeln ergriffen, um die Folgen der in der un­ richtigen Dirigirung des Wagens bzw. der einzelnen Güter liegenden groben Nachlässigkeit abzuwenden, und erst auf

Beschwerde des Klägers bei der Direktion demselben am 23. Okt. mitgetheilt, der Wagen habe sich in Mannheim vorgefunden und sei nach Frankfurt zurückbeordert worden. Es habe sich dann herausgestellt, daß der Wagen ohne Ver­

merk seines Abgangs nach Neustadt a/H. dirigirt worden, endlich nach Frankreich

gelaufen sei.

Auch die Beamten

der Güter-Expedition der Badischen Bahn hätten die Bitten des Klägers um Nachforschungen unbeachtet gelassen, und erst, nachdem derselbe mit Beschwerde bei der Direktion in Karlsruhe gedroht, anfangs November sich angeschickt, einige Recherchen anzustellen.

Erst am 1. Dez. habe Kläger von

der Eilgut-Expedition der Main-Neckar-Bahn die Anzeige

erhalten, daß der Wagen

nach Frankreich gelaufen und

die Rücksendung seines Inhalts täglich zu erwarten sei.

Auch letzteres sei nicht,, jedenfalls zu spät, geschehen. 18*

276 Beklagte hat nur zugegeben, daß der Inhalt des in der Nacht vom 27. zum 28. Sept, auf dem Main-NeckarBahnhof zu Frankfurt a/M. eingetroffenen Wagens nicht sofort mit der Frachtkarte verglichen, ferner daß der Wagen unter Zurückbehaltung der Begleitpapiere unausgeladen nach Mannheim gegangen sei, und daß sie auf briefliche Anfrage des Klägers vom 22. Okt. ihm am 23. deffelben Monats mitgetheilt habe, der Wagen habe sich in Mann­ heim vorgefunden und sei nach Frankfurt zurückbeordert. Alle übrigen Behauptungen hat sie geleugnet und das allerdings vorgekommene Versehen durch die theilweise Beladung des Wagens mit Militärgut, durch Requisition des Wagens seitens eines Militärbeamten und durch die im Eisenbahn-Transport überhaupt, sowie auf den Frankfurter Bahnhöfen insbesondere Ende Sept. 70 obgewalteten Ver­ hältnisse zu entschuldigen gesucht. Sogar unter ganz normalen Verhältnissen würden die zugestandenen Thatsachen für sich allein schwerlich den Vorwurf höchster Fahrlässigkeit begründen, zumal Beklagte alsbaldige, aber vergebliche Recherchen angestellt haben will. Unter den notorischen Verhältniffen des damaligen Eisen­ bahnbetriebs würde es zu diesem Zweck nicht einmal ge­ nügen, falls sämmtliche vom Kläger behaupteten Thatsachen erwiesen wären und sämmtliche von der Bekl. behaupteten Thatsachen unerwiesen blieben. Denn was zunächst das Verhalten der Badischen Bahnverwaltung anlangt, so kann dahingestellt bleiben, ob Beklagte für deren Unter­ lassungen verantwortlich gemacht werden kann, da (nach den eigenen Angaben des Klägers) der betreffende Wagen anscheinend gar nicht nach Mannheim gelangen, somit das Gebiet der Badischen Bahn gar nicht berühren sollte. Von den der Verwaltung der Main-Neckar-Bahn gemachten Vor­ würfen aber ist der schwerwiegendste, daß sie die zur Be­ seitigung der einmal eingetretenen Verschleppung erforder-

277

lichen Maaßregeln nicht ergriffen habe. Daß sie gar keine Maaßregeln der Art ergriffen habe, behauptet Kläger selbst nicht, und was er für erforderlich ansieht, entzieht sich mangels näherer Angabe der richterlichen Prüfung. Allein, selbst angenommen, daß in der That die möglichen und zweckmäßigen Maaßregeln Unterlasten wären, auch im Uebrigen sich alles so zugetragen hätte, wie Kläger angiebt: so waren doch in Folge der auf den Eisenbahnen um Frankfurt a/M. Ende 70 obwaltenden, von der Bekl. richtig geschilderten Verhältnisse die erheblichsten Störungen und Unordnungen des Bahnbetriebs ganz unvermeidlich, mußten die Verwaltungen sich mit einem geringeren und vielfach ungeübten Personal behelfen, und erscheinen so Vorgänge, welche unter normalen Verhältnissen als höchste Fahrlässigkeit, Kopflosigkeit oder gar Frevelhaftigkeit' an­ gesehen werden dürften, wenn nicht als Zufall, doch als Verschuldungen geringerer Art. Der Maaßstab der Zu­ rechnung muß eben ein anderer werden, die Gradationen beginnen tiefer. Diese nothwendigen Konsequenzen des Kriegszustands muß auch der Handelsstand gegen sich gelten lassen. Wer um jene Zeit Güter zum Transport aufgab, zumal nach den dem Kriegsschauplatz nahe liegen­ den Gegenden, und nicht einmal durch Werthdeklaration sich vollen Ersatz zusichern ließ, vermag nur unter ganz außer­ ordentlichen Umständen die anomale Haftung für Ersatz des gesammten Schaden in Anspruch zu nehmen. Solche aber hat Kläger nicht einmal zu behaupten vermocht. Damit fällt die Klage in allen ihren Theilen, ohne daß es einer Beweiserhebung rc. bedurfte. . . Nachtrag. Der II. Senat des OHG, welcher regelmäßig die Kassationssachen aus Rheinpreußen erledigt, hat die bisherige Praxis der rheinischen Handelsgerichte, nach welcher jede grobe Fahrlässigkeit oder Nachlässigkeit in Behandlung

278 von Frachtgütern der betr. Bahnverwaltung ohne Weiteres als eine bösliche Handlungsweise angerechnet wird, konstant

verworfen. Der Gerichtshof hat hiebei u. a.

1) in Kassationssachen der Bergisch-Märkischen Bahn 7- Jacob Bünger Sohn (Nr. 909 v. 72) durch Erk. v. 5. März 73 erwogen, daß die bösliche Handlungsweise, bei deren Vor­ handensein die im Art. 427 HGB gestattete Beschränkung

der Haftpflicht der Eisenbahnen auf den Normalsatz oder den angegebenen Werth des Guts nicht geltend gemacht werden kann, — wie die Entstehungsgeschichte der betr. Vorschriften des HGB erkennen läßt — ein eigenthümlicher

Rechtsbegriff ist, der, im Gegensatz zu den hergebrachten Kategorien, einerseits den dolus im eigentlichen Sinne, die

auf

Beschädigung

gerichtete

arglistige

Absicht,

andrerseits den frevelhaften Leichtsinn oder Muth­

willen in sich schließt, der zwar die Beschädigung nicht beabsichtigt, sich aber bei seinem Handeln der damit ver­

bundenen Gefahr bewußt ist,

und dennoch das Handeln

nicht ändert; daß dieser Begriff daher weder mit dem eigentlichen

dolus noch

mit grober Fahrlässigkeit

identiftzirt werden

darf, daß vielmehr, wo er als vorhanden angenommen werden

und

auf Grund desselben

die Beschränkung der

Haftpflicht der Eisenbahn wegfallen soll, als nothwendige

Voraussetzung hiefür ein die Merkmale des Begriffs der

böslichen Handlungsweise, seinem richtig verstandenen Sinne gemäß, in sich schließender Thatbestand festgestellt werden muß; daß hieraus folgt:

daß in vorliegendem Falle das

Handelsgericht, wenn es sich auf den Ausspruch beschränkt und seine Entscheidung lediglich darauf gestützt hat, daß

der

eingetretene Verlust

des Frachtguts Folge

grober

279 Fahrlässigkeit gewesen sei, von einer irrigen Auffaffung

des Begriffs der böslichen Handlungsweise ausgegangen ist und den Schlußsatz des Art. 427 HGB verletzt hat, . ..

und in der Sache selbst erkannt:

aus diesen Gründen kassirt das ROHG II. Sen. das Urtel des kgl. preuß. Handelsgerichts zu Barmen v. 16. Febr. 72. . . sodann zur Sache selbst erkennend, mittelst Anwendung der obigen Grundsätze und in Erwägung,

daß Klägerin ihren Anspruch auf den vollen Werth­

ersatz lediglich darauf gründet, daß das betr. Frachtgut der Bekl. zum Transport übergeben und am Bestimmungsort nicht angelangt ist, daß dies zwar hinreichts, um die allgemeine Verant­

wortlichkeit der Eisenbahngesellschaft, als Frachtführer, nach Art. 395 HGB zu begründen, nicht' aber, um die nach

Art. 427 zulässige Beschränkung der Verantwortlichkeit in

quanto auszuschließen; daß dazu der positive Nachweis

einer dem Personal der Eisenbahn zur Last fallenden bös­ lichen Handlungsweise gehört; daß von diesem Standpunkt

aus die Klägerin sich nicht darauf beschränken darf, von -er Eisenbahn Auskunft über den Verbleib des Frachtguts

zu verlangen, ihr vielmehr obliegt, Thatsachen zu be­ haupten, die einen ursachlichen Zusammenhang zwischen dem

Verlust des Frachtguts und einem Handeln des Eisenbahn­ personals erkennen taffen und zur Annahme, daß dieses Handeln ein bösliches gewesen, berechtigen; . . .

2) in Kaffationssachen der Rheinischen Bahn •/. die Frankfurter Transport- und Glas-Versicherungs-Aktiengesell-

schaft (Nr. 168 v. 73) durch Erk. v. 23. April 73 erwogen:

daß das Handelsgericht — indem es die „grobe Fahr­ lässigkeit", welche es in dem Verhalten der Eisenbahngesell­

schaft zu erkennen glaubte, ohne Weiteres der böslichen Handlungsweise gleichstellte — den Rechtsbegriff der letzteren

280 verkannt hat, welche nicht mit der auf einen gewiffen Grad gesteigerten Fahrlässigkeit identisch ist, dessen Wesen vielmehr

in dem frevelhaften Muthwillen besteht, der zwar die

Beschädigung nicht beabsichtigt, sich aber bei dem Handeln

der damit verbundenen Folgen bewußt ist, daß die Merkmale einer so gearteten Handlungsweise

festzustellen dem Richter zur Rechtfertigung seiner Entschei­ dung obgelegen hätte, und er, wenn er — ohne dies zu

thun — die Eisenbahn-Gesellschaft zu dem erforderten vol­

len Werthersatz verurtheilte, den Schlußsatz des Art. 427

HGB verletzt hat; daß das handelsgerichtliche Urtel daher vernichtet und die lediglich auf die Thatsache des eingetretenen Verlusts

gestützte Klage abgewiesen werden muß;. 3) in Kassationssachen der Rheinischen Bahn •/'. den Rheinisch-Westphälischen Lloyd (Nr. 302 v. 73) durch Erk. v. 23. April 73 erwogen,

daß nach Art. 395 des HGB der Frachtführer für den Verlust des Frachtguts haftet, so lange er nicht nach­ weist, daß der Verlust durch höhere Gewalt oder durch die

Beschaffenheit des Guts oder durch mangelhafte Verpackung

entstanden ist; daß Art. 427 den Eisenbahnen gestattet, jene Haftbar­ keit in Bezug auf das Quantum des zu leistenden Er­

satzes auf einen im Voraus bestimmten Normalsatz zu be­ schränken; daß es bei dieser Beschränkung, wo sie vertrags­ mäßig bedungen ist, bewendet, es sei denn, daß der Bahn­

verwaltung eine bösliche Handlungsweise zur Last fällt; daß nach 'allgemeinen Regeln diese Handlungsweise Der­ jenige darthun muß, der dieselbe behauptet und auf deren

Grund die gesetzlich zugelassene Beschränkung der Haftpflicht

ausschließen will; daß mit diesen Grundsätzen das Handelsgericht sich in Widerspruch gesetzt hat, wenn es — statt zu erforschen, ob

281 nach

der konkreten Sachlage eine bösliche Handlungs­

weise der Bahnverwaltung anzunehmen und auf solche der

Verlust des Frachtguts zurückzuführen sei — den abstrak­

ten Satz aufstellt, daß der Verlust eines den Vorschriften über Verpackung rc. entsprechenden Waarenballens ein der

böslichen Handlungsweise gleichstehendes grobes Versehen

darstelle, wenn es ferner unter Verkennung des eigen­ Rechtsbegriffs der böslichen Hand­ lungsweise derselben ein grobes Versehen ohne Weiteres thümlichen

gleichstellt, wenn es endlich den Anspruch der Bahngesell­ schaft auf die gesetzlich beschränkte Haftpflicht von einem von derselben zu führenden Exculpationsbeweise abhängig

macht, der sie nach Art. 395 HGB von jeder Haftpflicht

befreien würde; daß hienach das fhandelsgerichtliche Urtel wegen Ver­

letzung der Art. 395, 427 HGB sowie des im Art. 1315 des Rheinischen bürgerl. GB enthaltenen Grundsatzes über

die Beweislast der Vernichtung unterliegt, und in der Sache selbst die Klage, da dieselbe auf Thatsachen, aus denen auf eine bösliche Handlungsweise der Bahnverwaltung ge­ schlossen werden könnte, nicht gestützt ist, abgewiesen wer­

den muß..

Nr. 56.

II. Senat. — Erkenntniß v. 22. 3tmt 72. (J.) E. Maljla -. L. v. Faber, in Firma A. W. Faber (Nr. 248 v. 72).

Revision.

Preußen. I. Instanz: Stadtgericht Berlin, II. Instanz: Kammergericht daselbst.

Unbefugte Firmafnhrung, Klage aus Art. 87 HGB.

1. Eine Firma kann für sich allein nicht Gegenstand der Veräußerung sein. Der Erwerb einer Firma von Je­ mand, welcher überhaupt kein Handelsgeschäft betreibt, ist unstatthaft, weil einem von dem Handelsgeschäft, zu wcl-

282

chem eine Firma gehört, abgesonderten Erwerbe der letz­ teren gleichstehend. HGB Art. 15, 23.

2. Die Bezeichnung eigener Waaren mit einer fremden Firma enthält einen Firma-Mißbrauch auch dann nicht, wenn noch durch gleichartige Verpackung und andere Mittel eine Täuschung des Publikums bezüglich des Ur­ sprungs der Waare zum Nachtheil des Firmaberechtigten bezweckt wird. Rspr. I S. 85, V S. 81 Nr. 2.

3. Voraussetzung der Privatklage aus Art. 27 HGB ist die Verletzung irgend eines sobschon an und für sich durch Klage oder Einrede nicht verfolgbaren) Berbietungsrechts. Auch der Nichtkaufmann, also ein zur Führung der betr. Firma nicht Berechtigter, kann zu dieser Klage befugt sein. Rspr. V S. 84, 85.

Sachverhalt «ad Entscheidung des OHG: Die Beschwerden des Bekl. fund Revidenten) sind un­ begründet. Im Absatz 1 verordnet Art. 27 HGB: Wer durch den unbefugten Gebrauch einer Firma in seinen Rechten verletzt ist, kann den Unberech­ tigten aus Unterlassung der weiteren Führung der Firma und auf Schadenersatz belangen. Was die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf den vor­ liegenden Rechtsfall — wovon dessen Entscheidung aus­ schließlich abhängt — betrifft: so steht als unstreitig fest, daß Kläger die Fabrikation und den Handel mit Bleistiften in Stein bei Nürnberg unter der Firma A. W. Faber seit Jahren betreibt, daß er zum Gebrauch dieser Firma berech­ tigt ist, auch dieselbe bereits im Jahre 62 in das Firmen­ register des Handelsgerichts 31t Nürnberg hat eintragen lassen; daß andererseits Beklagter ein gleichartiges Fabri-

283

lkations- und Handelsgeschäft in Nürnberg ebenfalls unter der Firma A. W. Faber betreibt, daß für ihn diese Firma sowohl im Firmenregister des Stadtgerichts zu Berlin (unterm 10. Mai 70), als auch im Firmenregister des Handelsgerichts zu Nürnberg (unterm 10. Juni 70) — in diesem als Firma einer Zweigniederlassung des angeb­ lichen Etablissements zu Berlin — eingetragen worden ist, und daß Beklagter, um diese Eintragungen zu erlangen, den Schlossergesellen F. W. A. Faber in Berlin dazu be­ wogen hatte, für sich als Inhaber eines dortigen Geschäfts die Firma A. W. Faber im Handelsregister deF Stadt­ gerichts Berlin eintragen zu lassen — welche Eintragung um 7. Mai 70 erfolgt ist — und sodann am 10. desselben Monats dem Bell, das angebliche Geschäft nebst Firma zu verkaufen. Mit dem Appellrichte.r sind die Behauptungen des Klägers als thatsächlich richtig anzunehmen, daß der Schloffergeselle Faber nie ein kaufmännisches Geschäft besessen hat, die Eintragung der Firma A. W. Faber durch unwahre An­ gaben erschlichen ist, und alle Machinationen des Bekl. nur darauf abgezielt haben, sich die formelle Berechtigung zur Führung der Firma A. W. Faber für sein Geschäft in Nürnberg zu verschaffen. . . Die Nichtbefugniß des Bekl. zum Gebrauch der so erworbenen Firma „A. W. Faber" folgt schon aus Art. 16, in Verbindung mit Art. 23 des HGB, da Beklagter keinen gleichlautenden Familien-Namen trägt und der Erwerb einer Firma von Jemand, welcher überhaupt kein Handelsgeschäft betreibt, einem von dem Handelsgeschäft, zu welchem eine Firma gehört, abgesonderten Erwerbe der letzteren gleichgestellt werden muß. Im Art. 23 ist der Grundsatz ausgesprochen, daß die Firma für sich allein nicht Gegenstand einer Veräußerung sein kann. Es kann daher unerörtert bleiben: ob den Vorder-

284

richtern in der Annahme beizutreten, daß der Kaufmann, welcher nach Art. 16 seine Firma nicht auf seinen Familien­ namen beschränken will, befugt ist, nicht blos Vornamen

sondern

wegzulassen,

dieselben

auch

in

einer

anderen

Reihenfolge, als derjenigen, in welcher sie ihm beigelegt

sind, — entweder vollständig oder in Abkürzungen — bei­ zufügen. Die Behauptung in der Revisionsschrift: der Schlosser

Faber habe die Tendenz gehabt, sich durch die Firmen­ begründung eine selbständige Lebensstellung und eine be­ sondere Ernährungsquelle zu eröffnen, entbehrt jedes Halts in den Akten.

Aus den eigenen Angaben des Bekl. . . .

erhellt, daß Faber — wie bemerkt — die in Rede stehende Firma lediglich dazu, um deren Führung mit einem Schein

von Recht dem Bekl. zu ermöglichen und den von diesem dafür versprochenen Lohn zu empfangen, hat registriren Ganz verfehlt endlich ist die Berufung des Bekl. auf die Art. 20 und 21 HGB, da diese wortdeutlich vor­

lassen.

aussetzen, daß der Inhaber der schon bestehenden Firma zu

deren Führung berechtigt ist.

Nur unter dieser Voraus­

setzung muß derjenige, welcher für sein Haupt- oder Zweig-

Etablissement an demselben Orte oder in derselben Gemeinde eine neue, bzw. noch nicht eingetragene, gleichlautende Firma führen will, derselben behufs ihrer Unterscheidung einen Zusatz beifügen. Firma ist der Gebrauch

Gegenüber

illegalen

einer

der gleichlautenden rechtmäßigen

Firma in keiner Richtung gesetzlich beschränkt oder bedingt. Nach

dem

Vorbemerkten

muß

das

Requisit

des

Art. 27 HGB, bestehend in dem unbefugten Gebrauch einer

Firma, mit dem Appellrichter als vorhanden

werden.

angesehen

Gemäß Art. 27 hat daher Kläger, wenn er durch

den Gebrauch seiner Firma von Seiten des Bekl. in seinen

Rechten verletzt ist, die Befugniß, den Bekl. sowohl auf

Unterlassung der weiteren Führung der Firma „A. W.

285 Faber", als auch auf Ersatz des etwa aus der seitherigen Führung entstandenen Schaden zu belangen. Dem, auf Untersagung der Weiterführung der fraglichen Firma beschränkten, Klageanspruch steht der, vom Bekl. hervorgehobene Umstand, daßKläger bayerischer Staatsbürger ist, keinensalls entgegen, weil zur Zeit der Firma-Annahme seitens des Bekl. das HGB bereits für Preußen und Bayern gemeinsam geltendes Gesetz war. Ein etwaiges Bedenken gegen die Legitimation des Klägers zur diesseitigen Verfolgung seines Klageanspruchs in Rücksicht darauf, daß Kläger in Preußen keine-Hand­ lungsniederlassung besitzt, findet seine Erledigung in. der (in der Reichsverfassung v. 16. April 71 aufgenommenen) Bestimmung des Art. 3 der Verfassung des Nordd. Bundes, welche Bestimmung laut des Staatsvertrages mit dem Königreich Bayern v. 23. Nov. 70 (Uebergangsbestimmung Nr. VI) bereits zur Zeit der, am 20. Januar 70 erfolgten, Klageüberreichung in Kraft getreten war. Was nun die Frage anlangt, ob Kläger durch den unbefugten Firmagebrauch des Bekl. für verletzt zu erachten fei: so legt der Appellrichter zu Unrecht entscheidendes Ge­ wicht darauf, daß — wie er als feststehend ansieht — Beklagter seine Waare in ganz der nämlichen Farbe und Form, in der nämlichen äußeren Beschaffenheit und Ver­ packung habe anfertigen und verbreiten, auch an der nämlichen Stelle mit der Firma A. W. Faber signiren lassen, wie dies Kläger von jeher gethan, so daß die Hinzufügung des Worts „Nürnberg" hinter der Firma auf den fertigen Packeten die einzige Unterscheidung zwischen der Waare der beiden Parteien bilde und gebildet habe. Vom OHG ist bereits im Erk. v. 9. Dez. 71 (Rspr. V S. 81 ff.) dargelegt worden, daß die Bezeichnung eigener Waaren mit fremder Firma keinen Firma-Mißbrauch enthalte. Ein solcher manifestirt sich auch dann nicht,

286

wenn außerdem durch gleichartige Verpackung und andere dergleichen Mittel eine Täuschung des Publikums bezüglich des Ursprungs der Waare zum Nachtheil des Firmaberech­ tigten bezweckt worden. Es ist jedoch in dem obgedachten Urtel auch schon ausgeführt, daß es zur Konstatirung einer Rechtsverletzung im Sinne des Art. 27 HGB eines Schadennachweises dann nicht bedarf, wenn der FirmaBerechtigte — wie in vorliegendem Falle — gegen den Unberechtigten nicht auf Schadenersatz, sondern nur auf Untersagung des weiteren Firmagebrauchs klagt. Zur Anwendung des Art. 27 wird, nach seinem klaren Wortlaute und Sinne, nicht erfordert, daß sich ein FirmaBerechtigter und Unberechtigter gegenüber stehen. Auch ein Nichtkaufmann, also ein zur Führung der Firma, um die es sich handelt, nicht Berechtigter, kann zur An­ stellung der, durch Art. 27 gewährten Privatklage befugt sein. Unbedingte Voraussetzung ist nur die Verletzung eines — wenngleich an und für sich nicht durch Klage oder Einrede verfolgbaren — Verbietungsrechts. Ein solches aber steht dem Firmenberechtigten demjenigen gegenüber, welcher von dessen Firma unbefugten Ge­ brauch macht, in Ansehung dieser Firma ganz offenbar zuz sonst würde von einem Firmenrecht überhaupt nicht die Rede sein können. In solchem Falle bedarf es daher auch keines Nachweises einer Rechtsverletzung. Dieselbe liegt schon in dem unbefugten Firmagebrauch selbst. Hienach war das Resultat der Erwägungen des Appellrichters als richtig anzuerkennen und die entsprechende Entscheidung lediglich zu bestätigen. Nr. 57.

II. Senat. — Erkenntniß v. 22. Juni 72. (Z.) Ed. BLisgen

Preußen.

Wittener Volksbank (Nr. 283 v. 72).

Wechselsache.

Nichtigkeitsbeschwerde.

287 I. Instanz: Kreisgericht Bochum, II. Instanz: Appellationsgericht Hamm. Eontocurrentvertrag.

Ueber die Erfordernisie eines (eigentlichen) kaufmän­ nischen Contocurrent-Verhältniffes und über dessen etwaige

Einwirkung auf die Geltendmachung von Wechselregreß-An­ sprüchen geben wir zu Art. 291 HGB und Rspr. I S. 373, II S. Ul, III S. 202, 272, 307, IV S. 247, V S. 305 folgende, zugleich prozessuale Nichtigkeitsgründe des alt-

vreuß. Prozeßrechts erläuternde

Entscheidung des OHG: 1) Der Appellrichter nimmt an, daß schon der Zweck der klagenden („eingetragenen") Genossenschaft: „Förderung des

Kredits ihrer Mitglieder" gegen das Bestehen eines Conto­

current-Verhältniffes unter den Parteien spreche; denn no­ torisch werde dieser Zweck dadurch erreicht, daß den Mit­ gliedern nach Maaßgabe ihrer Kreditwürdigkeit und der bestellten Sicherheiten, namentlich gegen Accepte, Darlehne

gegeben oder Wechsel diskontirt würden. Der hiegegen gerichtete Angriff aus § 5 der Verordnung vom 14. Dez. 33 und Art. 3 der Deklaration v- 6. April 39 ist unsubstanzirt, weil von den mehreren, hiedurch allegirten Bestimmüngen diejenige nicht bezeichnet ist, gegen welche verstoßen sein soll. Dieser Mangel kann auch auf Grund der gleichzeitig erfolgten Anrufung der Nr. 12 der Instruk­ tion v- 7. April 39 für beseitigt nicht erachtet werden, weil Art. 8 der citirten Deklaration die bestimmte An­

gabe der prozessualen Vorschrift, welche verletzt sein soll,

unbedingt erfordert, die gedachte Instruktion aber nur zu­

sätzliche Bestimmungen, welche die Erläuterung der Ver­ ordnung von 1833 bezwecken, enthält.

Allein auch wenn man von beregtem Mangel absieht und — mit Rücksicht auf die Citirung der Nr. 12 der In-

288 struktion v. 7. April 39 bzw. auf die betreffende Aus­

führung der Nktbschw. — supponirt, daß der fragliche Angriff auf die Bestimmungen unter Nr. 1

des 8 5 der Verord­

nung von 1833 und Nr. 1 des Art. 3 der Deklaration von 1839 gestützt sei, kann diesem Angriff kein Erfolg gegeben werden. Zwar hat keine der Parteien den Zweck der klagenden Genoffenschaft angegeben, Letztere hat sich jedoch darauf be­ rufen, daß Beklagter ihr Mitglied sei und dies ist vom Bekl.

zugestanden worden.

Hiedurch war der Appellrichter aller­

dings zu der Prüfung veranlaßt: ob und ev. von welchem

Einfluß auf die Natur des streitigen Rechtsverhältnisses

diese Mitgliedschaft des Bekl. in Berücksichtigung des noto­ rischen Zwecks des klagenden Vereins sei.

Ueberdies aber

hat der Appellrichter auf seine bezügliche Feststellung keinen Entscheidungsgrund basirt.

Sie bildet nur eine Vor­

bemerkung zu der ferneren thatsächlichen Feststellung des

Richters, daß auch unter den Parteien nur ein, dem (oben angegebenen) Zweck des klägerischen Instituts entsprechen­ der Geschäftsverkehr stattgefunden habe.

Diese Feststellung

gründet der Appellrichter auf den, vom Bekl. selbst über­ reichten Buchauszug der Klägerin v. 3. Nov. 71, und auf ihr beruht seine Entscheidung.

