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German Pages 324 [321] Year 1968
DE GRUYTER
Curt Sachs
DIE MUSIK DER ALTEN WELT IN OST UND WEST
DIF
Jürgen Elsner (Ed.)
CURT DIE MUSIK
SACHS
DER
ALTEN
WELT
CURT
SACHS
DIE MUSIK DERALTEN WELT in Ost und West
Aufstieg und Entwicklung
Herausgegeben von Jürgen Elsner unter Mitarbeit von Gerd Schönfelder
AKADEMIE-VERLAG 1968
:
BERLIN
Übersetzung: Helga Kyritz und Jürgen Elsner Titel der Originalausgabe: The Rise of Music in the Ancient World East and West New York 1943
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH,
108 Berlin, Leipziger Straße
Alle Rechte der deutschen Ausgabe vorbehalten Copyright 1968 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 - 100/130/68 Gesamtherstellung: VEB Druckhaus „Maxim Gorki“, 74 Altenburg Bestellnummer: 5615 - ES 13 B2
3 —4
Vorwort
........................... . ..
Erstes
Kapitel
Die Anfänge der Musik 1. Musik in der Urgesellschaft
.................
Theorien über den Ursprung der Musik
— Der Ursprung, wie er
sich durch das Studium früher Musik darstellt — Musik beginnt mit Singen — Der ekstatische Charakter früher Musik — Gesänge der Schamanen — Der gesellschaftliche Charakter früher Musik — Ihre besonderen Singtechniken
. Die Vergleichende Musikwissenschaft und ihre Methoden
. . . . .
21
Frühere Mängel — Der Phonograph — Transkription — Die Cents . Melodiestile
. . . ....................
27
Gesungene Dichtung — Eintonmelodien — Zweitonmelodien — Der Wedda-Stil — Repetitionsform — Symnetrie — Melodien in Terzen und Quarten — Früheste Entwicklung — Der Beitrag der Frauen — Weitere Entwicklung — Der absteigende Stil — Distanzen und Intervalle — Tetrachorde und Pentachorde — Die sich in den Plapperliedchen europáischer Kinder widerspiegelnde Entwicklung früher Melodik . Rhythmus und Instrumentalmusik
. . . . . . . . . . . . . .
41
Früher Rhythmus — Klatschen und Schlagen — Trommelrhythmen — Instrumentalmusik . Mehrstimmigkeit . . . . . .
> . . . . . . . . . . . . ..
Parallelen — Bordune und Heterophonie — Antiphonie und Kanon
44
Zweites
Kapitel
Der westliche Orient 1. Hochkultur und Musik
Legende,
Gesetz
und
. ..................
Logik
—
Musikerkasten
50
— Musikorgani-
sation in'Ágypten, Sumer und Babylonien — Musik in der Bibel —
Der Tempel in Jerusalem schaften
— Auslánder und musikalische Land-
2. Musikalische Systeme im allgemeinen
. . . . . . 2. 22220.
Tetrachorde und Pentachorde — Geschlecht — Der Modus wie er zu erkennen ist. —Skalen — ,Hoch' und ,tief'
3. Musik im alten westlichen Orient.
Ägyptische Szenen
und
. . . . . . 2 2 2 2 . . ..
— Das Auf-und-Ab-Prinzip
57
63
— Von Griff-
lóchern abgelesene Systeme — Streckengleichteilung — Der Lautenist in Nachts Grab — Das Teilungsprinzip und die Jahreszeiten — ,Obertóne" — Die Gesten und Handzeichen der Sänger — jüdische Musik — Schreien nach Gott und stilles Gebet — Melodische Modelle, Tropen und Kantillation — Akzente und Neumen — Prosodie und Rhythmus der Juden — Frauengesánge — Parallelismus membrorum — Antiphonie und responsorischer Gesang — Syrische, armenische, koptische und áthiopische Kirchenmusik — Mehrstimmigkeit — Bordune — Akkorde der Harfenisten
4. Schluß
22
a
91
„Die Schreie der Opfer, die in den glühenden Armen des Moloch
verbrannten''?
Drittes
Kapitel
Ostasien
1. Allgemeine Merkmale China Musik sums Musik
. ..................
03
und Japan — Volkstümliche Musik — Gelehrte Musik — des Herzens — Musik des Einzeltons — Musik des Univer— Kosmologische Zuordnungen — Sphárenharmonie — und Maß — Korrekturen in der Musik
2. Die Lii‘s
...........................
Ling Luns Auftrag — Der Standardton — Die lüs — Kabbala — Schwierigkeiten — Das Männliche und das Weibliche — Aufsteigend und absteigend — Japanische Parallelen
102
. Die Skalen
:.......................
Die chinesichen Skalen — Modi — Die japanische Skala — Großterzpentatonik — Malaiische Skalen — Pelog — Munggang — Salendro
— Skalen in Siam,
Heptatonik und Dur
Kambodscha
und Burma
— Bians,
. Melodie und Rhythmus ................... Das nö — Singstil — Das Dämonische — Chinesische Oper — Sprachmelodie — Rhythmus und Form
123
. Notation
127
.
.
.
oo
en
Die Bali-Schrift — Tonnotation — Neumen — ,,Guidos Hand" —
Tabulaturen
. Mehrstimmigkeit . . . . .................. Heterophonie — Akkorde — Rechte und linke Musik — Orchestrale Mehrstimmigkeit
132
‚ Orchester
136
. on
Brücken zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos — Riesenhoforchester — Fremde Orchester — Gamelan — Kambodscha und
Siam — Die fwe
Viertes
Kapitel
Indien
. Der vedische Gesang
. ...................
. Zeugnisse aus bildender Kunst und Literatur. Die Reliefs — Bharata .Skalen
. .
. . . . . . . . .
. .......................
143 147
149
.Ragas .. . .................. . . . .. Melodische Modelle — Gesetz und Freiheit — Legenden — Wasserund Feuermagie — Jätis — Klassifizierung — Die Stunden des Tages — Gamakäs — Beben — Die Kunst des Singens — Bordune
155
. Rhythmus und Form
167
Poetisches Metrum
raga
...................
— Tälas — Die Trommelkunst
Schub .......... Soll und Haben
— Aläpa und
L
Fünftes
Kapitel
Griechenland und Rom Neue Orientierung . Die Quellen
. . ......................
Erhaltene Stücke
—
stellung
. Notation
Erhaltene Abhandlungen
—
Falsche Dar185
.........................
Tonhöhe
— Instrumentalnotation
. Die Tongeschlechter
— Vokalnotation
....................
Diatonik, Chromatik, Enharmonik
monik — Ihre ursprüngliche Dreisaitige Leiern . Die Färbungen
— Die Ptolemäer
‚orientalisch‘
.
Harmonía,
die
— Das hohe Alter der Enhar-
—
Japanische
..
.
— Griechische
—
193
Musik klang 198
....................
dorische
Familie
—
Phrygisch
Wieder japanische Parallelen — Der Stammbaum
. Das vollkommene System Das System
Parallele
......................
Die Aristoxener . Frühe Modi
Form
188
und
Lydisch
—
. . . . . 2 2 . . . . . . . . . . . 204
— Tonartenordnungen
— Verfall der authentischen
Struktur — Aolisch — Frühes Mixolydisch — Rätselhafte Skalen
— Stimmungen der Leier — Die F-Reihen — Die miteinander verschränkten Systeme — Solmisation — Frühere Fehler
221
Stücke . Ethos
..............-.......ὦ......
Das Problem — Modus? — Tonhöhe? — Räga-magam? misch-thetische Spannung — Harmonia — Κᾶρα)
— Dyna-
. Gesundheit und Erziehung ................. Homöopathie — Allopathie — Pädagogik
230
10. Κοπίταρυακίο........................
237
Begleitung -- Konsonanz -- Dissonanz 11. Akzente und Rhythmus
.............:....
240
Melische Akzente — Metrische Akzente — Poetischer und motorischer Rhythmus — Erhalten gebliebene Rhythmen — Rhythmische Modelle — Tempo 12. Form
....................... . ..
Entwicklung und Stillstand — Chorformen — Dithyrambus Drama — Solistische Musik — Nomos — Wettkämpfe
247
—
13. Sechstes Kapitel Das griechische Erbe in der Musik des Islam Der ‚arabische‘ Stil
. Skalen und Modi.
. . ...................
Die sieben Stufen — Die siebzehn Stufen Kombinationen — Dreivierteltöne
Rhythmus
257
— Versetzungen und
................., . ... ..
265
Metren — Loslösung von der Dichtung — Rhythmische Modelle — Trommelspiel — Polyrhythmik . Mehrstimmigkeit . . . ............. . . . . ..
267
Heterophonie — Bordune — Ostinato — Konsonanz .Form
..........................
Taqsim — Pesrev — Nauba Siebentes
Kapitel
Europa und der Weg zu Dur und Moll Die Harmonie der tapferen Herzen und tierisches Singen — Der Abgrund zwischen nördlicher und südlicher Musik — Das Problem der mittelalterlichen Tonalität — Terzenketten — Die Landini-
268
Sexte — Der Gregorianische Gesang ist nicht orientalisch — Die Bedeutung unseres Notenliniensystems — Gegenketten — Dur angeblich „germanisch‘‘ — Entwicklung zum Dur — Der Leitton (Halbton) und musica ficta — Ugro-finnische Parallelen — Tendenz zu Dur in chinesischer, indischer, griechischer und islamischer Musik — Der Konflikt zwischen Vokal- und Instrumentalstilen — Frisia non cantat und die wiehernde Stute — Harmonie in Instrumentalstilen — Rhythmus — Metrum und Modi Nachwort
..........................
Tafelteil (Abbildungen 1—10). Nachwort zur deutschen Fassung
.
. . .
2: . . . . . . . ..
287
nach 288
................
289
Vorwort Die sichtbaren Relikte der Alten Welt in Ost und West haben sich — wenn man von
der Bibel absieht
—
unserer Vorstellungswelt
nachhaltiger eingeprägt
als
andere Überreste des Altertums. Unsere Phantasie kreist um Pyramiden, die aus gelbem Wüstensand emporragen, um die bizarren Umrisse von Stupas und Pagoden und um die festlichen Säulenhallen griechischer und römischer Tempel, die sich gegen den strahlenden Himmel abheben. Aber es sind schweigende Bilder. Wir hören Pharaos Hofmusiker nicht, die so lebensnah auf den Innenwänden
der Gräber und Pyramiden dargestellt sind. Wir wissen nicht, wie man im alten China
‚den klingenden
Stein schlug, wie man Qin und Se handhabte",
so daß
die Ahnen ‚‚zur Erde wiederkehrten". Wir können auch nicht dem Gesang der Jünglinge lauschen, die feierlich-ernst zum Parthenon hinaufschritten, um ihren Opfer- und Gottesdienst zu verrichten. Musik, immateriell und vergänglich, wurde im Altertum überaus selten aufgezeichnet, und selbst die wenigen erhalten gebliebenen Notierungen geben kaum eine angemessene Vorstellung ihres lebendigen Klanges. Die Musik der Alten Welt ist verklungen. Aber eines kann und soll lebendig erhalten werden: die Geschichte vom titanischen Kampf des Menschen um die Befreiung der Musik aus der engen Begrenzung, der sie in der urtümlichen Gesellschaft unterworfen war, seine Bemühungen,
ihre Gesetze fest auf die Natur zu gründen, ihr die Kraft und Subtilitát zu verleihen,
das
auszudrücken,
was
Menschen
fühlen,
Verzweiflung
und
Freude,
Liebe, Ehrfurcht und Hoffnung. Dieser Kampf ist viel mehr als nur eine Sache der Musik gewesen. Er war das Ringen der Menschheit um den Aufstieg aus urtümlichen Verhältnissen, das Aufbáumen gegen die Trágheit tiefeingewurzelter Gewohnheit und engstirniger Selbstzufriedenheit. Das Ergebnis war Individualismus, aber ein durch strenge Regeln, die Gelehrte auf Grund von Naturgesetzen schufen, vor Anarchie geschützter Individualismus. Es ist erregend zu sehen, wie die Musik seit Tausenden von Jahren zwischen zwei Grundtatsachen im Gleichgewicht gehalten wurde, daß nämlich musikalischer Klang einerseits auf Schwingungen von Materie, geregelt durch mathematische Verhältniswerte, beruht, und daß andererseits musikalische Kunstwerke immate-
riell, ja geradezu irrational sind. Und noch faszinierender ist es, auf welch verschiedene Weise diese Gegensätze im Gleichgewicht gehalten wurden und wie, bei aller Verschiedenheit, räumlich weit voneinander getrennte Völker ähnliche 11
Wege beschritten und sich in eigentümlicher, unbewußter Partnerschaft zusammenfanden: Griechen und Japaner, Hindus und Araber, Europäer und nordamerikanische Indianer. Diese Zusammenhänge sind noch niemals dargestellt worden. Wohl hat eine unübersehbare Menge inkompetenter und eine weniger imponierende Anzahl kompetenter Autoren über urtümliche, orientalische und hellenische Musik geschrieben. Aber sie behandeln nur bestimmte musikalische Aspekte einzelner Länder,
z. B.
Chinas,
Indiens
oder Griechenlands.
Mit Ausnahme
der vorzüg-
lichen, wenn auch nur kurzen, knapp hundert Seiten umfassenden Übersicht Musik des Orients von Robert Lachmann (Breslau 1929) gibt es nicht ein einziges
Buch, das alle die verschiedenen und doch so eng miteinander verwandten Stile
der östlichen Welt und die damit zusammenhängenden, vielfältigen Probleme behandelt. Noch weniger hat man die Musik des alten Griechenland organisch mit der des Orients in Verbindung zu setzen versucht, gar nicht zu reden von der Einbeziehung beider in die allgemeine Geschichte der Musik. Beim Studium dieses ersten Versuchs einer Synthese sollte der Leser nicht vergessen, daß das vorliegende Buch die Entwicklung der Musik im Altertum behandelt und sich daher wenig mit der Praxis und den richtigen und falschen Auffassungen der mittelalterlichen und modernen orientalischen Musik beschäftigt, es sei denn, sie vermögen Licht auf das Altertum zu werfen. Er sollte ebenfalls nicht vergessen, mit welchen Schwierigkeiten ein derartiger Versuch angesichts der Unvollstándigkeit unseres musikalischen wie außermusikalischen Quellenmaterials verknüpft ist.
Ich vertraue aber darauf, daß mein Bemühen trotz seiner Unzulänglichkeiten durch die erzielten Ergebnisse gerechtfertigt wird: die deutlicher herausgearbeiteten Merkmale urtümlicher Stile, die neue Interpretation orientalischer Systeme, Antworten auf eine groDe Anzahl offener Fragen, die die Theorie und Praxis der Griechen betreffen, und ein Freilegen der Wurzeln, aus denen die Musik des Westens erwachsen ist.
A vrai dire, toute perception est déjà mémoire. Nous ne percevons, pratiquement, que le passé, le présent pur étant l'insaisissable progrès du passé rongeant l'avenir.
In Wirklichkeit ist jede Wahrnehmung schon Gedáchtnis. Praktisch nehmen wir nur die Vergangenheit wahr, da die wirkliche Gegenwart das nicht faßbare Fortschreiten der Vergangenheit ist, die an der Zukunft nagt. Henri Bergson, Matiére et Mémoire
Erstes Kapitel
Die Anfänge der Musik
1 Musik in der Urgesellschaft Bislang hat die Wissenschaft den Nebel, in dem frühere Jahrhunderte ungewisse
Schatten von Göttern und Helden die Musik in einem erhabenen Schöpfungs-
akt „erfinden“ sahen, noch nicht aufgehellt. Zahlreiche Philosophen, Wirtschafts-
und Naturwissenschaftler versuchten zwar in den letzten zweihundert Jahren,
der Wahrheit auf die Spur zu kommen, aber sie waren doch nicht imstande, auch nur eine annehmbare Theorie, oder wenigstens unbestrittenes Tatsachenmaterial vorzulegen.
„Nachahmung von Tieren‘ lautete eine dieser Theorien. Es ist wahr, daß einige Vögel singen, aber leider stufen Zoologen sie nicht als Vorfahren des Menschen ein. Die Säugetiere, seine nahen Verwandten, mögen winseln und pfeifen, bellen und brüllen, sein unmittelbarer Vetter, der Affe, grunzt und hustet. Es gibt keinen Gesang unter den nächsten Artgenossen des Menschen. Auf Grund tieferer Einsicht in die Natur versuchte Charles Darwin später die Musik als Mittel der Zuchtwahl und Liebeswerbung nachzuweisen. Aber er war leicht zu widerlegen durch die Tatsache, daß die Paarung in den frühen Gesängen des Menschengeschlechts eine unbedeutende Rolle spielt. Und wenn Karl Büchers bemerkenswertes Buch Arbeit und Rhythmus (1. Auflage 1896) Musik als Mittel zur Erleichterung gemeinsamer körperlicher Arbeit beschreibt, so wenden Kritiker sehr richtig ein, daß rhythmisch geregelte Kollektivarbeit bei den urtümlichsten Stämmen nicht vorkommt.
Ein dritter Gedanke hat sich mehr verbreitet und zäh gehalten. Musik, so liest man, leitet sich vom gesprochenen Wort her, sie war gehobene Sprache. Philosophen entwickelten diese Theorie — Jean Jacques Rousseau
in Frankreich,
denen
Ländern
Herbert —
und
Spencer
in England
Musiker,
von
den
und zahllose andere in verschieitalienischen
Meistern
des
stile
rappresentativo e recitativo um 1600 bis hin zu Richard Wagner, hielten mit bemerkenswerter Begeisterung daran fest. Es wäre müßig, die zahlreichen Meinungen, die für und wider diese Theorie geäußert wurden, hier zu wiederholen
15
und zu analysieren.! Wichtig ist nur, daß alle diese Meinungen, und zwar für und wider, mangelhaft waren, weil sie von zwei irrigen Voraussetzungen ausgingen. Erstens wurde als selbstverständlich angenommen, daß ein so vielschichtiger Gegenstand wie die Musik aus einer einzigen Wurzel erwachsen sei, was an sich schon mehr als unwahrscheinlich ist. Die mit dem Bewegungstrieb unseres Körpers, mit den verschwommenen Bildern unserer Vorstellungswelt und mit unserem Gefühlsleben in seiner ganzen Tiefe und Weite verbundene Musik entzieht sich jedem Versuch, irgendeine einfache Formel zu finden. Der zweite Fehler bestand darin, von der uns selbst vertrauten Musik und Sprache auszugehen.
So wurden
dem
Leser, der sich bemühte,
etwas über den
Ursprung der Musik zu erfahren, Hinweise auf Beethovens VII. Sinfonie, Schuberts Du bist die Ruh und Beispiele moderner englischer und französischer Sprachmelodik geboten. In einem besonders ergötzlichen Fall verriet der Schreiber unbeabsichtigt, daB seine Schlußfolgerungen in bezug auf uranfängliche Entwicklungen von der Leipziger Mundart ausgingen. Es ist seltsam und beinahe unverständlich, daß sich an wissenschaftliche Methoden gewöhnte Menschen mit Mutmaßungen und Spekulationen begnügten, wenn es um Musik ging. Kritiker hatten an dieser Theorie weniger aus diesem Grunde etwas auszusetzen, als deshalb, weil darin unberücksichtigt blieb, was sie als den grundlegenden Gegensatz ansahen, daß nämlich Musik genau definierte Intervalle erfordert, während die Tonhöhen und Stufen der Sprache irrational sind. Doch schon die Kenntnis der einfachsten Fakten ostasiatischer Musik hätte dieses Argument widerlegt: Der melodische Stil des japanischen nö-Dramas beruht auf irrationalen Tonabständen. Diese Bemerkung ist kein Treuebekenntnis zu Rousseaus und Spencers Theo-
rien. Sie beweist im Gegenteil, daß Theorien nutzlos sind, solange sie nicht auf
Tatsachen und ihrem historischen Zusammenhang aufgebaut werden.
Daher soll jedes Theoretisieren zunächst zurückgestellt werden, bis wir so exakt
wie nur möglich den Ursprung der Musik aufgezeigt haben. Statt Vermutungen zu äußern, wie sich die Dinge ereignet haben könnten, gehen wir bis zu ihrer frühesten, uns erhaltenen Form zurück. Ich fühle mich etwas verlegen, eine solche Binsenwahrheit niederzuschreiben, aber leider ist es notwendig,
mit Nachdruck
auf die einfache Tatsache hinzuweisen, daß die Gesänge der Pygmäen und anderer Zwergvölker den Anfängen der Musik unendlich viel näher stehen als Beethovens Sinfonien und Schuberts Lieder. Soweit
wir die Menschheit
auch immer
zurückverfolgen,
es miBlingt
uns,
den
Ursprung der Musik aufzuspüren. Selbst die urtümlichsten Stámme sind in ihrer Musik bereits über die ersten Versuche hinaus. Gewiß,
Reisende berichten, daß
! Vgl. Carl Stumpf, Musikpsychologie in England, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft I (1885), 261—349; Sintesis II, 1929, 179 — 190.
16
Carlos Vega,
Teorias del origen de la música,
in:
bestimmte Völker auf niedriger Entwicklungsstufe, zum Beispiel die brasiliani-
schen Guaraní, noch immer ein viel zü kärgliches Dasein führen, um an Musik,
Spiele und Tänze denken zu können. Aber solche Berichte sind wenig überzeugend. Das Fehlen von Musik dürfte mit größerer Wahrscheinlichkeit auf kulturellen Verfall hindeuten, als darauf, daß sich Musik dort überhaupt noch nicht entwickelt habe. In den meisten Fällen jedoch wurde der Gewährsmann wohl durch das Schweigen irregeführt, das er vorfand. Menschen in urtümlichen Verhältnissen sind weißen Besuchern gegenüber argwöhnisch und mögen oftmals lieber vorgeben, daß sie überhaupt nicht singen oder tanzen, als daß sie ihre Bräuche und Feste uneingeweihten Fremden vorführen. In anderen Fällen wieder mögen Musik und Tanz einigen besonderen Zeremonien vorbehalten und für den Rest des Jahres verboten sein aus Furcht,
sie könnten
den normalen
Lebens-
ablauf des Volkes störend beeinflussen. Da uns der Nachweis über den eigentlichen Ursprung der Musik versagt ist, müssen wir uns ihrer frühesten beobachtbaren Entwicklungsstufe zuwenden. Kein Vorurteil und nichts, was ‚plausibel‘ scheint, wird uns hier weiter helfen
— die einzig zulässige Arbeitshypothese ist, daB die entwicklungsgeschichtlich früheste Musik unter den urtümlichsten Stämmen zu finden sein muß, ganz im
Gegensatz zu ihren Sprachen, die verloren gingen und durch die hóher entwickel-
ten Sprachen zivilisierter Nachbarvólker ersetzt wurden.? Tatsáchlich haben alle Stámme, Vólker und Rassen in der Welt seit den ersten Anfángen der Geschichte in stándiger Berührung miteinander gelebt, sie begegneten sich in Eheschließung, Handel und Krieg. In diesem Austausch- und VerschmelzungsprozeD gaben sie ihre Waffen, Werkzeuge und Geráte um besserer willen auf. Aber sie bewahrten ihre alten Gesänge; denn Singen, Ausdruck der menschlichen Seele und motorischer Impulse hat wenig mit der veránderlichen Außenseite des Lebens und schon gar nichts mit dem Kampf ums Dasein zu tun. Das ist der Grund, weshalb Musik eines der bestándigsten Elemente in der Ent-
wicklung der Menschheit darstellt. Sie ist so stetig, daB Rassen mit relativ hohem
kulturellem Niveau,
etwa Polynesier und Mikronesier und viele Gruppen
euro-
päischer Bauern, an musikalischen Stilen von erstaunlich archaischem Charakter, ja geradezu dem urtümlichsten, den wir kennen, festhalten. Das allgemeine Kulturniveau eines Volkes kann daher nicht nach seiner Musik beurteilt werden. Aber umgekehrt darf man hoffen, daB die Musik der urtümlichsten Vólker eine sehr frühe Entwicklungsstufe ohne Beeinflussung durch hóhere Zivilisationen bewahrt hat. Der Terminus
,,urtümlichste
Völker‘
ist jedoch nicht ganz
korrekt.
Wir
sind
uns darüber im klaren, daD es unter den heute lebenden Rassen keine Menschengruppe gibt, für die man nicht ein vorangegangenes, niedrigeres Entwicklungsniveau voraussetzen müßte. Nichtsdestoweniger repräsentieren einige von ihnen eine soziale Entwicklungsstufe, die wir als Minimum bezeichnen dürfen — speziell * Vgl. Curt Sachs,
2 Sachs, Musik
The History
of Musical Instruments,
New
York
(1940),
60— 62.
17
diejenigen, die unter freiem Himmel ohne jedes Obdach leben, mit Ausnahme einer Höhle oder eines schnell errichteten Wetterschutzes. Was die Musik betrifft,
so singen diese Völker, aber sie besitzen keine Instrumente. Musik begann mit Singen. Wie rudimentär dieses Singen auch sein mag, es durchdringt das ganze Leben des urtümlichen Menschen. Es trägt seine Dichtung, bietet Zerstreuung bei Rast und friedvoller Arbeit, es erhebt und beruhigt; es versetzt diejenigen, die Kranke heilen und mit magischen Beschwórungsformeln um Glück und Leben ringen, in hypnotischen
Trancezustand;
es hält die ermüdenden
Muskeln
der Tänzer
Bewegung, stimuliert die Krieger und bringt die Indianerfrau in Ekstase.
in
Der urtümlichste Stamm, auf den ich stieß, waren die Känikas ... Sie erzählten mit: „Wir leben unter Tigern und Elefanten. Wir fürchten uns nicht. Wir sagen ‚husch‘ zu einem Tiger, und er verschwindet ...'" Der Häuptling des Dorfes ergriff seine Kokkara (eiserne Schrapröhre), beugte seinen Kopf darüber und murmelte ein
Gebet. Ein anderer tat desgleichen, ein weiterer folgte, mit wachsender Erregung auf
und ab schrapend. Der Anführer zählte an zwanzig oder dreißig Gottheiten auf, ohne
bestimmte Ordnung, einige öfter wiederholend als andere. Nach etwa fünf Minuten
begann einer der Männer heftig zu zittern und Händen vor sich hielt, rhythmisch auf den Anführer, und sein Anfall war noch stärker. und sein Haar löste sich. Ein dritter sprang,
seine Kokkara, die er mit ausgestreckten Boden zu stoßen. Dann überkam es den Er warf sich herum, sein Pagri fiel herab als er seinen Anfall bekam, aus sitzender
Stellung etwa drei Fuß hoch in die Luft und fiel danach wieder in seine ursprüngliche Stellung mit gekreuzten Beinen zurück. Die ganze Zeremonie war mit Rufen und gellenden Schreien einzelner Beteiligter untermischt. Als sie vorüber war, beugten sich die Mantizomenoi heftig schluchzend vornüber und brauchten eine Minute, um wieder zu sich zu kommen. Man fühlte sich beschämt, inmitten von so viel Hingabe nur ein interessierter Zuschauer gewesen zu sein.?
Von dieser Árt sind die typischen Gesánge der Schamanen, wenn sie ihre Stammesgefáhrten zu heilen versuchen. Der Gesang eines Medizinmannes der Taulipáng in Nordbrasilien mag als Beispiel dienen. Das winzige Motiv, eine rasche Triole auf dem tieferen Ton und ein ausgehaltener, um einen Halbton hóher liegender Ton, wird stándig wiederholt. Die Triolen sind atemlos, das Tempo Beispiel 1: Taulipáng (nach Hornbostel) A
3
3
3
3
3
. CDA 688 ὁ GEB GEN GER A N SER 55 πα SEEN στ 18 8 δ LLLA BAe ΕΟῪ ΝΒ δ δὲ RO a Si gl LAT gl el Ld 31g dg-— 19499-1999 i P AD ΄ Ἢ
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Ν À.
— ——
steigert sich, die Töne werden unregelmäßig und ungenau, und schließlich verliert sich die Melodie, sie büßt ihre Form und rhythmische Gliederung ein und sinkt zu einem etwas tieferliegenden Ton ab. Hier verklingt sie mit einem Schlußton, der in unserem Beispiel achtzehn Sekunden dauert.* 3 *
A. H. Fox Strangways, The Music of Hindostan, Oxford 1914, 44—45. Transkription s. Erich M. von Hornbostel, Musik der Makuscht, Taulipdng und Yekuand, in: Theodor Koch-Grünberg, Vom Roroima zum Orinoco, Bd. 5, Stuttgart
1923, 436. Vgl. auch Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 27f.
18
Ein urtümlicher Sänger zeigt verschiedenartige Verhaltensweisen. Oft enthält er sich außergewöhnlicher Tonhöhe und Tonstärke. Wenn ihn aber Raserei zum
Äußersten treibt, wird sein Singen unnatürlich: Es wird, und das ist beabsichtigt,
der Sprechstimme des Sängers unähnlich; es soll übermenschlich, übernatürlich
wirken. Er spricht wie ein Bauchredner, singt durch die Nase, schreit und jodelt® gellt und kreischt, aber er ist niemals das, wonach moderne Sänger streben: un-
gezwungen und natürlich. Urtümliche Sánger benutzen sogar spezielle Vorrichtungen, um ihre angeborene Stimme zu verschleiern — Stimm-Maske wäre hierfür ein angemessener Termi-
nus. Bei den Tschuktschen in Nordostsibirien ‚benutzt der Schamane seine Trommel, um seine Stimme zu verándern, indem er sie bald direkt, bald im schiefen
Winkel vor den Mund hält‘.® Die frühesten Trompeten waren aus hohlen Ästen oder dickem Schilfrohr zurechtgeschnittene Schalltrichter, in die der Spieler hineinsang,? und bei einem der urtümlichsten Stämme Neuguineas hält der Häuptling stets ‚eine Muscheltrompete vor den Mund, wenn er zu seinem Volk spricht, und verleiht damit seiner Stimme einen sehr hohlen Klang'.* Das sogenannte
Mirliton® ein dünnes, straff gespanntes Häutchen, hatte nie einen anderen Zweck
zu erfüllen als der Stimme des Sängers ein summendes, nasales Timbre zu geben. Das ist ein stichhaltiges Argument gegen die Ansicht, daB Musik sich von der Sprache herleite.
Die Art und Weise des Singens, Stimmfärbung, Intensität und spezifischer Ausdruckscharakter sind oft bezeichnender und wesentlicher als die Melodien. Kulturmerkmale und anthropologische Kennzeichen leiten sich eher von der Eigenart her, wie die Dinge ausgeführt werden, als von den Dingen selbst. Die Musikwissenschaft sollte viel stärker an der Technik interessiert sein, wenn dieses nicht
ganz passende Wort gestattet ist. Nur ein einziger Singstil und sein anthropologischer Bereich sind bisher umrissen worden. Amerikanische Indianer sind
„leicht an ihrer eigentümlich ‚emphatischen‘ Singmanier zu erkennen, die von Faktoren wie charakteristischer Stimmqualität, starker Betonung jeder Zeiteinheit, Pulsation, langsamem den Indianern Nord-
und unveränderlichem ZeitmaB herrührt . . . Dieser Stil ist bei und Südamerikas vorherrschend, einschließlich der Eskimos
(auch in Grönland), und bei sibirischen Stämmen, die sowohl in bezug auf körperliche
wie kulturelle Merkmale mit den Indianern verwandt sind, z. B. bei den ‚paläoasiati-
schen’ Tschuktschen und den Keten (Ostjaken) am Jenissei, bei den halb-tungusischen Orotschen am unteren Amur und in koreanischen Volksliedern‘'. 19 5 Erich M. von Hornbostel, Die Entstehung des Jodelns, in: Bericht über den Musikwissenschaftlichen Kongreß in Basel 1924, Leipzig 1925, 203—210. * Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 34.
? ebd. 47. 5 ebd. 48.
9 Curt Sachs, Geist und Werden der Musikinstrumente,
Berlin 1929, 106.
10 Erich M. von Hornbostel, Fuegian Songs, in: American Anthropologist, New Series, Bd. 38, 1936, 363. Vgl. auch George Herzog, Musical Styles in North America, in:
2*
19
Die anthropologische und historische Bedeutung solcher Feststellungen ist augenfällig, und es ist jammerschade, daß wir noch keinen tieferen Einblick in die physiologischen Aspekte von Singstilen besitzen. Aber schließlich ist der urtümliche Zweig der Musikwissenschaft noch sehr Jung. Proceedings of the Twenty-third International Congress of Americanists 1928, New York 1930, 455—458; A.O. Väisänen, Wogulische und Ostjakische Melodien, in: Suomalais-Ugrilaisen Seuran Toimituksia, LXXIII, Helsinki 1937.
2 Die Vergleichende Musikwissenschaft und ihre Methoden Vor dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts kann von einer ernst zu nehmenden wissenschaftlichen Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der urtümlichen Musik
keine Rede sein. Wohl haben Reisende in ferne Länder gelegentlich Gesänge der Einheimischen
in ihren
Büchern
abgedruckt,
aber
die
Brauchbarkeit
solcher
Beispiele war ziemlich begrenzt. Das musikalische Gehör solch Reisender und mehr
noch ihre Übung,
Musik
niederzuschreiben,
waren
durchaus
zweifelhafte
Faktoren. Als ich Georg Schweinfurth, den ersten Forscher, der den afrikanischen Kontinent
durchquerte,
fragte, auf welche Weise er zu dem einzigen Lied, das
in seinem berühmten Werk abgedruckt ist, gekommen wäre, erzählte er mir unbefangen, er hätte die Melodie irgendwo in Afrika gehört, und da er weder musikalisch wäre noch Noten schreiben könne, hätte er die wenigen Takte jeden Tag vor sich hingepfiffen, bis er mehrere Monate später seinen Bruder traf und ihn die vorgepfiffene Melodie aufzeichnen lieB. Man kann sich leicht vorstellen, wie zuverlässig diese Notierung war. Nebenbei bemerkt, Schweinfurth hatte Pech: Sein gepfiffenes Lied — nichts weniger als einheimisch — war ein bekannter europäischer Schlager, der über einige weiße Seeleute oder Faktoreigehilfen zu den Negern gelangt war. Bei der Erforschung urtümlicher Musik gilt daher als erste Regel: Europäische und andere fremde Einflüsse müssen von vornherein ausgeschaltet sein. Musik, wie sie in weltoffenen Hafenstädten erklingt, und Gesänge von Eingeborenen, die unter Weißen gelebt oder Militärdienst abgeleistet haben, sollte man beiseite lassen oder doch wenigstens mit besonderer Vorsicht heranziehen. Jedes Lied, das gesammelt wird, sollte mit ausführlichen Bemerkungen über Geschlecht, Alter und Lebensbedingungen des Sängers versehen werden. Oft ist es ziemlich schwierig, zwischen
nommenem
einheimischem
Stil und später Über-
zu unterscheiden. In frühen Kulturen haben gewisse Gesänge ver-
dächtige Ähnlichkeit mit europäischen, aber dieser Eindruck ist in den weitaus
meisten Fällen irreführend. Eine sorgfältige Prüfung wird — entgegen der voreiligen Annahme auropäischen Einflusses — zeigen, daß die fraglichen Merkmale
urtümlich
und
als solche
auch
in der europäischen
Musik
noch erhalten sind.
Deshalb gilt als nächste Regel: Unser kritischer Verstand sollte sich niemals durch eine scheinbare Ähnlichkeit oder durch irgendein anderes Vorurteil leiten lassen. Urtümliche Musik darf nicht mit der Musik der Weißen verglichen werden. 21
Der weiße Musiker muß nicht nur seine Musik, sondern auch sein eigenes Selbst mit all seinen Traditionen und Vorurteilen beiseite stellen. Wie mechanisch und daher objektiv unser Ohr auch immer Eindrücke registrieren mag, unser Verstand erfaßt und interpretiert sie ganz subjektiv. Der abendländische Mensch ist niemals frei von dem Bestreben, fremde Melodien seiner eigenen musikalischen Sprache anzupassen, notgedrungen hört er die gleich großen Sechsfünfteltöne javanischer Orchestermusik als wechselnde Sekunden und Terzen und zwängt unbewußt die verwickelten Rhythmen Indiens in die wenigen rhythmischen Modelle seiner eigenen Musik. Aus der gleichen Haltung heraus zeichneten Maler des achtzehnten und des frühen neunzehnten Jahrhunderts Indianer und Neger mit klassischen griechischen Körpern und Gebärden, die ihnen eine akademische Erziehung eingebläut hatte.
Zur Überwindung
dieser Unvollkommenheit
benötigen wir eine objektive,
unbestechliche Kontrolle sowohl hinsichtlich musikalischer Transkriptionen anderer Autoren als auch hinsichtlich unserer eigenen Versuche, die Musik fremder Völker zu verstehen und wiederzugeben. Das erste Hilfsmittel dieser Art war der
von Thomas A. Edison im Jahre 1877 erfundene Phonograph mit Wachszylindern.
Ein Dutzend Jahre später, etwa um 1890, führte ein anderer Amerikaner, Dr. Wal-
ter Fewkes,
die neue Erfindung in die Musikwissenschaft
ein, indem
er ausge-
wählte Lieder der Passamaquoddy und der Zufii-Indianer aufnahm. Den eigentlichen Anfang mit der wissenschaftlichen Erforschung urtümlicher Musik machte Dr. Benjamin Gilman von der Harvard-Universität, als er Übertragungen dieser Aufnahmen veróffentlichte.!
Als unmittelbare Folge wurden in den Vereinigten Staaten!* und in anderen Ländern Phonogramm-Archive gegründet. Sie geben Missionaren und anthropologischen Terrainforschern Anregung, Ausrüstungen und Instruktionen. Sie verwahren und kopieren die Schallaufnahmen und halten sie für Forscher bereit. Diese wieder werden angeregt, die aufgezeichneten Melodien zu transkribieren und herauszugeben. Die Übertragung in unser abendländisches Notationssystem setzt nicht nur ein musikalisch begabtes und gut trainiertes Gehör voraus, sondern auch eine spezielle Technik, um die Besonderheiten urtümlicher und orientalischer Musik sinnfällig darzustellen. Letzten Endes ist unsere Notenschrift in der gleichen Situation wie unser Alphabet: Es genügt denen, die mit der Sprache vertraut sind, aber es versagt bei dem Versuch, die Aussprache und Sprachmelodie irgendeiner anderen Sprache wiederzugeben. Unsere ausschließlich für die Notierung der 1 B. I. Gilman, Ζιῆϊ Melodies, in: Journal of American Ethnology and Archaeology I, 1891, 63—91. J. Walter Fewkes, A Contribution to Passamaquoddy Folk-Lore, in: The
Journal
graphirte
of American
Indianermelodien,
1892, 127—144; 1922, 113 — 126.
13 George
dass.
in:
Folk-Lore
in:
III,
1890,
257—280.
Vierteljahrsschrift
Sammelbände
für
Carl
Stumpf,
Musikwissenschaft
für Vergleichende
VIII,
Musikwissenschaft
I,
Herzog, Research in Primitive and Folk Music in the United States, in:
American Council of Learned Societies, Bulletin Nr. 24, April 1936, 1— 96.
22
Phono-
modernen abendländischen Musik geschaffene Notenschrift ist ungeeignet, von festgelegten Ganz- und Halbtönen abweichende Intervalle oder das Timbre und die besondere Singtechnik, die in urtümlicher und orientalischer Musik oft wichtiger
sind als die Töne selbst, festzuhalten. In Anbetracht dessen versuchten Dr. Otto
Abraham und Dr. Erich M. von Hombostel im Jahre 1909, eine Methode für eine genauere Transkription exotischer Melodien zu entwickeln, die zwar die Mittel unserer gebräuchlichen Notenschrift verwendet, aber gewisse Abänderungen und zusätzliche
Zeichen
für unbestimmte
Tonhöhen,
Phrasierung,
Timbre,
Verzie-
rungsnoten, Tempo usw. einführt.!? Die meisten dieser Vorschläge sind inzwischen
allgemein
verbindlich geworden,
ungeachtet
einiger Abänderungen,
die spätere
Autoren vorgenommen haben. Wir finden heute zum Beispiel, daß eine Folge einzelner Achtel- oder Sechzehn-
telnoten den Leser verwirrt und verbinden daher die Hälse von zwei, drei oder vier
Noten entsprechend den melodischen Akzenten, auch wenn die einzelnen Noten verschiedene Silben des Textes tragen. Im Gegensatz hierzu bevorzugten B. I. Gilman und Frances Densmore in den Vereinigten Staaten ein anderes System, das Noten und Notenlinien durch runde oder eckige Kurven ersetzt, die den allgemeinen Verlauf einer Melodie wiedergeben. Aber dieses (in gewissen Fällen brauchbare) System ist weder genau noch anschaulich genug, um sich allgemein Geltung verschaffen zu können.!t Die Übertragung exotischer Melodien mit Hilfe des abendländischen Notationssystem ist dennoch — zumindest psychologisch — irreführend. Es setzt unser musikalisches System als gegeben voraus und hebt durch Sonderzeichen etwas hervor, das dann als Abweichendes erscheinen muß, so daß dem Leser suggeriert wird, exotische Leitern würden von der absoluten Norm abweichen. Das ist eine tatsächliche Gefahr. Das Rüstzeug der Forscher, die sich mit urtümlicher und orientalischer Musik beschäftigen, wurde 1890 durch das Cent-System von Alexander J. Ellis vervollstándigt. Dieses System hat die Definition eines Einzeltons durch eine bestimmte Anzahl von Schwingungen in der Sekunde unberührt gelassen: a — 220 Schwingungen, a’ — 440 Schwingungen. Es dient lediglich zur Darstellung der Distanz zwischen zwei solchen Tónen. Die früher gebräuchliche Methode ließ den Distanzbegriff außer acht. Obwohl wir deutlich empfinden, daß der Abstand H — C kleiner ist als der Abstand
A — H, verfügte die Wissenschaft über keine Mittel, solche Abstände sinnfällig
zu definieren, und umging diese Schwierigkeit durch den komplizierten Vergleich
1 Otto Abraham und E. M. von Hornbostel, Vorschläge für die Transkription exotischer Melodien, in: Sammelbánde der Internationalen Musikgesellschaft XI, 1909/ 1910, 1—25. 14 Vgl. B. I. Gilman, Hopi Songs, in: Journal of American Ethnology and Archaeology V, 1908,
1— 160.
23
von Schwingungsverháltnissen: wenn a’ = 440, h’ = 495 und c" = 528 Schwingungen pro Sekunde hat, verhält sich der Abstand a’ — h’ zum Abstand h' — c" 528 . Niemand kann diesem Verháltnis von Verháltniszahlen entnehmen, 440 495 daß sich die beiden Abstände annähernd wie 2 : 1 verhalten. Aber das ist noch ein relativ einfacher Fall. Ein eindrucksvolleres Beispiel bietet das Verhältnis 524288 : 531441. Wer kann schon daraus ersehen, daß es das ‚pythagoräisches Komma‘ genannte Intervall ist, das genau 12 Prozent eines Ganztones beträgt? Es dürfte kaum nötig sein, mehr Beispiele anzuführen, als — sagen wir — daß die
wie 495
Reihe 352 : 404 1/2 : 464 1/2 : 534 : 613 : 694 : 809 eine Leiter mit sieben gleich-
großen Stufen bezeichnet, deren jede sieben Achtel eines normalen Ganztones mißt. Im Gegensatz dazu beschreibt das sinnreiche Cent-System jede Distanz durch eine einfache Zahl.!5 Ein Cent ist der einhundertste Teil eines gleichschwebendtemperierten (Klavier-) Halbtons. Der Abstand zwischen zwei einen Halbton voneinander entfernten Tönen beträgt einhundert Cents; die Oktave mißt folglich zwölfhundert. Die wesentlichen Standardabstände sind: Halbton Sekunde kleine Terz große Terz Quarte Tritonus
100 C. 200 C. 300 C. 400C. 500 C. 600 C.
Quinte kleine Sext groDe Sext kleine Septime groBe Septime Oktave
700 800 900 1000 1100 1200
C. C. C. C. C. C.
Einzelabstände werden genau so wie komplizierte Leitern einfach und unmittelbar verdeutlicht. Eine Sekunde von angenommen 180 Cents reprásentiert eine Distanz, die um 10 Prozent kleiner ist als eine gleichschwebend-temperierte Sekunde; ein Abstand von 220 Cent ist um 10 Prozent größer als eine Sekunde usw. Cents kónnen nicht unmittelbar von einer vorgetragenen Melodie abgehórt werden; sie müssen auf Umwegen aus den Schwingungszahlen berechnet werden. Diese mühseligen Umwege lassen sich heute durch den Gebrauch des Musiklineals (music rule) vermeiden. | Das Musiklineal, 1949 von Marcus Reiner, Professor am Technikum in Haifa, Israel, beschrieben, áhnelt einem gewóhnlichen Rechenschieber, in dem man zwei
12 cm lange Skalen gegeneinander verschiebt. Die linke Skala reicht über eine wohltemperierte Oktave von c' bis c” bzw. 264 bis 528 Schwingungen; voll ausgezogene Trennungsstriche teilen je zehn Schwingungen ab, vier gepunktete 15 Alexander J. Ellis, On the Musical Scales of Various Nations, in: Journal of the Society of Arts, 27. März und 3o. Oktober 1885. In Musikbibliotheken wird die
deutsche Übersetzung von Erich M. von Hornbostel, Über die Tonleitern verschiedener Völker, in: Sammelbände leichter zu finden sein.
24
für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1922,
1— 75,
Linien zwischen den Zehner-Strichen je zwei Schwingungen. Die Strichabstände sind aber nicht gleich wie etwa bei unseren Thermometern, sondern verengen sich aufwärts. Der Grund ist leicht einzusehen. Die Abstände zweier Schwingungszahlen werden nach oben hin größer. Eine beliebige Tondistanz wird verdoppelt, wenn sie eine Oktave hinaufrückt: a’ C
hat 297 Schwingungen, hat 264 Schwingungen,
Diff.
33 Schwingungen
d" c” Diff.
hat 594 Schwingungen, hat 528 Schwingungen 66 Schwingungen
Die rechte Skala ist ebenso lang, aber durch vollausgezogene Striche gleichmäßig in 12 cm eingeteilt, jeder Zentimeter wiederum ist durch gepunktete Striche in
Millimeter oder Centlängen zerlegt. Beim Messen hat man weiter nichts zu tun als die beiden Skalen so gegeneinander zu verschieben, daB die Cent-Skala genau auf
der Höhe der tiefsten Schwingungszahl, die man auf der linken Skala findet, liegt ;
die gesuchte Cent-Zahl kann man dann gegenüber der Schwingungszahl des hóheren Tones ablesen.
Der Phonograph und das Ellis-System haben dem Komplex musikwissenschaftlicher Forschung einen neuen Zweig hinzugefügt. Seine deutsche Bezeichnung Vergleichende Musikwissenschaft wurde ins Englische übersetzt und hat sich als „Comparative Musicology“ in den angelsächsischen Ländern durchgesetzt. Dieser Ausdruck ist aber unpassend und irreführend. Auch die Musikgeschichte vergleicht nationale, epochale und personale Stile, ja, keine Wissenschaft kann auf vergleichende Methoden verzichten. Überdies hat die sogenannte Vergleichende Musikwissenschaft das anfängliche Stadium bloßen Vergleichens überwunden, in dem ihre Vertreter, auf zufällige Informationen angewiesen, die stilistischen Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten jeglichen für sie überhaupt greifbaren Materials zu skizzieren versuchten — etwa von einigen wenigen Liedern eines Indianerstammes, einer Melodie der Bantu, einer kleinen Sammlung japanischer Musik. Durch systematische Forschungsarbeit auf allen Kontinenten und Inselgruppen hat sich inzwischen so viel Material angesammelt, daB wir uns der gigantischen Entwicklung von den ersten keimhaften Anfángen urtümlichen Singens zu den hochentwickelten Formen orientalischer Kunstmusik bewußt geworden sind. Unter dieser Sicht verwandelte sich die Vergleichende Musikwissenschaft in den urtümlichen und orientalischen Zweig der Musikgeschichte. Noch im Jahre 1900 nannte die franzósische Schriftstellerin Judith Gautier, die auf der Pariser Weltausstellung über urtümliche und orientalische Musik berichtete, ihr Buch
Les musiques
bizarres. Die wissenschaftliche und historische
Betrachtung hat nun eine neue Auffassung dieser Stile gefórdert, und das Inter-
esse an ,,exotischer'" Musik hat sich von oberflächlicher Neugier und eitler Sensationslust an fremdartigen, entlegenen und pittoresken Dingen immer mehr zu
der Einsicht gewandelt, wie tief diese Dinge uns selbst und unsere Vergangenheit betreffen. Die Gesänge der Patagonier, Pygmäen und Buschmänner bringen uns
25
den Gesang unserer eigenen prähistorischen Vorfahren nahe, und überall in der Welt
benutzen
die urtümlichen
Stämme
noch heute Musikinstrumententypen,
die auch der Spaten der Archäologen aus den Gräbern unserer neolithischen Vorväter zutage förderte. Der Orient hat Melodiestile lebendig erhalten, die Europa im Mittelalter unter dem Einfluß der Harmonie aufgab, und der Mittlere Osten spielt noch immer die Instrumente, die er vor tausend Jahren an den Westen weitergab. Der urtümliche und orientalische Zweig der Musikwissenschaft ist das Einleitungskapitel der Geschichte unserer eigenen Musik geworden.
3 Melodiestile Urtümliches Leben ist nahezu gleichförmig. Trotz aller Unterschiede in bezug auf
Temperament, Charakter und geistige Anlage wird jede Handlung, sei sie praktischer oder künstlerischer Art, von den Stammesbrüdern verstanden, genauso wie
das Verhalten eines Tieres seinen Artgenossen verständlich ist. Auch ist urtümliche Musik nicht Ausdruck persönlicher Eigenart, nicht individuelle Äußerung einzelner Künstler. Sie drückt aus, was jeder zu sagen imstande ist, sie besingt das Leben des ganzen Stammes; ihre Seele ist die Seele eines jeden. Auf den Andamanen im Golf von Bengalen, um ein gutes Beispiel anzuführen, erfinden alle Eingeborenen Lieder,
und sogar die Kinder werden in dieser Kunst unterwiesen. Beim Schnitzen eines Bootes oder Bogens oder beim Rudern singt der Andamane sein Lied still vor sich hin, bis er damit zufrieden ist, und macht es dann beim nächsten Tanz bekannt. Seine Verwandten müssen es zunächst mit dem Frauenchor üben; der Erfinder es als Vorsänger zum Tanz und die Frauen stimmen in den Refrain ein. Stück Anerkennung findet, wird es in sein Repertoire aufgenommen, wenn
es aufgegeben.!°
weiblichen selbst singt Wenn das nicht, wird
Die Texte sind anspruchslos und für jedes Stammesmitglied leicht verständlich:
„Poio, der Sohn von Mam
Golat, möchte wissen, wann mein Boot fertig ist; so
muß ich daran so schnell wie möglich arbeiten." Zwischen dem Text und der Gelegenheit, bei der er gesungen wird, braucht keine augenfällige Beziehung zu bestehen. Die Andamanen singen ganz unbekümmert Jagd- oder Bootsbautexte zu Trauertänzen, während sie bei der Jünglingsweihe Texte auf Schildkröten bevorzugen. Die Sakai (Senoi) auf Malakka zählen sogar — statt zusammenhängender Texte — Fluß- und Bergnamen auf. Ja, die Sänger pflegen auch zweifelhafte und entstellte Worte irgendeiner längst vergessenen Sprache zu benutzen.
In älten Kulturen ist Singen ohne Worte undenkbar, so bedeutungslos sie auch sein mögen; ebensowenig kann Dichtung ohne Gesang existieren. Es war ein großer Irrtum, diese ursprüngliche Einheit von Gesang und Dichtung als das jüngere und ganz abweichende, ja entgegengesetzte Formungsprinzip von Melodien nach der natürlichen Sprachmelodie anzusehen.!? Das Gegenteil ist 1* Curt Sachs, World History of the Dance, New York 1937, 182, nach A. R. Brown, The Andaman
Islanders, Cambridge
1922.
Das letztere Thema wurde von G. Herzog, Speech-Melody and Primitive Music, in:
The Musical Quarterly
X X/4, 1934, 452ff. behandelt.
27
richtig. Dichtung im weiteren Sinne, führt Melodie und Wort von der gewöhnlichen Umgangssprache weg. Die Dichter entstellen und nivellieren die logischen Sprachakzente, die für die Verständigung im Gespräch von Mensch zu Mensch verbindlich sind. Sie ersetzen den freien, ausdrucksvollen Rhythmus gesprochener Sätze durch stereotype Modelle von lang und kurz oder schwer und leicht; sie ersetzen den natürlichen Ablauf der Rede durch kunstreiche Wortanordnungen, die oft die Regeln der Grammatik und Syntax außer acht lassen; sie ersetzen sogar geläufige durch ungewöhnliche Ausdrücke, die niemand im alltäglichen Sprachgebrauch verwenden würde. Kunst beraubt die Natur ihrer Natürlichkeit, um sie auf eine höhere, oder
wenigstens auf eine andere Ebene zu heben. Und die Sänger folgen diesen Grundsätzen. Sie vermeiden absichtlich die unbestimmten, irrationalen Tonhöhen des gesprochenen Wortes. So weit wir zurück-
schauen können, hat sich die in der lebendigen Rede so frei und fließend bewegte
Sprachmelodie beim Singen in eine Reihe gleichförmiger Schritte zwischen zwei oder drei Tönen um eine Mittellage, wenn nicht gar in ein monotones Skandieren auf einem einzigen Ion verwandelt. Die Bedingungsform des Satzteiles ‚wenn nicht gar in ein monotones Skandieren auf einem einzigen Ton“ ist auf die problematische Stellung der Eintonmelodien in der Entwicklung der Musik zurückzuführen. Jeder kennt solche Psalmodien. Sie sind in den Liturgien der meisten Religionen überall in der Welt zu finden, das einfache Volk benutzt sie beim Gedichtehersagen, man kann sie in den Schulen in Ost und West hören als Mittel, um Texte und Regeln auswendig zu lernen, obgleich sie nirgends mehr die magische Kraft besitzen wie in den hypnotischen Trancezuständen polynesischer Sitztänzer. Dabei sind reine Eintonmelodien als selbständige Gebilde verhältnismäßig selten. In den meisten Fällen sind es nur kurze Abschnitte innerhalb entwickelterer Melodien; sie werden entweder strikt auf einer Tonhöhe oder aber mit aufoder absteigenden Kadenzen auf der letzten Silbe gesungen. Die eindrucksvollsten Beispiele dieses Stils sind auf Celebes und den westlichen Karolinen zu finden :18 Beispiel 2: Karolinen (nach Herzog): RS 2B SS 0
Hi
|
9. . Ὁ.
RS
0
3 LOS .0--
3 δ
0
ὁ
2 i
3
3 EEE m
3 = u
Für einen Anhänger der Entwicklungslehre wäre der Gedanke, daß Eintonmelodien die erste Stufe vor dem Aufkommen von Zwei- und Dreitonmelodien darstellen, fast zu schön, um wahr zu sein. Aber die Frage, ob eine uranfängliche Eintonmelodie in reiner Form jemals bestanden hat, kann zur Zeit noch nicht beantwortet werden. Zu viele urtümliche Völker sind bisher unerforscht, und sogar
dort, wo sie erforscht worden sind, könnte der betreffende Sammler in den Ver18 George Herzog, Die Musik der Karolinen-Inseln, in: Ergebnisse der Südsee-Expe-
dition 1908— 1910, II B, Band 9, 2. Halbband, Hamburg 1936, Nr. 21, 34— 36, 70, 73, 83, 85, 86, 89, 93, 94, 96 und S. 340, 1. Beispiel.
28
dacht geraten, die Aufzeichnung von Eintonrezitationen versäumt zu haben, weil er sie nicht als musikalische Außerungen ansah. Die frühesten nachweisbaren Melodien bestehen aus zwei Tönen.
In seiner beschränktesten Form
umfaßt der Zweitonstil Melodien, die zwischen
zwei Tönen in Mittellage pendeln, wobei der Abstand eine Sekunde oder weniger beträgt. Die melodische Spannweite ist gering: Die Themen, oder besser noch
Motive, sind äußerst kurz und bestehen oft nur aus einem einzelnen Schritt auf-
oder abwärts. Nicht immer ist ein Schwerpunkt vorhanden;
oft haben beide Töne
gleiches Gewicht, und falls einer vorherrscht, ist es eher der höhere, während der tiefere wie ein Nebenton allmählich zu verklingen scheint, so daß die Kadenz-
richtung unerwartet zum höheren Ton führt.
In solch einem Fall mag es uns erlaubt sein, von einer ‚negativen Melodie‘ zu
sprechen, ähnlich wie wir in der Geometrie eine Kurve, die hauptsächlich unter-
halb der Null-
oder
‚Bezugslinie‘
verläuft,
‚negative
Kurve‘
nennen.
In einer
Melodie, deren erster und letzter Ton annähernd gleiche Höhe aufweisen, stellt die zwischen ihnen gedachte Verbindungslinie die ,Bezugslinie' dar. Verläuft eine Melodie im wesentlichen oberhalb dieser Linie, so ist sie postitiv, im entgegengesetzten Falle negativ. Alle neueren Veróffentlichungen über urtümliche Musik sind von den Wedda, einem pygmoiden Jágervolk niederer Entwicklungsstufe im Innern von Ceylon, ausgegangen. Doch sind die Melodien dieser Menschen, obgleich einfach, nicht rudimentár genug, um den allerersten Anfang kennzeichnen zu kónnen. Einen viel einfacheren Stil fand man unter den Botokuden in Ostbrasilien,! in deren Gesang Beispiel 3: Botokuden (nach Strelnikov)
unaufhórlich dieselbe dürftige Tongruppe wiederkehrt, und unter den Angehórigen des Dém-Stammes, einem Zwergvolk im Innern Neuguineas, die beständig zwei Töne im Quartabstand wiederholen,?? ein Beispiel, das wir hier trotz des gróDeren Intervalls erwáhnen. Diese melodischen Bildungen sind zwar rudimentär, aber nicht ohne Ordnung. Da sie unbegrenzt wiederholt werden, folgen sie dem gleichen Koordinierungsprinzip, das Kinder anwenden, wenn sie ihre Eltern mit endlosen Wiederholungen 1 J. D. Strelnikov, La musica y la danza de las tribus indias Kaa-ihwua (Guarani) y Botocudo, in: Proceedings of the Congress of Americanists 1928,
New York 1930, 801.
Unglücklicherweise sind die in diesem Aufsatz abgedruckten Gesánge der Botokuden nicht phonographisch aufgezeichnet.
2° Jaap Kunst,
A Study on Papuan Music, Weltevreden
1931, Abb. II.
29
eines winzigen Melodiebruchstücks plagen. Sänger von Nationalepen in Finnland, Jugoslawien, Ägypten und wahrscheinlich im homerischen Griechenland folgen
demselben Prinzip, und ebenso moderne Komponisten von Bass: ostinati, Chacon-
nen und Passacaglien.*! Die meisten dieser Formen sind keine selbständigen Stücke, sondern Mittler für Textworte. Man soll sie aktiv hóren, nicht ihnen passiv lauschen. Auch urtümliche Dichtung beruht auf Wiederholung — modifizierter Wiederholung natürlich, weil Worte sich an den Verstand richten, und Verstand Stagnation nicht ertragen kann. Die Wedda würden das Problem durch Verse wie die folgenden lósen: Wo der Talagoya gebraten und gegessen wurde, dort blies ein Wind. Wo der Meminna gebraten und gegessen wurde, dort blies ein Wind. Wo der Hirsch gebraten und gegessen wurde, dort blies ein Wind.
Die Zeilen werden genau wiederholt, nur der Tiername wird verändert, so daß sich das Interesse nicht verlieren kann. Noch zur Zeit der assyrischen Kultur wurden Veránderungen in sonst gleichlautende Zeilen eingebettet. Ein assyrisches Gebet beginnt: Vater Nannar, Gott Anëar, Haupt der Götter;
Vater Nannar, großer Gott Anu, Haupt der Götter;
Vater Nannar, Gott Sin, Haupt der Götter;
Vater Nannar, Gott von Ur, Haupt der Gótter; Vater Nannar, Gott von Egissirgal, Haupt der Götter; usw.*?
Dr. George Herzog zitiert ein ähnliches Gedicht der Navaho: Der Die Das Das
erste Mann — du bist sein Kind, er ist dein Kind; erste Frau — du bist ihr Kind, sie ist dein Kind; Wasserungeheuer — du bist sein Kind, es ist dein Kind; Schwarzwasserpferd — du bist sein Kind, es ist dein Kind
und so weiter mit der großen schwarzen Schlange, der großen blauen Schlange, dem weißen Korn, dem gelben Korn, dem Kornpollen, der Kornwanze, dem heiligen Wort. Und noch ein anderes Beispiel, in dem die Zeile Wohin läuft er, um sich zu
verbergen? sechsmal gesungen wird, bevor die Strophe endet: GroDer Truthahn,
Sein Kehllappen geht auf und ab. 27 Vgl.
auch
Robert
Lach,
Das
Konstruktionsprinzip
der Wiederholung
Sprache und Literatur, in: Akademie der Wissenschaften in Klasse, Sitzungsberichte, 201 Bd., 2. Abhandlung, Wien 1925.
Wien,
in Musik,
Phil.-Hist.
#2 Charles Gordon Cumming, The Assyrian and Hebrew Hymns of Praise, New York 1934, 7333 George Herzog, Speech-Melody and Primitive Music, a. a. O., 460, 464. 30
Die Wedda singen solche Gedichte auf fast konstanter absoluter Tonhöhe und halten die einzelnen Töne ohne jedes Portamento deutlich getrennt. Die Töne a und h sind einen Ganzton oder etwas weniger voneinander entfernt und folgen in an-
nähernd gleichen Werten aufeinander; die Finaltöne jedoch werden ausgehalten.
So pendelt die Melodie zwischen den zwei Tönen in gleichmäßigen Werten. Die Taktgliederung, meistens 4/4, ist weniger streng, wenn die Anzahl der Silben wechselt. Eine solche Unregelmäßigkeit verwirrt den Sänger selten. Wenn er zu viel Zusatzsilben
zu bewältigen
hat,
unterteilt
er einige
Notenwerte,
um
den
rhythmischen Ablauf aufrecht zu erhalten. Fallende Verbindungen zweier Achtelnoten finden sich häufig, niemals jedoch am Ende, wo die Bewegung entweder steigt oder auf gleicher Höhe verharrt. In der Regel wechseln die beiden Töne miteinander ab, aber gelegentlich wird a mehrfach wiederholt, wie beim Psalmodieren. Die Textzeilen und infolgedessen auch die musikalischen Phrasen sind länger als in den Melodien der Botokuden. Der Faden wird über acht oder zehn Viertelnoten gesponnen, bevor die Wiederholung einsetzt: Beispiel 4: Wedda
(nach Wertheimer) || L
Eine umwälzende Neuerung unterbrach die in der Musik der Wedda und Patagonier übliche ständige Wiederholung auf gleicher Höhe. Das Ausgangsmotiv und seine erste Wiederholung wurden durch Variieren der Endtöne zu einer komplexen Einheit zusammengeschlossen: Zuerst verweilte die Stimme auf einer Tonhöhe, die den Hörer in Spannung hielt; im zweiten Teil wechselte sie zur anderen, um einen befriedigenden Abschluß zu erzielen. Um es technisch auszudrücken: Die erste Phrase endete mit einem HalbschluB, die zweite mit einem Ganzschluß. Oder, um die noch charakteristischeren Ausdrücke, die die Franzosen im Mittelalter prägten, zu verwenden, die erste endete overt, die zweite close. Beispiel 5: Feuerlandindianer (nach Hornbostel)
4S5
ῷ
7 τ
I LED
[τ΄ Ἣ 4
. -..
v
a7
|
All diese Worte sind mehr als bloße Floskeln. A. H. Fox Strangways berichtet, daß in Poona in Indien Wasser aus einem Brunnen geschöpft wurde, indem Rinder, die an Seilen zogen, langsam einen Abhang hinuntertrotteten und, sobald der Inhalt der Schläuche in den
Kanal, der das Wasser auf ein angrenzendes Feld leitete, entleert war, noch ein wenig schwerfálliger als zuvor den Abhang wieder hinaufkletterten. Wenn der verantwort-
liche Mann die Tiere den Abhang hinabtrieb, sang er Motiv À, und wenn er, nach etwa 31
einer Minute, den Rückweg veranlaßte, sang er Motiv B. Dieser Vorgang wiederholte sich meines Wissens drei Stunden lang, wahrscheinlich aber viel länger.* Beispiel 6: Poona, Indien (nach Fox Strangways)
Der Gegensatz in den Schlußwendungen, der das Antithetische der unvollständigen und der abgeschlossenen Handlung widerspiegelt, findet außer im Tanz keine bessere Illustration. In vielen, in der ganzen Welt verbreiteten Tänzen gehen die Tänzer ein paar Schritte vorwärts und dann wieder zurück zum Ausgangspunkt. Sie führen ‚eine ‚statische‘ Schwingung aus, die jede Bewegung und jede Spannung zurücknimmt, so wie der angespannte Muskel wieder gelöst oder
die von der Lunge eingeatmete Luft wieder ausgestoßen wird, wie bei allen menschlichen Tätigkeiten und Vorgängen Ausgleich, Befriedigung und Ausgewogenheit angestrebt wird.'** Und der begleitende Gesang, der bei der Vorwärtsbewegung in der Regel in einen Halbschluß mündet, wird während der rückläufigen Bewegung wiederholt und endet, wenn die Tänzer wieder am Platz sind,
in einem Ganzschluß.
|
Durch die Verbindung zweier sich in der Schlußwendung voneinander unter-
scheidender Phrasen zu einem Gebilde, das die Musiktheorie mit Periode bezeich-
net, haben Völker auf sehr niedriger Entwicklungsstufe das fruchtbarste der musikalischen Formschemata geschaffen, die Liedform. Eine der unmittelbaren Folgen war die unterschiedliche Bewertung der beiden Töne. Der Ton der Vollkadenz als Ziel der melodischen Bewegung erhielt das
Übergewicht über den Halbschlußton, und damit war der spätere Begriff der
Finalts (um das irreführende Wort Tonika zu vermeiden) vorbereitet.
Zweitonmelodien überschreiten oftmals den Sekundabstand und umspannen eine Terz oder sogar eine Quarte. Es ist wohl kaum nötig, darauf hinzuweisen, daß der Begriff
„Terz“
alle Größen
dieses
Intervalls,
überhóhten großen Terzen, einschließt.
von
erniedrigten
kleinen
bis zu
Beispiel 7: Thompson-Indianer (nach Abraham und Hornbostel)
Bis heute neigten die Forscher zu der Annahme, daß eine Entwicklung von kleineren zu gróDeren Intervallen stattgefunden habe. Der urtümliche Mensch, so sagten sie, besitzt einen engen Horizont, folglich sind auch seine Melodien eng24 A. H. Fox Strangways,
The Music of Hindostan, a. a. O., 20—21.
35 Curt Sachs, World History of the Dance, a. a. O., 168f. 32
räumig; sie erweitern sich erst auf höherer Entwicklungsstufe. Das ist nicht ganz richtig. Einige der urtümlichsten Völker bevorzugen Zweitonmelodien mit Intervallen, die größer sind als eine Sekunde, und kleine Kinder im heutigen Europa improvisieren, wie wir noch sehen werden, allem Anschein nach in Terzen, noch
ehe sie in Sekunden singen. Das Problem ist sicher nicht eine Frage der Entwicklung. Würde eine solche vorliegen, müßte man Übergangserscheinungen finden können — eine gelegent-
liche Terz, die statt einer Sekunde auftritt oder umgekehrt, eine Sekunde, die eine
Terz ersetzt. Aber die beiden Typen sind entschieden gegeneinander abgegrenzt. Tonabstände in urtümlicher Musik sind wohl eher vom motorischen Impuls als vom Bewußtsein abhängig. Wir sprechen nicht ohne guten Grund von Schritten und Sprüngen in der Melodie wie auch im Tanz; es sind ähnliche Äußerungsformen ein und desselben menschlichen Impulses und hängen infolgedessen auch in ähnlicher Weise von diesem ab. In der Geschichte des Tanzes zeichnen sich zwei elementare Bewegungstypen mit eindrucksvoller Klarheit ab, obwohl sie oft auch miteinander verschmelzen:
Engbewegung und Weitbewegung.?® Der weitbewegte Tanz ist durch eine stärkere motorische Reaktion, durch größere Schritte und sogar Sprünge gekennzeichnet. Das Hauptmerkmal des engbewegten Tanzes ist das feste Bewegungszentrum, zu dem die Gliedmaßen immer wieder zurückkehren. Grob gesprochen verwenden Völker, deren Tänze etwas weitbewegter sind, gröBere Melodiestufen als diejenigen, deren Tänze mehr oder weniger engbewegt sind. Singen ist wirklich eine Tätigkeit unseres Körpers oder besser noch unserer gesamten Persönlichkeit. Es beansprucht fast alle Muskeln vom Bauch bis zum Kopf und beim urtümlichen Menschen selbst die Arme und Hände; er ist oft unfähig zu singen, wenn er seine Hände stillhalten muß. So eng ist die Verbindung
zwischen Singen und Armbewegung, daß die alten Ägypter den Begriff ,,singen‘ durch die Umschreibung ,,mit der Hand spielen” ausdrückten.
Als kórperliche Tátigkeit ist Musik von motorischen Impulsen und vom Bewegungstypus nicht zu trennen. In ihr findet das Temperament des Sángers genau so Ausdruck wie in Gebárde, Tanz und Gangart. Wenn das für Einzelwesen gilt, trifft es ebenso für Stämme, Völker und Rassen zu, besonders unter urtümlichen Bedingungen; denn je niedriger die Entwicklungsstufe von Tieren und Menschen ist, desto weniger hebt sich der Einzelne aus dem allgemeinen Niveau heraus. Deshalb besitzen Völker gleicher Kulturstufe Melodien, die sich nur in ihrer Weite voneinander unterscheiden. In einer ersten Entwicklungsphase stieg die Anzahl der Töne von zwei auf drei. Solche Zunahme führte nicht sofort zu wirklichen Dreitonmelodien. Selbst nach Anerkennung eines dritten Tones hielt die musikalische Vorstellung noch lange Zeit an einfachen Zweitonmelodien fest, und der ursprüngliche melodische Kern blieb unversehrt und leicht wahrnehmbar. Tradition hat ein erstaunliches Be*6 ebd. 24 — 48.
3 Sachs, Musik
33
harrungsvermögen. Im allgemeinen erscheint der neue Ton erst gegen Ende der
Phrase, wenn der Melodiekern bereits fest etabliert ist. Selten wird er gleich zu
Beginn infolge anfänglichen Überschwanges eingeführt, und in solchen Fällen verschwindet er fast sofort wieder zugunsten der Tradition. In Anlehnung an die grammatische Terminologie nennen wir den hinzugefügten Ton A/fix, wenn er sich dem Kern außen anfügt, und notfalls noch spezifizierter Suprafix, wenn er ober-
halb, und Infrafix, wenn er unterhalb hinzugefügt wird. Ein Füllton innerhalb
einer Terz, einer Quarte oder einer Quinte wird Infix genannt. Solche einfachen Zusatztóne kónnen folgendermafen klassifiziert werden:
1. Sekunde plus Sekunde erscheint in den allerfrühesten Stilen bei den Wedda und den feuerlándischen Yamana. Unser Beispiel ist ein Gesang der Uitoto in Kolumbien: Beispiel 8: Uitoto, Kolumbien
(nach Bose)
2. Sekunde plus Terz. Wieder ein Beispiel der Uitoto: Beispiel 9: Uitoto (nach Bose)
3. Sekunde plus Quarte. Lied aus Buka, Salomonen: Beispiel 10: Salomonen
(nach Frizzi)
4. Terz plus Sekunde. Lied aus Ost-Neuguinea: Beispiel 11: Ost-Neuguinea (nach Marius Schneider) 5
3
3
5. Terz plus Terz. Bakongo (Unterlauf des Kongo): Beispiel 12: Bakongo (nach Marius Schneider)
34
6. Terz plus Quarte. Kein Beispiel. 7. Terz plus Füllnote (Infix). Beispiel aus Nord-Neuguinea. Beispiel 13: Neuguinea
(nach Marius Schneider)
8. Quarte plus Sekunde. Lied aus Buka, Salomonen: Beispiel 14: Salomonen
J=88-80
,
9. Quarte plus Terz. Spiellied der Bellacula (westliches Nordamerika): Beispiel 15: Bellacula (nach Stumpf) L
1
1
ft
ΟΝ
10. Quarte plus Quarte. Männerzwiegesang aus Tibet: Beispiel 16: Tibet (transkribiert von Curt Sachs) A
pt e
I— U
L 9
L 7]
ae -
sa p í Le L 4
T
1
B |
E
s
11. Quarte plus Infix. Brasilianische Yecuaná: Beispiel 17: Yecuaná (nach Hornbostel)
Viertonmelodien entziehen sich geradezu jeder Klassifizierung. Infixe, Suprafixe, Infrafixe in allen móglichen Anordnungen und GróDen ergeben eine kaleidoskopartige Vielfalt von Variationen und Permutationen. 3*
35
Nur was wir Ketten nennen könnten, soll uns hier interessieren: die Verbindung
entweder von Terzen oder Quarten. Aus einer Terzenkette besteht der folgende Gesang eines Papua aus Nordwest-Neuguinea:31 Beispiel 18: Papua (nach Jaap Kunst)
Eine wirklich außergewöhnliche Kette von nicht weniger als fünf aufeinanderfolgenden Terzen kommt in der Musik der Zufii (südwestliches Nordamerika) vor :38
Beispiel 19: Zuñi (nach Stumpf)
Die Hopi (südwestliches Nordamerika) singen manchmal in Quartketten:?? Beispiel 20: Hopi (nach Stumpf) J=160 >
+ +
+ +
Obwohl solche Melodien eine imponierende Ausdehnung und Ausdruckskraft erreichen, mangelt es ihnen an innerer Ordnung. Der Sänger springt von Ton zu Ton, ohne diese Töne jedoch höheren Einheiten unterzuordnen. Er ist nicht fähig, von bloßer Addition zu echter Integration vorzustoßen. Es ist selten möglich zu entscheiden, ob die Erweiterung des ursprünglichen Zweitonkernes als Folge der natürlichen Entwicklung des Einzelwesens oder der Stammesgemeinschaft auftrat, oder aber ob sie durch besondere geschlechtliche oder von außen kommende Einflüsse bedingt wurde. Wenn Singen tatsächlich ein tätiger Ausdruck unseres ganzen Wesens ist, muß das Geschlecht als wesentlichstes Unterscheidungsmerkmal
zwischen
Menschen
einen bestimmenden
Einfluß
auf
musikalische Stile ausüben. Noch einmal mag ein Hinweis auf den Tanz dienlich sein. Tänzern wie Sportlern ist die Grundtatsache bekannt, daß der Mann in der Regel nach Ausladung, nach starker Vor- und Aufwärtsbewegung strebt. Die Frau dagegen, besonders auf niederen
Kulturstufen,
bleibt dem
Boden
verbunden;
ihre Gebärde weist mehr
2” Jaap Kunst, A Study on Papuan Music, a. a. O., 63a. 38 Carl Stumpf, Phonographirte Indianermelodien, a. a. O., 139. 3 B. I. Gilman, Hopi Songs, a. a. O.
36
zum Körper zurück als hinaus und hinauf. Verglichen mit der männlichen Bewegung ist die der Frauen verengend. Der kühne Sprung wird zum Spitzenrecken, und das weite Ausschreiten versickert in ängstlichem Trippeln. Selbst dort, wo Stoff und Anlaß ein Aussichherausgehen fordern, schlägt der weibliche Tanz fast mit Sicherheit in eine engräumige Form zurück. In gleicher Weise bilden die beiden Geschlechter auch entgegengesetzte Gesangsstile aus. Bootsgesänge der Eskimos stützen sich auf die Terz. Wenn Frauen rudern, singen sie die gleichen Melodien mit Infixen, um den männlichen großen Schritt zu vermeiden. Der weibliche Einfluß auf die Gestaltung der Melodiestruktur war besonders groß. Robert Lachmann lenkte die Aufmerksamkeit auf den symmetrischen Bau jener Gesänge, mit denen Frauen, ganz gleich welcher Kulturstufe, ihre Arbeit begleiten oder ihre Babys einschläfern, und er verglich deutsche Kinderlieder mit Wiegenliedern von Weddamüttern und mit Melodien, die Indianerfrauen beim Zerreiben von Wurzeln vor sich hinträllern. Sein Vergleich ist so treffend, daß wir ihn hier wiederholen wollen,® nur geben wir das deutsche änderter Form, so wie wir es selbst gekannt haben, wieder:
Lied in leicht abge-
Beispiel 21: erste Zeile: Makuschí, nordóstliches Amazonasgebiet bostel); zweite Zeile: Laterne, Laterne
(nach Horn-
Von unzähligen Beispielen mögen die nordwestsibirischen Wogulen (Mansi) angeführt werden. Singen ist bei ihnen hauptsächlich Angelegenheit der Männer, und ihre Melodien sind frei in bezug auf Rhythmus und Struktur. Die Frauen dagegen, deren Repertoire sich auf die sogenannten Schicksalslieder beschránkt, legen ihre Melodien in einfachem und regelmäßigem Zeilenbau an:?! Beispiel 22: Wogulen (Mansi), Sibirien (nach Väisänen)
Beide Beispiele bestátigen eine angeborene Neigung der Frauen, auch die Ge-
sänge des häuslichen Lebens sáuberlich zu ordnen, wobei sie — und ihre Töchter —
gewissenhaft altertümliche Merkmale bewahrt haben, die bei den Mánnern verloren gegangen sind. 3? Robert Lachmann, Die Musik der auBereuropäischen Natur- und Kulturvölker, in: Ernst Bücken, Handbuch der Musikwissen schaft, Potsdam (1929), 8.
*1 Vgl. A. O. Väisanen, a. a. O., 3.
