Die nächste Organisation: Management auf dem Weg in die digitale Moderne 9783839453599

Organisation ist eine spezifische Form der Zeitbindung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden dazu jene Konzepte entwick

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German Pages 294 Year 2020

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Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung
3. Management als Arbeit an der Organisationsstruktur
4. Die Vermessung der Organisation
5. Die Berechnung der Organisation
6. Die Visualisierung der Organisation
7. Die Rechaotisierung der Organisation
8. Die digitale Organisation von Möglichkeiten
9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit
10. Epilog
Literatur
Danksagung
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Die nächste Organisation: Management auf dem Weg in die digitale Moderne
 9783839453599

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Thomas Wendt Die nächste Organisation

Arbeit und Organisation  | Band 3

Thomas Wendt (Dr. phil.), geb. 1982, lehrt und forscht an der Universität Trier. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die digitale Transformation von Organisation und Gesellschaft, Organisationstheorie und Managementlehre sowie Beratung in und von Organisationen.

Thomas Wendt

Die nächste Organisation Management auf dem Weg in die digitale Moderne

Dissertation, Universität Trier

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustim­mung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Verviel­fältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5359-5 PDF-ISBN 978-3-8394-5359-9 https://doi.org/10.14361/9783839453599 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

1.

Einleitung................................................................................. 7

2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung .............................. 13 Die moderne Organisation von Möglichkeiten .............................................. 18 Organisation und Zukunftsvergessenheit ................................................. 24 Die Vorwegnahme von Zukunft durch Verfahren ........................................... 31 Organisation und die Seite des Subjekts.................................................. 42 Kommunikation als Mittel organisationaler Zukunftsfähigkeit ............................. 50

3.

Management als Arbeit an der Organisationsstruktur .................................. 55

4. 4.1 4.2 4.3 4.4

Die Vermessung der Organisation ....................................................... 63 Im Metapherngestöber zwischen Spiel und Kunst .......................................... 71 Das Durchführen von Messungen als organisationales Gestaltungsprinzip ................. 79 Strukturbildung zwischen Physik und Metaphorik ......................................... 84 Summarium ............................................................................. 88

5. 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Die Berechnung der Organisation ........................................................ 91 Das Prinzip der Rechnung als Modus organisationaler Strukturbildung .................... 97 Reibungslose Konnektivität ..............................................................104 Innovation und die Grenzen mathematischer Systematisierbarkeit ........................ 110 Die Besonderheiten des Subjekts als Organisationsproblem ............................... 116 Bilanz ................................................................................... 122

6. 6.1 6.2 6.3 6.4

Die Visualisierung der Organisation..................................................... 127 Organisation in Bewegung ............................................................... 129 Abbildung und Verdatung als Bewegung der Organisation ................................ 136 Visualisierung als reflexive Verdatung der Organisation ................................... 141 Abschlussbild ...........................................................................150

7. 7.1 7.2 7.3 7.4

Die Rechaotisierung der Organisation...................................................155 Die Kraft der Differenz................................................................... 157 Der dritte Weg ...........................................................................164 Die ganze Komplexität der Organisation .................................................. 170 Kompositum............................................................................. 176

8. 8.1 8.2 8.3

Die digitale Organisation von Möglichkeiten............................................ 183 Informationsverarbeitung und Strukturautomation ...................................... 189 Digitalisierung als Aktualisierung organisationaler Binnendifferenzierung ................. 197 Organisation in der digitalen Moderne ................................................... 206

9. 9.1 9.2 9.3

Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit ......... 215 Das Energiefeld der Diversität .......................................................... 220 Die Produktivität des Zufalls ............................................................ 226 Die Zukunft der Organisation als Nichtorganisation der Zukunft .......................... 243

10.

Epilog.................................................................................. 253

Literatur .................................................................................... 255 Danksagung .................................................................................. 291

1. Einleitung

Die Suche nach Neuheit und Fortschritt ist nicht nur ein Projekt der modernen Gesellschaft. Die Moderne ist das Ergebnis einer stetigen Entwicklung von neuen Möglichkeiten. Neuheit und Fortschritt bedingen sich nicht nur wechselseitig. Neuheit selbst scheint der Fortschritt zu sein. Die Suche nach neuen Produkten und Dienstleistungen vollzieht sich in der Moderne vor allem in Organisationen. Dies ist bemerkenswert, da ein Blick auf die Funktionslogik von Organisationen zeigt, dass für diese das Prinzip der Zukunftsvergessenheit konstitutiv ist. Organisationen schließen die Zukunft aus, um eine Zukunft zu haben. Als Einrichtungen der Kontingenztransformation bearbeiten sie Kontingenz, um sie aus ihren Regelwerken ausschließen zu können. Planbarkeit, Berechenbarkeit und Kontrollierbarkeit von Arbeitsvollzügen sind für Organisationen zentral. Um Erwartungssicherheit im Hinblick auf das Verhalten der beteiligten Subjekte zu gewährleisten, bilden Organisationen Strukturen aus. Über Prozesse der Strukturbildung wird das ausgeschlossen, was nicht im Spektrum des Gewünschten liegt, denn Organisationen realisieren ihre Operationen immer als Dual von Struktur und Subjekt. Strukturbildung eliminiert zufälliges, unbeabsichtigtes oder spontanes Verhalten. Die Strukturen einer Organisation informieren darüber, was im Rahmen der Organisation möglich ist. Strukturen disponieren, auf welchem Weg und über welche Stationen relevante Informationen zirkulieren, sie legen Aufgabenbereiche und Tätigkeitsprofile fest, sie definieren Zuständigkeiten und geben Auskunft, welche Stelle über welche Kompetenzen verfügt. Auf diesem Weg offenbart sich die Zukunft im Modus der Gestaltbarkeit (Kapitel 2). Die Geschichte organisationaler Strukturgestaltung ist die Geschichte der Entstehung der modernen Managementlehre.

Die moderne Managementlehre als Ausdifferenzierung eines organisationalen Formenvorrats Die Geschichte der modernen Managementlehre ist eine vergleichsweise kurze Geschichte. Sie ist vor allen Dingen vor dem dahinterstehenden Grundproblem – der Machbarkeit von Verhältnissen – ein verhältnismäßig junges Phänomen (Kapitel 3). Mit dem Entstehen der Managementlehre werden semiotische Techniken der Dynamisierung von Subjekten – Messung, Berechnung, Visualisierung, Rechaotisierung – entwickelt und pädagogisch genutzt, um organisationale Verhaltenserwartungen und

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Die nächste Organisation

Handlungsvorgaben an die beteiligten Subjekte zu adressieren. Aus diesem Grund sind Organisationen genuin pädagogische Einrichtungen. Auch der Beginn des modernen Managements ist eng mit einer pädagogischen Perspektive verknüpft. Die Unterscheidung von Konformität und Devianz firmiert etwa als Ausgangspunkt der Überlegungen von Frederick Taylor, dessen Idee von Management auf der Eliminierung von Handlungsspielräumen der beteiligten Subjekte beruht (Kapitel 4). Taylor beobachtet, dass die Mitarbeitenden entgegen den Strukturvorgaben der Organisation agieren und sich eine zweite Realität der Organisation etabliert. Aus der Diagnose von Informalität, dem Registrieren unplanmäßiger Effekte von Ordnungsund Steuerungsambitionen, leitet Taylor ein konsequent sachlogisches Vorgehen ab. Das Messen von Gewicht, Wegstrecke, Kraft und Zeit führt im Rahmen seiner Zeitstudien zu einer Formierung des Körpers der Arbeiter. Indem er in der präzisen metrisch bestimmten Vorgabe dessen, was zu tun ist, die Kontrolle über den Körper zu übernehmen sucht, verschwinden die Spielräume und Abweichungspotentiale der beteiligten Subjekte. Mit diesem Vorgehen formuliert Taylor einen Idealtyp von Management als Kontingenznegation. Das Bestreben, die Organisation auf die Seite der Struktur festzulegen und ein damit verbundener Anspruch an Kontrollierbarkeit, Stabilität, Transparenz und Berechenbarkeit von Abläufen findet sich auch bei Erich Gutenberg (Kapitel 5). Den taylorschen Umweg der Formierung von Körperlichkeit spart Gutenberg bei der Gestaltung von Organisationsstrukturen ein. Seine Organisation als Komplex von Quantitäten funktioniert reibungslos, vorausgesetzt, das Rechnungswesen integriert die Ziffern, die Zugriff auf die einzelnen Betriebsabteilungen bieten. Lagerbestände, Ein- und Ausgangsgrößen, Personalmittel, alles wird zahlenförmig abgebildet – er- und berechnet – und findet erst auf Basis dieser Quantifiziertheit Eingang in die Organisation. Organisieren heißt für Gutenberg zu rechnen. Das zentrale Organisationsproblem bei Gutenberg ist nicht die Abweichung von Strukturvorgaben, sondern die Bildung von Indikatoren, um Geschehnisse der Organisation numerisch abgebildet in die vorgesehenen Formulare eintragen zu können. Kontingente Störfaktoren bleiben ausgeschlossen, da sie mathematisch nicht zu systematisieren sind. Der Ausschluss nicht zielführender Möglichkeiten ist ebenfalls der zentrale Fokus von Frank Gilbreth. Als maßgeblichen Mechanismus der Entscheidungsunterstützung nutzt das mediengestütze Consulting Gilbreths mittels Kamera aufgezeichnete Bewegungsstudien (Kapitel 6). Auch bei diesem Vorgehen handelt es sich um ein formalisiertes Suchen nach Entscheidungswissen, das tendenziell eine Entlastung von den beteiligten Subjekten zur Folge hat. Betriebliche Abläufe werden mit graphischen Darstellungsverfahren aufbereitet und als Datenbasis verfügbar. Wie bei Taylor zielt das Vorgehen Gilbreths auf das Ausschalten unnötiger und nicht zielgerichteter Bewegungen, um mithilfe von Visualisierungspraktiken betriebliche Abläufe objektiv abzubilden und ein Maximum an Effizienz und Effektivität erreichen zu können. Neben der messbasierten Visualisierung der Organisation sieht Gilbreth jedoch die Integration partizipativer Elemente vor, um die motivationale Ebene der Beteiligten zu erreichen. Seine Bewegungsstudien werden durch das Einbeziehen der Mitarbeitenden bewusst als Lerngegenstand eingesetzt, sodass sich der Modus strukturaffiner Kontingenznegation in Richtung organisationaler Kontingenzkontrolle öffnet.

1. Einleitung

Die Fruchtbarmachung von Kontingenz hingegen und das bewusste Setzen auf die Potentiale der beteiligten Subjekte spielen im Entstehen der modernen Managementlehre zunächst keine wesentliche Rolle. Versuche vermeintlich demokratischer Führung, wie etwa das Vertrauen auf Teams im Sinne Mary Parker Follets, fanden keinen Zugang in die breitere Diskussion. Ein teamgestütztes Abflachen von Hierarchien relativiert die klassisch organisationale Dichotomie von informationsverarbeitender Kapazität an der Basis und Weisungsbefugnis an der Spitze und ersetzt die vormaligen Kontrollprobleme durch multiperspektivische Arrangements. Der strukturbedingten Vorwegnahme der Zukunft wird bei Follett durch die Unvorhersehbarkeit sozialer Interaktion eine Rechaotisierung der Organisation entgegengesetzt (Kapitel 7). Damit rückt die sachneutrale Dimension organisationaler Strukturvorgaben zugunsten einer kommunikativen Dimension des Sozialen in den Hintergrund. Im Entstehen der Managementlehre dominiert jedoch der Anspruch der Kontingenznegation und damit eine Konzentration auf Berechenbarkeit und Kontrollierbarkeit von Arbeitsvollzügen, die maßgeblich auf dem Einsatz objektivierender Praxen der Entscheidungsunterstützung und einer semiotischen Verdatung der Organisation basiert. Mit den dazu ausgearbeiteten Programmen liegen die wesentlichen Bausteine für die weitere Verlaufsgeschichte der Managementlehre vor: Kontingenznegation im Sinne Taylors oder Gutenbergs, deren Verschiebung in Richtung Kontingenzkontrolle – wie durch die Integration partizipativer Elemente bei Gilbreth – und Kontingenzproduktion im Sinne Follets. Die jeweiligen Modi der Strukturbildung unterscheiden sich jedoch in ihrer Anschlussbildung voneinander und umfassen ein Kontinuum, das sich über Zahlenförmigkeit, Bildhaftigkeit und Sprachzentriertheit erstreckt. Die Reise in Richtung der Zukunft der Organisation beginnt in der Vergangenheit.

Theorie der digitalen Moderne und organisationale Strukturautomation Im Zuge von Digitalisierung und Reorganisation gewinnen Prozesse der Informationsverarbeitung in Organisationen an Relevanz. Organisationen greifen hinsichtlich ihrer Operationen zunehmend auf rechnergestütztes Verweisen und zahlenbasierte Praktiken zurück. Schlagwörter wie Big Data und Industrie 4.0 bilden die begriffliche Variante von Prozessen organisationaler Strukturautomation, während auf Ebene der Strukturgestaltung zunehmend Softwarelösungen das Design organisationaler Welten prägen. Im Ergebnis wird ein spezifischer Modus der Absicherung und Redundanz organisationaler Entscheidungen etabliert, während der Spielraum für Varianzen zunehmend unter Druck gerät. Das Prinzip organisationaler Strukturautomation integriert die semiotischen Mechanismen von Messung, Berechnung und Visualisierung, indem die rechenmäßige Anschlussbildung organisationaler Strukturelemente auf Displays und Interfaces abgebildet wird. Eine maßgebliche Intention der entstehenden Managementlehre wird damit dem Anspruch nach realisiert, war doch gerade die feste Kopplung der einzelnen Elemente und Strukturkomponenten eine zentrale Zielstellung der entsprechenden Akteure. Die digitale Moderne ist deshalb als Konsequenz der Organisationsgesellschaft zu verstehen und das digitale Projekt – Organisationsstrukturen störunanfällig zu machen und gleichzeitig größtmögliche Flexibilität zu gewährleisten – führt endgültig zu einer Etablierung rechenbasierter Eigenlogik. Eine sich abermals in

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Die nächste Organisation

Intervallen vollziehende Oszillation von Aufgaben- und Personenorientierung erfährt durch Prozesse organisierter Informationsverarbeitung auf der Seite der Struktur eine zunehmende Absicherung (Kapitel 8).

Organisationale Strukturgestaltung der Gegenwart als Arrangieren von Möglichkeitsräumen In einer Gegenbewegung erfahren Managementkonzepte Auftrieb, die eine komplementäre Rolle einnehmen. Die prinzipielle Personenunabhängigkeit verstetigter Strukturen wird hier dadurch negiert, dass Personenorientierung selbst zum Thema strukturbezogener Kommunikation wird. Damit gerät ein Modus der Hochpersonalität in den Fokus der Gestaltung von Organisationsstrukturen und somit der Versuch, Momente subjektiver Idiosynkrasie und Intransparenz produktiv zu nutzen. Der gute Plan der Organisation sieht nun das vor, das nicht vorherzusehen ist. Hierbei kommt vor allem dem Zurverfügungstellen von Möglichkeitsräumen eine entscheidende Bedeutung zu (Kapitel 9). Die Produktivität des Möglichkeitsraums wird auf der Ebene des Sozialen verortet, deren Unberechenbarkeit zum zentralen Mittel der Organisation wird. Die interaktive Verknüpfung von Kommunikationen im Rahmen methodischer Settings ist synergetisch produktiv, da sie auf einer situationsdynamischen Eigenlogik basiert und nicht der von externen Vorgaben und Versuchen der Steuerung folgt. Soziales Geschehen ist Beziehungsgeschehen und fußt prozessual auf wechselseitigen Bezugnahmen. Diese aus Wechselseitigkeiten resultierende Offenheit ist aber stets unsicher, unabsehbar und damit kontingent. Die Offenheit von Zukunft und die Fruchtbarmachung von Kontingenz werden zum Mittel der Organisation, indem die Zufälligkeiten interaktionistischer Unmittelbarkeit systematisch genutzt werden. Relevanz und Konjunktur von Möglichkeitsräumen lassen sich aus verschiedenen Perspektiven ableiten und begründen. Einer normativen Sichtweise zufolge lassen sich Gestaltungsmöglichkeiten um ihrer selbst willen reklamieren. Doch der Blick auf die unterschiedlichen Anschlusslogiken der semiotischen Mechanismen der Entscheidungsunterstützung zeigt, dass Kommunikation durch die lose Kopplung der Einzelelemente nicht der strikt koppelnden Eigenlogik von Zahlzeichen folgt, die nicht kontingent ist. Gerade für Organisationen, die Alternativen und damit Unsicherheit benötigen, um Entscheidungen treffen zu können, ist der reflexive Umgang mit Kontingenz ein zentraler Faktor, um die eigene Zukunft nicht verregelt vorwegzunehmen. Ausformungen struktureller Strukturlosigkeit stehen deshalb idealtypisch für einen nicht organisierbaren, aber notwendigen Rest, der sich der zentralen Maßgabe der digitalen Moderne entzieht, dass das, was berechnet werden kann, auch über Algorithmen abzubilden ist. Die Gestaltung von Organisationsstrukturen entspricht durch die Wechselseitigkeit des Ausschlusses und der Zurverfügungstellung von Möglichkeiten einem Kontingenzund Paradoxie-Management und somit einer Praxis, die genuin pädagogisch ist. Denn gerade für eine pädagogische Perspektive ist der Umgang mit der Unberechenbarkeit des Subjekts zentral. Diesen Zusammenhang durch die Betonung lang laufender Kontinuitätslinien analytisch abzubilden, ist das Ziel der folgenden Ausführungen, um eine pädagogische Theorie der Organisation mit einer Theorie der digitalen Moderne zu

1. Einleitung

verknüpfen und durch eine historiografisch-theoretische Analyse in systematischer Absicht zur Debatte um die Herausforderungen in Organisationen durch fortschreitende Digitalisierung und Reorganisation beizutragen.

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2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

Die Geschichte der Moderne ist die Geschichte scheinbar unbegrenzter Möglichkeiten. Je nach Präferenz kann aus einem Spektrum unterschiedlicher Optionen gewählt werden. Die Entstehung eines zunächst unendlich scheinenden Reservoirs von Möglichkeiten wird traditionell mit Begrifflichkeiten wie Aufklärung, Rationalisierung oder Säkularisierung in Verbindung gebracht. Der Weg in und durch die Moderne ist die Folge eines Siegeszugs der modernen Naturwissenschaft, die Folge der Durchsetzung von Prinzipien wie Demokratie und Marktwirtschaft, die Folge des Zerfalls von Wissensmonopolen und der Durchsetzung der Meinungsfreiheit. Alte Ordnungen und Gewissheiten stehen infrage und an die Stelle von Stabilität tritt Dynamik. Das ist seit den gesellschaftstheoretischen Entwürfen von Anthony Giddens, Scott Lash, Ulrich Beck oder Zygmunt Bauman keine gewagte These.1 Auch für die Beschreibung und Beobachtung der Moderne gilt entsprechend, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Entwürfe zur Verfügung steht. Die Konsequenzen der Multiplikation von Möglichkeiten sind längst zu Selbstverständlichkeiten des Alltags geworden. Die Moderne kennt keine verlässliche Form der Weltdeutung, keine unverhandelbare oder nicht hinterfragbare Handlungsweisung, keinen feststehenden Lebensentwurf. Historisch markiert diese noch junge Entstehungs- und Verlaufsgeschichte eine Ausnahmesituation.2 Ein stetiges Wachstum von Möglichkeiten und dessen Erklärung zu einer Norm sind relativ gesehen neu. Die nunmehr einzig gültige Norm ist die, die Normierungen im Sinne von Frageverboten und Stoppregeln der Reflexion untersagt. 1

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Siehe hierzu etwa die Beiträge in Ulrich Beck, Anthony Giddens, Scott Lash, Reflexive Modernisierung. Eine Kontroverse, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1996; zuletzt Zygmunt Bauman, Retrotopia, Berlin: Suhrkamp Verlag 2017. Für die Diskussion der sich hier anschließenden Pluralitätsthese siehe Wolfgang Welsch, Topoi der Postmoderne, in: Hans Rudi Fischer, Arnold Retzer, Jochen Schweitzer (Hg.), Das Ende der großen Entwürfe, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1992, S. 35-55. Dabei will Welsch im Anschluss an Lyotard das Etikett der Postmoderne ausdrücklich nicht als Zeitbestimmung im Sinne einer neuen Epoche verstanden wissen. »Postmodernität« ist für ihn vielmehr die Konsequenz der Moderne. An die Stelle einer Meta-Erzählung treten unterschiedliche Deutungen und Lebensentwürfe, die Welsch zufolge als Gewinn und Chance begrüßt werden.

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Die nächste Organisation

Nicht-Normativität wird selbst zur Norm und an die Stelle der Antwort tritt die Frage. Freisetzung und Freiwerdung sind paradox. Die Erosion traditioneller Weltdeutungen und Ordnungen führt im Ergebnis dazu, dass Kontingenz zum zentralen Kennzeichen moderner Gesellschaften wird.3 Aufgrund der Tatsache, dass sich Kontingenz als Begriff der Negation von Unmöglichkeit und Notwendigkeit verdankt,4 ist die Aussicht auf ein Obligo gesellschaftlicher Selbstbeschreibung passé. Für diese Annahme steht nicht zuletzt die Gesellschaftstheorie von Niklas Luhmann. Der Zirkel der Moderne besteht für Luhmann darin, dass alle Beschreibungen, Beobachtungen und Diagnosen Gegenstand gesellschaftlichen Geschehens sind und selbst wiederum beschrieben und beobachtet werden.5 Verbindlichkeiten und Notwendigkeiten werden im Ergebnis durch immer anliegende Beobachterrelativität suspendiert. Alles kann, nichts muss? Die Überlegungen Luhmanns basieren auf einem grundsätzlichen Interesse an der Frage, wie soziale Ordnung möglich ist. Von der These ausgehend, dass Kommunikation und damit Gesellschaft genuin unwahrscheinlich sind,6 zeigt sich Luhmann fasziniert davon, dass das Komplexitätsniveau der modernen Gesellschaft unaufhörlich neue Höchststände erreicht und überwindet. Wie alle Sozialtheorien ist die Theorie Niklas Luhmanns eine Theorie der Erwartungsbildung. Möglichkeitsräume werden durch gesellschaftliche Erwartungen aufgespannt und strukturiert. Räume gesellschaftlicher Kommunikation sind Erwartungsräume, deren Mechanismen der Ordnungsbildung für Luhmann von zentraler Relevanz sind. Gesellschaften sind aus dieser Perspektive auf der Suche nach Möglichkeiten, mit ihrem Referenzüberschuss umzugehen, auf der Suche danach, wie sich Stabilität und Dynamik austarieren lassen. In der Moderne expandieren, diffundieren und kollabieren Möglichkeitsräume. Das, was möglich ist, ist nie statisch, sondern Gegenstand stetiger Transformationsprozesse. Der Raum erreichbarer Unterscheidungen ist von permanenten Umwälzungen gekennzeichnet.7 Für die Lebensumstände des modernen Subjekts ist dies folgenreich. Mit der steigenden Anzahl an Möglichkeiten multiplizieren sich Erwartungen. Aus sozialen Vorgaben entlassen, muss sich das Subjekt als Architekt des eigenen Lebensentwurfs begreifen.8 Die resultierende Multioptionalität impliziert – Peter Gross 3

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Kontingenz sorgt als »Midas-Gold« der Moderne dafür, dass der selektive Charakter von Beobachtungen zutage tritt. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft, in: ders., Beobachtungen der Moderne, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1992, S. 93-128, hier S. 94. Siehe Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1984, S. 152. Siehe hierzu etwa die Beiträge in Niklas Luhmann, Beobachtungen der Moderne, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1992. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation, in: ders., Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1981, S. 25-34. Die Formulierung eines Raums erreichbarer Unterscheidungen stammt von Dirk Rustemeyer, der im Rahmen seines unterscheidungstheoretischen Zugangs auf diese Weise eine Bestimmung des Begriffs der Kultur vornimmt. Siehe hierzu Dirk Rustemeyer, Kritik als Gewohnheit, in: ders. (Hg.), Erziehung in der Moderne. Festschrift für Franzjörg Baumgart, Würzburg: Königshausen und Neumann 2003, S. 289-323, hier S. 310. Ulrich Beck etwa bezeichnet diesen »Freisetzungsprozess« (S. 48) des modernen Individuums als »historischen Kontinuitätsbruch« (S. 44). Siehe Ulrich Beck, Jenseits von Stand und Klasse?, in: Ul-

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

zufolge – deshalb die Möglichkeit des Scheiterns.9 Die Verheißungen der Moderne sind nicht bedingungslos und die resultierende Gestaltungsaufgabe prozessual eine Paradoxieentfaltung par excellence. Was tun, wenn nicht gewusst werden kann, was überhaupt möglich ist, oder wenn doch, dieses Wissen nicht mehr aktuell, sondern bereits obsolet ist?10 Diese Problemkonstellation spitzt Pierre Bourdieu im Rahmen seiner sozialtheoretischen Überlegungen zu. Seine Antwort auf die Frage, wie soziale Ordnung möglich ist, argumentiert mit umgekehrten Vorzeichen und setzt auf einen Mechanismus der Unmöglichkeit.11 Der Habitus – Ergebnis einer schichtspezifischen Sozialisation – sorgt dafür, dass nicht allen alles möglich ist. Verfertigte und verfestigte »Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata« bieten Orientierung im undurchschaubaren Dickicht der Praxis.12 Der freie Wille wird – so Bourdieu – zur Illusion. Der Habitus strukturiert Praxis als ein System von Grenzen, wie er gleichzeitig selbst durch eine jeweils bestimmte gesellschaftliche Situierung bedingt ist. Möglichkeitsräume sind bei Bourdieu immer schon spezifisch zugerichtet. Es ist wenig Platz im Fahrstuhl sozialer Mobilität und der Möglichkeitsraum der Gesellschaft ist durch eine Vielzahl von Binnendifferenzierungen strukturiert.13 Vor allem dieses inhärente Desillusionspotential macht Pierre Bourdieu nicht zum Paten von gestaltungsoptimistischen Ideen.14 Die Kraft der Aufklärung reicht offensichtlich nicht aus, Chancengleichheit zum Normalfall werden zu lassen, und der Optimismus der Aufklärung ist – zumindest in Teilen – verblasst.15 Ein weiteres Theorieangebot, die Möglichkeiten der Moderne mit einem Mechanismus der Ordnungsbildung zusammenzubringen, findet sich in rollentheoretischen

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rich Beck, Elisabeth Beck-Gernsheim (Hg.), Riskante Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1994, S. 43-60. Siehe hierzu Peter Gross, Die Multioptionsgesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1994. Oder umgekehrt: Was wird werden, wenn man weiß, was wird? Siehe hierzu Sebastian Manhart, Was wird werden, wenn man weiß, was wird? Geschichtsschreibung und Staatswissenschaft als Interventionen in sich selbst hervorbringende Systeme im vormärzlichen Diskurs und bei Johann Gustav Droysen, in: Horst-Walter Blanke (Hg.), Historie und Historik: 200 Jahre Johann Gustav Droysen. Festschrift für Jörn Rüsen zum 70. Geburtstag, Köln, Wien und Weimar: Böhlau 2009, S. 38-76. Siehe Pierre Bourdieu, Die verborgenen Mechanismen der Macht. Schriften zu Politik und Kultur 1. Hamburg: VSA-Verlag 1992. Siehe Pierre Bourdieu, Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1987, hier S. 101. Siehe Pierre Bourdieu, Jean-Claude Passeron, Die Illusion der Chancengleichheit. Untersuchungen zur Soziologie des Bildungswesens am Beispiel Frankreich, Stuttgart: Ernst Klett Verlag 1971. Eckart Liebau zufolge erklärt sich so eine Unbeliebtheit der bourdieuschen Ideen im Feld der Pädagogik. Siehe Eckart Liebau, Der Störenfried. Warum Pädagogen Bourdieu nicht mögen, in: Barbara Friebertshäuser, Markus Rieger-Ladich, Lothar Wigger (Hg.), Reflexive Erziehungswissenschaft. Forschungsperspektiven im Anschluss an Pierre Bourdieu, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006, S. 41-58. Siehe hierzu Jürgen Habermas, Die Moderne – ein unvollendetes Projekt, in: Wolfgang Welsch (Hg.), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft mbH 1988, S. 177-192.

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Überlegungen. Mit einem geringeren Maß an politischem Sprengstoff fragt der Strukturfunktionalismus Talcott Parsons nach den Bedingungen, die den gesellschaftlichen Status quo erhalten und stabilisieren.16 Parsons registriert, dass sich gesellschaftliche Erwartungen unterscheiden, und er erkennt, dass sich dies in verschiedenen Rollenanforderungen manifestiert. Möglichkeiten werden in Rollenprofilen eingehegt, indem Rollen Erwartungsbündel markieren, die – von Subjekten verinnerlicht – für ein vermeintlich störungsfreies Prozessieren von Gesellschaft sorgen.17 Die Ausdifferenzierung von Spezialrollen steht dafür, Möglichkeiten und Erwartungen begriffslogisch integrieren zu können, denn auf der Seite des Subjekts muss die entsprechende Fähigkeit der Rollenübernahme gelernt und internalisiert werden. Im Kern handelt es sich bei den Überlegungen Parsons auch um eine pädagogische Gesellschaftstheorie. Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung von Spezialrollen in allen gesellschaftlichen Teilbereichen nimmt die gesellschaftliche Komplexität zu. Die Moderne kennt kein austariertes Passungsverhältnis zwischen Möglichkeiten und Erwartungen, sodass zwischen den Polen von Selbst- und Fremdbestimmung ein permanentes Aushandlungsgeschehen notwendig wird. Auch für darauf reagierende Formen pädagogischer Kommunikation, von Unterricht über Beratung bis zu Training, Coaching und Supervision,18 gilt daher die These einer wachsenden Optionenvielfalt. Die entstandenen Passungsprobleme von Struktur und Subjekt stärken im Ergebnis die Konjunktur und Relevanz pädagogischer Beobachtungen. Auf der Seite des Subjekts nehmen Bedarf und Nachfrage nach unterstützenden Angeboten zu. Die Form pädagogischer Beobachtung macht aus Entwicklungsbedarf Entwicklungsfähigkeit und die Multiplikation von Möglichkeiten bedingt eine stetige Expansion pädagogischer Arrangements.19 Überhaupt scheint die Moderne ein genuin pädagogischer Fall zu sein. Denn im Rahmen einer von Expertenkulturen getriebenen Spezialisierung in allen gesellschaftlichen Bereichen entstehen durch die Beantwortung einer Frage unmittelbar neue Fragestellungen.20 Im Umkehrschluss führt die Vermehrung von Wissensbeständen und Möglichkeiten zu einem steigenden Maß an Nichtwissen und einem Mehr an nicht realisierbaren Möglichkeiten.21 Die klassische Konstellation der Tragödie der Kultur

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Siehe Talcott Parsons, Systematische Theorie in der Soziologie. Gegenwärtiger Stand und Ausblick, in: ders., Beiträge zur soziologischen Theorie. Herausgegeben und eingeleitet von Dietrich Rüschemeyer. 2. Auflage, Neuwied am Rhein und Berlin: Hermann Luchterhand Verlag GmbH 1968, S. 31-64. Siehe Talcott Parsons, Social Structure and Personality, London: The Free Press of Glencoe 1964. Siehe hierzu Stefan Kühl, Coaching und Supervision. Zur personenorientierten Beratung in Organisationen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008. Siehe hierzu Heinz-Elmar Tenorth, Laute Klage, stiller Sieg. Über die Unaufhaltsamkeit der Pädagogik in der Moderne, in: Dietrich Benner, Dieter Lenzen, Hans-Uwe Otto (Hg.), Erziehungswissenschaft zwischen Modernisierung und Modernitätskrise. Beiträge zum 13. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft vom 16.-18. März 1992 in der Freien Universität Berlin, Weinheim und Basel: Beltz Verlag 1992, S. 129-139. Siehe hierzu Uwe Volkmann, Reine Vernunft. Zehn Skizzen über den Aufstieg des Experten und den Abschied vom Politischen, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 66 (2012) 9/10, S. 765-775. Siehe hierzu Peter Wehling, Im Schatten des Wissens? Perspektiven der Soziologie des Nichtwissens, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH 2006.

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

ist nicht zuletzt ein pädagogisches Dilemma.22 Das Infragestellen von Gewohnheiten sorgt wie das Auseinanderfallen von Handlungsoptionen und Realisierungsmöglichkeiten zuverlässig für Gelegenheiten und die Notwendigkeit stetiger Anpassung. Schneller sein zu wollen, heißt auch, Schritt halten zu müssen. Der Imperativ des lebenslangen Lernens gießt ein pädagogisches Dispositiv politisch wie unternehmensprogrammatisch in Form.23 Die moderne Gesellschaft hat das pädagogische Beobachtungsschema von Defizitcodierung mit dem Verweis auf eine mehr oder weniger bestimmte Zukunft internalisiert und zu einer ihrer Leitheuristiken gemacht. Die pädagogische Maxime des Verbesserungsbedarfs, die Maxime, dass etwas nicht nur besser werden soll, sondern auch kann, ist allgegenwärtig. An der Beobachtung von Defiziten und Potentialen kondensiert die Suche nach Alternativen, die Jagd nach dem Fortschritt. Der Weg in die Moderne ist die Folge eines pädagogischen Projekts. Der Weg durch die Moderne ist in Anbetracht der Tatsache, verstehen, begleiten und gestalten zu wollen, pädagogisches Alltagsgeschäft und das pädagogische Projekt der Moderne läuft aufgrund der eingebauten Steigerungsfunktion nicht Gefahr, sich mit einem sinkenden Nachschub an Fällen, Entwicklungsbedarf oder Defizitbestimmungen konfrontiert zu sehen. Die Geschichte der Moderne ist die Geschichte der Suche nach neuen Möglichkeiten, Möglichkeiten, die anders oder besser sind, Möglichkeiten, die einen Unterschied ausmachen,24 sodass die stetige Suche nach Alternativen maßgeblich Entstehung und Evolution der modernen Gesellschaft dynamisiert.25 Die Anzahl der bestehenden Möglichkeiten ist nie ausreichend und die Geschichte der Moderne ist keine Geschichte der Bescheidenheit,26 da die Eigenlogik der Moderne durch die ihr immanente Stei22 23

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Klassisch hierzu Georg Simmel, Der Begriff und die Tragödie der Kultur, in: ders., Philosophische Kultur. Gesammelte Essais, Leipzig: Verlag von Dr. Werner Klinkhardt 1911, S. 245-277. Für eine Begriffsklärung pädagogischer Leitbegriffe wie Erziehung, Bildung und Hilfe und der Ableitung eines feld- und systemtheoretisch grundierten pädagogischen Dispositivs siehe Sebastian Manhart, Dirk Rustemeyer, Die Form der Pädagogik. Der Schematismus »Bildung – Hilfe« als Differenzial pädagogischer Expansion, in: Zeitschrift für Pädagogik 50 (2004) 2, S. 266-285. Dabei darf nicht übersehen werden, dass der Begriff der Moderne selbst als Heuristik zur Erschließung des Duals von Möglichkeit und Erwartung fungiert. Es kann nicht angenommen werden, dass es die Moderne gibt, die kulturelle, regionale, anthropologische oder politische Unterschiede (die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit) nivelliert. Gerade die besagten Unterschiede stehen für Dynamik und nicht für eine starre Typologie. Siehe hierzu Shmuel Noah Eisenstadt, Die Vielfalt der Moderne. Übersetzt und bearbeitet von Brigitte Schluchter, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2000. Für diesbezügliche Probleme der Theoriebildung siehe Shmuel Noah Eisenstadt, Soziologische Betrachtungen zum historischen Prozeß, in: Karl-Georg Faber, Christian Meier (Hg.), Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik. Band 2. Historische Prozesse, München: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG 1978, S. 441-459. Die Geschichte der Moderne als Geschichte der Emanzipation zu erzählen, folgt einem Schema der Vereinfachung, das zu Inkonsistenzen führt. So relativiert etwa Alois Hahn die These einer klassischen Dichotomie von Glaube und Wissenschaft. Vielmehr macht Hahn darauf aufmerksam, dass wissenschaftlicher Fortschritt nicht intendiert auf einer Emanzipation von religiösen Annahmen beruht. Newton, Galilei, Descartes oder Pascal – so Hahn – ging es nicht um ein Ende theologischer Weltdeutung, sondern darum, dass der wissenschaftliche Fortschritt das Verstehen des Wirkens Gottes befördern sollte. Die Genannten waren zudem selbst überaus gläubige Menschen und sahen ihr Tun selbst im Sinne Gottes. Siehe hierzu Alois Hahn, Soziologische Aspekte des Fortschrittsglaubens, in: Hans Ulrich Gumbrecht, Ursula Link-Heer (Hg.), Epochenschwellen

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gerungsfunktion einer Eskalationslogik gleicht.27 Modernität und Stillstand schließen sich aus.28 Im Ergebnis wird das Gegenwärtige als unzureichend und damit als defizitär beobachtet. Die Suche nach Neuheit und Fortschritt ist aber nicht nur ein Projekt der modernen Gesellschaft. Die Moderne ist die Konsequenz einer stetigen Entwicklung von Neuem.29 Neue Ideen, Produkte und Dienstleistungen signalisieren Fortschritt und Aufbruch in eine neue, andere und vielleicht bessere Zeit.30 Neuheit und Fortschritt bedingen sich nicht nur wechselseitig, Neuheit selbst scheint der Fortschritt zu sein. Neben der zeitlichen Dimension, die Vorhandenes obsolet erscheinen lässt, gilt dies auch in sozialer Hinsicht im Sinne der Abweichung, die positiv gewertet wird, sowie in der Logik der Sachdimension, die Andersartigkeit bevorzugt.31 Die Suche nach Neuheit tritt von dieser Warte aus als gesellschaftliches Gebot auf.

2.1

Die moderne Organisation von Möglichkeiten

Um die Geschichte der Moderne greifbar zu machen und modellhaft abzubilden, existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Theorieangebote. Das veranschaulicht nicht zuletzt der einleitende Streifzug – ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Unabhängig davon, ob man die Entstehungsgeschichte der Moderne in Form einer Rationalisierungs- oder Kapitalismustheorie, als Differenzierungstheorie oder als

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und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1985, S. 53-72. Gleichzeitig müssen sich Lösungsansätze immer dem Vorwurf der Beliebigkeit aussetzen, was Hans Ulrich Gumbrecht in der These zuspitzt, dass die klassische Figur der Aufklärung mehr vertane Chance denn Mittel der Zukunftsgestaltung sei. Siehe Hans Ulrich Gumbrecht, Posthistoire Now, in: Hans Ulrich Gumbrecht, Ursula Link-Heer (Hg.), Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1985, S. 34-50. Arnold Gehlen hat darauf verwiesen, dass der Prozess der Säkularisierung auf einer genuin religiösen Vorstellung beruht: der Wiedergeburt. An die Stelle eines teleologischen Fixpunktes tritt der »Pathos des Fortschritts«, der das »Königreich aller irdischen Himmel« semantisch begleitet. Fortschrittsglaube ersetzt demzufolge ein Modell der Weltdeutung, das auf religiösen Normen basiert. Siehe Arnold Gehlen, Die Säkularisierung des Fortschritts, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH 1967, S. 63-72, hier S. 64. Aleida Assmann spricht von einer »Nobilitierung des Wandels«. Zwar verweist Assmann darauf, dass gegensätzliche Kategorien wie Wandel und Dauer in Abhängigkeit von Kontext und Kultur betrachtet werden müssen – Stillstand in Kulturen, die maßgeblich auf Innovation setzen, jedoch gering geschätzt ist. Siehe Aleida Assmann, Zeit-Strategien. Einige Querverbindungen zwischen Systemtherapie und Kulturtheorie, in: Hans Rudi Fischer, Arnold Retzer, Jochen Schweitzer (Hg.), Das Ende der großen Entwürfe, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1992, S. 147-155, hier S. 147. Siehe hierzu Armin Nassehi, Risiko – Zeit – Gesellschaft. Gefahren und Risiken der anderen Moderne, in: Toru Hijikata, Armin Nassehi (Hg), Riskante Strategien. Beiträge zur Soziologie des Risikos, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1997, S. 37-64. Siehe hierzu Jan-Hendrik Passoth, Werner Rammert, Fragmentale Differenzierung und die Praxis der Innovation. Wie immer mehr Innovationsfelder entstehen, in: Werner Rammert, Arnold Windeler, Hubert Knoblauch, Michael Hutter (Hg.), Innovationsgesellschaft heute. Perspektiven, Felder und Fälle, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2016, S. 39-67, hier S. 41.

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

Theorie der Pädagogisierung in den Blick nimmt, finden sich übergreifende Ansatzpunkte. Dies gilt etwa für die Annahme eines Duals von modernen und vor-modernen Gesellschaften, für eine Neujustierung des Verhältnisses von Struktur und Subjekt oder für die Verwendung von Steigerungsannahmen.32 Ein weiterer Ansatzpunkt läuft stets unmarkiert mit, mal mehr, mal weniger expliziert: Möglichkeiten werden vorwiegend durch und in Organisationen bereitgestellt. Gerade im Hinblick auf die Symbiose von Aufklärung und Rationalisierung kommt Organisationen eine zentrale Rolle zu.33 Die Geschichte der Moderne kann daher nicht als Geschichte zunehmender vorwiegend subjektiver Selektionsprobleme enggeführt werden. Theorie der modernen Gesellschaft ist immer auch Organisationstheorie. Für diese These stehen paradigmatisch die Überlegungen von Max Weber. Nicht zufällig beinhaltet die webersche Theorie der Entstehung abendländischer Rationalität eine eigenständige Organisationstheorie. Für Weber sind die Form der modernen Gesellschaft und die Eigenlogik von Organisationen eng miteinander verknüpft. Weber interessiert sich für die Antwort auf die Frage, welchen Effekt eine permanente Orientierung und Ausrichtung an rationalen Maßgaben zur Folge hat.34 Die Bedeutung von Organisationen ist augenscheinlich, denn das Projekt der Organisation entspricht dem Streben nach Rationalität.35 Organisationen stehen für Zielgerichtetheit und gleichzeitig dafür, Unsicherheit absorbieren zu können.36 Nicht zuletzt aus diesem Grund wird 32

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Für eine entsprechende Systematisierung siehe Andreas Reckwitz, Die Moderne jenseits der Modernisierungstheorien, in: ders., Kreativität und soziale Praxis. Studien zur Sozial- und Gesellschaftstheorie, Bielefeld: transcript Verlag 2016, S. 139-153. Dirk Baecker zufolge kommt Organisationen die zentrale Rolle im Rahmen gesellschaftlicher Transformation zu. Auf dem Weg in die Moderne wird eine bisher selbstverständlich erscheinende gesellschaftliche Ordnung durch neue Arbeitsplätze, neue Technologien und neue Produkte gestört und letztlich durch ein neues Prinzip der Differenzierung abgelöst. Legitimiert wird dies durch die Figur der Rationalität – das Arrangieren von Mittel und Zweck. Die resultierenden gesellschaftlichen Umbrüche und Turbulenzen werden im Umkehrschluss dann als vernünftig ausgewiesen. Auf diese Weise werden Organisationsmechanismus und Fortschrittshoffnungen verknüpft und sind seitdem untrennbar verbunden. Rationalität erscheint historisch relativiert somit als Substitut, als funktionales Äquivalent eines zerfallenen Glaubens an eine traditionelle gesellschaftliche Ordnung. Siehe Dirk Baecker, Kultur im Unternehmen, in: ders., Organisation als System. Aufsätze, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1999, S. 113-125. In diesem Zusammenhang steht auch die vielrezipierte Formulierung Webers, dass moderne Verhältnisse einem »stahlharten Gehäuse« entsprechen. Zwar spielen Organisationen hier natürlich eine zentrale Rolle, gleichwohl adressiert die Formulierung Webers jedoch die Ebene der Gesellschaft, wenngleich dies bei entsprechenden Verweisen nicht immer berücksichtig wird. Siehe Max Weber, Die protestantische Ethik und der »Geist« des Kapitalismus. Textausgabe auf der Grundlage der ersten Fassung von 1904/05 mit einem Verzeichnis der wichtigsten Zusätze und Veränderungen aus der zweiten Fassung von 1920. Herausgegeben und eingeleitet von Klaus Lichtblau und Johannes Weiß, Bodenheim: Athenäum Hain Haustein 1993, S. 153. Klassisch Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Fünfte, revidierte Auflage, besorgt von Johannes Winckelmann, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1972. In seiner klassischen Form findet sich das Konzept der »absorption of uncertainty« bei James G. March und Herbert A. Simon. Dabei fokussiert der Begriff auf die prozessuale Ebene der Entscheidungsproduktion und adressiert die Figur, dass Entscheidungen Alternativen voraussetzen (entscheiden), die daraus resultierende Unsicherheit aber über organisationale Struktureffekte ein-

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Die nächste Organisation

in der Moderne systematisch und flächendeckend auf das Prinzip der Organisation gesetzt.37 Ausgehend von der Wechselseitigkeit von Organisation und Gesellschaft führt ein Blick auf die Eigenlogik von Organisationen zu der Beobachtung, dass das Projekt der Moderne ins Stocken gerät, zumindest, wenn man den Blick auf die Seite des Subjekts richtet. Gesellschaftliche Möglichkeitsräume werden durch organisationseigene Möglichkeitsräume codiert. Organisationen sind exklusiv und verhindern systematisch Teilnahmemöglichkeiten für jedermann. In ihrer Eigenlogik stehen sie dem Anspruch demokratisch liberaler Gesellschaften entgegen. An und in Organisationen scheitern die gesellschaftlichen Ansprüche auf Gleichheit, Gerechtigkeit oder Meinungsfreiheit.38 Organisationen beruhen auf dem Prinzip der Arbeitsteilung und sehen spezielle Tätigkeitsprofile vor. Es wird ein spezifisches Verhalten erwartet und eingefordert, das

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gehegt wird. Siehe hierzu James G. March, Herbert A. Simon, Organizations, New York, London und Sydney: John Wiley & Sons, Inc. 1958, S. 164ff. Besonders die spätere Rezeption Luhmanns verschiebt diese Akzentuierung in Richtung der Funktionalität, die Organisationen aus Perspektive der Gesellschaft zukommt, während in der klassischen Organisationsstudie Luhmanns eher eine näher am Original befindliche Lesart vorliegt. Siehe Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation. 3. Auflage, Berlin: Duncker und Humblot 1976, S. 174ff. Inzwischen hat sich eine breite Verwendung des Begriffs – sowohl hinsichtlich Organisationen, als auch auf die gesellschaftliche Ebene bezogen – etabliert. Dementsprechend formuliert Niklas Luhmann: »Entscheidend ist jedoch, daß nur über den Organisationsmechanismus ein so hohes Maß an Motivgeneralisierung und Verhaltensspezifikation erreicht werden kann, wie es die moderne Gesellschaft in vielen ihrer wichtigsten Funktionsbereiche benötigt.« Siehe Niklas Luhmann, Interaktion, Organisation, Gesellschaft, in: ders., Soziologische Aufklärung 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1975, S. 9-20, hier S. 13. Die Unterscheidung Inklusion/Exklusion erscheint im Bezug auf Organisation und Gesellschaft spiegelverkehrt. Während Inklusion auf Seite der Gesellschaft der Normalfall ist, nehmen Organisationen nur hochselektiv ausgewählte Mitglieder auf. Organisationen entscheiden daher als »Systeme mit Exklusionsbefugnis« maßgeblich über Lebens- und Karrierechancen, da Organisationen die Grundsätze von Freiheit und Gleichheit scheitern lassen. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Die Gesellschaft und ihre Organisationen, in: Hans-Ulrich Derlien, Uta Gerhardt, Fritz W. Scharpf (Hg.), Systemrationalität und Partialinteresse. Festschrift für Renate Mayntz, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 1994, S. 189-201, hier S. 193. Bei diesem analytischen Zugang handelt es sich ausdrücklich nicht um die Legitimation sozioökonomischer Ungleichheit. Vielmehr wird eine kritische Perspektive auf die Funktionslogik von Organisationen eröffnet. Das Begriffspaar Inklusion/Exklusion fungiert bei Luhmann als Ordnungsschema gesellschaftlicher Kommunikation und darf mit dem politischen Begriff von Inklusion nicht verwechselt werden. Bei der Annahme, dass Kommunikationsmöglichkeiten grundsätzlich zur Verfügung stehen, handelt es sich dementsprechend nicht um eine gesellschaftliche Normierung im Sinne von intendierter Chancengleichheit. Dennoch: »Der Weg in den Exklusionsbereich der Gesellschaft ist lang« schreibt Peter Fuchs und verweist darauf, dass im Rahmen sozialer Dienstleistungen der moderne Wohlfahrtsstaat Mechanismen »supplementärer Inklusion« vorsieht. Insbesondere das expandierende Feld sozialpädagogischer Dienstleistungen vermag dies zu illustrieren. Die Konstruktion von Fallförmigkeit wiederum, liegt in der Zuständigkeit von Organisationen. Siehe Peter Fuchs, Weder Herd noch Heimstatt – Weder Fall noch Nichtfall. Doppelte Differenzierung im Mittelalter und supplementäre Inklusion in der Moderne, in: ders., Konturen der Modernität, Systemtheoretische Essays II. Herausgegeben von Marie-Christin Fuchs, Bielefeld: transcript Verlag 2005, S. 129-152, hier S. 144.

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

Nicht-Zielgerichtetheit unerwünscht erscheinen lässt.39 Organisationen sind hierarchisch aufgebaut und sehen neben dem Mechanismus der horizontalen Differenzierung vertikale Segregationen vor, die zirkulierende Informationen ordnen, wie sie Möglichkeiten der Partizipation systematisch verhindern. In Organisationen steht die Frage im Vordergrund, mit welchen Personen die organisationseigenen Ziele am ehesten erreicht werden. Integration in Organisationen basiert auf Verhältnissen der Über- und Unterordnung und ein empathisches Miteinander wird zum sachlichen Nebeneinander. Das Prinzip der Organisation entspricht dem Prinzip koordinierter Gleichzeitigkeit. Amtszwang, Sachzwang, Handlungszwang – der Möglichkeitsraum in Organisationen, der durch Strukturen und Erwartungen gestaltet ist, ist nicht selten nur von bescheidener Größe. Die organisationale Perspektive auf das Subjekt ist funktional und die Organisation nicht zwangsläufig ein Ort der Gerechtigkeit. Die Verheißung der Moderne erscheint in Anbetracht der Prominenz von Organisationen zweifelhaft und entsprechende Sollbruchstellen sind nicht schwer auszumachen. Auf die Frage, weshalb nicht für alle alles möglich ist, gibt es deshalb eine vergleichsweise einfache Antwort: Organisation. Die Geschichte der Organisation ist die Geschichte des Zurichtens und Beschneidens von Möglichkeiten und damit davon, dass nicht allen alles möglich ist. Während haltlose Komplexität den Möglichkeitsraum der Gesellschaft bodenlos erscheinen lässt,40 zeichnen sich organisationale Möglichkeitsräume regelmäßig durch den Eindruck stetig näher kommender Wände und Decken aus. Die Geschichte der Moderne ist auch die Geschichte eines gescheiterten – optimistischer: eines bisher nicht eingelösten – Versprechens. Die Tatsache, dass in demokratisch liberalen Gesellschaften eine Vielzahl von unterschiedlichen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, nicht zur Verfügung stehen oder zur Verfügung stehen sollten, fungiert als Ausgangs- oder Bezugspunkt für unterschiedliche Spielarten von Kritik.41 Hierzu zählen etwa das Verweisen auf weltwirtschaftliche Verflechtungen, ökologischen Raubbau, machtpolitische Ohnmacht oder die Diagnose ungleicher Verteilung von Vermögen und Lebenschancen.42 Der Modus der Krisendia39

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Im Hinblick auf die Artifizialität von Organisationen formuliert Dirk Baecker: »Insofern ist jede Organisation als soziale Veranstaltung zunächst einmal Inhibition von nicht-gewünschter Arbeit und Inhibition von Nicht-Arbeit.« Siehe Dirk Baecker, Die gesellschaftliche Form der Arbeit, in: ders. (Hg.), Archäologie der Arbeit, Berlin: Kulturverlag Kadmos 2002, S. 203-245, hier S. 234. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Haltlose Komplexität, in: ders., Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven. 3. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 58-74. Dirk Rustemeyer verweist darauf, dass Kritik epistemisch und politisch zugleich ist. Neben dem immanenten aufklärerischen Aspekt weist Kritik auf Möglichkeiten der Veränderung hin, die mehr oder weniger gewollt oder verhindert werden können. Kritik katalysiert als Beobachtungsschema daher eine Akteursdynamik, die auf einem je spezifischen Umgang mit Kontingenz gründet. Siehe hierzu Dirk Rustemeyer, Kritik als Gewohnheit. Letztlich speist sich Kritik in der Moderne aus einer ihr zugrundeliegenden Bewertungsmatrix. Das Arrangieren bewertender Aussagen ist dabei von einem deskriptiven Vorgehen – etwa im Sinne der Kritiken Kants – zu unterscheiden. Siehe hierzu Rüdiger Bittner, Kritik, und wie es besser wäre, in: Rahel Jaeggi, Timo Wesche (Hg.), Was ist Kritik?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2009, S. 134149. Um einen besonderen Fall von Kritik handelt es sich, wenn diese als wissenschaftlich codiert wird. Indem Wissenschaft als Instanz der Kritik auftritt, wird sie gleichzeitig zum Adressaten von Kritik. Nicht zwangsläufig wählt eine reaktive Kritik jedoch den Modus wissenschaftlicher Kom-

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Die nächste Organisation

gnostik nimmt im Rahmen gesellschaftlicher Kommunikation eine maßgebliche Rolle ein und das alchemische Dual von Gift und Gegengift ist in der Moderne noch aktuell. Die einstmalige Hoffnung und die damit verbundene Unschuld der Moderne verwittern im Sturm einer Dynamik, der spätestens durch die Suche nach Alternativität und neuen Gelegenheiten heraufgezogen ist.43 Das Schicksal des Aufklärers und die Stunde des Kritikers sind eng miteinander verknüpft. Gesellschaftliche Debatten leben von der Kritik bestehender Verhältnisse wie vom Inszenieren – oder zumindest der Vorstellung – anderer Möglichkeiten.44 Defizitorientierung und Fortschrittsapologie bilden die Pole eines Kontinuums, das unzählige Anschlussmöglichkeiten vorhält.45 Adressiert werden für die Verbesserung von Verhältnissen aber stets Organisationen, wenn diese ihre Agentschaft nicht bereits selbst erklärt haben.46 Unsicherheitsabsorption und -produktion gehen Hand in Hand. Was sich auf den ersten Blick wie eine kulturkritische Bestandsaufnahme darstellt, ist das Potential, aus dem Organisationen ihre Leistungsfähigkeit beziehen. Der Blick auf die Eigenlogik von Organisationen ist etwas anderes als die Diagnose und das Insistieren auf ein organisationales Demokratiedefizit. Mitbestimmung und Autonomie sind nicht das Mittel, aus dem organisationale Strukturbildung schöpft. Vor diesem Hintergrund sind Organisationen Lösung wie Problem.47 Das Prinzip der Organisation steht für die Produktion und Negation

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munikation. Zu dieser Wechselseitigkeit siehe Michael Hampe, Wissenschaft und Kritik. Einige historische Beobachtungen, in: Rahel Jaeggi, Timo Wesche (Hg.), Was ist Kritik?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2009, S. 353-371. Umso verständlicher erscheint es, dass auf den Begriff der Aufklärung neuerdings wieder rekurriert wird. Das alte Programm der Aufklärung kann vor dem Hintergrund der entstandenen Gemengelage noch immer Gültigkeit beanspruchen, indem der gesellschaftliche Fortschritt an einer Vielzahl von Fakten und Errungenschaften demonstriert wird. So besteht etwa der Anspruch Steven Pinkers darin, zu zeigen, dass ein (ein-)ordnender Blick im Durcheinander der Moderne möglich ist. Siehe hierzu Steven Pinker, Aufklärung jetzt. Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung, Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag GmbH 2018. Für den Fall kritischer Gesellschaftstheorie siehe Maeve Cooke, Zur Rationalität der Gesellschaftskritik, in: Rahel Jaeggi, Timo Wesche (Hg.), Was ist Kritik?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2009, S. 117-133. Niklas Luhmann hat die Tatsache, dass vor allem negative Superlative mediale Aufmerksamkeit erzeugen, als »statistische Normaldepression« beschrieben. Siehe Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft. Zweiter Teilband. Kapitel 4-5, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1997, S. 1099. Politischer Alarmismus, die Nervosität der Märkte, mangelnde Qualität von Kindertagesbetreuung, Schulen und Universitäten oder die Antiquiertheit religiöser Weltzugriffe führen im Ergebnis dazu, dass die Quellen, aus denen sich Kritik speisen kann, nie versiegen. Für den Anspruch, (gesellschaftliche) Verantwortung übernehmen zu wollen, stehen exemplarisch Konzepte der Corporate Social Responsibility. Dabei wird die Reziprozität von Organisation und Gesellschaft Teil organisationaler Programmatik. Für den Versuch einer Systematisierung siehe die Beiträge in Holger Backhaus-Maul, Martin Kunze, Stefan Nährlich (Hg.), Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen in Deutschland. Ein Kompendium zur Erschließung eines sich entwickelnden Themenfeldes, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2018. Hinsichtlich dieser Janusköpfigkeit des Organisationsmechanismus und ihrer gesellschaftstheoretischen Dimension formuliert Rudolf Wimmer zugespitzt: »Nur in Organisationen kann entschieden werden.« Siehe Rudolf Wimmer, Die Steigerung der Lernfähigkeit von Organisationen. Einige Konsequenzen für das Beratungsgeschäft in: Michael Zirkler, Werner W. Müller (Hg.), Die

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

von Möglichkeiten gleichermaßen. Der daraus resultierende Verbesserungsbedarf bezieht sich wiederum auf Organisationen und aufgrund ganz unterschiedlicher Formen von Kritik wird in der Moderne nicht auf Utopien verzichtet.48 Neben der Formulierung negativer Utopien im Sinne spezifischer Entwicklungsszenarien gilt dies nicht zuletzt für Reform- und Managementprogramme, die in und für Organisationen entworfen werden. Während aber negative Utopien – wie zum Beispiel Prognosen zu Wirtschaftsentwicklung oder Klimawandel – auf Verhaltensänderungen abstellen, um das Eintreten eines Sachverhaltes zu verhindern,49 ist die Poesie der Reform darauf ausgerichtet, ein gewünschtes Ziel anzusteuern.50 Wenngleich ein solcher Veränderungsoptimismus empirische Rückschläge hat einstecken müssen und sich unfreiwillig etwas abgeschwächt hat,51 fungieren Organisationen noch immer als Produktionsstätten für den permanenten Entwurf von Zukunftsprojektionen. Die Sehnsucht nach Alternativität, Fortschrittsoptimismus und Zukunftshoffnungen, kann sich erfolgversprechend nur an Organisationen richten, da diese per definitionem der Ort sind, an dem Zielstellungen und Zwecksetzungen in arbeitsteilige Routinen und Programme umgearbeitet werden.52

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Kunst der Organisationsberatung. Praktische Erfahrungen und theoretische Perspektiven, Bern: Haupt Verlag 2003, S. 73-102, hier S. 79. Richard Hauser hat darauf verwiesen, dass es sich bei Utopien um ein Vorgreifen in die Zukunft handelt, das die entworfene Zukunft prinzipiell nicht infrage stellt. Utopien beruhen auf Planungsvorstellungen. Dem Begriff der Utopie stellt Hauser den der Hoffnung gegenüber. Im Gegensatz zu Utopie ist Hoffnung kein Modus der Verregelung und Unbedingtheit, sondern birgt ein Moment der Offenheit, das dafür sorgt, dass Zukunft angenommen werden kann. Hoffnung erscheint dementsprechend in der Absenz von Gestaltungsphantasien als bescheiden, während – Hauser zufolge – das Entwerfen von Utopien Zukunft sabotiert: »Die Utopie betrügt den Menschen um seine eigentliche Zukunft.« Siehe Richard Hauser, Utopie und Hoffnung, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH 1967, S. 235-251, hier S. 244. Hoffnung und die Offenheit von Zukunft sind derweil nicht das Geschäft der Organisation. Zu unsicher, zu bedrohlich erscheinen die noch unbekannten Herausforderungen. Es handelt sich bei dieser Form pädagogischer Kommunikation um ein paradoxes Unterfangen, da sie darauf abstellt, sich selbst zu erübrigen. Warnungen und Prognosen sind insofern pädagogisch, dass das, wovor gewarnt wird – der Gegenstand des Entwicklungsszenarios oder der Prognose –, aufgrund der angezielten Verhaltensänderungen nicht eintritt. Zur Paradoxie der Warnung siehe Niklas Luhmann, Paradigm lost: Über die ethische Reflexion der Moral. Rede von Niklas Luhmann anläßlich des Hegel-Preises 1989, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1990, S. 41f. Um sich selbst als passgenau zu inszenieren, nutzen Organisationen die semantische Elastizität der Sprache. »Reformvorhaben beglaubigen sich selbst mit einem oft bis ins Detail ausgearbeiteten semantischen Apparat […].« Die Formulierung der Poesie der Reform ist dem entsprechenden Namen des Reform-Kapitels der posthum erschienenen Neufassung der Organisationstheorie Niklas Luhmanns entlehnt. Es handelt sich hierbei insofern um eine Neufassung, da Organisation und Entscheidung nach der autopoietischen Wende Luhmanns zu verorten ist. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung. 2 Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006, hier S. 339. Siehe hierzu etwa Rudolf Wimmer, Wider den Veränderungsoptimismus. Zu den Möglichkeiten und Grenzen einer radikalen Transformation von Organisationen, in: Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie 5 (1999) 1, S. 159-180. Siehe hierzu Giancarlo Corsi, Reform – zwischen Organisation und Gesellschaft, in: Giancarlo Corsi, Elena Esposito (Hg.), Reform und Innovation in einer unstabilen Gesellschaft, Stuttgart: Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH 2005, S. 79-92.

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Die nächste Organisation

Die moderne Gesellschaft ist eine Gesellschaft der Gleichzeitigkeit, die ihre Leistungsfähigkeit maßgeblich daraus bezieht, dass Organisationen die benötigten Teilleistungen parallelisieren. Arbeitsteilung ist ein anderer Begriff für die Parallelisierung von Arbeitsvollzügen und damit dafür, dass die benötigten Teilleistungen koordiniert und gleichzeitig erbracht werden. Die Organisationsgesellschaft ist eine Gesellschaft der Gleichzeitigkeit, da in Organisationen das Prinzip der Sequenz, des Nacheinanders in der Zeit, durch ein Prinzip der Gleichzeitigkeit ersetzt wird. Aufgrund der gegenwärtigen Unverfügbarkeit von Vergangenheit und Zukunft geschieht alles, was geschieht, gleichzeitig.53 Organisationen operationalisieren diesen Umstand durch eine strukturgeleitete Koordination des Gleichzeitigen. In einer Gesellschaft der Gleichzeitigkeit stehen sie als die Thermopylen der Moderne nicht zuletzt für das Schicksal der modernen Gesellschaft.

2.2

Organisation und Zukunftsvergessenheit

Die Möglichkeiten der Gegenwart werden in der Moderne maßgeblich von und in Organisationen zur Verfügung gestellt. Die Diagnose der Ubiquität von Organisationen erscheint dementsprechend trivial. Diskursiv führt dies zu Reformulierungen und Binnendifferenzierungen des Ausgangsproblems. Während die Frage nach der Prominenz von Organisationen grundsätzlich beantwortet ist, finden sich im zeitgenössischen Diskurs graduelle Abstufungen dahingehend, ob es sich bei der gegenwärtigen Gesellschaft um eine Organisationsgesellschaft, eine Gesellschaft der Organisationen oder um eine organisierte Gesellschaft handelt.54 Zwar ist der rhetorische Charakter dieser Frage nicht zu übersehen, dennoch sind die unterschiedlichen Antwortversuche alles andere als trivial. Die Frage, ob Organisationen Gesellschaft (aus-)machen oder umgekehrt, ob Gesellschaft Organisationen maßgeblich in deren Design bestimmt, erscheint von zirkulärer Natur. Die Annahme der Wechselseitigkeit von Gesellschaft und Organisation und deren gegenseitiger Bedingung bietet den Anlasspunkt, die Perspektive zu variieren und die Eigenlogik von Organisationen in den Blick zu nehmen. Hierbei zeigt sich zunächst eine zweifach paradoxe Konstellation. Die Gestaltung der gesellschaftlichen Zukunft ist maßgeblich Organisationen überantwortet55 und damit Einrichtungen, für 53

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Siehe hierzu Niklas Luhmann, Gleichzeitigkeit und Synchronisation, in: ders., Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven. 3. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 92-125. Unabhängig von entsprechenden Etikettierungen verweist Stefan Kühl auf die zentrale Rolle, die Organisationen bei Versuchen der Annäherung an ein Verständnis der Komplexität der modernen Gesellschaft zukommt. Siehe Stefan Kühl, Gesellschaft der Organisationen, organisierte Gesellschaft, Organisationsgesellschaft. Zu den Grenzen einer an Organisationen ansetzenden Zeitdiagnose, in: Maja Apelt, Uwe Wilkesmann (Hg.), Zur Zukunft der Organisationssoziologie, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2015, S. 73-91. Für die These der Überantwortung der Gesellschaft an Organisationen und deren Eigenlogik stehen maßgeblich die Überlegungen von James S. Coleman. Coleman skizziert vor dem Hintergrund der Unterscheidung von natürlichen und juristischen Personen, wie Organisationen als Strukturgebilde zunehmend unabhängig von den beteiligten Personen werden und damit die Paradoxie,

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

die das Prinzip der Zukunftsvergessenheit konstitutiv ist. Und: Für die Zurverfügungstellung von Möglichkeitsräumen werden Einrichtungen in Anspruch genommen, die auf dem Prinzip der Verunmöglichung basieren. Zeitliche und sachliche Paradoxie der Organisation kulminieren in einem Mechanismus, der für Organisationen zentral ist: dem Prinzip der Strukturbildung. Mithilfe der Ausdifferenzierung von Strukturen versuchen Organisationen, die Beherrschbarkeit der Zukunft sicherzustellen und deren Kontrollier- und Steuerbarkeit zu gewährleisten, um sich nicht in kontingenter Offenheit zu verlieren.56 Organisierte Arbeitsteilung beruht auf einer planerischen Vorwegnahme der Zukunft. Organisationen schließen die Zukunft aus, um eine Zukunft zu haben. Sie sind Einrichtungen der Kontingenztransformation, indem sie die Offenheit der Zukunft in Regelwerken und Plänen einhegen, um sich nicht zufälligem Treiben zu überlassen und unkontrollierbaren Einflüssen auszusetzen. Sie arbeiten Kontingenz um, um sie aus ihren Regelwerken ausschließen zu können.57 Planbarkeit, Berechenbarkeit und Kontrollierbarkeit von Arbeitsvollzügen sind für Organisationen zentral. Die einzigartigen Potentiale des Subjekts sind zunächst sekundär, um ein Prinzip der Personenunabhängigkeit zu ermöglichen, das dem guten Plan der Organisation ein Mindestmaß an Robustheit verleihen soll. Die Sicherheit der Zukunft kann nicht an subjektive Idiosynkrasien geknüpft werden und die Grundidee der Organisation besteht darin, nicht von einzelnen Subjekten abhängig zu sein. Deren besondere Interessen und Leidenschaften sind in der Regel nicht Gegenstand von Planung und Strukturgestaltung. In der Konsequenz entlasten Organisationen ihre Mitglieder davon, Gründe für das eigene Agieren im Strukturgeflecht angeben zu müssen, zumindest solange, wie es den organisationalen Erwartungen entspricht. Autonomie in Organisationen ist immer relative Autonomie.58 Für die Mitglieder von Organisationen bedeutet dies, dass die Erwartung,

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dass die Motivation der Mitgliedschaft in Organisationen, um die eigenen Interessen zu verfolgen, aufgrund organisationaler Eigenlogik regelmäßig ins Leere laufen muss. Damit rückt Coleman einen zentralen Aspekt von Organisationen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen: das Prinzip der Informationsverarbeitung, das nicht in der Lage ist, auf spezifische Interessenlagen einzugehen, sondern den Einzelfall verfahrensgeleitet verunmöglicht. Siehe James S. Coleman, Macht und Gesellschaftsstruktur. Übersetzt und mit einem Nachwort von Viktor Vanberg, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1979. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation. 3. Auflage, Berlin: Duncker und Humblot 1976, S. 59ff. Entscheidungen transformieren – Niklas Luhmann folgend – Kontingenz und binden somit gewesene Möglichkeiten. Existieren vor der Entscheidung noch verschiedene Möglichkeiten, sind diese nach einer Entscheidung zwangsläufig nicht mehr verfügbar. Aus dem Einschließen von Kontingenz resultieren jedoch neue Optionen und damit die Möglichkeit, weiter entscheiden zu können. Kontingenztransfomation ist bei Luhmann daher letztlich autopoietisch begründet. Siehe Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 39ff. Werden Erwartungen und Vorschriften gelockert – man denke etwa an Heimarbeit oder den Casual Friday –, verweist die Relativierung der Vorgabe darauf, dass im Kontext Organisation nicht alles möglich ist. Denn auch ein steigendes Maß an Selbstbestimmung bleibt durch das Prinzip der Fremdbestimmtheit grundsätzlich eingeschränkt. Wie an Karneval und Fasching wird die bestehende Ordnung vielmehr dadurch bestätigt, dass auf andere und damit Möglichkeiten jenseits der gegenwärtigen Verhältnisse verwiesen wird. Zur Kulturgeschichte der zeitweiligen Suspendierung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung und damit ihrer gleichzeitigen Bestätigung

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Die nächste Organisation

den organisationalen Strukturvorgaben zu entsprechen, durchgängig vorhanden ist. Organisationsstrukturen sollen erwartungssicher das Verhalten der Mitglieder orientieren. Die Organisation verzichtet für den Preis von Erwartungssicherheit, Kontrollierbarkeit und Stabilität strukturbedingt auf Möglichkeiten personenabhängiger Varietät, um Überraschungsmomente unterdrücken und die Austauschbarkeit ihrer Mitglieder gewährleisten zu können.59 Mitgliedschaftsbedingungen sind eine spezifische Form von Verhaltenserwartungen und damit zugleich eine Prognose des benötigten Verhaltens.60 Auf diese Weise erfüllt Strukturbildung für Organisationen die Funktion der Präokkupation von Zukunft. Organisationsstrukturen fungieren im Sinne einer Prognostik als Mechanismus der Gewährleistung von Erwartungssicherheit und das Prognosematerial der Organisation, aus dem die Zukunft geschmiedet ist, setzt sich aus Plänen, Regelwerken und Programmen zusammen. Dass Pläne, Regelwerke und Programme für Organisationen unabdingbar sind, um eine Zukunft gestalten zu können, die nicht begonnen hat, ist einer simplen und gleichzeitig komplexen Herausforderung geschuldet, die sich aus den Prämissen der Erfahrung von Zeit ableitet. Die Erfahrung von Zeit ist die Erfahrung einer Differenz, da Zeit die Unterscheidung von Vergangenheit und Zukunft prozessiert.61 Die Zukunft kann nicht beginnen, sondern bleibt stets unerreichbar.62 Ein Vorgreifen auf das, was kommt, ist schlicht unmöglich. Gleiches gilt für die Vergangenheit. Auch sie kann nicht beeinflusst, nicht verändert werden. Auf prozessualer Ebene handelt es sich bei Zeit um die fortlaufende Ersetzung von Gegenwarten. Die in Organisationen verfertigten Pläne, Regelwerke und Programme zeichnen ein gegenwärtiges Bild der Zukunft, obwohl sie nur für zukünftige Gegenwarten relevant werden.63 Die Projektion der Zukunft wird jedoch niemals Gegenwart. Oder anders: Die Gegenwart ist die Vergangenheit der Zukunft. Die unweigerliche Offenheit von Zukunft ist für Organisationen ein Problem, das zur Ausdifferenzierung von Strukturen zwingt. Indem die Zukunft vorweggenommen wird, ist sie vergessen und vermag den routinisierten Alltag nicht zu stören. Die Antwort auf die Frage nach der Zukunft liegt in den Strukturbildungsprozessen der Vergangenheit. Vorschriften sind nicht umsonst Vor-Geschriebenes. Akten, Formulare und moderne Softwarelösungen, aber auch Benchmarks und Zielvereinbarungen definieren Handlungsspielräume und Anschlussoptionen. Sie sorgen allesamt dafür, dass nicht alles möglich ist, und führen Entscheidungsspektren eng. Retropie statt Utopie ist die Maxime der Organisation, die stets versuchen muss, die Anforderungen, Überraschungen und Herausforderungen der Zukunft vorwegzunehmen. Die Idee der Organisation

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am Fall volkstümlicher Lachkultur siehe Michail Bachtin, Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Übersetzt von Gabriele Leupold. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Renate Lachmann, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1987. Für eine ausführliche Diskussion des Mitgliedschaftsprinzips siehe Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, S. 39ff. Siehe hierzu klassisch James G. March, Herbert A. Simon, Organizations, S. 142ff. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Gleichzeitigkeit und Synchronisation. Siehe hierzu Niklas Luhmann, The Future Cannot Begin. Temporal Structures in Modern Society, in: Social Research 43 (1976) 1, S. 130-152. Für die Thematisierung damit einhergehender Desillusionserfahrungen siehe Rudolf Burger, Die verrechnete Zukunft. Futurologie in den Siebzigern, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 66 (2012) 9/10, S. 835-844.

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

ist eine Reaktion auf die Unverfügbarkeit von Zukunft, da sich die abzeichnende Zukunft auf diesem Wege im Modus der Gestaltbarkeit offenbart. Die Realität der Organisation ist das Resultat der bestehenden Strukturen und das Vorgreifen auf die Zukunft bei genauer Betrachtung eine defensive Bewegung. Organisationen sind strukturell konservativ64 und die Zukunftsvergessenheit der Organisation ist der Preis dafür, sich durch die angezielte Erwartungssicherheit nicht der Beliebigkeit von Einzelfallentscheidungen und persönlichen Motivlagen zu überantworten. Erst dieser zukunftsvergessene Strukturkonservatismus der Organisation sorgt maßgeblich für eine konzeptuelle Beherrschung der Zukunft. Dass Beherrschbarkeit und Beherrschung der Zukunft aus der Vergangenheit heraus angelegt sind, macht diese Konstruktion aufgrund des Risikos einer selektiven Blindheit für Alternativen einerseits fragil und störanfällig, gleichzeitig aber robust und stabil. Im Ergebnis führen die Strukturzwänge der Organisationen zur »oft beobachteten Kristallisation altwerdender Organisationen und zu der verbreiteten Einsicht, daß es besser ist, neu zu gründen als zu reformieren.«65 Diese – auf den ersten Blick womöglich kontraintuitive – Antwort auf die Frage, wie gestaltet werden soll, was nicht zu greifen ist, findet sich zugespitzt in der These der Unreformierbarkeit der Organisation. An die Stelle struktureller Änderungen im Sinne des Aufbrechens von Rigiditäten treten Kaskaden von Reformprogrammen, deren ritusartige Betonung sich von einer tatsächlichen – also strukturellen – Implementierung unterscheidet.66 »Talk« ist nicht gleich »action« und in diesem Sinne erscheinen Reformhoffnungen lediglich als frommer Wunsch.67 Der Reformeifer der Organisation basiert häufig auf einer Art negativer Ursprungserzählung: Nie wieder Stillstand, nie wieder riskieren, den Anschluss zu verpassen. Flexibilität, Veränderbarkeit und die Fähigkeit zur Adaption werden in der Folge zu einem Mantra, das lediglich den Effekt bedingt, Reformvorhaben auf Dauer zu stellen.68 Die permanente Artikulation von Reformbedarf macht aus Change-Programmen Sonntagspredigten, die semantischen Konjunkturen folgen. So erleichtern zwar reformorientierte Fürbitten und

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Am Beispiel der Riskoforschung diskutieren Veronika Tacke und Uwe Borchers, wie Organisationen durch die strukturelle Vorwegnahme von Zukunft eine eigene Umweltignoranz entwickeln. Als organisationsinternes Produkt ist die Umwelt der Organisation nicht identisch mit bedrohlichen Potentialen, die etwa Folge von Naturkatastrophen sein können. Der Strukturkonservatismus von Organisationen führt dazu, dass die organisationseigenen Intentionen systematisch unterlaufen werden. Siehe hierzu Veronika Tacke, Uwe Borchers, Organisation, Informatisierung und Risiko. Blinde Flecken mediatisierter und formalisierter Informationsprozesse, in: Hans-Jürgen Weißbach, Andrea Poy (Hg.), Risiken informatisierter Produktion. Theoretische und empirische Ansätze. Strategien der Risikobewältigung, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1993, S. 125-151. Siehe Niklas Luhmann, Organisation, in: Willi Küpper, Günther Ortmann (Hg.), Mikropolitik. Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen. 2., durchgesehene Auflage, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1992, S. 165-185, hier S. 174. Siehe hierzu Nils Brunsson, Johan P. Olsen, The Reforming Organization, London and New York: Routledge 1993. Siehe hierzu Nils Brunsson, The Organization of Hypocrisy. Talk, Decisions and Actions in Organizations, Chichester: Wiley 1989. Siehe hierzu Nils Brunsson, Mechanisms of Hope. Maintaining the Dream of the Rational Organization. Copenhagen: Copenhagen Business School Press 2006.

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Die nächste Organisation

Glaubensbekenntnisse den Alltag in Organisationen, nicht aber den Ablass organisationaler Zukunftsvergessenheit. Die Alltäglichkeit der Revolution ist eher ein Phänomen entsprechender Programmschriften und weniger ein tatsächlicher Umsturz. Doch die Möglichkeiten des Neustarts gewährleisten – trotz aller vorbehaltenen Zufälle – kein reibungsloses Vorgreifen auf die Zukunft. Dass zwar die Neugründung neue Gestaltungsmöglichkeiten bedingt, nicht aber die zeitliche Paradoxie der Präokkupation von Zukunft aufzulösen in der Lage ist, ist nicht zuletzt dadurch begründet, dass im Mechanismus organisationaler Strukturbildung diese zeitliche mit einer sachlichen Paradoxie verschränkt ist. Die sachliche Paradoxie der Organisation resultiert aus der Wechselseitigkeit von Möglichkeit und Unmöglichkeit. Strukturen disponieren darüber, was im Rahmen der Organisation möglich ist. Etwa darüber, welche Ziele erreicht werden sollen, auf welchen Wegen über welche Stationen Informationen zirkulieren, welche Zuständigkeiten sich aus Stellenprofilen und Arbeitsplatzbeschreibungen ergeben, welche Stelle über welche Kompetenzen verfügt. Organisationsstrukturen sind Mechanismen der Ordnungsbildung, die dem Anspruch nach Beliebigkeit erübrigen. Über Prozesse der Strukturbildung wird das ausgeschlossen, was nicht im Spektrum des Gewünschten liegt. Strukturen definieren aber nicht nur die Bandbreite möglicher Entscheidungen in Organisationen, auf operativer Ebene regulieren und überbrücken Strukturen die Distanz zwischen den jeweiligen Entscheidungen.69 Organisationsstrukturen sind Mechanismen der Kontingenzbindung. Strukturbildung eliminiert zufälliges, unbeabsichtigtes oder spontanes Verhalten, das über den begrenzten Erwartungsraum der Organisation hinausgeht. Subjektiv bedingte Störpotentiale und Einflussfaktoren unterschiedlicher Prägung sollen so in Vorschriften und Ordnungsgeboten entschärft werden. Im Hinblick auf die Strukturgestaltung von Organisationen stehen eine Vielzahl unterschiedlicher Mechanismen der Entscheidungsunterstützung bereit, die die Unterscheidung von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage auf eine je spezifische Art und Weise konfigurieren. Je nach Konfiguration werden in einem durch diese Unterscheidung aufgespannten Kontinuum graduelle Abstufungen in Abhängigkeit davon erzeugt, welcher Grad der Kopplung von Abläufen strukturell vorgesehen ist. Im Fall der festen Kopplung erübrigt sich nahezu jeder Entscheidungsspielraum.70 Die Unterscheidung von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage wird konzeptuell zusammengezogen. Am anderen Ende des Kontinuums sieht der Fall der losen Kopplung eine gewisse Distanz zwischen Entscheidung und Entscheidungsgrundlage vor, die es im Ausfiltern und Selektieren von Alternativen zu überbrücken gilt. Die Lösung dafür bie-

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Siehe hierzu Niklas Luhmann, Organisation, S. 172f. Im Gegensatz zur losen Kopplung im Sinne von Karl Weick existieren hier keine oder kaum gemeinsame Variablen, die den Zusammenhang von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage störanfällig machen. Feste Kopplung stellt daher dem Anspruch nach auf strukturelle Kausalitätsketten ab. Dass sich dadurch die Störanfälligkeit erhöhen kann, ist nicht zuletzt Pointe einer Vielzahl empirischer Befunde und bei Weick theoretisch darin begründet, dass Störungen durch das Prinzip der losen Kopplung nicht weiter im Strukturgeflecht der Organisation diffundieren können. Siehe hierzu Karl E. Weick, Der Prozeß des Organisierens. Übersetzt von Gerhard Hauck, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1985, hier S. 163.

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

ten meist die beteiligten Subjekte, die der Organisation ihre Wahrnehmungsfähigkeit, ihre Zeit und ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Möglichkeiten in Organisationen beruhen auf Verunmöglichung und damit dem Ausschließen von zu großen Unbestimmtheitsspielräumen. So informiert die Aktenlage über die zur Verfügung stehenden Schritte. Zeichnungsrechte und Verlaufswege sind vor- und festgeschrieben. Das Formular bietet nur bestimmte Möglichkeiten des Eintragens. Messregime fixieren Richtgrößen und erlauben die Ableitung exakter Zielstellungen. Visualisierungstools orientieren Entscheidungsfindung, indem das zur Verfügung stehende Entscheidungsspektrum abgebildet wird. Praktiken des Controlling und Accounting realisieren die Organisation als numerischen Zusammenhang, dessen einzelne Zahlenwerte durch mathematische Operationen miteinander verknüpft sind und qua Abstraktion Objektivität und Eindeutigkeit suggerieren. Diese Möglichkeiten der Strukturierung von Abläufen finden sich bereits im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in entsprechenden Programmen mit Leuchtturmcharakter ausgearbeitet.71 Den klassischen Mechanismen der Entscheidungsunterstützung wie Formularen und Akten entsprechen in der digitalen Moderne Softwarelösungen, deren Interfaces Handlungs- und Entscheidungsspielräume festlegen. Die Arbeit mit und an Softwarelösungen stellt sich somit als aktualisierte Fassung des skizzierten Problems der Strukturierung von Abläufen heraus, da nun das jeweilige Programm definiert, was an Eingabemöglichkeiten zur Verfügung steht. Gerade mithilfe algorithmusbasierter Entscheidungsunterstützung wird ein spezifischer Modus der Absicherung und Redundanz organisationaler Entscheidungsfindung etabliert, der den Spielraum für Varianzen und Abweichungen zunehmend minimiert. Eine Beteiligung menschlicher Körper und Bewusstseine an digitalen Strukturbildungsleistungen ist angesichts der Komplexität und Schnelligkeit digitaler Verfahren zumeist ausgeschlossen. Der subjektive Kontakt mit Algorithmen beschränkt sich weitestgehend auf die Beobachtung und den Mitvollzug struktureller Vorgaben dynamischer Interfaces. Beispiele für solche digitalen Mechanismen der Entscheidungsunterstützung finden sich etwa im algorithmusbasierten Hochfrequenzhandel, dem Auslesen und der Analyse von radiologischen Aufnahmen oder Laboruntersuchungen, in digitalbasierten Praxen der Rechtsanwendung oder der automatisierten Personalauswahl im Rahmen von E-Recruiting-Verfahren. Digitale Lernumgebungen prägen zunehmend das Design von Lehr-Lern-Arrangements, in sozialen Dienstleistungsorganisationen expandieren digitale Fallmanagementsysteme. Die strukturellen Vorgaben dynamischer Interfaces erübrigen regelmäßig menschliche Intuition, etwaige Erfahrung in Entscheidungssituationen oder soziale Aushandlungsprozesse zugunsten der eigenlogischen Verknüpfung von Binaritäten. Digitalbasierte Strukturautomation in Organisationen steht deshalb als vorläufiger Höhepunkt für die Einebnung der Unterscheidung von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage. Statt zu entscheiden, wird gerechnet. Subjektbedingte Störpotentiale werden nahezu ausgeschlossen und Einflussfaktoren in den Bereich moderner Computertechnik ausgelagert. 71

In einem ersten Schritt werden Messung, Rechnung und Visualisierung als strukturbildende Mechanismen organisationaler Entscheidungsunterstützung anhand der Ansätze von Frederick Taylor, Erich Gutenberg und Frank Gilbreth in den folgenden Kapiteln dargestellt und diskutiert.

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Die nächste Organisation

Anders verhält sich dies bei Mechanismen der Entscheidungsunterstützung, die sich maßgeblich auf die Autonomie des Subjekts stützen. Illustriert werden kann dies etwa an Benchmarks oder Zielvereinbarungen.72 Deren Modus der organisationalen Kontingenzbindung zeichnet sich dadurch aus, dass die Ungewissheit der Zukunft produktiv gewendet werden soll. Die präzise Vorgabe konkreter Schritte und Mittel wird hier durch eine vorab festgelegte Zielstellung ersetzt. Indem die Wahl der Mittel freigegeben wird, nimmt der Grad der Fremdsteuerung ab. Den Prinzipien der Selbststeuerung und Selbstregulation kommt steigende Relevanz zu.73 Die Relativierung der strukturbedingten Fremdsteuerung führt dann dazu, dass die Organisation an den Möglichkeiten des Subjekts parasitiert, das zum Wirt organisationaler Varietät und dessen Potential die entscheidende Ressource der Organisation wird. Trotzdem bleibt die Offenheit der Zukunft ausgeschlossen. Deren Kontingenz wird vielmehr in das Subjekt hinein verlagert, das sich nun in einem größeren organisationalen Möglichkeitsraum bewegt, wenngleich das vorgeschriebene Ziel ebenfalls in der Vergangenheit festgesetzt wurde. Der Schlüssel zur organisationalen Funktionslogik liegt in der Entscheidungspraxis der Organisation, nicht zuletzt deshalb, weil Organisationsstrukturen selbst Ergebnis von Entscheidungen sind.74 Wenn Kontingenz das »Midas-Gold der Moderne« ist,75 so sind Entscheidungen das Midas-Gold der Organisation, da sie Kontingenz einzuhegen 72

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Siehe hierzu Stephan Voswinkel, Gabriele Wagner, Vermessung der Anerkennung. Die Bearbeitung unsicherer Anerkennung in Organisationen, in: Axel Honneth, Ophelia Lindemann, Stephan Voswinkel (Hg.), Strukturwandel der Anerkennung. Paradoxien sozialer Integration in der Gegenwart, Frankfurt a.M.: Campus Verlag 2013, S. 75-120. Im Hinblick auf diesen grundlegend anderen Modus organisationaler Strukturgestaltung beobachten Kritiker eine Analogie zur politischen Transformation, die mit dem Begriff des Neoliberalismus verknüpft ist. Akzeptiert man die Lesart, dass Neoliberalismus das Prinzip des Wettbewerbs als Spiel der freien Kräfte auf der Ebene eines deregulierten Marktes versteht und wirtschaftliche Akteure im Ergebnis ungehindert versuchen, die Konkurrenzverhältnisse zu den eigenen Gunsten zu optimieren, handelt es sich um eine Aktualisierung der Frage nach Verantwortungsübernahme und Zuständigkeit. Im Übertrag auf Organisationen stellt man dann fest, dass Vorschriften gelockert werden und Konkurrenz zu einem internen Steuerungsprinzip wird. Im Zuge dessen etabliert sich ein Imperativ, nicht länger nur organistionale, sondern auch eigene Ressourcen zu optimieren und diese zunehmend reflexiv zu handhaben. Mitarbeitende in Organisationen werden freigesetzt, eigenverantwortlich im Sinne des Unternehmens zu agieren. Dennoch bleibt festzuhalten, dass es sich bei aller Plausibilität um zwei verschiedene Konnotationen von Freiheit handelt. Freiheit ist trotz aller Selbstbestimmungsspielräume in Organisationen immer eingeschränkt, sodass eine Gleichsetzung riskiert, hinsichtlich organisationaler Eigenlogik Unschärfen zu produzieren. Siehe hierzu auch die Beiträge in James G. March, Decisions and Organizations, Oxford und New York: Basil Blackwell 1988. Der gesellschaftliche Umgang mit Nicht-Notwendigkeit und Unmöglichkeit ist einer der zentralen Punkte der luhmannschen Theorie der Moderne. So stellt Niklas Luhmann etwa mit seiner Anspielung auf König Midas heraus, dass die Suche nach Letztbegründbarkeiten im Sinne unverletzlicher Werte die jeweilige Perspektive offenlegt und sich damit selbst als kontingent decouvriert. In dieser Formulierung kumuliert das Schicksal der Moderne. Siehe Niklas Luhmann, Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft, S. 94. Der Übertrag auf Organisationen meint – der gleichen Logik folgend – nichts anderes, als dass alles, was im Einflussbereich der Organisationen liegt, potentiell Gegenstand von Entscheidungen ist: Alles kann von der Organisation als Entscheidung beobachtet werden.

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

vermögen. Der aus der Flasche gelassene Geist der Negation von Unmöglichkeit und Notwendigkeit spukt in Organisationen idealtypisch in festgelegten Handlungskorridoren, über die entschieden wurde, und die gegenwärtige Entscheidungspraxis ist die Folge struktureller Arrangements von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage. In den Strukturen von Organisationen ist die kontingente Offenheit der Zukunft eingesperrt und Organisieren heißt demnach, Offenheit auszuschließen. Nur diese Geschlossenheit bietet Organisationen die Möglichkeit, mit zukünftiger Offenheit umzugehen. Um Bestimmtes möglich zu machen, muss Unbestimmtes unterbleiben. Das Projekt der Organisation besteht darin, Kontingenz zu negieren und gleichzeitig verfügbar zu halten. Organisationale Strukturbildung aktualisiert das Verhältnis von Offenheit und Geschlossenheit. Das Prinzip der Organisation ist in dieser Hinsicht paradox. Als Formel lautet es: Offenheit durch Schließung. Organisationale Strukturgestaltung firmiert als die Einheit der Unterscheidung von Offenheit und Geschlossenheit. Bezeichnenderweise ist das Prinzip der Organisation das Vehikel der Wissensgesellschaft in eine Zukunft, an deren Horizont sich zuverlässig neue Unsicherheiten abzeichnen. Die Form moderner Organisation gründet in erster Linie auf der Verunmöglichung des Zufalls und damit auf dem Anspruch, dass sich Fragen nach dem rechten Weg – Fragen danach, was zu tun ist und wie es weitergeht – erübrigen. Einrichtungen, deren eigenes Prinzip die Ausdifferenzierung von Spezialrollen ist, fördern durch die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen ein stetiges Ansteigen des gesellschaftlichen Komplexitätsniveaus. Die Verregelung von Abläufen bedingt NichtRegulierbares, Maßgaben der Steuerung und Kontrolle fördern Unkontrollierbarkeit, Versuche des Ausschließens von Zufällen katalysieren maßgeblich Zufallsproduktion und daraus resultierende Intransparenzen.76 Das ist die ironische Pointe der organisierten Moderne. Die entstandene Unübersichtlichkeit ist direkte Konsequenz von Versuchen der Ordnungsbildung.

2.3

Die Vorwegnahme von Zukunft durch Verfahren

Die Form moderner Organisation gewährleistet mithilfe von Strukturbildungsprozessen die Projektion der Zukunft. Historisch relativiert kommt bürokratischer Verwaltungslogik eine nicht unerhebliche Rolle für die Entstehung der Form moderner Organisation und deren wissenschaftlicher Reflexion zu.77 Die bürokratische Organisation fungiert im Folgenden als Bezugspunkt, um die Präokkupation der Zukunft durch den Mechanismus der verfahrensförmigen Verregelung von Abläufen zu diskutieren. Theoriehistorisch ist der Verweis auf die moderne Bürokratie im Sinne Max Webers an dieser

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Siehe hierzu Herbert A. Simon, Theories of Bounded Rationality, in: C. B. McGuire, Roy Radner (Hg.), Decision and Organization, Amsterdam: North-Holland Publishing Company 1972, S. 161176. Siehe hierzu etwa die Beiträge in Fritz Morstein Marx (Hg.), Verwaltung. Eine einführende Darstellung, Berlin: Duncker & Humblot 1965.

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Die nächste Organisation

Stelle obligatorisch.78 Die Geburtsstunde moderner Organisationstheorie ist eng mit der Vorstellung reibungsloser bürokratischer Abläufe verknüpft.79 Aus Webers Perspektive gründet die Legitimität des Strukturprimats der Organisation auf ordnungsgemäßen Verfahren und nicht länger auf Merkmalen wie Herkunft oder charismatischen Eigenschaften, die personenabhängig an ihren Träger gebunden sind.80 Zentrale Voraussetzung für den Dienst in der Organisation wird stattdessen die Amtskompetenz, die nichts anderes voraussetzt und einfordert, als dass die beteiligten Subjekte mit ihren Launen, Interessen und Neurosen zuhause bleiben müssen.81 Entscheidungen werden auf eine Stelle im Entscheidungsgefüge zugerechnet, die verantwortlich gemacht werden kann, und damit auf das Amt. Der Amtsträger wird ausschließlich im Konfliktfall sichtbar. Beim genauen Befolgen von Vorschriften und Dienstanweisungen, beim Einhalten entsprechender Dienstwege bleibt das Subjekt dagegen unsichtbar.82 Die »Herr78

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Siehe etwa die Systematik bei Alfred Kieser, Mark Ebers (Hg.), Organisationstheorien. 7., aktualisierte und überarbeitete Auflage, Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH 2014; siehe auch Emil WalterBusch, Organisationstheorien von Weber bis Weick, Amsterdam: G + B Verlag Fakultät 1996. Bemerkenswerterweise ist dies aber nicht zwangsläufig an die Ideen Max Webers geknüpft. So stellt etwa Renate Mayntz fest, dass sich die Organisationssoziologie erst später als eigener Diskurszusammenhang entwickelt hat und dann rückblickend feststellte, dass »Webers [H.i.O.] Bürokratiebegriff bereits eine ziemlich vollständige Liste der Definitionskriterien einer Organisation im modernen soziologischen Sprachgebrauch enthält, wie Weber auch in seiner Behandlung von Bürokratie nahezu alle sozialen Gebilde erwähnte, die man heute unter dem Terminus Organisation zusammenfasst« (S. 91). Diese »Illusion der Übereinstimmung« (ebd.) fungierte wiederum als Ausgangspunkt für Kritik an den weberschen Überlegungen, die Mayntz zufolge allerdings weitestgehend leerläuft, da die »Formulierung eines maximal zweckmäßigen Sollschemas« (S. 93) gar nicht beansprucht, empirische Regelmäßigkeiten zu fixieren. Gleiches gilt für die vermeintliche Nichtbeachtung informeller Elemente, Zielsetzungsprozesse oder Umweltbeziehungen im Rahmen der Theorie. Dies jedoch Weber – bestenfalls sogar als Unkenntnis – vorzuwerfen, verkennt die Einbettung der weberschen Überlegungen in eine historisch relativierte Theorie der Entstehung abendländischer Rationalität, wie sich auch am Ausblenden der herrschaftssoziologischen Kontextes zeigt, sodass die Rezeption Webers regelmäßig auf die Definition von Bürokratie oder damit verbundene Effizienzkalküle verengt wurde. Siehe hierzu Renate Mayntz, Max Webers Idealtypus der Bürokratie und die Organisationssoziologie, in: Jürgen Fijalkowski (Hg.), Politologie und Soziologie. Otto Stammer zum 65. Geburtstag, Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1965, S. 91-100. Siehe hierzu klassisch Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 124ff. Siehe hierzu Robert K. Merton, Bürokratische Struktur und Persönlichkeit, in: Renate Mayntz (Hg.), Bürokratische Organisation, Köln und Berlin: Verlag Kiepenheuer und Witsch 1971, S. 265-276. Für Ralph Bollmann besteht genau in dieser Hinsicht der entscheidende Grund für die Unabdingbarkeit bürokratischer Organisation. Individuelle Sichtbarkeit im Sinne eigenmächtigen Agierens ist dann gleichbedeutend mit Machtmissbrauch. Die Befolgung von Arbeitsabläufen hingegen wirkt machteinschränkend. Bollmann hebt dabei zur Veranschaulichung den Fall heraus, wenn seitens der Politik unbürokratische Hilfe versprochen wird. Diese unterliegt keinen einheitlichen und für alle verbindlich geltenden Standards, was eine regelgetreue Leistungserbringung im gerechten Sinne unmöglich macht. Unprofessionalität und Untreue sind daher Kennzeichen von »failing states«, für die häufig ein Bürokratiedefizit angenommen werden muss. Eine vorschnelle Kritik etwa am Zeitaufwand bürokratischer Abläufe oder an deren Sterilität greift Bollmann zufolge zu kurz und verkennt deren Relevanz für demokratische Gesellschaften. Siehe Ralph Bollmann, Lob der Bürokratie, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 66 (2012) 4, S. 277287.

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

schaft der formalistischen Unpersönlichkeit« basiert auf der Dokumentation von Prozeduren, Verfahrensabläufen oder Wissensbeständen.83 Entscheidungen werden nicht nach Kriterien wie Kreativität und Innovativität beurteilt, sondern folgen bestimmten Vorschriften. Dienst nach Vorschrift meint nichts anderes als die Tatsache, dass das, was zu tun ist, in Dienstanweisungen vorgeschrieben ist. So besteht handlungsleitend die Möglichkeit zum Nachlesen dessen, was zu einem vorhergegangen Zeitpunkt fixiert wurde. Bürokratische Organisationen können von dieser Warte aus deshalb als Idealtypen organisationaler Zukunftsvergessenheit und des Prinzips der prospektiven Zukunftsbeherrschung verstanden werden.84 Für die Leistungsfähigkeit der bürokratischen Organisation nimmt Max Weber maßgeblich die Schriftförmigkeit ihrer Abläufe in Anspruch. Alles, was im Rahmen der Organisation relevant ist, nimmt die Form der Akte an, damit sich die Organisation von der Abhängigkeit von den beteiligten Subjekten lösen kann.85 Dass der Modus kontrollierbarer Schriftlichkeit für die Vorwegnahme der Zukunft eine zentrale Rolle spielt, sieht man auch, wenn man die Vorzeichen umkehrt und mit dem Modus unkontrollierbarer Mündlichkeit kontrastiert.86 Gesprochener Sprache haftet der Makel der Unüberprüfbarkeit an. Kaum ist ein Satz gesagt, ist die Gegenwart, in der er ausgesprochen wurde, Vergangenheit. Eine Rekapitulation ist zumindest schwierig und durch Grenzen von Kognition und Gedächtnis nur bedingt möglich. Die Möglichkeit der Kontrolle erfordert mindestens ein entsprechend anforderungs- und umfangreiches Protokollieren.87 Doch auch Mitschreiben und Mitschrift verweisen auf 83 84

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Siehe Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 129. Hartmann Tyrell sieht das rationale Moment in der bürokratischen Organisation Webers gerade darin, dass die Möglichkeit der Veränderbarkeit der strukturellen Parameter angenommen werden muss und verschiebt die weberschen Überlegungen damit ein Stück weit in die Richtung eines dynamischen Modells von Organisation, wie es etwa die Systemtheorie prominent vertritt. Er widerspricht damit der These von Renate Mayntz, die Überlegungen Webers könnten als »objektiver Richtigkeitstypus« verstanden werden. Siehe Hartmann Tyrell, Ist der Webersche Bürokratietypus ein objektiver Richtigkeitstypus? Anmerkungen zu einer These von Renate Mayntz, in: Zeitschrift für Soziologie 10 (1981) 1, S. 38-49. Für die Diskussion des Verhältnisses von Ideal- und Richtigkeitstypus und den Positionen von Mayntz und Tyrell siehe auch Michael Windzio, Organisation, Strukturwandel und Arbeitsmarktmobilität. Untersuchungen zum evolutionären Wandel der Sozialstruktur, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2003, S. 64f. Für die hier angestellten Überlegungen steht allerdings die Frage der strukturgeleiteten Zeitbindung in Organisationen im Vordergrund, die quer zu den Positionen von Mayntz und Tyrell liegt. »Es gilt das Prinzip der Aktenmäßigkeit der Verwaltung, auch da, wo mündliche Erörterung tatsächlich Regel oder geradezu Vorschrift ist: mindestens die Vorerörterungen und Anträge und die abschließenden Entscheidungen, Verfügungen und Anordnungen aller Art sind schriftlich fixiert.« Siehe Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 126. Auf den Unterschied von unkontrollierbarer Mündlichkeit und kontrollierbarer Schriftlichkeit hat Dirk Baecker aufmerksam gemacht. Dem Modus der flüchtigen Sprache entspricht im Übertrag auf Organisationen Baecker zufolge das Prinzip der Korruption. Siehe Dirk Baecker, Durch diesen schönen Fehler mit sich selbst bekannt gemacht: Das Experiment der Organisation, in: Toru Hijikata, Armin Nassehi (Hg.), Riskante Strategien. Beiträge zur Soziologie des Risikos, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1997, S. 249-271, hier S. 255f. Dabei kann auch das Ausbleiben von Sprechen oder Schreiben als Entscheidung beobachtet werden. So diagnostiziert Philipp Sandermann ein Spektrum möglicher Handlungsweisen bei der Vergabepraxis von Leistungen in deutschen Jugendämtern. Nicht-Schreiben bzw. -Sprechen kann so-

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Die nächste Organisation

die Notwendigkeit persönlicher Anwesenheit und damit auf das Risiko intersubjektiver Differenzen von Verstehen und Wahrnehmung. Zwar verschiebt das Medium der Schrift die Flüchtigkeit des gesprochenen Momentes in Richtung Kontrollier- und Nachvollziehbarkeit, doch eine Vorwegnahme dessen, was zu tun ist, wird nicht zwingend geleistet.88 Eine Mitschrift ist noch keine Akte.89 Was ihr fehlt, ist das Potential, Anschlussoptionen engzuführen und vorwegzunehmen. Zwar kann eine Mitschrift unbestritten Hilfestellung bei der Einschätzung von Sachverhalten leisten, jedoch definiert sie nicht ausreichend, was zu tun ist. Die Mitschrift versucht, Auskunft darüber zu geben, was war, doch als Zeugnis von Ereignissen entsteht sie synchron, im Eifer des Geschehens. Vollständigkeit, Transparenz und intersubjektive Nachvollziehbarkeit sind regelmäßig eher Anspruch als Realität und ein Mindestmaß an Störanfälligkeit scheint vor dem Hintergrund des Anforderungsreichtums sich gleichzeitig ereignender Einflüsse immer zu bleiben.90 Was noch drohend im Raum steht, sind allzu verschiedene Möglichkeiten der Interpretation und damit die Abhängigkeit von den

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wohl zur Leistungserbringung wie gleichermaßen zur Leistungsverweigerung führen. Eine rigide Verfahrensordnung ohne Möglichkeiten der Auslegung kann damit nicht festgestellt werden. Hinter eine entsprechende Fixierung von Möglichkeiten kann nicht zurückgetreten werden, so dass auch ein entsprechendes Ausbleiben eine Option ist. Siehe Philipp Sandermann, Schweigen im Jugendamt. Momente des Nicht-Sprechens/-Schreibens als schweigende Ermöglichung und Verweigerung von Kinder- und Jugendhilfeleistungen in Antrags- und Hilfeplanverfahren, in: Michael Geiss, Veronika Magyar-Haas (Hg.), Zum Schweigen. Macht/Ohnmacht in Erziehung und Bildung, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2015, S. 307-332. Das von Sandermann konstatierte Schweigen verweist auf den organisationalen Grundmechanismus, Nichtagieren entsprechend beobachten zu können und in Entscheidungsförmigkeit umzuarbeiten, denn in Organisationen kann auch ein mögliches Nicht-Entscheiden Entscheidungsform annehmen. Der Organisationsmechanismus erlaubt es, im Hinblick auf die an Mitglieder adressierten Verhaltenserwartungen ein Entsprechen bzw. Nicht-Entsprechen der Erwartungen als Entscheidung zu codieren und somit gewissermaßen wie ein Staubsauger alles einzusaugen, was an Geschehnissen in Organisationen vorkommt. Mindestens aber können die Ausführungen von Sandermann dahingehend interpretiert werden, dass Organisationen mehr sind als sprachliche Kommunikation. Sybille Krämer fasst die Unterscheidung von gesprochener Sprache und Schrift begrifflich als »Entkörperung des Kommunikationsaktes«, dessen Folge sie als »zerdehnte Kommunikation« bezeichnet, die im Ergebnis zu neuen Formen der Gedächtnisbildung führt. Die Verwendung von Schrift steht daher – etwa durch deren Verwendung in Tabellen, Listen, Interpunktionen etc. – für ein Darstellungspotential, das andere Formen der Ordnungsbildung ermöglicht und das insbesondere für Organisationen von zentraler Relevanz ist. In dieser Hinsicht ist insbesondere der Hinweis von Sybille Krämer auf die Ursprünge der Schrift im assyrisch-babylonischen Raum bemerkenswert, da Schrift hier weniger auf das Festhalten von Sprache zielt, sondern sich zunächst als eine Praxis der Handhabung ökonomischer Sachverhalte etabliert. Siehe Sybille Krämer, Mündlichkeit/Schriftlichkeit, in: Alexander Roesler, Bernd Steiger (Hg.), Grundbegriffe der Medientheorie, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag GmbH & Co. KG 2005, S. 192-199, hier S. 194. In diesem Sinne stellt Sybille Krämer unter Rückgriff auf die Ideen von Carlfriedrich Claus heraus, dass Schreiben die Denkbewegung des Schreibenden nicht lediglich ausdrückt, sondern vollzieht und zwar ohne – das ist hier der entscheidende Punkt – eine »methodisch-disziplierende Zurichtung«. Siehe Sybille Krämer, Über die Handschrift: Gedankenfacetten, in: Manuela Böhm, Olaf Gätje (Hg.), Handschreiben – Handschriften – Handschriftlichkeit. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (OBST) 85, Duisburg: Universitätsverlag Rhein-Ruhr OHG 2014, S. 23-34, hier S. 27. Gerade das Schreiben von Hand erscheint als Ausdruck von Individualität. Ebd., S. 27.

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beteiligten Subjekten.91 Doch das Gespenst der Auslegungssache spukt idealtypisch nicht in bürokratischen Amtsstuben. Amt und Person sind streng geschieden und dies impliziert, dass Personenunabhänigkeit und damit die Nivellierung subjektiver Unterschiede Programm sind. Die Nutzung der Schrift ermöglicht es für Organisationen, auf einen Mechanismus der Entscheidungsunterstützung zurückzugreifen, der den Risiken bloßer Zufälligkeit und Beliebigkeit entgegenwirkt.92 Das Prinzip der Schriftlichkeit ermöglicht, nach einem festgeschriebenen Vorgehen zu verfahren und dieses Vorgehen im Nachhinein zu kontrollieren. Mögliche Anschlussoptionen sind durch die Akte vorstrukturiert und damit eingeschränkt. In der Konsequenz wird Beliebigkeit relativiert.93 Nichts ist, was nicht sein darf.94 Nichts ist, was nicht prospektiv in Planungsentwürfen vorweggenommen ist. Der Weg in die Zukunft ist in Verfahrensschritten festgeschrieben und legiti91

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Für Aktenführung gilt dem Anspruch nach genau das nicht. So gehören zum Anforderungsgehalt an Aktenführung Kriterien wie Objektivität, Überprüfbarkeit und Transparenz. Aufgabenbezug und Erforderlichkeit ergänzen diese und verweisen auf die Organisation als Strukturzusammenhang, der legitimatorische Aspekte und dienstliche Pflichten integriert. Für Anforderungen der Aktenführung im Bereich Sozialer Arbeit siehe Alfons Limbrunner, Soziale Arbeit als Beruf. Berufsanfang, Wiedereinstieg und Berufsfeldwechsel, Weinheim und Basel: Beltz Verlag 1998. Thomas Klatetzki und Hans Nokielski nehmen die Schriftförmigkeit im Sinne Webers dafür in Anspruch, Probleme und Informationen durch »formulartechnische Rasterung« erst kleinarbeiten zu können. Wenn kein Raum im entsprechenden Vordruck vorgesehen ist, können Informationen keine Berücksichtigung finden. Siehe Thomas Klatetzki, Hans Nokielski, Soziale personenbezogene Dienstleistungsorganisationen als bürokratisch-professionelle Zusammenhänge: Weber und die Folgen, in: Thomas Klatetzki (Hg.), Soziale personenbezogene Dienstleistungsorganisationen. Soziologische Perspektiven, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010, S. 25-60, hier S. 42. So analysiert etwa Jakob Erne, dass sich aus Akten keine Rückschlüsse auf die entsprechenden Interaktionen innerhalb der Organisation ziehen lassen, die ihrerseits durch die jeweilige Aktenlage strukturiert werden. Akten informieren über die Funktionsweise der Organisation, nicht über Umgangsweisen der Mitarbeitenden. Zwar macht Erne einerseits auf die Wechselseitigkeit von Akte und Mitarbeitenden aufmerksam, indem er Akten als Aktanten beschreibt. Dennoch kennzeichnet er andererseits Akten dem zuwiderlaufend als die »kleinsten ideologischen Einheiten der Organisation« und stellt heraus, dass die Subjektivität von Mitarbeitenden gerade nicht durch Aktenanalyse dechiffriert werden kann. Siehe Jakob Erne, Der Status der Akte als organisationaler Aktant, in: Steffen Amling, Werner Vogd (Hg.), Dokumentarische Organisationsforschung. Perspektiven der praxeologischen Wissensssoziologie, Opladen, Berlin und Toronto: Verlag Barbara Budrich 2017, S. 43-58, hier S. 54. Ersetzt man im vorstehenden Zitat ideologische Einheit in einem Gedankenexperiment durch Letzteinheit, tritt die Bedeutung von Informationsverarbeitung in Organisationen als maßgeblicher modus operandi deutlicher zu Tage. Zudem: Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Aktanten als Quasi-Objekte Subjekt-Objekt-Konstellationen in einen Modus der Oszillation zwingen, ist auch die These diskutabel, ob sich dies nicht besser am Status der Organisationsmitglieder illustrieren ließe, erscheinen diese doch etwa als Organisationssubjekte im Sinne Gutenbergs genau genommen als Objekt der Organisation. Zur Relation von Subjekt und Objekt und deren jeweiligem Kippen ineinander siehe die vor allem im Rahmen der Netzwerktheorie Bruno Latours rezipierte Ursprungsfigur des Quasi-Objektes bei Michel Serres, die auf der grundsätzlichen Unterscheidung von Entitäten und Relationen basiert. Siehe Michel Serres, Der Parasit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1981, S. 344ff. »Präzision, Schnelligkeit, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung, Ersparnisse an Reibungen, sachlichen und persönlichen Kosten sind bei streng bürokratischer, speziell: monografischer Verwaltung durch geschulte Einzelbeam-

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miert sich durch deren penible Einhaltung.95 Gerade weil Arbeitsschritte häufig kleinschrittig und in Form einander nachgeschalteter Instanzen organisiert sind, rauscht die Zukunft nicht mit voller Geschwindigkeit heran.96 Auf diesem Weg erscheint Bürokratie als Instrument, mit dem die Zukunft beherrschbar wird. Verfahrensförmigkeit unterminiert Spontanität und Ad-hocEntscheidungen. Im Ergebnis wird nicht mehr auf dem Markplatz gerichtet und der Preis dafür ist, dass nun Zeit vergeht, bis der Gerechtigkeit genüge getan wird. Verwaltungsakte erzwingen aufgrund der Dekomposition von Entscheidungen in weitere Entscheidungen eine Herabsetzung der Geschwindigkeit des modus operandi.97 Nicht umsonst wird über langatmige und zeitraubende Verfahren und diesbezügliche Beschleunigungsansätze diskutiert. Der Vorwurf, dass die Rigidität bürokratischer Strukturen Möglichkeiten des Wandels, der schnellen Gründung und Investition oder der flexiblen Zielerreichung behindert,98 ist bekannt.99 Diese verlangsamende

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te gegenüber allen kollegialen oder ehren- und nebenamtlichen Formen auf das Optimum gesteigert.« Siehe Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 561f. Nicht immer jedoch muss die Legitimität von Verfahrensordnungen in sich begründet und damit irdischen Ursprungs sein. Said AlDailami und Martin Pabst diskutieren am Fall der demokratischen Revolution in Ägypten die Erwartungshaltung der Wähler, eine rechtschaffene Politik gerade aufgrund einer Rechenschaftspflicht der Politiker gegenüber Gott für wahrscheinlich zu halten. Die Annahme religiöser Werthaltungen führte so zu einem Vertrauensvorschuss für die Gruppe der Muslimbrüder, die zuvor von politischer Beteiligung ausgeschlossen war. Gewissermaßen unter göttlicher Beobachtung – so die Hoffnung – sollten Korruption und Repression keinen Raum haben und an ihre Stelle geordnete Verfahren treten. Für die entsprechende Diskussion siehe Said AlDailami, Martin Pabst, Der Arabische Umbruch – eine Zwischenbilanz. Interne Dynamik und externe Einmischung, München: Hanns-Seidel-Stiftung 2014, hier S. 166f. Dieses Beispiel transzendenter Immanenz zeigt, dass Paradoxien alltagspraktisch bereits entparadoxiert sind. Für den Fall parlamentarischer Arbeit und die damit etablierte Eigenzeit von Parlamenten siehe die Beiträge in Werner J. Patzelt, Stephan Dreischer (Hg.), Parlamente und ihre Zeit. Zeitstrukturen als Machtpotentiale, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2009. Niklas Luhmann sieht hierfür den Begriff der parasitären Entscheidung vor, da bereits Alternativen existieren, zu denen Entscheidungen hinzutreten, die darauf abzielen, zu regulieren, wie diese Alternativen zu handhaben sind. Diese Regelungsentscheidungen speisen sich aus dem Material, das der Organisation für die Produktion von Entscheidungen bereits zur Verfügung steht. Siehe Niklas Luhmann, Organisation, S. 179f. Siehe hierzu Michel Crozier, Der bürokratische Circulus vitiosus und das Problem des Wandels, in: Renate Mayntz (Hg.), Bürokratische Organisation, Köln und Berlin: Verlag Kiepenheuer und Witsch 1971, S. 277-288. Nicht selten operiert eine solche Kritik vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Markt und Staat. Dies gilt vor allen Dingen für den Fall, dass diese Kritik dem (neo-)liberalen Spektrum zugeordnet wird. Bürokratische Strukturen stehen dann den Erfordernissen freien Wettbewerbs entgegen, während Eigenverantwortung und Flexibilität auf semantischer Ebene die Forderung nach Rückzug des Staates aus dem öffentlichen Leben begleiten. Für eine solche Form der Argumentation siehe beispielhaft Carl Dominik Klepper, Bürokratieabbau in Deutschland. Versinkt unsere Zukunft im Regelsumpf?, Berlin: Stiftung Marktwirtschaft 2005. Anzumerken ist jedoch, dass es sich bei Gerechtigkeit um einen perspektivenabhängigen Begriff handelt. Während Bürokratien im Sinne obiger Argumentation verteilungsgerecht sind, gilt für eine markttheoretisch begründete Kritik an regulierten Zusammenhängen gerade nicht, dass Gerechtigkeit negiert würde. Gefordert wird vielmehr eine andere Form von Gerechtigkeit – Leistungsgerechtigkeit. Es handelt sich dabei um einen klassisch dissensorientierten Antagonismus (Markt vs. Staat), der auf beiden

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

Funktion, die Bürokratie und Demokratie gemeinsam haben, sorgt dafür, dass eine nüchterne und distanzierte Sachlichkeit an die Stelle hochkochender Gefühlslagen tritt. Verfahren kühlen Emotionen aus, während Triebe nicht auf Stempel angewiesen sind. Personenunabhängigkeit in Bürokratien ist idealtypisch mit der Abwesenheit von Emotionalität und Spontanität identisch. Bürokratien funktionieren weitgehend empathiefrei, denn Verfahrensförmigkeit erübrigt die Notwendigkeit, andere verstehen zu müssen oder sich in sie hineinzuversetzen.100 Nicht zuletzt darin besteht die spezifische Funktion bürokratisch geordneter Zusammenhänge. Die Welt der bürokratischen Organisation ist eine Welt der Ordnung, die aufgrund der ihr zugrunde liegenden Regelhaftigkeit aufgeräumt, übersichtlich und transparent erscheint. Der bürokratische Alltag entspricht einer auf Dauer gestellten Vorwegnahme von Alternativen.101 Retropie statt Utopie. Indem Alternativen vorweggenommen sind, verschwinden strukturbedingt die Möglichkeiten, die einer gestaltbaren Zukunft vorausgehen, und genau dies ist die Hypothek einer geordneten Welt.102 Aus dieser Seiten normativ kurzgeschlossen wird. Für eine demgemäß differenzierte Argumentation siehe Peter Felixberger, Gut : Gerecht. Paradoxe Begründungswelten in Politik und Wirtschaft, in: Armin Nassehi (Hg.), Gut leben. Kursbuch 172, Hamburg: Murmann 2012, S. 176-187. 100 Ein klassisches Beispiel für die Empathiefreiheit von Organisationen findet sich in der Begleitung des Gerichtsprozesses Adolf Eichmanns durch Hannah Arendt. Beim mit Spannung erwarteten Prozess Eichmanns bekam die Weltöffentlichkeit nicht etwa ein »Ungeheuer« zu Gesicht, sondern einen Fachmann und Bürokraten, der detailliert darüber Auskunft geben konnte, wie Organisationen Zuständigkeiten zerteilen und damit dem Anschein nach – und aus seiner Perspektive – von persönlicher Verantwortung entlasten. Klassisch hierzu Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen, München: R. Piper & Co. Verlag 1964, hier S. 83. Ein aktueller Versuch, die Geschichte des Holocaust konsequent aus Perspektive der Organisationstheorie zu erschließen, findet sich bei Stefan Kühl. So diskutiert Kühl etwa die Motivgeneralisierung in Organisationen anhand von Parametern wie Zweckidentifikation, Kameradschaft, Handlungsattraktivität, Geld oder Zwang. Siehe Stefan Kühl, Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust, Berlin: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 2014. Analog dazu – wenngleich stärker grundlagentheoretisch ausgerichtet – stellt Günther Ortmann fest: »Die Objekte und Resultate bürokratischer Prozesse werden auf quantitative Größen, Menschen auf Nummern, »Fälle«, Fallzahlen, Funktionsträger reduziert.« Siehe Günther Ortmann, Das Unbehagen in und an der Organisationskultur, in: Hugo Schmale, Marianne Schuller, Günther Ortmann (Hg.), Ortlose Moral. Identität und Normen in einer sich wandelnden Welt, München: Wilhelm Fink Verlag 2011, S. 395426, hier S. 411f. 101 Reinhard K. Sprenger spitzt diesen Zusammenhang entsprechend zu, indem er in Hinblick auf eingeschränkte Entscheidungsspielräume von »bürokratischer Alternativvernichtung« spricht. Siehe Reinhard K. Sprenger, Leadershit. Gut managen – und was wir damit anrichten, in: Armin Nassehi (Hg.), Gut leben. Kursbuch 172, Hamburg: Murmann 2012, S. 26-40, hier S. 30. 102 Ironischerweise ist auch Bürokratieabbau zunächst einmal mit einem Wachstum bürokratischer Strukturen verbunden. Für einen etwaigen Rückbau müssen ihrerseits neue Gesetze und Vorschriften erlassen werden. Abschaffen kann sich Bürokratie im Umkehrschluss also ausschließlich selbst – ein Fall von »paradoxer Selbstanwendung«. Ohne eine zeitliche Begrenzung solcher Vorschriften beginnt es nunmehr rasch nach Schwefel zu riechen. Wenn Bürokratie Bürokratie bedingt und selbst Versuche der Eindämmung nur bürokratisch denkbar sind, liegt aufgrund der diesbezüglichen Rückkopplungsprozesse die Rede vom Teufelskreis bedrohlich nahe. Für eine entsprechende Diskussion des Verhältnisses von Politik und Verwaltung siehe Helmut Fangmann, Politik und Verwaltung, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 66 (2012) 4, S. 289-296, hier S. 291.

