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German Pages 277 Year 2015
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1302
Die Neuordnung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch den Rundfunkbeitragsstaatsvertrag
Von
Simon Röß
Duncker & Humblot · Berlin
Simon Röß Die Neuordnung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch den Rundfunkbeitragsstaatsvertrag
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1302
Die Neuordnung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch den Rundfunkbeitragsstaatsvertrag
Von
Simon Röß
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahr 2015 als Dissertation angenommen.
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Dissertation wurde im Januar 2015 beim Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg eingereicht und befindet sich auch auf diesem Stand. Der Aufsatz von Wernsmann (ZG 2015, 79 ff.) und die Pressemitteilung des Beitragsservice vom 5. März 2015 zu den erwarteten Mehreinnahmen infolge der Reform wurden nachträglich eingearbeitet. Ich danke meinem Doktorvater Professor Dr. Georgios Gounalakis für die engagierte Betreuung der Arbeit, die sehr guten Arbeits- und Forschungsbedingungen – des Lehrstuhls sowie der Forschungsstelle Medienrecht und Medienwirtschaft – und schließlich für seine langjährige Unterstützung während meiner juristischen Ausbildung. Insbesondere schlug er mich erfolgreich für ein Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung vor, der ich ebenfalls sehr zu Dank verpflichtet bin, weil deren Förderung es mir ermöglichte, mich auf das wissenschaftliche Arbeiten zu konzentrieren. Eine besondere Ehre war schließlich die Verleihung des Klemens-Pleyer-Promo tionspreises durch den Fachbereich Rechtswissenschaften. Des Weiteren möchte ich Professor Dr. Steffen Detterbeck für die Erstellung des Zweitgutachtens und seine wertvollen Anregungen danken. Gleicher Dank gilt den Professoren Dr. Sebastian Müller-Franken und Dr. Michael Kling, die viele Aspekte der Arbeit mit mir diskutierten und mir dadurch halfen, mehrere Perspektiven zu berücksichtigen und meinen eigenen Standpunkt auszudifferenzieren. Im persönlichen Bereich danke ich meinen Eltern für ihre Unterstützung und widme ihnen diese Arbeit. Marburg, Juli 2015
Simon Röß
Inhaltsverzeichnis Einleitung 19 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Schwerpunkte und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Kapitel 1
Von der „Gebühr“ zum Beitrag
23
A. Rundfunkgebührenstaatsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Gebührenpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Gebührenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Kein besonderes Betretungsrecht für die Gebührenerhebung . . . . . . . 25 2. Auskunftsanspruch der Rundfunkanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3. Hinweis auf die Gebührenpflicht durch massenhaften Briefversand . 29 B. Reformbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Medienkonvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 II. Erhebungsdefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Übertriebene Darstellung des Erhebungsdefizits . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Mitverantwortung der Rundfunkanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 C. Rundfunkbeitragsstaatsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Kapitel 2
Abgabenformen und ihre Eignung für die Rundfunkfinanzierung
37
A. Abgabensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 B. Eignung der Abgaben für die Rundfunkfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Verfassungsgerichtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Gebühr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 IV. Finanzierungssonderabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 V. Beitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
10 Inhaltsverzeichnis Kapitel 3
Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
50
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 I. Gesetzgeberische Motive für die Unwiderlegbarkeit der Vermutung . . . 51 II. Vorstellung von Kirchhofs Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 III. Kritik an der unwiderlegbaren Vorteilsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Spezielle Einwände gegen Kirchhofs Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Generelle Bedenken gegen die unwiderlegbare Vorteilsvermutung . . 57 3. Stellungnahme zur Kritik an der unwiderlegbaren Vorteilsvermutung . 59 IV. Rechtsprechungsanalyse zur Notwendigkeit eines tatsächlichen Vorteils . 61 1. Fiktion des Bereithaltens eines Empfangsgeräts durch den Zulassungsinhaber in § 1 III RGebStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Scheinbare Entbehrlichkeit des Vorteils des Zulassungsinhabers . . 62 b) Tatsächliche Existenz eines Vorteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 aa) Nutzen des Zulassungsinhabers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 bb) Zulassungsinhaber als Bindeglied der Vorteilsabschöpfung . . . 64 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Benutzungsfiktion bei den Straßenreinigungsgebühren . . . . . . . . . . . . 67 3. Widerlegbare Vorteilsvermutung bei den Fremdenverkehrsbeiträgen . 68 4. Scheinbare Vorteilsfiktion bei den Kammerbeiträgen . . . . . . . . . . . . . 69 5. Zwischenergebnis und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 V. Prüfung der Typisierungsvoraussetzungen hinsichtlich des RBStV . . . . 71 1. Anforderungen der Rechtsprechung an eine Typisierung . . . . . . . . . . 71 2. Eignung des alternativen Reformkonzepts einer widerlegbaren Vermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Praktikabilität einer widerlegbaren Vermutung . . . . . . . . . . . . . . . . 72 aa) Reduktion des Verwaltungsaufwands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 bb) Anforderungen an die Vermutungswiderlegung . . . . . . . . . . . . 73 cc) Folgen fehlender Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . 79 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 B. Existenz eines Sondervorteils für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät . . 80 I. Herleitung aus der bisherigen Beitragsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Vorteilsbegriff des RGebStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) BVerfG-Entscheidung zum Kabelgroschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) BVerwG-Entscheidung zum Aufsichtsgroschen . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) Folgerungen für den Rundfunkbeitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2. Vorteilsbegriff der Fremdenverkehrsbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3. Vorteilsbegriff der Kammerbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 a) Ärztekammerbeiträge von Amtsärzten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 b) Arbeitnehmerkammerbeiträge trotz Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . 88
Inhaltsverzeichnis11 4. Parallelen zwischen Kohlepfennig und Rundfunkbeitrag . . . . . . . . . . 89 a) BVerfG-Entscheidung zum Kohlepfennig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Relevanz für den Rundfunkbeitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 5. BVerfG-Entscheidung zu wiederkehrenden Straßenbaubeiträgen – Menetekel für den RBStV? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6. Vorteilsverteilung im RBStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Mittelbare Vorteile von Beitragsschuldnern ohne Empfangsgerät . 97 b) Abgrenzung zu Kirchhofs Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 II. Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des RBStV . . . . . . 102 III. Verfassungsinterpretation und Verfassungswandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 C. Ergebnis zur Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Kapitel 4
Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
111
A. Betrieblicher Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Anknüpfungspunkt der Beitragsbemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Betriebsstätte statt Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Eingeschränkte Überzeugungskraft der Regierungsbegründung . . . 113 b) Vorteile der Anknüpfung an Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter pro Betriebsstätte . 115 a) Beschäftigtenzahl statt Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Keine Unterscheidung nach Branchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Keine Differenzierung zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Beitragsstaffelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Gruppenbildung und gesetzgeberische Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Degression und Obergrenze in § 5 I RBStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Kritik an der Beitragsbemessung in § 5 I RBStV . . . . . . . . . . . . . 123 b) Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Einwänden . . . . . . . . . 125 aa) Vergleich von IHK- und Rundfunkbeitragslast . . . . . . . . . . . . . 125 bb) Rechtfertigung von Degression und Obergrenze in § 5 I RBStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (1) Vermeidung einer übermäßigen Beitragslast . . . . . . . . . . . 128 (2) Degressive Vorteilsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Besondere Beitragslast von Filialunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Vergleich der alten und der neuen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Vergleich mit der Belastungsverteilung anderer Beiträge . . . . . . . . 135 aa) Beitragslast von Filialunternehmen im Handwerkskammer beitragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
12 Inhaltsverzeichnis bb) Mehrfachbelastungen im IHK-Beitragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 138 (1) Zugehörigkeit zu mehreren IHKs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (2) Zugehörigkeit zur IHK und zu einer Berufskammer . . . . 140 (3) „Mehrfache“ Mitgliedschaft in einer IHK . . . . . . . . . . . . . 141 (4) Übertragbarkeit der Wertungen aus dem IHK-Beitragsrecht auf den RBStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 cc) Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 c) Zusammenfassende Würdigung der Belastung von Filialunternehmen im RBStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 4. Systemgerechtigkeit der Beitragsbemessung in § 5 II 1 RBStV . . . . 149 a) Reformbedingte Änderungen und gesetzgeberische Motive . . . . . . 150 b) Systemgerechtigkeit im Abgabenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 aa) Bedeutung und bereichsspezifische Anforderungen der Systemgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 bb) Unterschiedliche Bemessungssysteme im RGebStV . . . . . . . . 154 c) Bewertung der Systemgerechtigkeit in § 5 I, II RBStV . . . . . . . . . 156 aa) Vergleich der Gefahr unverhältnismäßiger Beitragslasten in § 5 I und II RBStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Vergleich der Vorteilsentwicklung in § 5 I und II RBStV . . . . 158 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 5. Empfehlung einer Härtefallklausel für den betrieblichen Bereich . . . 160 III. Ergebnis zur Beitragsbemessung im betrieblichen Bereich . . . . . . . . . . . 162 B. Privater Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 I. Einheitsbeitrag pro Wohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 II. Zweitwohnungsbeitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Verfassungsmäßigkeit eines Rundfunkbeitrags für Zweitwohnungen . 164 a) Prinzipielle Zulässigkeit eines Zweitwohnungsbeitrags . . . . . . . . . 165 b) Besondere Bedeutung des Art. 6 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe des Zweitwohnungsbeitrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Keine Umgehungsgefahr bei niedrigerem Zweitwohnungsbeitrag . 169 b) Vergleich mit anderen Beiträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 III. Erweiterung der Beitragspflicht auf bestimmte schwerbehinderte Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Änderung der Rechtslage und gesetzgeberische Motive . . . . . . . . . . . 175 2. Rechtsprechung des BSG zu den Rundfunkgebührenbefreiungen . . . 177 a) Kritik an der Befreiung schwerbehinderter Rundfunkteilnehmer . . 177 b) Spätere Relativierung der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3. Prüfung der befreiungskritischen BSG-Rechtsprechung und der Regierungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Unzutreffende Auslegung der Befreiungstatbestände durch das BSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Inhaltsverzeichnis13 b) Sozialpolitisches Gestaltungsermessen des Gesetzgebers bei Entgeltabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 aa) Befreiungsmöglichkeiten aufgrund sozialstaatlicher Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (1) Restriktive Literaturansicht gegenüber Befreiungen – Basis der Kritik des BSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (a) Vorstellung der restriktiven Literaturansicht . . . . . . . . 186 (b) Konkrete Anwendung auf die Rundfunkfinanzierung . 187 (2) Relevanz der BVerfG-Entscheidung zu Kindergartengebühren für den RBStV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (3) Argumente für die Zulässigkeit von Sozialklauseln im Rundfunkbeitragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (a) Rechtliche Besonderheiten des Rundfunkbeitrags . . . 192 (b) Reduktion von Befreiungen gemessen am Gesamtkonzept der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (4) Argumente für die generelle Zulässigkeit von Sozialklauseln bei Entgeltabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (a) Verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit von Sozialklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (b) Praktische Vorteile von Sozialklauseln . . . . . . . . . . . . 200 (c) Besondere Fürsorgebefugnis des Gesetzgebers gegenüber behinderten Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (5) Vorschlag für einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 (6) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 bb) Befreiungsmöglichkeit aufgrund der niedrigen Bewertung reduzierter Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 4. Bewertung der aktuellen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Verfassungsmäßigkeit des ermäßigten Beitrags in § 4 II 1 RBStV . 207 b) Ausbau des barrierefreien Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 5. De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 C. Einhaltung des Grundsatzes der Aufkommensneutralität . . . . . . . . . . . . . . . . 214 D. Ergebnis zur Beitragsbemessung und Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I. Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 II. Keine zwangsläufige Entlastung selbst im Fall einer verfassungswidrigen Bemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
14 Inhaltsverzeichnis Kapitel 5
Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht
221
A. Beihilfetatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 I. Staatlichkeit der Rundfunkbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Unmittelbar programmbezogene Verwendung der Rundfunkbeiträge . 222 a) Abstrakte Vorgaben der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 b) Konkrete Anwendung auf den Rundfunkbeitrag . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Judikatur zur nicht-programmbezogenen Verwendung der Rundfunkbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Beihilfecharakter der DVB-T-Förderung durch die Landesmedienanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 aa) Abstrakter Vergleich der Staatsferne von Rundfunk- und Medienanstalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 bb) Eingeschränkte Staatsferne der Medienanstalten bei der DVBT-Förderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Beihilferechtliche Folgerungen aus dem Vergaberecht . . . . . . . . . . 234 aa) Rundfunkanstalten als Auftraggeber im Vergaberecht . . . . . . . 234 (1) Vergaberichtlinie und ihre Umsetzung ins deutsche Recht . 234 (2) Ausschreibungspflicht hinsichtlich der Gebäudereinigung der GEZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 bb) Übertragbarkeit vergaberechtlicher Wertungen auf das Beihilfe recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 II. Begünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Betrauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2. Transparenz und Vermeidung einer Überkompensation . . . . . . . . . . . 243 a) Grundsätzliche Gewährleistung durch den RFinStV . . . . . . . . . . . 243 b) Unzureichende Umsetzung im 19. KEF-Bericht . . . . . . . . . . . . . . . 244 3. Kostenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 B. Rechtfertigung durch Art. 107 III d) AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Fazit und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Dokumentenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Sachwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
Abkürzungsverzeichnis AEUV
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
AfP
Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht
AG Amtsgericht AO Abgabenordnung AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
ARD
Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland
BayMG
Bayerisches Mediengesetz
BayVBl.
Bayerische Verwaltungsblätter
Beschl. Beschluss BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGH Bundesgerichtshof BGHZ
Entscheidungen des BGH in Zivilsachen
BMG Bundesmeldegesetz BR
Bayerischer Rundfunk
BSG Bundessozialgericht BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
BW Baden-Württemberg BY Bayern CR
Computer und Recht
Diss. Dissertation DÖV
Die Öffentliche Verwaltung
Drs. Drucksache DStR
Das deutsche Steuerrecht
DVBl.
Deutsche Verwaltungsblätter
EG
Europäische Gemeinschaft
Entsch. Entscheidung Erg.-Lfg Ergänzungslieferung
16 Abkürzungsverzeichnis EStG Einkommensteuergesetz EU
Europäische Union
EuG
Gericht der Europäischen Union
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EUV
Vertrag über die Europäische Union
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
F.A.S.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
FeV Fahrerlaubnisverordnung FS Festschrift GewArch Gewerbearchiv GEZ
Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
GG Grundgesetz GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GS Gedächtnisschrift GVBl. Gesetzverkündungsblatt GWB
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
Hdb. Handbuch HR
Hessischer Rundfunk
Hs. Halbsatz HStR
Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland
HWdSW
Handwörterbuch der Sozialwissenschaften
HwO Handwerkskammerordnung i. d. F.
in der Fassung
IHK
Industrie- und Handelskammer
JA
Juristische Arbeitsblätter
jurisPR-ITR
juris PraxisReport IT-Recht
jurisPR-SozR juris PraxisReport Sozialrecht JuS
Juristische Schulung
JZ JuristenZeitung KAG Kommunalabgabengesetz KEF
Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten
KEK
Kommission zur Ermittlung der Konzentration
KG Kommanditgesellschaft K&R
Kommunikation & Recht
LG Landgericht
Abkürzungsverzeichnis17 LKV
Zeitschrift für Landes- und Kommunalverwaltung
Losebl. Loseblatt LT Landtag MDR
Mitteldeutscher Rundfunk
MMR
MultiMedia und Recht
MP
Media Perspektiven
NDR
Norddeutscher Rundfunk
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NWVBl.
Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter
NzBau
Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht
ObLG
Oberstes Landesgericht in Bayern
OLG Oberlandesgericht OVG Oberverwaltungsgericht OVGE
Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte
Pr Preußen PrVBl
Preußische Verwaltungsblätter
RAO Reichsabgabenordnung RB
Radio Bremen
RBB
Rundfunk Berlin-Brandenburg
RBStV Rundfunkbeitragsstaatsvertrag RDV
Recht der Datenverarbeitung
RFinStV Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag RGebStV Rundfunkgebührenstaatsvertrag RP Rheinland-Pfalz RStV Rundfunkstaatsvertrag SächsPRG
Sächsisches Privatrundfunkgesetz
SGB Sozialgesetzbuch Slg.
Sammlung der Rechtsprechung
SR
Saarländischer Rundfunk
ST Sachsen-Anhalt StGB Strafgesetzbuch StuW
Steuer und Wirtschaft
SWR Südwestrundfunk Tab. Tabelle ThürVBl.
Thüringische Verwaltungsblätter
18 Abkürzungsverzeichnis Tz. Textziffer UFITA
Archiv für Urheber- und Medienrecht
Urt. Urteil VBlBW.
Verwaltungsblätter Baden-Württemberg
VerfG Verfassungsgericht VerfGH Verfassungsgerichtshof VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz WDR
Westdeutscher Rundfunk
WRP
Wettbewerb in Recht und Praxis
WRV
Weimarer Reichsverfassung
ZDF
Zweites Deutsches Fernsehen
ZG
Zeitschrift für Gesetzgebung
ZPO Zivilprozessordnung ZUM
Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht
ZWeR
Zeitschrift für Wettbewerbsrecht
Einleitung A. Einführung Paul Kirchhof warb im Wahlkampf 2005 für ein einfacheres und gerechteres Steuersystem, das die Erstellung einer Steuererklärung in zehn Minuten ermöglichen sollte.1 Zwar wurden diese Pläne nicht umgesetzt, aber dafür schuf Kirchhof mit seinem Gutachten im Auftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio die Grundlagen für die Reform der Rundfunkfinanzierung, die mit dem Inkrafttreten des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (RBStV) am 1. Januar 2013 Wirklichkeit geworden ist. Dieses Regelwerk sollte die Erhebung der Rundfunkbeiträge vereinfachen und alle Beitragspflichtigen durch die Beseitigung eines angenommenen Vollzugsdefizits tatsächlich gleich und damit gerecht belasten. Zugleich wollte der Gesetzgeber der fortschreitenden Konvergenz der Medien Rechnung tragen. Die Umsetzung beider Ziele führte zur Loslösung vom Gerätebezug mit der Folge, dass eine Beitragspflicht sogar für Personen ohne Empfangsgerät vorgesehen ist. Allerdings endete die Diskussion über die Reformbedürftigkeit der Rundfunkfinanzierung nicht mit der Einführung des RBStV, und ein im Dezember 2014 veröffentlichtes Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums schlägt eine Finanzierung aus Steuern oder Gebühren vor. Für das Anhalten der Diskussion ist vor allem die Kontroverse um die gegenwärtige Regelung verantwortlich, die in den zahlreichen Gerichtsverfahren, Aufsätzen und Gutachten2 zur Verfassungsmäßigkeit des RBStV zum Ausdruck kommt. Viele Beitragsschuldner empfinden gerade die typisierenden und pauschalierenden Regelungen als ungerecht und hätten sich ein stärker differenzierendes Gesetz gewünscht. Besonders schwer wiegt die Kritik am Fundament der Reform, der Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags. Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät genössen keinen beitragsrechtlichen Vorteil aus dem Angebot der Rundfunkanstalten und würden wie bei einer Steuer voraussetzungslos belastet. Für eine Steuer wiederum fehle den Ländern die Gesetzgebungskompetenz. Die vorgebrachten Bedenken betreffen auch die Beitragsbemessung, insbesondere die hohe Belastung von Filial- und Mietwagenunternehmen. Schließlich werden die Beitragspflicht 1 F.A.S. v.
21.08.2005, Nr. 33, S. 31. Streinz / Herrmann (unveröffentlichtes Gutachten), Jarass, Dittmann / Scheel, Paul Kirchhof, Bull, Waldhoff, Degenhart, Koblenzer / Günther, Kube. 2 Gutachter:
20 Einleitung
für Zweitwohnungen und die Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht angezweifelt. Aufseiten der Reformkritiker hat sich vor allem Chri stoph Degenhart durch Gutachten im Auftrag des Einzelhandels und des Autovermieters Sixt sowie durch zahlreiche Aufsätze exponiert. Im Mai 2014 bejahten die Verfassungsgerichtshöfe von Rheinland-Pfalz und Bayern die Verfassungsmäßigkeit des umstrittenen Gesetzes. Jedoch ist die Gefahr für die Neuregelung dadurch nicht gebannt, weil das BVerfG noch nicht entschieden hat3 und dessen Urteil anders ausfallen könnte. Viele Probleme wurden von den Landesverfassungsgerichten nur sehr kurz angesprochen oder unter Verwendung abstrakter Aussagen übergangen. Der ergebnisorientierten Argumentation fehlt oft der Mut für eine detaillierte Auseinandersetzung. Einen ähnlichen Eindruck vermitteln die zahlreichen Gutachten. Es bleibt die berechtigte Frage, ob diese einfache Regelung wirklich gerecht ist.
B. Schwerpunkte und Gang der Untersuchung Die Untersuchung wird Schwerpunkte bei der Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags, der besonders hohen Beitragslast von Filial- und Mietwagenunternehmen, dem Zweitwohnungsbeitrag, der Abschaffung von Befreiungen für körperlich beeinträchtigte Rundfunkteilnehmer und schließlich bei einzelnen Aspekten des europäischen Beihilferechts setzen. Dagegen klammert die Abhandlung datenschutzrechtliche Fragen4 aus, da hier keine Probleme erkannt wurden. Zudem ließen sich solche Probleme durch kleine Gesetzeskorrekturen leicht beheben, während die abgabenrechtliche Einordnung des Rundfunkbeitrags das Konzept als Ganzes betrifft und ein Verstoß gegen die Finanzverfassung viel tiefgreifendere Folgeprobleme nach sich zöge. Ähn3 Eine Verfassungsbeschwerde scheiterte am Subsidiaritätsprinzip: BVerfG, Beschl. v. 12.12.2012 – 1 BvR 2550 / 12, juris Rn. 4 = NVwZ 2013, 423 f. 4 Ausführlich zu datenschutzrechtlichen Fragen: Bull, Rundfunkbeitrag und Datenschutz, S. 21 ff. zur Zulässigkeit des einmaligen Melderegisterabgleichs und S. 35 ff. zur regelmäßigen Datenübermittlung durch die Meldebehörden. Kritischer: Geuer, jurisPR-ITR 19 / 2013, Anm. 6. Bisher hat nur ein Gericht datenschutzrechtliche Bedenken geäußert und die Übermittlung der folgenden Daten durch die Meldebehörden an den Beitragsservice für unzulässig angesehen: Doktorgrad, Familienstand, letzte Anschrift von Haupt- und Nebenwohnungen. Diese Daten seien zur Beitragserhebung nicht erforderlich, sondern erleichterten sie nur (VG Göttingen, Beschl. v. 03.09.2013 – 2 B 785 / 13, juris Rn. 21 = ZD 2014, 106 ff.). Allerdings können diese Daten zur genauen Identifizierung von Beitragsschuldnern beitragen, vor allem bei gleichem Nachnamen, weshalb die vorgenannte Entscheidung wieder aufgehoben wurde (OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.09.2013 – 4 ME 204 / 13, juris Rn. 8 ff. = ZUM-RD 2013, 629 ff.).
B. Schwerpunkte und Gang der Untersuchung21
lich virulent wären Rechtsverstöße im Bereich der Beitragsbemessung und des europäischen Beihilferechts. Das erste Kapitel skizziert die alte Rechtslage, den Reformbedarf und die wesentlichen reformbedingten Neuerungen. Das zweite Kapitel stellt die verschiedenen Abgabenformen und ihre jeweilige Eignung für die Rundfunkfinanzierung vor. Die Frage nach der geeigneten Abgabe scheint durch die Reform obsolet geworden zu sein, doch hat sie weiterhin mittelbare Auswirkungen auf die abgabenrechtliche Qualifikation des Rundfunkbeitrags. Denn würde sich eine Beitragsfinanzierung als alternativlos erweisen, könnte dies die Grundlagen für einen Verfassungswandel im Beitragsrecht legen, der ein zukunftsfähiges Finanzierungskonzept für die Rundfunkanstalten zum Ziel hätte und einen atypischen Beitrag akzeptabel erscheinen ließe. Atypisch könnte der Rundfunkbeitrag insofern sein, als er den traditionellen Vorteilsbegriff durch die Beitragslast von Personen ohne Empfangsgerät sehr stark ausdehnt und fast schon entmaterialisiert. Aber vielleicht bedarf es dieser Weiterentwicklung der Verfassung gar nicht, weil der Rundfunkbeitrag bereits nach herkömmlichen Maßstäben als Beitrag qualifizierbar ist. Die Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags wird im dritten Kapitel behandelt. Hierbei liegt der Fokus auf der Auseinandersetzung mit Kirchhofs Konzept einer unwiderlegbaren Vorteilsvermutung. Das Kernproblem fächert sich in zwei getrennte Streitpunkte auf: Erfordernis und Existenz eines Vorteils. Zum einen stellt sich die Frage, ob man sogar Personen ohne individuellen Vorteil aufgrund einer Typisierungsbefugnis zu einem Rundfunkbeitrag heranziehen darf oder ob dies dem Wesen des Beitrags widerspricht. Zum anderen schließt sich, kommt man zu der letztgenannten Einschätzung, die Folgefrage an, ob Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät einen Vorteil aus dem Angebot der Rundfunkanstalten ziehen. Die Untersuchung nähert sich der Beantwortung dieser Fragen über einen Vergleich mit anderen Beiträgen. Denn die etablierten Beiträge prägen das herkömmliche Vorteilsverständnis und bilden das Gesamtsystem, in das sich der Rundfunkbeitrag einfügen könnte bzw. müsste. Sollte sich der Rundfunkbeitrag nicht in die tradierte Beitragsdogmatik einfügen, könnte sich die Zulässigkeit der unwiderlegbaren Vorteilsvermutung aus einem denkbaren Verfassungswandel ergeben. Das vierte Kapitel befasst sich vorwiegend mit der Beitragsbemessung im betrieblichen und privaten Bereich. Die Belastungsverteilung im betrieblichen Bereich offenbart große Diskrepanzen und könnte gegen den Gleichheitssatz und das Äquivalenzgebot verstoßen, wobei sich vor allem Filialund Mietwagenunternehmen besonders beschwert fühlen. Filialunternehmen profitieren durch ihre zahlreichen kleinen Betriebsstätten nicht von der de-
22 Einleitung
gressiven Staffelung des Rundfunkbeitrags und seiner Begrenzung auf 180 Beiträge pro Betriebsstätte. Bei den Mietwagenunternehmen stellt sich das spezielle Problem, dass die Rundfunkbeitragslast für Kraftfahrzeuge proportional ansteigt und ihre Höhe nicht begrenzt ist. Diese Kombination zweier Bemessungssysteme wirft die Frage der Systemgerechtigkeit auf. Im privaten Bereich steht insbesondere der volle Rundfunkbeitrag für Zweitwohnungen in der Kritik. Zum einen wird im Zweitwohnungsbeitrag als solchem ein Verstoß gegen Art. 6 I GG gesehen, zum anderen begegnet die Beitragshöhe Bedenken, weil ein Beitragsschuldner in seiner Haupt- und Nebenwohnung nicht gleich intensiv Rundfunk konsumieren könne. Wenig wissenschaftliche Beachtung hat bisher die Einführung eines ermäßigten Rundfunkbeitrags für blinde, gehörlose und schwerbehinderte Rundfunkteilnehmer, die einen Behinderungsgrad von mindestens 80 % besitzen und ständig nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, erfahren. Dieser Personenkreis war vormals gemäß § 6 I 1 Nr. 7 und 8 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) von der Rundfunkgebührenpflicht befreit. Die vorliegende Arbeit wird versuchen, diese wissenschaftliche Lücke zu schließen. Das fünfte und zugleich letzte Kapitel befasst sich mit der Vereinbarkeit des Rundfunkbeitrags mit dem europäischen Beihilferecht. Hier stellt sich vor allem die Frage, ob die Rundfunkanstalten die tatsächlichen reformbedingten Mehreinnahmen hinreichend transparent gemacht haben oder ein neues Beihilfeverfahren droht.
Kapitel 1
Von der „Gebühr“ zum Beitrag Im Rahmen dieses Kapitels werden die alte Rechtslage (A.), der Reformbedarf (B.) und die neue Rechtslage (C.) skizziert.
A. Rundfunkgebührenstaatsvertrag Für das Verständnis des anschließend vorgestellten Reformbedarfs sind sowohl die Kenntnis der gerätebezogenen Gebührenpflicht (I.) als auch der Art und Weise ihrer Durchsetzung (II.) essenziell.
I. Gebührenpflicht Der RGebStV knüpfte die Gebührenpflicht an das Bereithalten eines Empfangsgeräts und unterschied bei der Gebührenhöhe zwischen Grundund Fernsehgebühr (§ 2 II 1 RGebStV). Die Grundgebühr betrug zuletzt 5,76 €5, erfasste Hörfunk- sowie neuartige Empfangsgeräte (PCs) und war von jedem Rundfunkteilnehmer für jedes Empfangsgerät zu entrichten. Wer nicht nur ein Hörfunk- bzw. neuartiges Empfangsgerät besaß, sondern auch ein Fernsehgerät vorhielt, schuldete zusätzlich eine Fernsehgebühr in Höhe von zuletzt 12,22 €.6 Diese Grundregeln galten gleichermaßen für den privaten und nicht-privaten Bereich.7 Abweichungen ergaben sich indes im Hinblick auf weitere Empfangsgeräte (sog. Zweitgeräte), die im privaten Bereich grundsätzlich keiner Gebührenpflicht unterlagen: Gemäß § 5 I 1 Nr. 1 RGebStV waren für weitere Rundfunkempfangsgeräte keine zusätzlichen Gebühren zu entrichten, wenn ein Rundfunkteilnehmer diese in seiner Wohnung oder seinem Kraftfahrzeug bereithielt, mit Ausnahme von Zweitgeräten in einer weiteren Wohnung. § 5 II 1 RGebStV nahm den betrieblichen Bereich ausdrücklich von 5 § 8 Nr. 1 Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag (RFinStV) 1996 i. d. F. des elften Rundfunkänderungsstaatsvertrags. 6 § 8 Nr. 2 RFinStV (Fn. 5). Vgl. hierzu und zu den verschiedenen Gebühren auch: Göhmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 2 RGebStV, Rn. 6 f. 7 Göhmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 2 RGebStV, Rn. 1.
24
Kap. 1: Von der „Gebühr“ zum Beitrag
der Zweitgerätefreiheit aus.8 Folglich war in diesem Bereich für jedes Hörfunkgerät in einem Kraftfahrzeug eine Grundgebühr zu entrichten, was insbesondere die Autovermieter besonders belastete. Für Zweitgeräte in Gästezimmern des Beherbergungsgewerbes enthielt § 5 II 3 Nr. 1 RGebStV eine Privilegierung, indem bei Betrieben mit bis zu 50 Gästezimmern nur eine halbe Rundfunkgebühr und bei Betrieben mit mehr Zimmern eine Dreiviertelgebühr pro Empfangsgerät anfiel.9 Die unterschiedliche Behandlung von Zweitgeräten im privaten und nicht-privaten Bereich erstreckte sich des Weiteren auf den Bereich der neuartigen Empfangsgeräte. Diese Geräte waren von der Grundgebührenpflicht gemäß § 5 III 1 RGebStV befreit, wenn sie für den nicht ausschließlich privaten Bereich vorgesehen, ein und demselben Grundstück oder zusammenhängenden Grundstücken zuzuordnen waren (Nr. 1) und andere Rundfunkempfangsgeräte bereitgehalten wurden (Nr. 2). Wurden im nicht-privaten Bereich allerdings ausschließlich neuartige Empfangsgeräte auf ein und demselben oder zusammenhängenden Grundstücken bereitgehalten, war für die Gesamtheit dieser Geräte nur eine Rundfunkgebühr zu entrichten (§ 5 III 2 RGebStV).10 Im privaten Bereich waren zahlreiche Befreiungen vorgesehen. Diese betrafen zum einen finanziell bedürftige (§ 6 I 1 Nr. 1–6, 9–11 RGebStV) und zum anderen körperlich beeinträchtigte Menschen (§ 6 I 1 Nr. 7–8 RGebStV). Zum letztgenannten Personenkreis zählten blinde und nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von 60 % allein wegen der Sehbehinderung (§ 6 I 1 Nr. 7 a) RGebStV) und hörgeschädigte Menschen, die gehörlos waren oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit einer Hörhilfe nicht möglich war (§ 6 I 1 Nr. 7 b) RGebStV). Zudem waren behinderte Menschen befreit, deren Behinderungsgrad nicht nur vorübergehend mindestens 80 % betrug und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen konnten (§ 6 I 1 Nr. 8 RGebStV). Schließlich stellt sich die Frage nach der abgabenrechtlichen Qualifika tion der früheren Rundfunkgebühr. Die höchstrichterliche Rechtsprechung ließ ihre abgabenrechtliche Einordnung offen11, während die Literatur sie überwiegend als Beitrag klassifizierte, weil die Leistungspflicht des Rund8 Vgl. auch: Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RGebStV, Rn. 1 f. 9 Zum Hotelprivileg: Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RGebStV, Rn. 3. 10 Zur Auslegung des § 5 III 2 RGebStV: Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RGebStV, Rn. 72. 11 BVerfG, NJW 1994, 1942 (1948); BVerwG, Urt. v. 09.12.1998 – 6 C 13 / 97, juris Rn. 19, BVerwGE 108, 108 ff. = NJW 1999, 2454 ff.
A. Rundfunkgebührenstaatsvertrag25
funkteilnehmers nicht von einer konkreten Nutzung des Angebots der Rundfunkanstalten abhing12. Die vorliegende Arbeit schließt sich dieser Literaturansicht an, wobei diese Streitfrage für die folgenden Ausführungen nicht relevant ist. Zur besseren Unterscheidung von alter und neuer Rechtslage wird die frühere Rundfunkgebühr im Folgenden trotz ihres Beitragscharakters als Gebühr bezeichnet.
II. Gebührenerhebung Die Gebühreneinzugszentrale (GEZ), eine gemeinsame Einrichtung der Rundfunkanstalten, war mit der Gebührenerhebung beauftragt.13 Der Gesetzgeber hatte den Rundfunkanstalten für die Gebührenerhebung zwar keine besonderen Betretungsrechte (1.), aber dafür einen Auskunftsanspruch (2.) eingeräumt, und die GEZ nutzte massenhaft versandte Briefe (sog. Mailing-Aktionen), um auf ihren Gebührenanspruch hinzuweisen (3.). 1. Kein besonderes Betretungsrecht für die Gebührenerhebung Das entscheidende Problem bei der Gebührenerhebung bestand in der Ermittlung der Personen, die zwar über ein Empfangsgerät verfügten, aber dieses nicht angemeldet hatten. Da sich die privat bereitgehaltenen Empfangsgeräte fast ausschließlich in den Wohnungen der Rundfunkteilnehmer befinden, liegt die Frage nahe, ob den Kontrolleuren ein besonderes Betretungsrecht zustand. Aber ein derartiges Recht zur Betretung eines Grundstücks oder weiter gehend einer Wohnung gegen den Willen des Hausrechtsinhabers existierte nicht14, weil dies gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 I GG verstoßen hätte und nicht durch Art. 13 VII GG gerechtfertigt gewesen wäre.15 Geschäftsräume durften hingegen während der regulären Öffnungszeiten aufgrund der allgemein erteilten Eintritts erlaubnis aufgesucht werden, wobei ein Rundfunkgebührenbeauftragter 12 Statt vieler: Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 96, mit weiteren Nachweisen. A. A.: Siekmann, in: Sachs, GG, Vor Art. 104a, Rn. 115, der eine Einstufung als Steuer vertritt. 13 Grupp, Rundfunkgebührenrecht, S. 61 ff., mit historischen Ausführungen zur Umstellung des Rundfunkgebühreneinzugsverfahrens der Post auf die GEZ zum 01.01.1976. 14 VGH Mannheim, Urt. v. 07.10.1994 – 10 S 489 / 94, juris Rn. 18 = NVwZ 1996, 492 f.; Bay LT-Drs. 12 / 3026, S. 71; Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 4 RGebStV, Rn. 22; Grupp, Rundfunkgebührenrecht, S. 91. 15 Grupp, Rundfunkgebührenrecht, S. 91.
26
Kap. 1: Von der „Gebühr“ zum Beitrag
verpflichtet war, sich nach Aufforderung des Hausrechtsinhabers zu entfernen, weil sonst eine Strafbarkeit gemäß § 123 I Alt. 2 StGB drohte.16 Daher konzentrierte sich die GEZ auf die Möglichkeit der Informationsgewinnung, die der Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen hatte, und hierbei handelte es sich um den sogleich vorgestellten Auskunftsanspruch. 2. Auskunftsanspruch der Rundfunkanstalten Gemäß § 4 V 1 RGebStV konnte die zuständige Landesrundfunkanstalt Auskunft über diejenigen Tatsachen verlangen, die Grund, Höhe und Zeitraum der Gebührenpflicht betrafen. Dies bezog sich auf Rundfunkteilnehmer (Alt. 1) oder Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorlagen, dass sie ein Rundfunkempfangsgerät zum Empfang bereithielten und dies nicht oder nicht umfassend angezeigt hatten (Alt. 2). Der Auskunftsanspruch verkörperte das Verifikationsprinzip und sollte der Entstehung eines strukturellen Erhebungs- und Vollzugsdefizits bei einem reinen Deklarationsprinzip vorbeugen.17 Die erste Tatbestandsalternative erfasste erwiesene Rundfunkteilnehmer, d. h., Gebührenschuldner mit einem registrierten Hörfunkgerät konnten von der GEZ zur Auskunft über den Besitz eines nicht angemeldeten Fernsehgeräts aufgefordert werden.18 Ohne diese erwiesene Rundfunkteilnehmereigenschaft durfte die jeweilige Landesrundfunkanstalt vom Betroffenen gemäß § 4 V 1 Alt. 2 RGebStV Auskunft verlangen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für das Bereithalten eines nicht angezeigten Empfangsgeräts vorlagen. Dieses Recht wurde auf die zuständigen Beauftragten übertragen.19 Die Anforderungen an die „tatsächlichen Anhaltspunkte“ waren relativ gering. Abstrakt verlangte die Rechtsprechung „mittelbar bedeutsame Tatsachen“, wobei sie auch Erfahrungssätze des Alltags mitberücksichtigte. Dagegen wurden statistische Wahrscheinlichkeiten für sich genommen nicht als ausreichend qualifiziert, weil der Wortlaut („Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen“) einen besonderen Bezug der Anhaltspunkte zur Person des Auskunftspflichtigen voraussetze. Daher dürfe ein Aus16 Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 4 RGebStV, Rn. 100. Zur Eintrittserlaubnis bei Räumen, die für den Publikumsverkehr geöffnet sind: Lackner, in: Lackner / Kühl / Heger, StGB, § 123, Rn. 7; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, StGB, § 123, Rn. 23. 17 Vgl. VGH München, Urt. v. 10.03.2008 – 7 BV 07.765, juris Rn. 34, 36 f. = ZUM-RD 2008, 625 ff.; Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 4 RGebStV, Rn. 4, 65. 18 Herb, VBlBW. 1994, 344 (345); Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 4 RGebStV, Rn. 73 f. 19 Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 4 RGebStV, Rn. 99.
A. Rundfunkgebührenstaatsvertrag27
kunftsanspruch gegen eine Person ohne angemeldetes Empfangsgerät nicht allein auf den Umstand gestützt werden, dass fast alle Haushalte derartige Geräte besäßen.20 Rechtsprechung und Literatur rechtfertigten die niedrigen Anforderungen damit, dass die Landesrundfunkanstalten über keine anderen Eingriffsbefugnisse zur Ermittlung von Rundfunkteilnehmern verfügten und eine effektive Durchsetzung der Gebührenpflicht die Belastungsgleichheit der Rundfunkteilnehmer sowie die funktionsgerechte Finanzausstattung der Rundfunkanstalten gewährleiste.21 Um diese abstrakten Ausführungen etwas anschaulicher zu gestalten, werden im Folgenden konkrete Beispiele vorgestellt, in denen das Vorliegen „tatsächlicher Anhaltspunkte“ bejaht wurde: Nach Teilen der Rechtsprechung war ein Auskunftsanspruch gegeben, wenn der Beauftragtendienst der Rundfunkanstalten Bild- oder Tonsignale aus der Wohnung des Betroffenen wahrgenommen hatte. Auch genüge das Vorhandensein von Antennenanlagen auf oder an Einfamilienhäusern. Die Existenz derartiger Installationen reiche selbst dann aus, wenn der Betroffene eine Wohnung in einem größeren Gebäude mit mehreren Wohnungen besitze.22 Ein Gericht sah es sogar als ausreichend an, dass eine Person als Versicherungsvertreter tätig war: Zum einen bilde dies einen hinreichenden Anhaltspunkt für das Vorhandensein eines Kraftfahrzeugs, da ein Versicherungsvertreter für gewöhnlich Kunden aufsuche, und zum anderen spreche eine weitere Regelvermutung für die Ausstattung des Kraftfahrzeugs mit einem Autoradio.23 Zusätzliche Beispiele aus der Literatur für das Vorliegen 20 VGH Mannheim, Urt. v. 07.10.1994 – 10 S 489 / 94, juris Rn. 15 f. = NVwZ 1996, 492 f.; zur Vorgängerregelung, die nur eine „begründete Vermutung“ voraussetzte: Grupp, Rundfunkgebührenrecht, S. 90; a. A.: Herb, VBlBW. 1994, 344 (345). 21 VGH Mannheim, Urt. v. 07.10.1994 – 10 S 489 / 94, juris Rn. 18 = NVwZ 1996, 492 f.; Herb, VBlBW. 1994, 344 (345 f.); vor allem auf die Abgabengerechtigkeit und die funktionsgerechte Finanzausstattung abstellend: VG Gelsenkirchen, Urt. v. 20.03.2006 – 15 K 4931 / 04, juris Rn. 26 = BeckRS 2007, 26497 (offenbar nicht veröffentlicht); sehr instruktiv: Grupp, Rundfunkgebührenrecht, S. 90 f.; Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 4 RGebStV, Rn. 79. 22 VGH Mannheim, Urt. v. 07.10.1994 – 10 S 489 / 94, juris Rn. 17 = NVwZ 1996, 492 f. Dies wurde bereits zuvor befürwortet durch Herb, VBlBW. 1994, 344 (346). 23 VG Karlsruhe, Gerichtsbescheid v. 03.09.1993 – 2 K 93 / 93, S. 6. Diese unveröffentlichte und weder über juris noch beck-online abrufbare Entscheidung wurde dem Verfasser vom VG Karlsruhe dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Der Gerichtsbescheid stellt sehr geringe Anforderungen an das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte. Dies erklärt sich wie folgt: Vor der konkreten Subsumtion erwähnt das Gericht, dass eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ für das Bereithalten eines Empfangsgeräts genüge, und bezieht sich auf Grupp, Rundfunkgebührenrecht, S. 90. Allerdings lagen die gesetzlichen Anforderungen für den Auskunftsanspruch niedriger, als Grupp sein Werk im Jahr 1983 verfasste, weil damals eine „begründete Vermutung“ ausreichte, was Grupp wiederum als eine gewisse Wahrscheinlichkeit
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Kap. 1: Von der „Gebühr“ zum Beitrag
eines Auskunftsanspruchs sind das Vorhandensein einer Antenne auf einem Kraftfahrzeug24 und die Lage eines Hauses bzw. einer Wohnung im Verkabelungsgebiet25. Als Folge eines Auskunftsanspruchs konnte ein Auskunftsbescheid erlassen werden26, der gemäß § 4 V 4 RGebStV im Verwaltungsvollstreckungsverfahren, konkret durch Zwangsgeld, durchsetzbar war27. Allerdings erwies sich das vorgenannte Prozedere der Geltendmachung und zwangsweisen Durchsetzung eines Auskunftsanspruchs in der Praxis als stumpfes Schwert. Denn die meisten „Schwarzseher“ dürften ihrer Auskunftspflicht dadurch nachgekommen sein, dass sie das Bereithalten eines Empfangsgeräts schlicht verneinten. Sofern keine belastbaren Beweise für den Besitz eines Empfangsgeräts bestanden, war diese Methode der Sachverhaltsaufklärung erschöpft. Selbst für den Fall, dass jemand der Gebührenhinterziehung überführt worden wäre, hätte nur eine Nachzahlung nicht verjährter Ansprüche (§ 4 IV RGebStV28) und ein auf § 9 I RGebStV gestütztes Ordnungswidrigkeitenverfahren29 gedroht. Bezogen auf den privaten Bereich war die Wahrscheinlichkeit einer Überführung aber mangels Betretungsrechts äußerst gering. Im betrieblichen Bereich bestand immerhin die o. g. Möglichkeit, die Geschäftsräume während der regulären Öffnungszeiten zu auslegte. Die Ersetzung der begründeten Vermutung durch tatsächliche Anhaltspunkte im Staatsvertrag vom 31.08.1991 (Bay GBl. 1991, S. 451 ff.) sollte eine Konkretisierung und Begrenzung der tatbestandlichen Prämissen bewirken (Bay LT-Drs. 12 / 3026, S. 71). Im Ergebnis hat das Gericht mehr auf statistische Erfahrungswerte (Verbreitung von Autoradios) und weniger auf personenbezogene Tatsachen rekurriert. Bei richtigem Prüfungsmaßstab wäre der Gerichtsbescheid wahrscheinlich anders ausgefallen. Der Gerichtsbescheid wird auch erwähnt bei: Herb, VBlBW. 1994, 344 (346); Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 4 RGebStV, Rn. 80. 24 Grupp, Rundfunkgebührenrecht, S. 90; Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 4 RGebStV, Rn. 80; Herb, VBlBW. 1994, 344 (346). 25 Herb, VBlBW. 1994, 344 (346); Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 4 RGebStV, Rn. 80. 26 Vgl. OVG Saarlouis, Urt. v. 31.08.1994 – 8 R 21 / 92, juris Rn. 3 = BeckRS 1994, 14201 (offenbar nicht veröffentlicht); VG Gelsenkirchen, Urt. v. 20.03.2006 – 15 K 4931 / 04, juris Rn. 16 = BeckRS 2007, 26497 (ebenfalls nicht veröffentlicht); Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 4 RGebStV, Rn. 67. 27 VG Gelsenkirchen, Urt. v. 20.03.2006 – 15 K 4931 / 04, juris Rn. 32 = BeckRS 2007, 26497; Grupp, Rundfunkgebührenrecht, S. 91; Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 4 RGebStV, Rn. 101. 28 Zur Verjährung siehe auch: Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 4 RGebStV, Rn. 54 ff. 29 Beispielsweise wurde die Inhaberin eines Hotels wegen vorsätzlicher Nichtzahlung einer fälligen Rundfunkgebühr zu einer Geldbuße in Höhe von 400 DM verurteilt. Auf dieses Urteil des AG Obernburg am Main nimmt das ObLG München Bezug: Beschl. v. 26.10.1994 – 3 ObOWi 73 / 94, juris Rn. 5 = NJW 1995, 2862 ff.
A. Rundfunkgebührenstaatsvertrag29
betreten und Empfangsgeräte zu identifizieren, bevor eine Aufforderung zum Verlassen der Räumlichkeiten durch den Hausrechtsinhaber ausgesprochen wurde. 3. Hinweis auf die Gebührenpflicht durch massenhaften Briefversand Eine weitere Maßnahme der GEZ bestand in sog. Mailing-Aktionen, bei denen sie massenhaft Personen anschrieb und nach dem Bereithalten von Empfangsgeräten befragte. Hierbei handelte es sich nicht um die Geltendmachung eines bestehenden Auskunftsanspruchs, soweit die Angeschriebenen keine Rundfunkteilnehmer waren und zugleich keine entsprechenden Anhaltspunkte hierfür bestanden. Daher könnte die Beantwortung dieser Schreiben für einige Adressaten freiwillig gewesen sein.30 Die GEZ beschrieb diese Mailing-Aktionen in ihrem Geschäftsbericht 2012 noch als das wichtigste Instrument, um einem Rückgang der Teilnehmerkonten im privaten Bereich entgegenzuwirken.31 Im Jahr 2012 meldeten ca. 563.000 Rundfunkteilnehmer ihre Geräte infolge eines Schreibens der GEZ an, wobei diese durch ihre Maßnahme ca. 4.252.000 Adressaten durch Erstbriefe erreichte. Damit lag die Erfolgsquote dieser Aktionen bei ca. 13,2 %. Insgesamt versandte die GEZ rund 10,6 Mio. Briefe als Erst- und Erinnerungsschreiben. Dieser Verwaltungsaufwand mag immens wirken, lag im Jahr 2012 aber sogar niedriger als im Vorjahr, weil die GEZ im Hinblick auf die Systemumstellung im Jahr 2013 nicht mehr ganz so viele Mailingverfahren durchführte.32 2011 versandte sie noch ca. 15,4 Mio. Briefe als Erst- und Erinnerungsschreiben und erreichte ca. 6,0 Mio. Personen durch Erstbriefe.33 Für den Gebühreneinzug wurden 2011 und 2012 jeweils ca. 160 Mio. € verwandt (ca. 2,2 % des Gesamtertrags), ca. 1.200 bis 1.300 Mitarbeiter beschäftigt und ca. 41,8 Mio. Teilnehmerkonten verwaltet mit Aufwendungen pro Teilnehmerkonto von ca. 3,9 €.34 Offensichtlich hat nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk, sondern auch der Gebühreneinzug seinen Preis.35 Die Adressen für das Anschreiben potenzieller Rundfunkteilnehmer entnahm die GEZ u. a. Anschriftendaten von Einwohnermeldeämtern36 30 Weichert,
AfP 2004, 77 (78). Geschäftsbericht 2012, S. 21. 32 GEZ, Geschäftsbericht 2012, S. 21 f. 33 GEZ, Geschäftsbericht 2011, S. 22. 34 GEZ, Geschäftsbericht 2011, S. 7 und Geschäftsbericht 2012, S. 7, jeweils mit den genauen Zahlen. 35 In Anlehnung an den Aufsatztitel von Gounalakis / Wege, NJW 2008, 800. 36 GEZ, Geschäftsbericht 2012, S. 22. 31 GEZ,
30
Kap. 1: Von der „Gebühr“ zum Beitrag
(12,7 Mio. Datensätze in 201237), wobei sie sich auf § 4 VI RGebStV stützen konnte38. Ferner kamen sog. angemietete Anschriften von externen Anbietern zum Einsatz39, was bedeutet, dass auf die Dienste privater Adressenhändler zurückgegriffen wurde40. Diese Vorgehensweise basierte auf § 8 IV RGebStV.41 Bereits der dargestellte Verwaltungsaufwand und die wenig effektiven Überprüfungsmöglichkeiten haben einen Reformbedarf indiziert, der sich aus technischen und rechtlichen Gründen in den Jahren vor der Reform weiter verstärkt haben soll (B.).
B. Reformbedarf Die Reformbedürftigkeit des alten Systems wurde zum einen mit der Konvergenz der Medien (I.) und zum anderen mit einem strukturellen Erhebungs- und Vollzugsdefizit (II.) begründet.
I. Medienkonvergenz Die Medienkonvergenz bewirkt eine Verschmelzung der Endgeräte mit der Folge, dass ein Gerät infolge der Digitalisierung zugleich die Funktionen anderer Geräte erfüllen kann und z. B. mit dem PC Rundfunk empfangen wird.42 Durch diese Entwicklung wird laut Regierungsbegründung und Kirchhof der Gerätebezug des alten Rundfunkgebührensystems obsolet und eine wirksame Überprüfung des Bereithaltens gerade kleinerer Empfangsgeräte unmöglich.43 Kirchhof ist sogar der Auffassung, dass insbesondere junge Menschen für den alltäglichen Rundfunkkonsum bereits PCs und Handys nutzten.44 Hiergegen lässt sich einwenden, dass der klassische Fernsehkonsum auch weiterhin über Fernsehgeräte erfolgt, weil der Verkaufstrend seit Jahren erkennbar zu sehr großen Flachbildschirmen geht, die eine kino37 GEZ,
Geschäftsbericht 2012, S. 13. AfP 2004, 77 (79). 39 GEZ, Geschäftsbericht 2012, S. 22. 40 Weichert, AfP 2004, 77 (80). 41 Herb, RDV 2005, 252, der sich zudem ausführlich mit der Zulässigkeit dieser Methode befasst. 42 Gounalakis, Konvergenz, S. 14 f. 43 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 6 ff., 56; BW LT-Drs. 15 / 197, S. 34. Im Folgenden wird stets die Regierungsbegründung des Landes Baden-Württemberg zitiert. Die Regierungsbegründungen der anderen Länder sind inhaltsgleich (siehe z. B. Bay LT-Drs. 16 / 7001). 44 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 7. 38 Weichert,
B. Reformbedarf31
artige Qualität des Medienkonsums ermöglichen sollen.45 Kleine PC-Monitore und Handydisplays eignen sich dagegen eher für den gelegentlichen Fernsehkonsum. Diese Tatsache zieht das grundsätzliche Reformbedürfnis zwar nicht in Zweifel, könnte aber für die Praktikabilität einer widerlegbaren Vermutung des Bereithaltens eines Empfangsgeräts Relevanz entfalten. Obwohl das von den Rundfunkanstalten zunächst erwogene Konzept einer widerlegbaren Vermutung46 verworfen wurde, beeinflusst seine Realisierbarkeit mittelbar die Notwendigkeit und Zulässigkeit der typisierenden Vorgehensweise der aktuellen Regelung und wird in diesem Kontext47 erörtert.
II. Erhebungsdefizit Ein strukturelles Erhebungsdefizit verletzt Art. 3 I GG, der eine gleichmäßige Erhebung von Abgaben postuliert.48 Ein solches Defizit drohte in den Augen des Reformgesetzgebers und Kirchhofs durch die geringe Effizienz der Kontrollmechanismen und den Anstieg der Rundfunkgebührenhinterzieher.49 Auch wenn die Methoden der GEZ nicht besonders wirksam erscheinen, sollte man das Argument des strukturellen Erhebungsdefizits nicht unreflektiert übernehmen, sondern zwei Aspekte bedenken: das tatsächliche Ausmaß des Erhebungsdefizits (1.) und eine etwaige Mitverantwortung der Rundfunkanstalten (2.). 1. Übertriebene Darstellung des Erhebungsdefizits Das Erhebungsdefizit wurde insbesondere von Kirchhof übertrieben dargestellt, indem er zur Illustrierung der abnehmenden Rundfunkteilnehmerdichte die niedrigen Werte großer Städte herausgriff und aus ihnen ein strukturelles Erhebungsdefizit sowie die drohende Verfassungswidrigkeit des damaligen 45 Vgl. Schneller, Digital Insider, Ausgabe 100, Februar 2013, S. 4 f., zu einer Studie des Instituts Allensbach. 46 Zu den Überlegungen der Anstalten: Eicher, MP 2012, 614 (615). Befürworter dieses Ansatzes war u. a. Jarass, Rechtsgutachten, S. 22 f. Eine Wiedergabe des alternativ entwickelten Gesetzestextes findet sich bei Hasse, Finanzierung, S. 185 f., Fn. 28 ff. Allerdings wurde dieses Alternativkonzept nicht veröffentlicht, und Hasse macht bei Fn. 27 auf S. 185 keine Angaben zur Herkunft seines Wissens, sodass sich nicht verifizieren lässt, ob die gemachten Angaben den offiziellen Entwurf darstellen. 47 Sub Kap. 3 A. V. 2. 48 BVerfG, Beschl. v. 11.06.1980 – 1 PBvU 1 / 79, juris Rn. 57, BVerfGE 54, 277 ff.; Urt. v. 27.06.1991 – 2 BvR 1493 / 89, juris Rn. 104, BVerfGE 84, 239 ff.; Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 65 f. 49 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 12 ff.; BW LT-Drs. 15 / 197, S. 31.
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Kap. 1: Von der „Gebühr“ zum Beitrag
RGebStV ableitete.50 In den angeführten Städten Berlin, Frankfurt am Main, Stuttgart und München lag die Teilnehmerdichte 2007 in der Tat zwischen 76,9 und 78,5 %.51 Wenn es um die Frage eines „strukturellen“ Erhebungsdefizits geht, sollte man aber den Blick nicht zu sehr auf einzelne Städte richten, sondern auf die durchschnittliche Teilnehmerdichte. Diese betrug auf Bundesebene in den Jahren 2006 bis 2008 bei Hörfunkgeräten ca. 96 % und bei Fernsehgeräten ca. 94 %. Im Zeitraum von 2006 bis 2008 reduzierte sie sich bei Hörfunkgeräten um ca. 0,2 % und stieg bei Fernsehgeräten sogar um ca. 0,01 % an.52 Die Teilnehmerdichte schwankte dabei je nach Sendegebiet im Jahr 2008 bei Hörfunkgeräten zwischen 89,21 und 98,75 % und bei Fernsehgeräten zwischen 87,44 und 96,63 %.53 Den niedrigsten Wert sowie die höchsten Befreiungs- und Forderungsausfallquoten hatte jeweils das Sendegebiet des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) zu verzeichnen.54 Des Weiteren beruht der Rückgang der Teilnehmerdichte nicht nur auf Unzulänglichkeiten bei der Gebührenerhebung. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) begründete ihre Prognose einer rückläufigen Zahl angemeldeter Hörfunk- und Fernsehgeräte in ihrem 17. Bericht (2009) u. a. mit dem vereinfachten Verfahren zur Gebührenbefreiung von Sozialleistungsempfängern und mit der weiteren Zunahme der Altersarmut in Deutschland. Eine fehlende Effizienz bei der Gebührenerhebung wurde als Grund für die großen Divergenzen bei den Teilnehmerdichten der einzelnen Sendegebiete angeführt.55 Nachdem im Jahr 2006 eine hohe Marktausschöpfung erreicht worden war, ging die KEF schon in ihrem 16. Bericht (2007) von einer sinkenden Anzahl gebührenpflichtiger Geräte aus. Als Ursachen identifizierte sie bereits damals nicht nur das 50 Paul
Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 12. 17. Bericht, Tz. 460. 52 Errechnet auf der Basis der Angaben der KEF, 17. Bericht, Tz. 462, Tab. 88 – Teil 1. Die Berechnung des Bundesdurchschnitts berücksichtigte die unterschiedlichen Größen der einzelnen Sendegebiete. Die Bevölkerungszahlen hierfür wurden dem Statistischen Jahrbuch 2008 des Statistischen Bundesamtes, S. 29, entnommen. Die Kalkulation legte folgende Zahlen in Millionen für die Sendegebiete zugrunde: BR: 12,52; HR: 6,07; MDR 8,92; NDR 14,26; RB: 0,66; RBB: 5,96; SWR: 14,80; SR: 1,04; WDR: 18,00. 53 KEF, 17. Bericht, Tz. 336, Tab. 65. 54 KEF, 17. Bericht, Tz. 336, Tab. 65; bzgl. der Teilnehmerdichte in den Jahren 2006–2008: KEF, 17. Bericht, Tz. 462, Tab. 88 – Teil 1. 55 KEF, 17. Bericht, Tz. 315 f. Der GEZ-Geschäftsbericht 2012, S. 24 f., verzeichnete den stärksten Zuwachs befreiter privater Teilnehmerkonten gegenüber den Werten von 2011 (Anstieg um 40.374 Teilnehmerkonten ~ 9,79 %) beim Befreiungsgrund „Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“ (§ 6 I Nr. 2 RGebStV). Der Anteil dieser Teilnehmerkonten (insgesamt: 452.788) am Gesamtbestand befreiter privater Teilnehmerkonten betrug 14,24 %. 51 KEF,
B. Reformbedarf33
unbefriedigende Anmeldeverhalten, sondern auch die Zunahme der Gebührenbefreiungen aus sozialen Gründen.56 Für das Jahr 2013 lässt sich ein Anstieg der Teilnehmerkonten des Beitragsservice (privater und betrieblicher Bereich) um ca. 638.000 (von rund 41,8 auf ungefähr 42,4 Mio. Beitragskonten) verzeichnen.57 Dies bedeutet einen Gesamtanstieg der Teilnehmerkonten um ca. 1,4 %. Zwar geht bisher aus den offiziellen Berichten nicht hervor, wie viele neue Beitragszahler im privaten Bereich durch den Systemwechsel von 2012 auf 2013 hinzugewonnen wurden58, aber die Anzahl dürfte bei ca. 500.000 (Stand: August 2014) liegen59. 56 KEF,
16. Bericht, Tz. 450, Bewertung zur Abb. 24. Geschäftsbericht 2013, S. 8. 58 2013 hätten ca. 1,1 Mio. Menschen Beitragskonten angemeldet (Beitragsservice, Geschäftsbericht 2013, S. 15). Dass die Anzahl der Beitragskonten nicht im selben Maße zunahm, liegt daran, dass es auch zu Abmeldungen kam, deren Umfang allerdings aus dem Bericht nicht hervorgeht. Daher erlaubt dieser Bericht keine präzisen Rückschlüsse auf die Anzahl der Nettoanmeldungen im privaten Bereich infolge des Systemwechsels. Zwar wird auch erklärt, dass es zu ca. 260.000 Neuanmeldungen im betrieblichen Bereich gekommen sei (a. a. O., S. 24), und man könnte erwägen, diese Zahl von der Gesamtsumme der neu hinzugewonnenen Teilnehmerkonten abzuziehen, um den Zuwachs im privaten Bereich zu ermitteln. Aber die erwähnte Zahl von Neukunden im betrieblichen Bereich muss nicht zu einem entsprechenden Anstieg der Gesamtteilnehmerkonten beigetragen haben, weil es auch im betrieblichen Bereich zu Abmeldungen gekommen sein könnte. Der Nettoanstieg der Teilnehmerkonten im betrieblichen Bereich wird jedoch nicht erwähnt. Dem 19. KEF-Bericht lässt sich die Zunahme der Beitragsschuldner im privaten Bereich infolge des Systemwechsels ebenfalls nicht entnehmen. Die KEF räumt in ihrem Fazit ein, dass die Anstalten und der Beitragsservice die Daten zu sog. Direkt anmeldungen im privaten Bereich für das Jahr 2013 nicht ermittelt hätten (Tz. 322). Diese Direktanmeldungen (Anmeldungen durch die Rundfunkanstalten nach fehlender Eigenanmeldung eines identifizierten Beitragsschuldners: Beitragsservice, Geschäftsbericht 2013, S. 23) werden im Rahmen des regelmäßigen und einmaligen Meldedatenabgleichs vorgenommen. Die Kommission schätzt ihre Zahl auf insgesamt 1,55 Mio. in der Beitragsperiode 2013–2016 und die damit verbundenen Mehreinnahmen auf ca. 1,14 Mrd. € (KEF, 19. Geschäftsbericht, Tz. 287 f.). Herr Eicher, Justiziar beim SWR und Mitglied im Verwaltungsrat des Beitragsservice, erklärte die fehlenden Daten zu sog. Direktanmeldungen in einer Auskunft an den Verfasser damit, dass erst Ende 2013 mit diesem Verfahren begonnen worden sei, weil der Beitragsservice zunächst Testverfahren durchgeführt und deren Ergebnisse ausgewertet habe. Zum Zeitpunkt der Erstellung des KEF-Berichts hätten noch keine Daten zur Verfügung gestanden. Es ist zwar nachvollziehbar, dass der Beitragsservice Testverfahren durchführt. Aber zum einen hätte man bereits erste Auswertungen im später (Juli 2014) erschienenen Geschäftsbericht des Beitragsservice aufnehmen können und zum anderen wäre eine schnellere Umsetzung der Direktanmeldungen in Anbetracht des europäischen Beihilferechts empfehlenswert gewesen, das Berechnungen auf der Basis tatsächlicher Zahlen anstelle von Schätzungen verlangt (Kap. 5 A. II. 2.). 59 Auskunft vom 28.08.2014 durch Herrn Eicher vom SWR. 57 Beitragsservice,
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Kap. 1: Von der „Gebühr“ zum Beitrag
Insgesamt scheint das Erhebungsdefizit nicht so stark ausgeprägt gewesen zu sein, dass der Rundfunkgebühr die Verfassungswidrigkeit gedroht hätte. Auch das BVerfG sah im Jahr 2011 – trotz bereits eingetretener Medienkonvergenz – keine Gefahr eines Erhebungs- und Vollzugsdefizits bei der He ranziehung der Gebührenschuldner nach dem alten RGebStV, da die Nichtanzeige anzeigepflichtiger Empfangsgeräte aufgrund der Kontrollinstrumente mit einem „angemessenen Entdeckungsrisiko“ verbunden sei.60 2. Mitverantwortung der Rundfunkanstalten Die Rundfunkanstalten könnten eine Mitverantwortung an dem Erhebungs- und Vollzugsdefizit tragen. Die KEF kritisierte in ihrem 17. Bericht, dass einige Landesrundfunkanstalten ihre Möglichkeiten zur Ausschöpfung des Gebührenpotenzials nicht hinreichend effektiv nutzten. Vor allem sei es in Anbetracht der rückläufigen Teilnehmerdichte nicht nachvollziehbar, „dass alle Rundfunkanstalten ihren Aufwand für die Rundfunkgebührenabteilungen – zum Teil in erheblichem Umfang – vermindert haben“.61 Die KEF wies die Einwände der ARD zurück, wonach sich zum einen wegen der nachlassenden Akzeptanz der Gebührenfinanzierung und des geringen sozialen Prestiges kaum noch Kontrolleure finden ließen und sie zum anderen nur sehr begrenzte Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Ansprüche habe.62 Eine Steigerung der Teilnehmerdichte war trotz dieser Schwierigkeiten möglich, wie die Entwicklung beim RBB belegt. Auffällig ist, dass gerade beim RBB, der die niedrigste Haushaltsdichte verzeichnete, für die von der KEF empfohlene „regionale Marktbearbeitung“ keine speziellen Mitarbeiter vorgesehen waren. Zudem kamen auf einen Mitarbeiter der Gebührenabteilung, der für die Betreuung des Außendienstes zur Gewinnung neuer Teilnehmer zuständig war, rund 438.000 Haushalte. Damit hob sich der RBB in beiden Kategorien sehr deutlich von den anderen Rundfunkanstalten ab.63 Ein Finanzausgleich kompensierte die Mindereinnahmen des RBB, der sich im Gegenzug laut 17. Bericht zur Entwicklung eines Maßnahmenpakets zur Erschließung des Teilnehmerpotenzials in der Stadt Berlin verpflichtete.64 Im 18. Bericht kam die KEF dann zu dem Ergebnis, dass der RBB als einzige Rundfunkanstalt eine positive Entwicklung bei der 60 BVerfG, Beschl. v. 17.03.2011 – 1 BvR 3255 / 08, juris Rn. 6 = NVwZ-RR 2011, 465 f. Sehr ausführlich zur Frage eines Erhebungsdefizits: VGH München, Urt. v. 10.03.2008 – 7 BV 07.765, juris Rn. 32 ff. = ZUM-RD 2008, 625 ff. 61 KEF, 17. Bericht, Tz. 465. 62 KEF, 17. Bericht, Tz. 466 f. 63 KEF, 17. Bericht, Tz. 460 f. 64 KEF, 17. Bericht, Tz. 515–519.
C. Rundfunkbeitragsstaatsvertrag35
Gebührenerhebung aufweisen könne.65 Des Weiteren zeigt der Vergleich der KEF-Berichte eine interessante Entwicklung auf. Während der 16. Bericht noch eine Verstärkung der Beauftragtendienste und damit der Kontrolltätigkeiten aller Rundfunkanstalten konstatierte66, wurde im 17. Bericht ein erheblicher Rückgang verzeichnet (s. o.), und auch der 18. Bericht konnte, bis auf den RBB, keine Intensivierung der Tätigkeit der Beauftragtendienste feststellen67. Aus diesen Gründen kann man den Rundfunkanstalten eine – wenngleich verhältnismäßig geringe – Mitverantwortung an der Nichtausschöpfung des Teilnehmerpotenzials attestieren.
C. Rundfunkbeitragsstaatsvertrag Kern der Reform ist eine Beitragspflicht unabhängig vom Bereithalten eines Empfangsgeräts.68 Im privaten Bereich wird an die Existenz einer Wohnung angeknüpft, wobei für jede Wohnung ein Rundfunkbeitrag anfällt, § 2 I RBStV. Hier ersetzt ein monatlicher Einheitsbeitrag i.H.v. 17,98 €69 die frühere Unterscheidung in Grund- und Fernsehgebühr. Kraftfahrzeuge im privaten Bereich unterliegen analog zur alten Rechtslage nicht der Beitragspflicht.70 Für behinderte Menschen, die nach § 6 I 1 Nr. 7 und 8 RGebStV befreit waren, wurde ein Drittelbeitrag eingeführt (§ 4 II 1 Nr. 1–3 RBStV). Im nicht-privaten Bereich bemisst sich die Beitragslast nach der Beschäftigtenzahl einer Betriebsstätte (§ 5 I RBStV), wobei Auszubildende und sozialversicherungsfrei Beschäftigte nicht mitgezählt werden (§ 6 IV RBStV). Die Beitragslast ist degressiv gestaffelt (§ 5 I 2 Nr. 1–10 RBStV). Die Staffelung sieht in der Eingangsstufe einen Drittelbeitrag (5,99 €) für Betriebe mit bis zu acht Beschäftigten vor, belastet in der zweiten Stufe Betriebe mit neun bis 19 Beschäftigten mit einem Rundfunkbeitrag und begrenzt die Beitragslast für Betriebe mit 20.000 oder mehr Beschäftigten in der zehnten und höchsten Stufe auf 180 Beiträge. Zusätzliche Beitragspflichten entstehen durch § 5 II 1 RBStV. Danach ist ein Drittel eines Rundfunkbeitrags pro Hotel- bzw. Gästezimmer und pro Ferienwohnung ab der zweiten Raumeinheit zu entrichten (§ 5 II 1 Nr. 1 RBStV). Die gleiche 65 KEF,
18. Bericht, Tz. 339. 16. Bericht, Tz. 448. 67 KEF, 18. Bericht, Tz. 339. 68 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 1; Gall / Schneider, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, Vorb. zum RBStV, Rn. 43. 69 § 8 RFinStV 1996 i. d. F. des fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags. 70 Vgl. auch: Gall / Schneider, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, Vorb. zum RBStV, Rn. 45. 66 KEF,
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Kap. 1: Von der „Gebühr“ zum Beitrag
Beitragslast wird pro nicht-privat eingesetztem Kraftfahrzeug erhoben (§ 5 II 1 Nr. 2 Hs. 1 RBStV), wobei gemäß § 5 II 2 RBStV jeweils ein Kraftfahrzeug pro beitragspflichtiger Betriebsstätte beitragsfrei ist. Es bestehen noch weitere Unterschiede zwischen der alten und der neuen Rechtslage71, die hier jedoch nicht weiter vertieft werden, weil sie nicht als besonders problematisch anzusehen sind und im Fortgang der Arbeit nicht näher thematisiert werden.
71 Bestimmte gemeinnützige Einrichtungen z. B. für behinderte Menschen, Jugend- und Suchthilfe zahlen nach der neuen Rechtslage gemäß § 5 III 1 Nr. 1–3 RBStV maximal einen Rundfunkbeitrag, während sie nach der alten Rechtslage (§ 5 VII 1 Nr. 2–4 RGebStV) vollständig befreit waren.
Kapitel 2
Abgabenformen und ihre Eignung für die Rundfunkfinanzierung Zunächst werden die verschiedenen Abgabenformen in ihrer idealtypischen Ausprägung vorgestellt (A.) und ihre jeweilige Eignung für die Rundfunkfinanzierung erläutert (B.), bevor die Rechtsnatur des aktuellen Rundfunkbeitrags analysiert wird (Kapitel 3.).
A. Abgabensystem Klassischerweise werden Steuern, Gebühren und Beiträge unterschieden. Hinzu treten die Sonderabgaben, die sich nicht in diese Kategorisierung einfügen, aber anerkannt sind. Die genaue Unterscheidung der Abgabenformen nach ihrem materiellen Gehalt stellt keinen Selbstzweck dar, sondern entscheidet auch über die Kompetenz innerhalb der bundesstaatlichen Ordnung. Dies betrifft die Abgrenzung von Steuern (Spezialregelung in Art. 105 GG) und anderen Abgaben (Rückgriff auf Art. 70 ff. GG möglich).72 Steuern und die Verteilung ihres Aufkommens sind im Grundgesetz (Art. 105 ff. GG) detailliert geregelt.73 Die Verfassung hat den Steuerbegriff der Reichsabgabenordnung (RAO) vorgefunden und übernommen.74 Diese definierte Steuern als Geldleistungen, die kein Entgelt für eine besondere 72 Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 42 f., 56 f.; Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 104a, Rn. 8. 73 Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 56. 74 Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 104a, Rn. 7; Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 58; Vogel / Waldhoff, in: Bonner Kommentar, GG, Vorb. zu Art. 104a–115, Rn. 361. A. A.: Wernsmann, ZG 2015, 79 (83). Er hält diese These für überwunden und weist darauf hin, dass Steuern nach der Rechtsprechung des BVerfG verhaltenslenkende Zwecke verfolgen dürften, während dies von der RAO nicht vorgesehen gewesen sei. Dieser Einwand verfängt jedoch nicht: Zwar hat das Grundgesetz den Steuerbegriff der RAO übernommen, aber der verfassungsrechtliche Steuerbegriff wird zugleich durch andere Wertungen des Grundgesetzes (z. B. durch die Staatszielbestimmung Sozialstaat und den später eingefügten Umweltschutz in Art. 20a GG) beeinflusst und kann sich zudem weiterentwickeln. Trotz dieser Entwicklung kann der Steuerbegriff der RAO eine sehr wichtige Orientierung bei der Auslegung bieten. Aber auch Wernsmann misst der historischen Verfassungsauslegung insbesondere bei Kompetenznormen Bedeutung bei, sodass sich die Un-
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Kap. 2: Abgabenformen
Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft.75 Die Einnahmen fließen in den allgemeinen Haushalt und sind (grundsätzlich76) nicht zweckgebunden.77 Beiträge und Gebühren lassen sich unter dem Oberbegriff der Entgeltabgaben bzw. Vorzugslasten zusammenfassen.78 Das Grundgesetz erwähnt Gebühren vereinzelt (Art. 74 I Nr. 22, 80 II GG), ohne sie zu definieren79, während Beiträge in der Verfassung keinerlei Erwähnung finden. Die Gebühr wird für eine staatliche Leistung, der Beitrag für ein Leistungsangebot bezahlt. Beide Abgaben gleichen einen Vorteil aus, der lediglich unterschiedlich stark ausgeprägt ist, und ihre Gegenleistungsabhängigkeit unterscheidet sie von der voraussetzungslosen Steuer.80 Diese Vorteile müssen, wie das BVerfG erst im Juni 2014 in Bezug auf wiederkehrende Straßenbaubeiträge mehrfach akzentuiert hat, „individuell“ und „konkret“ zurechenbar sein.81 Kirchhof hingegen stellt im Beitragsrecht auf eine „vermutete Gruppenbevorzugung“82 und speziell im Rundfunkbeitragsrecht auf einen „strukturellen Vorteil, den jedermann aus dem Wirken der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zieht“, ab.83 Diese Weichenstellung ist von grundlegender Bedeutung, und ihre Auswirkungen auf die Begründung eines Sondervorteils von Rundfunkbeitragsschuldnern ohne Empfangsgerät werden später84 ausführlicher erörtert. Sonderabgaben fügen sich im Gegensatz zu den vorgenannten Abgaben nicht in das etablierte Abgabensystem ein und sind von der Verfassung nicht eigens geregelt.85 Die Rechtsprechung des BVerfG unterscheidet zwischen terschiede dieser Sichtweisen relativieren. Im Ergebnis muss man für jeden Einzelfall entscheiden, welchen Stellenwert die historische Exegese einnimmt. 75 Vgl. RGBl. 1931 I, S. 161. 76 Zur sog. Zwecksteuer: Kap. 2 B. III. 77 Heun, in: Dreier, GG, Art. 105, Rn. 13, 15. 78 Paul Kirchhof, Nichtsteuerliche Abgaben, in: HStR, Bd. V, § 119, Rn. 17. Kritisch zu dieser Kategorisierung: Wilke, Gebührenrecht und Grundgesetz, S. 118, 120 f. 79 Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 91. 80 Paul Kirchhof, Nichtsteuerliche Abgaben, in: HStR, Bd. V, § 119, Rn. 17. 81 BVerfG, Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 43 (generell zu Gebühren und Beiträgen) = WM 2014, 1693 ff. Die individuelle Zurechenbarkeit des Vorteils wird im Beschluss insgesamt neunmal (Rn. 43, 52 (dreimal), 55, 58, 59, 64, 66) betont. Das Erfordernis eines konkreten Vorteils findet insgesamt viermal (Rn. 52, 54, 64, 66) Erwähnung. 82 Paul Kirchhof, Nichtsteuerliche Abgaben, in: HStR, Bd. V, § 119, Rn. 67. 83 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 59 f. 84 Kap. 3 B. I. 5. und 6. 85 Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 135.
A. Abgabensystem39
Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion (z. B. die erst kürzlich bestätigte Filmförderabgabe86) und solchen mit Lenkungsfunktion (z. B. Schwerbehindertenabgabe87). An die Finanzierungssonderabgaben werden strengere Anforderungen gestellt, insbesondere im Hinblick auf die Gruppenverantwortung der Herangezogenen und die gruppennützige Verwendung der Einnahmen.88 Vorliegend käme für die Rundfunkfinanzierung lediglich eine Finanzierungssonderabgabe in Betracht89, sodass auch nur diese einer eingehenden Erörterung unterzogen wird. Zunächst sei auf ein allgemeines und entscheidendes Problem jeder Sonderabgabe hingewiesen: die Konkurrenz zur Steuer. Das BVerfG beschreibt es als „wesentliches Merkmal einer Sonderabgabe“, dass sie eine Geldleistungspflicht ohne korrespondierende Gegenleistung der öffentlichen Hand begründe und dadurch ähnlich wie eine Steuer voraussetzungslos erhoben werde. Diese Konkurrenz zur Steuer löse ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis der Sonderabgaben aus.90 Zum einen drohe eine Umgehung der detailliert geregelten Finanzverfassung und zum anderen werde einer Gruppe eine zusätzliche Belastung auferlegt und dadurch die Belastungsgleichheit tangiert (Art. 3 I GG).91 Daher sind Finanzierungssonderabgaben an folgende Prämissen geknüpft: Der Gesetzgeber muss einen Sachzweck verfolgen, der über die reine Einnahmenerzielung hinausgeht, und darf lediglich eine homogene Gruppe belasten. Diese Gruppe muss zu dem verfolgten Zweck eine derart spezifische Sachnähe aufweisen, dass ihr eine besondere Finanzierungsverantwortung attestiert werden kann. Weiterhin ist das Abgabenaufkommen gruppennützig einzusetzen. Zudem ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Sonderabgaben im Interesse effektiver parlamentarischer Legitimation und Kontrolle haushaltsrechtlich vollständig zu dokumentieren und ihre sachliche Rechtfertigung in adäquaten Zeitintervallen zu überdenken. Schließlich müssen Sonderabgaben insgesamt auf seltene Ausnahmen begrenzt bleiben.92 Die Einnahmen werden häufig in einen Sonderfonds eingestellt, wobei diese Vorgehensweise keine zwingende Bedingung einer zulässigen Sonderabgabe darstellt.93 86 BVerfG, Urt. v. 28.01.2014 – 2 BvR 1561 / 12 u. a., juris Rn. 128 f. = NVwZ 2014, 646 ff. 87 BVerfG, Urt. v. 26.05.1981 – 1 BvL 56 / 78, juris Rn. 94, BVerfGE 57, 139 ff. 88 BVerfG, Urt. v. 26.05.1981 – 1 BvL 56 / 78, juris Rn. 98, BVerfGE 57, 139 ff.; Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 167. 89 Dittmann / Scheel, Medienabgabe, S. 33 f. 90 BVerfG, Urt. v. 23.01.1990 – 1 BvL 44 / 86 u. a., juris Rn. 121, BVerfGE 81, 156 ff. 91 BVerfG, Urt. v. 28.01.2014 – 2 BvR 1561 / 12 u. a., juris Rn. 121 = NVwZ 2014, 646 ff. 92 BVerfG, Urt. v. 28.01.2014 – 2 BvR 1561 / 12 u. a., juris Rn. 121 f. = NVwZ 2014, 646 ff. 93 Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 138.
40
Kap. 2: Abgabenformen
Nachdem alle relevanten94 Abgaben vorgestellt wurden, gilt es, deren jeweilige Eignung für die Rundfunkfinanzierung zu untersuchen (B.).
B. Eignung der Abgaben für die Rundfunkfinanzierung Auch nach der Reform hält die Diskussion über die für die Rundfunk finanzierung geeignete Abgabe an. Ein im Dezember 2014 veröffentlichtes Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums qualifiziert sowohl Gebühren als auch Steuern als geeignete Finanzierungsinstrumente.95 Diese grundsätzliche Frage ist zugleich für die konkrete verfassungsrechtliche Prüfung des RBStV bedeutsam. Sollte sich der Rundfunkbeitrag einerseits nicht in die Beitragsdogmatik einfügen, erschiene aber andererseits eine Beitragsfinanzierung des Rundfunks unumgänglich, wäre der Weg zu einem (später erörterten96) Verfassungswandel bzw. einer erweiternden Verfassungsinterpretation vorgezeichnet. Dieser Wandel bewirkte eine Ausdehnung des beitragsrechtlichen Vorteilsbegriffs.
I. Verfassungsgerichtliche Vorgaben Die entscheidende abstrakte Vorgabe, die das BVerfG für die Rundfunkfinanzierung aufgestellt hat, ist die Staatsfreiheit.97 Möglicherweise lässt sich der Judikatur sogar eine weiter gehende Festlegung auf eine konkrete Abgabe entnehmen. Zwar heißt es in einem oft zitierten98 Judikat, dass die Gebührenfinanzierung die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk „gemäße 94 Es sollen auch noch „sonstige Abgaben“ existieren, da kein Numerus clausus erlaubter Abgaben bestehe. Siehe hierzu: Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 172 ff.; Paul Kirchhof, Nichtsteuerliche Abgaben, in: HStR, Bd. V, § 119, Rn. 107 ff. Diese sehr spezielle Konstruktion wird nicht weiter vertieft, weil sie sich zu sehr vom etablierten Abgabensystem entfernt und daher nicht für eine verlässliche Weiterentwicklung der alten Rundfunkgebühr geeignet erscheint (kritisch auch: Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 47). Eine „sonstige Abgabe“ befürworten indes Dittmann / Scheel, Medienabgabe, S. 74. 95 Wissenschaftlicher Beirat des Bundesfinanzministeriums, Gutachten, S. 34 f. 96 Kap. 3 B. III. 97 BVerfG, Entsch. v. 28.02.1961 – 2 BvG 1 / 60 u. a., juris Rn. 186, BVerfGE 12, 205 ff.; Urt. v. 05.02.1991 – 1 BvF 1 / 85 u. a., juris Rn. 472, BVerfGE 83, 238 ff. Zur eng damit verbundenen Programmautonomie: BVerfG, Beschl. v. 06.10.1992 – 1 BvR 1586 / 89 u. a., juris Rn. 79, BVerfGE 87, 181 ff. 98 Dittmann / Scheel, Medienabgabe, S. 41; Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 45; Degenhart, ZUM 2011, 193 (194); Kube, Rechtsgutachten, S. 30; Wernsmann, ZG 2015, 79 (86).
B. Eignung der Abgaben für die Rundfunkfinanzierung 41
Art der Finanzierung“ darstelle. Aber dies implizierte keine Festlegung auf ein Gebührenmodell, sondern diente nur der Klarstellung, dass eine überwiegende Finanzierung durch Werbeeinnahmen unzulässig sei, weil dadurch eine Abhängigkeit von Einschaltquoten begründet würde.99 Einzig ein Sondervotum dreier Bundesverfassungsrichter zum zweiten Rundfunkurteil plädierte für die Gebührenfinanzierung als einzig zulässige und praktikable Lösung, wobei es ihnen weniger um die Festlegung auf die Gebühr als solche ging, sondern vielmehr um den Ausschluss eines steuerfinanzierten Rundfunks.100 Daher war der Gesetzgeber nicht bereits durch die Judikatur des BVerfG auf eine bestimmte Abgabe festgelegt.101 Vielleicht lässt sich eine Reduktion des Auswahlermessens jedoch aus der Verfassung herleiten.
II. Gebühr Auch wenn die Gebühr wegen ihrer Namenspatenschaft im Hinblick auf die alte Regelung prima facie als geeigneter Abgabentyp erscheinen mag, gilt es zu berücksichtigen, dass der Gebühr ein enges Leistungs-Gegenleistungs-Verhältnis zugrunde liegt. Es müsste die tatsächliche Nutzung des Programmangebots entgolten werden, was aber eine unzulässige Abhängigkeit von Einschaltquoten zur Folge hätte.102 Im Ergebnis liefe eine Gebührenfinanzierung auf eine Codierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkangebots hinaus, weil nur auf diese Weise die Erfassung der tatsächlichen Leistungsinanspruchnahme möglich wäre.103 Dies würde allerdings das Gebot einer universell zugänglichen Grundversorgung der gesamten Bevölkerung mit Rundfunkprogrammen verletzen.104 99 BVerfG, Beschl. v. 06.10.1992 – 1 BvR 1586 / 89, juris Rn. 76 f., BVerfGE 87, 181 ff., auch zum wörtlichen Zitat. 100 BVerfG, Entsch. v. 27.07.1971 – 2 BvF 1 / 68 u. a., juris Rn. 71, BVerfGE 31, 314 ff. = NJW 1971, 1739 (1744). 101 Eine Darstellung weiterer Entscheidungen, denen sich Aussagen über die besondere Eignung des Beitrags als Finanzierungsinstrument entnehmen lassen, findet sich bei Kube, Rechtsgutachten, S. 30 f. Indes postuliert auch er keine echte Festlegung der bisherigen Rechtsprechung auf eine bestimmte Abgabe. 102 VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 82 = DVBl. 2014, 848 ff.; Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 41 f., 44; ähnlich: Wernsmann, ZG 2015, 79 (88 f.). 103 Für ein solches Modell plädiert u. a. der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums, Gutachten, S. 35. Ähnlich bereits: Fiebig, Gerätebezogene Rundfunkgebührenpflicht, S. 410, 412; v. Münch, NJW 2000, 634 (635 f.). 104 BVerfG, Beschl. v. 24.03.1987 – 1 BvR 147 / 86 u. a., juris Rn. 81, BVerfGE 74, 297 ff.; BVerwG, Urt. v. 09.12.1998 – 6 C 13 / 97, juris Rn. 28, BVerwGE 108, 108 ff.; sehr kritisch auch: Dittmann / Scheel, Medienabgabe, S. 16, die ein derartiges Konzept für nicht näher erörterungswürdig halten.
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Kap. 2: Abgabenformen
III. Steuer Im Rahmen der Reformdiskussion befürworteten Teile der Literatur ein Steuermodell.105 Vorliegend sind die Details sowie die praktischen Vor- und Nachteile dieses Modells nicht mehr von ausschlaggebender Bedeutung, da dieser Ansatz nicht Rechtswirklichkeit wurde. Dagegen ist die grundsätz liche verfassungsrechtliche Eignung der Steuer als Finanzierungsinstrument für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk weiterhin erheblich. Hierbei steht das Modell einer staatlich erlassenen Steuer im Fokus, während ein (nur vereinzelt erwogenes) eigenes Steuererhebungsrecht der Rundfunkanstalten analog zur Kirchensteuer106 einen zu großen Eingriff in die Finanzverfassung bedeuten würde und daher offensichtlich ausscheidet107. Eine Steuerfinanzierung begegnet – ungeachtet des Problems einer derzeit fehlenden Kompetenz108 – dem Einwand, dass sie die Anforderung hinreichender Staatsferne nicht erfülle, weil dann die Länderparlamente das für 105 Jutzi, NVwZ 2008, 603 (608); ausführlicher: Waldhoff, AfP 2011, 1 (10); Terschüren, Rundfunkfinanzierung, S. 193. Keine grundlegenden Bedenken gegen eine Steuerfinanzierung nach Aufnahme einer entsprechenden Kompetenz in das Grundgesetz sehen: Korioth / Koemm, DStR 2013, 833 (836). Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums hält sowohl eine Gebühren- als auch eine Steuerfinanzierung für vorzugswürdig. Im Rahmen eines Steuermodells solle jeder Haushalt einen Gutschein zum Abruf von frei wählbaren Programmangeboten erhalten (Gutachten, S. 35). Offensichtlich geht dieses Konzept von einer Codierung des Rundfunkprogramms aus, weil sonst kein Gutschein erforderlich wäre. In diesem Fall handelt es sich aber um ein Finanzierungsmodell, das den Zugang zum Rundfunk in verfassungswidriger Weise beschränkt und den Grundversorgungsauftrag konterkariert. Des Weiteren überzeugt das Argument des Beirats nicht, wonach eine Steuerfinanzierung besser demokratisch legitimiert und kontrolliert sei sowie vor ungerechtfertigten Finanzierungsansprüchen schütze (Gutachten, S. 27, rechte Spalte). Zum einen beruht die Beitragsfinanzierung ebenso auf einer parlamentarischen Entscheidung, zum anderen ist gerade diese staatliche Kontrolle nicht erstrebenswert und mit der KEF existiert ein unabhängiges Organ für die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Die Präferenz des Beirats für ein Steuermodell und die ausschließliche Bezugnahme auf Waldhoff (S. 27, Fn. 52) könnten auf dem Umstand beruhen, dass Waldhoff Mitglied dieses Gremiums ist. Wer sich faktisch selbst zitiert, braucht dem BVerfG keinen „selbstreferentiellen Begründungsduktus“ (S. 18) vorzuwerfen. 106 Dies hält Hasse, Finanzierung, S. 219 ff. (insbesondere S. 224), für möglich, wenn man die Verfassung entsprechend änderte. Für diese Idee war bereits Heydt, AöR 1975, 584 (609), aufgeschlossen. 107 Kube, Rechtsgutachten, S. 14 f., der auch den historischen Hintergrund und Ausnahmecharakter des Steuererhebungsrechts der Kirchen beleuchtet. Es handelte sich um eine Entschädigung für die Enteignung im Zuge der Säkularisierung. Allgemein zur Kirchensteuer: Müller-Franken, BayVBl. 2007, 33 ff. Ablehnend auch Jarass, Rechtsgutachten, S. 42; Dittmann / Scheel, Medienabgabe, S. 16. Selbst Waldhoff, AfP 2011, 1 (5), ein Befürworter eines steuerfinanzierten Rundfunks, empfiehlt dieses Steuermodell nicht.
B. Eignung der Abgaben für die Rundfunkfinanzierung 43
die Rundfunkanstalten vorgesehene Abgabenaufkommen kontrollierten.109 Zwar üben die Landesgesetzgeber auch derzeit einen mittelbaren Einfluss auf das Abgabenaufkommen der Landesrundfunkanstalten aus, indem sie die Höhe des Rundfunkbeitrags festsetzen. Ihr Einfluss ist aber insofern begrenzt, als die Landesparlamente grundsätzlich an die Vorschläge der KEF gebunden sind.110 Die KEF ließe sich natürlich gleichfalls bei einem steuerbasierten Verfahren zwischenschalten. Allerdings liegt das entscheidende Problem in dem zusätzlichen Einfluss der Parlamente, der dadurch entstünde, dass sie nicht nur die Höhe bestimmten, sondern auch die Erträge vereinnahmten und als Teil des allgemeinen Haushalts verwalteten.111 Diese Unzulänglichkeit kann selbst eine sog. Zwecksteuer nicht beheben. Die Einnahmen aus einer Zwecksteuer fließen in den allgemeinen Haushalt, bleiben jedoch ganz oder teilweise für die Finanzierung einer bestimmten Aufgabe bestimmt. Ein Beispiel für eine Zwecksteuer bildet die Energiesteuer112, deren Einnahmen gemäß Art. 1 Straßenbaufinanzierungsgesetz teilweise für Zwecke des Straßenverkehrswesens zu verwenden sind. Eine solche Zweckbindung konfligiert zwar mit dem Non-Affektationsprinzip113, wonach alle Einnahmen alle Ausgaben zu decken haben.114 Sie wird aber als zulässig angesehen, zumal das Parlament, z. B. durch ein Haushaltsge108
108 Zur fehlenden Kompetenz: Kube, Rechtsgutachten, S. 14 ff.; Jarass, Rechtsgutachten, S. 45 ff.; Korioth / Koemm, DStR 2013, 833 (836). Waldhoff, AfP 2011, 1 (4), sieht in der derzeitigen Verfassung keine Kompetenz, hält aber eine Verfassungsänderung für gangbar. 109 VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 82 = DVBl. 2014, 848 ff.; Fechner, Medienrecht, Kap. 10, Rn. 78; Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 26, 30 f.; Kube, Rechtsgutachten, S. 21 ff. 110 BVerfG, Urt. v. 11.09.2007 – 1 BvR 2270 / 05 u. a., juris Rn. 165 ff., BVerfGE 119, 181 ff.; Gounalakis / Wege, NJW 2008, 800 (801). 111 Vgl. Kube, Rechtsgutachten, S. 21 ff.; Hasse, Finanzierung, S. 212 f. 112 Kube, in: BeckOK, GG, Art. 105, Rn. 5. 113 Der Verfassungsrang dieses Prinzips ist strittig. Dagegen: Heun, in: Dreier, GG, Art. 110, Rn. 21. Dafür: Heintzen, Staatshaushalt, in: HStR, Bd. V, § 120, Rn. 47; Waldhoff, Grundzüge des Finanzrechts des GG, in: HStR, Bd. V, § 116, Rn. 140; Kube, Rechtsgutachten, S. 19. Laut Kube, Rechtsgutachten, S. 19, Fn. 80, hat das BVerfG diese Frage bisher offengelassen. Der dort zitierten Entscheidung [BVerfG, Urt. v. 20.04.2004 – 1 BvR 1748 / 99 u. a., juris Rn. 65, BVerfGE 110, 274 (294)] lässt sich aber eher eine Positionierung gegen einen Verfassungsrang entnehmen. Das Judikat betraf die Strom- und Mineralölsteuer, deren Aufkommen zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge vorgesehen war: „Diese Zweckbindung von Einnahmen ist jedoch verfassungsrechtlich unbedenklich. Allgemein wird davon ausgegangen, dass dem Grundsatz der Gesamtdeckung des Haushalts Verfassungsrang nicht zukommt. Es kann dahinstehen, ob diese Auffassung uneingeschränkt zutrifft.“ 114 Heintzen, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 110, Rn. 6.
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Kap. 2: Abgabenformen
setz als lex posterior, die Zweckbindung wieder aufheben kann.115 Diese Möglichkeit zur Aufhebung der Zweckbindung würde einen steuerfinanzierten Rundfunk zugleich anfällig für politische Einflussnahme machen. Eine echte Absonderung der für die Rundfunkfinanzierung gedachten Einnahmen vom allgemeinen Staatshaushalt ist daher nur durch eine Entgelt- oder Sonderabgabe möglich.116 Gegen eine Steuerfinanzierung spricht zudem, dass sich die Verfassung in den letzten Jahrzehnten derart weiterentwickelt hat, dass sie mittlerweile empfindlicher gegenüber subtileren Formen staatlicher Einflussnahme auf die Rundfunkanstalten geworden ist. Dies zeigt die aktuelle Entscheidung des BVerfG zur Ausgestaltung der ZDF-Aufsichtsgremien, wonach der Anteil der staatlichen und staatsnahen Mitglieder auf ein Drittel begrenzt ist, um deren Einfluss zu beschränken.117 Art. 5 I 2 Var. 2 GG wolle nicht lediglich verhindern, dass staatliche und staatsnahe Mitglieder der Aufsichtsgremien als Gesamtheit Einfluss auf das Programm nehmen, sondern bereits die „Wahrscheinlichkeit eines solchen Zusammenwirkens“ weitgehend reduzieren.118 Das Gericht missbilligte die informellen Kommunikationsstrukturen der Mitglieder119, die darin bestanden, dass sich die Mitglieder im „SPD-Freundeskreis“ und „CDU-Freundeskreis“ vor den Sitzungen trafen und absprachen.120 Wie wichtig den Verfassungsrichtern die Rundfunkfreiheit ist, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die staatlichen und staatsnahen Mitglieder zusammen weder im Fernsehrat121 noch im Verwaltungsrat122 eine 50 %-Mehrheit besaßen. Bereits ein strukturiertes Zusammenwirken unterhalb dieses Wertes 115 Helmut Siekmann, in: Sachs, GG, vor Art. 104a, Rn. 84 f.; vgl. auch Heun, in: Dreier, GG, Art. 105, Rn. 15; Heintzen, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 105, Rn. 15. 116 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 31; Kube, Rechtsgutachten, S. 14, der von vornherein nur Entgeltabgaben als taugliche Instrumente qualifiziert. Hasse, Finanzierung, S. 218, sieht in der Zweckbindung auch keine hinreichende Gewähr für die Beschränkung staatlichen Einflusses, weil diese Bindung wieder aufgehoben werden könne. 117 BVerfG, Urt. v. 25.03.2014 – 1 BvF 1 / 11 u. a., juris Rn. 51 = NVwZ 2014, 867 ff. Dieser Entscheidung zustimmend: Dörr, JuS 2014, 664 ff.; ders., Funkkorrespondenz 21 / 2014, 6 ff.; Degenhart, K&R 2014, 340 f. 118 BVerfG, Urt. v. 25.03.2014 – 1 BvF 1 / 11 u. a., juris Rn. 53 f. = NVwZ 2014, 867 ff. 119 BVerfG, Urt. v. 25.03.2014 – 1 BvF 1 / 11 u. a., juris Rn. 54 = NVwZ 2014, 867 ff. 120 BVerfG, Urt. v. 25.03.2014 – 1 BvF 1 / 11 u. a., juris Rn. 10, 121 = NVwZ 2014, 867 ff. 121 34 von 77 (ca. 44 %): BVerfG, Urt. v. 25.03.2014 – 1 BvF 1 / 11 u. a., juris Rn. 90 = NVwZ 2014, 867 ff. 122 Sechs von 14 (ca. 43 %): BVerfG, Urt. v. 25.03.2014 – 1 BvF 1 / 11 u. a., juris Rn. 102 = NVwZ 2014, 867 ff.