Demgemäß liegt die Vor­

aussetzung des Art. 3 Nr. 1 der citirten Deklaration, wo­ nach die suppeditirte Thatsache sich als wesentliches

Entscheidungsmoment darstellen muß, nicht vor. Nr.

1

der Verordnung von

1833

paßt schon

Der § 5 deshalb

nicht, weil er den Fall behandelt, daß Implorant über einen Vortrag seines Gegners in den Instanzen nicht gehört worden, solcher Fall aber hier nicht in Frage steht.

2) Anlangend die Erfordernisse des Contocurrent-Verhältnisses, so knüpft der Appellrichter an die Bemerkung:

„das (klägerische) Institut ist der allein leistende Theil, der andere Theil überkommt nur Verpflichtungen" den Satz:

289 „Nur wenn ein eigentliches Depositengeschäft mit dem Geschäftsbetriebe verbunden ist, kann ein Contocurrent-Verkehr zwischen der Bank und den

Mitgliedern oder Dritten entstehen, ebenso wie er

zwischen den Genossenschaften unter sich und mit der Genossenschaftsbank besteht." Was der Appellrichter mit dem letzten Argument sagen will, erscheint unklar.

Jedenfalls irrt er darin, daß er für

ein unbedingtes Requisit des Contocurrent-Verhältnisses

das

Vorhandensein

geschäfts"

erachtet.

eines

„eigentlichen

Depositen­

Diese Ansicht findet weder in der

Rechtsprechung, noch in der Wissenschaft, noch in den kauf­

männischen Anschauungen irgend welchen Halt.

Das frag­

liche Rechtsverhältniß kann bestehen und besteht nicht selten bei reinem Blanco-Kredit.

Roch öfter ist es mit einer dem

Bankier gewährten Sicherstellung durch selbständige Kau­ tionsleistung verbunden.

Appellrichter

von

Welche unrichtige Vorstellung der

den Bedingungen

und der Gestaltung

eines Contocurrent-Verhältnisies hat, ergiebt sich auch dar­

aus, daß er ein Gegenargument gegen das Bestehen eines

solchen unter den Parteien in dem Umstand erblickt, daß Beklagter der Klägerin für den

ihm

bewilligten Credit

hypothekarische Kaution bestellt hat. — In Ansehung der Erfordernisse des Contocurrent-Vertrages kann auf die

Ausführung des OHG im Erk. v. 21. März 71 fRspr. I S. 373 ff.] um so mehr verwiesen werden, als die Parteien

selbst auf dieses Bezug genommen haben.

Dort, gleichwie

im Urtel v. 25. April 71 fRspr. II S. 141 ff.] ist — was insbesondere die Deckung des Contocurrent-Credits anbe­

trifft — auf die vom Korrespondenten dem Bankier durch Verpfändung

von

Kaution Gewicht gelegt.

Hypothekforderungen bestellte Und in Rücksicht hierauf wird in

letztgedachtem Urtel hervorgehoben, daß in der Regel bei

Eingehung eines Contocurrent-Verhältnisses die Deckungs. VII. 19

290

Verpflichtung ausbedungen und eingegangen zu werden pflegt. Dies erwogen, erscheint der (unter Verweisung auf Nr. 9 der citirten Instruktion) dem Appellrichter gemachte Borwurf, die Natur und den wesentlichen Charakter des Contocurrent-Bertrages verkannt zu haben, als wohlbegründet. Der hierauf fußende Angriff kann jedoch nur unter der Voraussetzung von Erheblichkeit sein, daß die Feststellung des Appellrichters aus dem klägerischen Buchauszuge, auf welche schon oben hingedeutet worden ist, dem gegen sie auf Grund des §, 5 Nr. 10 b der Verordnung v. 14. Dez. 33 erhobenen Angriff erliegt. Denn andernfalls kann freilich von einem Contocurrent-Verhältniß der Parteien hier nicht die Rede sein. Es entnimmt nämlich der Appellrichter aus jenem Buchauszuge v. 2. Nov. 71, daß sich der ganze Geschäfts­ verkehr der Parteien darauf beschränkt habe, daß Klägerin Wechsel dem Bell, diskontirte und für denselben einlöste, die Nominalbeträge, bzw. die zur Einlösung von Wechseln verauslagten Summen debitirte, dagegen die Wechsel-Va­ luten nach Abzug der Disconti sowie die zur Ausgleichung vom Bekl. empfangenen Zahlungen demselben in's Credit stellte; daß aber Beklagter seinerseits für nicht eingelöste Wechsel Prolongations-Wechsel ausstellte und bzw. zur Be­ richtigung einzelner Schuldposten, oder mehrerer zusammen­ genommen, andere Wechsel an die Klägerin begab. Ist dies richtig, dann fehlt es an dem wesentlichen Kriterium eines Contocurrent-Verhältnisses, wonach die Kontrahenten ausdrücklich oder stillschweigend darin übereingekommen sein müssen, „daß" — wie es in vorerwähntem Erk. v. 21. März 71 sRspr. I S. 374] heißt — „die Leistungen und For­ derungen auf jeder Seite als ein Ganzes behandelt und die resnltirenden Summen zur Ermittelung der Differenz verglichen werden sollen, welche letztere — als

291 Saldo — entweder vom Schuldner zu berichtigen oder in

bessert Debet der neuen Rechnungsperiode als erster Schuld­ posten vorzutragen ist." — Die Feststellung in Rede er­

schöpft jedoch nicht den hier in Betracht zu ziehenden In­

halt des Buchauszugs und steht insoweit mit dem wört­ lichen Inhalt dieses Beweismittels im Widerspruch. Ein Blick in den Buchauszug — das Conto des Bell, bei der Klägerin — läßt nämlich erkennen, daß sich der Verkehr der Parteien nicht durchaus auf Wechselgeschäfte beschränkte.

Klägerin hat Summen — so unterm 26. Januar 70 baare 300 THIr. — gezahlt, ohne ersichtliche Beziehungen zu

Leistungen

des Bekl.

vermittelst

Begebung

von

Wechseln

seitens

Dieser hat Beträge in Baar gezahlt, die wegen

ihrer Höhe — wie die Zahlungen vom 22. Sept, und 4. Okt. 71 — nicht zu den vom Appellrichter ausschließlich

erwähnten

Ausgleichungszahlungen

gehören

können.

Endlich erscheint auch die Saldirung der Rechnung in den

Jahren 68 bis 70 und die Vortragung der Saldi mit der

vom Appellrichter als thatsächliches Ergebniß aufgestellten Annahme unvereinbar, daß die Leistungen des Bekl. aus­ schließlich die Deckung oder Berichtigung einzelner spezieller Schuldposten bezweckt und bewirkt hätten.

Zwar kann in Rücksicht auf die obgedachte Auffaffung

des Appellrichters, die Requisite eines Contocurrent-Verhältnisses .betreffend, in Zweifel gezogen werden, ob der Appellrichter, wenn er seine fragliche Feststellung in den vorangedeuteten Richtungen ausgedehnt hätte, ein Contoals unter den Parteien bestehend, an­ erkannt haben würde, ob also in dieser Feststellung der

current-Verhältniß

thatsächliche Gehalt eines Entscheidungsgrundes zu erblicken

sei.

Jedenfalls aber bildet

diese Feststellung

eine

der

Grundlagen der angefochtenen Entscheidung. Daraus aber folgt, daß der in Rede stehende prozessuale Angriff der Nktbschw. für begründet und daher auch die oben betonte Bor­ is'

292

aussetzung der Erheblichkeit des materiellen Angriffs für zutreffend erachtet werden muß. Bei der hiedurch gebotenen Prüfung der Sache selbst ergiebt sich jedoch, daß diese Angriffe zur Vernichtung des Appellurtels nicht führen können svgl. Rspr. II S. 251 Nr. 2]. Beklagter behauptet nicht, daß dem angeblichen Contocurrent-Verhältniß eine ausdrückliche Vereinbarung mit der Klägerin über die beiderseitigen Rechte und Pflichten zu Grunde liege. Für die Existenz des Verhältniffes giebt er nur an, daß er seit Ende Okt. 68 Darlehne von der Klägerin erhalten, durch dieselbe auf sie gezogene Ri­ messen eingelöst und Zahlungen bewirkt, seinerseits a-ContoZahlungen in Baar geleistet und Wechsel in Zahlung ge­ geben habe, sowie daß über die Leistungen und Gegen­ leistungen laufende Rechnung geführt und von Zeit zu Zeit Abschlüsse gemacht worden seien. — Der Klagewechsel ist nicht auf die Klägerin gezogen, sondern ihr mittelst Blancogiro vom Bekl. übereignet. Demgemäß gehört er zu den­ jenigen Wechseln, welche Beklagter der Klägerin in Zah­ lung übergeben hat. Daß Klägerin in Bezug auf diese Wechsel durch Eingehung des Contocurrent-Verhältnisses das Wechselregreßrecht gegenüber dem Bekl. aufgegeben habe, folgt nicht aus obgedachter Behauptung. Wenn dieser gemäß das Contocurrent-Verhältniß zustande­ gekommen ist, so beschränkt sich die dadurch begründete Pflicht der Klägerin zur Einlösung von Wechseln, aus denen Beklagter verhaftet ist, auf die von ihr als Bezogener acceptirten Tratten desselben. Der Umstand allein, daß Klägerin den Klagewechsel unter dem Ausstellungs-Datum im Credit des Bekl. gebucht, beweist nur, daß sie den Wechsel, als in den Bereich des fragt Contocurrent-Ver­ hältnisses gehörig, angesehen und unter der Voraus­ setzung, daß er bezahlt werden würde, der Baarzahlung

293 Die angeregte Frage, ob darin, wenn Klägerin schon früher in Bezug

gleichgestellt hat [ogl Rspr. III S. 207].

auf dergleichen

mittelst Giro vom Bekl.

in Zahlung er­

haltene Wechsel ihre Befriedigung wegen der Einlösungs­ summen durch deren Contirung im Debet des Bekl. bewirkt hätte, ein Anerkenntniß der Klägerin, daß ihr vertraglich

der Weg des Wechselprozesses verschlossen sei, zu finden wäre? kann unerörtert bleiben, weil Beklagter solche Präcedenzfälle nicht nachgewiesen hat. Nur so viel sei bemerkt, daß

tin für die Zukunft verpflichtendes derartiges Anerkenntniß, d. h. eine entsprechende Ausdehnung der Verbindlichkeiten der Klägerin aus dem Contocurrent-Verhältniß, nur ange­ nommen werden könnte, wenn'in einem der früheren Rech-

mungs-Abschlüsse

jene

Einlösungssumme

debitirt gewesen

wäre, und Beklagter nach Mittheilung des Abschlusses

den

Contocurrent-Verkehr

mit

der

Klägerin

fortgesetzt

hätte. — In solchem Falle würde als eine Voraussetzung dieses Verkehrs die fernerweite Debitirung von dergleiEinlösungssummen betrachtet und daher eine bezügliche Ver­ einbarung, als erfolgt, unterstellt, Klägerin also zu deren Erfüllung für verpflichtet erachtet werden können.

Beklag­

ter hat jedoch in dieser Weise seinen aus dem Contocur­

rent-Verhältniß hergeleiteten Einwand nicht motivirt; es

wird von ihm nicht einmal behauptet, daß er außer dem Rechnungsabschluß v. 2. Nov. 71 noch andere Abschlüsse er­ halten habe.

Die Folgerung endlich, daß, wenn Klägerin

die Beträge der von ihr als Acceptantin bezahlten Wechsel

des Bekl. demselben behufs ihrer Befriedigung zu debitiren hat, angenommen werden müffe, daß ihr auch nur dieses Mittel zur Geltendmachung

ihrer Forderungen

aus der

Einlösung im Regreßwege der an sie vom Bekl. girirten Wechsel zustehe, entbehrt

schon deshalb der Schlüssigkeit,

weil nicht die Acceptation von Wechseln, wohl aber der Erwerb durch Giro Wechselrecht verschafft; Art. 23(Abs.3),

294

10, 14, 81 DWO.

Beklagter $at übrigens auch solche Fol­

gerung für seinen in Rede stehenden Einwand nicht in

Anspruch genommen. Aus vorstehenden Erwägungen folgt, daß nach den eigenen Angaben des Bekl. über das von ihm hervorge­

hobene Contocurrent-Verhältniß dieses sich auf den Klage­ wechsel mit der Wirkung, daß die gesetzliche Befugniß der Klägerin zur Verfolgung ihrer wechselrechtlichen Forderung

an den Bekl. im Wechselprozeß für ausgeschlossen zu

erachten wäre, nicht erstreckt.

Deshalb kann dahingestellt

bleiben: ob überhaupt hier die Erfordernisse eines eigent­ lichen Contocurrent-Verhältnisses vorliegen, und et).: ob es mit Rücksicht darauf, daß der Klagewechsel erst nach dem

Rechnungsabschluß v. 2. Nov. 71 fällig geworden und von der Klägerin eingelöst worden, von Erheblichkeit ist, daß

Beklagter keine Thatsachen für das damalige Fortbestehen des fraglichen Rechtsverhältnisses vorgebracht hat. Ebenso­ wenig bedarf es einer Erörterung der in den citirten Ent­ scheidungen und in dem Erk. v. 6. Sept. 71 sRspr. III S. 202 ff.] vom Reichsgerichtshofe ausgesprochenen Grund­

sätze.

Gleichviel svon welcher Auffassung auszugehen ist,

mußte dem Appellrichter im Resultat seiner Ausführung, daß der auf das angebliche Contocurrent-Verhältniß vom

Bekl. gestützte Einwand zu verwerfen, beigetreten, die an­ gefochtene Entscheidung also aufrecht erhalten . . . werden.

Nachtrag. In einem Prozeß derselben Parteien (Nr. 433 v. 72, I. Instanz: Kreisgericht Bochum) hat der II. Senat des

OHG die Nktbschw. des Bekl. Ed. Büsgen durch Erk. v. 29. Juni 72 verworfen aus folgenden

Die Anschuldigung

Gründen: der Nktbschw., der

Appellrichter

habe die rechtliche Natur und den wesentlichen Charakter des Contocurrent-Vertrages verkannt, ist hinfällig.

295

Als ein wesentliches Kriterium und Erforderniß dieser Vertragsart bezeichnet der Appellrichter: „daß auf beiden Seiten Leistungen geschehen, welche, für sich genommen, zur Begründung von Gläubiger-Ansprüchen geeignet sind." Hierin ist ihm beizutreten. Im eigentlichen Contocurrent-Verhältniß muß sich der Kredit als ein gegen­ seitiger darstellen, sodaß jede Entlastung auf der einen Seite eine Belastung auf der anderen Seite mit sich führt, folglich auch der Korrespondent durch jede Leistung an den Banquier dessen Creditor wird. Es bewirkt die einzelne Leistung keine eigentliche Entlastung des Leistenden, son­ dern eine Belastung des anderen Theils und macht inso­ fern den Letzteren zum Schuldner. Vgl. Creizenach, der kaufmännische Contocurrent rc. im Archiv für praktische Rechtswissenschaft B. IV S. 31 ff. Zwar hat es den Anschein, als ob vom Appellrichter, indem er dies Ersorderniß auf Seiten des Bekl. vermißt, übersehen worden, daß, wenn — gemäß der ausdrücklichen Behauptung in der Klagebeantwortung — Beklagter auf die Klägerin Wechsel gezogen hat, und dieselben — was unzweifelhaft mit behauptet sein soll — von der Klägerin aceeptirt worden, Letztere aus diesen Wechselgeschäften (die­ selben für sich betrachtet) Schuldnerin des Bekl. gewor­ den ist. Aus den eigenen Angaben des Bekl. über die Gestaltung des vermeintlichen Contocurrent-Verhältnisses folgt aber, daß eine Schuldverpflichtung auf Seiten der Klägerin durch die Wechselgeschäfte in Wirklichkeit nicht hat begründet werden sollen, daß die Accepte vielmehr nur dazu bestimmt waren, statt baarer Geldzahlung dem Bekl. Geldmittel zu verschaffen. Davon abgesehen, ist entscheidend, daß nach der that­ sächlichen Feststellung des Appellrichters die Absicht

296 der Parteien nicht darauf gerichtet war, daß die beider­ seitigen Leistungen auf jeder Seite innerhalb von Rechnungs­

perioden ein Ganzes bilden, also die einzelnen Rech­ nungsposten in den Abschluß-Summen des Credit und Debet und zuletzt in dem, durch deren Vergleichung zu ermittelnden Saldo aufgehen sollten. Es entnimmt der Appellrichter nämlich aus den eigenen Anführungen des Bekl., daß sich die Geschäftsverbindung der Parteien darauf beschränkte, „daß Klägerin dem Bekl. entweder Darlehne gab oder auf Grund des bewilligten Kredits seine Wechsel einlöste und daß Beklagter durch seine Zahlungen — a conto — oder durch Hingabe von Wech­ seln nur die der Klägerin gegenüber eingegangenen Schuld­ verbindlichkeiten zu tilgen oder zu decken suchte." Hievon ausgehend, stellt der Appellrichter den oben hervorgehobenen Rechtssatz über die Voraussetzung eines beiderseitigen Kre­ dits auf und bemerkt dazu: der kaufmännische Contocurrent-Verkehr beruhe auf der ausdrücklichen oder stillschweigen­ den Einigung der Kontrahenten, nach welcher eine Reihe von wechselseitigen Leistungen und Gegenleistungen nicht als ein Aggregat getrennter und selbständig verfolgbarer Ansprüche und Gegenansprüche bestehen, sondern eine recht­ lich - untrennbare Verbindung von Rechnungsfaktoren bil­ den solle, sodaß sich der in periodischen Abschlüssen zu er­ mittelnde Saldo allein als die selbständige Forderung des einen oder anderen Theils darstelle; beständen die Leistun­ gen des einen Theils dagegen nur in einer successiven Til­ gung der Leistungen des anderen Theils, so bezweckten sie gerade die Solution einzelner, nicht als Leistungen aus einem Vertragsverhältniß kohärirender, sondern nur durch

fortgeführte Rechnung äußerlich verbundener Posten. Aus dieser Argumentation, auf Grund welcher vom Appellrichter das Vorliegen eines Contocurrent-Verhältriisses verneint wird, ergiebt sich als Bedingung der An-

297

urcndbarkeit derselben auf den gegenwärtigen Streitfall die obgedachte negative Feststellung der Absicht der Parteien um so unverkennbarer, als der Appellrichter dabei auf die

Erk. des OHG v. 27. Juni, 6. Sept, und 25. April 71,

betreffend die Requisite des Eontocurrent-Verhältniffes und

bzw. dessen Unterscheidung in laufender Rechnung,

von

bloßer Kreditgewährung

Bezug nimmt.

Im letztcitirten

Urtel namentlich ist auf die Entscheidung v. 21. März 71 zurückverwiesen und hier als ein Haupt erforderniß des Contocurrent-Vertrags gerade jene Absicht der Kontrahenten

ausdrücklich bezeichnet. Muß hienach als festgestellt angesehen werden, daß solche Absicht dem Geschäftsverkehr der Parteien nicht zu Grunde liegt, und ist diese Feststellung weder — gemäß

-Z 16 der Verordnung v. 14. Dez. 33 — einem materiellen

Angriffe zugänglich, noch . . . durch prozessuale Angriffe

erschüttert worden: so folgt daraus, daß der Appellrichter, indem von ihm das Vorhandensein eines EontocurrentVerhältniffes nicht anerkannt worden, sich mit der Rechts­ auffassung, welche vom OHG bereits wiederholt ausge­

sprochen ist und festgehalten werden muß, in vollem Ein­ klang befindet. Nr. 58.

II. Senat. — Erkenntniß v. 22. Znni 72. (Z.) M. Levinthal -|. I. Weisbein (Nr. 324 v. 72).

Preußen.

Revision. I. Instanz: Kreisgericht Stettin, II. Instanz: Appellationsgericht daselbst. Aufhebung eines schriftlichen Vertrages.

Wie kann nach AM ein schriftlich zu schließender und so, bzw. durch Brieswechsel, geschlossener Vertrag ohne schrift­ liche Vereinbarung ausgehoben werden? § 131 ff., 385 ff. AM I. 5.

298

Entscheidung des OHG: Im Juni 67 haben Parteien (unbestritten) einen Ver­ trag geschlossen, nach welchem Jeder den Verkauf gewisser Güter besonders betreiben, die gewonnene Provision aber

unter beide gleich vertheilt werden sollte.

Dieser Vertrag

[vom Appellrichter als Gesellschaftsvertrag angesehen) be­

durfte jedenfalls nach § 131 ALR I. 5 schriftlicher Ab­ fassung. Das bestreiten Parteien auch nicht. . . . Es handelt sich in jetziger Instanz nur darum, ob

1) jener Vertrag im Herbst 67 durch mündliche Ver­ einbarung wieder aufgehoben worden, und 2) solche Abrede für sich allein, ohne Kassirung der (über den Vertragsschluß) ausgewechselten Schreiben, rechts­

verbindlich ist. Zu 1 hat der Gerichtshof [mit dem Appellrichter) den

Bell, zu einem Erfüllungseide verstattet. Zu 2 würde die mündliche Aufhebung des Partei­ vertrages für sich allein auch ohne Kassirung der Schriften

unzweifelhaft genügen, wenn die Vorschriften des HGB (Art. 266, 317) zur Anwendung kommen *. Allein die Parteien und die Vorderrichter sind auf letztere nicht zu­ rückgegangen, haben sich vielmehr nur auf die Bestimmungen

des ALR berufen, und scheinen von der Annahme auszu­ gehen, daß die Voraussetzungen für Anwendung des HGB

nicht vorliegen.

Es

kann

die Erörterung

dieser Frage

auf sich beruhen, da in vorliegendem Falle auch nach den

einschlagenden Bestimmungen des ALR die mündliche Auf­

Die Frage wegen der Kom­ petenz des OHG wird dadurch nicht berührt; § 21 des hebung für sich allein genügte. BdGes. v. 12. Juni 69.

Das ALR verlangt zur Giltigkeit eines Vertrages bei Gegenständen von mehr als 50 Thlr. — bei einem Ge-

sellschaftsvertrage ohne Rücksicht

auf den Gegenstand —

* Vgl. Rspr. II S. 224, IV S. 368, VI S. 102, 173.

299

nicht blos zum Beweise des Vertragsabschlusses die schrift­

liche Form (§ 131

Th. I Tit. 5, 8 170 Th. I Tit. 17;

Entsch. des OTr. B. 3 S. 116, B. 4 S. 122; Koch, Recht der Forderungen III S. 165; Heydemann preuß. Civil­ recht II S. 107). Die Verabredung, einen giltig geschlosse­ nen Vertrag wieder aufzuheben, ist ebenfalls ein Vertrag

(Koch a. a. O. S. 496, Gruchot Beiträge III. 140, För­ ster I. 510; L. 35, L. 153

Dig. 50, 17).

Es würde

daher in Konsequenz des obigen Grundsatzes zu dessen Gil­

tigkeit

wiederum

bei Gegenständen

schriftlichen Form bedürfen.

über 50 Thlr.

der

Hieran hält das ALR (nach

§ 388 Th. I Tit. 5) auch unzweifelhaft und unbedingt in den Fällen fest, in denen der ursprüngliche Vertrag theil-

weise bereits erfüllt ist oder der Aufhebung Nebenabreden beigefügt werden. Es entstehen dadurch neue Rechte und Verbindlichkeiten. Anders verhält es sich dagegen im Falle

der einfachen Aufhebung eines ganz unerfüllten Ver­ trages.

Dazu soll nach § 386 ALR I. 5 schon eine

mündliche Erklärung hinreichend sein; doch muß (fügt

§ 387 beschränkend hinzu) die Kassation des über den Ver­ trag aufgenomryenen schriftlichen Instruments hinzukommen.

Rach der gegenwärtig in der Rechtsprechung angenommenen Ansicht ist diese Kassation dergestalt nothwendig, daß ohne dieselbe die mündliche Aufhebung unwirksam bleibt und immer noch aus dem ursprünglichen Vertrage auf Erfüllung

geklagt werden kann (Entsch. des OTr. B. 14 S. 192,

Heydemann I. 270, Koch S. 500). Nicht so überein­ stimmend ist die Ansicht darüber, ob die Kassirung aller über den Vertrag aufgenommenen Instrumente erforderlich Koch (S. 500) und Heydemann (S. 270) sind dieser Ansicht; Bornemann (Erörterungen rc. S. 179) ist

ist —

der entgegengesetzten. Das spreuß.) OTr. hat (Entsch. B. 20 S. 93

und Strieth. Arch.

B. 28 S. 50)

angenommen,

daß es der Kassirung des nur von einem Kontrahenten

300 ausgestellten schriftlichen Anerkenntnisses nicht bedarf, weil

§ 387 das Vorhandensein eines von beiden Theilen voll­ zogenen schriftlichen Vertrages voraussetze und sich jene Be­ stimmung auf ein, blos von dem einen Theile über den

mündlich geschloffenen Vertrag schriftlich ertheiltes Anerkenntniß nicht ausdehnen lasse, wennschon dasselbe die Wirkung habe, daß der Aussteller den Mangel der schrift­ lichen Form nicht vorschützen dürfe. In vorliegendem Falle ist nun unbestritten ein von

beiden Theilen unterschriebenes Instrument (§ 387 ALR I. 5) nicht vorhanden.' Der Vertrag ist im Juni 67 mündlich

zu Stande gekommen; später hat Beklagter im Schreiben v. 12. August sich zu dem Vertrage bekannt, und Kläger will ein gleiches Schreiben an den Bekl. gerichtet haben.

Er bezeichnet in der Replik den Vertrag als durch Brief­

wechsel zu Stande gekommen und scheint der Meinung zu sein, daß diese ausgewechselten Schreiben die Stelle eines Instruments im Sinne jenes § 387 vertreten. bestimmt § 142 ALR I. 5:

Allerdings

Zwischen Abwesenden vertritt die geführte Kor­ respondenz die Stelle des schriftlichen Vertrages, insofern die Bedingungen und

die wechselseitige

Einwilligung der Kontrahenten

daraus zu ent­

nehmen. Parteien befanden sich zwar beide an demselben Orte (Stettin), indeß unter „Abwesenden" sind in jenem § 142

keineswegs solche Personen verstanden, welche an verschie­ denen Orten wohnen oder sich aufhalten, sondern auch Be­ wohner desselben Ortes, wenn sie nicht persönlich zusammen kommen, vielmehr brieflich miteinander verkehren (Koch a.

a. O. S. 169, Heydemann S. 209 n. 344).