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Perspektive sind Bürokratien durch die strukturbedingte Festlegung der Zukunft Orte der Utopie- und Alternativlosigkeit. In Bürokratien scheint nichts Neues in die Welt zu kommen, zu langsam ihr Arbeitstempo, um angemessen auf sich verändernde Bedingungen reagieren zu können.103 Verlässlichkeit und Kontrollierbarkeit stehen der Gefahr gegenüber, dass ihre Verfahren und Lösungswege obsolet geworden sind und nicht mehr zu einer sich dynamisch verändernden Umwelt passen.104 Dass die Vorwegnahme der Zukunft durch eine gesatzte Ordnung Ambivalenzen birgt, scheint unzweifelhaft, und die Kritik an bürokratischer Strukturbildung ist ein gängiges Narrativ. Es an dieser Stelle aber beim Vorwurf der Zukunftsvergessenheit bürokratischer Zusammenhänge zu belassen, würde den Blick für deren spezifische Funktionalität im Rahmen demokratischer Gesellschaften verstellen. Denn bei genauer Hinsicht erscheint die geordnete Welt der Bürokratie – trotz der Tatsache, dass ihre Mühlen langsam mahlen – als Hort der Gerechtigkeit. Bürokratische Ordnungen nutzen idealtypisch gleichbleibende Bewertungsstrukturen, da ihre Einschätzungen aus vergangenheitsbedingten Handlungsschemata resultieren.105 Legitimierte Verfahren 103 Für die These, dass die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren von zentraler Wichtigkeit für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft ist, siehe Martin Bullinger, Beschleunigte Genehmigungsverfahren für eilbedürftige Vorhaben. Ein Beitrag zur zeitlichen Harmonisierung von Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 1991. 104 Diskutiert wird aktuell etwa, inwieweit Verfahren direkter Demokratie eine Antwort im Hinblick auf populistische Strömungen und die Veränderung der Parteienlandschaft zu geben vermögen. Angemahnt wird hier nicht zuletzt eine sachliche Angemessenheit und damit der Bezug auf die bestehenden Verfahrensordnungen. Eine Mythologisierung direkter Demokratie ist dabei für Eike-Christian Hornig genauso wenig dienlich, wie eine Parteienkritik, die deren eigentliche Funktionslogik verkennt. Siehe hierzu Eike-Christian Hornig, Mythos direkte Demokratie. Praxis und Potentiale in Zeiten des Populismus, Opladen, Berlin und Toronto: Verlag Barbara Budrich 2017. Der Wunsch nach direkter Demokratie als Problemlösestrategie ist also durchaus ambivalent einzuschätzen. So reproduzieren auch direkte Beteiligungsverfahren Wolfgang Merkel und Claudia Fritzi zufolge Strukturen politischer Teilnahme, wie sie in Wahlen beobachtet werden. Zur Lösung des Problems einer mangelnden Adressierung taugt direkte Demokratie daher empirisch gesehen nur bedingt, die Unterscheidung von politischer Aktivität und Inaktivität einzuebnen. Der Legitimitätsnachweis direkter Beteiligungsverfahren steht aus dieser Perspektive folglich noch aus, wenngleich das Argument einer steigenden Beteiligung sicher nicht einfach vom Tisch genommen werden kann. Für eine diesbezüglich differenzierte Sichtweise siehe Wolfgang Merkel, Claudia Fritzi, Direkte Demokratie oder Repräsentation? Zum Reformbedarf liberal-repräsentativer Demokratie im 21. Jahrhundert, in: dies. (Hg.), Die Legitimität direkter Demokratie. Wie demokratisch sind Volksabstimmungen?, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2017, S. 227-250. Dass Verfahren politischer Beteiligung zudem die eigentliche Ausgangsintention der Initiatoren konterkarieren können, zeigt sich am Beispiel des Brexits. Diskutiert wird diesbezüglich die These, inwieweit – trotzdem oder gerade – Verfahren direkter Demokratie als Korrektiv im Hinblick auf das Selbstverständnis politischer Eliten geeignet sind. Siehe hierzu Laurence Whitehead, The ›People Ruled‹ that the UK Should Quit the European Union. Afterword on Brexit Referendum, 23 June 2016, in: Saskia P. Ruth, Yanina Welp, Laurence Whitehead (Hg.), Let the People Rule? Direct Democracy in the Twenty-First Century, Colchester: ECPR Press 2017, S. 221-226. 105 Dies etwa führt zum paradoxen Versuch der Begriffsbestimmung von Günther Ortmann, bei dem die Organisation in der Bestimmung dessen, was sie ausmacht, selbst vorkommt: »Organisation ist organisierte Wiederholung«. Für eine entsprechende Diskussion des Paradoxons der Wiederholung und zum Nachvollzug des entsprechenden Zitates siehe Günther Ortmann, Der Schneider von Panama. Lauter Geschichten über Ambiguität und Organisation, in: Richard Weiskopf (Hg.),

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

suggerieren Zuverlässigkeit und Kontinuität und zwar durch identisch ablaufende Verfahrensschritte.106 Demokratien sind auf geregelte Verfahren angewiesen, wie Bürokratie entsprechend politisch legitimiert sein muss.107 Bürokratische Ordnungen sind aufgrund der konzeptuellen Verunmöglichung des Einzelfalls grundsätzlich gerecht.108 Durch den Filter der Organisation wird Ungleiches gleich,109 denn ordnungsgemäße Verfahren sind gleichmäßige Verfahren.110 So sind etwa Leistungszusagen in der Regel nicht von Kategorien wie Kleidungsstilen, Musikpräferenzen oder einem bestimmten Haarschnitt abhängig. Auch Verwandtschaftsverhältnisse schlagen nicht zu Buche.111

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Menschenregierungskünste. Anwendungen poststrukturalistischer Analyse auf Management und Organisationen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag GmbH 2003, S. 132-158, hier S. 156. Klassisch hierzu Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Darmstadt und Neuwied: Herrmann Luchterhand Verlag GmbH 1969. Freilich handelt es sich hierbei um eine Begründungsparadoxie, die der vergeblichen Suche nach der ersten Unterscheidung gleicht. Für die Suche nach dem Anfang etwa gilt, dass man bereits mit ihr begonnen hat, wenn man dabei ist, anzufangen. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Anfang und Ende: Probleme einer Unterscheidung, in: Niklas Luhmann, Karl Eberhard Schorr, Zwischen Anfang und Ende. Fragen an die Pädagogik, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1990, S. 11-23. Im Hinblick auf die Verfasstheit einer liberalen Demokratie findet sich analog dazu die vielzitierte Formulierung von Ernst-Wolfgang Böckenförde: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.« Siehe Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des modernen Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH 1967, S. 75-94, hier S. 93. So setzt der liberale Staat als Rechtsordnung zwar Rahmenbedingungen, innerhalb derer entsprechend frei agiert werden kann. Jedoch ist damit die notwendige Einsicht aller Rechtssubjekte, die ein rechtsstaatliches Funktionieren garantieren würde, lediglich erwartet, nicht aber zwangsläufig vorausgesetzt. Gerade die notwendige kritische Distanznahme und ein sorgsames Abwägen obliegen dem Einzelnen und sind nicht verordnungsfähig. Gerade für ambitionierte pädagogische Zielsetzungen ist problematisch, dass erzieherische Absichten durch das Nadelöhr organsiationaler Programmierung müssen. Hohe Ansprüche an Einzelfalllösungen treffen hier auf hohe – teils rechtliche – Ansprüche der Normierung. Die Konstruktion pädagogischer Fallförmigkeit ist ein weiteres Beispiel für organisationale Strukturbildung im Spannungsfeld von Begrenzung und Ermöglichung. Für eine entsprechende Diskussion am Beispiel Sozialer Hilfen siehe Dirk Baecker, Soziale Hilfe als Funktionssystem der Gesellschaft, in: Zeitschrift für Soziologie 23 (1994) 2, S. 93-110. Max Weber schreibt der bürokratischen Organisation daher die »Tendenz zur Nivellierung im Interesse der universellen Rekrutierbarkeit aus den fachlich Qualifiziertesten« zu. Siehe Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 129. Auf der Seite der Organisation fallen Ordnung und Unfreiheit zusammen. Vorschriften zu befolgen, ist gleichbedeutend mit dem Verzicht auf individuelle Präferenzen. Auf der Seite der Gesellschaft resultieren daraus wirtschaftliche und politische Freiheit und damit die Möglichkeit, individuellen Präferenzen entsprechend zu agieren. Zumindest gilt persönliche Voreingenommenheit im Sinne von Vetternwirtschaft in Organisationen als dysfunktional, da sie dem Prinzip, möglichst geeignetes Personal zu finden, entgegenläuft. Siehe hierzu Robert Townsend, Organisation ist fast alles… Wie das Management lernt, die wichtigen Positionen mit den richtigen Mitarbeitern zu besetzen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Brigitte Stein, München: Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. 1985, S. 262. Die Normenkonkurrenz von Verwandtenförderung als sozialer Verpflichtung auf der einen und korrupter Praxis auf der anderen Seite steht in der Moderne dem Credo sachorientierter Entscheidungsfindung gegenüber, die eine nicht adäquat-verfahrensförmige Logik sozialer Funktionalität zu einem Straftatbestand werden lässt. Dass aber Netzwerke und Seilschaften in Verwaltungen keine Rolle

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Entscheidend sind vielmehr rechtliche Ansprüche und diese gelten unabhängig von individuellen Geschmacksfragen oder Herkunft. Während sich durch das Nachdenken über Geschmack, einer damit korrelierenden Milieuspezifik und daraus abzuleitenden distinktiven Präferenzen ganze Sozialordnungen kompilieren lassen,112 gilt dies für ordnungsgemäß ablaufende Verfahren nicht. Zwar gründen auch Organisationen auf der Unterscheidung von Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit,113 im Gegensatz zu gesellschaftlichen Klassen oder Milieus folgen bürokratische Organisationen aber einer klaren Unterscheidung von Innen und Außen, die formaler Art und damit festgeschrieben ist. Die Verhinderung klassenspezifischer Muster liegt in der bürokratischen Verfahrenslogik begründet. Die Anfälligkeit für falsche Entscheidungen geht durch die programmatische Auslösekausalität im Sinne von Wenn-Dann-Schemata konzeptuell gegen Null, indem die einzelnen Strukturkomponenten fest gekoppelt sind. Im Falle einer korrekten Prüfung von Voraussetzungen kann nicht falsch entschieden werden,114 denn die Aktenlage informiert darüber, was zu tun ist. Die Einhaltung der diesbezüglichen Regeln – von Dienstwegen über Zeichnungsrechte bis hin zu Widerspruchsfristen – verunmöglicht Korruption, womit wiederum der Ausgangspunkt der Schriftlichkeit als Mechanismus der Entscheidungsunterstützung erreicht ist. Die bürokratische Organisation bringt Ambivalenz und Ambiguität der Form moderner Organisation und ihre Rolle in der Moderne auf den Begriff. Als Strukturprimat sind Bürokratien faszinierend und mythisch wie Kafkas Schloss. Wie von Geisterhand gesteuert, greifen die einzelnen Teile der Organisationsmaschinerie ineinander, deren Verbindungen undurchschaubar bleiben. Farb- und Seelenlosigkeit kennzeichnen das Strukturprimat der Organisation, das die beteiligten Individuen zu Statisten degradiert.115 Strukturbildung und Formalisierung von Vorgängen reduzieren die Abhängigkeit von den beteiligten Subjekten, deren Undurchschaubarkeit und potentielle Wankelmütigkeit im Gegensatz zum organisationalen Anspruch einer regelgeleiteten Verlässlichkeit stehen.116 Die Gleichgültigkeit bürokratischer Zusammenhänge gegenüber verschiedenen Stimmungslagen ermöglicht die reibungslose

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spielen, darf nicht als empirisch vorausgesetzt werden. Siehe hierzu die Beiträge in Arne Karsten, Hillard von Thiessen (Hg.), Nützliche Netzwerke und korrupte Seilschaften, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, hier S. 12f. Klassisch hierzu Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1982. Die Unterscheidung von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit ist in der Praxeologie Pierre Bourdieus im Verhältnis von Distinktion und Prätention operationalisiert. Siehe hierzu William M. Evan, Möglichkeiten zur Korrektur bürokratischer Entscheidungen, in: Renate Mayntz (Hg.), Bürokratische Organisation, Köln und Berlin: Verlag Kiepenheuer und Witsch 1971, S. 421-428. Der Versuch der Integration von Farbe und Emotion findet sich klassisch in der Farbenlehre Goethes. »Die Erfahrung lehrt uns, daß die einzelnen Farben besondere Gemütsstimmungen geben.« Vor diesem Hintergrund erscheint die in Kafkas Schloss gezeichnete bürokratische Emotionslosigkeit farbenlos. Siehe Johann Wolfgang von Goethe, Die Schriften zur Naturwissenschaft. Vierter Band. Zur Farbenlehre. Widmung, Vorwort und didaktischer Teil. Bearbeitet von Rupprecht Matthaei, Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger 1955, hier S. 225. Die vielfach angeführte Trennung von Amt und Person ist streng genommen nur eine Wiederbeschreibung des Problems zirkulierender Informationen. Position und Person machen keinen Unterschied, beziehungsweise eben nur den, der über bürokratische Abläufe informiert. Persona-

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

Integration von Arbeitsschritten. Das Funktionieren der Bürokratie ist nicht von unterschiedlichen Launen und Gefühlslagen abhängig. Im Gegenteil: Professionell agieren nur diejenigen, die Aufgaben unter Absehung der eigenen persönlichen Befindlichkeiten übernehmen und ausführen. Professionalität heißt dementsprechend, Neurosen, Interessen oder Langeweile unterdrücken zu können und auf den Ausdruck der eigenen Subjektivität zu verzichten.117 Verfahrenswege bieten keine Abkürzungen und für die jeweiligen organisationalen Anschlüsse ist bestenfalls ein begrenzter Interpretationsspielraum vorgesehen. Das Amtsgeheimnis fungiert als schriftliche und legale Variante der Omertà und ist das bürokratische Pendant für das Prinzip der Nichtverhandelbarkeit. Die Bürokratie Webers, deren Abläufe sich reibungslos in Form der Akte vollziehen, fungiert daher als Prototyp der geräuschlosen, präzisen Informationsverarbeitung einer verdateten Organisation.118 Die Akte definiert Entscheidungsspektren, indem sie auf ihrem Weg durch die Organisation auf bestimmte Pfade festgelegt ist. Im Zuge legitimierter Verfahren sind vorausgegangene Schritte ebenso fixiert wie Folgeoptionen. Jede Entscheidung ist mindestens auf bestimmte Optionen enggeführt. Im Idealfall stellen sich Handlungskorridore informationell derart vorstrukturiert dar, dass Entscheidungen und Anschlussoptionen vorweggenommen werden. Zugespitzt stellen Akten keine Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung, vielmehr gerät die Unterscheidung von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage unter Druck – je nach Formalisierungsgrad sogar in den Sog der Ununterscheidbarkeit. Für das Verständnis bürokratischer Organisationen ist dies von zentraler Relevanz: Akten und Formulare weisen keinen Mitteilungsaspekt auf. Sie sind rein informativ.119 Die Akte arbeitet einer seman-

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lität und Persönlichkeit hingegen markieren eine Differenz, die für regulierte Zusammenhänge unbedeutend ist, solange die Persönlichkeit unsichtbar bleibt. Max Weber schreibt dementsprechend: »Die Bürokratie in ihrer Vollentwicklung steht in einem spezifischen Sinn auch unter dem Prinzip des »sine ira ac studio«. Ihre spezifische, dem Kapitalismus willkommene, Eigenart entwickelt sie um so vollkommener, je mehr sie sich »entmenschlicht«, je vollkommener heißt das hier, ihr die spezifische Eigenschaft, welche ihr als Tugend nachgerühmt wird: die Ausschaltung von Liebe, Haß und allen rein persönlichen, überhaupt allem irrationalen, dem Kalkül sich entziehenden Empfindungselementen aus der Erledigung der Amtsgeschäfte, gelingt. Statt des durch persönliche Anteilnahme, Gunst, Gnade, Dankbarkeit, bewegten Herrn der älteren Ordnung verlangt eben die moderne Kultur für den äußeren Apparat, der sie stützt, je komplizierter und spezialisierter sie wird, desto mehr den menschlich unbeteiligten, daher streng »sachlichen« Fachmann.« Siehe Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 563. In dieser Hinsicht sehen Thomas Klatetzki und Hans Nokielski die maschinelle Datenverarbeitung bei Verwaltungsaufgaben als konsequente Weiterentwicklung weberscher Überlegungen. Siehe Thomas Klatetzki, Hans Nokielski, Soziale personenbezogene Dienstleistungsorganisationen als bürokratisch-professionelle Zusammenhänge: Weber und die Folgen, S. 44. Auch Alberto Cevolini bestimmt Informationsverarbeitung als die wesentliche Funktion formaler Organisationen. Dabei unterscheidet er Informationsverarbeitung ausdrücklich von sprachbasierten Praktiken, die er nicht auf der operativen Ebene der Organisation verortet sieht. Der Unterschied von Sprache und Schrift ermöglicht durch die organisationale Emanzipation von der Vergänglichkeit des Moments eine andere Form der Ordnungsbildung, die den Weg für darauf aufbauende Praktiken der Strukturgestaltung ebnet. Cevolini diskutiert dies am Beispiel der Kartei, deren strukturbildende Wirkung als Mechanismus der Entscheidungsunterstützung bezeichnet werden kann. Cevolini zufolge baut sich die Kartei in den Vorgang der Informationsverarbeitung

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tischen Entleerung der Organisation in die Hände, indem die operative Ebene der Organisation sozial entkoppelt wird. Das große Rätsel der Kommunikation, die Frage, was eigentlich wie gemeint ist, oder ob mit vermeintlich Einleuchtendem nicht doch eine heimliche Agenda verfolgt wird, stellt sich nicht. Die Büchse der Pandora bleibt ebenso ungeöffnet, wie sich das Problem interindividuellen Verstehens überhaupt stellt. Die bürokratische Organisation ist ein Ort der Informationsverarbeitung und Verfahrensförmigkeit ist das zentrale Mittel der Informatisierung. Die Erzählung von Kafkas Schloss blieb unvollendet und gleiches gilt – trotz stetig neuer Kapitel – für die Geschichte von Organisationstheorie und Managementlehre. Dass dies der Fall ist, hat unterdessen verschiedene Ursachen. Zeitliche und sachliche Paradoxie der Organisation katalysieren Zufallsproduktion und bedingen damit leerlaufende Planungen, während die beteiligten Subjekte bei der Suche nach Kontrolllücken fündig werden und sich bietende Abweichungsspielräume nutzen. Seit Beginn der Reflexion organisationaler Eigenlogik werden Organisationen als Dual von Struktur und Subjekt verhandelt. Dieses Spannungsfeld sorgt dafür, dass noch immer neue Kapitel dazukommen. Denn Organisationen realisieren ihre Operationen nicht zuletzt als Entfaltung einer sozialen Paradoxie.

2.4

Organisation und die Seite des Subjekts

Organisationen realisieren ihre Operationen als Dual von Struktur und Subjekt. Je nach Gewichtung und Akzentuierung einer der beiden Seiten resultieren auf der Seite des Subjekts mehr oder weniger Möglichkeiten und damit ein größerer oder kleinerer Handlungsspielraum. Die Folge entsprechender Justierungen ist eine stärkere Zentralstellung beziehungsweise eine zunehmende Dezentrierung der beteiligten Subjekte. Empirisch herrscht zwischen den beiden aufgespannten Polen von Struktur und Subjekt eine ausreichend große Spannung, den Funken der Organisation entzünden zu können. Fokussiert man jedoch das Spannungsmoment, das aus dem wechselseitigen Verhältnis von Struktur, Subjekt und Möglichkeiten resultiert, zeigen sich Organisationen weitaus voraussetzungsvoller, als dies hinsichtlich ihrer Rolle als dominierendes gesellschaftliches Strukturmoment auf den ersten Blick anzunehmen ist. Das Programm der Organisation ist ein pädagogisches Programm und im Adressieren

ein, indem sie personenunabhängig Informationen in Form eines »Zweitgedächtnisses« vorhält. Seine Überlegungen spitzt Cevolini in der These einer »Symbiose von Kartei und Organisation« zu und weist zugleich darauf hin, dass für die Kartei im Rahmen elektronischer Informationsverarbeitung mittels Computer bereits seit langem ein funktionales Äquivalent bereitsteht. Das Leistungspotential des Computers sieht Cevolini in erster Linie in der Hinsicht, dass softwarebedingt Zeitersparnisse möglich werden. Die informationsverarbeitenden Routinen der Organisation hingegen – die Verfahren – werden nicht weniger, sie nehmen vielmehr zu, sodass als Ergebnis Intransparenzen aufgrund der steigenden Anzahl an zu verarbeitenden Selektionsmöglichkeiten die Folge sind. Siehe Alberto Cevolini, Die Organisation des Gedächtnisses und das Gedächtnis der Organisation, in: Oliver Dimbath, Michael Heinlein (Hg.), Die Sozialität des Erinnerns. Beiträge zur Arbeit an einer Theorie des sozialen Gedächtnisses, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2014, S. 167-182, hier S. 175 und 178.

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

der beteiligten Subjekte durchaus anspruchsvoll. Die Präsenz von Organisationen in der modernen Gesellschaft führt zu der Annahme, dass die moderne Gesellschaft eine durch und durch pädagogisierte Gesellschaft ist. Spezifische Verhaltensprofile werden organisational reguliert, formatiert und zertifiziert und das beteiligte Subjekt wird im Sinne der Organisation diszipliniert, kultiviert und zivilisiert, um dem jeweils vorgesehenen Verhaltensprofil zu entsprechen. Die grundlegende Relation scheint klar: Das Subjekt tritt gegen die Erwartungen der Organisation an.120 Entspricht es den organisationalen Erwartungen, tritt der strukturell vorgesehene Normalfall ein, werden diese Erwartungen negiert, resultiert daraus Erklärungsbedarf. Auf der Seite des Subjekts impliziert diese Konstellation die Notwendigkeit einer permanenten Respezifikation allgemeiner organisationaler Vorgaben und Erwartungen. Diese Erwartungen verdanken sich ausdifferenzierten Regelwerken, die von Arbeitsaufgaben und bestimmten Sprachmodi über Kleidung bis hin zu bestimmten Umgangsformen reichen können. Im Rahmen der Organisation wird ein Verhalten erzeugt, das die Organisation durch seine Künstlichkeit von der dazugehörigen gesellschaftlichen Umwelt abgrenzt.121 Die Artifizialität der Organisation ist das Ergebnis von Prozessen der Konditionalisierung und damit dem Verzicht des Subjekts darauf, den eigenen Bedürfnissen zu jeder Zeit nachkommen zu können. Verhalten und Handeln in Organisationen sind nicht spontan und zufällig, sondern entspringen dem guten Plan der Organisation. Wie sich in Organisationen zu verhalten ist, entscheidet nicht das beteiligte Subjekt, sondern liegt in der organisationalen Vorwegnahme der Zukunft begründet. Das Prinzip der Organisation ist ein Prinzip der Bedürfniseinschränkung122 und organisationalen Regelwerken der Geist der Fremdbestimmung immanent.123 Diese Konstellation ist überaus voraussetzungsreich: Sie ba120 Kritisch zugespitzt findet sich diese These in den Arbeiten von Klaus Türk, der die Begriffe Organisation und Herrschaft konzeptuell synthetisiert. Türk zufolge treten Organisationen in der Moderne an die Stelle älterer, personenbasierter Herrschaftsformen und in Anlehnung an Marx rekonstruiert Türk diese als Verkörperung von Kapital. Türk plädiert dementsprechend für eine kritische Organisationssoziologie, die die Dimension der Herrschaft reflektiert und die damit einhergehende Ohnmacht Strukturen gegenüber in den Blick nimmt. Siehe hierzu etwa die Beiträge in Klaus Türk, »Die Organisation der Welt«. Herrschaft durch Organisation in der modernen Gesellschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1995. 121 Siehe hierzu Dirk Baecker, Der Witz der Organisation, in: Frank E. P. Dievernich (Hg.), Kommunikationsausbrüche. Vom Witz und Humor der Organisation, Konstanz: UVK VerlagsgesellschaftmbH 2001, S. 221-232. 122 Dementsprechend stellen auch Alfred Kieser und Manfred Krüger fest: »Verhalten in Organisationen ist sicher von dem Gegensatz zwischen individuellen Bedürfnissen und organisatorischen Zwängen geprägt.« Siehe Alfred Kieser, Manfred Krüger, Organisationale Sozialisation. Versuch einer Konzeption, Arbeitspapier Mannheim 1977, DBW-Depot 78-1-3, S. 1. 123 Die Diagnose einer durch den Organisationsmechanismus bedingten Sachlichkeit findet sich kulturkritisch zugespitzt bei Theodor W. Adorno. Adorno schreibt: »Mittelbarkeit, der Werkzeugcharakter des Einzelnen für die Organisation und der Organisation für den Einzelnen, setzt Momente von Starrheit, Kälte, Äußerlichkeit, Gewaltsamkeit. In der Sprache der deutschen philosophischen Tradition wird das von den Worten Entfremdung und Verdinglichung umrissen.« Organisationale Realität vollzieht sich Adorno zufolge demnach in der »Bahn des Funktionierens.« Gerade das Motiv der Fremdbestimmung, die dem Menschen der Moderne die Eigentlichkeit seines Wesens und seiner Lebensumstände nimmt, ist für die Argumentation Adornos zentral. Siehe hierzu Theodor

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siert auf einer selbstbestimmten Akzeptanz organisational bedingter Fremdbestimmtheit, was ein beträchtliches Konfliktpotential impliziert. Das Austarieren von Subjektund Strukturseite ist von Spannungen und Konflikten begleitet. Dabei ist nicht immer klar, wie weit der Einflussbereich der Organisation geht, was erwartet werden kann und was nicht.124 Für das Subjekt bedeutet dies, die Kreditlinie der Organisation auszuloten, um auszutesten, was möglich ist und was sich gegebenenfalls dem Einflussbereich der Organisation entzieht.125 Es gilt, die Balance zwischen Verausgabung und Verweigerung, zwischen Zeitverschwendung und Zeitverwendung zu wahren, ohne zu provozieren, dass das eigene Verhalten als eine bewusste Entscheidung gegen die Erwartungen der Organisation beobachtet wird. Aufgrund der Möglichkeit, dass alles in Organisationen Entscheidungsförmigkeit annehmen kann, droht das Risiko, etwaige Sanktionspotentiale der Organisation herauszufordern, da grundsätzlich jede Organisation über die Mittel verfügt, im Ernstfall die weitere Teilnahmemöglichkeit zu verweigern.126

W. Adorno, Individuum und Organisation. Einleitungsvortrag zum Darmstädter Gespräch 1953, in: ders., Gesammelte Schriften. Band 8. Soziologische Schriften I, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1972, S. 440-456, hier S. 441f. 124 Dieser Bereich der nicht genau spezifizierten Erwartungen wird seit den 30er Jahres des 20. Jahrhunderts als Indifferenzzone bezeichnet. Chester Barnard schreibt: »The phrase »zone of indifference« may be explained as follows: If all the orders for actions reasonably practicable be arranged in the order of their acceptability to the person affected, it may be conceived that there are a number which are clearly unacceptable, that is, which certainly will not be obeyed; there is another group somewhat more or less on the neutral line, that is, either barely acceptable or barely unacceptable; and a third group unquestionably acceptable. This last group lies within »zone of indifference.« The person affected will accept orders lying within this zone and its relatively indifferent as to what the order is so far as the question of authority is concerned. […] The zone of indifference will be wider or narrower depending upon the degree to which the inducements exceed the burdens and sacrifices which determine the individual’s adhesion to the organization. It follows that the range of orders that will be accepted will be very limited among those who are barely induced to contribute to the system.« Für Organisation geht es von dieser Warte aus darum, den eigenen Einfluss auf die beteiligten Subjekte möglichst zu maximieren. Die Kreditlinie der Organisation ist erst an der Stelle erreicht, an der Erwartungen und Vorgaben enttäuscht und negiert werden. Diese Schwelle auszuloten, ohne sie zu überschreiten, ist das Vabanquespiel der Organisation. Siehe Chester I. Barnard, The Functions of the Executive. Thirtieth Anniversary Edition with an Introduction by Kenneth R. Andrews, Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press 1970, S. 168f. 125 Der begrenzte Freiraum in Organisationen kann in Abhängigkeit der Wahrnehmung von Handlungsoptionen und der Fähigkeit, diese gewinnbringend einzusetzen, durchaus strategisch im subjektiven Interesse genutzt werden. Die daraus resultierende »Politikhaltigkeit des Betriebes« lässt die Organisation als Schauplatz stetiger Aushandlungsprozesse und Machtkämpfe erscheinen. Siehe hierzu Willi Küpper, Günther Ortmann, Mikropolitik in Organisationen, in: Die Betriebswirtschaft (DBW) 46 (1986) 5, S. 590-602, hier S. 600. 126 Das Sichern des eigenen Auskommens, die Generierung von Prestige, aber auch die Inanspruchnahme von organisationalen Leistungen im Rahmen von Publikumsrollen, sind auf das Erfüllen bestimmter Erwartungen angewiesen. Bei entsprechender Enttäuschung droht die Infragestellung der Mitgliedschaft auf der einen oder der Anspruch auf Abnahme von Leistungen auf der anderen Seite.

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Organisationen sind planerisch Orte der Ordnung und Regelmäßigkeit, lebensweltlich aber von unzähligen Spannungsverhältnissen geprägt.127 In der Absicht, spezifisches und damit künstliches Verhalten zu erzeugen, adressiert die Organisation deshalb Erziehungsabsichten mindestens an diejenigen, die sie als zugehörig zählt. Der Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und ihrer Besonderheiten ist in der Regel nicht vorgesehen. Im Ergebnis handelt es sich bei Organisationen um genuin pädagogische Sachverhalte. Der pädagogische Anforderungsgrad ist direkte Folge der zugrundeliegenden Intentionen der strukturgeleiteten Erwartungsbildung, denn Erziehung beruht auf einem absichtsbedingten Symmetriebruch. Gerade die Tatsache, dass Erziehung absichtsvoll auftritt, impliziert Spannungsmomente für Organisationen. Zum Ausdruck gebrachte Absichten bedingen Ablehnungsmotive.128 Nicht umsonst stellt die Unterscheidung von Fremd- und Selbststeuerung eine zentrale pädagogische Bezugskategorie dar, die regelmäßig über die Zuschreibung von Absichten codiert ist.129 So ist Kritik an fremdverantworteten Zusammenhängen, die individuelle Unterschiede negieren, spätestens seit der Aufklärung Gegenstand pädagogischer Theoriebildung. Das Zurückweisen erzieherischer Intentionen im Sinne Humboldts oder Rousseaus kann deshalb auch als grundsätzliche Organisationskritik verstanden werden.130 Eine Kritik

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Gerade bürokratische Organisationen werden aufgrund der ihr eigenen strikt reglementierten Verfahrenslogik nicht in erster Linie mit Mitsprachemöglichkeiten assoziiert. In dieser Hinsicht stellt André Kieserling fest, dass »Bürokratisierung und Demokratisierung der Organisation fest als Gegensatzpaar etabliert« sind. Siehe André Kieserling, Kommunikation unter Anwesenden. Studien über Interaktionssysteme, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1999, hier S. 385. 128 Die luhmannschen Überlegungen zu pädagogischen Handlungsformen sind stets mit der Zuschreibung von Absichten verbunden. Vor diesem Hintergrund erscheint der gängige Vorwurf der Subjektlosigkeit der Systemtheorie wenig überzeugend, da auch bei Luhmann regelmäßig Motivlagen vorausgesetzt werden, ohne dass hierdurch ein sofortiger Wechsel auf die Ebene von Handlungstheorien impliziert würde. Zum Verhältnis von Erziehung von Sozialisation siehe Niklas Luhmann, Sozialisation und Erziehung, in: ders., Schriften zur Pädagogik. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Dieter Lenzen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2004, S. 111-122, hier S. 118. 129 Nicht nur sind Organisationen genuin pädagogische Konstruktionen – auch das Begriffsinventar der Organisationsgestaltung speist sich aus dem Formenvorrat pädagogischer Semantik. Zur entsprechenden Spurensuche für den Begriff der Führung siehe Andreas Schröer, Führung als organisationspädagogischer Begriff, in: Nicolas Engel, Ines Sausele-Beyer (Hg.), Organisation. Ein pädagogischer Grundbegriff, Münster und New York: Waxmann Verlag GmbH 2014, S. 123-138. 130 So findet sich bei Humboldt die These einer bürokratischen Steigerungsfunktion, die auf den Möglichkeitsraum der Gesellschaft zurückwirkt. Humboldt schreibt: »Daher nimmt in den meisten Staaten von Jahrzehend zu Jahrzehend das Personale der Staatsdiener, und der Umfang der Registraturen zu, und die Freiheit der Unterthanen ab. Bei einer solchen Verwaltung kommt freilich alles auf die genaueste Absicht, auf die pünktlichste und ehrlichste Besorgung an, da der Gelegenheiten, in beiden zu fehlen, so viel mehr sind. Daher sucht man insofern nicht mit Unrecht, alles durch so viel Hände, als möglich gehen zu lassen, und selbst die Möglichkeit von Irrthümern oder Unterschleifen zu erkennen. Dadurch aber werden die Geschäfte beinah völlig mechanisch, und die Menschen Maschinen; und die wahre Geschiklichkeit und Redlichkeit nehmen immer mit dem Zutrauen zugleich ab.« Siehe Wilhelm von Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, in: ders., Werke in fünf Bänden. Band I. Schriften zur Anthropologie und Geschichte. Herausgegeben von Andreas Flitner und Klaus Giel, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1960, S. 56-233, hier S. 86. Rousseau verhandelt etwa im Émile den Gegensatz von Fremd- und Selbstbestimmung anhand des Kontrastes von Mensch und Bürger.

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der organisationalen Absicht entspricht der Einrede gegen die damit einhergehende Uniformität, was Humboldt wie Rousseau dazu veranlasste, auf eigenlogische Modelle der Selbststeuerung zu setzen.131 Der imperative Charakter organisierter Verhaltensspezifikation lässt aus Subjekten aufgrund multipler Erwartungen Projektionsbündel der Organisation werden. Das Funktionieren der Organisation ist auf die Anpassung von Verhaltensmustern an strukturelle Vorgaben und dadurch auf Verhaltensänderungen angewiesen. Noch einmal anders formuliert, bedienen sich Organisationen durch die Vorgabe dessen, was zu tun ist, des Mechanismus der Erziehung. Auch in der jüngeren Geschichte der Organisationswissenschaft ist diese pädagogische Dimension aufgenommen und die grundsätzliche Asymmetrie der Organisation etwa als Dialektik der Organisation beschrieben worden.132 Knüpft man das aus dem Dual von Struktur und Subjekt resultieren-

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Im Dasein als Bürger hat der Mensch bereits seine natürliche Ursprünglichkeit eingebüßt, denn »soziale Einrichtungen entkleiden den Menschen seiner eigentlichen Natur und geben ihm für seine absolute eine relative Existenz.« Dabei kritisiert Rousseau nicht zuletzt eine Gleichförmigkeit, wie sie die Folge von Einrichtungs- bzw. Organisationslogik sein kann. Diese übergreift Rousseau zufolge die ganze Lebensspanne: »Bei seiner Geburt näht man ihn [den Gesellschaftsmensch, T.W.] in einen Wickel ein, bei seinem Tode nagelt man ihn in einen Sarg. Solange er Mensch ist, ist er durch unsere Einrichtungen gebunden.« Siehe hierzu Jean-Jacques Rousseau, Emil oder Über die Erziehung. Vollständige Ausgabe in neuer deutscher Fassung, besorgt von Ludwig Schmidts, Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh 1971, hier S. 12. und 16. Zur historischen Einordnung und Entstehung der eigenlogischen Selbststeuerungsmodelle Bildung, Leben und Markt und deren Systematisierung als Theorien der Selbstorganisation siehe Sebastian Manhart, Im Begriffsgeflecht. Zur Entstehung der Bildungssemantik um 1800 zwischen Selbstorganisation, Leben, Mensch und Markt, in: Christiane Thompson, Gabriele Weiss (Hg.), Bildende Widerstände – widerstände Bildung. Blickwechsel zwischen Pädagogik und Philosophie, Bielefeld: transcript Verlag 2008, S. 165-186. Wechselseitigkeit und gegenseitige Bedingung von Fremd- und Selbstbestimmung sind auch zentrales Thema der klassischen Studie über den »Organization Man« von William H. Whyte Jr. Das Verhältnis von Struktur und Subjekt ist für Whyte maßgeblich durch eine Logik der Konformität geprägt, die verhindert, dass sich das Verhältnis von Gesellschaft und Subjekt in offenen Konflikten ausdrückt. Dieses Spannungsverhältnis wird von Organisationen gemittelt und eingehegt. Eine Aussöhnung zwischen Organisation und Subjekt ist jedoch durch eine grundlegende Asymmetrie William Whyte zufolge nicht möglich. Er schreibt: »Like the good society, the good organization encourages individual expression, and many have done so. But there always remains some conflict between the individual and the organization. Is The Organization to be the arbiter? The Organization will look to its own interests, but it will look to the individual’s only as The Organizations interprets them.« [H.i.O.] Auch die stärkere Berücksichtigung sozialer Beziehungen zur Relativierung bzw. Neuausrichtung dieser Asymmetrie im Sinne der Human-Relations-Schule kritisiert Whyte überdeutlich: »Held up as the end-all of organization leadership, the skills of human relations easily tempt the new administrator into the practice of a tyranny more subtle and more pervasive than that which he means to supplant. No one wants to see the old authoritarian return, but at least it could be said of him that what he wanted primarily from you was your sweat. The new man wants your soul.« Das Verhältnis von Struktur und Subjekt beschreibt Whyte demzufolge als unaussöhnlichen Konflikt. »It is wretched, dispiriting advice to hold before him the dream that ideally there need be no conflict between him and society. There always is; there always musst be. Ideology canot wish it away; the peace of mind offered by organization remains a surrender, and no less so for being offered in benevolence. That is the problem.« Diese grundlegende Konstellation ist die Folge eines Abhängigkeitsverhältnisses und diese grundsätzliche Abhängigkeit

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

de dialektische Verhältnis an Funktionsbereiche in Organisationen, entspricht dies im Übertrag auf Stellenordnungen den Ebenen von Planung und Ausführung. Aus deren Konstellierung lässt sich nicht zuletzt eine Neufassung der sozialen Frage ableiten, die aus einer pädagogischen Theorie der Organisation im Blick auf die Ebene der Gesellschaft den Bedarf einer Organisationsethik destilliert.133 Organisationale Entscheidungen sind auch Entscheidungen über Zukunftsentwürfe und Lebenschancen. Der Ansatzpunkt einer pädagogischen Theorie der Organisation verweist hinsichtlich des organisationalen Strukturprimats deshalb wiederum auf die Ebene der Gesellschaftstheorie. Der Blick auf das Binnenleben der Organisationen hingegen offenbart Umgangsweisen mit Strukturvorgaben, für die ebenfalls gilt, dass sie mit zentralen pädagogischen Reflexionsinstrumenten gefasst werden können, da organisationale Verhaltenserwartungen regelmäßig mit der Logik sozialer Interaktion korrelieren. Der Blick nach rechts und links erleichtert das routinisierte Alltagsgeschäft der Organisation, wenn registriert wird, dass andere das gleiche Schicksal teilen. Die Rückseite formaler Ordnungen ist nie zu unterschätzen, denn Absichten erzeugen Wirkungen. Im versuchten Ausschließen von Möglichkeiten entstehen regelmäßig beiläufige und unplanmäßige Effekte, die ihrerseits das Geschehen im Rahmen von Organisationen vorstrukturieren und damit selbst Möglichkeiten zur Verfügung stellen. Es gibt in Organisationen mehr als den formalstrukturellen Imperativ der Organisation. Fasst man diesen Sachverhalt als genuin pädagogisch, erscheint es beinahe trivial, darauf hinzuweisen, dass neben der Logik absichtlicher Veränderung unplanmäßige, beiläufige und unbewusste

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der Organisation von den beteiligten Subjekten wird von Whyte analytisch mithilfe der Unterscheidung von Statik und Dynamik fixiert. Die Organisation selbst ist für Whyte statisch, während Dynamik eine wesentliche Eigenschaft des Menschen ist, die unabdingbar ist, um organisationalen Regelwerken Leben einzuhauchen. Die Überlegungen Whytes laufen daher auf eine Dialektik der Organisation heraus, deren maßgebliche Wahlverwandtschaft nicht zuletzt im Titel der deutschen Übersetzung von »The Organization Man« sichtbar wird: Herr und Opfer der Organisation. Siehe William H. Whyte, Jr., The Organization Man, Garden City, New York: Doubleday & Company, Inc. 1956, hier S. 440 und 448. Von der Tatsache, dass Organisationen zentrales gesellschaftliches Strukturmoment sind, geht auch Peter Drucker aus. Dabei betont er die Artifizialität der Organisation, deren maßgebliche Funktion er in der Koordination von Unterschiedlichem bestimmt. Er schreibt: »Die neue Organisation ist in ihrer vollen Bedeutung und Wirkung bisher kaum erkannt worden. Wir betrachten sie als selbstverständlich. Doch wir machen uns selten klar, daß sie eine neue Fähigkeit zum Ausdruck bringt, die wir im Laufe der Generationen erworben haben. Es ist die Fähigkeit, Menschen mit einem hohen Grad von Wissen und Können, deren Arbeit verantwortungsvolles Urteil erfordert, zu freiwilliger gemeinschaftlicher Leistung zusammenzufassen.« Dass dabei der Strukturgestaltung in Organisationen – und damit der Unterscheidung von Planung und Ausführung – entscheidende Bedeutung zukommt, nutzt Drucker, um hieraus eine Aktualisierung der klassischen soziale Frage abzuleiten: [Die Fähigkeit zur Organisation, T.W.] schafft ein neues soziales Problem, das Problem der Einordnung der Freischaffenden – und zwar des »Fachmanns« uns des »Managers« – in die Organisation, ein Problem, das alle Aussicht hat, die »soziale Frage« [H.i.O.] des 20. Jahrhunderts zu werden.« Das Strukturprimat der Organisation erübrigt Drucker zufolge traditionelle Positionen wie Individualismus oder Kollektivismus aufgrund einer neuen Form der Ordnungsbildung. Siehe hierzu Peter Drucker, Das Fundament für morgen. Die neuen Wirklichkeiten in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, Düsseldorf: Econ Verlag GmbH 1958, hier S. 84ff.

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Effekte als deren Rückseite angenommen werden müssen. Neben allen erzieherischen Absichten sind Organisationen auch Instanzen der Sozialisation. Auf der Ebene sozialer Interaktion etabliert sich ein Raum gemeinsamer Erfahrungen, der genauso die Folge des Umgangs mit Formalstrukturen wie die Folge der Wiederholung multipler Interaktionsbeziehungen ist.134 In Organisationen gilt Niklas Luhmann zufolge das »Gesetz des Wiedersehens«, das auf den Begriff bringt, dass ein möglicher Gesichtsverlust im Umgang mit anderen auf jeden Fall zu verhindern ist.135 Man sieht sich nicht nur zweimal, sondern nicht selten sogar täglich. Auf diese Weise etablieren sich bestimmte Umgangsformen oder Muster der Kollegialität und damit Erwartungen, die ebenfalls das Verhalten in Organisationen orientieren.136 Die Ebene der strukturgeleiteten Informationsverarbeitung wird sozial codiert,137 und die soziale For-

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Anja Mensching macht darauf aufmerksam, dass Organisationskulturen aufgrund der sie auszeichnenden Selbstorganisation eine spezifische Eigenlogik immanent ist. Das eigene Verständnis von Selbstorganisation bezieht Mensching einerseits aus dem Formenvorrat der luhmannschen Systemtheorie, auf der anderen Seite rekurriert sie auf das Konzept des konjunktiven Erfahrungsraums im Sinne Karl Mannheims und stellt damit eine weitere Interpretationsperspektive zur Verfügung. Siehe hierzu Anja Mensching, Gelebte Hierarchien. Mikropolitische Arrangements und organisationskulturelle Praktiken am Beispiel der Polizei, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, hier S. 50. Mit dem ihm eigenen Humor schreibt Niklas Luhmann im Hinblick auf die Differenz zwischen Privatheit und dem Prinzip der Organisation: »In Intimgruppen festigt Dauer die Beziehung. In Verwaltungen, in denen die Teilnehmer um ihrer Mitgliedschaft willen rollenspezifisch zusammenarbeiten, ist die Fortsetzung der Kontakte nicht durch ihre Annehmlichkeit motiviert, und daher ein Problem.« Siehe Niklas Luhmann, Spontane Ordnungsbildung, in: Fritz Morstein Marx (Hg.), Verwaltung. Eine einführende Darstellung, Berlin: Duncker & Humblot 1965, S. 163-183, hier S. 170. Solche Interaktionen innerhalb der Belegschaft sind aufgrund ihrer Rahmung durch Organisationen jedoch vorstrukturiert und verlieren »damit die Züge der Geselligkeit« (S. 341), die organisationsferne Settings ausmachen. Im Umkehrschluss gilt für Interaktionen in Organisationen ein zunehmendes Maß an Unversöhnlichkeit. Dennoch ist diese soziale Dimension nicht zu unterschätzen. Die beiden unterschiedlichen Logiken von Interaktion und Organisation beschreibt André Kieserling in der systemtheoretischen Tradition luhmannscher Provenienz als Struktur und Gegenstruktur, deren unüberbrückbarer Unterschied sich etwa in Formen der Kollegialität äußert, deren maßgebliche Funktion darin besteht, sich auf sozialer Ebene mit dem notwendigen Respekt zu begegnen und damit die Achtung des Gegenübers zum Ausdruck zu bringen. Die gegenseitige Achtung wird Kieserling zufolge in Interaktionen nicht zuletzt bestätigt und bekräftigt, um die Differenz zur formalstrukturellen Ebene der Organisation zu markieren. Während Organisationen Realität »nur als Korrelat der eigenen Entscheidungen« (S. 332) sehen können, bietet die soziale Realität der Organisation die Möglichkeit der Kompensation regelgeleiteter Arrangements. Siehe hierzu André Kieserling, Kommunikation unter Anwesenden. Studien über Interaktionssysteme, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1999. Im Modus des unpersönlich-persönlichen kann zum Ausdruck gebracht werden, dass da mehr ist als die informationsverarbeitende Ebene der Organisation. Dieses Mehr ist im Gegensatz zur Organisation personenabhängig und damit nicht beliebig substituierbar. Für die Ausdifferenzierung einer Organisationskultur als Muster geteilter Grundannahmen, die bei der Navigation durch den organisationalen Alltag eine zentrale Rolle spielen, siehe Edgar H. Schein, Organizational Culture and Leadership, San Francisco: Jossey-Bass 1985. Die Bezeichnung als Organisationskultur ist mitunter der Versuch, unplanmäßige Effekte als positiv zu werten. Wenn eine Organisation eine Kultur hat, kann das sicher nicht schaden. Organisationskultur kann

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

menvielfalt, die sich im Rahmen der Organisation etabliert, verhält sich zur Seite der Struktur komplementär, wenn nicht kompensatorisch. Kompensation für die Imperfektheit von Planung, Kompensation vor allen Dingen aber für den Anspruch einer jeden Planung, möglichst nicht von den Launen, Neurosen oder Interessen der beteiligten Subjekte abhängig zu sein. Der Organisationsmechanismus kann Garant dafür sein, dass beiläufige und nichtsteuerbare Effekte dazu führen, dass das Notwendige freiwillig getan wird.138 Die soziale Paradoxie der Organisation besteht vor diesem Hintergrund in der Tatsache, dass die Seite der Struktur ein Komplement benötigt.139 Die Organisation kann weder auf die Seite der Struktur, noch auf die Seite des Subjekts festgelegt werden, sondern manifestiert sich durch die Operationalisierung dieser Differenz, deren gegenläufiges Wechselspiel Organisationen in ihrem Funktionieren so faszinierend macht. Nicht zufällig ist der artifizielle Charakter von Organisationen wiederholt mit dem Begriff der Kunstlehre umschrieben worden.140 Die Rede der Kunstlehre impliziert den Verzicht, im Rahmen der Organisation eigenen Interessen zu folgen, einen Modus der Affektkontrolle sowie die Tatsache, dass dies offensichtlich keine naturgemäße Voraussetzung ist, sondern gelernt werden muss.141 Nicht nur die Praxis des Organisierens setzt gewisse Fertigkeiten voraus, sondern auch der Aufenthalt in Organisationen mitsamt der entsprechenden Aufgabenübernahme, die in einem adäquaten Verhältnis zur legitimen Verfahrensordnung stehen muss. Aus pädagogischer Perspektive handelt es sich beim Phänomen der Organisation um eine bemerkenswerte Konstruktion, da sie die Fähigkeit im Umgang mit allgemeinen Regelnormen voraussetzt und dies eine Distanznahme erfordert, die reflexiv ist. aber als Rückseite der organisationalen Absicht auch negative Effekte haben. Zur Ambivalenz der Begriffskonstruktion siehe Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 240ff. 138 Gerade die Hintergrundfolie der Freiwilligkeit ist dabei nicht irrelevant. Die Kontingenz von Mitgliedschaft voraussetzend handelt es sich hierbei jedoch um eine Entscheidung, die freiwillig getroffen ist. Als selbstgewählte Einschränkung von Freiheit heißt Mitgliedschaft in Organisationen auch, den Unterschied, den Organisationen nicht nur nach außen, sondern auch nach innen machen, aushalten zu können. Zum Stellenwert der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in Organisationen und der damit verbundenen Bindungswirkung siehe Stefan Kühl, Ganz normale Organisationen. Organisationssoziologische Interpretationen simulierter Brutalitäten, in: Zeitschrift für Soziologie 34 (2005) 2, S. 90-111. 139 Zur Widersprüchlichkeit der Dimension sozialer Interaktion im Unterschied zum formal-strukturellen Setting der Organisation siehe klassisch Stanley H. Udy, Jr., Organization of Work. A Comparative Analysis of Production among Nonindustrial Peoples, New Haven: Hraf Press 1959, S. 135f. 140 Die Verwendung des Begriffes der Kunstlehre findet sich etwa bei Max Weber und Erich Gutenberg. Siehe Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 552; siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, Berlin und Wien: Industrieverlag Spaeth und Linde 1929, S. 23. 141 Pädagogisch betrachtet handelt sich hierbei um eine durchaus anspruchsvolle Konstruktion. Selbstbestimmt und autonom handeln und entscheiden zu können, erfordert ein Maß an Distanzierungsvermögen, das dazu befähigt, Gründe anzugeben, abzuwägen und somit die resultierenden Bewertungsschemata entsprechend reflexiv handhaben zu können. Der Preis der Freiheit ist entsprechend hoch und der Begriff der Freiheit wandelt sich vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, zu entscheiden, zu einer Bewertungsmatrix, die jeweils mögliche Gründe in ein Verhältnis bringt. Entscheidungen zu treffen, heißt, auf andere Möglichkeiten verzichten zu müssen. Siehe hierzu Sebastian Manhart, Der Preis der Freiheit. Bildung, Wissen, Organisation, in: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation (ZSE), 29 (2009) 1, S. 80-95.

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Reflexivität und Distanznahme verweisen im Umkehrschluss nicht zuletzt darauf, dass Subjekthaftigkeit eine zentrale Ressource der Organisation ist.142 Der Mechanismus der Organisation setzt in seinem Funktionieren die Fähigkeit der Selbstregulation der beteiligten Subjekte voraus. Selbstregulation ermöglicht den Verzicht darauf, bestimmten Launen nachzugehen, triebgesteuertes Verhalten zu unterdrücken oder das gerade Gedachte einfach laut auszusprechen. Die Fähigkeit der Distanznahme, autonom entscheiden zu können und die eigenen Freiheitspotentiale eigenmächtig einzuschränken, entspricht dem klassischen Konzept der Bildung des Subjekts. Bildung schafft die Voraussetzungen dafür, selbstbestimmt mit Fremdbestimmtheit umgehen zu können.143 Versteht man Bildung als Geschehen und Resultat einer selbsttätigen Auseinandersetzung des Subjekts mit den Kontingenzen einer Umwelt, die komplex – und das heißt im Wesentlichen intransparent hinsichtlich ihrer Wechselwirkungen – ist, ist augenscheinlich, dass Organisationen bei der Bildung des Subjekts eine zentrale Rolle zukommt, sie aber im zirkulären Sinne bereits auf dessen Bildung angewiesen sind.144

2.5

Kommunikation als Mittel organisationaler Zukunftsfähigkeit

Bildung bezeichnet als Begriff die Komplexitätsfähigkeit des Subjekts. Komplexität beruht in Organisationen neben der Parallelisierung und Koordination unterschiedlicher Handlungsvollzüge maßgeblich auf der Ereignishaftigkeit von Entscheidungen und damit auf der Tatsache, dass Entscheidungen weder zurückgenommen noch wiederholt werden können.145 Entscheidungen sind der Gegenwart voraus und als Vergangenes unerreichbar. Entscheidungen binden Alternativen. Sie schließen die Kontingenz ein, die zu entscheiden erforderlich machte und machen so schmerzhaft darauf aufmerksam, dass Uhren zwar zurückgestellt werden können, sich die Vergangenheit aber dennoch dem Zugriff entzieht.146 Der ursprüngliche Möglichkeitsraum wird so zu einem Ereignisraum, dessen Tür verschlossen ist. Der Ereignisraum verfügt allerdings über

142 Angemerkt werden muss an dieser Stelle, dass das Reflexivwerden von Vorgaben sich in Überoder Untertreibung gleichermaßen ausdrücken kann. Die Rede von der Reflexivität impliziert an dieser Stelle also keine Wertung. Dirk Baecker hat die Handhabung von Vorgaben als Zweitfassung der organisationalen Grenzziehung beschrieben und damit als distanzierte Form des Umgangs mit dem Unterschied, den die Organisation ausmacht. Siehe hierzu Dirk Baecker, Der Witz der Organisation, S. 222. 143 Siehe hierzu Sebastian Manhart, Absichtlich unabsichtlich. Zum Verhältnis von Politik, Bildung und Pädagogik um 1800, in: Dirk Rustemeyer (Hg.), Erziehung in der Moderne. Festschrift für Franzjörg Baumgart, Wü rzburg: Königshausen & Neumann 2003, S. 95-142. 144 Dies ist schon allein aufgrund des zeitlichen Umfangs, in dem in der organisierten Moderne auf subjektives Leistungspotential zurück- und zugegriffen wird, der Fall. 145 Siehe hierzu Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 46. 146 Womöglich sind die ritusartigen Begehren gegen die Zeitumstellung nur der Versuch, der Ohnmächtigkeit gegenüber der Vergänglichkeit des Moments Ausdruck verleihen zu können. Dabei scheinen Argumente wie der Verweis auf Energieeinsparpotentiale, Gesundheitsrisiken und Freizeitaktivitäten bei längerer Tageshelligkeit natürlich diskutabel. Letztlich ist und bleibt aber das Drehen am Zeiger einer Uhr eine Illustration der Tatsache, dass die Zeit nicht zurückgedreht werden kann. Tempus fugit.

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

ein Fenster. Der Blick durch dieses Fenster ist der Blick zurück auf abermalige Optionen, die zu Ereignissen geworden sind, die jedoch nicht mehr änderbar sind. Die ausgeschlossene Begehung schließt den Blick auf das Gewesene aber gerade nicht aus, vielmehr bedingt sie einen kommunikativen Modus der Retrospektivität. Getroffene Entscheidungen werden in der nachträglichen Behandlung begründet, gerechtfertigt, verteidigt und in einen übergeordneten Zusammenhang integriert. Die Vergangenheit wird mit Erzählungen und Fiktionen überzogen und damit mit Sinn angereichert.147 Ihre zentrale Funktion besteht darin, Identifikationspotentiale für die Organisation verfügbar zu halten, um die Unbeeinflussbarkeit der Vergangenheit zu kompensieren und damit die Tatsache, dass sie nicht zu ändern ist. Etablierte Narrative vergegenwärtigen die Vergangenheit, indem sie das nicht mehr Beeinflussbare handhabbar machen und fungieren so als Orientierungs- und Richtgröße. Im Modus retrospektiver Sinnzuschreibung bekommt die Organisation eine Geschichte, deren Erzählung inkonsistente Brüche und Rationalitätsdefekte zu chiffrieren in der Lage ist. Gerade deswegen wird Wirklichkeit gerne in der Form von Geschichten aufgenommen und verarbeitet. Die Geschichte der Organisation wird weitererzählt, vergessen, weitergesponnen und erinnert.148 Über Sinnzuschreibungen steht die Vergangenheit der Organisation zum Mitvollzug bereit und diese Möglichkeit des Mitvollzugs ist für das Funktionieren von Organisationen nicht unerheblich. Damit Entscheidungen Thema von Kommunikation und Katalysator von Sinnstiftung werden können, müssen sie getroffen sein. Das Reden über Entscheidungen ist von der tatsächlichen Entscheidungspraxis zu unterscheiden und läuft dieser nach. Werden diese prospektiv thematisiert, wenn anstehende Entscheidungen im Fokus stehen, werden Alternativen, also nicht Entscheidungen, thematisiert. Dies ist nur in Form der Rückschau möglich. Im Modus retrospektiver Sinnzuschreibung wird eine vorweggenomme Zukunft kompensiert. Der Ausschluss von Möglichkeiten, die Erwartung von Spezifischem und damit die Artifizialität der Organisation stehen für strukturelle Beharrungskräfte, die die Offenheit und Kontingenz von Zukunft negieren. Im nachträglichen Behandeln wird das erträglich, aushaltbar und damit zukunftsfähig, was als Vergangenheit unbeeinflussbar und in der Vergangenheit nicht Teil kommunikativer Aushandlungsprozesse war. Sinnstiftung und Narration sind als Komplementäreffekt und Kompensati147

Die weicksche Theorie des Sensemaking in Organisationen steht exemplarisch für die Tatsache, dass die stets vorgängige Entscheidungspraxis in Organisationen soziale Effekte bedingt. Weick möchte den Prozess des Sensemaking ausdrücklich nicht metaphorisch verstanden wissen, sondern als zentral für die Gangbarkeit von Organisation. Gerade für den pädagogischen Anforderungsgehalt von Organisationen steht damit auf der Seite der Organisationstheorie ein prominentes Kompensativum bereit, das den Umgang mit organisationaler Eigenlogik in den Blick nimmt. Siehe Karl E. Weick, Sensemaking in Organizations, Thousand Oaks, London und New Delhi: Sage Publications, Inc. 1995, hier S. 15f. 148 Was hierbei für wen wie wichtig ist, ist sekundär und einzig und allein perspektivenabhängig. Die Konkurrenz sinnstiftender Erklärungsversuche schafft Spannungen, nicht zwangsläufig aber auch Brüche, denn intersubjektiv unterschiedliche Bedeutungszuschreibungen sind eher Ausnahme denn Regel. Zur Rolle von Erzählungen als Vermittlungsinstanz zwischen subjektiver und intersubjektiver Perspektive siehe Claudia Fahrenwald, Erzählen im Kontext neuer Lernkulturen. Eine bildungstheoretische Analyse im Spannungsfeld von Wissen, Lernen und Subjekt, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011, hier S. 207ff.

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onsmechanismus für Organisationen funktional. Vergeschichtlichung impliziert Verarbeitung. Das anforderungsreiche Setting der Organisation kann so umgearbeitet, ertragen, ausgehalten und produktiv werden. Das Prinzip der Organisation birgt neben enormem Konfliktpotential daher auch emotionales Identifikationspotential149 als dessen entsprechende Rückseite.150 Ein gelingender Umgang mit getroffenen Entscheidungen, spezifischen Verhaltenserwartungen oder ein funktionierender sozialer Austausch unter Kolleginnen und Kollegen sind keine Selbstverständlichkeit. Getroffene Entscheidungen fixieren Realitäten, die nicht geändert werden können und die Unzugänglichkeit von Vergangenheit zwingt den Umgang mit organisationalen Gegebenheiten in den Modus der Retrospektive. Nur im Nachhinein ist eine kommunikative und sinnstiftende Bearbeitung möglich. Diese soziale Dimension, die die Seiten von Struktur und Subjekt in Organisationen ergänzt, ist als Emergenzphänomen die Folge von Subjektivität. In diesem Sinne sind kommunikative Praktiken Teil der sozialen Grammatik der Organisation, die Erzählungen und Umgangsformen nicht zuletzt beinhaltet, um Organisationswirklichkeit gangbar zu machen. Organisationen sind neben Einrichtungen der Informationsverarbeitung auch Sinnerzeugungsmaschinen. Das Projekt der Organisation besteht auf der Seite der Struktur dem Anspruch nach darin, nicht auf einen kommunikativen Mechanismus der Kompensation angewiesen zu sein. Aufgrund des Anspruchs auf Stabilität und Zeitfestigkeit gilt dies besonderes für die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes, die einer Systematisierung und Koordination entgegensteht. Gerade der Zustand der Undokumentiertheit ist für Organisationen von der Eigenlogik von Verfahren aus betrachtet eine zentrale Herausforderung. Die Geschichte der Organisation ist nicht zuletzt eine Geschichte der Emanzipation vom Medium gesprochener Sprache. Ausgesprochen ist das Gesagte nicht mehr greifbar, denn es ist vergangen.151 Aus diesem Grund ist Ausgesprochenes nicht steuerbar, nicht kontrollierbar, während das Prinzip der Organisation für das Bestreben steht, Nachfragen und Orientierungslosigkeit zu unterbinden. Es fällt nicht schwer, die Grenzen der Wirksamkeit der Sprache im Hinblick auf Organisation zu bestimmen. Während Organisationen auf dem Prinzip der Gleichzeitigkeit basieren, ist das Prozessieren von Sprache auf ein Nacheinander in der Zeit angewiesen.152 149 Zur »verhaltensprägenden Kraft […] von Leitideen« (S. 208) – und damit das regelmäßig artikulierte Auseinanderfallen von Strukturvorgabe und organisationalem Binnenleben hinterfragend – siehe Andreas Schröer, Institutionalisierungsprozesse an US-amerikanischen Hochschulen – am Beispiel von Liberal Arts Colleges und Community Colleges, in: Sascha Koch, Michael Schemmann (Hg.), Neo-Institutionalismus in der Erziehungswissenschaft. Grundlegende Texte und empirische Studien, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S. 190-212. 150 Siehe hierzu Andreas Bergknapp, Ärger in Organisationen: Individuelle Konstruktion oder organisationales Phänomen?, in: Martin Vogel (Hg.), Organisation außer Ordnung. Außerordentliche Beobachtungen organisationaler Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, S. 56-76. 151 Die Abschiedsformel »Auf Wiederhören« verweist auf ein nächstes Mal, nicht auf die Möglichkeit des Nachhörens. 152 Hierin liegt maßgeblich die Störanfälligkeit von Gesprächen begründet. Niklas Luhmann etwa hat die limitierte Komplexitätskapazität sprachbasiert-kommunikativer Interaktionen darin begründet, dass nur Thema nach Thema behandelt werden kann und diese Notwendigkeit der thematischen Konzentration einen stark begrenzten Raum an Möglichkeiten impliziert. Wird die Hürde der Themenfindung genommen, gelingt also die erforderliche thematische Konzentration, erfol-

2. Zukunftsvergessenheit, Strukturbildung und Entscheidung

Von der Seite des Subjekts aus gesehen ist Kommunikation in Organisationen genau aus dem Grund erforderlich, dass die Organisation vor dem Hintergrund der angezielten verfahrensförmigen Verdatung auf sie verzichten kann. Die organisationale Emanzipation von Kommunikation und Sprache wird durch ihren Einsatz kompensiert. Das ist die soziale Paradoxie der Organisation. Sachliche und zeitliche Paradoxie der Organisation, die im Mechanismus der Strukturbildung kulminieren, werden somit durch eine soziale Paradoxie ergänzt, die als Kompensativum unverzichtbar ist. Die Diagnostik immer neuer Paradoxien und der Hinweis auf deren Wechselseitigkeit aber veranschaulicht in erster Linie die Tatsache, dass diese Konsequenz einer analytischen Perspektive sind. Im Alltag sind Paradoxien entparadoxiert.153 Organisationspraxis integriert die Seiten von Struktur und Subjekt sowie deren soziale Effekte. Die Eigenlogik der Organisation erscheint als Wechselseitigkeit von Pro- und Retrospektion. Historisch korrelieren Struktur und Subjekt als zwei Seiten der Organisation mit der Entstehung der modernen Managementlehre. Die Geschichte des modernen Managements ist die Geschichte der Gestaltung von Strukturzusammenhängen, die – je nach Gewichtung der beiden Seiten – mehr oder weniger stark mit den Potentialen oder Idiosynkrasien der beteiligten Subjekte kalkuliert154 oder die Emergenz sozialer Phänomene adressiert. Dass das Ausbalancieren von Fremd- und Selbstbestimmung anforderungsreich ist und alles andere als reibungslos vonstatten geht, illustriert nicht zuletzt der Umstand, dass stetig neue Kapitel in Form neuer Konzepte in dieser Geschichte ergänzt werden. Historisch relativiert sind die grundlegenden Prinzipien der Strukturbildung und Entscheidungsunterstützung bereits im Laufe des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts etabliert. Um dieser These nachzugehen, liegt das Hautaugenmerk im Folgenden auf den Strukturbildungsmechanismen der Messung, der Berechnung und der Visualisierung auf der Seite struktureller Kontingenznegation. Demgegenüber steht die Rechaotisierung der Organisation, die auf der subjektbedingten Produktion von Kontingenz basiert. Dem formalisierten Ausschließen von Zufallsabhängigkeit und Beliebigkeit wird damit ein Modus des systematischen Anreicherns der Organisation mit Zufällen gegenübergestellt, der das Spannungsfeld von strukturgeleiteter Entscheidungsunterstützung und subjektiver Entscheidungsautonomie konzeptuell zu einem Energiefeld werden lässt, das die Organisation mit neuen Möglichkeiten versorgen soll. Die nachstehenden Überlegungen gehen auch der Frage nach, auf welcher Seite man die nächste Organisation zu suchen beginnt und wodurch sich diese auszeichnet. Sucht man auf der Seite des Subjekts, auf der Seite der Struktur oder in Modi der Kollaboration auf der eigendynamischen Ebene sozialer Interaktion? Geschichte und

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gen die einzelnen Redebeiträge sequentiell. Um Chaos und heilloses Durcheinander zu vermeiden und gleichzeitig sicherzustellen, dass zumindest akustisch ein anschließendes Verstehen prinzipiell möglich ist, kann nur eine Person sprechen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass nicht alle im selben Moment zu Wort kommen können. Siehe Niklas Luhmann, Interaktion, Organisation, Gesellschaft, S. 10f. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Die Religion der Gesellschaft. Herausgegeben von André Kieserling, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2000, S. 132ff. Siehe hierzu Maren Lehmann, Mit Individualität rechnen. Karriere als Organisationsproblem, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2011.

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Die nächste Organisation

Gegenwart von Organisation und Management halten mögliche Anschlüsse auf allen Seiten bereit.

3. Management als Arbeit an der Organisationsstruktur

Die Geschichte des Managements ist eine vergleichsweise kurze Geschichte. Sie ist vor allen Dingen vor dem dahinterstehenden Grundproblem – der Machbarkeit von Verhältnissen – ein verhältnismäßig junges Phänomen: Das für die Moderne selbstverständlich scheinende Vorhandensein einer Spezialrolle für Fragen der Gestaltung organisationaler Strukturzusammenhänge und damit des Entwurfs und der Absicherung spezifischer Verhaltenserwartungen nimmt seinen Auftakt erst im Industriezeitalter. Erst die industrialisierte Massenproduktion ermöglicht, die Form gesellschaftlicher Arbeitsteilung durch die kleinschrittige Zergliederung von Arbeitsvollzügen auf ein neues Höchstmaß zu führen. Technologien wie Elektrifizierung, Mechanisierung oder das Fließband veranschaulichen, dass nunmehr einzelne, spezialisierte Handgriffe zum neuen Paradigma der Arbeitsprozessgestaltung avancieren und das Zusammenfallen von Planung und Durchführung, wie es noch für die klassische Manufaktur in Anspruch genommen werden konnte, zum Anachronismus werden lassen.1 Im Zuge dieser Entwicklungen etabliert sich ein neues Berufsbild, das erst durch die während der Industrialisierung entstehenden Großunternehmen erforderlich wurde: Management.2 Erst das Aufkommen der organisierten Verfasstheit von Produktionszusammenhängen lässt die Problematik der Gestaltung der notwendigen Strukturen zutage treten und wirft Fragen nach der Form der Arbeitsteilung oder der hierarchischen Ausgestaltung auf.3 1

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So ermöglicht das Verfügen über den Einsatz elektrischen Lichtes eine witterungs- und tageszeitunabhängige Beleuchtung der Arbeitsplätze, der Einsatz von Mechanik einen dosierten Einsatz menschlicher Körperkraft und das Fließband die Verbindung unterschiedlicher Produktionsschritte bei gleichzeitiger Vorgabe des entsprechenden Taktes. Zur Rekapitulation der technischen Entwicklung im Zeitalter der industriellen Revolution siehe Siegfried Richter, Rolf Sonnemann, Die Technik im Zeitalter der industriellen Revolution, in: Rolf Sonnemann (Hg.), Geschichte der Technik, Leipzig: Aulis 1978, S. 207-274; ausführlich Wolfgang König (Hg.) Propyläen Technikgeschichte in fünf Bänden, Frankfurt a.M.: Ullstein GmbH 1991, insbes. die Bände drei und vier. Zu den Anfängen des industriellen Managements im Industriezeitalter siehe Wolfgang H. Staehle, Management: eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive. 8. Auflage, München: Vahlen 1999. Dass die Machbarkeit von Verhältnissen kein spezifisch neues Problem des Industriezeitalters ist und arbeitsteilige Konzepte kein Novum darstellen, lässt sich etwa am Beispiel der Errichtung des Obelisken auf dem Petersplatz 1586 in Rom veranschaulichen. In seinem Bericht »Die Art, wie der

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Die nächste Organisation

Indem existierende Familienunternehmen im Zuge der technischen Entwicklung zu Großbetrieben werden, steigen die Anforderungen an ihre jeweilige Leitung und die notwendigen Steuerungsaufgaben mehren sich sowohl in ihrem reinen Umfang als auch in ihrem Anforderungsgrad, wenn aufgrund des Unternehmenswachstums deutlich mehr Tätigkeiten koordiniert werden müssen.4 Notiert werden kann das entsprechende Entstehen organisationaler Mehrebenenmodelle für den Bereich Transport im Eisenbahn- und Schiffsbau, für das Kommunikationswesen, für aufkommende Großhandelsunternehmen und für den Bereich der Produktion von Massengütern, etwa in der Metallerzeugung und -verarbeitung, der Nahrungsmittelproduktion oder der ölverarbeitenden und chemischen Industrie.5 Die entstandenen Großunternehmen können als Mehrebenenmodelle bezeichnet werden, da neben den Ebenen der Leitung und Ausführung mit dem Aufkommen des Managements idealtypisch zumindest eine weitere Ebene hinzutritt. Strukturgestaltung und Führungsaufgaben sind als eigenständige Aufgaben Teil der Arbeit am Ganzen der Organisation, oder, anders gewendet, selbst im arbeitsteiligen Gefüge verortet.6 Der Mythos des Gründers wird im Fortgang dessen zumindest im Ansatz relativiert und die klassische Figur des Patriarchen wird zugunsten der Organisation, die fortan stärker in den Blickpunkt gerät, entlastet.7 Was hier sichtbar wird, kann als ein sich abzeichnendes Primat der Struktur beschrieben werden, wenn an Firmennamen anstelle von Personennamen Renommee und Reputation kondensieren. Die rasche Verbreitung der »Angestellten-Unternehmer« markiert das

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vatikanische Obelisk transportiert wurde« schildert Domenico Fontana nicht nur präzise das zur Anwendung kommende Messverfahren, sondern auch andere technische Details sowie den erforderlichen Aufwand an Kooperation, um die Bedeutsamkeit des Mammutprojektes herauszustellen. Transport und Errichtung des vatikanischen Obelisken stellen damit nicht nur eine Zäsur der frühen Technikgeschichte dar, sondern fungieren auch als Beispiel im Hinblick auf arbeitsteilige Zusammenhänge. Siehe Domenico Fontana, Die Art, wie der vatikanische Obelisk transportiert wurde, Herausgegeben von Dietrich Conrad, Düsseldorf: Werner Verlag 1987. Zur Diskussion der These einer Entheroisierung von Führung durch arbeitsteilige Führungsmuster im Zuge der Entstehung von Großunternehmen siehe Ursula Pasero, Gender Trouble in Organisationen und die Erreichbarkeit von Führung, in: Ursula Pasero, Birger P. Priddat (Hg.), Organisationen und Netzwerke: Der Fall Gender, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004, S. 143-163, hier S. 146f. Anstatt des Begriffs des Mehrebenenmodells verwenden Alfred D. Chandler Jr. und Herman Daems den Begriff des »multi-unit«-Unternehmens, um die entsprechende Verbreitung von Großunternehmen für die genannten Bereiche zu beschreiben. Siehe hierzu Alfred D. Chandler Jr., Herman Daems, Administrative Coordination, Allocation and Monitoring: Concepts and Comparisons, in: Norbert Horn, Jürgen Kocka, Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Wirtschafts-, sozial und rechtshistorische Untersuchungen zur Industrialisierung in Deutschland, Frankreich, England und den USA, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1979, S. 28-54. Klassisch hierzu auch Alfred D. Chandler jr., Strategy and Structure. Chapters in the History of the Industrial Enterprise, Cambridge, Massachusetts und London, England: The M. I. T. Press 1962. Das Unternehmen erscheint dann im Rahmen unternehmensgeschichtlicher Untersuchungen – eine Formulierung von Hans-Ulrich Wehler aufgreifend – als »historisches Individuum«. Siehe Hans-Ulrich Wehler, Krupp im 20. Jahrhundert, in: ders., Konflikte zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Essays, München: C. H. Beck 2003, S. 210-215, hier S. 211.

3. Management als Arbeit an der Organisationsstruktur

Auseinanderdriften von Kapitalbesitz und dem Verfügen über die strukturelle Ausgestaltung.8 Ein Verzicht auf Personalität als Modus der Zurechenbarkeit ist damit jedoch nicht zum Ausdruck gebracht. Nach wie vor müssen Entscheidungen an die beteiligten Subjekte zurückzubinden sein, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass auch Fehlentscheidungen in Agentschaft Fehlentscheidungen bleiben. In der Geburtsstunde des modernen Managements offenbart sich die Krux der Planung arbeitsteiliger Zusammenhänge: Die Ausarbeitung von Managementkonzepten ist stets mit dem Makel der Kontingenz behaftet. Ein naturwüchsiges Sosein lässt sich nur in der Suspendierung von Begründungsnotwendigkeiten beanspruchen, die jedoch nicht gleichbedeutend mit der generellen Möglichkeit einer Gegenbeobachtung ist. Jede Entscheidung ist prinzipiell anders denkbar, Sachverhalte der Unmöglichkeit und Notwendigkeit sind ausgeschlossen und diesbezügliche Begründungsversuche erodieren in der Pluralität möglicher Perspektiven. Das Damoklesschwert des Nicht-Gelingens schwebt über jeder Entscheidung der strukturellen Ausgestaltung. Unpräzise Anweisungen der Arbeitsausführung, unklare Zielstellungen, die falschen Personen für die richtigen Aufgaben oder wahlweise die richtigen Personen für die falschen Aufgaben sowie in beiderlei Hinsicht eine suboptimale Konstellierung des sie verbindenden Beziehungsgeflechts gehören zu den geläufigen Fehleranfälligkeiten organisierter Arbeit. Letztlich gründet Management auf dem Prinzip der Delegation und ersetzt Möglichkeiten direkter Einflussnahme durch die Gestaltung struktureller Rahmenbedingungen und die Etablierung von Kontrollmechanismen. Es verwundert im Zuge dessen nicht, dass für die Rekrutierung des neuen Berufsstandes in erster Linie eine Gruppe in Frage kam, die genuin mit Konzepten der Planung und Kalkulation vertraut ist. Neben der Konstruktion stand für Industrieingenieure damit ein wachsendes zweites Tätigkeitsfeld offen, da sie als Gestalter der entsprechenden Zusammenhänge zwischen die Ebenen der kaufmännischen Betriebsleitung und der Fertigungsstätten einrückten, die aufgrund des steigenden Koordinationsbedarfes auseinandergezogen wurden.9 Die entstandene Lücke wurde alsbald geschlossen. Der neu entstandene Beruf des Managers war unter dem Rückgriff auf den Methodenkanon der Ingenieurwissenschaften und des aufkommenden Rechnungswesens dafür zuständig, die industrielle Massenproduktion zu organisieren, wenngleich der Berufsstand trotz seiner zügigen Verbreitung nur ein geringes gesellschaftliches Ansehen besaß. Denn ohne durch eine adäquate oder einschlägige formal qualifikatorische Legitimation gestützt, steht das Aufkommen des Managements auch für das Hinzufügen von Vorgesetzten, die in dieser Form weder im Heimgewerbe noch im Handwerk bis dato bekannt waren.10 Der organisierte Rangunterschied tritt im Zuge der 8

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Zur Relation von Person und Struktur sowie zum wachsenden Anteil von Großunternehmen und ihrer wirtschaftlichen Bedeutsamkeit am Beispiel von Deutschland siehe Richard H. Tilly, Vom Zollverein zum Industriestaat. Die wirtschaftlich-soziale Entwicklung Deutschlands 1834 bis 1914, München: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG 1990, insbes. S. 84-103. Zur Rekrutierung im aufkommenden Management siehe Wolfgang König, Kontrollierte Arbeit = optimale Arbeit? Frederick Winslow Taylors Programmschrift der Rationalisierungsbewegung, in: Zeithistorische Studien/Studies in Contemporary History 6 (2009), S. 315-319. Zum gesellschaftlichen Ansehen und der qualifikatorischen Legitimation des aufkommenden Management siehe Niels Pfläging, Kaputtoptimieren und Totverbessern. Eine kurze Geschichte des

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Die nächste Organisation

Verbreitung von Organisationen zu Prinzipien sozialer Grenzziehung wie Stand, Zunft oder Klasse, ergänzt diese, löst diese ab oder stellt im Hinblick auf die Moderne eine neue diesbezügliche Ableitungsfunktion zur Verfügung.11 Eine besondere Wertschätzung oder gesellschaftliches Prestige war dem neu entstandenen Berufsstand jedoch nicht verbrieft. Der Expansion managerialer Praktiken und die damit verbundene Verpflichtung auf Grundsätze des Steuerungsoptimismus oder der Effizienzsteigerung konnte dies jedoch keinen Abbruch tun.12 Zu attraktiv erscheint die Vorstellung, dass die Herausforderungen der Praxis durch geschicktes Agieren zu bewältigen sind und Management

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Managements als Scharlatanerie, in: Armin Nassehi (Hg.), Besser optimieren. Kursbuch 171, Hamburg: Murmann 2012, 29-49, hier S. 33. Eine theoretische Entsprechung findet sich diesbezüglich in der großen systemtheoretischen Erzählung der Moderne, die einerseits das Auseinanderdriften von Interaktion und Gesellschaft als maßgeblich für die Verbreitung von Organisationen annimmt und andererseits die Umstellung der Primärform gesellschaftlicher Differenzierung von Rang auf Funktion als gleichbedeutend mit dem Take-off zur Moderne versteht. Siehe hierzu etwa Niklas Luhmann, Zum Begriff der sozialen Klasse, in: ders., Ideenevolution. Beiträge zur Wissenssoziologie. Herausgegeben von André Kieserling, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2008, S. 72-131. Die wechselseitige Bedingung von gesellschaftlicher Differenzierung und einem gesellschaftlichen Angewiesensein auf Organisation kommt in der Unterscheidung von Codierung und Programmierung zum Ausdruck. Hinsichtlich dieser Unterscheidung lässt sich in Anlehnung an den vielzitierten Imperativ von George SpencerBrown folglich entsprechend formulieren: »Wer Code sagt, muss Programm sagen«. Die spezifischen Codierungen der Funktionssysteme sind im Hinblick auf Entscheidungsfähigkeit auf organisationale Programme angewiesen. In der Ausgestaltung von Organisationsstrukturen werden die funktionsspezifischen binären Leitunterscheidungen dahingehend entscheidungsfähig, dass auf der Ebene von Organisationen das geschehen kann, was auf Ebene der Funktionssysteme nicht möglich ist. Erziehung, Wirtschaft, Recht etc. sind per se weder adressierbar noch entscheidungsfähig. Die jeweiligen Entscheidungen über Zensuren, Zahlungsfähigkeit oder Schuld werden auf der Ebene von Organisationen getroffen, sodass die Gangbarkeit binärer Codierungen und organisationale Zurechenbarkeit zusammenfallen. Zu einer entsprechenden Diskussion am Beispiel des Erziehungssystems siehe Niklas Luhmann, Codierung und Programmierung. Bildung und Selektion im Erziehungssystem, in: Heinz-Elmar Tenorth (Hg.), Allgemeine Bildung: Analysen zu ihrer Wirklichkeit, Versuche über ihre Zukunft, Weinheim und München: Juventa 1986, S. 154-182. Eine steigende Relevanz organisationaler Strukturgestaltung und das damit verbundene Aufkommen des Managements für die jüngere deutsche Bundesrepublik diagnostiziert und kritisiert auch Helmut Schelsky. Dabei nimmt er weniger die Anfänge industriellen Managements in den Blick als vielmehr einen wachsenden Einfluss von Bürokratie auf Staat und Wirtschaft. Die »Illegitimität der Managerherrschaft« gründet bei Schelsky auf der organisational bedingten Unterscheidung von leitender und ausführender Arbeit, die dazu führt, dass Strukturgestaltung und Fachqualifikation entkoppelt werden. Diese Entkopplung impliziert Schelsky zufolge die Erosion eines fachspezifischen Berufsethos, so dass Manager ohne einen persönlichen Bezug »bald den Verkauf einer Sektfirma, bald die Außenpolitik eines Landes, bald die Kriegsführung verschiedener Staaten, bald eine Universität organisieren, […] ohne [T.W.], dass sie auf die Verhaltensweisen und den Habitus eines ehrenwerten Kaufmannes, eines Berufsdiplomaten, eines Offiziers oder eines Gelehrten festlegbar sind«. Siehe Helmut Schelsky, Berechtigung und Anmaßung in der Managerherrschaft, in: ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit. Gesammelte Aufsätze, Düsseldorf und Köln: Eugen Diederichs Verlag 1965, S. 17-32, hier S. 23.

3. Management als Arbeit an der Organisationsstruktur

bringt als Chiffre genau dies auf den Begriff.13 Als Versuch des Weltzugriffs verdoppelt Management die Welt im Sinne des guten Plans, der ausgehend von einer Defizienz des Gegebenen darauf ausgerichtet ist, Potentiale und Rücklagen der Vollkommenheit zu heben und zu aktivieren. Die Überzeugungskraft, die sich der Logik des guten Plans verdankt, weiß erfolgreich zu verdecken, dass Eigentliches stets eigentlich bleibt. Heute findet sich Management wie selbstverständlich in allen gesellschaftlichen Teilbereichen und zu allen Anwendungsfragen. Eine Engführung der Semantik auf Zusammenhänge industrieller Produktion hat sich längst überlebt.14 Ausgehend vom Betriebsmanagement – der Unternehmensführung im eigentlichen Sinne – findet sich eine inflationär erscheinende Ausbreitung der Managementsemantik von Bildungs- oder Kulturmanagement, bis hin zu Konstruktionen wie dem Wildtiermanagement,15 in dessen Rahmen das Bibermanagement16 nur ein spezieller Anwendungsfall ist. Gerade kurios anmutende Konstruktionen wie die Letztstehende bringen ein scheinbares Selbstverständnis zum Ausdruck, dass auch die Intervention in selbstorganisierte Eigenlogiken wie ökologische Zusammenhänge nicht zum Verzicht auf Steuerungsannahmen zu zwingen vermag. Gemanagt werden im Zuge dessen dann wie selbstverständlich auch Projekte und/oder Qualität und auch das moderne Subjekt wird im Rahmen von Selbst- oder Zeitmanagement zum Adressaten entsprechender Überlegungen. Im Ausmalen von managerialen Planungsvorstellungen wird Robert Musils Unterscheidung von Möglichkeits- und Wirklichkeitssinn17 im Zukunftsbezug der Gegenwart programmatisch kurzgeschlossen. Der antreibende Planungsoptimismus geriert sich als Ver13

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Zum Wortgebrauch von »managen«, »Manager« und »Management« siehe Dirk Baecker, Welchen Unterschied macht das Management?, in: ders., Organisation und Störung. Aufsätze, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2011, S. 26-54, hier S. 26ff. In dieser Hinsicht rückt Dirk Baecker den Manager als eine der prägenden Sozialfiguren der Gegenwart in die Nähe des klassischen Aufklärers. Begründet wird der Status als dessen Nachfolgefigur durch den gemeinsamen unerschütterlichen Glauben an die Verbesserbarkeit der Verhältnisse. Als Antriebsfeder fungiert allerdings keine vernunftmotivierte Beseitigung von Unverstandenem, die Motivation des Managers speist sich Baecker zufolge vielmehr aus Vakanzen in organisationalen Positionsgefügen. Siehe Dirk Baecker, Der Manager, in: Stephan Moebius, Markus Schroer (Hg.), Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart, Berlin: Suhrkamp Verlag 2010, S. 261-276. Thematisiert werden als Bestandteile eines gelingenden Wildtiermanagements unter anderem die Definition von Zielen, eine darauf abgestimmte Planung mit entsprechenden Maßnahmen und eine diesbezügliche Erfolgskontrolle. Eine solche Konstruktion von Ursache-WirkungsZusammenhängen ist als das Versprechen einer bestimmten Form von Kontingenzbewätigung zu verstehen. Daraus resultierenden Zukunftsentwürfen ist für gewöhnlich ein Modus der Handhabbarkeit eingeschrieben, wobei die Nähe zu pädagogischen Konzepten im Vorgehen augenscheinlich ist. Für den Nachvollzug am Beispiel Wildtiermanagement siehe Klaus Robin, Roland F. Graf, Reinhard Schnidrig, Wildtiermanagement. Eine Einführung, Bern: Haupt Verlag 2017. Siehe Bayerisches Landesamt für Umwelt (Hg.), Das Bayerische Bibermanagement. Konflikte vermeiden – Konflikte lösen, Augsburg: Lf U 2009. Robert Musil bestimmt Möglichkeitssinn in Abgrenzung zu Wirklichkeitssinn wie folgt: »So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebensogut sein könnte, zu denken, und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist«. Siehe Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften. Herausgegeben von Adolf Frisé, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1972, S. 16. Der Anspruch, eine neue Wirklichkeit aus bisher nicht realisierten Möglichkeiten entstehen zu lassen, resultiert aus dem für die Moderne typischen Kontingenzbewusstsein.

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Die nächste Organisation

diesseitigung jenseitiger Projektionen und Hoffnungen. Management als Narrativ versorgt die organisierte moderne Gesellschaft zuverlässig mit neuen Machbarkeitskalkülen. Die Annahme der Gestaltbarkeit von Verhältnissen und zukünftigen Gegenwarten nach zugrundeliegenden Prinzipien oder Konzeptionen bedingt die Entstehung eines wachsenden Begriffsfeldes, dessen attraktorisches Potential auch vor Zusammenhängen, die genuin nicht mit Annahmen gelingender Steuerung zusammenfallen, keinen Halt macht.18 Die Vorstellung der Machbarkeit der Dinge wird nicht etwa von Verweisen auf die Grenzen des Einzelnen unterminiert, vielmehr wird diese auf Organisationen projiziert, die sich als strukturbildendes Prinzip höherer Ebene einer solchen Vermitteltheit nicht zu fügen scheinen. Die flächendeckende Verbreitung von Organisationen in der modernen Gesellschaft als ihr wesentliches Strukturmerkmal stellt die notwendige Voraussetzung einer Management-Expansion dar, während die Institutionalisierung von Beobachterrelativität das organisationale Strukturdesign kontingent setzt und somit ein Spektrum möglicher managerialer Gestaltungsoptionen eröffnet. Ein diesbezügliches Kontinuum erstreckt sich idealtypisch entlang antipodischer Gestaltungsfragen wie etwa der Frage nach Zentralisierung oder Dezentralisierung, der Entscheidungsnotwendigkeit, ob ein autoritäres oder ein demokratisch-partizipatives Verständnis von Führung angemessen scheint, oder der Frage, ob De- bzw. Rehierarchisierung womöglich eher der Zielerreichung dient. Fragen der Arbeitsgestaltung sind vor diesem Hintergrund als Strukturprobleme zu ver- und behandeln und ein darauf abzielendes Management erscheint als Arbeit an der Struktur. Überlegungen zu Zeit- oder Selbstmanagement inszenieren sich demgegenüber als Konzepte der Kompensation organisierter Redundanzen oder geben vor, eine Antwort auf sich ändernde Stellen- oder Rollenerwartungen formulieren zu können. Sie stellen auf die Re-Kompatibilisierung des Einzelnen mit der Organisation ab und verdanken sich folglich derselben Triebfeder – mit dem Unterschied, dass Management hier auf den reflexiven Umgang mit den eigenen zeitlichen oder persönlichen Ressourcen zielt, die entsprechend zu planen, zu steuern und zu kontrollieren sind.19 Gleichzeitig kommt damit der Anforderungsreichtum organisierter Kontexte zum Ausdruck, wenn 18

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Dies gilt exemplarisch – wenngleich im Besonderen – für den Begriff der Bildung, der in seiner klassischen Fassung den Ausschluss von Annahmen linearer Kausalität zum Ausdruck bringt. Gerade die operative Unbestimmtheit der Bildungssemantik und die Betonung von Autonomie verweisen gleichermaßen auf die Absenz definitorischer Handlunsgförmigkeit wie auf die NichtTrivialität von Adressaten pädagogischer Kommunikation. Für die Pädagogik besteht hier die Funktionalität einer ihrer Leitbegriffe, da gerade aufgrund der Unbestimmtheit spezifischen Anforderungen von Wirtschaft oder Politik begegnet werden kann. Zur Diskussion des Bildungsbegriffs und der ihm eigenen Logik siehe Yvonne Ehrenspeck, Dirk Rustemeyer, Bestimmt unbestimmt, in: Arno Combe, Werner Helsper (Hg.), Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1999, S. 368-390. Eine Expansion managerialer Praktiken und eine damit zusammenhängende Durchdringung des Alltags mit Überlegungen, die allein Kriterien der Optimierung verpflichtet sind, beobachtet Sabine Maasen. Mit dem Rückgriff auf Überlegungen von Michael Makropoulos und Reinhart Koselleck diskutiert Maasen diesbezüglich die These einer Optimierungsgesellschaft. Siehe Sabine Maasen, Gut ist nicht gut genug. Selbstmanagement und Selbstoptimierung als Zwang und Erlösung, in: Armin Nassehi (Hg.), Besser optimieren. Kursbuch 171, Hamburg: Murmann 2012, S. 144-156.

3. Management als Arbeit an der Organisationsstruktur

augenscheinlich wird, dass das Funktionieren Einzelner in den Erwartungen Anderer nicht frei von Störanfälligkeiten zu sein scheint. Was Organisationen voraussetzen, ist nichts anderes als der Umstand, dass Verhalten und Handeln im Rahmen ihrer Strukturvorgaben gelernt werden müssen. Die Herausforderung des Austangierens von Fremd- und Selbstbestimmtheiten macht die pädagogische Dimension der Konzeption von Managementideen sichtbar, wie dies im Gegenzug für den Umgang mit ihnen gilt. Der Ausdifferenzierung von Strukturvorgaben scheint dann im Nachsteuern von dem, was sich als Effekt der Erzeugung und Veränderung organisierter Subjekte im Rahmen von Stellenordnungen geriert, eine Tendenz der stetigen Zunahme eigen zu sein. In diesem Sinne etabliert sich das Wortfeld Management als ein sich selbst antreibendes System, wenn sowohl die konkrete Ausgestaltung organisationaler Strukturzusammenhänge gemanagt wird, als auch der spezifisch kompensatorische Umgang mit den jeweiligen Erwartungsmustern Gegenstand von Überlegungen ist, die mit dem Label Management etikettiert sind.20 Die Omnipräsenz der Semantik verstellt wie meist den Blick für theoretische Annäherungen, Zugänge und Betrachtungen und leistet damit einem unreflektierten Gebrauch Vorschub. Ubiquität vermag es, Selbstverständlichkeiten zu erzeugen, zu stabilisieren und hierdurch gleichzeitig Fragen, die hintergründige Konsensfiktionen21 betreffen, ins Marginale zu verweisen. Klar scheint nur, dass gemanagt wird, was auch immer. Was sich der Reflexion zu entziehen droht, sind nicht lediglich ein Wortfeld betreffend unzugänglich gewordene Kontingenzen, sondern auch die Konsequenzen organisationaler Strukturentscheidungen und damit zum Beispiel Effekte wie Strukturverstetigungen, eine Komplementarität gegenläufiger Konzeptionen oder die Wechselseitigkeit von gesellschaftlicher Dynamik und organisationaler Funktionslogik. Die Kraft der Selbstverständlichkeit betrifft nicht lediglich einen allgegenwärtigen Sprachgebrauch. Vielmehr bedingt die scheinbar selbstverständliche Übernahme bestimmter Managementpraktiken ein nicht auf spezifische organisationale Felder22 engzufüh20

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Den Übertrag organisationaler Managementprogramme auf Modelle des Managements der eigenen Person diskutiert Ulrich Bröckling. Er analysiert die Wechselseitigkeit von »Sozialtechnologien« und »Technologien des Selbst« unter Rückgriff auf die Ideen und das Vokabular Michel Foucaults und vertritt die These, dass der Management-Diskurs Einfluss auf alle gesellschaftlichen Bereiche hat und somit bedeutender Teil einer »Gouvernementalität der Gegenwart« ist. Siehe Ulrich Bröckling, Totale Mobilmachung. Menschenführung in Qualitäts- und Selbstmanagement, in: Ulrich Bröckling, Susanne Krasmann und Thomas Lemke (Hg.), Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2000, S. 131-167. Unterstellter Konsens bleibt auch in Anbetracht der Selbstverständlichkeit angenommener Vorverständigung nur unterstellter Konsens, ist dieser – einer Bemerkung Niklas Luhmanns folgend – doch schlicht empirisch unmöglich. Dass sich dieser Hinweis der kommunikativen Unerreichbarkeit von Bewusstseinen verdankt, bedarf keiner weiteren Ausführung. Die Formulierung der Konsensfiktion nimmt hierauf Bezug. Siehe Niklas Luhmann, Systeme verstehen Systeme, in: Niklas Luhmann, Karl Eberhard Schorr, Zwischen Intransparenz und Verstehen. Fragen an die Pädagogik, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1986, S. 72-117, hier S. 88. Für die Diskussion der These organisationaler Feldbildung anhand Konstitutionsprinzipien wie etwa gemeinsamer infrastruktureller und logistischer Angewiesenheiten, einer kollektiven Adressiertheit von Regulierungen oder professionsspezifischen Bedingtheiten siehe Paul J. DiMaggio, Walter W. Powell, The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism in Organizational Fields, in: American Sociological Review 48 (1983) 2, S. 147-160.

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Die nächste Organisation

rendes Driften der Veränderung von Organisationen und impliziert gleichzeitig Auswirkungen gesellschaftsstruktureller Art. Fragen der organisationalen Strukturgestaltung gerinnen vor dem Hintergrund einer diesbezüglichen Aufarbeitung nicht zuletzt zu Sachverhalten gesellschaftlicher Strukturevolution, wie dies etwa für die zunehmend digitale Strukturbildung in Organisation und die resultierenden Effekte im Hinblick auf Subjektivität und Kommunikation gilt. Nur aus einer Planungszusammenhänge optimistisch überschätzenden Perspektive erscheinen Regulation und Evolution als Antagonismen. Oder, noch einmal anders formuliert, kann es für die Integration von Gesellschafts- und Organisationstheorie nur schwerlich keine Option sein, den kleinen, jedoch scharfen Unterschied zwischen Veränderbarkeit und Veränderlichkeit nicht – zumindest versuchsweise – zu systematisieren. Während Veränderbarkeit auf der Annahme von vielversprechenden Gestaltungsmöglichkeiten basiert, verweist Veränderlichkeit hingegen auf die Riskanz von Steuerungsannahmen, auf unbeabsichtigte Nebenfolgen von Interventionsversuchen und damit auf Probleme der Komplexität, die nicht zuletzt aus immer schon ablaufenden Veränderungen herrühren. Dabei sind gerade Aspekte organisationaler Veränderlichkeit nicht zuletzt die Folge der Dualität von Struktur und Subjekt. Ein beispielhafter Blick auf wesentliche Zäsuren organisationalen Strukturdesigns soll dazu beitragen, mögliche Hinweise zu einem adäquaten Verständnis der Wechselseitigkeit von Organisation und Gesellschaft zu formulieren und die Bedeutung organisationaler Eigenlogik für das digitale Zeitalter herauszustellen. In historischer Rückschau leisteten vor allem die Ideen Frederick Winslow Taylors einen ersten maßgeblichen und katalysierenden Beitrag dazu, Management und die Machbarkeit von Verhältnissen zu einem Synonym werden zu lassen. Taylor, dessen Anspruch es war, die Grundzüge der Betriebsführung zu systematisieren und auf ein quasi-wissenschaftliches Fundament zu stellen, gilt mit seinen 1911 erschienen Principles of Scientific Management als Wegbereiter der Gestaltung und Optimierung organisierter Wertschöpfungszusammenhänge. Ohne sein Insistieren auf einen one best way der jeweiligen Arbeitstätigkeit und seine Rolle als diesbezüglicher Pionier sind sowohl die Verbreitung von Managementkonzepten als auch die Verpflichtung von Arbeitsprozessgestaltung auf Prinzipien wie Zweck, Rationalität und Konsistenz nicht nachzuvollziehen. Die Unbedingtheit seines Ordnungsanspruches lässt Taylors Projekt des vermessenen Betriebs als idealtypisches Projekt einer organisierten Moderne erscheinen, die Ordnung zwar stets sehnsüchtig adressiert, diese aber paradoxerweise als Bedingung ihrer selbst durch das Reflexionspotential der Vernunft und das damit verbundene Scheiden von einstmaligen Gewissheiten längst verloren hat. Das Auffinden und Fixieren von Bestimmtheiten ist dann der Versuch, unbestimmte Kontingenzen zu zähmen und damit handhabbar zu machen. Es scheint vor diesem Hintergrund angeraten, die taylorschen Überlegungen zur Ausgestaltung von Betriebsstrukturen zu rekapitulieren, um die von ihm vorgestellte Logik des Gelingens für das Verständnis von Management und Organisation aufzuarbeiten und einen Antwortversuch auf die Frage zu formulieren, weshalb die Konzeption eine derart paradigmatische Wirkung entwickeln konnte. Die Überlegungen Taylors und sein Konzept zur Vermessung von Arbeit bilden den Auftakt der Analyse von seit dem Beginn der Managementlehre entwickelten semiotischen Techniken zur Dynamisierung von Subjekten, die neben der Vermessung der Organisation deren Berechnung, Visualisierung und Rechaotisierung in den Blick nimmt.

4. Die Vermessung der Organisation

In Taylors 1911 erschienenen Principles of Scientific Management wird der Entwurf eines Programms zur systematischen Betriebsführung vorgestellt und seitdem ist Taylorismus ein Synonym und geläufiges Etikett für Versuche der Standardisierung, Rationalisierung und Effizienzsteigerung bei der Gestaltung von Arbeitszusammenhängen.1 Gleichzeitig fungiert er als Muster für ein Strukturbildungsprinzip im negativen Sinne, von dem es sich im Hinblick auf moderne Arbeitsprozessgestaltung zu distanzieren gilt.2 Auch als Kontrastfolie ist dem Begriff diskursiv eine spezifische Funktionalität garantiert, indem er zuverlässig als Hebel zur Verfügung steht, eine Position in deutlicher Abgrenzung zu formulieren.3 Das Prinzip der Unterscheidung zur Schärfung und Validierung der eigenen Position zu nutzen, ist eine Technik, auf die auch Taylor setzt. Er wählt ein analoges Vorgehen, indem er seine Konzeption als Antidoton zu zeitgenössischen Produktionsverhältnissen inszeniert. Seine Argumentation beruht auf einem Abgrenzungsversuch, da er die Ursache ausmacht, der zufolge es aus seiner Sicht beim zu überwindenden Produktionssystem krankt: die Wechselseitigkeit einer anthropologischen Bedingtheit und ihrer sozialen Verstärkung im betrieblichen Gefüge. 1

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Die Überlegungen Frederick Taylors taugen unterdessen nicht für eine Nullpunktannahme. Als direkten Vorläufer des Taylorismus machen etwa Mahmoud Ezzamel, Keith Hoskin und Richard Macve Daniel Tyler aus. Bereits Tyler war von der Frage umgetrieben, was als verbindliche Norm für gute Arbeit anzunehmen möglich ist. Sein Vorgehen sah neben einer beobachtungsgestützten Quantifizierung von betrieblichen Vollzügen ebenfalls die Neukonzeption von Tätigkeitsprofilen vor. Siehe Mahmoud Ezzamel, Keith Hoskin, Richard Macve, Managing It All By Numbers: A Review of Johnson & Kaplan’s ›Relevance Lost‹, in: Accounting and Business Research 20 (1990) 78, S. 153166. Hinsichtlich der Diskussion der Angemessenheit tayloristischer Prinzipien in zeitgemäßen Vorstellungen von Führung siehe Brigitte Hommerich, Manfred Maus, Utho Creusen, Wieviel Management braucht der Mensch: Abschied vom Machbarkeitswahn, Wiesbaden: Gabler 1995; zur Diskussion der Frage nach der Überwindung tayloristischer Prinzipien in der Gestaltung industrieller Produktion am Beispiel der schlanken Produktion siehe Mirko Steinkühler, Lean production – das Ende der Arbeitsteilung?, München: Hampp 1995. Dies gilt zum Beispiel für Gestaltungsfragen von Arbeit, die ausdrücklich nicht den Bereich industrieller Fertigung betreffen, für die gleichzeitig jedoch deutlich gemacht werden soll, dass die Rationalitätsannahmen im Sinne Taylors zu kurz greifen. Exemplarisch für dieses Vorgehen Hans D. Prujit, Job design and technology : Taylorism vs. anti-Taylorism, London: Routledge 1997.

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Die nächste Organisation

Als entscheidendes Hindernis für einen reibungslosen Ablauf des Betriebsgeschehens identifiziert Taylor ein systematisches »Sich-Drücken« des Arbeiters, das zum einen aus einem angeborenen Instinkt der Arbeitsvermeidung resultiere, vor allen Dingen aber als Folge der wechselseitigen Beobachtung der Arbeiter zu interpretieren und damit als soziales Problem zu verstehen sei.4 Taylors Managementkonzeption basiert auf einem anthropologischen Argument, das in Wechselseitigkeit mit einem Modus sozialer Verstärkung dazu führt, dass die Anforderungen der Arbeit und die Verhaltenserwartungen der Organisation systematisch unterlaufen werden. Diese – von Taylor ausdrücklich als Hintergehen des Arbeitgebers bezeichnete – »Drückebergerei«5 wird durch das zeitgenössische »Stücklohnsystem« begünstigt und damit stabilisiert. Gerade die Erfahrung der Arbeiter, dass Produktivitätssteigerungen – also größere eigene Anstrengungen – die Absenkung des Lohns pro Stück zur Folge hatten, verhindern Taylor zufolge den Zugriff auf das volle Potential des Arbeiters. (Mehr-)Leistung scheint sich nicht zu lohnen – im treffgenauen Sinne nicht auszuzahlen –, sondern führt zur Etablierung eines neuen Leistungsstandards, auf den mit der Absenkung des Stücklohns reagiert wird, um die Lohnkosten konstant zu halten. Die Konstanz der Lohnkosten betrachtet Taylor als weitgehend unabhängig von Steigerungen der Produktivität. Taylors Kritik des bestehendes Systems läuft auf ein zu großes Abweichungspotential im Hinblick auf das vorgegebene Verhaltensspektrum hinaus, wodurch auf ein Fehlen an organisationaler Formalstruktur hingewiesen wird. Zugespitzt formuliert, bemängelt Taylor ein Zuwenig an Organisation. Erst die Umstellung auf das von ihm propagierte Zeitlohnsystem bietet Taylor zufolge die Möglichkeit, die systematische »Drückebergerei« zu überwinden. Seine Pensumidee sieht vor, dass »genaue Statistiken über das geleistete Arbeitsquantum jedes einzelnen Arbeiters und den Nutzeffekt seiner Kraftaufwendung geführt werden« und der Lohn den Mehrleistungen entsprechend angepasst wird.6 Die vorherige Festlegung eines jeweiligen Pensums, das Ergebnis einer genauen Analyse der Arbeitsvorgänge ist, ermöglicht Taylor zufolge eine Steigerung der Produktivität, die wiederum eine Progression des Lohnniveaus der Arbeiter nach sich ziehen muss. Betont werden muss an dieser Stelle die feste Überzeugung Taylors, dass sein Vorgehen ausdrücklich im Interesse der Arbeiterschaft sei. Produktivitätssteigerungen und eine Steigerung des Entgeltniveaus sind für ihn fest verknüpft. Sein Programm legitimiert sich nicht zuletzt durch ein Nichtverstehen der planerisch strukturellen Zusammenhänge seitens der Arbeiter. Das Adressieren eines methodischen Individualismus, um seine Konzeption durchzusetzen, ist zentraler Gegenstand von Taylors Programm und der eigens erklärten Agentschaft. Die Voraussetzung für die Umstellung auf das als neu proklamierte Prinzip der Arbeitsorganisation ist das in Form bringen des Körpers der Arbeiter und damit die bestmögliche Nutzung ihrer körperlichen Fähigkeiten.7 Die Grundsätzlichkeit der taylorschen Ideen tritt hier offen zutage: Das Ansetzen beim Körper der Arbeiter und ein 4 5 6 7

Siehe Frederick W. Taylor, Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, München und Berlin: R. Oldenbourg 1919, S. 18. Ebd., S. 17. Ebd., S. 22. Dirk Rustemeyer spricht hier von einer »Formierung des Körpers.« Siehe Dirk Rustemeyer, Anarchie im Büro? Organisation als Formen multipler Rationalität, in: Ute Lange, Sylvia Rahn, Wolfgang

4. Die Vermessung der Organisation

entsprechender Zugriff auf diesen veranschaulichen den Anspruch, nichts dem Zufall überlassen zu wollen und damit gleichzeitig die Intention, die Absenz möglicher Alternativen und Spielräume bei der Arbeitsausführung zum Credo des Betriebs werden zu lassen.8 Ein noch grundsätzlicheres Ansetzen, als die Kontrolle über den Körper des Arbeiters übernehmen zu wollen, ist bei der Gestaltung von Arbeitsvorgaben kaum vorstellbar. Zeitersparnis und Produktionssteigerung verdanken sich laut Taylor dadurch, dass »alle unnötigen Bewegungen ausgeschaltet, langsame Bewegungen durch schnelle und unökonomische durch ökonomische Handgriffe ersetzt werden.«9 Die Formalität der Organisation und damit die Unbedingtheit des taylorschen Ordnungsanspruches werden von ihrer Rückseite her konstruiert, indem beabsichtigt wird, das Vermeidungsverhalten der Arbeiter, die Möglichkeit des Abweichens von Handlungsvorgaben, zu eliminieren.10 Die Formulierung der Rückseite ist nicht ausschließlich als differenz-

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Seitter, Randolf Körzel (Hg.), Steuerungsprobleme im Bildungswesen: Festschrift für Klaus Harney, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S. 35-56, hier S. 38. Varianzen bei der Ausführung von Arbeiten unter Zuhilfenahme unterschiedlicher Werkzeuge entsprechen nicht Taylors Vorstellung eines zielgerichteten Vorgehens. Er schreibt: »Es ist eine Tatsache, daß die Arbeiter aller Gewerbszweige ihr Handwerk durch Beobachtung ihrer Mitarbeiter gelernt haben. Daher laufen eine Unmenge verschiedener Ausführungsmethoden für ein und dieselbe Arbeit nebeneinander her, manchmal 40, manchmal 50, manchmal 100 verschiedene Methoden zur Erzielung ein und desselben Zweckes. Aus demselben Grunde gibt es eine Unzahl verschiedener Werkzeuge für dieselbe Arbeit. Unter diesen verschiedenen Methoden und Werkzeugen, die für eine einzelne, elementare Operation in irgend einem Gewerbe im Gebrauch sind, gibt es immer nur eine Methode und ein Werkzeug, schneller und besser als die übrigen, und diese eine beste Methode und das beste Werkzeug kann nur durch systematisches Studium und durch Prüfung aller Methoden und Werkzeuge, die im Gebrauch sind, gefunden werden, im Verein mit einem gründlichen, eingehenden Bewegungs- und Zeitstudium.« Siehe Frederick W. Taylor, Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, S. 25. Ebd., S. 24. Vor diesem Hintergrund scheint zumindest Vorsicht angeraten, die Entdeckung von Informalität leitsatzartig an die bekannten Hawthorne-Experimente zu koppeln. Abweichungen von Verhaltensvorgaben der organisationalen Formalstruktur waren für Taylor ja der Ansatzpunkt für seine managerialen Überlegungen. Auch im Hinblick auf die Lesart, dass im Rahmen der HawthorneExperimente erstmalig die Herausbildung eigener Leistungsnormen in Arbeitsgruppen beobachtet werden konnte, wie es Veronika Tacke herausstellt, scheint angesichts der von Taylor angeführten Beispiele Skepsis angeraten. Zwar sollen hier nicht der Anspruch der Hawthorne-Forscher und die taylorsche Konzeption verglichen werden, dennoch sei zum Beispiel auf Taylors Beobachtungen der Regulierung des entsprechenden Arbeitseinsatzes eines neuen Golfcaddies verwiesen. So wurde Taylors Schilderungen zufolge ein neuer Kollege zügig darauf aufmerksam gemacht, dass ein Heraufsetzen der Schrittgeschwindigkeit relativ gesehen einer Absenkung des Stundenlohns entsprechen würde – nicht jedoch ohne den Zusatz, dass ein zu hohes Arbeitstempo und damit die Etablierung einer neuen Referenz von den übrigen Kollegen zur Not gewaltsam geahndet würde. Siehe Frederick W. Taylor, Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, München und Berlin: R. Oldenbourg 1919, S. 20. Zur entsprechenden Diskussion der These der Erfindung von Informalität siehe Veronika Tacke, Formalität und Informalität. Zu einer klassischen Unterscheidung der Organisationssoziologie, in: Victoria von Groddeck, Sylvia Marlene Wilz (Hg.), Formalität und Informalität in Organisationen, Wiesbaden: Springer VS 2015, S. 37-92. Die These der Entdeckung von Informalität im Kontext der Hawthorne-Experimente findet sich im Übrigen – jedoch nicht weniger problematisch – bereits 50 Jahre früher bei Niklas Luhmann. Gerade für Luhmann, der als genauer Beobachter organisierter Zusammenhänge die Rückseite organisationaler Formalstruk-

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theoretischer Ausdruck zu verstehen, sondern kann in dem Sinne wörtlich genommen werden, dass es sich bei ihr um den Rücken des Vorarbeiters handelt, hinter dem die Kraftaufwendung des Arbeiters minimiert wird. Taylors Überlegungen sind auch auf die Lösung des identifizierten Kontrollproblems bezogen. Seine steuerungsoptimistische Perspektive verdankt sich dem konsequenten Vertrauen in die eigene Methodik der Zeitstudien, die bei richtigem Einsatz die eine beste Methode und das eine beste Werkzeug für die jeweilige Arbeitstätigkeit zu finden versprechen.11 Das Vorgehen bei Taylors Zeitstudien ist strikt darauf ausgerichtet, Arbeitsvollzüge, die an eigens dafür eingerichteten Arbeitsplätzen durchgeführt werden, in möglichst kleine Letzteinheiten aufzuspalten, um dann mittels Zeitnahme die größtmögliche Produktivität des Arbeiters – die volle Ausnutzung der Arbeitskraft, ohne diese überzubelasten – zu ermitteln. Die Abbildung und Überführung der einzelnen Tätigkeit in einen Datenschatten verdankt sich als Ergebnis der Symbiose der Beschattung von Arbeitsvollzügen mit der Metrik einer Stoppuhr und der Ordnungslogik einer Tabelle. Hinsichtlich der Funktion organisationaler Strukturbildung, das benötigte Verhalten prognostisch vorwegzunehmen, lässt sich festhalten, dass der Datenschatten den einzelnen Mitgliedern vorauseilt und damit gleichzeitig eine Blaupause des one best way der Arbeitsausführung vorhält, die immer verfügbar ist. Auf diesem Weg markiert das Instrumentarium der Zeitstudien den Auftakt moderner Betriebspädagogik: Durch die Einnahme einer pädagogischen Perspektive wird der Entwicklungsspielraum des Arbeiters in Bezug auf seinen Einsatzort und die optimale Nutzung seiner Arbeitskraft ausgelotet.12 Die zahlenbasierten Messpraktiken suggerieren Objektivität13 und eröffnen aufgrund der neuen Möglichkeiten an Berechenbarkeit ein bisher nicht erreichtes Maß an Kontrollierbarkeit der Arbeitsvollzüge und damit in Taylors Verständnis die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Betriebsführung. Immer wieder verweist Taylor auf die Wissenschaftlichkeit seines Vorgehens, das im Rückgriff auf Regeln, Gesetze und Formeln den Handlungs- und Entscheidungsspielraum des einzelnen Arbeiters minimiert.14 Das daraus resultierende Prinzip der Trennung von Hand- und Kopfarbeit realisiert sich dadurch, dass dem Spezialisten im »Arbeitsverteilungsbureau«15 die Aufgabe zufällt, durch die Anwendung des systematisch aufgezeichneten und zusammengestellten

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turen im Blick hat, wirken eine entsprechende Formulierung und Theoretisierung etwas überraschend. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Spontane Ordnungsbildung, in: Fritz Morstein Marx (Hg.), Verwaltung. Eine einführende Darstellung, Berlin: Duncker & Humblot 1965, S. 163-183, hier S. 166f. Siehe Frederick W. Taylor, Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, S. 25. Zum pädagogischen Blick Taylors siehe Dirk Rustemeyer, Anarchie im Büro? Organisation als Formen multipler Rationalität, S. 39. Zur Objektivität von Zahlen und ihrer diesbezüglichen Überzeugungskraft siehe Sebastian Manhart, Vermessene Moderne, Zur Bedeutung von Maß, Zahl und Begriff für die Entstehung der modernen Kultur, in: Dirk Baecker, Matthias Kettner, Dirk Rustemeyer (Hg.), Über Kultur. Theorie und Praxis der Kulturreflexion, Bielefeld: transcript Verlag 2008, S. 191-218. Neben einer Vielzahl von Hinweisen auf Objektivität und Nachvollziehbarkeit seiner wissenschaftlichen Betriebsführung, spricht Taylor explizit auch von einer »Wissenschaft des Roheisenverladens« (S. 51), einer »Wissenschaft des Schaufelns« (S. 68) oder einer »Wissenschaft des Mauerns« (S. 89). Siehe Frederick W. Taylor, Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung. Ebd., S. 40.

4. Die Vermessung der Organisation

Methodeninventars die Durchführung der Arbeit durch fortschreitende Spezialisierung »besser« und »ökonomischer«16 zu machen.17 Die Unterscheidung zwischen Planenden und Ausführenden wird zum Kernprinzip des Taylorismus, was dazu führt, dass die Komplexität der jeweiligen Arbeitsvollzüge durch ein kleinschrittiges Vorgehen auf ein Mindestmaß sinkt.18 Das eigene Ermessen des Arbeiters, das Vertrauen auf die eigene Erfahrung und Intuition wird zugunsten einer zentralisierten Planung suspendiert, deren Methodik sich strikter Regelhaftigkeit, der Durchführung von Messungen und damit der Konzentration auf Zahlenförmigkeit verdankt. Die Komplexität wird aus den Arbeitsvollzügen herausgenommen und auf die Ebene der Organisationsstruktur verschoben.19 16 17

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Ebd., S. 41. An diesem Faktum entzündet sich die Kritik der Unversöhnlichkeit des Subjekts und einer standardisierten Massenproduktion. Der Taylorismus wird in einer bestimmten Sichtweise somit zum Synonym einer Arbeitsweise, die die von Hegel und Marx beschriebene Entfremdung des Menschen von sich selbst konzeptualisiert. Marx zufolge verliert der Mensch in der entfremdeten Arbeit nicht weniger als die Möglichkeit, sich mit von ihm Geschaffenen in der Welt auszudrücken. Der Verlust dieser Möglichkeit durch die Tatsache, dass nunmehr ein lediglich partieller Zugriff auf den Gegenstand seiner Produktion gegeben ist, nimmt dem Mensch Marx zufolge gar sein Dasein als Gattungswesen. Marx schreibt: »Eben in der Bearbeitung der gegenständlichen Welt bewährt sich der Mensch daher erst wirklich als ein Gattungswesen. Diese Produktion ist sein werktätiges Gattungsleben. Durch sie erscheint die Natur als sein Werk und seine Wirklichkeit. Der Gegenstand der Arbeit ist daher die Vergegenständlichung des Gattungslebens des Menschen: indem er sich nicht nur wie im Bewusstsein intellektuell, sondern werktätig, wirklich verdoppelt und sich selbst daher in einer von ihm geschaffenen Welt anschaut« [H.i.O.]. Siehe Karl Marx, Die entfremdete Arbeit, in: ders., Ökonomisch-philosophische Manuskripte. Geschrieben von April bis August 1844. Nach der Handschrift, Leipzig: Reclam 1974, S. 149-166, hier S. 158f. Vor diesem Hintergrund wirkt die taylorsche Betriebsführung als Blaupause für die von Marx beschriebene entfremdete Arbeit. Als Gegenmittel zum Verlust eines ganzheitlichen Produktionsbezugs fungiert für die Gestaltung posttayloristischer Arbeit unter anderem das Prinzip der »vollständigen Arbeitshandlung«, das beansprucht, alle Produktionsschritte zu (re-)integrieren, um ein Verständnis für den jeweiligen Gesamtzusammenhang zu ermöglichen. Siehe hierzu exemplarisch Ute Büchele (Hg.), Praxisleitfaden Lernbegleitung. Berufliche Weiterbildung: Lernprozesse gemeinsam gestalten, Berlin: R & W Verlag der Editionen 2010, S. 65ff. Unberührt bleibt an dieser Stelle jedoch die Tatsache, dass auch vermeintlich moderne Produktion Produktion für einen abstrakten Markt bleibt. Obwohl die Komplexität der einzelnen Arbeitsschritte gänzlich zu minimieren versucht wird, gehört ein entsprechendes Personalauswahlverfahren zum taylorschen Methodenset. Eine reduzierte Bemessung des Faktors Personal ist vor dem Hintergrund der eigentlich geringeren erforderlichen Qualifikation für standardisierte Arbeit nicht festzustellen. Die Austauschbarkeit von Mitarbeitern als organisationalem Grundprinzip findet bei Taylor entsprechend nicht Ausdruck in einer diesbezüglichen Beliebigkeit, sondern in der Suche nach dem »rechten Mann«. Um die bestgeeignetsten Mitarbeiter zu finden, löste das persönliche Vorstellungsgespräch als Teil der Methodik die bis dato übliche Gruppenvorstellung ab. Siehe Frederick W. Taylor, Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, S. 45f. Klaus Türk macht im Bezug auf die Trennung von Kopf- und Handarbeit darauf aufmerksam, dass die These der Dequalifizierung nicht einseitig dafür in Anschlag genommen werden kann, hoch qualifizierte Arbeit per se positiv zu bewerten, wie er es Industrie- und Betriebssoziologie vorwirft. Vielmehr gelte es Türk zufolge, die jeweiligen Arbeitsinhalte sowie den gesellschaftlichen Kontext mitzureflektieren. Bei hoch qualifizierter Arbeit, so Türk, handele es sich um eine rein formale Kategorie, die gerade aufgrund ihres Potentials intrinsische Befriedigung zu verschaffen, Gleichgültigkeit dem jeweiligen Verwertungszusammenhang gegenüber sogar Vorschub leisten

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Mit dem Einhergehen der geringeren Notwendigkeit einer sachgerechten Qualifizierung der Arbeiter erhöhen sich im Gegenzug aufgrund der Tatsache, dass durch die neue Kleinschrittigkeit ein neues Maß an Abstimmung und Koordination erforderlich ist, die Anforderungen an die Ausgestaltung der jeweiligen Betriebsstrukturen. Das Neue an der organisierten Massenproduktion besteht darin, dass die Bereitstellung aller benötigten Teilleistungen gleichzeitig erfolgt und das Prinzip der Parallelität als funktionales Äquivalent das Prinzip der Sequenz ersetzt. Die Gleichzeitigkeit der Handlungsvollzüge stützt sich auf die Ausdifferenzierung eines Strukturgeflechts, das darüber disponiert, was im Rahmen der Organisation möglich ist. Durch die Vorgabe einer entsprechenden Methodik fehlt nicht nur im Bereich der Produktion, sondern auch bei der zentralisierten managerialen Planung der Arbeitsvollzüge ein diesbezüglicher Ermessensspielraum. Eine programmatische Fixierung von Routinen und ein entsprechendes Primat der Struktur kennzeichnet im Betriebsgefüge taylorscher Prägung das Vorgehen für Planung und Ausführung. Dass auf der Planungsebene ausdrücklich keine Freistellung der Mittel erfolgt, sondern die Konstruktion von Wenn-DannSchemata auf beiden Ebenen zur Anwendung kommt, unterstreicht den Stellenwert, den Taylor Regeln, Gesetzen sowie Formeln beimisst, mit deren Hilfe er sein Verfahren als wissenschaftlich legitimiert verstanden wissen will.20 Möglich wird dies durch einen unbedingten Glauben an die Richtigkeit des systematisierten Methodeninventars, durch das strikte Vertrauen in die Objektivität der Messung und der damit entstehenden Zahlenwerte. Erst die Generierung von Zahlen durch Messungen sowie ihre Aufbereitung in Statistiken und Tabellen ermöglichen den Entwurf einer rationalen und berechenbaren Produktionsmaschinerie. Der Erfolg von Taylors Konzeption ist maßgeblich dem Rückgriff auf die Vermarktungsstrategie der Wissenschaftlichkeit und dem hinter diesem Etikett stehenden Vorgehen zu verdanken. Regeln, Gesetze und Formeln stützen und legitimieren das Vorgehen, ermöglichen formal Berechenbarkeit und damit die Sichtbarmachung von Relationen im Arbeitsprozessgefüge der Organisation anhand von Zahlen.21 Erfolgreich waren Taylors Ideen nämlich auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Taylor bei der Vermarktung seines Managementansatzes zur Übertreibung neigte.22 Die von ihm an-

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kann, wie er unter anderem anhand der Arbeit an Vernichtungswaffen deutlich zu machen versucht. Siehe Klaus Türk, Kontrolle und reelle Subsumtion. Defizite des Subsumtionsmodells, in: ders., »Die Organisation der Welt«. Herrschaft durch Organisation in der modernen Gesellschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1995, S. 19-36, insbes. S. 25ff. Siehe Frederick W. Taylor, Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, S. 40. Die Rede von der Rationalisierung der Arbeitswelt scheint besonders vor dem Hintergrund der Tatsache nachvollziehbar, dass Rationalität begriffsgeschichtlich gesehen vom lateinischen »ratio« für Berechnung herrührt und die gängige Assoziation mit Verstand streng genommen einen – wenngleich plausiblen – Übertrag darstellt. In dieser Hinsicht bezeichnet Taylor seine Maßgaben zur Betriebsführung gar als eine »vollständige geistige Revolution« (S. 60), um ihre Bedeutsamkeit herauszustellen. Er führt entsprechend aus: »Es geht um diese Linie einer totalen Änderung in der Mentalität auf beiden Seiten [Arbeitgeber und Arbeitnehmer, T.W.]; um die Ersetzung des Krieges durch den Frieden; um die Ersetzung von Streit und Zank durch herzliche brüderliche Zusammenarbeit; um den energischen Einsatz aller Kräfte in gleicher Richtung statt gegeneinander; um den Wechsel von mißtrauischem Beäugen zu gegenseitigem Vertrauen; um die Verwandlung von Feinden in Freunde« (S. 62). Siehe Frederick

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geführten Zahlen, die die bisherigen Erfolge seines Methodeninventars belegen sollten, stellten sich als nicht zu halten, zumindest als empirisch fragwürdig heraus.23 Dies galt für erwirtschaftete Einsparungen ebenso wie für die zugrunde liegenden Annahmen seiner eigenen Fallstudien.24 Doch die Bedeutung und Popularität von Taylors Blaupause für betriebliche Zusammenhänge wurden dadurch – wenngleich auf den ersten Blick kontraintuitiv – kaum berührt. Die vorliegende Perspektive25 ist deshalb vor dem

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W. Taylor, Was ist Scientific Management? Auszug aus einer Zeugenaussage vor einem Sonderausschuß des U. S. House of Representatives am 25. Januar 1912, in: Kurt Pentzlin (Hg.), Meister der Rationalisierung, Düsseldorf und Wien: Econ-Verlag GmbH 1963, S. 59-63. Bemerkenswert ist hierbei, dass Taylor damit ausdrücklich Aufgaben- und Personenorientierung in seinen Überlegungen integriert. Dabei markiert er die soziale Dimension von Führungsgeschehen, wenngleich er über das Adressieren eines methodischen Individualismus den Preis dafür zahlt, Fragen individueller Eigenschaften oder Bedürfnisse aussparen zu können. Das Vorgehen Taylors war auch Thema eines 1914 eigens von der Federal Commission on Industrial Relation eingerichteten Untersuchungsausschusses, der sogenannten Hoxie-Komission, der besonders aufgrund gewerkschaftlicher Proteste eingesetzt wurde. Unschärfen im Vorgehen Taylors werden im entsprechenden Bericht in erster Linie auf einen kurzen Erfahrungszeitraum zurückgeführt, wobei dem Ansinnen Taylors trotz methodischer Inadäquatheiten grundsätzlich nicht die Sinnhaftigkeit abgesprochen wird. Eine Anwendung wird vielmehr ausdrücklich empfohlen. So ist im Abschlussbericht der Kommission zu lesen, […] »that scientific management, at its best and adequately applied, exemplifies one of the advanced stages of the industrial revolution which began with the invention and introduction of machinery. Because of its youth and the necessary application of its principles to a competitive state of industry, it is, is many respects, crude, many of its devices are contradictory of its announced principles, and it is inadequately scientific. Nevertheless, it is to date the latest word in the sheer mechanics of production and inherently in line with the march of events. Our industries should adopt all methods which replace inaccuracy with accurate knowledge and which systematically operate to eliminate economic waste.« Siehe Robert Franklin Hoxie, Scientific Management and Labor, New York und London: D. Appleton and Company 1916, S. 137. Niels Pfläging spricht in diesem Zusammenhang von Pseudowissenschaftlichkeit und macht darauf aufmerksam, dass Taylor vor nicht haltbaren Hintergrundannahmen argumentiert. Auch er stellt die Rolle der Vermarktung der taylorschen Ideen als wissenschaftlich als zentral heraus, ohne dies allerdings konkret an Elemente wie das zum Einsatz kommende Methodeninventar oder das Abstellen auf durch Messungen generierte Zahlen rückzubinden. Vielmehr stellt Pfläging Taylors Vorreiterrolle für die Branche der Unternehmensberatung und die Entwicklung weiterer Managementansätze heraus. Siehe hierzu Niels Pfläging, Kaputtoptimieren und Totverbessern. Eine kurze Geschichte des Managements als Scharlatanerie, in: Armin Nassehi (Hg.), Besser optimieren. Kursbuch 171, Hamburg: Murmann 2012, S. 29-49, hier S. 36f. Eine gänzlich andere Position vertritt mit Vehemenz Walter Hebeisen, indem er darauf besteht, dass Taylors Vorgehen schlicht nicht als unwissenschaftlich bezeichnet werden kann. Er unterscheidet zwischen einer teilweise mangelhaft belegten Datengrundlage und dem Einsatz des taylorschen Methodensets, dessen Anspruch ihm zufolge nicht per se zurückgewiesen werden kann. Er betont folglich hinsichtlich der Resultate der Hoxie-Komission den Bedarf einer methodischen Weiterentwicklung und stellt in diesem Zusammenhang Taylors Bedeutung für die moderne Arbeitswissenschaft heraus. Siehe Walter Hebeisen, F. W. Taylor und der Taylorismus. Über das Wirken und die Lehre Taylors und die Kritik am Taylorismus, Zürich: vdf Hochschulverlag 1999, S. 151ff. Dass die Einnahme einer Perspektive zugleich eine Einschränkung ist, muss hier in Kauf genommen werden, um den nachstehenden Zusammenhang zu erörtern. Der Preis der Eröffnung einer spezifischen Sichtweise kommt damit dem Verzicht der Einnahme anderer Perspektiven gleich oder, wie Armin Nassehi bemerkt: »Perspektiven sind stets eingeschränkt, sonst wären sie keine«.