37
Die bisher betrachtete Musik ist logogen oder wortgeboren. Menschen, die Zweitonmelodien singen, benutzen diese tatsächlich nur als Wortträger, und sie singen auf mittlerer Tonhöhe und mit mittlerer Stimmkraft ohne emotionale Akzentuierung. Aber das ist nur eine Seite der urtümlichen Musik. Denn oft wird Musik durch einen unwiderstehlichen inneren Erregungsfaktor ausgelöst, der die äußersten Fähigkeiten des Sängers mobilisiert. Noch unfähig, solche pathogene Musik nach vorbedachtem größerem Formplan mit dem Höhepunkt in der Mitte oder am Ende zu gestalten, konzentriert er all seine Kraft und Leidenschaft auf den Beginn seines Gesanges und läßt die Melodie, sobald seine Stimmbänder erschlaffen, ver-
klingen, indem er oft in kaum noch hórbares Pianissimo übergeht. Denn ‚laut‘
und
‚hohe
Tonlage'"
sowie
‚leise‘
und
‚tiefe‘
Tonlage
sind eng miteinander
verbunden — so eng, daß die romanischen Sprachen nur jeweils ein Wort für jedes der beiden Qualitátenpaare haben: alta vox und bassa vox. In ihrer am stárksten ausdrucksgeladenen und am wenigsten musikalischen Form erinnern absteigende Melodien an wildes Freuden- und Wutgeschrei, und sie mögen aus solchen ungezügelten Ausbrüchen entstanden sein. Verkrampft setzt die Singstimme mit gróDter Kraft und Anspannung so hoch wie nur móglich ein, oder sie springt von einem Ton mittlerer Hóhe wie von einem Sprungbrett auf und bewegt sich dann in Schritten oder Sprüngen abwärts, bis sie im tiefsten Register dahinschwindet. Die Einzelheiten sind verschieden; die Kubu auf Sumatra gleiten fast wie auf einer Laderampe herab, die Indianer poltern gleichsam eine Treppenflucht herunter, die Neger laufen behend von Stufe zu Stufe. Die roheste Form dieses Melodietyps, der zwischen brutalem Schreien und menschlichem Singen steht, scheint sich auf den Inseln der Torres-StraDe zwischen Australien und Neuguinea erhalten zu haben. In den Phonogrammaufnahmen von Zentral- und Südaustralien ist derselbe Stil weniger aufgeregt, zahmer, musikalischer, dem Schreien unáhnlicher. Der Umfang betrágt eine Oktave, und die Quartund Quintintervalle beginnen als Ruhepunkte hervorzutreten; die Melodie ist oft streng pentatonisch ohne Halbtóne.?* Bei der Beschreibung dieser australischen Gesánge (die ich nicht gehórt habe), verwendet E. H. Davies die Ausdrücke ,Raserei" und ,,Krampf'" und spricht von ,,ekstatischen Sprüngen zur oberen Oktave“, von „stetig wachsender Erregung“ und von „einem beträchtlichen
Teil Leidenschaft". Dies wird vollauf bestätigt durch die wenigen Aufnahmen australischer Musik, die ich studieren konnte. In Afrika wiederum ist der sprunghafte und aufreizende Charakter fast verlorengegangen. Die Melodie ist im allgemeinen auf den Umfang einer Sexte reduziert und ihre Schritte sind fest abgestuft. Die eindrucksvollsten Melodien dieser Art werden von nordamerikanischen Indianern gesungen (vgl. Bsp. 19). Einige davon sind von überwältigender Kraft, voll Pathos und Leidenschaft und dabei doch zurückhaltend und feierlich. Viele stürzen in Terzen abwárts, in anderen ist die Quarte das Strukturintervall. 32 E. H. Davies, Aboriginal Songs of Central and Southern Australia, in: Oceania II,
1931/1932, 454 — 467.
38
Den weiten Mittelbereich zwischen den beiden Extremen logogener und pathogener Musik vertritt die melogene Musik. Hier ist die Kantillation der Worte im Umfang genügend erweitert worden, um das Pathos der Worte selbst in einer biegsamen melodischen Linie widerzuspiegeln, und die ungezügelten Ausbrüche des pathogenen Stils sind so weit gemáDigt worden, daß die Textworte unterscheidbar und wesentlich werden. Dazu gibt mit vergrößertem Umfang der ebene Melodieverlauf des logogenen Stils demselben Hang abwärts nach, der den pathogenen Stil charakterisiert. Diese Tendenz erscheint bereits auf der Entwicklungsstufe von Dreitonmelodien. Der Autor prüfte mehrere hundert davon und fand, daß nur 8 Prozent auf dem oberen, 39 Prozent auf dem mittleren und 53 Prozent auf dem
unteren Ton enden. Bei den späteren Viertonmelodien ist der ebene Melodiever-
lauf zur seltenen Ausnahme geworden.
Auf dieser Stufe der Melodiebildung sind die logogenen und pathogenen Stile strukturellen Intervallen als einem zweiten Gestaltungsprinzip unterworfen. Die logogenen Melodien mit zwei und selbst mit drei Tönen, die im ersten Teil dieses Abschnittes erörtert wurden, befanden sich noch jenseits rationaler Inter-
vallvorstellung. Ausgehend von einem Anfangston schritt der Sänger willkürlich zum folgenden Ton weiter, so etwa wie ein Spaziergänger seine Schritte setzt, ohne sich dabei an irgendeine Regel zu halten außer an seine Bequemlichkeit. Der Ab-
stand dazwischen ist eine Distanz, die, obwohl sie durchaus in Cents meBbar ist,
keinem Naturgesetz gehorcht. Die meisten Melodien, die den Umíang einer Terz überschreiten, zeigen dagegen
das Bestreben, sich in bestimmten /ntervallen zu kristallisieren, d.h. in Tonab-
stánden, die durch einfache Schwingungsverháltnisse bestimmt werden: im Verhältnis 2 : 1 , das wir Oktave nennen, 3 : 2, der Quinte, 4 : 3, der Quarte. Die stárkste Anziehungskraft geht von der Quarte aus — und zwar aus physiologischen
Gründen; doch ist es hier am besten, das anzuerkennen, ohne irgendwelche Er-
klárungen zu versuchen. Solche magnetische Anziehung äußert sich in zweierlei Form. Einmal berichtigen sich Töne, die annähernd und unbeabsichtigt um eine Quarte oder eine Quinte voneinander entfernt sind, von selbst (mit mehr oder weniger Erfolg): Vier Töne einer Reihe irrationaler Sekunden unterwerfen sich dem Gesetz der Quarte und werden zum Tetrachord; eine Melodie mit zwei aufeinanderfolgenden Terzen, deren Außentöne sich ursprünglich nur auf den gemeinsamen Mittelton, nicht aber aufeinander beziehen, wird zu einem Pentachord, das der Größe einer
reinen Quinte angepaßt ist. Die andere Form dieser Anziehungskraft ist die ständige Rückkehr zu irgendeinem Grenzton, was als natürliche Folge zur melodischen Organisierung in Haupt- und Nebentóne führt. Und von hier aus óffnet sich der Weg zu den komplexen Strukturen höher entwickelter Völker. Doch trotz Überschneidung und Vermischung zeigt sich der ursprüngliche Dualismus der beiden entgegengesetzten Prinzipien selbst noch in der Komplexität höherer musikalischer Stile. Die ihnen eigenen Merkmale erscheinen wie bei Mendels Hasen und Pusteblumen — in der logogenen Reinheit chinesischer Musik und in dem feurigen Pathos balinesischer Orchester, in der Präzision indischer 39
Tanzlieder und der zügellosen Freiheit mongolischer Klagegesänge. Sogar noch deutlicher äußern sie sich in dem für Europa charakteristischen Wechsel zwischen statischen, „klassischen“ Stilen, deren Akzent auf formaler und innerer Ausgewogenheit liegt, und dynamischen Stilen mit ,,ewiger Melodie" und ungezügelter
Leidenschaft.
Es ist ein erregendes Erlebnis zu erfahren, daß das früheste bekannte Stadium der Musik in den Plapperliedchen kleiner Kinder in europäischen Ländern wiedererscheint. In diesem Fall wird das ontogenetische Gesetz vollauf bestätigt: Das Einzelindividuum faBt die Entwicklung der Menschheit zusammen. Wir verdanken Dr. Heinz Werner, dem ehemals in Wien tätigen Psychologen, eine plan-
mäßig ausgewählte Serie von Phonogrammaufnahmen,?? die klar die Ergebnisse unserer eigenen Untersuchung widerspiegelt. Die frühesten Versuche von
Kindern unter drei Jahren liefen auf Eintonlita-
neien hinaus und auf Melodien mit zwei, eine knappe kleine Terz voneinander
entfernten Tönen, deren unterer betont und häufig wiederholt wurde.
Im Alter
von drei Jahren brachten die Kinder Melodien mit zwei Tönen im Sekundabstand und sogar Dreitonmelodien hervor. Dreieinhalb Jahre alte Kinder sangen in absteigenden Tetrachorden. Fortwährende Wiederholung war das alleinige Formprinzip.
Beispiel 23: Geplapper europäischer Kinder (nach Heinz Werner)
Diese Kinder sind unverdächtig, auch nur durch ein einziges Merkmal unserer eigenen Musik beeinflußt worden zu sein. Daher müssen wir ihr Plappern als ontogenetische Wiederholung der frühesten Musik der Menschheit hinnehmen, und umgekehrt auch daraus folgern, daß die Musik der heutigen urtümlichsten Völker tatsächlich die erste Musik ist, die jemals existiert hat. 33 Heinz Werner, Die melodische Erfindung 1m frühen Kındesalter, in: Akademie der Wissenschaften in Wien, Phil.-Hist. Klasse, Sitzungsberichte, 182. Bd., 4. Abhandlung, Wien 1917.
4 Rhythmus und Instrumentalmusik Rhythmus® als Metrum und als Takt ist in der Zwei- und Dreitonkantillation noch unentwickelt. Die Einheit ist hier eine Textzeile oder eine kleine melodische Phrase, und was wir ein Stück nennen würden, ist nur eine willkürliche, ungeord-
nete Aneinanderreihung solcher Zeilen. Die Aufmerksamkeit reicht dabei nicht über die einzelne Zeile hinaus; sie endet mit dieser, und erwacht erst nach wenigen
irrationalen Augenblicken der Entspannung von neuem. Wenn die folgende Zeile mehr oder weniger Silben als die vorangegangene hat, pflegt der Sänger den Rhythmus der neuen Situation anzupassen, wiederum ohne viel Berücksichtigung des Ganzen, das tatsächlich als organische Einheit nicht existiert. Wenn ein europäisch erzogener Musiker solche Lieder in sein eigenes Notationssystem überträgt, hat er die unangenehme Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Die eine zwingt, ungenau zu sein und ein akkurates Eins-Zwei, Eins-Zwei vorzutäuschen, wo Unregelmäßigkeit typisch ist. Die andere Möglichkeit besteht darin, auch die Schläge pedantisch zu zählen, die gar nicht gezählt werden sollten, rasch zwischen fünf Vierteln und sieben und sechs Achteln zu wechseln und damit den Eindruck Strawinskyscher Vielfalt oder eines Chaos zu erwecken. All das widerspricht der naiven Haltung ursprünglichen Gesanges, der weder regelmäßig noch ausgeklügelt noch chaotisch ist. Der beste Weg ist wohl, jegliche Taktangabe und im allgemeinen auch Taktstriche zu vermeiden, geringfügige Schwankungen zu vernachlässigen und irrationales Verweilen besser durch Fermaten als durch genaue Symbole darzustellen. Die Koordinierung von Singen und körperlichem Rhythmus ist auf der Entwick-
lungsstufe der Wedda und bestimmter patagonischer Stämme noch schwach ausgebildet. Aber auf der nächst höheren Stufe ist fast jedes Singen dem beherrschenden rhythmischen Impuls unseres Körpers unterworfen, der in seiner einfachsten Form eine endlose, ungegliederte Folge gleicher Schläge darstellt. Sobald sich der Mensch einmal der Annehmlichkeit und der stimulierenden Wirkung solcher regelmäßigen Schlagfolgen voll bewußt geworden ist, singt er selten, ohne dabei in die Hände zu klatschen, auf den Boden zu stampfen oder den Bauch, die Brust, die Schenkel oder das Gesäß zu schlagen.?5 34 Vgl. Curt Sachs, Rhythm and Tempo, New York (1953).
35 Vgl. Curt Sachs, World History of the Dance, a. a. O., 25, und The History of Musical Instruments, a. a. O., 26.
41
Um die Wirkung zu verstärken, griffen urtümliche Sänger zu außerkörperlichen Vorrichtungen — Rasseln, Klappern, Stampfröhren und Irommeln — und schufen damit die Instrumentalmusik. Es kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß sich als natürliche Folge dieses kräftigen Zusammenschlagens eine Art rhythmischen Rauschzustandes einstellt. Der
Verfasser hat viele Fälle erlebt, wo eine beim Einheimischen bestehende Abneigung zu singen durch das Zusammenschlagen eines Bumerangpaares überwunden wurde.
In jedem Fall feuert es zu größerer Begeisterung an.?®
Der Mensch lauscht dem Sekundenticken seiner Uhr oder dem Rütteln des Eisenbahnwagens nicht, ohne die endlose Folge gleichförmiger Schläge in einen Wechsel akzentuierter und unakzentuierter Schläge zu zerlegen. Er gliedert das eintónige tick-tick in eine Folge von tick-tack-Perioden und verbindet weiter jeweils zwei dieser Perioden miteinander, um eine noch hóhere Einheit zu formen: ticke-tacke. Ticke-tacke ist mehr als bloB stark-schwach/stark-schwach.
Es ist auch hell-
schwach/dunkel-schwach oder spitz-schwach/stumpf-schwach. Zwei neue Elemente sind damit in die rhythmische Gliederung eingedrungen: Klangfarbe und Tonhöhe. Dieser Entwicklung kommen die Musikinstrumente entgegen. Stampfröhren treten in Paaren unterschiedlicher Länge, Weite und Tonhöhe auf, und Trom-
meln werden abwechselnd mit einem Stock oder mit der bloßen Hand, oder auf die Membran und den massiven Rand, oder auf zwei verschieden gestimmte Felle geschlagen. In Samoa, um ein konkretes Beispiel anzuführen, ‚Klingt das
Schlagen der Matten wie das Traben eines Pferdes, der erste Ton wird mit beiden Stöcken, der zweite mit nur einem Stock geschlagen — ein trochäisches Gebilde‘7 Das sich ergebende rhythmische Gebilde rührt in erster Linie von den persönlichen motorischen Impulsen des Spielers her, unter den besonderen Bedingungen von Stimmung und Anlage, Alter und Geschlecht, Rasse und Beruf. Aber auch Form und Spielhaltung des Instruments sind wichtige Faktoren. Der Spieler handelt durchaus verschieden, je nachdem, ob seine Trommel groß oder klein ist, ob sie vertikal oder horizontal gehalten wird, ob sie aufgehángt ist oder wie ein Steckenpferd gehalten wird, oder ob er von einer Trommel zu einem Xylophon oder zu irgendeinem anderen Instrument übergeht. Alles lenkt den persónlichen Bewegungsimpuls zu einer speziellen Technik hin, die die Verwirklichung der musikalischen Ideen bestimmt. Musiker kennen dieses Prinzip aus der heutigen abendländischen Praxis. Ein Organist improvisiert in einem anderen Stil als ein Flótist oder ein Geiger; jedes Instrument bringt seinen eigenen Stil hervor.?® 3€ E. H. Davies, a. a. O., 459.
3? Curt Sachs,
World History of the Dance, a. a. O., 38.
se Vgl. Curt Sachs, Prolegomena zu einer Geschichte der Instrumentalmusih, in: Zeitschrift für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1933, 55 —58; The History of Musical Instruments, a. a. O., 26, 37, 52.
42
Vokal- und Instrumentalstile vermischen sich in früher Musik niemals und konvergieren selten. Die Melodie ist keine abstrakte Idee, die wahllos auf Instrumenten oder mit der menschlichen Stimme verwirklicht werden kann. Tatsächlich erwartete man von keinem Instrument kantables Spiel, so wie wir es heute kennen. Das Spielen irgendwelcher Instrumente und das Singen poetischer Texte waren
getrennte
Verrichtungen,
die nicht in eins verschmolzen;
auch besaß keine ur-
tümliche Sprache ein Wort für unseren Sammelbegriff ‚Musik‘, der beides ein-
schließt.
So geschah es, daß sich die menschliche Stimme — von den starren Schlägen der Trommel unabhängig — in unbeschränkter Freiheit darüber entfalten konnte, ja, daß Singstimme und Trommel ohne jede Schwierigkeit zwei völlig verschiedenen Rhythmen folgen konnten — ein bemerkenswerter Mangel an Übereinstimmung, der ein besonders intensives Fühlen beweisen mochte oder auch nicht. Solches Fühlen ist sicherlich sehr stark bei einigen Stämmen in Indien ausgeprägt, wo sich überschneidende Rhythmen zu echter Polyrhythmik entwickeln. Fox Strangways hörte ein Eingeborenenpaar des Pänan-Stammes in Indien alternierend in einem Vierschlagmaß singen, während eine Rahmentrommel und ein Triangel
die Schläge in 3-2-3 beziehungsweise 2-2-4 Achtel einteilten:
Beispiel 24: Indien (nach Fox Strangways)
In einer anderen Pänan-Melodie fielen auf den zweiten, dritten und vierten Schlag der vierzeitigen Singstimmen jeweils Händeklatschen und auf das zweite, vierte, fünfte, siebente und achte Achtel Trommelschläge, wobei das zweite Achtel synkopiert wurde. 10 Scheinbare Synkopierung (obwohl nicht im gerade beschriebenen Beispiel)
erklärt sich oft aus der Tatsache, daß einige Völker“! die Hebephase beim Trommel-
schlagen als betonte Anspannung und die Schlag- bzw. Senkphase als unbetonte Entspannung auffassen. Das ergibt, wenn der Arm bei der ersten und dritten Zählzeit gehoben wird und bei der zweiten und vierten niederschlägt, eine inter-
essante Synkopierung nach unserer Terminologie, dagegen aber einen ganz direk-
ten und natürlichen Rhythmus für nordamerikanische Indianer und andere Völkerschaften. Eine solche Auffassung ist jedoch nur in Ländern möglich, wo Trommeln in der Regel mit Stöcken geschlagen werden, so daß die Arme mit einem gewissen Nachdruck zum Schlagen ausholen. Bei handgeschlagenen Trommeln und auch bei schneller Aufeinanderfolge von Schlägen mit einem leichten Stock ist die Hebephase praktisch bedeutungslos, und Schall und Hauptzählzeit fallen zusammen.
9 Robert Lachmann, Zur aufereuropäischen Mehrstimmigkeit, in: Beethoven-Zentenarfeier, Internationaler Musikhistorischer Kongreß, Bericht Wien, 1927, 324 ff. 40 A. H. Fox Strangways, The Music of Hindostan, a. a. O., 34.
“1 Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 215.
43
5 Mehrstimmigkeit Das tiefeingewurzelte Vorurteil, daß Harmonie und Polyphonie ein Vorrecht der mittelalterlichen und modernen westlichen Musikkultur gewesen seien, ist nicht stichhaltig. Auf keinem Kontinent und auf keiner der dazwischen liegenden Inselgruppen fehlen rudimentäre Formen von Mehrstimmigkeit. Wenn mehrere Sänger oder Instrumentalisten in gemeinschaftlichem Musizieren die gleiche Melodie singen bzw. spielen, sei es sukzessiv oder simultan, so nehmen
sie sich in Wirklichkeit die Freiheit, in kleineren Details zu variieren. Die Wieder-
holung einer Melodie stimmt nur selten mit ihrer ersten Form überein, und auch die Stimmen eines Chores oder eines begleitenden Gesanges gleichen sich einander nicht völlig an. Jeder Teilnehmer verwirklicht die melodische Idee nach seinem persönlichen Geschmack, seiner Fähigkeit und den besonderen Bedingungen von Stimme und Instrument. Niemand achtet auf zufällige Reibungen, die sich aus solchen Abweichungen ergeben, noch ist jemand um ihren konsonanten oder wenigstens sinnvollen Charakter besorgt. Ein temperamentvoller Sänger wird die langsameren Terzschritte seines Partners in schnellere Sekunden auflösen, eine weniger gut geübte Stimme mag übermäßig hohe oder tiefe Töne durch irgendeine Wendung oder Pausieren ersetzen; ein vorzeitig notwendiges Atemholen muß eine unangebrachte Kadenz zwischen den Teilen verursachen. Solche Heterophonie ist sicherlich eine recht negative Form des Zusammenwirkens — weder polyphon noch harmonisch und scheinbar ohne Gesetz. Aber diese eigenwillige Unordnung besitzt oft besonderen Charme, und niemand, der je die reichen und farbenprächtigen Sinfonien balinesischer und javanischer Orchester gehört hat, kann leugnen, daß Freiheit eine gute Grundlage künstlerischer Gestaltung ist. Oktavparallelen stellen sich als zwangsläufiges Ergebnis bei jedem Zusammensingen der beiden Geschlechter ein und finden sich deshalb auch bei Völkern niedrigster Entwicklungsstufe. Zunächst nicht beachtet, wurden sie später absichtlich gesungen. Auf derselben Entwicklungsstufe, z. B. auf Feuerland und auf den Andamanen, führt der Unterschied in der Stimmlage zwischen beiden Geschlechtern oder auch zwischen hóheren und tieferen Stimmen des gleichen Geschlechts zu parallelen Quarten und Quinten, die sogar noch in unserer eigenen Kultur
ohne Absicht des Sángers vorkommen.
Dennoch erklärt der Lagenunterschied menschlicher Stimmen das Singen in Parallelen nicht — zumindest nicht er allein; denn bei parallelen Terzen und 44
Sekunden haben die beiden Stimmen praktisch denselben Aktionsbereich. Diese Parallelen treten weder spontan noch unbeabsichtigt auf. Auch ist es nicht zulässig, von europäischem Einfluß zu sprechen. Parallele Terzen, die sich besonders häufig in Bantu-Afrika finden, sind oft dem Einfluß weißer Ansiedler zugeschrieben worden. Aber das beweist nichts. Es gibt in Afrika bestimmte alte Saiteninstrumente, die in aufeinanderfolgenden Terzen gestimmt sind.** Ein noch wichtigerer Beweis liegt darin, daß auf den westlichen Karolinen parallele Terzen als ein häufig wiederkehrendes charakteristisches Merkmal eines der frühesten musikalischen Stile der Menschheit vorkommen. Das folgende Beispiel wurde auf der Insel Mogemoc von elf Jungen und Mädchen im Chor gesungen. Es besteht aus nur drei Tönen in Sekundabstand, sowohl in der oberen wie in der begleitenden Stimme, so daß hier praktisch kein Beispiel 25: Karolinen (nach Herzog)
Unterschied im natürlichen Stimmbereich vorliegt. So ähnlich auch beide Stim-
men sind, sie unterscheiden sich doch in einem Punkt: Während die obere Melodie zwei Ganztonschritte umfaßt, besteht die untere aus einem Ganzton und einem
Halbton. Die daraus resultierenden Parallelen haben abwechselnd große und kleine Terzen — genau wie in Afrika und Europa. Besteht hier, auf einer sehr niedrigen Stufe, bereits eine Wurzel für unser harmonisches Empfinden, so embryonal und zum Verkümmern verurteilt es auch sein mag?
Die aufsehenerregendste Art der Parallelführung sind die Sekunden auf den westlichen Karolinen und den Admiralitäts-Inseln.*? Die dieser fortlaufenden Reibung unterworfenen Melodien sind im Umfang auf zwei oder drei Töne beBeispiel 26: Karolinen (nach Herzog)
schränkt. Das erklärt wahrscheinlich auch, warum die Begleitstimme in so knappem Abstand folgt. Hier wie auch anderswo erscheint der mehr oder weniger große Abstand der Melodie häufig, um den Zwischenraum zwischen den beiden Stimmen deutlich zu machen. 42 Curt Sachs, Les Instruments de Musique de Madagascar,
Paris 1938, 53.
48 George Herzog, Die Musik der Karolinen-Inseln, a. a. O , 270ff.
45
Ein seltsames Gegenstück bietet das Singen paralleler Sekunden in Istrien am nördlichen Rande der Adria,* das einmal mehr zeigt, wie klein der Unterschied zwischen urtümlicher und europäischer Volksmusik ist. Bordune, das sind ausgehaltene Töne ober- oder unterhalb einer Melodie, besitzen vergleichsweise wenig Bedeutung in urtümlicher Musik. Eine Kubufrau mag zwar
einen
hohen
Ton
aushalten,
während
hergestelit
wurde,
der Mann
eine einfache
Zweitonmelodie
singt,55 aber solche durchgehenden Bordune sind selten. In den meisten Fällen werden Bordune regelmäßig oder unregelmäßig unterbrochen. Auf einer Phonogrammaufnahme von der Insel Lifu im Loyalty-Archipel, die für die Archives de la Parole
in Paris
fand
der Autor
ein kurzes,
zu einem
aus-
gehaltenen |’ führendes Motiv aus drei Achtelnoten, das einige zwanzig Male von
einem Frauenchor wiederholt wurde, während eine einzelne Frauenstimme oder
ein zweiter Chor sekundierte und gegen das f’ ein g' setzte. Unregelmäßige BorBeispiel 27: Lifu, Loyalty-Inseln (transkribiert von Curt Sachs)
dune sind häufiger. Eine Einzelstimme oder ein Chor, die die Melodie begleiten, wiederholen z. B. irgendeinen Ton, während die andere Stimme auf- oder absteigt oder auf einer Art Fermate verweilt. In solchen Fällen scheint die Borduntechnik nicht völlig außerhalb jener Entwicklungsperiode zu stehen, in der aus
Zufall Absicht wird. Mit Bestimmtheit Heterophonie.
handelt es sich hier um
einen Fall von
Antiphonte entstand aus den beiden Formen der Wiederholung, aus der Reihung und der Symmetrie. Sie ist fast unvermeidbar, wenn in Arbeits- oder Tanzgruppen zwei singende Chöre oder zwei Solosänger oder ein Solist und ein Chor einander abwechseln, um einfach der Erschöpfung zu entgehen bzw. um dem Dualismus in irgendeiner
Pantomime
stärkeren
Ausdruck
zu verleihen,
z. B.
Kampf,
bung, oder dem Streit zwischen dem hellen und dem dunklen Mond.* Immer
dann, wenn
fortwährende Antiphonie
— ohne den regelnden
Wer-
Einfluß
von Tanzbewegungen — zu langweilig wird, beginnen ungeduldige Sánger bereits 4 Ludwig Kuba, Einiges über das istro-dalmatinische Lied, in: III. Kongreß der Internationalen
Musikgesellschaft,
Bericht Wien
1909,
271—276.
Vgl.
auch
Ernst Th.
Ferand, T he ‘Howling in Seconds’ of the Lombards, in: The Musical Quarterly 1939,
X XV/3,
313 — 324.
45 Vgl. Erich M. von Hornbostel, Über die Musik der Kubu, in: B. Hagen, Die Orang Kubu auf Sumatra, Frankfurt a. M. 1908, Nr. 25 und in: Sammelbánde gleichende Musikwissenschaft I, 1922, 374 (25).
für Ver-
44 Curt Sachs, World History of the Dance, a. a. O., 155ff. Nguyen Van Huyen, Les Chants alternés des garçons et des filles en Annam,
46
Paris 1933.
mit der Wiederholung, ehe die anderen ihren Abschnitt richtig beendet haben. Das Ergebnis ist ein Kanon im Einklang. Es war eine der größten unter den zahlreichen Überraschungen für die moderne Musikwissenschaft, als man herausfand, daß die Samoaner, ja die urtümlichen Semang im Dschungel von Malakka und gewisse Pygmäenstämme in den sumpfigen Wäldern zwischen den Quellen des Nil und Kongo solche überlappende Antiphonie zu regelrechtem Kanongesang entwickelt hatten: Beispiel 28: Moni, Malakka (nach Kolinski)
Auf der malaiischen Insel Flores entwickelte sich sogar eine ausgefeilte Kombination eines von Frauen gesungenen Kanons über einem doppelten Bordun, den Männer auf der Tonika und Quinte aushielten. Eine eindringlichere Warnung gegen das Vorurteil einer ,plausiblen' Entwicklung von einfachen zu komplizierten Formen könnte kaum erteilt werden. Beispiel 29: Flores (nach Jaap Kunst)
-
M EE MED D MS UD
6 Schluß Trotz solcher Leistungen ab als von theoretischer übertüncht werden kann liche Sänger könnten sich größerer
emotionaler
hängt urtümliche Musik eher von Routine und Instinkt Überlegung. Das ist ihre Schwäche, die durch nichts — auch nicht durch das irrtümliche Argument, urtümgerade wegen des Mangels an intellektuellen Regeln mit
Intensität
äußern
als ausgebildete
Musiker,
die ihre
In-
spiration durch das einengende, festgefügte Gewebe von Regeln und Technik filtern. Dieses Argument ist unbegründet, weil in urgesellschaftlichen Verhältnissen die Schwerfälligkeit der Tradition, die unerbittlicher ist als es irgendein gut durchdachtes System sein könnte, jede spontane Geste verurteilt. Trotz dieses Eingeengtseins hat eine Tatsache die Entwicklung und Vervollkommnung gesichert: der ursprüngliche Dualismus zweier verschiedener, ja entgegengesetzter Singstile. Der eine davon, der sich von der Kantillation herleitet, war logogen oder ,wortgeboren‘. Seine Melodien begannen mit nur zwei Tönen — was einen ebenen Verlauf ergab — und wurden durch unaufhörliche Wiederholung eines winzigen Motivs ausgesponnen. Die Entwicklung war additiv. Mehr und mehr Töne kristallisierten sich in bestimmten Abstánden um diesen zweitónigen Kern herum. Aber
schon
ehe
diese
Entwicklung
einsetzte,
entwickelten
Völker
niedrigster
Kultur-
stufe die endlose Wiederholung zur Symmetrie beantwortender Phrasen weiter, nahmen die Tonika vorweg, erfanden die Sequenz und gingen zum mehrstimmigen Singen und sogar zur strengen kanonischen Imitation über. Den anderen Stil, der sich von Affektausbrüchen und motorischen Impulsen herleitet, nannten wir pathogen. Seine Melodien drängten, ungebándigten Katarakten vergleichbar, in abwärtsstrebende Richtung. Die Entwicklung war divisiv. Oktaven zeichneten sich ab, später Quinten und Quarten, die anstelle eines Kernes ein festes Gerüst bildeten. Alle höheren melogenen Formen entstanden durch das Zusammentreffen und Vermischen dieser beiden Grundstile. Dieser Prozeß wiederum stellte sich zwangsläufig ein, seit Wechselheirat, Handel und Krieg der Stammesisolierung und der allmächtigen Tradition entgegenarbeiteten. Das regte zum Vergleich an und dadurch zur Unterscheidung gemeinsamer und abweichender, annehmbarer und unannehmbarer Züge. In dieser ständigen Umordnung bildeten Einsicht, Wissen und wissenschaftliche Methode das Gegengewicht zu den negativen Kräften wie Trägheit und Nachahmung. Aber der geistige Prozeß, der nötig war, um von bloßer Nachahmung zu bewußter Schöpfung zu gelangen, überstieg die Fähigkeit der urgesellschaftlichen 48
Menschen. Sie entwickelte sich möglicherweise, als der Zusammenschluß der Stämme irgendwo in Asien das Phänomen hervorgebracht hatte, das wir ‚Hochkultur‘ nennen. Dank der Wissenschaft, die die Hauptleistung der Hochkulturen
ausmachte, entwickelte sich Musik zur Kunst. Mathematiker waren nötig, um in
Zahlen und Verhältnissen auszudrücken, was in einem ihr eigenen imaginären, unmeßbaren Raum zu existieren schien. Und seit Analyse und Synthese Funktionen der Logik geworden waren, bedurfte es auch der Philosophie, um die Melodie in Einzeltöne und Intervalle aufzulösen und diese Elemente in immer wieder neuer Gestaltung aufzubauen.
4
Sachs, Musik
Zweites
Kapitel
Der westliche Orient
1 Hochkultur und Musik Naives Denken neigt dazu, Entwicklungen, die niemals von einzelnen Menschen abhängig waren, zu personifizieren und sich langsame und einfache Entwicklungsvorgänge als dramatische Schöpfungsakte vorzustellen. So wurde Göttern und vergötterten Sterblichen die Erschaffung der musikalischen Kunst zuge-
schrieben. Die Bibel erhebt Adahs Sohn Jubal zum ,,Vater aller derer, die Leier
und Flöte handhaben“. Der ägyptische Gott der Weisheit, Thot, soll zweiundvierzig Bücher mit Abhandlungen über Astronomie, Akustik und Musik verfaßt haben und gilt auch als Erfinder der Leier. Apollo, der griechische Gott der Weisheit, des Lichts und der Ordnung, spielte die Kithara, während der indische Erfinder der Harfe, Nārada, durch die Göttin der Gelehrsamkeit,
der Sprache und der Redekunst zur Welt kam und ein Gesetzgeber und Astronom war. Nur die Chinesen machen eine Ausnahme. Die Anfänge der Musik, so sagen sie, liegen weit zurück, und sie wurde auch nicht durch eine einzige Generation erschaffen.! Eine Tatsache hebt sich mit eindringlicher Klarheit aus all dieser mythischen Unbestimmtheit ab: Die Hochkulturen führten die Musik von der Stufe ungebundenen Instinktes und engbegrenzter Tradition auf die Höhe von Gesetz und Logik, Maß und Zahl. Musik war berufen, ihren Platz unter den freien Künsten einzunehmen, noch lange bevor Alexandriner Gelehrte sie in das klassische Quadrivium mit Arithmetik, Geometrie und Astronomie Grammatik, Rhetorik und Dialektik einordneten.
und
das Trivium
der
Mit Hilfe der Wissenschaft wurden Theorie und Praxis der Musik auf Zahlen und Verhältniswerte, auf Analyse und Synthese gegründet, um das Herstellen und Stimmen von Instrumenten, die Bestimmung von Konsonanz und Dissonanz,
1 Lü Bu We, Schi Tschun Tstu (drittes Jahrhundert v. u. Z.), übersetzt von Richard Wilhelm, Frühling und Herbst des Lü Bu We, Jena 1928, 66.
50
2 Musikalische Systeme im allgemeinen Keine direkte Quelle gibt Aufschluß über das Wesen hebräischer Melodien, auch wissen wir nicht, wie die Tempelsänger Ägyptens und Babyloniens ihre Gesänge einrichteten. Aber eins ist sicher: Wo immer unter Musikern eine höhere von einer niedrigeren Klasse unterschieden, wo immer das offizielle Vorbild eines Bildungszentrums anerkannt wurde, da müssen Gesetz und Logik, Maß und Zählen wirksam gewesen sein. Heman, Asaph, Jeduthun und ihre Kollegen in Mesopotamien und Ägypten verfügten über die Begriffe ‚korrekte‘ und ‚fehlerhafte‘ Musik; sie besaßen ein System. Ein System ist, ganz allgemein ausgedrückt, die spezifische Organisation des
musikalischen
Raumes,
gebundenen Stil.
bezogen
Alle solche Systeme beruhen
auf
einen
bestimmten
nationalen
auf einem vorsystematischen
oder
Bestreben:
zeit-
‚einen
kühnen Sprung nach dem nahesten konsonanten Ton", wie Herbert A. Popley
es hübsch ausdrückt, zu machen, mit anderen Worten, sich in einem oder mehreren
der drei dem Menschen angeborenen konsonanten Intervalle zu kristallisieren: der Quarte, der Quinte und der Oktave. Diese Intervalle verleihen einer melodischen Bildung ein festes Skelett, sie heben bestimmte Töne im Vergleich zur Pause oder zum Vorhalt heraus, kurz, sie bewahren die Melodie davor, in Gesetzlosigkeit unterzugehen. Wo die Quarte als strukturbildender Faktor wirksam ist, ordnet sich die Melodie in ein T'etrachord ein (von griechisch tetra — vier), das heißt, in ein melodisches Grundgerüst, das eine Quarte umspannt und gewóhnlich ein oder zwei Füllnoten geringerer Bedeutung enthält. An Umfang größere Melodien, deren Struktur durch die Quarte bestimmt wird, schlagen sich in zwei solchen miteinander verketteten oder ‚verbundenen‘ Tetrachorden nieder, so daß der Kontaktton zu beiden gehört und als Zentral- und Hauptton der Heptade (Siebentonreihe) fungiert. Wo andererseits die Quinte strukturbildend in Erscheinung tritt, fügt sich die Melodie in ein Pentachord ein (von fente — fünf), das heißt, in ein melodisches Grundgerüst, das eine Quinte umspannt und gewóhnlich ein, zwei oder drei Füllnoten geringerer Wichtigkeit enthält. Die Hauptbetonung liegt auf dem unteren Grenzton. Eine pentachordale Melodie schlágt sich, wenn ihr Umfang entsprechend ausgedehnt ist, fast niemals in zwei Pentachorden, sondern, und hier macht sich der
gebieterische EinfluB der Oktave geltend, in der Verbindung eines Pentachords mit einem Tetrachord nieder. Diese vollkommenste Form einer Skalenordnung vereinigt die drei angeborenen Intervalle in sich: Oktave, Quinte und Quarte.
37
Die Verbindung eines Pentachords und eines Tetrachords läßt zwei Kombinationsmöglichkeiten zu, die zugleich unterschiedliche, ja, entgegengesetzte Formen innerer Gewichtsverteilung einschließen. Modernen Musikern, die im Verlauf ihrer Kontrapunktstudien mit dem Dualismus der mittelalterlichen Kirchentóne bekannt geworden sind, sind sie unter den Begriffen authentisch und plagal geläufig. In der sogenannten authentischen Kombination befindet sich das Tetrachord im oberen Abschnitt der Leiter. Der tiefste Ton der Oktave wird zur Finalis oder Tonika und die in der Mitte liegende Quinte zur Confinalis oder Dominante. In der plagalen Kombination ist das Pentachord oben. Die Finalis oder Tonika verschiebt sich zur Mitte um eine Quarte, vom tiefsten Leiterton aus gerechnet, der zu einer Art Confinalis oder Dominante wird. Mittelalterliches Dorisch, zum Beispiel, besitzt die beiden Kombinationen: authentisch:
plagal:
DEFGAHCD
AHCDEFGA
Aber diese Bezeichnung ist irreführend und sollte besser vermieden werden. Sie deutet an, daß die authentische Form primär und die plagale sekundär ist. Tatsächlich aber ist es genau umgekehrt. In Indien stellt der ,plagale' Sa-grama die Grundform dar, demgegenüber der authentische Ma-gräma weniger wichtig war und
schon
im sechzehnten
Jahrhundert
verschwand.
In Griechenland
be-
saßen die primären Skalen Dorisch, Phrygisch und Lydisch die ‚plagale‘, und die Hypo-Skalen die ‚authentische‘ Form. Statt dessen schlage ich zwei Begriffe vor, die sich zwar nicht vom Griechischen
herleiten und auch nicht so eindrucksvoll sind, dafür aber den tatsächlichen Unter-
schied auf einfachste Weise bezeichnen, ohne mit irgendwelchen spezifischen Merkmalen, die die Skalenbildungen in den verschiedenen Ländern und Systemen aufweisen könnten, in Konflikt zu geraten: hochquint (Fifth on top) für ,plagal' hochquart (Fourth on top) für ,authentisch' Wenn nun angenommen wird, daß alle jemals verwendeten Töne einen festen
Platz innerhalb dieser beiden Grundgerüstformen finden müDten, so erweist sich
das bei náherer Betrachtung nicht nur als unmóglich, sondern auch als nicht
wünschenswert.
Unmöglich,
weil Sänger,
indem
sie ihren
jeweils
wechselnden
Einfällen und motorischen Impulsen folgen, die Quarte und Quinte mit einer praktisch unbestimmbaren Anzahl verschiedener Stufen ausfüllen, die niemand kodifizieren könnte oder wollte. Und nicht wünschenswert, weil die Brauchbarkeit der meisten Instrumente von der größtmöglichen Wandelbarkeit weniger Töne
abhängt, das heißt, von Auswahl und Normierung. Um diese beiden Ziele zu erreichen, ist das Ordnungsgefüge, das einem System eigen ist, dreifach: hinsichtlich Tonhöhe, Tongeschlecht und Modus.
Auf die Behandlung der Tonhöhen kann hier verzichtet werden, da sie selbst-
verständlich und in diesem Zusammenhang belanglos sind.
Das Tongeschlecht kennzeichnet ungefähr die (im wesentlichen) unteilbare Größe der verwendeten Stufen. Das diatonische oder heptatonische Tongeschlecht
58
setzt sich aus Ganz- und Halbtónen zusammen, das moderne Zwülfton-Geschlecht
aus Halbtönen, das pentatonische Tongeschlecht aus kleinen Terzen und Ganztönen oder großen Terzen und Halbtönen oder ähnlichen Kombinationen. Die genauen Größen dieser Stufen legten die Griechen in den sogenannten ,,Färbungen‘
fest; das abendländische
diatonische Tongeschlecht,
zum
Beispiel, gab es
in zahllosen Formen ungleichschwebender Temperatur ebenso, wie es sich in der gleichschwebenden Temperatur moderner Klaviaturen findet. Das Tongeschlecht liefert zwar nocli'keine wirkliche Skala, wenigstens aber einen festen, an keine bestimmte Tonhóhe und keinen Anfangs- oder Endton gebundenen Stufenzirkel. Die scheinbar groBe Anzahl verschiedener Anordnungsmóglichkeiten, beispielsweise zweier kleiner Terzen und dreier Ganztóne innerhalb einer pentatonischen Oktave ist praktisch auf zwei beschránkt ; denn nicht mehr als eine
Terz findet in einem Tetrachord
Platz, entweder
oberhalb
oder unterhalb
des
Ganztones. Beide Móglichkeiten sind augenscheinlich latent in jeder Tonreihe vorhanden, die — genau wie im Falle der schwarzen Tasten unseres Klaviers — die beiden kleinen Terzen jeweils durch abwechselnd zwei und drei Ganztóne voneinander trennt:
... Cis Dis Fis Gis Ais Cis Dis ... -JI
[
Die oberen Klammern
]
bezeichnen die Tetrachorde, in denen die Terz unterhalb
des Ganztones liegt, und die unteren Klammern diejenigen mit der Terz oberhalb
des Ganztons. Selbst wenn die Tetrachorde verbunden statt unverbunden sind, erscheinen die
daraus entspringenden Heptaden in der gegebenen Tonfolge: IT
... Cts
Dis Fis Gis H... [|
In ähnlicher Weise enthält der einfache Fall des diatonischen oder heptatonischen Tongeschlechts über unverbundenen Tetrachorden einen Halbton in jedem Tetrachord, der entweder am oberen Ende, in der Mitte oder am unteren Ende liegt. Bei allen diesen drei Möglichkeiten sind die Halbtöne abwechselnd eine Quarte
oder eine Quinte voneinander
entfernt, so daß sie (wie bei den weißen
Tasten unseres Klaviers) wechselweise durch zwei oder drei Ganztöne getrennt sind. Das ist also eine weitere Tonreihe ohne absolute Tonhóhenfestlegung und ohne Kennzeichnung des Ausgangs- bzw. Endpunktes, die wieder am besten durch einen Kreis dargestellt werden kónnte. Ein
Modus
entsteht,
wenn
der
Kreis,
wie
Mathematiker
sagen
würden,
zum
‚Zyklus‘ und zur ,Uhr' gewandelt wird. Der Zyklus, ein Kreis mit einem Zeiger
darin, bezeichnet die Richtung, in der sich der Kreis entwickelt, im oder entgegen
dem Uhrzeigersinne: Ein Modus ist entweder aufsteigend oder absteigend, wenigstens in seiner vorherrschenden Richtung. Die Uhr ist ein Kreis, auf dem ein 39
Punkt
als der Anfangspunkt
hervorgehoben
ist: Ein Modus wird zuwege ge-
bracht, indem ein Ton aus der endlosen Reihe als Ausgangston oder Tonika aus-
gewählt wird. Obwohl sich alle Modi eines Tongeschlechts von derselben Tonreihe
herleiten, unterscheiden sie sich voneinander in den tonalen Beziehungen inner-
halb der Oktave, da ihre Grundtöne verschieden sind. Jeder Modus schließt eine ihm eigentümliche Struktur und Spannung ein. Das zeigen am besten die allen Musikern von ihren kontrapunktischen Studien her geläufigen Kirchentône. Die weißen Tasten des Klaviers liefern die endlose Tonreihe des diatonischen Tongeschlechts. Der sogenannte Dorische Ton beginnt mit D und besitzt einen Ganzton (G) als erste und einen Halbton (h) als zweite Stufe, der sogenannte Phrygische Ton beginnt auf E mit einem Halbton als erster und einem Ganzton als zweiter Stufe, der Lydische Ton beginnt auf F und hat zuerst drei Ganztonschritte, der Mixolydische Ton beginnt auf G mit zwei aufeinanderfolgenden Ganztonschritten: Dorisch Phrygisch Lydisch
Mixolydisch
GhGGGhG hGGGh GG GGGhGGh
GGhGGhG
Mit anderen Worten, die verschiedenartigen Modi eines Tongeschlechts erscheinen als Oktavreihen (mitunter auch als Heptaden), bei denen nacheinander der tiefste Ton einer jeden abgetrennt und am oberen Ende der nächsten Reihe wieder angefügt wird oder umgekehrt. In Hinblick auf eine kurze, prägnante Terminologie werden wir diese Umbildungen Ecktonversetzungen (toptail inversions) nennen. Es ist fast unnötig zu betonen, daß solche Verschiebungs- und Versetzungsoperationen eher ein theoretisches Hilfsmittel darstellen, als daß sie dem Wesen des Modus entspringen. Der Modus ist nicht das Ergebnis irgendeiner toten Abstraktion, sondern leitet sich von lebendigen Melodien ab, die unter dem Zwang veränderlicher emotionaler Disposition und wechselnder Tradition bald in großen, bald in kleinen Intervallen feste Gestalt annahmen. Von diesem Standpunkt aus gesehen ist es ratsamer, alle Modi eines Tongeschlechts in den gleichen Oktavraum
zu projizieren (oder, wenn authentische
und plagale Modi demonstriert werden sollen, in einen Bereich von anderthalb Oktaven), so daß alle dieselbe Tonlage und die gleiche Tonika besitzen. Jedenfalls ist das Nebeneinander der Modi meistens durch solche Projektion verwirklicht worden,
und zwar besonders
von
Instrumentalisten,
die wegen
der begrenzten
Anzahl der auf den meisten Instrumenten zur Verfügung stehenden Töne gezwungen waren, alle gebräuchlichen Skalen auf der Grundlage möglichst vieler gemeinsamer Töne zu koordinieren. Die Zuordnung zu einem Modus ist im allgemeinen leicht. Eine Melodie, die den Umfang einer Oktave erreicht oder sogar überschreitet, wird deutlich erkennen lassen, ob das Pentachord oberhalb oder unterhalb des Tetrachordes liegt. Wenn
dann die Struktur als plagal oder authentisch bestimmt worden ist, wird der Mo60
dus aus der Beschaffenheit des Tetrachords ersichtlich. Gewöhnlich werden den
drei
modalen
Tetrachorden
die
griechischen
Namen
Dorisch,
Phrygisch
und
Lydisch gegeben. Aber das ist nicht empfehlenswert. Seitdem nämlich diese Ausdrücke im Mittelalter irrtümlich durcheinandergebracht wurden, sind wir niemals
sicher, ob ,,Dorisch“ ein Tetrachord mit dem Halbton am untersten Ende bezeichnen soll wie in Griechenland, oder mit dem Halbton in der Mitte wie in der mittel-
alterlichen Musik. In unserem Buch schließen wir konsequent die mittelalterlichen
falschen Bezeichnungen aus, fügen aber sicherheitshalber das Beiwort ‚‚griechisch‘
hinzu, wenn wir die Termini Dorisch, Phrygisch oder Lydisch gebrauchen. Noch besser wáre es jedoch, auf die griechischen Bezeichnungen überhaupt zu verzichten und statt dessen die modalen Tetrachorde und Oktaven auf die weiBen Tasten des Klaviers zu übertragen und sie mit englischen oder auch italienischen
Tonnamen zu benennen, die in nicht-lateinischen Lándern mehr die Bedeutung einer relativen als absoluten Stellung der Stufen innerhalb der Skala besitzen. Griechisches Lydisch und Dur sind, da sich der Halbton oben befindet, Do-Modi, ganz gleich, ob Do ein aufsteigendes Tetrachord Do Re Mi Fa oder ein absteigendes Tetrachord Do Si La Sol einleitet. In ähnlicher Weise sind griechisches Phrygisch und mittelalterliches Dorisch Re-Modi und griechisches Dorisch und mittelalter-
liches Phrygisch Mi-Modi. Die übrigen vier Symbole Fa Sol La Si verbinden nicht gleichartige Tetrachorde und können darum auch nicht ohne Gefahr eines Mißverständnisses Tetrachorde bezeichnen. Dagegen bezeichnen sie ordnungsgemäß die Endtóne der Oktavgattungen. Griechisches Hypolydisch und mittelalterliches Lydisch sind Fa-Modi, griechisches Hypophrygisch und mittelalterliches Mixolydisch sind SolModi, griechisches Hypodorisch und mittelalterliches Áolisch sind La-Modi urid griechisches Mixolydisch ist ein Si-Modus. Wenn die Melodie den Umfang einer Oktave nicht erreicht, ist die Analyse oft schwieriger, aber in den meisten Fällen doch durchführbar.
Wichtig ist hier die
strenge Unterscheidung zwischen tetrachordalen und pentachordalen Melodien. In pentachordalen Strukturen wird die Terz stárker als die Quarte betont. Skalen, die unentbehrlich sind, wenn
Systeme dargestellt werden sollen, ordnen
die Töne, die in einem bestimmten Modus auf einer bestimmten Tonhóhe ver-
wendet werden, Stufe für Stufe in einer Reihe an. Sie erstrecken sich im engeren
Sinne vom Grundton eines Modus bis zu seiner Oktave und berücksichtigen alle völlig ausgebildeten Töne, lassen aber die aus, die sich aus zufälliger Abänderung oder Modulation ergeben. Moderne Musiker setzen die Skala als selbstverstándlich voraus. Sie sind geschult in analytischen Verfahren, lebendige Melodien in tote Tóne zu zerstückeln, aus denen dann irgendeine gewünschte Anzahl neuer Melodien zusammengesetzt werden kann. Sie nehmen als selbstverständlich an, daß diese Töne dazu da sind,
um in einer von unten nach oben in Stufen eingeteilten Ordnungsreihe betrach-
tet und verwendet zu werden. Ihnen fehlt jede Vorstellung, wie abstrakt und un-
natürlich solche Ordnung ist, sofern sie nicht Forschungen auf dem Gebiet der 61
exotischen
oder Volksmusik
betrieben
und
versucht
haben,
die von ihnen
be-
fragte Person zu veranlassen, die Skala zu singen oder zu spielen, auf der nach abendländischer Ansicht ihre Melodien beruhen. Ein von westlicher Zivilisation unberührt gebliebener Mensch wird lange Zeit brauchen, bis er überhaupt versteht, wonach er gefragt wurde, und ebenso wird er in Verlegenheit geraten, wenn er eine Skala konstruieren soll. ‚Es ist seltsam", schreibt Fox Strangways über einen Kadar-Musiker, den er in Indien traf, ‚wie schwer es war, Aufschluß über
die Skala dieses Instruments zu erlangen. Der Spieler konnte sich nicht vorstellen, daß man einen einzelnen Ton für sich allein spielt, er versah ihn ständig mit einer Verzierung, wodurch er anschaulich zeigte, wie untrennbar eine Verzierung selbst von der einfachsten musikalischen Phrase ist. Zuletzt erreichte ich aber doch mein Ziel, indem ich nacheinander selbst seine Finger herunterdrückte.‘“!? Für den naiven Spieler hat ein Ton, der aus seinem melodischen Zusammen-
hang herausgelóst wird, nicht mehr Bedeutung als etwa ein aus dem Fell eines
Tieres herausgezupftes Haar.
Hoch und tief sind dagegen in der ganzen Welt übliche Metaphern gewesen. Denn sie entstammen motorischen Impulsen und Reflexen. Bis heute passen die Hindus, die die Veden singen lernen, die Haltung des Kopfes streng den drei Kantillationstónen an. Sie geben ihm eine normale Lage für den Mittelton wdüfta, neigen ihn bei dem tieferen Ton anudàtta und heben ihn bei dem höheren Ton svar:ta.!* Die Assoziierung der räumlichen Begriffe „hoch“ und ,,tief“ mit Klangqualitáten ist dennoch nicht folgerichtig.
Der Westen nennt Klänge mit mehr Schwingungen pro Sekunde Aóher. Soprane
sind ,,hohe'' Stimmen und Bässe ,,tiefe'' Stimmen, und der Vokal: ist „höher“ als.
Die alten Griechen taten gerade das Umgekehrte. Den tiefsten Ton der Skala
nannten sie hypdté — „hoch“, und den höchsten Ton nété — „tief“.
Der semitische Orient besitzt genau dieselbe Terminologie wie die Griechen. Die
jüdischen Grammatiker
nannten
o und 4, die dunkelsten
Vokale, hagbäha, von
gavoah — „hoch“. In hebráischer Schrift bedeutet ein Punkt unterhalb eines Kon-
sonanten, daß auf ihn der Vokal: folgt und ein Punkt darüber, daB ein o anschließt. In ähnlicher Weise schreiben die Araber einen kurzen schrägen Strich unterhalb
des Konsonanten, um anzuzeigen, daß darauf ein : folgt. Steht er dagegen darüber, so zeigt er an, daß auf den Konsonanten ein a folgt. Die Araber nennen die :Gruppe von Vokalen kafd —
„Senkung“
und eine Männerstimme
,,hoch", wäh-
rend eine Frauenstimme ,,tief'' 166.15 Entsprechend ‚springen sie hinauf‘ zu einer tieferen Note und nennen die tiefste Lautensaite bamm
Die Originalbedeutung
von
„höher“
— „höchste“.
im semitischen Orient entsprach nicht
unserem ‚in größerer Höhe‘, sondern unserem ‚länger‘, gerade wie die längsten
Orgelpfeifen die tiefsten Töne hervorbringen. 13 A. H. Fox Strangways,
The Music of Hindostan, a. a. O., 32.
14 Martin Haug, Über das Wesen und den Werth des wedischen Accents, in: Abhandlungen der Philos.-Philol. Klasse der Kgl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften XIII/2, München
15 Eberhard Hommel, 62
1873, 20.
Untersuchungen zur hebräischen Lautlehre I, Leipzig 1917, 47ff.
3 Musik im alten westlichen Orient Auf ägyptischen Reliefs und Wandmalereien ist die Musik meist mit solchen Szenen aus dem Leben der Vornehmen verknüpft, die die Künstler abbildeten, um dem
Toten in seinem zukünftigen Dasein Glückseligkeit und Freude zu sichern, ja direkt zu erzwingen. Festgelage mit Sängern, Spielern und Tänzern gibt es viel häufiger als Tempelzeremonien (s. Abb. 2 und 3). Knieende Instrumentalisten spielen Harfe oder blasen Flöte, während Sänger ihnen gegenübersitzen, um besser Takt halten zu können. Viele dieser Ensembles sind richtige Orchester; man sieht zum Beispiel auf einem Relief sieben Harfen und sieben Flöten. Das ist ein wichtiges Zeugnis, da ja die Schlußfolgerung nahe liegt, daß die Künstler bei vielen Darstellungen die Anzahl der Teilnehmer einfach aus Mangel an Raum reduziert haben könnten. Instrumentalorchester ohne Sänger wurden augenscheinlich noch nicht geschätzt.16 Die Hauptinstrumente waren die oft wundervoll verzierten Harfen. Wir wissen nur zufällig durch ein einziges Wort, das sich in einer unvermuteten Quelle verborgen fand, in welcher Weise sie gestimmt wurden. In den Jüdischen Altertümern, die Flavius Josephus, der jüdische Historiker und Feldherr, im ersten Jahrhundert n. u. Z. schrieb, wird die ägyptische Harfe als ein von Tempelharfenisten (hseropsaltat) gebrauchtes órganom trigonon enarmönion bezeichnet. Die ägyptische Harfe wurde also enharmonisch gestimmt. An dieser Aussage gibt es absolut keinen Zweifel. Das enharmonische Tetrachord, wie es die Griechen verstanden, setzte sich aus einer großen Terz und einem
Halbton zusammen. Der Ausdruck bezieht sich auch auf eine Heptade aus zwei solchen Tetrachorden, die durch einen gemeinsamen Ton miteinander verbunden sind, oder auf eine Oktave aus zwei solch unverbunden nebeneinanderstehenden
Tetrachorden. Später spalteten die Griechen den Halbton in zwei Mikrotöne; aber diese ‚moderne‘ Spielart kann bei den ägyptischen Tempeln mit ihrer vieltausendjährigen Tradition nicht in Betracht kommen. Folglich lautete die Skala annähernd
A F E C H. Sie kehrte in den höheren und tieferen Oktaven so oft wieder, wie es
die Anzahl der vorhandenen Saiten zuließ. Das bedeutet, daß die Ägypter dieselbe archaische Skala besaßen, die die Griechen als ihr áltestes Tongeschlecht priesen und die die Japaner bis zum heutigen Tage bewahrt haben. 16 Vgl. die Illustrationen in: Curt Sachs, Die Musikinstrumente des alten Ägyptens, Berlin 1921, Abbildungen 73, 76, 109, 109a,
112.
63
Man kann kaum annehmen, daß die Leiern, die im fünfzehnten Jahrhundert
v.u.Z. in Ägypten auftauchten, das heißt, ungefähr zwölf oder dreizehn Jahr-
hunderte später als Harfen auf den Reliefs erschienen, demselben Tongeschlecht
mit Großterzpentatonik verpflichtet waren. Josephus nannte ausdrücklich die Harfen enharmonisch, nicht aber die ganze ägyptische Musik. Außerdem waren sowohl im alten Griechenland wie im modernen Nubien und Äthiopien alle Leiern, deren Stimmung uns bekannt ist, dem üblichen pentatonischen Tongeschlecht mit kleinen Terzen unterworfen, das heißt der Reihe
EG À HD,
die sich nach
oben und unten entsprechend der Anzahl vorhandener Saiten fortsetzte. Wir können kaum
fehlgehen in der Annahme,
daß sich die alten Harfenisten
und Leierspieler beim Stimmen ihrer Instrumente genau so wie heutige Harfen-,
Klavier- und Orgelstimmer allein auf ihr Gehör verlassen mußten. Das Gehör
stützt sich auf drei angeborene Standardintervalle: die Oktave, die Quinte und
die Quarte.
Ausgehend
von einem Ton in mittlerer Lage
— mit Rücksicht auf
die Stimmlage des Sängers — müssen die antiken Spieler eine andere Saite als Quinte dazu gestimmt haben; eine Quarte wieder zurück von dieser lieferte die Sekunde über dem Ausgangston. Oder es war der umgekehrte Weg einzuschlagen: Eine Quarte aufwärts und dann eine Quinte abwärts ergab die Sekunde unter dem Ausgangston. Das ist nun kein Quintenkreis oder Quintenzirkel, wie er allgemein genannt wird, sondern ein kontinuierliches, ja zyklisches Steigen und Fallen, wie zum Beispiel _ δ d 4 Zyklisches Prinzip oder — weniger förmlich
— Awuf-und-Ab-Prinzip mag eine hierfür angemessene kurze Bezeichnung sein. Holzblasinstrumente folgten einem ganz anderen Prinzip. Ihre Skalen hingen von der relativen Lage der Grifflócher ab, deren Anordnung durch Lángenmafe,
das heißt, durch Fuß und Zoll und nicht durch irgendeine musikalische Vorstel-
lung bestimmt wurde. Ich habe das allgemeine Prinzip in meiner History of Mustcal Instruments behandelt und brauche darum die Einzelheiten nicht noch einmal zu wiederholen, lediglich der Hauptpunkt sei angeführt: ,, Die meisten Holzblasinstrumente, sowohl primitive wie hochentwickelte, besitzen gleich weit voneinander entfernte Grifflócher. Aber dieses Prinzip des gleichen Abstands schlieBt die Bildung irgendeiner musikalischen Leiter absolut aus, es sei denn, daB die Tóne
durch
die GróBe
der Lócher,
die Atemführung,
die Grifftechnik
oder durch irgendeinen besonderen Kunstgriff korrigiert würden.“ Unglücklicherweise sind die vielen Holzblasinstrumente, die auf ägyptischen und sumerischen Kunstwerken abgebildet sind, nicht deutlich genug dargestellt, um exakte Messungen zu ermóglichen. Aber eine genügende Anzahl erhalten gebliebener Blasinstrumente ist in beiden Lándern ausgegraben worden. Sie liefern uns folgende Informationen: Von zwei ägyptischen Flöten aus einem Grab des Mittleren Königreiches (etwa
2000 v.u.Z.) miBt die eine, wenngleich sie auch ohne Sorgfalt hergestellt ist, 95 cm in der Länge und besitzt Grifflöcher, die bei zehn, elf und dreizehn Fünf17
64
à, a. O.,
181.
zehnteln der Gesamtlänge gebohrt sind. Die andere ist nur 9o cm lang und hat bei acht, neun und zehn Zwólfteln der Gesamtlänge je ein Griffloch.18 Die Skala
der erstgenannten Flöte lautete theoretisch 15:13, 13:11, 11:10 oder 248-289-165 Cents, die der zweiten 12:10, 10:9, 9:8 oder 316-182-204 Cents. Beide Flöten
besaßen den Umfang einer Quinte (702 Cents), und die kürzere war genau unterteilt, um ein pentatonisches Pentachord zu liefern. Tatsächlich aber wurden die Töne durch die ungenügende Größe der Löcher und durch die Einwirkung des Rohrteils unterhalb des jeweiligen Loches in unkontrollierbarer Weise erniedrigt, und zwar die höheren Töne mehr als die tieferen, weil hier ein längerer Teil der Flöte die theoretische Tonhöhe beeinträchtigte. Ich wiederhole: die theoretische Tonhöhe.
Aus dem frühen Sumer (etwa 2700 v. u. Z.) besitzen wir im Universitätsmuseum in Philadelphia zwei schlanke Oboen. Eine davon hat vier Grifflöcher, ist aber
zerbrochen und kann daher nicht berücksichtigt werden.
Die andere weist nur
drei Löcher auf, deren Abstände den Verhältnissen 10:9:8:7 entsprechen, das heißt, sie liefert annähernd Ganztöne (182-204-231 Cents). Die ägyptischen Holzblasinstrumente der letzten zweitausend Jahre v. u. Z.
waren
nicht
wesentlich
anders.
Trotz
ihrer
Variabilität
und
unvermeidbarer
Schrumpfungsprozesse des überaus empfindlichen Materials ist das Prinzip der Teilung nach gleichen Abständen unverkennbar. Die Stufen von Loch zu Loch sind Ganz- und Halbtönen angenähert, und die Lage des obersten Griffloches, das sich in der Mitte der unteren Hälfte der Pfeife befindet, deutet darauf hin, daß diese Oboen, deren Rohrweite zu eng ist, um die Grundtöne hervorzubringen,
normalerweise die höheren Oktavtöne und durch Überblasen die darüber liegenden Quinten hervorbrachten.!?
Die Streckengleichteslung, das trotz vieler Nachlässigkeiten und, auch häufig bewußter Abänderung deutlich ausgeprägte Prinzip, nach dem die Grifflöcher von Holzblasinstrumenten angelegt wurden, erforderte alle Arten des Ausgleichs,
um musikalisch annehmbar zu werden. Im Falle schwingender Saiten bildete die Streckengleichteilung dagegen eine gute Grundlage zur Gewinnung von Tönen, die mit Recht als natürlich und wissenschaftlich zugleich bezeichnet werden
kann.
Die Saitenteilung war für Harfen praktisch bedeutungslos, da diese für jeden Ton eine eigene, „offene“ Saite besaßen. Dagegen war sie überall dort dringend notwendig, wo alle Töne auf einer oder zwei Saiten durch augenblicklichen Wechsel der schwingenden Saitenlängen hervorgebracht werden mußten. Das geschah dadurch, daß die Saite in geringer Entfernung längs eines Stabes oder Brettes gespannt und dann mit einem Finger der linken Hand dagegen gedrückt wurde, 18 J. Garstang, The Burial Customs of Ancient Egypt, London 1907, 154ff.
19 In den Museen zu: Leyden, die Oboen Nr. 475 und 477 — 12 :9 :8 : 7 : 6 Zwólftel; Turin Nr. 8 und Berlin Nr. 20667 — 12 : 11 : 10 : 9 : 8 Zwólftel; Turin Nr. 12 — 14 :12:11:10:9:8:7 Vierzehntel; Turin Nr. 11 — 11:10:9:8:7:6 Elftel.
B Sachs, Musik
65
wodurch die schwingende Länge der Saite entsprechend begrenzt werden konnte. Beim Abgreifen — wie das genannt wird — wurde die Hand durch Bünde geführt. Diese bestanden im Westen der alten Welt aus Schlingen, die an den gegebenen Punkten am Griffbrett befestigt wurden. Saiteninstrumente mit Griffbrett erreichten — zusammen mit Oboen — auf ihrem Wege von Asien Ägypten zuerst im fünfzehnten Jahrhundert v. u. Z. Sie
gehörten zur Familie der Langhalslauten, bei denen der Hals viel länger als der
winzige Schallkórper war. Den frühesten brauchbaren
eines Lautenisten
Ägypten
auf einem
Beleg eines Griffbrettes bietet die Darstellung
Wandgemälde
(fünfzehntes Jahrhundert
im Grabe
des Nacht
in Theben
in
v.u. Z.), der eine westasiatische Langhals-
laute mit neun Bünden spielt. Die sehr genau gezeichneten Bünde waren verlok-
kend genug, die Fantasie anzuregen. So bemühte sich mein verstorbener Freund
Dr. Erich M. v. Hornbostel,
die Abstánde
zwischen den Bindungen
zu messen
und sie in Cents zu übertragen.?® Der hervorragende Forscher scheint jedoch mit seiner Interpretation und selbst mit seinem Datierungsvorschlag jener Malerei
etwas zu weit gegangen zu sein. Obwohl ägyptische Kunstwerke sorgfältig gearbeitet sind, darf man sicher nicht erwarten, daß sie komplizierter mathemati-
scher Analyse standhalten. Außerdem stützte sich Hornbostels Skala auf einen offensichtlichen Irrtum. Die erste und oberste Bindung bedeutet nur auf Instru-
menten mit einem Wirbelkasten, der in einem bestimmten Winkel zum Griffbrett steht, eine Griffstelle, wie etwa bei Instrumenten von der Art der heutigen Violine, wo der kleine Ebenholzsattel am oberen Ende des Griffbrettes den An-
fang des frei schwingenden Teils der Saite darstellt. Die ägyptische Laute aber besaß weder Wirbel noch ein getrenntes Kopfstück. Folglich benötigten die Saiten, die einfach mit rund um das obere Ende des Stabes geschlungenen Schnüren befestigt waren,
eine erste Bindung,
um
in gewisser
Entfernung
vom
Griffbrett
gehalten zu werden und freie Schwingungen zu ermöglichen. Die klingende Länge der Saite begann erst bei dieser ersten Bindung, und es war die zweite, die die erste Griffstelle markierte. Das ergibt ein anderes Bild. Die Saite ist in zwei Hälften geteilt, die obere Hälfte ist wieder in Drittel und Viertel unterteilt, das erste Viertel ist in zwei Strecken
gespalten und ein fünftes Viertel ist jenseits der Mitte der Saite ab-
geteilt. Die Bundanordnung folgt also zwei übereinander geschichteten arıthmetischen Reihen, von denen eine in Sechsteln und die andere in Achteln der Gesamt-
strecke fortschreitet. Diese Ordnung ergibt eine Skala, in der wenigstens das tiefste Tetrachord chromatisch ist. Jede noch tiefer ins einzelne gehende Besprechung würde sich nur auf Mutmaßungen
stützen, und das um so mehr, als sich
die Tonhöhe auf Bundinstrumenten nicht in ganz genauem Verhältnis zum jeweils klingenden Saitenabschnitt verändert. Wesentlich hierbei ist jedoch das allgemeine Prinzip, nach dem nicht das Gehör, sondern die Streckengleichteilung einer Saite die Skala bestimmt (s. Abbildung ı). 20 Erich M. von Hornbostel, Musikalische Tonsysteme, in: H. Geiger und Karl Scheel, Handbuch der Physik VIII, Berlin 1927, 435.
66
Die Streckengleichteilung bei Lauten war nicht ohne Beispiel. Eine vorislamische Langhalslaute aus Bagdad zeigt eine Saitenteilung in vierzig gleiche Teile,? von denen allerdings nur die oberen fünf wirklich verwendet und durch Bünde markiert wurden. Da die Abschnitte im Vergleich zur Gesamtlänge besonders klein waren, bildeten die Tonabstände praktisch gleiche Vierteltöne. Spätere Beispiele von Saitenteilungen in zwölf gleich große Abschnitte im Nahen Osten, beruhten auf der Tatsache, daß zwölf der Hauptnenner der Verhältniswerte ist, die die drei dem Menschen angeborenen Intervalle kennzeichnen:
die Oktave 1:2, die Quinte 2:3, die Quarte 3:4. Pythagoras teilte nach Gaudentios’ Isagoge sein Kanón (Monochord) in zwölf Teile. Im zweiten Jahrhundert n. u. Z. folgte ihm der griechisch-ägyptische Ptolemäus, indem er sein Tetrachord d:atonikón homalön empfahl,
das durch die Bünde
null, eins, zwei und drei
einer in zwölf gleiche Teile unterteilten Lautensaite dargestellt wurde. Elf Zwölftel
ergaben einen Dreiviertelton, zehn Zwölftel eine kleine Terz und neun Zwölftel eine Quarte. Der arabische Theoretiker Safi ad-Din beschrieb genau dasselbe Prinzip als konsonant und häufig verwendet.?? Es liegt noch heute den meisten islamischen Skalen zugrunde.
Die Untergliederung einer Saite nach der Streckengleichteilung war nicht das einzige und auch nicht einmal das vorwiegend angewandte Verfahren. Freilich, in gewissem Maße befriedigte die gleichfórmige Zwölfteilung musikalische Ansprüche, da sie reine Oktaven (12:6), Quinten (12:8), Quarten (12:9) und kleine Terzen (12:10) ermöglichte. Aber die anderen Griffstellen, wie etwa 12:11 oder 12:7, waren musikalisch unbefriedigend. Infolgedessen unternahmen die Lautenisten etwas, was die Flötenspieler nicht
gewagt hatten: Sie ersetzten die ungeeignete arithmetische Reihe der Bundanordnung mit ihren gleichen Abständen zwischen den Tönen durch eine geometrische Reihe mit proportional anwachsenden Distanzen. Beeindruckt davon, daß sich beim Abgreifen der Hälfte, eines Drittels und eines Viertels der gesamten Saitenlänge entsprechend die drei Hauptintervalle ergaben, gingen sie logisch einen Schritt weiter und fügten je eine Abgriffstelle bei einem Fünftel der Saite, um die große Terz, und bei einem Sechstel, um die kleine Terz zu erzeugen, hinzu. Wir nennen dieses siegreiche Prinzip Teslungsprinzip. Sowohl das Teilungsprinzip als auch das schon besprochene Auf-und-Ab-Prinzip lieferten, als natürliche Prinzipien, ,natürliche' Skalen. Aber nur ihre Oktaven,
Quinten und Quarten und gewisse Ganztóne stimmten überein. Bei Skalen, die sich aus dem Teilungsprinzip herleiteten, war die große Terz kleiner und der Halbton größer, während der Ganzton in zwei verschiedenen Größen auftrat. Einige Verhältniszahlen werden schnell den Grund verdeutlichen. Der erste Ganztonschritt, beispielsweise von C nach D, wird (wie auch bei der Anwendung
22 In bezug auf die Zahl 40 vgl. Wilhelm Heinrich Roscher, Die Zahl 40 im Glauben, Brauch und Schrifttum der Semiten, in: Abhandlungen der Philologisch-Historischen Klasse der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften X XVII, 1909, 91 — 138. 22 Carra de Vaux, Le traité des rapports musicaux par Safi ed-Din, Paris 1891, 308 — 317. 5*
67
des Auf-und-Ab-Prinzips) durch Abziehen einer Quarte von der Quinte gefunden, das heißt, C —D ist C —G minus D—G. Das geschieht, indem man das Verhältnis der Quinte, 3:2, durch das Verhältnis der Quarte, 4:3, dividiert. Als Ergebnis erhált man (nach dem Verfahren, die Brüche kreuzweise miteinander zu multiplizieren) für den Ganzton den Verhältniswert 9:8. Der darauf folgende Ganztonschritt D—E jedoch besteht aus der Differenz zwischen der großen Terz C —E (5:4) und dem soeben gefundenen Ganzton (9:8), das heiDt, wenn man die Verháltnisse wie angegeben dividiert, 40:36, gekürzt 10:9. Er ist kleiner als der Ganzton C —D. Wo dagegen die Skala durch zyklisches Auf- und Absteigen in Quint- bzw. Quartschritten gewonnen wurde, sind unterschiedlich große Werte für Ganztóne von vornherein ausgeschlossen; denn jeder Ganzton ergibt sich hier ja aus einer aufsteigenden Quinte (C—G, D—A usw.) und einer fallenden Quarte (G—D, A —E usw.) und lautet unveránderlich 9:8. Dementsprechend folgt beim Quint-Quart-Zyklus die groBe Terz auch nicht dem
Verhältnis 5:4 wie
beim Teilungssystem,
sondern
(durch Addition
zweier
gleichgroßer Ganztóne) dem mit 9:8 multiplizierten Verhältnis 9:8 oder 81:64, das um das sogenannte didymische (oder syntonische) Komma größer als das Verhältnis nach dem Teilungsprinzip 5:4 (oder 80:64) ist. Der Größenunterschied zwischen den beiden großen Terzen zieht wiederum auch einen Größenunterschied zwischen den Halbtönen der beiden Systeme nach sich, denn der Halbton ergibt sich aus der Differenz zwischen der Quarte (C—F) und der großen Terz (C—E). Da die Teilungsterz kleiner ist, muß der zwischen ihr und der Quarte liegende Halbton entsprechend größer sein: Auf-und-Ab-Prinzip
großer Ganzton
groDer Ganzton
Halbton
Teilungsprinzip
groDer Ganzton
kleiner Ganzton
Halbton
Die Centwerte für die einzelnen Intervalle in beiden Systemen lauten: Eine reine Quinte:
Eine reine Quarte:
702
zwei grote Terzen: [1h dem pes Prinzip
498
zweiGanztöne:
πο
Zwei kleine Terzen:
| nac dem Teilungeprinzip
^
[mich dem wiischen und dem Teilangsprinzip
ΤΟΝ
τ
δι
E
Ein bemerkenswerter, ja beinahe überraschender Beweis dieses Gegensatzes zwischen dem Teilungs- und dem Auf-und-Ab-Prinzip tritt in einer geringfügigen 68
Abweichung der sonst analogen kosmologischen Musikauffassung in Babylonien — über die Plutarch etwa hundert Jahre n. u. Z. berichtet? — und China zutage. Beide Kulturen brachten die vier Jahreszeiten mit den einfachsten musikalischen Intervallen in Verbindung. Die jeweilige Zuordnung lautet (wenn man zum Beispiel C als Ausgangston wählt und von unten nach oben liest) in CHINA
BABYLONIEN C' G F D
Winter Herbst Sommer
Frühling
Sommer Winter Herbst
C
Frühling
Bis auf die Zuordnung des Sommers besteht Übereinstimmung. Warum aber diese Abweichung? Ich denke, der Grund ist folgender: Der chinesischen Anordnung liegt ein Zyklus von Quinten oder Quarten (F, C, G, D oder D, G, C, F), der babylonischen dagegen die Teilung einer Saite in Grundton (1: 1), Oktave (1 :2), Quinte (2:3) und Quarte (3:4) zugrunde. Die gleiche philosophische Idee verwirklicht sich also, mit einem für jedes System charakteristischen Unterschied, im Auf-und-Ab-Prinzip in China, dem typischen Land des Quinten- und Quartenzyklus', und im Teilungsprinzip in Babylonien, der frühesten Heimat der mit Bünden versehenen Langhalslaute. Partial- oder ,Obertóne' als natürliche Wegweiser, eine Lieblingsidee mancher
Autoren,
die eine
zumindest
wenn
ganz
aus
,plausible'
unseren
Theorie
Gedankengängen
sie als Überblastóne
der Skalenbildung
ausgeschlossen von
bieten
werden.
wollen,
Obertóne
Blasinstrumenten
erscheinen,
sollten
geben,
wahr-
haftig dürftige Standardwerte ab. Naturgewachsene Tierhórner und Schilfrohrflóten liefern deutlich wahrnehmbar falsche Oktaven und Quinten, und selbst Instrumente handwerklich besserer Fertigung hängen von der Weite oder Enge der Bohrungen ab. Tesltöne im eigentlichen Sinne, das heißt Mitschwingungen eines gespielten oder gesungenen Tons, sind schwierig zu hören und kommen kaum vor dem späteren Mittelalter in Betracht. Selbst in Indien entdeckte der Theoretiker Särngadeva den zweiten Partialton, das heißt die harmonische Oktave,
erst im
dreizehnten
ehe Rämämätya der Bünde
Jahrhundert,
und
weitere
dreihundert
Jahre
verstrichen,
höhere Harmonische beobachtete und sie für die Anordnung
seiner Vind nutzbar machte.
Der Gedanke,
daß Musiker im Alter-
tum, ja selbst in noch früheren Stadien der Entwicklung, ihre Vorstellung von Oktaven, Quinten und Quarten von den gezupften, schnell verklingenden Harfenoder Leiernsaiten abgeleitet hätten, ist geradezu unsinnig. 23 Plutarch, De animae procreatione in Timaeo, 31.
4 N. S. Ramachandran,
The Evolution of the Theory of Music in the Vijayanegara
Empire, in: S. Krishnaswami Aiyangar Commemoration Volume,
1936, 396f.
69
Natürlich waren diese ,Harmonischen' vollkommen und stellten die idealen Hauptintervalle aller Systeme dar, zumindest bis zur Quarte. Aber das war nur möglich aus dem einfachen Grunde, weil sie genau denselben Schwingungen der Hälfte, des dritten und vierten Teils der Saite wie die Töne, die sich in Befolgung
des Teilungsprinzips ergaben, entsprangen. Sie waren eine parallele, keine anregende Erscheinung. Die auf ägyptischen Bildnissen dargestellten Sänger halten ihre linke Hand in
einer Geste an das linke Ohr, die vielen orientalischen Sängern alter und neuer
Zeit vertraut ist. Die besonders zwischen den Augenbrauen sichtbaren Falten deuten auf nasales Singen mit gepreßter Stimme in wahrscheinlich hoher Tonlage. Die Haltung des rechten Armes ist noch interessanter. Die Sänger verständigen sich mit ihren Begleitern, indem sie den rechten Unterarm ausstrecken und einige immer wiederkehrende Gesten ausführen. Sie drehen die Handfläche* oder den Daumen nach oben,” sie biegen den Daumen gegen den Zeigefinger?’ oder wenden die Handfläche abwärts?! (s. Abbildung 3). Genau die gleichen Gebärden lassen sich in Indien beobachten. Hindusänger markieren stumm die einzelnen Taktteile dadurch, daß sie den Unterarm heben,
die Handfläche nach oben oder unten drehen und die Finger ausstrecken oder aufwärts krümmen. Aber auch hörbares Taktschlagen war in Ägypten
durchaus bekannt.