Sofern nun einem solchen Briefwechsel nach allen Richtungen vollständig die Wirkung, einer schriftlichen Ur­

kunde beizumeffen sein würde, müßte dann konsequent im

301 Falle einer späteren mündlichen Aufhebung des solcher­ gestalt zu Stande gekommenen Vertrages auch die Kassirung des Briefwechsels erfolgen. Allein das läßt sich nicht annehmen. Das OTr. hat zwar im Plen.-Erk. v. 2. Sept. 39 (Entsch. B. 5 S. 30) in dem Falle, wenn ein in zwei Exemplaren ausgefertigter Vertrag je von einem der Kon­ trahenten unterzeichnet und dann ausgewechselt ist, eine vollständige Vertragsurkunde angenommen; allein es besteht, wenigstens hinsichtlich der Form (und um diese handelt es sich in vorliegendem Falle wesentlich) ein Unterschied zwischen einem solchen in zwei Exemplaren ausgefertigten Vertrage und einer bloßen Korrespondenz. Jene Vertragsexemplare, wenn auch nur je von einem Kontrahenten unterzeichnet, sind eigentliche, den beiderseitigen Willen konstatirende Urkunden; es kann jeder Theil das von dem Anderen unterschriebene und ihm ausgehändigte Exemplar mit seiner eigenen Unterschrift versehen. In der Unterschrift dieser Exemplare seitens eines Jeden der Kontrahenten und in der Aushändigung an den Anderen liegt unzweifelhaft die Ermächtigung zur Beifügung der Unterschrift des Empfängers (Bornemann Erörterungen S. 180). — Anders verhält es sich dagegen bezüglich einer Korrespondenz. Das Schreiben eines Jeden an den anderen Kontrahenten enthält nur die einseitige Erklärung des Absenders. Erst beide zusammen stellen ein Ganzes dar, und schließt die Form solcher ein­ seitigen Schreiben auch die Möglichkeit aus, durch bloße Unterschrift des Empfängers eine vollständige Urkunde her­ zustellen. Ueber die blos einseitigen Anerkenntnisse eines mündlich geschloffenen Vertrages, welche ein Theil dem Anderen ausstellt und aushändigt, läßt sich Suarez in seiner revisio monitorum dahin aus, diese sind nur einseitige Erklärungen, welche defectum scripturae nicht heben, sondern nur

302 dem agnoscenti obstiren, wenn dieser auf solchen Einwand sich berufen wollte. Bornemann, S. 257; OTr. Entsch. B. 20 S. 95. Bornemann sagt in seinen Erörterungen S. 181 zwar: „Einem förmlichen schriftlichen Vertrage sind durch Gesetz in jeder Beziehung gleichgestellt: 1) die Punktationen, 2) der zwischen Abwesenden geführte Briefwechsel." Allein diese Ansicht ist in solcher Allgemeinheit nicht gerechtfertigt. Es heißt vielmehr im § 143 ALR I. 5: ist zu den Geschäften, worüber der Vertrag ge­ schlossen worden, die Ausfertigung eines förmlichen Instruments erforderlich, so vertritt der Brief­ wechsel die Stelle einer Punktation, und in den dabei allegirten §§ 120 ff. wird zwischen Punktation und Vertragsausfertigung unterschieden, inso­ fern aus jener auf Ausfertigung eines förmlichen Ver­ trages geklagt werden kann, sobald eine solche zur Be­ stätigung, Eintragung rc. etwa nothwendig ist. Aus den Materialien zu dem belegten § 387 endlich ist folgendes zu bemerken. Suarez äußerte sich bei Revision der Monita gegen den gedruckten Entwurf: „Wenn der Kontrakt noch von keiner Seite erfüllt ist, und die Aufhebung pure geschieht dergestalt, daß die Parteien weiter nichts erklären, als daß sie mit wechselseitiger Einwilligung vom Kontrakt zurücktreten wollen, so könnte man wol mündliche Erklärungen gelten lassen." Dabei sind dann die Worte eingeschaltet: „Der Kon­ trakt wird kassirt." Daraus sind schließlich die §§ 386 u. 387 hervor­ gegangen. Nach alledem muß aber dem im § 387 ge­ brauchten Ausdruck: Kassation „des über den Vertrag auf­ genommenen schriftlichen Instruments" eine andere

303 Bedeutung beigelegt werden, als der bloßen Korre­ spondenz, welche nach § 142 die Stelle eines schriftlichen Vertrages vertreten soll.

Es

liche Urkunde gemeint sein,

kann damit nur die förm­ welche nach § 143 unter

Umständen auf Grund der Korrespondenz ausgenommen werden kann oder soll. Es ist überdies eine Kassation des Briefwechsels kaum ausführbar, wenigstens ist nirgend auch

nur angedeutet, wie sie bewirkt werden soll, ohne daß der übrige Inhalt davon betroffen wird. Revident scheint eine solche Ansicht auch nicht aufstellen zu wollen; denn er geht

in der Revisionsschrift von der Annahme aus, daß ein von jedem der beiden Kontrahenten unterzeichnetes und dann

nusgewechseltes Vertrags-Exemplar vorliege,

welches

der Inhaber beliebig schon durch seine Mitunterschrift zu einem

zweiseitigen schriftlichen Vertrage machen konnte.

Es kann

Zugegeben werden, daß in solchem Falle, wie Revident aus­

führt, die Kassation dieser Urkunde erforderlich gewesen sein

würde, um der mündlichen Aufhebung Wirksainkeit beizu­

legen. richtig.

Allein jene Voraussetzung des Revidenten ist un­

Das

Schreiben

des

Bekl.

an

den

Kläger

v.

12. August 67 ist . . . nur eine einseitige Anzeige über Anerkennung des vorausgegangenen mündlichen Abkommens

in Form eines Briefes. Enthält es auch keine anderweitige Mittheilung, so ist es doch immer nur eine einseitige An­

zeige, ein einseitiges Anerkenntniß des Bekl., welches, wie

die Redaktoren des ALR bemerken, defectum scripturae nicht hebt. Hat Kläger, wie er behauptet, ein gleiches Schreiben an den Bekl. gerichtet, so liegt immer doch nur ein Briefwechsel vor, und sofern dieser von der Aus­

wechslung von Vertragsexemplaren sich wesentlich unter­

scheidet, können auf ihn auch die Bestimmungen nicht An­

wendung finden, welche für den Fall der Existenz eines förmlichen schriftlichen Instruments maaßgebend sind. Das jpreuß.j OTr. hat sich zwar nicht über einen Fall der

304

vorliegenden Art, dagegen in mehreren anderen Fällen (EutschB. 20 S. 95, B. 49 S. 38; Strieth. Arch. B. 28 S. 53) bestimmt dahin ausgesprochen, daß der § 387 ALR I. 5 nach seiner Fassung ein von beiden Theilen voll­ zogenes Instrument, also einen förmlichen schrift­ lichen Vertrag, voraussetze. Demnach genügt zur Auf­ hebung des streitigen Vertrages die mündliche Abrede. ...

Nr. 59.

I. Senat. — Erkenntniß v. 25. 2uni 72. (Kef.) Böninger, Cramer u. Co.

Nabe u. Co. (Nr. 332 v. 72).

Revision.

Preußen. I. Instanz: Kreisgericht Halle a^S-, II. Instanz: Appellationsgericht Naumburg. Handel in schwimmender ostindischer Baumwolle. Recht des Auslandes.

Amsterdamer Usanz,

Gewohnheitsrecht und Usanz.

1. Der deutsche Richter hat geeigneten Falles die ihm bekannten (nicht blos die von den Parteien behaup­ teten) ausländischen Rechtssätze in Anwendung zn bringen. Rspr. I S. 279 ff., II S. 216.

2. Ausländische Gewohnheitsrcchtssätze sind, sofern das Recht des betr. Landes überhaupt entscheidet, auch im Widerspruch mit dem HGB anzuwenden. Die im Art. 1 HGB festgestellte Rangordnung * der Rechtsquellen gilt nur für einheimische Rechtsquellen. 3. Dem bürgerlichen Recht geht in Handelssachen das Handelsgewohnheitsrecht vor. Art. 1 HGB; Erk. v. 27. Ium 71, Rspr. II S. 346. * Es sollen nach Art. 1 HGB zur Anwendung kommen: in erster Reihe die Bestimmung des HGB, in zweiter Reihe die Handelsgebräuche, in letzter Reihe das allgemeine bürgerliche Recht. So: Erk. v. 28. Juni? 2, unten S. 331.

305

4. Ueber die Rechte, welche dem Käufer beim Mangel vertragsmäßiger (oder gesetzlicher) Beschaffenheit der Waare znstehen, bestimmt das HGB nichts. Erk. v. 16. April 72, Rspr. VI S. 345.

5. Art. 352 HGB schließt anderweitige, die Rechts­ folgen einer vertragswidrigen Beschaffenheit der Waare be­ treffende Handelsgebränche (im Sinne des Art. 1) nicht aus. Ueberhaupt schließt nach dem HGB die ausdrückliche Erwähnung der Handelsgebräuche in gewissen Fällen deren Berücksichtigung in anderen Fällen nicht ans. Vgl. Art. 326, 327, 334, 339, 342, 346 HGB. Abweichend: die Erk. des preuß. OTr. in Stricth. ,Arch. B. 69 S. 323, B. 75 S. 191. 6.

Erörterung

des

im Handel

über

schwimmende

Baumwolle geltenden Amsterdamer Brauchs. Dessen An­ wendung auf Ankäufe auswärtiger Fabrikanten.

7. Für die Vertragsauslegnng entscheidet Sprach­ gebrauch und Verkehrssitte des Vertrags- nnd Erfüllungsorts. Vzl. Rspr. V S. 359.

8. Verträge sind im Zweifel zu Gunsten des Ver­ pflichteten auszulegen. L. 9, 56 Dig. 50, 17; L. 38 § 18 Dig. 45, 1. § 268, 253 ALR I. 5.

. 9. Inwiefern darf der Kommissionär, welcher in den abgeschlossenen Kauf als Selbstkontrahent eingetreten ist, aus dem Kommissionsgeschäft klagen? HGB Art. 371, 376.

Sachverhalt und Entscheidung des OHG: Zwischen den Parteien, der klagenden Firma in Amster­ dam und der Beklagten, einer Baumwollenspinnerei betrei­

benden Handelsgesellschaft zu Giebichenstein (bei Halle a. S.) ist ein Geschäft über 200 Ballen ostindischer Baumwolle in

folgender Weise geschlossen. Am 9. August 69 schrieb Klägerin nach Amsterdam VII.

20

306 an die Beklagte, welche einen größeren Posten Scinde-Baumwolle, als Klägerin abzulassen im Stande war und der Bekl. zugetheilt hatte, begehrte; „man bezahlt goodfair Tinnevelly Juni Segelung mit 58% Cts.;" ferner: auch Tinnevelly Baumwolle segelnd hieher, nach overland Proben sehr schöne goodfair zeigend, ist zu 58% Cts., wozu noch einige hundert Ballen oder selbst 59, wozu vielleicht 7 und 800 Ballen zu haben sein dürften, sehr billig . . . Diese Sorte als Ersatz von amerikanischer ist außer­ ordentlich beliebt, und wir glauben nicht fehlzu­ greifen, wenn wir Ihnen ruhig rathen, sich einiges davon zuzulegen, da alle Welt nach loco Waare fragt." „P. 8. So eben kaufen wir für fremde Rechnung hiehergehende . . . Tinnevelly zu 58% Cts.". Bereits am 8. August hatte unter dem Namen der Klägerin deren Agent Rubens an Beklagte telegraphirt: „Goodfair Tinnevelly June shipment per Arbutus 58%." Am 11. August telegraphirte Beklagte an Klägerin: „Wir acceptiren noch 200 goodfair Tinnevelly. Mai Juni Verschiffung 58% Cts. Drahtantwort." Klägerin telegraphirte am gleichen Tage zurück und bestätigte brieflich: „200 goodfair Tinnevelly per Arbutus Junisegel für 58% zugetheilt, hier 59 bezahlt.". Bei Ankunft des Schiffes in Amsterdam, Ende Okt. 69, wurden daselbst die 200 Ballen Tinnevelly durch Ar­ biterspruch nach Platzgebrauch und Usanz klassifizirt als „% Cts. unter goodfair wegen Saamen in der Waare", und auf dieser Basis durch Klägerin vom Verkäufer in Empfang genommen. Unter derselben Preisermäßigung

307 („raffaction"), somit zu 57% Cts. per Pfund, verlangte nun Klägerin die Abnahme der inzwischen sehr erheblich im Preise gefallenen Waare, von der Bekl. Diese hat nach

empfangener Ausfallsprobe die Abnahme verweigert, ur­ sprünglich wegen verspäteter Absendung, demnächst weil sie nur goodfair zu empfangen brauche.

Es handelt sich jetzt

um die (unstreitige) Differenz zwischen dem Betrage der Einkaufsfaktur von 32350 Gulden und dem späteren Ver­

kaufserlöse (abzüglich Spesen und Provision) von 27582 Gul­ den, somit um 3077 Thaler, welche Klägerin nebst 6°/0 Zin­ sen seit 1. Juni 70 von der Bekl. ersetzt verlangt. Un­

streitig besteht zu Amsterdam im Baumwollenhandel der

(unterm 1. März 70 durch Purere von 4 beeideten Maklern bezeugte) Handelsgebrauch: „daß dort schwimmende oder segelnde Tinne-

velly Baumwolle allgemein unter der Qualitäts­ bezeichnung „goodfair" oder unter dem gleich­ bedeutenden Ausdruck „goodfair garantirt"

ver­ handelt wird, und daß solche Verkäufe segelnder

oder

schwimmender

Tinnevelly Baumwolle nach

den dortigen Konditionen und Usanzen dahin zu verstehen

sind und

verstanden werden,

daß der

Verkäufer, wenn die schwimmende Baumwolle bei Ankunft geringer als die verkaufte Qualität nach in Amsterdam geltenden Klaffen fällt, eine ent­ sprechende durch dortigen Arbiterspruch festzustellende

Vergütung bzw. Nachlaß im Preise zu gewähren hat, ohne für besseren Ausfall eine Erhöhung im

Preise verlangen zu können, daß dagegen der Käufer keinerlei Recht hat, sich eines geringeren Ausfalls halber vom Käufer loszusagen oder die Empfang­

nahme zu beanstanden,

und zwar gleichviel,

ovorland - mail - Muster beim

Verkauf

ob

vorlagen

und gezeigt wurden oder nicht, so daß die Qualitäts20*

308 garantie beim Verkauf immer nur den Maaßstab festsetzt, wofür der bedungene Preis oder weniger bei geringerem Ausfall zu verstehen ist, nicht aber, daß nur solche Klaffe wie verkauft wurde, zu er­ warten ist oder geliefert werden soll." Diesen Handelsbrauch will Beklagte nicht gegen sich gelten laffen, weil 1) das mit Klägerin geschloffene, von ihr als Kauf­ vertrag bezeichnete Geschäft in Preußen, nämlich in Giebichenstein, durch Empfang des klägerischen Telegramms v. 11. August 69 zum Abschluß gelangt sei, und 2) der Handelsbrauch nicht für kaufende Fabrikanten gelte, welche für ihre Fabrikation eine Waare bestimmter Qualität kaufen und nur diese verwenden können. Jeden­ falls hätte Klägerin, welche mit dieser Eigenschaft und In­ tention der Bekl. bekannt war, sie vorher von der verderb­ lichen Usanz in Kenntniß setzen müssen. Dagegen behauptet Klägerin, es sei eine Einkaufs­ kommission in Amsterdam zum Abschluß gelangt und ausgeführt, wenngleich durch Lieferung schon vor dem Ab­ schluß angekaufter Waare. Die Usanz gelte allgemein für alle in Amsterdam ohne besondere Instruktion auszuführen­ den Aufträge über schwimmende Baumwolle, und sei bei der Natur dieses Geschäftszweiges unerläßlich, um die Ver­ käufer gegen Chikanen der Käufer bei rückgängigen Preisen zu schützen. Der gleiche Gebrauch gelte auf allen Haupt­ baumwollenmärkten, namentlich serweislichs auch in London und Liverpool. Er gelte auch gegen kommittirende oder einkaufende Fabrikanten; denn diese brauchten nicht noth­ wendig zu Fabrikationszwecken zu kaufen, auch sei die ge­ kaufte Baumwolle wegen des geringen Mindergehalts für Beklagte keineswegs unbrauchbar gewesen. Die Richtigkeit der Amsterdamer Klassifizirung hat Be­ klagte anerkannt und für ihre Behauptung, daß die Waare

309 nach der übermachten Probe weit hinter goodfair zurück­

geblieben sei, Beweis nicht angetreten. Der I. Richter hat die Beklagte nach dem Klagegesuch

verurtheilt, der Appellrichter hingegen Klägerin abgewiesey.

Auf deren Revision war das I. Urtel herzustellen. I. Der Appellrichter erkennt an, daß für das streitige Geschäft

das

Recht des Erfüllungsorts anzuwenden,

daß Amsterdam der Erfüllungsort sei, folglich die dortigen

Gesetze maaßgebend seien.

Weil jedoch von keiner Seite

behauptet worden sei, daß die holländischen Gesetze von

den einheimischen abwichen,

so müsse auf das deutsche

HGB zurückgegangen werden. Dieses aber verpflichte nach Art. 346 den Käufer, die Waare zu empfangen, sofern sie vertragsmäßig beschaffen sei, berechtige ihn also im entgegen­

Der hiemit im Wider­ spruch stehende Amsterdamer Handelsbrauch könne, gemäß

gesetzten Falle zur Zurückweisung.

Art. 1 HGB, nicht zur Anwendung kommen.

Diese Auffas­

sung ist aus folgenden Gründen verfehlt:

1) Der inländische Richter hat keineswegs nur die von

den Parteien behaupteten ausländischen Gesetze, sondern alle ihm bekannten ausländischen Rechtssätze zur Anwen­

dung zu bringen. Er ist befugt, aber nicht verpflichtet, den Beweis ihm unbekannter ausländischer Rechtssätze von der behauptenden Partei zu fordern, und darf im Zweifel an­ nehmen, daß der ihm unbekannte ausländische Rechtssatz

mit dem einheimischen übereinstimme.

Nur dies hat das

OHG in dem vom Appellrichter angezogenen Urtel v. 14. Febr. 71 INspr. I S. 279] und sonst wiederholt ausgesprochen jvgl. nachher S. 337]:

Goldschmidt Handbuch des HR I S. 275 ff. 2) Ist der Amsterdamer Brauch, wie der Appellrichter annimmt, ein dort geltender Gewohnheitsrechtssatz — denn nur von solchen spricht Art. 1 HGB*, auf welchen der * Vgl. Erl. v. 28. Juni 72, unten S. 828.

310 Appellrichter sich beruft —: so gehört er zu dem anwend­ baren ausländischen Recht. Es liegt somit ein unstreitiger, dem Richter bekannter ausländischer Rechtssatz vor, welcher die Anwendung des gesammten inländischen Rechts, folglich auch die der Art. 1, 346 HGB, aus­ schließt. 3) Ausländische Gewohnheitsrechtssätze sind, sofern das -ausländische Recht überhaupt ent­ scheidet, auch im Widerspruch mit dem Deutschen Handelsgesetzbuch anzuwenden. Art. 1 des deutschen Handelsgesetzbuchs hat eine Rangordnung nur zwischen ein­ heimischen, nicht zwischen einheimischen und auswärtigen Rechtsquellen festgestellt; einheimische und auswärtige Rechts­ quellen schließen einander nothwendig aus. 4) Art. 346 HGB enthält den vom Appellrichter gefolgerten Rechtssatz nicht, sondern setzt denselben nur als einen (freilich überall geltenden) Satz des bürger­ lichen Rechts voraus. Ueber die Rechte des Käufers beim Mangel vertragsmäßiger oder gesetzmäßiger Beschaffenheit der Waare enthält das Handelsgesetzbuch keine Bestim­ mungen. Dem bürgerlichen Recht aber geht in Handels­ sachen das Handelsgewohnheitsrecht vor (HGB Art. 1), Goldschmidt Handbuch des HR I § 37; und da das holländische Handelsgesetzbuch gar keine Vor­ schriften enthält, so entscheidet der in Amsterdam geltende Handelsgewohnheitsrechtssatz selbstverständlich auch vor dem dortigen bürgerlichen Recht. 5) Der fragt Amsterdamer Brauch ist doppelter Auffassung fähig: als wahrer Gewohnheitsrechtssatz oder als eine nur thatsächliche, als stillschweigendes Element der Verträge zur Feststellung des wahren Partei­ willens dienende Uebung. Ersteres wäre anzunehmen,

falls der Brauch dahin

311

Ungeachtet eine gewisse Qualität der

ginge:

verkauften

Baumwolle erkennbar versprochen ist, soll beim Mangel solcher Qualität der Käufer weder zur Zurückweisung bzw.

Dispositionsstellung noch zur Redhibition befugt sein, muß sich vielmehr mit einer Preisminderung nach dem Ausspruch

von Sachverständigen begnügen. So verstanden, wider­ spräche der Handelsbrauch allerdings dem bürgerlichen Recht,

er wäre indessen für einen Fall wie den vor­ liegenden, sogar durch das deutsche Handelsgesetz­ buch sanktionirt.

damer

Makler,

„®/4

Denn die Klassifikation der Amster­ Cts. unter goodfair“ ist lediglich

„wegen Saamen in der Waare" erfolgt; es ist somit ledig­

lich wegen einer der Baumwolle nachtheiligen und insofern ihre Güte beeinträchtigenden Beimischung eine Refaktie

von % Cts. festgesetzt, wie denn auch die Fakturen der Klägerin diesen Abzug vom Kaufpreise unter der Bezeich­ nung „refaction“ machen. Dergleichen Gebräuche aber — inhalts deren wegen schädlicher Beimischung der Käufer sich

mit einer entsprechenden Vergütung (Refaktie, don, surdon) begnügen mich, wie auch wol umgekehrt dem Verkäufer eine gewisse Nachsicht (tolerance) gewährt werden muß — be­ stehen für die verschiedensten Waaren, insbesondere auch

für Baumwolle,

an den Hauptplätzen des Waarenhandels,

und beruhen auf der verständigen Erwägung, daß, da er­ fahrungsgemäß dergleichen Beimischungen in den Produktions­ ländern kaum völlig vermeidlich sind, der Verkäufer nicht

chikanöser Empfangsweigerung des Käufers ausgesetzt wer­ den darf.

Nicht selten ist auch das Maaß der Vergütung

usanzmäßig oder gar gesetzlich, wie durch das französische Gesetz über die Handelsgebräuche v. 13. Juni 66 (Ztschr. für das gesammte HR, Beilageheft zu B. XII S. 69 ff.) sestgestellt oder aber durch Sachverständigenspruch fest­ zustellen.

Büsch Darstellung der Handlung I S. 165; M.

312 Pöhls HR I S. 181; Fischer-Ellinger Lehr­ buch des österreichischen HR, herausg. von Blodig § 251; Brinckmann HR S. 279, 280, 307, 314 n. 72; insbesondere Delamarre et Lepoitvin, traite de droit comm. 2. ed. tom. V S. 212—214, 282—288, 307; Hamburger Usanzen: (Hamb.) Archiv für HR II S. 574 ff., Hamburgisches Handelsarchiv B. I S. 150, 151, 158, 161, 162;. Ztschr. für HR B. XV S. 190; — Usanzen des Baumwollenhandels in Havre: Dictionnaire universel du commerce (Paris, Guillaumin) tom. I sub verbo „coton" S. 887, und tom. II sub verbo „Havre" S. 40. Daß diese und zwar die am Orte der Uebergabe — d. h. am Erfüllungsort svgl. v. Hahn Komm, zu Art. 352] geltenden Handelsgebräuche maaßgebend sind, wird durch Art. 352 HGB ausdrücklich festgestellt. Allein es ist grundlos, daß anderweitige, die Rechtsfolgen vertragswidriger Qualität der Waaren betreffende Handelsgebräuche durch das HGB ausgeschlossen seien; denn das Gesetzbuch enthält in dieser Beziehung überall keine Einschränkung, die ausdrückliche Erwähnung des Handelsgebrauchs in gewissen Fällen aber — HGB Art. 326, 327, 334, 339, 342, 346 — schließt dessen Be­ rücksichtigung in anderen Fällen nicht aus. Dies würde namentlich gelten, falls man den Handelsgebrauch dahin auffassen wollte: beimVerkauf schwimmender (ostindischer) Baumwolle wird die zugesagte Qualität überhaupt nicht schlechthin, etwa nur derart vertreten, daß der Verkäufer sich bei Lieferung geringerer Waare ein« Preisminderung gefallen lassen müsse. Derartige Orts-Gebräuche sind für die Zeit vor und nach Geltung des HGB bezeugt (Bremer

313 Handelsblatt 1853 Nr 85; Central-Organ, Neue Folge VIII S. 20; Brinckmann HR § 93 n. 3, 4; Thöl HR § 82

Anmerk. 23 a, S. 487), und daß dieselben sogar für den Fall eines Handels nach Probe durch das Gesetzbuch nicht haben ausgeschlossen werden sollen, ergiebt die Erörterung in den Berathungsprotokollen S. 4589, 4590.

Dem Wortlaut der Maklerzeugnisse, wie der Natur des überseeischen Baumwollengeschäfts entspricht jedoch in

noch höherem Grade die zweite Auffassung des Amster­

damer Brauchs.

Danach wird im Handel über schwim­

mende Tinnevelly»Säumn) olle die Bezeichnung derselben als „goodfair“ oder „goodfair garan tirt“ gar nicht als

Zusage der Qualität goodtair verstanden, sondern lediglich als Mittel der endlichen Preisfeststellung auf Grundlage des für die Normalqualität (Standard)

goodfair berechneten Preises — der Art, daß eine be­ stimmte Qualität von der Sorte linnevolly-Baumwolle gar nicht bedungen ist, der Käufer jede Qualität nehmen und denjenigen Preis zahlen muß,

welcher sich aus dem

Verhältniß der wirklichen Qualität der Waare zur

Normalqualität auf Gruudlage des bedungenen Preises ergiebt, nur keinen höheren als den beduugenen. Es wird hienach nicht etwa wegen schlechterer als der zugesagten Beschaffenheit Preisminderung bzw. Refaktie unter Ausschluß

sondern es wird die definitive Preisbestimmung nach dem Qualitätsausfall bei anderweitiger Rechtsmittel gewährt,

Ankunft der Waare vorgenommen.

keineswegs,

Der Zweck dieses —

wie der Appellrichter meint,

abnormen



Brauchs geht offenbar dahin, zwar an Stelle des im Baum­ wollenhandel überaus schwankenden Marktpreises den Kon­ traktpreis zu setzen, dem Käufer Vortheil wie Nachtheil einer Preisänderung zuzuweisen, dagegen den Verkäufer,

welcher für die am weit entfernten Produktionsort abge­

ladene und ihm nur mittelst unsicherer Probenziehung be-

314 kannte, allen Gefahren der Schifffahrt ausgesetzte Waare unmöglich eine Qualitätsgarantie zu übernehmen vermag, gegen die bei den großen Preisschwankungen notorisch über­ aus häufigen Empfangsweigerungen der Käufer sicher zu stellen. Ist dies aber die Bedeutung des Amsterdamer Brauchs, so erweist sich die Annahme des Appellrichters, daß die Qualität goodfair ausbedungen war, und daß Klägerin die Vertragswidrigkeit der von ihr offerirten Waare anerkannt habe, als ungegründet. II. Faßt man den Amsterdamer Brauch als einen da­ selbst bestehenden Gewohnheitsrechtssatz auf, so muß Beklagte denselben gegen sich gelten lassen, mochte sie ihn kennen oder nicht. Amsterdam war unstreitig Erfül­ lungsort des Geschäfts, gleichviel ob man dasselbe als ein direktes Verkaufsgeschäft oder als eine durch Selbst­ lieferung erfüllte Einkaufskommisfion ansieht, zugleich der Ort, an welchem Klägerin ihre Handelsnieder­ lassung hat, endlich sogar der Ort des Vertrags­ schlusses. Denn das Anerbieten der Klägerin v. 9. August 69, wie ihres Agenten Rubens vom 8. August, enthielt wegen Nichtbezeichnung der angebotenen Quantität noch keinen verbindlichen Verkaufsantrag fvgl. oben S. 254]. Die Offerte ging von der Beklagten aus, sollte (wie der Passus ihrer Depesche v. 11. August: „Drahtantwort" zeigt) nicht durch unmittelbare Ausführung, sondern in Worten, nämlich telegraphisch, acceptirt werden, und diese An­ nahme ist umgehend durch Telegramm und Brief der Klägerin erfolgt. Mit Absendung dieser Annahmeerklärung aber somit in Amsterdam, nicht erst mit deren Eintreffen in Giebichenstein, war, da eine Rücknahme der An­ nahmeerklärung nicht erfolgt ist, der Vertrag zum Ab­ schluß gelangt. Deutsches Handelsgesetzbuch Art. 321. Vgl. M. Hoffmann in Gruchot's Beiträgen

315 B.XI S. 711 ff.; v. Hahn Komm, zu Art. 319ff.; Sohm Ztschr. für Handelsrecht XVII S. 106. Daß nach holländischem Recht ein Anderes anzu­ nehmen wäre, erhellt nicht. Nur Amsterdam konnten somit unter den Umständen des vorliegenden Falles die Parteien verständigerweife als den Sitz des Geschäfts betrachten, und dem Recht dieses Orts sind sie unterworfen. Zu gleichem Ergebniß führt die Auffassung des Amsterdamer Brauchs als einer nur thatsächlichen, den wahren Inhalt des Vertragswillens bestimmenden Uebung: HGB Art. 278, 279 sRspr. II S. 347, V S. 199, 210, VI S. 207]. L. 31 § 20 Dig. 21, 1; L. 34, 114 Dig. 50, 17. Code civil Art. 1159, 1160, 1135. Holländisches bürgerliches Gesetzbuch Art. 1375, 1382, 1383. Goldschmidt Handbuch des HR I S. 235 ff., Laband Ztschr. für HR XVII S. 466 ff. Nach ihrem Schreiben v. 9. August 69, welches das Telegramm der Bell. v. 11. Aug. veranlaßte und welches so die Basis des durch die Telegramme eingegangenen Ver­ trages bildet, hatte Klägerin anempfohlen, „Tinnevelly* Baumwolle segelnd hieher, nach overland Proben sehr schöne goodfair zeigend." Wenn demnächst Beklagte „200 goodfair Tinnevelly Mai Juni Verschiffung" verlangte, und Klägerin solche „per Arbütus“ zutheilte: so war offen­ bar (was Beklagte vollkommen grundlos bestreitet) über die auf dem Schiffe Arbutus segelnde Waare kontrahirt, und von dieser war lediglich erklärt, daß sie nach den in Indien gezogenen und mit der Post übersendeten Proben sehr schöne goodfair Qualität zeige. Ganz abgesehen vom Amster­ damer Handelsbrauch würde in dieser Erklärung eine Zu­ sage für die Qualität goodfair schwerlich gelegen haben; in Berücksichtigung des Handelsbrauchs kann ihr Sinn

316

keinem Zweifel unterliegen. Klägerin aber hatte ein Recht darauf, daß ihr Ausgebot so verstanden werde, wie es in Amsterdam, ihrem Wohnsitz und zugleich dem Orte des Vertragsschlusses, nach Handelsbrauch zu verstehen war, und Beklagte, indem sie auf einem ausländischen Hauptmarkt des Baumwollen­ handels daselbst auszuführende Bestellungen machte, unter­ warf sich damit nothwendig dem dortigen Sprachgebrauch.