B. Eignung der Abgaben für die Rundfunkfinanzierung 45
wurde als bedenklich eingestuft. Für die Rundfunkfinanzierung impliziert dies, dass das BVerfG wahrscheinlich auch die Verwaltung einer Rundfunksteuer in den Länderhaushalten sehr kritisch sähe, weil man dadurch die Einnahmen zu sehr den o. g. „Freundeskreisen“ anvertraute. In Anbetracht dieser Gefahr staatlicher Einflussnahme erscheint die Einziehung eines Beitrags durch die Rundfunkanstalten vorteilhafter. Die Verfassungsväter mögen primär an die direkte und massive Propaganda durch das NS-Regime123 gedacht haben, aber die Verfassung kann sich weiterentwickeln und einen höheren Standard an Staatsfreiheit und Meinungsvielfalt hervorbringen. Der Umstand, dass in Bayern durch Art. 23 VII 1 Bayerisches Mediengesetz (BayMG) private lokale und regionale Fernsehangebote seit dem 1. Januar 2008 aus Haushaltsmitteln gefördert werden124, stellt die fehlende Eignung der Steuer als Finanzierungsinstrument für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht infrage. Zunächst bestehen erhebliche Parallelen zwischen dem steuersubventionierten lokalen Privatfernsehen in Bayern und dem vorliegend behandelten öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Zum einen werden die unterstützten Anbieter gemäß Art. 23 II 1 BayMG analog zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit der Grundversorgung der Bevölkerung mit einem pluralistischen Qualitätsprogramm beauftragt.125 Zum anderen wird Rundfunk und damit auch der private Rundfunk in Bayern gemäß Art. 111a II 1 Bayerische Verfassung (BV) in öffentlicher Verantwortung und in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft betrieben. Dies schließt eigenverantwortlichen privaten Rundfunk im Rahmen einer klassischen dualen Rundfunkordnung wie in anderen Bundesländern aus126 und nähert die Situation des privaten und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einander an127 mit der Folge, dass sich bei der Finanzierung ähnliche verfassungsrechtliche 123 Ausführungen zum Missbrauch des Rundfunks im Nationalsozialismus bei: Gounalakis / Zagouras, AfP 2006, 93 (100 f.); Fechner, Medienrecht, Kap. 10, Rn. 5; Ricker / Schiwy, Rundfunkverfassungsrecht, Kap. A, Rn. 30 ff. 124 Bornemann / v. Coelln / Hepach / Himmelsbach / Lörz, BayMG, Bd. II, Art. 23, Rn. 16. 125 Wieland, Lokalrundfunkfinanzierung in Bayern, S. 72; Bornemann / v. Coelln / Hepach / Himmelsbach / Lörz, BayMG, Bd. II, Art. 23, Rn. 24. 126 VerfGH BY, Urt. v. 21.11.1986 – Vf. 5-VII-85 u. a. (Leitsatz 1 in juris), VerfGHE 39, 96 ff.; Albrecht Hesse, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 64 RStV, Rn. 2; Möstl, in: Lindner / Möstl / Wolff, Verfassung Bayerns, Art. 111a, Rn. 2; Wieland, Lokalrundfunkfinanzierung in Bayern, S. 9. 127 Art. 111a II 3 BV, eine für den gesamten Rundfunk in Bayern geltende Norm, begrenzt den Anteil der Vertreter von Staatsregierung und Landtag in den Kontrollorganen auf ein Drittel. Interessant ist auch der Umstand, dass sich das BVerfG (Urt. v. 25.03.2014 – 1 BvF 1 / 11, juris Rn. 55 = NVwZ 2014, 867 ff.) bei der Entscheidung zur Besetzung des Fernseh- und Verwaltungsrats des ZDF an dieser Norm orientierte.
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Kap. 2: Abgabenformen
Anforderungen stellen. Die steuerfinanzierte Unterstützung des privaten Lokalfernsehens in Bayern ist bisher keiner verfassungsgerichtlichen Prüfung unterzogen worden. Die Begrenzung auf den lokalen und regionalen Rundfunk mit seiner verhältnismäßig geringen Breitenwirkung lässt dieses Konzept aber eher akzeptabel, wenn auch nicht ganz unbedenklich erscheinen.128 Die Bedenken relativieren sich zudem dadurch, dass die steuerbasierten Zuwendungen nur einen untergeordneten Anteil129 des Finanzierungskonzepts der geförderten Fernsehsender bilden. Noch dazu wäre das lokale Privatfernsehen ohne staatliche Unterstützung kaum wirtschaftlich überlebensfähig.130 Flankiert wird diese Einschätzung durch die Situation des privaten Lokalfernsehens in Sachsen, das seit Januar 2015 ebenfalls finanziell (allerdings beitragsfinanziert) gefördert wird.131 Würde man den lokalen Rundfunk nicht unterstützen, wäre sein Verschwinden ein noch viel größerer Verlust für die Vielfalt der Berichterstattung, weil auf dem lokalen 128 Allerdings reduzierte das BVerfG die Vielfaltsanforderungen beim Lokalrundfunk trotz seiner geringeren Breitenwirkung nicht (BVerfG, Beschl. v. 26.10.2005 – 1 BvR 396 / 98, juris Rn. 64, BVerfGE 114, 371 ff.). Dies spräche dafür, auch bei der Finanzierung des Lokalrundfunks ähnlich strenge Anforderungen an die Staatsferne zu stellen und ein rein steuerbasiertes Modell für den Lokalrundfunk abzulehnen. 129 Im Jahr 2012 stellten die Fördergelder 25 % der Gesamteinnahmen der privaten regionalen Fernsehsender in Bayern dar (Landesmedienanstalten, Wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland 2012 / 2013, S. 167). Im Jahr 2005 lag der Anteil der Fördergelder bei ca. 36 % der Gesamteinnahmen der privaten Lokalfernsehsender in Bayern, und die Gesamteinnahmen aller Fernsehstationen beliefen sich auf ca. 29,4 Mio. €: Goldhammer / Wiegand / Polley, Lokales Fernsehen in Bayern, S. 33 (zum Gesamtbetrag), S. 37 (zum Anteil). Die Bayerische Regierung plant für die Jahre 2014 bis 2016 den Einsatz von Fördermitteln i.H.v. bis zu 10 Mio. € jährlich: Bay LT-Drs. 16 / 13457, S. 8. 130 Die regionalen privaten Fernsehsender arbeiteten in den letzten Jahren kaum kostendeckend und schätzen ihre Situation pessimistisch ein: Landesmedienanstalten, Wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland 2012 / 2013, S. 166 (zur Kostendeckung) und S. 171 (zur Einschätzung der Situation). Vgl. auch folgende Studien mit ähnlichen Ergebnissen: Goldhammer / Wiegand / Polley, Lokales Fernsehen in Bayern, S. 145 ff.; Seufert / Schulz / Brunn, Lokales Fernsehen in Ostdeutschland, S. 55 f., 65 f. 131 § 28 I 2 Nr. 18 Sächsisches Privatrundfunkgesetz (SächsPRG) i. V. m. § 3 I 2 der Satzung der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien zur Förderung der Verbreitungskosten lokaler Fernsehsender in Sachsen vom 26. Januar 2015. Der Sächsische Landtag war fachkundig beraten durch Prof. Dr. Gouna lakis, der den Verfasser über die Planungen dankenswerterweise informierte, um die hiesige wissenschaftliche Arbeit zu unterstützen. Zum Gesetzentwurf der Fraktionen CDU und FDP vom 14.04.2014: Sachsen LT-Drs. 5 / 14243; Wortprotokoll der Anhörung durch den Ausschuss des Sächsischen Landtags für Wissenschaft, Hochschule, Kultur und Medien am 02.06.2014 (Apr 5 / 8-48 A, insbesondere S. 11 ff. zur Europarechtskonformität und S. 21 f. zur Vereinbarkeit mit § 40 Rundfunkstaatsvertrag); Änderung des Sächsischen Privatrundfunkgesetzes, insbesondere Einfügung des § 28 I 2 Nr. 18 SächsPRG: GVBl. 2014, Nr. 10, S. 374.
B. Eignung der Abgaben für die Rundfunkfinanzierung 47
und regionalen Zeitungsmarkt eine sehr ausgeprägte Monopolisierung existiert.132 2006 bestand in den neuen Bundesländern in ca. 73,5 % und in den alten Bundesländern in ca. 54,6 % aller Zeitungskreise ein Zeitungsmonopol. Selbst das Vorhandensein mehrerer Zeitungen innerhalb einer Region muss nicht zwangsläufig mehr Wettbewerb und Meinungsvielfalt bedeuten, da mehrere Zeitungen zur selben Verlagsgruppe gehören können.133 Diese Gefahr einer homogenen Berichterstattung verbunden mit der Abnahme interund intramediärer Kritik ist besorgniserregend.134 Daher lässt sich insgesamt der Schluss ziehen, dass die steuerbasierte Unterstützung privater Fernsehveranstalter eine Sonderstellung einnimmt und für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine Vorbildwirkung entfaltet.
IV. Finanzierungssonderabgabe Die oben formulierten Bedenken hinsichtlich der fehlenden Staatsferne greifen nicht bei der Einführung einer Finanzierungssonderabgabe, weil deren Einnahmen in einen Sonderfonds flössen.135 Ferner lässt sich die Eignung der Sonderabgabe für die Rundfunkfinanzierung nicht bereits mit dem Argument anzweifeln, dass ihre Notwendigkeit vom Gesetzgeber periodisch zu überprüfen sei und hierdurch eine mittelbare landesparlamentarische Kon trolle entstünde.136 Schließlich wird jedes Finanzierungsinstrument, gerade auch der Rundfunkbeitrag, in regelmäßigen Zeitabschnitten evaluiert und – meist im Hinblick auf die Beitragshöhe – angepasst. Dieses Maß an parlamentarischem Einfluss, eingeschränkt durch die Vorgaben der KEF, ist akzeptabel. Auch der Umstand, dass Sonderabgaben regelmäßig temporäre Einrichtungen darstellen (sollen)137, konstituiert kein entscheidendes Hindernis, weil manche Sonderabgaben bereits seit Jahrzehnten existieren und sogar älter als das Grundgesetz sind. Die erst kürzlich vom BVerfG bestätigte138 132 BGH,
Urt. v. 20.11.2003 – I ZR 151 / 01, juris Rn. 25, BGHZ 158, 55 ff. Lokales Fernsehen in Ostdeutschland, S. 31. 134 Zur Konzentration im Medienbereich und zu ihren Gefahren für den Pluralismus: Gounalakis / Zagouras, AfP 2006, 93 ff.; dies., Medienkonzentrationsrecht, S. 34 ff., 191 ff. Mit Fokus auf die europäische Dimension: dies., ZUM 2006, 716 ff.; dies., JZ 2008, 652 ff.; Helwig, Europäisches Medienkonzentrationsrecht, S. 26 ff. 135 Vgl. Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 31. 136 So der Einwand von Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 35 f.; bereits zuvor: Dittmann / Scheel, Medienabgabe, S. 45 f. 137 Zu diesem Kritikpunkt ebenfalls Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 35 f.; Kube, Rechtsgutachten, S. 24 f.; Dittmann / Scheel, Medienabgabe, S. 45 f. 138 BVerfG, Beschl. v. 06.05.2014 – 2 BvR 1139 / 12 u. a., juris Rn. 110 f. (zur bundesweiten Weinabgabe) und Rn. 180 f. (zur rheinland-pfälzischen Weinabgabe) = HFR 2014, 745 ff. 133 Seufert / Schulz / Brunn,
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Kap. 2: Abgabenformen
Weinabgabe wurde ursprünglich 1943 länderübergreifend eingeführt und z. B. in Rheinland-Pfalz 1947 in Form eines Parlamentsgesetzes verankert139. Die Filmförderabgabe besteht seit 1968140 und die Schwerbehindertenabgabe seit 1974141. Zutreffend ist aber der Einwand, dass es sich bei Sonderabgaben um ein besonders rechtfertigungsbedürftiges Ausnahmekonstrukt handelt.142 Die Grenze zur Steuer darf nicht verwischen. Daher darf sich der Kreis der Belasteten nicht mit der Allgemeinheit der Steuerzahler decken143, wie die Verfassungswidrigkeit des sog. Kohlepfennigs zeigte, der jeden Stromverbraucher und damit faktisch jeden Bürger belastete144. Da der Rundfunkkonsum ähnlich weit verbreitet ist, unterschiede sich der Kreis der Sonderabgabenpflichtigen nicht von der Allgemeinheit145, dies aber wäre nach bisheriger Rechtsprechung des BVerfG unzulässig. Bei einem Beitrag hingegen steht der Vorteilsausgleich im Fokus, und der Größe der Beitragsgruppe sind keine derartigen verfassungsgerichtlichen Grenzen gesetzt.146 Außerdem würde eine Rundfunksonderabgabe nicht voraussetzungslos erhoben, weil der Abgabenschuldner durch das Angebot der öffentlich-rechtlichen Anstalten eine Gegenleistung erhielte.147 Aus diesen Gründen bedeutet eine Rundfunksonderabgabe einen zu großen und somit abzulehnenden dogmatischen Bruch im Recht der Sonderabgaben.148
V. Beitrag Der Beitrag qualifiziert sich in besonderer Weise für die Rundfunkfinanzierung, da er sowohl die Unabhängigkeit von Einschaltquoten als auch die notwendige Staatsferne gewährleistet. Er wird lediglich für ein Leistungsangebot entrichtet und kann folglich im Gegensatz zur klassischen Gebühr 139 BFH,
Urt. v. 30.04.1953 – V 84 / 51 S, juris Rn. 2 f., BFHE 57, 473 ff. Urt. v. 28.01.2014 – 2 BvR 1561 / 12 u. a., juris Rn. 2 = NVwZ 2014, 646 ff.; BGBl. 1967, S. 1352 i. V. m. S. 1357. 141 BVerfG, Urt. v. 26.05.1981 – 1 BvL 56 / 78, BVerfGE 57, 139 ff.; BGBl. 1974, S. 1005 i. V. m. S. 1009. 142 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 32. 143 Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 157. 144 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1994 – 2 BvR 633 / 86, juris Rn. 91, BVerfGE 91, 186 ff. 145 Ausführlich zur Ähnlichkeit zwischen dem Rundfunkbeitrag und dem Kohlepfennig sub Kap. 3 B. I. 4. b). 146 Zur fehlenden Limitierung der Gruppengröße im Beitragsrecht: BVerfG, Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 52 = WM 2014, 1693 ff. 147 Kube, Rechtsgutachten, S. 25. 148 Ähnlich: Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 36; Dittmann / Scheel, Medienabgabe, S. 46, 74. 140 BVerfG,
B. Eignung der Abgaben für die Rundfunkfinanzierung 49
unabhängig von einer tatsächlichen Rundfunknutzung erhoben werden.149 Die Rundfunkanstalten können den Beitrag wie bisher über den Beitrags service selbst einziehen und verwalten, sodass eine – auch nur mittelbare – Kon trolle, wie sie bei einer Steuer zu befürchten wäre, ausgeschlossen ist.150 Zudem besteht für einen Rundfunkbeitrag im Unterschied zu einer Rundfunksteuer bereits eine Gesetzgebungskompetenz der Länder nach Art. 70 ff. GG.151 Der Umstand, dass der Kreis der Beitragsschuldner in der Allgemeinheit aufgeht, begründet im Gegensatz zur Finanzierungssonderabgabe kein Hindernis und traf im Wesentlichen bereits auf die alte „Rundfunkgebühr“ zu.152 Das BVerfG hält es ebenfalls für verfassungsrechtlich zulässig, dass ein Beitrag eine „unbestimmte Vielzahl von Bürgern“ belastet.153 Insgesamt betrachtet war damit die Entscheidung, das Rundfunkbeitragsrecht weiterzuentwickeln und keinen tiefgreifenderen Systemwechsel zu einer anderen Abgabe zu wagen, richtig. Dagegen ist der Vorschlag eines steuer- bzw. gebührenfinanzierten Rundfunks durch den Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums nicht praktisch verwertbar, weil sich das Gutachten mehr darauf konzentriert, die rundfunkrechtliche Judikatur des BVerfG zu kritisieren und dem Gericht eine „Denkblockade“154 vorzuwerfen, anstatt die Rechtsprechung als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines verfassungskonformen Finanzierungsmodells heranzuziehen. Zwar resultiert aus den vorstehenden Überlegungen die abstrakte Eignung des Beitrags als Finanzierungsinstrument, aber der Rundfunkbeitrag müsste auch tatsächlich die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen eines Beitrags erfüllen, was vielfach infrage gestellt wurde und daher eine ausführliche Erörterung verdient.
149 Paul
Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 44; Kube, Rechtsgutachten, S. 27, 29. Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 30 f., 44 ff. 151 Zur Kompetenz für den Rundfunkbeitrag: Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 43 f. 152 Gersdorf, in: Gersdorf / Paal, Medienrecht, § 1 RBStV, Rn. 3. 153 BVerfG, Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 52 = WM 2014, 1693 ff.; zustimmend: Wernsmann, ZG 2015, 79 (85). 154 Wissenschaftlicher Beirat des Bundesfinanzministeriums, Gutachten, S. 19, rechte Spalte. Deutliche Kritik an der Rechtsprechung des BVerfG findet sich auch auf S. 18, rechte Spalte. Der Umstand, dass der Beirat den Rundfunkbeitrag durchgehend polemisch als Zwangsabgabe bezeichnet (vgl. z. B. S. 11), spricht nicht gerade für die Neutralität des Gutachtens. 150 Paul
Kapitel 3
Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags Der RBStV vermutet unwiderlegbar einen besonderen Vorteil jedes Wohnungs- bzw. Betriebsstätteninhabers aus dem Angebot der öffentlich-recht lichen Rundfunkanstalten. Teile der Literatur sind jedoch der Ansicht, dass diese Vermutung im Hinblick auf Personen ohne Empfangsgerät unzutreffend sei und diese Beitragsschuldner wie bei einer Steuer voraussetzungslos belastet würden. Bei der anschließenden Erörterung liegt der Fokus zunächst auf der allgemeinen dogmatischen Frage, ob eine unwiderlegbare Vorteilsvermutung an sich zulässig ist (A.), bevor auf das Vorliegen eines Sondervorteils bei Fehlen eines Empfangsgeräts eingegangen wird (B.). Es handelt sich hierbei um zwei eigenständige Argumentationsstränge. Denn wenn eine unwiderlegbare Vermutung möglich wäre, könnte die Frage dahinstehen, ob einzelne Personen ohne Empfangsgerät tatsächlich einen Vorteil besitzen. Umgekehrt könnte die Problematik einer unwiderlegbaren Vorteilsvermutung in gleicher Weise offenbleiben, wenn jeder Betroffene einen Vorteil genösse, weil dann keine echte Vermutung, sondern vielmehr ein Abbild der Realität gegeben wäre. Zur begrifflichen Klarstellung ist zu Beginn anzumerken, dass es keinen relevanten Unterschied begründet, ob ein Gesetz einen Vorteil unwiderlegbar vermutet oder fingiert. Es handelt sich lediglich um eine Frage der Gesetzestechnik.155 Vorliegend wird im Hinblick auf den Rundfunkbeitrag der Begriff der unwiderlegbaren Vermutung gebraucht. Diese Termini sind zudem eng mit dem Begriff der Typisierung verknüpft.156 Die Reformbefür155 BVerwG, Beschl. v. 20.11.1995 – 6 B 73 / 95, juris Rn. 4 = Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 77. In diese Richtung gehen auch die Ausführungen des VGH München zu der Frage, ob es sich bei § 1 III 1 RGebStV um eine Vermutung, Fiktion oder definitorische Fiktion handelt. Nach dieser Norm galt der Zulassungsinhaber als Rundfunkteilnehmer. Zwar unterscheidet das Gericht die verschiedenen Kategorien, betont aber zugleich deren Austauschbarkeit: VGH München, Urt. v. 10.03.2008 – 7 BV 07.765, juris Rn. 21 = ZUM-RD 2008, 625 ff. 156 Eine sehr viel differenziertere Darstellung des Verhältnisses von Typisierung und Fiktion findet sich bei: Jachmann, Fiktion im öffentlichen Recht, S. 209–226. Sie stellt ebenso eine enge Übereinstimmung zwischen Typisierung, Fiktion und unwiderlegbarer Vermutung fest (S. 209 f.), weil alle Instrumente der Gleichbehand-
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV51
worter stellen auf die Möglichkeit zur Typisierung ab, um die vorgenannte Gesetzestechnik und die mit ihr verbundene Gleichbehandlung von möglicherweise Ungleichem (Beitragsschuldner mit und ohne Empfangsgerät) zu rechtfertigen.
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV Die Einführung einer unwiderlegbaren Vorteilsvermutung bildet den Kern und zugleich den am meisten umstrittenen Aspekt der Reform. Zunächst wird erläutert, was den Gesetzgeber dazu bewogen hat, sich für dieses Reformmodell zu entscheiden (I.), obwohl er am Anfang der Reformplanungen auch eine widerlegbare Vermutung in die engere Wahl gezogen hatte157. Ergänzt wird diese Untersuchung durch Ausführungen zu Kirchhofs Gutachten (II.), weil sich der Gesetzgeber im Wesentlichen hieran orientierte und es profundere Aufschlüsse über das Konzept der unwiderlegbaren Vermutung bietet. Danach werden Einwände der Literatur gegen Kirchhofs Konzept im Besonderen und die Unwiderlegbarkeit der Vermutung im Allgemeinen erörtert (III.). Anschließend erfolgt die Verknüpfung zur juristischen Praxis, wobei sich gleichzeitig der Fokus erweitert, indem die bisherige Rechtsprechung zur Notwendigkeit eines tatsächlichen und nicht nur vermuteten Vorteils bereichsübergreifend analysiert wird (IV.). Am Ende prüft diese Arbeit, ob der RBStV die Anforderungen der Rechtsprechung an eine zulässige Typisierung wahrt. Hierfür ist insbesondere entscheidend, ob das alternative Reformkonzept einer widerlegbaren Vermutung ebenfalls praktikabel gewesen wäre (V.).
I. Gesetzgeberische Motive für die Unwiderlegbarkeit der Vermutung Der Gesetzgeber entschied sich für die Unwiderlegbarkeit der vermuteten Rundfunkteilnahme, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk der gesamten lung von Ungleichem dienen könnten. Der Begriff Typisierung sei aber weiter gefasst, da er auch Gleichbehandlungen umfasse, die nicht in der Art einer Fiktion erfolgten. Jedoch legt sie sich nicht darauf fest, ob es sich bei der Fiktion um das speziellere Institut handelt, weil nicht jede Gesetzesfiktion zugleich eine Typisierung beinhalte. Jachmann begreift die Typisierung eher als das Ziel, während Fiktionen und Vermutungen die gesetzlichen Methoden zur Zielerreichung darstellten. Diesbezüglich weicht der hier vertretene Standpunkt geringfügig ab, indem die Typisierung als Rechtfertigungsgrund begriffen wird. Auch das BVerfG führt die Typisierungsbefugnis als Rechtfertigung für einen Gleichheitsverstoß an: BVerfG, Urt. v. 10.05.1962 – 1 BvL 31 / 58, juris Rn. 86 ff., BVerfGE 14, 76 ff. 157 Eicher, MP 2012, 614 (615).
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
Gesellschaft nutze. Die Beitragspflicht knüpfe an die „theoretische Möglichkeit der Nutzung“ an. In ganz Deutschland könne technisch der Empfang von Rundfunk ermöglicht werden, und daher lasse sich gegen die Beitragspflicht nicht einwenden, dass in der konkreten Wohnung keine Rundfunknutzung erfolge resp. keine technischen Empfangseinrichtungen bestünden. Die fehlende Relevanz des Bereithaltens eines Empfangsgeräts sei ferner der Medienkonvergenz geschuldet, die dazu führe, dass heutige Endgeräte unterschiedlichste Angebote wiedergeben könnten und Hörfunk- und Fernsehangebote zunehmend seltener auf speziellen Empfangsgeräten abgerufen würden. Zudem sei das Bereithalten portabler Endgeräte kaum bzw. nur mit großem Aufwand zu kontrollieren, und diese Nachforschungen griffen in die Privatsphäre der Beitragszahler ein.158 Gerade der weiter oben erwähnte Nutzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die gesamte Gesellschaft ist ein von Kirchhof akzentuierter Gedanke, der im Folgenden ausführlicher dargestellt wird.
II. Vorstellung von Kirchhofs Konzept Zwar wird Kirchhof zu den Befürwortern einer unwiderlegbaren Vermutung gezählt159, aber seine Ausführungen erweisen sich als mehrdeutig160. Denn er macht die Notwendigkeit einer widerlegbaren Vermutung von den alternativen Konzepten einer „anstaltsbezogenen Verteilungsgerechtigkeit“ und einer „nutzerbezogenen Tauschgerechtigkeit“161 abhängig: Die „anstaltsbezogene Verteilungsgerechtigkeit“ würdige „die Wirkung der Rundfunkprogramme als allgemein zugängliche Quellen individuellen und öffentlichen Wissens“. „Eine Finanzierung der allgemein zugänglichen Quelle belastet grundsätzlich jedermann im Einwirkungsbereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, weil er den Vorteil hat, nach individuellem Belieben auf diese Quelle (…) zurückzugreifen. Diese Bemessungsgrund lage betont die Unabhängigkeit der Rundfunkfinanzierung von der tatsächlichen Nutzung der einzelnen Sendungen (Quote), begründet die Beitragslast mit dem strukturellen Vorteil, den jedermann aus dem Wirken der öffentlich158 BW
LT-Drs. 15 / 197, S. 34. K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 7, linke Spalte. 160 Der StGH BW führte – im Rahmen einer unzulässigen Verfassungsbeschwerde gegen den RBStV – aus, dass eine Entgeltabgabe einen widerlegbaren Wahrscheinlichkeitsmaßstab erfordere, und zitierte hierfür Kirchhofs Rechtsgutachten: StGH BW, Beschl. v. 19.08.2013 – 1 VB 65 / 13, juris Rn. 15 = VBlBW. 2014, 218 ff. 161 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 61. 159 Degenhart,
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV53
rechtlichen Rundfunkanstalten zieht.“162 Bei diesem Konzept sei eine Widerlegbarkeit der Vermutung nicht erforderlich.163 Dagegen basiere das Konzept der „nutzerbezogenen Tauschgerechtigkeit“ auf der Überlegung, dass der Beitrag „ein Entgelt für die vermutete individuelle Nutzung der Programme“ darstelle.164 Dies entspreche der „traditionellen Konzeption eines Beitrags“, die einen Vorteilsausgleich von demjenigen fordere, der das öffentlich-rechtliche Rundfunkangebot üblicherweise nutze.165 Die Anforderungen an dieses Konzept beschreibt er wie folgt: „Eine von der tatsächlichen Nutzbarkeit abhängige Entgeltabgabe hingegen fordert einen widerlegbaren Wahrscheinlichkeitsmaßstab, bei dem ein nach den tatsächlichen Verhältnissen nicht Nutzungsfähiger oder ein Nichtempfänger des Angebots die gesetzliche Vermutung widerlegen, sich insoweit von der Beitragspflicht befreien kann.“166 „Da der Beitrag in der Tradition des deutschen Beitragsrechts eher den öffentlich-rechtlichen Vorteilsausgleich regelt, den Vermögenswert eines Vorzugsangebotes abschöpft, den Interessenten an den Kosten einer öffentlichen, ihm einen individualisierbaren Vorteil anbietenden Einrichtung beteiligt, erscheint es (…) geboten, eine widerlegbare Regelvermutung zu schaffen, also in der Beitragsbemessungsgrundlage eine allgemeine Nutzbarkeit des generellen Programmangebotes zu vermuten, dessen Widerlegung aber in einem individuellen Antragsverfahren zuzulassen.“167 Auch wenn sich Kirchhof hinsichtlich der Notwendigkeit einer Widerlegungsmöglichkeit nicht eindeutig festlegt, ist doch erkennbar, dass er ihr kein besonderes Gewicht beimisst. Denn ihr soll im Rahmen des Konzepts einer nutzerbezogenen Tauschgerechtigkeit „kaum praktische Bedeutung“168 zukommen, und er beschreibt den Bewohner einer Alpenhütte mit Funkloch als ein Beispiel, in dem die Vermutung nicht zutreffe169. Für Kirchhof entspricht die Vermutung, dass jeder die Möglichkeit zum Empfang der öffentlich-rechtlichen Programme habe, einer realitätsgerechten Typisierung.170 Dem Gesetzgeber sei es im Rahmen seiner Typisierungsbefugnis gestattet, sich am Regelfall zu orientieren und atypische Fälle zu vernachlässigen, weil die Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls einen enor162 Paul 163 Paul 164 Paul 165 Paul 166 Paul 167 Paul 168 Paul 169 Paul 170 Paul
Kirchhof, Kirchhof, Kirchhof, Kirchhof, Kirchhof, Kirchhof, Kirchhof, Kirchhof, Kirchhof,
Rechtsgutachten, Rechtsgutachten, Rechtsgutachten, Rechtsgutachten, Rechtsgutachten, Rechtsgutachten, Rechtsgutachten, Rechtsgutachten, Rechtsgutachten,
S. 59 f. S. 61. S. 59. S. 60. S. 61. S. 62. S. 62. S. 61. S. 62.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
men Verwaltungsaufwand der GEZ sowie Nachforschungen in Wohnungen und damit Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 13 GG zur Folge hätte. Diese Ermittlungen seien aber aufgrund der geringen Größe der heutigen Empfangsgeräte und ihrer Multifunktionalität als Folge der Konvergenz kaum Erfolg versprechend.171 Insgesamt wird man Kirchhof so aufgrund der eng gefassten Ausnahmetatbestände berechtigterweise zu den Vertretern einer unwiderlegbaren Vorteilsvermutung zählen können. Das Konzept der unwiderlegbaren Vermutung auf der Basis einer Typisierungsbefugnis erhält Zustimmung von Teilen der Literatur172 und den Verfassungsgerichtshöfen in Rheinland-Pfalz und Bayern173. Gerade die unkritische Gefolgschaft der beiden Gerichte in Bezug auf die Modelle einer Verteilungs- und Tauschgerechtigkeit ist bemerkenswert, weil diese Konzepte erstmals im Rahmen der Reform der Rundfunkfinanzierung entwickelt wurden und eigentlich verstärkten Erörterungsbedarf begründen sollten. Daher wird im Anschluss näher auf die Einwände der Gegner eingegangen.
III. Kritik an der unwiderlegbaren Vorteilsvermutung Im Folgenden wird das Konzept einer unwiderlegbaren Vorteilsvermutung kritisch gewürdigt. Hierbei werden zunächst Einwände erörtert, die sich speziell gegen den Rechtfertigungsansatz Kirchhofs (1.) richten, bevor die generellen Bedenken an einer unwiderlegbaren Vermutung dargestellt werden (2.). 1. Spezielle Einwände gegen Kirchhofs Gutachten Kirchhof bleibt mit seinen Konzepten einer Verteilungs- und Tauschgerechtigkeit eine Antwort schuldig, wie es zulässig sein soll, einen Beitrag an zwei verschiedenen Prüfungsmaßstäben zu messen. Dieser Dualismus findet in der Verfassung ebenso wenig eine Stütze wie einst der sog. Halbteilungsgrundsatz174. Ein Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers 171 Paul
Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 53 ff. K&R 2012, 5 (9); Gall / Schneider, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, RBStV, Vorb., Rn. 29 f.; Schneider, NVwZ 2013, 19 (22); ders., ZUM 2013, 472 (474); ders., DStR 2014, 509 (510); Bornemann, K&R 2013, 557 (558); Kube, Rechtsgutachten, S. 51 f.; Wernsmann, ZG 2015, 79 (84, 87). 173 VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 116 = DVBl. 2014, 842 ff.; VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014, Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 80 = DVBl. 2014, 848 ff. Eine Besprechung beider Urteile erfolgt durch Henneke, DVBl. 2014, 854 ff. 174 Der sog. Halbteilungsgrundsatz beinhaltete eine steuerliche Belastungsobergrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand. 172 Bosman,
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV55
kann nicht als Rechtfertigung dienen, da die Mindestanforderungen der Verfassung an die Ausgestaltung eines Beitrags immer gleich sein müssen und der einfache Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nicht beeinflussen kann.175 Dieser Widerspruch wird auch augenfällig, wenn Kirchhof vom „Beitrag in der Tradition des deutschen Beitragsrechts“176 spricht, der eine widerlegbare Regelvermutung geboten erscheinen lasse. Wenn eine Beitragsfinanzierung traditionell nach einer widerlegbaren Regelvermutung verlangt, dann muss dies unabhängig von den Konzepten einer anstaltsbezogenen Verteilungsgerechtigkeit und einer nutzerbezogenen Tauschgerechtigkeit gelten. Darüber hinaus erscheint es nicht zweckdienlich, zwei neue Begriffspaare zu kreieren, weil man deren Inhalt ebenfalls unter Rückgriff auf beitragsrechtlich etablierte und durch die Rechtsprechung konturierte Termini hätte erläutern können. Hierfür käme die später177 vorgestellte Unterscheidung in unmittelbare (Bereithalten eines Empfangsgeräts) und mittelbare Vorteile (Fehlen eines Empfangsgeräts) in Betracht. Diese Differenzierung ist jedenfalls zielführender, als den Begriff des „strukturellen Vorteils“178 – ein beitragsrechtlicher Neologismus – einzuführen. Des Weiteren würde durch die Verwendung etablierter Begrifflichkeiten die Kontinuität in der Abgabe, die Kirchhof selbst als einen wichtigen Aspekt der Reform betont179, besser ersichtlich. Dieses Prinzip wurde aus dem Adverb „zugleich“ in Art. 14 II 2 GG abgeleitet. Es geht auf Paul Kirchhof zurück und fand 1995 Eingang in ein obiter dictum des BVerfG: Beschl. v. 22.06.1995 – 2 BvL 37 / 91, juris Rn. 52, BVerfGE 93, 121 ff. Nach dem Ausscheiden Kirchhofs aus dem 2. Senat wurde diese Idee 2006 wieder aufgegeben: Beschl. v. 18.01.2006 – 2 BvR 2194 / 99, juris Rn. 26, 41–43, BVerfGE 115, 97 ff. Der Halbteilungsgrundsatz begründete in der Zwischenzeit nur Rechtsunsicherheit. Paul Kirchhof, Die Steuern, in: HStR, Bd. V, § 118, Rn. 118, hält jedoch weiter an ihm fest. 175 Allerdings ist es nicht gänzlich ausgeschlossen, dass der einfache Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab durch seine Entscheidung zugunsten eines bestimmten Regelungskonzepts beeinflusst, weil mit der Wahl eines Konzepts gemäß Art. 3 I GG die Verpflichtung zu seiner folgerichtigen Umsetzung verbunden sein kann, wie die verfassungswidrige Kürzung der sog. Pendlerpauschale illustriert (vgl. Kap. 4 A. II. 4. b) aa) zu diesem Themenkomplex). Daher könnten die höheren Anforderungen an die Verknüpfung von Vorteil und Last, die Kirchhof im Rahmen der Tauschgerechtigkeit an den Rundfunkbeitrag stellt, Ausfluss einer folgerichtigen Umsetzung dieses Konzepts sein. Dies unterstellt, resultierte die Möglichkeit der Vermutungswiderlegung aus dem Gleichheitssatz, während sie vorliegend der Finanzverfassung entnommen wird. 176 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 62. 177 Siehe Kap. 3 B. I. 6. 178 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 59. 179 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 49, 72, 76 f.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
Außerdem lässt sich der Aufwand der Anstalten nicht vom individuellen Vorteil des Einzelnen trennen, wie es beim Konzept der anstaltsbezogenen Verteilungsgerechtigkeit anklingt.180 Dies räumt sogar Kirchhof ein: „Die Bemessungsgrundlage des auf die Allgemeinheit verteilten Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt und des individuell vermuteten Nutzungsvorteils fließen ineinander. Aufwendungen für die allgemeine Informationsquelle wirken als Kosten der individuellen Nutzung. Deshalb empfiehlt es sich, den Beitragstatbestand so zu bemessen, dass beide Belastungsgründe – der Aufwand des Sendeanbieters und die Kosten des Sendeempfängers – ineinandergreifen. Festzuhalten bleibt allerdings, dass beide Rechtfertigungsgründe selbstständig tragen und den Belastungsgrund unterschiedlich akzentuieren. Die anstaltsbezogene Bemessung regelt eine Verteilungsgerechtigkeit, die nutzerbezogene eine Tauschgerechtigkeit.“181 Aber auch diese Darstellung, wonach es sich bei dem Aufwand der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und dem individuellen Vorteil des Nutzers um zwei eigenständige Rechtfertigungsgründe handle, ist unzutreffend. Sie stehen vielmehr in einer klassischen beitragsrechtlichen Wechselbeziehung und entsprechen eher zwei Seiten einer Medaille. Denn ein Aufwand, z. B. für die Erschließung einer Straße, ist nur insofern umlagefähig, als dem Beitragsschuldner daraus ein Sondervorteil erwächst. Andernfalls liegt ein beitragsfreier Gemeinvorteil vor.182 Der Vorteil begründet die Beitragspflicht („Ob“) und hat Bedeutung für die Aufwandsverteilung („Wie“).183 Das Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht veranschaulicht diese Wechselbeziehung sehr gut: Wenn eine Straße ausgebaut bzw. hergestellt wird, müssen die Anlieger einen Beitrag leisten, weil sie einen besonderen Vorteil erfahren („Ob“ der Beitragspflicht). Wie hoch ihr Beitrag ausfällt, bemisst sich nach der Größe der Vorteile. Die Vorteile der Anlieger sind z. B. bei Anliegerstraßen (reine Wohnstraßen) größer als bei Hauptverkehrsstraßen (Durchgangsstraßen), da Anliegerstraßen überwiegend von Anliegern und in 180 Dies kritisierte auch Kube (Rechtsgutachten, S. 48, der Bezug zu Kirchhofs Konzept folgt aus Fn. 189), der im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen einer anstaltsbezogenen Verteilungsgerechtigkeit und einer nutzerbezogenen Tauschgerechtigkeit Folgendes ausführt: „Dennoch bleibt zu bedenken, dass sich das Entgelt (…) auch im Fall des vom konkreten Nutzen abstrahierenden Beitrags allein durch den individuellen Vorteilsausgleich rechtfertigt, nicht durch die Finanzierungsbedürftigkeit einer bestimmten Einrichtung. Dies gilt auch dann, wenn diese Einrichtung – wie hier – gewichtige Grundrechte gewährleistet (…).“ 181 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 60. 182 Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, § 15, Rn. 1, § 16, Rn. 1, § 34, Rn. 2. 183 BVerfG, Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 43 f. = WM 2014, 1693 ff.; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, § 9, Rn. 2.
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV57
geringerem Umfang von der Allgemeinheit genutzt werden. Entsprechend ist bei Anliegerstraßen der umlagefähige Beitrag höher und der Gemeindeanteil niedriger.184 Im Rundfunkrecht besteht im direkten Vergleich zum Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht u. a. die Besonderheit, dass kein beitragsfreier „Gemeinanteil“ bejaht wird. Ein Ineinandergreifen des Aufwands der Sendeanbieter einerseits und der Kosten des Sendeempfängers (als Ausfluss seines individuellen Vorteils) andererseits „empfiehlt“185 sich nicht lediglich, sondern ist vielmehr geboten. Dagegen wählt der Gedanke der anstaltsbezogenen Verteilungsgerechtigkeit eine systemfremde Vorgehensweise, indem er den Aufwand der Anstalten zu sehr in den Fokus stellt und eine vorteilsunabhängige Verteilung postuliert.186 Abschließend erweitert sich die Betrachtung und berücksichtigt eine weitere Publikation Kirchhofs, mit der sein Gutachten nicht ganz kongruiert. Im „Handbuch des Staatsrechts“ stellte Kirchhof höhere Anforderungen an das Vorliegen eines Vorteils und sah die Typisierung etwas kritischer: „Je mehr sich die individuelle Finanzierungsverantwortlichkeit der Beitragsschuldner in allgemeine Vermutungen und Typisierungen verflüchtigt, die persönliche Finanzierungsverantwortlichkeit des Abgabenschuldners sich also in der Allgemeinheit einer Gemeinlast verliert, desto mehr nähert sich der Beitrag der Steuer an und verliert seine Berechtigung neben der Steuer. (…) Fordert ein Beitrag keinen Ausgleich für einen der Gruppe der Beitragsschuldner zurechenbaren Aufwand, sondern belastet er lediglich eine Gruppe, der aus Leistungszuwendungen an die Allgemeinheit oder an einen Dritten Vorteile zuwachsen, so ist diese Abgabe eine Steuer. (…) Eine Abgabe ist jedenfalls immer dann eine Steuer und kein Beitrag, wenn sie Begünstigte und Nichtbegünstigte zur Finanzierung einer staatlichen Leistung heranzieht.“187 Selbst wenn man sich von diesem inkonsequenten Gutachten und seinen zwei Modellen löst, begegnet eine unwiderlegbare Vorteilsvermutung erheblichen, im Folgenden zu erörternden Bedenken. 2. Generelle Bedenken gegen die unwiderlegbare Vorteilsvermutung Teile der Literatur sind der Auffassung, dass ein beitragsrechtlicher Sondervorteil lediglich im Fall des Bereithaltens eines Empfangsgeräts gegeben 184 Driehaus,
Erschließungs- und Ausbaubeiträge, § 34, Rn. 17. Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 60. 186 Vgl. zur Kritik: Fn. 180. 187 Paul Kirchhof, Nichtsteuerliche Abgaben, in: HStR, Bd. V, § 119, Rn. 64. Teile dieses Zitats hält auch Degenhart (K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 12) Kirchhof vor. 185 Paul
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
sei. Die jetzige Beitragslast knüpfe an die Inhaberschaft von Raumeinheiten an, aber die Möglichkeit, dort Rundfunk zu empfangen, stelle keinen individualisierbaren Vorteil dar, der diesen Raumeinheiten zugeordnet werden könne. Die Informationskultur und die Bedeutung des Rundfunks für die freiheitlich demokratische Grundordnung begründeten keinen individuellen Sondervorteil der Beitragsschuldner.188 Das Abstellen auf die demokratische Grundordnung belege den Charakter einer Gemeinlast.189 Für eine Gemeinlast spreche weiterhin, dass der Kreis der Rundfunkbeitragsschuldner nicht mehr hinreichend von der Allgemeinheit abgrenzbar sei, indem jeder Wohnungsinhaber erfasst werde.190 Auch die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers legitimiere die Beitragsbelastung trotz Fehlens eines Empfangsgeräts nicht, da sich die Typisierungsbefugnis nur auf den Abgabenmaßstab („Wie“), nicht aber auf den Abgabengrund („Ob“) beziehe. Typisierungen und Pauschalierungen würden hauptsächlich im Steuerrecht angewandt, bezögen sich dort auf die nähere Ausgestaltung der Besteuerung und könnten nicht mit dem Ziel auf das Beitragsrecht übertragen werden, eine Beitragslast ohne Sondervorteil zu begründen. Dies habe bereits für die alte gerätebezogene Rundfunkgebühr gegolten, bei der der Nutzungsvorteil durch das Bereithalten eines Rundfunkempfangsgeräts tatsächlich vorhanden sein musste und nicht in typisierender Weise übergangen werden durfte. Die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers umfasse nicht die schlichte Unterstellung eines Nutzungsvorteils191, dessen tatsächliches Vorliegen vielmehr die verfassungsrechtliche Legitimation eines Beitrags begründe192. Aber selbst wenn eine Typisierung hinsichtlich der Existenz eines Vorteils abstrakt gesehen zulässig wäre, dürfte sie im Fall des Rundfunkbeitrags 188 Diese Einwände erheben, mit jeweils etwas unterschiedlicher Akzentuierung: v. Münch, Rechtspolitik, S. 171, 180 f. (betont die Bedeutung des Privatfernsehens und der Presse als ebenfalls wichtige Informationsquellen); Geuer, MMR-Aktuell 2012, 335995; Degenhart, K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 3, rechte Spalte; Korioth / Koemm, DStR 2013, 833 (834 f.); Exner / Seifarth, NVwZ 2013, 1569 (1571 f.); Koblenzer / Günther, Rechtsgutachten, S. 18 f.; im Ergebnis auch: Jarass, Rechtsgutachten, S. 33 f.; Dittmann / Scheel, Medienabgabe, S. 19, 28 f.; Wissenschaftlicher Beirat des Bundesfinanzministeriums, Gutachten, S. 34, der den Rundfunkbeitrag ohne nähere Begründung als Steuer rubriziert und polemisch als Zwangsabgabe bezeichnet. 189 Korioth / Koemm, DStR 2013, 833 (834 f.); Degenhart, K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 3, rechte Spalte. 190 Korioth / Koemm, DStR 2013, 833 (834 f.); Bölck, NVwZ 2014, 266 (267 f.). 191 Degenhart, K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 4, linke Spalte und S. 16, rechte Spalte. 192 Degenhart, K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 17, linke Spalte; Jarass, Rechtsgutachten, S. 33 f.
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV59
nicht zur Anwendung kommen. Denn die Zahl der Beitragsschuldner, die über kein Empfangsgerät verfügten und denen ergo kein Vorteil zufließe, sei zu groß, als dass man sie im Rahmen einer Typisierung vernachlässigen könne. Die Verwaltungspraktikabilität stelle keine Rechtfertigung für die Unwiderlegbarkeit der Vermutung dar, weil insbesondere der bewusste Verzicht auf Rundfunk akzeptiert werden müsse.193 Dabei brächte bereits eine widerlegbare Vermutung die Bedürfnisse nach Praktikabilität und die verfassungsrechtliche Notwendigkeit eines konkreten Vorteils in einen angemessenen Ausgleich. Zum einen bliebe die Verknüpfung mit der Gegenleistung, wenn auch in abgeschwächter Form, erhalten und zum anderen reduzierte die Umkehr der Darlegungslast den Verwaltungsaufwand bei der Beitragserhebung bereits signifikant.194 3. Stellungnahme zur Kritik an der unwiderlegbaren Vorteilsvermutung Der Kritik ist insofern zuzustimmen, als ein tatsächlicher Vorteil im Beitragsrecht unentbehrlich ist, da andernfalls keine Abgrenzung zur voraussetzungslosen Steuer möglich erscheint. Auch die Literatur zu anderen Beitragsformen verortet die Typisierungsbefugnis bei der Beitragsbemessung und nicht bei der Frage der Vorteilsexistenz.195 Zudem gilt es zu bedenken, 193 Koblenzer / Günther,
Rechtsgutachten, S. 14 f. Rechtsgutachten, S. 33 f. 195 Eiding, in: BeckOK, BauGB, § 127, Rn. 3, 6a, erachtet eine typisierende Betrachtungsweise im Erschließungsbeitragsrecht bei der Bestimmung des Maßes des Erschließungsvorteils für zulässig. In diesem Kontext betont er jedoch Folgendes: „Insoweit geht es aber nicht um die Frage des ‚ob‘ eines Vorteils, sondern des ‚wie‘, dh in welchem Umfang ein Vorteil besteht.“ Ähnlich liest sich die Argumentation von Driehaus, der den Grundsatz der Typengerechtigkeit im Erschließungsrecht dem Verteilungsmaßstab („Wie“) zuordnet (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, § 9, Rn. 22), während das Bestehen eines Erschließungsvorteils für die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag („Ob“) verfassungsrechtlich notwendig sei (a. a. O., § 9, Rn. 1 f.). Im Kommentar von Driehaus zum Kommunalabgabenrecht sprechen verschiedene Bearbeiter die Typisierung stets im Zusammenhang mit der Beitragsbemessung an (Driehaus / Lohmann / Mildner, in: Driehaus, KAG, Teil III, § 8, Rn. 437, 443 f., 879, 1372.), wohingegen dieser Begriff bei der detaillierten Erläuterung der Vorteilsexistenz kein einziges Mal erwähnt wird (Driehaus, in: Driehaus, KAG, Teil III, § 8, Rn. 260–286.). Diese Sichtweise manifestiert sich zudem in der Kommentierung von Grziwotz. Danach verbiete der Gleichbehandlungsgrundsatz eine Beitragsbemessung unabhängig vom vermittelten Vorteil, und der Grundsatz der Typengerechtigkeit könne die Beitragsgerechtigkeit nur begrenzen, aber den Gleichheitssatz nicht außer Kraft setzen (Grziwotz, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 127, Rn. 2b). Gegen einen Vergleich von Rundfunk- und Erschließungsbeiträgen lässt sich zudem nicht die relative Geringfügigkeit der Rundfunkbeiträge einwenden (die Gering194 Jarass,
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
dass selbst die singuläre Entbehrlichkeit eines Vorteils das ohnehin existierende Spannungsverhältnis der Vorzugslasten zu Art. 3 I GG verschärft. Dieses Spannungsverhältnis ist beim Beitrag stärker ausgeprägt als bei der Steuer. Denn die Steuer steht bereits strukturell im Einklang mit dem Gleichheitssatz, weil es a priori dem Gebot der Lastengleichheit entspricht, wenn der allgemeine Finanzbedarf des Staates von der Allgemeinheit aufgebracht wird. Im Gegensatz dazu bedarf die Belastung einer Gruppe durch einen Beitrag der besonderen Rechtfertigung vor Art. 3 I GG.196 Dagegen ist der Einwand, dass der Kreis der Rundfunkbeitragsschuldner mit der Allgemeinheit übereinstimme, rechtlich unerheblich, da die Gruppe der Beitragsschuldner nicht begrenzt ist.197 Die weiteren Fragen, ob die Reformkritiker zugleich ein adäquates Vorteilsverständnis zugrunde legen, die Voraussetzungen für eine Typisierung erfüllt sind und das Konzept einer widerlegbaren Vermutung ebenfalls praktikabel gewesen wäre, werden später198 behandelt. Zuvor wird die Rechtsprechung analysiert, um herauszufinden, ob sich bereits eine gefestigte Judikatur zur Zulässigkeit einer unwiderlegbaren Vorteilsvermutung herausgebildet hat.
fügigkeit der Rundfunkbeiträge hervorhebend: Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 53), weil der Charakter als Beitrag in jedem Fall gewahrt bleiben muss. Lediglich bei der Frage der Ausgestaltung der Beitragshöhe erscheint eine gröbere Typisierung bei den Rundfunkbeiträgen aufgrund ihrer niedrigeren Höhe und der großen Zahl der Beitragsschuldner gangbar. 196 Ähnlich Paul Kirchhof, Nichtsteuerliche Abgaben, in: HStR, Bd. V, § 119, Rn. 14. Er sieht die Gefahr aber primär in der Mehrfachbelastung durch Steuern und nichtsteuerliche Abgaben. Weiter gehend: Isensee, Abgabenrecht, in: GS für Geck, S. 355 (369); Ubber, Beitrag, S. 234 f.: Bei der Steuer sei der Verstoß gegen den Gleichheitssatz positiv herauszuarbeiten, wohingegen beim Beitrag in umgekehrter Weise die Kongruenz mit Art. 3 I GG dargelegt werden müsse. Die Rechtfertigungslast sei ähnlich einer Beweislast unterschiedlich verteilt. Diese Annahme läuft jedoch auf eine Art vermutete Verfassungswidrigkeit von Vorzugslasten hinaus und ist abzulehnen, da weder die Verfassung noch das BVerfGG bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen eine unterschiedliche Behandlung vorsehen. In letzter Konsequenz würde ein solches Vorgehen auch die parlamentarische Demokratie schwächen, indem die vermutete Verfassungswidrigkeit die Anwendung eines Gesetzes und damit die Umsetzung des Parlamentswillens gefährdete. Zudem ist eine derartige Differenzierung nicht praktikabel, weil es oft einer genauen gerichtlichen Überprüfung bedarf, um die rechtliche Natur einer Abgabe zu eruieren. 197 Dies wurde bereits in Kap. 2 B. V. erläutert. 198 Zur Typisierung und zur Eignung einer widerlegbaren Vermutung: Kap. 3 A. V.; zum Vorliegen eines Vorteils trotz fehlendem Empfangsgerät: Kap. 3. B. I. 6.
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV61
IV. Rechtsprechungsanalyse zur Notwendigkeit eines tatsächlichen Vorteils Die Rechtsprechung betonte mehrfach, dass der individuelle Sondervorteil die verfassungsrechtliche Legitimation eines Beitrags bilde und ihn von der voraussetzungslosen Steuer abgrenze.199 Daher könnten es die Gerichte bereits abstrakt ablehnen, die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers heranzuziehen, um das Fehlen eines Vorteils in atypischen Fällen zu vernachlässigen. Im Folgenden werden Gerichtsentscheidungen zu den früheren „Rundfunkgebühren“ (1.), den Straßenreinigungsgebühren bzw. -beiträgen (2.), den Fremdenverkehrsbeiträgen (3.) und schließlich den Kammerbeiträgen (4.) dargestellt, die sich mit Vorteilsvermutungen, -fiktionen und Typisierungen befassten. Dadurch soll ermittelt werden, ob das Bestehen eines Vorteils im Einzelfall entbehrlich sein kann oder im Gegenteil zum unverzichtbaren Kernbestand eines Beitrags zählt. 1. Fiktion des Bereithaltens eines Empfangsgeräts durch den Zulassungsinhaber in § 1 III RGebStV Nach § 1 III RGebStV 1991 galt der Zulassungsinhaber eines Kraftfahrzeugs als Rundfunkteilnehmer, selbst wenn er das im Kraftfahrzeug vorhandene Empfangsgerät faktisch nicht nutzte, weil er das Kraftfahrzeug beispielsweise verleast hatte. Der Gesetzgeber entschied sich für die Rundfunkteilnehmereigenschaft des Zulassungsinhabers und nicht des Halters, da die Ermittlung des Halters einen zu hohen Verwaltungsaufwand erforderte.200 Teile der Literatur führen diese Regelung im Rahmen der aktuellen rundfunkbeitragsrechtlichen Diskussion als Beleg dafür an, dass der Gesetzgeber im Wege einer zulässigen Typisierung Personen ohne Sondervorteil mit einer Beitragspflicht belasten dürfe.201 Diese Sichtweise scheint zudem eine Stütze in der höchstrichterlichen Judikatur zu finden [a)], aber bei genauerer Betrachtung könnte diese Rechtsprechung sogar die These vom ausnahmslosen Erfordernis eines Vorteils im Beitragsrecht untermauern [b)].
199 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.02.1958 – 2 BvL 31 / 56 u. a., juris Rn. 27 f., BVerfGE 7, 244 ff.; Beschl. v. 20.05.1959 – 1 BvL 1 / 58 u. a., juris Rn. 30, BVerfGE 9, 291 ff.; Entsch. v. 16.10.1962 – 2 BvL 27 / 60, juris Rn. 20, BVerfGE 14, 312 ff.; Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 52 = WM 2014, 1693 ff.; BVerwG, Urt. v. 21.10.1994 – 8 C 2 / 93, juris Rn. 16, BVerwGE 97, 62 ff. 200 VGH Mannheim, Urt. v. 25.10.2001 – 2 S 88 / 01, juris Rn. 23 = NVwZ 2002, 359 ff. 201 Schneider, ZUM 2013, 472 (474 f.); Kube, Rechtsgutachten, S. 49 f.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
a) Scheinbare Entbehrlichkeit des Vorteils des Zulassungsinhabers Das BVerfG hatte sich mit dem Fall einer Leasinggeberin zu befassen, die keine Rundfunkgebühren entrichten wollte, weil nicht sie, sondern die Leasingnehmer die Rundfunkempfangsgeräte nutzten. Sie sei lediglich Zulassungsinhaberin und die Fiktion ihrer Rundfunkteilnehmereigenschaft durch § 1 III 1 RGebStV verstoße gegen den Gleichheitssatz.202 Das BVerfG wies diesen Einwand zurück: „Die Bestimmung des Zulassungsinhabers als Rundfunkteilnehmer unabhängig von der, im Einzelfall bestehenden, Nutzungsmöglichkeit stellt eine zulässige Typisierung dar. Die mit ihr verbundenen Härten wären nur unter Schwierigkeiten vermeidbar, können nicht durch einfachere, die Betroffenen weniger belastende Regelungen behoben werden und betreffen im Verhältnis zur Zahl der Zulassungsinhaber insgesamt eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen. Zudem ist die Belastung der Beschwerdeführerin aufgrund von Ausweichmöglichkeiten durch vertragliche Weitergabe an die Leasingnehmer nicht sehr intensiv.“203 Ähnlich hatte sich zuvor das BVerwG geäußert.204 Vor diesem Hintergrund wirkt die Existenz eines konkreten Vorteils im Einzelfall entbehrlich und die Typisierungsbefugnis könnte die Belastung vorteilloser Beitragsschuldner auch im RBStV rechtfertigen. Eine solche Parallele ließe sich aber nur ziehen, wenn im Fall des § 1 III 1 RGebStV wirklich kein Vorteil bestünde. b) Tatsächliche Existenz eines Vorteils Es kommen zwei getrennte Ansätze in Betracht, um das Vorhandensein eines Vorteils zu bejahen: Erstens könnte man einen Nutzen des Zulassungsinhabers herausarbeiten [aa)]. Zweitens ließen sich der Zulassungsinhaber und der tatsächliche Kfz-Nutzer als zusammengehörige Einheit begreifen mit der Folge, dass der beim Kfz-Nutzer bestehende Vorteil lediglich über den Zulassungsinhaber abgeschöpft wird [bb)].
202 BVerfG, Beschl. v. 17.03.2011 – 1 BvR 3255 / 08, juris Rn. 1, 5 = NVwZ-RR 2011, 465 f.; vgl. auch den etwas ausführlicheren Tatbestand des VGH München, Urt. v. 10.03.2008 – 7 BV 07.765, juris Rn. 2, 5 = ZUM-RD 2008, 625 ff. 203 BVerfG, Beschl. v. 17.03.2011 – 1 BvR 3255 / 08, juris Rn. 5 = NVwZ-RR 2011, 465 f. 204 BVerwG, Beschl. v. 13.10.2008 – 6 B 47 / 08, juris Rn. 6 = Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 46.
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV63
aa) Nutzen des Zulassungsinhabers Für die Begründung eines Vorteils des Zulassungsinhabers ergeben sich wiederum folgende Alternativen: Zum einen hat ein Teil der Rechtsprechung das Tatbestandsmerkmal „Bereithalten eines Empfangsgeräts“ weit ausgelegt und dessen Verwirklichung durch den Zulassungsinhaber in Leasingfällen bejaht. Zum anderen könnte man den Blickwinkel erweitern und den ökonomischen Nutzen eines Empfangsgeräts für den Zulassungsinhaber in den Vordergrund stellen. Der VGH Mannheim nahm das Bereithalten eines Empfangsgeräts durch den Zulassungsinhaber sogar in der Konstellation an, dass dieser das Fahrzeug im Rahmen eines Leasingvertrags an Dritte überließ. Denn der Zulassungsinhaber besitze als Leasinggeber sowohl aufgrund seiner Eigentümerstellung als auch seiner vertraglichen Einflussmöglichkeiten die tatsächliche Verfügungsgewalt über das im Fahrzeug eingebaute Empfangsgerät.205 Diese Ansicht dehnt das für den gesamten RGebStV bedeutsame Tatbestandsmerkmal des Bereithaltens etwas stark aus. Stattdessen wäre es sachgerechter gewesen, auf die spezielle Situation in § 1 III 1 RGebStV einzugehen und die Erstreckung des Gebührenschuldverhältnisses auf Zulassungsinhaber mit einer anderen Vorteilsart zu legitimieren. Der Zulassungsinhaber profitiert zwar nicht unmittelbar vom Rundfunkprogramm, aber dafür zieht er z. B. durch die Leasingraten ökonomische Vorteile aus der Nutzung des Empfangsgeräts durch eine andere Person. Das BVerfG erwähnte zutreffend die Möglichkeit, die Rundfunkgebührenschuld auf den Leasingnehmer abzuwälzen. Auf die Existenz wirtschaftlicher Vorteile rekurrierte auch das BVerwG in einer Entscheidung zur Vorgängerregelung des § 1 III RGebStV 1991: Gemäß Art. 2 II 2 RGebStV 1974 galt der Kraftfahrzeughalter als Rundfunkteilnehmer.206 Die Klägerin war Leasingnehmerin und Halter von Leasingfahrzeugen, die laut Vertrag nicht mit einem Rundfunkempfangsgerät, sondern mit einer sog. Radiovorbereitung ausgestattet waren. Die Außendienstmitarbeiter der Klägerin waren lediglich berechtigt, auf eigene Kosten entsprechende Autoradios einzubauen. Eine Rundfunkanstalt forderte die Klägerin per Verwaltungsakt dazu auf, Auskunft über die Anzahl der Empfangsgeräte in den Leasingfahrzeugen zu erteilen.207 Die Klägerin dagegen 205 VGH
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Mannheim, Urt. v. 25.10.2001 – 2 S 88 / 01, juris Rn. 27 = NVwZ 2002,
206 BVerwG, Beschl. v. 20.11.1995 – 6 B 73 / 95, juris Rn. 4 = Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 77. 207 BVerwG, Beschl. v. 20.11.1995 – 6 B 73 / 95, juris Rn. 1 = Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 77.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
bestritt ihre Auskunftsverpflichtung mit den Argumenten, dass ihr etwaige Empfangsgeräte in den Leasingfahrzeugen nicht zugerechnet werden könnten und die gesetzliche Fiktion ihrer Rundfunkteilnehmereigenschaft gleichheitswidrig sei.208 Das BVerwG folgte dem klägerischen Vortrag nicht, weil die Klägerin wirtschaftliche Vorteile aus dem Gebrauch von Autoradios durch ihre Mitarbeiter ziehe, indem diese aufgrund der empfangenen Verkehrsnachrichten ihre Fahrtroute besser planen und ihre Arbeitszeit effektiver nutzen könnten. Die Klägerin habe diese Vorteile ebenfalls erkannt, da sie über den Finanzierungsleasingvertrag die Anschaffungskosten für die Radiovorbereitung trage.209 Das BVerwG ließ die Frage, wem der Vorteil aus dem Empfangsgerät zukommt, gerade nicht unter Verweis auf die Fiktion in Art. 2 II 2 RGebStV 1974 oder eine Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers dahinstehen, sondern arbeitete den Vorteil positiv heraus. Daher kann man auch in Bezug auf die Nachfolgeregelung in § 1 III 1 RGebStV 1991 einen Vorteil des Zulassungsinhabers trotz fehlender Eigennutzung des Empfangsgeräts bejahen, und das BVerfG hätte in der eingangs vorgestellten Entscheidung die Typisierungsbefugnis gar nicht bemühen müssen. bb) Zulassungsinhaber als Bindeglied der Vorteilsabschöpfung Selbst wenn man davon ausginge, dass der Zulassungsinhaber in den Fällen des § 1 III 1 RGebStV 1991 keinen eigenen Vorteil aus der Rundfunknutzung des unmittelbaren Gerätebesitzers zöge, bedeutete dies nicht, dass ein Beitrag ohne korrespondierenden Vorzug erhoben würde. Denn immerhin war ein Empfangsgerät vorhanden, nur die Beitragserhebung erfolgte nicht beim unmittelbaren Nutzer. Der VGH München führte zu einem Leasingfall aus, dass sich der Verzicht auf das Merkmal des Bereithaltens eines Empfangsgeräts nur auf die Bestimmung des Gebührenschuldners, aber nicht auf den Gebührentatbestand beziehe. Die Erfüllung des Gebührentatbestands dagegen setze gemäß § 2 II 1 RGebStV ausnahmslos voraus, dass ein Rundfunkempfangsgerät vorgehalten werde.210 Zwar könnte man dieser Aufteilung durch das Gericht entgegenhalten, dass sich der Beitragstatbestand kaum von der Definition des Beitragsschuldners trennen lasse, da beide Kriterien gleichermaßen über 208 BVerwG, Beschl. v. 20.11.1995 – 6 B 73 / 95, juris Rn. 6 = Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 77. 209 BVerwG, Beschl. v. 20.11.1995 – 6 B 73 / 95, juris Rn. 8 = Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 77. 210 VGH München, Urt. v. 10.03.2008 – 7 BV 07.765, juris Rn. 22 = ZUM-RD 2008, 625 ff.
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV65
die Beitragsschuld einer Person bestimmten.211 Aber es wird hinreichend deutlich, dass es keine Beitragsschuld ohne besonderen Vorteil geben soll. Des Weiteren ist die Trennung von sachlicher und persönlicher Beitragspflicht keineswegs ein Spezifikum des RGebStV. Im Erschließungsbeitragsrecht manifestiert sich diese Zweiteilung sogar explizit in der Gesetzessystematik, indem § 133 BauGB212 Gegenstand und Entstehung der Beitragspflicht und § 134 BauGB die Person des Beitragspflichtigen normiert. Die sachliche Beitragspflicht entsteht bezogen auf ein erschlossenes Grundstück (vergleichbar mit dem früheren Gerätebezug) und begründet damit ein lediglich abstraktes Beitragsschuldverhältnis, das der Konkretisierung gegenüber einem individuellen Beitragspflichtigen bedarf.213 Außerdem findet sich eine Technik der Vorteilsabschöpfung, die § 1 III 1 RGebStV ähnelt, bei den Straßenreinigungsgebühren bzw. -beiträgen214. Hier können u. a. die Eigentümer abgabenrechtlich herangezogen werden, die diese finanzielle Last als Betriebskosten gemäß § 2 Nr. 8 Betriebskostenverordnung an die Mieter weiterleiten dürfen.215 Die Mieter sind die unmittelbar Begünstigten, weil sie die gereinigte Straße täglich frequentieren, während der Eigentümer die Straße eher selten bis gar nicht nutzt. Indes kommt auch der Eigentümer analog zum Leasinggeber in den mittelbaren Genuss wirtschaftlicher Vorteile, da eine ordentliche Straße, genauso wie die Ausstattung eines Pkws, Einfluss auf die Chancen zur Gewinnung eines Mieters und die Höhe des Mietzinses hat. Der Umstand, dass die Abgabenpflicht bei den Straßenreinigungsgebühren an die Person des Eigentümers geknüpft ist und nicht der unmittelbar bevorteilte Mieter herangezogen wird, führt nicht dazu, dass Vorteile nur fingiert würden. Eine Vorzugslast verlangt als innere Rechtfertigung einen Sondervorteil. Gründe der Verwaltungspraktikabilität können lediglich zu Umwegen bei der Erfassung des Vorteils führen, aber nicht die Aufgabe dieses Kernkriteriums begründen.
211 In diese Richtung argumentiert auch: VGH Mannheim, Urt. v. 25.10.2001 – 2 S 88 / 01, juris Rn. 25 = NVwZ 2002, 359 ff. 212 Der Bund besitzt gemäß Art. 74 I Nr. 18 GG keine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz mehr für das Recht der Erschließungsbeiträge. Diese entfiel durch das Gesetz zur Änderung des GG vom 27.10.1994 (BGBl. 1994 I, S. 3146). Die Regelungen zu Erschließungsbeiträgen in §§ 127 ff. BauGB gelten gemäß Art. 125a I GG so lange fort, bis sie durch Landesrecht substituiert werden. Vgl. Wehr, LKV 2006, 241, Fn. 2. 213 Fischer, Erschließungsbeitragsrecht, in: Hdb. Baurecht, Bd. II, Kap. F, Rn. 71. 214 Ausführlich sub Kap. 3 A. IV. 2. 215 LG Berlin, Urt. v. 20.07.2006 – 62 S 97 / 06, juris Rn. 12 f. = Grundeigentum 2006, 1480 f.; Gies, in: Münchener Anwaltshandbuch Mietrecht, § 24, Rn. 4 i. V. m. Rn. 67 f.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
c) Zwischenergebnis Die eingangs behandelte BVerfG-Entscheidung implizierte auf den ersten Blick, dass eine Beitragspflicht ohne Sondervorteil möglich sei und durch die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers legitimiert werden könne. Doch zeigte die genaue Analyse, dass die Typisierung nicht in Bezug auf die Existenz eines Sondervorteils angewandt wurde, sondern im Hinblick auf die Art und Weise seiner beitragsrechtlichen Erfassung.216 Denn eine Typisierung hinsichtlich des Vorliegens eines Vorteils hätte auf der Basis des alten RGebStV erst dann vorgelegen, wenn eine Rundfunkgebühr erhoben worden wäre, obwohl überhaupt kein Empfangsgerät im Pkw vorhanden gewesen wäre. Im Gegensatz dazu stand bei der Entscheidung des BVerfG das Vorliegen eines Vorteils fest, weil ein Empfangsgerät an sich bereitgehalten wurde. Dieser Sondervorteil bestand nach hier vertretener Auffassung darüber hinaus nicht nur für den Leasingnehmer, sondern auch für den Leasinggeber. Denn der Leasinggeber erlangt einen wirtschaftlichen Vorteil, weil ein Pkw mit einem Radio einen höheren Wert besitzt, der sich in höheren Leasingraten niederschlägt. Es ging im Kern nur darum, über wen (Leasinggeber oder Leasingnehmer) dieser existente Vorteil beitragsrechtlich abgeschöpft wird, und allein in dieser Hinsicht wurde auf die Typisierungsbefugnis rekurriert. Die feine Differenzierung zwischen Beitragstatbestand und Beitragsschuldner – wie sie der VGH München vornimmt – mag zunächst künstlich wirken, da beide Kriterien faktisch zusammengehören. Jedoch öffnet diese Unterscheidung den Blick dafür, warum die Abgabenpflicht des Leasinggebers beitragsrechtliche Grundsätze wahrt. Zweck des Beitrags ist der Ausgleich von Vorteilen und Lasten. Dieser Ausgleich wird beim Leasing bewerkstelligt, aber mit der Besonderheit, dass sich beide Bestandteile bei verschiedenen Personen entfalten. Der Leasingnehmer kommt in den Genuss der Begünstigung, während der Leasinggeber formal für die Rundfunkgebühren aufkommen muss. Der Leasinggeber kann die Kosten aber bei seiner Kalkulation der Leasingraten berücksichtigen und auf den Leasingnehmer abwälzen. Dadurch wird gewährleistet, dass der unmittelbar Begünstigte letztendlich auch die finanziellen Lasten trägt und Beitragstatbestand und Beitragsschuldner faktisch wieder zusammengeführt werden. Während sich ein Vorteil, der bei der „falschen“ Person abgeschöpft wird, also ausgleichen lässt, ist dies bei der Begründung einer Beitragspflicht ohne jeglichen Vorteil nicht möglich. Daher ist Letzteres ein Verstoß gegen Art. 3 I GG, der nicht mit einer Typisierungsbefugnis gerechtfertigt werden kann. Diese These soll durch die Analyse weiterer Rechtsprechung untermauert werden. 216 Im
Ergebnis auch: Degenhart, ZUM 2013, 621 (622).
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV67
2. Benutzungsfiktion bei den Straßenreinigungsgebühren Das rheinland-pfälzische Straßengesetz ermächtigt die Gemeinden, die Kosten für die Straßenreinigung auf die Anlieger umzulegen. Dabei haben die Kommunen die Wahl, ob sie sich für ein Beitrags- oder ein Gebührenmodell entscheiden. Für den Fall, dass sich der Ortsgesetzgeber für eine Gebührenfinanzierung entscheiden sollte, enthält das Gesetz die Fiktion, dass die Anlieger als Benutzer einer öffentlichen Einrichtung im Sinne des KAG gelten (§ 17 III 5 StrG Rheinland-Pfalz). Anlieger wehrten sich gegen die Heranziehung zu den vollen Gebühren mit dem Argument, dass die Fiktion zu weit gefasst sei und nicht ihren wirklichen Sondervorteil abbilde. Denn die Straßenreinigung diene ebenso der Allgemeinheit und dieser Gemeinvorteil müsse abgezogen werden.217 Das BVerwG teilte diese Auffassung und schränkte die Fiktion ein: „Die Annahme einer Benutzung der Straßenreinigungsanstalt durch die Anlieger und einer gebührenpflichtigen Leistung zugunsten der Anlieger hat nur insoweit vor dem Gleichheitssatz Bestand, als die Straßenreinigungsanstalt gerade das besondere Interesse der Anlieger an der Straßenreinigung bedient, mithin diesen insoweit Vorteile verschafft. (…) Dient die Straßenreinigung demnach aber nicht nur den Interessen der Anlieger, sondern zugleich in einem ins Gewicht fallenden Ausmaß allgemeinen Interessen, so erweist es sich unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt als sachgerecht und verstößt es daher gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn Leistungen und Kosten, die die Befriedigung dieses Allgemeininteresses betreffen, den Anliegern dadurch gebührenrechtlich zugerechnet werden, daß sie auch insoweit als Benutzer der Straßenreinigungsanstalt fingiert werden.“218 Zudem ging das Gericht davon aus, dass der gebührenrechtliche Leistungsbegriff mit dem beitragsrechtlichen Vorteilsbegriff übereinstimme, weil die Belastung der Anlieger nicht von dem Umstand abhängen dürfe, ob sich der Ortsgesetzgeber auf ein Gebühren- oder ein Beitragsmodell festlege.219 Diese Gerichtsentscheidung unterstreicht die These, dass selbst eine Fiktion nicht von der Notwendigkeit entbindet, den konkreten Sondervorteil zu ermitteln. Die gesetzliche Regelungstechnik ist sekundär, entscheidend ist die materielle Erfüllung der beitrags- und gebührenrechtlichen Grundsätze. 217 Vgl.
242 ff.
BVerwG, Urt. v. 25.05.1984 – 8 C 55 / 82 u. a., juris Rn. 1, BVerwGE 69,
218 BVerwG,
Urt. v. 25.05.1984 – 8 C 55 / 82 u. a., juris Rn. 17, BVerwGE 69,
219 BVerwG,
Urt. v. 25.05.1984 – 8 C 55 / 82 u. a., juris Rn. 18, BVerwGE 69,
242 ff. 242 ff.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
3. Widerlegbare Vorteilsvermutung bei den Fremdenverkehrsbeiträgen Das Fremdenverkehrsbeitragsrecht flankiert ebenfalls die hiesige Argumentationslinie, indem zwei Gerichte die Notwendigkeit eines tatsächlichen Vorteils und die Widerlegbarkeit einer Vorteilsvermutung akzentuierten. Für die Heranziehung zu Fremdenverkehrsbeiträgen genügen sogar mittelbare wirtschaftliche Vorteile, die u. a. bei Ärzten vermutet werden. Diese Vermutung muss laut VGH Mannheim aber mit einem realen Vorteil kor respondieren: „Als abgabenpflichtig werden nach der beispielhaften Aufzählung (…) auch Ärzte eingestuft (…). Richtig ist allerdings, dass die (…) aufgeführten Berufsgruppen nur dann abgabenpflichtig sein können, wenn sie tatsächlich die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 FVAS erfüllen, sie also zu den Personen gehören, denen aus dem Kurbetrieb oder dem Fremdenverkehr unmittelbar oder mittelbar besondere wirtschaftliche Vorteile erwachsen.“220 Aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität seien Vermutungen ausreichend, „die der Abgabenpflichtige widerlegen kann“.221 In dieselbe Richtung geht auch die – durch den Bayerischen VerfGH gebilligte – Judikatur des VGH München, wonach bestimmte Personengruppen in Fremdenverkehrsgemeinden generell in die Beitragspflicht einbezogen werden könnten, wenn bei ihnen eine „typische und nach der Lebenserfahrung offensichtliche“ Verbindung zum Fremdenverkehr existiere. „Ob die Beitragspflicht im Einzelfall tatsächlich bestehe, sei an anderer Stelle, nämlich bei der Ermittlung des Vorteils, zu prüfen.“222 Diese Entscheidungen zeigen auf, dass man eine Beitragspflicht letztlich nicht ausschließlich auf eine Vermutung, Lebenserfahrung oder statistische Wahrscheinlichkeit stützen kann. Es reicht entgegen Kirchhofs Vorstellungen nicht aus, lediglich den typischen Fall als Leitbild zu wählen und die Besonderheiten des Einzelfalls auszublenden. Obwohl nach der Lebenserfahrung und den statistischen Erhebungen fast jeder Bürger ein Empfangsgerät besitzt, darf eine Vermutungswiderlegung bei Fehlen eines Empfangsgeräts nicht ausgeschlossen werden, sofern auch die weitere Prämisse der Reformkritiker zutrifft, dass ohne Empfangsgerät kein Vorteil besteht.
220 VGH Mannheim, Beschl. v. 10.08.1998 – 2 S 2753 / 97, juris Rn. 5 = MedR 1999, 377 ff., mit Hervorhebung durch den Verfasser. 221 VGH Mannheim, Beschl. v. 10.08.1998 – 2 S 2753 / 97, juris Rn. 9 = MedR 1999, 377 ff. 222 VerfGH BY, Entsch. v. 27.03.2001 – Vf. 62-VI-00, juris Rn. 16 = NVwZ 2001, 797 ff.
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV69
4. Scheinbare Vorteilsfiktion bei den Kammerbeiträgen Einzig die Rechtsprechung zu den Kammerbeiträgen könnte prima facie Anlass geben, an den bisher vorgebrachten Argumenten zu zweifeln. Im folgenden Judikat focht ein Amtsarzt seine Heranziehung zu Beiträgen für die Ärztekammer an, indem er vortrug, keine Vorteile aus der Kammertätigkeit zu ziehen.223 Indes blieb sein Vortrag vor dem BVerwG erfolglos: „Das Wesen des Beitrages (…) besteht darin, daß er eine Gegenleistung für einen gewährten (Sonder-)Vorteil darstellt und die von dem Beitragspflichtigen geforderten Leistungen in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Vorteil stehen müssen. (…) Zwischen dem Erhebungsanlaß und dem Vorteil des Pflichtigen besteht allerdings nur ein mittelbarer Zusammenhang, der sich zu einer bloßen gesetzlichen Vermutung oder Fiktion des Vorteils verflüchtigen kann (…).“224 Durch diese Aussage wollte das BVerwG aber nicht die Notwendigkeit eines Vorteils infrage stellen, sondern nur die geringen Anforderungen an dessen Bejahung unterstreichen. Dies zeigt der Umstand, dass es die Existenz eines Vorteils anschließend gerade nicht dahinstehen ließ, sondern herausarbeitete. Zwar profitiere der Amtsarzt wegen seiner bereits bestehenden beamtenrechtlichen Absicherung nicht unmittelbar von den Fürsorgeleistungen der Ärztekammer, aber mittelbar durch die Zuwendungen an andere Ärzte, weil hierdurch der gesamte Berufsstand begünstigt werde.225 Das BVerwG hätte den Fall des Amtsarztes theoretisch als atypisch qualifizieren und ihn unter Rückgriff auf die gesetzgeberische Typisierungsbefugnis vernachlässigen können. Dass es diesen Weg nicht beschritten hat, spricht gegen eine echte Vorteilsfiktion. 5. Zwischenergebnis und Stellungnahme Die behandelte Rechtsprechung dokumentiert, dass weder die gesetzliche Regelungstechnik noch die Typisierungsbefugnis den Gesetzgeber davon befreien können, an tatsächliche Vorteile anzuknüpfen. Die Notwendigkeit eines Sondervorteils ist ein verfassungsrechtliches Gebot, das auch der Rundfunkbeitrag wahren muss. In jeder Entscheidung war ein solcher Vorteil gegeben. Selbst bei § 1 III 1 RGebStV wurde dieses Prinzip nicht infrage gestellt, weil die Typisierung hier lediglich Einfluss auf die Auswahl der Abgabenschuldner hatte. Statt die unmittelbar begünstigten Nutzer eines 223 BVerwG,
Urt. v. 25.11.1971 – I C 48.65, juris Rn. 1, 41, BVerwGE 39, 100 ff. Urt. v. 25.11.1971 – I C 48.65, juris Rn. 35, BVerwGE 39, 100 ff., mit Hervorhebung durch den Verfasser. 225 BVerwG, Urt. v. 25.11.1971 – I C 48.65, juris Rn. 41, BVerwGE 39, 100 ff. 224 BVerwG,
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
Empfangsgeräts heranzuziehen, entschied sich der Gesetzgeber für die Belastung der mittelbar Bevorteilten und überließ den Ausgleich von Vorteilen und Lasten dem Innenverhältnis. Die Rechtsprechung zur Typisierung im Steuerrecht lässt sich nicht uneingeschränkt auf das Beitragsrecht übertragen. Insbesondere kann es der Grundsatz der Typisierung nicht rechtfertigen, bis zu 10 % der Rundfunkbeitragspflichtigen gleichheitswidrig zu belasten, sollten diese tatsächlich keinen Sondervorteil durch das Rundfunkangebot genießen. Die Typisierung bezieht sich im Beitragsrecht nur auf die Bemessung („Wie“) und nicht auf den Vorteil als solchen („Ob“).226 Eine Typisierung hinsichtlich der Vorteilsexistenz brächte zudem erheb liche praktische Schwierigkeiten mit sich. Einerseits wäre eine Begrenzung der zulässigen Anzahl atypischer Fälle unumgänglich, um die Grenzlinie zur voraussetzungslosen Steuer zu erhalten. Andererseits bewirkte ein Grenzwert eine erhebliche Planungsunsicherheit, weil sich vor Erlass eines Gesetzes nie präzise prognostizieren ließe, wie viele Beitragsschuldner ohne Sondervorteil erfasst würden. Läge deren Anteil über einem Grenzwert von beispielsweise 10 %, müsste man insgesamt eine Steuer annehmen. Denn zum einen scheidet eine Aufspaltung eines Gesetzes in zwei Bereiche regelmäßig aus227 und zum anderen hält eine starre Typisierung ohne Widerlegungsmöglichkeit keine Korrekturmöglichkeiten bereit. Diese Unsicherheit bei der für die Gesetzgebungskompetenz entscheidenden Frage der Rechtsnatur einer Abgabe ist inakzeptabel. Dagegen birgt eine Typisierung im Steuerrecht und bei der Beitragsbemessung („Wie“) keine vergleichbaren Risiken, weil sie in beiden Bereichen keine Auswirkungen auf die Rechtsnatur hat. Insbesondere verliert ein schlicht überhöhter Beitrag nicht seinen Charakter als Vorzugslast228 und kann leicht (z. B. im Bescheid oder durch Neujustierung im Gesetz) unter Beibehaltung der grundsätzlichen Gesetzeskonzeption korrigiert werden. Aus diesem Grund ist eine flexible Regelung empfehlenswert, die im Hinblick auf die Vorteilsexistenz eine Widerlegungsmöglichkeit eröffnet. 226 Degenhart, K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 16 f.; a. A.: Schneider, ZUM 2013, 472 (474, Fn. 20); ders., DStR 2014, 509 (510). Für eine Typisierung, aber ohne Festlegung auf konkrete Grenzwerte: VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 138 ff. = DVBl. 2014, 842 ff.; VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014, Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 107 ff. = DVBl. 2014, 848 ff.; Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 53 ff. 227 Vgl. zur badischen Weinabgabe, die ebenfalls Personen ohne Sondervorteil belastete und sich nicht in zwei verschiedene Abgaben (Beitrag und Steuer) trennen ließ: BVerfG, Beschl. v. 04.02.1958 – 2 BvL 31 / 56 u. a., juris Rn. 28, BVerfGE 7, 244 ff. 228 Zu den überhöhten Rückmeldegebühren in Baden-Württemberg: BVerfG, Urt. v. 19.03.2003 – 2 BvL 9 / 98 u. a., juris Rn. 44, BVerfGE 108, 1 ff.
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV71
V. Prüfung der Typisierungsvoraussetzungen hinsichtlich des RBStV Selbst wenn man annähme, dass die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers eine unwiderlegbare Vorteilsvermutung legitimieren könnte, müssten die strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Typisierung (1.) gewahrt sein. Dies hängt wiederum von der Frage ab, ob das alternative Reformkonzept einer widerlegbaren Vermutung ebenfalls praktikabel gewesen wäre (2.), weil dann eine typisierende Belastung von Personen mit und ohne Empfangsgerät nicht notwendig gewesen wäre. 1. Anforderungen der Rechtsprechung an eine Typisierung Die Typisierungsbefugnis gestattet es dem Normgeber nach der Rechtsprechung des BVerwG, bei der Gestaltung abgabenrechtlicher Regelungen in der Weise zu verallgemeinern und zu pauschalieren, dass er an Regelfälle eines Sachbereichs anknüpft und die Besonderheiten von Einzelfällen außer Betracht lässt. Hierbei stelle das Auftreten abweichender Einzelfälle die Entscheidung des Normgebers nicht infrage, solange nicht mehr als 10 % der Fälle dem „Typ“ widersprächen.229 Die Typisierung müsse durch Gründe der Verwaltungsvereinfachung und -praktikabilität gerechtfertigt230 und „unvermeidbar“231 sein. Die 10 %-Regelung diene allein der Begrenzung des Gestaltungsfreiraums, wobei auch eine Ungleichbehandlung eines kleineren Prozentsatzes unzulässig sein könne.232 Das BVerfG fasst sich weniger konkret, indem es für eine zulässige Typisierung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vo raussetzt, dass sie lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betrifft, der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist und verursachte Härten nur unter Schwierigkeiten vermieden werden können. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers sei bei einer benachteiligenden Typisierung enger gefasst als bei einer bevorzugenden.233
229 BVerwG, 230 BVerwG,
255 ff.
231 BVerwG,
Beschl. v. 28.08.2008 – 9 B 40 / 08, juris Rn. 9, NVwZ 2009, 255 ff. Beschl. v. 28.08.2008 – 9 B 40 / 08, juris Rn. 10, NVwZ 2009,
Urt. v. 01.08.1986 – 8 C 112 / 84, juris Rn. 21, NVwZ 1987, 231 f. Urt. v. 29.09.2004 – 10 C 3 / 04, juris Rn. 20, NVwZ 2005, 332 ff. 233 BVerfG, Beschl. v. 04.04.2001 – 2 BvL 7 / 98, juris Rn. 42, BVerfGE 103, 310 ff. 232 BVerwG,
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
2. Eignung des alternativen Reformkonzepts einer widerlegbaren Vermutung Gründe für die typisierende Anknüpfung der Beitragspflicht an Raumeinheiten und Betriebsstätten waren die Schwierigkeit bei der Ermittlung des Bereithaltens eines Empfangsgeräts, der damit verbundene hohe Verwaltungsaufwand und im privaten Bereich die Eingriffe in die Privatsphäre.234 Diese Erwägungen sind nachvollziehbar, doch ist zweifelhaft, ob sie gerade zur Einführung einer unwiderlegbaren Vermutung gezwungen haben. Um dies herauszufinden, wird im Folgenden die Praktikabilität einer widerlegbaren Vermutung untersucht. a) Praktikabilität einer widerlegbaren Vermutung Für die Beurteilung der Praktikabilität einer widerlegbaren Vermutung ist maßgebend, inwieweit dadurch der Verwaltungsaufwand reduziert [aa)], ein effektiver Gesetzesvollzug [bb)] ermöglicht und dabei das Recht auf informationelle Selbstbestimmung [cc)] gewahrt werden könnte. aa) Reduktion des Verwaltungsaufwands Der Verwaltungsaufwand ließe sich bereits durch eine widerlegbare Vermutung enorm verringern. Dies gilt sowohl für das einzelne Verfahren als auch die Gesamtzahl der Verfahren. Wenn man den Blick auf das konkrete Verwaltungsverfahren richtet, reduzierte sich der Aufwand durch eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast signifikant, weil die Beitragsschuldner die erforderlichen Belege für das Nichtbereithalten eines Empfangsgeräts beizubringen hätten.235 Hohe Anforderungen an die Vermutungswiderlegung könnten sicherstellen, dass die Anzahl der Verfahren begrenzt bliebe und die Widerlegungsmöglichkeit keinen Missbrauch236 ermöglichte. Bereits für die Abmeldung eines Rundfunkempfangsgeräts nach § 3 II Nr. 9 RGebStV war eine nachvollziehbare Begründung notwendig.237 Die hierzu ergangene Rechtsprechung ließe sich für die Frage fruchtbar machen, welche inhaltlichen Maß234 BW
LT-Drs. 15 / 197, S. 34; Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 53 ff. Rechtsgutachten, S. 33 f., der für eine widerlegbare Vermutung plä-
235 Jarass,
diert.
236 Eine Missbrauchsgefahr und einen zu intensiven Grundrechtseingriff sehen Kirchhof (vgl. die Darstellung seines Konzepts sub Kap. 3 A. II.) und Kube, Rechtsgutachten, S. 51. 237 Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 3 RGebStV, Rn. 12.
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV73
stäbe an die Vermutungswiderlegung zu stellen wären.238 Ergänzt werden könnte dies durch eine (später erläuterte) eidesstattliche Versicherung dieser Angaben. Zudem dürfte sich die Gesamtzahl der Verwaltungsverfahren, in denen eine Widerlegung der Vermutung angestrebt würde, in Grenzen halten. Erstens wäre die Zahl der Verfahren deshalb gering, da von einer sehr hohen Verbreitung von Rundfunkempfangsgeräten auszugehen ist.239 Zweitens begründet es einen gewichtigen Unterschied, ob ein (potenzieller) Beitragsschuldner der Beitragspflicht – wie vor der Reform – allein durch die Angabe des Nichtbereithaltens eines Rundfunkempfangsgeräts auf einem Formular entgehen kann oder ob er gezielt einen Antrag stellen und diesen Umstand beweisen muss. Letzteres dürften nur die wenigsten auf sich nehmen, und diese Personen klagten ohnehin, weshalb sich ein gewisses Minimum an Verfahren nie vermeiden lässt. Sogar auf der Basis der aktuellen Rechtslage besteht durch die Härtefallklausel in § 4 VI RBStV ein Einfallstor für Gerichtsverfahren, die nach einer Berücksichtigung der individuellen Situation der Kläger streben. Wenn man durch die Widerlegbarkeit der Vermutung mehr Flexibilität zuließe, dürfte dies den Beitragsservice nicht überfordern, vor allem weil er einen sehr viel größeren Verwaltungsaufwand über mehrere Jahrzehnte schulterte. bb) Anforderungen an die Vermutungswiderlegung Die entscheidende Frage besteht darin, an welche Bedingungen die Vermutungswiderlegung geknüpft würde. Hier muss ein Spagat zwischen einer effektiven Überprüfung einerseits und einer Grundrechtsschonung andererseits bewerkstelligt werden. Eine Kontrolle in der Wohnung wäre selbst auf freiwilliger Basis wegen Art. 13 GG nicht erstrebenswert und höchstens als ultima ratio denkbar. Erwägenswert wäre dagegen ein primär schriftliches Verfahren, das zum einen inhaltliche Anforderungen und zum anderen formale Hürden beinhaltet. Die inhaltlichen Anforderungen könnten sich an § 3 II Nr. 9 RGebStV, die frühere Begründungspflicht beim Abmelden eines Empfangsgeräts, anlehnen. Es existiert bereits eine fundierte Rechtsprechung zu der Frage, welche Wagner, Rundfunkgebühr, S. 164 f. (insbesondere Fn. 506), 170. geht zwar ebenso von einer sehr überschaubaren Anzahl von Verwaltungsverfahren aus, die eine Widerlegung der Vermutung mit dem Argument des Nichtbereithaltens eines Empfangsgeräts zum Gegenstand hätten. Er zieht daraus aber eine andere Schlussfolgerung, weil diese kleine Anzahl Betroffener aus seiner Sicht nicht den damit verbundenen Verwaltungsaufwand sowie den intensiven Eingriff in die Privatsphäre rechtfertigt: Kube, Rechtsgutachten, S. 49. 238 Ähnlich 239 Kube
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
Gründe für das Abmelden eines Empfangsgeräts nachvollziehbar erscheinen.240 Diese Anforderungen böten eine Orientierung dafür, wie ein gänzliches Nichtbereithalten eines Empfangsgeräts nachvollzogen werden könnte. Eine inhaltliche Prüfung würde die Vermutungswiderlegung ausreichend erschweren und Missbrauch begrenzen.241 Dadurch räumte der Gesetzgeber den Betroffenen im Gegensatz zur aktuellen Rechtslage wenigstens die Möglichkeit zur Erlangung „rechtlichen Gehörs“242 ein und gewährte ihnen effektiveren243 Rechtsschutz (Art. 19 IV GG). Ferner würde dem Antragsteller im Rahmen der Vermutungswiderlegung nicht der unmögliche Beweis einer negativen Tatsache aufgebürdet244, weil auf die Rechtsprechung zur abgestuften Darlegungslast beim Beweis negativer Tatbestandsmerkmale, wie z. B. dem fehlenden Rechtsgrund im Bereicherungsrecht, verwiesen werden kann. Im Bereicherungsrecht führt der Bereicherungsgläubiger den Beweis einer negativen Tatsache nicht direkt, sondern nur indirekt, indem er die Umstände widerlegt, die für einen Rechtsgrund sprechen.245 Die konkrete Anwendung der abgestuften Darlegungslast auf den Rundfunkbeitrag bedeutete Folgendes: Der potenzielle Beitragsschuldner würde seiner Darlegungslast durch die Mitwirkung im Verwaltungsverfahren, insbesondere durch die eidesstattliche Versicherung nachvollziehbarer Gründe zum Nichtbereithalten eines Empfangsgeräts, gerecht. Danach müsste sich der Beitragsservice hiermit inhaltlich auseinandersetzen, ähnlich wie er derzeit Härtefallanträge auf der Basis des § 4 VI RBStV beurteilt. hierzu: Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 3 RGebStV, Rn. 12. Wagner, Rundfunkgebühr, S. 164 f., konstatiert, dass es auf der Basis des RGebStV zu keiner ausgeprägten „Abmeldungswelle“ gekommen sei und die Anforderungen der Rechtsprechung an die Plausibilität der Abmeldung eines Empfangsgeräts eine wirksame Begrenzung biete. Allerdings lehnt sie eine eidesstattliche Versicherung als unverhältnismäßige Maßnahme ab (a. a. O., S. 170). 242 Der Begriff des rechtlichen Gehörs wird vorliegend etwas weiter verstanden als seine klassische, verfahrensbezogene Ausrichtung in Art. 103 I GG (siehe zu Letzterem: Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 103, Rn. 16 ff.). Auch das materielle Recht sollte Einwände nicht derart abschneiden, dass der darauf aufbauende verfahrensbezogene Anspruch des rechtlichen Gehörs gar nicht mehr relevant wird. 243 Bei einer unwiderlegbaren Vermutung sind die Überprüfungsmöglichkeiten der Gerichte auf einfachrechtlicher Basis im Hinblick auf die Vorteilsgerechtigkeit einer Beitragslast reduziert. Eine Beschränkung der Kontrolldichte kann den effektiven Rechtsschutz tangieren: Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19, Rn. 145 f. 244 Der Verfasser dankt Prof. Dr. Müller-Franken für diese Anregung. 245 BGH, Urt. v. 27.09.2002 – V ZR 98 / 01, juris Rn. 7 = NJW 2003, 1039 f.; OLG München, Urt. v. 10.11.2009 – 5 U 5130 / 08, juris Rn. 14 f. = NJW 2011, 80 ff.; Schwab, in: MüKo, BGB, § 812, Rn. 363; vgl. auch: Prütting, in: MüKo, ZPO, § 286, Rn. 103. 240 Siehe 241 Auch
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV75
Die eidesstattliche Versicherung der Angaben246 wird zwar von Teilen der Literatur wegen der geringen Beitragshöhe und der Strafandrohung gemäß § 156 StGB als unverhältnismäßig qualifiziert247, aber sie bildet ein oft gebrauchtes und geeignetes Instrument der Wahrheitsermittlung. Die eidesstattliche Versicherung wird z. B. eingesetzt, wenn jemand seinen Führerschein (§ 5 StVG) oder Personalausweis verloren hat und eine Neuausfertigung beantragt.248 Auch im Zivilprozessrecht dient sie als unkompliziertes Mittel der Glaubhaftmachung (z. B. §§ 920 II bzw. 487 Nr. 4 i. V. m. 294 I ZPO). Schließlich dokumentiert ihre Anwendung im Briefwahlverfahren die Eignung zur Bewältigung von Massenverfahren. Gemäß § 36 II 1 Bundeswahlgesetz hat der Wähler oder die Hilfsperson auf dem Wahlschein gegenüber dem Kreiswahlleiter an Eides statt zu versichern, dass der Stimmzettel persönlich oder gemäß dem erklärten Willen des Wählers gekennzeichnet worden ist. Das BVerfG hielt die Briefwahlregelungen für ausreichend, um die Einhaltung der Wahlgrundsätze sicherzustellen.249 In Anbetracht des hohen Anteils von Briefwählern bei den Wahlen auf Bundes- und Landesebene in 2013 wird man die Briefwahl als millionenfach angewandtes Verfahren bezeichnen können. Entsprechend müsste sich die eidesstattliche Versicherung auch für andere Massenverfahren wie die Rundfunkbeitragserhebung eignen, wobei sie ohnehin nur für die begrenzte Anzahl von Verfahren, die eine Vermutungswiderlegung zum Ziel hätten, zur Anwendung käme.250 Die Belehrung über die Konsequenzen einer eidesstattlichen Versi246 Die eidesstattliche Versicherung wird zwar in der Diskussion öfters aufgegriffen (z. B. bei Kube, Rechtsgutachten, S. 51; Schneider, NVwZ 2013, 19 (22); Wagner, Rundfunkgebühr, S. 162 ff.), aber es wird nicht benannt, wer diese Option postuliert. Ein früherer Entwurf der Rundfunkanstalten (§ 5 I 2 RGebStV-E) soll eine eidesstattliche Versicherung angeblich beinhaltet haben: Hasse, Finanzierung, S. 186, Fn. 31. Im Hinblick auf den derzeitigen RBStV qualifiziert v. Münch, Rechtspolitik, S. 181, die eidesstattliche Versicherung als ein taugliches Instrument, um einen Ausnahmefall bei fehlender Rundfunknutzung zu belegen. Allerdings würde dem Gesetzgeber auf diese Weise das Reformkonzept der widerlegbaren Vermutung aufgezwungen. Diese Thematik wird ausführlich bei der Frage der verfassungskonformen Auslegung behandelt: Kap. 3 B. II. 247 Kube, Rechtsgutachten, S. 51; Schneider, NVwZ 2013, 19 (22); Wagner, Rundfunkgebühr, S. 170. 248 Vgl. zu den Anwendungsfällen: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 27, Rn. 6; Bonk / Kallerhoff, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 27, Rn. 6. 249 BVerfG, Beschl. v. 24.11.1981 – 2 BvC 1 / 81, juris Rn. 26, BVerfGE 59, 119 ff. Allerdings wurde auch die Einschränkung vorgenommen, dass bei Auftreten von Missbrauchsfällen Nachbesserungen zu erfolgen hätten (a. a. O., juris Rn. 27). 250 Eine Vergleichbarkeit mit der Situation bei der Briefwahl ablehnend: Wagner, Rundfunkgebühr, S. 164 f. Sie erwähnt eine „völlig unterschiedliche Ausgangssituation“, konkretisiert dies aber nur im Hinblick auf § 5 StVG. Die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung habe der Betroffene wegen des Führerscheinverlusts selbst zu verantworten, während eine derartige Verantwortlichkeit beim Nichtbereithalten
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
cherung könnte auf dem Formular für die Beantragung der Vermutungswiderlegung enthalten sein, wodurch weder ein besonderer Aufwand noch zusätzliche Kosten entstünden.251 Zwar kann man gegen eine eidesstattliche Versicherung anführen, dass sie nur einen temporären Zustand abbilde252, aber eine Wiederholung in regelmäßigen, angemessenen Zeitabständen behöbe dieses Manko253. Außerdem wäre bereits die Notwendigkeit einer solchen Versicherung geeignet, die Beitragsmoral signifikant zu erhöhen, weil viele Beitragsverweigerer den Weg des geringsten Widerstandes gehen und daher ein Verwaltungsverfahren zur Widerlegung der Vermutung meiden dürften. Die meisten Beitragsverweigerer nähmen von einer Vermutungswiderlegung Abstand, wenn sie nicht nur eine inhaltlich nachvollziehbare Begründung für das Nichtbereithalten eines Empfangsgeräts darlegen, sondern diese auch strafbewehrt versichern müssten. Es gilt weiterhin zu bedenken, dass die alte Rundfunkgebührenregelung laut BVerfG zur Vermeidung eines Erhebungsdefizits ausreichte254, obschon keine wirklich effektiven Kontrollmöglichkeiten existierten. Daher ist davon auszugehen, dass eine Beweislastumkehr als solche schon eine deutliche und verfassungsrechtlich ausreichende Verbesserung der Beitragserhebung bewirkte und diese durch die Forderung einer eidesstattlichen Versicherung zusätzlich effektiviert würde. Im Rahmen der Erforderlichkeit ließe sich sicherlich auch die Anwendung anderer Methoden der Wahrheitsermittlung erwägen, wie die freiwillige Zustimmung zu einer Überprüfung in der Wohnung, wobei im Rahmen eines Einheitsbeitrags nur das Vorhalten eines einzigen Empfangsgeräts, z. B. eines Fernsehers, entscheidend wäre und die kleinen, portablen Empfangsgeräte außer Betracht bleiben könnten. Aber der Eingriff in die Privatsphäre wäre hierdurch höher.255 Damit erweist sich die eidesstattliche Versicherung als relativ mildestes Mittel. Ferner wäre die eidesstattliche Versicherung angemessen, da sie der Erhaltung der verfassungsrechtlich geschützten Finanzierungsgrundlage der eines Empfangsgeräts nicht bestehe. Allerdings lässt sich einwenden, dass den Briefwähler auch keine besondere Verantwortlichkeit trifft. 251 A. A.: Wagner, Rundfunkgebühr, S. 166, die von einer eidesstattlichen Versicherung zur Niederschrift z. B. bei einer Landesrundfunkanstalt oder einer Behörde ausgeht. 252 Schneider, NVwZ 2013, 19 (22); Wagner, Rundfunkgebühr, S. 165. 253 Wagner, Rundfunkgebühr, S. 166, die aber im Ergebnis eine eidesstattliche Versicherung ablehnt. 254 BVerfG, Beschl. v. 17.03.2011 – 1 BvR 3255 / 08, juris Rn. 6 = NVwZ-RR 2011, 465 f. 255 Die Bedeutung von Art. 13 GG betonte vor allem Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 57 f.