In dem
Grab des Amenemhét zu Theben (bald nach 1500 v. u. Z.) ist ein Dirigent abgebildet, der vor den Ausführenden steht und ihnen sein Gesicht zuwendet; er stampft den Takt mit dem rechten Fuß und schnippt mit Daumen und Zeigefingern.?? Auch hierfür sind in Indien Parallelen zu finden. Der Leiter führt die Daumen und Zeigefinger gegeneinander und schnippt mit der rechten oder der linken Hand oder sogar mit beiden. Die Melodien der Sänger lassen sich jedoch von den Wandgemälden nicht ab-
lesen. In Ägypten und Sumer hatte die Vokalmusik genau so wenig mit starren Systemen Freiheit
zu tun wie anderswo.
enthob
ihn des Problems
Die dem
unbegleiteten Sänger zugestandene
der Färbung,
wenn
auch
nicht des Modus.
Von den Instrumenten her läßt sich keine Schlußfolgerung ziehen, die auch nur die entfernteste Vorstellung vokaler Stile im alten westlichen Orient vermitteln könnte. Aber es gibt verschiedene indirekte Hilfsmittel, die einen gewissen Einblick erlauben. 15 Vgl. Curt Sachs, Die Musikinstrumente des alten Ägyptens, à. a. O., Abbildung 86 aus der fünften Dynastie. 36 Vgl. ebd. Abbildung 110 aus der fünften Dynastie und Abbildung 109 aus der zwölften Dynastie. 27 Vgl. ebd. Abbildung 109a aus der fünften Dynastie. 28 Vgl. ebd. Abbildung 76. 2 Vgl. ebd. Abbildung 9 aus der 18. Dynastie. 70
Den besten Zugang zum Vokalstil des alten westlichen Orients bietet die jüdische Musik,
weil sie trotz gewisser unvermeidlicher
Veränderungen
seit viertausend
Jahren ohne irgendeine Unterbrechung fortlebte. Natürlich ist in alten Zeiten keine jüdische Musik aufgezeichnet worden. Das Melodiengut wurde mündlich von Generation zu Generation überliefert. Dennoch
erschloß
der verstorbene Abraham
Z. Idelsohn,
ehemals
Professor am
Hebrew
Union College in Cincinati, einen indirekten Weg zur alten Musik Israels. Er fand die genauen Gegenstücke verschiedener gregorianischer Melodien in entlegenen jüdischen Gemeinden, im Jemen, in Babylonien und Persien, die nach der Zerstórung des ersten Tempels (597 v. u. Z.) und der Babylonischen Gefangenschaft von Palästina und der weiteren Entwicklung der jüdischen Ritualmusik abgeschnitten waren. Demzufolge müssen diese Melodien vor dem Jahre 600 v. u. Z. im Mutterland existiert haben.
Weniger Glück haben wir mit anderen Melodien. Das jüdische Volk ist fünfundzwanzig Jahrhunderte lang zerstreut gewesen und hat in dieser Zeit drei Gruppen herausgebildet: die Orientalen im mittleren Osten, die Sephardim im Mittelmeergebiet und die Aschkenasim im übrigen Europa. Ihre liturgischen Melodien sind ganz verschieden, nicht einmal die hauptsächlichsten Teile des musikalischen Gottesdienstes stimmen überein (genau wie bei den ambrosianischen und gregorianischen Fassungen der katholischen Kirchenmusik). Und doch ist der Grundstil der gleiche und muß daher ein altes Erbe noch aus der Zeit vor der Zerstreuung darstellen. Dieses alte Erbe ist wohl am besten in der Liturgie der orientalischen Juden erhalten, die ununterbrochen im Nahen und Mittleren Osten gelebt haben und niemals weltliche Musik in die Synagoge eindringen ließen und auch ihren Kantoren nicht erlaubten zu improvisieren. Zweifellos schließt solch ein Stillstand die Gefahr des Verfalls mit ein. Aber die Juden
aus dem
Jemen,
aus Mesopotamien,
Persien und Buchara scheinen der Degeneration entgangen zu sein. Sonst könnten ihre Gesänge den Melodien der Sephardim, die viele tausend Meilen entfernt lebten, nicht so auffallend ähneln. So wenden wir uns den orientalischen Juden zu, um Antwort auf unsere Fragen zu erhalten.
In einem wichtigen Punkt unterscheiden sich aber selbst die orientalischen Juden nicht nur von ihren Vorvätern, sondern auch von den meisten Sängern der alten Zeit: Ihr Gesang ist unbegleitet. (Jedoch machte mich Dr. Joshua Bloch freundlicherweise darauf aufmerksam, daß es in der Synagoge von Bagdad im dreizehnten Jahrhundert Instrumentalmusik an den Zwischentagen des Passahund des Laubhüttenfestes gab.) Die Bibel liefert viele Belege der Untrennbarkeit von Gesang und Instrumentalspiel. An den Wassern Babylons hängten die Gefangenen ihre Leiern an den Weiden auf — wie sollten sie des Herrn Lied in fremden Landen singen? Und verschiedene Male werden in den Chroniken und den Büchern der Könige die Leiern 80 s. Leopold Zunz, Die Ritus des synagogalen Gottesdienstes, Berlin 1859, 57. 71
und Harfen ἐἰξ ὄϊν, die „Instrumente zum Gesang‘‘, oder le3arim, ‚für die Sanger“,
genannt.?! Im alten Ágypten begleiten sich alle auf den Wandmalereien oder Reliefs dargestellten Solosänger entweder selbst, oder aber sie sitzen einem Instrumentalisten gegenüber, den sie mit bestimmten Gesten anleiten. Sumerische Sánger werden kaum ohne Instrumente erwähnt,?? und denken wir, um den westlichen Raum
einen Augenblick zu verlassen, an die Worte des Chinesen Zai Yu: „Die
Alten sangen nicht, ohne ihre Worte auf den Saiten zu begleiten, noch spielten sie ein Saiteninstrument, ohne zu singen.“
Es läßt sich schwer ein Grund angeben, warum diese unumgängliche Verbindung bestand und warum sie gerade von den orientalischen Juden aufgegeben wurde. War es die allgemeine Entwicklung in der ganzen Welt, die von der komplexen,
Sprache,
Gesang,
Instrumentalspiel,
Tanz
und
Schauspielkunst
in sich
schlieBenden Ausführung zu einer spezialisierten Ausdrucksform strebt? Wie mógen die alten Juden gesungen haben? War ihr Singen wirklich ein Schreien in hóchster Stimmlage, wie einige Gelehrte uns das glaubhaft machen wollten und dabei besonders auf verschiedene Psalmen verwiesen, die angeblich davon zeugen, daB im Fortissimo gebetet wurde? Ich habe den Verdacht, daß sie sich hierbei eher auf Übersetzungen als auf das hebráische Original beziehen. Wenn in Psalm 42 nach Luther die Seele zu Gott schreiet wie der Hirsch nach den Wasserbächen schre:et, so steht im Original in Wirklichkeit verlangen. Höchstens in Psalm 22,6 könnte das Wort zá'aq wirklich ,schreiend' bedeuten.
In der Tat ist kraftvolles Singen der normale Ausdruck von Inbrunst und paßt gut zu der naiven Vorstellung, daB Gottes Aufmerksamkeit leichter durch Ungestüm als durch Zurückhaltung angezogen wird. Als Samuels Mutter Hannah
nach Silo ging, um in des Herrn Tempel um ein Kind zu bitten, „bewegten sich
nur ihre Lippen, aber ihre Stimme war nicht zu hóren; daher hielt Eli sie für
betrunken.'' Stilles Gebet kannte man bis dahin nicht. Noch im zweiten Jahrhundert v. u. Z. wird in den Büchern der Makkabäer zweimal erwähnt, daß die Juden laut zu Gott schrien.
Ebenso bietet das Christentum in dieser Hinsicht Beispiele. Abbot Pambo, der im vierten Jahrhundert n. u. Z. in Ägypten lebte, tobte über den ‚Mönch, der, ganz gleich ob er sich in der Kirche oder in seiner Zelle aufhielt, seine Stimme wie ein Bulle erhob“, und sogar heute noch singen die christlichen Priester in Äthiopien mit lauter Stimme, bis sie den höchsten Punkt der Ekstase erreichen und vollständig erschöpft sind.? Die drastische anthropomorphe Vorstellung, daß Gottes Ohr dem lautesten Schreier am weitesten offenstehe, widersprach dem gehobenen Judaismus der Propheten. Als die heidnischen Priester auf dem Berge Karmel ihren Gott Baal anriefen, verspottete sie der Prophet Elia und sprach zu ihnen: ,,Ruft recht 31 Psalm
137; 1. Chronik XVI, 42; 2. Chronik IX,
11 und 1. Kónige X, 12.
33 Stephen Langdon, a. a. O., Einführung. 33 R. H. van Gulik, The Lore of the Chinese Lute, Tokyo 1940, 66. 34 Gustave Reese, Music in the Middle Ages, New York (1940), 66, 94. 72
laut, er ist ja ein Gott! Vielleicht ist er in Gedanken versunken, oder hat zu
schaffen, oder befindet sich auf Reisen; vielleicht schläft er auch und muß erst
aufwachen.''35 In den heute noch erhaltenen altertümlichen Liturgien treten diese Dinge mit
solcher Deutlichkeit nicht mehr zutage. Jemenitische Gemeinden singen nur be-
stimmte Amen, das Qeduša (Sanctus) und den großen Segen im Forte. Doch der Sänger soll eher eine weiche, ausdrucksvolle als eine laute Stimme haben und aus der Brust singen. Tenóre werden bevorzugt.” Dennoch geschieht es, daß sowohl die jemenitischen als auch die persischen Juden die Töne hinaufziehen, je mehr ihre Erregung wächst.?? Die Chordisziplin ist in jemenitischen Gemeinden vorzüglich. Alle Männer und Kinder (Frauen sind ausgenommen) beteiligen sich am Singen der Gemeindelieder, alle sind gut mit den Melodien der Synagoge vertraut und singen wirklich unison. Der Rhythmus — nicht der Taktschlag — ist streng geregelt, und nie geschieht es, daB jemand zu schnell oder zu langsam singt. Der Melodiestil ist sehr einfach. Das Buch Esther singen die Jemeniten sehr
rasch auf zwei Tönen, die um einen kleinen Ganzton (191 Cents) voneinander entfernt liegen, während sie für die lyrischen Poeme aus dem Pentateuch, für
das Buch Hiob und die Mischna-Traktate aus dem Talmud drei Töne verwenden. Idelsohns Untersuchungen ergaben für diese drei Töne die Werte 469, 533 und
566 Hertz. Der in der Mitte liegende Ton c’ dient als Schlußton, während die beiden
anderen einen etwas zu großen Ganzton darunter bzw. einen normalen Halbton
darüber liegen.
Selbst in kunstvolleren Melodien überschreitet der Umfang nie eine Sexte, pentatonische Leitern kommen nicht vor. Demgemäß hat die jüdische Musik in
ihrer urtümlichsten Form entschieden ‚additiven‘ es auf den Seiten 33—40 umrissen wurde.
Charakter in dem
Sinne, wie
Eine Melodie, die den Umfang einer Quarte erreicht oder überschreitet, ordnet sich in einen der drei diatonischen Tetrachordtypen ein. (Griechisch)-Lydisch wurde für Klagethemen verwendet, wie zum Beispiel die Klagelieder, das Buch Hiob und das Sündenbekenntnis, während Phrygisch als leidenschaftlich angesehen
wurde. Das dorische Tetrachord galt als lyrisch und feierlich. Der Kirchenvater
Clemens Alexandrinus, der vom Jahre 202 an in Palästina lebte, führt Aristoxenos
an, der gesagt haben soll, daß König Davids Psalmen der dorischen harmonta ähnlich waren.?®
Beispiel 30: Babylonische Juden (nach Idelsohn) VN
waj-j0-ša
ä-do-noj
a UD ` Lai ΓΒ aa LR PRE ΒΒ αὶ NE
baj-jm
ha-hu
3$ 1. Könige XVIII, 27.
86 A. Z. Idelsohn, Hebräisch-Orientalischer Melodienschatz I, Leipzig 1914, 17. 3? ebd. III, Jerusalem — Berlin — Wien 1922, 37. 38 Clemens Alexandrinus, Stromata, VI, 11.
73
Der Talmud verachtet diejenigen, die die Heilige Schrift ohne Melodie lesen und die Worte ohne Gesang studieren. Der Gottesdienst, der sich auf das Lesen der Heiligen Bücher stützte, war in allen Teilen musikalisch. Der Gesang des Kantors wechselte mit den Weisen der Gemeinde ab. Bei beiden Formen handelte es sich um sogenannte Kantillation, wenngleich nicht in der Art der starren Monotonie einer christlichen Bibellesung, sondern eher in der Art des edlen Strömens gregorianischer Melodien. Dadurch, daß sie die Mitte zwischen bohrender Rezitation und eigenständigen melogenen Weisen hielt, war sie das ideale Mittel, um dem göttlichen Wort in all seinen Feinheiten Ausdruck zu verleihen, angefangen von der trockenen Aufzählung von Stammbäumen — ‚Dies aber sind die Geschlechter der Söhne Noahs“ — bis zu dem gehobenen Pathos der Psalmen — ,,Rette mich,
oh Gott; denn das Wasser gehet mir bis an die Seele.“ Die jüdische Liturgie besaß die ‚ewige Melodie‘ des katholischen Ritus und des musikalischen Dramas, nicht aber den Kontrast von Evangelium und Choral wie der protestantische Gottesdienst oder aber den Kontrast der zwischen Rezitativ und Arie wechselnden ‚Nummern‘ der herkömmlichen Oper. Zwar hatten die sogenannten Lieder des Pentateuch, etwa das Bekenntnis des Lamech, die Propheten, der Gesang der Gesänge oder die Psalmen besondere melodische Grundgerüste, aber unserer Meinung nach sind sie in eben dem Maße Kantillation wie die epischen Teile der Bibel. Beispiel 31: Persische Juden (nach Idelsohn)
Wie mögen diese melodischen Bildungen entstanden sein?
Alle jüdischen Melodien sind im wahrsten Sinne des Wortes aus melodischen
‚Fertigteilen‘ zusammengesetzt. In zwei der urtümlichsten Liturgien, der jemenitischen und der persischen, besitzen die verschiedenen Teile der Heiligen Schrift — Pentateuch, Propheten, Psalmen,
Esther,
Klagelieder und so weiter
—
jeweils ein eigenes melodisches
Grundgerüst, das aus zwei Motiven — einer Anfangsfloskel und einer Endkadenz
— oder aber aus drei und sogar vier Motiven zusammengesetzt ist, die abwech-
selnd den Halbversen des Textes zugeordnet werden und dabei biegsam genug
sind, um sich entsprechend der wandelbaren Silbenzahl zu entfalten oder zusammenzuziehen. Als Beispiel drucken wir den Anfang des ,,Gesanges vom
Roten Meer‘ (Exodus XIV, 30) in der jemenitischen Fassung ab. Beispiel 32: Jemenitische Juden (nach Idelsohn)
wüj-j0-sa
ᾱ- d0-noj
ät jis-ro-el
mij-jadmis-ro -
jim
Hier gibt es zwei melodische Grundmotive, das eine mit Halbschluß- und das andere mit GanzschluBcharakter, die einander in beständiger Folge, 74
wenn auch je nach den Erfordernissen entsprechend verkürzt oder erweitert, abwechseln. Es ist wahrscheinlich, daß für die Psalmen ursprünglich, ehe ihnen innerhalb einer streng geordneten Liturgie ein bestimmter, fester Platz zugewiesen wurde, ein größerer Melodienvorrat und selbst Volksweisen ähnlicher Art verwendet wurden. Vielen Psalmen geht eine besondere Überschrift voraus, die angibt, wie der Psalm ausgeführt werden soll. Frühere Autoren mißverstanden diese Angaben. Sie nahmen an, daß sich solche dunklen Titelworte wie nginot, giltit oder hanchilot auf irgendwelche unbekannten Instrumente bezogen und die Spieler anwiesen, wie sie den Gesang begleiten sollten. Ich konnte diese Interpretation widerlegen und nachweisen, daß die Überschriften sehr wahrscheinlich die dazugehörige Melodie anzeigten.9 jedoch gab es keine fertig ausgebildete Melodie, die den Dichter veranlaßt
hátte, ein Gedicht zu verfassen, das in Metrum und Lánge mit ihr übereinstimmt
(wie es in modernen Gesangbüchern angedeutet ist) aus dem einfachen Grund, weil sich die Psalmen in der Lánge unterschieden und auch kein gleichfórmiges Metrum
besaßen.
Unter
,,Melodie"
verstand man
im Orient immer
eines jener
biegsamen Grundgerüste, die die Araber schließlich als magamät und die Hindus als rägas klassifizierten und die dern Sänger spezifische Tongeschlechter, Skalen,
Tonhöhen, Akzente, Tempi und Affektgehalte vorschrieben, ihm aber auch volle
persönliche Freiheit bei der Ausgestaltung gewährten.
Im späteren Kantillationsstil traten versgebundene Grundgerüste zugunsten von Wortmotiven zurück. Vorgegebene Motive, die je aus zwei oder mehr Tönen bestanden und insgesamt einige zwanzig zählten, wechselten jetzt von Wort zu Wort und nicht mehr von Vers zu Vers. Im ersten Vers der Bibel zum Beispiel besitzt jedes der sieben Worte — Bréshit am Anfang bärä schuf Elohim Gott é hashämayim
Himmel
weét hàáres und Erde
—
sein eigenes Motiv
(obwohl weét
sein Motiv mit dem entsprechenden akkusativen Präfix & teilt und hashämayim das Motiv von bréshit wiederholt). Diese Tropen oder Akzente sind dem Eingeweih-
ten unter bestimmten technischen Bezeichnungen wie ‚Handbreite‘, ‚Verweilen‘,
, VersschluB' und vielen anderen geläufig. Ein solches Verfahren scheint auf den ersten Blick mechanisch und ruft die Erinnerung an gewisse ,komponierende' Automaten wach, die um 1800 in Europa ersonnen wurden und fertige Tongruppen kaleidoskopartig zu immer neuen Melodien verbanden. Wie sehr auch diese Maschinen und verwandte Spiele den Kompositionsakt
karikierten,
sie brachten
die Wahrheit
zum
Ausdruck,
daß
selbst in neuerer Zeit die melodische Erfindung ‚Komposition‘ im ursprünglichen Sinne des Wortes ist, und zwar mehr, als wir einzugestehen wagen. In allem Volksgesang, in der Kunst der deutschen Meistersinger, in Luthers Chorälen, in Calvins Psalter und lange vorher im Gregorianischen Gesang erscheint diese Mosaiktechnik mit aller Deutlichkeit. 3$ Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 124— 127.
75
Der wesentliche Unterschied zwischen dem alten und dem modernen westlichen Prinzip besteht in der Auffassung über das Wesen der melodischen Elementareinheit. Die moderne
Einheit ist der leblose Einzelton, die alte Einheit war
der Schritt. So betrachteten die Juden melodische Bewegung als aus motorischen Elementen oder ‚Motiven‘ im eigentlichen Sinne des Wortes zusammengesetzt, was sowohl philosophisch wie musikalisch korrekter ist. Der Leser wird einem Tanzforscher verzeihen, wenn er diesen Gegensatz mit der in der Choreographie ähnlichen Alternative vergleicht, wo ein Tanz entweder durch seine Durchgangspositionen oder durch die Folge seiner Schritte charakterisiert werden kann. Das folgende Beispiel gibt die von einem babylonischen Kantor gesungene Kantillation
des zweiten Buches Mose (XII, 21:
in Israel ...') wieder:
„Da
berief Moses
alle Ältesten
Beispiel 33: Babylonische Juden (nach Idelsohn)
woj-jiq-ra
mô- se
18-hol zig-ne
jis-ra- el
ai
+
t—
A 1
I
qodma
tébir
posta
tarha
Jedes Wort in dieser Zeile hat sein eigenes, fertig vorliegendes Motiv: wayigra (da berief) wird auf gadma (vorausgehend) gesungen; mose (Moses) auf tvir (gebrochen) ; /chol-zigné (alle Altesten) auf pasta (Strecker) ; 1srá£l auf tarchā (Bürde) oder tipchā (Handbreite). Das Ergebnis ist eine erstaunlich natürliche, fließende und überzeugende Melodie.
Der
Komponist
von
Kantillationen
ist beileibe
kein
Flickschuster,
er
kónnte eher mit einem findigen Gártner verglichen werden, der seine zwei Dutzend
bunter Blumen zu immer neuen Sträußen anordnet. Oder er könnte, um es noch
genauer auszudrücken, mit einem Tanzmeister der Renaissance verglichen werden, der aus dem mehr als begrenzten Vorrat von pas simples, pas doubles, reprises und branles eine unbegrenzte Anzahl von basses danses, saltarelli und balli schuf.
Um die Tradition in den kritischen Zeiten der ersten tausend Jahre n. u. Z. zu erhalten, erfanden jüdische Gelehrte in Babylonien und Pälastina nicht nur die bekannten Punkte und Striche, die über oder unter die Konsonanten gesetzt wurden und die folgenden, bisher nicht geschriebenen Vokale bezeichneten, sondern sie ersannen auch besondere Symbole zur genauen Melodiewiedergabe. Die Tradition selbst wurde Masora genannt. Die Gelehrten, die eine gleiche Rolle wie die Alexandriner Grammatiker in der griechischen Welt spielten, waren als Masoreten und die von ihnen geschaffenen Zeichen als masoretisch bekannt. Die melodischen Symbole der babylonischen Juden bestanden aus den Anfangsbuchstaben der Namen, unter denen die Tropen bekannt waren. Def Buchstabe tāw bedeutete die Trope {vir, der Buchstabe yod stand für die ‚bleibende‘ Trope
yetiv, der Buchstabe zain für die ‚steigende‘ zägaf und so weiter. Sie wurden 76
über die entsprechenden Vokalzeichen gesetzt, die im Widerspruch zur üblichen Praxis oberhalb der Konsonanten geschrieben wurden.
Diese babylonische Buchstabennotation wurde aber aufgegeben und allgemein durch die späteren palástinensischen oder ,tiberiensischen' Symbole ersetzt, die Haken, Punkte und Striche darstellten und teilweise über, teilweise unter die ent-
sprechenden Silben geschrieben wurden. Die älteren, mit Buchstaben angezeigten babylonischen Akzente lenkten unsere
Aufmerksamkeit
auf
eine
andere,
immerhin
tausend
oder
mehr
Jahre
ältere
Schrift, deren musikalischer Charakter zweifelhaft war. Etwa sechzig keilfórmige Buchstaben oder besser Silben erscheinen als Randzeichen auf Tonplatten, auf denen der babylonische Mythos von der Erschaffung der Welt in zwei Sprachen, in hieratischem Sumerisch und in einheimischem Semitisch, aufgezeichnet ist. Sie sind in Reihen von drei, vier oder fünf Zeichen für jede Textzeile angeordnet: me me kur kur a aa ἃ ἃ kw ku lu lu
usw.
Der Text schließt mit der feierlichen Formel: ,,Geheim. Der Eingeweihte mag es dem Eingeweihten zeigen. Im Jahre 1923 unternahm ich einen ersten Versuch, die Randzeichen als eine
musikalische Notation zu interpretieren, aber ich scheiterte, weil ich an Einzeltöne
bestimmter Tonhöhe dachte. Dr. Francis W. Galpin miDlang vierzehn Jahre später ein ähnliches Bemühen.*? 1939 nahm ich die Arbeit unter einem neuen Gesichtspunkt wieder auf,?! indem ich die Annahme von Einzeltönen bestimmter Tonhöhe fallenlieB und die babylonische Schrift mit musikalischen Gruppennotationen
Äthiopiens und Indiens in Beziehung brachte.
Villoteau, der hervorragende Musikgelehrte der französischen wissenschaftlichen
Expedition, die Ägypten während der napoleonischen Eroberung (1798—1801)
erforschte, hatte von äthiopischen Priestern in Kairo erfahren, daß abessinische
Kirchensänger eine geheime — wiederum eine geheime! — Silbennotation verwendeten, die über die heiligen Verse geschrieben wurde. Die siebenundvierzig
Silben, deren Bedeutung er kennenlernte, traten entweder einzeln auf, wie he, le,
ma, oder auch doppelt, wie /ama oder raha, oder sogar zusammengezogen, wie zum Beispiel hal, gerade wie in der babylonischen Schrift. Einige Jahrzehnte spáter fand der franzósische Orientalist Hermann Zotenberg in einem liturgischen Buch in der Bibliothéque Nationale nicht weniger als 168 Symbole der gleichen Art, von denen er eine vollständige Liste in seinem Katalog áthiopischer Manuskripte veróffentlichte.** Leider ist ihre Bedeutung unbekannt. Unsere Kenntnis erstreckt sich also lediglich auf die siebenundvierzig Definitio-
nen, die Villoteau angeben konnte. Aber das genügt, um klarzumachen, daf die
40 Francis W. Galpin, The Music of the Sumerians, Cambridge
41 Curt Sachs, XXVII/1,
1937, 38— 50, 99 — 104.
The Mystery of the Babylonian Notation, in: The Musical Quarterly
1941, 62—69.
* Hermann Zotenberg, Catalogue des Manuscrits Éthiopiens de la Bibliothèque Nationale, Paris 1877, 76.
77
äthiopische Notation Tongruppen einschließlich Verzierungsnoten und nicht Einzeltöne bezeichnet. Die Silbe se bedeutet, um einige Beispiele anzuführen, einen
absteigenden Halbton, die Silbe ka einen aufsteigenden Ganzton, wä einen Ganzton nach oben mit einem Triller auf dem höheren Ton, wa eine kleine Terz mit
einem Zwischenton, we eine Quarte aufwärts, entweder als Sprung oder mit Zwischentönen, zeze das gleiche, aber eine Quinte aufwärts, re eine Schlußkadenz.
Das ist offensichtlich das Prinzip der jüdisch-babylonischen Akzente. Die Silben (Abessinien besitzt keine Einzelbuchstaben) bedeuten Notengruppen, Motive und Tropen. Athiopische Priester schreiben zéze für eine sprunghaft aufsteigende Quinte, und genau dasselbe bezeichnet das münäh der sephardischen Juden. Eine stufenweise absteigende Quinte mit geringfügigem Verweilen auf dem letzten Ton nennen sie 51; es ist das zargä der aschkenasischen Klagelieder. Se bedeutet eine in schnellem Gang stufenweise absteigende Quarte — genau wie rvia’ in der Rezitation der Propheten durch babylonische Kantoren. Östlich von Babylonien, in Südindien, verwenden die Sänger der Veden eine
ähnliche Schrift, Silben wie ka, kt, ko und andere Konsonant-Vokal-Verbindungen,
die Tongruppen und nicht Einzeltöne bezeichnen, werden in den Text eingefügt oder wie in Babylonien neben die Verse geschrieben. Nun ist nicht nur die vedische Kantillation sehr alt, sondern auch diese Form der Silbenschrift wird ausdrücklich
als die älteste Vedanotation bezeichnet. Die äthiopischen, indischen und jüdischen Akzente erleichtern eine musikalische Interpretation der alten babylonischen Schrift, obwohl das Fehlen von Zeitangaben eine ernste Schwierigkeit bedeutet. Wenn es sich bei ihr wirklich um eine musikalische Notation handeln sollte, würde das die Akzente um mehr als tausend
Jahre vorverschieben.
Die
Titel
von
Büchern
und
Zeitschriftenaufsätzen,
die hebräische
und
nicht-
hebräische Tonzeichen behandeln, würden einen stattlichen Bibliographieband füllen. Leser, die an den verschiedenen Zweigen dieser komplizierten Materie interessiert sind, mögen daher die spezielle Literatur zu Rate ziehen.€ Unser Interesse beschränkt sich auf solche Arbeiten, die die Beziehung von Melodie und Sprache zum Thema haben. Die Tatsache, daß Grammatiker sich angelegen sein ließen, musikalische Neumen hinzuzufügen, daß die frühesten uns bekannten
Akzente,
die griechischen Akut,
Gravis und Zirkumflex,
sowohl die
Orthographie als auch die Tonhöhe betrafen, daß in einigen Kantillationssystemen, wie beispielsweise im armenischen, den jüdischen Akzenten ähnliche Symbole Kommas, Kolons und Punkte anzeigen — alle diese und noch viele andere Tatsachen weisen auf eine gemeinsame Wurzel bestimmter sprachlicher und musikalischer Phänomene hin. Eine aufklärende, wenn auch späte Aussage stammt von einer jüdisch-syrischen
Autorität, von Bar Hebräus, der im dreizehnten Jahrhundert n. u. Z. lebte. In seinem Buch der Herrlichkeiten schreibt er: 43 Vgl. Peter Wagner, Neumenkunde, 2. Auflage Leipzig Notation ekphondtique, Kopenhagen 1935. 78
1912; Carsten Hôeg,
La
Da in allen Sprachen ein Satz seine Bedeutung allein schon durch Intonationen ändert,
ohne daß man Substantive, Verben oder Partikeln hinzufügt oder entfernt, entdeckten syrische Gelehrte, die das Fundament für eine korrekte Sprache legten, durch die Erfindung von Akzenten einen Ausweg . . . und da diese Akzente eine Form musikalischer Tongebung darstellen, gibt es keine Möglichkeit, sie zu erlernen, außer durch Hören und durch Überlieferung von der Zunge des Lehrers zum Ohr des Schülers.**
Aus Bar Hebráus' Feststellung folgt, daß die Hauptsorge der Sicherung einer
unverfálschten und unverfálschbaren Textfassung galt. Das erforderte 1. korrekte
Vokalisierung und 2. korrekte Intonation. Das dringende Bedürfnis nach Hinzufügung von Vokalen bedarf keiner Erklárung. Ein nach hebráischer Art vokallos geschriebener deutscher Ausdruck, z. B. Tr, würde mehrere Interpretationen zulassen, je nachdem ob Tr als Tar, Teer, Tier, Tor oder Tür gelesen wird. Die volle Bedeutung der Intonation kann jedoch kaum in heutigem Deutsch dargestellt werden. Aber selbst bei der hier recht nivellierten Sprachmelodie läuft man ständig Gefahr,
miBverstanden
zu werden,
wenn
Augenblick hebt oder senkt.
man
die Stimme
nicht
|
im
richtigen
So ist es wahrscheinlich und fast sicher, daß in Zeiten hochentwickelter Sprach-
melodie im Interesse eines unmißverständlichen Textes von den Grammatikern
Akzentzeichen eingeführt wurden. Verschiedene Entwicklungsmóglichkeiten eróffneten sich aus solch einer neuartigen Schópfung, und ihnen allen ist nachgegangen worden. Dort, wo kein geheiligter Text in feierlicher Kantillation vorgetragen wurde, wie zum Beispiel im
alten Griechenland, entwickelten sich die Akzente zu Interpunktionszeichen und
phonetischen Symbolen, In jüdischen und christlichen Ländern geschah das Gegenteil. Da die Bibeltexte gesungen wurden und unerlaubte Melodieveränderungen den Sinn und die Macht ihrer Verse gefáhrdet hátten, wurden die Akzentzeichen vervielfacht und in Neumen verwandelt, um alle móglichen Stufen und melismatischen Gruppen zu kennzeichnen. Unglücklicherweise trat gerade das ein, was die Akzente eigentlich verhindern
sollten: Die Notation, die gewissenhaft in allen Gruppen der Judenschaft bewahrt
und in gleicher Weise auf die biblischen Texte angewendet wurde, bezeichnet ganz unterschiedliche Melodien. Ein münäk, das in allen orientalischen Liturgien einen kühnen Sprung um eine Quinte aufwárts anzeigt, bedeutet in aschkenasischen
Ländern
ein enges, sich rankendes Melisma, während einem pasta im babyloni-
schen Vortrag der Bücher der Propheten ein Schritt abwärts, im sephardischen dagegen ein Schritt aufwärts entspricht. Beispiel 34: Jüdische Akzente mündh 44
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Seph.Marokko Aschkenosisch Babylonisch Sephardisch -
Wir sind noch nicht in der Lage, diese Widersprüche zu erklären. 4 nach Carsten Höeg, a. a. O., 142. 79
In Vergils Äneis spricht der Held: In-fan-| dum Re- lgi- na ju-| bes re-no-| va-re do-| lo-rem ,
bd
-“
w
wv
,
w
fw
᾽
Eine Übersetzung in dürftiges Deutsch, aber getreu nach den originalen Silben und ihrem metrischen Charakter, würde lauten:
Un-nenn-/ ba-re/ Lei-den, o/ Für-stin, er-/ neut dein Be-/ geh-ren w
/
v
w
,
υ
w
,
w
w
,
Hier ist das natürliche Metrum von unnennbare genau so verletzt worden, wie es
mit dem Metrum von infandum im lateinischen Vers geschehen ist. Hebráische Dichtkunst zwángt die Worte niemals in ein fertiges Gerüst ein. Jedes Wort, ja jeder Satz bewahrt sein Metrum. Folglich gibt es hier weder eine regelmäßige Folge von Daktylen oder Jamben, noch findet man eine gleichbleibende Anzahl von Füßen in einem Vers. Hebräische Dichtung ist poetische Prosa. „Hebräische Prosodie unterscheidet sich grundsätzlich von klassischer Prosodie.
Keine Dichtung wird nach einem sich wiederholenden metrischen Schema geschrieben. Der Rhythmus hebräischer Dichtung hängt nicht von der relativen Stellung der hervorstechenden Silbe in bezug auf die sie umgebenden Silben ab, sondern von einer bestimmten relativen Stellung der wichtigen Silbe in der Verszeile. Der klassische Vers ist im Vergleich dazu mechanisch. Der hebräische Vers ist dynamisch.''4$
Die Anzahl unbetonter Silben, die den Akzenten vorausgingen, betrug eine, zwei, drei oder sogar vier, und der Dichter konnte nach Belieben seine Verse in
Übereinstimmung mit der mehr oder weniger starken dynamischen Spannung seiner Redewendung gestalten. Aber die Verse waren stets ‚steigend‘. Sie begannen entweder in jambischer Form mit einer unbetonten Silbe oder, was öfter vorkam,
in anapästischer Form mit zwei unbetonten Silben vor dem ersten Akzent. Der Rhythmus des Hohenliedes Salomos I, 2—3 lautet zum Beispiel folgendermaßen: yish-sha-ge- -ni min-ne-shi-qot pi--hu wW
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D
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ki-to-vim do-de-ha miy-ya-yin w
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Le Ww
Die zahllosen Autoren, die sich mit dem Problem des hebräischen Rhythmus beschaftigten, behaupten, daB die Juden, da sie keinen feststehenden Wechsel langer und kurzer Silben besaBen, praktisch die Lange der Silben ignorierten und statt dessen einige Silben, deren Wichtigkeit sich eher aus dem Text als aus formalen Eigenschaften ableitete, durch einen starken Akzent betonten. Während das klassische Metrum quantitativ gewesen ist (lang-kurz), war das hebräische Metrum nach ihrer Meinung akzentuiert (schwer-leicht). 45 Elcanon Isaacs, The Metrical Basis of Hebrew Poetry, in: The American Journal of Semitic Languages and Literatures XXXV, 1918, 29. 80
Die einzige Ausnahme, soweit ich sehe, bildet hier Elcanon Isaacs' Feststellung, daB das „hebräische Metrum die Mora(Zeiteinheit)-Basis der Poesie mit dem Akzent kombiniert. Es beruht auf der Anzahl der Morae, die durch die akzentu-
ierte Silbe näher bestimmt wird.''4* Hätte irgendein Philologe die hebräische Musik zum Vergleich herangezogen, er hätte diese Feststellung bestätigt gefunden. Ein ,,qualitatives" Metrum führt zu musikalischen Akzenten mit gesteigerter Intensitát und Taktschlagen. Aber
das ist hier nicht der Fall. Die unbetonte Silbe wird regelmáBig durch eine Brevis
dargestellt, die wir als Achtelnote transkribieren kónnen. Nur selten wird sie durch eine Ligatur von zwei Sechzehnteln ersetzt oder auf ein Sechzehntel reduziert. Die betonte Silbe wird durch eine Longa oder Viertelnote wiedergegeben. Kurz, die hebráische Melodie folgt dem quantitativen lang-kurz-Prinzip. An Feiertagen werden einige Longae zu melismatischen Gruppen ausgesponnen, gerade wie im gregorianischen Gesang. Im ganzen gesehen ist der hebráische Rhythmus frei, er läßt sich keinem vorgegebenen metrischen Gerüst oder einzelnen Taktmaßen einordnen. Der archaische hebräische Rhythmus war weniger frei. Elcanon Isaacs fand in hebráischer Dichtung eine Entwicklung, ,,die als Bewegung von strenger Formbeachtung weg zur freieren Anlage der Prosa charakterisiert werden könnte.‘ Vereinzelte Beispiele, die er in den ältesten Büchern der Bibel fand, nennt er ,,ein-
dringliche Volksdichtung — oft lyrisch, mit metrischen Füßen von vorherrschend drei Morae und großer Regelmäßigkeit im Taktschlag. Die Verse sind kurz, sehr ausgeprägt und von gleichmäßiger Länge. Der Akzent liegt zum größeren Teil auf der letzten Silbe und die Wort-Fuß-Einheiten sind sich in ihrer Form ähnlich.‘ Wir wählen als Beispiel die ersten beiden Verse des Gesangs von der Niederwerfung der Moabiter (viertes Buch Mose XXI, 27): bo-nu chesh-bon] t1b-an-éh wit-bo-nén ‘ir si-chon
Ri-ësh jJäz’-äh] mé-chesh-bon le-hä-väh mi-qir-jat
Der griechischen Terminologie nach besteht jeder Vers aus einer jambischen Dipodie und einem anapästischen Tripus, allerdings mit dem Unterschied, daß die Griechen eine lange Silbe wie ‘ir in unbetonter Stellung nicht zulassen würden. In Anbetracht der Entwicklung von strengerem zu freierem Rhythmus in der Dichtung gelangen wir zu der unumgänglichen Schlußfolgerung, daß die jüdische Musik der Nomadenzeit vor dem Jahre 1000 v. u. Z. weniger ungezwungen war als in der späteren Liturgie. Zwei Tatsachen scheinen diese Schlußfolgerung zu bekräftigen. Erstens schildern fast alle musikalischen Episoden bis zur Zeit des Tempels den Chorgesang in Verbindung mit Gruppentanz und Trommelspiel. Die Hochzeitsgesänge heutiger jemenitischer Juden veranschaulichen, wie die Be46 ebd. 29f. G
Sachs, Musik
81
gleitung von tanzenden Männern und trommelschlagenden Rhythmus in regelmäßige Zweiviertelschläge hineinzwángt.*" Art des Singens größtenteils den Frauen vorbehalten. Zu allen Ländern aber bevorzugten Frauen kurze und klare Seiten 36 —37).
Gesánge jüdischer Frauen in archaischen mann untersucht.** Es ist wesentlich, daß nach Stil und Ausführung streng von der Da Dr. Lachmann kein Notenbeispiel wird es zweckmäßig sein, ihn im folgenden
Frauen den freien Zweitens war diese allen Zeiten und in Formen (siehe die
Gemeinden wurden von Robert Lachsolch eine Musikgattung existiert und Musik der Männer geschieden ist. von diesen Liedern veróffentlicht hat, selbst zu Worte kommen zu lassen.
Die Frauengesänge sind von einem beschränkten Vorrat typischer melodischer Wendungen abhángig. Die verschiedenen Gesánge reproduzieren diese Wendungen — oder einige davon — immer wieder... Ihre Tonbeziehungen enthüllen eine der vielen Verfahrensweisen vokaler Musik vor ihrer Abhängigkeit von einem rationalen Skalen-
system der Theorie. Die Dichtungen sind alle durch wechselnde Reime in paarige Verse oder Strophen gegliedert. Bestimmte Dichtungen besitzen außerdem einen Refrain ... Die meisten Lieder bestehen aus einer Melodie mit 2—4
Sängerinnen
Teilen und deren Wiederholungen.
— oder Gruppen von Sängerinnen
Zwei
— wechseln sich in diesen Wieder-
holungen ab... Die Zeilen oder Doppelzeilen des Gedichtes werden abwechselnd von beiden Sängerinnen gesungen. Die Frauengesänge gehören zu einer Gattung, deren Formen nicht hauptsächlich
von der Bindung an den Text, sondern von Bewegungsverläufen abhängig sind. So
finden wir hier an Stelle des freien Rhythmus’ der Kantillation und ihrer sehr verschlungenen melodischen Linienführung eine periodische Auf- und Abbewegung. Dieser Gesangstyp geht — wie die Rezitation magischer oder liturgischer Texte — auf
prähistorische Zeiten zurück ... In den jüdischen Gemeinden,
und
zwar nicht nur in orientalisch-sephardischen
Bezirken, sondern zum Beispiel auch im Jemen, begleiten die Frauen ihre Lieder mit
Rahmentrommeln
oder Zimbeln, die sie mit den Händen schlagen ... Die Schläge
folgen in regelmäßigen Abständen, sie fallen auf jeden Einschnitt der Melodie. Hiermit erfüllen sie aber nur eine der verschiedenen Funktionen, deren die Trommel im Nahen Osten fähig ist. Sie geben nur die Länge der Zeileneinheit an (wie offensichtlich auch die Zimbeln
im Tempel),
aber
sie teilen weder
die Melodie
in Takte,
noch
zwingen
sie sie
in den Rahmen einer systematischen rhythmischen Figur ... Die Gesänge gruppieren sich teilweise im 4/4-Takt und teilweise im 3/4-Takt, das heißt, in den beiden einfachsten Formen.
Diese Beschreibung könnte dem Bild am nächsten kommen, das wir uns von Jephtas Tochter, die ihren Vater willkommen heißt, und von den Frauen, die
David nach dem Kampf gegen die Philister begrüßen, machen sollten. 47 A. Z. Idelsohn, a. a. O. I, 42.
4$ Robert Lachmann, Jewish Cantillation and Song in the Isle of Djerba, Jerusalem 1940,
82
67 —82
u. a.
Parallelismus membrorum lautet der philologische Terminus, der das vorherrschende Strukturprinzip hebräischer Dichtung bezeichnet. Der Halbvers wird durch einen anderen Halbvers beantwortet, der entweder eine Verstärkung oder einen Widerspruch
enthält, zwar nicht im selben Versmaß,
aber mit ähnlichen
Worten. Man betrachte zum Beispiel die Anfangszeilen des Buches Joel: Höret dies, ihr Alten,
Und merkt auf, ihr Bewohner des Landes allesamt! Ist jemals etwas derartiges zu euren Lebzeiten
Oder in den Tagen eurer Väter geschehen?
Erzählt euren Kindern davon Und
laßt eure
Kinder
es ihren
Kindern
erzählen.
Oder das älteste Gedicht in der Bibel (erstes Buch Mose IV, 23): Ada und Zilla, hört meine Rede!
Ihr Weiber Lamechs, vernehmt meinen Spruch!
Ich habe einen Mann erschlagen, weil er mich verwundete, Einen Jüngling, der mir einen Schlag versetzte. Wenn
Kain siebenmal gerächt werden soll,
So Lamech siebenundsiebzigfach.
Auch die Assyrer hielten sich an ,tautologische' und andere Parallelismen. Eine der Hymnen an Sin beginnt: Oh Herr, wer kommt dir gleich,
wer kann mit dir verglichen werden?
Allmächtiger, wer kommt dir gleich,
wer kann mit dir verglichen werden?®
Antiphonie ist die musikalische Entsprechung dichterischer Parallelismen. Dieser Ausdruck bedeutet im engeren Sinn abwechselndes Singen der beiden parallelen Zeilen durch zwei Halbchöre und im weiteren Sinn Wechselgesang eines Solisten mit einem antwortenden Chor, was in der römischen Kirche Responsorialgesang genannt wurde. Wechselgesang in geradezu riesigem Maßstab wird in dem talmudischen Traktat Sota, der sich auf eine Episode des Buches Josua bezieht, grob skizziert: Als die Israeliten den Jordan überquert hatten, und an den Berg Gerizim und den Berg Ebal in Samaria gelangt waren... erstiegen sechs Stämme den Gipfel des Berges Gerizim und sechs den Gipfel des Berges Ebal. Und die Priester und die Leviten blieben unten in der Mitte stehen, und die Priester standen rings um die Bundeslade, und um die Priester herum standen die Leviten, und ganz Israel befand sich an der einen und
an der anderen Seite ... und sie begannen mit dem Segen ... und diese und jene antworteten ,, Amen !''5o
4 Charles Gordon Cumming, a. a. O., 97. 50 Sota VII, 5.
6*
83
Als Moses, nachdem er sein Volk durch das Rote Meer geführt hatte, mit seinen
Leuten den Lobgesang anstimmte:
„Ich will dem Herrn singen, denn Er ist hoch erhaben: Roß und Reiter hat Er ins
Meer gestürzt ...' nahm die Prophetin Mirjam, Aarons Schwester, eine Schellentrommel in die Hand, und alle Frauen zogen hinter ihr mit Schellentrommeln und mit
Tánzen her. Und Mirjam sang den Mánnern als Antwort zu: ,,Singet dem Herrn, denn
Er ist hocherhaben: Roß und Reiter hat Er ins Meer gestürzt.''5
Der jüdische Philosoph Philo (geb. 30—20 v.u. Z.), der trotz seiner hohen griechischen Bildung ganz der Gedankenwelt hebráischer Tradition verhaftet war,
interpretierte diese Art des Singens als Antiphonie. „Am Ufer“, schreibt er in seinem Buch über Mose, ,,bildeten die Hebráer aus den Mánnern und den Frauen
zwei Chöre und lobten Gott; Moses stimmte den Gesang der Männer an und seine Schwester den Gesang der Frauen. Sie waren die Führer der Chóre.''5* Aber auch wenn das — ganz abgesehen von den gleichen Textworten, die sowohl Mánner wie Frauen sangen — nicht Antiphonie im engeren Sinne war, also Frauen gegen Männer, so war es doch mindestens Antiphonie im weiteren Sinn, bei der die Chöre ihren Vorsángern antworten. Um wirkliche Antiphonie handelte es sich offenbar, als anläßlich Davids Heim-
kehr nach seinem Siege über die Philister ,,die Frauen ¿im Wechselgesang anhoben und sprachen: ‚Saul hat seine Tausend geschlagen, David aber seine Zehntausend.' ''55 Das im Originaltext stehende Verb ‘änäh bedeutet ‚antworten, erwidern“.
Auf breit angelegte Antiphonie, möglicherweise von Sängern und Spielern ausgeführt, deutet ferner eine Beschreibung in dem Buche Nehemia. Als die Führer nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil (538 v. u. Z.) die Mauern von Jerusalem wieder aufgebaut hatten und sie eingeweiht werden sollten, holte man die Leviten aus allen ihren Wohnorten, damit die Einweihung begangen würde durch ein Freudenfest mit Danken und mit Singen, mit Zimbeln, Harfen und
Leiern. Da versammelten sich die Tempelsánger ... und (Nehemia) ließ die Obersten von Juda oben auf die Mauer steigen und stellte zwei große Gruppen auf, die danksagten und umzogen, nach rechts die Hälfte der Obersten von Juda und ein Teil der Priester
mit
Trompeten,
darunter
Juda
und
Hanani
mit
den
Musikinstrumenten
Davids, der andere Dankchor zog ihnen anders herum entgegen und blieb am Kerker-
tore stehen. So standen denn die beiden Dankchóre am Hause Gottes und die Sánger
sangen schallend unter Jisrahja als Leiter.5*
Die álteren Rabbi des Talmud, die noch selbst den Tempel gesehen hatten, beschreiben Grundformen des responsorischen Wechselgesangs folgendermaßen: 1. Der Solist sang die vollstándige Melodie und nach jedem Halbvers antwortete
die Gemeinde mit demselben ersten Halbvers als Refrain. Diese Form war für das
Hallel (Ps. 113—118) und für, den Lobgesang von der Flucht durchs Rote Meer (zweites Buch Mose XV) gebräuchlich.
$1 2, Mose XV.
3 Philo, Über das Leben Mosis I, 180.
53
ı. Samuel XVIII,
7.
5t Nehemia XII, 27—42 (gekürzt).
84
2. Der Solist und die Gemeinde wechselten im Vortrag von Halbvers zu Halbvers. Dies war die traditionelle Form des Shma Israel. 3. In der Schule wiederholten die Kinder die Kantillation des Lehrers nach jedem Halbvers. 4. Schon zur Zeit des Mose waren feststehende Refrains vorgeschrieben: „Und das ganze Volk soll antworten: Amen” (fünftes Buch Mose XXVII, 15 — 26). Das beste Zeugnis für Chorantiphonie gibt Philos Beschreibung eines Abendmahlsgottesdienstes der Sekte der Therapeuten :55 Gemeinsam stehen alle auf... nern und der andere aus Frauen, der der Würdigste und Beste der Gottes in vielerlei Versmaßen und
und zwei Chöre werden gebildet ... einer aus Mänund für jeden Chor wird ein Vorsánger ausgewáhlt, Gruppe ist. Dann singen sie Hymnen, die zu Ehren Melodien komponiert wurden, indem sie einmal alle
miteinander singen, und ein anderes Mal einander auf geschickte Weise antworten ... Der Chor der andáchtigen Mánner und Frauen ergibt im einfachen Singen und im Wechselspiel der Melodien ... ein wirklich musikalisches Zusammenklingen, indem
sich die durchdringenden mischen.5*
Stimmen
der Frauen
mit den tiefen Stimmen
der Mánner
Auch heute noch wird responsorische Antiphonie in allen jüdischen Liturgien angewendet. Die Jemeniten singen das Hallel vorwiegend in der Form 1, die die Jerusalemer Juden zur Zeit des Tempels pflegten, während die babylonischen Juden es am Passahfest in der Form 2 vortragen. Daneben findet sich auch chorische Antiphonie, aber nur auDerhalb der Syna-
goge. Die Jemeniten zum Beispiel singen alle außer einer Form außersynagogaler Dichtung in der folgenden Ausführung. Der (aus Mànnern bestehende) Chor ist in zwei Halbchóre von mindestens zwei Sángern unterteilt. Der Vorsánger, ein Mitglied des ersten Halbchores, singt den ersten Vers (acht Takte) zunächst allein, um die Melodie ins Gedächtnis zu rufen. Die folgenden Verse werden dann abwechselnd gesungen, und zwar der erste Halbvers vom ersten Halbchor und der zweite Halbvers vom zweiten Halbchor. Liegt eine Koda vor, singen beide Halbchöre sie gemeinsam. Trommeln sollen den Rhythmus schlagen. Im Falle, daß sie nicht zur Verfügung stehen oder, wie an Sabbattagen, nicht zulässig sind, klatschen die Zuschauer in die Hände. Diese Wechselgesänge werden niemals ohne Mitwirkung eines oder zweier Tänzerpaare gesungen — zu Beginn in langsamem, dann ih ständig gesteigertem Tempo bis zum rasenden Prestissimo. Bei der engen Verwandtschaft zwischen assynschen und hebräischen religiösen Dichtungen sollte es als selbstverständlich gelten, daß es in Assyrien Antiphonie gab. Obwohl kein direkter, unwiderlegbarer Beweis dafür vorliegt, hatte C. G. Cumming, der eine Monographie über die assyrischen und hebräischen Lobgesänge verfaDte, doch genügend Material, um ein ganzes Kapitel über diesen Gegenstand zu schreiben und festzustellen: ,, Der Gebrauch des Refrains in den assyrischen 53 Philo, De vita contemplativa XI. 56 Zitiert aus Gustave Reese, a. a. O., 60.
85
Hymnen weist wie im Falle der hebräischen Hymnen auf antiphonale Responsorien zwischen Priester und Chor bzw. Chor und Chor hin.‘?? Greifbare Zeugnisse nicht-jüdischer Antiphonie stellen die ausgelassenen Spiele der Nubier in Oberágypten dar, die in ihrer archaischen Kultur eine ganze Reihe altágyptischer Züge getreu erhalten haben. Vor einhundertfünfzig Jahren beobachtete der franzósische Musikwissenschaftler Villoteau, wie sie in zwei Reihen zu je vier, sechs, acht oder auch noch mehr Männern sangen und tanzten, das Gesicht einander zugekehrt, im Abstand von zwei oder drei FuD, genau wie auf bestimmten
alten ägyptischen Reliefs. Villoteaus musikalische Beispiele zeigen kontinuierliches Abwechseln der beiden Chóre, von denen jeder zwei Takte singt, oder aber daß der zweite Chor mit einem überlappenden Refrain einfällt.5® Ich selbst nahm 1930 an nubischen Ruderbootfahrten auf dem Nil in der Nähe des ersten Wasserfalls teil und beobachtete, wie der Führer improvisierte und die Mannschaft respondierte, und zwar ziemlich genau in derselben Weise wie Kantor und Gemeinde in einer Synagoge. Beispiel 35: Nubier (von Curt Sachs gehört)
Doch all diese Belege werden noch übertroffen durch einen Brief von einem der
Kirchenváter,
St.
Basilius
(etwa
330—379),
der
darin
das
antiphonale
und
responsoriale Singen der Psalmen, wie es die „Ägypter, Libyer, Thebaner, Palästinenser, Araber, Phónizier, Syrer und die Anwohner des Euphrat‘ pflegen, verteidigt.599 Das beweist, daß antiphonales und responsoriales Singen zwischen Libyen und Mesopotamien allgemein verbreitet war. Die christliche Liturgie Syriens, die der jüdischen Liturgie Palástinas am náchsten steht, bezeugt, daB Antiphonie keineswegs das einzige musikalische Merkmal ist, daD Israel mit der übrigen óstlichen Welt zwischen Libyen und Mesopotamien gemeinsam besaß. Obwohl eigentlich keine ihrer Melodien bis zum Altertum zurückverfolgt werden kann, sind sich die Forscher doch in der Annahme einig, daß sie ursprüngliche Elemente enthalten. Beispiel 36: Syrische Christen (nach Idelsohn)
57 Charles Gordon Cumming,
a. a. O., 72—82, 99.
ss Villoteau, De l'État Actuel de l'Art Musical en Égypte, in: Description de L'Égypte, Etat moderne, XIV, Paris 1826, 254—259. 5 Gustave Reese, a. a. O., 63.
86
Hier liegen tatsächlich die gleiche Bevorzugung tetrachordaler Struktur, derselbe Kantillationsstil und auch bestimmte, in enger Beziehung zu den meisten archaischen jüdischen Weisen stehende Standardmelodien vor. Weitere Merkmale sind die Anpassungsfähigkeit melodischer Modelle an Texte verschiedener Länge und von unterschiedlichem Rhythmus, die Wiedergabe irregulärer qualitativer Metren durch irregulär wechselnde kurze und lange Noten, Akzente und Neumen, Paral-
lelısmus membrorum sowie ausgeprägte Antiphonie beiderlei Art wie Halbchor gegen Halbchor und Chor gegen Solosánger.9? Weiter nördlich formte sich unter syrischem Einfluß die früheste Kirchenmusik Armeniens. Wir kennen jedoch diese Musik nicht. Die alte Notation ist noch nicht entziffert worden, und die heutigen Melodien scheinen viel jüngeren Datums zu sein. Aber selbst die moderne Kantillation Armeniens beruht auf melodischen Formeln und nicht auf Skalen, und seine ältesten Hymnen sollen Prosa gewesen sein, das heißt frei im Rhythmus. Beide Merkmale stellen eine Beziehung zur jüdischen Musik her.*! In ähnlicher Weise kehren die charakteristischen Züge der jüdischen Kantillation im Gesang der christlichen Nachbarn Israels im Westen wieder, bei den
Kopten Ägyptens.
Die Kopten, die einheimischen Christen Ägyptens, haben die Rassenmerkmale der alten vorislamischen Ägypter bewahrt und gebrauchen im Gottesdienst noch deren
Sprache. Alle Eroberer, die Griechen, Römer, Araber und Türken, haben sie fast
unberührt gelassen. In Anbetracht dieser Beharrlichkeit besteht die Hoffnung, daß die ägyptische Musik der Spätzeit bis zu einem gewissen Grade in den koptischen Kirchengesängen erhalten geblieben sein könnte. Der Gesang wird von einigen blinden Sängern ausgeführt, die am Boden sitzend mit dünner, hoher und nasalgefärbter Stimme die Lieder vortragen und sich dabei mit dem hellen Klang kleiner Zimbeln begleiten, ähnlich wie die alten Ägypter ihr metallisches Sistrum schüttelten. Ihre Melodien sind streng heptatonisch und in der Hauptsache syllabisch mit relativ wenig Ligaturen und Verzierungen. Der Zuhörer vermeint oft, tetrachordale Modi zu hören. Beispiel 37: Kopten (nach Newlandsmith)
Aber wer je koptischen Gottesdiensten beiwohnte — der Autor hatte mehrere Male in Kairo und Luksor dazu Gelegenheit — wird von der entmutigenden Unbestimmtheit der innerhalb einer Quarte oder Quinte liegenden Töne betroffen sein 69 A. Z. Idelsohn, Der Kirchengesang der Jakobiten, in: Archiv für Musikwissenschaft
IV, 1922, 432.
364— 389. Egon Wellesz und andere Quellen: s. Gustave Reese, a. a. O.,
*1 s. die Bibliographie bei Gustave Reese, a. a. O., 434.
87
und daher den Gedanken an eine modale Analyse fallen lassen. Das Problem, wie man diese Unbestimmtheit interpretieren soll, ist schwierig. Ist sie ein dem koptischen und also auch dem ägyptischen Stil eigenes Merkmal, oder ist sie eine Degenerationserscheinung? Im Hinblick auf das Wesen des Singens im allgemeinen und des orientalischen Singens im besonderen ist Übernahme wahrscheinlicher als Verfall. In ähnlicher Weise sollte auch äthiopische Kirchenmusik Berücksichtigung finden. Abessinien rühmt sich, jüdischer Abstammung
zu sein, glaubt, daß sein
erster Kaiser der Sohn König Salomos und der Königin von Saba war und be-
hauptet, daß seine Kirche die Melodien des Tempels Salomos bewahrt habe. Die Geschichte ihrerseits berichtet, daß der erste Bischof Äthiopiens ein Phönizier, das heißt, ein Nachbar der palästinensischen Juden war, und daß um 500 n. u. Z.
syrische Mönche als Missionare in dieses Land kamen.
Beispiel 38: Abessinier (nach Herscher-Clément)
Die Kantillation der abessinischen Kirchengesänge ist bis jetzt kaum erforscht worden. Wenigstens in ihrer Ausführung aber zeigt sie ein Merkmal, das uns an die
jüdische
Tempelmusik
erinnert.
Die
Versenden
werden
durch
Schütteln
des
Sistrums markiert, das entweder mit dem alten jüdischen oder aber wahrschein-
licher noch mit dem alten ägyptischen Sistrum identisch ist, das in seinem Heimatland lángst vergessen wurde. Tatsächlich leugnen die Äthiopier nicht, daß es enge Bindungen zwischen ihrer Kirchenmusik und den Melodien der Kopten gibt.® Auch
Mehrstimmigkeit
ist ein faszinierendes Merkmal
abessinischer Musik, und
zwar umso mehr, als hier — abgesehen von dem arabischen EinfluD in den improvisierten Gesángen zur Massanqo, der Fiedel der wandernden Spielmánner — das musikalische Leben seit alten Zeiten unberührt geblieben zu sein scheint. Mondon-Vidailhet, ein franzósischer Resident Abessiniens, der ein ausgezeich-
neter Beobachter und wohl der beste unter den sehr wenigen Autoren war, die über äthiopische Musik schrieben, berichtet, daß die „liturgische Musik keineswegs ausschließlich homophon
ist ... Bei verschiedenen Zeremonien
bemerkte
ich, daß,
bevor eine der Gruppen ihren Gesang beendet hatte, eine andere Gruppe bereits 63 s. die Bibliographie bei Gustave Reese, a. a. O , 434; s. a. den Beitrag von J Herscher-Clément, Chants d'Abyssinia, in: Zeitschrift für Vergleichende Musikwissenschaft II, 1934, 51— 57.
88
anfing, so daB das Ganze eine sehr harmonische Musik, eine sehr komplizierte Art Kontrapunkt ergab . . ."5 Er erzählt von bettelnden Aussätzigen, die vor Sonnenaufgang an den Türen ihrer glücklicheren Landsleute ἰαἰιδαἰοό vortragen. Zuerst singt eine Frau, dann ein Mann, dann beide oder sogar drei; und bei diesem Zusammensingen ergibt sich, um Mondon-Vidailhets Worte zu übersetzen,
‚eine einfache Harmonie,
die sich
allgemein auf die Terz gründet.‘ Eine dritte Form des Gemeinschaftsmusizierens in Äthiopien findet sich in den Volksgesängen, die zafan genannt werden. Ein Solist singt die Strophen, der Chor fällt in den Refrain ein, und während alle gemeinsam die Koda singen, hört eine Stimme nach der anderen auf, bis nur eine einzige Stimme übrigbleibt,*® fast wie in Haydns Abschieds-Sinfonie, wo ebenfalls ein Musiker nach dem anderen zu spielen aufhört und davongeht. Eine noch wichtigere Parallele wird in dem talmudischen Traktat Avahin II, 3 angeführt. Bei der Erwähnung der Doppeloboe wird hier hinzugefügt, daB die Schlußkadenz nur auf einem Rohr gespielt wurde,
„um sie angenehmer zu ma-
chen.‘ Ich habe an anderer Stelle schon die Frage behandelt, aus welch verschiedenen Gründen zwei gleichzeitig geblasene Rohre weniger angenehm sein kônnen.*
Vielleicht wurden sie unison gespielt und riefen, wenn sie nicht mit größter Sorg-
falt aufeinander abgestimmt wurden, unangenehme Schwebungen hervor, oder aber sie spielten jeweils verschiedene Stimmen, móglicherweise und sogar wahrscheinlich in der Art eines Bordun. Bordunspielen ist in der Tat überall dort, wo Doppelpfeifen gespielt werden, die Grundform des Kontrapunktes. Der arabische Argül und die Doppeloboen Indiens, die sardinische Tripelklarinette Launeddas und praktisch alle Sackpfeifen in der Welt sehen eine Pfeife für die Melodie und die andere für den ausgehaltenen Orgelpunkt unterhalb der Melodie vor. Bordune, an sich schon archaisch, waren zweifellos schon vor wenigstens fünf-
tausend Jahren bekannt. Auf einem Relief des ägyptischen Alten Reiches ist eine Doppelklarinette abgebildet, und Sumer hat Doppeloboen aus derselben Zeit hinterlassen. Auf einigen Gemälden des ägyptischen Neuen Reiches (nach 1500 v. u. Z.) greift ein Bläser das rechte Rohr mit beiden Händen ab, während das linke Rohr nur mit dem Daumen gehalten wird. Das weist deutlich darauf hin, daß das linke Rohr als Bordun mitklingt. Auf anderen Gemälden hält die linke Hand das Rohr oberhalb des hóchsten Griffloches; auch dieses Rohr kann also keinesfalls mehr als einen einzigen Ton beigesteuert haben. Die Grifflócher, die der Spieler nicht benutzen wollte, wurden mit Wachs verstopft. Eine in Theben ausgegrabene Pfeife, die etwa aus der Zeit gegen Ende des Mittleren oder Beginn des Neuen Reiches stammt, enthált noch heute das in drei der vier Grifflócher gestopfte Wachs.
33 Mondon-Vidailhet, La
Musique
Éthiopienne,
in: Lavignac, Encyclopédie
Musique, Teil I, Bd. V, Paris 1922, 3192. ** ebd. 3181. 65 ebd. 3180. 65 Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 120
de la
89
Die Mehrstimmigkeit der Harfenspieler schließlich ist schon in meiner History of Musical Instruments behandelt worden. Ein sehr bekanntes Relief im Britischen Museum stellt das elamitische Hoforchester dar, welches den assyrischen Eroberer im Jahre 650 v. u. Z. willkommen heißt. Unter den abgebildeten Spielern sind sieben Harfenisten, die einander in allen Einzelheiten mit der Ausnahme
gleichen, daß sie verschiedene Saiten zupfen. Eine solche Abweichung darf bei einem Kunstwerk von realistischer, ja fast photographischer Genauigkeit nicht als zufällig betrachtet werden. Auch kann der einzige Unterschied zwischen sonst sich völlig gleichenden Spielern nicht etwa durch formale Beweggründe des Künstlers erklärt werden. (s. Abbildung 4). Jeder Harfenspieler zupft zwei Saiten. Da die Ordnungszahlen der angerissenen
Saiten jeweils um fünf auseinander liegen — die fünfte, zehnte, fünfzehnte und die
achte, dreizehnte, achtzehnte werden gezupft — muß das Tongeschlecht pentatonisch gewesen sein, und zwar entweder mit großen Terzen und Halbtönen oder mit kleinen Terzen und Ganztönen. Die daran anknüpfende Frage, ob die Tetrachorde zu Heptaden oder zu Oktaven zusammengestellt wurden, ist bedeutungslos, da bei dem Umfang von zwanzig Saiten verbundene und unverbundene Tetrachorde einander irgendwie abwechseln. Nimmt man zum Beispiel an, daß die fünfte Saite auf A abgestimmt wurde, so ergibt die zehnte und die fünfzehnte a bzw. a’, und die achte, dreizehnte und achtzehnte Saite e, e’, und e". Das Resul-
tat wäre demnach eine auf moderne Weise orchestrierte Quinte, deren beide Töne in verschiedenen Kombinationen — als Doppeloktave, Oktave, Einklang und Quinte — unter den sieben Spielern verteilt sind: erster Harfenspieler:
A-e”
vierter Harfenspieler: fünfter Harfenspieler: sechster Harfenspieler: siebenter Harfenspieler:
e’-e’ a-e” a'-e'' (a)-e’
zweiter Harfenspieler: dritter Harfenspieler:
e-e’ e’-e”
Die unvorhergesehenen Ergebnisse, die das Studium dieses Reliefs lieferte, ermutigten mich, die Untersuchung auf andere alte Darstellungen von Harfenspielern aus Assyrien und Ägypten auszudehnen, bei denen die Saiten und zupfenden Finger mit ähnlicher Genauigkeit ausgeführt waren. Dabei fand ich auf assyrischen Darstellungen aus dem siebenten Jahrhundert v. u. Z. die Quinte und auf ägyptischen vom frühen dritten Jahrtausend v. u. Z. an Quinten, Quarten, Oktaven und Einklänge abgebildet. Es ist wahrscheinlich, daß das mehr eine zufällige Hervorhebung der Haupttöne als eine ständige Begleitung in Parallelen bedeutet. Immerhin beweist es aber den Gebrauch pentatonisch gestimmter Instrumente, obwohl das wiederum nicht zwangsläufig auch die Verwendung pentatonischer Melodien in sich schließt. 47 ebd. 82. 68 Curt Sachs, Zwethlänge im Altertum, in: Festschrift für Johannes Wolf, Berlin 1929,
168 — 170.
90
4 Schluß Um kurz zusammenzufassen: Trotz des fast völligen Fehlens direkter Informationen erlauben uns Analogieschlüsse und andere indirekte Folgerungen, die ungefähren Umrisse davon zu skizzieren, wie Musik im alten westlichen Orient ausgesehen hat. Große Ensembles, wie die Hoforchester Ägyptens,
Babylons und Elams, und
die mit dem Tempel in Jerusalem verbundenen Chöre und Orchester, weisen auf einen hohen Stand musikalischer Erziehung, Fertigkeit und Erkenntnis hin. Das System, dem sie folgten, kann bis zu einem gewissen Grade von den verwendeten Musikinstrumenten abgeleitet werden. Die offenen Saiten von Harfen und Leiern weisen auf das Auf-und-Ab-Prinzip und fast mit Sicherheit auf eine pentatonische Stimmung hin, was auch andere Zeugnisse bestätigen. Die späteren Langhalslauten, die sich von einem Zentrum in Mesopotamien oder im Iran aus verbreiteten, deuten auf das Teilungsprinzip. Der Gesang war zumindest in den letzten tausend Jahren v. u. Z. heptatonisch orientiert, ohne jede Spur von Pentatonik. Stilistisch zeigte er im wesentlichen logogene Züge, vorwiegend syllabischen Aufbau und nur mäßig Verzierungen in Form von Ligaturen und Melismen. Die Melodie lehnte sich an vorgegebene Modelle an oder wurde aus sorgsam klassifizierten Motiven, nicht aber aus Einzeltönen zusammengesetzt. Infolgedessen entwickelte sich die Notation in der Richtung auf Gruppenschriften, Akzente und Neumen, nicht aber auf Tonhöhenschriften. ,Metrum' im griechischen Sinne war unbekannt und ,Takt' mit regelmäßigen Schlágen existierte nur in Tánzen und in vom Tanz beeinfluBter Musik. Die religiöse Melodik war rhythmisch frei, den unregelmäßigen Metren der Worte entsprach sie durch Dehnung der akzentuierten Silben, auch wenn diese phonetisch kurz waren. Neben einfachem Solo- und Chorgesang wurde Musik mit Vorliebe in den verschiedenen Formen der Antiphonie organisiert. Genau zu bestimmen, welche Rolle Mehrstimmigkeit spielte, ist schwierig. Bordune und konsonante Zusammenklánge kamen zumindest auf Instrumenten vor. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß der alte westliche Orient eine Musik besaß, die völlig abwich von dem, was Historiker des neunzehnten .Jahrhunderts über sie schrieben. Gleich zu Beginn des ersten Bandes der Geschichte der Musik von A. W. Ambros in der Ausgabe von 1887 kann man lesen, daß sich „die assyrische
Musik
niemals
über
das Niveau
eines bloßen
sinnlichen
Reiz-
mittels erhoben zu haben scheint", daB die Musik Babylons ‚auf jeden Fall wollüstig, lärmend und weit entfernt von einfacher Schönheit und edler Form 91
war“ und daß die Hauptaufgabe phónizischer Musik darin bestand, , die Schreie
der Opfer zu übertönen, die in den glühenden Armen des Moloch verbrannt wurden.‘ Welch ein Unterschied zu der ruhigen Einfachheit und der edlen Größe griechischer Musik! Legen wir diese übereilten und törichten Ansichten ad acta! Denn obgleich wir nicht wissen, wie die alte Musik geklungen hat, besitzen wir doch genügend Zeugnisse ihrer Macht, Erhabenheit und Würde. Und der nicht geringste Beweis liegt darin, daß selbst die Griechen für sich in Anspruch nahmen, von ihr gelernt zu haben.
Drittes Kapitel
Ostasien
1 Allgemeine Merkmale Dieser Abschnitt befaßt sich mit der Musik Chinas, Koreas und Japans sowie mit der Musik Indochinas von Annam bis Siam und der malaiischen Inseln,
hauptsächlich Balis und Javas. Die chinesische Musik läßt sich bis zur Shang-Dynastie zwischen dem vierzehnten und zwölften Jahrhundert v. u. Z. zurückverfolgen. Die Anfänge der japanischen Musik fallen erst ins fünfte Jahrhundert u. Z., als die koreanische Hof-
musik übernommen wurde. Im sechsten Jahrhundert kam Japan, wiederum auf dem Umweg über Korea, mit dem Buddhismus und mit der zeremoniellen Musik Chinas in Berührung, wohingegen der direkte Einfluß ohne fremde Vermittlung erst hundert Jahre später einsetzte. Von China übernahm Japan auch die zeremoniellen Tänze Indiens mit der dazugehörigen Musik, die zur feierlichen und farbigen Bugaku japanisiert wurde. Mit einer starken Strömung von der Mandschurei her fanden die fremden Einflüsse auf die klassische Musik Japans im achten Jahrhundert ihren Abschluß. Die japanische Musik ist archaischer als die chinesische, obwohl ihre Geschichte so viel kürzer gewesen ist. Auf den ersten Blick scheint das paradox. Aber es stimmt mit der allgemeinen Regel überein, daß Dinge in ihrer ursprünglichen Heimat weiterentwickelt werden, während ihre natürliche Entfaltung in fremder Umgebung zum Stillstand kommt. In vielerlei Hinsicht kann daher die Musik des alten Orients in Japan besser erforscht werden als in China. Die alte Musik des Fernen Ostens, von der wir Kenntnis haben, ist nur ein Teil,
ja sogar nur ein kleiner Teil der Musik, die in Jenen alten Zeiten tatsáchlich ausgeübt wurde und gefallen haben mag. Wir befinden uns hier fast in der gleichen Situation wie die Musikwissenschaftler,
die sich mit dem
Mittelalter befassen.
Genau wie diese auf Bücher angewiesen sind, die von Mónchen für Mónche über die Musik von Mónchen geschrieben worden sind, wáhrend man den weltlichen 93
Gesängen
und Tänzen
keine Aufmerksamkeit
schenkte,
so wurde
auch
Chinas
„Volksmusik, die mit eingeführten literarischen Prinzipien nicht zu vereinbaren war und für die es keinen anerkannten Präzedenzfall gab, einfach ignoriert.''! Die wenigen
schátzig.
Stellen, in denen
,volkstümliche'
Musik erwáhnt
wird, sind ab-
Nach Konfuzius’ Worten ist die musikalische Äußerung eines ungebildeten
Menschen
,,laut und
schnell und
Glocken,
Klingsteinen,
dann
wieder schwach
und
matt,
ein Abbild
heftigen Todeskampfes. Sein Inneres ist nicht harmonisch ausgeglichen, Sanftheit und anmutige Bewegungen sind ihm fremd.“ Als vulgär galt die ,,larmende“‘ Musik der Despoten von Xia und Yin, über die Lü Bu We, der Dichter des Frühling und Herbst, schreibt: ‚Sie hielten die starken Klänge von großen Pauken und Klarinetten
und
Flöten
für schön
und
hielten Massen-
wirkungen für sehenswert. Sie strebten nach neuen und seltsamen Klangwirkungen, nach Tönen, die noch kein Ohr gehört, nach Schauspielen, die noch kein Auge gesehen. Sie suchten einander zu überbieten und überschritten Maß und Ziel.'? Die wahre Musik dagegen, des edelgesinnten Menschen,
oder, mit den Worten des Konfuzius, ‚die Musik ist sanft und zart, sie bewahrt eine einheitliche
Stimmung, erhebt und rührt. Solch ein Mensch kennt keinen Schmerz und trágt keine Trauer in seinem Herzen, heftige und verwegene Regungen sind ihm fremd.''?
Musik sollte heiter sein: yue-,Musik’ und /o-, Heiterkeit' haben dasselbe Schriftzeichen. Der Gegensatz von guter und schlechter Musik schied weniger die religiöse
von der weltlichen Musik, als vielmehr die esoterische Musik weniger Weiser,
die die Musik als letzte Stufe beim Durchwandern des Universums ansahen, von
der billigen Unterhaltung der Nichteingeweihten. Daher vermochte Lü Bu We
„nur mit einem Menschen, der den Weltsinn erkannt hat, über Musik zu reden.''* In solcher Musik war kein Platz für Staccato, Accelerando, starkes Crescendo oder Decrescendo — für nichts, was Unruhe, Leidenschaft und Begierde hervor-
rufen mochte. Musik war die Weisheit des Herzens. Ohne Zweifel konnte ,gute Musik' auch langweilig sein, und wir tadeln den Prinzen Wen von Wei (426 bis 387 v. u. Z.) nicht für den Ausruf: ‚Wenn ich in Festgewand und Krone die alte Musik höre, so muß
ich mich immer in acht nehmen,
daß ich nicht einschlafe.
Wenn ich dagegen den Gesángen aus Zheng und Wei lausche, kenne ich keine
Müdigkeit.''5
ω
&®
ὦ
δ)
P»
Aber ganz abgesehen davon, ob gute Melodien als angenehm oder langweilig empfunden wurden — die Einstellung zur Musik ist nie idealistischer gewesen. Da der Ferne Osten eine so erhabene Auffassung besaD, ráumte er der Kunst einen ganz besonderen Platz in seinem geistigen Leben ein.
94
R. H. van Gulik, a. a. O., 39.
Lü Bu We, a. a. O., 59.
Wilhelm, a. a. O. Lü Bu We, a. a. O., 57. R. H. van Gulik, a. a. O., 37.
Für den Chinesen wird die Musik im Herzen des Menschen geboren. Was das Herz bewegt, das strömt in Tönen aus, und was als Ton erklingt, das beeinflußt das Herz des Menschen.$ Selbst Konfuzius, das geistige Vorbild seines Volkes,
war von einer alten Hymne so tief beeindruckt, daß er *,drei Monate lang den Geschmack von Fleisch nicht verspürte", und als er das Qing spielte, rief ein an
seinem
Haus
vorübergehender
Mann
schlägt, ist des Überfließens voll.''?
aus:
„Das
Herz, das so den
Klingstein
Eine alte Legende erzählt, daß der Musikmeister Wen aus Zheng den großen
Meister Xiang auf seinen Reisen begleitete. Drei Jahre lang spielte er die Saiten,
aber keine Melodie wollte zustande
kommen.
Da sprach der Meister Xiang:
„Geh lieber nach Hause". Meister Wen legte seine Zither nieder, seufzte und sagte: „Es liegt nicht daran, daß ich keine Melodie hervorbringen kann. Was
meine Gedanken in Anspruch nimmt, hat nichts mit Saiten zu tun, wonach ich strebe, sind nicht Tóne. Erst wenn ich es in meinem Herzen erlebt habe, vermag ich es auf dem Instrument auszudrücken; daher wage ich nicht, meine Hand zu bewegen und die Saiten zu berühren. Aber laß mir noch etwas Zeit und prüfe mich dann.“ Nach einiger Zeit erschien er wieder vor Meister Xiang, der ihn fragte:
„Wie
steht es mit deinem
Spiel?"
Meister Wen
antwortete:
‚Ich habe
es geschafft, bitte prüfe mein Spiel." Zu dieser Zeit aber war Frühling. Und als er die Shang-Saite zupfte und den achten Halbton zur Begleitung anschlug, kam ein kühler Wind auf, und die Sträucher und Bäume trugen Früchte. Als es Herbst war und er die Jue-Saite zupfte, die er mit dem zweiten Halbton beantwortete, erhob sich eine linde, leichte Brise und die Sträucher und Bäume ent-
falteten ihre Pracht. Als es Sommer war und er die Yw-Saite zupfte und sie mit dem elften Halbton begleitete, senkten sich Rauhreif und Schnee hernieder, und die Flüsse und Seen froren plötzlich. Als der Winter gekommen war und er die Zhi-Saite zupfte und sie mit dem fünften Halbton beantwortete, begann die Sonne zu sengen, und das Eis taute im Nu. Schließlich spielte er die Gong-Saite und vereinte ihren Klang mit dem der anderen vier Saiten; da säuselten liebliche Winde, Wolken des Glückes zogen herauf, süßer Tau fiel und die Quellen sprudelten kraftvoll hervor. Die Zauberkraft der Musik, Naturgesetze zu bezwingen, ist in den Legenden aller Völker gepriesen worden. Der chinesische Mythus aber geht tiefer: Nicht der Klang als solcher besitzt diese Kraft
— es ist das Herz, das dieses Wunder bewirkt, das
große Herz, das in der Musik Ausdruck und Form findet.