ALR Th. I Tit. 4 § 71, 72, vgl. § 67, 69; Th. I Tit. 5 § 254, 255, vgl. § 231, 247. L. 34 Dig. 50, 17: quod in regione, in qua actum est, frequentatur. Holländisches bürgerl. GB Art. 1382; kgl. sächs. bürgerl. GB § 810 bis 813. Goldschmidt Handbuch § 62 n. 38; v. Wächter, Archiv für civilistische Praxis B. 19 S. 114 ff.; v. Savigny System VIII S. 265; v. Bar Internationales Privat- und Strafrecht S. 292. Weder als Verkäuferin noch als Kommissionärin hatte Klägerin irgend welche Veranlassung, der Bekl. von den Amsterdamer Handelsgebräuchen besondere Mittheilung zu machen; sie durfte annehmeu, daß Beklagte, welche so erhebliche Bestellungen im Auslande machte, mit den noto­ risch überaus zahlreichen Usanzen des Baumwollenhandels vertraut sei oder doch die ihr unbekannten wider sich gelten lassen wolle. Beklagte darf sich somit auf ein Mißverständ­ niß um so weniger berufen, als im Zweifel Verträge zu Gunsten des Verpflichteten auszulegen sind, —

L. 9, 56 Dig. 50, 17; L. 38 § 18 Dig. 45, 1. ALR Th. I Tit. 5 § 268, 253. Holländisches bürgerl. GB Art. 1385 —

und der Jnterpretationsgrundsatz, daß im Zweifel gegen

317 den Verkäufer auszulegen sei, voraussetzt (was hier nicht zutrifft), daß die Fassung des Vertrages von demselben ausgegangen* ist. Sie hat aber einen Irrthum in dieser Beziehung nicht einmal wahrscheinlich gemacht, und ein solcher Irrthum würde, als selbstverschuldet, nach Lage der Sache nur ihr schaden. Ihre Behauptung, daß zwischen goodfair und nicht goodfair lirmevell^ - Baumwolle ein gleicher Unter­ schied wie zwischen Leinen und Baumwolle bestehe, ist hand­ greiflich unrichtig. Vielmehr handelt es sich, soviel zu er­ sehen, auch nach der Auffassung des Verkehrs gar nicht um verschiedene Sorten oder Arten Baumwolle, sondern lediglich um verschiedene Qualitäten innerhalb der gleichen Sorte; andernfalls würden durch die Klassifikationen 1l2f %, 1, lVz rc. Cts. unter goodfair eben so viele Sorten Baumwolle geschaffen werden. Ein nur die Qualität betreffender Irrthum aber begründet — mindestens nach den Grundsätzen des holländischen wie des gemeinen Rechts — die Ungiltigkeit des Vertrages nicht. Goldschmidt, Handbuch I. 2 S. 531—534, 546 bis 548; Holländisches bürgert. GB Art. 1358. Vgl. Code civil Art. 1110. III. Der vom Appellrichter eventuell für erforderlich erachteten Beweisaufnahme darüber, daß der Amsterdamer Handelsbrauch auch gegen kaufende oder kommittirende Fabrikanten gelte, bedurfte es nach Lage der Sache nicht. Denn Beklagte hat ausdrücklich die von den Amster­ damer Maklern bezeugte Usanz, welche eine solche Unter­ scheidung nicht macht, als richtig anerkannt und auf jede weitere Beweiserhebung über dieselbe verzichtet. Sie hat auch

♦ Vgl. Nspr. I S. 96, II S. 42, 83, 206; III S. 64, 178; IV S. 345, V S. 382, VI S. 124.

318 nur behauptet, daß gegen Fabrikanten diese Usanz nicht paffe, weil solche die Waare nur in der bedungenen Qualität zu verwenden vermöchten.

Daraus würde aber nur folgen,

daß Fabrikanten durch den Kauf schwimmender ostindischer Baumwolle ein größeres Risiko auf sich nehmen als Händler, indem sie nicht allein die Gefahr eines Preisfalles tragen, sondern auch möglicher Weise zum Ankauf anderer Waare oder zur Einstellung ihrer Fabrikation genöthigt sind,

keineswegs dagegen, daß der Handelsbrauch nicht auch gegen sie Platz greife. In vorliegendem Falle aber widerlegt sich

das Vorgeben der Bekl. aus ihren eigenen Erklärungen. Denn im Briefe v. 4. Dez. 69 hat sie der Klägerin geschrieben, sie würde, ohne die über die Lciucko-Wolle ausgebrochenen Differenzen, die Tinnevelly »Saumro oHe ohne Weiteres ge­ nommen haben, und durch Telegramm v. 17. März 70 erbot

sie

sich

zum Bezüge des noch unverkauften Restes

der

Mimevelly-Baumwolle, und zwar von mehr als 8/4 der ganzen streitigen Ladung, zu dem freilich sehr gesunkenen

Marktpreise, sogar mit der Klausel „die Waare falle wie sie falle."

Daß dieses Telegramm sich auf die hier frag­

liche Ladung bezieht, kann Angesichts der übrigen Korre­

spondenz nur frivoler Weise geleugnet werden, und die Be­ merkung der Bekl., daß sie nur dieses eine Mal eine ge­ ringere Sorte habe brauchen können, verdient keine Be­ rücksichtigung. IV. Ungerechtfertigt ist, daß die auf ein Kommis­ sionsgeschäft gegründete Klage um deswillen wenigstens angebrachtermaaßen zurückgewiesen werden müsse, weil in Wahrheit ein Kaufgeschäft abgeschlossen worden. Für die

Beurtheilung des Falles macht es keinen Unterschied, ob ein Kauf- oder ein Kommissionsgeschäft angenommen wird. In Wahrheit aber durfte Klägerin aus dem ihr offerir-

ten Kommissionsgeschäft deshalb klagen, weil sie zwar durch Selbstlieferung die Pflichten eines Verkäufers überkam,

319 dagegen mindestens gewisse Rechte des Kommissionärs, insbesondere das hier unstreitige Recht auf Provision behielt svgl. Rspr. III S. 105, IV S. 119 ff., VII S. 173].

Nr. 60. H. Senat. — Erkenntniß v. 26. Änm 72. (v.) (>. Chr. t). Lchack

Preußen.

I. Weber (Nr. 440 v. 72).

Wechselsache.

Nichtigkeitsbeschwerde.

I. Instanz: Stadtgericht Berlin, II. Instanz: Kammergericht daselbst. Restitutio in integrum wegen Minderjährigkeit. Bundesindigenat. Dispositionsfähigkeit eines Minderjährigen.

1) Gemeinrechtlich ist die Zulassung der restitutio in integrum eines Minderjährigen an eine Form des Vorbringens nicht gebunden. 2) Die zur Restitution eines Minderjährigen erforder­ liche „Läsion" ist bei Uebernahme wechselmäßiger Ver­ pflichtungen seitens des Minderjährigen ohne Weiteres vor­ liegend. Daß der Minderjährige durch seine Minderjährig­ keit und Unerfahrenheit in diesen Nachtheil gerathen ist, muß angenommen werden, so lange der Wechselberechtigte nicht das Gegentheil darthut. Wind scheid Pandekten § 115 ff., B. I S. 303 ff.

3. Angehörige deutscher Bundesstaaten sind im Ge­ biet des deutschen Reichs nirgend als Ausländer im Sinne des Art. 84 DWO anzusehen. Bd.Ges. v. 5. Juni 69 (Nspr. I. S. 1, 4 n.); Deutsche Reichöverfassung Art. 3; vgl. Rspr. I S. 332, II S. 123, IV S. 215, VI S. 307.

320

4. Die Wechselfiihigkeit eines Teutschen ist nach dem Recht seines persönlichen Wohnsitzes zu beurtheilen. TWO Art. 1; vgl. Rspr. II S. 84, V S. 119.

5. Nach heutigem gemeinem Recht, wie dasselbe in Mecklenburg sich ausgebildet hat und gilt, sind alle (auch über 12 bzw. 14 Jahre alte und nicht bevormundete) Minderjährigen zu eigener Vermögensvertretung nicht be­ fugt, daher zu selbständiger Eingehung von Wechselverbind­ lichkeiten unfähig. DWO Art. 1, vgl. Rspr. V S. 120 und Windscheid Pand. § 71 n. 9. Anders nach L. 101 Dig. 45, 1.

Beklagter hatte sich als Acceptant des Klagewechsels in I. Instanz am Zahlungsort (Berlin) in contumaciam

verurtheilen lassen, erhob aber in II. Instanz den Einwand, daß er zur Zeit der Acceptation noch minderjährig und

in väterlicher Gewalt gewesen sei. Dieser Einwand wurde vom Appellrichter verworfen, weil nach dem in Mecklen­ burg (der Heimath des Bell.) geltenden gemeinen Recht die väterliche Gewalt, in welcher ein Haussohn steht, und

die Minderjährigkeit der Fähigkeit, Beklagter zu sein und sich durch Verträge zu verpflichten, an sich nicht entgegen­ stehe; auch ward dem Bekl. die Restitution gegen das der Klage zu Grunde liegende Wechselgeschäft versagt, weil die­ selbe nicht „nachgesucht" sei. Das OHG vernichtete das

Appellurtel und erkannte auf Abweisung des Klägers aus folgenden

Gründen: Da der Appellrichter selbst anführt, daß Beklagter, um den Klageanspruch zu beseitigen, sich auf seine Min­ derjährigkeit berufen habe, so läßt sich nur annehmen,

daß der Appellrichter der Ansicht ist, die Wiedereinsetzung Minderjähriger gegen ihnen nachtheilige Rechtsgeschäfte er­

fordere ein ausdrückliches Anrufen dieser gesetzlich den

321 Minderjährigen gewährten Rechtswohlthat. Hierin irrt aber der Appellrichter, und verstößt somit gegen den gemeinrecht­ lichen Grundsatz, daß die Zulassung der restitutio in integrum an eine Form des Vorbringens nicht gebunden ist. Eine Verletzung dieses Grundsatzes rügt daher Beklagter mit Recht. Allerdings erfordert auch die Restitution wegen Minderjährigkeit eine Läsion, welche der Minderjährige durch das betreffende Geschäft erlitten habe, und die Berufung auf Minderjährigkeit schützt nicht, wenn ungeachtet derselben das Geschäft ohne nachtheiligen Er­ folg geblieben ist, oder doch der Nachtheil nicht mit dem diesem Alter gewöhnlichen Mangel an Erfahrung und Be­ sonnenheit im Zusammenhang steht. Vgl. L. 11 §3 — 5, L. 24 § 1 und L. 44 Dig. 4, 4. Bei Uebernahme einer wechselmäßigen Verpflichtung seitens des Minderjährigen, welche in vorliegendem Falle den Grund der Klage bildet, liegt die Läsion aber an sich ohne Weiteres klar zu Tage, da es sich hier um eine ein­ seitige, streng formelle Verbindlichkeit zu einer Geldleistung handelt, bei welcher etwaige Gegenleistungen überall nicht in Frage kommen und welche daher als solche eine reine Vermögensverminderung für den Minderjährigen, der sie übernommen hat, enthält. Daß aber der Wechselverpflichtete in Folge seiner Minderjährigkeit in diesen Nachtheil ge­ rathen ist, muß jedenfalls so lange angenommen werden, als nicht der Wechselberechtigte das Gegentheil darthut; denn nur das der eingegangenen Wechselverbindlichkeit unter­ liegende materielle, derselben an sich fremde Rechts­ verhältniß zwischen dem Wechselgeber und Wechselnehmer würde diese sich aus der Natur der Sache ergebende An­ nahme zu beseitigen vermögen. Das angefochtene Erk. unterliegt daher schon aus die­ sem Grunde der Vernichtung . . . VII.

322

Bei der hiedurch eröffneten freien Beurtheilung der Sache kommt nun zunächst in Frage, nach welchen Gesetzen die Fähigkeit des Bekl., wechselmäßige Verpflichtungen zu

übernehmen, zu beurtheilen sei.

Denn bei dem Namen des

Bekl., als des Bezogenen, ist im Wechsel Berlin angegeben und dieser Ort gilt nach Art. 4 Nr. 8 DWO, in Ermange­ lung der Angabe eines eigenen Zahlungsorts für den Wechsel, als Zahlungs- und zugleich als Wohnort des Be­

zogenen, muß daher auch als derjenige Ort angesehen wer­

den, an welchem Beklagter das, mit einem Ortsdatum nicht versehene, Accept vollzogen hat. Nun schreibt zwar Art. 84

DWO vor, daß auch der nach den Gesetzen seines Vater­ landes nicht wechselfähige Ausländer durch Uebernahme von Wechselverbindlichkeiten im Inlands verpflichtet wird, insofern er nur nach den Gesetzen des Inlandes wechsel­ fähig ist. Allein diese Bestimmung trifft hier nicht zu, denn der Bekl. ist Mecklenburger und als solcher nicht Aus­

länder, sondern Inländer im Sinne der DWO, welche ein den deutschen Staaten gemeinsames Wechselrecht zu schaffen beabsichtigte und — obwohl das preuß. Einf.-Ges. vom 15. Febr. 50 dieserhalb keine näheren Bestimmungen enthält, — unter Ausländern im Art. 84 nur die Ange­ hörigen solcher Staaten verstanden wissen wollte, in welchen die DWO keine Geltung erlangen werde, da die Vor­ schrift des Art. 84, wie auch dessen Entstehungsgeschichte (vgl. Prot. der Leipziger Konferenz S. 144 bis 146) zeigt, auf dem Grundsatz beruht, daß Angehörige nicht­

deutscher Staaten, wenn sie in Deutschland, namentlich auf Meßplätzen, Wechselverbindungen eingehen, sich nicht auf ihre Wechselunfähigkeit nach dem Gesetz ihrer Heimath sollten berufen dürfen. War dies früher auch nicht unbe­

stritten, vgl. Thöl HR 2. Auflage, B. II § 156: so kann die Bedeutung des Wortes „Ausländer" im Art.

323

34 DWD doch jedenfalls zur Zeit, seit dieselbe durcb BdGes. v. 5. Juni 69 zum Bundes- (jetzt Reichs-) Gesetz erklärt ist, mithin auch in Preußen als solches gilt und wo nach Art. 3 der Reichs-Verfaffung der Angehörige eines jeden Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaate als

Inländer zu behandeln, insbesondere auch in Betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes dem Inländer gleich zu erachten ist, nicht dem mindesten Bedenken mehr unterliegen. Nach den somit zur Anwendung zu bringenden all* gemeinen Rechtsgrundsätzen ist aber die Wechselfähigkeit des Bekl., welche nach Art. 1 DWO mit der Fähigkeit, sich durch Verträge zu verpflichten, zusammenfällt, nicht nach preußischem Recht, sondern nach dem Recht des Domizils

des Bekl. zu beurtheilen, welches er unbestritten in Mecklen­ burg hat. Nach mecklenburgischem Recht dauert aber die Minderjährigkeit bis zum vollendeten 25. Lebensjahre, und da Beklagter erst am 21. Dez. 48 geboren ist, war er bei Acceptirung des am 20. August 70 ausgestellten und am

25. Okt 70 fälligen Wechsels noch minderjährig.

Nun sind zwar nach römischem Recht solche Minderjährige, welche —

wie beim Bekl. der Fall — das Altetz der Pubertät über­ schritten haben, im Allgemeinen dispositionsfähig, wenn sie keinen Curator haben. Das in Mecklenburg geltende heutige gemeine Recht besteht aber in dem durch das kanonische Recht, Reichsgesetze und deutschrechtliche Grund­ sätze und Gewohnheiten modifizirten römischen Recht, und nach diesem heutigen gemeinen Recht, wie es sich in der Mecklenburgischen Praxis ausgebildet hat, sind auch solche Minderjährige in Folge der Grund­ sätze des älteren deutschen Rechts über das dem Vater zu­ stehende Mundium und der durch die Reichspolizeiordnung von 1548 adoptirten deutschrechtlichen Ansicht, daß nicht nur Pupillen, sondern auch Minderjährige bis zu ihrer 21‘

324 völligen Selbständigkeit Vormünder bedürfen und von diesen als Schutzbedürftige vollständig vertreten werden, nicht als zu eigener selbständiger Vertretung ihres Vermögens für

befugt anzusehen.

Sie können sich daher im Allgemeinen

durch Verträge nicht selbständig verpflichten, ohne daß es einen Unterschied macht, ob sie unter Vormundschaft stehen

oder nicht; denn sie gelten eben ihres Alters wegen als unfähig, sich selbst zu vertreten, und daher wird in Mecklen­ burg noch gegenwärtig auch der Vater rücksichtlich seiner

minderjährigen Kinder als natürlicher Vormund derselben betrachtet, so daß ein minderjähriger Haussohn hinsichtlich seiner Dispositionsfähigkeit anderen Minderjährigen völlig gleichsteht.

Vgl. Erk. des O.App.Ger. Rostock v. 24. Juli 58 bei Buchka und Budde, B. III S. 40 bis 42, und v. 26. Aug. 50 im Archiv für DWR B. III S. 400. Es ist daher für die We'chselfähigkeit des Bekl. auch

unerheblich, daß Kläger behauptet und unter Beweis gestellt hat, Beklagter sei bereits vor dem 20. August 70 von

seinem Vater aus der väterlichen Gewalt entlassen und

habe eine eigene abgesonderte Wirthschaft eingerichtet; denn hiedurch allein würde in Ermangelung einer gleichzeitigen (vom Kläger aber nicht behaupteten) Großjährigkeits­

erklärung die auf dem minderjährigen Alter beruhende Wechselunfähigkeit des Bekl. nicht gehoben sein. Da endlich

Kläger sich auch nicht etwa auf die Genehmigung der vom Bekl. eingegangenen Wechselverpflichtung seitens des Vaters oder Vormunds desselben berufen hats, Kläger mit seiner Klage abzuweisen.

so war

325 Nr. 61.

I. Senat. — Erkenntniß v. 27. Juni 72 (Z.) Hollmann •. Lorenz (Nr. 290 v. 72).

Königreich Sachsen. Wechselsache. Weitere Berufung. I. Instanz: Handelsgericht im Bezirksgericht Pirna, II. Instanz: Appellationsgericht Dresden. Nebenveredungen im Wechsel, Verzicht auf Verjährung.

1. Die Aufnahme einer, der Wechselobligation frem­ den, Nebenberedung in den Wechsel macht diesen selbst nicht ungiltig. DWO Art. 4, 7, 96; Nürnberger Novelle Art. I Nr. 4.

2. Ein Verzicht auf die Wechselverjährung ist, wenn im Wechsel zum Ausdruck gebracht, nach den Prin­ zipien des Wechselrechts unwirksam und als nicht geschrie­ ben anzusehen. Anderen Grundsätzen unterliegt ein außer­ halb des Wechsels erklärter Verzicht auf Wechselverjährung. DWO Art. 77—80, 98 Nr. 10: vgl. Rspr. I S. 308, V S. 235, VII S. 219.

Beklagter hatte an die Order des Klägers einen eigenen Wechsel ausgestellt, welchem die Erklärung einverleibt war: „entsage

der Wechselverjährung

und

haste

für

Stempel, Stempelstrafen, alle ge- wie außergericht­ liche, auch sonst nicht restitutionsfähige Kosten."

Der I. Richter wies die Wechselklage ab, weil die Ueber­ nahme der Haftung für an sich nicht restitutionsfähige Kosten außerhalb des Wechselvertrages liege, eine Ver­ mischung wechselmäßiger und nicht wechselmäßiger Verhält­ nisse aber der Natur des Wechsels widerspreche. Der Appell­

richter erachtete dagegen, daß die Verbindung einer der Wechselobligation fremden Klausel mit dem Wechsel diesem selbst die Kraft nicht entziehe. Der Appellrichter nahm ferner an, daß dem Bekl. der

326

Einwand der Verjährung trotz der im Wechsel erklärten Entsagung zustehe. Das Appellurtel ist vom OHG bestätigt worden. Gründe:

1. Dem Klagewechsel kann die Eigenschaft formeller Giltigkeit deshalb nicht abgesprochen werden, weil er eine außerhalb des eigentlichen Wechselvertrags liegende Nebenberedung zum Ausdruck bringt... Unerörtert kann bleiben, ob das in Rede stehende Nebenversprechen an sich zur Ausnahme in den Wechsel sich eigne, und ob es überhaupt nach civilrechtlichen Grund­ sätzen als wirksam anzuerkennen sei. Denn Kläger hat daraus eine selbständige Verpflichtung des Bekl. nicht hergeleitet. Mit Recht hat der Appellrichter angenommen, daß die Verbindung einer der Wechselobligation fremden Klausel mit dem Wechsel diesem selbst die Kraft nicht entziehe. In der That würde jede entgegengesetzte Auffasiung mit dem der Nürnberger Novelle zu Art. 7 DWO unterliegenden Prinzip thunlichster Aufrechterhaltung der Wechsel­ skriptur, sofern diese die wesentlichen Bestandtheile eines Wechsels enthält, in direktem Widerspruch gerathen und die Anwendung dieses Prinzips auf ältere, vor Erlaß der Novelle liegende Fälle kann nach der Natur des neueren Gesetzes, welches nur als „Ergänzung und Erläuterung" der DWO sich ankündigt, keinem Bedenken unterliegen. 2. Der Klagewechsel war am 20. April 57 zahlbarNach Art. 100 DWO war sonach bei Klageanstellung die dreijährige Verjährungsfrist für Eigenwechsel längst abge­ laufen. Beklagter, der Aussteller, hat jedoch im Kontext des Wechsels der Wechselverjährung entsagt. Dies konnte aber nicht mit Erfolg geschehen. Zwar ist nicht. . . schon mit Rücksicht auf die zur Zeit der Ausstellung des Wechsels im Königreich Sachsen gütigen Bestimmungen des bürger-

327 lichen Rechts dem Verzicht auf die Verjährung jede recht­

liche 'Wirkung abzusprechen. Wohl aber ergießt sich die Wirkungslosigkeit eines Verzichts der hier vorliegenden Art

aus den Prinzipien des Wechselrechts. Der Wechsel enthält einen Formalkontrakt.

Sein

wesentlicher Inhalt ist für Tratten in den Art. 4 bis 7

DWO, für Eigenwechsel im Art. 96 vorgezeichnet.

Daß

der Wechsel auf die Bekundung der daselbst vorgeschriebenen wesentlichen Bestandtheile sich beschränken müsse, läßt sich

freilich mit genügendem Grunde

nicht

annehmen.

Kein

Gesetz besteht, welches allgemein verböte, Nebenverträge

in den Wechsel aufzunehmen, welche die civilrechtliche Basis

des Geschäfts betreffen.

Und was die Uebung des Ver­

kehrslebens anlangt, so ist bekannt, daß viele Wechsel An­

gaben über das'Valuten- und Deckungsverhältniß enthalten,

die, wie das OHG bereits früher ausgesprochen hat, unter

Umständen für das zwischen den Parteien bestehende Rechts­

verhältniß wesentliche Bedeutung erlangen können.

Aber

was der Wechsel als solcher entschieden nicht verträgt, das ist die Abänderung der auf.der Basis der Wechselord­

nung begründeten Wechselobligation. Die DWO ent­ hält über Form und Inhalt der Wechselzeichnung bestimmte

Vorschriften. Die Rechtswirkungen, welche daran sich knüpfen, sind gesetzlich präzisirt.

Nur nach gewissen Seiten hat die

DWO Privatabänderungen des tenor Juris cambialis aus­ drücklich zugelassen. So gestattet, abweichend von den nor­ malen Vorschriften, Art. 9 das Verbot der Wechselbegebung

durch den Beisatz „nicht an Ordre", Art. 14 das Indossa­ ment „ohne Obligo", Art. 15 das Indossament „nicht an Ordre", Art. 19 die Vorschreibung einer Präsentationsfrist

bei Sichtwechseln seitens des Indossanten, Art. 24 die Vor­ schreibung

der

Präsentation zur Annahme

bei Domizil­

wechseln, Art. 42 den Protesterlaß. Alle diese Bestimmungen

enthalten Ausnahmen von der gesetzlich geordneten regel-

328 mäßigen Form und Rechtswirkung des Wechsels.

Als un­

abweisbare Konsequenz richtiger Gesetzesauslegung erscheint demnach die Auffassung, daß über den Bereich jener gesetz­ lichen Ausnahmebestimmungen hinaus betreffs aller wesent­

lichen, dem Wechselrecht eigenthümlichen Normen der Privat­ willkür nicht gestattet ist, Inhalt und Umfang der Wechsel­

obligation, soweit dieselbe in der für ihre Geltung prä­ Form der Wechselskriptur sich manifestirt, wesentlich abzuändern. Es kommt hierbei entscheidend die

judiziellen

Gestaltung der Form in Betracht, in welcher der Wechsel bei seiner Entstehung in den Verkehr tritt. Diese Form untersteht den Vorschriften der DWO mit absoluter Wir­ kung.

