Die Musik der Alten Welt in Ost und West: Aufstieg und Entwicklung [Reprint 2021 ed.]
 9783112528242, 9783112528235

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CURT SACHS D I E M U S I K D E R A L T E N WELT

CURT SACHS

DIE M U S I K DER A L T E N WELT in Ost und West

Aufstieg und Entwicklung

Herausgegeben von Jürgen Eisner unter Mitarbeit von Gerd Schönfelder

AKADEMIE-VERLAG 1968



BERLIN

Übersetzung: Helga Kyritz und Jürgen Eisner Titel der Originalausgabe: The Rise of Music in the Ancient World East and West New York 1943

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Alle Rechte der deutschen Ausgabe vorbehalten Copyright 1968 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/130/68 Gesamtherstellung: V E B Druckhaus „Maxim Gorki", 74 Altenburg Bestellnummer: 5615 • ES 13 B 2

Inhalt Vorwort

Erstes Kapitel Die Anfänge der Musik 1. Musik in der Urgesellschaft Theorien über den Ursprung der Musik — Der Ursprung, wie er sich durch das Studium früher Musik darstellt — Musik beginnt mit Singen — Der ekstatische Charakter früher Musik — Gesänge der Schamanen — Der gesellschaftliche Charakter früher Musik — Ihre besonderen Singtechniken 2. Die Vergleichende Musikwissenschaft und ihre Methoden Frühere Mängel — Der Phonograph — Transkription — Die Cents 3. Melodiestile Gesungene Dichtung — Eintonmelodien — Zweitonmelodien — Der Wedda-Stil — Repetitionsform — Symnetrie — Melodien in Terzen und Quarten — Früheste Entwicklung — Der Beitrag der Frauen — Weitere Entwicklung — Der absteigende Stil — Distanzen und Intervalle — Tetrachorde und Pentachorde — Die sich in den Plapperliedchen europäischer Kinder widerspiegelnde Entwicklung früher Melodik 4. Rhythmus und Instrumentalmusik Früher Rhythmus — Klatschen und Schlagen — Trommelrhythmen — Instrumentalmusik 5. Mehrstimmigkeit Parallelen — Bordune und Heterophonie — Antiphonie und Kanon 6. Schluß

Zweites Kapitel Der westliche Orient 50

1. Hochkultur und Musik Legende, Gesetz und Logik — Musikerkasten — Musikorganisation in Ägypten, Sumer und Babylonien — Musik in der Bibel — Der Tempel in Jerusalem — Ausländer und musikalische Landschaften 2. Musikalische Systeme im allgemeinen

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Tetrachorde und Pentachorde — Geschlecht — Der Modus und wie er zu erkennen ist —Skalen — .Hoch' und .tief' 3. Musik im alten westlichen Orient

63

Ägyptische Szenen — Das Auf-und-Ab-Prinzip — Von Grifflöchern abgelesene Systeme — Streckengleichteilung— Der Lautenist in Nachts Grab — Das Teilungsprinzip und die Jahreszeiten — „Obertöne" — Die Gesten und Handzeichen der Sänger — Jüdische Musik — Schreien nach Gott und stilles Gebet — Melodische Modelle, Tropen und Kantillation — Akzente und Neumen — Prosodie und Rhythmus der Juden — Frauengesänge — Parallelismus membrorum — Antiphonie und responsorischer Gesang — Syrische, armenische, koptische und äthiopische Kirchenmusik — Mehrstimmigkeit — Bordune — Akkorde der Harfenisten 91

4. Schluß „Die Schreie der Opfer, die in den glühenden Armen des Moloch verbrannten"? Drittes Kapitel Ostasien 1. Allgemeine Merkmale China Musik sums Musik

93

und Japan — Volkstümliche Musik — Gelehrte Musik — des Herzens — Musik des Einzeltons — Musik des Univer— Kosmologische Zuordnungen — Sphärenharmonie — und Maß — Korrekturen in der Musik

2. Die Lü's Ling Luns Auftrag — Der Standardton — Die lü's — Kabbala — Schwierigkeiten — Das Männliche und das Weibliche — Aufsteigend und absteigend — Japanische Parallelen

102

3. Die Skalen * 109 Die chinesichen Skalen — Modi — Die japanische Skala — Großterzpentatonik — Malaiische Skalen — Pelog — Munggang — Salendro — Skalen in Siam, Kambodscha und Burma — Bians, Heptatonik und Dur 4. Melodie und Rhythmus 123 Das nö — Singstil — Das Dämonische — Chinesische Oper — Sprachmelodie — Rhythmus und Form 5. Notation 127 Die Bali-Schrift — Tonnotation — Neumen — „Guidos Hand" — Tabulaturen 6. Mehrstimmigkeit 132 Heterophonie — Akkorde — Rechte und linke Musik — Orchestrale Mehrstimmigkeit 7. Orchester 136 Brücken zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos — Riesenhoforchester — Fremde Orchester — Gamelan — Kambodscha und Siam — Die pwe Viertes Kapitel Indien 1. Der vedische Gesang

143

2. Zeugnisse aus bildender Kunst und Literatur Die Reliefs — Bharata

147

3. Skalen Töne — Notation — Srutis — Grämas — Mürchanas

149

4. Rigas 155 Melodische Modelle — Gesetz und Freiheit — Legenden — Wasserund Feuermagie — Jätis — Klassifizierung — Die Stunden des Tages — Gamakäs — Beben — Die Kunst des Singens — Bordune 5. Rhythmus und Form 167 Poetisches Metrum — Tälas — Die Trommelkunst — Äläpa und räga 6. Schluß Soll und Haben

176

7

Fünftes Kapitel Griechenland und Rom Neue Orientierung 180

1. Die Quellen Erhaltene Stücke — Erhaltene Abhandlungen — Falsche Darstellung

185

2. Notation Tonhöhe — Instrumentalnotation — Vokalnotation

188

3. Die Tongeschlechter Diatonik, Chromatik, Enharmonik — Das hohe Alter der Enharmonik — Ihre ursprüngliche Form — Japanische Parallele — Dreisaitige Leiern

193

4. Die Färbungen Die Aristoxener — Die Ptölemäer — Griechische Musik klang .orientalisch'

198

5. Frühe Modi Harmonia, die dorische Familie — Phrygisch und Lydisch — Wieder japanische Parallelen — Der Stammbaum 6. Das vollkommene System

204

Das System — Tonartenordnungen — Verfall der authentischen Struktur — Äolisch — Frühes Mixolydisch — Rätselhafte Skalen — Stimmungen der Leier — Die F-Reihen — Die miteinander verschränkten Systeme — Solmisation — Frühere Fehler 221

7. Die Überreste Die Methode der Analyse — Analysen der erhalten gebliebenen Stücke 8. Ethos Das Problem — Modus? — Tonhöhe? — Räga-maqäml misch-thetische Spannung — Harmonia — Rägal 9. Gesundheit und Erziehung Homöopathie — Allopathie — Pädagogik 8

230 — Dyna-

234

237

10. Kontrapunkt? Begleitung — Konsonanz — Dissonanz

240

11. Akzente und Rhythmus Melische Akzente — Metrische Akzente — Poetischer und motorischer Rhythmus — Erhalten gebliebene Rhythmen — Rhythmische Modelle — Tempo

247

12. Form Entwicklung und Stillstand — Chorformen — Dithyrambus — Drama — Solistische Musik — Nomos — Wettkämpfe

253

13. Rom Sechstes Kapitel Das griechische Erbe in der Musik des Islam Der „arabische" Stil

257

1. Skalen und Modi Die sieben Stufen — Die siebzehn Stufen — Versetzungen und Kombinationen — Dreivierteltöne

263

2. Maqim Modelle — Ethos, Therapie, kosmologische Zuordnungen 3. Rhythmus

,

265

Metren — Loslösung von der Dichtung — Rhythmische Modelle — Trommelspiel — Polyrhythmik 267

4. Mehrstimmigkeit Heterophonie — Bordune — Ostinato — Konsonanz

268

5. Form Taqslm — Pesrev — Nauba

Siebentes Kapitel Europa und der Weg zu Dur und Moll Die Harmonie der tapferen Herzen und tierisches Singen — Der Abgrund zwischen nördlicher und südlicher Musik — Das Problem der mittelalterlichen Tonalität — Terzenketten — Die Landini9

Sexte — Der Gregorianische Gesang ist nicht orientalisch — Die Bedeutung unseres Notenliniensystems — Gegenketten — Dur angeblich „germanisch" — Entwicklung zum Dur — Der Leitton (Halbton) und musica ficta — Ugro-finnische Parallelen — Tendenz zu Dur in chinesischer, indischer, griechischer und islamischer Musik — Der Konflikt zwischen Vokal- und Instrumentalstilen — Frisia non cantat und die wiehernde Stute — Harmonie in Instrumentalstilen — Rhythmus — Metrum und Modi Nachwort Tafelteil (Abbildungen 1—10)