Das große Herz in der Musik anderer Völker schlägt selten mit dem unseren im Einklang. Jeder weiß aus Erfahrung, wie schwierig es ist, die emotionalen Qualitäten des Musikstils unserer Ahnen von vor dreihundert Jahren zu erfassen, und
wie sehr ein gewissenhafter Künstler im Zweifel darüber sein kann, ob seine Inter-
pretation dem gerecht wird oder nicht, was der alte Komponist im Sinn hatte. 5 Lü Bu We, a. a. O., 73. ? The Original Chinese Texts London 1861, 185.
of the
Confucian
Analecta,
übersetzt
von
J. Steele,
95
Aber die Kluft zwischen uns und ,exotischer' Musik ist kaum
überbrückbar.
Wer jemals musikalischen Darbietungen im Orient beigewohnt hat, weiß, daß die Einheimischen oft völlig unbewegt scheinen, während sich Vorstellungskraft oder Anteilnahme des Besuchers entzünden, und daß er umgekehrt oft gänzlich kalt bleibt oder gar gelangweilt ist, während sie in ein verzücktes Yä Salām ausbrechen. Obwohl uns der Genuß all ihrer Reize versagt ist, erkennen wir doch zumindest, daß Musik großartiger und reichhaltiger ist als unsere eigene begrenzte musikalische Aufnahmefähigkeit ihr gewöhnlich zugesteht. Und es ist gut, wenn man das weiß. Soweit es das alte China betrifft, scheint der emotionale Gehalt in viel stärkerem
Maße von Einzelklängen als von melodischen Wendungen ausgegangen zu sein. Konfuzius’ Steinplatte lieferte nur einen Ton; so muß ‚tiefempfundenes‘ Schlagen durch das Vermögen, beinahe unmerkliche Schattierungen des Anschlagens und Dämpfens und sogar des Unterbrechens auszuwerten, diesen einen Ton belebt haben. In áhnlichem Sinne erwartet man noch heute von japanischen Flótenspielern, daß sie den Einzelton nicht nur durch fortwährendes Vibrato, sondern auch durch
geschicktes Treiben über seine normale Hóhe beleben. Die Langzither in ihren beiden Formen Se und Q:»,? die oft irrtümlich als ,Laute'' bezeichnet wird, ist der herausragende Reprásentant dieser esoterischen Musik des alten Chinas. Weder Sángerinnen noch Schauspieler durften dieses Instrument spielen. Aber von einem Gelehrten wurde erwartet, daD es sich irgendwo in seinen Arbeitsráumen
und
sogar
dann,
wenn
Beisein von wenigen
vorfand,
auch wenn
es keine Saiten
auserwáhlten
er es nicht zu spielen verstand,
besaB. Entweder
Freunden
ganz
allein
oder
pflegte der Spieler, nachdem
im
er
Weihrauch angezündet und sich feierlich die Hánde gewaschen hatte, das lange,
schmale Instrument vor sich hinzulegen und sein vertráumtes, zartes Spiel zu beginnen. Nur wenige Töne mögen rein und unverändert geblieben sein. Meistens wird der Saite kurz nach dem AnreiBen für einen Augenblick oder den ganzen Zeitwert eine zusätzliche Spannung gegeben, so daß sich der Ton erhöht. Oder aber der Finger, der die Saite abgreift, verläßt den gerade angerissenen Ton und gleitet mit einem mehr wischenden Geräusch als melodiösem Glissando die Saite entlang. Solch fortwährendes Wehklagen und Schluchzen ist, obwohl es sicher unserem Geschmack nicht entspricht, unentbehrlich, sobald ostasiatische Musik zum Herzen spricht. Und hier liegt dann auch die Schönheit
nicht so sehr in der Aufeinanderfolge der Töne wie in jedem einzelnen Ton selbst... Jeder Ton ist ein Wesen für sich und dazu bestimmt, im Innern des Hórers eine be-
sondere Reaktion hervorzurufen. Da das Timbre demgemäß von äußerster Wichtigkeit
ist, gibt es hier viele Móglichkeiten, die Klangfarbe ein und desselben Tones zu verändern. Um diese Musik verstehen und richtig würdigen zu können, muß das Gehör erst subtile Nuancen unterscheiden lernen. Derselbe Ton besitzt, wenn er auf einer * Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 185— 188. 96
anderen Saite gespielt wird, eine ganz andere Klangfarbe, und dieselbe Saite besitzt, wenn sie mit dem Zeige- oder Mittelfinger der rechten Hand gezupft wird, ein unter-
schiedliches Timbre. Die Technik, durch die diese Veränderungen des Timbres bewirkt werden, ist außerordentlich kompliziert. Allein vom Vibrato gibt es nicht weniger
als sechsundzwanzig verschiedene Abarten. Der Eindruck, den ein Ton hervorruft, ist, wenn ihm ein anderer folgt, wieder anders. So ergibt sich ein unwiderstehliches, zwingendes Bild einer Stimmung, einer Atmosphäre, das dem Hörer die Empfindung einprägt, die den Komponisten inspirierte.*
Dem Einzelton wurde tatsächlich größere Bedeutung beigemessen als der Melo-
die. Die in allen Arten von Orchestern zahlreich vertretenen Klangspiele waren nichts als Aneinanderreihungen einzelner Steine, metallener Platten oder Glocken,
die zwar durch ein gemeinsames Gestell miteinander vereinigt waren, nicht aber
durch irgendeine wirkliche Skalenordnung. Die Panflöten unterlagen dem gleichen Prinzip. Jede Strophe der Hymne an Konfuzius endete mit einem einzelnen Schlag auf einem Klingstein, der „den Ton aufnehmen‘ und ihn zum folgenden Wort weiterleiten sollte. Kosmologische Bedeutungen wurden Einzeltönen und nicht, wie im Westen, melodischen Formeln beigegeben. Auch die Tonschrift bestand aus einzelnen Tonhöhensymbolen.
Auf den ersten Blick sollte man meinen, daß eine Musikkultur, in der die deut-
liche Trennung der Töne eher vermieden als angestrebt wird und in der es scheinbar mehr auf den Einzelton als auf seine melodische Beziehung zu anderen Tönen ankommt, wenig an genauen Tonhöhen und Skalen interessiert sei. Aber das Gegenteilist der Fall; denn die Wichtigkeit des Einzeltones und seine Unabhängigkeit konnten nur Gesetz und strenge Festlegung, nicht aber Anarchie zur Grundlage haben. Tatsächlich war die Musik in China Gesetz und strenger Festlegung in weit größerem Maße unterworfen als irgendwo anders, denn sie ,,wurzelt im großen Einen",
in der universellen Idee, die „man sich nicht vorstellen und nicht begrifflich be-
nennen kann." Die Welt selbst als Offenbarung des großen Einen, integrierte Zeit, Raum, Energie und Klang. Die Welt verkörperte die ewige Zeit in ihrem unveränderlichen Kreislauf der Jahreszeiten, Monate und Stunden. Sie verkörperte den ewigen Raum gegen Osten und Westen, Norden und Süden. Sie vereinigte alle Substanzen, Holz Metall, Haut und Stein zu einem Ganzen. Sie war
Kraft, sichtbar in Wind und Donner, Feuer und Wasser. Und schließlich war die
Welt Klang mit seinen zwei Wahrnehmungsaspekten — Tonhóhe und Klangfarbe. Zeit und Raum, Materie und Musik entsprachen einander und stellten in ihrer Kongruenz lediglich verschiedene Aspekte desselben Einen dar. Zwischen ihren unterschiedlichen Merkmalen herrschte folglich ebenfalls Übereinstimmung: Eine bestimmte Jahreszeit entsprach einer bestimmten Himmelsrichtung, einer Substanz,
einem Musikinstrument
oder einem Ton.!! Und die vier Jahreszeiten
9 R. H. van Gulik, a. a. O , 1f. 1? Lü Bu We, a. a. O., 56 und 58. 11
Zuerst im Zhou
7 Sachs, Musik
li beschrieben.
97
wurden nicht nur durch bestimmte Zeitspannen, sondern auch durch musikalische Intervalle voneinander getrennt: Dem Auf-und-Ab-Prinzip folgend, führte eine Quinte
vom
Herbst
zum
Frühling,
eine Quarte
zurück
zum
Winter
und
eine Quinte zum Sommer, wobei sich die merkwürdige Gleichsetzung ergab, die der bereits im zweiten Kapitel erwähnten späteren babylonischen Auffassung ähnelte: F Herbst C Frühling G Winter D Sommer (Babylonien: C) Chinesische Weisheit hat sich ausgiebig mit endlosen Zuordnungen dieser Art beschäftigt. Jedes Instrument gehörte einer der Himmelsgegenden, Substanzen und Kräfte an. Die Glocke war Symbol für Westen und Herbst, Feuchtigkeit und Metall, die Trommel
für Norden
und Winter, Wasser und
Haut.
Und
die
Töne wurden den zwölf Monaten des Jahres und den ihnen entsprechenden allegorischen Tieren — Tiger, Hase, Drache, Schnecke, Hund, Schwein, Ratte und Ochse — zugeordnet.
Pferd, Schaf, Affe, Hahn,
Kosmologische Bedeutungen musikalischer Begriffe sind, wie die jahreszeitliche Gleichsetzung Babyloniens zeigt, keinesfalls nur auf China beschränkt. Ähnliche Gleichsetzungen gibt es in Indien, in den islamischen Ländern, im alten Griechen-
land und sogar im christlichen Mittelalter. Jahreszeiten, Monate, Tage, Stunden, Planeten, Teile des menschlichen Körpers, Stimmungen, Krankheiten, Elemente
und was nicht noch alles wurden verglichen und miteinander in Verbindung gebracht, und schließlich klingt der Kosmos selbst in ewiger Sphärenharmonie. Es sind gewisse Stellen aus der Bibel angeführt worden, die von der Idee kosmischer Harmonie beeinflußt sein sollen. Aber bestenfalls zeigen sie eine gewisse Aufnahmebereitschaft für eine solche Idee durch die allgemeine Vorstellung, daß „die ganze Erde“ dem Herrn singen und ‚seinen Ruhm und seine wunderbaren Taten unter den Völkern verkünden‘ müsse. Es wäre ein logischer Schritt von Psalm 96,12, nach dem ‚alle Bäume des Waldes jubeln vor dem Herrn‘, zu Philo, der ausruft: „O Herr, vermögen die Sterne, die zu einem Chor vereint
sind, einen Gesang anzustimmen, der deiner würdig ist?''!* Das Bindeglied zwischen ihnen bildet jene Frage in Hiob XXXVIII: „Wo warst du, als die Morgensterne miteinander sangen?“ Das Buch Hiob soll angeblich späteren Datums sein. Hiob selbst lebte in der Zeit der Babylonischen Gefangenschaft (sechstes Jahrhundert v. u. Z.). Andererseits schreibt Philo die Idee der kosmischen Harmonie den Chaldäern zu. Somit ist es höchst wahrscheinlich, daß die Sphärenharmonie, die aus älteren kosmologischen Zuordnungen entwickelt worden ist, ihre endgültige Fassung in Babylonien erhielt und von dort aus an die Juden, die Griechen und wahrscheinlich
auch an die Ägypter weitergegeben wurde. 13 Philo, Über das Leben Mosis II, 239.
98
Eins aber sollte nicht übersehen werden: Die Sphärenharmonie unterscheidet sich grundlegend von der ursprünglichen Theorie der Zuordnung. Diese formulierte, daß sich ein bestimmter Planet zu einem anderen Planeten wie eine bestimmte Tonhöhe zu einer anderen Tonhöhe verhält. Die Sphärenharmonie dagegen zielte auf etwas völlig anderes ab. Nach ihr hallten die Planeten, oder vielmehr ihre Sphären, in wirklichen, wenn auch nicht wahrnehmbaren Tönen wider.
In keiner der beiden Formen ist der Gedanke einer funktionellen, wechselseitigen Abhängigkeit von Gegenständen musikalischer und nichtmusikalischer Art von vornherein selbstverstándlich; er kann sich nicht spontan und unabhängig in den verschiedenen Ländern zwischen Pazifik und Mittelmeer herausgebildet haben. Wo aber dann, und wann entstand er?
Wir wissen das nicht. Die beste aller Methoden, auf die frühesten Zeugnisse zurückzugreifen, versagt im Falle asiatischer Quellen, die wir mitunter nicht einmal auf tausend Jahre genau altersmäßig bestimmen können. Überdies schweigen sich die Texte Ägyptens, Sumers, Babyloniens, Assyriens und Persiens über diesen Gegenstand aus (was allerdings nicht beweist, daß kosmologische Zuordnungen unbekannt waren).
Die einzige Feststellung, die wir treffen können, ist die: Die frühesten Zeugnisse dieser kosmologischen Zuordnungen sind chinesischer und griechischer Herkunft, und soweit es Griechenland betrifft, ist die Idee zweifellos einer Einfuhr aus dem
Osten zuzuschreiben. Aber bis heute läßt sich die Frage noch nicht beantworten, ob ihre Wiege in China stand oder ob sie aus anderen Teilen Asiens eingeführt wurde. Jede Zuordnung verlangt ein tertium comparationis. So ist die kosmologische Reihe Feuer — rot — Mars — Süden — Sommer logisch und aus sich heraus insofern zu verstehen, als mit allen ihren Gliedern die Vorstellung ‚heiß‘ verbunden
ist. Im Gegensatz dazu besitzt der Klang keine direkten Beziehungen zu anderen Kategorien der Vorstellung, außer durch die abstraktesten aller Vergleichsmomente: Zahl und Maß. Klang als solcher ist aber nicht greifbar und nicht meBbar, es sei denn durch Schwingungszahlen, die jedoch im alten China unbekannt waren. Der einzig gangbare Weg war der, vom Klang zu klangerzeugenden Vorrichtungen, das heißt, von Tönen zu Instrumenten überzugehen. Die Tonhöhe änderte sich mit der Größe des schwingenden Mediums, und die Beziehung zwischen zwei Tönen
ließ sich durch das Verhältnis zweier Flöten- oder Saitenlängen ausdrücken. Aber der relative Charakter von Verhältniswerten hätte der Einbeziehung der Musik in kosmologische Zuordnungen nicht genützt. Mehr noch als irgendein anderes Volk brauchten die Chinesen absolute Tonhöhenwerte oder anders ausgedrückt, ein Standardmaß für die Länge. Tatsächlich trifft Lü Bu We eindeutig die
Feststellung:
„Musik
entsteht
aus
dem
MaD.'!*
Ja,
die
Verbindung
von
13 Lü Bu We, a. a. O., 56.
7*
99
Musik und Längenmaß gestaltete sich so eng, daß das Kaiserliche Amt für Musik dem Amt für Maß und Gewicht angegliedert wurde. Diese Idee wiederum war nicht nur in China bekannt. Ein jüdischer Dichter wie Jehuda Halevy (etwa 1080—1140), der so unchinesisch dachte und so viel später lebte, formulierte: ‚Maße, Gewichte, die Verhältnisse verschiedener Bewegungen, die Harmonie der Musik, alles erscheint in der Zahl.‘
Die der Standardtonhöhe zugeteilte Längeneinheit war der Fuß, der in China als Maßstab für jede Art der Ausdehnung nach Länge, Breite und Höhe diente. Die Musik wurde auf diese Weise regelrecht zu einer Funktion des Raumes, und wieder schien das Universum eine Einheit zu sein. Die Beziehung zwischen Tonhöhe und Fuß wurde so innig, daß im zehnten Jahrhundert u. Z. einige gelehrte Chinesen, die beauftragt worden waren, der sich ausbreitenden Verwirrung durch
eine Neufestlegung Einhalt zu gebieten, ernsthaft die Frage diskutierten, ob die Tonhöhe von Fuß und Zoll oder der Fuß von der Tonhöhe abhängig sei. Die Ordnung in der Musik war nicht hauptsächlich, wenn überhaupt, eine musikalische Angelegenheit. Sie war dem Kosmos wesenseigen. Zeit und Raum, Substanz und Kraft lagen außerhalb des menschlichen Herrschaftsbereiches. Aber den Klang erzeugte der Mensch selbst. In der Musik nahm er die schwere Verantwortung auf sich, das Gleichgewicht der Welt entweder zu stärken oder zu gefährden. Und diese Verantwortung schloß die besten Abbilder der Welt ein, die Dynastie und das Land. Das Wohl des Reiches war von der Richtigkeit der Tonhöhen und Skalen abhängig. Infolgedessen war die Neuordnung der Musik eine der ersten Handlungen eines neuen Herrschers. Würde denn die vorhergegangene Dynastie abgelöst worden sein, wenn ihre Musik nicht von der harmonischen Übereinstimmung mit dem Universum abgewichen wäre? Die Chinesen haben diese Gedankengänge schon ihren ältesten Dynastien zugeschrieben. Der legendäre Kaiser Shun, der um 2285 v. u. Z. auf den Thron gekommen
sein soll, schärfte, wie das Shujing, die früheste chinesische Chronik,
berichtet, seinem Hauptmusiker ein:
,,, Kui, ich befehle dir, das Musikwesen
zu ordnen
... Die Töne sollen mit dem Maß
übereinstimmen. Die Rohrlänge ist die Bezugsnorm für die Stimme und die acht Instrumente, und du mußt sie alle in Übereinstimmung miteinander bringen, jedoch ohne die vorgegebene Ordnung anzutasten. Götter und Menschen werden dann ihre Zustimmung geben ...' Alljährlich im zweiten Monat reiste er ostwärts, um die dort gelegenen Provinzen zu besuchen ... er ordnete die vier Jahreszeiten, die Monate und die Anfangstage und überprüfte die Töne der Musik.''!$ 14 Yehuda Halevy, Cusart, Ausgabe Cassel, II § 65, IV ὃ 25, zitiert nach Eric Werner und Isaiah Sonne, The Philosophy and Theory of Music in Judaeo-Arabic Literature,
in: Hebrew Union College Annual XVI, 1941, 265.
15 The Shoo King, übersetzt von W. H. Medhurst, Shanghai 1846, 10 und 33f. The Shu King, übersetzt von Walter Gorn Old, London 1904, 12f., 10. 100
Wollte sich der Kaiser vergewissern, ob er seine Regierungsgeschäfte richtig
durchführte oder nicht, lauschte er aufmerksam den sechs Tonhöhen, den fünf Tönen der Skala und den acht Arten der Musikinstrumente, und er nahm die Oden des Hofes und die Lieder des Dorfes her, um festzustellen, ob sie mit den
fünf Tönen übereinstimmten.1$ Diese Vorstellungen führten während der Regierungszeit des Kaisers Wu (141—87 v. u. Z.) zur Gründung des Ywefu, des Kaiserlichen Musikamtes, mit besonderen Abteilungen zur Überwachung der zeremoniellen, der ausländischen, der aristokratischen und der Volksmusik und einem vollständigen Archiv des nationalen Melodienschatzes. Das Hauptanliegen dieses Amtes jedoch war die Festlegung und Bewahrung der genauen Tonhöhe.
16 The Shoo King, a. a. O., 69f.
2 Die Lü’s Kaiser Huang Di, so weiß die Legende zu berichten, befahl eines Tages ‚dem Ling Lun, Normtonpfeifen zu verfertigen. Ling Lun ging vom Westen des Da-HiaGebirges und kam zum Norden des Yüan-Yü-Berges. Da nahm er Bambusrohre aus dem Tale Hiä Hi und benützte diejenigen, deren Hohlräume dick und gleichmäßig waren, und hieb sie zwischen zwei Knoten ab. Ihre Länge betrug drei
Zoll neun Linien. Er blies auf ihnen und bestimmte, daß die Tonika der Tonleiter
Huang Dschung (huang zhong) sein solle. Er blies darauf und sprach: Das stimmt! Darauf machte er die zwölf Pfeifen. Da er am Fuße des Yüan-Yü-Berges den männlichen und den weiblichen Phönix singen hörte, unterschied er danach die zwölf Tonarten. Aus dem Gesang des männlichen machte er sechs und aus dem Gesang des weiblichen machte er auch sechs, die alle mit der Tonika Huang Dschung sich erzeugen lieBen.''!? Da-Hia, das nach Annahme des englischen Sinologen Giles ein Bezirk von Baktrien gewesen sein soll, wurde kürzlich von Otto Franke als das Land der Tocharen identifiziert. Die Tocharen, die spátestens seit dem 13. Jahrhundert v. u. Z. an der südóstlichen Grenze der Wüste Gobi lebten, waren ein friedlieben-
des Volk und betátigten sich als Vermittler zwischen den óstlichen und west-
lichen Kulturen.!® Normtonpfeifen waren jedoch, soweit sich übersehen läßt, im Westen unbekannt, und es ist wahrscheinlicher, daß China die Methode, die einzelnen Töne voneinander abzuleiten, vom Abendland übernahm.
Spätere Versionen derselben Legende liefern einige weitere Einzelheiten. Pére
Amiot,
der álteste bedeutende
Autor über chinesische Musik, hatte eine dieser
Versionen in seinem Manuskript zitiert, nur lieB Abbé Roussel, sein posthumer Herausgeber, sie als ,,belanglos'' beiseite und erwähnte sie lediglich in einer kurzen FuDnote.!?* Aber gerade diese Beschreibung ist besonders aufschlußreich. Ling Lun, so liest man, fand eine Bambuspfeife, die genau die Tonhöhe seiner eigenen Stimme ergab, wenn er leidenschaftslos sprach, und diese machte er zum kuang zhong. Hier endlich gibt die chinesische Tradition einem musikalischen Gesichtspunkt unter so vielen auDermusikalischen Fakten Raum: Ursprünglich wurde der huang zhong ganz einfach von der mittleren Tonhóhe einer mánnlichen Stimme abgeleitet und erst später nach Fuß, Zoll und Linien normiert. 17 Lü Bu We, a. ἃ. O., 63ff. 18 Otto Franke, Das alte Ta-hia der Chinesen, in: Ostasiatische Zeitschrift VIII, 1919/ 1920, 117— 136. 19 M. Amiot, Mémoire sur la Musique des Chinois, Paris 1779, 86 Anm. a. 102
Der Standardton Töne.
kuang
zhong,
„die
gelbe
Glocke“,
„erzeugte“
alle
anderen
Die meisten Autoren haben jedoch diesen Vorgang falsch dargestellt. Über-
blasen, so erklärten sie, ergab nicht die Oktave, sondern die Duodezime,
da das
Rohr vermutlich verschlossen war und infolgedessen keine gradzahligen Partialtöne hervorbrachte. Der erzeugte neue Ton wurde, wenn man ihn im Geiste in die tiefere Oktave transponierte, zur Quinte des Standardtones. Eine zweite Pfeife wurde auf diese Quinte abgestimmt. Beim Überblasen ergab sich wieder die Duodezime,
die, wenn sie zwei Oktaven
abwärts transponiert wurde, einen
Ganzton über dem Standardton bildete. Und so schritt man weiter von Duodezime zu Duodezime. Dieser verwickelte Quintenzyklus mit seinen Überblastönen und den anschlieBenden Transpositionen um eine oder mehrere Oktaven (bis zu sechs) ist weder überzeugend noch nachgewiesen. Keine der Quellen spricht von Blasen oder Hören. Sie berichten im Gegenteil, daß die einzelnen Pfeifen unter Zuhilfenahme
eines Zollstocks durch wechselweises Abziehen und Hinzufügen jeweils eines Drittels ihrer Gesamtlänge geschnitten wurden — also im Verhältnis 3:2 und 3:4. Da der chinesische Fuß
als Längenmaß
unter der Zhou-Dynastie
in neun
Zoll und jeder Zoll in neun Linien eingeteilt wurde, entsprach der Standardton einer Pfeifenlànge von einundachtzig Linien. Die nächste Pfeife war um ein Drittel oder siebenundzwanzig Linien kürzer. Die dritte Pfeife war um ein Drittel oder achtzehn Linien länger als die zweite.
.
In graphischer Darstellung:
“4 81
NZ
48
72
N
usw.
64
Der Schritt aufwárts wurde — musikalisch gesehen — als wntere Ableitung (inferior generation) bezeichnet, da er von unten herkam, wohingegen der Schritt abwärts als obere Ableitung (superior generation) galt. Theoretisch ergab dieses Verfahren eine Kette aufsteigender Quinten und absteigender Quarten: C
F
D
E
LY NAN FN G
A
Fis H
FON
Cis
FZ
Gis
N/Z
Ais
Dis
Nach sechs unteren und sechs oberen Ableitungen wurden die Operationen abgebrochen, so daB, wieder nur rein theoretisch, eine vollstandige chromatische Tonreihe zustande kam. Die sechs ungradzahligen Tonstufen (unsere untere Reihe) wurden lü’s oder „Normen“ genannt und als männlich angesehen, während die sechs gradzahligen, später ebenfalls als /ü’s bezeichneten Töne Namen hatten, die dem Sinn nach ,,Begleiter, Zwischenglied, seitlich Gelegenes' bedeuteten, und als weiblich galten. Das zeigt, daß die Töne, die durch untere Ableitung gewonnen wurden, anfänglich keine selbständige musikalische Bedeutung oder bestenfalls nur eine untergeordnete besaßen. Die Reihen setzten sich aus sechs lü’s von gleichgroßen Ganztonabständen zusammen. 103
Eine Folge von Qualitäten als abwechselnd männlich und weiblich aufzufassen
und sich ihr gleichzeitiges Vorhandensein als Ergebnis einzelner Ableitungen vor-
zustellen, ist gewiß keine alltägliche Idee. Und doch erinnert sie stark an die kab-
balistische Weltentstehungslehre der alten Juden, die das Ewig-Männliche mit
dem Ewig-Weiblichen verband und beides fest in das Ewig-Menschliche einfügte. Gott erschuf die Welt durch zehn Worte oder sephirot. Die erste sephira — das Prinzip aller Prinzipien, die Krone alles Erhöhten — war weder positiv noch negativ, und obwohl geschlechtslos, war sie doch zeugungsíáhig. Diese erste sephira erzeugte alle übrigen neun sepkirot in aufeinanderfolgenden Ableitungen. Die zweite sephira wurde Verstand (bina) genannt und war negativ und feminin. Die dritte sephira, ein Kind der vorigen, wurde Weisheit genannt (käkmä) und war positiv und maskulin. Und so ging es weiter. Wieder einmal sehen wir uns dem beeindruckenden Kosmopolitismus mystischen Gedankengutes gegenüber. J. F. C. Fuller sagt von der Kabbala: ,,Arische und chaldäische esoterische Lehren drangen in sie ein. In Ägypten wirkten die Mysterien des Sonnengottes und der Mondgóttin, die Mysterien von Osiris und Isis auf sie ein. Assyrien und Babylonien lieferten einen nicht geringen Beitrag, und ziemlich viel mag auch auf die Veden, die Upanischaden, die Bhagavadgita und den Vedanta zurückzuführen sein, und vieles in der praktischen Kabbala ganz besonders auf die Tantras. In ihr finden sich Züge des Hinduismus, des Taoismus, des Buddhismus, des Zoroastrismus . . .''?9
In Anbetracht eines solchen geistigen Kosmopolitismus drängt sich die Frage auf, ob der alte Mittlere Osten, besonders Sumer, Babylonien und Ägypten nicht auch eine Art /ä-System in ihrer Musik besaßen. Übrigens müssen diese Länder, da ihre Harfen und Leiern offene Saiten hatten, ihre musikalischen Systeme nach demselben Auf-und-Ab-Prinzip, über das die Chinesen verfügten, aufgebaut haben. Überdies berichten die Legenden Chinas, daß des Kaisers Minister die lü’s aus dem Westen holte.
Zweimal gebrauchten wir bei der Erklärung der /'s das Wort theoretisch. Beide Male wollten wir den Leser damit vor der Annahme warnen, daß die Chinesen jemals eine vollkommene Methode des Stimmens besessen hätten. Das Fußmaß selbst war alles andere als konstant. Es variierte zwischen einer Mindestlänge von zwanzig Zentimetern während der Zhou-Periode und einem Maximalwert von vierunddreiBig Zentimetern während der Ming-Zeit. Das Verhältnis dieser beiden Extremwerte, das annähernd 3:5 betrug, ergab zwangsläufig musikalische Abweichungen im Rahmen einer kleinen Sexte. Wenn der Stimmton während der Zhou-Zeit ein C war, so entsprach er in der Ming-Zeit dem darunterliegenden E! Man
kann
sich leicht vorstellen,
welche
musikalischen
Kon-
sequenzen sich ergaben, wenn Tempel und Paläste altehrwürdige Stein- und Glockenspiele aus Epochen aufbewahrten, deren Fuß- und Tonhöhenmaße anders waren. 20 7 F.C. Fuller, The Secret Wisdom of the Qabalah, London (1937). 104
So viel von absoluter Tonhöhe. Die Beziehung zwischen den /#’s war nicht weniger fehlerhaft. Die Verhältniswerte 4 : 3 für die Quarte, und 3 : 2 für die Quinte waren zwar theoretisch ein-
wandfrei, versagten jedoch in der Praxis, da die Tonhöhe nicht nur von einem,
sondern mindestens von drei Faktoren abhing: natürlich von der Länge des Rohres, aber auch von seinem Durchmesser und von der Ansatzhaltung der Lippen des Spielers. Die Duodezime des Grundtones, die durch Überblasen einer Normtonpfeife?? hervorgebracht wurde und mit der man der allgemeinen Annahme zufolge die abgeleiteten Töne überprüft haben soll, machte das Ergebnis eher ungenauer als genauer. Denn nach Dr. Manfred Bukofzers Versuchen ist die durch Überblasen erzeugte Duodezime gedackter Pfeifen zu hoch, wenn die Pfeife länger als acht Zoll ist, und zu tief, wenn die Pfeife kürzer als acht Zoll ist. Die Abweichung kann bis zu einem Viertelton betragen. | Die Beeinflussung der Tonhöhe durch die blasenden Lippen ist in China nicht erkannt worden, und auch der Wichtigkeit des Durchmessers wurde nur in einigen Perioden der chinesischen Geschichte Aufmerksamkeit geschenkt. Im zweiten Jahrhundert u. Z. zum Beispiel versahen die staatlichen Eichmeister alle Pfeifen mit gleichem Durchmesser, im dritten Jahrhundert dagegen verringerten sie ihn allmählich
Linie
um
Linie,
wobei
sie von
einem
Rohrdurchmesser
von
neun
Linien für den Ton kuang zhong ausgingen. Schon allein die Zahl neun, hergeleitet von den neun mal neun Linien der Standardlänge des kuang zhong, deutet darauf hin, daB der Bestimmung des Durchmessers eher zahlensymbolische Spekulationen als irgendwelche mathematischen Verháltnisse zugrunde lagen. Aber selbst bei korrekten Abmessungen waren die einzelnen Tonhóhenwerte noch längst nicht völlig zuverlässig, da die Stärke des Atemstromes und der jeweilige Winkel, unter dem er die obere Öffnung des Rohres schnitt, die theoretischen Berechnungen beeinträchtigen mußten. Schließlich war der Quintenzirkel von vornherein vorbelastet, weil er die Oktave, die für den Aufbau von Skalen unerläßlich ist, immer nur annähernd, niemals
aber genau erreichte. Die Begründung ist mathematisch einleuchtend: Quintfortschreitungen bedeuten rechnerisch ein Potenzieren des Verhältniswertes 3/2, wobei der Potenzexponent in direkter Abhängigkeit von der Zahl der Schritte anwächst, die Oktave unterliegt dem Verhältniswert 2/1. Eine Potenz von drei kann aber nie mit einer Potenz von zwei zusammenfallen. Im Jahre 40 v. u. Z. versuchte der Musiker Jing Feng, den Fehler durch die Erweiterung des lü-Zyklus’ von zwölf auf sechzig zu korrigieren, und um 430 u. Z. überbot ihn ein anderer, indem er den Zyklus bis zur dreihundertundsechzigsten Quinte fortführte. Dem Leser soll der geradezu groteske Verhältniswert, den die 360ste Potenz von 3/2 ergibt, hier erspart bleiben — solche Haarspalterei stand in keinem Verhältnis zu der Ungenauigkeit des Verfahrens, und sie blieb darum auch wirkungslos. 21 Vgl. Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 418. 33 Manfred Bukofzer, Präzisionsmessungen Zeitschrift für Physik IC, 1936, 643—665,
an primitiven besonders 660.
Musikinstrumenten,
in:
105
Wir wollen hier nicht all die nutzlosen Versuche, die seitdem unternommen
wurden,
beschreiben, sondern es bei der Feststellung bewenden
lassen, daB der
huang zhong von Anfang an eine zweifelhafte Norm darstellte und die Auseinandersetzung um ihn niemals zur Ruhe kam. Die Geschichte der chinesischen Tonhöhe ist eine mehr als zweitausend Jahre währende Geschichte von Verwirrung, Selbsttäuschung und Fehlschlägen. Die Mittel wechselten und mit ihnen die Ergebnisse. Die /4-Reihe
ist als eine ,,Skala‘‘ bezeichnet
worden.
Besonders
in ihrer voll-
ständigen Form, mit den eingegliederten Hilfs-lü’s, schien sie eine chromatische Skala zu sein, und als eine solche wurde sie folgerichtig auch beschrieben. Aber das war falsch. Die zwölf Töne bildeten niemals eine Skala im engeren Sinne des Wortes, und am allerwenigsten glichen sie unserer modernen chromatischen Skala mit ihren gleich großen Halbtönen von je einhundert Cents. In einem Quintenzirkel ist jeder Halbton von dem benachbarten durch sieben Quintfortschreitungen oder 7 x 702 = 4914 Cents getrennt, was natürlich um vier Oktaven
oder 4 Χ 1200 = 4800 Cents abwärts transponiert werden muß. So ergibt sich für den Halbton ein Wert von 114 Cents. Da aber der Ganzton 204 Cents beträgt, kann der ergänzende Halbton nicht mehr als 9o Cents ausmachen. Weit von einer gleichschwebend temperierten Skala entfernt, ist die Reihe der /é's — wenigstens wäre sie es bei korrekter Stimmung — eine Folge abwechselnd großer und kleiner Halbtöne, an die sich das westliche Ohr schwerlich gewöhnen kann.
Überdies behauptete sich auch weiterhin die alte Unterscheidung zwischen
oberer und unterer Ableitung, und zwar in Anordnung wie auch in Benennung. Der Chinese, der das Universum als harmonisches Gleichgewicht zwischen yang
und yin, dem männlichen und dem weiblichen Prinzip, auffaßt, bezeichnete die sechs ungradzahligen /4's als „männlich“ und die sechs gradzahligen als ‚‚weib-
lich". Die oben erwähnte Legende erzählt das auf ihre Art. Sie schreibt sechs Jü’s einem Vogelmännchen und sechs einem Vogelweibchen zu. Dieser Gegensatz war so klar, daß bei Musikinstrumenten, die nach den /Z's gestimmt wurden, die beiden
Reihen niemals gemischt auftraten. Bei lichen lü’s die obere und den weiblichen vorbehalten. Panpfeifen, die anfangs Normtonpfeifen darstellten, bestanden
Stein- und Glockenspielen war den männdie untere Reihe der Platten oder Glocken nichts anderes als komplette Sátze von entweder nur aus mánnlichen oder nur aus
weiblichen Pfeifen oder hielten die beiden Reihen, wenn sie kombiniert wurden,
voneinander getrennt in zwei Flügeln.? Nach abendländischer Auffassung würden solche Instrumente fortlaufende melodische Linien durch alle Intervallarten spielen. Die Chinesen dagegen richteten ihre Aufmerksamkeit lediglich auf Einzeltöne, deren Auswahl eher von der Jahreszeit und dem besonderen Ritus des Tages als von musikalischen Erwágungen abhángig war. Die Verwechslung der lü-Reihen mit einer Skala — einer in der Tat ‚dunklen‘ Skala, wie sie die Koreaner einschránkend nennen — ist schon viel früher gemacht 23 Vgl. Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 168, 169, 176, 177. 106
worden, und zwar in einer Weise, die interessant genug ist, um wiedergegeben zu werden. Jene Legende von der Wanderung des Ministers nach dem Westen wird durch eine andere Überlieferung ergänzt, derzufolge das Vogelmännchen seine Töne in aufsteigender und das Vogelweibchen die seinen in absteigender Folge sang. Der Symbolismus von männlichen und weiblichen Skalen ist offensichtlich. In vielen Kulturen wurde das männliche Geschlecht durch ein aufwärts- und das weib-
liche durch ein abwärtsweisendes Symbol dargestellt, genauso wie in unseren Biologie- und Botanikbüchern. Aber es gab noch einen weit wichtigeren Unterschied zwischen auf- und absteigenden Skalen. Aufsteigende Skalen waren in der Regel instrumental, absteigende dagegen vokal. Es ist nicht schwierig, den Grund hierfür zu finden. Ein urtümlicher Sänger beginnt nicht im tiefen Stimmregister, um dann höher und höher zu klettern, sondern normalerweise fängt er im oberen Register an und bewegt sich dann abwärts zur unteren Grenze seines Stimmumfanges. Instrumentalisten verhalten sich anders. Ein Bläser bringt seine Skala hervor, indem er die Grifflöcher nacheinander Loch für Loch öffnet. Infolgedessen ist sie aufsteigend. In gleicher Weise gehen Lautenisten, Fiedler und Spieler von Bundzithern von der leeren Saite aus und lassen die höheren Töne der gegriffenen Saite folgen. Tatsächlich wird im zweiten Teil des siebenten Buches Yo tst berichtet, daß die Instrumente im alten Himmels- und Erdkult in einer aufsteigenden lü-Reihe spielten, und die Stimmen in einer absteigenden /4-Reihe sangen.” Diese Gegensätzlichkeit, die noch zur Zeit der Tang-Dynastie (618 —007 u. Z.) bestand, erfuhr erst gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts eine Vereinfachung. Prinz Zai Yu setzte voraus, daß alle vokalen Tonarten um eine Quarte höher als die entsprechenden Instrumentaltonarten liegen. Singstimmen und Instrumente verwendeten zwei verschiedene, eine Quarte voneinander entfernte Tonarten, und das Zusammenspiel erfolgte dementsprechend durchweg in parallelen Quarten. Die Singstimmen mochten in F singen, während die Instrumente in C darunter spielten. Das entsprach genau der kontrapunktischen Form des Organums im frühen Mittelalter, in der der Cantus oben gesungen wurde, während das Organum (was ursprünglich ,,Instrument"' bedeutet) ihn parallel in der Unterquarte begleitete. In áhnlicher Weise spielen die Siamesen parallele Quarten auf ihren Gongspielen.?5 In Japan sind die zwölf lü’s als ritsu bekannt
— ein Terminus, der nicht mit dem
Namen eines der bevorzugtesten melodischen Modi des Landes verwechselt werden darf. Es gibt auch Normtonpfeifen wie in China, aber sie sind für die musikalische Praxis unbedeutend. Allgemein werden die ritsu auf der Grundlage des Auf-undAb-Prinzips festgelegt. Spieler der bundlosen Langzither Koto spannen die erste ** Timothy Richard, Paper on Chinese Music, Shanghai
1899, 5.
25 Vgl. Carl Stumpf, Tonsystem und Musik der Siamesen, in: Beiträge zur Akkustik und Musikwissenschaft,
Heft
3,
1901
Beilage,
gleichende Musikwissenschaft I, 1922, 172f.
2f.;
dass.
in:
Sammelbände
für Ver-
107
Saite, bis eine bestimmte Tonhöhe erreicht ist, dann stimmen sie die sechste Saite
in der Oberquarte und die achte Saite in der Oberquinte, gehen eine Quarte abwárts zur dritten Saite und von hier eine Quinte aufwárts zur zehnten Saite und so weiter.
Der Normton selbst ‚ist innerhalb gewisser Grenzen willkürlich. Für einen Sánger mit lauter Stimme wird er hinauf- und für einen Sánger mit kleiner Stimme herabgestimmt. Aber die normale Höhe dieses Tones ist annähernd das mittlere C.'** Eine neuere japanische Quelle gibt als Normton den tiefsten Ton der Längsflöte Shakuhachi, das d', mit 292 Schwingungen an. Es sei bemerkt, daß der Mittlere Osten ebenfalls das d’ als Normton verwendet und ihn auch vom tiefsten Ton der Längsflöte ableitet. 26 Francis Piggott, The Music and Musical Instruments of Japan, 2. Auflage, Yokohama — London
1909, 85.
27 Hisao Tanabe, Japanese Music, Tokio 1936, 22.
3 Die Skalen Die Normalskala des Fernen Ostens ist pentatonisch und besitzt keine Halbtöne.
Sie besteht aus drei Ganztönen und zwei kleinen Terzen, wobei diese Terzen ab-
wechselnd durch einen oder zwei Ganztöne voneinander getrennt sind, genau wie bei der Anordnung der schwarzen Tasten auf unserem Klavier. Die Skala wird gewöhnlich in der Form gong (do), shang (re), jue (mi), zh: (sol), yu (la), gong (do) dargestellt. Diese fünf Töne waren in das Netzwerk kosmologischer Bedeutungen etwa in gleicher Weise wie die zwölf lü’s einbezogen. Es bestand eine enge Wechselbeziehung zwischen den Tönen Himmelsrichtungen
gong Norden
shang Osten
Elementen Farben
Wald schwarz
Wasser violett
Planeten
Merkur
Jupiter
jue Zentrum
zhi Westen
yu Süden
Erde gelb
Metall weiß
Feuer rot
Saturn
Venus
Mars
Von dieser Skala wird im allgemeinen behauptet, sie sei durch eine Auswahl von
fünf Tönen aus den /#’s entstanden. Diese falsche Darstellung sollte nicht endlos wiederholt werden. Erstens bildeten die /#’s unreine Intervalle und waren daher für Skalenbildungen unbrauchbar. Zweitens muß die Skala als solche bereits existiert haben, bevor das künstliche System der /4's konstruiert wurde. Drittens bestanden
die 4s in ihrer frühesten Anordnung aus zwei völlig voneinander unabhängigen Reihen
von
je sechs
Ganztönen
ohne
die
charakteristischen
kleinen
Terzen,
Quarten oder Quinten in einer der beiden Skalenreihen. Eine Auswahl der fünf für die Skalenbildung notwendigen Töne hätte bedeutet, zwischen beiden Reihen hinund herzuspringen und wenigstens zwei, wenn nicht gar drei der fünf Tóne aus der bloß nebengeordneten weiblichen Reihe, die zu Anfang überhaupt kaum zählte, herauszugreifen. Das leuchtet aber nicht ein. Immer, wenn man Skalen von Systemen ableitet, heiBt das, den Wagen vor das
Pferd spannen. In der ganzen Welt sind die Skalen von lebenden Melodien abstrahiert und in Systemen zusammengefaßt worden. Von ‚Auswahl‘ zu sprechen, trifft nur für den Grundton gong zu, der tatsächlich,
so weit es die Ritualmusik betrifft, ein Ton der /#-Reihe sein mußte. Der huang zhong wurde als Grundton gewáhlt, wenn dem Himmel Opfer dargebracht wurden, für die Erdopfer aber wurden die Melodien um eine Quinte, für das Sonnenopfer um eine Sekunde und für das Mondopfer um eine Sexte transponiert. Darüber hinaus erfuhren alle Melodien monatlich eine Verschiebung um ein lü, so daß die109
selbe Melodie, die im Januar
— sagen wir — in E gespielt, im Februar nach F
transponiert wurde. Keine Quelle spricht je davon, daß die anderen vier Töne mit vier /Z's übereinstimmen. Völlig unabhängig unterliegen sie einer der beiden Methoden, Skalen von einem Anfangston aus zu entwickeln, und zwar entweder dem zyklischen Prinzip oder dem Teilungsprinzip. Allerdings werden bei der Langzither Qin beide Prinzipien gleichzeitig befolgt. Sie besitzt leere Saiten, die zu einem Zyklus reiner Quinten und Quarten nach Gehór eingestimmt werden, aber nur der Begleitung dienen. Bei der Melodiesaite andererseits sind die Griffstellen auf ungewóhnliche
Weise markiert. Anstelle wirklicher erhóhter Bünde, die vom oberen Ende aus-
gehen, sind dreizehn kleine Perlmuttplättchen, die zur Markierung der Gniffstellen in den Resonanzboden eingelegt sind, von der Mitte aus symmetrisch nach beiden Enden hin angeordnet, und zwar bei der Hálfte der Gesamtlánge der Saite,
beim ersten und zweiten Drittel, beim ersten und drittenViertel, beim ersten und vierten Fünftel, beim ersten und fünften Sechstel und beim ersten und siebenten
Achtel.
Die sieben Saiten bestanden
aus einer unterschiedlichen
Anzahl
von
Seidenfáden, und zwar aus 48, 54, 64, 72, 81, 96 und 108. Sie reproduzierten so in
den Zahlen ihrer Fäden die musikalischen Verhältnisse 8 :9 (204 Cents, den Ganzton) und 27 : 32 (294 Cents, die kleine Terz). Auf diese Weise unterlagen die leeren Saiten dem Auf-und-Ab-Prinzip, während die Melodiesaite dem Teilungsprinzip folgte. Infolgedessen hatten die Melodie und ihre Begleitung unterschiedlich große Terzen, unterschiedlich kleine Terzen und unterschiedliche Sekunden.
Dieser Widerspruch war sicherlich nicht auf ein unempfindliches Gehör zurückzuführen. Sogar ein Norminstrument wie das Chuen, das im letzten Jahrhundert v. u. Z. zur Einstimmung von Glockenspielen hergestellt wurde (und wahrscheinlich auch sein riesiger Prototyp, das Kyun der Zhou-Dynastie), vereinte dieselben beiden Prinzipien miteinander: Ein hölzerner Resonanzboden mit einer Länge von
neun Fuß war mit dreizehn Saiten versehen, von denen zwölf leer verwendet wurden, während die dreizehnte, die sich in der Mitte befand, über einer genau unter-
teilten Skala entlanglief. Diese Skala wich jedoch von der symmetrischen Anordnung der Griffmarken auf dem Qin ab. Ein Bild, das Prinz Zai Yu siebzehnhundert Jahre später veröffentlichte — entweder nach einem alten Gemälde oder aber nach einem vorhandenen Exemplar — zeigt zwölf in einer einzigen Reihe angeordnete Markierungen mit proportional zusammenschrumpfenden Distanzen.
Die modalen Anordnungen der chinesischen pentatonischen Skala werden am besten in der japanischen Theorie charakterisiert. Dort erscheint die pentatonische Oktave aus drei Sekunden und zwei kleinen Terzen in zwei klar definierten Formen: Ryo und Ritsu. Ryo, als chinesischer und männlicher Modus bezeichnet, beginnt mit zwei aufeinanderfolgenden Sekunden, etwa CDE GA C, und könnte zahlenmäßig (in Hinblick auf seine charakteristischen Anfangstöne) durch 123 symbolisiert werden; er hat C als Finalis und G als Confinalis. Ein gutes und leicht zugängliches Beispiel 110
hierfür ist das
chinesische
Lied
‚Die
Plätze der Freude“
oder
BlumenstráuDe'' auf Seite 42 in J. A. van Aalsts Chinese Music.
,, Die fünfzehn
Beispiel 39: Chinesisches Lied (nach van Aalst)
Ritsu, als „weiblich“ angesehen und in Japan bevorzugt, ist völlig andersgeartet. Er bildet eine Oktave aus zwei unverbundenen Quarten, deren jede durch einen Füllton unterteilt ist. Dieser Füllton liegt manchmal näher beim oberen, manchmal näher beim unteren Grenzton. Entsprechend tritt die Rılsu-Leiter in zwei Formen auf: DEGAH Dund DFGACD. Die Zahlensymbole für sie wären 124 und 134, oder für Ritsu ganz allgemein 1:4 (mit 2 oder 3 als Einschiebsel). Als Beispiele geben wir ein japanisches Lied und den Beginn der chinesischen Konfuzius-Hymne, die wahrscheinlich das älteste erhaltene Stück fernöstlicher Musik darstellt: Beispiel 40: Japanisches Lied (nach Noel Peri)
Insgesamt ergeben sich drei Modi, die in folgender Weise dargestellt werden können: 124: GA CDE G 134: A CDE GA 123: CDE GA C Nach den Quellen der Zhou-Dynastie zu schließen, gab es sieben Ausgangstöne für modale Versetzungen der pentatonischen Skala, wahrscheinlich noch ehe die Skala selbst sieben Töne erhielt. Aber diese modale Vielfalt war wohl kaum mehr als theoretische Konstruktion. Die Musiktheorie aller alten Kulturen betrachtet ausführlich die Menge möglicher Veränderungen und Kombinationen, ohne sich dabei im geringsten um die Realitäten des musikalischen Lebens zu kümmern. Die Anordnung CDE GA (123) ist allgemein als die ursprüngliche, als die Standardform
angesehen
worden, von der die anderen modalen Anordnungen
übliche Ecktonversetzung abgeleitet wurden.
durch die
111
Das ist jedoch ein Irrtum. Die 123-Skala unterscheidet sich grundlegend von jeder 1:4-Skala. Die letztere, die in verbundenen oder unverbundenen Tetrachorden organisiert ist und auf Heptaden oder Oktaven hinausläuft, geht auf einfache Formen zurück, bei denen sich unter dem normativen Einfluß der Quarte einem ursprünglichen Terzkern ein Sekundaffix, oder umgekehrt einem Sekundkern ein Terzaffix anfügt, um eine Quarte zu erreichen. Eine 123-Skala dagegen ist praktisch immer hexachordal, es gibt hier weder Septimen noch Oktaven. Auch ist sie nicht in Tetrachorden organisiert, ja, es fehlt selbst die Quarte. Statt dessen wirkt die reine Quinte als normative Kraft. Zwei übereinandergeschichtete Terzen verbinden sich zu einem Pentachord; die tiefere Terz wird mit einem Füllton versehen, wáhrend die Sexte eigentlich nur einen Nebenton darstellt, der zur Quinte zurückkehrt. Diese vóllig verschiedene Natur der 123-Skala geht deutlich aus den Melodien urtümlicher Vólker hervor, in denen die Elemente klarer als in den ausgearbeiteten Gesángen Chinas zutage treten. Eines der besten Beispiele ist die folgende Melodie aus Grónland: Beispiel 42: Ostgrónland ,
4472
^
ι
A
Noch weiter zurück gehen der 123-Skala zwei Viertonbildungen voraus. Eine
davon, bei der die untere Terz ausgefüllt ist, die Sexte aber fehlt (123:5), erscheint
im folgenden Schicksalslied, das von den Wogulen sungen wird:
(Mansi) in Westsibirien ge-
Beispiel 43: Wogulen (Mansi), Sibirien (nach Väisänen)
Die andere Form, mit Sexte, aber ohne Fülltóne, (1:3:56) soll durch eine Vokalmelodie von den Salomonen veranschaulicht werden: Beispiel 44: Salomonen (nach Hornbostel)
Diese Struktur muß also sehr alt sein, aber sie hat wohl kaum die völlig abweichende 1:4-Struktur hervorgebracht. 112
Japan stellt der sogenannten chinesischen eine eigene nationale Skala gegenüber.
Sie ist zwar ebenfalls pentatonisch, aber nicht ,anhemitonisch'. Jedes ihrer Tetra-
chorde enthält eine ungeteilte große Terz oben und einen Halbton unten. Diese eindrucksvolle Skala erscheint in drei Modifikationen, die genau den drei Erscheinungsformen griechischer Modi, Hypodorisch, Dorisch und Hyperdorisch, entsprechen:
Hirajöshi:
1
l
AHC EF A ΟΝ,
(verbundene Tetrachorde mit unten zugefügter Oktave, hypo) Kumoi(jöshi):
|
rn EF AHC E a
J
(unverbundene Tetrachorde)
Iwato(jóshi): HC EF AH
L (verbundene Tetrachorde mit oben zugefügter Oktave, kyper)
Der Bedeutung nach steht Hirajöshi an erster Stelle, an zweiter Kumoi. Hirajöshi ist der Modus des folgenden Kinderliedes: Beispiel 45: Japanisches Kinderlied (nach Noel Peri)
Ein Solo auf der Langzither Kofo, das in einer Todesszene in der Tragödie Kesa gespielt wird,*? veranschaulicht Kumoi: Beispiel 46: Koto-Solo aus der japanischen Tragödie ‚Kesa’ (nach Abraham und Hornbostel)
28 Nach Otto Abraham und E. M. von Hornbostel, Tonsystem und Musik der Japaner, in: Sammelbände
der
Internationalen
Musikgesellschaft
IV,
1903,
Sammelbánde für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1922, 223.
8
Sachs, Musik
351;
dass.
in:
113
Häufig findet sich Modulation. Das erste der folgenden Beispiele zeigt den Übergang von Kumoi (unverbundene Tetrachorde) zu Hirajöshi (verbundene Tetrachorde), das zweite Beispiel moduliert umgekehrt von Hirajöshi nach Kumoi: Beispiel 47: Japanisches Lied (nach Noel Peri)
Alle Bücher stimmen in der unüberlegten Behauptung überein, daß die Japaner, um allzu wirkungslose melodische Bildungen zu würzen, zwei Töne der chinesischen Skala um einen halben Ton erniedrigt hätten — der Mensch ist stets geneigt, Dinge, die er zufällig zu einem späteren Zeitpunkt kennenlernt, als Abkömmlinge bereits zuvor bekannter zu interpretieren. Der Gedanke der Würzung klingt verdächtig westlich, er riecht nach modernem Virtuosentum und Aufgeblasenheit. Vom psychologischen Standpunkt aus muß man im Gegenteil zugeben, daB ein größerer Kontrast der Intervalle als Zeugnis von stärkerer emotionaler Spannung wohl kaum ein späteres Entwicklungsergeb-
nis darstellt. Das wird durch eine äußerst bezeichnende Tatsache bestätigt. Die japanische Volksmusik übernahm niemals die chinesische Skala, sondern griff
ungeachtet der Hof- und Tempelbräuche immer wieder auf große Terzen und Halbtöne zurück. In Korea liegen die Dinge etwa ähnlich. Die Koreaner besitzen eine pentatonische Skala vom 123-Typ, deren Terz sie ,erniedrigen': DEF AH. Auch diese Skala kommt ausschließlich in der Volksmusik νοτ.35 Die Großterzskala
stellt also zweifellos
eine Grundschicht,
ein altes ererbtes
Vorbild dar, das zu allen Zeiten trotz vieler fremder Übertünchungen geschimmert hat.
durch-
Verwandte Skalen gab es auch außerhalb Japans und Koreas. In Indien finden sie sich zahlreich in allen möglichen Kombinationen und Anordnungen — mit zwei großen Terzen oder einer großen und einer kleinen Terz oder auch mit einer großen und zwei kleinen Terzen. Dabei ist es schwer zu sagen, wie viele dieser Skalen eher einem späteren Streben nach Vollständigkeit als Beispiel 49: Indischer Räga Malahäri (nach C. R. Day)
? C. S. Keh, Die koreanische Musik, Straßburg 1934, 15.
114
musikalischer Notwendigkeit zuzuschreiben sind. Auf jeden Fall besaßen vier der in Bharatas Näfyasästra, Indiens ältestem Quellenwerk über Musik, aufgezählten Skalen schon entweder zwei oder zumindest eine große Terz: Arsabhi, Sädjodi$yavali, Dhaivati, Niëädi. Möglicherweise sollte bei der zweiten und der dritten Leiter das F erhöht sein (was nach Bharatas eigener Feststellung in verschiedenen Fällen notwendig war). Auch die Mongolei verwendet GroBterzskalen,® obwohl offenbar nicht mehr durchweg in reiner Form. Unser Beispiel, das Carl Stumpfs kurzer Monographie über mongolische Musik?! entnommen ist, enthált ein D, das augenscheinlich einer ν
ο»
späteren Schicht angehört:
een
Beispiel 50: Burjat-Mongolen (nach Stumpf)
Selbst Griechenland kannte die starke Wirkung der Großterzpentatonik. Ein
späteres
Kapitel
wird
die wichtige
genannten Enharmonik, behandeln.
Funktion
ihrer griechischen
Form,
der so-
Und auch die alten Ágypter stimmten ihre Tempelharfen nach der Grof-
terzskala.
Das Vorhandensein dieser Skalen in der Mongolei, bei Belegen in Ostasien,
Indien, Ágypten und Griechenland, deutet auf einen móglichen Ursprung in
Zentralasien hin. Diese Annahme wird dadurch bekräftigt, daß sich GroDterz-
skalen auch bei den marokkanischen Berbern finden, die aus Zentralasien herzu-
stammen und viele Züge zentralasiatischer Kultur bewahrt zu haben scheinen (zum Beispiel Häuser mit mehreren Stockwerken).??
Stärker als irgendein anderes Land neben Japan ist der malaiische Archipel der Großterz verhaftet. In Westjava, dem urtümlichsten Teil der Insel, tragen die Sänger ihre Lieder in Skalen mit zwei großen Terzen vor, wie etwa (absteigend): 398 + 94 + 210 + 402 + 96 Cents”?
l
492
J
[|
498
3? Ilmari Krohn, Mongolische Melodien, in: Zeitschrift für Musikwissenschaft III, 1920, 71. 31 Carl Stumpf, Mongolische Gesänge, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft III,
1887,
303;
dass.
in:
Sammelbände
für
Vergleichende
Musikwissenschaft
I,
1922, 110. 33 E. M. von Hornbostel und R. Lachmann, Asiatische Parallelen zur Berbermusik, in: Zeitschrift für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1933, 4—11.
33 Jaap Kunst, De toonkunst van Java, ‘s-Gravenhage 1934, Teil I, 318.
8:
115
Das heißt, daß es sich um zwei unverbundene
Tetrachorde handelt, von denen
jedes aus einer reinen großen Terz oben und einem Halbton unten besteht — also um ein genaues Abbild der japanischen Kumoi-Skala. Eine Menge Einzelinstrumente und das ganze Orchester Westjavas verfügen über Skalen mit einer oder sogar zwei großen Terzen in ähnlicher Anordnung. Wer sich speziell hierfür interessiert, sei auf die genauen Messungen in dem Kapitel über Westjava bei Jaap Kunst verwiesen.* Das klassische Großterzgeschlecht des Archipels, das auf ganz Java und der Nachbarinsel Bali gebräuchlich ist, heißt pelog. Diese Skala läßt sich schwerlich durch eine verbindliche Folge von Centzahlen wiedergeben. Zwei verbundene Tetrachorde ergeben eine Heptade; jedes Tetrachord besteht aus einer Großterz Beispiel 51: Javanischer Pelog (übertragen von Curt Sachs nach Decca 20124 A) B
3
e^
τ
ΤΩ
a
AW
n
1
"UB ΒΕ
(im Original einen Hallan tiefer) oben und und einem Halbton oder ähnlich unten. Die Abweichungen sind jedoch recht erheblich. Selbst auf ein und demselben Instrument bleiben die Terzen und Sekunden selten gleich groß. Eine Sekunde kann beispielsweise 91 Cents messen, die folgende dagegen 176, und eine annähernd große Terz von 376 Cents steht
neben einer quartáhnlichen Terz von 488 Cents. Die Tetrachorde sind größer, oft
sogar beträchtlich größer als eine reine Quarte. Zum Verständnis für diesen Mangel an RegelmáDigkeit möchte ich den Leser auf den Schluß des Abschnittes über die Färbungen im Kapitel über Griechische Musik auf Seite 196ff. verweisen. Malaiische Skalen sind, milde ausgedrückt,
wirklich sehr frei. Tonhóhen
und
Tondistanzen besitzen einen erstaunlichen Spielraum selbst auf ein und demselben Instrument, und es ist purer Zufall, wenn man auf eine reine Quarte stóDt. Solch ein Mangel in einem musikliebenden Land würde kaum begreifbar sein, wenn wir nicht wiiBten, daß der Quintenzirkel hier ebensowenig bekannt war wie die harmonische Unterteilung der Saiten. Die Orchester des Archipels bestehen faktisch aus Idiophonen, die irgendwelche greifbaren Beziehungen zwischen Länge und Tonhöhe nicht zulassen. Die anderen Instrumentenklassen sind nur durch eine oder zwei Trommeln und eine gelegentlich mitwirkende Flöte oder (arabisch-persische) Fiedel vertreten. Wenn man nach balinesischen oder javanischen Stimmethoden fragt, erhält man zur Antwort, daß irgendein alter GonggieDer ein paar hochgeachtete Metallstäbe besäße, die er von einem fernen Verwandten geerbt hat und mit mehr oder weniger Genauigkeit als Tonnormen benutzt. Mit anderen Worten, die Skalen wurden nicht konstruiert, sondern durch Jahrhunderte hin-
durch wieder und immer wieder mit ständig wachsender Ungenauigkeit kopiert. Der Archipel besitzt zwar eine musikalische Überlieferung, aber-keine musikalische Wissenschaft. 34 ebd. 197, 199, 288, 290, 309, 311, 312, 318.
116
Zwei archaische Typen javanischer Orchester, die munggang und Rodok ngorek genannt werden, besitzen einen beschränkten Tonumfang von nur einem
Tetrachord
der
pelog-Art:
(absteigend)
E C H.
Sie
sind
besonders
stark
geheimnisumwoben und verehrt und sollen deshalb sehr alt sein, älter als der pelog selbst. Ich muß gestehen, daß ich hiervon nicht überzeugt bin. Das erste Orchester in munggang-Stimmung soll aus dem vierten Jahrhundert u. Z. stammen. Ist das nun wirklich ,alt' zu nennen?
Kónnen wir ernstlich glauben, daB die Javaner, obwohl
sie fortgeschritten genug waren, um eigene Orchester zu bilden, zu dieser Zeit, also mehr als tausend Jahre nach der Periode pelog-ähnlicher Skalen in Griechenland, noch nicht über das Stadium von Dreitonmelodien hinausgelangt sein sollten, ganz abgesehen davon, ob sie ostasiatischen oder indischen Einflüssen ausgesetzt oder aber sich selbst überlassen waren? Ich halte die Schlußfolgerung, daß einer aus zwei Tetrachorden bestehenden Heptade ursprünglich ein einzelnes Tetrachord vorangegangen sein muß, für etwas zu einfach. Ich kann auch in anderen Beispielen keinerlei Bestátigung entdecken. Der pelog wird oft fálschlich als eine heptatonische Skala dargestellt. Die Terzen sind, wie sachunkundige Autoren schreiben, angeblich durch Überspringen zweier
der sieben Töne entstanden. Dabei verhält es sich gerade umgekehrt. Um die Móglichkeit modaler Umgruppierungen innerhalb desselben Tonumfanges zu schaffen, wurden die Instrumente mit sieben Tönen ausgestattet, von denen jeweils zwei durch ihre Nachbartöne vertreten werden können. Es gibt also sieben Stellen für fünf Stufen der Skala, und es handelt sich somit ebensowenig um ein ‚Überspringen‘, wie wenn wir C-Dur spielen und die schwarzen Tasten auslassen. Das Problem der Modi ist nicht ganz leicht zu lösen. Es gab einst drei Modi: Nem oder Bem, Limä oder Pelog und Barang. halber in A notiert, würden sie lauten:
Nem:
Limá: Barang:
(4)
AH HC
HC
Wenn
EF
DEF EFG
man
sie der Einfachheit
A
A
Aber Dr. Jaap Kunst wie auch Dr. Manfred Bukofzer, der so liebenswürdig
war, mir seine unveröffentlichten Notizen zur Verfügung zu stellen, heben hervor,
daß die Modi eine ziemlich belanglose Rolle spielen und besonders Limä nicht beachtet würde. Dennoch scheint Limd zumindest historisch wichtig zu sein. Man kann nicht übersehen, daß Nem mit seinen verbundenen Tetrachorden und dem unten hinzugefügten Ton dem japanischen Hirajöshi entspricht. Und Lima würde, wenn sein H erniedrigt wäre, mit seinen getrennten Tetrachorden genau dem Kumoijóshi gleichen. Aus Dr. Bukofzers Material schließe ich, daß das H tatsáchlich fast immer um etwa einen Viertelton niedriger ist, als es eigentlich sein müßte. Das sieht verdächtig nach einem KompromiB zwischen den beiden Modi aus. Ein solcher Kompromiß hätte sicher eine Parallele im westlichen Orient, wo
die neutrale Terz des Zalzal von Bagdad (gest. 791) und der persischen Lautenisten aufgenommen worden ist, um den Übergang von verbundenen zu unverbundenen
117
Tetrachorden zu erleichtern. Daß Lima schließlich fallengelassen wurde, könnte einer gewissen Antipathie gegen unverbundene Tetrachorde zuzuschreiben sein. Salendro
oder slendro, das andere wichtige, im Gegensatz zum ‚weiblichen‘ pelog
als männlich betrachtete Tongeschlecht der Malaien, wird allgemein als eine in fünf Stufen gleicher Größe unterteilte Oktave beschrieben, wobei sich jede Stufe auf sechs Fünftel eines Ganztones oder 240 Cents beläuft. Das stimmt im großen ganzen, obwohl genaue Stufengleichheit nie erreicht wird. Die Stufen variieren zwischen 185 und 275 Cents. Aber diese Extreme sind Ausnahmen; Grenzwert liegt bei rund 231 Cents und der andere bei etwa 251 Cents.
der eine
Beispiel 52: Javanischer Slendro (übertragen von Curt Sachs nach Decca 20124 B) sehr langsam und frei m
Das Bild ándert sich, wenn wir uns von modernen Instrumenten ab- und sehr
alten, auf javanischem Boden ausgegrabenen Instrumenten zuwenden, die als Beleg noch zuverlässig sind, da ihre Metallstábe eine konstante Tonhóhe bewahrt haben. Während
kein modernes Metallophon
eine Stufe besitzt, die mehr als 275 Cents
beträgt, verfügen die alten Exemplare im allgemeinen über eine größere Stufe zwischen 300 und 310 Cents? und außerdem über eine kleinere von rund 280 Cents.
Hier zeigen sich unmißverständlich Spuren einer alten, in drei Sekunden und zwei kleine Terzen unterteilten Oktave — eine Teilung, die zumindest jeder Europäer ohnehin herauszuhören glaubt. Aber die Spuren alter Terzen zeugen auch von einer Art Temperierung, die auf eine Einebnung des Unterschiedes zwischen Terzen und Sekunden abzielt. Von den beiden Terzen jeder Oktave erreicht oder überschreitet nur eine die Standardgröße von dreihundert Cents. Die andere ist bei den ersten beiden Exemplaren kleiner, während sie beim dritten Exemplar tatsächlich den vergrößerten Sekunden
angeglichen worden ist. Der wahre Sachverhalt der slendro-Skala dürfte sich auch dadurch ergründen lassen, daß alle den javanischen und balinesischen Kulturen gemeinsamen Merkmale auf Bali in einer urtümlicheren Entwicklungsstufe in Erscheinung treten. Folglich muB ein Vergleich zwischen javanischen und balinesischen slendroStimmungen Licht auf die Entwicklung dieses Systems werfen. Auf den ersten Blick unterscheiden sie sich kaum. Die Abstánde von Ton zu Ton scheinen auf Bali genau so willkürlich zu sein wie auf Java. Nichtsdestoweniger gelangt man, 35 Antoine Dechevrens, Études de Science Musicale, 2* Étude, Anhang IV, Paris 1898,
8. 36 J. Kunst und C. J. A. Kunst-v. Wely, De Toonkunst van Bah II, in: Tijdschrift van het Koninklijk Bataviaasch Genootschap 65, 1925, 476, 477.
118
wenn man sich die Mühe macht, die Mittelwerte der vier Intervalle einer größeren Anzahl sorgfältig vermessener Instrumente Balis und Javas zu errechnen, zu einem festen Ergebnis. Der durchschnittliche Abstand von Ton zu Ton beträgt auf Bali: (Summen:
219
250 469
228 697
260 Cents 957 Cents)
Die Durchschnittswerte auf Java lauten: (Summen:
236
240
476
248
724
227 Cents
961 Cents)
Auf Bali ist der Grad der Temperierung geringer. Die Distanz von 697 Cents
stimmt praktisch mit der reinen Quinte überein.
Man hat angenommen, daß slendro, und zwar selbst auf Java, älter als pelog sei. Das ist sehr unwahrscheinlich, ja, es gibt sogar ein eindeutiges Anzeichen für das
Gegenteil. Einer der javanischen Töne heißt /:ma, ,,der fünfte", und ein anderer nem, „der sechste“. Aber das ist nur im pelog so. Im slendro bezeichnen sie den
vierten und den fünften Ton. Die Terminologie muß also ursprünglich für pelog geschaffen und später erst auf slendro übertragen worden sein. Die Modus-Frage ist nicht so leicht beantwortet. Java besaß drei slendro-Modi, aber sie haben heute keinerlei Bedeutung mehr, und selbst ihre Unterscheidungsmerkmale sind nahezu vergessen. Sie werden auf denselben Instrumenten mit gleichem Umfang und gleicher Skala gespielt und unterscheiden sich lediglich in ihren Haupttönen voneinander, die im Orchester durch einzelne Schläge des großen Gongs hervorgehoben werden. Aber selbst diese Haupttöne sind nicht über jeden Zweifel erhaben. Dr. Jaap Kunst fand heraus, daß der zweite Ton der (aufsteigenden) Oktave bei 64,2 Prozent aller Melodien im Modus Nem, der vierte Ton bei 84,7 Prozent aller Sanga-Melodien und der fünfte Ton bei 59 Prozent aller Man-
jurä-Melodien (gegenüber 41 Prozent mit anderen Haupttönen) als Grundton verwendet wird. Darin äußern sich Auflósungserscheinungen. Aber es zeigt auch, daß ursprüng-
lich von verschiedenen Tónen der Skala aus begonnen wurde, wie bei den indi-
schen grämas und den europäischen Hexachorden. Daraus müssen sich Schwierigkeiten ergeben haben, sobald die Notwendigkeit, alle Modi auf denselben Einoktavinstrumenten zu spielen, die javanischen Musiker zwang, die drei Skalen in denselben Raum zu projizieren. Terzen mochten notwendig gewesen sein, wo das Instrument nur Sekunden hergab und umgekehrt. Das könnte der Schlüssel zur Lösung
des schwierigen slendro-Problems
sein.
Ebenso wie sich unsere gleichschwebende Temperatur aus dem Bedürfnis nach Transposition ergeben hat, könnte die slendro-Temperatur leicht als Kompromiß zwischen Sekunden und Terzen aufgefaßt werden. Das wiederum könnte den Verfall der Modi erklären, die ja schließlich von der Verschiedenheit und nicht der Angleichung der beiden Intervallarten abhängig sind. 119
Es scheint, daß die Modi, oder richtiger, die einem bestimmten Modus zugeschriebenen Melodien heute lediglich vom Standpunkt der Wahl einer passenden Aufführungszeit Bedeutung besitzen. Stücke in Nem sollen zwischen sieben Uhr abends und Mitternacht gespielt werden, Sanga ist der passende Modus für den frühen Morgen zwischen Mitternacht und drei Uhr sowie für die Zeit zwischen Mittag und sieben Uhr, und Manjura gehört den Stunden zwischen drei Uhr früh und Mittag an. Dieser Zeitplan ist unverkennbar indischer Herkunft. Auch der Name salendro weist nach Indien. Er stammt wahrscheinlich von der Salendrá-Dynastie auf Sumatra her, die von der Koromandelküste in Südindien herüberkam und Java fast bis gegen Ende des ersten Jahrtausends u. Z. beherrschte. So dürfte es klüger sein, slendro mit rägas wie Madhyamävati, Mohana oder Hamsadhvani anstatt mit der chinesischen Skala in Verbindung zu bringen. Siam,
Kambodscha
und
Burma
beschließen
den
Kreis
ostasiatischer
Skalen.
Sie weisen eine starke Tendenz zu gleichstufiger Temperatur auf, wie sie auch die slendro-Anordnung zeigt, ohne aber im geringsten den Unterschied zwischen Ganztónen und Terzen aufzuheben. Das wird durch eine Unterteilung der Oktave in sieben (theoretisch) gleiche Teile erreicht, von denen jeder bei korrekter Teilung 171,4 Cents messen würde. Daß diese Abstände in der Praxis genau eingehalten werden, ist natürlich fraglich, da das Gehór ohne physikalische und mathematische Hilfsmittel nicht in der Lage ist, ein Intervall genau zu unterteilen. Wie sehr sich auch Carl Stumpf,
der ein ausgezeichnetes Gehör
besaß, über
die relative Genauigkeit
wunderte,
mit der siamesische Musiker ihre Instrumente einstimmten,? so schwankten die Intervalle, die Alexander J. Ellis gemessen hat,’ doch immerhin zwischen 9o und 219 Cents. Die Siamesen verwenden diese sieben Töne gleichen Abstands als Stufen für pentatonische Skalen, indem sie zwei dieser Tóne jeweils auslassen. Dadurch
erzielen sie einen scharfen Kontrast zwischen kleinen Ganztónen von 171,4 Cents
und neutralen Terzen von 343 Cents. Die Lage der übersprungenen Stufen bestimmt die Modalstrukturen: I I I
II II —
II — ΠῚ
— IV IV
V V V
VI VI —
— — VII
I I I
(Der achte Ton stellt nicht den Endpunkt einer Leiter wie unsere Oktave dar, sondern den Anfangston einer neuen Heptade.) 3? Carl Stumpf, Tonsystem und Musik der Stamesen, in: Sammelbánde für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1922, 127—177.
88 s. A. J. Ellis, Über die Tonleitern verschiedener Völker, a. a. O., 36— 42. 120
Die Sänger schenken dieser Temperatur wenig Beachtung. Die folgende Opern-
arie,
die
fast
europäische
Intervalle
nellen in siamesischer Stimmung ab:
verwendet,
wechselt
mit
Orchesterritor-
Beispiel 53: Siamesisches Opernsolo (übertragen von Curt Sachs nach Decca 20127B) ΠΝ ΩΙ (im Original einen Halbton höher)
Die Palast- und Tempelmusik hat in China ebenso wie in Korea und Japan den eingeschobenen Halbton abgelehnt, da er die Leidenschaften nicht besänftigte, sondern die Seele mit sinnlicher Begierde erfüllte. Doch wurde den angeblich übersprungenen Stufen ein fester Platz in der weltlichen Musik eingeräumt, wenn-
gleich vorerst auch nur in Gestalt von Wechseltönen. Der von den Japanern Ritsu genannte Modus trat, wie wir gesehen haben, in zwei verschiedenen Formen auf: 12:456:8 und 1°345°78, das heißt als DE GAH D und D FGA CD. Diese beiden rein pentatonischen Formen des Ritsu erforderten also eine vollständige Siebentonreihe. Dennoch hielten sich die Melodien streng an eine der beiden pentatonischen Tonfolgen, ohne sie jemals miteinander zu kombinieren. Diese Beschránkung wurde spáter aufgehoben. Den Komponisten wurde ge-
stattet, die beiden
Formen
innerhalb derselben
Melodie zu mischen,
allerdings
unter der Voraussetzung, daß die kritischen Töne alternativ gebraucht wurden und niemals Halbtóne berührten oder bildeten: Beispiel 54: Japanisches Lied (nach Noel Peri)
Schließlich wurde auch, wenigstens in der Volksmusik, diese letzte Einschränkung fallen gelassen. Die Ryo-Skala 123 andererseits wurde auf direktem Wege durch die Einfügung einer übermäßigen Quarte und einer großen Septime zu einer heptatonischen Leiter
vervollständigt: FGA*CD'F.
Áhnlich spalteten die Japaner ihre grofen Terzen in zwei Sekunden auf: AFE CHA. Keine Skala aber wurde streng heptatonisch. Die hinzugefügten Töne besaßen den Charakter von überleitenden oder Hilfstönen und hatten nicht einmal das Vorrecht zu eigenen Namen. Die Chinesen bezeichneten sie mit dem Namen des direkt darüberliegenden Tones unter Hinzufügung des Beinamens bran, was so viel wie ‚auf dem Wege zu‘, ‚werden zu‘ bedeutet.
3$ C, S. Keh, a. ἃ. O., 39. 121
Eine in zeitgenössischen Quellen überlieferte Erzählung zeigt, wie weit die Chinesen noch von einer wirklichen heptatonischen Skala entfernt waren. Zwischen 560 und 578 u. Z. versetzte ein Mann
aus Kutscha in Ostturkestan seine chine-
sischen Zuhórer in Erstaunen, weil er ,haargenau' eine vollstándige Dur-Skala auf seiner
Laute
Pipa
spielte.
Ihre
Töne
hießen
sochiba,
sadalık,
badalik,
kichi,
shachi, shakukalam, shalap, panjam, dzilidzap, hulidzap. Die Bedeutung einiger
dieser Ausdrücke ist unbekannt,
andere wiederum sind klar. Professor Nicholas
N. Martinovitch, dessen Meinung ich in dieser Frage einholte, war so freundlich, folgende Entsprechungen vorzuschlagen: zerstreuend, volltónend, austauschend, klein, verspritzend, königliches Wort, hängend, die fünfte, starkes Tremolo, sehr stark.
Natürlich", so schreibt er, „bin ich mir bei meinen Vorschlägen nicht ganz sicher,
denn die Verderbtheit dieser Worte ist zu groß.“ Etwa zur gleichen Zeit wird in einer anderen Quelle behauptet, daß die achtundzwanzig ‚fremden Modi‘ — einerlei welche es auch gewesen sein mochten — mit Hilfe der chinesischen Normpfeifen nicht festgelegt werden konnten, sondern nur durch die Saiten der Pipa. Mit anderen Worten, die neu eingeführte westliche Musik folgte dem Teilungs- und nicht dem Auf-und-Ab-Prinzip. Allerdings übernahm auch die Querflöte Di eine westliche Dur-Skala. Im großen ganzen waren die heptatonischen Melodien im Norden Chinas häufiger als im Süden anzutreffen. Sogar Japan hat eine Dur-Skala gekannt, die Champa. Im Jahre 763 wird Musik aus Champa, das ist Kambodscha, zum ersten Male erwähnt, als sie anläßlich eines Banketts am kaiserlichen Hof gespielt wurde. Aber vierhundert Jahre
später wurde der kambodschanische Stil in Japan dem chinesischen Stil angeglichen, und es ist unmöglich zu sagen, ob die ursprüngliche Champa-Musik die Dur-Skala, die die heutigen Japaner mit diesem Namen bezeichnen, besessen hat oder nicht.* Die Entwicklung ostasiatischer Skalen beginnt sich jetzt abzuzeichnen. Sie geht aus von streng pentatonischen Skalen mit Terzen jedweder Größe. Aufeiner zweiten Entwicklungsstufe erscheinen Siebentonreihen in der Form, daß sieben Töne zur Bildung streng pentatonischer Skalen zur Auswahl stehen. Auf einer dritten Stufe werden die beiden ‚übergangenen‘ Töne in die Skala aufgenommen, allerdings nur als Durchgangsnoten. Schließlich werden sie völlig eingegliedert.
