Die Rechtsprechung des Deutschen Oberhandelsgerichtes zu Leipzig: Band 4 [Reprint 2021 ed.] 9783112394229, 9783112394212


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Die Rechtsprechung des Deutschen Oberhandelsgerichtes zu Leipzig: Band 4 [Reprint 2021 ed.]
 9783112394229, 9783112394212

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Die Rechtsprechung des

Deutschen

zu Leipzig, herausgegeben von

A. Stegemann, Anwalt am genannten Gerichtshöfe, preußischem Justizrath rc.

Vierter Sand.

Verlag von I. Guttentag (D. Collin).

1872.

Inhalt. -------

Seite

I. Rechtsfälle und Entscheidungen des OHG . . 1 bis 388 (nach der Zeitfolge der mitgetheilten Entscheidungen)

a. aus dem Jahre 1871: Nr. 1. Erk. v. 22. Sept. Seeversicherung. Beweisführung durch Indizien . -.................................................... 1 Verträge des Kaufmanns, Vermuthung für — Erk. v. 23. deren geschäftliche Qualität....................... 166 n.

2. Erk. v. 23.

Seefracht. Zusammengesetzte Reise, teil­ weise Zurücklegung, Distanzfracht . . .

3. Erk. v. 29.

Speditionsvertrag, Sorgfalt des Spedi­ teurs. Schweigen des Kommittenten . .

13

28 Handelskauf, Rücktritt wegen Nichterfül­ lung. Bedeutung einer Vertrag-urkunde . 86 Wechsel-Domizilirung, Lücken im Wechsel. Nachsichtwechsel, Präsentation-ort, Präsen­ tation und Verfall. Aktiengesellschaft, Be­ stand u. statutenmäßige- Verfahren. Liqui­ dität im Wechselprozeß .... 40, 47 n., 53

4. Erk. v.

3. Okt.

5. Erk. v.

3.

Erk. v.

4.

Eintritt in da- Geschäft eine- Einzelkauf­ mannes, Haftung für deffen Schulden . 103 n

6. Erk. v.

4.

Aktiengesellschaft, Erklärungen des Vor­ standes. Vertragsauslegung ....

7. Erk. v.

4.

8. Erk. v.

6.

Sorgfalt bei Eingehung von Handels­ verträgen .......................................................... Handelskauf. Schadenersatz wegen Nicht­ erfüllung. Anzeige, Nachfrist ....

9. Erk. v.

6.

Titelnachdruck. Urheberrecht, Nachweis. Zeichnungen und Abbildungen zu ästhe­ tischen Zwecken. Actio doli.......................

10. Erk. v.

6.

Wechselanspruch und exceptio non adimpleti contractus. Arglist de- Kläger-

64 66 59

63

IV

Nr. (1871) 11. Erk. v. 9. Oki. Parteieid eines Meineidigen. Kalumnieneid des Deferenten......................................

12. Erk. v.

10.



Rechenschaftspflicht der Handelsgesell­ schafter. Treue und Glauben unter iynen.

13. Erk. v.

10.



Eigene Sichtwechsel, Präsentationsfrist

14. Erk. v.

11.



.

Seite

70 78

86

15. Erk. v. 13.



16. Erk. v. 14.



17. Erk. v. 14.



Verkaufs-Kommission in Prämienanleihe­ stücken. Kommissionär als Selbstkäuser, Rechtzeitige Mittheilung der Loosnummern............................................................ 90 Aktiengesellschaft, Erwerb eigener Aktien. Vertretung der Gesellschaft...................... 94 Geschäft eines Einzelkaufmanns, Ver­ äußerung, Geschäftsschulden............................. 102 Kommissionär als Selbstkäufer rc. . . . 104

18. Erk. v. 14.



Anspruch des Theilhabers einer aufge-

20. Erk. v. 17. 21. Erk. v. 17.

,, „

22. Erk. v. 17.



23. Erk. v. 19.



24. Erk. v. 20.



25. Erk. v. 21.



26. Erk. v. 21.



27. Erk. v. 24.



Erk. v. 24.



29.

29. Erk. v. 28. 30. Erk. v. 28.

„ ,,

Wahlrecht des Klägers, Schadenliquidation. Mündliche Abrede und schriftlicher Ver­ tragsschluß..............................................................113 Kommissionär, Propergeschäft, Unkosten . 119 Handelskauf, Verzug. Entbehrlichkeit der Nachfrist, angemessene Frist............................. 124 Erlaß oder Vertragsänderung? (Spezial­ fall) ........................................................................ 129 Preußisches Konkursrecht. Akkordschluß, Mitstimmen von nahen Verwandten des Gemeinschuldners............................................. 132 Lebensversicherung zu Gunsten eines Drit­ ten, Police mit Inhaberklausel. Terri­ torialität des Rechts........................................134 Erwerb einer Handlung. Uebernahme der Geschäftöschulden, Cirkulare............................. 150 Aufhebung der väterlichen Gewalt. Wechsel­ verpflichtung auf Grund ungiltiger Ge­ schäfte . '......................................................... 157 Kaufmann, Handelsgeschäft. Deckung, Pfandvertrag, landesrechtliche Form . . Wechsel, englisches Recht. Erwerb eines Mangels Zahlung protestirten Wechsels. Blancogiro................................................. Handelskauf, Fixgeschäft. Vertragsschluß Nützliche Verwendung nach ALR . . .

164

171 177 184

V (1871) Seite — Erk. v. 28. Okt. Hauptforderung, Bestellung einer Sicherheil, Wirkung............................................... 169 n. 31. Erk. v. 3. Nov. Zusammenstoß von Seeschiffen . . . 187, 201 32. Erk. v. 3. Frachtgut, BersügungSrecht des Absenders. Fixgeschäft, Verzug...................................... 202 33. Erk. v. 4. Kauf. Fehlerhafte Sache, Ansprüche des Käufers............................................................ 205 34. Erk. v. 4. Laufende Rechnung, Guthaben. Pfand­ besitz, mala fides superveniens nach ALR 208 35. Erk. v. 4. Kaufpreisforderung, Begründung . . . 213 Diffamationsklage, Gerichtsstand. Bundes36. Erk. v. 7. indigenat....................................................... 215 37. Erk. v. 7. Einzelkaufmann, Firma, Klagerecht . . 225 38. Erk. v. 7. Distanzhandel. Ablieferung der Waare. Untersuchuugs- und Anzeigepflicht des Käufers............................................................. 230 39. Erk. v. 7. Richteramt. Schuld einer Handelsgesell­ schaft. Haftung der Gesellschafter. Wechsel­ verjährung. Anfang des Fristenlaufs, Unterbrechung durch Klagezustellung . . 234 40. Erk. v. 7. Handelskauf oder Werkverdingung? (nach ALR)............................................................ 244 41. Erk. v. 8. Contocurrentverkehr; Anerkennung des Saldo, Moniren...................................... 247 42. Erk. v. 8. Gewährleistung des Eedenten. Besondere Zusage, Arglist, Verzicht............................ 257 43. Erk. v. 10. Seeversicherung. Deviation. Schiffskon­ demnation ....................................................... 260 44. Erk. v. 10. Verkaufs-Kommission, Limitum; Schaden­ abwendung, Beweislast........................... 270 45. Erk. v. 11. Res iudicata. Frankfurter Recht. Haftung eines Geschäftsübernehmers für Schulden 274 46. Erk. v. 11. der Ansprüche wegen Fracht- Verjährung gutsverlusts.................................................. 286 47. Erk. v. 11. VerwahrungSvertrag, Haftung des Ver­ wahrers nach ALR....................................... 290 48. Erk. v. 11. Tradition und handelsgeschäftliche Ueber­ lieferung ....................................................... 296 Akkord des Gemeinschuldners, Gleichstellung 49. Erk. v. 14. seiner Gläubiger....................................... 301 Fixgeschäft, Stichtagswahl, Unmöglichkeit 50. Erk. v. 14. der Erfüllung............................................ 308

Nr.

51. Erk. v. 15. 52. Erk. v. 17.

Gemeinrechtliche Restitution der Minder­ jährigen ....................................................... Spezieskauf, Besicht und offenbare Mängel

311

317

VI

Nr.

(1871)

Seite

53. Erl. v. 18. Nov. DertrLge des Kaufmanns, Wechselzeichnung. Hypothekenverwerthung ....

54. Erk. v. 18.

319

Unterstützung von Reich-angehörigen im Auslande durch ein Reichskonsulat. Erstattungöpflicht der Verwandten ....

327

Distanzhandel, Rügepflicht de- Käufers, unverzügliche Anzeige fpäter entdeckter Mängel..........................................................

331

56. Erk. v. 21.

Schiedsvertrag nach den Maklerfchlußfcheinen der Berliner Produktenbörse . .

338

57. Erk. v. 21.

Lebensversicherung, Pflicht des Versiche­ rungsnehmers zur Wahrhaftigkeit . . .

345

58. Erk. v. 21.

Aktiengesellschaft, Statut, Rechtsnormen .

348

59. Erk. v. 22.

Fakturawert- als Grundlage eines Schaden­ anspruchs ..........................................................

352

60. Erk. v. 22.

Kauf, Annahmeverzug des Käufers, Oblation de- Verkäufers.........................................

359

61. Erk. v. 25.

Handelsgeschäfte einer Ehefrau, Geneh­ migung de- Mannes...................................

365

62. Erk. v. 25.

Kauf, Haftung des Verkäufers. Münd­ liche Aenderung de« schriftlichen Vertrages.

367

63. Erk. v. 25.

Abrechnung. Mündliches Verfahren, Partei­ erklärung, Protokoll...................................

371

55. Erk. v. 18.

u

Feuerversicherung, rechtzeitige Klage . . 64. Erk. v. 25. 65. Erk. v. 1. Dez. Versicherung auf Gegenseitigkeit, Charakter der betreffenden Genossenschaft .... II.

Sachregister

377

385

................................................ 389 ff.

Druckfehler. Man pelle gefälligst im Sachregister unseres II. Bandes S. .395 unter K.

Kaufmann rc. vor Klage rc.

Demnächst wolle man lesen in unserem IIL Bande:

S. 395 Zeile 11: II. 40, 199 Nr. 3 (statt IL 40, III. 19), S. 413 hinter „Seehandel" als neue Zeile: Seeschiffe, Zusammenstoß.

83;

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8!

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und in diesem IV. Bande: 38 Zeile 2 von unten: produzirten, 152 (in der Note) Zeile 4 von unten: Art. 23 (statt 22),

261 Zeile 18: S. 179 (statt 183),

319 Zeile

2 von unten: nicht,

867 Zeile

4





Aenderung (statt Anerkennung^

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Nr. 1.

I. Senat. — Erkenntniß v. 22. Sept. 71. (3.) Josef EneaS •/. I. W. Dunser «t Sohn, als Direktoren der Norddeutschen Set» stcherungsgesellschaft in Hamburg rc. (Rr. 562 v. 71}.

Hamburg.

SeerechtSfall.

Ober-Appellati-«.

I. Instanz: Handelsgericht Hamburg, II. Instanz: Obergericht daselbst. Seeversicherung.

Beweisführung durch Indizien.

1. Nach den Grundsätzen des gemeinen CivilprozeffeS bedarf eS nicht immer direkter Beweise, um eine Behaup­ tung Es haben bei dieser Sachlage

Kläger ganz korrekt gehandelt, wenn sie ruhig abwarteten, ob die Voraussetzung der Beklagten sich erfüllen würde, um so mehr, da sie annehryen durften, dieselben würden das

Nöthige gethan haben, um die Ansprüche gegen die Affe-

kuranzgesellschaft zu sichern. Es kann demnach nicht davon die Rede sein, daß Kläger auf das Recht verzichtet hätten, die Beklagten zur

Rechenschaft zu ziehen, falls sich deren Verfahren als sach­

widrig und schuldhaft ergeben und hieraus ein Schade er­

wachsen sollte. Ist dies richtig, so erübrigt nur zu prüfen, ob den

31

Beklagten in fraglicher Angelegenheit eine Verschuldung zur Last falle? In dieser Beziehung ist nun vor Allem ins Auge zu fasten, daß nach Art. 380 HGB Beklagte beweispflichtig sind, daß ihnen nämlich der Beweis obliegt, bei Ausführung des in Frage stehenden Geschäfts die Sorgfalt eines ordent­ lichen Kaufmanns angewendet zu haben. Hieraus folgt zugleich ihre Verpflichtung, diejenigen Thatsachen, aus denen hervorgeht, daß sie die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns angewendet haben und ohne Verschulden seien, genau und bestimmt anzugeben. Es war somit nicht Sache der Kläger, nachzuforschen, wie Beklagte verfahren seien, und die bezüglichen Vorgänge klar zu stellen; vielmehr hatten Beklagte das thatsächliche Material zu geben und in möglichst eingehender Weise Rechenschaft über ihre Geschäftsführung zu erstatten. Bon diesem Standpunkt aus betrachtet, ist mm der Vorwurf nicht ungerechtfertigt, welchen der DL Richter den Beklagten dahin macht, daß in ihrer Klagebeantwortung höchst ungenügende Aufschlüste über die Verhandlungen mit ihrem Agenten in Holland, über die Ursache der Ver­ zögerung des Rücktransports bis -um 23. September und über ihr Abkommen mit der Versicherungsgesellschaft gegeben, daß insbesondere auch die betreffende Korrespondenz nur fragmentarisch vorgelegt worden ... Sie haben damit der ihnen prozeffualisch obliegenden Pflicht, sofort in erster Instanz die Thatsachen, deren Be­ weis ihnen obliegt, genau darzulegen, zuwidergehandelt und dürfen sich nicht beklagen, wenn hieraus Präsumtionen gegen sie gezogen wurden, wenn man annahm, daß sie Punkte, welche sie unaufgeklärt ließen, nicht zu ihrem Vor­ theil aufzuklären vermochten. ES kann übrigens von diesen allgemeinen gegen die Beklagten sprechenden Präsumtionen abgesehen werden, denn

32 aus den Umständen, wie sie aus den Erklärungen der Be­

klagten, wie diese vorliegen, hervorgehen, ergiebt sich zur Genüge, daß dieselben nicht so gehandelt, wie sie als sorg­ same Kaufleute

im

Interesse

ihrer

Kommittenten

hätten handeln sollen.

Me aus

den Angaben

der Beklagten sich ergiebt,

wurden die beiden in Frage stehenden Kisten in Holland

geöffnet, jedoch nachdem sich ergeben, daß die Franzen der oben liegenden Tücher etwas feucht waren, eine weitere

Untersuchung nicht oorgenommen, vielmehr ordnetm Be­ klagte, auf die Vermuthung hin, es möge die Waare be­

schädigt sein, sofort den Rücktransport nach Hamburg an und widersetzten sich der Weiterbeförderung nach Neapel, welche die Dampfschifffahrtgesellschast in Rotterdam sofort

mit dem nächsten Schiffe bethätigen wollte...

Offenbar ist dieses Verfahren an und für sich (und wenn man vorerst absteht von dem Abkommen, welches Beklagte mit der Affekuranzgesellschast getroffen haben wollen)

kein solches, wie es den Verpflichtungen der Beklagten ihren Kommittenten gegenüber entsprach. Beklagte hatten dm Transport der Kisten nach Neapel

zu besorgen, und ihre nächste Pflicht war es, darauf be­ dacht zu sein, daß dieser Transport so schnell als möglich

erfolge, und dies zwar um so mehr, als sie ihrer eigenen

Erklärung nach wußten, daß die Kisten Modewaaren ent­ hielten, welche bei Verzögerung der Ankunft wesentlich an

Werth verlieren mußten.

Ohne wichtige Gründe dursten

sie daher die Beförderung der Waare nicht unterbrechen und deren Rücksendung anordnen, welche nothwendig eine erhebliche Verzögerung der Ablieferung zur Folge haben

mußte. Solche wichtige Gründe lagen aber keineswegs vor. Zur staglichen Maaßregel ließen sich Beklagte nur durch die Vermuthung bestimmen, es möge die Waare beschädigt

33 sein, und dieser Vermuthung lag keine weitere Thatsache zu Grunde, als daß beim Oeffnen der Kisten sich die Franzen etwas feucht zeigten. Eine bloße Vermuthung durste aber kein Grund sein, eine für die in Frage stehende Spedition so folgenreiche Maaßregel zu treffen, und zwar um so weniger, als, wie aus den Briefen der Beklagten v. 20. Sept, unb 8. Okt. hervorgeht, die Dampfschifffahrtgesellschast in Rotterdam, beziehentlich deren Agent behauptete, es sei die Waare un­ beschädigt ... Bei dieser Sachlage wäre Anlaß gegeben gewesen, die Waare nicht bloß oberflächlich, sondem gründlich unter­ suchen zu lassen; denn offenbar lag kein Hinderniß vor, diese Untersuchung ebenso in Holland, wie später zu Ham­ burg vorzunehmen, und festzustellen, ob in der That eine Beschädigung stattgefunden habe. Wenn Beklagte, um ihr Verfahren zu rechtfertigen, im Briefe v. 20. Sept, bemerken, bei der bedeutenden Ver­ zögerung, welche der Transport bereits erlitten, würde die Waare wahrscheinlich zu spät zur Saison in Neapel ein­ getroffen sein und den Empfängern an derselben schwerlich noch viel gelegen haben: so steht dies im Widerspruch mit ihrem Briefe v. 8. Ottober, worin sie es ganz unbedenklich finden, die Waare nunmehr, nachdem durch den Rücktrans­ port eine weitere Verzögerung von etwa fünf Wochen ein­ getreten war, von Hamburg aus nach Neapel zu senden, und geben sie hiermit selbst zu erkennen, daß das Motiv, welches sie früher anführten, nicht stichhaltig gewesen sei... Offenbar hätte auch eine Verzögerung von etwa drei Wochen, wie sie ohne den Ende August angeordneten Rück­ transport eingetreten wäre, im Hinblick auf die in Mtte liegende Strandung des Schiffes Wilhelm III., kein Grund

für den Adreffaten sein können, die Annahme der Waare zu verweigern, wenigstens mußten Beklagte dies vorausIV. 3

34 setzen. Nur die später weiter hinzutretende, viel bedeuten­ dere, culpose Verzögerung änderte die Sachlage. Beklagte fühlen es übrigens selbst, daß ihr Verfahren an und für sich nicht sachentsprechend wäre, und suchen es in ihrer Oberberufung dadurch zu rechtfertigen, daß sie auf ein schon vor dem Rücktransport abgeschlossenes festes Abkommen mit der Assekuranzgesellschaft Hinweisen, welches unter allen Umständen Entschädigung für die Waare gesichert habe. ES mag nun dahingestellt bleiben, ob Beklagte befugt waren, eine Waare, welcher möglicherweise ganz unbe­ schädigt war, dem übernommenen Auftrage zuwider nicht an ihren Bestimmungsort gehen zu lassen, vielmehr eigen­ mächtig ein Abkommen mit der Assekuranzgesellschaft abzu­ schließen, zufolge dessen an Stelle der Lieferung an den Adressaten eine Entschädigung trat; jedenfalls ist sicher, daß, wenn sie dies thaten, sie verpflichtet waren, die größte Diligenz aufzuwenden, um ihre Kommittenten völlig sicher und schadlos zu stellen. Dies ist nicht geschehen. Da es den Beklagten bekannt war, daß eine weitere Verzögerung der Liefemng den Werth der Waare in hohem Grade mindern würde: so mußten sie vor Anordnen des Rücktransports das Abkommen mit der Asieküranzgesellschaft in der Weise treffen, daß diese unter allen Umständen das Risico, welches in der Ungewißheit lag, ob und wie die Waare beschädigt sei, übernahm, und sich unbe­ dingt verpflichtete, Ersatz zu leisten, sowohl für den Minder­ werth der Waare, als für die Kosten des Rücktransports. Nur bei dieser Voraussetzung durften sie auf den Wunsch der Assekuranzgesellschaft, die Waare zurückgehen zu lassen, ohne nähere Untersuchung eingehen... In ihrer Oberberufung behaupten sie nun allerdings,

es habe das Abkommen dahin gelautet, daß die Versicherungs­ Gesellschaft unter allen Umständen die Waare als eine

35 beschädigte gelten lasten müsse, und aus ihren früheren Behauptungen läßt sich folgern, daß die VersicherungsGesellschaft sich auch zur Tragung der Kosten des Rücktransports verpflichtet haben soll; allein mit Recht läßt sich mit dem II. Richter geltend machen, daß, auch vorausgesetzt, es sei ein solches Abkommen getroffen worden, ein Mangel an DUigenz schon darin zu erblicken sein würde, daß Be­ klagte nicht für den Beweis desselben Sorge trugen. Ein Abkommen, welches nicht bewiesen werden kann, ist unter Umständen gerade so werthlos, als wäre es nicht abgeschlossen. Wenn nun auch tm kaufmännischen Verkehr in dieser Beziehung strenge Anforderungen nicht gestellt werden und der Umstand, daß sich Jemand mit mündlicher Zusage begnügte, nicht immer den Vorwurf der Nachlässig­ keit rechtfertigt: so hätte doch bei den Umständen, wie sie hier vorlagen, die Vorsicht erheischt, dem Wunsche, welchen die Affekuranzgesellschaft nur in ihrem Interesse kund gab, nicht zu entsprechen, bevor durch eine als Be­ weismittel dienliche briefliche Mittheilung die Rechte der Kommittenten gesichert gewesen wären. Es mußten Beklagte, welche hier selbständig, ohne vorherige Anfrage, handelten, daran denken, daß, falls sich die Waare als unbeschädigt ergäbe, Konflikte zu be­ sorgen seien, daß es aber nicht im Interesse ihrer Kom­ mittenten liege, in einen Prozeß verwickelt zu werden. Nr. 4.

I. Senat. — Erkenntniß v. 3. Okt. 71. (V.) W. Blumenreich •/. W. RilinMt L Lo. (Nr. 158 v. 71).

Nichtigkeitsbeschwerde.

Preußen.

I. Instanz: Kreisgericht Posen, II. Instanz: AppellationSgericht daselbst. Handelskauf, Rücktritt wegen Nichterfüllung. urkunde.

Bedeutung einer Vertrags

1. Bei Nichtfirgeschasten ist die im Art. 356 HGB 3’

36

vorgeschriebene Anzeige und eine etwaige angeweffeue Nachfrist Voraussetzung de» dem Nichtsamnigen freistehenden Rücktritt- vom Berttage. Dgl. Rspr. I S. 124,318; in S. 352,369; unten Fall 8 u. 19.

2. Wer eine schriftliche Bertragsurknode, welche den Geschäft-schluß sixireu soll, von seinem Kouttaheutea ohne Widerspruch anuimmt, genehmigt damft deren Inhalt, auch etwaige Adweichuugeu von der früheren mündlichen Bereiubaruug. HEB Art. 279, 317. Dgl. Rsp. H S. 39, HI S. 29, IV Fall 19.

Aus einem im Distanzhandel ohne Fixirung der Lie­ ferungszeit geschloffenen Waarenkauf wird der bedungene Preis gefordert. Dem Käufer ist die Waare (von Thorn nach Posen) angeblich zu spät übersendet worden, und er will deshalb vom Vertrage zurücktreten. Vom L Richter zur Zahlung verurtheilt, erstreitet Beklagter in II. Instanz die Abweisung des Klägers. Das OHG hat das Appell­ urtel vernichtet und die erstrichterliche Entscheidung bestätigt. Gründe: Der Appellrichter erachtet die unter den Parteien streitig gebliebene Thatsache, ob der Kauf unter der Be­ dingung der Lieferung im Anfang April 69 abgeschloffen worden, für unerheblich. Von der Auffaffung ausgehend: wenn unter dieser Bedingung nicht kontrahirt worden sei, würde Kläger nach Art. 326 HGB die Waare sofort haben liefern müssen und, da die Lieferung ungeachtet vorheriger Mahnung verzögert sei, habe Beklagter vom Vertrage zu­ rücktreten und die inmittelst angelangte Waare zur Dis­ position stellen dürfen — gelangt er zu dem Ergebniß der Unhaltbarkeit der auf Zahlung des Preises gerichteten Klage. Hierbei hat aber der Appellrichter, wie die NktBschw. mit vollem Recht rügt, die Vorschrift des Art. 356 HGB über­ sehen und durch Nichtanwendung verletzt, die Vorschrift

37

nämlich, daß dem säumigen Kontrahenten der Rücktritt vorher angekündigt und eine den Umständen angemessene Frist zur Nachholung des Versäumten gewährt werden muß. Eine Thatsache, welche gestattete, diese Vor­ schrift von der Anwendung auszuschließen, ist nirgend fest­ gestellt. Nach dem der Entscheidung zu Grunde gelegten Thatbestände ist weder die Voraussetzung haltbar, die Natur des Geschäfts habe die Gewährung der Nachfrist nicht zugelaffen, noch weniger die Annahme möglich, die Nachfrist sei gewährt oder das Geschäft sei als ein sogen. Fixgeschäft im Sinne des Att. 357 a. a. O. anzusehen. Die Entscheidung des Appellrichters unterliegt hiernach wegen Verletzung des Att. 356 HGB durch Nichtanwendung der Vernichtung. Für die anderweite Entscheidung in der Sache selbst ist zunächst von Wichtigkeit, daß es in der That an jedem Anhalt für die Annahme gebricht, die Natur des Ge­ schäfts habe die Gewährung einer Nachftist nicht zugelaffen daß ferner Beklagter nirgend behauptet hat, die im Att. 356 vorgeschttebene Fttst dem Kläger zur Nachholung der Lie­ ferung gewähtt zu haben. Die zu den Akten gelangten Bttefe ergeben hierüber nichts. Im Schreiben v. 22. April 69 spricht Beklagter nur seine Verwunderung über die bisher nicht erfolgte Lieferung und die Erwartung der baldigsten Absendung der Waare aus, und im Schreiben v. 3. Mai 69 beschränkt er sich darauf, das Geschäft wegen verzögerter Liefemng für annullirt zu erklären. — Es fragt sich aber noch, ob nicht die Anwendbarkeit des Art. 356 aus dem Grunde ausgeschloffen sei, weil der Kauf unter einer be­ sonderen, auf die Zeit der Erfüllung sich beziehenden Be­ dingung abgeschloffen wurde. Schon in der Klagebeantwottung findet sich die bestimmte Behauptung, der Kauf sei unter der Bedingung abgeschlossen, daß die Liefemng der Waare „bis Anfang .April 69" zu erfolgen habe.

38

Wäre dies richtig, so würde allerdings der Art. 356, wie schon Art. 357 ergiebt, von der Anwendung ausgeschlossen sein. Jene Behauptung wurde indessen vom Kläger mit derselben Entschiedenheit, unter Annahme des darüber­ eventuell angetragenen Eides, bestritten. Zur Führung des Gegenbeweises verlangte Kläger die Edition der über den Kauf errichteten, im Besitz des Bell, befindlichen Urkunde. Dem Editionsgesuch wurde entsprochen und vom Bell, eine Privaturkunde v. 13. April 69 vorgelegt, worin Kläger bekennt, die Waare dem Bekl. unter den im Brief v. 1. März 6!> enthaltenen Konditionen verkauft zu haben. Beklagter er­ klärte sich außer Stande, den in der Bertragsurkunde an­ gezogenen Brief v. 1. März 69 zu ediren;... später wurde vom Kläger auf Erfordern des Prozeßgerichts eine Kopie des Briefes vorgelegt. Diese, vom Bekl. ausdrücklich aner­ kannte, Kopie enthält keine Andeutung über die vom Bekl. behauptete Bedingung. Bei solcher Sachlage durfte der I. Richter mit Recht annehmen: der Vertrag sei unter der streitigen Bedingung nicht geschlossen. In der Berufungs­ schrift kam gleichwohl Beklagter auf die Behauptung zurück, die Bedingung sei allerdings vereinbart, indem er erläuternd bemerkte: der Kauf sei am 11. März 69 mündlich unter der Bedingung geschlossen, daß „bis Anfang April 69" zu

liefern sei, und, wie er später hinzufügte, die Urkunde v. 13. April 69 am 13. März ausgestellt, also unrichtig, datirt. Kläger hat seinen Widerspruch aufrecht erhalten und den von neuem angetragenen Eid acceptirt. Wie schon bemerkt, durfte der I. Richter die streitige Bedingung für nicht vereinbart erachten. Denn sie ergab sich weder aus der vom Bekl. selbst edirten Vertragsurkunde, noch aus deren relatum, dem anerkannten Briefe v. 1. März 69, ohne daß vom Bekl. gerügt wäre, die produzirteu Urkunden gäben über den Inhalt des Vertrags keine vollständige

39

Auskunft. Eine solche Unvollständigkeit ist erst in H. In­ stanz behauptet, die Behauptung verdient jedoch keine Rück­ sicht. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieselbe nicht schon deshalb für unerheblich erachtet werden müsse, weil sie nur durch Eidesdelation unter Beweis gestellt ist, der Schiedseid aber in Gemäßheit der Vorschrift § 289 b AGO 1 10 ausgeschlossen bleibt. Die Unerheblichkeit ist noch aus einem anderen Gmnde unbestreitbar. Nach Behauptung des Bekl. soll die Bedingung am 11. März 69 mündlich ver­ einbart sein. Die vom Kläger ausgestellte schriftliche Vertragsurkunde gehört aber einer späteren Zeit an; nach dem Datum, welches sie trägt, ist ihre Ausstellung am 13. April 69 erfolgt, nach, der nicht unwahrscheinlichen Be­ hauptung des Bekl.der richtigeAusstellungstagder!3.März69. Unter allen Umständen ist die Urkunde also erst nach jener angeblichen mündlichen Vereinbarung verfaßt und ausge­ folgt. Hat aber Beklagter die Urkunde, welche in Ver­ bindung mit ihrem relatum über die streitige Bedingung schwieg, obschon es sichtbar ihr Zweck war, die Bedingungen des Geschäfts schriftlich zu fixiren, ohne Widerspruch an­ genommen: so hat er stillschweigend sich damit einverstanden erklärt, daß die streitige Bedingung auf sich beruhen soll« und in dieser Hinsicht der.mündlich vereinbarte Vertrag eine Aenderung zu erleiden habe. Ein anderes Verständ­ niß läßt sein Verhalten, zumal nach den im kaufmännischen Verkehr herrschenden Gebräuchen, nicht zu. (Art. 279 HGB) Die Unerheblichkeit der erwähnten Behauptung ergiebt unmittelbar die Verpflichtung des Bekl., dem ermäßigten Klageantrag gemäß das vereinbarte Kaufgeld zu zahlen.

40 Nr. 5.

I. Senat. — Erkenntniß v. 3. Okt. 71. (Z.) (Brom

Pre«tze«.

Patria (Nr. 557 v. 71.)

Wechselsache.

Revisto«.

I. Instanz: Stadtgericht Berlin, IL Instanz: Kammergericht daselbst. DomizUtrung, LüSea im Wechsel, «achfichtwechsel, Präsevtationsort, Präfe*tatto» »ud Verfall. Lktiengesellschaft, vestaud tmb ftatutenmäßigeVerfahreu. Liquidität im Wechselprozeß.

1. Eigene domizilirte Nachfichtwechsel find — sofern nicht im Wechsel Besonderes bestimmt worden — behufs Feststellnng des Verfalltages (zur Sicht) dem Aussteller in dessen Wohnort, demnächst aber zur Zahlung im Domizil zu prasentireu. Gilt wegen Nichtbeneunung eines Domizlliaten der Aussteller selbst als Zahler im Domizil, fo bedarf eö gegen ihn, wenigstens zur Erhaltung des Rechts auf die Wechselsumme, weder einer Präsentation uoch einer Protesterhebuug. DWO Art. 19, 91, 98 Nr. 3, 99; vgl. unten Fall 13.

2. Person des Domiziliaten. Kann das Sekretariat eines Gerichts dafür gelten? Auslegung eines bezüglich der Domizilirung lückenhaften Eigenwechsels, dessen Verfall auf eine bestimmte Zeit nach 'Sicht gestellt worden. Unstatthaftigkeit einer Ergänzung der durch den Wechsel nicht gegebenen Bestimmungen aus anderweitigen Akten (vgl. Rspr. I S. 49 Nr. 1, H S. 377). 3. Länge der Präsentationsfrist für Sichtwechsel; DWO Art. 19, 98 Nr. 3. 4. Die Klageerhebung drückt deu Willen aus, deu etwa noch uicht eingetreteneu Verfalltag des Wechsels herbeizuführeu. Die Klägebehandiguug kann daher die mangelnde Vorlegung des Wechsels zur Sicht ersetzen. DWO Art. 4 Nr. 4, Art. 19, 98.

41

5. Beurtheilung des Bestandes und des statutenmäßigen Verfahrens einer als Wechselgläubiger klagenden Aktiengesellschaft. 6. Zur Liquidstelluug eines Ewwands im preu­ ßischen Wechselprozeß ist die Berufung auf e;st zu edireude Handelsbücher oder auf Gerichtsakten, ohne nähere Bezeichnung der darin enthaltenen Beweismittel und Be­ weisstellen, nicht geeignet. Preuß. Ges. v. 15. Febr. 50 § 7.

Ueber vorstehende Punkte hat sich das OHG in einer altpreußischen Wechselsache dahin ausgesprochen.

EMschtilmngSgründe: Beklagter hat als Aktionär der FeuerversicherungsAkttengesellschaft „Patna" zu Berlin über 80 Prozent der von ihm gezeichneten Aktien formularmäßige Wechsel über je 150, 300 und 350 Thlr. ausgestellt. Nach Beschluß des Benvaltungsraths der klagenden Gesellschaft ist deren Direktor mit Einziehung der Wechsel über je 150 Thlr. beauftragt, auch Beklagter statutenmäßig zu deren Einzahlung binnen 14 Tagen aufgefordert. Nunmehr wird aus fünf Wechseln geklagt, welche übereinstimmend lauten: „Actie Nr.* = Thlr. 150 = Vierzehn Tage nach Vorzeigung zahle ich gegen diesen meinen Wechsel an die Feuerversicherungs-Aktiengesell­ schaft „Patria" zu Berlin oder deren Ordre bei ... . in Berlin die Summe von Einhundertundfünfzig Thalern und leiste zur Verfallzeit prompte Zahlung nach Wechsel­ recht, insofern dieser Wechsel binnen fünfzig Jahren, angerechnet vom 26. September 1868, dem Tage der landesherrlichen Genehmigung der Errichtung der Ge­ sellschaft, längstens also bis zum 26. September 1918, bei dem von .... erwählten Domiziliaten in Berlin präsentirt wird. Schwartau, 30. Juli 1869. I. G. Groen."

42 Sämmtliche Wechsel sind, laut notariellen Protests, am 22. Mai 71 auf dem Sekretariat des Berliner Stadt­ gerichts* vergeblich zur Sicht präsentirt worden. Am 25. Mai hat Klägerin den Beklagten wiederholt zur Wahl eines Domiziliaten und zur Zahlung am Verfalltage auf­ gefordert. Am 6. Juni 71 find die Wechsel, da das Sekre­ tariat des Berliner Stadtgerichts verschlossen gefunden wurde, nach vergeblicher Erkundigung nach der Wohnung des Be­ klagten auf dem Berliner Einwohnermelde-Amt, Mangels Zahlung protestirt worden. Der in den Protesten angezogene § 7 des landes­ herrlich bestätigten Statuts der „Patria" lautet: Für den Rest von 80 Prozent des Nominalbetrages jeder Aktie, also über 800 Thaler, hat jeder Aktionär drei Solawechsel nach ^bestimmten) Formu­ laren auszustellen. Diese Solawechsel sind einen Monat vor Ablauf der in den ausgestellten Exem­ plaren angegebenen Präsentationsfrist zu erneuern... Die Aktionäre haben in Berlin Wechseldomizil zu erwählen. Alle Insinuationen erfolgen giltiger Weise an die in diesem Domizil wohnenden, von den Aktionären zu bestimmenden Personen, nach Maaß­ gabe der 88 20 und 21 AGO I. 7, und in Er­ mangelung der Bestimmung der Person auf dem Sekretariat des Stadtgerichts zu Berlin. In den statutenmäßigen Formularen ist die Lücke am Schluß der vorliegenden Wechsel mit „mir" ausgefüllt: „bei dem von mir erwählten Domiziliaten in Berlin." — Beklagter hat sich vor dem Stadtgericht Berlin ein­ gelassen, aber Abweisung der Klage, theils aus Gründen des Wechselrechts, theils aus anderen Gründen begehrt. * Da- heißt: im Zimmer Nr. 63 de» Gerichtsgebäudes, wo der allein anwesende Stadtgerichtt-Sekretair F. erklärte, er habe keinen Auftrag, auf die vorgelegten Wechsel einen Präsentation-vermerk zu setzen.

43 Der I. Richter hat die Klage abgewiesen. Die Wechsel seien ungiltig, weil sie ausdrücklich die Haftung des Aus­ stellers von der Präsentation bei dem erwählten Domizi­ liaten abhängig machen, der Domiziliat aber im Wechsel nicht benannt sei, und es auf Statut oder mündliche Uebereinkunft in dieser Beziehung nicht ankomme. Der Appellrichter hat abändernd nach dem Klageantrage [auf Zahlung der Wechselsummen von 750 Thlrn. nebst 6°/o Zinsen seit 6. Juni 71, auch von 7% Thlrn. Protest­ kosten und 2'/, Thlrn. Provision) erkannt. Unter Verwerfung der anderweitigen Einreden wird ausgeführt, daß die unter« lassens Benennung des Domiziliaten den Wechsel nicht un­ giltig mache, vielmehr die formularmäßige Klausel „bei dem von .. . erwählten Domiziliaten" nichtssagend sei, z. B. wenn ein in Berlin wohnender Aktionär den Wechsel aus­ gestellt hätte; daß Beklagter nach § 7 des Statuts der „Patna" in Berlin Wechseldomizil gewählt und daher die Präsentation auf dem Sekretariat des Stadtgerichts giltig, und vermöge der wechselmäßigen Präsentationsfrist am 22. Mai 71 zeitig erfolgt sei. Gegen dieses Urtel hat Beklagter Revision eingelegt und Wiederherstellung des I. Erkenntnisses begehrt. Diesem Anträge konnte jedoch in der Hauptsache nicht entsprochen werden. I. Anlangend zunächst die Einwendungen gegen die Giltigkeit oder Wirksamkeit der eingeklagten Wechsel aus Gründen des Wechselrechts, so kann weder mit dem L Richter die Ungiltigkeit der Wechsel angenommen werden, noch ist dem II. Richter darin beizutreten, daß durch die Präsentation der Klagewechsel (am 22. Mai 71) auf dem Sekretariat des Stadtgerichts zu Berlin deren Verfalltag festgestellt worden sei. In den Klagewechseln sind zwei Theile zu unterscheiden. Der erste Theil, lautend:

44

„Vierzehn Tage ... leiste zur Berfallzeit prompte Zahlung nach Wechselrecht", stellt einen vollständigen eigenen domizilirten Nachsichtwechsel ohne Benennung eines Domiziliaten vor. Der zweite Theil, lautend: „insofern dieser Wechsel . .. präsentirt wird", enthält einen ... erweiternden Zusatz. Stände nämlich der erste Theil allein, so wären die Wechsel 1. behufs Feststellung des Verfalltages (zur Sicht) dem Aussteller und zwar in dessen Wohnort, somit in Schwartau (DWO Art. 97) — nicht im Domizil — zu präsentiren gewesen, da der Domizilvermerk an sich ledig­ lich die Zahlung, nicht auch anderweitige Wechselakte, be­ trifft; längstens aber binnen zwei Jahren nach der Aus­ stellung (DWO Art. 98 Nr. 3, Art. 19); ob die Unterlassung rechtzeitiger Präsentation zur Sicht die beklagterseits be­ hauptete „Verjährung", richtiger die Präjudizirung des eigenen Wechsels auch dessen Aussteller gegenüber zur Folge gehabt haben würde, darf, als in vorliegendem Falle unerheblich, unerörtert bleiben*; 2. behufs Zahlung an dem durch das Datum der Sicht bestimmten Verfalltage — längstens aber nach Hin­ zurechnung der beiden Protesttage, DWO Art. 41 — dem Aussteller im Domizil, somit in Berlin, zu präsentiren gewesen; DWO Art. 99. Die Verspätung dieser Präsen­ tation würde indessen eine Präjudizirung der Klagewechsel nicht bewirkt haben. Denn die Präsentation zur Zahlung bedingt bei eigenen Wechseln den Anspruch auf die Wechsel­ summe nicht, Nürnberger Novelle Art. 1, Nr. 8 (preußisches Gesetz v. 27. Mai 63), • Die Frage ist vom OHG entschieden verneint worden durch Erk. v. 10. Ott. 71, unten Fall Nr. 13.

45 und es findet davon eine Ausnahme nur bei domizilirten Wechseln mit benanntem Domiziliaten statt,

DWO Art. 99, vgl. Art. 43, 44. Gilt, wegen unterlassener Benennung eines Domizi­ liaten, der Aussteller selber als Zahler im Domizil: so

bedarf es, nach wohlbegründeter fester Praxis, zur Erhaltung mindestens des Rechts auf dieWechselsumme gegen den Aus­

steller, der Präsentation undProtesterhebungimDomizilnicht*. Naturgemäß und unter Berücksichtigung des unstrei­

tigen Umstands, daß Beklagter als Aktionär der klagenden Gesellschaft nach § 7 des Statuts verpflichtet war, über

80 Prozent des Nominalbetrages der gezeichneten Aktien

formularmäßige, den Klagewechseln entsprechende Solawechsel zu zeichnen, ist davon auszugehen, daß derselbe eine giltige und unbedingte Wechselverpflichtung habe auf sich nehmen

wollen.

Dieser Wille findet im ersten Theil der Urkunde

seinen unzweideutigen und durchaus vollendeten Ausdruck.