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Hintergrund formuliert, dass versucht wird, das Abstellen auf Messungen und Zahlenförmigkeit in Taylors wissenschaftlicher Betriebsführung als strukturbildendes Prinzip ernstzunehmen und zwar ungeachtet der Tatsache, wie diese Zahlen generiert wurden.26 Trotz des Vorwurfs der offensichtlichen Fälschung büßen diese eben nicht an Plausibilität und Überzeugungskraft ein.27 Entsprechend überlagern sich zwei Argumentationslinien, die die Erfolgsgeschichte des Scientific Management stützen. So stellt Taylor zum einen das Prinzip der Messung in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, doch offensichtliche methodische Schwächen konnten nicht verhindern, dass sein Vorgehen in Sachen Strukturaffinität zur Blaupause im aufkommenden Management avancierte. Denn das Vorgehen, Arbeit zu vermessen, verspricht objektive sowie intersubjektive Überprüfbarkeit und damit einen neuen Standard bei der Gestaltung betrieblicher Zusammenhänge. Dass hierbei der Betrieb numerisch abbildbar wird, wirkt paradoxerweise entlastend im Hinblick auf das Zustandekommen der Zahlen und zwar aufgrund der Tatsache, dass es sich bei Zahlen nicht um eine eigene Sprache handelt, sondern diese in ihrer Wirkungsweise frei von den für Sprache typischen rückseitigen Varianzen sind, die Möglichkeiten unterschiedlicher Interpretation eröffnen.28

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Siehe Armin Nassehi, Eine Kritik des gesunden Menschenverstandes. Oder: Krankheit als Chance, in: ders. (Hg.), Gefährdete Gesundheiten. Kursbuch 175, Hamburg: Murmann 2013, S. 52-67, hier S. 60. Dass Zahlen objektiv und eindringlich wirken, wenngleich ihr Zustandekommen bisweilen intransparent oder nicht nachvollziehbar ist, kann auch am Beispiel von Schulnoten illustriert werden. So sorgt erst der Schulbesuch für die Unterscheidung von guten und schlechten Schülern und am jeweiligen Ende steht die »dokumentierte Heterogenität« in Form des Zeugnisses, die dann maßgeblich über Anschlussoptionen disponiert. Dem Zustandekommen der Noten kommt an dieser Stelle keine entscheidende Relevanz mehr zu. Zu Fehlerquellen und Mängeln bei der Zensurengebung siehe klassisch die Beiträge in: Karlheinz Ingenkamp (Hg.), Die Fragwürdigkeit der Zensurengebung: Texte und Untersuchungsberichte. Zusammengestellt und kommentiert von Karlheinz Ingenkamp, Weinheim und Basel: Beltz 1971; auch Fritz Bohnsack, Wie Schüler die Schule erleben. Zur Bedeutung der Anerkennung, der Bestätigung und der Akzeptanz von Schwäche, Opladen, Berlin und Toronto: Verlag Barbara Budrich 2013, S. 63ff. Zur Herstellung von Unterschieden auf der Basis angenommener Gleichheit in der Schule siehe Niklas Luhmann, Die Homogenisierung des Anfangs: Zur Ausdifferenzierung der Schulerziehung, in: Niklas Luhmann, Karl Eberhard Schorr (Hg.), Zwischen Anfang und Ende. Fragen an die Pädagogik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1990, S. 73-111, hier S. 110f. So misst zum Beispiel Heiner Minssen die Bedeutung des Taylorismus weniger in seiner vollständigen Anwendung oder Realisierung, sondern als »Leitlinie von Rationalisierung« und damit als paradigmatisch für die Gestaltung industrieller Fertigung – ungeachtet einer fehlenden empirischen Grundlage des Scientific Management. Siehe Heiner Minssen, Arbeits- und Industriesoziologie. Eine Einführung, Frankfurt a.M.: Campus Verlag 2006, S. 28ff. Zahlen sind eindeutig und unmissverständlich und führen keine auslegungsbedürftige Geschichte mit sich, da ihr Zustandekommen in Rechen- oder Zählvorgängen abgelegt ist. Hierin liegt eine Besonderheit der Zahl begründet, da – im Gegensatz zu sprachbasierten Praktiken – auf das Mitführen von Genealogien verzichtet werden kann. Zur kulturgeschichtlichen Einordnung sowie der Ordnungsleistung von Verfahren der Nummerierung siehe Anton Tantner, Nummerierung. Auf den Spuren einer ambivalenten Kulturtechnik, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 68 (2014) 10, S. 939-945.

4. Die Vermessung der Organisation

Zahlen fungieren als eine Realität sui generis, die hinsichtlich möglicher Anschlüsse das Anschlussspektrum auf Zahlen beschränkt. In der Sache wird damit ein Anargumentieren gegen die Verwendung von Zahlen auf den Rückgriff auf Zahlen verwiesen. Dagegen laufen etwa traditionalistische Argumente durch die Markierung einer zeitlichen Differenz Gefahr, als Anachronismus zu erscheinen, während ein Problematisieren des sozialen Kontextes das Augenmerk auf den klassischen Gegensatz von Arbeitgeber und Arbeitnehmer lenkt und damit das Risiko impliziert, den eigentlichen Ausgangspunkt zugunsten einer vorwiegend sozialmotivierten Debatte aus den Augen zu verlieren. Auf der Sachebene kann Zahlen jedoch nur in Zahlenform begegnet werden. Um die Konsequenz der Sache im Vorgehen Taylors zu verdeutlichen, soll im Folgenden der Kontrast mit gesellschaftlichen Sinnsphären dienen, für die das Vorhandensein von Varianzen als Konstitutionsprinzip angenommen werden kann.

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Im Metapherngestöber zwischen Spiel und Kunst

Um die Quintessenz der taylorschen Logik des Gelingens herauszustellen und die Nüchternheit der Sache zu verdeutlichen, wird sein messgestützten Vorgehen im Folgenden mit zwei Interpretationen kontrastiert, die sich als nicht zielführend erweisen, um ein adäquates Verständnis von Taylors Konzeption im Hinblick auf die Strukturseite der Organisation und seine paradigmatische Wirkung zu ermöglichen: die Verwendung der Begrifflichkeiten Spiel und Kunst. Ein Umschwenken auf nicht organisationseigenlogische Interpretationen des Scientific Management birgt das Risiko, die Rolle von Messung und Zahl als Mittel der programmatischen Verdichtung organisationaler Strukturzusammenhänge zu unterschätzen. Dies gilt sowohl für eine Interpretation, die ludische Elemente bei der Durchsetzung der tayloristischen Betriebsführung als richtungsweisend herausstellt,29 als auch für den Versuch, die taylorschen Zeitstudien in die Nähe zur Kunst zu rücken.30 29

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Birgit Althans betont bei ihrer Lektüre Taylors, dass bei der Durchsetzung des Scientific Management Momente des Spiels und der theatralen Inszenierung als wirkmächtig angesehen werden können. Dass dem in Stellung Bringen des taylorschen Methodeninventars sicher eine gewisse Dramaturgie immanent ist, soll hier nicht bestritten werden. Allerdings rekonstruiert Althans ihre Interpretation Taylors nicht zuletzt anhand dessen biographischer Hintergründe und verweist auf Stellen, die weniger spielerisch wirken, sondern auf die nicht zurückweisbare Eindringlichkeit von Messungen und Zahlenlogik aufmerksam machen. So schildert sie im Bezug auf die Biographie Taylors durch Robert Kanigel, dass Taylor als passionierter Sportler die Marotte besaß, alle Spielzüge und Schritte genauestens auszumessen (S. 117). Darüber hinaus mangelte es ihm an Verständnis für technische Maße, insofern er diese nicht für sich in inches übersetzen konnte, während die Arbeiter diese durch Augenmaß und Erfahrung zu beherrschen wussten (S. 122). Letztlich gibt Althans selbst an, dass Taylor für alle Anliegen der ihm Untergebenen blind war, vorausgesetzt, diese waren nicht in Messbarkeit oder Zahlenförmigkeit zu artikulieren (S. 130). Siehe Birgit Althans, Das maskierte Begehren. Frauen zwischen Sozialarbeit und Management, Frankfurt a.M./New York: Campus Verlag 2007. Martin Kornberger beschreibt Statistiken und Tabellen als Repräsentationen des Betriebs, deren Symbolik auf die Ausdruckskraft der Kunst angewiesen ist, um Wahrnehmbarkeit erzeugen zu können, und versteht Kunst wie Management als symbolische Formen. Dass diese Konstellation für eine Theorie der Darstellung aufgeschlossen werden kann, ist nachvollziehbar, ebenso wie

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Die nächste Organisation

Im Folgenden soll die hier vorgeschlagene Interpretation Taylors zunächst diskutiert werden, indem sie der Beschreibung des taylorschen Vorgehens mithilfe der Spielmetapher gegenübergestellt wird. Den Spielbegriff für die Beschreibung von Organisationen erschlossen und fruchtbar gemacht haben nicht zuletzt Michel Crozier und Erhard Friedberg im Rahmen ihrer machttheoretischen bzw. mikropolitischen Überlegungen zur Doppelbödigkeit organisationaler Regelvorgaben. Planung und gelingende Planung fallen nicht notwendigerweise zusammen. Ihren Analysen zufolge bringt der Rückgriff auf die Metapher des Spiels einen existierenden Aushandlungsspielraum und damit die Möglichkeit der Abweichung zum Ausdruck. Den Spielenden steht zwar frei, eine eigene Strategie im Rahmen der mit der eigenen Rolle verknüpften Verhaltenserwartungen zu entwickeln, diese kann jedoch nicht aus dem organisationalen Zusammenhang herausgelöst betrachtet werden, in den sie eingebettet ist. Entsprechend modellieren Crozier und Friedberg das Spiel in ihren Darstellungen als Einheit der Unterscheidung von Freiheit und Zwang.31 Doch die Spielregeln behalten stets ihre Gültigkeit und limitieren die Handlungsmöglichkeiten der Spielenden, indem sie die vorherrschenden Rahmenbedingungen definieren.32 Die Organisation erscheint als Spielfeld

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die Tatsache, dass ein instrumentelles Abbilden den Verlust von Eigenheiten mit sich bringt. Beschrieben wird ergo die Paradoxie der Landkarte, die bei maximaler Genauigkeit das Land, das sie abbildet, selbst zu sein hätte. Die Realitätsverdopplung der Kunst führt allerdings vor, dass die ermöglichte Gegenbeobachtung der Realität selbst beobachterrelativ ist und damit zunächst nichts weiter als eine je eigene interne Repräsentation – ein Abbild – generiert. Den von durch Messungen generierten Zahlen, die Kornberger thematisiert, fehlt jedoch diese Interdifferenz, da sich ihre scheinbar wissenschaftliche Neutralität und Exaktheit dem Prinzip einer gewesenen Vorverständigung verdanken. Siehe Martin Kornberger, Ist Managen eine Kunst? Wege, das Unsichtbare sichtbar zu machen, in: Armin Nassehi, Peter Felixberger (Hg.), Was macht die Kunst? Kursbuch 184, Hamburg: Murmann 2015, S. 47-60. Diese komprimierte Sichtweise verdankt sich einer differenztheoretischen Perspektiveneinnahme, der entsprechend sich eine jede Organisation grundsätzlich als Zwei-Seiten-Form beschreiben und damit etwa als Einheit der Unterscheidung von Formalität und Informalität modellieren lässt. Crozier und Friedberg gewinnen ihr Bild der Organisation durch das in Stellung bringen dieser klassischen organisationstheoretischen Antagonismen – erschließen dieses allerdings mikropolitisch bzw. machttheoretisch. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass sich dieses Verständnis deutlich von der klassischen Spielkonzeption Johan Huizingas absetzt. Huizinga kennzeichnet das Spiel als »freies Handeln« (S. 15) und macht deutlich, dass es beim Spiel um das Heraustreten aus den üblichen Lebensvollzügen und damit um den Eintritt in eine Sphäre ganz eigener Zusammenhänge geht. Ausdrücklich ausgeschlossen wird die »Befriedigung von Lebensnotwendigkeiten« (S. 16), sodass das Spiel der Unterbrechung des Nachkommens von Notwendigkeiten und der Fokussierung auf Materialitäten dient. Notwendig im Sinne einer Unentbehrlichkeit ist das Spiel Huizinga zufolge vielmehr in seiner sozialstiftenden Kulturfunktion eines gelingenden Zusammenlebens. Von der Möglichkeit einer Beschreibung organisierter Kontexte, die ja maßgeblich auf der fremdbestimmten Fixierung von Verhaltenserwartungen gründen, ist der spielphilosophische Zugang Huizingas entsprechend weit entfernt. Ohne ausdrücklichen Bezug auf Organisationen, wenngleich analog zu deren fortschreitender Verbreitung, sieht Huizinga eine zurückgehende Relevanz spielerischer Elemente seit dem 18. Jahrhundert. Siehe Johan Huizinga, Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 1956. Diese These erfordert jedoch eine grundsätzlich eigene Diskussion.

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und das formale Regelgeflecht der Strukturvorgaben ist gleichbedeutend mit den gültigen Spielregeln. Was Crozier und Friedberg mit der Beschreibung organisationalen Handelns als Spiel bzw. der Gesamtheit von Spielen veranschaulichen möchten, ist das Vorkommen einer Möglichkeit der Rollenvarianz und damit die Option, die Grenzen der eigenen Rolle zu testen und auszureizen, ohne dass dies sofort sanktionsbedürftig ist.33 Das Aufgreifen des Spielbegriffs impliziert eine Verschiebung des Rationalitätsbegriffs und zwar in der Hinsicht, dass nicht die Planungsstrukturen rational sind, sondern das Verhalten der Mitglieder ihren eigenen Befriedigungskriterien entsprechend als rational angesehen werden kann. Anders gewendet, ist Rationalität nicht gleichbedeutend mit dem Entwurf von Zweck-Mittel-Kalkülen, sondern mit dem Versuch der Maximierung des eigenen Handlungsspielraums eines jeden Organisationsmitglieds. Der Machtbegriff, auf dem diese Überlegungen basieren, versteht Macht weniger im klassischen Sinne der hierarchischen Asymmetrie einer Top-Down-Logik. Es wird eine Verschiebung des Machtbegriffes vorgenommen und zwar dahingehend, dass sich Sanktionspotential weniger aus der Formalität von Stellenordnungen ableitet, sondern dieses stattdessen operativ an Wissensbestände bzw. Fähigkeiten anknüpft.34 Wer etwas Bestimmtes kann oder weiß, kann dieses Wissen oder Können auf dem Spielfeld der Organisation ungeachtet vermeintlicher Formalvorgaben zur Ausweitung der eigenen Möglichkeiten gewinnbringend einsetzen. Crozier und Friedberg setzen auf einen kompetenzbasierten Machtbegriff, der auf der reflexiven Handhabung organisationaler Regelhaftigkeit beruht.35 Der Anspruch der Reflexivität resultiert aus einem notwendi-

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Den Rückgriff auf die Metapher des Spiels begründen Crozier und Friedberg darin, eine strikt rollentheoretische Perspektive für das Verständnis organisationaler Zusammenhänge überwinden zu wollen. Das, was die Organisation für Crozier und Friedberg ausmacht, ist weniger ein festgeschriebenes Set an Rollen und und ihre jeweilige Verortung im Beziehungsgefüge, sondern vielmehr eine Streuung der zur Verfügung stehenden Strategien, wenngleich diese mit den Spielregeln kompatibel zu sein haben. Ein rollentheoretisches Verständnis, das die Rolle nur als starre Vorgabe ohne die Möglichkeit einer diesbezüglichen Auslegung betrachtet, beabsichtigen Crozier und Friedberg durch die Verwendung des Spielbegriffs hinter sich zu lassen und den Organisationsmitgliedern bei ihrer Beschreibung von Organisationsstrukturen den Status eines autonomen Akteurs zuzuerkennen. Siehe hierzu Michel Crozier, Erhard Friedberg, Die Zwänge kollektiven Handelns. Über Macht und Organisation. Königstein im Taunus: Athenäum Verlag 1993, insbesondere S. 66-73. Crozier und Friedberg beschreiben Machtbeziehungen dementsprechend als Tausch- und Verhandlungsbeziehungen. Analog zu ihrem Organisationsverständnis als Spielfeld werden die Einsätze der Spieler im Sinne von Wissensbeständen oder Fähigkeiten als Trümpfe bezeichnet. Siehe ebd., S. 44. Von einem kompetenzbasierten Machtbegriff lässt sich zumindest dann sprechen, wenn man Kompetenzen als je spezifische Handlungsfähigkeiten versteht. Im versuchsweisen Ausweiten der eigenen Handlungsspielräume nämlich reicht etwa ein qualifikationsbasiertes Sach- oder Methodenwissen nicht aus. Vielmehr erfordert das Agieren im mikropolitischen Beziehungsgeflecht das Vermögen, sich in prinzipiell ergebnisoffenen Aushandlungssequenzen selbst aufs Spiel zu setzen. Der Begriff der Kompetenz meint damit die Fähigkeit, mit offener Kontingenz in diesartigen Entscheidungssituationen umzugehen und sich bietende Optionen gewinnbringend zu nutzen. Für eine Begriffsbestimmung von Kompetenzen in diesem Sinne siehe John Erpenbeck, Kompetenzmanagement in Aktion, in: Herbert Loebe, Eckart Sievering (Hg.), Strategien gegen den Fach-

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gen Distanzierungsvermögen der Organisationsmitglieder im Hinblick auf die organisationale Formalstruktur. Abweichung wird hier als der Normalfall gesehen und nicht als zwangsläufig zu sanktionierende Ausnahme, wenn dem Organisationsmitglied der Status eines relativ autonomen Akteurs zugesprochen und damit die Möglichkeit eingeräumt wird, sich abweichend hinsichtlich der formalen Rollenerwartungen zu verhalten.36 Die Metapher des Spiels eignet sich nicht zur Beschreibung der taylorschen Konzeption, da eine freie Wahl der Mittel und der Rückgriff auf eine Bandbreite an Strategien ausdrücklich nicht vorgesehen sind und damit kein Aushandlungsspielraum besteht, der jedoch für eine flexible Zielerreichung notwendig wäre. Dieser Aushandlungs- und Ermessensspielraum spielt im Scientific Management keine Rolle, da es in der Sache um die programmatische Verdichtung von strukturellen Redundanzen geht. Mit der Abweichung von Erwartungsmustern rechnet Taylor gerade nicht, sondern seine Ausgangsintention bestand vielmehr darin, durch Messvorgänge – und damit Objektivierung – jegliches Abweichungspotential aus den Arbeitsvollzügen herauszunehmen.37 Der Akribie, mit der Taylor diese zu zerlegen beansprucht, um sie dann an eigens eingerichteten spezialisierten Arbeitsplätzen neu zu kombinieren und aufeinander abzustimmen, ist ein Anspruch der Präzision immanent, der nur schwerlich auf ludische Zusammenhänge übertragbar ist – zumal sich die als spielerisch beschriebenen Aushandlungsprozesse in der sozialen Dimension der Organisation realisieren, die für Taylor als Ausgangsproblem fungiert. Der Zugriff auf den Körper der Arbeiter und das diesbezügliche in Form bringen erscheinen aufgrund des Fehlens von Spielräumen nicht als Puppenspiel. Die Formierung des Körpers gleicht durch das präzise Ausschalten unnötiger Bewegungen als Resultat ihrer Vermessung und der Verpflichtung des Arbeiters, sich jederzeit der

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kräftemangel. Kompetenz und Wissensmanagement im Mittelstand, Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG 2011, S. 13-34. Erhard Friedberg spricht diesbezüglich von einer »Neutralisierung des Rationalitätsbegriffs«. Als ausdrücklich rational versteht Friedberg das Handeln aller Beteiligten, da die beteiligten Spieler jeweils versuchen, den eigenen Spielraum zu verteidigen und auszuweiten, während der Spielraum aller Gegenspieler zu beschneiden versucht wird. Demgegenüber wird Irrationalität in den Darstellungen Friedbergs zu einem Beobachtungsschema, das auf der mangelnden Einsicht in die mikropolitischen Machtbeziehungen innerhalb der Organisation gründet. Siehe Erhard Friedberg, Zur Politologie von Organisationen, in: Willi Küpper, Günther Ortmann (Hg.), Mikropolitik. Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen. 2., durchgesehene Auflage, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1988, S. 39-52, hier S. 47. Das Rechnen mit Abweichungen von organisierten Verhaltenserwartungen wie es durch die Verwendung des Spielbegriffs zum Ausdruck gebracht wird, muss vielmehr im Zusammenhang mit der Neujustierung klassischer Rationalitätsannahmen begriffen werden, welche wiederum erst das Ergebnis der organisationstheoretischen Dechiffrierung von Rationalitätsdefekten in Laufe des 20. Jahrhunderts ist. Für eine Beschreibung des Erfolgs der taylorschen Ideen, der wiederum im Kontext des Aufkommens der industriellen Massenproduktion betrachtet werden muss, scheint die Metapher des Spiels somit wenig ertragreich. Das Wortspiel des Rechnens mit Abweichungen dient dem Hinweis darauf, dass hier eben nicht gerechnet wird.

4. Die Vermessung der Organisation

zentralen Planung unterordnen zu müssen,38 eher einer maschinellen Logik, bei der ein Nicht-Funktionieren automatisch einem Defekt gleichkommen würde.39 Die Tatsache, dass eine Freistellung der Mittel für Planung und Ausführung ausgeschlossen ist, lässt es – trotz aller unbestrittenen Plausibilität – auch problematisch erscheinen, das Vorgehen Taylors in die Nähe zur Kunst zu rücken. Plausibilität kann auf den ersten Blick aus zweierlei Gründen beansprucht werden: Zum einen handelt es sich bei der Planung von Arbeitsvollzügen um ein Vorgehen, das auf die Herstellung von Erwartungssicherheit abzielt. Dass hier wie bei allem Tun, das auf den ersten Blick im Zustandekommen unwahrscheinlich oder unverständlich scheint, die Rede von einer Kunst nicht weit ist, die sich als gleichzeitige Rede von besonderen Fähigkeiten enttarnt, ist nachvollziehbar. Man denke hier etwa an das häufig kolportierte Zitat von Joseph Beuys, das auf eine Erweiterung des Kunstbegriffs zielt und zwar in der Hinsicht, dass jeder Mensch als Künstler anzusehen sei, sobald er seine Fähigkeiten – ungeachtet des Kontextes – entfaltet.40 Im Bezug auf den Taylorismus von einer Kunst des Managements zu sprechen, stellt sich unterdessen zumindest als problematisch dar. Zwar ist die Planung arbeitsteiliger Wertschöpfungszusammenhänge unbestritten eine Tätigkeit, die den vollen Einsatz der Fähigkeiten der Beteiligten erfordert, der maßgebliche Unterschied zwischen Kunst und Management besteht jedoch darin, dass Kunst sich in ihrer Essenz unorganisiert ereignet, während das Managementverständnis Taylors auf organisierter Planung basiert. Die Unorganisiertheit der Kunst ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Entstehung eines jeden Kunstwerks sich der Wirkung

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Eindringlich kommt der vorausgesetzte Generalgehorsam des Arbeiters im bekannten Beispiel des Roheisenverladers Schmidt zum Ausdruck. Siehe Frederick W. Taylor, Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, S. 44-50, insbes. S. 48f. Ein Aufgreifen der Maschinenanalogie im Bezug auf Taylor findet sich auch bei Thomas P. Hughes. Er führt aus, dass Taylor gerade auf die Nichtunterscheidbarkeit von Mensch und Maschine im Arbeitsvollzug abstellt. In Anlehnung an Marshall McLuhan ließe sich eine solche Vorstellung als Exteriorisierung des Arbeiters beschreiben. Indem Hughes seine Schilderungen von Taylors Vorgehen in einen übergeordneten Zusammenhang der Entstehung und Verbreitung technologischer Systeme einschreibt, lassen sich seine Ausführungen auf die These eines sich abzeichnenden Strukturprimats beziehen. Dies ist bemerkenswert, da die Überantwortung der Welt an eine nicht-personale Eigenlogik anhand einer personifizierten Darstellung erfolgt, indem Hughes den technologischen Aufstieg Amerikas als eine Geschichte von Erfindungen erzählt. Siehe Thomas P. Hughes, Die Erfindung Amerikas. Der technologische Aufstieg der USA seit 1870, München: Verlag C. H. Beck 1991, insbes. S. 190-253. Zur Rekapitulation der entsprechenden Medien-Konzeption McLuhans, der sich die obige Anleihe verdankt, siehe Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle, Düsseldorf und Wien: Econ Verlag GmbH 1968, S. 13ff. Zum Ursprung des Zitates sowie zum Nachvollzug seiner entsprechenden Verortung in den »gesellschaftschaftspolitischen« Überlegungen von Joseph Beuys samt ihrer anthroposophischen Bezugnahmen empfiehlt sich etwa die Lektüre des nachstehenden Interviews. URL: www.spiegel.de/spiegel/print/d-13508033.html, Abruf am: 22.08.2016. Für eine kritische Kommentierung desselben und den Versuch einer biographischen und werksgeschichtlichen Einordnung siehe Catherine Nichols, Jeder Mensch ist ein Künstler, in: Eugen Blume, Catherine Nichols (Hg.), Beuys. Die Revolution sind wir, Göttingen: Steidl 2008, S. 218-239, hier S. 219f. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Notwendigkeit betonen, zwischen Kunst und dem Reden über Kunst strikt unterscheiden zu müssen.

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des Zufalls verdankt. Der Moment des Anfangs, des Einfalls oder des ersten Pinselstrichs, ist weder plan- oder steuerbar, noch wäre hier ein nachzuvollziehendes Muster am Werk, dem nicht das Etikett der Willkür angeheftet werden könnte.41 Es gehört zur Faszination der Kunst, dass sich diese genialen Momente scheinbar unabhängig von menschlicher Einflussnahme ereignen.42 Der Künstlermythos gründet darin, Faszinierendes aus dem Nichts entstehen zu lassen und ist im Sinne der creatio ex nihilo nicht umsonst in der Nähe zur Schöpfung verortet.43 Für das moderne Management und die Arbeit an der Struktur liegen die Dinge grundlegend anders: Am Anfang steht nicht das Nichts, sondern die Organisation und zwar in dem Sinne, dass sich der Versuch des Managements bereits auf geordnete Zusammenhänge bezieht. Die Organisation ist nicht nur das Anwendungsgebiet von Management und damit gewissermaßen die Karte, in die Planerisches und Konzeptuelles eingeschrieben werden kann – als Karte verstanden, ist es die Organisation, die Management als Voraussetzung erst möglich macht.44 41

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»Das Kunstwerk entsteht demnach als Umarbeitung von Zufall in zufallsabhängige Notwendigkeit« schreibt Niklas Luhmann und macht darauf aufmerksam, dass jedes Kunstwerk nach dem es hervorbringenden Zufall die Kontrolle über seine Produktion übernimmt. Der Künstler wird in die Rolle eines Beobachters versetzt, dessen Freiheitsgrade geringer werden, je weiter die Produktion fortschreitet. Entscheidend sei aber – so Luhmann – die vom Künstler vorgenommene Ausgangsdifferenz, der in dieser Sichtweise die Rolle eines Zufallsgenerators zukommt. Frei von jeglicher romantischer Kunstverklärung schreibt Luhmann in der ihm eigenen Präzision dann entsprechend vom Künstler als »Maschine zur Erzeugung von Zufällen«. Siehe Niklas Luhmann, Weltkunst, in: Niklas Luhmann, Frederick D. Bunsen, Dirk Baecker, Unbeobachtbare Welt: Über Kunst und Architektur, Bielefeld: Verlag Cordula Haux 1990, S. 7-45, hier S. 11. Die Nicht-Erzwingbarkeit von Einfällen, Ideen oder anderen kreativen Momenten und damit ihre Abhängigkeit vom Zufall ist nicht lediglich ein Problem, das die Kunst für sich alleine beanspruchen kann. So diskutiert dies Max Weber klassisch für den Bereich der Wissenschaft, die nicht auf ein »Rechenexempel« zu reduzieren sei, sondern in ihrem Fortgang von Eingebung und Einfällen abhängig ist: »Aber er [der Einfall, T.W.] kommt, wenn es ihm, nicht, wenn es uns beliebt«. Siehe Max Weber, Wissenschaft als Beruf, in: Max Weber. Wissenschaft als Beruf 1917/19. Politik als Beruf 1919, Studienausgabe der Max Weber-Gesamtausgabe. Band I/17. Herausgegeben von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Birgitt Morgenbrod, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1994, S. 1-23, hier S. 6. In ihrer zugeschriebenen Rolle als Beobachter, Moderatoren und Initiatoren von Lerngeschehen erkennen in dieser Konstellation sicherlich auch Pädagogen ein zentrales Problem ihres Tuns. Für die Frage nach dem Entstehen von Neuheiten und dem damit aufgeworfenen Begründungsproblem des Anfangs, also der Notwendigkeit der Bestimmung eines Fixpunktes im Übergang von alt und neu, stellte traditionell die Religion den Ansatz zur Entparadoxierung der Verfügung: Gott. Die Schöpfungsgeschichte macht Gott als Urheber zum einzigen Beobachter dem möglich ist, hinsichtlich des Weltanfangs ein Vorher und ein Nachher unterscheiden zu können und das aufgrund der Tatsache, dass er bereits vor dem Anfang gewesen sein muss. Niklas Luhmann sieht in der Schöpfungsgeschichte zudem den »kommunikationspraktischen Vorzug«, dass die Lösung des Anfangsproblems zum Mitvollzug bereit steht. Historisch betrachtet schien dieses Problem zunächst gelöst, da die Sakrosanktheit des Begründungsaxioms diesbezügliche Nachfragen blockierte. Siehe Niklas Luhmann, Die Religion der Gesellschaft. Herausgegeben von André Kieserling. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2000, S. 133f. Die besondere Herausforderung des Managements besteht Dirk Baecker zufolge darin, den eigenen Willen im Medium der Organisation so zu formen, dass dieser mit dem Willen anderer zur Deckung kommt. Dass hierbei nicht die gleiche Motivgrundlage im Sinne von Zweckidentifikation

4. Die Vermessung der Organisation

Der zweite Einwand gegen eine vorschnelle Verklärung von Taylors Scientific Management als Kunst geht über die mangelnde Präzision der Alltagssprache hinaus und betrifft ihre Wirkungsweise sowie ihre spezifische Funktionalität. Was die Kunst leistet, ist nicht weniger, als die Welt in der Welt vorzuführen und durch ihre jeweilige Artifizialität einen eigenen Modus der Beobachtung zu etablieren. Was zunächst überraschend trivial klingen mag, ist alles andere als folgenlos. Durch ein Kunstwerk – unabhängig, ob es sich um Bilder, Plastiken, Videoinstallationen oder andere Formen von Kunst handelt – wird der Unterschied von realer und fiktionaler Realität in der Welt verfügbar gemacht.45 Die Kunst führt diesen Unterschied vor und zwar in der Hinsicht, dass sie als Fiktion darstellend auf etwas aufmerksam macht, das sie selbst nicht darstellt.46 Die Welt der Kunst ist eine Welt der Fiktion und somit eine Realität, die im

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dafür Voraussetzung ist, gehört inzwischen fast zu den Trivialitäten der Organisationsforschung. Gleichwohl erfordert eine gelingende Planung eine besondere Beobachtung des Gegenübers, die Baecker mit der Beobachtung des Künstlers vergleicht, der beim Vorführen seiner Kunst ja gerade die Enttäuschung von Erwartungen inszeniert, um die Neuheit seines Kunstwerks sichtbar zu machen. Die beiden Beobachtungsmodi scheiden sich jedoch grundsätzlich am Kriterium der Organisiertheit. Kunst entzieht sich aufgrund der Zufallsabhängigkeit der sie hervorbringen Einfälle sowie ihrer publikumsabhängigen Rezeption Baecker zufolge der Organisierbarkeit. Siehe Dirk Baecker, Kunst und Management, in: ders., Organisation und Störung. Aufsätze, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2011, S. 217-222. Es handelt sich hierbei um die differenztheoretische Annäherung an Kunst, wie sie von Niklas Luhmann entworfen wurde. Siehe Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1995. Die Formulierung eines differenztheoretischen Zugangs entgegen der vielleicht erwartbaren Formulierung eines systemtheoretischen Zugangs, verdankt sich der Tatsache, dass Luhmann selbst die Codierbarkeit von Kunst zunächst kritisch beäugt hat. So verweist er zum Beispiel auf die »geringe Futurisierbarkeit« von Kunstwerken und damit zwangsläufig auf Probleme der operationalen Schließung bzw. der Sequentialisierung entsprechender Kommunikationen. Siehe Niklas Luhmann, Ist Kunst codierbar?, in: ders., Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation. 4. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 281-301, hier S. 293. Vor diesem Hintergrund ist besonders der Fall von Interesse, wenn Kunst nicht in ihrer Artifizialität – also gerade nicht als Kunst – wahrgenommen wird. So scheint die Unterscheidung von fiktiver Realität und realer Realität nicht als Beobachtungsschema zu greifen, wenn die Darstellung dem Dargestellten zu entsprechen vermag (oder dies zumindest unterstellt wird). Am Fall der Ausstellung Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings, A Real Time Social System, as of May 1, 1971 von Hans Haacke lässt sich dementsprechend veranschaulichen, dass durch das datengestützte Vorgehen Haackes das Dargestellte nicht als Darstellung genommen wurde, sondern als die Sache selbst. Die Ausstellung bestand neben Fotografien von Gebäuden in New York aus entsprechend zugeordneten Schriftstücken, die neben deren geographischer Lage auch die zugehörigen Finanzströme offenbarten. Die Ausstellung wurde zum Politikum erklärt und den Grundsätzen des Guggenheim Museums in New York gemäß vor ihrer Eröffnung kurzerhand abgesagt. Wahrgenommen wurde also nicht eine fiktive Realität der Kunst, sondern die Dokumentation realer Realität. Zur Diskussion dieses Falls siehe Karen van den Berg, Kritik, Protest, Poiesis. Künstler mischen sich ein – von 1970 bis heute, in: Armin Nassehi, Peter Felixberger (Hg.), Das Kursbuch. Wozu? Kursbuch 182, Hamburg: Murmann 2015, S. 171-184. Van den Berg stellt den Rückgriff auf quasiwissenschaftliche Verfahren empirischer Sozialforschung und damit das Verfolgen einer spezifischen Strategie der Objektivierung als besondere Merkmale von Haackes’ Konzeptkunst heraus. In dieser Stoßrichtung argumentiert auch Gabriele Hoffmann, die darauf hinweist, dass ästhetische Mängel bzw. ein Fehlen von Ästhetik gegen Haacke ins Feld geführt wurden. Dass dann das Zurück-

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Hinblick auf die vertraute und bekannte Welt eine Differenz markiert. Diese Differenz ermöglicht aufgrund ihrer Fiktionalität eine Form der Gegenbeobachtung der Realität, die jedoch als Fiktion selbst real ist.47 Der Unterschied von realer und fiktionaler Realität markiert eine Realitätsverdopplung und offenbart die Möglichkeit, mitzuvollziehen, dass jedes Sichtbarmachen der einen Seite die Unsichtbarkeit der anderen Seite zur Folge hat. Jede zur Verfügung gestellte Möglichkeit der Beobachtung unterbindet eine andere und es ist die Kunst, die für dieses Paradoxon die Möglichkeit der Reflexion bereitstellt.48 Ihre spezifische Funktion geht über das reine Bereitstellen und Hinzufügen von Artefakten in dem Sinne hinaus, dass die Kunst durch die Ermöglichung von

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weisen von Konzeptkunst naheliegt, wenn sie an traditioneller Malerei oder Bildhauerei gemessen wird, ist nachvollziehbar. Die Argumentation Hoffmanns läuft entsprechend analog auf das Verhältnis von Darstellung und Dargestelltem hinaus, indem sie schlussfolgert, dass hier eine quasi para-journalistische Verbreitung von Informationen als Hauptmotiv zur Absage besagter Ausstellung führte, anders gewendet also die Unterscheidung von Realität und Fiktion als Beobachtungsschema nicht gegriffen hat. Zudem weist Hoffmann darauf hin, dass die öffentlich zugängliche Datenbasis bis dato journalistisch unerschlossen war und dem Fall daher eine besondere Brisanz eigen war. Siehe Gabriele Hoffmann, Hans Haacke. Art into Society – Society into Art, Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften 2011, insbes. S. 42ff. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass sich gerade an dokumentarisch orientiertem Vorgehen zeitgenössische Kunstkritik zu entzünden vermag. In Bezug auf eine »inhaltistische Herangehensweise« (S. 136) kritisiert etwa Conny Habbel eine »Selbstneutralisierung« (S. 137) des Kunstbetriebs seit den 1990er Jahren. Habbel sieht in einem dokumentarischen Vorgehen das Risiko, gerade kritisches Potential ungenutzt zu lassen, indem der Interpret von der Aufgabe der Reflexion entlastet wird. Wenn Kunst aber lediglich im Sinne »einer gesellschaftlich gut gemeinten Idee« (S. 138) allzu einfach verständlich moderne Krisendiagnostik betreibe, so Habbel, sei die Folge keine bessere Gesellschaft, sondern eine schlechtere Kunst und dies aufgrund einer Eindimensionalität, die potentielles Interventionsvermögen einfach herschenke, indem sie nicht mehr zu bewegen wisse. Siehe Conny Habbel, Venedig im Regen. Politisches Engagement und Widerstand in der Kunst, in: Armin Nassehi, Peter Felixberger (Hg.), Was macht die Kunst? Kursbuch 184, Hamburg: Murmann 2015, S. 127-142, insbes. S. 136f. »Den Zuschauer und nicht das Leben spiegelt die Kunst in Wirklichkeit wieder« notiert Oscar Wilde in der Vorrede zu Das Bildnis des Dorian Gray und verweist damit auf die Unterscheidung von realer Realität und fiktionaler Realität und die diesbezügliche Beobachterrelativität. Siehe Oscar Wilde, Das Bildnis des Dorian Gray. Übersetzung und Anmerkungen von Ingrid Rein. Nachwort von Ulrich Horstmann, Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1992, S. 6. Bei Niklas Luhmann findet sich für diesen Sachverhalt die Formulierung des Paradoxons der »Beobachtbarkeit des Unbeobachtbaren«. Die spezifische Funktion der Kunst bestimmt Luhmann darin, auf die Ambivalenz hinzuweisen, dass jede Beobachtung gleichzeitig etwas der Beobachtung entzieht. Siehe Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1995, S. 241. Das Zurverfügungstellen eines gesellschaftlichen Sonderbereiches einer bestimmten Beobachtungsform lässt Luhmann damit sehr viel humanistischer erscheinen als es Kritiken einer systemtheoretischen Exkommunikation des Menschen entgegen käme. Ohne zwar eine solche Sichtweise zu explizieren, wenngleich aber in dieser Stoßrichtung interpretierbar, kontrastiert Armin Nassehi Aufschwung und Zulauf der PEGIDA-Bewegung mit einer solchen Auffassung von Kunst. Während Kunst eben in der Vielseitigkeit multipler Beobachtungen gründet, diskreditiert PEGIDA andere Sichtweisen, um maximal komplexitätsreduzierend eine eigene Weltsicht ohne aufgespannte Vergleichshorizonte zu artikulieren, die in ihrer kategorialen Einfachheit als Angebot hinsichtlich der Dauerunsicherheit der Moderne fungiert. Siehe Armin Nassehi, Warum PEGIDA hässlich ist… und daran deutlich wird, was die Kunst macht, in: Armin Nassehi, Peter Felixberger (Hg.), Was macht die Kunst? Kursbuch 184, Hamburg: Murmann 2015, S. 113-126.

4. Die Vermessung der Organisation

Beobachtung und Gegenbeobachtung einem gesellschaftlichem Reservat gleichkommt, dessen Schutzfunktion in der Dechiffrierung immer anliegender Beobachterrelativität besteht. Nimmt man den Hinweis auf eine mangelhafte empirische Grundlage der taylorschen Managementkonzeption als Anlass dafür, sein Vorgehen anhand der Unterscheidung von Realität und Fiktionalität beschreiben zu wollen, um es damit in die Nähe zur Kunst zu rücken, fällt unmittelbar auf, dass es hier nicht um perspektivische Varianz oder ein mögliches Kreuzen der Grenze geht,49 sondern um die Invisibilisierung der Fiktion. Das Mittel hierfür ist die Verwendung der scheinbar durch akkurate Messungen generierten Zahlen, deren Funktion in der Wirkungsweise eines Kontingenzblockers besteht, der das Avancieren des Scientific Management zum Paradigma der industriellen Produktion erst möglich macht. Die Durchführung von Messungen und die Formulierung von daraus resultierenden Arbeitsanweisungen, die als Formalisierung struktureller Verhaltenserwartungen zugleich Prognose von spezifischen Verhaltensweisen sind, sind daher nicht in Einklang mit der vorstehenden Funktionsbestimmung von Kunst zu bringen. Das taylorsche Programm der Betriebsgestaltung versteht sich nicht als Angebot, in der Ermöglichung von Gegenbeobachtungen seine Beliebigkeit zu demonstrieren, sondern versucht durch den Anspruch, Objektivität, Neutralität und Wissenschaftlichkeit zu suggerieren, das Infragestellen des eigenen Vorgehens zu blockieren. Zusammengefasst heißt dies, dass die programmatische Verdichtung taylorscher Prägung auf die Negation von Kontingenz und nicht auf ihre Sichtbarmachung abstellt. Der Manager im Sinne Taylors ist weder Rechenkünstler noch Akrobat der Zahlen, sondern bringt mit der gebotenen Nüchternheit des Ingenieurs ein Instrumentarium in Stellung, das der Organisation mithilfe einer durchgreifenden Zentralität jegliche Momente des Spielraums, der Kontingenz und der Interpretation strukturgeleitet zu entziehen versucht. In dieser Hinsicht ist nicht die Wahrheit selbst unter die Menschen ins Metapherngestöber getreten,50 sondern eine Logik des Gelingens, die sich durch die ihr zugrundeliegende Metrik auf eine Realität sui generis stützt, um zuverlässig betriebliche Erwartungssicherheit zu gewährleisten.

4.2

Das Durchführen von Messungen als organisationales Gestaltungsprinzip

Die taylorsche Logik des Gelingens gründet auf einem methodisch gestützten Prinzip der Gestaltung von Organisationsstrukturen. Gerade die Vermessung von Arbeit und die damit einhergehende Objektivierung von arbeitsteiligen Zusammenhängen haben 49

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»Existenz ist selektive Blindheit« schreibt George Spencer-Brown und verweist damit auf den Preis jeder Beobachtung, dass das Fokussieren einer Seite das Nichtbeachten der anderen Seite zur Folge hat, gleichzeitig damit jedoch auf das stetige Mitlaufen der Außenseite einer adressierten Innenseite einer jeden Unterscheidung. Eine diesbezügliche Reflexion heißt, Grenzen zu kreuzen. Siehe George Spencer-Brown, Laws of Form. Gesetze der Form, Lübeck: Bohmeier Verlag 1997, S. 189. Diese Formulierung verdankt sich – wie die Metapher des Metapherngestöbers – der Lektüre Paul Celans. Zum Nachvollzug siehe Paul Celan, Atemwende, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1967, S. 85.

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maßgeblich zur Popularität und zur Verbreitung der taylorschen Betriebskonzeption beigetragen. Nimmt man den Anspruch ernst, die zu programmierenden Arbeitsvollzüge durch entsprechende Analysen aufzubereiten, um sie an eigens eingerichteten spezialisierten Arbeitsplätzen zu rekombinieren, wird ersichtlich, dass ihrer jeweiligen Verkopplung durch den Rückgriff auf Zahlen ganz neue Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Das Abblenden sozialer Wirkfaktoren zugunsten eines rein sachlogischen Vorgehens wird durch die Tatsache gestützt, dass Zahlen keine Rückseite aufweisen und damit Varianzen im Sinne der Abweichung von Verhaltenserwartungen unterbunden werden.51 Eine Vermessung von Kraft, Strecke, Gewicht und Zeit und die daraus resultierende Ableitung einer Prognostik von Arbeitshandlungen erscheint für die Gestaltung von Produktionszusammenhängen als idealtypisches Prinzip störungsfreier Strukturbildung. Die Fehleranfälligkeit der Organisation, die sich nicht zuletzt aus sozialen Zusammenhängen speist, wird durch das Unterwerfen des Körpers unter ein bestimmtes Messarrangement getilgt. Im Ergebnis soll eine feste Kopplung der einzelnen Elemente des Produktionsgeschehens ermöglicht werden.52 Dabei wird auf das Kernprinzip einer jeden Organisation rekurriert und zwar in der Hinsicht, dass das Ausweisen bestimmter Mitgliedschaftsbedingungen gleichzeitig der Formulierung bestimmter Verhaltenserwartungen entspricht, die wiederum nichts anderes darstellen als eine exakte Prognose der benötigten Leistungserbringung. Taylor steht in dieser Hinsicht beispielhaft für die präzise Prognostik des benötigten Verhaltens, da seine methodengestützte Analytik ausschließlich den einen besten Weg der Arbeitsausführung vorsieht. Die Unbedingtheit seines Ordnungsanspruchs erklärt sich darin, dass seine Konzeption des Betriebs konsequent der Verhinderung und Beseitigung der etablierten und normalisierten Abweichung gewidmet ist – also von der informalen Rückseite her konstruiert ist – und durch den Einsatz der vorgesehen Methodik die Beseitigung einer möglichen Methodenvielfalt bei der Arbeitsausführung Programm ist. So wie der Begriff der Ordnung stets mit seinem Gegenbegriff der Unordnung daherkommt, ergeben sich für das Nachdenken über und das entsprechende Setzen von Regeln zwangsläufig die Problematik der Unregelmäßigkeit und der daraus resultierenden praktischen Herausforderungen. Taylor auf seine Strukturaffinität und das semantische Attraktionspotential des one best way zu reduzieren, unterschätzt sowohl dessen eigene praktische Erfahrungen in der Produktion sowie seine Vertrautheit mit den Problemen der Gestaltung von betrieblichen Zusammenhängen.53 Das Scientific Ma51 52 53

Hier bietet sich die Formulierung von Zahlen als Ein-Seiten-Unterscheidung an. Siehe hierzu Karl E. Weick, Der Prozeß des Organisierens. Übersetzt von Gerhard Hauck, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1985, hier S. 163. Zur ausführlichen Darstellung der einzelnen Stationen der taylorschen Erwerbsbiographie siehe Robert Kanigel, The One Best Way: Frederick Winslow Taylor and the Enigma of Efficiency, New York: Viking Penguin 1997. Für eine vergleichsweise komprimierte Übersicht siehe Martin Lohmann, Zur Biographie von Frederick W. Taylor, in: Eduard Gaugler (Hg.), The principles of scientific management – Bedeutung und Nachwirkungen, Düsseldorf: Verlag Wirtschaft und Finanzen GmbH 1996, S. 95-109. Ein entsprechender Verweis auf die eigene Biographie und die Betonung der Relevanz betriebspraktischer Erfahrungen für entsprechende Managementaufgaben findet sich allerdings auch direkt in den Ausführungen Taylors. Er schreibt: »Nur die Leser, welche selbst leitend oder werktätig in einem Industrieunternehmen waren, wissen, wie weit der Durchschnitts-

4. Die Vermessung der Organisation

nagement Taylors zieht vielmehr die Konsequenz aus der organisationalen Dualität von Struktur und Subjekt, um im Ergebnis die vollständige Kontrolle und somit eine unhintergehbare Konsistenz der Arbeitsvollzüge zu beanspruchen. Ein solcher Anspruch an die Konsistenz der Ausgestaltung betrieblicher Strukturen realisiert sich bestmöglich durch den Rückgriff auf die Eindringlichkeit von Zahlen, die die beteiligten Subjekte entbehrlich macht.54 Weder können Zahlen in ihrer Wirkungsweise negiert werden, sodass ein Anschließen nur in Zahlenform möglich ist,55 noch ließe sich im Bezug auf organisationale Strukturbildung das Prinzip der festen Kopplung entsprechend steigern. Die der Zahlenlogik zugrundeliegenden Prämissen, Regeln und Gesetze ihrer Verknüpfung erlauben in dieser Hinsicht keine subjektbedingten Varianzen. Der Anspruch der Vermessung von Arbeit und die damit verbundene Objektivierung der Organisation gehen in ihrer Bedeutsamkeit für das Verständnis von Management und Organisation über das hinaus, was eine Engführung der Lektüre Taylors, die sich im Medium der Kritik geriert, vielleicht vermuten lässt. Gerade Kritik, die darauf abzielt, die Arbeiterschaft als maschinelle Erweiterung und ihre Arbeitsbedingungen entsprechend als entmenschlicht zu beschreiben, zieht einer sachlichen Auseinandersetzung ihre Verlagerung in die Dimension des Sozialen regelmäßig vor. Dabei geht es weniger darum, das Vorgehen Taylors zu rechtfertigen oder eine solche Kritik als unberechtigt zurückzuweisen, als vielmehr um den Versuch einer Erklärung dafür, weshalb die Vermessung von Arbeit zu einem strukturwirksamen Paradigma avancieren konnte. Eine kulturkritische Position, die über das in Stellung bringen normativer Setzungen vorindustrielle Produktionsbedingungen romantisiert, ist dazu ebenso wenig in der Lage wie der vermeintlich progressive Kurzschluss, einzelne Produktionsschritte zu einem Ganzen zu reintegrieren und zu übersehen, dass auch hier das Prinzip der Organisation und damit eine strukturgeleitete Logik die Vormundschaft über die Ausführung von Arbeit beansprucht. Anders gewendet, be- und verhandelt Taylor ein aus seiner Sicht anthropologisch bedingtes, vor allem aber sozial verstärktes und stabilisiertes Abweichungsverhalten als Sachproblem, sodass die Gegenbewegung im Gewande der Kritik, also das erneute Kippen in die Sozialdimension, wenig ertragreich im Hinblick auf das Verständnis der in der Sache folgenreichen Eigenlogik erscheint. Das

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arbeiter davon entfernt ist, für seinen Arbeitgeber seine volle »Initiative« herzugeben«. Siehe Frederick W. Taylor, Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, S. 34f. Hermann Kocyba beschreibt das Scientific Management Taylors als spezifische Form betrieblicher Wissenspolitik, die sich an einem Ideal objektiven Wissens orientiert, dessen Ressource ein methodisch-gestütztes Vorgehen ist. Taylors formalisierte Suche nach dem einen besten Weg der Arbeitsausführung ersetzt Kocyba zufolge ein patriarchalisch-autoritäres Führungsmodell, das noch persönliche Abhängigkeitsbeziehungen integrierte. Der Einsatz des taylorschen Messinstrumentariums führt aufgrund der Konzentration auf die objektive Abbildung von betrieblichen Vollzügen zu einer sinkenden Relevanz der Erfahrung von Mitarbeitenden – bei einem gleichzeitigen Bedeutungszuwachs managerialer Praktiken, die ihrerseits jedoch nicht personengebunden sind. Siehe Hermann Kocyba, Wissenspolitik im Unternehmen. Kennziffern und wissensbasierte Selbststeuerung, in: Stefan Böschen, Ingo Schulz-Schaeffer (Hg.), Wissenschaft in der Wissensgesellschaft, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag GmbH 2003, S. 178-190. Siehe hierzu Hendrik Vollmer, Folgen und Funktionen organisierten Rechnens, in: Zeitschrift für Soziologie 33 (2004) 6, S. 450-470.

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Die nächste Organisation

Gebäude der Logik des Gelingens verdankt sich bei Taylor ausschließlich dem architektonischen Prinzip der Konsequenz der Sache. Die Modellierung der Berechenbarkeit von Arbeitsvollzügen durch den Rückgriff auf die durch Messungen generierten Zahlzeichen beschränken das Reaktions- bzw. Anschlussspektrum auf die Generierung von neuen Zahlen und damit auf die Durchführung von vermeintlich genaueren Messungen. Die Autologik der Verknüpfung von Zahlzeichen sichert zuverlässig die konstante Zahlennachfrage ab.56 Aufzubereiten und damit anschlussfähig sind ein Weniger oder Mehr, ein Schneller oder Langsamer, ein Kürzer oder Länger jeweils nur in der Einseitigkeit der kalkulierten Objektivität der Zahl. Die Fixierung von Defizitbestimmungen wird durch die permanente Bereitstellung von Referenzwerten ebenso erleichtert wie die Markierung von Entwicklungsspielräumen. Einer Drei lässt sich zwar eine Fünf oder eine Zwei gegenüberstellen, nicht jedoch ein Argument, das in der Binärform der Sprache vorliegt. Genau dieser Umstand aber macht Zahlverwendungen für Organisationen so attraktiv. Denn die Verwendung des Mediums der Sprache führt zu einer Verdoppelung von Welt und zwar in der Hinsicht, dass Sprache eine Ja-Fassung und eine Nein-Fassung der Welt bereitstellt.57 Auf eine sprachliche Äußerung kann mit Zustimmung oder Zurückweisung reagiert werden. Die Ablehnung einer kommunikativen Selektionsofferte im Medium der Sprache lässt den eigentlichen Informationsgehalt von Welt unberührt und zwar im Hinblick darauf, dass man es nicht plötzlich mit einer Negativität der tatsächlichen Lage zu tun hat. Etwas ist oder etwas ist nicht, unabhängig davon, ob es sprachlich verhandelt wird oder nicht zum Thema einer entsprechenden Unterhaltung wird. Die Verneinung von Äußerungen ist und bleibt genau wie die Bejahung reines Sprachgeschehen.58 Dabei macht die Option der Ablehnung sprachliche Kommunikation erst erforderlich. Die Möglichkeit der Negation stellt Gelegenheiten des Mitvollzugs anderer Absichten, abweichender Weltsichten oder unterschiedlicher Geschmackspräferenzen zur Verfügung. Wäre Kommunikationsteilnehmenden die ständige Zustimmung untereinander sicher, so wäre der Gebrauch von Sprache prinzipiell überflüssig. Stattdessen vermischen sich Rede und Gegenrede im Hervorbringen neuer Äußerungen wie Luft und Kraftstoff in einem Zylinder und kommen der Triebfeder des dialektischen Prinzips gleich. In der Wechselseitigkeit und gegenseitigen Bedingung von Affirmation und Negation ruht ein polemogenes Potential. Sprache ist trotz der Möglichkeiten der Zustimmung, der gegenseitigen Bestätigung oder des einander Beipflichtens potentiell Konflikt. Nicht umsonst finden sich im Umkehrschluss auf gesellschaftlicher Ebene eine Vielzahl von Errungenschaften wie Medien, Institutionen oder moralische Setzungen, die als kommunikative Selbstverständlichkeiten oder semantische Attraktoren intendieren, vermeintlich konsensstiftend eine gewisse Vorverständigung abzusichern, um

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Siehe ebd. Ein diesbezügliches Verständnis von Sprache bietet etwa die Lektüre Niklas Luhmanns. Ein hierzu passendes Zitat wäre: »Sprachgeschick ist das Spiel mit diesen Möglichkeiten«. Siehe Niklas Luhmann, Einführung in die Theorie der Gesellschaft. Herausgegeben von Dirk Baecker, Heidelberg: Carl Auer Verlag 2005, S. 99. Ebd., S. 100.

4. Die Vermessung der Organisation

die Potentialität des Neins zugunsten einer Wahrscheinlichkeit des Jas zu transformieren. Das Prinzip der Organisation einer solchen Form der Vagheit zu überlassen, ist für Taylor keine Option. Für die Verwendung von Zahlen hingegen stellt sich das Problem in dieser Form gar nicht. Zahlen sind in ihrem Anschließen aneinander weder polemogen, noch bieten sie aufgrund ihrer einseitigen Logik des Anschließens überhaupt die Optionen von Zustimmung und Ablehnung. Die Verwendung von Zahlen etabliert eine Ebene der kommunikativen Nicht-Negierbarkeit und zwar in der Hinsicht, dass Zahlen keinen Mitteilungsaspekt aufweisen, sondern scheinbar unabhängig von ihrem Zustandekommen für eine Objektivität der Analytik stehen und damit rein informativen Charakter haben. Die Strukturbildung des Betriebs wird so einem eigenlogischen Prinzip überantwortet. Taylors Scientific Management entspricht dem Entwurf einer Zahlenmaschinerie und hierdurch dem Anspruch, letztlich auch das kleinste Detail abbilden zu können. Zahlen verfügen über ein unbegrenztes Auflösungsvermögen und erlauben die verlustfreie Verarbeitung von Information und damit einen reibungslosen Informationsfluss. Die feste Kopplung von Zusammenhängen gelingt aufgrund der Ermangelung einer Rückseite der Zahlen und der Absenz eines kommunikativen Aushandlungsspielraums, die es ermöglicht, das Abweichungspotential aus den Arbeitsvollzügen herauszukürzen. Die Vermessung der Organisation und die hiermit implizierte Nicht-Möglichkeit der Abweichung von Regelvorgaben geben den Anlass, den Blick für das Verständnis der Strukturseite von Organisationen zu schärfen. Organisationen werden von Taylor als Zusammenhänge der Informationsverarbeitung verstanden, für die keine rückseitige Varianz besteht, wie dies für Kommunikation Voraussetzung ist. Gerade das transformative Element, durch das Informationen zu Mitteilungen werden, oder, anders formuliert, dieser Unterschied verstanden wird, trifft für die Organisation Taylors nicht zu.59 Dies schließt wiederum Kommunikation über Entscheidungen und die zirkulierenden Informationen nicht aus.60 Die szientifische Vorgehensweise Taylors markiert einen Idealtypus der Gestaltung organisationaler Strukturzusammenhänge, der das Verhältnis von Information und Kommunikation durch die Verdatung der Organisation auf der informationsverarbeitenden Strukturseite zu stärken versucht. Die Organisation, die als Dual von Struktur und Subjekt auch als Einheit der Unterscheidung von Formalität und Informalität firmiert, wird in Richtung der Seite der Formalstruktur verschoben, die in der Lage ist, aufgrund der autologischen Einseitigkeit der Zahl informale Varianzen zu tilgen. In der intendierten Reibungslosigkeit des Erfüllens von vermessenen Erwartungen kommen die aus den jeweiligen Arbeitsplätzen abgeleiteten Rollen und ihre Ausführung zur Deckung. Dies bedeutet nicht weniger, als dass das jeder Organisation immanente Spannungsmoment, das aus der Fragilität von ausdifferenzierten Rollen als Erwartungsbündel resultiert, dem Prinzip nach nicht vorkommt. Dieser Anspruch ist zwar kein Alleinstellungsmerkmal des taylorschen Nach59 60

Klassisch hierzu Niklas Luhmann, Was ist Kommunikation?, in: ders., Soziologische Aufklärung 6. 2. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 109-120. Die angesprochene kritisch-diskursive Auseinandersetzung mit den Ideen Taylors fungiert hier ebenso als Beispiel wie die Bistabilität einer jeden Organisation, die einerseits auf strukturgeleiteten Prozessen gründet, während diese andererseits stets von einer subjektbedingten kommunikativen Begleitklaviatur flankiert sind.

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denkens über Arbeitszusammenhänge, seine Konzeption ist aber aufgrund der Wechselseitigkeit von Zeit-, Sozial- und Sachdimension und ihrer wegweisenden Bedeutung als manageriales Paradigma von nicht zu unterschätzender Bedeutsamkeit. Das Problem der Doppelbödigkeit von Planungsvorstellungen, die Herausforderung, dass jede Regel mit Unregelmäßigkeiten einhergeht, und die Tatsache, dass jede Ordnung nur ordentlich vor dem Hintergrund einer Ungeordnetheit erscheint, umgeht Taylor, indem er das naturwüchsige Prinzip der Vorder- und Rückseite von Unterscheidungen konzeptionell durch ein Prinzip der Einseitigkeit ersetzt. Das organisationale Grundproblem, dass ungeachtet aller kognitiven, motivationalen oder sozialen Aspekte als Erklärungsversuche für organisationsinterne Rollenabweichung Organisationen erst durch die Beteiligung von Subjekten und die Besetzung der ausdifferenzierten Stellenordnung wahrnehmungsfähig werden, wird damit invisibilisiert. So lassen sich für gewöhnlich zwar Gestaltungsfragen organisationaler Strukturzusammenhänge entlang eines Kontinuums möglicher Steigungswinkel hierarchischer Verhältnisse diskutieren und modellieren, um bestimmte Vorgänge mit bestimmten Verantwortlichkeiten zu verknüpfen und die Verteilung und den Zuschnitt von Arbeitsaufgaben an die zu erreichenden Ziele oder die zur Verfügung stehenden Mittel zu binden. Unberührt bleibt hiervon jedoch die Frage, inwieweit ausdifferenzierte Erwartungen dieser Art erfüllt werden. Die Tatsache, dass jeder Versuch der Erwartungsbildung zunächst ein Versuch ist, dessen Bewährung im organisationspraktischen Alltag noch aussteht, führt dazu, dass die Artifizialität der Organisation genuin störanfällig ist.61 Die skizzierte Grundsätzlichkeit des taylorschen Vorgehens unterbindet die damit verbundenen Herausforderungen durch das Abstellen auf einen operativ ein-seitigen Strukturbildungsmodus, um die Organisation nicht von sprachförmigen Aushandlungsprozessen abhängig zu machen. Noch einmal anders formuliert, wählt Taylor durch das Zurückgreifen auf Messungen ein Prinzip der organisationalen Strukturbildung, das dem Anspruch nach nicht auf die metrisch nicht einzuhegenden Vagheiten der Sprache zurückfallen kann. Dass hierbei ein physikalisches Verständnis der zu verrichtenden Arbeit Grundvoraussetzung ist, soll nachfolgend diskutiert werden.

4.3

Strukturbildung zwischen Physik und Metaphorik

Die Vermessung der Organisation und damit das Verständnis dafür, dass die Arbeit, die Taylor in den Blick nimmt, einer physikalischen Bestimmung von Arbeit gleichkommt, ermöglicht, das Problem organisationaler Verhaltensabsicherung und eine diesbezügliche Störanfälligkeit planerisch und konzeptionell zu umsteuern. Zur Schärfung dieses Zusammenhangs sei zuerst daran erinnert, dass Arbeit physikalisch nichts anderes ist als das Ergebnis der Multiplikation von aufgewendeter Kraft und zurückgelegter Strecke. Arbeit ist definiert als Kraft mal Weg. Was in einem nächsten Schritt für die

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Zu den planerischen Grenzen von Organisationen siehe etwa die Beiträge in Karen Schweers Cook, Margaret Levi (Ed.), The Limits of Rationality, Chicago und London: The University of Chicago Press 1990.

4. Die Vermessung der Organisation

Gestaltung von Arbeitszusammenhängen relevant wird, ist die Frage, ein Wieviel an Arbeit in einer bestimmten Zeit absolviert werden kann – oder, anders gewendet, welches Maß an Gewicht in einer gewissen Zeit bewegt wird. Aus diesen Fragen leitet Taylor die Antworten im Rahmen seiner Logik des Gelingens ab, denn das Ergebnis der Berechnung von Kraft und Weg wird als Leistung notiert. Um diesen Zusammenhang für ein koordiniertes und spezialisiertes Vonstattengehen zu erschließen, bedarf es des Prinzips der Organisation. Die Form moderner Arbeitsorganisation ersetzt eine Sequenz von Arbeitsvollzügen durch deren strukturgeleitete Parallelisierung. Organisation bedeutet nichts anderes als Arbeit im Modus der Gleichzeitigkeit. Die benötigten Teilleistungen werden nicht auf ein Nacheinander in der Zeit hin konzipiert, sondern parallel und damit gleichzeitig erbracht. Das planerische Arrangieren von Arbeitsvollzügen und die Gestaltung der entsprechenden Rahmenbedingungen erscheinen als Arbeit an der Struktur, um darüber zu disponieren, was im Rahmen der Organisation möglich ist. Die Tatsache, dass im Rahmen des Scientific Management die Komplexität der Arbeitsvollzüge auf die Ebene der Organisationsstruktur verschoben wird, wird dadurch ermöglicht, dass Taylor Arbeit gemäß ihrer physikalischen Bestimmung versteht, um sie mit Hilfsmitteln wie Waage, Maßband und Stoppuhr zu erschließen und adäquat aufzubereiten. Mithilfe der Wechselseitigkeit von physikalischen und physischen Bezugnahmen entwirft Taylor ein Programm der Betriebsgestaltung, das Arbeit als vermessenen physikalischen Zusammenhang physisch abbildet, indem der gestalterische Zugriff unmittelbar beim Körper der Arbeitenden ansetzt. Das Vorgehen, deren Physis, den Bedingungen angemessen, programmatisch in Form zu bringen, umgeht die Relevanz der beteiligten Subjekte im Hinblick auf eigenständige Beteiligungsleistungen. Für den vermessenen Körper gibt es nur noch die eine Möglichkeit – the one best way – eine Arbeitshandlung auszuführen. Die Frage, die bei der Ausgestaltung von Konditionalbzw. Routineprogrammen62 und ihrer Ausführung anliegt, nämlich die Frage, ob das jeweilige Tun richtig oder falsch ist, wird somit zur schlichten Trivialität. Sie erübrigt sich, wenn das Hinzufügen von Ausnahmen zur Regel ausschließlich einer zentralisierten Planung unterliegt und ansonsten jeglicher Ermessensspielraum aufgrund einer präzisen Metrik getilgt wird, durch die die Organisation auf die Seite der Struktur verpflichtet wird. Der durch die Reziprozität von Physik und Physis ermöglichte programmatisch verdichtete Strukturzusammenhang fungiert als Antwort eines Ingenieurs auf die Frage nach dem richtigen Weg der Arbeitsgestaltung, der seine Antwort an Prinzipien der Objektivität, der Nachvollziehbarkeit, der Kontrollierbarkeit und der Konsistenz zurückbindet. Die Strahlkraft der taylorschen Logik des Gelingens ebnete sowohl praktisch den Weg für das Aufkommen der modernen Organisationsberatung, wie sie gleichermaßen diskursive Relevanz in den Feldern der Soziologie, der Ökonomie, der Pädagogik

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Zu den Möglichkeiten der Arbeitsorganisation mithilfe von Verhaltens- oder Zielvorgaben siehe Niklas Luhmann, Lob der Routine, in: Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungslehre, Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik 55 (1964) 1, S. 1-33. Im Rahmen der eigenen Überlegungen ersetzt Luhmann den Begriff des Routineprogramms später durch den Begriff des Konditionalprogramms, nicht zuletzt, um auf die damit verbundene Input-Output-Logik und das Adressieren präziser Verhaltensvorgaben aufmerksam zu machen.

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und der Psychologie zu beanspruchen vermag. Ihr Attraktionspotential bezieht sich auf beobachtende Wissenschaft und gestalterische Praxis gleichermaßen. Die taylorsche Logik des Gelingens legte damit aber auch die Grundlage für den organisations-interventionistischen Standardbias der Einseitigkeit, indem mögliche Verhaltenspielräume von Organisationsmitgliedern, potentiell rollenabweichendes Verhalten oder das NichtErfüllen von Verhaltenserwartungen zugunsten der Projektion einer vermeintlich besseren Zukunft abgeschattet werden. Aufgrund der Dualität von Struktur und Subjekt kann die organisationale Realität nicht ausschließlich über die Strukturseite abgebildet werden. Die Ordnung, die Taylor durch seine messgenerierten Zahlen entwirft, ist jedoch nicht ohne Weiteres übertragbar. Gerade das, was Taylors Entwurf der rationalen Produktionsmaschinerie konzeptionell so interessant macht und von ihm selbst als die Stärke seiner Planungen herausgestellt wird, kommt im Übertrag auf andere Anwendungskontexte schnell der Überschätzung von Planungszusammenhängen gleich und offenbart sich regelmäßig als reine Machbarkeitsillusion. Die wenigsten Formbildungen organisationaler Arbeitszusammenhänge erlauben eine Analyse der Erforderlichkeiten mithilfe von Größen wie Kraft, Strecke, Gewicht oder Zeit. Anders gewendet kommt die Wechselseitigkeit von Physik und Physis dort an ihre Grenzen, wo eine physikalische Bestimmung von Arbeit endet. Zwar handelt es sich beim Prinzip der Organisation um ein äußerst fluides Medium, das in seiner bewegten Geschichte bereits ein variationsreiches Spektrum an unterschiedlichen Formbildungen beobachtbar werden ließ,63 dennoch steigt die Möglichkeit, diesbezügliche Störanfälligkeiten oder Irrationalitäten zur Kenntnis zu nehmen, wenn eine metaphorische Bestimmung von Arbeit als Substitut einer physikalischen Definition auf den Plan tritt und das Prinzip objektiver Messung für die Gestaltung der Strukturseite nicht mehr zur Verfügung steht. Eine metaphorische Bestimmung von Arbeit wird dann notwendig, wenn man beginnt, zwischen körperlicher und geistiger Arbeit zu unterscheiden, und gleichzeitig nicht gewillt ist, den physikalischen Ausgangspunkt aus den Augen zu verlieren. In dieser Hinsicht bleibt Arbeit ein Bewegen von Gewicht, wenn der Blick dafür geöffnet wird, dass auch die Aufwendung geistiger Kraft Dinge in Bewegung zu setzen vermag.64 Demnach handelt es sich beim Schreiben von Texten um das Aneinander63

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Für einen schnellen Überblick unterschiedlicher Blickweisen auf das Phänomen der Organisation empfiehlt sich etwa die Lektüre von Giuseppe Bonazzi, Geschichte des organisatorischen Denkens. Herausgegeben von Veronika Tacke, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008. Eine diesbezügliche Diskussion findet sich bereits bei Georg Simmel. Simmel zeigt sich wenig überzeugt, was die grundsätzliche Sinnigkeit der Unterscheidung zwischen körperlicher und geistiger Arbeit angeht. In der Annahme, dass Arbeit Subsistenz und damit mühsam und schwierig ist, betont Simmel den psychischen Kraftaufwand, der für die Verrichtung von Muskelarbeit notwendig sei. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass es heißt zu arbeiten, wenn ein natürlicher Impuls zu Trägheit und Annehmlichkeit überwunden wird, adressiert Simmel die Notwendigkeit einer entsprechenden Reflexion. Wenn geistige Arbeit jedoch die Voraussetzung für körperliche Arbeit ist, kommt diese Unterscheidung für eine theoretische Annäherung an den Begriff der Arbeit nicht in Frage. Siehe Georg Simmel, Zur Philosophie der Arbeit, in: ders., Georg Simmel Gesamtausgabe. Herausgegeben von Otthein Rammstedt. Band 5. Aufsätze und Abhandlungen. 1894 bis 1900. Herausgegeben von Heinz-Jürgen Dahme und David P. Frisby, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1992, S. 420-444.

4. Die Vermessung der Organisation

fügen von Buchstaben, die zu Wörtern, dann zu Sätzen werden, die sich wiederum zu Absätzen verdichten, um dann als Text oder Buch Ausdruck einer zurückgelegten geistigen Distanz eines Autors zu sein.65 Das Büro im Sinne von Max Weber ist ein Ort zirkulierender Akten, gründet doch der webersche Typus rationaler Herrschaft auf der Schriftlichkeit der Verwaltung.66 Theoriearbeit ist das Bewegen und ins Verhältnis Setzen von Begrifflichkeiten, wenn im Sinne von Theoriearchitektur versucht wird, Denkgebäude zur Beschreibung bestimmter Begebenheiten zu errichten.67 Der Jurist ist in seinem Tagesgeschäft darum bemüht, Rechtsnormen auszudehnen respektive zu verengen und zuzuspitzen, um in der Anwendung auf eine Sachlage oder einen Tatbestand geltendes Recht zur Durchsetzung zu bringen.68 Der Unterhaltungskünstler als Kabarettist, um diese Reihe von Beispielen zu schließen, trachtet seinerseits danach, durch den Einsatz seiner Sprache, seiner Gestik, seiner Mimik, sein Publikum zu bewegen und wahlweise zum Lachen oder zum Nachdenken zu bringen.69 Eine Arbeit zu 65

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So ist literarische Autorenschaft, etwa bei der Verwendung der Form erlebter Rede, mit der Schwierigkeit behaftet, dem Leser die Sprache des Autors als die Sprache seiner Figuren zu offerieren und dies stets vor dem Hintergrund, einer zur Verfügung stehenden Sprache, die sich dem jeweiligen Erzählkontext verdankt. Diese Dreifachheit in Einklang zu bringen und damit die Spannung zwischen Autorenstil und Figurenstil auszutarieren, ist, James Wood zufolge, beim Schreiben von Texten die zentrale Herausforderung. Siehe James Wood, Die Kunst des Erzählens, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag GmbH 2011. Siehe Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Fünfte, revidierte Auflage. Besorgt von Johannes Winckelmann, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1972, S. 126. Wissenschaftliche Theoriebildung gründet als eigens ausdifferenzierter gesellschaftlicher Strukturzusammenhang auf der Verwendung von Begriffen. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1990, S. 124 f; siehe auch Dirk Baecker, Theoriearbeit, in: ders., Wozu Theorie? Aufsätze. Berlin: Suhrkamp Verlag 2016, S. 115-133. Die unterschiedlichen Möglichkeiten bei der Auslegung juristischer Normen sind darauf zurückzuführen, dass Recht stets im Medium der Sprache vorliegt. Die Vielgestaltigkeit der Sprache ist jedoch potentiell missverständlich, nebulös, rätselhaft und unerklärlich. Für den Gesetzgeber bedeutet dies nichts anderes, als dass ein umfassender Anspruch, eine bestimmte Auslegung der Gesetze bei der Rechtsanwendung bereits in ihrer Konstruktion vorwegzunehmen, einer funktionalen Illusion gleichkommt. Die Ambition, in Form gegossenes Recht zugunsten möglichst präzise definierter Tatbestandselemente etwa frei von Kompromissformeln zu halten, schützt nicht vor der Unausweichlichkeit dieses Dilemmas. Praktische Rechtsanwendung ist als die diesbezügliche Entparadoxierung zu verstehen, die dadurch ermöglicht wird, dass die Unterscheidung von Recht und Unrecht selbst als rechtsgültig vorausgesetzt ist, der Positivwert der Binarität des Rechts hier also dupliziert wird. Zur Diskussion der Wechselseitigkeit von Gesetzgebung und Rechtsanwendung und der sprachlich bedingten Schwierigkeit der juristischen Normierung siehe etwa Ralph Alexander Lorz, Die Gesetzesauslegung im Blick des Gesetzgebers?, in: Christian Baldus, Frank Theisen, Friederike Vogel (Hg.), »Gesetzgeber« und Rechtsanwendung. Entstehung und Auslegungsfähigkeit von Normen, Tübingen: Mohr Siebeck 2013, S. 87-110. Vor dem Hintergrund dieser beiden Pole gerät schnell eine pädagogische Dimension des Kabaretts in den Blick. Für Jürgen Henningsen etwa gründet Kabarett auf den Prinzipien der Unterhaltung und der Belehrung. Über die reine Unterhaltung hinaus suche der Kabarettist »Bruchstellen im erworbenen Wissenszusammenhang« (S. 73) seines Publikums, um ein Einpassen in die bestehende Struktur im Sinne des Erkennens neuer Zusammenhänge anzuregen. Das Ausgehen von einem »erworbenen Wissenszusammenhang« will Henningsen explizit als einen Anschluss an Wilhelm Diltheys Verstehenstheorie des »erworbenen Zusammenhangs des Seelenlebens« ver-

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finden, die sich der Beschreibbarkeit über die Aufwendung körperlicher oder geistiger Kraft verweigert, scheint vor diesem Hintergrund zunächst einmal problematisch, und Arbeit scheint der Bestimmung als das Bewegen von Gewicht, ob faktisch oder metaphorisch, zu entsprechen.70 Einer möglichen Bearbeitung des Körpers im Sinne einer erfolgsversprechenden Formierung entziehen sich jedoch Tätigkeiten, die lediglich metaphorisch – also in der sprachlichen Aufbereitung – Gewicht zu bewegen vermögen. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass ihre Vermessung unmöglich wäre. Ganz im Gegenteil dazu kennt die vermessene Moderne eine ganze Bandbreite der sie dynamisch stabilisierenden unterschiedlichen Messregime, die auf der Logik des standardisierten Vergleichs basieren.71 Der Übertrag objektiver Messvorgänge physikalischer Größen hin zu metaphorischen Konstruktionen korreliert nicht zuletzt mit den Prinzipien und Möglichkeiten organisationaler Strukturbildung. Für organisationale Strukturfestlegungen bietet das Prinzip der Messung und die damit eröffneten Möglichkeiten der Artikulation von Veränderungsnotwendigkeiten die Chance, Kontingenz einzuhegen und der Unsicherheit der Zukunft durch die Etablierung von Standards zu begegnen. Dies gilt aber nicht nur für die Praxis objektiven Messens, sondern auch für metaphorische Konstruktionen, die ebenso pädagogisch wirksam sind. Der wiederholte Einsatz von Messinstrumenten und die Kontrolle von Messergebnissen stehen nicht nur dafür, den Stand der Dinge objektiv zu erfassen, sondern auch dafür, Verhaltensänderungen der beteiligten Subjekte zu stimulieren. Auf diese Weise zielen das Messen der Organisationskultur, von organisationalem Commitment oder die Messung des Organisationserfolgs als Teil des Performance Controlling auf die Entwicklung der Organisation. Messergebnisse stellen informationale Entscheidungsgrundlagen dar, die dazu verwendet werden, ungewünschte Störanfälligkeiten in Organisationen zu minimieren und diese in Richtung einer gewünschten Zukunft zu formen.

4.4

Summarium

Das Scientific Management von Frederick Taylor und sein Programm der Vermessung der Organisation fungiert als konzeptionelle Grundlage vermessener organisationaler Strukturbildung. Als semiotische Technik der Dynamisierung von Subjekten wird das

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standen wissen, wenngleich er seine Konzeption auf einen Raum des durch Sprache Erschließbaren engführt, um zum einen eine phänomenologische Beschreibbarkeit zu ermöglichen und zum anderen auf teleologische Annahmen von Ganzheiten verzichten zu können (S. 79). Siehe Jürgen Henningsen, Theorie des Kabaretts, Ratingen: A. Henn Verlag 1967. Für eine diesbezügliche Diskussion siehe Dirk Baecker, Die gesellschaftliche Form der Arbeit, in: ders. (Hg.), Archäologie der Arbeit, Berlin: Kulturverlag Kadmos 2002, S. 203-245, hier S. 209. Für eine Grundlagentheorie des Messens, die eine Unterscheidung zwischen objektiven und metaphorischen Messvorgängen analytisch zu systematisieren weiß, um diese für erziehungswissenschaftliche Theoriebildung fruchtbar zu machen, siehe Sebastian Manhart, Pädagogisches Messen. Messen als Organisationsform pädagogischer Praxis, in: Andreas Schröer, Michael Göhlich, Susanne Maria Weber, Henning Pätzold (Hg.), Organisation und Theorie. Beiträge der Kommission Organisationspädagogik, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2016, S. 53-61.

4. Die Vermessung der Organisation

Prinzip der Messung dafür in Anspruch genommen, die Zukunftsfähigkeit der Organisation zu sichern. Dabei ermöglicht die Trennung von Kopf- und Handarbeit den Versuch objektiver Messvorgänge und damit eine spezifische pädagogische Modellbildung, die Anpassungsleistungen der beteiligten Subjekte erforderlich macht. Die Besonderheit der taylorschen Konzeption besteht darin, die Verknüpfung von Organisation und Management über das Label der Wissenschaftlichkeit und damit über einen Modus der Objektivierung zu beanspruchen. Die Ebenen von Planung und Ausführung werden auseinandergezogen und die entstandene Lücke wird planerisch durch das Prinzip der Organisation und die Praxis des Managements gefüllt. Noch einmal anders formuliert, ermöglicht die Divergenz von Kopf- und Handarbeit die Konvergenz von Organisation und Management. Dadurch, dass Kopf- und Handarbeit getrennt werden, werden die einzelnen organisationalen Strukturelemente zusammengeschoben, deren strukturgeleitete Verdichtung dem Prinzip der festen Kopplung entspricht. Taylors Ausgangspunkt einer kritischen Diagnose des Mangels an organisationaler Formalstruktur und damit sein Ausgehen von der Unterscheidung von Formalität – im Sinne einer Regelvorgabe – und Informalität – verstanden als Abweichung – als Grundproblem managerialer Gestaltung verdeutlichen das taylorsche Verständnis von Management als Kontingenznegation. Diese Negation von Kontingenz im Management Frederick Taylors gründet auf dem Arrangieren von Unterscheidungen. Durch das Zuschneiden und die Vorgabe von Verhaltensspektren werden Unterscheidungen wie Fremd- und Selbstbestimmung, Freiheit und Zwang oder lose und feste Kopplung in einer Weise eingerichtet und angeordnet, dass die Ausgangsunterscheidung von Formalität und Informalität strukturlogisch aufgelöst wird. Obwohl es sich beim taylorschen Modell der Organisation um ein leibgebundenes Modell handelt, erscheint der Modus vermessener Strukturbildung entkörpert. Die Entkörperung des Betriebs wird metrisch lanciert und auf prozessualer Ebene durch die aus Messvorgängen resultierende Zahlenförmigkeit getriggert. Diesem Vorgehen kommt für die Entwicklung der modernen Managementlehre eine Pionierrolle zu, die über den Wirkungskreis des Scientific Management hinausreicht. Für dessen zeitgenössischen Kontext gilt, dass Taylors Konzeption der Objektivierung von Betriebsstrukturen und ihre Vermarktung als wissenschaftlich nicht lediglich den Zahn der Zeit trafen. Die ökonomischen Rahmenbedingungen waren prädestiniert für den Erfolg seines Vorgehens. Die monopolgeprägten, wenig dynamischen Marktstrukturen erwiesen sich als idealer Kontext für das methodisch-szientifische Vorgehen Taylors. Die von Großorganisationen dominierte Wirtschaft im Industriezeitalter und das aufkommende Management, das die neue Form der Massenproduktion mittels der Ausdifferenzierung von Strukturen organisierte, markieren in ihrem Zusammentreffen eine historische Ausnahmesituation.72 Zwar stellte weder die Machbarkeit von Verhält72

Zur Rekapitulation dieses Zusammenhangs in komprimierter Form empfiehlt sich die Lektüre von Toni Pierenkemper, Wirtschaftsgeschichte. Die Entstehung der modernen Volkswirtschaft, Berlin: Akademie Verlag 2009. Zur Rolle organisationaler Leistungsfähigkeit unter der Berücksichtigung der Entstehung neuer arbeitsteiliger Muster und ihrer wirtschaftlichen Bedeutsamkeit am Beispiel der USA, Großbritanniens und Deutschlands siehe Alfred D. Chandler jr., Scale and Scope. The Dynamics of Industrial Capitalism, Cambridge, Massachusetts und London, England: The Belknap Press of Harvard University Press 1990.

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Die nächste Organisation

nissen ein neues Problem dar noch waren bestimmte Muster organisierter Arbeitsteilung als darauf ausgerichtete Lösungsversuche bis dato unbekannt. Als neue Konstellation kann aber markiert werden, dass, im Auseinanderziehen der Ebenen von Planung und Durchführung, Organisation und Management in einer dazu gegenläufigen Bewegung konvergieren. Taylors Logik des Gelingens und der wirtschaftliche Erfolg des neuen Berufsstandes stehen zusammen idealtypisch für die Machbarkeit von Verhältnissen durch Organisation. Die neuen Mehrebenenmodelle der Organisation mit bis dato unbekanntem Auflösungsvermögen in Sachen koordinierter Komplexität und deren Gleichzeitigkeit im parallelisierten Vonstattengehen können historisch relativiert als neue Möglichkeiten der Informationsverarbeitung einer zunehmend verdateten Organisation verstanden werden, lange bevor Organisationen Kontingenz über digitale Strukturbildungsleistungen einzuhegen versuchen. In ihrer Bedeutung für die Entstehung des modernen Managements und deren weitere Verlaufsgeschichte ist die Rolle messförmiger Strukturfestlegungen deshalb nicht zu unterschätzen.

5. Die Berechnung der Organisation

Im Folgenden steht ein Modell der Organisation im Blickpunkt der Ausführungen, das sich, wie das Scientific Management von Frederick Taylor, durch das zugrundeliegende Strukturbildungsprinzip auszeichnet. Es handelt sich um das Modell der Organisation, das Erich Gutenberg 1929 in Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie vorgelegt hat. Während in der Konzeption Taylors das Prinzip der Messung als zentral für die organisationale Strukturbildung herausgestellt wurde, wird der Schwerpunkt im Folgenden auf die Be- und Errechnung von Strukturkomponenten gelegt. Planung und Berechnung sind bei Gutenberg nicht getrennt zu denken, sondern fallen zusammen. Die Abbildung der Organisation in Zahlenform wird bei Erich Gutenberg möglich, da den zugrundeliegenden mathematischen Operationen ein infinites Absorptionspotential von Welt zugeschrieben wird. Ohne den taylorschen Umweg der Vermessung und Formierung von Körperlichkeit werden allein Rechenwege als ausreichend für eine theoretische Modellierung der Organisation angenommen. Organisieren heißt für Gutenberg zu rechnen und das prinzipiell unendliche Auflösungsvermögen von Zahlen verspricht das präzise Abbilden und rechenmäßige Rekombinieren der organisationalen Strukturbildungskomponenten.1 Die Eindringlichkeit der Zahl steht bei Gutenberg für Regelhaftigkeit, Ordnung und Kontrollierbarkeit und das Verhältnis von subjektiven und kollektiven Verhaltensmustern liegt somit in einem Modus der Berechenbarkeit vor. Für das zugrundeliegende Verständnis von Organisation heißt dies: Die manageriale Arbeit an der Struktur der Organisation wird zur Arbeit am mathematischen Kalkül. Die folgenden Ausführungen stehen idealtypisch für die weitere Ausdifferenzierung des organisationalen Formenvorrats. Das Prinzip der Berechnung ergänzt die Vermessung der Organisation. Im Anschluss an den Betrieb taylorscher Prägung wird ein Organisationsverständnis dargestellt, in dessen Rahmen der Anspruch formuliert wird, das konstituierende Strukturbildungsprinzip auf allgemeingültige Grundlagen zu stellen. Zumindest ist dies das erklärte Vorhaben von Erich Gutenberg. Denn sein Zugang zum

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Für einen Überblick über die Verlaufsgeschichte der Annäherung an die Unendlichkeit von Zahlen siehe Brian Clegg, A Brief History of Infinity, London: Constable & Robinson Ltd. 2003.

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Die nächste Organisation

organisationalen Grundgeschehen besteht in der Absicht, Allgemeines der Organisation im Besonderen auffinden zu wollen.2 Die Tatsache, dass jede Organisation ein Einzelfall ist, dem spezifische Besonderheiten eigen sind, tritt zugunsten der Suche nach der Organisation in den Hintergrund, die modellhaft in der Lage ist, die jeweiligen Eigenheiten in sich aufzunehmen.3 Ungeachtet spezifischer Arbeitsplätze, der jeweiligen Mitglieder oder unterschiedlicher Produkte und Dienstleistungen versteht Gutenberg sein Unterfangen darauf ausgerichtet, die Schnittmenge organisierter Unternehmungen zu identifizieren und herauszuarbeiten. Dass die komplexe Dynamik von Organisationsgeschehen unterschiedliche Theorieentwürfe hervorbringt, die mittels Abstrahierung versuchen, auf Allgemeingültiges in Organisationen aufmerksam zu machen, zeigt die vorstehende Diskussion des Betriebs taylorscher Prägung. Die Wechselseitigkeit von Regelvorgabe und Regelabweichung bietet Ansatzpunkte, Organisationen entweder als »Berechenbarkeitsdomänen«4 zu betrachten oder sie als Orte standardisierter Regelabweichung zu konzipieren.5 Die jeweilige Perspektive macht Vorder- und Rückseite organisationaler Regelwerke unterscheidbar und ermöglicht unterschiedliches Anschließen. Unterscheidungen wie Formalität und Informalität,6 Ordnung und Unordnung7 oder Fremd- und Selbstbestimmung8 bieten entsprechende Heuristiken. 2 3 4

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Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, Berlin: Industrieverlag Spaeth und Linde 1929, hier S. 14. Dass hiermit auch ein grundsätzliches Problem theoretischer Modellbildung berührt wird, ist wahrscheinlich. So charakterisiert Peter Fuchs den organisationalen Mechanismus, Verhaltensspektren zuschneiden zu können. Siehe Peter Fuchs, Hierarchien unter Druck – ein Blick auf ihre Funktion und ihren Wandel, in: Ralf Wetzel, Jens Aderhold, Jana Rückert-John (Hg.), Die Organisation in unruhigen Zeiten. Über die Folgen von Strukturwandel, Veränderungsdruck und Funktionsverschiebung, Heidelberg: Carl-Auer Verlag 2009, S. 53-72, hier S. 59. Zur Konzeption der Organisation als Schmelztiegel individueller Rationalitäten siehe Erhard Friedberg, Zur Politologie von Organisationen, in: Willi Küpper, Günther Ortmann (Hg.), Mikropolitik. Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen. 2., durchgesehene Auflage, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1988, S. 39-52. Eine reflexive Handhabung der Unterscheidung von Formalität und Informalität wurde in der Auseinandersetzung mit den Ideen Frederick Taylors intensiv diskutiert und herausgearbeitet. Dabei wurde auf die Tatsache verwiesen, dass die These der Entdeckung von Informalität diskursiv sicher nicht unplausibel, empirisch aber streitbar ist. Die entstehende Managementlehre war der wissenschaftlichen Organisationstheorie ein Stück voraus, da sie über praktische Probleme der Strukturgestaltung bereits gut informiert war. Die Unterscheidung von Formalität und Informalität ist unterdessen zu einer Grundlagenkategorie der Organisationswissenschaft avanciert. Siehe hierzu die Beiträge in Victoria von Groddeck, Sylvia Marlene Wilz (Hg.), Formalität und Informalität in Organisationen, Wiesbaden: Springer VS 2015. Siehe etwa die Beiträge in Martin Vogel (Hg.), Organisation außer Ordnung. Außerordentliche Beobachtungen organisationaler Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. Das organisationale Spannungsfeld von Fremd- und Selbstbestimmung diskutiert Hans Merkens für pädagogische Organisationen. Im Hinblick auf die Gestaltung von Lehr-Lern-Situationen skizziert Merkens das Dilemma pädagogischer Verhältnisse in Organisationen und damit die Tatsache, dass Organisationen Settings der Ermöglichung und Verhinderung zugleich darstellen. Siehe Hans Merkens, Pädagogische Institutionen. Pädagogisches Handeln im Spannungsfeld von Individualisierung und Organisation, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006, hier S. 86f. Die Unterscheidung von Fremd- und Selbstbestimmung nutzen Hans H. Hinterhuber und Eric Krauthammer, um Management und Leadership zu kontrastieren. Leadership zeichnet sich für

5. Die Berechnung der Organisation

Vom Versuch, über die organisationale Binnenperspektive hinausgehend die Integration exogener Bezüge zu ermöglichen,9 ist an dieser Stelle noch ebensowenig die Rede, wie von Ansätzen, die organisationale Selbstbeschreibungen10 oder das Entscheidungsverhalten11 zum Mittelpunkt entsprechender Theoretisierungen machen. Organisationen sind nicht nur im Hinblick auf ihre empirische Vielgestaltigkeit mediales Substrat, sondern auch für zahlreiche theoretische Formbildungen.12 Relativ gesehen

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die Autoren durch die Fähigkeit aus, Visionen zu entwickeln und vorausdenken zu können, während sich Management eher an den bestehenden Begebenheiten der Organisation orientiert. Für gelingende Führung sind im Sinne einer programmatischen Handlungsmaßgabe Entscheidungsfreiräume und damit Möglichkeiten für selbstbestimmtes Agieren unabdingbar. Siehe Hans H. Hinterhuber, Eric Krauthammer, Leadership – mehr als Management. Was Führungskräfte nicht delegieren dürfen. 4. Auflage, Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler 2005. Der Versuch der Integration von Organisations- und Institutionentheorie ist theoriehistorisch eine wesentliche Zäsur. Siehe hierzu John W. Meyer, Brian Rowan, Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony, in: American Journal of Sociology 83 (1977) 2, S. 340-363. Siehe hierzu André Kieserling, Selbstbeschreibung von Organisationen. Zur Transformation ihrer Semantik, in: ders., Selbstbeschreibung und Fremdbeschreibung. Beiträge zur Soziologie soziologischen Wissens, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2004, S. 212-243. Siehe hierzu James G. March, Decisions and Organizations, Oxford: Basil Blackwell Ltd 1988. So zahlreich wie ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen sind auch die Versuche, ihre Eigenschaften und Besonderheiten in unterschiedlichen Modi der Beobachtung einzufangen. Die Ubiquität von Organisationen in der Moderne scheint die Unterschiedlichkeit von Zugangsweisen zu befeuern, während die Möglichkeit eines allgemeinen Zugriffs zunächst untergraben wird. Beobachterrelativität impliziert eben auch die Relativität der Beobachtung. Dies ist das Schicksal der Moderne, das entweder dazu zwingt, diesen Umstand zu akzeptieren – oder im Hervorbringen normativ inspirierter Theorie- oder Gesellschaftsentwürfe zu negieren. Vielversprechender scheint es zu sein, Fragen unterschiedlicher Theoriegestaltung in den Blick zu nehmen und zwar auch im Hinblick auf Organisationen. Vor dem Hintergrund einer theoretischen Vielgestaltigkeit handelt es sich bei Organisationen um epistemische Dinge. Ein je unterschiedliches Theoriedesign konstruiert die Organisation als ihren eigenen Gegenstand. Auf den Umstand, dass die Organisationstheorie erst den Gegenstand der Organisation erzeugt, verweist etwa Günther Ortmann. Die Formulierung des epistemischen Dings entleiht er von Hans-Jörg Rheinberg und rekurriert damit auf ein konstruktivistisches Grundprinzip. Siehe Günther Ortmann, Organisation, Wirtschaft und Gesellschaft. Über einige epistemische Dinge der Organisationssoziologie, in: Maja Apelt, Uwe Wilkesmann (Hg.), Zur Zukunft der Organisationssoziologie, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2015, S. 95-108. Je nach Perspektive unterscheiden sich die unterschiedlichen Modelle von Organisation. Vor diesem Hintergrund existieren Versuche, zumindest gemeinsame Grundannahmen zu identifizieren. Siehe dazu etwa der klassische Versuch einer Systematisierung organisationswissenschaftlicher Ansätze von Gibson Burrell und Gareth Morgan. Der Ansatz von Burrell und Morgan sieht vor, methodische Grundannahmen auf das jeweilige Erkenntnisinteresse zu beziehen, um so vor dem Hintergrund einer daraus resultierenden Kategorienbildung eine Einordnung vornehmen zu können. Siehe Gibson Burrell, Gareth Morgan, Sociological paradigms and organizational analysis: elements of the sociology of corporate life, London: Heinemann 1979. Darüber hinaus finden sich weitere Vorschläge des Vorgangs mit theoretischer Heterogenität. So schlägt etwa Raimund Hasse vor, zwischen Ansätzen, die im Hinblick auf die gesellschaftliche Einbettung von Organisationen unter dem Label Organisationsgesellschaft subsumiert werden können, und Ansätzen, die eine organisationale Eigendynamik in den Mittelpunkt stellen, zu unterscheiden. Als drittes Schlüsselkonzept, das die Integration verschiedener Theorieschulen ermöglichen soll, markiert Hasse Ansätze, die, in Auseinandersetzung mit institutionenökonomischen Annahmen, die Konzepte Markt und Organisation zu integrieren suchen. Siehe Raimund Hasse, Organisati-

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Die nächste Organisation

stehen die Überlegungen von Erich Gutenberg noch am Anfang einer Entwicklung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich an Fahrt gewinnt.13 In der Geburtsstunde der modernen Managementlehre werden jedoch wesentliche Entwicklungen bereits vorweggenommen. Das Interesse Gutenbergs besteht im Auffinden bestimmter »Grundformen« des Organisierens sowie der Bestimmung »typischer Verfahrensregeln«14 und zielt auf eine Systematisierung, ohne die der Blick auf die Organisation durch deren empirische Heterogenität und die daraus resultierende Unübersichtlichkeit verstellt bliebe. Den zeitgenössischen Diskursstand charakterisiert Gutenberg als unzureichend. Zwar erkennt er den Wert von Einzelfallstudien, im Verweisen auf fehlende »allgemeine Verfahrensregeln« markiert er jedoch ein entsprechendes Desiderat.15 Das gutenbergsche Projekt des Entdeckens des »organisatorisch Allgemeinen im organisatorisch Besonderen« sieht eine »Reduzierung der mannigfachen Vielheit organisatorischer Erscheinungen auf bestimmte Grundformen« vor.16 Aus dieser »mannigfachen Vielheit« soll ein organisationales Grundprinzip abgeleitet werden, das in der Lage ist, alle empirischen Verschiedenheiten aufzunehmen. Bei den zu identifizierenden Letzteinheiten handelt es sich um das Material, das ermöglichen soll, die Organisation auf den Begriff zu bringen.17 Das eigene Vorgehen verortet Gutenberg ununterscheidbar zwischen wissenschaftlicher Beobachtung und dem Anspruch praktischer Organisationsgestaltung. Eine Unterscheidung zwischen »theoretischer Einsicht und organisatorischer Realisierung« stellt für ihn keine sinnvolle Kategorie dar, da sein Praxisbegriff die Reflexion organisatorischer Formenvielfalt bereits beinhaltet. Empirisch setzt der Mechanismus

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onsforschung und Wettbewerb, in: Maja Apelt, Uwe Wilkesmann (Hg.), Zur Zukunft der Organisationssoziologie, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2015, S. 109-122, hier S. 118. Das Nachdenken über die Machbarkeit von Verhältnissen ist natürlich nicht neu. Die Herausforderungen einer gelingenden Zukunft werden in der Moderne jedoch vornehmlich an Organisationen adressiert, deren theoretische Beschreibungen sich zunehmend ausdifferenzieren. Für einen Überblick der sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts auseinander entwickelnden Möglichkeiten der Theoriebildung unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die verhandelten Konzepte kein Novum der Organisationsforschung darstellen, siehe J. Steven Ott, Jay M. Shafritz, Yong Suk Jang, Classic Readings in Organization Theory. Seventh Edition, South Melbourne: Wadsworth, Cencage Learning 2011. Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 15. Ebd., S. 13. Ebd., S. 14. Mit seinem Anspruch der Reduzierung der Organisation auf deren Letzteinheiten bedient sich Erich Gutenberg einer klassischen Untersuchungsmethode. Wie Heinz von Foerster im Hinblick auf den Umgang mit Komplexität später herausgestellt hat, besteht der erste Schritt im Umgang mit nicht-einsehbaren Zusammenhängen darin, das Problem versuchsweise in kleinere Einheiten aufzuspalten. Ist das Problem an dieser Stelle noch nicht gelöst und die neu gewonnen Bestandteile des Ursprungsproblems noch zu komplex, werden diese weiterhin zerlegt, bis Material vorliegt, das entweder nicht weiter aufgespalten werden kann oder zumindest im Ansatz die Bereitstellung von Erklärungsversuchen erlaubt. Siehe Heinz von Foerster, Die Verantwortung der Experten, in: ders., Wissen und Gewissen. Versuch einer Brücke. Herausgegeben von Siegfried J. Schmidt, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1993, S. 337-346, hier S. 337. Die Parallele zum Mechanismus der Organisation im Sinne der strukturellen Ausdifferenzierung auf Basis fortschreitender Spezialisierung ist augenscheinlich.

5. Die Berechnung der Organisation

der Organisation für Gutenberg Theorie und damit bestimmte handlungsleitende Einsichten voraus.18 Der gutenbergsche Anspruch auf Allgemeinheit ist in dieser Hinsicht ein besonderer Anspruch. Die Konzeption Gutenbergs ist nicht nur im Hinblick auf den Modus organisationaler Strukturbildung von Interesse, vielmehr wird ein spezifischer Umgang mit klassisch erkenntnislogischen Problemstellungen erkennbar. Die Organisation Gutenbergs steht für mehr als nur eine Theorie der Organisation. Dies zeigt nicht zuletzt sein Ausgangspunkt, das Verhältnis von Allgemeinheit und Besonderheit bestimmen zu wollen. So bietet die Unterscheidung allgemein/besonders einerseits die Möglichkeit, den Blick auf organisationale Grundmechanismen zu lenken, wie sie gleichzeitig die unterscheidungslogische Tatsache unterstreicht, dass sich die vermeintlichen Antonyme jeweils bedingen. Allgemeines ist ohne Besonderes nicht zu haben und dies gilt auch umgekehrt. Besonders kann nur etwas sein, wenn es sich von einem zugrundeliegenden Allgemeinen abhebt. Die Markierung der einen Seite der Unterscheidung impliziert zugleich das unmarkierte Mitführen ihrer Rückseite. Für die Praxis der Organisation heißt dies, dass es in Organisationen zu einer fortlaufenden Aktualisierung der Unterscheidung von Allgemeinem und Besonderem kommt. Die Herausforderung des sich Zurechtfindens in Organisationen entspricht praktisch dem Umgang mit bestimmten Rahmenvorgaben, die aus den immer anliegenden Erwartungen der Mitgliedschaft resultieren. Das Manövrieren durch den organisationalen Alltag ist nichts anderes, als allgemeine Regeln der Aufgabenerfüllung und Mitgliedschaft im Er- und Ausfüllen ständig zu respezifizieren.19 Aus Allgemeinem

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»Die Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft hat nun auf diesem organisatorischen Gebiete zu Besonderheiten geführt, die methodologisch interessant sind, weil sich in ihnen bereits theoretische Einsicht und organisatorische Realisierung verknüpft.« Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 18. Thomas Kurtz macht darauf aufmerksam, dass professionelle Autonomie im Sinne einer solchen Respezifikation begriffsgeschichtlich als Gegensatz zum Begriff der Organisation eingeführt wurde, wenngleich dies durch die stärkere Berücksichtigung der Mechanismen von Organisationen im Verlauf der Theoriegeschichte etwas abgeschwächt wurde. Siehe Thomas Kurtz, Organisation und Profession im Erziehungssystem, in: Wolfgang Böttcher, Ewald Terhart (Hg.), Organisationstheorie in pädagogischen Feldern. Analyse und Gestaltung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004, S. 43-53. Professionelles Handeln und Professionszugehörigkeit sind begrifflich zu unterscheiden, auch wenn der Wortstamm dazu verführen kann, diese Differenz einzuziehen. Für professionelles Handeln sind mangelnde Standardisierbarkeit sowie Interaktionsabhängigkeit zentral. Mechanismen der Schließung und Deutungshoheit, wie sie für Professionen vorausgesetzt werden, sind damit nicht automatisch vorausgesetzt. Hierzu siehe Thomas Kurtz, Professionen und professionelles Handeln. Soziologische Überlegungen zur Klärung einer Differenz, in: Sibylle Peters, Professionalität und betriebliche Handlungslogik. Pädagogische Professionalisierung in der betrieblichen Weiterbildung als Motor der Organisationsentwicklung, Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG 1998, S. 105-121. Das Verhältnis von Professionalität und Organisation nimmt auch Thomas Klatetzki in den Blick. Für ihn zeichnen sich professionelle Arbeitsaufgaben dadurch aus, dass sie nicht durch Vorschriften vorstrukturiert sind, sondern sich als nichtroutinisierbar darstellen. Siehe Thomas Klatetzki, Professionelle Arbeit und kollegiale Organisation. Eine symbolisch interpretative Perspektive, in: Thomas Klatezki, Veronika Tacke (Hg.), Organisation und Profession, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 253-283.

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wird Besonderes. Was im Versuch der Theoretisierung der Verschachtelung von Unterscheidungen gleichkommt, deren Handhabung auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung Reflexivität unterstellt, ist auf der Ebene des Alltags nichts anderes als Praxis. Das Gelingen von Organisation ist eine pädagogische Problemstellung, die durch die tagtägliche Gewöhnung an diese Konstellation den Anforderungsreichtum von Organisationen leicht zu überdecken vermag.20 Organisationale Verhaltenserwartungen beanspruchen für gewöhnlich ein Maß an Allgemeingültigkeit, sodass jeder Einzelfall in ihnen aufzugehen hat. Die Leistungsfähigkeit von Organisationen besteht aus dieser Perspektive darin, Verhalten zu orientieren, ohne dass ständig Nachfragen produziert werden, die die Ruhe des Normalbetriebs empfindlich zu stören drohen. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Verbindlichkeit von Strukturvorgaben wird jedoch im Umkehrschluss deutlich, dass jede Arbeitsanweisung, jede Dienstvorschrift oder jede zu erreichende Zielstellung auf die Hervorbringung ganz bestimmten und damit besonderen Verhaltens abzielt. Im Rahmen allgemeiner Vorgaben offenbart sich ein besonderer Zuschnitt, während deren Besonderheit wiederum auf einen allgemeinen Rahmen verweist. Regelfall und Einzelfall bilden so, je nach Perspektive, Vorder- oder Rückseite, illustrieren sich wechselseitig und stabilisieren das organisationale Dual von Struktur und Subjekt. Das Begriffspaar allgemein/besonders erscheint als Vexierbild, das, im Modus potentieller Oszillation, die jeweils abgeschattete Rückseite verfügbar hält. Wie regelmäßiges und unregelmäßiges Verhalten gehören auch Allgemeines und Besonderes zusammen, schon aus dem Grund, weil sie regelmäßig gegeneinander in Stellung gebracht werden und darin ein gegenseitiges Bedingungsverhältnis besteht. Der Zugang von Erich Gutenberg, organisatorische Allgemeinheiten herauspräparieren zu wollen, sitzt auf dieser Konstellation auf. Organisationen unterscheiden sich empirisch voneinander und genau in dieser Hinsicht sind sie alle gleich. Die gutenbergsche Leitfrage ist die, wie es möglich ist, ein Modell der Organisation zu konstruieren, das in der Lage ist, Argumente der empirischen Vielgestaltigkeit sowie der Beobachterrelativität vom Tisch zu nehmen und gleichzeitig die Ableitung von Implikationen für eine gelingende Praxis der Organisation zu ermöglichen. Wie lassen sich ordnungsgemäß geplante Abläufe, die entsprechend übersichtlich sind, kontrollierbar machen, sodass Komplexität reduziert und handhabbar gemacht werden kann, um das Prinzip der Organisation in seiner Leistungsfähigkeit auf einen neuen Höhepunkt zu führen? Gutenbergs theoretischer Anspruch, übergreifende Allgemeinheiten auszumachen, korrespondiert mit dem Selbstverständnis, präzise und zielgerichtet Einfluss auf

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Die Leistung der jeweiligen Respezifikation von Rahmenvorgaben ist in ihrer pädagogischen Dimension überaus bemerkenswert. Organisationen sind Orte der Artifizialität, denn außerhalb von Organisationen lässt sich ein solch spezifisches und zielgerichtetes Verhalten für gewöhnlich nicht beobachten. Als beispielhafte Mechanismen zur Erzeugung eines derart künstlichen Verhaltens nennt Dirk Baecker etwa die Aufforderung zur Übernahme von Arbeitsaufgaben, eine hierarchische Ordnung von Kommunikationen, Regeln der Kollegialität, das Zurückgreifen auf eine bestimmte Sprache sowie die Einhaltung eines Dresscodes, der ggf. wiederum Teil eines spezifischen Corporate Designs ist. Siehe hierzu etwa Dirk Baecker, Der Witz der Organisation, in: Frank E. P. Dievernich (Hg.), Kommunikationsausbrüche. Vom Witz und Humor der Organisation, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2001, S. 221-232, hier S. 221.

5. Die Berechnung der Organisation

das Geschehen der Organisation nehmen zu können, und markiert die Relevanz seiner Überlegungen für die entstehende Managementlehre.

5.1

Das Prinzip der Rechnung als Modus organisationaler Strukturbildung

Die Suche nach der Organisation setzt eine bestimmte Auffassung von Zwecken und Mitteln voraus. Dem Vorhaben, allgemeine Grundformen des Organisierens zu bestimmen, stellt Gutenberg deshalb ein entsprechendes Verständnis von Organisation voran. Um die notwendigen begrifflichen Voraussetzungen seiner Analyse von Strukturbildungsprozessen zu schaffen, legt er sich den Begriff der Organisation zurecht. Die Organisation fungiert für Erich Gutenberg als »Mittel zur Erfüllung des Unternehmenszweckes«21 und stellt damit ein methodisch-planmäßiges Instrument dar, das zielgerichtet funktioniert. Auf diese Weise setzt Gutenberg auf eine spezifische Form von Rationalität, die für seine Überlegungen zentral und maßgebend ist. Organisation und Zweck-Mittel-Rationalität liegen begrifflich aufeinander. Auch der gutenbergschen Logik des Gelingens liegen Annahmen von bestimmten Regeln zugrunde, damit die Organisation als reibungslos funktionierend gedacht werden kann. Den Prozessen der Organisation werden Stabilität und Steuerbarkeit unterstellt, damit sich die jeweiligen Arbeitsvollzüge planen und in diesbezügliche Regelwerke überführen lassen können. Die zentrale Maßgabe der Kontrollierbarkeit ist wiederum von bestimmten Voraussetzungen abhängig. Die Möglichkeit eines Abgleichs von Soll- und Ist-Zustand »bedarf bestimmter Mittel und Einrichtungen, deren Inanspruchnahme den möglichst reibungslosen Vollzug dieser Zielsetzungen ermöglicht.«22 So bietet das Vorschreiben von »festgelegte[n] Schematen« die Antwort auf die Frage, was im Rahmen der Organisation möglich ist.23 Das Formular – das für Gutenberg zentral ist – stellt nur bestimmte Optionen des Eintragens zur Verfügung und verunmöglicht ein beliebiges Vorgehen. Als Mechanismen der Ordnungsbildung strukturieren und formieren Vorschriften und Formulare die Handlungsspielräume, die sich für das Verfolgen der Organisationsziele bieten. Dabei müssen Entscheidungsautoritäten und Zuständigkeiten klar definiert sein.24 Erst diese Mechanismen der Strukturbildung ermöglichen es Gutenberg, die Organisation als ein gestaltungsfähiges Mittel zum Zweck zu konzipieren. Gestaltungsabsicht und Zwecksetzung gehen programmatisch Hand in Hand. Um das »Schicksal der Unternehmung«25 gestalten zu können und nicht erleiden zu müssen,26 setzt Erich Gutenberg auf einen spezifischen Modus organisationaler Strukturbildung, der auf der systematischen Ausschaltung von Kontingenz basiert. Den Mittelpunkt der Organisation verlegt er dazu ins Rechnungswesen, das eine umfassende

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Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 11. Ebd., S. 11. Ebd., S. 13. Ebd., S. 12. Ebd., S. 13. Der Bezug auf das bekannte Kant-Zitat der Gestaltbarkeit des Schicksals soll ein Hinweis darauf sein, dass den Ausführungen Gutenbergs eine grundsätzlich aufklärerische Position zugrunde liegt.

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»Betriebskontrolle«27 gewährleistet. Im Rechnungswesen kommt es »zum Aufsaugen der Ziffern«, die »Einblick in die Gebarung auch der einzelnen Betriebsabteilungen« ermöglichen, vorausgesetzt, sie werden »nach festgelegten Schematen und in diese hinein verarbeitet.«28 Das Rechnungswesen produziert quantifizierte Informationen, die maßgeblich für die organisationale Entscheidungsfindung sind und der Verdatung der Organisation in die Hände arbeiten.29 Kontrollierbarkeit und Stabilität der Organisation erscheinen als Resultat ihrer Berechenbarkeit. Das gutenbergsche Vertrauen in die Prinzipien der Organisation sowie sein Insistieren auf rationale Maßgaben beruhen auf mathematischer Regelhaftigkeit. Genau genommen operiert Gutenberg mit einem doppelten Verständnis von Rationalität. Indem er den Begriff verdoppelt, gibt er ihn einerseits in der Ausweitung auf alle Bereiche menschlichen Tuns für eine organisationstheoretische Engführung auf, während er auf der anderen Seite an einer logisch bereinigten Variante festhält, die er für seine Vorstellung einer numerischen Organisation benötigt. Zwischen Rationalität und seinem Idealtypus rationaler Rationalität besteht ein Unterschied. Gutenberg geht davon aus, dass menschliches Handeln grundsätzlich an rationalen Maßgaben orientiert ist, ihm also das Beziehen von Mitteln auf Zwecke zugrunde liegt.30 Rationales Agieren ist damit im Alltag immer schon vorausgesetzt.31 Für einen reibungslosen Voll-

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Ebd., S 12. Ebd., S. 13. Analog dazu formuliert Eve Chiapello: »Rechnungslegungskonzepte sind aber vor allem Ausdruck der Vorstellung, was eine Unternehmung eigentlich ist.« Entscheidend für diese Vorstellung ist die Rolle von Zahlen als Planungsindikatoren, die organisationale Entscheidungen erleichtern, wenn nicht vorwegnehmen. Chiapello verstellt jedoch die eigene Pointe durch die Verwendung von zwei Begrifflichkeiten: Zum einen konzipiert sie Zahlen als Kommunikation und greift wiederholt auf den Begriff der Zahlensprache zurück, zum anderen versteht sie Quantifizierung als Vorgang der Übersetzung von Ereignissen in Zahlen. Die Pointe wird jedoch wesentlich schärfer, wenn man, vor dem Hintergrund der exklusiven Anschlusslogik von Zahlen, die Differenz von Zahl und Sprache betont. Gerade für eine wirtschaftskritische Position, die gegen ökonomische Machtverhältnisse argumentiert, bietet es sich an, die Wirkmächtigkeit von Zahlen in den Blick zu nehmen, um dem eigenen Argument Nachdruck zu verleihen. Siehe Eve Chiapello, Die Konstruktion der Wirtschaft durch das Rechnungswesen, in: Rainer Diaz-Bone, Getraude Krell (Hg.), Diskurs und Ökonomie. Diskursanalytische Perspektiven auf Märkte und Organisationen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S. 125-149, hier S. 134. »Es ist nun aber für alles menschliche Schaffen und Handeln charakteristisch, daß es sich in der Zweck-Mittel-Relation vollzieht. […] An sich liegt nun das Denken in der Zweck-Mittel-Relation allem menschlichen Entschlüssefassen oder »vernünftigen« Handeln zu Grunde, und zwar nicht nur im wirtschaftlichen Leben, sondern im menschlichen Leben überhaupt.« In diesem Sinne verwehrt sich Gutenberg gegen die vorschnelle Diagnose eines wirtschaftlichen Primates, was gegenwärtig unter dem Label der Ökonomisierung verhandelt wird. Denn Abwägen und Vergleichen alleine reichen nicht aus, um das Prinzip der Wirtschaftlichkeit zu bestimmen. »Das ist ein Irrtum. Verglichen, abgewogen, abgestimmt wird auch auf anderen Gebieten der menschlichen Lebensäußerungen, auch im Bereiche des Psychischen.« Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 30f. Diese Annahme ist auf den ersten Blick nur mit einiger Mühe in den Bereich unsinniger Hypothesen zurückzuweisen, erscheint es in der Regel doch einleuchtend, für Handlungen Gründe angeben zu können und damit Mittel auf Zwecke zu beziehen. So schützen in der Regel Verweise auf Strukturdeterminiertheit von Verhältnissen nicht davor, sich mittels Entscheidungen im Hinblick

5. Die Berechnung der Organisation

zug von Organisationsgeschehen kann ein solches Verständnis von Rationalität jedoch nicht genügen. Denn die Fehleranfälligkeit alltäglicher Praktiken und Routinen vor dem Hintergrund von Situativität und Gewohnheit taugt nicht zu einem allgemeinen Diktum der Organisation. Im Blick auf Organisation zielt das gutenbergsche Konzept der Rationalität deshalb auf eine exakte Plan- und Kontrollierbarkeit von Zweck-MittelRelationen durch Berechnung. Der Rückgriff auf Zahlenwerte bei der Gestaltung von Organisationsstrukturen ermöglicht die Realisierung des alten Traums der Organisation einer störungsfreien Zweckerreichung, deren Mittel logisch konsistent miteinander verknüpft sind. Den Anspruch, das Allgemeine der Organisation ausmachen zu können, löst Gutenberg darüber ein, sämtliche organisationale Vorgänge als numerisches Prozessieren aufzufassen, um gleichzeitig nicht die konkrete Ausgestaltung von Organisationen thematisieren zu müssen.32 Was allen Organisationen gemein ist, ist die Möglichkeit, ihre Komponenten und Vollzüge als zahlenförmige Zusammenhänge beobachten zu können. Die Kontrollketten, die bei Taylor durch die durchgeführten Messungen das Geflecht organisationaler Strukturbildung ausmachen, werden bei Gutenberg durch Kausalitätsketten ersetzt.33 Kausalität deshalb, da der Stellenwert der Einzelelemente im

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auf Alternativen zu verhalten. Die Fähigkeit, Gründe für sein Tun angeben zu können, ist für das Leben in der organisierten Moderne zentral und die Voraussetzung dafür, das eigene Handeln selbst verantworten zu können. Wer nicht in der Lage oder bereit dazu ist, Gründe für sein Tun anzugeben, läuft Gefahr, als unzurechnungsfähig bezeichnet und damit von denen unterschieden zu werden, für die die Offenlegung von Gründen kein Problem darstellt. Das Aufrechterhalten logischer Maßstäbe ist bei der Angabe von Gründen jedoch nicht zwingend notwendig. Fehler gemacht oder falsch entschieden zu haben, wird im Modus der Retrospektive mittels entsprechender Begründungen kompensiert. In diesem Sinne ist auch das Handeln aus dem Bauch heraus eine Ex-postRationalisierung dafür, ex-ante vielleicht keine Gründe auf der Hand gehabt, aber dennoch agiert zu haben. Ungewöhnlich wäre demgegenüber, ohne entsprechende Gründe zu agieren. Sich nicht der Logik von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen hingeben zu wollen, kommt einer gewollten Negation von Kausalität gleich. Vermieden werden soll der Status des Vollzugsgehilfen und zwar unabhängig davon, ob etwa Volitionswelt, triebhafte Neigungen oder soziale Verhältnisse zum Tun bewegen. Hier wartet sogleich ein bedeutungsschwerer Freiheitsbegriff, der von dieser Warte aus dafür in Anspruch genommen werden kann, grundloses Agieren bestimmen zu können. Für eine solche Bestimmung von Freiheit siehe Carl Hegemann, Freiheit ist, grundlos etwas zu tun. Über die Zukunft eines Begriffs, in: Christoph Menke, Juliane Rebentisch (Hg.), Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus, Berlin: Kulturverlag Kadmos 2010, S. 81-86. »Es ist nun nicht nötig, den ganzen organisatorischen Apparat zu schildern, den allein die kaufmännischen Abteilungen eines Unternehmens tragen, und der geschaffen ist, um die zwei Grundakte jedes Unternehmens: Kauf und Verkauf von Ware durchführen zu können.« Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 12. Auf die Relevanz der gutenbergschen Habilitation verweist auch Herbert Jacob und macht auf ihren richtungsweisenden Charakter aufmerksam. Besonders hebt Jacob die Berücksichtigung von Zusammenhängen hervor, die bis dato nicht Teil entsprechender Überlegungen waren. Jacob selbst greift Gutenbergs Kostentheorie auf, um den Übertrag einer mathematischen Methode auf ein technisches Prinzip zu erproben. So wird aus dem ursprünglichen Formular eine Lochkarte, die schneller Auskunft über Notwendigkeiten und Möglichkeiten geben soll. Aus dem Maschinenbelegungsplan lässt sich Jacob zufolge ersehen, inwiefern sich Organisation und Markt in einem Passungsverhältnis befinden. Siehe Herbert Jacob, Produktionsplanung und Kostentheorie, in: Helmut Koch (Hg.), Zur Theorie der Unternehmung. Festschrift zum 65. Geburtstag von Erich

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kalkulatorischen Gefüge der Organisation nicht beliebig, sondern berechnet und damit präzise bestimmt ist. Die einzelnen Elemente stehen in einem Zusammenhang, da die Abfolge der aufeinander bezogenen Kettenglieder aus mathematischer Regelhaftigkeit resultiert. Mathematisch modellierte Zusammenhänge stehen durch die strikte Regulierung der Verknüpfung der Einzelelemente idealtypisch für die Negation der These, dass alles möglich ist. Der methodologische Glaubenssatz des »anything goes« gilt nicht für die Anwendung von Formeln34 und die Kontrollprobleme Taylors werden bei Gutenberg zu mathematischen Aufgaben. An die Stelle von Taylors Methodenset tritt somit eine frühe Form des Management by Numbers – die errechnete Organisation.35 Nur rechenmäßig lassen sich die einzelnen Funktionsbereiche der Organisation wie Einkauf, Produktion, Lagerung oder Instandhaltung – aber auch Personalmittel – zueinander in Beziehung setzen.36 Berechenbarkeit und Verlässlichkeit bedingen sich gegenseitig und die mathematischen Regeln der Verknüpfung von Einzelelementen ermöglichen Routine und Stabilität. Die daraus resultierende Reibungslosigkeit arithmetischer Konnektivität lässt die Organisation als Rechenmaschine erscheinen und, hiermit gleichbedeutend, störungsfrei und ohne Übertragungsverluste operieren. Rechenwege definieren Verfahrensabläufe. Während das Adjektiv wissenschaftlich im Vorgehen Taylors noch auf die Notwendigkeit zu messen verweist, errechnen die mathematischen Kalküle Gutenbergs die organisationale Wirklichkeit. Die Organisation konsequent als rechenbasier-

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Gutenberg, Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler 1962, S. 205-268. Die Formulierung der Kausalitätskette kann sowohl als Bezug auf das gegenseitige Bedingungsverhältnis einzelner Variablen verstanden werden, wie sie gleichermaßen im Hinblick auf einen technischen Zusammenhang – etwa im Sinne einer Lochkarte – aufmerksam zu machen vermag. Eine Beschreibung von Managementaufgaben mit dem Begriff der Sozialtechnologie würde hier ins Leere laufen. Hier ist nicht etwa die Unverhandelbarkeit mathematischer Prinzipien zentral – vielmehr besteht die einzige Regel im Verzichten auf ein grundsätzlich geregeltes Vorgehen. Zur Einordnung und Kommentierung einer methodologischen Anarchie im Sinne Paul Feyerabends siehe Lars-Göran Johansson, Philosophy of Science for Scientists, Cham: Springer International Publishing Switzerland 2016, S. 115f. Die Rolle numerischer Praktiken für die Strukturgestaltung von Organisationen thematisieren auch Mahmoud Ezzamel, Keith Hoskin und Richard Macve: »Managing by the numbers is a sine qua non of modern organizational life.« Möglichkeiten der Kontrolle und Standardisierung erhalten auf einer quantifizierten Basis eine neue Qualität. Dabei stellen Ezzamel, Hoskin und Macve einen Unterschied von sprachlichen und numerischen Praktiken fest. Ohne diesen zwar analytisch im Hinblick auf unterschiedliche Eigenlogiken aufzuschließen, verweisen die Autoren dennoch auf eine fortschreitende Ausdifferenzierung kalkulativer Praktiken, die der spezifischen Logik von Zahlverknüpfungen folgt. Siehe Mahmoud Ezzamel, Keith Hoskin, Richard Macve, Managing It All By Numbers: A Review of Johnson & Kaplan’s ›Relevance Lost‹, in: Accounting and Business Research 20 (1990) 78, S. 153-166. In diesem Sinne kommentiert Erich Gutenberg seine theoretische Konzeption rückbetrachtend in einem zunächst unveröffentlichten Manuskript. Er schreibt: »So also formulierte ich die Unternehmung, sofern sie in theoretischer Absicht interessiert, als einen allgemeinen Bezugszusammenhang, als ein System von Beziehungen zwischen den Variablen des Unternehmungssystems, dessen Elemente als Sachgüter, Arbeits- und Dienstleistungen angegeben wurden.« Siehe Erich Gutenberg, Die Theorie der Unternehmung, in: Horst Albach (Hg.), Zur Theorie der Unternehmung. Schriften und Reden von Erich Gutenberg. Aus dem Nachlaß, Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo: Springer 1989, S. 29-43, hier S. 42.