Die Temperatur durchlief eine parallele Entwicklung. Der pelog stellt eine Vorstufe zur Temperatur dar. Im Gegensatz dazu sind in China und Japan die Skalen ziemlich gut nach Ganz- und Halbtönen und kleinen und großen Terzen temperiert worden. Im slendro wurden die ursprünglich kleinen Terzen und die Ganztóne mehr und mehr einander angeglichen, was fünf fast gleich große Sechsfünfteltöne in der Oktave ergab. In Siam, Kambodscha und Burma auf der anderen Seite sind sieben Tonstufen einander so angeglichen worden, daß sie sieben fast gleich große Siebenachteltóne bilden, von denen fünf in den Melodien wirklich verwendet werden.
40 R. H. van Gulik, a. a. O., 39. 41 Vgl. Noël Peri, Essai sur les gammes Japonaises, Paris 1934, und Paul Demiéville,
La Musique éame au Japon, in: Publications de l'École Francaise Orient, Études Asiatiques I, 1925, 200 und 225.
122
d'Extréme-
4 Melodie und Rhythmus Skalen und Modi sind, obwohl sie nicht ausschließlich instrumentalen Charakter
haben, auf Grund von Instrumenten aufgestellt worden. In vokaler Musik erscheinen sie meist in jenen Stilen, die eine Mitwirkung von Instrumenten erfordern. Allerdings muß betont werden, daß der Ferne Osten Singstile kennt, die von Instrumenten und damit auch von der Starrheit der Skalen und Modi völlig unabhängig sind. Wir brauchen hier nicht näher auf den buddhistischen Kantillationsstil einzugehen. Aber ein Kapitel über ostasiatische Musik wäre unvollständig, wenn jener eigentümliche Rezitativstil, der im japanischen nö seine Vollendung fand, unerwähnt bliebe. Das nö in seiner gegenwärtigen Form erreichte seinen Höhepunkt erst um 1500 u. Z. Es ist ein urtümliches lyrisches Drama, das aus ekstatischen Ritualen der Vergangenheit hervorging, aber dann in eine weltliche Umgebung übertragen und von einigen maskierten Schauspielern in strenger Einheit von Wort, Melodie und Tanz aufgeführt wurde. Sein Gesang, der nichts von der Freizügigkeit besitzt, die dem heutigen abendlándischen Menschen so teuer ist, bewegt sich um nicht mehr als neun stereotype, immerfort wiederkehrende Szenen, den ersten Auftritt der Hauptperson der Handlung, den Reisebericht einer zweiten Person, mit dem sich diese selbst einführt und so weiter. Das geschieht in einer gleichfórmigen Kantillation auf einem Tort, der jedoch von melodischen Formeln unterbrochen wird, die in der unbestimmten, gleitenden Art mit anschließender Erhóhung intoniert werden, wie wir es von japanischen Zithern und Flóten kennen. Diese Formeln sind unteilbare Einheiten, deren Jede einen besonderen Namen besitzt, etwa ‚Drehung‘, ‚Farbe‘, ‚Spannung‘ usw. (vergleichbar den Tropen in der jüdischen Kantillation). Wenn die Kantillation wieder einsetzt, springt sie in eine um eine Quarte tiefere Lage und sogar noch eine Quarte weiter abwärts (a —e —H), oder sie sinkt zunächst um einen Ganzton und springt dann um eine oder zwei Quarten weiter hinunter (a —g —d — A). Der Rhythmus ist ebenso irrational wie die Intonation, und selbst wenn eine melodische Formel ein festeres Metrum nahelegt, versucht der Sänger diesen Eindruck durch eine Art Rubato zu zerstóren. Lediglich in der tieferen Tonlage neigen Rhythmus und Intonation zu größerer Regelmäßigkeit. Das auf der Bühne sitzende Orchester besteht aus einer mit einem Schlegel und zwei mit der Hand geschlagenen Trommeln und einer Querflöte. In der Regel schlagen die Trommler einen gleichmäßigen Rhythmus, obwohl sich die Singstimme frei bewegt. Ab und zu fällt die Flöte ein und erhebt sich über die Singstimme. Aber ihre Melodie ist mit dem Gesang weder abgestimmt noch steht sie
123
wenigstens in Wechselbeziehung zu ihm. Die beiden Stimmen sollen nicht zusammen gehört werden, sondern sie sollen nur gleichzeitig existieren, in einem magischen, nicht in einem ästhetischen Sinn.
Mit unserer gegenwärtigen Terminologie ist es unmöglich, eine angemessene Vorstellung von der fremdartigen Stimmgebung des Ostens zu vermitteln. Die Koreaner erwarten wenigstens von ihren Geischas, daß sie in tiefer Stimmlage singen. Im allgemeinen ‚lassen nur Kinder und Kutscher die Töne aus dem Bauch kommen"'.*3 Die fernóstliche Singweise ist nasal, gepreßt, explosiv, sie zeigt besondere Vorliebe für hohe Tonlagen, geht oft bauchrednerisch in die tiefsten Register über und wird fortwährend mit Glissandi durchsetzt. So außergewöhnlich sie unserem Ohr anfangs auch erscheinen mag, so schnell wirkt sie selbst auf den unvorbereiteten westlichen Zuhörer als das vollkommene Gegenstück zur Maske, die der Sänger trägt. Sie verbirgt seine Wesensgleichheit, ja seine menschliche Natur und erhebt ihn über die Welt des Alltags hinaus in die Sphäre der Helden, Götter und Dämonen. Haben wir diese mystische Atmosphäre erst einmal erlebt, so beginnen wir, uns der Grenzen des westlichen ‚natürlichen‘ Stils bewußt zu werden, der unfähig ist, Wotan,
den Göttervater, und Hans Sachs, den Schuh-
macher aus Nürnberg, voneinander abzuheben. Die chinesische Oper in ihrer klassischen Form wurde vom Text beherrscht. Es könnte auch gar nicht anders sein. Monosyllabischen Sprachen stehen wenige hundert Silben zur Verfügung, um zehntausende von Gegenständen und Begriffen zu bezeichnen. Daher besitzt jede Silbe viele unterschiedliche Bedeutungen. Das Verständnis hängt von der spezifischen Intonation ab, von der steigenden, gleichbleibenden oder fallenden Tonbewegung der Stimme. Die Melodik muß diesen Intonationsbewegungen folgen; denn Worte, die entgegen ihrer natürlichen Sprachmelodie vertont sind, wären unverständlicher als ein Fragesatz mit fallender Intonation am Satzende in irgendeiner europäischen Oper.* Infolgedessen war die Vokalmusik des klassischen China streng logogen. Ein musikalisches Vokabular hielt einen Vorrat geeigneter Einzeltöne für den gleichbleibenden Sprechton beziehungsweise von Tongruppen für jeden der drei Sprechtöne bereit, die wiederum nach ‚männlichen‘ und ‚weiblichen‘ Formen unterteilt
wurden, wobei die letzteren geringfügig anders waren und einen Ton tiefer lagen.
Einsilbige Sprachen eignen sich nicht für quantitative Versmaße; die Unterscheidung von lang und kurz ist weit weniger wichtig als bei zusammengesetzten Wörtern. Zwar unterlag die Dichtung (und zweifellos auch die Musik) während der Tang-Dynastie, in der die Chinesen besonders Gefallen an eleganten Formen empfanden, festen Versmaßen. Um ein Beispiel anzuführen: Ein Gedicht aus dem 4? C. S. Keh, a. a. O., 20.
43 O. Abraham
und
E. M. von Hornbostel, Tonsystem
und Musik
Sammelbánde für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1922, 212.
der Japaner,
** Vgl. John Hazedel Levis, Foundations of Chinese Musical Art, Peiping 1936.
124
in:
achten Jahrhundert u. Z., „Der Trinker im Frühling‘, ist in folgendem gekünstel-
ten Versmaß gehalten :*°
—
—
w
Aber andererseits war die Tang-Zeit für Einflüsse aus Indien und dem Mittleren Osten sehr empfänglich, und dieser poetische Stil mag deshalb fremden Vorbildern zuzuschreiben sein. In der Regel hat der Chinese Dichtung und Musik dem qualitativen starkschwach-Prinzip mit der Silbe als Zeiteinheit oder Grundschlag unterworfen. Da aber chinesische Verse äußerst kurz sind — in der Regel enthalten sie vier, fünf oder sechs Silben — wird jeder Vers musikalisch durch einen Takt mit entsprechend vielen Schlägen und nicht wie anderswo durch eine ganze Phrase wiedergegeben. Solche musikalisch-poetischen Formbildungen sind entweder asymmetrisch und rhapsodisch (cht) oder aber symmetrisch (sht). Die reinste Verwirklichung einer symmetrischen Form findet sich in der Hymne an Konfuzius, dem Hauptstück
der
konfuzianischen
Liturgie,
die wahrscheinlich
die früheste
erhaltene
Entwicklungsstufe chinesischer Musik repräsentiert. Die Tempelsänger tragen sie in unglaublich langgezogenen Tönen gleicher Dauer vor, und auf jeden dieser Töne entfällt eine Einzelsilbe des Textes. Vier solche Töne bilden einen Vers und acht Verse eine Strophe. Auch hier wiederum erweist sich der Einzelton als Keimzelle chinesischer Musik (s. Notenbeispiel 41). Der qualitative Rhythmus (‚Takt‘) ist, obwohl er oft der Betonung gesprochener Worte zuwiderläuft, außer im Fernen Osten in Tibet und unter den Turkvölkern einschließlich der Tataren, Kirgisen und Baschkiren verbreitet. In demselben
weiten Gebiet herrschen vierschlägige Zeitmaße vor. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. In Korea und China haben sich Volkslieder im Dreiertakt erhalten, und die Chinesen besaßen im ersten Jahrtausend ungerade und sogar gemischte Zeitmaße. Aber diese sind wiederum fremden Einflüssen zugeschrieben worden .?® Dem Rhythmus kommt sicherlich geringere Bedeutung als in anderen Ländern zu. Die große Anzahl der Schlaginstrumente in allen Teilen des Fernen Ostens sollte uns nicht irreführen. Die meisten dieser Instrumente dienen überhaupt nicht dem Rhythmus.
Rasseln, Schrapinstrumente, Glocken und Steine hatten andere
Aufgaben. Die Trommeln aber wurden mit Stöcken geschlagen und eigneten sich daher besser zum Taktschlagen als zur Wiedergabe komplizierter rhythmischer Gebilde. 45 Heinz Trefzger, Das Musikleben der Tang-Zeit, in: Sinica XIII, 1938, 58. 46 ebd. 59.
125
Es wäre jedoch falsch, dieses Taktschlagen mit den Big-Band-Trommeln zu vergleichen. Im ältesten klassischen chinesisch-japanischen Bugaku-Tänzen, dem letzten Schlag, der durch ein Aufstampfen des von einem sanften Schlag auf die vorherige Halbzeit
groben vier Schlägen unserer erhaltenen Musizierstil, den liegt der starke Akzent auf Tänzers und einen kräftigen, vorbereiteten Schlag auf der
Trommel hervorgehoben wird: eins, zwet, drei, VIER.
Bugaku soll indischen Ursprungs sein, wie überhaupt die gesamte chinesische und japanische Musik während der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends u. Z. unter indischem Einfluß stand. Und doch war den hochentwickelten rhythmischen Formen, den ἰᾶ[ας, die das charakteristischste Kennzeichen indischer Musik bilden,
keine Chance im Osten beschieden. Im Jahre 860 u. Z. wurde eine Abhandlung über das Trommeln in China mit seinen über einhundert ,Symphonien' verfaßt,
die zweifellos indische falas darstellten. Aber es entwickelte sich daraus nichts, und keiner der fernöstlichen Stile hat auch nur die geringste Spur dieser Modelle be-
wahrt. Die drei Rhythmen, die in tibetanischer Orchestermusik verwendet und auch dann weiter geschlagen werden, wenn die anderen Stimmen schweigen’ sind offensichtlich nicht fernöstlichen Ursprungs, sondern verderbte indische Modelle.
4442424214 4444
AS
N
TPPPPPPPPPPRPPPPPPP Die von Colin McPhee kürzlich beschriebenen hochentwickelten Polyrhythmen balinesischer Zimbelspieler sind ebenfalls nicht fernöstlicher Herkunft. ‚Die Zimbelgruppe umfaßt nicht weniger als sieben Spieler, von denen jeder ein unterschiedlich großes Zimbelpaar besitzt, mit dem er eine andere rhythmische Formel ausführt. Dieselben rhythmischen Motive kónnen gelegentlich wáhrend des Reisstampfens gehört werden, wenn das ständige Stampfen der Keulen im hölzernen Trog durch verschiedene synkopierte Rhythmen begleitet wird, die gegen die Seiten oder Enden des Troges geschlagen werden.'‘*® 4? T. Howard Somervell, The Music of Tibet, in: The Musical Times L XIV, 1923, 108. 1$ Colin McPhee, The Technique of Balinese Music, in: Bulletin of the American Musicological Society Nr. 6, 1942, 4.
5 Notation Keine niedere Kultur gelangt zu Noten- oder anderen Schriften. Der geistige Horizont ist eng, das Wissen ist im Umfang begrenzt. Die mündliche Überliefe-
rung beherrscht alles, und das Gedächtnis, unbelastet und unangefochten durch
andere Mittel der Bewahrung, ist in einem kaum glaubhaften Maße ausgebildet. Viele besondere Umstände mußten beitragen, ehe die frühesten Formen des Schreibens die Überlieferung und das Gedächtnis unterstützten. Allein einer war zwingend für die Musik: die Furcht, daß sich die Tradition in Zeiten der Not und Gefahr als nicht widerstandsfähig genug erweisen und die Wirksamkeit der Kulthandlungen durch eine ungenaue Wiedergabe der heiligen Gesänge gefährden könnte. Ein bemerkenswertes Beispiel bietet die musikalische Notation, die auf der Insel Bali von gelehrten Hindu-Javanern erfunden wurde. Diese waren im sechzehnten Jahrhundert u. Z. vor den mohammedanischen Eroberern aus ihrer Heimat Java geflohen und wollten ihre traditionelle Musik vor dem Vergessen in einem neuen Land ohne Tradition bewahren. Die Schrift bestand aus einer Art Stenographie. Die fünf Töne dang, ding, dung, déng, dong wurden einfach durch die kleinen Symbole für die Vokale a, ¢, u, è, ο ohne Bezeichnung des Rhythmus wiedergegeben. Während die Alphabete eine relativ übereinstimmende Entwicklung von realistischen Bildern zu abstrakten Symbolen und von Begriffen zu Lauten durchgemacht zu haben scheinen, folgte die musikalische Notation gleich von Anfang an verschiedenen Prinzipien, und die meisten Völker benutzten sogar mehrere
Systeme gleichzeitig. Es gab Tonnotattonen, die die Einzeltöne mit Hilfe von Symbolen, die dem gebräuchlichen Alphabet entnommen wurden, bezeichneten, Tabu-
laturen oder Fingersatznotationen, die die Hand des Spielers leiteten, ohne nach den Tönen, die hervorgebracht werden sollten, zu fragen, Neumen, die die melo-
dischen Stufen graphisch mehr in ihrem Richtungsverlauf denn als Gruppen von zwei oder drei bestimmten Tonhóhen abbildeten, und Gruppennotationen, in denen gelàufige Tongruppen durch bestimmte Silben oder Spitznamen bezeichnet wurden. Der Ferne Osten hat mindestens seit Beginn unserer Zeitrechnung Musikschriften besessen. Da besonders Einzeltóne im Mittelpunkt des Interesses standen, wurde vor allem die Tonnotation bevorzugt. Das trifft im engsten Sinne auf die Spieler von Stein- und Glockenspielen zu, die an der eigentlichen Melodieführung 4
J. Kunst und C. J. A. Kunst-v.
(1925), 47—68.
Wely, De Toonkunst van Bali, Teil I, Weltevreden
127
unbeteiligt sind, da sie nur eine Steinplatte oder eine Glocke auf einmal anschlagen, von denen jede lediglich einen der /4's hervorbringt. Ganz folgerichtig werden die Tonhóhen mit der ersten Silbe der /#-Namen benannt: huang (zhong), ying (zhong), ww (yt) und so weiter. Wie alle chinesischen Notationen und auch die gewóhnliche Schrift werden die Symbole in absteigenden Spalten, die von rechts nach links fortschreiten, angeordnet.
Die Sánger dagegen, denen mehr an der Melodieführung als an der absoluten Tonhóhe liegt, verwenden fünf Silbensymbole, die die pentatonische Skala bezeichnen: gong, shang, jue, zhi, yu. Sie werden unter oder rechts neben die entsprechende Textsilbe geschrieben. Trotzdem wird die absolute Tonhóhe durchaus nicht vernachlässigt; eine Note am Anfang zeigt an, auf welchen lü der Grundton gong gestimmt werden soll (genau wie wir es im Falle unserer Klarinetten ‚in A“ oder Hörner ‚in F“ tun) (s. die Abbildung S. 129). Dieselbe Notationsart ist bei den Spielern der Pipa und aller Blasinstrumente gebräuchlich.
Die
meisten
dieser
Instrumente
waren
relativ neuen
westlichen
Ursprungs und wurden anfangs wahrscheinlich von Mongolen gespielt. Als Folge davon wurden die komplizierten chinesischen durch die einfacheren mongolischen Schriftzeichen ersetzt. Wenn nun Singstimmen und Lauten dieselbe Melodie vortragen, stehen sowohl die mongolischen als auch die chinesischen Symbole unter jeder Textsilbe.
In Ostasien gab es auch Ansätze zu Neumen für solche Melodien, bei denen es mehr auf den melodischen Bogen als auf Einzeltöne ankam. Ein von links nach rechts aufsteigender Strich bedeutete ‚aufsteigende‘, ein horizontaler Strich liegende‘ und ein von links nach rechts absteigender Strich ,absteigende' Bewegung. Ein x zwischen zwei dieser Striche gestattete beide Bewegungen. Oder aber ein kleiner weißer Kreis bezeichnete ebene und ein schwarzer Seitenbewegung, deren Richtung durch zusätzliche Silben als fallend oder steigend näher bestimmt werden mußte. Mitunter halbierte der Komponist diesen Kreis. Weiß oben und schwarz unten bedeutete eine mehr oder weniger eben verlaufende Bewegung, stellte es Zur nebenstehenden Abbildung (S. 129). Chinesische Notation (nach John Hazedel Levis). — Die Schrift verläuft abwärts, die senkrechten Zeilen werden von rechts nach links gelesen. Die vier Zeilen mit großen Symbolen geben den Text wieder, wobei jedes Symbol ein (einsilbiges) Wort darstellt. Die kleinen Zeichen zu beiden Seiten einer Zeile geben die Melodie an. Die Symbole zur Rechten bezeichnen die genauen Tonhóhen jeder Zählzeit und jedes Wortes, so das erste in der rechten Ecke oben ein a’, das zweite und dritte ein c". Die folgende Gruppe der drei seitlich vom vierten Textwort stehenden Symbole bezeichnen eine Ligatur auf einer Zählzeit, a’ — c” — a’. Die fünfte Gruppe bedeutet die Ligatur g’ — a’ auf einer Záhlzeit und dazu eine Pause (der waagerechte Strich), die das Ende der Phrase angibt. Die Symbole linkerhand sind Neumen, von denen die ersten drei horizontale Bewegung, die vierte steigende und fallende und die fünfte steigende Bewegung anzeigen. 128
Sachs, Musik
aber frei, sie auch steigend oder fallend zu gestalten. Schwarz oben und weiß
unten bezeichnete das Gegenteil.
Auch das unvermeidliche manuelle Gegenstück zu den Neumen fehlt nicht. Die Chinesen gebrauchen die Hand, um die vier Typen der Tonbewegung in der Sprache dem Gedächtnis einzuprägen. Sie berühren das dritte Glied des Zeigefingers, um fing, den ebenen Ton anzuzeigen, die Spitze desselben Fingers für shang, den Steigeton, die Spitze des Ringfingers für qu, den fallenden Ton, und das dritte Glied desselben Fingers für ru, die (musikalisch bedetuungslose) dialektbedingte Kürzung jeder der vorhergehenden drei Bewegungen.*? Die Ähnlichkeit mit Guido von Arezzos berühmter Hand ist auffällig. — Zeichen für den Rhythmus wurden mit den anderen Notationsformen zusammen gegeben. Aber im allgemeinen genügte es, das Ende einer Phrase zu markieren, da die Phrase selbst durch die Silbenanzahl im Vers bestimmt wurde, und jede dieser Silben — wenigstens im Prinzip — mit einem musikalischen Taktschlag zusammenfiel. Gelegentlich konnte eine Silbe lánger oder kürzer als ein Taktschlag sein. Solche regelwidrigen Fälle wurden entweder durch die Tradition entschieden oder aber dem persónlichen Geschmack des Sángers überlassen. Tabulaturen wurden von Langzither- und Flótenspielern verwendet. Sie zeigten vor allem an, was ihre Finger tun mußten, um die gewünschten Töne hervorzubringen, nicht aber die Tóne selbst, die beim Anfertigen oder Stimmen der Instrumente unveránderlich festgelegt wurden. Zeichen neben den Textsilben gaben an, welche Saiten zu zupfen waren. Ein rechts in der Mitte der Spalte stehendes Zeichen schrieb den Daumen vor. War es nach links verschoben, bedeutete es den Zeigefinger, nach rechts den Mittelfinger. Nicht einmal das, was wir Verzierungen nennen würden, blieb, wie in der älteren europäischen Musik, dem Ge-
schmack des Spielers überlassen. Das feine Schwanken des Tons, das die Starrheit pentatonischer Skalen auflöst, ist so wichtig für ostasiatische Musik, daß alle hier nur móglichen Kunstgriffe sorgsam geordnet, mit Namen versehen und durch die Silbensymbole ihrer Namen in der Notation zum Ausdruck gebracht worden sind: ka (um die Bezeichnungen der japanischen Kotospieler anzuführen) bedeutet das Erhöhen eines Tones durch Niederdrücken der Saite hinter dem
Steg, niju
oshi die Erhöhung um einen Ganzton, é das nachträgliche Erhöhen eines bereits gezupften und erklingenden Tons, ké eine kurze Erhöhung des Tons und sofortiges Zurückführen der Saite in ihre ursprüngliche Schwingung, γᾶ dasselbe, nur daß die Rückkehr erst kurz vor Erklingen des nächsten Tons geschieht, Καλὲ das Zupfen zweier nebeneinanderliegender Saiten in schneller Aufeinanderfolge mit demselben Finger, ucht das Schlagen der Saiten hinter dem Steg während langer Pausen, nagashı ein Gleiten mit dem Zeigefinger über die Saiten und so weiter. Diese Tabulatur enthält auch zwei Symbole, die nicht in den Bereich der Verzierungen gehören: Rake ist eine häufige Phrase von fünf Tönen, von denen zwei mit dem Zeigefinger, zwei auf einer tieferen Saite mit dem Mittelfinger und der 50 John Hazedel Levis, a. a. O., 17.
130
fünfte mit dem Daumen auf einer höheren Saite gezupft werden; hazumu ist eine kurze fallende Phrase, die aus einem punktierten Ton auf der zehnten Saite und
zwei auf der neunten und der achten Saite folgenden Tönen besteht. Diese Zeichen
gehören in die Kategorie der Gruppennotation. Neuere Untersuchungen haben klar erwiesen, daß diese Tabulatur eine chinesische Übertragung
von in Indien gebräuchlichen
Sanskritsymbolen
ist.9! Tat-
sächlich sind die Verzierungen auf den Langzithern, die sonst keine Parallele in ostasiatischer Musik besitzen, nichts anderes als die gamakäs Indiens. Sie wurden
unter dem zunehmenden Einfluß des Buddhismus während der Han-Dynastie importiert und auf die Technik chinesischer Zithern übertragen, die die Lieb-
lingsinstrumente meditierender buddhistischer Priester und Mönche wurden.
Keine dieser Schriften gibt Zeitwerte an. Der Rhythmus wurde meistens dem Instinkt und der Tradition überlassen,®? oder aber der Komponist fügte eine besondere Notation für die Taktschläge hinzu. Jedoch ist diese Notation ziemlich widerspruchsvoll und stützt sich doch mehr auf das Ohr als auf das Auge. Die Chinesen schreiben kleine Kreise neben die entsprechenden Töne, um den vierten Schlag des Taktes anzugeben, und oft markieren sie den ersten, zweiten und dritten Schlag durch einfache Punkte. Viertelnoten erhielten infolgedessen immer einen Punkt, während viele Achtelnoten überhaupt nicht bezeichnet wurden. Auf diese Weise zweigte sich eine elementare Mensuralnotation von der Schlagnotierung ab. Der Punkt, der eigentlich einen Taktschlag bezeichnete, erhielt die Bedeutung einer Viertelnote, während halbe Noten durch zwei und ganze Noten durch drei Punkte angegeben wurden. Die japanische Notation ist folgerichtiger. Allen Hauptschlägen werden Kreise zugeordnet, die, um das Lesen zu erleichtern, abwechselnd mit einfachem und mit
doppeltem Rand versehen sind, wohingegen die regelmäßigen leichten Schläge durch kleinere Kreise angezeigt werden. Traten in der Koto-Musik Achtel- oder
Sechzehntelnoten auf, so wurden die Zeichen, die auf die zu spielende Saite verwiesen, zwischen die Kreise gesetzt, und zwar entweder direkt in die Mitte, oder
aber, wenn sie einer punktierten Note folgten, näher zum folgenden Kreis. Einige Kotospieler haben auch Mensuralsymbole verwendet: einen vollen Kreis für eine ganze Note, einen aufgerichteten Halbkreis (gleich einem D) für die halbe Note und einen Viertelkreis (gleich dem oberen Teil eines D) für die Viertelnote.5? Das Tempo wird nicht angegeben. Natürlich ändert es sich, wenn auch nicht innerhalb desselben Stückes. Unterschiedliche Tempi sollen miteinander kontra stieren, nicht aber ineinander übergehen. 31 Vgl. Heinz Trefzger, a. a. O., 52ff.
53? Wang
Guang
Ki
(Kuang-chi
Wang),
Über
die chinesischen
Sinica III, 1928, 110— 123. 533 Mueller, Einige Notizen über die japanische Musik, a. a. O., 19.
Notenschriften,
in:
6 Mehrstimmigkeit Ostasiatische Chöre singen stets unison — genau wie die Chöre im alten Griechenland. Die merkwürdige Tatsache, daB im buddhistischen Gottesdienst jeder Sänger dieselben Worte im selben Rhythmus, aber in irgendeiner beliebigen Tonart singt,™ liefert keinen Einwand. Dagegen gehören die fremdartigen, nie endenden Bordune im Chorgesang Tibets in den indischen, nicht aber in den chinesischen Bereich tibetanischer Kultur. Von dem Begleiter eines Sängers wird im Gegensatz dazu erwartet, daß er um
eine irrational kleine Zeitspanne nachfolgt, etwa so, wie ein Adjudant vermeidet,
auf gleicher Höhe mit seinem General zu reiten. Das ist besonders die Praxis der japanischen Flötenspieler, aber ebenso beruht nahezu die ganze ostasiatische Begleittechnik auf verschobenen Phrasen, auf kanonähnlicher Vorausnahme und Verzögerung. Der Sänger schafft eine reiche, ausgezierte Realisation irgendeines melodischen
Modells,
während
der Instrumentalist,
der das gleiche
Modell
im
Sinn hat, dem Sänger alle notwendige Freiheit läßt und bemüht ist, ihm behutsam
zu folgen. Seine Töne kommen in genauer — wenn auch nicht pedantisch präziser — Reihenfolge, erscheinen aber verzögert, wenn die Singstimme ihre Ornamente unerwartet einschränkt, und eilen voraus, wenn der Sänger eine Phrase ausdehnt.
Auf einer jüngeren Stufe ist dieses zwangsläufige Nichtübereinstimmen zu einem
hochbewerteten
künstlerischen
Ausdrucksmittel
geworden,
bei
dem
die
fort-
währende Reibung von Sekunden und Septimen wahrscheinlich nicht als Dissonanz im abendländischen Sinn aufgefaßt wird. | In der geistlichen Musik Chinas sind solche Begleitungen in großem Maße vereinfacht worden. Eine Regel klassischer Musik lautet: Während der Sänger eine ganze
Note
aushält,
spielt
die
Langzither
zweiunddreißig
Zweiunddreißigstel
und die Mundorgel fügt einen einatmenden und einen ausatmenden Halbnotenwert hinzu. Die Saiteninstrumente begleiten immer in gebrochenen Akkorden, die aus dem Einklang, der Quarte und der Oktave oder dem Einklang, der Quinte und der Oktave bestehen und sich streng parallel mit dem Sänger bewegen. Japanische Kotospieler besitzen mehr Freiheit; bald unterstützen sie die Singstimme, bald füllen sie die Lücken im Rhythmus aus, die durch ausgehaltene Töne des Sängers entstehen. Sie bringen auf diese Weise Zusammenklänge von Oktaven, reinen oder verminderten Quinten, Quarten, Terzen und sogar Sekunden hervor.
Aber der abendländische Ausdruck Harmonie ist hierfür kaum angebracht. Diese aus zwei oder drei Tönen bestehenden Zusammenklänge sind nicht ‚funk54 C. A. Wegelin, Chineesche Muziek, in: China IV, 1929, 143.
132
tional'. Sie fügen dem musikalischen Raum weder eine dritte Dimension hinzu, noch schaffen sie eine emotionale Atmosphäre. In praktisch allen Fällen fügen sie zu den Tónen des Sángers ledighch andere Tóne hinzu, die dieser gerade verlassen hat oder aber eben anstimmen will. Sie sind überlagerte melodische Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft und damit letzten Endes nichts anderes als geballte Heterophonie. Dasselbe gilt auch für die Akkorde der Mundorgel — jenem Instrument, das bei den Chinesen Sheng und bei den Japanern Sho heißt. Ich habe es als ein Stück Holz beschrieben, das in der Form eines Flaschenkürbis geschnitzt ist. Der Hals dient hierbei als Mundstück und Luftleitung, wáhrend der Kórper einen Windkasten zur Versorgung der Pfeifen bildet. Dreizehn oder mehr schlanke Rohre verschiedener
Länge
(das längste
mißt
sechzehn
bis zwanzig
Zoll)
ragen
in kreis-
fórmiger Anordnung aus dem Windkasten in die Hóhe. Innerhalb des Windkastens besitzt jede Pfeife eine seitliche Öffnung, die von einer dünnen Metallzunge abgedeckt wird‘.
Der Spieler bläst eine Melodie und mit den übrigen Pfeifen eine akkordische Begleitung. In der Hofmusik
Japans haben sich alte Harmonien
erhalten, die vor einem Jahr-
tausend von China nach Japan gelangten. Einige bestehen aus drei, einige aus fünf und einige aus sechs Tönen. Nur zwei der elf gebräuchlichen Akkorde entsprechen den
abendländischen Molldreiklängen. Die anderen bestehen aus den Tönen pentatonischer Skalen, die entweder gleichzeitig (zum Beispiel: DE FGA) oder in anderen Kombi-
nationen (wie H C D E F A) erklingen. Diese komplizierten Harmonien werden im heutigen China durch einfache Quart- und Quintparallelen ersetzt. In beiden Fällen liegt die Melodie genau wie im alten Griechenland und im frühen europäischen Mittelalter unter der Begleitung.55
Das Problem der ostasiatischen Mehrstimmigkeit wird zwar nicht gelóst, aber
immerhin doch klarer durch den Gegensatz von rechter und linker Musik.
Die buntgemischten Einflüsse, die seit 800 u. Z. auf die japanische Musik ein-
wirkten
—
mandschurische,
koreanische,
chinesische
und
indische
—
konnten
offensichtlich nicht zu einem einzigen organischen Stil verschmolzen werden. So gliederten die Japaner sie im neunten Jahrhundert nach zwei getrennten Stilen auf. Mandschurische und koreanische Einflüsse wurden zur sogenannten rechten Musik mit der Querflöte Koma fuye und der großen Sanduhrtrommel San-no fsuzumi als charakteristischen Instrumenten vereinigt. Chinesische und indische Einflüsse dagegen bildeten die sogenannte linke Musik mit der Querflöte Otekz, der Mundorgel Sho und der kleinen zylindrischen Trommel Kakko als charakteristischen Musikinstrumenten. Außer diesen Instrumenten teilten sich beide Stile
in den Gebrauch der Oboe Hichiriki, der Laute Biwa und der Zither Sö-no koto
sowie der größeren Trommel Tatko und des kleinen Gongs Shöko. Der wesentliche Unterschied bestand jedoch im Gebrauch der beiden Hauptinstrumente, der Flöte und der Oboe. Während sie in der linken, chinesischen 55 Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 182ff.
133
Musik unison mit den Akkorden der Mundorgel gespielt wurden, bewegten sie sich in der rechten, mandschurischen Musik im Kontrapunkt.® Das Hoforchester des Mikado,
das sich rühmt, die Tradition des ersten Jahr-
tausends u. Z. unverändert bewahrt zu haben, musiziert in einer äußerst komplizierten Form von Mehrstimmigkeit. Sein Timbre ist hell und klar, da keines der fünf Melodieinstrumente tiefer als bis zur Mitte der eingestrichenen Oktave reicht. Eine Mundorgel und eine Längsflöte spielen die Melodie hoch oben in der zweigestrichenen Oktave, und eine Querflöte verdoppelt sie eine Oktave darüber. Alle diese drei Blasinstrumente spielen heterophon, bald verbinden, bald trennen sie sich und bilden dabei Terzen oder sogar reibende Sekunden. Ihre unstete melodische Linie wird sogar noch unbeständiger dadurch, daß die Flöten fortwährend um irrationale Mikrotöne hochgetrieben werden. Unter diesem schneidenden Lärm schließt sich die Laute demselben melodischen VerBeispiel 55: Japanische Hofmusik (nach Mueller) Q
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lauf in Quarten oder anderen Zusammenklängen an, und die Zither fügt sich mit einem kurzen, trockenen
Ostinatomotiv ein. Von den beiden Trommeln
steuert
die Kakko Wirbel sowie einzelne und wiederholte Schläge bei, während die Tatko einige Einzelschläge hinzufügt. Der Gong markiert den Beginn jedes Taktes mit einem einzelnen Schlag. Dem Autor miBlang der Versuch, die Partitur nach einer Phonogrammaufnahme niederzuschreiben. Unser Beispiel folgt daher der Partitur, die Dr. Mueller, der Gelegenheit hatte, jeden einzelnen Spieler zu überprüfen,
veröffentlicht hat.’?
5? Mueller, Einige Notizen über die japanische Musik, à. a. O., Heft ο, 31—33. Moderne Transkriptionen in: Sukehiro Shiba, Score of Gagaku, Tokio 1955ff.
—
7 Orchester Orchester waren klingende Brücken zwischen dem Makro- und dem Mikrokosmos,
zwischen der Welt der Götter und Ahnen und der Welt der Lebenden, da sie alle
Klassen von Instrumenten in sich vereinigten, von denen jedes als Symbol für
ein Element,
eine Himmelsrichtung,
eine Jahreszeit, einen Planeten,
eine Sub-
stanz stand: das Klingsteinspiel für Nordwesten
und Stein, das Glockenspiel
die Flöte für Osten, Frühling und Bambusrohr,
der Trog und der Tiger für
für Westen,
Herbst und Metall, die Langzither für Süden,
Sommer
und Seide,
Südosten und Holz, die Trommel für Norden, Winter und Haut, die Mundorgel für Nordosten und Kürbis, und die kugelförmige Tonflöte für Südosten und
Erde.
Kui, der Hauptmusiker des Kaisers Shun ,,sagte, daß, als sie den klingenden
Stein leicht und kräftig schlugen und Qin und Se zupften und ihre Saiten an-
schlugen,
um
Übereinstimmung
mit dem
Gesang zu erzielen,
(die Geister der)
Ahnen und Vorfahren zur Erde wiederkehrten. Ihre Gäste nahmen den Hauptsitz ein. Und das Heer der Edelleute bot ehrend (einander Platz) an. Am Ende der Halle hatten Pfeifer und Trommler Aufstellung genommen, die durch den geschlagenen Trog und den geschrapten Tiger zusammengeführt oder unerwartet
unterbrochen wurden, während die Mundorgel und die Glocke die Zwischenspiele
andeuteten.''5* Die Größe eines Orchesters spiegelte den Rang und die Macht seines Besitzers wider. Im Gegensatz zu den riesenhaften kaiserlichen Orchestern gestattete die Zhou-Dynastie (1122 —255 v. u. Z.) den hohen Würdenträgern nur die Unterhaltung von siebenundzwanzig (meist blinden) Musikern, die an drei Seiten eines Viereckes saDen, wáhrend einfache Adlige nicht mehr als fünfzehn Spieler halten durften, die in einer Linie Aufstellung nahmen. Die Han-Dynastie verfügte in den Jahren 58—75 u. Z. über drei Orchester: eins für religiöse Feierlichkeiten, ein zweites für die Bogenschützen des Palastes und ein drittes für Bankette und den Harem. Die Gesamtzahl der Orchestermitglieder betrug 829. Der Hof unterhielt auch eine große Militärkapelle. Die Orchester schlossen Sänger und Tänzer mit ein. Die Tänzergruppe, mit Waffen für kriegerische Motive und mit Federn und Flóten für friedliche Stoffe ausgestattet, hielt sich eng an Dichtung und Musik, indem sie die Schriftsymbole des Textes nachbildete. 58 The Shoo King, a. a. O., 46. 136
Die Tang-Dynastie (618 —907 u. Z.), die großes Interesse an der Pflege der Künste zeigte, scheint die Hoforchester zur höchsten Entfaltung gebracht zu haben. Sechs
von ihnen spielten ‚stehend‘ und acht ‚sitzend‘. Insgesamt zählten sie fünf- bis
siebenhundert Mitglieder. Verschiedene graphische Grundrisse verdeutlichen die Aufstellung einiger dieser Orchester. In einem Falle hat der Dirigent 20 Oboenspieler vor sich, dann kommen in einer zweiten Reihe 200 Mundorgelspieler, in einer dritten Reihe 40 Flöten- und 128 Lautenspieler und in einer vierten Reihe 120 Harfenspieler ; 2 Klingsteinspiele stehen links und zwei Glockenspiele rechts von ihm, und hinter diesen vier Klangspielen eine nicht genannte Anzahl von Trommeln. Eine andere Darstellung zeigt, daß Chöre die linke und die rechte Seite des Orchesters von vorn nach hinten einnahmen. In einem dritten Diagramm ist das Tanzorchester mit vierundvierzig Spielern nach einem Kreis mit eingezeichnetem Quadrat angeordnet, zwanzig Ya-Trommeln bilden den Kreis, während vierundzwanzig Spieler mit Stampfrohren, Klapperrohren und Trommeln wechselweise im Viereck aufgestellt sind. Die Hofmusiker wurden von einer kaiserlichen Musikakademie,
dem
‚Birnen-
garten‘, unterhalten. Ihre weibliche Abteilung, der ‚Garten des ewigen Frühlings‘, bildete unter der persönlichen Aufsicht des Kaisers mehrere hundert junge Damen heran. Diese Einrichtung stand auch Mädchen von außergewöhnlicher Schönheit
offen, die musikalisch weniger begabt waren; sie wurden mit dem Titel von Hilfs-
musikanten aufgenommen. Auf einem kürzlich aufgefundenen entzückenden Gemälde aus dem achten Jahrhundert u. Z. ist ein Teil des weiblichen Hoforchesters, das vor dem Kaiser Ming Huang (713—750) und seiner Gemahlin musiziert, dargestellt. Das Mädchen, das die Gruppe leitet, handhabt eine Klapper. Im Hintergrund schlägt ein Mädchen eine große Trommel, die übrigen Instrumente — Harfen, Langzithern und Lauten,
Querflöten, Oboen und Mundorgeln, Metallophone werden paarweise gespielt® (s. Abbildung 5).
und
Sanduhrtrommeln
—
Außer diesen Orchestern, die alle in geschlossenen Räumen musizierten, unter-
hielt der kaiserliche Hof eine große Kapelle, die im Freien spielte. Sie bestand aus einer Vorhut von 890 Gong-, Zimbel-, Trommel- und Blasinstrumentenspielern, zu der außerdem achtundvierzig Sänger gehörten, und einer Nachhut von 408 Musikern in ähnlicher Verteilung, das heißt, aus nicht weniger als 1346 Mitgliedern. Der koreanische Hof unterhielt während der Regierungszeit des Königs Setjo (1457 —1468) 572 Spieler und Chorsänger und 195 Musikschüler, und noch im Jahre 1897 besaß der Kaiser 772 Musiker® (s. Abbildung 6). Der chinesische Hof erfreute sich auch an der Mannigfaltigkeit, und nicht nur an
der Größe seiner Orchester. Die Aristokratie besaß, wie alle Gesellschaftsschichten
$ Vgl. Heinz Trefzger, a. a. O., 68ff. 60 Maurice Courant, Essai Historique sur la Musique Classique des Chinois, in: Lavignac, Encyclopédie de la Musique, Teil I, Bd. I, Paris (1913), 77ff. « C. S. Keh, a. a. O., 17.
137
mit höherer Bildung, einen stark ausgeprägten Sinn für exotische Klangfarben und kannte den einzigartigen Reiz, den fremde Musik auf die Vorstellungskraft ausübt. Die Kaiser schätzten die von verbündeten Königen als Geschenke gesandten Sängerinnen und Musikantinnen genauso wie ehedem die ägyptischen Pharaonen.
Konfuzius nahm
einst, als ‚das Volk von Ce an Lu Musikantinnen
als Geschenk sandte, die Ke Huan empfing, und drei Tage lang kein Hof gehalten
wurde‘‘,63 aus Protest seinen Abschied vom Hofe — ein Protest, der an eine Äuße-
rung des großen jüdischen Philosophen und Arztes Maimonides (1135—1204) erinnert, daB weltliche Musik nicht geduldet werden sollte und auf gar keinen Fall dann, wenn sie von einer Sängerin ausgeübt wird. Dieses Vergnügen an fremder Musik war besonders in Zeiten der Ausdehnung des Reiches mit imperialistischem Stolz verbrämt. Wann immer ein Land erobert worden war, wurden einheimische Musiker an den chinesischen Hof entsandt,
um dort ein nationales Orchester zu bilden — nicht nur gelegentlich oder als vereinzelt dastehende Tributleistung, sondern als eine stándige Einrichtung neben anderen, die bereits bestanden, wie wenn das Wappen eines eroberten Landes dem Wappenschild des Siegers einverleibt wurde. Von den sogenannten Sieben Orchestern, die im Jahre 581 u. Z. unterhalten wurden, kam anderes aus Indien,
eines aus Kaoli, einem ein drittes aus Buchara,
tungusischen Landstrich, ein ein viertes aus Kutscha in
Ostturkestan mit zwanzig Spielern meist westlicher Instrumente, das schon im Jahre 384 u. Z. gegründet worden war und sich so groDer Beliebtheit erfreute, daß aus
der Kaiser es verbieten wollte. Zu ihnen gesellten sich einzelne Musiker Kambodscha, Japan, Silla Samarkand, Päktsche, Kaschgar und Tur-
kestan.
Die ‚Gelehrten‘, puristische Verfechter der ‚alten‘ Musik, protestierten
vergeblich, Die Zahl der Hoforchester war im siebenten Jahrhundert auf neun angewachsen,
einige kambodschanische Musiker jedoch, die im Jahre 605 verpflichtet worden waren, wurden wieder zurückgeschickt, da ihre Instrumente zu primitiv waren. Im Jahre 801 oder 802 stellte der Kaiser fünfunddreißig burmesische Musiker ein, und zwischen 1000 und dem Ende der Monarchie wurden zu den bereits bestehenden zwei weitere mongolische Orchester, ein Ghurka-Orchester, ein annamesisches, ein tibetanisches und ein islamisches Orchester hinzugefügt.
Japan war nicht weniger aufnahmebereit als China. Im Jahre 809 gehórten achtundzwanzig Lehrer fremder Musikstile, Kambodschaner, Chinesen, Sillaner und andere, zur kaiserlichen Musikakademie.9*
Die Orchester, die heute in China, Korea und Japan (ausgenommen das Hoforchester des Mikado) nahezu ausgestorben sind, haben sich im Südosten Asiens, 62 The Original Chinese Texts of the Confucian Analecta, a. a. O., 237.
63 Vgl. Eric Werner und Isaiah Sonne, The Philosophy and Theory of Music in JudaeoArabic Literature, a. a. O., 281.
4 Vgl. Paul Demiéville, La Musique came au Japon, a. a. O., 199—226. 138
besonders auf Java und Bali erhalten und bilden dort den Mittelpunkt der musikalischen Praxis. Auf den malaischen Inseln nennt man sie gewöhnlich gámelan, von gamel - ‚handhaben‘. Ein Gamelan unterscheidet sich völlig von einem modernen Orchester. West-
liche Orchester sind Körperschaften von Musikern, die zu fast allen Gelegenheiten musizieren, die sich die neuesten Modelle von Instrumenten anschaffen und sie
brauchen, wenn es ausdrücklich vörgeschrieben wird, beziehungsweise sie sogar innerhalb
desselben
Werkes
wechseln.
Dagegen
stellen
malaiische
Orchester
Gruppen von Instrumenten dar, die meist aus alten Zeiten ererbt und Spielern wie Komponisten vorgeschrieben sind. So wie sie zusammengesetzt sind, bilden sie unveränderliche Einheiten von einem derart persönlichen Charakter, daß sie individuelle Namen mit der Anrede kjah : - ‚Herr‘ haben. Die meisten Höfe besitzen eine ganze Anzahl von ihnen; dem Sultan von Soesoehoenan gehören mindestens neunundzwanzig vollstándige Gamelan-Orchester, von denen jedem einzelnen besondere Aufgaben zugewiesen sind. Große Gamelan-Orchester bestehen aus drei verschiedenen Größen von Metallophonen, deren Platten auf einem Resonanzkasten angebracht sind, aus drei Größen von Metallophonen mit aufgehängten Platten, wobei die verschiedenen GróDen
im Oktavabstand
gestimmt sind, aus drei entsprechenden GróBen
von
Gongspielen, zwei Größen von Xylophonen, bis zu zwanzig kleinen und großen Gongs, zwei handgeschlagenen Trommeln, einer Flöte und einer Fiedel. In dem glitzernden Getön dieses fremdartigen Orchesters sind, wie ich in meiner History
of Musical Instruments bereits ausführte, die einfache und feierliche Melodie der
Bässe, ihre freie Umspielung und geschwätzige Auszierung durch die kleineren Klangspiele und die Interpunktion der Gongs, von denen die kleineren das Ende von Abschnitten markieren, während die kraftvollen Bässe der großen Gongs die Hauptteile beschließen, deutlich zu unterscheiden. Die zwei Trommeln bestimmen das wechselnde Tempo. Kambodscha, Siam und Burma, die Länder zwischen dem indonesischen Archipel und China, vervollständigen das Verbreitungsgebiet orchestraler Musik, das sich
von dem weiten Gebiet des Mittleren und Nahen Ostens abhebt, wo die Kammermusik vorherrscht.
Die Siamesen begleiten ihre Theateraufführungen durch Orchester, die im allgemeinen aus zwei Flóten, zwei Gongspielen, zwei Metallophonen, zwei Xylophonen, einem Einzelgong und drei großen Trommeln bestehen. Die strenge Verdopplung der melodieführenden Instrumente gegenüber drei Trommeln erinnert an das eben erwáhnte chinesische Frauenorchester der Tang-Zeit. Andererseits verbinden die vorherrschenden metallischen Klangfarben das siamesische Orchester mit dem malaiischen Gamelan. Der relativ groBe Anteil von Trommeln weist jedoch auf die Nachbarschaft Indiens hin. Noch weiter entfernt von javanischen Idealen ist das Frauenorchester Kambodschas, in dem die drei malaiischen Sátze an Idiophonen, das Xylophon, das Metallophon und das Gongspiel, mit Saiteninstrumenten verbunden sind: 139
einer großen Zither, einer chinesischen Laute und einer arabisch-persischen Fiedel.® Burma verwendet seine Orchester hauptsächlich zur Begleitung seiner Schattenspiele, der pwe. Diese Orchester sind klein; sie bestehen aus zwei Paar Klappern,
zwei Paar Zimbeln, einem Gongspiel, das in einem kreisfórmigen Gestell rund um den hockenden Spieler aufgebaut ist, einem ähnlichen Trommelspiel, einer großen, an einem Galgen aufgehángten Trommel und zwei Oboen, die mit solcher Kraft und Ausdauer gespielt werden, daß sich meistens ein Assistent bereithält, um den zusammenbrechenden Spieler zu stützen (s. Abbildung 7). Diese durchdringenden Oboen, die statt der hell klingenden Gongspiele Javas und Balis die Melodieführung übernehmen, sind bestimmt indischer Herkunft. Aber noch deutlicher indische Züge trágt das beispiellose Trommelspiel, das normalerweise aus vierundzwanzig sorgsam abgestimmten Trommeln besteht, die innen an den Wänden eines kreisförmigen Gestells aufgehängt sind. Der in der Mitte hockende Spieler schlágt sie mit bloDen Hánden und bringt mit erstaunlicher Technik und Feinfühligkeit schnelle, tokkataähnliche Melodien hervor.® Und so wenden wir uns denn dem eigentlichen Indien zu. 65 Illustrationen in: Curt Sachs, Die Musikinstrumente Indiens und Indonesiens, 2. Auflage Berlin 1923, 9. 66 Illustrationen in: Curt Sachs, Die Musikinstrumente Birmas und Assams, München 1917, Tafel 2; ders., Die Musikinstrumente Indiens und Indonesiens, a.a. O., 4 und 5.
1 Der vedische Gesang Der Veda umfaßt die Gesamtheit der (vorbuddhistischen) religiösen Weisheit Indiens, die in vier Büchern zusammengetragen ist: dem Rig-Veda (Veda der Verse), dem Sāma-Veda (Veda der Melodien) sowie zwei weiteren, dem JadschurVeda und dem Atharwa-Veda. Der Rig-Veda stellt den ältesten Teil dar. Obgleich die Angaben über seinen Ursprung und seine Entstehungszeit nicht völlig gesichert
sind, nehmen moderne Spezialisten an, daß seine älteren Teile bereits zwischen Zweitausend und Eintausend v. u. Z. bestanden, als die vom Nordwesten kommen-
den Arier in Indien einzufallen und es zu erobern begannen. Das vedische Ritual gipfelte in dem feierlichen Soma-Trankopfer, bei dem vier Priester mitwirkten, von denen jeder aus einem der vedischen Bücher rezitierte: der Hohepriester, der die Zeremonie mit Versen aus dem Atharwa-Veda anführte, der Adhvaryu, der Beschwórungsformeln aus dem Jadschur-Veda murmelte, der Udgätar, der aus dem Säma-Veda sang, und der Hotar, der Teile aus dem RigVeda in einem Stil vortrug, der ebensogut rezitierend wie psalmodierend genannt werden könnte. Die frühe Rezitation verwendete wahrscheinlich nur zwei Töne. Der Grammatiker Pänini, der im vierten Jahrhundert v. u. Z. lebte, schrieb unmiBverständlich : „Ein auf hohem Ton gesprochener Vokal wird udälta genannt; wird er auf tiefem Ton gesprochen, heißt er anudatta; die Verbindung beider heißt suartta. Das ist zwar eine phonetische Feststellung, aber sie trifft ebensogut auf die Rezitation wie auf die Kantillation zu, da der Rig-Veda mit den graphischen Symbolen derselben drei Bezeichnungen versehen ist. Das alte Sanskrit besaD tatsáchlich drei melodische (nicht dynamische) Akzente, die die Griechen und Römer als oxys oder acutus, barys oder gravis und Perıspömenos oder circum[lexus unterschieden. Der svartta war jedoch in seiner Bedeutung genau so unbestimmt wie der Zirkumflex. Entgegen Päninis Feststellung, zumindest nach seiner Zeit, wurde der svartta, statt eine Kombination des udätta und des anudatta darzustellen, zu einem Vorschlag, der von einem höheren Ganz- oder Halbton zum uddtta fiel, so daB die
spátere Form des vedischen Gesangs eine Dreitonmelodie mit der Betonung auf udätta war. Gelegentlich wurde dem hohen Ton eine Silbe zugeordnet, ohne daß er durch eine Ligatur mit dem mittleren Ton verbunden war. Aber selbst in solchen Fällen folgte auf ihn beständig der mittlere, niemals aber der tiefere Ton. Der Säma-Stil ignoriert den Rhythmus. Lange und kurze Töne folgen dem natürlichen Metrum der Worte, und der letzte Ton vor einer Atempause wird seltsamer-
143
weise akzentuiert. Heutige Säma-Sänger aus dem Süden unterscheiden sechzehn Zeitwerte, die von einer bis zu sechzehn Einheiten gleichmäßig zunehmen. Die kürzeste Einheit, anudruta, soll in ihrer Länge ‚vier Augenblicken, zweiunddreißig Momenten oder 16384 Atomen‘ entsprechen. Melodisch gibt es zwei vollständig verschiedene Sàma-Typen. Der archaische Typ beschränkt sich auf die drei Töne des Rig-Veda mit dem Schwerpunkt auf dem mittleren Ton. Beispiel 56: Indische Kantillation, archaischer Stil (nach Felber) _,
42:9
3»
1,35
Der jüngere Typ, der schon um 400 v. u. Z. belegt ist, soll nach Angabe einiger Gelehrter eine Angleichung an bereits vorher existierende Melodien darstellen, was oft durch Einfügung bedeutungsloser Silben geschah. Er besitzt den Umfang einer Sexte, obwohl theoretisch sieben Tóne zur Verfügung standen. Beispiel! 57: Indische Kantillation, spáterer Stil (nach Felber)
Aber der erste und hóchste Ton wurde selten, wenn überhaupt, verwendet; denn nach den Worten des Buches Sämavidhänabrähmana ‚leben die Götter auf
dem höchsten Ton des Säma, die Menschen auf dem ersten der folgenden.‘ Daher
sprachen die Hindus von einem plus sechs, nicht von sieben Tönen und teilten
die Zahl eins entweder dem Ton zu, der eigentlich der zweite war oder aber beiden,
nämlich dem ersten und dem zweiten Ton. Sie nannten den Ton der Götter krushta
und gaben den verbleibenden Tönen in absteigender Reihenfolge die Namen pra-
thama - ‚erster‘, dvitiya - ‚zweiter‘, trtiya - ‚dritter‘, Caturtha - ‚vierter‘, mandra ‚fünfter‘ und afisvärya - ,sechster' oder ähnliche Bezeichnungen. Wenn sie, um diese
Töne
schriftlich
zu
fixieren,
Zahlen
verwendeten,
ordneten
sie sie in der
Reihenfolge 1 1 2 3 4 5 6 oder 11 1 2 3 4 5 6, ohne die 7 einzubeziehen, obwohl sie
diese gelegentlich gebrauchten, um eine besondere Art Ligatur zu bezeichnen.
A. C. Burnell, der Herausgeber des vierten Buches des Säma-Veda,? beschreibt
diese Yama-Skala als (absteigend) F E D C H A G. Aber trotz mancherlei Dis-
kussion ist noch nicht ermittelt worden, ob eine absolute Tonhóhe und eine fest-
stehende Skala für die alten Riten erforderlich war. Phonographisch aufgenom? A. C. Burnell, The Arsheyabrähmana, Mangalore 1876.
144
mene Säma-Gesänge unterscheiden sich sowohl von Burnells Angaben als auch untereinander. Aber es gibt zu wenig Beispiele, um genügende Klarheit zu schaffen.? Die beiden Säma-Stile heben sich beträchtlich voneinander ab. Die Dreitonmelodien des archaischen Stils sind freizügiger. Sie variieren kurze Motive, ohne in regelmäßigen Takten abzulaufen oder strengere Symmetrieregeln zu befolgen ; auch entsprechen sie nicht immer den Textsilben. Die meisten Intervalle werden durch eine Art Glissando überbrückt. Die Sechstonmelodien des jüngeren Iyps beruhen meist auf mehreren Motiven, gleichmäßigen Metren und regelmäßiger Gliederung. Sie halten sich auch viel enger an die Silben des Textes und vermeiden kontinuierliches Gleiten. Der Unterschied deutet eine interessante chronologische Entwicklung des Singens an. Beim Übergang von der Rezitation zum Gesang trat zunächst ein sprechähnliches Glissando von Ton zu Ton auf, ehe die einzelnen Tonhöhen streng voneinander getrennt wurden. In ähnlicher Weise büßten Metrum und Gliederung ihren ‚natürlichen‘ Charakter ein, wurden vereinfacht und genormt. Das einzige Problem wirft der zunehmend syllabische Charakter der Melodien auf. Aber es dürfte klar sein, daß die Teilung nach Silben eine spätere analytische Abstraktion darstellte, der die Vorstellung von ungeteilten Sätzen voranging. Nie ist eine willkürliche Veränderung des Textes oder seiner Darstellung zugelassen worden aus Furcht, daß die magische Kraft des Veda dadurch geschwächt werden könnte. Der Stil, in dem man ihn heute singt, wird trotz gewisser Verfallserscheinungen und all der lokal und zeitlich bedingten Veränderungen, denen sich im Verlauf von viertausend Jahren nichts Menschliches entziehen kann, im großen und ganzen authentisch sein. Ohne gewisse Hilfsmittel zur Unterstützung der mündlichen Überlieferung hätte sich der vedische Stil nicht so relativ unverfälscht erhalten. Eins dieser Hilfsmittel bestand darin, den Kopf in dem oberen, dem mittleren und dem unteren Ton zugeordneten Bewegungen zu heben, geradezuhalten oder zu senken. Als der ursprüngliche Umfang von zwei oder drei Tönen erweitert wurde, gaben die Säma-Sänger die metaphorischen Reflexbewegungen auf und gingen zum Zählen der Töne der Veda-Skala über, die sie dementsprechend durch Ordnungszahlen bezeichneten: den ersten, den zweiten usw. Da in der Alten Welt das Záhlen durchweg durch Berühren der Finger unterstützt worden
ist, erfanden die Hindus mehrere Methoden des Fingerzáhlens, darunter eine, die im mittelalterlichen Europa unter dem Beinamen ,,Guidos Hand“ in Gebrauch
war. Mit dem rechten Zeigefinger berührten sie eine bestimmte Stelle der linken Hand, die dem zu singenden Ton zugewiesen war. Es gab fünf solcher Stellen: Der kleine Finger bedeutete den tiefsten Ton, das untere Ende des Zeigefingers
3 Erwin Felber und Bernhard Geiger, Die indische Musik der vedischen und der klassischen Zeit, in: Sitzungsbericht
der Kais.
Akademie
der Wissenschaften
Phil.-Hist. Klasse, 170. Bd., 7. Abhandlung, Wien 1925.
10 Sachs, Musik
in Wien,
145
den nächstfolgenden, dann kam der Ringfinger und schließlich wieder der Zeigefinger für den vierten und fünften Ton. Diese Angaben können nicht ohne Einwände hingenommen werden; denn erstens gehören die bezeichneten Töne der Leiter der gewöhnlichen Musik und nicht der vedischen Kantillation an, und zweitens erhebt sich die Frage, warum der Mittelfinger ausgelassen wird, während der kleine und der Zeigefinger doppelt verwendet werden. Als Notation im engeren Sinn werden in Nordindien, wie wir sahen, Zahlensymbole und im Süden Silben verwendet, die dem gewöhnlichen Alphabet entnommen wurden: ka, kt, ko, ku, kai, kau und viele andere Konsonant-Vokal-Kombinationen.
Nur wenige dieser Silben bezeichnen Einzeltöne: fa bedeutet den vierten Ton der absteigenden Skala, na verlangt eine Ligatur des ersten und des zweiten Tons und eine Dehnung auf einem von beiden, cko kennzeichnet die Aufeinanderfolge
des zweiten, dritten und vierten Tons, ke steht für eine Gruppe von nicht weniger
als sieben Tönen. Es sind insgesamt zweihundertsiebenundneunzig solche einsilbigen Bezeichnungen bekannt. Wieder ist hier eine Silbenschrift, die dem gebräuchlichen Alphabet entstammt, mit religiösen Texten gekoppelt, wieder steht sie für heilige, unverletzliche Melodien, und wieder bezeichnet sie stereotype Tongruppen. Der einzige Unterschied betrifft ihren Platz in den Manuskripten. Sie werden hier direkt innerhalb des
Textes rechts hinter die erste Silbe einer Zeile und auch, was aber selten ist, in die Zeilenmitte gesetzt. Beide Positionen kommen am Anfang des ersten saman
anschaulich zur Geltung (TA, CHO und NA sind musikalische Symbole): o
a
TA
gnat:
CHOya
h
NA
w
to
i
Neben dieser Form, die von C. A. Burnell entdeckt und untersucht worden ist?
konnte Richard Simon eine andere ermitteln,® bei der jedem farvan des Textes die Melodie folgte, zum Beispiel:
barhä-isä auhova TA KHA SI RI Burnell bezeichnet diesüdindische Buchstabennotationals ‚‚die älteste‘', dasheißt,
daß sie älter als die für denselben Zweck in Nordindien verwendeten Zahlen ist. Seinen philologischen Gründen könnte man die allgemeine Tatsache hinzufügen, daß Südindien die älteren Traditionsformen getreuer bewahrt hat als der Norden, der immer wieder im großen Maße fremder Eroberung und Einwanderung ausgesetzt war.
Die mögliche Beziehung dieser Schrift zu äthiopischen und babylonischen Notationen war Gegenstand eines Referates, das der Autor 1939 auf eine Sitzung des von der Amerikanischen Musikwissenschaftlichen Gesellschaft in New York veranstalteten Internationalen Kongresses hielt.® * a. a. O., Einführung. 5 Richard Simon, Die Notation der vedischen Liederbücher, in: Wiener Zeitschrift für
die Kunde des Morgenlandes XXVII, Wien 1913, 346. 6 Curt Sachs, The Mystery of the Babylonian Notation, a. a. O.
146
2 Zeugnisse aus bildender Kunst und Literatur Bildzeugnisse zur frühesten indischen Musik sind selten. Die älteste Stufe der indischen Kultur, die sogenannte Induskultur des dritten Jahrtausends v. u. Z., scheint lediglich eine musikalische Spur hinterlassen zu haben: Ein häufig verwendetes Ideogramm seiner rätselhaften Schrift stellt offensichtlich eine vertikale Bogenharfe des Typus dar, der im frühen Altertum zwischen Nil und Ganges verbreitet war. Nach einem in Dunkel gehüllten Zeitraum von zweitausend Jahren werden die Informationen sicherer und ausführlicher. Unter dem Einfluß griechischer Kunst fangen indische Bildhauer in Nord- und Zentralindien an, Reliefs,
von
denen
viele
musikalische
Szenen
darstellen,
ın die Wände
von
Tempeln und Grabmälern einzumeißeln. Diese wichtigen Quellen sind in einer hervorragenden französischen Veröffentlichung zugänglich gemacht worden’ (s. Abbildung 8 und 9). Bildzeugnisse sagen jedoch wenig über den musikalischen Stil im alten Indien aus. Indessen beweisen sie zwei Tatsachen: erstens die wichtige Rolle handgeschlagener Trommeln, was für Indien bis auf den heutigen Tag charakteristisch geblieben ist und auf eine starke Abhängigkeit von motorischen Impulsen und vom Rhythmus hindeutet; zweitens, daß das einzige Saiteninstrument die Bogenharfe war. Infolgedessen muB die klassische Vind, die in Dichtung und Musiktheorie so häufig erwähnt wird, im Altertum eine Harfe gewesen sein, ehe der Name gegen Ende des ersten Jahrtausends u. Z. auf die heutige Röhrenzither und achtzehn andere Instrumente® übertragen wurde. Der in verschiedenen alten Quellen erwähnte Resonanzkasten aus Leder bestätigt diese Feststellung. Die typische Mädchengruppe, die Tänzer mit Harfen und Trommeln begleitet, bestimmte zunächst ausschließlich das Bild, bis dann im ersten Jahrhundert u. Z. die indoskythischen Höfe im Nordwesten männliche Musiker mit Lauten, Leiern und Doppeloboen zu halten begannen. Die beiden letzteren Instrumentenarten verschwanden aber nur zu bald wieder, da der griechische Einfluß auf die Musik gering blieb oder sich gar nicht auswirkte; die Laute jedoch wurde aufgenommen. Zimbeln erschienen zwischen dem vierten und sechsten Jahrhundert, und die Vinà trat in der älteren ihrer beiden heutigen Ausführungen erst im siebenten Jahrhundert auf. 7 Claudie Marcel-Dubois, Les Instruments de Musique de l'Inde Ancienne, Paris 1941. * Vgl. Nárada, Sangita-makaranda, Ausgabe Telang, Baroda 1920.
10*
147
Literarische Zeugnisse sind glücklicherweise reichlicher vorhanden als in den meisten Ländern. Poetische Werke wie das große Nationalepos Rämäyana? beschreiben Indiens Musikleben zur Zeit Platos, ohne technische Einzelheiten zu übergehen. Auch alte Wörterbücher geben mancherlei Aufklärung. Vor allem aber gibt es in Prosa und in Versen verfaßte Spezialabhandlungen über Musik, die zwar nicht immer leicht verständlich und auch nicht frei von späteren Hinzufügungen, aber sehr ausführlich und im großen ganzen recht brauchbar sind. Leider
ist ihr Alter
ziemlich
ungewiB,
und
es gab
häufig
Fehldatierungen.
„Der Ozean der Musik‘ (Sangita Ratnäkara), ein Buch von Särngadeva, der als größte Autorität der indischen Musik gilt und noch heute in den Herzen indischer Musiker Verehrung weckt, wurde vor nicht langer Zeit auf ungefähr 200 u. Z. datiert und ‚als das älteste zuverlässige und heute noch greifbare Werk über Musik betrachtet.''19? Heute wissen wir, daß Särngadeva im dreizehnten Jahrhun-
dert, also nicht weniger als tausend Jahre später lebte. Die tatsächlich älteste und zweifellos wichtigste Abhandlung über alte Musik sind die Kapitel 28—34 in Bharatas einzigartigem Buch über die Theaterkunst Indiens, dem Nätya-$ästra, von dem bisher nur das achtundzwanzigste
Kapitel
übersetzt worden ist.! Diese vorzügliche Quelle gewänne für uns einen noch gröBeren Wert, wenn wir annähernd ihre Entstehungszeit wüßten. Die meisten Kritiker setzen übereinstimmend dafür die ersten Jahrhunderte u. Z. an. Eine kürz-
lich veröffentlichte Bibliographie legt die Entstehungszeit jedoch hypothetisch ins vierte oder gar fünfte Jahrhundert v. u. Z.1? Aber zu welcher Zeit auch immer
Bharata dieses Werk verfaßt haben mag, sein Buch bezeugt, daß es im alten Indien ein wohlbegründetes Musiksystem mit einer sorgfáltig ausgearbeiteten Theorie
der Intervalle, der Konsonanzen, der Modi, sowie von melodischen und rhythmischen Modellen gegeben hat. ? P.C.
Dharma,
Musical
Culture
in the Rämäyana,
in:
Indian
Culture
IV,
1937,
447 — 453: 10 C. R. Day, The Music and Musical Instruments of Southern India and the Deccan, London
1891, 13.
1! Sanskrit-Text, französische Übersetzung und Kommentare: Joanny Grosset, Contribution a l'étude de la musique hindoue, in: Bibliothéque de la Faculté des Lettres de Lyon, Paris 1888, Bd. 6. Englische Übersetzung (unvollstándig): E. Clements, Introduction to the Study of Indian Music, London 1913, 49— 51. SanskritText, deutsche Übersetzung und Kommentare (unvollstándig): Bernhard Breloer, Die Grundelemente dev altindischen Musik, Diss. Bonn 1922. 1! M. S. Ramaswami Aiyar, Bibliography of Indian Music, in: Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland, 1941, 237.
3 Skalen Indiens Skalen sind zahllos. Doch hat es eine Art Standardskala gegeben, auf die schon die allerfrühesten Quellen, das Rikprātišakhya und das Rämäyana-Epos (beide um 400 v. u. Z.) eingehen: shadja, ráabha, gändhära, madhyamä (‚der mitt-
lere‘), panchama (‚der fünfte‘), dhaivata und n1#äda, gewöhnlich abgekürzt zu sa r$ ga ma pa dha m. Die sieben Namen bezeichnen in erster Linie Stufen, nicht Tóne. Diese ungewóhnliche Auffassung hat móglicherweise die gleiche Ursache, die Herr Coomaraswamy für das von Sángern und Instrumentalisten so háufig verwendete Portamento angibt: In Indien gilt das Intervall mehr als der Ton.!? Es ergab sich unvermeidlich, daB die Namen der Schritte aushilfsweise auch auf die Tóne, die sie begrenzten, übertragen wurden. Ein Schritt besitzt aber zwei Grenztóne, und so steht die Frage, welchen man damit belegen soll. Im heutigen Indien entschied man sich für den tieferen Ton: sa bezeichnet den Ton C mit dem Ganzton darüber (C —D). Im Altertum dagegen war es umgekehrt: sa bedeutete den Ton D mit dem Ganzton darunter. Dieser Gegensatz erklärt sich wahrscheinlich aus dem Widerspruch zwischen absteigenden Vokal- und auísteigenden Instrumentalskalen. Anstelle speziell entwickelter Notationszeichen verwenden indische Musiker genauso wie die Chinesen zur Aufzeichnung ihrer Musik die musikalischen Silben selbst, was besonders einfach ist, da die von der Sanskritschrift Nàgari abgeleiteten Alphabete nicht einzelne Konsonanten, sondern fertige Silbensymbole enthalten. Entsprechend der in der Heimat des Musikers verbreiteten Schrift unterscheidet sich zwangsläufig auch die Notation. Die von ihm verwendeten Symbole können der Hindustani-, der Bengali-, der Telugu-, der Malayalam- oder irgendeiner anderen Schrift angehóren, die in dem betreffenden Gebiet bevorzugt wird. Die alten Tamilen dagegen benutzten anstelle von Silben ihre sieben langen VokaleM, was genau ägyptischen und griechischen Anrufungen entsprach.!5 Zeichen für Zeitwerte, die früher in Verbindung mit den Notensymbolen verwendet wurden, sind als zu kompliziert aufgegeben worden. Heute kónnen die 13 Ananda Coomaraswamy, Indian Music, in: The Musical Quarterly III, 1917, 167. u N. Chengalavarayan, Music and Musical Instruments of the Ancient Tamils, in: Quarterly Journal of the Mythic Society, New Series 15 Franz Dornseiff, Das Alphabet in Mystik und Magie,
X XVI, 1935, 80. Berlin 1925. C. E. Ruclle, Le
Chant Gnostico-magique des Sept Voyelles Grecques, in: Congrés International d’Histoire de la Musique (Paris 1900), Documents, Mémoires et Voeux Solesmes 1901, 15 ff.
149
ursprünglichen Symbole zwar zur Kennzeichnung längerer oder kürzerer Töne abgeändert werden, aber sie geben keine genauen Zeitwerte an. Die musikalische Interpunktion wird durch spezielle Zeichen bei Wiederholung und am Ende einer Periode angegeben. Die alte Struktur dieser Skala war überraschend. Alle Stufen waren nochmals unterteilt, und zwar die Halbtonschritte ın zwei und die Ganztonschritte entweder
in drei oder vier Elemente, so daß sich insgesamt zweiundzwanzig Elemente oder $rutis ergaben: DE
3
2
FG
+
4
4
A
3
HCD
2
LU
4
22
Es ist viel über das rätselhafte Problem nachgedacht worden, warum und wie die Hindus zu einer Unterteilung in zweiundzwanzig Teile kamen. Vierundzwanzig Vierteltöne wären verständlich gewesen, aber zweiundzwanzig Teile? Wer eine solche Frage stellt, ist durch die heutige Vorstellung gleichschwebender Temperatur voreingenommen.1* Tatsächlich waren die šrutis nicht etwa Einheitswerte, sondern sie hatten im Gegen-
teil, da die Eigenart indischer Skalen dies erforderte, dreierlei verschiedene Größen.
Die beiden wesentlichen Kennzeichen dieser Skalen sind Aufbau und Transposition. Indiens
Standardskalen
beruhten
auf dem
Teilungsprinzip;
sie verwendeten
große Ganztöne von 204, kleine Ganztöne von 182 und Halbtöne von 112 Cents. Diese Bestandteile traten je nach dem geforderten Modus in verschiedenen Anordnungen auf, und die modalen Skalen konnten auf jede beliebige Tonhöhe transponiert werden. Die ständige Umstellung der Oktave erforderte Erleichterungen beim Umwandeln von Halbtönen oder großen Ganztönen in kleine Ganztöne, beim Zufügen oder Abtrennen von entsprechenden Teilen.
Alle Permutationen bei diesen ,Plus-und-Minus-Operationen' waren mit nur drei Elementen ausführbar: a) zweiundzwanzig Cents oder einem ‚Komma‘, der Differenz zwischen dem großen und dem kleinen Ganzton (204—182 Cents), b) siebzig Cents, der Differenz zwischen dem kleinen Ganzton und dem Halbton und c) neunzig Cents, der Differenz zwischen dem Halbton und dem Komma. Folglich ergaben sich für
den großen Ganzton:
9o + 22 + 70 + 22 = 204C.,
den kleinen Ganzton:
90 + 22 + 70
= 182 C.,
den Halbton:
90 + 22
— 112 C.
1* Vgl. E. M. von Hornbostel und R. Lachmann, Das indische Tonsystem bei Bharata und seim Ursprung, in: Zeitschrift für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1933, 73—91.
150
Die ,Plus-und-Minus-Operation' zweiundzwanzig &rulis an: D
E
F
zeigt außerdem die genaue
G
A
Reihenfolge der
H
C
112 70 22 00 22 70 22 90 22 90 70 22 90 22 70 22 90 22 70 112
D
Die erste und die letzte Stufe von je 112 Cents, die kleinste Stufe, mit der jede
Modalleiter anfángt und aufhórt, wird bei dieser Operation nicht zerlegt.
Zwei Hauptskalen oder grämas kommen in Bharatas Abhandlung vor: Sagràma und Ma-gràma. Und sogleich beginnen die Schwierigkeiten. Bharata definiert nämlich zuerst (in šloka 25) Sa-gräma als eine Skala von 324 4 324 3rutis, später jedoch (in den folgenden šokas 26—29) beschreibt er sie als Folge von 432 4 432. Er hat die Reihe um eine Stelle nach links verschoben, ohne den Widerspruch zu erklären. Wahrscheinlich aber hat er sich letzten Endes doch nicht selbst widerprochen ; denn wenn irgendeine Stelle in Bharatas viel bearbeitetem Buch nach einem spáteren Zusatz aussieht, dann diese überraschende, unnótige und widersprüchliche erneute Darstellung. Die Theorie der Skalen und Modi láBt keinen Zweifel daran, daß Sa-gräma mit dem Ton sa begann und ein D-Modus war. Ma-gräma, die andere Hauptskala, unterschied sich nach Bharatas erster Definition nur durch die Verschiebung einer ,Standard‘-(pramdna)sruti (von 22 Cents) von G—A nach A —H: D
Sa-gräma Ma-gräma
3
E
3
2
F
2
4
G
4
4
A
3
3
|
H
2
4
C
4
2
D
4
Wie aber konnte ein so geringer Unterschied die Aufstellung der beiden grundlegenden und sogar als gegensätzlich aufgefaßten Skalen veranlassen und rechtfertigen? Sehr viele Autoren vermochten dieses schwierige Problem nicht zu lósen, und einige von ihnen haben trotz der ausführlichen Hinweise in alten Abhandlungen rundweg bestritten, daB es Ma-gräma überhaupt je gegeben habe. Diese Behauptung war freilich unfruchtbar und auch unnótig. Die wirkliche Beschaffenheit des Ma-grama geht aus der zweiten Stelle in Bharatas
Abhandlung
hervor.
Die Skala begann
mit ma und war in 434 2 432
Srutis aufgegliedert. Diese Reihe muß um eine Stelle zur Folge 342 4 324 ärutis verschoben werden, um dem korrekten Sa-gräma zu entsprechen.
Sagrüm Ma-grama
D
3 (3
E
2 2
F
4 4
G
4
GA
3
A
3 4
H H
2 2
C C
4 4
D D
3
E
2
FG
4
151
Innerhalb des Umfanges der sa-sa-Oktave würde sich der Ma-gräma allerdings nur durch diese eine 3rufi unterscheiden. Der tatsächliche Unterschied bestand jedoch offensichtlich in der großen Terz und der kleinen Septime. Aber das ist noch nicht die volle Wahrheit: Sa-grüma 1st die plagale und Ma-gräma die authentische Form indischer Skalen. Der Ma-gräma soll im 16. Jahrhundert aus der Praxis verschwunden sein.!? Daß die plagale Form wirklich wichtiger war, scheint durch Sàrngadeva (dreizehntes Jahrhundert) bestätigt zu werden, der berichtet, daß der Sänger im dritten Teil des ἀἰᾶῤα — der improvisierten Einleitung eines rãga — mit der Tonika beginnt und nur drei Tóne darüber benutzt, dann aber zu Tónen der tieferen Oktave heruntersteigt, ehe er das obere Tetrachord entwickelt. Man sollte das Problem der grámas nicht beiseitetun,
ohne
in Betracht
zu
ziehen, daB Bharatas zweite Feststellung (die ich für einen spáteren Zusatz halte) das jüngere Stadium der indischen Musik widerspiegelt: Sa-gräma ist zu einem C-Modus und Ma-gräma zu einem F-Modus geworden. Diese letztgenannte Skala ist in der ältesten Quelle in Tamil, dem Tivakaram (drittes Jahrhundert u. Z.), beschrieben.!?^ Die Skala, so heißt es, enthält 4 432 432 irutss. Das ist ebenfalls ein F-Modus und zwar — eine bemerkenswerte Tatsache — in der genauen $ruts-Anordnung des Sa-gràma von ma ab. Das läßt darauf schließen, daß Bharatas Text möglicherweise schon im Altertum umgearbeitet wurde. Und es kónnte auch den Gedanken bestárken, daf Bharata selbst seine Abhandlung viel früher geschrieben hat.