Unmöglich kann der Gesetzgeber gewollt haben, daß

die zum Träger der Wechselobligation bestimmte Skriptur, der Wechsel, dazu benutzt werde, die wesentlichen und eigen­

thümlichen Vorschriften des Wechselgesetzes über den Inhalt der Wechselobligation, zu denen zweifellos die Normen über die Verjährungsfrist gehören,

außer Kraft zu setzen, um

ihnen allgemeine Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu substituiren. Der besondere Zweck der Wechselgesetzgebung (als Bestandtheil des Reichsrechts) würde dadurch illusorisch, die Wechselverjährung insbesondere von Neuem dem Ein­

fluß der notorisch ganz verschiedenen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts der einzelnen deutschen Staaten unter­

stellt werden, deren Ausschließung innerhalb der in der DWO gesetzten Grenzen die gemeinsame Wechselgesetzgebung gerade bezweckt.

Daß derartige unzulässige Stipulationen,

sind sie in den Wechsel dennoch ausgenommen,

diesem

selbst die wechselrechtliche Kraft nicht entziehen, folgt aus

dem vorher zu 1 Ausgeführten.

Alle, die erlaubte Grenze

der Privatwillkür überschreitenden, in dem Wechsel verlaut­ barten Stipulationen haben nach dem Prinzip der Nürn­

berger Novelle Art. I. Nr. 4 für nicht geschrieben zu

gelten.

In

die

Kategorie

dieser

nicht

zu

lesenden

329 Wechselklauseln fällt der streitige Berzicht auf die Wechsel­ verjährung. Eine andere, hier nicht zu beantwortende, Frage ist, welcher Einfluß einer derartigen Stipulation verstattet werden darf, wenn sie nicht im Wechsel verlautbart, son­ dern durch ein besonderes Rechtsgeschäft und erst nach Ausstellung des Wechsels oder gar erst nach Beginn des Laufs der Verjährung begründet ist. Die Wirkung eines solchen Rechtsgeschäfts bestimmt sich nach anderen als den zuvor entwickelten Grundsätzen. Einen solchen anders ge­ stalteten Fall betrifft das Erkenntniß v. 28. Febr. 71 (Rspr. I. S. 308). Damals war der Verzicht nicht im Wechsel selbst erklärt, sondern entsprechend den Vorschriften des preuß. Rechts (§§ 565, 566 ALR I. 9) gerichtlich ver­ lautbart, auch, war diese Verlautbarung nicht bei Gelegen­ heit und zur Zeit der Wechselausstellung, sondern erst später — nämlich nach Verfall, wenige Tage vor Ablauf der Ver­ jährung und von den Erben des Schuldners bei einer Erbverhandlung, welche der sofortigen Regulirung der Wechsel­ schuld faktische Hindernisse in den Weg gelegt hatte — bewirkt worden. Der hiebei seitens der Schuldner erklärten, vom Gläubiger angenommenen Verzichtleistung auf Wechsel­ verjährung, welche jene Hindernisse für den Gläubiger un­ schädlich zu machen bezweckte, war nach preuß. Recht die Wirkung des Ausschlusses der laufenden Wechselverjährung zuzugestehen. Keineswegs aber ist damit ausgesprochen, noch lassen die Urtelsgründe die Folgerung zu, daß ein solcher Verzicht unter allen Verhältniffen — namentlich auch dann, wenn er sofort bei Ausstellung des Wechsels im Kontext des Wechsels selbst erklärt ist — in glei­ cher Weise zu beachten sei.

330 Nr. 62.

I. Senat. — Erkenntniß v. 28. Juni 72. (V.) Schneider u. Gille -|. H. Behrendts (Nr. 241 v7 72).

Nichtigkeitsbeschwerde.

Preußen.

I. Instanz: Kreisgericht 9^eu-RuPpin, II. Instanz: Kammergericht Berlin. Handelsgebräuche, ihre Bedeutung.

Dertragswille.

1. Unter „ Handelsgebräuchen" versteht Art. 1 des HGB nur das Handelsgewohuheitsrecht, nicht muh den blos thatsächlichen Branch sUsanzen). Makower Komm. n. 3a zu Art. 1. v. Hahn Komm, zu Art. 1 § 3.

2. In Handelssachen kann ein Rechtssatz, welchem eine auch nur dispositive Vorschrift des HGB widerspricht, durch Gewohnheit nicht Geltung erlangen. HGB Art. 1; Rspr. V S. 210.

3. Art. 357 Abs. 2 HGB hindert nicht, vertrags­ mäßig festzusetzen, daß Verkänser befugt sein soll, vom säumigen Käufer ohne Weiteres die Differenz zwischen dem Kaufpreise und dem Börsenpreise des Kündigungstages als Schadenersatz zu fordern. Zufolge brieflichen Auftrags des Bell, hat Klägerin im Mai 70 an der Berliner Börse 10000 Quart Spiritus per August—Sept, angekauft, und dies dem Kommittenten ohne Nennung des Verkäufers gemeldet. Am 1. August ist die Waare der Klägerin (angeblich) zur Abnahme ge­ kündigt worden, und sie hat dies dem Bekl. unter der An­ drohung mitgetheilt, daß sie, wenn bis zum 3. August keine Disposition erfolge, den Spiritus anderweitig begeben werde. Beklagter antwortete nicht; Kläger fordert jetzt, gemäß Berliner Börsenusanz, die Differenz zwischen dem Börsenpreis v. 3. Aug. und dem Kaufpreis. Beklagter, in

331

Neu-Ruppin wohnend, will jener Usanz nicht unterworfen sein und beruft sich auf Art. 357 Abs. 2 HGB. Entscheidung des OHG:

Der Appellrichter hat das [bie Klägerin abweisendes I. Erk. bestätigt. Seine Entscheidung beruht auf folgenden Erwägungen: Klägerin habe unbestritten nicht unter ausdrück­ licher Bezugnahme auf die Bedingungen der Maklerschlußscheine kontrahirt. Möge nun auch Beklagter, wenn er einen Kauf an der Berliner Börse verlange, sich stillschweigend den Berliner Börsenusanzen haben unterwerfen wollen: so könne doch — selbst wenn diese Usanzen mit den Be­ dingungen der Maklerschlußscheine für identisch zu erachten seien — Niemand als stillschweigend den letzteren sich unterordnend gelten, soweit dieselben gegen die gesetzlichen Vorschriften etwas feststellen Zur Wirksamkeit solcher Bestimmungen sei eine ausdrückiche Willenserklärung der betreffendenPartei erforderlich. Die Wirksamkeit bloßer Handels­ gebräuche gehe in Handelssachen nach Art. 1 HGB nur so weit, als das HGB keine Bestimmungen enthalte; wo also von diesem letzteren abweichende Folgen für das Handeln oder Unterlassen einer Partei eintreten sollen, oder wo sogar der Gegen­ partei ein Recht gegeben werden solle, welches ihr Art. 357 Abs. 2 HGB absichtlich nicht habe ertheilen wollen, genüge die Berufung auf eine bloße derartige Uebung an der Börse nicht, um dem anderen Kontrahenten gegenüber die gesetzlichen Vorschriften außer Anwendung zu setzen; es müsse in solchen Fällen eine Vertragsstipulation oder doch eine ausdrückliche Willenserklärung des Letzteren hinzutreten.

332 Der Appellrichter ist also der Ansicht: beim Abschluß eines Handelsgeschäfts könne eine Partei nur durch aus­ drückliche, nicht auch durch stillschweigende Willenserklärung einem solchen Handelsgebrauch sich unterwerfen, welchem eine dispositive Bestimmung des HGB entgegenstehe. Diese Ansicht soll im Art. 1 HGB unmittelbare Rechtfertigung finden. Die Folgerung beruht auf einem rechtsirrthümlichen Verständniß des Gesetzes. Der Art. 1 lautet: „In Handelssachen kommen, insoweit dieses Gesetz­ buch keine Bestimmungen enthält, die Handelsgebräuche, und in deren Ermangelung das all­ gemeine bürgerliche Recht zur Anwendung." Er versagt klar und bestimmt jedem Handelsgebrauch, dem eine, wenn auch nur dispositive Vorschrift des Han­ delsgesetzbuchs widerspricht, Anerkennung und Geltung. Allein das HGB versteht im Art. 1 unter „Handelsgebräuchen" nur das Handelsgewohnheitsrecht, während der Appell­ richter bei seiner Auslegung des Art. 1 dem Worte „Handels­ gebräuche" den weiteren Sinn beilegt, nach welchem dar­ unter auch die nur thatsächlichen Gebräuche begriffen sind. Seine Ausführungen passen auf das Handelsgewohn­ heitsrecht nicht, weil ein solches gegenüber den Bestimmungen des HGB nicht bestehen kann. Unverkennbar geht die Mei­ nung des Appellrichters dahin: eine dispositive Vorschrift des HGB könne selbstredend durch Vertrag von der An­ wendung ausgeschlossen und an ihre Stelle eine ihr wider­ sprechende kontraktliche Bestimmung gesetzt werden; so wenig wie aber eine handelsgewohnheitsrechtliche Norm gegenüber einer dispositiven Vorschrift des HGB auf Gel­ tung und Anerkennung Anspruch habe, eben so wenig dürf­ ten faktische Handelsgebräuche, welche mit dispositiven Vor­ schriften des HGB sich nicht vertrügen, beim Abschluß eines Handelsgeschäfts als von den Parteien für ihre Rechte und

333 Pflichten normgebend gewollt und vereinbart gelten, es sei

denn, daß der Vertrag es ausdrücklich bestimme.

Aller­

dings läßt der Wortverstand des Art. 1 bei der Doppel­

sinnigkeit des Worts „Handelsgebräuche" allenfalls eine solche Auslegung zu, von der sich auch nicht verkennen läßt, daß sie zu einem Ergebniß führt,

auf welches der Gesetz­

geber Werth zu legen veranlaßt sein konnte (vgl. v. Gerber, Bemerkungen zum 1. Artikel des HGB, Leipzig 1871).

Gleichwohl muß sie mit den meisten Autoritäten der Praxis und Wissenschaft (vgl. die Nachweisungen bei Laband: „Die Handelsusanz" in der Ztschr. für das gesammte HR B. 17 S. 466 ff.) als unhaltbar verworfen

und im Gegentheil angenommen werden, daß unter „Han­

delsgebräuchen" im Sinne des Art. 1 nur das Handels-

Gewohnheitsrecht zu verstehen ist. Zunächst ist die Stel­ lung des Art. 1 für die richtige Auslegung des darin sich findenden Ausdrucks „Handelsgebräuche" von großer Be­ deutung. Der Artikel findet sich im Eingang des Gesetz­ buchs, in einem einleitenden Abschnitt, welcher die Ueberschrift „Allgemeine Bestimmungen" trägt, also an einer Stelle, wo — zumal im Hinblick auf Charakter und Zweck des Gesetzbuchs — eine Bestimmung über die in Handelssachen anwendbaren Rechts quellen

tiven Rechtsnormen

erwartet werden

kann.

wartung entspricht auch sein übriger Inhalt.

oder objek­ Dieser Er­

Dieser be­

faßt sich mit der Bezeichnung der objektiven Rechts­ normen, welche in allen Handelssachen maaßgebend sein

sollen. klamirt:

Als die anwendbaren Rechtsnormen werden proin

erster Reihe die Bestimmungen des Gesetz­

buchs, in zweiter Reihe die Handelsgebräuche, in letzter

Reihe das allgemeine bürgerliche Recht.

Wenn unter „Handelsgebräuchen" noch,ein anderes als das Handels­

gewohnheitsrecht, nämlich auch die thatsächlichen Handels­ gebräuche verstanden werden, welche letzteren, weil sie be-

334 griffsmäßig keine objektiven Rechtsnormen sein können, nur vermöge des Willens der Betheiligten zur Berück­ sichtigung geeignet sind: so würde der Artikel eine seinem übrigen Inhalt gegenüber fremdartige, nach der Oekonomie des GB nicht an diesen Dh, sondern in den Ab­

schnitt über die Handelsgeschäfte gehörende Bestimmung ent­ halten. Zugleich wäre durch die Erwähnung der Handels­ gebräuche Doppeltes und Verschiedenartiges bestimmt. Der Gesetzgeber hätte einmal das Handelsgewohnheits­ recht zu den objektiven Rechtsnormen gestellt, ihm jedoch gleich .bem allgemeinen bürgerlichen Recht nur subsidiäre Geltung beigelegt, sodann aber den faktischen Handels­ gebräuchen die Bedeutung eines Jnterpretationsmittels für die Ermittelung des Willens der Parteien in Vertrags­ fällen entzogen. Sicherlich kann nicht vermuthet werden, daß der Gesetzgeber beabsichtigt habe, zwei so verschieden­ artige Vorschriften und noch dazu in so auffallender Kürze zusammenzufassen. Weiter bestimmt Art. 1 über die Handelsgebräuche vorbehaltlos und unbeschränkt 1) positiv, daß sie int Falle des Schweigens des HGB Anwendung finden; 2) negativ, daß sie unanwendbar seien, wenn das HGB eine Bestimmung enthalte. In dieser Einfachheit und Unbeschränktheit paßt der Grundsatz jedoch nur für das Handelsgewohnheitsrecht, nicht auch für die thatsächlichen Gebräuche, die nur kraft des Willens der Parteien anwendbar sein können und deren Anwendbarkeit, sofern nicht eine absolute objektive Rechts­ norm entgegensteht, nach Art. 278 und 279 HGB nur davon abhängig ist, daß der Wille der Parteien mit ge­ nügender Bestimmtheit erhellt. Die Ausdehnung des Art. 1 auf die thatsächlichen Handelsgebräuche würde also zugleich zu einer erheblichen Beschränkung der Art. 278 und 279 führen, obschon der Inhalt beider Artikel auf eine solche

335 Beschränkung nicht entfernt hindeutet; sie würde sogar den nur dispositiven Bestimmungen des GB gewissermaßen einen Theil dieses Charakters entziehen. Endlich lehrt die Ent­ stehungsgeschichte des Art. 1, daß bei Abfassung des GB die Ansicht vorgeherrscht hat, das Wort „Handels­ gebräuche" könne im Art. 1 nur auf das Handelsgewohn­ heitsrecht bezogen werden, und daß letzterer Ausdruck nur aus anderen (allerdings vielleicht wenig befriedigenden) Gründen vermieden ist; Nürnberger Verathungs-Prot. S. 10 ff., 884, 885. Nach Vorstehendem ist die Rüge der Nktbschw., die Entscheidung des Appellrichters beruhe auf einer Verletzung des Art. 1 HGB für begründet zu erachten. Sollte der Appellrichter aber der Ansicht gewesen sein, auch abgesehen von Art. 1 HGB sei eine ausdrückliche Willenserklärung erforderlich, wenn eine disposttive Vorschrift des HGB durch Vertrag von der Anwendung ausgeschloffen und durch eine abweichende kontraktliche Bestimmung ersetzt werden solle: so würde seine Entscheidung eine Verletzung der (in der Nktbschw. gleichfalls als verletzt bezeichneten) § 59 und 60 ALR I. 4 enthalten. Das Appellurtel unterliegt daher wegen Gesetz-Verletzung ... der Vernichtung. In der Sache selbst kann noch nicht erkannt werden. Beklagter hat (unbestritten) der Klägerin unterm 8. Mai 70 den Auftrag ertheilt: „für ihn an morgender Börse 10000 Quart Spiritus August—September-Lieferung billigst zu kaufen." Am 9. Mai 70 wurde Beklagter von der Ausführung des Auftrags in Kenntniß gesetzt. Die Meldung von der Vollziehung der Kommission erfolgte ohne Namhaftmachung der Person des Verkäufers. Beklagter hat deshalb im gegenwärtigen Prozeß die Befugniß in Anspruch genommen, die Klägerin als Selbstverkäuferin zu betrachten. Hieraus folgert der Appellrichter, daß das Rechtsverhältniß unter

336 den Parteien nach den Norschriften über den Lieferungskauf zu beurtheilen sei. Indem er ferner aunimmt, das in Frage stehende Geschäft gehöre zu den Fixgeschäften im Sinne des Art. 357 HGB und zwar zu den Zeitkaufsgeschafften über Waaren, die einen Markt- oder Börsenpreis haben, erachtet er, die im zweiten Absatz des Art. 357 ent­ haltenen Bestimmungen zum Anhalt genommen, den An­ spruch der Klägerin deshalb für unhaltbar, weil dieselbe nicht zu behaupten vermocht habe, der Verkauf der Waare sei unverzüglich nach Ablauf der Erfüllungszeit für Rechnung des säumigen Bekl. durchweinen vereideten Makler bewirkt. Diese Ausführungen verdienen, wie die vom Appell­ richter allegirten Gesetzesstellen unmittelbar ergeben, volle Billigung. Die Beurtheilung der Sache erleidet aber eine wesentliche Aenderung, wenn die Behauptung der Klägerin richtig sein sollte: „nach Berliner Börsenusanzen und nach den Be­ dingungen in den Formularen der Schlußscheine der Berliner vereideten Makler sei bei den an der Berliner Börse abgeschloffenen Spiritus-Zeitkaufs­ geschäften der Verkäufer befugt, vom säumigen Käufer ohne Weiteres die.Differenz zwischen dem Kaufpreise und dem Börsenpreise des Kün­ digungstages als Schadenersatz zu fordern." Einer solchen Befugniß des Verkäufers steht aller­ dings Absatz 2 Art. 357 HGB direkt entgegen. Da aber das allegirte Gesetz nicht zu den leges absolutae gehört, sondern einen nur dispositiven Charakter hat: so kann, wie auch der Appellrichter anerkennt, jene Befugniß dem Verkäufer durch Vertrag beigelegt werden. Nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ist aber auch eine diesfällige stillschweigende Uebereinkunft als rechtsverbindlich nicht aus­ geschlossen. Ist es nun, wie nach den Behauptungen der Klägerin angenommen werden muß, an der Berliner Börse

337 allgemein üblich und thatsächlicher Handelsbrauch, bei Ge­ schäften der fraglichen Art jene Befugniß dem Verkäufer einzuräume«: so muß dieselbe auch dann dem Verkäufer als durch Vertrag bedungen zugestanden werden, wenn -letzterer unter Bezugnahme auf die Berliner Börsen-Usanzen abgeschloffen ist. Aus Art. 1 HGB läßt sich ein Zweifelsgrund nicht entnehmen. Denn derselbe verhindert, wie aus der obigen Ausführung hervorgeht, den Verkäufer nur, das mehrerwähnte Recht, weil ihm eine dispositive Vorschrift des HGB entgegensteht, als auf Handelsgewohn­ heitsrecht beruhend, in Anspruch zu nehmen; während er nicht ausschließt, einen thatsächlichen Handelsbrauch oder einen Geschäftsgebrauch zum Zweck der Auslegung des Parteiwillens anzurufen. Noch zweifelloser ist, daß in vorliegendem Falle der Vertrag unter Bezugnahme auf die Berliner Börsenusanzen, darunter die thatsächlichen Handels­ gebräuche verstanden, abgeschlossen worden. Dies ist auch vom Appellrichter keineswegs verkannt. Mit voller Zu­ verlässigkeit ergiebt es sich aus den Worten der brieflichen Kommission: „Hiedurch ersuche ich Sie, an morgender Börse für mich — zu kaufen." Der Auftrag ging also dahin, an der Berliner Börse das Geschäft zu schließen. Ein solcher Auftrag enthält aber auch die zuverlässige und bestimmte Erklärung, den Vertrag unter den Bedingungen einzugehen, welche für Verträge solcher Art an der bezeichneten Börse handels­ gebräuchlich oder gewöhnlich und üblich sind. Es darf so­ gar in Frage gestellt werden, ob nicht bei einer so deut­ lichen Hinweisung auf die Geschästsgebräuche der Börse die vom Appellrichter vermißte ausdrückliche Willenserklärung anzunehmen sei. Da die Angaben der Klägerin über die Börsenusanz bestritten sind, so muß, bevor in der Sache selbst erkannt werden kann, der von ihr erbotene Beweis VII. jo

338 erhoben werden. Der vom Appellrichter angeregte Zweifels ob aus dem Inhalt der Maklerschlußscheine auf eine Börsenusanz zu schließen sei, kann mindestens vorläufig auf sich beruhen. Denn Klägerin hat kopulativ die Usanz und einen dieser entsprechenden Inhalt der Maklerschlußscheine behauptet. Sollte nur der letztere Theil der Behauptung erwiesen werden, so würde es der näheren Prüfung bedürfen, ob hieraus schon die Börsenusanz folge und, wenn nicht, ob Beklagter, als er den Kauf an der Börse aufgab, dem In­ halt der Maklerschlußscheine sich stillschweigend unterworfen habe. Die Beweisaufnahme muß aber noch weiter aus­ gedehnt werden. Streitig ist unter den Parteien außer­ dem die von der Klägerin behauptete Kündigung, sowie ihre Angabe über den Börsenpreis des Stichtages geblieben. Auch die in dieser Beziehung von der Klägerin vorgeschlage­ nen Beweise müssen erhoben werden. Die Thatsachen, deren nachträgliche Ermittelung nöthig erscheint, sind bereits in erster Instanz vorgeschützt. Hieraus rechtfertigt es sich, unter Aufhebung des I. Urtels, soweit dadurch die Klage abgewiesen ist, die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung nach Maaßgabe der obigen Gründe in die erste Instanz zurückzuweisen.

Nr. 63.

L Senat. — Erkenntniß v. 28. Juni 72. (J.) Vorster & Grüneberg u. Rolfs & Helmrich I. die Bonnington Chemical Company zu Bonningtonhouse bei Lenh (Nr. 326 v. 72).

Preußen.

Nichtigkeitsbeschwerde. I. Instanz: Kreisgericht Halberstadt, II. Instanz: Appellationsgericht daselbst.

Znterventionsklage, Gerichtsstand.

Deposition.

Ansprüche des Kommittenten.

Recht des Auslands.

Bescheinigung.

339

1. Eine Prinzipalintervention kann beim Gericht des Hauptprozesses angebracht werden (Beispiel der Anwendung). Allgemeine deutsche Gerichtspraxis.

2. Nach Deposition einer mit Beschlag belegten Schuld­ summe bleibt der Schuldner von dem Streit unberührt, welcher sich unter mehreren Arrestlegcrn und um das Eigen­ thum des Arrestobjekts erhebt. § 82 AGO I. 29; L. 1 § 37 Dig. 16, 3; L. 18 § 1 Dig. 22, 1.

3. Dem deutschen Richter ist die Kenntniß auswärtigen Rechts nicht zuzumuthen. Er darf in Ermangelung ge­ eigneter Parteianführungen davon ausgehcn, daß das ihm unbekannte fremdländische Recht mit dem einheimischen über­ einstimme. Rspr. I S. 279 ff., II S. 57 n., 216 f.; IV S. 173.

4. Hat der Kommittent einen anderen Gläubigern des Kommissionärs vorgehenden Anspruch auf den noch un­ bezahlten Kaufpreis des Kommissionsguts? HGB Art. 368.

5. Im Exekutionsverfahren und im Konkurse bestim­ men sich die Vorzugs- und Separationsrechte nach den am Orte der Exekution, bzw. des Konkurses geltenden Ge­ setzen. Prinzip von der Territorialität der Rechte.

6.

Bescheinigung im Arrestverfahrcn, Beispiel. § 48 Nr. 1 AGO I. 29.

Die Handlung Richter u. Co. zu Oschersleben schul­ dete der Firma Breysig u. Co. zu Leith (in SchottlandKaufgeld für empfangene Waaren, und mehrere deutsche Gläubiger von Breysig u. Co. legten auf deren Guthaben Arrest. Richter u. Co. deponirte die schuldige Summe beim Kreisgericht Halberstadt. Im Gerichtsstände des Arrests wurde die (in Vermögensverfall gerathene) Firma Breysig

340

u. Co. belangt, verurtheilt und mit Exekutionsanträgen verfolgt. Inzwischen war die Bonnington Chemical Company zu Leith, als angebliche Kommittentin von Breysig u. Co., intervenirend und gegen die Arrestleger klagend auf­ getreten, indem sie Anerkennung ihres Eigenthums an den Kaufgeldern, Aufhebung der Beschlagnahme und Herausgabe des Depositums beanspruchte. Jntervenientin wurde durch Erk. des preuß. OTr. v. 17. Mai 70 wegen Inkompetenz des Kreisgerichts Halberstadt abgewiesen, weil angenommen ward, daß eine Prinzipalintervention nicht vorliege, gegen die Arrestleger daher in deren Forum hätte geklagt werden sollen. Als es demnächst zu wirklicher Exekution in die Depositalmasse kommen sollte, erhob die Jntervenientin eine neue Klage bei jenem Kreisgericht gegen die Exekutionssucher und drang nunmehr mit ihren Anträgen in zwei Instanzen durch. Das OHG -hat die Nktbschw. der Bekl. zurück­ gewiesen. Gründe:

I. Es liegt ein Fall, und zwar der Normalfall wah­ rer Prinzipalintervention vor: AGO 1.18.8 1 bis 3,6 Dennwollte man auch — mit dem spreuß.s Obertribunal — auf den im 8 3 a. a. O. gebrauchten Ausdruck „Haupt­ prozesse" Gewicht legend, aNnehmen, daß die zwischen den Bekl. einerseits und deren Schuldner Breysig u. Co. ande­ rerseits anhängig gewesenen schleunigen Arrestprozesse für solche „Hauptprozesse" nicht zu erachten seien: so unterliegt es doch keinem Zweifel, daß die zwischen denselben Par­ teien anhängig gewesenen und demnächst zur Exekution ge­ diehenen Wiechselprozesse, sowie das Exekutionsve^rfahren selber den Charakter von „Hauptprozessen" tragen. Hat nun diesem Exekutionsverfahren Klägerin widersprochen und die deponirten Kaufgelder als ihr „Eigenthum" in Anspruch genommen, so unterscheidet sich der vorliegende Fall rechtlich in nichts von der Intervention bei der Ab-

341 Pfändung fremden Eigenthums, bei welcher die Behand­ lung nach den Grundsätzen von der Prinzipalintervention

von jeher in Gesetzgebung und Praxis anerkannt worden ist:

AGO Th. I Tit. 24 § 76, 103; Verordnung v. 4. März 34, I § 13; vgl. L. 15 § 4 Dig. 42, 1; C. 17 X. 2, 27; Wetzell System des Civilprozesses § 64 n. 7 ff.

Die Prinzipalintervention aber gehört, nach der un­ streitigen Praxis des gemeinen und nach den zweifellosen

Bestimmungen des preuß. Rechts (wenn nicht ausschließlich,

so doch sicher nach Wahl des Jnvernienten) vor das Gericht

des Hauptprozesses: AGO Th. I Tit. 18 § 4 bis 6, und dazu E. F. Koch, sowie Konkurs-Ordnung v. 8. Mai 55 § 376; Rescripte v. 5. März 23 und 1. Nov. 33 (Jahr­

bücher B. 21 S. 276, B. 42 S. 313); vgl. L. 15 § 4 Dig. 42, 1; Planck, die Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten im Prozeßrecht S. 460;

v. Bayer, Borträge über den Civilprozeß, 9. Ausl. S. 130 ff., 211; Wetzell System § 64 n. 20, § 41 n. 66.