287 nach 288

Nachwort zur deutschen Fassung

289

Register

299

Vorwort Die sichtbaren Relikte der Alten Welt in Ost und West haben sich — wenn man von der Bibel absieht — unserer Vorstellungswelt nachhaltiger eingeprägt als andere Überreste des Altertums. Unsere Phantasie kreist um Pyramiden, die aus gelbem Wüstensand emporragen, um die bizarren Umrisse von Stupas und Pagoden und um die festlichen Säulenhallen griechischer und römischer Tempel, die sich gegen den strahlenden Himmel abheben. Aber es sind schweigende Bilder. Wir hören Pharaos Hofmusiker nicht, die so lebensnah auf den Innenwänden der Gräber und Pyramiden dargestellt sind. Wir wissen nicht, wie man im alten China „den klingenden Stein schlug, wie man Qin und Se handhabte", so daß die Ahnen „zur Erde wiederkehrten". Wir können auch nicht dem Gesang der Jünglinge lauschen, die feierlich-ernst zum Parthenon hinaufschritten, um ihren Opfer- und Gottesdienst zu verrichten. Musik, immateriell und vergänglich, wurde im Altertum überaus selten aufgezeichnet, und selbst die wenigen erhalten gebliebenen Notierungen geben kaum eine angemessene Vorstellung ihres lebendigen Klanges. Die Musik der Alten Welt ist verklungen. Aber eines kann und soll lebendig erhalten werden: die Geschichte vom titanischen Kampf des Menschen um die Befreiung der Musik aus der engen Begrenzung, der sie in der urtümlichen Gesellschaft unterworfen war, seine Bemühungen, ihre Gesetze fest auf die Natur zu gründen, ihr die Kraft und Subtilität zu verleihen, das auszudrücken, was Menschen fühlen, Verzweiflung und Freude, Liebe, Ehrfurcht und Hoffnung. Dieser Kampf ist viel mehr als nur eine Sache der Musik gewesen. Er war das Ringen der Menschheit um den Aufstieg aus urtümlichen Verhältnissen, das Aufbäumen gegen die Trägheit tiefeingewurzelter Gewohnheit und engstirniger Selbstzufriedenheit. Das Ergebnis war Individualismus, aber ein durch strenge Regeln, die Gelehrte auf Grund von Naturgesetzen schufen, vor Anarchie geschützter Individualismus. Es ist erregend zu sehen, wie die Musik seit Tausenden von Jahren zwischen zwei Grundtatsachen im Gleichgewicht gehalten wurde, daß nämlich musikalischer Klang einerseits auf Schwingungen von Materie, geregelt durch mathematische Verhältniswerte, beruht, und daß andererseits musikalische Kunstwerke immateriell, ja geradezu irrational sind. Und noch faszinierender ist es, auf welch verschiedene Weise diese Gegensätze im Gleichgewicht gehalten wurden und wie, bei aller Verschiedenheit, räumlich weit voneinander getrennte Völker ähnliche 11

Wege beschritten und sich in eigentümlicher, unbewußter Partnerschaft zusammenfanden : Griechen und Japaner, Hindus und Araber, Europäer und nordamerikanische Indianer. Diese Zusammenhänge sind noch niemals dargestellt worden. Wohl hat eine unübersehbare Menge inkompetenter und eine weniger imponierende Anzahl kompetenter Autoren über urtümliche, orientalische und hellenische Musik geschrieben. Aber sie behandeln nur bestimmte musikalische Aspekte einzelner Länder, z. B. Chinas, Indiens oder Griechenlands. Mit Ausnahme der vorzüglichen, wenn auch nur kurzen, knapp hundert Seiten umfassenden Übersicht Musik des Orients von Robert Lachmann (Breslau 1929) gibt es nicht ein einziges Buch, das alle die verschiedenen und doch so eng miteinander verwandten Stile der östlichen Welt und die damit zusammenhängenden, vielfältigen Probleme behandelt. Noch weniger hat man die Musik des alten Griechenland organisch mit der des Orients in Verbindung zu setzen versucht, gar nicht zu reden von der Einbeziehung beider in die allgemeine Geschichte der Musik. Beim Studium dieses ersten Versuchs einer Synthese sollte der Leser nicht vergessen, daß das vorliegende Buch die Entwicklung der Musik im Altertum , behandelt und sich daher wenig mit der Praxis und den richtigen und falschen Auffassungen der mittelalterlichen und modernen orientalischen Musik beschäftigt, es sei denn, sie vermögen Licht auf das Altertum zu werfen. Er sollte ebenfalls nicht vergessen, mit welchen Schwierigkeiten ein derartiger Versuch angesichts der Unvollständigkeit unseres musikalischen wie außermusikalischen Quellenmaterials verknüpft ist. Ich vertraue aber darauf, daß mein Bemühen trotz seiner Unzulänglichkeiten durch die erzielten Ergebnisse gerechtfertigt wird: die deutlicher herausgearbeiteten Merkmale urtümlicher Stile, die neue Interpretation orientalischer Systeme, Antworten auf eine große Anzahl offener Fragen, die die Theorie und Praxis der Griechen betreffen, und ein Freilegen der Wurzeln, aus denen die Musik des Westens erwachsen ist.

A vrai dire, toute perception est déjà mémoire. Nous ne percevons, pratiquement, que le passé, le présent pur étant l'insaisissable progrès du passé rongeant l'avenir.

In Wirklichkeit ist jede Wahrnehmung schon Gedächtnis. Praktisch nehmen wir nur die Vergangenheit wahr, da die wirkliche Gegenwart das nicht faßbare Fortschreiten der Vergangenheit ist, die an der Zukunft nagt. Henri Bergson, Matière et Mémoire

Erstes Kapitel

Die Anfänge der Musik

1 Musik in der Urgesellschaft

Bislang hat die Wissenschaft den Nebel, in dem frühere Jahrhunderte ungewisse Schatten von Göttern und Helden die Musik in einem erhabenen Schöpfungsakt „erfinden" sahen, noch nicht aufgehellt. Zahlreiche Philosophen, Wirtschaftsund Naturwissenschaftler versuchten zwar in den letzten zweihundert Jahren, der Wahrheit auf die Spur zu kommen, aber sie waren doch nicht imstande, auch nur eine annehmbare Theorie, oder wenigstens unbestrittenes Tatsachenmaterial vorzulegen. „Nachahmung von Tieren" lautete eine dieser Theorien. Es ist wahr, daß einige Vögel singen, aber leider stufen Zoologen sie nicht als Vorfahren des Menschen ein. Die Säugetiere, seine nahen Verwandten, mögen winseln und pfeifen, bellen und brüllen, sein unmittelbarer Vetter, der Affe, grunzt und hustet. Es gibt keinen Gesang unter den nächsten Artgenossen des Menschen. Auf Grund tieferer Einsicht in die Natur versuchte Charles Darwin später die Musik als Mittel der Zuchtwahl und Liebeswerbung nachzuweisen. Aber er war leicht zu widerlegen durch die Tatsache, daß die Paarung in den frühen Gesängen des Menschengeschlechts eine unbedeutende Rolle spielt. Und wenn Karl Büchers bemerkenswertes Buch Arbeit und Rhythmus (1. Auflage 1896) Musik als Mittel zur Erleichterung gemeinsamer körperlicher Arbeit beschreibt, so wenden Kritiker sehr richtig ein, daß rhythmisch geregelte Kollektivarbeit bei den urtümlichsten Stämmen nicht vorkommt. Ein dritter Gedanke hat sich mehr verbreitet und zäh gehalten. Musik, so liest man, leitet sich vom gesprochenen Wort her, sie war gehobene Sprache. Philosophen entwickelten diese Theorie — Jean Jacques Rousseau in Frankreich, Herbert Spencer in England und zahllose andere in verschiedenen Ländern — und Musiker, von den italienischen Meistern des stile rappresentativo e recitativo um 1600 bis hin zu Richard Wagner, hielten mit bemerkenswerter Begeisterung daran fest. Es wäre müßig, die zahlreichen Meinungen, die für und wider diese Theorie geäußert wurden, hier zu wiederholen

15

und zu analysieren. 1 Wichtig ist nur, daß alle diese Meinungen, und zwar für und wider, mangelhaft waren, weil sie von zwei irrigen Voraussetzungen ausgingen. Erstens wurde als selbstverständlich angenommen, daß ein so vielschichtiger Gegenstand wie die Musik aus einer einzigen Wurzel erwachsen sei, was an sich schon mehr als unwahrscheinlich ist. Die mit dem Bewegungstrieb unseres Körpers, mit den verschwommenen Bildern unserer Vorstellungswelt und mit unserem Gefühlsleben in seiner ganzen Tiefe und Weite verbundene Musik entzieht sich jedem Versuch, irgendeine einfache Formel zu finden. Der zweite Fehler bestand darin, von der uns selbst vertrauten Musik und Sprache auszugehen. So wurden dem Leser, der sich bemühte, etwas über den Ursprung der Musik zu erfahren, Hinweise auf Beethovens V I I . Sinfonie, Schuberts Du bist die Ruh und Beispiele moderner englischer und französischer Sprachmelodik geboten. In einem besonders ergötzlichen Fall verriet der Schreiber unbeabsichtigt, daß seine Schlußfolgerungen in bezug auf uranfängliche Entwicklungen von der Leipziger Mundart ausgingen. E s ist seltsam und beinahe unverständlich, daß sich an wissenschaftliche Methoden gewöhnte Menschen mit Mutmaßungen und Spekulationen begnügten, wenn es um Musik gingKritiker hatten an dieser Theorie weniger aus diesem Grunde etwas auszusetzen, als deshalb, weil darin unberücksichtigt blieb, was sie als den grundlegenden Gegensatz ansahen, daß nämlich Musik genau definierte Intervalle erfordert, während die Tonhöhen und Stufen der Sprache irrational sind. Doch schon die Kenntnis der einfachsten Fakten ostasiatischer Musik hätte dieses Argument widerlegt: Der melodische Stil des japanischen wö-Dramas beruht auf irrationalen Tonabständen. Diese Bemerkung ist kein Treuebekenntnis zu Rousseaus und Spencers Theorien. Sie beweist im Gegenteil, daß Theorien nutzlos sind, solange sie nicht auf Tatsachen und ihrem historischen Zusammenhang aufgebaut werden. Daher soll jedes Theoretisieren zunächst zurückgestellt werden, bis wir so e x a k t wie nur möglich den Ursprung der Musik aufgezeigt haben. Statt Vermutungen zu äußern, wie sich die Dinge ereignet haben könnten, gehen wir bis zu ihrer frühesten, uns erhaltenen Form zurück. Ich fühle mich etwas verlegen, eine solche Binsenwahrheit niederzuschreiben, aber leider ist es notwendig, mit Nachdruck auf die einfache Tatsache hinzuweisen, daß die Gesänge der Pygmäen und anderer Zwergvölker den Anfängen der Musik unendlich viel näher stehen als Beethovens Sinfonien und Schuberts Lieder.