Eine dritte Skala, Gändhära-gräma oder Ga-gräma, ist bisher ein ungelóstes Geheimnis. Sie wird in Bharatas Buch nicht erwähnt und hatte sich im dreizehnten Jahrhundert u. Z., als der große Theoretiker Särngadeva sein Sangita Ratnäkara schrieb, bereits ‚in Indras Himmel zurückgezogen.“ Ich sage „nicht erwähnt,‘ ohne hinzuzufügen „noch“. Es ist unzulässig, aus Bharatas Schweigen zu schließen, daß der Ga-gräma erst nach seiner Zeit entstand. Zwei weitere Tatsachen warnen vor einem derart voreiligen Schluß. Erstens sprechen alte Tamilwerke gleich von vier Modi, anstatt von zwei wie Bharata,!* und
zweitens gibt es die Geschichte von Supriya. Eine der buddhistischen Legenden erzählt, daß Supriya, ein berühmter Musiker, imstande war, auf einer Saite — mit den Worten des französischen Übersetzers —
„Sept notes avec vingt-et-un tons et demi-tons'"30 zu spielen. Ich weiß nicht genau, was
sich Léon Feer unter Tónen und Halbtónen vorstellt. Der Sanskrittext deutet derartiges überhaupt nicht an; er spricht von sieben svaras und einundzwanzig mürchanas.
1? N. S. Ramachandran,
a. a. O., 392.
18 Herbert A. Popley, The Music of India, Calcutta (1921), 31. 19 ebd. 34. 399 Avadäna-Cataka,
1891, 76.
152
übersetzt von Léon Feer, in: Annales du Musée Guimet
XVIII,
Wie der nächste Abschnitt zeigen wird, bezeichnet dieses Wort unmißverständlich modale Ecktonversetzungen, von denen jeder gräma sieben besitzt. Infolgedessen muß in der Zeit der Hundert Legenden noch ein dritter gräma existiert haben. Leider kennen wir die Entstehungszeit dieser Legenden nicht. Aber sie wurden schon im dritten Jahrhundert u. Z. ins Chinesische übertragen, das Original mag daher ein- oder zweihundert Jahre vorher geschrieben worden sein.?! Ich verzichte darauf,
den Leser mit der verwirrenden
Vielfalt widerspruchs-
voller Beschreibungen in der spáteren Sanskritliteratur und moderner Versuche,
sie zu interpretieren, bekannt zu machen. Diejenigen, die sich für die schwer feststellbare Ga-Skala interessieren, seien auf die letzte Kontroverse zwischen Fox
Strangways und Ramaswami Aiyar verwiesen.?? Diese UngewiDheit wirft noch eine andere Frage auf. Wir wissen, daD zwei Grundprinzipien überall in der Welt skalenbildend wirkten: das zyklische Prinzip mit gleich groBen Ganztónen von 204 und Halbtónen von go Cents, und das Teilungsprinzip mit großen Ganztónen von 204, kleinen Ganztónen von 182 und großen Halbtónen von 112 Cents. Bharatas System beruht auf dem Teilungsprinzip, und dieses wiederum leitet sich von gegriffenen Saiten her. Aber die frühe Periode des indischen Altertums besaß außer der Harfe mit freischwingenden Saiten kein anderes Saiteninstrument. Keine Laute, keine Zither lieferten ein Griffbrett. Indien muß das Auf-und-
Ab-Prinzip besessen haben und es kann also nur irgendwo verborgen sein. Aber dient nicht schließlich das System der $rutis gleichermaßen gut den Zwekken beider Prinzipien? Gestattet es nicht sogar einen reibungslosen Übergang?
Überträgt man in einem Tetrachord, das auf dem Teilungsprinzip beruht, eine Standard-šruti (22 Cents) von F —E nach E —D, so erhält man die beiden großen Ganztóne und den kleinen Halbton, die das Auf-und-Ab-Prinzip verlangt: D
182
E
00 +-22
F
204
G
Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob das zyklische Prinzip irgendetwas mit dem Ga-gräma zu tun hat. Aber zumindest müssen wir annehmen, daß dieses Prinzip noch existiert hat, als das &rufi-System sich bereits herausgebildet hatte. Die mürchanas waren Skalen mit spezifischeren Merkmalen als die grämas. Es gab vierzehn, von denen sieben zum Sa-gräma und sieben zum Ma-gräma gehörten. Im ersten Augenblick könnte man denken, daß sie Transpositionen der beiden Grundskalen darstellten. Aber verschiedene Gründe sprechen gegen eine solche 21 J. S. Speyer, Vorwort zu Avaddnagataka, in: Bibliotheca Buddhica, St. Pétersbourg 1902, III, Einleitung V.
?2 A. H. Fox Strangways, The Gändhära gräma, in: The Journal of the Royal Asiatic Society for Great Britain and
Ireland,
1935, 689—696;
M. S. Ramaswami
Aiyar,
The Question of Gramas, in: The Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Irdland, 1936, 629 —640.
153
Interpretation. Eine Transposition durch die Oktave würde fünf Kreuze und ein b unterstellen, während Bharata nur die ersten beiden Kreuze erwähnt. Mehr noch, Bharata beschreibt ausdrücklich, wie ein mürchana in die Oberquinte oder die Unterquarte
durch Erhöhung
des F transponiert werden
kann, was bei sieben
Transpositionen sinnlos wäre. Schließlich stellt Bharata fest, daß es auch einige mürchanas mit Kreuzen (oder P) gab. Folglich muß der normale mürchana vorzeichenlos gewesen sein. Die mürchanas waren modale Ecktonversetzungen. Es ist wahrscheinlich, daß die Zahl vierzehn eher dem Bestreben nach systematischer Vollständigkeit als den Erfordernissen der musikalischen Praxis entsprach. Die Besprechung der jät:s wird zeigen, daß nur sieben wirklich in Gebrauch waren. Tänas waren hexatonische und pentatonische, durch Auslassen eines oder zweier Töne entstandene Abarten dieser vierzehn Skalen. Bharata zählt nicht weniger als neunundvierzig hexatonische und fünfunddreißig pentatonische Abarten auf, insgesamt also vierundachtzig tanas, das heißt zwölf Formen in je sieben Tonarten. Spieler von Saiteninstrumenten hatten zwei Möglichkeiten, unvollständige Skalen zu spielen. Die eine bestand darin, über den Verbindungston zwischen einem tieferen und einem höheren Ton (oder umgekehrt) flink hinwegzugehen, die andere darin, den Zwischenton unberührt zu lassen. Wenn jedoch ,,der Zwischenton
berührt und ausgehalten wird, ergibt sich ein »ürchana." Mit anderen Worten, die in Frage kommenden Tóne konnten entweder übersprungen, leicht berührt oder eben auf gewóhnliche
Weise gespielt werden;
es gab keine strenge Unter-
scheidung zwischen vollständigen und unvollständigen Skalen. Von Unvollständigkeit und Auslassung zu sprechen ist in gewisser Hinsicht Unfug, denn meistens entstammt die Vorstellung ,,ausgelassener'" Töne der naiven Annahme historisch ungeschulter Gemüter, daß die in der eigenen Zeit und Heimat gebräuchlichen Formen ‚natürlich‘ und somit zeitlos seien. So werden ur-
tümliche Entwicklungsstufen leicht als ungewöhnliche Abarten miBverstanden. Jedoch liegen hier die Dinge anders. Die Klassifizierung geht, besonders im Orient, von wirklich vorhandenen Tatsachen aus; nur in ihrer Ausführung ist sie durchaus rücksichtlsos gegenüber der Praxis. Die nahezu einhundert mürchanas und éänas waren ziemlich sicher mehr Produkte theoretischer Konstruktion als musikalischer Notwendigkeit. Nur wenige von ihnen erscheinen in den melodischen Modellen, die als nächstes besprochen werden sollen.
4 Ragas Die Strenge mathematischer Gesetze und haarspalterischer Klassifizierungen wurde dennoch in spürbarem Maße durch künstlerische Freiheit ausgeglichen — in Indien genauso wie überall. Abweichungen von der Regel wurden nicht nur als zulässig, sondern als notwendig angesehen, um eine Melodie ausdrucksvoller und menschlicher zu gestalten. Die Theorie hat sie häufig, aber stets mit Mißerfolg zu erfassen versucht. Nichts könnte mehr der orientalischen Eigenart entsprechen als der fortwährende Ausgleich zwischen Variation und Stabilisation, Spontaneität und Tradition, Freiheit und Gesetz. Urtümliche Sänger sind selten in der Lage, die gleiche Melodie in genau derselben Form zu wiederholen. Ihre Ursprünglichkeit,
ihre Stimmung während des Singens, das Abschleifen und andere Umstände, alle
diese Einflüsse verhindern eine stereotype Reproduktion; jede Ausführung bedeutet wirkliche Neuschópfung. Bei den Hochkulturen des Orients hat sich in hohem Grade die Flexibilität melodischer Modelle erhalten, und den Sängern ist es gewissermaßen nicht nur erlaubt, sondern sie sollen geradezu eine individuelle Interpretation bieten. Diese im heutigen Westen unbekannte Freiheit wurde durch Fesseln eingeschränkt, die hier gleichermaßen unbekannt sind. Die Melodien wurden im Rahmen eines bestimmten räga ersonnen und vorgetragen und nur so weit verändert, wie es mit der Einhaltung seiner Gesetze vereinbar war. Κᾶρα bedeutet ‚Farbe‘ oder ,Gemütsbewegung' und bezeichnet ein Melodiemodell mit einem fest umrissenen Stimmungsgehalt und einer modalen Skala, in der jeder Ton eine individuelle Stellung, zum Beispiel als Anfangston, als Prä-
dominante, als Zentralton oder als Schlußton, besitzt. Die ,Prádominante' am$a, ursprünglich identisch mit dem Anfangston, ist weder das, was wir als Tonika, noch das, was wir als Dominante bezeichnen. Sie
ist nicht einmal durch die Struktur der Skala bedingt und unterscheidet sich zuweilen in verschiedenen Melodien desselben σᾶρα. Dem modernen Biläval beispielsweise, dem Gegenstück zu unserem Dur, liegt das tetrachordale Gerüst C-F-G-C
zugrunde,
aber die Prädominante
ist E.
Ihre Funktion
wird
an den
Beispielen 58—62 völlig klar. In Bzhag ist E die Prádominante, in Bhatrava A, in Bhairavi C, in Málkos C.
Háufig gehóren gewisse melodische Charakteristika zu den verbindlichen Merkmalen eines räga. Der moderne Bilahari zum Beispiel verlangt reichlichen Gebrauch der Wendung A C H A. 155
Die einfachste Methode,
Europäern
verständlich zu machen,
was melodische
Modelle sind, ist ein Vergleich mit den architektonischen Gesetzen der Griechen. Die griechischen Architekten befolgten die Regeln des dorischen, des jonischen
oder des korinthischen Stils. Jeder Stil schloß bestimmte Proportionen der Säulen,
die Grundmotive der Kapitelle, die Ausgewogenheit der Simse, Friese, Giebel und zahllose andere Merkmale in sich ein. Die Freiheit des Künstlers war begrenzt und seine Erfindungsgabe mußte sich auf Detailarbeit und allgemeine Harmonie beschränken. Dasselbe Prinzip der Unterordnung der individuellen schöpferischen Fähigkeit unter den verpflichtenden Einfluß vorgegebener Modelle beherrschte die orientalische Musik. Die Verbindlichkeit der rägas spiegelt sich in einer Legende aus dem Adbhuta Ramayana wider: „Einst dachte der große Rishi Närada bei sich, daß er wohl die gesamte Kunst und
Wissenschaft der Musik gemeistert hätte. Um seinen Hochmut zu zügeln, führte ihn der allwissende Wischnu zum Wohnsitz der Götter. Sie betraten ein geräumiges Gebäude, in dem sie zahllose Männer und Frauen vorfanden, die weinend ihre ge-
gebrochenen Gliedmaßen beklagten. Wischnu blieb stehen und fragte sie nach dem Grund ihres Jammergeschreis. Sie antworteten, daß sie die von Mahädeva erschaffenen rägas und räginis seien, daß aber, als ein Rishi namens Närada, der weder wahres Wissen in Musik noch Geschicklichkeit im Musizieren besäße, sie ohne Achtsamkeit
gesungen habe, ihre Gesichtszüge entstellt und ihre Gliedmassen zerbrochen worden seien. Ehe nicht Mahädeva oder irgendein anderer geschickter Mensch sie richtig singen würde, bestünde keine Hoffnung, ihre frühere Körpergestalt jemals wiederzuerlangen. Da kniete Närada beschämt vor Wischnu nieder und bat um Verge-
bung.''?
Das Interessante an dieser Legende ist, daß sie fast wörtlich eine Satire kopiert, die sich in einer Komódie des Pherekrates findet und gegen die damalige moderne Musik in Griechenland nach dem Peloponnesischen Krieg und ihren Vorkámpfer Timotheos von Milet gerichtet ist. Eine Frau, die niedergeschlagen und in zerrissener Kleidung einherhinkt, antwortet auf mitfühlende Fragen: „Ich bin Musik, und einst war ich gut dran. Aber jetzt haben mich Thimotheos und andere zu fassen gekriegt, oh Freund. — Welcher Timotheos? — Der Rotkopf aus Milet. — Auch Timotheos hat Dich miBhandelt? — Er ist der Schlimmste von allen; seine Töne wimmeln umher wie Ameisen wider jede Melodie und in höchster Tonlage. Er hat mich wie Kohl zerhackt und mit einer stinkenden Mixtur besudelt. Und als ich allein war, überfiel er mich, zog mich aus und fesselte mich mit zwölf Saiten..." In Indien wurde diese Idee, musikalische Klánge und Motive zu personifizieren und sie in menschlicher Weise auf eine Entweihung reagieren zu lassen, in vielen Versionen entwickelt. Die wohl anziehendste ist die Geschichte des Affenkónigs 33 Herbert A. Popley, a. a. O., 8.
156
Hänuman, der sehr stolz auf seine musikalischen Kenntnisse war und albern mit
ihnen prahlte. Räma, der Held des Rämäyana-Epos, entwarf einen Plan, ihn zu demütigen. In den Dschungeln wohnte ein edler Rishi, der die Sieben Töne veranlaßte, die Gestalt von sieben lieblichen Nymphen anzunehmen. Räma führte Hänuman in die unmittelbare Nähe der Behausung des Rishi. Hänuman, der mit seinen Fähigkeiten prahlen wollte, nahm stolz die Vind und begann zu spielen. Gerade in diesem Augenblick gingen die sieben lieblichen Nymphen (bzw. Töne) an ihnen vorüber,
um
Wasser
zu holen.
Eine hielt, als sie die Musik hörte,
inne,
taumelte und fiel tot um. Hänuman hatte diesen Ton unrichtig gesungen. Die Geschwistertöne waren untröstlich und bejammerten und beklagten ihren Tod
herzzerreißend. Der Rishi, der dies alles mit angesehen hatte, lächelte, nahm die
Vinä zur Hand und schlug die Töne laut an. Sobald der tote Ton richtig gespielt
wurde,
erwachte
er wieder zum Leben
und kehrte fröhlich in den Kreis seiner
Geschwistertöne zurück, und es herrschte große Freude. Hänuman, der sich zutiefst schämte, ließ seinen Kopf hängen und tat Buße für seine törichte Eitelkeit.” Genauigkeit und Können waren nicht nur eine Frage der Kunst. Nachlässiger Vortrag gefährdete die den rägas innewohnenden außermusikalischen Kräfte; denn jeder von ihnen besaß kosmische Nebenbedeutungen, ja, besaß mächtige, verborgene Energien, die auf Mensch und Natur wirkten. Einst
zog eine Sängerin dadurch,
daß sie die Kräfte ihrer Stimme
in einem
bestimmten räga äußerte, rechtzeitig erfrischende Regengüsse aus den Wolken auf die ausgetrockneten Reisfelder Bengalens herab und bannte dadurch die Schrecken der Hungersnot. Andererseits sollte jeder, der den raga Dipaka zu singen versuchte, durch Feuer vernichtet werden. Als der mohammedanische Kaiser Akbar (sechzehntes
Jahrhundert u. Z.) Naik Gopaul, einem berühmten Musiker, befahl, jenen räga zu singen, versuchte sich dieser zu entschuldigen, aber vergebens; der Kaiser verlangte
Gehorsam. Naik Gopaul bat daher um die Erlaubnis, nach Hause gehen und von seiner Familie und seinen Freunden Abschied nehmen zu dürfen. Es war Winter, als er nach
einer Abwesenheit von sechs Monaten zurückkehrte. Bevor er zu singen begann, stieg
er in die Wasser des Jumna, bis sie an seinen Hals reichten. Sobald er eine oder zwei
Tonfolgen gesungen hatte, wurde der Fluß allmählich heiß; schließlich begann er zu kochen, und die Todesqualen des unglücklichen Musikers wurden nahezu unerträglich. Für einen Augenblick unterbrach er die so grausam erzwungene Melodie und bat den Monarchen um Gnade; aber er bat vergebens. Akbar wollte die Kräfte dieses räga noch überzeugender unter Beweis gestellt sehen. Naik Gopaul wiederholte den unheilvollen Gesang. Da schlugen ungestüm Flammen aus seinem Körper, der, obwohl er in die Wasser des Jumna eingetaucht war, zu Asche verwandelt wurde.?® ?
Atiya Begum Fyzee-Rahamin, The Music of India, London 1925, 87.
235 Sir W. Ouseley, Anecdotes of Indian Music, in: The Oriental Collections I; Sourindro Mohun Tagore, Hindu Music from Various Authors, 2. Auflage Calcutta 1882, I 166,
157
Die rägas wirkten sich auch auf bestimmte Stunden des Tages und bestimmte Jahreszeiten aus bzw. wurden ihnen zugeordnet. Zur Zeit Kaiser Akbars sang ein Musiker einen der Nacht-rägas um die Mittagszeit. Die Wirkung seiner Musik war so stark, daß es augenblicklich Nacht wurde und sich rund um den Palast, soweit seine Stimme gehört werden konnte, Dunkelheit ausbreitete.** Ich brauche den Leser wohl kaum an die ähnliche Legende aus China zu erinnern, die im Kapitel über den Fernen Osten wiedergegeben wurde. Die Verbindung mit einer bestimmten Stunde des Tages wird noch heute beachtet.
,,...
kein
Musiker
wird,
wenn
er nicht
ausdrücklichen
Befehl
erhält,
irgendeinen raga außerhalb der rechten, dafür vorgesehenen Tageszeit singen ... es würde als unpassend empfunden werden, hier irgendeine Abänderung vorzunehmen. Selbst in gebildeten Kreisen unter Hindus würde es als Zeichen von Unwissenheit angesehen werden, ohne triftigen Grund den Wunsch nach einem besonderen räga zu einer unpassenden Zeit zu äußern. “57 Das Ausmaß der Zuordnungen zu den Tierkreiszeichen, den Planeten, den Wochentagen, den sieben Himmelskreisen, zu Jahreszeiten, Elementen, Farben, Vogelstimmen,
menschlichen
Charakterzügen,
Geschlechtern,
Temperamenten,
Menschenaltern und wozu sonst noch alles überschreitet selbst chinesische Verhältnisse. Eine vollständige Liste ist in Atiya Begum Fyzee-Rahamins Buch abgedruckt. Die beigelegten Eigenschaften waren jedoch nicht in allen Teilen des Landes gleich.
Die Theorie von den psychologischen Wirkungen kann bis in die früheste Zeit zurückverfolgt werden. Im Rämäyana (etwa 400 v. u. Z.) wird von den rägas ver-
langt, daß sie eines der neun Gefühle erwecken: Liebe, Zärtlichkeit, Humor, Heldenhaftigkeit, Schrecken, Angst, Ekel, Überraschung, Ruhe.?? Bharatas acht-
undzwanzigstes Kapitel schließt mit dem Versprechen, ‚die geben, die die rägas auslösen,“ aber das neunundzwanzigste herausgegeben worden. Leider gibt es keine Antwort auf die Frage, wie lischen und psychologischen Kräfte wirksam sind oder sie bestimmten Tönen oder rdgas zugeschrieben werden; selbst
noch
ihre Zuordnungen
sind im Norden
Empfindungen anzuKapitel ist noch nicht
all diese physikaaus welchem Grund denn weder die vagas
und Süden
des Landes
gleich,
und in beiden Teilen unterscheiden sie sich von den in den alten Abhandlungen über Musik angegebenen. Die Tradition ist hoffnungslos verlorengegangen. Jede lokale Schule besitzt ihre eigene Terminologie, und wenn ein
Musiker aus dem Norden den raga Sri mit Liebe und Abenddámmerung ver-
bindet, so wird ihn einer aus dem Süden zurechtweisen und denselben räga in Beziehung zu Vornehmheit und den Stunden zwischen Mittag und drei Uhr nachmittags setzen. Diese Verwirrung vereitelt jede tiefere Einsicht in die Beziehungen zwischen den musikalischen und den außermusikalischen Merkmalen der rägas. 26 ebd. 165f. #7 C. R. Day, a. a. O., 45. 38 P. C. Dharma, a. a. O., 447—453.
158
Belege für rägas erscheinen, obgleich unter anderen Namen, in den frühesten Quellen indischer Musik. Das Rämäyana-Epos sowie Bharata und sogar der viel später lebende Närada nennen sie jatıs. Bharata und Narada erwähnen achtzehn davon. Bharata kennt jedoch bereits das Wort räga als Bezeichnung für die spezifische Färbung, die den jätis durch Vorzeichen gegeben wurde. Schon allein die Existenz von Versetzungszeichen (die aus der alten Terminologie nicht hergeleitet werden kann) macht die alten Beschreibungen unklar und verlangt nach Interpretation. Bharata erklärt im einzelnen, daß nur sieben seiner achtzehn jätts rein und einfach sind; elf stellen Kombinationen von zwei oder mehr einfachen jät:s dar. Vier von den sieben gehören zum Sa-gräma und drei zum Ma-gräma. Worin bestand ihr charakteristischer Unterschied? Ein Versuch,
die alten rägas zu rekonstruieren, geht logischerweise von den
modernen rägas aus, in denen sich ziemlich sicher einige ihrer haben müssen. Von den zehn heute gebräuchlichen Gruppen ist mäßig, drei gehören zu der sogenannten Zigeunerskala, und die sprechen den drei tetrachordalen Skalenpaaren, die wir mit Namen
Vorläufer erhalten eine ganz unregelübrigen sechs entden griechischen
Dorisch und Hypodorisch, Phrygisch und Hypophrygisch sowie Lydisch
und Hypolydisch belegen. Es ist kaum glaubhaft, daß diese Modi, die im Altertum allgemein gebräuchlich
waren, in Indien bis in die neuere Zeit hinein gefehlt haben sollten, und zwar umso
weniger, als die Hindus selbst den tetrachordalen Charakter ihrer Skalen betonen.
Daß sie sich hinter den ἠᾶί15 verbergen, ist umso wahrscheinlicher, als die Zahlen
bezeichnend sind: Es gibt sieben einfache jà/ts gleich den klassischen Modi Griechenlands (die obengenannten plus Mixolydisch), wovon drei — wieder wie in Griechenland — authentische oder Hypoleitern sind. Überdies folgen sie ungeachtet Bharatas abweichender Anordnung stufenweise aufeinander wie die griechischen
Skalen. Unsere Übersicht beschränkt sich auf die sieben reinen Modi; sie läßt die
hexatonischen Fassungen außer Betracht, schließt aber die pentatonischen Formen mit ein. Die Klammern machen die verbundenen und unverbundenen Tetrachorde sichtbar (s. S. 160). Die
Hindus
scheinen
aber,
obwohl
sie ständig
von
Tetrachorden
sprechen,
verbundene Tetrachorde nicht mehr zu kennen. Statt dessen interpretieren sie Skalen, die aus verbundenen Tetrachorden bestehen — ebenso wie die Araber —
als Zusammensetzung zweier ungleicher Tetrachorde. Natürliche jafis, sagt Bharata, sind die sogenannten Stufen alle ‚vollkommen‘ sind, das heißt, den
$rufi-Zahlen
einfachen jätis, deren entsprechen,
die
für
die beiden grämas vorgeschrieben sind. Aber es gab auch künstliche jätis mit ein, zwei oder mehr veränderlichen Tönen. Diese Definition scheint unbegrenzte Möglichkeiten zuzulassen. Tatsächlich aber kehren die meisten überhaupt in indischen Skalen verwendeten Anordnungen von Ganz- und Halbtönen in den sieben einfachen und den elf komplexen Skalen wieder. Aus diesem Grund mochten einige Alterationen von diatonischen Stufen ausgegangen sein und zu jenen übermäßigen Sekunden geführt haben, die für das
159
DIE SIEBEN REINEN JATIS Panlami A
Arsabhi
HCDE
|
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IT] )),,
DE
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F
| }
G
Á
G
A
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ἢ
|
NEN H D E
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moderner Asävari
moderner Bhairavi
Hypodorisch
Dorisch
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|
GAHCDEFG l
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1
£————À AH D
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moderner Khamäj Hypophrygisch
moderner Kaphi Phrygisch
Gändhäri
N3:3ádi
FG
(
A
AHCDEF ΒΝ
FGA L
|
CD J
1
C DE IL
F
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F
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L
|
moderner Yaman
moderner Biläval
Hypolydisch
Lydisch Dhaivati
[—— ——4 HCDEFGAH [ !; HC
II
E
FG
moderner
Mixolydisch
H
AHC
HC
ἢ
chromatische Geschlecht der Griechen und die sogenannten Zigeunerskalen der späteren Hindu-Musik wie der raga Bhatrava kennzeichnend sind: Beispiel 58: Raga Bhairava (nach Abraham und Hornbostel)
Die Zahl der rägas, die in einem Sanskrit-Tibetischen Wörterbuch des siebenten Jahrhunderts u. Z. bereits mit sechzig angegeben wurde,?® wuchs zumindest in der Theorie auf einige hundert, ja sogar auf mehrere tausend an; die alten Tamilen berechneten ihre Gesamtzahl auf 11991. Jede Aufzählung wäre sowohl unmöglich als auch unnütz. Als weit zweckmäßiger wird sich eine Übersicht über die Gruppen, die tatsächlich in Gebrauch sind, erweisen. Und hier fehlt es nicht an einheimischen Klassifizierungen; ganz im Gegenteil, es gibt deren zu viel.
Die wohl interessanteste und dabei typisch orientalische Einteilung wird im Norden verwendet. Fünf große rägas sind Schiwa Mahädevas fünf Köpfen ent-
sprungen, während ein sechster von Parvati, seiner Gemahlin stammt. Jeder der
sechs großen rägas besitzt fünf Frauen oder rägınis und acht putras oder Söhne mit acht Schwiegertöchtern oder bharyas. Insgesamt gab es 132 ragas.
Eine moderne Klassifizierungsmethode, die auf musikalischen Merkmalen beruht und wohl die beste ist, die bisher erdacht wurde, hat N. V. Bhätkande in
Bombay vorgelegt.*! Hier ihr Abriß: Alle rägas sind entsprechend
Gruppen eingeteilt:
1. Biläval-Gruppe:
chorden;
beide
haben
Die
den
der Skala,
Oktave
Halbton
besteht oben
auf der sie aufgebaut sind, in zehn
aus
wie
in
zwei
der
unverbundenen lydischen
Tetra-
Oktave
der
Griechen. Unsere beiden Beispiele stellen eine der heptatonischen Formen, Bihäg, und (aus Udai Shankars Repertoire) die pentatonische Form dieser Gruppe, Durga, dar: Beispiel 59: Rága Bihäg (nach Abraham und Hornbostel)
2 Ananda Coomaraswamy, a. a. O., 166. 3
N. Chengalavarayan,
3! Popley, a. a. O , 55. 11
Sachs, Musik
a. a. O. 81.
161
Beispiel 60: Räga Durgä (übertragen von Curt Sachs nach Udai Shankar)
2. Yaman-Gruppe: dieselbe Skala mit erhöhter Quarte; Hypolydisch. 3. Khamäj-Gruppe: Die obere Quarte hat den Halbton in der Mitte und die tiefere oben; Hypophrygisch. 4. Bhairava-Gruppe: Beide Tetrachorde besitzen übermäßige Sekunden; die sogenannte Zigeunerskala (Beispiel 58). 5. Pürvi-Gruppe: mit Ausnahme einer übermäßigen Quarte die gleiche Anordnung;
ohne griechische Analogie.
6. Märvä-Gruppe: die untere Quarte ähnlich, die obere Quarte regelmäßig mit dem Halbton oben. 7. Käphi-Gruppe:
Beide Tetrachorde haben den Halbton in der Mitte; Grie-
chisch-Phrygisch. 8. Asävari-Gruppe: Die obere Quarte hat den Halbton unten und das untere Tetrachord in der Mitte; Griechisch-Hypodorisch. 9. Bhairavi-Gruppe
(,asketisch'):
In beiden
Tetrachorden
liegt der Halbton
unten; Griechisch-Dorisch. Meine beiden Beispiele veranschaulichen das eigentliche Bhairavi und seine pentatonische Fassung Malkos: Beispiel 61: Raga Bhairavi (nach Lachmann)
e B." ΕΘ 56.6.48 ND en m- Ge us 0 nc — ^am
10. Todi-Gruppe: Die obere Quarte besitzt eine übermäßige Sekunde, während die untere Quarte selbst übermáDig ist und den Halbton unten hat. Die zu einer Gruppe gehórenden Skalen unterscheiden sich vorwiegend durch die Zahl ihrer Töne. In der ersten Gruppe zum Beispiel enthält der raga Btläval die vollständige Dur-Skala. Βιλᾶρ springt von C nach E und von G nach H. Durga
geht vom D zum F und vom A zum C weiter und ist somit eine pentatonische Skala
des 124-Typs. 162
Vom westlichen Standpunkt aus würden wir eine andere Anordnung der zehn Gruppen vorziehen: eine erste Einheit, die die sechs diatonischen Gruppen 1 bis 3 und 7 bis 9, und eine zweite, die die Skalen mit den übermäßigen Sekunden (4 bis 6 und 10) umfaßt. Vom indischen Standpunkt aus hatte aber Bhätkande recht, wie wir im folgenden sehen werden. Bhätkandes Klassifizierung berücksichtigt die Stunden des Tages, zu denen die rügas gesungen werden sollen. Die meisten Hindus teilen den Tag in sechs Abschnitte ein: a) von 4 bis 7 Uhr morgens und nachmittags, die Zeit, da Tag und Nacht wechseln, b) von 7 bis 10 Uhr vormittags und abends, die Stunden nach dem Wechsel, und c) von 10 bis 4 Uhr um Mittag und Mitternacht, die Zeit vor dem Wechsel. Die musikalische Zuordnung geschieht in folgender Weise: Die beiden Stundengruppen unter a) verlangen jene rägas, die die übermäßige Sekunde Des-E, die unter b) diejenigen, welche die unalterierten Stufen D, E und A und die unter c) diejenigen, die Es und B enthalten. Die beiden Tagesabschnitte, die jeweils ein Paar bilden, werden musikalisch durch die Lage der Prádominante voneinander unterschieden. Eine Prádominante im unteren Tetrachord kennzeichnet die Stunden zwischen Mittag und Mitternacht, eine Prádominante im oberen Tetrachord diejenige zwischen Mitternacht und Mittag.?? Darin liegt jedoch keine Folgerichtigkeit, weder in der Tageseinteilung noch in der Verknüpfung bestimmter rägas mit bestimmten Stunden. Ein anderes System ist auf acht Perioden von je drei Stunden aufgebaut und verfáhrt mit den rägas auf folgende Weise :*? 1. Von 6 bis 9 Uhr früh spielt man langsame, verträumte, reine, in der Zigeunerskala angelegte rägas, wie zum Beispiel Bhatrava, 2. von 9 Uhr vormittags bis Mittag Asävari- und Bhairavi-rägas, mit drei und vier b,
3. von Mittag bis 3 Uhr nachmittags Kaphi-ragas mit zwei b, 4. von 3 bis 6 Uhr nachmittags Pürvi- und Märvä-rägas mit übermäßiger Se-
kunde und Quarte,
5. von 6 bis 9 Uhr abends Yaman-rägas (Dur mit übermáBiger Quarte), 6. von 9 Uhr abends bis Mitternacht Dur-rägas der Bildval-Gruppe, 7. von Mitternacht bis 3 Uhr früh pentatonische rägas mit drei b wie zum Beispiel Malkös, 8. von 3 bis 6 Uhr früh pentatonische rdgas, wie Hindolam, in denen alle Töne
des Malkos, mit Ausnahme des ersten und seiner Oktave, erhóht werden. 33 Popley, a. a. O., 63f. 33 Fyzee-Rahamin,
119
a. a. O., 76f.
163
Der Grundgedanke ist klar: Die rägas besitzen die meisten b in den ruhigsten
Stunden, die sich von Mitternacht bis zur heißen Tageszeit erstrecken, und erlangen dur-ähnlichen Charakter in den kühleren Tageszeiten zwischen sechs und Mitternacht. Genau genommen, verlangt der räga auch einen Bordun- oder Pedalton, um die Prädominante hervorzuheben. In vokaler Musik zupft ein begleitender Lautenist sanft die vier dünnen Drahtsaiten der Tambur:, einer großen bundlosen Langhalslaute mit indisch-persischem Gepráge, an deren Stelle leider oft ein europáisches Harmonium tritt. Um Bordunstimmen in instrumentaler Musik zu ermóglichen, werden Blockflóten,
Oboen,
Sackpfeifen
und
die Klarinetten
von Schlangenbeschwórern
zu
Paaren verdoppelt und dann entweder von einem oder aber auch von zwei Spielern bedient. Eine Pfeife spielt die Melodie, wáhrend bei der Bordunpfeife alle Grifflöcher bis auf eines mit Wachs verstopft werden% oder aber überhaupt keine Griff-
lócher vorhanden sind, genauso wie es in Vorderasien und Ágypten üblich ist.
Fox Strangways hörte zwei Oboenspieler in Tandschur: ,,... sie nahmen sie abwechselnd, um Melodie und Bordun zu spielen. Wenn der zweite gebeten wurde, das Bordunspiel zu unterbrechen, sagte der erste, er fühle sich ,wie ein Schiff ohne Steuerruder.'''35 Gamaka, die Verzierung, war „Leben und Seele" der indischen Musik. „Musik ohne gamakà'', behauptet Somanätha (etwa 1600), ‚ist wie eine mondlose Nacht, wie ein Fluß ohne Wasser oder ein Rankengewáchs ohne Blumen.‘ Herr Coomaraswamy erklärt genauer, wenn auch weniger poetisch: ‚Der indische Gesang ohne Verzierungen würde indischen Ohren so dürftig vorkommen wie ein europäisches Kunstlied ohne Begleitung, die es zur Voraussetzung hat.“ Besonders aber gefällt mir die kurze
Formulierung,
mit
der es Dennis
Stoll ausdrückt:
‚Ohne
gamakäs kann eine Melodie nicht lácheln.''?? Die deutsche Übersetzung „Verzierung‘‘ für gamakä erweckt eigentlich eine falsche Vorstellung. Indische Verzierungen sind nicht einfach irgendeiner Melodie angeklebt wie etwa Triller oder Pralltriller in neuerer westlicher Musik. Sie sind der eigentliche Pulsschlag und Atem der Melodie und verleihen dem Einzelton Gewicht, Farbe und Bedeutung. In gewisser Weise erinnert die indische Vortragsweise an geschickte, zum Druck in Gegensatz
stehende
Schreibkunst,
die die einzelnen
Buchstaben
nicht starr
aneinanderreiht, sondern sie in einem langen Federzug verbindet, der Stimmung
% Curt Sachs, Die Musikinstrumente Indiens und Indonesiens, a. a. O., 156, 159, 167.
35 A. H. Fox Strangways, The Music of Hindostan, a. a. O., 46.
86 a. a. O., 167. 37 Dennis Stoll, 1942, 169.
164
The
‘Graces’
of Indian
Music,
in: The
Asiatic
Review
XXXVIII,
und motorische Impulse des Schreibers in kühnen Wendungen und Schnörkeln verlebendigt. Und ein weiterer Punkt sollte erfaßt werden: Während die ostasiatische Musik ihr Augenmerk auf den einzelnen, ja regelrecht isolierten Ton richtet, steht in der indischen Musik die Stufe oder sogar das Intervall im Vordergrund — wenn auch nicht als Sprung von Ton zu Ton und nicht als Vereinigung zweier Töne zu einem Akkord, sondern als wirkliche melodische Grundeinheit. Daher führt der einzelne Ton zu dem nächsten im Portamento, oder aber er springt, wenn keine melodische
Fortschreitung vorliegt, schnell ab. Dieses Abspringen kann ein größeres Intervall umfassen, oft aber auch nur die nächstliegende šrutt. Nach Dennis Stolls Worten würden solche Wendungen häufig ‚ein Ohrenmikroskop für unser unkultiviertes westliches Gehör verlangen, um sie im einzelnen zu erfassen.'*99 Die Ornamente für die Vind, die Sarod und andere Zupfinstrumente sind geschickt klassifiziert und sogar mit besonderen Symbolen aufgezeichnet worden: Glissando auf- und abgleitend mit der Betonung am Anfang und nicht am Ende, ein Wehklagen durch Abbiegen der Saite sofort nach dem Zupfen, ein schwaches Echo, das durch Heben und Wiederaufsetzen des Fingers hervorgerufen wird, Erniedrigen eines Tones durch Druck des Fingernagels und Zupfen mit außer-
ordentlicher
Kraft, und
viele andere
Feinheiten.® Wir spielten auf Indien
an,
als wir den mit Instrumenten des Fernen Ostens verbundenen ähnlichen Stil erórterten. Wer Schallaufnahmen von dieser Art Verzierungstechnik anhört, wird oft in Verlegenheit sein, wenn er entscheiden soll, ob es sich um einen Chinesen handelt,
der
auf
dem
Qin,
oder
um
einen
Hindu,
der
auf
der
Laute
Saröd
spielt. In gleicher Weise verwenden Sánger unzáhlige Arten von Trillern, Portamenti, Vorschlägen, Doppelschlägen und Pralltrillern, und manchmal lösen sie einzelne Taktschläge in mehr als ein Dutzend perlender Töne auf. Um die Wahrheit zu sagen: Durchschnittliche Sänger übertreiben oft das Verzieren. Sie ». .. scheinen die Vorstellung zu haben, daß die höchste Form ihrer Kunst darin be-
steht, so viele Verzierungen wie möglich einzuflechten, ganz gleich, ob dies zur Verschönerung ihrer Gesänge beiträgt oder nicht. In der Tat versuchen sie, die eigentliche Melodie so weit es geht hinter eigenen Auszierungen zu verbergen, und daher ist es in neun von zehn Fällen ganz unmöglich, der Weise oder den Worten eines Liedes zu folgen, da der Sänger nur darauf bedacht ist, das zur Schau zu stellen, was er törichter-
weise für eine besondere Kunstfertigkeit hält.""40
Die sonderbarste Seite der alten gamakäs zeigt sich in Näradas überraschender Klassifizierung der rägas nach drei Gruppen. Die erste umschließt diejenigen, die durchweg mit bebender Stimme gesungen werden, die zweite solche, die mit teilweisem Beben, und die dritte jene, die ohne Beben vorgetragen werden. 3$ ebd. 168.
3 Vgl. Richard
Simon,
Die Notation des Somanatha,
in: Sitzungsberichte der philo-
sophisch-philologischen und der historischen Klasse der K. B. Akademie der Wissen-
schaften zu München, 1903, Heft III, 452 — 460. 4. C. R. Day, a. a. O., 60.
165
Wir möchten diese eigentümliche Dreiteilung als ungeschickt und für uns unverständlich verwerfen. Aber andererseits müßte sie einen Ton zum Klingen bringen, der den Gelehrten, die die katholische Kirchenmusik kennen, vertraut ist. Unter ihren durch die Neumen symbolisierten melodischen Floskeln gibt es zwei — quilisma und pressus — die tremula voce ausgeführt werden sollen. Das sind späte europäische Spuren einer einst bedeutenden Form orientalischen Singens, die in Indien im achten Jahrhundert in Blüte stand, ja im vedischen Gesang sogar noch im siebzehnten Jahrhundert beobachtet wurde und bis heute bei gewissen mongolischen Stämmen üblich ist, die durchweg mit blókender Tremolostimme singen. Wie nirgendwo sonst in der alten Welt standen Kunstfertigkeit und ethischer Gehalt des Singens im Vordergrund. Indiens Nationalepos Rämäyana, das im dritten oder vierten Jahrhundert v. u. Z. geschaffen wurde, fordert vom Sänger, daß er die Wissenschaft von der Musik beherrscht, eine angenehme Stimme besitzt, in natürlichem Register singt und über einen Stimmumfang von drei Oktaven verfügt. Es empfiehlt ihm, süße Früchte und Wurzeln in kleinen Mengen zu essen, verlangt, daß er so singt, wie es gelehrt wurde, ohne irgendwelche kunstvollen Versuche, die Komposition seines Meisters zu vervollkommnen oder durch Floskeln zu ergänzen, und untersagt ihm streng, Geld oder irgendeine andere Belohnung anzunehmen.*? Später widmen Abhandlungen über Musik aus dem Norden wie aus dem Süden lange Abschnitte dem Studium der menschlichen Physiologie‘ und der Frage, was ein guter Sänger leisten und was er vermeiden sollte. Der positive Teil dieser Aufzählungen ist weniger interessant. Wir halten es für selbstverständlich, daß der Sänger in der Lage sein muß, den Atem zu halten, und daß seine Stimme wohlklingend und gefällig, weder sehr laut noch sehr schwach, aber tief und voll sein sollte. Der negative Teil mutet uns jedoch ungewöhnlich zeitgemäß an, und wohl niemand kann die endlosen Verzeichnisse von Regeln lesen, ohne zu schmunzeln,
weil er Bekanntes darin findet, so: Man soll nicht mit geschlossenen Zähnen, nicht ängstlich, nicht mit weitgeöffnetem Munde, nicht mit fest geschlossenen Augen und nicht mit einem Anflug von Nasalität singen; man soll die Textworte nicht durcheinanderbringen und so im Hals rollen, daß sie unverständlich werden; man soll nicht mit verkrampftem Leib, mit klagendem oder weinerlichem Ausdruck oder mit hochgezogenen Augenbrauen singen; der Sänger soll nicht den Kopf schütteln, seine Augen bewegen, seinen Hals anschwellen lassen, gähnen oder seine Zähne zeigen; er soll seinen Hals nicht wie ein Kamel ausrecken oder tolle
Gesten mit der Hand machen, und manches andere mehr.“
41 Vgl. z. B. Joseph van Oost, La Musique chez les Mongols des Urdus, in: Anthropos X/XI, 1915/16, 363, 385. . 42 P. C. Dharma, a. a. O., 447—453. 43 C. Tirumalayya Naidu, Gana Vidya Sanjivini, 1896, 12. 44 Fyzee-Rahamin,
166
a. a. O., 71; N. Chengalavarayan,
a. a. O., 82.
5 Rhythmus und Form Der indische Rhythmus in seiner unglaublichen Vielfalt und Wichtigkeit zeigt deutlicher als das System des Vorderen und des Fernen Orients die beiden Grundformen rhythmischer Gliederung: Metrum und Takt. Die kürzeste Definition hat der römische Redner Fabius Quintilianus gegeben:
Metrum in verbis modo, rhythmus etiam in corporis motu est — „Metrum ist nur in
Worten vorhanden und Rhythmus
pers.''45
— lies: Takt — in der Bewegung des Kór-
Der Takt, dessen Ursprung sich aus Schritt und Gang herleitet, ist ,qualitativ'. Er gliedert die Melodie in eine rhythmische Folge betonter und unbetonter Töne, unabhängig von ihrer Länge, und wird daher mit Hilfe regelmäßiger Schläge gezählt. Die numerischen Symbole für Taktarten sind Brüche: $
bedeutet, daß der
erste von jeweils vier regelmäßigen Schlägen betont wird und daß die Schläge im durchschnittlichen Tempo menschlicher Schritte aufeinanderfolgen ; + bezeichnet denselben Betonungstyp, jedoch doppelt so schnell. Das Metrum ist ‚quantitativ‘. Es gliedert die Melodie (gleich Versen) in eine rhythmische Folge langer und kurzer Töne. Wenn man einen langen Ton zwei kurzen gleichsetzt — was für alle Metren typisch ist — so ist das Zahlensymbol für Metren eine Summe: Ein Daktylus würde als 2 + 1 + 1 erscheinen und ein Jambus als 1 + 2, was besagt, daß die Gruppe, der Fuß oder das Taktmaß aus der Folge lang-kurz-kurz oder kurz-lang besteht. Diese beiden Formen des Rhythmus haben sich immer wieder überschnitten — in moderner westlicher Musik nicht weniger als in alter orientalischer Melodik. Südindiens musikalisches Metrum, dkshara, berücksichtigte gewissenhaft die zahllosen Versfüße, in die die Verteilung von lang und kurz klassifiziert wurde. Als Hilfsmittel für diese Klassifizierung haben die Hindus das imposante Wort yamatarajabhanasalagam erfunden. Je drei aufeinanderfolgende Silben, von der ersten, zweiten, dritten usw. Silbe an gerechnet, bezeichnen ein Metrum: yamatà matara
tàraja räjabhä jabhäna
v —— - - —
—— — v συ —
v v
45 Fabius Quintilianus, Instituto oratoria IX. IV, 50.
167
bhänasa nasala
— u. v vun
salagäm
---
Hinzu kamen unter Verwendung nur der beiden letzten Silben: lala lagà gala
v v - — — -
gaga
Symbole für Pausen
— —
kommen
vor, aber nur, um
— ähnlich dem
mittelalter-
lichen punctus divisionis — Gruppen aus drei Einheiten zu kennzeichnen, die wegen fehlender Akzente auf andere Weise von gradzahligen Kombinationen nicht unterschieden werden konnten. Ein Beispiel für Versmetrik in indischer Musik ist das folgende Fragment eines Lobgesangs auf den góttlichen Affen Hànuman, bei dem jede kurze Silbe durch eine Achtelnote wiedergegeben wird, während lange Silben, die entweder durch einen langen Vokal oder durch zwei zusammenhängende Konsonanten gekennzeichnet sind, durch Viertelnoten wiedergegeben werden :*® Beispiel 63 d « 150. 1
I
um
ΒΝ
I
_i_
van - de san-tam
A LÀ.
A n
a
ri - ha-nu-man-tam
Es muß betont werden, daß in Indien das Metrum an sich enger dem Leben verbunden war als irgendwo anders, da es bis zum neunzehnten Jahrhundert alle
Arten geschriebener Sprache beherrschte.
Der musikalische Takt weist in Indien selten die einfache Form westlichen
Rhythmus
auf.
Eine Taktart, Eka, entspricht
des modernen
unserem i
und der
Norden besitzt einige einfache Formen, die angeblich durch die Mohammedaner
eingeführt wurden: Dhima = sts j
$
`
2
=
4
4
tg
4
3g oder 2 und Dädrä
4
4
1
d
=
zt
3
3
oder $
Indem wir aber diese Rhythmen als Summen von Brüchen ausdrücken, sind wir bereits zu dem charakteristischsten Ordnungsprinzip indischer Melodik gekommen, den rhythmischen Modellen oder tālas. Die einfachste Erläuterung eines ἰᾶία wäre: ein rhythmisches Modell, das die
wesentlichen Merkmale von Metrum und Takt vereinigt. Seine Zahlensymbole sind folglich Summen von Brüchen. 4 Nach Erwin Felber und Bernhard Geiger, a. a. O., 109. 168
6 Der oben erwähnte 3 —-Takt könnte schon eine Vorstellung von einem iäla ver-
mitteln, da er zwei Gruppen von je drei Schlágen in der metrischen Beziehung eines Spondäus miteinander vereinigt. Aber der richtige tāla vermeidet Gleichwertigkeit der Glieder. Der Zeitraum, den ein rhythmisches Modell ausfüllt, wird vibàgha genannt, was
wir mit ,Periode' übersetzen.
Alle weiteren Perioden, die die erste wiederholen,
folgen ohne irgendeine Unterbrechung aufeinander. Eine Periode ist aus einem, zwei, drei oder vier angas oder ,Gliedern' zusammengesetzt, von denen jedes den Umfang
von
einer, zwei,
drei, vier, fünf, sieben oder neun
Zeiteinheiten
oder
Schlágen besitzen kann. Die südindische Theorie führt die gebráuchlichen Modelle entsprechend folgen-
der Übersicht auf: Eka
3
4
5
Rüpaka Jhampa Triputa
2 +3 3+1+2
3+2+2
2+4 4+1+2
2+5 5+1+2
Mathya Dhruva Ata
3+2+3 3+2+3+3 3+3+2+2
4+2+4 4+2+4+4 4+4+2+2
5+2+5 5+2+5+5 5+5+2+2
Eka
7
9.
Jhampa Trıputa
7+1+2 7+2+2
9+1+2 9+2+2
Dhruva
7+2+7+7
9+2+9+9
Rüpaka
Mathya
Ata
4+2+2
2+7
5+2+2
2 4-9
71527
7+7+2+2
95259
9+9+2+2
Das unterstrichene Symbol zeigt an, welche der fünf {5 oder Varianten des einzelnen tala am häufigsten ist und keines besonderen Beiwortes bedarf. Die erste horizontale Reihe bezeichnet eingliedrige Perioden (oder einfache Taktmasse) mit drei, vier, fünf, sieben, neun Zeiteinheiten oder Schlägen. In unserer Notation ergäbe das: d.,
d 9 À
ἢ ded
ο...
Die zweite Reihe führt zweigliedrige Perioden von zwei plus drei, vier, fünf, sieben oder neun Einheiten auf. Und so weiter.
Permutation ist gestattet. So lautet Dhruva 2 + 4 + 4 + 4 ebensogut wie 4 + 4 + 2 + 4. Überdies können alle Glieder aufgespalten und in Einheiten aufgelöst werden.
169
Geschickte Trommler gehen beliebig weit über die gewohnten Modelle hinaus. Einem von ihnen, Simhanadana, ist ein riesiges Modell von hundert Einheiten in Gliedern von zwei, vier und acht zugeschrieben worden. Rhythmische Modelle erscheinen bereits in Bharatas Buch (Kapitel 31) und müssen zu jener Zeit schon eine lange Entwicklungsperiode durchlaufen haben. Bharata kennt fünf Modelle, von denen zwei rein und drei gemischt sind. Unter den reinen Rhythmen besteht einer aus acht Zeiteinheiten:
ὁ 4 δ und einer aus sechs Zeiteinheiten:
44244 Von den gemischten Modellen besitzt eins sechs Zeiteinheiten:
444 während zwei je zwölf Zeiteinheiten enthalten:
de dd ὁ À.
und
ἡ. ὁ 2 2 1. Alle fünf Modelle erscheinen in drei Versionen: einfach (wie geschrieben), verdoppelt (mit zweimal so langen Zeitwerten) und vierfach (mit viermal so langen Werten). Es ist schwierig, den eigentlichen Sinn dieser Modelle zu verstehen, wenn wir nicht über das Taktschlagen in Indien und die zu seiner notierten Wiedergabe gebrauchten Silbenkürzel informiert sind. Die klassische Praxis besaß zwei Arten von Schlägen, stumme und hörbare. Von acht Schlägen insgesamt waren vier stumme Gesten der Hände und vier hörbare Schläge. Die stummen Gesten waren: a) à, Handfläche aufwärts und die Finger gekrümmt, b) #1, Handfläche abwärts und die Finger ausgestreckt, c) vs, Hand nach
rechts,
Handfläche
aufwärts
und
abwärts und die Finger gekrümmt. Die hörbaren
Schläge waren:
die Finger
ausgestreckt,
a) dhru, Schnippen
d) pra, Handfläche
der Finger, b) ga, Schlagen
(etwa auf den Schenkel) mit der rechten Hand, c) tå, Schlagen mit der linken Hand, d) sam, Klatschen mit beiden Händen. Jede Zeiteinheit wurde von einer typischen Bewegung begleitet. Jedes Glied der einfachen wie der augmentierten Versionen der Modelle erhielt einen hörbaren 170
Schlag. Wenn ein Glied mehr als eine Einheit umfaßte, kamen auf die zweite und die folgenden Einheiten stumme Gesten. Bei der Ausführung dieser Bewegungen wechselten die Hände von Glied zu Glied: sa als der hörbare Schlag zeigte an, daß auch die stummen Bewegungen innerhalb desselben Gliedes mit der rechten Hand ausgeführt wurden; tā schrieb dasselbe für die linke Hand vor, und sam für beide Hände. Auch die Finger wechselten ab. Im Allabreve-Takt wurden die vier Teile einer
Periode angezeigt, indem zuerst der kleine Finger und anschließend der Ringfinger, der Mittelfinger und der Zeigefinger aufgerichtet wurden. Bei anderen Rhythmen war das anders. Die Einzelheiten sind hier ziemlich belanglos. Wichtig dagegen ist, daß der hörbare Schlag im Altertum nicht den Anfang, sondern das Ende eines Gliedes markierte, zum Beispiel:
einfaches Model stumme Gesten
d
4 4
ss
hörbare Schläge
4 4 4.
S
HH
S
H
$$
HH
H
Abermals taten die alten Inder das Entgegengesetzte von dem, was wir tun würden. Genauso wie sie die Stufen ihrer Oktaven nach ihren oberen Tönen benannten, betonten sie die letzten, nicht die ersten Schläge ihrer rhythmischen Modelle, ja, sie legten die stärkste Betonung — sam, Klatschen mit beiden Händen — auf die allerletzte Viertelnote einer Periode. Eigentlich betonte der hörbare Schlag nicht, sondern er warnte. Er kann nicht mit dem akzentuierten Abwärtsschlag
unserer
Dirigenten
verglichen
werden,
sondern
eher
mit
dem
Schwung ihrer Arme, die den Abwärtsschlag vorbereiten. Wieder zeigt die verschobene Betonung, daß sich der indische Rhythmus grundlegend von den betonten Schlägen unseres Musikstils unterscheidet. Mit der Kenntnis der Funktionen, die den hörbaren und den stummen Schlägen zugewiesen
wurden,
dreigliedrige Modell
sehen wir ein, daB das von Bharata
f
f
)
erwähnte
‚gemischte‘
keinesfalls das ist, was es scheint: eine Folge von drei gleichen Schlägen wie in unserem " -Takt. Das würde wirklich nicht in das indische Bild passen. Die Schlagnotation lautet nt ga δα und bedeutet, daß die erste Záhlzeit einer stummen Geste
entspricht, die beiden anderen dagegen hórbare Schläge sind. Das aber ergibt, daß die beiden ersten Viertelnoten ein Glied bilden:
Jd 4 Es überstieg die Mittel der klassischen Notation, Zeitwerte zu bezeichnen, die größer als Dreiachtelnoten bzw. punktierte Viertelnoten waren. So nahmen sie 171
Zuflucht zu zwei Viertelnoten anstelle einer halben Note (wie im cantus planus) und brachten deren eigentliche Bedeutung durch die Aufteilung in stumme und hörbare Schläge zum Ausdruck. Noch eine Frage ergibt sich aus dem Studium der Schlagformen. Bharatas gewöhnliches Dreiermodell in der einfachen Form lautet
4
δ
Ò
was wieder einen symmetrischen und deshalb verdächtigen Rhythmus bedeutet. Nun zeigen die Versionen in zweifacher bzw. vierfacher Vergrößerung nach ihren hörbaren Schlägen eine asymmetrische Anordnung:
J|
ff.
Ist die erste Version etwa ein Fehler des Kopisten? Waren aber andererseits die Glieder jener frühen Modelle starr angeordnet oder
waren sie vertauschbar wie in den modernen tālas? Konnte ein Modell wie 2 + 2
+ 1 + 3 ebensogut als 1 + 2 + 2 + 3 oder in irgendeiner anderen Folge auftreten? Wenn
das zutrifft, dann wäre es leicht, einen der beiden von Bharata ange-
gebenen Sechserrhythmen umzustellen. Sechserrhythmus nicht unterscheiden, Permutation dürfte zu Bharatas Zeiten Andererseits führte die Kombination
Aber dann würde er sich von dem anderen der somit kein Grundmodell mehr wäre. kaum zulássig gewesen sein. von Vierer- und Dreierrhythmen zu zahl-
losen komplexen Modellen mit bis zu siebzehn Einheiten, von denen besonders die mit fünf, sieben, neun, zehn und elf Einheiten bevorzugt wurden.
Die indischen Rhythmen sind hochentwickelt. Es gibt keine Unterteilung in
gleiche Schláge wie in unserer Musik ; ein Š -Takt wird nicht in zwei Halbe und vier Viertel eingeteilt, sondern ist die Gesamtsumme von — sagen wir — drei Gliedern mit 3 +2
+ 3 oder mit 5 +2
+ 1 Achteln.
Da
auf die ersten Einheiten
der
Glieder oder Perioden kein Stärkeakzent entfällt, verhält sich dieser geschmeidige, fließende Rhythmus zu unserem geraden Takt wie etwa der Flug eines sich emporschwingenden Vogels zum Gang eines Pferdes.
Den rhythmischen Modellen wird sowiel Aufmerksamkeit geschenkt, daß es der
Komponist selten versäumt, den tāla nach dem räga anzugeben. Ein bestimmtes Stück würde zum Beispiel Mälsari raga und Sūlphākatā tala oder Bildval räga und Tintal tāla überschrieben sein. Wie wichtig in Indien der Rhythmus ist, wird besonders offensichtlich aus der einmaligen Rolle, die die Trommeln spielen. Musikalische Szenen, die auf den frühesten
Reliefs der Zeit v. u. Z. dargestellt sind, beweisen, daß sie vor zwei-
tausend Jahren genauso unerläßlich waren wie heute. Der Rājarāješvara-Tempel in Tandschur besaß im Jahre 1051 n. u. Z. unter seinen hundertsiebenundfünfzig 172
Musikern nicht weniger als zweiundsiebzig Trommler,*? und im sechzehnten Jahr-
hundert bestand das Orchester Kaiser Akbars aus einem Paar Zimbeln, dreiund-
zwanzig Blasinstrumenten und zweiundvierzig Trommeln. Der Trommler, der einen Sánger begleitet, verwendet entweder eine Trommel mit zwei Fellen oder zwei Trommeln mit je einem Fell. Die Felle werden in beiden Fällen mit der Hand geschlagen und auf verschiedene Tonhóhen abgestimmt; außerdem liefert jedes Fell zwei Töne, da der Mittelteil, auf den kreisfórmig eine Paste dick aufgetragen ist, tiefer klingt als der äußere Ring.
Gewöhnlich trommelt der Spieler die regulären ,hórbaren' Schläge mit der rechten Hand auf dem Fell, das auf den Grundton sa abgestimmt ist, und die ‚leeren‘ Schläge oder khalis mit der linken Hand auf dem anderen Trommelfell im tieferen fa, etwa
rechts
JJ
links
444 ῥ
4 ῥ
Aber geschickte Trommler geben sich mit einer so leichten Technik nicht zufrieden ; statt dessen entwickeln sie Gegenrhythmen, ohne jedoch den fälas Gewalt anzutun. Eine beliebte Form ist der Kontrapunkt im selben tala: Die rechte Hand spielt das Modell einschließlich der khälts in regulärem Zeitmaß, während die linke es in der Vergrößerung doppelt langsam vorträgt:
KISS)
I 203 I 2
|
4
ἢ
I 20 3 ο 3
d
oder
d
d
δὲ
À
1023010230 Io 2 3 0
dd
Oft jedoch spielen beide Hände verschiedene /d/as, einen in gewöhnlichem Zeitmaß und den anderen in der Vergrößerung, zum Beispiel:
od
424
224
ο
d
|
120312031203 I ο 2 0 3 4
Ò
4
Die beiden Modelle kónnen sich sogar überschneiden:
SI
MDI
ΝΔ
NDS
ΝΤ
12011 203120312031 203 [023010230102 109100 2310
d
441
Sd ld
Dd ld
2
2] |
4? A. H. Fox Strangways, The Music of Hindostan, a. a. O., 791.
173
Tempo und Agogik wurden in klassischer Zeit mit der ganzen methodischen Gründlichkeit indischer Klassifizierung festgelegt. Die Hindus besaßen drei Haupttempi, die zueinander im Verhältnis 1 : 2 : 4 standen, und für jedes drei Abwandlungen. Innerhalb dieser neun Tempi waren bestimmte Formen von Accelerando und Rallentando gestattet. Die musikalischen Formen des alten Indien sind unbekannt. Aber es erscheint zulässig, die allgemeinen Merkmale späterer Formen und besonders die Charak-
teristika, die der Norden
mit dem Süden
teilt, in allgemeiner Hinsicht
zurück-
zudatieren. Es kann kaum einen Zweifel darüber geben, daf der begleitete Gesang vor zweitausend Jahren
— vorsichtig formuliert — den ersten Platz im Musik-
leben einnahm. Und da der räga mit all seinen Verflechtungen genauso wie heute noch den Wesenskern der Melodie darstellte, wurde wahrscheinlich die heutige Art,
musikalische Strukturen
im Sinne
des räga
zu bilden,
auch
schon in der
Antike befolgt. Das Charakteristische des raga, das sorgsam gewahrte Gleichgewicht von Freiheit und Gesetz, hat zu einer dualen Form in der Kunstmusik geführt: dem Gegensatz von @lapa und eigentlichem raga. Der erste Teil, @läpa, ist eine improvisierte Einleitung, in der der Sänger die wesentlichen Züge des betreffenden räga herausstellt, seine Skala, die besonders betonten Tóne, die ihm eigenen Verzierungen — und zwar sowohl zum eigenen Nutzen als auch dazu, dem Zuhörer das Verständnis zu erleichtern. Das geschieht in den beiden ersten Sátzen ohne Worte oder rhythmische Strenge. Worte und rhythmische Modelle werden in einem dritten Satz eingeführt, aber noch mit größerer Freiheit als es der eigentliche raga zulassen würde. Der Wunsch nach Freiheit und Virtuositát hat bis zu einem gewissen Grade die Rollen des @l@pa und des räga vertauscht. Die Musiker verweilen gelegentlich eine Stunde bei dem ἀδῥα und widmen dem räga nicht mehr als fünfzehn Minuten. Der Süden, der konservativer als Hindustan ist, hat nicht zugelassen, daß der dlapa den Rahmen einer bloBen Einleitung sprengt. Sein Überwuchern scheint also eine moderne Entwicklung zu sein, die nicht als Erbe des Altertums mißverstanden werden sollte.
Der zweite Teil oder eigentliche räga wird in verschiedenen Formen gestaltet, die alle eher ,statisch' als dynamisch sind und den starren Regeln von Vers und Strophe folgen. Im Rahmen dieser Modelle wird Monotonie entweder durch eine rondoähnliche Einfügung von Episoden vor Wiederaufnahme des Hauptgedankens oder durch Variationen vermieden. Das Modell selbst ist zweifellos alt. Aber wir kónnen nicht sagen, ob es im Altertum dem Rondo- oder dem Variationstyp folgte. Welche Form auch immer vorlag, sie wurde von Solisten oder kleinen, intimen Ensembles vorgetragen. „Es handelt sich hier um die Kammermusik einer
aristokratischen Gesellschaft, in der ein Schutzherr zur eigenen Unterhaltung und zum Vergnügen des Freundeskreises Musiker hált.''*? Orchester entsprechen eigentlich nicht den Grundsátzen der Hindus. Moderne Theater haben wahrhaftig so
174
etwas wie Orchester aufgebaut, und ein paar zeitgenössische Musiker, wie Udai Shankar, geben sich den herrlichen Klangfarbenwirkungen hin, die den westlichen Geschmack so sehr ansprechen. Aber im Grunde ist indische Musik Kammermusik gewesen und wird wahrscheinlich auch Kammermusik bleiben, die ein Sänger, von dem reizvollen Doppelbordun der Tamburi, von zwei Fiedeln und zwei handgeschlagenen Trommeln oder von einer Vinä, einer Violine und einer Trommel begleitet, vorträgt. 48 Ananda Coomaraswamy,
a. a. O., 163f.
6 Schluß Indiens Musik war niemals isoliert. Sie hat genommen und gegeben. Im Gefolge des Buddhismus hatte sie einen entscheidenden Anteil bei der Formung des Musikstils des Ostens, von China, Korea und Japan, und durch Hindu-Siedler drang sie nach Hinterindien und dem malaiischen Archipel. Es gab aber auch eine westwärts gerichtete Ausfuhr. Die an sich unwichtige Tatsache, daß ein Inder die Trommel bei Mohammeds militärischen Expeditionen geschlagen habe, sollte wenigstens als Symbol des indischen Einflusses auf die islamische Musik aufgefaßt werden. Obwohl uns völlige Unkenntnis der alten persischen Musik zu konservativer Haltung zwingt, dürfen wir doch sagen, daß das
System melodischer und rhythmischer Modelle, das für die persische, türkische und arabische Welt charakteristisch ist, in Indien in Form von rägas und fälas bereits
mehr als tausend Jahre existierte, ehe es in den Quellen des mohammedanischen
Orients auftauchte. Umgekehrt ist Indiens Musik Beiträgen aus dem Westen verpflichtete. Wieder muß das Bild aus winzigen Informationsfragmenten zusammengestellt werden. Die südindische Rahmentrommel Tambattam war im alten Babylonien
unter dem semitischen Namen Timbutu bekannt. Die eigenartige südindische Stab-
zither Kinnari teilte ihren Namen mit König Davids Kinnor, der hebräischen Leier.
Vinä, ein Fremdwort, wie die Schreibweise andeutet, und vor unserer Zeitrechnung Bezeichnung für die Bogenharfe, ist für wenigstens dreitausend Jahre der
Name der ägyptischen Harfe gewesen.* Aber auch direkte Berichte geben Zeugnis von musikalischem Austausch. Das Tagebuch eines Seefahrers zu Beginn des ersten Jahrhunderts u. Z., das Pertplus Maris Erythraei, berichtet, daß Indien zur damaligen Zeit mousiká aus Ägypten einführte. Eudoxios von Cadiz transportierte per Schiff „Musikantinnen“ (mousika paidiskäria) nach Indien, und der Geograph Strabo® empfiehlt seinen Lesern, indischen Radschas Musikinstrumente oder hübsche Sängerinnen aus Palästina oder Alexandrien zum Geschenk zu machen, um ihre Gunst zu gewinnen. Palástina sandte sogar Bläser. In den vor 230 u. Z. verfaßten Aufzeichnungen des St. Thomas wird berichtet, wie ein Bläser zur Stelle herabkam, an der der Apostel in Indien landete, ‚über ihm stehenblieb und zu seinem Haupte eine lange Zeit
spielte. Nun aber war diese Pfeifenspielerin dem Stamme nach eine Hebráerin.''5! *9 Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 153. 50 Strabo, Erdbeschreibung, 15. Buch, I, 55.
51 in: Acta Apostolorum Apocrypha,
176
Ausgabe Lipsius-Bonnet, Teil II, Bd. 2, 108.
Zu allen Zeiten aber war das Industal das wichtigste Einfallstor. In immer neuen Wellen übermittelte es Indien die meisten der noch heute gebräuchlichen Instrumente, vor allem jedoch zu sehr später Zeit die langhalsigen Lauten, zum Beispiel Tamburi und Sitar, die es seit undenklichen Zeiten in Mesopotamien und im Iran gegeben hat. Zwar erscheint der Name Tamburi in einer späten Sanskritverkleidung als Tumburuvinä (geradeso wie babylonische Priester semitische Ausdrücke in sumerische zu Zeiten verdrehten, in denen diese geheiligte Sprache nicht mehr lebendig war), und linguistisch ungebildete Einheimische haben dieses schóne Instrument ohne Bedenken mit dem Glorienschein echten indischen Ursprungs umgeben und ihm auf Grund seines — unechten — Sanskritnamens ein ehrwürdiges Alter von fünftausend Jahren zugeschrieben. In Wirklichkeit jedoch finden Langhalslauten in keiner literarischen oder bildlichen Quelle vor Ende des Mittelalters Erwáhnung. Im Gegensatz hierzu ist irgendein griechischer Einfluß auf indische Musik mehr als zweifelhaft, obgleich der Feldzug Alexanders des Großen (333 v. u. Z.) einen kulturellen Austausch mit Griechenland einleitete. Indische und griechische Skalen waren sich sicherlich in mancherlei Hinsicht ähnlich; aber das war fast unvermeid-
bar, da ihnen ja in beiden Ländern Tetrachorde zugrunde lagen. Die Trommelbegleitung, die in der indischen Musik so wesentlich ist, besaD keine Entsprechung in Griechenland, und beim Vergleich der rhythmischen Modelle Indiens mit den metrischen Kombinationen der griechischen Melodie muß man sehr vorsichtig sein. Auch findet sich, während die islamische Theorie einen Überfluß an griechischen Termini und an Zitaten griechischer Autoren aufweist, in der Hindu-Theorie nicht die geringste Erwähnung von irgendetwas Griechischem. Das wichtigste Argument jedoch, das gegen die Annahme direkten griechischen Einflusses spricht, besteht in der Verschiedenartigkeit der Instrumente. Indien besaß
keines der
Instrumente
Griechenlands,
weder
Leiern
noch
Pfeifen
vom
Aulóstyp. Dafür sind auf indischen Reliefs aus hellenistischer Zeit, die im wesentlichen unter dem Einfluß griechischer Bildhauer geschaffen wurden, Bogenharfen und Róhrentrommeln abgebildet, die wiederum in Griechenland nicht bekannt waren. Das folgende Kapitel wird zeigen, wie abweichend die Mittel griechischer Musiker waren.
1 Die Quellen Die Tondenkmäler der griechischen Musik belaufen sich auf zwölf, von denen einige nur fragmentarisch erhalten sind. o. Pindars Erste Pythische Ode, die angeblich aus dem fünften Jahrhundert v. u. Z. stammt, wurde 1650 in Pater Athanasius Kirchers Musurgia Universalis veróffentlicht. Aber es konnte keine Quelle aufgefunden werden, und das Stück,
das offensichtlich in einem Stil, der nach PindarsZeit üblich war, geschrieben wurde,
ist wahrscheinlich gefálscht.! 1. Das erste Standlied des Chores (stasimon) aus Euripides' Tragödie Orestes (fünftes Jahrhundert), auf Papyrus geschrieben und nur bruchstückhaft erhalten.? 2. Ein Fragment, móglicherweise aus einer Tragódie, auf Papyrus geschrieben,
etwa um 250 v. u. Z., im Museum in Kairo.?
3—4. Zwei Hymnen zu Ehren Apollos, in die Schatzhauses zu Delphi um die Mitte des zweiten meißelt.? 5. Skolion oder Trinklied des ‚Sizilianers‘ Seikilos, hundert v. u. Z. komponiert und in eine Säule zu meißelt.®
Steinwände des athenischen Jahrhunderts v. u. Z. eingeim zweiten oder ersten JahrTralles in Kleinasien einge-
6. Päan auf den Selbstmord des älteren Ajax und zwei andere Fragmente auf
einem Papyrus in Berlin, etwa 160 u. Z. niedergeschrieben, aber wahrscheinlich,
ja sicher älter.®
1 Otto J. Gombosi, The Melody of Pindar's ‘Golden Lyre’, in: The Musical Quarterly XXVI,
1940, 381 — 389.
K. Wessely, Der Papyrus Erzherzog Rainer, 1892. Carlo del Grande, Nwovo Frammento di musica greca in un papiro del Museo del
Cairo, in: Aegyptus, Serie Scientifica V, 1936, 369 — 382. * Théodore Reinach, Hymnes avec notes musicales, in: Fouilles de Delphes, Bd. III/2,
147—169; Otto Crusius, Die delphischen Hymnen, Ergánzungsheft zu: Philologus LIII, 1894. 5 W. M. Ramsay, Unedited Inscriptions of Asia Minor, in: Bulletin de Correspon-
dance Hellénique VII, 1883, 277—278; Otto Crusius, Ein Liederfragment auf einer antiken Statuenbasis, in: Philologus L, 1891, 163—172 und 576; Philipp Spitta, Eine neuaufgefundene altgriechische Melodie, in: Vierteljahrsschrift für Musik-
wissenschaft X, 1894, 103— 110.
$ W. Schubart, Ein griechischer Papyrus mit Noten, in: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften XXXIII, 1918, 763—768; Albert Thierfelder,
180
7. Helios-Hymne. 8. Nemesis-Hymne. 9. Musen-Hymne. Wahrscheinlich alle drei im zweiten Jahrhundert u. Z. von Mesomedes (oder die letzte vielleicht von Dionysios) komponiert und, wenn auch ohne Übertragung, schon im Jahre 1581 in Vincenzo Galileis Dialogo della Musica antica veröffentlicht.’ 10. Hymnus von Oxyrhynchos, Ägypten, drittes Jahrhundert u. Z., auf Papy-
rus.’
11. Ein kleines Instrumentalstück von einem unbekannten Komponisten, unbekannten Datums, in einer anonymen Abhandlung über Musik.’ ı2. Codex Michigan, auf Papyrus, in der Universität von Michigan, Ann Arbor.
Zahlreiche griechische Abhandlungen über Musik, spätere Zitate aus verlorengegangenen Abhandlungen und gelegentliche Stellen in den Büchern griechischer und römischer
Autoren,
die über andere Themen
schrieben,
ergänzen
mit Er-
örterungen der Gesetze und Probleme, der Aufgabenstellung und Entwicklung
jener Kunst, die die Griechen für ihre edelste hielten, die wenigen leblosen Nota-
tionen. Der früheste Versuch wurde von Physikern unternommen. Die Rolle des viel erwähnten Pythagoras ist unklar; dagegen wird Lasos von Hermione (etwa 500 v. u. Z.), dem Lehrer Pindars, in nicht mißzuverstehender Weise die Entdeckung der Schwingung als Ursache des Tons zugeschrieben. Archytas von Tarent (etwa 400 v. u. Z.) erkannte, daß es sogar zwei Schwingungsformen gibt, von denen die Tonwahrnehmung abhängt: stehende Wellen in dem klangerzeugenden Instrument und fortschreitende Wellen in der umgebenden Luft, die jene auf das Ohr übertragen. Die griechische Musiktheorie erreichte ihren Hóhepunkt in Áristoxenos von Tarent (um 320 v. u. Z.). Er war kein schlechterer Wissenschaftler als seine Vorgánger; aber er ging über die Klangerzeugung hinaus zur Klangempfindung weiter und wurde so der erste Musikpsychologe. Seine ,,Prinzipien'', seine „Elemente“ und seine ,, Rhythmik"' sind wenigstens fragmentarisch
erhalten. Kurz nach ihm versuchten die sogenannten Pythagoráer unter Führung
Ein neuaufgefundener Papyrus, in: Zeitschrift für Musikwissenschaft I/4, 1919, 217—225; Hermann Abert, Der neue griechische Papyrus mit Musiknoten, in: Archiv für Musikwissenschaft I, 1918/1919, 313—328; Rudolf Wagner, Der Berliner
Notenpapyrus, in: Philologus
? Friedrich
Bellermann,
Die
LX XVII, 1921, 256— 310.
Hymnen
des
Dionysius
und
Mesomedes,
Berlin
1840;
Carolus Janus, Musici Scriptores Graeci, Leipzig 1895, 460—473; Théodore Reinach, La Musique grecque, Paris 1926, 196ff.
*
5 Grenfell and Hunt, The Oxyrhynchos Papyri, X V, London 1922, Nr. 1786; Hermann Abert, Ein neuentdeckter frühchristlicher Hymnus mit antiken Musiknoten, in: Zeitschrift für Musikwissenschaft IV, 1921/1922, 524—529; Théodore Reinach, Un Ancêtre de la Musique d'Église, in: La Revue musicale III/9, 1922, 8—25.
Fridericus Bellermann, Anonymi Scriptio de Musica, Berolini 1841, 98.
181
von Euklid (etwa 300), die genauen mathematischen Verhältnisse der Intervalle herauszufinden, wie sie sich auf einer exakt abgemessenen Monochordsaite darstellten. Die Musiktheorie erreichte einen weiteren Höhepunkt im zweiten Jahrhundert u. Z. mit dem Neupythagoräer arabischer Herkunft Nikomachos und mit dem berühmten Geographen und Bibliothekar der großen Bibliothek in Alexandrien Ptolemäus,
der
in
seiner
Harmonıka
das
mathematische
Standardwerk
über
Musik hinterließ. Die Bedeutung von Aristides Quintilianus’ dreibändigem Peri moustkés ist erst vor kurzem völlig klar erkannt worden. Seine ausführliche Unterweisung wird in der etwas jüngeren Harmontkeé eisagogé des Gaudentios ergänzt. Unter den Verfassern des späten Altertums sind wir besonders Alypios aus Alexandrien (um 360 u. Z.), dessen umfassende Übersicht über die griechische Notation die Entzifferung griechischer Musik möglich machte, sowie Boethius,
dem unglücklichen Kanzler König Theoderichs, verpflichtet, der mit seiner fünf-
bändigen Abhandlung De Musica, die für ein Jahrtausend als die musikalische Bibel des Westens angesehen wurde, das musikalische Altertum abschloß.
Die meisten dieser Abhandlungen betreffen die Musikgeschichte. Glaukos von Rhegion und Herakleides Pontikos begründeten sie im vierten Jahrhundert v. u. Z. Das goldene Zeitalter des historischen Zweiges der Musikwissenschaft war das zweite Jahrhundert u. Z. Der sogenannte Baedeker Pausanias fügte wichtige Abschnitte über die Musik zu den alten Pythischen Spielen und über Volkslieder in seine Beschreibungen griechischer Merkwürdigkeiten ein. Der Enzyklopädist Julius Pollux bot in seinem Onomastıkön wichtige Auszüge von Autoren, deren Werke später verlorengingen. Die überragenden Persönlichkeiten waren Athenaios
mit den Erórterungen seiner Deidnosophistar und Plutarch mit einem besonderen Dialog Peri mousikés, in dem richtige Vorträge über die verschiedenen Epochen griechischer Musik vor den Gásten eines imagináren Banketts gehalten werden. Einzelheiten aus Werken
von Plutarch, Athenaios und anderen Autoren
finden
sich über das ganze griechische Kapitel verstreut. Ein Punkt jedoch soll schon jetzt hervorgehoben werden: die Unterteilung der griechischen Musikgeschichte
in zwei Hauptperioden. Die zeitlich frühere Periode, die wir klassisch nennen würden, die Plutarch aber als die Epoche der ,,schónen'' Musik charakterisiert, wurde durch Sparsam-
keit in den Mitteln, Einfachheit und Erhabenheit gekennzeichnet. Sie ging zu Ende,
als die Generation von etwa 440 v. u. Z. die Einfachheit dem
tum und die Erhabenheit dem niederen Geschmack opferte.