Es versteht sich von

selbst, daß der vorausgehende

Arrestschlag und die vom Obertribunal angenommene Un­ statthaftigkeit einer Jnterventionsklage gegen den Arrest­

schlag im Gerichtsstände des Arrestes auf den Gerichts­

stand der Jnterventionsklage gegen die

Exekution ein­

flußlos ist.

Daß in diesem Prozeßstadium der Jnterventionsprozeß nur zwischen Klägerin und der Firma Richter u. Co. hätte geführt werden dürfen, ist eine völlig grundlose Behauptung,

da Richter u. Co.

durch

Deposition

der geschuldeten

342

Kaufgelder befugterweise sich jeder Betheiligung an dem Rechtsstreit sowohl zwischen Beklagten und Breysig u. Co., wie zwischen den gegenwärtigen Parteien entzogen hatte (§ 82 AGO I. 29). Aus 'welchem Grunde Richter u. Co. deponirt hatte, ist völlig gleichgiltig. Die als verletzt be­ zeichneten Art. 368 HEB und §§ 213, 215, 216 AM 1.16 sind richtig angewendet. Denn wird auch durch die statt­ hafte Deposition der Schuldner befreit, so wird doch bei einem Streit um die Gläubigerschaft das wirklich bestehende Recht durch die Deposition nicht berührt, vielmehr geschieht die Deposition für Rechnung und Gefahr des Berechtigten und tritt das Depositum schlechthin an Stelle der getilgten Forderung. L. 1 § 37 Dig. 16, 3; L. 18 § 1 Big. 22, 1; Seuffert's Archiv X Nr. 35, 240; II Nr. 158; XIII Nr. 92; XXI Nr. 27, 28.

Dieser Grundsatz kommt auch im Falle des Art. 368 HGB zur Anwendung. II. Die thatsächliche Feststellung und die darauf ge­ gründete rechtliche Annahme des Appellrichters, daß die Kaufgelderforderung, welche den Gegenstand des Rechts­ streites bildet, aus einem von Breysig u. Co. als VertragsKommissionärin der Klägerin geschlossenen Verkaufsgeschäft herrühre, ist nicht angegriffen. Die Nktbschw. verneint da­ gegen, daß das Rechtsverhältniß zwischen Breysig u. Co. und Klägerin nach Art. 360, 368 Abs. 2 HGB zu be­ urtheilen sei, und wirft dem Appellrichter vor, durch An­ wendung des deutschen Rechts gegen gewisse Grundsätze von der Anwendung kollidirender Landes- bzw. Ortsrechte verstoßen zu haben. Allein dieser Angriff ist lediglich auf die Annahme gestützt, der Appellrichter habe das deutsche Recht um deswillen zur Anwendung gebracht, weil für das zwischen Breysig u. Co. und Richter u. Co. geschlossene Ver-

343 Laufsgeschäft Hamburg als Erfüllungsort erscheine.

Diese

Annahme ist ungegründet.

Das im Vorprozeß unter denselben Parteien ergangene Appellurtel v. 20. August 69 motivirt die schon damals streitig gewordene Anwendung des deutschen Rechts in

folgender Weise:

„Daß diese Rechtsgrundsätze dem HGB zu ent­ nehmen und nicht auf das englische bzw. schottische

Recht zurückzugehen,

folgt aus

der Erwägung,

daß es sich hier gar nicht um die Erfüllung des Vertrages handelt, für welche allerdings das Recht des Erfüllungsorts maaßgebend ist — der Ver­ trag ist vollständig erfüllt —, sondern daß von dem Verkäufer

und

anderen

Gläubigern

des Kommissionärs über das Vorrecht an den Kaufgeldern gestritten wird.

Will man

dies aber auch nicht annehmen, sondern bei Erörterung der Natur des Vertrages, aus welchem jene Kauf­ gelder herrühren, das Recht des Erfüllungsorts

für maaßgebend erachten: so erscheint auch dann das HGB als dasjenige Gesetzbuch, nach welchem

der Vertrag zu beurtheilen.

Breysig u. Co. hatte

zu liefern übernommen an Behrend u. Günther in Hamburg, Hamburg ist also Erfüllungsort." Diese Gründe hatte in gegenwärtigem Prozeß der I. Richter sich nahezu wörtlich angeeignet und nur noch hinzugefügt, daß unter allen Umständen Beklagte die von

den deutschen Gesetzesvorschriften abweichenden Bestimmungen des englischen bzw. schottischen Rechts

hätte

nachweisen

müssen, einen solchen Nachweis aber völlig schuldig geblieben

fei.

Wenn nun der Appellrichter in dem jetzt angefochtenen

Urtel ausführt: „Daß die Bestimmungen des HGB und nicht die des englischen oder schottischen Rechts in Anwen-

344 düng zu bringen sind, folgt aus den vom I. Richter zutreffend angeführten Gründen, daß eigentlich gar nicht das Recht des Erfüllungs­ orts in Betracht kommen kann, da das Geschäft bereits erfüllt ist, im Uebrigen aber auch Hamburg als Erfüllungsort betrachtet werden muß": so ist klar, daß er seinem Urtel im Vorprozeß und dem Erk. des I. Richters, dessen Gründe er adoptirt, gemäß in erster Linie jeden Einfluß des zwischen Breysig u. Co. und Richter u- Co. geschlossenen Geschäfts auf die allein in Frage stehenden Beziehungen zwischen Klägerin und Be­ klagten negirt, diese vielmehr demjenigen Recht unterwirft, nach welchem ein Streit über die Priorität sich ent­ scheidet, und nur eventuell, sofern es auf jenes Geschäft ankäme, das deutsche Gesetz auch unter dem Gesichtspunkt des am Erfüllungsort geltenden Rechts für maaßgebend erklärt. Der wirkliche Entscheidungsgrund ist somit nicht einmal angefochten, so wenig als der zweite eventuelle, vom I. Richter ausgestellte und nach Vorstehendem als Be­ standtheil auch des Appellurtels zu betrachtende Ent­ scheidungsgrund, daß dem einheimischen Richter die Kenntniß auswärtigen Rechts nicht zugemuthet werden darf. Beide sind aber überdies vollkommen richtig. Soll, wie Beklagte behaupten, nicht deutsches, sondern englisches oder vielmehr das in Leith geltende schottische Recht zur Anwendung kommen, weil nur die Beziehungen zwischen dem schottischen Kommittenten und dem schottischen Kommissionär in Frage ständen: so wäre es um so mehr ihre Sache gewesen, die anwendbaren schottischen Rechts­ sätze auf- und unter Beweis zu stellen, als Klägerin sogar ihrerseits für deren Uebereinstimmung mit dem deutschen Recht Beweis angetreten hat. Beklagte haben sich aber auf die blos negative Behauptung beschränkt, daß das eng­ lische bzw. schottische Recht das Vorrecht des Kommittenten

345 am ausstehenden Kaufpreise nicht anerkenne. Unter diesen Umständen durfte der erkennende Richter mit Fug davon ausgehen, daß das ihm unbekannte schottische Recht mit dem einheimischen übereinstimme. Nspr. I S. 279 ff., II S. 57 n., 216 f., IV S. 173. Goldschmidt Handbuch des HR I S. 277. Sodann aber stehen gar nicht die Beziehungen zwischen dem Kommittenten und Kommissionär, sondern lediglich die Beziehungen zwischen dem Kommittenten in seiner Eigen­ schaft als Gläubiger des insolventen Kommissionärs und anderen einzelnen Gläubigern des Letzteren in Frage. Der Kommissionär Breysig u. Co. erhebt auf die streitigen Kaufgelder eben so wenig Anspruch, als dessen Gläubiger­ gemeinschaft in Leith. Vielmehr wird lediglich zwischen dem schottischen Kommittenten und einzelnen deutschen Gläubigern des Kommissionärs vor deutschem Gericht darüber gestritten, wem der noch unbezahlte Kaufpreis des Kommissionsguts gebühre. Diese Frage entscheidet Art. 368 HGB: „Forderungen aus einem Geschäft, welches der Kommissionär abgeschloffen hat, kann der Kommit­ tent dem Schuldner gegenüber erst nach der Ab­ tretung geltend machen. „Jedoch gelten solche Forderungen, auch wenn sie nicht abgetreten sind, im Verhältniß zwischen dem Kommittenten und dem Kommissionär oder dessen Gläubigern als Forderungen des Kommittenten" zu Gunsten des Kommittenten, und zwar ohne Unterschei­ dung, ob der Kommissionär del credere steht, oder nicht. Vgl. (Frankfurter) Entwurf des Reichshandelsgesetz­ buchs Tit. 5 Art. 7; preuß. Entwurf Art. 285, Motive S. 154; Prot. der Nürnberger Konferenz S. 703 bis 705, 729 (wo ein nicht erschöpfender Gesichtspunkt

346

angedeutet ist), 1198; die nicht zur Berathung gelangten monita 337, 384, 385 zur dritten Lesung, und Hamburger Einf.-Ges. § 44, vgl. mit dem Ham­ burger Kommissionsbericht S. 56. Zu dem gleichen praktischen Ergebniß gelangt (von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen hinsichtlich der foreign factors und von der Frage des Kompensations­ rechts aus der Person des Kommissionärs abgesehen, was für diesen Prozeß außer Acht bleibt, da es sich hier nur um den nach Abzug der Gegenforderungen von Richter u. Co. noch ausstehenden Kaufpreis handelt) auch das englische Recht: J. Story, Coinmentaries on thelaw of agency 7. ed. Boston 1869 § 402, 403, 410, 418 bis 424; vgl. § 161, 268, 279, 299, 400, 448; J. W. Smith, Compendium of mercantile law, 8. ed. London 1871, S. 151 ff.; allein die prinzipielle Begründung ist eine verschiedene. Das englische Recht basirt darauf, daß die Rechte des Kom­ missionärs (agent, factor), wenngleich er in eigenem Namen auftritt, doch in gewissem Sinne den Rechten des Kom­ mittenten untergeordnet sind, der Kommittent somit gleich­ wohl aus dem Kontrakt des Kommissionärs eigene Rechte gegen Dritte erwerbe. Hingegen das deutsche Gesetzbuch führt den im kon­ tinentalen Recht anerkannten Gegensatz des Kontrahirens in eigenem und in fremdem Namen streng durch. Aus dem Vertrage des Kommissionärs erwirbt der Kommittent niemals eigene Rechte, sondern nur die Rechte des Kom­ missionärs und erst durch (freilich erzwingbare) Abtretung desselben. HGB Art. 360 Abs. 2, 368 Abs. 1, 374 Abs. 2. Wie indessen schon das römische Recht ausnahms­ weise, um sonst unvermeidlichen Verlust des Ge-

347

schäftsherrn abzuwenden, dem Letzteren die noch aus­ stehenden Forderungen des Geschäftsführers zu eigener Einziehung überweist, und insoweit den Geschäftsherrn von der Einlassung in den Konkurs des Geschäftsführers befreit L. 1, 2 Dig. 14, 3; L. 1 § 18 Dig. 14, 1; L. 5 Dig. 46, 5; vgl. L. 13 § 25 Dig. 19, 1;

so ist auch im modernen Handelsrecht die Konsequenz des Prinzips durch die Ausnahme durchbrochen, daß der unbe­ zahlte Kommittent den noch ausstehenden Kaufpreis, sowie sonstige aus den Kommissionsgeschäften erwachsene For­ derungen des Kommissionärs mit Ausschluß der übrigen Gläubiger desselben zur vorzugsweisen Befriedigung bean­ spruchen darf, und nur Darüber wurde gestritten, ob auch im Falle der Delcredere-Kommission dem Kommittenten die gleiche Befugniß zustehe. Z. B. Frankfurter Wechsel-Ordnung von 1739 Art. 52 und Frankfurter Gesetz v. 10. Januar 1837; Hamburger neue Falliten-Ordnung Art. 26 Nr. 2; § 300 AGO I. 50; Code de commerce Art. 575; holländisches Handelsgesetzbuch Art. 240, spanisches Art. 1114 Nr. 7; portugiesisches Art. 915, ita­ lienisches Art. 688 rc.; preuß. Konkurs-Ordnung § 25 Abs. 2, vgl. 28, 44.

Dieses im HGB anerkannte Vorrecht des Kommitten­ ten auf die ausstehenden Kausgelder charakterisirt sich, gleich dem verwandten und gleichzeitig entwickelten Verfolgungs­ recht des unbezahlten Verkäufers, Voigt Neues Archiv für HR III Nr. 11, IV Nr. 7; Goldschmidt Handbuch I, 2 S. 855 ff.,

als ein Separationsrecht gegenüber den anderweitigen Gläubigern des Kommissionärs, und wird, wie jenes, in

348

den Konkursordnungen zu den „Vindikationsausprüchen'" gezählt. Ueber alle Separations- und Vorzugsrechte entscheiden aber, nach feststehenden Grundsätzen des internationalen Rechts, lediglich die am Orte der Exekution geltenden Gesetze. So unzweifelhaft, falls eine Generalexekution, ein Konkursverfahren, stattfindet und die sämmtlichen Exekutions­ objekte sich am Sitze des Konkursgerichts befinden. Sind Exekutionsobjekte nach ihrer örtlichen Lage an sich einem an­ deren örtlichen Recht unterworfen, so unterliegen sie entweder dem Partikularkonkurs nach Ortsrecht, oder (nach dem in neuerer Zeit, namentlich für Deutschland durchgedrungenen und durch das Bundesgesetz v. 21. Juni 69 sanktionirten Prinzip) der Ablieferung an das allgemeine Konkursgericht, jedoch unter Wahrung gewisser Rechte, welche nach örtlichem Recht im Falle eines Partikularkonkurses begründet gewesen wären, nämlich der Vindikationsansprüche, der Separations­ ansprüche und der dinglichen oder persönlichen Rechte auf vorzugsweise Befriedigung aus bestimmten Gegenständen (BdGes. v. 21. Juni 69 § 13 ff.). Der leitende Grundsatz ist durch diese Modifikation in der Ausführung nicht abgeschwächt, sondern verstärkt; vgl. § 15 a. E. und § 17 Abs. 2 des BdGes. v. 21. Juni 69. v. Savigny System VIII S. 283 ff; v. Bar internationales Privat- und Strafrecht 5. 492; v. Wächter Württemberg. Privatrecht II S. 117; J. Story Commentaries on the conflict of laws, 6. ed. Boston 1865 § 408; Seufferts Archiv VI Nr. 1, XI Nr. 4, XIII Nr. 230, XIV Nr. 271, XVII S. 170; M. Hoffmann in Gruchot's Beiträgen XI S. 741; Hehdemann Einleitung in das System des preuß. Civilrechts I S. 114 bis 116;

349 Entsch. des preuß. OTr. B. 38 S. 1 ff.; Rspr. II S. 304 ff.

Ein Grund zur Beschränkung des Grundsatzes auf -en Fall des Konkurses ist nicht ersichtlich, vielmehr muß derselbe auch auf die gewöhnliche Exekution in einzelne Vermögensgegenstände, zumal eines im Auslande in Kon­ kurs verfallenen Ausländers, volle Anwendung finden. Konkurs-Ordnung v. 8. Mai 55 § 362 ff., 293; vgl. Neues Archiv für HR III S. 272, 273. Endlich steht die Eigenschaft der Klägerin als Aus­ länderin der Verfolgung ihres Separationsrechts nach den Grundsätzen des HGB nicht im Wege, da auch im Exeku­ tionsverfahren ein Grund zur rechtlichen Zurücksetzung von Ausländern überall nicht besteht.

v. Bar a. a. O. S. 493; Fölix, traite du droit international prive 4. eil. Paris 1866 No. 539; vgl. Goldschmidt Handbuch des HR I S. 271 bis 273. III. Der letzte Angriff der Nktbschw. ist grundlos. Dem Richter ist unbenommen, aus den in einem früheren Prozeß stattgehabten Erörterungen den dort verfolgten Anspruch für hinlänglich bescheinigt zu erklären, ungeachtet jener Prozeß wegen Inkompetenz des Gerichts zur Ab­ weisung der Klage geführt hat. Das Gesetz erfordert nur, daß der Arrestkläger seine Forderung durch unverdächtige Urkunden „oder auf andere Art wenigstens einigermaßen bescheinigt" (§ 48 Nr. 1 AGO I. 29), und er darf zu diesem Zweck sich selbstverständlich auch auf die dem Richter aus früheren Verhandlungen bekannten Umstände berufen.

Wenn sodann der als verletzt bezeichnete § 2 AGO I. 29 vorschreibt: „Ein Arrest findet nur gegen den Schuldner selbst,

350 nicht gegen denjenigen statt, welcher dessen Gerecht­ same wahrnimmt", so gehören die Bekl. freilich weder in die eine noch in die andere Kategorie. Allein nach § 5 AGO I. 18 darf der Intervenient auf Deposition oder Sequestration der strei­ tigen Summe oder Sache antragen, „soweit ihm, den Rechten nach, die Befugniß Arrest anzulegen zusteht". Ist der Streitgegenstand bereits in gerichtlichem Depositum, so hat die Ausbringung des förmlichen Arrests nur den Zweck, die Aushändigung des Streitgegenstands zum Nachtheil des Intervenienten zu verhindern, die Arrestlegung er­ scheint als die statthafte Form, unter welcher der Inter­ venient die geschehene Deposition auch zu seinen Gunsten anruft, und verletzt, wie schon der I. Richter ausgeführt hat, ein Recht des Interventen nicht.

Nr. 64.

I. Lenat. — Erkenntniß v. 28. Juni 72. (Ref.) Abr. Salberg

Waldeck.

F. I. Salberg's Erben (Nr. 377 v. 72).

Wechselsache.

Revision.

I. Instanz: Kreisgericht Arolsen, II. Instanz: Appellationsgericht Cassel. Kautionswechsel.

Wird zur Sicherung einer Forderung statt baaren Geldes ein Wechsel des Schuldners gegeben: so besteht die dem Gläubiger gewährte Sicherheit regelmäßig eben darin, daß der Gläubiger sich durch Wechselbegebung decken, spätestens bei Verfall durch Geltendmachung des Wechsel­ rechts in den Besitz der verschriebenen Summe setzen kann. Borchardt ADWO Zusatz 179 und n. 130, S. 108 f.

Entscheidung des OHG: Im Vertrage v. 7. Dez. 71 haben der Kläger und L. Lebach, Beide Socien der Firma Salberg & Co., ihre ideelle

351 Hälfte an den dieser Firma gehörigen Grundstücken, Bor­ räthen und Utensilien an Max Salberg, den General-Man­ datar und Miterben der F. I. Salberg'schen Erben, für 10400 Thlr. dergestalt verkauft, daß jedem der Verkäufer

5200 Thlr. zukommen sollten. Die Hälfte des Klägers wurde ihm gewährt, bzw. sollte ihm nach § 3 des Vertrages gewährt werden: a) durch 600 Thlr. in Accepten der Firma des Erblassers

der Bekl., b) durch Cession von 2000 Thlr». „in gerichtlichen Kauf­ briefen" und

c) der Rest von 2800 Thlrn. durch Cession von solchen

Forderungen, welche „bei der Auseinandersetzung mit der Firma Salberg & Co." den Bekl. zufallen wür­

den. Die Bekl. „sollten überall für den Eingang der cedirten Forderungen haften." Hieran schließt sich die Bestimmung:

„Als Kaution bis zur endgiltigen Erledigung stellt einen Solawechsel zu 2 Monaten

Max Salberg

über den durch zu cedirende Forderungen aus dem Vermögen der Firma Salberg & Co. abzutragenden

Rest aus." Dieser letzteren Pflicht ist dadurch genügt, daß zwei Tage später (am 9. Dez. 71) von Max Salberg „in GeneralVollmacht der F. I. Salberg'schen Erben" der auf „2 Monat

dato" lautende, jetzt eingeklagte Eigenwechsel über 2800 Thlr. an die Order des Klägers ausgestellt und diesem ausge­ händigt ist. Richtig ist also, daß dieser Wechsel ein sogen. Siche­

Aber nicht richtig erscheint zunächst, daß er als Deckung blos für die später abzutretenden For­ derungen (unter c) der Firma Salberg & Co. dienen sollte. rungswechsel ist.

Er ist überhaupt „als Kaution bis zur endgiltigen Er­ ledigung" gegeben;

er scheint also auch als Deckung für

352 den richtigen Eingang der Accepte (zu a) und der cedirten Kaufbriefforderungen (zu b) bestimmt; denn Beklagte haben „überall" für gehörigen Eingang zu haften. — Wollte man ihn aber auch wegen seines Betrags nur als Kaution für die später abzntretenden Forderungen (zu c) ansehen: so sollte er doch in dieser Beschränkung zur Sicherung nicht einer erst künftig entstehenden Forderung, sondern eines bereits erworbenen Anspruchs dienen. Die abweichende Auffasiung des Appellrichters beruht auf einer Verwechselung des Rechts des Klägers auf 2800 Thlr. rückständiges Kaufgeld mit der Berechtigung der Bekl., diesen Rückstand in Forde­ rungen zu gewähren, die ihnen aus der Liquidirung der Societät zufallen würden. Nicht richtig ist ferner, daß die Verabredung der Sicherstellung die Eintreibung des Wechsels bei Verfall hindere. Aus dem Begriff der Kaution folgt diese Hin­ derung nicht. Eine Kaution kann in baarem Gelde be­ stellt und dem Gläubiger überliefert werden; der kautions­ weise Empfang desselben verpflichtet in der Regel nur den Gläubiger zu dereinstiger Erstattung, wenn nämlich der Kautionsgrund erlischt. Giebt der Kautionsschuldner statt baaren Geldes kautionsweise einen Wechsel: so verpflichtet er sich, beim Mangel entgegenstehender Abreden, dadurch, dessen Betrag dem Inhaber, also auch dem Kautionsgläu­ biger, bei Verfall nach Wechselrecht zu zahlen, und er be­ rechtigt sogar (beim Mangel der Untersagung der Begebung) den Gläubiger, den Wechsel sogleich nach Empfang durch Girirung zu realisiren. In solchem Falle besteht die dem Kautionsgläubiger gegebene Sicherheit eben darin, daß er sich spätestens bei Verfall durch Wechselklage in den Besitz der verschriebenen Summe setzen kann (vgl. Borchardt ADWO Zusatz 179 und n. 130). Mithin widerspricht die Einrede, die zu sichernde Forderung sei noch nicht liquid und die vertragsmäßigen Besriedigungsobjekte seien noch

353 nicht erzielt, der Bestimmung eines solchergestalt gegebenen

Wechsels. Von einer besonderen Abrede, welche die Einziehung

des Klagewechsels zur Verfallzeit ausschließen könnte, ist nichts vorgebracht. Der Vertrag v. 7. Dez. 71 selbst ent­ hält keine derartige Festsetzung. Im Gegentheil: der Sach­ verhalt spricht dafür, daß die kurze Wechselfrist wohlbedacht stipulirt ist.

Denn schon im Dez. 65 war die Liquidirung

der Gesellschaft Salberg & Co. angeordnet, aber so wenig auch nur begonnen, daß ihre „schleunigste" Bethätigung im

§ 7 desselben Vertrages abermals verabredet wurde, indeß selbst während dieses Prozesses noch nicht vorgeschritten war. Wodurch diese Zögerung entstanden, ist nicht erkennbar; nach

Versicherung des Klägers war sie durch das Verhalten

des Miterben Max Salberg,

nach

der der Beklagten

durch inkorrekte Buchführung und durch mangelnde In­ venturen verschuldet. Jedenfalls mußte es dem Kläger unter diesen Umständen darauf ankommen, die Deckung für einen ansehnlichen Kaufgelderrückstand nicht von den Re­

sultaten einer schleppenden Liquidirung abhängen zu lassen,

sondern — wie geschehen — auf eine kurze Frist zu stellen.

Nachtrag. In einer aus dem Königreich

weiterer Berufung

Sachsen im Wege an das OHG gelangten Wechselsache

hatte der Bezogene auf dem Klagewechsel folgenden, mit seiner Unterschrift versehenen, Vermerk gesetzt: „angenommen als Depotwechsel." Ueber die Bedeutung dieses Accepts hat der I. Sen.

des OHG im Fall v. 6. Sept. 72 sich dahin ausgesprochen: Richtig ist zunächst, daß Beklagter im Sinn des Art. 21

DWO die Annahme nicht unbeschränkt bewirkt hat. Da nun nach Art. 22 der Acceptant nicht über den Inhalt seines Accepts hinaus wechselmäßig haftet, so liegt der VII.

23

354

Schwerpunkt der Entscheidung auf der Frage, welchen Sinn

Beklagter vernünftiger Weise und unter Beobachtung der im Handelsverkehr geltenden Auffafsungsweise mit obigem

Acceptszusatz verbunden haben könne.

Depotwechsel haben, gleich den Kautionswechseln, die Bestimmung, Sicherheit wegen einer künftigen Forderung

des Wechselnehmers zu bestellen (Volkmar u. Lorenz DWO S. 296, Borchardt ADWO Zus. 179 S. 118 ff.). Von diesem Zweck des Klagewechsels geht auch Beklagter aus. Er meint aber, daraus die Folgerung ableiten zu dürfen, daß die Beweislast bezüglich des Eintritts der

Schuldverbindlichkeit, auf Grund der verlautbarten Acceptsbeschränkung, den Wechselnehmer treffe, der Acceptant

somit der benutzten Wechselform ungeachtet nur unter der Voraussetzung verhaftet sei, daß 'gleichzeitig mit Geltend­

machung des Wechsels seine Verpflichtung aus dem unter­ liegenden Geschäft dargethan werde.

irrig.

Diese Annahme ist

Die Bedeutung jenes Beisatzes kann offenbar keine

andere sein und keinenfalls weiter gehen als die Wirkung

der dem reinen Wechselaccept gegenüber getroffenen, int Wechsel selbst aber nicht beurkundeten Verabredung zwischeu

dem Geber und dem Nehmer des Wechsels, daß der Wechsel nur als Depot- oder Kautionswechsel gelten und blos als Sicherheit für eine bestimmte Forderung dienen solle.

Die Wirkung einer solchen Nebenverabredung hat das OHG bereits im Erk. v. 28. Juni 72 (oben S. 350 ff.) eingehend geprüft und festgestellt. Der Gerichtshof befolgt demgemäß die Ansicht, daß eine Vereinbarung der gedachten

Art die Eintreibung des Wechsels bei Verfall nicht hin­ dert, diese Hinderung namentlich nicht aus dem Begriff der

Kaution folgt; denn wie eine Kaution in baarem Gelde bestellt werden kann, so verpflichtet sich der Kautionsschuldner

durch Hingabe eines Kautionswechsels, dessen Betrag dem In­ haber bei Verfall nach Wechselrecht zu zahlen, er berechtigt

355 sogar (beim Mangel entgegenstehender Abrede) den Gläubiger,

den Wechsel sogleich nach Empfang durch Girirung zu realiftrcn, indem die dem Kautionsgläubiger gewährte Sicherheit in solchem Falle eben darin besteht, daß er in der Lage ist,

spätestens bei Verfall durch Wechselklage sich in den Besitz der verschriebenen Summen zu setzen. Allerdings geht der Wechselbeklagte seiner Einwendung gegen Existenz, bzw. Höhe

der Schuld nicht verlustig; nur trifft ihn, dem formell ge­

gründeten Wechselanspruch gegenüber, allseitig die Beweislast. Das OHG erachtet diese Argumentation auch in vor­ liegendem Fall für durchgreifend.

Beklagter

hat zwar

im Accept auf den Zweck der Wechseloperation hingewiesen, unmöglich kann er damit aber beabsichtigt haben, die eigen­ thümliche Wirkung der Wechseloperation auszuschließen; der

scheidende Gesichtspunkt ist, daß der Acceptant, der beige­

fügten Beschränkung ungeachtet, versprochen hat, zu einer bestimmten Zeit Zahlung der verschiedenen Summen an

den Inhaber des Wechsels zu leisten.