Soweit wir die Menschheit auch immer zurückverfolgen, es mißlingt uns, den Ursprung der Musik aufzuspüren. Selbst die urtümlichsten Stämme sind in ihrer Musik bereits über die ersten Versuche hinaus. Gewiß, Reisende berichten, daß 1

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Vgl. Carl Stumpf, Musikpsychologie in England, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft I (1885), 261 — 349; Carlos Vega, Teorias del origen de la música, in: Síntesis II, 1929, 179—190.

bestimmte Völker auf niedriger Entwicklungsstufe, zum Beispiel die brasilianischen Guarani, noch immer ein viel zu kärgliches Dasein führen, um an Musik, Spiele und Tänze denken zu können. Aber solche Berichte sind wenig überzeugend. Das Fehlen von Musik dürfte mit größerer Wahrscheinlichkeit auf kulturellen Verfall hindeuten, als darauf, daß sich Musik dort überhaupt noch nicht entwickelt habe. In den meisten Fällen jedoch wurde der Gewährsmann wohl durch das Schweigen irregeführt, das er vorfand. Menschen in urtümlichen Verhältnissen sind weißen Besuchern gegenüber argwöhnisch und mögen oftmals lieber vorgeben, daß sie überhaupt nicht singen oder tanzen, als daß sie ihre Bräuche und Feste uneingeweihten Fremden vorführen. In anderen Fällen wieder mögen Musik und Tanz einigen besonderen Zeremonien vorbehalten und für den Rest des Jahres verboten sein aus Furcht, sie könnten den normalen Lebensablauf des Volkes störend beeinflussen. Da uns der Nachweis über den eigentlichen Ursprung der Musik versagt ist, müssen wir uns ihrer frühesten beobachtbaren Entwicklungsstufe zuwenden. Kein Vorurteil und nichts, was .plausibel' scheint, wird uns hier weiter helfen — die einzig zulässige Arbeitshypothese ist, daß die entwicklungsgeschichtlich früheste Musik unter den urtümlichsten Stämmen zu finden sein muß, ganz im Gegensatz zu ihren Sprachen, die verloren gingen und durch die höher entwickelten Sprachen zivilisierter Nachbarvölker ersetzt wurden.2 Tatsächlich haben alle Stämme, Völker und Rassen in der Welt seit den ersten Anfängen der Geschichte in ständiger Berührung miteinander gelebt, sie begegneten sich in Eheschließung, Handel und Krieg. In diesem Austausch- und Verschmelzungsprozeß gaben sie ihre Waffen, Werkzeuge und Geräte um besserer willen auf. Aber sie bewahrten ihre alten Gesänge; denn Singen, Ausdruck der menschlichen Seele und motorischer Impulse hat wenig mit der veränderlichen Außenseite des Lebens und schon gar nichts mit dem Kampf ums Dasein zu tun. Das ist der Grund, weshalb Musik eines der beständigsten Elemente in der Entwicklung der Menschheit darstellt. Sie ist so stetig, daß Rassen mit relativ hohem kulturellem Niveau, etwa Polynesier und Mikronesier und viele Gruppen europäischer Bauern, an musikalischen Stilen von erstaunlich archaischem Charakter, ja geradezu dem urtümlichsten, den wir kennen, festhalten. Das allgemeine Kulturniveau eines Volkes kann daher nicht nach seiner Musik beurteilt werden. Aber umgekehrt darf man hoffen, daß die Musik der urtümlichsten Völker eine sehr frühe Entwicklungsstufe ohne Beeinflussung durch höhere Zivilisationen bewahrt hat.

Der Terminus „urtümlichste Völker" ist jedoch nicht ganz korrekt. Wir sind uns darüber im klaren, daß es unter den heute lebenden Rassen keine Menschengruppe gibt, für die man nicht ein vorangegangenes, niedrigeres Entwicklungsniveau voraussetzen müßte. Nichtsdestoweniger repräsentieren einige von ihnen eine soziale Entwicklungsstufe, die wir als Minimum bezeichnen dürfen — speziell 2

2

Vgl. Curt Sachs, The History Sachs, Musik

of Musical

Instruments,

New York (1940), 60—62. I7

diejenigen, die unter freiem Himmel ohne jedes Obdach leben, mit Ausnahme einer Höhle oder eines schnell errichteten Wetterschutzes. Was die Musik betrifft, so singen diese Völker, aber sie besitzen keine Instrumente. Musik begann mit Singen. Wie rudimentär dieses Singen auch sein mag, es durchdringt das ganze Leben des urtümlichen Menschen. Es trägt seine Dichtung, bietet Zerstreuung bei Rast und friedvoller Arbeit, es erhebt und beruhigt; es versetzt diejenigen, die Kranke heilen und mit magischen Beschwörungsformeln um Glück und Leben ringen, in hypnotischen Trancezustand; es hält die ermüdenden Muskeln der Tänzer in Bewegung, stimuliert die Krieger und bringt die Indianerfrau in Ekstase. Der urtümlichste Stamm, auf den ich stieß, waren die Känikas . . . Sie erzählten mit: „Wir leben unter Tigern und Elefanten. Wir fürchten uns nicht. Wir sagen ,husch' zu einem Tiger, und er verschwindet . . ." Der Häuptling des Dorfes ergriff seine Kokkara (eiserne Schrapröhre), beugte seinen Kopf darüber und murmelte ein Gebet. Ein anderer tat desgleichen, ein weiterer folgte, mit wachsender Erregung auf und ab schrapend. Der Anführer zählte an zwanzig oder dreißig Gottheiten auf, ohne bestimmte Ordnung, einige öfter wiederholend als andere. Nach etwa fünf Minuten begann einer der Männer heftig zu zittern und seine Kokkara, die er mit ausgestreckten Händen vor sich hielt, rhythmisch auf den Boden zu stoßen. Dann überkam es den Anführer, und sein Anfall war noch stärker. Er warf sich herum, sein Pagrl fiel herab und sein Haar löste sich. Ein dritter sprang, als er seinen Anfall bekam, aus sitzender Stellung etwa drei Fuß hoch in die Luft und fiel danach wieder in seine ursprüngliche Stellung mit gekreuzten Beinen zurück. Die ganze Zeremonie war mit Rufen und gellenden Schreien einzelner Beteiligter untermischt. Als sie vorüber war, beugten sich die Mantizomenoi heftig schluchzend vornüber und brauchten eine Minute, um wieder zu sich zu kommen. Man fühlte sich beschämt, inmitten von so viel Hingabe nur ein interessierter Zuschauer gewesen zu sein.3 Von dieser Art sind die typischen Gesänge der Schamanen, wenn sie ihre Stammesgefährten zu heilen versuchen. Der Gesang eines Medizinmannes der Taulipäng in Nordbrasilien mag als Beispiel dienen. Das winzige Motiv, eine rasche Triole auf dem tieferen Ton und ein ausgehaltener, um einen Halbton höher liegender Ton, wird ständig wiederholt. Die Triolen sind atemlos, das Tempo Beispiel 1: Taulipäng (nach Hornbostel) *

3

3

steigert sich, die Töne werden unregelmäßig und ungenau, und schließlich verliert sich die Melodie, sie büßt ihre Form und rhythmische Gliederung ein und sinkt zu einem etwas tieferliegenden Ton ab. Hier verklingt sie mit einem Schlußton, der in unserem Beispiel achtzehn Sekunden dauert. 4 3 4

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A. H. Fox Strangways, The Music of Hindostán, Oxford 1914, 44—45. Transkription s. Erich M. von Hornbostel, Musik der Makuschi, Taulipäng und Yekuaná, in: Theodor Koch-Grünberg, Vom Roroima zum Orinoco, Bd. 3, Stuttgart 1 2 9 3. 436. Vgl. auch Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 27t.

Ein urtümlicher Sänger zeigt verschiedenartige Verhaltensweisen. Oft enthält er sich außergewöhnlicher Tonhöhe und Tonstärke. Wenn ihn aber Raserei zum Äußersten treibt, wird sein Singen unnatürlich: Es wird, und das ist beabsichtigt, der Sprechstimme des Sängers unähnlich; es soll übermenschlich, übernatürlich wirken. Er spricht wie ein Bauchredner, singt durch die Nase, schreit und jodelt 5 gellt und kreischt, aber er ist niemals das, wonach moderne Sänger streben: ungezwungen und natürlich. Urtümliche Sänger benutzen sogar spezielle Vorrichtungen, um ihre angeborene Stimme zu verschleiern — Stimm-Maske wäre hierfür ein angemessener Terminus. Bei den Tschuktschen in Nordostsibirien „benutzt der Schamane seine Trommel, um seine Stimme zu verändern, indem er sie bald direkt, bald im schiefen Winkel vor den Mund hält". 8 Die frühesten Trompeten waren aus hohlen Ästen oder dickem Schilfrohr zurechtgeschnittene Schalltrichter, in die der Spieler hineinsang,7 und bei einem der urtümlichsten Stämme Neuguineas hält der Häuptling stets „eine Muscheltrompete vor den Mund, wenn er zu seinem Volk spricht, und verleiht damit seiner Stimme einen sehr hohlen Klang". 8 Das sogenannte Mirliton9 ein dünnes, straff gespanntes Häutchen, hatte nie einen anderen Zweck zu erfüllen als der Stimme des Sängers ein summendes, nasales Timbre zu geben. Das ist ein stichhaltiges Argument gegen die Ansicht, daß Musik sich von der Sprache herleite.