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tes Zahlengebäude zu konzipieren, markiert die differentia specifica der beiden Konzepte einer verdateten Organisation. Gutenberg kann auf anthropologische Ableitungen sowie deren etwaige soziale Dimension verzichten. Dass der Mensch seiner Natur gemäß Arbeit zu vermeiden suche, spielt genau so wenig eine Rolle, wie ein mögliches Gegenteil, bei entsprechendem Interesse organisationale Erwartungen überzuerfüllen. Die Frage nach Regel und Ausnahme, die Frage nach der Entsprechung von Verhaltenserwartungen im Rahmen festgelegter Handlungsspielräume steht demzufolge nicht im Zentrum der organisationalen Strukturbildung. Bemerkenswerterweise kommentiert Gutenberg das messbasierte Ansteuern der Sachebene im Betrieb taylorscher Prägung später auffallend kritisch. So bemerkt er mit einem gewissen Unbehagen die vollständige Versachlichung von menschlichen Beziehungen.37 Dass im Rahmen vermessener Strukturbildung die soziale Dimension in den Hintergrund tritt, ist jedoch auch ohne anti-humanistische Intention der sachlichen Funktionslogik metrisch bestimmter Strukturkomponenten geschuldet.38 Die Vermessung von objektiven Größen nimmt zwangsläufig keine Rücksicht auf individuelle Gefühlslagen. Ein sozialmotiviertes Argument ergänzt eine empiriebasierte Kritik39 und verrückt die Kommentierung der taylorschen Überlegungen ein Stück in Richtung der Normativität klassisch humanzentrierter, aber auch kulturpessimistischer Prägung. Dies vermag zu überraschen, denn die Überantwortung der Organisation an ein rein sachlogisches Prinzip der Strukturbildung – wie die konzeptuelle Quantifizierung des Betriebs – setzt eine vorwiegend sozialmotivierte Kritik unter Plausibilitätsdruck. Auch auf der Sachebene spart Gutenberg nicht mit Kritik und zeichnet in der eigenen Auseinandersetzung mit den Überlegungen Taylors ein unübersichtliches Bild der taylorschen Organisation. Die Ausdifferenzierung von immer mehr Spezialrollen 37

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»Bei der Vielzahl von Vorgesetzten droht der Kontakt mit den Vorgesetzten verloren zu gehen, die menschlichen Beziehungen versachlichen vollständig, die Führungsauslese gelingt nicht mehr.« Dabei geht der Nachsatz über eine scheinbar humanistische Kritik hinaus, indem im Hinblick auf das Scheitern von Führungsauslese ein Modus der Selektion angesprochen wird, der hier personenabhängig zu denken ist. Dabei geht es folglich weniger um den Einsatz des taylorschen Instrumentariums, als vielmehr darum, unter Rückgriff auf Erfahrung und Intuition, auf Basis zwischenmenschlicher Kontakte, Entscheidungen zu treffen, die ausdrücklich noch nicht vorweggenommen sind. Siehe Erich Gutenberg, Unternehmensführung. Organisation und Entscheidungen, Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler 1962, S. 121. Genau genommen ist Taylors Argumentation jedoch eine doppelte: Er adressiert zwar auf der einen Seite einen methodologischen Individualismus der Mitarbeitenden, andererseits betont er aber wiederholt die soziale Dimension des Betriebsgeschehens. Das Miteinander von Planenden und Ausführenden ist Teil seiner Agenda, indem er wiederholt die Relevanz eines »freundschaftlichen Zusammenarbeitens« (S. 29) betont. Er schreibt: »Jeder einzelne Mann sollte fortwährend von seinen Vorgesetzten angeleitet und in freundlichster Weise unterstützt, anstatt entweder herumgehetzt und geschurigelt oder aber gänzlich sich selbst überlassen zu werden.« Siehe Frederick W. Taylor, Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, München und Berlin: R. Oldenbourg 1919, S. 27. So betont Erich Gutenberg, dass sich das Scientific Management von Frederick Taylor in der Praxis nicht durchgesetzt habe. Als Ursachen nennt Gutenberg neben grundsätzlichen – jedoch nicht näher spezifizierten – Einwänden die Preisgabe hierarchischer Ordnung zugunsten des »direkten Weges« und insistiert damit gegen das Prinzip funktionaler Zuständigkeiten. Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 121.

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konterkariert Gutenberg zufolge die Möglichkeit eines ordnungsgemäß ablaufenden Betriebsgeschehens.40 Management wird zu einem Problem. Indem Spezialisten versuchen, einzelne Tätigkeiten und Funktionsbereiche zu optimieren, gehen auf Basis der Vielzahl resultierender Hierarchieebenen Übersichtlichkeit und Transparenz verloren.41 Es entstehen »lokale Rationalitäten«,42 während der Anspruch auf die eine allgemeinverbindliche Rationalität verlorengeht. Am Ende steht für Erich Gutenberg ein 40

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Ein grundsätzliches Managementproblem sollte durch ein verbindliches Methodenset handhabbar gemacht werden. Die Intention scheint klar: Die »wirre Masse von Faustregeln und ererbten Kenntnissen«, die Taylor beklagt und die die konkreten Abläufe bestimmen, geht auf mündliche Überlieferung zurück und läuft einem Anspruch der Kontrollierbarkeit zuwider. Was fehlt, ist nicht nur die systematische Analyse der notwendigen Abläufe, sondern auch eine entsprechende Dokumentation. Ohne diese macht sich die Organisation von bestimmten Personen abhängig. Der gesuchte Mechanismus der Tradierung jedoch sollte genau diese Störunfälligkeit mündlicher Überlieferung nicht bieten, um damit dem Fortschreiten der Zeit trotzen zu können. Siehe Frederick W. Taylor, Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, S. 33. Auch im Hinblick auf unterschiedliche Vorstellungen hierarchischer Konstellationen – wie etwa die Unterscheidung von Zentralisation und Dezentralisation – gilt das bereits wiederholt angeführte unterscheidungstheoretische Argument, dass beide Begriffe, wenn sie als unterschiedliche Optionen von Planung verstanden werden, eine unmarkierte Rückseite mitführen. Zwar können Zentralisation und Dezentralisation etwa im Hinblick auf den jeweiligen Steigungswinkel, der für die Konstruktion von Hierarchie vorgesehen ist, unterschieden werden, dennoch wäre es ein Schnellschuss, zu beanspruchen, Organisationspraxis ließe sich ohne Weiteres auf eine Seite festlegen. Auch in steilen Hierarchien vermag mitunter Leben zu pulsieren, sodass sich Abläufe etablieren, die nicht einer planerischen Ausgangsintention zu entsprechen vermögen. Intransparenz und Komplexität, mit der Organisationen ab einer gewissen Größe konfrontiert sind, sind nicht zuletzt das Ergebnis fortschreitender Arbeitsteilung und damit einhergehender qualifikatorischer Erfordernisse. Je mehr Spezialrollen in organisationalen Gefügen ausdifferenziert sind, desto größer ist zum einen der Koordinationsbedarf, diese aufeinander abzustimmen, und desto spezifischer werden zum anderen die einzelnen Qualifikationsprofile. Dass ein Management, das idealtypisch zwischen Planung und Ausführung getreten ist, nicht en detail über die notwendigen Kenntnisse der Arbeistausführung verfügen kann, liegt auf der Hand. Eine solche gelebte Dezentralität war einer der Ausgangspunkte Taylors, indem er von der Diagnose ausging, dass die Betriebsleitung in der Regel über wenig fundierte Kenntnisse der eigentlichen Abläufe verfügt. Er notiert: »Die erfahrensten Leiter überlassen deshalb gern ihren Arbeitern die Lösung des Problems, wie sie ihre Arbeit am besten und praktischsten verrichten.« Die Expertise in Sachen Aus- und Durchführung lag also – trotz der zwischengeschalteten Hierarchieebene der Meister – bei den Angestellten. Unabhängig von der formalen betrieblichen Hierarchie bot der Alltag im zu reformierenden Betrieb offensichtlich Möglichkeiten, diese zu umgehen. Diesem Problem einer tradierten Methodenpluralität begegnet Taylor mit einem Instrumentarium, das in der Sache für sämtliche Betriebsabläufe Gültigkeit beansprucht. Dies wurde ausführlich diskutiert und dennoch sei noch einmal darauf verweisen, dass Taylors Anspruch gerade in der Zentralisierung des Betriebsgeschen mittels Objektivierung bestand. Ebd., S. 34. Lokale Rationalität, im Sinne von Richard M. Cyert und James G. March, meint in Organisationen die Folge von Spezialisierung und Delegation, sodass eine ursprünglich komplexe und mehrdeutige Situation, die durch Interdependenz und Widersprüchlichkeit gekennzeichnet ist, derart vereinfacht wird, dass angenommen werden muss, dass Anforderungen an Entscheidungen unterlaufen werden. Lokale Rationalität ist dementsprechend die Folge einer dysfunktionalen und dekontextualisierenden Komplexitätsreduktion, die Vereinfachung einer angemessenen Auseinandersetzung vorzieht. Siehe Richard M. Cyert, James G. March, Eine verhaltenswissenschaftliche Theorie der Unternehmung. 2. Auflage. Deutsche Ausgabe herausgegeben vom Carnegie Bosch

5. Die Berechnung der Organisation

chaotischer Betrieb, in dem klare Weisungsbefugnisse oder eindeutige Befehlsketten nicht mehr möglich sind.43 Der Hintergrund seiner Kritik funktional orientierter Zuständigkeit ist klar: Je höher das Maß an Spezialisierung, desto größer wird aufgrund der Gleichzeitigkeit der verschiedenen Handlungsvollzüge der Koordinationsbedarf innerhalb der Organisation.44 Der Anspruch an Transparenz und Ordnungsmäßigkeit im vermessenen Betrieb scheint von dieser Warte aus sein genaues Gegenteil zu provozieren. Für Gutenberg führt das Ziel des einen besten Weges in chaotische Verhältnisse. Was er im Umkehrschluss als blinden Fleck Taylors markiert, ist das Fehlen eines einheitlichen Zugriffs auf die einzelnen Betriebsabteilungen, für den er die Funktion des Rechnungswesens ausmacht.45 Die Zahlenförmigkeit der einzelnen Strukturkomponenten soll aufgrund der damit einhergehenden Transparenz beliebige Zugriffsmöglichkeiten offenhalten.46 Die rechenbasierte Exkommunikation des Zufalls wird zum Ergebnis der Berechnung der

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Institut. Übersetzt von Gerda Bernhardt und Siegfried Gagsch, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag 1995, S. 158f. Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 121. Das Verhältnis von Organisationsgröße und Steuerung hat Stefan Kühl an Vorreiter-Unternehmen der New Economy untersucht. Dabei macht Kühl darauf aufmerksam, dass ursprünglich kleine Organisationen auf Probleme stoßen, sobald Entscheidungen nicht mehr Face-to-Face, d.h. unter Anwesenden, getroffen werden können. Das eigene Wachstum macht aufgrund eines steigenden Koordinationsbedarfes neue Formen von Hierarchie erforderlich, deren Absenz im Aufschwung der Unternehmen maßgeblich für deren Erfolg verantwortlich war und dies aufgrund der Tatsache, dass der notwendige Bedarf an Abstimmung persönlich und damit schnell und flexibel gehandhabt werden konnte. Siehe Stefan Kühl, Jenseits der Face-to-Face-Organisation. Wachstumsprozesse in kapitalmarktorientierten Unternehmen, in: Zeitschrift für Soziologie 31 (2002) 3, S. 186-210. Im Hinblick auf den Modus der Verteilung von Zuständigkeiten ließe sich hier von be- und errechneter Zentralisation sprechen. Der Zugriff auf alle Stellenwerte bleibt im Kalkül der Organisation möglich, da die einzelnen Variablen in einem Verhältnis gegenseitiger Bedingung stehen. Veränderungen wirken sich auf das ganze Kalkül aus, auch wenn der partielle Zugriff durch die Kennziffern der einzelnen Betriebsabteilungen zielgerichtet erfolgen kann. Das sachlogische Konzept der zahlenförmigen Organisation bietet neben dem Verweis auf eine fehlende soziale Komponente mindestens zwei weitere Ansatzpunkte für Kritik: Zum einen bietet sich die Möglichkeit der Kritik der verwendeten Zahlen, die in der Regel auf eine Korrektur dieser abstellt. Andererseits bietet es sich an, ein grundsätzliches Auseinanderfallen von Modell und Wirklichkeit zu monieren. Das macht die Artikulation empiriebasierter Kritik besonders schwierig und verschiebt diese schnell in eine Richtung, die auf einer besonderen Qualität von Welt besteht, welche sich der Zahlenförmigkeit entzieht. Richtungsweisend sind hier Formulierungen, wie dass sich etwas nicht in Zahlen pressen lässt und so dem Prinzip der Abbildung entgegensteht. Eine solche Formulierung verweist auf den Stellenwert anders gelagerter Erfahrungswelten. Was sich nicht in Ziffern ausdrücken lässt, muss folglich Eigenheiten aufweisen, die sich der Reduktion entziehen. Diesen Eigenwerten wird damit eine Qualität zugesprochen, die auf einer Vorstellung von Ganzheitlichkeit basiert, für deren Begründung entweder sinnliche Wahrnehmung oder die Undurchschaubarkeit von Gefühlswelten in Anspruch genommen werden. Eine in diesem Sinne motivierte Kritik der algorithmischen Vernunft wird zur Kritik einer entleerten Welt, deren Eigentlichkeit aus dem Blick gerät. Noch einmal anders formuliert, entzieht sich diese besondere Qualität der Welt ihrer Berechenbarkeit. Umgekehrt erscheint Unberechenbarkeit als Vorwurf an eine Welt, die nicht mehr beherrschbar und verständlich ist.

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Organisation. Der Organisation stehen Mittel und Wege zur fixen Koppelung ihrer Abläufe zur Verfügung, um einen neuen Maßstab der Ordnungsbildung zu ermöglichen, der nicht länger von subjektiven Idiosynkrasien oder sozialer Dynamik abhängig ist, sondern mit dem die Zukunft der Organisation ausschließlich über die Seite der Struktur angesteuert werden kann.

5.2

Reibungslose Konnektivität

Das Leistungsvermögen der Organisation Erich Gutenbergs stützt sich auf die Eigenlogik von Zahlen, die nach dem Vorgang der Reduzierung als Letzteinheiten das Material der Organisation bilden. Das Allgemeine und damit alle Organisationen Einende ist die Möglichkeit, alle Strukturkomponenten zahlenförmig abbilden zu können. Dementsprechend wird die Relevanz von Formularen als Mechanismus der Entscheidungsunterstützung deutlich. Das Formular fungiert als reduzierte Form der Akte, das in der Gestaltung von Handlungsoptionen deren Kontrollierbarkeit gewährleistet, hierfür aber ausschließlich Zahlen benötigt, die durch ein entsprechendes Eintragen die jeweiligen Betriebsvorgänge dokumentieren.47 Das Zusammenspiel von Formular und Zahl sorgt dafür, dass das vorstrukturierte Agieren im Möglichkeitsraum der Organisation auf eine spezifische Form der Anschlussbildung festgelegt ist. Formular und Zahl gehen im Hinblick auf die organisationale Strukturbildung eine produktive Synthese ein. Die Ursache für die Einengung und Strukturierung von Möglichkeiten liegt im modus operandi numerischer Konnektivität. Zahlen führen keine verschiedenen Verständnismöglichkeiten mit sich, sodass Entscheidungen unmittelbar aus rechnerischen Ergebnissen abgeleitet werden können.48 Für ihre Verwendung in Organisationen ist dies von zentraler Bedeutung. Zahlen ist ein Moment der Vorreflexivität eigen, indem sie ein vorsoziales Sein adressieren. Dies bedeutet nicht, dass keine sozialen Muster hinsichtlich der Verwendung oder der Rezeption von Zahlen existieren,49 doch diese Muster

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Die Bedeutung der Systematisierung von Zahlen illustrieren Philipp von Hilgers und Sandrina Khaled anhand der Entwicklung von Tabellenförmigkeit. Dabei machen die Autoren unter anderem darauf aufmerksam, dass sich Alan Turing bei der Entwicklung der nach ihm benannten Maschine des Prinzips der Systematisierung bedient hat, um Möglichkeiten der Eingrenzung modellieren zu können: »Die einzige operative Bedingung, die Turing an die universelle Maschine stellt – und ihr damit einräumt auch gänzlich aus Papier sein zu können –, ist, dass sie mit Tabellen umgehen kann, d.h. Felder zu beschreiben, zu lesen und zu löschen vermag.« Siehe Philipp von Hilgers, Sandrina Khaled, Formationen in Zeilen und Spalten: Die Tabelle, in: Pablo Schneider, Moritz Wedell (Hg.), Grenzfälle. Transformationen von Bild, Schrift und Zahl, Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften 2004, S. 167-189, hier S. 189. Für einen kurzen Überblick der Entwicklung und Verbreitung von Rechenvorgängen vom 3. Jahrtausend vor Christus bis ins digitale Zeitalter siehe Wolfgang Coy, Rechnen als Kulturtechnik, in: Jochen Brüning, Eberhard Knobloch (Hg.), Die mathematischen Wurzeln der Kultur. Mathematische Innovationen und ihre kulturellen Folgen, München: Wilhelm Fink Verlag 2005, S. 43-64. Zu gesellschaftlichen Konventionen im Umgang mit Zahlen und der daraus resultierenden Entstehung sozialer Wirklichkeiten siehe Hendrik Vollmer, Grundthesen und Forschungsperspektiven einer Soziologie des Rechnens, in: Sociologica Internationalis. Internationale Zeitschrift für Soziologie, Kommunikations- und Kulturforschung 41 (2003) 1/2, S. 1-23.

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sind die Folge der algebraischen Eigenlogik. Im Hinblick auf Zahlengebrauch kann eine gewisse Vorverständigung angenommen werden und damit eine Form von Konsens über den wahren Wert der Zahl.50 Das Präfix vor ist streng genommen ein nach, das in einer entlastenden Funktion bezüglich sozialer Aushandlungsprozesse für deren Vorwegnahme steht. Maßgeblich für diese Eindringlichkeit der Zahl ist der Umstand, dass ihr Zustandekommen in der Regel abgeblendet ist.51 Dass auch sie gemacht – berechnet – ist, ist jedoch in der Prägnanz der Zahl invisibilisiert.52 Der Gebrauch von Zahlen ist von einer solchen Selbstverständlichkeit, dass eine Reflexion in Hinblick auf die Vielfalt von Möglichkeiten der Berechnung unterbleiben kann. Aus dieser Form der sozialen Absicherung speist sich nicht nur der Stellenwert von Zahlengebrauch in der Moderne, sondern auch deren Funktion für die organisationale Strukturbildung. Eine Fünf braucht nicht verstanden zu werden, sie ist eine Fünf und das Nachdenken darüber, wie etwas womöglich gemeint ist, entfällt. Es gibt keinen Inhalt, der zu dechiffrieren ist, und damit tritt die Notwendigkeit von Aushandlung, von subjektabhängiger Interpretation und Deutung in den Hintergrund. Bei Prognosen, Rankings oder Zinssätzen werden Information und Mitteilung nicht im kommunikationstheoretischen Sinne synthetisiert,53 sodass bei der Verwendung von Zahlen keine hermeneutischen Schwierigkeiten auftreten.54 Die Exegeten haben frei. Die von Zahlen ausgehende Eindringlichkeit machen Intermedialität dahingehend unmöglich, dass natürlich über 50

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Sebastian Manhart führt den aus Zahlengebrauch resultierenden Wahrnehmungskonsens auf die Eindeutigkeit von Zahlzeichen zurück. Diese Eindeutigkeit unterbindet etwa Tropen des Sprachgebrauchs wie Metaphern oder Ironie. Dabei betont Manhart neben der Eigenlogik von Zahlen die Tatsache, dass es sich bei Zahlen um Logogramme handelt, die den Aspekt der Eindeutigkeit über Sprachgrenzen hinweg stabilisieren. Siehe hierzu Sebastian Manhart, Kalkulierte Krise – Zählen, Rechnen und Messen als Grundlagen der Moderne, in: Arch+. Zeitschrift für Architektur und Städtebau 45 (2012) 206/207, S. 17-21. Das Zustandekommen von Zahlen und ihre soziale Wirkmächtigkeit thematisieren auch Wendy Nelson Espeland und Michael Sauder. Sie notieren entsprechend: »Awash in numbers, we now take social statistics for granted so much that we forgot how hard it is to make them and how revolutionary their effects can be.« Siehe Wendy Nelson Espeland, Michael Sauder, Rankings and Reactivity: How Public Measures Recreate Social Worlds, in: American Journal of Sociology 113 (2007) 1, S. 1-40, hier S. 4. Martin Messner, Tobias Scheytt und Albrecht Becker sprechen diesbezüglich von einer »quasi-normativen Kraft, die sich aus der Faktizität von Zahlen ergibt.« Siehe Martin Messner, Tobias Scheytt, Albrecht Becker, Messen und Managen: Controlling und die (Un-)Berechenbarkeit des Managements, in: Andrea Hennicken, Hendrik Voller (Hg.), Zahlenwerk. Kalkulation, Organisation und Gesellschaft, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007, S. 87-104, hier S. 94. Information und Mitteilung sind im Prozessieren von Zahlen nicht zu unterscheiden und für das Anschließen von Zahlen aneinander ist schlichtweg irrelevant, ob ein Unterschied zwischen ihnen verstanden wird. Zum Begriff der Kommunikation als Synthese von Information, Mitteilung und Verstehen siehe Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1984, S. 191-241, hier S. 195f. Im Umkehrschluss fehlt mathematischen Zusammenhängen eine »sprachliche Leichtgängigkeit«, die es ermöglicht, von Ansprüchen der Logik und Konsistenz zurückzutreten. Dieser Effekt führt Jochen Brüning zufolge dazu, dass die Rolle von großen Mathematikern in der Geschichte des Fortschritts häufig unterbelichtet ist. Siehe Jochen Brüning, Die Stunde des Mathematikers, in: Jochen Brüning, Eberhard Knobloch (Hg.), Die mathematischen Wurzeln der Kultur. Mathematische Innovationen und ihre kulturellen Folgen, München: Wilhelm Fink Verlag 2005, S. 77-89, hier S. 89.

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Zahlen diskutiert und gestritten werden kann, die Präposition des über allerdings zum Ausdruck bringt, dass es sich dann um ein Thema von Kommunikation handelt,55 was impliziert, dass das Negieren von Zahlen an entscheidender Stelle keinen Fortschritt bringt. Zwischen den informationsverarbeitenden Kalkülen und der für Kommunikation anzunehmenden rückseitigen Varianz existiert ein Unterschied, der nicht kurzzuschließen ist. Zahlen erzeugen eine zwingende Plausibilität, die mögliche Reaktionen und Anschlüsse auf Zahlengebrauch verweist.56 Als Ergebnis dieser Form des Anschließens entstehen Wahrnehmungsroutinen und in dieser Hinsicht sind Zahlen vorreflexiv. Die Plausibilität der Zahl ermöglicht eine schnellere Verarbeitung von Informationen und dies schon aufgrund der Tatsache, dass bei Zahlen Ja und Nein nicht als Anschlussoptionen zur Verfügung stehen.57 Die Sprachgebrauch konstituierende Ja-Nein-Form greift nicht. Noch einmal anders formuliert, liegt die Überzeugungskraft von Zahlen darin begründet, dass Argumente gegen Zahlen im Verdacht stehen, Objektivität negieren zu wollen.58 Aufgrund einer derartigen Engführung von Erwartungen handelt es sich bei Zahlen um absolute Markierungen.59 Die Unterscheidung 55

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Auf den Aspekt, dass kaum Einwände gegen Zahlen gefunden werden können, verweist auch Alain Desrosières. So ist es im Sinne Desrosières enorm aufwendig, statistische Argumente zu entkräften, da diese auf etablierten Konventionen beruhen, die ihrerseits historisch gewachsen sind. Er argumentiert daher implizit transaktionskostenökonomisch. Gleichzeitig betont Desrosières eine Eigenlogik von Zahlen, auch wenn er dies aus einer sprachzentrierten Sichtweise heraus tut. So bezeichnet er etwa Statistik als eine »Sprache der Kausalität«. Genau genommen aber relativiert Desrosières die Diagnose einer numerischen Eigenlogik mit dem Verweis auf Sprache, da sich zwar Zahlen, nicht aber Sprache als strikt kausale Verhältnisse modellieren lassen. Siehe Alain Desrosières, Die Politik der großen Zahlen. Eine Geschichte der statistischen Denkweise. Aus dem Französischen von Manfred Stern, Berlin und Heidelberg: Springer Verlag 2005, hier S. 373. Die Redundanz von Organisationsstrukturen sorgt für die stetige Reproduktion von Zahlen aus Zahlen und eine diesbezügliche Stabilisierung. Gleichzeitig erzeugen Organisationen aufgrund ihrer Ubiquität eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit numerischer Praktiken und festigen einen konventionalisierten Zahlengebrauch. Siehe hierzu Hendrik Vollmer, Folgen und Funktionen organisierten Rechnens, in: Zeitschrift für Soziologie 33 (2004) 6, S. 450-470. Für jede Mitteilung steht prinzipiell eine Ja-Fassung und eine Nein-Fassung zur Verfügung. Aus diesem Grund ist Sprachgebrauch mit einer gewissen Begründungslast behaftet. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Die Religion der Gesellschaft. Herausgegeben von André Kieserling. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2000, S. 36ff. Für die Verwendung von Zahlen hingegen greift die Unterscheidung von Negation und Affirmation nicht. Zum Verhältnis von Sprache und Zahl siehe Sebastian Manhart, Kalkulierte Krise – Zählen, Rechnen und Messen als Grundlagen der Moderne, S. 20. So argumentieren etwa Wendy Nelson Espeland und Mitchell L. Stevens, dass der Rückgriff auf Zahlen sozial enorm wirkmächtig sei. So würden etwa qualitative Kriterien in den Hintergrund treten, sobald Zahlen für die Beurteilung von Sachverhalten zur Verfügung stehen. Außerdem machen die Autoren darauf aufmerksam, dass Gesellschaften mit unterschiedlichen Kulturen, ökonomische oder politische Strukturen unmittelbar verglichen werden können, die Zahlen selbst aufgrund ihrer Selbstverständlichkeit jedoch nicht mehr hinterfragt werden. Siehe Wendy Nelson Espeland, Mitchell L. Stevens, Commensuration as a Social Process, in: Annual Review of Sociology 24 (1998), S. 313-343. Indem diese Markierungen absolut sind, handelt sich es bei Zahlen nicht mehr um Erwartungen, die Sozialität strukturieren. Zahlen erwarten nicht und stiften daher ontologische Sicherheit. Andersherum handelt es sich dabei, dass Zahlen zur Einschätzung von Sachverhalten erwartet werden, um eine erlernte und stabilisierte soziale Praktik.

5. Die Berechnung der Organisation

zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem verschwimmt und eine diesbezügliche Trennschärfe ist nicht mehr auszumachen.60 Der Zweifel, der in der Welt ist, sobald gesprochen wird, belastet das Prozessieren von Zahlen nicht. Die Unterscheidung zwischen sprachlicher Vagheit und algebraischer Präzision ist nicht kurzzuschließen. Für die Organisation Erich Gutenbergs ist die Eigenlogik numerischer Konnektivität von zentraler Relevanz, da so die Organisation in einer Sphäre jenseits der Kommunikation verortet wird. Kommunikative und aushandlungsorientierte Praxen der Entscheidungsunterstützung werden bedeutungslos. Bei der Verwendung von Zahlen handelt es sich nicht um eine der Sprache analoge Praxis der Realitätsverdopplung, da Zahlen zwar informieren, aber nicht sprechen. Rechenwege werden nicht nur zu einem bevorzugten Weg der Wahrheitsfindung der Moderne,61 sie werden vor allem für Organisationen unverzichtbar, indem die zahlenförmige Organisation zu einem Ort wird, der keine Negationsmöglichkeiten vorsieht. Gerade der Punkt der Widerspruchsvermeidung ist für Organisationen zentral. Der Blick auf das Formular gibt Aufschluss über die zur Verfügung stehenden Optionen, sodass Unsicherheit absorbiert wird und die Möglichkeit der Weiterverarbeitung unmittelbar gegeben ist.62 Die Organisation wird zum Ort der reibungs- und geräuschlosen Informationsverarbeitung.63 Neben der Eindeutigkeit von Zahlen, der sich daraus ergebenden Transparenz des Organisationsgeschehens und den damit verbundenen neuen Möglichkeiten der Fehlerkontrolle, bietet die zahlenförmige Organisation Erich Gutenbergs noch einen weiteren Vorteil. Die Einzelelemente der Organisationen sind nicht nur miteinander verknüpft, sondern auch rechenmäßig einzeln anzusteuern. »In dem Augenblick nun, in welchem sich eine Größe in den Angaben ändert, wird sich diese Änderung auf das ganze Unternehmen auswirken.«64 Die Letzteinheiten der Organisation können nicht getrennt voneinander betrachtet werden und aufgrund der Tatsache, dass die Organisation als Kalkül erscheint, lässt sich diese Gleichung auf ihre einzelnen Variablen hin auflösen. Ein Gleichheitszeichen steht dafür, dass die beiden Seiten einer Gleichung als

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Die von de Saussure adressierte Beziehung zwischen sprachlichem Lautbild und der Vorstellung, die das sprachliche Zeichen konstituiert, existiert auf Ebene der Zahlzeichen nicht. Für die Unterscheidung von Bezeichnendem und Bezeichnetem siehe entsprechend Peter Wunderli, Ferdinand de Saussure: Cours de linguistique générale. Zweisprachige Ausgabe französisch-deutsch mit Einleitung, Anmerkungen und Kommentar, Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. Kg 2014, insbes. S. 167-181. Der cartesische Anspruch, das erkenntnistheoretische Fundament der Moderne auf mathematische Prinzipien gründen zu wollen, scheint vor diesem Hintergrund eingelöst. Zum Konzept der Unsicherheitsabsorption in Organisationen siehe klassisch James G. March, Herbert A. Simon, Organizations, New York, London und Sydney: John Wiley & Sons, Inc. 1958, S. 164ff. Sven Kette diagnostiziert eine Geldvergessenheit der Organisationssoziologie. Siehe hierzu Sven Kette, Refinanzierung als Organisationsproblem, in: Zeitschrift für Soziologie 46 (2017) 5, S. 326346. Diese Geldvergessenheit ist gleichzeitig eine Vergessenheit von Fragen der Strukturbildung und der ihrer Funktionsmodi zugrundeliegenden unterschiedlichen Eigenlogiken. Eine geldsensitive Perspektive auf Organisationen sollte sich für Fragen numerischer Konnektivität interessieren und könnte sich hierbei nicht zuletzt an der Unterscheidung von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage orientieren. Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 44.

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wertgleich behandelt werden und da mathematische Operationen feststehenden Regeln folgen, bietet sich die Möglichkeit logisch ableitbarer Veränderungsmaßnahmen. Durch die Exklusivität der Konnektivität – Zahlen schließen nur an Zahlen an – erhält die Organisation eine rechenbasierte Eigenlogik, die durch die strikte Regulierung von Zahlverknüpfungen nicht kontingent ist. Auf Basis der Quantifiziertheit werden zielgerichtete Eingriffe in die Organisation möglich. Die mathematische Struktur ermöglicht »Maßnahmen, die in die Betriebsgestaltung eingreifen, um sie nach dieser oder jener Richtung hin zu verändern.«65 Auf Basis der Berechenbarkeit ihrer Vollzüge ist die Organisation stabil und frei von Störanfälligkeit – bei gleichzeitiger Flexibilität –, zumindest solange gerechnet wird.66 Obligatorisch ist nur der modus operandi, der das Netz von Quantitäten weiterspinnt und ausdifferenziert.67 Der Prozess des Organisierens entspricht einem auf Dauer gestellten mathematischen Kalkül. Dem Management der Organisation fällt unterdessen die Aufgabe zu, die Grenzen der Kalkulierbarkeit zu verschieben. Das zentrale Organisationsproblem ist bei Gutenberg nicht die Abweichung von Strukturvorgaben und eine damit verbundene Eliminierung von Kontrolllücken, sondern die Bildung von Indikatoren. »Das »Wie« dieser organisatorischen Erfassung steht im Vordergrund einer solchen betriebswirtschaftlichen Forschungsrichtung, die sich an das Organisatorische hält, und bestimmt ihre Verfahren und ihre Probleme.«68 Erst die »rechnungsmäßige Erfassung« von zentralen Größen ermöglicht es, das Organisationsgeschehen in »Relationen und Beziehungsreihen« auszudrücken.69 Sachdinge, Ein- und Ausgangsgrößen, Personalmittel, Arbeitsleistungen, alles wird zahlenförmig abgebildet – er- und berechnet – und kann erst auf der Basis der Quantifiziertheit Eingang in die Organisation finden.70 Erst numerisch abgebildet können Verfahrensschritte der Produktion oder Arbeitsleistungen für die Organisation zu einem verarbeitbaren Material werden. Nicht-Zahlenförmiges ist nicht Teil der Organisation71 und entsprechend nicht Gegenstand managerialer Überlegungen. Die 65 66

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Ebd., S. 13. Zur Beschreibung der Adaptionsfähigkeit und damit des organisationalen Auflösungsvermögens greift Gutenberg wiederholt auf eine Organismusanalogie zurück. Je höher sich der Komplexitätsgrad einer Organisation darstellt, desto »feinnerviger die Kalkulation« (S. 18), wobei die Regelmäßigkeiten der numerischen Organisation deren »Nervensystem« (S. 28) bilden. Siehe ebd. Zur Selbstbezüglichkeit von Operationen des Finanzwesens, deren zentrales Kennzeichen unter anderem darin besteht, ohne externe Referenzen ablaufen zu können, siehe Elena Esposito, Die Ontologie des Finanzwesens, in: Réne John, Jana Rückert-John, Elena Esposito, Ontologien der Moderne, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2013, S. 137-152. Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 16. Ebd., S. 19. Bemerkenswerterweise bedient sich Gutenberg auch der präzisen Vagheit einer Metapher, wenn er schreibt, dass es im Rechnungswesen zu einem »Aufsaugen der Ziffern« kommt. Ebd., S. 13. Edmund Heinen kritisiert an der Konzeption Gutenbergs, dass diese, aufgrund der Annahme vollständiger Informiertheit, letztlich zwar ein statisches Modell beschreiben, nicht aber einer realitätsnahen Vorstellung entsprechen würde. Gutenberg – so Heinen – stelle vielmehr einen »Idealbetrieb mit quantitativ fixierter Zielsetzung« vor. Heinen plädiert daher für eine stärkere Berücksichtigung empirischen Materials. Siehe Edmund Heinen, Die Zielfunktion der Unternehmung, in: Helmut Koch (Hg.), Zur Theorie der Unternehmung. Festschrift zum 65. Geburtstag von Erich Gutenberg, Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler 1962, S. 9-71, hier S. 13.

5. Die Berechnung der Organisation

nervöse Unruhe in Büroräumen, das Geklapper von Schreibmaschinen oder Tastaturen, das Läuten des Fahrstuhls, das Klingeln des Telefons im Nachbarbüro, aber auch strenger Geruch oder verbrauchter Sauerstoff informieren nicht rechnerisch, obwohl es sich um relevante Reize handelt, die Verhalten und Handeln in Organisationen beeinflussen können. Doch ohne die Bildung von entsprechenden Indikatoren bleiben sie der numerischen Organisation notwendigerweise äußerlich. Wie ein verkapselter Splitter, der nicht mehr schmerzen kann, bleiben sie als im Inneren ausgeschlossen latente Störfaktoren, für deren Manifestationen kein Sensorium existiert. Rechnerisches Informationspotential ist für die Organisation dagegen nur in Form von »Operations- und Zustandszeichen« gegeben.72 Was nicht algebraisch in Formeln und Kalkülen abgebildet werden kann, was nicht berechenbar ist und systematisiert werden kann, ist nicht Teil der Modellbildung. Erst über den Umweg der Indikatorenbildung können Vorgänge als Zahlen in die vorgesehenen Formulare eingetragen werden. Durch die Beherrschbarkeit von Abläufen auf Basis ihrer Berechenbarkeit wird die Organisation zu einem Ort ohne Referenzüberschuss.73 Die gutenbergsche Quantifizierung des Betriebs ermöglicht neue Maßstäbe an strenge und genaue Regelbefolgung, die organisationale Zielstellungen wie Compliance74 dahingehend perfektionieren und zugleich relativieren, dass die Be- und Verhandlung der beteiligten Subjekte keinen zentralen Platz einnimmt. Die numerische Organisation kennt nur die Seite der Formalität und das Prinzip der Rechnung legt die Kippfigur von allgemeiner Regelvorgabe und besonderer Ausführung auf die

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Zum Modus des rechnerischen Informierens siehe auch Achim Brosziewski, Rechnen zweiter Ordnung – Kommunikative Anschlussbildung im Medium der Digitalität, am Fall der OnlineCommunity »Hattrick«, in: Thomas Malsch, Marco Schmitt (Hg.), Neue Impulse für die soziologische Kommunikationstheorie. Empirische Widerstände und theoretische Verknüpfungen, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2014, S. 157-185. Brosziewski betont, dass es sich bei Rechenvorgängen um einen Modus der Verknüpfung handelt, der prinzipiell nur auf einer Seite Anschlussmöglichkeiten vorsieht. Gleichzeitig leitet er daraus nicht den Anspruch ab, das Prozessieren von Informationen vom Prozessieren von Kommunikationen zu unterscheiden. Gerade die konzeptuelle Einseitigkeit von numerischer Anschlussbildung und die damit verbundene Eigenständigkeit einer exklusiven Konnektivität würde diese Möglichkeit bieten. Mit dem Anspruch einer numerischen Organisation verändern sich klassische Schemata der (Eigen-)Beobachtung von Organisationen. Aspekte der Qualität sind nunmehr ausschließlich quantitativ zu erfassen. Auch der Wert von Innovationen drückt sich entsprechend in einem Mehr oder Weniger aus – nicht durch ihre besonderen Eigenschaften. Die qualitative Beschaffenheit von Produkten oder Dienstleistungen ist aber nicht etwa unwichtig, im Sinne der Organisation besteht aufgrund der Konzentration auf die »mengenmäßigen Verschiebungen« (S. 37) lediglich eine »methodische Desinteressiertheit«, die eine »Exaktheit der Berechnung ermöglichen soll.« (S. 38) Antworten auf Fragen organisationaler Entscheidungspraxis oder Strategien leiten sich somit direkt aus den zur Verfügung stehenden Zahlen ab. Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie. Aleksandra Sowa stellt heraus, dass auch für das Management von Informationssicherheit im ITZeitalter der Fokus auf Kontrolle und Wirksamkeit von Prozeduren zentral für die organisationale Compliance ist. Dabei handelt es sich nicht um die personenabhängige Frage nach Regelerfüllung oder -abweichung, sondern um eine informationslogische Problemstellung. Siehe Aleksandra Sowa, Management der Informationssicherheit. Kontrolle und Optimierung, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2017, S. 67-101.

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Seite der Struktur fest. Genau genommen stellt sich die Frage einer subjektgebundenen Regelausführung nicht, da nur die Möglichkeit rechnerischer Anschlüsse vorgesehen ist. Im Ergebnis schneiden berechnete Strukturen in einem Modus weitestgehender Personenunabhängigkeit Unterschiede in errechnete Umwelten. Als »Komplex von Quantitäten«75 ist die Organisation Erich Gutenbergs eine mathematische Modellwelt ohne strukturelle Abweichungspotentiale und Störfaktoren und aufgrund der Objektivität der Zahl eine scheinbar wahre Repräsentation des Betriebsgeschehens.76 Das Verhältnis von Organisation und Subjekt ist dennoch oder gerade deswegen von zentraler Bedeutung.

5.3

Innovation und die Grenzen mathematischer Systematisierbarkeit

Das Tilgen der Subjektbezüge aus den reibungslosen Prozessen der Organisationsmaschinerie hat unterdessen Konsequenzen. Zwar steht die Organisation nun auf allgemeinen Grundlagen, was ihr aber im Zustand vollkommener Durchroutinisierung fehlt, ist ein Moment der Besonderheit, das dafür sorgt, die Organisation mit Impulsen versorgen zu können, die nicht berechnet werden können. Außerdem stellt sich die grundsätzliche Frage, wie es zum Entstehen der Unternehmung kommen kann, wenn sich die Organisation gänzlich in Routinen und damit in der Logik einer planerischen Vorwegnahme der Zukunft erschöpft. Doch im Rahmen einer managerialen Logik des Gelingens, die ausschließlich die Strukturseite der Organisation und die rechenmäßige Negation von Kontingenz im Blick hat, bleibt diese Frage unbeantwortet. Besonders die Idee der Gründung bleibt vor dem Hintergrund ihrer Situations- und Personenabhängigkeit notwendigerweise unberechenbar. Um die Grenzen mathematischer Systematisierbarkeit umgehen zu können, bedient sich Erich Gutenberg beim idiosynkratischen und intransparenten Potential des Subjekts. Das unberechenbare Subjekt fungiert als Urheber der Organisation und die Tatsache, dass keine Organisation wie die andere ist,77 ist die Folge einer subjektiven »schöpferische[n] Bildungs- und Gestaltungskraft«, die jede Organisation zu einem »individuelle[n] Gepräge« werden lässt.78 Auf diese Weise wird die »einmalige und individuelle Unternehmerpersönlichkeit«79 zur Ursache der Unternehmung, deren »bewuß-

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Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 44. Aus der Eindringlichkeit von Zahlen kann unterdessen ein »Begründungszirkel« resultieren. Aufgrund der Tatsache, dass dem Rechnungswesen die Funktion zukommt, »den Unternehmenswert durch Bilanz und Erfolgsrechnung wahrheitsgemäß abzubilden« [H.i.O.], liegt es nahe, dass auf diese Zahlen bei der Begründung von Konzepten der Rechnungslegung zurückgegriffen wird. Ein rechnerisches Ergebnis unterminiert die Möglichkeit, Alternativen des Zustandekommens auszuloten. Siehe hierzu David Borger, Der Sinn des Rechnungswesens: Finanzinstrumente und die Reproduktion von Unternehmensgrenzen, in: Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie 5 (1999) 1, S. 83-104, hier S. 84. »Es gibt kein Unternehmen, das einem anderen in allen seinen Details gliche.«, Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 26. Ebd. Ebd., S. 36.

5. Die Berechnung der Organisation

ter, schöpferischer Akt«80 die notwendige »Entschlußkraft«81 – und damit eine Fähigkeit des Subjekts – voraussetzt, die nicht prospektiv in die Strukturen der Organisation eingeschrieben werden kann. Vor dem Hintergrund des organisationalen Duals von Struktur und Subjekt fordert der gutenbergsche Anspruch der Mathematisierbarkeit seinen Tribut, da der Modus numerischer Regulierung keine Momente der Offenheit vorsieht, die mit produktiven Zufällen gefüllt werden können.82 Die rechenmäßige Strukturbildung beruht auf der Ausschaltung subjektiver Kreativkraft und entsprechend kann die Lösung für das Problem der Gründung nicht intern gefunden werden. Gutenberg verlegt es in die Umwelt der Organisation. Die Besonderheit des Subjekts, die den notwendigen Anstoß verspricht, bleibt der rechenmäßigen Organisation äußerlich, und aufgrund der Tatsache, einen externen und unberechenbaren Impuls beanspruchen zu müssen, stößt Gutenberg auf das gleiche Organisationsproblem wie Max Weber, das zu den Grundlagenproblemen der Organisationstheorie gehört. Die strukturgeleitete Vorwegnahme der Zukunft führt zur Ermangelung von Möglichkeiten, wenn es um Sachverhalte geht, die nicht planerisch fixiert werden können. Denn wenn – wie im Falle Weber – die beteiligten Subjekte nur Strukturvorgaben entsprechend agieren, stellt sich die Frage, woher die benötigten Zielvorgaben oder Impulse strategischer Ausrichtung stammen, die sich nicht aus den jeweiligen Vorgaben ergeben.83 Um diese Paradoxie handhaben und abbilden zu können, verschiebt Max Weber das Problem in die Spitze der Organisation und bedient sich zu deren Entfaltung der eigenen Herrschaftstypologie, um in der Führungsetage einen charismatischen Unternehmer zu platzieren, der aufgrund von Fachwissen und der Fähigkeit, persönlich überzeugen zu können, über die erforderlichen Potentiale verfügt.84 Was der weber-

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Ebd., S. 11. Ebd., S. 26. Das Verhältnis von Berechenbarkeit und Unberechenbarkeit in den Überlegungen Erich Gutenbergs thematisiert auch Jochen Koubek. Koubek nutzt ebenfalls eine Technikanalogie, um die Organisation Gutenbergs als »vom allzu Menschlichen bereinigt« in den Blick zu nehmen. Für die Führungsebene greift ein technisches Verständnis daher nicht, da dieser aufgrund einer besonderen Gabe die Fähigkeit zugesprochen wird, die betrieblichen Prozesse überblicken zu können. Gleichzeitig entzieht sich die Führungsebene aufgrund dieser Besonderheit der Berechenbarkeit. Siehe Jochen Koubek, Normative Mathematik in der Betriebswirtschaftslehre, in: Jochen Brüning, Eberhard Knobloch (Hg.), Die mathematischen Wurzeln der Kultur. Mathematische Innovationen und ihre kulturellen Folgen, München: Wilhelm Fink Verlag 2005, S. 173-193, hier S. 180. Der Spielraum für Antworten auf Fragen der Steuerung sinkt demzufolge mit der fortschreitenden Ausbreitung bürokratischer Organisationen in allen gesellschaftlichen Sphären und der damit verbundenen zunehmenden Organisationsförmigkeit modernen Lebens. Das Leiden der Moderne am Phänomen der Organisation ist zentral für die gesellschaftstheoretische Diagnose Webers. Max Weber notiert diesbezüglich: »Ueberlegen ist der Bureaukratie an Wissen: Fachwissen und Tatsachenkenntnis, innerhalb seines Interessenbereichs, regelmäßig nur: der private Erwerbsinteressent. Also: der kapitalistische Unternehmer. Er ist die einzige wirklich gegen die Unentrinnbarkeit der bureakratischen rationalen Wissens-Herrschaft (mindestens: relativ) immune Instanz. Alle andern sind in Massenverbänden der bureaukratischen Beherrschung unentrinnbar verfallen, genau wie der Herrschaft der sachlichen Präzisionsmaschine in der Massengüterbeschaffung« (S. 128). Als charismatisch kennzeichnet Weber die »außeralltäglich geltende Qualität einer Persönlichkeit« (S. 140), die damit per definitionem außerhalb organisationaler Regelhaftigkeit ver-

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sche Apparat benötigt, ist eine Person an der Spitze, die entscheidungsfähig ist, gerade weil sich hinsichtlich der Strukturfestlegungen im Rahmen der Organisation subjektive Gestaltungsspielräume weitestgehend erübrigen. Die Lösung des Problems kann nur in der Unternehmensleitung und damit an der Spitze der Organisation verortet sein, für die das Spektrum möglicher Entscheidungen nicht strukturell verengt ist. Die Frage, ob den organisationalen Verhaltenserwartungen entsprochen wird, stellt sich hier nicht. Die Unterscheidung von Konformität und Devianz greift in hierarchisch geordneten und durch Strukturen regulierten Zusammenhängen nur an denjenigen Stellen, die weisungsgebunden sind. Das Problem der Gründung, der Steuerbarkeit und der Entscheidungsfindung, das in Organisationen aus dem Spannungsfeld von Weisungsbefugnis und -gebundenheit resultiert, findet sich nicht nur bei Weber und Gutenberg und damit in Ansätzen, für die die Strukturseite der Organisation zentral ist. Auch Joseph Schumpeter arbeitet mit der Vorstellung einer Struktur-Subjekt-Dualität, interessiert sich aber stärker für die Subjektseite, indem er Unternehmungsgründungen von Wirtschaftssubjekten abhängig macht, ohne die schöpferische Akte nicht denkbar wären. Diese positioniert er in Gegenrichtung zur Organisationsstruktur. Er macht deutlich, dass sich der Unternehmer durch seine Subjekthaftigkeit von anderen Spezialrollen und Funktionsträgern innerhalb der Organisation unterscheidet. Die Rolle des Unternehmers kann weder auf Managementaufgaben enggeführt werden noch ist reine Verwaltungsarbeit sein eigentliches Kerngebiet. Management fällt für Schumpeter mit Kontrollaufgaben, Aufgaben der Vertretung und der Funktion, die »Aufrechterhaltung der Disziplin«85 zu gewährleisten, zusammen. Auch Verwaltungsarbeit ist weisungsgebundene Arbeit und beansprucht im Wesentlichen weder besondere Sichtbarkeit, noch einen besonderen Stellenwert. So zeichnet sich Verwaltungsarbeit durch Inputorientierung aus und ist damit von bestimmten Auslöseereignissen abhängig, die festgelegte Verfahrensschritte zur Folge haben. Solange die Arbeit erwartungsgemäß getan wird, braucht sie nicht eigens thematisiert zu werden. Ein plötzliches Sichtbarwerden der beteiligten Subjekte ist tendenziell konflikthaft, da dies im geräuschlosen Alltagsvollzug der Organisation nicht vorgesehen ist. Für die Aufrechterhaltung ihres Betriebs benötigt die Organisation zwar lediglich Management und Verwaltung, ihre Gründung kann so allerdings nicht erklärt werden.86 Management- und Verwaltungsaufgaben tragen Schumpeter zufolge nicht zur Bestimmung der Besonderheit des unternehmerischen Wirtschaftssubjekts bei, da es sich lediglich um »ausführende Arbeit«87 nach bekannten Regeln handelt.

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ortet ist. Siehe Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Fünfte, revidierte Auflage. Besorgt von Johannes Winckelmann, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1972. Für die Diskussion der weberschen Paradoxie der Spitze und ihrer Entparadoxierung siehe auch Dirk Rustemeyer, Anarchie im Büro? Organisation als Formen multipler Rationalität, in: Ute Lange, Sylvia Rahn, Wolfgang Seitter, Randolf Körzel (Hg.), Steuerungsprobleme im Bildungswesen: Festschrift für Klaus Harney, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S. 35-56, hier S. 37f. Siehe Joseph A. Schumpeter, Unternehmer, in: Ludwig Elster, Adolf Weber, Friedrich Wieder (Hg.), Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Vierte, gänzlich umgearbeitete Auflage. Achter Band. Tarifvertrag – Zwecksteuern, Jena: Verlag von Gustav Fischer 1928, S. 476-487, hier S. 481. Ebd., S. 482. Siehe ebd.

5. Die Berechnung der Organisation

Im Gegensatz zur strukturbedingten Einschränkung von Möglichkeiten ist der Begriff der Neuheit und damit ein Konzept der Zukunftsoffenheit für Schumpeter zentral.88 Für ihn macht die Figur des Unternehmers den entscheidenden Unterschied, da sie nicht in den Strukturzwängen der Organisation gefangen ist.89 Vor dem Hintergrund der Unterscheidung von »Führer« und »Geführten«90 setzt Schumpeter konsequent auf ein Konzept der Personenabhängigkeit.91 Nur der Unternehmer vermag Entscheidungen zu treffen und diese mit Nachdruck zu vertreten. Dieser Fähigkeit der Einflussnahme auf andere bedarf es, um Neues – auch gegen Widerstände – durchzusetzen.92 Verfahrensabläufe und Routinen treten in den Hintergrund und dem Unter88

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Florian Brugger stellt heraus, dass besonders das Bedürfnis nach kreativer Selbstwirklichung als wesentlich für die Motivation des Unternehmers anzusehen ist. Auch der aus erfolgreicher Innovationsgenerierung resultierende ökonomische Erfolg sei mehr Selbstzweck als die Folge einer angestrebten Gewinnmaximierung. Entscheidende Triebfeder des Neuen sind Brugger zufolge Faktoren nicht-ökonomischer Natur. Siehe Florian Brugger, Joseph Alois Schumpeter, in: Klaus Kraemer. Florian Brugger (Hg.), Schlüsselwerke der Wirtschaftssoziologie, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2017, S. 155-168. Der Unternehmer übernimmt eine maßgebliche im Rolle im Prozess »schöpferischer Zerstörung«, mit dem Joseph Schumpeter den stetigen Ablauf endogener Erneuerungs- und Umwälzungsprozesse im Bereich der Wirtschaft auf den Begriff bringt. Das Modell der schöpferischen Zerstörung beschreibt, wie neue Strukturen im Entstehen bisherige Strukturen überschreiben, verdecken und letztlich zerstören. Innovation ist der Katalysator des wirtschaftlichen Fortschritts. Schumpeters Begriff der schöpferischen Zerstörung verdeutlicht, dass Kontingenz trotz ihrer Produktivität eine destruktive Seite mit sich führt, da konstruktive und destruktive Seite im Begriff gleichermaßen enthalten sind. Das Entstehen von Innovation bedingt die Zerstörung vorhandener Strukturen. Die schumpetersche Rede von der Schöpfung ist daher kein normatives, stets begrüßenswertes Credo. Es handelt sich gleichermaßen um einen bösen Gott, den Schumpeter beschwor. In den entsprechenden Ausführungen Schumpeters findet sich im Übrigen auch ein Hinweis auf die Rolle, die Organisationen im Rahmen gesellschaftlicher Entwicklung zukommt. Obwohl das Entstehen von Großorganisationen massive Kritik – etwa von Pauperismus bis Entfremdung – hervorgerufen hat, verweist Schumpeter darauf, dass diese eher zur Erhöhung als zur Senkung des Lebensstandards beigetragen hätten. Siehe Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. 8. Auflage, Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag 2005, hier S. 135-138. Bemerkenswerterweise werden Organisationen hier zum Thema sozioökonomischer Analyse, während sich zwar die Figur des Unternehmers daraus speist, sich außerhalb von verregelten Abläufen zu befinden, die grundsätzliche Funktionslogik von Organisationen aber zumindest etwas unterbelichtet bleibt. Siehe Joseph A. Schumpeter, Unternehmer, S. 482. Die besonderen Fähigkeiten des Unternehmers sind wichtiger zu nehmen als etwa rechtliche Rahmenbedingungen oder die juristische Form der Unternehmung. Schumpeter schreibt: »So groß jedoch die Bedeutung der Ausgestaltung dieser Rechtsinstitute, namentlich der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, für die Entwicklung der Unternehmung und besonders für die Kapitalbeschaffung war, so wenig entscheidet die gewählte Rechtsform über die Natur der Unternehmung und die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse in ihr: Die Rechtsform, welcher mitunter sachlich unzutreffende Legaltheorien zugrunde liegen, entstellt das Wesen der Sache oft mehr als sie es ausdrückt. Trotz der starken Entwicklung des Gesellschaftsrechts war die Unternehmung der »liberalen« Zeit regelmäßig die Unternehmung eines Mannes bzw. einer Familie.« Ebd., S. 478f. »Das Verhältnis zwischen vorgetaner und mechanisch zu wiederholender Tätigkeit einerseits und erst bewußt zu vollbringender neuer Leistung andererseits ist ebenfalls nicht nur graduell, sondern wesentlich ungünstiger. Dazu kommt, daß es uns subjektiv schwerer fällt, Neues als gewohntes zu tun, daß wir dabei nicht von demselben Gefühl fester Wirklichkeit gestützt sind und daß

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nehmer kommt die entscheidende Rolle zu,93 »in den jeweils gegebenen Verhältnissen des Wirtschaftslebens neue Möglichkeiten zu erkennen und durchzusetzen.«94 Nur er weiß in »gefährlichen Lagen«95 zu entscheiden und besitzt die »volle Entschlußfreiheit«.96 Der Gründer der Organisation ist derjenige, der idealtypisch diese Unternehmerrolle verkörpert.97 Nur für ihn gelten keine Entscheidungsprämissen.98 Doch vor dem Hintergrund der Struktur-Subjekt-Dualität der Organisation bleibt der Versuch, die Seite des Subjekts gegenüber der Strukturseite zu profilieren, notwendigerweise unberechenbar.99 Die Innovationsfähigkeit der schumpeterschen Wirtschaftssubjekte wird nicht ausbestimmt. Der Unternehmer tritt als ein sich selbst erklärendes Axiom auf den Plan.100 wir unsere Denk- und Handlungsgewohnheiten zu überwinden und vom Diktat der Routine zu befreien haben.« Ebd., S. 483. 93 Kritik an »personalistischen Verkürzungen« (S. 111) in Schumpeters Überlegungen äußert Christoph Deutschmann. Die kreativen Leistungen des Unternehmers – so Deutschmann – seien alles andere als voraussetzungslos. Gerade Aspekte der Organisation blieben unterbelichtet: »Erst auf der Basis der Disposition über das innovative Potential organisierter Lohnarbeit ist der Unternehmer in der Lage, gewinnträchtige technische Innovationen und neue Produkte zu entwickeln und zu vermarkten.« Die personenzentrierte Perspektive Schumpeters drohe auf der einen Seite das Potential, das kollektiven Handlungsmustern immanent ist, zu unterschätzen sowie, andererseits, nicht zu sehen, dass der Unternehmer selbst Akteur in einem sozialen Zusammenhang ist, der Beziehungen zu Geschäftspartnern, Kunden, medialer Öffentlichkeit und politischen Vertretern zu pflegen hat. Siehe Christoph Deutschmann, Der Typus des Unternehmers in wirtschaftssoziologischer Sicht, in: ders., Kapitalistische Dynamik. Eine gesellschaftstheoretische Perspektive, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, S. 98-117, hier S. 103f. 94 Siehe Joseph A. Schumpeter, Unternehmer, S. 483. 95 Ebd., S. 484. 96 Ebd., S. 485. 97 Im Hinblick auf Typen des modernen Unternehmertums unterscheidet Schumpeter zwischen a) dem Fabrikherrn und Kaufmann, b) dem modernen Industriekapitän, c) dem Direktor und d) dem Gründer. Die Relevanz unternehmerischer Entscheidungspraxis tritt Schumpeter zufolge am besten beim Gründer zutage, da dieser nicht in bereits bestehende Strukturen eingebunden ist. Für die ausführliche Diskussion der vier Idealtypen siehe ebd., S. 483-485. 98 Entscheidungsprämissen strukturieren die Entscheidungsproduktion in Organisationen, sodass auf Basis einer Einschränkung von Möglichkeiten Komplexität entstehen kann. In diesem Sinne sind sie ein entscheidender Mechanismus der Zukunftsvergessenheit von Organisationen. Siehe zum Begriff der Entscheidungsprämisse Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung. 2. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006, S. 222-255. 99 Bemerkenswerterweise kritisiert Schumpeter genau diesen Punkt bei entsprechenden Versuchen der Theorieentwicklung des 19. Jahrhunderts. So werden zwar die persönliche Leistung des Unternehmers sowie dessen besondere Eignung betont, Allgemeinplätze jedoch nicht verlassen. Insbesondere werden dem Unternehmer dabei Aufgaben des Managements zugeschrieben, die aufgrund ihrer Standardisierbarkeit im Sinne Schumpeters keinen besondern Typ charakterisieren. Ebd., S. 478. 100 Deutlich betont Schumpeter nur, dass eine solche Fähigkeit höchst selten sei: »Während es im Wesen der Routinearbeit in ausgefahrenen Bahnen liegt, daß ihr die durchschnittliche Intelligenz und Willenskraft der Individuen des betreffenden Volkes und der betreffenden Zeit gewachsen ist, so erfordert die Ueberwindung der eben erwähnten Schwierigkeiten Eigenschaften, die nur ein geringer Prozentsatz der Individuen hat und daher bedarf es, um eine ganze Volkswirtschaft in solche neue Bahnen zu lenken und den Fond ihrer wirtschaftlichen Erfahrung neu zu gestalten, einer wirtschaftlichen Führerschaft durch diese Individuen«. Ebd., S. 483.

5. Die Berechnung der Organisation

Die Unberechenbarkeit des Subjekts und sein schöpferisch innovatorisches Potential weist, aufgrund des Entstehens von Neuem aus dem scheinbaren Nichts, nicht zufällig eine mythische Komponente auf. Für die voraussetzungslose creatio ex nihilo konnte es traditionell nur eine Erklärung geben. Kreatives Schaffen war göttliches Geschäft. Erst mit dem Sichtbarwerden von Kontingenz in der Moderne und der damit verbundenen fortschreitenden Entzauberung der Welt änderte sich dies. Eine ursprünglich göttliche Fügung wird zur Produktivkraft101 und damit zur Voraussetzung von Organisation. Auch Erich Gutenberg ist auf die Unberechenbarkeit des Subjekts als Gründerfigur angewiesen, das mittels eines schöpferischen Aktes die Organisation ins Leben ruft, um dann aber aufgrund eines rechenmäßigen Strukturprimates der Organisation in den Hintergrund zu treten. Die Organisation Gutenbergs ist zwar von Menschenhand geschaffen, der Schöpfer selbst hat aber im sich ausdifferenzierenden eigenlogischen Netz struktureller Verflechtungen keinerlei Bedeutung mehr. Ihm kommt lediglich die Funktion der »Stimulans«102 zu. Weder steht er mit gutem Rat zur Seite noch für die Ausarbeitung von Zukunftsentwürfen zur Verfügung. Wie sich die Religion mit einem unsichtbaren, unerkennbaren und kommunikativ unerreichbaren Gott abzufinden hatte, so muss im organisationalen Tagesgeschäft der Betrieb ohne denjenigen aufrechterhalten werden, der die Organisation für einen bestimmten Zweck in Anspruch genommen hatte.103 Auctor absconditus. Die auffällige Verwendung des Schöpfungsbegriffes verweist auf einen mythologischen Prozess, der als unbestimmt bestimmt wird,104 während die berechenbare Regelhaftigkeit der Organisation als Teil der Vorsehung erscheint.105 Dabei scheinen die Begrifflichkeiten bei der Suche nach dem gründerischen Impuls bewusst theologisch überhöht. Denn beim kreativen, schöpferischen und damit subjektbedingten Impuls der Gründung handelt es sich um die erste, sagenumwobene 101

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Damit verschwimmen in weltlichen Zusammenhängen der Wunsch kreativ zu sein und die entsprechende Aufforderung dazu. Siehe hierzu Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin: Suhrkamp Verlag 2012. Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 26. Ebd., S. 41. Mit dem Verweis auf die Nicht-Systematisierbarkeit stellt Michel Serres im Hinblick auf das Prinzip der Organisation mythologische Bezüge her: »Organisation wird aus den Umständen geboren, wie Aphrodite aus dem Schaum.« Siehe Michel Serres, Der Parasit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1981, S. 194. Nimmt man die Bezüge zur Schöpfung auf, die in den gutenbergschen Überlegungen angelegt sind, lässt sich eine gedankliche Brücke zwischen Organisationstheorie und Gesellschaftstheorie herstellen. Hierbei tritt die Organisation nicht an die Stelle der Religion, dennoch wird das durch multiple Mitgliedschaften in Organisation fragmentierte Individuum als Einheit seiner Differenzen gesellschaftlich eingebettet. Organisational bedingte Multipersonalität wird damit zur funktionalen Äquivalenz für die durch die Aufklärung liquidierte gesellschaftliche religiöse Bindung und die damit verloren gegangene Möglichkeit von Vollinklusion. Dabei läuft im Sinne der Zurechenbarkeit auf den Einzelnen die Legitimation der gesellschaftlichen Verhältnisse über Organisationen und ihr primäres Unterscheidungsmerkmal der Mitgliedschaft, die als Einrichtungen mit »Exklusionbefugnis« maßgeblich über Karriereoptionen und Lebenschancen disponieren. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Die Gesellschaft und ihre Organisationen, in: Hans-Ulrich Derlien, Uta Gerhardt, Fritz W. Scharpf (Hg.), Systemrationalität und Partialinteresse. Festschrift für Renate Mayntz, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 1994, S. 189-201, hier S. 193.

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Unterscheidung. Diese ist zwar notwendig, dann aber nicht mehr entscheidend,106 da die gutenbergsche Organisation durch die pulsierenden Zahlenströme ausschließlich auf der Sachebene operiert und deshalb auf die Beteiligung von Subjekten verzichten kann.107 Oder, noch einmal anders formuliert, kann das, was sich der Vorsehung entzieht, nicht berechnet werden.

5.4

Die Besonderheiten des Subjekts als Organisationsproblem

Die Grenzen mathematischer Systematisierbarkeit zeigen sich nicht nur in der Unberechenbarkeit von Gründungsimpuls und Schöpfungsakt. Während subjektive Besonderheit als notwendig für Unternehmensgründungen in Anspruch genommen wird, werden die allgemeingültigen algebraischen Prinzipien der Strukturbildung auch dadurch herausgefordert, dass subjektive Idiosynkrasien und Störpotentiale die axiomatischen Annahmen der Verlässlichkeit und Kalkulierbarkeit zu unterlaufen drohen.108 Analog zu seinem Vorgehen bei der doppelten Verwendung des Rationalitätsbegriffs gilt dies für diejenigen Potentiale, die den Regelwerken der Organisation nicht eingeschrieben werden können. Die Besonderheiten des Subjekts werden mithilfe der Unterscheidung von Innen und Außen verdoppelt und können so in unterschiedlicher Weise als Gegenbegriff zum mathematisch routinisierten Vollzug des organisatorisch Allgemeinen verwendet werden.109 Subjektbedingte Besonderheit findet sich bei Gutenberg in zwei voneinander abweichenden Begriffsbestimmungen. Die Unberechenbarkeit des Subjekts ist nicht nur im schöpferischen Anschieben von Unternehmungen von Relevanz, sondern auch hinsichtlich der Krisenlatenz organisationaler Strukturgebilde. Während subjektgebundene Eigenschaften für die Gründung der Organisation unabdingbar sind, kommt dem Subjekt im Inneren der Organisation 106 So läuft die Suche nach dem Anfang des Netzwerks verknüpfter Unterscheidungen stets auf die Paradoxie heraus, dass bereits angefangen wurde. Dies ist der Fluch jeglichen Theoriedesigns, das auf Zirkularität beruht. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Anfang und Ende. Problem einer Unterscheidung, in: Niklas Luhmann, Karl Eberhard Schorr (Hg.), Zwischen Anfang und Ende. Fragen an die Pädagogik, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1990, S. 11-23. 107 Zur Wechselseitigkeit von Personenabhängigkeit und Personenunabhängigkeit ökonomischer Rechenvorgänge sowie dem Verhältnis rechenmäßiger Routinen und einer etwaigen Begleitung, Ergänzung oder Ersetzung durch die Performanz von Akteuren siehe Herbert Kalthoff, Rechnende Organisationen: Zur Anthropologie des Risikomanagements, in: Jens Beckert, Rainer Diaz-Bone, Heiner Ganßmann (Hg.), Märkte als soziale Strukturen. Mit einem Vorwort von Richard Swedberg, Frankfurt a.M.: Campus Verlag GmbH 2007, S. 151-165. 108 Den Punkt der Fehleranfälligkeit von Organisationen aufgrund der Unberechenbarkeit von Individuen registriert auch Niklas Luhmann. Er notiert im Hinblick auf die Eindimensionalität der organisationsseitigen Beanspruchung des Menschen: »Die Organisation fordert ihm [dem Menschen, T.W.] jedoch nur spezifische Leistungen ab. Seine Gefühle und seine Selbstdarstellungsinteressen werden dabei kaum beansprucht. Sie lungern während der Arbeit funktionslos herum und stiften Schaden, wenn sie nicht unter Kontrolle gehalten werden.« Siehe Niklas Luhmann, Spontane Ordnungsbildung, in: Fritz Morstein Marx (Hg.), Verwaltung. Eine einführende Darstellung, Berlin: Duncker und Humblot 1965, S. 163-183, hier S. 163. 109 Die markierte Seite der Unterscheidung wird beibehalten, während ein Umschalten im Hinblick auf die mitlaufende Rückseite erfolgt.

5. Die Berechnung der Organisation

eine gegenläufige Bedeutung zu. Im routinisierten Vollzug des organisationalen Tagesgeschäftes kommt Besonderheit einer Störung gleich. Die Unberechenbarkeit des Subjekts wird von Gutenberg als Zwei-Seiten-Form konzipiert und damit als Einheit der Unterscheidung von Produktivität und Destruktivität gefasst. Das besondere Potential des Subjekts, seine besonderen Ideen oder spezifischen Idiosynkrasien sind Lösung und Problem gleichermaßen. Durch die Beteiligung unberechenbarer Subjekte ist ein gelingender Organisationsalltag keine Selbstverständlichkeit. Der Raum für Eigenheiten endet an der Pforte zur Organisation, an der individuelle Unterschiede nivelliert und in Rang- oder Statusunterschiede einer organisationalen Stellenordnung überführt werden. Jede Regel, jede Vorschrift und jede Dienstanweisung eröffnet ein Spektrum möglicher Abweichungen und ein verbleibender Raum für Selbstbestimmung impliziert das Risiko einer Abweichung von Vorgaben, mindestens aber eine Unvorhersehbarkeit von Verhalten.110 Im Begriff der Organisation sind Ordnung und Unordnung enthalten. Aus dem Wissen um diese Wechselseitigkeit zieht Erich Gutenberg die Konsequenz und setzt auf eine logische Bereinigung des Ausgangsproblems. Für das, was nicht sein darf – die Störung – und seine Ursache – die Störquelle –, ist in der zahlenförmigen Organisation kein Raum vorgesehen. Doch die strukturbedingte Nichtberücksichtigung des Subjekts ist ein bewusster Schritt. Organisationsinterner Besonderheit kommt bei Erich Gutenberg insofern eine besondere Rolle zu, dass sie aus theoriesystematischen Gründen ausgeklammert wird. Das Ausgangsproblem wird theoretisch neutralisiert,111 indem die

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Mit der klassisch weberschen Handlungstypologie steht eine produktive Problemheuristik zur Verfügung: Organisationspathologien lassen sich mithilfe der Unterscheidung von Verhalten und Handeln verstehen und systematisieren. Im Hinblick auf die Unterscheidung von Handeln und Verhalten lässt sich festhalten, dass Handeln im Sinne bewusster Abweichung von Verhaltenserwartungen verstanden werden kann, während Verhalten ohne einen subjektiven Sinn auskommt. Diese Zuschreibung eines subjektiven Sinns nimmt Max Weber als grenzbildendes Prinzip für seine Kategorie des Handelns und die entsprechende Abgrenzung zur Kategorie des Verhaltens in Anspruch. Handlungen werden in Organisationen ergo immer dann sichtbar, wenn es nicht nach Plan zu laufen scheint. Handlungen durchkreuzen organisationale Erwartungen und widersprechen den diesbezüglichen Strukturvorgaben. Jenseits der Spitze der Organisation sind Handlungen per se konflikthaft und bedürfen eines Prinzips personaler Zurechenbarkeit. Fehler brauchen Verursachende. Im Umkehrschluss meint Verhalten im Übertrag auf Organisationen nichts anderes als den organisationalen Strukturvorgaben zu entsprechen, um damit die reibungslose Integration einer Stellenordnung zu ermöglichen. Das Entsprechen von Verhaltenserwartungen, die jede Organisation an ihre Mitglieder adressiert, kommt hingegen ohne einen subjektiven Sinn aus, insofern damit nicht gemeint ist, jenen Erwartungen ausdrücklich entsprechen zu wollen. Siehe Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, S. 1. Eine derartige Position besetzt Max Weber nicht exklusiv: »Verhalten ist weitgehend eine Funktion der Position« notiert später auch Herbert Simon und markiert damit ebenfalls eine Differenz zum eigenmächtigen und selbstbestimmten Agieren. Siehe Herbert A. Simon, Organisationen und Märkte, in: Patrick Kenis, Volker Schneider (Hg.), Organisation und Netzwerk. Institutionelle Steuerung in Wirtschaft und Politik, Frankfurt a.M. und New York: Campus Verlag 1996, S. 47-74, hier S. 63. Gutenberg beschreibt sein Vorgehen als »Neutralisierung der Probleme der Organisation« und damit ausdrücklich nicht als »Negation.« Die Unterscheidung von Neutralisierung und Negation verweist darauf, dass Gutenberg die Störanfälligkeit von Organisationen registriert und diese thematisiert – statt zu ignorieren –, ohne aber die Handhabbarkeit von Unberechenbarem zu be-

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Besonderheiten des Subjekts und das damit verbundene Abweichungspotential keinen Eingang in die Organisation finden. Aufgrund ihrer Unberechenbarkeit entziehen sie sich einer theoretischen Systematisierung. Auch begrifflich spiegelt sich die negative Seite der Unberechenbarkeit. Als Störgröße wird dem psychophysischen Subjekt nicht die schöpferische Potenz zuerkannt, die Gutenberg beim Menschen entdeckt.112 Das psychophysische Subjekt dient als begriffsmäßiger Störenfried, der die Praktiken »kalkulativen Vergleichens«113 zu sabotieren droht. Die Idiosynkrasien des Subjekts fügen sich keinen allgemeinen Regeln und »entziehen sich […] rationalisierender, quantifizierender Betrachtung, weil sie einmalig und individuell sind.«114 Die Störanfälligkeit der Praxis resultiert »zu einem wesentlichen Teile aus dem psychophysischen Subjekt, dessen individuelle Fähigkeiten für wirtschaftliche Maßnahmen begrenzt sind und dem es häufig an Mitteln fehlt, an sich richtige Maßnahmen voll und ganz durchzusetzen.«115 Die »Hemmungen« und »Unvollkommenheiten« und die »im Subjekt liegenden Mängel«116 laufen auf ein begrenztes Rationalitätsvermögen heraus, an dem sich traditionell klassische Rationalitätskritiken der Organisation entzünden,117 die implizieren, dass Organisationen auf der Seite der Planung weit ambitionierter sind, als eine Organisation empirisch zu erreichen vermag. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Auseinandersetzung mit klassischen Rationalitätsannahmen ein zentraler Gegenstand von Organisationstheorie sowie der praktischen Gestaltung von Organisationsstrukturen ist118 und das Konzept der rationalen und präferenzgesteuerten Wahl von Handlungs- und Entscheidungsalternativen im Rahmen von deren Verlaufsgeschichte eine mehrfache Relativierung erfahren hat,119

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anspruchen. Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 26. Zur Sonderstellung des Menschen und der damit verbundenen Theologisierung von Subjektivität siehe Friedrich Wilhelm Graf, Von der creatio ex nihilo zur »Bewahrung der Schöpfung«. Dogmatische Erwägungen zur Frage nach einer möglichen ethischen Relevanz der Schöpfungslehre, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 87 (1990) 2, S. 206-223. Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 34. Ebd., S. 40. Ebd., S. 39. Ebd. Für die Verlaufsgeschichte des Stellenwertes von Rationalitätsannahmen im Rahmen organisationstheoretischer Überlegungen siehe Albrecht Becker, Willi Küpper, Günther Ortmann, Revisionen der Rationalität, in: Willi Küpper, Günther Ortmann (Hg.), Mikropolitik. Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen. 2., durchgesehene Auflage, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1992, S. 89-113. Siehe hierzu etwa Peter Abell, Rational Choice Theory and the Analysis of Organizations, in: Paul Adler, Paul du Gay, Glenn Morgan, Mike Reed (Hg.), The Oxford Handbook of Sociology, Social Theory and Organization Studies. Contemporary Currents, Oxford: Oxford University Press 2014, S. 318-345. So bezeichnet etwa Günther Ortmann die Vorstellung eines homo oeconomicus, der stets im bestmöglichen Sinne zu entscheiden weiß, als Verheißung einer »ökonomischen Orthodoxie«. Siehe Günther Ortmann, Fiktionen des Organisierens, in: Hugo Schmale, Marianne Schuller, Günther Ortmann (Hg.), Ortlose Moral. Identität und Normen in einer sich wandelnden Welt, München: Wilhelm Fink Verlag 2011, S. 197-231, hier S. 210. Dass die Effizienzkriterien des Rational-ChoiceAnsatz nunmehr im Zentrum einer Kritik stehen, die weniger an Idealtypen als an tatsächlichen Abläufen interessiert ist, hat mehrere Ursachen und weist verschiedene Begründungslinien auf.

5. Die Berechnung der Organisation

zeigt sich im Verweis auf die kognitiven Grenzen des Subjekts bei der Erfassung von mehrdeutigen Situationen der richtungsweisende Charakter der gutenbergschen Überlegungen.120 Um die Idiosynkrasien und Intransparenzen des Subjekts rechenmäßig auszuklammern, setzt Gutenberg konsequent auf ein Konzept logisch bereinigter Rationalität im Sinne der Berechenbarkeit von Abläufen, während er auf der anderen Seite dazu bereit ist, den alltäglichen Versuch der Optimierung von Zweck-Mittel-Relationen zwar als unumgänglich anzunehmen, aber vor dem Hintergrund von Situativität und Gewohnheiten als theoretisch nicht zu systematisieren und damit auf der Reise nach Utopia zu wähnen. Rationalität wird im Alltag zwar angezielt, für gewöhnlich jedoch nicht erreicht. Planung als streng logische Bereinigung von Störfaktoren zu verstehen, setzt hingegen die exklusive Zahlenförmigkeit der Organisation voraus.121 Situations- und So sind etwa etablierte Pfade im Entscheidungsverhalten genauso wenig zu unterschätzen, wie dies für die jeweils gegenwärtige Dynamik gilt, in deren Sogwirkung Entscheidungen getroffen werden. Aus dieser Perspektive heraus unterminieren Vergangenheit und Chaos der Gegenwart Möglichkeiten zielgerichteten Entscheidens. Wenn aber Gewöhnung und Situativität als zentrale Quellen der Störanfälligkeit rationalen Entscheidens ausgemacht werden, bleiben dessen eigentliche Prämissen unberührt. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine empiriebasierte Kritik. Diese konnte jedoch die Bedeutung ökonomischer Rationalitätsannahmen nicht schmälern, denn eine mangelnde empirische Irritierbarkeit ist gerade Programm und der Vorwurf eines Dogmas liegt nahe. Stefan Zundel hat diesbezüglich herausgearbeitet, dass das ökonomische Rationalitätstheorem gegen empirisch fundierte Entgegensetzungen imprägniert scheint. Er schlägt deshalb die Kategorie der »konzeptionellen Aussage« vor, um den dogmatischen Charakter von Rationalitätsannahmen begrifflich in Form zu bringen. Gleichzeitig öffnet Zundel die Perspektive dafür, dass es sich aufgrund mangelnder Kritikfähigkeit um Werturteile handelt. Siehe Stefan Zundel, Der methodologische Status der Rationalitätsannahme in der Ökonomie, Berlin: Duncker & Humblot GmbH 1995, S. 149ff. Der Begriff des homo oeconomicus oszilliert daher zwischen Glaubenssatz und Heuristik, zwischen Marktapologie und dem Versuch, das Handeln in Organisationen beschreibbar zu machen und strategisch in Form gießen zu können. 120 Hier kommt vor allem dem Konzept der »Bounded Rationality« im Sinne Herbert Simons eine paradigmatische Rolle zu. So hat Simon bereits in seiner wegweisenden Studie zum Entscheidungsverhalten in Organisationen auf verschiedene Grenzen rationalen Entscheidens – wie zum Beispiel Kognition, Informationsdefizite, Gedächtnis oder Gewohnheit – verwiesen. Siehe Herbert A. Simon, Administrative Behavior. A Study of Decision-Making Process in Administrative Organization. With a foreword by Chester I. Barnard. Second Edition, New York: The Macmillan Company 1957. Das Konzept der »Bounded Rationality« wurde von Simon in einer Vielzahl von Beiträgen wieder aufgegriffen und weiter ausdifferenziert siehe ausschnitthaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit Herbert A. Simon, Rational Choice and The Structure of Environment, Psychological Review 63 (1956) 2, S. 129-138; Theories of Bounded Rationality, in: Charles Bartlett McGuire, Roy Radner (Hg.), Decision and organization : A volume in honor of Jacob Marschak, Amsterdam: North-Holland Publishing Company 1972, S. 161-176; Bounded Rationality and Organizational Learning, in: Organization Science 2 (1991) 1, S. 125-134. 121 Im Hinblick auf die Objektivität von Rechenergebnissen zieht Giorgio Israel die Wissenschaftlichkeit von betriebswirtschaftlichen Überlegungen in Zweifel: »Da keine transparenten und umfassenden Kontrollmechanismen die Verbindung von Theorie und Praxis überprüfen, droht der harte Kern der mathematischen Wirtschaftswissenschaft ein undurchdringbares, nebulöses Gebiet zu werden, das dennoch das Fach theoretisch fundieren soll. All dies trägt dazu bei, den epistemologisch zerbrechlichen Status der mathematischen Wirtschaftswissenschaften zu unterminieren, trotz seines quantitativ exponentiellen Wachstums.« Siehe Giorgio Israel, Die Mathematik des

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Die nächste Organisation

Personenabhängigkeit entziehen sich dem Versuch der Theoriebildung.122 In der zahlenförmigen Organisation ist kein Platz für das Subjekt und seine Eigenheiten. Das Subjekt wird zwar als irrationaler Faktor zur Kenntnis genommen, »Störungen und Hemmungen der Theorie dürfen aus ihm nicht entwachsen«.123 Gutenberg sieht eine Berücksichtigung im Rahmen des Theoriegebäudes ausdrücklich nicht vor.124 »Als ob ein psychophysisches Subjekt gar nicht vorhanden sei«,125 kennt seine Organisation ausschließlich Zahlen, die, miteinander in Beziehung gesetzt, für die Berechenbarkeit und Kontrollierbarkeit der betrieblichen Abläufe in Anspruch genommen werden. Um Dysfunktionen und Rationalitätsverlust vorwegzunehmen, wird das Subjekt aufgrund seiner Undurchsichtigkeit aus dem »Erkenntnisinteresse herausgelöst.«126 Diese Aussperrung des subjektiven Eigenlebens ist der Preis für die Verdatung der Organisation, bei der eine Beteiligung des Subjekts als Garant für Idiosynkrasien fungieren würde, die als Sand im Getriebe der Organisation einen reibungslosen Normalbetrieb zu torpedieren droht.127 Während Organisationen gemäß ihrer Funktionslogik Ungleiches gleich machen, bringt Subjekthaftigkeit Unterscheidungen ins Spiel, die Gutenberg nicht berechnen kann. Wer Subjekt ist, kann entscheiden128 und genau ›homo oeconomicus‹ in: Jochen Brüning, Eberhard Knobloch (Hg.), Die mathematischen Wurzeln der Kultur. Mathematische Innovationen und ihre kulturellen Folgen, München: Wilhelm Fink Verlag 2005, S. 153-172, hier S. 169. Vor diesem Hintergrund zeugen die gutenbergschen Versuche der logischen Bereinigung seines Organisationskalküls von einer durchaus beachtlichen Praxisskepsis. 122 Gutenberg sieht hier die Geisteswissenschaften am Zug, die er in der Verantwortung sieht, das Subjekt »als ein solches […] mit geisteswissenschaftlichen Methoden« zu untersuchen. Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 40. 123 Ebd., S. 41. 124 »Dieses Bemühen wird aber so gut wie unmöglich gemacht, wenn das psychophysische Subjekt als ein solches mit in die Theorie hineingenommen wird.« Ebd. 125 Ebd., S. 42. 126 Siehe ebd. 127 »Es muß […] die Annahme gemacht werden, daß die Organisation der Unternehmung vollkommen funktioniert. Durch diese Annahme wird die Organisation als Quelle eigener Probleme ausgeschaltet und soweit aus ihrer wissenschaftlich und praktisch bedeutsamen Stellung entfernt, daß aus ihr keine Schwierigkeiten mehr für die theoretischen Gedankengänge entstehen können.« Siehe ebd., S. 26. 128 Diese Stoßrichtung entspricht der grammatikalischen Konstellierung von Subjekt und Objekt. Allerdings ist dies nur eine mögliche Sichtweise, Subjekthaftigkeit und Organisation zusammenzubringen. Nicht zwangsläufig müssen nämlich Subjekt und Organisation als Antonyme geführt werden. Genauso ist denkbar, sie im Kontrast zu selbstbestimmten Kontexten anzulegen. Das subiectum ist auch das Unterworfene. Das Organisationssubjekt lässt sich auch als sich im Einklang mit den Strukturvorgaben der Organisation befindend verstehen. Gutenberg bedient damit die Linie klassischer Subjektphilosophie, bei der Subjekthaftigkeit und Autonomie konzeptuell zusammenfallen. Auf diese Möglichkeit – Subjekthaftigkeit im Hinblick auf die Unterscheidung von Selbstund Fremdbestimmung unterscheiden zu können – verweist auch Andreas Reckwitz, ohne jedoch explizit einen möglichen Anschluss an organisationstheoretische Überlegungen zu suchen. Vielmehr rücken bei Reckwitz rein prozessuale Aspekte, die sich der Beziehung von Subjekt und Kultur verdanken, in den Mittelpunkt. Siehe Andreas Reckwitz, Subjekt, Bielefeld: transcript Verlag 2008, hierzu S. 5-22. Zur doppelten Bedeutung von subiectum und der Frage nach moderner Subjekthaftigkeit siehe Andreas Reckwitz, Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2006, hier S. 9-31.

5. Die Berechnung der Organisation

das ist für Gutenberg das entscheidende Problem, wenn er betont, »dass das Subjekt zwar da ist und Berücksichtigung findet, als eigene Problemquelle aber ausgeschlossen bleibt.«129 Berücksichtigung heißt daher nicht, im Entwerfen der Logik des Gelingens sämtliche Fragezeichen rechenmäßig ausräumen zu können.130 Eine »Als-obKonstruktion«131 fungiert als Vehikel der logischen Bereinigung. Im Verzicht der theoretischen Systematisierung werden Störfaktoren und Problemquellen zur Kenntnis genommen,132 durch deren Ab- und Ausblenden Theoriefähigkeit und Praxistauglichkeit gewährleistet werden.133 Erst durch diesen heuristischen Kunstgriff wird für Gutenberg die Suche nach der allgemeinen Organisation möglich und eine Praxis des Managements vorstellbar. Diese Ambivalenz der Struktur-Subjekt-Dualität von Organisationen bemerkt und aufgearbeitet zu haben, zeichnet die Überlegungen Gutenbergs aus.

129 Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 42. 130 Niklas Luhmann zufolge weist eine betriebswirtschaftliche Zuspitzung von Organisationsproblemen einen Bias der Überschätzung von Wirtschaftlichkeitsrechnungen auf. Indem die Kalkulierbarkeit von Abläufen im Vordergrund steht, wird ein reibungsloses Funktionieren der Organisation vorausgesetzt und damit Fragen von Prozesshaftigkeit oder Strukturbildung ausgeblendet. Gerade die organisationssoziologische Kategorie der Entscheidung bleibt unterbelichtet, da Zweck-Mittel-Bezüge als vorausgesetzt bzw. vorentschieden behandelt werden. Den Unterschied von betriebswirtschaftlicher und soziologischer Perspektive spitzt Luhmann auf die Unterscheidung von Zweck- und Systembegriff zu, wobei eine unverhandelbare Zielgerichtetheit der Abläufe die betriebswirtschaftliche, das Integrieren tatsächlicher Abläufe – und damit das Registrieren der Störanfälligkeit von Organisationen – die soziologische Perspektive ausmacht. In der Chance, diesen Zusammenhang reflektieren zu können, sieht Luhmann Potentiale für einen interdisziplinären Austausch. Siehe Niklas Luhmann, Zum Aufgabenbegriff der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre, in: Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie 19 (2013/2014) 1, S. 533. Vor dem Hintergrund, dass Luhmann sowohl den Diskursstand betriebswirtschaftlicher wie organisationssoziologischer Literatur der 1960er Jahren ausgewertet hat, scheint die gutenbergsche Lösung der logischen Bereinigung näher an tatsächlichen Betriebsabläufen orientiert zu sein, als dies für die weitere Verlaufsgeschichte der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre in Anspruch genommen werden kann. 131 Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 42. Beinahe 80 Jahre später hat Günther Ortmann Als-ob-Konstruktionen ein ganzes Buch gewidmet. Dabei stellt Ortmann die Funktion von Fiktionen in Organisationen in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Annahmen über Regeln, Routinen und Praktiken kommt Ortmann zufolge eine wirklichkeitsstrukturierende Bedeutung zu, die nicht zu unterschätzen ist. Siehe Günther Ortmann, Als Ob. Fiktionen und Organisationen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004. 132 Die Theorie der Unternehmung Gutenbergs ist an dieser Stelle differenziert. Von blinder RationalChoice-Apologie kann keine Rede sein. Eine ähnlich gelagerte Kommentierung der gutenbergschen Überlegungen nimmt auch Dirk Baecker vor, der insbesondere betont, dass die moderne Betriebswirtschaftslehre den methodischen Skeptizismus Gutenbergs alsbald vergessen hat. Das bewusste Verzichten auf eine theoretische Systematisierung von Unwägbarkeiten wandelte sich vielmehr zum (un-)bewussten Ausblenden von Möglichkeiten des Nicht-Gelingens. Siehe Dirk Baecker, Der Manager, in: ders., Organisation und Störung. Aufsätze, Berlin: Suhrkamp Verlag 2011, S. 11-23, hier S. 15f. 133 Auch im Hinblick auf ihre nur vermeintliche Theoriefähigkeit und Praxistauglichkeit kritisiert Dirk Baecker die moderne Betriebswirtschaftslehre und stellt als Kontrastfolie die erkenntnis- und praxistheoretische Präzision Erich Gutenbergs heraus. Siehe Dirk Baecker, Das Personal der Universität, in: ders., Organisation und Störung. Aufsätze, Berlin: Suhrkamp Verlag 2011, S. 155-192, hier S. 159f.

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Die nächste Organisation

Im Hinblick auf die Verlaufsgeschichte von Organisationstheorie und Managementlehre ist das Auflösungsvermögen der Überlegungen von Erich Gutenberg entsprechend richtungsweisend.

5.5

Bilanz

Erich Gutenberg nutzt verschiedene Vorgehensweisen zur Veranschaulichung seiner Überlegungen. Er greift auf ein Verfahren der Reduktion zurück, er nutzt die semantische Elastizität von Begrifflichkeiten und er stützt seine Argumentation auf das Kontrastieren von Gegensätzen. Ausgehend von der Unterscheidung von Allgemeinem und Besonderem setzt er Ordnung und Unordnung, Regelmäßigkeit und Unregelmäßigkeit, Möglichkeit und Unmöglichkeit sowie Berechenbarkeit und Unberechenbarkeit im Hinblick auf das organisationale Dual von Struktur und Subjekt zueinander in Beziehung. Das daraus resultierende Modell der berechneten Organisation ist abstrakt und konkret zugleich. Im Blick auf die Rechenoperationen der Unternehmung verweist Gutenberg darauf, dass sein Verfahren des Aufsuchens eines allgemeinen Zugangs zwar »abstrakt isolierend«134 ist, der »quantitative Charakter« jedoch erst durch den »konkreten Zweckinhalt«135 und damit die entsprechenden Indikatoren zustande kommt.136 Abstrakt ist das Modell der Organisation, da beansprucht wird, durch die Zuhilfenahme mathematischer Prinzipien ein unbegrenztes Auflösungsvermögen der konstituierenden Elemente zu ermöglichen. Gleichzeitig ist die theoretische Modellierung aufgrund ihrer Zuspitzung auf die prozessierenden Letzteinheiten konkret. Im Zuspitzen auf numerische Letzteinheiten stellt Erich Gutenberg ein Modell von Organisation vor, bei dem alle Vagheiten strukturgeleitet getilgt, sämtliche Abweichungspotentiale eliminiert und alle Kontrolllücken geschlossen sind. Gestaltungs- und Interpretationsspielräume erübrigen sich, da die Abläufe des Betriebsgeschehens fest gekoppelt sind. Das rechenmäßige Vorgehen steht für eine Präzision, die es ermöglicht, die Organisation auf eine Zahl zu bringen. Umsatzgewinne oder -verluste, Wachstumsraten, daraus resultierender Personalbedarf oder die Notwendigkeit des Abbaus einer bestimmten Anzahl an Stellen, die quantifizierte Organisation errechnet sich den Weg in eine kalkulierte Zukunft.137 Aufgrund der Tatsache, dass im Rahmen der Organisation Zahlen darüber informieren, was zu tun ist, verliert die Unterscheidung zwischen Entscheidung und Ent-

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Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 19. Ebd., S. 38f. Das gutenbergsche »Rationalitätspostulat« sowie die »Ausschaltung des psychophysischen Subjekts« sind »durch die »Methode der isolierenden bzw. abnehmenden Abstraktion« legitimiert.« Ebd., S. 41. Zu den Möglichkeiten der mathematischen Modellierung von Zufällen und dem damit verbundenen Anspruch, erwartbare Zufälle im Sinne von known unkowns [H.i.O.] zu systematisieren und damit über die Zukunft zu verfügen, siehe Gregor Svindland, Finanzmathematische Modellierungen. Eine unmögliche Möglichkeit, Unbestimmtheit zu bestimmen, in: Julian Müller, Victoria von Groddeck (Hg.), (Un)Bestimmtheit. Praktische Problemkonstellationen, München: Wilhelm Fink Verlag 2013, S. 105-115.

5. Die Berechnung der Organisation

scheidungsgrundlage ihr eigentliches Spannungsmoment. Statt zu entscheiden, wird gerechnet. Wenn klar ist, ob ein Mehr oder ein Weniger angezielt werden soll, erübrigt sich die Frage nach dem Weg. Auf Rechenwegen drohen keine Gewitterschäden. Die Selbstreferenz der Zahlen ermöglicht ein störungsfreies Prozessieren. Zahlverknüpfungen sind aufgrund ihrer strikten Reguliertheit nicht kontingent und der modus operandi der Rechenmaschine entspricht nicht der für die Praxis der Entscheidungsfindung notwendigen Umarbeitung von Kontingenz. Die konkret abstrakte, numerisch strukturierte Organisationswirklichkeit ist von einer eindringlichen Klarheit und Überzeugungskraft, die ein prinzipielles Anderssein von Möglichkeiten inhibiert. Durch die Tatsache, dass der Mechanismus der Konnektivität der Einzelelemente aus der Sphäre kommunikativer Sozialität herausgenommen wird, besteht die wesentliche Funktion der quantifizierten Organisation in einer Entlastung von den beteiligten Subjekten, deren Rolle durch die zur Verfügung stehende Datengrundlage in den Hintergrund tritt. Das Dual von Aufgaben- und Personenorientierung, das grundsätzlich die Bandbreite des organisationalen Gestaltungsspektrums abbildet, schrumpft auf die Seite der Aufgaben zusammen, deren Logik sich aus mathematischen Kalkülen speist. Die robusten Betriebsabläufe der Rechenmaschine ermöglichen eine manageriale Logik des Gelingens, die Annahmen über die Unberechenbarkeit der Zukunft in eine Sphäre jenseits des Logischen verabschiedet. Planungsentscheidungen können mit einem Überblick der anderen Art getroffen werden, da Ziffern als »Grundlage der Betriebsanleitung«138 eine präzisere Form der Beobachtungsqualität ermöglichen, als dies eine direkte Beobachtung von Körperlichkeit gewährleisten kann. Aufgrund des grenzenlosen Auflösungs- und Rekombinationsvermögen von Zahlen erhält die gutenbergsche Organisation als Zahlengebäude dennoch eine suggestive Körperlichkeit: Die Organisation erscheint als Rechenkörper und wird konsequent sachlogisch auf die Seite der Struktur festgelegt. Vor allem das organisationale Auflösungsvermögen markiert die Differenz der Konzeptionen Erich Gutenbergs und Frederick Taylors, obwohl beide vor dem gleichen grundlagentheoretischen Problem argumentieren: Wie kann Organisation gelingen? Doch das jeweilige Vorgehen der Negation von Kontingenz unterscheidet sich, denn ohne das methodische Inventar eines Scientific Managements ist das Modell Erich Gutenbergs von anderen Voraussetzungen abhängig. Der gestalterische Zugriff auf die Organisation ist nur möglich, wenn aufbereitete Daten zur Verfügung stehen. Die Bildung von Indikatoren wird zum entscheidenden Organisationsproblem. In diesem Sinne ist die Organisation tatsächlich ein – im Wortsinne – formalisierter Strukturzusammenhang. Sie beruht auf mathematischen Formeln, die Rechenwege definieren und so Entscheidungs- und Handlungsspielräume spezifisch zuschneiden. Prozesse der Organisation numerisch abzubilden, ist sowohl Voraussetzung einer gelingenden Unternehmung, wie gleichzeitig die Garantie eines konzeptuell reibungslosen Ablaufes des Betriebsgeschehens. Das Prinzip der Einzelbeobachtung einer Tätigkeit ist dagegen nicht mehr in der Lage, das Verhältnis der einzelnen Betriebsabteilungen zueinander abzubilden und somit ansatzweise die Komplexität der organisierten Rechenmaschine sicherzustellen. 138

Siehe Erich Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, S. 13.

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Die nächste Organisation

Als Modell organisierter Informationsverarbeitung steht die Organisation Erich Gutenbergs damit Pate für Entwicklungen, die im Zuge von Digitalisierung und Reorganisation unter Schlagwörtern wie Big Data oder Industrie 4.0 verbucht werden. Die Tatsache, dass Algorithmen und Softwarelösungen zunehmend das Design organisationaler Welten prägen, ist in der Sache einer konsequenten rechnerischen Weiterentwicklung der Absicherung organisationaler Strukturbildung im Hinblick auf ihre Störunanfälligkeit geschuldet. Im Ergebnis werden Entscheidungsspielräume durch Prozesse der Strukturautomation eingeschränkt, da aufbereitete Daten Entscheidungssituationen spezifisch vorstrukturieren und so mögliche Alternativen ausfiltern und selektieren. Dieses Ausblenden von Alternativen aber ist die tatsächliche Leistung einer alltäglichen Entscheidungspraxis, die, im undurchsichtigen Dickicht der strukturbedingten Gleichzeitigkeit der Organisation, in der Lage ist, Komplexität einzuschränken. Dass Ideen im Kontext von Big Data dann regelmäßig Ideen für bestimmte Algorithmen sind, ist das Ergebnis einer konsequenten Verstetigung von Strukturkomponenten auf numerischer Basis und der Tendenz, dass Anschlussoptionen zunehmend errechnet werden. Aus dieser Perspektive kann die Organisation Erich Gutenbergs in den Geburtswehen des digitalen Projekts verortet werden, dessen Agenda vorsieht, Organisationsstrukturen störunanfällig zu machen, gleichzeitig aber größtmögliche Flexibilität zu gewährleisten.139 Als Diskursereignis sind Digitalisierung und digitale Transformation jedoch Bezugsgrößen der jüngeren Vergangenheit, während das Projekt der Strukturautomation auf organisationaler Ebene auf eine deutlich längere Verlaufsgeschiche zurückblicken kann. Besonders in zahlenintensiven Branchen finden sich zahlreiche diesbezügliche Versuche, lange bevor Computer zum standardmäßigen Inventar in Unternehmen, Verwaltungen und Privathaushalten avancierten und das Internet allgegenwärtig wurde.140 Der Anspruch, Geschehnisse in Organisationen rechenmäßig abzubilden, findet sich bereits bei Erich Gutenberg und damit auch eine Idee, die noch immer aktuell ist: Eine be- und errechnete Zukunft droht die Organisation nicht mit Komplexität und

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Dem Vorgehen, einen Anfang oder ein bestimmtes Ereignis als Auftakt der Digitalisierung ausmachen zu wollen, wäre der Vorwurf der Willkürlichkeit sicher. Versuche der Herleitung bieten sowohl gerätehafte, d.h. technische Entwicklungen wie Überlegungen logischer Vernunft. Mindestens handelt sich hierbei also um Parallelbewegungen, die Mathematik, Philosophie, aber auch Naturwissenschaften übergreifen. Im Hinblick auf die Durchsetzung und Verbreitung von Computern finden sich entsprechend zahlreiche Bezugspunkte, noch bevor diese untereinander über Intra- oder Internet vernetzt waren. Die Keime und Wurzeln dieser Verlaufsgeschichte erscheinen entsprechend eher rhizomatisch als linear. Für eine Diskussion unterschiedlicher Verlaufslinien siehe Martin Burckhardt, Eine kleine Geschichte der Digitalisierung, in: Merkur. Gegründet 1947 als Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 71 (2017) 816, S. 47-61. 140 So verweisen Kathrin Passig und Aleks Scholz darauf, dass Computer bereits in den 1940er Jahren den Modus ausschließlich analogen Prozessierens verlassen haben, Banken, Versicherungen und Verwaltungen seit den 1960er Jahren ihre Rechenvorgänge auf digitale Füße stellen und Polizei, Geheimdienste – aber auch Krankenhäuser – seit den 1970er Jahren auf digitale Anwendungen zurückgreifen. Siehe Kathrin Passig, Aleks Scholz, Schlamm und Brei und Bits. Warum es die Digitalisierung nicht gibt, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 69 (2015) 11, S. 75-81.

5. Die Berechnung der Organisation

Kontingenz zu überwältigen. Das einseitige Anschließen von Zahlen als Modus organisationaler Strukturbildung führt das organisationale Projekt der Emanzipation von gesprochener Sprache auf einen vorläufigen Höhepunkt.

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6. Die Visualisierung der Organisation

Der richtungsweisende Charakter früher managerialer Überlegungen lässt sich nicht nur anhand der Überlegungen von Taylor und Gutenberg veranschaulichen. Der organisationale Formenvorrat semiotischer Mechanismen ist mit Vermessung und Berechnung und ihrer kontingenznegierenden Funktion im Rahmen von Strukturbildungsprozessen nicht erschöpft. Gerade aufgrund der Tatsache, dass der objektivierende Charakter von Messung und Berechnung im Kontext einer zunehmend »vermessenen Moderne«1 kaum zu unterschätzen ist, werden im Zuge von deren Durchsetzung Abbildungsverfahren erforderlich, die Umgangsweisen ermöglichen. Deren Notwendigkeit wird nicht zuletzt durch die steigende Leistungsfähigkeit von Strukturbildungsprozessen bedingt, gerade weil die Form moderner Organisation ihre Operationen als Dual von Struktur und Subjekt realisiert. Um mit den Idiosynkrasien der beteiligten Subjekte umgehen zu können, werden auf der Seite der Struktur zur Absicherung organisationaler Erwartungen entsprechende Techniken kultiviert und zugleich pädagogisch genutzt, da mit ihrem Gebrauch Anpassungs- und damit Veränderungsansprüche an die beteiligten Subjekte adressiert werden. Auf diese Weise ist es in Organisationen möglich, mithilfe von Prozessen der Strukturbildung Unsicherheit und Kontingenz der Zukunft und das damit verbundene Risiko des Zufalls einzuhegen. In diesem Zusammenhang steht auch die Nutzung von Notationssystemen wie Aktenmäßigkeit, Listenförmigkeit, die Nutzung von Formularen oder der Rückgriff auf Praktiken der Dokumentation. Organisationen verfügen traditionell über eine hohe Datenaffinität. Besonders durch die Nutzung von Zahlen und die damit verbundene zunehmende Quantifiziertheit der Organisation sinkt dem Anspruch nach die Interpretationsbedürftigkeit von Sachlagen, während gleichzeitig die Funktion der Informationsverarbeitung gestützt wird. Die Datenaffinität der Organisation ist für den Weg ins digitale Zeitalter nicht zu unterschätzen. Organisationen sind die zentralen Datentreiber der Gesellschaft, da die verfahrensförmige Durchroutinisierung von Vollzügen

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Siehe hierzu Sebastian Manhart, Vermessene Moderne, Zur Bedeutung von Maß, Zahl und Begriff für die Entstehung der modernen Kultur, in: Dirk Baecker, Matthias Kettner, Dirk Rustemeyer (Hg.), Über Kultur. Theorie und Praxis der Kulturreflexion, Bielefeld: transcript 2008, S. 191-218.

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Die nächste Organisation

und die versuchte Festlegung der Organisation auf die Seite der Struktur Störunanfälligkeit, Wiederholbarkeit, Kontrollierbarkeit sowie Erwartungssicherheit gewährleisten sollen. Dass durch Prozesse der Strukturautomation im Kontext fortschreitender Digitalisierung ein steigender Anteil von Operationen in Organisationen ohne beteiligte Subjekte auskommt, impliziert eine Aktualisierung und Neuausrichtung der Form moderner Organisation. Doch daneben gerät eine weitere Dimension in den Blick. Zwar verweist die Abbildung der Organisation als struktureller Zusammenhang der Informationsverarbeitung vor dem Hintergrund der gegenwärtigen digitalen Transformation auf eine langlaufende Kontinuitätslinie, doch die Tatsache, dass sich prozessierende Rechenoperationen aufgrund ihrer Geschwindigkeit dem bewussten Mitvollzug entziehen, verweist noch in einer weiteren Hinsicht auf das Prinzip der Abbildung. Die reibungslose Konnektivität der organisationalen Strukturelemente ist auf ein Komplement angewiesen, durch das ein Modus der Beobachtung ermöglicht wird. Was vermessen und berechnet wird, was mithilfe von Algorithmen ausgewertet und rekombiniert werden kann, findet sich auf Displays und Interfaces, ohne dass Gebrauch und Anwendung von Software und Applikationen ein Verständnis der zugrundeliegenden Operationen voraussetzen. Die Notwendigkeit und der Anspruch der Sichtbarmachung und Darstellung organisationaler Vollzüge und Routinen sind ebenso Teil des organisationalen Formenvorrats wie Messung und Berechnung. Gleichzeitig sind sie keine Erfindung des digitalen Zeitalters, sondern sind als Praxis der Visualisierung ein etablierter Gegenstand planerischer Überlegungen. Bereits zu Beginn der Managementlehre liegen entsprechende Überlegungen ausgearbeitet vor. Die Entwicklung eines umfassendes Programms sowie eines methodischen Inventars sind maßgeblich mit dem Namen Frank Bunker Gilbreth verknüpft. Wie Frederick Taylor oder Erich Gutenberg war Gilbreth auf der Suche nach dem guten Plan der Organisation und einer dazugehörigen Logik des Gelingens, die dem organistionalen Dual von Struktur und Subjekt zur notwendigen Viabilität verhelfen sollte. Wie selbstverständlich gehört dazu auch bei Gilbreth das Infragestellen etablierter Verhältnisse, um Ansprüchen der Optimierung entsprechen und dazugehörige Zukunftsbilder ausmalen zu können. Frank Gilbreth war mit einem besonderen Möglichkeitssinn ausgestattet und obwohl auch er mit seinen Überlegungen der Datenaffinität der Organisation in die Hände arbeitete, war sein Ansatzpunkt im Vergleich zu Taylor und Gutenberg ein anderer. Gilbreth folgt bei seinem Ansatz keiner rein metrischen oder numerischen Logik, sondern versucht, die beiden Dimensionen über den Weg der Visualisierung zu integrieren. Seine Vision der prosperierenden Organisation speist sich aus einer besonderen Vorstellungskraft. Gilbreth hatte ein Bild der guten Organisation im Kopf und sein Vorgehen bestand darin, die Bilder seines inneren Auges zu Bildern werden zu lassen, die auch andere sehen können. Die zu erzeugenden Bilder sollen das abbilden, was die Organisation und ihre Vollzüge im engsten Sinne möglich macht: Die gilbrethsche Logik des Gelingens leitet sich aus der Reflexion und der Darstellung der Bewegungen ab, aus denen die Gesamtheit der notwendigen Teilleistungen der Organisation besteht. Die Visualisierung der Organisation folgt unterschiedlichen, aber miteinander verknüpften Zielstellungen, als deren alleiniges Merkmal die Optimierung von Arbeitszusammenhängen herauszustellen, zu kurz greifen würde. Zwar ist auch das gilbreth-

6. Die Visualisierung der Organisation

sche Vorgehen mit dem Etikett der wissenschaftlichen Betriebsführung verknüpft, das für ein methodisch geleitetes und zugleich analytisches Vorgehen der Prozessoptimierung steht, dennoch würde man ohne eine Diskussion relevanter Einzelaspekte seinem Vorgehen nicht gerecht. Dies gilt vor allem für das Interesse von Frank Gilbreth am Stellenwert von Bewegungen in Arbeitsprozessen und das damit verbundene Verständnis von Organisation. Arbeit ist Bewegung. Organisation ist das Arrangieren von Bewegungen und deren Koordination, die die Zielgerichtetheit unterschiedlicher, aber gleichzeitiger Handlungsvollzüge ermöglicht. So greift Gilbreth beispielsweise mit Arbeitsanleitungskarte oder Simultanbewegungskarte auf Tools der Strukturbildung zurück, die nicht nur auf dem Prinzip der Arbeitsteilung beruhen, sondern auch die verschiedenen Handlungsschritte und die dazu notwendigen Bewegungen in ihre Letzteinheiten aufzuspalten beanspruchen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, kommen eigens entwickelte Verfahren und Gerätschaften zum Einsatz, mit denen Bewegungsspuren sichtbar gemacht und abgebildet werden. Auch Gilbreth arbeitet am Projekt der Verdatung der Organisation. Es spielen aber weniger die semiotischen Techniken der Vermessung oder Berechnung eine Rolle als vielmehr die Visualisierung der Organisation. Mithilfe von Modellbildungen werden die Vorgänge sichtbar und anschaulich, die das Funktionieren der Organisation gewährleisten. Dabei folgt die Visualisierungspraxis einer doppelten Intention: Zum einen werden Bewegungsabläufe reflektiert, um die Zielgerichtetheit der jeweiligen Tätigkeit zu hinterfragen und zu verbessern. Zum anderen steht das Zurverfügungstellen entsprechender Modelle für die Veranschaulichung vermeintlich wirklicher Wirklichkeit, die aus der Zeit herausgelöst einen eigenen Reflexionsraum ermöglicht, der pädagogischen Gestaltungskriterien folgt. Denn in die Konstruktion und Entwicklung der Bewegungsbilder werden die Beteiligten einbezogen, was gleichzeitig heißt, dass die Dialektik der Organisation reflexiv gehandhabt wird. Ein partizipatives Vorgehen setzt auf die Potentiale derjenigen, denen aufgrund ihrer täglichen Arbeit Expertise zugeschrieben werden kann. Neben die ausschließliche Vorgabe von Handlungsoptionen durch Stellenprofile und Tätigkeitsbeschreibungen tritt somit die Integration unterschiedlicher Perspektiven. Damit wird nicht nur der pädagogische Anforderungsgrad von Organisationen erkannt, sondern auch das dialektische Verhältnis von Geschlossenheit und Offenheit, von Vorgabe und dem nicht durch Verregelung vorwegzunehmenden idiosynkratischen Potential des Subjekts, zum Teil konzeptueller Überlegungen. Für die Gestaltung organisationaler Strukturzusammenhänge werden ein je eigenes Verständnis von Bewegung, Visualisierung und Partizipation in Anspruch genommen, die im Folgenden diskutiert werden, bevor ein Abschlussbild die zentralen Argumente noch einmal aufgreift und in den Gesamtzusammenhang integriert.

6.1

Organisation in Bewegung

Die Pionierzeit der modernen Managementlehre als Brutstätte der digitalen Moderne zu konzipieren und damit langlaufende Verlaufslinien zu betonen, folgt dem Anspruch, in der Betonung gemeinsamer Bezugsprobleme Unterschiede sichtbar werden zu lassen. Eine Konstanz von Verhältnissen wird nicht angenommen und gleichzei-

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Die nächste Organisation

tig wird die Setzung von Nullpunktannahmen vermieden. Gegenwärtige Probleme und Herausforderungen stellen sich zwar aktuell, sind aber nicht ohne eine eigene Vor- und Verlaufsgeschichte. Dies gilt vor dem Hintergrund gewachsener Entscheidungswege, standortspezifisch evoluierter Organisationskulturen oder rigider Pfadabhängigkeiten nicht zuletzt für Gestaltungsherausforderungen in und von Organisationen. Die Bedeutung der Vergangenheit ist für die Überlegungen von Frank B. Gilbreth bemerkenswert. Sein Programm der Organisationsentwicklung beinhaltet eine Archäologie der Arbeit, die zwar pointiert ist, die zentralen Herausforderungen seiner Gegenwart aber als Grundlagenproblem versteht, das immer konstitutiv für die Gestaltung von Arbeitszusammenhängen war. Dazu gehört ein bestimmtes Verständnis von Arbeit, für das eine Vergewisserung physikalischer Basisannahmen hilfreich ist. Arbeit ist das Produkt von Kraft und Wegstrecke, aber das heißt zunächst einmal nur: Arbeit bewegt.2 Arbeit steht für das Bewegen von Gewicht und das bedeutet für Frank Gilbreth, dass nicht nur die zur Verfügung stehende Kraft sowie die zu bewältigende Strecke Gegenstand der Überlegungen sind, sondern auch, dass die Bewegung selbst zum Analyseobjekt wird. Die damit verbundene Frage, was, wie und in welcher Absicht bewegt wird, ist für Gilbreth keine neue Frage, die mit dem Aufkommen der modernen Managementlehre oder aktuellen Organisationsproblemen verknüpft ist. Doch er begnügt sich nicht mit dem Verweis auf Adam Smith oder Charles Babbage, die regelmäßig als Paten für das Prinzip der Arbeitsteilung und ein maschinenanaloges Organisationsverständnis in Anspruch genommen werden.3 Auch der in diesem Zusammenhang ungewöhnliche Hinweis auf Coulomb oder Leonardo da Vinci und ihre Überlegungen zur Systematisierung von Handlungsvollzügen reichen ihm nicht. Gilbreth sieht Belege einer »weit vorgeschrittenen Entwicklung auf den Gebieten des Management und der Bewegungsstudien« etwa in »Reliefs und sonstigen Bilder[n] auf assyrischen, babylonischen und

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Für die Diskussion der physikalischen Konzeption von Arbeit und ihre Verschiebung in Richtung eines metaphorischen Verständnisses der Bewegung von Gewicht, für die doch noch immer gilt: »Arbeit verrückt«, siehe Armin Nassehi, Arbeit 4.0. Was tun mit dem nicht organisierbaren Rest, in: Armin Nassehi, Peters Felixberger (Hg.), Freiheit, Gleichheit, Ausbeutung. Kursbuch 179, Hamburg: Murmann 2014, S. 135-154, hier S. 137ff. Bemerkenswerterweise diskutiert bereits Adam Smith die Maschinenskepsis seiner Zeit als Gefahr für bestehende Arbeitsplätze, wenngleich er diese negiert, da er menschliche Vernunft für nicht substituierbar hält. Vielmehr ist der Gebrauch von Maschinen mit dem Anspruch verknüpft, freie Kapazitäten zu schaffen, die dem »höhere[n], geistige[n] Leben« zugute kommen. Siehe Adam Smith, »Über den Einfluß der Maschinen auf die allgemeine Wohlfahrt«, in: Wilhelm Treue, Herbert Pönicke, Karl-Heinz Manegold (Hg.), Quellen zur Geschichte der industriellen Revolution, Göttingen: Musterschmidt-Verlag 1966, S. 165-166, hier S. 166. Charles Babbage sieht den Vorteil arbeitsteiliger Produktionsprozesse darin begründet, dass Spezialisierung Leistungsfortschritte ermöglicht. Die für sich optimierten Handlungsvollzüge aber zum Vorteil der Organisation zu nutzen, »setzt einen höheren Grad von Geistesbildung voraus«, denn die avisierte Maschinenlogik der Organisation begründet sich erst durch deren Koordination. Siehe Charles Babbage, Das Fabrikwesen, in: Wilhelm Treue, Herbert Pönicke, Karl-Heinz Manegold (Hg.), Quellen zur Geschichte der industriellen Revolution, Göttingen: Musterschmidt-Verlag 1966, S. 166-168, hier S. 168. Arbeitsteilung und Maschinenlogik bedürfen sowohl bei Smith wie bei Babbage eines Faktors, der sich der arbeitsteiligen Systematisierbarkeit entzieht.

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ägyptischen Monumenten.«4 Aus der typischen, aber unterschiedlichen Verwendung von rechter und linker Hand, aus der Inszenierung hierarchischer Positionen und der Anordnung von Gegenständen dechiffriert er die Annahme der Veränderbarkeit von Bewegungen und den Anspruch der Optimierung der entsprechenden Abläufe. Mit dieser Perspektive wird Management zum anthropologischen Grundlagenproblem stilisiert, das von der Reflexion notwendiger Bewegungen nicht zu trennen ist. Gewappnet mit dem Selbstvertrauen, an einem der zentralen Probleme der Menschheit zu arbeiten,5 versucht Gilbreth, trotz der langen Verlaufsgeschichte von Überlegungen der Arbeitsprozessgestaltung, eine Zäsur auf diesem Gebiet zu markieren. Den Schlüssel dazu bietet die methodisch gestützte Analyse aller für die Ausführung von Tätigkeiten notwendigen Bewegungen. Unnötige, ineffiziente und fehlförmige Bewegungen sind für Gilbreth nicht weniger als die größte Verschwendung von Ressourcen überhaupt.6 Bei dieser Diagnose hat Gilbreth ausdrücklich nicht nur körperliche Arbeit im Blick, sondern jede Form von Tätigkeiten und damit auch das Management in Organisationen, das durch die Trennung von Planung und Ausführung an Strukturproblemen arbeitet. Jede Form der Arbeit ist Bewegung, die organisiert werden kann. Um sich dem Ausschalten nicht zielgerichteter Bewegungen zu nähern, schlägt Gilbreth vor, »jede einzelne Bewegung und jeden Handgriff«7 in einem ersten Schritt genau zu beobachten und in weiteren Schritten in ihre Einzelelemente zu zerlegen, um Fragen der Angemessenheit und möglicher Optimierbarkeit zu beantworten. Die Tatsache, dass Organisationen über die Ausdifferenzierung von Strukturen selbst Formen zum Auseinanderordnen von Sozialität integrieren, überträgt Gilbreth auf die zur Ausführung der einzelnen Vollzüge notwendigen Bewegungen. Es handelt sich um eine reflexive Form der Ausdifferenzierung, die den der Organisation zugrundeliegenden Mechanismus aufnimmt und auf arbeitsteilige Zusammenhänge anwendet.8 Das Programm des Zerlegens, Zerdehnens und Verkürzens9 entspricht der Suche nach den Letzteinheiten

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Siehe Frank B. Gilbreth, Die Wissenschaft im Dienste des Managements führt zur Arbeitsökonomie, in: Kurt Pentzlin (Hg.), Meister der Rationalisierung, Düsseldorf und Wien: Econ-Verlag GmbH 1963, S. 206-242, hier S. 209f. Zu Gilbreths Begeisterung von der eigenen Mission siehe auch Irene M. Witte, Taylor, Gilbreth, Ford. Gegenwartsfragen der amerikanischen und europäischen Arbeitswissenschaft, München und Berlin: R. Oldenbourg 1925, S. 35. Dementsprechend schreibt Gilbreth: »We have stated many times that the greatest waste in the world today is from unnecessary, inefficient and ill-directed motions. […] It refers to the activity of every one and, by no means least, to that of managers and all other executives.« Siehe Frank. B. Gilbreth, Graphical Control on the Exception Principle for Executives, in: The Journal of the American Society of Mechanical Engineers 39 (1917), S. 311-312, hier S. 311. Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters. Freie deutsche Bearbeitung von Dr. Colin Ross, Berlin: Verlag Julius von Springer 1921, S. 6. Von der Warte der Unterscheidungstheorie aus lässt sich dieses Vorgehen als Wiedereinführung der Unterscheidung von Ordnung und Unordnung auf der Seite der Ordnung verstehen, wobei das Verhältnis von Ordnung und Unordnung analog zum Verhältnis von Organisation und Gesellschaft verstanden werden kann. Siehe hierzu auch Birgit Althans, Das maskierte Begehren. Frauen zwischen Sozialarbeit und Management, Frankfurt a.M. und New York: Campus Verlag 2007, S. 136.