Welchen anderen

Inhalt jene Zusicherung des Acceptanten haben solle, als

den rechtzeitiger Einlösung des Wechsels bei dessen Präsen­ tation, ist um so weniger abzusehen, als nur unter der Annahme des Bestehens einer wechselmäßigen Zahlungs­

pflicht der Wechsel seine Bestimmung als Sicherheits­ mittel vollständig erfüllt.

Indem Beklagter diese Be­

stimmung in wechselmäßiger Form wollte, ermächtigte er

zugleich den Kläger als Aussteller und Remittenten, zur Ein­ hebung des Papiers beim Eintreten der Verfallzeit, befreite

denselben somit nach der Natur des Wechsels von der au sich ihn treffenden Beweislast in Bezug auf Eintritt und Umfang der Haftpflicht, belastete mit dieser Beweispflicht

vielmehr den Wechselanspruch gegenüber eintretenden Falles

sich, den Acceptanten des Wechsels, selbst.

Ob zu gleichem Ergebniß dann zu gelangen sein würde, wenn die Wechselskriptur selbst im Kontext oder in der 23*

356 Ueberschrift die Bezeichnung als „Depotwechsel" trüge, kann

unerörtert bleiben, da der Klagewechsel als solcher und abgesehen vom Accept auf eine beabsichtigte Beschränkung

seiner Wirkung nicht hinweist. Ebenso bietet der vorliegende, nur zwischen den ursprünglich Betheiligten sich bewegende, Streitfall keinen Anlaß zur Untersuchung der Frage, welche Rechte bei Wiederbegebung des Wechsels einem Indossanten der Acceptbeschränkung gegenüber, namentlich mit Rücksicht

auf Art. 25 DWO, zustehen würden.

Nr. 65.

I. Senat. — Erkenntniß v. 28. Zum 72. (J.) G. Franken | F. I. Salberg (Nr. 434 v. 72).

Wechselsache.

Preußen.

Revision.

I. Instanz: Kreisgericht Arnsberg, II. Instanz: Appellationsgericht Arnsberg. Kaufmann, Gebrauch einer nicht eingetragenen Firma.

Auch unter einer nicht eingetragenen Firma kann ein Kaufmann Geschäfte machen und Klage erheben. HGB Art. 15, 19, 26; Rspr. IV S. 225, V S. 87. Die Aussteller - Unterschrift des vom Bekl. acceptirten, bei F. I. Salberg in Elberfeld domizilirten Klagewechsels

lautet: „p. p. F. I. Salberg, Max Salberg."

Das „Hand­

lungshaus F. I. Salberg in Corbach" klagte diesen Wechsel

gegen den Bekl. ein, wurde aber vom I. Richter wegen Legitimation abgewiesen. Der Appellrichter

mangelnder

verurtheilte den Bekl. zur Zahlung der Wechselsumme, und

das OHG bestätigte dieses Erk. aus folgenden Gründen: Es steht durch Zugeständniß fest, daß der Banquier F. I. Salberg unter diesem seinen Namen zu Elberfeld ein

Bankgeschäft betrieben,

sein Sohn

daß nach

seinem Tode (Sept. 70)

Max Salberg das Geschäft

unter

demselben

357 Namen,auf Grund der Vollmacht v. 10. Juni 71 fort­

geführt, daß Beklagter diesen Max Salberg für seine Person und als Bevollmächtigten seiner Miterben zum Nachlasse

des F. I. Salberg am 2. Juli 71

für den ihm vom ge­

nannten Bankgeschäft gewährten Kredit Kaution bestellt, und in dieser Kautionsurkunde die darin namentlich auf­ geführten Erben des F. I. Salberg „als Inhaber desBank-

geschäfs F. I. Salberg" anerkannt hat.

Auf der andern

Seite ist eingeräumt, daß eine Person F. I. Salberg zu Elberfeld

oder Corbach nicht existirt, und daß die gleich­

lautende Firma dasebst nicht eingetragen ist.

Diese Thatsachen, in Verbindung mit der notariellen General-Vollmacht v. 10. Juni 71, ergeben, daß die dem Bekl. bekannten Erben des F. I. Salberg dessen Bankge­ schäft unter Beibehaltng seines Namens durch ihren Mit­

erben und Bevollmächtigten Max Salberg fortgeführt und namentlich mit dem Bekl. unter dieser Firma die geschäft­ liche Verbindung fortgesetzt haben. Es ist also sowohl der Klagewechsel nicht von einer Person, sondern von der Firma F. I. Salberg gezogen als auch die Klage unter dieser Firma erhoben.

Dieser doppelte Gebrauch der Firma war zulässig, ob­ schon dieselbe nicht eingetragen ist. Vgl. Rspr. B. IV S. 225 ff., V S. 87, VI S. 28. Dem berechtigten Interesse dxs Bekl. an Feststellung der Sach- und Prozeßlegitimation ist dadurch genügt, daß

auf seine in dieser Richtung erhobene Einrede, unter Pro­ duktion der Kautions-Urkunde v. 2. Juli 71, die in dieser aufgeführten Erben des F. I. Salberg als Kläger genannt

und daß sie von ihm in derselben Urkunde als Erben und Inhaber des Bankgeschäfts F. I. Salberg in Elberfeld an­ erkannt sind.

Unter diesen Umständen ist die Streitfrage unerheblich, ob F. I. Salberg auch zu Corbach eine Handelsnieder-

358 lassung gehabt hat, und ob dieselbe unter dieser Firma

daselbst noch besteht. Recht,

daß

Denn der Appellrichter bemerkt mit

nach den klägerischer

Seits

gegebenen

Er­

läuterungen und vorgelegten Urkunden die Personen der Kläger außer Zweifel sind, so daß, selbst wenn sie in Corbach unter jener Firma ein Handelsgeschäft nicht führen

sollten, das Klagerubrum: „Handlungshaus F. I. Salberg in Corbach" nur als eine irthümliche, durch jene Erläute­

rungen deklarirte Bezeichnung erscheinen würde. Die Frage, ob der Vertreter der F. I. Salberg'schen

Erben „per procura“ zeichnen durfte oder „in Vollmacht"

hätte zeichnen sollen, ist für diesen Prozeß ohne Werth. Bekl. gegenüber ist entscheidend, daß der Wechsel

Dem

unter ihrem Handelsnamen ausgestellt ist, und daß sie diese Zeichnung, wie die Vollmachtsausstellung durch den hierzu

am 10. Juni 71 bevollmächtigten Max Salberg ergiebt, genehmigt haben.

Der erst in der Revisionsschrift aufgestellte Einwand, die Wechselschuld falle innerhalb des dem Bekl. vom Bank­ hause F. I. Salberg gewährten laufenden Kredits und dürfe

deshalb nicht für sich allein eingefordert werden, bedarf als unzulässiges

Novum

keiner Prüfung;

§ 10 AGO I. 15

svgl. Rsp. V S. 233 n.]. Ob auch die Bemängelung des Protests verspätet

sei, kann unentschieden bleiben, denn sie ist unbegründet. Der Wechsel ist bei „Herrn F. I. Salberg in Elberfeld"

domizilirt; — aber Domiliat war, wie unter den Parteien feststeht, nicht eine Person dieses Namens, sondern das unter dieser Firma geführte Bankgeschäft, das kraft

der Vollmacht v. 10. Juni 71 von Max Salberg vertreten wurde. Der aufgenommene Protest genügte also dem Art. 88 Nr. 3 DWO; denn der protestirende Gerichtsvollzieher hat

ausweislich Wechsel

desselben auf Requisition des Inhabers den

359 „dem Herrn G. Franken in Meschede, in seinem bei dem Bankhause unter der Firma F. I. Salberg in Elberfeld gewählten Zahlungs­ domizil, redend in des Letzteren Geschäfts­ lokale mit Herrn Max Salberg, bei Abwesen­ heit des Bezogenen — zur Zahlung . . . vor­ gezeigt," er hatte also nicht nöthig, festzustellen, daß die Person F. I. Salberg in ihrem Geschäftslokale nicht anzutreffen

gewesen.

Vgl. Borchardt S. 554 ff.

ADWO

Zusatz 713b,

714,

Nr. 66.

II. Senat. — Erkenntniß v. 29. Juni 72. (Nef.) H. Thomaschewski ei. S. Flatow (Nr. 328 v. 72).

Preußen.

Revision. I. Instanz: Kreisgericht Mohrungen, II. Instanz: Ostpreuß. Tribunal zu Königsberg. Dertragsschluy, Perfektion.

Handelsbrauch.

1. Ueber die Perfektion eines Handelskaufs enthält das HGB keine speziellen Bestimmungen. Dieselbe kann daher örtlich nach Havdelsgewohnheitsrecht sich abweichend vom bürgerlichen Recht gestalten. HGB Art. 1; Rspr. II S. 246, VII S. 304.

2. Beispiel der Vertragsauslegung nach der im ostpreuß. Ermlande beim Flachshandel geltenden Ver­ kehrssitte. HGB Art. 278, 279; 359; VI S. 207.

Rspr. II S. 347, V S. 199, 210,

Zu handelsgeschästlichem Zwecke hat Kläger im Mai 70 seinen damaligen, noch nicht sortirten Flachsvorrath von Brauusberg nach Mühlhausen (in Ostpreußen) an die

360

Beklagte gesendet. Diese will den empfangenen Flachs als von ihr gekauft behalten, Kläger aber fordert denselben zurück, weil ein Kauf nicht zu Stande gekommen sei und ein sonstiger Rechtsgrund dem Gegner nicht zur Seite stehe. Den weiteren Sachverhalt ergiebt folgende

Entscheidung des OHG: Nach den übereinstimmenden Angaben der Parteien hat den Gegenstand ihrer Kaufsunterhandlungen . . . der ganze sdamaligej Flachsvorrath des Klägers gebildet, es kann daher von einer Unbestimmtheit des Kaufobjekts unter keinen Umständen die Rede sein. Auch darüber sind Parteien einig, daß dieser Flachswerth in zwei Sorten, nämlich in Kronflachs und Flachs Nr. I bestand, sowie daß Beklagte für den Kronflachs 13 Thlr. und für die andere Flachssorte 10*/2 Thlr. pro Centner geboten, und Kläger dies Angebot unbedingt angenommen hat. Darnach war auch der Gesammtpreis durch Festsetzung der Berechnungs­ faktoren genau bestimmt. Nach Behauptung des Klägers herrscht jedoch am Wohnort desselben — der hier zugleich Erfüllungsort ist — ein Handelsgebrauch, wonach trotz solcher Vereinbarung über Sache und Preis ein Kauf von Flachs nicht als perfekt gilt, sondern anzunehmen ist, daß die Kontrahenten sich die Sortirung der Waare vorbehalten und ihre Uebereinstimmung in Ansehung des Ergebnisses derselben vorausgesetzt haben. Der Geltung eines der­ artigen Handelsgebrauchs steht, wenn ihm die Natur eines Handelsgewohnheitsrechts im Sinne des Art. 1 HGB beizulegen ist, keineswegs — wie vom Appellrichter an­ genommen wird — dieser Artikel entgegen, da das HGB keine speziellen Bestimmungen über die Perfektion eines Kaufvertrags enthält. Ist aber der fragliche Handels­ gebrauch als Handelssitte im Sinne des Art. 279 zu beurtheilen, so folgt aus dem Wortlaut des letzteren, daß er berücksichtigt werden muß.

361 Zwar spricht der Umstand, daß unverzüglich nach Accep-

tirung der Kaufsofferte Kläger den ganzen Flachsvorrath an die Beklagte abgesandt und diese gleich nach Empfang einen sehr erheblichen Theil des Kaufgeldes gezahlt hat (wobei von keiner Seite einem Vorbehalte Ausdruck ge­

geben worden ist) gegen die Annahme, daß nach dem Willen der Parteien das Kaufgeschäft noch nicht als

definitiv abgeschloffen gelten sollte.

Allein der hienach aus

den Handlungen der Parteien zu ziehende Schluß auf den Willen derselben erscheint nur berechtigt, wenn der fragt. Brauch nicht existirt. Es soll sich nämlich beim Flachs­ handel im (ostpreuß.) Ermland eine Usanz gebildet haben,'

welcher gemäß

„wenn nicht ausdrücklich das Sortiment dem Käufer oder Verkäufer überlaffen ist, der Käufer den Flachs sortirt, das Resultat dem Verkäufer bekannt macht

und erst mit dessen Genehmigung oder einer an­ deren Vereinbarung der Kauf für geschlossen gilt, während bis dahin die Preisverabredung über die einzelnen Sorten und die Uebersendung des Flachses an die Käufer nur als Kauftraktaten über einen beabsichtigten Kauf angesehen werden." So hat Kläger . . . angegeben. Danach ist die vor­ erwähnte Uebersendung des in Rede stehenden Flachsvorraths ohne Bedeutung, da sie dem behaupteten Handelsgebrauch

entsprach. . . Deshalb sind die zum Beweise des fragt. Handels­

gebrauchs vorgeschlagenen (bisher nicht abgehörten) Zeu­ gen . . . zu vernehmen, wobei (bezüglich der zu hörenden Personen) der Beweisantritt im Revisionsbericht* maaß­

gebend ist.

* Vgl. Rspr. V S. 233 n.

362 Nr. 67.

II. Senat. — Erkenntniß v. 29. Lum 72. (D.) F. Consemiiller -j. F. Voßmerbäumer (Nr. 407 v. 72).

Preuße».

Nichtigkeitsbeschwerde. I. Instanz: Kreisgericht Bielefeld, II. Instanz: Appellationsgericht Paderborn.

Handelskauf, Fixgeschäft.

Stellung deS RtchtigkettSrichterS.

1) Begriff des Fixgeschäfts (im Sinne des Art. 357 HGB). Vgl. Rspr. I S. 397, II S. 79, IV S. 177, 204; V. S. 12, 351; VI S. 91, 96; VII S. 206.

2) Der preuß. Nichtigkeitsrichter hat das angefochtene Urtel zu vernichten, wenn die in der Nichtigkeitsbeschwerde als verletzt bezeichnete Gesetzesbestimmung in irgend einer Beziehung, mag diese vom Imploranten hervorgehoben sein oder nicht, als verletzt erscheint. Rspr. I S. 195 n., III S. 167, V 44, 47 n.

Entscheidung des OHG: Die Parteien haben (unbestritten) im Januar 70 einen Vertrag abgeschlossen, inhalts dessen Beklagter dem Kläger bis 1. April 70 90000 Backsteine zum Preise von 8 Thlr. pro 1000 Stück liefern, und Kläger, sobald die Steine ge­ liefert seien, am 2. April 70 den Kaufpreis bezahlen sollte. . . . Beklagter hat nicht vollständig geliefert: nach des Klägers Angabe bis zum 1. April nur 45000 Stück, nach eigener Behauptung aber bis 21. Mai 70 70500 Stück. Mittelst Briefs v. 21. Mai 70 hat Kläger dem Bekl. er­ klärt, daß er weitere Steine nicht mehr annehme. Beklagter fordert nun compensando vom Kläger den vereinbarten Preis für die wirklich gelieferten Steine. Kläger be­ streitet diese Gegenforderung, weil er vertragsmäßig erst nach Lieferung des ganzen vertragsmäßigen Quantums zu zahlen habe, Beklagter dieses Quantum aber nicht nur nicht rechtzeitig, sondern überhaupt noch nicht geliefert habe,

363

so daß Kläger, um seinen Bau fortsetzen zu können, zu höheren Preisen anderweit Steine habe ankaufen müssen, wofür ihm ein Entschädigungs-Anspruch zustehe, welchen er besonders geltend machen werde. Beklagter entgegnet, daß er durch Schuld des Klägers die Steine nicht rechtzeitig habe liefern können, und daß er nach dem Briefe des Klägers v. 21. Mai 70 keine Steine weiter zu liefern ge­ habt, weshalb Kläger nunmehr den Preis der wirklich ge­ lieferten Steine zu zahlen habe. Der Appellrichter hat, nach Beweis-Erhebung über das wirklich gelieferte Quantum Steine, den Kompen­ sations-Anspruch für begründet erklärt, weil Kläger, wenn er auf weiterer Lieferung habe bestehen wollen, solches nach Art. 357 Abs. 1 HGB bei Verlust seines Anspruchs dem Bekl. hätte anzeigen müssen; da er dieses nicht nur nicht gethan, sondern erklärt habe, keine Steine mehr annehmen zu wollen, so müsse er die ihm gelieferte Stückzahl Steine bezahlen. Kläger rügt nun mittelst Nktbschw., daß der Appell­ richter die Art. 355 und 357 HGB verletzt habe, da Kläger dadurch, daß er weitere Lieferung nicht verlangt, vielmehr lange nach Ablauf der Frist auf dieselbe verzichtet habe, nach Art. 357 Abs. 1 HGB nicht jeden Anspruch gegen den Bekl. wegen des Vertragsbruchs, namentlich nicht den Anspruch auf Schadenersatz (nach § 285 bis 287 ALR I. 5), sondern nur das Recht auf weitere NatüralErfüllung verloren habe. Diese Beschwerde muß für be­ gründet erachtet werden, da der Appellrichter den Art. 357 HGB — freilich in einer anderen, als der vom Kläger deduzirten Beziehung — verletzt hat. Es liegt nämlich ein Fixgeschäft im Sinne des Art. 357 HGB überall nicht vor, der Appellrichter durfte daher den Art. 357 überhaupt nicht anwenden. Es ist bereits in einer Reihe von Entscheidungen des OHG aus­ geführt worden, daß der Umstand allein, daß in einem

364 Vertrage ein bestimmter Lieferungstermin oder ein bestimmter Endtermin der Lieferung verabredet worden,

noch nicht hinreicht, um ein Fixgeschäft anzunehmen, daß ein solches vielmehr nur dann vorliegt, wenn die ver­

der (ausdrücklich bzw. un­ oder sich aus den konkreten

abredete Erfüllungszeit nach

zweideutig ausgesprochenen Umständen

zweifellos

ergebenden) Intention

der Pacis-

centen etwas dergestalt Wesentliches sein soll, daß mit dieser Zeit der Vertrag stehen

spätere Leistung

nicht

mehr

und

fallen,

eine

als Vertragserfüllung

an­

gesehen werden soll rc. Es wird daher, wenn die ange­ gebene Intention sich nicht aus Art und Inhalt des ge­ schloffenen Vertrags von selbst ergiebt, einer thatsäch­ lichen Substantiirung jener Intention bedürfen.

In

vorliegendem Falle hat nun aber keine Partei behauptet,

daß ein Fixgeschäft vorliege, oder daß die angegebene In­

tention beim Abschluß des Vertrags obgewaltet habe.

Das

Gegentheil ist vielmehr daraus zu entnehmen, daß auch nach dem 1. April 70 (dem vertragsmäßigen Endtermin

der Lieferung) die Backstein-Lieferung thatsächlich fortgesetzt ist, ohne daß seitens einer der Parteien irgend ein Be­

denken dagegen erhoben wäre. Das angefochtene Urtel war daher wegen rechtsirrthümlicher Anwendung des Art. 357 HGB zu ver­ nichten. Dieser Vernichtung steht auch nicht entgegen, daß Kläger die Verletzung des Art. 357 nicht deshalb, weil ein Fixgeschäft überhaupt nicht vorliege, gerügt hat, viel­

mehr genügt es, daß Kläger sich überhaupt auf Verletzung

des Art. 357 berufen hat, um dem Nichtigkeitsrichter die ganz freie Prüfung zu ermöglichen, ob der Appell­

richter die in der Nktbschw. als verletzt bezeichnete Gesetzes-

Bestimmung in irgend einer Beziehung — mag die­ selbe vom Imploranten speziell hervorgehoben sein oder nicht — verletzt habe.

365

Bei freier Beurtheilung der Sache ist dem Appell­ richter darin beizustimmen, daß Kläger für die vom Bekl. wirklich gelieferten Steine den vereinbarten Kaufpreis bezahlen muß. Nachdem Kläger mittelst Briefs t>.- 21. Mai 70 erklärt hat, daß er weitere Steine nicht mehr annehme, kann derselbe die Bezahlung des Preises der wirklich ge­ lieferten Steine nicht einfach deshalb weigern, weil Be­ klagter den Vertrag nicht erfüllt; er muß vielmehr seinen Schadenanspruch, wenn er damit durchdringen zu können glaubt, substanzirt liquidiren. Das hat aber Kläger nicht gethan, sich vielmehr die Liquidirung seines Schadens zum besondern Verfahren vorhehalten. Im vor­ liegenden Prozeß kann daher von einer Erörterung, ob ein Schadenanspruch nach Art. 355, 356 HGB begründet fein würde, ob namentlich dem Bekl. eine Schuld — ein Erfüllungs-Verzug — zur Last fällt, ganz abgesehen und dem Kläger nur sein Schadenanspruch ad separatum vor­ behalten werden.

9lr. 68.

Ferien Senat. — Erkenntniß v. 6. Äug. 72. (Z.) Fr. Albrecht j. A. und N. Meyer (Nr. 457 v. 72).

Preußen.

Wechselsache.

Revision.

I. Instanz: Kreisgericht Eisleben, II. Instanz: Appellationsgericht Naumburg, -Haussohn,

Wechselfähigkeit. Dispositionsfähigkeit hinsichtlich des freien Vermögens. Aufhören der väterlichen Gewalt.

1. Großjährige Hauskinder sind — vor der, vom Kläger nachzuweisenden, Aufhebung der väterlichen Ge­ walt — in Altpreußen nicht wechselfähig. DWO Art. 1; § 125, 201 ALR II. 2.

366

2. Wie können Hauskinder sich bezüglich ihres freien Vermögens giftig verpflichten? AM II. 2 § 158, 165, 166. Erk. Les OTr. v. 30. April 68, Strieth. Arch. B. 70 S. 336.

3. Beispiel zur Lehre von der Aufhebung der väter­ lichen Gewalt nach AM. Vgl. Rspr. IV S. 157, V S. 264.

Entscheidung des OHG: DWO sind nur diejenigen wechsel­ fähig, welche sich durch Verträge verpflichten können. Zu Nach Art. 1

solchen gehören Kinder in väterlicher Gewalt, auch wenn

sie bereits die Großjährigkeit erlangt haben, insofern nichts als nach § 125 ALR II. 2 die Rechtsbeständigkeit der von

übernommenen

ihnen

Verbindlichkeit

von

der

vorher­

gehenden oder hinzutretenden Einwilligung des Vaters der

Regel nach abhängig ist und sie überhaupt (gemäß § 201 daselbst) über ihr nicht freies Vermögen ohne Beitritt

und Einwilligung ihres Vaters unter Lebenden keine Ver­ fügung treffen können. Das freie Vermögen der Haus­ kinder besteht nur aus den, in §§ 148 bis 154 ebendaselbst

speziell

bezeichneten

Gegenständen.

Daß

ein

Haussohu

freies Vermögen besitze, kann nicht vermuthet werden. Vgl. Förster Theorie und Praxis rc. B. III S.

162 und Erk. des OTr. zu Berlin v. 27. Juni 63, Strieth.

Arch. B. 50 S. 162. Mit Recht hat daher der Appellrichter sowohl den Einwand der väterlichen Gewalt für erheblich, als auch den

Kläger in Rücksicht darauf, daß der Vater der Bekl. noch lebt, zur Führung des Beweises für verbunden erklärt,

daß die väterliche Gewalt über die Bekl. aufgehoben wor­

den sei — und zwar schon vor Ausstellung bzw. Acceptation des Klagewechsels.

Alles dies ist auch nicht streitig.

367 Jenen Beweis anlangend, so sind die betr. Behaup­ tungen von beiden Bekl. eidlich widerlegt. Ein fernerer, dem August M. darüber deferirter Eid, daß von demselben während seiner Funktion in B. zum Kläger geäußert worden sei, er bekomme außer Kost und Wohnung ein Gehalt von 400 Thlr. jährlich, ist mit Recht unerhoben geblieben. Denn nach der unan­ gefochtenen und richtigen Auffasiung der Vorderrichter be­ zweckte der Beweissatz, die Anwendung des § 38 ALR I. 5 zu begründen, diese aber würde nur einen Anspruch auf Schadloshaltung zu justifiziren vermögen. Solcher An­ spruch ist nicht erhoben. Die neuen Anführungen des Klägers in zweiter In­ stanz beziehen sich — mit Ausschluß der ganz offenbar un­ erheblichen Behauptung, daß sich August M. in B. Equi­ page gehalten habe — nicht aus die Stellungen der Bekl. in B. und H., sondern nur auf eine spätere Geschäfts­ führung derselben in Benndorf. Alle Behauptungen erster Instanz zur Beseitigung des fragt Einwandes sind über auf Grund vorgedachter Eidesleistung nicht blos für unerwiesen, sondern für widerlegt zu erachten; § 10 Nr. 8 AGO I. 13, Erk. v. 3. Juni 71 (Rspr. II S. 257). Daher steht unumstößlich fest: a) daß August M. weder jetzt noch zur Zeit seiner Acceptation des Klagewechsels die Verwaltung des väterlichen Guts Benndorf selbständig führt, bzw. geführt hat; b) daß Richard M. daselbst nicht als Hofverwalter funktionirt; c) daß keiner der Bekl. für seine dortigen Dienst­ leistungen eine Entschädigung von mindestens 120 Thlr. erhält. Eine Behauptung, dahin gehend, daß Richard M. zur

368 Zeit der Ausstellung des Klagewechsels bereits auf Benndorf als Hofverwalter beschäftigt gewesen sei, hat Kläger in I. Instanz nicht aufgestellt. Auch in II. Instanz sagt er nur ganz allgemein und ohne Zeitangabe: Richard M. habe als Gehilfe seines Bruders bei Verwaltung des väterlichen Guts in Ausübung seines Berufs die Thätigkeit eines, wenngleich untergeordneten, Wirthschaftsbeamten der Oekonomie seines Vaters gewidmet und damit den ihm von seinem Vater gewährten Unterhalt verdient. — Daß hienach dem Richard M. gegenüber die Erfordernisse des vom Kläger angerufenen § 212 a ALR II. 2 weder überhaupt noch rücksichtlich des obgedachten entscheidenden Zeitpunkts in substanzirter Weise behauptet sind, ergiebt der Wortlaut dieser Gesetzesbestimmung, dahin lautend: Wenn ein großjähriger Sohn ein eigenes Ge­ werbe treibt, oder ein öffentliches Amt be­ kleidet, so ist er für entlassen aus der väterlichen Gewalt anzusehen. Beiden Bekl. gegenüber hat zwar Kläger noch unter Beweis gestellt, daß sie gegen ihn als selbständige Personen sich gerirt, insbesondere angegeben hätten, es stände ihnen die freie Disposition über ihre Person und ihr Vermögen zu. Dieser Beweissatz ist aber theilweise ebenfalls nicht genügend substanzirt und überhaupt um deshalb unerheblich, weil es — wie schon bemerkt — auf die wirkliche Hand­ lungsfähigkeit der Bekl., nicht aber darauf ankommt, ob sich dieselben für handlungsfähig ausgegeben haben. Wenn endlich beiden Bekl. gegenüber Kläger sich noch aus § 212 b ALR II. 2 beruft, welcher im Anschluß an § 212 a besagt: Die fortwährende Unterstützung von Seiten des. Vaters, durch Gebung des Tisches und sonst, macht dabei keinen Unterschied: so übersieht er anscheinend, daß hiemit, nach Wortlaut und

369 Zusammenhang der angeführten Bestimmungen, eine Unter­

stützung gemeint ist, welche ein Vater seinem (großjährigen) Sohne gewährt, obgleich derselbe ein eigenes Gewerbe

treibt oder ein

öffentliches

Amt bekleidet, daß also der

§ 212 b hier nur Anwendung finden könnte, wenn fest­ stände, daß die Bell, ihren Unterhalt theils durch den Be­ trieb eines eigenen Gewerbes sich verschafft, theils vermöge

deffen, was sie von ihrem Vater als Unterstützung er­

halten, bestritten haben.