Die Art und Weise des Singens, Stimmfärbung, Intensität und spezifischer Ausdruckscharakter sind oft bezeichnender und wesentlicher als die Melodien. Kulturmerkmale und anthropologische Kennzeichen leiten sich eher von der Eigenart her, wie die Dinge ausgeführt werden, als von den Dingen selbst. Die Musikwissenschaft sollte viel stärker an der Technik interessiert sein, wenn dieses nicht ganz passende Wort gestattet ist. Nur ein einziger Singstil und sein anthropologischer Bereich sind bisher umrissen worden. Amerikanische Indianer sind „leicht an ihrer eigentümlich .emphatischen' Singmanier zu erkennen, die von Faktoren wie charakteristischer Stimmqualität, starker Betonung jeder Zeiteinheit, Pulsation, langsamem und unveränderlichem Zeitmaß herrührt . . . Dieser Stil ist bei den Indianern Nord- und Südamerikas vorherrschend, einschließlich der Eskimos (auch in Grönland), und bei sibirischen Stämmen, die sowohl in bezug auf körperliche wie kulturelle Merkmale mit den Indianern verwandt sind, z. B. bei den ,paläoasiatischen' Tschuktschen und den Keten (Ostjaken) am Jenissei, bei den halb-tungusischen Orotschen am unteren Amur und in koreanischen Volksliedern".10 Erich M. von Hornbostel, Die Entstehung des Jodeins, in: Bericht über den Musikwissenschaftlichen Kongreß in Basel 1924, Leipzig 1925, 203 — 210. • Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 34. 7 ebd. 47. 8 ebd. 48. 9 Curt Sachs, Geist und Werden der Musikinstrumente, Berlin 1929, 106. 10 Erich M. von Hornbostel, Fuegian Songs, in: American Anthropologist, New Series, Bd. 38, 1936, 363. Vgl. auch George Herzog, Musical Styles in North America, in: 5

2*

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Die anthropologische und historische Bedeutung solcher Feststellungen ist augenfällig, und es ist jammerschade, daß wir noch keinen tieferen Einblick in die physiologischen Aspekte von Singstilen besitzen. Aber schließlich ist der urtümliche Zweig der Musikwissenschaft noch sehr jung. Proceedings of the Twenty-third International Congress of Americanists 1928, New Y o r k 1930, 455—458; A . O. Väisänen, Wogulische und Ostjakische Melodien, Suomalais-Ugrilaisen Seuran Toimituksia, L X X I I I , Helsinki 1937.

in:

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Die Vergleichende Musikwissenschaft und ihre Methoden Vor dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts kann von einer ernst zu nehmenden wissenschaftlichen Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der urtümlichen Musik keine Rede sein. Wohl haben Reisende in ferne Länder gelegentlich Gesänge der Einheimischen in ihren Büchern abgedruckt, aber die Brauchbarkeit solcher Beispiele war ziemlich begrenzt. Das musikalische Gehör solch Reisender und mehr noch ihre Übung, Müsik niederzuschreiben, waren durchaus zweifelhafte Faktoren. Als ich Georg Schweinfurth, den ersten Forscher, der den afrikanischen Kontinent durchquerte, fragte, auf welche Weise er zu dem einzigen Lied, das in seinem berühmten Werk abgedruckt ist, gekommen wäre, erzählte er mir unbefangen, er hätte die Melodie irgendwo in Afrika gehört, und da er weder musikalisch wäre noch Noten schreiben könne, hätte er die wenigen Takte jeden Tag vor sich hingepfiffen, bis er mehrere Monate später seinen Bruder traf und ihn die vorgepfiffene Melodie aufzeichnen ließ. Man kann sich leicht vorstellen, wie zuverlässig diese Notierung war. Nebenbei bemerkt, Schweinfurth hatte Pech: Sein gepfiffenes Lied — nichts weniger als einheimisch — war ein bekannter europäischer Schlager, der über einige weiße Seeleute oder Faktoreigehilfen zu den Negern gelangt war. Bei der Erforschung urtümlicher Musik gilt daher als erste Regel: Europäische und andere fremde Einflüsse müssen von vornherein ausgeschaltet sein. Musik, wie sie in weltoffenen Hafenstädten erklingt, und Gesänge von Eingeborenen, die unter Weißen gelebt oder Militärdienst abgeleistet haben, sollte man beiseite lassen oder doch wenigstens mit besonderer Vorsicht heranziehen. Jedes Lied, das gesammelt wird, sollte mit ausführlichen Bemerkungen über Geschlecht, Alter und Lebensbedingungen des Sängers versehen werden.

Oft ist es ziemlich schwierig, zwischen einheimischem Stil und später Übernommenem zu unterscheiden. In frühen Kulturen haben gewisse Gesänge verdächtige Ähnlichkeit mit europäischen, aber dieser Eindruck ist in den weitaus meisten Fällen irreführend. Eine sorgfältige Prüfung wird — entgegen der voreiligen Annahme auropäischen Einflusses — zeigen, daß die fraglichen Merkmale urtümlich und als solche auch in der europäischen Musik noch erhalten sind. Deshalb gilt als nächste Regel: Unser kritischer Verstand sollte sich niemals durch eine scheinbare Ähnlichkeit oder durch irgendein anderes Vorurteil leiten lassen. Urtümliche Musik darf nicht mit der Musik der Weißen verglichen werden. 21

Der weiße Musiker muß nicht nur seine Musik, sondern auch sein eigenes Selbst mit all seinen Traditionen und Vorurteilen beiseite stellen. Wie mechanisch und daher objektiv unser Ohr auch immer Eindrücke registrieren mag, unser Verstand erfaßt und interpretiert sie ganz subjektiv. Der abendländische Mensch ist niemals frei von dem Bestreben, fremde Melodien seiner eigenen musikalischen Sprache anzupassen, notgedrungen hört er die gleich großen Sechsfünfteltöne javanischer Orchestermusik als wechselnde Sekunden und Terzen und zwängt unbewußt die verwickelten Rhythmen Indiens in die wenigen rhythmischen Modelle seiner eigenen Musik. Aus der gleichen Haltung heraus zeichneten Maler des achtzehnten und des frühen neunzehnten Jahrhunderts Indianer und Neger mit klassischen griechischen Körpern und Gebärden, die ihnen eine akademische Erziehung eingebläut hatte. Zur Überwindung dieser UnVollkommenheit benötigen wir eine objektive, unbestechliche Kontrolle sowohl hinsichtlich musikalischer Transkriptionen anderer Autoren als auch hinsichtlich unserer eigenen Versuche, die Musik fremder Völker zu verstehen und wiederzugeben. Das erste Hilfsmittel dieser Art war der von Thomas A. Edison im Jahre 1877 erfundene Phonograph mit Wachszylindern. Ein Dutzend Jahre später, etwa um 1890, führte ein anderer Amerikaner, Dr. Walter Fewkes, die neue Erfindung in die Musikwissenschaft ein, indem er ausgewählte Lieder der Passamaquoddy und der Zuni-Indianer aufnahm. Den eigentlichen Anfang mit der wissenschaftlichen Erforschung urtümlicher Musik machte Dr. Benjamin Gilman von der Harvard-Universität, als er Übertragungen dieser Aufnahmen veröffentlichte. 11 Als unmittelbare Folge wurden in den Vereinigten Staaten 12 und in anderen Ländern Phonogramm-Archive gegründet. Sie geben Missionaren und anthropologischen Terrainforschern Anregung, Ausrüstungen und Instruktionen. Sie verwahren und kopieren die Schallaufnahmen und halten sie für Forscher bereit. Diese wieder werden angeregt, die aufgezeichneten Melodien zu transkribieren und herauszugeben. Die Übertragung in unser abendländisches Notationssystem setzt nicht nur ein musikalisch begabtes und gut trainiertes Gehör voraus, sondern auch eine spezielle Technik, um die Besonderheiten urtümlicher und orientalischer Musik sinnfällig darzustellen. Letzten Endes ist unsere Notenschrift in der gleichen Situation wie unser Alphabet: Es genügt denen, die mit der Sprache vertraut sind, aber es versagt bei dem Versuch, die Aussprache und Sprachmelodie irgendeiner anderen Sprache wiederzugeben. Unsere ausschließlich für die Notierung der

B. I. Gilman, Zuni Melodies, in: Journal of American Ethnology and Archaeology I,

11

1891, 6 3 — 9 1 . J . W a l t e r Fewkes, A Coniribution to Passamaquoddy Folk-Lore, The Journal of American Folk-Lore III, 1890, 257—280. Carl Stumpf, graphirte Indianermelodien,

in:

Phono-

in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft V I I I ,

1892, 127 — 144; dass. in: Sammelbände für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1922, 113 — 126. 12

George Herzog, Research in Primitive

and Folk Music

in the United States, in:

American Council of Learned Societies, Bulletin Nr. 24, April 1936, 1—96.

22

modernen abendländischen Musik geschaffene Notenschrift ist ungeeignet, von festgelegten Ganz- und Halbtönen abweichende Intervalle oder das Timbre und die besondere Singtechnik, die in urtümlicher und orientalischer Musik oft wichtiger sind als die Töne selbst, festzuhalten. In Anbetracht dessen versuchten Dr. Otto Abraham und Dr. Erich M. von Hornbostel im Jahre 1909, eine Methode für eine genauere Transkription exotischer Melodien zu entwickeln, die zwar die Mittel unserer gebräuchlichen Notenschrift verwendet, aber gewisse Abänderungen und zusätzliche Zeichen für unbestimmte Tonhöhen, Phrasierung, Timbre, Verzierungsnoten, Tempo usw. einführt. 13 Die meisten dieser Vorschläge sind inzwischen allgemein verbindlich geworden, ungeachtet einiger Abänderungen, die spätere Autoren vorgenommen haben. Wir finden heute zum Beispiel, daß eine Folge einzelner Achtel- oder Sechzehntelnoten den Leser verwirrt und verbinden daher die Hälse von zwei, drei oder vier Noten entsprechend den melodischen Akzenten, auch wenn die einzelnen Noten verschiedene Silben des Textes tragen. Im Gegensatz hierzu bevorzugten B. I. Gilman und Frances Densmore in den Vereinigten Staaten ein anderes System, das Noten und Notenlinien durch runde oder eckige Kurven ersetzt, die den allgemeinen Verlauf einer Melodie wiedergeben. Aber dieses (in gewissen Fällen brauchbare) System ist weder genau noch anschaulich genug, um sich allgemein Geltung verschaffen zu können. 14 Die Übertragung exotischer Melodien mit Hilfe des abendländischen Notationssystem ist dennoch — zumindest psychologisch — irreführend. Es setzt unser musikalisches System als gegeben voraus und hebt durch Sonderzeichen etwas hervor, das dann als Abweichendes erscheinen muß, so daß dem Leser suggeriert wird, exotische Leitern würden von der absoluten Norm abweichen. Das ist eine tatsächliche Gefahr.