Nichts spricht dafür, daß die allerdings gewollte Bezeich­ nung eines Domiziliaten von dem Revidenten als Be­

dingung seines doppelten Zahlungsversprechens „vierzehn Tage nach Vorzeigung zahle ich" und „leiste prompte Zahlung

nach Wechselrecht" gemeint sei. Jedenfalls hat solcher Wille im ersten Theil der Urkunde keinen Ausdruck gefunden, und, auf diesen allein gesehen, verblieb es bei der gesetz­

lichen Regel, daß bei unterlassener Bezeichnung des Domi­

ziliaten der Aussteller selber im Domizil zu zahlen habe. Dem entgegen enthält freilich anscheinend der zweite Theil der Urkunde in dem Worte „insofern" eine Beschränkung

und Bedingung des Zahlungsversprechens. Der wahre Sinn dieser Klausel jedoch ist ein anderer, nicht eine Beschränkung,

sondem eine Erweiterung der Wechselverpflichtung, und

zwar in dreifacher Richtung: • Dgl. Hartmann DWR S. 228, 473; Hofsmann, Erläuterung der DWO S. 653.

ausführliche

46 a) An Stelle der höchstens zweijährigen gesetzlichen Präsentationsfrist tritt eine nahezu fünfzigjährige, nämlich 50 Jahre gerechnet v. 26. Septbr. 68 ab, und zwar für die Vorzeigung, nicht für die Zahlung. b) An Stelle der gesetzlich erforderlichen Präsentation zur Sicht im Wohnort des Ausstellers tritt die für den Aussteller beschwerendere Präsentation im Domizil, indem, was durchaus statthaft erscheint, der gesetzliche Präsentations­ ort vertragsmäßig durch einen anderen Ort ersetzt ist: das Wechseldomizil, das heißt: der wechselmäßige Zahlungsort soll nicht nur als solcher, sondern zugleich als Präsentations­ ort des Wechsels zur Sicht gelten. c) An diesem Orte soll endlich die Präsentation nicht dem Aussteller, sondem dem vom Aussteller gewählten Domiziliaten geschehen. — Die Folge der Nichterwählung eines Domiziliaten könnte nun nach dem Willen der Betheiligten eine dreifache sein: die ganze Wechselverpstichtung ist hinfällig; die ganze Erweiterung der Wechselverpflichtung nach Zeit und Ort der Präsentation ist hinfällig; es fällt nur die Präsentation an den Domiziliaten fort, es hat also zwar im Domizil, aber dem Aussteller selbst — Nach Analogie der Präsen­ tation zur Zahlung — die Vorzeigung zu geschehen. Diese letzte, schwächste Wirkung der Nichtbezeichnung eines Domiziliaten liegt dem vermuthlichen Willen der Betheiligten, welche ersichtlich eine unbedingte Wechselverpflichtung mit erweiterter Präsentationszeit gewollt haben und um der leichten Realisirung der Aktienzeichnungen willen beabsich­ tigen mußten, — daher auch die Fassung der statutenmäßigen Wechselformulare — am nächsten. Dem Einwurf, daß der Aussteller der Wechsel sich unmöglich auf die Trauer von 50 Jahren habe anheischig machen können, im Domizil behufs der Vorzeigung anwesend zu sein, steht entgegen, daß der Aussteller durch Benennung eines Domiziliaten

47 dieser Schwierigkeit entgehen konnte, daß er die statuten­ mäßige und in vorliegendem Falle erfolgte vorgängige Auf­ forderung zur Einzahlung erwarten durfte, und daß er sich selber zuzuschreiben hat, wenn er durch unterlassene Bezeich­ nung eines Domiziliaten sich außer Stand gesetzt hat, im Domizil für die Zahlung zu sorgen. Hiernach war weder die Wechselverpflichtung überhaupt, noch die vertragsmäßige Erweiterung derselben durch die Bezeichnung eines DomizUiaten bedingt, sondem lediglich die Präsentation beim Domiziliaten, und auch diese so be­ dingte Verpflichtung war nicht unwirksam, weil die Be­ dingung keineswegs auf die ganz bestimmte Willkür (die Diera voluntas) des Ausstellers, sondem auf eine, aller­ dings in dessen freiem Willen stehende Handlung, die Be­ nennung eines Domiziliaten, gesetzt war. ALR Th. I Tit. 4 § 108 ff.

Diese Bedingung ist jedoch ausgefallen. Unstreitig sollte die Benennung des Domiziliaten zunächst durch den Aussteller erfolgen, wie denn auch die Wechselformulare die Lücke hinter dem Worte „von" mit „mir" ausfüllen. Aber weder die Aussteller, noch auch nur die Klägerin — wenn anders ihr dieses Recht zustand — hat den Domiziltaten wechselmäßig benannt. Dieser Mangel kann weder, wie der Appellrichter* annimmt, durch § 7 des Statut- be­ seitigt werden, zumal „das Sekretariat des Stadtgerichts zu Berlin" nicht eine zur Zahlung befähigte Person — DWO Art. 24, 43, 99 — sondern höchstens eine Zahlungs­ stelle ist, und da aus der statutenmäßigen Erwählung des „Wechseldomizils" in Berlin, von ihrer etwaigen prozessualen • dan •/. wegen DWO tation tariat

In der gleichliegenden Berliner Nichtigkeitsbeschwerdesache Jor­ Patria, Nr. 568 v. 1871, ist das Urtel des Kammergerichts — Verletzung des Art. 4 Nr. 8, 19, 24, 43, 44, 98 Nr. 3, 69, 91 — vernichtet worden, weil es davon ausging, daß die Präsen­ der Klaaewechsel zur Sicht giltig auf dem Stadtgerichts-Sekre­ habe geschehen dürfen, Erk. des OHG I. Sen. v. 3. Okt. 71.

48 Bedeutung abgesehen, nur folgt, was der Wechsel selber ergiebt, nämlich daß in Berlin zu präsentiren und zu zahlen war; noch auch durch die von der Klägerin behauptete Ver­ einbarung ersetzt werden, zumal Klägerin einen Domi­ ziliaten nicht benannt hat; endlich das bloße Versprechen des Bell., die Wechsel im Bureau der Klägerin einzulösen, selbstverständlich nicht eine Bestellung der Klägerin zum Domiziliaten, das heißt: zum Zahlungsleister, enthält. In Folge Ausfalls der Bedingung waren die Wechsel dem Aussteller zu Berlin in gewöhnlicher Weise zur Sicht zu präsentiren. Es mußte somit gehörig festgestellt und im Protest bemerkt werden, daß ein Geschäftslokal oder eine Wohnung des Bell, in Berlin nicht zu ermitteln sei; DWO Art. 91. Die nur auf dem Sekretariat des «Stadtgerichts zu

Berlin am 22. Mai 71 erfolgte Präsentation der Klage­ wechsel zur Sicht ist somit unwirksam, und diese Un­ giltigkeit der Präsentation zur Sicht zieht selbstverständlich die Ungiltigkeit der späteren Präsentation zur Zahlung nach sich. Damit fallen die Kosten der beiden Proteste, die Verzugszinsen v. 6. Juni 71 ab und die, ohnehin zur Un­ gebühr verlangte, Provision. Anlangend hingegen die W e ch s e l summe, so ist in Betracht zu ziehen, daß, da Beklagter zwar die Giltigkeit der Wechsel bestritten, deren Richtigkeit und Echtheit dagegen anerkannt hat, es eines besonderen Borlegungsakts der mit der Klage eingereichten OriginalWechsel nicht bedurft hat, die Klageerhebung aber den Willen in sich schließt, den etwa noch nicht eingetretenen Verfalltag der Wechsel herbeizuführen, und hier­ nach prozessualisch der Tag der Klagebehändigung als derjenige Tag zu erachten ist, von welchem an die vier­ zehntägige Nachsichtfrist zu laufen begonnen hat. Somit ist Beklagter mit Ablauf des 29. Juli 71 in Verzug ge­ rathen, einer weiteren Präsentation zur Zahlung bedurfte

49



es nicht, und von diesem Tage an sind Verzugszinsen zu

entrichten, sofern nicht etwa dem Bell, anderweitige Besreiungsgründe zur Seite stehen.

II. Beklagter hat eingewendet: 1. Die klagende Gesellschaft sei erst mehrere Monate nach Ausstellung der Wechsel in das

Handelsregister

eingetragen. Daß hieraus kein die Form des Wechsels betreffender

Einwand entnommen werden kann, hat bereits der Appell­

richter ausgeführt, da Art. 96 Nr. 3, Art. 4 Nr. 3 DWO

nur die Angabe des Namens oder der Firma des Remit­ tenten erfordern, nicht auch die Existenz der damit bezeich­

neten Person.

Hätte freilich der benannte Remittent nie­

mals existirt, so hätte gegen ihn eine Verpflichtung nicht

erwachsen können; seine bloße Nichtexistenz zur Zeit der

Wechselausstellung hindert nicht, daß die zu seinen Gunsten vor seiner Existenz gegen Dritte eingegangenen Verpflich­ tungen mit dem Augenblick seiner Entstehung in Kraft treten. Dieser Fall liegt hier augenscheinlich vor.

2. Eine sogen, exceptio doli, und zwar in fünffacher Richtung:

a) Nach § 6 des Statuts sei Vorbedingung der Existenz der Gesellschaft, daß mindestens 1000 Aktien gezeichnet und den Bestimmungen des § 7 gemäß vollständig eingezahlt

bzw. belegt sind.

Bis jetzt seien über höchstens 400 bis

500 Aktien „in Wirklichkeit" gezeichnet. b) Klägerin habe nur scheinbar vor der königlichen

Aufsichtsbehörde den Nachweis erbracht, daß 1000 Aktien

nach § 7 des Statuts vollständig eingezahlt, bzw. belegt

seien.

Die Zeichnungen seien theilweise Scheinzeichnungen

gewesen, die Baareinzahlungen fingirt. Die landesherrliche Genehmigung sei somit erschlichen, und das Privileg der

Gesellschaft nach § 6 Abs. 5 des Statuts erloschen.

c) Die restirenden 80 Prozent der Aktien seien als IV.

4

50 Nachschüsse nur einzuziehen, wenn die Einschüsse, d. h. die ersten 20 Prozent, eingezahlt und aufgebraucht seien, was bisher nicht überall geschehen. Es sei dolus der Klägerin, einen Theil der Aktionäre auf Kosten der anderen zu be­ günstigen. d) Die statutenmäßige Voraussetzung für die Einziehung der Wechsel, nämlich deren Nothwendigkeit in Folge einge­ tretener Schäden oder sonstiger Verluste der Gesellschaft, sei von Klägerin nicht dargelegt, liege auch nicht vor. e) Klägerin könne anerkanntermaaßen in der bisherigen Weise nicht fortbestehen, beabstchtige auch, über sich Konkurs eröffnen zu lassen. Der letzte Einwand ist offenbar unerheblich, da er die Rechte der noch bestehenden Gesellschaft nicht zu mindern

vermag. Anlangend das behauptete Erlöschen des landesherr­ lichen Privilegs (b), so war nach § 6 Abs. 4 des Statuts die erfolgte Einzahlung, bzw. Belegung von 1000 Stück Aktien der königlichen Aufsichtsbehörde nachzuweisen. Abs. 5 bestimmt sodann: Dieser Nachweis muß binnen sechs Monaten, ange­ rechnet vom Tage der landesherrlichen Genehmigung zur Errichtung der Gesellschaft, geführt sein, widrigen­ falls diese Genehmigung und das ertheilte Privileg erlischt. Hat die königliche Aufsichtsbehörde unstreitig den ihr geführten Nachweis genügend befunden, so mag wegen Er­ schleichung gleichwohl das Präjudiz des Abs. 5 vom Landes­ herren ausgesprochen werden. So lange das nicht geschehen, entzieht sich die Frage von dem Fortbestand des Privilegs der richterlichen Kognition; Einleitung zum ALR §§ 68, 72. Anlangend den Einwand d, müßte jedenfalls der vor­ liegenden Wechselklage gegenüber vom Beklagten der Nachweis geführt werden, daß die statutenmäßigen Voraus-

51 setzungen eines solchen Beschlusses nicht vorlagen, wofür das

angezogene Cirkular der klagenden Gesellschaft v. 21. Jan. 71 keinerlei Anhalt gewährt. Der zu c erhobene Einwand des dolus, soweit er nicht mit dem vorstehenden Einwand zusammenfällt, beruht auf der irrelevanten Behauptung, daß andere Aktionäre bisher zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeit nicht angehaltm worden seien. Endlich vermag auch der Einwand a, wollte man ihn auch aus den zur Begründung des Einwands b aufge­ stellten Behauptungen ergänzen, nicht zur Abweisung der Wechselklage zu führen. Unerheblich ist zunächst, ob auf die gezeichneten Aktien die statutenmäßige Baareinzah­ lung von 20 Prozent und für den Rest die statutenmäßige Belegung mit Wechseln erfolgt ist. Denn nach dem zur Zeit der Errichtung der klagenden Gesellschaft geltenden Recht des HGB war die Einzahlung oder Sicherstellung des Grundkapitals, ganz oder zum Theil, kein Erforderniß für die Existenz einer Aktiengesellschaft. Erst das Bundes­ gesetz v. 11. Juni 70 (BdGesBl. Nr. 21), Art. 210 a Nr. 2, Art. 211 hat diesen, bisher nur für die Kommanditaktiengesellschaften — HGB Art. 177, 178 — geltenden Grund­ satz mit einigen Modifikationen auf die Aktiengesellschaften übertragen. Auch das Statut der klagenden Gesellschaft erfordert die Einzahlung, bzw. Belegung der Aktien nur für die „Eröffnung der Geschäfte"; § 6 Abs. 4, verbunden mit § 63. Anders würde eS sich mit dem Einwand verhalten, daß nicht das zur ursprünglichen Emission bestimmte Grund­ kapital der Aktiengesellschaft von 1000 Aktien gezeichnet worden. Indessen bedarf die Frage, ob in solchem Falle, ungeachtet erfolgter landesherrlicher Genehmigung und der Eintragung in das Handelsregister, die Attiengesellschast niemals zur rechtlichen Existenz gelangt ist, oder ob doch

52

mindestens den Zeichnern das Rücktrittsrecht und folgeweise die Befugniß zur Verweigerung weiterer Einzahlungen zu­ steht, in vorliegendem Falle der Entscheidung nicht. Denn Beklagter hat in Wahrheit gar nicht die Thatsache, daß 1000 Stück Aktien gezeichnet seien, in Abrede gestellt, son­ dern nur, daß sie „in Wirklichkeit" gezeichnet seien, und in der Appellationsbeantwortung sagt er ausdrücklich: „die Untersuchungsakten wider Scheibler, sowie die klägerischen Handlungsbücher werden ergeben, daß in Wirklichkeit, das heißt nach Abrechnung der nur zum Schein er­ folgten Zeichnung, von Aktien, noch nicht 1000 Aktien ... gezeichnet sind." In Verbindung damit steht die schon in der Klagebeantwortung aufgestellte Behauptung, es seien „viele Personen" veranlaßt worden, Aktien nur zum Schein zu zeichnen, indem ihnen die Baareinzahlung erlassen worden und gegen die ausgestellten Wechsel Gcgenreverse ertheilt seien, und das Zugeständniß der Revisionsschrift, daß „for­ mell" der königlichen Aufsichtsbehörde der statutenmäßige Nachweis geführt worden sei. Geht also die Behauptung nur dahin, daß die äußerlich (formell) erfolgte Zeichnung von 1000 Aktien theilweise simulirt gewesen sei: so entbehrt diese Behauptung der für den Wechselprozeß nach § 7 des spreuß.) Ges. v. 15. Febr. 50 erforderlichen Beweisan­ tretung. Denn die allerdings unter Eidesdelation aufge­ stellte Behauptung der Klagebeantwortung, „daß bis jetzt höchstens 400 bis 500 Aktien in Wirklichkeit gezeichnet worden, und daß Klägerin noch immer damit befaßt sei, den Rest der Aktien unterzubringen", ist nicht ausreichend substantiirt. Die gleichfalls mittelst eventueller Eidesdelation zu erweisende Behauptung, daß „viele Personen veranlaßt wurden, Aktien nur zum Schein zu zeichnen", ist unerheblich, weil nach Abrechnung dieser Personen noch immer die er­ forderliche Zahl von Aktien ernstlich gezeichnet sein kann*. * Dgl. Nachtrag, unten S. 53.

53 Für die weitere, allerdings erhebliche und bestimmte Be­ hauptung, daß nach Abrechnung der nur zum Schein er­ folgten Zeichnungen von Aktien noch nicht 1000 Aktien gezeichnet seien, hat Beklagter lediglich durch Berufung auf die klägerischen Handlüngsbücher, auf die Unter­ suchungsakten wider Scheibler, und auf die Akten des Berliner Stadtgerichts in Sachen Patria Enkewordt Beweis angetreten. Erst zu edirende Handlungsbücher aber und Gerichtsakten — ohne nähere Bezeichnung der darin enthaltenen Beweismittel und Beweisstellen — sind nicht als geeignete Urkunden im Sinne des 8 7 des [preufc.] Ges. v. 15. Febr. 50 zu erachten. Mußte hiernach auch dieser Einwand des Bekl. min­ destens im Wechselprozeß verworfen werden, so war das angefochtene Urtel, soweit es die Wechselsumme nebst Ver­ zugszinsen v. 30. Juli 71 ab angeht, zu bestätigen, mit der Mehrforderung hingegen Klägerin abzuweisen. Auf den Kostenpunkt hat diese Abänderung keinen Einfluß; AGO Th. I Tit. 23 § 10, § 3 Nr. 2. Nachtrag. In der übrigens gleichltegenden, auch dm 3. Okt. 71 vom I. Senat des OHG entschiedenen Revisionssache des Dr. Lüdecking die Patria (Nr. 558 v. 71) hatte Be­ klagter zu II, 2, a (oben S. 49) noch eingewendet, daß im Aktienbuch der klagenden Gesellschaft nur 970 Aktien als gezeichnet und ausgegeben eingetragen ständen. Dies fand keine Berücksichtigung, weil hier zwar Beweis (durch Eidesdelation) angetreten wäre, aber doch nur über den Inhalt des Aktienbuchs, somit über ein bloßes Be­ weismittel, was im saltpreuß.) Wechselprozeß nicht ausreiche. Ferner ward in dieser Sache erachtet, zur Anfechtung

des den Gesellschaftsdirektor zur Einziehung der Wechsel

54 ermächtigenden Beschlusses des Berwaltungsraths (vgl. vor­ her II, 2, d; S. 50) sei Beklagter schott um deswillen nicht befugt, weil er selbst als Mitglied des Verwaltungsraths an dem betr. Beschluß sich betheiligt hatte. Das Erk. des OHG ist vollständig mitgetheilt in Siebenhaar's Archiv für DWR und HR, Neue Folge B. IV S. 28 ff. ______ Nr. 6.

II. Senat. — Erkenntniß v. 4. Gkt. 71. (3.) Dahlheim •/- Aktiengesellschaft Papierfabrik ja Kottewitz (Rr. 373 v. 71).

Königreich Sachse«.

Weitere Berufung.

I. Instanz: Gerichtsamt Pirna, IL Instanz: Appellationsgericht Dresden.

Aktiengesellschaft, Erklärungen des Vorstands.

VertragSauSlegnng.

1. Wenn eine Aktiengesellschaft statutenmäßig durch schriftliche Willenserklärungen ihre- Vorstands nur, falls diese vou zwei Borftandsmftgliederu unterzeichnet find, ver­ pflichtet wird: so ist anzunehmen, daß auch mündliche Erklärungen (in Ermangelung anderweitiger Bestimmungen) für die Gesellschaft mir von 2 Vorstandsmitgliedern vereint wirksam abgegeben werden köuueu. HGB Art. 227, 229.

2. Beispiel derVertragsauslegung, zu HGB Art. 278,279. Kläger erhebt gegen eine, Papierfabrikation treibende Attiengesellschaft Ansprüche auf Grund mündlicher Zusiche­ rungen des Vorsitzenden des Gesellschafts-Vorstands. Be­ klagte erkennt theils die Befugniß dieses Vorsitzenden zur Abgabe bindender Erklärungen nicht an, theils wendet sie sachlich ein, daß die vom Kläger nachgewiesene Fabrikations­ methode wegen der Kostspieligkeit unpraktisch und deshalb dafür nichts zu vergüten sei. Kläger wird abgewiesen.

Eotschridungsgründe deS OHG: 1) Das HGB bestimmt im Art. 227, daß der Vor­ stand einer Aktiengesellschaft aus einem oder mehreren

55 Mitgliedern bestehen könne, und im Art. 229, daß der Vor­ stand in der durch den. Gesellschaftsvertrag bestimmten Form seine Willenserklärungen kund zu geben nnd für die Gesellschaft zu zeichnen habe. Nachdem nun in den Statuten der beklagten Aktiengesellschaft ein aus drei Mitgliedern bestehender Vorstand vorgesehen und hinfichtlich schrift­ licher Willenserklärung bestimmt ist, daß selbe, wenn sie der Gesellschaft keine Verbindlichkeit auferlegt, von dem Vorsitzenden allein unterzeichnet werden könne, andernfalls aber noch von einem zweiten Direktorial­ mitglied unterzeichnet sein müsse, und nachdem ferner die erwähnten Statuten hinsichtlich mündlicher Willenserklä­ rungen eine Bestimmung nicht enthalten, daher angenom­ men werden muß, daß auf solche Willenserklärungen dieselben Bestimmungen, wie sie für schriftliche Erklärungen bestehen, anzuwenden sind, keinenfalls aber dem Vorsitzenden des Vorstands bei mündlichen Willenserklämngen ausgedehntere Befugnisse als bei schriftlichen zustehen können: so ergiebt sich, daß die Er­ klärungen, welche der Vorsitzende für sich allein dem Kläger gegenüber am 3. Aug. 70 mündlich abgegeben haben soll,

sammensetzt, schon vermöge deren Zusammenfügung in Ein Ganzes betrachtet- werden dürfe. Kläger ist auf diese Frage in der Ausführungsschrift zugekommeu. Sie liegt jedoch außerhalb des Bereichs des jetzigen Rechtsstreits, va Kläger gedachter Maaßen den Anspruch auf Rechtsschutz nur auf ein abgeleitetes Recht betreffs der Titelbestandthelle zurückgeführt hat. Zur Durchführung der ihm hier­ nach gestellten Beweisaufgabe gehörte aber allgemeinm Rechtsgrundsätzen nach ein Doppeltes: 1) der Nachweis, daß die Person, von welcher Kläger sein beanspruchtes Urheberrecht ableitete, in der That der Urheber sei, 2) der Nachweis, daß er von diesem Urheber das Urheberrecht als solches, mithin mit der rechtlichen Quali­

fikation, welche im Gegensatz zum bloßen individuellen Benutzungsrecht auch die Befugniß zum Ausschluß einer gleichen Berechtigung Dritter gewährt, abgetreten er­ halten habe. Nun lassen aber die aktenmäßigen thatsächlichen Fest­ stellungen der vorigen Instanz darüber keinen Zweifel, daß es, soviel das Recht an den Titelbuchstaben und Zahlen aulangt, an der Liquidstellung des Moments unter 1), in Betreff der Titelvignette aber an Konstatirung des Mo­ ments unter 2) gebricht. Ersteres deshalb, well die That­ sache der Urheberschaft, ist sie bestritten, nicht durch die einseitige und unbeschworene Versicherung Dessen, der sich für den Urheber ausgiebt — in der jetzigen Form schrift­ licher Erklärung nur scriptura pro scribente — zur

67

Rechtsgewißheit erhoben werden kann, Letzteres, weil die

Aussage

des

als Zeugen vernommenen Besitzvorgängers

Best nur die Auslegung zuläßt, daß er dem Kläger zwar die Benutzung eines Clichö des ihm eigenthümlich ge­

hörigen fraglichen Kunstwerks, nicht aber das Urheber­ recht an diesem selbst abgetreten habe, was schon um des­ willen nicht angenommen werden kann, weil ja die Ge­ stattung der Abnahme eines Clichö die

Zurückbehaltung

des Originals der fraglichen Illustration auf Seiten Best's voraussetzt, durch den Besitz des Originalkunstwerks aber

diesem im Zweifel das Recht weiterer Ausnutzung des daran

geknüpften Vermögensrechts

gewahrt blieb; während die

Behauptung Klägers, daß ihm Best unter Theilung des Verlagsrechts dasselbe in der Beschränkung auf Deutsch­ land

abgetreten

habe,

in

den

Aussagen

irgend eine Unterstützung nicht gefunden hat.

des

Zeugen

Wenn end­

lich Kläger einen Stützpunkt für die beantragte günstigere

Auffassung der Beweisergebnisse in den Vorschriften finden zu dürfen meint, welche das Bundesgesetz v. 11. Juni 70

im § 28 Abs. 3 über anonyme und pseudonyme Werke enthält:- so ist (ganz abgesehen von der Frage, ob die Be­ stimmungen des erwähnten Gesetzes auf die Verhältniffe

des

gegenwärtigen,

frühere

Thatsachen

behandelnden

Rechtsfalles, zumal den Dispositionen des rechtskräftigen Interlokuts gegenüber, an sich Anwendung leiden können) als entscheidend dem Kläger entgegenzuhaltm, daß über­ haupt dieses Gesetz auf Zeichnungen und Abbildungen

der jetzt in Rede stehenden Art — mithin auf solche, welche einen ästhetischen Zweck verfolgen, im Gegensatz zu belehren­

den Darstellungen (vgl. § 43) — sich nicht bezieht. Kann hiernach, und

zwar im Wesentlichen aus den

schon von der II. Instanz geltend gemachten Gründen, der

Nachweis als gelungen nicht angesehen werden, daß Kläger

betreffs der Bestandtheile des fraglichen Titels sich im Besitz 5*

68 eine- den Anspruch auf Schutz gegen Dritte bedingenden ausschließlichen Verlagsrechts befinde, und fällt damit der versuchte Schadenbeweis vom Standpunkt des Inter­ lokuts von selbst in fich zusammen: so mag doch noch da­ rauf hingewiesen werden, daß dem Kläger hierdurch selbst, verständlich nicht das Recht abgesprochen ist, seinen Entschädigungsanspmch, soweit er denselben auf ein vom Urheberrecht verschiedenes Fundament — insbesondere auf den durch Täuschung des Publikums betreffs der Identität des Werks bethätigten dolus — stützen zu können denkt, im Wege der gerichtlichen Aktionen zur Geltung zu bringen (vgl. Dambach, die Gesetzgebung des nordd. Bundes betr. das Urheberrecht S. 24), da gegenwärtig nur soviel gegen den Kläger feststeht, daß er vom Gefichtspunkt des Nachdrucks aus eine Schadenforderung nicht zu fundiren

vermag. Nr. 10.

I. Lenas. — Erkenntniß v. 6. Okt. 71. (I.) Wiewall /. Levy Gebr. » tto. (Nr. 606 v. 71).

I. Instanz: Handelsgericht Hamburg, II. Instanz: Obergericht daselbst. Wechfelanspruch und exceptio non adimpletl contractog. de- Klägers.

Arglist

Dem Wechselglänbiger steht der Einwand, daß er seiner Verbindlichkeit ans dem nnterliegenden Rechtsgeschäft nicht genügt habe, an fich — bei der formalen Natur des Wechsels — nicht entgegen. Nach Maaßgabe des Art. 82 DWO aber ist solche Einrede, wenn als exceptio doli generalis genügend snbstantiirt, zulässig. Vgl. Rspr. II S. 142, 374; III S. 76 ff.

In einer Hamburger Sache angenommen von OHG aus folgenden Gründen r Die Beklagte hat der ... Wechselklage den Einwand nicht empfangener Valuta nicht als exceptio compen-

69 sationis, fonbern als exceptio non adimpleti contractus, bzw. doli entgegengesetzt. Sie selbst hat jenem Einwand diesen rechtlichen Charakter beigelegt, auch würde zur Be­ gründung der Kompensationseinrede die Angabe der be­ stimmten Summe gehört haben, auf welche die geltend gemachte Gegenforderung sich belaufen haben soll. An solcher Angabe fehlt es hier, da Beklagte nur im Allgemeinen — immerhin unter urkundlicher Bescheinigung dieses Umstands — behauptet hat, daß ein von ihr acceptirter Wechsel zum Belauf von 4000 BcoMk. bis zum 2. Mai 71 — überein­ stimmend mit Belauf und Verfalltag des eingeklagten Wechsels — seitens der Kläger habe in Disconto genom­ men werden sollen. Ist hiernach eine exceptio compensationis als vor­ geschützt nicht anzunehmen, so bedarf es keines Eingehens darauf, ob ein Dokument, wie das von der Beklagten bei­ gebrachte Schriftstück, ausreiche, um im strengen Wechsel­ prozeß eine von der beklagten Partei dem Wechselkläger gegenüber geltend gemachte Forderung als in dem Maaße zur Liquidation gebracht annehmen zu können, daß da­ durch die Wechselklage, falls nicht etwa dem Kläger liquide Repliken zu Gebote stehen sollten, zerstört werde. Eine weitere Folge davon, daß dem von der Beklagten vorgebrachtrn Einwand der nicht empfangenen Valuta die Geltendmachung einer bestimmten, die Wechselforderung durch Kompensation aufhebenden Gegenforderung nicht zu Grunde liegt, ist es, daß jenem Einwand nur die Bedeutung einer Anfechtung der Grundlage der Wechselverbindlichkeit beigemessen werden kann. Eine 'solche Anfechtung des Wechsels ist aber bei dessen formaler Natur? nicht statt­ haft. Der Wechsel als solcher bleibt vielmehr selbst bei fehlender oder effektlos gebliebener causa civilis in Wirk­ samkeit. sVgl. unten Fall Nr. 25.] Ob Anfechtungsgründe der vorbezeichneten Art geeignet

70 sind, um nach Art. 82 DWO als Einreden zu dienen, hängt davon ab, ob ihnen die Kraft einer exceptio doli generalis beigelegt werden kann. Dazu reicht aber die bloße Behauptung und, falls im Wechselprozeß geklagt sein sollte, die damit verbundene Nachweisung des Umstands, daß auf Seiten des Klägers, der Uebernahme der Wechsel­ verbindlichkeit des Beklagten gegenüber, eine Leistung habe gemacht werden sollen, nicht aus. Vgl. Borchard, AD WO S. 463, 464 fRspr. I S. 198, 397; II S. 374]. Nr. 11.

II. Senat. — Erkenntniß v. 9. Okt. 71. (Res.) C. Müller -/. W. Müller (Nr. 517 v. 71).

Mecklenburg.

Wechselsache.

Querel.

I. Instanz: Magistratsgericht Schwerin, II. Instanz: Iustiztanzlei daselbst. Parteteid eines Meineidigen.

Kaiumnieneid des Deferenten.

1. Nach gemeinem Recht ist die Eideszuschiebung an einen bereits wegen Meineids bestraften Prozeßgegner statt­ haft, und ein solcher Meineidiger zur Ableistung des Schiedseids zuzulassen. Gemeinrechtliche Streitfrage. Vgl. Canon 14 causa XXII quaestio 6 Decr. Gratiani.

2. Auf Eideszuschiebung kann gemeinrechtlich in der Regel die Ableistung des Gefährde-Eides gefordert werden. L. 34 § 4, L. 37 Big. 12, 2. In einer Mecklenburger Wechselsache war die Eideszuschiebung an den bereits wegen Meineids bestraften Kläger vom I. Richter für unzulässig erklärt, vom II. Richter aber zugelassen, dem Kläger jedoch aufgegeben worden, den Eid zurückzuschieben oder sein Gewissen mit Beweis zu ver­ treten. Die betreffende „Querel-Entscheidung" ist auf An­ suchen des Klägers und Querulanten vom OHG aufgehoben

71 worden, welches entschieden hat, daß dem Kläger die Ab­

leistung des ihm vom Bekl.

zugeschobenen,

vom Kläger

acceptirten Eides bei Strafe der Eidesverweigerung auf­

gegeben werde, dem Beklagten jedoch obliege, in Betreff dieses von ihm dem Gegner zugeschobenen Eides vorab den

Gefährde-Eid abzustatten, widrigenfalls der Haupteid als

erlassen zu erachten. Da

die

hier

Gründe: zunächst zur

Anwendung

kommende

Mecklenburgische Partikular - Gesetzgebung keine Bestim­ mungen über die Zulässigkeit der Eidesdelation an einen Meineidigen und deren rechtliche Wirkungen enthält, auch

bei der Divergenz

der

Ansichten

Rechtslehrer und Gerichte

von

der

Mecklenburgischen

einem Gewohnheitsrecht,

welches sich aus einer konstanten Uebung der Gerichte ge­ bildet hätte, nicht die Rede sein kann, und es sich daher

lediglich um eine Frage des Gemeinen Rechts handelt, welches außer in Mecklenburg zur Zeit noch in einer Reihe anderer Deutscher Territorien gilt: so konnte das

OHG

sich einer eingehenden selbständigen Prüfung dieser Frage

nicht entschlagen. Dasselbe Ijat sich aber weder der Ansicht des I. noch derjenigen des II. Richters anschließen können, obwohl die letztere auch von dem Oberappellationsgericht

zu Rostock getheilt wird. Vgl. Buchka und Budde,

Entscheidungen B. VI S. 20,

21 und B. V S. 21, 22. Was zunächst das römische Recht anlangt, so darf es

wohl als zur Zeit unbestritten bezeichnet werden, daß das­ selbe ein Verbot der Zuschiebung des Schicdseides an einen

Meineidigen oder auch nur der Ableistung desselben durch einen Meineidigen nirgend enthält. Dagegen will man oieses letztere Verbot

in einer Stelle des canonischen

Rechts finden, nämlich im can. 14 causa XXII Quaest. 5 Decreti Gratiani, welcher lautet:

72 Parvuli, qui sine rationabili aetate sunt, non cogantur jurare ... Et qui semel peijuratus fuerit, nec testis sit posthoc, nee ad sacramentum accedat, nec in sua causa vel alterius jurator existat Bekanntlich ist diese Stelle aber einem Capitulare Karls des Großen aus dem Jahre 789 entnommen, und es kann daher keinem Zweifel unterliegen, daß dieselbe sich ursprünglich nur auf den dem germanischen Recht eigenen Eid, nicht aber auf den, dem fränkischen Gerichts­ verfahren jener Zeit noch durchaus unbekannten, Schieds­ eid bezogen hat. Es könnte sich daher nur darum handeln, ob ihr in Folge ihrer Aufnahme in die Sammlung des kanonischen Rechts eine weitergehende, auch auf den Schiedseid auszudehnende Bedeutung beizulegen sei. Hier­ für wird angeführt, daß in der Mitte des 12. Jahr­ hunderts, wo das Dekret Gratian's entstand und verfaßt wurde, um das damals für die Kirche geltende Recht darzustellen, den italienischen Juristen und insbesondere dem Verfasser des Decrets das römische Recht, aus welchem der­ selbe auch viele Bestimmungen in seine Sammlung aufnommen hat, schon bekannt gewesen sei, so daß ihm auch dessen Lehre vom Schiedseide nicht entgangen sein werde und die ganz allgemein lautende fragt Bestimmung da­ her auch vom Schiedseide gelten müsse. Allein diese Argu­ mentation würde nur richtig sein, wenn zur Zeit Gratian's der Schiedseid auch bereits in den geistlichen Gerichten üblich gewesen wäre; denn die Sammlung Gratian's sollte nicht das gesummte Recht, sondern nur das kirchliche Recht, letzteres allerdings einschließlich des Prozeßver­ fahrens, aber doch auch nur in den vor die geistlichen Gerichte gehörigen Streitigkeiten, darstellen. Davon aber, daß der römischrechtliche Schiedseid auch in den geistlichen Gerichten bereits eingebürgert gewesen sei, findet sich (un=

73 geachtet zahlreicher sonstiger prozessualer Bestimmungen) in Gratian's Sammlung noch keine Spur, und es fehlt daher an einer genügenden faktischen Voraussetzung, um anzu­ nehmen, daß Gratian bei der hier fraglichen Bestimmung auch den Schiedseid im Auge gehabt- habe, dessen dacanonische Recht vielmehr erst in den fast hundert Jahre jüngeren Decretalien Gregor's (cap. 36 lib. II tit 24) Erwähnung thut, ohne gleichwohl Modifikationen der da­ rüber geltenden Grundsätze des römischenRechts zu enthalten. Ebensowenig läßt fich aber die Behauptung begründen,

daß andere Stellen des canonische» Rechts — als welche namentlich c. 1 X. 5, 34 und c. 54 X. 2, 20 angeführt werden — auf die Anwendbarkeit der hier frag­ lichen Stelle auf jeden Eid, mithin auch auf den Schieds­ eid, hindeuteten. Es müßten daher schon andere, innere Gründe vor­ liegen, aus welchen die Unfähigkeit eines Meineidigen auch zur Ableistung des Schiedseids nach heutigem gemeinem Prozeßrecht abzuleiten wäre. Diese will man denn auch in dem nach heutigem Recht vorherrschenden Gesichtspunkt der Heiligkeit des Eides, als einer religiösen Handlung, und in der Verpflichtung des Richters, Meineide zu ver­ hüten, sowie in dem Umstand finden, daß jetzt der gericht­ liche Schiedseid eine Gestalt angenommen hat, in welcher er zugleich als ein Beweismittel erscheint, durch welches dem Richter die Ueberzeugung von der Wahrheit oder Nichtwahrheit der von ihm dem Gesetz zu subsumirenden Thatsachen verschafft werden soll. Allein bei näherer Er­ wägung erscheinen auch diese Gründe nicht als durchschlagend. Allerdings verdient die religiöse Seite des Eides und das Interesse des Staats daran, daß Religiofität und Sittlichkeit durch Mißbrauch des Eides nicht gefährdet

74 werde, auch beim Schiedseid volle Berücksichtigung, weshalb z. B. die der Eidesabnahme vorhergehende Admonition unb

Certioration des Schwörenden und unter Umständen die Zuziehung eines Geistlichen zu diesem Zweck hier ebenso wohl stattzufinden hat, wie bei anderen Eiden.

Aus dieser

höheren Rücksicht würde aber die Verpflichtung des Richters, den einmal wegen Meineids Bestraftm nicht wieder zum Eide zuzulaffen, nur dann zu folgern sein, wenn feststände, daß derselbe auch jetzt wieder falsch schwören werde, oder

wenn dies doch mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit angenom­

men werden müßte, was jedoch augenscheinlich eine ganz unzulässige und haltlose praesumtio doli sein würde. Offen­

bar beruht auch die gesetzliche Vorschrift, daß der Richter

den Meineidigen nicht als Zeugen und nicht zum noth­ wendigen Eide zuzulassen habe, auf einem ganz anderen

Grunde, nämlich auf dem Interesse des Prozeßgegners,

zu Gunsten deffen das Gesetz sehr wohl von der Auffassung ausgehen kann, daß der Meineidige sich durch sein Ver­

gehen des öffentlichen Vertrauens in so hohem Grade ver­ lustig gemacht und als ein so unglaubwürdiger Mensch erwiesen habe, daß es ungerechtfertigt sein würde, seiner eidlichen Betheuerung zum Nachtheil eines Dritten ferner­ hin Gewicht beizulegen. Wird aber dem Meineidigen vom Prozeßgegner selbst freiwillig der Eid zugeschoben, so fällt

diese Rücksicht weg.

Der Deferent zeigt durch die Eides­

zuschiebung, daß er seinerseits der Gewissenhaftigkeit des Delaten Vertrauen schenke, und der Richter darf füglich annehmen,

daß der Deferent die Gesinnungsänderung des

Delaten kenne; jedenfalls aber tritt hier die Eigenschaft des Schiedseids als eines gesetzlich gestatteten Vergleichmittels in den Vordergrund, welches keinen anderen als den gesetz­ lichen Beschränkungen unterliegt, so daß die Zulassung des­

selben seitens des Richters für diesen Letzteren auch dann

keinen Vorwurf begründen kann» wenn er seinerseits in

75 dem gegebenen Falle das Bertrauen des Deferenten nicht theilen sollte, denn dafür, daß unter keinen Umständen Meineide geschworen

werden, kann der Richter selbstver­

ständlich nicht einstehen.

Auch der hiergegen erhobene Ein­

wand, daß der gerichtliche Schiedseid in seiner heutigen

Gestalt die Natur eines Beweismittels angenommen habe, daß also durch ihn dem Richter die Ueberzeugung von

der Wahrheit oder Unwahrheit gewisser Thatsachen ver­ schafft werden solle, weshalb der Richter denn auch nur eidesfähige Personen zur Ableistung des Schiedseides zu-

zulaffen habe, ist nicht zutreffend. Denn der heutige gemein­ rechtliche Prozeß

beruht

wesentlich

auf

der Verhand­

lungs-Maxime, und es ist kein rechtlicher Grund ersicht­ lich, weshalb der Richter, welcher an ein Zugeständnis

einer Partei auch dann gebunden ist, wenn er gleich von beffen objektiver Unrichtigkeit überzeugt sein sollte, nicht

ebensowohl den in der Eideszuschiebung enthaltenen bedingten Verzicht des Produzenten gelten zu lassen hätte, obwohl

ihm seinerseits durch die Ableistung des Eides keine Ueber­ zeugung von der objektiven Wahrheit des durch den De-

laten Beschworenen gewährt zu werden vermag. Die Aus­ schließung solcher Personen vom Eide, welchen ein richtiges

Urtheil über die Bedeutung desselben (wegen jugendlichen Alters, Wahnsinns, Trunkenheit u. s. w.) abgeht, kann hier

offenbar nicht als Analogie dienen, weil jene Bestimmung

auf dem Mangel an rechtlicher Handlungsfähigkeit, bzw.

an dem zu den Erfordernissen jedes Eides gehörigen Judi­

cium in jurante beruht, welche Eigenschaften dem wegen Meineids Bestraften

lediglich aus diesem

Grunde nicht

abgesprochen werden können, da bei ihm nur der Wille, die Wahrheit zu beschwören (die veritas in mente) be­ zweifelt werden könnte, welcher Zweifel aber, da eine Un-

verbefferlichkeit des Meineidigen

nicht

vermuthet werden

darf, bei einem zu geschoben en Eide nicht in Frage kommen

76 kann.

Andererseits kann es auch nicht maaßgebend sein,

daß der

gerichtliche Schiedseid nur in Betreff rechtlich

erheblicher und daher zu beweisender Thatsachen zu­ lässig ist. Denn diese Beschränkung deffelben ist lediglich eine Folge davon, daß der mit der Zulaffung des Schieds­ eides, als gerichtlichen Beweismittels, für den Gegner

verknüpfte Zwang und Rechtsnachtheil nur in Betreff der Eide über solche Thatsachen als gerechtfertigt erscheint,

während der meineidige Prozeßgegner keinen Grund zur Beschwerde hat, wenn man ihn in Betreff der Eideszu­

schiebung anderen eidesfähigen Delaten gleichstellt. Zwar muß zugegeben werden, daß die Mehrzahl der

Rechtslehrer wie der höchsten deutschen Gerichte die hier vertretene Ansicht nicht

theilt

und vielmehr den Mein­

eidigen auch zur Leistung eines Schiedseides für unfähig erachtet.