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV77
Rundfunkanstalten (Art. 5 I 2 Var. 2 GG) diente256 und die Rundfunkanstalten über ihr Programmangebot eine eminente Bedeutung für den demokratischen Meinungsbildungsprozess einnehmen257. Die Berichterstattung im Rundfunk, z. B. das TV-Duell der Kanzlerkandidaten, hat einen signifikanten Einfluss auf die Wahlentscheidung der Bürger. Werden die Wahlgrundsätze durch eine eidesstattliche Versicherung gesichert, wird man dies gleichfalls für die Finanzierung der Rundfunkanstalten als verhältnismäßig ansehen können. Zudem muss berücksichtigt werden, dass diese Versicherung nur von den wenigen Personen gefordert würde, die die Vermutung widerlegen möchten. Im Gegensatz zu einer unwiderlegbaren Vermutung erhielten die Betroffenen eine Wahlmöglichkeit und damit eine Erweiterung ihres Rechtskreises. cc) Folgen fehlender Mitwirkung Das Konzept einer widerlegbaren Vermutung müsste ferner eine praktikable Lösung für den Fall vorsehen, dass ein Antragsteller zwar die Existenz eines Empfangsgeräts bestreitet, aber seine Mitwirkung im Verfahren verweigert bzw. innerhalb einer bestimmten Frist nicht ausreichend zur Verfahrensförderung beiträgt. Die bereits von Gesetzes wegen umgekehrte Beweislast würde sehr wahrscheinlich noch nicht die gewünschte Verwaltungsvereinfachung in einem Massenverfahren bewirken, weil dies eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch den Beitragsservice nicht gänzlich entbehrlich machte. Anlass zu diesen Bedenken258 gibt die Rechtsprechung des BFH, wonach eine Verletzung der Mitwirkungspflicht im finanzgerichtlichen Verfahren 256 Das BVerwG (Urt. v. 27.10.2010 – 6 C 12 / 09, juris Rn. 45 f. = NJW 2011, 946 ff.) rechtfertigte den Eingriff in das Recht auf Informationsfreiheit (Art. 5 I 1 Alt. 2 GG) durch die sog. PC-Gebühr mit der verfassungsrechtlichen Bedeutung (Art. 5 I 2 Var. 2 GG) einer funktionsgerechten Finanzierung der Rundfunkanstalten, sodass auch der „Eingriff“ in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) durch Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung zu legitimieren wäre, vor allem weil der Betroffene die freie Wahl hätte, ob er die Vermutung widerlegen möchte. 257 Vgl. BVerfG, Entsch. v. 28.02.1961 – 2 BvG 1 / 60 u. a., juris Rn. 183, BVerfGE 12, 205 ff.; Gounalakis / Zagouras, Medienkonzentrationsrecht, S. 11 f., 18. 258 Auch Hasse, Finanzierung, S. 189, betont den Umstand, dass die fehlende Mitwirkung eines Steuerpflichtigen nur die Beweisanforderungen senke oder eine Schätzung zur Folge habe. Er hält eine Beweislastumkehr im Rundfunkbeitragsrecht bei verweigerter Mitwirkung des potenziellen Beitragsschuldners für rechtsstaatswidrig. Einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip bejaht auch Fiebig, Gerätebezogene Rundfunkgebührenpflicht, S. 342. Diese Einschätzung erscheint etwas überzogen, weil es angemessen ist, an die Verletzung von Mitwirkungspflichten „Sanktionen“ zu knüpfen. Dies dokumentiert auch die ZPO. Gemäß §§ 427, 444 ZPO
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
nicht zu einer Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast, sondern zu einer Begrenzung der Sachaufklärungspflicht und zu einer Minderung des Beweismaßes führe. Abwägungsfaktoren seien u. a. der Grad der Pflichtverletzung, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Gedanke der Zumutbarkeit und eine gesteigerte Mitverantwortung.259 Daher empfiehlt sich für die Rundfunkbeitragserhebung eine formale Regelung, die bei fehlender Mitwirkung das Bereithalten eines Empfangsgeräts ausdrücklich unterstellt. Diese könnte sich z. B. an § 11 VIII Fahr erlaubnisverordnung (FeV) zur Ermittlung der gesundheitlichen Eignung von Kraftfahrzeugführern anlehnen. Verweigert der Betroffene die Untersuchung oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie gemäß § 11 VIII FeV bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Dies ist verhältnismäßiger als eine Zwangsuntersuchung und schafft einen guten Ausgleich im Spannungsfeld zwischen Verwaltungspraktikabilität und Grundrechtsschonung. Sowohl der Bewerber um eine Fahrerlaubnis bzw. der Führerscheininhaber als auch eine Person ohne Empfangsgerät wollen eine für sie günstige, die Privatsphäre260 tangierende Tatsache (gesundheitliche Eignung bzw. kein Empfangsgerät in der Wohnung) beweisen und müssen entsprechend die Konsequenzen bei unzureichender Verfahrensförderung tragen. Außerdem findet sich dieser allgemeine Gedanke der Beweisvereitelung in anderen Bereichen261 wie z. B. in §§ 427, 444 ZPO262, nach denen das Vorenthalten oder Beseitigen von Urkunden durch den Gegner zur Konsequenz haben kann, dass das Vorbringen des Beweisführers als richtig unterstellt wird. kann von der Richtigkeit eines Parteivorbringens ausgegangen werden, wenn Urkunden durch den Gegner vorenthalten oder beseitigt werden. 259 BFH, Urt. v. 15.02.1989 – X R 16 / 86, juris Rn. 13 ff., BFHE 156, 38 ff.; vgl. auch Rätke, in: Klein, AO, § 90, Rn. 12; Wünsch, in: Pahlke / Koenig, AO, § 88, Rn. 28, 39. 260 Bei der Offenlegung der gesundheitlichen und häuslichen Verhältnisse könnte sogar weiter gehend eine Berührung der Intimsphäre bejaht werden. Die besondere Bedeutung des Art. 13 GG wird durch seinen Bezug zur Menschenwürde unterstrichen (Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 13, Rn. 1). Das BVerfG spricht hingegen teilweise auch nur von einer „Abschirmung der Privatsphäre in räumlicher Hinsicht“ (BVerfG, Urt. v. 17.02.1998 – 1 BvF 1 / 91, juris Rn. 134, BVerfGE 97, 228 ff.). Die genaue (einzelfallabhängige) Zuordnung hat im Ergebnis keinen signifikanten Einfluss auf die vorliegende Abwägung, und es wurde die niedrigere, konsensfähigere Eingriffsintensität gewählt. 261 Zur allgemeinen Anerkennung des Grundsatzes, dass eine Beweisvereitelung nicht ohne Konsequenzen bleiben kann: Schreiber, in: MüKo, ZPO, § 444, Rn. 6. 262 Schreiber, in: MüKo, ZPO, § 426, Rn. 2; Huber, in: Musielak, ZPO, § 427, Rn. 2, § 444, Rn. 1.
A. Unwiderlegbare Vorteilsvermutung im RBStV79
Da der Rundfunkbeitrag nur von relativ geringer Höhe ist und in einem Massenverfahren eingezogen wird, sollte man die Beweiserhebung prozessökonomisch gestalten. Bei einer Orientierung an der formal ausgestalteten Regelung aus der FeV wäre eine weitere Beweiserhebung bei verweigerter Mitwirkung prinzipiell nicht veranlasst. Der effektive Rechtsschutz (Art. 19 IV GG) würde jedenfalls deutlich besser gewährleistet als bei einer unwiderlegbaren Vermutung, und zudem hätte der Gesetzgeber durch die Rechtsprechung zur FeV eine gewisse Rechtssicherheit. b) Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i. V. m. 1 I GG263) wäre unter Berücksichtigung sowohl des Einzelfalls als auch der Gesamtzahl der zu erwartenden Eingriffe gewahrt. Erstens müssten die Betroffenen im Rahmen der Vermutungswiderlegung Informationen nur in begrenztem Umfang offenlegen, um zu erläutern, warum sie kein Empfangsgerät bereithielten. Relativiert wäre diese Eingriffsintensität durch die Freiwilligkeit der Angaben. Denn ein Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät könnte sich genauso gut dafür entscheiden, die Vermutung zu akzeptieren und jeden Monat den Rundfunkbeitrag zu zahlen. Im Gegensatz zu einer unwiderlegbaren Vermutung hätte er zumindest eine Wahl und die Chance auf „rechtliches Gehör“264; sein Rechtskreis wäre erweitert. Darüber hinaus wurden die viel intensiveren Kontrollversuche der GEZ (Aufsuchen potenzieller Beitragsschuldner zu Hause) in den letzten Jahrzehnten nicht als verfassungswidrig qualifiziert, und im Steuerrecht – ebenfalls ein Massenfallrecht – sind sogar weiter gehende Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und in Art. 13 GG durch Außenprüfungen des Finanzamtes mit bestimmten Betretungsrechten nicht unüblich (vgl. §§ 99 I, 200 III AO, §§ 42g II, 50b S. 2 EStG). Zweitens wäre die Anzahl der Betroffenen sehr gering, da von einer sehr hohen Ausstattungsrate bei Rundfunkempfangsgeräten auszugehen ist. Entsprechend wären nur wenige Verwaltungsverfahren zu erwarten, in denen eine Vermutungswiderlegung angestrebt würde, vor allem weil die meisten Beitragsverweigerer wahrscheinlich auf Schreiben des Beitragsservice ohnehin nicht reagierten. Eine widerlegbare Vermutung scheint somit geeignet, in ausgewogener Weise das informationelle Selbstbestimmungsrecht, das „rechtliche Gehör“, den effektiven Rechtsschutz und die Verwaltungspraktikabilität zu berück263 Siehe
hierzu: Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2, Rn. 72 ff.
264 Fn. 242.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
sichtigen. Sie ermöglichte die Erlangung von Einzelfallgerechtigkeit und böte den Betroffenen eine eigenverantwortliche Wahlmöglichkeit, während eine unwiderlegbare Vermutung einseitig die Verwaltungspraktikabilität akzentuiert und alternativlos bevormundet. Kirchhof betont gerne die Bedeutung der Freiheit265, die Wahlfreiheit des mündigen Bürgers kommt in seinem typisierungsaffinen Konzept jedoch zu kurz. 3. Zwischenergebnis Zusammenfassend ist festzustellen, dass der RBStV den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die (bereits nicht anwendbare) Typisierung nicht genügt, weil die Typisierung nicht durch Gründe der Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt wird und erst recht nicht unvermeidbar ist. Denn mit dem Konzept einer widerlegbaren Vermutung besteht eine praktikable und verfassungsgemäße Alternative, die sowohl Einzelfallgerechtigkeit ermöglichen als auch den Verwaltungsaufwand ausreichend reduzieren könnte. Da die Ausführungen belegt haben, dass ein Sondervorteil für die Rechtmäßigkeit einer Beitragsschuld zwingend existieren muss, ist die anschließende Frage umso entscheidender, ob ein Vorteil ohne Empfangsgerät tatsächlich gegeben ist.
B. Existenz eines Sondervorteils für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät Die verfassungsrechtliche Notwendigkeit eines Sondervorteils für jeden Beitragspflichtigen zwingt zu der Prüfung, ob sich ein entsprechender Vorteil durch das Angebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten für die Beitragspflichtigen ohne Empfangsgerät begründen lässt. Die Abhandlung wird sich der Beantwortung dieser Frage in drei Schritten nähern. Zuerst wird versucht, den Vorteil aus der bisherigen Beitragsdogmatik herzuleiten (I.), indem die Weite des Vorteilsbegriffs in der Rechtsprechung analysiert wird. Selbst wenn dies nicht gelänge, käme noch die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des RBStV in Betracht (II.). Sollten auch hiergegen erhebliche Bedenken bestehen, ließen sich eine erweiternde Interpretation des verfassungsrechtlichen Beitragsbegriffs und ein Verfassungswandel in Erwägung ziehen (III.). Die Optionen sind demnach nicht allein auf die Bejahung oder Negation eines Sondervorteils verengt, wie dies die derzeitige Diskussion266 suggeriert. Zudem berücksichtigt diese differenzierte Herangehensweise die besondere Bedeutung eines formellen Parlamentsgesetzes. 265 Paul
Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 57 f.; ders., Der sanfte Verlust der Freiheit. A. III. 2.
266 Kap. 3
B. Sondervorteil für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät81
I. Herleitung aus der bisherigen Beitragsdogmatik Eine Analyse etablierter Beiträge könnte Aufschluss über das Vorliegen eines Vorteils für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät geben. Dementsprechend werden zunächst verschiedene Beiträge und ihre Anforderungen an das Vorhandensein eines Sondervorteils (1.–3. und 5.), aber auch eine Sonderabgabe (4.) vorgestellt und die jeweilige Relevanz für den Rundfunkbeitrag ausgewertet. Daran anknüpfend geht die Untersuchung auf den mittelbaren Vorteil eines Rundfunkbeitragsschuldners ohne Empfangsgerät ein (6.) und zieht ein Zwischenergebnis aus der gesamten Vorteilsanalyse (7.). 1. Vorteilsbegriff des RGebStV Die Entscheidungen zu den sog. Kabel- [a)] und Aufsichtsgroschen [b)] manifestieren ein sehr weites Vorteilsverständnis, das Folgerungen für den Rundfunkbeitrag ermöglicht [c)]. a) BVerfG-Entscheidung zum Kabelgroschen Ein Teil des Rundfunkgebührenaufkommens (sog. Kabelgroschen) wurde temporär zur Finanzierung von örtlich begrenzten Kabelpilotprojekten eingesetzt, die wiederum auf die Einführung von Kabelfernsehen zielten.267 Dem Kabelgroschen wurde vorgehalten, dass er keinen Teil der Rundfunkgebühr, sondern eine unzulässige Sonderabgabe darstelle. Es fehle der notwendige Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung, weil 99 % aller Haushalte nicht vom Kabelfernsehen profitierten. Darüber hinaus diene der Kabelgroschen der Finanzierung privaten Rundfunks.268 Die Kabelpilotprojekte würden des Weiteren die Umstrukturierung des Medienwesens unterstützen, was aber nicht in den Aufgabenbereich der Rundfunkanstalten, sondern des Staates falle.269 Hinsichtlich dieser Kritik ist zu konzedieren, dass die Etablierung weiterer Rundfunkanbieter in den 1980er-Jahren wegen der physikalischen Grenzen der drahtlosen Verteilung von Rundfunkprogrammen, namentlich der Störung durch Frequenzüberlagerungen, nach einer neuen Übertragungstechnik verlangte.270 Aber die Zulassung privater Anbieter war nicht das 267 BVerfG,
Urt. v. 22.02.1994 – 1 BvL 30 / 88, juris Rn. 21 ff., BVerfGE 90, 60 ff. der Beschwerdeführer: BVerfG, Urt. v. 22.02.1994 – 1 BvL 30 / 88, juris Rn. 83, BVerfGE 90, 60 ff. 269 Vortrag der Beschwerdeführer: BVerfG, Urt. v. 22.02.1994 – 1 BvL 30 / 88, juris Rn. 92, BVerfGE 90, 60 ff. 270 Groß, NJW 1984, 409. 268 Vortrag
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
eigentliche Ziel der Kabelpilotprojekte. Vielmehr sollten private Veranstalter nach der ursprünglichen Planung nur bei einem Kabelpilotprojekt zugelassen werden – eine Position, die erst später aufgegeben wurde.271 Das BVerfG legte den Vorteilsbegriff relativ weit aus und bejahte einen Sondervorteil aus den Pilotprojekten für jeden Rundfunkgebührenzahler, auch wenn „nur ein sehr geringer Teil“ von ihnen das über Kabel verbreitete Fernsehprogramm empfangen konnte. Denn die Projekterfahrungen dienten der „Verbesserung des Rundfunkwesens insgesamt“ und kämen „nach der Erprobungsphase allen Teilnehmern zugute“.272 b) BVerwG-Entscheidung zum Aufsichtsgroschen Das BVerwG legte ebenfalls einen sehr weiten Vorteilsbegriff zugrunde, als es einen Sondervorteil für jeden Rundfunkbeitragszahler durch die Aufsichtstätigkeit der Landesmedienanstalten annahm. Ein knapp zweiprozen tiger Anteil der Einnahmen aus den Rundfunkbeiträgen (sog. Aufsichtsgroschen) wird zugunsten der Landesmedienanstalten verwandt273, denen die Aufgabe zukommt, den privaten Rundfunk zu beaufsichtigen274. Entsprechend stellt sich die Frage, warum gerade die Beitragszahler hierfür aufkommen sollen und worin ihre beitragsrechtlichen Vorteile liegen. Denn der Rundfunkbeitrag dient eigentlich der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Aufsichtstätigkeiten könnten hingegen als staatliche Aufgabe (allerdings nur theoretisch275) aus Steuermitteln finanziert werden.276 Das BVerwG akzentuierte ähnlich wie das BVerfG bei den Kabelpilotprojekten den Nutzen für alle Rundfunkteilnehmer: „Jedoch kommt insbesondere die Verhinderung von Meinungsvormacht einzelner Träger, aber auch die Sicherung des gebotenen Minimums an gegenständlicher Breite und 271 Groß, NJW 1984, 409 (412). Ausführlich zum Kabelpilotprojekt Ludwigshafen, bei dem private Anbieter beteiligt waren: Ricker, NJW 1981, 849 ff. 272 BVerfG, Urt. v. 22.02.1994 – 1 BvL 30 / 88, juris Rn. 196, BVerfGE 90, 60 ff. 273 § 40 I 1 Nr. 1 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) i. V. m. § 10 I 1 (RFinStV). 274 §§ 35 I 1, 36 I 3, II 1 Nr. 7 RStV; Gounalakis / Zagouras, Medienkonzentra tionsrecht, S. 33 f. 275 Die Finanzierung der Landesmedienanstalten aus dem Rundfunkgebührenaufkommen war die vorteilhafteste Option, weil sowohl eine Steuerfinanzierung als auch eine Gebührenbelastung der beaufsichtigten Anbieter die Unabhängigkeit des Aufsichtsorgans vom jeweiligen Finanzier infrage gestellt hätte (Holznagel / Krone, in: Spindler / Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 40 RStV, Rn. 3; Beucher / Leyendecker / v. Rosenberg, Mediengesetze, § 40 RStV, Rn. 1). 276 So die Kritik von Schmidt, MP 1986, 162 (169 f.). Ausführlich zu der Streitfrage der Finanzierung der Landesmedienanstalten: Beucher / Leyendecker / v. Rosenberg, Mediengesetze, § 40 RStV, Rn. 4.
B. Sondervorteil für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät83
Meinungsvielfalt im Privatfunk mittelbar dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk bei der Erfüllung der ihm obliegenden Aufgabe und damit letztlich allen Rundfunkteilnehmern zugute.“277 Aus diesem Grund sei „jeder Rundfunkteilnehmer auch Empfänger eines unmittelbaren oder mittelbaren Vorteils (…), der ihm aus der Aufsichtstätigkeit der Landesmedienanstalten erwächst (…).“278 c) Folgerungen für den Rundfunkbeitrag Die (frühere) Finanzierung der Landesmedienanstalten und der Kabelpilotprojekte aus dem Rundfunkgebührenaufkommen spricht dafür, dass Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät einen Sondervorteil genießen: Wer kein Empfangsgerät besitzt, zahlt für ein Rundfunkangebot, das er derzeit nicht nutzt, aber durch Anschaffung eines entsprechenden Geräts zukünftig nutzen könnte. Im Fall des sog. Aufsichtsgroschens werden Rundfunkbeitragszahler für die Meinungsvielfalt im Privatrundfunk herangezogen, obwohl einige von ihnen das private Angebot nicht konsumieren, doch zukünftig konsumieren könnten.279 Gegen diesen Vergleich ließe sich einwenden, dass der Konsument der öffentlich-rechtlichen Programme bereits durch einen einfachen Programmwechsel vom privaten Rundfunk profitieren könne, während für den Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät ein weiterer Zwischenschritt für die Vorteilsziehung in der Anschaffung eines Geräts bestehe. Der Erwerb eines Empfangsgeräts begründet dennoch keine rechtlich erhebliche Zäsur, die den Zurechnungszusammenhang zwischen dem Vorteil aus dem Rundfunkprogramm und der Beitragslast durchbricht. Gerade das Beispiel des sog. Kabelgroschens dokumentiert die fehlende rechtliche Erheblichkeit einer technischen Hürde und lässt sich im Wege eines argumentum a maiore ad minus auf die Notwendigkeit zur Anschaffung eines Empfangsgeräts übertragen. Im Fall des Kabelgroschens profitierte ein sehr geringer Anteil der damaligen Rundfunkgebührenzahler von den Kabelpilotprojekten, während der Großteil von ihnen bereits technisch keinen Zugang zum Kabelfernsehen hatte. Es macht im Ergebnis keinen 277 BVerwG,
Urt. v. 09.12.1998 – 6 C 13 / 97, juris Rn. 41, BVerwGE 108, 108 ff. Urt. v. 09.12.1998 – 6 C 13 / 97, juris Rn. 42, BVerwGE 108, 108 ff. 279 Man könnte auch folgende Parallele erwägen: Wenn der Meinungspluralismus bei den privaten Rundfunksendern alle Rundfunkteilnehmer beitragsrechtlich begünstigen kann, müsste eine medienübergreifende Vielfalt in Zeiten der Konvergenz konsequenterweise jedem Bundesbürger einen beitragsrechtlichen Vorteil vermitteln. Doch ist dieser Vorteil sehr abstrakt, und es empfiehlt sich, auf die konkrete, jederzeitige Möglichkeit zur Anschaffung eines Empfangsgeräts und zur unmittelbaren Nutzung des Programmangebots abzustellen. 278 BVerwG,
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
Unterschied, ob jemand für Kabelpilotprojekte zahlt und Kabelfernsehen nicht nutzen kann oder nach der Reform der Rundfunkfinanzierung Rundfunkbeiträge entrichtet und kein Empfangsgerät besitzt. In beiden Fällen wird das Programmangebot nicht genutzt. Gleichwohl kann das Hindernis, das im Fehlen eines Empfangsgeräts besteht, relativ einfach durch Investition eines wirtschaftlich vertretbaren Aufwands überwunden werden.280 Diese Möglichkeit hatten die Beitragsschuldner bei den Kabelpilotprojekten nicht, weil der Zugang zu dieser Technik nicht in ihrem Einflussbereich lag. Für die Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrags lässt sich weiterhin vorbringen, dass keine so große Inkongruenz zwischen Beitragszahlern und unmittelbar Begünstigten wie bei den Kabelpilotprojekten besteht, da fast alle Bürger über ein Empfangsgerät verfügen.281 Wegen der strukturellen Parallelen, die bei abstrahierender Betrachtung zwischen dem sog. Aufsichtsgroschen und dem derzeitigen Rundfunkbeitrag bestehen, erscheint es nicht überzeugend, dass Kirchhof den Aufsichtsgroschen als sonstige Abgabe282, den aktuellen Rundfunkbeitrag hingegen als echten Beitrag qualifiziert. Die Verknüpfung von Vorteilen und Lasten ist beim Aufsichtsgroschen stärker ausgeprägt als bei einem Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät, weil der Beitragsschuldner im Fall des Aufsichtsgroschens für einen Vorteil zahlt, der sich innerhalb desselben Mediums entfaltet. Einziger Zwischenschritt ist das Umschalten zu den privaten Programmen mittels Fernbedienung. 2. Vorteilsbegriff der Fremdenverkehrsbeiträge Fremdenverkehrsbeiträge stellen die einzigen Beiträge dar, die bereits im gesetzlichen Tatbestand eine begrüßenswerte Systematisierung von Vorteilsarten vornehmen, indem sie zwischen unmittelbaren und mittelbaren wirtschaftlichen Vorteilen differenzieren, vgl. z. B. Art. 6 I BayKAG, § 44 I KAG BW und § 11 VI KAG NW. Unmittelbare Vorteile haben u. a. Personen und Unternehmen, die am Fremdenverkehr unmittelbar beteiligt sind, z. B. Inhaber von Hotels, Gast280 Auch der VerfGH BY sieht in der Anschaffung eines Empfangsgeräts wegen der niedrigen Kosten kein beachtliches Hindernis: Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 112 = DVBl. 2014, 848 ff. 281 Dem Vergleich mit dem Kabelgroschen steht nicht entgegen, dass er nur eine temporäre Einrichtung bildete, während der Rundfunkbeitrag auf Dauer auch von Personen ohne Empfangsgerät erhoben werden soll. Denn es handelt sich in beiden Fällen um Beiträge, weshalb die qualitativen Anforderungen der Verfassung dieselben sind. 282 Paul Kirchhof, Nichtsteuerliche Abgaben, in: HStR, Bd. V, § 119, Rn. 119.
B. Sondervorteil für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät85
höfen und Restaurants.283 Mittelbare Vorteile bestehen dagegen, wenn Geschäfte mit den am Fremdenverkehr unmittelbar Beteiligten getätigt werden. Zu diesen mittelbaren Profiteuren können z. B. nicht nur die Inhaber von Ladengeschäften und Handwerksbetrieben, sondern auch Steuerberater, Banken, Architekten, Rechtsanwälte und Notare zählen.284 Rechtsanwälte ziehen laut Rechtsprechung mittelbare Vorteile durch die Beratung und Vertretung örtlicher Fremdenverkehrsbetriebe in geschäftlichen Angelegenheiten.285 Die Erfassung von Rechtsanwälten dokumentiert, dass die Anforderungen der Rechtsprechung an die Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung bei dieser Beitragsform ebenfalls nicht sehr hoch sind. Damit können sogar Personengruppen belastet werden, bei denen man eine Verbindung zum Fremdenverkehr zunächst nicht vermutet.286 Die Fremdenverkehrsbeiträge sind ein Beispiel, in dem der Gesetzgeber das Genügen mittelbarer Vorteile ausdrücklich kodifizierte, während dies in anderen Fällen (z. B. Rundfunkgebühren und Kammerbeiträge) von der Rechtsprechung aus der Weite des Vorteilsbegriffs hergeleitet wurde. Die Einteilung in unmittelbare und mittelbare Vorteile erleichtert die Systematisierung und wird später287 auf die Vorteilsverteilung im derzeitigen Rundfunkbeitragsrecht übertragen. 3. Vorteilsbegriff der Kammerbeiträge Die Kammerbeiträge lassen gleichfalls ein sehr weites Vorteilsverständnis erkennen. Im Rahmen der folgenden Untersuchung werden zwei Kammerbeiträge herausgegriffen, die selbst innerhalb ihrer Gruppe Besonderheiten aufweisen und die Bandbreite des beitragsrechtlich Zulässigen aufzeigen. Es handelt sich hierbei um die Belastung von Amtsärzten mit Beiträgen der Ärztekammer [a)] und von Arbeitnehmern mit Beiträgen der Arbeitnehmerkammer [b)].
283 OVG Schleswig, Urt. v. 04.10.1995 – 2 L 220 / 95 u. a., juris Rn. 18 = KStZ 1997, 93 ff. 284 OVG Schleswig, Urt. v. 04.10.1995 – 2 L 220 / 95 u. a., juris Rn. 19 = KStZ 1997, 93 ff. 285 VGH München, Urt. v. 24.07.1996 – 4 B 95.3285, abrufbar bei BeckRS 1996, 15175 (offenbar nicht veröffentlicht). 286 Der VGH Mannheim, Beschl. v. 10.08.1998 – 2 S 2753 / 97, juris Rn. 6 = MedR 1999, 377 ff., erklärt ausdrücklich, dass ein besonderes „Näheverhältnis“ der Beitragspflichtigen zum Fremdenverkehr für die Begründung der Beitragspflicht nicht notwendig sei. 287 Kap. 3 B. I. 6.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
a) Ärztekammerbeiträge von Amtsärzten Ärztekammern sind zwar primär auf die Interessen freipraktizierender Ärzte ausgerichtet288, aber auch Amtsärzte werden mitgliedschaftlich erfasst und zu Kammerbeiträgen herangezogen. Doch stellt sich die Frage nach ihren Vorteilen aus dieser Mitgliedschaft. Das BVerwG räumte offen die Schwierigkeit der Vorteilsbegründung ein und sah den Ausweg in einer sehr weiten Definition des Vorteilsbegriffs: „Das Wesen des Beitrages (…) besteht darin, daß er eine Gegenleistung für einen gewährten (Sonder-)Vorteil darstellt und die von dem Beitragspflichtigen geforderten Leistungen in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Vorteil stehen müssen (…). Zwischen dem Erhebungsanlaß und dem Vorteil des Pflichtigen besteht allerdings nur ein mittelbarer Zusammenhang, der sich zu einer bloßen gesetzlichen Vermutung oder Fiktion des Vorteils verflüchtigen kann (…). So hat der Senat (…) darauf hingewiesen, daß der Zusammenhang zwischen Erhebungsanlaß und Vorteil des Pflichtigen nicht immer scharf erfaßbar ist und daß dies besonders für Abgaben an Standesorganisationen gilt, deren Mittel z. T. für die Standesaufsicht verwendet werden müssen. Der Vorteil, den ein Mitglied an der Aufrechterhaltung der Integrität seines Standes hat, ist nicht meßbar.“289 Dem BVerwG fiel die Begründung eines Vorteils erkennbar schwer, weil den Ärztekammern zahlreiche öffentliche Aufgaben übertragen worden sind, die die Amtsärzte „gar nicht oder nur in geringerem Maße angehen“. Entsprechend dem geringen Nutzen der Amtsärzte aus der Pflichtmitgliedschaft sei ihre Bindung schwächer, d. h., sie seien weniger überwacht und nur in sehr beschränktem Umfang der Berufsgerichtsbarkeit unterworfen.290 Der betroffene Amtsarzt erhalte auch keinen unmittelbaren Vorteil aus der Versorgungs- und Fürsorgeeinrichtung der Ärztekammer, da er und seine Angehörigen durch die beamtenrechtlichen Ansprüche des Besoldungs- und Versorgungsrechts ausreichend abgesichert seien. Das BVerwG erkannte aber einen mittelbaren Vorteil des Amtsarztes in den Fürsorgeleistungen, die an freipraktizierende Ärzte erbracht werden, weil diese der „Pflege und Erhaltung des gesamten Berufsstandes“ dienten.291 In diesem Fall steht eindeutig ein rein immaterieller Vorteil im Vordergrund.292 Das BVerwG 288 BVerwG,
Urt. v. 25.11.1971 – I C 48.65, juris Rn. 17, BVerwGE 39, 100 ff. Urt. v. 25.11.1971 – I C 48.65, juris Rn. 35, BVerwGE 39, 100 ff. 290 BVerwG, Urt. v. 25.11.1971 – I C 48.65, juris Rn. 17, BVerwGE 39, 100 ff. 291 BVerwG, Urt. v. 25.11.1971 – I C 48.65, juris Rn. 41, BVerwGE 39, 100 ff.; auch auf die Standesinteressen abstellend: BVerwG, Urt. v. 06.11.1959 – I C 213 / 56 = GewArch 1962, 185 (186, rechte Spalte) und Urt. v. 13.03.1962 – I C 155 / 59 = NJW 1962, 1311 (1312). 292 In der Literatur wird eingewandt, dass der Beitrag bei einem Verzicht auf einen nachvollziehbaren wirtschaftlichen Sondervorteil seine Konturen verliere und 289 BVerwG,
B. Sondervorteil für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät87
räumte in einem späteren Urteil zu Ärztekammerbeiträgen dann auch ausdrücklich ein, dass es einen „immaterielle(n) Nutzen aus der Existenz und dem Wirken der Kammer“ bei der Begründung von Beitragspflicht und -höhe mit heranziehe.293 Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit den Entscheidungen zum Kabel- und Aufsichtsgroschen, bei denen gleichfalls auf immaterielle Interessen (Pluralismussicherung und -erweiterung) rekurriert wurde. Für die aktuelle Diskussion über die Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags ergeben sich zwei Konsequenzen: Erstens unterstreicht dieser Fall die Notwendigkeit eines – wenn auch kaum messbaren – Vorteils, weshalb er bereits im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Zulässigkeit einer unwiderlegbaren Vorteilsvermutung angeführt wurde.294 Diese Rechtsprechung untermauert insofern die These der Reformkritiker, dass ein Vorteil im Rahmen einer Typisierung nicht entbehrlich sein könne. Zweitens begründet das Abstellen auf die Existenz und das Wirken der Ärztekammer eine Parallele zu Kirchhofs Konzept, der sich auf das vorteilhafte „Wirken der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“295 beruft. Doch bedeutet dies noch nicht die Bestätigung seiner Idee vom strukturellen Vorteil, sondern ermöglicht lediglich niedrigere Anforderungen bei der Begründung des individuellen Vorteils. Gerade die aktuelle Rechtsprechung des BVerfG zu wiederkehrenden Straßenbaubeiträgen akzentuiert die Notwendigkeit eines individuell-konkreten Vorteils im Beitragsrecht.296 Daher sollte primär versucht werden, die Zurechnung zum Individuum herzustellen. Auch das oben wörtlich zitierte Judikat des BVerwG erwähnte den „Vorteil des Pflichtigen“ zu Beginn seiner Prüfung und leitete ihn lediglich für den speziellen Fall des Amtsarztes aus dem Gruppeninteresse her. Für andere Pflichtmitglieder der Ärztekammer ist ein individueller Sondervorteil u. a. aufgrund der Versorgungsleistung und der nützlichen Verbandsarbeit erkennbar gegeben. Gerade wegen dieser Parallelen ist es nicht nachvollziehbar, dass Kirchhof Kammer- und Rundfunkbeiträge unterschiedlich behandelt. Einerseits legt er bei den Kammerbeiträgen einen strengen Maßstab an und spricht ihnen den Beitragscharakter mit der Begründung ab, dass sie keinen beeine Abgrenzung zur Steuer kaum noch durchführbar sei: Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 114; Hey, StuW 2008, 289 (293); Tettinger, Kammerbeitrag, in: FS Kruse, S. 79 (86). 293 BVerwG, Beschl. v. 25.07.1989 – 1 B 109 / 89, juris Rn. 5 = NJW 1990, 786 f. 294 Kap. 3 A. IV. 4. 295 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 60. 296 Siehe Fn. 81.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
sonderen Vorteil der Mitglieder voraussetzten.297 Andererseits stellt er in seinem Rechtsgutachten sehr geringe Anforderungen an den Sondervorteil, indem er die allgemeine Bereicherung durch die Informationskultur genügen lässt. Dabei ist die Gruppe der Begünstigten bei den Kammerbeiträgen (Standesgenossen) viel kleiner als bei den Rundfunkbeiträgen (gesamte Bevölkerung) und entsprechend intensiver der jeweilige Vorteil für das Individuum. Daher wäre allenfalls eine umgekehrte Sichtweise verständlich. b) Arbeitnehmerkammerbeiträge trotz Gewerkschaften Die Rechtfertigung der Beiträge der Arbeitnehmerkammern in Bremen und im Saarland forderte dem BVerfG fast noch mehr Argumentationsgeschick ab, vor allem weil faktisch alle Aufgaben der Arbeitnehmerkammern durch Gewerkschaften erfüllt wurden298 und damit die Verbandstätigkeit der Kammern für die Arbeitnehmer wenig bedeutsam war. Das BVerfG konzedierte, dass die Arbeitnehmerkammern auf den ersten Blick als „Gebilde ohne rechten Daseinszweck“299 erschienen. Die Gewerkschaften seien aber nach ihrem Ursprung „Kampfverbände“, die aus dem Gegensatz zu den Arbeitgebern entstanden seien und eine stark interessengerichtete Tätigkeit aufwiesen.300 Davon unterscheide sich die Konzeption der Arbeitnehmerkammern, weil ihre Gründung vom Staat ausgegangen sei, der sich ein neutrales Beratungsorgan habe schaffen wollen. Diesem Zweck dienten die allgemeinen Berichte, periodischen Mitteilungsblätter, Informationsbroschüren und Gutachten der Kammern. Der Blick der Arbeitnehmerkammern solle stets auf die Interessen der Arbeitnehmerschaft insgesamt gerichtet sein.301 Mit nur einem feststellenden Satz bejahte das Gericht das Vorliegen eines Nutzens der Mitglieder aus der oben beschriebenen Verbandstätigkeit und negierte das Vorliegen einer Steuer.302 297 Paul Kirchhof, Nichtsteuerliche Abgaben, in: HStR, Bd. V, § 119, Rn. 66, 113–116. 298 BVerfG, Beschl. v. 18.12.1974 – 1 BvR 430 / 65 u. a., juris Rn. 103, BVerfGE 38, 281 ff. 299 BVerfG, Beschl. v. 18.12.1974 – 1 BvR 430 / 65 u. a., juris Rn. 104, BVerfGE 38, 281 ff. 300 BVerfG, Beschl. v. 18.12.1974 – 1 BvR 430 / 65 u. a., juris Rn. 108, BVerfGE 38, 281 ff. 301 BVerfG, Beschl. v. 18.12.1974 – 1 BvR 430 / 65 u. a., juris Rn. 109, BVerfGE 38, 281 ff. 302 BVerfG, Beschl. v. 18.12.1974 – 1 BvR 430 / 65 u. a., juris Rn. 113, BVerfGE 38, 281 ff. Unvorteilhaft erscheint dann noch der Verweis des Gerichts auf seine Rechtsprechung zur Feuerwehrabgabe (BVerfG, Beschl. v. 20.05.1959 – 1 BvL 1 / 58 u. a., juris Rn. 30, BVerfGE 9, 291 ff.) und zum Sozialversicherungsbeitrag (BVerfG,
B. Sondervorteil für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät89
Auch dieses Judikat führt sehr anschaulich vor Augen, dass die Anforderungen an das Vorliegen eines Vorteils von der Rechtsprechung nicht sehr hoch angesetzt werden. Entsprechend könnte bzw. sollte im Fall des Rundfunkbeitrags ebenfalls ein großzügiger Maßstab angelegt werden. 4. Parallelen zwischen Kohlepfennig und Rundfunkbeitrag Es mag an dieser Stelle zunächst verwundern, dass neben den Beiträgen auch eine Finanzierungssonderabgabe (sog. Kohlepfennig) vorgestellt und ihr bei der Analyse des Rundfunkbeitrags eine besondere Signifikanz beigemessen wird. Finanzierungssonderabgaben setzen im Gegensatz zu Beiträgen keinen individuellen Sondervorteil voraus und werden ähnlich wie Steuern voraussetzungslos erhoben.303 Die verbindenden Elemente von Beiträgen und Finanzierungssonderabgaben sind (vereinfacht dargestellt) zum einen die Belastung einer bestimmten Gruppe mit einer besonderen Zahlungspflicht und zum anderen das Ziel, mithilfe der Abgabe etwas im Interesse der Abgabenschuldner zu bewirken. Aufgrund dieser Parallelen könnte die Rechtsprechung zu den Finanzierungssonderabgaben Rückschlüsse für die Bestimmung der Beitragspflichtigen erlauben.304 Bei den Finanzierungssonderabgaben muss die belastete Gruppe dem mit der Sonderabgabe verfolgten Zweck offensichtlich näher stehen als jede andere Gruppe oder die Allgemeinheit der Steuerzahler. Aus dieser Sachnähe der Pflichtigen zum Sonderabgabenzweck muss eine besondere Gruppenverantwortung für die Erfüllung der finanzierten Aufgabe resultieren.305 Schließlich wird eine sachgerechte Verknüpfung zwischen Belastungen und Begünstigungen gefordert, die gegeben ist, wenn das Abgabenaufkommen Entsch. v. 16.10.1962 – 2 BvL 27 / 60, juris Rn. 20, BVerfGE 14, 312 ff.), da in beiden Fällen ein Beitrag gerade verneint wurde. 303 BVerfG, Beschl. v. 17.07.2003 – 2 BvL 1 / 99 u. a., juris Rn. 119 f., BVerfGE 108, 186 ff.; Dittmann / Scheel, Medienabgabe, S. 31. 304 Parallelen sieht auch Wagner, Rundfunkgebühr, S. 203, vor allem Fn. 625. Vogel, Vorteil und Verantwortlichkeit, in: FS Geiger, S. 518 (528 f.), möchte die materiellen Voraussetzungen für die Erhebung von Sonderabgaben sogar auf die Gebühren und darüber hinaus auf alle Abgaben übertragen, da sich jede Abgabe rechtfertigen müsse. Ubber, Beitrag, S. 228 f., schließt sich dieser Auffassung an. Ein solcher Ansatz ist indes zu weitgehend, unterliegen doch die Sonderabgaben deshalb erhöhten Anforderungen, weil sie sich gerade nicht in die klassischen Abgabenkategorien einfügen. Das BVerfG unterscheidet sehr deutlich zwischen Vorzugslasten und Sonderabgaben: BVerfG, Beschl. v. 17.07.2003 – 2 BvL 1 / 99 u. a., juris Rn. 119 f., BVerfGE 108, 186 ff. 305 BVerfG, Urt. v. 10.12.1980 – 2 BvF 3 / 77, juris Rn. 73, BVerfGE 55, 274 ff.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
im Interesse der Gruppe der Sonderabgabenpflichtigen eingesetzt wird.306 Das letztgenannte Kriterium ähnelt etwas dem (strengeren) beitragsrecht lichen Erfordernis eines Sondervorteils.307 Zusätzlich zu diesen abstrakten Parallelen beider Abgaben verbinden den Kohlepfennig und den Rundfunkbeitrag konkrete Gemeinsamkeiten, was die Frage aufwirft, ob die Verfassungswidrigkeit des Kohlepfennigs [a)] Relevanz für die Bewertung des Rundfunkbeitrags entfaltet [b)].308 a) BVerfG-Entscheidung zum Kohlepfennig Der Kohlepfennig war eine Ausgleichsabgabe auf der Basis des dritten Verstromungsgesetzes und verfolgte das Ziel, einen angemessenen Anteil von Steinkohle an der Erzeugung elektrischer Energie im Interesse der Versorgungssicherheit zu erhalten. Er wurde zwar unmittelbar von den Energieversorgungsunternehmen erhoben, belastete aber materiell die Endverbraucher und war von der gesetzlichen Konzeption auch darauf angelegt. Das Gesetz sah z. B. ausdrücklich vor, dass die Energieversorger die Ausgleichsabgabe an die Endverbraucher weitergeben durften und die Abgabe in den Rechnungen gesondert auszuweisen war. Härtefallregelungen stellten daher auf die Belastung der Endverbraucher und nicht der Stromversorger ab. Die Unternehmen wurden lediglich deshalb in Anspruch genommen, weil dies die Erhebung erleichterte.309 Das BVerfG sah in dem Kohlepfennig eine unzulässige Sonderabgabe, die faktisch die Allgemeinheit (den privaten, gewerblichen und staatlichen Stromverbrauch) belaste. Gemeinsam sei den Abgabenträgern nur der Stromverbrauch, was aber keine besondere Finanzierungsverantwortlichkeit begründe310: „Der Kreis der Stromverbraucher ist somit nahezu konturenlos und geht in der Allgemeinheit der Steuerzahler auf. Die mit einer Sonderabgabe eingeforderte Finanzverantwortung findet keine homogene Gruppe vor, deren gemeinsame Interessenlage eine besondere Sachnähe zur Kohleverstromung begründete. (…) ihr paralleles Interesse zielt eher auf die Sicherheit der jeweils individuellen Versorgung als Reflex der allgemeinen Versorgungssicherheit. Die Sicherstellung der Strom- oder Energieversor306 BVerfG,
Urt. v. 10.12.1980 – 2 BvF 3 / 77, juris Rn. 75, BVerfGE 55, 274 ff. Wagner, Rundfunkgebühr, S. 203. 308 Der Verfasser dankt Prof. Dr. Müller-Franken für den Hinweis auf die mög liche Parallele zwischen dem Rundfunkbeitrag und dem sog. Kohlepfennig. 309 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1994 – 2 BvR 633 / 86, juris Rn. 80 ff., BVerfGE 91, 186 ff. 310 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1994 – 2 BvR 633 / 86, juris Rn. 90, BVerfGE 91, 186 ff. 307 Ähnlich:
B. Sondervorteil für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät91
gung aber ist ein Interesse der Allgemeinheit, das deshalb als Gemeinlast – durch Steuer – finanziert werden muß.“311 Das Gericht betonte zudem, dass die Erhaltung des deutschen Steinkohlebergbaus primär die Kohleregionen, die dort tätigen Unternehmen und Arbeitnehmer betreffe, während die Versorgungssicherheit ein Interesse der Allgemeinheit darstelle: „Das Interesse an einer Stromversorgung ist heute so allgemein wie das Interesse am täglichen Brot.“312 b) Relevanz für den Rundfunkbeitrag Die Gemeinsamkeiten zwischen Kohlepfennig und Rundfunkbeitrag scheinen bei anfänglicher Betrachtung frappierend zu sein: Erstens belasten beide Abgaben denselben Personenkreis, weil jeder Wohnungsinhaber sowohl Strom verbraucht als auch Schuldner des Rundfunkbeitrags ist. Zudem lassen sich bei beiden Abgaben jeweils zwei Gruppen von Belasteten herauskristallisieren, die in unterschiedlichem Maße an dem durch die Abgabe verfolgten Ziel interessiert sind. Die Kohleregionen profitierten in besonderer Weise vom Kohlepfennig, vergleichbar mit den Besitzern eines Rundfunkempfangsgeräts, die die Programme rezipieren können. Dagegen besaßen die Stromverbraucher außerhalb der Kohleregionen nur ein allgemeines Interesse an einer zuverlässigen Stromversorgung – analog zu den Beitragsschuldnern ohne Empfangsgerät, die laut Kirchhof durch die Informationskultur und die Bedeutung der Rundfunkanstalten für die Demokratie begünstigt sind313. Zweitens stellen sowohl die Versorgung mit Energie als auch die mit vielfältigen Qualitätsprogrammen ein Allgemeininteresse dar. Strom- und Fernsehkonsum sind alltägliche Vorgänge. Bevor jetzt voreilig der Schluss gezogen wird, dass der Rundfunkbeitrag verfassungswidrig sei, empfiehlt sich eine Rückbesinnung auf die prinzipiel len Unterschiede zwischen Sonderabgaben und Beiträgen: Die erste Gemeinsamkeit zwischen Kohlepfennig und Rundfunkbeitrag könnte im Ergebnis nur ein Scheinproblem darstellen. Denn eine Sonder abgabe mit Finanzierungsfunktion wird wie eine Steuer voraussetzungslos erhoben und tritt deshalb in eine besondere Konkurrenzsituation zu die311 BVerfG,
186 ff.
Beschl. v. 11.10.1994 – 2 BvR 633 / 86, juris Rn. 91, BVerfGE 91,
312 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1994 – 2 BvR 633 / 86, juris Rn. 93, BVerfGE 91, 186 ff., auch zu den vorhergehenden Ausführungen. 313 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 61.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
ser.314 Daher darf sich der Kreis der Abgabenschuldner bei der Sonderabgabe unter keinen Umständen mit der Allgemeinheit decken. Beiträge rechtfertigen sich dagegen durch den Vorteilsausgleich und können laut BVerfG eine „unbestimmte Vielzahl von Bürgern“ belasten, sofern jeweils ein Sondervorteil vorhanden ist.315 Bereits die alte Rundfunkgebühr erfasste beinahe die gesamte Bevölkerung und dies wurde mehrheitlich nicht als Hindernis einer Beitragsfinanzierung angesehen.316 Zudem hätte sich die Rundfunkgebühr keinesfalls durch eine (angestrebte) Ausdehnung der Gruppe der Gebührenschuldner auf die gesamte Bevölkerung nachträglich zu einer Steuer gewandelt. Aus diesen Gründen wird erkennbar, dass der Anzahl der Beitragsschuldner keine rechtliche Relevanz zukommen kann. Des Weiteren ist das Spannungsverhältnis zu Art. 3 I GG infolge unterschiedlich begünstigter Gruppen beim Kohlepfennig deutlich größer als beim Rundfunkbeitrag. Während beim Rundfunkbeitrag zumindest ca. 96 %317 der Beitragsschuldner durch das Bereithalten eines Empfangsgeräts in den Genuss eines unmittelbaren Vorteils kommen, profitierten beim Kohlepfennig nur die Kohleregionen, mithin eine kleine Minderheit. Übertrüge man die Situation der Steinkohleverstromung auf den Rundfunk, bedeutete dies, dass alle Deutschen für ein Programm zahlten, das nur in bestimmten Bundesländern ausgestrahlt würde. Wie die Probleme beim Ausbau der erneuerbaren Energien dokumentieren, lässt sich Strom ohne besondere Trassen nicht über weite Strecken in entfernte Versorgungsgebiete transportieren. Das Rundfunkprogramm ist im Gegensatz dazu bundesweit in gleicher Qualität verfügbar, und jeder Beitragsschuldner hat die Chance, durch die Anschaffung eines Empfangsgeräts an diesem flächendeckenden Angebot teilzuhaben. Aufgrund der hohen Teilnehmerdichte im Rundfunkbereich existiert dort lediglich eine kleine Minderheit von Personen ohne Empfangsgerät, die einen ausschließlich mittelbaren Vorteil zieht, wohingegen beim Kohlepfennig die bundesdeutsche Mehrheit gerade nur einen allgemeinen Vorteil erlangte. Die Verteilung von Vorteilen und Lasten ist bei beiden Abgaben diametral verschieden und der Rundfunkbeitrag belastet prinzipiell die Richtigen. Aber auch die zweite Gemeinsamkeit, die Verfolgung eines Allgemeininteresses, entfaltet im Rundfunkbeitragsrecht eine geringere Relevanz als 314 BVerfG, Urt. v. 06.07.2005 – 2 BvR 2335 / 95 u. a., juris Rn. 115, BVerfGE 113, 128 ff. 315 BVerfG, Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 52 = WM 2014, 1693 ff. Wegen dieses Unterschieds lehnt auch Wernsmann, ZG 2015, 79 (85), eine Parallele zwischen dem Rundfunkbeitrag und dem Kohlepfennig ab. 316 Gersdorf, in: Gersdorf / Paal, Medienrecht, § 1 RBStV, Rn. 3, der jedoch insgesamt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrags äußert. 317 Kap. 1 B. II. 1.
B. Sondervorteil für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät93
im Sonderabgabenrecht, weil der Rundfunkbeitrag von Beginn an das Allgemeininteresse einer Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten verfolgte.318 Die Rundfunkfinanzierung ruht im Gegensatz zur Stromgewinnung auf einem besonderen verfassungsrechtlichen Fundament. Dies beeinflusst zugleich das Interesse an der jeweiligen Leistung. So ist das Interesse an der Stromversorgung sehr einseitig und rein auf indivi duellen Konsum gerichtet, während die Grundversorgung mit Rundfunkprogrammen den gemeinsamen gesellschaftlichen Meinungsaustausch befördern soll und insofern eine homogene, interagierende Gruppe vor Augen hat. 5. BVerfG-Entscheidung zu wiederkehrenden Straßenbaubeiträgen – Menetekel für den RBStV? Im Juni 2014 entschied das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der wiederkehrenden Straßenbaubeiträge in Rheinland-Pfalz. Obwohl die Materie prima facie keine Parallelen zum Rundfunkbeitrag vermuten lässt, ging das BVerfG auf die wenige Wochen zuvor ergangene Entscheidung des Rheinland-Pfälzischen VerfGH über den Rundfunkbeitrag ein. In diesem Kontext betonte das BVerfG sehr demonstrativ die Notwendigkeit eines individuell-konkreten Vorteils.319 Dieses Postulat steht in deutlichem Widerspruch zu den Vorstellungen Kirchhofs und der Regierungsbegründung des RBStV, die von einem „strukturellen“ Vorteil320 und einem gesamtgesellschaftlichen Nutzen321 ausgehen. Daher könnte diese Entscheidung ein Vorzeichen für die verfassungsgerichtliche Prüfung des Rundfunkbeitrags bedeuten und soll näher beleuchtet werden. Das Kommunalabgabengesetz von Rheinland-Pfalz ermöglicht die Heranziehung aller Grundstückseigentümer zu wiederkehrenden Straßenbaubeiträgen für sämtliche Verkehrsanlagen des gesamten Gemeindegebiets.322 Dies stellt eine signifikante Abweichung von der traditionellen, einmaligen Beitragserhebung dar. Denn bei dieser werden einzelne Grundstücke nur zu den Kosten einer bestimmten Erschließungsanlage herangezogen, die ihnen einen 318 Auch Jarass, Rechtsgutachten, S. 31, Fn. 56, misst dem Gemeinwohlbezug des Rundfunks keine Bedeutung für die abgabenrechtliche Einordnung bei. 319 BVerfG, Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 52 = WM 2014, 1693 ff. Detailliert zur häufigen Erwähnung der Begriffe konkret und individuell: Fn. 81. 320 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 59. 321 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 34; Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 59. 322 § 10a KAG RP: BVerfG, Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 1 = WM 2014, 1693 ff.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
konkreten Zugang zum Verkehrsnetz eröffnet.323 Der praktische Vorteil wiederkehrender Straßenbaubeiträge liegt laut Regierungsbegründung darin, dass die individuelle Belastung der Grundstückseigentümer sinke, indem sich der Kreis der Beitragsschuldner stark vergrößere. Außerdem erleichtere dieses System die (streitanfällige) Abrechnung signifikant.324 Die Regierungsbegründung sieht den beitragsrechtlichen Vorteil nicht mehr in der konkreten Möglichkeit, eine einzelne Verkehrsanlage zu nutzen, sondern im Zugang zum „Gesamtverkehrssystem als solchem“. Sie spricht ausdrücklich von einem „abstrakten“ Vorteil aus dem „Vorhalten aller öffentlichen Verkehrs anlagen“.325 Der Gesetzgeber wollte sich bewusst vom „bisher geltenden Anlagebegriff“ lösen und auf die Notwendigkeit einer konkreten Erschließungsanlage, die den Zugang zum Straßennetz vermittelt, verzichten.326 Dies erinnert sehr stark an die Regierungsbegründung zur Reform der Rundfunkfinanzierung und an Kirchhofs Konzept, die beide den Nutzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die gesamte Gesellschaft akzentuierten. Der RBStV löste sich vom Gerätebezug, um die Beitragserhebung zu vereinfachen. Die Bedeutung des Bindeglieds (Empfangsgerät und Erschließungsanlage) tritt in beiden Fällen in den Hintergrund und es kommt stattdessen nur auf die dadurch vermittelte Leistung (Rundfunkprogramm bzw. inner- und überörtliches Verkehrssystem) an. Das BVerfG sieht die entscheidende Frage im Vorliegen eines individuellkonkreten Vorteils und trifft hierbei zwei bedeutende und fallübergreifende Weichenstellungen: Erstens sei die Anzahl der Beitragspflichtigen ohne Bedeutung. Es ließe sich sogar eine „unbestimmte Vielzahl von Bürgern“ zu Beiträgen heranziehen, „sofern ihnen jeweils ein Sondervorteil individuell-konkret zugerechnet werden kann (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 13. Mai 2014 – VGH B 35 / 12 – juris, Rn. 103)“.327 Die zitierte Entscheidung des Rheinland-Pfälzischen VerfGH betraf die Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrags. Diese Ausführungen des BVerfG und die Bezugnahme auf den Rheinland-Pfälzischen VerfGH stellen einen nicht erforderlichen Exkurs dar, weil bei den Straßenbaubeiträgen gerade keine „unbestimmte Vielzahl von Bürgern“, sondern eine konkrete Anzahl von Grundstücken in einem Gemeindegebiet tangiert ist. Das BVerfG hat an dieser Stelle die Grundlage geschaffen, um eine 323 Vgl. z. B. § 10 KAG RP: BVerfG, Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 3 = WM 2014, 1693 ff. 324 RP LT-Drs. 15 / 318, S. 1. 325 RP LT-Drs. 15 / 318, S. 7, rechte Spalte. 326 RP LT-Drs. 15 / 318, S. 8. 327 BVerfG, Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 52 = WM 2014, 1693 ff.
B. Sondervorteil für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät95
spätere Entscheidung über den Rundfunkbeitrag aus seiner Judikatur herzuleiten. Zweitens hebt das BVerfG hervor, dass sich der Sondervorteil wegen der Belastungsgleichheit nicht derart „auflösen“ dürfe, „dass Beitragspflichtige keinen größeren Vorteil aus der potentiellen Inanspruchnahme der Gegenleistung ziehen können als die nichtbeitragspflichtige Allgemeinheit.“ Es müsse ein „konkreter Bezug“ zwischen dem Vorteil und den Beitragspflichtigen „erkennbar“ sein.328 Daran fehle es aber bei der Bildung einer einzigen Abrechnungseinheit in Großstädten und Gemeinden ohne zusammenhängendes Gebiet.329 Die Loslösung von der traditionellen Erhebungsmethode ist im Straßenbaubeitragsrecht daher nicht gänzlich gelungen, was die Frage nahelegt, ob sich auch die Rundfunkfinanzierung nicht vollständig vom Gerätebezug trennen kann. Die Auswirkungen der BVerfG-Entscheidung für den Rundfunkbeitrag können indes nicht mit Gewissheit antizipiert werden: Einerseits lässt sich der Vorteil von Rundfunkbeitragsschuldnern ohne Empfangsgerät nicht so einfach herausarbeiten, was einem konkreten Bezug zwischen Begünstigung und Belastung sowie einer Erkennbarkeit dieses Vorteils entgegenstehen könnte. Andererseits existiert im Rundfunkbeitragsrecht keine beitragsfreie Allgemeinheit, sodass ein Vergleich, ob die Rundfunkbeitragspflichtigen größere Vorteile als die nicht beitragspflichtige Allgemeinheit genössen, nicht durchführbar erscheint. Daraus könnte sich ein Absenken der Anforderungen an das Vorliegen eines individuellen Vorteils im Rundfunkbeitragsrecht ergeben. Diese Lesart der Entscheidung wird durch folgende Überlegung flankiert: Straßenbaubeiträge sind vom Wesen her ortsbezogene Beiträge. Entscheidend ist die Verknüpfung zwischen einem Grundstück und einem lokalen Verkehrssystem. Diese Verbindung lockert sich mit zunehmender Distanz zwischen diesen beiden immobilen Einrichtungen. Dagegen handelt es sich beim Rundfunk um ein sehr mobiles Gut, das bundesweit in gleicher Qualität verfügbar ist. Das gilt nicht nur für den unmittelbaren Vorteil bei Vorhalten eines Empfangsgeräts, sondern auch für den mittelbaren, sehr abgeschwächten Vorteil aus der jederzeitigen Möglichkeit zur Nutzung des Rundfunkprogramms nach Erwerb eines Empfangsgeräts. Der sich daraus ergebende Unterschied beider Beiträge muss bei der jeweiligen Prüfung der Existenz individuell-konkreter Vorteile berücksichtigt werden. Dies hat zur Folge, dass die Vorteilszurechnung beim universell verfügbaren Rundfunkprogramm leichter möglich ist als bei einer ortsbezogenen Leistung. 328 BVerfG, Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 54 = WM 2014, 1693 ff., auch zu den vorausgegangenen Zitaten. 329 BVerfG, Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 61 ff. = WM 2014, 1693 ff.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
Summa summarum kann der Entscheidung des BVerfG zwar eindeutig entnommen werden, dass der abstrakte gesamtgesellschaftliche Nutzen aus dem Wirken der Rundfunkanstalten, den Kirchhof und die Regierungsbegründung bemühen, keinen ausreichenden beitragsrechtlichen Vorteil konstituiert. Aber dies muss noch kein anderes Ergebnis bedeuten, weil das BVerfG mit einem anderen Begründungsansatz zum Vorliegen eines konkretindividuellen Vorteils für Personen ohne Empfangsgerät gelangen könnte. Ein Menetekel liegt somit nicht vor. Viel interessanter ist dagegen die salomonische Lösung des BVerfG für das Spannungsverhältnis zwischen der Vorteilsgerechtigkeit einerseits und dem Bedürfnis nach Praktikabilität andererseits. Es reduzierte den Anwendungsbereich der wiederkehrenden Straßenbaubeiträge im Wege einer verfassungskonformen Auslegung und erklärte die Bildung einer einzigen Abrechnungseinheit in Großstädten und Gemeinden ohne zusammenhängendes Gebiet für unzulässig.330 Dieser Lösungsansatz könnte derart auf den RBStV übertragen werden, dass man Rundfunkbeitragsschuldner ohne Empfangsgerät über eine weite Auslegung der Härtefallregelung in § 4 VI RBStV befreit.331 Allerdings wäre eine verfassungskonforme Auslegung nur geboten, wenn sich kein konkret-individueller Vorteil für Personen ohne Empfangsgerät begründen ließe, weil man den Parlamentswillen nicht ohne Not korrigieren darf. Daher wird im Anschluss zunächst die Herleitung eines konkret-individuellen Vorteils von Personen ohne Empfangsgerät aus der bisher behandelten Judikatur versucht. 6. Vorteilsverteilung im RBStV Die analysierte Rechtsprechung illustriert die geringen Anforderungen an das Vorliegen eines besonderen Vorteils und bildet die Beurteilungsgrundlage für die nachfolgende Erörterung des individuellen Vorteils der Rundfunkbeitragsschuldner. Dabei erscheint die Zweiteilung in unmittelbare und mittelbare Vorteile als sehr geeignet, um sie auf den aktuellen Rundfunkbeitrag zu übertragen. Sie ist bei den Fremdenverkehrsbeiträgen ausdrücklich gesetzlich verankert und wurde in der Entscheidung des BVerwG zum Aufsichtsgroschen herangezogen. Gemäß dieser Kategorisierung haben Beitragsschuldner mit Empfangsgerät einen unmittelbaren und solche ohne Empfangsgerät einen mittelbaren Vorteil.332 Dieser mittelbare Vorteil wird 330 BVerfG, Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 61 ff. = WM 2014, 1693 ff. 331 Die Möglichkeit zur verfassungskonformen Auslegung des RBStV wird ausführlich in Kap. 3 B. II. behandelt. 332 Wagner, Rundfunkgebühr, S. 202–205, unterscheidet ebenfalls zwischen unmittelbaren und mittelbaren Vorteilen. Ihr zufolge besitzt auch derjenige einen un-
B. Sondervorteil für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät97
im Anschluss herausgearbeitet [a)] und von Kirchhofs Konzept des strukturellen Vorteils [b)] abgegrenzt. a) Mittelbare Vorteile von Beitragsschuldnern ohne Empfangsgerät Das Rundfunkprogramm ist so einfach und flächendeckend verfügbar, dass dem Vorhalten eines Empfangsgeräts keine wesentliche, den Zurechnungszusammenhang zwischen Vorteil und Beitragslast tangierende Bedeutung zukommt. Der Vorteil liegt in der individuellen, jederzeitigen Zugriffsmöglichkeit auf das Rundfunkprogramm, die sich in Anbetracht der einfachen Erhältlichkeit von Empfangsgeräten als konkreter Vorteil darstellt.333 Die Regierungsbegründung spricht zwar etwas unvorteilhaft von einer lediglich „theoretische(n) Möglichkeit der Nutzung“, meint aber im Ergebnis dasselbe, wenn sie darauf rekurriert, dass „in ganz Deutschland technisch der Empfang von Rundfunk ermöglicht werden kann“.334 Für das Genügen einer derartigen Verbindung von Vorteil und Last können die folgenden Anhaltspunkte in der Rechtsprechung angeführt werden: Bei den wiederkehrenden Straßenbaubeiträgen steht nicht der Zugang eines Grundstücks zu einer konkreten, angrenzenden Erschließungsanlage im Fokus, sondern der Zugang zu der dahinterstehenden Leistung (innerund überörtliches Verkehrsnetz). Diese Anbindung ist bei kleinen und mittleren Gemeinden geeignet, einen konkret-individuellen Vorteil zu begründen. Ähnlich hat auch das Vorhalten eines Empfangsgeräts (analog zur konkreten Erschließungsanlage) als Folge der Medienkonvergenz an Bedeutung verloren. Stattdessen ist der Zugang zum Rundfunkprogramm (analog zum Verkehrsnetz) in den Vordergrund getreten. Die Verknüpfung zwischen Vorteil und Last lockert sich beim bundesweit verfügbaren Rundfunkprogramm im Gegensatz zur Verbindung immobiler Einrichtungen (Grundstück, Verkehrsnetz) nicht entfernungsbedingt. Dieser rundfunkspezifische Zusammenhang besteht aufgrund der hohen Ausstattung mit Empfangsgeräten bereits seit Jahrzehnten und hat sich durch die Konvergenz weiter verstärkt, indem der Rundfunk aufgrund der Mediatheken über das Internet zugänglich wurde. mittelbaren Vorteil, der über kein Empfangsgerät verfügt, sich aber das technische Equipment beschaffen kann. Dagegen reiche ein „mittelbarer struktureller Vorteil“ aus der Informationskultur nicht aus. Sie plädiert für eine Befreiung von der Beitragspflicht aufgrund fehlenden Vorteils, wenn der Empfang von Rundfunk technisch ausgeschlossen sei oder eine Wohnung bzw. Betriebsstätte drei Monate leer stehe. Ohne entsprechende Ausnahmen werde der Beitragscharakter nicht gewahrt. 333 Ähnlich: Wagner, Rundfunkgebühr, S. 202. 334 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 34.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
Im Straßenbaubeitragsrecht existiert zwar keine Notwendigkeit einer besonderen technischen Ausstattung für die Vorteilsverwirklichung, weil auch ein Fußgänger vom lokalen Straßennetz profitiert. Aber zwei Judikate stützen insbesondere die These, dass die Anschaffung eines Empfangsgeräts keinen wesentlichen Zwischenschritt darstellt, der die Zurechnung des individuellen Vorteils aus dem Rundfunkprogramm wertungsmäßig infrage stellt: Der sog. Kabelgroschen dokumentierte, dass Rundfunkgebührenschuldner für Vorteile (Kabelfernsehen) herangezogen werden dürfen, die sie zwar nicht aktuell, aber zukünftig realisieren können. Die Mehrzahl der Rundfunkgebührenschuldner hatte bei Einführung der Kabelpilotprojekte keine technische Möglichkeit, die über Kabel verbreiteten Sendungen zu empfangen. Im Gegensatz hierzu besteht bei den Rundfunkbeitragsschuldnern ohne Empfangsgerät lediglich eine wirtschaftliche Hürde. Doch ist diese Hürde wegen der geringen Anschaffungskosten nicht allzu hoch.335 Das BVerwG argumentierte ebenfalls mit der wirtschaftlichen Vertretbarkeit bestimmter Aufwendungen für den Rundfunkempfang in seiner (durch das BVerfG336 bestätigten) Entscheidung über die Rundfunkgebührenpflicht von PCs: „Damit spielt beim Internet-PC ein etwaiger wirtschaftlicher Aufwand keine Rolle, der etwa darin begründet ist, dass die Qualität des Empfangs durch Breitbandzugänge hergestellt werden muss. Gleiches gilt für die nötige Hard- und Software zum Betrieb des Rechners selbst. Schließlich sind auch die Kosten für den Zugang zum Netz in der Weise als wirtschaftlich vertretbar anzusehen, dass sie kein eigenständiges Zugangshindernis bei der Empfangsbereitschaft des internetfähigen PC sind (…).“337 Einzig eine finanzielle Bedürftigkeit könnte den Erwerb eines Empfangsgeräts unmöglich machen und diesen Zwischenschritt zu einer wesentlichen Zäsur verstärken. Jedoch lässt sich sowohl für Empfänger von Sozialleistungen als auch für andere finanziell bedürftige Beitragsschuldner eine adäquate Lösung finden, die im Ergebnis sicherstellt, dass niemand für einen Vorteil zahlt, den er nicht realisieren kann. 335 So
auch die Argumentation des VerfGH BY: Fn. 280. Beschl. v. 22.08.2012 – 1 BvR 199 / 11, juris Rn. 13 ff. = NJW 2012,
336 BVerfG,
3423 f. 337 BVerwG, Urt. v. 27.10.2010 – 6 C 12 / 09, juris Rn. 29 = NJW 2011, 946 ff. Dieses Judikat wurde sogar dahingehend ausgelegt, dass PCs ohne Internetzugang der Rundfunkgebührenpflicht unterfallen könnten (v. Coelln, jurisPR-ITR 4 / 2011, Anm. 6; Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RGebStV, Rn. 56). Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass in Deutschland ein schneller Internetzugang noch nicht flächendeckend verfügbar ist, wobei gerade ländliche Gebiete beeinträchtigt sind.
B. Sondervorteil für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät99
Beispielsweise werden Empfänger von Sozialhilfe, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II gemäß § 4 I Nr. 1–3 RBStV auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht befreit. Das Gesetz sieht eine gebundene Entscheidung vor. Des Weiteren sind die Kosten für den Erwerb eines Rundfunkgeräts in den Regelleistungen nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) und dem SGB XII (Sozialhilfe) integriert.338 Insofern erscheint es prinzipiell zumutbar, die Kosten z. B. für einen gebrauchten Fernseher innerhalb weniger Monate anzusparen.339 Sollte dies ausnahmsweise nicht der Fall sein, besteht die zusätzliche Möglichkeit, dass diese Kosten als einmaliger, unabweisbarer Bedarf (§ 24 I SGB II, § 37 I SGB XII) gedeckt werden.340 Auch Beitragsschuldner, die zwar nicht unter einen ausdrücklich geregelten sozialen Befreiungstatbestand des RBStV fallen, aber trotzdem sehr prekäre finanzielle Verhältnisse aufweisen, werden in gewissem Maße geschützt. In diesem Kontext ist das Pfändungsverbot für Rundfunkgeräte in § 811 I Nr. 1 ZPO anzuführen.341 Außerdem sieht der RBStV durch seine Härtefallregelung in § 4 VI eine Möglichkeit zur Erzielung von Einzelfallgerechtigkeit vor. Summa summarum genießen Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät einen individuell-konkreten Vorteil aus dem Angebot der Rundfunkanstalten, weil sie jederzeit die Möglichkeit haben, sich ein Empfangsgerät mit wirtschaftlich vertretbaren Mitteln zuzulegen und das Rundfunkprogramm zu nutzen. Dieser Zwischenschritt begründet keine wesentliche Zäsur, die den Zurechnungszusammenhang durchbricht. Sollte dieser Schritt aus finanziellen Gründen dennoch nicht möglich sein, hat eine Befreiung zu erfolgen.
338 Vgl. BSG, Urt. v. 24.02.2011 – B 14 AS 75 / 10 R, juris Rn. 17 ff. = DVP 2012, 86 ff. Dieses Urteil betraf zwar primär die Frage, ob ein Fernsehgerät einen Sonderbedarf begründet, bestimmt dadurch aber im Umkehrschluss den Umfang des Regelbedarfs. Vgl. die Urteilsanmerkung von Jaritz, jurisPR-SozR 25 / 2011 Anm. 1. Das BVerwG (Urt. v. 18.12.1997 – 5 C 7 / 95, juris Rn. 8, BVerwGE 106, 99 ff.) bejahte den Anspruch eines Sozialhilfeempfängers auf eine einmalige Leistung für die Beschaffung eines gebrauchten Fernsehgeräts nach den §§ 11, 12, 21 Ia Nr. 6 des früher geltenden Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Jedoch ging der Gesetzgeber 2005 mit der Reform der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe zum Konzept der pauschalierten Bedarfsdeckung über und gab die Berücksichtigung des individuellen Bedarfs sowie die Gewährung einmaliger Leistungen auf (Jaritz, a. a. O.). 339 LSG Schleswig, Urt. v. 08.08.2007 – L 9 B 426 / 07 NZB, juris Rn. 9 = FEVS 59, 78 f.; SG Stuttgart, Beschl. v. 10.05.2010 – S 24 AS 3424 / 09, juris Rn. 13, 15 = BeckRS 2010, 74383 (nicht veröffentlicht); SG Bremen, Beschl. v. 11.01.2011 – S 24 SO 323 / 10 ER, juris Rn. 10 = BeckRS 2011, 65424 (nicht veröffentlicht). 340 Vgl. Jaritz, jurisPR-SozR 25 / 2011 Anm. 1. 341 Seiler, in: Thomas / Putzo, ZPO, § 811, Rn. 8.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
b) Abgrenzung zu Kirchhofs Konzept Der mittelbare Vorteil ist etwas greifbarer als der strukturelle, den Kirchhof342 und der Bayerische VerfGH343 in der medienbasierten Informationskultur und dem gesamtgesellschaftlichen Wirken der Rundfunkanstalten sehen. Der strukturelle Vorteil fügt sich nicht in die etablierte Klassifizierung von Vorteilen im Beitragsrecht ein, da diese Abgabe einen individuellen Vorteil entgilt.344 Er ist mit dem Konzept der anstaltsbezogenen Verteilungsgerechtigkeit verknüpft, stellt den finanziellen Bedarf der Anstalten zu sehr in den Fokus und überbetont den Vorteil für die Allgemeinheit losgelöst vom Individuum.345 Demgegenüber rückt der mittelbare Vorteil die Zuwendung eines individuellen Vorteils in den Vordergrund. Im Fall des Rundfunkbeitrags führt dieser dogmatische Unterschied zu keinem anderen Ergebnis. Dies gilt umso mehr, weil Kirchhof gleichfalls die Bedeutung des Rundfunks für das Individuum akzentuierte346, diesen Ansatz in seinem Gutachten aber nicht konsequent durchhielt347. Sein Gutachten enthält oft mehrdeutige Aussagen, wie bereits bei der Frage der Vermutungswiderlegbarkeit erkennbar wurde. Die Tauschgerechtigkeit erfordere im Gegensatz zur Verteilungsgerechtigkeit eine Widerlegungsmöglichkeit, beide Konzepte stünden aber im Einklang mit der Beitragsdogmatik.348 Doch ist die unterschiedliche Einschätzung vom Stellenwert des individuellen Vorteils über die Rundfunkfinanzierung hinaus bedeutsam. Die Einführung eines strukturellen Vorteils hat sogar langfristige Folgen für das gesamte Beitragsrecht. Denn hierdurch würde der beitragsrechtliche Vorteilsbegriff entmaterialisiert, die Konvergenz der Abgaben vorbereitet und eine Rechtsunsicherheit wie nach der erstmaligen Erwähnung des Halbteilungsgrundsatzes349 in einem bundesverfassungsgerichtlichen obiter dictum riskiert. Die Anerkennung des strukturellen Vorteils würde die generelle Entwicklung der letzten Jahre zur Ausweitung des Vorteilsbegriffs fördern, die in der versuchten Konstruktion eines abstrakten Vorteils bei den wiederkehrenden Straßenbaubeiträgen gipfelte. Dies erscheint umso bedenklicher, da 342 Paul
Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 59–61. Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 80 f. = DVBl. 2014, 848 ff. 344 So auch die Kritik von Wagner, Rundfunkgebühr, S. 203 f. 345 Ausführlich zur Kritik an Kirchhofs Konzept: Kap. 3 A. III. 1. 346 Vgl. hierzu: Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 44 f. 347 So auch das Fazit von Fechner, UFITA 2011, 634 (635). 348 Vgl. Kap. 3 A. III. 1. 349 Fn. 174. 343 VerfGH BY,
B. Sondervorteil für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät101
es sich gerade beim Straßenbaubeitrag um einen Beitrag mit einem relativ klar konturierten Vorteil gehandelt hatte. Sollte das BVerfG eine neue Terminologie speziell für den Vorteil im Rundfunkbereich einführen, entstünde die berechtigte Frage, ob es sich hierbei wirklich nur um eine sprachliche Neuausrichtung handelt, die der Sonderrolle des Rundfunks Rechnung trägt, oder sogar eine indirekte Weiterentwicklung der gesamten Beitragsdogmatik stattgefunden hat. Wenn das Gericht den Rundfunkbeitrag in der Tradition des bisherigen Beitragsrechts sieht, sollte es dies zugleich sprachlich unterstreichen und an etablierte Begriffe anknüpfen. Erwöge es dagegen einen Verfassungswandel, der die ultima ratio zur Rechtfertigung des RBStV bildet, bestünden keine prinzipiellen Bedenken, diese Entwicklung auch terminologisch neu einzukleiden. 7. Zwischenergebnis Es besteht ein individueller mittelbarer Vorteil für Rundfunkbeitragsschuldner ohne Empfangsgerät. Zwar ist er nicht besonders stark ausgeprägt, aber es erscheint nicht gerechtfertigt, höhere Anforderungen zu stellen und ihn quasi am idealtypischen Vorteilsbegriff zu messen, weil ein solches Ideal nicht existiert. Bei den Kammerbeiträgen verflüchtigte sich der Vorteil derart, dass das BVerwG sogar den Begriff der Fiktion gebrauchte. Den Kabelgroschen zahlten Rundfunkgebührenschuldner ohne Kabelfernsehen. Die Beiträge für die Arbeitnehmerkammern finanzierten (vermeintlich) „Gebilde ohne rechten Daseinszweck“, und über wiederkehrende Straßenbaubeiträge können Grundstücke kleiner bis mittlerer Gemeinden für das gesamte innerörtliche Straßennetz herangezogen werden. Diese Beiträge konstituieren das Gesamtsystem, in das sich der Rundfunkbeitrag einfügen muss und in das er sich auch tatsächlich einfügt. Am Rundfunkbeitrag entzündete sich die Kritik eines konturenlosen Vorteilsbegriffs. Doch trifft die Kritik das falsche Gesetz. Es ist nicht der Rundfunkbeitrag, der den entscheidenden Stein aus dem beitragsdogmatischen Gewölbe entfernt hat. Vielmehr war das Fundament bereits zuvor beschädigt bzw. es hat nie bestanden. Dies dokumentiert nicht nur die hiesige Analyse relativ aktueller Beiträge, sondern auch die historische Entwicklung. Denn bereits das erste, einen Beitrag regelnde Gesetz, das Preußische KAG350, beinhaltete ein sehr weites Vorteilsverständnis. Gemäß dessen § 9a galt es für Arbeitgeber als wirtschaftlicher Vorteil, wenn die Wohnungsnot ihrer Arbeitnehmer gemildert oder einer drohenden Woh350 Ubber, Beitrag, S. 162 f.; Rohlfing, Kommunales Beitragsrecht, S. 3 f.; Eyben, Beitrag, S. 46 ff.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
nungsnot vorgebeugt wurde. Dieser Vorteil rechtfertigte einen finanziellen Beitrag der Arbeitgeber bei der staatlich veranlassten Errichtung von Arbeitnehmerwohnungen.351 Des Weiteren sind die Kammerbeiträge und ihr weites Vorteilsverständnis mindestens genauso alt wie das Preußische KAG.352 Ob der Beitrag überhaupt eine eigene Abgabenform neben Steuer und Gebühr bildet, wurde teilweise bis in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts in der juristischen Finanzliteratur in Zweifel gezogen.353 Vor diesem historischen Hintergrund und in Anbetracht der Entwicklung der letzten Jahre (wiederkehrende Straßenbaubeiträge) relativiert sich die Bedeutung der Reform der Rundfunkfinanzierung für die gesamte Beitragsdogmatik. Sofern man die Begründung eines konkret-individuellen Vorteils für Personen ohne Empfangsgerät dennoch als nicht ausreichend ansieht, schließt sich die Frage nach einer verfassungskonformen Auslegung an, um eine Verfassungswidrigkeit und damit einen sehr gravierenden Eingriff in den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum abzuwenden.
II. Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des RBStV Die verfassungskonforme Auslegung der gesetzlichen Regelung zu den wiederkehrenden Straßenbaubeiträgen354 stellte eine salomonische Lösung dar. Sie könnte eine Vorbildwirkung für den RBStV entfalten, sollte das BVerfG hier gleichfalls Korrekturbedarf wegen eines zu abstrakten Vorteils sehen. 351 Puwalla, Qualifikation von Abgaben, S. 93; Wilke, Gebührenrecht und Grundgesetz, S. 123, Fn. 42. 352 Neumann qualifizierte bereits 1874 die Zahlungsverpflichtungen der Kammermitglieder als Beiträge: Neumann, Die progressive Einkommensteuer im Staats- und Gemeindehaushalt, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. VIII, S. 55 ff., zitiert bei Ubber, Beitrag, S. 305. Die Aufgaben der Industrie- und Handelskammern wurden 1870 im preußischen Recht näher umschrieben: BVerfG, Entsch. v. 19.12.1962 – 1 BvR 541 / 57, juris Rn. 21, BVerfGE 15, 235 ff. 353 Lotz, Finanzwissenschaft, 1931, S. 266 f., 291; Hettlage, Beiträge, in: HWdSW, Bd. I, 1956, S. 728, rechte Spalte bis S. 729, linke Spalte. Hettlage hielt insbesondere eine Abgrenzung von Beiträgen und Zwecksteuern für kaum durchführbar und bezeichnete die Kraftfahrzeugsteuer als einen Beitrag, der in der Form einer Gruppensteuer erhoben werde. Eine gute Übersicht zum Meinungsstand der vorkonstitutionellen rechtswissenschaftlichen Literatur findet sich bei Puwalla, Qualifikation von Abgaben, S. 50 f. Sogar Bohley, Gebühren und Beiträge, in: HBdFW, Bd. II, 1980, S. 927, qualifizierte Kraftfahrzeug- und Mineralölsteuer noch als Beitrag. 354 Das Konzept der wiederkehrenden Straßenbaubeiträge wird in Kap. 3 B. I. 5. erläutert.
B. Sondervorteil für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät103
Das BVerfG hielt die Bildung einer einzigen Abrechnungseinheit bei wiederkehrenden Straßenbaubeiträgen in Großstädten und Gemeinden ohne zusammenhängendes Gebiet für unzulässig, weil in diesen Konstellationen kein hinreichend individuell-konkreter Zurechnungszusammenhang zwischen Vorteilen und Lasten bestehe. In diesen Fällen müsse die Gemeinde ihr Gebiet in mehrere Bereiche untergliedern. Dagegen würden die verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Beitragserhebung in kleineren Gemeinden regelmäßig gewahrt. Diese Auslegung finde auch eine Stütze im rheinland-pfälzischen KAG, weil dieses dem Satzungsgeber explizit die Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten auftrage.355 Die Vereinfachung der Beitragserhebung, die sich der Gesetzgeber aus der Loslösung von der herkömmlichen Abrechnung nach Erschließungsanlagen erhoffte, ist demnach nicht ganz gelungen. Daher stellt sich die Frage, ob mutatis mutandis die Abkehr vom Gerätebezug durch den RBStV eingeschränkt und eine Beitragsbefreiung bei gänzlich fehlendem Empfangsgerät eingeführt werden könnte. Als Anknüpfungspunkt für eine verfassungskonforme Auslegung käme die Härtefallregelung in § 4 VI RBStV in Betracht. Das BVerfG hielt es in seiner Entscheidung über eine unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen den RBStV für nicht ausgeschlossen, dass der damalige Beschwerdeführer mit seiner religiös motivierten Verweigerung der Rundfunknutzung in den Genuss der Härtefallregelung kommen könnte356, obwohl der Gesetzgeber gerade keine Befreiung von Beitragsschuldnern ohne Empfangsgerät über die Härtefallregelung intendierte und als Härtefall vielmehr die fehlende technische Empfangbarkeit von Rundfunk vor Augen hatte357. Dieses enge Verständnis der Härtefallregelung wird durch das Gutachten Kirchhofs flankiert, das ein Funkloch auf einer Alpenhütte als Ausnahmefall beschreibt.358 Das BVerfG war sich der restriktiven Vorstellung des Gesetzgebers ausdrücklich bewusst und hielt eine Befreiung trotzdem für möglich.359 Der StGH BW ging – in einer ebenfalls unzulässigen Verfassungsbeschwerde – sogar einen Schritt weiter und schloss eine Ermäßigung des Rundfunkbeitrags über die Härtefallregelung für den Fall, dass lediglich ein Hörfunkgerät bereitgehalten werde, nicht aus.360 355 BVerfG, Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 61 ff. = WM 2014, 1693 ff. 356 BVerfG, Beschl. v. 12.12.2012 – 1 BvR 2550 / 12, juris Rn. 5 = NVwZ 2013, 423 f. 357 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 41. 358 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 61. 359 BVerfG, Beschl. v. 12.12.2012 – 1 BvR 2550 / 12, juris Rn. 5 = NVwZ 2013, 423 f. 360 StGH BW, Beschl. v. 19.08.2013 – 1 VB 65 / 13 u. a., juris Rn. 9, VBlBW. 2014, 218 ff. Allerdings räumte das Gericht später (juris Rn. 13) ein, dass eine Er-
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
Allerdings gilt es zu bedenken, dass eine verfassungskonforme Auslegung nicht dem gesetzgeberischen Willen widersprechen darf, weil sonst die Grenze zur Rechtsfortbildung überschritten wird.361 Laut BVerfG darf eine verfassungskonforme Auslegung unter keinen Umständen „das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkte verfehlen oder verfälschen“.362 Dem Gesetzgeber des RBStV kam es gerade auf die Unwiderlegbarkeit der Vermutung an, weshalb wesentliche Unterschiede zwischen den wiederkehrenden Straßenbaubeiträgen und den Rundfunkbeiträgen existieren könnten. Bei den wiederkehrenden Straßenbaubeiträgen war der Anknüpfungspunkt der verfassungskonformen Interpretation im KAG weit gefasst, indem dieses Gesetz selbst die Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten durch den lokalen Satzungsgeber forderte363 und dadurch seine prinzipielle Offenheit für eine weitere Konkretisierung manifestierte. Die Regierungsbegründung erwähnte eine bewusst geschaffene geringere Regelungsdichte zugunsten von mehr kommunaler Verantwortung sowie die Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit bestimmter Tatbestandsmerkmale.364 Dies waren geeignete Ausgangsbedingungen für eine verfassungskonforme Auslegung, die letztlich an ein positives Konkretisierungsgebot anknüpfte. Dagegen beträfe eine erweiternde Interpretation von § 4 VI RBStV eine restriktiv auszulegende Ausnahmebestimmung. Die Konzeption des RBStV verbietet es gerade, das Nichtvorhalten eines Empfangsgeräts zu berücksichtigen. Eine extensive Auslegung der Härtefallregelung oktroyierte dem Gesetzgeber im Ergebnis das bewusst abgelehnte Reformmodell einer widerlegbaren Vermutung und konterkarierte ein tragendes Reformelement. Dadurch würde kein minus aufrechterhalten, sondern ein aliud eingeführt. Aus diesem Grund ist die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des RBStV abzulehnen. Das Ziel, ein Gesetz ungeachtet der ratio legis möglichst weitgehend zu erhalten, könnte nur im Wege der verfassungskonformen Rechtsfortbildung erreicht werden.365 Eine solche Angleichung des einfachen Rechts (RBStV) an die Verfassung wäre aber ihrerseits nicht nötig, wenn sich die Verfassung mäßigung vielleicht doch angesichts der ratio legis ausgeschlossen sein könnte, relativierte diese Aussage indessen wieder (juris Rn. 18). Insgesamt lässt die Entscheidung keine klare Linie erkennen. 361 Larenz, Methodenlehre, S. 340 f. 362 BVerfG, Beschl. v. 11.06.1958 – 1 BvL 149 / 52, juris Rn. 22, BVerfGE 8, 28 ff.; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 11.06.1980 – 1 PBvU 1 / 79, juris Rn. 64, BVerfGE 54, 277 ff. 363 § 10a I 3 KAG RP: RP LT-Drs. 15 / 318, S. 4. 364 RP LT-Drs. 15 / 318, S. 7, linke Spalte. 365 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 340 f.
B. Sondervorteil für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät105
selbst weiterentwickelt hätte und das einfache Recht seinen Gehalt bereits widerspiegelte. Dieser Frage widmet sich der nächste Abschnitt.
III. Verfassungsinterpretation und Verfassungswandel Zwar hält sich der Rundfunkbeitrag im Rahmen des herkömmlichen verfassungsrechtlichen Beitragsverständnisses, aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass mit dem Systemwechsel in der Rundfunkfinanzierung zugleich ein neuer Weg beschritten wurde. Eine Erweiterung des verfassungsrechtlichen Beitragsbegriffs würde keinen Bedenken begegnen, sofern dies die konsequente Weiterentwicklung des Verfassungswandels wäre, der seinen Ursprung in Art. 5 I 2 Var. 2 GG genommen hat. Wenn die Verfassung für einen modernen Rundfunkbegriff offen ist, dann könnte dieser Verfassungswandel auch in das Abgabenrecht ausstrahlen. Unter Verfassungswandel versteht man die Änderung des ursprünglichen Sinns einer Verfassungsnorm bei gleichbleibendem Verfassungstext.366 Dieser Terminus ist wenig konturiert und lässt sich nur sehr schwer von der Verfassungsinterpretation abgrenzen.367 Der Rundfunkbegriff ist einer der wenigen Fälle, in denen das BVerfG ausdrücklich von einem solchen Wandel spricht: „Der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verwendete Begriff ‚Rundfunk‘ läßt sich nicht in einer ein für allemal gültigen Definition erfassen. Inhalt und Tragweite verfassungsrechtlicher Begriffe und Bestimmungen hängen (auch) von ihrem Normbereich ab; ihre Bedeutung kann sich bei Veränderungen in diesem Bereich wandeln (…). Das gilt auch für den Rundfunkbegriff. Soll die Rundfunkfreiheit in einer sich wandelnden Zukunft ihre normierende Wirkung bewahren, dann kann es nicht angehen, nur an eine ältere Technik anzuknüpfen (…).“368 Dementsprechend umfasst der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff mittlerweile auch die internetbasierte Verbreitung von Rundfunkprogrammen.369 Die Rundfunkfinanzierung könnte ebenfalls von diesem Verfassungswandel erfasst sein, da hier in vergleichbarer Weise das Bedürfnis zu verzeichnen ist, das Recht der Wirklichkeit anzugleichen.370 Zwar überwiegt derzeit 366 Voßkuhle, Der Staat, Bd. 43, 450 (451 f.); Paul Kirchhof, Die Identität der Verfassung, in: HStR, Bd. II, § 21, Rn. 63. 367 Voßkuhle, Der Staat, Bd. 43, 450 (451, 454 f.). 368 BVerfG, Beschl. v. 24.03.1987 – 1 BvR 147 / 86 u. a., juris Rn. 132, BVerfGE 74, 297 ff. 369 Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 5, Rn. 36; Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5, Rn. 90b; Degenhart, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 5, Rn. 693, 698. 370 Zur Einheit von Verfassung und Wirklichkeit: Konrad Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 45 f.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
noch der klassische Rundfunkkonsum mithilfe von Fernseh- und Radiogeräten, aber in der Zukunft wird die internetbasierte Rundfunknutzung dominieren, und möglicherweise wird es als Folge der Konvergenz keine Fernsehgeräte mehr geben. Der Gerätebezug wird endgültig obsolet.371 Darauf muss die Rundfunkfinanzierung reagieren, weil sie nur eine dienende Funktion hat, indem sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Einnahmen zur Verfügung stellen soll, die für die Erfüllung des Grundversorgungsauftrags unabdingbar sind. Keinesfalls darf die Rundfunkfinanzierung der Grundrechtsverwirklichung Grenzen ziehen, auch nicht in der Form, dass die Rundfunkanstalten befürchten müssten, ihr bewährtes Finanzierungsmodell zu verlieren, wenn sie sich den technischen Neuerungen aktiv zuwenden. Das „Ja“ der Verfassung zum Rundfunk bedeutet dann in gleicher Weise ein „Ja“ zu einem verlässlichen Finanzierungsmodell. Diese Verlässlichkeit bietet die Beitragsfinanzierung, indem sie sich in den letzten Jahrzehnten bewährt hat und am besten die Anforderungen an die Gewährleistung eines unabhängigen Rundfunks erfüllt. Das Aufkommen des Rundfunkbeitrags ist zweckgebunden zu verwenden. Dieses Konzept schützt besser vor politischer Einflussnahme als ein Steuermodell, da in letzterem Fall der Haushaltsgesetzgeber und damit die an der Regierung beteiligten Fraktionen über das Budget der Rundfunkanstalten bestimmen würden.372 Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Konflikte bei der Finanzierung „staatlicher“ Aufgaben zukünftig aufgrund der sog. Schuldenbremse verschärfen werden. Auch die Einführung einer Sonderabgabe wäre faktisch ausgeschlossen, weil sich keine Sondergruppe von der Allgemeinheit abgrenzen ließe.373 Jedenfalls wäre der Systembruch bei jedem alternativen Finanzierungskonzept deutlich größer als bei einer kleinen Ausdehnung des ohnehin nicht sehr konturierten beitragsrechtlichen Vorteilsbegriffs durch eine geräteunabhängige Anknüpfung.374 Die Stabilisierungsfunktion der Verfassung, die einer Abänderung im Wege einer Neuinterpretation an sich Grenzen zieht375, würde diese beitragsrechtliche Weiterentwicklung unterstützen, um die Beibehaltung einer zuverlässigen Finanzierungsform für den verfassungsrechtlich wichtigen Rundfunk zu ermöglichen und einen mit Unsicherheit verbundenen, experimentellen Systemwechsel zu einer 371 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 6 ff., der jedoch die gegenwärtigen Auswirkungen der Konvergenz etwas übertreibt, weil auch junge Menschen im Gegensatz zu Kirchhofs Darstellung immer noch primär den Fernseher zum Empfang von Fernsehprogrammen nutzen und nicht den PC oder das Handy. Das Festhalten am Gerätebezug wäre derzeit noch praktikabel. 372 Vgl. Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 26, 30 f., 44. 373 Vgl. die Ausführungen zum sog. Kohlepfennig: Kap. 3 B. I. 4. b). 374 Ausführlich zum Erfordernis einer Beitragsfinanzierung: Kap. 2. B. II–V. 375 Larenz, Methodenlehre, S. 353.