Das Rüstzeug der Forscher, die sich mit urtümlicher und orientalischer Musik beschäftigen, wurde 1890 durch das Cent-System von Alexander J. Ellis vervollständigt. Dieses System hat die Definition eines Einzeltons durch eine bestimmte Anzahl von Schwingungen in der Sekunde unberührt gelassen: a = 220 Schwingungen, a' — 440 Schwingungen. Es dient lediglich zur Darstellung der Distanz zwischen zwei solchen Tönen. Die früher gebräuchliche Methode ließ den Distanzbegriff außer acht. Obwohl wir deutlich empfinden, daß der Abstand H — C kleiner ist als der Abstand A — H, verfügte die Wissenschaft über keine Mittel, solche Abstände sinnfällig zu definieren, und umging diese Schwierigkeit durch den komplizierten Vergleich 13

14

Otto Abraham und E. M. von Hornbostel, Vorschläge für die Transkription exotischer Melodien, in: Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft XI, 1909/ 1910, 1 — 25. Vgl. B. I. Gilman, Hopi Songs, in: Journal of American Ethnology and Archaeology V, 1908, 1 — 160.

23

von Schwingungsverhältnissen: wenn a' = 440, h' = 495 und c" = 528 Schwingungen pro Sekunde hat, verhält sich der Abstand a' — h' zum Abstand h' — c" 495 528 wie : . Niemand kann diesem Verhältnis von Verhältniszahlen entnehmen, 440 495 daß sich die beiden Abstände annähernd wie 2 : 1 verhalten. Aber das ist noch ein relativ einfacher Fall. Ein eindrucksvolleres Beispiel bietet das Verhältnis 524288 : 5 3 1 4 4 1 . Wer kann schon daraus ersehen, daß es das .pythagoräisches Komma' genannte Intervall ist, das genau 12 Prozent eines Ganztones beträgt? Es dürfte kaum nötig sein, mehr Beispiele anzuführen, als — sagen wir — daß die Reihe 352 : 404 1/2 : 464 1/2 : 534 : 613 : 694 : 809 eine Leiter mit sieben gleichgroßen Stufen bezeichnet, deren jede sieben Achtel eines normalen Ganztones mißt. Im Gegensatz dazu beschreibt das sinnreiche Cent-System jede Distanz durch eine einfache Zahl. 16 Ein Cent ist der einhundertste Teil eines gleichschwebendtemperierten (Klavier-)Halbtons. Der Abstand zwischen zwei einen Halbton voneinander entfernten Tönen beträgt einhundert Cents; die Oktave mißt folglich zwölfhundert. Die wesentlichen Standardabstände sind: Halbton Sekunde kleine Terz große Terz Quarte Tritonus

100 C. 200 C. 300 C. 400 C. 500C. 600 C.

Quinte kleine Sext große Sext kleine Septime große Septime Oktave

700 C. 800 C. 900 C. 1000 C. 1100 c. 1200 C.

Einzelabstände werden genau so wie komplizierte Leitern einfach und unmittelbar verdeutlicht. Eine Sekunde von angenommen 180 Cents repräsentiert eine Distanz, die um 10 Prozent kleiner ist als eine gleichschwebend-temperierte Sekunde; ein Abstand von 220 Cent ist um 10 Prozent größer als eine Sekunde usw. Cents können nicht unmittelbar von einer vorgetragenen Melodie abgehört werden; sie müssen auf Umwegen aus den Schwingungszahlen berechnet werden. Diese mühseligen Umwege lassen sich heute durch den Gebrauch des Musiklineals (music rule) vermeiden. Das Musiklineal, 1949 von Marcus Reiner, Professor am Technikum in Haifa, Israel, beschrieben, ähnelt einem, gewöhnlichen Rechenschieber, in dem man zwei 12 cm lange Skalen, gegeneinander verschiebt. Die linke Skala reicht über eine wohltemperierte Oktave von c' bis c" bzw. 264 bis 528 Schwingungen; voll ausgezogene Trennungsstriche teilen je zehn Schwingungen ab, vier gepunktete 15

24

Alexander J . Ellis, On the Musical Scales of Various Nations, in: Journal of the Society of Arts, 27. März und 30. Oktober 1885. In Musikbibliotheken wird die deutsche Übersetzung von Erich M. von Hornbostel, Über die Tonleitern verschiedener Völker, in: Sammelbände für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1922, 1 — 75, leichter zu finden sein.

Linien zwischen den Zehner-Strichen je zwei Schwingungen. Die Strichabstände sind aber nicht gleich wie etwa bei unseren Thermometern, sondern verengen sich aufwärts. Der Grund ist leicht einzusehen. Die Abstände zweier Schwingungszahlen werden nach oben hin größer. Eine beliebige Tondistanz wird verdoppelt, wenn sie eine Oktave hinaufrückt: d' c' Diff.

hat 297 Schwingungen, hat 264 Schwingungen, 33 Schwingungen

d" c"

hat 594 Schwingungen, hat 528 Schwingungen

Diff.

66 Schwingungen

Die rechte Skala ist ebenso lang, aber durch vollausgezogene Striche gleichmäßig in 12 cm eingeteilt, jeder Zentimeter wiederum ist durch gepunktete Striche in Millimeter oder Centlängen zerlegt. Beim Messen hat man weiter nichts zu tun als die beiden Skalen so gegeneinander zu verschieben, daß die Cent-Skala genau auf der Höhe der tiefsten Schwingungszahl, die man auf der linken Skala findet, liegt; die gesuchte Cent-Zahl kann man dann gegenüber der Schwingungszahl des höheren Tones ablesen.

Der Phonograph und das Ellis-System haben dem Komplex musikwissenschaftlicher Forschung einen neuen Zweig hinzugefügt. Seine deutsche Bezeichnung Vergleichende Musikwissenschaft wurde ins Englische übersetzt und hat sich als „Comparative Musicology" in den angelsächsischen Ländern durchgesetzt. Dieser Ausdruck ist aber unpassend und irreführend. Auch die Musikgeschichte vergleicht nationale, epochale und personale Stile, ja, keine Wissenschaft kann auf vergleichende Methoden verzichten. Überdies hat die sogenannte Vergleichende Musikwissenschaft das anfängliche Stadium bloßen Vergleichens überwunden, in dem ihre Vertreter, auf zufällige Informationen angewiesen, die stilistischen Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten jeglichen für sie überhaupt greifbaren Materials zu skizzieren versuchten — etwa von einigen wenigen Liedern eines Indianerstammes, einer Melodie der Bantu, einer kleinen Sammlung japanischer Musik. Durch systematische Forschungsarbeit auf allen Kontinenten und Inselgruppen hat sich inzwischen so viel Material angesammelt, daß wir uns der gigantischen Entwicklung von den ersten keimhaften Anfängen urtümlichen Singens zu den hochentwickelten Formen orientalischer Kunstmusik bewußt geworden sind. Unter dieser Sicht verwandelte sich die Vergleichende Musikwissenschaft in den urtümlichen und orientalischen Zweig der Musikgeschichte. Noch im Jahre 1900 nannte die französische Schriftstellerin Judith Gautier, die auf der Pariser Weltausstellung über urtümliche und orientalische Musik berichtete, ihr Buch Les musiques bizarres. Die wissenschaftliche und historische Betrachtung hat nun eine neue Auffassung dieser Stile gefördert, und das Interesse an „exotischer" Musik hat sich von oberflächlicher Neugier und eitler Sensationslust an fremdartigen, entlegenen und pittoresken Dingen immer mehr zu der Einsicht gewandelt, wie tief diese Dinge uns selbst und unsere Vergangenheit betreffen. Die Gesänge der Patagonier, Pygmäen und Buschmänner bringen uns

25

den Gesang unserer eigenen prähistorischen Vorfahren nahe, und überall in der Welt benutzen die urtümlichen Stämme noch heute Musikinstrumententypen, die auch der Spaten der Archäologen aus den Gräbern unserer neolithischen Vorväter zutage förderte. Der Orient hat Melodiestile lebendig erhalten, die Europa im Mittelalter unter dem Einfluß der Harmonie aufgab, und der Mittlere Osten spielt noch immer die Instrumente, die er vor tausend Jahren an den Westen weitergab. Der urtümliche und orientalische Zweig der Musikwissenschaft ist das Einleitungskapitel der Geschichte unserer eigenen Musik geworden.