Während aber die Meisten aus der Unfähigkeit

des Meineidigen zur Eidesleistung auch die Unzulässigkeit

der Eidesdelation an einen solchen folgern, halten wieder Andere die letztere zwar für statthaft, beschränken den Mein­

eidigen aber auf die Relation und Gewiffensvertretung, noch Andere aber halten sie wenigstens dann für statthaft, wenn der Meineidige freiwillig von der Relation oder Ge­ wiffensvertretung Gebrauch macht, und wiederum Andere suchen die vermeintliche Eidesunfähigkeit des Meineidigen

noch auf sonstige Weise möglichst unschädlich zu

machen. Allen diesen verschiedenen Ansichten stehen jedoch sehr er­

hebliche rechtliche und legislative Bedenken entgegen, und gerade dieser Umstand, sowie die auffallende Thatsache, daß

das gemeine Recht über die rechtlichen Folgen der angeb­ lichen Eidesunfähigkeit eines Meineidigen für den Schieds­ eid absolut schweigt, scheinen einen nicht unerheblichen in­

direkten Beweis für die Richtigkeit der oben dargelegten

Ansicht zu bieten, welcher es übrigens in älterer, wie in neuerer Zeit keineswegs an Vertheidigern gefehlt hat.

Dgl. Leyser Medit ad Fand. B. II Spec. 136 med. 6.

Eichhorn Grundsätze d. Kirchenrechts B. II S. 535.

EmminghanS in der Ztschr. für Rechtspflege und Verwaltung, Neue Folge B. 24 S. 385 ff.

Trotsche Mecklenburgischer Prozeß 93. II § 137 n. 2. Schwarze in der angeführten Ztschr., Neue Folge

B. 31 S. 1 ff.

Daß aber, abgesehen von etwa entgegenstehenden po­ sitiven Vorschriften, die hier befolgte Ansicht der heutigen

Rechtsanschauung entspricht,

ergiebt sich daraus, daß

schon die allgemeine preußische Gerichtsordnung Th. I Tit. 10 § 284 die Ableistung des Schiedseides durch den Mein­

eidigen ausdrücklich gestattet, und daß diese Bestimmung in eine Reihe neuerer Gesetzbücher, sowie in den „Entwurf

einer Civilprozeßordnung für den norddeutschen Bund" über­

gegangen ist. Vgl. Prot. der Civilprozeß-Kommission des nordd. Bundes,

S. 1026, 1027.

Es war daher, der ersten Beschwerde des Klägers gemäß, der angefochtene Querelbescheid wieder aufzuheben

und auf die Ableistung des vom Bell, dem Kläger deferirten und von diesem für den Fall, daß es zulässig sein sollte, bereits acceptirten Eides zu erkennen. Da jedoch Kläger, bei seiner Erklämng auf den ihm

deferirten

Eid, die

vorgängige Ableistung

des speziellen

Kalumnien-EideS vom Beklagten verlangt hat, und diesem

Verlangen auch ohne das Vorliegen eines speziellen Ver­ dachts der Chikane die bestimmte und ganz allgemeine Vor­

schrift der L. 34 § 4 und L 37 Dig. 12, 2 —

welche durch das hierfür angeführte Cap. II § 2 in VI. 2, 4 nicht als beseitigt angesehen werden kann — jedenfalls

78 aber

die

entschiedene

Mecklenburgische

Praxis

zur

Seite steht, vgl. Trotsche a. a. O. § 138, Buchka und Budde EntscheidungenB. V S. 21, 22, sobald der Delat von diesem ihm zustehenden Recht nur nicht blos aus Chikane Gebrauch macht, letzteres in vor­

liegendem Falle aber weder behauptet ist, noch sonst erhellt: so erscheint zugleich auch die zweite Beschwerde des Klägers als begründet und war demgemäß vorab dem Beklagten

aufzugeben, in Betreff des von ihm dem Kläger deferirten Eides bei Vermeidung des geeigneten Präjudizes den Ge-

fährde-Eid zu leisten. Nr. 12.

I. Senat. — Erkenntniß v. 10. Gkt. 71. (3.) Leutke u. Gen. •/. Birkholz (Nr. 422 v. 71).

Preußen.

Revision.

I. Instanz: Gerichtsdeputation Schwerin (an der Warthe), II. Instanz: ApppellationSgericht Posen. Rechenschaftspflicht

der Handelsgesellschafter. ihnen.

Treue und Glauben unter

1. Die geschäftsführenden Socien einer offenen Handels­ gesellschaft haben durch Art. 105 HGB von der Pflicht zu besonderer Rechnungslegung nicht schlechthin entbunden werden sollen; vielmehr ist diese Verpflichtung von der Lage des Einzelfalles abhängig. HGB Art. 105, 270. Vgl. Rspr. III S. 264 ff.

2. Gesellschafter sind einander in gemeinsamen Ange­ legenheiten zu besonderer Offenheit und Treue verpflichtet. (Beispiel arglistigen Verfahrens, Rechtsfolgen.) HGB Art. 90, 96, 97.

Parteien haben gemeinsam Holzkaufgeschäfte getrieben, Kläger fordert daher als ehemaliger Gesellschafter Rech­ nungslegung von den Beklagten.

Letztere berufen sich zur

79 Ablehnung dieses Verlangens darauf, daß dem Gegner die Einsicht der Bücher, Briefschaften rc. stets offen gestanden habe und noch freistehe. — Außerdem will Kläger an dem

Gewinn eines

vertragswidrig unternommenen Spezialge­

schäfts Antheil haben und ficht eine zur Ermöglichung jenes Sonderuklternehmens arglistig von den Beklagten veran­

laßte Aenderung des Gesellschaftsvertrags an. Das OHG entscheidet im Wesentlichen, das Appellurtel

bestätigend, nach dem Klageantrage. Gründe:

I. Aus der im § 10 des Gesellschaftsvertrags v. l.Aug. 62 jedem Gesellschafter gegebenen Befugniß, jeder Zeit die

Bücher,

Kasse und Korrespondenzen der Gesellschaft ein­

zusehen, folgern Beklagte, daß eine besondere Rechnungs­

legung den geschäftsführenden Socien kontraktlich abge­ nommen sei. Und sie finden eine Bestätigung dieser Folge­ rung im Art. 105 HGB. In der That kongruirt § 10 jenes Vertrags im Wesent­

lichen mit Art. 105 a. a. O.

Wäre also die durch den

Gesellschaftsvertrag begründete Compagnie als eine „offene

Handelsgesellschaft"

nnd

nicht als eine „Vereinigung

zu

einzelnen Handelsgeschäften" anzusehen: so würde aus dem Art. 105 — im Gegensatz zum Art. 270 a. a. O. — schein­ bar gefolgert werden können,

daß die „besondere Rech­

nungslegung" den Beklagten nicht obliege. In Wahrheit aber wäre diese Folgerung unberechtigt.

Es haben durch Art. 105 die geschäftsführenden Socien

einer offenen sonderer

Handelsgesellschaft von der Pflicht

zu

be­

Rechnungslegung keineswegs schlechthin

entbunden, vielmehr hat diese Pflicht von der Lage des speziellen Falls abhängig gemacht werden sollen; und namentlich ist es bei der Berathung dieses Art. für selbst­ verständlich erklärt, daß jeder Gesellschafter über die ein-

80 seinen Geschäfte, die er vorgenommen, Rechenschaft zn geben, unter Umständen auch gehörige Rechnung zu legen habe. Vgl. Prot. S. 196; Art. 125 Nr. 2 HEB. Gerade um solche einzelnen, ohne Mitthätigkeit der übrigen Soden, außerhalb eines regelmäßigen Geschäfts­ lokals geführten Geschäfte einzelner Mitglieder handelt es sich in vorliegendem Falle. — Es kommt hinzu, daß die Parteien einer Vereinigung angehörten, welche eine gemein­ schaftliche oder in gehöriger kaufmännischer Kontrolle be­ wirkte Buchführung nicht hatte. Die „Bücher" können in Betreff derselben kaum etwas anderes enthalten, als die von den Geschäftsführern den Buchhaltem aufgegebenen Posten, und daß sich in den „Korrespondenzen der Gesell­ schaft" — worunter man auch die von den einzelnen Geschäftsführern eingereichten Beläge verstehen mag — eine vollständige, die Rechnungslegung ersetzende Rechenschaft vor­ finde, ist weder behauptet, noch zu vermuthen. Unter diesen Umständen würde die Verweisung auf die Bücher und Korrespondenzen nicht die Aufklärung ver­ schaffen, welche die einzelnen Geschäftsführer zu geben ver­ pflichtet sind, und deshalb kann nicht angenommen werben, daß § 10 des Gesellschaftsvertrags — weitergehend als Art. 105 HGB — dem Kläger das Recht auf Rechnungs­ legung kontraktlich entzogen habe. Es erhellt, daß bei dieser Sachlage unentschieden bleiben kann, ob der unter den Parteien bestandenen Vereinigung ungeachtet der Nicht-Annahme einer gemeinschaftlichen Firma die inneren Rechte einer offenen Handelsgesell­ schaft zukommen, oder ob (was Beklagte selber in derDuplik behauptet haben) an sich Art. 270 a. a. O. auf sie anzu­ wenden wäre. Daß die Beklagten der Pflicht zur Rechnungslegung nicht genügt haben, ist vom Appellrichter ... dargethan, — wie denn auch seiner Ausführung beigepflichtet werden muß,

81 daß dem Kläger eine Spezialisirung der zu justifizirenden Geschäfte nicht obliegt. II. Zweck des Gesellschafts-Vertrags war unver­ kennbar die Verpflichtung der Gesellschafter zum nur gemeinschaftlichen Betrieb des Holzhandelsgewerbes wäh­ rend dreier Jahre. Es sollte durch diese Vereinigung die Konkurrenz der acht Socien in eine gemeinschaftliche Aktion verwandelt, einerseits also der Betrieb des Consortiums gegen die Rivalität der Einzelnen geschützt, andrerseits die Kraft der Einzelnen durch die Verbindung Aller gesteigert werden. Wesentlich also für Zweck und Bestand der Ver­ einigung war das vertragsmäßige Verbot des § 6. Nur wenn den acht Socien, bei Strafe und unter Androhung des Gewinnverlusts, untersagt blieb, „während der Kontraktszeit für eigene Rechnung Holzgeschäfte zu unternehmen oder durch Vertreter führen zu lassen, oder sich an solchen zu betheiligen," war das Gedeihen der Gesellschaft möglich. Denn mit dem Falle dieses Verbots war der Gesellschaftszweck durch den Erwerbstrieb der Einzelnen gefährdet und die Minorität einer wohlhabenden und unternehmenden Majorität über­ liefert. Die [am 26. Dezbr. 63 von den Gesellschaftern ein­ stimmig beschlossene, jetzt als hinterlistig zu Stande ge­ bracht angefochtenes Aufhebung des § 6 stand also im Wesentlichen der Aufhebung der Gesellschaft gleich. Nun ist letztere im Dezbr. 63 nicht beabsichtigt. Es kam damals aber der Majorität darauf an, ein spezielles, voraussichtlich lukratives Geschäft unter Ausschluß des Klä­

gers und zweier anderen Socien zu unternehmen. Um dies zu können, mußte das Verbot des § 6 beseitigt werden. Natürlich war zu besorgen, daß ein Antrag auf einfache Aufhebung desselben von der bedrohten Minorität in seiner Tragweite alsbald erfaßt und als der Lösung der GesellIV. «

82 schäft gleichkommend abgelehnt werden würde. Deshalb mußte ein beschwichtigender, die Bedeutung der Aufhebung verhüllender Anlaß zu dem Anträge gewählt, die Absicht der Proponenten den Auszuschließenden verschwiegen, und etwaiger Einspruch mit der täuschenden, dem gewählten Anlaß konformen Entgegnung beseitigt werden, daß es sich keineswegs um Freigebung des Sondergeschäfts überhaupt, sondem nur um die des „kleinen Verkaufs" handle. Andrer­ seits war die so deklarirte Aufhebung als eine unbeschränkte zu redigiren, damit die Proponenten unter dem Schutz dieser Fassung zum Separatunternehmen jenes Geschäfts

befugt erscheinen konnten. Daß Beklagte in dieser arglistigen Weise den Plan ersonnen, dem Kläger ihre Absicht verschwiegen, diesen am 26. Dez. 63 über die Bedeutung und Tragweite des proponirten Beschlusses getäuscht, endlich die Redaktion des Beschlusses bewirkt haben, geht aus den Zeugenaussagen und der ganzen Sachlage zweifellos hervor. ... Zum Ueberfluß wird in der Klagebeantwortung zuge­ standen, daß die Aufhebung des § 6 unter den Beklagten geplant und von ihnen durchgesetzt ist, um den Kläger von den in Aussicht genommenen sSeparat-j Käufen auszuschließen. Nun aber verbot die besondere Offenh eit und Treue, zu welcher Gesellschafter einander in Gesellschaftsangelegenheiten verpflichtet sind *, den Beklagten, dem Kläger zu verheimlichen, daß sie mit der Beseitigung des § 6 für sich freie Hand für mehrgedachtes Geschäft und ihre Befugniß zum Ausschluß der übrigen Socien von demselben beab­ sichtigten. Noch weniger durften sie, bzw. ihr Stimmführer M. in der Versammlung v. 26. Dez. 63 in den Nichtein­ geweihten durch Andeutungen und Aeußerungen den Irr­ thum erwecken, als handle es sich nur um Freigebung des * L. 52 § 1 Big. 17, 2; vgl. AM I. 17 § 220.

83 Kleinverkaufs und um Straflosigkeit der Kontravenienten

gegen diesen.

Indem sie dieser doppelten Pflicht zuwider

einerseits durch positive Steuerungen im Kläger absichtlich

einen Irrthum über den Beweggrund zu jenem Beschluß

veranlaßten, andrerseits durch Verheimlichung der durch diesen Beschluß beabsichtigten Sprengung der Societät für

das fragliche Geschäft, somit über dessen wahren Inhalt, den Kläger arglistig täuschten: verleiteten sie den Kläger zu einem für ihn rechtlich unverbindlichen Beschluß — § 85 AM Th. I Tit. 4 — und entzogen sich selber die recht­

liche Möglichkeit, den von diesem Beschluß erhofften Vor­ theil, nämlich die separate Ausbeutung jenes Geschäfts, zu ziehen und zu behalten; § 148 a. a. O-

Liegt aber die Unverbindlichkeit der Aufhebung des

§ 6 des Vertrags in dem von den Bekl. vertretenen Sinne dem Kläger gegenüber schon dann vor, wenn Beklagte dem

Kläger die wahre Bedeutung des Beschlusses und ihre wahre, die

Gesellschaftspflicht

verletzende

Absicht

treulos

ver­

schwiegen haben: so kommt es auf die speziellen Aeuße­

rungen, welche über die nur beschränkte Tendenz jener

Aufhebung am 26. Dez. 63 gethan sein sollen, nicht wesent­ lich an. Es genügt, daß die ^Thatsache jener betrüglichen Verschweigung nach den eigenen Angaben der Bekl. und

nach den in I. Instanz vemommenen Zeugen für erwiesen

gelten muß.

Mag auch vor dem 26. Dez. 63 rDom Mit­

beklagten M. dem Kläger von der^ möglichen Aussicht auf

das Spezial-Geschäft gelegentliche Mittheilung gemacht sein: so ersetzt doch letztere nicht die den Bekl. gegen^,ihren Socius obgelegene Pflicht zu offene.r Darlegung,

daß

§ 6 des Vertrags beseitigt werden solle, um dieses be­ deutende, nun näher gerückte Geschäft mit Ausschluß des Klägers und zweier anderen Socien entriren zu können.

Wenn endlich Beklagte hervorheben, daß die klägerische Deutung des AufhebungSbeschluffes v. 26. Dez. 63 für den «•

84 auf Theilnahmerecht

Anspruch des Klägers

an den be­

treffenden^ Käufen nicht entscheidend sei, weil die Majorität einmal beschlossen habe, diese Geschäfte nicht für die Societät einzugehen, Kläger aber der Majorität sich fügen müsse:

so ist auch dieser Einwurf unbegründet.

Allerdings stand

es bei der Majorität, für die Gesellschaft gewiffe Geschäfte

einzugehen oder abzulehnen.

Insoweit hatte die Minorität

Hätte ihr aber der Societätskontrakt

sich zu unterwerfen.

keinen weiteren Schutz gegeben, so wäre sie von vornherein nur an den guten Willen der Majorität gewiesen gewesen.

Nichts hätte alsdann die Majorität

gehindert,

dasselbe

lukrative Geschäft für die Gesellschaft abzulehnen und für sich selber zu unternehmen.

Um dies, das heißt: die Ver­

eitelung des Gesellschaftszwecks, zu verhüten, untersagte der

§

6 jedem

einzelnen

Mitglieds schlechthin

das Sonder­

geschäft, er machte dabei keinen Unterschied zwischen ver­ heimlichten und

der Gesellschaft zwar angetragenen, aber

von ihr abgelehnten Geschäften.

Hatte also die Majorität

ein lukratives Geschäft namens der Gesellschaft abgelehnt,

so war sie durch § 6 gehindert,

es für eigene Rechnung

zu machen, und wenn sie dem zuwiderhandelte, so hatte

jedes Mitglied das Recht, von, ihr die Einzahlung des ganzen Gewinns zur . Gesellschaftskasse — neben Erlegung der Strafe — zu fordern.

Ein Majoritätsbeschluß aber konnte

den Mitgliedem der Minderheit dieses Recht nicht ent­ ziehen, weil dasielbe als eine Grundbestimmung des Gesell­

schaftsvertrages gerade zum Schutz der Minderheit und der

Einzelnen

statuirt,

als

ein

Individualrecht also

gegen

Eingriffe der Mehrheit geschützt war. Hieraus folgt, daß der Klageantrag inkorrekt wäre, wenn

er verlangte, daß Beklagte die

betr. Käufe als Unter­

nehmungen der Gesellschaft anzuerkennen hätten.

Ein

solches Verlangen steht dem einzelnen Gesellschafter nicht zu; denn er hat keine Befugniß, von den Uebrigen oder

85 auch nur der Majorität zu fordern, daß sie der Uebernahme bestimmter Geschäfte für die Gesellschaft zustimmen. Es ist aber im Klageantrage Nr. II, dem Wortlaut nach, der

richtige

Anspruch

erhoben.

Kläger kann nämlich

nur

fordern, daß der Gewinn der Bekl. aus jenem Unternehmen zur Gesellschaftskaffe komme, mithin — da die Gesell­ schaft im Uebrigen längst liquidirt ist — zwischen den Bekl. und den übrigen ehemaligen Socien nachträglich getheilt

werde; und da, wie feststeht, 3 Genoffen von den Bekl. rücksichtlich jenes Gewinns abgefunden sind, so ist es in dem oben entwickelten Sinne richtig, wenn Kläger begehrt,

zu den betr. Erwerbungen auch seinerseits als „Theilnehmer"

anerkannt zu werden, das heißt: vom Gewinn der Bekl. aus jenen Geschäften seinen gebührenden Antheil zu empfangen. Gleicher Weise ist er als der allein noch interessirteSocius

befugt, zum Zweck der Feststellung jenes Gewinns von den

Bekl. Rechnungslegung zu fordern. Aber sein weitergehender Anspruch ist unberechtigt. Ausgehend nämlich von der Auffaffung, daß die fraglichen Geschäfte, weil von der Mehrheit der Gesellschafter ein­

gegangen, als Unternehmungen der Gesellschaft anzu­

sehen, will er anerkannt haben, daß Bekl. nicht berechtigt gewesen, die Kaufleute C. und D. als Theilnehmer für jene

Geschäfte aufzunehmen, und daß sie nicht berechtigt seien, das Theilhaberrecht dieser Beiden in Rechnung zu stellen. Aber jene Auffaffung ist irrig.

Bekl. haben jene Käufe

nicht als Mitglieder oder als Majorität der am 1. Aug. 62

konstituirten Gesellschaft, sondern als ein neues Consortium geschloffen, und die Folge dieser Kontravention ist nicht die, daß dieses Geschäft als ein Gesellschaftsunternehmen zu

behandeln, sondern die, daß Bekl. ihren gesummten Ge­ aus diesem Unternehmen, ihrer alten Gesellschaft ausliefern müssen. Haben sie sich also zur Durchführung winn

des letzteren mit Anderen assoziirt, ist die Durchführung

86 vielleicht nur durch deren Kräfte und Mittel möglich ge­ worden, haben sie in Folge dessen nicht den ganzen, sondem nur den anteiligen Gewinn bezogen: so können sie auch nur diesen restituiren, — gerade so, als wenn sie (wie § 6 ausdrüÄich voraussetzt) sich bei schon begonnenen Unter» nehmnngen Anderer als Kontravenienten nur „betheiligt"

haben. In allen diesen Fällen wäre das Verlangen, daß die Konttavenienten den Gewinn des ganzen Unter­ nehmens und nicht den ihrer Quoten herausgeben müßten, widersinnig. Hieraus ergiebt sich, daß in Ansehung des unbe­ gründeten Klageanttags Nr. 3 das I. Urtel wiederherzustellen, im Uebrigen das zweite zu bestätigen war.

Nr, 13.

I. Senat. — Erkenntniß n. 10. Okt. 71. (Z.) G. Heinke •/. Fraenkelsche Stiftung, Darlehns-Jnstitut zu Br,Stau (Nr. 561 v. 71.)

Prerrtzeit.

Wechselsache.

Nichtigkeitsbeschwerde.

I. Instanz: Stadtgericht BreSlaü, II. Instanz: AppeÜationsgericht daselbst. Gt-ene Ltchtwechsel, PräseutattonSfrtst.

Dem Aussteller eines eigenen Sichtwechsels gegenüber gift die Vorschrift deS Art. 31 DWO, welche Präsentation zur Zahlung binnen zwei Jahren verlangt, nicht. DWO Art. 31, 98 Nr. 5.

Angenommen vom OHG aus folgenden Gründen:

Das angefochtene Erkenntniß gründet sich wesentlich nur auf den Satz, daß bei eigenen Sichtwechseln, dem Aussteller gegenüber, die Einhaltung der im Art. 31 Abs. 2 DWO für die Vorzeigung des Wechsels gesetzten zweijährigen Präklusivfrist nicht nöthig sei. In der NktBschw. wird behauptet, es seien durch diesen

87

Ausspruch die Art. 31 und 98 Nr. 5 DWO verletzt, und ist daher zu prüfen, was in dieser Beziehung Rechtens sei.

Der Aussteller eines eigenen Wechsels hat wechsel­

rechtlich eine ganz andere Stellung als der Aussteller eines

gezogenen Wechsels.

Beide geben zwar dem Wechsel seine

Entstehung, und haben aus diesem Grunde dafür zu haften, daß er seiner Zeit eingelöst werde;

allein bei Letzterem

[beim Trassanten) ist diese Art der Haftung die einzige,

welche ihn trifft, und es kann bei ihm immer nur von einer Regreßpflicht die Rede sein, Ersterer aber ist zu­ gleich der Hauptwechselschuldner, und dieser stärkeren

Haftung gegenüber tritt die Regreßpflicht zurück. Beim eigenen Wechsel vereinigen sich zwei Eigen­

schaften, welche beim gezogenen Wechsel verschiedenen Per­ sonen zufallen, die Eigenschaften des Ausstellers und des

Acceptanten, in einer Person, und es ist die Sachlage gerade so aufzufaffen, als habe Jemand einen Wechsel auf sich selbst gezogen und ihn zugleich acceptirt; vgl. Art. 6

DWO.

Diese in der Natur der Sache begründete Anschauung von der Stellung, welche wechselrechtlich dem Aussteller

des eigenen Wechsels zukommt, war offenbar auch diejenige des Gesetzgebers, wie sie denn auch schon vor Ein­

führung der DWO unbestrittene Geltung hatte. So erklärt Art. 98 Nr. 6 DWO, daß die Bestimmungen des Art. 41 ff. nur bezüglich des Regresses gegen die Indossanten Anwendung finden, erkennt also an, daß

beim Aussteller des eigenen Wechsels nur dessen Eigenschaft als Hauptschuldner in Betracht komme; so wendet ferner

Art. 100 die Bestimmungen über Verjährung der Wechsel­ klage, wie sie nach Art. 77 gegen den Acceptanten gelten,

auch gegen den Aussteller des eigenen Wechsels an. Dgl. Brauer Erläuterungen zur DWD Art. 98, 100. Steht nun fest, welches das Prinzip des Gesetzgebers

88 gewesen ist: so folgt von selbst, daß dasselbe bei Aus­

legung des Gesetzes zu Grunde gelegt werden muß, da

vorauszusetzen ist, daß der Gesetzgeber prinzipiell verfahren und in sich selbst übereinstimmende Vorschriften treffen wollte, nicht aber daß er prinziplos hier in diesem, dort

in jenem Sinne verfügt. Was nun den vorliegenden Fall betrifft, so kann nach der klaren Fassung des Art. 31 und in Berücksichtigung, daß es sich hier um eine Ausnahms- und Strafbestimmung

handelt, kein Zweifel obwalten, daß die zweijährige Frist zur Präsentation eines gezogenen Sichtwechsels nur den

Regreß gegen die Indossanten und den Aussteller betreffe, sich aber der Acceptant auf dieselbe nicht berufen dürfe.

Erk. des OTr. zu Berlin v. 16. Sept. 65 (Strieth. V. 59 S. 341).

Es kann sich also nur fragen, ob hier für den Aus­ steller eines eigenen Wechsels etwas Anderes gelte, als

für den Acceptanten eines gezogenen Wechsels? Folgt man einseitig blos dem Wortlaut des Gesetzes, so gelangt man allerdings dahin, diese Frage zu bejahen,

denn Art. 98 Nr. 5 erklärt den Art. 31 auf eigene Wechsel anwendbar, und Art. 31 spricht vom Aussteller; allein zu einem anderen Resultat gelangt man, wenn man den Geist

des Gesetzes und das oben erörterte Prinzip zu Rathe zieht.

Wenn nämlich Art. 31 vom Verlust des wechselmäßigen Anspruchs gegen den Aussteller spricht, so hat er nur die auf dem Trassanten des gezogenen Wechsels lastende Re­

greßpflicht im Auge und ist die Sachlage gerade so auf­

zufassen, als wenn ausdrücklich nur vom Verlust des

Regresses gegen Indossanten

und Aussteller

die Rede

wäre, denn etwas Anderes konnte ja der Gesetzgeber an dieser Stelle nicht meinen. So spricht Art. 160 Code de commerce, welcher, wie die betr. Verhandlungen der Wechselkonferenz ergeben, hier

89

als Vorbild gedient hat, ausdrücklich davon,

daß beim

Versäumen rechtzeitiger Präsentation der Rückgriff (le recours)

gegen Indossanten und Aussteller verloren gehe. Hieraus folgt, daß sich das, was Art. 31 verfügt, auf

den Aussteller deS eigenen Wechsels nicht anwenden läßt, da ja bei diesem die Regreßpsticht nicht in Betracht kommt,

vielmehr der stärkeren Haftung als Hauptschuldner gegen­ über verschwindet. Wollte man einwenden, daß der Gesetzgeber im Art. 98 überall, wo er dasjenige, was vom Acceptanten gilt, auf

den Aussteller deS eigenen Wechsels angewendet wissen will, dies ausdrücklich ausgesprochen habe, daß also hier, wo er schweige, eine Ausnahme zu folgern sei: so wäre darauf

hinzuweisen, daß in den beregten Fällen es sich immer

darum handelt,

positive Bestimmungen

bezüglich

des

Acceptanten auf den Aussteller des eigenen Wechsels zu übertragen. Im Art. 31 ist nun aber deS Acceptanten gar nicht erwähnt, es war daher auch kein Anlaß gegeben, die be­

sagte Gleichstellung

ausdrücklich

anzuerkennen,

vielmehr

durste der Gesetzgeber voraussetzen, daß, wenn er vom Aus­ steller eines gezogenen Wechsels nur im Hinblick auf dessen

Regreßpflicht spreche, man nicht dazu gelangen werde, jene Ausnahmebestimmung auf Fälle, wo eine Regreßpflicht

nicht in Frage sein kann, auszudehnen. Der Umstand, daß der Gesetzgeber bezüglich des Art. 31 nicht ebenso, wie bezüglich des Art. 41 Abs. 2 (Art. 98 Nr. 6)

ausdrücklich erwähnt, es handele sich nur um den Regreß gegen die Indossanten, kann offenbar kein Hinderniß bieten,

diese Prinzipien zur Geltung zu bringen.

Hat doch die

Jurisprudenz keinen Anstand genommen, die viel bedenk­ lichere Lücke, welche Art. 98 darin zeigte, daß Art. 44 DWO nicht auf den Aussteller des eigenen Wechsels an­ wendbar erklärt war, auszufüllen und es für selbstverständ-

90 lich zu erklären,

daß derselbe in dieser Beziehung dem

Acceptanten vollkommen gleichstehe*).

Wird geltend gemacht, es sei ein Mißstand, wenn der

Aussteller eines eigenen Wechsels auf unbestimmte Zeit haftbar sei und es dem Inhaber fteistehe, den Wechsel zn präsentiren, wann es ihm beliebe: so ist dies ein Argument,

welches zu viel beweist; denn es befindet fich der Acceptant des gezogenen Wechsels in der nämlichen schlimmen Lage, und es ist nicht abzusehen, warum der Aussteller des eigenen Wechsels hier vor ihm bevorzugt sein soll. Der Gesetzgeber war nun einmal der Anstcht, daß der Hauptwechselschuldner in fraglicher Richtung nicht zu

berücksichtigen sei,

und dieser Anficht muß ebenso beim

eigenen wie beim gezogenen Wechsel Rechnung

getragen

werden, — mag fie angemeffen sein oder nicht.

Ist nun vorstehenden Erörterungen gemäß anzunehmen,

daß es dem Aussteller des in Frage stehenden Sichtwechsels gegenüber der Einhaltung der im Art. 31 bezeichneten Frist nicht bedurfte: so erscheinen die weiter in der NktBschw.

angeregten Gefichtspunkte, welche auf der Voraussetzung fußen, daß Art. 31 anwendbar sei, gegenstandslos und sind nicht weiter zu prüfen. Es war daher die NktBschw. als unbegründet zurückzuweisen. Nr. 14.

II. Senat. — Erkenntniß v. 11. OKI. 71.

(Ref.)

6b. Frege & Eo. -/. G. Cassel L Co. (Nr. 564 v. 71).

Hamburg.

Ober-Appellation.

I. Instanz: Handelsgericht Hamburg, II. Instanz: Obergericht daselbst. verkauf-'Kommisflon in PrLmienanlei-e-üSen. Kommifficutr al- Selbst. Muser, Rechtzeitige Mittheilung der Lvv-uummern.

1. Der Verkaufskommissionär, welcher bei der Anzeige

der Auftragsausführung einen Käufer nicht genannt hat,

• Dgl. Borchardt ADWO Zus. 803 S. 612.

91

darf sich als Selbstkäufer nur betrachten, wenn und sobald der Kommittent ihn als solchen in Anspruch nehmen zu wollen erklärt. HEB Art. 376 Abs. 8. Vgl. Erk. v. 14. Okt. 71, unten Nr. 17, S. 104. Ebenso: Praxi- de- OTr. IV. Sen. zu Berlin, Strieth.

Arch. B. 59 S. 136, B. 64 S. 301; Busch «rch. V. 12 S. 340 ff.; OTr. Erk. v 19. Dez. 71 in Sachen FrLnkel 7. Plaut.

2. Wenn Loose einer Prämienanleihe, mit der Ver­ pflichtung der Nummervavfgabe zur nächsten Ziehung, ver­ kauft werde«: so ist e- eine wesentliche Voraussetzung de» Geschäfts, daß dem Säufer die Mittheiloug der betreffenden Nummern vor dem ZiehmgStage wirklich zugeht. Die Gefahr der Zufeudung ttifft den Verkäafer. HGB Art. 278, 279, 345 «bs. 2. Angenommen vom OHG aus folgenden, den Sachver­ halt darlegenden Grüadea: Beklagte haben als Kommissionäre der Kläger am 25. Febr. 70 25000 Gulden österr. 1860er Loose pro ultimo Aug. 70 zum Kurse von 81V« mit 4°/0 Prämie und Num­ mernaufgabe zur Augustziehung, an I. Seckel in Hamburg verkauft, ohne jedoch bei der den Kommittenten vom Voll­ züge des Auftrags ertheilten Nachricht den Käufer zu nennen. Als am 1. Aug., als dem Ziehungstage, zur Börsenzeit die Nummernaufgabe bei den Beklagten noch nicht einge­ troffen war, daher diese dem Seckel die Nummern nicht mittheilen konnten, ließ Letzterer den Beklagten auf der Börse durch notariellen Protest seinen Rücktritt vom Ge­ schäft anzeigen, wovon Beklagte die Kläger mit dem Be­ merken in Kenntniß setzten, daß sie sich den Regreß gegen dieselben vorbehielten. Die Kläger telegraphirten im Laufe des 1. Aug., daß die Nummernaufgabe bereits am 28. Juli an Beklagte abgegangen sei, und daß, falls der bezügliche

92 Brief nicht ankommen sollte, die darin laut klägerische-

Kopirbuchs verzeichneten Nummern zu Gunsten der Beklagte­ spielen sollten.

Erst am Abend des ersten August erhielttn

aber Beklagte den die Nummernaufgabe enthaltenden Brief der Kläger.

Da diese in der hierauf gepflogenen Korre­

spondenz, auf Annullirung des Geschäfts einzugehen, fich weigerten, vielmehr die Beklagten als Selbstkäufer in An­

spruch nahmen, Beklagte aber, nachdem sie dem Seckel gegen­ über (wie schon unterm 1. August, wegen seines erklärten

Mcktritts, so unterm 29. Juli wegen unterlassener Erklämng, ob er die Prämie zahlen oder auf Lieferung be-

stehen wolle) notariellen Protest erhoben,

auch

sich den

Klägern gegenüber zur Ertheilung von jura cessa gegen

Seckel erboten und sich auf ein Weiteres nicht einließen:

so verlangten Kläger mittelst Klage Beturtheilung der Be­ klagten als Selbstkäufer in die nach ihrer Ansicht verwirke

Prämie von 1000 fl. sammt Zinsen und Kosten... Das Handelsgericht hat erkannt, daß Beklagte dem

klägerischen Verlangen gemäß als Selbstkäufer zu erachten,

Kläger aber wegen nicht rechtzeitig gelieferter Nummern­ aufgabe mit der angestellten Klage abzuweisen seien. Das Obergericht reformirte auf Berufung der Kläger

dieses Urtel und erkannte in Gemäßheit der Klagebitte, weil Beklagte, wenn sie auch wegen nicht rechtzeitig gelieferter

Nummern zum Rücktritt von dem Geschäft berechtigt gewesen sein sollten, sich doch keinenfalls rechtzeitig von demselben

losgesagt hätten, da sie mittelst ihres Telegramms vom 1. August nicht ihren Rücktritt vom Geschäft erklärten, son-

bem sich nur den Regreß reservirten, dadurch ihrerseits die Sache in der Schwebe ließen und die Möglichkeit offen hielten, auf Kosten der Kläger die Chancen der Gewinn­ ziehung für sich auszunutzen.

Auf Berufung der Beklagten konnte das OHG es bei

diesem Urtel nicht belasten. Denn das Obergericht hat über-

93 sehen, daß Beklagte deshalb, weil sie den Namen des Käu­ fers rechtzeitig nicht angegeben hatten, zwar von den Klägern als Selbstverkäufer in Anspruch genommen werden könnten, daß sie aber (nach Art. 376 Abs. 3 HGB)

sich nicht von vornherein als solche zu betrachten hatten, sondern erst von dem Augenblick an, in welchem sie von den Klägem die Erklärung, von jener Befugniß Gebrauch machen zu wollen, erhalten hatten, bis wohin sie daher be­ rechtigt und verpflichtet waren, sich als die Bevollmächtigten der Kläger zu betrachten und demgemäß zu verhalten, daß ferner zur kritischen Zeit Kläger ihre Absicht, die Beklagten als Selbstkäufer in Anspruch zu nehmen, noch' nicht er­ klärt hatten, Bekl. daher vollkommen der Sachlage entsprechend gehandelt haben, wenn sie sich darauf beschränkten, den er­ folgten Protest Seckel's den Klägern zu notifiziren und sich ihren Regreß wegen etwaiger eigener Schäden aus der Ge­ schäftsführung zu wahren. Konnte daher der Grund, aus welchem das Obergericht die Frage, ob der Umstand, daß die seitens der Kläger am 28. Juli abgesendete Aufgabe der Nummem nicht vor der am 1. August in Wien erfolgten Gewinnziehung und dem Bekanntwerden der offiziellen Ziehungsliste in Hamburg den Geklagten zu Händen gekommen ist, den Letzteren als Käufem ein Recht zum Rücktritt vom Geschäft verliehen habe, unentschieden gelassen hat, als stichhaltig nicht erkannt werden: so war nunmehr diese Frage selbst in's Auge zu fassen. Dieselbe mußte aber bejaht werden. Denn die Ver­ abredung, daß die Nummem zur Augustziehung aufgegeben werden sollten, kann nicht anders verstanden werden, als daß die Nummem spätestens am Abend vor dem Ziehungs­ tage zur Kenntniß des Käufers gelangen sollten. Die Er­ füllung dieser Verpflichtung der Verkäufer war eine noth­ wendige Voraussetzung, um die Verbindlichkeit der Beklagten

94 zur Uebernahme der Loose zu begründen, und es ist, wie

das Handelsgericht zutreffend ausgeführt hat, keineswegs

genügend, wenn die Nummern nur vor der Ziehung zur

Post gegeben und in das klägerische Kopirbuch eingetragen waren, wodurch dem Käufer mit Nichten jene Freiheit der

Bewegung in seinen Dispositionen gegeben war, zu welcher

ihn der Besitz der Nummern befähigt haben würde. Worin das verspätete Eintreffen

Nummern in

der

Hamburg seinen Grund hat, ist gleichgiltig.

Denn wenn

man auch annehmen wollte, daß Kläger allen Fleiß ange­

wendet haben: so haben doch sie selbst als Diejenigen» welchen

die rechtzeitige Bekanntgabe der Nummern oblag, den casus zu prästiren, der etwa die Erfüllung ihrer betreffenden Verbindlichkeit gehindert hat. Da es sich nun bei beut" Versprechen der Kläger, die

Nummernaufgabe bis zur Augustziehung zu machen, um eine

Leistung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt handelte, nach dessen Ablauf die Leistung selbst unmöglich wurde, diese Leistung aber als eine den Bestand des abgeschloffenen Kaufs bedingende anzusehen ist: so ergiebt sich, daß da die Nummernaufgabe nicht rechtzeitig erfolgte, Beklagte an den

Vertrag nicht weiter gebunden waren und daher zu Lei­

stungen aus

demselben nicht verpflichtet

erachtet werden

können. Nr. 15.

I. Senat. — Erkenntniß v. 13. Okt. rt«. 71. (3.) Sächsische Hypothekm-VersicherungSgesellschaft zu Dresden /. Anton Pittttch (Nr. 5056.71).

KSälgreich Sachsen.!

Weitere Verrrfrmg.

I. Instanz: Handelsgericht im Bezirksgericht Dresden, IL Instanz: Appellationsgericht Dresden.

Aktiengesellschaft, Erwerb eigener Aktien. Vertretung der Gesellschaft.^

1. Welche Bedeutung hat 'es, daß Aktiengesellschaften eigene Aktien nicht erwerben sollen? namentlich für noch

95

««erledigte Geschäfte aus der Zeit vor dem Bundesgesetz vom 11. Juni 70? HEB «rt. 215.

2. Wenn die, eine Aktiengesellschaft statutenmäßig ver­ tretenden Vorsteher bei Eingehung von Verträgen die von -er Gesellschaft ihren Befugnissen gesetzten Schranken außer Acht lasten: so macht daS sie persönlich verantwortlich gegen die Gesellschaft, hindert aber den mit ihnen koutrahirenden Dritten gegenüber die Geltung des Vertrages nicht. HGB Art, 227, 230, 231. Ebenso: Erk. des OHG I. Sen. v. 14. Mai 72 in Sachen Germania 7. Reichstein, Nr. 133 v. 72.

Ueber diese Fragen hat das OHG sich in einer sächsi­

schen Sache eingehend ausgesprochen laut folgender

Gründe: Kläger, ein vormaliger Agent der beklagten Gesell­ schaft, hat zur Zeit der Begründung derselben (im Jahre 59) zwei auf seinem Namen lautende Aktien ä 500 Thlr. aus­ gestellt erhalten, auf diese Aktien zur Kaffe der Beklagten 200 Thlr. baar eingezahlt und gleichzeitig zur Deckung des

übrigen Aktienbestandes wegen jeder Aktie drei über je 75 Thlr., 150 Thlr. und 175 Thlr. lautende Schuldver­ schreibungen ausgestellt.

Hierzu will er veranlaßt worden

sein durch ein seitens der damaligen Gesellschafts-Direktoren ihm ertheiltes Versprechen, dahin gehend, es werde die Gesellschaft die beiden Aktien, welche er sstatutenmäßigs als Agent zu übernehmen habe,

wenn er etwa die Agentur später niederlegen sollte, zum Nominalwerth wieder zurücknehmen. Unbestritten hat Kläger die Agentur niedergelegt. Be­

hufs Ausführung des erwähnten Versprechens fordert er,

gegen erbotene Herausgabe der Aktien, Gewährung des eingezahlten Betrags der 200 Thlr. und Rückgabe der ge­ zeichneten Schuldscheine. Zu derselben Anforderung hält

96

er sich auch für den Fall anzunehmender Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des behaupteten Versprechens auf Grund un­ mittelbarer Gesetzbestimmungen berechtigt. Die Rechtsgiltig­ keit des ersterwähnten Forderungsgrundes ist jedoch mit Erfolg nicht zu bestreiten. I. Beklagte bezieht sich zunächst auf § 11 ihrer Statuten, welcher über die Wirkung des Aktienbesitzes handelt und u. a. bestimmt: das eingezahlte Kapital kann unter keiner Bedingung zurückgefordert werden. Dieser Vorschrift gegenüber, meint Beklagte, würde das behauptete Versprechen (auch im Falle thatsächlicher Begründung) eine Statutenwidrigkeit enthalten, welche für die Gesellschaft eine rechtliche Verpflichtung nicht zu erzeugen vermöchte. Die erwähnte Bestimmung besagt aber ihrem Wortlaut und Sinn nach etwas Weiteres nicht, als daß der Aktionär als solcher kein Recht auf Nückforderung des eingezahlten Kapitals habe. Sie untersagt aber nicht Rechtsgeschäfte, welche die Gesellschaft aus allgemeinen Vertragsgründen verpflichten, die Einzahlung ganz oder zum Theil zurückzugewähren. Ein solches, außerhalb der gewöhnlichen Beziehungen zwischen Aktionär und Gesellschaft liegendes Rechtsgeschäft würde zum Abschluß gelangt sein, wenn das Klagevorbringen in Wahrheit beruhte. Daß aber II. aus gesetzlichen Gründen ein solches Versprechen mit Rücksicht auf seinen Inhalt schlechthin für unwirksam zu achten sei, läßt sich nicht behaupten. Allerdings enthält das mit dem 1. März 62 im Königreich Sachsen in Wirk­ samkeit getretene HGB einzelne Vorschriften (insbesondere in den Art. 216 und 248), aus denen man versucht hat die Rechtsunzulässigkeit jedes Erwerbs eigener Aktien durch die Aktiengesellschaft herzuleiten, und das die Aktiengesell­ schaften betreffende Bundesgesetz v. 11. Juni 70 spricht diesen Satz im Art. 215 mit den Worten: „die Aktiengesell-

97 schäft darf eigene Aktien nicht erwerben" ausdrücklich aus. Allein das in Frage stehende Versprechen fällt, nach Be­ hauptung Klägers, in das Jahr 59, mithin in die Zeit vor

dem Inkrafttreten

jener Gesetze.