B. Sondervorteil für Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät107
Steuerfinanzierung zu erübrigen.376 Flankiert würde diese finanzverfassungsrechtliche Weiterentwicklung durch die besondere Sensibilität der Verfassung im Rundfunkbereich, die sich in den letzten Jahren gleichfalls fortentwickelt und zu einer Begrenzung des Anteils staatlicher und staatsnaher Mitglieder in den Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten377 geführt hat. Darüber hinaus berührte die Ausdehnung des Vorteilsbegriffs nicht den Wesensgehalt des Rundfunkbeitrags, weil sie die Vorteilsanforderungen nur für einen kleinen Prozentsatz der Beitragsschuldner dahingehend abschwächte, dass der mittelbare Vorteil aus der Möglichkeit zur Nutzung des Rundfunkprogramms nach Anschaffung eines Empfangsgeräts ausreichte. Dies stellte lediglich eine Flexibilisierung dar, aber keine kopernikanische Wende. Der verfassungsrechtliche Beitragsbegriff würde im Rahmen des Vertretbaren der Wirklichkeit angepasst. Weiterhin besäße diese punktuelle Veränderung im Rundfunkbeitragsrecht keine Auswirkungen auf andere Beiträge und damit kein Gefährdungspotenzial für die Finanzverfassung, da der Rundfunkbeitrag ähnlich wie der Rundfunk selbst eine Sonderrolle einnähme. Der Beitragsbegriff ist außerdem nicht den grundlegenden Vorschriften unseres demokratischen Rechtsstaats zuzuordnen, bei denen Veränderungen nur mit allergrößter Vorsicht vollzogen werden können.378 Wenn die Verfassung einen Wandel im Verständnis ausdrücklich normierter Begriffe zulässt (vgl. z. B. die Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung i. S. v. Art. 48 III 1 GG zu einer Vollalimentation379), muss dies erst recht im Hinblick auf den nicht in der Verfassung erwähnten Beitragsbegriffs möglich sein. Der Beitrag wäre nicht die erste Abgabe, deren Bedeutungsgehalt sich seit Geltung des Grundgesetzes verändert hat.380 Insbesondere die in Art. 106 III 1 GG statuierte Körperschaftssteuer erfuhr im Laufe der Zeit eine gänzlich andere Ausgestaltung als bei Inkrafttreten des Grundgesetzes. 376 Ähnlich Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 49, der für eine behutsame Reform und eine Kontinuität der Abgabe plädiert. 377 BVerfG, Urt. v. 25.03.2014 – 1 BvF 1 / 11 u. a., juris Rn. 51 = NVwZ 2014, 867 ff. 378 Larenz, Methodenlehre, S. 353, differenziert nach der Bedeutung der betroffenen Verfassungsvorschrift. 379 BVerfG, Urt. v. 05.11.1975 – 2 BvR 193 / 74, juris Rn. 41, BVerfGE 40, 296 ff. 380 Beispiele finden sich bei Paul Kirchhof, Die Identität der Verfassung, in: HStR, Bd. II, § 21, Rn. 63. Kirchhof geht in seinem Rechtsgutachten, S. 72 f., ebenfalls auf die Möglichkeit zur Weiterentwicklung der Abgabenarten ein, ohne indes eine Weiterentwicklung des Beitragsbegriffs oder einen Verfassungswandel im Zusammenhang mit der Einführung des RBStV ausdrücklich anzusprechen. Vielmehr betont er die Kontinuität der Abgabe.
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
Das Reichskörperschaftssteuergesetz von 1920 implementierte den Dualismus von Einkommens- und Körperschaftssteuer, indem es juristische Personen nicht mehr dem Einkommenssteuergesetz, sondern einer besonderen Körperschaftssteuer unterwarf.381 Die klassische Körperschaftssteuer wurde neben der Einkommenssteuer erhoben. Weil der Gesetzgeber dies aber später als unbillige Doppelbelastung empfand, sah die Gesetzeslage von 1977 bis 2000 die Anrechnung der Körperschaftssteuerbelastung auf die individuelle Einkommenssteuerschuld der Anteilseigner vor. Dadurch hatte die Körperschaftssteuer nur noch die Funktion einer Vorauszahlung auf die Einkommenssteuer und verlor faktisch den Charakter einer Unternehmenssteuer auf den Gewinn einer Kapitalgesellschaft.382 Kirchhof begreift diesen Systemwechsel als einen Verfassungswandel.383 Diese Entwicklung illustriert unabhängig von ihrer genauen dogmatischen Einordnung384, dass der Gesetzgeber einen gewissen Spielraum bei der Ausgestaltung abgabenrechtlicher Begriffe besitzt. Nachdem die Weiterentwicklungsmöglichkeit des verfassungsrechtlichen Beitragsbegriffs aufgezeigt wurde, gilt es, die Frage zu beantworten, ob dieser Entwicklungsprozess noch im Rahmen einer Verfassungsinterpreta tion möglich wäre oder bereits eines Verfassungswandels bedürfte. Vorliegend wird die ohnehin diffizile Abgrenzung zusätzlich dadurch erschwert, dass der Wortsinn als die klassische Grenze der Auslegung385 nicht herangezogen werden kann, weil die Verfassung den Begriff des Beitrags nicht verwendet. Dies erlaubt aber keine unbegrenzte Interpretation des Beitragsbegriffs, da die Finanzverfassung eine Differenzierung zwischen Steuern und Vorzugslasten verlangt, um eine Umgehung der Gesetzgebungskompetenzen zu vermeiden. Der Umstand, dass die Verfassung den Beitragsbegriff nicht aufgenommen hat, spricht für eine größere Ausgestaltungsprärogative des einfachen Gesetzgebers und für einen größeren Anwendungsbereich der Verfassungsinterpretation. Die Ausdehnung des Vorteilsbegriffs im Rundfunkbeitragsrecht würde sich noch im Rahmen dieses Interpretationsspielraums bewegen, ein Wandel wäre nicht geboten. Für die aktuelle Situation lässt sich konstatieren, dass das einfache Recht der Wirklichkeit bereits teilweise voraus ist, weil eine Aufgabe des Geräte381 Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 1164; Hidien, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 106, Rn. 1450. 382 Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 1175 f. 383 Paul Kirchhof, Die Identität der Verfassung, in: HStR, Bd. II, § 21, Rn. 63. 384 Man könnte einen Verfassungswandel auch mit dem Argument verneinen, dass die Verfassungsväter in Kenntnis der Rechtslage vor 1920 überhaupt keine Festlegung auf ein Körperschaftssteuermodell intendierten. 385 Larenz, Methodenlehre, S. 343.
C. Ergebnis zur Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags109
bezugs derzeit noch nicht zwingend ist. Die Rundfunknutzung erfolgt gegenwärtig noch weit überwiegend mithilfe der traditionellen Empfangsgeräte. Eine widerlegbare Vermutung des Bereithaltens eines Empfangsgeräts wäre möglich und praktikabel gewesen.386 Es hätte nahegelegen, das Recht stufenweise weiterzuentwickeln, indem man zunächst eine widerlegbare Vermutung eingeführt und den Gerätebezug erst danach aufgegeben hätte. Das Überspringen einer Entwicklungsstufe ist indes noch vom Gestaltungsermessen des Gesetzgebers umfasst.387 Aus diesem Grund ließe sich die Verfassungsmäßigkeit des RBStV hilfsweise über eine erweiternde Verfassungsinterpretation rechtfertigen, sofern sich die Beitragspflicht von Personen ohne Empfangsgerät nicht in die herkömmliche Beitragsdogmatik einfügen sollte.
C. Ergebnis zur Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags Die abstrakte Kritik an einer unwiderlegbaren Vorteilsvermutung ist zwar berechtigt, geht aber im Fall des RBStV von falschen Prämissen aus, da ein Sondervorteil eines jeden Beitragspflichtigen tatsächlich besteht und nicht lediglich vermutet wird. Denn sogar ohne Empfangsgerät genießt ein Rundfunkbeitragsschuldner individuell zurechenbare Vorteile, weil er ein solches Gerät jederzeit mit einem geringen Investitionsaufwand erwerben und anschließend auf das universell verfügbare Angebot der öffentlich-rechtlichen Anstalten zugreifen kann. Dieser Vorteil ist nicht besonders stark ausgeprägt, aber der Vergleich mit anderen höchstrichterlich gebilligten Beiträgen hat gezeigt, dass sich Vorteile sogar in Vermutungen verflüchtigen können. Daher sollte man den Rundfunkbeitrag nicht an einem idealtypischen Vorteilsbegriff messen, den andere anerkannte Beiträge nicht erreichen. Aufgrund der Existenz eines realen Vorteils bedarf es auch weder einer verfassungskonformen Auslegung des RBStV noch einer Weiterentwicklung des verfassungsrechtlichen Beitragsbegriffs, um das Reformkonzept aufrechtzuerhalten. 386 Kap. 3
A. V. 2. die Zulässigkeit, eine technische Entwicklungsstufe in einem Gesetz zu antizipieren, sprechen die Ausführungen des BVerwG (Urt. v. 27.10.2010 – 6 C 12 / 09, juris Rn. 46 = NJW 2011, 946 ff.) zur Erhebung der Rundfunkgebühr für PCs. Das BVerwG hielt es im Jahr 2010 für nicht sicher voraussehbar, ob große Teile der Bevölkerung das Rundfunkangebot zukünftig über das Internet nutzen und es ohne Gebührenpflicht für PCs zu einer „Flucht aus der Rundfunkgebühr“ kommt. Jedoch habe der Gesetzgeber in Anbetracht des schnellen Fortschritts der Informationstechnik und der Netzinfrastruktur eine solche Entwicklung für möglich halten dürfen. Er könne diesen Gefahren im Rahmen seines Einschätzungs- und Prognosespielraums frühzeitig entgegenwirken. Das BVerfG, Beschl. v. 22.08.2012 – 1 BvR 199 / 11, juris Rn. 18 = NJW 2012, 3423 f., teilte diese Einschätzung. 387 Für
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Kap. 3: Rechtsnatur des Rundfunkbeitrags
Allerdings wäre das Alternativkonzept einer widerlegbaren Vorteilsvermutung rechtspolitisch vorzugswürdig gewesen und hätte die gesellschaftliche Akzeptanz des Rundfunkbeitrags erhöht, weil sich Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät nicht ungerecht belastet gefühlt hätten. Dieses Konzept wäre sowohl praktikabel als auch grundrechtsschonend gewesen. Zugleich hätte es dem mündigen Beitragsschuldner die Wahlmöglichkeit zwischen einer Vermutungswiderlegung mit freiwilliger Offenlegung privater Informationen einerseits und der Akzeptanz der Beitragslast andererseits eröffnet, mithin seinen Rechtskreis erweitert. Gleichwohl sind verfassungsrechtlich beide Reformkonzepte gangbar. Damit ist die grundsätzliche Zulässigkeit des neuen Regelungskonzepts zu bejahen. Jedoch muss die nähere Ausgestaltung der Beitragshöhe ebenfalls verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Dieser Frage widmet sich das nachfolgende Kapitel.
Kapitel 4
Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung Die Bemessung des Rundfunkbeitrags ist nicht minder umstritten als seine Einordnung in das System der Abgaben. Zunächst wird die Beitragsbemessung im betrieblichen (A.) und anschließend im privaten Bereich (B.) eruiert. Der betriebliche Bereich birgt komplexere Problemstellungen, wobei sich einige Argumentationsansätze auf den privaten übertragen lassen.
A. Betrieblicher Bereich Die Beitragsbemessung im nicht-privaten Bereich ist zahlreichen Einwänden ausgesetzt. Die nachfolgende Erörterung konzentriert sich dabei lediglich auf die substantiierten Kritikpunkte. Nicht näher erörterungswürdig erscheinen die grundsätzlichen Bedenken an der Erfassung des nicht-privaten Bereichs und die verfassungsrechtlichen Zweifel an der Ungleichbehandlung von privat und betrieblich genutzten Kraftfahrzeugen388, weil die Differenzierung hinsichtlich betrieblicher und privater Nutzung im Bereich der Rundfunkfinanzierung erkennbar sachgerecht ist389. Nachvollziehbar sind 388 Es wird eingewandt, dass eine beitragsrechtliche Erfassung des nicht-privaten Bereichs unnötig erscheine, da der RBStV personen- und nicht gerätebezogen sei und der Vorteil der Rundfunkteilnehmer aus dem Angebot der Rundfunkanstalten durch den privat gezahlten Rundfunkbeitrag abgegolten werde. Der Nutzer eines betrieblichen Kraftfahrzeugs werde bereits über den Betriebsstättenbeitrag erfasst, weshalb eine zusätzliche Beitragspflicht für betriebliche Kraftfahrzeuge ein und denselben Vorteil mehrfach abschöpfe. Vgl. zur Kritik: Degenhart, K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 11, 23. Ähnlich: Wiemers, GewArch 2011, 110 (113); Terschüren, Rundfunkfinanzierung, S. 120. Wagner, Rundfunkgebühr, S. 188 f., ist der Auffassung, dass die generelle Beitragspflicht für betriebliche Kraftfahrzeuge zur Verfassungswidrigkeit der Anknüpfung an Betriebsstätten führe. Sie wählt einen etwas anderen Blickwinkel, indem sie nicht die Betriebsstätte, sondern das Kraftfahrzeug als primären Ort des Rundfunkkonsums identifiziert. Die Annahme einer Rundfunknutzung in Betriebsstätten sei in vielen Fällen nicht realitätsgerecht und sogar willkürlich. Der Betriebsstättenbeitrag entgelte die Rundfunknutzung in Kraftfahrzeugen, und Kraftfahrzeuge dürften grundsätzlich nicht zusätzlich belastet werden. Allerdings überzeugt eine so strikte Verknüpfung des Rundfunkkonsums mit der Kraftfahrzeugnutzung nicht. 389 Die Kritik verkennt, dass der Vorteil aus dem Rundfunkangebot im nicht-privaten Bereich ein anderer ist. Der Unternehmer nutzt den Rundfunk zu gewerblichen Zwecken, was eine zusätzliche Beitragspflicht rechtfertigt. Aus diesem Grund ist
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
dagegen die Bedenken an der hohen Beitragslast von Filial- und Miet wagenunternehmen. Bevor sich die Abhandlung dieser speziellen Thematik nähert, legt sie dar, was den Gesetzgeber bewogen hat, die Anzahl der Beschäftigten pro Betriebsstätte als Anknüpfungspunkt des „Grundtatbestands“ festzulegen (I.). Anschließend wird die Beitragsstaffelung überprüft (II.). In diesem Rahmen werden die generelle Zulässigkeit einer degressiven Rundfunkbeitragsbemessung, ihre speziellen Auswirkungen auf Filialunternehmen und die rechtliche Besonderheit der Beitragslast von Mietwagen unternehmen erörtert.
I. Anknüpfungspunkt der Beitragsbemessung Die Festlegung eines Anknüpfungspunktes ist eine entscheidende Weichenstellung im Rahmen einer Beitragsbemessung, weil dadurch die Entwicklung der Abgabenlast vorgezeichnet ist. Der RBStV legt die Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter pro Betriebsstätte als Bezugsgröße im nicht-privaten Bereich fest. Im Folgenden werden die gesetzgeberischen Motive für diese Entscheidung und denkbare Alternativen beleuchtet. Der Gesetzgeber hatte insbesondere auch eine Beitragslast pro Unternehmen erwogen (1.). Zugleich wurden Alternativen zur Bemessung nach der Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter diskutiert (2.). 1. Betriebsstätte statt Unternehmen Der Gesetzgeber entschied sich für die Betriebsstätte als Anknüpfungspunkt im nicht-privaten Bereich, da er im Rahmen der Reform generell auf Raumeinheiten abstelle, in denen erfahrungsgemäß Rundfunk konsumiert werde.390 Allerdings hatte er eine unternehmensbezogene Beitragsbemesauch eine Beitragspflicht für Kraftfahrzeuge im nicht-privaten Bereich zulässig, während bei Kraftfahrzeugen im privaten Bereich auf eine Beitragspflicht verzichtet wurde (vgl. VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 149 = DVBl. 2014, 842 ff.; VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 81, 121 = DVBl. 2014, 848 ff.). Bereits der alte RGebStV behandelte Empfangsgeräte im privaten und nicht-privaten Bereich unterschiedlich, indem die Zweitgerätefreiheit gemäß § 5 I, II 1 RGebStV sowohl allgemein als auch bei Empfangsgeräten in Kraftfahrzeugen nur für den privaten Bereich galt. Diese Differenzierung beruhte damals ebenfalls auf der Überlegung, dass die Gerätenutzung im nicht-privaten Bereich der Gewinnerzielung diente und damit unterschiedlich war. Vgl. hierzu: BVerwG, Beschl. v. 06.02.1996 – 6 B 72 / 95, juris Rn. 4 f. = NJW 1996, 1163 f.; OVG Koblenz, Urt. v. 13.12.2007 – 7 A 10 913 / 07 = ZUM-RD 2008, 268 (270); Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RGebStV, Rn. 2. 390 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 43; Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RBStV, Rn. 2.
A. Betrieblicher Bereich113
sung ebenfalls angedacht und dies laut Regierungsbegründung aus drei Gründen abgelehnt: Erstens gebe es verschiedene Definitionen des Begriffs „Unternehmen“. Zweitens sei es nicht möglich, Unternehmen zu Rundfunkbeiträgen heranzuziehen, die zwar Geschäftsräume im Inland, aber ihren Sitz im Ausland hätten. Drittens besitze eine Anknüpfung an Betriebsstätten den Vorteil, dass der Datenbestand der GEZ fast vollständig übernommen und auf diese Weise Bürokratieaufwand vermieden werden könne.391 Zwar überzeugt diese Begründung nicht in allen Punkten [a)], aber die Entscheidung des Gesetzgebers war im Ergebnis dennoch sachgerecht [b)]. a) Eingeschränkte Überzeugungskraft der Regierungsbegründung Weder das Argument einer stärkeren begrifflichen Präzision des Betriebsstättenbegriffs noch die Annahme einer fehlenden Beitragspflicht ausländischer Unternehmen sind plausibel: Der Betriebsstättenbegriff ist nicht signifikant stärker konturiert als der Unternehmensbegriff, weil der Terminus Betriebsstätte in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen zum Einsatz kommt, z. B. in § 12 AO, § 2 I IHKG, § 106 III SGB VII, § 30 GewStG, § 49 I Nr. 2a EStG und Art. 10 RL 2009 / 133 / EG (EG-Fusions-Richtlinie). Der Gesetzgeber des RBStV hatte sich zwar am Begriff der Betriebsstätte in § 12 AO orientiert392, der für fast alle Steuerarten gilt393, aber selbst innerhalb eines Gesetzes können verschiedene Begriffsverständnisse zur Anwendung kommen. Denn es ist jeweils nach der ratio legis zu entscheiden, ob § 12 AO für die Betriebsstättenbegriffe der Einzelsteuergesetze Geltung beansprucht.394 Überdies wird der Vorteil, den die Bezugnahme auf einen etablierten Rechtsbegriff offerieren kann, im Fall des RBStV dadurch geschwächt, dass dessen Betriebsstättenbegriff partiell von der Definition des § 12 AO abweicht. Die Regierungsbegründung räumt selbst ein, dass der Betriebsstättenbegriff des § 6 I RBStV zum Teil weiter sei als derjenige des § 12 AO, weil der RBStV auch öffentliche und gemeinnützige Betriebe mit und ohne Erwerbsziel erfasse.395 Enger ist er insofern, als Betriebsstätten im rundfunkbeitragsrechtlichen Sinne ortsfeste Räume darstellen (§ 6 I RBStV)396, während 391 BW
LT-Drs. 15 / 197, S. 42. LT-Drs. 15 / 197, S. 46. 393 Heil, Betriebsstätte, in: Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Rn. 4. 394 Koenig, in: Pahlke / Koenig, AO, § 12, Rn. 1 mit Nachweisen zur Rechtsprechung. 395 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 46. 396 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 46 f. 392 BW
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
§ 12 AO u. a. gar keine besonderen Räume voraussetzt397. Für eine Betriebsstätte nach steuerrechtlichem Verständnis genügen mitunter sogar bewegliche Geschäftseinrichtungen mit temporär festem Standort, z. B. mobile Verkaufsstätten mit wechselndem Standort oder auch ein zugewiesener Standplatz eines Markthändlers.398 Da der Gesetzgeber des RBStV den Betriebsstättenbegriff modifizierte, hätte er auch ohne Schwierigkeiten eine eigene Unternehmensdefinition in den RBStV aufnehmen und diese zur Vermeidung von Auslegungsschwierigkeiten möglichst präzise formulieren können. Das zweite Argument der Regierungsbegründung, wonach Unternehmen mit Sitz im Ausland nicht zu Beiträgen herangezogen werden könnten, erweist sich bei näherer Betrachtung ebenfalls als ein Scheinargument. Denn ausländische Unternehmen werden auch zu Kammerbeiträgen herangezogen.399 Gemäß § 2 I IHKG gehören zur Industrie- und Handelskammer u. a. natürliche und juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts, die im Bezirk der Industrie- und Handelskammer eine Betriebsstätte unterhalten. Entsprechend hätte der Gesetzgeber im RBStV in gleicher Weise an ein Unternehmen anknüpfen können, das im Inland eine Betriebsstätte unterhält. Der Umstand, dass die primären Argumente der Regierungsbegründung nicht überzeugen, bedeutet noch nicht, dass die betriebsstättenbezogene Beitragsbemessung im Ergebnis unsachgemäß ist, weil sie mit anderen Vorzügen verbunden sein kann [b)]. b) Vorteile der Anknüpfung an Betriebsstätten Das wirklich tragende Argument für die Anknüpfung an Betriebsstätten liegt in der Praktikabilität begründet, was die Regierungsbegründung indes als letzten, eher hilfsweise vorgebrachten Gesichtspunkt anführte. Die Praktikabilität besteht in dem möglichen Rückgriff auf vorhandene Datenbestände der GEZ. Diese Datenbestände konnten für eine möglichst präzise Pro397 Heil,
Betriebsstätte, in: Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Rn. 1. Urt. v. 09.10.1974 – I R 128 / 73, juris Rn. 10, BFHE 114, 47. Strittig war die Frage, ob die Kläger Verpflegungsmehraufwendungen anlässlich ihrer Fahrten zu Wochenmärkten gewinnmindernd berücksichtigen können (Rn. 2). Das wäre bei Geschäftsreisen möglich gewesen. Jedoch stellten die Fahrten zu den Marktorten keine Geschäftsreisen dar, sondern Fahrten von einer Betriebsstätte zur jeweils anderen (Rn. 11). Das Urteil betraf § 16 I Steueranpassungsgesetz, der den Begriff der Betriebsstätte im Sinne der Steuergesetze definierte und laut juris von 1934 bis 1976 galt. Vgl. zum steuerrechtlichen Betriebsstättenbegriff ebenfalls: Heil, Betriebsstätte, in: Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Rn. 1. 399 Bzgl. einer englischen Limited: VG Darmstadt, Urt. v. 07.11.2006 – 9 E 793 / 05, juris Rn. 16 = GewArch 2007, 85 f. Vgl. auch VG Gelsenkirchen, Urt. v. 04.12.2007 – 7 K 1099 / 07, juris Rn. 39 (nicht veröffentlicht). 398 BFH,
A. Betrieblicher Bereich115
gnose des Beitragsaufkommens nach der Reform genutzt werden und trugen dazu bei, dass die Einnahmen der Rundfunkanstalten möglichst gleich blieben und ihre Aufgabenerfüllung nicht gefährdet wurde. Die Prognose des Beitragsaufkommens war ohnehin mit großen Unwägbarkeiten verbunden400 und hätte sich bei einer unternehmensbezogenen Anknüpfung noch schwieriger gestaltet. Die Bedeutung einer verlässlichen Prognose wird zudem durch verfassungsrechtliche Wertungen verstärkt. Denn der Gesetzgeber ist zu einer funktionsgerechten Finanzierung der Rundfunkanstalten verpflichtet.401 Diese Finanzierungsgarantie trägt dem einfachen Gesetzgeber auf, den sichersten Weg bei der Aufkommensplanung zu beschreiten, um stabile Einnahmen402 zu gewährleisten. Der sicherste Weg wiederum besteht im Rückgriff auf existente Datenbestände. Außerdem folgt aus der Anknüpfung an Betriebsstätten anstelle von Unternehmen ein günstiger Effekt für den Wettbewerb. Dies gilt primär im Hinblick auf Filialunternehmen mit bundesweiten Betriebsstätten, weil die jeweilige Betriebsstätte eines Filialunternehmens und die eigenständigen lokalen Betriebe die gleiche Belastung erfahren.403 Daher kann die Entscheidung zugunsten der Betriebsstätte als Bezugsgröße insgesamt als richtig qualifiziert werden. 2. Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter pro Betriebsstätte Die Anknüpfung an die Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter und nicht an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Betriebsstätte war sachgerecht [a)]. Es bedurfte dabei weder einer Differenzierung nach Branchen [b)] noch nach Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten [c)]. a) Beschäftigtenzahl statt Leistungsfähigkeit Der Gesetzgeber hatte sich für die Beschäftigtenzahl als Verteilungsmaßstab entschieden, weil für Höhe und Anzahl der Rundfunkbeiträge der potenzielle kommunikative Nutzen ausschlaggebend sei und sich dieser in der 400 Ausführlich 401 BVerfG,
hierzu: Kap. 4 C. Beschl. v. 06.10.1992 – 1 BvR 1586 / 89 u. a., juris Rn. 71 f., BVerfGE
87, 181 ff. 402 Ertragsstabilität war auch ein erklärtes Reformziel: BW LT-Drs. 15 / 197, S. 32, 44. 403 VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 159 = DVBl. 2014, 842 ff.; VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 126 = DVBl. 2014, 848 ff.; Kube, Rechtsgutachten, S. 44.
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
Anzahl der Personen und nicht im Umsatz manifestiere.404 Die Frage, ob der Gesetzgeber auch an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hätte anknüpfen können, verdient eine nähere Erörterung, da ein Gutachten im Auftrag der Rundfunkanstalten den Umsatz als Verteilungsmaßstab für möglich hielt405 und dies den weiteren Vorteil hätte, dass eine zu hohe Belastung mit Rundfunkbeiträgen gemessen an der wirtschaftlichen Potenz vermieden werden könnte. Eine Anknüpfung an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist dem Beitragsrecht nicht fremd und widerspricht nicht per se dem Gedanken des Vorteilsausgleichs. Bei den IHK-Beiträgen ist Bemessungsgrundlage für die Umlage z. B. der Gewerbeertrag nach dem Gewerbesteuergesetz, § 3 III IHKG. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass wirtschaftlich leistungsfähigere Unternehmen aus der Kammertätigkeit einen höheren Nutzen ziehen.406 Für die Bemessung des IHK-Grundbeitrags kann auch die Anzahl der Beschäftigten berücksichtigt werden.407 Fremdenverkehrsbeiträge bemessen sich nach den fremdenverkehrsbedingten Einnahmen.408 Dies ist zielführend, weil bei den Fremdenverkehrsbeiträgen gerade die durch den Fremdenverkehr gesteigerten Verdienst- und Gewinnmöglichkeiten abgeschöpft werden sollen.409 Beim Rundfunkbeitrag riefe eine leistungsbezogene Beitragsbemessung zunächst das praktische Problem hervor, dass Betriebsstätten mitunter als unselbstständiger Teil eines Unternehmens keine eigenen Bilanzen erstellen und daher eine Anknüpfung an das jeweilige Unternehmen notwendig wäre.410 Eine Bemessung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wäre zudem nicht empfehlenswert, da die Interessenlage im Rundfunkbeitragsrecht im Vergleich zu den vorgenannten Beiträgen unterschiedlich ist. Die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens spiegelt nicht zwingend die eher personenbezogenen Vorteile aus der Rundfunknutzung wider und bewerkstelligt den Vorteilsausgleich daher nicht so präzise wie eine Anknüpfung an die Beschäftigtenzahl.411 Außerdem manifestiert die Beschäftigtenzahl 404 BW
LT-Drs. 15 / 197, S. 42. Rechtsgutachten, S. 25. 406 BVerwG, Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 13 = NVwZ 1990, 1167 f. 407 OVG Magdeburg, Beschl. v. 04.04.2012 – 1 M 29 / 12, juris Rn. 16 = NVwZRR 2012, 595 ff.; BT-Drs. 13 / 9975, S. 7, linke Spalte. 408 BVerfG, NVwZ 1989, 1052; OVG Schleswig, Urt. v. 17.03.2008 – 2 LB 40 / 07, juris Rn. 2 = NordÖR 2008, 281 ff. = BeckRS 2008, 34677. 409 VGH Mannheim, Beschl. v. 10.08.1998 – 2 S 2753 / 97, juris Rn. 5 = MedR 1999, 377 ff. 410 Wagner, Rundfunkgebühr, S. 183 f. 411 Im Ausgangspunkt hat auch Degenhart, K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 21, keine Einwände gegen die Beschäftigtenzahl als Maßstab, kritisiert aber die nicht sachgerechte Umsetzung. 405 Jarass,
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mittelbar die Leistungsfähigkeit eines Betriebs412 und vereint daher zwei Vorzüge. Zur Ausgewogenheit der Belastung tragen des Weiteren die degressive Staffelung und die Höchstgrenze von 180 Beiträgen pro Betriebsstätte bei. b) Keine Unterscheidung nach Branchen Teilweise wird postuliert, dass wegen der unterschiedlichen Möglichkeiten zur Rundfunknutzung nach der Art der betrieblichen Tätigkeit differenziert werden sollte.413 Eine weiter gehende Differenzierung erscheint bei den Rundfunkbeiträgen abstrakt vorstellbar, zumal andere Beiträge mehrere Kriterien zur Ermittlung der Beitragshöhe heranziehen. Beispielsweise bemessen Fremdenverkehrsbeiträge die Beitragshöhe u. a. nach der Tätigkeit des Unternehmens, Lage und Größe der Geschäftsräume sowie Größe und Verhältnis der fremdenverkehrsbedingten Kundschaft.414 Beiträge zur Ärztekammer berücksichtigen u. a. die Art der Tätigkeit, indem sie für Amtsärzte einen deutlich niedrigeren Beitrag als für freipraktizierende Ärzte vorsehen.415 Für den Rundfunkbeitrag wäre eine Abstufung der Beitragslast nach Branchen jedoch nicht praktikabel. Schwierigkeiten ergäben sich zum einen für den Gesetzgeber bei der Gruppenbildung und zum anderen für den Beitragsservice bei der Zuordnung der Betriebe zu den jeweiligen Gruppen. Im Rahmen der Gruppenbildung sähe sich der Gesetzgeber mit dem Problem konfrontiert, dass keine Erfahrungssätze dahingehend bestehen, wie groß bei einzelnen Branchen der kommunikative Nutzen ist. Als Folge dessen entstünde eine enorme Rechtsunsicherheit, die sich bei der konkreten Anwendung durch den Beitragsservice fortsetzte, weil sich die Abgrenzung der Branchen mitunter als sehr diffizil und streitanfällig erwiese. Betriebsinhaber könnten vortragen, dass sie der falschen Kategorie zugeordnet seien bzw. die Gruppenbildung unbillig sei. Insbesondere bei Betrieben mit mehreren unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen wäre eine Einordnung mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden. Im Ergebnis würde eine Differenzierung nach der Art der betrieblichen Tätigkeit umfassende Prüfungen des Beitragsservice erforderlich machen und zöge viele Prozesse mit schwieri412 Die Kommission qualifiziert die Beschäftigtenzahl als ein aussagekräftiges Kriterium für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Unternehmens: ABl. L 124 v. 20.05.2003, S. 36, Erwägungsgrund 4. Hierauf ebenfalls eingehend: Wagner, Rundfunkgebühr, S. 183. 413 Séché, NVwZ 2013, 683 (684). 414 VGH Mannheim, Beschl. v. 10.08.1998 – 2 S 2753 / 97, juris Rn. 7 = MedR 1999, 377 ff. 415 BVerwG, Urt. v. 25.11.1971 – I C 48.65, juris Rn. 25 ff., BVerwGE 39, 100 ff.
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gen Beweisaufnahmen nach sich. Eine solche Entwicklung ist bei einer millionenfach erhobenen Abgabe wie dem Rundfunkbeitrag nicht erstrebenswert.416 Außerdem enthielt die alte Rechtslage auch kein solches Unterscheidungskriterium, sodass die Betriebsinhaber keine Schlechterstellung erfahren. Dass der RBStV ausnahmsweise bei Beherbergungsbetrieben (§ 5 II 1 Nr. 1 RBStV) und bestimmten gemeinnützigen Einrichtungen (vgl. die Aufzählung in § 5 III 1 RBStV) nach der Art der betrieblichen Tätigkeit differenziert, stellt das Argument der Verwaltungspraktikabilität nicht infrage, da diese Sonderregelungen bereits im früheren RGebStV bestanden (Beherbergungsbetriebe: § 5 II 3 Nr. 1 RGebStV; gemeinnützige Einrichtungen: § 5 VII 1 RGebStV) und der Beitragsservice auf einen bereits existenten Datenbestand zurückgreifen konnte. Im Übrigen sind diese Sonderregelungen sachlich gerechtfertigt, weil die Rundfunknutzung z. B. in Beherbergungsbetrieben signifikant erhöht ist417 und gemeinnützige Einrichtungen aus sozialstaatlichen Erwägungen privilegiert werden dürfen418. Der Gesetzgeber des RBStV ist zu Recht einen anderen Weg gegangen als andere Beitragsgesetzgeber und hat die Reform nicht mit der zusätz lichen Rechtsunsicherheit belastet, die eine branchenspezifische Abstufung bewirkt hätte. Fraglich ist, ob diese Einschätzung ebenfalls auf die fehlende Unterscheidung zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten zutrifft [c)]. c) Keine Differenzierung zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten Der RBStV unterscheidet nicht zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten. Für die Ermittlung der Beschäftigtenzahl pro Betriebsstätte sind gemäß § 6 IV RBStV die im Jahresdurchschnitt sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sowie Bediensteten in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis mit Ausnahme der Auszubildenden maßgebend. Geringfügig Beschäftigte auf 450–€-Basis im Sinne von § 8 I SGB IV sind hiervon nicht erfasst.419 Die Regierungsbegründung lehnte Sonderregelungen für Teilzeit416 Vgl. VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 127 = DVBl. 2014, 848 ff.; Wagner, Rundfunkgebühr, S. 179 f., Fn. 541, sowie die Bedenken der Landesregierung von Rheinland-Pfalz: VerfGH, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 35 = DVBl. 2014, 842 ff. 417 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 43. 418 Vgl. VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 128 = DVBl. 2014, 848 ff.; Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RGebStV, Rn. 91. 419 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 47.
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beschäftigte aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität ab. Außerdem hätten die Mindereinnahmen im Fall einer Beitragsreduktion für Teilzeitkräfte durch Beitragserhöhungen in anderen Bereichen kompensiert werden müssen, z. B. indem das Gesetz den Beitragssatz erhöht oder die beiden unteren Staffelstufen in § 5 I 2 Nr. 1, 2 RBStV enger ausgestaltet hätte.420 Durch die Gleichbehandlung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten werden Betriebe, in denen in größerem Umfang Teilzeitarbeit üblich ist, stärker belastet.421 Allerdings wird diese Beschwer durch den Umstand gemildert, dass Teilzeitbeschäftigte häufig zugleich geringfügig Beschäftigte sind, die überhaupt nicht mitgezählt werden. Das Argument der Verwaltungsprakti kabilität ist einsichtig, weil es einen enormen Aufwand bedeuten würde, die Selbstangaben der Betriebsinhaber zu kontrollieren, da der Beitragsservice hierfür die Arbeitsverträge einsehen müsste. Daher ist in diesem Bereich ein typisierendes Vorgehen sachgerecht.422 Aber das Ziel einer verwaltungspraktikablen Lösung hätte durch eine Berücksichtigung aller Beschäftigten bei der Beitragsbemessung und eine Absenkung des Beitragssatzes als Ausgleich für die erweiterte Bemessungsgrundlage konsequenter umgesetzt werden können. Denn die Differenzierung nach der Sozialversicherungspflicht verursacht einen nicht unerheb lichen Verwaltungsaufwand. Insgesamt gab es im September 2014 ca. 7,5 Mio. geringfügig Beschäftigte in Deutschland, während ca. 30,7 Mio. Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren.423 Mithin wären ca. 20 % aller Beschäftigten bei der Beitragsberechnung nicht zu berücksichtigen. Nach Auskunft einer Rundfunkanstalt überprüft der Beitragsservice die Selbstangaben der Betriebe zur Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter unter Berücksichtigung der Betriebsgröße auf Plausibilität hin, ohne weitere Unterlagen hinzuzuziehen.424 Ein solches Vorgehen birgt jedoch langfristig die Gefahr eines Erhebungs- und Vollzugsdefizits und konterkariert dadurch ein wesentliches Reformziel.
420 BW
LT-Drs. 15 / 197, S. 42. der Kritikpunkt von Degenhart, K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 21. 422 Im Ergebnis: VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 125 = DVBl. 2014, 848 ff. 423 Statistik der Bundesagentur für Arbeit, abrufbar auf: http: / / statistik.arbeits agentur.de / Navigation / Statistik / Statistik-nach-Themen / Beschaeftigung / Beschaefti gung-Nav.html, zuletzt abgerufen am 28.12.2014. 424 Auskunft vom 06.05.2014 durch Herrn Eicher, Justiziar des SWR und Mitglied im Verwaltungsrat des Beitragsservice, an den Verfasser. 421 So
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II. Beitragsstaffelung Die Kritik an der Beitragsstaffelung betrifft die Einteilung der Betriebsstätten in verschiedene Gruppen (1.) und die Degression. Dabei richtet sie sich nicht nur gegen die Degression im Allgemeinen (2.), sondern auch speziell gegen den Umstand, dass Unternehmen mit Filialstruktur (3.) und Mietwagenunternehmen (4.) hiervon faktisch nicht profitieren. Die gesetzgeberischen Motive zur Gruppeneinteilung bilden die Basis der anschließenden Prüfung und werden einleitend erörtert. 1. Gruppenbildung und gesetzgeberische Motive Die Höhe des zu leistenden Rundfunkbeitrags bemisst sich nach der Zahl der Beschäftigten, die neben dem Inhaber in einer Betriebsstätte tätig sind (§ 5 I 2 RBStV). Für eine Betriebsstätte mit bis zu acht Beschäftigten ist ein Drittel eines Rundfunkbeitrags zu entrichten (§ 5 I 2 Nr. 1 RBStV). Bei neun bis 19 Beschäftigten muss ein Rundfunkbeitrag bezahlt werden (§ 5 I 2 Nr. 2 RBStV), und bei 20 bis 49 Beschäftigten beträgt die Beitragshöhe zwei Rundfunkbeiträge (§ 5 I 2 Nr. 3 RBStV). Insgesamt sind zehn Gruppen vorgesehen, wobei die höchste Stufe Betriebsstätten mit 20.000 oder mehr Beschäftigten erfasst, deren Beitragslast auf 180 Rundfunkbeiträge begrenzt ist (§ 5 I 2 Nr. 10 RBStV). Die Regierungsbegründung führt zur Gruppenbildung aus, dass nach statistischen Erhebungen ca. 70 % der Betriebsstätten der ersten Gruppe mit bis zu acht Beschäftigten angehören und ca. 90 % der Betriebsstätten den ersten beiden Gruppen mit bis zu 19 Beschäftigten unterfallen würden. Des Weiteren verfeinerten die Stufen in § 5 I 2 RBStV die Einteilung der EU-Kommission in kleinste (weniger als zehn Mitarbeiter), kleine (weniger als 50 Mitarbeiter), mittlere (weniger als 250 Mitarbeiter) und sonstige Unternehmen.425 Die Kommissionsempfehlung befasst sich mit Wirtschaftsförderung426 und qualifiziert in diesem Bereich das Kriterium der Mitarbeiterzahl als eines der 425 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 42; zustimmend: Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RBStV, Rn. 11; Schneider, NVwZ 2013, 19 (23); Wagner, Rundfunkgebühr, S. 185. 426 Vgl. Art. 2 des Anhangs der Kommissionsempfehlung 2003 / 361 / EG v. 06.05.2003: ABl. L 124 v. 20.05.2003, S. 39. In Erwägungsgrund 1 der Empfehlung (S. 36) wird erläutert, dass eine einheitliche Definition essenziell sei, weil sehr viele Überschneidungen zwischen den Maßnahmen der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft zugunsten der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) existierten. Dies betreffe beispielsweise die Struktur- und Forschungsfonds. Es müsse vermieden werden, dass die Gemeinschaft ihre Maßnahmen
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aussagekräftigsten, um die wirkliche Bedeutung eines Unternehmens, seine Leistungsfähigkeit und seine Wettbewerbssituation zu evaluieren.427 Dagegen ist die Kompetenz der EU im Abgabenbereich gemäß Art. 113 AEUV auf die Harmonisierung der indirekten Steuern (beispielsweise Umsatzsteuer) beschränkt428, und bei diesen produktbezogenen429 Steuern ist die obige Unternehmenseinteilung erkennbar irrelevant. Daher stehen die Kommissionsempfehlung und die Rundfunkfinanzierung entgegen der Regierungsbegründung in keinem sachlichen Zusammenhang. Zwar kann sich der nationale Gesetzgeber prinzipiell auch in anderen Sachbereichen aus eigener Überzeugung für eine Orientierung an der Kommissionsempfehlung entscheiden, wie das BVerfG in seiner jüngsten Entscheidung zur Erbschaftssteuer klarstellte.430 Für die Rundfunkfinanzierung ist jedoch eine solche Vorgehensweise wenig zweckdienlich, weil hier nicht die Leistungsfähigkeit unterschiedlich großer Unternehmen, sondern der kommunikative Nutzen im Vordergrund steht.431 Außerdem erscheint es nicht plausibel, dass der Gesetzgeber des RBStV der Empfehlung der Kommission einerseits Bedeutung beigemessen haben soll, ihr aber andererseits nicht folgte. Er wich nicht nur bei der Einteilung der Gruppen von der Kommissionsempfehlung ab, sondern gestaltete auch den Anwendungsbereich anders aus. Obwohl die Kommission Unternehmen, die zu einem bestimmten Grad staatlich kontrolliert werden, nicht zu den kleinen und mittleren Unternehmen zählt432, erfasst der Betriebsstättenbegriff des RBStV öffentliche Betriebe433. Es ging dem Gesetzgeber in Wahrheit um die Stabilität des Beitragsaufkommens. Dies zeigen die Überlegungen in der Regierungsbegründung zu auf eine andere Art von KMU ausrichte als die Mitgliedstaaten. Außerdem werde so die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen reduziert. Erwägungsgrund 2 geht ebenfalls auf staatliche Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen ein. Die Empfehlung enthält jedoch keine Vorgaben zu Abgaben. 427 ABl. L 124 v. 20.05.2003, S. 36, Erwägungsgrund 4. 428 Waldhoff, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art. 113 AEUV, Rn. 4; Seiler, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, EUV / AEUV, Art. 113 AEUV, Rn. 4. 429 Zu dieser vereinfachenden, aber griffigen Beschreibung der indirekten Steuern im deutschen und europäischen Recht: Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 8. 430 BVerfG, Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21 / 12, juris Rn. 174 = NJW 2015, 303 ff. 431 Zu diesem Vorwurf und dem vorangegangenen Argument der Unterschiedlichkeit der Sachbereiche: Séché, NVwZ 2013, 683 (684 f.). 432 ABl. L 124 v. 20.05.2003, S. 37. Erwägungsgrund 13 der Empfehlung zählt die Unternehmen, deren Anteile oder Stimmrechte zu 25 % oder mehr von einer staatlichen Stelle oder Körperschaft des öffentlichen Rechts kontrolliert werden, nicht zu den KMU. 433 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 46; Schneider, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 6 RBStV, Rn. 9.
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der Frage, wie viele Betriebe nach der Reform unter die ersten beiden Gruppen fielen. Auch bei der Erwägung, ob eine Unterscheidung nach Vollund Teilzeitbeschäftigten sinnvoll sei, manifestiert sich diese aufkommensorientierte Vorgehensweise. Denn die Regierungsbegründung führte an, dass bei einer derartigen Differenzierung die Mindereinnahmen durch Beitragserhöhungen in anderen Bereichen kompensiert werden müssten, um denselben Ertrag zu erzielen.434 Die beabsichtigte Aufkommensstabilität, zugleich ein allgemeines Reformziel435, ist sachgerecht und durfte die Gruppenbildung beeinflussen, da der Gesetzgeber die Rundfunkanstalten aus verfassungsrechtlichen Gründen mit den notwendigen Mitteln zur Erfüllung des Grundversorgungsauftrags ausstatten muss.436 Das vorgeschobene Argument von der Empfehlung der EU-Kommission überzeugt dagegen nicht, weil die Staffelung im RBStV in keinem Zusammenhang dazu steht.437 Es schließt sich die weitere Frage an, inwieweit die Erklärungen der Regierungsbegründung zur Einführung einer degressiven Bemessung nachvollziehbar sind (2.). 2. Degression und Obergrenze in § 5 I RBStV Der Gesetzgeber entschied sich für eine degressive Beitragsbemessung, zumal dies „im Abgabenrecht üblich“ sei. Zwar wachse der Nutzen aus der Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit der Betriebsgröße, aber diese Zunahme verlaufe nicht linear.438 Ergänzt wird die Degression durch eine Begrenzung der Beitragslast auf 180 Rundfunkbeiträge pro Betriebsstätte. Im Folgenden wird zunächst die Kritik an der degressiven Beitragsbemessung dargestellt [a)] und anschließend deren Berechtigung erörtert [b)]. In diesem Zusammenhang liegt das Augenmerk auf der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Degression im Rundfunkbeitragsrecht. Weitere Diskussionspunkte, die mit der Degression ebenfalls verknüpft sind, werden indes an anderer Stelle schwerpunktmäßig behandelt. Dies betrifft die Belastung der Filial- und Mietwagenunternehmen, die faktisch nicht von der Degression profitieren. Alle Bereiche erfordern eine Bewertung und einen Vergleich der kommunikativen Vorteile. Die hierfür nötigen Grundlagen werden in diesem Abschnitt gelegt und im Rahmen der Befassung mit den Filial- und Miet434 BW
LT-Drs. 15 / 197, S. 42. LT-Drs. 15 / 197, S. 31. 436 BVerfG, Beschl. v. 06.10.1992 – 1 BvR 1586 / 89 u. a., juris Rn. 78 f., BVerfGE 87, 181 ff. 437 Vgl. Séché, NVwZ 2013, 683 (684 f.). 438 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 42. 435 BW
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wagenunternehmen bereichsspezifisch vertieft. Während in diesem Abschnitt der Fokus auf der einzelnen Betriebsstätte liegt, steht bei den Filialunternehmen (3.) die Mehrfachbelastung durch eine Vielzahl von Betriebsstätten im Vordergrund, sodass die Auswirkungen der degressiven Beitragsbemessung unter einem etwas anderen Blickwinkel untersucht werden. Bei den Mietwagenunternehmen (4.) kommt dem Aspekt der Systemgerechtigkeit wegen der dort vorgesehenen proportionalen Beitragsbemessung entscheidendes Gewicht zu. a) Kritik an der Beitragsbemessung in § 5 I RBStV Degenhart hält eine degressive Staffelung und eine Begrenzung der Rundfunkbeitragslast für unzulässig, weil dies der Systematik des Beitragsmodells widerspreche und inkonsequent sei. Auf der einen Seite solle der mögliche kommunikative Nutzen der Rundfunkteilnehmer maßgebend sein, auf der anderen Seite variiere dieser Nutzen ohne nachvollziehbaren Grund pro Beschäftigten in Abhängigkeit von der Betriebsgröße. Die Beitragslast pro Beschäftigten belaufe sich bei einer Betriebsstätte mit drei Beschäftigten auf das 18-Fache gegenüber einer Betriebsstätte mit 30.000 Beschäftigten. Diese Staffelung belaste vor allem Filialunternehmen mit vielen Betriebsstätten, an denen sich jeweils nur wenige Beschäftigte befänden, und sei nicht sachgerecht, da der kommunikative Nutzen lediglich proportional zur Anzahl der Beschäftigten ansteigen könne. Insgesamt verortet er diese Problematik im Gleichheitssatz (Art. 3 I GG)439 und findet im Ergebnis Zustimmung durch Teile der Literatur440. Allerdings zielen Degenharts Ausführungen faktisch auch auf einen Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip. Das Äquivalenzprinzip stellt die beitragsrechtliche Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Danach darf kein Missverhältnis zwischen der Beitragshöhe und dem gewährten Vorteil bestehen und einzelne Beitragsschuld439 Degenhart,
K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 22. vergleichbaren Argumenten: Gersdorf, in: Gersdorf / Paal, Medienrecht, § 1 RBStV, Rn. 5. Auch Séché, NVwZ 2013, 683 (684), vertritt die These, dass sich eine Degression nicht bzw. schwer mit dem Ziel eines Vorteilsausgleichs in Einklang bringen lasse. Die Degression werde primär im Steuerrecht angewandt, lasse sich aber wegen der Zieldivergenz von Steuer- und Beitragsrecht nicht ohne Weiteres auf den Rundfunkbeitrag übertragen. Denn die Einkommenssteuer diene der Berücksichtigung unterschiedlicher Leistungsfähigkeit, während die Beitragsbemessung den Vorteilsausgleich zum Ziel habe. Es sei auch nicht einsehbar, warum der Nutzen nicht proportional zur Beschäftigtenzahl steigen solle, wenn der Nutzen personenbezogen sei. Gegen eine Degression plädieren zudem Wiemers, GewArch 2011, 110 (112), und indirekt Geuer, MMR-Aktuell 2012, 335995, sowie Terschüren, Rundfunkfinanzierung, S. 145 f. 440 Mit
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ner dürfen im Verhältnis zu anderen nicht überproportional stark belastet werden.441 Beim Äquivalenzprinzip liegt das Augenmerk auf der KostenNutzen-Bilanz des einzelnen Beitragspflichtigen, während bei der Gleichheitsprüfung eine Kosten-Nutzen-Abwägung im Vergleich verschiedener Gruppen von Beitragspflichtigen zueinander stattfindet. Trotz dieser vermeintlichen Unterschiede eint beide Prinzipien das Ziel einer vorteilsgerechten Beitragsbemessung.442 Bereits die alte Rundfunkgebühr wurde am Äquivalenzprinzip gemessen.443 441 BVerwG, Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 11 = NVwZ 1990, 1167 f. Ob das Äquivalenzprinzip Verfassungsrang genießt, ist umstritten. Bejahend: Kube, Rechtsgutachten, S. 39. Laut VerfGH RP (Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 172 = DVBl. 2014, 842 ff.) kommt ihm „als solchem“ kein Verfassungsrang zu. Allerdings führt das Gericht selbst aus, dass dieses Prinzip eine abgabenrechtliche Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sei, und prüft es im Rahmen der Verfassungsbeschwerde gegen den RBStV kurz an. Noch mehr verwundert, dass der VerfGH RP eine Entscheidung des BVerfG zitiert, die seinen Standpunkt eher widerlegt als bekräftigt: BVerfG, Beschl. v. 11.10.1966 – 2 BvR 179 / 64 u. a., juris Rn. 42, BVerfGE 20, 257 ff.: „Für die Gebühren gilt außerdem – anders als für Steuern – das Äquivalenzprinzip.“ Anschließend (a. a. O., Rn. 44) befand das BVerfG zudem, dass das Äquivalenzprinzip dem Begriff der Gebühr immanent sei. In späteren Judikaten hat es die Frage des Verfassungsrangs aber wieder explizit offengelassen (BVerfG, Beschl. v. 06.02.1979 – 2 BvL 5 / 76, juris Rn. 50, BVerfGE 50, 217 ff.) oder nur die Verhältnismäßigkeit geprüft (BVerfG, Beschl. v. 12.10.1994 – 1 BvL 19 / 90, juris Rn. 43 ff., BVerfGE 91, 207 ff.). Vgl. zum Äquivalenzprinzip und zu seiner Beziehung zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Darstellung bei Heimlich, Verleihungsgebühr, S. 166 ff. Ferdinand Kirchhof, Die Höhe der Gebühr, S. 55, geht noch einen Schritt weiter und stellt sogar die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips teilweise infrage. Er ist der Auffassung, dass die Gebührenbemessung zwar abstrakt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterworfen sei, aber aus diesem Verfassungsgrundsatz könne sich erst ein eigenständiges Bemessungsprinzip mit Verfassungsrang ergeben, wenn ein bestimmter Gebührenzweck vom einfachen Gesetz festgelegt sei. Er lehnt auch die Anerkennung des Äquivalenzprinzips als bundeseinheitliches einfachrechtliches oder verfassungsrechtliches Bemessungsprinzip ab (S. 80 f.). Diese subtilen Differenzierungen werden nicht weiter vertieft, da sie im Hinblick auf den RBStV kein unterschiedliches Ergebnis erkennen lassen. 442 Detterbeck, GewArch 2005, 321 (324). 443 BVerwG, Beschl. v. 09.03.1984 – 7 B 23 / 83, juris Rn. 11 = Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 50; BVerwG, Beschl. v. 06.02.1996 – 6 B 72 / 95, juris Rn. 6 = NJW 1996, 1163 f.; a. A.: Gall, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 4 RGebStV, Rn. 19, der für seine These Bezug nimmt auf BVerwG, Urt. v. 09.12.1998 – 6 C 13 / 97, BVerwGE 108, 108 ff. = NJW 1999, 2454 ff. Jedoch befand das Gericht (juris Rn. 20) lediglich, dass für die Abgrenzung des Kreises der Gebührenpflichtigen nicht das Äquivalenzprinzip, sondern der Gleichheitssatz maßgebend sei. Bei der Abgrenzung des Kreises der Gebührenpflichtigen geht es um das „Ob“ der Gebührenpflicht und nicht um die Höhe („Wie“). Die generelle Aufgabe des Äquivalenzprinzips im Rundfunkgebührenrecht war mit diesem Judikat nicht verbunden. Eine Entscheidungsbesprechung erfolgte durch Dörr, JuS 2000, 395 ff., und Müller, JA 1999, 928 ff.
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Die obigen Rechenbeispiele und die damit verbundenen Gerechtigkeitsbedenken erscheinen zwar auf den ersten Blick plausibel, aber ein Vergleich mit anderen Beiträgen [b)] könnte die vorgebrachten Bedenken relativieren, wenn auch diese Beiträge erhebliche Unterschiede bei der Lastenverteilung aufweisen. b) Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Einwänden Um die Frage zu beantworten, ob eine degressive Entwicklung des Rundfunkbeitrags zulässig ist, muss zunächst ermittelt werden, unter welchen Voraussetzungen bei anderen, etablierten Beiträgen eine Degression zugelassen wurde. Denn diese Beiträge prägen das allgemeine Verständnis von einer Beitragsbemessung, die den Gleichheitssatz und das Äquivalenzprinzip wahrt, und füllen diese abstrakten Prinzipien inhaltlich aus. Eine derart vergleichende Betrachtung entspricht der Vorgehensweise des BVerfG im Rahmen der Prüfung einkommensabhängiger Kindergartengebühren. Die Frage der Sachgerechtigkeit dieser Gebührenregelung könne nur mit Blick auf das „Gesamtsystem staatlicher Abgaben und Leistungen“ beantwortet werden, weil sich erst daraus das jeweils rechtfertigungsbedürftige Ausmaß der Ungleichbehandlung ergebe. Daher ging das Gericht auch darauf ein, in welchen Bereichen (Steuerrecht und Sozialleistungen) eine Differenzierung auf der Basis des Einkommens anerkannt ist.444 Die vorliegende Analyse wählt einen etwas engeren Blickwinkel und betrachtet lediglich Beiträge. Im Folgenden werden IHK- und Rundfunkbeitragslast miteinander verglichen, die rechtlichen Voraussetzungen einer Degression untersucht [aa)] und anschließend auf den Rundfunkbeitrag angewandt [bb)]. aa) Vergleich von IHK- und Rundfunkbeitragslast Die anschließend dargestellte Entscheidung des BVerwG betraf zwar eine umgekehrte Situation, indem sie eine proportionale Staffelung eines IHKBeitrags zum Gegenstand hatte und es um die Frage ging, ob eine Degression sogar geboten sein kann, um unbillige Belastungen großer Unternehmen zu vermeiden. Seine Relevanz erlangt dieses Judikat aber dadurch, dass es sehr gut das weite Gestaltungsermessen bei der Beitragsbemessung illus triert und eine Orientierung bei der Frage bietet, ob die Beitragsbemessung im RBStV die Anforderungen des Gleichheitssatzes und des Äquivalenzprinzips wahrt. 444 BVerfG, Beschl. v. 10.03.1998 – 1 BvR 178 / 97, juris Rn. 63, BVerfGE 97, 332 ff.; zustimmend zu dieser Methodik: Sachs / Windthorst, JuS 1999, 857 (860).
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Die beklagte IHK setzte gegenüber der klagenden Geschäftsbank für das Jahr 1981 den Grundbeitrag auf 150 DM und die Umlage auf gerundet 149.000 DM fest. Die Umlage betrug 8 % der Gewerbesteuermessbeträge.445 Im Jahr 1986 sollte die Geschäftsbank sogar 375.000 DM als Umlage zahlen.446 Demgegenüber entrichtete ein signifikanter Teil der Kammermitglieder keine Beiträge, lediglich einen ermäßigten oder einfachen Grundbeitrag. Dies hatte zur Konsequenz, dass ein relativ kleiner Teil der Mitglieder einen verhältnismäßig hohen Anteil des Beitragsaufkommens aufbrachte.447 Die Geschäftsbank hielt die Bemessung der Umlage nach einem einheitlichen Prozentsatz für finanzverfassungsrechtlich unzulässig, weil sich die Beitragshöhe am Vorteil und nicht an der Leistungsfähigkeit zu orientieren habe. Die IHK müsse die Umlage u. a. degressiv staffeln oder auf einen bestimmten Höchstbetrag limitieren.448 Das BVerwG erkannte weder einen Verstoß gegen Art. 3 I GG noch gegen das Äquivalenzprinzip.449 Die Anknüpfung an Gewerbesteuermessbeträge erfasse die ökonomische Potenz der Kammermitglieder, was sachgerecht sei, zumal leistungsstarke Unternehmen aus der Wahrnehmung des Gesamtinteresses der Gewerbetreibenden durch die Kammer regelmäßig einen höheren Nutzen zögen als wirtschaftlich schwächere. Denn eine günstige Beeinflussung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wirke sich generell stärker zugunsten größerer Unternehmen aus. Das Äquivalenzprinzip stelle keine präziseren Anforderungen. „Es ist insbesondere nicht erforderlich, daß der Beitrag einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil ausgleicht, der sich bei dem einzelnen Kammerangehörigen meßbar niederschlägt. Eine solche Bemessungsweise kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Kammern in erster Linie die Gesamtbelange ihrer Mitglieder zu wahren haben und sich diese Tätigkeit regelmäßig nur mittelbar bei den einzelnen Mitgliedern auswirken kann (…).“450 Die Aussage, dass ein Beitrag keine Vorteile ausgleichen müsse, die sich bei den Schuldnern messbar niederschlügen, degradiert das Äquivalenzprinzip zu einem wirkungslosen Prüfungskriterium. Wenn ein Nutzen nicht messbar zu sein braucht, ist eine Kosten-Nutzen-Bilanz nicht durchführbar. Entscheidender Grund für diese gerichtliche Zurückhaltung bei der Prüfung ist die Schwierigkeit der Bewertung des individuellen Vorteils. Diese 445 BVerwG,
Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 1 = NVwZ 1990, 1167 f. Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 4 = NVwZ 1990, 1167 f. 447 BVerwG, Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 16 = NVwZ 1990, 1167 f. 448 BVerwG, Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 4 = NVwZ 1990, 1167 f. 449 BVerwG, Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 16 = NVwZ 1990, 1167 f. 450 BVerwG, Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 13 = NVwZ 1990, 1167 f., auch zu den vorausgegangenen Ausführungen. 446 BVerwG,
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Schwierigkeit eint IHK- und Rundfunkbeiträge, weil sich auch der Nutzen aus dem Angebot der Rundfunkanstalten nicht empirisch ermitteln und präzise taxieren lässt. Insbesondere kann nicht verlässlich vorhergesagt werden, wie sich der kommunikative Nutzen einer Betriebsstätte mit Zunahme der Beschäftigten entwickelt. Daher ist der Umstand, dass die Rundfunkbeitragspflicht pro Beschäftigten je nach Betriebsgröße variiert, entgegen der vorgebrachten Kritik nicht geeignet, eine Inkonsequenz zu begründen. Die Diskrepanz zwischen dem individuellen Vorteil und der Beitragslast ist beim IHK-Beitrag sogar viel stärker ausgeprägt. Der individuelle Nutzen eines IHK-Zugehörigen aus der Kammertätigkeit ist dadurch begrenzt, dass die IHK gemäß § 1 I IHKG die Gesamtinteressen aller Mitglieder vertreten muss.451 Dessen ungeachtet kann die IHK-Beitragslast proportional ansteigen. Wenn man den Grundbeitrag (150 DM) ins Verhältnis zu der Beitragslast der klagenden Geschäftsbank (ca. 149.000 DM) setzt, dann zahlte die Bank einen ca. 995-mal höheren Betrag für die Vertretung der Gesamtbelange der IHK-Zugehörigen als ein erheblicher Teil der IHK-Mitglieder. Dies unterstreicht, dass die Entscheidung für eine Degression im Rundfunkbeitragsrecht eine sachgerechte Lösung bildet, weil sie ein vergleichbar großes Ungleichgewicht verhindert. Indes wird vorliegend keine uneingeschränkte Übertragung der Wertungen aus dem IHK-Beitragsrecht postuliert, da sich das Kammer- vom Rundfunkbeitragsrecht durch die besondere Solidarität unter den Kammerzugehörigen452 unterscheidet. Aber dieser Unterschied schränkt die Vergleichbarkeit nur in Randbereichen ein, während die Kernproblematik, die Vorteilsermittlung, dieselbe ist. In Konstellationen mit diffiziler Vorteilsevaluation würde das Gericht eine umstrittene Vorteilsbewertung lediglich durch eine andere, ebenfalls angreifbare Regelung ersetzen. Daher ist es sachgerecht, dem Gesetzgeber des RBStV gleichfalls ein weites Ermessen bei der Bemessung zuzubilligen. Diese Erkenntnisse widerlegen nicht nur die Kritik an der Degression im Allgemeinen, sondern betreffen auch die besondere Situation der Filial- und Mietwagenunternehmen, auf die später noch näher eingegangen wird. Fraglich ist, ob dieses Ermessen zugleich die Einführung einer degres siven Staffelung und einer Obergrenze umfasst. Das BVerwG führte zwei 451 Zum Gesamtinteresse als Grenze der Interessenvertretung: Eisenmenger, in: Hdb. Kammerrecht, § 8, Rn. 62 ff. 452 Auf den Gedanken der Solidargemeinschaft rekurrierte das BVerwG, um die Beitragsbefreiungen wirtschaftlich schwächerer IHK-Mitglieder zu rechtfertigen: BVerwG, Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 17 = NVwZ 1990, 1167 f.; zum Solidaritätsgedanken bei der Ärztekammer: BVerwG, Urt. v. 25.11.1971 – I C 48.65, juris Rn. 40, BVerwGE 39, 100 ff.
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
eigenständige Rechtfertigungsgründe für eine derartige Beitragsbegrenzung an: eine nicht proportionale Vorteilsentwicklung und die Vermeidung einer sehr hohen Belastung. Lediglich ein nicht proportionaler Vorteilsanstieg zwinge zur degressiven Beitragsbemessung, während die Relativierung hoher Beitragslasten im Ermessen des Gesetzgebers liege. Im vorliegenden Fall der Geschäftsbank sei eine Beitragsbegrenzung nicht verpflichtend, da keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass deren Vorteile aus der Kammertätigkeit ab einem bestimmten Gewerbesteuermessbetrag gar nicht oder zumindest nicht mehr linear anstiegen.453 Ob sich Degression und Obergrenze in § 5 I RBStV anhand der vorgenannten Kriterien rechtfertigen lassen, wird anschließend untersucht. bb) Rechtfertigung von Degression und Obergrenze in § 5 I RBStV Der degressive Anstieg der Rundfunkbeitragslast und ihre Begrenzung auf 180 Rundfunkbeiträge pro Betriebsstätte können sowohl mit der Vermeidung einer übermäßigen Beitragslast [(1)] als auch mit der Prognose eines degressiv ansteigenden kommunikativen Nutzens gerechtfertigt werden [(2)]. (1) Vermeidung einer übermäßigen Beitragslast Der Gesetzgeber kann auf die Gefahr einer sehr großen Abgabenbelastung Rücksicht nehmen. Die Einführung von Degression und Beitragsobergrenze im RBStV war angesichts der sonst drohenden Beitragsbelastung sachgerecht.454 Denn die Höchstgrenze von 180 Beiträgen in § 5 I 2 RBStV führt bereits zu einer relativ hohen Beitragslast von 3.236,4 € pro Monat und Betriebsstätte. Hinzu kommen Kraftfahrzeugbeiträge gemäß § 5 II 1 Nr. 2 RBStV, sofern mehr als ein beitragsfreies Kraftfahrzeug pro Betriebsstätte (§ 5 II 2 RBStV) vorhanden ist. Da sich der Rundfunkbeitrag im Unterschied zum IHK-Beitrag nicht an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientiert, ist die Gefahr einer finanziellen Überforderung im Rundfunkbeitragsrecht eher gegeben. Dies gilt vor allem für personalintensive Branchen mit einem geringen Gewinn.455 Dass der Gesetzgeber sowohl eine 453 Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 14 = NVwZ 1990, 1167 f. 454 Vgl. Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RBStV, Rn. 12; Schneider, NVwZ 2013, 19 (23). 455 Für die Prognose einer finanziellen Überforderung bestimmter Unternehmen benötigt der Gesetzgeber keine empirischen Daten: BVerfG, Urt. v. 17.12.2014 –
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Degression als auch eine Höchstgrenze in den RBStV aufgenommen hat, spricht für eine ausgewogene Lösung. Allerdings erkennt Degenhart den Schutz vor einer unverhältnismäßigen Abgabenbelastung nicht als Rechtfertigung für diese beitragsbegrenzenden Maßnahmen im RBStV an. Ein solcher Begründungsansatz komme nur in Betracht, wenn die Leistungsfähigkeit den Anknüpfungspunkt der Beitragsbemessung bilde. Dies aber treffe auf den Rundfunkbeitrag nicht zu.456 Gleichwohl drängt sich eher eine umgekehrte Konklusion auf: Gerade in den Fällen, in denen die Leistungsfähigkeit keine Bezugsgröße der Beitragsbemessung darstellt, sollte die Beitragshöhe begrenzt werden, zumal die Gefahr einer finanziellen Überbelastung eher entstehen kann. Die Anknüpfung an einen bestimmten Prozentsatz des Gewinns berücksichtigt die individuelle Leistungsfähigkeit eines Unternehmens besser als absolute Beträge. Degenharts These ist auch deshalb abzulehnen, weil das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips457 nicht auf bestimmte Verteilungsmaßstäbe beschränkt ist. Zudem lassen sich praktische Beispiele (Begrenzung der Beitragslast für übergroße Grundstücke in Art. 5 II 6 BayKAG458 und Ermäßigungen für Eckgrundstücke im Erschließungsbeitragsrecht459) anführen, in denen die Beitragshöhe begrenzt wird, obwohl die Leistungsfähigkeit keinen Bezugspunkt der Beitragsbemessung bildet. 1 BvL 21 / 12, juris Rn. 143–147 = NJW 2015, 303 ff. (Entscheidung zur Erbschaftsund Schenkungssteuer). Daher sind auch im Rundfunkbeitragsrecht die o. g. Wahrscheinlichkeitsannahmen zur Rechtfertigung von Degression und Obergrenze ausreichend. 456 Degenhart, K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 22, Fn. 265. 457 Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 80. 458 Vgl. zur ratio legis von Art. 5 II 6 Bay KAG (früher Art. 5 II 5 Bay KAG): VG Bayreuth, Urt. v. 23.06.2004 – B 4 K 02.799, juris Rn. 49 = BeckRS 2004, 32598 (nicht veröffentlicht); Bay LT-Drs. 12 / 11938, S. 1. 459 Eckgrundstücke werden durch mehrere Straßen erschlossen und könnten daher eigentlich für jede Straße zu einem vollen Beitrag herangezogen werden. Es steht im Ermessen der jeweiligen Kommune, ob sie eine Eckermäßigung in ihrer Satzung vorsieht oder nicht. Vgl. zu Eckermäßigungen: Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, § 18, Rn. 76 f., § 36, Rn. 15; Grziwotz, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 131, Rn. 49 ff. Zwar könnte man dem im Haupttext vorgebrachten Argument entgegenhalten, dass die Eckermäßigung nicht allein mit der Vermeidung einer übermäßigen Beitragslast gerechtfertigt werde, sondern auch damit, dass sich die Vorteile bei einer zweifachen Erschließung nicht zwangsläufig verdoppeln. Aber das BVerwG (Urt. v. 08.10.1976 – IV C 56.74, juris Rn. 13, BVerwGE 51, 158 ff.) betonte, dass sich die Vorteilsentwicklung nicht verlässlich einschätzen lasse und es daher im Ermessen der Gemeinde stehe, ob eine Eckermäßigung in der Satzung vorgesehen werde oder nicht. Für eine Eckermäßigung könnten mitunter Grundsätze der „Billigkeit“ sprechen. Im Ergebnis ist eine Eckermäßigung somit doch eine Maßnahme, die auf die Reduktion einer hohen Beitragslast zielt und zu der die Gemeinde nicht aufgrund der Vorteilsverteilung gezwungen ist.
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
Häufig veranlassen mehrere Motive den Gesetzgeber zur Relativierung einer Beitragslast.460 Ein weiterer sachlicher Grund für die degressive Rundfunkbeitragsbemessung könnte dabei in der Vorteilsentwicklung liegen [(2)]. (2) Degressive Vorteilsentwicklung Denkbar ist, dass der kommunikative Nutzen mit dem Anstieg der Beschäftigtenzahl nicht proportional zunimmt, sondern abflacht. Für eine Prognose der Vorteilsentwicklung muss zunächst ermittelt werden, worin der kommunikative Nutzen besteht. Dies wird in der Regierungsbegründung nicht näher erläutert, aber Anhaltspunkte für die Vorstellung des Gesetzgebers ergeben sich aus dem Gutachten Kirchhofs. Zum einen beziehe sich der kommunikative Nutzen auf die Mitarbeiter, die während ihrer Arbeitszeit oder in den Pausen Rundfunk konsumierten und deren Arbeitsalltag dadurch abwechslungsreicher gestaltet werde. Dies wirke sich vor allem bei Massenfertigungen aus, deren Monotonie durch den Empfang von Rundfunkprogrammen relativiert werden könne. Der Betriebsinhaber profitiere indirekt vom Rundfunkkonsum seiner Mitarbeiter, weil dieser zum Erhalt der Arbeitskraft beitrage. Zum anderen könne der kommunikative Nutzen dem Gewerbebetrieb direkt durch die Erlangung erwerbsdienlicher Informationen zugutekommen.461 Die Systematisierung in direkte und indirekte Vorteile wird zwar im Gutachten nicht expressis verbis vollzogen, erleichtert aber die Prognose der Vorteilsentwicklung bei einem Anstieg der Beschäftigtenzahl. Denn es wird ersichtlich, dass die indirekten Vorteile proportional zur Beschäftigtenzahl anwachsen können, während bei den direkten Vorteilen keine Zunahme erfolgt, zumal es sich nicht weiter positiv auswirkt, ob ein oder 100 Mitarbeiter dieselbe erwerbsdienliche Information erfahren. Die Beurteilung, wie die direkten und indirekten Vorteile im Verhältnis zueinander bei der Beitragsbemessung zu gewichten sind, fällt schwer, da sie sich nicht präzise messen lassen. Als Konsequenz wird man dem Gesetzgeber wie bei anderen Beiträgen462 eine weite Einschätzungsprärogative zubilligen müssen.463 460 Siehe z. B. Fn. 459 und die Regierungsbegründung zu Art. 5 II 6 Bay KAG (damals Art. 5 II 5 Bay KAG): Bay LT-Drs. 12 / 11938, S. 1 (Vermeidung einer unverhältnismäßigen Belastung) und S. 2 (kein proportionaler Vorteilsanstieg). 461 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 11, 65. Zustimmend: VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 123 = DVBl. 2014, 842 ff. 462 Die Vorteile lassen sich auch bei den Kammerbeiträgen nicht genau messen, was einen weiten Gestaltungsspielraum bedingt: BVerwG, Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 13 f. = NVwZ 1990, 1167 f. Ähnliche Überlegungen finden sich bei der degressiven Gestaltung von Fremdenverkehrsbeiträgen; vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 19.12.2002 – 2 M 136 / 02. Der Beschluss wurde nicht veröffent-
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Darüber hinaus könnten die Erfahrungen mit der alten gerätebezogenen Rundfunkgebühr dazu herangezogen werden, um eine degressive Entwicklung sogar bei den indirekten Vorteilen zu begründen. Beispielsweise teilen sich in der Regel mehrere Beschäftigte ein Radio, weshalb ein Anstieg der Beschäftigten nicht zwangsläufig das Aufstellen eines weiteren Empfangsgeräts erforderlich macht. 463
Der Umstand, dass der RBStV den Gerätebezug aufgab, bedeutet nicht, dass die Anzahl der typischerweise vorhandenen Empfangsgeräte keine Orientierung für die Vorteilsverteilung geben darf. Die Mediennutzung befindet sich in einer Übergangsphase, weil sich die Konvergenz noch nicht in dem Maße auswirkt, dass die klassischen Funktionen der traditionellen Empfangsgeräte vollständig verschmolzen sind.464 Der Gesetzgeber hat sich zulässigerweise dafür entschieden, bereits jetzt ein langfristig zukunftsfähiges Finanzierungssystem einzuführen und den (naheliegenden) Zwischenschritt zu überspringen, der in dem Alternativkonzept einer widerlegbaren Vermutung bestanden hätte. Damit hat sich jedoch die Schwierigkeit ergeben, die Vorteilsbemessung adäquat durchzuführen, weil keine Erfahrungswerte dazu existieren, wie sich die Vorteile mit steigender Beschäftigtenzahl entwickeln. Als Folge dieser Ungewissheit muss die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers umso größer sein. Die Beitragsbemessung sollte aber zugleich realitätsgerecht erfolgen, was einen Spagat erfordert. Einerseits wird nicht mehr an ein Empfangsgerät angeknüpft, andererseits dominiert immer noch die gerätebezogene Rundfunknutzung. Um eine Beitragsbemessung zu erreichen, die die Wirklichkeit am ehesten abbildet und zu keinen Ungerechtigkeiten führt, wäre es legitim, sich an den Erfahrungswerten des gerätebezogenen RGebStV zu orientieren. Denn der Gerätebezug war ein Kriterium, das den Nutzen sehr gut erfasste. Wenn der Gesetzgeber eine Degression vor Augen hatte, da sich mehrere Beschäftigte in der Regel ein Empfangsgerät teilen, war dies kein Systembruch, sondern sachgerecht, um nicht über die Vorteilsentwicklung spekulieren zu müssen. licht, er wird aber im Urteil des VG Schleswig vom 06.11.2003 – 14 A 415 / 01, juris Rn. 34 = BeckRS 2004, 20205, wörtlich zitiert. Des Weiteren nimmt das Urteil des VG Schleswig vom 09.11.2004 – 14 A 154 / 02, juris Rn. 26 (offenbar nur über juris abrufbar), inhaltlich auf ihn Bezug. Die Gerichte rekurrierten zur Rechtfertigung der Degression auf den Umstand, dass sich die Vorteile aus dem Fremdenverkehr nicht exakt ermitteln ließen und eine degressive Vorteilsentwicklung wahrscheinlich sei. 463 Die Verfassungsgerichtshöfe von Rheinland-Pfalz (Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 165 = DVBl. 2014, 842 ff.) und Bayern (Urt. v. 15.05.2014 – 8 VII 12 u. a., juris Rn. 125 = DVBl. 2014, 848 ff.) gehen ohne Begründung von einer nicht proportionalen Vorteilszunahme aus. 464 Kap. 1 B. I.
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
(3) Zwischenergebnis Die Entscheidung für eine Degression und eine Belastungsobergrenze ist entgegen der vorgebrachten Bedenken sachgemäß und demonstriert das Bemühen des Gesetzgebers um eine ausgewogene Belastung. Auch andere Beiträge, namentlich IHK-, Fremdenverkehrs-465 und bayerische Kommunalbeiträge, kennen Begrenzungen und damit verbundene Unterschiede in der relativen Beitragslast. Diesbezüglich hat der Rundfunkbeitrag keinen neuen beitragsrechtlichen Weg beschritten. Ferner wurde deutlich, dass es sich bei der Schwierigkeit der Vorteilsermittlung um kein spezifisch rundfunkbeitragsrechtliches Problem handelt und die Gerichte dem Gesetzgeber als Konsequenz dieser Schwierigkeit einen weiten Bewertungsspielraum zubilligen. Denn es kann nicht Aufgabe der Gerichte sein, einen umstrittenen Verteilungsmaßstab durch eine andere, ebenfalls angreifbare Verteilungsregelung zu substituieren. Zwar steht damit fest, dass die Rundfunkbeitragsbemessung im Grundsatz unbedenklich ist, aber dies bedeutet noch nicht, dass sie der speziellen Situation der Filial- und Mietwagenunternehmen ausreichend gerecht wird. 3. Besondere Beitragslast von Filialunternehmen Gerade die Belastung der Filialunternehmen wird in mehreren Publikationen als unbillig kritisiert. Kleine Betriebsstätten würden nicht von der Degression profitieren, und durch die Vielzahl der Betriebsstätten entstehe für solche Unternehmen eine überproportionale Beitragsschuld.466 Die Drogeriemarktkette Dirk Rossmann GmbH hat im Verfahren vor dem Bayerischen VerfGH einen reformbedingten Anstieg der jährlichen Rundfunkbeitragslast von ursprünglich ca. 40.000 € auf nahezu 300.000 € vorgetragen.467 Auch Kommunen mit dezentraler Stadtverwaltung und entsprechend vielen Betriebsstätten fühlen sich durch die Reform unverhältnismäßig beschwert.468 465 Rechtsprechungsnachweis
in Fn. 462. K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 22; Wagner, Rundfunkgebühr, S. 185 f.; Terschüren, Rundfunkfinanzierung, S. 145 f.; Séché, NVwZ 2013, 683 (684); Geuer, MMR-Aktuell 2012, 335995; Gersdorf, in: Gersdorf / Paal, Medienrecht, § 1 RBStV, Rn. 5. 467 VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 24 = DVBl. 2014, 848 ff. Vgl. auch die Meldung in der MMR-Aktuell 2013, 341479. Dort wurde eine reformbedingte Beitragslast von ca. 200.000 € mitgeteilt. Unabhängig von der genauen Höhe der Belastung scheint jedenfalls ein signifikanter Anstieg gegeben zu sein. Der ARD-Vorsitzende Marmor konzedierte, dass die Reform vor allem Unternehmen mit zahlreichen Filialen belaste: Meldung der Beck-Aktuell-Redaktion vom 11.01.2013, becklink 1024299. 468 MMR-Aktuell 2013, 342673. 466 Degenhart,
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Diese Bedenken lassen sich nicht so einfach von der Hand weisen. Daher war es nicht sachgerecht, dass sich die Verfassungsgerichtshöfe von Bayern469 und Rheinland-Pfalz470 hiermit nur relativ kurz befasst haben. Ob die Einwände gerechtfertigt sind, soll ein Vergleich mit der früheren Rechtslage [a)] und der Belastungssituation anderer Beiträge zeigen [b)]. a) Vergleich der alten und der neuen Rechtslage Gemäß der alten Rechtslage hatte jede Filiale zumindest eine Grundgebühr i.H.v. zuletzt 5,76 €471 für das Bereithalten eines Hörfunkgeräts (§ 2 II 1 RGebStV) zu zahlen, weil nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden kann, dass in einem Einzelhandelsgeschäft zumindest ein Hörfunkgerät vorhanden ist, um die Kunden mit Musik zu unterhalten. Wurden mehrere Empfangsgeräte vorgehalten, waren entsprechend mehrere Rundfunkgebühren zu entrichten, da sich die Zweitgerätefreiheit gemäß § 5 I, II 1 RGebStV nur auf den privaten Bereich bezog.472 Gegenwärtig muss eine kleine Betriebsstätte mit bis zu acht Beschäftigten unabhängig von der Anzahl der Empfangsgeräte pauschal einen Drittelbeitrag i.H.v. 5,99 €473 und damit maximal 23 Cent mehr aufbringen. Nach dem RGebStV schuldete eine Filiale eine weitere Grundgebühr, wenn ein Empfangsgerät in einem betrieblich genutzten Kraftfahrzeug bereitgehalten wurde (§§ 2 II 1, 5 II 1 RGebStV). Statistisch ist fast jedes Kraftfahrzeug mit einem Hörfunkgerät ausgestattet.474 Der RBStV sieht einen Drittelbeitrag pro Kraftfahrzeug vor (§ 5 II 1 Nr. 2 RBStV), wobei eines pro Betriebsstätte beitragsfrei ist (§ 5 II 2 RBStV). Diese Befreiungsregelung fordert keine konkrete Zuordnung eines Kraftfahrzeugs zu einer bestimmten Betriebsstätte, sodass ein Filialbetrieb mit drei Filialen und drei Fahrzeugen nur für die Betriebsstätten zahlt, unabhängig davon, welcher Betriebsstätte die Fahrzeuge zugeordnet sind.475 Dadurch werden kleine Betriebsstätten begünstigt, weil bei ihnen in der Regel nur ein betrieblich 469 VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 100, 126 = DVBl. 2014, 848 ff. 470 VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 159 = DVBl. 2014, 842 ff. 471 § 8 Nr. 1 RFinStV 1996 i. d. F. des elften Rundfunkänderungsstaatsvertrags. 472 Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RGebStV, Rn. 1 f. 473 Gemäß § 5 I 2 Nr. 1 RBStV schulden Kleinstbetriebe einen Drittelbeitrag; der volle Rundfunkbeitrag beläuft sich derzeit auf 17,98 € gemäß § 8 RFinStV 1996 i. d. F. des fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags. 474 Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RBStV, Rn. 19. 475 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 44.
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genutztes Kraftfahrzeug zum Einsatz kommen dürfte. Der Gesetzgeber hat diese Beitragsbefreiung gerade im Hinblick auf Unternehmen mit Filialstruktur aufgenommen.476 Daher ist die Behauptung, dass die gesetzliche Regelung auf eine übermäßige Belastung von Filialunternehmen angelegt sei477, unzutreffend. Es mag kleine Betriebsstätten geben, die von dieser Regelung nicht profitieren, da sie keine Transportfahrzeuge vorhalten und alle Waren geliefert bekommen. Aber dies kann dem Gesetzgeber nicht zum Vorwurf gemacht werden, zumal er eine sachgerechte Prognoseentscheidung getroffen hat und bei der Beitragsbemessung typisierend vorgehen darf. Des Weiteren entfällt nach der Neuregelung die Beitragspflicht für neuartige Empfangsgeräte aus § 2 II 1 RGebStV. Zwar verfügen viele Betriebsstätten über einen internetfähigen PC478 und könnten theoretisch von dieser Änderung profitieren, aber die Abschaffung der Beitragspflicht für neuartige Empfangsgeräte wird sich in tatsächlicher Hinsicht nicht entlastend auswirken, weil viele neuartige Empfangsgeräte nach der alten Rechtslage gemäß § 5 III 1 RGebStV beitragsfrei gewesen sein dürften. Die damalige Befreiungsvorschrift erforderte, dass das neuartige Empfangsgerät ein und demselben Grundstück oder zusammenhängenden Grundstücken zuzuordnen war (Nr. 1) und dass andere Rundfunkempfangsgeräte dort zum Empfang bereitgehalten wurden (Nr. 2). Da Betriebsstätten realistischerweise über zumindest ein Rundfunkempfangsgerät verfügen, unterlagen neuartige Empfangsgeräte damals keiner Beitragspflicht.479 Im Ergebnis ist die Gesetzeskonzeption keinesfalls auf eine Schlechterstellung der Filialunternehmen angelegt. Im Gegenteil ist die gute Absicht des Gesetzgebers erkennbar, auf ihre Belastungssituation Rücksicht zu nehmen. Sollte sich im Einzelfall doch eine deutliche Erhöhung der Beitragslast ergeben, beruht dies entweder auf einer Besonderheit der Unternehmensorganisation (z. B. keine betrieblich genutzten Kraftfahrzeuge und damit kein Vorteil aus der Befreiung durch § 5 II 2 RBStV) oder auf dem Umstand, dass die frühere Beitragslast nicht mit der rechtlichen Beitragspflicht kon476 BW
LT-Drs. 15 / 197, S. 44. K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 22. 478 Zur aktuellen Verbreitung: VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 156 = DVBl. 2014, 842 ff.; Statistisches Bundesamt, Unternehmen und Arbeitsstätten, 2013, S. 10, 13. 479 Die Übereinstimmung der Gruppe der Befreiten auf der Basis der alten Rechtslage mit den Inhabern einer Betriebsstätte auf der Grundlage der neuen Rechtslage folgt daraus, dass beide Rechtsvorschriften den Anwendungsbereich ähnlich geregelt haben. Sowohl § 5 III 1 Nr. 1 RGebStV als auch § 6 I 2 RBStV fassen zusammenhängende Grundstücke zu einer Einheit zusammen. Das Aufgreifen dieses alten Kriteriums erwähnt auch: Schneider, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 6 RBStV, Rn. 15. 477 Degenhart,
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gruierte. Zwar hat die Reform somit bei isolierter Betrachtung der Filial unternehmen keine signifikanten Mehrbelastungen bewirkt, aber deren Beschwer muss auch im Vergleich zu der verhältnismäßig geringen Belastung großer Betriebsstätten angemessen sein. Für die Beantwortung dieser Frage ist vor allem wichtig, wie weit das Gestaltungsermessen des Gesetzgebers reicht, insbesondere ob er bestimmte Organisationsformen wie Filialstrukturen typischerweise verstärkt beitragsrechtlich belasten darf. Besonders aufschlussreich könnte diesbezüglich ein Blick auf andere Beiträge und deren Belastungsverteilung sein. b) Vergleich mit der Belastungsverteilung anderer Beiträge Ein Vergleich mit der Beitragserhebung durch Handwerkskammern [aa)], IHKs [bb)] und Kommunen im Rahmen des Straßenbaus [cc)] ermöglicht eine realitätsgerechte Bewertung der Belastungsverteilung im Rundfunkbeitragsrecht. Denn diese Abgaben prägen das beitragsspezifische Verständnis von Gleichheit und Vorteilsadäquanz, an dem der Rundfunkbeitrag zu messen ist.480 Die Untersuchung wird aufzeigen, dass der Rundfunkbeitrag nicht der einzige Beitrag ist, der sich zum Nachteil von Filialunternehmen auswirkt und Beitragsschuldner sehr unterschiedlich belastet. Zugleich verdeutlicht sie den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Vorteilsbewertung. Diese Prärogative bildet den Schlüssel für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Belastungen nicht nur im betrieblichen, sondern auch im privaten Bereich und wird im Fortgang der Dissertation mehrfach481 aufgegriffen. Die vergleichende Herangehensweise bedeutet keineswegs, dass eine Belastung die andere legitimiert, sondern dass die gefestigte Rechtsprechung zu einer Beitragsform für eine neue rechtliche Situation fruchtbar gemacht wird. Es gilt, die abstrakten Begriffe Äquivalenz und Gleichheit mit konkreten Beispielen auszufüllen und sie dadurch für die Prüfung der Rundfunkbeitragsbemessung handhabbar zu machen. Die Erkenntnisse aus dem Vergleich zwischen dem Rundfunkbeitrag und dem konkret analysierten Beitrag werden zum einen unmittelbar nach der Darstellung des jeweiligen Beitrags und zum anderen in Form einer abschließenden Betrachtung [c)] herausgearbeitet. 480 Ähnlich war die Vorgehensweise des BVerfG bei der Prüfung einkommensabhängiger Kindergartengebühren, weil hierbei das Gesamtsystem staatlicher Abgaben und Leistungen als Vergleichsmaßstab diente: BVerfG, Beschl. v. 10.03.1998 – 1 BvR 178 / 97, juris Rn. 63, BVerfGE 97, 332 ff.; zustimmend zu dieser Methode: Sachs / Windthorst, JuS 1999, 857 (860). 481 In Kap. 4 B. unter II. 1. a) und 2. b) sowie III. 3. b) bb).
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
aa) Beitragslast von Filialunternehmen im Handwerkskammerbeitragsrecht Eine ähnliche Belastung von Filialunternehmen findet sich bei den Beiträgen zur Handwerkskammer. Mehrfachbelastungen von Handwerksunternehmen mit Filialstruktur können sowohl durch eine beitragsrechtliche Belastung jeder Betriebsstätte innerhalb ein und desselben Kammerbezirks als auch durch eine Mitgliedschaft in verschiedenen Kammerbezirken entstehen: Wenn ein Handwerksunternehmen in ein und demselben Kammerbezirk neben einem Hauptbetrieb auch Filialen unterhält, liegt es im Ermessen der jeweiligen Kammer, ob sie nicht nur für den Hauptbetrieb, sondern auch für die einzelnen Filialen jeweils einen (vollen) Grundbeitrag in ihrer Satzung vorsieht.482 Im Kern entsprechen sich Handwerkskammer- und Rundfunkbeitragsbemessung: Beide knüpfen die Beitragslast an das Unterhalten einer Betriebsstätte. Die einzelne Kammerbeitragsordnung hat zwar nur einen begrenzten örtlichen Anwendungsbereich und betrifft daher weniger Betriebsstätten, aber die relative Belastung der betroffenen Betriebsstätten innerhalb dieser Beitragsordnung ist mit dem Rundfunkbeitrag vergleichbar. Der Rundfunkbeitrag verfügt über einen größeren örtlichen Anwendungsbereich, der sich jedoch nur für Unternehmen auswirkt, die entsprechend viele, überregional verteilte Betriebsstätten besitzen. Betreibt ein Unternehmer Filialen in verschiedenen Kammerbezirken, wird er gemäß § 90 II HwO Pflichtmitglied in jedem Kammerbezirk483, was wiederum seine gesetzliche Beitragspflicht zur Folge hat, die unmittelbar aus § 113 I HwO folgt484. Dies kann bei 55 Handwerkskammern in Deutschland485 für Handwerksbetriebe, die bundesweit Betriebsstätten unterhalten, eine erhebliche Beitragslast begründen. Eine solche Unternehmensstruktur ist im Handwerk nicht unrealistisch, wie das Beispiel von Optikerketten illustriert. Diese Form der Mehrfachbelastung beruht analog zur Rundfunkbeitragsbelastung auf einem bundesweit gültigen Gesetz, der HwO. Ein rechtlicher Unterschied besteht zwar zunächst darin, dass das Rundfunkbeitragsrecht jede einzelne Betriebsstätte eines Unternehmens belastet, während das Handwerkskammerbeitragsrecht in dieser Fallgestaltung das Filialunternehmen unabhängig von der Anzahl der Betriebsstätten nur einmal pro Kammerbezirk heranzieht. Aber dieser Unterschied relativiert sich faktisch 482 BVerwG, Beschl. v. 14.02.2002 – 6 B 73 / 01, juris Rn. 2, 11 = GewArch 2002, 245 f. Vgl. hierzu auch Detterbeck, HwO, § 113, Rn. 2, 8. 483 Zur gesetzlich angeordneten Mitgliedschaft: Detterbeck, HwO, § 90, Rn. 1 f. 484 VGH Mannheim, Urt. v. 14.09.2001 – 14 S 2726 / 00, juris Rn. 18 f. = Gew Arch 2002, 83 ff. 485 Jahn, ThürVBl. 2013, 1.
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durch die o. g. Möglichkeit einer Kammer, jede Betriebsstätte in ihrem Bezirk beitragsrechtlich heranzuziehen.486 Um diese abstrakten Abhandlungen etwas zu veranschaulichen und eine Vorstellung von der konkreten finanziellen Belastung zu vermitteln, wird ein Fall des BVerwG vorgestellt: Ein Optikerbetrieb wurde für das Jahr 1999 sowohl für seine Hauptniederlassung als auch für seine Filiale zu einem Beitrag von jeweils 900 DM herangezogen.487 Das BVerwG erkannte keinen Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip oder den Gleichheitssatz, da Betriebe mit Filialen wirtschaftlich potenter seien und stärker von der Tätigkeit der Handwerkskammer profitierten. Eine generelle Überbelastung von Filialunternehmen werde dadurch verhindert, dass Filialen nicht mit Zusatzbeiträgen belastet würden und in Härtefällen Billigkeitsmaßnahmen getroffen werden könnten.488 Wenn man – großzügig geschätzt – davon ausgeht, dass in einer Betriebsstätte eines Optikergeschäfts bis zu 19 Beschäftigte arbeiten und drei Kraftfahrzeuge vorhanden sind, müsste diese Betriebsstätte gemäß §§ 5 I 2 Nr. 2, II 1 Nr. 2, II 2 RBStV 1,66 Rundfunkbeiträge, mithin ca. 29,85 € monatlich und 358 € jährlich, zahlen. Bei einer kleineren Betriebsstätte mit bis zu acht Beschäftigten und lediglich einem Kraftfahrzeug summiert sich die Rundfunkbeitragslast monatlich auf 5,99 € (ein Drittel eines Rundfunkbeitrags gemäß § 5 I 2 Nr. 1 RBStV) und jährlich auf ca. 72 €. Aufgrund dieser geringen Beitragslast ist es noch unwahrscheinlicher als im o. g. Fall (damals 900 DM p. a.), dass eine Unverhältnismäßigkeit vorliegt. Eine vergleichbare Belastungssituation für Unternehmen mit Filialstruktur findet sich zudem im IHK-Beitragsrecht [bb)], wobei sich dort die Gesamtbelastung der Unternehmen als komplexer erweist und eine Reform versuchte, das rechte Maß zu finden.
486 Eine Gesamtbetrachtung der potenziellen Beitragslast von Filialunternehmen stellte auch das BVerwG an (Beschl. v. 14.02.2002 – 6 B 73 / 01, juris Rn. 11 = GewArch 2002, 245 f.), indem es bei seiner Entscheidung über den Beitrag einer konkreten Kammer eine „denkbare generelle Überbelastung“ von Filialunternehmen in seine Abwägung einbezog. Eine Überbelastung drohe aber nicht, weil für Filialen nur Grund- und keine Zusatzbeiträge erhoben würden und auf Härtefälle mit Billigkeitsmaßnahmen reagiert werden könne. 487 BVerwG, Beschl. v. 14.02.2002 – 6 B 73 / 01, juris Rn. 1 f. = GewArch 2002, 245 f. Vgl. auch die etwas umfangreicheren Ausführungen im Tatbestand der Vorinstanz: OVG Koblenz, Urt. v. 20.09.2001 – 6 A 10069 / 01, juris Rn. 3 = GewArch 2002, 37 f. 488 BVerwG, Beschl. v. 14.02.2002 – 6 B 73 / 01, juris Rn. 11 = GewArch 2002, 245 f.
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
bb) Mehrfachbelastungen im IHK-Beitragsrecht Das IHK-Beitragsrecht verursacht hohe Belastungen, indem Unternehmen mehreren IHKs [(1)], zusätzlich einer Berufskammer [(2)] und derselben IHK sogar „mehrfach“ [(3)] angehören können. Die IHK-Reform von 1998 reagierte teilweise auf diese Belastung, tarierte ihre Verteilung neu aus und demonstriert dadurch die Weite des gesetzgeberischen Ermessens hinsichtlich der Beitragsbemessung. Dieselben Möglichkeiten der Beitragsverteilung könnten auch dem Gesetzgeber des RBStV zustehen. (1) Zugehörigkeit zu mehreren IHKs Die beitragspflichtige IHK-Zugehörigkeit wird gemäß § 2 I IHKG durch das Unterhalten einer Betriebsstätte im jeweiligen Kammerbezirk begründet. Als Konsequenz sind Unternehmen mit Filialstruktur über ihre zahlreichen Betriebsstätten mehrfach mit Kammerbeiträgen belastet. Insofern besteht eine strukturelle Parallele zur Rundfunkbeitragspflicht, weil diese ebenfalls durch das Unterhalten einer Betriebsstätte ausgelöst wird. Allerdings lassen sich zwei Unterschiede zum Rundfunkbeitrag herausarbeiten: Erstens erlässt jede IHK ihre eigene Beitragsordnung, während die Belastung durch den RBStV bundesweit einheitlich ausgestaltet ist. Diese Differenz relativiert sich aber dadurch, dass die Belastung als solche durch das bundesweit gültige IHKG vorgegeben ist, das eine Pflichtmitgliedschaft im jeweiligen Kammerbezirk anordnet. Zweitens ist nur ein Beitrag pro IHK-Bezirk zu entrichten, während der Rundfunkbeitrag pro Betriebsstätte anfällt. Gleichwohl kann die IHK-Beitragslast angesichts der 80 IHKs489 in Deutschland ähnlich hoch sein. Das oben angeführte490 Beispiel einer Geschäftsbank, die in den 1980er-Jahren Beiträge in Höhe von ca. 150.000 DM bzw. 375.000 DM allein an eine IHK zahlte, hat dies sehr gut illustriert. Noch stärker als Unternehmen mit Filialstruktur sind Automatenaufsteller betroffen, die bereits zu einem IHK-Beitrag herangezogen werden, wenn sie nur einen einzigen Automaten im jeweiligen IHK-Bezirk aufgestellt haben. Ein bundesweit tätiger Automatenaufsteller dürfte eine Gesamtbeitragslast zu schultern haben, die der Rundfunkbeitragslast von Filialunternehmen in nichts nachsteht. Das Kernproblem (Last im Verhältnis zur konkreten Wirt489 Jahn,
490 Siehe
ThürVBl. 2013, 1. Kap. 4 A. II. 2. b) aa).