Die klägerischen Behauptungen II. Instanz für das Ausscheiden des August M. aus der väterlichen Gewalt lassen sich in den Beweissatz zusammenfaffen, daß dieser

Beklagte beim Abgang des Inspektors zu Benndorf an beffen Stelle die Verwaltung dieses Gutes von seinem Vater übertragen erhalten und zufolge Ermächtigung bzw.

Anordnungen

seines

Vaters

Wirthschaftsgeschäfte

abge­

schlossen, insbesondere Getreide ge- und verkauft, Zahlungen

dafür geleistet und vereinnahmt, Guts-Arbeiter und Gesinde

angenommen und entlassen, die Befehle zur Ausführung oer Wirthschaftsarbeiten ertheilt, die nothwendigen An­ schaffungen gemacht, auch seinen Vater in Gemeinde-Ver­

sammlungen vertreten habe. Vom Appellrichter wird allerdings in der Annahme

geirrt,

daß unter dem Ausdruck

„eigenes Gewerbe" im

§ 212 a a. a. O. nur ein solches zu verstehen sei, das der Sohn abgesondert vom Vater und nicht in dessen Im Erk. des OHG v.

Hause und Berufe betreibt.

20. Januar 72 jRspr. B. 5 S. 264 ff.) ist bereits das Gegentheil ausgeführt, zugleich jedoch anerkannt worden,

daß freilich,

wenn der Sohn im Hanse des Vaters ver­

blieben und nur in dessen Geschäft thätig ist, hierin Mo­

mente zu erblicken sind,

welche bei der Frage:

ob die

Sohnes dennoch als ein Gewerbe­ betrieb im Sinne des § 212 a anzusehen sei, besonderer Beschäftigung VII.

des

24

370 Prüfung bedürfen, sowie daß zu solchem Gewerbebetriebe jedenfalls eine fortdauernde Beschäftigung erfordert wird,

mit welcher der Haussohn seinen Unterhalt ohne väterliche Unterstützung zu erwerben willens und fähig ist.

Diese Requisite können

im gegenwärtigem Falle

als vorliegend nicht betrachtet werden.

Durch Eidesleistung steht fest, daß die Gutsverwaltung

des August M. eine selbständige nicht war.

Ebenso ist als

feststehend anzunehmen, daß August M. keine baare und bestimmte Entschädigung für seine Dienstleistungen bezogen hat.

Vater und Sohn wohnten auf dem Gute; dieses ge­

hörte dem ersteren und letzterer führte keinen abgesonderten

Haushalt. Durch Gewährung des Unterhalts empfing

er prä­

sumtiv nur das, was ihm gesetzlich zukam (§ 64 ALN II. 2),

gleichwie er seinerseits zu jenen angeblichen Leistungen ge­

setzlich verpflichtet war (§ 121

ib.).

Daß ein Vertrag

zwischen Vater und Sohn zu Grunde gelegen habe, durch

welchen die beiderseitigen Rechte und Pflichten festgesetzt gewesen seien, welcher namentlich der Gutsverwaltung des Sohnes irgend welche Dauer gesichert und, als Aequi-

v al ent, die Unterhalts-Gewährung bezeichnet habe, ist vom

Kläger nicht einmal behauptet.

Hienach fehlt es an den Merkmalen

des Begriffs

„Gewerbebetrieb", auch wenn man denselben im wei­ testen Sinne auffaßt.

>Auf den vermeintlichen Gewerbe­

betrieb der Bekl. aber ist die Replik des Klägers, daß die Be­

klagten aus der väterlichen Gewalt ausgetreten seien, allein

gestützt.

Daraus folgt, daß . . . die Beschwerde des Klägers

darüber, daß der Appellrichtcr den

Einwand der väter­

lichen Gewalt, für nicht widerlegt erachtet hat, gründung entbehrt.

der Be­

371 Dagegen berechtigte die Borentscheidung den Bekl. August M. zu der um deshalb erhobenen Revisions-Be­ schwerde, weil ihm gegenüber von der Leistung des Delateides:

daß er dem Kläger am 19. April 69 nicht ein habe, wonach er ein Ver­

Dokument vorgelegt

mögen von 15000 Thlr. besitze und hievon 7500 Thlr.

mit seinem 27. Jahre zu unbeschränkter Disposition erlangen könne —

die Zurückweisung des Klägers abhängig gemacht sei. Vom Appellrichter ist dieser Eiv in der Erwägung zum Erkenntniß gestellt, daß August M., wenn er das Ka­

pital von 7500 Thlr. mit unbedingter Dispositionsbefug-

niß besitze, über dasselbe,

weil es nach § 147 ALR II. 2

zu seinem freien Vermögen gehöre, nach § 158 eben­

daselbst gleich einem nicht unter väterlicher Gewalt stehen­ den Menschen zu verfügen, in Beziehung auf dasselbe daher

auch Wechsel auszustellen, befugt gewesen sei. In der That verordnet der citirte § 158:

Ueber das freie Vermögen haben die Kinder eben die Rechte, die einem nicht unter väterlicher Ge­ walt stehenden Menschen über sein Eigenthum zu­

kommen. Und im § 165 daselbst ist noch ausdrücklich ausgesprochen: Alle Verträge, die sie (Hauskinder) nach erlangter

Großjährigkeit in Ansehung ihres freien Ver­ mögens schließen, sind auch ohne Beitritt des

Vaters giltig. Es setzt aber der § 166 hinzu: Doch muß der, welcher einem noch unter väter­ licher Gewalt stehenden, obwohl großjährigen, Kinde

will,

auf sich

sein «freies Vermögen Kredit

dasselbe

durch

Eintragung

in

geben

das

Hypothekenbuch oder durch Uebergabe des Obli■24*

372 gations -Instruments oder der verpfändeten be­ weglichen Sache besonders versichern taffen. Die mit der Verabsäumung solcher Sicherstellung verbundenen Folgen sind nicht mit ausdrücklichen Worten bestimmt. Von der im Uebrigen konformen Vorschrift des § 319 ALR II. 1, — betreffend das Recht der Ehefrau, ihr vorbehaltenes Vermögen ohne Bewilligung des Mannes mit Schulden zu belasten — weicht der § 166 Tit. 2 in­ sofern ab, als er die fragliche Sicherstellung, deren Unter­ lassung nach § 319 Tit. 1 nur die Geltendmachung der Forderung an die Ehefrau während der Ehe suspendirt, nicht in analoger Weise blos für die Verfolgbarkeit von Ansprüchen gegen Hauskinder während des Bestehens der väterlichen Gewalt erfordert. Es kann jedoch — wie sich aus der unten folgenden Ausführung ergiebt — für den gegenwärtigen Fall dahin gestellt bleiben, ob aus der vorgedachten Difformität bzw. aus dem ^Wortlaut der §§ 165, 166 Tit. 2 und aus ihrem Zusammenhang die Ungiltigkeit der Verträge von Hauskindern bei unter­ bliebener Sicherstellung, so daß der Gegenkontrahent keine Rechte aus den Verträgen erwirbt, herzuleiten ist. Jedenfalls setzt der § 165 wortdeutlich für die Gil­ tigkeit aller von Hauskindern ohne Beitritt des Vaters eingegangenen Verträge das voraus, daß dieselben in An­ sehung des freien Vermögens geschlossen worden sind.. Vgl. Koch Komm, zu 8 166 ALR II 2; Förster Theorie rc. S. 598; Erk. des preuß. OTr. v. 30. April 68, Strieth. Arch. B. 70 S 331. Es heißt im 8 165 nicht, daß alle Verträge von Haus­ kindern, die freies Vermögen besitzen, in Ansehung dieses Vermögens gütig sind, sondern es wird hiezu erfordert, daß in Ansehung dieses Vermögens der Vertragsab­ schluß selbst stattgefunden hat. Bei letzterem müssen daher

373

von den Kontrahenten Erklärungen abgegeben worden fein, aus welchen erhellt, daß das Hauskind in Bezug auf sein freies Vermögen sich hat obligiren wollen. Offenbar han­ delt der § 166 nicht von Kreditverträgen in engerem Sinne, sondern nmfaßt alle Verträge mit Hauskindern, die von Letzteren nicht sofort erfüllt werden, indem er sich ganz allgemein dahin ausdrückt, „daß der, welcher einem noch unter väterlicher Gewalt stehenden — — Kinde auf sein freies, Vermögen Kredit geben will, sich dasselbe — — be­ sonders versichern lassen muß." Bei dieser Ausdrucksweise unterstellt er zugleich, als generelle Voraussetzung, daß in Bezug auf das freie Vermögen kontrahirt ist. In­ sofern wird durch den § 166 — wenn derselbe nicht nach seinem Wortlaut anzuwenden sein sollte — wenigstens jene Auslegung des § 165 a. a. O. unterstützt. Jedes Bedenken gegen dieselbe erledigt sich durch die Erwägung, daß der § 165 eine Ausnahme von der Regel, daß die Verträge der Hauskinder ohne väterlichen Konsens für diese rechts­ unverbindlich sind, bildet und daher restriktive interpretirt werden muß. Bei anderer Interpretation würde es darauf: ob das Hauskind schon beim Vertragsabschluß freies Ver­ mögen besessen oder dergleichen erst später erworben hat, nicht ankommen, überhaupt aus jedem Vertrage mit einem (großjährigen) Hauskinde gegen dasselbe geklagt werden können und erst bei der Exekutionsvollstreckung erheblich werden, ob dasselbe freies Vermögen besitzt oder nicht. Es würde sich also die gesetzliche Ausnahme als die Regel darstellen. In vorliegendem Rechtsfall ist nur (unter Eides­ delation) behauptet: „Es hat August M. dem Kläger am 19. April 69 ein Dokument vorgelegt, wonach er ein Vermögen von 15000 Thlr. besitzt und er hievon mit seinem 27. Jahre (also noch vor Acceptation des Klage-

374

Wechsels)

7500 Thlr.

zur

unbeschränkten

Dis­

position erlangen könne."

Die Richtigkeit des Faktums vorausgesetzt, mag zugegeben sein, daß sich Kläger durch den Inhalt des Dokuments zum

Erwerb des Klagewechsels hat bestimmen lasten.

Aus der

Vorlegung des Dokuments geht aber nicht hervor, daß sich August M. auf Grund seines Accepts in Bezug auf sein freies Vermögen gegen den Kläger hat verpflichten wollen.

Aus dem Sachvortrage des Klägers ergiebt sich

nicht einmal, daß überhaupt zwischen ihm und August M. hinsichtlich des Wechselgeschäfts verhandelt worden ist.

Zu­

dem hat Letzterer — Inhalts der frugt. Behauptung des

Klägers — zu demselben bei Vorlegung des Dokuments (so scheint die, inkorrekt gefaßte, Behauptung verstanden

werden zu sollen) bemerkt, daß „er 7500 Thlr. zu unbe­ schränkter Disposition erlangen könne", nicht aber: daß er die unbeschränkte Disposition über das Kapital erlangen

werde.

Nach vorstehenden rechtlichen und thatsächlichen Er­ wägungen erscheint der in den fragt. Eid ausgenommene Beweissatz nicht geeignet, die Wirkungen des, an sich be­

gründeten, Einwands der väterlichen Gewalt auszuschließen. Demzufolge mußte, unter Abänderung des Appellurtels in dem bezüglichen Punkte, Klüger auch dem August M. gegen­ über unbedingt

mit seinem Wechselanspruche

abgewiesen

werden. Nr. 69.

Feriensenat. — Erkenntniß v. 6. Äug. 72. (Z.) Birke • . Altmann (Nr. 580 v. 72).

Königreich Sachsen.

Wechselsache.

Weitere Berufung.

I. Instanz: Handelsgericht im Bezirksgericht Dresden, II. Instanz: Appellationsgcricht Dresden. Verjährung der Wechselklage gegen den Acceptanten.

375

Die Verjährung der Wcchselklage gegen den Accepranten unterscheidet sich wesentlich von der Verjährung einer Regreßklage. Ihre Frist beginnt ohne Rücksicht auf die Verhältnisse der Indossanten mit Ablauf des Verfall­ tages. DWO Art. 77 ff; Rfpr. IV S. 235, V S. 191, 234.

Entscheidung des OHG: Die vorigen Instanzen haben die gegen den Bekl. als Acceptanten erhobene Wechselklage mit Recht abgewiesen, weil liquid vorliegt, daß die im Art. 77 DWO bestimmte

Verjährungsfrist längere Zeit vor der Klageerhebung abge­ laufen ist. . .

Die DWO statuirt bezüglich der Verjährung der Re­ greßklage gegen den Aussteller und die übrigen Vor­ männer durchaus andere Voraussetzungen als in An­ sehung

der

Verjährung

gegenüber

dem

Acceptanten.

Während in ersterem Falle die Verjährung in sucessiv beginnenden kurzen Fristen sich vollzieht und ihren Anfang gegen den Inhaber mit dem Tage des erhobenen Protests, gegen den Indossanten von der Zeit an nimmt, zu welcher

er belangt ist oder freiwillig gezahlt hat (Art. 78, 79*); schreibt

die

DWO

dem

Acceptanten

gegenüber

im

Art. 77 eine dreijährige Frist vor, welche jedoch ein für allemal und allen Wechselberechtigten gegenüber (sofern nicht

eine Unterbrechung im Sinne des Art. 80 eingetreten ist)

mit dem Versalltage des Wechsels ihren Lauf beginnt. Darüber, daß die im Schlußsatz des Art. '79 verord­ neten relativ verschieden beginnenden Fristen auf die Ver­ jährung des wechselmäßigen Anspruchs gegen den Acceptanten

keine Anwendung leiden,

hat unter den Auslegern der

DWO nie ein Streit bestanden, obschon nicht zu verkennen ist, daß die Festhaltung der im Art. 77 geordneten Normal-

* Vgl. Rspr. III S. 301, V S. 235, VI S. 301.

376 frist unter Umständen, namentlich wenn eine größere Anzahl von Indossanten vorhanden ist, dahin führen kann, daß Derjenige,

welcher zuletzt Rembours

geleistet hat,

gegen den

Acceptanten wegen des inmittelst erfolgten Ablaufs der dreijährigen Verjährungsfrist nicht mehr zu klagen im Stande ist.

Die Leipziger Wechselkonferenz selbst ist sich dieser

Konsequenz wohl bewußt geworden,

hat jedoch als ent­

scheidend angesehen, daß die geordnete Frist lang genug sei,

um annehmen zu können, daß der Regel nach das ®e-schäft abzuwickeln und daher der Regreßberechtigte nicht in der Lage sein

werde,

sein Forderungsrecht wegen

Ab­

laufs der Verjährung gegen den Acceptanten zu verlieren, äußersten Falls aber ihm immer noch das Vorgehen gegen den Acceptanten mit der Bereicherungsklage (Art. 83) der Ausgleichung halber offen bleibe.

Vgl. Prot. Hirschfeldsche Ausgabe, S. 188, 204ff.;

v. Liebe ADWO S. 206 ff. Ob letztere Erwägung in allen Fällen zutrifft, kann dahin gestellt bleiben. Jedenfalls liegt die Intention des Gesetzgebers klar vor, daß die Verjährung gegen den Accep­ tanten ohne Rücksicht auf die Verhältnisse der Indossanten

vom Verfalltage des Wechsels* an laufen soll.

Nr. 70.

I. Senat. — Erkenntniß v. 3. Sept. 72. (3.) K. Hihbleck •). G. Bernsau (Nr. 414 v. 72).

Preuße«.

Nichtigkeitsbeschwerden I. Instanz: Kreisgericht Duisburg, II. Instanz: Avvellationsgericbt Hamm. Wechsel als Zahlungsmittel.

1. Durch bloße Hingabe und Annahme eines Wechsels wird der Wechselgeber von derjenigen Schuld, zu deren * Wegen nid'i vräsentirrer Sichtwechscl vgl. R'pr. V S. 191.

377

Deckung der Wechsel bestimmt ist, noch nicht srci, auch nicht schon durch demnächstige Wechseldegebung und durch Empfang der Wechselvaluta von Seiten des Wechselnehmers. Nspr. III S. 75 ff., V S- 234; Borchardt ADWO Zus. 650 S. 465 ff.; Hartmann DWR S. 125 ff.

2. Der Indossatar des Wechselnehmers tilgt durch Entrichtung der Wechselvaluta nicht die Schuld jenes Wechsclgebers, will überhaupt für diesen nicht Zahlung leisten; Letzterem gegenüber ist aber der Wechselnehmer verpflichtet, seine Befriedigung zunächst mittelst des Wechsels zu suchen, und er ist durch Empfang der Wechselvaluta bezahlt/ sofern er die Valuta behält oder (z. B. in Folge Präjudizirung des Wechsels) behalten darf. Entscheidung des OHG: Behufs Tilgung von Kaufgelderforderungen für ge­ liefertes Talg hat Kläger vom Bekl. längere Zeit hindurch

Wechsel empfangen und demselben gutgeschrieben.

in laufender Rechnung

Einer dieser Wechsel ... ist nicht honorirt,

der Acceptant inzwischen insolvent geworden.

Bei Verfall befand sich der vom Bekl. an Kläger indossirte, von diesem

weiterbegebene Wechsel in dritter Hand und ist, obwohl erst 9 Tage nach Verfall protestirt, gleichwohl vom Kläger

freiwillig eingelöst worden, langt.

endlich an den Bekl. zurückge­

Unstreitig war der Wechsel unter dem üblichen still­

schweigenden Vorbehalt

richtigen

Eingangs

in Zahlung

gegeben; nicht festgestellt ist, daß Beklagter freiwillig den

Wechsel znrückgenommen und Zahlung der Regreßsumme Der allein angefochtene Entscheidungsgrund, auf welchen die Zurück­ in rechtsverbindlicher Weise versprochen hat.

weisung der die Wechselsumme nebst Protestkosten und Pro­ vision begehrenden Kaufklage (actio venditi) gestützt ist,

lautet:

„Die Hingabe

eines Wechsels zur Tilgung einer

Verbindlichkeit und die Weiterbegebung desselben

378

seitens des Gläubigers ist allein noch keine Zah­ lung, wohl aber, wenn (was unzweifelhaft hier anzunehmen) der Jndoffatar bei der Weiterbegebung des Wechsels von seinem Nachmann Valuta erhält und für den Empfänger später keine zwingende Nothwendigkeit eintritt, diese Valuta wieder heraus­ zugeben, nämlich solche im Regreßwege zu erstatten . . . Kläger war somit, dem Bekl. gegenüber, durch Empfang der Wechselvaluta von seinem Nachmann für befriedigt zu erachten." Von den Elementen dieser Entscheidung find die that­ sächlichen durch eine prozessuale Beschwerde nicht angefochten, vielmehr erkennt die Nktbschw. ausdrücklich an, daß Kläger bei Weiterbegebung des Wechsels von feinem Nachmann Valuta empfangen hat. Dem Appellrichter wird nur vor­ geworfen, aus den feststehenden Thatsachen mit Unrecht eine Zahlung konstruirt zu haben. Diese Beschwerde ist haltlos. Der Appellrichter verwirft die Annahme, daß schon durch Hingabe eines Wechsels zur Tilgung einer Verbind­ lichkeit die letztere getilgt werde. Er findet in solcher Hin­ gabe somit weder eine eigentliche „Zahlung" — welche voraussetzen würde, daß Wechsel den Charakter des Geldes tragen —, noch eine (unbedingte) Novation, noch eine (unbedingte) Angabe an Zahlungsstatt, noch endlich einen Kompensationsvertrag. — Vielmehr geht er — entsprechend der in neuerer Zeit überwiegend in Theorie und Praxis vertretenen Ansicht (Thoel WR 8 823; Volk­ mar und Loewy WO S. 314 ff.; Hartmann DWR S. 125 ff.; Renaud WN § 94; Goldschmidt Handbuch des HR S. 1196, 1223; Foerster, Theorie und Praxis rc. I § 97 Not. 2; v. Salpius Novation und Delegation S. 497 ff.; Siebenhaar Arch. für WN I S. 165 ff. XVIII S. 30; Stern daselbst VI S. 369; Fick daselbst VII S. 129 Not. 7; Just daselbst XVIII S. 342 ff.) —

379

davon aus, daß die Befreiung des Wechselgebers von der­ jenigen Schuld, zu deren Deckung der Wechsel bestimmt ist, an sich nicht schon durch die bloße Hingabe und

Annahme des Wechsels erfolgt,

ja nicht einmal durch

die bloße Begebung des Wechsels und Empfang der Wechselvaluta, sofern er zur Herausgabe der letzteren im Regreßwege wieder genöthigt wird. Wohl aber werde der Schuldner dadurch befreit, daß der Wechselnehmer bei Weiterbegebung des Wechsels die Valuta empfängt und be­

hält oder doch behalten darf, somit im Falle der Wechselpräjudizirung.

Die Nktbschw. rügt:

durch Zahlung der

Begebungsvaluta werde die Waarenschuld nicht getilgt, weil der Indossatar die Waarenschuld nicht habe tilgen, auch nicht die Wechselvaluta für den beklagten Schuldner

habe leisten und der klagende Gläubiger die Wechselvaluta

nicht als Zahlung seiner Waarenfordernng habe annehmen wollen. Verletzt seien die Grundsätze des ALR von der Zahlung für Andere. In dieser auch sonst mehrfach aufgestellten Argumen­

tation z. B. Ladenbsurg,

Archiv f. prakt. Rechtswissen­

schaft VII ©.(9; Strieth. Arch. B. 41 S.218, B. 68 S. 155; Entsch- des preuß. O.Tr. B. 63 S. 151 — sind zwar die Vordersätze richtig, allein der Schluß ist irrig.

Es ist richtig, daß der Indossatar des Wechselnehmers durch Entrichtung der Wechselvaluta nicht die Waaren­

schuld des

Gebers tilgen,

noch überhaupt für diesen

Zahlung leisten und daß der

Wechselnehmer

dem In­

dossatar gegenüber die Wechselvaluta nicht in diesem Sinne entgegennehmen will. Allein seinem Schuldner,

dem Wechselgeber gegenüber wird er unzweifelhaft durch

den Empfang der Wechselvaluta

bezahlt,

sofern er

empfangene Valuta behält oder behalten darf.

die

Da der

380 Empfang der Wechselvaluta feststeht, so braucht in vor­ liegendem Falle nicht untersucht zu werden, ob nicht schon die bloße Thatsache der Präjudizirung des Wech­ sels oder doch die Begebung des Wechsels in Ver­ bindung mit dessen Präjudizirung jeden Rückgriff des Wechselnehmers auf eine ursprüngliche Forderung ausschließt. §§ 237, 243 AM I 16; vgl. Siebenhaar, Hartmann, Ladenburg, Ficka.a.O.; Juris­ prudenz des OAG Lübeck in Wechselsachen S. 440; Entsch. des preuß. O.Tr. B. 63 S. 157, 158. Hat Kläger (wovon die Nktbschw. mit dem Appellrichter ausgeht) den Wechsel nicht an Zahlungsstatt, sondern zah­ lungshalber empfangen, nicht um durch den Wechsel be­ zahlt zu sein, sondern um sich durch denselben bezahlt zu machen, so war für ihn ein doppelter Befriedigungsweg denkbar. Entweder er behielt ihn und erhob den Betrag bei Verfall vom Acceptanten (Trassaten), oder er begab ihn. In ersterem Falle erhielt er Zahlung erst bei Verfall, aber definitive. Im zweiten, häufigeren Falle befriedigte er sich bereits durch die Begebung und realisirte so den Geld­ werth des Wechsels. Wurde er indessen durch die Weiter­ begebung selber regreßpflichtig — somit in allen Fällen, wo er nicht etwa ohne Obligo indossirte —: so war seine Befriedigung keine definitive, da ihm die empfangene Valuta im Regreßwege wieder entrissen werden konnte. Bis sich dies entschied, war, was im Effekt auf das Gleiche hinauskommt, entweder die Befriedigung suspendirt, oder es konnte doch die erfolgte Befriedigung rückwärts rück­ gängig gemacht werden. Bis dahin war die ursprüngliche Waarenforderung mindestens suspendirt, da.der Gläubiger durch Nehmen des Wechsels auch nur zahlungshalber ver­ pflichtet wurde, zunächst mittelst des Wechsels Befriedigung zu suchen.

381

Seuffert B.XXI Nr. 229 Ztschr. für HR

Deutsche Aeichsgesetze. Textausgaben mit Anmerkungen.

Taschenformat; cartonnirt.

1) Dic Verfassung des Deutschen Deichs von Dr. J,. v. Rönne, Appellatioilsgcrichts-Bicehräsidenl, Mitglied des Reichstags. Cartonnirt 7V2 Sgr.

2) Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von I. Litthauer nebst der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung von Dr. S. Morchardt, Geh. Justizrath. 1871. Cartonnirt in einem Bändchen 15 Sgr. 3) Strafgesetzbuch für das Deutsche Deich von Aüdorff, Obergerichtsrath und Schriftführer der Bundescommission. 5. Aust. 1873. Cart. 7% Sgr. 4) Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Deich von K. Küdorß. 1872. Cartonnirt 5 Sgr. 5) Wcchsclstempclsteuergcsctz nebst WechselstempeUarif v. Koyer, Regierungs­ rath und Provinzial-SlenipelfiScal. 1871. Cartonnirt 10 Sgr.

6) Deutsche Deichs-Gewerbe-Grduniw von Hlj. Uh. Merger, Regierungs­ rath. 1872. Cartonnirt 10 L>gr.

7) Oie Deutsche postgesetzgebung. Text-Ausgabe der Deutschen Postgesetze und des Post-Reglements mit Anmerkungen von Dr. U. D. Irscher, Geh. Ober-Postrath. 1872. Cartonnirt 10 Sgr. 8) Vic Gesetze über den Dntcrstütznngswohnsitz, über Lundes- und Staats­ angehörigkeit und Freizügigkeit. Bon G. Kahn, Obertribunalsrath. 1872. Cartonnirt 12 ^gr.

9) Sammlung der kleineren Lundes- und Dcichsgcsctzc, welche in obigen 8 Bändchen noch nicht enthalten sind, von I. ^itthauer, Kreisrichter. 1872. Cartonnirt 15 Sgr. 10) Das Deichsbeamtengcsetz vom 31. März 1873. Text-Ausgabe mit An­ merkungen von Hrandke, Regierungs-Assessor. 1873. 10 Sgr.

In demselben handlichen Format erschien: Sie preußische Konkurs-Ordnung, das Anfechtungsgcsctz vom 9. Mai 1855 und die Lubhastations-Ordnung vom 15. März 1869. Text-Ausgabe mit Anmerkungen, Nachweis der Aenderungen und Ergänzungen, der Literatur und Praxis, nebst Sachregister. Von U. Zoyow, OberTribunals-Rath. 1871. Cartonnirt 15 Sgr. Das Gesetz vom 24. April 1854, betr. die außereheliche Schwängerung, nnd die daneben geltenden Bestimmungen des Allgem. Landrechts nebst den dazu ergangenen Präjudicaten der Litteratur rc. herausgegeben von Dr. jur. Kerm. Schulze. 1873. Cartonnirt 7V2 Ngr.

Verlag üon Z. Guttentag (D. Collin) in Merlin.

V________________________________________________ V Druck von Bär & Hermann in Leipzig.