Die Gründe

für

die

Wirkungslosigkeit eines solchen Versprechens könnten hier­ nach blos aus allgemeinen, das Wesen der Aktienunternehmungen .betreffenden, also in der Natur der Sache selbst

liegenden Rechtsgrundsätzen entnommen werden.

Und in der That hat man nach dieser Seite bei wifsenschastlicher Beurtheilung der einschlagenden Frage nicht selten geltend gemacht:

1) es involvire der Rückkauf eigener Aktien eine Re­ duktion des Grundkapitals, mithin derjenigen Basis, auf

welcher wesentlich die rechtliche Existenz der Gesellschaft be­ ruhe, der Gesellschaftsbestand werde also dadurch alteritt; es stelle sich aber auch

2) nach der Natur der Aktien, insofern diese die Be­ rechtigung des einzelnen Theilhabers an der Gesellschaft bekunden, rechtlich als unmöglich dar, daß die Gesellschaft

in Folge des Rückerwerbs von Aktien zugleich als eine von den Attionären zu unterscheidende Persönlichkeit und dann wiederum selbst als Aktionär erscheinen könne. Allein diese Bedenken, auf welche auch die jetzigen Einwendungen

der

Beklagten

htnauskommen,

treffen

wenigstens in der geltend gemachten Allgemeinheit nicht zu; in keinem Falle sind die daraus abgeleiteten Folgerungen anzuerkennen.

Denn vor Allem gelangt

zu 1) in Betracht, daß die Aktien, soweit sie bereits

eingezahlt sind, bei Rückkehr an die Gesellschaft einen Be­

standtheil des Gesellschastsvermögens, mithin ein das Grundkapital ganz oder theilweise ergänzendes Werthstück bilden, —

sofern aber diese Einzahlung noch nicht bewirft ist und der Rückkauf mithin die Entlaffung des Aktionärs auS dem

Obligo zur Folge hat, IV.

nicht jede solche Entlaffung eine 7

98 Reduktion des Grundkapitals iiwofoirt, da ja an die Stelle

der ursprünglichen Zeichner neue Aktionäre treten können,

auf welche die Pflicht zur weiteren Einzahlung übergeht. Weiter ist zu 2) zwar die durch den Rückkauf eigener Aktien hervortretende Rechtsanomalie zuzugeben, allein sie ist nicht entscheidend; denn die Aktien repräsentiren in der

Hand eines jeden Besitzers ein, bei regelmäßigen Verhältnissen realisirbares Werthsobjekt, die durch die Rückkehr

in die Hand des Schuldners an sich eintretende confusio wird durch die Möglichkeit der Weiterbegebung ausgeschlossen,

und selbst, wenn man annehmen wollte, die Lebenskraft der Aktien bliebe während der Besitzzeit der Gesellschaft sus

pendirt, würde dieselbe jedenfalls mit der weiteren Ueber-

tragung auf einen Dritten von Neuem erwachen.

Das

positive Gesetz erkennt ähnliche, an sich abnorme Verhältnisse

ausdrücklich als rechtlich möglich an.

des sächsischen bürgert GB dem

So gestattet § 442

Eigenthümer

des ver­

pfändeten Grundstücks, die eingetragene, von ihm gedeckte

Forderung auf seinen Namen umschreiben zu lassen, wo­ durch er die Befugniß anderweitiger Cession erlangt.

Durch das Gesagte soll keineswegs bestritten werden, daß unter Umständen durch Operationen der

in

Frage

stehenden Art mannigfache und sehr erhebliche Unzuträglich­ keiten hervorgerufen werden können.

Insbesondere ist der

Fall denkbar, daß eine Verletzung der Gesellschafts­ gläubiger vorliegt, welche nach allgemeinen Grundsätzen

denselben das Recht auf Anfechtung der zu ihrem Nachtheil abgeschlossenen Geschäfte verleiht. dieser möglichen Rechtsfolgen

Allein die Anerkennung bedingt

nicht

die Noth­

wendigkeit absoluter Rechtsunwirksamkeit solcher Geschäfte. Es wird also zunächst alles von den Verhältnissen des konkreten Falles abhängen.

Diese gewähren aber ebenso­

wenig für die jetzt geltend gemachte strenge Auffassung der

Beklagten einigen Anhalt.

Es liegt ein nach allgemeinen

99 Rechtsgrundsätzen vollkommen

gütiges Kaufsgeschäft vor,

welches faktisch durch Gründe veranlaßt ist, denen vom

damaligen Standpunkt aus ebensowenig der Vorwurf der

Uebertretung eines positiven Gesetzes, als der einer Ver­ letzung der guten Sitten gemacht werden kann.

Es mag

der Gedanke nahe gelegen haben, daß nicht allein das

Interesse der Gesellschaft, vielleicht selbst mit einem pekuniären Opfer, die Gewinnung des Klägers für die offerirte Agenten­ stellung fordere, sondern auch bei etwaigem späterem Rück­

tritt desselben die anderweitige Unterbringung der Aktien leicht möglich sein werde. Der pekuniäre Erfolg der eventuell in Aussicht ge­

stellte» Operation des Aktienrückkaufs kann für die Rechts­ giltigkeit des von den Direktoren innerhalb des Bereichs ihrer amtlichen Thätigkeit abgeschlossenen Geschäfts — wenigstens im Verhältniß der Kontrahenten unter sich —

nicht entscheidend sein.

Selbst wenn die Vertreter der Ge­

sellschaft nach Innen zu durch Abschluß des Geschäfts sich

verantwortlich gemacht haben sollten, würde dem Geschäft nach Außen hin (dem Mitkontrahenten gegenüber) die rechts­ verbindliche Wirkung nicht abgesprochen werden dürfen. Rur um diese Wirkung handelt es sich jetzt. Indem diese

anerkannt wird, wird selbstverständlich der Beantwortung der schon oben angedeuteten, gegenwärtig nicht einschlagenden

Frage keineswegs vorgegriffen, inwieweit die durch einen solchen Vertragsabschluß verletzten Gesellschaftsgläubiger

an dessen Ergebniß gebunden und ob dieselben zur An­

fechtung des Geschäfts aus dem oben unter 1 angeführten Grunde berechtigt sind. Dagegen läßt sich eine andere, seitens der Parteien

unangeregt gelassene, Frage nicht umgehen, ob nämlich das

behauptete, unter der Herrschaft der älteren Gesetzgebung ertheilte Versprechen geeignet erscheine, als Entstehungs­

grund

einer

Forderung

zu

gelten,

deren

thatsächliche

100

Realisirung erst nach eingetretener Wirksamkeit des oes­ bietenden Bundesgesetzes so. 11. Juni 70 Art. 215 Abs. 3] gefordert wird, mit anderen Worten: ob der obgedachten Vorschrift des Bundesgesetzes rückwirkende Kraft beizn« legen fei. Diese Frage ist jedoch zu verneinen. Der Ge­ setzgeber hat ausdrücklich dem fraglichen Verbot Wirkung auf ältere Vertragsabschlüsse nicht beigelegt. Auch der erkennbare Zweck des Gesetzes läßt diese Rückwirkung nicht als beabsichtigt erscheinen. Denn der wesentliche Zweck des die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aftiengesellschaften betreffenden Bundesgesetzes v. 11. Juni 70 war, nach Inhalt des Gesetzes, gerichtet auf die Aufhebung der seither nach den Landesgesetzen vorgeschriebenen staatlichen Genehmigung und Beauf­ sichtigung der gedachten Gesellschaften, sowie auf das Schaffen gewisser, die Stelle dieser staatlichen Mitwirkung vertretenden Garantien. Zu diesen Garantien gehört u. a. auch das im Art. 215 ausgesprochene Verbot des Erwerbs eigener Aktien. Dasselbe trägt, wie die vorige Instanz mit Recht angenommen hat, eine Art von polizei­ lichem Charatter, und keineswegs läßt sich annehmen, es sei die Absicht des Gesetzgebers gewesen, dadurch die Wirk­ samkeit derjenigen älteren Rechtsgeschäfte zu alteriren, die zur Zeit staatlicher Beaufsichtigung der Aktiengesellschaften von deren Bertretem giftiger Weise abgeschlossen werden konnten, und wirklich zum Abschluß gelangt sind. Es er­ scheint dies um so gewisser, als im § 4 und 5 des Gesetzes dessen Einfluß auf schon bestehende Verhältnisse ausdrücklich, jedoch ohne Erstreckung auf die Vorschrift im Art. 215, normirt worden ist. Auf Grund dieser Erwägungen konnte die Aufrechterhaltung der erhobenen Klage, und zwar in der nach Obigem bezeichneten prinzipalen Richtung, keinen Bedenken unterliegen, und erübrigen

101 III., zur Widerlegung der sonstigen Einwendungen der Beklagten nur noch folgende Bemerkungen: 1) Nach § 50 der Statuten hat das Direktorium der Gesellschaft, welches nach § 45 zunächst aus den in der Klage genannten Personen bestand, die Gesellschaft nach Außen und Dritten gegenüber zu vertreten. Zweifellos waren hiernach die Direktoren zur Abgabe des in der Klage behaupteten Versprechens legitimirt, da solches die Fest­ stellung der Vertragsbedingungen bei Annahme eines Agenten bezweckte. 2) Unklar war

die

streitige

Zuficherung

nach

keiner Seite. Da nach den Statuten auf die Aktien ä 500 Thlr. nur je 100 Thlr. einzuzahlen, im Uebrigen aber wechsel­ mäßige Schuldverschreibungen auszustellen waren: so konnte das Versprechen eventueller Uebernahme der vom Kläger gezeichneten Aktien zum Nominalwerth nur in dem Sinn des doppelten Anerbietens verstanden werden, einmal des Eintritts in das Recht des Aktionärs nach Höhe der ge­ leisteten Zahlung und sodann der Entlastung desselben von derübernommenenVerpfltchtung zu weiteren Einzahlungen an die Gesellschaft. Zur Ermittelung des hierbei obwaltenden Vertragswillens bedurfte es keineswegs, wie Beklagte ein­ wendet, der Produktion der fraglichen Aktien selbst, da alle einschlagenden thatsächlichen Verhältnisse nach dem In­ halt der Statuten außer Zweifel beruhen. 3) Ohne Grund bestreitet Beklagte die rechtsverbind­ liche Wirkung der fraglichen Erklärung der Direktoren um deswillen, weil dieselbe nur auf eine künftiges Thun formulirt sei, ohne eine Verpflichtung zu diesem Thun aus­ zusprechen. Allein ist die Erklärung (wie durch Eid er­ mittelt wird) bei Gelegenheit der wegen Uebernahme der Agentur seitens des Klägers eingeleiteten Verhandlungen «rfolgt: so läßt fich die Absicht der Direktoren, durch die

102 gebrauchten Worte eine eventuelle Beipflichtung der Gesell­ schaft begründen zu wollen, mit Grund nicht bezweifeln. 4) Allerdings war zur Herbeiführung des Bertrags­

charakters der Hinzutritt der Acceptation des Klägers erforderlich. Diese konnte aber ebenso ausdrücklich als factisch bekundet werden. fBergl. Rspr. III S. 256,261,323]. In letztgedachter Weise gelangte sie zum Ausdruck, wenn Kläger (wie gleichfalls durch den erkannten Eid er­ mittelt werden soll) erst hierauf, das heißt: nach Abgabe jenes Versprechens der Direktoren, zur Uebernahme der fraglichen beiden Aktien sich bereit erklärte. Hiernach konnte den Beschwerden der Beklagten ein Erfolg nicht verstattet werden. Nr. 16.

II. Senat. — Erkenntniß v. 14. OKI. 71. (V.) Jahrmark -/. Neumann (Nr. 248 v. 71.)

Nichtigkeitsbefchwerd e.

Preußen.

I. Instanz: Kreiögericht Stargard in Pommern, II. Instanz: Appellationsgericht Stettin. Geschäft eine- Ginzelkaufmann-, veräu-erung, Geschäft-schulden.

Wer das Geschäft eines EinzelkanfmannS erwirbt, hastet — auch bei Fortführung der alten Firma — ohne Weiteres nicht für die vorhandenen GeschästSschulden. Feste Praxis te» LHG.

Bei Vernichtung eines altpreußischen Appellurtels giebt das OHG als Gründe:

Die angefochtene Entscheidung beruht auf der Rechts­

ansicht: daß wer das Geschäft eines Einzelkaufmanns er­ worben und unter Beibehaltung der Firma fortgeführt, ohne Weiteres für die Schulden des­

selben zu haften hat.

103

Es soll dies aus der analogen Anwendbarkeit des Art. 113 HEB folgen. Der hiergegen in der NktBschw. wegen Verletzung dieser Gesetzesbestimmung erhobene Angriff ist begründet. Denn nach seinem Inhalt und Rechtsgrund spricht Art. 113 kein Rechtsprinzip aus, erfordert vielmehr einen singu­ lären Thatbestand zu seiner Anwendung und kann eine analoge Anwendung da nicht finden, wo die besonderen thatsächlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Dies ist vom OHG bereits bei Motivirung des Erkenntnisses vom 2 l. Oktober 70 ]Rspr. IS. 127] und des Erk. v. 21. Febr. 71 IRspr. I S. 284] näher dargelegt worden. Dgl. auch die Urtel v. 21. März (daselbst S. 365], 28. März [I S. 383] und 4. April 71 (Rspr. II S- 88]*. Bei Verweisung auf die dortigen Ausführungen sei hier nur hervorgehoben, daß der Appellrichter, indem er die Anwendbarkeit des Art. 113 HGB auf einen Fall, wie den vorliegenden, von der Fortführung der Firma des er­ worbenen Geschäfts seitens des neuen Inhabers abhängig macht, sich mit der ausdrücklichen Bestimmung des Artikels, daß es auf die Aenderung der Firma nicht ankommt, in Widerspruch setzt. * Ebenso sagt ter II. Sen. de« OHG im Erk. v. 4. Okt. 71 in ter sächsischen Sache Otto '/-Peter u. Eo. (9?r. 590 v. 71, I. Instanz: Hantelsgericht Zwickau): „Die Behauptung des Klägers, st er Beklagte) U. sei in tas Geschäst te» Peter unter Mitübernahme aller Geschästsaktiva und Pas­ siva eingetreten, kann um deswillen keine taugliche Unterlage sür die gegenwärtigem Rechtsstreit zu Grunde liegende Klage bilten, weil ein diessälliges Uebereinkommen zwischen Peter und U. doch den Gläubigern teS Peter aus der Zeit vor U.'S Eintritt in das Geschäst des Ersteren nur dann Rechte geben würde, wenn das Uebereinkommen von den Berheiligten in öffentlichen Blättern oder durch Cirkular oder in sonstiger Weise öffentlich bekannt gemacht worden wäre — Erk. te» OHG v. 21. Okt. 70 sRspr. I S. 127] —, eine solche Bekanntmachung aber weder in dem skeigebrachten] Briefe des Bell, zu finden, noch, sonst vom Kläger behauptet ist." Dgl. Erk. v. 21. Okt. 71, unten Nr. 25, S. 150.

104 Nr. 17.

n. Senat. — Erkenntniß v. 14. Gkt. 71. (3.) A. Engländer •/. Gebr. George (Rr. 417 v. 71).

Nichtigkeitsbeschwerde.

Preußen.

I. Instanz: Stadtgericht Berlin, II. Instanz: Kammergericht daselbst. Kommissionär al» Gelbstkanfer rc.

Im Falle des Art. 376 Abs. 3 HGB hat der Kom­ missionär nicht das Recht, ohne Weiteres als Selbstkailfer, bzw. Verkäufer aufzutteteu. Vgl. Rechtsfall Nr. 14, »den S. 90.

Zufolge Auftrags des Klägers hat die Beklagte für

denselben am 30. Aug. 69 zu Berlin „10000 Gulden österr.

Kreditaktien per ultimo September fix" angekauft.

Unter

den Parteien wird gestritten, zu welchem Kurse der Kauf geschehen und ob Beklagte hierbei

als Selbstverkäuferin

anzusehen sei. Das OHG entscheidet letzteres bejahend, aus folgenden

Gründen: Nach Ansicht des Appellrichters ist die Behauptung der Beklagten: den klägerischen Kommissionsauftrag durch effek­

tiven Ankauf von 10000 Gulden österr. Kreditaktien am 30. August 69 erfüllt zu haben, ... für erwiesen zu er­ achten; doch soll es dieses Beweises nicht bedurft haben, weil Beklagte nach Art. 376 HGB von vorherein befugt gewesen sei,

die einzukaufenden Papiere

als Selbstver­

käuferin zu liefern, da Kläger nicht ein Anderes bestimmt gehabt habe.

Für diese Auslegung bezieht sich der Appell­

richter auf die Gesetzes-Motive unter Hinweis aufv.Hahn's

Komm. B. II S. 361, ohne nähere An- und Ausführung,

und auf die Gründe des I. Urtels.

Hier ist gesagt, daß,

da Beklagte bei der Einkaufs-Anzeige der fraglichen Papiere deren Verkäufer nicht namhaft gemacht, Kläger nach Art. 376

Abs. 3 das Recht, die Beklagte selbst als Verkäuferin in

105 Anspruch zu nehmen, erworben habe, daß aber hieraus mit Nothwendigkeit folge, daß auch Beklagte des Nachweise-

des wirklichen Ankaufs der Papiere überhoben sei. Zwar verstößt diese Schlußfolgemng des I. Richter-

unb bzw. die vom Appellrichter dem Art. 376 gegebene Auslegung

gegen

die

allgemeinen Jnterpretationsregeln,

insonderheit gegen den aus den Motiven und der Fassung erkennbaren Sinn dieses Artikels, sowie die Auffassung,

welche derselbe im Handelsverkehr, in der Wissenschaft und anderweit in der Rechtsprechung gefunden hat.

Dgl. v. Hahn a. a. O. S. 372 § 13 und n. 21; v. Kräwel in Busch's Archiv, B. VIII S. 464; Erk. des OTr. zu Berlin v. 20. Nov. 66, Strieth.

Arch. B. 64 S. 301, u. öfter. Demungeachtet

aber muß dem

auf Verletzung des

fraglichen Artikels gestützten Angriff der NktBschw. Erfolg versagt werden*.

Denn nach obgedachter Argumentation

fährt der Appellrichter fort: „Es kommt im gegebenen Falle hinzu, daß die Notiz der Beklagten v. 30. Aug. 69 auch von dem Kläger selbst im Schreiben v. 31. desselben Monats wörtlich

acceptirt und bestätigt wurde." Freilich ist eine nähere Auslassung des Appellrichters

auch in Bezug dieses Arguments zu vermissen.

Dasselbe

kann in einem doppelten Sinne verstanden werden.

Ent­

weder soll es besagen, daß sich Beklagte inhalts der Noti­ fikation v. 30. August 69 als Selbstverkäuferin kund

gegeben und Kläger sie als solche durch sein Schreiben

v. 31. anerkannt habe.

Bei dieser Auslegung kann von

einer Verletzung des Art. 376 HGB nicht die Rede sein. Oder der Appellrtchter hat aussprechen wollen, daß im

Schreiben des Klägers v. 31. Aug. 69 ein Zugeständniß • Vgl Rspr. II S. 251.

106

desselben, betreffend den nach Anzeige der Beklagten v. 30. bewirkten Einkauf der Aktien, enthalten und demzu­ folge die Beklagte von der Pflicht des Beweises dieses Einkaufs befreit sei. In jedem Falle stellt sich der fragliche Entscheidungsgmnd des Appellrichters als ein selbständiger dar, da er von der obgedachten Auslegung des citirten Gesetzes unabhängig ist. Dies wird auch in der NktBschw. nicht verkannt. Dem entsprechend hat Implorant — anscheinend von derjenigen Auffassung des Entscheidungsgrundes aus­ gehend, welche oben als zweite Alternative hingestellt ist — einen prozessualen Angriff erhoben. Er behauptet näm­ lich, daß der Appellrichter — indem er darauf Gewicht gelegt, daß Kläger die Notiz der Beklagten v. 30. Aug. im Schreiben v. 31. acceptirt und bestätigt — im Sinne des § 5 Nr. 10, c der Verordnung v. 14. Dez. 33 gefehlt habe, weil nach Feststellung des Appellrichters die Angabe der Beklagten: die Aktien zu 120'/- Prozent angekauft zu haben, auf Unwahrheit beruhe und deshalb dem Schreiben v. 31. August keine Beweiskraft beigelegt werden könne. Der Angriff ist jedoch unzutreffend. Die Echtheit des Schreibens v. 31. August ist außer Streit. Es kann sich also nur um die Auslegung, nicht um die Beweiskraft des Schreibens seinem Autor, dem Kläger, gegenüber handeln. Auch folgt aus jener Feststellung des Appellrichters nur, daß dem Kläger der Inhalt seines Schreibens, inso­ weit er sich auf die Kursangabe der Beklagten im Schreiben v. 30. August 69 bezieht, nicht präjudizirlich ist. Ob aus der Unrichtigkeit dieser Kursangabe eine Schluß­ folgerung gegen die Wahrheit des ganzen Inhalts des letztgedachten Schreibens sich ziehen läßt, und welche Be­ deutung für die Beurtheilung der Sachlage solche Schluß­ folgerung für sich in Anspruch nehmen kann? diese Fragen müssen unbeantwortet bleiben, da ihre Entscheidung außer-

107

halb der Tragweite der in der NktBschw. unternommenen Angriffe liegt. Aus diesen Gründen mußte der NktBschw. Erfolg ver­ sagt werden; Nr. 35 der Instruktion v. 7. April 39.

Nr. 18. II. Senat. — Erkenntniß v. 14. Okt. 71. (llef.) 'M. van der Elll

Nassauische Rhein- und Lahn-Eisenbahngescllschaft in Liquidation (Nr. 570 v. 71).

Preußen.

Revision. I. Instanz: Kreiöaericht Wiesbaden, II. Instanz: Appellationsgericht daselbst.

Anspruch des Theilhabers einer aufgelösten Gesellschaft auf Dermögcnstheilung und seinen Antheil. Zahlungen auf Jnhaberpapiere.

1. Die Theilung des Vermögens einer aufgelösten Ge­ sellschaft kann jeder Gemeinschaftsinteressent verlangen, so­ bald theilbare Vermögensobjekte vorhanden find. Wie ist die betreffende Klage zu begründen? L. 13 Big. 17, 2. Vgl. HGB Art. 141,

172, 244, 245.

2. Die Liquidatoren einer aufgelösten Gesellschaft haben den Aktionären den Bestand des gemeinsamen Aktivvermögens nachznweisen und demgemäß jedem Aktionär den seinen Aktien entsprechenden Betrag ausznzahlen.

HGB Ari. 245.

3. Der Aussteller eines Jnhaberpapiers kann, falls er den ganzen Betrag der Forderung auszahlt, Aus­ lieferung des Papiers verlangen. Geleistete Abschlags­ zahlungen sind auf dem Papier zu quittiren.

Bgk«HGB Art. 303 Abs. 3, DWO Art. 39 Jn allen übrigen Beziehungen

dagegen steht er, auch nach den „Versicherungsbedingungen", dem in der Police genannten dritten Versichetten gleich, und es ist namentlich völlig undenkbar, daß ihm das Recht versagt sein sollte, aus dem die Grund­ lage des Versicherungsvertrags bildenden Ver­ sicherungsantrag. seine Berechtigung, daß nämlich der Versicherungsvertrag zu seinen Gunsten ge­ schlossen sei, darzuthun. Es liegt in seinem In-

145 teresse, daß sein Name in der Police genannt sei, wie umgekehrt die Nichtnennung im Interesse der Versicherungsgesellschaft. Ist die Namensnennung von der Versicherungsgesellschaft bei Ausfertigung der Police Unterlasten (gleichviel ob aus Versehen oder absichtlich, um die Vortheile der Nichtnennung zu genießen) und der Ver­ sicherungsnehmer hat diese Police angenommen: so muß freilich der dritte Versicherte sich dies gefallen lassen; aber die Versicherungsgesellschaft handelt dolose, wenn sie, um seiner Nichtnennung in der Police willen, ihm die Rechte eines dritten Versicherten überhaupt streitig macht. Durfte sich somit die ursprüngliche Klägerin allerdings auf ben Inhalt des Versicherungsantrags zu dem Zweck berufen, um ihre aktive Sachlegitimation darzuthun: so' kann nur in Frage stehen, ob die rechtlichen Voraus­ setzungen eines zu Gunsten der Ehefrau des Pusch wirk­ samen Versicherungsvertrags vorliegen. Dies ist zu bejahen. Es darf davon abgesehen werden, ob nach dem in erster Linie maaßgebenden Handelsgewohnheitsrecht — HGB Art. 271 Nr. 3, Art. 1 — Versicherungen zu Gunsten eines am Leben der versicherten Person interessirten Dritten eines Beitritts dieses Dritten zu dem zwischen dem Ver­ sicherer und Versicherungsnehmer geschlossenen Vertrage oder auch nur einer Genehmigung des Stritten bei Lebzeiten des Promiffars bedürfen; für das Seeversicherungsgeschäft sind dergleichen Versicherungen „für fremde Rechnung" unter gewissen Voraussetzungen auch gesetzlich als statthaft und den Versicherer bindend anerkannt; HGB Art. 785, 786. Denn schon nach den Grundsätzen des bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen unterliegt die Wirksamkeit des Versicherungsvertrags zu Gunsten der Ehefrau t>es Pusch keinem Zweifel, die Bestimmungen dieses Gesetzbuches sind maaßgebend. AIs „Sitz der Gesell­ schaft" — dessen Gesetze nach § 18 der „Bedingungen" IV. 10

146 die Giltigkeit der Versicherung, sowie die aus derselben entspringenden Rechte und Verbindlichkeiten beider Theile normiren — gilt für das hier in Rede stehende Geschäft derjenige Ort, an welchem die Generalagentur der be­ klagten Gesellschaft für das Königreich Sachsen ihren Sitz hat, und dies ist unstreitig Dresden. Rach § 1 der ssächs.j Verordnung v. 16. Septbr. 56 sind ausländische Versicherungsanstalten aller Art, welche ihren Geschäfts­ betrieb über da- Königreich Sachsen erstrecken wollen, ge­ stalten, „einen innerhalb Landes gelegenen Ort als ihren Sitz hinsichtlich aller der Geschäfte zu wählen, welche sie mit Inländern oder über inländische Versicherungsobjekte abschließen", und durch die Wahl dieses Sitzes im Inlands wird zugleich ihr Gerichtsstand, vor welchem sie wegen aller gedachten Geschäfte Recht zu nehmen haben, begründet. Vgl. auch königl. sächs. Ausführungs-Verordnung v.30.Dez.61 § 9. — Abweichend vom § 18 der „Bedingungen" ist somit nicht das in Stettin geltende preußische Recht, sondern das sächsische Recht für den vorliegenden Fall entscheidend, gleichwie der Rechtsstreit nicht vor das preußische Kreis­ gericht zu Stettin, sondern vor das Handelsgericht zu Dresden gehört und dort geführt worden ist. Rach § 853 ff. des bürgerlichen Gesetzbuchs erwirbt aus dem zu Gunsten eines Dritten geschlossenen Vertrage so­ wohl der Promissor wie der Dritte ein Recht auf Erfüllung der Promittent ist beiden, zwar nicht gleichzeitig, aber doch successiv gebunden, der Art, daß zwar dem Dritten bis zu seinem Beitritt die Liberation des Promittenten durch den Promiffar schadet, mit dem Augenblick aber, da

er dem Vertrage beitritt oder die Leistung annimmt, das Forderungsrecht des Promiffars erlischt. Der Beitritt des Dritten geschieht durch jeden Akt, welcher dessen Willen erkennen läßt, die Rechte aus dem Vertrage geltend zu machen, durchaus formlos, somit auch durch bloße Klage-

147 Anstellung, völlig unabhängig von demWillen des Promittenten und deS PromissarS, somit auch nach dem Tode des Letzteren, es sei beim, daß inzwischen der Promittent durch ben ProMiffar oder dessen Rechtsnach­ folger von der übernommenen Verbindlichkeit befreit worden wäre. Annalen des OÄppGer. Dresden, Neue Folge B. m S. 141 (Ztschr. für HR B. XII S. 558 ff). Windscheid Pandektm B. II § 316 n. 18. War somit die ursprüngliche Klägerin diejenige Person, zu deren Gunsten Pusch den Derficherungsvertrag geschloffen hat: so hat dieselbe durch Anstellung der Klage gegen die Versicherungsgesellschaft ihren Beitritt zum Vertrage in aus­ reichender Weise erklärt. Freilich sind durch die der Police inserirten „Allgemeinen Bedingungen" die Rechte der Drittm sehr er­ heblich eingeschränkt. Bis zu dem Termin, wo das versicherte Kapital fällig wird, tritt die Versicherungsgesell­ schaft zu dem Dritten in kein Kontraktsverhältniß, auch wenn er dem Vertrage beigetreten ist. Dem Promiffar steht demungeachtet die uneingeschränkte Verfügung über das Recht aus dem Versicherungsverträge zu, und sogar nach eingetretener Fälligkett darf die Versicherungsgesellschaft an den bloßen Präsentanten der Police zahlen, sofern nicht der Dritte in der Police genannt und noch am Leben ist. Hieraus könnte man schließen, daß die Versicherungsgesellschaft sich nur dem Promissar, nicht auch dem Dritten habe verpflichten wollen, es somit an einem wesentlichen Kriterium des Verttags zu Gunsten eines Dritten — bürgert GB § 853 — mangele. Mein dieser Schluß wäre irrig. Mit dem Augenblick der Fälligkett deS Versicherungs­ kapitals, somit nach dem Tode der versicherten Person oder doch spätestens innerhalb der durch § 14 Abs. 3, § 15 der Bedingungen gesetzten Dreimonats-Frist muß sie schlechthin 10*

148

an den in der Police benannten Dritten zahlen, und muß, sofem sie nicht bereits an den Präsentanten gezahlt hat, auch an den in der Police zwar nicht benannten, aber doch anderweitig als diejenige Person, zu deren Gunsten die Versicherung abgeschlossen ist, legitimirten Dritten zahlen. Insoweit sie dem Dritten aber zahlen muß, ist sie ihm auch verpflichtet und wollte, da ite auf Grund des zu Gunsten dieses Dritten lautenden Ver­ sicherungsantrags kontrahirt hat, ihm vertragsmäßig ver­ pflichtet sein. Ihre Verpflichtung ist eine bedingte und betagte, aber als solche eine wirksame. Annalen Neue Folge B. III. S. 142; Ztschr. für HR B. XII S. 554 ff. II. War hiernach das II. Erkenntniß aufzuheben, so mußte auf die nunmehr wieder auflebenden Beschwerden beider Theile gegen das erstinstanzliche Urtel wie geschehen erkannt werden. A. Auf die klägerische Appellation bezüglich der Verzugszinsen: Daß der I. Richter die geforderten Verzugszinsen von erhobener Klage an abgesprochen und solche nur von der Zeit an zugebilligt hat, wo der Bekl. die von Klägerin bewirkte, noch zu erbringende Sachlegitimation bekannt ge­ worden sei, erscheint nach Vorstehendem unbegründet. Zwar ist unrichtig, daß schlechthin innerhalb dreier Monate nach Eingang der erforderlichen, die Auszahlung begründenden Schriftstücke und Atteste die Gesellschaft zur Zahlung der Versicherungssumme verpflichtet sei. Vielmehr berechtigt § 14 Abs. 4 (am Ende) der „Bedingungen" die Gesellschaft, die Zahlung so lange zu verweigern, bis der von ihr ge­ forderte Nachweis der Legitimation des Präsentanten voll­ ständig geführt ist, „ohne dadurch zur Deposition des zu zahlenden Kapitals oder zur Entrichtung von Zögerungs­ zinsen verpflichtet zu werden." Indessen entscheidet

149 selbstverständlich nicht das unkontrollirbare Er­ messen der Gesellschaft, sondern im Streitfälle das

richterlicheUrtheil über die Frage der vollständigen Legitimation. Steht es nun [wie unter I gezeigt ist] fest, sowohl daß die ursprüngliche Klägerin die Ehefrau des Bäckermeisters C. G. Pusch gewesen und daß zu deren Gunsten die Versicherung abgeschlossen ist, wie daß Beklagte beide Thatsachen bereits zur Zeit der Klagerhebung gewußt hat: so war ihr gegenüber schon damals die Legitimation der ursprünglichen Klägerin vollständig erbracht, und es ist daher, sofern Bekl. nicht aus anderem Grunde die Aus­ zahlung der Versicherungssumme mit Recht verweigert hat, der Anspruch auf Verzugszinsen von erhobener Klage an gerechtfertigt. B. Auf die Appellation der Beklagten, anlangend den Altersnachweis. Nach § 13 der „Allgemeinen Bedingungen" ist aller­ dings jeder Versicherte verpflichtet, ein glaubhaftes Zeug­ niß über sein Alter beizubringen, und „ist dies bei Ab­ schluß der Versicherung versäumt worden, so muß das Zeugniß nachgeliefert werden." Auch hat die DersicherungsGesellschaft ein erhebliches Interesse an dieser Nachlieferung (vgl. 8 8, a bis c, § 13 Abs. 2 der „Bedingungen"), und es kann die Angabe des Alters weder in derBersicherungspolice noch im Todtenschein das Alterszeugniß ersetzen. Indessen kann nicht ohne Weiteres dem Kläger diese Bei­ bringung angesonnen werden. Vielmehr hat Bekl. zuvörderst ihre Ausflucht dahin zu erweisen, daß bei Abschluß des Versicherungsvertrags die Vorlegung des Alters­ zeugnisses versäumt worden sei. Denn die Beibringung des Alterszeugnisses vor oder bei Abschluß des VersicherungsVerträgesbildet im ordnungsmäßigen Geschäftsgang der Versicherungsanstalten die Regel*), und es ist nicht ♦) Bgl. HEB Art. 279; Rspr. II S. 347 Nr. 3, auch oben S. 16.

150 anzunehmen, daß der — Geburtsjahr und Geburtstag des Pusch auf der Police genau angebende — Vermerk „ge­ boren am 14. September 1827" ohne Vorlegung eines Merszengniffe-, auf die bloße Angabe des Pusch hin, ge­ schehen sei. Gegen dieses liquide Geständniß liegt der Bell, der Gegenbeweis ob, und nur in diesem Sinne wird sie zum Beweise ihrer betreffenden Ausflucht verstattet. Nr. 25.

H. Senat. — Erkenntniß v. 21. OKI. 71. (v.) «. Suffe » Hillxbr-nd •/. -Uscher (St. 471 e. 71). Presßeu. Nichtigkeitsbeschwerde. L Instanz: Preisgericht Herford, IL Instanz: Appellation-gericht Paderborn. Enterb ei»er UebernM-me der Gch»lde«h«Mm-, Ctrk»l«re.

L Wer ein Handelsgeschäft nebst Firma erwirbt, wird dadurch, daß et in dem betreffenden Vertrage die Geschäfts­ schulden mit übernommen hat, den vorhandenen Gläubigem nicht verhaftet. Feste Praxi- des OHG, vgl. oben S. 102.

2. Wem» aber in solchem Falle der Erwerber die Mitübemahme der Schuld« einem Geschäftsglänbiger be­ sonder- kundgiebt oder allgemein durch Cirkular bekannt macht: so hat er nunmehr, nach handelsrechtlichen Prinzipien, sür die betreffendm GeschäftSschnlden aufzukommeu. HGB Art. 1, 279; Rspr. I S. 127 Nr. 3, 132 ff.

3. Für die geschäftliche Qualität aller Betätige*) eines Kaufmanns streitet eine gesetzliche Bermnthnng. HGB Art. 273 Lös. 1, 274. So: Erk. de- IL Sen. v. 18. Nov. 71 in Sachen Kaufs­ mann */. Sabatzky, Nr. 467 v. 71. Feste Praxi- de- preuß. OTr.; Makower Komm. S. 206 n. 19 -u Art. 274. • Da- gilt auch für da- Au-stellen, Acceptiren oder Begeben von Wechseln,Strieth.Arch.B.63 6.265,». 57S. 297;vgl. Rspr.IIS. 1.

151

4. Eine zum Zwecke derLiquidatiou einer Handlung jrblldete Gesellschaft, welche dieses Geschäft nebst Firma erworben hat, tarn als eine Handelsgesellschaft angesehen werden. HEB Art. 85, 22.

Das gefammte, im Konkurse befangene Vermögen der Kauffrau Hlldebrand und der Firma: G. B. & H. ist, nebst dem Recht zur Fortführung beider Firmen, durch Vertrag o. 11. März 66 dem Gutsbesitzer A., einem Kaufmann K. und dem Dr. V. übereignet worden. Die drei Erwerber haben sich dann, mittelst Vertrags v. 12. März, zu einer Handels« gesellschast vereinigt, welche unter den vorgenannten Firmen die betr. Bermögensmaffen zu versilbern und die Konkurs­ gläubiger zu befriedigen bezweckt. Demnächst sind die Konkurse mit Einwilligung der Gläubigerschaften zur Auf« Hebung gelangt. Im Konkurse der Frau Hildebrand hatte der Kläger, Polizeikommiffar II. eine aus Handelsgeschäften herrührende Forderung angemeldet, welche er jetzt gegen die Handels­ gesellschaft G. B. & H. geltend macht — unter Berufung darauf, daß die nunmehrigen Gesellschafter der Gemein­ schuldnerin gegenüber die Befriedigung aller Gläubiger übernommen haben. Der Klageanspruch wird in zwei Instanzen für begründet erachtet, auf Nkt. Bschw. der Be­ klagten aber hat daS OHG das Appelluttel vernichtet und die Sache zu anderweittger Verhandlung (über die bisher nicht erörterte Einrede einer bereits erfolgten Befriedigung des Klägers) in die II. Instanz zurückgewiesen. Triiade: Der Appellttchter erachtet die Annahme des L Richters, daß die Handelsschuld der Frau Hildebrand an den Kläger durch den Vertrag v. 11. März 66 auf die Beklagte, als neue Schuldnerin, gesetzlich über­ gegangen sei,

152

für begründet und unbedenklich.

Wenn jener Vertrag in

dieser Beziehung deshalb bemängelt worden, weil es an einem ausdrücklichen Beitritt des Klägers und an einer Annahme der Bell, als Schuldnerin seitens desselben fehle:

so könne dem Einwand — gegenüber der zweifellosen Ab­ sicht des Gesetzgebers und der Auslegung, welche den ein­

schlagenden Bestimmungen (Art. 15, 23, 113 HGB) in der (preuß.) Gerichtspraxis*) gegeben sei — ein maaßgebendes

Gewicht nicht beigelegt werden .. . Gegen diese Argumentation hat die Nkt. Bschw. einen

Angriff erhoben, welcher auf Verletzung der angeführten

Artt-des HGB und des Rechtssatzes gestützt wird: aus Verträgen entstehen, der Regel nach, unter den

Kontrahenten (bzw.

nur

deren Rechtsnach­

folgern) Rechte und Verbindlichkeiten. Diesen,im gemeinen Recht**)sowie nach § 74 ff. ALRI 5

geltenden, Rechtssatz — mit Einschluß jener Bestimmungen

des HGB, welche eine Ausnahme deffelben für einen Fall, wie den vorliegenden, konstatiren sollen — hat der Appell

richter durch die Annahme verletzt:

daß der Käufer eines Handelsgeschäfts nebst Firma für dessen Schulden ohne Weiteres verhaftet sei.

Woraus die, dieser Annahme entsprechende, Absicht des Gesetzgebers zweifellos sich ergeben soll, hat der Appellrichter nicht angedeutet; die Entstehungsgeschichte und

die Motive der citirten Gesetzesstellen lassen solche Absicht keineswegs erkennen.

Ebensowenig kann zugegeben werden,

daß die fragliche Annahme

in

der

Gerichtspraxis

all­

gemeine Geltung erlangt hat. • Vgl. Makower Komm, zu Art. 22, n. 22, e (S. 55) und zu Art. 113 n. 44 (S. 115), auch unsere Rspr. I S. 131 n., 284 f. ♦* Puchta Pandekten § 273. § 309 Nr. 2 n. 19, B. II S. 174.