3 Melodiestile Urtümliches Leben ist nahezu gleichförmig. Trotz aller Unterschiede in bezug auf Temperament, Charakter und geistige Anlage wird jede Handlung, sei sie praktischer oder künstlerischer Art, von den Stammesbrüdern verstanden, genauso wie das Verhalten eines Tieres seinen Artgenossen verständlich ist. Auch ist urtümliche Musik nicht Ausdruck persönlicher Eigenart, nicht individuelle Äußerung einzelner Künstler. Sie drückt aus, was jeder zu sagen imstande ist, sie besingt das Leben des ganzen Stammes; ihre Seele ist die Seele eines jeden. Auf den Andamanen im Golf von Bengalen, um ein gutes Beispiel anzuführen, erfinden alle Eingeborenen Lieder, und sogar die Kinder werden in dieser Kunst unterwiesen. Beim Schnitzen eines Bootes oder Bogens oder beim Rudern singt der Andamane sein Lied still vor sich hin, bis er damit zufrieden ist, und macht es dann beim nächsten Tanz bekannt. Seine weiblichen Verwandten müssen es zunächst mit dem Frauenchor üben; der Erfinder selbst singt es als Vorsänger zum Tanz und die Frauen stimmen in den Refrain ein. Wenn das Stück Anerkennung findet, wird es in sein Repertoire aufgenommen, wenn nicht, wird es aufgegeben. 18

Die Texte sind anspruchslos und für jedes Stammesmitglied leicht verständlich: „Poio, der Sohn von Mam Golat, möchte wissen, wann mein Boot fertig ist; so muß ich daran so schnell wie möglich arbeiten." Zwischen dem Text und der Gelegenheit, bei der er gesungen wird, braucht keine augenfällige Beziehung zu bestehen. Die Andamanen singen ganz unbekümmert Jagd- oder Bootsbautexte zu Trauertänzen, während sie bei der Jünglingsweihe Texte auf Schildkröten bevorzugen. Die Sakai (Senoi) auf Malakka zählen sogar — statt zusammenhängender Texte — Fluß- und Bergnamen auf. Ja, die Sänger pflegen auch zweifelhafte und entstellte Worte irgendeiner längst vergessenen Sprache zu benutzen. In alten Kulturen ist Singen ohne Worte undenkbar, so bedeutungslos sie auch sein mögen; ebensowenig kann Dichtung ohne Gesang existieren. Es war ein großer Irrtum, diese ursprüngliche Einheit von Gesang und Dichtung als das jüngere und ganz abweichende, ja entgegengesetzte Formungsprinzip von Melodien nach der natürlichen Sprachmelodie anzusehen.17 Das Gegenteil ist 18

17

Curt Sachs, World History of the Dance, New York 1937, 182. nach A. R. Brown, The Andaman Islanders, Cambridge 1922. Das letztere Thema wurde von G. Herzog, Speech-Melody and Primitive Music, in: The Musical Quarterly XX/4, 1934, 45 2 ff- behandelt.

27

richtig. Dichtung im weiteren Sinne, führt Melodie und Wort von der gewöhnlichen Umgangssprache weg. Die Dichter entstellen und nivellieren die logischen Sprachakzente, die für die Verständigung im Gespräch von Mensch zu Mensch verbindlich sind. Sie ersetzen den freien, ausdrucksvollen Rhythmus gesprochener Sätze durch stereotype Modelle von lang und kurz oder schwer und leicht; sie ersetzen den natürlichen Ablauf der Rede durch kunstreiche Wortanordnungen, die oft die Regeln der Grammatik und Syntax außer acht lassen; sie ersetzen sogar geläufige durch ungewöhnliche Ausdrücke, die niemand im alltäglichen Sprachgebrauch verwenden würde. Kunst beraubt die Natur ihrer Natürlichkeit, um sie auf eine höhere, oder wenigstens auf eine andere Ebene zu heben. Und die Sänger folgen diesen Grundsätzen. Sie vermeiden absichtlich die unbestimmten, irrationalen Tonhöhen des gesprochenen Wortes. So weit wir zurückschauen können, hat sich die in der lebendigen Rede so frei und fließend bewegte Sprachmelodie beim Singen in eine Reihe gleichförmiger Schritte zwischen zwei oder drei Tönen um eine Mittellage, wenn nicht gar in ein monotones Skandieren auf einem einzigen Ton verwandelt. Die Bedingungsform des Satzteiles „wenn nicht gar in ein monotones Skandieren auf einem einzigen Ton" ist auf die problematische Stellung der Eintonmelodien in der Entwicklung der Musik zurückzuführen. Jeder kennt solche Psalmodien. Sie sind in den Liturgien der meisten Religionen überall in der Welt zu finden, das einfache Volk benutzt sie beim Gedichtehersagen, man kann sie in den Schulen in Ost und West hören als Mittel, um Texte und Regeln auswendig zu lernen, obgleich sie nirgends mehr die magische Kraft besitzen wie in den hypnotischen Trancezuständen polynesischer Sitztänzer. Dabei sind reine Eintonmelodien als selbständige Gebilde verhältnismäßig selten. In den meisten Fällen sind es nur kurze Abschnitte innerhalb entwickelterer Melodien; sie werden entweder strikt auf einer Tonhöhe oder aber mit aufoder absteigenden Kadenzen auf der letzten Silbe gesungen. Die eindrucksvollsten Beispiele dieses Stils sind auf Celebes und den westlichen Karoünen zu finden : 18 Beispiel 2: Karolinen (nach Herzog) W=132 VJ+

3

3

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3

3

3

Für einen Anhänger der Entwicklungslehre wäre der Gedanke, daß Eintonmelodien die erste Stufe vor dem Aufkommen von Zwei- und Dreitonmelodien darstellen, fast zu schön, um wahr zu sein. Aber die Frage, ob eine uranfängliche Eintonmelodie in reiner Form jemals bestanden hat, kann zur Zeit noch nicht beantwortet werden. Zu viele urtümliche Völker sind bisher unerforscht, und sogar dort, wo sie erforscht worden sind, könnte der betreffende Sammler in den Ver18

28

George Herzog, Die Musik der Karolinen-Inseln, in: Ergebnisse der Südsee-Expedition 1908 — 1910, I I B , Band9, 2. Halbband, Hamburg 1936, Nr. 21, 34—36, 70, 73, 83, 85, 86, 89, 93, 94, 96 und S. 340, 1. Beispiel.

dacht geraten, die Aufzeichnung von Eintonrezitationen versäumt zu haben, weil er sie nicht als musikalische Äußerungen ansah. Die frühesten nachweisbaren Melodien bestehen aus zwei Tönen. In seiner beschränktesten Form umfaßt der Zweitonstil Melodien, die zwischen zwei Tönen in Mittellage pendeln, wobei der Abstand eine Sekunde oder weniger beträgt. Die melodische Spannweite ist gering: Die Themen, oder besser noch Motive, sind äußerst kurz und bestehen oft nur aus einem einzelnen Schritt aufoder abwärts. Nicht immer ist ein Schwerpunkt vorhanden; oft haben beide Töne gleiches Gewicht, und falls einer vorherrscht, ist es eher der höhere, während der tiefere wie ein Nebenton allmählich zu verklingen scheint, so daß die Kadenzrichtung unerwartet zum höheren Ton führt. In solch einem Fall mag es uns erlaubt sein, von einer .negativen Melodie' zu sprechen, ähnlich wie wir in der Geometrie eine Kurve, die hauptsächlich unterhalb der Null- oder .Bezugslinie' verläuft, .negative Kurve' nennen. In einer Melodie, deren erster und letzter Ton annähernd gleiche Höhe aufweisen, stellt die zwischen ihnen gedachte Verbindungslinie die .Bezugslinie' dar. Verläuft eine Melodie im wesentlichen oberhalb dieser Linie, so ist sie positiv, im entgegengesetzten Falle negativ.

Alle neueren Veröffentlichungen über urtümliche Musik sind von den Wedda, einem pygmoiden Jägervolk niederer Entwicklungsstufe im Innern von Ceylon, ausgegangen. Doch sind die Melodien dieser Menschen, obgleich einfach, nicht rudimentär genug, um den allerersten Anfang kennzeichnen zu können. Einen viel einfacheren Stil fand man unter den Botokuden in Ostbrasilien,19 in deren Gesang Beispiel 3 : Botokuden (nach Strelnikov)

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unaufhörlich dieselbe dürftige Tongruppe wiederkehrt, und unter den Angehörigen des Dem-Stammes, einem Zwergvolk im Innern Neuguineas, die beständig zwei Töne im Quartabstand wiederholen,20 ein Beispiel, das wir hier trotz des größeren Intervalls erwähnen. Diese melodischen Bildungen sind zwar rudimentär, aber nicht ohne Ordnung. Da sie unbegrenzt wiederholt werden, folgen sie dem gleichen Koordinierungsprinzip, das Kinder anwenden, wenn sie ihre Eltern mit endlosen Wiederholungen 19

20

J . D. Strelnikov, La musica y la danza de las tribus indias Kaa-ihwua (Guarani) y Botocudo, in: Proceedings of the Congress of Americanists 1928, New York 1930, 801. Unglücklicherweise sind die in diesem Aufsatz abgedruckten Gesänge der Botokuden nicht phonographisch aufgezeichnet. Jaap Kunst, A Study on Papuan Music, Weltevreden 1931, Abb. II.

29

eines winzigen Melodiebruchstücks plagen. Sänger von Nationalepen in Finnland, Jugoslawien, Ägypten und wahrscheinlich im homerischen Griechenland folgen demselben Prinzip, und ebenso moderne Komponisten von Bassi ostinati, Chaconnen und Passacaglien,21 Die meisten dieser Formen sind keine selbständigen Stücke, sondern Mittler für Textworte. Man soll sie aktiv hören, nicht ihnen passiv lauschen. Auch urtümliche Dichtung beruht auf Wiederholung — modifizierter Wiederholung natürlich, weil Worte sich an den Verstand richten, und Verstand Stagnation nicht ertragen kann. Die Wedda würden das Problem durch Verse wie die folgenden lösen: Wo der Talagoya gebraten und gegessen wurde, dort blies ein Wind. Wo der Meminna gebraten und gegessen wurde, dort blies ein Wind. Wo der Hirsch gebraten und gegessen wurde, dort blies ein Wind.

Die Zeilen werden genau wiederholt, nur der Tiername wird verändert, so daß sich das Interesse nicht verlieren kann. Noch zur Zeit der assyrischen Kultur wurden Veränderungen in sonst gleichlautende Zeilen eingebettet. Ein assyrisches Gebet beginnt: Vater Vater Vater Vater Vater

Nannar, Nannar, Nannar, Nannar, Nannar,

Gott Ansar, Haupt der Götter; großer Gott Anu, Haupt der Götter; Gott Sin, Haupt der Götter; Gott von Ur, Haupt der Götter; Gott von Egissirgal, Haupt der Götter; usw. 22

Dr. George Herzog zitiert ein ähnliches Gedicht der Navaho: Der erste Mann — du bist sein Kind, er ist dein Kind; Die erste Frau — du bist ihr Kind, sie ist dein Kind; Das Wasserungeheuer — du bist sein Kind, es ist dein Kind; Das Schwarzwasserpferd — du bist sein Kind, es ist dein Kind

und so weiter mit der großen schwarzen Schlange, der großen blauen Schlange, dem weißen Korn, dem gelben Korn, dem Kornpollen, der Kornwanze, dem heiligen Wort. Und noch ein anderes Beispiel, in dem die Zeile Wohin läuft er, um sich zu verbergen? sechsmal gesungen wird, bevor die Strophe endet: Großer Truthahn, Sein Kehllappen geht auf und ab.23 21

Vgl. auch Robert Lach, Das Konstruktionsprinzip der Wiederholung in Musik, Sprache und Literatur, in: Akademie der Wissenschaften in Wien, Phil.-Hist. Klasse, Sitzungsberichte, 201 Bd., 2. Abhandlung, Wien 1925.