Virtuosen-
Das wurde mehr als fünfhundert Jahre spáter geschrieben. Und dennoch wissen
wir nicht, ob Plutarchs Urteil gerecht war und aus eigener Anschauung gefällt wurde, oder aber nur eine Wiederholung zeitgenóssischer Ansichten darstellt und die allgemeine Abgeneigtheit widerspiegelt, ‚moderner‘ Kunst Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Musikgeschichte ist diesen Mánnern zu tiefem Dank verpflichtet, denn sie haben 182
der Nachwelt
eine Fülle musikalischer
Fakten
übermittelt,
die in ihrer
Anhäufung die groben ken Lebens in der sich
einzigartig sind. Ganz anders als orientalische Autoren haben sie uns Umrisse einer Entwicklung während der fünfzehnhundert Jahre antiaufgezeigt. Ihnen zufolge unterscheiden wir eine vorhistorische Periode, die Gesänge der griechischen Stämme und ihrer asiatischen, thrazischen
und kretischen Nachbarn miteinander vermischten, eine klassische Periode natio-
naler griechischer Musik, die mit dem Lesbier Terpander im siebenten Jahrhundert
v. u. Z. einsetzte, und eine nachklassische, ‚moderne‘ Periode von etwa 450 v. u. Z. an, als der Subjektivismus, der für die Zeit vor dem Peloponnesischen Krieg charakteristisch war, zu der revolutionären Kunst des Phrynis von Mytilene und
seines Schülers, Timotheos von Milet, führte. Eine Probe der scharfen Kritik gegen diese Bahnbrecher wurde bereits auf Seite 156 gegeben. Doch die Fragen, die griechische Schriftsteller zur Musik aufwerfen, übertreffen bei weitem die, die sie beantworten. Den größten Kummer macht die Unmöglichkeit, die Tatsachen in eine chronologische Reihenfolge zu bringen. Ob zugegeben oder nicht, die alten Autoren bezogen ihr Wissen und ihre Meinungen aus Quellen, die gegenüber ihrer eigenen Zeit um Generationen und sogar Jahrhunderte zurücklagen, und vermischten sie sorglos mit zeitgenössischen Vorstellungen. Diese unheilvolle Verwirrung von Zeiten, Menschen, Ländern und Stilarten hat auch die Terminologie durcheinander gebracht. Begriffe wie harmonia, eidos,
tonos, tropos, systema waren alles andere als klar umrissen und führen mehr irre,
als daß sie nützen. Infolgedessen ist die Geschichtsschreibung griechischer und römischer Musik in besonderem Maße Mißdeutungen ausgesetzt gewesen. Unglücklicherweise hatte die Monopolstellung und der ungeteilte EinfluB der klassischen Philologie keine völlig zuverlässigen Ergebnisse. Niemand wird über
einen so ehrwürdigen Zweig der Forschung herziehen wollen, aber sie ist als ein
Freibrief zur , Textverbesserung' mißbraucht worden. Jedesmal wenn der Philologe
ein Wort oder einen Satz nicht verstand, hielt er den Text für verderbt und ,be-
richtigte' ihn, bis er, ein Mensch des neunzehnten Jahrhunderts und Vorstand der philharmonischen Gesellschaft seiner Stadt, ihn mit seinem eigenen musikalischen Hintergrund und seiner Erfahrung in Einklang bringen konnte. Die verschiedenen ,kritischen' Ausgaben von Plutarchs Dialog über Musik sollten eine Lehre sein. Plutarchs einwandfreie Feststellung, daß infolge bestimmter mechanischer Vorrichtungen einiger Musiker fáhig waren, zwólf Tonarten auf fünf Saiten zu spielen, wurde von Burette kühn zu sieben Saiten verbessert, von Ulrici zu neun Saiten und von Reinach sogar zu vier Tonarten auf elf Saiten! Nicht alle Philologen einschlieBlich Sprachstudien treibender Musikwissenschaft-
ler waren sich in genügendem Maße bewußt, daß Worte wenig wiegen, wenn man
ihre Bedeutung nicht kennt. Was ist beispielsweise die Bedeutung von im und sub, wenn wir erfahren, daß bei einer Doppelflóte ein Rohr incentiva und das andere succentiva war? Umfangreiche Wörterbücher lassen eine verwirrende An-
zahl
von
Übersetzungsmóglichkeiten
für
diese
beiden
Präpositionen
zu,
und
hier die richtige herauszuwáhlen, láuft, wenn man keine Tatsachen zur Hand hat, auf bloße Mutmaßung hinaus. Die einzigen uns vorliegenden Tatsachen sind Parallelen außerhalb des antiken Griechenland,
und wir können
noch erweitern:
außerhalb
des nachhellenischen
183
Europas. Die kaum je im frühmittelalterlichen Europa gespielte Doppelflöte der Griechen mit einem incentiva- und einem succentiva-Rohr ist noch immer innerhalb des groDen Raumes zwischen Marokko und dem malaiischen Archipel gebräuchlich.
Bis heute verwenden
die Araber,
Nubier,
Äthiopier und Neger die
Leiern des Altertums. Sollten sie über das Spielen auf diesen Instrumenten nicht besser Bescheid wissen als Europa, das die letzten Überreste der alten Leier vor mehr als tausend Jahren beseitigte? Für pentatonische Melodien mit großen und kleinen Terzen war in der Entwicklung europäischer Musik kein Platz, aber sie existieren noch heute in Japan, China und Indien in der täglichen Praxis. Ist es wirklich statthaft, die zahllosen dunklen Stellen bei griechischen Autoren mit Hilfe von Vorstellungen der modernen europäischen Musik zu erklären? Oder ist es nicht logischer und vielversprechender, sich dort Informationen zu holen, wo die Tradition noch lebendig ist? Während fanatische Philologen, die sich eher durch ihre Unkenntnis als durch ihre Leistungen auszeichnen, keinesfalls die ,,reine Musik ihrer Schützlinge mit
den gräBlichen MiBklängen ,, Wilder" vermengen wollten, waren sich moderne Philologen darin einig, daB die Hauptzüge griechischer Musik falsch interpretiert worden
sind.
Inzwischen
haben
moderne
Musikhistoriker,
die durch
die Ver-
gleichende Musikwissenschaft gelernt haben, die Gefahren einer Übertragung moderner Ideen auf alte und orientalische Musik zu umgehen, die Initiative zu einer revolutionierenden Neuorientierung im vollen Sinne des Wortes ergriffen.!° 19 Vgl. D. B. Monro, The Modes of Ancient Greek Music, Oxford 1894; J. F. Mountford, Greek Music and Its Relation to Modern Times, in: The Journal of Hellenic
Studies XL, London
schrift,
in:
Zeitschrift
1920, 13— 42; Curt Sachs, Dte griechische Instrumentalnotenfür
Musikwissenschaft
VI/6,
1924,
289—301;
ders.,
Die
griechische Gesangsnotenschrift, in: Zeitschrift für Musikwissenschaft VII/1,1924, 1—5; R. P. Winnington-Ingram, Mode in Ancient Greek Music, Cambridge 1936.
Otto J. Gombosi, Tonarten und Stimmungen der antiken Musik, Kopenhagen 1939.
2 Notation Die kritische Haltung des Verfassers dieses Buches leitet sich aus seinen eigenen Auseinandersetzungen mit dem Gewirr einer in der Welt einzig dastehenden
Notation her. Die Griechen verwendeten zwei verschiedene Notationssysteme: ein offensichtlich früheres, das allgemein als die Instrumentalnotation bezeichnet wird, und
eine spätere Vokalnotation. Wir verstehen sie beide und sind durchaus in der Lage, sie in die heutige moderne Notation zu übertragen. Allerdings sind ihre absoluten Tonhöhen notwendigerweise unbekannt, und wenn es bei uns üblich ist, den Zentralton a zu nennen, so geschieht das aus Konvention, wenn nicht gar willkürlich. Er mag etwas hoch gegriffen sein, da so der Umfang aller überlieferten Stücke zwischen A’ und es anzusetzen ist. Auf der anderen Seite ist er zweckmäßig, da er uns gestattet, die alten Melodien mit so wenig wie möglich Erhöhungs- oder Erniedrigungszeichen zu übertragen.
Diese internationale Übereinstimmung wurde unglücklicherweise gefährdet,
als Hugo Riemann Anfang unseres Jahrhunderts die Folgerichtigkeit des griechischen Systems zerstörte. Er setzte die Vokalnotation (die fast ausschließlich in dem
uns
Erhaltengebliebenen
herrscht)
herab,
weil, wie
er sagte,
die frühere
Interpretation das Hypolydische begünstigte und das Dorische benachteiligte, das (angeblich) zu allen Zeiten die Hauptskala der Griechen war. Und die deutsche Schule trug keine Bedenken, sich dem anzuschließen. Die Konsequenzen waren
katastrophal. Während die alte Interpretation die Übertragung der Überreste
griechischer Musik ohne irgendeine Bezeichnung oder höchstens mit einem Kreuz oder b (Seikilos’ Skolion: zwei Kreuze) gestattet hatte, belud die neudeutsche Veränderung sie mit vier bis sieben Kreuzen. Inzwischen konnte ich nachprüfen, daß Riemanns Schluß in allen Punkten falsch war.!! So lassen wir seine und seiner Anhänger hochtrabende Tonarten beiseite und bleiben bei den alten einfachen. Die Instrumentalnotation wurde für die mesaulikd, die Zwischenspiele für Holzblasinstrumente zwischen vokalen Abschnitten, und für die krotmata, die Stücke
für Saiteninstrumente ohne Gesang, gebraucht.!* Sie bestand aus Buchstaben,
11 Curt Sachs, Die griechische Instrumentalnotenschrift, a. a. O. 13 Aristides Quintilianus, Per! mousikés, übersetzt von R. Schäfke: Aristeides Quintilianus, Von der Musik, Berlin 1937, 1971.
185
die älteren Alphabeten angehörten, unterschied sich aber von jeder bekannten Buchstabennotation. Den Tönen H und E wurden je zwei Zeichen zugeordnet; alle anderen Töne der diatonischen Skala besaßen drei Zeichen, oder besser einen in drei Positionen geschriebenen Buchstaben: aufrecht, umgelegt und gewendet. Die aufrechten Buchstaben bezeichneten die diatonischen Grundtöne (die unseren weißen Tasten entsprechen), und die umgelegten und gewendeten Zeichen bedeuteten Erhöhungen.
J
LIT
LI—r-—TI-—
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ZNe
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GR
POSER
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s
1
E.G
2.
88.
7
ad
1
usw
Einige nicht-ugro-finnische Völker verdienen ebenfalls besondere Erwähnung.
Die Kirgisen, deren Heimat sich über ganz Asien bis an die Grenzen Chinas erstreckt, besitzen eine überraschende
Anzahl von Melodien in Dur mit allen er-
forderlichen Charakteristika einschließlich des Leittons. Es ist noch nicht möglich, eine umfassende Übersicht über Terzstrukturen und Dur-Moll-Formen außerhalb Europas zu geben. Viele tausend Quadratmeilen sind
279
noch nicht musikalisch erforscht. Aber es ist wichtig, daß man in West- und Zentralasien die nächsten Verwandten der europäischen Terzen gefunden und damit auch auf ein mögliches Bindeglied zwischen Europa und den ältesten asiatischen Wohnsitzen der nordamerikanischen Indianer, die mit Europa die Terz und die Terzenketten als Strukturelemente teilen, hingewiesen hat. Dur im weiteren Sinne hing jedoch nicht notwendigerweise von Terzstrukturen ab. Die pentatonische sogenannte chinesische Skala CDE GA hatte zwei bians, Fis und Z, die eigentlich doppelte Leittóne im Sinne der — zweitausend Jahre jüngeren — europäischen Musik im vierzehnten Jahrhundert darstellten. Und im sechsten Jahrhundert u. Z. wurde eine richtige Dur-Skala ohne den Tritonus C-Fis sehr bewundert und in gewissem Maße verwendet. Obwohl sie keineswegs allgemein akzeptiert wurde, stellte sie doch die letzte Entwicklung in China dar. Von den drei indischen grämas hat sich nur der Sa-gräma erhalten, der sich von einem ursprünglichen D-Modus in einen C-Modus verwandelte und praktisch mit der Dur-Skala übereinstimmt. Im alten Griechenland wurde der im frühen Altertum hervorstechende dorische Modus in späterer Zeit vom lydischen Modus abgelöst, der in seiner Skalenordnung mit Dur übereinstimmte. Ein ähnlicher Vorgang spielt sich im modernen Marokko ab. Der tritonische magäm Sikah, der eine H-Skala ohne Vorzeichen verwendet, erhält immer häufiger eine reine Quinte durch Erhöhung des Tones F, und der F-magäm Maya, der ebenso durch den Tritonus charakterisiert wird, ist durch die immer stárker verbreitete Erniedrigung seiner vorgegebenen Quarte H in seiner Entwicklung zu F-Dur recht vorgeschritten. Die allgemeine Entwicklung zu dur- und mollähnlichen Melodien von so andersartigen Anordnungen wie ostasiatischer Pentatonik, indo-islamischen und griechisch-rómischen Modi und europàischen und ugro-finnischen Terzen weist darauf hin, daß hier eine innere Kraft wirksam sein könnte, eine Kraft, die eher
die ganze Menschheit umfaßt als nur eine Rasse oder ein Gebiet. Die Entwicklung hat nichts mit Gesinnung zu tun. Jener Missionar, der einmal schrieb, daß afrikanische Neger keine Gesänge in Dur besäßen, da nur die an den wahren Gott Glaubenden mit Frohsinn gesegnet wären, hat es sicher gut gemeint, aber er erklärte damit eigentlich nichts. Die Erklärung liegt woanders. Die meisten höheren Kulturen tendierten in all ihren Kunstgattungen dahin, sich von einem bloßen Nebeneinanderbestehen einzelner Teile zu einer wirklichen Integration, bei der die Elemente organisch aufeinander und auf das Ganze bezogen sind, zu entwickeln. Dieses Streben hat zu der hochentwickelten Ausgewogenheit geführt, die die Griechen in dem Dualismus von thetischen und dynamischen Zentren und die Hindus in der komplizierten Verwandtschaft von Anfangs-
und
Endtönen,
Tonikas,
Dominanten
und
‚vorherrschenden‘
Tönen,
durch die ihre rägas gekennzeichnet sind, erreichten. In Systemen, die auf der Terz und der Quinte beruhen, besteht die klassische Stufe der Integration und der vollkommenen Ausgewogenheit zwischen statischen und dynamischen Kräften in 280
der Dur-Moll-Tonalitát mit ihrer Dominantfunktion und der Wichtigkeit der Tonika, zu der der Leitton unumgänglich führt. Der Gegensatz zwischen den tetrachordalen Gerüsten der Hindus und Griechen einerseits und den Terz-Quint-Gerüsten Europas andererseits ist im Grunde der Konflikt zwischen vokalen und instrumentalen Stilen. Ein wirklicher Vokalstil entsteht dort, wo Gemütsbewegung in Singen übergeht, wo Freude und Niedergeschlagenheit, Hoffnung und Sehnsucht in Melodie ausbrechen. Eine solche Melo-
die wird meistens aus absteigenden Quarten gebildet. Der Sänger beginnt unter
einem unwiderstehlichen Zwang in hóchster Stimmlage und steigt abwárts, sowie seine Stimmbánder ermüden.
Die Spieler verhalten sich anders. Die Instrumentalleiter wird durch Öffnen der
Grifflócher Loch für Loch oder durch Niederdrücken einer Saite Bund für Bund erzeugt. Sie ist aufsteigend und in Quinten und Terzen, ja auch in Septimen organisiert. Es ist gewiß nicht zufällig, daß solche Ketten in jenen wenigen urtümlichen Kulturen vorkommen, wo Instrumente eine normative Bedeutung haben. Es liegen ausgezeichnete Beispiele von den Salomonen (Stücke für Panpfeifen) vor, und auch die folgende (pentatonische, terzlose) Komposition für drei große Mundorgeln aus Laos kann das veranschaulichen: Beispiel 102: Laos (nach Humbert-Lavergne) |
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Die Theorien der chinesischen und indischen Musik bestätigen den Gegensatz der Richtung, indem sie absteigende Skalen für Gesang und aufsteigende Skalen
für Instrumente nebeneinanderstellen. Jedoch hat sich die Instrumentalmusik in
allen orientalischen Kulturen regelmäßig durchgesetzt, und da Systeme überdies für Instrumentalmusik mit ihrem unumgänglichen Interesse an richtiger Stimmung viel wichtiger als für die relativ freizügige Vokalmusik sind, haben die
Instrumentalskalen das Übergewicht über Vokalskalen gewonnen.
Dieser Prozeß hat sich in Ländern, in denen Gemütsbewegung selten in Singen übergeht, in kürzerer Zeit abgewickelt. Natürlich singt man dort auch, aber die Melodien sind wortgezeugt und übermitteln entweder bloß die Dichtwerke oder intensivieren sie nur. So schön sie auch sein mögen, sie sind grundsätzlich von den Melodien verschieden, die rein vokalen Impulsen nachgehen. Diese Unzulänglichkeit — vom Standpunkt des Sängers aus gesehen — bedeutet größere Unabhängigkeit von vokalen Gesetzen und weniger Widerstand gegen281
über der normativen Kraft der Instrumentalmusik. Infolgedessen erscheinen fast nie die physiologisch bedingte Quarte und das Abwärtsstreben. Mit Ausnahme des Mittelmeergebietes ist Europa ein typisches Nichtsingerland
gewesen. Tausendfache Beweise bestätigen die Vorherrschaft seiner Instrumente. Die alten Texte Skandinaviens erwähnen sie nie als Quellen einer bloßen Begleitung. Singen und Spielen bestand nebeneinander. Von jedem wohlerzogenen Angelsachsen erwartete man, daß er eine Hearp besaß und spielen konnte. Das Instrument war nach einem uneingeschränkten Besitzrecht sein eigen, und nicht einmal ein Gläubiger durfte es beschlagnahmen. Alle wunderbaren Wirkungen, die zum Beispiel in Indien dem Singen gewisser rägas zugeschrieben wurden, gingen im Norden von Instrumenten aus. Eine irische Legende berichtet uns, daß Piraten den Cruzt des Druiden Daghda gestohlen hatten. Daghda stóberte sie auf, sah das Instrument an der Mauer aufgehängt und rief es zurück. Es gehorchte mit solcher Kraft, daß es neun Leute tötete, ehe es seinen rechtmäßigen Besitzer erreichte. Darauf nahm Daghda es in die Hand und spielte drei Melodien. Bei der ersten fingen die Frauen an zu weinen, als er die zweite spielte, brachen Männer und Frauen in Gelächter aus, doch das letzte Stück lullte sie allesamt in Schlaf, und
sicher stahl er sich von dannen. Die neuere
Geschichte
der europäischen
Musik
bestätigt
die ihr eigene
und
niemals preisgegebene Bevorzugung der Instrumente. Der Höhepunkt dieser Bevorzugung ist in der Entwicklung eines allherrschenden Orchesters seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts und in der Rolle dieses Orchesters in der so ganz unorientalischen und antivokalischen Oper zu sehen, in der oft sechzig oder achtzig Instrumente die Singstimme übertónen. Das Singen nahm dagegen eine geringere Stellung ein. Es ist in der Hauptsache Tráger der Worte gewesen, und sowie melismatisches Ausstrómen vorkam — etwa im gregorianischen Alleluja und in den Organa — hat die natürliche Reaktion sie rasch zu syllabischen Melodien mit neuen Texten verdichtet. Singen im engeren Sinne als eigenstándige Kunst ist immer vom Mittelmeergebiet her gekommen. Frisia non cantat, sagt ein Sprichwort, und Friedrich II. nahm seine unduldsame Bemerkung. daß er eine wiehernde Stute einem deutschen Sänger vorziehe, nur insofern zurück, als er einráumte, daß Fräulein Schmeling ‚wie eine Italienerin“ sánge.
Das Urteil des Kónigs erinnert uns zu sehr an das alte rómische Urteil über germanisches und fränkisches Singen, als daß wir den unaufhórlichen Gegensatz zwischen dem spielenden Norden und dem singenden Süden übersehen kónnten. Der Unterschied zwischen Vokal- und Instrumentalstilen mag wohl entscheidend zu dem grundlegenden Unterschied zwischen melodischen und harmonischen Auffassungen beigetragen haben. Eine Prüfung der Musik des alten Griechenland und des Orient zeigt sehr deutlich, daB das dringende Bedürfnis nach Harmonie sich
leichter auf instrumentaler als auf vokaler Grundlage entwickelt. Überall, in China, Japan, Indien, im Mittleren Osten und in Hellas treten Versuche zu Akkord282
bildungen in Verbindung mit Instrumenten auf, und zwar sowohl in der Gesangs-
begleitung als auch in reiner Instrumentalmusik. Parallelgesang in verschiedenen
Intervallen scheint eine Ausnahme darzustellen. Tatsächlich bestätigt das die Regel, da Parallelgesang nie beim Vortrag von vollentwickelten, wirklichen Vokalmelodien gefunden wurde. Die herrlichen rägas der Hindus ebenso wie die magämät des Mittleren Ostens sind in ihren feinfühligen und ungebundenen melodischen Linien von Leben durchflutet und vertragen sich mit der Harmonie ebenso wenig wie eine reine Gravierarbeit mit der Farbe. Und ebenso wie umgekehrt gutes Malen unvereinbar mit eigenständigem Zeichnen ist, ordnet die Mehrstimmigkeit die Melodielinie ihren harmonischen Erfordernissen unter. In Europa, das kein eigenständiges Singen im Sinne indischer oder arabischer Melodik kannte, waren die Chancen für die Entwicklung der Harmonie gut. Die Voraussetzungen waren der Situation im Fernen Östen ähnlich. Auch dort war die Melodie nur Übertragungsmittel für Worte und wurde niemals autonom. Dafür trat die Instrumentalmusik in den Vordergrund und führte genauso wie in Europa zu farbenprächtigen Orchestern, die niemals einstimmig spielten. Dennoch gibt es sicher mehr als nur einen Grund, warum der Ferne Osten im
Gegensatz zu Europa keine wirkliche Harmonie und auch keinen Kontrapunkt entwickelte. Da wáre der wesentliche Unterschied ihrer musikalischen Tongeschlechter zu nennen. Der statische Charakter der fernóstlichen Pentatonik ist vóllig antiharmonisch, obwohl sie die Konsonanz begünstigt. In Europa dagegen ist die Harmonie in den Dreiklängen seiner Ketten latent vorhanden, und die kontrastierenden Dreiklànge seiner verschránkten Doppelketten nehmen das funktionale Schwanken, auf dem die eigentliche Harmonie beruht, vorweg. Die letztendliche Entwicklung von Dur und Moll mit ihrer Ausgewogenheit von statischen und dynamischen Momenten fórderte dieses Schwanken, ja, sie machte
es geradezu unvermeidbar. Sogar in Europa stehen Singen und Harmonie zueinander in gegensátzlichem Verhältnis. Das instrumentale Zentrum des Kontinents hat die Harmonie bis zu hóchster, sinnvoller Verflechtung entwickelt, der singende Süden weist ihr eine untergeordnete Rolle zu und beschränkt sie auf äußerste Einfachheit. Das ist sicher nicht die ganze Wahrheit. Die tief unter der musikalischen Oberfläche wirksamen geheimen Kräfte sind noch in Dunkel gehüllt. Doch es wird mehr
als ein Zufall sein, daß sich die europäischen Maler zu genau derselben Zeit, als
Europa zur dritten Dimension in der Musik, die durch die Harmonie dargestellt wird, gelangte, die dritte Dimension im Raum mit Hilfe der Perspektive erschlossen.
Ich will europäische Polyphonie und Harmonie in ihren früheren Phasen nicht beschreiben oder erörtern. Eine umfangreiche Monographie wurde von Dr. Marius Schneider über dieses Thema veröffentlicht, und jede nochmalige Besprechung würde die Ausgewogenheit dieses Buches gefährden * Marius Schneider, Geschichte der Mehrstimmigkeit,
2 Bde., Berlin 1934— 1935.
283
Statt dessen beenden wir unser Kapitel mit einer kurzen Erörterung des europäischen Rhythmus. Das Problem ist schwierig. Weder die Neumen noch die Choralnotation des Mittelalters geben Zeitwerte an, und sogar die Mensuralnotation des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts ist keineswegs völlig klar. Auch der Volksgesang ist rhythmisch nicht zuverlässig. Die Entwicklung der Sprache und auch der Stilwandel der ‚offiziellen‘ Musik muß bis zu einem gewissen Grad Takt und Metrum beeinflußt haben. Dennoch können einige allgemeine Schlußfolgerungen durch andere Mittel erzielt werden. Im Altertum besaß der Kontinent keine Trommeln (ausgenommen den gelegentlichen Gebrauch semitischer Rahmentrommeln in Griechenland und im Römischen Reich). Die mittelalterlichen, aus dem westlichen Orient eingeführten
Irommeln wurden ausschließlich mit Stöcken, nie aber mit bloßen Händen geschlagen. Wo das so ist, besteht das Trommeln aus bloBem Taktschlagen ohne irgendwelche Anlehnung an metrische Formen. Das gilt für die heutige Praxis in Europa und im Fernen Osten; aber auch Toinot Arbeaus Abhandlung über den Tanz (Orchésographie, 1588), das älteste Buch, in dem Trommelschläge aufgezeichnet sind, zeigt nicht die geringste Spur von einer metrischen Auffassung,
wenn man absieht von den einfachen Daktylen, in die ein Trommler seine Viertelnoten gern unterteilt. Das Metrum als solches besteht im Gegensatz von betonten und unbetonten
Silben.
Keine europäische Sprache jedoch, einschließlich des Spätlateinischen,
besaß das ‚quantitative Metrum‘, das auf dem Gegensatz von langen und kurzen
Silben beruht.
|
Die anti-quantitative Disposition der europäischen Musik trat besonders sinnfällig in Erscheinung, als humanistische Kreise des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts Versuche — nur Versuche — in metrischer Schreibweise unternahmen. Die hervorragendsten Beispiele, das deutsche Meloporae ... secundum naturam et tempora syllabarum et pedum (Augsburg 1507), ein Werk der gelehrten Gesellschaft um Conrad Celtes, und die französischen Pseaumes en vers mezvrez,
ein posthumes Werk von Claude le Jeune, das durch Baifs Académie de Poésie et de Musique angeregt wurde, zeigen, wie künstlich, ja uneuropäisch diese Experimente waren. Man könnte einwenden, daß das Mittelalter eigens metrische Mod: einführte, um den musikalischen Rhythmus zu regeln. Sie wurden zuerst in der Abhandlung Discantus positio vulgaris (etwa 1230—40) beschrieben, und erscheinen als sechs Metren: Das erste ist der Trochäus (lang-kurz), das zweite der Jambus (kurzlang), das dritte der Daktylus (lang-kurz-kurz), das vierte der Anapäst (kurzkurz-lang). Ein fünfter Modus zog alle kurzen Werte zu Längen zusammen, und ein sechster Modus löste alle langen Werte in kurze auf. Es besteht kein Zweifel, daß es sich hier um
Metrum
wirkliche poetisch-musikalische Metrum in Indien und feststellen müssen, daß die Mod: hiervon irgendwie das allgemein-metrische Merkmal zu beachten, daß ausmachen, verhalten sie sich geradezu antimetrisch. die Form drei plus einen plus zwei und der Anapást 284
handelt. Aber wer das
Griechenland kennt, wird verschieden sind. Statt zwei Breves eine Longa Der Daktylus verwendet einen plus zwei plus drei
Schläge. Die lange Silbe ist also keineswegs zweimal so lang wie die kurze, wo-
gegen es zwei verschieden kurze gibt, von denen die eine zweimal so lang wie die
andere ist. Diese Verwirrung war eine Folge der Tendenz im dreizehnten Jahrhundert, der polyphonen Kirchenmusik dreizeitige Rhythmen aufzudrängen. Der Dreiertakt aber stand im Widerspruch zur offensichtlichen Zweizeitigkeit der Daktylen und Anapäste und bedurfte einer besonderen Umformung. So stellten die Modi offenbar ein Mittel dar, die wichtigsten Metren der Dichtung einem antimetrischen Prinzip anzupassen. | Moderne Musikhistoriker haben die Verbindlichkeit dieser Mod: unangemessen übertrieben und sie auf praktisch alle weltlichen Kompositionen (die im Mittelalter in Choralnotation ohne Zeitwerte niedergeschrieben wurden) ausgedehnt, ganz gleich, ob die Melodien im vierzehnten oder im zehnten Jahrhundert — also dreihundert Jahre bevor die Mod: überhaupt erst aufkamen — komponiert worden waren, oder ob sie aus deren vermutlichem Heimatland Frankreich oder dem ab-
gelegenen Dänemark stammten. Ohne jeden Unterschied wurden die lebendigsten und ausdrucksvollsten Melodien in einem langweiligen, kraftlosen Dreiertakt übertragen. Das bedeutet nicht nur eine Negierung des gesunden Menschenverstandes und
der wissenschaftlichen Methode, sondern gleichzeitig auch eine unbesonnene Ver-
nachlässigung der einzig vorhandenen zeitgenössischen Quelle. Denn wir besitzen die unmißverständliche Feststellung des um 1300 lebenden hervorragenden Theoretikers Johannes de Grocheo, daB musica mensurata ausschließlich die drei polyphonen Formen Motette, Organum und Hoquetus, aber weder den Gregorianischen Gesang noch irgendwelche einstimmige weltliche Musik umfaBte. Glücklicherweise hat eine gewisse Reaktion gegen den Dreiertaktfanatismus eingesetzt. Würde aber Zweizeitigkeit zutreffen? In Grocheos langer Abhandlung findet sich nicht eine einzige Anspielung auf Zwei- oder Dreizeitigkeit, keine Erwähnung von Taktschlagen, kein Hinweis auf Akzente. Die einzige erhellende Textstelle ist eine Erörterung darüber, ob nicht-modale Musik, selbst dann, wenn sie totaliter
ad libitum gesungen wurde, als unmeßbar oder als nicht so präzise meDbar beschrieben werden sollte. Einerlei, wie genau wir den Begriff mensura auch übersetzen, es besteht kaum ein
Zweifel,
daß
der
mittelalterliche
Musiker
bei
seinen
weltlichen
Melodien
rhythmisch freie Hand hatte. Der Rhythmus war genau wie die Begleitung von untergeordneter Bedeutung. Ein als Marschtanz gespieltes Stück setzte gewóhnlich Zweiertakt und als schneller Springtanz Dreiertakt voraus. Der von den Forderungen der Tánzer unabhángige Sánger solcher Melodien war nicht mehr an einer bestándigen Taktformel interessiert als der Sánger von gregorianischen Melodien. Solche Freizügigkeit nur und nichts sonst würde auch die merkwürdige Tatsache erklären, daß die Komponisten alle einstimmige Musik mit den unbestimmten Zeichen der Choralnotation aufzeichneten, obwohl sie in der Mensuralnotation
über ein vollkommenes Mittel verfügten, den Takt im allgemeinen so gut wie die Länge jedes einzelnen Tones auszudrücken. 285
Der Grund, weshalb wir erst so spät die Hauptzüge der Vergangenheit verstehen lernen, liegt wiederum in unserer Erziehung mit Klavier und Notenpapier. Um zu wiederholen: Wir haben bislang versucht, in Taktstriche und Notenlinien hineinzuzwängen, was ohne Klaviatur und Federhalter geschaffen worden war. Und so schließt das letzte Kapitel dieses Buches so, wie der erste Abschnitt begonnen hat: mit der Feststellung, daß die Musik als Ganzes in ihrem überwáltigenden Reichtum und ihrer Unendlichkeit unzugánglich ist, solange wir uns nicht aus den Fesseln unserer eigenen beschränkten Erziehung befreien.
Nachwort
Dieser erste Versuch zu einer musikalischen Altertumskunde enthüllte ein buntes Bild von Beständigkeit und Veränderung. In China und Indien scheinen Veränderungen seit dem Altertum belanglos gewesen zu sein. Auf der anderen Seite haben wir japanische Skalen in Java, in Ägypten und in Griechenland, griechische Theorie
in arabischen
Ländern
und
im
mittelalterlichen
Europa,
indische
Vor-
stellungen in Ägypten und Marokko gefunden. Musikalische Landschaften zeichnen sich mit hinreichender Deutlichkeit ab: das fernöstliche und das indische Gebiet, die sich in Südostasien überschneiden; der westliche Orient ; Griechenland.
Aber sie alle, Griechenland eingeschlossen, gehören zum ausgedehnten orientalischen Gemeinwesen, in dem die Musik fest auf einer hochentwickelten Melodiebildung, auf verbundenen oder unverbundenen Tetrachorden und Pentachorden, auf modalen Versetzungen und auf kosmologischen Zuordnungen aufgebaut war. Im Gegensatz hierzu besaß Europa außerhalb des Mittelmeergebietes keine Verbindung zu den verfeinerten musikalischen Stilen des Ostens. Bis weit in das
Mittelalter hinein gehörte es zu einer urtümlichen musikalischen Schicht, die wir
bis zu den nördlichen Teilen Asiens und Amerikas und im Süden bis nach Melanesien und Afrika verfolgen können. Die europäischen Terzenketten lenkten unsere westliche Musik in andere Bahnen als die der quartbestimmten Musik des Ostens. Sie hemmten die Entfaltung wirklicher Melodie im orientalischen Sinne und führten statt dessen zur typisch westlichen Melodie, die im wesentlichen eine aufgelöste und mit Durchgangstönen wieder zusammengekittete Harmonie darstellte. Sie nahmen die Gestalt von Dur und Moll an und fanden schließlich den Weg zu gleichzeitiger Harmonie und daraus folgend zu gleichschwebender Temperatur. Der globale Zug der westlichen Kultur hat vor der Musik nicht Halt gemacht. Europäische und amerikanische Kompositionen sind in großem Umfange exportiert worden. An der Kaiserlichen Musikakademie in Tokio wird Beethoven und Chopin gelehrt, ägyptische Colleges besitzen Jazzbands, und in der Türkei, in China und in Japan ist neuerdings sogar die einheimische Musik von Europa beeinflußt worden. Aber auch der Westen stellt die Verbindlichkeit seines jüngsten Erbes in Frage. Die regelmäßige Spannung und Entspannung in harmonischen Funktionen ist aufgegeben worden, Konsonanz und Dissonanz sind nicht mehr das, was sie eine Generation zuvor darstellten, und die meisten Regeln der Harmonielehre sind auf dem Müll gelandet. Diese Umwälzung beinhaltet eine Erneuerung unserer musikalischen Sprache, die nach den Erfordernissen der Harmonie geformt worden ist. 287
Manche Komponisten schreiben Solostücke ohne irgendeine Begleitung, andere,
die des ewigen eins-zwei-drei-vier, das wir für Rhythmus halten, überdrüssig sind,
entwickeln ein neues Periodizitätsgefühl. Ja, man lehnt sich gegen die Beschränkung auf zwölf Halbtöne und die antimusikalische Starrheit unserer gleichschwebenden Temperatur auf. Einige Komponisten haben versucht, in Vierteltönen zu schreiben und die Möglichkeiten der Verwendung anderer Mikrotöne in Betracht zu ziehen. Dabei nehmen sie meistens die orientalische Musik als Präzedenzfall. Das ist ungerechtfertigt, denn der Osten hat niemals solche Skalen besessen und ist für diese Versuche nicht mehr verantwortlich zu machen als man die griechische Tragödie für ihre angeblichen Sprößlinge, die Oper der Florentiner Camerata und Richard Wagners Mustkdrama, verantwortlich machen kann. Immerhin ist dieses Eingeständnis eines der vielen Symptome dafür, daß die Bahn der abendländischen Musik den der orientalischen Musik fernsten Punkt durchlaufen hat und sich in ihrem zyklischen Lauf wieder Regionen nähert, die wir auf immer verlassen zu haben wähnten. Unsere Musiker, die sich von der Illusion
eines ewigen Fortschritts freigemacht haben, fangen an einzusehen, daß sie selbst wieder an dem unaufhörlichen Kampf um Melodie und Rhythmus, den ihre Vorfahren um die Entwicklung und den Aufstieg der Musik in Asien und Europa, im Osten und Westen ausfochten, beteiligt sind.
Abbildung ı. Ägyptische Musikantinnen mit Doppeloboe, Laute und Harfe. Wandmalerei aus dem Grab des Nacht bei Theben, 15. Jahrhundert v. u. Z. (nach Davies)
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Abbildung 3. Flótist, (nach Blackman)
Harfenist
und
Sänger,
Ägypten.
Relief
aus
einem
Grab
der Zwölften
Dynastie,
2000— 1800
15
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v. u. Z.
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Abbildung 4. Mitglieder des Hoforchesters von Elam mit Harfen, Doppeloboen und einer Trommel. Relief im Britischen Museum, um 650 v. u. Z. (nach Sachs)
Abbildung 5. Chinesisches Frauenorchester, das vor dem Kaiser Ming Huang (713 bis 756 u. Z.) spielt. Von einer Seidenrolle in Dr. Ottos Sammlung, Kanton (nach Heinz Trefzger). — Die anführende Dame handhabt eine Klapper, und hinter den anderen schlägt ein Mädchen eine große Trommel. Alle anderen Instrumente, Harfen, Langzithern, Lauten, Querflöten, Oboen, Mundorgeln, Metallophone und Sanduhrtrommeln, werden paarweise gespielt.
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Abbildung
6. Koreanisches
Orchester
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(nach Sachs).
Glockenspiele in ihren aufrechten Gestellen.
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beachte
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und
Abbildung 7. Burmesisches Orchester (nach Sachs). — Vorne Gongspiel, Trommelspiel und FaBtrommel, im Hintergrund Oboen, Zimbeln und eine Klapper
Abbildung Tempel
8. Indische
in Bharhut,
um
Abbildung 9. Indische
Tänzerinnen, 200
Trommler
v. u. Z. (nach
Tänzerin und
und
Claudie
Harfenisten.
Relief
aus
dem
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Musikan-
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tinnen mit Trommeln, Querflöte, Laute und Harfe. Relief aus Pawaya, erste Jahrhunderte u. Z. (nach Coomaraswamy)
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Abbildung 10. Das Skolion des Seikilos. Von einer Grabstelle zu Tralles in Kleinasien, um 100 v. u. Z. — Das Skolion beginnt auf der sechsten Zeile. Die über die entsprechenden Textsilben gesetzten Noten stammen aus dem geläufigen Alphabet und gehóren zur sogenannten Vokalnotation. Die Striche über einigen dieser Noten sind rhythmische Zeichen.
Nachwort zur deutschen Fassung
Durch die vorliegende Übersetzung wird einem breiteren Leserkreis in Deutsch-
land eines der großen zusammenfassenden Werke aus der Feder des 1959 in New York verstorbenen deutschen Musikwissenschaftlers Curt Sachs zugänglich ge-
macht. Es ist der Versuch, eine infolge der faschistischen Herrschaft entstandene Lücke in der musikwissenschaftlichen Literatur zu schließen. Gleich anderen bedeutenden Geistesschaffenden war Curt Sachs 1933 gezwungen, die Heimat zu verlassen. Auf diese Weise blieb ein großer Teil seiner Arbeiten, in denen er vor allem allgemeine Prinzipien und Züge der Musik oder einzelner ihrer Bereiche, ihrer weltweiten Zusammenhänge und Entwicklungen darzustellen versucht, in Deutschland weitgehend unbekannt. Das ist ein groBer Verlust. Denn gerade der hervorragenden Fähigkeit Curt Sachs’ zu Verallgemeinerungen, Zusammenfassungen, zum Zeichnen von großen Linien hätte das deutsche Musikleben bedurft. Seit Jahrzehnten ist kaum eine nennenswerte Darstellung zur Weltmusikgeschichte erschienen. Daher ist es bei allen Einwánden, die sich aus neuen Forschungen ergeben und auch zu Grundgedanken der Darstellungen Sachs' erhoben werden kónnen, noch heute von Gewinn, seine Emigrationswerke nachzuliefern. Die Initiative, Versáumtes nachzuholen und das 1943 in New York erschienene
Buch ‚The Rise of Music 1n the Ancient World‘ ins Deutsche zu übertragen, ging
von E. Stockmann aus. Ihm ist es zu danken, daß noch zu Lebzeiten des Autors das
Projekt fixiert wurde, dessen Ergebnis heute vorgelegt werden kann. Bei der Herstellung der deutschen Ausgabe des Sachsschen Werkes war es viel-
fach unumgánglich, Rat und Hilfe zu verschiedenen Problemen von Fachkollegen
und Vertretern anderer Fachgebiete einzuholen. Ihr freundliches Entgegenkommen hat wesentlich zum Gelingen der Arbeit der Herausgeber beigetragen, die allen Beteiligten für diese Unterstützung herzlichen Dank abstatten. Curt Sachs (1881—1959) gehört zu den großen Gelehrtenpersönlichkeiten der deutschen Musikwissenschaft. Seine Universalität, die in ihm verwirklichte Einheit von Lehre und Forschung, sein Verhältnis zur Praxis, zur Entwicklung der Wissenschaft sind im Prinzip vorbildlich. Die breite Grundlage für seine spätere wissenschaftliche Arbeit erwarb sich der in Berlin Geborene durch eine vielseitige Ausbildung und erste Tätigkeit. Er studierte Musik (Klavier, Theorie und Komposition), Musikwissenschaft und Kunstgeschichte, und entschied sich erst relativ spät für ein engeres Gebiet, die Musikwissenschaft, ohne jedoch, wie die Themenstellung verschiedener seiner Arbeiten besonders deutlich macht (es sei hier nur auf ‚The Commonwealth of Art‘ aus dem Jahre 1946 verwiesen), jemals die anderen ihm zugleich zugänglichen Fachgebiete aufzugeben. Sachs hat 19
Sachs, Musik
289
mit seinen Forschungen die Aspekte der traditionellen Musikwissenschaft lich erweitert und vor allem versucht, die Grundzüge der Musik als an die liche Gesellschaft gebundenes, komplexes Phänomen herauszuarbeiten. war Musik mehr als nur Technik, er sah in ihr einen wichtigen Teil der
wesentmenschFür ihn mensch-
lichen Natur, ihn interessierten die Geschicke der Musik als höchster Ausdruck menschlicher Individuen, Geschlechter und Nationen,! und er versuchte dem-
gemäß, ihre allseitigen Beziehungen und Quellen aufzuspüren. Das äußert sich sowohl in einzelnen entsprechend angelegten Publikationen, wie etwa dem hier vorgelegten Werk, als auch in der Vielfalt der Themenstellung seiner Publikationen überhaupt. Ihr Rahmen ist weitgespannt. Sachs leistete wichtige Beitráge zur Instrumentenkunde,
zur Musikethnologie,
zur Geschichte
des Tanzes,
zur
Geschichte und Vorgeschichte der artifiziellen Musik in Europa, zur Notationskunde und zu Grundfragen der Musikwissenschaft und Musikerziehung, er verfaDte verschiedene Biographien, untersuchte die stilistischen Beziehungen von Musik und anderen Kunstgattungen, arbeitete an Sammelwerken mit, schrieb Berichte, Besprechungen usw. Dieser ungeheuren Produktivität und Vielseitigkeit des Forschers und Publizisten Sachs, der seinen Schriften durch eine blen-
dende, fantasiereiche, lebendige Darstellungsweise ein anziehendes Äußeres zu geben wußte, trat die erfolgreiche Tätigkeit als Erzieher ebenbürtig zur Seite. Gerühmt als stets aktiver, anregender, geduldiger, ideenreicher Lehrer, hat er eine Vielzahl von Musikwissenschaftlern ausgebildet, die sein Erbe weitertragen. Besondere Beachtung verdient Sachs' Verháltnis zur Praxis und zur Entwicklung der Erkenntnisse in seiner Wissenschaft. Sachs war nicht der Forschertyp, der sich von der AuBenwelt abkapselt. Ihm war es wichtig, bei Wahrung seines wissenschaftlichen Anliegens eine Sprache zu sprechen und Formulierungen zu finden, die auch auferhalb eines engen Kreises von Spezialisten verstanden wurden. Und er verschmáhte es nicht, „durch die Fenster nach draußen auf die Welt“
zu schauen und neue Erkenntnisse aufzugreifen.? Solcher Aufgeschlossenheit ist es wohl zuzuschreiben, daB Sachs in seinen Werken eine gewisse Dynamik, eine Entwicklung seines Standpunktes, seiner Grundgedanken aufzuweisen hat. Sachs
ist bereit gewesen, unter dem Zwang neuer Erkenntnisse alte Anschauungen aufzugeben und neue Wege zu beschreiten. Es wäre hier etwa an die Kulturkreislehre bzw. den Evolutionismus
zu denken,
die in der Konzeption
vieler seiner
Werke eine grofe Rolle spielten, in den spáten aber wesentlich modifiziert, mit anderen Akzenten versehen oder aber auch beiseite gelassen wurden. Bei der Herstellung der deutschen Fassung von ‚The Rise of Music in the Ancient World‘ ließen sich die Herausgeber von dem Prinzip leiten, sie so nahe wie möglich in Sinn und Gestalt dem Original nachzubilden. Da mit dem Hinscheiden des Autors die Möglichkeit einer autorisierten revidierten Fassung genommen war und von ihm selbst nur einige geringfügige Veránderungen und Zufügungen vorlagen, schien diese Form, obwohl die Forschung in den inzwischen verstrichenen Jahrzehnten viele neue Erkenntnisse in Grundfragen wie im Detail ! s. Carleton Sprague Smith, Curt Sachs, in: Acta Musicologica XXXI 3 ebd.
290
1959, 45.
erbracht hat, die geeignetste und einer im übrigen auch sehr aufwendigen Bearbeitung vorzuziehen. Der Leser ist also nicht angehalten, das Buch schlechthin als Offenbarung und kritiklos hinzunehmen. Ungeachtet der in ihm enthaltenen bleibenden musikwissenschaftlichen Kenntnisse und Erkenntnisse, der Fantasie und Brillanz in Konzept und Darstellung, soll es durchaus als historisches Zeugnis für Stand und Leistung eines großen Vertreters der deutschen Musikwissenschaft betrachtet werden. Die Herausgabe beschränkte sich im wesentlichen auf redaktionelle Eingriffe, auf Veränderungen zur Ausmerzung von sachlichen Fehlern und Vermeidung von Mißverständnissen. Ein wesentliches Gewicht wurde auf Kontrolle und Korrektur der Zitate, Auszüge und Quellenangaben gelegt, ein zeitraubendes und, wie zugegeben werden muß, bei der schwierigen Quellenlage nicht immer erfolgreiches Unternehmen. Auch hat Sachs die Quellen oft sehr frei gehandhabt. Dennoch konnten etwa 95% der Referenzen geprüft und viele Flüchtigkeiten und auch Fehler korrigiert werden. Von zusätzlichen Quellenbelegen wurde abgesehen, obwohl sich wiederholt Stellen finden, in denen Sachs
offen auf andere Autoren zurückgreift. In einigen wenigen Fällen zwang die Kontrolle der Zitate, Quellenangaben usw. jedoch zu größeren Eingriffen. So wurde z. B. auf Grund der Kontrolle mehrerer Quellenausgaben die Widersprüchliche Darstellung zu Beginn des neunten Abschnitts in Kapitel VI korrigiert. An einigen Notenbeispielen wurden ebenfalls redaktionelle Veränderungen vorgenommen. Allerdings sind verschiedene Differenzen zwischen Sachsschen Übertragungen und Analysen und neueren Darstellungen, die sich besonders im griechischen Kapitel zeigen, nicht beseitigt worden, da man in ihnen offensichtlich Eigenheiten der Sachsschen Interpretation sehen muß. Bei der Herstellung der deutschen Fassung ergaben sich einige Probleme im terminologischen Bereich. Sachs hat z. B. für verschiedene spezielle Tatbestände neue, oft Anglizismen darstellende Ausdrücke geprägt. Es seien hier nur solche Ausdrücke wie Fifth on top und Fourth on top (Original S. 65), toptail inversions (Original S. 67) give-and-take operations (Original S. 166) und andere erwähnt.
Sicher ist es nicht in allen Fällen gelungen, der Gefahr, daß sie bei der Übertragung
etwas von ihrer Plastik und Prägnanz verlieren, zu entgehen. Auch ergaben sich Schwierigkeiten, adáquate, allgemein zu verwendende Termini für solch vieldeutige Ausdrücke wie beat, pattern usw. zu geben. Es erwies sich als zweckmäßig, je nach dem Zusammenhang unterschiedliche, dafür aber sinnentsprechende Übersetzungen zu wählen. Besonders erwähnt werden muß, daß der von Sachs zur Bezeichnung urgesellschaftlicher, — oder eigentlich allgemeiner und unpräziser — urtümlicher Verhältnisse und Verhaltensweisen verwendete englische Terminus primitive im Deutschen vermieden wurde, obwohl in ihm derselbe Sinngehalt steckt. Da diesem Wort aber im deutschen Sprachgebrauch zugleich eine pejorative Färbung anhaftet, wurde es durch andere Ausdrücke, gewöhnlich durch ,,urtümlich" ersetzt. Es liegt auf der Hand,
daß mit der Wahl eines an-
gemessenen Ausdruckes natürlich nur die terminologische Frage gelöst, nichts aber an der hinter dem Gebrauch des Wortes überhaupt steckenden inhaltlichen Problematik geändert wird. Die heutige Musikwissenschaft kann sich mit einer solchen undifferenzierten Umschreibung einer Vielzahl zwar ähnlicher, aber histo-
19*
291
rısch-konkret doch recht unterschiedlicher Sachverhalte nicht mehr zufrieden
geben.
Zu den redaktionellen Eingriffen gehört auch, daß verschiedentlich Zufügungen vorgenommen worden sind, um heute in Deutschland nicht mehr gebräuchliche Namen von Völkerschaften zu kommentieren. Weiter sind einige Bemerkungen zur Rechtschreibung von Namen und fremden Ausdrücken nötig. Da Sachs eine Vielzahl von Quellen ausgewertet hat, finden sich bei ihm auch deren voneinander abweichende Schreibweisen einzelner Namen und Sachwörter wieder. Um der verwirrenden Mannigfaltigkeit zu begegnen, wurde der Versuch unternommen, die Transkription und auch die Klein- und Großschreibung zu vereinheitlichen. Das ging nicht ohne Schwierigkeiten, und es gibt Grenzfälle. Bei der Transkription der chinesischen Namen und Begriffe wurde nach der neueren chinesischen Transkriptionstabelle verfahren, die arabischen Wörter wurden nach der bei
Brockelmann gegebenen Übertragung vereinheitlicht. Die Schwierigkeiten setzen
bei Zitaten und lokalen bzw. dialektbedingten Unterschieden in der Schreibweise ein. Generell wurden Zitate unverändert gelassen und höchstens die sonstige Schreibweise zur Vermeidung von Inkongruenzen mit dem übrigen Text in Klammern beigegeben. Weiter galt als Regel für fremde Ausdrücke, Eigennamen groß und Begriffe mit Gattungscharakter klein und kursiv zu schreiben. Curt Sachs hat mit seinem Buch versucht, das zu seiner Zeit (Anfang der vierziger Jahre) von der Musikforschung erarbeitete Material über die Kulturen der Alten Welt, von Ostasien bis zum Mittelmeergebiet, in einer großangelegten
Synthese als Entwicklung der Musik im Altertum darzustellen. Das Bild, das er
dabei entwerfen kann, ist sowohl der faktologischen als auch der systematisierenden Leistung nach hochinteressant. Es zeichnen sich eine Vielfalt musikalischer Landschaften, ein ungeahnter Reichtum
an Merkmalen,
Problemen und Unter-
schieden ab. Aber Sachs verfolgt mit seiner groDangelegten Synopsis mehr als nur eine Zusammenfassung zu einer Art Musikgeschichte der Welt bis zum Ausgang des Altertums. Er will die frühgeschichtlichen Stile der Musik deutlicher skizzieren,
die orientalischen
Systeme
in neuen
Zusammenhängen
zeigen,
das
Bild von der Theorie und Praxis in Griechenland neu formen und die Quellen unserer eigenen Musik bloBlegen. Von seinen Arbeiten wie von den bisherigen Konzeptionen der Musikgeschichte her bildet die Musik Griechenlands den Angelpunkt der Darstellung. Ihr ist das weitaus umfangreichste und gewichtigste Kapitel (V) gewidmet. Der Aufstieg der Musik vom Standard der im ersten Kapitel gezeichneten urgesellschaftlichen Erscheinungen führt über die Musik der archaischen Imperien in Ägypten und
im Zweistromland
(II), im Fernen Osten
und in Südostasien (III) und in Indien (IV) schlieBlich nach Griechenland. Es folgen abschbeBend ein kurzes Kapitel über die Verwertung und den Nachhall griechischer Musik — insbesondere der Theorie — im islamischen Bereich (VI) und ein Dutzend Seiten über die besondere Entwicklung im Westen Europas seit dem Ausgang des Altertums (VII). Sachs strebt bewußt einen neuen Ansatzpunkt in seiner Darstellung des Hóhepunktes antiker Musikkultur an. Er versucht die Musik des alten Griechenland organisch mit der des Orients in Verbindung zu setzen, die vielfältigen und doch eng miteinander verwandten Stile des 292
Ostens wie des Westens und ihre gemeinsame Problematik in ihrer engen Wechselbeziehung zu behandeln. Er unterstreicht prinzipiell, daB die Musik Griechenlands in hohem Maße Asien Dank zu zollen hat. In dem Aufschwung der sogenannten Vergleichenden Musikwissenschaft und der damit eingebrachten Kenntnis
besonders auch orientalischer Musikpraxis sieht er neue Möglichkeiten, die früher
durch Unkenntnis dieser Musik falsch interpretierten Quellen zur griechischen
Musik in neuer Weise zu untersuchen. Und nicht nur Griechenland, sondern den
gesamten alten Orient will er in die allgemeine Geschichte der Musik einbezogen wissen. Seine Bemühungen zielen darauf ab, aus dem riesigen inzwischen erarbei-
teten Material Zusammenhänge,
Parallelen, Ähnlichkeiten
zwischen
Völkern
herauszuschälen, die räumlich weit voneinander getrennt lebten und sich doch in „eigentümlicher,
unbewußter
Partnerschaft
zusammenfanden:
Griechen
und
Japaner, Hindus und Araber, Europäer und nordamerikanische Indianer.“ (S. 12).
Es ist ein riesiges Unternehmen, dem sich Sachs zugewendet hat, und es ist, wie man betonen muß, in der heutigen Zeit der durch Isolierung und Verlieren der
Zusammenhänge gefährdeten, stark spezialisierten und verästelten Musikwissenschaft von eminenter Bedeutung. Gerade aber dieser prinzipielle Charakter der Leistung von Sachs machen einige methodologische Bemerkungen nötig, die sowohl für eine Synopsis im Sachsschen Sinne wie auch für Einzeldarstellungen von Belang sind und von der Musikwissenschaft in den seit der Abfassung des Buches vergangenen Jahren erarbeitet wurden. Sie mögen sein Studium anregen und zu neuen Vorstellungen führen.
Sachs ist völlig im Recht, wenn er den Gegenstand der Musikgeschichtsschreibung auf die urgesellschaftlichen und Sklavenhalterformationen ausdehnt und sich davon eine bereicherte Erkenntnis auch der anderen, ‚späteren‘ Kulturen verspricht. Aber nach dem heutigen Wissen kann man es nicht rechtfertigen, den urtümlichen und orientalischen Zweig der Musikwissenschaft nur, wie Sachs es ausdrückt, als ‚das ‚Einleitungskapitel‘ unserer eigenen Musik‘ anzusehen (5. 26). Für Sachs sind bestimmte Stile, Merkmale, Geräte usw., die heute noch wie an-
scheinend schon vor Tausenden von Jahren existieren, vor allem Relikte historisch früher, mit den Vorstufen unserer Musik vergleichbarer Entwicklungsphasen, er sieht, wie das nicht nur aus dem vorliegenden, sondern auch aus anderen Büchern hervorgeht, in den Ergebnissen dieser Zweige der Musikwissenschaft vornehmlich die methodische Möglichkeit, dem Verständnis literarischer, ikonographischer, archäologischer Befunde usw. näherzukommen. Sicher hat die entwickelte Vergleichende Musikwissenschaft, von der Sachs spricht, durch ihr reiches Material
geholfen, unsere Einsicht in die gewaltige Entwicklung der menschlichen Musik-
kultur zu vergrößern, zugleich hat sie uns aber auch in die unendliche Vielfalt dieser Entwicklung Einblick nehmen lassen. Mehr noch: Die musikethnologische Forschung bzw. die Musikalische Völkerkunde als Erbin der alten Vergleichenden Musikwissenschaft ist heute zu dem Ergebnis gekommen, daß die Musikkulturen
anderer Länder und Kontinente, die eine alte Überlieferung besitzen, nur sehr
bedingt als Zeugnisse für eine frühgeschichtliche, ja vorgeschichtliche Epoche zu verwenden sind. Denn selbst bei der scheinbaren Beharrung mancher dieser Traditionen muß nach den Erfahrungen mit einem steten Wandel gerechnet 20
Sachs, Musik
203
werden.
Und
Sachs liefert, ohne daß er das aber in dieser Hinsicht verwertet,
selber schon Belege für diese Erkenntnis, so wenn er auf die Widersprüche in der angeblich festen Tradition der liturgisch gebundenen Musik der Juden hinweist oder aber die vedische Tradition u. a. m. bespricht. Auch die Augenscheinlichkeit ontogenetischer Gesetze, mit der Sachs, der eigentlich wiederholt scharf gegen Plausibilitäten solcher Art zu Felde zieht, spielt, vermag nichts daran zu ändern, daß in der Aufeinanderfolge der einzelnen Kapitel nicht die Epochen einer einzigen geradlinigen Entwicklung zu sehen sind, sondern nur Ausschnitte aus der Geschichte der verschiedenen Musikkulturen der Welt jeweils zu dem Zeitpunkt, als sie Höhepunkte erreichten und einen wesentlichen Teil zur Entwicklung der Musik anderer Völker beitrugen. Die moderne Musikethnologie, die ein Teilgebiet der Musikwissenschaft darstellt und deren Gegenstand in der Untersuchung der verschiedenen Musikkulturen der Welt außer der europäischen artifiziellen Tradition und einiger Grenzerscheinungen in der Vielfalt ihrer Schichtungen und Entwicklungen liegt, hat begonnen, dafür hinreichende Belege zu erarbeiten. Sie wird zeigen, welche verschiedenen Wege die Völker in ihrem historischen Werden, Sein und Vergehen beschritten haben,
wie Aufstieg und Fall und Stagnation und Veränderung auf Grund eigener sozialökonomischer Vitalität und in Wechselbeziehung zu anderen Völkern die Geschichte der zahlreichen Musikkulturen der Welt gekennzeichnet haben. Sie wird, allgemein formuliert, die Dialektik und Vielfalt der kulturhistorischen und be-
sonders der musikhistorischen Prozesse der menschlichen Gesellschaft aufklären helfen. Durch
die
musikethnologische
Forschung,
aber
auch
überhaupt
durch
die
gemeinsam
als
moderne musikwissenschaftliche Grundlagenforschung ist eine andere Hypothese, die in Sachs’ Arbeiten eine große Rolle spielt, als unbrauchbar erkannt und aufgegeben worden. Es handelt sich um die in der alten Vergleichenden Musikwissenschaft recht verbreitete Kulturkreistheorie, für die alle vergleichbaren kulturellen Erscheinungen ihren Ursprung in einem einheitlichen Zentrum haben, bzw. das mit ihr verbundene evolutionistische Gedankengut. Diese Ideen schlagen sich z. B. deutlich nieder, wenn Sachs die Voraussetzungen der europäischen Musikentwicklung im Gegensatz zur orientalischen Tetrachordik durch die Existenz einer urtümlichen Terzstruktur charakterisiert, die Europa mit den nordamerikanischen Indianern,
mit
asiatischen
sich Sachs
einerseits
und
afrikanischen
Völkerschaften
differentes und wohl auf ein früheres gemeinsames Zentrum zurückzuführendes Merkmal besessen und die zu gegebener Zeit den Ausgangspunkt der Entwicklung der ,, Wunder der westlichen Musik“ gebildet habe. Diese Vorstellung steht mit dem Ablauf der historischen Prozesse nicht im Einklang. Und weiter: Obwohl von
der „Illusion
eines ewigen Fortschritts‘
freigemacht
hat, bleibt er doch andererseits der evolutionistischen Vorstellung von der progressiven Entwicklung melodischer Stile von der Zwei- über die Drei-, Vier- und Mehrstufigkeit verhaftet, die auf einem viel zu geringen Material aufbaut und dem durch neuere Forschungen erarbeiteten Befund widerspricht. Sachs hat sich später, man muß hier besonders auf sein letztes Werk, ‘The Wellsprings of Art’, verweisen, unter dem Eindruck neuer Erkenntnisse von diesen Vorstellungen weit-
294
gehend gelöst. Hier aber scheint es ihm nötig, obwohl er sich allgemein mehr dem Ordnen und Zusammenfügen des riesigen Materials als grundsätzlichen Erörterungen und Rückschlüssen widmet, verschiedentlich auf Kongruenzen mit dieser Lehre hinzuweisen. Merkwürdigerweise ergeben sich bei ihm aus solchen allgemeinen Interpretationen mitunter Unstimmigkeiten und Widersprüche. So stellt die Konstatierung des prinzipiellen Unterschieds zwischen der Musikentwicklung Europas und der des alten Orients einschließlich Griechenlands praktisch das anderweitig formulierte historische Verhältnis von Altertum und Neuzeit in Frage.
In den Darlegungen der alten Vergleichenden Musikwissenschaft spielte die Frage des Ursprunges der Musik, die an der Musik heute noch vorhandener
urgesellschaftlicher Formationen verifiziert wurde, eine große Rolle. Auch Sachs
erörtert die Anfänge der Musik, wobei er zur Ablehnung verschiedener früherer Theorien gelangt, u. a. auch der in neuerer Zeit immer noch gern akzeptierten Idee eines Ursprungs in der Sprache. Abgesehen davon, daß die Ursprungsproblematik heute nicht mehr so im Zentrum der Überlegungen steht wie andere Themen, sieht auch Sachs auf Grund des Materials keine Möglichkeit, zu endgültigen Feststellungen zu kommen. Aber dem Augenschein nach beginnt für ihn die Musik mit Singen, das sich durch den merkwürdigen Dualismus zweier Grundstile, ekstatisches, weitausholendes Entladen der Stimme und quasirezitativisches Singen von geringem Umfang auszeichnet, ein Dualismus, dessen Nachhall Sachs selbst noch im angeblichen Wechsel europäischer klassischer und romantischer Stile zu vernehmen meint. Von diesen beiden Prinzipien ist für ihn die weitere Entwicklung aus inneren Antrieben und in Kontakt zu anderen Völkern ausgegangen. Kann es nun keineswegs als gesichert angesehen werden, daß ‚Singen‘ jeglicher anderen Lauterzeugung vorausgegangen sein muß, so ist es bei der Sachlage doch müßig, darum zu streiten. Sinnvoller und interessanter mag es dagegen sein zu überlegen, ob die kausativen Prinzipien, die Sachs als Triebkräfte und Richtschnur der Entwicklungen vorstellt, wirklich als ursächlich gelten können. Neben solchen schon erörterten Zügen in seinen Vorstellungen, die sich in dem Rückgriff auf die Kulturkreislehre z. B. oder aber bei der Ursprungsproblematik in dem dualistischen Prinzip der angenommenen vokalen Grundstile zeigen, spielen bei Sachs das Naturgesetzliche und rein menschliche Faktoren eine große Rolle. Für verschiedene Erscheinungen macht er vor allem Geschlechtsunter-
schiede verantwortlich, wiederholt spricht er von ‚angeborenen‘ oder ,,natürlichen“ Intervallen u. a. m. In all dem offenbart sich, daß für Sachs keineswegs
das gesellschaftlich-historische Wesen der Musik geklärt ist, daß hinter all seinen Interpretationen eine Anschauung über das Wesen der Musik und ihr Verháltnis zur Natur besteht, die von der modernen Musikwissenschaft nicht mehr geteilt wird. Am deutlichsten erscheint sie in der vielleicht etwas überspitzten Formulierung, daß Singen, und man kann auch allgemeiner Musik dafür setzen, als „Ausdruck
der menschlichen
Seele und
motorischer
Impulse"
,,wenig mit
der
veränderlichen Außenseite des Lebens“ zu tun habe (S. 17). Zwar ist die Musikwissenschaft in ihren Forschungen, vor allem was die Grundlagen der Musik an-
geht, heute noch nicht so weit gekommen, um alle Probleme, die das Wesen der 20*
295
Musik, ihre Stellung in Natur und Gesellschaft betreffen, sicher und mit Entschiedenheit beantworten zu können. Aber einige Grundfragen dürfen als geklärt angesehen werden. Danach sind verschiedene Züge in Sachs’ Konzeption in Frage zu stellen. Das bedeutet nicht, daß es keine psychisch-physischen Aspekte in der Musik gäbe, daß die Musik mit Natur nichts zu tun habe usw. Aber die Zusammenhänge sind anders. Die Musik ist dem Wesen nach ein gesellschaftliches Phänomen und in ihrem Sein und in ihrer Entwicklung unlöslich mit der Existenz und der Entwicklung der Gesellschaft verbunden. Die Vielfalt der Entwicklungslinien und -stufen in der gesellschaftlichen Totalität kehrt historisch konkret in der Vielfalt der menschlichen Musikkultur wieder. Damit ist noch nichts über den Charakter der Musik einer Epoche, einer Menschengruppe usw., über ihren Gegenstand, ihre Funktion, ihre Gestalt usw. gesagt. Wie wir wissen, gibt es hier große historische Unterschiede. Ganz gleich aber, ob die Musik als kommunikative Leistung, als einfache Lebenstätigkeit und -äußerung oder ähnlich zu fassen ist, sie ursächlich von der ,,veránderlichen Außenseite des Lebens'' trennen zu wollen,
ist nach heutigem Wissen unbedingt falsch, genauso wie es andererseits keine genügend stichhaltigen Beweise für eine Verankerung etwa struktureller Züge der Musik in biologisch-physischen Gegebenheiten gibt, mögen sie nun als Auswirkungen des Geschlechts, der Rasse oder sonstwie gefaßt sein. Neben der zu starken Inanspruchnahme anthropologischer Kriterien gehört auch das angebliche Angeborensein bestimmter ‚natürlicher‘ Intervalle in die Welt der unbewie-
senen Axiome, auf die Sachs zurückgreift. Sicher ist das menschliche Musizieren an akustische Gesetze, an Eigenheiten des Materials, an biologisch bedingte Fähigkeiten usw. gebunden. Sie berühren die Musik jedoch nur insofern, als sie Grenzen
und Voraussetzungen liefern. Aber es gibt keine „Natürlichkeit“ etwa bestimmter
Intervalle. Die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Intervallen zu unterscheiden bzw. einzelnen akustischen Tatbeständen differente Bedeutungen beizugeben
oder sie überhaupt
in einer Qualität zu erfassen, ist historisch erworben.
Und
strukturelle Unterschiede der Musik verschiedener Menschengruppen, mögen sie
nun nach Geschlecht oder Völkern differenziert sein, haben sich immer noch als
sozial begründet gezeigt. Die Problematik besteht so bei Sachs im wesentlichen darin, daß er seine Überlegungen auf Grund ungenügender Kenntnis der Historizität des menschlichen Lebens, ungenügender Einsicht in den Gattungscharakter des Menschen bzw. auf Grund eines die historischen Züge der Musikkulturen zu wenig herausarbeitenden Materials anstellt. Durch anscheinend langlebige Züge verflüchtigt sich ihm der gesellschaftliche Charakter der Musik zum bloß menschlichen, und nur selten gelangt er zu Andeutungen, die über diese Vorstellungen hinausgehen, so etwa, wenn er im Zusammenhang mit der Entwicklung der Harmonie eine Verbindung zum Erscheinen der Perspektive in der Malerei zieht und von „tief unter der musikalischen Oberfläche wirksamen geheimen Kräften“ spricht (S. 283).
Sachs unternimmt in seinem Buch den hoch einzuschätzenden Versuch, er ist
sich dessen bewußt und spricht es auch aus, vorurteilsfrei an das vorliegende Material heranzugehen und zu Interpretationen zu gelangen, die nicht den Stempel der europäischen Musikanschauung tragen (vgl. z. B. seine plastische Dar296
stellung des Unterschiedes der Traditionen in Ost und West S. 95ff.). Bei der Erláuterung der Vergleichenden Musikwissenschaft und ihrer Methoden, aber auch an anderen Stellen kommt er auf die Problematik des Eurozentrismus zu sprechen, die nicht nur bei der Betrachtung der Musikkulturen, etwa bei der Auffassung der Intervalle, rhythmischer Modelle und musikalischer Strukturen, sondern selbst in den Darstellungsmitteln, etwa dem mit der europäischen artifiziellen Musik gewachsenen Notationssystem usw. auftreten kann. Auch Sachs’ Erkenntnis, daB musikhistorische Dokumente einseitig sein kónnen oder aber akademische Maßstäbe die Sicht einschränken mögen — er weist u. a. auf die an die Kirche gebundene mittelalterliche Musikgeschichtsschreibung, auf die Vernachlássigung der Volksmusik in der Berichterstattung des alten China und auf das Problem der Beurteilung neuer Entwicklungslinien hin — ist von großer Bedeutung. Und doch entgeht er selber nicht diesem in der Wissenschaftsgeschichte der Musikforschung begründeten alten Fehler. Nicht nur, daß er sich immer wieder zu sehr im Gestrüpp theoretischer Erwágungen um Intervalle und Skalen verliert und damit nur eine Seite, und wohl selten die wichtigste, der jeweiligen Musikkultur erfaßt. Hier scheint die alte Tradition der Vergleichenden Musikwissenschaft durch. In der Überbewertung von Tonverhältnissen, Skalen, auch festen Melodien
drückt sich eine für die europáische Entwicklung typische, für andere Kulturen aber nicht in gleicher Weise wichtige Eigenart aus. Sicher betont Sachs wiederholt, daß die Praxis primär, die Theorie dagegen sekundär zu allen Zeiten gewesen
sel, er formuliert auch Gedanken zum Verhältnis von Gesetz und Freiheit in orien-
talischen Musikkulturen, aber es gelingt ihm nicht, der Praxis den ihr gebührenden Platz einzuráumen. Sicher ist vieles auf die schlechte Quellensituation zurückzuführen. Die wenigen Fakten über die Musikkultur des chinesischen Altertums z.B. entnahm die europäische Musikwissenschaft seinerzeit fast ausschließlich den Werken der chinesischen Klassiker in Philosophie und Literatur, und nur wenig klingendes und notenschriftlich fixiertes Material stand ihr zur Verfügung. Die Abhängigkeit von theoretisierenden Betrachtungen als hauptsächlicher Kenntnisquelle zog zwangsläufig eine Verschiebung zugunsten der theoretisch-spekulativen Seite nach sich, und die Musikkultur des alten China wird als Folge davon auch heute noch vielfach vor allem im Lichte des /&-Systems, kosmologischer Zuordnungen, des hófischen Zeremoniells, aristokratisch-vornehmer Erbauung und legendärer Erschaffungsgedanken gesehen. Die moderne Musikforschung hat dagegen auf Grund eines riesigen Materials angemessene Relationen zwischen historisch-gesellschaftlicher Entwicklung, theoretischem Denken, archáologischer
Tatsache, ikonographischer oder literarischer Information und musikalischer Praxis herstellen kónnen. Die Erforschung der Stimmungen von Klingsteinspielen, Kugelflóten und Glockenspielen der Shang- und Zhou-Zeit, die weitgehend vom lü-System abweichen, hat z. B. gezeigt, daß im alten China das Verhältnis der musikalischen Praxis zum lü-System mit allen seinen spekulativen Zuordnungen sehr lose und vor allem anders gewesen ist, als es bisher angenommen wurde usw. Die Beachtung des Verhältnisses von Theorie und Praxis, überhaupt aber eine
richtige Auffassung der Praxis, gehóren zu den wichtigsten Voraussetzungen der
musikwissenschaftlichen Forschung heute.
297
In der Praxis ist die entscheidende Sphäre der Musikkultur jeder Gruppe von Menschen zu sehen. In ihr spielen sich die wesentlichen Vorgänge dieser Art von Kommunikation ab. Die musikalische Praxis hat bedeutende historische Veränderungen erfahren und ist gerade heute wieder im Begriff, entscheidende Veränderungen durchzumachen. Es ist also stets nötig, die Praxis genau zu umschreiben. Jede Musikpraxis als gesellschaftliche Erscheinung, ganz gleich von welcher Entwicklungsstufe die Rede ist, trägt in sich feste Normen, die die Grundlage ihrer kommunikativen Funktion bilden. Diese Normen kann man sich als Gerüst des musikalischen Bewußtseins vorstellen, auf keinen Fall aber werden sie etwa
durch theoretische Erwägungen gebildet, wie es von Sachs mehrmals, wenn auch
sehr unklar, ausgesprochen wird. So äußert er im Zusammenhang mit der Vielfalt der Skalen der arabischen Musik, daß in der Praxis die Normen, die von der Theorie zu schaffen versucht wurden, nicht befolgt worden seien. Diese falsche Gegenüberstellung resultiert aus der Tatsache, daß Sachs, obwohl er verschiedent-
lich die Abhängigkeit der Theorie von der Praxis und selbst den oft negativen, systemhungrigen, apraktischen Zug der Theorie zu manchen Zeiten und in manchen Schulen hervorhebt, erstens wesentlich auf theoretische Quellen angewiesen
ist, zweitens aber, daß er das Wesen der Theorie verkennt und sie nicht als Refle-
xion der Praxis ansieht — mit allen Konsequenzen der Rückwirkung — sondern letztlich doch als eigenständiges Prinzip, das zwischen natürlichen oder überhaupt vorgegebenen Maßstäben und Praxis vermittelt bzw. die in der Praxis
gültigen Normen schaffen kann. So ist auch sein Schluß verständlich, daß sich aus dem Widerspruch der in den arabischen Skalen erscheinenden verschiedenen
Ableitungsprinzipien der Zwang zu einer Temperatur ergeben habe. Wenn aber
die Praxis, wie Sachs selbst feststellt, z. B. die Unterschiede zwischen großen und
kleinen Ganztönen ignoriert hat, wieso ergab sich der Zwang zur Temperatur? Und auch die Zalzal-Ligatur als Temperierung zwischen kleinem Ganzton und Halbton aufzufassen, ist merkwürdig. Ist nicht gerade das Denken nach Halbund Ganztönen, die Negierung anderer, in der Praxis ebenso normal gebrauchter Töne — Sachs betont das ja gerade selbst im ersten Kapitel — ein Widerschein eurozentrischer Musikauffassung? So gibt es eine ganze Reihe von Fragen, auf die sich der Leser bei der sicher
fesselnden Lektüre des Sachsschen Werkes eine Antwort schaffen muß, oder die
er zumindest auffinden und stellen sollte. Daß sie nicht alle in einem ausführlichen Kommentar besprochen oder gar durch einen bearbeiteten Text aufgehoben wurden, dürfte den Wert des Buches kaum schmälern. Man wird sogar erwarten dürfen, daß seine jetzige Gestalt eigene Überlegungen und den Gedankenaustausch zu den vielen Problemen zu fördern vermag. Berlin, Januar 1967
jürgen Elsner
Register Aalst, J. A. van i11 Abbot Pambo 72 abendländisch 132, 133 Abert, Hermann 221, 223
Ableitung, 103f.
obere
(superior
Ajax 180 Akbar (Kaiser) 157, 158, 173 Akkord 132, 133, 134, 165, 238, 282
generation)
--, untere (inferior generation) 103f.
Abessinien 78, 88, 256, s. Äthiopien
Abgreifen 66, 67 Abraham, Otto 23 Abschieds-Sinfonie 89
Abwärtsschlag 171, 242, 244 Accelerando 94, 174
accordatura 213,
186, 192, 193, 201, 211, 212,
214,
accutus 143
216
Achtelnoten 31, 81, 131, 168, 172, 241 Achtelpause 267 Adah 5o Admiralitáts-Inseln 45 Adria 46 Affekt 48, 75 Affix 34, 112 Afrika 38, 45, 255, 271, 287 "Agam 259, 261
ákshara 167
Akustik 50, 261 Akut 78, 240, 241 Akzent 75, 77, 78, 79, 80, 81, 86, 91, 126, 143, 168, 172, 240ff., 265, 266, 278, 285 äläpa 152, 174ff., 233f., 269
Alexander der Große 53, 177, 255 Alexandrien 50, 76, 176, 182, 195 Al-Färäbi 256, 257, 258, 263
Algerien 269 Al-Hira 256
Ali al-Isfahan! 258 Al-Kindi 256 Alkman 247 Allabreve 171
Alleluja 282 alta vox 38
Alteration 159 Altertumskunde, musikalische 287
'Agam 'Usayràn 260
Alypios 182, 198, 213 Ambros, A. W. 91 ambrosianisch 71
agón 248, 252
Amenemhét
Agogik 174
Agonensánger 250
Ägypten 30, 33, 50, 52, 54ff., 57, 63, 64, 65, 66, 67, 70, 72, 77, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 98, 99, 104, 115, 149, 164, 176, 178, 181, 196, 235, 239, 249, 261, 268, 273, 287
Aischylos 249 Aiyar, Ramaswami 153 (Anmerkung:
Amen 73
70
Amenophis IV. 55 Amerika 271, 287
Amiot, Pére 102 Ammianus, Marcellinus 270 amša 155 Amur 19
Analyse 50, 221, 222, 228, 247, 271, 276 Anapaistos 241, 242
Die Stichwórter stellen oft Substitute von sinnverwandten, zum gleichen
Stamm gehórigen Wórtern dar.)
209
Anapäst 80, 81, 242, 243, 245, 284, 285 anápeira 233f.
Andalusien 269 Andamanen 27f., 44 aneiménas 230 aneimené 204
Anfangston
39, 59,
110,
120,
155, 225,
anthropologisch 279
antimetrisch 245, 284
Antiphonie 46f., 47, 83, 84, 85, 86, 87, 91, 239 antistrophé 250 anudätta 72, 143 anudruta 144
Aolisch 61, 190, 198, 200, 204, 208, 209, 214, 215 Apollo 50, 180, 248, 251, 252 Apollo-Hymne 212 apotomé 194, 257, 258 appoggiatura 267 Araber 12, 62, 67, 75, 86, 87, 88, 89, 116,
176,
184,
194,
196, 233,
'Arad 260
’Aradbar 209 Arbeau, Toinot 284 Arbeit, durchbrochene 266 arché 202, 233 Archipel, malaiischer 115, 184, 190 — , indonesischer 139 Archives de la Parole 46 archon 248
Archytas von Tarent 189, 195, 235
Argos 229
Argül 89, 267 Arie 74 Arion von Methymna 248
Arier 104, 143 Aristides Quintilianus 182, 188, 189, 202, 210, 215, 216, 231, 239, 250, 251 Aristoteles 194, 202, 230, 234, 235 Aristoxener 194 300
195, 205,
206,
207,
210,
237,
Armenien 78, 87 Argabhi 115, 160 ársis 242 ff.