Ander-: Windscheid Pandekten

153 Daß dieselbe im Art. 15, enthaltend die Begriffs­ bestimmung der Firma, und in der Vorschrift des Art. 23 HGB, wonach die Veräußerung einer Firma als solcher (abgesondert von dem Handelsgeschäft, für welches sie bisher geführt wnrde) unzulässig ist, ihre Rechtfertigung nicht findet, wenn man diese Bestimmungen für sich betrachtet, erscheint unleugbar. Es kann sich nur fragen, ob zwischen ihnen und dem Art. 113 ein Zusammenhang besteht, welcher die Annahme des Appellrichters zu begründen vermag? Auch diese Frage aber ist zu verneinen, weil Art. 113 in Eigenthümlichkeiten des Gesellschakts-Verhältniffes und Vermögens seinen Grund hat, durch welche seine Bestimmung, daß der neu eingetretene Gesellschafter für die vorhandenen Verbindlichkeiten mithaftet, aus­ schließlich bedingt ist. An Stelle näherer Ausführung sei auf die Erk. des OHG v. 21. Okt. 70, 21. Fedr., 21. März, 28. März 71 verwiesen. (Vgl. Rspr. I S. 127, 284, 365, 377]. Hienach mußte die Rkt. Bschw. für begründet ange­ sehen und die angegriffene Entscheidung vernichtet werden; 8 4 Nr. 1 der Verordnung v. 14. Dezbr. 33. Sofern sich bei der Sachlage annehmen läßt, daß dem Kläger von der Bekl. die Schuldenübemahme und deren Zweck (unmittelbar oder mittelbar) bekannt gemacht worden ist, und daß Kläger mit Rücksicht auf sie in die Aufhebung des Konkurses gewilligt hat, stellt sich die Ver­ pflichtung der Bekl. zur Befriedigung des Klägers als eine vertragsartige und nach handelsrechtlichen Grundsätzen zweifellose dar. Die Behauptung der Beklagten, daß die

Einwilligung in die Konkursaufhebung vom Kläger auf Wunsch und Veranlassung seines Sohnes erklärt sei, steht dieser Auffassung nicht entgegen, weil die behauptete Thatsache jenen Kausalnexus zwischen der Schuldübernahme der Bekl. und der Ertheilnng des Konsenses seitens des

154

Klägers in die Konkursaufhebung nicht nothwendig, und keinenfalls vollständig, ausschließt. Hiervon abgesehen, läßt sich durch die beantragte Bemehmung des Sohnes des Klägers nicht feststellen: ob und in welchem Maaße Zeuge auf den Entschluß des Klägers zur Ertheilung der fragt. Einwilligung eingewirkt habe? zumal Beklagte den Beweissatz nicht durch nähere Angabe der vom Zeugen zur Herbei­ führung des vorgedachten Entschluffes angewendeten Mittel substanzirt hat. Es bedarf aber nicht einmal jenes Kausalnexus zur Verhaftung der Beklagten für die Klageforderung. Es genügt dazu, wenn Beklagte ihre Uebernahme der Handelsschulden der Frau Hildebrand deren Handlungsgläubigem mit Bezug auf den Konkurs oder überhaupt in der Weise besannt gemacht hat, daß daraus die Handlungsgläubiger die Ab­ sicht der Bekl, ihnen an Stelle der ursprünglichen Schuldnerin haften zu wollen, entnehmen konnten. Es würde dies um deshalb genügen, weil das feststeht, daß die Succession der Bekl. in das Handlungsgeschäft der Frau Hildebrand unter Uebernahme der Geschäftsschulden stattgefunden hat. Auch in dieser Hinsicht kann auf das, schon oben citirte, Erk. des OHG v. 21. Okt. 70, und zwar hier auf diejenige Ausfühmng verwiesen werden, welche die Wirkung einer, durch Cirkulare vermittelten Bekanntmachung der Uebernahme der Passiva beim Erwerb eines Handlungsgeschäfts betrifft IRspr. I S. 133 ff.]. Denn einer solchen Bekanntmachung durch Cirkulare würde die oben suppouirte Bekanntmachung zweifellos gleichzustellen fein. Nun ist in dem Satze der Klage:

„Bald darauf" — nämlich nach Anmeldung der jetzt eingeklagten Forderung im Hildebrand'schen Kon­ kurse — „endete der Konkurs durch außergerichtliches Arrangement mit den Konkursgläubigem, deren Be-

155 friedigung die.... jetzigen Theilhaber der bekl. Handelsgesellschaft übernahmen," offenbar die Behauptung ausgedrückt, daß die Einwilligung in die Konkursaufhebung im Zusammenhang mit der ftagl. Schuldenübervahme stehe, bzw. daß diese den Konkursgläubiger«, um die Aushebung des Konkurses zu bewirken, bekannt gemacht worden sei. Ist dies richtig, dann kann auch nicht wohl etwas anderes angenommen werden, als daß diese Bekanntmachung von der Bekl., welche daS gesammte Vermögen der Gemeinschuldnerin und zwar zur Abfindung der Konkursgläubiger erworben hatte, ausgegangen ist. Beklagte hat... ausdrücklich... nur die Behauptung be­ stritten, daß die Klageforderung anerkannt und die Haftung für dieselbe besonders zugestchert worden sei. Darauf: ob die Verträge der Bekl. v. 11. und 12. März 66 zur Kenntniß der Konkursgläubiger gebracht worden seien? ist keinerseits Gewicht gelegt... Nach Lage der Akten ist als unstreitig anzusehen, daß, zur Erreichung des Zweck- der mehrerwähnten Verträge, von deren Inhalt seüens der Bekl. allen Gläubigern der Frau Hlldebrand, welche ihre Forderungen in deren Konkurse angemeldet hatten, Kenntniß gegeben worden. Außerdem aber kommt in Betracht, daß der L Richter davon auSgegangen ist, daß die Konkursaufhebung lediglich darin ihren Grund hatte, daß die Inhaber der bekl. Gesellschäft daS gesammte Vermögen der Frau Hlldebrand er­ worben und die Befriedigung der Konkursgläubiger über­ nommen hatten. Diese Auffassung des Sachverhalts hat keinerlei Anfechtung erfahren. Und demgemäß ist sogar der obgedachte Kausalnexus als unstreitig anzuaehmen. Allerdings setzt die Verhaftung der Bekl. für die Klagforderung, welche hieraus — nach dem LorauSgeschickten — hergeleitet werden muß, voraus, daß die Klageforderung

156 aus einem oder mehreren Handelsgeschäften der Frau

Hildebrand herrührt, also zu den Handlungsschulden gehörte, und daß die Bell, als Handelsgesellschaft zu

betrachten ist. Jedenfalls würde, wenn diese Voraussetzungen

nicht zuträfen imb wenn daher nicht die handelsrechtlichen Prinzipien und Bestimmungen maaßgebend wären, die Ent­

scheidung in der Sache noch von Beantwortung besonderer Vorfragen abhängig zu machen sein. Hierauf braucht jedoch nicht näher eingegangen zu werden, weil die fraglichen

Voraussetzungen als vorliegend anzusehen sind. Nach

Art. 273 Abs. 1, in Verbindung mit Art 274

HGB muß vermuthet*) werden, daß Frau Hildebrand die

beiden Darlehne, deren Restbetrag die Klageforderung bildet, zum Betrieb ihres Handelsgcwerbes ausgenommen hat. Daß diese Vermuthung dadurch nicht ausgeschloffen ist, daß

die betreffenden Schuldscheine nicht mit der Firma unter­

schrieben sind, nimmt der Appellrichter mit Recht an.

Es

folgt dies aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte

des Art. 274 Abs. 2, wie schon in Sachen der HypothekenVersicherungsgesellschaft zu Dresden •/. Seebe im Erk. v. 13. Mai 71 fRspr. III S. 52 ff.] dargethan ist.

Was die rechtliche Natur der bekl. Gesellschaft an­

belangt, so ist in der Zweckangabe des Konstituirungs* Diese für die geschäftliche Qualität aller Verträge eines Kaufmanns streitende Vermuthung hat der II. Senat des OHG bereits in der Berliner Mtbjchw.- Sache Hirschberg •/. Blumenthal (Nr. 348 v. 71) durch Erk. v. 23. 71 anerkannt, erwägend: daß nach An. 273 Abs. 1 HGB alle einzelnen Geschäfte eines Kaufmanns, welche zum Betrieb seines Hanoelsgewerbes ge­ hören, alsHandelsgeschäfte anzusehen sind, und nach Art. 274 Abs 2. die von einem Kaufmann geschlossenen Verträge im Zweifel als zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehörig gelten, folglich auch in Ansehung derjenigen einzelnen Geschäfte eines Kaufmanns, bei welchen die Voraussetzungen der Art. 271 und 272 nicht zutrefsen, die Präsumtion für die handelsgeschästliche Qualität spricht, daß in vorliegendem Falle aber vom Avpellrichter keine Thatsachen festgestellt sind, welche diese Präsumtion auszuschließen vermöchten.

157 Vertrags v. 12. März 66 das im Art. 85 a. a. O. für die offene Handelsgesellschaft aufgestellte Begriffsmerkmal der Betreibung einesHandelsgewerbes zu vermissen. — Bon dem Gesichtspunkt aus, daß die Gesellschaft beim Erwerb des gesammten Vermögens der Inhaber der fraglichen Firmen die Liquidation dieser Handlungsgeschäste bezweckte, erscheint sie jedoch als eine Fortsetzung der Handels­ gesellschaft G. B. & H., und es ist, auf sie deshalb den Charakter einer solchen Gesellschaft zu übertragen, um so unbedenklicher, als die Parteien in dieser Charakterisirung einig sind, die Klage sogar in ihrer Begründung in An­ sehung der Passiv-Legitimation voraussetzt', daß die Be­ klagte als Handelsgesellschaft zu beurtheilen.

Nr. 26.

II. Senat. — Erkenntniß v. 21. Gkt. 71. (3.) Putziger & Heymanu •/. H. Brause (Nr. 528 V. 71).

Preuße«.

Wechselsache.

Revision.

I. Instanz: Stadtgericht Berlin, II. Instanz: Kammergericht daselbst. Aufhebung der väterliche» Gewalt. Vechselverpflichtnng auf Grund ungtltlger Geschäfte.

1. Nach Preuß. AM tritt ein großjähriger Haussohn aus der väterlichen Gewalt, su. A.:j a) sobald er auf Veranlassung seines BaterS uud zum Zwecke einer vou diesem ihm übertrageueu Gutsverwaltung, entfernt vom Wohnsitz des Vaters, feinen ständigen Aufent­ halt nimmt, ALR II. 2 § 210;

b)

wenn er gewerbmäßig Handelsgeschäfte treibt. ALR II. 2 § 212a.

2. Welche Bedeutung hat 8 213 ALR II. 2? 3. Zn den Erfordernissen einer Wechselverpflichtung

158

gehört es nicht, daß dem Geschäft ($. B. dem Acee-t) eia Schnldverhaltniß zu Gruude liegt. DWO Art. 4, 22 Ms. 2, 23, 81. Dgl. Rspr. U S. 142, III S. 75 ff.

In einer altpreußischen Revisionssache hat sich das OGG, bei Bestätigung des Appellurtels, ausgesprochen laut folgender Entschri-nna-gründr: Beklagter hat das auf dem Klagewechsel befindliche Accept als von ihm herrührend anerkannt, dem Klageanspmche aus demselben aber zwei Einreden entgegengesetzt, nämlich: 1) daß er noch unter väterlicher Gewalt stehe, und 2) daß dem Wechsel unklagbare Differenzgeschäfte zu Grunde lägen. Beide Einreden sind vom Appellrichter verworfen, und zwar aus zutreffenden Gründen. Bei Prüfung' des Einwands zu 1 geht der Appell­ richter mit Recht und ohne auf einen Widerspruch seitens des Bekl. zu stoßen, davon aus, daß die Frage: ob Beklagter zur Zeit der Acceptirung des Klagewechsels bereits aus der väterlichen Gewalt entlassen war, nach den Bestimmungen des preuß. ALR IL 2 §§ 210 ff. zu beantworten ist, sowie das Beklagter zu jener Zeit [1. April 71] schon die Großjährigkeit erreicht hatte. Auch wird vom Appell­ richter nicht — wie ihm die Revisionsschrift vorwirft — verkannt, daß der Klägerin der Beweis der stattgefunde­ nen Aufhebung der väterlichen Gewalt über den Bekl.

oblag. Andererseits war der Appellrichter wohl berechtigt, diesen Beweis aus einer vom Bekl. produzirten Urkunde (dem Attest des Raths der Stadt Leipzig v. 12. Juni 71) bzw. aus eigenen Angaben des Bell, zu entnehmen, da letzteren, insoweit sie der Klägerin günstig sind, der Charakter und die Geltung von Zugeständnissen beizumessen ist und

159

da die Beweismittel in Bezug auf ihre Wirkung gemeinschaftlich sind. Inhalts der vorgedachten Urkunde hat die Stadt­ gemeinde Leipzig das ihr zugehörige Klostergut Connewitz an dm zu Dederstedt (bei Eisleben) wohnhastm Baler des Beklagten verpachtet und Letzterer das Gut im Auftrage seines Vaters verwaltet. Als unstreitig ist anzusehen, daß die amtliche Auskunft sich auf die Zeit der Acceptirun g des Klagewechsels bezieht und Beklagter damals zu Conne­ witz sich aufhielt. Daher lautet auch die Adresse des Klage­ wechsels auf „Connewitz bei Leipzig." Nun verordnet § 210 AM II. 2: „Wenn ein Sohn nach erlangter Großjährigkeit eine eigene, von den Eltern abgesonderte Wirthschaft er­ richtet, so geht er dadurch aus der väterlichen Gewalt." Mt Recht wird diese Bestimmung vom Appellrichter für anwendbar auf den vorliegenden Fall erachtet. Denn wenn ein Vater seinem Sohne die Verwaltung eines von seinem Wohnsitz entfernt liegenden Guts über­ trägt und der Sohn auf diesem zum Zweck der Verwaltung seinen Aufenthalt nimmt: so muß angenommen werden, daß der Sohn einen Haushalt führt, welcher sich nicht anders, wie als „abgesonderte Wirthschaft" bezeichnen läßt. Nach der Klagebeantwortung beschränkten sich die dem Bekl. aufgetragenen Geschäfte nicht auf vorgedachtes Kloster­ gut» sondern erstreckten sich noch auf ein Rittergut zu Connewitz, welches der Vater des Beklagten gleichfalls in Pacht hatte. Danach scheint es, daß die Gutsverwaltung des Bekl. dieses Rittergut mitumfaßt hat. Es kann dies jedoch dahingestellt bleiben, da nicht in Frage steht» ob auch in der Gutsverwaltung des Bekl. ein die Auf­ hebung der väterlichen Gewalt begründender Gewerbebetrieb im Sinne des § 212 a MR II. 2 zu erblicken ist.

160 Eben deshalb bedürfen auch die Behauptungen in der Klagebeantwortung keiner näheren Erörterung, welche dahin

gehen, daß Beklagter in der Bewirthschaftung der beiden

Güter seinem Vater nur hilfreiche Hand geleistet habe;

daß dies unter steter Kontrolle und für alleinige Rechnung des Vaters geschehen sei, sowie daß Beklagter von seinem Vater keine besondere Vollmacht gehabt und kein besonderes

Salair bezogen habe.

Bestimmte Thatsachen dafür, daß

stch die nach Inhalt des Attests v. 12. Juni 71 — welchen Beklagter gegen sich gelten lassen muß — geführte Guts­

verwaltung nur auf eine Hilfeleistung bei eigener Wirth­ schaftsführung des Vaters beschränkt hat, sind nicht an­

gegeben, und die übrigen Anfühmngen des Bekl. wider­ sprechen nicht der Auffassung, daß dem Beklagten die Ver­

waltung des Klosterguts Connewitz anvertraut war. Keinen-

falls können jene Behauptungen für geeignet erachtet werden, die Annahme auszuschließen, daß mit dem Aufenhalt

und den Geschäften

des Bekl.

in Connewitz eine abge­

sonderte Wirthschaftsführung deffelben verbunden gewesen ist. Ueberdies hat der Appellrichter noch aus einem anderen Grunde den Einwand der väterlichen Gewalt für widerlegt

erklärt, nämlich deshalb, weil Beklagter zugestanden hat, daß er, außer mit der klagenden Firma, noch mit einer Reihe

anderer Handlungshäuser Geschäfte betrieben, daß der

bezügliche Umsatz Millionen von Thalern betragen habe, und daß die Summe der von ihm bezahlten Provisionen sich auf 8000 bis 10000 Thaler belaufe. der

Appellrichter

an,

daß

Beklagter

Deshalb nimmt

gewerbmüßig

Handelsgeschäfte betrieben und daher auch in Gemäß­ heit des § 212 a ALRII. 2 für aus der väterlichen Gewalt entlassen anzusehen sei. Aus der Beziehung dieses Zugeständnisses zu der, den

Geschäftsbetrieb des

Bekl.

betreffenden

Behauptung der

Klägerin geht hervor, daß jene Geschäfte die Lieferung

161 von Spiritus und Getreide zum Gegenstand hatten. Deshalb und in Rücksicht auf den Umfang des Geschäfts­ betriebs ist dem Appellrichter in der Ausführung beizutrtten, daß derselbe als gewerbsmäßiger Handels­ betrieb zn betrachten ist, welcher nach der citttten Gesetzes­ vorschrift daS Aufhören der väterlichen Gewalt für den majorennen Haussohn zur Folge hat. Auf die Behauptung des Bell., daß die Geschäfte, well sie reine Differenzgeschäfte gewesen seien, als bloßeS „Spiel" betrachtet werden müßten, kann nicht ein­ gegangen werden, weil fie der erforderliche« thatsächlichen Substanttirung entbehrt. Daß die Vorschrift des § 213 MR H 2: „Einem großjährigen Sohne, welcher sich mit seinem Gewerbe ohne weitere Unterstützung des Vaters er­ nähren kann, ist Letzterer die Anstellung eines solchen zu verstatten und ihn dadurch auS seiner Gewalt zu entlassen verbunden, nicht dahin zu verstehen ist, daß der Gewerbebetrieb des Sohnes diesen nur dazu, die Enllaffung aus der väterlichen Gewalt zu verlangen, berechtigt: folgt aus der Faflung des § 212 a und aus der Bestimmung des § 218 daselbst, nach welcher letzteren, wenn der Vater ausdrücklich oder auch nur Mschweigend darein willigt, daß der Sohn ein be­ sonderes Gewerbe für eigene Rechnung anfange, dieses — d. h. das Anfängen des Gewerbebettiebs selbst — die Wirkung einer ausdrückllch erklärten Entlassung sogar dann hat, wenn der Sohn noch minderjährig (20 Jahr alt) ist. Selbstverständlich setzt § 212 a die Einwilligung des Vaters in den Gewerbebetrieb des Sohnes voraus, weil vom Sohn allein die Lösung des gemeinschaftlichen, in der väterlichen Gewalt bestehenden Bandes nicht bewirkt werden kann*. Der § 213 bestimmt die Voraussetzung, unter • Anders Erk. des OTr. IV. Sen.v. 24. Jan. 6S,Strieth.Arch. B. 56 S. 117.

IV

11

162 welcher der Vater verpflichtet ist, den Sohn aus seiner Gewalt zu entlasse«, und zwar durch EinwMgung in dessen Gewerbebetrieb.

Da diese Einwilligung nur eine

stillschweigende zu sein braucht, so ist ihre Ertheilung

schon dann, wenn der Vater de» Gewerbebetrieb des Sohnes zugelassen hat, zu supponiren, weil ber Vater im Inter­ esse seines Sohnes, bzw. derjenigen, welche sich mit diesem

in Geschäfte einlaffen, verbunden ist, dem Geschäftsbetrieb

des Sohnes zu widersprechen, wenn er demselben seine Ge­

nehmigung versagen will.

Mit dieser Annahme steht auch

die ausdrückliche Bestimmung des § 211 im Einklang. Ob ein Vater vom Gewerbebetrieb des Sohnes Kennt­ niß erlangt hat, ist nach den Umständen, insbesondere nach der Art, Zeitdauer, dem Umfang und den Gegenständen

des Betriebs zu beurtheilen.

Das persönliche Verhältniß

zwischen Vater und Sohn und die beiderseitigen Rechte und Pflichten aus ihrer Familienverbindung gestatten es nicht ohne Weiteres anzunehmen, daß der Vater vom Gewerbe­

betrieb des Sohnes keine Kenntniß habe. Unter allen Umständen muß Letzterer, wenn er — obwohl festgestellt ist, daß er ein Gewerbe im Sinne des § 212 a a. a. O.

betrieben hat — die Berufung auf das Fortbestehen der väterlichen Gewalt aufrecht erhalten will, wenigstens be­ stimmt behaupten, daß fein Vater vom Gewerbebetrieb

keine Kenntniß erlangt habe.

Denn in dem Gewerbetrieb

ohne Wissen des Vaters liegt der Regel

nach eine

Verletzung der Pflichten gegen diesen, welche nicht unter­ stellt werden kann.

In gegenwärtigem Falle hat sich der Beklagte darauf beschränkt, die Anführungen der Klägerin — unter denen sich die ausdrückliche Behauptung befindet, daß fein Vater von seinen obgedachten GeschästenKenntniß gehabt habe — generell

zu bestreiten.

Eine gegentheilige Behauptung ist nicht

aufgestellt worden. Seine Angabe in der Klagebeantwortung,

163 daß sein Bater bezweckt habe, seinem leichtsinnigen Lebens­ wandel ein Ende zn machen, deutet vielmehr zugeständlich darauf hin, daß allerdings die in Rede stehen­ den Börsenspekulationen, welche seinen Leichtsinn dokumentiren, seinem Bater nicht unbekannt geblieben sind. Dies läßt sich auch bei dem außerordenllich großen Umfange der­ selben nicht annehmen, und zwar um so weniger, wenn des Bell. Angabe richtig ist, daß er an die Klägerin allein Tausende von Thalem aus den Mitteln seines Vaters zur Deckung seiner Verluste gezahlt hat. Hieraus folgt, daß es einer Nachholung der Aufnahme des von der Klägerin für das Vorhandensein der Erforder­ nde zur Anwendung des § 210 oder 212 a a. a. O. an­ getretenen Beweises nicht bedarf, daß vielmehr schon nach jetziger Sachlage der Einwand zu 1 mit dem Appellrichter aus doppeltem Grunde für widerlegt anzusehen ist. — Anlangend den Einwand zu 2, so behauptet Beklagter, daß die Wechselsumme in einem Betrage von 17000 Thlrn. enthalten sei, welchen Klägerin von ihm aus Geschäften fordere, die als reine Differenzgeschäfte unklagbar seien. Es hätten nämlich die Geschäfte in, Aufträgen zum Ankauf von Getreide bestanden, welche er der Klägerin in der er­ klärten Absicht gegeben habe, daß nicht geliefert, sondern nur am Stichtage die Differenz regulirt werden solle. Die Ansicht des Appellrichters, daß diese Angabe des Bell, zur Substantiirung des Einwands nicht ausreiche, muß — worauf schon oben hingewiese« ist — als richtig aner­ kannt werden, zumal sich Beklagter der EideSdelation als Beweismittel bedient hat, im Beweisverfahren also keine nähere Aufklärung des Sachverhalts erzielt werden kann. Nicht Klägerin — wie im Revisionsbericht behauptet wird — hat den Beweis, daß die fragliche Wechselforderung auf rechtsgiltigen Geschäften beruhe, zu führen. Denn es gehört nicht zu den Requisiten des n*

164

Wechsels nach Art. 4 DWO, daß ihm ein Schuldnerhältniß überhaupt zu Grunde liegt; sondern wenn Beklagter sich von der Verhaftung aus seinem Accept durch die Berufung darauf befreien will, daß er das Accept zur Deckung einer Schuld aus Geschäften, mit der Klägerin, welche als unerlaubte auch die Verhaftung aus einem zu ihrer Deckung gegebenen Wechselaccept aus­ schließen, ertheilt habe: so war es seine Sache, den In­ halt der Verabredungen, durch welche die fraglichen Ge­ schäfte zu Stande gekommen find, speziell anzugeben. Nur hierdurch wäre Klägerin veranlaßt und in die Lage ge­ setzt worden, ihre Gegenbehauptungen vorzubringen. Zwei­ fellos genügt jene ganz allgemeine Angabe des Dekl.: die Absicht, daß die Lieferungsverträge nicht effektiv er­ füllt werden sollten, erklärt zu haben, zu der fraglichen Beurtheilung nicht.

Nr. 27.

I. Stnot. — Erkenntniß v. 84. Gkl. 71. (Nef.) M. Mendelfohn und A. L. Samuelsohn'8 Sühne /. M. Bernstein (Nr. 418 v. 71).

Revision.

Prerrtzerr. I. Instanz: Kreisgericht Schneidemühl, II. Instanz: Appellationsgericht Bromberg.

Kimfmaua, Handelsgeschäft, DeLrmg. Pfandvertrag, lande-rechtliche Form.

1. Bei Kreditgeschäften eines Kaufmanns wird die ge­ setzliche Bermvthung für das Borhaudenseiu eines Handels­ geschäfts dadurch nicht ausgeschlossen, daß derselbe fich durch Cesfioa einer Hypothek Deckung geben laßt*. HGB Art. 274, vgl. Rspr. II S. 143 ff.

2. Wenn im Geltungsgebiet des MR eine bestimmte Hypothelpost zur Deckung eines gewissen, dem Betrage nach * Ebensowenig folgt aus der Bestellung einer Sicherheit, daß die Hauptforderung zu einer bedingten geworden sei. Erl. des II. Sen. v. 28. Olt. 71 in der Berliner NltBfchw.-Sache A. Hoffmann /. O. Beer (vgl. Nachtrag S. 169.)

165

geringeren Guthabens voll cebirt wird, dabei aber der PfaudcharaVer de- Geschäfts dmch eilt schriftliche Nü>mErllanmg des Gläubigers gewahrt ist: so bedarf die nach­ trägliche AasdehRuyg deS EiustehmS der Hypothek für einen weiteren Schuldbetrag nicht der Schristfor». HGB Sri. 1, 309, 317. Lutsch, des prruß. OTr. v. 57 S. 878; «LR L 5 § 131, 151.

Im Oktober 69 übergab der Gutsbesitzer Zech dem Kaufmann M. Mendelsohn, einem Theilhaber der Gesellschastshandlung „Gebr. M.", zwei Accepte über zusammen 2300 Thlr. zur Verwerthung und mit dem Bedingen, daß aus dem Erlöse die Gläubiger des Zech befriedigt werden sollten. Dabei gewährte derselbe dem Mendelsohn durch Abtretung eines Hypothekenkapitals von 5000 Thlrn. Deckung und empfing einen Revers, inhaltS dessen nach erfolgter Ein­ lösung der beiden Accepte eine Rückzession der Hypothek zu geschehen hatte. Mendelsohn besorgte das Geschäft unter Betheiligung der Firma A. L. Samnelsohn'S Söhne und noch zweier Personen, indem diese die WechseldiScontiruug übernahmen, auch durch Zuschüsse nachhalfen. Später dtscontlrte Mendelsohn ein neues Accept von Zech über 1500 Thlr. bei Samuelsohn'- Söhnen. Nach prompter Einlösung der früheren Accepte verlangte bmm Zech die Rückzession der vorerwähnten Hypothek; Mendel­ sohn verweigerte dieselbe, indem er behauptete, vor DiScontirung des AcceptS über 1500 Thlr. mit Zech mündlich vereinbart zu haben, daß die Hypothek auch für diese trimme, im Ganzen also für 3800 Thlr. haften solle. Nunmehr klagt ein Cessionar des Zech auf gedachte Rück­ zession. Der Appellrichter verurthellte die Beklagten, das OHG aber hob diese Entscheidung auf und wteS die Sache in die II. Instanz zurück.

166 Gritude: Der Appellrichter hat die Klage für begründet er­ achtet, weil die . . . [jweite] Verpfändung der Sichen Hypothek nur mündlich geschehen sein solle, aber selbst unter Voraussetzung der Existenz eines Handelsgeschäfts schriftlich hätte geschehen müssen. Diese Entscheidung kann nicht auftecht erhalten werden. Zunächst müssen die Verträge, welche der Bekl. M. Mendel­ sohn am 1. und 15. Okt. 69 mit dem Cedenten des Klägers geschloffen, auf Seiten des Bekl. als Handelsgeschäfte gelten. Beklagter ist Kaufmann, und eS handelte sich nicht um ein gewöhnliches Darlehn, sondern um ein kauf­ männisches Discontgeschäft, für deffen Gewinn und Ver­ lust Bekl. sich mll der mitbeklagten Firma und zwei anderen Personen affociirte. Daß hierbei Beklagter sich durch Cession einer Hypothek Deckung geben ließ, schließt hie gesetzlichePräsumtton für das Vorhandensein eines Handels­ geschäfts (HGB Art. 274*) ebensowenig aus, als die That­ sache, daß der Bekl. Mitinhaber der Firma Gebrüder Mendelsohn ist, das Geschäft aber auf eigenen Namen abgeschloffen hat. Denn er kann (wie er unter Beweis­ antritt versichert) hierbei im Einverständniß mit seinem Compagnon B. Mendelsohn gehandelt haben, und selbst ohne diesen Konsens wäre seine Qualität als Kaufmann Dritten gegenüber nicht alterirt; Art. 96, 97, 6 Abs. 3 HGB. Als vereinbarter Bestandtheil des Diskontgeschäfts würden also die Pfandbestellungen v. 1. und 15. Okt. 69, d. h. die Verträge, wonach die Hypothek der 5000 Thlr. dem Bekl. M. Mendelsohn als Pfand für die Discontiruvg der Accepte des Cedenten des Klägers hasten sollte, zufolge der Regel des Art. 317 HGB in ihrer Giltigkeit durch schriftliche Abfaffung nicht bedingt sein; Art 277 a. a. O. lBgl. Rspr. HI S. 334.] * Dgl. Rspr. III S. 52 und oben S. 160, 156 n.

167 Ob dem in der That so ist, oder ob (wie bisweilen

in Frage gestellt worden) aus Art. 309 a. a. O. zu folgern,

daß Pfandverträge von der Art der streitigen auch bei

Handelsgeschäften den lande-gesetzlichen Förmlichkeiten unterliegen,

vgl. Goldschmidt Ztschr. 9 S. 21, 233;

dessen Handbuch I 6. 878, 892 n. 31, 894 n. 43 —

kann hier unentschieden bleiben.

Denn selbst bei Bejahung

der letzteren Alternative wäre in vorliegendem Falle diesen

Förmlichkeften genügt Das preuß. Landesrecht erfordert für die B erpfändun g

einer auf dm Namen lautenden Fordemng Schriftlichkeit. Verordnung v. 9. Dezbr. 1809 § 1;

ALR Th. I Tit. 26 § 515, Tit. 11 § 394. Anstatt einer Verpfändungserklämng haben

die

Kontrahenten am 1. Okt 69 die Cesfionsform gewählt Aber obwohl es sich damals nur um die Deckung zweier

Accepte über 2300 Thlr. handelte, wurde doch die ganze Hypothek der 5000 Thlr. cedirt.

Nur wurde der Cessions-

form gegenüber der Pfandcharakter insofern gewahrt, als sich

der Bekt M. Mendelsohn in einem gleichzeitigen Reverse verpflichtete, die Hypothek nach Einlösung der Accepte v. 2300 ÄHlrn. zurückzugeben; d. h. der als Cessionar er­ scheinende Pfandgläubiger gelobte Herausgabe des

Pfandes im Falle seiner Befriedigung.

Durch diesen

Revers wurde also nicht etwa ein Theil der Hypothek p fand frei; sondern die Hypothek hastete pfandweise in ihrem

ganzen Bestände, und wenn schon der Revers den Schuld­

betrag bestimmte, also virtuell den Umfang der Pfand­

haftung begrmzte, so war sie doch formell in totum und unbedingt dem Bekl. übertragen.

Diese Form deckte also

auch die Haftung für eine spätere Erweiterung des Schuld­

betrages. Samen nun die Kontrahenten am 15. Okt überein,

168 daß die Hypothek nicht blos für 2300 Thlr., sondern auch noch für 1500 Thlr. hasten sollte: formellen Verpfändung

so bedurfte es keiner

der Hypothek für dm neuen

Betrag. Dmn diese formale Pfandbestellnag wäre unmöglich gewesen, weil die Hypothek bereit- dem Pfand­ gläubiger eigenthümlich abgetreten war.

ES kam nur

darauf an, das ReverSversprechm des M. Mendelsohn zur Rückgabe

der Hypothek (nach

erfolgter

Einlösung

von

2300 Thlrn.) dahin zu ändern, daß die Rückgabe erst nach der Einlösung'von 3800 Thlrn. erfolgen solle.

Und für

diese Modifikation der ursprünglichen Verpflichtung gmügte

mündliche Uebereinkunft.*) Art. 317 HEB; vgl. Lesse in Busch Archiv B.4 6.146.

Entsch. des OTr. B. 57 E. 378. Es kann hienach unerörtert bleiben, ob dem Bell, nach

Landesrecht oder zufolge HGB an derHypothekRetevtionsrecht

zusteht,

und ob die Berufung

auf

dasselbe

erst

in der Revifionsinstanz noch zuläsfig ist.

Entscheidmd ist vielmehr vorab, ob daS Abkommen hinsichtlich des AcceptS über 1500 Thlr. in der That getroffen worden.

(Hierüber wird Beweis angeordnet.. .]

Gleichgiltig ist, ob Kläger von der weiteren Ver­ pfändung der Hypothek für die 1500 Thlr. gewußt hat. Auch ohne diese Kunde muß er sich entgegmstellm lassen, was dem Zech selber opponirt werden dürste, weil die

Cessio» ohne Ausantwortung des Dokuments an ihn erfolgt ist. — Aber von Wichtigkeit wäre, wmn die Bekl. schon

vor der weiteren Verpfändung davon Kenntniß

gehabt

hätten, daß Zech sein Recht (auS dem Reverse v. 1. Okt.)

auf

Rückzession der Hypothek

§ 417 ALR I. 11.

bereits

abgetreten

habe;

Allein diese Abtretung soll erst am

18. Okt., die weitere Verpfändung schon am 15. Okt. ge• Contra: Makower Komm, zu Art. 317 n. 1, d; v. Hahn Komm. B. II S. 142.

169

Damit ist dieser Einwand in Betreff des

schehen sein.

Mendelssohn ausgeschlossen.

War aber die BerpfLndimg der

Hypothek für das Sstcept von 1500 Thlrn. auch dem Kläger gegenüber gütig: so ist unerheblich, ob die Mitbekl. Samuel­

sohn Söhne diese- Accept nicht schon am 15. Oft, sondern erst nach dem 18. Okt. unter Miterwerb des Pfandrechts

diScontirt und damals die Eesston auf den Kläger gekannt hätten. —

Rechtreg Qu S. 164 u.) Der IL

Senat

begründet

in

obengedachter Sache

(Nr 499 v. 71) die Zurückweisung der Nktbschw. des Bekl.

wie folgt: Die Feststellung des Appellrichters, daß die fraglichen Wechsel-Accepte

nicht

als Zahlung,

sondern

nur

zur

Sicherheit des Klägers wegen seiner Kaufgelderforderung,

gegeben worden, hat Implorant als eine mit der Nktbschw. nicht anfechtbare^ thatsächliche selbst anerkannt.

Er folgert

aus derselben, daß dadurch seine sdurch jene Wechsel gesichertes

Schuld eine bedingte geworden und gründet darauf den Borwurf der Verletzung (mehrerer §§) des ALR'S und der

Derkennung der Natur des zur Beurthellung vorliegenden

Rechtsgeschäfts, Nr. 9 der Instruktion v. 7. April 39. Jene Folgerung ist eine unrichtige, «nd damit füllt der

ganze darauf gegründete Angriff.

Dadurch, daß für eine

Forderung eine Sicherheit bestellt wird — sei es durch

Pfand, Kaution oder auf andere Weise — wird dieselbe keine bedingte, sie wird nicht abhängig von demEintrstt

oder Nichteintritt eines EreigniffeS, §

100

MR

I. 4.

Implorant beruft sich auf § 102 ebendaselbst, nach welchem

der unter einer aufschiebenden Bedingung Berechtigte, ehe er

daS Recht ausüben kann, die Wirklichkeit deS EreigniffeS abwarten muß;

er scheint



indem

er

daneben

die

§§55, 159 Dt. 20; §§ 270, 271 Tit-5 in Bezug nimmt —

der Meinung zu sein, daß ein Gläubiger sein Forderungs-

170 recht immer erst dann ausüben darf, wenn er sich im Besitz

des Pfandes

befindet.

Dem steht aber gerade die Bei­

stimmung des § 159 Tit. 20 entgegen, denn nach derselben ist

der Gläubiger nur verpflichtet, gegen gehörig geleistete Er­ füllung der Hauptverbindlichkeit das dafür gegebene Pfand dem Schuldner zurückzugeben. Das hat der Appellrichter gar nicht geleugnet, im Gegentheil ausdrücklich anerkannt. Der eigentliche Streitpunkt ist ein ganz anderer. Be­

klagter befindet sich bereits im Besitz eines zur Sicherheit für die eingeklagte Forderung dem Kläger gegebenen Wechsels,

er will diesen von einem Dritten erworben und eine Zahlung dafür geleistet haben, und es fragt sich nun, ob dadurch

etwa Kläger von seiner Verpflichtung als Pfandgläubiger befreit ist, das Pfandobjekt nach empfangener Zahlung dem

Bekl. zurückzugeben. Letzterer scheint der Meinung zu sein, als ob Kläger nothwendig das Pfand zurückerwerben müsse, um dann seine Forderung geltend machen zu können . . .

Gegen die Gesetze, welche Implorant in dieser Be­ ziehung als verletzt bezeichnet, ist aber vom Appellrichter

gar nicht verstoßen. Der Richter hat nicht angenommen, daß Kläger von

seiner Verpflichtung zur Rückgabe des Pfandes vollständig frei geworden; er hat sich auch nicht dahin ausgesprochen, daß derselbe etwa zur Vindikation des Wechsels berechtigt wäre, obschon derselbe noch immer unverändert auf seinen

Namen lautet und mit irgend einem Giro nicht versehen ist (§§ 1, 134 ALR I. 15); er hat ebensowenig den redlichen Besitz des Bekl. an dem Wechsel bezweifelt (§§ 180, 184 Tit. 5 daselbst);' er hat im Gegentheil angenommen, daß

Kläger zur Erfüllung seiner Verpflichtung als Pfand­ gläubiger dem Bekl. das würde erstatten müssen, was der­ selbe etwa für Erwerbung jenes Wechsels hat aufwenden müssen.

jede

Er vermißt nur einen dahin gehenden Antrag und

Angabe

dessen,

was

Beklagter

aufgewendet

hat.

171 Einer Verletzung jener Gesetze hat er sich damit nicht schuldig gemacht. Nr. 28.

I. Senat. — Erkenntniß v. 24. Okt. 71. (3.) Th. R. Schweitzer -/. Julius Brock & Co. (Nr. 594 v. 71).

Preußen.

Wechselsache.

Revision.

I. Instanz: Stadtgericht Berlin, II. Instanz: Kammergericht daselbst. Wechsel, englisches Recht. Erwerb eines Mangels Zahlung protestirten Wechsels. Dlancogiro.

1. Für Wechsel, welche in England ausgestellt werden, besteht das Erforderniß einer Bezeichnung des Schriftstücks als „Wechsel" nicht. DWO Art. 4 Nr. 1, Art. 85; vgl. Rspr. I S. 233, 304 Nr. 3; III S. 22, 300.

2. Ein vor der Protesterhebung gegebenes Blanrogiro darf auch nach erhobenem Protest-Mangels-Zahlung zur Weiterbegebung des Wechsels benutzt werden. Die Wirkungen des Indossaments für den Erwerber bestimmen sich in solchem Falle — sofern nicht eine Einlösung des zurücklaufenden Wechsels vorliegt — nach der Zeit der Uebereignung des Wechsels, nicht nach der Zeit der Aus­ stellung des Blanrogiro. Geeigneten Falles greift daher Art. 16 Abs. 2 DWO ein. Für die Prüfung, ob die Wechselbegebung vor oder nach dem Protestakt stattgefunden hat, ist die Protesturkunde maaßgebend. DWO Art. 12, 13, 16 Abs. 2, 36, 88 Nr. 1.

3. Der Inhaber eines mit Blancogiro versehenenWcchsels darf die nachfolgenden Indossamente durchstreichen; die Le­ gitimation des Wechselgläubigers ist nach der Gestalt, in welcher der Wechsel zur Zeit der Geltendmachung erscheint, zu beurtheilen. DWO Art. 13, 36, 55. Vgl. Rspr. I S. 210, II S. 186, III S. 165.

172 Die beiden Klagewechsel find von R. Mützell in London gezogen, lauten an eigene Ordre und tragen auf der Rück­ seite das Blancogiro des Ausstellers sowie mehrere durch­ strichene Indossamente. Acceptant ist eine Berliner Firma, deren Inhaber nach erhobenem Protest Mangels Zahlung von einem Indossatar belangt werden. Die in H Instanz erfolgte Abweisung der Klägerin wird vom OHG bestätigt aus folgenden, den Sachverhalt ergebenden

Griinden: Durch die Protesturkunde ist festgestellt, übrigens auch unbestritten, daß zur Zeit der Protesterhebung auf t>en

beiden Wechseln nur die Blancogiri des Ausstellers R. Mützell und die fich an diese anschließenden Indossamente derLondonund Westminster-Bank standen, daß also erst nach erfolgten Protesten diese letzteren Indossamente durchstrichen wurden und die Firma Pulley & Field in London, auf Grund der allein übrig bleibenden Blanco-Jndoffamente von Mützell, die Wechsel an die jetzt klagende Firma girirte. Die II. Instanz hat ausgesprochen, daß zwar Klägerin durch die vorliegenden Judoffamente zur Wechselklage legitimirt sei, jedoch erklärt, daß sie auf Grund der Bestimmung im Art. 16 Abs. 2 DWO fich die Einreden entgegenhalten lassen müsse, welche den Beklagten gegen R. Mützell zu­ ständen, und hat auf Grund einer in dieser Richtung liquid gemachten Gegenforderung die Klage abgewiesen. In der NevisionS-Instanz wird nun die Anwendung des Art. 16 Abs. 2 DWO als unstatthaft bekämpft. Be­ vor zur Erörterung der Frage geschritten werden kann, ob die bezüglichen Behauptungen begründet seien, find ver­ schiedene Einwände zu prüfen, welche die Beklagten früher der Klage entgegengesetzt haben und welche bereits vom Appell­ richter als grundlos beseitigt wurden. 1) Die Behauptung, es seien die Wechsel nichtig, weil sie die Bezeichnung als Wechsel nicht enthielten, ward

173

mit Recht für unbegründet erklärt, da die Wechsel in Eng­ land ausgestellt wurden, also nach Art. 85 DWO das englische Recht deren Form beherrscht, diese- aber eine solche Bezeichnung nicht fordert. 2) Ebenso müssen die weiteren Behauptungen, daß daS englische Recht ein Indossament nach der Protesterhebung nicht gestatte und daß nach englischem Recht eS nicht statt­ haft gewesen sei, die Mrkung der durch die Indossamente der London- und Westminster-Bank fixirten Blancogiri durch Einschieben anderer Indossamente nach dem Protest zu ändern, als unbegründet erachtet werden, da ein Nach­ weis dieser Behauptungen nicht erbracht ist. 3) Die weitere Frage, ob nach Maaßgabe der DWO Klägerin zur Wechselklage legttimirt erscheint, ob es ins­ besondere statthaft war, unter Benutzung eines vor der Protesterhebung gegebenen Blanco-Indossaments, den Wechsel nach der Protesterhebung weiter zu giriren, ward mit Recht bejaht. Nach Art. 16 DWO können auch nach dem Protest Mangels Zahlung die wechselrechtlichen Ansprüche im Wege des Indossaments übertragen werden, und offenbar kann dieser Uebertrag eben so gut durch Benutzung eines bereits vorhandenen Blancogiro geschehen, als durch ein neues In­ dossament. ES liegt im Wesen des Blaneo-Jndoffaments, und ist durch Art. 13 DWO ausdrücklich bestimmt, daß dasselbe jedem Inhaber des Wechsels das Recht giebt, es für sich zu benutzen, und dieses Recht wird durch die Thatsache nicht' beseitigt, daß das Blancogiro bereits als Gmndlage weiterer Indossamente gedient hat; denn es steht unstreitig dem In­ haber des Wechsels die Befugniß zu, solche Indossamente auszustreichen und sich die ursprüngliche Wirkung des Blanco­ giro zu sichern; DWO Art. 36, 55. Es ist nun kein Gmnd vorhanden, von diesen Prinzipien

174 eine Ausnahme zu machen für den Fall, wo eine Protest­ erhebung in Mitte liegt; vielmehr ist auch für diesen Fall

an der Regel festzuhalten, daß für die Legitimation nur

die Form, in welcher der Wechsel zur Zeit seiner Geltend­ machung erscheint, maaßgebend ist und derjenige Inhaber

als legitimirt gilt, welcher durch eine Reihe zusammen­

hängender Indossamente sein Eigenthum darthut. Eine wesentlich andere Frage ist aber, ob, falls ein

vor der Protesterhebung gegebenes Bianco - Indossament erst nach der Protesterhebung benutzt wird, der Uebertrag

als vor oder als nach dem Protest erfolgt zu betrachten

sei.