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der ausgeführten Bewegungen und sitzt auf der Annahme auf, dass jede Bewegung auf wiederkehrenden Grundmustern basiert, die es zu erschließen gilt.10 Als Beispiel für das Auseinanderordnen der Letzteinheiten der jeweiligen Bewegungsabläufe wählt Gilbreth wiederholt das Maurerhandwerk. Zwar betont er, dass bewegungsökonomische Kriterien nicht nur für den Bereich des Handwerks, sondern auch für die Gestaltung von Organisationsstrukturen in Fabriken und Büros Verwendung finden sollten,11 seine Begründung für die Wahl seines bevorzugten Beispiels ist dennoch bemerkenswert. Aus der Tatsache, dass das Maurerhandwerk Gilbreth zufolge »das älteste Handwerk ist, das überhaupt besteht«, leitet er die Annahme ab, »daß seine Arbeitsverfahren am besten ausgebildet wären.«12 Interessanterweise bringt Gilbreth sein methodisches Inventar der Prozessoptimierung gegen die etablierten Verhältnisse in Stellung, ohne diese als per se überkommen oder in Strukturrigiditäten verhaftet zu verstehen. Vielmehr ist für ihn richtungsleitend, dass Prozesse kontinuierlicher Verbesserung als obligatorisch angenommen werden, wenngleich diese bisher nur ohne die von ihm konzipierten Maßnahmen und Instrumente vonstatten gehen konnten. Das vermeintlich Neue am Vorgehen von Frank Gilbreth besteht deshalb nicht in der Suche nach einer bestmöglichen Praxis, sondern darin, für die hierzu notwendigen Analysen einen spezifischen Raum vorzusehen. Mit der Konzeption von »Versuchsstationen«13 und »Laboratorien zur Erforschung von Arbeitsbewegungen«14 setzt Gilbreth auf eine Nähe-als-Distanz-Konstruktion, um die jeweiligen Untersuchungen nicht von den Notwendigkeiten des Arbeitsalltags korrumpieren zu lassen. Aufgrund von Transferherausforderungen muss sich das Versuchslabor durch die Nähe zum eigentlichen Arbeitsort und damit verbundene Realbedingungen auszeichnen. Trotzdem erfordern Analyse und Reflexion einen Mindestgrad an Trennung und Distanz. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Konjunktur von Laboransätzen im Bereich der Innovati-

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Als sogenannte »Therbligs« – Gilbreth rückwärts gelesen, mit einer Variation am Ende – werden die »für irgendeine Arbeitsart gebrauchten oder notwendigen Bewegungen verstanden«, die es zu veranschaulichen gilt. Als wiederkehrende »Elemente eines Zyklus von Entschlüssen und Bewegungen« identifiziert Gilbreth »1. Suchen, 2. Finden, 3. Auswählen, 4. Fassen, 5. in Lage bringen, 6. Zusammensetzen, 7. Verwenden, 8. Auseinandernehmen, 9. Prüfen, 10. Transport mit Last, 11. Vorkehrungen für nächsten Arbeitsvorgang, 12. Loslassen, 13. Zurückführen (leer), 14. Warten (unvermeidbare Verzögerung), 15. Warten (vermeidbare Verzögerung), 16. Ruhepause (zur Überwältigung der Ermüdung).« Die Reihenfolge dieser ausgemachten Letzteinheiten ist nicht vorgegeben, sondern ergibt sich aus der jeweiligen Tätigkeit. Siehe hierzu Frank B. Gilbreth, Lillian M. Gilbreth, Angewandte Bewegungsstudien (Applied Motion Study). Neun Vorträge aus der Praxis der wissenschaftlichen Betriebsführung. Berechtigte Übertragung ins Deutsche von I. M. Witte, Berlin: Verlag des Vereines deutscher Ingenieure 1920, hier S. 85. Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. 47. Gilbreth verwendet entsprechend ein Argument mit allgemeinem Anspruch und argumentiert nicht mit dem Verweis auf die eigene Biographie und seinen Erfolg als Bauunternehmer. Ebd., S. 8. Ebd., S. 30. Siehe Frank B. Gilbreth, Die Wissenschaft im Dienste des Managements führt zur Arbeitsökonomie, S. 218f.

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onsförderung15 kann für das Vorgehen Gilbreths ein entsprechend richtungsweisender Charakter verbucht werden. Die im gilbrethschen »Bewegungslaboratorium«16 durchgeführten Bewegungsstudien folgen dem Ziel, für jeden Vorgang ein Best PracticeModell zu entwickeln und die bestmögliche Lösung zur Norm werden zu lassen. Die entsprechende Suche nach »Normalarbeitsverfahren, Normalarbeitsbedingungen und Normalwerkzeuge[n]« führt bei korrekter Anwendung direkt in einen Innovationskreislauf, da »Bewegungsstudien eigentlich nie als beendet angesehen werden können.«17 Die pädagogische Maxime, dass etwas besser werden kann, ist kein Programm, das an ein Ende kommt.18 Das Augenmerk strikt auf Bewegungen zu richten, heißt für Gilbreth deshalb auch, dass Bewegungslosigkeit – also Stillstand – keine Option ist. Dennoch ist Bewegung nicht alles, sondern nur die richtige Bewegung, mit der richtigen Dosierung der notwendigen Kraft, am für ihren Einsatz optimierten Ort und der bestmöglichen Ausstattung an Unterstützung. Das bestmögliche Design von Arbeit und Arbeitsplatz unterliegt dem »Gesetz des geringsten Kraftaufwandes bei Symmetrie der Bewegung.«19 Für Gilbreth entspricht dies dem Prinzip kurzer Wege. »Um die Ausbeute möglichst zu steigern, muß der Energieverbrauch pro Arbeitseinheit möglichst klein gehalten werden.«20 Die Affinität zu Leitsätzen und Gesetzen verdeutlicht den Umstand, wie nahe die Überlegungen an der Annahme orientiert sind, dass es sich bei Arbeit um das Produkt von Kraft und Wegstrecke handelt.21 So ist für ihn das Einsparen von Energie direkte Folge möglichst kurzer Bewegungen – was er zum allgemein gültigen Gesetz des Bewegungsstudiums erklärt –, genauso wie die Tatsache, dass die zu bewältigenden Strecken möglichst klein sein zu haben.22

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Zur Verlaufsgeschichte des Verhältnisses von Kontingenzvermeidung und -erzeugung in Organisationen siehe Sebastian Manhart, Thomas Wendt, Andreas Schröer, Individuelle Kreativität und organisierte Innovation. Elemente einer organisationspädagogischen Synthese, in: Claudia Fahrenwald, Nicolas Engel, Andreas Schröer (Hg.): Organisation und Verantwortung. Jahrbuch der Sektion Organisationspädagogik, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2020, S. 339-353. Siehe Frank B. Gilbreth, Die Wissenschaft im Dienste des Managements führt zur Arbeitsökonomie, S. 219. Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. 48f. Dies gilt vor allen Dingen für Formen organisierter Pädagogik, die sich über die Konstruktion von Fallförmigkeit beständig mit einem Nachschub an zu bearbeitenden Fällen versorgen. Siehe hierzu auch Dirk Baecker, Soziale Hilfe als Funktionssystem der Gesellschaft, in: Zeitschrift für Soziologie 23 (1994) 2, S. 93-110, hier S. 104ff. Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. 31. Ebd., S. 45. Gerade ein physikalisches Verständnis von Arbeit und Bewegung ermöglicht deren Messbarkeit, die für Gilbreth zentral war. »Unsere Epoche ist die Epoche von Maß und Zahl« (S. 206) schreibt er, um den Geist seiner Zeit zu charakterisieren, aus dem sich sein Verständnis von Management ableitet: »Die Wissenschaft vom Management besteht darin, Messungen auf das Management anzuwenden und sich an die Ergebnisse dieser Messungen zu halten.« (S. 207) Siehe Frank B. Gilbreth, Die Wissenschaft im Dienste des Managements führt zur Arbeitsökonomie. Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. 44.

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Der Anspruch, den Nutzeffekt des jeweiligen Kraftaufwandes zu maximieren, lässt sich jedoch nicht ausschließlich aus Reorganisationsprozessen der Verringerung von Distanzen ableiten. Eine zentrale Rolle spielt für Gilbreth auch das Vermeiden toter Punkte, deren Überwindung einen unnötigen Kraftaufwand bedeuten würde. Überhaupt leitet sich die Vermeidung von überflüssiger Ermüdung aus ihrem je spezifischen Rhythmus ab.23 »Maßgebend für jede Bewegung und für jeden Griff ist die jeweils vorausgehende und die jeweils folgende Bewegung.«24 Jede Bewegung fungiert als Prämisse für die sich anschließende Bewegung und steht damit in der Pflicht, diese bestmöglich vorzubereiten, um einen flüssigen Ablauf zu ermöglichen.25 Erst in diesem rhythmischen Fluss tritt die Anstrengung von Bewegungen in den Hintergrund und ermöglicht ein Aufgehen in und Einswerden mit der jeweiligen Tätigkeit.26 Nur flüssige Bewegungen können nach entsprechender Einübung – quasi verinnerlicht – wie ein Automatismus ablaufen. Gerade an automatisch ablaufende Bewegungen müssen höchste analytische Ansprüche gestellt werden, um keine Ressourcen ohne Not zu verschenken. Der damit einhergehende Anspruch an die Perfektibilität der Abläufe entspricht der klassischen Intention pädagogischer Beobachtung. Das Fixieren von Defiziten und deren Codierung mit dem Verweis auf Zukunft,27 das Anstreben der Vervollkommnung verbesserungsfähiger Bewegungen, ist ein klassisches pädagogisches Programm. Auch die Tatsache, dass seine Überlegungen als Normalisierungsprogramm artikuliert sind,28 weist in diese Richtung. Das Kommunizieren von Standards und das Etablieren 23

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Gilbreth hatte sich dem Kampf gegen unnötige Ermüdung derart verschrieben, dass er in den USA einen jährlich stattfindenden »Anti-Ermüdungstag« initiiert hat, um für seine Überlegungen und deren Verbreitung eine entsprechende Plattform zu schaffen. Siehe hierzu A. Walther, Einflüsse amerikanischer Betriebsführung auf unsere Industrie, in: Schweizerische Bauzeitung 86 (1925) 15, S. 181-184, hier S. 183. Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. 6. Dass die Letzteinheiten der Organisation miteinander verknüpft sind und füreinander wechselseitig als Prämisse fungieren, kann als früher Hinweis darauf interpretiert werden, dass sich die Organisation einer reinen Maschinenlogik entzieht. Die Annahme, dass flüssig ablaufende Bewegungen weniger Anstrengung verspüren lassen, sondern dagegen wie von selbst vonstattengehen, ist noch aktuell und die Metapher des Flows kann auf eine entsprechend bemerkenswerte Karriere zurückblicken. Dabei gilt für das Ausgangskonzept von Mihaly Csikszentmihalyi, dass Flow bei den einfachsten physischen Aktivitäten entstehen kann. Sobald Fortschritt messbar [Hervorhebung T.W.] gemacht wird und Zielstellungen bei Erreichen im Schwierigkeitsgrad nach oben variiert werden können, kann von einfachsten Tätigkeiten aufgrund der ihnen zugeschriebenen Perfektibilität eine Anziehungskraft ausgehen, die ein Aufgehen in der Tätigkeit bedingt. Siehe hierzu Mihaly Csikszentmihalyi, Flow. The Classic Work on How to Achieve Happiness, London [et al.]: Rider 2002, S. 97. Für das pädagogische Ausgreifen auf die Zukunft als Operationalisierung der Unterscheidung von Realität als Ist-Zustand und Virtualität als Zustand des Machbaren siehe Yvonne Ehrenspeck, Dirk Rustemeyer, Bestimmt unbestimmt, in: Arno Combe, Werner Helsper (Hg.), Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1996, S. 368-390. So ist etwa die Praxis Sozialer Arbeit regelmäßig Normalisierungsprogramm, indem sie auf das Verhältnis von Gesellschaft und Individuum zielt. Normalitätsannahmen orientieren Praktiker in dem Sinne, dass aus ihnen Zielstellungen für vermeintliche gelingende Lebensbedingungen ab-

6. Die Visualisierung der Organisation

spezifischer Normen stellt auf die Änderung von Verhalten ab.29 So kann nicht verwundern, dass Gilbreth für die bestmögliche Ausführung der bestmöglichen Bewegung ein Prinzip in Anspruch nimmt, das für pädagogische Beobachtungen kein unbekanntes ist: das Prinzip der Wiederholung.30 Nur durch beständiges Üben kann das Ziel der »Automatizität der Bewegungen« und damit der Anspruch, den »größten Ausstoß bei geringster Ermüdung« zu erreichen, realisiert werden.31 Das Auseinanderordnen der Einzelelemente der Bewegungen und deren Aufspalten in die analytisch erschlossenen Letzteinheiten bedingt indes einen beständig steigenden Spezialisierungsgrad. Dass Gilbreth im Hinblick auf das Optimum der Organisation zwangsläufig auf Ausdifferenzierung und spezifische Rollenprofile setzt, verdankt sich der Auffassung, dass es für jeden Vorgang nur eine Bewegung geben kann, die der Anforderung der angezielten Perfektion zu entsprechen in der Lage ist. Die »Funktionsteilung«32 als ureigenes Prinzip der Organisation wird von Gilbreth mit unnachahmlicher Akribie ernst genommen und forciert. So nimmt er für das Maurerhandwerk etwa fünf unterschiedliche Tätigkeitsbereiche an, die sich aus dem Grad der »erforderlichen Geschicklichkeit, Denkarbeit, Schulung, Kraftaufwand, Ausdauer und Körperbeschaffenheit des Arbeiters«33 ableiten. Für jeden Tätigkeitsbereich gilt es gesonderte Bewegungsstudien durchzuführen, die Arbeitsbedingungen zu prüfen, die Arbeitsplätze entsprechend einzurichten und die notwendige Ausrüstung zur Verfügung zu stellen oder zu entwickeln. Mit der Optimierung der nun voneinander getrennten Vollzüge profilierte sich Gilbreth nicht nur als Pionier verwissenschaftlichter Bewegungsrationalisierung, sondern auch als Erfinder, dem eine Vielzahl von Patenten eigen war. So führte das Auseinanderdividieren von Bewegungen regelmäßig zu der Beobachtung, dass die verwendeten Werkzeuge dem neu gewonnen Spezialisierungsgrad nicht mehr entsprachen und durch spezifische Anpassungen weiterentwickelt werden mussten. So zählten beispielsweise ein Betonmischer, ein Baugerüst, eine spezielle Spritzkelle sowie der Ziegelpacken als eigener Auf- und Vorbereitungsschritt zu den zahlreichen Erfindungen von

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geleitet werden können. Siehe hierzu Udo Seelmeyer, Normalität und Normalisierungen, in: Fabian Kessl, Elke Kruse, Sabine Stövesand, Werner Thole (Hg.), Soziale Arbeit – Kernthemen und Problemfelder, Opladen und Toronto: Verlag Barbara Budrich 2017, S. 25-33. Versteht man Erziehung als kommunikative Veranstaltung zur Veränderung von Personen, ließe sich ein pädagogischer Begriff von Organisation analog als informationverarbeitende Veranstaltung zur Veränderung von Personen verstehen. Zur Konzeption des Erziehungsbegriffs als Ausdruck kommunikativen Geschehens siehe Niklas Luhmann, Sozialisation und Erziehung, in: ders., Schriften zur Pädagogik. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Dieter Lenzen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2004, S. 111-122, hier. S. 117. Zur Übung als pädagogische Handlungsform und dem damit verbundenen Spannungsfeld von Gewohnheitsbildung auf der einen und möglichen Fehlformen durch Indoktrination auf der anderen Seite siehe Klaus Prange, Die Formen pädagogischen Handelns. Eine Einführung, Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH 2006, S. 48ff. Siehe Frank B. Gilbreth, Die Wissenschaft im Dienste des Managements führt zur Arbeitsökonomie, S. 219. Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. 51. Ebd.

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Gilbreth.34 Dass mit der Vielzahl von Spezialgeräten der Anforderungsgrad an deren jeweilige Bedienung einhergeht, bedingt veränderte Herausforderungen an die Rekrutierung geeigneten Personals und dass, bei dieser Vorliebe für Details, auch die sorgfältige Personalauswahl Teil des gilbrethschen Managementansatzes war, versteht sich fast von selbst. Vor diesem Hintergrund steht das gilbrethsche Bewegungsstudium – trotz seiner Annahme obligatorischer kontinuierlicher Verbesserungsprozesse – im Hinblick auf die Integration ganz unterschiedlicher Facetten und Details für eine eigene Logik des Gelingens. Noch einmal anders formuliert, stellen Bewegungsstudien eine eigene methodisch gestützte Form der Möglichkeitssuche dar. Die von Gilbreth propagierte Methode ist mit dem Anspruch verbunden, »Möglichkeiten aufzudecken, an die bisher nur wenige gedacht haben«35 und die in routinisierten und eingeübten Abläufen verborgen bleiben. Die Verfügbarkeit der ausgemachten Möglichkeiten ist indes von einem weiteren methodischen Schritt abhängig, damit das genaue Hinschauen auf die tatsächlichen Abläufe nicht in der Flüchtigkeit des Augenblicks verhaftet bleibt. Das Einfangen und Abbilden von Bewegungsspuren soll ermöglichen, die Ergebnisse der Analyse durch Veranschaulichung und Modellbildung praktisch nutzbar zu machen.

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Abbildung und Verdatung als Bewegung der Organisation

Organisation ist koordinierte Bewegung und die Verbesserung der organisierten Bewegungen führt im Ergebnis zur Bewegung der Organisation. Durch das strukturbildende Potential des Instrumentariums der Bewegungsstudien soll die Organisation auf neue Grundlagen gestellt und diese in Richtung einer gelingenden Zukunft ausgerichtet werden. Doch das Organisationsverständnis von Frank Gilbreth kann nicht auf die Seite der Planung enggeführt werden. Vielmehr sieht er neben den Herausforderungen, die aus der Vergangenheitsbedingtheit der Organisation und denen im Zuge organisationaler Pfadabhängigkeit etablierten »Daumenregeln«36 resultieren, weitere Einflussgrößen, für die es eine Antwort zu finden gilt. So sind Konflikt, Gewohnheit oder Ablenkungspotential als nichtintendierte Effekte von Strukturfestlegungen für ihn entscheidende Variablen, die im Rahmen managerialer Überlegungen berücksichtigt werden müssen. Für die gilbrethsche Logik des Gelingens macht das Studium der Bewegungen nur einen ersten Schritt auf dem Weg zur bestmöglichen Organisation aus. Die Ereignishaftigkeit von Bewegungen erfordert für Gilbreth, diese festzuhalten. Um die »Pfade und Elemente der Bewegung«37 studieren zu können und diese im Moment ihrer Ausführung nicht zwangsläufig aus dem Blick verlieren zu müssen, sieht

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Siehe hierzu auch Kurt Pentzlin, Frank Bunker Gilbreth. 1868-1914, in: ders. (Hg.), Meister der Rationalisierung, Düsseldorf und Wien: Econ-Verlag GmbH 1963, S. 203-205, hier S. 203f. Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. 4. Siehe Frank B. Gilbreth, Die Wissenschaft im Dienste des Managements führt zur Arbeitsökonomie, S. 240. Ebd., S. 233.

6. Die Visualisierung der Organisation

Gilbreth einen weiteren methodischen Schritt vor. Die ausgeführten Bewegungen sollen sichtbar bleiben oder, genauer formuliert, in ihrer Abfolge sichtbar werden, indem die Herauslösung aus der Zeit und das hierzu notwendige Einfangen der Flüchtigkeit der Bewegung durch deren technikgestützte Visualisierung realisiert wird. »Die Beobachtung der kleinsten Bewegungen« wird »durch die Methode der Aufnahmen mit dem Chronozyklograph« ergänzt,38 um der permanenten Ersetzung prozessierender Gegenwarten im Zeitverlauf zu trotzen. Auf der Liste der gilbrethschen Erfindungen stehen nicht nur eine Reihe von Geräten, die direkt auf die optimierte Ausführung der einzelnen Arbeitsschritte zielen, sondern auch ein Methodentool, das für die Visualisierung der Organisation entscheidend ist. Um die Spuren ausgeführter Bewegungen sichtbar zu machen, »wird an die Hand des Arbeitenden eine kleine elektrische Birne mit einem Unterbrecher angebracht, der in Bruchteilen von Sekunden arbeitet.«39 Die dadurch entstehende Lichtbahn wird gefilmt und vor einem Hintergrund abgebildet, an dem die notwendige Zeit der Bewegungssequenzen abgelesen werden kann, die mittels einer eigens hierzu patentierten Uhr zu bestimmen ist.40 Die abgebildete Lichtlinie wird so um die exakt benötigte Zeit ergänzt, so dass die erzeugten »Zeit- und Geschwindigkeitslichtpunkte«41 und deren Abbildung die Dimensionen Raum und Zeit integrieren und weder einseitig die ausgeführte Bewegung noch die benötigte Zeit betonen.42 Raum und Zeit werden im Abbild der Organisation eins. Über Bilder der Organisation zu verfügen, bleibt bei Gilbreth nicht auf den Bereich der Metaphorik beschränkt.43 38 39

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Ebd., S. 234. Sein Verfahren erläutert Gilbreth im Anschluss daran wie folgt: »Das Bild der Bewegung zeichnet sich danach auf der photographischen Platte als lichte Linie ein, wobei die zur Ausführung notwendige Zeit an der Zahl der Unterbrechungen und an der Meßhinterwand abgelesen werden kann. Selbstverständlich handelt es sich um Präzisionsapparate, die auf hundertstel SekundenBruchteile genau arbeiten.« Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. 39f. Gilbreth beanspruchte, dass der Gilbreth-Mikrochronometer die Zeit bis auf die ZweitausendstelSekunde angeben kann. Siehe hierzu Frank Bunker Gilbreth, Lillian Moller Gilbreth, Die Magie des Bewegungsstudiums. Photographie und Film im Dienst der Psychotechnik und der Wissenschaftlichen Betriebsführung. Herausgegeben von Bernd Steiger unter Mitarbeit von Alexander Müller, München: Wilhelm Fink Verlag 2012, S. 157. Siehe Frank Bunker Gilbreth, Bewegungsstudium. Chronozyklegraphische Leistungsmesser und das Bewegungsmodell, in: Staatliche Kunsthalle Berlin und Bundesverband bildender Künstler Bonn (Hg.), Kunst und Medien: Ausstellung vom 22. Mai – 17. Juni 1984, Berlin: Publica Verlagsgesellschaften mbH 1984, S. 19-26, hier S. 21. Die Messung von Zeit impliziert einerseits die Relationierung von Bewegungsabläufen und andererseits deren jeweilige Unabhängigkeit voneinander, um Vergleiche zu ermöglichen. Bewegung ist damit immer eine Ableitung von Zeit. Dabei hat die Praxis der Zeitmessung im Rahmen moderner Naturwissenschaft inzwischen einen Komplexitätsgrad erreicht, »der Zeit im Unterschied zu sich selbst messbar« macht. Siehe hierzu Sibylle Peters, Bewegung als Konzept der Zeit: Figuren der Zeitmessung, in: Gabriele Klein (Hg.), Bewegung. Sozial- und kulturwissenschaftliche Konzepte, Bielefeld: transcript Verlag 2004, S. 283-302, hier S. 298. Zum Stellenwert von Metaphern für das Verständnis von Organisationen siehe klassisch Gareth Morgan, Images of Organization, Beverly Hills [u.a.]: Sage Publications 1986. Im Hinblick auf die Aktualität Morgans macht Henning Pätzold darauf aufmerksam, dass Bilder der Organisation durch ihre Prägnanz Zuspitzungen sind, deren Reflexion neue Bilder und damit Bewegungen ermöglicht. Siehe hierzu Henning Pätzold, Bewegte Bilder der Organisation, in: Henning Pätzold,

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Die Bilder, die er erzeugt, sollen die Letzteinheiten der Organisation abbilden, die nicht weiter reduziert werden können. Dass dieses Vorgehen als zentral für die Entwicklung des Arbeitsstudienfilms beschreiben wird,44 betont den Grad der Ungewöhnlichkeit im Vorgehen zur damaligen Zeit. Der Vorgang der Visualisierung offenbart seinen Vorteil hierbei – wie kann es anders sein – auf den ersten Blick. Dabei soll weniger die Herstellungsleistung der Bilder im Vordergrund stehen, sondern die Prägnanz der Darstellung direkt ins Auge fallen. Produktion und Rezeption werden über das methodische Vorgehen systematisch integriert.45 Besonders im Kontrastieren von Vorher und Nachher wird der Effekt der Bewegungsoptimierung sichtbar,46 wenn entsprechende Bildpaare plastisch die Zukunft der Organisation veranschaulichen. Einfachheit und Übersichtlichkeit treten an die Stelle dynamisch turbulenter Unordnung und unübersichtlicher Beliebigkeit. Das Resultat des Verfahrens ist eine Visualisierung mit dreidimensionaler Wirkung, auf deren Basis unnötige und unökonomische Bewegungen zu ersetzen sind und im Sinne der angezielten Verbesserung »das ganze Bewegungsbild so auszuarbeiten ist, daß mit möglichst wenig Kraftaufwand möglichst viel erreicht wird.«47 Gilbreth war davon überzeugt, dass seine Form der Modellbildung – trotz oder gerade durch Überspitzung – die zentralen Eigenschaften der abgebildeten Bewegung zeigt,48 deren Destillat pädagogisch fruchtbar gemacht werden kann. Die Ergebnisse des Zyklographverfahrens sollen als Qualifizierungsinstrument Anwendung finden, um im Sinne der gilbrethschen Logik des Gelingens der unnötigen Verschwendung von Ressourcen entgegenwirken zu können. Die zyklographischen Aufnahmen fungieren so als eine Art Nachweisverfahren, das ermöglicht, »den erzieherischen Wert«,49 der sich aus der Praxis der Veranschaulichung

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Nicole Hofmann, Christian Schlapper (Hg.), Organisation bildet. Organisationsforschung in pädagogischen Kontexten, Weinheim und Basel: Beltz Juventa 2015, S. 14-22. Siehe hierzu Lars Novak, Motion Study/Moving Pictures. Die Anfänge des tayloristischen Arbeitsstudienfilms bei Frank B. und Lillian M. Gilbreth, in: Frank, Kessler, Sabine Lenk, Martin Loiperdinger (Hg.), KINtop 9. Jahrbuch zur Erforschung des frühen Films. Lokale Kinogeschichten, Frankfurt a.M. und Basel: Stroemfeld Verlag 2000, S. 131-149, hier S. 131. Siehe hierzu auch Bernd B. Stiegler, Frank Bunker Gilbreth, Motion Study, ca. 1910, in: Sebastian Egenhoefer, Inge Hinterwaldner, Christian Spies (Hg.), Was ist ein Bild? Antworten in Bildern. Gottfried Brehm zum 70. Geburtstag, München: Wilhelm Fink Verlag 2012, S. 43-45, hier S. 43. Siehe hierzu auch Herbert Mehrtens, Bilder der Bewegung – Bewegung der Bilder. Frank B. Gilbreth und die Visualisierungstechniken des Bewegungsstudiums, in: Horst Bredekamp, Gabriele Werner (Hg.), Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik. Band 1,1. Bilder in Prozessen, Berlin: Akademie Verlag 2003, S. 44-53, hier S. 48f. Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. 40. Zum Vorläuferverfahren der Reihenfotografie und der Intention, »Bewegungen als Verlaufsform, als Kurve, als quasi-mathematisches Differential« sichtbar zu machen und damit das Augenmerk auf die »Spur der Bewegung im Raum« und nicht auf eine »Reanimation der fotografierten Bewegung« zu richten, siehe Kay Kirchmann, Bewegung zeigen oder Bewegung schreiben? Der Film als symbolische Form der Moderne, in: Gabriele Klein (Hg.), Bewegung. Sozial- und kulturwissenschaftliche Konzepte, Bielefeld: transcript Verlag 2004, S. 265-282, hier S. 271. Siehe Frank B. Gilbreth, Die Wissenschaft im Dienste des Managements führt zur Arbeitsökonomie, S. 233.

6. Die Visualisierung der Organisation

ergibt, in Ausbildungsprozessen einzusetzen. Die Visualisierung der Organisation entspricht einer Bilddidaktik, durch die die »Verkehrtheit bestimmter Arbeitsverfahren«50 vermieden werden und so der Vergangenheit angehören soll. Der pädagogische Anspruch von Frank Gilbreth stützt sich auf die Wirkungsweise der erzeugten Bilder und damit auf eine spezifische Semiose. Für sein Programm der Bewegungsrationalisierung nutzt er einen »Bildüberlegenheitseffekt«,51 der darin besteht, Orientierung auf einen – und zwar den ersten – Blick hin zu bieten. Im Unterschied zu sprachförmiger Anschlussbildung ist die bildliche Darstellung nämlich nicht nur vage, sondern auch präzise.52 Denn wo Sprache interpretierungsbedürftig ist, Missverständnisse birgt und Verstehensprozesse auf Verknüpfungsleistungen im Sinne wechselseitigen Anschließens basieren, kann sich der Bildlogik durch das Prinzip der Veranschaulichung kaum entzogen werden.53 Visualisierung heißt, auf Sichtbarkeit und damit dem Anspruch nach auf ein Prinzip der Vorreflexivität zu setzen, indem die unmittelbare Eindringlichkeit der Darstellung Möglichkeiten der Nachfrage unterminiert und stattdessen direkte Orientierung bieten soll.54 Was man sieht, so die Annahme, entzieht sich dem Zweifel. Dabei scheut Gilbreth nicht den Verweis auf pädagogische Forschungen, die zwar nicht näher spezifiziert werden, aber dennoch dafür in Anspruch genommen werden, das eigene Vorgehen als auf dem Stand aktueller Lerntheorien zu inszenieren. Denn die Vorreflexivität des Bildes, die Tatsache, dass sich Gegenstände auf der Netzhaut abbilden und somit unmittelbar sind, führt dazu, »daß die Mehrheit aller Menschen am leichtesten durch das Auge lernt.«55 Die Darstellung der Bewegungsspuren ist mehr als eine vermeintlich naturgetreue Objektivierung, sie fungiert nicht lediglich als Abbildung der kraftsparendsten Möglichkeit der Arbeitsausführung. In der Form einer verdateten Idealisierung nutzt sie ein eigens geschaffenes Medium. Sie ist nicht nur Repräsentation, sondern auch Präsentation. Sie steht für ein eigenes artifizielles Prinzip und nicht für die Sache selbst.56

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Ebd., S. 234. Siehe hierzu Ralph Köhnen, Sandra Plontke, Bild, in: Carlos Kölbl, Anna Sieben (Hg.), Stichwörter zur Kulturpsychologie. Jürgen Straub zum 60. Geburtstag, Gießen: Psychosozial-Verlag 2018, S. 7177, hier S. 72. Siehe hierzu Sebastian Manhart, Complex Learning and the significance of measurement, in: Ariane König, Jerome Ravetz (Hg.).: Sustainability Science. Key Issues, London and New York: Routledge 2018, S. 296-317, hier S. 309. Gilbreth notiert dementsprechend: »In diesem Zusammenhang kann die Bedeutung von visuellen Darstellungen des Problems gar nicht genug betont werden. Schemazeichnungen, Photographien, graphische Darstellungen und andere Methoden der Aufzeichnung sollen vor allem den bestehenden Zustand der Dinge dem Auge so klar wie möglich darstellen.« Siehe Frank B. Gilbreth, Die Wissenschaft im Dienste des Managements führt zur Arbeitsökonomie, S. 223. Als Beispiel für bildliche Darstellungen in Organisationen führt Gilbreth sogenannte Organisationskarten an, die schematische Darstellungen notwendiger Informationen beinhalten. Er schreibt: »Sie entsprechen sowohl den Gesetzen der Logik, wie denen der Psychologie und der geringsten Verschwendung bei der Erziehung. Denn sie sind die beste Methode zur Übermittlung von Ideen und Tatsachen und zur Einprägung von Informationen in unser Gedächtnis.« Ebd., S. 215. Ebd. Siehe hierzu Ralph Köhnen, Sandra Plontke, Bild, S. 71.

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Die nächste Organisation

Auch die gilbrethschen Modelle sind abstrakt und konkret gleichermaßen.57 Sie sind abstrakt, da ein mit der eigentlichen Tätigkeit kaum verwechselbares Abbild als Symbol für deren bestmögliche Ausführung fungiert.58 Auf der anderen Seite basieren diese Darstellungen aber auf analytisch ausgefällten Letzteinheiten und sind konkret, da sie in Form einer Datenspur die eigentliche Essenz eines Bewegungsablaufs abbilden, der in Echtzeit nicht zu erfassen ist. Der Prozess der Visualisierung fungiert als Informationsreduktion und -produktion gleichermaßen. Unnötige und eliminierte Bewegungen sind nicht Teil der Modellbildung, während die aus den Grundelementen formierte Idealisierung strukturwirksam werden soll. Die »Reduktion eines lebendigen Vorgangs auf einen Datenschatten«59 folgt der Intention, analyseorientierte Bilder zu erzeugen, deren Auswertung es wiederum ermöglicht, Bewegungen in Daten zu überführen, denen im Kontext der Organisation als Entscheidungsgrundlage Informationsgehalt zugeschrieben wird.60 Aus Bewegungen wird mittels technikgestütztem Vorgehen eine Datenstruktur erzeugt, die, in Form von Visualisierungen aufbereitet, anschaulich wird. Gerade die Reduplizierung der Bewegung und ihre anschließende Konservierung durch Abbildung machen das Vorgehen für die Gestaltung von Organisationsstrukturen attraktiv.61 Mithilfe der entsprechenden Modelle lassen sich präzise Vorgaben des benötigten Verhaltens an die Arbeitenden adressieren. Die Tatsache, dass sich Arbeitsbewegungen der Echtzeit-Beobachtung entziehen und diese mithilfe des gilbrethschen Instrumentariums analytisch vermessen in einem Koordinatenraster abgetragen werden können, fungiert als Ergebnis einer formalisierten Suche nach dem Optimum, durch die eine gelingende Zukunft beansprucht werden kann.

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Zur Wechselseitigkeit von Abstraktion und Konkretion am Beispiel bildlicher Darstellungen siehe Goda Plaum, Bildnerisches Denken. Eine Theorie der Bilderfahrung, Bielefeld: transcript Verlag 2016, S. 174f. Dabei macht Plaum darauf aufmerksam, dass Urheberschaft nicht zwingend einen Einfluss darauf haben muss, ob ein Bild als abstrakt oder konkret wahrgenommen wird. Auf der Ebene der Bilderfahrung heißt dies aber, dass den beiden Begrifflichkeiten lediglich heuristischer Wert zukommt, der für die unmittelbare Wahrnehmung unbedeutend ist. Bemerkenswerterweise hält Plaum dennoch an diesem Beobachtungsschema fest, um ihr Verständnis von Bilderfahrung begrifflich als bildnerisches Denken zu fassen – und somit vermeintlich zu abstrahieren. Gerade die eigentliche Unsichtbarkeit der Bewegungsspur verweist auf die Notwendigkeit einer symbolhaften Darstellung, da Symbole die Unterscheidung von Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit operationalisieren, indem Unsichtbares in Sichtbarem repräsentiert wird. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1995, hier S. 149. Siehe Herbert Mehrtens, Bilder der Bewegung – Bewegung der Bilder. Frank B. Gilbreth und die Visualisierungstechniken des Bewegungsstudiums, S. 45. Durch die Prägnanz von Darstellungen ermöglicht Visual Management auf Basis einer »beschränkte[n] Anzahl graphischer Entscheidungsobjekte«, Komplexität einzuschränken. Vor diesem Hintergrund ist die Dimension des Sichtbaren für die Analyse von organisationalen Entscheidungsprozessen nicht zu unterschätzen, gerade weil Darstellungsverfahren selektiv wirken und dadurch Effekte auf vielleicht mögliche Entscheidungsalternativen bedingen. Siehe hierzu Florian Hoof, Medien managerialer Entscheidung: Decision-making »at a glance«, in: Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie 20 (2015) 1, S. 23-51, hier S. 42. Zum Zusammenhang von Abbildung und Verdatung siehe auch Lars Novak, Motion Study/Moving Pictures. Die Anfänge des tayloristischen Arbeitsstudienfilms bei Frank B. und Lillian M. Gilbreth, S. 131-149.

6. Die Visualisierung der Organisation

Für die Organisation wird so im Sinne der Bildung von Erwartungen sichergestellt, sich nicht im flüchtigen Moment der Gegenwart zu verlieren, da die Raum und Zeit integrierende Strukturbildung Stabilität zu gewährleisten vermag. Anders als Vermessung oder Berechnung adressiert das Vorgehen Frank Gilbreths jedoch die Dimension des Sichtbaren und damit ein Medium, dessen Attraktivität sich aus der Ressource vermeintlicher Unmittelbarkeit speisen soll. Die Visualisierung der Organisation negiert Zufall und Kontingenz darüber, dass sie sichtbar macht, was im Rahmen der Organisation möglich ist. Der semiotische Mechanismus der Visualisierung stellt als methodisch formalisierte Suche nach Entscheidungswissen einen eigenständigen Zugang zur Informatisierung der Organisation dar.

6.3

Visualisierung als reflexive Verdatung der Organisation

Die Bewegung der Organisation in Richtung ihrer bestmöglichen strukturellen Ausgestaltung basiert auf der Sichtbarmachung und Abbildung ihrer Letzteinheiten. Doch das Vorgehen Gilbreths bleibt nicht auf die Visualisierung der Organisation beschränkt. Die Resultate des chronozyklegraphischen Verfahrens dienen vielmehr dazu, auf unterschiedliche Weise weiterverwendet und veranschaulicht zu werden. Einerseits können die Ergebnisse analytisch abgetragen werden, andererseits lässt sich die ermittelte Bewegungsbahn als Optimum der untersuchten Tätigkeiten plastisch abbilden. Diese beiden verschiedenen Anschlüsse und ihre je eigene Wirksamkeit für die organisationale Strukturbildung werden im Folgenden diskutiert, um zu illustrieren, dass sich die Überlegungen Gilbreths auf Struktur- und Subjektseite gleichermaßen beziehen. Für die Seite der Struktur gilt zunächst einmal der Anspruch, dass die entwickelte Methodik des Bewegungsstudiums darauf zielt, ressourcenschonend, mit optimaler Ausstattung und unter Berücksichtigung persönlicher Kompetenzprofile das mögliche Optimum der untersuchten Tätigkeiten zutage zu fördern. Zugunsten präziser Handlungsvorgaben wird der Möglichkeitsraum der Organisation eingeschränkt. Der Prozess des Organisierens meint für Gilbreth, »alles bis ins kleinste«62 zu hinterfragen, um keine Möglichkeiten durch verbleibende Ungenauigkeiten ungenutzt zu lassen. Um aus den durchgeführten Analysen praktischen Nutzen zu ziehen, sieht Gilbreth einen weiteren methodischen Schritt vor. Sein Vorgehen geht durch die Ableitung von Konsequenzen für die organisationale Strukturbildung über eine reine Praxis der Darstellung hinaus. Die methodisch dechriffrierten Letzteinheiten der Organisation, die auf Basis der angewendeten graphischen Darstellungsverfahren vorliegen, werden durch die Kombination mit der benötigten Zeit zum Datenkörper aufbereitet. Somit geht das Ergebnis der Bewegungsanalyse durch das Zusammenführen von Bildlichkeit und numerischen Zeiteinheiten über eine einfache Visualisierung hinaus und firmiert durch die Integrati-

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Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. 49.

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Die nächste Organisation

on unterschiedlicher Zeichenformen stattdessen als polysemiotisches Arrangement.63 Die erzeugten Polysemiosen wiederum lassen sich in andere Formate übertragen, die für die korrekte Ausführung von Tätigkeiten und das Gelingen der Organisation zentral sind. Aus »Simultanbewegungskarten«64 soll die richtige Ausführungsart ersichtlich werden, sodass mit ihrer Hilfe der Handlungsspielraum auf der Seite der Ausführung eingeschränkt werden kann.65 Auch dem strukturbildenden Mittel der »Arbeitsanleitungskarte«66 ist eine kontingenznegierende Funktion eingeschrieben. Über die ermittelten Bewegungsradien, die korrekte Frequenz der Ausführung, die bestmögliche Unterstützung im Rahmen eines durchgestalteten Arbeitsplatzes und die Ausstattung mit den notwendigen Hilfsmitteln als deren wesentliche Parameter werden unplanmäßige Verhaltensweisen eliminiert. Die Arbeitsanleitungskarte soll keine Fragen offen lassen und fungiert als eine Art idealisierter Datenschatten der zu verrichtenden Bewegungen. Im Ergebnis läuft dieses Vorgehen auf eine Verdatung der Organisation hinaus. Verdatung und Informatisierung der Organisation durch Visualisierung und technisch getriggerte Entscheidungsunterstützung bilden nur eine Seite der Überlegungen ab. Das Methodenset der gilbrethschen Bewegungsstudien zielt jedoch auf die beiden Seiten der Organisation, auf Struktur und Subjekt gleichermaßen. Es an dieser Stelle bei der Analyse der Visualisierung der Organisation zu belassen, würde bedeuten, Potential dieser Überlegungen ungenutzt lassen. Die Dialektik der Organisation, das Verhältnis von Struktur und Subjekt, ist bei Gilbreth Teil der methodischen Überlegungen und das Programm sieht mehr vor, als die Organisation auf die Seite der Struktur zu verpflichten. Vielmehr wird die Relation von formaler Vorgabe und informalem Effekt reflexiv gehandhabt. Aber auch die Reflexivität der Subjektseite findet Ausdruck in einer bestimmten Form der Methodik, die auf den Erfindergeist Gilbreths zurückgeht. Von den ermittelten »Best-Formen«67 der untersuchten Bewegungen wurden Drahtmodelle angefertigt, die deren Ablauf plastisch veranschaulichen. »Das Bewegungsmodell ist eine aus Draht geformte Darstellung einer Bewegungsbahn«,68 die aus der Zeit herausgelöst, konserviert und somit der Anschauung zur Verfügung gestellt wird. Die gefertigten Plastiken, denen optische Nähe zu den Skulpturen Naum Gabors attestiert wird,69 dienen jedoch keinem Selbstzweck und nicht in erster Linie dem bewussten Vorführen von Beobachterrelativität, wie dies für Kunst und deren Funktion idealtypisch ist. Es handelt sich bei dieser Form der Darstellung um die Visualisierung 63

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Zum Begriff der Polysemiose und dem Stellenwert der Berücksichtigung unterschiedlicher Zeichenformen für Lernprozesse siehe Sebastian Manhart, Complex Learning and the significance of measurement, S. 296-317. Siehe Frank Bunker Gilbreth, Bewegungsstudium. Chronozyklegraphische Leistungsmesser und das Bewegungsmodell, S. 23. Siehe hierzu auch Herbert Mehrtens, Bilder der Bewegung – Bewegung der Bilder. Frank B. Gilbreth und die Visualisierungstechniken des Bewegungsstudiums, S. 50. Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. 11. Siehe Kurt Pentzlin, Frank Bunker Gilbreth. 1868-1914, S. 204. Siehe Frank Bunker Gilbreth, Bewegungsstudium. Chronozyklegraphische Leistungsmesser und das Bewegungsmodell, S. 24. Siehe hierzu Birgit Althans, Das maskierte Begehren. Frauen zwischen Sozialarbeit und Management, S. 136.

6. Die Visualisierung der Organisation

der Visualisierung, bei der die Organisation als Strukturzusammenhang reflexiv gehandhabt wird. Die Mitarbeitenden waren in die Entwicklung der Modelle einbezogen und diese somit Ergebnis einer partizipativen Öffnung der Organisation. Gilbreth wusste um die Kritik der Organisation, die aus der managementbedingten Trennung von Planung und Ausführung resultiert. Obwohl er einen störungsfreien und reibungslosen Organisationsbetrieb vor Augen hatte, sollte seine Organisation nicht auf die verregelte Vorwegnahme von Abläufen engzuführen sein. Vielmehr hatte er ein Bild der Organisation vor Augen, das neben der sachneutralen Indifferenz koordinierter Gleichzeitigkeit die Seite des Subjekts berücksichtigt. Im Wissen darum, dass mit steigender Spezialisierung der Grad möglicher Abwechslung reduziert wird, die Monotonie der Tätigkeit zunimmt und mit dieser der Vorwurf zunehmender Mechanisierung einhergehen kann,70 setzte Gilbreth auf die intrinsische Motivation der Mitarbeitenden. Den Auftakt der Bewegungsstudien bildete stets eine »Bestandsaufnahme über Ermüdung.«71 Gilbreth ging von der Annahme aus, dass das Thema Ermüdung auf allgemeines Interesse stößt und er die Belegschaft auf diesem Weg bestmöglich adressieren kann.72 Die Methodik rund um das Studium der Bewegungen und das präzise Aufschlüsseln von deren Komponenten sollte nicht als hierarchiebedingtes Planungsszenario inszeniert und kommuniziert werden, das aufgrund der Organisationen eingeschriebenen Asymmetrie mit Ablehnung und Rückfragen rechnen muss. Als ersten Schritt des methodischen Vorgehens das Thema Ermüdung in den Mittelpunkt zu rücken, steht für den Versuch, »das Eigeninteresse und die freudige Teilnahme aller Mitarbeiter des Unternehmens für die Aufgabe zu gewinnen«, auch, da es sich hierbei »um ein greifbares und praktisches Thema [handelt], das visuell leicht darzustellen ist und den Aufwand von Zeit und Geld mit reichen Erträgen belohnt.«73 Damit tritt ein Element der Partizipation neben das Prinzip struktureller Kontingenznegation, das zugunsten eines Mehrwerts auf Kontroll- und Steuerungsambitionen ein Stück weit verzichtet. Neben dem Verfolgen der eigenen Interessen der Beteiligten setzte Gilbreth auf die Attraktivität der Handlung, derer er sich sicher war. Durch Bewegungsstudien werden seiner Auffassung nach grundsätzlich alle Aktivitäten interessant und machen es schwer, sich der Faszination zu entziehen.74 So war er der festen Überzeugung, dass die Motivation durch finanzielle Anreizsteuerung unzureichend ist, um Begeisterung zu wecken und die Kreativität der Mitarbeitenden zu fördern. Das Entwickeln der Bewegungsmodelle aber sollte diese unterschiedlichen Facetten integrieren,

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Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. 47. Siehe Frank B. Gilbreth, Die Wissenschaft im Dienste des Managements führt zur Arbeitsökonomie, S. 235. Gilbreth notiert dementsprechend: »Denn über die Beseitigung von Ermüdung sind sich alle einig; sie widerspricht keinen Interessen.« Ebd. Ebd. »Motion study makes all activity interesting.« Siehe Frank. B. Gilbreth, Lillian M. Gilbreth, The Effect of Motion Study upon the Workers, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science, Vol 65, Personell and Employment Problems in Industrial Management (May, 1916), S. 272-276, hier S. 272.

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Die nächste Organisation

die Beobachtungsgabe schulen sowie die Sensibilität für relevante Detailfragen verbessern.75 Um das Ziel der Bewegung der Organisation erreichen zu können, setzt Gilbreth auf die Selbstbewegung der beteiligten Subjekte. Durch die Tatsache, dass für die Beteiligten auf der Suche nach dem Optimum die eigene Ausführung entscheidend war, stand weniger die organisationale Absicht im Zentrum des Geschehens als vielmehr eine intensive Auseinandersetzung mit dem Selbst. Auf diese Weise ist die Visualisierung der Visualisierung Teil der Reflexion des Organisationsmechanismus und der für die Entstehung des modernen Managements typischen Trennung von Planung und Ausführung. Die reflexive Handhabung der Unterscheidung von Planung und Ausführung operationalisiert Gilbreth darüber, das Anfertigen der Modelle als Teil organisationaler Erwartungen zu modellieren und so diejenigen in den Prozess miteinzubeziehen, an die die Handlungsvorgaben und Erwartungen der Organisation adressiert werden. Die Unterscheidung von Planung und Ausführung wird auf der Seite der Planung wiedereingeführt, um das Verhältnis von Struktur und Subjekt nicht vollends zu asymmetrisieren, sondern auf einer kooperativen Basis zu verfahren.76 Dabei geht es nicht um eine Demokratisierung der Organisation, also nicht um eine grundsätzliche Ungerechtigkeit organisationaler Asymmetrie und deren Korrektur durch eine methodische Form der Partizipationsorientierung. Es geht darum, die Attraktivität der Handlung in den Mittelpunkt zu stellen, um im Ergebnis motivationale Effekte anzuzielen. Hierbei spielt vor allen Dingen Frank Gilbreths Ehefrau, Lillian M. Gilbreth, von Hause aus Psychologin, eine wichtige Rolle, indem durch ihren Anteil die methodischen Überlegungen noch einmal an Tiefenschärfe gewinnen.77 Im Hinblick auf die partizipative Öffnung der Organisation wird nicht nur Teilhabe als Wert proklamiert, der kaum negiert werden kann. Auch die Auseinandersetzung der Mitarbeitenden mit dem methodischen Instrumentarium wird mit einer bestimmten Vorstellung hinterlegt, die die Ungewöhnlichkeit des Vorgehens begründen soll. 75

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Auf diese Weise verzahnt Gilbreth die von ihm vorgetragenen Argumente. Die entwickelten Drahtplastiken konnten in der Außendarstellung seines Vorgehens eingesetzt werden, auf der anderen Seite aber als Qualifizierungsinstrument Anwendung finden, das direkt die Interessen der Mitarbeitenden adressiert. Im Hinblick auf die Bewegungsmodelle schreibt Gilbreth: »Das Bewegungsmodell ist für seinen Anfertigenden von besonderem Wert. Das Beobachten des Chronozyklegraphen und das entsprechende Biegen des Drahtes ist nicht nur eine vorzügliche Ausbildung in genauer Beobachtung, sondern führt auch dem Schöpfer, wie nichts anderes, die Wichtigkeit seiner Bewegungen vor Auge. Sein Interesse an der Bedeutung der Kurve und Biegung, jeder Drehung und Veränderung der Richtung wächst immer mehr. Er versteht die Bedeutung jeder, auch der geringsten Änderung einer geraden Linie oder einer glatten Kurve. Die in einem Bewegungszyklus enthaltenen Elemente werden für ihn sichtbar, und er lernt es, seine Gedanken auf elementare Bewegungen einzustellen.« Siehe Frank Bunker Gilbreth, Bewegungsstudium. Chronozyklegraphische Leistungsmesser und das Bewegungsmodell, S. 25. »While undoubtedly some success could be made of motion study through a trained observer merely watching the worker, we find it of utmost importance and mutually advantageous from every standpoint, to gain the full and hearty coöperation of the worker at once, and to enlist him as a co-worker in the motion study from the moment the first investigation is made.« Siehe Frank. B. Gilbreth, Lillian M. Gilbreth, The Effect of Motion Study upon the Workers, S. 272. Zur Rolle von Lillian M. Gilbreth, die mit ihrer Ausbildung als Psychologin die Praxis des Scientific Management um ein »human element« bereicherte, siehe Daniel A. Wren, The evolution of management thought. Second Edition, New York [et al.]: John Wiley & Sons, Inc. 1979, S. 178ff.

6. Die Visualisierung der Organisation

Die Arbeit mit den bilderzeugenden Verfahren ist für die Belegschaft zunächst fremd und ungewohnt, doch gerade der Moment der Orientierungslosigkeit, wenn die Grenzen des Vertrauten zu verschwimmen beginnen, ist aufgrund seines Spannungsreichtums im Sinne der Gilbreths von hoher Produktivität. In diesem Übergangsbereich der strangeness sind Altes und Neues nicht zu unterscheiden,78 sodass noch nicht möglich ist, vorher und nachher als Synthese eines Lernvorgangs, der selbst intransparent ist, an sich oder anderen zu beobachten.79 Die Tatsache, dass Neuheit keine Qualität im Sinne einer besonderen Eigenschaft aufweist, sondern die Qualität in der Beobachtung selbst steckt, verweist auf eine Relation.80 Neues wird in der Regel als Variation eines Vorhandenen erkannt. Jedes Neue ist immer auch alt, wie im Umkehrschluss in jedem Alten das Neue steckt.81 Der pädagogischen Paradoxie, dass Neu und Alt eine Frage der Perspektive sind, entgehen Frank und Lillian Gilbreth dadurch, dass diese – und diese Antwort kann nicht überraschen – entfaltet wird. Das transitorische Moment wird in der Praxis des Bewegungsstudiums operationalisiert. Die Reflexion der eigenen

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Auf diesen Graubereich im Übergang von neu und alt verweist auch Käte Meyer-Drawe. Allerdings deutet Meyer-Drawe die naheliegende Konsequenz aus ihren Überlegungen, den Lernprozess aufgrund der Intransparenz im Übergang als im Wesentlichen autologisch und selbstgesteuert zu verstehen, nur an. Als Anknüpfungspunkte in dieser Hinsicht stellt Meyer-Drawe »neuzeitliche Denkgewohnheiten« infrage, die durch das Hinterfragen traditioneller Subjekt-Objekt-Relationen aktualisiert werden können. Siehe hierzu Käte Meyer-Drawe, Lernen aus Passion, in: Heike von Felden, Christiane Hof, Sabine Schmidt-Lauff (Hg.): Erwachsenenbildung und Lernen. Dokumentation der Jahrestagung der Sektion Erwachsenenbildung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft vom 22.-24. September 2011 an der Universität Hamburg, Hohengehren: Schneider Verlag 2012, S. 9-20, hier S. 19. Die Tatsache, dass der eigentliche Lernprozess für das Subjekt selbst – wie für einen externen Beobachter – unzugänglich bleibt, provoziert regelmäßig die funktionale Illusion, dass Wünschen, Wollen und Hoffen ausreichen, ein angestrebtes Resultat realisieren können. Konsequenterweise sind Lern- und Handlungsbegriff aufgrund dieser daraus resultierenden mangelnden Zugriffsfähigkeit nicht gleichzusetzen. Siehe hierzu Sebastian Manhart, Anerkennung durch Lernen. Folgen einer begrifflichen Umstellung, in: Der pädagogische Blick. Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis in pädagogischen Berufen 22 (2014) 1, S. 19-32. Gerade weil sich Lernen dem direkten Zugriff entzieht, d.h. zwar gewollt, aber nicht einfach gemacht werden kann, setzt praktische Pädagogik in der Regel auf das Prinzip der Organisation als Form sozialer Stützeinrichtung. Sebastian Manhart diskutiert Neuheit als Beobachtungsschema am Beispiel der Universität. Obwohl von unzähligen Reformvorhaben angezielt, stellt sich die Grundstruktur der Universität im Zeitverlauf als durchaus stabil dar. Trotzdem findet an Universitäten die ständige Produktion von Innovation und Neuheit statt und zwar dadurch, dass die Anforderung, das Verhältnis von neu und alt auszutarieren, als Lernanforderung an das Personal der Universität weitergegeben wird. Siehe Sebastian Manhart, Organisiertes Veralten – veraltete Organisation? Zur Stabilität der Universität in den Neuerungsdynamiken von Wissenschaft und Reformen, in: Susanne Maria Weber, Michael Göhlich, Andreas Schröer, Jörg Schwarz (Hg.), Organisation und das Neue. Beiträge der Kommission Organisationspädagogik, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2014, S. 259-269. Auch die Figur betrieblichen Fortschritts bei Gilbreth läuft analog dazu maßgeblich über die Reflexionsfähigkeit der Mitarbeitenden. Siehe hierzu auch Ulrich Bröckling, Über Kreativität. Ein Brainstorming, in: Christoph Menke, Juliane Rebentisch (Hg.), Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus, Berlin: Kulturverlag Kadmos 2010, S. 89-97.

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Die nächste Organisation

Bewegung und das gemeinsame Ausloten der Verbesserungsspielräume fungieren als Blitzableiter der Spannung, die aus dem Moment der strangeness resultiert.82 Damit ist Management nicht nur im Sinne des Arrangierens von Erwartungen und Handlungsspielräumen eine pädagogische Praxis, vielmehr soll auch auf der Seite der Adressaten durch die Zurverfügungstellung eines Lerngegenstands eine pädagogische Erfahrung angesteuert werden. Dieses Vorgehen kann als methodische Antwort auf die Einsicht verstanden werden, dass es sich bei Organisationen durch die Dualität von Struktur und Subjekt um pädagogisch anspruchsvolle Strukturzusammenhänge handelt. Wenn das Subjekt – zugespitzt formuliert – gegen die Erwartungen der Organisation antritt, suggerieren methodische Arrangements der Partizipationsorientierung die Möglichkeit der Aussöhnung dieses Gegensatzes. Zwar ist Autonomie in Organisationen relative Autonomie, doch das Vorgehen der Gilbreths stellt darauf ab, das Spannungsfeld von Fremd- und Selbststeuerung nicht durch sich wechselseitig stabilisierende Praktiken der Vorgabe und Kontrolle zusätzlich aufzuladen. Den Gegenstand in den Mittelpunkt zu stellen und damit zum Objekt der Aushandlung zu machen, adressiert menschliche Neugierde und damit den Umstand, dass intrinsische Motivation Folge eines authentischen Interesses ist.83 Das Prinzip der Kontingenznegation wird so durch die strukturelle Einlagerung subjektiver Aspekte in Richtung Kontingenzkontrolle verschoben. Momente der Unwägbarkeit werden Teil der organisationalen Strukturgestaltung, wenngleich am grundsätzlichen Anspruch der Objektivierung festgehalten wird. Die Integration partizipativer Elemente sollte bei den Überlegungen der Gilbreths jedoch nicht auf die Entwicklung von Visualisierungen beschränkt bleiben. Die Integration unterschiedlicher Perspektiven war nicht nur Teil der skizzierten Entwicklungen der Bewegungsmodelle. Vielmehr wurde der Anspruch der Multiperspektivität für die gesamte entstehende Managementlehre gefordert, indem Multi- und Interdisziplinarität als ausdrücklich wünschenswert markiert wurden und die Tatsache kritisch betrachtet wurde, dass sich im Aufkommen des Managements der neue Berufsstand vorwie-

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»This period of strangeness, far from being a disadvantage, is, on the contrary, often a great advantage. […] It is, therefore, clear that during the period of making motion studies the effect of them upon the worker is educative to the highest degree, for not only does he become interested in what he does, but he learns to think of all activity in terms of motions and elements of motions.« Siehe Frank. B. Gilbreth, Lillian M. Gilbreth, The Effect of Motion Study upon the Workers, S. 273. Die Dimension der Partizipation im Rahmen der gilbrethschen Bewegungsstudien betont auch Birgit Althans. In den – in der gilbrethschen Konzeption integrierten – Kategorien Individualität, Neugier, Kreativität und Widerspruchsgeist markiert Althans einerseits einen Widerspruch zum Scientific Management Taylors, andererseits betont sie den visionären Charakter im Vorgehen des Ehepaars Gilbreth. Dabei thematisiert Althans die Rolle von Lillian Moller Gilbreth, deren maskierte Autorenschaft im Sinne Foucaults die Popularität ihrer Überlegungen zunächst stark einbremste. Hinsichtlich der Arbeiten Lillian Moller Gilbreths macht Althans darüber hinaus auf deren Rezeption Maria Montessoris aufmerksam und thematisiert das Interesse beider Autorinnen an einer Praxis der Bewegungsanalyse als wesentliche Schnittmenge. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf unnötigen Bewegungen, die einem – ästhetischen – Ideal vollkommener Bewegungen entgegenstehen. Siehe Birgit Althans, Lernkonzepte im frühen Management. Die motion studies von Frank Bunker und Lillian Moller Gilbreth, in: Ulrike Mietzner, Heinz-Elmar Tenorth, Nicole Welter (Hg.), Pädagogische Anthropologie – Mechanismus einer Praxis. Zeitschrift für Pädagogik. 52. Beiheft, Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2007, S. 78-95.

6. Die Visualisierung der Organisation

gend aus Ingenieuren rekrutierte.84 Gerade in der multidisziplinären Zusammenarbeit und der damit verbundenen Erweiterung der Perspektive sieht Gilbreth ein Mittel der Innovationsförderung und kontinuierlichen Verbesserung managerialer Praxis. Nicht zuletzt durch den Anteil seiner Ehefrau Lillian Gilbreth kam hierbei der Psychologie eine entscheidende Rolle zu, vor deren Hintergrund für die bestmögliche Ausgestaltung von Arbeitsplätzen argumentiert wurde. So sollte diese nicht ohne das Einbeziehen der »Ergebnisse psychologischer Farbenforschung« vonstattengehen. Auch für die Wahrnehmung von Farben beansprucht Gilbreth die bereits eingeführte Begründung, dass diese »jedem gleich ins Auge [springt]«85 und so vorreflexiv die notwendige Orientierung vermittelt, wenn etwa Werkzeuge gut erkennbar angeordnet oder die Blendwirkung von Wandfarben berücksichtigt werden. Aber nicht nur die richtige Farbgebung, auch Heizung und Lüftung, eine bequeme Arbeitskleidung oder die richtige Beleuchtung waren Teil des Arbeitsplatzdesigns. Vor dem Hintergrund der Tatsache, welche Bedeutung beispielsweise dem Thema Beleuchtung im weiteren Verlauf der Managementlehre im Rahmen der Experimente in Hawthorne und der daraus abgeleiteten Human-Relations-Schule zukommen sollte, zeigt sich der Pioniergeist Gilbreths, der beanspruchte, keine veränderbaren Parameter unangetastet zu lassen. So spielte bei der Förderung der »Arbeitsfreude« auch das Thema Musik und Unterhaltung eine Rolle, denen eine »anregende und arbeitsbeschleunigende Wirkung« zugesprochen wird.86 An diesen Punkten zeigt sich der ambivalente Charakter des methodischen Instrumentariums der Bewegungsstudien. Die Seiten der Struktur und des Subjekts werden gleichermaßen angesteuert. Die messlogische Dimension der Bewegungsanalyse, die auf das Ausschalten unnötiger Bewegung und die Ermittlung des Optimums zielte, entspricht der strukturellen Vorwegnahme von Handlungsoptionen und damit der methodisch angesteuerten Negation von Kontingenz. Auf der anderen Seite steht das Vorgehen für die partielle Öffnung organisationaler Strukturgestaltung, indem partizipative Elemente integriert werden. Allerdings ist dies eine zunächst nur vorsichtige Öffnung. Das Einbeziehen der Beteiligten war Teil der Best Practice-Entwicklung und somit durch konkrete methodische Vorgaben gerahmt. Die im Kontext der wissenschaftlichen Betriebsführung veröffentlichten Ideen von Frank und Lillian Gilbreth sind für die Gestaltung von Organisationen gerade durch die ihr immanente Ambivalenz richtungsweisend. Denn das Dual von Struktur und Subjekt macht entweder strukturelle Entscheidungen notwendig, auf Spielräume der

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Die führende Rolle des Ingenieurs leitet Gilbreth daraus ab, dass dieser gewohnheitsmäßig mit der Durchführung von Messungen und dem Umgang mit den entsprechenden Ergebnissen betraut ist. Dennoch plädiert er die Erweiterung einer strikten Messorientierung, die im Ausschalten von Kontingenz das Risiko mit sich führt, den womöglich produktiven Idiosynkrasien des Subjekts keine Chance zu geben. Das Ziel der Multidisziplinarität beschreibt er wie folgt: »Zunehmend arbeitet der Ingenieur mit dem Erzieher, Physiologen, Psychologen, Psychiater, und ebenso mit dem Volkswirt und Statistiker, zusammen und heißt überhaupt die Vertreter aller Wissenschaften vom Menschen als Mitarbeiter an den Problemen des Managements freudig willkommen.« Siehe Frank B. Gilbreth, Die Wissenschaft im Dienste des Managements führt zur Arbeitsökonomie, S. 224. Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. 36f. Ebd., S. 35ff.

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Flexibilität durch die verregelte Vorwegnahme der Zukunft zu verzichten, oder aber, im Umkehrschluss, Ansprüche an Steuer- und Kontrollierbarkeit aufzugeben, um sich damit jedoch auch Unsicherheit und Risiken hinzugeben, die aus der Intransparenz der beteiligten Subjekte resultieren. Obwohl Gilbreth mit dem Etikett des Scientific Management erfolgreiches Marketing betrieb und trotz der Nähe zu Taylor und der wechselseitigen Verweise in den jeweiligen Ausführungen,87 sind die Unterschiede zwischen den beiden nicht zu unterschätzen.88 Zwar findet sich bei Taylor wie bei Gilbreth die erklärte Überzeugung, als Agent der Belegschaft zu handeln, allerdings bleibt deren Rolle durch das Element der Partizipation nicht auf die Ausführung vorgegebener Tätigkeiten limitiert.89 Aber auch im Hinblick auf die Formierung von Vorgaben zeigen sich Unterschiede. Gilbreth übt an Taylors Vorgehen scharfe methodische Kritik. Er kritisiert jedoch nicht wie Gutenberg eine durch das Verfahren Taylors erzeugte Unübersichtlichkeit, sondern zieht das Prinzip der (Zeit-)Messung – und damit die zentrale Komponente von dessen Vorgehen – als von unzulänglicher Präzision in Zweifel.90

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Taylor beispielsweise rezipiert in seinen Grundsätzen wissenschaftlicher Betriebsführung die Arbeiten Gilbreths zum Maurerhandwerk. Neben der Beseitigung unnützer und dem Anlernen der optimierten Bewegung verweist Taylor auf die Erfindungen Gilbreths. Siehe Frederick W. Taylor, Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, München und Berlin: R. Oldenbourg 1919, S. 80ff. Gilbreth nimmt etwa auf Taylors Datenaffinität und das Ausfertigen von Tabellen Bezug (S. 15) oder veranschaulicht die Notwendigkeit optimal abgestimmter Werkzeuge anhand der von Taylor ermittelten Bestwerte (S. 32). Siehe hierzu Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters. Im zeitgenössischen Diskurs des Scientific Management macht vor allen Dingen Irene M. Witte, die zeitweilig Mitarbeiterin von Gilbreth war, auf Unterschiede aufmerksam. Dabei wird besonders der »menschliche Faktor« im Vorgehen Gilbreths betont, was als Reaktion auf die damalige Kritik an Taylor und seinem Vorgehen interpretiert werden kann. Siehe hierzu Irene M. Witte, Taylor, Gilbreth, Ford. Gegenwartsfragen der amerikanischen und europäischen Arbeitswissenschaft, hier S. 33; siehe auch Irene M. Witte, Eine fachliche und kritische Würdigung der arbeitswissenschaftlichen Verfahren Frank Bunker Gilbreths (1925), in: Frank Bunker Gilbreth, Lillian Molle Gilbreth, Die Magie des Bewegungsstudiums. Photographie und Film im Dienst der Psychotechnik und der Wissenschaftlichen Betriebsführung. Herausgegeben von Bernd Steiger unter Mitarbeit von Alexander Müller, München: Wilhelm Fink Verlag 2012, S. 215-233. Und Colin Ross kommentiert im Vorwort zur deutschen Ausgabe von Bewegungsstudien, dass »dem Taylorsystem der Geruch der Arbeiterfeindlichkeit [anhaftet]«, den es zu überwinden gilt. Siehe Colin Ross, Zur Einführung der wissenschaftlichen Betriebsführung in Deutschland, in: Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. III. Für Taylor meint die Gemeinsamkeit von Planung und Ausführung eine hierarchische Konstellierung und damit ein Prinzip der Folgsamkeit. Zwar wird bei Taylor die Integration von Planung und Ausführung betont, letztlich beruht diese aber auf der Verantwortungsübernahme auf Seiten der Planung und damit auf einer betrieblichen Asymmetrie im Sinne eines Verhältnisses von Überund Unter-Ordnung. So beanspruchte Gilbreth wie Taylor den Begriff des Zeitstudiums, das bei ihm jedoch an das eigene bildgebende Verfahren geknüpft ist. Er schreibt: »Das Zeitstudium sollte niemals mit dem Bewegungsstudium verwechselt und durcheinandergebracht werden. Es handelt sich um zwei durchaus verschiedene Dinge. Ebensowenig darf das korrekte [H.i.O.] Zeitstudium, welches ein Nebenergebnis von photographisch aufgenommenen Zeiten ist, mit der inakkuraten, unmethodischen Zeitaufnahme mit der Stoppuhr verwechselt werden.« Siehe Frank B. Gilbreth, Die Wissenschaft im Dienste des Managements führt zur Arbeitsökonomie, S. 230.

6. Die Visualisierung der Organisation

Der Diskurs um die wissenschaftliche Betriebsführung stellt sich als deutlich facettenreicher heraus, als es das Attraktionspotential der entsprechenden Schlagwortrhetorik vermuten lässt. Das Etikett der Wissenschaftlichkeit ermöglicht eine methodische Ausdifferenzierung, wie sie für Wissenschaft typisch ist. Obwohl sich Zielstellungen wie Formalisierung und verfahrensförmige Informatisierung und damit Ansprüche an Berechenbarkeit und Störungsfreiheit der Organisation konzeptübergreifend identifizieren lassen, unterscheiden sich das Organisationsverständnis und die daraus resultierenden Vorgehensweisen doch erheblich. So identifiziert zwar auch Gilbreth das Risiko systematischen Bummelns,91 registriert jedoch, dass die Monotonie von Vollzügen ein zentraler Einflussfaktor sein kann. Die Intransparenzen und Besonderheiten des Subjekts, die Taylor ausschließlich als Risiko betrachtet, Gutenberg als potentielle Störquelle neutralisiert, aber feststellt, auf Momente der Unberechenbarkeit angewiesen zu sein, versteht Gilbreth als positiv, insofern es gelingt, sie in Form methodisch getriggerter Begeisterung für die Organisation zu nutzen. Den Faktor Mensch zu berücksichtigen und für die Gestaltung von Organisationsstrukturen psychologische Dimensionen erschließen zu wollen, geht damit über das Adressieren eines methodologischen Individualismus oder die reine Rechenhaftigkeit der Organisation hinaus. Sicher wird im Rahmen der Bewegungsstudien Gewinnsteigerung in Aussicht gestellt, versprochen wird aber auch eine Entwicklung weicher Faktoren im Sinne immaterieller Werthaltungen. So mündet das Vorgehen der Gilbreths dem Anspruch nach in einem Wandel der jeweiligen Einstellung zur Arbeit.92 Doch damit nicht genug der Ambition. Neben der Tatsache, dass Wirklichkeit mittels Kamera und eingesetzter Visualisierungstechnik zum Faszinosum werden soll und das Ausführen betrieblicher Tätigkeiten auf diesem Weg mit intrinsischer Motivation untrennbar verknüpft wird, steht, neben der gesteigerten Effizienz und dem damit einhergehenden Wohlstand, ein Ziel, das praktisch nicht negiert werden kann: das Glück.93 Dass bildgebende Verfahren somit als Ausgangspunkt für die Aussöhnung eines klassischen Interessengegensatzes in Anspruch genommen werden, der Organisationen potentiell eingeschrieben ist, vermag vor dem Hintergrund der gilbrethschen Detailversessenheit und des skizzierten Erfindergeistes jedoch kaum zu überraschen.

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Siehe Frank B. Gilbreth, Bewegungsstudien. Vorschläge zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, S. 17. »The actual every day practice of motion study shows these effects upon the worker not only in intangible results of added interest and a different attitude towards the work, but also in such tangible results as a larger number and a more profitable set of suggestions boxes, better attended and more profitable foremen’s and workers’s meetings a greater number of promotions, more coöperation, more reading and study of the science of management, and higher wages earned with greater ease.« Siehe Frank. B. Gilbreth, Lillian M. Gilbreth, The Effect of Motion Study upon the Workers, S. 276. »It, therefore, benefits employee, as it does employer, as it does all those actively engaged in working under, or interested in it, in that it makes »to do,« mean »to be interested,« and to be interested means to be more efficient, more prosperous and more happy [H.i.O.].« Ebd.

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Die nächste Organisation

6.4

Abschlussbild

Die Visualisierung der Organisation setzt auf ein Prinzip der Eindringlichkeit, dessen Verwendung auf dem Versuch basiert, die Direktheit des visuellen Sinns zu nutzen, um Orientierungslosigkeit oder Rückfragen zu unterbinden. Dem Prinzip visueller Wahrnehmung wird so eine gewisse Unkorrumpierbarkeit zugeschrieben. Was man sieht, ist nicht mit dem gleichem Risiko von Missverständnissen behaftet, wie dies für direkte Ansprache und Instruktion angenommen werden muss. Die Visualisierung der Organisation ist die methodische Konsequenz aus einem bestimmten Verständnis von Organisation, das Bewegungen als deren Letzteinheiten annimmt. Der Prozess des Zerdehnens, Auseinanderordnens, Verkürzens und Beschleunigens von Bewegungen, die auf die bestmögliche Ausführung festgelegt werden sollen, stellt sich als umfassender Reorganisationsprozess dar, der beansprucht, jeglichen unökonomischen Handlungsspielraum zu beseitigen. Vorausgesetzt, die notwendigen Bewegungen sind analytisch aufzulösen, artikuliert sich damit ein Steuerungsanspruch, aus dessen Perspektive Abweichungsspielräume als Effizienz- und Kontrollprobleme erscheinen. Die Konzentration auf die Systematisierbarkeit und damit einhergehend auf die Transparenz von Arbeitsvollzügen entspricht einer methodisch gestützten Negation und Inhibierung von Kontingenz. Indem Gewohnheiten hinterfragt und überkommen werden können, offenbart sich die Zukunft der Organisation im Modus sichtbarer Gestaltbarkeit. Mit der zum Teil ungewöhnlichen Kombination verschiedener Verfahren und Methoden und deren geschickter Inszenierung erfuhr Frank Gilbreth internationale Popularität und avancierte zum nachgefragten Experten für Reorganisationsprozesse. Sein eigener Hintergrund als erfolgreicher Bauunternehmer mag daran keinen geringen Anteil gehabt haben,94 gleichzeitig entwickelte er das Vorgehen seines abbildungsgestützten Consultings aber konstant weiter. So förderte sein der Analyse verpflichtetes Vorgehen auf der Suche nach der bestmöglichen Ausführung von Bewegungen stetig neue Erfindungen, die entweder Ergebnis der Visualisierung der Organisation waren oder zu deren Zweck konzipiert wurden. Die Frage, ob es sich bei den erzeugten Darstellungen womöglich nicht um eine Form der Objektivierung handelt, sondern um eine eigene Form der Wirklichkeit, spielt für die Überlegungen Gilbreths eine untergeordnete Rolle, da etwaige Unschärfen im Rahmen der angezielten Verbesserungsprozesse methodisch zu überwinden sind. Durch das methodische Instrumentarium der Bewegungsstudien werden betriebliche Abläufe graphisch abgebildet als Datenbasis verfügbar. Die Visualisierung der Organisation steht für eine objektivierende Praxis der Entscheidungsunterstützung, um störungsfreie und zielgenaue Strukturbildungsprozesse anzusteuern. Was dargestellt ist, so die Annahme, ist objektiv. Praktiken der Visualisierung für die Verdatung der Organisation in Anspruch zu nehmen, ergänzt die strukturbildenden Tools von Messung und Berechnung um einen weiteren semiotischen Mechanismus, mit dem die Organisation auf die Seite der Struktur verpflichtet werden kann. Durch die methodische Integration von raumgreifender Bewegung und benötigten Zeiteinheiten wird eine Präzision angestrebt, die nicht nur für die Seite der Struktur 94

Siehe hierzu Kurt Pentzlin, Frank Bunker Gilbreth. 1868-1914, S. 203.

6. Die Visualisierung der Organisation

Effekte hat. Der Modus der Visualisierung soll die Begeisterungsfähigkeit für faszinierende Wirklichkeit adressieren und auf diese Weise die Mitwirkung der Belegschaft attrahieren. Das Vorgehen, die Attraktivität der Handlung in den Vordergrund zu stellen, um auf diese Weise die Dimension der organisationalen Mitgestaltung anzusteuern, setzt die reflexive Handhabung des Prinzips der Organisation voraus. Dem organisationalen Ausgeben von Handlungsvorgaben sind mindestens auf der motivationalen Ebene der beteiligten Subjekte Grenzen gesetzt, die durch die Integration partizipativer Elemente neu ausgelotet werden können. Im Zuge dessen nimmt der Grad der Fremdsteuerung ab, während dem Prinzip der Selbststeuerung steigende Relevanz zukommt. Die Analyse der eigenen Bewegungen und der Versuch ihrer Abbildung erfordern das Hinterfragen der eigenen Tätigkeit und durch ihre Sichtbarmachung das Ausloten von Verbesserungspotentialen. Dazu gehört, das mit dem Einsatz der neuen Methoden verbundene Fremdheitsgefühl als Moment produktiver Spannung zu verstehen, dem ein pädagogisches Potential eingeschrieben ist. Die anfängliche Fremdheit des Verfahrens soll die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand stimulieren und ein Wissenwollen nach sich ziehen, das der Organisation zugute kommt. Die Objektivierung des Einzelnen und die Objektivierung der Organisation steigern sich wechselseitig aneinander. In gewisser Weise war Gilbreth Experte und Vorreiter auf dem Gebiet praktischer Selbstvermessung und damit Pionier auf einem weiteren Gebiet, das sich gegenwärtig enormer Popularität erfreut. Besonders der damit einhergehende Anspruch der Objektivierung95 und die absolute Durchdringung des Gegenstands im Sinne eines Aufschlüsselns in Einzelkomponenten steht hierbei für einen gewissen Wiedererkennungswert,96 da in diesem Kontext Darstellungspraktiken eine gewichtige Rolle zukommt. Dass etwa für Vertreter der Quantified-Self-Bewegung die Frage nach der eigenen Existenz nicht mehr in erster Linie die Frage nach der Qualität von Erfahrungen, Beziehungen oder Wahrnehmungen ist, sondern diese zu einer Frage der Quantität und damit des Zähl-, Mess- und Berechenbaren wird, dessen Prägnanz und Eindeutigkeit keine unbestimmte Vagheit mehr inhärent ist, zeigt die Bedeutung von Visualisierungspraktiken, da sich die aggregierten Einheiten auf Displays ablesen lassen.97 In diesem Zu-

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Durch die Praxis der Selbstvermessung wird das Subjekt mit einer objektivierten Form des Selbst konfrontiert, die zum eigenen Gegenüber wird. Diese Überantwortung an ein Messregime wird als moderne Subjektivierungsweise beschrieben, die dem Subjekt eine ihm klassisch zugeschriebene Zentralstellung streitig macht. Das aus dem Messvorgang resultierende Datenabbild verweist das Subjekt auf die Rolle des Partizipanten, da dem Prozess der Datengenerierung ein nicht zu negierendes und artefaktabhängiges Moment der Fremdbestimmung eigen ist, dessen Eigenlogik nicht zu beeinflussen ist. Im Zuge dessen geraten Subjekt und Objekt ins Oszillieren. Für eine solche Diskussion am Beispiel der Praxis moderner Selbstvermessung siehe Jörg Strübing, Beate Kasper, Lisa Staiger, Das Selbst der Selbstvermessung. Fiktion oder Kalkül? Eine pragmatistische Betrachtung, in: Stephanie Duttweiler, Robert Gugutzer, Jan-Hendrik Passoth, Jörg Strübing (Hg.), Leben nach Zahlen. Self-Tracking als Optimierungsprojekt?, Bielefeld: transcript Verlag 2016, S. 271-191. Für den Versuch einer Verlaufsgeschichte selbstbezogener Objektivierungstechniken von der Selbsterzählung mittels Tagebuch bis zur appgestützten Selbstzählung im digitalen Zeitalter siehe Geritt Fröhlich, Medienbasierte Selbsttechnologien 1800, 1900, 2000. Vom narrativen Tagebuch zur digitalen Selbstvermessung, Bielefeld: transcript Verlag 2018. Die Praktiken der Visualisierung beruhen regelmäßig auf einer »doppelten Plausibilisierungsstrategie«. Zum einen verweisen Diagramme, Kurven oder Statistiken auf etablierte Formen wissen-

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Die nächste Organisation

sammenhang geht es ausdrücklich nicht um ein kulturkritisches Argument qualitativer Entleerung, als welches Praktiken »reflexiver Selbstverwissenschaftlichung«98 durch die Annahme einer vorwissenschaftlichen Eigentlichkeit gewendet werden können, sondern um die Tatsache, dass sich der Logik der Darstellung nur schwer entzogen werden kann. Noch einmal anders formuliert, tritt die Relevanz der Unterscheidung von Qualität und Quantität zugunsten attraktiver Darstellungsformate und Oberflächendesigns zurück. Diese Eindringlichkeit der Abbildung und die damit verbundene Unmittelbarkeit machen das Prinzip der Visualisierung als Mechanismus der Objektivierung für Organisationen attraktiv, die strukturell Orientierungslosigkeit zu unterminieren versuchen. Der Versuch, mithilfe von Darstellungspraktiken organisationale Strukturoperationen für Beobachtung und Mitvollzug sichtbar zu machen, ist deswegen noch aktuell.99 Organigramme, Charts und Graphiken bilden organisationale Erwartungszusammenhänge ab und fungieren als objektivierende Praxen der Entscheidungsunterstützung. Was visualisiert ist, kann nur schwer negiert werden. Aber auch bei Visualisierungstechniken an Flipchart und Pinboard, bei Präsentationen, die als Dokumentation oder Entscheidungsgrundlage eingesetzt werden, oder bei Visual Facilitation als Methodentool zur Begleitung von Gruppenprozessen handelt es sich um etablierte Praktiken der Visualisierung in Organisationen, die auf dem Prinzip der Aufmerksamkeitsattraktion basieren, das bei Entscheidungsfindungsprozessen nicht zu unterschätzen ist. Visualisierung erzeugt Entscheidbarkeit, indem generierte Alternativen durch graphische Aufbereitung sichtbar gemacht werden. Gleichzeitig stellt Visualisierung einen Modus der Ordnungsbildung dar, der als Ausschlussverfahren für Nicht-Abgebildetes fungiert und so dem Prozess der Entscheidungsfindung, der ein Prozess der Selektion ist,100 zuarbeitet. schaftlicher Darstellung, »zum anderen suggerieren (stilisierte) Bilder und Grafiken die vermeintlich unmittelbare Repräsentation der Wirklichkeit und erzeugen so eine kaum hinterfragte Evidenz.« Quantifizierung und Visualisierung gehen eine produktive Synthese ein, deren vermeintliche Objektivität und Bedeutsamkeit das Negationspotential reduziert. Siehe hierzu Stefanie Duttweiler, Daten statt Worte!? Bedeutungsproduktion in digitalen Selbstvermessungspraktiken, in: Thorben Mämecke, Jan-Hendrik Passoth, Josef Wehner (Hg.), Bedeutende Daten. Modelle, Verfahren und Praxis der Verlesung und Verdatung im Netz, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2018, S. 251-276, hier S. 266. 98 Die Quantifizierung von Körpermerkmalen und die damit einhergehende Objektivierung von Körperlichkeit setzt die eigene Expertisierung voraus und ist damit als Praxis der Verwissenschaftlichung pädagogisch anspruchsvoller, als sich dies von der Warte der Kulturkritik aus darstellt. Etablierte Argumente wie Ökonomisierung, (Selbst-)Disziplinierung oder Wettbewerbsorientierung werden dem jedoch nur zum Teil gerecht. Siehe hierzu Nicole Zillien, Geriet Fröhlich, Reflexive Selbstverwissenschaftlichung. Eine empirische Analyse der digitalen Selbstvermessung, in: Thorben Mämecke, Jan-Hendrik Passoth, Josef Wehner (Hg.), Bedeutende Daten. Modelle, Verfahren und Praxis der Verlesung und Verdatung im Netz, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2018, S. 233249. 99 Zur Bedeutung von Visualisierungspraktiken für die Verlaufsgeschichte der Unternehmensberatung siehe Florian Hoof, Engel der Effizienz. Eine Mediengeschichte der Unternehmensberatung, Konstanz: Konstanz University Press 2015. 100 Siehe hierzu Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung. 2 Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006, S. 135.

6. Die Visualisierung der Organisation

Vor allen Dingen im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung in Organisationen kommt der graphischen Abbildung organisationaler Vorgänge auf Oberflächen eine prominente Rolle zu. Im Zuge der Nutzung von Softwarelösungen verlagert sich die Visualisierung der Organisation auf Displays und Interfaces. Was sich auf der operativen Ebene dem Mitvollzug durch Geschwindigkeit und rechenmäßige Komplexität entzieht, wird auf Bildschirmen aufbereitet, um Möglichkeiten der Beobachtung vorzuhalten. Somit disponieren nicht zuletzt Visualisierungen darüber, was im Rahmen der Organisation möglich ist. Beobachtet werden kann nur, was gesehen wird, eingegeben werden kann nur das, für das entsprechende Schaltflächen existieren. Diese Wechselseitigkeit von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit beruht auf dem Grundproblem der Darstellbarkeit aufeinander abgestimmter informationsverarbeitender Routinen, deren strukturelle Leistungsfähigkeit übersteigt, was bewusstseinsmäßig zu erfassen ist. Der Aufbau an Komplexität, der durch den Mechanismus der Organisation geleistet wird, erfordert ein entsprechendes Komplement, das diese abzubilden beansprucht. Die Visualisierung der Organisation fungiert als Mechanismus der Komplexitätsreduktion, der die organisationale Wirklichkeit auf das einschränkt, was graphisch abgebildet wird und der so das Puzzle organisationaler Multimodalität ergänzt. Dem Anspruch, organisationale Letzteinheiten zu dechiffrieren, abzubilden, zu verbessern und wieder abzubilden, steht deshalb mit dem semiotischen Mechanismus der Visualisierung ein traditionsreiches Strukturbildungstool zur Verfügung, das dafür steht, die Sichtbarkeit einer gelingenden Zukunft der Organisation zu gewährleisten.

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7. Die Rechaotisierung der Organisation

Messung, Berechnung und Visualisierung stehen im Rahmen der beginnenden Managementlehre für Versuch und Anspruch, die Organisation auf die Seite der Struktur festzulegen. Ein mögliches Potential des Subjekts wird zunächst kaum breiter diskutiert. Vielmehr zielen die objektivierenden Praxen der Entscheidungsunterstützung auf die fehlerfreie Betriebsfähigkeit der Organisation. Dabei fungiert die Unterscheidung von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage als zentraler Fokus des Organisierens, indem Handlungsspielräume als Effizienz- und Kontrollprobleme verstanden werden, die es zu minimieren gilt. Durch die Nutzung der semiotischen Mechanismen Messung, Berechnung und Visualisierung als Mittel der Ausdifferenzierung struktureller Settings werden Planspiele und Steuerungskonzepte ermöglicht, die das Prinzip der Organisation als reibungslos und störungsfrei konzeptualisieren. Auf diese Weise werden Zielstellungen wie die bestmögliche Ausführung von Tätigkeiten formuliert oder Sollgrößen durch die Bildung von Indikatoren direkt berechenbar. Die Unterscheidung von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage wird im Zuge dessen mehr und mehr synthetisiert. Selektion und Vorwegnahme von Alternativen erübrigen die Notwendigkeit, überhaupt entscheiden zu müssen. Entscheidungen gehen Alternativen voraus, doch die objektivierenden Praxen der Entscheidungsunterstützung sorgen dafür, dass im Rahmen vermessener, berechneter oder visualisierter Strukturbildung keine Alternativen ausgefällt werden. Präzise Vorgaben auf Basis durchgeführter Messungen, die rechenmäßige Registratur sämtlicher Parameter der Organisation und die Analyse organisationaler Letzteinheiten und deren detailgetreue Abbildung fungieren als Idealtypen, die die Relevanz der beteiligten Subjekte minimieren, um die subjektiv bedingten Idiosynkrasien und Intransparenzen einzuhegen und die Austauschbarkeit der Beteiligten und damit das Funktionieren der Organisation gewährleisten zu können. Mit diesem Management- und Steuerungsverständnis geht die Vorstellung einher, das organisationale Geschehen auf Basis der Trennung von Planung und Ausführung lenken und kontrollieren zu können. Messung, Berechnung und Visualisierung bilden als Mechanismen der Strukturbildung hierzu die notwendigen Voraussetzungen, die organisationale Realität objektiv zu erfassen und als Strukturzusammenhang abzubilden. Die Wirklichkeit der Organisation basiert anspruchsweise

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Die nächste Organisation

nicht auf einem Konstruktionsprozess, sondern kann mit entsprechenden Mitteln analytisch erschlossen werden. Neben der Konzentration auf Berechenbarkeit und Kontrollierbarkeit von Arbeitsvollzügen und der damit verbundenen Negation und Inhibierung von Kontingenz offenbaren jedoch die Überlegungen von Taylor, Gutenberg oder Gilbreth weit mehr als einen naiven Planungsoptimismus. Taylors Methodenset zielt auf die Beseitigung der informalen Organisation, die maßgeblich Ergebnis wechselseitiger Beobachtungsprozesse ist. Gutenberg weiß um die Unberechenbarkeit des Subjekts, dessen konzeptuelle Neutralisierung sich aus der strikt regulierten, fest koppelnden Eigenlogik mathematischer Zusammenhänge ergibt. Und Gilbreth registriert das Risiko monotoner Tätigkeitsprofile und adressiert mittels partizipativer Elemente die Motivation der Beteiligten, wenngleich deren Handlungsspielräume durch ein vorgegebenes analytisches Vorgehen begrenzt bleiben. Die Organisation auf die Seite der Struktur festlegen zu wollen, bedeutet deshalb nicht, um die Idiosynkrasien der beteiligten Subjekte und deren intransparente Eigenwelten nicht gewusst zu haben. Die kultivierten Mittel der Strukturbildung sind die Konsequenz der Tatsache, dass die Organisation ihre Operationen als Dual von Struktur und Subjekt realisiert. Ein technikanaloges Verständnis von Management aber kann Vagheiten nicht systematisieren, verzichtet dementsprechend auf den Versuch und kapriziert sich darauf, die beteiligten Subjekte mittels präziser Handlungsvorgaben zu adressieren, um Unsicherheit und Zukunftsoffenheit zu vermeiden. Je präziser die Vorgabe, desto geringer der Ermessensspielraum und umso vielversprechender können Erfolgs- und Kontrollambitionen artikuliert werden. Doch nicht alle Pioniere der Managementlehre arbeiten an der strukturbedingten Informatisierung und semiotisch basierten Verdatung der Organisation. Neben den Versuchen organisationaler Kontingenznegation und deren vorsichtiger Öffnung in Richtung Kontingenzkontrolle existiert in der Geburtsstunde des modernen Managements der Versuch, in den Blick zu nehmen, dass die Beteiligung von Subjekten nicht nur potentielle Störquelle, sondern auch zentrale Gelingensbedingung der Organisation sein kann. So finden sich in den Überlegungen Mary Parker Folletts eine Reihe von Hinweisen auf ein Organisationsverständnis, das über den Anspruch der Kontingenznegation und den Versuch der Kontingenzkontrolle hinausgeht. Denn Follett registriert die Schwierigkeiten, die aus organisationalen Ansprüchen der Verhaltensspezifikation resultieren. Durch die genaue Vorgabe von Handlungsoptionen und das Ausschalten möglicher Alternativen werden die beteiligten Subjekte mechanisch im Sinne einer Input-Output-Logik adressiert, während die Idiosynkrasien des Subjekts, seine Anspruchs- und Motivlagen, unberücksichtigt bleiben oder auf ökonomische Kalküle reduziert werden. Für Mary Parker Follett ist jedoch weniger die sachneutrale Ebene der Strukturbildung interessant, sondern vielmehr das Beziehungsgefüge, das eine Organisation zwangsläufig ausdifferenziert, wenn Handlungsspielräume zur Disposition stehen. Aufgrund der Tatsache, dass Organisationen ihre Operationen als Dual von Struktur und Subjekt realisieren, emergiert auf Basis der Interaktion der beteiligten Subjekte eine Dimension des Sozialen, die in erster Linie kommunikativ funktioniert. Die soziale Dimension der Organisation liegt quer zu Struktur und Subjekt, da sie als emergente Folge der wechselseitigen Intransparenz der Beteiligten zu verstehen ist und planerisch nur indirekt angezielt werden kann. Statt auf hierarchische Settings setzt Mary Parker

7. Die Rechaotisierung der Organisation

Follett systematisch auf das Potential von Gruppenprozessen. Ein teamgestütztes Abflachen von Hierarchie relativiert die ursprüngliche Dichotomie der Organisation und sieht zahlreiche Kontaktmomente vor, die für Follett versprechen, produktiv zu sein. Damit wird ein Element des Unplanbaren Teil organisationaler Strukturbildung und die Organisation mit Möglichkeiten versorgt, die – etwa im metrischen oder numerischen Sinne – nicht zu systematisieren sind. Sich auf die Potentiale der Beteiligten einzulassen, bedeutet, das organisationale Dual von Struktur und Subjekt reflexiv zu handhaben. Die Organisation soll auf diese Weise zu einem Ort der Aushandlung werden, deren Ergebnis neue Möglichkeiten verspricht, die über die verfahrensförmige Vorwegnahme der Zukunft und den damit verbundenen systematischen Ausschluss von Möglichkeiten hinausgehen. Organisationsinterne Individualität und die Besonderheiten des Subjekts werden damit genauso zu einem Lösungsansatz wie die Unvorhersehbarkeit sozialer Interaktion. In diesem Sinne ergänzen zukunftsoffene Settings der Multiperspektivität die strukturbedingte Vorwegnahme der Zukunft, die für Organisationen charakteristisch ist. Die follettsche Logik des Gelingens basiert auf der systematischen Erzeugung von Kontingenz, da die organisationale Strukturbildung mit Formen geordneter Unordnung angereichert wird. Um die entsprechenden Überlegungen Mary Parker Folletts zu diskutieren, stehen im Folgenden ihre Vorstellungen gruppenarbeitsbedingter Partizipation und die damit verbundene Annahme der Produktivität von Differenz, ihre Idee der positiven Eigenschaften von Konflikten sowie ihr Organisationsverständnis im Blickpunkt, das auf einer ganzheitlichen Verzahnung aller vorhandenen Elemente basiert, bevor ein abschließender Blick die Rechaotisierung der Organisation als relevanten Teil des organisationalen Formenvorrats einordnet und in den Gesamtzusammenhang der Argumentation integriert. Die Ideen Mary Parker Folletts sind insofern richtungsweisend und aktuell, dass das Potential des Subjekts und die Dimension des Sozialen desto mehr zu einem Komplement werden, je leistungsfähiger Organisationen auf der Strukturseite werden, wie dies im Kontext der digitalen Moderne der Fall ist. Der Weg in Richtung Zukunft der Organisation führt ein letztes Mal zu den Anfängen der modernen Managementlehre zurück, um das Grundlagenproblem der Organisation zu diskutieren und das Bild struktureller Gestaltungsoptionen durch das Prinzip der Rechaotisierung zu komplettieren.

7.1

Die Kraft der Differenz

Der Weg Mary Parker Folletts zu einer Vordenkerin des modernen Managements1 und die Tatsache, dass sie die entstehende Managementlehre um ein Tool organisationaler 1

Peter Drucker etwa bezeichnet Mary Parker Follett als Prophetin des Managements, die wesentliche Entwicklungen der Managementlehre antizipierte und deren Relevanz weder für die Gestaltung von Organisationsstrukturen noch für die damit verbundenen Implikationen auf gesellschaftlicher Ebene unterschätzt werden darf. Siehe hierzu Peter F. Drucker, Introduction. Mary Parker Follett: Prophet of Management, in: Pauline Graham (Hg.), Mary Parker Follett – Prophet of Management. A Celebration of Writings from the 1920s, Boston, Massachusetts: Harvard Business School Press 1995, S. 1-9.

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Die nächste Organisation

Strukturbildung bereichern sollte, das im Vergleich zu den Überlegungen ihrer prominenten Mitstreiter auf einer grundsätzlich anderen Logik basiert, schienen zunächst nicht ausgemacht. Der Zugang zu Fragen der strukturellen Ausgestaltung von Organisationen führte für Follett über die praktische Bearbeitung sozialer Fragen, die sich im Kontext wirtschaftlicher Entwicklungen Ende des 19. Jahrhunderts stellten.2 Die praktischen Erfahrungen, auf deren Basis sie ihre Überlegungen entwickeln sollte, bezogen sich nicht wie bei Taylor oder Gilbreth auf Industrie und Handwerk, sondern auf pädagogische Tätigkeiten, die auf die Bearbeitung sozialer Bedarfslagen zielten. So zählte Follett etwa zu den Mitinitiatorinnen von Einrichtungen wie dem Neighborhoodhouse in Boston oder den Educational- bzw. Social-Centers, die sich landesweit verbreiten sollten. Im Fokus standen unter anderem Betreuungs- und Unterstützungsangebote für Kinder und Jugendliche, um Zugangswege zu Aus- oder Fortbildungen zu erleichtern.3 Besonders die damit in Verbindung stehenden Dimensionen der Berufsberatung und Arbeitsvermittlung bedeuteten für Follett den Kontakt mit Unternehmen, Verwaltungen und Gewerkschaften in einer Zeit, die, durch das Aufkommen der Managementlehre und die damit verbundene Verbreitung der entsprechenden Gestaltungsideen, von Reorganisationsprozessen geprägt war. Den dazugehörigen Ideen von Optimierung und der regelmäßig vorausgesetzten Reibungslosigkeit organisationaler Abläufe aber stand Follett wie dem damit verbundenen Zeitgeist, der wenig Platz für soziale Fragen ließ, skeptisch gegenüber.4 Als Gegenwartsdiagnose stellte Follett einen Trend zur Objektivierung fest und obwohl sie damit auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge zielte,5 ist klar, welcher Anteil Organisationen an dieser Entwicklung zukommt, deren strukturbildende Mechanismen darauf zielen, die Potentiale der Beteiligten zugunsten störungsfreier Abläufe zu kontrollieren und als potentielle Irritationsquelle auszuschalten. Als Mitglied der Taylor Society wusste Mary Parker Follett bestens um die Überlegungen ihrer Mitstreiter, Organisationen als objektive Zusammenhänge und die daraus abgeleiteten Verhaltenserwartungen als präzise zu modellieren.6 Doch ihre Überlegungen zur strukturellen Ausgestaltung von 2

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Für einen kurzen Überblick über die biographischen Stationen Mary Parker Folletts siehe Kurt Pentzlin, Mary Parker Follett. 1868-1933, in: ders. (Hg), Meister der Rationalisierung, Düsseldorf und Wien: Econ-Verlag GmbH 1963, S. 314-316. Für die ausführliche Darstellung des gemeinwesenorientierten Engagements Folletts siehe Joan C. Tonn, Mary P. Follett. Creating Democracy, Transforming Management, New Haven und London: Yale University Press 2003, insbes. die Kapitel 11-14. Zur Aktualität der Überlegungen Folletts als Antidoton im Hinblick auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen Sozialer Arbeit siehe Silvia Staub-Bernasconi, »Bringing the Client Back in« – Die Relevanz von Mary Parker Folletts (1868-1933) Sozialmanagementkonzept für die heutige Soziale Arbeit unter neoliberalen Vorzeichen, in: Armin Wöhrle, Agnès Fritze, Thomas Prinz, Gotthard Schwarz (Hg.), Sozialmanagement – Eine Zwischenbilanz, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2017, S. 103-122. Follett notiert entsprechend: »The most striking characteristic of the thought today is the trend toward objectivity: psychology has given us behaviorism, political scientists are emphasizing »accurate information« [H.i.O.] as the solution of all our difficulties, and jurists tell us that law must rest not on abstract principles but on social facts.« Siehe Mary Parker Follett, Creative Experience, New York und London: Longmans, Green and Co. 1924, S. 3. Die Ideen Folletts stießen stets auf positive Resonanz, obwohl sie Methode und Ansinnen des Scientific Management bei ihren Vorträgen kritisierte. Siehe hierzu auch Birgit Althans, In terms of

7. Die Rechaotisierung der Organisation

Organisationen standen unter anderen Vorzeichen, für die die Wechselseitigkeit von Organisation und Gesellschaft als zentraler Bezugspunkt fungierte.7 Seitdem die Gestaltung von Arbeitszusammenhängen gesellschaftlich in erster Linie in Form von Organisationsproblemen bearbeitet wird, sind Organisation und Gesellschaft eng verknüpft. Gerade die Strukturbildungsleistungen von Organisationen machen einerseits Anpassungsleistungen von Subjekten erforderlich, während sie andererseits grundsätzlich über Lebenschancen disponieren. Den Schlüssel zur Gestaltung gesellschaftlicher Zusammenhänge machte Follett in der Gestaltung von Organisationsstrukturen aus, für die sie wiederholt Begrifflichkeiten wie Demokratie oder Beteiligung in Anspruch nahm.8 Dabei gründen ihre Überlegungen nicht zuletzt auf den eigenen Erfahrungen im Kontext sozialpädagogischer Praxis und dem Bereich der Erwachsenen- und Weiterbildung. Management ist nicht nur in der Gestaltung von Möglichkeiten eine pädagogische Praxis, sondern zentrale Annahmen leiten sich – wie durch das Wirken Folletts – aus einer Praxis der Pädagogik ab. Dass Follett wenig mit dem Anspruch organisationaler Personenunabhängigkeit und der beliebigen Austauschbarkeit der beteiligten Subjekte anfangen konnte, lässt sich leicht am Stellenwert ablesen, den sie kollektiven Prozessen zumisst. Schon ihre Vorstellungen und ihr Bild von Demokratie zielen mehr auf lebendigen Austausch als auf bürokratische Strukturen, ausgekühlte Verfahrensordnungen und die damit regelmäßig verbundenen Maschinenanalogien.9 Der Ort, an dem ein solcher Austausch gelingen kann und der zugleich in der Lage ist, demokratischen Prinzipien wie Vielfalt und Unterschiedlichkeit gerecht zu werden, ist für sie die Gruppe, die in ihren Überlegungen einen zentralen Stellenwert einnimmt. Als Form sozialer Ordnungsbildung spricht Follett der Gruppe ein Potential kreativer Kraft zu, kollektive Ideen oder Absichten artikulieren zu können. Für ihr Verständnis von Demokratie und Verfahren partizipativer Entscheidungsfindung kommt Gruppenprozessen eine entscheidende Rolle

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desire: Mary Parker Follett und der Diskurs der Organisationstheorie, in: Richard Weiskopf (Hg.), Menschenregierungskünste. Anwendungen poststrukturalistischer Analyse auf Management und Organisationen, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag GmbH 2003, S. 261-279, hier S. 267f. Follett folgt explizit nicht der mit der Eigenlogik von Organisation und Gesellschaft begründeten Annahme, dass sich gesellschaftliche Probleme nicht auf die Ebene von Organisationen heruntertransformieren lassen, sondern sucht ihre gesellschaftlichen und organisationalen Vorstellungen zu integrieren. Für Daniel A. Wren nimmt Follett die Rolle einer »Political Philosopher« ein, die zur »Business Philosopher« wird. Siehe Daniel A. Wren, The evolution of management thought. Second Edition, New York [et al.]: John Wiley & Sons, Inc. 1979, S. 324ff. Zum Zusammenhang von Demokratie und Organisation bei Mary Parker Follett siehe auch Silvia Staub-Bernasconi, Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft. Auf dem Weg zu kritischer Professionalität. 2., vollständig überarbeitete u. aktualisierte Ausgabe, Opladen und Toronto: Verlag Barbara Budrich 2018, S. 71-81. Kritisch merkt Follett deshalb an: »The study of democracy has been based largely on the study of institutions; it should be based on the study of how men behave together. We have to deal, not with institutions, or any mechanical thing, or with abstract ideas, or »man« or anything but just men, ordinary men.« Siehe Mary Parker Follett, The New State. Group Organization the Solution of Popular Government. Forewords by Benjamin R. Barber and Jane Mansbridge. Introduction by Kevin Mattson, University Park, Pennsylvania: The Pennsylvania State University Press 1998, S. 19.

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Die nächste Organisation

zu.10 Auf der einen Seite wird in Gruppen auf Basis wechselseitigen Austauschs die Förderung von Individualität ermöglicht, gleichzeitig festigt die damit stattfindende Ausdifferenzierung von Beziehungen die Gruppe als Ganzes.11 Das Argument der Gesellschaftlichkeit des Subjekts, dem sie mit der Annahme der Wechselseitigkeit von Teil und Ganzem eine zirkuläre Struktur gibt, kombiniert sie mit einer anderen klassischen theoriearchitektonischen Figur, um das Potential, das sie der Gruppe zuschreibt, zum Ausdruck zu bringen. Die entscheidende Rolle spielt deren Zusammensetzung, jedoch weniger darin, dass bestimmte Merkmalstypen als zentrale Gelingensbedingungen angenommen werden oder diese möglichst gleichförmig ist, als vielmehr durch die Tatsache, dass die Gruppe möglichst unterschiedlich zusammengesetzt sein soll. Dabei betont Follett ausdrücklich die philosophische Theorietradition, als Verlängerung derer Kontinuitätslinie sie die eigenen Überlegungen betrachtet. So rekurriert sie etwa auf Heraklit und dessen Gegensatz- und Bewegungslehre, um die Notwendigkeit von Unterschieden herauszustellen.12 Für die Veranschaulichung der Produktivität von Unterschieden wählt Follett das zunächst vermutlich ungewöhnlich anmutende Beispiel eines Tennisspiels. Beim Tennis, so führt sie aus, ist jeder Schlag eine direkte Antwort auf den vorausgegangenen Ballvortrag, der wiederum eine Reaktion auf diesen Schlag hervorruft. In diesem Sinne besteht das Tennisspiel aus fortlaufenden Verknüpfungsleistungen und der Nutzung sich ständig neu bietender Spielmöglichkeiten, die jedes Mal entstehen, wenn der Ball das Netz passiert. Als Ergebnis steht ein ausdifferenzierter Zusammenhang aus in- und miteinander verwobenen selektierten Bestandteilen, die die Basis des Spiels darstellen, aber nicht das Spiel.13 Denn das Spiel besteht in der Gesamtheit der Verknüpfungen der einzelnen Ballwechsel und kann nicht auf einen einzelnen Aufschlag oder Return enggeführt werden. Im Übertrag auf die Eigenlogik von Gruppenprozessen heißt dies Folgendes: Die Gruppe stellt für Follett eine Form der Ordnungsbildung dar, die aufgrund der ihr eigenen Dynamik sprichwörtlich für mehr als die Summe ihrer Teile steht.14 Für Mary Par10

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Das Potential der Gruppe nimmt Follett dafür in Anspruch, eine ausschließlich numerische Logik überwinden zu können und mit dem Fokus auf Beziehungen ein qualitatives Argument für ihr Demokratieverständnis anzuführen. Sie schreibt: »Thus group organization releases us from the domination of mere numbers. Thus democracy transcends time and space, it can never be understood except as a spiritual force. Majority rule rests on numbers; democracy rests on the wellgrounded assumption that society is neither a collection of unity nor an organism but a network of human relations.« Ebd., S. 7. »What is there inherent in the group which gives it creative power? The activity which produces the true individual is at the same time interweaving him and others into a real whole.« Ebd. In Fußnote 2 auf Seite 34 hält Follett fest: »This is the alpha and omega of philosophical teaching; Heraclitus said, »Nature desires eagerly opposites and out of them it completes its harmony, not out of similars.« Und sie ergänzt: » And James, twenty-four hundred years later, has given his testimony that the process of life is to »compenetrate.« [H.i.O.] Siehe ebd. Follett schließt das Tennisbeispiel entsprechend ab: »Thus in the end does action and reaction become inextricably bound up together.« Ebd., S. 26. Den Mehrwert interaktionsbasierter Dynamik illustriert Follett am Beispiel einer Ausschusssitzung. Sie schreibt: »The object of a committee meeting is first of all to create a common idea. I do not go to a committee meeting merely to give my own ideas. If that were all, I might write my fellow-members a letter. But neither do I go to learn other peoples’s ideas. If that were all, I might

7. Die Rechaotisierung der Organisation

ker Follett speist sich die Dynamik von Gruppen aus der Unterschiedlichkeit der Beteiligten, die agieren, reagieren, agieren und wieder reagieren und somit eine Persistenz wechselseitigen Anschließens erzeugen. Gerade darin besteht für Follett die Essenz von Sozialität: »The complex reciprocal action, the intricate interweavings of the members of the group, is the social process.«15 Follett arbeitet konsequent mit der Annahme eines sozial bedingten Emergenzniveaus, das prozessual auf einem Modus kommunikativer Wechselseitigkeit gründet, ohne dass dies aber genauer spezifiziert werden kann. Auf diese Weise wird komplexe Reziprozität zu einem entscheidenden Axiom der Überlegungen Mary Parker Folletts. Sie setzt auf ein Theoriemanöver, das auf der prozessualen Ebene ein Moment der Unbestimmtheit annimmt. Die autologisch gesteuerte Verknüpfung von Selektionsleistungen entspricht aufgrund der ihr eigenen Dynamik einem Nichtwissen, das nicht weiter zu bestimmen ist. Vielmehr ist komplexe Wechselseitigkeit Synonym dafür, das Zustandekommen von Ergebnissen nicht en Detail begründen zu können. Während Verhältnisse gegenseitiger Beeinflussung im Sinne eines Kausalschemas von Aktion und Reaktion rekonstruiert werden können, steht das Adjektiv komplex für den Hinweis, dass die synergetische Verknüpfung von Selektionen nicht mehr ohne Weiteres auseinanderdividiert werden kann.16 Gerade für die pädagogische Theorietradition sind solche Überlegungen keine unbekannte Größe. Dementsprechend bewegt sich Follett in der Nähe klassisch pädagogischer Theoriebildung wie etwa der Bildungsidee Wilhelm von Humboldts, der Bildung als Prozess und Ergebnis eines sich im Wesentlichen selbst steuernden Geschehens modellierte, das auf der aktiven Auseinandersetzung des Subjekts mit den unabsichtlich wirkenden Kontingenzen seiner Umwelt beruht.17 Das klassische Konzept der Bildung weist unterdessen Parallelen zu anderen im gleichen zeitlichen Kontext entstandenen Theoriemodellen der Selbstorganisation auf. Auch für das durch die vielfach rezipierte unsichtbare Hand gesteuerte Marktgeschehen oder Prozesse biologischen Lebens, für die das Lebendige typisch ist, das sich einfachen Kausalannahmen entzieht, gilt, dass ein entscheidendes Theoriemoment darin besteht, auf ein axiomatisches Nichtwissen zu setzen. Auf die Analogie des lebendigen Lebens greift auch Follett für ihr Verständnis von Gruppendynamik zurück, das sie als turbulenten Fluss beschreibt, der in einem permanenten Selektionsgeschehen Unterschiede ausfällt, aus deren Synthese neue Unterschiede ent-

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ask each to write me a letter. I go to a committee meeting in order that all together we may create a group idea, an idea which will be better than all of our ideas added together. For this group idea will not be produced by any process of addition, but by the interpenetration of us all. This subtle psychic process by which the resulting idea shapes itself is the process we want to study.« Ebd., S. 24. Ebd., S. 33. Zum Begriff der Komplexität siehe Niklas Luhmann, Haltlose Komplexität, in: ders., Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven. 3. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 58-74. Auch wenn die luhmannsche Konzeption wesentlich später entstanden ist, basieren beide Überlegungen auf der wechselseitigen Verknüpfung von Selektionen. Zur paradoxen Eigenlogik des Bildungsgeschehens siehe Sebastian Manhart, Absichtlich unabsichtlich. Zum Verhältnis von Politik, Bildung und Pädagogik um 1800, in: Dirk Rustemeyer (Hg.), Erziehung in der Moderne. Festschrift für Franzjörg Baumgart, Wü rzburg: Königshausen und Neumann 2003, S. 95-142.

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Die nächste Organisation

stehen.18 Konsequenterweise setzt sie damit auf ein Modell sozialer Evolution,19 dessen komplexes Geschehen sie aber zum Wohle der Gesellschaft interpretiert, da im Ergebnis neue Handlungsmöglichkeiten entstehen.20 Auf diese Weise kombiniert Follett ein hohes theoretisches Auflösungsvermögen mit dem Anspruch eines gestaltungsorientierten Denkens.21 Dabei ist die Ableitung von Gestaltungsansprüchen aus Theoriemodellen der Selbstorganisation ein Vabanquespiel, das nur auf paradoxe Interventionsmodelle hinauslaufen kann. Den verschiedenen Modellen der Selbstorganisation wie Bildung, Markt oder Leben ist erstens gemein, dass sie zirkulär gebaut sind und dass zweitens diese Zirkularität zwangsläufig auf Begründungsdilemmata hinausläuft.22 Zumindest gilt dies für den Fall, Begründungen mit Annahmen linearer Kausalität gleichzusetzen. Nicht selten findet sich deshalb der Versuch, die Stelle vermeintlich fehlender Erklärungen und damit die eigentliche Stärke des Theoriemodells mit der Flucht ins Normative zu

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Follett notiert im Hinblick auf die angenommene prozessuale permanente Dynamik: »This tumultous, irrestible flow of life is our existence: the unity, the common, is but for an instant, it flows on to new differings which adjust themselves anew in fuller, more varied, richer synthesis. The moment when similarity achieves itself as a composite of working, seething forces, it throws out its myriad new differings. The torrent flows into a pool, works, ferments, and then rushes forth until all is again gathered into the new pool of its own unifying.« Siehe Mary Parker Follett, The New State. Group Organization the Solution of Popular Government, S. 35. Hinsichtlich eines angenommenen modus operandi des Prozessierens von Unterscheidungen ist wenig verwunderlich, dass sich die Analogie zur luhmannschen Bestimmung von Evolution im Rahmen dessen Differenzierungstheorems anbietet, wobei Luhmann im Unterschied allerdings ausdrücklich darauf hinweist, dass das Prozessieren von Unterscheidungen als Operationsmodus zu verstehen ist und nicht als eine Form höherer Ordnungsbildung verstanden werden darf, die im Sinne von gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten an die Stelle von Homogenität tritt. Luhmann geht es also »keineswegs nur um die Annahme, daß im Laufe der Geschichte Einfaches durch Vielfältiges, Homogenes durch Heterogenes ersetzt werde mit dem Effekt eines höheren Wirkungsgrades der sozialen Organisation. Vielmehr setzt alles sinnnhafte, sozial geordnete Erleben und Handeln Unterscheidungen, also Differenzierungen, immer schon voraus, und es kann in der weiteren Evolution daher immer nur um Differenzierung von Differenzierungen gehen.« Siehe Niklas Luhmann, Die Ausdifferenzierung der Religion, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Band 3, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1989, S. 259-357, hier S. 265. Ihre Überlegungen zur Eigenlogik gruppendynamischer Prozesse spitzt Follett wie folgt zu: »This is the process of evolution. Social progress is to be sure coadapting, but coadapting means always that the fish unity becomes the pole of a fresh difference leading to again new unities which lead to broader and broader fields of activity.« Siehe Mary Parker Follett, The New State. Group Organization the Solution of Popular Government, S. 35. Zum Verhältnis theoretischer Positionierung und der Ableitung praktischer Gestaltungsansprüche am Beispiel Mary Parker Folletts Rezeption pragmatistischer Überlegungen siehe Christopher Ansell, Mary Parker Follett and Pragmatist Organization, in: Paul Adler (Hg.), The Oxford Handbook of Sociology and Organization Studies. Classical Foundations, Oxford: Oxford University Press 2009, S. 464-485. Siehe hierzu Sebastian Manhart, Im Begriffsgeflecht. Zur Entstehung der Bildungssemantik um 1800 zwischen Selbstorganisation, Leben, Mensch und Markt, in: Christiane Thompson, Gabriele Weiss (Hg.), Bildende Widerstände – widerständige Bildung. Blickwechsel zwischen Pädagogik und Philosophie, Bielefeld: transcript Verlag 2008, S. 165-186, hier S. 173.

7. Die Rechaotisierung der Organisation

kaschieren.23 Auf der Ebene der Theoriebildung entspricht dies dem Zug, das durch die Figur der Selbstorganisation bedingte Moment der Unsicherheit durch ein Moment der Sicherheit zu ersetzen, das darauf beruht, sich mit den eigenen Argumenten bestätigen zu können. Letztendlich entziehen sich Normen und Werte jedoch ihrer Letztbegründbarkeit und sind gerade darin regelmäßig auf Rechts- und Verfahrensordnungen – und damit auf Entscheidungen – angewiesen, da das Differential von gut und schlecht auf einer Setzung beruht, die logisch nicht aufzulösen ist.24 Besonders für pädagogische Gestaltungsabsichten ist die Variable der Zufallsabhängigkeit ein Einflussfaktor, der dazu verleitet, mindestens eine doppelte Plausibilisierungsstrategie zu verfolgen und, neben einem Modell komplexer Selbststeuerung, kommunikativ auf die Legitimität guter Absichten zu setzen. Eine solche Doppelstrategie findet sich in Ansätzen auch bei Mary Parker Follett. Obwohl im von ihr vorgeschlagenen Theoriemodell Differenzen als konstitutiv angenommen werden, erklärt sie diese kurzerhand für wünschenswert und verurteilt das Ignorieren von Unterschiedlichkeit scharf.25 Damit wird Heterogenität zu einem Eigenwert stilisiert, der für Kollektivprozesse in ihrem Sinne grundlegend ist. Konsequenterweise ist Gesellschaft für Follett nichts anderes als das Zusammenwirken von Unterschieden.26 Dabei kommt der Gruppe die entscheidende Rolle der kleinsten Einheit zu, die im Rahmen ihrer basisdemokratischen Überlegungen einen entsprechend hohen Stellenwert einnimmt. Für Follett ist die Gruppe die Form sozialer Ordnungsbildung, für die sie annimmt, dass Unterschiede ihr produktives Potential bestmöglich entfalten und die deshalb für die Gestaltung demokratischer Prozesse unabdingbar ist. Nicht umsonst trägt ihr Buch, in dem sie ihre diesbezüglichen Überlegungen systematisiert, den Titel The New State, dessen Konzeption auf aktiver Bürgerschaft gründet, damit die Demokratie von ihren Wurzeln aus gestärkt werden kann.27 Der politische 23

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Für Jürgen Oelkers ist dieses Begründungsproblem die pädagogische Fassung des TheodizeeThemas, indem die gute Absicht Ausgangspunkt »für die spekulative Begründung der modernen Erziehung [ist]. Der Sitz des Guten wird verschieden vermutet, in der Natur, in der kommenden Gesellschaft, im Kind, aber stets wird vorausgesetzt, daß die richtige Erziehung das Übel aufheben und das Gute steigern könne.« Siehe Jürgen Oelkers, Vollendung: Theologische Spuren im pädagogischen Denken, in: Niklas Luhmann, Karl Eberhard Schorr (Hg.), Zwischen Anfang und Ende. Fragen an die Pädagogik, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1990, S. 24-72, hier S. 65. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen? in: ders., Die Moral der Gesellschaft. Herausgegeben von Detlef Horster, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2008, S. 228-252. Follett notiert im Hinblick auf gesellschaftliche Diversität: »Instead of shutting out what is different, we should welcome it because it is different and through its difference will make a richer content of life. The ignoring of differences is the most fatal mistake in politics or industry or international life: every difference that is swept up into a bigger conception feeds and enriches society; every difference which is ignored feeds on society and eventually corrupts it. Heterogeneity, not homogeneity, I repeat, makes unity.« Siehe Mary Parker Follett, The New State. Group Organization the Solution of Popular Government, S. 40. Entsprechend hält Follett fest: »The essence of society is difference, related difference.« Ebd., S. 33. Für die ausführliche Diskussion der follettschen Idee, das Fundament der Demokratie maßgeblich in Gruppenprozessen auszumachen, um auf diese Weise nicht zuletzt durch das permanente Aushandlungsgeschehen eine Brücke zwischen Individuum und Gesellschaft zu schlagen, siehe Joan C. Tonn, Mary P. Follett. Creating Democracy, Transforming Management, S. 268ff.

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Gestaltungsanspruch Folletts und die eigenen gemeinwesenorientierten Tätigkeiten – etwa im Rahmen der Neighborhoodhouses – sind eng verknüpft. Ihre Überlegungen leitet Follett nicht zuletzt aus der eigenen Praxis ab,28 um sie anschließend auf Basis eines ausgearbeiteten Theoriefundaments zu artikulieren. Der Kontakt mit Unternehmen, Verwaltungen und Gewerkschaften, in dem sie aufgrund ihrer Tätigkeiten stand, öffnete den Weg dafür, ihre Ideen verstärkt als Gestaltungsstrategie für Prozesse organisationaler Strukturbildung zu erproben. Mit ihrem Fokus auf die Besonderheiten des Einzelnen und der Auffassung, dass diese Besonderheiten als Basis einer produktiv kollektiven Dynamik fungieren, vertrat Follett Ideen, die in ihrer Zeit alles andere als Allgemeinplätze waren.29 Gerade im Hinblick auf den dominierenden managerialen Anspruch der Kontingenznegation markiert sie für die Entwicklung der modernen Managementlehre selbst einen produktiven Unterschied.

7.2

Der dritte Weg

Der Ansatz, Gruppenprozessen einen zentralen Mehrwert bei der Gestaltung von Organisationsstrukturen zuzusprechen, impliziert im Hinblick auf das organisationale Dual von Struktur und Subjekt eine Verschiebung in Richtung der Subjektseite. Für den kontingenznegierenden Charakter organisationaler Strukturbildung läuft dies auf die paradoxe Konstellation hinaus, Kontingenz dadurch einzuhegen, sie verfügbar zu halten. In Organisationen wird Arbeit durch Prozesse der Strukturbildung standardisiert oder bürokratisiert, auf Basis von Verfahrensförmigkeit reguliert, immer aber in arbeitsteiligen Prozessen abgebildet. Durch die verregelte Vorwegnahme der Zukunft läuft die Organisation jedoch Gefahr, nicht adäquat auf sich verändernde Bedingungen – intern wie extern – reagieren zu können. Aus dieser Perspektive ist das Anstreben der Deckungsgleichheit von Planung und Ausführung ein Risiko, das Möglichkeiten der Flexibilität und der Adaption unterminiert. Für Mary Parker Follett sind die Grenzen funktionaler Parallelität evident. Das organisationale Leistungsvermögen der Informationsverarbeitung wird für die Organisation dann zum Problem, wenn auf Basis hochgetriebener Spezialisierung das Nebeneinander das Verfolgen der gemeinsamen Zielstellungen unterläuft. Vor allen Dingen

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So beobachtete Mary Parker Follett etwa im Rahmen ihrer sozialarbeiterischen Tätigkeit mit Immigranten das Potential heterogener Gruppen, Spannungen, die aus Unterschieden resultieren, nutzen zu können. Im Gegensatz zu akademischem und sozialarbeiterischem Milieu fanden die damit verbundenen Risiken in unternehmerischen Kontexten schnell Gehör. Zur Milieukompatibilität von Mary Parker Follett siehe Birgit Althans, Jane Addams und Mary Parker Follett. Angewandter Pragmatismus, Management des Sozialen und Pädagogik in: Daniel Tröhler, Jürgen Oelkers (Hg.), Pragmatismus und Pädagogik, Zürich: Verlag Pestalozzianum an der pädagogischen Hochschule Zürich 2005, S. 115-137. Zur Einschätzung, dass die Ideen Folletts ihrer Zeit weit voraus waren, siehe auch Diane L. Ferry, Dynamic Administration; The Collected Works of Mary Parker Follett, Henry C. Metcalf and L. Urwick, Eds. New York: Harper and Brothers Publishers 1941, in: The Academy of Management Review 11 (1986) 2, S. 451-454, hier S. 451.