Asävari 160, 162, 163
anhemitonisch 113, 211 Annam 93, 138
159,
194,
Asaph 53, 57
Angelsachsen 282 Angleichung, kulturelle 55
255ff., 283, 287 Arabien 56
193,
242
Arithmetik 50, 235 Arkadien 235
231, 263, 280 anga 169
140,
Aristoxenos von Tarent 73, 181, 189, 190,
Aschkenasim Asien 16, 49, 120, 122, 165, 178, 271, 279,
71, 54, 123, 1835, 280,
78, 79 55, 56, 66, 96, 99, 117, 128, 130, 131, 132, 138, 190, 191, 239, 263, 267, 287, 288
Assyrien 30, 83, 85, 90, 91, 99, 104, 178
ásthetisch 124
Astrologie 51, 232, vgl. Kosmologie Astronomie 50, 51, 52 Ata 169 Atem 64, 105, 166 Athen 208, 235, 248 Athenaios 182, 206, 208, 233, 238, 247, 248
219,
229,
230,
Áthiopien 64, 72, 77, 78, 88, 89, 146, 184, s. Abessinien
atisvärya 144 Attis-Adonis 249
Auf-und-Ab-Prinzip
(zyklisches Prinzip)
64ff., 67ff., 91, 98, 104, 107, 110, 122, 153, 194, 259, 260f., 261
Aufführungsstil 273 Aufwártsschlag 242
Aug 259, 260 augmentieren 170 Aulet 248f., 251
Aulós 177, 234 Aulósspieler 190 Ausbildung, musikalische 234
Ausdruck 36, 166 Ausdrucksmittel 132, 246, 257 Ausführung 155, 171, 268 Ausgangston 60, 64, 69 s. Tonika
Austausch, musikalischer 56, 176 — , kultureller 177
Australien 38 Ausübung 235, 246
Auszierungen 165
authentisch 208,
58,
228,
229,
60,
152,
159,
199,
207,
274
Automaten, komponierende 75 Avicenna 256
Babylonien 52, 55, 57, 69, 71, 75, 76, 78,
79. 85, 91, 98, 99, 104, 146, 176, 177, 239, 273
Babylonische Gefangenschaft 71, 84, 98
bacchisch 230, 233 Bacchius 239 Bach, J. $. 247 Bagdad 67, 71, 117, 261
Bem 117 Ben Arza 54
Berber 115 Berechja 53 Berlin-Papyrus (- Fragment) 180, 212, 222, 223, 227, 228, 243, 248 Berufsmusiker 51, 52, 53, 265 Beschwórungsformeln 143 Besseler, H. 272 Betonung 125, 165, 167, 171, 276, 284 Bewegung 16, 33f, 42, 76, 167, 171 Bhagavadgita 104 Bhairava 155, 161, 162, 163
Bahrám Gür 256
Bhairavi 155, 160, 162, 163
Bakongo 34
bharya 161
Baif 284 Bakchios 242
Baktrien 102 Bali 39, 93, 116, 140 Balkan 271 balli 76 bamm 62 Bantu 25, 45
Bharata 115, 141, 148, 151, 152, 153, 154, 158, 159,.170, 171, 172
118, 119, 126, 127, 139,
Bhätkande, N. V. 161, 162, 163 bian 121, 202, 280
Big-Band-Trommeln 126
Bihag 155, 161, 162 Bilahari 155
Biläl ibn Riyäh 256
Biläval 155, 160, 161, 162, 163, 172 Birnengarten 137 Biwa 133
Bar Hebráus 78, 79 Barang 117 Barbat 256 barritus 270f.
Bláser 89, 107, 176, 249, 253
barys 143
173, 206, 219, 239, 253 Bloch, J. 71
barybromos 208
Blasinstrumente
baryteros 214 Baschkiren 125
BaB 62 bassa vox 38 basses danses 76 basso ostinato 30, 267f Bauchredner 19 196,
210,
260,
263
Beben 165 Beduinen 251, 255 Beethoven, L. van 16, 247, 287 Begleitung 45, 110, 132, 133, 164, 236, 237f , 249, 256, 266, 282, 283, 285, 288 Bel 52
Bellacula 35
69,
128,
134,
137,
Blockflöten 164
St. Basilius 86 básis 242
Bayäti
64,
190, 219, 238, 244,
Bellermann, Fr. 212, 213, 214, 216, 221, 226, 231, 232, 243
Bodenstampfen 41 Boethius 182, 200, 213, 229, 239, 255 Bogen 55
Bogenharfe 147, 176, 177 Bohrung 69
Bombay 161
Böotisch 204, 209 Bootsgesänge 37 Bordun 46f., 47, 56, 89ff., 91, 267,
132,
164,
268
Bordunpfeife 164, 267
Botokuden 29f., 31 branles 76 Brasilien 29, 35
Brevis 81, 241, 284
Buchara 71, 138, 256 Bücher, K. 15
301
Buchstabennotation 76, 146, 186 Buddhismus 93, 131, 132, 152, 176
Choral 74, 75
Choralnotation 283, 285
Bukofzer, M. 105, 117 Bumerang 42
Chorantiphonie 85 Choreographie 76 Chorgesang 81, 91, 132, 237, 247ff. Chortanz 248, 249 cbroaí 193, s. Fárbung
Bundlaute 56 bundlos 107, 164
chróma hemiölion 193 chróma malakón 193, 194
Bugaku 93, 126 Bühne 123
Buka 34, 35
Bünde 66ff., 69, 110, 257, 258, 281
chróma
Bundzither 107
chróma syntonon 194, 195, 260 chróma toniaion 193 chromatisch 66, 103, 106, 142, 161, 186, 1881f , 193, 194, 196, 198, 203, 210, 214, 260
Burette 183, 214
Burgund 55, 270 Burma
120, 122, 138, 139, 140
Burnell, A. C. 144, 145, 146
chrónos prótos 241, 244, 246 Chrysothemis 211 Chuen 110 Cicero 244, 253, 254 Cincinati 71 circumflexus 143, s. Zirkumflex Claqueure 252 Claude le Jeune 284
Büsalik 260, 264 Buschmänner 25 Buzurg 264 Byzanz 250, 255, 256 Caere 236
Calvin 75 Cansos,
cantigas
Cantus 107
271
Clemens Alexandrinus 73, 250 close 31
cantus planus 172 čaturtha 144 Ce 138
Collangettes 258 Comparative Musicology 25
Celebes 28
Celtes, C. 284 Censorinus 211 Cent 23ff , 39, 65, 66, 68, 106, 116, 118, 119, 120, 150, 151, 153, 193, 194, 195, 197, 257, 258, 260 Ceylon 29, 141 Chaconne 30
chalará 204 Chaldáer 98, 104 Champa 122 Chanten s. Ostjaken chi 125 China 39, 50, 104, 105, 120, 121, 132, 133, 253, 279,
Chopin
287
69, 106, 122, 138, 280,
72, 107, 124, 139, 281,
93ff 110, 125, 153, 282,
, 99, 112, 126, 165, 287
100, 1135, 128, 176,
102, 114, 131, 184,
Chor 44, 45, 46, 52, 54, 73, 83, 84, 85, 86, 87, 89, 91, 132, 137, 158, 244, 247ff, 253
302
195
Confinalis 58, 110, 196, 259 Coomaraswamy 149, 164
Crescendo 94 Cruit 282
Daktylus 80, 167, 241, 242, 243, 244, 284, 285 Dädrä 168
Daghda 282 Da-Hia-Gebirge 102 dä’ira 269 Dánemark 276, 285
Darius 53 Darwin, Ch 15 David 52, 53, 73, 82, 84, 176 Davies, E. H. 38 Dechevrens 261
Decrescendo 94 Degeneration 88
deklamatorisch 268 Delphi 180, 251, 253 Dém 29
Densmore, Fr. 23 Derwisch 263 Deubner, L. 191
Doppelpfeife 89 Doppelschláge 165
Dhaivati 115, 160 Dhima 168 Dhruva 169 Di 122 Dialektik 50 Dialog 249 Diapason 257 diatonisch 58, 59, 60, 73, 159, 163, 186, 187, 188ff. 193, 194, 196, 200, 201, 207, 210, 211, 222, 260, 273, 275
Dorisch 58, 60, 61, 73. 113, 159, 162, 185, 190, 191, 198, 199, 200, 201, 202, 203,
Dorer 247
Deutschland 55, 273, 278
diátonon 195, 260 diátonon ditoniafon 194f., 257 diátonon homalón 67, 194f., 261 diátonon malakón
|
193f., 194, 195
diátonon syntonon 193, 194, 195, 258, 260
diátonon toniaton 194, 195 diazeuxis 204 Dichtung 30 diezeugménón 204, 205 Dionysios (Komponist)
212,
221, 222, 224,
227,
228,
230, 232,
247,
259, 271, 272, 276, 280 Doristt harmonía 217 Drama, griechisches 249ff. --, lyrisches 123, s. nö
—, musikalisches 74, 288 Dreiachtelnoten 171 Dreiachteltakt 243 Dreiachteltóne 193 Dreiertakt 125, 284
Dreiklang 133, 283 Dreitonmelodie 28, 33, 39, 40,
117, 260,
143, 261ff.
Duris 236 dvitiya 144
Diplasia 242 Dipodie 81, 242, 243 Dirigent 70, 137, 171, 249
dynamis 216, 227, 228, 232f.
Dissonanz 50, 132, 239, 287 Distanz 23f., 25, 39, 67, 110, 206,
211,
272, 274, 275, 287
Dipaka 157
197,
210,
Durchgangston 122, 221 Durgä 161, 162
Dionysos 248, 249 Dionysoskult 249
196,
209,
Dur 61, 122, 155, 162, 163, 228, 260, 270,
Dionysius Jamblicus 204
195,
206, 207,
Duodezime 1035, 105
181
Dionysios von Halikarnassos 241
194,
204, 205,
213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220,
145, 279 Dreiviertelton 193, 206, 222, Drittelton 193, 194, 195, 257, Druide 282 dum 266
Didymos 195 dim 266
Dórios tónos 217
dynamisch 221, 222ff., 2321., 280 116,
119,
232
Dithyrambus 231, 247, 248ff. ditoniaion 196, 210 diwän 263 Dominante 58, 155, 237, 274,
281 Doppelaulós 236 Doppelbordun 175 Doppelflóte 183, 184 Doppelfuß 242 Doppelklarinette 89, 267 Doppeloboe 55, 56, 89, 147, 251
Echo 165 Ecktonversetzungen (toptail inversions) 60, 111, 153, 154, 210, 218, 287
Edison, Th. A. 22
278,
Doppeloktave 90, 204, 207, 215, 239
280,
eidos 183, 198
Einfall 58
Einheitswerte 150, 194
Einklang 90, 132, 237, 241 Einleitung 174, 233, 268 Einschnitt 245
einstimmig 250, 283, 285 Eintonlitanei 40 Eintonmelodie 28 f. Eintonrezitation 29
303
Einzelklang 96
Einzelton 23, 49, 76, 77. 78, 91, 96, 97. 106, 124, 125, 127, 128, 146, 164, 239 Ekà 168, 169
ekbolé 222 éklysis 222
Ekstase 38, 123, 263 Elam 99, 91 Elemente, motorische 76
Evangelium 74 éxodos 249 Fabius Quintilianus 167, 244 Falsett 269 Färbung 59, 70, 159, 193ff., 258, 260 Feer, L. 152 Fermate 41, 46
210,
el-Hola'i, Kamel 261/2
Feuerland 44
Empfinden, harmonisches 45
Fiedel 88, 107, 116, 139, 140, 175 fifth on top s. hochquint Finalis 32, 58, 110, 226, 274, 277
Ellis, A. J. 23, 25, 120 emmelés 277 Emotion 60, 230, 232, 255 Empfindung 97, 158 Enaenetos 248
Endton 31, 59, 61, 225, 231, 280 Engbewegung 33f.
England 55, 273 Enharmonik 115, 188ff., 193, 202, 203, s. Tongeschlecht enharmonisch 63, 64, 188ff., 194, 195, 198,
200, 203, 210, 222, 224, 225, 239, 250
Enharmónion 193, 194 Enlil 52 Ensemble 63, 91, 174, 267, 268, 269
Entwicklungslehre 28 Epítriton 242 Epilog 249 Eratosthenes Erech 52
195, 260
Erhöhung 186, 187, 214, 217, 280 Erhóhungszeichen 185
Erniedrigung 165, 194, 217, 280 Erniedrigungszeichen 185, 213, 222
Erregungsfaktor 38
Erziehung 51, 91, 191, 234ff. Eskimos 19, 37 Ethos 166, 230ff , 234, 263 Etrurien 253
Eudoxios von Cadiz 176
Euklid 182, 204 Eunuchen 141
Euphrat 86
Euripides
180, 188, 225, 231, 250
Euripides-Fragment 237
Europa 21, 40, 41, 45, 46, 55, 56, 75, 118, 119, 121, 130, 145, 156, 164, 166, 178,
184, 195, 255, 257, 270ff, 288
304
257,
Fewkes, W. 22
Fingersatz 186, 188, 213, 214
Fingersatznotationen 127 Finnland 30, 279
Fleischer, O. 276
Florentiner Camerata 288
Florenz 55, 273 Flores 47
Floskeln, melodische
166
Flöte 42, 50, 52, 55, 63, 64, 65, 67 94, 96,
99, 123, 130, 132, 133, 134, 136, 137, 139, 251, 267 Form 18, 32, 37, 38, 40, 91, 125, 167, 174,
2471f., 268 Formeln, melodische 87, 97, 123 --, rhythmische 126, 266 Formprinzip 40, 233
Forschung, musikwissenschaftliche 25 fourth on top s. hochquart Fox Strangways, A. H. 18, 31, 43, 62, 153, 164 Franke, O. 102 Franken 270, 282 Frankreich 273, 278, 285 Frauenchor 27, 46 Frauengesánge 82 Frauenorchester 139 Frauenstimme 62 Friedrich II. 282 Fuge 237
Fuller, J. F. C. 104 Füllton 34, 35, 57, 111, 112
Fünfvierteltóne 193
Funktion, harmonische 267, 287 Fyzee- Rahamin, Atiya Begum 158
Gabala 256
Gesellschaft, philharmonische 183
Galilei, V. 181 Galpin, Fr. W. 77 gamaké 131, 164ff. Gamelan 56, 139
Gesundheit 234 ff. Ghurka-Orchester 138
Ga-gräma 152ff. Gahär-gäh 261
Gestalt 52, 196 Gestaltung 39, 49, 265 Gesten, Gestik 70, 166, 170, 171, 243
Gilde 51, 52
Giles 102
Gändhära-gräma s. Ga-gräma Gändhäri 160 Ganges 147 Ganzschluß 31, 32, 74 Ganzton 23, 24, 45, 59, 60, 78, 90, 103, 106, 109, 123, 130, 143, 149, 150, 187, 188, 194, 195, 202, 210,
216,
219,
230,
Gilman, B. 22, 23 gittit 75
65, 67, 68, 73, 118, 120, 122, 153, 159, 186, 203, 206, 208,
257,
258,
259,
260,
261, 262, 275, 277, 279 Gaudentios 67, 182, 189, 213, 239
Gleitetöne 189
Gliederung, rhythmische 18, 42, 167
Glissando 96, 124, 145, 165 Glocken 94, 97, 98, 103, 106, 125, 136 Glockenspiel 104, 106, 110, 127, 136, 137 Gobi 102
Golf von Bengalen 27
Gaukler 271
Gombosi, O. J. 219
Gautier, J. 25 Gebárde 33, 36, 70, 241
gong 95 Gong
Geiger 42, 267, 269
Geisha 124
Gemeinschaftsmusizieren 89
Gemütsbewegung 52, 281 Geometrie 50 Genus, diatonisches 198, s. Tongeschlecht Geráusch 96, 244
Germanen 270, 275, 278, 282 Gerüst, melodisches 271 — , metrisches 81 —, tetrachordales 155, 281
Geriistintervall 257
Gesang 27, 29, 32, 37, 41, 44, 52, 53, 54, 71, 72, 74, 75, 84, 87, 88, 91, 101, 123,
136, 141, 145, 164, 185, 187, 217, 250, 253, 268, 269, 281 Gesang, begleiteter 174 —, vedischer 143ff., 166, 241
Gesang der Gesänge 74
Gesangbuch 75 Gesänge 17, 18, 21, 37, 38, 56, 57. 71, 82, 88, 94, 112, 127, 145, 183, 249, 250,
175,
116, 119, 133, 135, 137, 139
Gongspiel 107, 139, 140 Gopaul, Naik 157 | gotisch 276
Gefühl 158 Gehór 21, 22, 64, 110, 120, 165, 196
255, 270, 273, 279 Gesänge, weltliche 93/4, 274 Geschmack 44, 96, 130, 142, 196, 247, 279
Glaukos von Rhegion 182
182,
Gottesdienst, buddhistischer 132 —, musikalischer 71
—, protestantischer 74 Grabgesänge 247 grama
119,
151ff.,
s. Ga-gräma,
153,
159,
258,
280,
75, 273ff.,
278,
Ma-grama,
Grammatik 50, 215, 235 Granada 269 Gravis 78, 143, 240 St. Gregor 274 gregorianisch 71, 74, 271, 282
Gregorianischer Gesang
Sa-gräma
285 Grenzton 39, 57, 111, 149, 216 Griechenland 12, 30, 55, 56, 57, 58, 59, 61, 62, 63, 64, 67, 79, 81, 87, 91, 92, 98,
99, 115, 117, 132, 133, 143, 147, 149, 156,
159,
161,
177,
178ff.,
253,
255,
206,
219,
256, 257, 260, 270, 274, 278, 280, 281, 282, 284, 287, 288, s. Hellas
Griffbrett 66ff., 153
Griffloch 64, 65, 89, 281
107,
164,
Grifftechnik 64 Griffmarke
110
305
Grönland
19, 112
Harmonie, kosmische 98
Großterzgeschlecht 116
Großterzpentatonik 64, 115, 190, 191, 203 Großterzskala 114, 115, 202, 203 Grove 239 Grundeinheit, melodische 165 —, rhythmische 266 Grundgerüst, melodisches 57, 58, 74, 75, s. Gerüst
—, versgebundenes 75
Grundtöne 60, 61, 65, 105, 109, 119, 128, 173, 186, 199 Gruppennotation 77, 91, 127, 131
Gruppentanz 81 Guaraní
17
Guido von Arezzo 130, 145, 275, 277 Hackbrett 256 Halbchöre 83, 85
Halbschluß 31, 32f., 74
Halbton 23, 24f., 68, 73, 78, 90, 116, 121, 143, 162, 186, 187, 194, 195, 198, 210, 211, 212, 221, 226, 230, 261, 262, 273, Halbvers 84, 85
38, 45, 59, 95, 106, 150, 152, 188, 189, 201, 202, 214, 216, 231, 257, 275, 279,
60, 109, 153, 190, 203, 217, 258, 288
61, 63, 65, 113, 114, 159, 161, 191, 193, 206, 208, 218, 219, 259, 260,
Halevy, Yehuda 100
Han-Dynastie 131, 136
Hanani 84 hanchilot 75 Händeklatschen 41, 43, 85, 170 Händel, G. Fr. 55
157, 168
Harfe 50, 52, 53, 54, 55, 63, 64, 69, 72, 84,
91, 104, 137, 147, 153, 176, 256, s. a. Horizontalharfe, Vertikalharfe Harfenist 64, 90, 137 harmonía 73, 183, 189, 198, 200f., 208,
214,
217, (Harmonie)
219, 229, 230,
233f., 234, 241, 250, 263 Harmonie 26, 44, 89, 100, 116, 132, 133, 193, 237, 238, 239, 262, 270, 282, 283f., 287
306
tóne Harmonium 164 Hassän ibn Täbit 256
Hauptton 39, 57, 90, 119, 237 Hauptzählzeit 43, 241 Haydn, Joseph 89
Hearp 282 hebräisch 57, 78, 80, 81, 85, 176, 250
Heilung durch Musik 234
Helios-Hymne 181, 187, 212, 232, 240, 243, 245, 248
216,
225,
Hellas 233, 243, 247, 282
hellenistisch 256 Heman 53, 57
hemiolia 242, 244
Heptachord 198, 199 Heptade 57, 59, 60, 63, 90, 112, 116, 117, 120, 190, 192, 199, 202, 205, 209, 211, 222 heptatonisch 58, 59, 87, 91, 117, 121, 122, 161, 191, 200, 201, 202, 255 Herakleides Pontikos 182, 200, 206, 208 Herodot 56, 235 hestotes 219 Heterophonie 44, 46, 133, 134, 237/8f.
Hexachord 112, 119, 275 hexatonisch 142, 154, 159, 201, 257 Hiä Hi 102 hichiriki 133
Hallel 84, 85 Hammerich, A. 276 Hamsadvani 120
Hänuman
Harmonische 69, 70, s. Obertóne, Partial-
hieropsaltai 63 Higäz 196, 260, 264 Hilfsmusikanten 137
Hilfstóne 121 Hindolam 163 Hindu 12, 62, 70, 75, 127, 158,
159,
161,
163,
165,
144,
145,
150,
167,
174,
176,
281,
283
233, 245f., 258, 264, 280, Hindustan 142, 174 Hinterindien 176 Hirajóshi 113, 114, 117, 199
Hirten 52
,hoch' 62, 231, 232, 246
Hochkultur 49, 5off., 155 hochquart 58, 199 bochquint 58, 199
Hochzeitschor 248 Hochzeitsgesänge 81
Hofmusik
Ideogramm 147 Idiophon 116, 139
133
Hofmusiker 11, 53, 137
Hoforchester 90, 91, 134, 137, 138 Holland 56 Holzblasinstrumente 64, 65, 185 homophon 88, 239
Illustration 251 Imitation 48 improvisieren 33, 42, 71, 86, 88, 152, 233, 267, 268 Impuls, motorischer 17, 33, 42, 48, 58, 62, 147, 165 --, rhythmischer 41 — , vokaler 281 incentiva 183, 184 Indianer 12, 19, 25, 37, 38, 43, 271, 280 Indien 12, 31, 39, 43, 58, 62, 69, 70, 77, 78,
Hopi 36 Hoquetus 285
Horaz 245 Hörer 96, 97 Horizontalharfe 268 Horn 128, 268 Hornbostel, E. M. von 18, 23, 66 Huang Di 102
89,
Huang Dschung s. huang zhong
huang zhong
102, 103, 105, 106, 109, 128
Hussaynl 264 Hussayni 'Usayràn 209, 260 Hygros ben Levi 54 Hymne
83, 85, 86, 95, 97, 111,
125,
180,
199, 231, 233, 235, 240, 247, 274 Hymnen, delphische 189, 191, 196, 209, 222, 223, 224, 226, 227, 228, 243, 248 hypáté 62, 204, 205, 216, 217, 218, 231, 243
hypatoid 231 f., 263 hypätön 205 Hyperáolisch 215 hyperbolaíón 204, 205 Hyperdorisch 113, 200, 207f., 215 Hyperjastisch 215 Hyperlydisch 213, 215
Hypermixolydisch 212, 215, 216, 218, 222, 223, 229, 231, 248
Hyperphrygisch 215, 260 Hypoáolisch 215
Hypodorisch 61, 113, 159, 162, 199, 200, 206, 207f., 208, 209, 212, 215, 216, 218, 219, 220, 222, 228, 229, 230, 260 Hypojastisch 215
Hypolydisch 61, 159, 162, 185, 199, 202,
206, 212, 213, 214, 215, 216, 218, 220, 221, 222, 228, 230, 232, 233 Hypomixolydisch 220 Hypophrygisch 61, 159, 162, 199, 206, 212, 215, 218, 220, 221, 230, 260
hypórchema 247
Ibn Sinà 256, 264, 267 Idelsohn, À. Z. 71, 73
93,
98,
114,
115,
117,
125, 126, 131, 132, 133, 138, 141ff., 184, 189, 190, 195, 233, 255, 258, 263, 265f., 269, 280, 281, 282, 283, 284, Indochina 93
119,
120,
139, 140, 210, 231, 266, 267, 286
indoskythisch 147 Indus 177
Induskultur 147 inferior generation s. Ableitung
Infix 33, 35, 37, 276
Infrafix 34, 35 Innini 52 Instrument 26, 42, 43, 44, 50, 52, 53, 54,
55, 56, 58, 60, 62, 64, 66, 70, 72, 75, 84, 90, 91, 95, 96, 98, 99, 100, 106, 107, 116, 117, 118, 119, 120, 123, 125, 128, 130, 133, 136, 137, 138, 139, 147, 165,
177,
214, 215,
178,
184,
186,
219, 232,
200,
202, 211,
235, 236,
237, 238,
253, 256, 257, 267, 268, 281, 282, 283
instrumental 56, 107, 122, 164, 228, 235, 243, 244, 251, 265, 266, 268, 269, 281, 282 Instrumentalist 44, 60, 63, 72, 107, 132, 149
Instrumentalleiter (-skala) 149, 281
Instrumentalmusik 42, 71, 141, 229, 237, 281, 282, 283 Instrumentalnotation 185 ff.
Instrumentalspiel 71, 72
Instrumentalstil 43, 282 Interpretation 95, 155
Intervall 16, 23, 24f., 29, 32f., 33, 38, 39, 49, 52, 57, 60, 67, 69, 70, 98, 106, 114, 118, 120, 121, 145, 148, 149, 165, 182,
307
189, 193, 194, 222, 238, 239, 267, 271, 273, 277, 283
257, 260,
Intervalle, ,antiphonische' 238 —, ,paraphone' 238
Jubal 50
Juda 84
— , ,symphonische' 238
Juden
Intervallvorstellung 39
Irak 255 Iran 56, 91, 177, 8. a. Persien ‘Iraq (maqám) 264 Irland 55, 282 Irtysch 279 isa, ison 241, 244 Isaacs, E. 81 Isfahàn 196, 210, 260, 263 Islam 56, 67, 98, 138, 176, 199, 209, 210, 231, 255ff., 265, 280 Island 271, 276 Israel 52ff., 56, 71, 86, 87 Istrien 46 Italien 55, 253, 273 Iwato (jöshi) 113, 199 Iyàs ibn Qabisa 256
jambisch 81, 242, 243f., 244
Jambos 242 Jambus 80, 167, 242, 243, 246, 265, 284 Japan 12, 25, 51, 63, 93, 96, 113, 114, 115, 121, 122, 123, 126, 130, 131, 132, 133, 184,
190,
191,
193,
199,
200,
201, 202, 282, 287 Jastisch 190, 198, 200, 204, 209, 210, 274,
215 játis 154, 159ff., 169 Java 22, 56, 93, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 127, 139, 140, 193, 287 Jazzband 287 Jeduthun 53, 57 Jemen 71, 73, 74, 81, 82, 85
Jenissei 19
Jephta 82 Jerusalem 85, 91
Jhampa 169 Jing Feng
Jisrahja 84 jodeln 19
Joel 53
105
Johannes de Grocheo 271, 285 308
55,
62,
71ff.,
74,
76,
78ff.,
Jue 95, 109
Intonation 79, 123, 124, 189, 195
176,
52,
87, 88, 98, 99, 104, 273
igä’ät 265 ff.
138,
Jonisch 190, 200, 204, 209, 214 Josephus, Flavius 63, 64
Jugoslawen 30
Julian der Abtrünnige 270 Jünglingsweihe 27 ka 78 Kabbala
104
Kabylen 251
Kadar 62 Kadenz 28, 29, 44, 88, 268, 273
Kairo 77, 87, 180, 212, 243
Kairo-Fragment 222, 226 Kakko 133, 135 Kambodscha 120, 122, 138, 139 Kamerun 56 Kammermusik 139, 174 Känika 18 Kanon 47, 48, 132 Kanön 67 kantabel 43 Kantate 269 Kantillation 39, 41, 48, 62, 74, 75, 76, 78, 79, 82, 85, 86, 87, 123, 142, 143, 146, 273, 275, vgl. a. Gregorianischer Gesang Kantor 74, 76, 78, 86 Kaoli 138
Kapelle 267 Kaphi 160, 162, 163 Karl der Große 270
Karolinen 28, 45 Kaschgar 138 Kastagnetten 244 Kaste 5ı kätharsis 234 Ke Huan 133 Kenanja 53 Kesseltrommeln 266 Keten 19 Kette 361., 275
khälis 173 Khamäj 160, 162
Kinderlieder 37, 113
Komödie 249
Kinnari 176 Kinnor 176 Kirchenmelodien 273 Kirchenmodi 271, 274, 275, s. Kirchentöne Kirchenmusik 87, 271, 273, 274
Komposition 75, 166, 231, 269, 281, 287
— , katholische 71, 166
Kongo 34, 47
— , äthiopische 88 ff.
— , koptische 273
Kirchensánger, abessinische 77 — , rómische 270 Kirchentóne 58, 60, 199, 219, 228, s. Kirchenmodi Kirgisen 125, 279 Kithara 50, 195, 200, 201, 202, 204, 205,
210
Komponisten
55, 95,
249, 273,
Koromandel 120 Kórperschlag 41, 171
19,
62,
95,
97,
Korea 19, 93, 106, 114, 121, 124, 125, 133, 137, 138, 176
99,
100,
156,
269,
Klangfarbe 42, 96, 97, 138, 139, 175, 211 Klangspiele 97, 137, 139 Klapper 42, 137, 140, 235 Klapperrohr 137 Klarinette 94, 128, 164 Klarinettist 214
Klasse 51, 57
Klaviatur 59, 196, 262, 286 Klavier 59, 60, 61, 64, 109, 196, 199, 218, 262, 286 Kleinasien 55, 178, 180, 249 Kleinterzpentatonik 200, 2o1ff. Kleinterzskalen 200, 202, 203 Klingstein 94, 95, 97, 136 Klingsteinspiel 127, 136, 137
Knabenchor 248 Koda 85, 89
kodok ngorék 117 Kokkara 18 Koma fuye 133
Komi s. Syrjánen Komma, didymisches 68, 150, 195 --, pythagoráisches 24, 257, 258
--, syntonisches (= didymisches) 68
91
Sachs, Musik
139,
Konservatorium 253 konsonant 44, 57, 67, 91, 238, 239, 267 Konsonanz 50, 148, 201, 239f., 267f., 283, 287 Kontamination 247 Kontrapunkt 58, 60, 89, 107, 134, 173, 199, 219, 236, 2371f., 283 « Kontrast 114, 120, 196, 202, 244
kitharodós 252 Klagegesang 40 Klagelieder 73, 74, 78
270 Klangempfindung 181 Klangerzeugung 181
131,
Konfuzius 94, 95, 96, 97, 111, 125, 138
Kopten 87ff., 273
Klang
128,
285, 288
Kitharis 200
Kitharóde 208
121,
172, 187, 214, 233, 234/5, 240, 245,
korsisch 271 kosmologisch 69, 97, 98, 99, 109, 157, 158, 191, 287 Koto 51, 52, 107, 113, 130, 131, 132 Kreta 55, 56, 183, 211, 244, 247, 248 kroümata 185
kroüpalon 244 krushta 144 Kubu 38, 46
Kuhnau, Johann 251
Kui 100, 136 Kultur 17, 55, 147 Kumoi(jóshi) 113, 114, 116, 117, 191, 199
Kunst 157, 165
Kunst, Jaap 116, 117, 119 Künste, freie 50 Kunstfertigkeit 165, 166 Kunstgesang 141 Kunstlied 164 Kunstmusik 25, 142, 174, 233, 253, 258, 271 Kutscha 122, 138 Kut3uk 264 kyrios phtongos 238
Kyun 110
Lachmann, Robert 12, 37, 82, 251 Lagasch 52
lalibaloë 89
309
Lamech 74 Lamprokles 208
logogen 38f., 39, 48, 91, 124, 241
Landini-Sexte 278 Langhalslaute 55, 66, 67, 69, 91, 164, 177, 257 Lángsflóte 108, 134
Loyalty-Archipel 46
Lu 138 lü 101 ff., 109f., 128 lü-Reihe 107, 109
Laos 281 Lasos von Hermione 181, 249
Lü Bu We 94, 99 Lukian 235 Luksor 87
Lokrisch 198, 204, 209
Landini, Francesco 273
Langzither 96, 107, 110, 132, 133, 136, 137,
113,
130,
131,
Launeddas 89 Laute 50, 52, 55, 62, 64, 66, 67, 68, 71,
84, 91, 96, 122, 128, 133, 134, 137, 139,
140, 142, 153, 165, 177, 186, 256, 257, s. a. Bundlaute, Langhalslaute Lautenist 66, 67, 107, 117, 137, 164, 261, 267
Lautstárke 246
Leier 52, 53, 54, 55, 69, 104, 147, 176, 177, 184, 186, 187, 191, 193, 194, 199, 200, 201, 202, 211, 212, 214, 229, 236,
238, 250, 252, 253, 268
Longa 81, 240, 241, 245, 284
lü-Zyklus 105
Lully, Jean Baptiste 55
Luther, Martin 72, 75
Lyall, C. J. 256 Lydien 178 lydion 195f , 210f. Lydisch 199, 212, 220, 271,
56, 200, 213, 221, 272,
Lesbier 183, 245 Leviten 53, 54, 83, 84 Libyen 86 lichanós 193, 194, 204, 205, 217, 218, 219, 261 Liebeslied 277 Lied 101, 115, 256, 258
Ma-gräma
Liedform 32
Liturgie 28, 52, 55, 71, 73, 74, 75, 77, 81, 82, 85, 86, 88, 125
Livius 253 lo 94 Lobgesang 84, 168 Logik 50, 51, 57
310
159, 204, 217, 232,
Lyra 200
lyrisch 250
Ligaturen 87, 91, 143, 144, 146, 241, 245 limá 119 Limä 117, 118, 119 Ling Lun 102 linguistisch 279 Liniennotation, 275 linke Musik 133ff. Linos-Lied 56
73, 203, 216, 231,
Lykurgos 234
Leierspieler 64, 192, 195, 216, 249 leimma 194, 245, 257, 258 Leiter 23, 24, 58, 64, 73, 115, 120, 146, 257
Leitton 274, 277, 279, 280
58, 60, 61, 201, 202, 214, 215, 226, 230, 276, 280
Lysiades 248 Lysikrates 248 151ff., 153, 159, 258
Mádchenchóre 248
Madhyamä 160 Madhyamävati 120 magisch 82, 124, 145, 234
Magnifikat 269
Mahädeva 156, 161 Mähür 231, 261, 263 Mähüräni 261 Maimonides 138 Malaien 116, 118, 139, 176 Malaiische Inseln 93
Malakka 27, 47
malakón 195 Mälkos 155, 162, 163
Mälsarl 172 Mandschurei 133
mandra 144 Manjurá 119, 120 Männerstimme 62
Mansi s. Wogulen
Mantizomenoi
18
161, 206, 218, 259,
198, 210, 219, 260,
maqüm 75, 197, 210, 231, 233, 260, 263 ff., 268, 280, 283
mésé 198, 205, 207, 222ff., 231, 232
Marokko 115, 184, 255, 269, 280, 285 Marschtanz 285 Marseillaise 56
Mesomedes 181, 231 mésón 204, 205 Mesopotamien 55, 56, 57, 71, 86, 91, 177,
Marcianus Capella 253
Marsyas 179, 251 Martinovitch, N. N. 122
Mauren 269 Mäya 280 McPhee, C. 126 Medizin 51, 256 Medizinmann 18
44,
218,
221,
mesoid 231f., 249, 263
265 ff., 284 ff.
Mathematik 51, 215, 256 Mathya 169
Mehrstimmigkeit
217,
255 metabolé 222 Metallophon 118, 137, 139 Metrum 41, 75, 80, 81, 87, 91, 123, 143, 145, 1671f., 177, 240ff., 248, 250,
Märvä 162, 163 Masora, Masoreten 76 MaB 5o, 67, 99 Massanqo 88 Maßeinheit 245 Massenkonzert 252 Maßwert 51 Materialleiter 258
Medizintanz 248
216,
88,
90,
91,
132ff.,
237, 238, 267, 283, s. Polyphonie Meistersinger 75 Melanesien 271, 287 melisch 240, 241
Melisma 79, 91, 282 Melodie 18, 19, 23, 29f., 32, 38, 39, 123ff., 167, 275, 285
Melodie, ,,ewige'' 40, 74 Melodieführung 127, 128, 139, 140
Midas 251 Mikado 134, 138 Mikronesier 17 Mikrotóne 63, 134, 141, 142, 188, 288 Militárkapelle 136 Ming Huang 137 Ming-Zeit 104 Mirhton 19 Mittelalter 133, 145, 167, 239, 275, 278 Mittellage 230 Mixolydisch 60, 61, 159, 199, 207, 209, 210, 211, 212, 213, 216, 218, 220, 221, 222, 223, 230, 231, 232, 260 modal 60, 61, 110, 111, 117, 155, 198, 207, 208, 210, 216,
189, 257,
255,
271,
200, 206, 214, 215, 224, 225, 150, 151, 217, 218,
219, 228, 229, 230, 231, 232, 258, 259,
263, 271, 285 Modalstruktur 120 Modell 28, 263, 264
Melodieinstrument 134 Melodiekern 34 Melodiemodell 155, 231, 233, 263 Melodiestil 26, 27ff., 73, 231 Melodiestruktur 37
Modell, antipoetisches 265
Melodieverlauf 39 melogen 39, 48, 74, 241
Modi, metrische 284 ff. Modulation 61, 114, 209, 222f., 223, 224, 226, 244
Melodietyp 38 melopoiía 231
Membran 42 mensura 285
Mensuralnotation 131, 284, 285 Mensuralsymbole 131 mesauliká 185
Meëäqab, Mihä’il 261 21*
--, formales 175 —, melodisches 87,
156ff., 176, 268
—,rhythmisches
176, 177, 2661.
Modus
22,
91,
132,
126,
58, 59ff., 70, 87,
142, 148,
107,
148, 168ff.,
110,
111,
113, 117, 119, 120, 121, 122, 123, 142, 148, 150, 151, 152, 159, 190, 191, 195,
198ff., 204, 207, 208, 209, 213, 214,
217, 219, 221, 222ff., 231, 232f., 233, 250, 255, 257ff., 274, 280
311
Mogemoc 45
Mohammed 176 Mohammedaner 56, 127, 168, 265, 257, 259, 261, 269 Mohana 120 Moll 133, 207, 228, 270, 287 Monche 88 Mondon-Vidailhet 88, 89
Musiklehrer 238
176,
189,
Musiktheorie 32, 111, 147, 181, 182, 189, 255 ff., s. Theorie Musikunterricht 235, 236
Mongolei 40, 115, 128, 138, 166, 279
Musikwesen 100, 253
Musikwissenschaft 19, 20, 22, 26, 47, 182, 183, 194, 256
Monochord 67, 182, 194
Monotonie 74, 174, 263 Monteverdi, Claudio 247
Mora 811. Moral 234 Mordwinen 279 ‚Moses 52 Motette 285 Motiv 18, 29, 31, 46, 48, 74, 75, 76, 78, 91,
126,
145,
156
mousiká 176 mousiké 243, 244 Mueller 135
Muezzin 256
münäh 73, 79 Mundorgel 132,
133,
134,
munggang 117 mürchana 152, 153ff. Muscheltrompete 19 Musen 251 Musen-Hymne
181,
136,
137,
281
202,
212,
225,
231,
Vergleichende
179, 184, 271
21,
Mutation 275 Mystik 51, 124
Nachabmung 48 Nachbarton 117, 223, 277 Nachspiel 223, 228 Nacht (Theben) 66
Nahäwand 197, 209, 259, 260, 261 Narada 50, 156, 159, 165 nasal 70, 124, 166 nauba 268 ff. Navaho 30 Nawä 260, 261
Musiker 53, 54, 55, 57, 58, 60, 61, 137, 138, 139, 141, 147, 148, 157, 158, 173, 174, 177, 217, 223, 234, 236, 239, 241,
248, 253, 261, 269 Musiker, weibliche 53, 138, 176 Musikgeschichte 25, 182, 251, 254,
2731.
179, 184, 213, 271, 276,
Musikkultur 44, 55, 97 Musikleben 148
42,
97,
nem 119 Nem
117, 119, 120
181, 212, 225, 243, 248
231, 251
Musikauffassung 69, 275
25,
Nebukadnezar 268 Neger 38, 56, 184
n&té 62, 204, 205, 213, 216, 217, 218, 219,
Musikausübung 251
312
25ff,
Nemesis-Hymne
musica mensurata 285 Musikakademie 137, 138, 287 Musikamt s. Yuefu
284 Musikinstrumente 133, 176
Musikwissenschaft,
Nebenton 29, 39, 112
243, 248 musica falsa (ficta) 278
Musikhistoriker
Musiklineal 24 ff. Musikpraxis 141, 244, s. Praxis Musikpsychologie 184 Musiksystem 148
101,
106,
netoid 231f., 250, 263 Neuguinea 19, 29, 34, 35, 36, 38 Neumen 78, 79, 87, 91, 127, 128, 130, 166,
275, 284
nginöt 75 Nikomachos
182, 192, 199
Nil 47, 86, 147 Ningirsu 52 Nippur 52
Nisädi 115, 160 nö 16, 123 ff. nomisch 231, 249, 250
nómos 243, 248, 250ff. nómos Athenás 233, 244 nómos Orthios 243, 251
nómos Trochafos 243, 251 nómos, Pythischer 244
Oktavgattung 61, 202 Oktavgerüst 277 Oktavierung 239 Oktavparallelen 44, 237
None 210, 257 Nordamerika 38, 43, 271 Norm 23, 103, 105, 196, 197, 261 normieren 58, 145, 261, 281, 282 Norminstrument 110
Oktochord 198 olympisch 202
Olympos 179, 190, 233, 237
Normpfeifen 122 Normton
108
Normtonpfeifen 102, 105, 106, 107 Notation 11, 77, 78f , 79, 87, 91, 127ff,
130, 1461., 149, 169, 179, 181, 182, 185ff., 188, 201, 212, 241, 275, s. Buchstabennotation, Fingersatznotation, Liniennotation, Mensuralnotation, Silbennotation, Tonhóhennotation, Tonnotation, Vedanotation, Vokalnotation Notationsmittel 271 Notationssystem 22, 23, 41, 51, 185, 275 Noten 128
Notengruppen 78
Notenlinien 286
69ff., s. Harmonische,
119, 268,
Organisation, musikalische 53 Organist 42, 273 órganon trígonon enarmónion 63 Organum 107, 282, 285
284, 287, s. Osten Orient, Ferner 167, 200
Partial-
Oboe 52, 54, 55, 65, 66, 133, 137, 140, 147, 164, 251, 256, 267 Oboenspieler 137, 164 Ode 101
Ode, Pythische 180
38, 39, 48, 52, 57, 58, 64, 67, 69, 90, 103, 105, 112, 118, 119, 120, 122, 141, 142, 150, 152, 154, 171, 190, 192, 193, 196, 204, 209, 210, 211, 213, 218, 221, 225, 229, 231, 258, 260, 262, 267, 271,
274, 275. 278, 279
117, 267,
Orgelpfeifen 62
tóne
Ohr 244 Oktave 24f, 25, 59, 60, 61, 63, 106, 110, 111, 132, 134, 139, 161, 163, 166, 198, 199, 202, 215, 216, 217, 239, 241, 257,
Orchester 39, 54, 63, 91, 97, 123, 136ff, 173, 174, 253, 269, 282, 283 Orchestermusik 22, 126 Orchesterritornell 121 orchestrieren 9o
Orgelpunkt 89, 267 Orient 501f , 155, 196, 237, 256, 274, 282,
Ob 279
Obertóne
Opferfest 248 Orakel, Delphisches 234
Orgel 64, 262
Notenschrift 22, 23, 51, 127 Notensymbole 149 Notierung 22, 213 Nubien 64, 86, 184
Oberágypten 86 Oberquarte 108 Oberquinte 108, 154
Oper 74, 124, 247, 282, 288 Oper, chinesische 124f. Opfer 253
— , islamischer 195, 196, 263 — , Vorderer 167 orientalisch 12, 22, 23, 25, 70, 142, 155, 156, 161, 179, 183, 184, 194, 196, 205, 231, 232, 233, 237, 259, 260, 268, 269, 270, 271, 273, 274, 281, 287, 288 Ornament 132, 165, 267, 268 Orotschen 19 Orthios 242, 246
Osiris 249
Ostasien 93ff., 115, 202, 280, s. Asien Osten, Ferner 94, 109, 123, 124, 125, 126, 127, 158, 165, 278, 283, 284, 287 — , Mittlerer 71, 104, 108, 125, 139, 196, 259, 282, 283 — , Naher 67, 71, 82, 139, 259 Ostinato 268 Ostinato-Bässe 267, s. basso ostinato Ostinatomotiv 135, 237
313
Patagonier 25, 31, 41
Ostjaken 19, 279
Öteki 133 overt 31
Oxyrhynchos-Hymnus 199,
212,
214,
(-Papyrus)
216,
221,
222,
181,
228,
232, 233
OXYS 143 oxyteros 214
Päan 180, 231, 234, 247, 248, 250
Pädagogik
178, 270
Paiàn Ó paiän 248
Paión diágyros 242 Paión epíbatos 223, 242, 244
Panini 143 Panflóten (-pfeifen) 97, 106, 281
280,
132,
222,
226
Parallelgesang 283
83, 87
paranété 204, 205, 213, 217, 218, 219 Paraphonie 239f.
Paraphrasierung 238 parhypáté 204, 205, 217, 218, 219 parhypáté (Färbung) 195f. Paris 46
parodos 249 parthénia 248
Partialtóne 69f., Obertóne parvan 146 Parvati 161
pas double 76 pas simple 76 Passacaglia 30
103,
s.
65,
Harmonische,
281
53,
71,
73,
74,
104, 176, 255, 265, s. a. Iran pesrev 268
99,
256,
116,
257,
117,
260,
petteía 231
177, 268 Pfeifenspielerin 176
Pfeifer 130 Pharao 11, 53, 138 Pherekrates 156, 214
Philippe de Vitry 278
Philister 82 Philo 84, 85, 98 Philologie 183, 184, 214 Philosophie 51, 215, 256, 263 phonais 238
phonetisch 91
Phónizien 55, 56, 86, 88, 92, 178
pasta 76, 79
Phonograph 22, 25, 144
314
267,
140,
261,
Pfeifen 56, 65, 102ff., 105, 106, 133, 164,
Passahfest 85
Passamaquoddy 22 Passion 247
112,
113, 114, 133, 142, 184, 186, 204, 211, 271, 279,
Periode 32, 150, 169f., 171, 172, 268 perispómenos 143 Permutation 35, 150, 169, 172, 244 Persien
Parallelismus membrorum paramésé 205, 217, 218
61,
199, 201, 204, 259,
91, 109, 110, 111, 112, 120, 121, 122, 128, 130, 154, 159, 161, 162, 163, 191, 193, 200, 201, 202, 203, 214, 222, 223, 224, 257,
Pänan 43 Panéami 160
107,
198,
pentatonisch 38, 39, 59, 64, 65, 73, 90,
Palastmusik 121
224,
197,
260, 271, 279, 287 Pentateuch 73, 74 Pentatonik 280, 283
Päktsche 138 Palástina 55, 71, 73, 76, 86, 88, 176
223,
Pathos 38, 39, 74, 230, 233 Pauken 94 Pausanias 182 Pause 57, 130, 168, 245 Pedalton 164 pelog 116, 118, 119, 122 Pelog 117 Peloponnesischer Krieg 183 Pentachord 39, 57, 58, 60,
196,
paideia 235
Pantomime 46, 251 päonisch 242, 243f., 244 Papua 36 Parallele 44, 45, 46, 90,
pathogen 38f., 39, 48 páthos 222
Phonogramm-Archiv 22 Phonogrammaufnahme 38, 40, 46
Phorminx 200 Phrase 31, 32, 34, 41, 48, 62, 125, 130, 131, 132, 268, 275 Phryger 251 Phrygien 178, 179, 190, 248 Phrygisch 55, 58, 60, 61, 73, 159, 162, 190, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 206, 207, 210, 211, 212, 213, 214,
215,
216,
217,
218,
219,
220,
226, 227, 229, 230, 259, 260, 271, 276
231,
233,
234,
Phrynis von Mytilene 183, 214
Physiker 51 physiologisch 246 Pipa 122, 128 Pindar 180, 181
ping 128 plagal
58,
60,
152,
199,
207,
208,
229,
230,
235, 236,
238,
274
Plapperliedchen 40
Plato
148,
195,
198,
247 Plektrum 252, 267
Plus-und-Minus-Operationen 150, 151 Plutarch 69, 195, 201,
182, 208,
233, 239, 246
183, 209,
189, 214,
190, 217,
192, 229,
Politik 51, 191 Pollux, Julius 182 Polynesien 17, 28
Polyphonie
44, 237, 283, 285, s. Mehr-
stimmigkeit
Polyrhythmus 43, 126, 266
prokeleusmatikós 241, 242
Psellos, Michael 250 Pseudo-Longinos 238, 239 ptolemáisch 207 Ptolemáus 67, 182, 189, 194, 195, 208, 210, 229, 230, 231, 257, 260, 261 Pulsation 19
207, 258,
punctus divisionis 168 Punktierung 171, 241 Pürvi 162, 163 putra 161
pwe 140 Pygmáen 16, 25, 47, 271 pyknón 188, 192 Pyrrhichios 241, 243 Pythagoráer 181
Pythagoras 67, 181, 256 Pythagoras von Zakynthos 219 qadma 76 Qànün 267 Qeduša 73
Qin 11, 96, 110, 136, 165
qualitativ 125ff., 167ff., 244 quantitativ
124ff., 167ff., 241, 283
Quarte 24, 29, 32, 34, 35. 36, 38, 39, 44, 4B, 57, 58, 59, 61, 64, 67, 68, 69, 70, 73, 78, 87, 90, 98, 103, 105, 107,
154,
Prinzip, zyklisches s. Auf-und-Ab-Prinzip
Privileg 51 professionell 250
psalmodieren 31, 143 Psalter 75
Quadrivium 50
Pralitriller 164, 165
42, 50, 107, 120, 139, 152, 184, 237, 255, 261, 266, 284 166 51
Psalm 54, 72, 73, 74, 75, 86, 250
Psalmodie 28, vgl. Kantillation
Qing 95
Práludium 251, 268, 269
Praxis 170, pressus Priester
Prozession 243, 248
qu 130
Poona 31 Popley, H. A. 57 Portamento 31, 149, 165, 189 Posaune 56 Prádominante 155, 163, 164
prathama 144
Pronomos von Theben 219
proslambanómenos 204, 205 prosodiakós 243 provenzalisch 271
108,
109,
110,
111,
112,
116,
123, 132, 134, 162, 163, 194, 199, 201,
207, 209, 211, 231, 238, 239, 241, 257, 263, 267, 271, 273, 274, 275, 277. 280, 281, 282
Quarte, übermäßige 121, 162 Quartenzirkel 257 Quartparallelen 133 Quartett 247
315
Querflöte 122, 123, 133, 134, 137 quilisma 166
Quinte 24, 34, 38, 39, 44, 47. 48, 57, 58, 59, 64, 65, 67, 68, 69, 78, 79, 87, 90, 98, 103, 132,
105, 108,
199, 207,
109,
110,
112,
211,
216,
221, 231,
209,
119,
238, 239, 241, 257, 263, 272, 274, 277, 278, 280, 281 Quintenzirkel 64, 103, 105, 106, 116 Quintfortschreitungen 105, 106 Quintparallelen 133
Quint-Quart-Strukturen 274
raga 75, 120, 142, 152, 155ff., 172, 174ff, 176, 231, 233f., 263, 280, 282, 283 ragini 156, 161
Rahäwi 264
Rahmentrommel 43, 55, 82, 176, 266, 284 Räjaräjesvara-Tempel 172 Rallentando 174 Rämämätya 69 Rämäyana 148, 149, 157, 158, 159, 166
Rassel 42, 125
Rasseltrommel 55 Räst 231, 260, 263, 264
Raum, musikalischer 57, 216, 249
28,
31f,
37,
41ff,
123ff,
127, 130, 131, 132, 143ff, 147, 167ff ,
223, 235, 236, 238, 265ff , 284ff , 288
240ff,
255,
258,
Riemann, Hugo 185, 190, 200, 243
Ritornell 268 ritsu 107f Ritsu 110, 111f, 121, 201f Ritual 54, 123 Ritual, vedisches 143
Ritualmusik 71, 109
Ritus 74, 106, 141, 144 Róhrentrommel 177 Róhrenzitter 147
Rom 87, 143, 178, 181, 183, 252, 253ff., 255, 270, 279, 280, 284 Rondeau 278 Rondo 174 Rousseau, Jean Jacques 15, 16
Saba 88 Sa-gräma 151ff., 153, 159, 280 Sachs, Hans 124
Reihung 46
Reinach, Th. 1835, 214 Reiner, Marcus 24
Sackpfeifen 89, 164, 268
Sadji 160
Reinigung (kätharsis) 234
Sadjodisyavatt 115 Safl ad-Din 67
Renaissance 55, 76 Reperkussionston 225
Repertoire 27, 37, 270
reprises 76
vgl.
Rezitation 74, 78, 82, 143f, 145, 240
316
22,
Ryo 110ff., 121, 201
Register 38, 124, 166
Responsorium, antiphonales 86
15,
51, 56, 73, 80, δι, ὃς, 87, 91,
ru 130 Rubato 123 Rüpaka 169, 245 rvial 78
Reibung 44, 45
phonie
Rhythmus
Roussel, Abbé 102
re 78 Reaktion, motorische 33 rechte Musik 133 ff. Redekunst 50 Reflex, motorischer 62 Refrain 27, 84, 85, 86, 89
Resonanzboden 110 Resonanzkasten 139, 147 Responsorialgesang 83, 86,
Rezitationsstil 123 Rezitationston 277 Rezitativ 74 rezitieren 143 rhapsodisch 125 Rhetorik 50
Anti-
Saite 55, 63, 64, 65, 66, 69, 70, 72, 104, 107, 108, 110, 116, 122, 131, 136, 152, 153, 156, 165, 186, 187, 188, 191, 194, 200, 204, 205, 211, 212, 213, 214, 219, 221, 229, 252, 257, 258, 267, Saiteninstrument 45, 53, 66, 72, 132,
147, 153, 154 185, 190
Saitenteilung 65
99, 130, 183, 201, 216, 281 139,
Sakadas 243, 251
Sakai 27
Salendr&-Dynastie 120
salendro s. slendro Salomo 52, 53, 88 Salomonen 34, 35, 112, 281 saltarelli 76 Sama-Gesänge 145 Sama-Sänger 144, 145
Sama-Stil 143, 145
säman 146 Samarkand 138 Samavidhänabrähmana
Samoa 42, 47
San-no tzuzumi Sanctus 73
144
133
Sanduhrtrommel 133, 137 Sangá 119, 120
Sänger 19, 27, 28, 31, 33, 36, 38, 39, 42,
44, 46, 48, 51, 52, 53, 54, 55, 58, 63,
Schicksalslieder 37, 112 Schilfrohrflöte 69 Schiwa 141, 161
Schláge 167, 169, 170, 171, 172, 173 Schlaginstrumente
125, 269
Schlagnotierung 131, 171 Schlegel 123
Schlußton 73, 155, 231, 273 Schneider, M. 283
Schrapinstrumente 125 Schrapróhre 18 Schreien 72ff. Schubert, Franz
16
Schweden 271 Schwingungen 23, 24ff, 66, 70, 130, 181 Schwingungsverhältnisse 24, 39
Schwingungszahlen 24, 25, 99
se 78, 96, 136
Se 11
64, 70, 72, 73, 75, 82, 84, 107, 108, 115, 121, 123, 130, 132, 133, 136, 137,
Sechsachteltakt 243 Sechsfünfteltöne 22, 122 Sechssiebenteltóne 193
189, 215, 216, 217, 233, 245, 248, 249, 250, 252, 253, 260, 261, 262, 263, 267,
Sechszehntel 81, 131 Seikilos 180, 187, 188, 202, 212, 227, 228,
149, 152, 155, 165, 166, 173, 175, 187,
269,
281,
285
Sánger, blinde 51, 87
Sängerinnen 138, 157, 176, 256 Sanskrit 141, 143 Sardinien 89
Särngadeva 69, 148, 152
Saröd 165
Sassaniden, 256, 265 Satz 268, 269 Saul 52 Säzkär 261 Schäfke, R. 231 Schall 43 Schallaufnahme 22, 165 Schallkörper 66 Schalltrichter 19 Schamanen 18, 19 Schamanenriten 263
Schamasch 52 Schattenspiele 140, s. pwe Schauspiel 72 Schauspieler-Sánger 249
Schellentrommel 52, 84 schema 198
Sechstonmelodien 145
231, 232, 233, 245, 250 Seitenbewegung 128
Sekunden 22, 24f., 29, 32, 33, 34, 35, 39, 40, 45, 46, 64, 109, 110, 112, 116, 118,
119, 121, 132, 134, 191, 193, 195, 211,
257, 258
Sekunden, 260
übermäßige
159,
162,
163,
Sekundkern 112 Semang 47
semitisch 55, 62, 77, 176, 177, 284
Seneca 253 Senoi s. Sakai Sephardim 71, 78, 79, 82 sephira 104f.
Septimen 24, 112, 121, 132, 152, 210, 260,
278, 281 Sequenz 48 Setjo 137 Sexten 24, 38, 73, 104, 109, 112, 144, 210 Shakuhachi 108
shang 95, 109 shang (Steigeton) 128 Shankar, Udai 161, 175
317
Sheng 133
Sklavinnen 141
shi 125
Skolion 180, 187, 188, 202, 212, 216, 227,
Shö 133 Shöko 133 Shujing 100
slendro-Temperatur 119
si 78
Solist 83, 174
Shun
228, 231, 232, 233, 241, 245, 250f.
slendro 118ff., 193
100, 136
Soesoehoenan
Siam 93, 107, 120, 121, 122, 139 Sibirien 19, 37, 112, 279 Siebenachteltóne 122 Siebentonreihe 121, 122, s. Heptade
solistisch 249, 250
Solmisation 217ff. Sologesang 91, 248 Solosänger 46 Somanätha 164 Sonate 251 Sö-no koto 133 Sonne, I. 234 Sophokles 249 Sopran 62
Si-gäh 263 Sikah 280
Silbennotation 77 Silbenschrift 146 Silbenzahl 74 Silla 138
Simhanadana 170 Simon, R. 146 Sin 83
Sowjetunion 279
Spanien 269, 271
Sparta 234, 247, 243
Sinfonie 44 Singen
17, 18, 19, 25, 27, 28, 33f., 36, 37,
38, 41, 42, 43, 46, 48, 70, 72, 83, 124, 141, 145, 155, 166, 189, 196, 235, 249, 250, 256, 270, 281, 282, 283
Singmanier 19
Singstil 19, 20, 48, 123 Singstimme 38, 43, 107, 211, 215, 232, 382
123,
128,
132,
Singtechnik 23 Singweise 124
Sitär 177 Sitztänzer 28 Sizilien 180, 253 Skala 24f., 25, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 69, 75, 87. 97, 100, 101, 105, 106, 107, 109ff., 123, 128, 130, 133, 142,
144, 145, 146, 149ff., 153, 155, 159,
161, 162, 174, 177, 186, 187, 188, 189,
190, 191, 193, 194, 195, 196, 198, 199, 203,
205,
207,
208,
209,
210, 211, 213, 214, 216, 218, 219, 221, 229, 230, 231, 232, 233, 255, 25711., 263, 275, 278, 279, 280, 281, 287, 288 Skandieren 28 Skandinavien 281
318
—, Karnáische 248
— , Panathenäische 248
— , Pythische 182, 248, 251, 252 Spielen 184, 196, 235, 238, 282 Spieler 51, 52, 62, 63, 64, 76, 84, 89, 90, 137, 138, 139, 140, 154, 164, 196, 197, 200, 211, 216, 238, 253, 257, 260, 261, 262, 267, 269, 281
Sistrum 52, 87, 88
202,
Spencer, Herbert 15, 16 Sphárenharmonie 98ff. Spiel 17, 141 Spiele, Dionysische 248
105, 107, 126, 127, 130, 133, 135, 136,
Sippar 52
200, 201,
139
Spieler, blinde, 136
Spielhaltung 42 Spielleute 271
Spielmann 88
Spondäus 169, 246 Spondeios 242
spondáisch 201, 244 spondeiasmós 222 Sprachakzent 28 Sprache 50, 72, 78, 124, 287 Sprache, musikalische 22 Sprachmelodie 16, 22, 79 Sprechstimme 19 Sprechton 124 Springtanz 285 Sprung 78, 79, 165
Streichinstrumente 201, 239 strophé 249 Strophe 30, 89, 125, 174, 268
Sri 158 $ruti 150ff , 159, 165, 258
$ruti-System 153
Stabzither 176 Staccato 94
strophisch 248, 250 Struktur 37, 38, 39, 57, 60, 61, 87, 112, 150, 155, 174, 198, 202, 208, 210, 211,
Stampfróhre 42f., 137 Standardintervall 64 Standardskala 149, 150 Standardton 102 f. Standardtonbóbhe 100
213,
127,
stereón 195 Stil 12, 16, 17, 21, 25, 28, 36, 38, 39, 40,
42, 45, 48, 51, 57, 70, 122, 126, 133,
142, 145, 147, 249, 250, 256, 262, 269, 271, 273, 281 stile rappresentativo e recitativo 15 Stiles, Fr. Haskins Eyles 218
Stimm-Maskierung 19 Stimmbänder 38, 281 Stimmbereich 45
19, 31, 43, 44, 45, 73, 89, 100,
238, 250, 270
Stimme, gepreDte 70, 87 Stimmgebung 124
Stimmung, Stimmen 50, 64, 90, 91, 110, 116, 118, 121, 130, 186, 191, 192f, 212,
(emotional)
Stimmungsgehalt
214,
97,
155, 263
Stimmvorrichtung 214
Stoll,
D
164, 165
151,
159,
163,
165,
171,
Stützton 196 Subfinalis 277 Subjektivismus 183 Subsemitonium 274, 277, 278
succentiva 183, 184 Suidas 251
Sülphakatà 172 Sumatra 38, 120
104, 177 superior generation s. Ableitung
Suprafix 34, 35
Supriya 152 svara 152
Symmetrie 46, 48, 145, 172
Stimmregister 107 Stimmton 104 Stimmumfang 107, 166
230
150,
Symbole, palästinensische (tiberiensische) 77
Stimmkraft 38 Stimmlage 44, 64, 72, 124, 281
Stimmung
142,
svarita 62, 143f., 241 syllabisch 87, 91, 145, 245, 275, 282
19
211,
276
Sumer 52, 55, 64, 65, 70, 72, 77, 89, 99,
108, 124, 126, 157, 158, 165, 187, 237,
210,
247,
Stumpf, Carl 16, 115, 120
Steinspiele 104, 106, 125, 127
2221. 246, 281
232,
189, 193, 194, 198, 231, 240, 277 Stufenzirkel 59
Steigeton 128
201,
229,
‚Stufe 58, ,59, .60,.61,.65, 79,.117..118,.121,
stásimon 180, 225, 231, 250
Stimmfärbung
228,
Strukturelement 275, 280
Standharfe 55 Standlied 180, 250, s. stásimon
Stimme
216, 217, 221,
258, 259, 260, 268, 272, 273, 275,
Strabo 176 Straßensänger 273 Strawinski, Igor 41 Streckengleichteilung 65 ff.
98,
216,
221,
155,
165,
symphonía 239 Symphonie 239f., 269 Synagogalmusik 273 Synagoge 73, 86 synéménón 205, 211 synéménos 211 Synkope 267 Synkopierung 43, 126 syntono 204
Syntonolydisch 209, 210
syntonon 196, 210f. syntonos 210
Syrien 55, 78, 86, 87, 88, 255, 256 Syrjänen 279
System 23, 57, 58, 61, 70, 91, 104, 109, 179, 185, 194, 195, 198, 204, 213,
319
219,
232,
255,
256,
260,
261,
262,
273,
274, 275, 280, 281 System, modales 191 — , pádagogisches 234 — , Vollkommenes 198, 204ff., 228
Tempelharfe 115
Tempelmusik
systema 183
Tabulatur 127, 130ff., 186, 187 Tacitus 270 Taiko 133, 135 tak 266 Takt 41f., 63, 70, 81, 82, 85, 91, 125, 135,
145, 167ff., 172, 242ff, 266f , 284 ff.
125,
126,
170,
Taktstrich 41, 286
84, 91, 93, 94, 123, 126, 141, 243, 244, 247, 249, 284
136,
Tanzgruppe 46
Tanzlied 40 Tanzmeister 76
Tanzorchester 137 Tanzspiele 249 tarchä 76
tarkib 267
125, 256 67ff,
91,
110,
122,
153, 195, 209, 258, (259), 260f.
320
239, 256, 274 Terpander 183, 199, 211, 235, 237
117,
109,
118,
110,
119,
112,
120,
113,
121,
114,
115,
122,
132,
150,
273,
279,
280,
281
Terz, neutrale 117, 120, 193 Terzgerüst 271 Terzkern 112 Terzketten 275ff , 287 Terz-Quint-Gerüst 281
Terzstruktur 279
Tetrachord 39, 40, 57, 66, 67, 73, 87, 90, 155, 159, 163, 177, 193, 194, 195, 196, 202, 204, 205, 208, 218, 222, 224, 225, 259,
taqsim 267f., 268, 269
Teilungsprinzip
Tempo 18, 23, 75, 85, 131, 139, 167, 174, 231, 238, 246, 263 Tenor 73, 251 Terminologie 62, 158, 159, 183, 198, 199, 204, 205, 211, 213, 214, 217, 219, 238,
272,
Tang-Dynastie 107, 124, 125, 137, 139 Tantras 104 Tanz 17, 27f, 32f., 33f., 36ff., 72, 75,
147, 285
288
134, 152, 184, 188, 189, 190, 191, 193, 194, 195, 201, 202, 210, 211, 216, 221, 225, 239, 241, 258, 259, 260, 263, 271,
tāna 154f.
126,
287,
Temperierung 118, 119
116,
Tandschur 164, 172
Taulipáng 18
262,
—, ungleichschwebende 59
89, 90,
Tamilen 149, 161
Tataren
Temperament 33, 44, 158, 246 Temperatur 121, 122, 261 lemperatur, gleichschwebende 24f., 59, 119, 120, 150, 193, 194, 195, 196, 209,
Terz 22, 24, 32f., 33, 34, 35, 36, 37, 39, 40, 44, 45, 59, 61, 63, 64, 67, 68, 78,
Taktteil 70 tala 126f., 168ff., 176, 244, 245, 266 Tambattam 176 Tamburi 164, 175, 177
Tanzchor, dionysischer 249 Tánzer 18, 32, 36, 55, 63, 85,
54, 88, 121
Tempelsánger 52, 57, 84, 125 Tempelzeremonie 63
systéma téleion 204 systema téleion élatton 205 ff.
Taktformel 285 Taktgliederung 31 Taktmaß 167, 169 Taktschlag 130, 131, 165 Taktschlagen 70, 73, 81, 244f., 284, 285
teleutö 202 Tempel 52, 63, 71, 81, 91, 104, 147 Tempeldienst 51, 52
260,
201,
271,
58, 116, 188, 198, 210, 226,
59, 60, 61, 63, 117, 152, 153, 189, 190, 191, 199, 200, 201, 211, 216, 217, 230, 257, 258,
273
Tetrachord, unverbundenes 59, 63, 90, 112, 114, 116, 117, 118, 159, 161, 190, 205, 207, 209, 261, 287 — , verbundenes 57, 59, 63, 90, 112, 114, 116, 117, 159, 190, 198, 202, 205, 207, 209, 228, 261, 287 Tetralogie 249
Tondauer 125 Tonflóte 136
Text 27f., 124 Thaletas 234, 248 Thamyris 251 Theben 86, 89 Thema 29
Tonfolge 59, 121, 157
Theo von Smyrna 239
Theoderich Theon 248
182
Theorie
50,
56,
217,
229,
232,
60,
110,
148,
151,
154,
259,
261,
155, 161, 169, 177, 178, 194, 199, 213, 253, 256,
257,
267, 273, 277, 281, 287
Theoretiker 194, 196, 228, 264, 267, 278 Therapeuten 851. thésis 216, 228, 2321 , 2421f.
thetisch 221, 223, 225f.,
227, 228, 231,
2321., 233, 249, 251, 280 St. Thomas 176 Thot 50 Thrazien 183, 251 threnodiké 233 Tibet 35, 125, 126, 132, 138, 161 ‚tief‘ 62, 231, 232, 246 Tierhôrner 69
Tiger 136 tik 266
Timbre 19, 23, 96, 97, 134, 266 Timbutu 176 Timotheos von Milet 156, 183 Tintäl 172 tipchä 76
Tocharen 102 Todi 162 Tokio 287 Ton, ebener, 128 — , fallender 130 — , hoher 143, 144, 145 — , mittlerer 143, 144, 145 — , tiefer 143, 145
Tonabstand 16, 335, 39
Tonalitát 60, 272, 281 Tonarten 102, 107, 132, 154, 178, 183, 185, 191, 195, 198, 205, 206, 207, 209, 211, 213, 214, 216, 219, 221, 222ff, 230, 231, 232f., 233, 235, 255, 258,
269, 275
Tonbereich 231
Tonbewegung 124, 128 Tonbezeichnungen 218
Tongebung 79 Tongeschlecht 58, 59, 60, 63, 64, 75, 90, 118, 161, 188ff., 193, 195, 196, 200, 239, 257, 258, 283, s. a. ZwölftonGeschlecht Tongruppe 29, 75, 78, 124, 127, 146 Tonhóhe 16, 19, 23, 28, 31, 38, 42, 58, 59,
61, 65, 66, 75, 77. 78, 97, 99, 100, 101,
102, 105, 106, 108, 116, 118, 150, 173, 213, 230, 232, 240 Tonhóhe, absolute 105, 144, 218, 230 — , fallende 240 — , gleichbleibende 240 —, relative 218 —, Steigende 240 Tonhöhenmaß 104 Tonhóhennotation 91, 186 Tonhöhensymbole 97 Tonika 32, 47, 48, 58, 60, 102, 196, 259, 263, 274, 277, 280, Tonlage 38, 60, 64, 70, 123, 124, 263 Tonleiter 102 Tonnorm 116 Tonnotationen 127, 187
128, 145,
185,
217,
152, 155, 281 156, 231,
Tonordnung 232
tonos 183, 198, 233 Tonreihe 59, 60, 103
Tonschrift 97 Tonschwingung 249
Tonstufe 103, 122 Tonstárke 19, 266 Tonumfang 117
Tonwahrnehmung 181 toptail inversions s. Ecktonversetzungen
Torres-StraDe 38 Torrhebos 201 Tradition 33, 48, 50, 51, 60, 63, 76, 127, 130, 131, 134, 155, 158, 184, 255 tragisch 231, 249
tragödia 249 Tragödie 180, 248, 249, 250, 288 Tralles 180 Trance 28, 263 Transkription 22, 23
321
transponieren 212, 215, 231 Transposition 103, 119, 150, 207, 213, 216
153,
154,
Transpositionsskalen 215
Trauertänze 27 Tremolo 122, 166 tremula voce 166 Triller 78, 164, 165 Trinklied 180, 250, s. Skolion
Trinkopfer 201
Tripelinstrument 219 Tripelklarinette 89 Tripelleier 219 Tripodie 243 Tripus 81
Triputa 169, 244 tríté 201, 202, 204, 205, 216, 217, 218, 219 Tritonus 24, 239, 278, 280 Trivium 5o Trochaios 242 Trochaios Semantos 242
Trocháus 42, 242, 243f., 244, 265, 284 Trog 136
Trommel 19, 421., 43, 55, 56, 82, 85, 98, 116, 123, 125, 126, 134, 135, 136, 137,
139, 140, 147, 172ff., 175, 176, 266, 267, 284, s. a. Kesseltrommel, Rah-
mentrommel,
Rasseltrommel
Trommel, große 137 — , zylindrische 133
Trommelbegleitung 177
Trommelfell 173 Trommelspiel 81, 140f. Trommler 123, 136, 137, 170, 179, 266, 284 19, 53, 54, 84
Tropen 75, 76, 78, 123, 213, 217, 233 tropos 183, 198, 213, 231, 233
tropos spondeiakós 201
trtiya 144 Tschuktschen
19
tuba (gregorianisch) 277 Tumburuvinä 177 Tunbür von Huräsän 257 Tunesien 251
tungusisch 138
Turkestan 122, 138 Türken 87, 176, 196, 209, 255, 257, 259, 261, 268, 287
322
tvir 76
tvisóngvar 271 Überblasen 65, 103, 105
Überblaston 69, 251 Überlieferung, mündliche 127, 145 "Ud 257, 258 udätta 62, 143
Triole 18
Trompete
Turkvólker 125
Tuwais 265
Udmurten s. Wotjaken Ugro-Finnen 279, 280 Uitoto 34
"Umar ibn al-Nu’män 256
Umfang 38, 39, 57, 60, 61, 65, 73, 90, 117, 119, 145, 205, 210, 211, 213, 215,
216, 218, 222ff., 232, 248, 255, 268 Umstimm-Vorrichtung 214
Undezime 205 Ungarn 279
Unisono 73, 89, 132, 134, 236
Unterhaltung 51, 94, 141, 175 Unterquarte 154 Upanischaden 104 Ural 279
’Uë#äq 210, 260, 264 Váisánen, A.O.
Variabilitát 65
279
Variante Variation variieren Veda 62,
169 35, 155, 174 31, 44, 145 78, 104, 142, 143ff., 166
Vedanta
104
Vedanotation 78
Venantius Fortunatus 270 Verbindungston Verfall 88, 254
154, 198
Vergil 80 Vergleichende Musikwissenschaft s. Musikwissenschaft, Vergleichende
Verhalten, musikalisches 196 Verhältniswerte 50, 103ff.,
196
Versetzungszeichen 159 VersfuB 167, 241ff., 265 Versmaß 124, 125, 245, 265 Versmetrik 168 Vertikalharfe 268
110,
194,
Wechselgesang 52, 83, 84, 85
Verzierungen 23, 62, 78, 87, 91, 130, 131, 164, 165, 174, 231, 233, 263 vibägha 169 Vibrato 96, 97
Wei 94 Weitbewegung 33:1.
226, 241, 284 Viertelton 67, 105,
Wendung
Viertelnote 81, 193,
194,
131,
195,
168,
171,
172, 223,
117,
150,
188,
189,
231,
239,
206,
210,
222,
261, 262, 288 Viertonmelodie 35, 39
Wedda 29, 31, 34, 37, 41, 141
Wen (aus Wei) 94 Wen
(aus Zheng) 95
32, 44, 82, 96, 155,
263
Wendung, subsemitonale 277
--, subtonale 277 Werner, H. 40 Westphal, R. 233 Wettkämpfe 236, 248, 249, 250 Wiederholung 29, 30f., 31, 40, 44, 46, 47, 48, 50, 207, 250, 265 Wiegenlieder 37
Villoteau, G. A. 77, 86
Vinà 69, 147, 157, 165, 175, 176
Violine 66, 175 Virgil 253 Virtuose 54, 196, 248, 252, 253 Virtuosentum 114, 182 Virtuositát 174
voceri 271
vokal 70, 107, 123, 164, 185, 187, 191, 193, 202, 235, 237, 266, 268, 281, 282
Wirbel 66, 135 Wirbelkasten 66 Wischnu
156
Vokalmusik 70, 124, 281 Vokalnotation 185, 187f. Vokalskalen 149, 281 Vokalstil 43, 71, 282
Wogulen
37, 112, 279
Volkslied 19, 125, 182, 274 Volksmelodien 268
wu (yi) 128
121, 253
Wotan
46, 51, 52, 62, 94,
101,
114,
wa 78 Wagner, Richard 15, 288
wahda 267 we 78 Wechseltöne
121
101
Xia 94
Xiang 95
Ya-Trommel
Yaman
227, 228,
137
160, 162, 163
Yamana 34 Yang 106 Yecuanä 35 Yekta, R. 197 yetiv 76
Vorstellung, musikalische 33, 64 Vortánzer 249 159, 213, 221,
Wu
Yak-gäh 260
Vorschlag 143, 165 Vorspiel 267, 269
Vorzeichen 280
124
Wotjaken 279
Xylophon 42, 139
Volksmusikanten 236 volkstümlich 233, 250, 260 Volksweise 75 Vollkadenz 32 Vorderasien 164 Vorhalt 57 Vorsánger 27, 84, 85
Vortragsweise 164
Wissenschaft 50, 51
Wortmotiv 75
Volksgesang 51, 55, 75, 89, 141, 276, 284
Volksmusik
165, 231,
229,
yin 106 Yın 94
Ying zhong 128
Yu 95, 109
Yue 94 Yuefu 101 Yüan-Yü 102 zafan 89
Zahl 50, 51, 57, 99 323
Zählzeit 43, 171/2, 241, 242 Zai Yu 72, 107, 110
Zimbelspieler 126, 137 Ziräfkand 264
Zalzal 117, 261
Zirkumflex 78, 143, 240, 241
Zanza 56
147, 153, 267, 268, s. Langzither Zokugaku 191, 199, 202
Zangüla 264
Zither 52, 95,
zāqaf 76
zarqà 78 Zäsur 245 Zauberer 51 Zaubergesánge 234 Zeile 30, 41 Zeiteinheit 19, 125,
244, 245, 246, 265
ZeitmaD
Zeitwert
144,
131,
135,
140,
134,
191, 238,
Zuhórer 233, 244, 245, 252 Zuni 22, 36
Zupfinstrument 165
144,
169,
170,
241,
149,
150,
171,
231,
284, 285 Zentralasien 115 Zentraloktave 216 Zentralton 57, 155, 185, 211, 231
Zentrum, dynamisches 216
Zusammenklänge
91,
132,
230
Zusammenspiel 268 Zusatztóne 34 Zweiertakt 285 zweistimmig 238 ZweitaktmaD 265 Zweitonkern 36 Zweitonmelodie 28, 32, 33, 38, 46 Zweitonstil 29 ZweiunddreiDigstel 132
— , feststehendes 216 Zeremoniell, hófisches 141 Zeremonien 17, 18, 88, 93, 101, 143, 253 zéze 78 Zheng 94 Zhi 95, 109
Zwischenton 78, 154 Zwôlfton-Geschlecht 59
Zigeunerskala 159, 161, 162, 163, 260 Zimbeln 52, 53, 54, 82, 87, 126, 137, 140,
Zypern 56
Zhou-Dynastie 103, 104, 110, 111, 136
147, 173
133,
Zotenberg, H. 77
19, 125, 173, 174 131,
123,
Zwergvölker 16 Zwiegesang 35 Zwischenspiel 136
zyklisches Prinzip s. Auf-und-Ab-Prinzip Zyklus 59