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schaftskraft einer Betriebsstätte) ist dasselbe, und bei der Bewertung einer konkreten Kammerbeitragssatzung wird ein Gericht auch die potenzielle bundesweite Gesamtbelastung für die betroffenen Unternehmen zu bedenken haben491. Dennoch hatte das BVerwG keinen Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der IHK-Beitragslast von Automatenaufstellern: Das BVerwG subsumierte Kinderreitautomaten unter den Betriebsstättenbegriff des § 2 I IHKG, weil der Gesetzgeber zulässigerweise einen inhaltlich weiten Anknüpfungspunkt gewählt habe, um möglichst alle Unternehmen eines Bezirks in die IHK einzubeziehen. Des Weiteren verstoße es nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass bundesweit tätige Automatenaufsteller durch den Betrieb nur eines Automaten im Kammerbezirk beitragspflichtiges Mitglied der jeweiligen IHK würden.492 Daher erkannte das Gericht keinen Rechtsfehler in der Heranziehung der Klägerin durch eine IHK zu einem Beitrag in Höhe von ca. 328 DM bezogen auf das Jahr 1991. Für das Jahr 1994 setzte die IHK eine Vorausleistung in Höhe von ca. 429 DM fest.493 Bei den Handwerkskammerbeiträgen wurde bereits ausgeführt, dass eine mittlere Betriebsstätte mit bis zu 19 Beschäftigten und drei Kraftfahrzeugen Rundfunkbeiträge in Höhe von ca. 358 € jährlich zahlen muss. Eine kleine Betriebsstätte mit bis zu acht Beschäftigten und nur einem Kraftfahrzeug schuldet Rundfunkbeiträge in Höhe von ca. 72 € jährlich. Wenn man dies in Relation zur vorgenannten IHK-Beitragslast setzt, die man derzeit unter 491 Das OVG Münster, Urt. v. 24.02.1997 – 25 A 4720 / 94, juris Rn. 29 = Gew Arch 1997, 296 ff., hatte die Folgen bei einer Heranziehung der IHK-Beitragsschuldnerin zu einem Grundbeitrag durch alle (damals) 83 Industrie- und Handelskammern ausdrücklich mitbedacht. Ähnlich die Revisionsinstanz: BVerwG, Urt. v. 27.10.1998 – 1 C 19 / 97, juris Rn. 16 = NVwZ-RR 1999, 243 f., die aber etwas zurückhaltender von der möglichen Zugehörigkeit von Automatenaufstellern zu mehreren Industrieund Handelskammern sprach. 492 BVerwG, Urt. v. 27.10.1998 – 1 C 19 / 97, juris Rn. 1, 15 f. = NVwZ-RR 1999, 243 f. 493 BVerwG, Urt. v. 27.10.1998 – 1 C 19 / 97, juris Rn. 3 = NVwZ-RR 1999, 243 f. Wenn ein Automatenaufsteller wirklich nur einen einzigen Kinderreitautomaten pro IHK-Bezirk betriebe und der Ertrag sehr gering ausfiele, wäre mit einer Befreiung vom Grundbeitrag zu rechnen. Allerdings sind die Befreiungsmöglichkeiten hinsichtlich des Grundbeitrags derzeit eng gefasst und auf die Fälle des § 3 III 3, 4 IHKG begrenzt. Der Grundbeitrag ist auch dann zu zahlen, wenn der Gewerbesteuermessbetrag auf 0 € lautet: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, § 3, Rn. 55. Grund hierfür ist das Ziel der Reform von 1992, alle Kammerzugehörigen in die Beitragspflicht einzubeziehen und die vorher bestehenden Befreiungen und Ermäßigungen zu reduzieren: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, § 3, Rn. 48; BT-Drs. 12 / 3320, S. 7, rechte Spalte – S. 8, linke Spalte. Die Reformziele werden auch im Beschluss des BVerfG vom 07.12.2001 – 1 BvR 1806 / 98, juris Rn. 5 = NVwZ 2002, 335 ff., skizziert.
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
Berücksichtigung von Geldwert- und Wirtschaftsentwicklung mit umgerechnet ca. 700 € p. a. beziffern könnte, müsste ein Unternehmen entweder ca. zwei mittlere oder zehn kleine Betriebsstätten pro Kammerbezirk unterhalten, um auf eine vergleichbar hohe Rundfunkbeitragslast zu kommen. Der Rundfunkbeitrag hält sich damit im Rahmen üblicher Beitragslasten. Doch beschränkt sich die Verpflichtung der IHK-Mitglieder nicht auf das Bezahlen von IHK-Beiträgen, sondern es kann auch ein weiterer Beitrag für eine Berufskammer hinzukommen. Diese addierte Gesamtbelastung relativiert die Rundfunkbeitragslast abermals. (2) Zugehörigkeit zur IHK und zu einer Berufskammer Die IHK-Reform von 1998 dokumentiert das weite Bewertungsermessen des Gesetzgebers, der für ein und denselben Vorteil entweder – vor der Reform – eine hundertprozentige oder – nach der Reform – eine zehnprozentige Beitragslast festlegen kann. Diese Prärogative könnte für den Rundfunkbeitrag bedeuten, dass Vorteile und Lasten hier ebenfalls sehr unterschiedlich bewertet und verteilt werden dürften. Als konkretes Veranschaulichungsbeispiel dienen die Steuerberatungsgesellschaften. Steuerberater werden IHK-Pflichtmitglied, wenn sie ihren Beruf z. B. in der Rechtsform einer GmbH ausüben.494 Sie müssen dann nicht nur Beiträge für die Steuerberaterkammer495, sondern auch für die IHK erbringen. Der Gesetzgeber stufte diese doppelte, jeweils volle Beitragslast als unbillig ein und ermäßigte den IHK-Beitrag für Freiberufler durch die IHKReform von 1998 auf 10 %496 (vgl. § 3 IV 3 IHKG). Diese Unterschiede in der Beitragsbelastung legen die berechtigte Frage nahe, ob die Beitragshöhe vor der Reform tatsächlich vorteilsadäquat war. Allerdings hatten mehrere Oberverwaltungsgerichte keine Einwände gegen die volle Beitragslast der Steuerberatungsgesellschaften. Sofern sie auf die Angemessenheit der Beitragshöhe eingingen, verwiesen sie auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.497 Zwar fehlt eine höchstrichter 494 Frentzel / Jäkel / Junge,
IHKG, § 3, Rn. 100, 102. § 74 I 1 (Mitgliedschaft) und § 79 I 1 (Beitragspflicht). 496 BT-Drs. 13 / 9975, S. 8 f. 497 Das OVG Münster, Urt. v. 24.02.1997 – 25 A 2531 / 94, juris Rn. 30, NWVBl. 1997, 348 ff., setzte sich mit der Frage, ob eine volle Belastung einer Steuerberatungsgesellschaft mit dem Grundbeitrag der IHK gegen das Äquivalenzprinzip verstoßen könnte, erst gar nicht auseinander. Es verwies lediglich darauf, dass nach der Rechtslage bis zum 31.12.1993 einheitliche Grundbeiträge zu erheben seien, weshalb die beklagte IHK gar nicht berechtigt sei, den Grundbeitrag für die Klägerin zu reduzieren. Das OVG Schleswig, Urt. v. 20.07.2004 – 3 LB 36 / 03, juris Rn. 23 = 495 Steuerberatungsgesetz:
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liche Entscheidung498, aber die Billigung des (früher erhobenen) vollen IHK-Grundbeitrags von Apothekern durch das BVerwG499 impliziert, dass es die volle Beitragslast der Freiberufler gleichfalls für zulässig gehalten hätte. Damit war die Neubewertung der Vorteile von Freiberuflern durch die Novelle des IHKG keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit, sondern eine politische Entscheidung. Die Regierungsbegründung zur Reform ging genauso wenig davon aus, dass der Gesetzgeber zur Reduktion der Beitragslast verpflichtet gewesen sei.500 Die Entwicklung der IHK-Beiträge für Freiberufler vermittelt einen Eindruck davon, was unter dem Begriff „Abgabengleichheit“ zu verstehen ist. Relativieren lässt sich diese enorme Divergenz der Beitragslast nur dadurch, dass die Vorteile aus der IHK-Zugehörigkeit nicht messbar sind501 und eine gerichtlich angeordnete Korrektur der Beitragshöhe auf einer sehr unsicheren Grundlage fußen würde. Bei einer solchen Ungewissheit ist in der Tat Zurückhaltung geboten. (3) „Mehrfache“ Mitgliedschaft in einer IHK Die nachfolgend dargestellten „Mehrfachmitgliedschaften“ in ein und derselben IHK liefern nicht nur ein weiteres Beispiel für eine Mehrfachbelastung und den weiten Gestaltungsspielraum bei der Beitragsbemessung, sondern bewirken auch einen Effekt, der dem Problem der Filialunternehmen im Rundfunkbeitragsrecht nahekommt. Manche IHK-Grundbeiträge sind degressiv ausgestaltet.502 Unternehmen, die aus mehreren beitragspflichtigen Gesellschaften bestehen, profitieren durch eine separate Veran lagung weniger von der Degression, weil sich diese besonders bei hohen Beiträgen, d. h. bei gemeinsamer Veranlagung, mindernd auswirkt. Im GewArch 2004, 428, betonte den weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum. Vgl. auch: VGH Mannheim, Urt. v. 17.06.1998 – 14 S 38 / 98, juris Rn. 21 f. = Gew Arch 1999, 66 ff.; OVG Magdeburg, Beschl. v. 06.11.2009 – 2 L 252 / 08, juris Rn. 16 = BeckRS 2009, 42276 (ansonsten sind augenscheinlich nur die Leitsätze veröffentlicht). Der Fall des OVG Magdeburg betraf die neue Rechtslage, indes führte das Gericht in einem obiter dictum aus, dass es die uneingeschränkte Beitragspflicht von Freiberuflern vor dem 01.01.1999 als zulässig qualifiziere. 498 Eine Revision wurde vom BVerwG nicht zugelassen, weil die Frage auslaufendes Recht betreffe: BVerwG, Beschl. v. 21.10.2004 – 6 B 60 / 04, juris Rn. 9 ff. = NVwZ 2005, 340 f. 499 BVerwG, Beschl. v. 14.11.2001 – 6 B 60 / 01, juris Rn. 12 = NVwZ-RR 2002, 187 f. 500 BT-Drs. 13 / 9975, S. 8, rechte Spalte – S. 9, linke Spalte. 501 BVerwG, Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 13 = NVwZ 1990, 1167 f. 502 OVG Münster, Beschl. v. 05.02.1999 – 4 A 1168 / 96, juris Rn. 2 = GewArch 1999, 205 f.; Heinig, NVwZ 2004, 1087 (1088).
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
Rundfunkbeitragsrecht kommen große Betriebsstätten (das entspräche der gemeinsamen Veranlagung) und nicht Filialunternehmen mit kleinen Betriebsstätten (das entspräche der getrennten Veranlagung) in den Genuss der Degression. „Mehrfachmitgliedschaften“ ergeben sich in folgenden Konstellationen: Bei einer GmbH & Co. KG können sowohl die GmbH als auch die KG Mitglied derselben IHK sein. Vor der IHK-Reform von 1998 waren beide Gesellschaften getrennt und in voller Höhe zu IHK-Beiträgen heranzu ziehen.503 Das gleiche Problem stellte sich bei Unternehmen, die Tochtergesellschaften gründeten. Tochtergesellschaften sind selbstständige Gewerbetreibende und als solche eigenständige IHK-Mitglieder mit grundsätzlich eigenen Beitragslasten. Der Gesetzgeber hat für diese „Mehrfachmitgliedschaften“ im Rahmen der Novelle von 1998 Ermäßigungsmöglichkeiten eingeführt.504 Gemäß § 3 III 9 IHKG kann Kapitalgesellschaften, deren gewerbliche Tätigkeit sich in der Funktion eines persönlich haftenden Gesellschafters in nicht mehr als einer Personenhandelsgesellschaft erschöpft, ein ermäßigter Grundbeitrag eingeräumt werden, sofern beide Gesellschaften derselben Kammer angehören. Gleiches gilt gemäß § 3 III 10 IHKG für eine (Tochter-)Gesellschaft mit Sitz im Bezirk einer Kammer, wenn sämt liche Anteile dieser (Tochter-)Gesellschaft von einem im Handelsregister eingetragenen Unternehmen mit Sitz in derselben Kammer gehalten werden. Genauso wenig wie die Kammern derzeit verpflichtet sind, diese Ermäßigungen in ihren Satzungen vorzusehen, war der Gesetzgeber verpflichtet, den gesetzlichen Rahmen hierfür zu schaffen. Vielmehr handelte es sich um ein freiwilliges Entgegenkommen.505 503 VG Düsseldorf, Urt. v. 20.06.1995 – 3 K 11818 / 94 = GewArch 1995, 482. Die Frage, ob das Äquivalenzprinzip berührt sei, weil der Beitrag in einem Missverhältnis zum Vorteil stehen könnte, wurde nicht thematisiert. 504 Vgl. Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, § 3, Rn. 80 f. Dabei hatte der Gesetzgeber (BT-Drs. 13 / 10296) insbesondere mittelständische Unternehmen vor Augen, die aus betrieblichen Gründen einzelne Unternehmensbereiche, die früher als Hauptabteilungen des Unternehmens geführt wurden, in rechtlich selbstständige GmbHs ausgliedern. 505 Der Änderungsantrag (BT-Drs. 13 / 10296) der Fraktionen der CDU / CSU, SPD und FDP, der 1998 zur Einführung der vorgenannten Ermäßigungsmöglichkeiten führte, ging auch weder auf Gerichtsentscheidungen ein noch äußerte er die Ansicht, dass der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen zur Einführung von Beitragsreduktionen bei „Mehrfachmitgliedschaften“ verpflichtet sei. Im Gegenteil wurde wiederholt betont, dass die Neuregelungen nur Ermessensvorschriften darstellten. Daher verwundert es nicht, dass Gerichte auch nach der Reform keinen Zweifel an der Zulässigkeit der Heranziehung von Komplementär-GmbHs zur vollen Beitragspflicht haben, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der Privilegierungsregelung nicht erfüllt werden. Ein voller Beitrag wurde in den folgenden Fällen bejaht, weil sich die Tätigkeit der GmbH nicht in der Komplementärfunktion erschöpfte:
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Die Beitragslast wird sich nie optimal verteilen lassen. Daher ist es auch nicht angebracht, einen allzu strengen Prüfungsmaßstab an die Rundfunkbeitragsbemessung anzulegen. Nachteile für bestimmte Organisationsstrukturen sind bei einer Beitragsbemessung quasi unvermeidbar. Ob der Gesetzgeber darauf reagiert, ist eine politische Entscheidung, aber kein verfassungsrechtliches Gebot. (4) Übertragbarkeit der Wertungen aus dem IHK-Beitragsrecht auf den RBStV Schließlich bleibt die Frage zu beantworten, inwiefern sich die Wertungen des IHK-Beitragsrechts auf das Rundfunkbeitragsrecht übertragen lassen, insbesondere ob der Gesetzgeber des RBStV berechtigt ist, für denselben Vorteil vergleichbar unterschiedliche Beitragshöhen festzulegen. Im Prinzip506 ist dies zu bejahen, da der weite Gestaltungsspielraum im Rundfunkbeitragsrecht in gleicher Weise gelten muss. Grund für den Gestaltungsspielraum im IHK-Beitragsrecht war der Umstand, dass sich die Vorteile aus der Kammerzugehörigkeit nicht genau bemessen lassen, vor allem weil die IHK die Gesamtbelange aller Mitglieder vertreten muss.507 Das Angebot der Rundfunkanstalten darf sich gleichfalls nicht auf Partikular interessen verengen, sondern muss gerade die Pluralität der gesellschaft lichen Themen und Meinungen widerspiegeln.508 Im Rundfunkbeitragsrecht existieren keine Erfahrungswerte, wie sich die Vorteile aus dem Angebot der Rundfunkanstalten mit steigender Beschäftigtenzahl und speziell bei Unternehmen mit Filialstruktur entwickeln. Bei den Unternehmen des Einzelhandels wird man die Vorteile jedenfalls in der Kundenunterhaltung verorten können. Es würde die Beitragslast auch nicht infrage stellen, sollten einzelne Filialunternehmen nur geringe Vorteile aus dem Rundfunkangebot ziehen und sich ähnlich ungerecht behandelt fühlen wie Freiberufler, die allein deshalb IHK-Beiträge zahlen müssen, weil sie sich für die Rechtsform der GmbH entschieden haben. Gewisse Benachteiligungen von Organisationsformen lassen sich nie vermeiden, und es obliegt der Prärogative des Gesetzgebers, ob er sie im Rahmen einer Reform korrigiert. Der Umstand, OVG Hamburg, Beschl. v. 05.02.2004 – 1 Bf 66 / 01, juris Rn. 10 = GewArch 2004, 258 f.; OVG Bautzen, Beschl. v. 29.04.2009 – 5 B 321 / 07, juris Rn. 9 = BeckRS 2009, 34333 (augenscheinlich nicht veröffentlicht). 506 Abweichungen dürften sich beim Umfang von Beitragsbefreiungen ergeben, da sich hier die besondere Solidarität unter Standesgenossen auswirkt. Vgl. Kap. 4 B. III. 3. b) aa) (5). 507 BVerwG, Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 13 = NVwZ 1990, 1167 f. 508 Vgl. Gounalakis, AfP 2003, 395 (396); ders. / Zagouras, Medienkonzentrationsrecht, S. 15.
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dass keine absolute Abgabengleichheit existiert509, belastet alle Beitragszahler und ist kein Spezifikum des Rundfunkbeitrags. Dieser ist aufgrund seiner detaillierten gesetzlichen Regelung zumindest stärker demokratisch legitimiert und wird dem Wesentlichkeitsgrundsatz510 besser gerecht als die IHKBeitragsbemessung mit ihren Ausgestaltungsspielräumen für die Kammern. Ein Unterschied lässt sich dennoch herausarbeiten, weil die IHK-Mitglieder durch ihr gemeinsames Standesinteresse verbunden sind. Diese Solidargemeinschaft bringt es mit sich, dass sich leistungsstärkere Unternehmen finanziell stärker einbringen müssen als Kleingewerbetreibende, die mitunter vom Beitrag befreit sein können.511 Bei den Rundfunkteilnehmern ist die Verbindung nicht vergleichbar eng geknüpft, da sie lediglich das relativ allgemeine Interesse am Konsum der Rundfunkprogramme512 und am demokratischen Meinungsbildungsprozess eint. Ihre Gruppe geht in der Allgemeinheit auf. Die Gesellschaft bildet zwar auch eine Solidargemeinschaft, aber die Verbindung der IHK-Mitglieder untereinander ist enger. Dieser Unterschied wirkt sich jedoch für Unternehmen mit Filialstruktur nicht aus, weil ihre Rundfunkbeitragslast im Vergleich zu anderen Betrieben nicht aus Solidaritätserwägungen erhöht ist. Sie profitieren schlicht nicht im selben Maße von der Degression im RBStV wie andere Betriebe und werden durch ihre Organisationsstruktur benachteiligt, wie dies im IHK-Beitragsrecht bei den Freiberuflern oder Unternehmen mit Tochtergesellschaften der Fall ist. Mit der unterschiedlich ausgeprägten Solidarität stehen die Belastungsdivergenzen im RBStV in keinem Zusammenhang. Damit ergibt sich unter diesem Aspekt ebenfalls kein Grund, das Gestaltungsermessen des Gesetzgebers bei den Rundfunkbeiträgen im Vergleich zu den IHK-Beiträgen einzuschränken. cc) Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht Die Behandlung mehrfach erschlossener Grundstücke im Erschließungsund Ausbaubeitragsrecht exemplifiziert erneut den Ermessensspielraum bei schwieriger Vorteilsermittlung und die geringen Rechtfertigungsanforderungen für Belastungsunterschiede. Zu diesen mehrfach erschlossenen Grundstücken zählen insbesondere Eckgrundstücke, die mit zwei Seiten unmittelbar an zwei Straßen angren509 Vgl. zu dieser Aussage beispielsweise: OVG Münster, Beschl. v. 05.02.1999 – 4 A 1168 / 96, juris Rn. 15 = GewArch 1999, 205 f. 510 Zum Inhalt der Wesentlichkeitstheorie: Detterbeck, Jura 2002, 235 (236 f.). 511 BVerwG, Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 17 = NVwZ 1990, 1167 f. Die Solidarität kann laut BVerwG sogar so weit reichen, dass die leistungsstärkeren Unternehmen hauptsächlich allein für die Kosten der Kammer aufzukommen haben. 512 v. Maydell, Rundfunkgebühren, S. 43 ff.
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zen.513 Eckgrundstücke genießen die Vorteile aus der Anbindung an zwei Straßen und sind hinsichtlich beider Straßen beitragspflichtig. Allerdings räumt das BVerwG den Kommunen das Recht ein, eine sog. Eckgrundstücksvergünstigung zu gewähren. Der Eigentümer eines solchen Grundstücks wird demnach z. B. nur mit der Hälfte514 oder zwei Drittel515 der Kosten der jeweiligen Erschließungsanlage belastet, weil die zweite Erschließungsanlage einen geringeren Vorteil bringen könne als die erste, die vor allem für die Bebaubarkeit eines Grundstücks wichtig sei. Jedoch lasse sich auch eine Vorteilsverdopplung nicht ausschließen, sodass sowohl ein ermäßigter als auch ein voller Beitrag vom Ermessen der Gemeinde umfasst seien.516 Die Erschließungs- und Ausbaubeiträge haben die Gesamtbetrachtung komplettiert und die Erkenntnis gefestigt, dass sich die Schwierigkeit der Vorteilsermittlung und die gerichtliche Zurückhaltung bei der Überprüfung wie ein roter Faden durch diese Beiträge zieht. Daran anknüpfend erfolgt die abschließende Erörterung der Verfassungsmäßigkeit der Rundfunkbeitragsbelastung von Filialunternehmen. c) Zusammenfassende Würdigung der Belastung von Filialunternehmen im RBStV Die erörterten Beiträge prägen das Verständnis von Gleichheit und Vorteilsäquivalenz, an dem der Rundfunkbeitrag zu messen ist. Jeder von ihnen sieht sich mit dem Problem der Vorteilsermittlung konfrontiert, weil sich beitragsrechtliche Vorteile schwer bemessen lassen. Entsprechend zurückhaltend sind die Gerichte bei der Prüfung der Frage, ob die Beitragslast dem Vorteil entspricht. Sehr deutlich wurde dies zum einen im IHK-Beitragsrecht bei den „Mehrfachmitgliedschaften“ und den Steuerberatungsgesellschaften und zum anderen im Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht bei den zwei513 Driehaus, 514 BVerwG,
Erschließungs- und Ausbaubeiträge, § 17, Rn. 105. Beschl. v. 14.12.2010 – 9 B 58 / 10, juris Rn. 4, 6 = NVwZ-RR
2011, 209 f. 515 Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 131, Rn. 48. 516 BVerwG, Urt. v. 08.10.1976 – IV C 56.74, juris Rn. 13, BVerwGE 51, 158 ff., auch zu den etwas weiter vorausgehenden Ausführungen. Die Ermäßigung für Eckgrundstücke kann sich zulasten der anderen Beitragsschuldner auswirken und wird deshalb vom BVerwG dahingehend begrenzt, dass die Erschließungsbeiträge für andere Grundstücke nicht höher ansteigen dürften als bis zum Anderthalbfachen des Betrages, der ohne Eckermäßigung auf sie entfiele (a. a. O., juris Rn. 16). Allerdings heißt das noch nicht, dass die Gemeinde in diesem Fall die Eckermäßigung reduzieren muss. Wenn dieser Grenzwert überschritten wird, hat die Kommune für die entsprechenden Mehrbeträge aufzukommen. Vgl. BVerwG, Urt. v. 30.05.1997 – 8 C 6 / 96, juris Rn. 31 = NVwZ-RR 1998, 64 ff.; Reidt, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 131, Rn. 49.
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fach erschlossenen Eckgrundstücken. In diesen Fällen werden Vorteile gezogen, die zwar größer sind als bei einer einfachen Mitgliedschaft bzw. einer einmaligen Erschließung, sich aber nicht zwangsläufig verdoppeln resp. proportional ansteigen. Einer GmbH & Co. KG dürfte es ausreichen, wenn entweder die GmbH oder die KG IHK-Mitglied wäre. Eine Steuerberatungsgesellschaft beurteilt die Interessenvertretung durch die Steuerberaterkammer sehr wahrscheinlich als ausreichend und legt keinen Wert auf die zusätzliche Vertretung durch die IHK. Dem Eigentümer eines mehrfach erschlossenen Eckgrundstücks könnte mitunter ein einziger Zugang zum Wegenetz genügen. Der jeweilige Gesetzgeber kann die Beitragslast zulasten der anderen Abgabenschuldner reduzieren (IHK-Reform, Eckgrundstücksvergünstigung), er muss es aber nicht. Die Vorteilsbemessung im Rundfunkbeitragsrecht erweist sich gleichfalls als diffizil und apodiktische Aussagen sind nicht möglich. Aus diesem Grund ist die These Degenharts nicht überzeugend, dass die Beitragsbemessung nur proportional zur Beschäftigtenzahl erfolgen könne und die größere Beitragslast pro Beschäftigten bei Filialunternehmen mit kleinen Betriebsstätten im Vergleich zu großen Betriebsstätten gleichheitswidrig sei517. Das oft bemühte Äquivalenzprinzip stellt kein effektives Prüfungskrite rium dar, weil es in keinem der hier erörterten Fälle zu einer Korrektur der Beitragsbemessung führte. Selbst in der Entscheidung des BVerwG, in der eine Geschäftsbank für die Wahrung der Gesamtbelange aller IHK-Mitglieder einen ca. 995-mal höheren IHK-Beitrag als ein erheblicher Teil der Kammerzugehörigen entrichtete, war es nicht verletzt. Eine absolute Gleichheit wird bei anderen Beitragsformen nicht erzielt, weshalb es nicht adäquat wäre, den Rundfunkbeitrag an diesem unerreichten Ideal zu messen, zumal die Vorteilsbemessung im Rundfunkbeitragsrecht ebenfalls nur auf Wahrscheinlichkeitsannahmen fußen kann. Die Vorteile aus dem Angebot der Rundfunkanstalten könnten für ein bundesweit tätiges Unternehmen mit Filialstruktur einerseits und einen Großbetrieb mit genauso vielen Beschäftigten an nur einer Betriebsstätte andererseits gleich sein, die Beitragslast muss es aber nicht. Eine erhöhte Beitragslast von Unternehmen mit Filialstruktur findet sich sowohl im Handwerkskammer- als auch im IHK-Beitragsrecht. Im Handwerkskammerbeitragsrecht kann für jede Betriebsstätte ein Grundbeitrag erhoben werden, und Filialunternehmen können durch ihr bundesweites Netz in jeder der 55 Handwerkskammern beitragspflichtig sein. Der gleiche Effekt kann bei den IHK-Beiträgen auftreten, da bereits das Unterhalten einer Betriebsstätte im IHK-Bezirk die Kammermitgliedschaft begründet und 80 IHKs in Deutschland existieren. 517 Degenhart,
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Darüber hinaus hat der Gesetzgeber Unternehmen mit Filialstruktur einen Ausgleich gewährt, indem er ein Kraftfahrzeug pro Betriebsstätte von der Beitragspflicht befreite (§ 5 II 2 RBStV).518 Die Vorteile aus dieser Befreiung wiegen die Nachteile durch die Degression im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auf. Der Gesetzgeber hätte die Gruppenbildung stärker zugunsten kleiner Betriebsstätten vornehmen, im Gegenzug aber auf die vorgenannte Befreiung verzichten können, sodass sich für viele kleine Betriebsstätten kaum ein Unterschied ergeben hätte. Insbesondere entsprechen sich die Beitragslast pro Kraftfahrzeug und Kleinstbetrieb betragsmäßig (jeweils ein Drittelbeitrag). Diese Saldierung von Vor- und Nachteilen findet zudem eine Stütze in der Judikatur des BVerfG.519 Sie kam beispielsweise bei der Aufhebung des Weihnachts- und Arbeitnehmerfreibetrags unter gleichzeitiger Erhöhung der Werbungskostenpauschale zur Anwendung.520 Das BVerfG würdigte alle Vor- und Nachteile, weil der durch eine Gesamtregelung erzielte Belastungserfolg gleichheitserheblich sei.521 Eine solche Gesamtbetrachtung ist sachgerecht, da sich der tatsächliche Belastungserfolg häufig nicht aus einer Einzelnorm (§ 5 I RBStV), sondern erst aus dem Zusammenspiel mehrerer Normen (§ 5 I und II 2 RBStV) ergibt.522 Ob man aus diesen Erwägungen heraus bereits auf Tatbestandsebene keinen Gleichheitsverstoß bejaht oder die Gesamtbetrachtung erst auf Rechtfertigungsebene heranzieht, ist eine interessante dogmatische Frage523, die aber vorliegend nicht vertieft wird, weil sie das Ergebnis nicht beeinflusst. 518 Dies ebenfalls betonend: VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 126 = DVBl. 2014, 848 ff. 519 Eine umfassende Darstellung der BVerfG-Entscheidungen, die den Saldierungsgedanken herangezogen haben, findet sich bei Hey, AöR 2003, 226 (232 f.). Siehe auch: Voßkuhle, Kompensationsprinzip, S. 22 f. 520 Bei dieser Reform kamen Zweifel im Hinblick auf die Einhaltung des Art. 3 I GG auf, hätten doch die vorgenannten Freibeträge einen Ausgleich für das Sonderopfer der Lohnsteuerzahler gebildet, die ihre Einkommenssteuer monatlich und nicht wie andere Einkommenssteuerzahler vierteljährlich vorauszahlen müssten (BVerfG, Beschl. v. 10.04.1997 – 2 BvL 77 / 92, juris Rn. 17, BVerfGE 96, 1 ff.). 521 BVerfG, Beschl. v. 10.04.1997 – 2 BvL 77 / 92, juris Rn. 31, BVerfGE 96, 1 ff. 522 Vgl. Hey, AöR 2003, 226 (239). Klein, DVBl. 1981, 661 (667), hält den Kompensationsgedanken zwar für legitim, gibt aber zu bedenken, dass hierdurch der Verlust von Freiheit kuvriert werden könnte. Interessant ist auch die umgekehrte Herangehensweise von Lücke, DVBl. 2001, 1469 (1476, 1478), der eine Gesamtbetrachtung nicht zur Relativierung einer Einzelbelastung, sondern zur Aufdeckung der Gesamtbelastung des Bürgers infolge mehrerer Einzelbeeinträchtigungen postuliert. 523 Sehr instruktiv: Hey, AöR 2003, 226 (236 ff.), die sich für eine Zuordnung zur Rechtfertigungsebene ausspricht, weil die Grundrechtsverletzung als solche durch eine Kompensation nicht beseitigt werde (S. 238). Die Rechtsprechung des BVerfG scheint in dieser Frage nicht ganz einheitlich zu sein (vgl. die Darstellung bei Hey auf
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Schließlich gilt zu berücksichtigen, dass die betriebsstättenbezogene Beitragsbelastung einen vorteilhaften Effekt für den Wettbewerb haben kann, da die jeweilige Betriebsstätte eines bundesweit tätigen Filialunternehmens genauso belastet wird wie die Einzelbetriebe, mit denen sie vor Ort im Wettbewerb steht.524 Aus diesem Grund ist der Vorschlag, die Beschäftigten der einzelnen Filialen zusammenzufassen525 oder die Anknüpfung unternehmensbezogen auszugestalten526, abzulehnen. Die Wettbewerbsgleichheit der eigenständigen Betriebsstätten vor Ort verkörpert eine durch Art. 2 I, 3 I, 12 und 14 GG geschützte Rechtsposition527, die der Gesetzgeber des RBStV mit dem Anspruch auf Gleichbehandlung der bundesweit tätigen Filialunternehmen in eine praktische Konkordanz zu bringen versuchte. Dementsprechend war der Vergleichsmaßstab richtig gewählt, auch wenn sich die Filial unternehmen eher mit den großen Betriebsstätten und nicht mit der lokalen Konkurrenz vergleichen wollen. Dagegen ließe sich zwar insgesamt wiederum replizieren, dass gleiche Wettbewerbsbedingungen ohnehin nicht erreicht werden können, weil einem bundesweit tätigen Unternehmen die Möglichkeit zur Subventionierung einzelner Betriebsstätten offensteht, aber dieser Aspekt ist sachlich unabhängig von der Rundfunkbeitragslast. Summa summarum stellt die Belastung der Unternehmen mit Filialstruktur vor diesem Hintergrund kein unbilliges Ausnahmephänomen dar, sondern fügt sich in das Gesamtsystem des Beitragsrechts ein. Der Gesetzgeber hat sich aktiv um eine ausgewogene Lastenverteilung bemüht. Zum einen stieg die Beitragslast gegenüber der alten Rechtslage allenfalls geringfügig an, zum anderen befreite der Gesetzgeber gerade im Hinblick auf Filialunternehmen ein Kraftfahrzeug pro Betriebsstätte. Daher ist abschließend zu konstatieren, dass sich die Beitragsbelastung der Filialunternehmen als gleichheitskonform und vorteilsadäquat erweist. Aber auch die Autovermieter fühlen sich durch ihre Rundfunkbeitragslast rechtswidrig beschwert. Die Beurteilung ihrer Belastung im Hinblick auf S. 233). Auch Voßkuhle, Kompensationsprinzip, S. 23 f., beurteilt eine Saldierung von Vor- und Nachteilen auf Tatbestandsebene kritisch, da die Bedeutung der tangierten Grundrechte hierdurch relativiert werde. Im Steuer- und Sozialrecht hält er diese Vorgehensweise wegen der rein finanziellen Auswirkungen für nachvollziehbar, während er in Bezug auf Freiheitsrechte eine „dogmatische Sprengkraft“ sieht. Bleckmann, Gleichheitssatz, S. 63 f., hält einen Ausgleich von Vor- und Nachteilen in bestimmten Fällen sogar dergestalt für möglich, dass der Gleichheitssatz unanwendbar werde. 524 VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 159 = DVBl. 2014, 842 ff.; VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 126 = DVBl. 2014, 848 ff.; Kube, Rechtsgutachten, S. 44. 525 Wagner, Rundfunkgebühr, S. 186. 526 Terschüren, Rundfunkfinanzierung, S. 121. Zu den weiteren Vorteilen einer betriebsstättenbezogenen Anknüpfung: Kap. 4 A. I. 1. b). 527 Bleckmann, Gleichheitssatz, S. 92.
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das Äquivalenzprinzip und den Gleichheitssatz erweist sich als etwas diffiziler, weil die Beitragsbemessung proportional erfolgt, sodass ein Fokus auf die Systemgerechtigkeit zu legen ist (4.). 4. Systemgerechtigkeit der Beitragsbemessung in § 5 II 1 RBStV Im Rahmen der Kontroverse um die Verfassungsmäßigkeit des RBStV wird die besonders hohe Belastung der Autovermieter aufgegriffen.528 Ihre Beitragsbemessung in § 5 II 1 Nr. 2 RBStV folgt anderen Regeln: Unterschiede ergeben sich zum einen beim Anknüpfungspunkt (Kraftfahrzeuge statt Beschäftigte) und zum anderen bei der Beitragsstaffelung (Proportionalität statt Degression und Obergrenze). Die daraus resultierenden Fragen betreffen in gleicher Weise die in § 5 II 1 Nr. 1 RBStV erfassten Betriebe, insbesondere Hotels. Doch wurde das Beherbergungsgewerbe durch die Reform begünstigt und hat sich daher nicht mit einer subjektiven Beschwer in der Öffentlichkeit exponiert. Die Kombination einer proportionalen und einer degressiven Beitragsbemessung könnte gegen den Grundsatz der Systemgerechtigkeit verstoßen529 und erscheint näher erörterungswürdig. Dagegen war es nicht sachgerecht, dass die Verfassungsgerichtshöfe von Rheinland-Pfalz530 und Bayern531 dieses Problem nur sehr vage thematisierten und mit ein bis zwei Sätzen lapidar abhandelten. Die intensivere Rundfunknutzung in Kraftfahrzeugen und Hotel- bzw. Gästezimmern, auf die sie abstellten, kann lediglich erklären, warum der konkrete Beitragssatz (pro Kraftfahrzeug, Beschäftigten etc.) unterschiedlich hoch ist, aber nicht, warum die Staffelung abweicht. Eine solch spartanische Argumentation war allenfalls bei der unproblematischen Frage angebracht, ob der Gesetzgeber unterschiedliche Anknüpfungspunkte (Beschäftigte pro Betriebsstätte, Kraftfahrzeuge, Hotel- und Gästezimmer) bestimmen durfte.532 528 Degenhart, ZUM 2011, 193 (197 f.); ders., K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 23; Séché, NVwZ 2013, 683 (685). 529 Degenhart kritisiert die fehlende Degression in § 5 II 1 RBStV nicht, zumal er die Degression generell ablehnt: K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 22. 530 VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 149 = DVBl. 2014, 842 ff. 531 VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 121 = DVBl. 2014, 848 ff. 532 Degenhart hält die Beitragslast für betrieblich genutzte Fahrzeuge an sich für systemwidrig, weil die Nutzer der Kraftfahrzeuge bereits als Beschäftigte der jeweiligen Betriebsstätte erfasst würden. Der Betriebsstätteninhaber werde in doppelter Weise zur Finanzierung des Rundfunkangebots herangezogen. Das Beitragssystem
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Eingangs werden die reformbedingten Änderungen und die gesetzgeberischen Motive erläutert [a)], bevor sich die Abhandlung der Systemgerechtigkeit zuwendet. Hierbei gilt es zunächst, die Maßstäbe herauszuarbeiten [b)], an denen der Rundfunkbeitrag zu messen ist [c)]. a) Reformbedingte Änderungen und gesetzgeberische Motive Bei isolierter Betrachtung der Autovermieter kam es gegenüber der alten Rechtslage zu keiner relevanten Schlechterstellung, weil die Anzahl der zu zahlenden Rundfunkbeiträge im Wesentlichen gleich geblieben ist. Gemäß § 5 II 1 RGebStV waren die Rundfunkempfangsgeräte in nicht-privat genutzten Kraftfahrzeugen von der Gebührenfreiheit für Zweitgeräte ausgenommen, d. h., Mietwagenunternehmen mussten für jedes Kraftfahrzeug die Grundgebühr für das Bereithalten eines Hörfunkgeräts i.H.v. zuletzt 5,76 € monatlich zahlen. Nach der neuen Rechtslage wird gemäß § 5 II 1 Nr. 2 RBStV pro Kraftfahrzeug ein Drittelbeitrag (5,99 €) geschuldet. Dieser Anstieg des Monatsbeitrags um 23 Cent pro Kraftfahrzeug ist sicherlich zumutbar. solle zwar auf den Menschen ausgerichtet sein, aber diesem Ziel werde ein nutzer unabhängiger Beitrag pro Kraftfahrzeug nicht gerecht. Faktisch werde am Gerätebezug festgehalten: Degenhart, ZUM 2011, 193 (197 f.). So auch der Vortrag der Beschwerdeführer im Rahmen der Popularklage vor dem VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014, Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 30 = DVBl. 2014, 848 ff. Diese Kritik überzeugt jedoch aus zwei Gründen nicht: Erstens liegt es im Entscheidungsermessen des Gesetzgebers, welche Vorteilsausprägungen er beitragsrechtlich erfassen möchte, und der RBStV darf den zusätzlichen Vorteil belasten, der darin besteht, dass Rundfunk in einem betrieblich genutzten bzw. angemieteten Kraftfahrzeug oder in einem Hotelzimmer konsumiert werden kann. Der VerfGH BY (a. a. O., Rn. 121) stellte zutreffend auf die deutlich gesteigerte Nutzung des Rundfunkangebots in betrieblich eingesetzten Kraftfahrzeugen und Hotelzimmern ab. Zudem geht es hierbei nicht nur darum, die Vorteile der Kunden abzuschöpfen, sondern auch um die Erfassung der kommerziellen Vorteile der Unternehmer aus der Vermarktung des Rundfunkangebots. Die Möglichkeit zum Rundfunkempfang wird bei Mietwagen und Hotelzimmern erwartet und gehört zum unternehmerischen Angebot. Bereits die alte Rundfunkgebühr belastete den betrieblichen Bereich stärker, indem dieser gemäß § 5 I, II RGebStV nicht von der Zweitgerätefreiheit profitierte (VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 147 = DVBl. 2014, 842 ff.). Zweitens war der Maßstabswechsel aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität geboten, da es sich bei der Anzahl der Kraftfahrzeuge und Gästezimmer um ein jederzeit und einfach nachprüfbares Kriterium handelt (vgl. Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RGebStV, Rn. 41), während die Ermittlung der tatsächlichen Rundfunknutzer im Rahmen eines personenbezogenen Verteilungsmaßstabs einen erheblichen Buchführungsaufwand zur Folge hätte. Denn Kraftfahrzeuge und Hotelzimmer werden mitunter von einer Person angemietet, aber von weiteren Personen mitgenutzt.
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Allerdings werden Autovermieter in Relation zu anderen Branchen benachteiligt, da sie weder von der Degression noch von der Begrenzung auf 180 Beiträge in § 5 I RBStV profitieren. Ihr Beitrag steigt proportional und unbegrenzt an. Zwar müsste die Filiale eines Autovermieters zumindest 540 Fahrzeuge besitzen, um allein aufgrund ihres Fuhrparks die Höchstsumme von 180 Beiträgen zu erreichen, was angesichts der dafür notwendigen Flächenkapazität eher selten der Fall sein wird. Aber bereits unterhalb dieses Wertes sind die typischerweise zu zahlenden Beträge relativ hoch. Umso stärker wirkt sich das Fehlen einer Beitragsbegrenzung bei den Hotels aus, die gemäß § 5 II 1 Nr. 1 RBStV einen Drittelbeitrag pro Zimmer ab der zweiten Raumeinheit schulden. Denn Hotels mit 500–1.000 Zimmern sind durchaus üblich, und hier entstehen Summen, die über dem Höchstbetrag von 180 Beiträgen liegen. Hotelbetriebe spielen in der aktuellen Diskussion jedoch kaum eine Rolle, weil sich ihre Beitragslast im Vergleich zur alten Rechtslage deutlich minderte. Gemäß § 5 II 3 Nr. 1 RGebStV war für jedes Zweitgerät in Gästezimmern des Beherbergungsgewerbes bei Betrieben mit bis zu 50 Gästezimmern eine halbe Rundfunkgebühr und bei Betrieben mit mehr als 50 Gästezimmern eine Dreiviertelgebühr zu zahlen. Der Gesetzgeber des RBStV intendierte mit der Reduktion auf einen Drittelbeitrag explizit eine finanzielle Entlastung des Beherbergungsgewerbes.533 Trotz dieser reformbedingten Verbesserung werden Hotelbetriebe schlechter gestellt als die Betriebsstätten in § 5 I RBStV und hätten bei einer abstraktdogmatischen Betrachtung ebenfalls Grund für Kritik an der Reform. Mit der Selbstverständlichkeit, mit der die Regierungsbegründung zu § 5 I RBStV feststellt, dass eine Degression im Abgabenrecht üblich sei534, schweigt sie sich dazu aus, warum bei Hotels und Mietwagenunternehmen eine Degression nicht der Üblichkeit entsprechen soll. Was die Belastung der Autovermieter betrifft, könnte man sogar hinterfragen, ob sich der Gesetzgeber ihrer Sondersituation überhaupt bewusst war. Anlass zu diesen Überlegungen gibt der Umstand, dass die Regierungsbegründung auf Mietwagenunternehmen nicht explizit eingeht. Sie setzt sich jedoch mit Taxiunternehmen und dem öffentlichen Personennahverkehr auseinander535, was indiziert, dass der generelle Einsatz von Kraftfahrzeugen als Hauptelement der betrieblichen Tätigkeit und damit auch die Autovermietung berücksichtigt wurden. Zudem erscheint es unrealistisch, dass der Gesetzgeber eine Gruppe übersehen hat, die bereits nach der alten Rechtslage ein sehr wichtiger Beitragszahler gewesen war und die Kirchhof in seinem Rechtsgutachten erwähnt hatte. Allerdings war Kirchhof von einem degressiven Beitrags533 BW
LT-Drs. 15 / 197, S. 43. LT-Drs. 15 / 197, S. 42. 535 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 43 f. 534 BW
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anstieg ausgegangen.536 Die Annahme liegt nahe, dass finanzielle Erwägungen dominierten. Das Beitragsaufkommen sollte nach der Reform keinesfalls geringer ausfallen, und bei der beträchtlichen Anzahl nicht-privater Kraftfahrzeuge wollte der Gesetzgeber deren Beitragslast im Wesentlichen unverändert beibehalten.537 Diese Kombination unterschiedlicher Bemessungssysteme evoziert die Frage nach der Systemgerechtigkeit des RBStV. b) Systemgerechtigkeit im Abgabenrecht Bevor die Prüfung der Systemgerechtigkeit des RBStV erfolgt [c)], werden die allgemeine Bedeutung der Systemgerechtigkeit im Abgabenrecht [aa)] und konkrete Systemkombinationen im früheren RGebStV [bb)] er örtert. aa) Bedeutung und bereichsspezifische Anforderungen der Systemgerechtigkeit Die Systemgerechtigkeit, auch als Folgerichtigkeit bezeichnet, verfeinert die Prüfung des Gleichheitssatzes und beinhaltet die Verpflichtung des Gesetzgebers, Sachverhalte in sich konsistent zu regeln und von einem einmal gewählten Ordnungsprinzip nur aus gewichtigen Gründen abzuweichen.538 Die Anforderungen an den Gleichheitssatz hängen vom jeweiligen Regelungsbereich ab.539 Im Steuerrecht betont das BVerfG die besondere Bedeutung des Gleichheitssatzes540 und speziell der Systemgerechtigkeit. Als prominentes Beispiel sei nur die Entscheidung des BVerfG zur sog. Pendlerpauschale angeführt, die wegen ihrer nicht folgerichtigen Ausgestaltung für verfassungswidrig erklärt wurde. Laut Gericht bedürfen Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung eines besonderen sachlichen Grundes, und als solche Gründe seien außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse anerkannt.541 536 Paul
Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 66. Vorwurf erhebt auch Terschüren, Rundfunkfinanzierung, S. 118 f., 123. 538 Huster, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 3, Rn. 110; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 37. Sehr ausführlich wird die Systemgerechtigkeit bei Huster, Rechte und Ziele, S. 386 ff., behandelt. 539 Statt vieler: BVerfG, Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21 / 12, juris Rn. 121 = NJW 2015, 303 ff. 540 BVerfG, Urt. v. 27.06.1991 – 2 BvR 1493 / 89, juris Rn. 105, BVerfGE 84, 239 ff. 541 BVerfG, Urt. v. 09.12.2008 – 2 BvL 1 / 07 u. a., juris Rn. 57 f., BVerfGE 122, 210 ff. Vgl. auch die instruktive Urteilsanmerkung von Müller-Franken in der NJW 2009, 55, wonach das objektive Nettoprinzip nicht tangiert gewesen sei. Die Grund537 Diesen
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Dagegen bestehen im Beitragsrecht keine vergleichbar ausdifferenzierten Vorgaben zur Systemgerechtigkeit. Einerseits bejahen Degenhart542 und ein Teil der Rechtsprechung543 eine Übertragbarkeit steuerrechtlicher Anforderungen an die Systemgerechtigkeit auf das Beitragsrecht. Andererseits indizieren einzelne Entscheidungen des BVerwG544, dass der Systemgerechtigsätze zur Folgerichtigkeit von Gesetzen rezitierte jüngst: BVerfG, Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21 / 12, juris Rn. 123 f. = NJW 2015, 303 ff. 542 Degenhart, K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 22, Fn. 262, zitiert die Judikatur des BVerfG zur steuerrechtlichen Systemgerechtigkeit. 543 VerfG ST, Urt. v. 16.02.2010 – LVG 10 / 09, juris Rn. 41 = NVwZ-RR 2010, 459 ff. Indes zitierte das Gericht im Rahmen der Beurteilung der Systemgerechtigkeit des streitgegenständlichen Beitrags nicht nur eine steuerrechtliche Entscheidung, sondern auch die Entscheidungen des BVerfG zum Nichtraucherschutzgesetz und zum Impfstoffversandverbot für Apotheker, die ganz andere Sachbereiche betreffen. Es scheint, als ob das VerfG das Gebot der bereichsspezifischen Differenzierung bei der Gleichheitsprüfung nicht ausreichend berücksichtigte. Dessen Vorgehensweise mag dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass – soweit ersichtlich – keine Verfassungsgerichtsentscheidung zur Systemgerechtigkeit im Beitragsrecht existierte und auch bis heute nicht existiert. 544 Besondere Gründe wurden für folgende Ungleichbehandlungen nicht verlangt: Die Beitragsordnungen der Handwerkskammern können bei den Grundbeiträgen eine Kombination zweier Bemessungssysteme vorsehen, indem für juristische Personen und GmbH & Co. KGs im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern ein Einheitsbeitrag und keine Staffelung vorgesehen ist (BVerwG, Beschl. v. 14.02.2002 – 6 B 73 / 01, juris Rn. 2 = GewArch 2002, 245 f. Vgl. hierzu auch Detterbeck, HwO, § 113, Rn. 8.). Das BVerwG führte hierzu nur sehr kurz aus, dass eine Staffelung höchstens dergestalt denkbar erscheine, dass noch höhere Grundbeiträge festgelegt werden müssten. Dies sei jedoch nicht zwingend, wenn ein höherer Ertrag wie in der umstrittenen Beitragssatzung noch bei den Zusatzbeiträgen berücksichtigt werde. Prinzipiell sei es ausreichend, wenn Grund- und Zusatzbeiträge zusammen zu einer angemessenen Beitragslast führten (a. a. O., juris Rn. 10). Im Erschließungsbeitragsrecht sollen Grundstücke eines Abrechnungsgebiets mit größeren Erschließungsvorteilen bei der Verteilung des Erschließungsaufwands stärker belastet werden als andere Grundstücke desselben Abrechnungsgebiets mit geringeren Vorteilen (BVerwG, Urt. v. 26.01.1979 – IV C 61 u. a., juris Rn. 47 = NJW 1980, 72 ff.). Dennoch hatte das BVerwG nichts gegen eine Satzung einzuwenden, die für vier- und fünfgeschossig bebaubare Grundstücke den gleichen Nutzungsfaktor und ab einer sechsgeschossigen Bebaubarkeit keinen weiteren Anstieg des Nutzungsfaktors vorsah (a. a. O., juris Rn. 21 ff., 51). Demgegenüber wird auch vertreten, dass eine solche Staffelung systemwidrig sei. Denn es sei nicht nachvollziehbar, warum der Umfang der Inanspruchnahme einer Erschließungsanlage von einem Grundstück mit einer fünfgeschossigen Bebaubarkeit genauso groß sein solle wie bei einem Grundstück mit einer viergeschossigen Bebaubarkeit. Zudem sei nicht einsichtig, warum ab dem sechsten Geschoss der Erschließungsvorteil nicht weiter zunehme. Je mehr Vollgeschosse auf einem Grundstück zulässig seien, desto höher sei erfahrungsgemäß z. B. die Bewohnerzahl und desto mehr werde die Anlage vom erschlossenen Grundstück aus in Anspruch genommen. Mit der Zahl der Vollgeschosse stiegen die Erschließungsvorteile [OVG
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keit im Beitragsrecht ein etwas geringeres Gewicht zukommen könnte. Dies mag auf dem Umstand beruhen, dass die Gleichheitsprüfung im Steuerrecht das Fehlen anderer Schranken kompensieren muss545, während im Beitragsrecht der Vorteilsausgleich eine weitere Begrenzung statuiert546. Aber selbst wenn sich ein Unterschied herausarbeiten ließe, wäre er so gering (einfache statt besondere Rechtfertigungsgründe), dass er sich praktisch nicht auf die Prüfung der Systemgerechtigkeit im Rundfunkbeitragsrecht auswirkte. Denn jenseits subtiler Abgrenzungen bleibt letztlich entscheidend, ob sich für die Kombination von Degression und Proportionalität sachgerechte Gründe anführen lassen. Vor der Prüfung der Rundfunkbeitragsbemessung wird der Blick auf den alten RGebStV gerichtet, weil dort bereits unterschiedliche Gebührenbemessungssysteme existierten. bb) Unterschiedliche Bemessungssysteme im RGebStV Der RGebStV sah unterschiedlich hohe Gebühren innerhalb einer Branche vor. Gemäß § 5 II 3 Nr. 1 RGebStV war für Zweitgeräte in Gästezimmern des Beherbergungsgewerbes bei Betrieben mit bis zu 50 Gästezimmern eine Rundfunkgebühr in Höhe von jeweils 50 %, bei Betrieben mit mehr als 50 Gästezimmern in Höhe von jeweils 75 % zu entrichten. Dieselbe Staffelung galt nach § 5 II 3 Nr. 2 RGebStV für Ferienwohnungen. Diese Differenzierung sollte zum einen den Mittelstand entlasten und zum anderen die Bautzen, ZMR 2003, 148 (149, rechte Spalte)]. Diese Argumente erkennt auch das BVerwG an und hält eine ausdifferenziertere Staffelung gleichfalls für sachgerecht. Beide Bemessungssysteme seien vom ortsgesetzgeberischen Ermessen gedeckt (BVerwG, Urt. v. 19.03.1982 – 8 C 34 / 81, juris Rn. 16 f. = DÖV 1982, 992. Vgl. zu dieser Problematik auch: Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, § 18, Rn. 67 ff.). 545 Lepsius, Maßstabsetzende Gewalt, in: Das entgrenzte Gericht, S. 248 f., akzentuiert, dass die Folgerichtigkeit als Ausprägung des Gleichheitssatzes gerade im Steuerrecht wegen des Fehlens weiterer Prüfungsmaßstäbe so bestimmend geworden sei. Auch Heun, in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 37, konstatiert, dass die Systemgerechtigkeit bzw. Folgerichtigkeit primär im Steuerrecht Bedeutung erlangt habe, ohne jedoch mögliche Ursachen für diesen Umstand anzusprechen. Den Vorwurf einer zu strengen Prüfung durch das BVerfG, vor allem im Hinblick auf die Systemgerechtigkeit, erheben: Lepsius, a. a. O., S. 250 (Gängelung des Gesetzgebers durch das BVerfG im Steuerrecht); Krings, Parlament, in: Leitgedanken des Rechts, Bd. I, § 63, Rn. 11 f. 546 Man könnte die Schranke sogar präziser fassen und im Äquivalenzprinzip verorten, das eine vorteilsadäquate Bemessung zum Ziel hat. Dafür plädiert Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 172 i. V. m. 174. Diese Argumentation erscheint jedoch weniger konsensfähig, weil der (unmittelbare) Verfassungsrang des Äquivalenzprinzips strittig ist (Fn. 441). Dessen ungeachtet wird die Beitragsbelastung (auch nach Osterloh) zumindest durch den Vorteilsausgleich an sich begrenzt.
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Gebührenausfälle verringern, die bei einer generellen Halbierung der Gebührenpflicht entstanden wären.547 Wie weit das Gestaltungsermessen des Gesetzgebers bei Vergünstigungen reicht, verdeutlicht die Historie des Hotelprivilegs. Der RGebStV von 1991548 enthielt im Gegensatz zu seiner Vorgängerregelung549 keine Ermäßigung für Hotelbetriebe. Diese wurde erst 1996 wieder eingeführt und betrug damals pauschal 50 %.550 Der Gesetzgeber rechtfertigte die Ermäßigung damit, dass aus Billigkeitsgründen die nicht vollständige Auslastung der Betriebe des Beherbergungsgewerbes berücksichtigt werde.551 2005 reduzierte eine Reform die Gebührenermäßigung bei Betrieben mit mehr als 50 Gästezimmern auf 25 %.552 Der kommunikative Nutzen pro Empfangsgerät war in einem kleinen Hotel sicherlich nicht geringer als in einem großen und änderte sich auch nicht unter der Geltung verschiedener Staatsverträge. Es scheint in der Prärogative des Gesetzgebers zu liegen, welche Betriebsformen er entlasten möchte.553 Die Frage der Systemgerechtigkeit wurde anlässlich der verschiedenen Reformen – soweit ersichtlich – nicht diskutiert. Mangels einer 547 Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RGebStV, Rn. 41. 548 Bay GBl. 1991, S. 474. 549 Die Rechtslage vor dem RGebStV von 1991 wird in folgenden Quellen wiedergegeben: Bay LT-Drs. 13 / 5683, S. 38; Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RGebStV, Rn. 3. 550 Bay GBl. 1996, S. 495. 551 Bay LT-Drs. 13 / 5683, S. 38. 552 Bay LT-Drs. 15 / 1921, S. 19, rechte Spalte; Bay GBl. 2005, S. 31, rechte Spalte. 553 Man könnte erwägen, dass dem Gesetzgeber im Rahmen des RBStV möglicherweise kein so weit reichendes Ermessen zugestanden hat, weil die Beitragslast für Hoteliers und Autovermieter keine Begünstigung, sondern eine (verdeckte) Belastung darstellen könnte. Denn im alten RGebStV war im Grundsatz für jedes Empfangsgerät eine volle Rundfunkgebühr zu entrichten. In diesem Kontext stellte eine Halbierung der Rundfunkgebühr eine Ermäßigung dar. Nach der aktuellen Rechtslage könnte der Grundfall in der Anknüpfung an eine Betriebsstätte und in einer degressiven Staffelung nach Beschäftigten inklusive Obergrenze gesehen werden. Indem die Beitragsbemessung für Kraftfahrzeuge und Hotel- bzw. Gästezimmer keine vergleichbaren Begrenzungen vorsieht, könnte dieses unterschiedliche Bemessungssystem in Wahrheit eine Belastung darstellen und den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum einschränken. Allerdings lassen sich Grund- und Ausnahmefall bei der derzeitigen Regelung nicht mehr eindeutig abgrenzen, da für Hotels und Mietwagenunternehmen ein eigener Verteilungsmaßstab eingeführt wurde und es keinen gemeinsamen Nenner mehr für einen Vergleich gibt, den früher die Gebührenpflicht pro Empfangsgerät darstellte. Im Ergebnis wird man ohnehin losgelöst von den Kategorien Begünstigung und Belastung wertend analysieren müssen, ob die Differenzierung im RBStV sachgerecht ist.
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gerichtlichen Entscheidung zu diesen Systemwechseln können sie zwar nicht vorbehaltlos als Vergleichsmaßstab und Rechtfertigungsansatz für die Kombination unterschiedlicher Bemessungssysteme im RBStV dienen, sie bilden aber einen Aspekt in der Gesamtbetrachtung. Die unterschiedlichen Gebührensätze im RGebStV könnten dafür sprechen, dass im RBStV die Beitragsbemessung für Kraftfahrzeuge und Hotel- bzw. Gästezimmer einerseits und für die Betriebsstätten i. S. v. § 5 I RBStV andererseits abweichend ausgestaltet werden durfte, um Unterschiede bei der reformbedingten Überlastungsgefahr zu berücksichtigen [c)], obwohl dieser Gesichtspunkt in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem eigentlich zu erfassenden kommunikativen Nutzen steht. Der RBStV erwiese sich sogar partiell als systemgerechter, da er wenigstens innerhalb eines Anknüpfungspunktes (Hotelzimmer) keine unterschiedlichen Sätze verwendet. c) Bewertung der Systemgerechtigkeit in § 5 I, II RBStV Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung von Betrieben in § 5 I RBStV und § 5 II 1 RBStV könnte sich aus Unterschieden bei der reformbedingten Überlastungsgefahr [aa)] und bei der Vorteilsentwicklung [bb)] ergeben. aa) Vergleich der Gefahr unverhältnismäßiger Beitragslasten in § 5 I und II RBStV Die Beantwortung der Frage, ob eine übermäßig hohe Beitragslast nicht nur bei einer Anknüpfung an die Beschäftigten pro Betriebsstätte, sondern auch bei einer Bemessung nach der Zahl der Kraftfahrzeuge und Hotelzimmer droht, erfordert eine ganzheitliche Betrachtung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Diese beinhaltet eine Gegenüberstellung der jeweiligen betriebs- und produktbezogenen Belastungsprognose. Vergleicht man die betroffenen Betriebe abstrakt, lässt sich konstatieren, dass an einer Betriebsstätte i. S. v. § 5 I RBStV durchaus mehrere Tausend Beschäftigte arbeiten können, wohingegen ein Mietwagenunternehmen an ein und derselben Betriebsstätte bereits wegen der hierfür erforderlichen Flächenkapazität nicht vergleichbar viele Kraftfahrzeuge bereitzuhalten imstande ist. Allerdings muss zugleich berücksichtigt werden, dass schon eine deutlich geringere Anzahl an Kraftfahrzeugen eine relativ hohe Beitragslast begründet. Beispielsweise müsste ein Betrieb über 1.000 bis 4.999 Beschäftigte verfügen, um dieselbe Beitragslast wie ein Autovermieter mit 120 Kraftfahrzeugen zu erzielen. Dagegen können Hotels durchaus 1.000 Zimmer aufweisen und damit fast doppelt so viele Beiträge (333)
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zahlen, wie § 5 I 2 Nr. 10 RBStV als Obergrenze (180) für Betriebsstätten festlegt. Aufgrund dieser Erwägungen lässt sich auch bei Kraftfahrzeugen und Hotelzimmern ein prinzipielles Bedürfnis nach Begrenzung der Beitragslast nicht von der Hand weisen. Die abweichenden Bemessungssysteme lassen sich jedoch mithilfe der unterschiedlichen Prognosemöglichkeiten hinsichtlich der produktbezogenen Belastungssituation nach der Reform erklären. Denn die Gefahr einer finanziellen Überforderung als Folge des reformbedingten Systemwechsels konnte für Mietwagenunternehmen und Hotels aus einsichtigen Gründen ausgeschlossen werden. Bei diesen Branchen korreliert jede Beitragslast direkt mit einer von den Unternehmen angebotenen Dienstleistung. Sowohl die Beitragslast als auch der jeweilige Vertrag mit einem Kunden beziehen sich auf denselben Gegenstand (Kraftfahrzeug bzw. Hotelzimmer). Dadurch wird zum einen gewährleistet, dass die Beitragslast in einem adäquaten Verhältnis zum jeweiligen Produktpreis steht, und zum anderen, dass sich die Rundfunkbeiträge sehr einfach in den Preis einkalkulieren und auf die Kunden abwälzen lassen. Entsprechend waren die Auswirkungen der Beitragslast bei Autovermietern und Hotels relativ gut vorhersehbar (ca. 20 Cent pro Kraftfahrzeug bzw. Hotelzimmer am Tag), und es existierte bereits auf der Basis der alten Rechtslage eine ähnliche Beitragslast für Mietwagenunternehmen, die nicht zu einer Überbelastung geführt hatte. Für Hotels wurde die Beitragslast sogar durch den Systemwechsel von einer halben bzw. Dreiviertelgebühr pro Empfangsgerät auf einen Drittelbeitrag pro Zimmer abgesenkt. Hingegen besteht diese Korrelation bei einer Anknüpfung an die Beschäftigtenzahl (§ 5 I RBStV) nicht, weil die Rundfunkbeiträge hier den Produktpreis ohne Rücksicht darauf erhöhen, welchen anteiligen Einfluss sie auf den konkreten Endpreis haben. Bei personalintensiven Branchen kann dies zu einem übermäßig hohen Anteil der Beitragslast am Produktpreis führen und die Leistungsfähigkeit eines Betriebs dadurch entscheidend schwächen.554 Diese Auswirkungen sowie die Gefahr einer finanziellen Überforderung eines Betriebs hängen von vielen Faktoren ab und lassen sich schwer prognostizieren. Daher benötigt der Gesetzgeber für seine Gefährdungsprognose hinsichtlich einer finanziellen Überforderung bestimmter Unternehmen keine empirischen Daten, wie das BVerfG in Zusammenhang mit Vergünstigungen im Erbschafts- und Schenkungssteuerrecht ausführte555. 554 Bei der früheren Rundfunkgebühr stellte sich zwar ein ähnliches Problem, aber die Betriebsinhaber konnten ihre Gebührenlast damals durch die Anzahl der Empfangsgeräte selbst beeinflussen. 555 BVerfG, Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21 / 12, juris Rn. 143–147 = NJW 2015, 303 ff.
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
Für den Bereich der Rundfunkfinanzierung erscheint die Annahme, dass eine Degression bei der Anknüpfung an die Beschäftigtenzahl eher geboten ist, nachvollziehbar. Losgelöst von der bisherigen Argumentation könnte die proportionale Beitragsbemessung in § 5 II RBStV ebenfalls durch den Aspekt der Vorteilsentwicklung gerechtfertigt werden. bb) Vergleich der Vorteilsentwicklung in § 5 I und II RBStV Zunächst wird die Entwicklung der Vorteile aufseiten der Kunden und anschließend aufseiten der Dienstleistungsanbieter erläutert: Die kommunikativen Vorteile der Kunden bei der Nutzung von Fahrzeugen und Hotelzimmern entwickeln sich eher proportional als degressiv. Die Nutzer von Kraftfahrzeugen und Hotelzimmern bilden jeweils eigenständige Empfangsgemeinschaften, in denen der kommunikative Vorteil pro Rezipient ziemlich hoch ist.556 Die Größe dieser Empfangsgemeinschaften ist räumlich sehr begrenzt, weshalb eine Zunahme keine Vergrößerung, sondern eine Vervielfachung der Empfangsgemeinschaften bewirkt. Der Nutzen pro Person bleibt bei Kraftfahrzeugen und Hotelzimmern konstant, der Gesamtnutzen steigt entsprechend proportional an. Dagegen kann sich die Empfangsgemeinschaft innerhalb einer Betriebsstätte aufgrund der besseren Raumkapazitäten mit ansteigender Beschäftigtenzahl in gewissem Umfang erweitern, und diese Vergrößerung der Empfangsgemeinschaft reduziert den Pro-Kopf-Nutzen (degressiver Effekt). Man könnte zur Analyse des kundenbezogenen Vorteils genauso auf eine gerätebasierte Betrachtung rekurrieren. Zwar hat der RBStV den Gerätebezug aufgegeben, aber dies begründet kein Hindernis. Zum einen hat die Erörterung anderer Beiträge557 gezeigt, dass faktisch jede Vorteilsermittlung mit Schwierigkeiten verbunden ist und die Anknüpfungspunkte (Leistungsfähigkeit bei Kammerbeiträgen, Art und Maß der baulichen Nutzung im Erschließungsbeitragsrecht etc.) oft lediglich Behelfskriterien darstellen, die die Vorteile mitunter „nur grob erfassen“558. Zum anderen erscheint es vor556 VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 121 = DVBl. 2014, 848 ff. 557 Kap. 4 A. II. 2. b) aa), 3. b). 558 Diese Aussage traf das BVerwG über die Verteilungsmaßstäbe im Erschließungsbeitragsrecht. Art und Maß der baulichen oder sonstigen Nutzung seien lediglich inhaltliche Anknüpfungspunkte für die Realisierung des Vorteilsprinzips, aber kein absoluter Maßstab für eine vorteilsgerechte Verteilung des Erschließungsaufwands. Der größere oder kleinere Erschließungsvorteil eines Grundstücks im Verhältnis zu einem anderen Grundstück lasse sich über die bauliche oder sonstige
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zugswürdiger, auf Erfahrungswerte zurückzugreifen, als über die Vorteilsentwicklung zu spekulieren. Die frühere gerätebezogene Bemessung schöpfte den kommunikativen Nutzen sehr gut ab und kann daher für die aktuelle Rechtslage eine geeignete, realitätsgerechte Orientierung bieten. Dagegen sind Erfahrungswerte zum kommunikativen Nutzen in Zeiten der Medienkonvergenz derzeit nicht verfügbar und werden es wahrscheinlich auch in Zukunft nicht oder zumindest nicht in vergleichbar greifbarer Form sein. Der RBStV bewegt sich in einem Spannungsverhältnis zwischen einer realitätsgerechten und einer zukunftsgerichteten Vorteilsbemessung. In diesem konvergenzbedingten Entwicklungsprozess bieten die Erfahrungen der Vorgängerregelung Verlässlichkeit. Auf der Basis einer gerätebezogenen Betrachtung wird man feststellen können, dass die Zahl der Empfangsgeräte mit der Zunahme von Kraftfahrzeugen und Hotelzimmern proportional ansteigt, während dies in Betriebsstätten nicht zwangsläufig der Fall ist, weil sich eine viel größere Gruppe ein Empfangsgerät teilen kann. Überdies ließe sich die Kommerzialisierung des kommunikativen Nutzens durch den jeweiligen Dienstleistungsanbieter zur Rechtfertigung einer proportionalen Bemessung heranziehen. Hotels und Autovermieter vermarkten ein Angebot, das die Möglichkeit zum Rundfunkempfang beinhaltet, die von den meisten Kunden auch erwartet wird. Ein Empfangsgerät gehört zur Standardausstattung eines Mietwagens, da der Fahrer über den Rundfunk mit Verkehrsnachrichten versorgt wird.559 Zudem dient das Radio typischerweise der Unterhaltung während langer Fahrtstrecken.560 Diese Funktion wird auch nicht deshalb entbehrlich, weil Navigationsgeräte ebenfalls Verkehrsinformationen anbieten können. Zum einen weist noch nicht jeder Mietwagen diese Ausstattung auf. Zum anderen ist die Informationsversorgung über den Rundfunk regelmäßig vielseitiger, schneller und zuverlässiger. Sie umfasst Wetterinformationen (z. B. Glatteis) und Warnungen vor Falschfahrern oder Hindernissen auf der Fahrbahn. Der Vorteil aus der Kommerzialisierung des Angebots der Rundfunkanstalten realisiert sich für Nutzung „überhaupt nur grob erfassen“ (BVerwG, Urt. v. 26.01.1979 – IV C 61 u. a., juris Rn. 47 = NJW 1980, 72 ff.). 559 VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 149 = DVBl. 2014, 842 ff. Allerdings geht das Gericht nicht darauf ein, dass auch Navigationsgeräte Verkehrsnachrichten mitteilen können. Stattdessen erwähnt es, dass die Möglichkeit zum Abspielen von CDs den Hörfunkempfang in einem Kraftfahrzeug nicht entbehrlich mache. 560 Vgl. Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RBStV, Rn. 19, 22. Die Autoren behaupten sogar, dass der Hörfunk die „einzige Quelle“ für Informationen und Unterhaltung während einer Autofahrt darstelle. Jedoch kann Musik auch über CDs und andere Medien abgespielt werden, und Verkehrsnachrichten sind teilweise über Navigationsgeräte empfangbar. Im Übrigen können Mitfahrer über Smartphones das Internet nutzen.
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
Mietwagenunternehmen und Hoteliers konstant in jedem einzelnen Vertrag. Je mehr Verträge ein Unternehmer abschließt, desto öfter profitiert er vom Rundfunkangebot, was wiederum einen proportionalen Vorteilsanstieg bedeutet. Im Gegensatz dazu lässt sich in einer Betriebsstätte, die unter den Grundtatbestand des § 5 I RBStV fällt, der betriebliche Vorteil aus dem Rundfunkangebot den einzelnen Beschäftigten nicht vergleichbar konkret zuordnen. Dies gilt vor allem, weil nicht jeder Mitarbeiter Rundfunkprogramme konsumiert bzw. dies dem Betrieb nicht in jedem Einzelfall zum Vorteil gereichen muss. Bezogen auf den gesamten Betrieb lässt sich daher nicht der zwingende Schluss rechtfertigen, dass der Vorteil mit jedem zusätzlichen Beschäftigten tatsächlich in gleicher Intensität zunimmt. cc) Zwischenergebnis Die proportionale Beitragsbemessung in § 5 II RBStV verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz, da ein geringeres Bedürfnis nach Begrenzung der Beitragslast und eine proportionale Vorteilsentwicklung bei Mietwagen unternehmen und Hotels nachvollziehbare Rechtfertigungsgründe für die Ungleichbehandlung bilden. Eine Degression für alle Betriebe mag vielleicht gerechter erscheinen, aber bei der verfassungsrechtlichen Prüfung einer Beitragsregelung kommt es nicht darauf an, ob der Gesetzgeber im Rahmen seines Ermessens die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat. Der Gleichheitssatz bietet dem Gericht keine Möglichkeit, seine Auffassung von Gerechtigkeit an die Stelle der parlamentarischen Wertung zu setzen.561 Es wäre trotzdem empfehlenswert gewesen, eine Härtefallregelung für den betrieblichen Bereich im RBStV vorzusehen, um ein Instrument für die Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit zu besitzen (5.). 5. Empfehlung einer Härtefallklausel für den betrieblichen Bereich Die Beitragsbemessung sieht eine Härtefallregelung für den privaten Bereich in § 4 VI RBStV vor, während eine vergleichbare Regelung im nichtprivaten Bereich fehlt. Indes sind Härtefallregelungen für Betriebe keine Ausnahmeerscheinung. Bereits der RGebStV enthielt eine solche Regelung, indem § 5 VII 2 RGebStV hinsichtlich bestimmter Betriebe bzw. Einrichtungen auf die Härtefallregelung für den privaten Bereich in § 6 III–VI 561 BVerwG, Urt. v. 10.10.1975 – VII C 64.74, juris Rn. 19, 21, BVerwGE 49, 227 ff.; VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 130 = DVBl. 2014, 842 ff.
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RGebStV verwies.562 Auch Beitragsordnungen der IHKs563 und der Handwerkskammern besitzen mitunter Härtefallregelungen. Das BVerwG akzentuierte gerade anlässlich der denkbaren Überbelastung von Filialunternehmen durch die Verpflichtung, für jede Betriebsstätte im selben Kammer bezirk einen Grundbeitrag an die Handwerkskammer zu entrichten, die Korrekturmöglichkeit aufgrund einer Härtefallregelung.564 Des Weiteren enthalten § 135 V 1 BauGB für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen und Landesgesetze wie z. B. Art. 5 X 1 BayKAG für die landesgesetzlich geregelten Beiträge565 Härtefallregelungen. Im Hinblick auf den RBStV ist eine Härtefallregelung für den nicht-privaten Bereich gleichfalls ratsam566, um die Auswirkungen der Beitragslast im Einzelfall berücksichtigen zu können. Eine solche Regelung erscheint umso wichtiger, weil der Gesetzgeber in § 5 II RBStV weder eine Degression noch eine Obergrenze vorgesehen hat und damit bei der Reformplanung nicht gänzlich ausschließen konnte, dass für die betroffenen Betriebe im Einzelfall eine unbillige Härte entsteht. Dies relativiert allerdings nicht die vorherige Aussage, dass die proportionale Bemessung in § 5 II 1 RBStV rechtmäßig sei, da eine Härtefallregelung die grundsätzliche Gesetzessystematik nicht berührt und nur für wenige Ausnahmefälle gedacht ist. Auf Härtefälle könnte man zwar auch mithilfe der satzungsrechtlichen Erlass- und Nieder schlagungsbestimmungen der Rundfunkanstalten reagieren.567 Vorteilhafter ist aber eine Regelung im RBStV, weil dies dem Wesentlichkeitsprinzip besser gerecht wird und eine bundesweit einheitliche Anwendung sicherstellt.568 562 Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RGebStV, Rn. 97. 563 VG Aachen, Urt. v. 19.01.2010 – 3 K 965 / 09, juris Rn. 25 = BeckRS 2010, 46423 (anscheinend nicht veröffentlicht). 564 BVerwG, Beschl. v. 14.02.2002 – 6 B 73 / 01, juris Rn. 11 = GewArch 2002, 245 f. 565 Die salvatorische Wirkung einer Härtefallregelung wird z. B. in der folgenden Entscheidung des BVerwG hervorgehoben: Bei der Bemessung eines Kanalanschlussbeitrags sah die Satzung unterschiedliche Verteilungsmaßstäbe für Grundstücke im beplanten und unbeplanten Bereich vor. Diese Vorgehensweise konnte sich für einzelne Grundstücke im unbeplanten Bereich nachteilig auswirken. Das BVerwG verwies u. a. darauf, dass zur Not auch eine Beitragsermäßigung aus Billigkeitsgründen gemäß dem einschlägigen KAG in Betracht komme: BVerwG, Urt. v. 10.10.1975 – VII C 64.74, juris Rn. 17 f., BVerwGE 49, 227 ff. 566 Etwas zurückhaltender in der Formulierung: VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 166 = DVBl. 2014, 842 ff. 567 Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RGebStV, Rn. 97. 568 Das Argument der bundesweiten Einheitlichkeit wurde im Rahmen des achten Rundfunkänderungsstaatsvertrags vorgebracht, als die Rundfunkgebührenbefreiungs-
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
Die Rechtsanwendungsgleichheit war das erklärte Reformziel, und die Ergänzung des RBStV um eine bundesweit einheitliche Härtefallregelung würde diese Intention folgerichtig komplettieren sowie eine befriedende Wirkung entfalten.
III. Ergebnis zur Beitragsbemessung im betrieblichen Bereich Die Beitragsbemessung im betrieblichen Bereich ist verfassungsgemäß. Weder die Bedenken hinsichtlich der Degression noch der sehr hohen Belastung von Filial- und Mietwagenunternehmen ließen sich verifizieren. Das Ermessen des Gesetzgebers bei der Bewertung beitragsrechtlicher Vorteile ist sehr weit. Dies ist auch sachgerecht angesichts der Schwierigkeit der Vorteilsermittlung, die alle Beiträge betrifft und kein Spezifikum des Rundfunkbeitrags darstellt. Die Unzulänglichkeiten der Vorteilsermittlung erschweren die Prüfung, ob ein grobes Missverhältnis zwischen Vorteil und Last besteht (Äquivalenzprinzip) und welche Schuldner vergleichbar sind (Art. 3 I GG). Gerichte müssten auf einer sehr unsicheren Grundlage urteilen und im Ergebnis eine suboptimale Vorteilsprognose durch eine andere, ebenfalls angreifbare Alternative substituieren, sodass eine gerichtliche Zurückhaltung bei der Überprüfung nachvollziehbar erscheint. Auf diese Wirklichkeit trifft die Kritik am Rundfunkbeitrag. Isoliert betrachtet wäre sie ohne Zweifel in vielen Bereichen überzeugend. Vergleicht man den Rundfunkbeitrag indes mit anderen Beiträgen, erscheinen die Bedenken konstruiert und spitzfindig. Das gilt vor allem in Anbetracht der zahlreichen Beispiele, in denen die Beitragslast noch unterschiedlicher verteilt war. Hiervon soll abschließend nur der Fall der Geschäftsbank rekapituliert werden, die einen ca. 995-mal höheren Beitrag als ein erheblicher Teil der anderen Kammermitglieder für die Vertretung der Gesamtbelange der IHK entrichtete. Die Beitragsbemessung ist im Wesentlichen eine politische Entscheidung und Rechtsmittel haben selten Erfolg. Ob sich dieses Fazit ebenso für den privaten Bereich ziehen lässt, wird im Anschluss thematisiert.
B. Privater Bereich Im privaten Bereich sind vor allem der einheitliche Beitrag pro Wohnung (I.), die Beitragspflicht für Zweitwohnungen (II.) und für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen (III.) umstritten. verordnungen der Länder durch entsprechende Regelungen im RGebStV ersetzt wurden. Vgl. hierzu: Bay LT-Drs. 15 / 1921, S. 19; Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RGebStV, Rn. 91.
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I. Einheitsbeitrag pro Wohnung Die alte Rechtslage differenzierte in § 2 II 1 RGebStV zwischen einer Grundgebühr i.H.v. 5,76 € für das Bereithalten eines Rundfunkempfangsgeräts – in der Regel ein Hörfunkgerät569 – und einer zusätzlichen Fernsehgebühr i.H.v. 12,22 € für das Bereithalten eines Fernsehgeräts.570 Dagegen sieht die aktuelle Rechtslage einen einheitlichen Rundfunkbeitrag pro Wohnung i.H.v. 17,98 € vor571, sodass sich die Beitragspflicht für Personen, die bisher nur ein Hörfunkgerät bereithielten, verdreifachte. Doch kann dies keinen Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip begründen, weil eine solche Beitragserhöhung vom gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum umfasst ist. Dieser Spielraum ist sehr weit, da sich die Vorteile aus dem Rundfunkangebot nicht exakt messen lassen. Bereits die Analyse der IHK-Reform von 1998 hat gezeigt, dass der Gesetzgeber die IHK-Beitragspflicht für Freiberufler, die sich z. B. für die Rechtsform der GmbH entschieden haben, mit 10 % oder 100 % festsetzen kann.572 Bei Eckgrundstücken im Erschließungsund Ausbaubeitragsrecht sind sowohl eine erhebliche Vergünstigung i.H.v. 50 % als auch der gänzliche Ermäßigungsverzicht vom ortsgesetzgeberischen Ermessen gedeckt.573 Darüber hinaus war die Einführung eines Einheitsbeitrags geboten, weil nur dadurch die Lösung vom Gerätebezug möglich wurde. Weiterhin liegt der Anteil der Personen, die lediglich ein Hörfunkgerät besitzen und für die eine deutliche Beitragssteigerung zu verzeichnen ist, infolge der weiten Verbreitung von Fernsehgeräten574 unter 10 % und ist damit aufgrund der Typisierungsbefugnis575 des Gesetzgebers vernachlässigbar.
569 Grundgebühren konnten des Weiteren für neuartige Empfangsgeräte anfallen: Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 5 RGebStV, Rn. 72. 570 Die Höhe der Gebühren ergab sich zuletzt aus § 8 RFinStV 1996 i. d. F. des elften Rundfunkänderungsstaatsvertrags. Vgl. hierzu auch: Göhmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 2 RGebStV, Rn. 6 f. 571 § 2 I RBStV i. V. m. § 8 RFinStV 1996 i. d. F. des fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags. 572 Kap. 4 A. II. 3. b) bb) (2). 573 Kap. 4 A. II. 3. b) cc). 574 Hierzu: Eimeren / Ridder, MP 2011, 2 (3); Schneider, NVwZ 2013, 19 (21). 575 Vgl. zur Typisierungsbefugnis bei der Heranziehung zu Entgeltabgaben: BVerwG, Beschl. v. 19.09.1983 – 8 N 1 / 83, juris Rn. 9, BVerwGE 68, 36 ff.; BVerwG, Urt. v. 01.08.1986 – 8 C 112 / 84, juris Rn. 21 = NVwZ 1987, 231 f.; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, § 9, Rn. 22.
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II. Zweitwohnungsbeitrag Viel problematischer erscheint der volle Rundfunkbeitrag für Zweitwohnungen.576 Gemäß § 2 I RBStV ist für jede Wohnung, mithin sogar für eine Drittwohnung, ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. Jedoch begegnet bereits die uneingeschränkte Beitragspflicht für Zweitwohnungen erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, weshalb das Problem der angemessenen Beitragsbelastung für Drittwohnungen sowie die Frage, ob es sich hierbei um atypische Fälle handelt, keiner eigenständigen Erörterung bedürfen. Der Zweitwohnungsbeitrag hingegen tangiert ca. 1,1 Mio. Menschen577 und damit einen erheblichen Personenkreis. Kirchhof äußerte sich zur Beitragspflicht für Zweitwohnungen nicht ganz eindeutig: Einerseits ging er davon aus, dass für Zweitwohnungen kein weiterer Rundfunkbeitrag anfalle, andererseits unterbreitete er gleich im Anschluss an diese Aussage ohne weitere Erklärungen Differenzierungsvorschläge z. B. für berufsbedingte Zweitwohnungen.578 Vorliegend werden die prinzipielle Zulässigkeit des Zweitwohnungsbeitrags (1.) und die Angemessenheit seiner Höhe (2.) eruiert. 1. Verfassungsmäßigkeit eines Rundfunkbeitrags für Zweitwohnungen Der Rundfunkbeitrag für Zweitwohnungen müsste nicht nur im Grundsatz unbedenklich sein [a)], sondern zugleich dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie ausreichend Rechnung tragen [b)].
576 Korioth / Koemm, DStR 2013, 833 (837); Exner / Seifarth, NVwZ 2013, 1569 (1571); Gersdorf, in: Gersdorf / Paal, Medienrecht, § 1 RBStV, Rn. 5. 577 Korioth / Koemm, DStR 2013, 833 (836, Fn. 59), die sich auf ein Gutachten der Bundesgeschäftsstelle der Landesbausparkassen aus dem Jahr 2009 beziehen. Das Statistische Jahrbuch 2013 des Statistischen Bundesamts enthält zwar keine Daten zur Anzahl von Zweitwohnungen, aber der o. g. Wert erscheint plausibel. Zudem genügt vorliegend bereits eine grobe Vorstellung von der Anzahl der Betroffenen. 578 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 65: „Auch für die Zweitwohnung gilt die Regelvermutung, dass der Beitrag für eine Wohnung den Leistungsempfang für alle Wohnungsinhaber entgilt, eine weitere Gebühr für die Zweitwohnung also nicht entsteht. Hier mag zusätzlich zwischen der berufsbedingten Zweitwohnung eines Arbeitnehmers, der Betriebsstätte in einer Zweitwohnung und der Ferienwohnung unterschieden werden.“
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a) Prinzipielle Zulässigkeit eines Zweitwohnungsbeitrags Die Erhebung von Rundfunkbeiträgen für Zweitwohnungen evoziert an sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil es im Ermessen des Gesetzgebers liegt, welche Vorteilsausprägungen er beitragsrechtlich erfassen möchte. Zwar könnte man einwenden, dass der Rundfunkbeitrag personenbezogen konzipiert und der Wohnungsinhaber als Person bereits durch den Beitrag für die Erstwohnung hinreichend erfasst sei, ergo derselbe Vorteil doppelt abgeschöpft werde.579 Aber dieser Einwand verfängt nicht, da es sich um den zusätzlichen Vorteil handelt, Rundfunk in einer weiteren Wohnung empfangen zu können580, und zusätzliche Vorteile im Beitragsrecht regelmäßig durch eine erhöhte Last berücksichtigt werden: Bereits der alte RGebStV unterwarf Empfangsgeräte in Zweitwohnungen einer Rundfunkgebührenpflicht, indem sich die grundsätzliche Zweitgerätefreiheit im privaten Bereich gemäß § 5 I 1 Nr. 1 RGebStV nur auf die jeweilige Wohnung bezog.581 Als weiteres Beispiel kann der Umstand dienen, dass mehrfach erschlossene Grundstücke im Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht mehrfach zu Beiträgen herangezogen werden. Die Entscheidung, ob in Abweichung von diesem Grundsatz eine Eckgrundstücksermäßigung gewährt wird, steht im Ermessen des Ortsgesetzgebers.582 Das spricht gegen eine Verpflichtung, im Rundfunkbeitragsrecht generell auf die Erhebung von Beiträgen für Zweitwohnungen (~ zweiter Zugang zum Wegenetz) zu verzichten. Außerdem ließe sich eine Parallele zu den Handwerkskammerbeiträgen ziehen, denn die Beitragssatzungen sehen mitunter vor, dass Kammerzugehörige für jede Betriebsstätte im Kammerbezirk einen Grundbeitrag entrichten. Eine weitere Betriebsstätte rechtfertigt die Annahme einer besonderen Leistungsfähigkeit und eines erhöhten Nutzens aus der Kammertätigkeit.583 Eine zusätzliche Betriebsstätte ist mit einer weiteren Wohnung vergleichbar, die eine zusätzliche Möglichkeit zum Rundfunkempfang eröffnet. 579 Vgl. Korioth / Koemm, DStR 2013, 833 (837); Terschüren, Rundfunkfinanzierung, S. 119. 580 Vgl. Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 2 RBStV, Rn. 5; a. A.: Exner / Seifarth, NVwZ 2013, 1569 (1571), ohne nähere Begründung. 581 VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 116 = DVBl. 2014, 848 ff. 582 Kap. 4 A. II. 3. b) cc). 583 BVerwG, Beschl. v. 14.02.2002 – 6 B 73 / 01, juris Rn. 2, 11 = GewArch 2002, 245 f.
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Schließlich sollte man bedenken, dass Beitragsausfälle durch die Nichtberücksichtigung von Vorteilen von den übrigen Beitragsschuldnern getragen werden müssen.584 Daher entspricht es eher der Beitragsgerechtigkeit, alle Vorteile prinzipiell zu erfassen und das adäquate Verhältnis zwischen Vorteil und Beitragslast bei der Bestimmung der Beitragshöhe auszutarieren. Verfassungsrechtlich problematisch erscheint indes zum einen das Fehlen von Ausnahmen für Ehegatten, die berufsbedingt einen doppelten Haushalt führen [b)], und zum anderen die Angemessenheit der Höhe des Zweitwohnungsbeitrags (2.). b) Besondere Bedeutung des Art. 6 I GG Der Rundfunkbeitrag für eine Zweitwohnung müsste die Anforderungen des Art. 6 I GG wahren. Der Bayerische VerfGH ist über diese Frage mit der kurzen Begründung hinweggegangen, dass der Zweitwohnungsbeitrag Ehegatten, Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften, Ledige und sonstige in einer Wohnung zusammenlebende Personen in gleicher Weise belaste und daher die Ehe nicht benachteilige.585 Aber diese Sichtweise könnte zu kurz greifen, da sich der besondere verfassungsrechtliche Schutz von Ehe und Familie nicht in einem reinen Benachteiligungsverbot erschöpft. Dies dokumentiert vor allem die Entscheidung des BVerfG zur steuerrechtlichen Behandlung der doppelten Haushaltsführung. Zuvor wird das Judikat des BVerfG zur Zweitwohnungssteuer analysiert, weil dessen Parallelen zum Rundfunkbeitrag etwas deutlicher sind und in der aktuellen Diskussion explizit aufgegriffen werden. Die Zweitwohnungssteuer ist eine auf Zweitwohnungen erhobene Gemeindesteuer. Sie wird u. a. damit gerechtfertigt, dass Zweitwohnungsinhaber zwar die kommunale Infrastruktur nutzen, aber kaum zu deren Finanzierung beitragen, da die Gemeinde des Zweitwohnsitzes z. B. keinen Anteil an der Einkommenssteuer erhält.586 Die konkrete Zweitwohnungssteuer, die Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war, benachteiligte Ehegatten, weil diese die Steuerlast im Gegensatz zu Ledigen und Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht vermeiden konnten. Ledige und Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft durften ihre Wohnung am Be584 Aus diesem Grund kommt es bei der Eckgrundstücksvergünstigung zu einer Begrenzung der Beitragslast der übrigen Grundstücke: BVerwG, Urt. v. 04.09.1970 – IV C 98.69, juris Rn. 9, Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 4; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, § 18, Rn. 80. 585 VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 117 = DVBl. 2014, 848 ff. 586 Kasper, DStR 2006, 2005 (2006); Maier, Zweitwohnungssteuer, in: Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Rn. 1.
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schäftigungsort zur Hauptwohnung bestimmen, während bei Verheirateten die primär genutzte Wohnung der Familie nach den melderechtlichen Vorgaben obligatorisch den Hauptwohnsitz darstellte und sie ihre Wohnung am Beschäftigungsort nicht als Hauptwohnung anmelden konnten.587 Die Zweitwohnungssteuer knüpfte nur an die Zweitwohnung an, wohingegen der Rundfunkbeitrag alle Wohnungen erfasst. Demzufolge können auch Ledige und Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft dem Zweitwohnungsbeitrag nicht entgehen.588 Die rechtliche Situation ist insofern nicht mit der Zweitwohnungssteuer vergleichbar.589 Aus diesem Grund hatte das BVerwG bereits keinen Verstoß gegen Art. 6 I GG durch die alte Rundfunkgebührenpflicht für Geräte in einer Zweitwohnung gesehen.590 Doch stellt sich die Frage, ob die Prämissen des Bayerischen VerfGH und des BVerwG zutreffend sind, weil sich der Schutz des Art. 6 I GG nicht auf ein reines Benachteiligungsverbot beschränkt. Er erweist sich als viel umfassender und beinhaltet das Verbot, die Vereinbarkeit von Ehe und Berufsausübung beider Ehegatten zu erschweren.591 Diese erhöhten Anforderungen legte das BVerfG in seinem Beschluss zur doppelten Haushaltsführung zugrunde, und hiergegen könnte der Rundfunkbeitrag für Zweitwohnungen verstoßen.592 Die Entscheidung betraf folgenden Sachverhalt: Das Jahressteuergesetz 1996 führte eine zeitliche Begrenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Mehraufwendungen ein, die einem Arbeitnehmer aufgrund einer beruflich bedingten doppelten Haushaltsführung entstanden.593 Diese Einschränkung tangierte, ähnlich wie der Rundfunkbeitrag für Zweitwohnungen, eheliche und nichteheliche Lebensgemeinschaften gleichermaßen. Eine Diskriminie587 BVerfG, Beschl. v. 11.10.2005 – 1 BvR 1232 / 00 u. a., juris Rn. 91 ff., BVerfGE 114, 316 ff.; vgl. auch: BVerwG, Beschl. v. 20.09.2010 – 6 B 22 / 10, juris Rn. 7 = FamRZ 2010, 1979 f. 588 Dies trotz kritischer Haltung anerkennend: Korioth / Koemm, DStR 2013, 833 (837). 589 A. A.: Gersdorf, in: Gersdorf / Paal, Medienrecht, § 1 RBStV, Rn. 5, der allerdings nicht näher erklärt, wieso die Rechtsprechung zur Zweitwohnungssteuer auf den Rundfunkbeitrag übertragbar sein soll. 590 BVerwG, Beschl. v. 20.09.2010 – 6 B 22 / 10, juris Rn. 7 f. = FamRZ 2010, 1979 f. Auf diese Entscheidung rekurrierte der VerfGH BY (Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 116 = DVBl. 2014, 848 ff.) zur Rechtfertigung des Zweitwohnungsbeitrags. 591 BVerfG, Beschl. v. 04.12.2002 – 2 BvR 400 / 98, juris Rn. 69, BVerfGE 107, 27 ff. 592 Der Verfasser dankt Prof. Dr. Müller-Franken für den Hinweis auf diese erörterungswürdige Parallele. 593 BVerfG, Beschl. v. 04.12.2002 – 2 BvR 400 / 98, juris Rn. 2, BVerfGE 107, 27 ff.
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rung der Ehe war auf den ersten Blick nicht erkennbar594, was aber nicht bedeutete, dass die Regelung auch im Einklang mit Art. 6 I GG stand. Denn die Ehe unterliegt laut BVerfG einem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Dieser erstrecke sich auf die Entscheidung, einen doppelten Haushalt über einen längeren Zeitraum zu führen, damit beide Ehegatten an getrennten Orten ihrer Berufstätigkeit nachgehen könnten. Die hiermit verbundenen Mehraufwendungen dienten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und ihre fehlende Abzugsfähigkeit erschwere diese Vereinbarkeit finanziell. Daher verstoße das Gesetz gegen Art. 6 I GG.595 Anknüpfend an dieses Judikat könnte der Rundfunkbeitrag für Zweitwohnungen eine finanzielle Belastung darstellen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei einer berufsbedingten doppelten Haushaltsführung erschwert. Im Prinzip ist dieser Einwand zutreffend, aber die Eingriffsintensität und die effektiven Auswirkungen der beiden Abgaben differieren erheblich. Der Rundfunkbeitrag für eine Zweitwohnung beläuft sich auf ca. 216 € im Jahr, während die steuerliche Abzugsfähigkeit von Mehraufwendungen infolge einer doppelten Haushaltsführung regelmäßig eine viel höhere Summe betrifft. Im o. g. verfassungsgerichtlichen Verfahren ging es u. a. um die Erhöhung des Freibetrages um 17.000 DM für das Jahr 1996.596 Wegen der geringen Höhe der Rundfunkbeitragslast ist nicht damit zu rechnen, dass sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf spürbar beeinträchtigt. Noch dazu wird die Belastungsintensität dadurch relativiert und zugleich ein Systemunterschied zum Steuerrecht begründet, dass die Betroffenen eine Gegenleistung empfangen, indem sie die Möglichkeit zum Rundfunkkonsum genießen. Dagegen eignet sich der sonst sehr oft bemühte Verwaltungsaufwand des Beitragsservice weniger als Rechtfertigung für das Fehlen einer Befreiungsregelung, weil das Finanzamt bereits eine Vorprüfung durchgeführt hat, an die der Beitragsservice anknüpfen könnte. Auch der Umstand, dass die Beantragung einer Befreiung die Offenlegung des Familienstandes erforderlich machen würde, hätte keine wesentliche Beeinträchtigung des informationellen Selbstbestimmungsrechts zur Folge, da die Geltendmachung dieser Ausnahmebestimmung den Betroffenen freistünde und diese Wahlmöglichkeit ihren Rechtskreis erweiterte. Nach Abwägung aller Gesichtspunkte erscheint eine Befreiung vom Zweitwohnungsbeitrag für Ehegatten verfassungsrechtlich nicht geboten. 594 Darauf stellte der BFH ab: Urt. v. 05.12.1997 – VI R 104 / 97, juris Rn. 15 = BFH / NV 1998, 696 ff. 595 BVerfG, Beschl. v. 04.12.2002 – 2 BvR 400 / 98, juris Rn. 66 ff., BVerfGE 107, 27 ff. 596 BVerfG, Beschl. v. 04.12.2002 – 2 BvR 400 / 98, juris Rn. 20, BVerfGE 107, 27 ff.