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die manageriale Tendenz, Arbeitsvorgänge in ihre Einzelteile zu zerlegen, erhöht die Anforderungen an deren Abstimmung und Koordination. Je kleinteiliger die Organisation als Strukturzusammenhang ausdifferenziert ist, desto größer wird der Aufwand der Synchronisation, die gleichzeitig erfolgenden Vollzüge auf ein bestimmtes Ergebnis oder die ausgegebenen Zielstellungen auszurichten. In diesem Sinne führt das organisationale Leistungsvermögen, den Zeitläuften durch die Vervielfältigung von Gegenwarten zu trotzen, geradewegs in eine Paradoxie. Einerseits speist sich das organisationale Leistungsvermögen aus der Gleichzeitigkeit von Abläufen – der Parallelisierung von Interaktionen, dem Nebeneinander der Büros –, während, auf der anderen Seite, Gleichzeitigkeit Möglichkeiten der Kausalität unterminiert. Wenn Ereignisse gleichzeitig stattfinden, können diese nicht in einem Verhältnis wechselseitiger Bedingung stehen.30 Das organisationale Verfolgen von Zielen ist aber als Sequenz angelegt, bei der die Abfolge der einzelnen Handlungsschritte in Form von Kausalitätsannahmen ineinander greifen sollen. Wenn Vorgang a erfolgt ist, schließt sich der organisationalen Vorgabe gemäß Vorgang b an und so weiter. Die Notwendigkeit des zeitlichen Nacheinanders führt dazu, Organisationsprobleme in Form von Sachproblemen zu bearbeiten. Messung, Berechnung und Visualisierung fungieren als Antwortversuche darauf, dem Prozessieren von Zeit durch die Verdichtung von Zeitsequenzen Einhalt zu gebieten. Da das Prinzip der Organisation eine Reaktion auf die Momenthaftigkeit der Gegenwart ist, die diese auf die Größe des Augenblicks zusammenschrumpfen lässt und mithilfe der Ausdifferenzierung von Strukturen Gegenwarten multipliziert, steigt mit dem Bedarf an Koordination die Komplexität der Organisation. Denn im Angewiesensein auf Kausalität, um das Funktionieren von Abläufen zu gewährleisten, auf einen Mechanismus zu setzen, der diese durch den Versuch der Umgehung des Prinzips der Sequenz unmöglich macht,31 wird zwangsläufig ein Komplexitätsproblem erzeugt, das auch durch genauere Messungen oder weitere Berechnungen nicht aufgelöst werden kann, solange die Organisation ihre Operationen als Dual von Struktur und Subjekt realisiert. Insofern beruht der Organisationsmechanismus paradoxerweise auf der Systematisierung einer Unmöglichkeit. Statt aber die Komplexität der Organisation mittels der Negation von Kontingenz auf der Strukturseite zu steigern, setzen die Überlegungen Mary Parker Folletts auf der Subjektseite an, was gleichzeitig bedeutet, dass die subjektbedingte soziale Dimension der Organisation in den Blick gerät. Um ihre Operationen zu realisieren, benötigt die Organisation nicht nur Mitglieder, die ihre Zeit und ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Sie benötigt die beteiligten Subjekte dafür, um von deren Wahrnehmungen und Ideen zu profitieren, die nicht über die Seite der Struktur abgebildet werden können. 30

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Siehe hierzu Niklas Luhmann, Gleichzeitigkeit und Synchronisation, in: ders., Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven. 3. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 92-125, hier S. 105. Auch das Garbage-Can-Modell von Michael Cohen, James March und Johan Olsen richtet sich gegen die Vorstellung linearer Kausalität in Organisationen, indem Probleme, Lösungen, Teilnehmende und Entscheidungsgelegenheiten als voneinander getrennte Ströme modelliert werden, die nur zufällig aufeinander treffen. Siehe hierzu Michael D. Cohen, James G. March, Johan P. Olsen, A Garbage Can Model of Organizational Choice, in: Administrative Science Quarterly 17 (1972) 1, S. 1-25.

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Die nächste Organisation

Solange Organisationen ihre Operationen nicht vollständig automatisieren können, solange geht es um Merkmale wie persönliche Eignung, Disziplin oder Kompetenzen und damit um Merkmale, die personengebunden untrennbar mit den beteiligten Subjekten verknüpft sind. Die Intransparenzen und Idiosynkrasien des Subjekts stellen aber nur einen kontingenten Einflussfaktor dar. Mary Parker Follett geht es um die Dynamik, die aus deren Interaktionen resultiert. Die strukturbedingten Zeit- und Sachprobleme werden in der Dimension des Sozialen bearbeitet.32 Im Zuge dessen wird Kontingenz vom ausschließlichen Risiko zu einer Quelle neuer Möglichkeiten. Die im Modus reziproker Komplexität ablaufenden Gruppenprozesse gehen selbst nicht störungsfrei vonstatten. Vielmehr nimmt Follett deren Konflikthaftigkeit als konstitutiv für die Dynamik sozialer Interaktion an. Diese Konstitutivwirkung führt auch dazu, dass die Anwesenheit von Konflikten positiv gedeutet wird. Konflikten ein besonderes Potential zuzuschreiben, ist besonders in und für Organisationen bemerkenswert. Die Eigenlogik organisationaler Verfahrensförmigkeit ist ja gerade darauf ausgerichtet, dass persönliche Streitigkeiten in verhaltensorientierenden Regelwerken ausgekühlt werden. Besonders bürokratische Verwaltungslogik zielt durch die horizontal wie vertikal zuständigkeitsbedingte Differenzierung und die strikte Regulierung von Handlungsschritten und deren Abfolge auf eine Verfriedfertigung potentieller Konfliktlagen. Das Konfliktverständnis von Mary Parker Follett ist eng mit der Annahme von Differenz verknüpft. Die komplexe Wechselseitigkeit von Aktion und Reaktion ist per se konflikthaft, was es zu nutzen gilt.33 Gleichzeitig impliziert dies kein einseitig normativ aufgeladenes Konfliktverständnis. Gerade weil Konflikte im Prozessieren von Sozialität ohnehin nicht zu vermeiden sind, sollen diese im Sinne der Organisation fruchtbar gemacht werden.34 Für den Umgang mit Gegensätzen und die Bearbeitung von Konflikten sieht Follett verschiedene Möglichkeiten vor, von denen ihrer Auffassung nach den beiden gängigsten Umgangsweisen jedoch ein dsyfunktionales Potential immanent ist. Sowohl den Sieg einer Seite als Form der Überwindung von Gegensätzen als auch die Aushandlung von Kompromissen als Strategie der Mittelung sieht Follett explizit nicht als produktiven Umgang mit Meinungsverschiedenheiten. Der Sieg einer Seite lässt die andere unweigerlich als Verlierer dastehen, was nur dazu führen kann, das 32

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Zur wechselseitigen Bedingung von Sach- und Zeitproblemen und deren sozialer Bearbeitung am Beispiel psychosozialer Beratung siehe Thomas Wendt, Diesseits von Be- und Entschleunigung. Beratung als soziale Bearbeitung zeitlicher Komplexität, in: Sozial Extra 40 (2016) 4, S. 33-36. Dabei betont sie die für ihr Konfliktverständnis zentrale Dimension der Wertfreiheit: »I wish to consider in this paper the most fruitful way of dealing with conflict. At the outset I should like to ask you to agree for the moment to think of conflict neither good nor bad; to consider it without ethical pre-judgement; to think of it not as warfare, but as the appearance of difference, difference of opinions, of interests. For that is what conflict means – difference. […] As conflict – difference – is here in the world, as we cannot avoid it, I think use it. Instead of condemning it, we should set it to work for us.« Siehe Mary Parker Follett, Constructive Conflict, in: Henry C. Metcalf, Lyndall Urwick (Hg.), Dynamic Administration. The Collected Papers of Mary Parker Follett, New York und London: Harper & Brothers Publishers 1940, S. 30-49, hier S. 30. Die Bedeutung von Konflikt wird entgegen der geläufigen Begriffsverwendung umgedeutet und als Mittel der Wahl präsentiert: »That is what I wish to consider here, wether we can set conflict to work and make it do [H.i.O.] something for us.« Ebd.

7. Die Rechaotisierung der Organisation

damit verbundene Unbehagen in Richtung Latenz zu verschieben, die sich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu manifestieren droht.35 Doch auch der Kompromiss und das damit verbundene Abrücken der beteiligten Parteien vom eigenen Standpunkt stehen nicht für eine produktive Überwindung von Gegensätzen und die Auflösung von Konflikten. Während im ersten Fall eine Partei zuungunsten der anderen die eigene Position halten kann, gilt für das Zustandekommen eines Kompromisses, dass alle Beteiligten ihren Standpunkt aufzugeben haben. Um beides zu vermeiden, besteht der einzig sinnvolle Weg im Umgang mit Konflikten für Follett darin, einen Ausweg in Form eines dritten Wegs zu finden.36 Für das Auffinden des dritten Wegs schlägt Follett die Methode der Integration vor, die weder beratend noch befehlend zu verstehen ist, sondern als eine Form moderationsgestützter Möglichkeitssuche gedacht ist. Vor dem Hintergrund, dass »A und B beide [H.i.O.] wertvolle Gesichtspunkte haben, deren Vorteile nicht verloren gehen dürfen«, [versucht] »der kluge Verwalter, ihre verschiedenen Erfahrungen und Kenntnisse so ins Spiel zu bringen, daß sie voll und ganz zusammenwirken.«37 Dafür wird als erster Schritt eine Problemanalyse beansprucht, die darauf hinausläuft, Transparenz im Hinblick auf vorliegende Optionen und Absichten herzustellen, um die Struktur des Konfliktes offenzulegen.38 Für das follettsche Verständnis des dritten Wegs ist zentral, dass die Konfliktlösung eine neue Option darstellt, die Ergebnis eines interaktionsbasierten Settings ist. Auf diese Weise wird die Konfliktlösungsstrategie des dritten Wegs als Mittel des Fortschritts gedeutet, das aufgrund der ihm zugeschriebenen Konstruktivität eine Bereicherung der Organisation ist.39 Die komplexe Wechselseitigkeit von Interaktionen nicht nur als konstitutiv für die operative Ebene anzunehmen, sondern diese systematisch für die eigene Logik des Gelingens zu beanspruchen, setzt die Bereitschaft der Beteiligten voraus, sich produktiv mit Meinungsverschiedenheit auseinanderzusetzen. Es bedarf Mary Parker Follett zufolge eines »Sinn[s] für gemeinsame Verantwortung.«40 Neben aller Konflikthaftigkeit

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Zur Dysfunktionalität von Latenzzonen für Organisationen am Beispiel der organisationalen Selbstbeschreibung als Familie siehe Peter Fuchs, Organisation und Communio – Zur Crux der Selbstbeschreibung von Organisationen als Familien, in: Olaf Geramanis, Kristina Hermann (Hg.), Organisation und Intimität. Der Umgang mit Nähe im organisationalen Alltag – zwischen Vertrauensbildung und Manipulation, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag 2014, S. 11-24. Der dritte Weg wird dafür in Anspruch genommen, Differenz produktiv zu wenden und die Lösung von Konflikten nicht als Beseitigung von Unterschieden zu verstehen, die für Follett zentrales Merkmal (gesellschaftlichen) Lebens sind. Sie schreibt dazu: »What people often mean by getting rid of conflict is getting rid of diversity, and it is of the utmost importance that these should not be considered the same. We may wish to abolish conflict but we cannot get rid of diversity. We must face life as it is and understand that diversity is its most essential feature.« Siehe Mary Parker Follett, Creative Experience, S. 300f. Siehe Mary Parker Follett, Koordinierung, in: Kurt Pentzlin (Hg.), Meister der Rationalisierung, Düsseldorf und Wien: Econ-Verlag GmbH 1963, S. 342-353, hier S. 346. Um die Notwendigkeit von Transparenz im Rahmen der Konfliktbearbeitung zu betonen, schreibt Follett: »The first rule, for obtaining Integration is to put your cards on the table, face the real issue, uncover the conflict, bring the whole thing into the open.« Siehe Mary Parker Follett, Constructive Conflict, S. 38. Siehe hierzu Mary Parker Follett, Koordinierung, S. 346. Ebd.

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braucht die Organisation Folletts eine Art Konsens, braucht das Mitspielen der Beteiligten, die gemeinsam für das Erreichen von Zielstellungen eintreten und im Zuge dessen Verantwortung, nicht nur für sich, sondern auch für alle anderen Beteiligten übernehmen. Die Organisation wird damit als eine Art der Gesinnungsstätte konzeptualisiert.41 An Stellen wie diesen wird das Verhältnis von Theorie und Intervention zum Vexierbild, indem der Rahmen einer operativ angelegten Theorie zugunsten normativer Setzungen verlassen wird, da direkt an die Beteiligten appelliert wird.42 Auf interaktionsbasierte Kommunikation und damit auf (Aus-)Sprache zu setzen, ist aufgrund deren inhärenter Vagheit jedoch alles andere als ein Automatismus im Hinblick auf gelingende Verständigung. Vielmehr ist das Verhältnis von Theorie und Praxis regelmäßig nicht widerspruchsfrei. Beide Aspekte gleichbleibend zu integrieren, stellt sich, in Hinblick auf den praktischen Hintergrunds Folletts und den damit verbundenen enthusiastischen Gestaltungsoptimismus, deshalb erneut als klassisches pädagogisches Begründungsdilemma heraus. Denn wollen kann man den auf dem dialogischen Prinzip der Integration beruhenden dritten Weg, aber beliebig einschlagen kann man ihn nicht. Den Verantwortungssinn der Beteiligten zu adressieren, ist die Folge eines pädagogischen Technologiedefizits.43 Produktive Konfliktlösungen können ebenso wie die Aneignung von Lerngegenständen nicht einfach im Sinne einer Herstellungsleistung verordnet werden. Gerade weil sich keine Möglichkeiten der Durchgriffskausalität bieten, ist wesentlicher Bestandteil pädagogischer Interaktionen, die Verantwortung für das, was man nicht verantworten kann, an die beteiligten Subjekte zu delegieren.44 Für

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Die gemeinsame Zielverfolgung steht entsprechend vor hierarchisch bedingten Konstellationen. Follett schreibt: »Leader and Followers are both following the invisible leader – the common purpose.« Siehe Mary Parker Follett, Freedom & Co-ordination. Lectures in Business Organization, New York und London: Garland Publishing, Inc. 1987, S. 55. Das Kippen des Verhältnisses von Theorie und Praxis interpretiert John Sheldrake als ein zentrales Manko der Überlegungen Mary Parker Folletts. Zwar betont er die Vielzahl ihrer im zeitlichen Kontext ungewöhnlichen Ideen, doch kritisiert er zugleich, dass trotz diverser anekdotenhafter Beispiele keine endgültigen Beweise für ihre Thesen angeführt werden. Falls Sheldrake mit seiner Kritik jedoch auf mangelnde Evidenzbasierung hinweisen möchte, muss angemerkt werden, dass diese vor dem Hintergrund der Verwendung eines axiomatischen Nichtwissens zwangsläufig ausbleiben muss. Zu kritisieren bleibt aber dennoch der Ebenenwechsel zwischen Beobachtung und Intervention, da Prinzipien autologischer Selbststeuerung mit Gestaltungsansprüchen zusammengebracht werden. Sheldrake markiert indes in der Betonung des Risikos der Überhöhung von Kollektivmodellen noch einen weiteren Kritikpunkt, der im Hinblick auf die Ambitionen Folletts, einen Beitrag zur Demokratie leisten zu wollen, sicher seine Berechtigung hat. Siehe hierzu John Sheldrake, Management Theory. From Taylorism to Japanization, London und Boston: International Thomson Business Press 1996, hier S. 78. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Karl Eberhard Schorr, Das Technologiedefizit der Erziehung und die Pädagogik, in: dies. (Hg.), Zwischen Technologie und Selbstreferenz. Fragen an die Pädagogik, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1982, S. 11-40. Für die These, dass sich pädagogische Professionalität vor allem auch darauf stützt, die Verantwortung für das stattfindende Lerngeschehen an die Adressaten pädagogischer Kommunikation zu überantworten und die damit verbundenen Annahme, dass diese Form der Verantwortungsdistribution die Praxis der Pädagogik grundsätzlich von der klassischer Professionen unterscheidet, siehe Sebastian Manhart, Reflexive Verantwortung. Organisationspädagogische Praxis als Verantwortungsdistribution, Unveröffentlichtes Manuskript, Trier 2018.

7. Die Rechaotisierung der Organisation

das, was man selbst nicht zielgenau ansteuern kann, überträgt man die Verantwortung den Beteiligten, die sich Erfolg wie Misserfolg selbst zuzurechnen haben.45 Auf multiperspektivische Settings und die damit verbundene Unvorhersehbarkeit sozialer Interaktion zu setzen, steht für die Einbringung des Zufalls in die Organisation. Das durch partizipative Elemente in Richtung Kontingenzkontrolle aufgelockerte Dogma managerialer Kontingenznegation wird, durch die notwendige Aufgabe von Steuerungsambitionen und dem Verschieben von Verantwortung, im Ergebnis zu einem Modus organisationaler Kontingenzproduktion. Denn das Prinzip kommunikativer Aushandlung fußt genau genommen auf einer Form begründeter Hoffnung, die aus Perspektive der Organisation auf die Paradoxie der Erwartung des nicht Erwartbaren hinausläuft. Für die Gestaltung von Organisationsstrukturen ist dies bemerkenswert. Kam es bei ihren zeitgenössischen Mitstreitern in der Geburtsstunde des modernen Managements noch darauf an, auf die Störanfälligkeit sprachförmiger Kommunikation verzichten zu können, setzt Follett durch die Notwendigkeit von Aushandlungsprozessen unweigerlich auf Sprache und das Prinzip des Dialogs. Noch einmal anders formuliert, wird der Anspruch, dass Organisation gerade darin besteht, nicht sprechen zu müssen, sondern sich wesentlich auf personenunabhängige Notationssysteme zu stützen, durch das Prinzip der Sprache ersetzt. Auf diese Weise ergänzen sprachbasierte Settings der Multiperspektivität die strukturbedingte Vorwegnahme der organisationalen Zukunft, um neue Möglichkeiten generieren zu können. Produktive Ideen, positive Überraschungen oder kreative Lösungsansätze können aber nur entstehen, wenn dafür Möglichkeitsräume zur Verfügung stehen und die Zukunft nicht bereits verregelt vorweggenommen ist. Der Überraschungswert des Sozialen impliziert eine Negation des Vertrauten und zwar dahingehend, dass Routinen irritiert und bestehende Verhältnisse in Frage gestellt werden können. Aus dieser Perspektive löst Partizipationsorientierung mehr als ein Inszenierungsproblem und zwar in der Hinsicht, dass die Organisation als Strukturzusammenhang zunächst sprach- und ideenlos ist und im Hinblick auf die im Ungewissen liegende Zukunft nicht automatisch – im Sinne verregelter Verfahrensordnungen – auf erhellende Impulse, alternative Bewältigungsstrategien oder Konfliktlösungen in Form des dritten Wegs zurückgreifen kann. Während Organisationen durch das Adressieren von Verhaltenserwartungen individuelle Unterschiede nivellieren und damit Ungleiches gleich machen, setzt Follett bewusst auf die Produktivität von Differenz. Die Rechaotisierung der Organisation profitiert gerade darin von der Verschiedenheit der beteiligten Subjekte, dass sie systematisch auf die Emergenz sozialer Formbildungen

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So sollen etwa die Teilnehmenden an Prüfungssituationen selbst die Verantwortung für ihre Ergebnisse übernehmen, unabhängig davon, ob sie erfolgreich oder weniger erfolgreich sind. Im Hinblick auf diese für pädagogische Verhältnisse typische Form der Überantwortung von Verantwortung ist bemerkenswert, dass Follett ihr eigenes Verständnis von Führung und Management als explizit pädagogisch fasst. Sie schreibt: »If we are coming to think that the leader is not the boss, but the educator, that seems to me an indication that business thinking is taking a long step forward.« Siehe Mary Parker Follett, Leader and Expert, in: Henry C. Metcalf, Lyndall Urwick (Hg.), Dynamic Administration. The Collected Papers of Mary Parker Follett, New York und London: Harper & Brothers Publishers 1940, S. 247-269, hier S. 267.

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Die nächste Organisation

setzt, um einen Bereich jenseits von Planung und Ordnung systematisch zu erschließen. Management ist für Mary Parker Follett weniger ein planmäßiges Arrangieren von Unterscheidungen als vielmehr der Versuch, an Rahmenbedingungen dafür zu arbeiten, dass das eigenlogische Prozessieren von Unterscheidungen produktiv gewendet werden kann.

7.3

Die ganze Komplexität der Organisation

Die Rechaotisierung der Organisation und der damit verbundene gestalterische Anspruch an eine gelingende Zukunft erfordert durch Zufallsintegration und eigenlogische Kommunikationsdynamik ein Verständnis von Organisation und Management, das nicht auf einfache Kausalannahmen reduziert werden kann. Im Sinne komplexer Wechselseitigkeit entzieht sich die Organisation der Möglichkeit, dass sie ohne Weiteres in gewünschter Richtung verändert werden könnte. Die Wandlungsfähigkeit einer jeden Organisation beruht auf einer Paradoxie. Keine Organisation kann alle guten Ideen, die sie für eine gelingende Zukunft braucht, beliebig aus dem eigenen Strukturgeflecht heraus entwickeln. Aber auch die Logik einer simplen Unterscheidung von Innen und Außen greift zu kurz. Die organisationale Umwelt und die Wahrnehmung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen sind Eigenkonstruktionen der Organisation, die aus den ausdifferenzierten Strukturen und den damit verbundenen Tätigkeitsbeschreibungen und Stellenprofilen resultieren. Vor dem Hintergrund dieser Tatsache müssen alle Ideen, Impulse und Lösungsansätze für die Zukunftsfähigkeit der Organisation von innen kommen, obwohl Strukturaufbau Vorwegnahme der Zukunft und Einschränkung von Möglichkeiten bedeutet. Ein teamgestütztes Abflachen von Hierarchie und die ursprüngliche Dichotomie der Organisation zu relativieren, stellt den Versuch dar, auf ein Modell interner Umwelt zu setzen, damit die Organisation sich selbst irritieren und mit den notwendigen Stimuli versorgen kann. Auf diese Weise soll die Organisation mit hinreichender Turbulenz konfrontiert werden, die zu produktiven Möglichkeiten umgearbeitet werden kann. Zukunftsoffene Settings der Multiperspektivität stehen für den Versuch, die Organisation nicht in einer strukturbedingten Vorwegnahme der Zukunft aufgehen zu lassen. Für ihr Verständnis von Organisation und die entsprechende Logik des Gelingens stellt nicht nur eine kontingenznegierende Form von Strukturbildungsprozessen für Mary Parker Follett keine Option dar, sondern auch das Setzen auf die Strahlkraft des Subjekts im Sinne eines managerialen Heroismus. Vielmehr stellt sich die Überhöhung von Personen in Organisationen als Kippfigur von Hoffnung und Ohnmacht heraus. Denn während Erwartungen geschürt werden, bleiben Gestaltungsmöglichkeiten durch die durch Gruppenprozesse bedingte Situationsdynamik limitiert. Als rhetorische Figur und planerische Annahme bleibt Durchgriffskausalität auf den Bereich eines empirisch unirritierbaren Optimismus beschränkt, der die Organisation entweder auf die Seite der Struktur engführt oder mit dem Verständnis eines hierarchiegestützten Subjekts operiert, das Kraft seiner Person das Notwendige durchzusetzen weiß. Organisationsinterne Individualität als Lösung zu verstehen, meint für Mary Parker Follett eine andere Form der Personenorientierung und an dieser Stelle zeigt sich noch einmal der

7. Die Rechaotisierung der Organisation

pädagogische Charakter der follettschen Überlegungen. Ihre Idee von Management und der dazugehörigen Logik des Gelingens fußt auf der Annahme, dass das Geschick des Managements weniger Gabe oder natürliches Vermögen ist, sondern vielmehr auf Basis zunehmender Systematisierung und Verwissenschaftlichung didaktisch aufbereitet und damit curricular abgebildet werden kann.46 Die wissenschaftliche Untersuchung der Gestaltung von Organisationsstrukturen führt Follett zufolge dazu, dass Management zu einem Lerngegenstand ausgebildet wird. Die Annahme, dass die Grundsätze des Managements prinzipiell erlernt und damit zum Gegenstand von Ausbildungsprozessen werden können, ist auch als Abkehr vom Prinzip der Personenabhängigkeit zu verstehen. Für Follett ist »das Bild des Herrenmenschen«, im Rückgang befindlich, »der alles durch bloße Stärke seiner Persönlichkeit erreicht.«47 Die mit dieser Vorstellung implizierte Überhöhung des Personenkonzepts bedeutet für sie vor dem Hintergrund des Stellenwertes, den sie Gruppenprozessen beimisst, nicht zuletzt ein grundlegendes Missverständnis des Prinzips der Organisation. Das »Bild vom Boß im Drehstuhl« auf der einen Seite und einem »zitternden Untergegebenen« auf der anderen Seite, deren Verhältnis ausschließlich durch das Prinzip des Gehorsams bestimmt ist, läuft auf ein Steuerungsverständnis hinaus, bei dem »das »massive Gehirn im Drehstuhl […] den lieben langen Tag sein spezielles Wissen an seine Gefolgschaft aus[teilt].«48 Follett aber wendet sich explizit gegen eine Kombination von Personenabhängigkeit und Zentralisierung, die auf die paradoxe Anforderung an die Spitze der Organisation hinausläuft, dass, aufgrund der informationsverarbeitenden Kapazität an der Basis, die entscheidungsnotwendigen Informationen an der Spitze gar nicht zur Verfügung stehen können. Außerdem ist die Vorstellung eines hierarchiegestützten managerialen Heroismus für Follett, nicht zuletzt im Hinblick auf das betriebliche Miteinander, kontraproduktiv. Direktive Handlungsanweisungen produzieren im Ergebnis ein binäres Gefüge, das sich aus den Möglichkeiten von Annahme und Ablehnung zusammensetzt, bei dem ein dritter Weg allerdings nicht vorgesehen ist. Um der Logik hierarchischer Steuerung zu entgehen, setzt Mary Parker Follett auf ein eigenes Verständnis von Macht. An die Stelle von power-over tritt eine Vorstellung von power-with, die sich aus der Bündelung von Interessen und der Produktivität von Kooperation speist.49 Führungsverantwortung zu übernehmen, heißt für Follett, im Sinne der

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Zwar präsentiert Mary Parker Follett als Mitglied der Taylor Society ihre Ideen im Kontext des Scientific Management, dennoch muss auf die grundsätzlich andere Auffassung von Wissenschaftlichkeit verwiesen werden. Für Follett ist weniger der Anspruch der Objektivierung entscheidend, um Verhaltensvorgaben präziser ausgestalten zu können, als vielmehr der Anspruch, Management in all seinen Facetten wissenschaftlich zu untersuchen und damit auf neue Grundlagen stellen zu können. Siehe hierzu Mary Parker Follett, Management als ein geistiger Beruf, in: Kurt Pentzlin (Hg.), Meister der Rationalisierung, Düsseldorf und Wien: Econ-Verlag GmbH 1963, S. 316-329, hier S. 323. Ebd., S. 318. Ebd., S. 318f. An dieser Stelle zeigt sich noch einmal, wie eng das follettsche Organisationsverständnis mit ihren Vorstellung der Gestaltung einer auf Partizipationsprozessen fundierenden Demokratie verknüpft ist. Siehe hierzu Mary Parker Follett, Creative Experience, S. 224f.

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Die nächste Organisation

Gruppe zu agieren und deren kollektiven Willen als Ergebnis eines dynamischen Prozesses zu unterstützen.50 Damit werden Motivationsfähigkeit und die Förderung von Talenten zu zentralen Zielgrößen,51 wenn Instruktion und Strukturvorgaben durch die Vielgestaltigkeit von Teams zurücktreten. Dem Management weist Follett eine »schöpferische Rolle« zu,52 die, in der Begleitung, Unterstützung und Moderation der jeweiligen Teams und ihrer gemeinsamen Arbeit, über Planung und Kontrolle der Exekution organisationaler Verhaltensvorgaben weit hinausreicht.53 Es geht für Follett in Organisationen nicht um das Verhältnis von Über- und Unterordnung, sondern um eine gemeinsame Form der Zielerreichung,54 die darauf beruht, die Beteiligten durch das Ausdrücken von Wertschätzung zu stärken.55 Eine besondere Fähigkeit besteht für sie darin, die Erfahrung und Stärken der einzelnen Beteiligten im Interesse aller zu nutzen.56 Auch Management und Führung57 werden auf diese Weise gegen eine Überhöhung der

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Führung wird Follett zufolge im Wissen um die soziale Dimension der Organisation damit mehr Begleitung als Instruktion. Sie schreibt: »It is thus that the collective will is evolved from out the chaos of varied personality and complex circumstance. The skilful leader then does not rely on personal force; he controls his group not by dominating but by expressing it. He stimulates what is best in us; he unifies and concentrates what we feel only groupingly and scatteringly, but he never gets away from the current of which we and he are both an integral part.« Siehe Mary Parker Follett, The New State. Group Organization the Solution of Popular Government, S. 230. Durch ihre Betonung von Soft Skills war Follett maßgeblich an der Verschiebung des managerialen Paradigmas des Scientific Management in Richtung Human-Relations-Bewegung beteiligt. Siehe hierzu auch Birgit Althans, Das maskierte Begehren. Frauen zwischen Sozialarbeit und Management, Frankfurt a.M. und New York: Campus Verlag 2007, S. 230. Siehe hierzu Mary Parker Follett, Die wesentlichsten Führungseigenschaften, in: Kurt Pentzlin (Hg.), Meister der Rationalisierung, Düsseldorf und Wien: Econ-Verlag GmbH 1963, S. 329-341, hier S. 341. Dementsprechend geht es für sie nicht um die Kontrolle der Beteiligten, sondern um die Kontrolle der Situation: »And that is always our problem, not how to get control of people, but how all together we can get control of a situation. Siehe Mary Parker Follett, Freedom & Co-ordination. Lectures in Business Organization, S. 24. Im Hinblick auf das teamgestützte Abflachen von Hierarchien und das daraus resultierende Führungsverständnis schreibt Follett: »The best leader does not ask people to serve him, but the common end. The best leader has not followers, but men and women working with him.« Siehe Mary Parker Follett, Leader and Expert, S. 262. Follett zufolge ist weniger wichtig stark zu sein, als vielmehr sich stark zu fühlen: »The person who influences me most is not he who does great deeds but he who makes me feel I can do great deeds. Many people tell me what I ought do und just how I ought to do it, but few have made me want to do something.« Siehe Mary Parker Follett, The New State. Group Organization the Solution of Popular Government, S. 230. In diesem Sinne wird die Idee der Integration maßgeblich für das follettsche Verständnis erfolgreicher Führung: »The great leader is who is able to integrate the experience of all and use it for a common purpose. All the ramifications of organization are the ways he does this; they are not set up to provide a machinery of following.« Siehe Mary Parker Follett, Leader and Expert, S. 268. Führung und Management werden hier – trotz ihrer unterschiedlichen Begriffsgeschichte – synonym verwendet. Auch Mary Parker Follett verwendet die Begriffe nicht einheitlich, sondern spricht im Hinblick auf die Beteiligten neben Managern und Leadern auch von Executives. Kurt Pentzlin zufolge hegte Follett gegenüber dem Begriff des Managements Aversionen – womöglich aufgrund dessen Strukturbezogenheit. Siehe hierzu die Anmerkungen des Herausgebers zu Mary Parker Follett, Koordinierung, S. 352f.

7. Die Rechaotisierung der Organisation

beteiligten Subjekte imprägniert und konsequent als Gruppenprozesse modelliert.58 Damit wendet sich Follett explizit gegen das zeitgenössische Credo eines strukturaffinen Managements und plädiert stattdessen für eine Sichtweise auf Organisation, die die Dimension des Sozialen in den Vordergrund rückt.59 Dass die soziale Dimension in Organisationen mitunter nicht im Vordergrund steht, leitet sich aus der sachneutralen Funktion der Parallelisierung aufeinander abgestimmter Abläufe ab. Von dieser Warte aus besteht das Leistungspotential von Organisationen darin, Arbeitsschritte in ihre Einzelteile zu zerlegen und anstelle des Prinzips der Sequenz auf die Gleichzeitigkeit von Abläufen zu setzen. Doch dieses Nebeneinander – anstelle eines Miteinanders – passt nicht zu den Vorstellungen gelingender Organisation im Sinne Mary Parker Folletts. Was ihr vorschwebt, ist eine soziale Codierung des sachlich-neutralen organisationalen Strukturgeflechts. Der vielversprechendste Weg vom »System der Unterordnung abzuweichen«, ist für sie ein »unmittelbarer Kontakt zwischen den jeweils Verantwortlichen.«60 Auf diese Weise verspricht sie sich, das Risiko von Missverständnissen zu reduzieren und Probleme dialogisch und instantan bearbeiten zu können, ohne diese über umwegige Kommunikationsstrukturen an Entscheidungsträger im Verständnis eines traditionellen Liniensystems zu überantworten. Um keine unnötige Zeit zu verlieren, die durch Verfahrensordnungen gebunden wird, setzt sie auf einen Modus der Problembearbeitung in Echtzeit. An die Stelle einer vertikalen Ordnungsstruktur soll ein »horizontales System« treten, in dem »Gleichgestellte [konferieren].«61 Die soziale Codierung der organisationalen Regelordnung entspricht dem Versuch, ein »System für Querfunktionen« zu etablieren, das über die notwendigen Kontaktstellen alle Bereiche der Organisation miteinander verzahnt. Diese Querkontakte sollen durch Möglichkeiten der »wechselseitigen Modifizierung«62 von Abläufen oder Lösungsideen ein neues Maß organisationaler Flexibilität gewährleisten. Koordinierung meint für Follett nicht nur, dass die einzelnen Handlungsschritte aufeinander abgestimmt und auf einen gemeinsamen Fixpunkt ausgerichtet sind, sondern adressiert als Begriff die Verbindung der Einzelteile, die nicht auf die Logik eines Organigramms reduziert werden kann. Die Ressourcen für die neu zu gewinnende Form der Beweglichkeit der Organisation sind »Gespräch« und »unmittelbare Kontakte.«63

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Siehe hierzu auch Diane L. Ferry, Dynamic Administration; The Collected Works of Mary Parker Follett, S. 451-454. Damit nimmt Follett bereits in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wesentliche Einsichten der Human-Relations-Schule vorweg, denn der zitierte Aufsatz stammt aus dem Jahr 1927. So schreibt sie im Hinblick auf den Stellenwert von Beziehungen: »But since business management to-day depends so largely on organized control, the leader’s part in that intricate system of human relationships which business has now become.« Siehe Mary Parker Follett, Leader and Expert, S. 269. Siehe Mary Parker Follett, Koordinierung, S. 342f. Ebd., S. 345. Ebd., S. 351. Ebd.

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In diesem Sinne setzt Follett konsequent auf das Prinzip sprachbasierter Aushandlung und damit auf die Risiken, die sprachförmiger Kommunikation immanent sind.64 Doch ohne das für Organisationen vermeintlich dysfunktionale Potential von Missverständnissen, Meinungsverschiedenheiten oder Streitigkeiten zu fürchten, sieht sie in deren Überkommen eine Form synergetischer Produktivität, die die Organisation mit den für ihre Zukunftsfähigkeit notwendigen Impulsen versorgen kann. Lange vor der Konjunktur von Teams, flachen Hierarchien und den Prinzipien agiler Organisation65 impliziert die follettsche Logik des Gelingens auf Basis der Rechaotisierung der Organisation nicht nur ein Verständnis von Management, das sich von den zeitgenössischen Pionieren der Managementlehre hinreichend abhebt, sondern auch ein anderes Verständnis von Organisation. Für Follett ist entscheidend, dass die Einzelbestandteile der Organisation nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können. Vielmehr zielt Organisation darauf, die Einzelteile durch das System von Querverbindungen so miteinander zu verbinden, dass sich diese »in eng verwobenen und aneinander angepassten Tätigkeiten gemeinsam bewegen; so verkettet und verbunden sind und so ineinander greifen; daß sie eine arbeitende Einheit bilden.«66 Diese Vorstellung von Organisation setzt nicht nur eine Sensibilität für die »Zwischenbeziehung aller Teile« und die daraus abgeleitete Vorstellung voraus, Situationen notwendigerweise ganzheitlich in den Blick nehmen zu müssen. Sie steht auch dafür, dass Organisation nicht auf die Vorwegnahme von Zukunft zu reduzieren ist. Für Follett ist »vorwegnehmen mehr als vorausschätzen, voraussehen und voraussagen. Es bedeutet weit mehr, als mit der nächsten Situation fertigzuwerden – es bedeutet die nächste Situation zu schaffen.«67 Das Prinzip der Organisation impliziert für sie eine fortlaufende Herstellung von Gelegenheiten: die Produktion und Umarbeitung von Kontingenz in eine gelingende Zukunft. In diesem Sinne ist es nur konsequent, dass ihr Organisationsverständnis keinem Einheitsmodell entspricht, sondern sie nachdrücklich für eine prozessuale Sichtweise plädiert,68 die dazu führt, die

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Dabei ist die Störanfälligkeit von Sprache durch die lediglich lose Kopplung der Einzelelemente die Voraussetzung dafür, Sprache ein produktives Potential zu attestieren. Denn im Gegensatz zur Nicht-Kontingenz rechenmäßiger Verknüpfung impliziert die Verwendung von Sprache die Existenz von Unbestimmtheitsspielräumen. Gerade weil die Anschlussbildung sprachlicher Kommunikation aufgrund der inhärenten Vagheit von Sprache nicht ausbestimmt ist, lässt sich Sprache als Modus der Zukunftsoffenheit verstehen. Zur These, Vagheit nicht als Hindernis für Kommunikation, sondern als maßgeblichen Mechanismus ihrer Beförderung zu verstehen, siehe Nora Kluck, Der Wert der Vagheit, Berlin und Boston: Walter de Gruyter GmbH 2014. Für einen Überblick des aktuellen Konjunkturverlaufs der Managementlehre mit Präfixen und Schlagworten wie agil, lean, project und weiteren siehe Sven Grote, Rüdiger Goyk (Hg.), Führungsinstrumente aus dem Silicon Valley. Konzepte und Kompetenzen, Berlin: Springer Gabler Verlag GmbH 2018. Siehe Mary Parker Follett, Koordinierung, S. 342. Siehe hierzu Mary Parker Follett, Die wesentlichsten Führungseigenschaften, S. 334f. Dabei sollen Planungsvorstellungen zugunsten der tatsächlichen Abläufe in den Hintergrund treten. Follett schreibt: »We have to come process-conscious. I believe that is the first essential to the understanding of business organization.« Siehe Mary Parker Follett, The Psychology of Control, in: Henry C. Metcalf, Lyndall Urwick (Hg.), Dynamic Administration. The Collected Papers of Mary Parker Follett, New York und London: Harper & Brothers Publishers 1940, S. 183-209, hier S. 195.

7. Die Rechaotisierung der Organisation

Organisation als Ort der permanenten Aushandlung zu verstehen.69 Die konstitutiven Aushandlungsprozesse sind nicht im einfachen Sinne steuerbar, sondern beruhen auf einem Prinzip der Selbststeuerung.70 Die sich selbst schaffende Kohärenz des Zusammenwirkens der Bestandteile der Organisation impliziert nicht nur die Relevanz sämtlicher organisationaler Einzelelemente, sondern notwendigerweise auch eine ganzheitliche Vorstellung von Organisation.71 Die follettsche Sichtweise auf Organisation entspricht der Perspektive auf ein Ganzes, das zwar auf den in ihm wirkenden Elementen basiert, aber dadurch gleichzeitig zu etwas qualitativ Anderem emergiert.72 Doch aufgrund der Tatsache, dass der Begriff der Emergenz auf eine andere Form der Ordnungsbildung abstellt, impliziert er für das Prinzip der Organisation ein Momentum des Nichtsteuerbaren. Die Annahme, dass alles mit allem zusammenhängt, bedingt nicht nur ein besonderes Organisationsverständnis, sondern erfordert für deren Management ein neues Maß an Bescheidenheit. Denn durch den konstitutiven Modus komplexer Wechselseitigkeit sind die einzeln wirksamen Kausalitäten nicht voneinander zu trennen. Eine Veränderung an einer Stelle zieht durch Rückkopplungsprozesse unweigerlich Effekte an anderen Stellen nach sich, die nicht auf eine Ursache zurückgerechnet werden können. Das Gesamtgefüge der Organisation ist zwar in sich ausbalanciert, woran das jedoch liegt, entzieht sich den Möglichkeiten einfacher Beobachtung und Zurechnung. Auf diese Weise wird die klassische Figur der Rationalität relativiert und auf die Zuhilfenahme anderer Unterscheidungen nebst dem Arrangieren von Mitteln und Zwecken verwiesen.73 Das Unterscheiden von Mitteln und Zwecken reicht für das Verständ-

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Letztlich würde Einheit Stillstand und Absenz jeglicher Dynamik bedeuten. Siehe hierzu Mary Parker Follett, Koordinierung, S. 352. In diesem Sinne versucht Follett ihre Überlegungen zu pointieren: »We see that functional relating has always a value beyond the mere addition of the parts. A genuine interweaving or interpenetrating by changing both sides creates new situations. Recall what the president of the factory said in regard to the co-ordinating of his departments – that a genuine co-cordinating changed to some extent the two parts co-ordinated. Functional relating is the continuing process of self-creating coherence [H.i.O.]. Most of my philosophy is contained in that sentence.« Siehe Mary Parker Follett, The Psychology of Control, S. 200. Für Pauline Graham ist Mary Parker Follett deshalb »the systemic thinker par excellence«, indem sie Organisationsdynamik konsequent aus der Wechselseitigkeit aller Elemente ableitet und damit darauf aufmerksam macht, dass prinzipiell keine Veränderung ohne Effekt bleibt. Siehe hierzu Pauline Graham, Mary Parker Follett (1868-1933): A Pioneering Life, in: dies. (Hg.), Mary Parker Follett – Prophet of Management. A Celebration of Writings from the 1920s, Boston, Massachusetts: Harvard Business School Press 1995, S. 11-32, hier S. 30. Auch Ralf Wetzel und Jens Aderhold sehen Mary Parker Follett deshalb als Wegbereiterin einer systemischen Denkweise, die sich in der Beschäftigung mit Organisationen auf den verschiedenen Ebenen von Theorie und Praxis inzwischen etabliert hat. Siehe hierzu Ralf Wetzel, Jens Aderhold, Klassiker der Organisationsforschung: Zappen durch 100 Jahre organisationstheoretisches Denken von Weber bis Weick, in: Rudolf Wimmer, Jens O. Meissner, Patricia Wolf (Hg.), Praktische Organisationswissenschaft. Lehrbuch für Studium und Beruf, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag GmbH 2009, S. 58-79, hier S. 69. Zum Begriff der Zweckrationalität als Folge der Unterscheidung von Mitteln und Zwecken siehe Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung. 2. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006, S. 447.

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Die nächste Organisation

nis des Organisationsmechanismus nicht mehr aus, sobald man den Begriff der Organisation mit Komplexitätsannahmen verknüpft. Die Artikulation von Veränderungsansprüchen drückt sich zwangsläufig in einer bescheideneren Form aus, die auf Steuerungssannahmen im Sinne linearer Kausalität verzichten muss. Vor dem Hintergrund von Zirkularität, Emergenz- und Evolutionsannahmen heißt Management vor allen Dingen, dem Zufall in Organisationen eine Chance geben zu müssen. Die Überlegungen Mary Parker Folletts stehen dafür, die Wechselseitigkeit des organisationalen Duals von Struktur und Subjekt reflektiert zu haben und die subjektiv bedingte soziale Dimension der Organisation als Emergenzphänomen produktiv wenden zu wollen. So zielt die Rechaotisierung der Organisation nicht nur auf die Konsequenz aus den Grenzen der Steuerbarkeit, sie zielt darauf, Imperfektibilität nicht als Manko, sondern als zentrale Gelingensbedingung der Organisation zu verstehen, durch die ein limitierender Zukunftsdeterminismus ausgeschlossen werden kann. Diese Art und Weise der reflexiven Handhabung von möglicher Einflussnahme, unplanmäßigen Effekten und dem Prinzip eigenlogischer Selbststeuerung machen die Überlegungen Mary Parker Folletts zu einer pädagogischen Theorie des Managements, die die Unberechenbarkeit des Subjekts, den indifferenten Charakter organisationaler Strukturbildung und die Dimension des Sozialen verbindet.

7.4

Kompositum

Organisationen realisieren ihre Operationen als Dual von Struktur und Subjekt. Dieser Umstand eröffnet mindestens drei Optionen für die Gestaltung von Organisationen: das Disponieren über Möglichkeiten durch die strukturelle Regelung von Abläufen, die Auseinandersetzung mit den beteiligten Subjekten, etwa durch die Integration partizipativer Elemente, sowie die Fruchtbarmachung der subjektbedingten sozialen Dimension der Organisation.74 Schon mit dem Entstehen der modernen Managementlehre finden sich für diese drei Gestaltungsoptionen entsprechende Programme ausgearbeitet. Dabei liegen den unterschiedlichen Gestaltungsstrategien verschiedene Theoriemodelle von Organisation zugrunde, aus denen sich die jeweiligen Ideen ableiten. Eine strikte Trennung von Organisationstheorie und Managementlehre existiert nicht. Auch im Hinblick auf die sich anschließende Ausdifferenzierung der Organisationstheorie75 nehmen die verschiedenen Ansätze zentrale Annahmen vorweg. So findet sich etwa die regelmäßig mit den Hawthorne-Experimenten und dem Entstehen der Human-Relations-Schule verknüpfte Unterscheidung von Formalität und Informalität in der Geburtsstunde des Managements reflexiv gehandhabt und in die einzelnen Überlegungen eingewoben. Ein Nachahmungseffekt der Praxis gegenüber

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Dass die einzelnen Gestaltungsoptionen nicht wechselseitig exklusiv verstanden werden müssen und die Praxis in der Regel auf Mischformen gründet, bedarf hier keiner gesonderten Erklärung mehr. Siehe hierzu ausführlich Giuseppe Bonazzi, Geschichte des organisatorischen Denkens. Herausgegeben von Veronika Tacke, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008.

7. Die Rechaotisierung der Organisation

vorgängiger Theoriebildung kann nicht angenommen werden. Der Anspruch Mary Parker Folletts, Organisationen als Ganzheiten in den Blick zu nehmen, fasst den Begriff der Organisation bereits als Einheit der Unterscheidung von Formalität und Informalität. Denn die zuvor systematisch ausgeblendete Funktionalität von subjektiven Idiosynkrasien und Abweichungen, von Handlungsspielräumen und Kontrollnischen und damit auch von organisationseigener Dynamik, wird nicht nur registriert oder methodisch eingehegt, sondern zu einem zentralen Merkmal der Organisation. Die Verschiedenheit der beteiligten Subjekte und die daraus resultierende organisationsinterne Differenz gewährleistet eine strukturierte Unstrukturiertheit von Erwartungsräumen, denen ein produktives Potential zugeschrieben wird. Neue Ideen und Lösungsansätze werden nur auf Basis von Unterschieden entwickelt, die als Voraussetzung und Ergebnis eines Modus komplexer Wechselseitigkeit angenommen werden. Die zentrale Gestaltungsherausforderung der Organisation ist nicht länger die Unberechenbarkeit des Subjekts, die wahrscheinlich Geglaubtes ins Unwahrscheinliche zu kippen droht, als vielmehr der Umgang mit sozialer Komplexität, die aus der situationsdynamischen Eigenlogik von Interaktionen resultiert. So wie die wechselseitige Intransparenz von Bewusstseinsvorgängen Kommunikation erforderlich macht,76 so ist die Organisation Mary Parker Folletts auf Kommunikation und die damit verbundenen Prozesse der Aushandlung angewiesen. Den wechselseitigen Bezugnahmen im Rahmen von Gespräch und unmittelbarem Kontakt wird eine synergetische Produktivität zugeschrieben,77 die neue Unterschiede ausfällt, die die Basis des weiteren Prozessierens der Organisation bilden. Dass Follett auf Sprache und die damit verbundenen Möglichkeiten des Nichtverstehens, der Meinungsverschiedenheit und der intersubjektiv abweichenden Interpretation setzt, impliziert die systematische Einbringung des Zufalls in die Organisation. Statt für Kontingenznegation oder Kontingenzkontrolle steht die Überantwortung der Organisation an das Prinzip kommunikativer Aushandlung für ein Prinzip organisationaler Kontingenzproduktion. Auf diese Weise soll die Unsicherheit der Zukunft nicht in Strukturbildungsprozessen eingehegt und die Organisation Flexibilitätsspielräumen beraubt werden, sondern durch die Beanspruchung der Ergebnisoffenheit sprachförmiger Aushandlung die Katalyse neuer Möglichkeiten befördert werden. Die Fruchtbarmachung von Kontingenz bedeutet somit, dass die Offenheit von Zukunft zum Mittel der Organisation wird. Dieser sozialdynamische Ansatzpunkt unterscheidet das Organisations- und Managementverständnis Folletts maßgeblich von den Ansätzen ihrer Zeitgenossen und markiert den richtungsweisenden Charakter ihrer Überlegungen. Organisation und Zufallsabhängigkeit sind in der Geschichte von Organisationstheorie und Managementlehre zunächst keine eng verbundenen Weggefährten. Um den Zufall auszuschließen und sich nicht in der kontingenten Offenheit der Zukunft zu verlieren, ist kontrollierbare Schriftlichkeit idealtypisch das Prinzip der Bürokratie im Sinne Max 76 77

Siehe hierzu Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1990, S. 23f. Der direkte Kontakt stellt für Follett auch die direkte Voraussetzung für den Prozess der Selbststeuerung dar. Siehe hierzu Mary Parker Follett, The Process of Control, in: Luther Gulick, Lyndall Urwick (Hg.), Papiers on the Science of Administration, Concord und New Hampshire: The Rumford Press 1937, S. 161-169, hier S. 164.

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Die nächste Organisation

Webers. Um Abweichungsspielräume und Kontrolllücken zu schließen, setzt Frederick Taylor auf die Vermessung von Arbeitsvorgängen. Damit die beteiligten Subjekte nicht im Sinne irrational unberechenbarer Störgrößen relevant werden, beansprucht Erich Gutenberg, die Organisation als ausschließlich mathematischen Zusammenhang zu verstehen. Und die Bilddidaktik Frank Gilbreths stellt darauf ab, die Letzteinheiten der Organisation abzubilden, um unnötige und nicht zielgerichtete Bewegungen nicht zum Effizienzhindernis werden zu lassen. Im Hinblick auf die Strukturaffinität der Protagonisten der entstehenden Managementlehre und die damit verbundene zeitgenössische diskursive Stagnation durch die vorwiegende Bearbeitung der Strukturseite der Organisation entspricht die Sichtweise Mary Parker Folletts dagegen einer klassisch avantgardistischen Perspektive.78 Das Vertrauen in die eigenen Vorstellungen speist sich bei Follett nicht zuletzt aus dem Misstrauen gegenüber den im Kontext wissenschaftlicher Betriebsführung etablierten Sichtweisen und Diskurshoheiten. Auf diese Weise ergänzt die Rechaotisierung der Organisation die verschiedenen Ansätze der Verdatung der Organisation und die damit verbundene strikt koppelnde Eigenlogik informationsverarbeitender Verfahren. Subjektivität wird einerseits als wesentliches Element der organisationalen Dynamik verstanden und diese Dynamik resultiert andererseits aus der inhärenten Vagheit sprachlicher Kommunikation. Die Entstehung der Managementlehre steht für die Ausdifferenzierung eines organisationalen Formenvorrats, der unterschiedliche Möglichkeiten der Anschlussbildung bereithält. Aus den verschiedenen Möglichkeiten der organisationalen Strukturierung von Abläufen mittels Messung, Berechnung, Visualisierung und Rechaotisierung resultieren je eigene Formen der Konnektivität. Die Gewichtung der jeweiligen Tools der Strukturbildung und die damit verbundenen Anschlusslogiken definieren und prägen noch immer das Design organisationaler Welten, indem der polysemiotische Raum organisationaler Multimodalität durch die unterschiedliche Konnektivität numerischer, visueller und kommunikativer Eigenlogik gekennzeichnet ist. Ansätze organisationaler Strukturgestaltung wie die REFA-Methodenlehre, Lean Management oder Business Process Reengeneering, die Einführung von DIN-Normen oder Kennziffernorientierung sowie Praktiken des Benchmarking oder die Verwendung von Ablaufdiagrammen sind Beispiele für Derivate des organisationalen Formenvorrats, mit deren Hilfe die Zukunft der Organisation über die Seite der Struktur angesteuert werden soll. Nicht umsonst spielen hierbei klassische Rationalitätsvorstellungen und Annahmen der Steuerbarkeit eine zentrale Rolle. Gleichzeitig suchen Konzepte der Identifizierung oder der organisationalen Gravitation die beteiligten Subjekte direkt zu adressieren, während Ansätze der Partizipation auf die soziale Dimension der Organisation abstellen und damit auf eine Form der Möglichkeitssuche setzen, die nur kommunikativ funktioniert. Anstatt vergangene und zeitgenössische Managementkonzepte mithilfe der Unterscheidung von »Effizienz- und Humanisierungspostulaten«79 in den Blick 78

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Zum Begriff der Avantgarde als Form der Abgrenzung am Beispiel der Kunst siehe Niklas Luhmann, Die Behandlung von Irritationen: Abweichung oder Neuheit?, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Band 4, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1995, S. 55-100, hier S. 97f. Zum Spannungsfeld von Rationalitätsvorstellungen in Organisationstheorie und Managementlehre, ihrer Suspendierung und der Rekonstitution im Dienste zielgerichteter organisationaler

7. Die Rechaotisierung der Organisation

zu nehmen, können diese als Ableitungen und Referenzen ausdifferenzierter Strukturbildungsmechanismen verstanden werden, die arrangiert, adaptiert und rearrangiert werden. Auf diese Weise entzieht sich die Verlaufsgeschichte der Managementlehre und ihrer Zäsuren einer wahlweisen Einordnung als pro- oder degressiv, sondern lässt sich als Prozess fortlaufender Rekombination von Vorhandenem beobachten. Während sich die Grammatik der Retrospektion regelmäßig auf Distanzierung durch Kritik oder eine Idealisierung des Vergangenen stützt, bietet der analytische Blick auf den Formenvorrat organisationaler Strukturbildung die Möglichkeit, langlaufende Kontinuitätslinien in den Blick zu nehmen. Obwohl Messung, Berechnung, Visualisierung und Rechaotisierung als semiotische Techniken der Dynamisierung von Subjekten bereits in der Geburtsstunde der Managementlehre entwickelt und pädagogisch genutzt wurden, um organisationale Erwartungen und Verhaltensvorgaben artikulieren zu können, sind diese noch aktuell. Dies gilt auch für die entgegengesetzten Eigenlogiken kontingenznegierender und -produzierender Ausformungen organisationaler Strukturgestaltung. Gerade im Kontext der fortschreitenden digitalen Transformation stellt die rechenmäßige Absicherung von Strukturelementen nach wie vor eine zentrale Bezugsgröße dar. Im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung werden Messung, Berechnung und Visualisierung im Modus organisationaler Strukturautomation integriert, indem sich die zugrundeliegenden Rechenoperationen dem bewusstseinsmäßigen Mitvollzug entziehen, aber durch Formen der Visualisierung auf Displays und Interfaces anschaulich gemacht werden. Dies gilt etwa für den Fall, dass die Personalisierung durch Algorithmen ermöglicht, kundenspezifische Angebote zu machen, aber auch für Bonitätsprüfungen, die Auswertung von Röntgenbildern oder Blutbildern oder Formen digitalgestützter Personalentwicklung durch Praxen des E-Recruiting. Digitalisierung ist nicht zuletzt die Konsequenz der Semiotisierung der Organisation auf Basis von Messung, Berechnung und Visualisierung, die zu einer fortschreitenden Leistungsfähigkeit ihrer Strukturbildungsprozesse führt. Die Annahme einer nächsten Gesellschaft ist als Fortschreibung der Organisationsgesellschaft zu verstehen. Gerade Ausformungen organisationaler Strukturautomation auf Basis fest gekoppelter Abläufe, die eine Verschiebung des Duals von Aufgaben- und Personenorientierung in Richtung der Strukturseite bedingen, führen dazu, dass Personenorientierung zum Thema strukturbezogener Kommunikation wird. Die Unberechenbarkeit von Sozialität als Mittel der Organisation zu verstehen, den Wert organisationsinterner Subjektivität zu schätzen, auf organisationale Möglichkeitsräume und das Prinzip der Kommunikation zu setzen, kann daher als Komplementäreffekt organisationaler Strukturautomation verstanden werden. Noch hat sich die ursprüngliche Form der Organisation durchgesetzt, deren Tools der Strukturgestaltung bis in die Entstehung der Managementlehre zurückreichen und sich nun in Form einer aktualisierten, aber noch

Veränderungsprozesse für ausgewählte Beispiele siehe Stefan Kühl, »Der Wandel als das einzige Stabile in Organisationen«. Die Rationalität des Organisationswandels und ihre Grenzen, in: Thomas Edeling, Werner Jann, Dieter Wagner (Hg.), Reorganisationsstrategien in Wirtschaft und Verwaltung, Opladen: Leske + Budrich 2001, S. 73-90, hier S. 85.

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Die nächste Organisation

immer doppelten Realität der Organisation auf Basis verschiedener Formen der Anschlussbildung gegenüberstehen. Die Seite des Subjekts und die Dimension des Sozialen als wesentliche Momente der organisationalen Dynamik zu verstehen, ist eng mit den Ideen Mary Parker Folletts verknüpft, die das Prinzip der Rechaotisierung nicht zuletzt als Gegengewicht einer vorherrschenden Strukturaffinität konzipierte. Doch obwohl Mary Parker Follett durch eine Vielzahl von Gedanken ihrer Zeit enteilt war, war sie diskursiv doch eine zuweilen vergessene Autorin, die im Mainstream der Managementlehre nur unzureichend berücksichtigt wurde.80 Ihre Vorstellung, durch ein teamgestütztes Abflachen von Hierarchie die ursprüngliche Dichotomie der Organisation zu relativieren, die damit verbundene Relevanz von Gruppenprozessen, die als zukunftsoffene Settings der Multiperspektivität die strukturbedingte Vorwegnahme der Zukunft ergänzen, und die Produktivität von Konflikten wurden zunächst nicht ihrer Bedeutung gemäß rezipiert.81 Dies gilt auch für den Versuch, Formate für überbetrieblichen Erfahrungsaustausch zu entwerfen,82 womit Follett Überlegungen vorwegnahm, die im Kontext von Open Innovation Ansätzen inzwischen zum Standardrepertoire gehören, um durch Formen wechselseitiger Irritation die eigene Betriebsblindheit überwinden zu können.83 Ein wesentlicher Einflussfaktor der zuweilen mangelnden Rezeption mag der ungewöhnliche Anforderungsgrad ihrer Überlegungen gewesen sein.84 Denn der Anspruch, operative Theorie und praktische Managementlehre verknüpfen zu wollen, geht über die in ihrer Zeit etablierten Ansätze wie den praktischen Einsatz eines Methodensets oder das konsequente Ausblenden der Unterschiedlichkeit der beteiligten Subjekte hinaus. 80

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Zur Außergewöhnlichkeit und dem Konjunkturverlauf der Ideen Mary Parker Folletts zwischen Erinnern und Vergessen siehe Mary Ann Feldheim, Mary Parker Follett: Lost and Found – Again, and Again, and Again, in: Thomas D. Lynch, Peter L. Cruise (Hg.), Handbook of Organization Theory and Management. The Philosophical Approach. Second Edition, Boca Raton, London und New York: Taylor & Francis Group 2006, S. 417-436. So stellt etwa Emil Walter-Busch die Frage, »welchen Erkenntnisfortschritt […] eigentlich neuere Theorien der Organisationsentwicklung oder neuste prozeßtheoretische Perspektiven über den schon von Follett erreichten Stand des Wissens hinaus erzielt [haben]« und sieht die zeitweilige Vergessenheit der Ideen Mary Parker Folletts als Ursache »weit verbreiteter ErkenntnisfortschrittsIllusionen [H.i.O.]«, die es nicht zuletzt durch deren Relektüre zu desillusionieren gelte. Siehe Emil Walter-Busch, Organisationstheorien von Weber bis Weick, Amsterdam: G + B Verlag Fakultät 1996, S. 155. Siehe hierzu Kurt Pentzlin, Mary Parker Follett. 1868-1933, S. 315. Eine solche Öffnung nach außen stellt allerdings nur einen von drei möglichen Open Innovation Ansätzen dar, die Henry Chesbrough und Marcel Bogers unterscheiden. Zehn Jahre nach der Erscheinung des gleichnamigen Titels verweisen die beiden auf Basis des Rezeption- und Forschungssstands zum Thema außerdem noch auf einen »Inside-Out type of open innovation«, der auf die externen Nutzung von Organisationseigenem zielt, sowie deren systematische Kombination. Siehe hierzu Henry Chesbrough, Marcel Bogers, Explicating Open Innovation. Clarifying an Emerging Paradigm for Understanding Innovation, in: Henry Chesbrough, Wim Vanhaverbeke, Joel West (Hg.), New Frontiers in Open Innovation, Oxford: Oxford University Press 2014, S. 3-28, hier S. 18ff. Zur These, dass mengenmäßige Rezeption regelmäßig mit schlagwortförmigen Schlüsselideen verknüpft ist und die Überlegungen Mary Parker Folletts als Zusammenschau verschiedener Ideen und Konzepte hingegen einen zu hohen Anforderungsgrad bergen, siehe Rosemary Stewart, Why the Neglect?, in: Organization, 3 (1996) 1, S. 175-179.

7. Die Rechaotisierung der Organisation

Die Ideen Mary Parker Folletts sind noch und bis dahin aktuell, solange Organisationen ihre Operationen als Dual von Struktur und Subjekt realisieren. Dies gilt vor allen Dingen vor dem Hintergrund fortschreitender digitaler Transformation und der damit verbundenen Aktualisierung organisationaler Binnendifferenzierung. Nicht nur der Weg in Richtung Gegenwart und Zukunft der Gestaltung von Organisationsstrukturen beginnt in der Vergangenheit, auch der Umbruch gesellschaftlicher Verhältnisse im Kontext der Digitalisierung ist untrennbar mit dem Mechanismus der Organisation verknüpft. Bevor die Konjunktur zeitgenössischer Managementansätze fokussiert wird, steht daher – analog zum Beginn der Ausführungen – der gesellschaftliche Kontext im Blickpunkt, um in einer kurzen Skizze einer Theorie der digitalen Moderne die Rahmenbedingungen zeitgenössischer Organisation abzubilden.

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8. Die digitale Organisation von Möglichkeiten

Im Zuge von Digitalisierung und digitaler Transformation ändern sich die Ausgestaltung von Organisationen und folglich gesellschaftliche Verhältnisse grundlegend. Damit soll nicht vorschnell der Verschwindensdiagnose einer vor-digitalen Eigentümlichkeit das Wort geredet werden. Dennoch sind die Auswirkungen der steigenden Leistungsfähigkeit von Computern und Algorithmen im Hinblick auf das organisationale Dual von Struktur und Subjekt nicht zu unterschätzen. Datenströme, die nicht an territorialen Grenzen oder den Grenzen von Organisationen haltmachen,1 sind wie nie zuvor wachstumsrelevant. Der klassische standortgebundene Handel gerät verstärkt unter Druck. Aber auch andere gesellschaftliche Teilbereiche wie Politik, Recht, Medizin oder Erziehung sind mit grundlegenden Änderungen konfrontiert, die Folge der Verfügbarkeit von Daten und Informationen sind.2 Daten und Informationen werden mehr und mehr zum Brenn- und Treibstoff der digitalen Moderne. Diesem Umstand zufolge erfreuen sich Digitalisierungsoffensiven in unterschiedlichen Kontexten einer großen Beliebtheit, für deren Begründung nicht weniger als die Frage der Gestaltung der Zukunft in Anspruch genommen wird. Die Begriffe Digitalisierung und digitale Transformation fungieren entsprechend in einer Vielzahl von unterschiedlichen Diskursen als semantische Attraktoren, die es vermögen, Aufmerksamkeit zu generieren und zu binden.3 Im Sinne des Prinzips der Aufmerksamkeitsökonomie kommt ihnen eine besondere Strahlkraft zu, die zuverlässig in der Lage ist, gesellschaftliches Geschehen in ein Beobachtungsschema von Verheißung und Bedrohung zu 1

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Zur Durchlässigkeit von Organisationsgrenzen im Hinblick auf die Nutzung sozialer Medien siehe Catherine J. Turco, The Conversational Firm. Rethinking Bureaucracy in the Age of Social Media, New York: Columbia University Press 2016. Siehe hierzu Luciano Floridi, Die 4. Revolution. Wie die Infosphäre unser Leben verändert. Aus dem Englischen von Axel Walter, Berlin: Suhrkamp Verlag 2015. Die populärsprachliche Verbreitung der Digitalisierungssemantik ist Bernhard J. Dotzler zufolge von der Reflexion digitaler Eigenlogiken nicht nur inhaltlich, sondern auch zeitlich zu unterscheiden. Während die Konjunktur von Formulierungen wie der »digitalen Revolution« ein strukturbedingter Effekt auf Ebene der Semantik ist, beginnt die theoretische Reflexion bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Siehe Bernhard J. Dotzler, Analog/digital, in: Alexander Roesler, Bernd Steiger (Hg.), Grundbegriffe der Medientheorie, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag GmbH & Co. KG 2005, S. 9-16.

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Die nächste Organisation

zwängen.4 Entweder werden der Digitalisierung Chancen und Potentiale attestiert,5 die Zukunftsfähigkeit von Menschheit und Gesellschaft gewährleisten zu können, oder es steht im Gegenzug deren Ende kurz bevor,6 wenn Maschinen, Computer und künstliche Intelligenz die maßgebliche Entscheidungshoheit übernehmen. Durch die Strahlkraft und das Anziehungspotential der Begriffe wird regelmäßig verdeckt, was sich im Schatten von Diskursen – und damit auf der Ebene der Anschlussbildung in Organisationen – vollzieht. Wenn das Thema Digitalisierung für die Zukunft der Gesellschaft ein entscheidendes Thema sein soll, kann jedoch nicht allein das Geschehen auf der Ebene der Semantik maßgeblich sein. Im Zentrum von Diskursen stehen jedoch die vermeintlich großen Fragen im Blickpunkt: die Zukunft der Arbeit, das Verhältnis von Gesellschaft und Gemeinschaft, die Suche nach einem gesellschaftlichen Zukunftsentwurf und damit verbunden die Frage, was Sozialität im digitalen Zeitalter eigentlich ausmacht.7 Dabei wird regelmäßig übersehen, dass dem Mechanismus der Organisation die Rolle des wesentlichen gesellschaftlichen Datentreibers zukommt. Das digitale Projekt ist bei genauer Hinsicht eng mit der Funktionslogik von Organisationen verknüpft. Der Stellenwert von Organisationen im Rahmen digitaler Transformation wird allerdings weniger häufig thematisiert als die Notwendigkeit der Beschäftigung mit den großen Fragen. Das Prinzip der Organisation hat mehr mit der Gegenwart und Zukunft gesellschaftlicher Bedingungen zu tun, als es vermeintlich abgeschattete Routinen und Vollzüge erwarten lassen. Dazu gehört auch, dass technische Möglichkeiten dem strukturgeleiteten Anspruch der Organisation, auf die Beteiligung von Subjekten verzichten zu können, in die Hände arbeiten. Dies zeigt ein Blick auf Entwicklungen im organisierten Dienstleistungsbereich.8 So weisen etwa Banken oder Flughäfen in der jüngeren Vergangenheit ein deutlich verändertes Erscheinungsbild auf, bei dem auf Personal in nicht unerheblichem Ausmaß verzichtet werden kann. Bevor das Online-Banking für viele Nutzende zum Regelfall wurde, verschwanden immer mehr Schalter, die mit Mitarbeitenden besetzt waren, zugunsten von Selbst-Bedienungs-Terminals, an denen die Daten der zu erledigenden Bankgeschäfte eingegeben werden konnten. Auch der Check-in am Flughafen mitsamt der Wahl des Sitzplatzes im Flugzeug sah zwischenzeitlich ähnliche Terminals vor, bevor die entsprechende Abwicklung online-basiert in Richtung Desktop und Smartphone ausgelagert wurde. Den Beispielen ist einerseits gemein, dass die Inanspruchnahme »echter« Personen inzwischen regelmäßig entgeltpflichtig ist und zugespitzt als eine Art Dekadenzphänomen für diejenigen erscheint,

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Siehe hierzu Lisa Herzog, Die Rettung der Arbeit. Ein politischer Aufruf, Berlin: Hanser 2019, S. 7f. Siehe hierzu Nick Srnicek, Alex Williams, Die Zukunft erfinden. Postkapitalismus und eine Welt ohne Arbeit. Aus dem Englischen von Thomas Atzert, Berlin: Verlag Klaus Bittermann 2016, insbes. S. 170ff. Zum Gefährdungspotential digitaler Technologie für Demokratien siehe Jamie Bartlett, The People Vs Tech. How the internet is killing democracy (and how we save it), London: Ebury Press 2018. Zur Kritik digitalgetriebener Innovationseuphorie und der Notwendigkeit einer kritischen Analyse von Transformationsprozessen siehe Heiner Keupp, Die erschöpften Subjekte und die Revolution, in: Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis – VPP 51 (2019) 2, S. 283-291. Die nachstehenden Beispiele sind beliebig ausgewählt und folgen keiner spezifischen Systematik.

8. Die digitale Organisation von Möglichkeiten

die es sich leisten können oder wollen.9 Andererseits stehen die beiden Beispiele für Tätigkeiten, die in einem hohen Maß standardisierbar sind und deshalb computergestützt weitestgehend auf die Beteiligung von Subjekten und deren Wahrnehmungsfähigkeit verzichten können. In der Sache handelt es sich um repetitive Vorgänge, die prospektiv in Routinen abgebildet werden können, deren Rechenmäßigkeit zum Prinzip der Ausführung wird. Die Standardisierbarkeit der Vorgänge ist die Folge einer Inputabhängigkeit, die im Sinne einer Eingabe-Ausgabe-Logik zuverlässig zu gewünschten Resultaten führt. Ein bestimmter Stimulus – in den besagten Beispielen etwa die Eingabe von Überweisungsdaten oder die Anfrage eines Sitzplatzes – löst eine festgeschriebene Reaktion aus, für die nach einem fest ablaufenden Schema keine Ausnahme vorgesehen ist. Ein- und Ausgabe stehen in einem direkten, d.h. fest gekoppelten Zusammenhang, der keinen Ermessensspielraum oder ein Spektrum möglicher Entscheidungen vorsieht. Diese Form der Anschlussbildung wird als eine technik-gestützte Weiterentwicklung des organisationalen Arrangierens von Zweck-Mittel-Relationen realisiert und fungiert als eine computerbasierte Absicherung von Redundanzen im Rahmen organisationaler Strukturbildung.10 Auch im digitalen Zeitalter erfüllt Strukturbildung die Funktion der Präokkupation von Zukunft. Für digitale Strukturbildungsleistungen finden sich leicht weitere Beispiele. So kann etwa der Arbeitsalltag in Hotels inzwischen regelmäßig im Modus reibungsloser Konnektivität vonstattengehen. Via Interface und Applikation bieten Softwarelösungen die Möglichkeit, Buchungen auf der einen und Kontingente auf der anderen Seite digital und elektronisch zu verwalten. So können Gäste bereits vor der Anreise eine Einladung zum Check-in und nach erfolgter Bezahlung umgehend einen Zugangscode für das gebuchte Zimmer erhalten. Eine persönliche Kontaktaufnahme, wie sie traditionell im Hotelgewerbe üblich war, ist nun nicht mehr erforderlich. Der unberechenbare und nicht mittels Softwarelösungen systematisierbare Rest bezieht sich dann vor allem auf Dienstleistungen wie Reinigungsaufgaben oder die Frühstücksausgabe und damit auf Tätigkeiten, die im Rahmen öffentlicher Wahrnehmung nicht über ein hohes Maß an Attraktivität oder Prestige verfügen.11 Eine Vielzahl von Vollzügen in Organisationen kann auf diesem Weg ohne Beteiligung von Subjekten ablaufen, die die Ruhe des Normalbetriebs aufgrund der ihnen zugesprochenen Autonomie zu stören drohen. Dass sich Digitalisierung und digitale Transformation jedoch vorwiegend auf Tätigkeitsfelder so genannter Einfacharbeit

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Nicht unberücksichtigt bleiben darf hier natürlich auch der Fall der Notwendigkeit, etwa im Sinne mangelnder digital literacy und fehlender Digitalkompetenz. Im Hinblick auf das Verhältnis von Digitalisierung und Organisation stellt Stefanie Büchner eine Strukturhomologie von organisationaler Entscheidungsproduktion und Algorithmen heraus, die darin besteht, dass beide auf feste Auslösebedingungen im Sinne konditionaler Programmierungen zurückgreifen. Nicht zuletzt deshalb werden mit Digitalisierung Rationalisierungschancen verknüpft. Siehe hierzu Stefanie Büchner, Zum Verhältnis von Digitalisierung und Organisation, in: Zeitschrift für Soziologie 47 (2018) 5, S. 332-348, hier S. 337f. Siehe hierzu Armin Nassehi, Arbeit 4.0. Was tun mit dem nicht organisierbaren Rest, in: Armin Nassehi, Peters Felixberger (Hg.), Freiheit, Gleichheit, Ausbeutung. Kursbuch 179, Hamburg: Murmann 2014, S. 135-154.

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Die nächste Organisation

beziehen, darf nicht angenommen werden. Wenn Empfehlungsalgorithmen die Aufgabe von Werbefachleuten übernehmen, sich das Aufgabenspektrum von medizinischem Fachpersonal aufgrund computergesteuerter Analyseverfahren radiologischer Aufnahmen oder Laborbefunden ändert, Personalauswahlverfahren durch E-Recruiting softwarebasiert ablaufen können oder künstliche Intelligenz bei Vertragsprüfungen leistungsfähiger ist als einschlägige Fachjuristen, wird evident, dass sich die Digitalisierung von Organisationsstrukturen in ganz unterschiedlichen Handlungsfeldern vollzieht und auch hochqualifizierte Tätigkeitsprofile betrifft. Dies gilt auch im Hinblick auf digitale Lehr-Lern-Arrangements, die sich passgenau an die Lernfortschritte von Anwendern anpassen und so zur Herausforderung für die professionsbedingte Autonomie von Lehrpersonen werden.12 Gleiches trifft vor dem Hintergrund digitaler Fallmanagementsysteme für die Rolle von Fachlichkeit im Bereich personenbezogener Dienstleistungen zu, die diskursiv regelmäßig als Regulativ der einzelfallblinden Organisation verhandelt wird und nun zunehmend an Spielraum einbüßt.13 Vor diesem Hintergrund erscheint die fortschreitende digitale Transformation als tiefgreifender Umbruch14 und dass die großen Fragen aufgerufen werden, wundert ebensowenig wie die Tatsache, dass sich Verheißung und Bedrohung als mögliche Zukunftsszenarien unversöhnlich gegenüberstehen. Trotz neuer technischer Möglichkeiten handelt es sich beim Problem der Technikfolgenabschätzung zwar um ein erprobtes Feld, das aus ethischer Perspektive bestellt werden kann, das ohne die Ableitung von Stoppregeln aber kaum die Destillierung von Antworten zulässt.15 Es stehen sich daher einerseits Visionen enormer Prosperität, die Massenerwerbstätigkeit überflüssig werden lässt, und Dystopien, andererseits, gegenüber, die Massenarbeitslosigkeit, aufgrund von technikgestütztem Arbeitsplatzabbau, und ein daraus resultierendes (endgültiges) Auseinanderbrechen einer fragilen gesellschaftlichen Ordnung vorhersagen.16 12

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Siehe hierzu Sebastian Manhart, Thomas Wendt, Delokalisierung, Entzeitlichung und Entpersonalisierung organisierter Pädagogik. Zur digitalen Transformation organisationaler Raumzeit und ihres Subjekts, in: Zeitschrift für Weiterbildungsforschung 42 (2019) 2, S. 235-248. So nimmt Stefanie Büchner einen Rückgang interaktionsgesättigter Tätigkeiten, d.h. Tätigkeiten mit direktem Klientenkontakt, zugunsten softwarebasierter Arbeitsabläufe an, sodass Kriterien entsprechender Fachlichkeit durch Anwendungsmerkmale digitaler Lösungen überformt werden, die aus der jeweiligen Programmarchitektur resultieren. Siehe hierzu Stefanie Büchner, Fallsoftware als digitale Dokumentation. Zur Unterscheidung einer Arbeits- und Organisationsperspektive auf digitale Dokumentation, in: Lukas Neuhaus, Oliver Koch (Hg.), Bedingte Professionalität. Professionelles Handeln im Kontext von Institution und Organisation, Weinheim: Beltz Juventa 2018, S. 239-268. Zur Diskussion »revolutionärer« Zeitalter in vergleichender Perspektive und der Tatsache, dass sich das Entwicklungstempo im Digitalzeitalter – nicht zuletzt durch einen steigenden Datendurchsatz – steigert, siehe Oliver Stengel, Zeitalter und Revolutionen, in: Oliver Stengel, Alexander van Looy, Stephan Wallaschkowski (Hg.), Digitalzeitalter – Digitalgesellschaft. Das Ende des Industriezeitalters und der Beginn einer neuen Epoche, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2017, S. 17-49. Für eine Ausbuchstabierung als Grundlagenproblem siehe Friedrich Rapp, Die moderne Technik im Konflikt zwischen Entfaltung und Beschränkung, in: Hans Lenk, Matthias Maring (Hg.), Technikverantwortung. Güterabwägung – Risikobewertung – Verhaltenskodizes, Frankfurt a.M.: Campus Verlag GmbH 1991, S. 22-32. Zur historischen Einordnung des potentiellen Endes von Erwerbsarbeit siehe Lisa Herzog, Die Rettung der Arbeit. Ein politischer Aufruf, S. 14ff.

8. Die digitale Organisation von Möglichkeiten

Entsprechende Konfliktlinien sind nicht neu, ganz im Gegenteil. So wurden auch vor circa einhundert Jahren in ähnlicher Art und Weise technische Möglichkeiten dafür in Anspruch genommen, eine Gesellschaft des allgemeinen Wohlstands zu prognostizieren, in der nicht länger die Notwendigkeiten des Alltags dominieren sollten.17 Ohne entsprechende Ursachen zu diskutieren, lässt sich festhalten, dass sich die Vision des Wohlstands der Enkelkinder, die John Maynard Keynes formulierte, nicht für alle bewahrheitet hat. Weder hat das Ende regierender Notwendigkeiten begonnen, noch hat das Anfangsstadium einer Zukunft ohne dieselben geendet. Doch dies bedeutet nicht, dass sich Verhältnisse nicht wandeln. Die Komplexität gesellschaftlichen Geschehens erschwert jedoch die Beobachtung großer Brüche und graduelle Veränderungen bleiben aufgrund der Tatsache, dass sie sich leichterdings in bestehende Wahrnehmungsroutinen einpassen, zunächst ohne Berücksichtigung.18 Gesellschaftliche Diskurslinien sind konjunkturell bedingt und so werden je nach Konjunkturlage alte Fragen zu neuen, während ungelöste Fragen in den Hintergrund treten.19 Im Hinblick auf Digitalisierung und digitale Transformation stellt sich die Frage, inwieweit Potentiale und Risiken einen Umbruch katalysieren oder die Zukunft bereits lange vor der Artikulation entsprechender Thesen begonnen hat. Alt und neu sind sich nicht selten zum Verwechseln ähnlich. Wenn das Ende der »guten« Gesellschaft und ihrer traditionellen Sozialmodelle mit der Durchsetzung moderner Prinzipien verknüpft ist,20 stellt sich auch für das digitale Zeitalter zwangsläufig die Frage, was die Zukunft bringen kann, darf und soll. Genauer formuliert, entspricht dies der Frage, inwiefern sich der Möglichkeitsraum der Gesellschaft verändert und zu einem digital erweiterten, hybriden oder digitalen Raum von Möglichkeiten wird. Diese Frage ist mit der gesellschaftlichen Herausforderung verknüpft, Umgangsweisen mit ihrem Referenz- und 17

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In Richtung einer von Notwendigkeiten befreiten Zukunftsaussicht notiert Keynes: »Unter der Annahme, dass keine bedeutenden Kriege und keine erhebliche Bevölkerungsvermehrung mehr stattfinden, komme ich zu dem Ergebnis, dass das wirtschaftliche Problem [H.i.O.] innerhalb von hundert Jahren gelöst sein dürfte, oder mindestens kurz vor der Lösung stehen wird. Dies bedeutet, dass das wirtschaftliche Problem – wenn wir in die Zukunft sehen – nicht das beständige Problem der Menschheit [H.i.O.] ist.« Siehe John Maynard Keynes, Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder, in: Norbert Reuter, Wachstumseuphorie und Verteilungsrealität. Wirtschaftspolitische Leitbilder zwischen Gestern und Morgen. Mit Texten zum Thema in neuer Übersetzung von John Maynard Keynes und Wassily W. Leontief, Marburg: Metropolis-Verlag 1988, S. 115-127, hier S. 121. Die Verschiebung von Referenzpunkten – das Vergessen oder Verdrängen von ehemaligen Zuständen –, die Möglichkeiten der Wahrnehmung von Veränderungen unterminiert, wird auch als Shifting-Baseline-Syndrom bezeichnet. Für Ursprung und Rezeption von SBS siehe Dietmar Rost, Wandel (v)erkennen. Shifting Baselines und die Wahrnehmung umweltrelevanter Veränderungen aus wissenssoziologischer Sicht, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2014. Ganz in diesem Sinne prägt das Thema der Verteilungsgerechtigkeit vor dem Hintergrund einer ungleichen Verteilung von Einkommen und Lebenschancen in den letzen Jahren wieder zunehmend gesellschaftliche Debatten. Ein wesentlicher Bezugspunkt ist der Verweis auf die globale Vermögensungleichheit und die zunehmende Verschärfung entsprechender Gegensätze. Siehe hierzu Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert. Aus dem Französischen von Ilse Utz und Stefan Lorenzer, München: C.H. Beck 2014, insbes. S. 573ff. Siehe hierzu André Kieserling, Das Ende der guten Gesellschaft, in: Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie 7 (2001) 1, S. 177-191.

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Sinnüberschuss zu finden, und die Annahme, dass gesellschaftliche Möglichkeiten in Verbindung mit einem dominierenden Leitmedium stehen, ist diesbezüglich eine etablierte These.21 Jede Medienepoche steht vor eigenen Herausforderungen. Für die digitale Moderne besteht die Notwendigkeit, digitale Strukturbildungsleistungen inklusive ihrer Chancen und Risiken zu reflektieren. Aus der klassischen sozialen Frage wird auch eine digitale Frage,22 die das Verhältnis von Digitalisierung und der Eigenlogik zunehmender Datafizierung sowie die Rolle von Anwendern als human-analogem Rest thematisiert, wenn Letzterer mehr sein soll als eine Residualkategorie. Nicht zuletzt geht es um die Ethikfähigkeit von Algorithmen und die Frage nach der entsprechenden Verantwortung,23 die im digitalen Zeitalter zu Fragen von Corporate Digital Responsibility werden. Denn in Anbetracht der Tatsache, dass Algorithmen in der digitalen Moderne zunehmend die Verbreitung von Nachrichten regulieren, gesellschaftliches Geschehen über soziale Medien vermitteln, für Finanztransaktionen in Anspruch genommen werden und damit einen Einfluss auf Regierungsentscheidungen entfalten können, tragen diese durch das Strukturieren von Wahrnehmung, Verstehen und Entscheidungslogiken in steigendem Maße zur Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit bei.24 An dieser Stelle sollen aber die großen Fragen, die mit Digitalisierung und digitaler Transformation verknüpft sind, zugunsten der Strukturbildungsebene der Organisation in den Hintergrund treten. Gerade weil Fragen gesellschaftlicher Entwicklung organisational hauptsächlich über Prozesse technischer Informationsverarbeitung in den Blick kommen,25 soll der Blick auf die Eigenlogik von Organisationen, analog zum Vorgehen im zweiten Kapitel, dazu beitragen, die Bedeutung der operativen Ebene der Anschlussbildung im Schatten semantischer Strahlkraft nicht aus dem Blick geraten zu lassen. Die leitenden Fragen sind, wie Digitalisierung im Hinblick auf organisationale Strukturbildung verstanden werden kann und wie digitale Strukturbildung auf das Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft zurückwirkt.

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So schließt Dirk Baecker an die Überlegungen von Marshall McLuhan in dieser Richtung an – allerdings mit dem Anspruch, den McLuhanschen Medienbegriff der Erweiterung des Körpers zu vernachlässigen, um stattdessen auf die Effekte zu fokussieren, die sich aus dem Etablieren neuer Anschlusslogiken ergeben. Siehe hierzu Dirk Baecker, Was hält Gesellschaften zusammen?, in: ders., Studien zur nächsten Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2007, S. 147-174, hier S. 153. Siehe hierzu Oliver Stengel, Die Soziale Frage im Digitalzeitalter: Zukunft der Arbeit, in: Oliver Stengel, Alexander van Looy, Stephan Wallaschkowski (Hg.), Digitalzeitalter – Digitalgesellschaft. Das Ende des Industriezeitalters und der Beginn einer neuen Epoche, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2017, S. 169-192. Siehe hierzu die Beiträge in Matthias Rath, Friedrich Kratz, Matthias Karmesin (Hg.), Maschinenethik. Normative Grenzen autonomer Systeme, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2019. Siehe hierzu John Danaher, The Threat of Algocracy. Reality, Resistance and Accommodation, in: Philosophy & Technology 6 (2016) 29, S. 245-268. Zur Datafizierung von Worten, Orten und Interaktionen im Rahmen einer »Quantifizierung der Welt« siehe Viktor Mayer-Schönberger, Kenneth Cukier, Big Data. Die Revolution, die unser Leben verändern wird. Übersetzung aus dem Englischen von Dagmar Mallett. 2. Auflage, München: Redline Verlag 2013, S. 102ff.

8. Die digitale Organisation von Möglichkeiten

8.1

Informationsverarbeitung und Strukturautomation

Im Rahmen von Digitalisierung und digitaler Transformation gewinnen Prozesse der Informationsverarbeitung in Organisationen an Relevanz. Vor dem Hintergrund, dass Organisationen zunehmend auf rechnergestütztes Verweisen und zahlenbasierte Praktiken als Mechanismen der Strukturbildung zurückgreifen,26 verändert sich durch digitalbasierte Prozesse der Reorganisation deren Entscheidungspraxis. Den klassischen Mechanismen der Entscheidungsunterstützung wie Formularen und Akten oder Tools organisationaler Strukturbildung wie Kommunikationswegen und Tätigkeitsprofilen entsprechen in der digitalen Moderne zunehmend Softwarelösungen, deren Interfaces als sichtbare Oberfläche digitaler Routinen Handlungs- und Entscheidungsspielräume festlegen. Damit verändert sich die Konstruktion von Möglichkeitsräumen in Organisationen in einem nicht unerheblichen Ausmaß. Neue Möglichkeiten sind regelmäßig digitale Möglichkeiten. Auf Probleme und Herausforderungen der Gewährleistung von Erwartungssicherheit reagieren Organisationen klassisch mit der Ausdifferenzierung von Strukturen und dem Einhegen von Möglichkeiten, denen keine Relevanz für Zwecksetzung und Zielerreichung zugeschrieben wird. Das Problem der Bildung von Erwartungen relativiert sich aber, wenn digitale Lösungen bei der Gestaltung von Organisationsstrukturen Anwendung finden. Die Frage, was im Rahmen der Organisation möglich ist, wird in Richtung der Eingabemöglichkeiten von Bildschirmmasken verschoben. Neben der Berechnung von Strukturkomponenten kommt Visualisierungspraxen neue Relevanz zu. Was möglich ist, ist nicht zuletzt die Folge der jeweiligen Programmarchitektur,27 die als Anwendungsoberfläche auf Displays sichtbar wird. Das Nutzerverhalten ist von grafischen Benutzeroberflächen abhängig,28 die den sichtbaren Teil der Applikation darstellen, deren modus operandi fortlaufender Rechenoperationen sich dem be26

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Die Expansion von Softwarelösungen in Organisationen ist nicht zuletzt mit Isomorphiedruck verbunden. Organisationen ahmen die Verfahrensweisen und Handlungsschritte vermeintlich erfolgreicher und als Vorbild wahrgenommener Organisationen nach und werden so einander ähnlicher. Damit steigt für Organisationen der Erklärungsbedarf, wenn an exklusiven Wegen und Vorgehen festgehalten wird. Gleichzeitig wird mit dieser Kategorie die Frage aufgerufen, inwieweit gesellschaftliche Rahmenbedingungen anstelle von Rationalitätsgewinnen auf der operativen Ebene der Anschlussbildung eine zentrale Rolle spielen. Für diese Verbreitungslogik am Beispiel SAP siehe Hannah Mormann, Das Projekt SAP. Zur Organisationssoziologie betriebswirtschaftlicher Standardsoftware, Bielefeld: transcript Verlag 2016, S. 85ff. Werden Handlungsoptionen in Organisationen durch Prozesse der Informationstechnik vermittelt und damit praktisch vorgegeben, schwindet auf Basis dieser Schematisierung jeglicher Interpretationsspielraum, sodass als Ergebnis der digitalbasierten Formalisierung die Situationsunabhängigkeit eines Wirkungszusammenhangs steht. Siehe hierzu Edouard J. Simon, João Porto de Albuquerque, Arno Rolf, Notwendige und vorläufige Formalisierungslücken in Organisationen, in: Christiane Funken, Ingo Schulz-Schaeffer (Hg.), Digitalisierung der Arbeitswelt. Zur Neuordnung formaler und informeller Prozesse in Unternehmen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, S. 239-261. Für gewöhnlich werden informationale Anschlussroutinen nicht durch Anwendung gestaltet – wenngleich sie natürlich am Nutzerverhalten parasitieren und dies gegebenenfalls in die eigene Routinen einspeisen –, sondern setzen die Anpassungsfähigkeit des Nutzers voraus. Siehe hierzu etwa Benjamin Jörissen, ›Digitale Bildung‹ und die Genealogie digitaler Kultur: historiographische

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wussten Mitvollzug entzieht. Eine Beteiligung menschlicher Körper und Bewusstseine an digitalen Strukturbildungsleistungen ist angesichts der Komplexität und Schnelligkeit digitaler Verfahren zumeist ausgeschlossen. Der subjektive Kontakt mit Softwarelösungen ist weitestgehend auf die Beobachtung und den Mitvollzug struktureller Vorgaben dynamischer Interfaces begrenzt. Die Verwendung der Metapher des Eisbergs, der nur mit einem kleinen Teil über die Wasseroberfläche hinauslugt, dessen eigentliche Größe aber verborgen bleibt, liegt hier nahe. Denn die rechenhafte Routine auf der Ebene operativer Anschlussbildung bleibt der Wahrnehmung verborgen.29 Der Umstand, dass die Prägnanz der Zahl ihr eigenes Zustandekommen überschattet und in den Hintergrund drängt, schreibt sich in der Komplexität softwarebasierter Rechenleistungen fort, deren Operationsmodus für die Nutzenden weitestgehend undurchschaubar bleibt.30 Durch digitale Strukturfestlegungen wird im Ergebnis ein spezifischer Modus der Absicherung und Redundanz organisationaler Entscheidungsfindung etabliert, der den Spielraum für Varianzen und Abweichungen minimiert. Statt zu entscheiden, wird zunehmend gerechnet.31 Die eingesetzten Computerprogramme folgen dem Anspruch einer Anti-Beliebigkeit, da Spontanität und Flexibilität nicht Gegenstand programmierter Routinen sind. Was möglich ist, ist Ergebnis der verwendeten Software, deren rechenmäßiges Filtern von Möglichkeiten die Störanfälligkeit von Selektionen in Entscheidungsprozessen minimieren soll. In der Konsequenz führt das Errechnen von Anschlussoptionen zu einer Verfestigung von Strukturkomponenten, die auf der strikten Regulierung von Zahlzeichen und Rechenoperationen gründet.32 Wie Zahlenwerte miteinander verrechnet werden,

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Skizzen, in: MedienPädagogik. Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung 25 (2016), S. 26-40, hier S. 28f. Die Intransparenz von Algorithmen und die Invisibilisierung der Rechenwege beruhen nicht zuletzt auf der Geschwindigkeit deren Operationen. Obwohl Algorithmen präzise und verlässlich arbeiten müssen, d.h. auf bestimmte Inputs mit feststehenden Folgeschritten reagieren und damit »klar formulierte, präzise beschreibbare, zahlenbasierte Regelwerke« darstellen, entziehen sich ihre Ergebnisse den Kapazitäten des Bewusstseins. Werner Reichmann bezeichnet diese »Banalität des Algorithmus« in Anlehnung an Hannah Arendt als »gewissenhaft gewissenlos«, da der Exekutierung von Routinen kein Moment der Reflexion immanent ist. Siehe hierzu Werner Reichmann, Die Banalität des Algorithmus, in: Matthias Rath, Friedrich Kratz, Matthias Karmesin (Hg.), Maschinenethik. Normative Grenzen autonomer Systeme, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2019, S. 135-153, hier S. 137. Siehe hierzu Frank Pasquale, The Black Box Society. The Secret Algorithms That Control Money and Information, Cambridge, Massachusetts und London, England: Harvard University Press 2015. Siehe hierzu Agata Królikowski, Jens-Martin Loebel, Stefan Ullrich, Ausrechnen statt Entscheiden – 30 Jahre IT-Innovation, in: Alexandra Hildebrandt, Werner Landhäußer (Hg.), CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft, Berlin: Springer Gabler 2017, S. 317-328. Computergestützte Lösungen verstärken Axel Philipps zufolge die gesellschaftsweite Expansion zahlenbasierter Praktiken, wobei die Zahlenaffinität der Gesellschaft nicht exklusiv für das digitale Zeitalter in Anspruch genommen werden kann. Dementsprechend verortet Philipps den Auftakt zur Verbreitung von Algorithmen nicht im Computerzeitalter, sondern bereits im 17. Jahrhundert durch die Ausarbeitung binärer Codierungen. Als Aufgabe zeitgenössischer Forschung betont Philipps die Notwendigkeit, der Eigenlogik des Digitalen Aufmerksamkeit zuzuwenden. Eine mögliche Vorgehensweise sieht er in einem kontinuierlichen disziplinären Austausch von Soziologie

8. Die digitale Organisation von Möglichkeiten

ist nie beliebig. Algorithmen beruhen in ihrem Prozessieren auf der Eigenlogik numerischer Konnektivität, sodass Informationsverarbeitung in Organisationen als Modus der Anschlussbildung zu verstehen ist, der aufgrund der ihr zugrundeliegenden Rechenmäßigkeit ohne die Vagheiten und Missverständnisse auskommt, die für Kommunikation angenommen werden müssen. Die errechneten Elemente und Strukturkomponenten sind fest gekoppelt.33 Informationsverarbeitung ist frei von rückseitigen Varianzen, während im Falle der Kommunikation diese Spielräume das Verstehen von Mitteilungen ermöglichen. Die entgegengesetzten Eigenlogiken von Berechnung und Kommunikation reproduzieren so einerseits die doppelte Realität der Organisation und zwar in der Hinsicht, dass Strukturverstetigungen im Modus reibungsloser Konnektivität der spezifischen Form kommunikativer Anschlussbildung gegenüberstehen. Andererseits begegnet sich das organisationale Dual von Struktur und Subjekt im digitalen Zeitalter vor dem Hintergrund veränderter Bedingungen.34 Denn das Auslagern von strukturgeleiteten Arbeitsvollzügen in datafizierte Ordnungen reduziert subjektive Einflussspielräume und aktualisiert die Relevanz kommunikativer Praktiken im organisationalen Alltag.35 Das Nachdenken darüber, wie etwas womöglich gemeint ist, entfällt. Es gibt keinen Inhalt, der zu dechiffrieren ist und damit tritt die Notwendigkeit von Aushandlung, von personenabhängiger Interpretation und damit auch die Bedeutung von Subjektivität in den Hintergrund. Zahlverknüpfungen und Rechenoperationen sind nicht kontingent. Die Sprachgebrauch konstituierende Ja-Nein-Form greift nicht. Die zahlenförmige und rechenmäßige Organisation wird zu einem Ort, der keine Negationsmöglichkeiten vorsieht. Die prinzipielle Personenunabhängigkeit verstetigter Strukturen basiert auf einem Modus reibungsloser Konnektivität, der sich der Verknüpfungslogik von Zahlzeichen verdankt. Organisationale Strukturautomation kann auf die Beteiligung von Subjekten weitestgehend verzichten. Der Anspruch einer konzeptuellen Störungsfreiheit der Organisation ist kein neues Phänomen. Vielmehr kann er als eine maßgebliche Intention im Rahmen der entstehenden Managementlehre verstanden werden, wie der Blick auf die Überlegungen von Frederick Taylor, Erich Gutenberg oder Frank Gilbreth gezeigt hat. Messung, Berechnung und Visualisierung als Mechanismen der Strukturbildung in Anspruch zu nehmen, geht auf die Intention der Kontingenznegation zurück. Der Rückgriff auf

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und Informatik. Siehe Axel Philipps, Brauchen wir eine Soziologie des Digitalen?, in: Soziologie 46 (2017) 4, S. 403-416. Die strikte Kopplung von Strukturelementen bietet Kontrollmöglichkeiten, die sich bei loser Kopplung und den damit verbundenen Spielräumen nicht bieten würden. Für die Diskussion der weickschen Unterscheidung von enger und loser Kopplung für Prozesse digitalbasierter Strukturbildung siehe auch Heiner Heiland, Algorithmus = Logik + Kontrolle. Algorithmisches Management und die Kontrolle der einfachen Arbeit, in: Daniel Houben, Bianca Prietl (Hg.), Datengesellschaft. Einsichten in die Datafizierung des Sozialen, Bielefeld: transcript Verlag 2018, S. 233-252. Siehe hierzu Stefanie Büchner, Digitale Infrastrukturen – Spezifika, Relationalität und die Paradoxien von Wandel und Kontrolle, in: Arbeits- und Industriesoziologische Studien 11 (2018) 2, S. 279293. Siehe hierzu Anja Svejgaard Pors, Becoming digital – passages to service in the digitized bureaucracy, in: Journal of Organizational Ethnography 4 (2015) 2, S. 177-192.

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Softwarelösungen steht in dieser Traditionslinie. Dem Errechnen von Strukturkomponenten stehen nun neue leistungsfähige Instrumente zur Verfügung, die über das Prinzip von Arbeitsanleitungs- oder Lochkarte weit hinausreichen. Doch im entstehenden Management wurde das organisationale Dual von Struktur und Subjekt immer als Begriffspaar von Aufgaben- und Personenorientierung zum Gegenstand der entsprechenden Überlegungen. Zwar wurde bei Taylor und Gutenberg die Organisation auf die Seite der Struktur verpflichtet, gleichzeitig existierte allerdings ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Unwägbarkeiten des Subjekts und die damit verbundene soziale Wirkmächtigkeit. Die Errechnung organisationaler Realität kann als konsequent strukturaffine Weiterentwicklung der managerialen Absicht, Kontrolllücken und Abweichungsspielräume zu schließen, interpretiert werden. Durch die Entwicklung der semiotischen Techniken von Messung, Berechnung und Visualisierung und ihrer Kultivierung in Organisationen wurde die digitale Moderne analog vorbereitet. Doch wenn sich die Grenzen der Leistungsfähigkeit auf der Seite der Struktur verschieben, stellt sich im Rahmen der Aktualisierung organisationaler Binnendifferenzierung die Frage, ob die Annahme eines organisationalen Duals von Struktur und Subjekt noch gerechtfertigt ist, da informationsverarbeitende Softwarelösungen, die zunehmend das Design organisationaler Welten prägen, die Seite der Aufgabenorientierung stärken.36 Eine sich abermals in Intervallen vollziehende Oszillation von Aufgaben- und Personenorientierung übt durch das Prozessieren von Algorithmen Druck auf das organisationale Dual von Personen- und Aufgabenorientierung aus, das auf der Seite der Strukturbildung eine zunehmende Absicherung erfährt. Die Problembearbeitung der bis dato unerreichten Perfektibilität von Abläufen erfährt so eine erneute Konjunktur, trotz – oder gerade aufgrund – der Tatsache, dass die Rede der Dekonstruktion klassischer Rationalitätsannahmen im Bereich der theoretischen Beobachtung von Organisationen wie im managerialen Feld praktischer Strukturgestaltung längst zu einem Allgemeinplatz geworden ist.37 Auf digitalem Weg erscheint nun das möglich, was stets Ziel der Organisation war, durch die Widerständigkeit des Alltags aber idealtypisches Planungsszenario bleiben musste.38 Der Planungsanspruch einer Organisation und die damit verbundene Ambition von Steuerung und Kontrolle war stets höher als das, was eine Organisation empirisch einzulösen vermochte. Der zugrundeliegende Anspruch ist jedoch nie in Vergessenheit geraten. Der klas36

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Digitale Technologien stehen in Organisationen für »eine rigorose und weitreichende Formalisierung«, die besonders im Hinblick auf informale Spielräume Hemmnis sein können. Gerade der Anspruch, Entscheidungen über Strukturbildung störunanfällig zu machen, ruft im Hinblick auf die Zukunft der Organisation die Frage nach dem Verhältnis von Zweck- und Konditionalprogrammierung und damit nach den verbleibenden Spielräumen auf, die Informalität voraussetzt. Siehe hierzu Judith Muster, Stefanie Büchner, Datafizierung und Organisation, in: Daniel Houben, Bianca Prietl (Hg.), Datengesellschaft. Einsichten in die Datafizierung des Sozialen, Bielefeld: transcript Verlag 2018, S. 253-277, hier S. 259. Siehe hierzu etwa die Beiträge in Karen Schweers Cook, Margaret Levi (Ed.), The Limits of Rationality, Chicago und London: The University of Chicago Press 1990. Rationalitätshoffnungen im Kontext digitaler Transformation werden häufig von Präfixen wie smart oder intelligent begleitet, die suggerieren, die begrenzte Rationalität des Subjekts des analogen Zeitalters überwinden zu können. Siehe hierzu auch Judith Muster, Stefanie Büchner, Datafizierung und Organisation, S. 269.

8. Die digitale Organisation von Möglichkeiten

sische Topos der Rationalisierung erlebt in diesem Sinne eine digitale Wiedergeburt.39 Prozesse der Strukturautomation stehen idealtypisch dafür, theoretische und empirische Rationalitätsdefekte einhegen zu können. Rechenbasierte Operationen realisieren dem Anspruch nach störungsfrei Zweck, Konsistenz und Rationalität der Organisation. Die Grenzen und Anfänge digitaler Strukturbildung auszumachen, ist indes nicht selbsterklärend.40 Der Begriff der Strukturautomation adressiert einen Modus der Anschlussbildung, der ohne das Abwägen von Alternativen und deren mühsames Ausfiltern erfolgen kann. Dabei tritt die typische kommunikative Begleitklaviatur – etwa in Form von Meetings oder Flurfunk –, die sich nicht zuletzt auf personenbezogene Begründungslogiken bezieht, in den Hintergrund, sodass eine kommunikative Kompensation über andere Bezugspunkte erfolgen muss. Auch wenn die Digitalisierung in Organisationen Ergebnis lang laufender Kontinuitätslinien ist und sich die Wurzeln expandierender Prozesse der Strukturautomation mindestens bis in die Geburtsstunde der Managementlehre nachzeichnen lassen, finden sich Derivate der semiotischen Techniken von Messung, Berechnung und Visualisierung in der Ausbreitung betrieblicher Standardsoftware und damit ebenfalls vor der Omniverfügbarkeit des Internets. So steht bereits die weit verbreitete Softwarelösung SAP für den Anspruch, alle Bereiche der Organisation zu verzahnen und den Grad der Koordination und Abstimmung der gleichzeitig ablaufenden Vorgänge auf ein neues Höchstmaß zu führen.41 Damit stellt SAP eine Reaktion auf die ganz normalen Kom39

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Gernot Mühge verweist auf eine zentrale Kontinuität in der Verlaufsgeschichte praktischer Organisationsentwicklung. In dieser Hinsicht sieht er digitale Systeme der Entscheidungsunterstützung als technisch gestützte Verfahren der Bearbeitung von Entscheidungspathologien, die auf die Eliminierung subjektbedingter Störpotentiale zielen. Wesentliche Meilensteine der Relativierung rationalen Entscheidungsverhaltens aufgreifend, folgert Mühge, dass die begrenzte Rationalität der Beteiligten durch digitale Lösungen in eine objektivierte Rationalität überführt werden soll. Dabei stellt er Chancen und Risiken einer fortschreitender Computerisierung von Entscheidungsprozeduren gegenüber: Zwar macht Mühge darauf aufmerksam, dass eine technische Entlastung neue Rollen in Organisationen und damit auch neue Freiräume bedingen kann, auf der anderen Seite die Automatisierung von Entscheidungen jedoch zwangsläufig humane Autonomie unterminiert. Letzteres Argument lädt Mühge mit dem Verweis, dass menschliche Autonomie eine gesellschaftliche Norm sei, gesellschaftspolitisch auf und plädiert für eine kritische Beobachtung von digitalen Systemen der Entscheidungsunterstützung. Seine Ausführungen schließend, verweist der Autor auf einen zentralen Punkt, indem er herausstellt, dass das Wort der Entscheidungsunterstützung vor dem Hintergrund gegenwärtiger technischer Möglichkeiten nicht mehr begriffsfähig sei. Siehe Gernot Mühge, Einzug der Rationalität in die Organisation? Digitale Systeme der Entscheidungsunterstützung in der Produktion, in: WSI Mitteilungen. Zeitschrift des Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung 71 (2018) 3, S. 189-195. Genau genommen handelt es sich bei vollautomatisierten Produktionszusammenhängen nicht mehr um eine Form der Entscheidungsunterstützung, sondern um das Zusammenziehen der überkommenen Unterscheidung von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage. In diesem Sinne plädiert Stefanie Büchner für einen weiten Begriff von Digitalisierung, der sowohl Hard- und Software umfasst und sich dadurch auf eine technologische Bandbreite von betrieblicher Standardsoftware wie SAP über Datenbrillen und Bilderkennungssystemen bis hin zu selbstlernenden Algorithmen bezieht. Siehe hierzu Stefanie Büchner, Zum Verhältnis von Digitalisierung und Organisation, S. 334. Bezüglich des Anspruchs der Echtzeitverarbeitung durch Integration schreiben Hermann Maier, Dietmar Hopp und Hasso Plattner: »Das Realzeitsystem für die maschinelle Auftragsbearbeitung

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plexitätsprobleme einer jeden Organisation dar. Fasst man Koordination und Parallelisierung als zentrale Funktionen organisationaler Strukturbildung auf, wird ersichtlich, dass Probleme der Gleichzeitigkeit Probleme der vorhandenen Rechenkapazität sind. Bereits mit wenigen Hierarchieebenen, auf denen eine noch überschaubare Menge an verschiedenen Tätigkeiten vonstattengeht, erreicht das Komplexitätsniveau von Organisationen schnell ein beachtliches Maß. Vor dem Hintergrund der Gleichzeitigkeit der strukturgeleiteten, parallelen Vollzüge entsteht ein Bild der Organisation, das in seiner Komplexität mit den dem Bewusstsein zur Verfügung stehenden Mitteln nicht unter Kontrolle gehalten werden kann.42 Dabei ist von Abweichungsspielräumen und Kontrolllücken noch ebenso wenig die Rede wie von sozialen Effekten, die die Formalstruktur der Organisation codieren. Doch die Realitätsprüfung für den planerischen Anspruch der Organisation ist regelmäßig ernüchternd und nicht umsonst fungieren Change-Programme mitunter als säkularisierte Bibeln, die die Hoffnung auf eine berechenbare und gestaltbare Zukunft nähren. Dies in Rechnung gestellt, erscheint softwaregestützte Strukturbildung grundsätzlich als Mittel, den Komplexitätsproblemen in Organisationen begegnen zu können. So wird die Funktion der Software SAP als »Formalisierungsapparat« analysiert, der die Zielstellung einer integrierten Organisation realisieren soll.43 Die Zielstellung der Integration steht für die Verzahnung aller vorhandenen Strukturelemente und damit für ein Datenabbild der Organisation, über das sämtliche Steuerungsambitionen verwirklicht werden können. Dabei schreibt sich die manageriale Intention der Verdatung der Organisation – der Ausgangspunkt der modernen Managementlehre – bis in die Gegenwart moderner Strukturgestaltung fort.44 Denn wenn alle vorhandenen Informationen durch Echtzeitverarbeitung und Datenintegration in Abhängigkeit voneinander verarbeitet werden, wird die Unterscheidung von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage analog zu der Art und Weise konzipiert, die bereits Erich Gutenberg im

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und Versandsteuerung ist der erste Baustein in dem geplanten Gesamtsystem, das in der Endstufe auch die Organisation des Einkaufs, der Materialabrechnung und des Rechnungswesens mit umfassen soll.« Siehe Hermann Maier, Dietmar Hopp, Hasso Plattner, Auftragsabwicklung, Disposition und Versandsteuerung integriert im Realzeitbetrieb. IBM-Beiträge zur Datenverarbeitung. Anwendungen 1, Stuttgart: IBM-Deutschland GmbH 1972, S. 27. Dieses Gedankenexperiment ist analog zu einem Theorievorschlag Niklas Luhmanns konstruiert. Statt der verschiedenen Hierarchieebenen in Organisationen fokussiert Luhmann aber stattdessen die verschiedenen Ebenen der Systembildung Interaktion, Organisation und Gesellschaft. Mit der Annahme von deren Wechselseitigkeit bei ihrer grundsätzlichen Verschiedenheit lässt sich Luhmann zufolge ein Modell sozialer Wirklichkeit erzeugen, dass aufgrund der exponentiell ansteigenden Verweismöglichkeiten qua Verstand nicht mehr zu kontrollieren ist. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Interaktion, Organisation, Gesellschaft, in: ders., Soziologische Aufklärung 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1975, S. 9-20, hier S. 20. Siehe Hannah Mormann, Zur informationstheoretischen und organisationstheoretischen Formalisierung von Organisation, in: Jan-Hendrik Passoth, Josef Wehner (Hg.), Quoten, Kurven und Profile. Zur Vermessung der sozialen Welt, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2013, S. 69-86, hier S. 76. Zu aktuellen Herausforderungen von SAP, die durch die fortschreitende Digitalisierung bedingt werden, siehe Christian Klein, Benjamin Blau, Jan Gilg, Thorsten Jahnke, Stefan Steinle, Die digitale Transformation von SAP – Run Simple, in: Volker Lingnau, Gordon Müller-Seitz, Stefan Roth (Hg.), Management der digitalen Transformation. Interdisziplinäre theoretische Perspektiven und praktische Ansätze, München: Verlag Franz Vahlen GmbH 2018, S. 211-222.

8. Die digitale Organisation von Möglichkeiten

Rahmen der Modellierung seiner zahlenförmigen Organisation im Sinn hatte. Die Organisation wird auf die Seite der Struktur festgelegt und eine zahlenförmig getriggerte Rationalisierungsstrategie führt auf der operativen Ebene zu einer sozialen Entkopplung sowie einer semantischen Entleerung der Organisation. Im Hinblick auf digitale Strukturbildung stellt sich deshalb die Frage nach der Zukunft des Entscheidens, die wiederum nur in Organisationen entschieden werden kann. Entscheidungen setzen Alternativen voraus,45 doch das Prinzip der Strukturautomation zielt auf Basis rechenmäßiger Verknüpfungen systematisch auf die Einebnung der Unterscheidung von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage. Die rechenbasierte Eigenlogik lässt das Subjekt als Akteur in Organisationen – wenn es noch eine Rolle spielt – zu einem Quasi-Subjekt werden.46 Eine be- und errechnete Zukunft droht die Organisation nicht mit Komplexität und Kontingenz zu überwältigen. Möglichkeiten werden zunehmend als Rechenwerte codiert und das einseitige Anschließen von Zahlen als Modus organisationaler Strukturbildung triggert das organisationale Projekt der Rationalität. Die Zielstellung der digitalen Organisation – Organisationsstrukturen störungsfrei zu stellen und gleichzeitig größtmögliche Flexibilität zu gewährleisten – führt zu einer Etablierung rechenbasierter Eigenlogik in Organisationen. Strukturautomation steht dafür, den Anspruch einer planbaren, steuerbaren und kontrollierbaren Organisation zu realisieren und stellt sich als Fluchtpunkt und Ende der klassischen Parusieverzögerung der Organisation dar. Rationalität in Organisationen erscheint möglich und muss nicht länger im Adressieren von Reformhoffnungen kommunikativer Vagheit und begrenzter Kognition überlassen werden.47 Mit Folgen

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Die klassische Form des Entscheidungsbegriffs beruht auf der Paradoxie, dass nur prinzipiell Unentscheidbares entschieden werden kann, da sonst bereits entschieden wäre. Entscheidungen tragen ihre vorgängigen Alternativen in sich, die dadurch keine Alternativen mehr sind. Niklas Luhmann schreibt dementsprechend: »Die Entscheidung muss über sich selbst, aber dann auch noch über die Alternative informieren, also über das Paradox, dass die Alternative eine ist (denn sonst wäre die Entscheidung keine Entscheidung) und zugleich keine ist (denn sonst wäre die Entscheidung keine Entscheidung).« Siehe Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung. 2. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006, S. 142. Die Formulierung des Quasi-Subjekts ist der Theorie des Quasi-Objekts von Michel Serres entnommen, die auf die Infragestellung des Akteursstatus zielt. Serres notiert diesbezüglich: »Es gibt Objekte, […], Quasi-Objekte, Quasi-Subjekte, von denen man nicht weiß, ob sie Wesen oder Relationen, ob sie Bruchstücke von Wesen oder Zipfel von Relationen sind.« Für die Veranschaulichung der entsprechenden Überlegungen wählt Serres ein Beispiel, das auf den ersten Blick eindeutig, auf den zweiten Blick jedoch weitaus interessanter erscheint: das Ballspiel. Auf den ersten Blick erscheint der Spieler als das aktive Moment, doch auf den zweiten Blick wird fraglich, ob nicht der Ball dass Entscheidende ist, dem die Spieler gemäß seiner Eigenlogik nachjagen. Dieser Dezentrierung entspricht Serres zufolge »im strengen Sinne die Transsubstantiation des Wesens in eine Relation.« In diesem Sinne geraten Beobachtungen ins Oszillieren und Aktivität wird zu einer Frage der Perspektive, die zwischen Subjekt, Objekt oder Relation wählen muss. Siehe Michel Serres, Der Parasit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1991, S. 350f. Volker Lingnau und Matthias Brenning machen darauf aufmerksam, dass das Dilemma begrenzter Kognition vor allem auch im Kontext von Big-Data-Lösungen virulent wird, da der rechenmäßigen Komplexität nichts entgegengesetzt werden kann und diese damit neue Unsicherheiten produziert. Siehe hierzu Volker Lingnau, Matthias Brenning, »Big Data – Bad Decisions?« Implikationen der digitalen Transformation für das Controlling, in: Volker Lingnau, Gordon Müller-Seitz, Stefan

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für die beteiligten Subjekte. Menschliche Intuition und Erfahrung sowie soziale Aushandlungsprozesse treten zugunsten der eigenlogischen Verknüpfung von Binaritäten in den Hintergrund.48 Im Ergebnis wird das Verhältnis von Struktur und Subjekt, von Aufgaben- und Personenorientierung, neu justiert. Das Subjekt entspricht nun rechenbedingt nicht länger der Sollbruchstelle im Gefüge der Organisation. Aufgrund der Tatsache, dass Organisationen die wesentlichen gesellschaftlichen Datentreiber sind, erscheint die digitale Moderne als Konsequenz der umfassenden Durchsetzung der Gesellschaft mit Organisationen.Die rationalitätsgeleitete Entzauberung der Welt fugiert deshalb auch als eine Verzauberung der Welt. Indem überbordende digitale Komplexität Geschehnisse intransparent werden lässt, droht der Möglichkeitsraum der Gesellschaft durch die fortschreitende digitale Transformation zu einem Unmöglichkeitsraum zu werden, was subjektiven Mitvollzug und Einflussnahme anbetrifft. Big Data,49 Filterblase50 und digitales Panoptikum51 bringen die damit einhergehende Reduzierung von Möglichkeiten auf den Begriff. Denn wenn sich bereits einzelne Rechenvorgänge der Möglichkeit des Mitvollzugs entziehen, gilt dies auch für die daraus entstehenden Datennetze, deren wechselseitige Verweise jegliche Bewusstseinskapazität weit übersteigen. Eine Theorie der digitalen Moderne muss sich der Tatsache bewusst sein, dass die fortschreitende Digitalisierung ein Ergebnis der Durchsetzung der modernen Gesellschaft mit Organisationen ist. Die digitale Moderne und der steigende Anteil algorithmusbasierter Selektionen ist nicht zuletzt die Konsequenz organisationaler Strukturautomation. Aus dieser Perspektive ist die Diagnose einer nächsten Gesellschaft,52 die

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Roth (Hg.), Management der digitalen Transformation. Interdisziplinäre theoretische Perspektiven und praktische Ansätze, München: Verlag Franz Vahlen GmbH 2018, S. 137-167. Steffan Heuer diskutiert die Unterscheidung von Berechenbarkeit und Unberechenbarkeit beispielhaft an Softwarelösungen des E-Recruiting, die im Bereich der Personalauswahl zum Einsatz kommen. Das datengetriebene Personalwesen – so Heuer – soll eine objektivere Entscheidungsfindung begünstigen und weichere Faktoren wie Intuition oder Reputation relativieren. Damit diskutiert Heuer Versuch und Programm, die Störanfälligkeit der Organisation durch den Einsatz von Softwarelösungen zu minimieren. Dabei verweist er für den Fall des E-Recruitings auf einen bemerkenswerten Umstand: Abgesichert durch empirisches Material hält Heuer fest, dass eine persönliche Empfehlung beschäftigter Mitarbeiter bei der Personalauswahl produktiver sei als die Nutzung technischer Mechanismen der Entscheidungsunterstützung. So enden seine Ausführungen mit der zutiefst humanistischen Pointe, dass der Faktor Mensch auf absehbare Zeit nicht zu ersetzen sei. Wie Heuer diese Volte im Hinblick auf die algorithmische Eigenlogik begründet, bleibt – jenseits eines normativen Arguments – streng genommen offen. Siehe Steffan Heuer, Arbeit 2.0. E-Recruitung, ohne sich zu bewerben, in: Armin Nassehi (Hg.), Privat 2.0. Kursbuch 172, Hamburg: Murmann 2014, S. 145-161. Siehe hierzu Viktor Mayer-Schönberger, Kenneth Cukier, Big Data. Die Revolution, die unser Leben verändern wird. Siehe hierzu Eli Pariser, The Filter Bubble. What the Internet Is Hiding from You, London: Viking 2011. Siehe hierzu Sabine Maasen, Barbara Sutter, Dezentraler Panoptismus. Subjektivierung unter techno-sozialen Bedingungen im Web 2.0, in: Geschichte und Gesellschaft, 42 (2016) 1, S. 175-194. Für Dirk Baecker ist besonders die Intransparenz von Interesse, die aus Rechenvorgängen resultiert. Die zentrale Herausforderung der nächsten Gesellschaft ist es deshalb, Möglichkeiten zu finden, mit den von Computern generierten Informationen umzugehen. In diesem für Computer spezifischen Leistungspotential sieht Baecker den entscheidenden Hebel, von einer nächsten Ge-

8. Die digitale Organisation von Möglichkeiten

maßgeblich eine Gesellschaft der Informationsverarbeitung ist, die Folge der Organisationsgesellschaft, da der Computer – als entscheidendes Merkmal einer neuen Medienepoche identifiziert – aufgrund seiner Funktion, Informationen verarbeiten zu können, mit dem Mechanismus der Organisation eine produktive Synthese eingeht. Die algorithmusbasierte Absicherung von Strukturkomponenten führt das Prinzip der Organisation durch das störungsfreie Realisieren der Bildung von Anschlüssen im Modus reibungsloser Konnektivität auf seinen bisherigen Höhepunkt. Zwar ist die Organisationsgesellschaft die maßgebliche Wegbereiterin der digitalen Moderne, inwiefern aber die Erfolgsgeschichte der Organisation im Rahmen digitaler Transformation fortgeschrieben oder der eigene Erfolg ihr selbst zum Verhängnis wird, ist eine empirische Frage, deren Beantwortung noch aussteht.

8.2

Digitalisierung als Aktualisierung organisationaler Binnendifferenzierung

Die digitalbasierte Aktualisierung des organisationalen Duals von Struktur und Subjekt ruft die Frage auf, inwieweit die Annahme eines Duals noch gerechtfertigt ist. Bis ins digitale Zeitalter hat sich die klassische Form der Organisation durchgesetzt, für die konstitutiv ist, dass Struktur und Subjekt als eine gegenseitig verpflichtete Reproduktionsgemeinschaft fungieren. Das Prinzip der Organisation firmiert als Einheit der Unterscheidung von Formalität und Informalität, von Planbarem und Unplanbarem oder – stärker subjektorientiert und dem pädagogischen Anforderungsgrad von Organisationen Rechnung tragend formuliert – von Zwang und Freiheit. Die klassische Form der Organisation wird durch die erweiterte Leistungsfähigkeit von Strukturbildungsprozessen herausgefordert, indem die digitale Organisation zunehmend zu einer Produktionsstätte rechenmäßiger Gewissheiten wird. Zwar ist dies ein vergleichsweise neuer Fall, der jedoch ganz in der Traditionslinie von klassischen Organisationsprogrammen der Kontingenznegation steht. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass digitale Strukturbildung das Prinzip der Organisation in Sachen Rechenmäßigkeit, Konsistenz und Steuerbarkeit auf seinen bisherigen Höhepunkt führt, erscheint zunächst einmal offen, was aus den beteiligten Subjekten wird und welche Rolle diese einnehmen, wenn die Organisation im Modus reibungsloser Konnektivität die Verfolgung der eigenen Zielstellungen vorantreiben kann. Argumente und Anknüpfungspunkte finden sich – wie so oft – auf verschiedenen Seiten. Im Folgenden werden für Struktur und Subjekt als Seiten des organisationalen Duals jeweils Szenarien diskutiert, die deren bisherige Form im Hinblick auf eine mögliche digitalbasierte Aktualisierung in den Blick nehmen. Für die Seite der Struktur geschieht dies anhand der Unterscheidung von Zukunftsfähigkeit und Zukunftsnotwendigkeit der Organisation, für die Seite des Subjekts mithilfe der Kippfigur der Steigerung und zunehmenden Auflösung von Subjektivität.

sellschaft zu sprechen. Siehe hierzu Dirk Baecker, Epochen der Organisation, in: ders., Studien zur nächsten Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2007, S. 28-55, hier S. 38.

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Aufgrund der Tatsache, dass durch Praxen der rechenmäßigen Verregelung Unbestimmtheitsspielräume geschlossen werden, wird die Frage, was zu entscheiden ist und was noch entschieden werden kann,53 zur Leitfrage bei der Suche nach der nächsten Organisation.54 Mit jedem aktualisierten Stellenprofil, mit jedem neuen Zuschneiden und Arrangieren von Zuständigkeiten wird die Zuordnung und Verantwortung von Entscheidungen in Organisationen aktualisiert.55 Dies gilt für jeden Mechanismus der Entscheidungsunterstützung, der in den Prozess organisationaler Strukturbildung integriert wird, unabhängig davon, ob er in der Gestalt kommunikativer, visueller oder rechengestützter Form Eingang findet. Die Unterscheidung von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage wird mal in die eine, mal in die andere Richtung justiert und ausgerichtet. Spielräume werden entweder geschlossen oder entstehen neu. Bei der jeweiligen Ausrichtung und den damit verbundenen Fragen der Planung und Strukturgestaltung handelt es sich um genuine Managementaufgaben. Managementprogramme unterliegen konjunkturellen Schwankungen, die sich, mal von Begrifflichkeiten ausgehend, mal als Folge technischer Apparaturen, in entsprechenden Zyklen ausdrücken. Die Änderung organisationaler Abläufe ist keineswegs unüblich, sondern ein permanent ablaufender Vorgang, der institutionalisiert ist.56 Im Ergebnis führt dies regelmäßig zu optimierungsbelasteten Organisationen und gleichzeitig dazu, dass das Risiko struktureller Änderungen trotzdem in Kauf genommen werden muss. Manageriale Entscheidungen befinden sich stets in einem Spannungsfeld von Stabilität und Wandel und das Risiko veränderter Abläufe wird nicht zuletzt durch die Gefahr katalysiert, untätig zu sein und die legitimierende Wirkung von Struk-

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Zum Verhältnis von Daten und Entscheidungen siehe auch Foster Provost, Tom Fawcett, Data Science and its Relationship to Big Data and Data-Driven Decision Making, in: Big Data 1 (2013) 1, S. 51-59. So diskutieren Martin Messner, Tobias Scheytt und Albrecht Becker den Einsatz von numerischen Tools der Entscheidungsunterstützung am Beispiel von Controlling und Accounting. Dass vor dem Hintergrund der Zuhilfenahme von Zahlen die Unterscheidung von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage eingeebnet wird, wurde ausreichend diskutiert. Bemerkenswert ist an dieser Stelle aber, dass die Autoren einen Begriff des »vernünftigen Managements« vorsehen, der Potentiale wie Erfahrung oder Intuition integrieren soll. Der eigenlogischen Verknüpfung von Zahlen wird so mit einem normativen Konzept begegnet, um gegen die Selbstabschaffungstendenz des Managements noch etwas aufbieten zu können, wohlwissend, dass ein Anspruch auf vollständige Entscheidungsautonomie zumindest begriffslogisch utopisch ist. Siehe Martin Messner, Tobias Scheytt, Albrecht Becker, Messen und Managen: Controlling und die (Un-)Berechenbarkeit des Managements, in: Andrea Mennicken, Hendrik Vollmer (Hg.), Zahlenwerk. Kalkulation, Organisation und Gesellschaft, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007, S. 87-104, hier S. 101. Siehe hierzu auch Shreeharsh Kelkar, Engineering a platform: The construction of interfaces, users, organizational roles, and the division of labor, in: new media & society 20 (2018) 7, S. 2629-2646. So folgt die Demonstration organisationaler Fitness regelmäßig dem Anspruch von Legitimitätsgewinnen. Siehe hierzu klassisch John W. Meyer, Brian Rowan, Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony, in: American Journal of Sociology 83 (1977) 2, S. 340-363.