Bezüglich dieser Frage soll der II. Richter unrichtig

entschieden haben, allein es ist auch hier der ergangenen Entscheidung beizupflichten.

4) Wenn das Gesetz zwischen Jndoffamenten vor und

nach dem Protest, ihren Wirkungen nach, einen wesent­ lichen Unterschied macht: so folgt hieraus von selbst, daß

es immer statthaft sein muß zu prüfen, ob der Uebertrag vor oder nach de.r Protesterhebung erfolgt sei, daß ins­

besondere auch einem Blanco-Jndossament gegenüber diese Prüfung nicht ausgeschlossen sein darf. Ferner ist klar, daß bei dieser Prüfung die Protest­ urkunde maaßgebend sein muß, und ist darauf hinzuweisen,

daß der Gesetzgeber gerade zu dem Zweck, um einen festen Anhaltspunkt dafür zu gewinnen, ob ein vorausgehendes oder ein nachfolgendes Indossament vorliege, den Unter­

schied in der wechselrechtlichen Wirkung nicht vom Verfall-

tage, sondern von der Protesterhebung abhängig machte.

In der Sitzung der Leipziger Wechselkonferenz vom 28. Okt. 47 (Prot. S. 28) erklärten die Hamburger Ab­

geordneten: „eine Beschränkung des Art. 16 auf die Mangels

Zahlung protestirten Wechsel sei schon deshalb nöthig, weil man bei der Zulässigkeit des nicht datirten Indossa­ ments, sowie des reinen Blanco-Jndossaments meist

175 kein äußeres Kennzeichen für die Zeit der Jndosfimng habe, mithin genöthigt wäre, die Indossamente als vor dem Verfalltage ausgestellt zu betrachten, falls nicht aus einer Vergleichung mit dem Protest Mangels Zahlung, der ja eine Abschrift des Wechsels enthalten müsse, das

Gegentheil sich ergebe." In vorliegendem Falle nun steht fest, daß die Firma Pulley & Fielt», von welcher Klägerin beide Wechsel er­ warb, in keiner der zur Zeit der Proteste auf denselben befindlichen Wechselerklärungen genannt wird, daß sie also damals nicht im Wechselverbande stand. Da nun bei dieser Sachlage von ihr nicht behauptet werden kann, daß sie die Wechsel auf Grund einer ihr ob­ liegenden Regreßpflicht einlöste: so folgt mit Noth­ wendigkeit, daß sie ihr Eigenthum an den fraglichen Wechseln, vom Standpunkt des Wechselrechts betrachtet, erst nach dem Protest erworben haben kann. Wenn Klägerin meint, es sei der Umstand entscheidend, daß die in Frage stehenden Blancogiri unstreitig vor dem Protest ausgestellt seien: so verkennt sie die Natur und die Wirkung des Blancogiro; denn für die Frage, zu welcher Zett der Uebertrag eine- Wechsels stattgefunden habe, ist nicht die Ausstellung eines solchen Indossaments, sondern dessen Benutzung maaßgebend. Liegt es auch im Wesen des Blancogiro, daß jeder spätere Inhaber des Wechsels davon Gebrauch machen und auf Grund desselben den Wechsel auf sich übertragen kann: so ist es doch nicht erlaubt, die Fiktion aufzustellen, als habe dieser Uebertrag schon im Augenblick der Aus­ stellung jenes Indossaments stattgefunden; namentlich kann es nicht gestattet sein, mit Hilfe einer solchen Fiktion einen erst nach dem Protest erfolgten Erwerb in einen bereits vorher erfolgten umzuwandeln, und so die Vorschrift des Art. 16 Abs. 2 DWO zu umgehen.

176 5) Was von den Beziehungen gesprochen wird, in welchen die Firma Pulley & Meld bereits vor dem Protest thatsächlich zu den beiden Klagewechseln gestanden*, ist prinzipiell ganz unerheblich; denn daS Prinzip, welches hier zu Gunsten besagter Firma Anwendung staben soll, müßte, falls es richtig wäre, auch jeder anderen Person gegenüber — die den Wechseln auch thatsächlich ganz fremd geblieben wäre — angewendet werden. 6) WaS die weitere Frage betrifft, von wem die Firma Pulley & Meld ihre Wechselrechte erworben und wen sie also im Sinne deS Art. 16 Abs. 2 DWO zu ver­ treten habe: so ist klar, daß hierüber nut die Form des Wechsels entscheiden kann, und daß sich Pulley u. Meld, bzw. Klägerin als deren Rechtsnachfolgerin, die Lage ge­ fallen laffen müssen, welche sie sich dadurch selbst geschaffen haben, daß sie die Blancogiri von R. Mützell für sich ver­ wertheten. Indem sie dies thaten, mußten sie sich bewußt sein, nicht mehr Rechte erwerben, bzw. auf Grund derselben beanspruchen zu können, als R. Mützell, ihr Indossant, zur Zeit besaß, und es ist offenbar unstatthaft, jetzt die frag­ lichen Indossamente nur soweit gelten zu laffen, als sie der Klägerin nützen, das heißt: ihre Legitimation begründen, im Uebrigen aber die Wechselklage auf Thatsachen zu gründen, welche einen ganz anderen Erwerb der Wechsel voraussetzen. Vergebens wendet daher Klägerin ein, es sei keine Spur von Beweis vorhanden, daß die Wechsel jemals in die Hände von Mützell zurückgelangt und von diesem so­ dann an Pulley & Field begeben worden seien, sowie, es lasse sich andrerseits beweisen, daß die Westminsterbank blos Jncasso - Mandatarin gewesen und Pulley & Field durch * Jme Firma soll die Wechsel vom Aussteller ursprünglich erworben und dann an die London- und Westminster-Bank nur zum Incaffo abgegeben, die Bank aber die Wechsel alsbald eingel'öst und unter Durchstreichung ihrer Indossamente an Pulley & Field zurück­ geliefert haben.

177

dieselbe die Wechsel im Regreßwege erhalten. Diese That­ sachen sind, da Pulley & Meld nicht im Wechsel­ verbände standen und nicht auf Grund einer wechsel­ rechtlichen Regreßpflicht die Wechsel eingelöst haben können, für die Frage, ob Klägerin berechtigt sei, wechselrechtliche Ansprüche geltend zu machen, ohne alle Erheblichkeit. Steht hienach außer Zweifel, daß fich Pulley & Field die Ein­ reden, welche den Bekl. gegen R. Mützell zustehen, entgegen­ halten kaffen müssen: so hat dies selbstverständlich auch für Klägerin zu gelten, welche von Pulley & Field nach dem Protest die Wechsel erwarb. Da nun weiter liquid gestellt ist, daß der Bekl. eine die eingeklagte Wechselsumme übersteigende Gegenforderung gegen R. Mützell zusteht, in dieser Beziehung auch gegen die ergangene Entscheidung keine Beschwerde geführt wird, so war das angefochtene Erkenntniß zu bestätigen.

II. Senat. — Erkenntniß o. 28. Okt. 71. (D.) C Besing 7. I. DickaS (Nr. 452 v. 71).

Preuße».

Nichtigkeitsbeschwerde. I. Instanz: Kreisgericht Fulda, n. Instanz: Appellationsgericht Lasset. Handelskauf. Fixgeschäft. Vertrag-schluß.

1. Bei einem Handelskauf ist der AuSuahmefall des Art. 357 HGB, ein sogen. Fixgeschäft, nicht ohne Weiteremit der vertragsmäßigen Festsetzung einer in fich bestimmten Lieferungsfrist gegeben, vielmehr nur dann al- vorliegend zu erachten, weuu nach der (aus den Worten de- Vertrag­ oder au- den odwalteudeu Umstäuden zu eutnehmeude«) Jnteutiou der Parteien die bestimmte Frist von unbe­ dingt wesentlicher Bedeutuug sein, eine spatere Lieferung nicht mehr al- Vertragserfüllung gelten sollte. HGB Art. 278,357 (genau zu einer sestbestimmten Zeitrc.) Feste Praxis des OHG; Rspr. I S. 397, II S. 79.

Vgl. die Beispiele I S. 110, III S. 351, 369.

178

2. Verzicht auf Erfüllung »der BergleichSofferte? (Beispiel der UrkundeuauSlegung zu Art. 1, 278 HGB).

3. Wer aus eiuer briefliche» Offerte, die er uur unter eiuem Vorbehalt arrepttrte, vertragsmäßige Rechte her­ leitet, hat darzuthuu, daß der audere Theil sich mit der betreffenden Eiufchraukuug der Aeeeptatiou einverstanden erklärt hatHGB Art. 1, 322; vgl. Rspr. III S. 261, 324. L. 1 § 2 Dig. 2, 14.

4. Ausübung des Wahlrechts nach Art. 355 HGB. 5. Vertragsmäßige Lieferung. Beispiel konkreter Beurtheilung zu Nr. 4 und 5.

Nach Bertrag v. 17. Sept. 69 hat Beklagter dem Kläger 124 Stück Eichenhölzer von gewissen Dimensionen, für den Bau einer Eisenbahn bestimmt, zu lieftut: „einen Theil, besonders die größeren Längen, bis 1. Okt., den letzten Theil bis spätestens Mitte Nov. 69." Eine Anfuhr von 86 Stück hat Kläger als von vertragswidriger Beschaffen­ heit zurückgewiesen; er verlangt jetzt Lieferung der gekauften 124 Stück, vorbehaltlich eines Schadenanspruchs. Beklagter behauptet, daß er erfüllt, Kläger aber auf Weiterlieferung brieflich und mündlich verzichtet habe. Der in II. Instanz aus Art. 357 HGB abgewiesene Kläger erzielt durch Nktbschw., daß Beklagter, abgesehen von 18 kontraktgemäß angebotenen Stücken, zur Lieferung der übrigen Hölzer verurtheilt ward.

Das OHG nahm hierbei io Erwägung: 1) daß der Appellrichter die auf Erfüllung des unter den Parteien am 17. Sept. 69 über Lieferung von Eichen­ hölzern abgeschlossenen Bertrags gerichtete Klage deshalb abgewiesen hat, weil der vorliegende Bertrag ein Fix­ geschäft sei, Kläger also nach Art. 357 HGB, wenn er auf Erfüllung bestehen wollte, diese Absicht dem Bekl. un-

179

verzüglich nach Ablauf der Frist bei Verlust seines An­ spruchs habe anzeigen müssen, Kläger aber nicht behauptet habe, daß dies geschehen sei, vielmehr im Briese v. 14. März 70 dem Bell, zu erkennen gegeben habe,

daß

er von der

Lieferung des Holzes abstehe, und nach

dieer Willens­ erklärung, zu deren rechtlicher Wirksamkeit es einer Acceptation

des Bekl. nicht bedurft habe, nicht darauf habe zurück­

kommen können, Lieferung des Holzes zu verlangen; daß der Appellrichter durch die Annahme eines Fix­ geschäfts in doppelter Richtung eine Nichtigkeit begangen

nämlich sowohl einen Rechtsgrundsatz, als eine wesentliche Prozeßvorschrift verletzt hat;

daß derselbe nämlich, wenn er in der die Lieferzeit betreffenden (vorerwähnten) Vertragsbestimmung die Ver­ einbarung, daß das Holz binnen einer festbestimmten Frist (im Sinne jenes Art. 357) geliefert werden solle, gefunden hat,

nicht (wie Jmplorat meint) in einer, im

Nichtigkeitsverfahren unanfechtbaren Weise die t h a t s ä ch l i ch en

Voraussetzungen des Art. 357 festgestellt, vielmehr über den Begriff und die Bedeutung eines Fixgeschäfts

im

Sinne dieses Art. rechtlich geirrt hat, indem die Festsetzung einer festen Lieferungsfrist den Lieferungsvertrag nicht ohne Weiteres zum Fixgeschäft macht, vielmehr (wie die Hinzufügung des Worts „genau" im Art. 357 ausdrückt,

auch in mehreren Urtheilen dieses Gerichtshofs bereits ent­ schieden ist) der Ausnahme-Fall des Art. 357 nur dann

als vorliegend erachtet werden kann, wenn sich entweder

aus den Worten des Vertrages

oder aus den ob-

w alt end en Umständen entnehmen läßt, daß die Intention der Paciscenten dahin ging, daß die bestimmte Frist

dergestalt wesentlich sein solle, daß mit der Frist der

Vertrag stehen und fallen, eine nach Ablauf der Frist erfolgende Lieferung nicht mehr als Vertrags-Erfüllung

angesehen werden solle;

180 daß der Appellrichter aber diese Requisite eines Fix­ geschäfts nicht thatsächlich festgestellt hat

und unmöglich

hat feststellen können, da ja schon der Wortlaut der die Lieferzeit

betreffenden

Vertragsbestimmung,

wonach

ein

weder der Zahl noch der Qualität nach genügend bestimmter Theil der Hölzer bis zum 1. Oktober, die übrigen bis Mitte November geliefert werden sollten, deutlich darauf hinweist, daß die Paciscenten an ein Fixgeschäft im ange­

gebenen Sinne nicht gedacht haben; daß der Appellrichter sich ferner einer Aktenwidrig­

keit*) schuldig

gemacht hat, da keine der Parteien das

Vorhandensein

eines Fixgeschäfts

behauptet,

oder

that­

sächliche Umstände angeführt hat, woraus die Intention, ein

Fixgeschäft in dem angegebenen Sinne zu schließen, ent­ nommen werden könnte, daß namentlich auch der Bekl. sich

weder in I. noch in II. Instanz darauf berufen hat, daß Kläger ihm die im Art. 357 vorgeschriebene unverzügliche

Anzeige, daß er Erfüllung fordere, nicht gemacht habe, viel­ mehr nur excipirt hat, daß er den Vertrag erfüllt und daß

Kläger -auf die Erfüllung verzichtet habe, und in der Klage­ beantwortung ev. für den Fall, daß diese beiden Einreden nicht durchgreifen möchten, sich zur Lieferung des Holzes

gegen Zahlung des kontraktlichen Kaufpreises erboten, Kläger sich hiermit auch in der Replik einverstanden erklärt hat,

also ein Einverständniß der Parteien darüber, daß ev. die Lieferung noch erfolgen solle, vorliegt; daß es bei dieser

Sachlage unerörtert bleiben kann, ob, wenn ein Fixgeschäft vorläge, zur Begründung der Klage die Behauptung gehöre, daß Kläger dem Bekl. die Anzeige, daß er Erfüllung

fordere, unverzüglich gemacht habe, oder ob es Sache der Exception sei, daß die Anzeige unterlassen worden;

2) daß die hiernach zu vernichtende Entscheidung des Appellrichters auch nicht

(roie der Jmplorat auszuführen

* Vgl. Rspr. I S. 69, 282, 396; II S. 214.

181 sucht) durch einen zweiten selbständigen Entscheidungs­ grund getragen wird, da die ganze Argumentation des Appell­ richters auf der irrigen Annahme eines Fixgeschäfts ruht und mit derselben fällt; daß namentlich die auf den Brief des Klägers v. 14. März 70 bezügliche Ausführung nicht etwa dahin aufzufaflen ist, daß der Appellrichter die aus diesem Briefe entnommenen Einreden des Bekl. für begründet er­ achtet hätte, der Zusammenhang der Entscheidungsgründe vielmehr ergiebt, daß der Appellrichter den Brief nur hat benutzen wollen, um noch klarer darzulegen, daß Kläger die im Art. 357 erforderte Anzeige nicht nur nicht gemacht, sondern im Gegentheil in jenem Briefe seine Absicht, die Lieferung des Holzes nicht mehr forbent zu wollen, aus­ gedrückt habe;

3) daß, was die in Folge der Vernichtung des ange­ fochtenen Urtels erforderliche anderweite Entscheidung auf die vom Bekl. gegen das I. Urtel eingelegte Appellation betrifft, die Klage auf Erfüllung des Lieferungsvertrags nach Art. 355 HGB an sich begründet, die Einrede des Verzichts dagegen unbegründet ist, da der Brief des Kläger- v. 14. März 70 — worin derselbe, nachdem vorher über die Abnahme des angeblich vom Bekl. auf dem Bahn­ hof in Fulda angefahrenen, jedoch bezüglich der kontrakt­ lichen Qualität vom Kläger bzw. von dem betreffenden Eisenbahnbeamten beanstandeten Holzes bereits mehrere Briefe gewechselt waren, dem Bekl. schreibt: „Ich ersuche Sie hierdurch, mir den Borschuß von 100 Thlr. nebst 5 °/0 Zinsen rc. innerhalb acht

Tagen zurückzubezahlen, andernfalls ich ge­ nöthigt bin, Sie gerichtlich zu belangen, und dann nicht wegen dieses Vorschusses rc., sondern zugleich wegen allen mir durch die nicht kontraktlich aus­ geführte Lieferung entstandenen Schaden Sie ver«

182 antwortlich und haftbar zu' machen. Ich hoffe, daß Sie die Sache in Güte ordnen^rc. — nur eine Vergleichs-Proposition mit eventueller An­ drohung der Klage für den Fall der Ablehnung des An­ trags enthält, und nach seiner ganzen Faffung die An­ nahme der Absicht des Klägers,s auf ein Recht, namentlich auf das Recht die Lieferung des Holzes zu fordern, zu ver­ zichten, ausschließt; da ferner Beklagter in I. Instanz zwar noch einen weiteren mündlichen Verzicht des Klägers be­ hauptete, welcher durch die am 7. April 70 vom Kläger abgegebene Erklärung, «er könne das vom Bekl. nach Fulda gelieferte Holz nicht mehr gebrauchen, und nehme es nicht mehr," erfolgt sein soll; wenn man aber in dieser Erklärung auch einen Verzicht auf den eingeklagten Anspruch finden wollte, diese Annahme doch durch die eigene Erklärung des Bell.... ausgeschlossen wird, „daß nämlich dieser letztere Verzicht nicht als eine ganz neue Willenshandlung des Klägers, sondern nur als eine Wiederholung der bereits früher brieflich abgegebenen Erklärung sich darstelle, und somit die beiden Erklärungen rechtlich als eine Willens­ äußerung erschienen;" hiernach aber die behauptete münd­ liche Erklärung des Klägers v. 7. April nur als eine Wiederholung der Vergleichs-Proposition v. 14. März aufzufassen ist; daß Beklagter in I. Instanz ... erklärt hat, daß er sich vorbehaltlich seiner Entschädigungs-Ansprüche wegen nicht zeitiger Abnahme des Holzes mit dem Verzicht des Klägers einverstanden erklärt habe; daß Bekl. ferner in IL Instanz erklärt, daß seine Behauptung der erfolgten Acceptation sowohl auf den schriftlichen, als auf den mündlichen Verzicht zu beziehen sei, und daß er damit auch habe behaupten wollen, daß er mit Aufhebung des Vertrags unter den vom Kläger gestellten Bedingungen (Erstattung des Vorschusses von 100 Thlr. :c.) sich einver-

183 standen erklärt habe; daß indeß — abgesehen davon,

ob

nicht Bekl., wie vom Gegner geltend gemacht wird, um von

seiner Verpflichtung zur Lieferung des Holzes loszukommen,

die 100 Thlr rc. innerhalb der bestimmten achttägigen Frist dem Kläger wirklich hätte bezahlen müssen — ein Ver­ gleich jedenfalls deshalb nicht als perfekt geworden an­ gesehen werden kann, weil Bekl. (seiner eigenen Angabe

nach) die'Proposttion des Klägers nur unter Vorbehalt seiner Entschädigungs-Ansprüche acceptirt

und

nicht

be­

hauptet hat, daß Kläger sich mit dieser Einschränkung der Acceptation einverstanden erklärt habe (Art. 322 HGB);

4) daß Beklagter überall nicht geltendgemacht hat, daß

Kläger durch den Brief v. 14. März und bzw. durch die

mündliche Erklärung

v. 7. April 70

eine der

drei im

Art. 355 HGB bezeichneten Alternativen gewählt habe, und von dieser als unabänderlich anzusehenden Wahl nicht mehr abgehen könne; (vgl. oben S. 114); daß also die Lage der Akten dem Appellrichter keine Veranlassung bot, in eine hierauf bezügliche Erwägung einzutreten, daß aber auch im Briefe v. 14. März eine Ausübung des fraglichen Wahlrechts umsoweniger gefunden werden kann, da das,

was Kläger in dem Briefe vom Bekl. fordert, keiner der drei Alternativen genau entspricht, eine Wahl der zweiten Alternative namentlich deshalb nicht anzunehmen ist, weil

Kläger keineswegs ausdrücklich oder auch nur unzweideutig zu erkennen giebt, daß er statt der Erfüllung (also unter Berzichtleistung auf eine solche) Schadenersatz wegen Nicht«

erfüllung fordern wolle, der Brief überhaupt, wie bereits ausgeführt worden, eineVergleichs-Proposition und folge­

weise nicht die Ausübung eines Wahlrechts enthält;

daß die eventuelle Appellationsbeschwerde des Bekl. für begründet zu erachten ist, da es nicht gerechtfertigt erscheint,

daß der 1 Richter — während er 15 Stämme, von welchen 11 bezüglich der Dimensionen nicht genau den Bestimmungen

184 des Vertrags entsprechen, für kontraktmäßig erklärt, 3 fernere Stämme, welche von den vernommenen Experten gleich jenen 15 für «kontraktmäßig" erklärt find, und freilich be­ züglich der Dimenfionen nicht genau den kontraktlichen Bestimmungen entsprechen, sich von denselben aber auch nicht in weiterem Umfange, als jene vom 1 Richter zuge­ lassenen 11 Stämme, entfernen, als nicht kontraktgemäß zurückgewiesen hat; daß vielmehr auch diese 3 Stämme, da die Abweichung der Dimensionen durch die Depofition der Experten zureichend motivirt wird, als kontraktmäßig anzu­ erkennen sind. Nr. 30.

n. Senat — Erkenntniß v. 28. Gkt. 71. (3.) M. H. Simon /. Wittwe Sy (Nr. 462 v. 71).

Preuße«.

Nichtigkeitsbeschwerde. I. Instanz: Kreisgericht Belgard,

II. Instanz: Appellation-gericht L'öslin. Stü-liche Verwendung, nach ALA.

Der auf „nützliche Verwendung" gestützte Anspruch wird nach AM, wenn sonst begründet, dadurch nicht ausgeschlossen, daß Klüger daS betteffende Vermögeusstück an einen Dritten veräußert Md dieser eS, ohne seineBertragSpflicht gegen den Klüger zu erfüllen und erfüllen zn köMen, dem Beklagten zngewendet hat.*) ALR. I. 13 § 262, 277.

Klägerin (Bauergutsbesitzerin in Pommern) hat im Jahre 68 ihre Tabaksemdte au Gustav Simon veräußert, von diesem aber den bedungenen Kaufpreis nicht vollständig

erlangen können.

Auf Grund nützlicher Verwendung nimmt

• Da- Gegentheil hat der IV. Sen. de- preuß. OTr. im Erk. v. 18. Januar 66 (Entsch. B. 56 S 114) dahin angenommen: „Der Bei käufer einer Sache, welche vom Käufer in den Nutzen eine- Anderen verwendet ist, kann diesen Dritten auf Grund der nützlichen Ver­ wendung nicht in Anspruch nehmen wegen Zahlung de- rückständigen KaufgelveS."

185

sie jetzt den Vater ihres Kontrahenten in Anspruch, be­ hauptend: Gustav Simon habe bei jenem Ankauf nur für den Tabaksfabrikation treibenden Bekl., dessen Handlungs­ gehilfe er damals gewesen, gehandelt, auch die Waare sofort unentgeldlich dem Waarenlager des Bekl. zugeführt; Beklagter soll dann beit Tabak zu seinem Nutzen verarbeitet und ge­ schäftlich verwerthet haben. Der Appellrichter bestätigte die Vemrtheilung des Bekl., weil Gustav Simon nur als „die das Eigenthum der Klägerin in den Besitz des Bekl. schaffende Hand des Letzteren" erscheine, zwischen den Parteien selbst aber ein Kaufvertrag nicht geschlossen sei. Die Nktbschw. des Bekl., welche unpassende Anwendung derZZ 262 bis 265 ALR L 13 rügte, wurde zurückgewiesen. Gründe deS OHG-

Aus der „nützlichen Verwendung" im Sinne der landrechtlichen Bestimmungen (§ 262 ff. Tit. 13 Thl. I) steht demjenigen, aus dessen Vermögen etwas in den Nutzen eines Anderen verwendet worden ist, gegen diesen ein per­ sönliches Recht auf Rückgabe oder Ersatz des Werths des Verwendeten zu. Voraussetzung dieses Rechts ist, daß zwischen den beiden Personen kein Bertragsver­ hältniß besteht (§ 277), und daß der Uebergang des be­ treffenden Objekts aus dem Vermögen des Einen in das des Anderen so stattgefunden hat, daß letzteres Vermögen auf Kosten des ersteren vermehrt worden ist. In diesem, den gemeinrechtlichen Kategorien der actiones adjectitiae qualitatis gegenüber, erweiterten Begriff der nützlichen Verwendung ist die juristische Form, in welcher der Uebergang des Objekts aus dem einen in das andere Vermögen vermittelt wird, zunächst ungewiß gelassen. Worauf es ankommt, ist nur, daß zwischen den betreffenden Personen selbst ein Vertragsverhältniß nicht existirt.

186 War nun gemeinrechtlich bei der in rem versio das Vorhandensein einer zu dem Bereicherten in einer Abhängigkeits- oder sonstigen Beziehung stehenden Mittels person das nothwendige Verbindungsglied, da der An­ spruch auf dem Moment der adjectitia qualitas beruhte: so hat das ALR dieses Moment fallen lasten, und es ist nach demselben zur Konstruirung des Begriffs der nütz­ lichen Verwendung nicht weiter eine juristische Noth­ wendigkeit, daß das Objekt derselben durch ein Rechts­ geschäft eines Dritten in das Vermögen des Bereicherten gelangt ist. Hieraus folgt indeß nicht umgekehrt, daß das Vorhandensein eines solchen Rechtsgeschäfts die nütz­ liche Verwendung grundsätzlich ausschlösse. Liegt (wie es nach der thatsächlichen Feststellung der vorigen Richter hier der Fall ist) die Sache so, daß das Objekt der Klage durch Klägerin dem Sohn des Bekl. verkauft und durch Letzteren erst an den Bekl. gelangt ist, steht insbesondere fest, daß der Sohn (Gustav Simon) der Klägerin gegen­ über selbständig als Käufer aufgetreten ist und sich für den Kaufpreis verpflichtet hat, die Verkäuferin ihm auch das Kaufobjekt tradirt hat: so schließt dies Alles den auf die Verwendung des letzteren in den Nutzen des Bekl. ge­ stützten Anspruch der Klägerin nicht aus, vorausgesetzt, daß daneben die gesetzlich definirten Merkmale der nützlichen Verwendung vorhanden sind. Und dies muß angenommen werden, wenn Gustav Simon den von ihm gekauften Tabak nicht an seinen Vater weiter verkauft hat, er vielmehr beim Ankauf, wenn auch nicht rechtlich, als Bevollmächtigter seines Vaters, doch thatsächlich für denselben, als dessen Aufkäufer gehandelt und die Waare direkt dem Waaren­ lager seines Vaters zugeführt, dieser fie auch ohne Aequivalent in Empfang genommen und für fich verwendet hat, daß endlich der Versuch, für den von Gustav Simon verschuldeten Kaufpreis Bezahlung zu erhalten, vergeblich gewesen ist.

187 Die in Rede stehende Waare ist hienach — die durch der Thatsachen vorausgesetzt

Eid festzustellende Wahrheit

— aus dem Vermögen der Klägerin in das des Bell, ge­ langt.

Klägerin ist um den Werth derselben, soweit sie

von Gustav Simon nicht Zahlung erlangt hat, beschädigt.

Beklagter, welcher für den Werth nichts geleistet hat, ist um denselben auf Kosten der Klägerin bereichert.

Wollte man hierin den Thatbestand der nützlichen Ver­

wendung nicht erkennen, so würde man deren Begriff dena-

turiren [!] und zwei wesentlich verschiedene Verhältnisse, die durch den Kaufvertrag zwischen den Kontrahenten er­ zeugten Rechte und Verbindlichkeiten und die rechtlichen

Folgen, welche das Gesetz an die einfache Thatsache der Verwendung einer Sache in den Nutzen eines Anderen — unabhängig von jedem Bertragsverhältniß — knüpft, mit

einander verwechseln. Nr. 31.

I. Senat. — Erkenntniß v. 3. Von. 71. (tief.) Dampfer Thor, Kapitän Telleffen Dampfer Silesia, Hamburgisch-Amerikanische Packetfahrt-ANiengesellschast (Nr. 898 v. vl).

Hamburg. Seerecht-fall. Beiderseitige Ober-Appellatio«. I. Instanz: Handelsgericht Hamburg, II. Instanz: Obergericht daselbst.

8ufammen|to| won Seeschiffe».

1. Beim Zusammenstoß von Seeschiffen ist das Schiff, welchem ein äußerlich orduuogSwidrig erscheiueudeS Str» halte« zur Last faßt, in der Lage, sich dem beschädigten Theile gegenüber als schuldlos ausweisen z« müssen. Neun nach dem ordentlichen Lauf der Diuge der eingetretene Schade fich aus einer vorgekommenen Orduangswidrigkeit erkläre« läßt: so braucht der schuldlos Beschädigte eiueu wetteren Beweis des ursachlichen Zusammenhanges beider nicht zu führen. HGV Art. 736—738, vgl. Rspr. III ®. 83.

188

2. Regeln über das Verhalten von Dampfern behufs Vermeidung von Kollisionen mit anderen Fahrzeugen. — Beweislast. Gesetz über die Nacht- und Nebclsignale und daS Ausweichen der Seeschiffe (Hamburger Verordnung v. 1. Mai 63, preuß. Gesetz v. 22. Febr. 64), Art. 16, 17.

Hamburger Verordnung über das gegenseitige Ausweichen der Dampfschiffe auf der Unterelbe v. 2. Jan. 41 Art. 2.

Am Morgen des 29. Sept. 69 gelangte der der bekl. Gesellschaft gehörige transatlantische Schraubendampfer Silesia, als er mit einer Schnelligkeit von 12 See-Meilen [3 geographischen Meilen) in der Stunde unweit Hamburg elbabwärts fuhr, an eine enge und noch durch eine im Strome befindliche Untiefe beschränkte, bei Blankenese belegene Strecke des Fahrwassers. Vor sich hatte er damals zunächst den ebenfalls elbabwärts gehenden, mit einer Schnelligkeit von 6 bis 8 Seemeilen, also bedeutend langsamer fahrenden (unter der Führung des Klägers) stehenden Dampfer Thor. Diese Schiffe hatten demnächst eine im Fahrwaffer vor Anker liegende Galliote zu passiren, und ihnen kam ein von einem Bugsir-Dampfer geschlepptes Barkschiff, der Christel, entgegen, beide letztere durch Wind und Fluthstrom gefördert, also ebenfalls in schneller Fahrt begriffen. Etwas weiter elbabwärts im Fahrwasser vor Anker lagen einige andere Schiffe (Colliers), welche der Schleppdampfer sowie der Christel mit Steuerbordseite passirt hatten. Thor wich der mit ungeminderter Schnelligkeit sich nähernden Silesia links aus und diese passirte ihn rechts. Als nun Silesia an der Steuerbordssite des Thor sich befand, gerieth dieser in eine Schnelligkeit, welche derjenigen der Silesia gleich­ kam. In Folge dessen fuhren beide Schiffe neben einander und näherten sich der Stelle, wo sie den bugsirten Christel zu passiren hatten; jetzt machte Thor eine Drehung, so daß er mit der Steuerbordseite seines Hinterschiffs, wenn

189 nicht wirklich mit der Silesia zusammentraf, doch in größte

Nähe zu ihr kam und (entweder durch wirklichen Anprall oder

durch den von der Silesia ausgehenden Wasserdruck) quer über das Fahrwasser nach Süden getrieben wurde und dort mit dem Christel, unter schweren Beschädigungen für ihn und dieses Schiff, kollidirte.

Dieser Hergang hat zunächst einen Prozeß des Christel gegen Thor zur Folge gehabt. Christel stützte sich bei

seiner bett. Schadenklage darauf, daß Thor ihm rechts hätte vorbeigehen müssen, aber mit der Richtung nach links

auf ihn eingerannt sei und durch solches, ohne Weiteres

ordnungswidrig

als

Schaden verursacht habe.

sich

darstellendes

Verhalten

den

Thor wendete dagegen ein, daß

sein Hinüberfahren nach der linken Seite ein unwillkürliches gewesen sei und folglich seinerseits unverschuldet stattgehabt

habe; er sei nur dadurch in jene Richtung gebracht, daß die kolossale Silesia, als sie in das enge Fahrwasser

neben ihm hineingefahren sei, ihn durch ihren Wasserdruck

angezogen, eine Strecke weit mit fortgerissen und durch dann erfolgten Anprall über das Fahrwasser

einen

hinüber getrieben habe. Thor lehnte sonach jeden Vorwurf eine» Verschuldens von sich ab und maaß alle Schuld der Silesia bei, welcher ‘er den Streit verkündete und die er

ohnehin wegen des ihm verursachten Schaden in Anspruch

nehmen zu wollen erklärte, demnächst auch wirklich nahm. Das Hamburger Handelsgericht,

welches

in beiden

Sachen unter Zuziehung nautischer Sachkundiger fungirt hat, ging davon aus, daß dem äußeren Hergang nach ein ordnungswidriges Verhalten des Thor zweifellos als

vorliegend anzunehmen sei und in Folge dessen nicht etwa

dem klagenden Christel der Beweis eines dem Thor zur Last kommenden Verschuldens aufzulegen, sondern diesem Letzteren nur noch ein Exkulpationsbeweis nachzulassen

sei. Dieser Entlastungsbeweis ist auf Grund der damaligen

190 Verhandlungen dahin formulirt worden, daß Thor jur Zeit des Zusammengerathens mit der Silesia dem Christel schon so nahe gewesen sei, daß er nicht so schleunig, wie

es zur Vermeidung der Kollision erforderlich gewesen wäre, durch Stoppen der Fahrt oder Umlegung des Steuerruders

seine Richtung habe verändern können.

Thor hat dann

(nach übereinstimmenden Erkenntnissen des Handelsgerichts

und Obergerichts v. 13. Juni und 9. September 70) diesen Beweis geführt, welches Ergebniß wesentlich darauf be­ ruht, daß die zugezogenen Sachverständigen — auf Grund von Verklarungen und Zeugen-Dernehmungen — der An­

sicht gewesen sind, „daß (nach dem Freiwerden des Thor von der Si­

lesia) durch Umlegung des Steuermders auf dem

Thor dem Zusammenstöße desselben mit dem Christel nicht mehr hätte vorgebeugt werden können, es auch

nichts mehr gefruchtet hätte, wenn man die Maschine

des Thor hätte rückwärts gehen lassen, weil bei der damaligen Lage des Thor die Fluth und das

Schraubenwasser der Silesia denselben mit so starkem entgegengetrieben, daß auch durch Rückwärtsschlagen der Maschine das Schiff

Druck dem Christel

nicht sofort

in

seiner Fahrt

würde

aufgehalten

worden sein. Thor, welche durch diese Entscheidung von jedem Ver­ schulden dem Christel gegenüber freigesprochen worden war,

hat hierauf die Silesia auf Erstattung sämmtlicher er-

littener Schäden, sowohl des schweren Schaden,

welcher

ihm durch die Kollision mit dem Christel zugefügt worden

ist, als des geringen, welcher in Folge des Zusammen­ treffens mit der Silesia selbst entstanden sein soll, klagend in Anspruch genommen.

Er setzt die Schuld der Silesia darein, daß diese an

der oben bezeichneten engsten und schlechtesten Stelle des

191 Fahrwassers unter den damals bestehenden Umständen, unter welchen dort Kollistonsgefahr in hohem Grade bestanden habe, mit ungeminderter Schnelligkeit vorgegangen sei; wie

denn in Wirklichkeit der Unfall nur durch den vom Sauguad Schraubenwasser der Silesiain jener Enge auSgeübten Effekt herbeigeführt worden sei.

Die Silesia hat jedes

ihrerseits begangene Verschulden geleugnet.

Ihr Vorbei­

gehen bei dem Thor sei ein berechtigtes, übrigens, da Raum genug sich dargeboten habe, ein völlig ungefährdetes

gewesen.

Aller Schade sei durch Thor veranlaßt, und

zwar dadurch, daß dieser, als er sich neben ihr (Silesia)

befunden, ungehöriger Weise sein

Steuerruder Backbord

gelegt habe und dadurch auf sie gedrängt worden sei. Ab­ gesehen hiervon sei jedenfalls der dem Thor durch die

Kollisston mit dem Christel verursachte Schade ihm aus dem Gmnde allein zur Last zu bringen, weil er, sobald

von der Silesia sreigekommen, es völlig in seiner Macht

gehabt habe, durch Steuern, Stoppen oder Rückwärtsgehen­ lassen der Maschine den zweiten Zusammenstoß zu verhindern, solche Maaßregeln aber schuldvoll unterlassen habe.

Diesem letzteren Vorbringen stehe auch nicht etwa die in

Sachen Christel •/. Thor erfolgte, dem Thor in dieser Richtung günstige Entscheidung entgegen, da die Silesia in jenem Prozeß nicht Partei gewesen sei. In dieser Sache Thor •/. Silesia

hat nun das

Handelsgericht den Kläger ohne Weiteres abgewiesen. Das Obergericht

hat dagegen

auf klägerischen Beweis eines

Verschuldens der Silesia (unter Vorbehalt für diese, die,

wie vorerwähnt, von ihr behaupteten Versehen des Thor ihrerseits zu erweise») erkannt.

Gegen die Obergerichts-

Entscheidung ist von beiden Seiten an die dritte Instanz

appellirt worden.

Beide Theile haben in erster Reihe ein

definitives Erkenntniß beantragt.

Eventuell hat Thor für

sich Befreiung von der Beweislast und Auflegung derselben

192 an die Silesia verlangt.

In fernerer Eventualität ist

seitens der Silesia die Formulirung der Beweissätze an­

gefochten worden.

Das OHG hat, bei Prüfung der die Hauptsache be­ treffenden Beschwerden der Parteien, im Wesentlichen der Eventualbeschwerde des Thor entsprochen, nämlich ihm die

Beweislast abgenommen und diese der Silesia dahin auf­ erlegt, daß sie sich wegen ihres Verhaltens zu exkulpiren

habe. Gründe: Das Handelsgericht ist in Betreff eines Theils der

unter den Parteien verhandelten Streitpunke dem Thor

beigetreten.

Es hat angenommen, erstens, daß es unbe­

gründet sei, wenn die Silesia es als ein schlechthin zu­ ständig gewesenes Recht

in Anspruch

nehme,

als

das

schneller fahrende Dampfschiff dem langsamer fahrenden Thor vorbeigehen zu dürfen, zweitens, daß die faktischen Angaben des Thor über die Nähe,

Silesia vor dem Unfall

in welcher er und

neben einander

sich befunden

hätten, als richtig anzusehen seien; drittens, daß unter den

hienach anzunehmenden Umständen die Wirkung der SilesiaSchraube genügt habe, um den Thor in demnächst ver­ derblich gewordene, auf den Christel gerichtete Fahrt zu

bringen; viertens, daß kein Grund dazu vorhanden sei, ab­ weichend von der Entscheidung im früheren Prozeß, anzu­

nehmen, daß es in der Macht des Thor gestanden habe, nach seinem Freikommen von der Silesia durch geeignete

Manöver den Zusammenstoß mit dem Christel zu ver­

hindern. — Die, ungeachtet der vorstehenden Annahmen, aus

gesprochene Abweisung der Klage des Thor beruht auf folgender Argumentation: Silesia habe, ohne sich einem Vorwurf auszusetzen, dann dem Thor vorbeigehen Dürfen, wenn der äußeren Erscheinung nach ein zum Pas­

siren genügender Fahr-Raum frei gewesen sei, auch nicht

193 etwa besondere Bedenken bei dem Vorgehen bestanden hätten.

Daß ersteres der Fall gewesen sei, dürfe thatsächlich ange­ nommen werden, und in Betreff des zweiten Punktes werde

vom Thor nur geltend gemacht, daß die Attmktionskraft

der Silesia von deren Führern hätte berücksichtigt werden müssen, daß sie aber in Wirklichkeit von ihnen außer Acht

gelaffen sei. Diesem Vorbringen könne keine Folge gegeben

werden, weil darüber, ob und in welchem Maaße Attraktion kleinerer Schiffe

von Seiten in

der Fahrt begriffener

größerer Schiffe stattfinde, bisher hinlängliche Erfahrungen nicht vorlägen.

nicht substantiirt.