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Die dennoch bestehende Beschwer sollte durch die – im Anschluss befürwortete – generelle Absenkung des Zweitwohnungsbeitrags für alle Beitragszahler relativiert werden. 2. Verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe des Zweitwohnungsbeitrags Die volle Beitragspflicht für Zweitwohnungen begegnet Bedenken, weil es nach der Lebenserfahrung ausgeschlossen ist, dass ein Rundfunkteilnehmer resp. eine wohnungsbezogene Empfangsgemeinschaft sowohl in der Erst- als auch in der Zweitwohnung (bzw. Haupt- und Nebenwohnung) im gleichen Umfang Rundfunk konsumieren kann.597 Diese beitragsrechtliche Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte verstieße ohne sachliche Rechtfertigung gegen Art. 3 I GG. Rechtfertigungsgründe könnten sich aus der Analyse etwaiger Umgehungsgefahren [a)] und anderer Beiträge ergeben [b)]. a) Keine Umgehungsgefahr bei niedrigerem Zweitwohnungsbeitrag Eine gleiche Beitragslast für Haupt- und Nebenwohnung könnte notwendig sein, wenn bei einem niedrigeren Zweitwohnungsbeitrag eine realistische Umgehungsgefahr drohte. Wenn jemand zwei Wohnungen besitzt, ist die Gesamtbeitragslast immer dieselbe, egal welche Wohnung als Hauptoder Nebenwohnung angemeldet wird. Aus diesem Grund kann ein Missbrauch nur dadurch erfolgen, dass ein Beitragsschuldner eine Erstwohnung als Zweitwohnung ummeldet oder eine Zweitwohnung nicht anmeldet. Zwei Beitragsschuldner, die vorher jeweils nur eine Wohnung besaßen, könnten zur Reduktion ihrer Gesamtbeitragslast kollusiv zusammenwirken, indem einer von beiden die frühere Hauptwohnung des anderen als seine Zweitwohnung anmeldet.598 Gleichwohl kann mit einer massenhaften Nut597 Korioth / Koemm, DStR 2013, 833 (837); Terschüren, Rundfunkfinanzierung, S. 119. Ähnlich die sehr kurzen Ausführungen von Exner / Seifarth, NVwZ 2013, 1569 (1571). Vgl. auch das Vorbringen der Beschwerdeführer im Rahmen der Popularklage, allerdings speziell mit dem Fokus auf der Benachteiligung der Ehe: VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 11 = DVBl. 2014, 848 ff. 598 Diese Umgehungsgefahr sieht Wagner, Rundfunkgebühr, S. 122. Sie geht sogar einen Schritt weiter und beschreibt das Szenario, dass eine Person gleich eine Reihe von Wohnungen als Zweitwohnungen anmeldet. Dritte Personen könnten diese Wohnungen als Hauptwohnungen beziehen und noch dazu als Hauptwohnung beim Einwohnermeldeamt anmelden. Das wirkt ziemlich konstruiert.
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zung dieser Umgehungsmöglichkeit nicht gerechnet werden. Denn jeder Bürger ist gelegentlich darauf angewiesen, über einen gemeldeten Hauptwohnsitz zu verfügen, z. B. für die Beantragung eines neuen Personalausweises (§ 8 I 1 PAuswG), Reisepasses (§ 19 III 1 PassG), Führungszeugnisses (§ 30 II 1 Hs. 1 BZRG), Anwohnerparkausweises etc. Da einige Städte Zweitwohnungssteuern599 erheben, halten sich die Gesamtvorteile einer solchen Ersetzung der Erstwohnung durch eine Zeitwohnung in Grenzen. Das umgekehrte Missbrauchspotenzial, das in der Nichtanmeldung einer Zweitwohnung besteht, haftet der gegenwärtigen Regelung in gleicher Weise an und ist durch die damit verbundenen Nachteile begrenzt. Wenn eine Kommune Zweitwohnungssteuern erhebt, droht die Gefahr einer Verfolgung wegen Steuerhinterziehung. Zudem stellen manche Gemeinden nicht nur für Erst-, sondern auch für Zweitwohnungsinhaber Einwohnerparkausweise aus600, und Zweitwohnungsinhaber sind typischerweise auf einen Stellplatz angewiesen, weil sie regelmäßig mittels Kraftfahrzeug zwischen ihren Wohnungen pendeln. Es erscheint unrealistisch, dass Beitragsschuldner zur Vermeidung einer Bagatellabgabe auf die Vorteile einer Anmeldung ihrer Zweitwohnung verzichten bzw. die damit verbundenen Risiken bei der Hinterziehung der Zweitwohnungssteuer eingehen. Ein geringerer Beitrag für Zweitwohnungen würde die gegenwärtigen Anreize für eine Beitragshinterziehung zusätzlich reduzieren. Ferner überzeugen die Einwände, dass sich nicht verifizieren ließe, welche Wohnung eine Zweitwohnung darstelle und wer sie bewohne601, nicht. Erstens kann zur Ermittlung der Zweitwohnung auf das Melderegister zurückgegriffen werden, das Haupt- und Nebenwohnung(en) erfasst, § 21 Bundesmeldegesetz (BMG). Wenn jemand ordnungsgemäß gemeldet ist, lässt sich die Art der Wohnung sehr einfach dem Melderegister entnehmen, und diese Information könnte zusammen mit der Anzahl der Wohnungen in einem602 Ver599 Zur Zweitwohnungssteuer: BVerfG, Beschl. v. 11.10.2005 – 1 BvR 1232 / 00 u. a., BVerfGE 114, 316 ff. Eine Auflistung der umfassenden Rechtsprechung zu dieser Materie findet sich bei Kube, in: BeckOK, GG, Art. 105, Rn. 51.1. Die Judikatur veranschaulicht zugleich die Verbreitung dieser Steuer. Zu ihrer Entwicklung und Bedeutung: Kasper, DStR 2006, 2005 ff. 600 Dies trifft beispielsweise auf den Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf zu: http: / / www.berlin.de / ba-charlottenburg-wilmersdorf / org / tiefbau / ausstellungsvo raussetzungen_fuer_einen_bewohnerparkausweis.html, zuletzt abgerufen am 07.07. 2014. 601 Kube, Rechtsgutachten, S. 41; ähnlich: Wagner, Rundfunkgebühr, S. 122. 602 Diese Datenübermittlung könnte sowohl durch die Meldebehörde des Hauptals auch des Nebenwohnsitzes erfolgen, weil beide Behörden jeweils über das Bestehen weiterer Wohnsitze informiert sind (§ 21 IV 1 BMG).
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fahren an den Beitragsservice übermittelt werden.603 Das Problem, dass sich jemand nicht ordnungsgemäß anmeldet, ist nicht in besonderer Weise mit dem Zweitwohnungsbeitrag verknüpft, sondern kann den Erstwohnungsbeitrag in gleicher Weise betreffen, weil es auch Personen gibt, die sich überhaupt nicht melderechtlich erfassen lassen. Zweitens macht die Differenzierung zwischen Erst- und Zweitwohnung – entgegen obiger Einwände und der Darstellung der Regierungsbegründung604 – keine Ermittlung aller Bewohner erforderlich, da die Datenerhebung weiterhin nur auf den gemeldeten Wohnungsinhaber beschränkt bliebe. Summa summarum besteht somit weder eine der eingangs erörterten Umgehungsgefahren noch ein besonderer Verwaltungsaufwand im Fall eines niedrigeren Rundfunkbeitrags für Zweitwohnungen. b) Vergleich mit anderen Beiträgen Der Umstand, dass nach dem alten RGebStV für Empfangsgeräte in einer Zweitwohnung ebenfalls die volle Rundfunkgebühr verlangt wurde (vgl. § 5 I 1 Nr. 1 Hs. 2 RGebStV), kann keine Rechtfertigung für den vollen Zweitwohnungsbeitrag begründen.605 Eine unterschiedliche Gebühr für Empfangsgeräte in Erst- und Zweitwohnung war damals nicht sachgerecht, weil Empfangsgeräte leicht von einer Wohnung in eine andere transportiert werden können. Dagegen ist der aktuelle Anknüpfungspunkt der Beitragslast immobil. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die frühere Gebührenschuld durch die Abschaffung des Empfangsgeräts in der Zweitwohnung vermieden werden konnte. Der RGebStV billigte dem Gebührenschuldner die eigenverantwortliche Entscheidung zu, ob der Umfang seines Rundfunkkonsums in der Zweitwohnung die Entrichtung einer vollen Gebühr rechtfertigt und er das Empfangsgerät daher beibehalten oder abschaffen möchte. Diese Wahlmöglichkeit der alten Rechtslage milderte die Un603 Das BVerfG sah mit Blick auf den Nachweis der Einhaltung der Mindestlohnsumme nach Betriebsübergängen im Erbschaftssteuerrecht nur einen geringen Verwaltungsaufwand, weil die Betriebe z. B. aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen ohnehin eine Lohnbuchhaltung führen würden. Folgerichtig akzeptierte es die Verwaltungspraktikabilität nicht als Rechtfertigung für erbschaftssteuerrechtliche Ungleichbehandlungen (BVerfG, Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21 / 12, juris Rn. 223 f. = NJW 2015, 303 ff.). Vorliegend birgt die Differenzierung zwischen Erst- und Zweitwohnung ebenfalls keinen besonderen Verwaltungsaufwand, und das BVerfG wird dieses Pauschalargument nicht anerkennen. 604 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 35. 605 So aber die Argumentation des VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 116 = DVBl. 2014, 848 ff.
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billigkeit, die durch die volle Gebührenpflicht trotz des reduzierten Rundfunkkonsums in der Zweitwohnung hervorgerufen wurde. Man könnte eine Parallele zwischen dem vollen Rundfunkbeitrag für Zweitwohnungen und einem vollen Erschließungsbeitrag für eine zweite Erschließungsanlage606 in Erwägung ziehen. Jedoch spricht gegen eine Vergleichbarkeit, dass der Anknüpfungspunkt im Erschließungsbeitragsrecht immer derselbe ist (dasselbe Grundstück), während der Rundfunkbeitrag an zwei eigenständige Kriterien anknüpft (mehrere Wohnungen). Der Erschließungsvorteil ist im Wesentlichen ein einheitlicher Vorteil ein und desselben Grundstücks, der sich in zwei Unterkategorien auffächert: Zugang zum Wegenetz über die erste oder zweite Erschließungsanlage. Diesen Vorteil genießt ein Grundstück jederzeit und uneingeschränkt, da jeder Bewohner beim Verlassen des Grundstücks die vorgenannte Wahlmöglichkeit besitzt. Im Gegensatz dazu manifestiert das Rundfunkbeitragsrecht ein stärker ausgeprägtes Alternativverhältnis der Vorteile. Die Wohnungen liegen oft sehr weit voneinander entfernt, weshalb regelmäßiges Pendeln unzumutbar erscheint. Es besteht gerade nicht die jederzeitige Wahl zwischen zwei Optionen zur Vorteilsverwirklichung, und aus diesem Grund bildet das Aufsuchen der jeweils anderen Wohnung eine wertungsmäßige Zäsur. Daher kann ein Grundstück zwei Straßen ungefähr gleich intensiv beanspruchen, wohingegen dies für Rundfunkteilnehmer in Bezug auf zwei Wohnungen nicht möglich ist. Es lässt sich auch nicht einwenden, dass der Beitrag für eine Zweitwohnung einem vollen Grundbeitrag der Handwerkskammer für eine zweite Betriebsstätte607 entspreche. Denn die Beitragslast war für eine Filiale (~ Nebenwohnung) nicht genauso hoch wie für einen Hauptbetrieb (~ Hauptwohnung), da für einen Hauptbetrieb noch ein Zusatzbeitrag anfiel.608 Außerdem ist in jeder Betriebsstätte eine gleich intensive gewerbliche Tätigkeit möglich, während die kommunikativen Vorteile einer Nebenwohnung im Vergleich zur Hauptwohnung schwächer ausgeprägt sind, weil in einer Nebenwohnung weniger Zeit verbracht und ergo weniger Rundfunk konsumiert wird. Der evident reduzierte kommunikative Nutzen einer Zweitwohnung schränkt das sonst so weite Ermessen bei der Vorteilsbewertung (Bsp.: IHKReform 100 % → 10 %609) ein. Einerseits kann der konkrete Vorteil aus dem Vorhandensein einer zweiten Wohnung nicht gemessen werden, da jeder Bei606 Siehe
zu mehrfach erschlossenen Grundstücken Kap. 4 A. II. 3. b) cc). Kap. 4 A. II. 3. b) aa). 608 BVerwG, Beschl. v. 14.02.2002 – 6 B 73 / 01, juris Rn. 2, 11= GewArch 2002, 245 f. 609 Kap. 4 A. II. 3. b) bb) (2). 607 Vgl.
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tragsschuldner seine Zweitwohnung in unterschiedlichem Maße nutzt. Andererseits steht bereits ohne empirische Erkenntnisse über die Verteilung des kommunikativen Nutzens fest, dass die Zweitwohnung eine sekundäre Bedeutung einnimmt. Das BMG definiert die Hauptwohnung als die vorwiegend benutzte Wohnung (§ 21 II BMG), die sich in Zweifelsfällen dort befindet, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Einwohners liegt (§ 22 III BMG). Würde die Zweitwohnung überwiegend genutzt, verlöre sie ihren Charakter als Nebenwohnung und würde zur Hauptwohnung. Aufgrund des untergeordneten Gebrauchs der Zweitwohnung ist ihre Beitragshöhe auf die Hälfte des Beitrags der Hauptwohnung zu begrenzen. Dies entspräche mittelbar auch dem Ziel der Einheit der Rechtsordnung, weil das Rundfunkbeitragsrecht keine überwiegende Nutzung einer Nebenwohnung unterstellen sollte, die der melderechtlichen Vorstellung einer solchen Wohnung widerspricht. Schließlich spricht die Entscheidung des BVerwG zur Rundfunkgebührenpflicht neuartiger Empfangsgeräte für eine Reduktion des Zweitwohnungsbeitrags: Die Besonderheit, dass internetfähige Rechner häufig – vor allem im betrieblichen Bereich – nicht primär zum Rundfunkempfang, sondern als Arbeitsmittel genutzt würden, dürfe bei der Gebührenhöhe nicht gänzlich außer Betracht bleiben. Der Gesetzgeber habe diesen Umstand im RGebStV mit der Befreiungsvorschrift des § 5 III RGebStV für neuartige Rundfunkempfangsgeräte angemessen berücksichtigt. Danach seien – vereinfacht dargestellt – neuartige Empfangsgeräte von der Gebührenpflicht befreit, sofern bereits ein einziges herkömmliches Gerät zum Empfang bereitgehalten werde. Zudem falle bei Nichtvorhandensein eines anderen Geräts die Gebühr unabhängig von der Anzahl neuartiger Empfangsgeräte nur einmal an.610 Wenn aber der Tatsache Rechnung zu tragen ist, dass PCs nicht zu 100 % für den Empfang von Rundfunkprogrammen eingesetzt werden, dann muss ebenfalls berücksichtigt werden, dass Zweitwohnungen nicht zu 100 % für den Konsum von Rundfunkprogrammen genutzt werden können. Dieser Schluss ist vor allem deshalb geboten, weil PCs theoretisch ausschließlich für den Rundfunkempfang verwandt werden können, während ein Beitragsschuldner seinen Rundfunkkonsum nicht vollständig in seine Nebenwohnung verlagern kann, zumal diese dann zur Hauptwohnung würde. c) Zwischenergebnis Insgesamt ist eine Begrenzung des Rundfunkbeitrags für Zweitwohnungen auf die Hälfte notwendig und die derzeitige Regelung wegen Verletzung 610 BVerwG,
Urt. v. 27.10.2010 – 6 C 12 / 09, juris Rn. 48 = NJW 2011, 946 ff.
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von Art. 3 I GG verfassungswidrig, da wesentlich Ungleiches (Erst- und Zweitwohnung) ohne sachlichen Grund gleich behandelt wird. Einem ähnlichen Vorwurf ist die reformbedingte Reduktion der Befreiungstatbestände für bestimmte schwerbehinderte Rundfunkteilnehmer ausgesetzt611, wiewohl sie eine vermeintlich gleichheitswidrige Rechtslage beseitigen sollte. Dieser Knoten lässt sich nicht so einfach zerschlagen (III.).
III. Erweiterung der Beitragspflicht auf bestimmte schwerbehinderte Menschen Die Reform der Rundfunkfinanzierung führte einen ermäßigten Beitrag für bestimmte schwerbehinderte612 Menschen ein, die früher von der Rundfunkgebührenpflicht befreit waren. Der Gesetzgeber begründete die Änderung mit der Kritik des BSG an den angeblich gleichheitswidrigen Befreiungstatbeständen des RGebStV (1.). Diese Rechtsauffassung wird vorgestellt (2.) und kritisch gewürdigt (3.), bevor die gegenwärtige Rechtslage geprüft (4.) und Vorschläge de lege ferenda offeriert werden (5.). Die Einführung eines ermäßigten Rundfunkbeitrags wird in der wissenschaftlichen Diskussion um die Reform der Rundfunkfinanzierung etwas vernachlässigt. Kirchhof thematisierte die Beitragsschuld schwerbehinderter Menschen in seinem Rechtsgutachten nicht613, bekundete aber in einem Zeitungsinterview, dass er diesbezüglich keine Bedenken habe614. Weitere Gutachter615 der Rundfunkanstalten und Teile der Literatur616 gingen auf 611 Lent, Sozialrecht aktuell 2013, 6 (7); ders., in: Gersdorf / Paal, Medienrecht, § 4 RBStV, Rn. 4.1. 612 Menschen sind gemäß § 2 II SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 % vorliegt. 613 Stattdessen fokussiert er sich auf die Befreiung sozial Bedürftiger und hält diese für nicht zwingend, weil die Rundfunkbeitragslast auch im Rahmen der Bemessung der Regelsätze berücksichtigt werden könnte: Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 71. 614 F.A.S. v. 20.01.2013, Nr. 3, S. 23. 615 Jarass, Rechtsgutachten, S. 23 f., thematisiert nur allgemein Befreiungen aus sozialen Gründen, ohne konkret auf Rundfunkteilnehmer mit Behinderungen einzugehen. Seine Ausführungen sind sehr vorsichtig und vage. Einerseits hält er eine Anknüpfung an die Befreiungsregelungen im früheren RGebStV für möglich und in „verschiedenen Fällen“ sogar für geboten. Andererseits erachtet er eine damit verbundene höhere Belastung der anderen Abgabenschuldner ohne Abstufung nach der Leistungsfähigkeit als verfassungsrechtlich problematisch. Im Gutachten von Dittmann / Scheel, Medienabgabe, finden sich gleichfalls keine Ausführungen zur Abgabenlast schwerbehinderter Rundfunkteilnehmer. 616 Terschüren, Rundfunkfinanzierung, klammert die geänderte Beitragspflicht für schwerbehinderte Rundfunkteilnehmer explizit aus ihrer näheren Betrachtung aus
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diese Frage nicht oder nur sehr allgemein und kurz617 ein. Die Betroffenen haben im Gegensatz zu Unternehmen des Einzelhandels und der Mietwagenbranche kein Gutachten zur Verteidigung ihrer Rechtspositionen in Auftrag gegeben. Die umfassende Behandlung im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird versuchen, die wissenschaftliche Lücke ein Stück weit zu schließen. 1. Änderung der Rechtslage und gesetzgeberische Motive Im Folgenden wird erläutert, wer von der Abschaffung der Befreiungstatbestände betroffen ist und welche Motive den Gesetzgeber geleitet haben. § 6 I 1 Nr. 8 RGebStV sah die Befreiung behinderter Menschen vor, deren Behinderungsgrad nicht nur vorübergehend wenigstens 80 % betrug und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen konnten. Diese Tatbestandsvoraussetzungen erfüllten 492.336 Menschen im Jahr 2012.618 Dieselbe Befreiung galt für blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von 60 % allein wegen der Sehbehinderung (§ 6 I 1 Nr. 7 a) RGebStV) sowie für hörgeschädigte Menschen, die gehörlos waren oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich war (§ 6 I 1 Nr. 7 b) RGebStV). Im Jahr 2012 waren insgesamt 247.801 blinde und hörgeschädigte Menschen von der Rundfunkgebührenpflicht befreit.619 Der vormals befreite Personenkreis (insgesamt 740.137 Betroffene in 2012 = 23,28 % aller Befreiten620) muss nach der aktuellen Rechtslage gemäß § 4 II 1 Nr. 1–3 RBStV einen Drittelbeitrag entrichten. Der Gesetzgeber erklärte diese Änderung damit, dass eine derartige Behinderung für sich genommen nicht den Empfang jeglicher Rundfunkangebote ausschließe. Zudem führte er eine Entscheidung des BSG aus dem Jahr 2000 an, wonach die Gebührenbefreiung für behinderte Rundfunkteilnehmer einen Verstoß gegen den gebührenrechtlichen Grundsatz der verhältnismäßigen Gleichbehandlung aller Nutzer darstelle.621 (S. 102) und schließt sich dem Urteil des BSG aus dem Jahr 2000 an (S. 48 f.). Wagner, Rundfunkgebühr, S. 130 f., geht nur allgemein auf Befreiungen für sozial Bedürftige ein. 617 Kube, Rechtsgutachten, S. 50 f., 52. 618 GEZ, Geschäftsbericht 2012, S. 24. 619 GEZ, Geschäftsbericht 2012, S. 24. 620 GEZ, Geschäftsbericht 2012, S. 24. 621 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 39 f.
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
Es bestehen ernsthafte Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Regierungsbegründung. Denn das BSG, dessen Kernkompetenz nicht im Abgabenrecht anzusiedeln ist, vertrat diese Rechtsauffassung bereits 1993622. Der Gesetzgeber sah fast 20 Jahre keinen Handlungsbedarf und hielt die (temporäre) Ansicht des BSG erst anlässlich der Einführung des Rundfunkbeitrags für so obligatorisch, dass er die Befreiung der o. g. schwerbehinderten Menschen abschaffte. Noch dazu hat das BSG seinen Standpunkt bereits 2007 wieder relativiert623, was in der Regierungsbegründung aus dem Jahr 2011 keinerlei Erwähnung fand. Insgesamt ist die Rechtsprechung des BSG zur Befreiung schwerbehinderter Rundfunkteilnehmer von der Gebührenpflicht sehr inkonsequent, weil es die Befreiungstatbestände 1987 als Ausdruck sozialer Gerechtigkeit bezeichnete624, 1993 dagegen kritisierte625, 2000 sogar als unzulässig einstufte626 und sich schließlich 2007627 und 2012628 wieder von seiner Kritik distanzierte. Die Regierungsbegründung zitierte lediglich die für ihre Ziele opportune Entscheidung aus dem Jahr 2000. Aber auch der Bayerische VerfGH scheint in seiner Auseinandersetzung mit der Popularklage gegen den RBStV nur dieses eine Judikat gefunden zu haben und schloss sich ihm vorbehaltlos an.629 Möglicherweise wollte der Gesetzgeber die Beitragsbefreiung dieser Personengruppe lediglich deshalb abrogieren, um mehr Einnahmen zu erzielen (ca. 53 Mio. € p. a.630), und das obiter dictum des BSG wurde nur als Vorwand genutzt, um die politisch sensible Rechtsänderung631 besser kommunizieren zu können. Das Ziel eines stabilen Beitragsaufkommens durchzieht 622 BSG, Urt. v. 10.08.1993 – 9 / 9a RVs 7 / 91, juris Rn. 13 = MDR 1994, 77 f.; vgl. zudem: Urt. v. 16.03.1994 – 9 RVs 3 / 93, juris Rn. 11 = BeckRS 1994, 30748390 (soweit ersichtlich nicht veröffentlicht). 623 BSG, Urt. v. 08.11.2007 – B 9 / 9a SB 3 / 06 R, juris Rn. 31, BSGE 99, 189 ff. 624 BSG, Urt. v. 23.02.1987 – 9a RVs 72 / 85, juris Rn. 12 = SozR 3870 § 3 Nr. 24. 625 BSG, Urt. v. 10.08.1993 – 9 / 9a RVs 7 / 91, juris Rn. 13 = MDR 1994, 77 f. 626 BSG, Urt. v. 28.06.2000 – B 9 SB 2 / 00 R, juris Rn. 14 = NJW 2001, 1966. 627 BSG, Urt. v. 08.11.2007 – B 9 / 9a SB 3 / 06 R, juris Rn. 31, BSGE 99, 189 ff. 628 BSG, Urt. v. 16.02.2012 – B 9 SB 2 / 11 R, juris Rn. 25 = SozR 4-3250 § 69 Nr. 14. 629 VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 130 = DVBl. 2014, 848 ff. Dabei distanzierte sich sogar ein Gutachter der Rundfunkanstalten von dieser BSG-Entscheidung: Kube, Rechtsgutachten, S. 51, Fn. 199. 630 Die Schätzung legte die o. g. Anzahl der 2012 befreiten Rundfunkteilnehmer i.H.v. 740.137 zugrunde, die jetzt den ermäßigten Monatsbeitrag von 5,99 € entrichten. 631 Gall / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 6 RGebStV, Rn. 24, führen aus, dass der Gesetzgeber zuvor aus politischen Gründen davon abgesehen habe, aus der Entscheidung des BSG die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
B. Privater Bereich177
das gesamte Regelungskonzept632, und die Einbeziehung der o. g. schwerbehinderten Menschen könnte zum Teil als Kompensation für die unsichere Einnahmenentwicklung in anderen Bereichen gedient haben. Unwägbarkeiten ergaben sich für den Gesetzgeber vor allem im betrieblichen Bereich, für den infolge der erstmaligen Anknüpfung an die Beschäftigtenzahl keine verlässlichen Erfahrungswerte existierten.633 Zwar ist die Existenz solcher finanzieller Erwägungen nicht gewiss, aber jedenfalls hätte der Gesetzgeber erkennen können, dass die Rechtsauffassung des BSG im o. g. Urteil aus dem Jahr 2000 evident fehlerhaft ist. Das werden die anschließende Darstellung (2.) und kritische Würdigung dieser Rechtsprechung (3.) aufzeigen. 2. Rechtsprechung des BSG zu den Rundfunkgebührenbefreiungen Die Rechtsprechung des BSG zu den Rundfunkgebührenbefreiungen lässt keine klare Linie erkennen, weil es seine ursprüngliche Kritik [a)] bereits nach wenigen Jahren wieder relativierte [b)]. a) Kritik an der Befreiung schwerbehinderter Rundfunkteilnehmer Streitgegenstand in der vom Gesetzgeber zitierten BSG-Entscheidung aus dem Jahr 2000 war die Frage, ob die Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (Merkzeichen „RF“) erfüllte.634 Die anschließende Befreiung auf der Grundlage von § 6 I 1 Nr. 8 RGebStV fiel in den Aufgabenbereich der Rundfunkanstalten, für die die Feststellungen der Versorgungsverwaltung und der Sozialgerichtsbarkeit verbindlich sind.635 Die gesundheitsbezogenen Prämissen für den Nachteilsausgleich waren laut Gericht bei der Klägerin gegeben.636 Dennoch äußerte das BSG Bedenken gegenüber der nicht streitgegenständlichen Gebührenbefreiung. Befreiungsgrund sei der Ausgleich eines behinderungsbedingten Mehraufwands, der aber selten entstehen dürfte, da die 632 Diese Feststellung trifft auch Terschüren, Rundfunkfinanzierung, S. 118 f., 123. Vgl. z. B. zur aufkommensorientierten Vorgehensweise des Gesetzgebers: BW LT-Drs. 15 / 197, S. 42. 633 KEF, 18. Bericht, Tz. 379, 384, 392 ff. 634 BSG, Urt. v. 28.06.2000 – B 9 SB 2 / 00 R, juris Rn. 1 = NJW 2001, 1966. 635 BSG, Urt. v. 28.06.2000 – B 9 SB 2 / 00 R, juris Rn. 14 = NJW 2001, 1966; sehr instruktiv zum Grund der Bindungswirkung: BVerwG, Urt. v. 17.12.1982 – 7 C 11 / 81, juris Rn. 15 ff., BVerwGE 66, 315 ff. 636 BSG, Urt. v. 28.06.2000 – B 9 SB 2 / 00 R, juris Rn. 11 f. = NJW 2001, 1966.
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
deutsche Bevölkerung unabhängig von Behinderungen durchweg Rundfunkprogramme konsumiere.637 Um dieses vom BSG aufgestellte Erfordernis eines behinderungsbedingten Mehraufwands, das in § 6 I 1 Nr. 8 RGebStV keine Erwähnung findet, besser nachvollziehen zu können, ist ein Exkurs auf eine frühere Entscheidung erforderlich: Das BSG leitete das Kriterium des behinderungsbedingten Mehraufwands damals aus der bundesrechtlichen Regelung in § 48 I Schwerbehindertengesetz (SchwbG), der inhaltsgleichen Vorgängernorm des derzeitigen § 126 I SGB IX, her. Gemäß diesen Normen werden die Vorschriften über Hilfen für behinderte Menschen zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile oder Mehraufwendungen (Nachteilsausgleich) so gestaltet, dass sie der Art oder Schwere einer Behinderung unabhängig von ihrer Ursache Rechnung tragen. Das BSG verstand diese Regelung als Beschränkung der Ansprüche behinderter Menschen.638 Seiner damaligen Auffassung zufolge entscheidet die ökonomische Entwicklung der Bevölkerung gleichfalls darüber, welche Gegenstände allgemein und welche behinderungsbedingt angeschafft und unterhalten werden. Telefon, Radio- und Fernsehgeräte könnten jedoch (im Jahre 1993) nicht mehr als Geräte angesehen werden, die primär dem Ausgleich von Alter, Krankheit und Gebrechlichkeit dienten, wenn ein Betroffener hierdurch permanent an die Wohnung gebunden sei. Aufgrund der weiten Verbreitung von Telefon- und Rundfunkgeräten sei es fragwürdig, ob der Nachteilsausgleich „RF“ tatsächlich einen behinderungsbedingten Mehraufwand kompensiere und es sozial geboten erscheine, bestimmten finanziell nicht bedürftigen Personengruppen die Benutzung solcher gewöhnlicher Geräte zu finanzieren.639 Das BSG kam in seinem Judikat aus dem Jahr 2000 wegen des regelmäßig nicht gegebenen behinderungsbedingten Mehraufwands zu folgender gebührenrechtlicher Schlussfolgerung: „Der Senat sieht deshalb in der Gebührenbefreiung für Behinderte einen Verstoß gegen den gebührenrechtlichen Grundsatz der verhältnismäßigen Gleichbehandlung aller Nutzer (vgl BVerfGE 50, 217, 227; BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 2; Vogel in Hdb des Staatsrechts, Bd IV, 1990 § 87 Nr. 100; ebendort Kirchhof, § 88 RdNr. 203).“640 Weder die in diesem Urteil zitierte Entscheidung des BVerfG noch die angeführte Literatur befassten sich mit der Rundfunkgebührenbefreiung 637 BSG,
Urt. v. 28.06.2000 – B 9 SB 2 / 00 R, juris Rn. 14 = NJW 2001, 1966. der Vorwurf von Hansen, SGb 2007, 253 (254 f.). 639 BSG, Urt. v. 10.08.1993 – 9 / 9a RVs 7 / 91, juris Rn. 13 = MDR 1994, 77 f. Der letzte Teil der Aussage über die soziale Notwendigkeit ist rein rechtspolitischer Natur und in einem Urteil nicht veranlasst. 640 BSG, Urt. v. 28.06.2000 – B 9 SB 2 / 00 R, juris Rn. 14 = NJW 2001, 1966. 638 So
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bzw. allgemein der Gebührenbefreiung für behinderte Menschen. Stattdessen kritisierten beide Autoren Ermäßigungen für finanziell bedürftige Menschen, weil die Berücksichtigung unterschiedlicher Leistungsfähigkeit Aufgabe des Steuerrechts sei. Laut Paul Kirchhof dürfen Vergünstigungen für finanziell bedürftige Menschen daher nicht zu einer Gebührenerhöhung zulasten der anderen Gebührenschuldner führen. Das BSG übertrug diesen Standpunkt 2000 auf die Gebührenbefreiungen schwerbehinderter Rundfunkteilnehmer. Die Übertragbarkeit dieses Ansatzes und seine Auswirkungen auf die Befreiungen resp. Ermäßigungen im RBStV werden im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG und der Regierungsbegründung (3.) erörtert. Zuvor wird die spätere Distanzierung des BSG von seiner eigenen Rechtsauffassung erläutert. b) Spätere Relativierung der Kritik Das BSG relativierte seinen Standpunkt 2007 und damit weit vor der Reform der Rundfunkfinanzierung, indem es diesmal offenließ, ob die Befreiung gegen den gebührenrechtlichen Grundsatz der verhältnismäßigen Gleichbehandlung aller Nutzer verstoße. Es komme auch in Betracht, „ein weites, mehr auf Integration, statt allein auf Kompensation zielendes Verständnis des Begriffs ‚Nachteilsausgleich‘ zugrunde zu legen (…)“.641 Noch bemerkenswerter ist der Sinneswandel, der in der Entscheidung des BSG aus dem Jahr 2012 zum Ausdruck kommt. Im streitgegenständ lichen Fall lag der Grad der Behinderung des Klägers unter dem Schwellenwert von 80 % des § 6 I 1 Nr. 8 RGebStV, weshalb sein Begehren auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich „RF“ erfolglos war.642 Das BSG kritisierte die Gesetzeslage sogar als zu restriktiv: „Die Regelung lässt es nicht zu, auf das Vorliegen eines GdB von 80 zu verzichten, wenn allein das zweite Merkmal (Nicht-Teilnehmen-Können an öffentlichen Veranstaltungen) gegeben ist. Daran ändert es nichts, dass nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist, warum die betroffenen Personen von einer Gebührenbefreiung ausgeschlossen werden sollten. Jedenfalls ist es fraglich, ob der Mindest-GdB von 80 insoweit eine sachgerechte Schranke bildet. Ob diese Bestimmung für sich genommen in jeder Hinsicht mit höherrangigem Recht vereinbar war, braucht hier nicht näher geprüft zu werden, denn der Verordnungsgeber hatte durch die Härtefallregelung in § 2 RdFunkGebBefrV BY eine hinreichende Möglichkeit 641 BSG,
Urt. v. 08.11.2007 – B 9 / 9a SB 3 / 06 R, juris Rn. 31, BSGE 99, 189 ff. Sachverständige des Sozialgerichts ermittelte einen Behinderungsgrad von 70 % sowie mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten (BSG, Urt. v. 16.02.2012 – B 9 SB 2 / 11 R, juris Rn. 3 f. = SozR 4-3250 § 69 Nr. 14.). 642 Der
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geschaffen, um bei der Rechtsanwendung zu sachgerechten Ergebnissen zu gelangen (…).“643 Des Weiteren ging das BSG auf seine früheren Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Gebührenbefreiung von schwerbehinderten Menschen ein: „Die für die Zuerkennung des Merkzeichens RF im Februar 2005 einschlägigen Vorschriften sind auch sonst mit höherrangigem Recht vereinbar. Zwar sind – auch in früheren Entscheidungen des BSG (…) – gegen die Befreiung der in § 1 Abs 1 RdFunkGebBefrV BY aufgeführten Menschen mit Behinderung von der Rundfunkgebührenpflicht rechtliche Bedenken geäußert worden. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob daran auch unter Berücksichtigung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (…), das seit dem 26.3.2009 in Deutschland in Kraft ist (…), festgehalten werden kann.“644 Das Übereinkommen der Vereinten Nationen kann nicht als alleiniges Argument für die Distanzierung von der bisherigen Rechtsprechung dienen, weil es keine Vorgaben zugunsten eines kostenfreien Zugangs zu Rundfunkangeboten für schwerbehinderte Menschen enthält. Vielmehr spricht dessen Art. 21 a)645 vom Zugang zu Informationen ohne zusätzliche Kosten und stellt die Zugänglichkeit von Informationen für behinderte Menschen an sich in den Fokus.646 Angesichts der argumentativen Bemühungen des BSG seit dem Jahr 2007, seine Rechtsprechung schrittweise zu relativieren, erscheint es umso unverständlicher, dass sich der Gesetzgeber trotzdem an die frühere – bereits im Planungsstadium der Reform obsolete647 – Rechtsauffassung des BSG gebunden fühlte, und auch einzelne Teile der Literatur648 und der Rechtsprechung649 noch immer an ihr festhalten.
643 BSG, Urt. v. 16.02.2012 – B 9 SB 2 / 11 R, juris Rn. 22 f. = SozR 4-3250 § 69 Nr. 14. 644 BSG, Urt. v. 16.02.2012 – B 9 SB 2 / 11 R, juris Rn. 25 = SozR 4-3250 § 69 Nr. 14. 645 BGBl. II 2008, S. 1434. 646 Dau, jurisPR-SozR 11 / 2012 Anm. 6; Schneider / Weinberger, jurisPR-ITR 5 / 2014 Anm. 4. 647 In diese Richtung gehen auch die Ausführungen von Lent, Sozialrecht aktuell 2013, 6 (8). 648 Terschüren, Rundfunkfinanzierung, S. 48 f.; Gall / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 6 RGebStV, Rn. 24; dies., in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 4 RBStV, Rn. 28: Hier wird die Entscheidung des BSG aus dem Jahr 2000 noch als „Grundsatzentscheidung“ bezeichnet. Die Judikate aus 2007 und 2012 finden hingegen keine Erwähnung, obwohl zumindest das erstere im 2012 erschienenen Kommentar noch hätte berücksichtigt werden können. Schneider / Weinberger, jurisPRITR 5 / 2014 Anm. 4, sehen die Entscheidung des BSG aus dem Jahr 2000 weiterhin als einen „Wegweiser“, dem der Gesetzgeber im Rahmen der Reform der Rundfunk-
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3. Prüfung der befreiungskritischen BSG-Rechtsprechung und der Regierungsbegründung Die folgende Untersuchung hinterfragt zum einen das Postulat eines behinderungsbedingten Mehraufwands als Voraussetzung einer Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht [a)]. Zum anderen erörtert sie die Zulässigkeit von Sozialklauseln im Gebühren- und Beitragsrecht sowohl generell als auch speziell mit Blick auf die Rundfunkfinanzierung [b)]. Das BSG hat seine restriktive Rechtsprechung bis heute nicht ausdrücklich aufgegeben, sie prägte die Reform und beschwert derzeit die ehemals befreiten Rundfunkteilnehmer. Sollte die frühere Rechtsauffassung des BSG fehlerhaft sein, öffnet dies den Weg zur Wiedereinführung der alten Befreiungsregelungen. 649
a) Unzutreffende Auslegung der Befreiungstatbestände durch das BSG Ausgangspunkt der Kritik des BSG war die These, dass eine Gebührenbefreiung wegen § 48 I SchwbG bzw. § 126 I SGB IX von einem behinderungsbedingten Mehraufwand abhänge. Diese Annahme verdient eine genauere Überprüfung. Maßgebend im Rahmen der Auslegung ist die eigentliche Anspruchsgrundlage für die Befreiung, namentlich § 6 I 1 Nr. 8 RGebStV.650 Diese forderte keinen behinderungsbedingten Mehraufwand, zumal eine solche Voraussetzung der ratio legis widerspräche. Die Gelegenheit zur kostenlosen Teilnahme am Rundfunk soll laut Regierungsbegründung Ersatz für die nicht mögliche Teilnahme am öffentlichen, sozialen und kulturellen Leben bieten.651 Dies kam zudem im Wortlaut der Norm sehr treffend zum Ausfinanzierung zu Recht gefolgt sei. Das BSG habe seine darin getroffene Bewertung 2012 nicht revidiert. 649 VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 130 = DVBl. 2014, 848 ff.; VGH München, Beschl. v. 03.12.2013 – 7 ZB 13.1817, juris Rn. 17 = BayVBl. 2014, 268 ff. 650 Zur Anspruchsgrundlage: Hansen, SGb 2007, 253. 651 Bay LT-Drs. 15 / 1921, S. 20, rechte Spalte. Dies führte der Gesetzgeber zwar in Bezug auf die in § 5 VII 1 RGebStV genannten Einrichtungen aus, wozu gemäß dessen Nr. 2 Einrichtungen für behinderte Menschen zählten. Aber diese Erwägungen können in gleicher Weise auf die Gebührenbefreiung der schwerbehinderten Menschen selbst übertragen werden. Denn die Gebührenbefreiung der Einrichtungen ist nur die konsequente Übertragung der Befreiung von behinderten Menschen auf den Fall, dass diese nicht eigenständig bzw. mit ihrer Familie, sondern in einer besonderen Einrichtung leben. Vgl. des Weiteren zur ratio legis: Gall / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 6 RGebStV, Rn. 24. Laut VGH München, Urt. v. 18.04.2002 – 7 B 01.2383, juris Rn. 15 = BeckRS 2002, 31512 (offenbar nicht
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druck, indem neben dem Grad der Behinderung von 80 % auch die Voraussetzung aufgestellt wurde, dass die Betroffenen wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Selbst das BSG betonte noch 1987 zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung, dass die Befreiung „behinderungsbedingte Störungen der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben um der sozialen Gerechtigkeit willen durch den erleichterten Zugang zu Rundfunk- und Fernsehsendungen als Ersatzmittel ausgleichen soll (…). Die Beziehung zum gesamten gesellschaftlichen Leben vermögen Rundfunk- und Fernsehsendungen in gewissem Umfang durch Übertragungen, Berichte und eigene Veranstaltungen ersatzweise zu bewirken (…).“652 Wegen der fehlenden Möglichkeit zur Partizipation am öffentlichen Leben gewinnt die Rundfunknutzung für diese Menschen eine besondere Bedeutung. Des Weiteren trug die Befreiung blinder und gehörloser Menschen der eingeschränkten Nutzbarkeit und Barrierefreiheit der Medien Rechnung.653 Die Entscheidung des BSG aus dem Jahr 2000 bezog sich zwar nicht auf blinde und gehörlose Menschen, aber mit der undifferenzierten These, dass Rundfunkprogramme ungeachtet von Behinderungen konsumiert würden, zweifelte das Gericht indirekt auch deren Gebührenbefreiung an. Der Gesetzgeber des RBStV wiederum hat das Urteil ausweislich der Regierungsbegründung654 in diesem weiten Sinne verstanden. Die Herleitung der Voraussetzung eines behinderungsbedingten Mehraufwands aus § 126 I SGB IX bzw. § 48 SchwbG durch das BSG war fehlerhaft: Erstens intendiert diese Norm keinerlei Beschränkung eines Nachteilsausgleichs.655 Sie besitzt weitgehend nur Programmcharakter und enthält den Auftrag, die Feststellungen zum Grad der Behinderung und den Nachteilsausgleichen aus Gründen der Vereinfachung und Vereinheitlichung nicht mehr von der Ursache der Behinderung abhängig zu machen (Finalprinzip anstelle des früheren Kausalprinzips).656 veröffentlicht), soll die Gebührenbefreiung Menschen, die von der Teilnahme am öffentlichen sozialen und kulturellen Leben ausgeschlossen sind, vor einer „kulturellen Verödung“ bewahren. Diese Rechtfertigung der Befreiungstatbestände, aber auch dieselbe unpassende Wortwahl finden sich bereits bei Grupp, Rundfunkgebührenrecht, S. 56. Im Ergebnis sieht Grupp die Befreiungen aber kritisch, da es weder eine Aufgabe der Rundfunkanstalten noch des Gebührengesetzgebers darstelle, soziale Leistungen zu erbringen (S. 60). 652 BSG, Urt. v. 23.02.1987 – 9a RVs 72 / 85, juris Rn. 12 = SozR 3870 § 3 Nr. 24, mit Hervorhebung durch den Verfasser. 653 Welti, Behinderung und Rehabilitation, S. 666. 654 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 39 f. 655 Hansen, SGb 2007, 253 (254 f.). 656 Pahlen, in: Neumann / Pahlen / Majerski-Pahlen, SGB IX, § 126, Rn. 1 f.; Gutzeit, in: BeckOK, Sozialrecht, SGB IX, § 126, Rn. 1; Kossens, in: Kossens / von der Heide / Maaß, SGB IX, § 126, Rn. 1 f.
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Zweitens hat diese bundesrechtliche Norm keinen Einfluss auf die Auslegung der landesrechtlichen Befreiungsregelung, weil andernfalls die Gesetzgebungskompetenz der Länder zur eigenständigen Regelung des rundfunkspezifischen Nachteilsausgleichs missachtet würde.657 Zwar ist der Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht in § 69 IV SGB IX verankert658, aber dies bedeutet nicht, dass § 126 I SGB IX über § 69 IV SGB IX zur Auslegung des rundfunkgebührenrechtlichen Nachteilsausgleichs herangezogen werden darf659. Die Übertragung der Feststellung der gesundheitlichen Prämissen für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht auf die Behörden der Versorgungsverwaltung dient lediglich der Vereinfachung und Vereinheitlichung. Denn über die Behinderung, den Grad der Behinderung und weitere gesundheitliche Merkmale soll in einem einheitlichen Verfahren bei den Behörden der Versorgungsverwaltung entschieden werden, die hierfür fachlich besonders geeignet sind. Die bindenden Feststellungen ermöglichen den Nachweis der Behinderung gegenüber allen anderen Behörden und ersparen den Betroffenen mehrmalige Beweisführungen. Dieses Ziel verfolgt die bundesweite Vereinheitlichung der Schwerbehindertenausweise.660 Dass die bundesrechtlichen Normen des SGB keinen Einfluss auf die landesrechtlich geregelten Befreiungen haben können, zeigt auch folgende Überlegung: Es wäre ebenfalls denkbar gewesen, dass der Gesetzgeber keine bundesrechtliche Regelung für die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens „RF“ eingeführt hätte und die relevanten Feststellungen stattdessen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Befreiung von der Rundfunkgebühr durch Einholung eines medizinischen Gutachtens getroffen würden. Der Gesetzgeber lehnte eine solche Vorgehensweise wegen der o. g. Bedenken richtigerweise ab. Das Erfordernis eines behinderungsbedingten Mehraufwands und damit zugleich der Ausgangspunkt der gebührenrechtlichen Schlussfolgerung er657 Das LSG Hamburg (Urt. v. 11.01.2006 – L 4 SB 14 / 05, juris Rn. 15 = SGb 2007, 251 ff.) ging davon aus, dass die Befreiung im RGebStV gegen Bundesrecht in Gestalt des § 126 SGB IX verstoße und gemäß Art. 31 GG nichtig sei. Diese Schlussfolgerung ist laut BSG (Urt. v. 08.11.2007 – B 9 / 9a SB 3 / 06 R, juris Rn. 29, BSGE 99, 189 ff.) bereits deshalb nicht zutreffend, weil die Länder für diesen Nachteilsausgleich zuständig sind. Keine Kollisionsgefahr sieht auch Hansen, SGb 2007, 253 (255). 658 BSG, Urt. v. 08.11.2007 – B 9 / 9a SB 3 / 06 R, juris Rn. 26, BSGE 99, 189 ff. 659 A. A.: LSG Hamburg, Urt. v. 11.01.2006 – L 4 SB 14 / 05, juris Rn. 15 = SGb 2007, 251 ff. § 126 I SGB IX bestimme den zulässigen Nachteilsausgleich i. S. v. § 69 IV SGB IX, und die landesrechtliche Befreiung kollidiere mit diesen Bundesnormen. 660 BVerwG, Urt. v. 17.12.1982 – 7 C 11 / 81, juris Rn. 17 f., BVerwGE 66, 315 ff.
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weisen sich als unzutreffend. Darüber hinaus sind aber auch die Ausführungen des BSG zum Gebührenrecht separat angreifbar und werden im Anschluss detailliert untersucht. b) Sozialpolitisches Gestaltungsermessen des Gesetzgebers bei Entgeltabgaben Das BSG verkannte in seinem Urteil aus dem Jahr 2000 den Prüfungsmaßstab sowie das gesetzgeberische Gestaltungsermessen im Recht der Entgeltabgaben, als es einen Verstoß gegen den gebührenrechtlichen Grundsatz der verhältnismäßigen Gleichbehandlung aller Nutzer bejahte.661 Der gleiche Vorwurf trifft den Gesetzgeber, der sich diese Rechtsauffassung zu eigen machte. Denn das BVerfG billigt dem Gesetzgeber einen signifikanten Entscheidungsspielraum in Bezug auf die Höhe nichtsteuerlicher Abgaben zu662, und das BVerwG schloss sich diesem Standpunkt speziell im Hinblick auf Befreiungen von der Rundfunkgebührenpflicht an. Laut BVerwG endet der legislative Gestaltungsspielraum erst an der Willkürgrenze.663 Eine vollständige Befreiung behinderter Menschen, die blind oder gehörlos sind oder bei einem Behinderungsgrad von mindestens 80 % ständig nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, lässt sich sowohl unter der Geltung der alten Rundfunkgebühr als auch des neuen Rundfunkbeitrags mithilfe zweier eigenständiger Argumentationsansätze rechtfertigen. Zum einen kann man diesen Personenkreis allein aus sozialstaatlichen Motiven befreien [aa)]. Zum anderen darf der Gesetzgeber den behinderungsbedingt reduzierten Vorteil aus dem Angebot der Rundfunkanstalten infolge seines beitragsrechtlichen Bewertungsermessens statt mit derzeit 33 % (Drittelbeitrag) mit 0 % bewerten [bb)]. aa) Befreiungsmöglichkeiten aufgrund sozialstaatlicher Erwägungen Der Gesetzgeber kann die o. g. schwerbehinderten Menschen aus sozialstaatlichen Motiven von der Rundfunkbeitragspflicht befreien. Es handelt sich hierbei um eine sehr spezielle Problemstellung, die erst anlässlich der Rechtsprechung des BSG und der Reform der Rundfunkfinanzierung entstanden ist. Dagegen hat sich zu der Frage, ob eine Ermäßigung von 661 Diesen
Vorwurf erhebt auch Hansen, SGb 2007, 253 (254). Beschl. v. 16.09.2009 – 2 BvR 852 / 07, juris Rn. 32, BVerfGE 124,
662 BVerfG,
235 ff.
663 BVerwG, Beschl. v. 20.11.1995 – 6 B 73 / 95, juris Rn. 9 = Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 77.
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Entgeltabgaben für finanziell bedürftige Menschen im Einklang mit gebühren- bzw. beitragsrechtlichen Bemessungsprinzipien steht, bereits ein ausdifferenziertes Meinungsbild etabliert. Die Berücksichtigung finanzieller Bedürftigkeit und gesundheitlicher Beeinträchtigungen ist Teil der verallgemeinerungsfähigen Frage nach einem sozialen Ausgleich im Bereich der sonst vorteilsfokussierten Gebühren- bzw. Beitragsbemessung. Dass diese Themenkomplexe – wie vom BSG angenommen664 – eine Einheit bilden, veranschaulicht auch die historische Entwicklung. So war die Fürsorge für behinderte Menschen lange Zeit Teil der allgemeinen Armenfürsorge, und erst nach dem Ersten Weltkrieg entwickelten sich vermehrt eigenständige Regelungen für behinderte Menschen, zunächst vor allem für Kriegsbeschädigte.665 Da die Argumente für beide Bereiche verzahnt sind, werden diese Themenkomplexe im Folgenden teilweise zusammen erörtert, wobei der Fokus der Darstellung auf den Befreiungen für behinderte Menschen liegt. Bei der Befreiung finanziell bedürftiger Rundfunkteilnehmer hat die Reform keine Veränderungen bewirkt, weshalb eine eigenständige Erörterung dieser Thematik nicht veranlasst ist. Einleitend werden die restriktive Literaturauffassung gegenüber Sozialklauseln im Recht der Entgeltabgaben – Grundlage der befreiungskritischen BSG-Judikatur – und ihre konkrete Bedeutung für die Rundfunkfinanzierung erläutert [(1)]. Anschließend folgt eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerfG zu Sozialklauseln im Gebührenrecht und ihrer Relevanz für die Befreiungen von der Rundfunkbeitragspflicht [(2)]. Für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von Befreiungen im Rundfunkbeitragsrecht müssen sowohl die konkreten Besonderheiten der Rundfunkfinanzierung [(3)] als auch die abstrakte Aufgeschlossenheit des Grundgesetzes für Sozialklauseln und deren Vorzüge [(4)] gewürdigt werden. Am Ende schlägt diese Arbeit einen Ausgleich zwischen dem Sozialstaatsprinzip einerseits und dem Gebot einer gleichheitskonformen und vorteilsgerechten Bemessung von Entgeltabgaben andererseits vor [(5)]. (1) Restriktive Literaturansicht gegenüber Befreiungen – Basis der Kritik des BSG Im Folgenden wird die restriktive Literaturansicht gegenüber Sozialklauseln bei Gebühren und Beiträgen, auf die sich das BSG in seinem Urteil aus 664 Das BSG, Urt. v. 28.06.2000 – B 9 SB 2 / 00 R, juris Rn. 14 = NJW 2001, 1966, nahm bei seinen Ausführungen zur Befreiung schwerbehinderter Menschen von der Rundfunkgebührenpflicht auf Literatur Bezug, die sich mit Vergünstigungen für finanziell bedürftige Menschen bei der Gebührenerhebung befasste. 665 Welti, Behinderung und Rehabilitation, S. 18 f., 190, 201, 211 f.
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dem Jahr 2000 bezog, erläutert [(a)] und auf die Rundfunkfinanzierung angewandt [(b)]. (a) Vorstellung der restriktiven Literaturansicht Vorliegend geht es um die grundsätzliche Frage, ob man die Aufgabe des Ausgleichs unterschiedlicher finanzieller Leistungsfähigkeit dem Steuerrecht zuschreibt oder einen Sozialausgleich ebenfalls im Gebühren- und Beitragsrecht verwirklichen möchte. Laut Kirchhof sind Entgeltabgaben als Ausfluss des Äquivalenzprinzips vorteils- und aufwandsorientiert, und gleiche Vorteile sollten gleich belastet werden. Die Zahlungsfähigkeit eines Gebühren- bzw. Beitragsschuldners erlange nur insoweit Relevanz, als eine Abgabenpflicht kein Hindernis für rechtsstaatlich gebotene Leistungen bilden dürfe. Dagegen orientierten sich die direkten Steuern an der individuellen Leistungsfähigkeit. Finanzier sozialer Aufgaben sei der Steuerzahler, aber nicht der Schuldner von Entgeltabgaben. Aus diesem Grund dürften Ermäßigungen für sozial Bedürftige nicht durch einen Gebühren- bzw. Beitragsanstieg für ökonomisch Stärkere umverteilt, sondern müssten aus Steuermitteln finanziert werden.666 Diese weit verbreitete Ansicht667 hätte konkret zur Folge, dass eine Gebührenermäßigung z. B. für minderbemittelte oder behinderte Menschen bei Schwimmbädern, Theatern, Museen und ähnlichen öffentlichen Einrichtungen unzulässig wäre, wenn diese Einrichtungen voll kostendeckend betrieben würden. Denn der Gebührenausfall infolge der Ermäßigungen dürfe nicht auf die übrigen Gebührenschuldner umverteilt werden, sondern sei von der jeweiligen Kommune aus allgemeinen Haushaltsmitteln zu tragen.668 666 Paul Kirchhof, Nichtsteuerliche Abgaben, in: HStR, Bd. V, § 119, Rn. 25, 54. In seinem Rechtsgutachten geht er an der entscheidenden Stelle (S. 71) allerdings nicht auf die Frage ein, ob der Rundfunkbeitrag eine umverteilende Wirkung hat. 667 Eine ähnliche Argumentation entwickeln: Kube, Rechtsgutachten, S. 54 f.; Jarass, Rechtsgutachten, S. 23 f.; Degenhart, ZUM 2009, 374 (383); Vogel / Waldhoff, in: Bonner Kommentar, GG, Vorb. zu Art. 104a–115, Rn. 420; Ferdinand Kirchhof, Die Höhe der Gebühr, S. 145 ff.; v. Maydell, Rundfunkgebühren, S. 26 ff. Dabei beklagte v. Maydell 1987, dass sich bis auf Ferdinand Kirchhof weder die Literatur noch die Rechtsprechung bemüht hätten, die o. g. Denkmodelle (steuersubventionierte ↔ umverteilende Ermäßigung) präzise voneinander abzugrenzen (a. a. O., S. 27). Das legt den Schluss nahe, dass diese Unterscheidung weder zum tradierten Bestand gebührenrechtlicher Wertungen zählt noch das Vorstellungsbild des Verfassungsgebers geprägt haben kann. Eine genauere historische Analyse wird sub Kap. 4 B. III. 3. b) aa) (4) (a) vorgenommen. Keine Bedenken gegen umverteilende Gebühren haben dagegen: Helbig, Soziale Staffelung von Gebühren, in: Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat, S. 91 f.; Kloepfer, AöR 1972, 232 (258 f.). 668 So die Auffassung von: Lichtenfeld, in: Driehaus, KAG, Teil III, § 6, Rn. 752; Schulte / Wiesemann, in: Driehaus, KAG, Teil III, § 6, Rn. 212, 214.
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(b) Konkrete Anwendung auf die Rundfunkfinanzierung Aufgrund der vorgenannten Wertungen hätten es Kirchhof669 und Teile der Literatur670 präferiert, den Rundfunkbeitrag ausnahmslos zu erheben und eine finanzielle Bedürftigkeit über das Sozialrecht auszugleichen. Allerdings thematisierte Kirchhof nicht die Frage, ob der Rundfunkbeitrag ein umverteilender Beitrag ist, dem er dann konsequenterweise die Verfassungsmäßigkeit absprechen müsste. Dagegen bejahte ein früheres Rechtsgutachten zur alten Rundfunkgebühr, erstattet im Auftrag einer Rundfunkanstalt, eine gleichheitswidrige Umverteilung671, und auch Gutachten zur aktuellen Reform tendieren hierzu672. Doch ist zweifelhaft, ob sich die restriktive Literaturauffassung zu Sozialklauseln im Gebühren- und Beitragsrecht wirklich vorbehaltlos auf den Rundfunkbeitrag übertragen lässt. Dafür spräche, dass die Rundfunkfinanzierung – im Gegensatz zu kommunalen Einrichtungen – keine Mischfinanzierung aus Entgeltabgaben und Steuern vorsieht. Somit müssten die Mindereinnahmen infolge der Befreiungen bzw. Ermäßigungen im RBStV aus dem Beitragsaufkommen finanziert und durch eine Erhöhung der Beiträge zulasten der übrigen Beitragsschuldner kompensiert werden. Es läge der klassische Fall eines umverteilenden Beitrags vor.673 Andererseits könnte dieser Umstand dadurch relativiert werden, dass der Etat der Rundfunkanstalten zum Teil aus Werbe- und Sponsoringeinnahmen gespeist wird. Befreiungen und Ermäßigungen ließen sich aus diesen zusätzlichen Einnahmen bestreiten. Die zusätzlichen Einnahmen der Rundfunk anstalten wären auch ausreichend, um die befreiungsbedingten Ausfälle zu kompensieren. Für die Gebührenperiode 2009–2012 erzielte der öf fentlich-rechtliche Rundfunk ca. 4.743,4 Mio. € u. a. durch Werbung und Sponsoring674, während im gleichen Zeitraum Mindereinnahmen von ca. 669 Paul
Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 71. Kube, Rechtsgutachten, S. 54 f.; Jarass, Rechtsgutachten, S. 23 f.; Degenhart, ZUM 2009, 374 (383); Wagner, Rundfunkgebühr, S. 130 f. Zur alten Rundfunkgebühr: v. Maydell, Rundfunkgebühren, S. 54 f.; Grupp, Rundfunkgebührenrecht, S. 60. 671 v. Maydell, Rundfunkgebühren, S. 28, 33 ff., der ein Rechtsgutachten für den Süddeutschen Rundfunk Stuttgart zu der Frage erstellte, inwieweit die Rundfunkanstalten Befreiungen gewähren müssten, ohne dass die damit verbundenen Einnahmeausfälle durch die öffentliche Hand erstattet würden (zur Aufgabenstellung: S. 7). 672 Kube, Rechtsgutachten, S. 54 f., und Jarass, Rechtsgutachten, S. 23 f., gehen von einer umverteilenden Wirkung aus, sind aber in ihrer Schlussfolgerung zurückhaltender, indem sie die Befreiungstatbestände lediglich als problematisch einstufen. 673 Vgl. Kube, Rechtsgutachten, S. 54. 674 Addition der festgestellten Werbeerträge und sonstigen Einnahmen von ARD, ZDF und D Radio: KEF, 19. Bericht, Tz. 23, Tab. 5, Tz. 25, Tab. 9, Tz. 27, Tab. 13. 670 Vgl.
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2.710,5 Mio. €675 durch Befreiungen entstanden. Der Rundfunkbeitrag besäße demnach keine umverteilende Wirkung. Eine Verwendung der Werbe- und Sponsoringeinnahmen zur Kompensation der befreiungsbedingten Rundfunkbeitragsausfälle wird jedoch teilweise abgelehnt, weil sich die Werbung an alle Rundfunkteilnehmer richte und eine Allokation der daraus resultierenden Einnahmen zu einem bestimmten Kreis von Teilnehmern nicht möglich sei. Die Werbeeinnahmen beträfen das Gesamtbudget der Rundfunkanstalten.676 Dieser Ansatz überzeugt nicht, da er eine nicht bestehende Zweckbindung der Werbeeinnahmen unterstellt. Eine solche Verwendungsbeschränkung könnte höchstens zwischen den Werbevertragsparteien zivilrechtlich vereinbart werden, würde dann lediglich inter partes wirken und keine Rechte der Rundfunkteilnehmer tangieren. Fehlt aber eine solche Vereinbarung, ist die Annahme einer Zweckbindung insofern paradox, als für den Gesamtetat vorgesehene Einnahmen gerade zur freien Verwendung gedacht sind und damit ebenso zur Kompensation von Einnahmeausfällen eingesetzt werden können. Außerdem bedeutet die Herleitung einer nicht privatautonom vereinbarten Verwendungsbeschränkung einen Eingriff in die Finanzautonomie677 der Rundfunkanstalten, der nach der Wesentlichkeitstheorie einer detaillierten gesetzlichen Grundlage bedarf. Letztendlich ist somit die Möglichkeit zur Kompensation der befreiungsbedingten Ausfälle durch die sonstigen Einnahmen zu bejahen und eine umverteilende Wirkung des Rundfunkbeitrags folgerichtig zu verneinen. 675 Die Mindereinnahmen wurden errechnet auf Basis der Angaben der KEF, 18. Bericht, Tz. 344, Abb. 27 / 2. Dort ist die Anzahl befreiter Geräte angegeben. Die für diese Gebührenperiode maßgebliche Gebührenhöhe betrug monatlich 5,76 € für Hörfunkgeräte und 12,22 € für Fernsehgeräte (Tz. 326). Bei der Anzahl befreiter Geräte im 18. Bericht muss es sich hinsichtlich der Jahre 2011 und 2012 um Schätzungen handeln. Der 19. KEF-Bericht enthält bei Tz. 278 bezüglich der Befreiungen (im Gegensatz zum 18. Bericht) nur die Quoten, aber weder die Anzahl der befreiten Geräte noch die erwarteten Mindereinnahmen, weshalb der 19. Bericht für die hiesige Berechnung nicht herangezogen werden konnte. Dies dürfte sich indes kaum auf das Ergebnis auswirken, da die Befreiungsquoten laut 19. KEF-Bericht in den Jahren 2011 und 2012 nur etwas niedriger gewesen sind als noch im 18. Bericht erwartet (Rückgang zwischen 0,3 und 0,9 Prozentpunkten). 676 v. Maydell, Rundfunkgebühren, S. 33. Dagegen geht Kube, Rechtsgutachten, S. 53 ff., auf die Werbeeinnahmen gar nicht ein. 677 Gounalakis, AfP 2003, 395 (395 f.), betont die besondere Bedeutung des Selbstverwaltungsrechts der Rundfunkanstalten sowie deren Entscheidungsbefugnis hinsichtlich des Einsatzes ihrer Finanzmittel. Sehr ausführlich zur Finanzautonomie: Badura, Rundfunkfreiheit und Finanzautonomie, S. 56 ff. Das Werbeaufkommen werde von der staatlichen Garantie einer funktionsgerechten Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erfasst, soweit diese Einnahmen für die Gewährleistung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Anstalten notwendig seien und die Werbung einen Teil des Programmauftrags darstelle (a. a. O., S. 21).
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Das BVerfG hatte sich im Rahmen der einkommensabhängigen Kindergartengebühren erstmals intensiver mit der Zulässigkeit von Sozialklauseln zu befassen.678 Es stellt sich die Frage, ob hierdurch verallgemeinerungsfähige Grundsätze aufgestellt wurden und man diese auf den Rundfunkbeitrag anwenden kann [(2)]. (2) Relevanz der BVerfG-Entscheidung zu Kindergartengebühren für den RBStV Die Entscheidung des BVerfG zur Zulässigkeit einkommensabhängiger Kindergartengebühren scheint auf den ersten Blick lediglich Erkenntnisse für die Frage einkommensabhängiger Gebühren zu enthalten, da sich das Gericht bemüht, seine Argumentation hierauf zu beschränken. Jedoch könnten sich aus dem Judikat generelle Leitlinien für Sozialklauseln deduzieren lassen, weil das Kernproblem nicht in der Staffelung nach dem Einkommen, sondern in der Frage liegt, wie sich soziale Vergünstigungen auf die Gebührenhöhe der anderen Gebührenschuldner auswirken dürfen. Damit hätte diese Entscheidung zugleich Auswirkungen auf Befreiungen und Ermäßigungen für finanziell bedürftige und schwerbehinderte Menschen im RBStV und dem früheren RGebStV.679 Das BVerfG arbeitete zunächst heraus, dass das Grundgesetz keinen eigenständigen Gebührenbegriff enthalte, aus dem sich unmittelbar Kriterien für die Verfassungsmäßigkeit von Gebührenmaßstäben, -sätzen oder -höhen ableiten ließen. Gebühren dürften nicht vollkommen unabhängig von den tatsächlichen Kosten einer Staatsleistung festgelegt werden, was aber eine 678 Zu den Kindergartengebühren: BVerfG, Beschl. v. 10.03.1998 – 1 BvR 178 / 97, BVerfGE 97, 332 ff. Einige frühere instanzgerichtliche Entscheidungen finden sich bei Kempen, NVwZ 1995, 1163 (1165). Im Hinblick auf die Fernsprechgebühren stellte das BVerfG (Beschl. v. 24.02.1970 – 2 BvL 12 / 69 u. a., juris Rn. 79, BVerfGE 28, 66 ff.) mit nur wenigen Sätzen fest, dass das Fehlen einer Differenzierung nach dem Einkommen oder der sozialen Stellung bei Gebühren dieser Art sachgerecht sei. 679 Dies bejaht Kube, Rechtsgutachten, S. 54, im Hinblick auf die Befreiung für finanziell bedürftige Rundfunkteilnehmer. Ähnlich: Jarass, Rechtsgutachten, S. 23, Fn. 18, und Degenhart, ZUM 2009, 374 (383, Fn. 89), die aber nur in einer Fußnote auf das Judikat Bezug nehmen. Ebenfalls ohne nähere Erörterung bejaht Wiemers, GewArch 2011, 110 (112), die Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf den Rundfunkbeitrag. Göhmann / Schneider / Siekmann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 2 RBStV, Rn. 6, halten sogar eine Staffelung der Rundfunkbeiträge nach sozialen Gesichtspunkten unter Verweis auf die Entscheidung zu den Kindergartengebühren für verfassungskonform, aber nicht praktikabel. Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 67 ff., geht dagegen im Kontext der Beitragsbefreiungen auf die Entscheidung zur Kindergartengebühr nicht ausdrücklich ein.
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
an sozialen Gesichtspunkten orientierte Staffelung nicht ausschließe.680 Aus diesen Ausführungen wird ersichtlich, dass die Staffelung der Kindergartengebühren nach dem Elterneinkommen nicht das eigentliche Problem darstellt. Im Rahmen der Abgabengerechtigkeit betonte das Gericht die Notwendigkeit eines besonderen Vorteils oder einer äquivalenten Leistung der Verwaltung.681 Einkommensbezogene Gebührenstaffeln seien „jedenfalls unbedenklich“, solange selbst die Höchstgebühr die tatsächlichen anteilsmäßigen Kosten der Einrichtung nicht decke und in einem adäquaten Verhältnis zu der dadurch abgegoltenen Verwaltungsleistung stehe. Unter dieser Prämisse werde allen Benutzern ein vermögenswerter Vorteil zugewandt, und auch die Nutzer, die die volle Gebühr zahlten, würden nicht zusätzlich und voraussetzungslos (mithin steuerähnlich) zur Entlastung sozial schwächerer Nutzer herangezogen. Die streitgegenständlichen Kindergartengebühren deckten die tatsächlichen Kosten des Kindergartens nur zu etwa einem Drittel ab, sodass der Wert der staatlichen Leistung sogar die Höchstgebühr noch signifikant übersteige.682 Das gebührenrechtliche Ziel eines vermögenswerten Vorteils der Gebührenschuldner ist unabhängig von den konkreten Bemessungskriterien, weil das Gericht lediglich die Höchstgebühr in Relation zu dem Wert der staatlichen Leistung setzt. Nach welchen Kriterien die Höchstgebühr bestimmt wird, ist unerheblich. Somit ist es gleichfalls ohne Relevanz, ob eine Einheitsgebühr mit pauschaler Entlastung von bedürftigen Schuldnern erhoben wird (das entspräche dem Rundfunkbeitrag) oder alle Gebühren nach dem Einkommen gestaffelt werden.683 Hingegen lässt sich das konkrete Bewertungskriterium des BVerfG, wonach die Höchstgebühr die anteilsmäßigen Kosten der Einrichtung nicht 680 BVerfG,
Beschl. v. 10.03.1998 – 1 BvR 178 / 97, juris Rn. 64 f., BVerfGE 97,
681 BVerfG,
Beschl. v. 10.03.1998 – 1 BvR 178 / 97, juris Rn. 67, BVerfGE 97,
682 BVerfG,
Beschl. v. 10.03.1998 – 1 BvR 178 / 97, juris Rn. 68, BVerfGE 97,
332 ff. 332 ff. 332 ff.
683 Auch Kempen, NVwZ 1995, 1163 (1165), und Paul Kirchhof, Nichtsteuer liche Abgaben, in: HStR, Bd. V, § 119, Rn. 54, verorten das Problem der einkommensabhängigen Kindergartengebühren – unabhängig von der Bemessungsart – primär in der Frage, ob die Gebührenausfälle durch höhere Gebühren der anderen Eltern oder durch Steuerzuschüsse kompensiert werden. Jestaedt, DVBl. 2000, 1820 (1823 f.), hebt dagegen primär das Einkommen als Bemessungskriterium hervor und, dass diese Staffelung eine Signalwirkung für andere Entgeltabgaben, u. a. auch für Rundfunkgebühren, haben könnte. Sachs / Windthorst, JuS 1999, 857 (861), beschränken die Relevanz der Entscheidung sogar lediglich auf den Bereich der Kindergartengebühren.
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übersteigen dürfe, nicht unmittelbar auf den Rundfunkbeitrag anwenden, da ungewiss ist, ob das Gericht diese Kosten unter Einbeziehung der sonstigen Einnahmen der Rundfunkanstalten aus Werbeverträgen und Sponsoring berechnen würde.684 Die sonstigen Einnahmen übersteigen die finanziellen Ausfälle, die als Folge der Befreiungen und Ermäßigungen entstehen685, und bei ihrer Berücksichtigung läge der Höchstbeitrag immer unter den anteilsmäßigen Kosten der Rundfunkanstalten. Würde man diese Einnahmen allerdings ausblenden und den Ansatz686 forcieren, dass der Rundfunkbeitrag ohne die Befreiungen sänke, erschienen die Sozialklauseln in der Sicht des BVerfG nicht unbedenklich. Anschließend präzisierte das Gericht seine Anforderungen. Eine Gebührenstaffelung nach dem Einkommen komme zumindest in Betracht, wenn die Gebühr eine Leistung zum Gegenstand habe, mit der der Staat sowohl dem Sozialstaatsprinzip als auch bedeutenden grundrechtlichen Schutzgeboten Rechnung trage und die aus verfassungsrechtlichen Gründen jedem zugänglich sein müsse, der auf die Leistung angewiesen sei. Bei einer derartigen Sachlage sei der Staat nicht darauf beschränkt, zunächst eine für alle gleiche Gebühr zu verlangen und im Anschluss unbemittelten Nutzern finanzielle Beihilfen zu gewähren.687 Es ist nicht eindeutig, ob die weiter gehenden Voraussetzungen zu sozialstaatlichen Implikationen und einer besonderen Grundrechtsrelevanz verallgemeinert werden können. Dafür spräche, dass diese weiteren Kriterien nur die bereits aufgestellten abstrakten Vorgaben konkretisieren. Dagegen ließe sich aber die sprachliche und argumentative Fokussierung auf das konkrete Bemessungsprinzip (Staffelung nach dem Einkommen) anführen. Dies kann im Ergebnis dahinstehen, weil der Rundfunkbeitrag die zusätz lichen Vorgaben des BVerfG erfüllt. Das Rundfunkangebot muss ebenfalls jedem Bürger gemäß Art. 5 I 2 Var. 2 GG zugänglich sein688, betrifft das Grundrecht der Informationsfreiheit aus Art. 5 I 1 Alt. 2 GG und ist für den demokratischen Meinungsbildungsprozess konstituierend689. Zudem kann das Rundfunkangebot allgemein die kulturelle Bildung fördern und speziell 684 Kube, Rechtsgutachten, S. 54, und die weiteren in Fn. 679 genannten Autoren thematisierten diesen Umstand nicht, als sie die Rechtsprechung zur Kindergartengebühr auf den Rundfunkbeitrag übertrugen. 685 Kap. 4 B. III. 3. b) aa) (1) (b). 686 Vgl. hierzu: v. Maydell (Fn. 676). 687 BVerfG, Beschl. v. 10.03.1998 – 1 BvR 178 / 97, juris Rn. 69, BVerfGE 97, 332 ff. 688 BVerfG, Beschl. v. 24.03.1987 – 1 BvR 147 / 86 u. a., juris Rn. 81, BVerfGE 74, 297 ff.; BVerwG, Urt. v. 09.12.1998 – 6 C 13 / 97, juris Rn. 28, BVerwGE 108, 108 ff. 689 Gounalakis, Funktionsauftrag, S. 20.
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
über Kinderprogramme mit Bildungsauftrag einen Beitrag zur Chancengleichheit leisten, was ein sozialstaatliches Anliegen verkörpert690. Das öffentlich-rechtliche Rundfunkprogramm ist ergo in seiner sozialstaatlichen und grundrechtlichen Relevanz mit dem staatlichen Kinderbetreuungsangebot vergleichbar. Die zurückhaltende Formulierung des Gerichts („jedenfalls unbedenklich“) und seine Fokussierung auf die streitgegenständliche Gebührenregelung mag dem Umstand geschuldet sein, dass es die Risiken einer umfassenden und für alle Sozialklauseln gültigen Antwort gesehen hat.691 Der Rundfunkbeitrag bildet ein Beispiel, das gerade die Schwierigkeit allgemeingültiger Grundsätze aufzeigt. Auch wenn das vorsichtig formulierte Urteil des BVerfG eher gegen die Zulässigkeit umverteilender Entgeltabgaben spricht692, erscheint eine (zumindest punktuelle) Öffnung der Rechtsprechung möglich und geboten. Dies gilt zum einen mit Blick auf die spezielle Situation der Rundfunkfinanzierung [(3)] und zum anderen wegen der generellen Bedenken [(4)] gegenüber einer zu strikten Verortung des Sozialausgleichs im Steuerrecht und des Vorteilsausgleichs im Recht der Entgeltabgaben. (3) Argumente für die Zulässigkeit von Sozialklauseln im Rundfunkbeitragsrecht Erstens weist der Rundfunkbeitrag Besonderheiten auf [(a)], die selbst dann eine Zulässigkeit umverteilender Sozialklauseln bewirken könnten, wenn man dies für andere Entgeltabgaben strikt ablehnte. Zweitens überzeugen die gesetzgeberische Entscheidung zur Reduktion von Befreiungen und Kirchhofs restriktiver Ansatz gegenüber Sozialklauseln gemessen am Gesamtkonzept der Reform nicht [(b)]. (a) Rechtliche Besonderheiten des Rundfunkbeitrags Selbst ein umverteilender Rundfunkbeitrag ließe sich mit der besonderen Situation rechtfertigen, dass der Kreis der Beitragsschuldner faktisch mit 690 Auf die Chancengleichheit durch Bildungsmöglichkeiten im Kindergarten als sozialstaatlichen Belang rekurrierte das BVerfG, Beschl. v. 10.03.1998 – 1 BvR 178 / 97, juris Rn. 71, BVerfGE 97, 332 ff. 691 Vgl. Jestaedt, DVBl. 2000, 1820 (1823). 692 So auch die Interpretation durch: Kube, Rechtsgutachten, S. 54; Paul Kirchhof, Nichtsteuerliche Abgaben, in: HStR, Bd. V, § 119, Rn. 54, Fn. 206, der diese Entscheidung zur Untermauerung seiner ablehnenden Haltung gegenüber umverteilenden Entgeltabgaben anführt.
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der steuerzahlenden Allgemeinheit identisch ist. Dadurch trägt die gesamte Gesellschaft und nicht eine kleine, zufällig entstandene Gruppe von Abgabenschuldnern zum Sozialausgleich bei.693 Dies legitimiert einen größeren sozialpolitischen Gestaltungsspielraum im Rundfunkbeitragsrecht. Eine weitere Besonderheit des Rundfunkbeitrags besteht in seiner geringen Höhe, was die folgenden Bedenken relativiert: Sozialausgleich sei eine allgemeine staatliche Aufgabe und jeder Rundfunkbeitragszahler bringe einen gleich hohen Anteil zur Kompensation des finanziellen Defizits infolge der Befreiungen auf, obwohl jeder hierzu lediglich nach seiner Leistungsfähigkeit beitragen sollte. Der Rundfunkbeitrag nehme eine Umverteilung aus sozialen Gründen vor, ohne sich am Prinzip der Leistungsfähigkeit zu orientieren.694 Dieser abstrakt-dogmatische Ansatz würdigt die tatsächliche Zusatzbelastung für die Mehrheit der Abgabenschuldner nicht ausreichend. Ließe man (eine kritische Haltung unterstellend695) die sonstigen Einnahmen, z. B. aus Werbung, unberücksichtigt, dann hätte der Rundfunkbeitrag für die Gebührenperiode 2009–2012 um ca. 9,2 % und damit durchschnittlich um ca. 1,7 € monatlich erhöht werden müssen, um die Mindereinnahmen infolge der Befreiungen auszugleichen.696 In der Beitragsperiode 2013–2016 wäre mit einem Anstieg um 10,08 % und einer absoluten Beitragserhöhung um 693 Kube, Rechtsgutachten, S. 54 f., sieht ebenfalls eine Besonderheit darin, dass die Gruppe der Rundfunkbeitragszahler sehr groß ist. Dennoch sollten ihm zufolge die Befreiungen in § 4 I RBStV u. a. angesichts der Entscheidung des BVerfG zur Kindergartengebühr und der darin zum Ausdruck kommenden Begrenzung der Berücksichtigungsfähigkeit sozialer Belange überdacht werden. Wegen der großen Anzahl der Rundfunkbeitragsschuldner überzeugen auch die abstrakten Bedenken von Ferdinand Kirchhof, Die Höhe der Gebühr, S. 147 f., gegenüber umverteilenden Gebühren nicht. Danach decke sich der Kreis der Gebührenpflichtigen nicht mit der Allgemeinheit der Bürger, weshalb eine umverteilende Gebühr nicht alle „Reichen“, sondern nur den Personenkreis belaste, der zufällig die gebührenpflichtige Handlung in Anspruch nehme. 694 v. Maydell, Rundfunkgebühren, S. 28 f.; ähnlich: Jarass, Rechtsgutachten, S. 23 f. 695 Nur wenn man die sonstigen Einnahmen ausklammert und gerade nicht zur Kompensation der befreiungsbedingten Ausfälle einsetzt, stellt sich das Problem des umverteilenden Beitrags. Die Analyse soll aufzeigen, dass die Bedenken gegen einen umverteilenden Rundfunkbeitrag selbst bei Zugrundelegung dieses restriktiven Ansatzes, den v. Maydell (Fn. 676) favorisiert, nicht überzeugend sind. 696 In der Gebührenperiode 2009–2012 lag das Gesamtgebührenaufkommen bei ca. 29.433,0 Mio. € (19. KEF-Bericht, Tz. 276, Tab. 96), während Mindereinnahmen von ca. 2.710,5 Mio. € durch Befreiungen entstanden. Eine rein gebührenbasierte Kompensation würde einen Anstieg des Gesamtaufkommens um ca. 9,2 % erfordern und zu einer Erhöhung des Rundfunkbeitrags um ca. 1,66 € führen. Zur Berechnung der Mindereinnahmen: Fn. 675.
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1,8 € monatlich zu rechnen.697 Der Beitragsservice kalkulierte in seinem Geschäftsbericht für das Jahr 2013 umgekehrt die Folgen einer vollständigen Abschaffung der Befreiungen und kam zu dem Ergebnis, dass der Monatsbeitrag um ca. 7,9 % bzw. 1,42 € reduziert werden könnte.698 Eine fehlende Differenzierung nach der Leistungsfähigkeit lässt sich bei solchen Bagatellbeträgen angesichts des hierfür nötigen Verwaltungsaufwands rechtfertigen. Da das BVerfG keine Kritik an den Sozialklauseln im früheren RGebStV anklingen ließ699, wird es auch keine generellen Bedenken gegen die entsprechenden Regelungen im RBStV haben. Dies spricht zudem gegen die restriktive sozialpolitische Sicht des BSG. Davon abgesehen strapaziert die Reform die beitragsrechtliche Dogmatik bereits an anderer Stelle relativ stark, weshalb vor allem die dogmatischen Zweifel Kirchhofs an der Zulässigkeit von Sozialklauseln bei einer Gesamtbetrachtung wenig überzeugend wirken [(b)]. (b) R eduktion von Befreiungen gemessen am Gesamtkonzept der Reform Es gilt, die Relationen innerhalb des Gesamtkonzepts der Reform der Rundfunkfinanzierung nicht aus dem Blick zu verlieren, weil es wenig ausgeglichen wirkt, wenn man einerseits eine idealtypische Beitragsbemessung nach dem Vorteilsprinzip („Wie“) postuliert und andererseits bei der grundlegenden Beitragsrechtfertigung („Ob“) einen systemfremden Ansatz bemüht. Dieser Vorwurf trifft insbesondere700 auf Kirchhofs Ansatz zu. Denn er möchte die Beitragsbemessung am Prinzip der Leistungsproportionalität 697 Berechnet auf der Basis der Daten im 19. KEF-Bericht: Es werden Ertragsausfälle wegen beitragsbefreiter und teilbefreiter Wohnungen i.H.v. 2.990,4 Mio. € im Zeitraum 2013–2016 prognostiziert (Tz. 295, Tab. 102). Im selben Zeitraum werden Erträge aus Teilnehmerbeiträgen i.H.v. 29.668,1 Mio. € erwartet (Tz. 281, Tab. 100). 698 Beitragsservice, Geschäftsbericht 2013, S. 36. 699 BVerfG, Urt. v. 30.11.2011 – 1 BvR 3269 / 08 u. a., juris Rn. 14 ff. = ZUM 2012, 244 ff. Das Gericht bejahte die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht wegen Vorliegens eines Härtefalls. Dies impliziert, dass die Befreiungsregelungen nicht als verfassungswidrig eingestuft wurden, weil es sonst keine wirksame Rechtsgrundlage für eine Befreiung gegeben hätte. 700 Kube, Rechtsgutachten, folgte in seinem zeitlich späteren Gutachten dem Ansatz Kirchhofs, insbesondere zur Belastung von Rundfunkteilnehmern ohne Empfangsgerät (S. 51 f.), und äußerte sich speziell mit Blick auf die umverteilende Wirkung des Rundfunkbeitrags kritisch (S. 53 ff.). Daher beziehen sich die nachfolgend eruierten Widersprüche hinsichtlich des Gesamtkonzepts auch auf sein Gutachten, wenngleich in etwas abgeschwächter Form, da er sich Kirchhofs Konzept der Verteilungsgerechtigkeit nicht zu eigen machte.
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ausrichten und den Sozialausgleich dem Steuerrecht zuschreiben701, während er im Rahmen der Rechtfertigung des Rundfunkbeitrags das Erfordernis eines individuellen Vorteils im Beitragsrecht aufgibt. Stattdessen elaboriert er das Konzept der anstaltsbezogenen Verteilungsgerechtigkeit, stellt hierbei den zu verteilenden Aufwand der Rundfunkanstalten in den Fokus und substituiert den individuellen durch einen strukturellen Vorteil.702 Durch diese Ausweitung des Vorteilsbegriffs wird die Abgrenzung zur Steuer stärker infrage gestellt als durch eine Aufnahme von Sozialkriterien in die Beitragsbemessung. Bei einem sehr weiten Vorteilsbegriff zahlt jemand für eine Leistung, die für ihn nicht messbar ist. Dagegen entrichtet ein Beitragsschuldner als Folge von Sozialklauseln allenfalls einen leicht erhöhten Beitrag, was einen deutlich geringeren Einfluss auf die Verknüpfung von Vorteil und Last hat. Teilte man umgekehrt Kirchhofs Ansatz, dass der individuelle Sondervorteil im Beitragsrecht im Rahmen einer Verteilungsgerechtigkeit entbehrlich sei, würden sich Sozialklauseln sogar erst recht in die Beitragsdogmatik einfügen, weil sich dann die Aufgabe der Vorteilsrelevanz in der Beitragsrechtfertigung („Ob“) nur folgerichtig in der Bemessung („Wie“) fortsetzte. Neben dieser Widersprüchlichkeit erscheint es zudem etwas einseitig, die Vorteilsgerechtigkeit allein bei der Bemessung zu entdecken. Die fehlende Ausgewogenheit von Kirchhofs Sichtweise manifestiert sich in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung besonders deutlich. Dort relativierte er die Abschaffung der Befreiung blinder und hörgeschädigter Menschen: „Viele von ihnen leben mit gesunden Menschen in einem Haushalt, schulden dort dann keinen eigenen Beitrag. Verbleiben dennoch unbillige Fälle, sieht das Gesetz einen Billigkeitserlass vor. Übermäßige Lasten sehe ich eher bei Eltern von studierenden Kindern, die kein Bafög beziehen.“703 Weiterhin ist es weder dogmatisch noch praktisch überzeugend [(4)], den Sozialausgleich vordergründig als Aufgabe des Steuerrechts zu qualifizieren. (4) Argumente für die generelle Zulässigkeit von Sozialklauseln bei Entgeltabgaben Für die allgemeine Zulässigkeit von Sozialklauseln unabhängig von ihrer umverteilenden Wirkung streiten nicht nur die diesbezügliche Offenheit der 701 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 71; ders., Nichtsteuerliche Abgaben, in: HStR, Bd. V, § 119, Rn. 25, 54. 702 Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 59 f.; zustimmend: VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 116 = DVBl. 2014, 842 ff.; VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014, Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 80 = DVBl. 2014, 848 ff. 703 F.A.S. v. 20.01.2013, Nr. 3, S. 23, mit Hervorhebung durch den Verfasser.
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Verfassung [(a)], sondern auch ihre praktischen Vorteile gegenüber einer steuerbasierten Sozialpolitik [(b)] und die besondere Fürsorgebefugnis des Gesetzgebers gegenüber behinderten Menschen [(c)]. (a) Verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit von Sozialklauseln Für die Beantwortung der Frage, ob die Berücksichtigung sozialer Aspekte bei der Gebühren- und Beitragsbemessung verfassungsrechtlich zulässig erscheint, ist eine historische Betrachtung instruktiv, weil der Verfassungsgeber den Beitrags-704 und Gebührenbegriff705 ähnlich wie den Steuerbegriff der RAO706 vorgefunden hat. Schon vor Einführung des Grundgesetzes existierten sozialpolitische Ansätze bei der Gebühren- und Beitragserhebung, die das Vorstellungsbild der Verfassungsväter hinsichtlich der Zulässigkeit einer Abweichung vom strengen Vorteilsprinzip zugunsten von Sozialklauseln mitgeprägt haben dürften. Die Gebührenbemessung im Preußischen KAG erlaubte bereits Sozialtarife. § 7 S. 2 des Preußischen KAG vom 14. Juli 1893 schloss eine Berücksichtigung Unbemittelter bei der Gebührenbemessung nicht aus.707 Die Bedeutung dieser Regelung wurde im Deklarationsgesetz vom 24. Juli 1906 dahingehend präzisiert, dass die Gebührensätze nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit bis zur gänzlichen Freilassung abgestuft werden durften.708 Dagegen bestanden keine Einschränkungen im Hinblick auf eine umverteilende Wirkung dieser Ermäßigungen.709 Des Weiteren sah das Preußische 704 Laut BVerwG ist der Begriff des Beitrags weder durch das Grundgesetz vorgegeben noch sonst bundesrechtlich vorgeprägt: BVerwG, Beschl. v. 14.02.1977 – VII B 161.75, juris Rn. 3 = VerwRspr 29, 354 ff.; Beschl. v. 29.12.2005 – 10 B 5 / 05, juris Rn. 4 = BFH / NV 2006, Beilage 3, 400 ff. = BeckRS 2006, 20585. 705 In diese Richtung geht die historische Betrachtung von Helbig, Soziale Staffelung von Gebühren, in: Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat, S. 98 f. Waldhoff, Grundzüge des Finanzrechts des GG, in: HStR, Bd. V, § 116, Rn. 86, betrachtet das Preußische KAG als Auslegungshilfe für den verfassungsrechtlichen Gebührenbegriff. 706 BVerfG, Beschl. v. 04.02.1958 – 2 BvL 31 / 56 u. a., juris Rn. 14, BVerfGE 7, 244 ff.; vgl. auch Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 58. 707 Gesetzessammlung für die Königlichen Preußischen Staaten (Pr. GS) 1893, S. 154; vgl. auch Helbig, Soziale Staffelung von Gebühren, in: Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat, S. 98. 708 Pr. GS 1906, S. 376. 709 A. A.: Ferdinand Kirchhof, Die Höhe der Gebühr, S. 149, Fn. 20. Er untermauert seine These, dass eine Gebühr keine umverteilende Wirkung haben dürfe, u. a. mit dem Urteil des Preußischen OVG v. 01.03.1907, PrOVGE 50, S. 55 (60), und betont dabei, dass diese Entscheidung nach Erlass des Deklarationsgesetzes ergangen sei. Allerdings enthält die Entscheidung des Pr. OVG keine derartige Aus-
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KAG von 1893 vor, dass die grundsätzlich bestehende Pflicht zur Gebührenerhebung (§ 4 II 1) ausnahmsweise keine Anwendung auf Veranstaltungen fand, die vorzugsweise den unbemittelten Volksklassen dienten (§ 4 IV 1).710 Zudem kam in der juristischen Finanzliteratur von 1907 zum Teil der Gedanke einer sozialen Umverteilung über das Gebührenrecht zum Ausdruck.711 Daraus lässt sich insgesamt der Schluss ziehen, dass es dem Vorstellungsbild des Verfassungsgebers zumindest nicht widersprach, Gebühren nach der Leistungsfähigkeit zu staffeln712 und partiell zum Ausgleich sozialer Unterschiede einzusetzen713. Ähnlich stellt sich die frühere Rechtslage mit Blick auf das Beitragsrecht dar: 1918 wurde § 15a in das Preußische Fluchtliniengesetz von 1875, ein sage. Das Verfahren betraf die Frage, ob ein Metzgermeister auch dann zur Zahlung einer Benutzungsgebühr für die Kühlanlage eines städtischen Schlachthofs herangezogen werden kann, wenn er zwar ein Stück Vieh dort geschlachtet, aber das Fleisch nicht in der Kühlanlage gekühlt hat (S. 57). Dies hing wiederum von der umstrittenen Frage ab, ob der Grundsatz, dass sich die Gebührenhöhe nach Art und Maß der Benutzung einer Gemeindeanstalt bemisst, durch das Deklarationsgesetz aufgehoben wurde (S. 58). Müsste sich die Gebühr zwingend nach Art und Maß der Benutzung bemessen, wäre eine Gebührenpflicht für den Metzgermeister unzulässig, da er die Kühlanlage nicht genutzt hatte. Das Gericht legte das Deklarationsgesetz dahingehend aus, dass es nur bei unbemittelten Schuldnern in Abweichung von den o. g. Grundsätzen der Gebührenbemessung eine Abstufung nach unten hin erlaube. Es stellte aber keine Bedingung auf, wonach die Entlastung der unbemittelten Gebührenschuldner bei einer kostendeckenden Einrichtung keinesfalls zu einer Gebührenerhöhung der anderen Schuldner (z. B. höhere Gebühr pro Stück Vieh) führen darf. Weiterhin befand das Gericht, dass bei ökonomisch potenten Schuldnern eine Gebührenbemessung nach der Leistungsfähigkeit unzulässig sei (S. 60). In diesen Fällen verbleibe es bei der Gebührenbemessung nach Art und Maß der Benutzung einer Gemeindeanstalt. Die gebührenrechtliche Heranziehung des Metzgermeisters für das Schlachten von Vieh ohne Benutzung der Kühlanlage sei rechtswidrig (S. 62). Auch die weitere, von Ferdinand Kirchhof zitierte Entscheidung des Pr. OVG v. 21.04.1914, PrVBl. 36, S. 507 (509), stützt seine These nicht. Streitgegenstand war die Erhebung von Wassergebühren, die für Wohnungen nach dem Mietwert bemessen wurden. Das Gericht sah in diesem Vorgehen die Absicht des Satzungsgebers, die Gebühr nach der Leistungsfähigkeit abzustufen. Dies sei aber nicht generell, sondern nur insoweit zulässig, als man die Gebühr Unbemittelter zugunsten der abnehmenden Leistungsfähigkeit reduziere. Wiederum erfolgte kein Verbot einer umverteilenden Wirkung der Ermäßigung. 710 Pr. GS 1893, S. 153. 711 v. Heckel, Finanzwissenschaft, Bd. I, 1907, S. 90 f., lehnte zwar eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei der einzelnen Gebührenbemessung ab, hielt aber eine soziale Umverteilung über die Gesamtheit aller Gebühren für möglich. 712 Vgl. die ebenfalls historische Analyse bei Helbig, Soziale Staffelung von Gebühren, in: Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat, S. 98. 713 Restriktiver: Müller-Franken, Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 103.