8. Die digitale Organisation von Möglichkeiten

turentscheidungen zu unterschätzen.57 Gerade der Rückgriff auf kontingenznegierende Mechanismen der Strukturbildung ist mit dem Anspruch der Störungsfreiheit behaftet und dies gilt auch für die Inanspruchnahme rechenbasierter Mechanismen der Entscheidungsunterstützung. Für die technikgestützte Form einer managerialen Logik des Gelingens zu entscheiden,58 bedeutet, zugunsten der Seite der Struktur zu entscheiden und damit der Ambition weiterer Formalisierung zu folgen. Entscheidungen des Managements stehen unter Konsistenzdruck und der Fortschritt durch Technik verspricht, nicht von den Unwägbarkeiten der beteiligten Subjekte abhängig zu sein. Mit jeder neu in organisationale Strukturbildungsprozesse integrierten Softwarelösung wird die Unterscheidung von Entscheidung und Entscheidungsgrundlage programmatisch synthetisiert. Im Ergebnis wird mehr gerechnet als entschieden. Doch wie üblich ist dies nur eine von mindestens zwei unterschiedlichen Sichtweisen. Aus umgekehrter Perspektive steht das Prinzip organisationaler Strukturautomation für das Risiko, dass die algorithmusgestützte Kontingenzbindung durch neue Möglichkeiten des Selektierens und Filterns von Alternativen notwendige Entscheidungen unterbindet. Ihrer programmatischen Anlage zufolge zielen Softwarelösungen und Algorithmen auf die Beseitigung von organizational slack und damit auf die Verabschiedung von überschüssigen Ressourcen, für die jedoch produktive Eigenheiten angenommen werden.59 Doch die Annahme, dass die nicht systematisierbaren und unplanmäßigen Struktureffekte eine produktive Rolle spielen, entspricht in Organisationen der Rechnung mit unbekannten Variablen. Ein Kompensativum der Imperfektheit von Planung muss notwendigerweise unbestimmt bleiben und kann nicht über die rechenhafte Eigenlogik organisationaler Prozesse der Strukturautomation abgebildet werden. Der Abschied vom Subjekt wird aus dieser Perspektive zum Risiko, wenn Organisationen – neben dem Potential des Subjekts – auf subjektbedingte sozialintegrative Momente verzichten. Gleichzeitig birgt das bewusste Offenhalten von Entscheidungsspielräumen und der damit verbundene Verzicht auf Redundanzen die Gefahr, die eigene Legitimation durch Nichtagieren zu gefährden, zumindest solange dies nicht als bewusste Entscheidung für Offenheit ausgeflaggt wird. Für die eine oder andere Seite zu entscheiden, kann sowohl riskant als auch gefährlich sein, da die Unterscheidung von Risiko und Gefahr den Ausgangspunkt von Aktivitäten fokussiert. Eigenes Agieren birgt Risiken, die zu verantworten sind, während gleichzeitig Gefahren lauern, die nicht zwangsläufig

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Aus diesem Grund sind auftretende Isomorphieeffekte keine Seltenheit, denn Managementmoden verbreiten sich häufig durch Nachahmung und Rezeption eines vermeintlich erfolgreichen Vorgehens. Siehe hierzu klassisch Paul J. DiMaggio, Walter W. Powell, The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism in Organizational Fields, in: American Sociological Review 48 (1983) 2, S. 147-160. Zur Digitalisierung als managerialem Megatrend, den es zu reflektieren gilt, siehe auch Stefanie Büchner, Judith Muster, Digitalisierung. Jetzt. Eine Entgegnung, in: OrganisationsEntwicklung 36 (2017) 4, S. 70-72. Siehe hierzu klassisch James G. March, Herbert A. Simon, Organizations, New York, London und Sydney: John Wiley & Sons, Inc. 1958, S. 187; siehe auch Siehe Richard M. Cyert, James G. March, Eine verhaltenswissenschaftliche Theorie der Unternehmung. 2. Auflage. Deutsche Ausgabe herausgegeben vom Carnegie Bosch Institut. Übersetzt von Gerda Bernhardt und Siegfried Gagsch, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag 1995, S. 182f.

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kalkulierbar und antizipierbar sind.60 Die Paradoxien der Organisation, die in sachlicher, zeitlicher und sozialer Hinsicht den Anforderungsgrad der Organisation auf den Begriff bringen, machen Management in Organisationen selbst zu einer paradoxen Tätigkeit. Je mehr die sich ereignende Gegenwart der imaginierten Zukunft entspricht, desto mehr kann die strukturelle Vorwegnahme der Zukunft zum Problem werden. Sollte der avisierte Erfolg tatsächlich eintreten, ist das Management in Organisationen mit dem Risiko konfrontiert, sich überflüssig zu machen. Würde der gute Plan der Organisation tatsächlich realisiert, erübrigen sich weitere Fragen adaptiver Strukturgestaltung.61 Der Versuch, Organisationsstrukturen störungsfrei zu stellen, geht mit dem Risiko einher, durch Erfolg die eigene Überflüssigkeit zu bedingen.62 Aus dieser Perspektive realisiert sich Management in Organisationen als eine genuin pädagogische Praxis. Denn Versuche zielgerichteter Verhaltensänderung sehen sich im Gelingensfall dem Szenario gegenüber, die eigene Überflüssigkeit bedingt zu haben und dem eigenen Erfolg anheimzufallen.63 Die Selbstabschaffung des Managements durch Mechanismen der Entscheidungsunterstützung zu forcieren, ist ein Risiko mit doppeltem Boden. Mit dem Schicksal des Managements verschiebt sich die Frage der Zukunftsfähigkeit der klassischen Organisation in Richtung deren Zukunftsnotwendigkeit. Bereits die zunehmende Expansion der Projektförmigkeit von Arbeitsorganisation fordert die klassische Form der Organisationen heraus und katalysiert in erheblichen Maße Prozesse der Dissipation, im Zuge derer Organisationen in kleine Einheiten aufgespalten werden.64 Buchhaltung, Perso60 61

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Zur Unterscheidung von Risiko und Gefahr siehe Niklas Luhmann, Soziologie des Risikos, Berlin: Walter de Gruyter & Co. 1991, S. 30f. Dies würde einem Ende der Unsicherheitsabsorption der Organisation entsprechen. Je mehr die Organisation zu einer Produktionsstätte von Gewissheiten wird, desto weniger Unsicherheit wird absorbiert. Zwar würde die Störanfälligkeit im Modus reibungsloser Konnektivität sinken, das produktive Potential von Unsicherheit jedoch unterminiert. Hierzu schreibt Niklas Luhmann: »Fortbestehende Unsicherheit ist die wichtigste Ressource der Autopoiesis des Systems. Denn ohne Unsicherheit bliebe nichts zu entschieden, die Organisation fände im Zustande kompletter Selbstfestlegung ihr Ende und würde mangels Tätigkeit aufhören zu existieren. Siehe Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, S. 186. Das Risiko der Selbstabschaffung des Managements diskutieren auch Martin Messner, Tobias Scheytt und Albrecht Becker am Beispiel des Controllings. Zentral für die Autoren ist hierbei die Frage, ob es durch die durch das Controlling zur Verfügung gestellten Datenlage überhaupt noch etwas zu entscheiden gibt. Um der eigenen Zukunft willen muss jedes Management Entscheidungsalternativen offenhalten, um nicht in der Rolle eines »Entscheidungsautomaten« aufzugehen und so die eigene Überflüssigkeit zu bedingen. Siehe hierzu Martin Messner, Tobias Scheytt, Albrecht Becker, Messen und Managen: Controlling und die (Un-)Berechenbarkeit des Managements, S. 101. Vor diesem Hintergrund ist deutlich, weshalb pädagogische Praxis in der Regel auf den Mechanismus der Organisation im Sinne einer sozialen Stützeinrichtung setzt, da mithilfe von organisationaler Programmgestaltung auf der Basis von Defizitbestimmugen Fallförmigkeit erzeugt werden und ein stetiger Nachschub an Fällen abgesichert werden kann. Siehe hierzu Dirk Baecker, Soziale Hilfe als Funktionssystem der Gesellschaft, in: Zeitschrift für Soziologie 23 (1994) 2, S. 93-110. Birger P. Priddat zufolge werden Organisation in der Folge von Dissipationsprozessen – etwa durch Mergers and Acquisitions bedingt – idealtypisch zu Ideenwerkstätten. Damit wird die Ursprungsorganisation auf ein vermeintlich eigentliches Kerngeschäft reduziert, während alle benötigten

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nalfragen, Öffentlichkeitsarbeit, Marketing, Akquise – nahezu alle benötigten Teilleistungen können als verzichtbar betrachtet werden. Organisationen werden auf ihr ursprüngliches Kerngeschäft reduziert. Je mehr Entscheidungen an ausgelagerte Einheiten delegiert werden, desto weniger realisiert sich die Organisation in ihrer klassischen Form als Dual von Struktur und Subjekt. Je mehr der benötigten Teilleistungen von Satelliten des Netzwerks erbracht werden, desto mehr nehmen notwendige strukturelle Verknüpfungsleistungen zu. Organisationale Identität ist relativ, wenn die Ausgangsorganisation nur noch einen kleinen Teil der realisierten Verknüpfungen und Anschlüsse darstellt.65 Vor diesem Hintergrund ist offen, inwieweit die klassische Form moderner Organisation in Zukunft noch das zentrale gesellschaftliche Strukturmoment sein wird oder inwieweit Organisation und Struktur praktisch synthetisiert werden können. Wenn Prozesse organisationaler Strukturautomation den alten Anspruch der organisationalen Trias von Zweck, Rationalität und Konsistenz realisieren und die lange Verlaufsgeschichte der Parusieverzögerung der Organisation beenden, stellt sich im Ergebnis die Frage, was der Preis der Erlösung ist. Dass der Preis der Erlösung die Auflösung der Organisation bedeutet und das Ende der Parusieverzögerung sich als deren Apokalypse realisiert, wäre die ironische Pointe der langen Geschichte von Steuerungsund Kontrollambitionen. Vor dem Hintergrund der semantischen Attraktoren Digitalisierung und digitaler Transformation ist eine Antwort in dieser Richtung schnell gefunden. Begriffsderivate aus dem Formenspektrum der Digitalisierungssemantik bedienen das Narrativ einer sich im Auflösen befindenden Ordnung, deren Transformation beispiellos ist.66 Besonders Organisationen scheinen durch das leitende Strukturbildungsprinzip der Zukunftsvergessenheit gegenüber Netzwerken und Schwärmen zu behäbig zu sein und über ein zu geringeres Innovationspotential zu verfügen.67 Doch der Abgesang auf das

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Teilleistungen von umlaufenden Satellitenorganisationen zugekauft werden können. Die Metapher des Satelliten ist dem Umstand geschuldet, dass in einem netzwerkartigen Zusammenhang Organisationen für potentielle Transaktionen im Hinblick auf ergänzende Leistungen im Orbit verfügbar bleiben. Die geschrumpfte Ur-Organisation arbeitet infolgedessen mit einer prozessartigen Aktualisierung von gegebenen Möglichkeiten des Netzwerks und dies mit der Zielstellung, in erster Linie Ideen zu generieren und die Marktfähigkeit dieser Ideen zu ermöglichen. Siehe Birger P. Priddat, Das Verschwinden der langen Verträge, in: Dirk Baecker (Hg.), Archäologie der Arbeit, Berlin: Kulturverlag Kadmos 2002, S. 65-86. Die Verheißungen der Leistungsfähigkeiten entsprechender Netzwerke sind nicht neu und bereits als Herausforderung für die klassische Organisation verbucht. Für eine entsprechende Diskussion siehe Karl-Heinz Ladeur, Die Gesellschaft der Netzwerke und ihre Wissensordnung. Big Data, Datenschutz und die »relationale Persönlichkeit«, in: Florian Süssenguth (Hg.), Die Gesellschaft der Daten. Über die digitale Transformation der sozialen Ordnung, Bielefeld: transcript Verlag 2015, S. 225-251. In diesem Sinne wählt Don Tapscott die Formulierung eines neuen Zeitalters, »das eine neue Wirtschaft, eine neue Politik und eine neue Gesellschaft hervorbringen wird.« Siehe Don Tapscott, Die digitale Revolution. Verheißungen einer vernetzten Welt – die Folgen für Wirtschaft, Management und Gesellschaft, Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler 1996, S. 18. Dieses Leistungspotential geht jedoch zwangsläufig mit einem Kontrollverlust aufgrund der Unvorhersehbarkeit und Unkontrollierbarkeit der entsprechenden Verknüpfungsleistungen einher, die auf einer fehlenden zentralisierten Steuerungsmöglichkeit beruhen. »Das absolut dezentrale, selbstorganisierende, flexible und widerstandsfähige Organisationsmodell« bleibt daher zu-

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Prinzip der Organisation könnte sich als vorschnell herausstellen, das Ende der Organisation nur als eine mögliche – womöglich vorschnelle – Option.68 Dass die jüngste Welle digitalbasierter Rationalisierungsstrategien dazu führt, dass die Organisation der eigenen Optimierung anheim fällt und die manageriale Tendenz zur Selbstabschaffung die Selbstabschaffung der Organisation bedingt, ist nur eine Möglichkeit der Antwort. Auf der anderen Seite steht die lange und erfolgreiche Geschichte der Form moderner Organisation, die als Mechanismus der Gewährleistung von Erwartungssicherheit bisher unverzichtbar ist. Die Zukunft der Organisation scheint von Organisationen selbst abzuhängen.69 So spricht für die Zukunft der Organisation ein klassisches Organisationsmerkmal und zwar, dass Organisation Organisation erzeugt.70 Dem Prinzip der Organisation ist aufgrund der konstituierenden Strukturgebote der Verfahrensförmigkeit und Regulierung eine Steigerungsfunktion immanent, die bedingt, dass organisationaler Rückbau im ersten Schritt kumulatives Strukturwachstum voraussetzt. Die Tatsache, dass statt zu entscheiden regelmäßig zunächst entschieden wird, wie entschieden werden soll, weist in die Richtung der Kontinuität und kann für die Zukunftsfähigkeit der Organisation im digitalen Zeitalter ins Feld geführt werden.71

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nächst Phantasie, die bereits auf der Vorstellungsebene Ambivalenzen birgt. Siehe hierzu Eugene Thacker, Netzwerke – Schwärme – Multitudes, in: Eva Horn, Lucas Marco Gisi (Hg.), Schwärme – Kollektive ohne Zentrum. Eine Wissensgeschichte zwischen Leben und Information, Bielefeld: transcript Verlag 2009, S. 27-68, hier S. 68. Denn regelmäßig wird übersehen, dass auch der vielfach beschworene Plattformkapitalismus in erheblichem Ausmaß noch mithilfe von Organisationen realisiert wird. Während im Begriff des Plattformkapitalismus – typisch für Digitalisierungssemantiken – Verheißung und Bedrohung kulminieren, gerät regelmäßig aus dem Blick, dass zum einen sehr unterschiedliche Phänomene diskutiert werden, zum anderen eine empirische Fundierung der entsprechenden Positionen zuweilen ausbleibt und so die tatsächliche Reichweite – Stand jetzt – gerne überschätzt wird. Siehe hierzu Heiner Heiland, Review-Artikel: Zum aktuellen Stand des Plattformkapitalismus, in: Industrielle Beziehungen. Zeitschrift für Arbeit, Organisation und Management 25 (2018) 1, S. 128-139. Florian Süssenguth hält diesbezüglich fest, dass Praktiken der Datengenerierung und des Umgangs mit Daten sowie deren Ausarbeitung zu Geschäftsmodellen maßgeblich in Organisationen vonstattengehen bzw. diese von Organisationen absorbiert werden. Als Beispiele nennt er Startups auf der einen Seite, Google/Alphabet, Facebook oder Apple als Abnehmer und Großorganisationen auf der anderen Seite. Süssenguth betont die Beharrungskräfte und die Eigenlogik von Organisationen und sieht deren Rolle als Strukturmoment der Gesellschaft nicht zwangsläufig als überkommen an. Seine These validiert Süssenguth mittels empirischen Materials an Organisationen aus den Bereichen Wirtschaft, Medien und Politik und hält übereinstimmend für diese Bereiche fest, dass Semantiken der Digitalisierung zwar als Entscheidungsgrundlage relevant werden können, nicht aber zwangsläufig Struktureffekte und damit das Ende der Organisation bedingen. Siehe Florian Süssenguth, Die Organisation des digitalen Wandels. Zur Funktion von Digitalisierungssemantiken in Wirtschaft, Medien und Politik, in: ders. (Hg.), Die Gesellschaft der Daten. Über die digitale Transformation der sozialen Ordnung, Bielefeld: transcript Verlag 2015, S. 93-121. Zur Steigerungslogik von Organisationen durch das Prinzip parasitären Entscheidens siehe Niklas Luhmann, Organisation, in: Willi Küpper, Günther Ortmann (Hg.), Mikropolitik. Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen. 2., durchgesehene Auflage, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1992, S. 165-185, hier S. 179f. David Graeber erinnert in diesem Zusammenhang an die Prognose John Maynard Keynes, dass Wirtschaftswachstum und Produktivitätssteigerung zu freiwerdenden Zeitkontingenten führen und die Arbeit aller nicht mehr erforderlich sein wird. Darauf bezugnehmend stellt Graeber fest, dass nicht nur die von Keynes prognostizierte Entwicklung ausgeblieben ist, sondern das gleiche

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Gerade weil Organisation Organisation erzeugt, ist nicht mit der flächendeckenden Erosion von Beschäftigungsverhältnissen zu rechnen, sondern vielmehr mit einer Verlagerung und zwar in der Hinsicht, dass Verwaltungsaufgaben und Tätigkeiten im mittleren Management zunehmen. Regulierung und Evaluation folgen aufeinander und steigern sich wechselseitig aneinander. Spitzt man diese These zu, resultiert daraus eine Auffassung – wie sie etwa David Graeber vertritt –, dass wesentliche Entwicklungen der digitalen Transformation bereits erfolgt sind und weder ein gesellschaftlicher Kahlschlag noch das Ende der Organisation zu erwarten sind. Besonders der selbstlegitimatorische Anspruch des Managements, die eigene Wichtigkeit mithilfe opulenter Personalkörper zu illustrieren, führt Graeber entsprechend zum Anwachsen von Tätigkeitsfeldern, in denen Arbeit zu erledigen ist, die aufgrund ihrer Inhaltsleere auf der Sinnebene von Mitarbeitenden als unsinnig, unproduktiv und überflüssig empfunden wird.72 Als Ergebnis dessen steht das Leiden des Subjekts an der eigenen Unnötigkeit als Pathologie der digitalen Moderne.73 Organisationen werden aus dieser Perspektive weniger zu Sinnerzeugungsmaschinen als zu Unsinnsgeneratoren, die durch das Binden

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Narrativ der Arbeitsplatzvernichtung und Freisetzung von Zeitressourcen auch im Hinblick auf die digitale Transformation der Gesellschaft die Runde macht. Im Sinne einer Duplizität der Ereignisse arbeiten aber im digitalen Zeitalter nicht weniger Menschen. Es werden lediglich Arbeitsplätze im Bereich der Produktion maschinell ersetzt, gleichzeitig aber durch ein stetiges Wachstum an anderer Stelle – nicht zuletzt im Bereich des mittleren Managements – kompensiert. Graeber macht aber nicht organisationale Eigenlogik für die Multiplikation von Bullshit-Jobs verantwortlich. Vielmehr sucht er auf der Gesinnungsebene der Gesellschaft, nach der Arbeit noch immer einen zentralen Stellenwert hat, während im Umkehrschluss Nicht-Arbeit ein politisches Risiko bedeuten kann. Nur so kann es ausdrücklich entgegen kapitalistischer Effizienzkalküle zu einer Aufblähung von Regulierungstätigkeiten kommen, die Arbeit und Organisation Graeber zufolge den Sinngehalt aussaugt. Siehe hierzu David Graeber, Bullshit-Jobs. Vom Wahren Sinn der Arbeit, Stuttgart: J.G. Cotta’sche Buchhandlung 2018. Bezeichnenderweise wird das Argument des organisationalen Strukturkonservatismus aus Richtung eines selbsterklärten Linksanarchismus ins Feld geführt. Wenngleich die Thesenführung sicher kulturkritisch überhöht ist, so handelt es sich doch um eine gewinnbringende Aktualisierung einer klassischen Theoriefigur. Damit aktualisiert Graeber eine Position, die Theodor W. Adorno im Rahmen seiner Kritik einer verwalteten Welt mit Vehemenz vertreten hatte. So kritisierte Adorno ein organisational bedingtes Diktat des Sachlichen, das – ausgehend von der fortschreitenden Technisierung des Arbeitsprozesses – dem gesamten Leben eine ihm ureigene Eigentlichkeit nimmt. Adorno schreibt: »Die Bürokratie hat in der öffentlichen Meinung das Erbe dessen angetreten, was man früher den sogenannten unproduktiven, parasitären Berufen, den Vermittlern und Zwischenhändlern nachzusagen pflegte: die Bürokratie ist der Sündenbock der verwalteten Welt. Entscheidend für den gegenwärtigen Zustand ist die Zusammenfassung immer größerer ökonomischer und gesellschaftlicher Einheiten zu partikularen, sich selbst undurchsichtigen und verderblichen Zwecken.« Im Unterschied zu Graebers Diagnose der Zunahme sinnloser Beschäftigungen gesteht Adorno dem Individuum in der Organisation allerdings nicht zu, den eigenen Kontext durchschauen zu können, sodass fraglich bleiben muss, inwieweit sich das Leiden an zunehmend entmenschlichten Beziehungen artikulieren kann. Die Schärfe der adornoschen Beobachtungen ist zunächst einmal exklusiv, denn die Reflexion des angenommenen ökonomischen Primats, das Produktionsverhältnisse mit gesellschaftlichen Verhältnissen gleichsetzt, ist einer Position vorbehalten, die nicht in der entsprechenden Gemengelage situiert ist. Siehe hierzu Theodor W. Adorno, Individuum und Organisation. Einleitungsvortrag zum Darmstädter Gespräch 1953, in: ders., Gesammelte Schriften. Band 8. Soziologische Schriften I, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1972, S. 440-456, hier S. 446.

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von Zeit zum Angriff auf die psychische Gesundheit der nur para-beteiligten Subjekte werden. Dennoch verhindern die strukturellen Beharrungskräfte der Organisation ihre Erübrigung. Rigidität und Redundanz von Organisationsstrukturen fordern ihren Tribut auf der Seite des Subjekts, dies aber weniger im Sinne seiner Exkommunikation, sondern in Form seiner Verabschiedung in Richtung Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit. Es handelt sich bei diesem Szenario nicht um die Selbstabschaffung der Organisation, sondern um eine friedliche Koexistenz von Struktur und Subjekt, in der die wesentlichen Leistungen zwar über die Seite der Struktur abgebildet werden, bei der auf die Präsenz der vormals beteiligten Individuen aber trotzdem nicht verzichtet wird. Die Antwort auf die Frage, ob der Organisationsmechanismus in der Fortsetzung der klassischen Traditionslinie Beharrungskräfte aufweist, die die Zukunft der Organisation sichern, kann an dieser Stelle jedoch nur in die Zukunft ausgelagert werden. Nur die Empirie der Realität kann zum Korrektiv entsprechender Überlegungen werden oder sie entsprechend validieren. Auf der Seite der Struktur stellen die Auflösung von Organisationsgrenzen sowie deren Behauptung mögliche Szenarien digitaler Transformation dar, aber auch die Rolle des Subjekts kann in den unterschiedlichen Richtungen von Steigerung und Auflösung diskutiert werden. Die mögliche Sinnentleerung aufgrund einer zunehmenden organisationalen Selbstverwaltung ist nur eine Option und nicht zuletzt eine normative Zuspitzung der schwindenden Entscheidungs- und Handlungsspielräume im Rahmen zunehmender Strukturwirksamkeit. Denn dass aufgrund der funktionalen Perspektive der Organisation auf das Subjekt dessen persönliche Motivlagen und Interessen zweitrangig sind, ist kein ausschließlicher Effekt digitaler Strukturbildung und dementsprechend firmiert die Flucht ins Normative als aktualisierte Form einer grundsätzlichen Organisationskritik. Es bietet sich daher die Perspektive an, digitale Lösungen selbst als Praxen der Subjektivierung zu verstehen und dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass Organisationen immer mit vor-organisational angenommer Subjektivität kalkulieren. Subiectum ist man zwar durch Organisation, Subjekt bereits davor. Im Hinblick auf Subjektivität im digitalen Zeitalter spielt das zunehmend optimierte Passungsverhältnis von Nutzenden digitaler Devices und der ihnen bei der Nutzung angebotenen Inhalte eine zentrale Rolle.74 In der digitalen Moderne übernehmen Algorithmen die Funktion von Selektionsmechanismen und entsprechenden Filtern.75 Digitale Bausteine organistionaler Strukturautomation fungieren als Mechanismen der Ordnungsbildung. Im Ergebnis steht für Jeden eine eigene Welt zur Verfügung, die sich daraus speist, dass die Anwendung Daten über das Nutzungsverhalten sammelt

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Dazu merkt Florian Muhle an, dass Personalisierung durch Algorithmen auf der Anbieterseite vor allen Dingen die Funktion erfüllt, Unsicherheit zu reduzieren, die daraus resultiert, auf User zugreifen zu wollen. Siehe hierzu Florian Muhle, Stochastically Modelling the User. Systemtheoretische Überlegungen zur ›Personalisierung‹ der Werbekommunikation durch Algorithmen, in: Thorben Mämecke, Jan-Hendrik Passoth, Josef Wehner (Hg.), Bedeutende Daten. Modelle, Verfahren und Praxis der Verlesung und Verdatung im Netz, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2018, S. 143169. Siehe hierzu David Beer, The social power of algorithms, in: Information, Communication & Society 20 (2017) 1, S. 1-13.

8. Die digitale Organisation von Möglichkeiten

und diese dazu nutzt, mehr und mehr über Interessen und Vorlieben zu lernen und anzuwenden.76 Als Formen der Ordnungsbildung katalysieren algorithmusbasierte Filter die Bildung von Echokammern und Filterblasen,77 deren Modi der Selbstreferentialität nur eigene Realitäten kennen. So zielen etwa personalisierte Werbung und Ad-targeting darauf, den Prozess von Geschmacks- und Meinungsbildung abzulösen und zu ersetzen. Vor diesem Hintergrund scheint offen, inwiefern kulturelle, soziale oder politische Vorstellungen noch die Folge von Autonomie, bestimmte Konsummotive noch Ergebnis eigener Präferenzen und Entscheidungen damit Ausdruck von Subjektivität sind.78 Auf den ersten Blick erscheinen die auf den Nutzer passgenau zugeschnittenen Angebote als konsequente Fortsetzung einer gesteigerten Individualisierung, da die Nutzung von Softwarelösungen und Apps ein zielgenaues Abdecken subjektiver Präferenzen verspricht.79 Doch während die Herausforderungen der Moderne als Probleme individueller Selektion konzipiert werden, werden in der digitalen Moderne Antworten geliefert, ohne dass zuvor eine Frage gestellt wurde.80 Nachrichten, Jobs und Unterhaltungsmedien werden durch Empfehlungsalgorithmen bedarfsgerecht auf den Nutzer zugeschnitten. Das Nutzerverhalten kann noch individueller, noch genauer auf die spezifischen Präferenzen abgestimmt werden.81 Dabei ist die Prognose dessen, was Nutzende mögen und tun, organisational vermittelt. Die organisationale Präokkupation von Zukunft und die subjektive Erfahrungswelt kommen zur Deckung. Individuelle Präferenzen werden durch passgenaue Angebote scheinbar unendlich steigerbar und so eine neue Form der Unverwechselbarkeit erzeugt. Dieser Form digitaler Subjektivität, die sich als Hyperindividualisierung82 ausweist, steht die Frage gegenüber, ob der Algorithmus etwas anderes findet als mehr vom Immergleichen, als das, was ihm bereits eingeschrieben ist. Statt zu entscheiden, wird gerechnet, indem die Nutzungsgewohnheiten der Vergangenheit rechenmäßig rekombiniert werden. Doch wenn das Subjekt von morgen bei genauer Hinsicht das Subjekt von gestern ist, bietet sich auch eine andere Perspektive an, da digitalbasierte Hyperindividualisie76 77 78 79

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Siehe hierzu kritisch Shoshana Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Aus dem Englischen von Bernhard Schmid, Frankfurt und New York: Campus Verlag 2018. Siehe hierzu Eli Pariser, The Filter Bubble. What the Internet Is Hiding from You. Siehe hierzu Deborah Lupton, Digital Sociology, London und New York: Routledge 2015. Siehe hierzu Stephan Wallaschkowski, Elena Niehuis, Digitaler Konsum, in: Oliver Stengel, Alexander van Looy, Stephan Wallaschkowski (Hg.), Digitalzeitalter – Digitalgesellschaft. Das Ende des Industriezeitalters und der Beginn einer neuen Epoche, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2017, S. 109-141, hier S. 131f. Siehe hierzu auch Rudi Klausnitzer, Das Ende des Zufalls. Wie Big Data uns und unser Leben vorhersagbar macht, Salzburg: Ecowin Verlag 2013. Siehe hierzu Armin Grunwald, Abschied vom Individuum – werden wir zu Endgeräten eines globaldigitalen Netzes, in: Steffen Burk, Martin Hennig, Benjamin Heurich, Tatiana Klepikova, Miriam Piegsa, Manuela Sixt, Kai Erik Trost (Hg.), Privatheit in der digitalen Gesellschaft, Berlin: Duncker & Humblot GmbH 2018, S. 35-48. Das Steigerungspräfix »hyper« soll den neuen technischen Anteil an Praktiken der Subjektivierung herausstellen. Dass die Steigerung prinzipiell nicht-steigerungsfähiger Begriffe eine intellektuell eher bescheidene Lösung ist, wird hier bewusst in Kauf genommen und versuchsweise damit begründet, dass Formulierungen wie hyper oder super ein wiederkehrendes Stilmittel und damit eine Affinität der Systemtheorie darstellen, deren attraktorisches Potential sich in diesem Sinne auswirkt.

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rung ohne das auskommt, was den Ausgangspunkt der Geschichte des Subjekts markierte: Autonomie, Entscheidungsfreiheit und damit die Fähigkeit, Alternativen gegeneinander abzuwägen.83 Gerade durch die steigende Passgenauigkeit von Interface und Nutzenden werden die Voraussetzungen von Individualität streng genommen unterminiert.84 Zugespitzt mündet dies in die offene Frage, inwieweit sich durch die Ausdehnung der Leistungsfähigkeit organisationaler Strukturbildung die Grenzen von Subjektivität verschieben und zwar dahingehend, dass eine – womöglich philosophisch überhöhte – Subjektkonstruktion ihre Begriffsfähigkeit einbüßt. Steigerung und Auflösung von Subjektivität liegen eng beieinander, wenn sich die Frage nach der Zukunft als Suche in der Vergangenheit offenbart. Denn bei der Rekombination bereits erhobener Daten und den daraus generierten Informationen handelt es sich um eine technikgestützte Variation des Vorhandenen. Individualität in der digitalen Moderne ist Individualität im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit und dass dem zunehmend dezentrierten Subjekt in der Konsequenz ein Datenschatten vorauseilt, ist nicht zuletzt die Konsequenz der Informationsaffinität der Organisation.

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Organisation in der digitalen Moderne

Im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung und der Aktualisierung organisationaler Binnendifferenzierung wird die soziale Grammatik der Organisation zunehmend zu einer digitalen Grammatik. Die digitale Grammatik der Organisation basiert auf Prozessen organisationaler Strukturautomation und damit auf algorithmischer Strukturbildung. Aspekte, wie die Unterscheidungen von bekannt und unbekannt oder manifest und latent, die für die soziale Grammatik der Organisation zentral und für die beteiligten Subjekte funktionaler Navigator sind,85 spielen im Rahmen rechenmäßiger Rekombinationen bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Sobald gerechnet wird, stellen sich in 83

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Obwohl Autonomie einen zentralen Platz auf der »Wunschliste der Individualität« (S. 126) einnimmt, ist Autonomie kein selbstgewähltes Schicksal, denn die »Wunschliste der Individualität« beinhaltet keine Wünsche des Individuums. Vielmehr sorgen gesellschaftliche Erwartungen dafür, dass hier ein pädagogischer Imperativ zum Ausdruck kommt, indem Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit nicht als Optionen zur Wahl stehen, sondern schlicht vorausgesetzt werden. Niklas Luhmann stellt diesbezüglich auf klassisch humanistischer Linie nicht zuletzt das Leiden des Individuums an den modernen Verhältnissen heraus. Dabei handelt es sich weniger um eine romantische Verklärung der Vergangenheit, als darum, auf eine Freiheit begründende Paradoxie aufmerksam zu machen und damit auf die Tatsache, dass »Traum und Trauma der Emanzipation« (S. 127) als Vexierbild der Moderne Hand in Hand gehen. Siehe Niklas Luhmann, Die gesellschaftliche Differenzierung und das Individuum, in: ders., Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch. 2. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 121-136. Benjamin Jörissen diskutiert datenförmige Identitätsbildung als neues (digitales) Kapitel in der (zumeist analogen) Verlaufsgeschichte von Selbst- und Weltverhältnissen und macht diesbezüglich entsprechenden Forschungsbedarf aus. Siehe hierzu Benjamin Jörissen, ›Digitale Bildung‹ und die Genealogie digitaler Kultur: historiographische Skizzen. In diesem Sinne bezeichnen Ulrike Froschauer und Manfred Lueger die informale Seite der Organisation als »Beziehungsarbeit« die die Grundlage organisationaler Interaktionsordnungen bildet und somit den Basisrhythmus von Organisationen darstellt. Siehe Ulrike Froschauer, Manfred Lueger, Informalität als organisationaler Basisrhytmus. Beobachtungen in Familienunternehmen, in:

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erster Linie Fragen der Rechenmäßigkeit.86 Die entgegengesetzten Eigenlogiken von Berechnung und Kommunikation und ihre unterschiedlichen Modi numerischer und kommunikativer Konnektivität bedingen die Aktualisierung der doppelten Realität der Organisation: algorithmusbasierte Strukturverstetigungen auf der einen Seite, die im Modus reibungsloser Konnektivität einer spezifischen Form der Subjektgebundenheit gegenüberstehen, die nur kommunikativ funktioniert. Organisationen arbeiten vor diesem Hintergrund in einem Modus des Multitasking – wenngleich dies keine ausschließliche Eigenheit des digitalen Zeitalters ist. Die Multimodalität der Organisation umfasst soziale Spielregeln und kommunikative Umgangsformen, wie ihr gleichzeitig verfahrensförmige Bestreben der Verdatung und Routinen der Informationsverarbeitung eigen sind. Der modus operandi der Organisation war und ist multimodal. Dies zeigen die Überlegungen von Taylor, Gutenberg, Gilbreth und Follett, deren Ideen auf jeweils eigene Art Reflexionen der aus der Multimodalität der Organisation resultierenden Planungs- und Steuerungsprobleme sind. Bereits im Entstehen der Managementlehre finden sich für die Seite der Strukturbildung unterschiedliche semiotische Techniken der Kontingenzbindung wie Messung, Berechnung und Visualisierung, wie der gleichzeitige Versuch, im Rahmen der Rechaotisierung der Organisation Unsicherheiten und Vagheiten als Formen struktureller Strukturlosigkeit vorzusehen. Parallelität und Gleichzeitigkeit kennzeichnen nicht nur die Arbeitsvollzüge der Organisation, sie gelten auch für die unterschiedlichen Anschlusslogiken, indem die Multimodalität der Organisation das Ergebnis der Integration verschiedener Semiosen ist. Auf diese Weise bieten Parallelität und Gleichzeitigkeit der unterschiedlichen Formen der Zeichenverkettung eine Blaupause für das, was sich im Rahmen digitaler Transformation – nun digitalbasiert – fortschreibt, wenn Visualisierungen als sichtbare Oberflächen automatisch ablaufende Berechnungen und Messungen abbilden, die als abgeschattete Routinen zunehmend verborgen bleiben. Die Annahme, dass die fortschreitende Digitalisierung auf Strukturbildungsleistungen aufsitzt, wie sie für Organisationen typisch sind, stellt das etablierte Inventar von Gesellschafts- und Sozialtheorie vor neue Bewährungsaufgaben.87 Die multiple Realität der Organisation, die sich in der Gleichzeitigkeit loser und fest gekoppel-

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Victoria von Groddeck, Sylvia Marlene Wilz (Hg.), Formalität und Informalität in Organisationen, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2015, S. 191-213, hier S. 210, Stefanie Büchner macht diesbezüglich darauf aufmerksam, dass der Einsatz von Software und die daraus resultierenden strukturbedingten Handlungsvorgaben auch Gelegenheiten für narrative Darstellungen zunehmend minimieren. Siehe hierzu Stefanie Büchner, Fallsoftware als digitale Dokumentation. Zur Unterscheidung einer Arbeits- und Organisationsperspektive auf digitale Dokumentation, S. 251. Dies betrifft nicht zuletzt Annahmen von Entscheidungsnotwendigkeiten und Bedarfen nach Sicherheit und Orientierung. Selektionsprobleme aber sind Ergebnisse von Sinnüberschuss, der Umgangsweisen erfordert. Orientierung und Entscheidungen werden jedoch erst erforderlich, wenn ihnen die Beobachtung von Alternativen und damit die Erfahrung von Kontingenz vorausgeht. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Theorieentwürfe der modernen Gesellschaft mit der Annahme der Erosion klassischer Deutungsmonopole regelmäßig gemeinsame Bezugspunkte aufweisen, die einen Freisetzungsprozess bedingen und damit verbundene Gestaltungsherausforderungen moderner Subjekte katalysieren, stellt sich die Frage, welche Umgangsweisen der Sinnüber-

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ter Abläufe und der damit verbundenen Aktualisierung organisationaler Binnendifferenzierung ausdrückt, muss sich im Rahmen gesellschaftstheoretischer Überlegungen abbilden lassen.88 Hierauf antwortet vor allem die Akteur-Netzwerk-Theorie mit dem Vorschlag, die Dichotomie von Menschen und Dingen infrage zu stellen und Sozialität als Netzwerk von human und nicht-human bedingten Verknüpfungen zu verstehen.89 Insbesondere Bruno Latour verzichtet auf einen starken Subjektbegriff und knüpft im Sinne einer solchen Hybridität keine wesentlichen Voraussetzungen an den Akteurstatus.90 Das Konzept der Hybridität91 fungiert als eine Möglichkeit, eine Festlegung für die ein oder andere Seite zu vermeiden und stattdessen auf Integration durch Gleichrangigkeit zu setzen.92 Auf diese Weise werden die klassischen Grenzen des Sozialen

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schuss in der digitalen Moderne erforderlich macht und welche Einrichtungen, Technologien oder Organisationen diesen einzufangen und zu bündeln vermögen. Die Notwendigkeit eines aktualisierten Instrumentariums zur Beschreibung zeitgenössischer Verhältnisse betont auch Dirk Baecker. Dialektische Theorieentwürfe – wie das Kontrastieren von Technikglauben und Technikohnmacht oder Freiheit und Unfreiheit –, die auf unterschiedliche Art und Weise das Verhältnis von Ober- und Unterordnung justieren, seien nicht mehr in Lage, die gegenwärtige Komplexität zu erfassen und würden dementsprechend zu kurz greifen. Baecker verweist stattdessen auf den Stellenwert, den Unbekanntheit in der Moderne spielt, und hebt die Relevanz deren reflexiver Handhabung hervor. Siehe Dirk Baecker, Rechnung mit drei Unbekannten, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 68 (2014) 1, S. 70-73. So geht Bruno Latour von einer »Pluralität der Existenzformen« (S. 414) aus, die seiner Auffassung nach in bisherigen Beschreibungen des Sozialen keinen Eingang gefunden haben. Dies gilt etwa für die Vermittlungsleistungen von »Entitäten, Wesen, Objekten und Dingen« (S. 412), die Latour zufolge für dessen Zustandekommen eine zentrale Rolle spielen. Diesbezüglich findet sich Kritik Latours an Luhmanns Vorgehen, zwar auf eigenlogische Merkmalsbestimmungen zu setzen, diese durch Beobachtung erzeugten Unterschiede jedoch in der Selbigkeit operativen Prozessierens wieder einzuebnen. So schreibt Latour in Fußnote 38 auf Seite 414: »Luhmanns großartiger Versuch, durch die Vorstellung autonomer Bereiche die Differenzen zu respektieren, wurde leider durch sein Beharren verdorben, alle Bereiche durch eine gemeinsame Metasprache zu beschreiben, die einer bestimmten Biologie entlehnt ist.« Vor diesem Hintergrund bezeichnet Latour Luhmanns Überlegungen – wie auch die von Durkheim, Beck oder Bourdieu – als Erzählungen, die bestenfalls Ausschnitte der sozialen Wirklichkeit abbilden (S. 327). Siehe hierzu Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Aus dem Englischen von Gustav Roßler, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2007. Vielmehr gilt für Latour: »An »actor« in ANT is a semiotic definition – an actant –, that is something that acts or to which activity is granted by others. It implies no special motivation of human individual actors, nor of humans in general. An actant can literally be anything provided it is granted to be the source of an action [H.i.O.].« Siehe Bruno Latour, On actor-network theory. A few clarifications, in: Soziale Welt 47 (1996) 4, S. 369-382, hier S. 373. Siehe hierzu auch die Beiträge in Thomas Kron (Hg.), Hybride Sozialität – Soziale Hybridität, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2015. Als andere Option, die auf die Vermittlung von Struktur und Subjekt abzielt, werden regelmäßig Praxistheorien in Anspruch genommen. So schlägt etwa Karl Heinz Hörning für eine gelingende Praxis zwischen Struktur und Subjekt die Figur des »reflexiven Mitspielers« vor, der über eine bestimmte Form an Distanzierungsvermögen gegenüber Strukturzwängen und damit über eine ihm zugesprochene Urteilskraft verfügt. Woraus sich diese speist, muss allerdings offen bleiben, denn der Anspruch Hörnings, Praxistheorie als Aussöhnung des Gegensatzpaares von Strukturund Subjekttheorie zu konzipieren, fordert Begründungslasten ein, die nicht leicht zu schultern sind. Gerade die Fähigkeit, selbstbestimmt Urteile zu fällen, verschiebt den »reflexiven Mitspieler« in Richtung der Seite des Subjekts, auch wenn menschliche Verhältnisse zunehmend von tech-

8. Die digitale Organisation von Möglichkeiten

aufgehoben,93 was gleichzeitig impliziert, dass die Unterschiedlichkeit der Anschlusslogiken von Informationsverarbeitung und Kommunikation aus dem Blick gerät. Als Gegenentwurf dazu findet sich die Einnahme einer humanzentrierten Perspektive, die ausgehend von der Bewusstseinsfähigkeit des Menschen technische Veränderungen in erster Linie als Projektionsleistungen versteht, damit zwar ein mögliches menschliches Alleinstellungsmerkmal identifiziert, gleichzeitig aber dadurch die Möglichkeit aufgibt, die Besonderheiten der digitalen Moderne in den Blick nehmen zu können.94 Dabei steht die Unterscheidung verschiedener Anschlusslogiken in der Traditionslinie etablierter Gesellschaftstheorie. So hat Niklas Luhmann in seinen letzten Arbeiten das Auseinanderfallen von Informationsverarbeitung und Kommunikation in den Blick genommen, ohne dies für die weitere Theorieentwicklung noch ausreichend berücksichtigen zu können.95 Entgegen der von ihm lange vertretenen These, Gesellschaft sei ausschließlich kommunikativ vermittelt, registriert Luhmann, dass für die Verarbeitung von Informationen die Annahme von Mitteilungsabsichten und deren verstehensabhängige Dechiffrierung nicht erforderlich ist.96 Dies bedeutet jedoch zwangsläufig, dass Informationsverarbeitung als eigenständiger Modus der Anschlussbildung neben den klassischen Begriff der Kommunikation tritt, der die Synthese von Information, Mitteilung und Verstehen als folgenschwere Hypothek mit sich führt. Ein Aufbrechen dieser dreistelligen Einheit war bis dato kein zentrales Anliegen systemtheoretischer Überlegungen,97 doch im Hinblick

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nischen Artefakten und damit verbundenen Strukturzwängen geprägt werden. Siehe hierzu Karl Heinz Hörning, Wissen in digitalen Zeiten, in Heidrun Allert, Michael Asmussen, Christoph Richter (Hg.): Digitalität und Selbst. Interdisziplinäre Perspektiven auf Subjektivierungs- und Bildungsprozesse. Bielefeld: transcript 2017, S. 69-85. Für die konsequente Weiterführung dieses Anspruches aus Perspektive der Science and Technology Studies siehe Arno Bammé, Science and Technology Studies. Ein Überblick, Marburg: Metropolit Verlag 2009. Für eine ausführliche Kritik an dieser Perspektive sowie einen Überblick über das Angebot von Sozialtheorien im digitalen Zeitalter siehe Florian Muhle, Sozialität von und mit Robotern? Drei soziologische Antworten und eine kommunikationstheoretische Alternative, in: Zeitschrift für Soziologie 47 (2018) 3. S. 147-163. So schreibt Niklas Luhmann in der letzten Fassung seiner bei Lebzeiten vorgelegten Gesellschaftstheorie: » […] so geht die derzeit letzte Erfindung noch einen Schritt weiter. Es handelt sich um die durch Computer vermittelte Kommunikation. Sie ermöglicht es, die Eingabe von Daten in den Computer und das Abrufen von Informationen so weit zu trennen, daß keinerlei Identität mehr besteht. Im Zusammenhang mit Kommunikation heißt dies, daß die Einheit von Mitteilung und Verstehen aufgegeben wird.« Siehe Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft. Erster Teilband. Kapitel 1-3, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1997, S. 309. Dabei war Luhmann offensichtlich bewusst, dass sein Theorieinventar im sich abzeichnenden Zeitalter des Computers vor der Herausforderung einer Aktualisierung steht, wobei für ihn besonders die Entwicklung künstlicher Intelligenz eine zentrale Rolle einnimmt. Damit wendet sich Luhmann gegen den von ihm eingeführten Kommunikationsbegriff, der unabdingbar auf die operative Synthetisierung von Information, Mitteilung und Verstehen setzt. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1984, S. 194ff. Versuche, die kommunikative Synthese von Information, Mitteilung und Verstehen in unterschiedlichen Modi zu systematisieren, finden sich bei Peter Fuchs. So unterscheidet Fuchs im Rahmen seiner Theorie des operativen Displacements unterschiedliche Akzentuierungen von Informati-

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auf das Leistungspotential von Computern spricht Luhmann von einer »sozialen Entkopplung« der Kommunikation,98 ohne für diese Überlegungen noch die Anbindung an die eigene Organisationstheorie gesucht haben zu können. Gerade Prozesse digitaler Transformation stellen aber aufgrund der Anschlussbildung numerischer Konnektivität die Möglichkeit dar, an diese Überlegungen anzuschließen und diese mit der Eigenlogik von Organisationen zu verknüpfen,99 was der Organisationstheorie Luhmanns in ihrer Ausgangsfassung entspricht.100 on und Mitteilung – etwa im Rahmen romantischer oder aufgeklärter Kommunikation. Während bei romantischer Kommunikation im Vordergrund steht, dass überhaupt etwas mitgeteilt wird, sinkt für wissenschaftliche Kommunikation der Interpretationsspielraum, sodass die Selektionsofferte dem Anspruch nach auf die informationelle Seite festgelegt wird. Siehe hierzu Peter Fuchs, Moderne Kommunikation. Zur Theorie des operativen Displacements, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1993. Ein weiterer Ansatzpunkt von Fuchs findet sich bei seiner Bestimmung des operativen Verknüpfungsmodus des WWW als »hyperautonome Kommunikation«, die darauf fokussiert, auszureizen, »wieviel Bewusstsein der Kommunikation entzogen werden kann, ohne sie in den Kollaps zu treiben.« Siehe Peter Fuchs, Realität der Virtualität – Aufklärungen zur Mystik des Netzes, in: ders., Theorie als Lehrgedicht. Systemtheoretische Essays I. Hg. von Marie-Christin Fuchs, Bielefeld: transcript Verlag 2004, S. 121-145, hier S. 145. Dass Fuchs den Kommunikationsbegriff streng genommen seiner Grundlage beraubt und nicht konsequent auf einen eigenständigen Verknüpfungsmodus – etwa auf Informationsverarbeitung – setzt, kann im Hinblick auf die digitale Moderne als nicht voll ausgeschöpftes Potential verstanden werden, die Weiterentwicklung der Systemtheorie voranzutreiben. Erfolg und Überzeugungskraft der Theorieanlage erschweren vielmehr entsprechende Umstellungen im Sinne einer Weiterentwicklung für das digitale Zeitalter. Noch einmal anders formuliert, kann die Sakrosanktheit des klassischen Kommunikationsbegriffs als Orthodoxie der Systemtheorie interpretiert werden. 98 Siehe Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft. Erster Teilband. Kapitel 1-3, S. 309. 99 Die Aktualität der Luhmannschen Gesellschaftstheorie für das Zeitalter digitaler Transformation diskutiert auch Dirk Baecker. Der Computer – so Baecker – sei Luhmann zufolge eine »Alternative zur strukturellen Kopplung von Kommunikation und Bewußtsein« und dies aufgrund der Tatsache, dass Information und Mitteilung hier noch weiter auseinandergezogen werden, als dies durch Schrift und Buchdruck der Fall ist. »Damit ist jedoch auch gesagt, daß kein Phänomen die Gesellschaftstheorie Luhmanns auf eine härtere Probe stellt als der Computer.« Letztlich stellt Baecker damit die Passgenauigkeit der Überlegungen Luhmanns für die Beschreibung der gegenwärtigen Verhältnisse infrage. Die Unterscheidung von Information und Mitteilung greife für das Prozessieren von Computern streng genommen nicht. Dabei kommt Baecker zu dem Ergebnis, dass es sich bei Prozessen digitaler Verarbeitung um eine Form der Kommunikation handele, die sich mittels der luhmannschen Kommunikationstheorie nicht mehr beschreiben ließe. Siehe Dirk Baecker, Niklas Luhmann in der Gesellschaft der Computer, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 55 (2001) 7, S. 597-609, hier S. 600. Bemerkenswerterweise ist Baecker trotzdem nicht bereit, auf den Begriff der Kommunikation zu verzichten und dies trotz der Tatsache, dass weder die Kriterien der Bewusstseinsbeteiligung noch die Unterscheidung von Information und Mitteilung Anwendung finden können. Die Rettung des Kommunikationsbegriffs erscheint diesbezüglich kontraintuitiv. Vor dem Hintergrund, dass Baecker selbst jedoch eine Fassung des Kommunikationsbegriffs präferiert, die stärker an einer mathematischen Grundlegung interessiert ist, relativiert sich das entsprechende Vorgehen. Das Projekt der Aussöhnung von Soziologie und Kybernetik, an dem bereits Luhmann gearbeitet hatte, ist aus dieser Warte heraus noch nicht abgeschlossen. Siehe hierzu etwa Dirk Baecker, Rechnen lernen, in: Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie 9 (2003) 1, S. 131-159. 100 So findet sich der Begriff der Informationsverarbeitung und seine Verknüpfung mit organisationstheoretischen Überlegungen bereits in der frühen Schaffensphase Niklas Luhmanns. Zwar ohne

8. Die digitale Organisation von Möglichkeiten

Die Ebene der Anschlussbildung in den Blick zu nehmen, entspricht der Intention, Organisations- und Gesellschaftstheorie nicht getrennt voneinander zu denken sowie den Verbreitungsgrad von Organisationen und die damit verbundene Katalyse digitalbasierter Transformationsprozesse zu reflektieren. Ob mit der Betonung dieser Kontinuitätslinie die Frage nach der nächsten Gesellschaft beantwortet – gewissermaßen als Organisationsgesellschaft 2.0 – oder nur aufgeschoben ist, ist indes eine empirische Frage. Doch für die Annahme, dass die Funktionslogik von Organisationen und der Rückgriff auf Mechanismen der Entscheidungsunterstützung der Digitalisierung Vorschub geleistet haben, die digitale Transformation in Organisationen also analog vorbereitet wurde, spricht die Tendenz organisationaler Strukturbildung, von den beteiligten Subjekten zu abstrahieren und unabhängig werden zu wollen. Die grundsätzliche Funktion von Organisationsstrukturen ermöglicht die gleichzeitige Parallelisierung und Koordination von Interaktionen, die Kommunikation unter Abwesenden sowie die Gewährleistung von Zeitstabilität und -festigkeit. Besonders die sich scheinbar in digitaler Auflösung befindenden Grenzen von Raum und Zeit sind maßgeblich mit der Eigenlogik von Organisationen verknüpft. Weder ist der digitale Raum lokal zu verorten,101 noch gelten die analogen Prämissen zeitlicher Sequentialität,102 wenn auf Basis von Rechenleistung Sekunden in kleinste Untereinheiten aufgespalten werden,103 um Zeiteinheiten dadurch anzureichern und zu verdichten, dass unzählige gleichzeitige Operationen möglich werden. Im Begriff der Strukturautomation kulminieren Versuche organisationaler Strukturbildung, von Raum und Zeit unabhängig zu werden. Die Matrix der

den Begriff systematisch zu verwenden, aber dennoch seine Losgelöstheit von Persönlichkeitseigenschaften thematisierend, schreibt Luhmann im Hinblick auf das Leistungspotential bürokratischer Strukturbildung: »Das macht es möglich, der Verwaltung höchst komplizierte Aufgaben der Informationsverarbeitung zu stellen, ohne die persönlichen Eigenschaften, Interessen, und Ausdrucksgepflogenheiten der Handelnden in Rechnung stellen zu müssen.« Siehe Niklas Luhmann, Spontane Ordnungsbildung, in: Fritz Morstein Marx (Hg.), Verwaltung. Eine einführende Darstellung, Berlin: Duncker & Humblot 1965, S. 163-183, hier S. 171. 101 Siehe hierzu Aneesh Aneesh, Global Labor: Algocratic Modes of Organization, in: Sociological Theory 27 (2009) 4, S. 347-370. 102 Zur Entzeitlichung und Enträumlichung virtueller Simulationswelten und den damit neu geschaffenen Zugriffsmöglichkeiten siehe Daniel Diemers, Die Multioptionsgesellschaft im Cyberspace, in: Achim Brosziewski, Thomas Samuel Eberle, Christoph Marder (Hg.), Moderne Zeiten. Reflexionen zur Multioptionsgesellschaft, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH 2001, S. 199-212, hier S. 207f. 103 Siehe hierzu Ramón Reichert, Börsenturbulenzen. Die Medialität der Finanzmärkte, in: Herbert Kalthoff, Uwe Vormbusch (Hg.), Soziologie der Finanzmärkte, Bielefeld: transcript Verlag 2012, S. 179-199.

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digitalen Raumzeit104 gründet nicht zuletzt auf der organisationalen Verschachtelung gleichzeitiger, aufeinander abgestimmter Operationen. Die Tendenz zur eigenen Relativierung ist durch die Eigenlogik ihrer Strukturen bereits Organisationen des analogen Zeitalters eingeschrieben. Aufgrund der Gleichzeitigkeit ihrer Abläufe entlasten Organisationen von der Notwendigkeit der Kopräsenz und damit von einer räumlichen Gebundenheit. In zeitlicher Hinsicht kann in Organisationen der flüchtige Moment der Gegenwart fixiert werden. Die Möglichkeit des Nachlesens ergibt sich aus einer Praxis des Vorschreibens. Memos, Protokolle und Dokumentationen sorgen dafür, dass Arbeitstage enden und Vorgänge an andere Personen übertragen werden können. Das Prinzip der Delegation ist in Organisationen eng mit Praktiken der Notation und Mechanismen der Entscheidungsunterstützung verknüpft. Die subjektunabhängige dauerhafte Adressierbarkeit der Organisation ermöglich ihre Zeitstabilität und -festigkeit, die über die Lebensspanne der beteiligten Individuen regelmäßig hinausreicht. Durch den Modus der regelgeleiteten Parallelisierung der benötigten Teilleistungen macht sich die Organisation das Prinzip der Gleichzeitigkeit zu eigen und kann der permanenten Ersetzung der Gegenwart entgegentreten. Strukturbildung ist das zentrale Mittel, sich gegen die drohende Vergänglichkeit zu stemmen. Das Prinzip der Sequenz wird aufgefächert und in die Breite umgeleitet, indem Zeitsequenzen strukturgeleitet verdichtet werden. In Organisationen werden Raum und Zeit über organisationale Strukturbildung integriert und Delokalisierung und Entzeitlichung verweisen auf das organisationale Leistungspotential, Informationen verarbeiten zu können.105 Im digitalen Zeitalter sind jedoch nicht nur Raum und Zeit zunehmend relative Größen, sondern immer häufiger auch die beteiligten Subjekte substituierbar. Ein konkreter Ort ist genauso wenig erforderlich wie bestimmte Zeiten verbindlicher Anwesenheit.106 In räumlicher Hinsicht relativieren Organisationen die Notwendigkeit der Anwesenheit.

104 Mit dem Begriff der digitalen Raumzeit fokussiert Gesa Lindemann auf die Tatsache, dass Raum und Zeit physikalisch messbar sind und so in kleinsten Maßeinheiten abgebildet werden können, deren Verrechnung objektivierte Positionierungen in einem Raum-Zeit-Kontinuum ermöglichen. Die gesellschaftliche Durchsetzung digitaler Raumzeit – gebunden an entsprechende wissenschaftliche Entwicklungen – verortet Lindemann zwar im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts, gerade die neuen digitalen Möglichkeiten erzeugen Lindemann zufolge jedoch eine Matrix, da die Integration entsprechender Daten die Erzeugung jeweils individueller Signaturen ermöglicht. Siehe hierzu Gesa Lindemann, In der Matrix der digitalen Raumzeit. Das generalisierte Panoptikum, in: Armin Nassehi (Hg.), Privat 2.0. Kursbuch 177, Hamburg: Murmann 2014, S. 162-173. 105 Siehe hierzu Sebastian Manhart, Thomas Wendt, Delokalisierung, Entzeitlichung und Entpersonalisierung organisierter Pädagogik. Zur digitalen Transformation organisationaler Raumzeit und ihres Subjekts. 106 Zentrale Voraussetzung ist dafür das Cloud-Computing, das Organisationen ein Wechselspiel von Zentralität und Verteiltheit ermöglicht. In der Tatsache, dass Informationen in der digitalen Moderne de-lokal verfügbar sind und so die Grenzen physischer Räumlichkeit an Relevanz einbüßen, sehen Michael Eggert und Daniel Kerpen die zentrale infrastrukturelle Voraussetzung für eine fortschreitende Datafizierung der Gesellschaft. Siehe hierzu Michael Eggert,Daniel Kerpen, Wer Datengesellschaft sagt, muss auch Cloud-Computing sagen. Die Cloud als zentrale Infrastruktur der datafizierten Gesellschaft, in: Daniel Houben, Bianca Prietl (Hg.), Datengesellschaft. Einsichten in die Datafizierung des Sozialen, Bielefeld: transcript Verlag 2018, S. 155-177.

8. Die digitale Organisation von Möglichkeiten

Im Ergebnis ist de-lokale Informationsverarbeitung ebenso möglich wie Kommunikation unter Abwesenden. In dieser Hinsicht ist Organisation ein Modus strukturgeleiteter Informationsverarbeitung, der auf eine strikte Unterscheidung von digitalem und physischem Raum nicht angewiesen ist. Die Suche nach der nächsten Organisation und die damit verbundene Frage nach der Struktur-Subjekt-Dualität hält eine Mehrzahl von Antworten auf mögliche Zukünfte bereit und dies gilt auch für die Gestaltung von Organisationsstrukturen. Aufgrund der Möglichkeiten rechnergestützten Verweisens folgt organisationale Strukturgestaltung im digitalen Zeitalter zwar regelmäßig dem Prinzip, dass alles, was berechnet werden kann, algorithmusbasierter Automatisierung zugänglich gemacht werden kann. Doch für die Gestaltung von Organisationen ist unterdessen bemerkenswert, dass mit der Nutzung von Softwarelösungen neben dem Abstellen auf Rationalitätsgewinne ebenso die Hoffnung verknüpft ist, dass die Überantwortung von Steuerungsnotwendigkeiten an rechnerische Eigenlogiken Freiräume für strategische Entscheidungen schafft und neue Formen der Ideengenerierung ermöglicht. Während das Prinzip der Organisation als informationsverarbeitender Mechanismus der Ordnungsbildung auf einen konkreten Ort im physischen Raum nicht zwangsläufig angewiesen ist, spielt in Organisationen der Gegenwart die Anwesenheit der beteiligten Subjekte eine nicht zu unterschätzende Rolle. Denn zunehmend wird die Unvorhersehbarkeit und Zukunftsoffenheit sozialer Interaktion, die als Emergenzniveau selbst Folge von Subjektivität ist, zum Gegenentwurf einer durch Strukturfestlegungen vorweggenommen Zukunft. Als Komplement zur digitalbasierten Vorwegnahme der Zukunft wird die Fruchtbarmachung von Kontingenz zu einer zentralen Ressource der Organisation, indem die Zufälligkeiten interaktionistischer Unmittelbarkeit systematisch genutzt werden. Dass im digitalen Zeitalter die Renaissance des Zufalls in Organisationen eine zentrale Rolle spielt, ist Gegenstand der folgenden Überlegungen.

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9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

Die Gestaltungsherausforderungen von Organisationen der digitalen Moderne unterscheiden sich nicht zwangsläufig von denen klassischer Organisationen. Solange die Organisation ihre Operationen als Dual von Struktur und Subjekt realisiert, treffen organisationale Strukturvorgaben auf subjektive Motivlagen. Das Dual von Struktur und Subjekt tritt als Antagonismus von organisationalen Anpassungsforderungen und Erwartungen einerseits und individuellen Freiheitswünschen und dem damit verbundenen Anspruch, eigene Vorstellungen zum Ausdruck bringen zu können, andererseits, auf. Diesen Gegensatz maßvoll auszutarieren, ist die maßgebliche Gestaltungsherausforderung von und in Organisationen. Das Funktionieren der Organisation basiert grundsätzlich auf der Einhaltung formaler Regelvorgaben und fungiert deshalb als Mechanismus der Blockierung von Alternativen. Ohne eine formale Ordnung sind Organisationen nicht vorstellbar. Im Ergebnis heißt Organisation qua Strukturbildung zu wissen, was geschehen wird. Das Prinzip der Organisation ist ein Modus der Präokkupation von Zukunft. Die Vorwegnahme der Zukunft durch Strukturfestlegungen ist das Potential, aus dem Organisationen ihre Leistungsfähigkeit beziehen. Doch die sicherheitsstiftende Ordnung geht nicht selten mit dem Risiko einher, Möglichkeiten der Flexibilität und des Wandels zu unterminieren.1 Die Organisation wird so vom gesellschaftlichen Innovationstreiber, dem zentralen Vehikel bei der Suche nach Neuheit und Fortschritt, zum eigenen Hindernis für Innovation. Dies kann auch für den Einsatz von Softwarelösungen gelten, indem organisationale Strukturautomation die Einschränkung von Handlungsund Entscheidungsspielräumen bedingt und das organisationale Dual von Struktur und Subjekt in Richtung der Strukturseite verschiebt. Doch die Anti-Beliebigkeit des Computerprogramms steht nicht zwangsläufig für Geländegewinne im Feld von Rationalität, Transparenz und Steuerbarkeit. Digitale Strukturbildung in Organisationen kann 1

Für die Diskussion organisationaler Pfadabhängigkeit siehe Stephan Duschek, Regelpfade – Wirkmächte des (Miss-)Erfolgs von Organisationen, in: Stephan Duschek, Michael Gaitanides, Wenzel Matiaske, Günther Ortmann (Hg.), Organisationen regeln. Die Wirkmacht korporativer Akteure, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2012, S. 195-221.

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Die nächste Organisation

das Risiko verschärfen, durch die rechengestützte Vergessenheit der Zukunft blind gegenüber gegenwärtigen Herausforderungen zu werden. Die rechenbasierte Auswertung der Vergangenheit wird durch die Rekombination von Vorhandenem zur Prognose einer Zukunft, die ihre Ungewissheit verliert, wenn die Berechnung der Vergangenheit zum Zukunftsentwurf wird. Auf diesem Weg verlieren Organisationen das Rauschen, die Irritationsquelle des organizational slack,2 die produktiven Potentiale des Informalen und damit wirksame Unbestimmtheitsspielräume.3 Überspitzt formuliert, birgt Digitalisierung für Organisationen das Risiko der Zukunftsblindheit. Wenn gerechnet wird, muss weder gesprochen noch entschieden werden, während die rechenmäßige Verstetigung von Strukturkomponenten dazu führt, dass organisationale Erwartungen nicht mehr enttäuscht werden. Im Ergebnis läuft dies auf die entscheidende Frage der digitalen Organisation zu, der Frage, ob der algorithmusbasierte Rückspiegel zum Navigator in Richtung einer gelingenden Zukunft taugt. Wenn durch Prozesse der Strukturautomation Entscheidungsspielräume minimiert werden, kommt in einer gegenläufigen Bewegung Möglichkeitsräumen in Organisationen steigende Relevanz zu. Algorithmen zielen auf die rechenmäßige Rekombination vorhandener Elemente, nicht auf die Entstehung von Neuem. Als Tools organisationaler Strukturbildung hegen sie Möglichkeiten ein. Doch Organisation benötigt Entscheidungsalternativen und damit auch den Richtungsstreit, aus dem sich mögliche Alternativen speisen. Alternativen vorzuhalten, wird durch immer leistungsfähigere Instrumente der Strukturfestlegung zur zentralen Aufgabe von Organisation. Je besser kontingenznegierende Strukturbildung gelingt, desto notwendiger werden Möglichkeitsräume in Organisationen, die nicht der Logik der Verregelung folgen. Dieser Raum soll den Strukturen der Organisation nicht im Sinne einer Abweichung von etablierten Erwartungsmustern abgetrotzt werden, sondern in Prozessen der Strukturbildung angelegt sein.4 2

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Siehe hierzu klassisch James G. March, Herbert A. Simon, Organizations, New York, London und Sydney: John Wiley & Sons, Inc. 1958, S. 187; siehe auch Siehe Richard M. Cyert, James G. March, Eine verhaltenswissenschaftliche Theorie der Unternehmung. 2. Auflage. Deutsche Ausgabe herausgegeben vom Carnegie Bosch Institut. Übersetzt von Gerda Bernhardt und Siegfried Gagsch, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag 1995, S. 182f. Edouard J. Simon, João Porto de Albuquerque und Arno Rolf unterscheiden zwischen notwendigen und vorläufigen Formalisierungslücken in Organisationen. Vorläufige Formalisierungslücken können prinzipiell geschlossen werden, insofern dies technisch oder ökonomisch realisiert werden kann. Dagegen sind notwendige Formalisierungslücken für Organisationen unabdingbar, da gerade diesen Zonen der Unberechenbarkeit das notwendige Potential für Kreativität und Innovation immanent ist. Verbleibende Freiheitsgrade und Unberechenbarkeit können nicht voneinander getrennt werden. Siehe hierzu Edouard J. Simon, João Porto de Albuquerque, Arno Rolf, Notwendige und vorläufige Formalisierungslücken in Organisationen, in: Christiane Funken, Ingo Schulz-Schaeffer (Hg.), Digitalisierung der Arbeitswelt. Zur Neuordnung formaler und informeller Prozesse in Unternehmen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, S. 239-261. Zwei verschiedene Raumbegriffe, die regelmäßig gegeneinander ausgespielt werden, diskutiert Markus Schroer. Neben einer klassischen Vorstellung von Raum als »als gegebene Konstante, als Behälter oder Rahmen, in dem sich Soziales abspielt« tritt eine Konzeption von Raum, die Raum als Ergebnis sozialer Interaktion fasst. Vor dem Hintergrund durchlässiger und fortlaufend reaktualisierter Grenzen plädiert Schroer für einen hybriden Raumbegriff, der konsequent die operative Ebene in den Blick nimmt, um keinem Raumdeterminismus anheimzufallen, sondern die Wech-

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

Raumproduktion in Organisationen ist die Entfaltung der Paradoxie struktureller Strukturlosigkeit. Es gilt das anzuzielen, von dem man nicht wissen kann, was es ist. Es geht um die Erwartung dessen, was nicht erwartet werden kann, um die Vorgabe dessen, was aufgrund seiner Unbestimmtheit nicht vorgegeben werden kann.5 Im Hinblick auf organisationale Strukturbildung geht es um die Projektion dessen, was nur retrospektiv als Möglichkeit, als Alternative, als Gelegenheit beobachtet werden kann. Organisationen stehen vor der Gestaltungsherausforderung sich irritieren zu lassen, um sich nicht im bloßen Exekutieren von Routinen zu erschöpfen. Die Dynamisierung etablierter Zusammenhänge setzt daher auf Formen subjektiver Abweichung, auf individuelle Spontanität, auf Eingebung und Neuheit und das Management in und von Organisationen läuft verstärkt auf die paradoxe Herausforderung zu, sich auf ein Durcheinander in geordneten Bahnen einzulassen. Jeder nicht vorweggenommene Impuls, jede neue Idee transzendiert im Versuch ihrer Realisierung den bisherigen Möglichkeitsraum der Organisation. Die Paradoxie der strukturellen Strukturlosigkeit steht für ein gewolltes Ausbrechen aus der Ordnung und damit für den Versuch, die eigene Zukunft durch geordnete Unordnung gestalten zu können. Diese angezielten Turbulenzen erscheinen einerseits als Antithese zur organisationalen Ordnung und andererseits als Renaissance der Rechaotisierung der Organisation, die seit dem Entstehen der modernen Managementlehre Teil des organisationalen Formenvorrats ist. Vor dem Hintergrund der paradoxen Gemengelage im Spannungsfeld von Geschlossenheit und Offenheit, deren Anforderungsgrad im Austarieren von Gegensätzen besteht, ist nachvollziehbar, dass dem Thema Raum und seiner ambivalenten Eigenlogik zwischen Begrenzung und Ermöglichung in Organisationen verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet wird.6 Besonders vor dem Hintergrund der zeitlichen Paradoxie der Vorweg-

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selseitigkeit von Voraussetzung und Herstellung als Sowohl-als-auch-Konstruktion konzipiert. Siehe hierzu Markus Schroer, Raumgrenzen in Bewegung. Zur Interpenetration realer und virtueller Räume, in: Sociologia Internationalis. Internationale Zeitschrift für Soziologie, Kommunikationsund Kulturforschung 41 (2003) 1/2, S. 55-76, hier S. 71f. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass an Organisationen regelmäßig Widersprüche adressiert werden, obliegt dem Management die fortwährende Aufgabe, Paradoxien zu entfalten. So sollen Organisationen global agieren, trotzdem aber lokale Verantwortung übernehmen, auf der einen Seite groß sein, dennoch überschaubar und klein bleiben und obwohl sie zentral geplant und gesteuert werden können sollen, birgt nur Dezentralisierung die Möglichkeit, schnell und adaptiv agieren zu können. Im Zuge steigender Projektförmigkeit und durch Mergers and Acquisition bedingte Dissipationsprozesse in Organisationen spricht Charles Handy vom Zeitalter der Paradoxie. Siehe hierzu Charles Handy, The Age of Paradox, Boston, Massachusetts, Harvard Business School Press 1994, hier S. 34ff. Der kritische Einwurf, dass sich Konjunkturen nicht ausschließlich in der Form theoretischer Tiefenbohrungen ausdrücken, ist entsprechend nicht schwer zu finden. So kritisiert Johannes Wirths, dass die Inanspruchnahme begrifflicher Derivate von Raum und Räumlichkeit über einen rhetorischen Charakter häufig nicht hinauskommt. Den Spatial Turn rückt er als typisch semantischen Konjunktureffekt in Richtung einer Leerformel, die erhebliche begriffliche Unschärfen aufweist. Seine Kritik wendet Wirths jedoch konstruktiv, indem er an Diskursen aus Philosophie, Politik und Geographie zeigt, dass Raum ein zentraler »Faktor der soziokulturellen Selbstverständigung des Menschen« ist. Theoretisch modelliert Wirths Raum in der Konsequenz als Einheit der Unterscheidung von Welt und Beobachter, sodass Fragen nach Raum und Räumlichkeit die Reflexion von »Fragen der Ortung, Ordnung, Orientierung und Mobilisierung« ermöglichen. Siehe Johannes Wirths,

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Die nächste Organisation

nahme der Zukunft und der sachlichen Paradoxie der strukturbedingten Verunmöglichung von Gelegenheiten zeigt sich die Konstruktion organisationaler Möglichkeitsräume als mehrdeutiges und widerspruchsvolles Geschehen zwischen Kontroll- und Steuerungsambitionen und deren zeitweiliger Suspendierung. Dass Raum zunächst als physischer Kategorie Aufmerksamkeit gewidmet wird, erscheint als naheliegende Option.7 Klassische Gestaltungsfragen, die die Organisation als konkreten Ort betreffen, sind aufgrund der Tatsache, dass sie nicht zwangsläufig gestellt werden müssen, virulent. Braucht es noch einen Raum, der Platz für alle Mitglieder der Organisation bietet? Ist es zwingend erforderlich, dass alle noch einen festen bzw. überhaupt noch einen Arbeitsplatz haben? Beides kann verneint werden, wenn man die Organisation von der Seite der Struktur aus in den Blick nimmt, da dem Prinzip organisierter Informationsverarbeitung das Potential der Delokalisierung der Organisation immanent ist. So kommen Organisationen von der Warte der Strukturbildung aus ohne ein sozialintegratives Moment aus. Sie können auf die Inszenierung korporativistischer Muster verzichten,8 die persönliche Anwesenheit und Örtlichkeit voraussetzen würde. Koordination und Parallelisierung von Vollzügen entlasten die Organisation von den Notwendigkeiten physischer Präsenz. Neue Formen der Heimarbeit tragen hierzu genau wie moderne Softwarelösungen ihren Teil bei.9 Doch bisher wird die Organisation nicht zu einem Ort, an dem niemand mehr ist und die Gestaltung der räumlichen Voraussetzungen persönlicher Anwesenheit ist noch Teil managerialer Agenden. Das Design von

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Über Raum reden. Eine Skizze, in: Pascal Goeke, Roland Lippuner, Johannes Wirths (Hg.), Konstruktion und Kontrolle. Zur Raumordnung sozialer Systeme, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2015, S. 24-36, hier S. 34. Margret Fell diskutiert die Möglichkeiten einer Raumdidaktik im Bereich der Erwachsenenbildung und macht auf die Wechselseitigkeit von Verhinderung und Ermöglichung aufmerksam. Der praktischen Pädagogik unterstellt sie einen Vorsprung im Umgang mit »Leidensdruck, der von hemmenden Bildungsraumgestaltungen« ausgeht, während sie für dessen wissenschaftliche Reflexion ein entsprechendes Desiderat markiert. Allerdings geht Fell von einem normativ gefärbten Lernbegriff aus, was das Risiko provoziert, die Effekte, die einer pädagogischen Intention zuwiderlaufen, zu unterschätzen. Auch Vermeidungsstrategien im Umgang mit pädagogischen Absichten sind das Ergebnis entsprechender Lernprozesse. Für die Weiterentwicklung des Themenfeldes schlägt Fell einen Dialog von Architektur und Erziehungswissenschaft vor, um das Spannungsfeld von Verhinderung und Ermöglichung systematisch zu bearbeiten. Siehe Margret Fell, Andragogische Grundüberlegungen zu einer lernförderlichen Gestaltung von umbauten Bildungsräumen, in: Wolfgang Wittwer, Andreas Diettrich, Markus Walter (Hg.), Lernräume. Gestaltung von Lernumgebungen für Weiterbildung, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2015, S. 31-64, hier S. 40. Siehe hierzu Peter Fuchs, Organisation und Communio – Zur Crux der Selbstbeschreibung von Organisationen als Familien, in: Olaf Geramanis, Kristina Hermann (Hg.), Organisation und Intimität. Der Umgang mit Nähe im organisationalen Alltag – zwischen Vertrauensbildung und Manipulation, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag 2014, S. 11-24. So ist Homeoffice Teil der »zeitlichen, räumlichen, inhaltlichen und vertraglichen Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen«, die etwa durch softwarebasiertes Cloudworking oder Crowdsourcing ermöglicht wird. Auch die Expansion von Coworking Spaces ist Teil der Delokalisierung der Organisation, wenngleich sich im Zuge dessen neue Orte als Kompensativum etablieren. Siehe hierzu Caroline Ruiner, Maximiliane Wilkesmann, Arbeits- und Industriesoziologie, Paderborn: Wilhelm Fink 2016, S. 93ff.

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

Bürolandschaften bleibt ein zentrales Gestaltungsobjekt, unabhängig davon, ob hierbei skandinavischer Minimalismus, die strahlende Transparenz moderner Glaspaläste oder überbordend anmutende Themenparks à la Google richtungsweisend sind.10 Im Folgenden stehen jedoch weniger architektonische Fragen im Blickpunkt als vielmehr Annäherungsversuche an die Paradoxie struktureller Strukturlosigkeit im Rahmen zeitgenössischer Managementansätze. Da Organisationen aufgrund ihrer handlungsleitenden Strukturen immer auch Möglichkeiten ausschließen, ist es zunächst einmal bemerkenswert, wenn Offenheit zum Prinzip der Organisation wird. Auf der Ebene der Semantik spiegelt sich dies in Formulierungen, die auf den ersten Blick dem klassisch ordnungsliebenden Prinzip der Organisation entgegenstehen, als semantische Attraktoren aber notwendigerweise unklar bleiben. Der semantische Vorrat – auch nebulöser – Symbolbegriffe reicht von Diversität über die Betonung von Offenheit und Ungezwungenheit bis zu begrifflichen Derivaten von Spiel und Experiment und setzt vor allen Dingen auf Begrifflichkeiten, die auf den ersten Blick nicht mit der Eigenlogik von Organisationen zusammenpassen. Ausgehend von Diversity-Management und der Semantik des Unterschiedlichen stehen anschließend methodische Settings der Erzeugung produktiver Zufälle im Blickfeld, die sich als bewusster Versuch der Negation organisationaler Strukturrigidität verstehen. Die Reflexion der damit verbundenen Konstellierung von Zeithorizonten entgegen der Zukunftsvergessenheit der Organisation schließt die entsprechenden Ausführungen ab.

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Ambivalenzen und negative Auswirkungen organisationaler Freiräume diskutiert Sophia Prinz. Vor dem Hintergrund der Herausbildung eines postfordistischen bzw. postindustriellen Kapitalismus zeichnet Prinz eine Transformation der Mitgliedschaft in Organisationen vom disziplinierten Angestellten zum postmodernen Büronomaden. Die Gestaltung moderner Arbeitsplätze knüpft sie unter dem Etikett der Ästhetisierung der Ökonomie an den Aufstieg einer kreativen Klasse im Sinne Richard Floridas und nutzt so einen argumentativen Hebel, der sich in vergleichbarer Weise bei Andreas Reckwitz und seiner Analyse der Entstehung des Kreativsubjekts findet. Allerdings fokussiert Prinz auf ein Bürodispositiv, dessen Designorientierung maßgebliches Produkt eines Regimes der Gouvernementalität ist. Dabei ist unerheblich, ob sich dieser in kargen Bürolandschaften – Stichwort Minimalismus – oder durch überfrachtete Designs realisiert. Die Beobachtung, dass aber gerade im modernen Management die Gestaltung von (Büro-)Räumen im nicht affektneutralen Sinne bereits gängige Praxis ist, verleiht der argumentativen Position von Prinz Nachdruck, da sie sich nicht mit der häufig sprachzentrierten Lesart von Foucault zu bescheiden beabsichtigt. Als mögliche Option diskutiert sie die Integration der Akteur-Netzwerk-Theorie. Siehe Sophia Prinz, Büros zwischen Disziplin und Design. Postfordistische Ästhetisierungen der Arbeitswelt, in: Stephan Moebius, Sophia Prinz (Hg.), Das Design der Gesellschaft. Zur Kultursoziologie des Designs, Bielefeld: transcript Verlag 2012, S. 245-271. Eine ähnlich gelagerte – dennoch wesentlich schärfere – Kritik findet sich bei Thomas Lemke. Lemke macht auf die Tendenz der Epigonen Foucaults aufmerksam, »die theoretische und methodologische Qualität Foucaults so zu überhöhen, dass die historiographische, philosophische und soziologische Tradition, an die er anknüpft, unterschlagen wird«. Den Gouvernementalitätsstudien wirft er Ignoranz und Selbstbezüglichkeit vor, die er als Ergebnis einer wissenschaftlichen Profilierungsstrategie interpretiert. Siehe Thomas Lemke, Neoliberalismus, Staat und Selbsttechnologien. Ein kritischer Überblick über die gouvernmentality studies, in: Politische Vierteljahresschrift 41 (2000) 1, S. 31-47, hier S. 44f.

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Die nächste Organisation

9.1

Das Energiefeld der Diversität

Die Unterscheidung von Offenheit und Geschlossenheit ist konstitutiv für Prinzip und Form der Organisation. Strukturgestaltung firmiert als die Einheit der Unterscheidung von Offenheit und Geschlossenheit. Organisationale Möglichkeiten sind Folge der Artifizialität der Organisation. Das Prinzip der Organisation steht nicht unter Beliebigkeitsverdacht. Organisation lebt vom Ausschließen nicht intendierter Vorgänge und Möglichkeiten, um Zwecksetzungen und hierarchische Konstellierungen durchsetzen zu können. Dem entspricht die Formel luhmannscher Provenienz, dass der Aufbau von Komplexität nur durch die Reduktion von Komplexität möglich ist.11 Nur durch Prozesse der Selektion und des Ausschließens von Möglichkeiten sind Organisationen in der Lage, eigene Strukturen aufzubauen und die für sie konstitutive Trennung von Innen und Außen zu realisieren. Nicht umsonst gilt als Grenzbildungsprinzip der Organisation eine qua Verfahren und Entscheidung legitimierte Innen-Außen-Unterscheidung.12 Dass mit dem Mechanismus der Mitgliedschaft Konditionalisierungen einhergehen, katalysiert die soziale Dimension der Organisation.13 Durch das Adressieren von Verhaltenserwartungen teilen die Mitglieder der Organisation ein gemeinsames Schicksal.14 Abseits der Strukturseite ist die Organisation ein Ort des kollegialen Austauschs, an dem sich Vertraute, genau wie sich Misstrauende, begegnen.15 Fragen der Zugehörigkeit stellen sich durch Prozesse der Cliquen- und Gruppenbildung nicht nur für Organisationen, sondern auch in Organisationen.16 Als Konsequenz des vor-organisationalen Eigenlebens der Beteiligten sind die sozialen Effekte, nicht zuletzt durch ihre Nichsteuerbarkeit, nicht per se unproblematisch. Der Anspruch der Organisation besteht darin, dass sich die beteiligten Subjekte an organisationalen Rahmenbedingungen orientieren und im Umkehrschluss keine Sonderbehandlung oder individuellen Lösungen vorgesehen sind. Zumindest, wenn die soziale Codierung der Formalstruktur der Organisation – etwa als wechselseitig verstärktes Abweichungsszenario im Sinne Taylors – droht, die Zielsetzung der Organisation zu unterlaufen. Aber Sozialität als kontingenten Negativfaktor zu verstehen, ist nur eine Sichtweise. Spätestens seit den Überlegungen Mary Parker Folletts stehen die sich zwischen Organisationsmitgliedern entwickelnden Beziehungen nicht mehr ausschließlich un-

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Siehe hierzu Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1984, S. 47f. Siehe hierzu klassisch Niklas Luhmann, Interaktion, Organisation, Gesellschaft, in: ders., Soziologische Aufklärung 2, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1975, S. 9-20. Die strikte Innen-Außen-Unterscheidung der Organisation findet sich in sozialer Hinsicht verdoppelt und als Unterscheidung von Zugehörigkeit und Abgrenzung in der Organisation wieder, indem ihre Grundlagenunterscheidung dupliziert und in die Organisation hineinkopiert wird. Siehe hierzu auch Tom Burns, G. M. Stalker, The Management of Innovation, London: Tavistock Publications 1961, S. 258. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Spontane Ordnungsbildung, in: Fritz Morstein Marx (Hg.), Verwaltung. Eine einführende Darstellung, Berlin: Duncker und Humblot 1965, S. 163-183. Für den Zusammenhang von Gruppenzusammensetzung und Gruppenergebnissen siehe Jutta Allmendinger, Astrid Podsiadlowski, Segregation in Organisationen und Arbeitsgruppen, in: Bettina Heinz (Hg.), Geschlechtersoziologie, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag GmbH 2001, S. 276-307.

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

ter kritischer Beobachtung.17 Auch die Verschiebung von Kontingenznegation in Richtung Kontingenzkontrolle, die sich durch die Integration partizipativer Elemente in den Überlegungen der Gilbreths abzeichnete, steht, historisch relativiert, für eine Perspektivenerweiterung des Managements zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Organisation. Die Reflexion der subjektiv bedingten organisationalen Binnenwelt gehört spätestens seit Visualisierung und Rechaotisierung der Organisation zum Inventar grundsätzlicher Überlegungen der Strukturgestaltung. Auch die sich anschließend entwickelnde Human-Relations-Schule setzt auf die Bindungswirkung des geteilten Alltags.18 Die Wiedereinführung der Unterscheidung von Innen und Außen steht nicht nur für Dysfunktionalität, sondern gleichzeitig für den Anspruch, diesen Gegensatz und das damit verbundene Spannungsfeld organisationaler Erwartungen und subjektiver Ansprüche versuchsweise abzumildern. Während Versuche der Ordungsbildung auf den Ausschluss von Möglichkeiten zielen und damit die Unterscheidung von Innen und Außen ermöglichen, kann durch deren reflexive Handhabung die strikte Innen-Außen-Unterscheidung paradoxerweise aufrechterhalten werden. Die Grenze der Organisation durchlässig zu gestalten und ihre Artifizialität, ihren Status als »semantische Sonderwelt«,19 nicht ausschließlich als Logik der Exklusion erscheinen zu lassen, ist, solange die Organisation ihre Operationen als Dual von Struktur und Subjekt realisiert, eine für das Management zentrale Gestaltungsaufgabe. Der Blick auf das Binnenleben der Organisation, der Kontingenz ausschließlich als Problem thematisiert, bildet die organisationale Wirklichkeit nur unzureichend ab. Konsequenterweise wird das Außen der Organisation in den Blick genommen und die dafür maßgebliche Bezugskategorie wird durch das zur Verfügung gestellt, was Organisationen zwar ermöglicht, diese aber deshalb auszuschließen versuchen: die Ungeordnetheit der sie umgebenden Gesellschaft. Die Eigenwelt der Organisation profitiert von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Ressourcen und Möglichkeiten. Organisationen zeichnen sich als Innen-AußenUnterscheidung in die gesellschaftliche Landschaft ein, die Unterscheidungen – wie die Organisation selbst eine ist – ermöglicht. Gesellschaft aber nur als die abgeschattete Rückseite organisationaler Binnenwelten zu verstehen, würde zu kurz greifen, denn als quasi-ausgeschlossene Voraussetzung impliziert Gesellschaft als Begriff weit mehr. 17

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Dies gilt infolgedessen auch für die Hawthorne-Experimente und die Einsicht, dass Informalität in Planungsszenarien als Rückseite der Unterscheidung abgeschattet mitläuft, formale Organisationen ohne ihr Kompensativum also nicht existieren können. Siehe hierzu klassisch F. J. Roethlisberger, William J. Dickson, Management and the Worker. An account of a Research Program Conducted by the western Electric Company, Hawthorne Works, Chicago. With the assistance and collaboration of Harold A. Wright, Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press 1970, S. 559ff. Für die These, dass es sich bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen um soziale, nicht um ökonomische Probleme handelt, siehe klassisch Elton Mayo, The Human Problems of an Industrial Civilization, New York: The Viking Press 1960, hier S. 180. Sebastian Manhart verwendet die obige Formulierung zur Beschreibung des sich durch den Einsatz von Messungen ausdifferenzierenden Strukturzusammenhangs und verdeutlicht deren Relevanz für den Anspruch organisationaler Kontingenznegation. Siehe Sebastian Manhart, Pädagogisches Messen. Messen als Organisationsform pädagogischer Praxis, in: Andreas Schröer, Michael Göhlich, Susanne Maria Weber, Henning Pätzold (Hg.), Organisation und Theorie. Beiträge der Kommission Organisationspädagogik, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2016, S. 53-61, hier S. 57.

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Die nächste Organisation

Gesellschaft ist eine Chiffre für Verschiedenhaftigkeit, für unterschiedliche Möglichkeiten, die individuell verschieden genutzt werden. Unterschiedliche Lebensstile, Einflusspotentiale und Interessenlagen sind die Folge. Für das Verständnis der modernen Gesellschaft ist dies folgenreich. Das Schicksal der Moderne besteht darin, dass jede Beobachtung einer potentiellen Gegenbeobachtung ausgesetzt ist. Notwendigkeit und Unmöglichkeit sind außer Kraft gesetzt und die Angabe von Gründen unterliegt der Sogwirkung der Relativität.20 Die Perspektivenabhängigkeit einer jeden Meinung, Begründung oder Beobachtung sabotiert ontologische Gewissheiten und im Ergebnis werden Verschiedenartigkeit und Möglichkeiten des Andersseinkönnens zum Lackmustest der Gesellschaft. Dieser Umstand macht Gesellschaft als Konzept anspruchsvoll und fragil. Die Vereinbarkeit unterschiedlicher Lebensentwürfe zuzulassen und zu fördern, ist eine Hauptaufgabe moderner Gesellschaften. Gerade weil Liberalität als Prinzip nicht zur Disposition steht, wird Differenz für liberale Gesellschaften zu einer Herausforderung. Unterschiede müssen toleriert, manchmal geduldet und ertragen werden.21 Letztlich ist dieser Zusammenhang zirkulär. Gelingendes Zusammenleben ist nicht nur Aufgabe und Norm, sondern Voraussetzung wie Ergebnis gleichermaßen.22 Auf gesellschaftspolitischer Ebene stellen sich Fragen der Multikulturalität oder der generationalen wie geschlechtlichen Differenz. Doch im Hinblick auf organisationale Strukturgestaltung und den prinzipiell indifferenten, da personenunabhängigen Charakter von Organisationsstrukturen stellen sich derartige Fragen nicht.23 Schon allein aufgrund der Tatsache, dass mit Gesellschaft und Organisation ganz unterschiedliche Ebenen aufgerufen sind, existiert ein Gegensatz gesellschaftlicher und organisationaler Eigenlogik. Gesellschaften sind nicht auf einen bestimmten Fixpunkt hin ausgerich-

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Siehe hierzu Niklas Luhmann, Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft, in: ders., Beobachtungen der Moderne, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1992, S. 93-128. Zum Spannungsfeld öffentlicher und eigener Interessen und den daraus resultierenden Anforderungen an Toleranz siehe Niklas Luhmann, Die Welt als Wille ohne Vorstellung. Sicherheit und Risiko aus der Sicht der Sozialwissenschaften, in: Die politische Meinung, 31 (1986) 229, S. 18-21. Oder, anders ausgedrückt, handelt es sich hierbei um ein Paradoxon, denn Freiheit erstnehmend sind Einschränkungen und Verordnungen für deren in-Existenz-Setzen problematisch. Vielzitiert dazu: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.« Siehe Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des modernen Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkularisation und Utopie. Erbacher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH 1967, S. 75-94, hier S. 93. Trotz eines prinzipiell geschlechtsneutralen und indifferenten Charakters organisationaler Strukturvorgaben sind Führungsetagen von Organisationen häufig homogen zusammengesetzt, sodass neben dem Bereich schwerer Kriminalität auch Entscheidungsautoritäten in Organisationen regelmäßig männlich dominiert sind. Das Aufbrechen des glass ceiling effects ist aber genau wie der Abbau von Diskriminierungsroutinen bei race und ethnicity nicht ausschließlich der Realisierung gesellschaftspolitischer Zielstellungen geschuldet, sondern sitzt auf der Einsicht auf, dass mit der Diskriminierung von Frauen und Minderheiten ein return on investment – etwa im Hinblick auf Ausbildungskosten – massiv erschwert wird. Das manageriale Interesse an Multikulturalität und Diversität speist sich nicht zuletzt aus der Rezeption der Business Schools, die entsprechende Konzepte im Management populär werden ließen. Siehe hierzu Ursula Pasero, Gender, Individualität, Diversity, in: Ursula Pasero, Christine Weinbach (Hg.), Frauen, Männer, Gender Trouble. Systemtheoretische Essays, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2003, S. 105-124, hier S. 120ff.

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

tet. Parallelisierung und Koordination von Handlungsvollzügen mag für Organisationen gelten, doch eine Gesellschaft ist nicht in dieser Form abgestimmt.24 Organisationen geraten als Orte der Illiberalität in den Blick, wenn man die strukturbedingte Nichtverhandelbarkeit der Notwendigkeit von Erwartungssicherheit ernst nimmt. Auf der Seite der Organisation finden sich nunmehr Mitglieder, für die nicht mehr gilt, dass Freiheit und Autonomie und damit das Recht auf Selbstbestimmung und Andersartigkeit handlungsleitend sind. Der grundsätzliche Unterschied von Organisation und Gesellschaft gründet auf der Entscheidung über Mitgliedschaft und Nichtmitgliedschaft und ordnet gesellschaftliche Verhältnisse neu, die prinzipiell Teilnahmebeziehungsweise Teilhabemöglichkeiten für alle vorsehen.25 Entscheidend sind die Regelwerke der Organisation sowie die Spielräume, die diese vorsehen. Organisationen müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Mitglieder im Interesse der Organisation agieren und nicht in erster Linie ein eigenes, je individuelles Kalkül handlungsleitend ist. Selbst Unterschiede im hierarchischen Gefüge oder Verschiedenheiten im Sinne von Zuständigkeiten oder Aufgabenverteilung machen im Hinblick auf die Herstellung von Erwartungssicherheit keinen Unterschied. Die Regeln der Organisation sind allgemeinverbindlich, auch wenn sie sich unterscheiden. Organisationen sind per se Einrichtungen mit einem regulierten und damit eingeschränkten Negationspotential.26 Die Reflexion der organisationalen Artifizialität führt im Management zur Rekonzeptualisierung der Innen-Außen-Unterscheidung der Organisation. Gerade weil Organisationen ihre Operationen als Dual von Struktur und Subjekt realisieren, wandeln sich Konzepte der Strukturgestaltung und die Semantik der Organisation dahingehend, dass die gesellschaftliche Lebenswelt der beteiligten Subjekte in den Blick gerät. Dies gilt etwa für die Verwendung der Diversitätssemantik, der Betonung von Unterschiedlichkeit. Die gesellschaftliche Vielgestaltigkeit was Geschlecht, Alter, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Herkunft oder Religion angeht, ist weit weniger normiert und

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Zur Wechselseitigkeit von Organisation und Gesellschaft und deren möglicher Konstellierung als Antonyme siehe Dirk Baecker, Zumutungen des Kulturmanagements, in: ders., Organisation und Störung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2011, S. 223-256, hier S. 223. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Die Gesellschaft und ihre Organisationen, in: Hans-Ulrich Derlien, Uta Gerhardt, Fritz W. Scharpf (Hg.), Systemrationalität und Partialinteresse. Festschrift für Renate Mayntz, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 1994, S. 189-201. Die unterschiedliche Eigenlogik von Organisation und Gesellschaft bedingt nicht nur ein Spannungsfeld unterschiedlich gelagerter Erwartungen, denn für die Seite der Organisation werden Erwartungsenttäuschungen zumeist an ausbleibenden Ergebnissen bemessen. Organisationale Erwartungen auszuhalten zu müssen, macht Organisation für die beteiligten Subjekte spannungsund anforderungsreich. Konfliktbelastet sind deswegen nicht ausschließlich soziale Spannungen, die aus kollegialen Beziehungen, Konkurrenzverhältnissen oder dem Ringen um Mitsprache resultieren können, sondern vor allen Dingen auch die psychischen Binnenverhältnisse der beteiligten Subjekte. Hier müssen die organisationalen Anforderungen und die sozialen Effekte, verstanden als deren Konsequenz, reguliert werden. Zur Diskussion des Problems, dass Organisationen keinen Zugriff auf die beteiligten Bewusstseine haben und diese deshalb als zurechnungsfähig konzipiert werden müssen, siehe Peter Fuchs, Die Psyche und die harte Welt der Organisation. Gespräche über einen blinden Fleck der Psychotherapie, Berlin: Lit Verlag Dr. W. Hopf 2014, hier S. 56.

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Die nächste Organisation

reguliert als die Binnenwelt der Organisation. Der Tatsache, dass Gesellschaft sozial, kulturell und ethnisch heterogener wird, soll in Organisationen Rechnung getragen werden. Empirisch soll die Organisation damit das werden, was im Hinblick auf die sie einbettende Gesellschaft bereits vorausgesetzt ist: ein Ort, der von Unterschieden profitiert.27 Die Nutzung von Diversität steht für die Wiedererinnerung und das Anknüpfen an die Idee Folletts, dass gelingende Kooperation auf der Unterschiedlichkeit der Beteiligten basiert. Im Überraschungswert des Subjektiven wird eine spezifische Funktion identifiziert. Homogenität erscheint von dieser Warte aus als dysfunktional, als innovationshemmend, als rigide und unflexibel, während Heterogenität aufgrund sich zwischen Unterschiedlichem konstituierender Spannungsfelder eine gewisse Dynamik verspricht.28 Managing diversity bezieht sich auf eine organisationsinterne Differenz und fungiert als Ausdruck der Negation von Ordnung,29 indem der Unterschiede nivellierende Mechanismus der Organisation außer Kraft gesetzt werden soll. Der Versuch der Annäherung von Organisation und Gesellschaft steht in der Absicht, die aus Gegensätzen resultierende Spannung gegen die Zukunftsvergessenheit der Organisation zu nutzen. Der strukturgestalterische Mehrwert entsteht in den Zwischenräumen, also dem, das zwar nicht direkt angesteuert werden kann, aber Resultat dieser produktiven Spannung sein soll.30 Diversität stellt als Ausgangs- und Fluchtpunkt auf Emergenz als eine Qualität ab, die auf einer Ebene gelagert ist, die sich in homogenen Konstellationen methodisch nicht anzielen lässt. Die Eschatologie der Vielfalt bezieht sich auf die Zukunft der Organisation, nicht auf die der Gesellschaft.31 Di-

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Siehe hierzu Markus Gottwald, Multiple Differenzierung und Diversity Management im Business Life. Eine Betrachtung aus der Warte soziologischer Gesellschaftstheorie, in: Petra Genkova, Tobias Ringeisen (Hg.), Handbuch Diversity Kompetenz. Band 1: Perspektiven und Anwendungsfelder, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2016, S. 105-118. Für die Rolle von Diversität in Innovationsprozessen siehe David Stark, The Sense of Dissonance. Accounts of Worth in Economic Life, Princeton und Oxford: Princeton University Press 2009, S. 175ff. Neben der Kategorie Geschlecht integriert Diversity-Management Variablen wie Alter, kulturelle Vielfalt oder sexuelle Orientierung. Bemerkenswerterweise gilt dies regelmäßig nicht für die Spitze der Organisation selbst, die sich zwar »individualisiert wahrnimmt«, letztlich aber homogen ist. Dieser Umstand eröffnet – Ursula Pasero zufolge – den Blick für die ungleichheitsgenerierende Dimension von Organisationen. Siehe Ursula Pasero, Gender Trouble in Organisationen und die Erreichbarkeit von Führung, in: Ursula Pasero, Birger P. Priddat (Hg.), Organisationen und Netzwerke: Der Fall Gender, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004, S. 143-163, hier S. 158. Siehe hierzu Scott E. Page, The difference: how the power of diversity creates better groups, firms, schools, and societies, Princeton und Oxford: Princeton University Press 2007. Der gesellschaftliche Bezug kann für Organisationen marketingstrategisch von unschätzbarem Wert sein. Das Bejahen gesellschaftlicher Normen und Wertvorstellungen im Sinne organisationaler Strukturbildung muss daher stets mit einem Fragezeichen in puncto Integrität betrachtet werden. Unternehmensethik und Ethik von Unternehmen im Sinne des Genügens bestimmter Standards sind kein Automatismus. Organisationen ist nicht zu Unrecht der Vorwurf der Heuchelei gemacht worden und das Auseinanderfallen von organisationaler Selbstbeschreibung und tatsächlichen Abläufen ein gängiger Beobachtungstopos der Organisationswissenschaft. Siehe hierzu Nils Brunsson, The Organization of Hypocrisy. Talk, Decisions and Actions in Organizations, Chichester: Wiley 1989.

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

versität soll für die Organisation einen Unterschied ausmachen und der Umgang mit Verschiedenheit in Organisationen folgt im Unterschied zu gesellschaftlich institutionalisierten Mustern einer anderen Logik.32 Dass hierbei der Unterschied einen Benefit im Sinne der Organisation adressiert, ist augenscheinlich. Für Organisationen steht weniger eine politisch intendierte oder normativ forcierte Akzeptanz von Unterschieden im Vordergrund. Es geht um eine funktionale Wendung von Differenz.33 Aus Unterschieden sollen Unterschiede werden, aus Differenz soll Ertrag werden.34 Diese nicht auszublendende Zieldimension der Organisation ist kein exklusives Vorgehen von Konzeptionen, die den Anspruch, Diversität produktiv werden zu lassen, im Titel tragen. Sie kann aber als Beispiel dafür verstanden werden, wie das Gegensatzpaar von Homo- und Heterogenität und damit von Offenheit und Geschlossenheit in Organisationen reflexiv gehandhabt wird. Noch einmal anders formuliert, ist es die Unterscheidung von Organisation und Gesellschaft und ihre Reflexivität, deren strukturbildendes Potential zielgerichtet genutzt wird. Die dazu notwendige Reflexivität verdankt sich der Einsicht in die Grenzen von Zielgerichtetheit und der damit verbundenen Obsoleszenz der Unterstellung linear-kausaler Zusammenhänge. Der systematische Ausschluss von Zukunftsoffenheit durch den Mechanismus der Strukturbildung wird als ein Problem erkannt, das zu Pfadabhängigkeiten, Unflexibilität und der mangelnden Fähigkeit der Produktion von Neuem führt. Das Bild der monokulturellen Organisation erscheint als das einer unzweckmäßigen und nachteiligen Spezies. Doch dieses Problem ist in Organisationen durch deren strukturelle Eigenlogik hausgemacht. Über das Ausgeben von Verhaltensvorgaben und den grundlegenden Mechanismus der Mitgliedschaft tendieren Organisationen in Richtung einer zukunftsvergessenen Homogenität. Der alte Traum einer gleichmäßigen Ordnung im Sinne Taylors und Gutenbergs wird so zum Alptraum. Aus Stabilität und Kontrollierbarkeit werden Antiquiertheit und Unbeweglichkeit. Im Zuge der Konjunktur der Diversitätssemantik werden zentrale Überlegungen Folletts aktualisiert, deren basisdemokratischer Anspruch vor dem Hintergrund eines Siegeszugs vorwiegend strukturaffiner Managementkonzepte zwischenzeitlich in den Hintergrund geraten ist. Auf diese Weise werden klassische Konzepte des organistionalen Formenvorrats wie die Produktivität von Unterschieden zu zentralen Gestaltungs32

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Für die Annahme, dass die Rezeption der Diversitätssemantik organisationsstrategischen Zielstellungen sowie der Absicherung von Managementpositionen und weniger der Realisierung gesellschaftspolitischer Zielstellungen entspricht, siehe Patrizia Zanoni, Maddy Janssens, Deconstructing Difference: The Rhetorik of Human Ressource Managers’ Diversity Discourses, in: Organization Studies 25 (2004) 1, S. 55-64. In dieser Tatsache liegt ein zentraler Unterschied gegenüber den follettschen Ideen. Trotz eines strategischen Wertes, der Diversity-Management beizumessen ist, handelt es sich Michel E. Domsch und Desirée H. Ladwig zufolge um ein »erklärungsbedürftiges Produkt«, das auf einem »schwierigen Markt« realisiert werden muss, da die Realität in Organisationen nicht der planerischen Blaupause externer Überlegungen entspricht. Aus Perspektive der Organisation müssen daher wirtschaftliche Argumente für eine Implementierung sprechen, was aber die Berücksichtigung verborgener Kosten und versteckter Nutzen beinhalten muss. Die Dimension der Gesellschaft wird abgeblendet und dennoch mitgeführt. Siehe Michel E. Domsch, Desirée H. Ladwig, Management Diversity: Das Hidden-Cost-Benefit-Phänomen, in: Ursula Pasero (Hg.), Gender – from Costs to Benefits, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2003, S. 270-253.

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Die nächste Organisation

ideen der Gegenwart. Die Redundanzmaschinerie der Organisation, die auf dem Lob der Routine basiert,35 soll sich durch die synergetische Produktivität von Differenzen in Richtung einer Schwarmstätte entwickeln, die das Prinzip der Monokultur von der Warte der Diversität aus als dysfunktional markiert. Das Lob der Routine wird zum Lob der Differenz, wenn individuelle Eigenheiten der behäbig machenden Regulierung als Einschränkung von Möglichkeiten entgegentreten und routinemäßig als nicht-routinisierte Differenz konzeptualisiert werden. Das entstehende Energiefeld der Diversität, das auf der Wiedereinführung der Unterscheidung von Organisation und Gesellschaft auf der Seite der Organisation gründet, steht der strukturbedingten Tendenz entgegen, Ungleichheiten durch den Filter der Organisation zu nivellieren. Verschiedenheit wird erneut zu einem zentralem Element von Planung, indem die Vielfalt der Perspektiven ein Energiefeld der Diversität erzeugt, an dem neue Möglichkeiten kondensieren und das so zu überwinden hilft, alles nur so zu tun, wie es die Routine vorsehen würde.

9.2

Die Produktivität des Zufalls

Die Unterscheidung von Organisation und Gesellschaft stellt nur eine Möglichkeit dar, sich dem Reflexivwerden organisationsstruktureller Kontingenznegation anzunähern. Der Option, den Fokus auf organisationale Mikrodiversität zu richten und die InnenAußen-Unterscheidung als Ausgangspunkt für Zukunftsprojektionen zu nutzen, sind Grenzen gesetzt. So bedingt zwar Diversität potentiell ein Spannungsfeld, dessen Produktivwerden setzt jedoch strukturelle Transformationsprozesse voraus. Denn das Anzielen organisationsinterner Heterogenität bedeutet nicht zwangsläufig, dass sich Arbeitsweisen und Konzepte der Steuerung und Kontrolle verändern oder sich organisationskulturelle Aspekte positiv entwickeln. Noch einmal anderes formuliert, setzt produktiv wirksame Heterogenität den Kontakt des Verschiedenen voraus.36 Dies macht aber erforderlich, die Organisation sich nicht in der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher aber getrennter Vollzüge erschöpfen zu lassen. Es geht nicht nur um die Referenz der Gesellschaft, es geht auch darum, das strukturgeleitete Nebeneinander des organisationalen Alltags zu überwinden.37 35

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Für den Ursprung der Formulierung und die Funktion der Organisation, Überraschungen strukturell zu negieren, siehe Niklas Luhmann, Lob der Routine, in: Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungslehre, Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik 55 (1964) 1, S. 1-33. Dass den Notwendigkeiten und Möglichkeiten gegenseitigen Kontakts, um Segregationen abzubauen, gerade in stark vertikal differenzierten Organisationen, nur schwer entsprochen werden kann, bedingt ein Auseinanderfallens des Anspruchs, Vielfalt als Wert an sich »zu schätzen, zu fördern und zu respektieren« und dem organisationalen Alltag im Modus des getrennten Nebeneinanders. Siehe hierzu Jutta Allmendinger, Astrid Podsiadlowski, Segregation in Organisationen und Arbeitsgruppen, S. 300. André Kieserling zufolge empfehlen sich zur Aktualisierung organisationaler Selbstbeschreibungen besonders begriffliche Derivate der Konzepte Markt und Demokratie, mit deren Verwendung sich eine Abkehr von organisationalen Traditionalismen illustrieren lässt. Siehe hierzu André Kieserling, Selbstbeschreibung von Organisationen. Zur Transformation ihrer Semantik, in: ders., Selbstbeschreibung und Fremdbeschreibung. Beiträge zur Soziologie soziologischen Wissens, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2004, S. 212-243.

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

Im digitalen Zeitalter steht Gesellschaft – mindestens begrifflich – selbst zur Disposition. Bei der digitalen Moderne handelt es sich um ein Paradoxon. Bisher war Modernität ein Synonym für stetig expandierende Möglichkeiten, dafür, dass sich alte Gewissheiten und Ordnungen im Auflösen befinden. Während sich auf dem Weg in und durch die Moderne der Raum von Handlungs- und Entscheidungsalternativen stetig vergrößert, unterminiert das Prinzip der Digitalität regelmäßig die für die Moderne typische Optionenvielfalt. Handlungsoptionen werden nicht länger ausschließlich multipliziert, rechnergestütztes Verweisen und zahlenbasierte Praktiken schränken Entscheidungsund Möglichkeitsräume systematisch ein. Die Ursache dafür liegt in der Eigenlogik algorithmusbasierter Verknüpfungen. Der gesellschaftliche Möglichkeitsraum ist organisational vermittelt und vor diesem Hintergrund müssen stets Organisationen adressiert werden, Gesellschaft als Gestaltungsraum offen zu halten. Wenn durch Prozesse der Strukturautomation Entscheidungsspielräume minimiert werden, stehen Organisationen vor der Aufgabe, strukturell Gelegenheiten für Formen wechselseitiger Aufmerksamkeit und Bezugnahmen zu ermöglichen. Im Ergebnis kommt Möglichkeitsräumen in Organisationen steigende Relevanz zu. Dabei handelt es sich um ein Vorgehen, das aus drei verschiedenen Blickwinkeln begründet werden kann. Eine normative Perspektive, Gestaltungsräume um ihrer selbst willen zu reklamieren, ist nur eine Möglichkeit, neben einem organisationsbzw. entscheidungstheoretischen Argument, das um die grundsätzliche Notwendigkeit von Alternativen für organisationale Entscheidungsprozesse weiß. Denn ohne Alternativen bleibt nichts zu entscheiden. In dritter Hinsicht bieten die verschiedenen Modi der Konnektivität, die die Multimodalität der Organisation bedingen, den Anknüpfungspunkt für eine semiotische Begründung. Die wechselseitige Stabilisierung und Steigerung unterschiedlicher Anschlusslogiken aneinander ist konstitutiv für das Prinzip der Organisation. Organisationen erschöpfen sich nicht in einer exklusiven Form der Anschlussbildung. Ungeachtet der jeweiligen Ansatzpunkte müssen Möglichkeitsräume in Organisationen darauf ausgelegt sein, Mitglieder aus ihren Schreibstuben und Büros zu holen, die Anonymität des Großraumbüros aufzulösen und das sachliche wie zeitliche Nebeneinander funktionaler Parallelität produktiv zu wenden, um die Organisation mit notwendigen Anregungen stimulieren zu können. Begegnung, Gespräch und Kontroverse werden zur Impulsquelle der Organisation und damit zum Versuch, die Offenheit und Kontingenz der Zukunft nicht als unberechenbares Risiko, sondern als Raum organisationaler Möglichkeiten zu konzipieren.38 Die Teleologie die Organisation nimmt eine offene, paradoxerweise also ateleologische Form an, indem organisationseigene Konditionierungen zugunsten von Unbestimmtheitsspielräumen zurücktreten. Der für Organisationen bedrohliche Zustand der Undokumentiertheit wird in der Hoffnung auf produktive Struktureffekte in Kauf genommen. Eigentlich bedeutet die Nutzung von Notationssystemen – von

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In unterscheidungstheoretischer Diktion lässt sich dieses Verhältnis als die Wiedereinführung der Unterscheidung von Offenheit und Geschlossenheit auf der Seite der Geschlossenheit modellieren.

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Die nächste Organisation

schriftförmiger Dokumentation bis zu numerischer Listenförmigkeit – für Organisationen, auf Mechanismen der Entscheidungsunterstützung zurückzugreifen, mit denen den Risiken bloßer Zufälligkeit und Beliebigkeit begegnet werden kann. Doch der Anspruch, die Organisation auf die Seite der Formalität festzulegen und das damit verbundene Programm der Kontingenznegation sind nur eine Möglichkeit zweier Seiten, die Management als Vexierbild von Offenheit und Schließung vorhalten. Das Management als Organisation der Organisation arbeitet an der Krux organisationaler Zukunftsvergessenheit und sucht im Aufbrechen rigider Strukturen einen Modus der Strukturbildung, der nicht auf die Verregelung von Abläufen setzt, um die Suche nach neuen Ideen, Alternativen und Möglichkeiten zu gewährleisten. Dabei realisiert sich auch die ateleologische Form der Organisation als Praxis des Arrangierens von Unterscheidungen: Argumentation statt Anordnung, Kommunikation statt Kommando, Besprechung statt Befehl. Um dies zu diskutieren, stehen im Folgenden unterschiedliche methodische Ansätze im Zentrum der Überlegungen, die auf das Öffnen von Möglichkeitsräumen abstellen und die in Organisationen Anwendung finden. Exemplarisch erfolgt dies anhand der Gruppenverfahren Open Space und World Café, durch die Diskussion von Laboransätzen und dem Eingehen auf Social Creation Games. Open Space illustriert den Anspruch der Offenheit bereits auf der Ebene der Namensgebung. Im Hinblick auf eine bestimmte Fragestellung oder ein Thema können Teilnehmende des Gruppenverfahrens Aspekte identifizieren und einbringen, die für sie von besonderer Relevanz sind. Auf einem Marktplatz unterschiedlicher Möglichkeiten werden die eingebrachten Themen als Workshop-Angebote verhandelt, die dann je nach Nachfrage in den sich findenden Gruppen bearbeitet werden.39 Die aus der Integration der verschiedenen Perspektiven entstehende eigenlogische Dynamik beruht auf einem von außen nicht zu durchschauenden Modus der Selbstorganisation, der Open Space als Gegenentwurf zu organisationaler Strukturrigidität erscheinen lässt. Das sich im Wesentlichen selbst steuernde Wechselspiel von Angebot und Nachfrage eingebrachter Workshopthemen kann hierbei als Integration von Marktmechanismen in Organisationen verstanden werden.40 Die Betonung von Marktförmigkeit als Teil des organisationalen Geschehens steht im Gegensatz zu hierarchischer Top-down-Logik. Das Verhältnis von Markt und Organisation ist aufgrund einer scheinbaren Inkommensurabilität durchaus bemerkenswert.41 Organisationen folgen einer anderen Funktionslogik als Märkte.

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Siehe hierzu Harrison Owen, Open(ing) Space für Nichtwissen, in: Andreas Zeuch (Hg.), Management von Nichtwissen in Unternehmen, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme-Verlag 2007, S. 151-176, hier S. 153f. Siehe hierzu Nicole J. Saam, Das Großgruppenverfahren Open Space. Einführung von Marktmechanismen in Organisationen, in: Zeitschrift für Soziologie 31 (2002) 3, S. 163-185. Für Harrison Owen selbst steht weniger das Prinzip des Marktes strukturhomolog Pate als vielmehr das Prinzip der Demokratie. Aufgrund der Verschiedenheit der Teilnehmenden sind Offenheit und Gleichheit bei Open Space für Owen zentral, da Asymmetrien das Prinzip der Selbstorganisation unterminieren würden. Siehe hierzu Harrison Owen, Open Space Konferenz: Eine transformative Praxis, in: Norbert Kersting (Hg.), Politische Beteiligung. Einführung in dialogorientierte Instrumente politischer und gesellschaftlicher Partizipation, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, S. 159-166, hier S. 162f.

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

Während Markstrukturen sich aufgrund kontingenter Ereignisse entwickeln und damit paradoxerweise erwartungssicher von einem Moment der Unsicherheit profitieren, ist Erwartungssicherheit für Organisationen und ihr Funktionieren Grundvoraussetzung. Organisationen sind Einrichtungen, die versuchen, Zufälle und Unordnung über Prozesse der Strukturbildung beherrschbar zu machen. Management und Führung arbeiten seit dem Beginn der Managementlehre an der Einhegung von Kontingenz, damit die Unplanbarkeit der Zukunft als gestaltbar angenommen werden kann. Während Organisationen qua Strukturbildung versuchen, die reibungslose Übertragung von Informationen zu gewährleisten, lebt Marktdynamik von der Unvollständigkeit von Informationen, die fortwährende Turbulenzen nach sich zieht.42 Ungeachtet der Tatsache, dass das Entstehen neuer Märkte ein gängiger Topos der Beobachtung wirtschaftlicher Prozesse ist, sind Märkte ständig neu. Marktstrukturen verlaufen nicht in geordneten Bahnen. Vielmehr beruht das Theorem Markt auf einer bestimmten Vorstellung von Selbstorganisation und damit auf einem axiomatischen Nichtwissen.43 Während die Offenheit von Zukunft für das Prinzip Markt gegenstandskonstitutiv ist, gilt für Organisationen das Gegenteil. Das Verhältnis von Markt und Organisation entspricht dem Gegensatzpaar von Kontingenzproduktion und -negation. Open Space steht als »natürliches Labor«44 der Artifizialität der Organisation entgegen. Die mit dem Organisationsmechanismus zwangsläufig verbundenen Grenzen führen dazu, dass Organisationen mit einem Ansatz wie Open Space interne Umwelten vorsehen, deren marktförmige – also eigenlogisch undurchschaubare – Dynamik verspricht, produktives Potential zu sein. Der gute Plan der Organisation sieht somit das vor, das nicht vorherzusehen ist und an die Stelle hierarchischer Konstellationen, die in Form sachgerechter Parallelität Kommunikationsblockaden bedingen, tritt ein Arrangement, das maßgeblich auf die Fruchtbarmachung von Multiperspektivität setzt. Damit werden nicht zuletzt die Potentiale des Informalen beschworen und Effekte organisationaler Strukturbildung – wie »Büroklatsch« und »Treppenhausgeflüster«45 – systematisch zu nutzen versucht.

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Die Allverfügbarkeit von Informationen würde dazu führen, die Voraussetzungen marktförmigen Wettbewerbs zu untergraben, da keine überraschenden Schritte mehr möglich wären. Siehe hierzu Friedrich A. Hayek, Der Sinn des Wettbewerbs, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung. 2., erw. Auflage. Mit einem bibliographischen Anhang von Kurt R. Leube, Salzburg: Wolfgang Neugebauer 1976, S. 122-140. Als Zusammenhang ist Marktgeschehen für die Beteiligten notwendigerweise intransparent und mittels Verstandeskraft nicht zu erfassen. Siehe hierzu Friedrich A. Hayek, Wahrer und falscher Individualismus, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung. 2., erw. Auflage. Mit einem bibliographischen Anhang von Kurt R. Leube, Salzburg: Wolfgang Neugebauer 1976, S. 9-48, hier S. 26. Siehe hierzu Sebastian Manhart, Im Begriffsgeflecht. Zur Entstehung der Bildungssemantik um 1800 zwischen Selbstorganisation, Leben, Mensch und Markt, in: Christiane Thompson, Gabriele Weiss (Hg.), Bildende Widerstände – widerständige Bildung. Blickwechsel zwischen Pädagogik und Philosophie, Bielefeld: transcript Verlag 2008, S. 165-186. Siehe Harrison Owen, Open Space Technology – Ein Leitfaden für die Praxis. Aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann, Stuttgart: Schäffer-Poeschel-Verlag für Wirtschaft 2008, S. 15. Dabei betont Harrison Owen insbesondere, dass es sich hierbei um einen »alten Mechanimus« handelt, den es zu nutzen gilt. Siehe Harrison Owen, Open(ing) Space für Nichtwissen, S. 170.

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Die nächste Organisation

Auch für World Café gilt, dass die Reflexion der Grenzen organisationaler Steuerung und Kontrolle als Ansatzpunkt fungiert, um die Suche nach Gelegenheiten zu ermöglichen. So wird im Rahmen des Verfahrens nicht nur der Anspruch erhoben, Probleme zu bearbeiten und entsprechende Lösungen zu diskutieren. Vielmehr richtet sich das methodische Vorgehen darauf, neue Handlungsoptionen zu generieren. Es geht um die Produktion von Alternativität, um Selektions- und Entscheidungsprozesse zu ermöglichen. Dazu setzt World Café auf das Potential des Dialogs.46 Dass die hierzu notwendige Ungezwungenheit durch den Verweis auf das Café als klassisches Prinzip der Begegnungsstätte bereits im Titel steht,47 bringt zum Ausdruck, dass bewusst auf ein von außen gesetztes direktives Moment verzichtet wird. In einladender Atmosphäre sollen sich in Gesprächsrunden von 20 bis 30 Minuten idealiter vier Gesprächsteilnehmende zu Fragestellungen austauschen, bevor mittels Rotation die Tischbesetzung variiert wird, wobei eine Person am Tisch verbleibt, um die hinzukommenden Personen inhaltlich auf den Stand der Diskussion zu bringen. Die Gesprächsregeln folgen keiner externen Vorgabe, sondern sollen Ergebnis eigener Entwicklungsprozesse der Teilnehmenden sein. Zum Abschluss finden sich diese wieder in der Ausgangskonstellation ein, um einerseits die eigene Sichtweise durch die Perspektiven der anderen irritieren und inspirieren zu lassen und zum anderen, um die Visualisierung des Gesprächs, die Teil der Dokumentation ist, fertigzustellen. Auf diese Weise setzt World Café auf die notwendige Anwesenheit der Beteiligten, adressiert dem Anspruch nach eine Form »kollektiver Kreativität« und inszeniert sich so als Antidoton zu Zukunftsvergessenheit und Strukturrigidität der Organisation. An die Stelle parallellaufender und voneinander getrennter Vollzüge tritt das Prinzip diskontinuierlicher Durchmischung, das Hierarchien und Zuständigkeiten zeitweilig suspendiert. Die Organisation soll so weniger einer verfahrensförmigen und regelgeleiteten Einrichtung entsprechen, als vielmehr zu einer Denkfabrik werden, um »den Handlungsspielraum der Gesamtorganisation entscheidend zu erweitern.«48 Die Flüchtigkeit

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World Café wird von den Initiatoren Juanita Brown und David Isaacs als Idealtypus eines »einfachen, aber wirkungsvollen Dialogprozesses« [H.i.O.] verstanden, »um konstruktive Gespräche zu fördern, kollektive Intelligenz sichtbar zu machen und innovative Handlungsmöglichkeiten hervorzubringen, insbesondere mit Gruppen von einer Größe, auf die die meisten klassischen Dialogansätze nicht ausgelegt sind.« (S. 19) Das Gespräch fungiert so als »generative« und folglich als »zukunftsformende Kraft« (S. 34), da es auf »lebendigen Verknüpfungsmustern« (S. 19) gründet und so dem Anspruch nach multiple Perspektiven integriert. Siehe Juanita Brown, David Isaacs, Das World Café. Kreative Zukunftsgestaltung in Organisationen und Gesellschaft. Mit einem Vorwort von Peter Senge. Aus dem Amerikanischen von Suzanne Bürger, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag 2007. Zur gleichbleibenden Aktualität des Cafés als Ort der Begegnung siehe Christine Scherzinger, Zeitlos in – Zeitlos out. Das Café in der deutschen Gegenwartsgesellschaft. Eine kultursoziologische Studie, Marburg: Tetum Verlag 2005. Siehe Alexander Schieffer, Juanita Brown, David Isaacs, Bo Gyllenpalm, World Café: Kollektive Kreativität im Kommen. Einfache Methode und überzeugende Ergebnisse – ein Erfahrungsbericht, in: Andreas J. Harbig, Thomas Klug, Monika Bröcker (Hg.), Führung neu verorten. Perspektiven für Unternehmenslenker im 21. Jahrhundert, Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler 2007, S. 209-222, hier S. 221.