22

Charles Gordon Cumming, The Assyrian and Hebrew Hymns of Praise, New York

23

30

1934. 73George Herzog, Speech-Melody and Primitive Music, a. a. O., 460, 464.

Die W e d d a singen solche Gedichte auf fast konstanter absoluter Tonhöhe und halten die einzelnen Töne ohne jedes Portamento deutlich getrennt. Die Töne a und h sind einen Ganzton oder etwas weniger voneinander entfernt und folgen in annähernd gleichen Werten aufeinander; die Final töne jedoch werden ausgehalten. So pendelt die Melodie zwischen den zwei Tönen in gleichmäßigen Werten. Die Taktgliederung, meistens 4/4, ist weniger streng, wenn die Anzahl der Silben wechselt. Eine solche Unregelmäßigkeit verwirrt den Sänger selten. W e n n er z u viel Zusatzsilben zu bewältigen hat, unterteilt er einige Notenwerte, u m den rhythmischen Ablauf aufrecht zu erhalten. Fallende Verbindungen zweier Achtelnoten finden sich häufig, niemals jedoch am Ende, wo die Bewegung entweder steigt oder auf gleicher Höhe verharrt. In der Regel wechseln die beiden Töne miteinander ab, aber gelegentlich wird a mehrfach wiederholt, wie beim Psalmodieren. Die Textzeilen und infolgedessen auch die musikalischen Phrasen sind länger als in den Melodien der Botokuden. Der Faden wird über acht oder zehn Viertelnoten gesponnen, bevor die Wiederholung einsetzt: Beispiel 4: Wedda (nach Wertheimer)

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Eine umwälzende Neuerung unterbrach die in der Musik der W e d d a und Patagonier übliche ständige Wiederholung auf gleicher Höhe. Das Ausgangsmotiv und seine erste Wiederholung wurden durch Variieren der Endtöne zu einer komplexen Einheit zusammengeschlossen: Zuerst verweilte die Stimme auf einer Tonhöhe, die den Hörer in Spannung hielt; im zweiten Teil wechselte sie zur anderen, um einen befriedigenden Abschluß z u erzielen. U m es technisch auszudrücken: Die erste Phrase endete mit einem Halbschluß, die zweite mit einem Ganzschluß. Oder, u m die noch charakteristischeren Ausdrücke, die die Franzosen im Mittelalter prägten, zu verwenden, die erste endete overt, die zweite close. Beispiel 5: Feuerlandindianer (nach Hornbostel)

J=75

A l l diese Worte sind mehr als bloße Floskeln. A . H. F o x Strangways berichtet, daß in Poona in Indien Wasser aus einem Brunnen geschöpft wurde, indem Rinder, die an Seilen zogen, langsam einen Abhang hinuntertrotteten und, sobald der Inhalt der Schläuche in den Kanal, der das Wasser auf ein angrenzendes Feld leitete, entleert war, noch ein wenig schwerfälliger als zuvor den Abhang wieder hinaufkletterten. Wenn der verantwortliche Mann die Tiere den Abhang hinabtrieb, sang er Motiv A , und wenn er, nach etwa

einer Minute, den Rückweg veranlaßte, sang er Motiv B. Dieser Vorgang wiederholte sich meines Wissens drei Stunden lang, wahrscheinlich aber viel länger.34 Beispiel 6: Poona, Indien (nach F o x Strangways)

A

»um. B

i

Der Gegensatz in den Schlußwendungen, der das Antithetische der unvollständigen und der abgeschlossenen Handlung widerspiegelt, findet außer im Tanz keine bessere Illustration. In vielen, in der ganzen Welt verbreiteten Tänzen gehen die Tänzer ein paar Schritte vorwärts und dann wieder zurück zum Ausgangspunkt. Sie führen „eine .statische' Schwingung aus, die jede Bewegung und jede Spannung zurücknimmt, so wie der angespannte Muskel wieder gelöst oder die von der Lunge eingeatmete Luft wieder ausgestoßen wird, wie bei allen menschlichen Tätigkeiten und Vorgängen Ausgleich, Befriedigung und Ausgewogenheit angestrebt wird." 28 Und der begleitende Gesang, der bei der Vorwärtsbewegung in der Regel in einen Halbschluß mündet, wird während der rückläufigen Bewegung wiederholt und endet, wenn die Tänzer wieder am Platz sind, in einem Ganzschluß. Durch die Verbindung zweier sich in der Schlußwendung voneinander unterscheidender Phrasen zu einem Gebilde, das die Musiktheorie mit Periode bezeichnet, haben Völker auf sehr niedriger Entwicklungsstufe das fruchtbarste der musikalischen Formschemata geschaffen, die Liedform. Eine der unmittelbaren Folgen war die unterschiedliche Bewertung der beiden Töne. Der Ton der Vollkadenz als Ziel der melodischen Bewegung erhielt das Ubergewicht über den Halbschlußton, und damit war der spätere Begriff der Finalis (um das irreführende Wort Tonika zu vermeiden) vorbereitet.

Zweitonmelodien überschreiten oftmals den Sekundabstand und umspannen eine Terz oder sogar eine Quarte. Es ist wohl kaum nötig, darauf hinzuweisen, daß der Begriff „Terz" alle Größen dieses Intervalls, von erniedrigten kleinen bis zu überhöhten großen Terzen, einschließt. Beispiel 7: Thompson-Indianer (nach Abraham und Hornbostel)

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Bis heute neigten die Forscher zu der Annahme, daß eine Entwicklung von kleineren zu größeren Intervallen stattgefunden habe. Der urtümliche Mensch, so sagten sie, besitzt einen engen Horizont, folglich sind auch seine Melodien eng24 25

32

A. H. F o x Strangways, The Music of Hindostán, a. a. O.. 20—21. Curt Sachs, World History of the Dance, a. a. O., 168f.

räumig; sie erweitern sich erst auf höherer Entwicklungsstufe. Das ist nicht ganz richtig. Einige der urtümlichsten Völker bevorzugen Zweitonmelodien mit Intervallen, die größer sind als eine Sekunde, und kleine Kinder im heutigen Europa improvisieren, wie wir noch sehen werden, allem Anschein nach in Terzen, noch ehe sie in Sekunden singen. Das Problem ist sicher nicht eine Frage der Entwicklung. Würde eine solche vorliegen, müßte man Übergangserscheinungen finden können — eine gelegentliche Terz, die statt einer Sekunde auftritt oder umgekehrt, eine Sekunde, die eine Terz ersetzt. Aber die beiden Typen sind entschieden gegeneinander abgegrenzt. Tonabstände in urtümlicher Musik sind wohl eher vom motorischen Impuls als vom Bewußtsein abhängig. Wir sprechen nicht ohne guten Grund von Schritten und Sprüngen in der Melodie wie auch im Tanz; es sind ähnliche Äußerungsformen ein und desselben menschlichen Impulses und hängen infolgedessen auch in ähnlicher Weise von diesem ab. In der Geschichte des Tanzes zeichnen sich zwei elementare Bewegungstypen mit eindrucksvoller Klarheit ab, obwohl sie oft auch miteinander verschmelzen: Engbewegung und Weitbewegung.26 Der weitbewegte Tanz ist durch eine stärkere motorische Reaktion, durch größere Schritte und sogar Sprünge gekennzeichnet. Das Hauptmerkmal des engbewegten Tanzes ist das feste Bewegungszentrum, zu dem die Gliedmaßen immer wieder zurückkehren. Grob gesprochen verwenden Völker, deren Tänze etwas weitbewegter sind, größere Melodiestufen als diejenigen, deren Tänze mehr oder weniger engbewegt sind. Singen ist wirklich eine Tätigkeit unseres Körpers oder besser noch unserer gesamten Persönlichkeit. Es beansprucht fast alle Muskeln vom Bauch bis zum Kopf und beim urtümlichen Menschen selbst die Arme und Hände; er ist oft unfähig zu singen, wenn er seine Hände stillhalten muß. So eng ist die Verbindung zwischen Singen und Armbewegung, daß die alten Ägypter den Begriff „singen" durch die Umschreibung „mit der Hand spielen" ausdrückten. Als körperliche Tätigkeit ist Musik von motorischen Impulsen und vom Bewegungstypus nicht zu trennen. In ihr findet das Temperament des Sängers genau so Ausdruck wie in Gebärde, Tanz und Gangart. Wenn das für Einzelwesen gilt, trifft es ebenso für Stämme, Völker und Rassen zu, besonders unter urtümlichen Bedingungen; denn je niedriger die Entwicklungsstufe von Tieren und Menschen ist, desto weniger hebt sich der Einzelne aus dem allgemeinen Niveau heraus. Deshalb besitzen Völker gleicher Kulturstufe Melodien, die sich nur in ihrer Weite voneinander unterscheiden. In einer ersten Entwicklungsphase stieg die Anzahl der Töne von zwei auf drei. Solche Zunahme führte nicht sofort zu wirklichen Dreitonmelodien. Selbst nach Anerkennung eines dritten Tones hielt die musikalische Vorstellung noch lange Zeit an einfachen Zweitonmelodien fest, und der ursprüngliche melodische Kern blieb unversehrt und leicht wahrnehmbar. Tradition hat ein erstaunliches Be26

ebd. 2 4 - 4 8 .