Ein

Versehen der

Silesia sei hienach

Ueberdies lägen zwei Umstände in den

Akten, welche außerdem der Klage entgegenständen, erstens, daß ein Zwischenraum von ungefähr 2000 Fuß zwischen

der Stelle, wo Silesia dem Thor vorbeiging, und der damaligen Fahrstelle des Christel bestanden habe, mithin

Zeit genug für Thor gewesen sei, sich vor dem Passiren

des letzteren Schiffes aus dem Bereich der Attraktion der Silesia zu entfernen; zweitens, daß wenn bei dem Ueberholen des Thor durch

die Silesia Gefahr

vorhanden

gewesen sein sollte, auch Thor dies erkannt haben würde

und dann die Silesia durch Zuruf oder Signale vom Vorgehen hätte abhalten müssen.

Das Obergericht hat den dem Thor aufgelegten Be­

weis dahin formulirt: „daß Silesia so nahe bei ihm vorbeigefahren sei, daß

der von ihr bei der eingehaltenen Schnelligkeit aus­ gehende, bzw. anziehende und abstoßende Wasserdruck

ihn

mit sich

fortgerissen und

demnächst

in

der

Richtung auf den Christel fortgetrieben habe", bzw.

(insofern es nur auf die, Kollision des Thor mit

der Silesia ankomme) „daß die Attraktion einen Zusammenstoß zwischen Silesia und Thor herbei­ geführt habe." IV.

13

194 Die Abweichung der Gründe für diese Entscheidung von denjenigen, auf welchm das L Erkenntniß beruht, be­

steht im Wesentlicheu darin, daß das Obergericht von der

folgenden Auffassung ausgegangen ist. Immerhin möge das Maaß der LttraktionSkrast eines

in schneller Fahrt begriffenen Schraubendampfers noch nicht so «eit ins Klare gebracht sein, daß eine allgemeine Kennt­

niß desselben angenommen und folglich jedem Schiffer zu-

gemuthet werden dürfe, jenes Maaß, auch sofern es auf

die AttraktionS-Wrkung fremder Schiffe ankomme, richtig zu veranschlagen.

Dagegen müsse jeder Schiffsführer diese

Kenntniß in Betreff des eigenen Schiffes besitzen und an­ wenden, was hier dahin führe, daß nicht dem Thor die

Richtberücksichtigung der AttraktionSkrast der Silesia zur Last gebracht werden könne, sondern daß Letztere dafür ver-

antwortlich zu machen sei, daß ihre Führer die in Rede

stehende Wiickung nicht veranschlagt hätten. Um diese Ver­

antwortlichkeit der Silesia auszusprechen, bedürfe es aber der Klarstellung des Kausalzusammenhangs; an dieser

Klarstellung fehle es bisher» da seitens der Silesia be­ stritten worden, in solcher Nähe den Thor passirt zu sein, daß durch

ihren

Wasserdruck die mehrgedachte Wirkung

habe hervorgebracht werden können. — Diesen Umstand habe Thor zu erweisen, und stehe dagegen der Silesia das Recht zu, ihrerseits durch den Beweis der von ihr be­ haupteten Versehen des Thor (Backbordlegen des Steuer­

ruders und schuldvolles Nicht-Berhindem des wirklichen Zu­

sammenstoßes mit dem Christel), sich

gänzlich

von einem

Theil der wider sie erhobenen ^Schaden-Ansprüche zu be­ freien.

Die vom OHG bei Entscheidung der Sache zu Grunde gelegte Auffassung weicht nun von derjenigen des Ober­ gerichts nur darin ab, daß dasselbe ein Verschulden der

Silesia als keines Beweises bedürftig

annehmen zu

195

müssen glaubt, tmb zwar ein solches Verschulden, welches die demnächst eingetretenen schädlichen Ereignisse nach dem ordentlichen Lauf der Dinge zur Folge haben konnte. Ueber die örtliche Enge des Fahrwassers an der in Betracht kommenden Stelle des Elbstroms und die außer­ ordentliche Behinderung der Fahrt in dem Zeitpunkt, als Silesia, den Thor überholend, in jene Enge mit großer Schnelligkeit hineinfuhr, besteht keine Ungewißheit, wie denn auch die früheren Instanzen diesen Punkt als feststehend angenommen haben. Im Obergerichts-Erkenntniß wird es als nicht streitig bezeichnet, daß an der fraglichen Stelle ein sehr enges, schlechtes Fahrwasser sei, welches überdies (zu der in Betracht kommenden Zeit) durch eine in demselben liegende Galiote noch mehr beengt gewesen sei, ferner als keinem Zweifel unterliegend, daß als sich Silesia entschloß, dem Thor vorbeizufahren, sowohl der entgegenkommende Christel nebst Bugsirdampfer als auch die Galiote, welchen (sämmtlichen Schiffen) Thor ausweichen mußte, vom Bord der Silesia aus gesehen werden konnten, so daß demnach, als Silesia jenen Entschluß faßte, eine Konstellation vorlag, welche sie zu ganz besonderer Vorsicht auffordern mußte. Unter den angegebenen Umständen muß bis auf Weiteres angenommen werden, daß Silesia dem Art. 16 der (Ham­ burger) Verordnung über die Maaßregeln zur Ver­ hinderung von Schiffs-Kollisionen v. 1. Mai 63 zuwider gehandelt hat, welcher vorschreibt: „Jedes Dampfschiff, welches sich einem andem Schiffe in solcher Weise nähert, daß Gefahr eines Zusam­ menstoßes entsteht, muß langsamer fahren, oder, wenn nöthig, stoppen und rückwärts gehen." Anstatt nun hier, wo eS dringlich indizirt war, „lang12*

196

samer zu fahren/' bzw. den Umständen nach „zu stoppen

und rückwärts zu gehen," ist Silesia mit ungeminderter Schnelligkeit in die mehrbesprochene Enge hineingefahren, in welcher etwa eintretende, nicht vorherzusehende Umstände

(eine durch Wind oder Wetter herbeigeführte Störung oder

ein auf der Silesia selbst oder auf einem der anderen in großer Nähe einander passirenden Schiffe vorkommendes,

vielleicht an sich nicht imputables, ungeeignetes Manöver) sehr leicht eine Kollision herbeiführen konnten, wie denn

insbesondere die, ihrer Existenz und Erheblichkeit nach nicht

in Zweifel zu ziehende, Attraktionskraft der, alle übrigen

hier betheiligten Schiffe an Größe, Tiefgang und Schnellig­ keit weit übertreffenden Silesia als ein möglicherweise ein­

wirkendes Moment nicht unbeachtet bleiben durfte. Daß es mit allen Vorschriften jener Verordnung, also mit

auch

der

vorstehend

angezogenen Bestimmung

des

Art. 16, streng zu nehmen und jeder durch deren Ver­

letzung entstandene Schade dem vorschriftswidrig verfahren­

den Schiffe zur Last zu bringen ist, unterliegt schon an sich keinem Zweifel, ist übrigens in den Art. 20 und 21 mit Nachdruck besonders ausgesprochen worden. Vergeblich beruft sich Silesia zu ihrer Rechtfertigung auf den zweiten Art. der Hamburger) Verordnung über

das gegenseitige Ausweichen der Dampfschiffe auf der Unter-Elbe v. 2. Jan. 41, dahin lautend:

„Gehen zwei Dampfschiffe zugleich die Elbe herauf

oder hinunter, so muß in den engeren Strecken des Fahrwassers das langsamer gehende sich links halten

und das andere rechts vorbeilassen, wogegen dieses ihm nicht links vorbeifahren darf,"

indem sie daraus abzuleiten versucht, sie habe ein Recht darauf gehabt, daß Thor ihr in genügender Weise Platz mache.

Es ist nämlich der Theil des vorstehend angezoge­

nen Artikels der Verordnung von 1841, den Silesia für

197 für sich geltend macht, durch Art. 17 der Verordnung von 1863 — lautend, wie folgt:

„Jedes Schiff, welches irgend ein anderes Schiff

überholt, soll dem letzteren ausweichen" — außer Kraft gesetzt, so daß jetzt das langsamer fahrende Schiff dem überholenden Schiffe auszuweichen nicht mehr verpflichtet und nur noch die andere Bestimmung des an­ gezogenen Artikels wirksam geblieben ist, daß jedes Ueb er­

holen eines Schiffes (auf der Unterelbe) nur rechts ge­ schehen darf. — Abgesehen hiervon

erledigt sich das Vor­

bringen der Silesia jedenfalls dadurch, daß Thor der

Silesia ausgewichen ist, und zwar ohne daß Letztere die Art des Ausweichens als ungehörig oder ungenügend an­

gefochten hätte.

Weshalb Thor ausgewichen ist, ob in

der Meinung, zum Ausweichen verpflichtet zu sein, oder

weil die Annäherung der mit voller Kraft auf ihn ein­ fahrenden Silesia — eines Schiffes, welches eine über zehn mal größere Lastenzahl hält als er, — ihn dazu

nöthigte, ist unerheblich.

In keinem Falle konnten die

Führer der Silesia in jenem Ausweichen des Thor eine

Einladung zum Vorbeigehen in dem Sinne erblicken, daß seitens des Thor das Vorbeigehen

der Silesia

ange­

rathen worden wäre oder als gefahrlos hätte bezeichnet werden sollen.

Silesia beruft sich auf Eile, welche sie gehabt habe, indem sie noch bei Hochwasser über die Sünde habe kommen müssen.

Indessen kein Schiff ist berechtigt, andere Schiffe

deshalb zu gefährden, weil es Eile hat oder weil die Führer

desselben der Meinung sind, Eile zu haben. Die Hinfällig­ keit dieses Vorbringens würde sich übrigens schon aus der Erwägung ergeben, daß es sich nur um eine ganz uner­ hebliche Verzögerung der Fahrt handelte, da es nur darauf

ankam, abzuwarten, bis das Fahrwasser nach dem Passiren

196 des Christel wiederum frei geworden sein werde, was nur wenige Minuten in Anspruch nehmen konnte.

das

Wenn

Handelsgericht

auf

die

zwischen

dem

Christel und der Stelle, wo die Silesia den Thor über­ holte, vorhanden gewesene Entfernung von etwa 2000 Fuß

verweist und auf Grund derselben annimmt, es sei dem Thor genug Zeit geblieben, sich aus dem Schraubenwasser der Silesia zu entfernen: so kann dem ebensowenig zur Exkulpirung der Silesia, wie zur Jnkulpirung des Thor

beigepflichtet werden. Jene Entfernung betrug nicht einmal 1/s Seemeile, von welchen Silesia 12 in einer Stunde Hiernach

zurücklegte.

können auf

die

fragliche

Strecke

höchstens l2/3 Minuten gerechnet werden, welcher Zeitraum durch die Fahrt des bugsirten und, mit seinem Schlepp­ schiff, von der Fluth geförderten Christel noch mehr ver­

kürzt wurde.

Die

weitere

Anführung

des Handelsgerichts,

daß^

wenn die Attraktionskraft der Silesia für Thor gefährdend

gewesen wäre, dies

von! Letzterem hätte bemerkt werden

muffen und es dann erforderlich"gewesen wäre, die Silesia

zu warnen, hat durch die schon oben angezogene, auf diesen Punkt gerichtete

Ausführung

des Obergerichts

ihre Er­

ledigung gefunden. Die nautischen Sachkundigen selbst und, ihnen beitretend,

das Handelsgericht, haben denn auch im früheren Prozeß, mit der vorstehenden Auffassung übereinstimmend, dahin sich ausgesprochen, „daß Silesia in dem engen Fahrwasser den Ver­

such nicht hätte machen dürfen, dem Thor vorbeizu­ kommen." Zwar bedurfte es in jenem Prozeß einer Entscheidung

über diesen Punkt nicht, gleichwohl ist, wie von selbst ein­

leuchtet,

dieser Ausspruch

für die jetzt vorliegende Be­

urtheilung, wenngleich ohne formelle Wirksamkeit, doch von

199 materieller Erheblichkeit, zumal da erhebliche Gründe^ weshalb jener Ausspruch jetzt für unrichtig zu halten sei, in dem nunmehrigen Handelsgerichts-Erkenntniß nicht gegeben worden sind. Es fragt sich weiter, ob es bei dem, zufolge des Obigen als vorliegend anzunehmenden, ordnungswidrigen Verhalten der Silesia und dem eingetretenen Schaden auf Seiten des Thor noch der Substantiirung und eventuell des Beweises eines speziellen Kausalzusammenhangs zwischen der OrdnunHswidrigkeit und dem Schaden' bedürfe. Dies ist zu vernemen. Art. 16 ist zum Schutze der Interessen derjenigen Schiffs- und Ladungs-Betheiligten ein­ geführt, welche unter den mehrgedachten Umständen durch unvorsichtiges Verhalten von Dampfschiffsführern gefährdet werden. Hat ein solches Verhalten stattgefunden fund ist im nun folgenden Vorgang ein Schade von der Art ent­ standen, daß er nach dem ordentlichen Verlauf der Dinge aus jenem ungehörigen Verhalten erklärt werden kann: so bedarf es auf Seiten des Beschädigten keines Eingehens auf die spezielle Art und Weise, wie der schäd­ liche Erfolg bewirkt worden ist, mit anderen Worte» darauf, welcher Zusammenhang zwischen derOrdnungswidrigkeit und dem Schaden bestanden hat. Demgemäß ist insbesondere in der bisherigen hanseatischen Rechtsprechung, wie im Allgemeinen in Fällen von Schadenklagen, Erk. des Lübecker OAppGer., Hamburger Sammlung B. III S. 122, 174, 427, so speziell in Ansegelungssachen, Kierulff, Sammlung B. III S. 765, erkannt worden, wie denn dieselbe Behandlung in bet früheren Sache Christel •/. Thor vom Handelsgericht zur Anwendung gebracht worden ist. Auf Seiten eines Bell., welcher unter Umständen, wie solche hier vorlagen, in die Lage kommt, sich exkulpiren zu

200 müssen, ist der Exkulpationsbeweis in

denkbar.

zwei Beziehungen

Er kann den Versuch machen nachzuweisen, ent­

weder, daß der, nach dem äußeren Anschein anzu nehmenden Rechtswidrigkeit seines Verhaltens in Wirk­

lichkeit kein Verschulden zu Grunde gelegen habe, oder, daß sein Verschulden eine culpa sine effectu geblieben sei, nämlich der eingetretene Schade anderen, von ihm unab­

hängigen und ihm auch nicht mittelbar zur Last kommenden Ursachen beizumessen sei. — In letzterer Beziehung hat die

beklagte Partei es an dazu dienlichen Angaben fehlen lassen. Der ihr zu verstattende Beweis der Exkulpation konnte mithin nur so, wie geschehen, nachgelassen werden.

Neben diesem Beweise muß es der beklagten Partei,

um sich gänzlich von der Klage des Thor frei zu machen, nach Maaßgabe ihres oben berührten Vorbringens, ver­

stattet werden, den Beweis der Behauptung zu führen, daß Thor

durch

unrichtiges Backbordruder,

als

er

neben

Silesia in der Fahrt war, das Zusammengerathen beider Schiffe veranlaßt oder doch mit veranlaßt habe, da nach Art. 737 HGB sogar jede Mitschuld des Thor die Silesia

klaglos stellen würde. Aus diesen Gründen hat das OHG der Silesia den Nachweis auferlegt, daß entweder: 1) bei dem fragt. Vorgang das Ueberholen des

Thor

durch

die Silesia

und

das mit ungeminderter

Schnelligkeit erfolgende Vorgehen der Letzteren in das

vor beidenSchiffen befindliche Fahrwass er a ls m i t K o l l is i o n s-

gefahr verbunden auf der Silesia, selbst bei gehöriger Vorsicht nicht zu erkennen gewesen, jenes Ueberholen und

schnelle Vorgehen also keinen Verstoß gegen Art. 16 der

Verordnung v. 1. Mai 63 enthalten habe, oder 2) der zwischen Thor und Silesia stattgehabte Zu­ sammenstoß dadurch

verursacht

worden, daß,

als beide

Schiffe in der Fahrt neben einander begriffen waren,

201 seitens des Thor das Ruder Backbord gelegt und Thor

dadurch auf die Silesia gedrängt wurde, oder 3) Thor, nachdem er von der Stelle neben Silesia in der Richtung auf den Christel fortgestoßen worden, durch

eigene Manöver (sei es Umlegung des Steuerruders, sei es Stoppen- oder Rückwärtsgehenlassen der Maschine) dem Eintritt eines Zusammenstoßes mit Christel noch hätte

vorbeugen können. Für den Fall der Führung eines der Beweise 1 oder 2 ward Beklagte von dem wider sie erhobenen Schadenanspruch

gänzlich, falls aber nur der Beweis 3 erbracht werde, von der Erstattung desjenigen Schaden absolvirt, welchen Thor

durch den Zusammenstoß mit dem Christel erlitten.

Nachtrag. In Ober-Appell-Sachen Christel, Kapitän Drummond •/.

Silesia,

Hamburg-Amerik.

Packetfahrt - Aktiengesellschaft

(Nr. 397 v. 71) hat der I. Senat des OHG im Erk. v. 3. Nov. 71 noch erwogen:

„Die Frage, ob wenn auch Thor ein Versehen be­ gangen haben sollte, hierdurch Silesia jals ansegelndes

Schiff) von der Entschädigungspflichtigegen Christel) wegen

einer ihr zur Last kommenden Verschuldung frei geworden sein würde, kann nur verneint werden.

Es unterliegt

keinem Zweifel, daß die Verantwortlichkeit aus aquilischer Culpa dadurch nicht aufgehoben wird, wenn kasuelle Ereigniffe oder hinzutretendes Versehen anderer Personen auf

die

schadenbringende

haltens fördernd einwirken.

Wirkung

des

kulposen

Ver­

Den Umständen nach kann

dies die Folge haben, daß der Beschädigte neben dem­ jenigen, von welchem die eigentliche Schadenverursachung ausgegangen ist, auch den Urheber der hinzutretenden

Culpa als solidarisch Mitverhafteten in Anspruch nehmen kann; worauf es indessen hier nicht ankommt.

202 Silesia verlangt, daß ihr der Beweis nachgelassen

werde, Thor habe, nachdem er von ihr freigekommen, durch geeignete Maaßregeln den Zusammenstoß mit dem Christel

verhindern

können.

Dieses

Verlangen

ist

grundlos.

Wenn nicht einmal ein von einem Dritten ausgehendes positives Mitwirken zu dem schädlichen Effekt den aus

aquilischer Culpa Verantwortlichen von seiner Verbindlich­ keit zu befreien im Stande ist: so muß dies um so

viel

mehr dann angenommen werden, wenn es sich nur darum

handelt, ob ein Dritter den Schaden hätte abwenden können, aber ungehöriger Weise nicht abgewendet hat . . . Uebrigens steht der Silesia hier ohne Weiteres Art. 741 HGB entgegen, welcher den Rheder des Schiffes, auf welchem

eine zur Kollision führende Culpa begangen wird, haftbar erklärt, „auch für den Schaden, welcher daraus entsteht,

daß durch den Zusammenstoß seines Schiffes mit einem anderen Schiffe der Zusammenstoß dieses (letzteren) Schiffes

mit einem Dritten verursacht wird." sAus diesen Gründen ward hier die Silesia nur

zum Beweise des Satzes 1 (oben S. 200) zugelaffen.) Nr. 32.

I. Senat. — Erkenntniß v. 3. Aon. 72. (3.) Hörich /. Schiffner (Nr. 653 v. 71).

Königreich Sachsen.

Weitere Berufung.

I. Instanz: Handelsgericht im Bezirksgericht Chemnitz, II. Instanz: Appellationsgericht Zwickau. Frachtgut.

Derfügungsrecht des Absenders.

Fixgeschäft.

Der-ug.

1. Der Absender einer Waare darf über dieselbe, auch nach deren Ankunft am Bestimmungsort, solange ver­ fügen, bis der Adressat den Frachtbrief zugestellt erhalten oder seiner Seits aus Art. 405 HGB Klage erhoben hat. HGB Art. 402, 405.

2. Ein Handelskauf wird durch Vereinbarung so-

203

fortiger Lieferung nicht zu einem Fixgeschäft im Sinne des Art. 357 HGB. HGB Art. 326, 357; Rspr. I S. 110; III S. 369.

3. Schadenanspruch wegen Nichterfüllung eines Ver­ trages setzt die Rechtsgewißheit darüber voraus, daß der Gegner mit der betreffenden Lieferung sich im Verzüge befindet. HGB Art. 1, 354 ff.; vgl. Rspr I S. 254, III S. 1.

Kläger hat dem in Chemnitz wohnenden Bekl. Cigarren verkauft, auch einen Theil der Waare, unter Benachrichtigung des Bekl., per Bahn nach Chemnitz befördern lassen. Auf dortigem Bahnhof angekommen, ist die Waare von der Bahnverwaltung gelagert und dies dem Bekl. mitgetheilt worden. Dann hat Kläger anderweitig über die Sendung verfügt. Deshalb verlangt Beklagter Schadenersatz, indem er die Cigarren während der Lagerung anderweitig! zu höherem Preise verkauft zu haben behauptet. Dieser Anspruch ist vom OHG zurückgewiesen worden.

Gründe: Beklagter hat nicht behauptet, daß ihm von der Trans­ portbahn nach Ankunft des Guts am Destinationsort — Chemnitz — der Frachtbrief ausgeantwortet sei. War eine solche Ausantwortung nicht erfolgt (und Klägers hat dieselbe ohne Widerspruch des Bekl. bestritten): so machte Kläger, wenn er in Betreff der am Orte der Ablieferung noch lagernden Waare dem Frachtführer Contreordre er­ theilte, nur von dem ihm im Art. 402 HGB ausdrücklich zugebilligten Recht Gebrauch — einem Recht, dem gegen­ über die im Art. 405 in] gewisser Richtung anerkannten Befugnisse des Adreffaten auf Uebergabe des Frachtbriefs und Auslieferung des Guts, so lange diesfalls die Klage­ anstellung nicht erfolgt ist, nach der Schlußbestimmung des Artikels zurücktreten. Die Ertheilung einer solchen Contrevrdre an den noch im Besitz der Waare befindlichen Fracht-

204 führer hat, soviel das Rechtsverhältniß zwischen dem Ab­ sender, als Verkäufer, und dem als Adressaten bezeichneten Käufer der Waare angeht, die Folge, daß die von Seiten des Ersteren bereits angebahnte Erfüllung des Kaufs wieder rückgängig gemacht wird. Dem Käufer bleibt natürlich das Recht, auf unverweilte Vertragserfüllung zu bestehen. — Ob ihm dagegen das Recht zukommt, statt der Erfüllung Schadenersatz wegen Nichterfüllung zu fordern, hängt von den besonderen Umständen des Falles ab. Es würde ein solcher Anspruch als begründet anzu­ erkennen sein, wenn die Stipulation sofortiger Lieferung der Waare geeignet wäre, dem Kaufgeschäft den Charakter eines Fixgeschäfts im Sinne des Art. 357 HGB zu verleihen. Diese Voraussetzung trifft jedoch nicht zu, da die Pflicht sofortiger Erfüllung bei allen nicht befristeten Obligationen besteht, somit beim Mangel weiterer Beredung kein Moment vorliegt, aus dem sich ergiebt, es habe die Waare „genau zu einer festbestimmten oder binnen einer sestbestimmten Frist" geliefert werden sollen; (Rspr. I ©.110). Das behauptete Geschäft unterstand daher im Allgemeinen den Vorschriften der Artikel 355 und 356 HGB. Run kann freilich in Frage kommen, ob in einem Falle der vor­ liegenden Art, wo der Verpflichtete bereits in einer dem Berechtigten erkennbar gewordenen Weise die Erfüllung durch Uebersendung der Waare an den Destinationsort an­ gebahnt, später aber rückgängig gemacht hat, zur Wahrung eines Schadenanspruchs wegen Nichterfüllung noch die Gestattung einer Nachfrist in Gemäßheit des Art. 356 für erforderlich zu achten sei. Allein das nähere Eingehen auf diese Frage kann gegenwärtig dahin gestellt bleiben. Denn jedenfalls setzt die Geltendmachung des Interesse der Nichterfüllung nach allgemeinen Grundsätzen die Rechtsgewißheit darüber voraus, daß der zur Leistung Ver­ pflichtete überhaupt mit der Leistung im Verzüge sich

205 Nach

befindet.

den

Bestimmungen

des

bürgerl.

Rechts

(§§ 733 und 736 des sächs. bürgerl. GB) bedurfte es aber

zur Herbeiführung dieses Rechtserfolgs, da für die Er­

füllung der Forderung eine nach dem Kalender bestimmte

Frist nicht festgesetzt war, der vorgängigen Mahnung des Klägers*.

In letzerer Beziehung fehlt es nun aber der

geltend gemachten Schadenforderung an der thatsächlichen Substantiirung. Es tritt hinzu, daß Beklagter auffälliger Weise keine Auskunft darüber gegeben hat, wie es gekom­ men, daß er — der empfangenen Anzeige über die Ankunft

der Waare in Chemnitz unangeachtet — mehrere Tage hat verstreichen lassen, ohne zu der ihm obliegenden Abnahme

der Waare zu schreiten, hienach aber es, zumal nach dem

Inhalt der Zuschrift der Staatseisenbahn an den Beklagten,

den Anschein gewinnt, als habe Beklagter zu der von ihm angefochtenen Disposition des Klägers dadurch selbst den Anlaß gegeben, daß er mit der Abnahme der Waare im Verzüge sich befunden.

Nr. 33.

II. Senat. — Erkenntniß v. 4. Nov. 71.

(Z.)

W. Scherer /. Blumenthal und Oeringhaus (Nr. 316 v. 71).

Preuße«.

Nichtigkeitsbeschwerde.

I. Instanz: Kreisgericht Iserlohn, II. Instanz: Appellationsgericht Hamm. Kauf, fehlerhafte Sache. Ansprüche des Käufers.

Bei einem nach ALR zu beurtheilenden Kaufgeschäft, welches wegen fehlerhafter Beschaffenheit der Sache rück­ gängig geworden ist, hat der Verkäufer nur im Falle der Arglist oder eines vertretbaren Versehens den Käufer — über Erstattung des Kaufpreises und gewisser Auswendungen (Dgl. Rspr. III S. 187) hinaus — zu entschädigen. ALR I. 5 88 285—291, 317, 319, 320.

* Vgl. Nspr. I S. 124.

206

Vom OHG angenommen in einer westphälischen Sache

aus folgenden t Gründen:

Der Appellrichter folgert aus § 328, in Verbindung

mit den §§ 285, 320 Tit. 5 und § 155 Tit. 11 ALR Th. I, daß Kläger

über den

zur Begründung

Minderwerth

des

einer besonderen,

fehlerhaften (rotzigen)

Pferdes hinausgehenden Entschädigung entweder

eine dahin gerichtete kontraktliche Verabredung oder ein vertretbares Versehen der Bekl. hätte dar­ thun müssen.

Beides ist nicht geschehen, deshalb hat Kläger in beiden

Vorinstanzen nur den Kaufpreis des Pferdes erstritten, ist aber mit seinen weiteren Ansprüchen (Kurkosten der anderen angesteckten Pferde, für Reinigung der Geschirre und Ställe, wegen entgangener Nutzung) abgewiesen worden... Seine

NktBschw. ist unbegründet . . . Der Appellrichter bezweifelt nicht, daß die Leistung der Gewähr zur Vertragserfüllung gehört (§ 317 ALR I. 5); er stellt aber [im Hinblick auf

§ 285 daselbst) fest, daß dem Bekl. ein Versehen nicht zur Last fällt....

Nachdem in den §§ 317 und 319 ALR I. 5 . . . [die Ge­ währleistung einleitend behandelt worden),

bestimmt der

(als verletzt bezeichnete) § 320: „Liegt an dem Geber die

Schuld, daß sich der Empfänger der gegebenen Sache nach

der Natur und dem Inhalt des Vertrages nicht bedienen kann, so muß erden Empfänger schadlos halten

(§ 285—291)." Daß damit der Geber nur aus einem wirk­ lichem Versehen dem Empfänger verantwortlich gemacht ist, ergiebt nicht allein das Wort „Schuld", sondern mehr

noch die ausdrückliche Verweisung auf §§ 285—291, in denen überall gerade nur von Vergütung des durch

Vorsatz oder vertretbares Versehen entstandenen In­ teresses die Rede ist.

Dadurch daß eben nur diese Vor-

207

schriften und nicht auch die über die aus Handlungen ent­ stehenden, blos mittelbaren und zufälligen Folgen (Tit. 3 Th. I ALR) in Bezug genommen sind, ist hinreichend deutlich zu erkennen gegeben, daß die Vertretungsver­ bindlichkeit aus § 320 auf die Fälle der §§ 285 — 291 beschränkt werden sollte [vgl Rspr. III S. 188]. Ein Ver­ sehen fällt aber dem Bekl.. .. nicht zur Last, die Be­ stimmung § 320 findet somit hier keine Anwendung. Der Zweiter als verletzt bezeichnete] § 155 ALR I. 11 bezieht sich auf den Fall der Eviktion, wenn die ver­ kaufte Sache dem Käufer von einem Dritten entzogen wird Derselbe steht der Ausführung des Imploranten insofern gerade entgegen, als er dem Verkäufer — sobald der Käufer von dem Dritten Ersatz des Kaufgelds und der auf die Sache verwendeten Kosten* erhalten hat — für den etwa noch außerdem beim Kaufgeschäft erlittenen Schaden „nur nach Verhältniß der obwaltenden Ver­ schuldung" haftbar erklärt. Im Wesentlichen ist dieser Fall dem analog, wenn die Sache dem Käufer in Folge fehlerhafter Beschaffenheit durch ihren Untergang entzogen wird. Der Käufer muß sich in beiden Fällen mit Ersatz des Kaufgelds und der auf die Sache aufgewendeten Kosten begnügen und kann vom Verkäufer Ersatz weite­ ren Schadens nur nach Verhältniß der denselben treffenden Verschuldung verlangen. Unerheblich ist bei dieser Sachlage, wenn der Appell­ richter daneben noch auf Bestimmungen des römischen Rechts und des Code civil Bezug nimmt. Ein Verstoß wider diese könnte niemals zur Vernichtung der an­ gefochtenen Entscheidung führen.

* Gemäß ALR I. 15 § 25—27, 34.

208 Nr. 34.

II. Lenal. — Erkenntniß v. 4. Aov. 71. (Z.) Schindler /. Sachs u. Edinger (Nr. 431 v. 71.)

Revision.

Prentzerr. I. Instanz: Stadtgericht Berlin, II. Instanz: Kammergericht daselhst.

Laufende Rechnung, Guthaben. Pfandbesitz, Mala fides euperveniens.

1. Unter Kaufleuten, die mit einander in dauerndem Geschäftsverkehr und laufender Rechnung stehen, ist ein für einen gewissen Zeitpunkt ermitteltes Guthaben nicht als unverändert fortbestehend zu vermuthen. AGO I. 13 § 28.

2. 88 15 und 16 ALR I. 7 werden durch Art. 306 Abs. 2 HGB nicht berührt. HGB Art. 1.

3.

Beurtheilung eines Einzelfalles, in welchem dem redlichen Pfandnehmer nachträglich Zweifel an der Be­ rechtigung des Verpfänders beigebracht wurden, nach ALR.

Im Nov. 65 haben Beklagte vom Kaufmann N. zu Frankfurt a./O. 75 Stammaktien der Vereinszeche „Vater­ land" in Depot erhalten, als Pfand für gewisse Ansprüche an N. Kläger behauptet, Eigenthümer dieser Aktien zu sein, und beansprucht deshalb deren Herausgabe nebst Dividendenscheinen, seit 1. Juli 69, auch nebst Werthersatz für die von den Bekl. erhobenen Dividenden. Der Appellrichter weist, für den Fall der Leistung ge­ wisser Eide, den Kläger angebrachter Maaßen ab. Das OHG bestätigt. Gründe: Den Beweis für das Eigenthum des Klägers an den streitigen Aktien nimmt der Appellrichter für (bis zur Auf­ erlegung eines Erfüllungseides) geführt an... Was den Pfandbesitz der Aktien auf Seiten der Bekl. anlangt, kann es dahin gestellt bleiben: ob die An-

209 sicht

des Appellrichters, daß den Bekl. der Beweis der

UnbeschrLnktheit der Verpfändung obliege, richtig und

ob, wenn Bekl. geeignete Beweismittel

nicht angegeben

haben, dann auf den Gegenbeweis des Klägers einzu«

gehen ist.

Femer erscheint es unerheblich, daß der Appell­

richter in Bezug auf diesen Gegenbeweis bei der Annahme:

es könne der Kaufmann N. über eine Thatsache, welche die

Bedeutung einer Unterschlagung habe, nach § 180 Nr. 3 AGO I. 10 nicht vernommen werden, übersehen hat, daß aus der citirten Gesetzesvorschrift lediglich die Befugniß

zur Zeugniß-Verweigerung folgt.

Auch kann, wenn R.

die bei ihm deponirten Attien an die Bekl. in Pfand ge­

geben hat, hierin nicht unbedingt der Thatbestand einer Unterschlagung gefunden werden.

Entscheidend ist, daß

dem Appellrichter darin beigetreten werden muß, daß ... (thatsächlich) als bereits feststehend angenommen werden muß, daß die Attien nicht blos zur Sicherheit von zn

discontirendeu Wechseln des Klägers seitens des N. an die Bekl. verpfändet worden sind, daß also die Verpfändung

der Attien in der Unbeschränttheit, um welche es sich gegen­

wärtig handelt, stattgefunden hat... Mit Recht hat ferner der Appellrichter angenommen, daß in Ansehung des fraglichen Pfandbesitzes für die Bekl.

die Vermuthung des guten Glaubens spreche; §§ 18,179 AM I. 7. Dagegen beschwert sich Kläger

Ausführung des Appellrtchters:

mit Recht über die

„es sei bedeutungslos,

daß im Winter 67 N. den Bekl. von dem Eigenthum des Klägers an den Attien Mittheilung gemacht habe; die

Bekl. seien gutgläubige Pfandbesitzer bis zur Tilgung der N'schen Schuld

geblieben; diese Tilgung aber sei nicht

behauptet, deshalb bedürfe es nicht der Erhebung des

von den Bell, über Entstehung und Fortbestehen der frag« lichen Schuld angetretenen Beweises. IV.

14

210

Es kaun auf sich beruhe» bleiben: ob die Verität und Höhe dieser Schuld für zugestanden und daher mit dem Appellrichter für feststehend zu erachtm ist. Darin stimmen die Anführungen beider Parteien überein, daß die Bell, während mehrerer Jahre mit 3L in Geschäfts­ verbindung und laufender Rechnung gestanden. In solchem Falle samt eine Vermuthung dafür, daß die zu einem bestimmten Zeitpunkt aus der Aufrechnung sich ergebende Forderung des einen Theils an den anderen fortexistirt habe, nicht ohne Weiteres Platz greifen. Ueberdies aber hat in gegenwärtigem Rechtsstreit Kläger ... ausdrücklich behauptet, daß nach der Zeit, zu welcher Bekl. jene Mittheilung über das Eigenthum des Klägers an den von N. ihnen verpfändeten Mien empfangen, N. sich im Vorschuß befunden habe, also seine Schuld an die Bell, getilgt gewesen sei. Unter der Voraus­ setzung, daß diese Mittheilung geeignet war, den Pfandbesitz der Bekl. an den Aktien (gemäß § 17 ALR I. 7) für die Zickunft zu einem unredlichen zu machen — eine Vor­ aussetzung, welche der Appellrichter nicht in Zweifel gezogen hat — erscheint daher die Erheblichkeit der vorgedachten Behauptung des Klägers und der Gegenbehauptungen der Bekl. vollkommen einleuchtend, und der Appellrichter mußte jedenfalls in Erwägung ziehen: ob jene Behauptung und eventuell die Gegenbehauptungen für thatsächlich begründet zu erachten. Mein es kann dennoch der bezüglichen Revisionsbe­ schwerde ein Erfolg nicht gegeben werden, und zwar des­ halb nicht, weil mit den Beklagten die oben hervorgehobene Voraussetzung für unzutteffend angesehen werden muß. Das ALR unterscheidet Th L TU. 7 in den — vom Art. 306, Abs.2 des HGB nicht berührten — 8815 und 16: ob der Besitzer schon bei Erwerbung des Besitzes Grund hatte, an der Giltigkeit seines Titels zu zweifeln, oder ob

211

erst nachträglich Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Besitzes in ihm entstanden sind. Ersteren Falles soll er nach § 15, wenn sich in der Folge die Unrechtmäßigkeit des Besitze- offenbart, einem unredlichen Besitzer gleich geachtet werden; § 91 MR I. 20. „Dagegen" — so besagt § 16 Tit. 7 — „verliert der, bei welchem erst nach schon erworbenem Besitz bloße Zweifel über die Rechtmäßigkeit desselben entstehen, da­ durch noch nicht die Eigenschaft und die Rechte eine- red­ lichen Besitzers." Zugestanden ist von beit Beklagten nur, daß N. im Winter 67 bei seiner Anwesenheit zu Berlin (welche zum Zweck gehabt, den schon damals bevorstehenden Ausbruch seines Konkurses abzuwenden) vor ihnen (den Beklagten) erwähnt habe, daß die — jetzt den Streitgegen­ stand bildenden Aktien Eigenthum des Schindler (Klägers seien. N. soll darauf bedeutet worden sein, daß die Be­ klagten, sowie sie das Pfand unbeschränkt erhalten hätten, daran auch ihr unbeschränttes Pfandrecht ausüben würden. Gleichviel von wem diese Aeußerung gethan worden sein mag, immerhin drückt sie nicht mit Zuverlässigkeit aus, daß die Mittheilung des R. über das Eigenthum der Aktten sät wahr angenommen worden ist, sondern nur, daß die Mittheilung auch für den Fall ihrer Wahrheit für nicht beachtenswerth erklärt worden. In der That erscheint die­ selbe an sich nur dazu geeignet, den Zweifel zu erregen: ob N. befugt gewesen, den Beklagten die Aktten zu ver­ pfänden? Selbst wenn Beklagte der Mittheilung Glauben schenkten, so folgt daraus noch nicht, daß sie von dem Mangel der für die Verpfändung der Aktien erforderlich gewesenen Dispositionsbefugniß des N. überzeugt waren, da auch an einer fremden Sache ein Pfandrecht bestellt werden kann; §§ 15, 16, 72 bis 74 ALR I. 20. Es mag sein, daß gedachte Mittheilung den Beklagten Veran­ lassung zu näheren Erkundigungen über den eigent14 e

212 lichen Sachverhalt geben konnte. Kläger selbst behauptet aber nicht, daß in der Unterlassung solcher Erkundigungen ein vertretbares Versehen zu erblicken sei. Zwar ist seine Behauptung, daß die streitigen Aktien bei den Be­ klagten lediglich za deren Sicherheit für die zu discontirenden Wechsel des Klägers verpfändet worden seien, als widerlegt anzusehen; hierdurch wird aber die, durch die sonstigen Angaben des Klägers über den bezüglichen»Ge­ schäftsverkehr begründete, Annahme nicht ausgeschlossen, daß die Hinterlegung der Aktien seitens des Klägers bei 91. und seitens des Letzteren bei den Beklagten mit be­ sonderer Rücksicht auf die Discontirung von Wechseln, aus denen Kläger verhaftet war, stattgefunden. Um so weniger hatten Beklagte Grund dazu, aus jener Mittheilung des N. über das Eigenthum der Aktien den Verdacht zu schöpfen, daß deren Verpfändung an sie wider den Willen des Klägers erfolgt sei. Dementsprechend heben Beklagte auch ... hervor: Kläger habe nicht einmal behauptet, daß die Aktien ohne seinen Willen seinem rechtmäßigen Besitz entkommen seien. Auf diese Bemerkung hat Kläger nichts erwidert. Bei derselben scheint übrigens den Beklagten die Stelle der Replik nicht gegenwärtig ge­ wesen zu sein, wo es wörtlich heißt:

„Die Klage hat nicht behauptet, daß N. die Grenzen seiner Befugnisse überschritten und mit den Aktien Mißbrauch getrieben habe." Es kann unerwogen bleiben: ob nicht diese Erklärung des Klägers als ausdrückliches Geständniß, daß N. in Wirklichkeit über die Aktien, wie geschehen, zu disponiren berechtigt war, sich auffassen läßt. Keinenfalls erscheint nach dieser Sachlage Kläger befugt, den Beklagten, wenn sie von der mehrerwähnten Mittheilung des N. in Ansehung des weiteren Geschäftsverkehrs mit diesem keine Notiz

213 mahmen, auf Grund des § 17 MR I. 7 die Pflichten unredlicher Besitzer der fraglichen Aktien aufzubürden. Nach diesen Erwägungen stellt sich das Ergebniß der Argumentation des Appellrichters als richtig dar, seine Entscheidung mußte also lediglich bestätigt werden. Nr. 35.

IL Senat — Erkenntniß v. 4. Noo. 71. (Res.) Mannheimer Mehl- und »robfabri! •/. Wilhelm Fischer (Nr. 468 v. 71).

Preußen (Frankfurt.)

Ober-Appellation.

I. Instanz: Stadtgericht Frankfurt a. M., II. Instanz: Appellation-gericht daselbst. Kaufprei-forderung.

v e gründ ung.

Der Anspruch des Verkäufers auf einen gewissen Preis für die zufolge Bestellung gelieferte und vom Gegner in Empfang genommene Waare kann, abgesehen von auSbrücklicher Verabredung, auch auf eine stillschweigende Unter­ werfung des Bestellers unter jenen Preis als den gerade üblichen (marktgängigen) gestützt werden. HGB Art. 1, 279, 353. Dgl. Rspr. n S. 277, III. S. 256, 261 und Endemann DHR S. 517, 526 ff.