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
Gesetz zur Regelung der Bauleitplanung und der Anliegerbeiträge714, eingefügt. Gemäß dieser Norm konnten Anliegerbeiträge für Gebäude, die ihrer Lage und Ausstattung nach für Wohnungen der Minderbemittelten besonders geeignet erschienen, ganz oder teilweise erlassen oder gestundet werden. Diese Gebäude mussten hauptsächlich für Wohnungen der bezeichneten Art oder für gemeinnützige Einrichtungen zugunsten der Minderbemittelten bestimmt sein.715 Zwar hatten sich diese vorkonstitutionellen Gesetze und sozialpolitischen Ideen noch nicht vor dem Grundgesetz zu rechtfertigen, und Rechtsgedanken dieser Zeit sollten daher grundsätzlich nicht unreflektiert übernommen werden.716 Aber das Austarieren der Belastungsgleichheit717 einerseits und der Sozialpolitik718 andererseits erweist sich als zeitloser Balanceakt. Beide Ziele sind durch das Grundgesetz aufgewertet worden: Die Gleichheit durch Art. 3 I GG und die Sozialpolitik durch die Aufnahme des Sozialstaatsprinzips in Art. 20 I, 28 I GG und durch dessen Verankerung als staatstragendes Fundament in der Ewigkeitsklausel (Art. 79 III GG).719 Vor diesem Hintergrund können die vorkonstitutionellen Sozialklauseln im Abgabenrecht vor dem Grundgesetz bestehen. Das Verhältnis von Gleichheit und Sozialstaat hat sich auch deshalb nicht verschoben, weil der Verfassungsgeber davon abgesehen hat, unmittelbare Vorgaben zur Gebühren- und Beitragsbemessung (als Korrektiv) verfassungsrechtlich zu verankern.720 Das Sozialstaats714 Pr. GS 1875, S. 561 ff. Zu seiner bis heute anhaltenden Relevanz im Bereich des Anliegerbeitragsrechts: Jaeger, in: BeckOK, BauGB, § 242, Rn. 3 ff. Für den Bereich des Bauplanungsrechts: OVG Hamburg, Beschl. v. 14.06.2013 – 2 Bs 126 / 13 = NordÖR 2013, 478 ff.; Runkel, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 204, Rn. 6. 715 Pr. GS 1918, S. 23; Barocka, DVBl. 1960, 825 (830); Nöll / Freund / Surén, PrKAG, S. 88 f. 716 Sehr anschaulich zeigt dies die verfassungswidrige Zusammenveranlagung von Ehegatten im Einkommenssteuerrecht von 1951, die Doppelverdienerehen durch die Progression besonders belastete (BVerfG, Beschl. v. 17.01.1957 – 1 BvL 4 / 54, juris Rn. 9, BVerfGE 6, 55 ff.). Diese Regelung ging auf das Preußische Einkommenssteuerrecht zurück und wurde nach zwischenzeitlichen Lockerungen in den 1920er-Jahren von den Nationalsozialisten 1934 wieder eingeführt, um eine Berufstätigkeit für Frauen finanziell unattraktiv zu machen (juris Rn. 41 ff.). 717 Zum Gleichheitsverständnis der Weimarer Staatsrechtslehre: Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 65. 718 Zum Sozialstaatsprinzip in der Weimarer Reichsverfassung (WRV): Eichenhofer, Soziale Grundrechte, S. 208 f.; Kingreen, Sozialstaatsprinzip, S. 120; Gedrath / Schröer, Sozialgesetzgebung, in: Soziale Arbeit, S. 863. 719 Zur Aufwertung der Sozialpolitik durch das GG im Vergleich zur WRV: Eichenhofer, Soziale Grundrechte, S. 224. 720 Zum Fehlen unmittelbarer Vorgaben der Verfassung hinsichtlich der Gebührenbemessung: BVerfG, Beschl. v. 10.03.1998 – 1 BvR 178 / 97, juris Rn. 64,
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prinzip wird speziell zugunsten von behinderten Menschen durch Art. 3 III 2 GG verstärkt. Der Auftrag an den Staat, auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen hinzuwirken721, erweitert den Spielraum für sozialpolitische Maßnahmen722. Dieser Einsatz von Gebühren und Beiträgen für sozialpolitische Ziele dürfte das Vorstellungsbild des Verfassungsgebers mit beeinflusst haben. Jedenfalls wäre es unangebracht, dem Grundgesetz ein bestimmtes, ausschließlich auf den Vorteilsausgleich gerichtetes Konzept der Beitragsbemessung zu unterstellen. Hinzu kommt, dass es teilweise bis in die 50erJahre des 20. Jahrhunderts in der juristischen Finanzliteratur abgelehnt bzw. in Zweifel gezogen wurde, Beiträge als eigene Abgabenform anzuerkennen.723 Die Verfassungsväter fanden die verschiedenen (landesrechtlichen) Ausprägungen von Beiträgen vor, waren sich der strittigen Einordnung sicherlich bewusst und hielten sich mit Vorgaben sehr stark zurück, indem sie den Beitragsbegriff noch nicht einmal in das Grundgesetz aufnahmen. Dies impliziert, dass strikte verfassungsrechtliche Vorgaben hinsichtlich der Berücksichtigung sozialer Aspekte bei der Beitragsbemessung nicht intendiert sind. Schließlich begründen umverteilende Sozialklauseln auch keinen unzulässigen Eingriff in Art. 14 GG. Dieser Einwand wird damit begründet, dass Eingriffe in das Eigentum prinzipiell nur zum Wohl der Allgemeinheit zulässig seien, die Einnahmen aus einer umverteilenden Gebühr jedoch der Gruppe sozial Bedürftiger und damit dem Wohl privater Dritter dienten.724 Bereits der Ausgangspunkt dieser Argumentation ist unzutreffend, weil Art. 14 I GG nicht vor der Auferlegung von Geldleistungen schützt, die für BVerfGE 97, 332 ff.; Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 97. 721 Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 3, Rn. 142. Etwas zurückhaltender ist dagegen Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 307, weil eine Formulierung wie in Art. 3 II 2 GG im Hinblick auf Menschen mit einer Behinderung fehle. 722 Vgl. zu der zulässigen Besserstellung behinderter Studierender im Vergleich zu finanziell bedürftigen Studierenden bei den Studienbeiträgen in NRW: BVerwG, Urt. v. 29.04.2009 – 6 C 16 / 08, juris Rn. 43, BVerwGE 134, 1 ff. 723 Lotz, Finanzwissenschaft, 1931, S. 266 f., 291; Hettlage, Beiträge, in: HWdSW, Bd. I, 1956, S. 728, rechte Spalte – S. 729, linke Spalte. Hettlage hielt insbesondere eine Abgrenzung von Beiträgen und Zwecksteuern für kaum durchführbar und rubrizierte die Kraftfahrzeugsteuer als Beitrag. Zum Meinungsstand der vorkonstitutionellen rechtswissenschaftlichen Literatur: Puwalla, Qualifikation von Abgaben, S. 50 f. Sogar Bohley, Gebühren und Beiträge, in: HBdFW, Bd. II, 1980, S. 927, qualifizierte Kraftfahrzeug- und Mineralölsteuer (noch) als Beitrag. 724 Ferdinand Kirchhof, Die Höhe der Gebühr, S. 148; v. Maydell, Rundfunkgebühren, S. 30.
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die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen erhoben werden.725 Überdies bildet die Gruppe der sozial bedürftigen Gebührenschuldner gleichfalls einen Teil der Allgemeinheit, womit eine trennscharfe Abgrenzung von Privat- und Allgemeinwohl nicht möglich ist. Letztere Abgrenzung obliegt der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Selbst Einnahmen aus dem allgemeinen Haushalt werden (abwechselnd) zur Förderung von (verschiedenen) Gruppen verwandt. Wäre dies unzulässig, würde die gesamte, meist gruppenbezogene Sozialpolitik infrage gestellt. (b) Praktische Vorteile von Sozialklauseln Der Gesetzgeber sollte von seinem Gestaltungsspielraum Gebrauch machen und Vergünstigungen für finanziell bedürftige und schwerbehinderte Menschen statuieren, da eine Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte im Gebührenrecht zielgenauer ist als der Ausgleich über die Erhöhung der steuerfinanzierten Regelsätze im SGB.726 Die Regelsätze legen einen durchschnittlichen Wert zugrunde und können die örtlichen Besonderheiten wie den Umfang des kommunalen Leistungsangebots und die Eintrittsgelder für die jeweiligen Einrichtungen nicht ausreichend berücksichtigen. Über Gebührenermäßigungen kann die soziale Integration in die örtliche Gemeinschaft besser verwirklicht werden. Zudem droht kein allzu hoher Verwaltungsaufwand, weil sich die Berechtigung zu diesen Vergünstigungen durch existierende Ausweise einfach nachweisen lässt. Entsprechend sind Ermäßigungen bzw. Befreiungen finanziell bedürftiger und schwerbehinderter Menschen im Gebührenrecht derzeit weit verbreitet. (c) B esondere Fürsorgebefugnis des Gesetzgebers gegenüber behinderten Menschen Die bereits vorgebrachten Argumente für die allgemeine Zulässigkeit von Sozialklauseln werden gerade zugunsten behinderter Menschen durch Art. 3 III 2 GG verstärkt.727 Das BSG verkannte in seinem Vorwurf, wonach 725 BVerfG,
332 ff.
Beschl. v. 10.03.1998 – 1 BvR 178 / 97, juris Rn. 79, BVerfGE 97,
726 Vgl. Kloepfer, AöR 1972, 232 (259), der die Gebührenbelastung teilweise als unsozial ansieht. 727 Das BVerwG, Urt. v. 29.04.2009 – 6 C 16 / 08, juris Rn. 43, BVerwGE 134, 1 ff., rechtfertigte die Möglichkeit zur Befreiung behinderter Studierender von den Studienbeiträgen in Nordrhein-Westfalen mit der Verbürgung des Art. 3 III 2 GG, während für finanziell bedürftige Studierende nur ein Studienbeitragsdarlehen vorgesehen war.
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fast alle Bürger unabhängig von Behinderungen Rundfunk konsumierten und die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht keinen behinderungsbedingten Nachteil ausgleiche728, den Umfang des gesetzgeberischen Gestaltungsermessens gerade im Hinblick auf soziale Vergünstigungen für schwerbehinderte Menschen. Denn der Gesetzgeber ist nicht auf einen reinen Ausgleich eines behinderungsbedingten Mehraufwands beschränkt, sondern kann sich im Rahmen der Staatszielbestimmung Sozialstaat für eine bestmögliche Fürsorge entscheiden. Es ist z. B.729 zulässig, schwerbehinderten Menschen auch dann die kostenlose Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs zu ermöglichen, wenn keine Gehbehinderung vorliegt und damit keine eingeschränkte Mobilität ausgeglichen wird. § 2 I Nr. 1 des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr von 1965 ließ für einen Anspruch auf kostenlose Beförderung u. a. einen Behinderungsgrad von 70 % unabhängig von einer Gehbehinderung genügen.730 Die Nachfolgeregelung in § 58 I 2 SchwbG erhöhte diesen Wert auf 80 %.731 Das BVerfG bewertete den Be728 BSG,
Urt. v. 28.06.2000 – B 9 SB 2 / 00 R, juris Rn. 14 = NJW 2001, 1966. sind in der Praxis Ermäßigungen bei der Benutzung kommunaler Einrichtungen wie Schwimmbädern, Museen etc. üblich. 730 Gemäß § 2 I Nr. 1 des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr vom 27. August 1965 waren Beschädigte, die aufgrund einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 70 % Versorgung u. a. nach dem Bundesversorgungsgesetz erhielten, unentgeltlich im Nahverkehr zu befördern. Erst bei einem Grad der Behinderung unter 70 %, aber über 50 % wurde als zusätzliche Voraussetzung eine erhebliche Gehbehinderung verlangt, § 2 I Nr. 2 des o. g. Gesetzes (BGBl. 1965 I, S. 978). 731 1979 wurde der Beförderungsanspruch in das SchwbG integriert. § 58 I 1 SchwbG regelte, wer in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt war und damit gemäß § 57 I SchwbG einen Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im Personennahverkehr hatte. Gemäß § 58 I 2 SchwbG galten Schwerbehinderte, die in ihrer Erwerbsfähigkeit nicht nur vorübergehend um wenigstens 80 % gemindert waren, in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr als erheblich beeinträchtigt (vgl. BGBl. 1979 I, S. 989 und konkret zu §§ 57 f. SchwbG: S. 990.). Eine tatsächliche Mobilitätsbeeinträchtigung war in letzterem Fall nicht erforderlich, und die Berechtigung zur unentgeltlichen Benutzung des Personennahverkehrs hing nicht von einer finanziellen Bedürftigkeit ab. Die Regierungsbegründung nahm an, dass der weitaus überwiegende Teil der Begünstigten infolge der schweren Behinderung ohnehin zu den finanziell schwächeren Bevölkerungsgruppen zähle (BT-Drs. 8 / 2453, S. 9.) – eine Einschätzung, die die Regierungsbegründung zum RBStV nicht teilte, weil sie vom Beitrag „finanziell leistungsfähiger Menschen mit Behinderung“ zur Rundfunkfinanzierung ausging (BW LT-Drs. 15 / 197, S. 40.). Diese Formulierung suggeriert zwar das Vorhandensein einer besonderen Finanzkraft, bedeutet aber lediglich das Nicht-Angewiesensein auf Sozialleistungen. 729 Außerdem
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förderungsanspruch im SchwbG sehr positiv: „Die mit dem Schwerbehindertengesetz verfolgten sozialpolitischen Ziele rechtfertigen es, die Beeinträchtigungen Schwerbehinderter durch Vergünstigungen auszugleichen und zu diesem Zweck Beförderungsunternehmen im Rahmen der von ihnen üblicherweise erbrachten Tätigkeiten gegen eine pauschale staatliche Vergütung heranzuziehen (…). Die unentgeltliche Beförderung soll dazu beitragen, einer Isolierung Behinderter vorzubeugen oder sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern (…). Daß sich der Gesetzgeber von einer bestmöglichen Rehabilitation der Behinderten hat leiten lassen (…), ist in den vorliegenden Verfahren von keiner Seite angezweifelt worden.“732 Diese BVerfG-Entscheidung lässt keinen Zweifel daran, dass das Gericht die Vergünstigungen für schwerbehinderte Rundfunkteilnehmer in § 6 I 1 Nr. 7 und 8 RGebStV für verfassungsgemäß gehalten hätte und die (frühere) Rechtsauffassung des BSG und des Reformgesetzgebers fehlerhaft ist. Die vom BSG aufgestellte Voraussetzung eines konkreten behinderungsbedingten Mehraufwands ist verfassungsrechtlich nicht zwingend und noch nicht einmal naheliegend. Das BVerfG befasste sich in dem vorgenannten Judikat insbesondere nicht mit der Frage, ob bei Menschen ohne Mobilitätseinschränkung ein behinderungsbedingter Nachteil kompensiert würde. Vielmehr obliegt es der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, ob er sich im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit für eine bestmögliche Rehabilitation entscheidet, die über eine reine Kompensation konkreter behinderungsbedingter Nachteile hinausgeht.733 Überdies ist der Vorteil aus dem Angebot der Rundfunkanstalten für den vormals befreiten Personenkreis unstreitig reduziert.734 (5) Vorschlag für einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen Einerseits sind Sozialklauseln zulässig und notwendig (Sozialstaatsprinzip), andererseits besteht die berechtigte Forderung nach einer Begrenzung (Art. 3 I GG und Vorteilsgerechtigkeit). Daher wird sich dieser Abschnitt mit einem möglichen Kompromissvorschlag befassen. Ein solcher Interessenausgleich könnte dadurch erzielt werden, dass man für den Regelfall735 732 BVerfG, Beschl. v. 17.10.1984 – 1 BvL 18 / 82 u. a., juris Rn. 40, BVerfGE 68, 155 ff., mit Hervorhebung durch den Verfasser. 733 Heutzutage ist die Rechtslage etwas restriktiver. Die Regelungen zur unentgeltlichen Beförderung in §§ 145 I 1, 146 I 1 SGB IX verlangen zwingend eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr, eine Hilfoder Gehörlosigkeit. 734 Kap. 4. B. III. 3. b) bb). 735 Dieser Wert kann nur eine Orientierungshilfe bieten, aber nicht die notwendige Güterabwägung durch Gesetzgeber und Gerichte ersetzen. Je weiter sich eine
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eine durchschnittliche Befreiungsquote von bis zu 10 % als unbedenklich qualifiziert, selbst wenn die öffentliche Einrichtung kostendeckend betrieben wird und damit der Fall einer umverteilenden Entgeltabgabe eintritt.736 Wollte man als weiteres Korrektiv den Anstieg der Entgeltabgabe für die anderen Abgabenschuldner berücksichtigen, könnte man hier ebenfalls auf eine 10-Prozent-Regel zurückgreifen. Dies ist ein moderater Wert im Vergleich zu anderen Beiträgen, wie die folgenden Beispiele zeigen. Im Handwerkskammerbeitragsrecht wird eine Befreiungsquote von bis zu 45 % als unbedenklich eingestuft. Wenn dieser Wert voraussichtlich überschritten wird, kann die Beitragsbemessung gemäß § 113 II 7 HwO zur Reduktion der Befreiungsquote modifiziert werden. Obgleich (erst) eine höhere Befreiungsquote teilweise nicht mehr als gleichheitskonform und vorteilsäquivalent angesehen wird, stellt das Gesetz diese Entscheidung in das Ermessen der Kammern.737 Für das IHK-Beitragsrecht erkannte das BVerwG im Jahr 1990 keinen Verstoß gegen Art. 3 I GG oder das Äquivalenzprinzip, obwohl ein erheblicher Teil der Kammermitglieder keine Beiträge, nur einen ermäßigten oder einfachen Grundbeitrag zahlte. Im Gegensatz dazu war ein verhältnismäßig kleiner Teil der Mitglieder umlagepflichtig, und hiervon brachten wiederum nur wenige einen verhältnismäßig hohen Anteil des Umlageaufkommens auf.738 Es wird geschätzt, dass vor der IHK-Reform von 1992 mehr als die Hälfte aller kammerzugehörigen Gewerbetreibenden keinen und etwa 20 % nur einen ermäßigten Grundbeitrag entrichteten.739 Nicht die Verfassungswidrigkeit, sondern die politische Unzufriedenheit mit der hohen Befreiungs- und Ermäßigungsquote im IHK-Beitragsrecht war Anlass der vorgenannten Reform.740 Laut BVerwG dürfen die Ermäßigungen für Eckgrundstücke zu einem Anstieg der Erschließungsbeiträge bei den anderen Grundstückseigentümern um bis zu 50 % führen.741 Entgeltabgabe von diesem Orientierungswert entfernt, umso schwerer müssen die sozialstaatlichen Belange wiegen oder umso stärker die Solidarität unter den Abgabenschuldnern ausgeprägt sein. 736 A. A.: v. Maydell, Rundfunkgebühren, S. 33, der 1987 eine Befreiungsquote bei den Rundfunkgebühren von bis zu 10 % ermittelte und dies als nicht mehr zulässig einstufte. 737 Detterbeck, HwO, § 113, Rn. 17. 738 BVerwG, Urt. v. 26.06.1990 – 1 C 45 / 87, juris Rn. 16, NVwZ 1990, 1167 f. 739 Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, § 3, Rn. 48. 740 Vgl. BT-Drs. 12 / 3320, S. 7, rechte Spalte. 741 BVerwG, Urt. v. 04.09.1970 – IV C 98.69, juris Rn. 9, Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 4. Darüber hinaus darf die Ermäßigung für Eckgrundstücke nicht dazu führen, dass die Erschließungsbeitragslast des Eckgrundstücks um mehr als 10 %
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Insgesamt betrachtet bewegt sich der Vorschlag einer 10-Prozent-Regel im unteren Bereich und eignet sich dadurch als kleinster gemeinsamer Nenner für alle Entgeltabgaben ungeachtet bereichsspezifischer Besonderheiten wie z. B. Solidaritätspflichten unter Standesangehörigen. Der Rundfunkbeitrag hält diesen Orientierungswert auch ein. Die Befreiungsquote lag 2012 bei ca. 7,6 %742 und 2013 bei 6,88 %, wobei noch eine Ermäßigungsquote von 1,46 % zu addieren ist743. Die KEF schätzt die Befreiungsquote für den Beitragszeitraum 2013–2016 auf 8,43 %.744 Zudem wäre der Rundfunkbeitrag für die Mehrheit der Beitragsschuldner bezogen auf die Gebührenpe riode 2009–2012 um lediglich 9,2 %745 angestiegen, und bezogen auf die prognostizierte Beitragsperiode 2013–2016 würde er sich um ca. 10,08 %746 erhöhen, wenn man in beiden Perioden die Ausfälle infolge von sozialen Vergünstigungen durch eine Gebührenerhöhung finanziert hätte bzw. zukünftig finanzierte und hierbei (eine restriktive Haltung unterstellend) die sonstigen Einnahmen aus Werbung etc. nicht berücksichtigen würde747. (6) Zwischenergebnis Der Gesetzgeber hätte die Befreiungen in § 6 I 1 Nr. 7 und 8 RGebStV trotz der Kritik des BSG und der dogmatischen Einwände der Literatur gegen umverteilende Gebühren und Beiträge beibehalten können. Erstens hat der Rundfunkbeitrag keine umverteilende Wirkung, da die sonstigen Einnahmen aus Werbung etc. die befreiungsbedingten Mindereinnahmen kompensieren. Zweitens wäre selbst ein umverteilender Rundfunkbeitrag verfassungsrechtlich zulässig, weil das Sozialstaatsprinzip eine ausreichende Rechtfertigung niedriger ausfällt als die Beitragslast eines vergleichbaren Mittelgrundstücks. Dies ist zwar eine vereinfachte Darstellung der Fallkonstellation von BVerwG, Urt. v. 13.12.1985 – 8 C 24 / 85, juris Rn. 26 = NVwZ 1986, 566 ff. Für die vorliegende Erörterung genügt aber der Umstand, dass in dem Urteil der Wert von 10 % als „Begrenzung der sich umverteilend auswirkenden Eckermäßigung“ angesehen wird. Vgl. insgesamt auch: Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, § 18, Rn. 80. 742 Die GEZ erwähnte 2012 in ihrem Geschäftsbericht 41,8 Mio. Teilnehmerkonten (S. 7 des Berichts). Darunter befanden sich 3,18 Mio. befreite private Teilnehmerkonten (S. 24). Eine nach Geräten aufgeschlüsselte Befreiungsquote der Gebührenperiode 2009–2012 findet sich im 19. KEF-Bericht, Tz. 278, Tab. 97. Danach lag die durchschnittliche Befreiungsquote beim Hörfunk bei 9,00 %, beim Fernsehen bei 9,96 % sowie bei den neuartigen Empfangsgeräten bei 3,85 %. 743 Beitragsservice, Geschäftsbericht 2013, S. 34. 744 KEF, 19. Bericht, Tz. 297. 745 Fn. 696. 746 Fn. 697. 747 Eine Begründung zur Nichtberücksichtigung der sonstigen Einnahmen findet sich in Fn. 695.
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bildet und sich die umverteilende Wirkung in Grenzen hält. Die verschiedenen Abgaben sollten nicht durch eine starre Zuweisung idealisierter dogmatischer Prinzipien in ein Prokrustesbett gezwängt werden, sondern im Gegenteil ist anzuerkennen, dass die Wertungen des Sozialstaatsprinzips in alle Abgaben hineinstrahlen. Verstärkt wird die gesetzgeberische Fürsorgebefugnis speziell für behinderte Menschen durch Art. 3 III 2 GG. Lediglich beim zulässigen Umfang sozialpolitischer Maßnahmen folgen Abstufungen aus dem Wesen der einzelnen Abgaben. Die gesamte Befreiungsquote bei der Rundfunkfinanzierung liegt unter 10 % und ist damit angemessen. Ferner könnte eine Befreiung der vorgenannten Personengruppe – jenseits sozialstaatlicher Überlegungen – das Ergebnis der beitragsrechtlichen Bewertung des reduzierten Vorteils aus dem Rundfunkprogramm mit 0 % sein. Diese Frage wird im nächsten Abschnitt [bb)] eruiert. bb) Befreiungsmöglichkeit aufgrund der niedrigen Bewertung reduzierter Vorteile Die Vorteile aus dem Angebot der öffentlich-rechtlichen Anstalten sind für die vormals befreiten schwerbehinderten Menschen aufgrund der eingeschränkten Möglichkeit zum Rundfunkkonsum geringer. Es stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber im Rahmen seines Bewertungsermessens diese reduzierten Vorteile so niedrig bewerten kann, dass er letztlich sogar auf eine Beitragserhebung verzichten darf. Dies wäre ein weiterer, eigenständiger Ansatz zur Rechtfertigung einer Beitragsbefreiung, der die restriktive Rechtsauffassung des BSG und der Regierungsbegründung zum RBStV ebenfalls in Zweifel zöge. Für ein derart weites Bewertungsermessen spricht, dass sich die Vorteile der vormals befreiten schwerbehinderten Menschen aus dem Empfang von Rundfunkprogrammen nicht präzise bemessen lassen, wie die folgenden Ausführungen belegen. Ein gehörloser Rundfunkteilnehmer kann zwar das Fernsehprogramm ansehen, ist aber auf Untertitel angewiesen, und trotz erheblicher Fortschritte in den letzten Jahren wird noch nicht das gesamte Angebot des öffentlichrechtlichen Rundfunks untertitelt.748 Aber selbst im Fall einer Untertitelung ist der Unterhaltungswert für einen gehörlosen Menschen in nachvollziehbarer Weise deutlich reduziert. Zum einen geben Untertitel den gesprochenen Text nicht vollkommen synchron wieder, was das Inhaltsverständnis erschwert. Zum anderen ist eine vollständige Konzentration auf die filmi748 Im Juni 2014 waren bei der ARD 90 % und im Juli 2014 beim ZDF 70 % des redaktionellen Gesamtangebots mit Untertiteln versehen (ausführlicher zur ARD: Fn. 768; zum ZDF: Fn. 769).
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sche Darstellung nicht möglich, da stets parallel die Untertitel mitgelesen werden müssen. Dadurch entgehen einem gehörlosen Menschen kurze Filmabschnitte, und das permanente Mitlesen ist physisch anstrengend, was insgesamt den Unterhaltungswert des Fernsehkonsums mindert. Blinde Menschen profitieren zwar uneingeschränkt vom Hörfunkangebot, können Fernsehprogramme aber nur mithilfe von Audiodeskriptionen rezipieren, die ebenfalls noch nicht umfassend verfügbar sind.749 Der Gesamtvorteil aus dieser Art des Rundfunkkonsums lässt sich nicht zuverlässig bewerten. Zwar könnte man die Überlegung anstellen, dass ein blinder Mensch jedenfalls das Hörfunkangebot uneingeschränkt konsumieren kann und ein Drittel des Rundfunkbeitrags (was der früheren Grundgebühr für das Bereithalten eines Hörfunkgeräts entspräche) seinen Vorteil angemessen widerspiegelt, aber verpflichtend ist diese Berechnung nicht. Während der Großteil der Rundfunkrezipienten in den Genuss der Vielfalt des Rundfunkangebots (Fernsehen, Hörfunk, Onlinemediathek) kommt und diese Vielfalt eine wichtige Bedeutung für die Attraktivität des gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunkangebots besitzt, sind blinde Menschen in besonderer Weise auf den Hörfunk angewiesen. Das Angewiesensein gerade auf ein bestimmtes Medium reduziert den Unterhaltungswert, weil überwiegender Hörfunkkonsum monoton werden kann. Diese Einschränkung gilt in gleicher Weise für schwerbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 80 %, die ständig nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, da der Unterhaltungswert des Rundfunks sehr wahrscheinlich sinkt, wenn keine Alternativen zur Partizipation am kulturellen Leben existieren. Die Schwierigkeit der Vorteilsermittlung eröffnet gemäß der Rechtsprechung750 einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Beitragsbemessung. Von den zahlreichen, bereits erörterten Beispielen soll an dieser Stelle nur die IHK-Reform von 1998 herausgegriffen werden. Wenn der Gesetzgeber im Rahmen dieser Reform die Möglichkeit wahrnahm, die Beitragslast einiger IHK-Mitglieder trotz ihrer vollwertigen Zugehörigkeit zur IHK von 100 % auf 10 % zu reduzieren751, dann kann er gleichfalls einen signifikant eingeschränkten kommunikativen Nutzen für schwerbehinderte Rundfunkteilnehmer mit 0 % statt mit 33 % (Drittelbeitrag) bewerten. Folglich lässt sich eine Befreiung sogar ohne Rückgriff auf sozialstaatliche Wertungen rechtfertigen. 749 Audiodeskribierter Anteil des redaktionellen Gesamtangebots: ARD im Juni 2014 9,4 % (Fn. 768); ZDF im Juli 2014 5,2 % (Fn. 769). 750 Vgl. z. B. BVerwG, Urt. v. 08.10.1976 – IV C 56.74, juris Rn. 13, BVerwGE 51, 158 ff. 751 Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, § 3, Rn. 100. Vgl. auch Kap. 4 A. II. 3. b) bb) (2).
B. Privater Bereich207
4. Bewertung der aktuellen Rechtslage Um die neu eingeführte finanzielle Belastung für ehemals befreite schwerbehinderte Rundfunkteilnehmer angemessen bewerten zu können, ist eine ganzheitliche Betrachtung erforderlich, die nicht nur die finanzielle Beschwer [a)], sondern auch die im Gegenzug erbrachten Verbesserungen [b)] in den Blick nimmt. a) Verfassungsmäßigkeit des ermäßigten Beitrags in § 4 II 1 RBStV Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Berücksichtigung sozialer Aspekte im Rahmen der Bemessung von Entgeltabgaben. Zwar war die Abschaffung der Befreiung bestimmter schwerbehinderter Rundfunkteilnehmer entgegen der früheren Ansicht des BSG und des Reformgesetzgebers verfassungsrechtlich nicht geboten, aber es lässt sich auch umgekehrt kein subjektiver verfassungsrechtlicher Anspruch auf vollständige Beitragsbefreiung herleiten, weil der Sozialstaatsgrundsatz keine subjektiven Rechte752 begründet. Vielmehr ist es dem einfachen Gesetzgeber überlassen, welche Ermäßigungen er aus sozialstaatlichen Erwägungen einführt. Der Gesetzgeber des RBStV hat von seinem Gestaltungsermessen nur einseitig Gebrauch gemacht. Er schöpfte es im Bereich der Belastung voll aus, indem er den Vorteilsbegriff durch die Beitragspflicht aller Wohnungsinhaber bis zur Grenze des Zulässigen ausdehnte und Unternehmen mit Filialstruktur sowie Autovermietern eine beachtliche Beitragslast auferlegte. Dagegen sah er seine Hände als vermeintlich gebunden an, als es um die Befreiungen für schwerbehinderte Rundfunkteilnehmer ging. Diese Vorgehensweise ist sozialpolitisch zu kritisieren, aber juristisch nicht angreifbar. Denn die Rundfunkbeitragslast ist sowohl verhältnismäßig als auch gleichheitskonform: Der Gesetzgeber hat mit der Heranziehung bestimmter schwerbehinderter Menschen zu einem Drittel eines Rundfunkbeitrags keine unverhältnismäßige Maßnahme ergriffen.753 Diese Beitragslast berücksichtigt das Angewie752 BVerfG, Entsch. v. 03.12.1969 – 1 BvR 624 / 56, juris Rn. 83, BVerfGE 27, 253 ff.; v. Maydell, Rundfunkgebühren, S. 26. 753 Der VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 130 = DVBl. 2014, 848 ff., hegt ebenfalls keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der ermäßigten Beitragslast für vormals befreite schwerbehinderte Rundfunkteilnehmer, wobei er lediglich auf das Urteil des BSG aus dem Jahr 2000 und dessen Argumentation rekurriert, wonach Menschen unabhängig von Behinderungen das Programm
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
sensein der Betroffenen, die ständig nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können (§ 4 II 1 Nr. 3 RBStV), noch in angemessener Weise. Für blinde und gehörlose Menschen (§ 4 II 1 Nr. 1–2 RBStV) ist die Beitragslast ebenfalls verhältnismäßig.754 Der Drittelbeitrag entspricht betragsmäßig im Wesentlichen dem früheren Grundbeitrag für das Bereithalten eines Hörfunkgeräts. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass blinden Menschen der Konsum des Hörfunkangebots uneingeschränkt möglich ist. Bei gehörlosen Menschen wird berücksichtigt, dass sie auf das Fernsehangebot angewiesen sind, das zwar früher mit 12,22 € den betragsmäßig höheren Anteil der Gebührenschuld ausmachte (was 2 / 3 des derzeitigen Rundfunkbeitrags entspricht), aber wegen der nicht durchgängigen Untertitelung nur eingeschränkt nutzbar ist. Diese Vorteilsbewertung755 mag zwar etwas schematisch wirken und wird sicherlich der individuellen Situa tion der Betroffenen nicht immer gerecht, aber der Gesetzgeber konnte hier in Ausschöpfung seines Bewertungsermessens typisierend vorgehen, zumal er für atypische Fälle eine Härtefallregelung in § 4 VI RBStV vorgesehen hat.756 Näher erörterungswürdig erscheint dagegen der Umstand, dass blinde Menschen, die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII empfangen, von der Beitragspflicht gemäß § 4 I Nr. 10 RBStV befreit werden können, während blinde Menschen, die keine Blindenhilfe beziehen, gemäß § 4 II 1 Nr. 1 RBStV mit einem ermäßigten Beitrag belastet werden. Dies könnte eine Ungleichbehandlung gleicher Personengruppen darstellen, da in beiden Siangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nutzen würden. Die Argumentation des VerfGH ist insgesamt sehr oberflächlich ausgefallen. 754 A. A.: Lent, Sozialrecht aktuell 2013, 6 (7). Er hält die Ungleichbehandlung von gehörlosen und blinden Menschen ohne Blindenhilfe einerseits und taubblinden Menschen andererseits im Hinblick auf den Gleichheitssatz für bedenklich, da allen Betroffenen kein Rundfunkempfang in akustischer bzw. visueller Form möglich sei. Dieser These kann nicht gefolgt werden, weil blinde Menschen jedenfalls das Hörfunkprogramm und taube Menschen das Fernsehprogramm mithilfe von Untertiteln konsumieren können, während taubblinden Menschen keine dieser Optionen offensteht. 755 Die Regierungsbegründung rechtfertigte die konkrete Beitragshöhe nicht, sondern führte nur sehr allgemein aus, dass diese körperlichen Beeinträchtigungen „nicht den Empfang jeglicher Rundfunkangebote“ ausschlössen und der ermäßigte Rundfunkbeitrag zu einer „angemessenen Beteiligung“ an der Rundfunkfinanzierung führe (BW LT-Drs. 15 / 197, S. 40). 756 Die Bedeutung der Härtefallregelung akzentuierte auch der VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 130 = DVBl. 2014, 848 ff. Bereits das BSG befand im Hinblick auf die alten Befreiungstatbestände des Rundfunkgebührenrechts, dass eine Härtefallregelung die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit typisierender Regelungen relativieren könne: BSG, Urt. v. 16.02.2012 – B 9 SB 2 / 11 R, juris Rn. 22 f. = SozR 4-3250 § 69 Nr. 14.
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tuationen der Konsum von Rundfunkprogrammen gleichermaßen eingeschränkt ist. Die Regierungsbegründung enthält hierzu keine Erklärung. Allerdings rechtfertigt sie die Ersetzung der Befreiung durch einen ermäßigten Beitrag u. a. damit, dass bestimmte leistungsfähige schwerbehinderte Menschen nach der Neuregelung zur Rundfunkfinanzierung beitragen sollen.757 Die o. g. Bundesblindenhilfe ist – entgegen der Rechtsauffassung des Bayerischen VerfGH758 – eine einkommens- und vermögensabhängige So zialleistung.759 Daher berücksichtigt die Befreiung der Empfänger von Bundesblindenhilfe die geringere Leistungsfähigkeit und fügt sich konsequent in das gesetzgeberische Regelungskonzept ein. Dass den Empfängern von Leistungen nach den Landesblindengesetzen keine Befreiung gewährt wurde, lässt sich damit rechtfertigen, dass die landesrechtlichen Leistungen einkommensunabhängig sind.760 Unbilligkeiten durch die unterschiedliche Behandlung von Bundesblindenhilfe und Landesblindengelt werden durch zwei Mechanismen vermieden: Erstens ist die Bundesblindenhilfe aufstockend zu gewähren, wenn die Leistungen nach einem Landesblindengesetz geringer ausfallen.761 Zweitens kann die Härtefallregelung in § 4 VI RBStV Unbilligkeiten im Einzelfall korrigieren. Dies gilt insbesondere für die Konstellation, dass ein Betroffener ausschließlich Leistungen nach einem Landesblindengesetz bezieht, die der Bundesblindenhilfe betragsmäßig entsprechen oder diese nur geringfügig übersteigen. In einem solchen Fall ist der Betroffene nicht gemäß § 4 I Nr. 10 RBStV befreit, obwohl ihm bei Bezug von Bundesblindenhilfe in Kombination mit einer Befreiung insgesamt mehr Geld zur Verfügung stünde. Die Härtefallregelung des § 4 VI 2 RBStV stellt im Ergebnis sicher, dass der Betroffene hierdurch keinen Nachteil erleidet. Die Einführung eines ermäßigten Rundfunkbeitrags begegnet folglich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, sondern nur sozialpolitischen Einwänden. Ein signifikanter Ausbau des barrierefreien Angebots könnte die 757 BW
LT-Drs. 15 / 197, S. 40. Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 130 = DVBl. 2014, 848 ff., mit Hervorhebungen durch den Verfasser: „Dem trägt der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag dadurch Rechnung, dass aus gesundheitlichen Gründen – unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – insbesondere taubblinde Menschen und Empfänger von Blindenhilfe nach § 72 SGB XII von der Beitragspflicht befreit werden (§ 4 Abs. 1 Nr. 10 RBStV) und der Rundfunkbeitrag für blinde, hörgeschädigte und behinderte Menschen unter den in § 4 Abs. 2 Satz 1 RBStV genannten Voraussetzungen auf ein Drittel ermäßigt wird.“ 759 Grube, in: Grube / Wahrendorf, SGB XII, § 72, Rn. 2, 9. 760 Vgl. Grube, in: Grube / Wahrendorf, SGB XII, § 72, Rn. 2. 761 LSG Stuttgart, Urt. v. 21.09.2006 – L 7 SO 5514 / 05, juris Rn. 24 = ZFSH / SGB 2007, 103 ff. 758 VerfGH BY,
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
für beide Bereiche relevante Beschwer der behinderten Rundfunkteilnehmer relativieren [b)]. b) Ausbau des barrierefreien Angebots Die Regierungsbegründung zum RBStV kündigte an, das barrierefreie Angebot als Folge der Beitragslast schwerbehinderter Menschen zukünftig auszuweiten.762 Positiv fällt auf, dass dieses Versprechen umgesetzt wird, indem die finanziellen Investitionen in den Ausbau der Untertitelung einschließlich der Audiodeskription bei ARD und ZDF im Zeitraum 2013–2016 gegenüber 2009–2012 um 125 % auf insgesamt 45,4 Mio. € zunehmen sollen.763 Die ARD hat ihre diesbezüglichen Ausgaben von 2012 (4 Mio. €) auf 2013 (7,7 Mio. €) sogar beinahe verdoppelt.764 Andererseits hätte man bereits vorher mehr Geld hierfür ausgeben können, wenn man bedenkt, dass die ARD im Zeitraum 2009–2012 insgesamt nur 13,5 Mio. € für Audiodeskription und Untertitelung765 aufwandte, was ca. 0,055 % ihrer Gesamtausgaben in Höhe von 24.714,4 Mio. €766 entsprach. Die Aufwendungen des ZDF sind von 2012 (1,7 Mio. €) auf 2013 (3,1 Mio. €) ebenfalls signifikant gestiegen.767 Der Anteil des mit Audiodeskription versehenen Programms im Verhältnis zum redaktionellen Gesamtangebot der ARD lag 2012 bei 5,1 % und erhöhte sich bis Juni 2014 auf 9,4 %. Bei der Untertitelung ist ein Anstieg von 49 % im Jahr 2012 auf 90 % im Juni 2014 zu verzeichnen.768 Beim ZDF stieg der Anteil des audiodeskribierten (2012: 1,54 %; Juli 2014: 5,2 %) und untertitelten (2012: 40,3 %; Juli 2014: 70 %) Programm anteils in den letzten Jahren gleichfalls deutlich an.769 762 BW
LT-Drs. 15 / 197, S. 40. 19. Bericht, Tz. 55. 764 KEF, 19. Bericht, Tz. 56 und Tz. 55, Abb. 12. 765 KEF, 19. Bericht, Tz. 55, Abb. 12. 766 KEF, 19. Bericht, Tz. 22, Tab. 3. 767 KEF, 19. Bericht, Tz. 55. 768 Dem Verfasser zur Verfügung gestellte Statistiken der Projektgruppe für die Entwicklung barrierefreier Angebote bei der ARD, die sich immer auf den Anteil am redaktionellen Gesamtangebot beziehen: Untertitelung 2007 (22 %), 2008 (30 %), 2009 (34 %), 2010 (39 %), 2011 (42 %), 2012 (49 %), 2013 (82 %) und im Juni 2014 (90 %). Audiodeskription: 2007 (1,3 %), 2008 (0,5 %), 2009 (1,6 %), 2010 (2,4 %), 2011 (3,9 %), 2012 (5,1 %), 2013 (8,1 %) und im Juni 2014 (9,4 %). 769 Folgende Daten stellte das ZDF dem Verfasser dankenswerterweise zur Verfügung: Anteil der Untertitelung am Gesamtprogramm: 2007 (24,3 %), 2008 (27,5 %), 2009 (30,4 %), 2010 (34,5 %), 2011 (37,6 %), 2012 (40,3 %), 2013 (64,7 %) und am 31.07.2014 (70 %). Anteil der Audiodeskription am Gesamtprogramm: 2007 (1,38 %), 2008 (1,12 %), 2009 (1,6 %), 2010 (1,09 %), 2011 (1,47 %), 2012 (1,54 %), 2013 (4,11 %) und am 31.07.2014 (5,2 %). 763 KEF,
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Bei der Bewertung dieser Statistiken zum Umfang von Audiodeskription und Untertitelung gilt es jedoch den Umstand zu bedenken, dass barrierefreie Sendungen auch wiederholt ausgestrahlt werden und dadurch der Anteil an der Gesamtsendezeit statistisch etwas höher liegen kann als die tatsächliche Vielfalt des barrierefreien Angebots.770 Zudem könnten die zusätzlichen Investitionen in den nächsten Jahren lediglich einen erheblichen Nachholbedarf ausgleichen. Der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e. V. kritisierte in seiner Stellungnahme aus dem Jahr 2010 zur Reform der Rundfunkfinanzierung die Defizite beim barrierefreien Angebot und wies insbesondere darauf hin, dass fast nur Spielfilme und Krimis mit Audiodeskription ausgestattet seien und noch dazu vielfach in den dritten Programmen wiederholt würden. Außerdem strahlten die regionalen Sendeanstalten in sehr geringem Umfang und die Privatsender überwiegend kein barrierefreies Angebot aus.771 An dem geringen bzw. nicht existenten barrierefreien Angebot der privaten Rundfunkveranstalter hat sich in der Zwischenzeit wenig geändert.772 Dem geringen Anteil barrierefreier Angebote im privaten Rundfunk kommt mittelbar Bedeutung für die Beitragspflicht behinderter Rundfunkteilnehmer zu: Das BVerfG prägte den Begriff der „Gesamtveranstaltung“ Rundfunk773, und das BVerwG rechtfertigte die Finanzierungsverantwortung der Rundfunkgebührenzahler für die Aufsicht über die privaten Anbieter mit der Vielfalt des Gesamtangebots aus öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk.774 Wenn man bei der finanziellen Belastung der Gebührenzahler die Gesamtveranstaltung bemüht, dann muss man konsequenterweise auch eine Gesamtverantwortung aller Rundfunkanbieter für ein barrierefreies 770 Stellungnahme vom 21.10.2010 des Bundesverbandes für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (BVKM) zum RBStV, S. 2, http: / / www.bvkm.de / doku mente / pdf / Stellungnahmen / Stellungnahme_zum_Entwurf_eines_15._Staatsvertrages _zur_Aenderung_rundfunkrechtlicher_Staatsvertraege.pdf, zuletzt am 09.05.2015 abgerufen. 771 BVKM, Stellungnahme (Fn. 770), S. 1 f. 772 Die Landesmedienanstalten kritisierten in ihrer Mitteilung vom 20.11.2013, dass die Programme der RTL-Mediengruppe keine Sendungen mit Untertiteln be inhalteten und sich die ProSiebenSat.1 Media AG unzureichend in diesem Bereich engagiere: http: / / www.die-medienanstalten.de / presse / pressemitteilungen / die-medien anstalten / detailansicht / article / die-medienanstalten-pm-102013-wiederwahl-von-en gel-und-wendt-barrierefreiheit-im-tv-kaum-unterti.html, zuletzt am 09.05.2015 abgerufen. Im Programmbericht der Landesmedienanstalten für das Jahr 2013 werden aber Untertitelungen bei der RTL-Mediengruppe erwähnt (S. 177). Insgesamt ist der Anteil des barrierefreien Angebots im Privatfernsehen sehr gering (S. 175 ff.). 773 BVerfG, Entsch. v. 27.07.1971 – 2 BvF 1 / 68, juris Rn. 39, BVerfGE 31, 314 ff. 774 BVerwG, Urt. v. 09.12.1998 – 6 C 13 / 97, juris Rn. 41 ff., BVerwGE 108, 108 ff.
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Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
Angebot anerkennen. Aus diesem Grund erscheint es zu einseitig, die Belastung schwerbehinderter Menschen mit Rundfunkbeiträgen pauschal mit einem Ausbau des barrierefreien Angebots im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu legitimieren. Des Weiteren ist zu bedenken, dass der Ausbau des barrierefreien Angebots nicht in Zusammenhang mit der Einbeziehung der zuvor befreiten schwerbehinderten Menschen in die Rundfunkbeitragspflicht stehen muss, sondern vielmehr Teil der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sein könnte, das in Art. 30775 barrierefreie Fernsehprogramme vorsieht.776 Entsprechend ist den Rundfunkanstalten durch den seit Juni 2009 geltenden § 3 II Rundfunkstaatsvertrag (RStV)777 die Aufgabe zugewiesen, vermehrt barrierefreie Angebote aufzunehmen. Dieser Auftrag besteht zwar nur im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten. Aber die Argumentation der Regierungsbegründung, wonach die zusätzlichen Einnahmen aus der Beitragspflicht der schwerbehinderten Rundfunkteilnehmer den nötigen finanziellen Spielraum hierfür schüfen778, überzeugt nicht. Erstens gefährdet die Investition von ein paar Millionen Euro für barrierefreie Angebote in Anbetracht des Milliardenbudgets den finanziellen Handlungsspielraum der Rundfunkanstalten nicht ernsthaft. Es handelt sich lediglich um eine Frage der Prioritätensetzung. Zweitens dürften die Rundfunkanstalten durch die neue Beitragslast schwerbehinderter Rundfunkteilnehmer jährlich ca. 53 Mio. € vereinnahmen779, ARD und ZDF haben aber für das Jahr 2013 zusammen nur 10,8 Mio. €780 für Audiodeskription und Unter titelung veranschlagt, und für die folgenden Jahre ist kein signifikanter Anstieg vorgesehen781. 775 BGBl. II
2008, S. 1442 f. zum Übereinkommen der Vereinten Nationen: Dau, jurisPR-SozR 11 / 2012 Anm. 6. 777 Bay LT-Drs. 16 / 260, S. 13 zur Einführung von § 3 II RStV durch den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, der gemäß seinem Art. 7 IV am 1. Juni 2009 in Kraft trat (S. 10). Vgl. zu dieser Norm auch: Hahn / Witte, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 3 RStV, Rn. 27a; Holznagel / Krone, in: Spindler / Schuster, Recht der elektronischen Medien, RStV, § 3, Rn. 20. 778 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 40. 779 Der Schätzung liegt die Anzahl der 2012 auf der Grundlage von § 6 I 1 Nr. 7 und 8 RGebStV befreiten Rundfunkteilnehmer i.H.v. 740.137 (GEZ, Geschäftsbericht 2012, S. 24) zugrunde, die jetzt den ermäßigten Monatsbeitrag von 5,99 € entrichten. 780 KEF, 19. Bericht, Tz. 55, Abb. 12. 781 Addierte Ausgaben von ARD und ZDF: 2014 (11,1 Mio. €); 2015 (11,7 Mio. €); 2016 (11,9 Mio. €); errechnet auf der Basis der Angaben der KEF, 19. Bericht, Tz. 55, Abb. 12. 776 Vgl.
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Insgesamt ist der Ausbau barrierefreier Angebote zwar positiv zu bewerten und der ermäßigte Rundfunkbeitrag verfassungsgemäß, aber die begrüßenswerte Entwicklung der letzten Jahre wäre ohne diese zusätzliche Beitragslast ebenfalls problemlos möglich gewesen. 5. De lege ferenda Wenngleich die ermäßigte Beitragslast für den vormals gemäß § 6 I 1 Nr. 7 und 8 RGebStV befreiten Personenkreis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, berücksichtigt sie doch den Umstand nicht ausreichend, dass der Aufwand dieser Menschen für die Mediennutzung insgesamt erhöht ist und sie oft nur über begrenzte Geldmittel verfügen. Die Rundfunknutzung trägt zur gesellschaftlichen Integration bei und begründet damit eine besondere Verantwortung aller Beitragsschuldner.782 Für die Betroffenen wurde eine Belastung eingeführt, die sich im Gesamtbudget der Rundfunkanstalten faktisch nicht niederschlägt und daher verzichtbar gewesen wäre. Im Rahmen einer Reform der Rundfunkfinanzierung sollte diese Entscheidung wieder rückgängig gemacht werden. Dadurch würde die Ausübung des legislativen Gestaltungsermessens zugleich ausgewogener. Einerseits stellte der Gesetzgeber des RBStV die beitragsrechtliche Dogmatik (bewusst) auf die Probe, weil er sich über die Bedenken „eigener“ Gutachter783 im Hinblick auf die Beitragspflicht von Menschen ohne Empfangsgerät hinwegsetzte. Andererseits ließ er sich bereits von der Kritik des BSG an den Befreiungen schwerbehinderter Menschen beeinflussen, obwohl es sich hierbei um etablierte Regelungen handelte. Der Gesetzgeber sah sich laut Regierungsbegründung fast schon zur Reduktion der Befreiungen verpflichtet.784 Er sollte sich mittlerweile seiner Fehleinschätzung bewusst sein und den Korrekturbedarf erkennen.
Welti, Behinderung und Rehabilitation, S. 666. Rechtsgutachten, S. 33; Dittmann / Scheel, Medienabgabe, S. 19, 28 f., die sogar den Beitragscharakter der derzeitigen Regelung negierten. Diese Gutachten wurden zwar von den Rundfunkanstalten in Auftrag gegeben, aber alle für die Rundfunkanstalten erstellten Gutachten sollten die gesetzgeberische Planung maßgebend unterstützen. Die Regierungsbegründung nahm dann auch ausdrücklich auf Kirchhofs Gutachten und „mehrere wissenschaftliche Expertisen“ Bezug (BW LT-Drs. 15 / 197, S. 33). 784 Vgl. BW LT-Drs. 15 / 197, S. 40. 782 Vgl.
783 Jarass,
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C. Einhaltung des Grundsatzes der Aufkommensneutralität Degenhart wirft dem RBStV auch einen Verstoß gegen den Grundsatz der Aufkommensneutralität vor, dem er sogar Verfassungsrang attestiert. Demnach dürfe die Abgabenbelastung der Rundfunkteilnehmer nicht über das hinausgehen, was für eine funktionsgerechte Finanzausstattung notwendig sei. Das Aufkommen aus der früheren Rundfunkgebühr sei hierfür bereits ausreichend gewesen, und durch den Rundfunkbeitrag entstünden erhebliche Mehreinnahmen. Denn zum einen werde das vom Gesetzgeber angeführte Erhebungs- und Vollzugsdefizit beseitigt und zum anderen seien beachtliche Mehreinnahmen im nicht-privaten Bereich zu erwarten.785 Das BVerfG786 negiert die in der Literatur787 umstrittene Frage, ob dem Prinzip der Aufkommensneutralität bzw. dem inhaltsgleichen Grundsatz der Kostendeckung788 Verfassungsrang zukommt, und das BVerwG erkennt ihn noch nicht einmal als generelles Wesensmerkmal des einfachen Gebührenrechts an789. Diese Streitfrage kann im Ergebnis dahinstehen, da der Gesetz785 Degenhart, ZUM 2011, 193 (198 f.); ders., K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 23 f. 786 BVerfG, Beschl. v. 10.03.1998 – 1 BvR 178 / 97, juris Rn. 65, BVerfGE 97, 332 ff.: „Aus der Zweckbindung der Gebühr ergibt sich keine verfassungsrechtlich begründete Begrenzung der Gebührenhöhe durch die tatsächlichen Kosten einer staatlichen Leistung. Art. 3 Abs. 1 GG steht weder einer Unterdeckung noch einer Überdeckung der Kosten durch die Gebühren von vornherein entgegen (…). Das Kostendeckungsprinzip und ähnliche gebührenrechtliche Prinzipien sind keine Grundsätze mit verfassungsrechtlichem Rang.“ Zustimmend: Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 99. 787 Vgl. z. B. die Darstellung bei Wienbracke, DÖV 2005, 201 (203 f.). Die mittelbaren Gefahren für die Finanzverfassung durch die Erzielung von Überschüssen als Folge (ausufernder) Entgeltabgaben lassen sich aber auch nicht gänzlich von der Hand weisen. Siehe hierzu: Müller-Franken, in: Berliner Kommentar, GG, Art. 105, Rn. 90; Waldhoff, Grundzüge des Finanzrechts des GG, in: HStR, Bd. V, § 116, Rn. 86 f. 788 Zum Inhalt des Kostendeckungsprinzips: BVerwG, Urt. v. 24.03.1961 – VII C 109.60, juris Rn. 31, BVerwGE 12, 162 ff. 789 BVerwG, Urt. v. 24.03.1961 – VII C 109.60, juris Rn. 34, BVerwGE 12, 162 ff. Das Gericht stellte darauf ab, dass dieses umstrittene Prinzip schon im preußischen Gebührenrecht teilweise nur als Soll-Vorschrift übernommen worden sei, z. B. in § 4 II des Gesetzes über staatliche Verwaltungsgebühren von 1923 (a. a. O., juris Rn. 31). Soweit es in diesem Kontext allerdings ausführte, dass auch in § 6 III des Preußischen KAG von 1893 das Kostendeckungsprinzip lediglich als Soll-Vorschrift normiert worden sei, ist dem zu widersprechen. Denn dort (Pr. GS 1893, S. 153) heißt es: „Die Gebühren müssen so bemessen werden, dass deren Aufkommen die Kosten des bezüglichen Verwaltungszweiges nicht übersteigt.“ Nichtsdestoweniger spricht bereits die umstrittene Bedeutung dieses Prinzips im preußischen
C. Einhaltung des Grundsatzes der Aufkommensneutralität215
geber des RBStV die Einhaltung dieses Grundsatzes selbst anstrebte790. Seine Aufkommensprognose müsste daher sachgerecht gewesen sein. Das BVerfG überprüft gesetzgeberische Prognosen bereichsabhängig nach differenzierten Maßstäben, die von einer Evidenzkontrolle über eine Vertretbarkeitskontrolle bis zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen.791 Es billigte z. B. den Umstand, dass die tatsächlichen Einnahmen aus der Schwerbehindertenabgabe bereits wenige Jahre nach ihrer Einführung mehr als dreimal so hoch lagen wie ursprünglich prognostiziert.792 Grund für diesen weiten Prognosespielraum war der Umstand, dass damals kein statistisches Material zur Anzahl schwerbehinderter Menschen nach der Reform existierte, weil gleichzeitig der Schwerbehindertenbegriff neu definiert wurde.793 Zwar beanstandete das BVerwG einmal einen deutlich niedrigeren Gebührenüberschuss einer Behörde, der fast 14 % der Gesamtausgaben ausmachte794, aber der Prognosespielraum des Gesetzgebers ist wegen seines Entscheidungs- und Gestaltungsspielraums deutlich größer als derjenige der Exekutive795. Degenharts These ist insofern zutreffend, als für den privaten Bereich durch die Neugewinnung von Beitragsschuldnern mit erheblichen Mehreinnahmen zu rechnen war. Allerdings müssen zugleich die enormen Unwägbarkeiten hinsichtlich der Beitragsentwicklung im betrieblichen Bereich berücksichtigt werden, die aus der erstmaligen Anknüpfung an die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten pro Betriebsstätte resultierten.796 Der weite Prognosespielraum des Gesetzgebers bei der Schwerbehindertenabgabe, die gleichfalls eine neue Bezugsgröße einführte, indiziert, dass man auch beim Rundfunkbeitrag keine überhöhten Anforderungen stellen sollte. Dies gilt vor allem deshalb, weil Statistiken nur zur Gesamtzahl aller so Recht dagegen, dass es Eingang ins Grundgesetz gefunden und die Verfassung damit sogar einen einfachrechtlichen Streit entschieden hat. Für einen Rückgriff auf das historisch gewachsene einfache Recht, insbesondere das Preußische KAG, zur Auslegung des verfassungsrechtlichen Gebührenbegriffs plädiert Waldhoff, Grundzüge des Finanzrechts des GG, in: HStR, Bd. V, § 116, Rn. 86. 790 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 31; Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 73. 791 BVerfG, Urt. v. 26.05.1981 – 1 BvL 56 / 78, juris Rn. 74, BVerfGE 57, 139 ff. 792 BVerfG, Urt. v. 26.05.1981 – 1 BvL 56 / 78, juris Rn. 60, BVerfGE 57, 139 ff.: Die Regierungsvorlage vom 10.05.1973 (BT-Drs. 7 / 656, S. 22) zum Entwurf des Schwerbehindertengesetzes hatte das Aufkommen der Ausgleichsabgabe auf jährlich 120 Mio. DM geschätzt. Tatsächlich wurden im Jahr 1976 insgesamt 379 Mio. DM eingenommen. 793 BVerfG, Urt. v. 26.05.1981 – 1 BvL 56 / 78, juris Rn. 75, BVerfGE 57, 139 ff. 794 BVerwG, Urt. v. 13.10.1955 – I C 5.55, juris Rn. 15, BVerwGE 2, 246 ff. 795 BVerwG, Urt. v. 18.03.2004 – 3 C 23 / 03, juris Rn. 40 = NVwZ 2004, 991 ff. 796 KEF, 18. Bericht, Tz. 379, 384, 392 ff.
216
Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
zialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland, aber keine Einzeldaten über konkrete Betriebsstätten zur Verfügung standen797 und gerade letztere Angaben für eine präzise Kalkulation erforderlich gewesen wären. Denn die Beitragshöhe pro Betriebsstätte ist degressiv gestaffelt, weshalb die Kenntnis der deutschlandweiten Gesamtzahl nicht ausreichte. Gleichwohl lagen dem Gesetzgeber anscheinend statistische Erhebungen zu Betriebsgrößen vor, die eine Prognose des Beitragsaufkommens etwas erleichterten. Die Regierungsbegründung nahm an, dass ca. 70 % der Betriebsstätten in Deutschland über bis zu acht sozialversicherungspflichtig Beschäftigte verfügten und damit die Voraussetzungen des § 5 I 1 Nr. 1 RBStV erfüllten. Insgesamt würden ca. 90 % aller Betriebsstätten in Deutschland in die ersten beiden Gruppen (§ 5 I 1 Nr. 1 und 2 RBStV) fallen.798 Trotzdem sprach die KEF in ihrem letzten Bericht vor der Reform von erheblichen Unsicherheiten hinsichtlich einer zuverlässigen Prognose für die erste Beitragsperiode 2013–2016799 und benannte für den betrieblichen Bereich u. a. folgende Ursachen: Der Betriebsstättenbegriff des RBStV weiche von demjenigen der Arbeitsmarktstatistik ab, die Arbeitsmarktstatistik berücksichtige keine Einzel-Selbstständigen und Beamten, insgesamt lägen für den Öffentlichen Dienst keine ausreichend detaillierten Personalstatistiken vor und der Datenbestand der GEZ enthalte keine Informationen über die Zuordnung der nicht-privaten Kraftfahrzeuge zu bestimmten Betriebsstätten.800 Nach Einführung des Rundfunkbeitrags ermittelte die KEF erwartete Mehreinnahmen von ca. 1,1 Mrd. € bezogen auf die Beitragsperiode 2013– 2016801, was einer Abweichung um 3,7 % vom festgestellten Finanzbedarf entspricht. Diese Abweichung, die sehr moderat erscheint, wurde vom Rheinland-Pfälzischen VerfGH vorbehaltlos übernommen.802 Dabei sollte 797 Auskunft des Statistik-Service Südwest der Bundesagentur für Arbeit vom 14.05.2014 (Auftragsnr. 181856). Die Bundesagentur für Arbeit erstelle aus den Meldungen der Arbeitgeber im Rahmen des Meldeverfahrens zur Sozialversicherung die Statistik der sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten. Die gesetzliche Grundlage hierfür bilde insbesondere § 281 SGB III. Die Daten unterlägen dem Sozialdatenschutz und würden nicht in Auswertesysteme übernommen. Es bestünden keine Daten zur Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter bestimmter Betriebe. Für planerische Zwecke reichten oft zusammengefasste Ergebnisse aus, die keine Rückschlüsse auf Einzelbetriebe erlaubten. 798 BW LT-Drs. 15 / 197, S. 42. 799 KEF, 18. Bericht, Tz. 382. Ausführliche Informationen zu den Schwierigkeiten infolge des Modellwechsels finden sich bei Tz. 378 ff. 800 KEF, 18. Bericht, Tz. 400. 801 KEF, 19. Bericht, Tz. 323. 802 VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 171 = DVBl. 2014, 842 ff.
D. Ergebnis zur Beitragsbemessung217
man sich aber vergegenwärtigen, dass es sich bei diesen Werten nur um Prognosen handelt, die selbst laut KEF mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden sind, weil die tatsächlichen Zahlen zu reformbedingten Neuanmeldungen durch die Rundfunkanstalten nicht vollständig ermittelt wurden und die KEF Schätzungen vornehmen musste.803 Dies führt jedoch im Ergebnis zu keiner anderen Bewertung, da selbst eine etwas größere Abweichung bei der Ertragsprognose (im März 2015 rechnete der Beitragsservice mit Mehreinnahmen von ca. 1,5 Mrd. €804) noch zulässig sein dürfte, zumal das Rundfunkfinanzierungsrecht sicherstellt, dass sich Mehreinnahmen nicht zulasten der Beitragsschuldner auswirken. Die Rundfunkanstalten müssen Überschüsse nach § 1 IV Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag (RFinStV) verzinslich anlegen und ab einer bestimmten Höhe Rücklagen bilden. Am Ende der Beitragsperiode werden Überschüsse gemäß § 3 II 3 RFinStV vom Finanzbedarf der folgenden Beitragsperiode subtrahiert. Mehreinnahmen erhöhen somit nicht die finanzielle Ausstattung der Rundfunkanstalten, sondern reduzieren den Bedarf nachfolgender Prognosezeiträume und verringern dadurch die Beitragslast. Außerdem haben die Ministerpräsidenten auf die Mehreinnahmen durch eine Absenkung des Rundfunkbeitrags reagiert.805 Der RBStV verletzt nicht den Grundsatz der Aufkommensneutralität bzw. Kostendeckung. Der Gesetzgeber hat eine sachgerechte Prognose angestellt und wird den tatsächlich entstandenen Überschüssen durch eine Beitragssenkung Rechnung tragen. Die Reform wurde in unterschiedlichen Punkten kritisiert, der Vorwurf einer unsachgemäßen Prognose zählt dabei aber zu den weniger überzeugenden Einwänden, da die Umstellung auf ein geräteunabhängiges System sehr viele Unwägbarkeiten barg.
D. Ergebnis zur Beitragsbemessung und Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde Die Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Rundfunkbeitragsbemessung waren überwiegend unbegründet (I.) und hätten den Betroffenen ohnehin nur zu einem Pyrrhussieg verholfen (II.).
803 KEF,
19. Bericht, Tz. 286 ff., 322 f. vom 05.03.2015: http: / / www.rundfunkbeitrag.de / e175 / e1557 / 20150305_Pressemeldung_Mehreinnahmen_ARD_ZDF_DRadio.pdf, zuletzt am 09.05. 2015 abgerufen. 805 VerfGH RP, Urt. v. 13.05.2014 – VGH B 35 / 12, juris Rn. 171 = DVBl. 2014, 842 ff. 804 Pressemitteilung
218
Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
I. Zusammenfassung der Ergebnisse Die Beitragsbemessung begegnet bis auf den vollen Beitrag pro Wohnung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Belastungsverteilung kann zwar insgesamt nicht als idealtypisch bezeichnet werden, doch trifft dieses Attribut sicherlich auf keinen Beitrag zu. Der Gesetzgeber hat den Unternehmen mit Filialstruktur und den Autovermietern eine erhebliche Beitragslast auferlegt. Dies wird durch den Umstand verschärft, dass die Autovermieter einer anderen Staffelung unterliegen, indem ihre Beitragslast proportional gemäß § 5 II 1 Nr. 2 RBStV ansteigt, während die Betriebsstätten, die primär unter den Grundtatbestand des § 5 I 2 RBStV fallen, von einer Degression profitieren. Die Hoteliers kommen zwar gemäß § 5 II 1 Nr. 1 RBStV genauso wenig in den Genuss einer Degression, werden aber im Vergleich zum RGebStV entlastet. Wertungsmäßig vergleichbare Divergenzen in der Belastung finden sich auch bei anderen Beiträgen, z. B. bei IHK- und Handwerkskammerbeiträgen, und eine Kombination unterschiedlicher Bemessungsprinzipien existierte bereits bei der alten Rundfunkgebühr. Diese etablierten Beiträge bilden das Gesamtsystem, an dem sich der Rundfunkbeitrag messen lassen muss und von dem er nicht signifikant abweicht. Der Gesetzgeber verfügt über einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Beitragsbemessung. Die Verfassung hat sich mit unmittelbaren Vorgaben zurückgehalten, und bei ihrer Genese waren viele rechtliche Fragen sowohl zur Einordnung als auch zur Bemessung von Beiträgen noch nicht hinreichend gefestigt. Die damit verbundene Freiheit des Gesetzgebers sollte ihm erhalten bleiben und nicht wie im Steuerrecht durch eine bis ins Detail ausdifferenzierte Dogmatik eingeschränkt werden, die noch dazu den Verfassungsvätern unbekannt war.806 Diese Freiheit bedeutet keine negativ konnotierte Schrankenlosigkeit, sondern vielmehr einen positiven Gestaltungsauftrag an den einfachen Gesetzgeber. Die parlamentarische Gestaltungskraft stärkt wiederum die Demokratie und den Reformwillen. Allerdings hat der Gesetzgeber des RBStV sein Gestaltungsermessen in der Frage der Beibehaltung der Befreiungen bestimmter schwerbehinderter Rundfunkteilnehmer in § 6 I 1 Nr. 7 und 8 RGebStV nicht hinreichend ausgeübt, weil er sich durch das Judikat des BSG aus dem Jahr 2000 zu 806 Lepsius, Maßstabsetzende Gewalt, in: Das entgrenzte Gericht, S. 249, kritisiert, dass viele Prinzipien, die mittlerweile bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung von Steuergesetzen zur Anwendung kämen, ab den neunziger Jahren entwickelt worden seien. Es handle sich in Wahrheit um einfachgesetzliche Maßstäbe, weil das Grundgesetz im Steuerrecht keine materiellen Vorgaben aufgestellt und nur die Kompetenzabgrenzung intendiert habe.
D. Ergebnis zur Beitragsbemessung219
einer Abschaffung der Befreiungen verpflichtet fühlte, obwohl die gebührenrechtlichen Ausführungen des BSG in seinem obiter dictum unzutreffend waren. Zudem liegt die Kernkompetenz des BSG nicht im Abgabenrecht, und darüber hinaus relativierte es seine Auffassung bereits Jahre vor der Reform. Deshalb und wegen der mutigen Entscheidung für den umstrittenen Systemwechsel hin zu einer geräteunabhängigen Beitragslast überrascht es, dass sich der Gesetzgeber der Kritik des BSG anschloss. Die Mehreinnahmen durch den Drittelbeitrag der ehemals befreiten Rundfunkteilnehmer wirken sich in Anbetracht des Milliardenaufkommens nicht in nennenswertem Umfang aus, für die Betroffenen wurde jedoch eine spürbare Belastung eingeführt, weil ihre Aufwendungen im Medienbereich ohnehin erhöht sind. Zwar ist die Belastung mit einem Drittelbeitrag noch hinnehmbar, sie sollte aber wieder durch eine Befreiung ersetzt werden. Im Hinblick auf den vollen Rundfunkbeitrag für Zweitwohnungen wird wesentlich Ungleiches (Erst- und Zweitwohnung) ohne sachlichen Grund gleich behandelt. Beitragsschuldner können in einer Nebenwohnung nicht gleich intensiv Rundfunk konsumieren wie in ihrer Hauptwohnung. Für diese Ungleichbehandlung existiert keine überzeugende Rechtfertigung. Weder droht eine Umgehungsgefahr bei einem niedrigeren Zweitwohnungsbeitrag noch weisen andere Beitragsformen einen wertungsmäßigen Vergleichsfall auf. Die Tatsache, dass der Rundfunkkonsum in einer Zweitwohnung evident reduziert ist, schränkt das sonst so weite Ermessen bei der Vorteilsbewertung ein. Der Gesetzgeber kann im Rahmen einer weiteren Reform die Beitragslast der Autovermieter und Filialunternehmen mindern, er sollte die alten Befreiungen für schwerbehinderte Rundfunkteilnehmer wiedereinführen und er muss die volle Beitragspflicht pro Wohnung korrigieren.
II. Keine zwangsläufige Entlastung selbst im Fall einer verfassungswidrigen Bemessung Zwar hat Degenhart gerade im betrieblichen Bereich versucht, innere Widersprüche der Beitragsbemessung darzulegen und eine Verfassungswidrigkeit zugunsten der Auftraggeber seiner Gutachten (Handelsverband Deutschland807 und Sixt AG808) zu begründen, aber seine Auftraggeber würden selbst von einer Verfassungswidrigkeit der Beitragsbemessung nicht zwingend profitieren, weil der Gesetzgeber den aktuellen RBStV rückwirkend durch einen neuen substituieren könnte und würde.809 807 Degenhart,
K&R Beihefter 1 / 2013 zu Heft 3, S. 3. ZUM 2011, 193 (193): Die Nennung des Auftraggebers findet sich bei den Angaben zur Person. 808 Degenhart,
220
Kap. 4: Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessung
Diese Vorgehensweise ist vor allem im Beitragsrecht üblich, wo es gelegentlich vorkommt, dass eine unwirksame Satzung rückwirkend durch eine neue ersetzt wird. Die Beitragsschuldner genießen kein schutzwürdiges Vertrauen, da sie mit der Heranziehung zu einem Beitrag rechnen mussten. Denn Beiträge werden als Ausgleich für zugewandte Sondervorteile erhoben, und höchstens unter ganz atypischen Umständen kann die berechtigte Erwartung bestehen, eine an sich beitragspflichtige Leistung beitragsfrei zu erhalten. Gegen die Rechtfertigung einer derartigen Erwartung spricht gerade der vorangegangene Erlass einer Satzung, der eindeutig die Absicht einer Kommune zur Beitragserhebung manifestiert. Eine rückwirkende Satzung kann sogar ohne Bedenken zu einer höheren Beitragspflicht führen, wenn die Nichtigkeit der Ausgangssatzung die Folge einer fehlerhaften Verteilungsregelung war, weil die Notwendigkeit einer abweichenden Aufwandsverteilung zwangsläufig eine Änderung der individuellen Beitragshöhe zur Konsequenz hat. Ein solches Risiko liegt in der Natur der Sache und ist für die Betroffenen vorhersehbar.810 809
Diese Rechtsprechung des BVerwG lässt sich auf den RBStV übertragen, wenn er eine verfassungswidrige Verteilungsregelung enthalten sollte, weil es offensichtlich ist, dass die klagenden Unternehmen für die gezogenen Vorteile in jedem Fall einen finanziellen Ausgleich entrichten müssen. Überdies könnte das BVerfG den RBStV in einem Verfassungsrechtsstreit anstatt für nichtig lediglich für verfassungswidrig erklären und gemäß § 35 BVerfGG die temporäre Weitergeltung des RBStV anordnen, um einen schonenden Übergang von der verfassungswidrigen zur verfassungsgemäßen Rechtslage zu ermöglichen. Das BVerfG wählte diese Vorgehensweise z. B. in seinen Entscheidungen über den sog. Kohlepfennig811 und das Bayerische Teilnehmerentgelt812. Im Fall des RBStV würde es sich für dieselbe Lösung entscheiden, um der eminenten Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Demokratie Rechnung zu tragen. Das wäre ohne Zweifel ein reiner Pyrrhussieg für potenzielle Beschwerdeführer. 809 Allgemein zur Befugnis des Gesetzgebers, eine ungültige Rechtsnorm durch eine neue zu ersetzen: Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 72. 810 BVerwG, Urt. v. 15.04.1983 – 8 C 170 / 81, juris Rn. 16 ff., BVerwGE 67, 129 ff. 811 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1994 – 2 BvR 633 / 86, juris Rn. 94, BVerfGE 91, 186 ff. Interessant ist die sich anschließende Frage der Kostentragung. Das BVerfG hob das Urteil sowie den Kostenausspruch auf und verwies die Sache zurück. Der Beschwerdeführer erhielt durch dieses Vorgehen die Möglichkeit, die Forderung im Hinblick auf die Weitergeltensanordnung anzuerkennen und dadurch die Kostenlast abzuwenden (Rn. 95). 812 BVerfG, Beschl. v. 26.10.2005 – 1 BvR 396 / 98, juris Rn. 81 ff., BVerfGE 114, 371 ff. Der Übergangszeitraum lag bei ca. drei Jahren.
Kapitel 5
Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht Rundfunkrecht ist eine komplexe Querschnittsmaterie mit zahlreichen Interdependenzen, wie gerade das Zusammenspiel des deutschen Rundfunkverfassungsrechts und des europäischen Beihilferechts sehr gut illustriert. Die Vereinbarkeit der Rundfunkfinanzierung mit dem europäischen Beihilferecht wird bereits seit Jahrzehnten diskutiert. Diese Streitfrage wurde zwar durch den Kompromiss813 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Kommission relativiert. Aber der Konflikt könnte durch die möglicherweise unzureichende Offenlegung der tatsächlichen reformbedingten Mehreinnahmen der Rundfunkanstalten wieder virulent werden, wenn dies die beihilferechtlich wichtige Prüfung erschwert, ob die Einnahmen den Bedarf der Rundfunkanstalten übersteigen. Erörterungswürdig erscheinen zudem die aktuelle BVerfG-Entscheidung zur Begrenzung des staatlichen Einflusses in den Aufsichtsgremien des ZDF und ihre Auswirkungen auf die Zurechnung der Anstalten und der Rundfunkfinanzierung zum staatlichen Bereich i. S. v. Art. 107 I AEUV. Die Untersuchung wird sich nicht mit allen Fragen des Beihilferechts befassen, sondern Schwerpunkte bei der Staatlichkeit der Mittel, dem Vorliegen einer Begünstigung (beides sub A.) und der Auslegung der Kulturklausel (B.) setzen. Dagegen werden die weniger problematischen Tatbestandsmerkmale der Wettbewerbsverfälschung und der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten nicht behandelt814 und die Bereichsausnahme des Art. 106 II AEUV wird nur sehr kurz im Zusammenhang mit der Begünstigung angesprochen.
A. Beihilfetatbestand Art. 107 I AEUV verbietet staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter 813 Kommission,
miss.
Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761 – sog. Beihilfekompro-
814 Sehr ausführlich: Selmer / Gersdorf, Rundfunk und EG-Beihilferegime, S. 45 ff. (zur Verfälschung des Wettbewerbs) und S. 52 ff. (zur Beeinträchtigung des Handels).
222
Kap. 5: Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht
Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Im Folgenden werden die Tatbestandsalternativen „staatlich“ und „aus staatlichen Mitteln“ unter dem gemeinsamen Oberbegriff „Staatlichkeit der Rundfunkbeiträge“ erörtert (I.) und danach wird das Vorliegen einer Begünstigung (II.) untersucht.
I. Staatlichkeit der Rundfunkbeiträge Die Frage der Staatlichkeit der Rundfunkfinanzierung ist eine bedeutende Weichenstellung, weil die Rundfunkanstalten ohne Bejahung dieses Tatbestandsmerkmals auch nicht den weiteren Restriktionen des Beihilferechts unterworfen wären. Insbesondere müssten die Rundfunkanstalten dann nicht die strengen (Wirtschaftlichkeits-)Kriterien erfüllen, um eine Ausnahme vom Beihilfeverbot aufgrund des Nichtvorliegens einer Begünstigung zu erlangen. Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH ist es nicht mehr möglich, die Staatlichkeit der Rundfunkbeiträge uneingeschränkt zu negieren. Stattdessen sollte nach ihrer konkreten Verwendung differenziert werden. Entsprechend untergliedert sich die Untersuchung in die Finanzierung von Tätigkeiten mit (1.) und ohne (2.) unmittelbaren Programmbezug. Diese Differenzierung hätte im Ergebnis einen unterschiedlichen Prüfungsmaßstab zur Folge. Der Finanzbedarf für die unmittelbare Programmgestaltung unterfiele im nationalen Recht wurzelnden Anforderungen, die dem verfassungsrechtlichen Grundversorgungsauftrag besser Rechnung trügen. Im Gegensatz dazu würden die Rundfunkanstalten in Bereichen ohne unmittelbaren Programmbezug im Rahmen der beihilferechtlichen Prüfung der Begünstigung mit einem privatwirtschaftlichen Unternehmen verglichen. 1. Unmittelbar programmbezogene Verwendung der Rundfunkbeiträge Als Erstes werden die abstrakten Vorgaben der Judikatur zur Staatlichkeit von finanziellen Zuwendungen vorgestellt [a)] und anschließend deren Anforderungen auf den Rundfunkbeitrag angewandt [b)]. a) Abstrakte Vorgaben der Rechtsprechung Art. 107 I AEUV differenziert zwischen „staatlichen“ und „aus staatlichen Mitteln“ stammenden Beihilfen. Staatliche Mittel liegen vor, wenn ein Hoheitsträger eine Beihilfe gewährt. Dagegen ist der Terminus „aus staatlichen Mitteln“ extensiver zu verstehen und erfasst nicht nur Zuwendungen öffent-
A. Beihilfetatbestand223
licher, sondern auch privater Einrichtungen, die vom Staat zum Zweck der Beihilfegewährung eingerichtet oder benannt wurden.815 Dadurch soll verhindert werden, dass der Gesetzgeber die Beihilfevorschriften durch die Einschaltung Privater umgeht.816 Die Rechtsprechung lässt eine genaue Differenzierung bisweilen dahinstehen817, und sie ist für die vorliegende Untersuchung auch nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr, ob die Mittelzuwendung dem Staat zugerechnet werden kann.818 Um die Anforderungen an eine solche Qualifizierung von finanziellen Mitteln als staatlich zu erläutern, werden zwei Beispielsfälle aus der Rechtsprechung skizziert: In der Entscheidung PreussenElektra ging es um eine Regelung im deutschen Stromeinspeisungsgesetz, wonach Elektrizitätsversorgungsunternehmen unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet waren, den in ihrem Versorgungsgebiet erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien zu einem gesetzlich festgelegten Mindestpreis abzunehmen.819 Die Besonderheit dieses Falls bestand darin, dass der Staat den privaten Stromerzeugern nicht selbst finanzielle Mittel zur Verfügung stellte, sondern einer anderen Privatperson, den Energieversorgern, einen Mindestpreis vorschrieb, sodass der Geldtransfer von einer Privatperson (Versorger) zu einer anderen Privatperson (Erzeuger) erfolgte. Obwohl die staatliche Beteiligung hier relativ gering war, könnte eine solche Konstruktion als Beihilfe qualifiziert werden, um eine Umgehung beihilferechtlicher Vorschriften zu vermeiden. Dennoch negierte der EuGH eine Beihilfe, weil es zu keiner „unmittelbaren oder mittelbaren Übertragung staatlicher Mittel“ auf die stromerzeugenden Unternehmen komme.820 Auch die Tatsache, dass die Abnahmepflicht auf einem Gesetz basiere und bestimmten Unternehmen Vorteile verleihe, bewirke keine andere Bewertung.821 Der Generalanwalt kam ebenfalls zu diesem Ergebnis und stellte im Rahmen seiner Argumentation auf eine fehlende 815 Cremer,
in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art. 107 AEUV, Rn. 27. Urt. v. 16.05.2002 – Rs. C-482 / 99, Slg. 2002, I-4397, Rn. 23 – Stardust Marine; Gounalakis, Funktionsauftrag, S. 167; v. Wallenberg / Schütte, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, EUV / AEUV, Art. 107 AEUV, Rn. 31. 817 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.1987 – Rs. C-248 / 84, Slg. 1987, 4013, Rn. 17 – Regionalförderungsprogramm; Urt. v. 21.03.1991 – Rs. C-303 / 88, Slg. 1991, I-1433, Rn. 11 – ENI / Lanerossi. 818 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.05.2002 – Rs. C-482 / 99, Slg. 2002, I-4397, Rn. 24 – Stardust Marine. 819 EuGH, Urt. v. 13.03.2001 – Rs. C-379 / 98, Slg. 2001, I-2099, Rn. 6 f. – PreussenElektra. 820 EuGH, Urt. v. 13.03.2001 – Rs. C-379 / 98, Slg. 2001, I-2099, Rn. 59 – PreussenElektra. 821 EuGH, Urt. v. 13.03.2001 – Rs. C-379 / 98, Slg. 2001, I-2099, Rn. 61 – PreussenElektra. 816 EuGH,
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Kap. 5: Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht
Kontrolle des Staates über die finanziellen Mittel zur Förderung erneuerbarer Energien ab.822 Das Kriterium der staatlichen Kontrolle wurde in einer früheren EuGH-Entscheidung (Ladbroke Racing Ltd.) herangezogen, das u. a. den Teilverzicht französischer Behörden auf Einnahmen aus Spielgewinnen betraf.823 Eine Zurechnung sei danach selbst dann zu bejahen, wenn sich die Mittel zwar nicht aktuell in einem staatlichen Haushalt befänden, aber in einen solchen übertragen werden könnten.824 Denn für die Qualifikation als staatliche Mittel sei es ausreichend, dass diese „ständig unter staatlicher Kontrolle und somit zur Verfügung der zuständigen nationalen Behörden stehen“.825 Maßgebend ist daher nicht primär die staatliche Veranlassung eines Geldflusses, sondern die Kontrolle darüber.826 b) Konkrete Anwendung auf den Rundfunkbeitrag Die Rundfunkfinanzierung unterscheidet sich von der Regelung im Stromeinspeisungsgesetz durch das Maß der Beteiligung öffentlich-rechtlicher Einrichtungen an der Einziehung und Verteilung der Einnahmen. Das Aufkommen aus den Rundfunkbeiträgen fließt nicht direkt von den beitragszahlenden Privatpersonen an die Rundfunkanstalten, sondern wird durch den Beitragsservice – zur Not im Verwaltungsvollstreckungsverfahren – eingezogen und auf der Basis des Finanzplans der KEF an die Rundfunkanstalten verteilt. Beitragsservice und KEF sind gesetzlich verankerte öffentlich-rechtliche Einrichtungen. Daher könnte de facto ein Geldfluss von den Beitragszahlern an diese öffentlich-rechtlichen Einrichtungen vorliegen, die anschließend eine Beihilfe an die Rundfunkanstalten gewähren. Allerdings bedeutet dieser formale organisatorische Unterschied noch keine Zurechnung der Rundfunkeinnahmen zum staatlichen Bereich, da es auf eine materiell-rechtliche Bewertung des staatlichen Einflusses auf die Einziehung und Verteilung der Rundfunkbeiträge durch den Beitragsservice und die KEF ankommt. Dieser Einfluss des Staates ist jedoch sehr begrenzt, weil die Programmautonomie und die Staatsfreiheit der Rundfunkanstalten umfassend gewährleistet werden und dies auch einen indirekten Einfluss auf das Programm über die Bestimmung der finanziellen Rahmenbedingungen 822 Schlussanträge des Generalanwalts v. 26.10.2000 – Rs. C-379 / 98, Slg. 2001, I-2099, Rn. 165 – PreussenElektra. 823 EuGH, Urt. v. 16.05.2000 – Rs. C-83 / 98 P, Slg. 2000, I-3271, Rn. 19 – Ladbroke Racing Ltd. 824 EuGH, Urt. v. 16.05.2000 – Rs. C-83 / 98 P, Slg. 2000, I-3271, Rn. 48 – Ladbroke Racing Ltd. 825 EuGH, Urt. v. 16.05.2000 – Rs. C-83 / 98 P, Slg. 2000, I-3271, Rn. 50 – Ladbroke Racing Ltd. 826 Gersdorf, Rundfunkrecht, Rn. 563.
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ausschließt. Ergo könnte die Einziehung und Verteilung der Rundfunkbeiträge bei wertender Betrachtung dem privaten Bereich zuzuordnen sein und eine beihilferechtlich unbedenkliche Zahlung einer Privatperson (Beitragszahler) an eine andere Privatperson (Rundfunkanstalt) vorliegen.827 Um diese These zu stützen, werden im Folgenden die Möglichkeiten staatlichen Einflusses auf die Rundfunkanstalten, den für sie tätigen Beitragsservice und die KEF untersucht. Obwohl die Rundfunkanstalten lediglich die Leistungsempfänger darstellen und bei der beihilferechtlichen Frage der staatlichen Zurechnung auf den Leistungsgewährenden abzustellen ist, kommt der Rechtsstellung der Rundfunkanstalten eine erhebliche Bedeutung zu, weil sie zugleich den Beitragsservice als Gemeinschaftsprojekt betreiben und in dessen Verwaltungsrat vertreten sind. Außerdem haben die Rundfunkanstalten im Gegensatz zu den o. g. Energieerzeugern die Befugnis, ihre Beitragsforderungen im Wege des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens beizutreiben. Dies wirft die weitere Frage auf, ob der Staat dadurch eine Beihilfe gewährt, dass er es den Rundfunkanstalten ermöglicht, sich das Geld selbst zu beschaffen, anstatt es ihnen aus dem eigenen Haushalt zu gewähren. Diese Form der staatlichen Unterstützung bei der Mittelbeschaffung geht aufgrund der Vollstreckungsbefugnis weit über die Festlegung eines Mindestpreises für Strom hinaus. Doch dient das Finanzierungsmodell der Rundfunkanstalten lediglich der Erhaltung ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Unabhängigkeit. Wenn der Staat wiederum keinen nennenswerten Einfluss auf die Erhebung und Verwaltung der Rundfunkbeiträge ausüben kann, besteht keine Umgehungsgefahr, die eine faktische Zurechnung der Rundfunkbeiträge zum Staat aus rechtspolitischen Gründen erforderlich machen könnte.828 Die Anstalten als Empfänger des Beitragsaufkommens genießen eine verfassungsrechtlich garantierte Autonomie.829 Diese Unabhängigkeit von 827 Aus diesem Grund lehnen eine Zurechnung zum Staat ab: Eberle, ZUM 1995, 763 (767); ders., AfP 2001, 477 (480); Gounalakis, Funktionsauftrag, S. 167 f.; Gersdorf, Rundfunkrecht, Rn. 565 f.; Dieter Dörr, MP 2005, 333 (338 f.); Krausnick, ZUM 2007, 806 (809 f.); Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 74, mit Verweis auf das unveröffentlichte Rechtsgutachten von Rudolf Streinz / Christoph Herrmann, Die Reform der Rundfunkfinanzierung im Lichte des EG-Beihilferechts, 2007, S. 22 f. Laut Auskunft von Herrn Streinz haben Teile des Gutachtens Eingang in die folgende, die Staatlichkeit negierende Publikation gefunden: Streinz, Amsterdamer Protokoll, in: Bedeutung des Europäischen Rechts für den nationalen Rundfunk, S. 59 (79). 828 Gounalakis, Funktionsauftrag, S. 167 f. 829 Gounalakis, Funktionsauftrag, S. 167. Die Kommission (Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761, Rn. 149 – sog. Beihilfekompromiss) verengt ihren Blick dagegen auf die Rechtsform. Zwar ordnete das BVerfG, Beschl. v. 15.12.2003 – 1 BvR 2378 / 03, juris Rn. 6 = ZUM 2004, 306 f., die Rundfunkanstalten der mittelbaren Staatsverwaltung zu. Aber in diesem Verfahren ging es um die Frage der Grundrechtsbindung
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staatlicher Beeinflussung wurde durch die jüngste Entscheidung zur Zusammensetzung der Aufsichtsgremien öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten gestärkt. Danach darf der Anteil „der staatlichen und staatsnahen Mitglieder“ insgesamt ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Aufsichtsgremiums nicht übersteigen.830 Die Begrenzung des staat lichen Einflusses in den Aufsichtsgremien reduziert zugleich die Einwirkungsmöglichkeiten des Staates auf die Erhebung und Verwendung des Rundfunkbeitragsaufkommens und konkretisiert den abstrakten Begriff der Staatsferne, der auf diese Weise sicherlich an Überzeugungskraft gewonnen hat. Der Umstand, dass die Rundfunkanstalten einer Rechtsaufsicht unterliegen, führt nicht dazu, dass sie dem staatlichen Bereich zuzurechnen sind.831 Zum einen ist anzumerken, dass für zahlreiche Rundfunkanstalten [Bayerischer Rundfunk, Sender Freies Berlin (jetzt Teil des RBB832), Süddeutscher Rundfunk (jetzt Teil des SWR833) und Hessischer Rundfunk] ursprünglich keinerlei Rechtsaufsicht bestand.834 Zum anderen ist diese wegen der besonderen verfassungsrechtlichen Stellung des Rundfunks nicht mit einer herder Rundfunkanstalten, was weder ihren eigenen Grundrechtsschutz gegenüber dem Staat schmälert noch die Veranstaltung von Rundfunksendungen zu einem Bereich der Staatsverwaltung werden lässt. Das BVerwG, Urt. v. 13.12.1984 – 7 C 139 / 81, juris Rn. 28, BVerwGE 70, 310 ff., differenzierte zutreffend nach der konkreten Tätigkeit der Rundfunkanstalten und lehnte eine Qualifizierung der Veranstaltung von Rundfunksendungen als mittelbare Staatsverwaltung ab. Ebenso: Bethge, in: Sachs, GG, Art. 5, Rn. 134. 830 BVerfG, Urt. v. 25.03.2014 – 1 BvF 1 / 11 u. a., juris Rn. 51 = DVBl. 2014, 649 ff. 831 Vortrag der Rundfunkanstalten: OLG Düsseldorf Vergabesenat, EuGH-Vorlage v. 21.07.2006, VII-Verg 13 / 06 u. a., juris Rn. 8 = NZBau 2006, 731 ff. A. A.: Kommission, Entsch. 2006 / 513 / EG v. 09.11.2005, K(2005) 3903, ABl. 2006, L 200, Rn. 53 – DVB-T. Hierbei ging es um die Relevanz der Rechtsaufsicht über die Medienanstalten. Im Verfahren bezüglich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten rekurrierte die Kommission auf die Finanzaufsicht (Kommission, Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761, Rn. 148 – sog. Beihilfekompromiss). Allerdings erlaubt auch die Finanzaufsicht keinen staatlichen Einfluss auf die Rundfunkanstalten. 832 Geändert durch den Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Rundfunkanstalt der Länder Berlin und Brandenburg und das Außerkrafttreten des Gesetzes über die Errichtung einer Rundfunkanstalt „Sender Freies Berlin“ v. 30.05.2003: Berlin GVBl. 2003, S. 222. 833 Siehe Landesgesetz zum Staatsvertrag über den Südwestrundfunk v. 21.07.1997: BW GBl. 1997, S. 297 ff. 834 Knothe / Wanckel, DÖV 1995, 365 (367), zur damaligen Rechtslage. Aktuell besteht für diese Sender eine Rechtsaufsicht: § 20 Hessischer Rundfunk-Gesetz, Art. 24 Bayerisches Rundfunkgesetz, § 37 SWR-Staatsvertrag und § 39 RBB-Staatsvertrag.
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kömmlichen Rechtsaufsicht vergleichbar. Das BVerfG hält „höchstens“ die Einrichtung einer „beschränkten staatlichen Rechtsaufsicht“ über die Rundfunkanstalten für zulässig835 und bei Ausübung dieser Aufsicht ist die Rundfunkfreiheit der Anstalten adäquat zu berücksichtigen836. Ein staatlicher Einfluss lässt sich ebenso wenig aus der Einschaltung des Beitragsservice herleiten. Die Anstalten bleiben gemäß § 10 I RBStV Beitragsgläubiger und haben nur aus Effizienzgründen eine zentrale Ab rechnungsstelle ohne Rechtspersönlichkeit (vgl. § 10 VII 1 RBStV) geschaffen.837 Die Möglichkeit zum Erlass eines vollstreckbaren Beitrags bescheids ist zugegebenermaßen ein hoheitliches Attribut, das aber wiederum die Staatsferne garantiert838, weil die Anstalten stärker von der Mitwirkung staatlicher Stellen abhängig wären, wenn sie diese Möglichkeit nicht besäßen839. Schließlich überprüft die KEF, eine bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen840 unabhängige Expertenkommission (§ 2 RFinStV), den Finanzbedarf der Anstalten und sorgt gemäß § 3 III 1 RFinStV für die Einhaltung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Sie ist gemäß § 4 RFinStV und von Verfassungs wegen841 rundfunk- und politikfrei zusammengesetzt. Im Gegensatz zu ihrer ursprünglichen Konzeption bildet sie nicht mehr ein „bloßes Hilfsinstrument der Ministerpräsidentenkonferenz“842, sondern eine durch das BVerfG gestärkte Institution. Ihre Einbindung in die Festsetzung des Rundfunkbeitrags dient der Sicherung der Rundfunkfreiheit durch Zurückdrängung staatlichen Einflusses.843 Die Landesparlamente sind grundsätzlich an den Vorschlag der KEF gebunden und können nur aus sachgerechten 835 BVerfG, Entsch. v. 28.02.1961 – 2 BvG 1 / 60 u. a., juris Rn. 184, BVerfGE 12, 205 ff. 836 Knothe / Wanckel, DÖV 1995, 365 (367 f.). 837 Koenig / Kühling, ZUM 2001, 537 (545); Gersdorf, Rundfunkrecht, Rn. 565; zur Gründung der GEZ: Grupp, Rundfunkgebührenrecht, S. 61 f. 838 A. A.: Frenz, WRP 2007, 264 (269), der die Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung des Rundfunkbeitrags als Beleg dafür sieht, dass die GEZ eine staatliche Stelle darstelle und die Beitragserhebung insgesamt staatlich geprägt sei. Ebenso: Thum, NVwZ 2007, 521 (524); Grzeszick, NVwZ 2008, 608 (612); Kommission, Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761, Rn. 145 – sog. Beihilfekompromiss. 839 Grupp, Rundfunkgebührenrecht, S. 68 ff., betont die Relevanz der Staatsferne für die Verfahrensregelungen der Rundfunkanstalten. 840 BVerfG, Urt. v. 11.09.2007 – 1 BvR 2270 / 05 u. a., juris Rn. 152, BVerfGE 119, 181 ff. 841 BVerfG, Urt. v. 11.09.2007 – 1 BvR 2270 / 05 u. a., juris Rn. 152, BVerfGE 119, 181 ff. 842 BVerfG, Urt. v. 22.02.1994 – 1 BvL 30 / 88, juris Rn. 170, BVerfGE 90, 60 ff. 843 BVerfG, Urt. v. 22.02.1994 – 1 BvL 30 / 88, juris Rn. 169, BVerfGE 90, 60 ff.
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Gründen hiervon abweichen.844 Aus diesem Grund kann die KEF ebenfalls nicht als staatliche Einrichtung qualifiziert werden.845 Im Ergebnis liegt wertungsmäßig eine direkte Zahlung der Bürger an die staatsfernen Rundfunkanstalten vor, die eher Privatpersonen gleichen.846 Aus verfassungsrechtlichen und praktischen Gründen sind die Einschaltung weiterer Einrichtungen und die Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung der Forderungen notwendig. Der Umstand, dass der Gesetzgeber das Verfahren der Rundfunkfinanzierung komplexer als bei der Förderung erneuerbarer Energien ausgestaltet hat, basiert auf der verfassungsrechtlichen Prägung dieser Materie und sollte ihm bei einer europarechtlichen Prüfung nicht zum Nachteil gereichen, zumal er in vielen Bereichen durch die sehr detaillierte Rechtsprechung des BVerfG keinen echten Spielraum mehr für eine andere Gestaltung hat.847 Andererseits muss der Schutz des Binnenmarktes gleichfalls ausreichend gewürdigt werden. Denn eine pauschale Qualifikation der Rundfunkbeiträge als nicht-staatliche Mittel eröffnet zu viele (anschließend erörterte) Möglichkeiten zur Umgehung der Beihilfevorschriften durch den Einsatz von Rundfunkbeiträgen für Aufgaben, die mit dem verfassungsrechtlichen Grundversorgungsauftrag in keinem sachlichen Zusammenhang stehen.848 Ein Kompromiss könnte darin liegen, dass nur eine strenge Staatsferne, wie sie beim unmittelbaren Einsatz der Rundfunkbeiträge zur Programmfinanzierung zum Tragen kommt, die Zurechnung zum Staat i. S. v. Art. 107 I AEUV durchbricht.849 Dies ist nicht nur einem Ausgleich widerstreitender Interessen geschuldet, sondern das Ergebnis einer bereits eingetretenen Rechtsprechungsentwicklung, die im Folgenden dargestellt wird. 844 BVerfG, Urt. v. 11.09.2007 – 1 BvR 2270 / 05 u. a., juris Rn. 162 ff., BVerfGE 119, 181 ff.; Gounalakis / Wege, NJW 2008, 800 (801). Die Kommission (Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761, Rn. 147, 149 – sog. Beihilfekompromiss) betont hingegen den Umstand, dass den Ländern am Ende die Aufgabe zukomme, die Höhe der Rundfunkgebühr gesetzlich festzulegen. 845 Koenig / Kühling, ZUM 2001, 537 (545); Krausnick, ZUM 2007, 806 (810). 846 Gounalakis, Funktionsauftrag, S. 167; Koenig / Kühling, ZUM 2001, 537 (546); Gersdorf, Rundfunkrecht, Rn. 565 f. Dagegen bejahte Gersdorf die Staatlichkeit der Rundfunkgebühren in einer anderen Publikation: Selmer / Gersdorf, Rundfunk und EG-Beihilferegime, S. 31. 847 Vgl. Gounalakis, Funktionsauftrag, S. 167 f. 848 Grzeszick, NVwZ 2008, 608 (612), der aber die Staatlichkeit der Rundfunkbeiträge generell bejaht. Er hält ein Austarieren nationaler und europarechtlicher Wertungen beim Tatbestandsmerkmal der Begünstigung für angemessener, weil dort genauer differenziert werden könne. Dies ist im Ergebnis zutreffend, schließt indes eine weitere Differenzierung bereits bei der staatlichen Zurechnung der Mittel nicht aus. 849 Ähnlich: Frenz, WRP 2007, 264 (269, 272), der allerdings im Ergebnis für eine umfassende Qualifikation der Rundfunkbeiträge als staatliche Mittel plädiert.
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2. Judikatur zur nicht-programmbezogenen Verwendung der Rundfunkbeiträge Der EuGH bejahte die Qualifikation der Rundfunkbeiträge als staatliche Mittel in zwei Entscheidungen. Die erste betraf die finanzielle Förderung von digitaler Übertragungstechnik im Privatfernsehen aus Rundfunkbeiträgen durch eine Medienanstalt [a)]. Die zweite bezog sich auf den Einsatz von Rundfunkbeiträgen zur Finanzierung der Gebäudereinigung der GEZ. In diesem Kontext wurde die GEZ als eine staatlich finanzierte Einrichtung rubriziert, die zur Durchführung eines Vergabeverfahrens verpflichtet ist [b)]. Dies evoziert die Frage, ob die gesamte Rundfunkfinanzierung von der Qualifikation der Rundfunkbeiträge als staatliche Mittel betroffen ist oder eine staatliche Zurechnung entsprechend der oben vorgeschlagenen Differenzierung jedenfalls für unmittelbar programmbezogene Tätigkeiten der Rundfunkanstalten negiert werden kann. Der Analyse der folgenden Judikate liegt zudem eine andere Perspektive auf die betroffenen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen zugrunde. Denn hier besteht die Besonderheit, dass die GEZ und die Medienanstalt selbst finanzielle Mittel an Privatpersonen gewährten. Dagegen stand im vorhergehenden Abschnitt die Rolle der Rundfunkanstalten als Leistungsempfänger im Vordergrund, und in diesem Kontext betraf die Beteiligung der GEZ die vorgelagerte Phase der Erhebung und Weiterleitung der Rundfunkbeiträge an die Rundfunkanstalten. a) Beihilfecharakter der DVB-T-Förderung durch die Landesmedienanstalten Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg entschied sich 2001 zur Gewährung einer finanziellen Förderung der privaten Rundfunkanbieter, um die Einführung von Digital Video Broadcast Terrestric (DVB-T) zu unterstützen.850 Einfachgesetzliche Grundlage war § 40 I 2 RStV851, und die hierzu eingesetzten Mittel entstammten dem Rundfunkbeitragsaufkommen, von dem die Medienanstalten einen kleinen Anteil gemäß § 40 I 1 RStV (sog. Aufsichtsgroschen) erhalten. Die Kommission852 und das EuG853 qualifizierten diese Förderung als unzulässige Beihilfe i. S. v. Art. 107 I AEUV und 850 EuGH, Urt. v. 15.09.2011 – Rs. C-544 / 09 P, juris Rn. 10 f. = ZUM 2011, 900 ff. – DVB-T. 851 Gounalakis, DVB-T, in: FS Bethge, S. 469 (471 f.); Kühn, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 40 RStV, Rn. 15a f. 852 Kommission, Entsch. 2006 / 513 / EG v. 09.11.2005, K(2005) 3903, ABl. 2006, L 200, Rn. 135 – DVB-T. 853 EuG, Urt. v. 06.10.2009 – Rs. T-21 / 06 – DVB-T.