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

des gesprochenen Wortes und die Vagheit der Sprache werden als Mittel der Organisation konzipiert, um einen dialogischen Möglichkeitsraum dem sachlogischen Prinzip struktureller Verunmöglichung entgegenzusetzen.49 Hoffnung und Anspruch, dass Kommunikation aufgrund der wechselseitigen Intransparenz der Beteiligten an Cafétischen kondensiert und sich eine dialogische Sphäre etabliert, markieren den Verzicht auf direktiv-steuernde Annahmen. Anspruch und Versuch, auf die Eigenlogik und Selbststeuerung anwesenheitsbasierter Kommunikationen zu setzen, stehen in der Tradition prominenter Vorbilder, die weiter zurückreicht als die Erschließung der sozialen Dimension der Organisation durch Mary Parker Follett. Der autologischen Wechselseitigkeit von Angebot und Nachfrage bei Open Space entsprechen im World Café das synergetische Potential interaktionsbasierter Kommunikation und die damit verbundene Eigenlogik, die etwa Friedrich Schleiermacher in seiner Theorie des geselligen Betragens herausgestellt hat.50 Dem Arrangieren kommunikativer Räume ist der Charakter pädagogischer Praxis immanent, da mit der Erzeugung produktiver Zufälle die Veränderung der beteiligten Subjekte einhergeht. Die Teilnahme an Gesprächen – etwa im Hinblick auf die Salonkommunikation, die Schleiermacher im Sinn hatte – ermöglicht die Bildung des Individuums, indem es mit der Widerständigkeit unterschiedlicher Perspektiven und Hintergründe konfrontiert wird. Diese Heterogenität, die Schleiermacher als »Aussicht in eine andere und fremde Welt« bezeichnet,51 sorgt für ein Reibungspotential, das zu fruchtbaren Erfahrungen auf der Seite des Subjekts gerinnt und dem Modell von Schleiermacher eine Funktion der selbstgesteuerten Eröffnung kommunikativer Möglichkeiten einschreibt, die prozessual auf der wechselseitigen Verknüpfung der einzelnen Redebeiträge beruht.52 Der schleiermachersche Idealtypus eines sich im Wesentlichen selbst steuern49

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Zur Unberechenbarkeit von Interaktionen und deren daraus resultierender Eigenart eines »Laboratorium des Neuen« siehe Thomas Fuchs, In statu nascendi. Überlegungen zur Entstehung des Neuen, in: Hans Rudi Fischer, Wie kommt Neues in die Welt? Phantasie, Intuition und der Ursprung von Kreativität, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2013, S. 73-85. Was sich in zeitgemäßen Formulierungen wie Selbstorganisation, Selbststeuerung, Autologik oder Autopoiesis ausdrückt, hat Schleiermacher im Rahmen seiner Theorie des geselligen Betragens als einen sich im Wesentlichen selbst steuernden Kommunikationsprozess modelliert. Ausgehend von der Tatsache, dass Beruf wie häusliches Leben den Einzelnen regelmäßig mit Einseitigkeit und Beschränkungen konfrontieren, sah Schleiermacher die Lösung im »freien Umgang vernünftiger sich untereinander bildender Menschen« (S. 15), die »zu einem freien Gedankenspiel angeregt werden durch die Mitteilung des meinigen« (S. 20), das nicht der Logik einer externen Steuerung unterliegt. Vielmehr realisiert sich die freie Geselligkeit im Sinne Schleiermachers als »ein freies Spiel der Gedanken und Empfindungen, wodurch alle Mitglieder einander gegenseitig aufregen und beleben. Die Wechselwirkung ist sonach in sich selbst zurückgehend und vollendet« (S. 19f.). Siehe Friedrich Schleiermacher, Versuch einer Theorie des geselligen Betragens, in: ders., Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe. Band 1. Herausgegeben von Michael Winkler und Jens Brachmann, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2000, S. 15-35. Das Potential situationsdynamischer Eigenlogik zur Veränderung von Personen zu nutzen, steht demzufolge in der langen Traditionslinie erziehungswissenschaftlicher Reflexion. Siehe ebd., S. 15. Die Teilnahme an der anwesenheitsbasierten Kommunikation setzt für Schleiermacher die Bildung des Individuums voraus, denn das Gesetz der Schicklichkeit, das im Wesentlichen über den sich selbst steuernden Ablauf disponiert, erfordert ein angemessenes Agieren von den Teil-

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den Kommunikationsprozesses setzt auf die Kraft der Sprache, welche die produktive Eigenlogik von Kommunikationssituationen ermöglicht, die sich den Möglichkeiten externer Steuerung entzieht.53 Der Anspruch, einen Ort der Begegnung und das Potential des Dialogs im World Café gewinnbringend zu nutzen, steht in einer entsprechend vorgezeichneten Kontinuitätslinie.54 Ihr Potential schöpft die Methode aus dem Kontrast kommunikativer und organisationaler Eigenlogik. Durch Kommunikation unter Anwesenden wird mehr möglich, als planerisch vorweggenommen werden kann oder die Teilnehmenden ohne den Austausch mit anderen selbst einbringen.55 Interaktionsbasierte Ansätze dieser Couleur rechnen demnach nicht nur mit den Rationalitätsgrenzen von Organisationen, sondern auch mit den limitierten Möglichkeiten der Beteiligten. Multiperspektivität und die daraus resultierende wechselseitige Irritation dienen der Katalyse von Zufällen, die durch Beobachtung produktiv – d.h. strukturrelevant – werden sollen. Denn maßgeblich hängt die Produktivität des Zufalls daran, ob es gelingt, dessen Flüchtigkeit über die momenthafte Beobachtung hinausgehend zu nutzen. Dass hierzu Folgeschritte notwendig sind, geht jedoch über den dialogischen Raum hinaus. »Talk« ist nicht gleich »action«56 und das Potential anwesenheitsbasierter Kommunikation bei World Café steht

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nehmenden, das aber nur die Folge einer Reflexionsfähigkeit sein kann, wie sie durch Bildung ermöglicht wird. In dieser Konstellation zeigt sich die gesellschaftliche Dimension, die für Schleiermacher zentral war, denn wie die Teilnehmenden kann auch die Gesellschaft als Gesamtzusammenhang von der Bildung ihrer Individuen nur profitieren. Dabei ist die Theoriefigur von Schleiermacher zirkulär gebaut, denn Bildung ist Ergebnis wie Voraussetzung freier Geselligkeit. Das Gesetz der Schicklichkeit wirkt beschränkend und ermöglichend gleichermaßen, denn »ich soll den Ton der Gesellschaft halten, und mich in Absicht auf den Stoff durch sie leiten und beschränken lassen […] wobei es mir aber frei bleibt, innerhalb dieser Sphäre meine eigentümliche Manier vollkommen walten zu lassen […].« Siehe ebd., S. 24. Den experimentellen Charakter des Salons als »äußerst riskantes Unternehmen« betont auch Ute Frevert, denn »schließlich geht es im Salon um Kommunikation. Ob sie funktioniert, ist niemals sicher, nie vorhersagbar.« Siehe Ute Frevert, Der Salon, in: Heinz-Gerhard Haupt (Hg.), Orte des Alltags. Miniaturen aus der europäischen Kulturgeschichte, München: Verlag C. H. Beck 1994, S. 96104, hier S. 96f. Dies gilt bei weitem nicht nur für methodische Settings. Letztlich stehen auch die habermasianischen Axiome der idealen Sprechsituation und der dort auszumachende zwanglose Zwang des besseren Argumentes in dieser Traditionslinie, sodass Schleiermacher konversationstheoretische Überlegungen des 20. Jahrhundert mindestens in Teilen vorweggenommen hat, wenngleich die Eigenlogik von Kommunikation bei Habermas zuweilen normativ überformt erscheint. Siehe hierzu Jürgen Habermas, Philosophische Texte. Studienausgabe in fünf Bänden. Band 1. Sprachtheoretische Grundlegung der Soziologie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2009, S. 148f. An die Stelle von Rationalitätserwartungen tritt so das »Interesse an Verbindungen zwischen Teilen und deren ganzheitlicher und systemischer Partnerschaft«, um einerseits konstruktivistischen Vorzeichen entsprechen zu können und andererseits demokratisch partizipative Ergebnisse zu generieren. Siehe hierzu Frederick Steier, Bo Gyllenpalm, Juanita Brown, Sabine Bredemeier, World Café. Förderung der Teilhabekultur, in: Norbert Kersting (Hg.), Politische Beteiligung. Einführung in dialogorientierte Instrumente politischer und gesellschaftlicher Partizipation, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, S. 167-180, hier S. 168. Siehe hierzu Nils Brunsson, The Organization of Hypocrisy. Talk, Decisions and Actions in Organizations.

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

dafür, »Aktionslust« freizusetzen, um strukturrelevante Maßnahmen angehen zu können. Reden und Handeln sollen nicht losgelöst voneinander, sondern in einem Zusammenhang stehend betrachtet werden.57 Dass Kommunikation hierbei die Rolle einer Ermöglichungsfunktion zukommt, bleibt indes mit dem Wagnis behaftet, die Störanfälligkeit kommunikativer Prozesse in Kauf zu nehmen. Im Modus methodisch begründeter Hoffnung wird die Ambition aufgegeben, über die wechselseitigen Bezugnahmen, auf denen Kommunikation basiert, qua Vorgabe, Steuerung und Kontrolle zu disponieren. Damit wird die dynamische und unberechenbare Eigenlogik sozialer Interaktion zur Hoffnungsträgerin der Organisation, die durch die verordnete und gesatzte Vorwegnahme der Zukunft an ihre eigenen Grenzen zu stoßen droht. Die Relativierung von Steuerungsambitionen und die Reflexion organisationaler Verunmöglichung sind eng miteinander verknüpft. Von dieser Warte aus sind Unbestimmtheitsspielräume in Organisationen mehr als die unvermeidbaren Rückstände des Fixiermittels der Strukturbildung. Sie sind nicht lediglich die Konsequenz der Tatsache, dass ein formales Rechnen mit Subjektivität zwar dem Anspruch der strikt koppelnden Eigenlogik verfahrensförmiger Informatisierung entspricht, jedoch auch informale und damit unplanmäßige Effekte bedingt. Abweichungspielräume und Kontrolllücken waren seit dem Entstehen der Managementlehre zwar zentrales Thema organisationaler Strukturgestaltung, aber im Rahmen strukturaffiner Konzepte zuvörderst als negative Konsequenz von Steuerungsambitionen und nicht als bewusst angezieltes Reservoir produktiver Zufallschancen. Das Spannungsfeld von Offenheit und Geschlossenheit, das im Rahmen organisationaler Strukturbildung aufgespannt wird, wird auch im Rahmen von Laboransätzen reflektiert und produktiv zu wenden versucht.58 Im Kontext von Innovationslaboren wird nicht zuletzt die innovationshinderliche Komponente sachlich unbeweglicher und zeitlich träger Organisationsstrukturen zum Anknüpfungspunkt entsprechender Überlegungen.59 Innovation und Organisation verhalten sich nicht selten orthogonal 57

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Siehe Alexander Schieffer, Juanita Brown, David Isaacs, Bo Gyllenpalm, World Café: Kollektive Kreativität im Kommen. Einfache Methode und überzeugende Ergebnisse – ein Erfahrungsbericht, S. 220f. Siehe hierzu Andreas Schröer, Ansätze zur Förderung Sozialer Innovationen, in: Soziologie heute 10 (2017) 54, S. 30-33. Den prinzipiell verhindernden Charakter organisationaler Strukturbildung thematisiert auch Ulrich Klotz, dessen Ursprung er im taylorschen Prinzip funktionaler Zuständigkeit verortet. Dabei argumentiert Klotz, dass Technikzentrierung als Konstruktion von Ursache-WirkungsZusammenhängen analog zum organisationalen Modus der Erwartungssicherung zu denken und damit per se innovationsunfreundlich sei. Dem Betonen von technischen Zusammenhängen setzt Klotz ein Konzept der Innovationskultur entgegen, das maßgeblich auf dem Ausnutzen von Möglichkeitsräumen fußt, wenngleich er anerkennt, dass die organisationale Paradoxie von Regulierung und Freiheit grundsätzlich nicht aufzulösen ist. Klotz zufolge kommt hierbei vor allem der Projektförmigkeit von Arbeit eine zentrale Rolle zu. Gleichzeitig plädiert er dafür, die schwindenden Grenzen von Arbeits- und Lebenswelt im Blick zu behalten, womit die Notwendigkeit betont wird, Antworten auf neue Formen der Entgrenzung finden zu müssen. Siehe Ulrich Klotz, Vom Taylorismus zur »Open Innovation« – Innovation als sozialer Prozess, in: Deryk Streich, Dorothee Wahl (Hg.), Innovationsfähigkeit in einer modernen Arbeitswelt. Personalentwicklung – Organisationsentwicklung – Kompetenzentwicklung. Beiträge der Tagung des BMBF, Frankfurt a.M.: Campus Verlag GmbH 2007, S. 181-193.

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zueinander und dies aufgrund der Tatsache, dass Organisationen im verfahrensförmigen Durchroutinisieren vornehmlich auf vergangenheitsbewährte Muster setzen.60 Innovationen aber heben sich vom bisher Dagewesenen ab und ziehen Aufmerksamkeit auf sich. Diese Aufmerksamkeitsattraktion verdankt sich einem Moment der Überraschung, das die Routine der Wahrnehmung zugleich fasziniert und irritiert.61 Überraschungen stellen Gewohnheiten infrage, sonst wären sie keine. Im Hinblick auf die Organisation von Neuheit und Innovation stellt sich die Frage, wie sich prospektiv etwas anzielen lässt, das sich aber nur im Modus der Retrospektive als neu und innovativ beobachten lässt.62 Das heißt auch, dass Ideen nicht automatisch produktiv sind, sondern es erst durch Beobachtung werden. Innovation ist einerseits immer schon sozial, benötigt aber aufgrund dieser konstitutiv sozialen Dimension entsprechende Arrangements, in deren Rahmen notwendige Voraussetzungen vorgehalten werden. In Organisationen ist der Wechselseitigkeit von Vergangenheitsbedingtheit und Zukunftsoffenheit nicht zu entkommen, da sich das Spannungsfeld von Stabilität und Wandel in den gegensätzlich ausgerichteten Zeithorizonten von Vergangenheit und Zukunft ausdrückt. Aus diesem Grund adressieren Laboransätze keine voraussetzungslose creatio ex nihilo, sondern versuchen, dem Zufall methodisch nachzuhelfen. Dass der Einfall kommt, »wenn es ihm, nicht, wenn es uns beliebt«,63 wußte schon Max Weber und doch ist Beliebigkeit für organisierte Innovationsprozesse keine Option. Innovationsförderung heißt deshalb, der Zukunft auf Stützrädern entgegenzufahren und dem Zufall methodische Unterstützung zu bieten. Hierzu haben sich verschiedene Unterstützungsmaßnahmen etabliert. Im Change Laboratory nach Yrjö Engeström steht den Laborteilnehmenden ein Methodenset aus verschiedenen Charts zur Verfügung, gleichzeitig aber auch ein Handapparat, der die Teilnehmenden bei Bedarf mit möglichen Hintergrundinformationen unterstützen kann. Ebenfalls sind Visualisierungspraktiken Teil des Methodenspektrums, um die Aufmerksamkeit immer wieder auf Gegenstände umzuleiten und so dem Risiko entgegenzusteuern, dass diese einfach leerläuft.64 Das Labor selbst 60

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Siehe hierzu Günther Ortmann, Innovation: In Ketten tanzen, in: Werner Rammert, Arnold Windeler, Hubert Knoblauch, Michael Hutter (Hg.), Innovationsgesellschaft heute. Perspektiven, Felder und Fälle, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2016, S. 237-248. Dass sich Überraschungseffekte abnutzen können, führt dann zu einer Suche der »Neuheit zweiter Ordnung«, bei der das Abweichen vom Dagewesenen selbst reflexiv wird, indem von der Abweichung abweichende Abweichungen angezielt werden. Siehe hierzu Elena Esposito, Wie viel Altes braucht das Neue?, in: Hans Rudi Fischer, Wie kommt Neues in die Welt? Phantasie, Intuition und der Ursprung von Kreativität, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2013, S. 133-145. Zur Wechselseitigkeit von alt und neu im Hinblick auf die Förderung und Forderung von Kreativität siehe Dirk Baecker, Kreativität, in: ders., Nie wieder Vernunft. Kleinere Beiträge zur Sozialkunde, Heidelberg: Carl-Auer Verlag 2008, S. 62-64. Siehe Max Weber, Wissenschaft als Beruf, in: Max Weber. Wissenschaft als Beruf 1917/19. Politik als Beruf 1919, Studienausgabe der Max Weber-Gesamtausgabe. Band I/17. Herausgegeben von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Birgitt Morgenbrod, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1994, S. 1-23, hier S. 6. Das Change Lab im Sinne von Yrjö Engeström steht nicht nur für einen Raum, der Praktikern die Möglichkeit geben soll, ihre eigenen Arbeitsbedingungen zu gestalten und zu verbessern. Im Change Lab wird ein spezifisches Methodenset zur Verfügung gestellt, das die prinzipielle Offenheit sozialer Interaktion vorstrukturiert und begrenzt. Offenheit und Schließung spielen gleichermaßen eine Rolle. Diesem Vorgehen entspricht die Unterscheidung von Separierung und

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zeichnet sich durch eine Distanz-als-Nähe-Konstruktion aus, indem es zwar räumlich von der üblichen Tätigkeitsstätte separiert, aber dennoch ohne große Aufwendungen zu erreichen ist. Es erinnert – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der methodischen Stimulation der Teilnehmenden – an die Laborkonstruktion Frank Gilbreths. Die bisherige Erfahrungswelt der Organisation wird über eine Realitätsverdopplung um einen Möglichkeitsraum ergänzt, dem Gestaltungsoptionen einer noch unbeschriebenen Zukunft immanent sind, die nur im Labor aufgefunden werden können. Die Auflösung von bisherigen Handlungsvorgaben und die damit verbundene Neuverteilung von Rollen und Aufgaben bedeuten den Eintritt in eine andere Sphäre der Organisation, deren soziale Grammatik unbekannt ist. Weder die Spielregeln noch die Umgangsformen im Sinne informaler Gepflogenheiten sind bereits etabliert, ganz zu schweigen von den tatsächlichen Anforderungen und dem daraus resultierenden Anspruch. Und doch ist die vermeintliche Offenheit nicht voraussetzungslos, sondern stellt sich als klassisch pädagogische Konstruktion heraus. Organisationen sind genuin pädagogische Sachverhalte und auch für die Ausformung der Binneninteraktionen des Laborraums werden klassische pädagogische Konzepte wie Kontextsteuerung in Anspruch genommen. Trotz der Tatsache, dass Managementprogramme regelmäßig als Form eines allgemeinen Optimierungsdispositivs auftreten, handelt es sich beim Arrangieren von Rahmenbedingungen und der Gestaltung innovationsfreundlicher Umgebungen um genuin pädagogische Tätigkeiten, die mit einer Verengung auf eine betriebswirtschaftliche Perspektive nur unzureichend erfasst wären.65 Die Verschränkung von Intention und unabsichtlich beiläufigen Effekten gilt ebenfalls für das Vorhalten entsprechender Gegenstände, die den Teilnehmenden zur Verfügung stehen. Deren Nutzung darf jedoch nicht mit Annahmen linearer Kausalität

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Eingebundenheit, indem das Labor als autonom und getrennt konzipiert wird, gleichzeitig aber möglichst nah am Arbeitsplatz situiert sein soll. Das Vorgehen im Change Lab setzt Engeström zu Organisationen in Kontrast, die auf steile Hierarchien setzen. Im Hinblick auf durchgeführte Pilotprojekte an Postämtern in Finnland verweist er darauf, dass hierarchische Organisationen Innovationen von unten systematisch verhindern. Zudem würden individuelle Tätigkeitsprofile die Potentiale kollektiver Zusammenarbeit unterminieren. Das Potential, um die Grenzen einer organisationalen Top-down-Logik zu überwinden, sieht Engeström entsprechend in Laborsituationen, die Analyse und Alltag konzeptuell integrieren sollen. Im Change Lab soll versucht werden, Distanznahme und Gegenstandsbezug gleichzeitig zu ermöglichen. Außerdem sollen Zukunftsvisionen kleinteilig abgebildet werden, damit deren Strahlkraft nicht Gefahr läuft, die Notwendigkeiten des Alltags zu überdecken. Im Sinne eines unterscheidungstheoretischen Vorgehens kontrastiert Engeström Gegensätze dieser Art, die in der strukturierten Offenheit der Laborsituation produktiv werden sollen. Siehe Yrjö Engeström, Entwickelnde Arbeitsforschung. Die Tätigkeitstheorie in der Praxis. Übersetzt und herausgegeben von Lisa Rosa. Berlin: Lehmanns Media 2008, S. 283-296. Dass etwa der produktive Umgang und die Auseinandersetzung mit den unabsichtlich wirkenden Kontingenzen der Umwelt die Essenz der neuhumanistischen Fassung des Bildungsbegriffs darstellen, muss an dieser Stelle nicht noch einmal gesondert betont werden. Dabei steht nicht nur das klassische Modell der Bildung für ein Theoriemodell der Selbstorganisation, sondern auch die Konzepte Markt und Leben. Die situationsdynamische Eigenlogik von Kommunikation entspricht dieser Vorstellung ebenfalls. Siehe hierzu Sebastian Manhart, Im Begriffsgeflecht. Zur Entstehung der Bildungssemantik um 1800 zwischen Selbstorganisation, Leben, Mensch und Markt.

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verwechselt werden. Sie sind lediglich als Irritationsquelle zu verstehen. Die methodisch gestützte Gestaltung von Rahmenbedingungen entspricht der Etablierung eines Ermöglichungssystems, das über die Einschränkung von Beliebigkeit die Wahrscheinlichkeit der Erzeugung produktiver Zufälle befördern soll. Was hier paradox anmutet, folgt letztlich einem pädagogischen Programm. Pädagogisches Handeln ist ein Spiel mit Grenzen, mit Einschränkungen, allerdings mit der Zielsetzung, mehr möglich zu machen, als durch den Ausschluss von Möglichkeiten verlorengeht.66 Dies gilt auch für die Methode des Design Thinking,67 der nutzerorientierten Entwicklung von Lösungsideen.68 Beim Design Thinking werden auf Basis von Bedarfsanalysen – etwa mittels Fragetechniken – die Erfahrungswelten potentieller Nutzer erschlossen und in idealtypische Zielgruppenvertreter – sogenannte Personas – transformiert. Deren ermittelter Bedarf wird dann in Form einer Hypothese zugespitzt, um daran anschließend – mithilfe von Methoden wie Brainwriting oder Brainstorming – Ideen zu generieren, die auf die Befriedigung des ausgemachten Bedarfes abstellen. Daraufhin werden ausgewählte Ideen in Prototypen veranschaulicht, damit erneut Kontakt mit der potentiellen Nutzergruppen aufgenommen werden kann, um von deren Feedback bei der Weiterentwicklung der Lösungsansätze zu profitieren.69 Bei der Verprobung der Prototypen wird sich – wie schon im Rahmen der Bedarfserhebung – erneut einer Fragehaltung bedient, wie sie für Sozialwissenschaften typisch ist.70 Die scheinbare Linearität im Prozess des Design Thinking zu betonen,71 die als Folge der systematisch 66 67

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Siehe hierzu Sebastian Manhart, Der Preis der Freiheit. Bildung, Wissen, Organisation, in: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation (ZSE) 29 (2009) 1, S. 80-95. Zur Anwendung von Design Thinking im Rahmen von Innovationslaboren siehe auch Andreas Schröer, Neue Lösungsansätze für gesellschaftliche Herausforderungen. Förderung sozialer Innovationen in Organisationen der Sozialen Arbeit, in: Sozial Extra 42 (2018) 1, S. 18-22. Die Perspektive potentieller Nutzender einnehmen zu können, ist eng mit der Vorstellung wissenschaftlicher Beobachtungsverfahren verknüpft. Deren Weltsichten zu erschließen, lebt, Tim Brown zufolge, davon, zu beobachten, was nicht getan wird, und zu hören, was nicht gesagt wird. Dass qualitativ hochwertige Forschung nicht an den akademischen Betrieb gebunden bleiben muss und einfallsreiche Forschung regelmäßig in Unternehmenskontexten stattfindet, ergänzt Browns Anspruch der Empiriebasiertheit. Siehe hierzu Tim Brown, Change by Design. How Design Thinking Transforms Organizations and Inspires Innovation, New York: HarperCollins Publishers 2009, hier S. 43ff. Zur schrittweisen Veranschaulichung des methodischen Vorgehens siehe Michael Lewrick, Patrick Link, Larry Leifer, Das Design Thinking Playbook. Mit traditionellen, aktuellen und zukünftigen Erfolgsfaktoren, München: Verlag Franz Vahlen GmbH 2017. Den von Tim Brown formulierten Anspruch, wissenschaftlich fundierte Methoden einzusetzen, rückt Tim Seitz in die Nähe qualitativer Sozialforschung. Dementsprechend sieht Seitz hinsichtlich der Einbeziehung der Nutzenden im Zuge der Bedarfserhebung im Design Thinking Analogien zum Vorgehen von Bronislaw Malinowski oder Clifford Geertz. Siehe hierzu Tim Seitz, Soziologische Spuren im Design Thinking und die Möglichkeit einer soziologischen Fremdbeschreibung der Soziologie, in: Julia Engelschalt, Arne Maibaum, Franziska Engels, Jakob Odenwald (Hg.), Schafft Wissen: Gemeinsames und geteiltes Wissen in Wissenschaft und Technik: Proceedings der 2. Tagung des Nachwuchsnetzwerks »INSIST«, 07.-08. Oktober 2016, München: INSIST-Proceedings 2016. Online unter https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-58220-7, Abruf am 30.04.2019. Die Vorstellung eines linearen Innovationsprozesses bezieht sich weniger auf einen kausalen Zusammenhang der einzelnen Prozessschritte als auf den Anspruch angewandter Forschung, Wissenschaft gesellschaftlich zu nutzen, ohne ein Transferproblem einzurechnen. Siehe hierzu Martin

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aufeinander aufbauenden Schritte als Teil des methodischen Ansatzes mindestens unabsichtlich suggeriert wird, würde jedoch zu kurz greifen.72 Denn um die Erfahrungswelten möglicher Nutzer zu erschließen, ist Unvoreingenommenheit notwendig. Was als wissenschaftliche Praxis schon anspruchsvoll genug ist, offenbart sich bei genauer Hinsicht als eine Haltung, die ohne die Voraussetzung, sich von der eigenen Perspektive distanzieren zu wollen – oder zu können –, nicht eingenommen werden kann.73 Design Thinking als Ermöglichungssystem zu verstehen und Bedarfsorientierung als Lösungsorientierung ernst zu nehmen, ist mehr von den beteiligten Subjekten abhängig, als es ein methodisches Vorgehen auf den ersten Blick vermittelt. Als methodischer Ansatz changiert Design Thinking deshalb zwischen dem Angewiesensein auf einen bestimmten Teilnehmendentyp, für den die Fähigkeit, sich unvoreingenommen und empathisch auf sein Gegenüber einzulassen zu können, zentral ist, auf der einen Seite, und dem methodischen Anspruch, die Wahrscheinlichkeit des prinzipiell unverfügbaren Geschehens der Ideenproduktion zu systematisieren und gezielt anzusteuern, auf der anderen Seite. Die scheinbare Linearität im Vorgehen, deren Plausibilität leicht den Anforderungsgrad des Vorgehens zu überdecken vermag, ist besonders im Hinblick auf die Funktionslogik von Organisationen relevant. Gerade im Kontext von Organisationen steht der Grundsatz nutzerrelationaler und ergebnisoffener Innovation für etwas anderes als die Regentschaft des Zufalls und das Überantworten von Organisationen an das Prinzip glücklicher Fügung.74 Durch die aufeinander auf-

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Reinhart, Rätsel und Paranoia als Methode – Vorschläge zu einer Innovationsforschung der Sozialwissenschaften, in: Anna Froese, Dagmar Simon, Julia Böttcher (Hg.), Sozialwissenschaften und Gesellschaft. Neue Verortungen von Wissenstransfer, Bielefeld: transcript Verlag 2016, S. 159-191. So negiert Ingrid Gerstbach die Zufallsabhängigkeit von Design Thinking zwar bereits im Titel, betont aber dennoch, dass Design Thinking weder Wundermittel noch Innovationsgarant sei. Obwohl der Design Thinking Prozess verschiedene Phasen vorsieht, können diese als parallellaufend verstanden werden und beliebig iteriert werden. Gerade der Aspekt der Wiederholung ist ein der pädagogischen Praxis vertrautes Element. Siehe Ingrid Gerstbach, Design Thinking – Weil Innovation kein Zufall ist, in: Sven Grote, Rüdiger Goyk (Hg.), Führungsinstrumente aus dem Silicon Valley. Konzepte und Kompetenzen, Berlin: Springer Gabler Verlag GmbH 2018, S. 63-78. So wird im Design Thinking ein bestimmtes Mindset betont, das als Voraussetzung aufgrund der Personengebundenheit jedoch leichter kommuniziert als kultiviert werden kann. Dementsprechend hebt Tim Seitz die Prozessebene zugunsten der Outputebene im Rahmen von Design Thinking hervor. Seitz beobachtet im Rahmen eigener Untersuchungen eher die »Etablierung einer spezifischen Arbeitskultur« als die Entwicklung grundstürzender Innovationen. Anstatt aber die Eigenlogik von Organisationen zu reflektieren, sucht Seitz durch die durch Nutzerorientierung adressierte Ebene der Authentizität und den Möglichkeiten für die Teilnehmenden, relativ gesehen autonom zu agieren, den Anschluss an Luc Boltanski und Ève Chiapellos Überlegungen zum neuen Geist des Kapitalismus. Durch die Vorstellung einer in Managementmodelle integrierten Künstlerkritik geht jedoch der Blick auf die Verhinderungsbedingungen organisationaler Praxis als Grundlagenproblem verloren. Siehe Tim Seitz, Design Thinking und der neue Geist des Kapitalismus. Soziologische Betrachtungen einer Innovationskultur, Bielefeld: transcript Verlag 2017, hier S. 124. Zudem muss angemerkt werden, dass sich praktisch kein Managementmodell, das auf der Integration von Mitarbeitendenperspektiven basiert, einer solchen Ein- und Zuordnung widersetzen kann. Auf die damit verbundene Missverständlichkeit des Begriffs des »neuen Geistes« weist Christoph Deutschmann hin. Die sich verändernde Managementrhetorik bringt Deutschmann zufolge keinen neuen Geist hervor, »sondern eher die abnehmende Kraft des Kapitalismus, überhaupt neue handlungsorientierende Strukturen, Institutionen und Ideologien zu

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bauenden Schritte und die stringente Ausrichtung auf Wertschöpfung bietet sich das Setting geradezu für die Einbettung in organisationale Zusammenhänge an und ist so mit dem Risiko behaftet, den eigenen experimentellen Charakter zu verlieren.75 Denn das Moment des spielerisch Unkalkulierbaren ersetzt nicht zwangsläufig die dahinter stehende Intention der Zielgerichtetheit, wenn nicht weniger als eine erfolgreiche Zukunft zur Disposition steht. Letztlich gilt das auch für diejenigen Ansätze, die sich auf Ebene der Namensgebung der Spielsemantik und entsprechender Ableitungen bedienen. Das Spielerische als Gegenentwurf zum organisationalen Alltag zu verstehen, heißt gleichzeitig, dass Organisationen in ihrer paradoxen Eigenlogik einer spielerischen Dimension entbehren. Dies ist nicht zuletzt die Konsequenz der sachlichen Verunmöglichung von Gelegenheiten, die nicht im Modus der Alternativität angelegt ist. Was im Umkehrschluss bei Social Creation Games im Fokus der zugrundeliegenden Absicht steht, ist die Erzeugung von Möglichkeiten und das Ausbrechen aus sowie das Aufbrechen von organisationalen Routinen.76 Der Reflexion des Ist-Zustandes werden mögliche Szenarien als Kontraste gegenübergestellt, um Handlungs- und Entscheidungsalternativen sichtbar zu machen und zu diskutieren, ob diese als Soll-Zustand Zustimmung finden.77 Dem im organisa-

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generieren.« Im Sinne Deutschmanns sollte die Ebene der Semantik nicht mit der Ebene wirtschaftlicher Entwicklungen verwechselt werden, deren Wachstumsraten nicht den Schluss einer Revitalisierung des Kapitalismus zulassen, sondern vielmehr Kontinuitätslinien verlängern. Siehe Christoph Deutschmann, »Kapitalismus« und »Geist des Kapitalismus« – Anmerkungen zum theoretischen Ansatz Boltanski/Chiapellos, in: Gabriele Wagner, Philipp Hessinger (Hg.), Ein neuer Geist des Kapitalismus? Paradoxien und Ambivalenzen der Netzwerkökonomie, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, S. 127-143, hier S. 141. Für das organisationsbedingte Risiko, die Möglichkeiten der Methode zu unterlaufen, siehe Lucy Kimbell, Rethinking Design Thinking: Part I, in: Design and Culture 3 (2011) 3, S. 285-306. Dass die Produktion von Kontingenz als Grundlage für Entscheidungsprozesse fungiert, illustrieren Niels Akerstrom Andersen und Justine Gronbaek Pors an Praxisbeispielen dänischer Schulentwicklung. Ausgehend von einem systemtheoretischen Zugriff auf Organisationen machen die Autoren darauf aufmerksam, dass Unsicherheit und Unbestimmtheit zentral für die Aufrechterhaltung von Entscheidungsprozessen sind, Organisationen aber zur Ausbildung von rigiden Strukturen und Pfadabhängigkeiten tendieren. Als eine Antwort darauf sehen Andersen und Pors Social Creation Games, die als Simulationen dazu dienen, spielerisch alternative Möglichkeiten in und von Organisationen thematisieren zu können. Über die Projektion von Alternativität in geschützten Räumen oder das zunächst hypothetische Infragestellen klassischer Verantwortungsverteilung können Räume der Reflexion zur Verfügung gestellt werden, die als denkbare Entscheidungsgrundlage die Entwicklung von Organisationen mit neuen Möglichkeiten stimulieren sollen. Gerade Schulen und Verwaltungen, die aufgrund bürokratischer Mechanismen zu eher wenig plastischen Strukturen tendieren, können durch Zuhilfenahme solcher Managementtools bestehende Gegebenheiten hinterfragen. Nicht Verhinderung von Kontingenz, sondern deren Sichtbarmachung wird damit zur Aufgabe organisationaler Strukturbildung. Siehe Niels Akerstrom Andersen, Justine Gronbaek Pors, Spielende Organisationen – Unbestimmtheit als Ressource, in: Julian Müller, Victoria von Groddeck (Hg.), (Un)Bestimmtheit. Praktische Problemkonstellationen, München: Wilhelm Fink Verlag 2013, S. 117-131. In diesem Sinne treten realistische Fiktionen an die Stelle undurchschaubarer Realität. Aufgrund der Tatsache, dass Fiktionen eigene Realitäten entwerfen und demnach wirklich sind, kommt ihnen eine nicht zu unterschätzende Handlungsmacht zu. Zur Wechselseitigkeit von Realität und Fiktion als Konstituenzien von Realitätsverdopplungen siehe Elena Esposito, Die Fiktion der wahr-

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tionalen Alltag verhafteten Wirklichkeitssinn wird durch die methodische Erzeugung einer Parallel- und Versuchswelt, die für Experimente freigegeben wird, zeitweilig aufgezeigt, dass sich Organisation nicht in strukturgeleiteten Gewohnheiten erschöpfen muss.78 Vielmehr wird der Möglichkeitssinn der Teilnehmenden adressiert und die Zukunft der Organisation als gestaltbar und weniger als unweigerliches Schicksal modelliert. Letztlich geht es um die methodisch angesteuerte Produktion von Alternativität – und damit um die Revitalisierung einer Grundvoraussetzung der Organisation. Denn das Gespenst der Selbstfestlegung ist ein Synonym für die Absenz von Gelegenheiten und der Fatalismus der Alternativlosigkeit entspricht dem Ende der Organisation. Es muss noch etwas zu entscheiden geben, um die Zukunftsfähigkeit der Organisation zu gewährleisten.79 Entscheiden zu können, setzt jedoch Kontingenzen, also Alternativen und damit Entscheidungsspielräume voraus.80 Um auf die Notwendigkeit von Alternativen hinzuweisen, steht in der Organisationstheorie klassisch der Begriff der Unsicherheitsabsorption zur Verfügung.81 Unsicherheit wird nicht nur absorbiert, sondern durch jede neue Entscheidung wieder produziert, da neue Möglichkeiten des Anschließens für Folgeentscheidungen entstehen.82 Diese Unsicherheit ist konstitutiv für Organisationen und deren wichtigste Grundlage. Verfahren wie Open Space, World Café, das Change Laboratory, Design Thinking sowie Social Creation Games treffen sich darin, dass sich die Quellen der Ungewissheit in der Intransparenz des Subjekts und der Unberechenbarkeit sozialer Interaktion finden. Trotz deren grundsätzlicher Unverfügbarkeit im Sinne des vielzitierten Technologiedefizits werden diese über die methodische Gestaltung von Rahmenbedingungen indirekt angesteuert und kultiviert. Damit wird genau das zum Impulsgeber der Organisation,

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scheinlichen Realität. Aus dem Italienischen von Nicole Reinhardt, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2007. Entscheidungen prozessieren entsprechend eine »De-Fiktionalisierung«, da qua Entscheidung eine neue Wirklichkeit an die Stelle der im realitätsverdoppelnden Social Creation Game entworfenen Wirklichkeitsvorstellung tritt. Zur entsprechenden Modellierung von »Diskontinuität als Produktivität« siehe Birger P. Priddat, Entscheiden, Erwarten, Nichtwissen. Über das Neue als das unerwartete Andere, in: Hans Rudi Fischer, Wie kommt Neues in die Welt? Phantasie, Intuition und der Ursprung von Kreativität, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2013, S. 121-131, hier S. 130f. Hierzu schreibt Niklas Luhmann: »Denn ohne Unsicherheit bliebe nichts zu entscheiden, die Organisation fände im Zustand kompletter Selbstfestlegung ihr Ende und würde mangels Tätigkeit aufhören zu existieren.« Siehe Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung. 2. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006, S. 186. Die häufige Absenz von Spielräumen für das »Spinnen und Experimentieren« in Großorganisationen diskutiert Ulrich A. Wever. Er versteht solche »angstarmen Räume«, in denen für gescheiterte Experimente keine negativen Konsequenzen drohen, als »Kulturinseln«, die er als unabdingbare Voraussetzung dafür markiert, dass sich Organisationen aus sich selbst heraus erneuern können. Siehe Ulrich A. Wever, Revolution der Unternehmenskultur, in: Heinrich von Pierer, Bolko von Oetinger (Hg.), Wie kommt das Neue in die Welt?, München und Wien: Carl Hanser Verlag 1997, S. 167-169, hier S. 168f. Für die Ausgangsfigur der Unsicherheitsabsorption siehe James G. March, Herbert A. Simon, Organizations, New York, London und Sydney: John Wiley & Sons, Inc. 1958, S. 164ff. Zur Gleichzeitigkeit organisationaler Produktion von Sicherheit und Unsicherheit siehe auch Charles Perrow, Normal accidents: Living with High-Risk Technologies, New York: Basic Books 1984.

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was im Entstehen der Managementlehre als das identifiziert wurde, was maßgeblich dem reibungslosen und gelingenden Alltag der Organisation entgegensteht: Die Wertigkeit von Personen, der Ideenreichtum des Subjekts und das emergente dynamische Potential sozialer Interaktionen werden zum Gegengift einer Möglichkeitsräume verunmöglichenden starren Struktur. Die Kultivierung des Zufalls ist immer verbunden mit der Hoffnung auf Irritation und Abweichung, auf Neuheit und Innovation. Für die Geschichte von Organisationstheorie und Managementlehre impliziert dies eine instruktive Wendung. Bei Methoden wie Open Space oder World Café, Laboransätzen sowie Social Creation Games geht es auf Basis subjektiver Beteiligung auch um die Demokratisierung der Zufallsproduktion. Nach dem Obsoletwerden charismatischer Herrschaft zugunsten des Siegeszugs der Form moderner Organisation und deren anschließender rationalitätskritischer Demaskierung als Katalysator für evolutionäres Treiben83 geraten wieder Konzepte in den Fokus, die das Prinzip der Personenunabhängigkeit negieren. Im Vordergrund steht nun die methodisch gestützte Herstellung von Alternativität, die für Organisationen unabdingbar ist. Diese methodischen Arrangements fungieren als Wette auf die Zukunft – ergebnisoffen und deshalb als Gegenwicht zur organisationalen Gewissheitsproduktion. Kontingenznegation und -produktion steigern sich wechselseitig aneinander. Für das Management als Form des Arrangierens organisationaler Möglichkeiten bedeutet dies, dass die manageriale Absicht zunehmend narrative Formen annimmt.84 Die Betonung von Offenheit im Rahmen von Open Space, das Hervorheben informaler Kommunikation bei World Café, der experimentelle Charakter im Rahmen von Laboransätzen und die Projektion alternativer Realitäten und Zukünfte bei Social Creation Games 83

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Eine Entwicklungsperspektive des modernen Managements zwischen Rationalisierung und Entrationalisierung zeichnet Nancy Richter, wobei sie eine machtkritische Perspektive einnimmt, um »Management und Organisation als neutrale und zeitlose Technologien« infrage zu stellen. Aus dieser Warte heraus analysiert sie den Wandel einer als unzulänglich erkannten Steuerungslogik in Richtung eines Empowerments der Mitarbeitenden. Dabei impliziert ein kritischer Fokus auf Macht und Verwertungszusammenhänge das Risiko, die paradoxe Eigenlogik von Organisationen in sachlicher, zeitlicher und sozialer Hinsicht aus dem Blick zu verlieren und dadurch die Gefahr, eine Entmündigung des Subjekts zu postulieren, indem vor-organisationale Subjektivität vernachlässigt wird. Siehe hierzu Nancy Richter, Organisation, Macht, Subjekt. Zur Genealogie des modernen Managements, Bielefeld: transcript Verlag 2014, hier S. 315. Für das Ernstnehmen semantischer Konturen und eine sprachkritische Perspektive auf den Forschungsgegenstand des Managements plädiert Barbara Sieben, um das Geschehen in Organisationen vorwiegend als Ergebnis einer sprachlichen Praxis zu fassen. Siehe Barbara Sieben, Der linguistic turn in der Managementforschung, in: Rainer Diaz-Bone, Getraute Krell (Hg.), Diskurs und Ökonomie. Diskursanalytische Perspektiven auf Märkte und Organisationen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S. 37-62. Bemerkenswerterweise kann jedoch der Fokus auf Sprache dazu beitragen, die Parallelität von organisierter Informationsverarbeitung und Kommunikation zu verwischen und deren streng geschiedene Eigenlogiken in den Hintergrund treten zu lassen. Außerdem können Steuerungsdilemmata aus dem Blick geraten, wenn Argumente vorschnell auf die machtskeptische Seite der Kritik verlagert werden. Dies gilt zuvörderst für das Spannungsfeld und die Reziprozität eines managerialen festhalten Wollens und loslassen Müssens und die damit verbundene Integration von Kontingenz im Sinne der Rechaotisierung der Organisation, die droht, durch eine einseitige Fokussierung auf vermachtete Diskurse verborgen zu bleiben.

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

formulieren auf der semantischen Ebene den Anspruch, einen Unterschied zum verregelten Alltag der Organisation zu markieren.85 Dies gilt auch für Future Search, das die Suche nach der Zukunft bereits im Titel trägt und ebenfalls dem Anspruch einer methodisch konturierten Offenheit folgt.86 Auf der Ebene der Semantik kaschiert die Betonung eines organisationalen Nichtwissens ein direktives Moment der Zielgerichtetheit, das – wenngleich unterschiedlich stark ausgeprägt – methodischen Settings stets immanent ist.87 Die Expansion organisationaler Strukturautomation mit dem Ende der Organisation als zentralem gesellschaftlichen Strukturmoment zusammenzubringen, ist nur eine Möglichkeit. Das organisationale Dual von Struktur und Subjekt lässt sich methodisch auch zur anderen Seite der Gleichung hin verschieben, um diese in Richtung des Subjekts aufzulösen. Ermöglichung statt Verhinderung wird zum neuen Glaubenssatz der Strukturgestaltung, der die Einsicht voraussetzt, dass man nicht wissen kann, was die Zukunft bringt.88 Dass man nicht wissen kann, was man nicht wissen kann, erscheint 85

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Ein zentrales Kennzeichen von Managementrhetorik ist, dass die prinzipiell entgegengesetzten Dimensionen von Offenheit und Zielgerichtetheit scheinbar mühelos integriert werden. Veränderlichkeit wird konsequent als Veränderbarkeit kommuniziert. Siehe hierzu Johan Berglund, Andreas Werr, The Invincible Character of Management Consulting Rhetoric: How One Blends Incommensurates while Keeping them Apart, in: Organization 7 (2000) 4, S. 633-655. Diese Offenheit besteht nicht zuletzt darin, dass die Suche nach der Zukunft Marvin R. Weisbrod und Sandra Janoff zufolge gar nicht abgeschlossen werden kann: »We see future search as a building block of theory and practice for a house that will never be finished.« Dementsprechend setzt Future Search weder auf ein manageriales Modell der Komplexitätsreduktion, noch auf ein Vorgehen, um unterschiedliche Wahrnehmungen mittels einer überhöhten Vorstellung von Konsens zu integrieren. Mit dem Anspruch methodischer Bescheidenheit geht es um »a series of open dialogues« (S. XV), um neue Möglichkeiten zu entdecken und gemeinsame Perspektiven auszuloten. »We encourage listening and understanding what others are saying. We work toward the discovery and use of common agendas and shared ideals rather than the replay of old patterns of interaction.« (S. X) Siehe Marvin R. Weisbrod, Sandra Janoff, Future Search. An Action Guide to Finding Common Ground in Organizations and Communities, San Francisco: Berrett-Koehler Publishers 1995. Die fragwürdig gewordene Vorwegnahme der Zukunft wird somit durch den methodisch angesteuerten Gewinn neuer Möglichkeiten ersetzt, deren narrative Form als Differenzmarkierung zum Überkommenen zu verstehen ist. Zum Verhältnis von erfahrener Vergangenheit und deren Transformation in Narrationen, die Zukunftsfähigkeit ermöglichen, siehe Birger P. Priddat, Entscheidung als notwendige Fiktion. Über eine fundamentale narrative Struktur in der Ökonomik: Wahrscheinlichkeit und Erwartung, in: Irmtraud Behr, Anja Kern, Albrecht Plewnia, Jürgen Ritte (Hg.), Wirtschaft erzählen. Narrative Formatierungen von Ökonomie, Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG 2017, S. 27-37. Der organisierten Produktion von Kontingenz entspricht noch ein weiterer Aspekt. Denn partizipationsorientierte Methoden und Praktiken stehen auch dafür, dass Tools organisationaler Strukturgestaltung mit Sinn angereichert werden. Konsequenterweise versteht Frederic Laloux sinnorientierte »integrale evolutionäre Organisationen« als idealtypische Abkehr von der Vorstellung organisationaler Maschinenäquivalenz und damit als Organisationstyp, bei dem die Seite der Struktur nicht negativ ins Gewicht fällt. Dabei stehen solch »beseelte Organisationen« (S. 301) jedoch auch dafür, dass sich das Konzept der Organisation erschöpft: »Es ist vorstellbar, dass sich die Menschen in der Zukunft nicht um eine Organisation, sondern um den evolutionären Sinn versammeln.« (S. 300). »Wie ein Vogelschwarm können sich Menschen in einer gemeinsamen Sache verbinden und wieder trennen.« (S. 299). Wenngleich nur implizit zum Ausdruck gebracht, entspricht der An-

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auf den ersten Blick tautologisch trivial und doch ist das Öffnen von Möglichkeitsräumen als Versuch der Gestaltung der Zukunft ein besonderes Wagnis, da es nicht nur auf die Abhängigkeit von den beteiligten Subjekten setzt, sondern auch auf emergente Formbildungen als Ergebnis von deren Subjektivität. Dass es sich hierbei um genuin pädagogische Praktiken handelt, zeigt nicht zuletzt der Bezug auf die langlaufenden Kontinuitätslinien erziehungswissenschaftlicher Reflexion, deren Konzeptionen im Zuge zeitgenössischer Strukturgestaltung in Organisationen aktualisiert und genutzt werden. Die Hoffnung auf eine gelingende Zukunft aktualisiert einen klassischen Schöpfungsmythos als vermeintlich vormoderne Praxis, wenngleich sich deren Vorzeichen geändert haben.89 Die abermals theologische Figur der Voraussetzungslosigkeit der creatio ex nihilo wird durch das methodische Design einer spezifischen Raumordnung ersetzt.90 Bei Möglichkeitsräumen in Organisationen handelt es sich nicht um einen unmarked space, in den Unterscheidungen als Novum hineingezeichnet werden, sondern um arrangierte Rahmenbedingungen, die nach dem Prinzip der Kontextsteuerung die Erzeugung von Zufällen befördern soll. Die Steigerung der Wahrscheinlichkeit produktiver Zufälle wird damit zur Kernaufgabe des Managements, indem Modelle der Erzeugung von Gelegenheiten strukturell in Form gegossen werden. Eine pädagogisch abgesicherte Hoffnung wird so zum Substitut obsolet gewordener Vorstellungen von Rationalität.91 An die Stelle der Ursprungserklärung tritt die Methode.

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satz der sinnbedingten Neuerfindung der Organisation bei Laloux womöglich deren Auflösung. Siehe Frederic Laloux, Reinventing Organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Aus dem Englischen übersetzt von Mike Kauschke, München: Verlag Franz Vahlen GmbH 2015. Dem Gegensatzpaar von Geschaffenem und seinem selbst ungeschaffenen Urheber liegt theologisch betrachtet eine klare Rollenverteilung bei der Hervorbringung von Neuem zugrunde. Zu schöpfen war ursprünglich nicht die Angelegenheit des Menschen, sondern göttliches Geschäft. Siehe hierzu Hartmut von Hentig, Kreativität. Hohe Erwartungen an einen schwachen Begriff, München und Wien: Carl Hanser Verlag 1998, hier S. 36f. Im Adressieren von Innovation und Neuheit finden sich regelmäßig Narrative, die ihrerseits nicht neu sind. Hierzu zählt insbesondere das Abstellen auf genuin theologische Figuren. Siehe hierzu Diedrich Diederichsen, Kreative Arbeit und Selbstverwirklichung, in: Christoph Menke, Juliane Rebentisch (Hg.), Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus, Berlin: Kulturverlag Kadmos Berlin 2010, S. 118-128. Paradoxerweise wird damit das zum funktionalen Äquivalent von Rationalitätsvorstellungen, was im Zuge der fortschreitenden Aufklärung durch diese einst verdrängt wurde. Denn erst der rationalitätsgetriebene Siegeszug der modernen Naturwissenschaft führte zur Erosion etablierter Ordnungsvorstellungen, deren mythologische Überzeugungskraft sich der Logik der Naturgesetzmäßigkeiten nicht mehr widersetzen konnte. Die These, dass die im Entstehen begriffene neue Ordnung maßgeblich auf den Mechanismus der Organisation zurückgreift und das strukturelle Arrangieren von Zwecken und Mitteln zum zentralen Strukturmoment avanciert, ist maßgeblicher Teil des ersten Kapitels.

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

9.3

Die Zukunft der Organisation als Nichtorganisation der Zukunft

Auf welcher Seite beginnt man die Organisation der Zukunft zu suchen und wodurch zeichnet sich diese aus? Sucht man auf der Seite des Subjekts, auf der Seite der Struktur oder in Modi der Kollaboration auf der eigendynamischen Ebene sozialer Interaktion? Bis dato hat sich die ursprüngliche Form der Organisation durchgesetzt. Aufgaben- und Personenorientierung stellen noch immer die Eckpunkte eines an Formbildungen reichen Kontinuums dar. Bisher waren Struktur und Subjekt eine gegenseitig verpflichtete Reproduktionsgemeinschaft, doch die Dualität von Struktur und Subjekt, von Fremdund Selbstbestimmung sowie von Vorgabe und Autonomie – als allesamt pädagogische Schematisierungen – werden durch die fortschreitende Digitalisierung herausgefordert. Die digitale Transformation aktualisiert die organisationale Binnendifferenzierung im Hinblick auf die verschiedenen Eigenlogiken der Anschlussbildung. Wenn gemessen, gerechnet oder visualisiert wird, muss nicht zwangsläufig gesprochen werden. Anwesenheitsbasierte soziale Interaktion bleibt dagegen unberechenbar.92 Es stellt sich die Frage, ob die Aktualisierung organisationaler Binnendifferenzierung Antworten für die Zukunft der Organisation vorhält, den Ausschlag zur einen oder anderen Seite hin zu geben. Bisher scheinen nur die Ausgangspunkte festzustehen. In der Szenerie von gestern werden die Herausforderungen und Fragen von morgen entschieden. Geschichte und Gegenwart von Organisation und Management halten mögliche Antworten auf allen Seiten bereit. Das Verhältnis von Planung und unplanbaren, beiläufigen Effekten war von Beginn an Teil der Reflexion organisationalen Geschehens. Einerseits zielen die semiotischen Mechanismen der Entscheidungsunterstützung wie Vermessung, Berechnung und Visualisierung darauf, die Organisation auf die Seite der Struktur festzulegen, um mögliche Störpotentiale auszuschließen und möglichst genaue Verhaltensvorgaben an die beteiligten Subjekte zu adressieren. Andererseits gehört zu deren Kehrseite, dass Strukturfestlegungen als vergangenheitsbedingte Vorwegnahme der Zukunft Möglichkeiten der Flexibilität, des Wandels und der produktiven Abweichung unterminieren. Im Rahmen von Prozessen der Strukturbildung Momente der Offenheit vorzusehen, ist keine exklusive Herausforderung der digitalen Moderne, sondern ein klassisches Problem der Organisation, das aus der Dualität von Struktur und Subjekt resultiert. In der ersten Phase der Thematisierung organisationaler Strukturprobleme wurde die Lösung für die Momente der Offenheit, des Nichtplanbaren und Unvorhersehbaren vornehmlich auf der Seite des Subjekts gesucht. So blieb bei Max Weber lediglich der kapitalistische Unternehmer den Zwängen der Organisation äußerlich. Er alleine war 92

Der Gegensatz von Zufallsabhängigkeit und sachneutraler Informationsverarbeitung findet sich bereits bei Max Weber. Bemerkenswerterweise gilt dies auch für die Annahme undurchschaubarer Komplexität, der Weber das Potential des Subjekts als Komplement zur Seite stellt, was entsprechend in einer Figur doppelter Intransparenz mündet. Er schreibt: »Wobei vor allem zu bemerken ist, daß dabei meist weder über das, was in einer Fabrik noch was in einem Laboratorium vorgeht, irgendwelche Klarheit besteht. Hier wie dort muß dem Menschen etwas – und zwar das richtige – einfallen [H.i.O.], damit er irgend etwas wertvolles leistet. Dieser Einfall aber lässt sich nicht erzwingen. Mit irgendeinem kalten Rechnen hat er nichts zu tun.« Siehe Max Weber, Wissenschaft als Beruf, S. 6.

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nicht Teil des organisationalen Verhältnisses von Über- und Unterordnung. Vielmehr ist der Unternehmer bei Weber derjenige, der die Organisation mit Zwecksetzungen und den notwendigen Informationen versorgen kann, weil er nicht weisungsgebunden ist.93 Führung und Management beruhen auf einem Paradoxon: Der gute Plan der Organisation eliminiert Abweichungsspielräume und Subjektivität aufgrund einer spezifischen Vorstellung von Professionalität, die besagt, dass im Rationalitätsgebäude struktureller Ordnung nur derjenige professionell agiert, der die eigenen Ideen, Befindlichkeiten und Interessen im Sinne der Organisation unterdrücken kann, als eigenständiges Subjekt jedoch unsichtbar wird.94 Doch was durch die Omnipräsenz der Vorgabe unter Druck gerät, ist die Fähigkeit, eigenständig Richtungsentscheidungen treffen zu können. Die Spitze der Organisation kann aber nur von einer Person besetzt sein, die diese Eigenständigkeit besitzt.95 Gerade diejenige Organisation, die wiederholt mit technischinstrumentellen Charakterisierungen beschrieben worden ist,96 benötigt ein Moment der Nicht-Organisierbarkeit. Analog dazu findet sich bei Erich Gutenberg die Figur des Gründers. Auch der Gründer im Sinne Gutenbergs entzieht sich dem Mechanismus der Organisation, weil dieser systematisch auf dem Ausschalten von Kontingenz basiert und damit den Raum multipler Möglichkeiten konzeptuell zu schließen sucht. Organisationsprobleme sind für Gutenberg durch die Reziprozität von Berechenbarkeit und Unberechenbarkeit gekennzeichnet. Und auch Joseph Schumpeter arbeitet mit dem Gegensatz von subjektgebundenem Potential und personenindifferenter Verregelung von Abläufen, gegen die sein Typus des Unternehmers sich durchzusetzen hat.97

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Weber bestimmt die Grenzen der Systematisierbarkeit wie folgt: »Ueberlegen ist der Bureaukratie an Wissen: Fachwissen und Tatsachenkenntnis, innerhalb seines Interessenbereichs, regelmäßig nur: der private Erwerbsinteressent. Also: der kapitalistische Unternehmer. Er ist die einzige wirklich gegen die Unentrinnbarkeit der bureaukratischen rationalen Wissens-Herrschaft (mindestens: relativ) immune Instanz. Alle andern sind in Massenverbänden der bureaukratischen Beherrschung unentrinnbar verfallen, genau wie in der Herrschaft der sachlichen Präzisionsmaschine in der Massengüterbeschaffung.« Siehe Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Fünfte, revidierte Auflage, besorgt von Johannes Winckelmann, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1972, S. 129. Besonders bürokratische Organisationen setzen Weber zufolge, »je komplizierter und spezialisierter sie wird, desto mehr den menschlich unbeteiligten, daher streng sachlichen »Fachmann« voraus. Ebd., S. 563. Die organisationale Abhängigkeit von einem diesartigen Persönlichkeitsprofil führt Dirk Rustemeyer zufolge »in eine heroisierende Auffassung von der Rolle der Führung und des Managements.« Siehe Dirk Rustemeyer, Anarchie im Büro? Organisation als Formen multipler Rationalität, in: Ute Lange, Sylvia Rahn, Wolfgang Seitter, Randolf Körzel (Hg.), Steuerungsprobleme im Bildungswesen: Festschrift für Klaus Harney, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S. 35-56, hier S. 38. Zum Stellenwert der Verwendung technikbezogener Metaphern für die Rezeptionsgeschichte der weberschen Organisationstheorie siehe Hartmann Tyrell, Ist der Webersche Bürokratietypus ein objektiver Richtigkeitstypus? Anmerkungen zu einer These von Renate Mayntz, in: Zeitschrift für Soziologie 10 (1981) 1, S. 38-49. Siehe hierzu Joseph A. Schumpeter, Unternehmer, in: Ludwig Elster, Adolf Weber, Friedrich Wieder (Hg.), Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Vierte, gänzlich umgearbeitete Auflage. Achter Band. Tarifvertrag – Zwecksteuern, Jena: Verlag von Gustav Fischer 1928, S. 476-487.

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

Was Weber, Gutenberg und Schumpeter verbindet, ist die Gemeinsamkeit, dass sie ihre Vorstellung von Organisation als Einrichtung der Verregelung von Abläufen konzipieren und auf strukturell analoge Probleme stoßen, deren Lösungen sich gleichen. Die Lösung für die prinzipiell unorganisierbar scheinenden Aufgaben wie Gründung oder Steuerung werden jeweils in der rätselhaften Intransparenz des Subjekts gesucht. Doch eine solche Form der Subjektorientierung und -zentrierung ist für Organisationen grundsätzlich problematisch, da die dem Organisationsmechanismus eingeschriebene Austauschbarkeit der Mitglieder zur Disposition gestellt wird. Die Abhängigkeit von den beteiligten Subjekten unterminiert die Funktion organisationaler Strukturbildung im Ausschließen von nicht beherrschbaren Zufällen, sodass Zeitfestigkeit und -stabilität der Organisation riskiert werden.98 Die Seite des Subjekts zu betonen, ist kein exklusives Vorgehen der aufkommenden Managementlehre, sondern gehört auch zur Leitsemantik der digitalen Moderne.99 Be98

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Zur Zeitfestigkeit und Zeitstabilität der Organisation, die »nicht aus Personen, sondern aus Positionen besteht« und dadurch von den aktuell beteiligten Personen zu abstrahieren in der Lage ist, siehe klassisch James S. Coleman, Macht und Gesellschaftsstruktur. Übersetzt und mit einem Nachwort von Viktor Vanberg, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1979, hier S. 22. Gleichzeitig wird die Zukunft der Organisation auf der Seite der Struktur gesucht. So greift etwa Brian J. Robertson auf die Metapher des Betriebssystems zurück, um Organisationen computeranalog eine neue Struktur geben zu können. Die zentralen Elemente von Holacracy sind eine »Verfassung«, die Autoritäten neu regelt, die Neuformierung der Organisationsstruktur zur Aktualisierung von Rollen- und Kompetenzprofilen, ein definierter Prozess der Entscheidungsfindung und letztlich ein fest definiertes Vorgehen in Meetings. Siehe Brian J. Robertson, Holacracy. Ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Mike Kauschke, München: Verlag Franz Vahlen GmbH 2016, S. 11f. Die Metapher des Betriebssystems greift Gerald Mitterer auf und damit die Vorstellung, dass Entscheidungsprozesse in Organisationen mittels Holacracy grundsätzlich neu strukturiert werden können. Dementsprechend positiv gestimmt stellt Mitterer fest: »Das holakratische System verteilter Autorität adaptiert sich damit permanent von selbst« (S. 428). Den Anspruch, die Grenzen rationaler Entscheidungen durch rigide Vorgaben überwinden zu wollen, bündelt Mitterer in der Metapher des Fleischwolfs: »Man wirft eine Spannung hinein und ein rigider Prozess stellt sicher, dass unterschiedliche Perspektiven effizient integriert werden und sinnvoller Output für die Organisation herauskommt« (S. 432). Dahinter steckt letztlich die Annahme, dass der Schlüssel zur Überwindung des Technologiedefizits auf der Seite der Struktur zu finden ist. Die Doppelbödigkeit der Praxis wäre damit Geschichte. Siehe Gerald Mitterer, Holacracy – ein Fleischwolf für organisationale Entscheidungsprozesse, in: Rolf Eschenbach, Christian Horak, Michael Meyer, Christian Schober, (Hg.), Management der Nonprofit-Organisation – Bewährte Instrumente im praktischen Einsatz. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag 2015, S. 426-432. Die Einführung von Holacracy wird mitunter etwas kritischer gesehen. Mit dem Verweis auf eine eigene empirische Untersuchung zur Einführung von Holacracy stellen Gerhard Andrey und Philipp Egli Jung heraus, dass deren Strukturlastigkeit bei bereits bestehenden flachen Hierarchien zu deutlich geminderten Effekten führt. Zwar lässt sich eine Verkürzung von Meetingzeiten beobachten, die Neustrukturierung wird aber als wenig revolutionär empfunden. Als Ursache nennen die Autoren hierfür den Umstand, dass Holacracy prinzipiell versucht, sich von einem starren Hierarchiegefüge abzugrenzen. Entgegen der Ausgangsintention führe dies zu dem Effekt, dass aufgrund der Formalisierung von Prozeduren die Neuerungen als bürokratisch und hierarchisch wahrgenommen werden. Die starke Akzentuierung von Rollen – so die Autoren – stellt zudem eine Herausforderung für den sozialen Zusammenhalt der Organisation dar, da diese als Entpersönlichung empfunden werden kann. Die Einführung von Holacracy kann eine persönliche Unterstützung der Mitarbei-

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grifflich stehen gegenwärtig Konzepte wie Kreativität im Fokus, die versuchen, auf das Rätsel der Generierung von Ideen eine Antwort zu geben.100 Das Subjekt als Ideengenerator zu verstehen oder es entsprechend zu inszenieren, ist in der Moderne längst zur Selbstverständlichkeit geworden.101 Im Adressieren von Authentizität, Vorbildhaftigkeit oder der Betonung sozialer Verantwortung wird die Relevanz der beteiligten Subjekte herausgestellt und der Schlüssel zu einer gelingenden Zukunft vermutet.102 Doch das Bild des autonomen Subjekts im alleinigen Suchen nach Innovation hat zumindest ein wenig Patina angesetzt. Der in der Betonung des Subjekts mitschwingende Heroismus wird mindestens aus der Perspektive methodischer Arrangements als antiquiert markiert. Die postheroische Gestaltung von Organisationen setzt regelmäßig nicht auf überhöhte Personenkonzepte und deren charismatische Strahlkraft oder bedingungsloses Durchsetzungsvermögen,103 sondern insbesondere auf die dynamische Eigenlogik anwesenheitsabhängiger Settings. Das intransparente Potential des Subjekts wird vor allen Dingen in Form der Unberechenbarkeit sozialer Interaktion genutzt. Dem narrativen und symbolischen Arsenal von Offenheit, Raum, Experiment und Spiel liegt auf der semantischen Ebene der Anspruch zugrunde, sich von der zukunftsvergessenen Organisation zu distanzieren und diese als überkommen zu begreifen.104

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tenden erforderlich machen. Siehe Gerhard Andrey, Philipp Egli Jung, Selbst organisiertes Unternehmen. Fallstudie zur Einführung von Holacracy, in: Zeitschrift Führung und Organisation 85 (2016) 6, S. 384-389. Paradoxerweise kann die Konzentration auf die Seite der Aufgabenorientierung dementsprechend dazu führen, dass auf der Seite der beteiligten Personen unplanmäßige Effekte produziert werden. Der Traum der rationalen Organisation bleibt auch bei Holacracy mit dem Risiko des Aufwachens behaftet, denn gerade das Betonen der Strukturseite kann Bedarfslagen auf der Subjektseite bedingen. Die strukturelle Vorgabe von Handlungsschritten und die spezifische Formierung konkreter Vorgehensweisen folgt dem traditionellen Anspruch managerialer Kontingenznegation. Wenn Organisationen durch gezielte Veränderungsprozesse auf Basis eines neues Betriebssystems operieren sollen, folgt dies der klassischen Intention, unabhängig von den konkreten Personen operieren zu wollen und stattdessen Optimierungsgewinne über die Seite der Struktur zu erzielen. Ansätze, die vorwiegend auf der Strukturseite nach Verbesserungspotentialen suchen, weisen demnach restaurative Tendenzen auf und sind mit dem Risiko behaftet, aufgrund ihrer Vergangenheitsbedingtheit den grundsätzlichen Strukturkonservatismus der Organisation zu bedienen. Zur Popularität der Kreativsemantik siehe auch Ulrich Bröckling, Über Kreativität. Ein Brainstorming, in: Christoph Menke, Juliane Rebentisch (Hg.), Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus, Berlin: Kulturverlag Kadmos 2010, S. 89-97. Das Streben nach Kreativität ist Andreas Reckwitz zufolge Wunsch und Imperativ zugleich – mit gesellschaftlichen Konsequenzen. Denn vermeintlich ästhetische Praxis tritt durch die Verwendung bestimmter Symbolik häufig an die Stelle eigener Ideen, um die ihrerseits neuen Linien der Exklusion zu vermeiden, die aus der Verselbstverständlichung von Kreativität resultieren. Siehe hierzu Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität, Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin: Suhrkamp Verlag 2012. Siehe hierzu Reinhard K. Sprenger, Leadershit. Gut managen – und was wir damit anrichten, in: Armin Nassehi (Hg.), Gut leben. Kursbuch 172, Hamburg: Murmann 2012, S. 26-40. Zur Dysfunktionalität von Heroismen siehe auch Dirk Baecker, Postheorische Führung. Vom Rechnen mit Komplexität, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2015, S. 3f. Narrative Formen des Managements speisen sich nicht zuletzt aus dem Inventar der Organisationstheorie, deren Axiome dann zugunsten interventionspraktischer Appellative umgedeutet werden. In der Rezeption rationalitätskritischer Figuren als Einladung für praktische Handlungsanweisungen zeigen sich der flexible und dehnbare Charakter sprachlicher Äußerungen wie der

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

Zwar war die Rhetorik des Management nie diminutivverliebt, gleichwohl kommt in der Betonung von strukturierter Unstrukturiertheit ein aktualisiertes Verständnis von Steuerung zum Ausdruck. So gehören die traditionelle Entscheidungsautorität wie das dazugehörige individualistische Statusdogma zu den Ewigkeitslasten der Organisation, die den Vorstellungen gelingender Kooperation auf Basis von Mitbestimmung und Verschiedenheit widersprechen.105 Die Expansion interaktionsbasierter Verfahren beruht auf dem organisationalen Anspruch, nicht die Vergangenheit lückenlos fortzusetzen und damit zukunftsvergessen zu agieren, sondern dies in einer methodisch dynamisierten Gegenwart ohne präfixierte Gewissheiten zu tun, in der noch nichts feststeht und die aufgrund der ihr eigenen Dynamik stetig neu ist. Gerade die Offenheit der Zukunft gilt es zu bewahren,106 damit der Strukturkonservatismus der Organisation nicht die Anreicherung der Gegenwart mit Alternativen überdeckt und statt in ein Morgen ins Übergestern führt.107 Management als Praxis des Arrangierens von Unterscheidungen zu verstehen, heißt auch, das Arrangieren von Zeithorizonten als deren integralen Bestandteil aufzufassen. Nur Zukunftsoffenheit birgt Gestaltungsmöglichkeiten.

grundsätzliche Gegensatz von Beobachtung und Intervention gleichermaßen. Siehe hierzu W. Graham Stanley, Raymond F. Zammuto, Organization Science, Managers and Language Games, in: Organization Science 3 (1992) 4, S. 443-460. Dabei erfüllen semantische Konjunkturen die spezifische Funktion, dass sie als »Idealisierungen und Stilisierungen« Organisationswirklichkeit gangbar machen, da sie die für Verstehensprozesse unzugängliche organisationale Komplexität absorbieren. In diesem Sinne ergänzt strukturbezogene Kommunikation die strukturelle Ebene organisierter Informationsverarbeitung. Siehe hierzu Alfred Kieser, Moden & Mythen des Organisierens, in: DBW: Die Betriebswirtschaft 56 (1996) 1, S. 21-39, hier S. 34. 105 Zur Betonung der Relevanz von Gemeinsamkeit anstelle individualistischer Vorstellungen und deren Bedeutung für eine gelingende Praxis unter Bedingungen zunehmender Komplexität, die sich entsprechend in Learning Communities realisiert, siehe Peter M. Senge, Claus Otto Scharmer, Von »Learning Organizations« zu »Learning Communities«, in: Heinrich von Pierer, Bolko von Oetinger (Hg.), Wie kommt das Neue in die Welt?, München und Wien: Carl Hanser Verlag 1997, S. 199-110. 106 Zur Diskussion von Zukunftsoffenheit als Voraussetzung für Entscheidungen siehe auch Niklas Luhmann, Die Beschreibung der Zukunft, in: ders., Beobachtungen der Moderne, Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1992, S. 129-147, hier S. 136. 107 Die Notwendigkeit, sich offen gegenüber der Zukunft zu zeigen, betonen auch C. Otto Scharmer und Katrin Käufer. Die Tatsache, dass etablierte und damit vergangenheitsbedingte Wahrnehmungs- und Handlungsmuster nicht ausreichen, um neue Handlungsoptionen zu generieren, sehen sie als zentrale Herausforderung von Führung. Als blinden Fleck von Führung kennzeichnen Scharmer und Käufer den Moment, in dem nicht standardisiert gehandelt werden kann, den »Quellort von Handlung« (S. 4) und damit ein Moment der Unbestimmtheit, bevor Neues vom Alten unterschieden werden kann. Als möglichen Lösungsansatz integrieren die Autoren im Rahmen des »Presencing« dem Anspruch nach soziale wie individuelle Gelingensfaktoren. Zentral ist neben kommunikativen sozialen Aushandlungsprozessen im Sinne eines tiefen Verstehens des Gegenübers vor allem die Fähigkeit, einen Zugang zum eigenen Gefühlshaushalt zu finden. Der Zugang »zu der Quelle inneren Wissens« (S. 9) ist nicht zuletzt die Voraussetzung für die Eröffnung neuer Handlungsräume, die die »Gestaltung der eigenen Aufmerksamkeit voraus[setzt]« (S. 11). Gerade die vorstehenden Zitate illustrieren ein Vorgehen, das Personenzentriertheit und Management als eine narrative Praxis integriert und operative Unbestimmtheit durch kommunikative Unbestimmtheit ergänzt. Siehe C. Otto Scharmer, Katrin Käufer, Führung vor der leeren Leinwand. Presencing als soziale Technik, in: OrganisationsEntwicklung. Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Chance-Management 27 (2008) 2, S. 4-11.

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Dass Gestaltungsmöglichkeiten mit Gestaltungsherausforderungen und Gestaltungsverantwortung einhergehen, ist indes nicht ohne kritische Beobachtung geblieben. Eine Kritik der Entfremdung, die traditionell aus den lediglich ausschnitthaften Anteilen am Gesamtprozess und der damit verbundenen mangelnden Möglichkeit, eigene Potentiale ganzheitlich zum Ausdruck bringen zu können, resultiert,108 wandelt sich im Zuge der Reorganisation hierarchischer Settings und Zuständigkeiten zu einer Kritik der Verunternehmerung.109 Doch das Spannungsfeld von subjektiven Motivlagen und strukturellen Vorgaben ist nicht ohne Weiteres aufzulösen. Die Dialektik der Organisation besteht darin, dass die Organisation die eigenen Versprechen auf Beteiligung, auf flache Hierarchien, auf Ausdruck der eigenen Vorstellungen immer auch untergräbt. Die neu gewonnene Autonomie bleibt doch relative Autonomie und die größer werdenden Handlungsspielräume setzen ein steigendes Maß an Selbstdisziplin und die Fähigkeit zur Selbstregulation voraus. Der organisationale Freisetzungsprozess führt zu einer Neuverteilung von Verantwortungslasten, die nicht zwangsläufig begrüßt wird.110 Doch ohne dieses Spannungsmoment wäre die Dialektik von Vorschrift und Lockerung keine. Der paradox anmutende Zwang zur Freiheit trägt ein dysfunktionales Potential in sich und kann den eigentlichen Anspruch partizipationsorientierter Gestaltungsstrategien ins Gegenteil verkehren.111 Das Angebot der Organisation, durch Beteiligungsverfahren und Prozesse sozialer Interaktion eigene Sichtweisen einbringen zu können, bleibt ein corleonisches Angebot, das nicht – oder nur mit Plausibilitätsproblemen – abzulehnen ist.

108 Siehe hierzu klassisch Karl Marx, Die entfremdete Arbeit, in: ders., Ökonomisch-philosophische Manuskripte. Geschrieben von April bis August 1844. Nach der Handschrift, Leipzig: Reclam 1974, S. 149-166. 109 Zu den relevanten Diskursfiguren zählen hierbei vor allem die Figuren des Arbeitskraftunternehmers und des unternehmerischen Selbst. Siehe Hans J. Pongratz, G. Günter Voß, Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft?, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 50 (1988) 1, S. 131-158; Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2007. 110 Die damit verbundene Subjektivierung der Arbeit wird regelmäßig mit der Diagnose zunehmender Belastungssymptomatiken verknüpft. Zur Wechselseitigkeit von Transformationsprozessen organisierter Arbeit und kollektiver Erschöpfung siehe die Beiträge in Sighard Neckel, Greta Wagner (Hg.), Leistung und Erschöpfung. Burnout in der Wettbewerbsgesellschaft, Berlin: Suhrkamp Verlag 2013. 111 Als Sammelbecken organisationskritischer Überlegungen gruppieren sich unter dem Etikett der Critical Management Studies Beiträge, »deren Gemeinsamkeit sich zunächst ›lediglich‹ auf einer Ablehnung etablierter Forschung, Lehre und Management- und Organisationspraxis gründet« (S. 212). Dabei wird sich vor allen Dingen Überlegungen kritischer Theorie, marxistischer Ideen, der Arbeitsprozesstheorie sowie poststrukturalistischer bzw. postmoderner Überlegungen bedient, um auf eine »Politisierung der Management- und Organisationspraxis und der damit verbundenen Forschung und Lehre« (S. 218) zu zielen. Dass vor dem Hintergrund des verwendeten theoretischen Inventars auch Managementkonzepte, die auf Momente der Offenheit setzen, ins Fadenkreuz grundsätzlicher Organisationskritik geraten, ergibt sich bereits aus der theoretischen Anlage. Siehe hierzu Ronald Hartz, Die ›Critical Management Studies‹ – eine Zwischenbilanz in kritischer Absicht, in: Michael Bruch, Wolfgang Schaffar, Peter Scheiffele (Hg.), Organisation und Kritik, Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot 2011, S. 211-246.

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

Vor dem Hintergrund organisationaler Funktionslogik und dem damit verbundenen Auseinanderfallen von strukturbedingter Zukunftsvergessenheit und notwendiger Zukunftsoffenheit bleiben die Alternativen allerdings überschaubar. Durch die Parallelisierung einzelner Vollzüge auf Basis der Ausdifferenzierung von Spezialrollen erreicht das Komplexitätsniveau von Organisationen schnell ein beachtliches Maß, das sich einer verstandesmäßigen Kontrollierbarkeit entzieht. Aufgrund der Gleichzeitigkeit der verschiedenen Vorgänge integrieren Organisationen multikausale Zusammenhänge. Komplexität bezieht ihre Begriffsfähigkeit aus der Tatsache, dass offen ist, was einheitlich womit zusammenhängt.112 Die Antwort auf Fragen nach linearer Kausalität kann für komplexe Zusammenhänge nur unbestimmt in die Zukunft ausgelagert werden.113 In dieser Hinsicht ist Komplexität ein zukunftsoffener Begriff114 und die Komplexität der Organisation beruht auf Multikausalitäten, die keiner linearen Logik folgen.115 Die Gleichzeitigkeit der koordinierten und parallelisierten Vollzüge bedingt ein für Management und Steuerung problematisches Maß an Intransparenz, das Durchgriffskausalität unmöglich macht. Die Reflexion von Rationalitätsgrenzen,116 von Undurchschaubarkeit und Nichtsteuerbarkeit komplexer Zusammenhänge, führt in der Konsequenz dazu, dass versucht wird, Komplexität bewusst zu erzeugen.117 Methodisch generierte Unbestimmtheitsspielräume sollen eine gelingende Zukunft der Organisation ermög-

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Siehe hierzu Sebastian Manhart, Complex learning and the significance of measurement, in: Ariane König (Hg.), Sustainability sciences: Key issues, London und New York: Routledge 2018, S. 296317. Die Zukunftsoffenheit von Komplexität verweist wiederum auf die Notwendigkeit zukunftsoffener Interventionsformen. Für eine Konzeption von Beratung als reflexive Handhabung von Zukunftsoffenheit siehe Thomas Wendt, Die moderne Suche nach Gelegenheiten. Plädoyer für eine zeitgemäße Beratung, in: Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis – VPP 51 (2019) 2, S. 293301. Siehe hierzu Niklas Luhmann, Haltlose Komplexität, in: ders., Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven. 3. Auflage, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 58-74. Klassisch hierzu auch Michael D. Cohen, James G. March, Johan P. Olsen, A Garbage Can Model of Organizational Choice, in: Administrative Science Quarterly 17 (1972) 1, S. 1-25. Die Reflexion von Rationalitätsgrenzen und der Erzeugung blinder Flecken spiegelt sich auch in partizipationsorientierten Forschungsdesigns wider. Siehe hierzu Andreas Schröer, Thomas Wendt, Partizipationsorientierung als Forschungsstrategie der Organisationspädagogik, in: Michael Göhlich, Andreas Schröer, Susanne Maria Weber (Hg.), Handbuch Organisationspädagogik, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2018, S. 331-342. Zukunftsoffenheit anzunehmen, impliziert, stetige Lernerfordernisse zu akzeptieren. Für Organisationen heißt dies, die Kontingenz nicht in Strukturbildungsprozessen einzusperren, sondern sie in die beteiligten Subjekte, deren Lernprozesse aber nicht gesteuert werden können, hinein und damit auszulagern. Gerade weil Zukunftsvergessenheit für ein Muster der Trivialisierung steht, wird demzufolge die Relevanz von Subjekten betont. Siehe hierzu Rudolf Wimmer, Die Zukunft von Führung. Brauchen wir noch Vorgesetzte im herkömmlichen Sinn?, in: OrganisationsEntwicklung. Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management 15 (1996) 4, S. 46-57. Als Konsequenz werden Herausforderungen des Lernens von und in Organisationen zu einem zentralen Anliegen organisationaler Strukturgestaltung, sodass im Ergebnis ein pädagogischer Imperativ als Konsequenz organisierter Informationsverarbeitung zu verstehen ist.

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lichen.118 Zugespitzt formuliert, sind es die Imperfektheit von Planung, die damit verbundene Ohnmacht, die Aussichtslosigkeit von Steuerungs- und Kontrollambitionen, die im ersten Schritt erkannt und im zweiten Schritt reflexiv gehandhabt werden, um die Potentiale der Zukunft nicht im Verhaftetsein in der Vergangenheit auszuklammern. Auf diese Weise nutzen zeitgemäße Konzeptionen von Führung und Management die Offenheit der Zukunft als Projektionsfläche, um den beteiligten Subjekten durch das Zurverfügungstellen von Rahmenbedingungen119 Handlungsoptionen bieten zu können. Alternativen zu generieren, heißt, die damit verbundenen Risiken bewusst einzugehen, um nicht in den komplexen Verflechtungen von Strukturbildungsprozessen der Vergangenheit zu versanden.120 Bleiben Organisationsstrukturen auf das Arrangieren von Rahmenbedingungen beschränkt, wird die konkrete Vorgabe von Handlungsoptionen und entsprechender Mittel vermieden, sind sie keine klaren Leitlinien der Orientierung mehr, sondern breite Zonen der Zukunftsoffenheit. Sie werden zu Leitplanken, innerhalb derer Subjekte agieren, auf denen die Hoffnung ruht, dass sich produktive

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Für die Nutzung der Offenheit von Zukunft siehe auch Elena Esposito, Pläne und die Zukunft. Das Unvorhersagbare gestalten, in: Werner Rammert, Arnold Windeler, Hubert Knoblauch, Michael Hutter (Hg.), Innovationsgesellschaft heute. Perspektiven, Felder und Fälle, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2016, S. 427-435. 119 Zum Verständnis von Führung als Arrangieren von Rahmenbedingungen – unabhängig davon, ob diese als Unterstützung oder Hindernis wirken, siehe Andreas Schröer, Führung als Gegenstand der Organisationspädagogik, in: Michael Göhlich, Andreas Schröer, Susanne Maria Weber (Hg.), Handbuch Organisationspädagogik, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2018, S. 479-490, hier S. 480. 120 Innovativ kann ein Unternehmen im digitalen Zeitalter – Dirk Baecker zufolge – nur sein, wenn Stoppregeln in Prozesse organisationaler Strukturbildung Eingang finden. Stoppregeln sollen den zukunftsvergessenen Strukturkonservatismus der Organisation überwinden helfen, um den sich ändernden Anforderungen gerecht werden zu können. Die entscheidende Quelle dafür macht Baecker beim Menschen aus, der aufgrund seiner Wahrnehmungs- und Kommunikationsfähigkeit über ein Potential verfügt, das Maschinen und Computern nicht zu- und eingeschrieben werden kann. Den Gegensatz von Individuumszentrierung und Strukturautomation beschreibt Baecker mit dem Verweis auf das Konzept der mindfulness im Sinne Weicks und Sutcliffes. Siehe Dirk Baecker, Innovative Unternehmen, in: ders., Studien zur nächsten Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2007, S. 14-27. Mit dieser Skizze moderner Organisation in der nächsten Gesellschaft, die für Baecker eine Computergesellschaft ist, wird die Weitsicht der Überlegungen von Max Weber noch einmal deutlich, für den die Unterscheidung personengebundener Potentiale und sachlich neutraler Professionalität zentral war. Gleichzeitig wird über Modellierungen künstlicher Intelligenz die Annahme der Besonderheit des Menschen im Hinblick auf Wahrnehmung und Kommunikation herausgefordert wie nie zuvor. Dem baeckerschen Argument der Stoppregel kommt nicht nur eine bestimmte Funktion im Management zu, sie wird auch zu einer zentralen gesellschaftspolitischen Frage und Herausforderung.

9. Organisationale Möglichkeitsräume als Formen struktureller Strukturlosigkeit

Zufälle ereignen und zu einer gelingenden Zukunft emergieren.121 Vor dem Hintergrund, dass aber individuelle Kreativität und organisierte Innovation nicht einfach – wie auf Knopfdruck – erzeugt werden können, entspricht diese Hoffnung im konkreten Vorgehen einer methodischen Bescheidenheit. Diese besteht vor allem darin, die Grenzen und Verhinderungsbedingungen von Kreativität und Innovation in den Blick zu nehmen und zu reflektieren. Möglichkeitsraumgestaltung in Organisationen kann als Regulativ einer strukturbedingt forcierten Dezentrierung des Subjekts fungieren, indem sie Komplexität nicht als ausschließliches Risiko, sondern als Potential von Welt versteht. Denn die Fähigkeit, ausgewogen zu urteilen, der Mut zu entscheiden und beides zu verantworten, bleiben in ihrer Relevanz nicht auf organisationale Möglichkeitsräume beschränkt. Bei aller berechtigten Kritik weisen die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die der Umgang mit Kontingenz und Komplexität erfordert und bedingt, doch über die Grenzen der Organisation hinaus. Die Nähe zu klassischen Figuren erziehungswissenschaftlicher Reflexion ist hierbei evident. Bereits die ursprüngliche Fassung des Bildungsbegriffs gründet auf den mannigfaltigen Widerstandsformen, die die Welt als Erfahrungsraum bereithält.122 So setzt gerade das klassische Konzept der Bildung auf den produktiven Umgang und die Auseinandersetzung mit den unabsichtlich wirkenden Kontingenzen der Umwelt.123 Die Welt der Moderne ist die Welt der Organisation, in der Struktur und Subjekt aufeinandertreffen, und daher mehr, als über zweckrationale Kalküle abzubilden ist. Entsprechend illustriert die Geschichte der Organisationstheorie als Geschichte der Deund Rekonstruktion klassischer Rationalitätsannahmen, dass die Erosion früherer Gewissheiten und das Erkennen von Grenzen der Planung, Kontrolle und Steuerung die Hoffnung auf eine positive Zukunft zu nähren vermögen.124 Unbestimmtheitsspielräume werden zur Projektionsfläche einer noch nicht feststehenden, aber deshalb poten121

Die Wechselseitigkeit von Regel und Ausnahme entspricht dem Verhältnis von alt und neu und gründet letztlich auf der Tatsache, dass die jeweiligen Seiten der Unterscheidung auf ihr Gegenstück angewiesen sind. Diese Unterscheidungsabhängigkeit bedingt den relativen Charakter von Neuheiten, da Neues nur in Abhängigkeit eines bereits Vorhandenen neu sein kann. Diesbezüglich schreibt Michel Serres: »Zu Neuen gelangt man nur durch die Einbringung des Zufalls in die Regel, durch die Einführung des Gesetzes in den Schoß der Unordnung.« Siehe Michel Serres, Der Parasit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1991, S. 194. 122 Entsprechend ist bei Humboldt zu lesen »Denn nur die Welt umfasst alle nur denkbare Mannigfaltigkeit und nur sie besitzt eine so unabhängige Selbstständigkeit, dass sie dem Eigensinn unsres Willens die Gesetzte der Natur und die Beschlüsse des Schicksals entgegenstellt.« Siehe Wilhelm von Humboldt, Theorie der Bildung des Menschen. Bruchstück, in: ders., Werke in fünf Bänden. Band 1. Schriften zur Anthropologie und Geschichte. Herausgegeben von Andreas Flitner und Klaus Giel, Stuttgart: J. G. Cotta’sche Buchhandlung 1960, S. 234-240, hier S. 237. 123 Zur Konzeption von Bildung als direkt-indirektes Modell pädagogischer Intervention siehe Sebastian Manhart, Absichtlich unabsichtlich. Zum Verhältnis von Politik, Bildung und Pädagogik um 1800, in: Dirk Rustemeyer (Hg.), Erziehung in der Moderne. Festschrift für Franzjörg Baumgart, Wü rzburg: Königshausen und Neumann 2003, S. 95-142. 124 So fokussieren die einflussreichsten Organisationstheorien der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf organisationale Widersprüchlichkeiten, Inkongruenzen und Ambivalenzen und arbeiten sich an klassischen Rationalitäts- und Steuerungsannahmen ab. Parallel dazu entdeckt die Managementlehre ihr Interesse an Paradoxien und relativiert und aktualisiert schrittweise das eigene Verhältnis zu Komplexität und Kontingenz. Siehe hierzu Dirk Baecker, Ein Widerspruch

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Die nächste Organisation

tiell gelingenden Zeit. Der Krisendiskurs um die Fehlbarkeit der Logik des Gelingens und das damit einhergehende negative Identitätssurrogat – die Organisation ist, was sie nicht beabsichtigt zu sein – wird durch die Zielstellung, aus geordneter Unordnung ein schöpferisches Potential zu generieren, ersetzt. Doch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Weg in die Zukunft nur in der Vergangenheit beginnen kann, ist dies keine Überraschung.

kommt selten allein: Die Organisation und ihre Kultur, in: ders., Organisation als System. Aufsätze, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 1999, S. 102-112, hier S. 104f.

10. Epilog

Managementkonzepte leben vom Arrangieren und Rearrangieren von Vergessenem und dessen Erinnerung. Sie speisen sich daraus, dass alte Ideen in begrifflich neuen Gewändern strahlende Zukunftsaussichten versprechen. Auch jüngere Entwicklungen im Management leben davon, dass Traditionalismen und klassische Figuren gegeneinander ausgespielt oder rekombiniert werden und damit etwas Neues entsteht. Das Gedächtnis der Mode ist vergesslich, das ist seine zentrale Funktion.1 Neben semantischen Konjunkturen kommt es darauf an, wie die Geschichte von Organisation und Management erzählt wird. Von der Warte der Fortschrittsapologie aus wird ein anderes Bild gezeichnet als aus der Perspektive der Kulturkritik. Das traditionelle Narrativ der Avantgarde nimmt Zäsuren in den Blick und fokussiert auf fundamentale Neuanfänge. Doch dadurch droht das Risiko, Vergessenheiten, Erinnerungen und deren Rekombinationen zu übersehen und dem attraktorischen Potential entsprechender Konzepte anheimzufallen. Die Entwicklung des modernen Managements erscheint nur auf den ersten Blick wie eine stetige Abfolge kopernikanischer Wenden. Zwischen Kulturkritik und Fortschrittsapologie liegt die Möglichkeit, die Beobachtungsperspektive auf Prozesse der Strukturbildung und das Arrangieren von Unterscheidungen zu richten und die damit verbundene Aktualisierung des organisationalen Duals von Struktur und Subjekt zu reflektieren. Mit einer enttäuschenden Antwort auf die Frage »Was ist neu?« fällt dies nicht zusammen. Es lässt sich eine Verlaufsgeschichte destillieren, die sich dem Einsatz von Unterscheidungen als Heuristiken verdankt. Mithilfe der Unterscheidungen von Struktur und Subjekt, Offenheit und Geschlossenheit, Ordnung und Unordnung oder Vergangenheit und Zukunft werden Kontinuitätslinien in der Verlaufsgeschichte der Gestaltung moderner Organisationen sichtbar, die bis zu dem Punkt reichen, an dem die Organisation im digitalen Zeitalter zur Disposition steht. 1

Eine wesentliche Funktion von Mode besteht darin, deren momenthafte Vergänglichkeit als Dauerzustand, den dauerhaften Wandel als Kontinuität zu etablieren. Damit erscheint jede Gegenwart einzigartig, was den notwendigen Spielraum für wiederkehrende Elemente und deren Rekombination ermöglicht. Siehe hierzu Elena Esposito, Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode. Aus dem Italienischen von Alessandra Corti, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2004.

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Die nächste Organisation

Die durch das Prinzip der Organisation forcierte Digitalisierung ist einerseits die Fortsetzung von Prozessen der Strukturbildung, andererseits stehen der strukturgeleiteten Ausdifferenzierung neue technische Möglichkeiten zur Verfügung, die Subjekten ihren Akteurstatus zu nehmen scheinen und die Begriffsderivate von Subjektivität wie Autonomie und Mündigkeit unter Plausibilitätsdruck setzen. Auf der Seite der Struktur führt dies zu Prozessen der Entgrenzung von Organisationen, durch die unklar wird, an welcher Stelle organisationale Ordnungsbildung beginnt und an welchem Punkt sie endet. Organisationen wandeln sich aufgrund der Möglichkeiten des Datenaustauschs und der daraus resultierenden Verknüpfungen immer mehr zu Netzwerken, für die gilt, dass Organisationsgrenzen entweder aufgelöst oder beliebig aktualisiert und rekonfiguriert werden können. Die aus Verknüpfungen und Anschlussbildungen entstandenen Netzwerke, die ihrerseits Datenwolken im Sinne aktueller Formbildungen strukturieren, führen durch ihren steigenden Datendurchsatz zu einer neuen Größenordnung gleichzeitiger Strukturoperationen. Das Komplexitätsniveau der Gesellschaft der Gleichzeitigkeit ist durch die rechenmäßige Verknüpfung von Strukturelementen unendlich steigerungsfähig. Im Gegenzug beginnt die Zukunft der Organisation bereits dort, wo die moderne Managementlehre ihren Auftakt genommen hat: bei den unberechenbaren Idiosynkrasien des Subjekts und der daraus resultierenden Emergenz sozialer Interaktion. Wenn man der Annahme folgt, dass Messung, Berechnung und Visualisierung die Grenzen der Leistungsfähigkeit auf der Seite der Strukturbildung verschieben und ihren Platz in Organisationen der digitalen Moderne in Prozessen der Strukturautomation gefunden haben, ist es das Produzieren von Unordnung, die Rechaotisierung der Organisation, auf der die Hoffnung liegt, in Zukunft Alternativen vorhalten zu können. Dem Abstellen auf technische Verknüpfungen steht ein Spektrum pädagogischer Methoden gegenüber, die Ergebnis der Reflexion des eigenen Technologiedefizits sind. Die reflexive Handhabung von Offenheit und Unberechenbarkeit der Zukunft fungiert daher als Regulativ – womöglich als Korrektiv – analoger wie digitaler Zukunftsvergessenheit der Organisation. Die Zukunft offenzuhalten und nicht durch Strukturbildungsprozesse verregelt vorwegzunehmen, ist die zentrale, wenngleich paradoxe Gestaltungsaufgabe von Organisationen in der digitalen Moderne. Vor allem in der Pädagogik steht hierzu der passende Gesprächspartner bereit. Diese ist in ihrer Rolle als Kontingenz- und Paradoxie-Management bestens im Umgang mit Unberechenbarkeit vertraut.

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Die nächste Organisation

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Die nächste Organisation

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Literatur

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Grote, Sven; Goyk, Rüdiger (Hg.) (2018): Führungsinstrumente aus dem Silicon Valley. Konzepte und Kompetenzen. Berlin: Springer Gabler Verlag GmbH. Grunwald, Armin (2018): Abschied vom Individuum – werden wir zu Endgeräten eines global-digitalen Netzes. In: Burk, Steffen; Hennig, Martin; Heurich, Benjamin; Klepikova, Tatiana; Piegsa, Miriam; Sixt, Manuela; Trost, Kai Erik (Hg.): Privatheit in der digitalen Gesellschaft. Berlin: Duncker & Humblot GmbH, S. 35-48. Gumbrecht, Hans Ulrich (1985): Posthistoire Now. In: Gumbrecht, Hans Ulrich; LinkHeer, Ursula (Hg.): Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 34-50. Gutenberg, Erich (1929): Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie. Berlin und Wien: Industrieverlag Spaeth und Linde. Gutenberg, Erich (1962): Unternehmensführung. Organisation und Entscheidungen. Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler. Gutenberg, Erich (1989): Die Theorie der Unternehmung. In: Albach, Horst (Hg.): Zur Theorie der Unternehmung. Schriften und Reden von Erich Gutenberg. Aus dem Nachlaß. Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris und Tokyo: Springer, S. 2943. Habbel, Conny (2015): Venedig im Regen. Politisches Engagement und Widerstand in der Kunst. In: Nassehi, Armin, Felixberger, Peter (Hg.): Was macht die Kunst? Kursbuch 184. Hamburg: Murmann, S. 127-142. Habermas, Jürgen (1988): Die Moderne – ein unvollendetes Projekt. In: Welsch, Wolfgang (Hg.): Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft mbH, S. 177-192. Habermas, Jürgen (2009): Philosophische Texte. Studienausgabe in fünf Bänden. Band 1. Sprachtheoretische Grundlegung der Soziologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Hahn, Alois (1985): Soziologische Aspekte des Fortschrittsglaubens. In: Gumbrecht, Hans Ulrich; Link-Heer, Ursula (Hg.): Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 53-72. Hampe, Michael (2009): Wissenschaft und Kritik. Einige historische Beobachtungen. In: Jaeggi, Rahel; Wesche, Timo (Hg.): Was ist Kritik? Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 353-371. Handy, Charles (1994): The Age of Paradox. Boston, Massachusetts: Harvard Business School Press. Hartz, Ronald (2011): Die ›Critical Management Studies‹ – eine Zwischenbilanz in kritischer Absicht. In: Bruch, Michael; Schaffar, Wolfgang; Scheiffele, Peter (Hg.): Organisation und Kritik. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot, S. 211-246. Hasse, Raimund (2015): Organisationsforschung und Wettbewerb. In: Apelt, Maja; Wilkesmann, Uwe (Hg.): Zur Zukunft der Organisationssoziologie. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 109-122. Hauser, Richard (1967): Utopie und Hoffnung. In: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag. Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH, S. 235-251.

Literatur

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Die nächste Organisation

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Die nächste Organisation

Kornberger, Martin (2015): Ist Managen eine Kunst? Wege, das Unsichtbare sichtbar zu machen. In: Nassehi, Armin; Felixberger, Peter (Hg.): Was macht die Kunst? Kursbuch 184. Hamburg: Murmann, S. 47-60. Koubek, Jochen (2005): Normative Mathematik in der Betriebswirtschaftslehre. In: Brüning, Jochen; Knobloch, Eberhard (Hg.): Die mathematischen Wurzeln der Kultur. Mathematische Innovationen und ihre kulturellen Folgen. München: Wilhelm Fink Verlag, S. 173-193. Krämer, Sybille (2005): Mündlichkeit/Schriftlichkeit. In: Roesler, Alexander; Steiger, Bernd (Hg.): Grundbegriffe der Medientheorie. Paderborn: Wilhelm Fink Verlag GmbH & Co. KG, S. 192-199. Krämer, Sybille (2014): Über die Handschrift: Gedankenfacetten. In: Böhm, Manuela; Gätje, Olaf (Hg.): Handschreiben – Handschriften – Handschriftlichkeit. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (OBST) 85. Duisburg: Universitätsverlag RheinRuhr OHG, S. 23-34. Królikowski, Agata; Loebel, Jens-Martin; Ullrich, Stefan (2017): Ausrechnen statt Entscheiden – 30 Jahre IT-Innovation. In: Hildebrandt, Alexandra; Landhäußer, Werner (Hg.): CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Berlin: Springer Gabler, S. 317-328. Kron, Thomas (2015) (Hg.): Hybride Sozialität – Soziale Hybridität. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft. Kühl, Stefan (2001): »Der Wandel als das einzige Stabile in Organisationen«. Die Rationalität des Organisationswandels und ihre Grenzen. In: Edeling, Thomas; Jann, Werner; Wagner, Dieter (Hg.): Reorganisationsstrategien in Wirtschaft und Verwaltung. Opladen: Leske + Budrich, S. 73-90. Kühl, Stefan (2002): Jenseits der Face-to-Face-Organisation. Wachstumsprozesse in kapitalmarktorientierten Unternehmen. In: Zeitschrift für Soziologie 31 (3), S. 186-210. Kühl, Stefan (2005): Ganz normale Organisationen. Organisationssoziologische Interpretationen simulierter Brutalitäten. In: Zeitschrift für Soziologie 34 (2), S. 90-111. Kühl, Stefan (2008): Coaching und Supervision. Zur personenorientierten Beratung in Organisationen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Kühl, Stefan (2014): Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust. Berlin: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. Kühl, Stefan (2015): Gesellschaft der Organisationen, organisierte Gesellschaft, Organisationsgesellschaft. Zu den Grenzen einer an Organisationen ansetzenden Zeitdiagnose. In: Apelt, Maja; Wilkesmann, Uwe (Hg.): Zur Zukunft der Organisationssoziologie. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 73-91. Küpper, Willi; Ortman, Günther (1986): Mikropolitik in Organisationen. In: Die Betriebswirtschaft (DBW) 46 (5), S. 590-602. Kurtz, Thomas (1998): Professionen und professionelles Handeln. Soziologische Überlegungen zur Klärung einer Differenz. In: Peters, Sibylle (Hg.): Professionalität und betriebliche Handlungslogik. Pädagogische Professionalisierung in der betrieblichen Weiterbildung als Motor der Organisationsentwicklung. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG, S. 105-121.

Literatur

Kurtz, Thomas (2004): Organisation und Profession im Erziehungssystem. In: Böttcher, Wolfgang; Terhart, Ewald (Hg.): Organisationstheorie in pädagogischen Feldern. Analyse und Gestaltung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 43-53. Ladeur, Karl-Heinz (2015): Die Gesellschaft der Netzwerke und ihre Wissensordnung. Big Data, Datenschutz und die »relationale Persönlichkeit«. In: Süssenguth, Florian (Hg.): Die Gesellschaft der Daten. Über die digitale Transformation der sozialen Ordnung. Bielefeld: transcript Verlag, S. 225-251. Laloux, Frederic (2015): Reinventing Organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Aus dem Englischen übersetzt von Mike Kauschke. München: Verlag Franz Vahlen GmbH. Latour, Bruno (1996): On actor-network theory. A few clarifications. In: Soziale Welt 47 (4), S. 369-381. Latour, Bruno (2007): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Aus dem Englischen von Gustav Roßler. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Lehmann, Maren (2011): Mit Individualität rechnen. Karriere als Organisationsproblem. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft. Lemke, Thomas (2000): Neoliberalismus, Staat und Selbsttechnologien. Ein kritischer Überblick über die gouvernmentality studies. In: Politische Vierteljahresschrift 41 (1), S. 31-47. Lewrick, Michael; Link, Patrick; Leifer, Larry (2017): Das Design Thinking Playbook. Mit traditionellen, aktuellen und zukünftigen Erfolgsfaktoren. München: Verlag Franz Vahlen GmbH. Liebau, Eckart (2006): Der Störenfried. Warum Pädagogen Bourdieu nicht mögen. In: Friebertshäuser, Barbara; Rieger-Ladich, Markus; Wigger, Lothar (Hg.): Reflexive Erziehungswissenschaft. Forschungsperspektiven im Anschluss an Pierre Bourdieu. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 41-58. Limbrunner, Alfons (1998): Soziale Arbeit als Beruf. Berufsanfang, Wiedereinstieg und Berufsfeldwechsel. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. Lindemann, Gesa (2014): In der Matrix der digitalen Raumzeit. Das generalisierte Panoptikum. In: Nassehi, Armin (Hg.): Privat 2.0. Kursbuch 177. Hamburg: Murmann, S. 162-173. Lingnau, Volker; Brenning, Matthias (2018): »Big Data – Bad Decisions?« Implikationen der digitalen Transformation für das Controlling. In: Lingnau, Volker; Müller-Seitz, Gordon; Roth, Stefan (Hg.): Management der digitalen Transformation. Interdisziplinäre theoretische Perspektiven und praktische Ansätze. München: Verlag Franz Vahlen GmbH, S. 136-167. Lohmann, Martin (1996): Zur Biographie von Frederick W. Taylor. In: Gaugler, Eduard (Hg.): The principles of scientific management – Bedeutung und Nachwirkungen. Düsseldorf: Verlag Wirtschaft und Finanzen GmbH, S. 95-109. Lorz, Ralph Alexander (2013): Die Gesetzesauslegung im Blick des Gesetzgebers? In: Baldus, Christian; Theisen, Frank; Vogel, Friederike (Hg.): »Gesetzgeber« und Rechtsanwendung. Entstehung und Auslegungsfähigkeit von Normen. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 87-110.

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Die nächste Organisation

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Literatur

Luhmann, Niklas (1991): Soziologie des Risikos. Berlin: Walter de Gruyter & Co. Luhmann, Niklas (1992a): Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft. In: Ders.: Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH, S. 93128. Luhmann, Niklas (1992b): Die Beschreibung der Zukunft. In: Ders.: Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH, S. 129-147. Luhmann, Niklas (1992c): Beobachtungen der Moderne. Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH. Luhmann, Niklas (1992d): Organisation. In: Küpper, Willi; Ortmann, Günther (Hg.): Mikropolitik. Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen. 2., durchgesehene Auflage. Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH, S. 165-185. Luhmann, Niklas (1994): Die Gesellschaft und ihre Organisationen. In: Derlien, HansUlrich; Gerhardt, Uta; Scharpf, Fritz W. (Hg.): Systemrationalität und Partialinteresse. Festschrift für Renate Mayntz. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S. 189-201. Luhmann, Niklas (1995a): Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt a.M.. Suhrkamp Verlag. Luhmann, Niklas (1995b): Die Behandlung von Irritationen: Abweichung oder Neuheit? In: Ders.: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft. Band 4. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 55-100. Luhmann, Niklas (1997a): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Erster Teilband. Kapitel 1-3. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Luhmann, Niklas (1997b): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Zweiter Teilband. Kapitel 4-5. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Luhmann, Niklas (2000): Die Religion der Gesellschaft. Herausgegeben von André Kieserling. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Luhmann, Niklas (2004): Sozialisation und Erziehung. In: Ders.: Schriften zur Pädagogik. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Dieter Lenzen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 111-122. Luhmann, Niklas (2005a): Ist Kunst codierbar? In: Ders.: Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation. 4. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 281-301. Luhmann, Niklas (2005b): Haltlose Komplexität. In: Ders.: Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven. 3. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 58-74. Luhmann, Niklas (2005c): Gleichzeitigkeit und Synchronisation. In: Ders.: Soziologische Aufklärung 5. Konstruktivistische Perspektiven. 3. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 92-125. Luhmann, Niklas (2005d): Die gesellschaftliche Differenzierung und das Individuum. In: Ders.: Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch. 2. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 121-136. Luhmann, Niklas (2005e), Einführung in die Theorie der Gesellschaft. Herausgegeben von Dirk Baecker. Heidelberg: Carl Auer Verlag. Luhmann, Niklas (2005f): Was ist Kommunikation? In: Ders.: Soziologische Aufklärung 6. 2. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 109-120.

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Die nächste Organisation

Luhmann, Niklas (2006): Organisation und Entscheidung. 2 Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Luhmann, Niklas (2008a): Zum Begriff der sozialen Klasse. In: Ders.: Ideenevolution. Beiträge zur Wissenssoziologie. Herausgegeben von André Kieserling. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 72-131. Luhmann, Niklas (2008b): Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen? In: Ders.: Die Moral der Gesellschaft. Herausgegeben von Detlef Horster. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 228-252. Luhmann, Niklas (2014): Zum Aufgabenbegriff der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre. In: Soziale Systeme. Zeitschrift für soziologische Theorie 19 (2013/2014) 1, S. 5-33. Luhmann, Niklas; Schorr, Karl Eberhard (1982): Das Technologiedefizit der Erziehung und die Pädagogik. In: Dies. (Hg.): Zwischen Technologie und Selbstreferenz. Fragen an die Pädagogik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 11-40. Lupton, Deborah (2015): Digital Sociology. London und New York: Routledge. Maasen, Sabine (2012): Gut ist nicht gut genug. Selbstmanagement und Selbstoptimierung als Zwang und Erlösung. In: Nassehi, Armin (Hg.): Besser optimieren. Kursbuch 171. Hamburg: Murmann, S. 144-156. Maasen, Sabine; Sutter, Barbara (2016): Dezentraler Panoptismus. Subjektivierung unter techno-sozialen Bedingungen im Web 2.0. In: Geschichte und Gesellschaft 42 (1), S. 175-194. Maier, Hermann; Hopp, Dietmar; Plattner, Hasso (1972): Auftragsabwicklung, Disposition und Versandsteuerung integriert im Realzeitbetrieb. IBM-Beiträge zur Datenverarbeitung. Anwendungen 1. Stuttgart: IBM-Deutschland GmbH. Manhart, Sebastian (2003): Absichtlich unabsichtlich. Zum Verhältnis von Politik, Bildung und Pädagogik um 1800. In: Rustemeyer, Dirk (Hg.): Erziehung in der Moderne. Festschrift für Franzjörg Baumgart. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 95-142. Manhart, Sebastian (2008a): Im Begriffsgeflecht. Zur Entstehung der Bildungssemantik um 1800 zwischen Selbstorganisation, Leben, Mensch und Markt. In: Thompson, Christiane; Weiss, Gabriele (Hg.): Bildende Widerstände – widerständige Bildung. Blickwechsel zwischen Pädagogik und Philosophie. Bielefeld: transcript Verlag, S. 165-186. Manhart, Sebastian (2008b): Vermessene Moderne, Zur Bedeutung von Maß, Zahl und Begriff für die Entstehung der modernen Kultur. In: Baecker, Dirk; Kettner, Matthias; Rustemeyer, Dirk (Hg.): Über Kultur. Theorie und Praxis der Kulturreflexion. Bielefeld: transcript Verlag, S. 191-218. Manhart, Sebastian (2009a): Was wird werden, wenn man weiß, was wird? Geschichtsschreibung und Staatswissenschaft als Interventionen in sich selbst hervorbringende Systeme im vormärzlichen Diskurs und bei Johann Gustav Droysen. In: Blanke, Horst-Walter (Hg.): Historie und Historik: 200 Jahre Johann Gustav Droysen. Festschrift für Jörn Rüsen zum 70. Geburtstag. Köln, Wien und Weimar: Böhlau, S. 3876. Manhart, Sebastian (2009b): Der Preis der Freiheit. Bildung, Wissen, Organisation. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation (ZSE) 29 (1), S. 80-95.

Literatur

Manhart, Sebastian (2012): Kalkulierte Krise – Zählen, Rechnen und Messen als Grundlagen der Moderne. In: Arch+. Zeitschrift für Architektur und Städtebau 45 (206/207), S. 17-21. Manhart, Sebastian (2014a): Anerkennung durch Lernen. Folgen einer begrifflichen Umstellung. In: Der pädagogische Blick. Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis in pädagogischen Berufen 22 (1), S. 19-32. Manhart, Sebastian (2014b): Organisiertes Veralten – veraltete Organisation? Zur Stabilität der Universität in den Neuerungsdynamiken von Wissenschaft und Reformen. In: Weber, Susanne Maria; Göhlich, Michael; Schröer, Andreas; Schwarz, Jörg (Hg.): Organisation und das Neue. Beiträge der Kommission Organisationspädagogik. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 259-269. Manhart, Sebastian (2016): Pädagogisches Messen. Messen als Organisationsform pädagogischer Praxis. In: Schröer, Andreas; Göhlich, Michael; Weber, Susanne Maria; Pätzold, Henning (Hg.): Organisation und Theorie. Beiträge der Kommission Organisationspädagogik. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 53-61. Manhart, Sebastian (2018a): Complex Learning and the significance of measurement. In: König, Ariane; Ravetz, Jerome (Hg.): Sustainability Science. Key Issues. London and New York: Routledge, S. 296-317. Manhart, Sebastian (2018b): Reflexive Verantwortung. Organisationspädagogische Praxis als Verantwortungsdistribution. Unveröffentlichtes Manuskript. Trier. Manhart, Sebastian; Rustemeyer, Dirk (2004): Die Form der Pädagogik. Der Schematismus »Bildung – Hilfe« als Differenzial pädagogischer Expansion. In: Zeitschrift für Pädagogik 50 (2), S. 266-285. Manhart, Sebastian; Wendt, Thomas (2019): Delokalisierung, Entzeitlichung und Entpersonalisierung organisierter Pädagogik. Zur digitalen Transformation organisationaler Raumzeit und ihres Subjekts. In: Zeitschrift für Weiterbildungsforschung 42 (2), S. 235-248. Manhart, Sebastian; Wendt, Thomas; Schröer, Andreas (2020): Individuelle Kreativität und organisierte Innovation. Elemente einer organisationspädagogischen Synthese. In: Fahrenwald, Claudia; Engel, Nicolas; Schröer, Andreas (Hg.): Organisation und Verantwortung. Jahrbuch der Sektion Organisationspädagogik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 339-353. March, James G. (1988): Decisions and Organizations. Oxford und New York: Basil Blackwell. March, James G.; Simon, Herbert A. (1958): Organizations. New York, London und Sydney: John Wiley & Sons, Inc. Marx, Karl (1974): Die entfremdete Arbeit. In: Ders.: Ökonomisch-philosophische Manuskripte. Geschrieben von April bis August 1844. Nach der Handschrift. Leipzig: Reclam, S. 149-166. Mayer-Schönberger, Viktor; Cukier, Kenneth (2013): Big Data. Die Revolution, die unser Leben verändern wird. Übersetzung aus dem Englischen von Dagmar Mallett. 2. Auflage. München: Redline Verlag. Mayntz, Renate (1965): Max Webers Idealtypus der Bürokratie und die Organisationssoziologie. In: Fijalkowski, Jürgen (Hg.): Politologie und Soziologie. Otto Stammer zum 65. Geburtstag. Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH, S. 91-100.

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Die nächste Organisation

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Literatur

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Die nächste Organisation

Oelkers, Jürgen (1990): Vollendung: Theologische Spuren im pädagogischen Denken. In: Luhmann, Niklas; Schorr, Karl Eberhard (Hg.): Zwischen Anfang und Ende. Fragen an die Pädagogik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 24-72. Ortmann, Günther (2003): Der Schneider von Panama. Lauter Geschichten über Ambiguität und Organisation. In: Weiskopf, Richard (Hg.): Menschenregierungskünste. Anwendungen poststrukturalistischer Analyse auf Management und Organisationen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag GmbH, S. 132-158. Ortmann, Günther (2004): Als Ob. Fiktionen und Organisationen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Ortmann, Günther (2011a): Fiktionen des Organisierens. In: Schmale, Hugo; Schuller, Marianne; Ortmann, Günther (Hg.): Ortlose Moral. Identität und Normen in einer sich wandelnden Welt. München: Wilhelm Fink Verlag, S. 197-231. Ortmann, Günther (2011b): Das Unbehagen in und an der Organisationskultur. In: Schmale, Hugo; Schuller, Marianne; Ortmann, Günther (Hg.): Ortlose Moral. Identität und Normen in einer sich wandelnden Welt. München: Wilhelm Fink Verlag, S. 395-426. Ortmann, Günther (2016): Innovation: In Ketten tanzen. In: Rammert, Werner; Windeler, Arnold; Knoblauch, Hubert; Hutter, Michael (Hg.): Innovationsgesellschaft heute. Perspektiven, Felder und Fälle. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 237-248. Ott, J. Steven; Shafritz, Jay M.; Jang, Yong Suk (2011): Classic Readings in Organization Theory. Seventh Edition. South Melbourne: Wadsworth, Cencage Learning. Owen, Harrison (2007): Open(ing) Space für Nichtwissen. In: Zeuch, Andreas (Hg.): Management von Nichtwissen in Unternehmen. Heidelberg: Carl-Auer-SystemeVerlag, S. 151-176. Owen, Harrison (2008a): Open Space Konferenz: Eine transformative Praxis. In: Kersting, Norbert (Hg.): Politische Beteiligung. Einführung in dialogorientierte Instrumente politischer und gesellschaftlicher Partizipation. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 159-166. Owen, Harrison (2008b): Open Space Technology – Ein Leitfaden für die Praxis. Aus dem Amerikanischen von Maren Klostermann. Stuttgart: Schäffer-Poeschel-Verlag für Wirtschaft. Page, Scott E. (2007): The difference: how the power of diversity creates better groups, firms, schools, and societies. Princeton und Oxford: Princeton University Press. Pariser, Eli (2011): The Filter Bubble. What the Internet Is Hiding from You. London: Viking 2011. Parsons, Talcott (1964): Social Structure and Personality. London: The Free Press of Glencoe. Parsons, Talcott (1968): Systematische Theorie in der Soziologie. Gegenwärtiger Stand und Ausblick. In: Ders.: Beiträge zur soziologischen Theorie. Herausgegeben und eingeleitet von Dietrich Rüschemeyer. 2. Auflage. Neuwied am Rhein und Berlin: Hermann Luchterhand Verlag GmbH, S. 31-64. Pasero, Ursula (2003): Gender, Individualität, Diversity. In: Pasero, Ursula; Weinbach, Christine (Hg.): Frauen, Männer, Gender Trouble. Systemtheoretische Essays. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 105-124.

Literatur

Pasero, Ursula (2004): Gender Trouble in Organisationen und die Erreichbarkeit von Führung. In: Pasero, Ursula; Priddat, Birger P. (Hg.): Organisationen und Netzwerke: Der Fall Gender. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 143-163. Pasquale, Frank (2015): The Black Box Society. The Secret Algorithms That Control Money and Information. Cambridge, Massachusetts und London, England: Harvard University Press. Passig, Kathrin; Scholz, Aleks (2015): Schlamm und Brei und Bits. Warum es die Digitalisierung nicht gibt. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 69 (11), S. 75-81. Passoth, Jan-Hendrik; Rammert, Werner (2016): Fragmentale Differenzierung und die Praxis der Innovation. Wie immer mehr Innovationsfelder entstehen. In: Rammert, Werner; Windeler, Arnold; Knoblauch, Hubert; Hutter, Michael (Hg.): Innovationsgesellschaft heute. Perspektiven, Felder und Fälle. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 39-67. Patzelt, Werner J.; Dreischer, Stephan (Hg.) (2009): Parlamente und Ihre Zeit. Zeitstrukturen als Machtpotentiale. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft. Pätzold, Henning (2015): Bewegte Bilder der Organisation. In: Pätzold, Henning; Hofmann, Nicole; Schlapper, Christian (Hg.): Organisation bildet. Organisationsforschung in pädagogischen Kontexten. Weinheim und Basel: Beltz Juventa, S. 14-22. Pentzlin, Kurt (1963a): Frank Bunker Gilbreth. 1868-1914. In: Ders. (Hg.): Meister der Rationalisierung. Düsseldorf und Wien: Econ-Verlag GmbH, S. 203-205. Pentzlin, Kurt (1963b): Mary Parker Follett. 1868-1933. In: Ders. (Hg): Meister der Rationalisierung. Düsseldorf und Wien: Econ-Verlag GmbH, S. 314-316. Perrow, Charles (1984): Normal accidents: Living with High-Risk Technologies. New York: Basic Books. Peters, Sibylle (2004): Bewegung als Konzept der Zeit: Figuren der Zeitmessung. In: Klein, Gabriele (Hg.): Bewegung. Sozial- und kulturwissenschaftliche Konzepte, Bielefeld: transcript Verlag, S. 283-302. Pfläging,Niels (2012): Kaputtoptimieren und Totverbessern. Eine kurze Geschichte des Managements als Scharlatanerie. In: Nassehi, Armin (Hg.): Besser optimieren. Kursbuch 171. Hamburg: Murmann, S. 29-49. Philipps, Axel (2017): Brauchen wir eine Soziologie des Digitalen? In: Soziologie 46 (4), S. 403-416. Pierenkemper, Toni (2009): Wirtschaftsgeschichte. Die Entstehung der modernen Volkswirtschaft. Berlin: Akademie Verlag. Piketty, Thomas (2014): Das Kapital im 21. Jahrhundert. Aus dem Französischen von Ilse Utz und Stefan Lorenzer. München: C.H. Beck. Pinker, Steven (2018): Aufklärung jetzt. Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag GmbH. Plaum, Goda (2016): Bildnerisches Denken. Eine Theorie der Bilderfahrung. Bielefeld: transcript Verlag. Pongratz, Hans J.; Voß, Günter G. (1988): Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 50 (1), S. 131-158.

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Die nächste Organisation

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Literatur

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Danksagung

Das Verfassen von Texten ist in großen Teilen kontingent. Ob einem die richtigen Ideen oder die passenden Worte einfallen, ist immer auch von produktiven Zufällen abhängig. Dennoch lassen sich leicht Gelingensbedingungen ausmachen, wie dem Zufall nachgeholfen werden kann. Eine zentrale Rolle spielt die Unterstützung, die einem zukommt. Den Gutachtern meiner Arbeit Prof. Dr. Andreas Schröer und Prof. Dr. Sebastian Manhart bin ich zu großem Dank verpflichtet. Sie ließen mir mit kritischen Fragen, unverzichtbaren Impulsen, hilfreichen Ratschlägen und dem notwendigen Freiraum jede Unterstützung zu Teil werden, die ich mir wünschen konnte. Während der Entstehung des Textes hat mich Tamara Freis auf vielfältige Weise tatkräftig unterstützt. Der kritische Blick von Friederike Schütz hat die Durchsicht des Manuskripts enorm erleichtert. Den beiden gebührt ein großes Dankeschön. Zu meinem privaten Ermöglichungssystem gehören Familie und Freunde. Meinen Eltern und meinen Freunden bin ich dankbar – vor allem dafür, dass sie so sind, wie sie sind. Meiner Frau und meiner Tochter verdanke ich Myriaden von glücklichen Momenten, die sich der Abbildung in den Vagheiten sprachförmiger Kommunikation zweifelsfrei entziehen. Ohne die unzähligen Diskussionen und Gespräche mit Sebastian Manhart wäre dieser Text jedoch nicht entstanden. Ganz herzlichen Dank!   Thomas Wendt

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