Klägerin verlangt Bezahlung für verschiedene, dem Beklagten gemachten Lieferungen von Weizenmehl. Sie behauptet, die geforderten Preise seien verabredet, auch die zur Zeit üblichen (gerade geltenden Handelsdurch­ schnittspreise) gewesen. Beklagter hat dem eine andere Verabredung entgegengestellt. Der I.Richter nahm die Marktmäßigkeit der Preise als unbestritten an, erachtete daher die Klage für begründet, sofern nicht Beklagter den Gegenbeweis einer anderen Verabredung erbringe. Auf Berufung des Beklagten legte der II. Richter dem Kläger den Beweis der von ihm be­ haupteten Vereinbarung auf; denn da beide Theile eine ausdrückliche Preisverabredung behaupteten, handle es sich

214

nur noch darum, die Höhe dieses Preises im Beweisver­ fahren festzustellen und könne die daneben eventuell geltend gemachte Ueblichkeit des geforderten Preises gar nicht in Betracht kommen. Auf Oberappellation der Klägerin hat das OHG abändernd entschieden, daß Klägerin alternativ die gedachten thatsächlichen Grundlagen ihres Anspruchs rechtsgenügend darzuthun habe, wogegen dem Beklagten der ihm in I. Instanz nachgelassene Gegenbeweis vorzu­ behalten sei. Gründe:

Die Klage ist in doppelter Weise zu begründen ver­ sucht worden, und zwar so: 1) daß der Preis des Kaufobjekts nach dem in der Klage behaupteten Maaßstabe [je Nach der Sorte 0,1 oder 2] und zu der geforderten Höhe [pro Sack von 100 Zollcentnernj zwischen den Parteien verabredet worden sei; 2) daß dieser Preis auch der damals übliche (markt­ mäßige) gewesen sei. In dieser zwiefachen Klagebegründung liegt keines­ wegs ein Widerspruch. Es werden nicht zwei unver­ einbare Dinge als neben einander bestehend aufgestellt. Die zweite Behauptung ist der Natur der Sache nach nur eine eventuelle; sie geht dahin: daß, wenn die zunächst behauptete ausdrückliche Vereinbarung nicht sollte festzu­ stellen sein, der Anspruch auf den eingeklagten Kaufpreis dennoch ein begründeter sein würde, weil alsdann ange­ nommen werden müsse, daß Beklagter sich für die ihm käuflich überlieferte» auch von ihm in Empfang genommene und verwendete Waare zu dem geforderten Kaüfpreise, besten Marktmäßigkeit vorausgesetzt, stillschweigend verpflichtet habe.

Hieraus folgt, daß der Klägerin, welcher an sich der

215 Beweis des Klagegrundes obliegt*, nicht blos — wie vom Appellrichter geschehen — der Beweis der ersten, sondem auch der zweiten Alternative nachgelassen werden muß.

Es bedarf auch des letzteren Beweises noch, da dem I. Richter darin nicht beigepflichtet werden kann, daß der zweite Klagegrund nach Maaßgabe des in der Vernehmlafsung ... darüber Gesagten für liquid gestellt zu erachten

wäre, in jenen Erklärungen vielmehr ein ... Bestreiten

desselben enthalten ist. Nr. 36.

I. Senat. — Erkenntniß v. 7. Novbr. 71. (Z.) v. Rochow-Reckahrie •/• Georg Schmuck u. A. F. Haagensen (Nr. 443 v. 71.)

Preußen.

Nichtigkeitsbeschwerde.

I. Instanz: Kreisgericht Brandenburg a/H. II. Instanz: Kammergericht zu Berlin. Diffamattonsklage, Gerichtsstand.

Dundesindigenat.

1. Der Richter hat Kompetenzfragen nnr nach seinem Prozeßrecht zu entscheiden. Grundsatz von der Territorialität de« Rechts.

Vgl. Rspr. I S. 300, 304; II S. 179.

2. Wo ist die Diffamationsklage (ex lege diffamari oder ex lege si contendat) gemeinrechtlich anzubringen? 3. Die Vorschrift des § 4 der preuß. AGO I. 32 bleibt, nach Art. 2 und 3 der Verfassung des deutschen Reiches, ausgeschlossen bei Diffamationsklagen eines Preußen gegen einen Hamburger (oder sonstigen Angehörigen des deutschen Reiches). Konsequenz des Bundesindigenats.

4. Aus der deutschen Reichsverfassung und dem Gesetz v. 21. Juni 69 über die Rechtshilfe ergiebt sich als Prinzip, daß hinsichtlich der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes * Vgl. Rspr. I S. 280; II S. 91, 158 f., 178; III S. 128, 308, 315, 354.

216

das gejammte Bundesgebiet wie ein einheitlicher Staat zu betrachten, demgemäß jeder Angehörige irgend eines Bundesstaates in allen übrigen deutschen Staaten als In­ länder — das heißt: den Angehörigen des betreffenden Staates gleich — zu behandeln ist. Reichsverfassung Art. 2, 3. Gesetz über Rechtshilfe v. 21. Juni 69 § 1, 39, 46.

Aus einem Vertrage über Ziegelsteinlieferung glaubt ein Hamburger Haus Ansprüche gegen seinen Kontrahenten, Rittergutsbesitzer von Rochow auf Neckahne (preuß. Provinz Brandenburg) zu haben, und es hat dieser Forderung bei Mittheilung von Abrechnungen verschiedentlich erwähnt. Hier­ mit soll jenes Haus sich zu Unrecht solcher Ansprüche be­ rühmt haben, weshalb von Rochow bei dem preuß. Kreis­ gericht Brandenburg, als seinem persönlichen Richter, eine Diffamationsklage (provocatio ex lege diffamari) er­ hob. Den aus Art. 3 der Verfassung des norddeutschen Bundes erhobene Einwand der Inkompetenz verwarf der I. Richter, in der Appellinstanz aber wurde die Klage wegen Inkompetenz zurückgewiesen. Die NktBschw. des Provo­ kanten blieb erfolglos. Gründe:

Aus der von den italienischen Prozessualisten auf­ gestellten Fiktion, daß die Berühmung eines Anspruchs als erster Schritt prozessualer Geltendmachung, gleich­ sam als Ladung vor Gericht erscheine (diffamare est ad Judicium vocare), ergab sich die von der deutschen Doktrin und Praxis überwiegend anerkannte und durch die Reichsgesetze, wenigstens für gewisse Fälle sanktionirte Konsequenz, daß der Diffamat und Provokant durch die Diffamation in die Lage eines Beklagten versetzt sei, dem­ gemäß vor seinem Gerichtsstände die Provokation anzustellen habe. Indem jedoch gleichzeitig und übereinstimmend anerkannt ward, daß diese Provokation keine Prävention begründe,

217

vielmehr der Diffamant zur Führung des Hauptprozesses auch in einem anderen Gerichtsstände des Diffamaten befugt sei — ja, unter Umständen — nach Vorschrift der Reichsgesetze, vgl. namentlich Jüngsten Reichs-Abschied § 83 — genöthigt war, verlor jene Fiktion allen inneren Halt. Es konnte nicht fehlen, daß man von einem rationelleren Standpunkte aus die Diffamation als bloße Veran­ lassung einer selbständigen oder doch mindestens präpa­ ratorischen Klage auffaßte, welche selbstverständlich nur im Gerichtsstand des Diffamanten und Provokaten, allen­ falls etwa, unter dem Gesichtspunkt anscheinender Kon­ nexität, nach Wahl des Provokanten im Gerichtsstände des Diffamanten oder aber vor demjenigen Gericht, an welches der künftige Hauptprozeß gehören würde, angestellt werden darf. Durchgedrungen indessen ist diese rationellere An­ schauung in der gemeinen Praxis nicht, vielmehr hält letztere — schon um der Bestimmung der Kammer-GerichtsOrdnung von 1555 (II. 25) willen — an dem Gerichts­ stände der Diffamationsklage im Forum des Provokanten fest*, und nur die elektive Konkurrenz des letzteren mit dem Gerichtsstände des Diffamanten wird in der neueren Theorie lebhafter als zuvor auch für das geltende Recht vertheidigt: Muther im Jahrbuch für gemeines deutsches Recht von Bekker und Muther, B. II namentlich S. 188 ff. Renaud Lehrbuch des Civilprozeffes § 53 n. 15 ff., § 40 n. 10. Endemann Civilprozeßrecht § 64 n. 8—10, § 103 n. 10 ff. Die neueren Prozeßgesetzgebungen und Ent­ würfe — sofern sie nicht, gleich dem Entwurf einer Civil-PO ♦ Die zahlreichen Citate haben wir, als für Praktiker (Rspr. I S. 6) entbehrlich, weggelafsen.

218 für den nordd. Bund (1870) § 195, 196 und dem Entwurf einer deutschen Civil-PO (1871) § 210, vgl. Motive S. 305, 306, die Provokationen völlig beseitigen und durch die allge­ meine quasinegatorische Klage, welche hinsichtlich des Ge­ richtsstandes den allgemeinen Grundsätzen folgt (Entwürfe § 41, vgl. § 12), ersetzen — haben theilweise es bei dem Prinzip der gemeinen Praxis gelassen;

vgl. Renaud, Lehrbuch § 40 n. 10, und dazu Bayerische Civil-PO v. 29. April 69 Art. 571; theilweise dem Provokanten die Wahl zwischen dem­ jenigen Gericht, vor welches die Hauptsache gehört und dem allgemeinen persönlichen Gerichtsstände des Provokaten (Diffamanten) gewährt: Oldenburgische Civil-PO § 25 vgl. § 28; Württembergische Civil-PO v. 3. April68Art.52 und insbesondere § 16 des im Auftrage der Bundes­ versammlung ausgearbeiteten revidirten sogenannten Nürnberger Entwurfs, die in den deutschen Bundesstaaten gegenseitig zu gewährende Rechtshllfe betreffend, nachdem ursprünglich die ausschließ­ liche Zuständigkeit des Gerichts der Hauptklage angmommen worden war. (Verhandlungen der Kom­ mission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs (Nürnberg 1861, I S. 4, 31; II S. 33-36, 135, 150, 176);

theilweise endlich die Diffamationsklage den allgemeinen Grundsätzen unterworfen, und eine Ausnahme zu Gunsten des Provokanten nur in dem Falle zugelaffen, daß der Provokat ein Ausländer ist. So die preuß. AGO Th. I Tit. 32, welche dem Diffamaten den doppelten Weg der quasinegatorischen Klage (§ 2) und der Diffamations­ klage (§ 3 ff.) eröffnet, hinsichtlich der letzteren aber § 4 bestimmt:

219

Die Anmeldung muß bei demjenigen Richter ge­ schehen, bei welchem der Diffamant und Provokat feinen ordentlichen persönlichen Gerichtsstand hat. Ist der Diffamant ein Ausländer, so kann der Diffamationsprozeß bei demjenigen inländischen Gerichte» vor welches die rechtliche Ausführung des HauptanspruchS gehören würde, angestellt worden. Damit stimmt die Badische PO § 677 überein. So­ fern hiernach die preußische AMOgegen den ausländischen Diffamanten eine (übrigens im Corpus Juris Frideri­ cianum Th. II Tit. 8 Sect. I § 3 noch nicht enthaltene) Ausnahme von ihrer Regel aufstellt, gehört dieselbe prin­ zipiell unter die zahlreichen Ausnahmebestimmungen, welche das preußische Prozeßrecht (gleich den meisten Prozeß­ gesetzgebungen) gegen die Ausländer statuirt; näher charakterifirt in diejenige Gruppe jener Ausnahmebestimmungen, welche die regelmäßigen Grundsätze vom Gerichtsstände zum Nachtheil der Ausländer modifiziren. So darf — abgesehen von §§ 26, 27 AGO L 2 — nach dem der Cabinetsordre v. 15. März 1809 entnommenen Anhangs­ tz 34, vgl. Justiz-Ministerial-Reskript v. 30. Mai 36 (bei v. Rönne, (Erläuterungen zur AGO I. 2 § 114) der Aus­ länder, welcher im preußischen Staat bewegliches oder un­ bewegliches Vermögen besitzt, von einem Preußen bei deiNjenigen Gericht, unter welchem sich dieses Vermögen befindet, auch wegen persönlicher Ansprüche zum Zweck der Be­ friedigung aus demselben in Anspruch genommen werden. Nach § 119 Tit. 2 Th. I (vgl. § 42 Tit. 29 Th. I und Anhangs-8 198) AGO muß der Ausländer vor dem Ge­ richt des Arrestschlages auch in der Hauptsache sich ein­ lassen; nach § 17 Nr. 1 Tit. 19 daselbst sich bei dem Richter der Hauptklage auf die Mederklage auch dann einlassen, wenn deren Gegenstand ein Realanspruch wegm eines außerhalb Landes belegenen oder unbeweglichen Gute-

220 bildet. Vgl. auch AGO I. 2 § 129, Anhangs-Z 38; Konkurs-Ordnung v. 8. Mai 55 § 292 bis 296. Bon diesen Ausnahmebestimmungen ist der Anhangs­ tz 34 (vorbehaltlich des Retorsionsrechts) gegen Einwohner der deutschen Bundesstaaten allgemein bereits durch die Verordnung v. 7. Juli 19 (Gesetz-Sammlung S. 212) außer Kraft gesetzt worden; im Uebrigen bestanden sie bis zur Emanation der Verfassung des nordd. Bundes auch gegen die Einwohner der deutschen Bundesstaaten in voller Geltung, soweit sie nicht durch Staatsverträge modifizirt waren, wie in besonderer Beziehung auf § 4 Tit. 32 Th. I AGO das Justiz-Ministerial-Reskript v. 13. Juni 36 ausdrücklich anerkannt hat (v. Rönne, Erläuterungen zu diesem §). Solche Staatsverträge sind allerdings zwischen Preußen und zahlreichen deutschen Bundesstaaten geschlossen worden und durch Art. 7 derselben nicht der preußische, sondern der gemeinrechtliche Grundsatz hinsichtlich des Gerichts­ standes der Diffamationsklage gegenseitig anerkannt worden: „Die Provokationsklagen (ex lege diffamari oder ex lege si contendat) werden erhoben vor demjenigen Ge­ richt, vor welches die rechtliche Ausführung des Hauptanspmchs gehören würde; es wird daher die von diesem Gericht ausgesprochene Sentenz von der Obrigkeit des Provozirten als rechtsgiltig und vollstreckbar anerkannt." Staatsverträge zwischen Preußen und Sachsen-Weimar von 1829, Sachsen-Altenburg von 1832, Sachsen-CoburgGotha von 1833, Reuß-Plauen jüngerer Linie von 1834, Königreich Sachsen von 1839 rc. Dagegen ist durch Art. 3 der Verfassung des nord­ deutschen Bundes v. 26. Juli 67 (und mit entsprechenden Aenderungen in der Berfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 71) für den ganzen Umfang des Bundesgebiets (Reichs) ein gemeinsames Indizenat mit der Wirkung eingeführt, daß der Angehörige eines Bundesstaats in jedem

221

anderen Bundesstaate als Inländer zu behandeln, und demgemäß auch in Betreff der Rechtsverfolgung und deS Rechtsschutzes dem Einheimischen gleich zu behandeln ist*; und in Ausführung dieses Grundsatzes, sowie des Art. 4 Nr. 11 der Verfassung, welcher „Bestimmungen über die wechselseitige Vollstreckung von Erkenntnissen in Civilsachen und Erledigung von Requisitionen überhaupt" der Beaufsichtigung und Gesetzgebung des Bundes (Reiches) unterwirft, ist das Gesetz betreffend die Gewährung der Rechtshilfe v. 21. Juni 69 ergangen (BdGBl. Nr. 29), dessen § 39 Abs. 1 bestimmt: „Bei Anwendung der Civil- und Strafprozeß-Gesetze, welche Vorschriften zum Nachtheile der Ausländer enthalten, sowie der Gesetze, welche sich auf den Konkurs über das Vermögen der Ausländer beziehen, ist jeder (Norddeutsche als Inländer anzusehen." Daß hierdurch auch diejenigen Vorschriften der Landesgesetze, durch welche zum Nachtheil der Ausländer besondere Gerichtsstände anerkannt sind, gegen Ange­ hörige des norddeutschen Bundes außer Kraft gesetzt werden, hat der Ausschuß für Justizwesen im Bundesrath, sowie der Bundesrath selber in den dem Gesetzentwurf bei­ gegebenen Motiven und der Bevollmächtigte des Bundes­ raths in seinem die Debatte des Reichstages einleitenden Vortrage ausdrücklich anerkannt, wenngleich es einstweilen für unthunlich erachtet wurde, über die Gerichtsstände selbst gemeinsame Bestimmungen zu treffen. Vgl. Hirth's Annalen des norddeutschen Bundes B. II S. 1031 ff., 14 ff. Endemann in Behrend's Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen B. III S. 665 ff., wie denn auch § 6 des Reichsgesetzes v. 22. April 71, be­ treffend die Einführung norddeutscher Bundesgesetze in

• Vgl. Rspr. I S. 313, II S. 123.

222 Bayern (RchGesBl. Nr. 17) in dem zu § 39 des Gesetzes v. 21. Juni 69 beigefügten Zusatz die Vorschriften über

den Gerichtsstand besonders hervorhebt. Nach Art. 2 der Bundes- (Reichs-) Verfassung find alle der Verfassung, sowie den Bundesgesetzen widerstreiten­

den Landesgesetze, und nach §46 des Gesetzes v. 21. Juni 69 alle mit diesem Gesetz in Widerspruch stehenden, zwischen

den einzelnen Bundesstaaten über Leistung der Rechtshllfe

abgeschlossenen Verträge außer Kraft getreten. Geht man nun davon aus, daß § 4 AGO L 32 eine

Vorschrift zum Nachtheil der Ausländer enthält, nach dem gegenwärtigen Rechtszustande aber jeder Angehörige

eines jedes Bundesstaats auch in Beziehung auf den Ge­

richtsstand schlechthin als Inländer zu betrachten ist: so ergiebt. sich die vom Appellrichter gezogene Folgemng, daß nunmehr gegen Angehörige des hamburgischen Staates die Diffamationsklage

bei

demjenigen

preußischen

Gerichte, vor welchem der Diffamat und Provokant seinen

ordentlichen persönlichen Gerichtsstand hat, ausgeschlossen

erscheint.

Der Borwurf, daß durch diese Annahme der Appell­ den § 4 AGO I. 32, Art. 3 der Verfassung des norddeutschen Bundes v. 26. Juli 67, jetzt d.er Ver­

richter

fassung des deutschen Reiches v. 16. April 71, endlich § 39

des Gesetzes, betr. die Rechtshilfe v. 21. Juni 69, verletzt habe, vermag daher nicht als begründet anerkannt zu werden.

Allerdings führt die vom Appellrichter vertretene Aus­

legung des Art. 3 der Reichsverfassung zu einer unlös­

baren Antinomie zwischen dem preußischen Prozeßrecht und dem in Hamburg geltenden gemeinen deutschen Prozeß­ recht.

Halten die hamburgischen Gerichte — wie zunächst

unterstellt werden darf — an dem Grundsätze der gemein­

rechtlichen Praxis fest, daß die Diffamationsklage aus­ schließlich im Gerichtsstände des Diffamaten, bzw« des

223 künftigen Hauptprozeffes anzustellen sei: so ergeben sich folgende, auch vom Appellrichter anerkannte, unzweifelhaft

mißliche Konsequenzen. Der hamburgische Diffamant ist durch die Reichs­ verfassung in Verbindung mit dem preußischen Prozeß­ recht günstiger gestellt, als nach hamburgischem Recht; denn das letztere gewährt die Diffamationsklage vor preu­ ßischem Gericht, erstere schließen dieselbe aus. Der ham­ burgische Diffamant eines Preußen ist gegenwärtig günstiger gestellt, als der preußische Diffamant eines Hamburgers; denn gegen Letzteren ist die Diffamationsklage nach preu­ ßischem Recht vor preußischem Gericht, nach hamburgischem Recht vor hamburgischem Gericht statthaft, gegen Ersteren vor preußischem und hamburgischem Gericht unstatthaft. Endlich verliert der preußische Diffamat durch die Reichsverfaffung das ihm bisher (nach preußischem wie nach ham­ burgischem Recht) gegen Hamburger wie gegen Preußen gleichmäßig zustehende Recht der Diffamationsklage gegen einen hamburgischen Diffamanten, und ist auf die un­ günstigere quasinegatorische Klage vor den hamburgischen Gerichten beschränkt. Gleichwohl nöthigen Wortlaut und erkennbare Tendenz der Reichsverfassung wie des Gesetzes v. 21. Juni 69 auch diese Konsequenzen anzuerkennen. Denn, wie bereits mehrfach vom OHG ausgesprochen worden ist (oben S. 221 n], beruhen die Reichsverfassung wie das Gesetz über die Rechtshilfe auf dem leitenden Prinzip, daß hin­ sichtlich der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes das gesammte Bundesgebiet wie ein einheitlicher Staat zu betrachten, demgemäß jeder Angehörige eines Bundesstaates in jedem anderen als Inländer, d. h. als Angehöriger dieses Staates zu behandeln fei, und daß die Voraussetzung der zahlreichen in den Landes­ gesetzgebungen zum Nachthell der Ausländer getroffenen

224 Bestimmungen, es sei im Auslande die Rechtsoerfolgung

ungebührlich

und behindert, mit

erschwert

allen

ihren

Folgesätzen für das gesammte Bundesgebiet als weggefallen erachtet werden müsse. Dabei hat man sich nicht verhehlt, daß ohne eine gleichzeitige gemeinsame Regelung der Ge­

richtsstände unter Umständen unerwünschte Kollisionen ein­ treten könnten; man glaubte indeß, da diese Regelung bis zur

Emanation einer deutschen Civilprozeßordnung undurchführ­ bar erschien, bis dahin auch die denkbarerweise unerwünschten

Konsequenzen des nothwendigen und keinerlei Abschwächungen duldenden Prinzips ertragen zu müssen-

So wenig daher

§ 4 AGO I. 32 gegen diejenigen Angehörigm des preu­ ßisch en Staates, für welche nicht das Prozeßrecht der AGO, sondern das gemeine deutsche oder das französische Prozeß­

recht gilt, zur Anwendung gebracht werden kann: so wenig

kann derselbe nunmehr gegen Angehörige anderer deutschen Bundesstaaten

Platz

greifen.

Inwiefern

das preußische

Gesetz vom Standpunkt des hamburgischen Prozeßrechts

eine Benachtheiligung des hamburgischen Diffamanten ent­

hält, ist unerheblich; vom Standpunkt des preußischen Prozeßrechts aus ist die prinzipielle wie die thatsächliche Benachtheiligung unzweifelhaft. Nur dieser aber war für

den preußischen Richter maaßgebend, da jeder Richter nur nach seinem Prozeßrecht die Kompetenzfrage zu ent­

scheiden hat: v. Bar, das internationale Privat- und Strafrecht

S. 427;

Renaud, Lehrbuch des Civilprozesses § 9 n. 2. Zu einer

entgegenstehenden Beurthellung wäre nur

unter der Voraussetzung zu gelangen, daß § 4 cit. den erkenn­ baren Zweck verfolgte, behufs Lösung eines Kompe-

tenzkonflikts es für das Ausland

bei dem bisherigen

Recht desselben hinsichtlich des Gerichtsstandes der Diffa­

mationsklage zu belassen.

Allein es läßt sich nicht erweisen.

225 daß eine solche einseitige, von Reziprozität und Gewährung

der Rechtshilfe absehende Lösung eines Kompetenzkonflikts

vom Gesetzgeber

bei

der Vorschrift über

den

Gerichts­

stand der Ausländer ausschließlich oder vorwiegend ins Auge

gefaßt sei.

Nr. 37.

I. Senat. — Erkenntniß v. 7. Von. 71. (V.) 3oh. Segall /. Eitner (Nr. 466 v. 71.)

Nichtigkeitsbeschwerde.

Preuße«.

I. Instanz: Stadtgericht Berlin, II. Instanz: Kammergericht, •tojelfaufmattn, «tret, Klagerecht.

Die Berechtigung eines Kaufmanns, nuter feiner Firma zu klagen, ist durch Eintragung dieser Firma nicht bedingt. HGB Art. 15, 19, 26. AGO I. 4 § 2 Nr. 1 und 3.

Gegen die Ansicht des Berliner Kammergerichts vom OHG angenommen aus folgenden

Gründen: Im Appellurtel ist ausgesprochen, „der (Einzel-) Kauf­ mann sei berechtigt, unter seiner Firma zu klagen;" es wird jedoch hinzugefügt, „dieses Recht sei nur den vom Handelsgericht anerkannten, also eingetragenen Firmen

durch das HGB gegeben; denn das ALR kenne eine solche

Jndividualisirung der Firma nicht."

Der klagenden Firma

fehle mithin „die Aktivlegitimation zur Sache," da sie ein­ getragen zu sein nicht behaupte. Diese Argumentation ist in solcher Allgemeinheit, wie die NktBschw. mit Recht rügt, rechtsirrthümlich.

Wie bemerkt, beruft sich der Appellrichter nicht auf eine Bestimmung des Prozeßrechts; er allegirt vielmehr das HGB, im Gegensatz

zum ALR, als den gesetzlichen

Grund für den erwähnten Vorzug der „anerkannten, also eingetragenen Firmen." IV.

Besondere Vorschriften des HGB 15

226

sind jedoch nicht namhaft gemacht; der Richter muß daher — da von einer Gesellschaftsfirma nicht die Rede ist, Art. 111 HGB also außer Betracht bleibt — die allge­ meinen Bestimmungen über den Begriff der Firma und über den Eintrugszwang — Art. 15, 19, 26 HGB; vgl. Art. 5 und 6 des [preufc.] Einführungsgesetzes v. 24. Juni 61 — im Sinne gehabt haben. Diese aber rechtfertigen obige Aufstellung nicht. Zunächst fragt es sich, ob der Einzelkaufmann über­ haupt unter seiner Firma zu klagen befugt ist. Diese Frage ist bekanntlich nicht nur für das preußische, sondern auch für andere Rechtsgebiete streitig. Vgl. Löhrs Central-Organ, 1862 S. 69,137, 150; 1863

S. 104; Busch Archiv I S. 195—199, 225; 492—500; C. F. Koch Komm, zum HGB Art. 15 n. 30, Art. 115 n. 40; Endemann DHR § 18, Anm. 13; Renaud Civilprozeß S. 109; Wengler HGB S. 24, 25; Strieth. Arch. B. 57 S. 36, B. 58 S. 158; B. 63 S. 84. Diejenigen, welche sie verneinen, gehen meist von dem Satze aus, daß der Einzelfirma eine rechtliche Persön­ lichkeit nicht zukomme; und sie berufen sich auf Art. 15 HGB, welcher nur im Handelsbetrieb eine Firma kenne. Beide Argumente gehen fehl. Die Firma eines Kaufmanns ist nichts Anderes als sein Handelsname; Art. 15 und 16 HGB. Sie statuirt und repräsentirt also keinerlei Rechtssubjekt neben und außer ihm. Mag sie mit dem bürgerlichen Namen des Einzel­ kaufmanns übereinstimmen oder von ihm abweichen, immer liefert die unter der Firma erhobene Klage nur eine Be­ zeichnung des sie führenden Einzelkaufmanns als des wirk-

227 lichm Klägers. — Freilich ist die Firma zunächst nur der Name im Handelsbetrieb; und zu letzterem gehört nicht

unmittelbar der Prozeßbetrieb.

Aber indem ein Einzel­

kaufmann unter seiner Firma ein Geschäft abschließt, thut

er damit kund, daß er dasselbe als Kaufmann in seinem Handelsbetrieb eingegangen sein rotH. Verfolgt er Ansprüche

ans einem solchen Geschäft vor Gericht, so vertritt er Rechte ans einer Handelssache, und es liegt im Begriff der Firma kein Grund, warum der Kläger, welcher bei der gesammten außergerichtlichen Verhandlung über diese Sache

— nach Recht und Gebrauch — unter seinem Handels­ namen aufgetreten ist, bei der gerichtlichen Vertretung

derselben diesen Namen ablegen und sich seinem Gegner unter einem, diesem vielleicht völlig ftemden, bürgerlichen

Namen gegenüber stellen müßte.

Um solchen Zwang zu

rechtfertigen, müßte ihn die rechtliche Natur des Prozesses oder eine spezielle Bestimmung des Prozeßrechts vorschrei­

ben. — Für das Gebiet des preußischen Prozesses ist eine derartige Nöthigung nicht anzuerkennen.

Die rechtliche Natur des Prozesses erfordert, daß ein existirendes, prozeßfähiges Rechtssubjekt als Partei, d. h. in Wahrung eines ihm selber zustehenden rechtlichen Inter­

esses, auftrete.

Eine uüter der Firma eines Einzelkauf-

manns erhobene Klage genügt diesem Erforderniß. Denn eine

solche Klage besagt dem Richter wie dem Gegner: Prozeß­ partei sei nicht die den Worten nach klagende Firma, d. h.

ein bloßer Name, sondern der diese Firma führende Kauf­ mann. — Das preußische Prozeßrecht (AGO Th. I Tit. 4

8 2 Nr. 1 und 3) fordert zwar

ferner für die Klage­

anmeldung die Angabe von Namen, Stand und Charakter des Klägers, und Namen, Stand und Charakter des Beklagten.

Allein diese Forderung besagt nur, daß die Parteien durch gehörige

Namens -

und

Standesbezeichnung 15 •

genügend

228 individualisirt werden müssen, so daß man sie „von Anderen hinlänglich unterscheiden kann." In der That ist diese Erkennbarkeit eines bestimmten Gegners in verschiede­ nen Richtungen unerläßlich, — nicht nur im Verlauf des Prozesses (z. B. bei Eidesanträgen rc.), sondern namentlich anch bei der Vollstreckung des Urtels und für die Bemessung der res judicata. — Diese nothwendige Jndividualisirung wird aber betreffs der eingetragenen Firmen durch das Firmenregister gewährt. So oft es nach der Lage des Prozesses darauf ankommt, kann Existenz, Inhaber und Unterschrift der klagenden Firma durch das Handelsregister ermittelt werden. Es ist gerade der Zweck der allgemeinen Firmen-Registrirung und ihrer Erzwingung durch Strafen, einerseits den Betheiligten in den Registern eine möglichst vollständige Auskunft über jene Punkte zu geben, anderer­ seits die Deklaranten Dritten gegenüber bei demjenigen festznhalten, was auf Grund ihrer Erklärungen registrirt worden ist. In diesem Sinne also erscheint der Inhalt des Jedermann zugänglichen Registers als eine öffentlich

beglaubte» auch bereits veröffentlichte Ergänzung des KlageRubrums, welches eine registrirte Firma als Partei aufführt. Ob nun auch die Klage einer nicht registrirten Firma ohne Angabe des Inhabers schlechthin statthaft ist, diese Frage kann unentschieden bleiben. Denn in dieser All­ gemeinheit bedarf sie, nach dem vom Appellrichter fest gestellten Thatbestand«, keiner Beantwortung. Es ist näm­ lich, nachdem das Rubrum die Klägerin als „Weingroß­ handlung von Joh. Segall" bezeichnet hatte, und Beklagter nach dem Anträge dieser, „Joh. Segall" unterschriebenen, Kkage in contumaciam verurtheilt war, erst in II. In­ stanz vom Bell, die Existenz „einer Handlung Joh. Segall" bestritten, „da dieselbe im Handelsregister nicht aufgeführt sei"; und nunmehr hat Klägerin unter Berufung auf das Gewerbesteueramt und das Polizeipräsidium in Berlin sofort

229

erwidert: unter der Firma Joh. Segall werde in dem in der Klage genannten Hause allerdings eine Weinhandlung betrieben und Inhaberin derselben sei Fra« Johanna Se­ gall. — Hierdurch ist also dem Bell., sobald er es nur ver­ langte, in genügender Weise mitgetheilt, welche bestimmte Person ihm als Klägerin gegenüber stehe und unter ihrem Handelsnamen Klage gegen ihn erhoben habe; gleichwie die nothwendige Jndividualisirung des Prozeßgegners un­ zweifelhaft dann gewährt wäre, wenn schon das KlageRubrum gelautet hätte: Klage der Weinhandlung Joh. Segall (Alleininhaberin Frau Johanna Segall) zu Berlin rc. Wenn dennoch der Appellrichter, ungeachtet er die Be­ nennung der Firma-Inhaberin erwähnt, der Klägerin die „Aktivlegitimation zur Sache" abspricht, weil nur eine eingetragene Firma handelsrechtlich „anerkannt" und als solche zur Klage befugt sei: so scheint er die Berechtigung zur Annahme und Führung einer Firma von der Ein­ tragung abhängig zu machen, ja sogar den Bestand der unter nicht eingetragener Firma abgeschlossenen Geschäfte zu verneinen, und unter der „Jndividualisirung" der Firma die Steigerung der letzteren zu einem Rechtssubjekt zu verneben. In jeder dieser Richtungen — eine andere aber bietet sich nicht dar — wäre seine Auffassung rechtsgrundsätzlich salsch. Der Versuch, die Berechtigung zum gewerbsmäßigen Handelsbetrieb oder doch zu den Qualitäten eines Kauf­ manns an die Eintragung der Firma zu knüpfen, also nur „protokollirte Kaufleute" anzuerkennen, ist bei der Be­ rathung des HGB zwar gemacht, aber mißlungen. Prot. S. 528, 530 (vgl. S. 32). Die Eintragung ist vielmehr nur im Interesse „der Verkehrssicherheit und des Kredits" zu.dem oben bereits erwähnten Zweck als allgemeine Pflicht vorgeschrieben, und eine weitergehende Bedeutung nach der negativen Seite

230 kommt ihr nur insofern zu, als sie den Firm en sch Utz verleiht, nämlich Andere an der Annahme und dem Gebrauch einer registrirten Firma unter Umständen hindert. Prot. S. 32, 33, 34, 38, 43, 917, 919, 923 (Entwurf 1. u. 2. Lesung Art. 21), Art. 16 Abs. 1 und 2; Art. 20 Abs. 2; Art. 21 Abs. 2; Art. 22,23,26 Abs.2HGB. - Art. 5 u. 6 des lpreuß-I Einführungsgesetzes v. 24. Juni 61. Nicht aber entzieht der Mangel der Registrirung einer bestehenden Handlung die Existenz, oder dem bürgerlichen Namen ihres Inhabers schlechthin seine Brauchbarkeit als geschäftliche Firma oder der so gebrauchten Firma ihre civilrechtliche Geltung. Vgl. v. Hahn Komm. B. I S.. 47 (1. Ausgabe.) Anschütz und v. Bölderndorff Komm. B. IS.207. Und da die letztere, wie schon hervorgehoben, nur darin besteht, der Handelsname des Kaufmanns zu sein: so kann die Eintragung diese Qualität nicht in ein Individuum in dem Sinne umwandeln, daß darunter ein Nechtssubjekt verstanden werden dürfte.

Nr. 38.

I. Senat. — Erkenntniß v. 7. Non. 71. (3.) W. L. Menn icke /. Fr. Ursin (sJlr. 470 v. 71).

Preuße«.

Nichtigkeitsbeschwerde. I. Instanz: Kreisgericht Delitzsch, II. Instanz: AppellationSgericht Naumburg.

Distanzhandel.

Ablieferung der Lvaare. Untersuchung-- und AnzeigePflicht de- Käufer-.

1. Die handelSgeschästliche Ablieferung einer ver­ kauften Waare fallt mit der (den Eigeuthumsübergang be­ wirkenden, nach bürgerlichem Recht zu beurtheilenden*) Traditiou an den Käufer nicht nothwendig zusammen. HGB Art. 1, 345, 347; ALR I. 11 §. 128 ff. Dgl. Rspr. IL S. 163, 178; III. S. 132 ff. * So: Erk. des I. Sen. v. 14. Nov. 71 unten Nr. 48.

231

2. Die „Ablieferung" der Waare (ütt Sinne der Att. 347—349 HGB) ist derjenige Akt, dnrch welchen der zur Annahme vnd Abnahme verpflichtete Käufer in die jfogc kommt, über die Waare thatsächlich verfugen und deren Beschaffenheit «ntersuchen zn können. So auch das preuß. OTr., vgl. Strieth. Arch.B. 71 S. 36, B. 79 S. 265; v. d. Leyen, Ztschr. für HR B. 16 S. 89 ff.

3. Der Ablieferuugsort fällt nicht nothwendig (nicht einmal in der Regel) mit dem gesetzlichen Ersüllnvg-ort (HGB Art. 342 Abs. 2, 324 Abs. 2) zusammen. v. Hahn Komm. 8 4 zu Art. 347, B II. S 225.

4. Wo hat der Käufer die ihm übersendete Waare zu nntersnchen? HGB Art. 347, vgl. Rspr. II. S. 137, III. S. 79, 183,308.

Beklagter hat dem Kläger Gerste verkauft, zu liefern auf Bahnhof Stumsdorf; die Waare sollte, weil vom Kläger weiter begeben, sofort in Eisenbahnwagen zum

Transport (nach Dortmund) verladen werden. Bei rechtzeitiger Ablieferung der Gerste war ein Ver­ treter des Käufers nicht zur Stelle. Verkäufer übergab daher die Gerste ohne Weiteres der Bahnverwaltung, welche solche — auf schon vorher empfangene Ordre des Klägers — alsbald weiterspedirte. An die so geschehene „Ablieferung" knüpfte sich, nach Annahme des Appellrichters, die unver­ zügliche Untersuchungspflicht des Käufers. Auch war Letzterer (nach der prozeffualisch unangefochtenen Feststellung) vollkommen im Stande, die vom Verkäufer in Stums­ dorf abgelieferte Gerste noch vor deren Abgänge nach Dortmund zu untersuchen, und er hat es, wie der Appell­ richter erachtet, sich selbst beizumeffen, daß die Waare vor Ankunft seines Bevollmächtigten in Stumsdorf bereits weiter gegangen war: deshalb ist ein vom Kläger erhobener Schadenanspruch — gegründet auf die angeblich in Dort-

232

mund entdeckte Mangelhaftigkeit der Waare — wegen Ver­ spätung der gemachten Ausstellungen verworfen worden. Die Gesetzesverletzungen, namentlich die -des Art. 347 HGB, rügende Nktbschw. des Klägers wird zurückgewiesen. Gründe: 1)Daß die Uebergabe der Waare an den Spediteur oder die Eisenbahn überhaupt der rechtlichen Tradition an den Käufer durchaus gleichstehe, hat der Appellrichter weder ausgesprochen, noch unterstellt, kann also die betr. Rechtsgrundsätze nicht verletzt haben. Meint Implorant aber, daß eine „Ablieferung" (im Sinne des Art. 347 HGB) nothwendig mit der Tradition zusammenfalle: so übersieht er in thatsächlich er Beziehung, daß unter den vorn Appellrichter unterstellten, prozessualisch nicht angefochtenen Voraussetzungen hier in der Ablieferung sehr wohl eine Tradition gelegen haben kann, und in rechtlicher Hinsicht, daß die „Ablieferung" nicht nothwendig eine An- und Abnahme voraussetzt, vielmehr unter Umständen die Waare abgeliefert sein kann, ohne tradirt zu sein. Denn Ablieferung (im Sinne der Art. 347—349 HGB) ist derjenige Akt, durch welchen der Verkäufer den Käufer in dieLage setzt, über dieWaare thatsächlich verfügen und deren Beschaffenheit untersuchen zu können. Ob diesem Akte eine Annahme und Abnahme seitens des Käufers thatsächlich entspricht, ist gleichgiltig, sofern nur die thatsächliche Möglichkeit und die rechtliche Verpflichtung zur Annahme und Ab­ nahme vorliegt. Die unterbliebene Abnahme schließt daher, auch wenn die Abnahme nach Uebereinkunft geschehen sollte, nicht aus, daß die „Ablieferung" vertragsmäßig er­ folgt ist, sofern [rote hie; feststehtj der Verkäufer die unter­ lassene Abnahme sich selbst beizumeffen hat und die Ab­ lieferung durch Abgabe an die Güterexpedition Stumsdorf zum Weitertransport geschehen sollte...

233

2) An welchem Orte der Käufer die ihm übersendete Waare zu untersuchen habe, bestimmt das HGB nicht, wohl aber, daß die Untersuchung ohne Verzug nach der Ablieferung, soweit es nach ordnungsmäßigem Ge­ schäftsgang thunlich, zu geschehen habe. In der Regel hat somit die Untersuchung ohneVerzug am Ablieferungs­ ort stattznfinden. Daß der Ablieferungsort nicht noth­ wendig, ja nicht einmal in der Regel, mit dem gesetzlichen Erfüllungsort (HGB Art. 342 Abs. 2, 324 Abs. 2) zu sammentrifft, ist selbstverständlich, da von einem anderen Orte übersendete Waare in Frage steht. Er braucht aber sogar mit dem vertragsmäßigen Erfüllungsort nicht nothwendig zu coinzidiren; es ist denkbar, daß die Abliefenmg an einem anderen Orte geschieht und an diesem der Käufer die Waare freiwillig entgegennimmt; vgl. z. B. den Fall Strieth. Arch. B. 74 S. 213 ff. Es kann ferner der ordnungsmäßige Geschäftsgang oder der erkennbare Wille der Betheiligten den Käufer berechtigen, die Untersuchung an einem anderen als dem Ablieferungs­ orte vorzunehmen oder durch einen Dritten bewirken zu laffen; so z. B. wenn am Ablieferungsorte die Mittel zu der erforderlichen chemischen oder nur durch Bearbeitung zu bewerkstelligenden Untersuchung fehlen, wenn die Waare in der Originalverpackung weiter veräußert werden soll, wenn die Betheiligten verständiger Weise nur wollen konnten, daß ein dritter Abnehmer die Prüfung bewirke (Rspr. II ©. 137 ff.) Allein nicht jede vom Käufer einseitig getroffene Bestimmung vermag zum Nachtheil des Verkäufers — in dessen Interesse und Recht es liegt, alsbald zu erfahren, ob der Käufer die Waare billigt oder nicht (Rspr. I S. 370, II. S. 21] — an die Stelle des zwischen ihnen maaß­ gebenden Ablieferungsorts einen anderweitigen „Bestimmungs­ ort" der Waare zu setzen, und es macht hierin keinen Unter­ schied, daß der Verkäufer mit der Intention des Käufers

234

die Waare weiter zu versenden, bekannt ist oder bekannt gemacht worden ist. Vielmehr darf der Verkäufer gleich­ wohl ohne Verzug nach der Ablieferung die nach ordnungs­ mäßigem Geschäftsgänge thunliche Untersuchung erwarten. Daß solche hier am vertragsmäßigen Erfüllungsort (Stums­ dorf) erfolgen sollte, behauptet Implorant selber; daß sie daselbst noch vor Abgang der Gerste möglich war, hat der Appellrichter festgestellt, er hat daher die Art. 347, 349 HGB nicht durch unrichtige Anwendung verletzt. — Implorant hat sich noch auf ein Erk. des* p^reuß. OTr. v. 14. Dez. 65

(Strieth. Arch. B. 62 S. 95 ff) berufen; dieses bezieht sich aber nur auf denjenigen „Bestimmungsort", an welchem die Waare dem Käufer faktisch abgeliefert wird, nicht auf einen anderweitigen, durch Weiterversendung des Käufers über denAblieferungsort hinaus beliebten Bestimmungs­ ort der Waare. Dgl. auch die Erk. des preuß. OTr. v. 13. April 69 (Strieth. B.74 S. 216, 217) und D. 6. Oft. 70 (Strieth. Arch. B. 79 S. 265); Erk. des OHG v. 1. Juni 71 sRspr. III S 79.] Nr. 39.

I. Senat — Erkenntniß v. 7. llov. 71.