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wurden in ihrer rechtlichen Einschätzung durch den EuGH854 bestätigt. Die Frage, ob die eingesetzten Rundfunkbeiträge staatliche Mittel darstellen, wurde zwar im Verfahren der Kommission855, aber nicht mehr in den da rauffolgenden Gerichtsverfahren thematisiert856. Die Bejahung der Staatlichkeit des an die Medienanstalt weitergeleiteten Rundfunkbeitragsaufkommens scheint keinen bzw. wenig Argumentationsspielraum gegen eine umfassende staatliche Zurechnung der Rundfunkbeiträge zu belassen, es sei denn, dass wertungsmäßige Unterschiede zwischen der Verwendung der Rundfunkbeiträge durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einerseits und die Medienanstalten andererseits bestehen. Derartige Unterschiede könnten in einer unterschiedlichen Ausprägung der Staatsferne liegen, die wiederum eine andere Bewertung der Staatlichkeit der jeweils eingesetzten finanziellen Mittel i. S. v. Art. 107 I AEUV zur Folge hätte.857 Sowohl ein abstrakter Vergleich der Staatsferne dieser Anstalten [aa)] als auch eine Analyse der rechtlichen Besonderheit der DVB-T-Förderung [bb)] könnten diese Unterschiede ersichtlich machen. aa) Abstrakter Vergleich der Staatsferne von Rundfunk- und Medienanstalten Die Medienanstalten übernehmen die verfassungsrechtlich gebotene Aufgabe der Vielfaltsicherung im privaten Rundfunk und müssen vergleichbar 854 EuGH,
Urt. v. 15.09.2011 – Rs. C-544 / 09 P = ZUM 2011, 900 ff. – DVB-T. Entsch. 2006 / 513 / EG v. 09.11.2005, K(2005) 3903, ABl. 2006, L 200, Rn. 42 (zum Vortrag der Bundesrepublik Deutschland) und Rn. 52 f. (zur Würdigung durch die Kommission) – DVB-T. Die Kommission ließ die Frage, ob die Rundfunkgebühren an sich staatliche Mittel darstellen, dahinstehen, weil sie jedenfalls mit Einstellung in den Haushalt der Medienanstalt ihren staatlichen Charakter gewönnen (Rn. 52). 856 Das lag im Wesentlichen daran, dass die Bundesrepublik auch keinen diesbezüglichen Vortrag in die Gerichtsverfahren einbrachte, obwohl sie sich noch im Verwaltungsverfahren auf eine fehlende Staatlichkeit der eingesetzten Rundfunkbeiträge berufen hatte (Kommission, Entsch. 2006 / 513 / EG v. 09.11.2005, K(2005) 3903, ABl. 2006, L 200, Rn. 42 – DVB-T). Vor dem EuG machte sie einen Ermessensmissbrauch der Kommission bei der Beurteilung der Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt, eine Verletzung allgemeiner Rechtsgrundsätze und ein Marktversagen geltend (EuGH, Urt. v. 15.09.2011 – Rs. C-544 / 09 P, juris Rn. 22 ff. = ZUM 2011, 900 ff. – DVB-T). Im Rechtsmittelverfahren vor dem EuGH berief sich die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls nicht auf eine fehlende Staatlichkeit der Rundfunkbeiträge (a. a. O., Rn. 36 f.). 857 Für eine unterschiedlich „strenge Staatsferne“ bei der Programmgestaltung der Rundfunkanstalten einerseits und ihren nicht programmbezogenen Aufgaben andererseits im Kontext des Beihilfe- und Vergaberechts plädiert Frenz, WRP 2007, 264 (269, 272). Dieser Ansatz wird vorliegend auf die Medienanstalten übertragen. 855 Kommission,
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den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten staatsfern ausgestaltet sein.858 Ihre Staatsferne wird sowohl in finanzieller als auch in organisatorischer Hinsicht gewährleistet: Die Finanzierung der Medienanstalten aus dem Rundfunkbeitragsaufkommen sichert ihre Autonomie, weil alternative Finanzierungsmodelle ein unerwünschtes Abhängigkeitsverhältnis zur Folge hätten. Im Fall einer Gebührenerhebung für die Erteilung von Sendelizenzen würde eine Beeinflussungsgefahr durch private Unternehmen drohen, und eine Steuerfinanzierung könnte einen stärkeren Einfluss des Staates herbeiführen.859 Ferner genießen die Medienanstalten als Anstalten des öffentlichen Rechts Selbstverwaltungsrechte, sind bewusst nicht Teil des staatlichen Verwaltungsaufbaus860 und unterliegen lediglich einer limitierten Rechtsaufsicht861. Regelmäßig weisen sie (zumindest) zwei Organe auf: ein Exekutivorgan und ein unabhängiges, binnenpluralistisches Hauptorgan.862 Dieses Hauptorgan863 setzt sich aus den gesellschaftlich relevanten Gruppen zusammen und ist den binnenpluralistischen Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten so stark angenähert, dass das BVerfG diese Einrichtungen gewissermaßen auf eine Ebene stellt: „Sie (Anm.: die Versammlung = binnenplurales Kontrollorgan der Medienanstalt) unterscheidet sich insofern nicht von den ebenfalls kraft staatlichen Gesetzes gebildeten Rundfunkräten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die unter dem Gesichtspunkt der Staatsfreiheit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen.“864 Die vom BVerfG für die Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten postulierte Begrenzung des Anteils staatlicher und staatsnaher Mitglieder auf ein Drittel865 könnte aufgrund der organisatorischen und verfassungsrechtlichen 858 Zur Aufgabe und Staatsferne der Medienanstalten: BVerfG, Urt. v. 04.11.1986 – 1 BvF 1 / 84, juris Rn. 105 f., 109, BVerfGE 73, 118 ff.; Knothe / Wanckel, DÖV 1995, 365. 859 Holznagel / Krone, in: Spindler / Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 40 RStV, Rn. 3. 860 Gounalakis / Zagouras, Medienkonzentrationsrecht, S. 33 f.; Sporn, Ländermedienanstalt, S. 7. Die Rundfunkanstalten sind nicht der mittelbaren Staatsverwaltung zuzurechnen (Fn. 829), und diese Wertungen lassen sich mutatis mutandis auf die Medienanstalten übertragen. 861 Wagner, Landesmedienanstalten, S. 111; Martin, ZUM 1993, 515 (520 f.). Vgl. für die Rechtsaufsicht z. B. § 60 Hessisches Privatrundfunkgesetz. 862 Sporn, Ländermedienanstalt, S. 7 f., und insbesondere Fn. 21 zu abweichenden Organisationsmodellen z. B. mit einem dritten Organ. 863 Variierende Bezeichnungen: Versammlung, Vorstand, Rundfunkkommission, Landesrundfunkausschuss, Medienrat (Sporn, Ländermedienanstalt, S. 8, Fn. 23). 864 BVerfG, Urt. v. 04.11.1986 – 1 BvF 1 / 84, juris Rn. 115, BVerfGE 73, 118 ff. 865 Fn. 830.
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Parallelen zwischen Medien- und Rundfunkanstalten konsequenterweise auf die Medienanstalten übertragen werden866. Allerdings lassen sich auch Unterschiede in den Aufgaben von Medienund Rundfunkanstalten identifizieren. Die Medienanstalten und ihre Organe üben nur eine (passive) Wächterfunktion aus, um die Rundfunkfreiheit zu sichern, während die Rundfunkanstalten selbst (aktiv) Rundfunkprogramme gestalten und hierbei ihr originäres Grundrecht aus Art. 5 I 2 Var. 2 GG ausüben. Die Landesmedienanstalten bilden ein externes, die Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten dagegen ein internes Kontrollorgan. Die Vielfalt soll im privaten Rundfunk durch die Vielzahl der Anbieter entstehen und wird durch die Medienanstalten nur von außen beaufsichtigt, wohingegen die binnenpluralistischen Organe der Rundfunkanstalten das Programm stärker beeinflussen können.867 Aus diesem Umstand lässt sich aber schwerlich ein erheblicher Unterschied in der Staatsferne präzise und nachvollziehbar herausarbeiten868, der noch dazu einen Unterschied in der Staatlichkeit der Verwendung der Rundfunkbeiträge im Sinne des Beihilferechts begründen könnte. Soweit die Rundfunkbeiträge zur Pluralismussicherung durch die Medienanstalten eingesetzt werden, sind sie daher genauso wenig als staatliche Mittel zu rubrizieren wie ihre Verwendung zur Programmgestaltung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. bb) Eingeschränkte Staatsferne der Medienanstalten bei der DVB-T-Förderung Dagegen ist der Fall der DVB-T-Förderung rechtlich anders gelagert und rechtfertigte eine Qualifikation der hierfür eingesetzten Rundfunkbeiträge durch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg als staatlich zurechenbare Beihilfe. Zunächst war der Sachverhalt für die Geltendmachung einer fehlenden Staatlichkeit der Zuwendung bereits etwas ungünstig gestaltet. Der Urteils tatbestand erwähnt den Umstand, dass die Bundesregierung zuvor die Ini 866 Hierfür plädieren Dörr, Funkkorrespondenz 21 / 2014, 6 (12); ders. / Schwartmann, Medienrecht, Rn. 151b; Ukrow, Funkkorrespondenz 51 / 2014, 3 (4). Ob eine Begrenzung des Anteils staatlicher und staatsnaher Mitglieder bei den binnenpluralen Kontrollorganen der Medienanstalten tatsächlich verfassungsrechtlich geboten ist oder deren externer und dadurch geringerer Einfluss auf die privaten Anbieter einen wesentlichen Unterschied begründet, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft werden. 867 Bumke, Landesmedienanstalten, S. 8, 9 f.; Westphal, Privatrundfunkaufsicht, S. 53 f.; Wagner, Landesmedienanstalten, S. 25 ff., 112. 868 Keinen Unterschied im Hinblick auf die Staatsferne von Landesmedienanstalten und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sieht auch Wagner, Landesmedienanstalten, S. 111. Starck, JZ 1983, 405 (409), hält die Landesmedienanstalten sogar für autonomer als die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, wobei er dies jedoch nicht genauer ausführt.
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tiative „Digitaler Rundfunk“ gestartet und zusammen mit den Ländern Empfehlungen zur Umstellung auf eine digitale Rundfunkübertragung bis 2010 erstellt hatte.869 Dies könnte den unvorteilhaften Anschein, die DVB-TFörderung sei in Umsetzung dieser vermeintlich verpflichtenden Initiative der Bundesregierung erfolgt, hervorgerufen und dazu geführt haben, dass die prinzipielle Unabhängigkeit der Medienanstalt von staatlichen Stellen nicht adäquat gewürdigt wurde. Allerdings war die Staatsferne der Medienanstalt bei der DVB-T-Förderung in der Tat schwächer ausgeprägt: Die Förderung von DVB-T zielte auf eine reine Technikförderung ohne unmittelbaren Vielfaltsbezug. Hier kam faktisch nur die Organisationsstruktur (Medienanstalt) und nicht der Förderzweck (DVB-T) in den Genuss einer besonderen Staatsferne. Diese geringere verfassungsrechtliche Bedeutung der DVB-T-Förderung manifestiert sich zugleich im einfachen Recht, indem die Förderung technischer Infrastruktur von einer besonderen landesgesetzlichen Ermächtigung (§ 40 I 2 RStV) abhängt870 und nicht zum klassischen Aufgabenbereich (Aufsicht) einer Landesmedienanstalt zählt. Der Einsatz von – für die Finanzierung der Grundversorgung gedachten871 – Rundfunkbeiträgen für private Anbieter stellt eine Anomalie im System der dualen Rundfunkordnung dar und ist im Grundsatz durch § 43 S. 2 RStV ausdrücklich verboten872. Im Gegensatz dazu ist die Aufsicht über den Privatrundfunk zur Pluralismussicherung verfassungsrechtlich geboten und kann vom Gesetzgeber nicht eingeschränkt werden.873 Bei den weiteren Aufgaben der Landesmedienanstalten besitzt er hingegen einen gewissen Gestaltungsspielraum. Diese Steuerungsmöglichkeit erhält sich der Gesetzgeber zudem, indem er die Förderungsmöglichkeiten in § 40 I 2 RStV befristet ausgestaltet und den Handlungsradius der Medienanstalten dadurch auch in zeitlicher Hinsicht beschränkt hat. Durch diesen Entscheidungsspielraum gewinnt der einfache Gesetzgeber verstärkte Kontrolle über die Verwendung der Rundfunkbeiträge. Dies wiederum rechtfertigt die staatliche 869 EuGH, Urt. v. 15.09.2011 – Rs. C-544 / 09 P, juris Rn. 8 = ZUM 2011, 900 ff. – DVB-T. 870 Kühn, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 40 RStV, Rn. 13. 871 BVerfG, Urt. v. 05.02.1991 – 1 BvF 1 / 85 u. a., juris Rn. 443, BVerfGE 83, 238 ff. 872 Beucher / Leyendecker / v. Rosenberg, Mediengesetze, § 43 RStV, Rn. 9 f. Das BVerfG ließ offen, ob und unter welchen Prämissen eine Finanzierung des privaten Rundfunks aus Rundfunkbeiträgen verfassungsgemäß wäre: BVerfG, Urt. v. 05.02.1991 – 1 BvF 1 / 85 u. a., juris Rn. 488, BVerfGE 83, 238 ff. 873 Der Gesetzgeber ist zur Schaffung einer positiven Rundfunkordnung kraft Verfassung verpflichtet und muss auch die Aufsicht über den Privatrundfunk gewährleisten: BVerfG, Urt. v. 16.06.1981 – 1 BvL 89 / 78, juris Rn. 83 ff., BVerfGE 57, 295 ff.; Urt. v. 04.11.1986 – 1 BvF 1 / 84, juris Rn. 106, BVerfGE 73, 118 ff.; Gounalakis / Zagouras, Medienkonzentrationsrecht, S. 14 f., 34 f.
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Kap. 5: Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht
Zurechnung im Beihilferecht. Denn andernfalls könnte der Gesetzgeber die Medienanstalten durch eine beliebige Ausweitung ihres Aufgabenkanons zur Umgehung beihilferechtlicher Bestimmungen einsetzen.874 Diese verwendungsabhängige Bewertung der Staatlichkeit der Rundfunkbeiträge kann durch die anschließende Analyse des Vergaberechts unterstrichen werden. b) Beihilferechtliche Folgerungen aus dem Vergaberecht Im Vergaberecht stellt sich ebenfalls die Frage nach der Qualifikation der Rundfunkbeiträge als staatliche Mittel, weil dies Voraussetzung für die Eigenschaft der Rundfunkanstalten als öffentliche Auftraggeber ist [aa)]. Daher könnten aus der Rechtsprechung zum Vergaberecht Rückschlüsse für das Beihilferecht gezogen werden [bb)]. aa) Rundfunkanstalten als Auftraggeber im Vergaberecht Zu Beginn werden die Vergaberichtlinie und ihre Umsetzung ins deutsche Recht kurz skizziert [(1)], um daran anknüpfend das Gerichtsverfahren mit Blick auf die Pflicht der Rundfunkanstalten zur Ausschreibung der Gebäudereinigung der GEZ zu erläutern [(2)]. (1) Vergaberichtlinie und ihre Umsetzung ins deutsche Recht Gemäß Art. 1 IX Unterabs. 2 c) der Koordinierungsrichtlinie 2004 / 18 / EG zur Vergabe öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge kann die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber alternativ dadurch begründet werden, dass eine Einrichtung überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird (1.), hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt (2.) oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind (3.).875 Diese Vorgabe und ihre wortgleiche Vorgängerregelung876 wurden 874 Zur Umgehungsgefahr bei genereller Ablehnung der Staatlichkeit der Rundfunkbeiträge: Grzeszick, NVwZ 2008, 608 (612). 875 ABl. 2004 L 134, S. 114 ff., mit Hervorhebung durch den Verfasser. 876 Art. 1 b) Unterabs. 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 92 / 50 / EWG zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge: ABl. 1992 L 209, S. 1 ff. Zu den Pa rallelen beider Richtlinien: EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 4 f. – GEZ.
A. Beihilfetatbestand235
in Deutschland durch § 98 Nr. 2 GWB umgesetzt. Vorliegend ist primär die erste Tatbestandsvariante „Finanzierung durch den Staat“ entscheidend, weil hier die Ähnlichkeit von Beihilfe- und Vergaberecht deutlich wird, während die anderen Varianten (Aufsicht oder Einfluss auf die Besetzung wichtiger Organe) erst auf einer späteren Stufe relevant werden, wenn die Übertragbarkeit vergaberechtlicher Wertungen auf das Beihilferecht erörtert wird. Die Richtlinie findet gemäß ihrem Art. 16 b) keine Anwendung auf folgende Bereiche: Kauf, Entwicklung, Produktion oder Koproduktion von Programmen, die zur Ausstrahlung durch Rundfunk- oder Fernsehanstalten bestimmt sind, sowie die Ausstrahlung von Sendungen.877 Hiermit korrespondiert § 100a II Nr. 1 GWB. (2) Ausschreibungspflicht hinsichtlich der Gebäudereinigung der GEZ Die Rundfunkanstalten878 vergaben Aufträge für Reinigungsdienstleistungen in den Gebäuden der GEZ mit einem geschätzten Auftragsvolumen von jährlich mehr als 400.000 € ohne förmliches Vergabeverfahren.879 Sie hielten sich nicht für öffentliche Auftraggeber i. S. v. § 98 Nr. 2 GWB. Die Finanzierung aus Rundfunkgebühren stelle keine staatliche Finanzierung dar (Var. 1), und eine staatliche Aufsicht (Var. 2) sei ebenfalls nicht gegeben, weil ohnehin nur eine Rechtsaufsicht bestehe, die noch dazu wegen der Staatsferne der Rundfunkanstalten sehr eingeschränkt sei. Auch die Voraussetzung, dass die Mehrheit der Mitglieder eines geschäftsführenden oder beaufsichtigenden Organs vom Staat benannt sei (Var. 3), werde nicht erfüllt, da die Mitglieder der Verwaltungsräte der Rundfunkanstalten aus Vertretern unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen bestünden.880 Das mit dem Rechtsstreit befasste OLG Düsseldorf legte dem EuGH drei Fragen vor. Erstens wollte es beantwortet wissen, ob bei den öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten eine überwiegende Finanzierung durch den Staat vorliege881, zweitens, ob eine solche Finanzierung einen direkten staatlichen Einfluss bei der Auftragsvergabe voraussetze882, und drittens, ob 877 Dies entspricht nicht wörtlich, aber inhaltlich Art. 1 a) iv) der früheren Richtlinie 92 / 50 / EWG. 878 Die GEZ ist nicht rechtsfähig, § 10 VII 1 RBStV. 879 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 23 – GEZ. 880 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 25 – GEZ; sowie ausführlicher zum Parteivortrag: OLG Düsseldorf Vergabesenat, EuGH-Vorlage v. 21.07.2006, VII-Verg 13 / 06 u. a., juris Rn. 8 = NZBau 2006, 731 ff. 881 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 32 – GEZ. 882 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 51 – GEZ.
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Kap. 5: Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht
die oben erwähnte Aufzählung der Ausnahmen abschließend sei883. Vorliegend ist die erste Frage von ausschlaggebender Bedeutung für die Beurteilung des beihilferechtlichen Tatbestandsmerkmals „aus staatlichen Mitteln“, während die zweite Frage später für die Beurteilung der Übertragbarkeit der vergaberechtlichen Wertungen auf das Beihilferecht benötigt wird. Die dritte Vorlagefrage barg keine Schwierigkeiten und wurde vom EuGH ohne längere Ausführungen bejaht.884 Die entscheidende Frage bestand darin, ob die Rundfunkanstalten überwiegend vom Staat finanziert würden. Der EuGH würdigte vor Befassung mit den eigentlichen Vorlagefragen den Umstand, dass in Deutschland ein „absolutes Verbot jeglicher staatlicher Einflussnahme“ auf Verwaltung und Betrieb der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bestehe und die Rundfunkfreiheit für den deutschen Staat von fundamentaler Bedeutung sei.885 Er vollzog das System der Rundfunkfinanzierung sehr detailliert nach und arbeitete die Staatsferne heraus.886 Das Gericht betonte, dass die nachfolgende Auslegung vor dem spezifischen Zweck der Vergaberichtlinie (keine Privilegierung einheimischer Bewerber) erfolge887, und bejahte im Ergebnis eine Finanzierung durch den Staat888. Dabei grenzte der EuGH ab, ob die Entrichtung der Rundfunkgebühr als solche auf einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung oder einem staatlichen Akt basiere, und nahm Letzteres an, weil sie in einem Gesetz festgelegt sei.889 Die Gebührenhöhe werde genauso wenig vertraglich vereinbart, sondern gesetzlich und damit staatlich bestimmt. Die Einbindung der KEF durchbreche die Zurechnung zum Staat nicht890, und daran würde sich selbst im Fall einer absoluten Verbindlichkeit des KEF-Vorschlags nichts ändern891. Außerdem bilde die Möglichkeit zur Durchsetzung der Rundfunkgebührenschuld mittels Verwaltungsakt einen entscheidenden Gesichtspunkt für eine staatliche Finanzierung.892 Die Frage nach dem staatlichen Einfluss auf die Rundfunkanstalten wurde ausschließlich im Rahmen der zweiten Vorlagefrage thematisiert. Das 883 EuGH,
Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 61 – GEZ. Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 67 – GEZ. 885 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 13 – GEZ. 886 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 14 ff. – GEZ. 887 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 35 f. – GEZ. 888 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 50 – GEZ. 889 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 41 – GEZ. 890 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 42 – GEZ. 891 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 43 – GEZ. 892 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 44 – GEZ. 884 EuGH,
A. Beihilfetatbestand237
Tatbestandsmerkmal „Finanzierung durch den Staat“ verlange keine direkte Einflussnahme des Staates oder anderer Stellen im Vergabeverfahren.893 Es genüge vielmehr eine „Verbundenheit im weiteren Sinne“ zwischen diesen Einrichtungen und dem Staat, die bei den Rundfunkanstalten bestehe, weil deren Existenz vom Staat abhänge. Ein konkreter Einfluss auf die Einrichtungen bei der Auftragsvergabe sei dagegen nicht erforderlich.894 Diese Verbundenheit beschränke sich aber lediglich auf Aufträge, die in keinem Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlichen Grundversorgungsauftrag der Rundfunkanstalten stünden, und umfasse gerade nicht Programmgestaltung und -produktion.895 Es müsse verhindert werden, dass die Rundfunkanstalten bei der nicht-programmbezogenen Auftragsvergabe sachfremde Erwägungen anstellten. Diese Gefahr könne das Grundgesetz nicht ausschließen, weshalb ein Eingreifen des Vergaberechts erforderlich sei.896 Die vorstehenden Ausführungen suggerieren einen gewissen Gleichklang von Beihilfe- und Vergaberecht und damit die Übertragbarkeit der vorgenannten Wertungen auf die beihilferechtliche Prüfung. Ob sich diese Parallele wirklich uneingeschränkt ziehen lässt, wird der nächste Abschnitt beleuchten. bb) Übertragbarkeit vergaberechtlicher Wertungen auf das Beihilferecht Die Ähnlichkeit der Tatbestandsmerkmale im Vergaberecht („Finanzierung durch den Staat“) und im Beihilferecht („staatlich“ und „aus staatlichen Mitteln“) legt eine gleiche Auslegung nahe und impliziert prima facie, dass die Staatsferne kein taugliches Argument mehr darstellt, um eine fehlende Staatlichkeit der Rundfunkbeiträge im Beihilferecht zu begründen. Zunächst werden Unterschiede (Einzelbetrachtung der Tatbestandsmerkmale) und anschließend Gemeinsamkeiten (Gesamtbetrachtung) zwischen den Rechtsgebieten angesprochen und am Ende in einen Ausgleich gebracht. Ein Unterschied zwischen Vergabe- und Beihilferecht besteht in der Bedeutung des staatlichen Einflusses für die Beurteilung der Frage, ob eine Einrichtung aus staatlichen Mitteln finanziert wird: Art. 1 IX der Vergaberichtlinie enthält mehrere eigenständige Gründe für eine staatliche Zurechnung: 1. Finanzierung, 2. Aufsicht oder 3. Einfluss 893 EuGH, 894 EuGH,
GEZ.
895 EuGH, 896 EuGH,
Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 52 – GEZ. Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 55 f. – Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 54 – GEZ. Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 56 – GEZ.
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Kap. 5: Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht
auf die Besetzung wichtiger Organe. Da die zweite und dritte Tatbestandsvariante explizit auf eine staatliche Beeinflussung abstellen, ist diese für die Beurteilung des ersten Tatbestandsmerkmals „Finanzierung durch den Staat“ ohne besondere Relevanz.897 Dem EuGH genügt eine „Verbundenheit im weiteren Sinne“.898 Diese Verbundenheit thematisierte er ausschließlich im Rahmen der zweiten Vorlagefrage, nachdem er bereits eine Finanzierung der Rundfunkanstalten durch den Staat in der ersten Vorlagefrage bejaht hatte. Dagegen setzt die Staatlichkeit der Mittel im Beihilferecht eine staatliche Kontrolle voraus.899 Der Unterschied wird durch zwei Zitate des EuGH besonders augenfällig. Zur Vergaberichtlinie führte er aus: „Diese Art der indirekten Finanzierung (Anm.: die Rundfunkgebührenfinanzierung) reicht für die Erfüllung der in der Gemeinschaftsregelung vorgesehenen Voraussetzung hinsichtlich der ‚Finanzierung durch den Staat‘ aus, ohne dass es erforderlich ist, dass der Staat selbst eine öffentlich-rechtliche oder pri vatrechtliche Einrichtung schafft oder benennt, die mit der Einziehung der Gebühr beauftragt wird.“900 Das Tatbestandsmerkmal „aus staatlichen Mitteln“ in Art. 107 I AEUV zielt laut EuGH hingegen darauf ab, dieje nigen Vorteile, „die über eine vom Staat benannte oder errichtete öffent liche oder private Einrichtung gewährt werden, einzubeziehen“.901 Im Beihilferecht ist gerade der Einfluss auf die zwischengeschaltete Einrichtung maßgebend.902 Daher sind die Tatbestandsmerkmale „staatlich“ und „aus 897 Zur fehlenden Relevanz staatlicher Einflussnahmemöglichkeiten im Vergaberecht: Oliver Dörr, in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 98 GWB, Rn. 76; Antweiler / Dreesen, EuZW 2007, 107 (108); Korthals, NZBau 2006, 215 (218); Pünder, in: Pünder / Schellenberg, Vergaberecht, § 98 GWB, Rn. 43. A. A.: Opitz, NVwZ 2003, 1087 (1090); Dreher, NZBau 2005, 297 (303), der die Eigenschaft der Rundfunkanstalten als Auftraggeber negiert, weil der notwendige Einfluss auf das Beschaffungsverhalten fehle. 898 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 56 – GEZ. Zwar führte der EuGH noch in einem früheren Urteil aus, dass jede Tatbestandsvariante eine „enge Verbindung einer Einrichtung mit dem Staat“ widerspiegle (EuGH, Urt. v. 01.02.2001 – Rs. C-237 / 99, Slg. 2001, I-939, Rn. 44 – OPAC). Aber er deutete bereits damals Unterschiede bei ihrer Auslegung an. Denn der Einfluss, der in der einen Tatbestandsvariante schon aufgrund der Finanzierung gegeben sei, müsse bei den anderen Tatbestandsvarianten durch einen zusätzlichen Einfluss kompensiert werden, damit die Tatbestandsvarianten im Ergebnis gleichwertig seien (a. a. O., Rn. 49). 899 Pünder, in: Pünder / Schellenberg, Vergaberecht, § 98 GWB, Rn. 43. 900 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 49 – GEZ, mit Hervorhebung durch den Verfasser. 901 EuGH, Urt. v. 13.03.2001 – Rs. C-379 / 98, Slg. 2001, I-2099, Rn. 58 – PreussenElektra. 902 Cremer, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art. 107 AEUV, Rn. 29.
A. Beihilfetatbestand239
staatlichen Mitteln“ des Art. 107 I AEUV enger als im Vergaberecht auszulegen.903 Ein weiterer Unterschied besteht in der Relevanz der Gegenleistung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Der EuGH rekurrierte in seiner vergaberechtlichen Entscheidung lediglich darauf, dass die Gebühren- bzw. Beitragspflicht auf einer gesetzlichen und nicht auf einer vertraglichen Grundlage beruhe. Für ihn war nicht entscheidend, dass die Rundfunkanstalten dem Bürger im Gegenzug ein Rundfunkprogramm offerieren, weil es sich hierbei nicht um eine vertragliche Gegenleistung handle.904 Im Beihilferecht dagegen erlangt das Rundfunkprogramm der Anstalten Bedeutung bei der (später erörterten) Frage der Begünstigung. Trotz dieser Unterschiede bei den einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen zielen beide Rechtsgebiete bei einer Gesamtbetrachtung auf die Verwirklichung eines offenen Binnenmarktes und werden vielfach zum selben Ergebnis gelangen.905 Wenngleich die Auslegung der Finanzierung „aus staatlichen Mitteln“ im Beihilferecht enger erfolgen kann, lässt sich die bereichsübergreifende Bedeutung der vergaberechtlichen Judikatur nicht leugnen.906 Die Bejahung der Verbundenheit zwischen Staat und Rundfunkanstalten im Vergaberecht belegt, dass der EuGH die Staatsferne nicht pauschal akzeptiert, sondern ihre konkrete Relevanz für die beanspruchte Ausnahme von europarechtlichen Vorschriften überprüft. Positiv fällt auf, dass der EuGH die verfassungsrechtliche Situation in Deutschland und mögliche Auswirkungen des Vergaberechts hierauf sehr genau würdigte und die Verbundenheit mit dem Staat ausdrücklich nicht auf die (aber auch nicht streitgegenständliche) Programmgestaltung bezog. Im Beihilferecht wird man die Staatsferne als Argument gegen die Zurechnung der Rundfunkfinanzierung zum Staat daher lediglich für die unmittelbare Programmgestaltung nachvollziehbar vortragen können. Für den Teil des Beitragsaufkommens, der für 903 Pünder, in: Pünder / Schellenberg, Vergaberecht, § 98 GWB, Rn. 43. Dagegen sieht Dreher, NZBau 2005, 297 (304), umgekehrt das Vergaberecht partiell als enger an, weil dort im Wortlaut nur die unmittelbare „staatliche“ Finanzierung erwähnt werde, während das Beihilferecht ausdrücklich auch eine mittelbare Finanzierung („aus staatlichen Mitteln“) genügen lasse. Antweiler / Dreesen, EuZW 2007, 107 (108), plädieren dafür, die Staatlichkeit der Finanzierung in beiden Rechtsgebieten wegen des gemeinsamen Ziels eines offenen Marktes gleich auszulegen. 904 EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – Rs. C-337 / 06, Slg. 2007, I-11173, Rn. 45 – GEZ. 905 Sogar für eine kohärente Auslegung: Antweiler / Dreesen, EuZW 2007, 107 (108). Für eine Parallelwertung trotz gewisser Unterschiede zwischen Vergabe- und Beihilferecht: Dreher, NZBau 2005, 297 (304). 906 Ähnlich: Gundel, ZUM 2008, 758 (763). Die Bedeutung der vergaberecht lichen Entscheidung für das Beihilferecht offenlassend: Wagner, Rundfunkgebühr, S. 236.
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Kap. 5: Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht
andere Bereiche vorgesehen ist, schließt sich die Folgefrage an, ob er auch die weiteren Voraussetzungen des Beihilfeverbots erfüllt, insbesondere eine Begünstigung i. S. v. Art. 107 I AEUV darstellt (II.). Die praktische Konsequenz dieser Zweiteilung ist ein unterschiedlicher Prüfungsmaßstab, indem die Tätigkeiten der Rundfunkanstalten ohne einen unmittelbaren Programmbezug im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Begünstigung mit denen eines privatwirtschaftlichen Unternehmens verglichen werden, während die unmittelbare Programmgestaltung nicht diesem strengen Vergleichsmaßstab unterfällt, wodurch der verfassungsrechtliche Grundversorgungsauftrag besser berücksichtigt wird. 3. Zwischenergebnis Die Staatsferne kann lediglich im Hinblick auf die unmittelbar programmbezogene Verwendung von Rundfunkbeiträgen als Argument gegen eine staatliche Zurechnung dienen. Zwar ist der Erfolg eines solchen Vortrags angesichts der Tendenz in der Rechtsprechung zur umfassenden Bejahung der Staatlichkeit der Rundfunkfinanzierung ungewiss, aber gerade in der Entscheidung zur Eigenschaft der Rundfunkanstalten als öffentliche Auftraggeber hat der EuGH die besondere Stellung des Rundfunks in Deutschland herausgehoben und hierbei anerkannt, dass der staatliche Einfluss auf Festsetzung, Erhebung und Verwendung der Rundfunkbeiträge weitgehend ausgeschlossen ist. Folglich könnte seine Bewertung anders ausfallen, soweit die Rundfunkbeiträge durch die Rundfunkanstalten zur Programmgestaltung sowie durch die Medienanstalten zur Vielfaltsicherung eingesetzt werden. Jedoch trägt es nicht zur Glaubwürdigkeit bei, wenn man das Argument der Staatsferne auch im Fall der Auftragsvergabe der Gebäudereinigung bemüht. Daher sollten die Rundfunkanstalten die bereits eingetretene Entwicklung in der Rechtsprechung partiell akzeptieren und die Staatsferne nur noch in nachvollziehbaren Fällen vorbringen. In diesem eingeschränkten Umfang kann die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit der Rundfunkfinanzierung die beihilferechtliche Zurechnung zum Staat durchbrechen. Der Einwand, dass das Beihilferecht hierdurch zu leicht durch nationales Verfassungsrecht umgangen werden könnte907, überzeugt in dieser Pauschalität nicht. Die Umgehungsgefahren sind nicht in jedem Mitgliedstaat gleich ausgeprägt, weil sich die Verfassungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Gewährleistung eines staatsfrei907 Grzeszick, NVwZ 2008, 608 (612), der eine Zurechnung zum Staat uneingeschränkt bejaht und eine Umgehungsgefahr sieht, wenn auf nationales Verfassungsrecht Rücksicht genommen würde. Daher solle der Interessenwiderstreit über das Tatbestandsmerkmal der Begünstigung gelöst werden.
A. Beihilfetatbestand241
en Rundfunks zum Teil wesentlich unterscheiden. In England beispielsweise können verfassungsrechtliche Prinzipien durch einen Mehrheitsbeschluss des Parlaments geändert und sogar aufgehoben werden. Zudem fehlt eine besondere gerichtliche Instanz, die vergleichbar unserem BVerfG über die Einhaltung der Grundrechte wacht. Die Souveränität des Parlaments steht über den „civil liberties“ mit der Konsequenz, dass die Rundfunkfreiheit in einem deutlich geringeren Maße als in Deutschland verfassungsrechtlich geschützt wird.908 Aus diesem Grund ist die englische Rundfunkgebühr („television licence fee“), die von der Kommission als staatliches Mittel qualifiziert wurde909, nicht uneingeschränkt mit dem deutschen Rundfunkbeitrag vergleichbar. Eine unterschiedliche Behandlung der Rundfunkfinanzierungssysteme ließe sich rechtsdogmatisch, aber wahrscheinlich nicht politisch rechtfertigen. Rein praktisch gilt es zu bedenken, dass allein in Deutschland ca. 29,7 Mrd. € im Beitragszeitraum 2013–2016910 für die Rundfunkfinanzierung aufgewandt werden. Bei Verneinung der Staatlichkeit dieser Mittel verlöre die Kommission ihren Einfluss in diesem Bereich vollständig, was möglicherweise auch aus Sicht des EuGH ein rechtspolitisch unbefriedigendes Ergebnis darstellt. Daher wird das Gericht die grundsätzliche Frage der Staatlichkeit der Rundfunkbeiträge nach Möglichkeit dahinstehen lassen und das Augenmerk stattdessen auf das Tatbestandsmerkmal „Begünstigung“ legen, weil es mehr Differenzierungsmöglichkeiten erlaubt.
II. Begünstigung Damit die finanzielle Zuwendung eines Mitgliedstaates keine Begünstigung i. S. v. Art. 107 I AEUV darstellt, müssen die vier kumulativen Kriterien der EuGH-Entscheidung Altmark Trans erfüllt sein: Betrauung mit einer gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung (1.), Transparenz bei der Berechnung des finanziellen Ausgleichs, Vermeidung einer Überkompensation (beides sub 2.) und die Bestimmung der Zuwendungshöhe auf der Basis einer Kostenanalyse (3.).
908 Sommerhoff, Meinungsvielfalt und Medienkonvergenz, S. 137; KEK, 1. Konzentrationsbericht, S. 388 f.; v. Brünneck, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 16, 150 (zum Fehlen einer Verfassungsgerichtsbarkeit in Großbritannien), S. 150 f. (zur uneingeschränkten Souveränität des Parlaments). 909 Kommission, Entsch. v. 01.10.2003, C(2003) 3371 fin, State aid No N 37 / 2003, Rn. 21 – United Kingdom BBC Digital Curriculum: „the latter (Anm.: television licence fee) is a mandatory measure imposed by the State.“ 910 KEF, 19. Bericht, Tz. 281.
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Kap. 5: Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht
1. Betrauung Erstens muss das geförderte Unternehmen wirklich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher, genau definierter Verpflichtungen betraut sein.911 Die Verfassung schreibt den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die „unerläßliche“ Aufgabe zu, eine Grundversorgung der Bevölkerung mit ausgewogenen Rundfunkprogrammen zu gewährleisten.912 Die Betrauung an sich erscheint daher nicht problematisch, während die Frage nach der Klarheit der Definition größeres Konfliktpotenzial birgt. Denn bereits der Rundfunkbegriff des Art. 5 I 2 Var. 2 GG lässt sich nicht abschließend definieren, er muss vielmehr für neue Entwicklungen aufgeschlossen sein.913 In gleicher Weise ist das Verständnis der Grundversorgung „offen und dynamisch“.914 Hiermit und mit der verfassungsrechtlich garantierten Autonomie der Rundfunkanstalten zur eigenbestimmten Umsetzung dieses weiten Auftrags konfligieren die beihilferechtlichen Anforderungen.915 Allerdings hat die Kommission auf diesen Umstand Rücksicht genommen, indem sie für den Rundfunkbereich eine „breit gefasste“ Definition genügen lässt, die eine Betrauung der Rundfunkanstalten mit einem ausgewogenen und weit gefächerten Programm ermöglicht.916 Zudem beschränkt die Kommission ihre Prüfung der Definition auf evidente Fehler. Ein solcher läge vor, wenn auch Bereiche umfasst wären, die keinen Bezug zu den „demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen“ der Bevölkerung besäßen.917 Darüber hinaus wurde im Rahmen des sog. Beihilfekompromisses eine einfachgesetzliche Präzisierung des Rundfunkauftrags, vor allem für den Bereich der Online-Angebote, vereinbart918 und u. a. durch § 11 f RStV und seinen Drei-Stufen-Test umgesetzt.919 Die Reform der Rundfunkfinanzierung hat in diesem Bereich keine Veränderungen bewirkt, weshalb sich die Erfüllung des ersten Altmark-Trans-Kriteriums bejahen lässt.
911 EuGH, Urt. v. 24.07.2003 – Rs. C-280 / 00, Slg. 2003, I-7747, Rn. 89 – Altmark Trans. 912 BVerfG, Urt. v. 04.11.1986 – 1 BvF 1 / 84, juris Rn. 103, BVerfGE 73, 118 ff. 913 BVerfG, Urt. v. 05.02.1991 – 1 BvF 1 / 85, juris Rn. 418, BVerfGE 83, 238 ff. 914 BVerfG, Urt. v. 05.02.1991 – 1 BvF 1 / 85, juris Rn. 410, BVerfGE 83, 238 ff. 915 Grzeszick, NVwZ 2008, 608 (609); Wieland, Lokalrundfunkfinanzierung in Bayern, S. 68 f. 916 Kommission, Rundfunkmitteilung v. 15.11.2001, ABl. 2001 C 320, Rn. 33. 917 Kommission, Rundfunkmitteilung v. 15.11.2001, ABl. 2001 C 320, Rn. 36. 918 Kommission, Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761, Rn. 327 ff. – sog. Beihilfekompromiss; Gersdorf, in: Gersdorf / Paal, Medienrecht, § 11 RStV, Rn. 6. 919 Gounalakis / Jäkel, ZWeR 2011, 243 (244); Gersdorf, in: Gersdorf / Paal, Medienrecht, § 11 f RStV, Rn. 1 f.
A. Beihilfetatbestand243
2. Transparenz und Vermeidung einer Überkompensation Die Einhaltung der Transparenz und des Verbots einer Überkompensation müssen nicht nur theoretisch [a)], sondern auch praktisch gewährleistet sein [b)]. a) Grundsätzliche Gewährleistung durch den RFinStV Das zweite Altmark-Trans-Kriterium verlangt objektive und transparente Parameter zur Kalkulation der Kompensation, um zu verhindern, dass die finanzielle Zuwendung einen ökonomischen Vorteil verleiht, der das geförderte Unternehmen im Wettbewerb begünstigt.920 Diese Voraussetzung ist eng verknüpft mit dem dritten Kriterium, dem Verbot einer Überkompensation, weil erst eine transparente Berechnung die Beurteilung der Frage ermöglicht, ob eine Überkompensation zu besorgen ist. Eine Überkompensation tritt ein, wenn der Ausgleich die Kosten übersteigt, die zur Erbringung der gemeinwirtschaftlichen Aufgabe notwendig sind. Gleichwohl darf ein angemessener Gewinn erzielt werden.921 Die Kommission verlangt daher eine getrennte Buchführung für die kommerziellen Tätigkeiten der Rundfunkanstalten einerseits und die Erfüllung des Grundversorgungsauftrags andererseits.922 Für die Einhaltung des Transparenzgebots kann man auf das unabhängige Verfahren der KEF zur Ermittlung des Finanzbedarfs923 und die Veröffentlichung dieser detaillierten Berichte rekurrieren924. Auch eine Überkompensation wird prinzipiell dadurch verhindert, dass die KEF gemäß § 1 I RFinStV den Finanzbedarf für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Grundversorgungsauftrags ermittelt und gemäß § 3 I 2, III 1 RFinStV die Einhaltung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit durch die Rundfunkanstalten überprüft.925 Zwar hat sich bei ausschließlicher Betrachtung der Rechtslage durch den Systemwechsel in der Rundfunkfinanzierung 920 EuGH, Urt. v. 24.07.2003 – Rs. C-280 / 00, Slg. 2003, I-7747, Rn. 90 – Altmark Trans. 921 EuGH, Urt. v. 24.07.2003 – Rs. C-280 / 00, Slg. 2003, I-7747, Rn. 92 – Altmark Trans. 922 Kommission, Rundfunkmitteilung v. 15.11.2001, ABl. 2001 C 320, Rn. 49. 923 Vortrag der Bundesregierung: Kommission, Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761, Rn. 83 – sog. Beihilfekompromiss. 924 Diesen Aspekt hob auch das EuG in seiner Entscheidung über die dänische Rundfunkgebührenfinanzierung hervor: EuG, Urt. v. 22.10.2008 – Rs. T-309 / 04 u. a., Slg. 2008, II-2935, Rn. 228 – TV2. 925 Vortrag der Bundesregierung: Kommission, Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761, Rn. 83 – sog. Beihilfekompromiss; Gersdorf, Rundfunkrecht, Rn. 561; Dieter Dörr, MP 2005, 333 (338).
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Kap. 5: Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht
an der Einhaltung des zweiten und dritten Altmark-Trans-Kriteriums nichts geändert, aber ihre Befolgung in der Praxis ist zweifelhaft. b) Unzureichende Umsetzung im 19. KEF-Bericht Die Rundfunkanstalten hielten sich nicht an das Transparenzgebot, weil sie der KEF keine Daten über reformbedingte Direktanmeldungen von Beitragsschuldnern zur Verfügung stellten. Eine Direktanmeldung liegt vor, wenn der Beitragsservice eigeninitiativ für Personen ein Beitragskonto erstellt und danach Rundfunkbeiträge einfordert. Diese Form der Anmeldung erfolgt, wenn durch einen Meldedatenabgleich ermittelte Beitragsschuldner auf Schreiben nicht reagieren.926 Der 19. KEF-Bericht vom Februar 2014 erläutert, dass der Beitragsservice die Daten zu Direktanmeldungen im privaten Bereich für das Jahr 2013 gar nicht ermittelt habe und die Anstalten diese nicht in ihrer Finanzplanung berücksichtigt hätten.927 Die KEF geht von insgesamt 1,55 Mio. neuen Beitragsschuldnern in der Beitragsperiode 2013–2016 als Folge von Direktanmeldungen aus und beziffert die dadurch hervorgerufenen Mehreinnahmen auf ca. 1,1 Mrd. €928 – eine Einschätzung, die der Beitragsservice in einer Pressemitteilung vom März 2015 im Wesentlichen bestätigte929. Als Konsequenz der fehlenden Ist-Zahlen zu den Direktanmeldungen sind die Berechnungen laut KEF „für die gesamte Pe riode bis 2016“ mit Unwägbarkeiten verbunden.930 Für die rechtliche Bewertung ist von entscheidender Bedeutung, warum diese Zahlen nicht erhoben wurden. Dies erscheint umso erklärungsbedürftiger, weil der KEF-Bericht in anderen Bereichen relativ aktuelles Datenmaterial zugrunde legte. Beispielsweise erwähnte er im Rahmen der Einführung in die Ertragsprognose die Berücksichtigung von Ist-Zahlen bis zum November 2013.931 Allerdings enthält der Bericht keinerlei Erklärung zum gänzlichen Fehlen der Daten über Direktanmeldungen. Laut Auskunft einer Rundfunkanstalt hat der Beitragsservice erst Ende 2013 mit dem Verfahren der Direktanmeldungen begonnen, da er zunächst ein Testverfahren habe 926 Beitragsservice,
Geschäftsbericht 2013, S. 23. 19. Bericht, Tz. 322. 928 KEF, 19. Bericht, Tz. 287 f. Die erwarteten Direktanmeldungen im Rahmen des einmaligen und regelmäßigen Meldedatenabgleichs wurden vorliegend addiert. 929 Der Beitragsservice erwartet für die laufende Beitragsperiode 2013–2016 Mehreinnahmen im Umfang von ca. 1,5 Mrd. €, wobei im Jahr 2014 rund drei Viertel der Mehrerträge aus Direktanmeldungen resultierten: Pressemitteilung vom 05.03.2015: http: / / www.rundfunkbeitrag.de / e175 / e1557 / 20150305_Pressemeldung_ Mehreinnahmen_ARD_ZDF_DRadio.pdf, zuletzt am 09.05.2015 abgerufen. 930 KEF, 19. Bericht, Tz. 322. 931 KEF, 19. Bericht, Tz. 282. 927 KEF,
A. Beihilfetatbestand245
durchführen und auswerten wollen. Zum Zeitpunkt der Erstellung des KEFBerichts hätten daher noch keine Daten vorgelegen.932 Zwar ist es nachvollziehbar, dass der Beitragsservice ein Testverfahren durchführte, aber er hätte die Umsetzung engagierter vorantreiben und eine Prognose auf der Basis der Ist-Zahlen zumindest partiell ermöglichen müssen, um keinen Verstoß gegen den sog. Beihilfekompromiss und damit ein neues Verfahren der Kommission zu riskieren. Denn die Zugrundelegung von Ist-Zahlen anstelle von Schätzungen war ausdrücklicher Kompromissgegenstand. Die Kommission forderte die Verwendung aktueller Zahlen bei den Berechnungen der KEF933, und die Bundesregierung sagte verpflichtend934 zu, dass die KEF „durchgängig eine Überprüfung auf der Basis von Ist-Zahlen“ vornehmen werde und Planzahlen höchstens vorläufig zur Verwendung kämen, bis eine spätere Kalkulation auf tatsächlicher Grundlage möglich sei.935 Dies wurde zudem im nationalen Recht verankert936: Gemäß § 3 V 1 RFinStV soll die Prüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs von der KEF grundsätzlich auf der Basis von IstZahlen vorgenommen werden. Soweit die Berechnungen auf Planzahlen oder Schätzwerten basieren, werden diese gemäß § 3 V 2 RFinStV nachträglich zur Vermeidung einer Überfinanzierung mit den Ist-Zahlen abgeglichen. Die Rundfunkanstalten sind zwar gemäß § 1 II 1 RFinStV verpflichtet, die notwendigen Daten zur Verfügung zu stellen, aber wenn sie ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, werden gemäß § 3 IV 2 RFinStV Schätzungen zugrunde gelegt.937 Diese nationalen Vorschriften bleiben etwas hinter dem Kompromiss zurück, da sie die Bedeutung der Ist-Zahlen zu wenig würdigen, indem die Prüfung nur „grundsätzlich“ auf ihnen beruhen „soll“ 932 Auskunft vom 28.08.2014 durch Herrn Eicher, Justiziar beim SWR und Mitglied im Verwaltungsrat des Beitragsservice, an den Verfasser. In einer Pressemitteilung vom 05.03.2015 (Fn. 929) führt der Beitragsservice aus, dass die Durchführung von Direktanmeldungen im Zeitpunkt der Erstellung des 19. KEF-Berichts noch nicht beschlossen gewesen sei und deshalb keine Berücksichtigung gefunden habe. 933 Kommission, Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761, Rn. 317 – sog. Beihilfekompromiss. 934 Die Verbindlichkeit der Zusagen folgt aus Art. 19 I 2 der Verordnung (EG) Nr. 659 / 1999 des Rates v. 22.03.1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 93 des EG-Vertrags, veröffentlicht in: ABl. 1999 L 83. Siehe auch: v. Wallenberg / Schütte, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, EUV / AEUV, Art. 108 AEUV, Rn. 127. 935 Kommission, Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761, Rn. 354 – sog. Beihilfekompromiss. 936 Zum Einfluss des Beihilfekompromisses auf die Gestaltung des § 3 RFinStV: Goerlich / Zimmermann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 3 RFinStV, Rn. 4, 6a. 937 Vgl. auch: Goerlich / Zimmermann, in: Hahn / Vesting, Rundfunkrecht, § 3 RFinStV, Rn. 5.
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Kap. 5: Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht
und die Einhaltung dieser Vorgabe nicht wirksam sichergestellt ist, wenn der KEF direkt die bequeme Alternative der Schätzung aufgezeigt wird. Der Kommission war eine Berechnung auf der Basis tatsächlicher Angaben besonders wichtig, weil dadurch eine Überkompensation vermieden werden soll.938 Daher riskieren die Rundfunkanstalten ein neues Beihilfeverfahren, in dem die Bundesrepublik Deutschland die Beweislast für das Vorliegen der Altmark-Trans-Kriterien trifft939 und eine Offenlegung der Zahlen ohnehin unumgänglich ist. Außerdem ist zweifelhaft, ob die Kommission die von den Rundfunkanstalten angeführten Gründe für das partielle Fehlen der IstZahlen akzeptieren würde, zumal der Beitragsservice die Durchführung der Testverfahren und die anschließende praktische Umsetzung möglicherweise durch die temporäre Einstellung zusätzlichen Personals hätte beschleunigen können. 3. Kostenanalyse Das vierte Kriterium sieht folgende Alternativen vor: Vergabeverfahren oder Kostenanalyse, wobei ein Vergabeverfahren ersichtlich ausscheidet. Die Kostenanalyse soll die Höhe des notwendigen Ausgleichs bestimmen, den ein „durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen“ bei der Erfüllung der Verpflichtungen hätte.940 Diese Aufgabe kommt ebenfalls der KEF zu, die gemäß § 3 III 1 RFinStV Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit überprüft. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass – entgegen der Kommission941 – ein Vergleich mit einem privaten Rundfunkanbieter nicht möglich ist, da die Rundfunkanstalten bei der Erfüllung ihres Grundversorgungsauftrags gerade keinem Kosten- und Quotendruck unterliegen und ein vielfältiges Qualitätsprogramm anbieten.942 Die Grundversorgung der Bevölkerung obliegt den 938 Kommission, Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761, Rn. 282, 317 – sog. Beihilfekompromiss. 939 Wolf, in: MüKo, Wettbewerbsrecht, Bd. III, S. 278 f., Rn. 762 f.; Kommission, Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761, Rn. 166 – sog. Beihilfekompromiss. Bereits im vorgenannten Beihilfeverfahren bemängelte die Kommission, dass ihr gar nicht die Daten vorgelegt worden seien, die für eine Überprüfung des vierten AltmarkTrans-Kriteriums (effizientes Wirtschaften der Rundfunkanstalten) notwendig seien. 940 EuGH, Urt. v. 24.07.2003 – Rs. C-280 / 00, Slg. 2003, I-7747, Rn. 93 – Altmark Trans. 941 Kommission, Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761, Rn. 166 – sog. Beihilfekompromiss. 942 Koenig / Haratsch, ZUM 2003, 804 (811 f.). Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums schlägt den Einsatz moderner Effizienzanalysen durch die KEF vor, um die Wirtschaftlichkeit der Rundfunkanstalten zu erhöhen (Gutachten, S. 22), wobei er insgesamt sehr vage bleibt. In dieser abstrakten Form begegnet der Vorschlag des Beirats keinen Bedenken, doch entsteht durch das Gesamtgutachten
A. Beihilfetatbestand247
öffentlich-rechtlichen Anstalten.943 Angesichts dessen müsste man einen sehr hypothetischen Vergleich mit einem privaten Rundfunkanbieter anstellen, der mit der Erbringung von Grundversorgungsleistungen in Deutschland betraut wäre.944 Zwar können private Anbieter von Lokalfernsehen in Bayern945 und seit Januar 2015 auch in Sachsen946 mit Grundversorgungsaufgaben betraut werden, aber sie bilden sicherlich keinen adäquaten Vergleichsmaßstab, weil sich diese Lokalanbieter hinsichtlich Programmqualität und Kosten deutlich von den viel größeren Rundfunkanstalten unterscheiden. Das Fehlen eines angemessenen Vergleichsfalls im privatwirtschaftlichen Bereich für die vorliegende Prüfung unterstreicht abermals die weiter oben aufgestellte These, dass es angebrachter erscheint, die Rundfunkbeiträge bereits nicht als staatliche Mittel zu qualifizieren, soweit sie für die unmittelbare Programmgestaltung bestimmt sind. Davon abgesehen sollte es zur Erfüllung des vierten Altmark-Trans-Kriteriums jedenfalls genügen, dass sich die Rundfunkanstalten an die o. g. Gebote der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit halten.947 Diesbezüglich hat die Reform keine strukturellen Veränderungen bewirkt.
eher der Eindruck, dass auch in diesem Punkt die kritische Haltung gegenüber dem gegenwärtigen System bekundet werden sollte. 943 Siehe Fn. 912. 944 Koenig / Haratsch, ZUM 2003, 804 (811 f.), die u. a. einen Vergleich der öffentlich-rechtlichen Anstalten untereinander vorschlagen. 945 Art. 23 II BayMG. 946 § 28 I 2 Nr. 18 SächsPRG i. V. m. § 5 I der Satzung der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien zur Förderung der Verbreitungskosten lokaler Fernsehsender in Sachsen vom 26. Januar 2015. § 28 I 2 Nr. 18 Sächs PRG wurde im Juli 2014 eingefügt (GVBl. 2014, Nr. 10, S. 374). Für weitere Informationen siehe Fn. 131. 947 Vortrag der Bundesregierung (Kommission, Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761, Rn. 83 – sog. Beihilfekompromiss), dem die Kommission nicht folgte (Rn. 166), weil das KEF-Verfahren bereits von einem Finanzbedarf ausgehe. Die Erfüllung des vierten Altmark-Trans-Kriteriums bejahend: Koenig / Haratsch, ZUM 2003, 804 (811 f.); Thaenert, MMR 2005, 279 (283); Albrecht Hesse, AfP 2005, 499 (506). Das EuG schloss es in seiner Entscheidung über die dänische Rundfunkgebühr nicht aus, dass Wirtschaftsanalysen im Gebührenfestsetzungsverfahren dafür geeignet sein könnten, die Einhaltung der vierten Altmark-Trans-Prämisse sicherzustellen (EuG, Urt. v. 22.10.2008 – Rs. T-309 / 04 u. a., Slg. 2008, II-2935, Rn. 232 – TV2). Die These von Thum, NVwZ 2007, 521 (523, 526), dass sich eine Überkompensation nicht wirksam vermeiden lasse, beruht noch auf der alten Rechtslage, als keine getrennte Buchführung von kommerziellen und nicht-kommerziellen Tätigkeiten erfolgte. Er kritisiert zudem, dass die Rundfunkanstalten ihre Einsparpotenziale nicht hinreichend nutzen und sich daher nicht wie gut geführte Unternehmen verhalten würden (523 f.). Allerdings sollte man aus diesem Grund nicht die Eignung des KEF-Verfahrens an sich infrage stellen, sondern es optimieren.
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Kap. 5: Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht
4. Zwischenergebnis Die Einhaltung der Altmark-Trans-Kriterien ist möglich und die Einführung des Rundfunkbeitrags hat rechtstheoretisch keine neue Bewertungs situation geschaffen. Jedoch kommen die Rundfunkanstalten in der Praxis ihren Transparenzverpflichtungen nicht nach, weil sie den tatsächlichen Umfang der reformbedingten Einnahmen für den 19. KEF-Bericht nicht hinreichend ermittelt haben. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Art. 106 II AEUV eine Bereichs ausnahme für Unternehmen vorsieht, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind. Diese Bereichsausnahme wird auch auf die Rundfunkanstalten angewandt. Allerdings überschneiden sich die auf Art. 107 I AEUV bezogenen Prüfkriterien der Altmark-Trans-Entscheidung weitgehend mit den Anforderungen des Art. 106 II AEUV.948 Sogar das EuG behandelte die Prämissen von Art. 107 I AEUV und Art. 106 II AEUV mitunter zusammen949, während die Kommission die Bereichsausnahme des Art. 106 II AEUV in dem Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland anlässlich der Rundfunkfinanzierung nachrangig prüfte.950 Da sich dieser Kathederstreit nicht auf das Ergebnis auswirkt951, wird er vorliegend nicht vertieft und Art. 106 II AEUV nicht näher erörtert. Eigenständige Bedeutung hat dagegen die Kulturklausel des Art. 107 III d) AEUV und ihre Erörterung komplettiert als letzter Schwerpunkt die Beihilfeprüfung.
B. Rechtfertigung durch Art. 107 III d) AEUV Gemäß Art. 107 III d) AEUV können Beihilfen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes mit dem Binnenmarkt vereinbar sein, soweit sie die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Union nicht in einem Maß beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Die Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erfüllen diese Anforderungen.952 § 11 I 1 RStV erwähnt die Erfüllung der demokratischen, 948 Kling, Staatliches Handeln, S. 94; Wolf, in: MüKo, Wettbewerbsrecht, Bd. III, S. 289, Rn. 783. 949 EuG, Urt. v. 12.02.2008 – Rs. T-289 / 03, Slg. 2008, II-81, Rn. 160 – BUPA. 950 Kommission, Entsch. v. 24.04.2007, K(2007) 1761, Rn. 169 (Art. 107 I AEUV), Rn. 217 (Art. 106 II AEUV) – sog. Beihilfekompromiss. Siehe allgemein zur gestuften Prüfung durch die Kommission: Wolf, in: MüKo, Wettbewerbsrecht, Bd. III, S. 291 f., Rn. 788. 951 So auch die Einschätzung von: Wieland, Lokalrundfunkfinanzierung in Bayern, S. 76. 952 Eberle, ZUM 1995, 763 (767); Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 76, der keine vertieften Ausführungen anstellt und stattdessen auf das unveröffentlichte
B. Rechtfertigung durch Art. 107 III d) AEUV249
sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft als Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, und § 11 I 5 RStV verpflichtet vor allem zum Angebot kultureller Beiträge. Dies korrespondiert mit der Judikatur des BVerfG, wonach zum Grundversorgungsauftrag eine „kulturelle Verant wortung“953 gehört.954 Die Kommission hingegen legt Art. 107 III d) AEUV im Rundfunkbereich überzogen restriktiv aus.955 Sie postuliert eine trennscharfe Differenzierung zwischen den kulturellen, sozialen und demokratischen Bedürfnissen einer Gesellschaft und beruft sich hierfür auf das Amsterdamer Protokoll über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten.956 Darin haben die Mitgliedstaaten anerkannt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit den „demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen jeder Gesellschaft sowie mit dem Erfordernis verknüpft ist, den Pluralismus in den Medien zu wahren“.957 Die Kommission kritisiert, dass bei der Gewährung staatlicher Beihilfen an öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten vielfach nicht hinreichend zwischen diesen drei Bereichen getrennt werde. Eine Beihilfe für den Rundfunk könne lediglich unter Art. 107 III d) AEUV fallen, wenn sich die Förderung ausschließlich auf Kultur beziehe und ein Mitgliedstaat dies durch eine „gesonderte Definition und eine gesonderte Finanzierung“ garantiere.958 In Umsetzung ihrer Differenzierung ordnete die Kommission die Kanäle Phoenix und Kinderkanal nicht dem kulturellen Bereich zu, weil diese Programme demokratische und pädagogische Bedürfnisse befriedigen würden.959 Allerdings wird ersichtlich, dass das Protokoll die verschiedenen Bedürfnisse nicht als getrennte Bereiche, sondern als eine Einheit versteht und dadurch die Vielfalt der Berichterstattung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten würdigt. Die Aufspaltung der Gebiete durch die Kommission wirkt sehr künstlich und entspricht nicht dem Normzweck. Eine reine Fokussierung auf den kulturellen Bereich würde dem Vielfaltsgebot Rechtsgutachten von Streinz / Herrmann, S. 24 f., verweist. Siehe auch: Streinz, Amsterdamer Protokoll, in: Bedeutung des Europäischen Rechts für den nationalen Rundfunk, S. 59 (82). 953 BVerfG, Urt. v. 04.11.1986 – 1 BvF 1 / 84, juris Rn. 104, BVerfGE 73, 118 ff.; Urt. v. 22.02.1994 – 1 BvL 30 / 88, juris Rn. 147, BVerfGE 90, 60 ff. 954 Zur gesetzgeberischen Motivation für die Betonung kultureller Themen: Bay LT-Drs. 16 / 260, S. 14, rechte Spalte. 955 Kritisch auch: Gounalakis, Funktionsauftrag, S. 172. 956 Kommission, Rundfunkmitteilung v. 15.11.2001, ABl. 2001 C 320, Rn. 26. 957 Protokoll v. 02.10.1997, ABl. 1997 C 340, S. 109. 958 Kommission, Rundfunkmitteilung v. 15.11.2001, ABl. 2001 C 320, Rn. 27. 959 Gounalakis, Funktionsauftrag, S. 172; Frenz, Hdb. Europarecht, Bd. III, Rn. 1122.
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Kap. 5: Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht
nicht gerecht, weshalb sie keine Voraussetzung für die Erfüllung der Kulturklausel sein kann. Die Kommission räumt selbst ein, dass Kultur ein „komplexer Begriff“ ist, der sich nicht präzise definieren lässt.960 Erst recht kann man ihn nicht genau von demokratischen und sozialen Bedürfnissen abgrenzen. Daher muss ein deutlicher Schwerpunkt bei kulturellen Themen, wie ihn § 11 I 5 RStV setzt, genügen. Diese Norm wurde wie die Akzentuierung der demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse in § 11 I 1 RStV erst nach dem Beihilfekompromiss eingefügt.961 Da die Kommission aber eine ausschließliche Fokussierung auf Kultur verlangt, würde sie eine Rechtfertigung nach Art. 107 III d) AEUV wahrscheinlich auch auf der Basis der geltenden Rechtslage verneinen. Vor diesem Hintergrund überrascht die großzügige Bejahung der Kulturklausel durch die Kommission in einem anderen Bereich: Videospiele mit kulturellem Bezug. Die Kommission stellte darauf ab, dass die UNESCO die Videospielbranche als Kulturbranche qualifiziert und deren Bedeutung für die kulturelle Vielfalt anerkannt habe. Weiterhin habe die UNESCO eine Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen verabschiedet. Zudem werde berücksichtigt, dass Videospiele „Konzepte, Werte und Themen vermitteln können“, die das kulturelle Umfeld ihrer Entwicklung widerspiegeln und die Einstellung vor allem von jungen Spielern beeinflussen könnten. Ferner beachtete die Kommission den Umstand, dass sich die Spieler vermehrt aus verschiedenen Altersgruppen, Gesellschaftsschichten und beiden Geschlechtern zusammensetzten.962 Der primär unterhaltende Charakter dieser interaktiven Spiele stehe einer kulturellen Dimension nicht entgegen, und Videospiele seien mit Formen des Theaterspiels vergleichbar, bei denen eine Interaktion mit dem Publikum erfolge.963 Die Entscheidungspraxis der Kommission wirkt nicht konsequent. Wenn Videospiele auf junge Menschen positiv einwirken und ihnen kulturelle Werte vermitteln können, stellt sich die Frage, warum man diese Spiele nicht genauso wie den Kinderkanal den erzieherischen Bedürfnissen zuordnet. Außerdem werden im Rundfunk echte Theaterspiele ausgestrahlt, und 960 Kommission, Mitteilung v. 10.05.2007 an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, KOM (2007) 242, S. 4. 961 Eingefügt durch den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag v. 21.01.2009: Bay LT-Drs. 16 / 260, S. 14. 962 Kommission, Entsch. 2008 / 354 / EG v. 11.12.2007, K(2007) 6070, ABl. 2008 L 118, Rn. 63 – Steuergutschrift für die Erstellung von Videospielen. Vgl. zu dieser Entscheidung auch: Scharf, in: MüKo, Wettbewerbsrecht, Bd. III, S. 1151, Rn. 1162. 963 Kommission, Entsch. 2008 / 354 / EG v. 11.12.2007, K(2007) 6070, ABl. 2008 L 118, Rn. 64 – Steuergutschrift für die Erstellung von Videospielen.
C. Ergebnis251
die o. g. Konvention der UNESCO über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen vom 20. Oktober 2005 erwähnt den öffentlichen Rundfunk im Gegensatz zu Videospielen explizit in ihrem Art. 6 II h) als Maßnahme zur Erhöhung von Medienvielfalt.964 Die EU hat diese Konvention 2006 – vor dem Beihilfekompromiss – angenommen965, aber ihre Organe scheinen die Bedeutung der Konvention nur sehr einseitig verinnerlicht zu haben966. Die Kommission will offensichtlich nicht anerkennen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter die Kulturklausel fällt, weil die Rundfunkanstalten dann nicht mehr darauf angewiesen wären, die strengen Altmark-Trans-Kriterien zur Wirtschaftlichkeit einzuhalten. Die politische Motivation zur „Beaufsichtigung“ der Finanzierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks resultiert wahrscheinlich aus seiner enormen wirtschaftlichen Bedeutung.
C. Ergebnis Die Rundfunkfinanzierung stellt keine Beihilfe i. S. v. Art. 107 I AEUV dar. Zwar lässt sich ihre fehlende Staatlichkeit nur noch für die unmittelbar programmbezogenen Tätigkeiten der Rundfunkanstalten und die Vielfaltsicherung durch die Medienanstalten Erfolg versprechend vortragen, aber sie begründet jedenfalls keine Begünstigung und fiele unter die Kulturklausel. Die Reform hat keine entscheidungserheblichen Veränderungen herbeigeführt. Selbst bei einer Qualifikation des Rundfunkbeitrags als Beihilfe wäre er als bestehende Beihilfe nicht gemäß Art. 108 III 1 AEUV notifikationspflichtig gewesen.967 Indes haben sich die Rundfunkanstalten im Rahmen der Vorbereitungen zur Erstellung des 19. KEF-Berichts nicht ausreichend an die Transparenzvorgaben gehalten, die Gegenstand des Beihilfekompromisses waren.
964 http: / / www.unesco.de / konvention_kulturelle_vielfalt.html, zuletzt am 13.08. 2014 abgerufen. Siehe auch: Beschluss des Rates vom 18.05.2006 über den Abschluss des Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (2006 / 515 / EG), ABl. 2006 L 201, S. 15 (20). Die Bedeutung der UNESCO-Konvention akzentuierte bereits Albrecht Hesse, AfP 2005, 499 (503). 965 Siehe Fn. 964. 966 Zwar erwähnt die Kommission in ihrer aktualisierten Rundfunkmitteilung v. 27.10.2009, ABl. 2009 C 257, Rn. 13, die UNESCO-Konvention, ändert aber nicht ihren Standpunkt bei der Auslegung der Kulturklausel (Rn. 35). 967 So auch VerfGH BY, Urt. v. 15.05.2014 – Vf. 8-VII-12 u. a., juris Rn. 89 f. = DVBl. 2014, 848 ff.; Paul Kirchhof, Rechtsgutachten, S. 76; Wagner, Rundfunkgebühr, S. 246. A. A.: Geuer, CR 2013, 156 (160).
Fazit und Ausblick Der Rundfunkbeitrag sollte einfach und gerecht sein. Zwar hat die Analyse gezeigt, dass er diese Vorgaben nicht ganz erfüllt, aber diese Unzulänglichkeiten lassen sich beheben und die Diskussion über seine Verfassungsmäßigkeit dadurch etwas befrieden. Einfach ist er insofern, als der erhebliche Verwaltungsaufwand für die Ermittlung von Empfangsgeräten beseitigt wurde. Trotzdem bewirkt die Neuregelung einen nicht zu unterschätzenden Verwaltungsaufwand im betrieblichen Bereich, weil der Beitragsservice im Rahmen der Beitragsberechnung nach der Sozialversicherungspflichtigkeit der Beschäftigungsverhältnisse differenzieren muss. Der Umstand, dass Auszubildende nicht mitgezählt werden, erschwert ebenfalls den Vollzug. Sollte der Beitragsservice tatsächlich lediglich eine Plausibilitätskontrolle der Selbstangaben der Betriebsinhaber durchführen, droht langfristig ein Erhebungsdefizit und die Reform hätte nur einen geringen Beitrag zur Belastungsgleichheit geleistet. Um dieser Gefahr vorzubeugen, sollten zukünftig zur Vereinfachung des Gesetzesvollzugs alle Beschäftigten berücksichtigt und als Ausgleich der Beitragssatz gesenkt werden. Die Neuregelung ist überwiegend gerecht. Insbesondere erfüllt der Rundfunkbeitrag die verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Beitrag, indem er jedem Schuldner einen Vorteil vermittelt. Die entscheidende Herausforderung wird für das BVerfG darin bestehen, den individuellen Vorteil von Personen ohne Empfangsgerät zu begründen. Angesichts der deutlichen Hervorhebung des individuell-konkreten Vorteils in der jüngsten Rechtsprechung968 ist nicht zu erwarten, dass es sich vergleichbar unkritisch Kirchhofs Idee eines „strukturellen“ Vorteils aus der Informationskultur und der Bedeutung der Rundfunkanstalten für die Demokratie zu eigen macht, wie dies durch die Verfassungsgerichtshöfe von Rheinland-Pfalz und Bayern erfolgte. Denn es gilt, die langfristigen Folgen einer derartigen Weichenstellung zu bedenken. Der Beitrag droht entmaterialisiert zu werden mit der Konsequenz, dass die Grenzlinie zur Steuer immer mehr verblasst. Außerdem birgt die Einführung neuer Termini die Gefahr einer erheblichen Rechtsunsicherheit. Daher sollte an etablierte Vorteilskategorien 968 BVerfG, Beschl. v. 25.06.2014 – 1 BvR 668 / 10 u. a., juris Rn. 52 = WM 2014, 1693 ff.
Fazit und Ausblick253
angeknüpft werden. Die jederzeitige individuelle Möglichkeit zur Nutzung des Rundfunkangebots kann einen ausreichenden mittelbaren Vorteil begründen, weil die Anschaffung eines Empfangsgeräts aufgrund der geringen Kosten keine wesentliche Zäsur bildet. Alternativ ließe sich einräumen, dass der Rundfunkbeitrag in Bezug auf Personen ohne Empfangsgerät einen beitragsdogmatischen Sonderweg beschritten hat, der sich im Rahmen einer erweiternden Interpretation der Verfassung hält, hilfsweise einem Verfassungswandel Rechnung trägt. Zum einen bedarf es eines langfristig zukunftsfähigen Konzepts und die Beitragsfinanzierung ist faktisch alternativlos. Zum anderen betrifft diese Ausdehnung des Vorteilsbegriffs eine relativ kleine Gruppe, die sich in den kommenden Jahren weiter reduziert, sodass dieser partielle Bruch mit der Beitragsdogmatik nur vorübergehender Art wäre. Die Beitragsbemessung begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Blick auf andere Beiträge hat gezeigt, dass große Belastungsdivergenzen keine Besonderheit des Rundfunkbeitragsrechts darstellen. Alle Beiträge sehen sich mit dem Problem der richtigen Vorteilsermittlung und Belastungsverteilung konfrontiert. Die Rechtsprechung billigt dem Gesetzgeber hier einen weiten Spielraum zu, weil jedes Bemessungssystem Schwächen besitzt und es nicht sachgerecht erscheint, eine umstrittene Regelung durch ein vergleichbar kritisierbares Konzept zu ersetzen. Dennoch ist die Aufnahme einer Härtefallregelung für den betrieblichen Bereich ratsam, um die Auswirkungen der Beitragslast im Einzelfall berücksichtigen zu können und die Diskussion im Hinblick auf die besondere Belastung des betrieblichen Bereichs zu befrieden. Allein beim vollen Rundfunkbeitrag für Zweitwohnungen hat der Gesetzgeber sein Bewertungsermessen überschritten, da ein Beitragsschuldner in seiner Haupt- und Nebenwohnung nicht gleich intensiv Rundfunk konsumieren kann. Angemessen wäre daher ein halber Rundfunkbeitrag. Der Gesetzgeber wird eine Korrektur vornehmen müssen, z. B. indem er den vollen Rundfunkbeitrag rückwirkend durch einen halben substituiert. Genauso korrekturbedürftig, aber nicht verfassungswidrig erscheint der lediglich ermäßigte Rundfunkbeitrag für die vormals gemäß § 6 I 1 Nr. 7 und 8 RGebStV befreiten Personen. Der Gesetzgeber hat die Befreiungen mit einer nicht im Ansatz überzeugenden Begründung (vermeintlicher Gleichheitsverstoß) abgeschafft. Sowohl das weite Bewertungsermessen als auch das Sozialstaatsprinzip erlauben Befreiungen für körperlich beeinträchtigte Menschen. Selbst das BSG hat seine kritische Rechtsauffassung überdacht und relativiert. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber eine vergleichbare Einsicht zeigt und die abgeschafften Befreiungen um der sozialen Gerechtigkeit willen wieder einführt.
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Fazit und Ausblick
Abschließend ist zu konstatieren, dass der Rundfunkbeitrag zwar keine kopernikanische Wende bewirkt hat, da er sich in vielen Aspekten nicht allzu sehr von anderen Beiträgen unterscheidet und nur bei der Vorteilsbegründung für Personen ohne Empfangsgerät Begründungsschwierigkeiten hervorruft. Aber die Reform der Rundfunkfinanzierung kann insofern eine Vorbildwirkung z. B. für das Steuerrecht entfalten, als sie die Handlungs fähigkeit und den Reformmut der Politik zu einem grundlegenden Systemwechsel bewiesen hat.
Zusammenfassung in Thesen 1. Der RGebStV war aufgrund der Medienkonvergenz und der wenig effektiven Kontrollinstrumente der GEZ reformbedürftig, obschon kein strukturelles Erhebungsdefizit existierte resp. unmittelbar drohte. 2. Der Beitrag ist die einzig geeignete Abgabe für die Rundfunkfinanzierung, weil er sowohl eine staatsfreie Grundversorgung für die gesamte Bevölkerung gewährleisten kann als auch in der konkreten Umsetzung keine erheblichen dogmatischen Brüche zur Folge hat. 3. Kirchhofs Gutachten ist paradox, da er die Notwendigkeit eines individuellen Vorteils der Rundfunkbeitragsschuldner von den alternativen Konzepten einer anstaltsbezogenen Verteilungsgerechtigkeit und einer nut zerbezogenen Tauschgerechtigkeit abhängig macht. Zum einen findet dieser Dualismus keine Stütze in der Verfassung und zum anderen können deren Mindestanforderungen an einen Beitrag nicht variieren. 4. Die Existenz eines tatsächlichen Vorteils ist die unentbehrliche verfassungsrechtliche Voraussetzung eines jeden Beitrags. Sie kann auch im Fall des Rundfunkbeitrags nicht mithilfe einer unwiderlegbaren Vermutung oder typisierenden Annahme des Bereithaltens eines Empfangsgeräts übergangen werden. 5. Darüber hinaus erfüllt der RBStV nicht die konkreten Typisierungsvoraussetzungen der Rechtsprechung, weil der Gesetzgeber eine typisierende Heranziehung von Personen ohne Empfangsgerät hätte vermeiden können, indem er das ebenfalls praktikable Alternativkonzept einer widerlegbaren Vermutung des Bereithaltens eines Empfangsgeräts eingeführt hätte. 6. Um dem parlamentarischen Willen für das verwirklichte Reformkonzept adäquat Rechnung zu tragen, sollten alle Optionen zur Erhaltung des RBStV erwogen werden. Diese Optionen beinhalten den Versuch, den Vorteil von Personen ohne Empfangsgerät aus der bisherigen Beitragsdogmatik herzuleiten, den RBStV hilfsweise verfassungskonform auszulegen und schließlich den Ansatz einer erweiternden Interpretation des verfassungsrechtlichen Beitragsbegriffs bzw. sogar eines Verfassungswandels zu entwickeln. 7. Die Anforderungen der Rechtsprechung an das Vorliegen beitragsrechtlicher Vorteile sind zwar sehr gering, aber ein abstrakter Vorteil kann nicht ausreichen, wie vor allem die Entscheidung des BVerfG vom Juni 2014 zu
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den wiederkehrenden Straßenbaubeiträgen belegt. Dieses Judikat akzentuiert die Notwendigkeit eines konkret-individuellen Vorteils und lässt eine Ab lehnung von Kirchhofs Idee eines strukturellen Vorteils für jeden Inländer aus der medienbedingten Informationskultur erkennen. Es bedeutet gleichwohl kein Menetekel für den Rundfunkbeitrag, weil sich ein konkret-individueller Vorteil für Personen ohne Empfangsgerät auf andere Weise begründen lässt. 8. Der Rundfunkbeitrag wahrt beitragsrechtliche Anforderungen, da ein individueller mittelbarer Vorteil für Personen ohne Empfangsgerät aufgrund der jederzeitigen Möglichkeit zum Erwerb eines solchen Geräts und zur Nutzung des universell verfügbaren Rundfunkprogramms besteht. Die Anschaffung eines Empfangsgeräts begründet keine wesentliche Zäsur, die den Zurechnungszusammenhang zwischen Vorteil und Last durchbricht. Zum einen sind die Kosten hierfür nicht sehr hoch, zum anderen werden Beitragsschuldner, für die sich die Anschaffungskosten trotzdem als finanzielle Hürde erweisen, von der Beitragspflicht befreit. 9. Eine verfassungskonforme Auslegung des RBStV durch Anwendung der Härtefallklausel in § 4 VI RBStV auf Beitragsschuldner ohne Empfangsgerät wäre nicht hilfsweise möglich, weil dem Gesetzgeber hierdurch ein gänzlich anderes Reformkonzept oktroyiert und damit ein tragendes Reformelement konterkariert würde. 10. Eine erweiternde Verfassungsinterpretation wäre als ultima ratio möglich, weil der Rundfunkbeitrag die einzig verlässliche Finanzierungsform für ein staatsfreies öffentlich-rechtliches Rundfunkprogramm bildet. Diesem Umstand trüge die Verfassung durch eine Ausdehnung des beitragsrechtlichen Vorteilsbegriffs für den Bereich der Rundfunkfinanzierung Rechnung. Die Reduktion der gesetzgeberischen Auswahlmöglichkeiten auf eine Beitragsfinanzierung ist der besonderen Sensibilität der Verfassung gegenüber staatlicher Einflussnahme auf das Rundfunkprogramm geschuldet, die sich z. B. in der Begrenzung der Anzahl staatlicher und staatsnaher Mitglieder in den Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten manifestiert. Allerdings ist eine erweiternde Verfassungsinterpretation nicht zwingend, da sich der Rundfunkbeitrag im Rahmen der herkömmlichen Beitragsdogmatik hält. 11. Die Beitragsbemessung ist bis auf den vollen Zweitwohnungsbeitrag verfassungsgemäß. Isoliert betrachtet sind die übrigen Kritikpunkte überzeugend, vergleicht man den Rundfunkbeitrag aber mit anderen Beiträgen, wirken die Bedenken konstruiert und spitzfindig. Die etablierten Beiträge prägen das beitragsrechtliche Verständnis von Vorteilsäquivalenz und Gleichheit; sie bilden den Vergleichsmaßstab bei der Prüfung, um eine realitätsgerechte Bewertung der Rundfunkbeitragsbelastung zu erzielen.
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12. Die Anknüpfung an die Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter einer Betriebsstätte in § 5 I RBStV ist rechtmäßig, da sie den kommunikativen Nutzen gut erfasst. Weder eine unternehmensbezogene Anknüpfung noch eine Unterscheidung nach Branchen sowie Voll- und Teilzeitbeschäftigten erscheint erforderlich, weil dies die Erhebung unverhältnismäßig erschweren würde. Daten zu Betriebsstätten waren bereits bei der GEZ vorhanden und ermöglichten eine verlässliche Prognose des Beitragsaufkommens nach der Reform, die auch verfassungsrechtlich geboten war, denn die Rundfunkanstalten sind für die Erfüllung des Grundversorgungsauftrags auf stabile Einnahmen angewiesen. 13. Die Differenzierung zwischen sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten erschwert die Beitragserhebung unnötig und sollte daher durch eine Berücksichtigung aller Beschäftigten und einer Reduktion des Beitragssatzes als Ausgleich für die erweiterte Bemessungsgrundlage ersetzt werden. 14. Die Regierungsbegründung zur Gruppenbildung in § 5 I RBStV überzeugt nicht, weil kein sachlicher Zusammenhang zwischen der Rundfunkbeitragserhebung und der Einteilung kleiner und mittlerer Betriebe durch die Kommission besteht. Die Kommission intendiert durch ihre Einteilung eine an der Leistungsfähigkeit orientierte Wirtschaftsförderung, während der Rundfunkbeitrag kommunikative Vorteile erfassen soll. In Wirklichkeit ging es dem Gesetzgeber um Aufkommensstabilität. Ein solches Motiv wäre angesichts der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur funktionsgerechten Finanzierung der Rundfunkanstalten keinen Bedenken ausgesetzt. 15. Die Degression und die Begrenzung auf 180 Beiträge pro Betriebsstätte in § 5 I RBStV sind sachgerecht, da sie eine übermäßige Beitragsbelastung verhindern und die Prognose einer degressiven Vorteilsentwicklung nachvollziehbar erscheint. 16. Die besondere Belastung von Filialunternehmen ist ebenfalls verfassungsgemäß, weil sich die Vorteilsermittlung als diffizil erweist und dies einen sehr weiten Bewertungsspielraum des Gesetzgebers bedingt. Hierbei handelt es sich nicht um ein spezifisches Problem des Rundfunkbeitrags, vielmehr ziehen sich die Schwierigkeit der Vorteilsermittlung, der Ermessensspielraum des Gesetzgebers und die gerichtliche Zurückhaltung bei der Überprüfung wie ein roter Faden durch alle behandelten Beiträge. Insbesondere die gerichtliche Zurückhaltung ist verständlich, da es nicht die Aufgabe der Judikative ist, ihre Vorstellung der Vorteilsentwicklung an die Stelle der parlamentarischen Bewertung zu setzen. In vielen Fällen käme dies ohnehin nur der Ersetzung einer umstrittenen Bewertung durch eine ebenfalls kritikfähige Regelung gleich. Auch im Rundfunkbeitragsrecht sind apodiktische Aussagen hinsichtlich der Vorteilsverteilung nicht möglich.
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Entsprechend ist hier eine vergleichbare Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers anzuerkennen. 17. Die Rundfunkbeitragslast der Filialunternehmen relativiert sich dadurch, dass andere Beiträge ähnliche Belastungsunterschiede vorsehen. Noch dazu intendierte der Gesetzgeber des RBStV keine besondere Beschwer der Filialunternehmen, sondern wollte ihnen durch die Beitragsbefreiung von einem Kraftfahrzeug pro Betriebsstätte (§ 5 II 2 RBStV) einen Ausgleich gewähren. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Vor- und Nachteile wirkt diese Vorgehensweise ausgewogen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Filialen eines bundesweit tätigen Unternehmens vor Ort mit eigenständigen Betriebsstätten im Wettbewerb stehen und eine gleiche Beitragslast zu gleichen Wettbewerbsbedingungen beiträgt. 18. § 5 II 1 RBStV sieht im Gegensatz zu § 5 I RBStV speziell für Mietwagenunternehmen und Hotelbetriebe einen proportionalen und unbegrenzten Anstieg der Beitragslast vor, was die Frage der Systemgerechtigkeit des RBStV aufwirft. Gleichwohl lässt sich hierfür eine sachliche Rechtfertigung anführen, weil die reformbedingte Überlastungsgefahr der Mietwagenunternehmen und Hotels geringer erscheint und sich ihre Vorteile eher propor tional entwickeln. Zwar ergeben sich bei der betriebsbezogenen Überlastungsgefahr abstrakt gesehen kaum Unterschiede zu den Betriebsstätten in § 5 I RBStV, aber die produktbezogene Belastung der Mietwagenunternehmen und Hotelbetriebe infolge der Reform konnte vom Gesetzgeber einfacher prognostiziert werden. Da sich Belastung und Kundenvertrag auf denselben Gegenstand (Kraftfahrzeug, Hotelzimmer) beziehen, ließen sich die Auswirkungen des Rundfunkbeitrags auf den Preis der Dienstleistung einfach vorhersehen, während dies bei der Anknüpfung an Beschäftigte pro Betriebsstätte in § 5 I RBStV nicht der Fall war. Zudem steigt der Vorteil der Mietwagenunternehmen und Hotelbetriebe eher proportional an, weil sich die Empfangsgemeinschaften mit Zunahme der Mietwagen bzw. Hotelzimmer bei gleichbleibendem Vorteil pro Rezipient vervielfachen, wohingegen sich die Empfangsgemeinschaft einer Betriebsstätte i. S. v. § 5 I RBStV aufgrund der räumlichen Kapazitäten vergrößern kann (degressiver Effekt). Weiterhin realisiert ein Mietwagenunternehmen bzw. ein Hotelier mit jedem Vertrag die Vorteile aus der eigenen Vermarktung des Rundfunkangebots als Bestandteil seiner Dienstleistung. 19. Eine Härtefallregelung für den betrieblichen Bereich ist empfehlenswert, weil sie die Möglichkeit zur Erzielung von Einzelfallgerechtigkeit bietet und befriedende Wirkung entfaltet. 20. Die Erhebung von Beiträgen für Zweitwohnungen ist an sich zulässig, da weitere Vorteile auch zusätzlich belastet werden können. Zwar tangiert der Zweitwohnungsbeitrag den besonderen verfassungsrechtlichen
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Schutz von Ehe und Familie, aber wegen seiner geringen Höhe erschwert er die Vereinbarkeit von Ehe und Familie mit einer berufsbedingten doppelten Haushaltsführung nicht spürbar. 21. Der volle Rundfunkbeitrag für Zweitwohnungen verstößt gegen Art. 3 I GG, weil wesentlich ungleiche Sachverhalte (Rundfunknutzung in Haupt- und Nebenwohnung) ohne sachliche Rechtfertigung gleich behandelt werden. Der Rundfunkkonsum in Haupt- und Nebenwohnung ist nicht gleich intensiv, da eine Nebenwohnung in geringerem Umfang genutzt wird. Eine Rechtfertigung lässt sich insbesondere nicht in einer Umgehungsgefahr sehen, die bei einem niedrigeren Zweitwohnungsbeitrag drohen könnte. Weder eine Ummeldung der Erst- in eine Zweitwohnung noch eine Nichtanmeldung der Zweitwohnung allein wegen des Rundfunkbeitrags sind realistisch, zumal diese Vorgehensweisen mit erheblichen Nachteilen verbunden sind. Schließlich kann nicht damit argumentiert werden, dass der alte RGebStV bereits eine Gebühr für Geräte in Zweitwohnungen vorsah, denn eine Unterscheidung zwischen Geräten in Erst- und Zweitwohnungen war damals nicht sachgerecht, da Empfangsgeräte leicht transportiert werden können. Dagegen enthält das gegenwärtige System einen immobilen Anknüpfungspunkt. 22. Die Ersetzung der Befreiung behinderter Rundfunkteilnehmer in § 6 I 1 Nr. 7 und 8 RGebStV durch einen Drittelbeitrag war nicht geboten. Der Gesetzgeber sollte die Befreiung um der sozialen Gerechtigkeit willen wieder einführen. 23. Anlass der Einführung eines ermäßigten Rundfunkbeitrags für die ehemals befreiten Rundfunkteilnehmer dürfte die Kritik des BSG in einem Urteil aus dem Jahr 2000 gewesen sein, wonach die Rundfunkgebührenbefreiung behinderter Menschen gegen den Gleichheitssatz verstoße, da sie keinen behinderungsbedingten Mehraufwand kompensiere. Doch änderte das BSG seine Rechtsprechung vor der Reform mehrfach. Zunächst lobte und dann kritisierte es die Befreiung, schließlich relativierte es seine Bedenken. Dass der Gesetzgeber nur die Entscheidung aus dem Jahr 2000 gekannt haben soll, erscheint kaum nachvollziehbar. 24. Die befreiungskritische Rechtsprechung des BSG war fehlerhaft. Zum einen postulierte das BSG einen behinderungsbedingten Mehraufwand als Voraussetzung einer Rundfunkgebührenbefreiung, obwohl der RGebStV dieses Kriterium nicht enthielt. Zum anderen besitzt der Gesetzgeber aufgrund des Sozialstaatsprinzips einen weiten Spielraum bei der Einführung von Sozialklauseln im Gebühren- und Beitragsrecht. Befreiungen sind auch nicht davon abhängig, ob die Mindereinnahmen durch Steuergelder kompensiert oder auf die anderen Abgabenschuldner umgelegt werden. Im Fall des Rundfunkbeitrags lassen sich die Beitragsausfälle ohnehin durch sonsti-
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ge Einnahmen aus Werbung, Sponsoring etc. ausgleichen. Die Verfassung ist für sozial gestaffelte Gebühren und Beiträge offen und billigt dem einfachen Gesetzgeber eine Konkretisierungsbefugnis zu. Speziell zugunsten behinderter Menschen verstärkt Art. 3 III 2 GG die sozialstaatliche Fürsorgebefugnis. 25. Alternativ ließe sich eine Beitragsbefreiung sogar ungeachtet sozialstaatlicher Erwägungen durch eine beitragsrechtliche Bewertung der reduzierten Vorteile aus dem Rundfunkprogramm mit 0 % statt mit gegenwärtig 33 % (Drittelbeitrag) erzielen. 26. Selbst wenn die Beitragsbemessung im Ergebnis ganz oder teilweise verfassungswidrig wäre, bedeutete dies womöglich nur einen Pyrrhussieg für etwaige Beschwerdeführer, weil der Gesetzgeber eine verfassungswidrige Regelung rückwirkend durch eine verfassungsgemäße ersetzen darf. Dabei dürfte sich die individuelle Beitragslast sogar nachteilig verändern, da dieses Risiko jeder Neuverteilung von Lasten immanent ist. Diese Gefahr besteht hingegen nicht für die Schuldner des Zweitwohnungsbeitrags, weil deren Beitragshöhe zwingend gesenkt werden muss. 27. Die Rundfunkfinanzierung ist im Grundsatz mit dem europäischen Beihilferecht vereinbar. Insbesondere stellen unmittelbar programmbezogen eingesetzte Rundfunkbeiträge wegen der besonderen Staatsferne keine staatlichen Mittel dar und wären zudem durch die Kulturklausel gerechtfertigt. Dementgegen wirft die erhebliche Berücksichtigung von Schätzwerten bei der Kalkulation der reformbedingten Beitragseinnahmen im 19. KEF-Bericht Zweifel an der Einhaltung des Transparenzgebots auf und riskiert ein neues Beihilfeverfahren.
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Sachwortverzeichnis Abgabensystem 37 ff. Alternatives Reformkonzept 72 ff. Altmark-Trans 241 ff. Anstaltsbezogene Verteilungsgerechtigkeit 52 ff. Ärztekammerbeiträge 69, 86 ff. Aufkommensneutralität 214 ff. Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten 44 f., 226, 231 f. Aufsichtsgroschen 82 f. Auskunftsanspruch 26 ff. S.
S.
S.
S.
– Eignung für die Rundfunkfinanzierung 41 Gebühreneinzugszentrale 25, 227 Gruppenbildung bei der Beitrags bemessung 120 ff. S.
S.
S.
S.
S.
S.
S.
S.
Barrierefreiheit 210 ff. Begünstigung im Beihilferecht 241 ff. Beitrag – Begriff 38 – Eignung für die Rundfunkfinanzierung 48 f. Beitragsservice siehe Gebühreneinzugszentrale Betriebsstätte 112 ff. BSG-Rechtsprechung 177 ff. S.
S.
Handwerkskammerbeiträge 136 f. Härtefallregelung 99, 103 ff., 160 ff. Hotelbetriebe 149, 151, 154 ff. S.
S.
S.
Kabelgroschen 81 f. KEF 32, 43, 216, 224 f., 227 f., 236, 243 ff. Kirchhofs Konzept 52 ff., 100 f., 194 f. Kohlepfennig 89 ff. Kulturklausel 248 ff. S.
S.
S.
S.
S.
S.
S.
Mailing 29 Medienanstalten 230 ff. Medienkonvergenz 30 f., 52, 97, 159 Mietwagenunternehmen 149 ff. S.
S.
S.
S.
S.
S.
Nutzerbezogene Tauschgerechtigkeit 52 ff., 100 S.
Degression 122 ff. DVB-T 229 ff. S.
PreussenElektra 223 Proportionaler Beitragsanstieg 125 ff., 146, 149 ff. S.
S.
S.
Ehe und Familie 166 ff. Erhebungsdefizit 31 ff., 76, 119 S.
S.
Reformanlass 30 ff. Rundfunkbeitragsstaatsvertrag 35 f. Rundfunkgebührenstaatsvertrag 23 ff. S.
Filialunternehmen 132 ff. Finanzierungssonderabgabe – Begriff 38 f. – Eignung für die Rundfunkfinanzierung 47 f. S.
S.
S.
S.
S.
Schwerbehinderte Rundfunkteilnehmer 174 ff. Sozialklauseln 184 ff. Steuer – Begriff 37 f. S.
S.
Gebühr – Begriff 38 S.
S.
276 Sachwortverzeichnis – Eignung für die Rundfunkfinanzierung 42 ff. Straßenbaubeiträge 93 ff., 102 ff., 144 f., 165, 172 Systemgerechtigkeit 149 ff. S.
S.
S.
Vergaberecht 234 ff. Verwaltungspraktikabilität 59, 65, 68, 72 ff., 118 f., 150, 171 Vollzugsdefizit siehe Erhebungsdefizit Vorteil – mittelbarer 55, 68, 83, 84 f., 95, 96 ff. – struktureller 38, 52, 55, 87, 93, 100, 195 – unmittelbarer 55, 68, 69, 83, 84 f., 95, 96, 126 S.
S.
S.
Teilnehmerdichte 31 f. Teilzeitbeschäftigte 118 f. Transparenzgebot 243 ff. Typisierung 50 f., 53, 57 ff., 70, 71 ff., 87, 163 S.
S.
S.
S.
S.
S.
Weimarer Reichsverfassung 198 Widerlegbare Vermutung siehe Alternatives Reformkonzept Widersprüche der Gesetzesreform 31 ff., 54 ff., 113 f., 119, 151, 171, 176, 194 f., 212, 213 S.
Umgehungsgefahr beim Zweitwohnungsbeitrag 169 ff. Umverteilender Beitrag 186 ff. S.
S.
S.
Verfassungsbeschwerde und ihre Erfolgsaussichten 219 f. Verfassungskonforme Auslegung 102 ff. Verfassungswandel 105 ff. S.
S.
S.
Zwecksteuer 43 f. Zweitwohnungsbeitrag 164 ff. Zweitwohnungssteuer 166 f. S.
S.
S.