3

Sachs, Musik

33

harrungsvermögen. I m allgemeinen erscheint der neue Ton erst gegen Ende der Phrase, wenn der Melodiekern bereits fest etabliert ist. Selten wird er gleich zu Beginn infolge anfänglichen Überschwanges eingeführt, und in solchen Fällen verschwindet er fast sofort wieder zugunsten der Tradition. In Anlehnung an die grammatische Terminologie nennen wir den hinzugefügten T o n Affix, wenn er sich dem Kern außen anfügt, und notfalls noch spezifizierter Sufrafix, wenn er oberhalb, und Infrafix, wenn er unterhalb hinzugefügt wird. Ein Füllton innerhalb einer Terz, einer Quarte oder einer Quinte wird Infix genannt. Solche einfachen Zusatztöne können folgendermaßen klassifiziert werden: 1. Sekunde -plus Sekunde erscheint in den allerfrühesten Stilen bei den Wedda und den feuerländischen Y a m a n a . Unser Beispiel ist ein Gesang der Uitoto in Kolumbien: Beispiel 8: Uitoto, Kolumbien (nach Bose)

2. Sekunde plus Terz. Wieder ein Beispiel der Uitoto: Beispiel g: Uitoto (nach Bose)

rr •rrpr^rm

m

3. Sekunde plus Quarte. Lied aus B u k a , Salomonen: Beispiel 10: Salomonen (nach Frizzi)

4. Terz plus Sekunde. Lied aus Ost-Neuguinea: Beispiel 11: Ost-Neuguinea (nach Marius Schneider)

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5. Terz plus Terz. Bakongo (Unterlauf des Kongo): Beispiel 12: Bakongo (nach Marius Schneider)

34

6. Terz -plus Quarte. Kein Beispiel.

7. Terz plus Füllnote (Infix). Beispiel aus Nord-Neuguinea. Beispiel 13: Neuguinea (nach Marius Schneider)

8. Quarte plus Sekunde. Lied aus Buka, Salomonen: Beispiel 14: Salomonen

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9. Quarte plus Terz. Spiellied der Bellacula (westliches Nordamerika): Beispiel 15: Bellacula (nach Stumpf)

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10. Quarte plus Quarte. Männerzwiegesang aus Tibet: Beispiel 16: Tibet (transkribiert von Curt Sachs) -Ä-

I 11. Quarte plus Infix. Brasilianische Yecuanä: Beispiel 17: Yecuanä. (nach Hornbostel)

Viertonmelodien entziehen sich geradezu jeder Klassifizierung. Infixe, Suprafixe, Infrafixe in allen möglichen Anordnungen und Größen ergeben eine kaleidoskopartige Vielfalt von Variationen und Permutationen. 3*

35

Nur was wir Ketten nennen könnten, soll uns hier interessieren: die Verbindung entweder von Terzen oder Quarten. Aus einer Terzenkette besteht der folgende Gesang eines Papua aus Nordwest-Neuguinea:27 Beispiel 18: Papua (nach Jaap Kunst)

-4-, *

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*•

Eine wirklich außergewöhnliche Kette von nicht weniger als fünf aufeinanderfolgenden Terzen kommt in der Musik der Zuni (südwestliches Nordamerika) vor :28 Beispiel 19: Zuni (nach Stumpf)

J=80(im Original einen Halbfonhöher)

Die Hopi (südwestliches Nordamerika) singen manchmal in Quartketten :29 Beispiel 20: Hopi (nach Stumpf)

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Obwohl solche Melodien eine imponierende Ausdehnung und Ausdruckskraft erreichen, mangelt es ihnen an innerer Ordnung. Der Sänger springt von Ton zu Ton, ohne diese Töne jedoch höheren Einheiten unterzuordnen. Er ist nicht fähig, von bloßer Addition zu echter Integration vorzustoßen. Es ist selten möglich zu entscheiden, ob die Erweiterung des ursprünglichen Zweitonkernes als Folge der natürlichen Entwicklung des Einzelwesens oder der Stammesgemeinschaft auftrat, oder aber ob sie durch besondere geschlechtliche oder von außen kommende Einflüsse bedingt wurde. Wenn Singen tatsächlich ein tätiger Ausdruck unseres ganzen Wesens ist, muß das Geschlecht als wesentlichstes Unterscheidungsmerkmal zwischen Menschen einen bestimmenden Einfluß auf musikalische Stile ausüben. Noch einmal mag ein Hinweis auf den Tanz dienlich sein. Tänzern wie Sportlern ist die Grundtatsache bekannt, daß der Mann in der Regel nach Ausladung, nach starker Vor- und Aufwärtsbewegung strebt. Die Frau dagegen, besonders auf niederen Kulturstufen, bleibt dem Boden verbunden; ihre Gebärde weist mehr 27 28 29

36

Jaap Kunst, A Study on Papuan Music, a. a. O., 63a. Carl Stumpf, Phonographirte Indianermelodien, a. a. O., 139. B. I. Gilman, Hopi Songs, a. a. O

zum Körper zurück als hinaus und hinauf. Verglichen mit der männlichen Bewegung ist die der Frauen verengend. Der kühne Sprung wird zum Spitzenrecken, und das weite Ausschreiten versickert in ängstlichem Trippeln. Selbst dort, wo Stoff und Anlaß ein Aussichherausgehen fordern, schlägt der weibliche Tanz fast mit Sicherheit in eine engräumige Form zurück. In gleicher Weise bilden die beiden Geschlechter auch entgegengesetzte Gesangsstile aus. Bootsgesänge der Eskimos stützen sich auf die Terz. Wenn Frauen rudern, singen sie die gleichen Melodien mit Infixen, um den männlichen großen Schritt zu vermeiden. Der weibliche Einfluß auf die Gestaltung der Melodiestruktur war besonders groß. Robert Lachmann lenkte die Aufmerksamkeit auf den symmetrischen Bau jener Gesänge, mit denen Frauen, ganz gleich welcher Kulturstufe, ihre Arbeit begleiten oder ihre Babys einschläfern, und er verglich deutsche Kinderlieder mit Wiegenliedern von Weddamüttern und mit Melodien, die Indianerfrauen beim Zerreiben von Wurzeln vor sich hinträllern. Sein Vergleich ist so treffend, daß wir ihn hier wiederholen wollen,30 nur geben wir das deutsche Lied in leicht abgeänderter Form, so wie wir es selbst gekannt haben, wieder: Beispiel 21: erste Zeile: Makuschi, nordöstliches Amazonasgebiet (nach Hornbostel) ; zweite Zeile: Laterne, Laterne

Von unzähligen Beispielen mögen die nordwestsibirischen Wogulen (Mansi) angeführt werden. Singen ist bei ihnen hauptsächlich Angelegenheit der Männer, und ihre Melodien sind frei in bezug auf Rhythmus und Struktur. Die Frauen dagegen, deren Repertoire sich auf die sogenannten Schicksalslieder beschränkt, legen ihre Melodien in einfachem und regelmäßigem Zeilenbau an: 31 Beispiel 22: Wogulen (Mansi), Sibirien (nach Väisänen) J=108

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Beide Beispiele bestätigen eine angeborene Neigung der Frauen, auch die Gesänge des häuslichen Lebens säuberlich zu ordnen, wobei sie — und ihre Töchter — gewissenhaft altertümliche Merkmale bewahrt haben, die bei den Männern verloren gegangen sind. 30

31

R o b e r t L a c h m a n n , Die Musik

der außereuropäischen

Natur-

und Kulturvölker,

in:

Ernst Bücken, Handbuch der Musikwissenschaft, Potsdam (1929), 8. Vgl. A. O. Väisänen, a. a. O., 3. 37

Die bisher betrachtete Musik ist logogen oder wortgeboren. Menschen, die Zweitonmelodien singen, benutzen diese tatsächlich nur als Wortträger, und sie singen auf mittlerer Tonhöhe und mit mittlerer Stimmkraft ohne emotionale Akzentuierung. A b e r das ist nur eine Seite der urtümlichen Musik. Denn oft wird Musik durch einen unwiderstehlichen inneren Erregungsfaktor ausgelöst, der die äußersten Fähigkeiten des Sängers mobilisiert. Noch unfähig, solche pathogene Musik nach vorbedachtem größerem Formplan mit dem Höhepunkt in der Mitte oder am Ende zu gestalten, konzentriert er all seine K r a f t und Leidenschaft auf den Beginn seines Gesanges und läßt die Melodie, sobald seine Stimmbänder erschlaffen, verklingen, indem er oft in kaum noch hörbares Pianissimo übergeht. Denn „ l a u t ' und „hohe Tonlage" sowie „leise" und „ t i e f e " Tonlage sind eng miteinander verbunden — so eng, daß die romanischen Sprachen nur jeweils ein W o r t für jedes der beiden Qualitätenpaare haben: alta vox und bassa vox. In ihrer am stärksten ausdrucksgeladenen und am wenigsten musikalischen Form erinnern absteigende Melodien an wildes Freuden- und Wutgeschrei, und sie mögen aus solchen ungezügelten Ausbrüchen entstanden sein. Verkrampft setzt die Singstimme mit größter K r a f t und Anspannung so hoch wie nur möglich ein, oder sie springt von einem Ton mittlerer Höhe wie von einem Sprungbrett auf und bewegt sich dann in Schritten oder Sprüngen abwärts, bis sie im tiefsten Register dahinschwindet. Die Einzelheiten sind verschieden; die K u b u auf Sumatra gleiten fast wie auf einer Laderampe herab, die Indianer poltern gleichsam eine Treppenflucht herunter, die Neger laufen behend von Stufe zu Stufe. Die roheste Form dieses Melodietyps, der zwischen brutalem Schreien und menschlichem Singen steht, scheint sich auf den Inseln der Torres-Straße zwischen Australien und Neuguinea erhalten zu haben. In den Phonogrammaufnahmen v o n Zentral- und Südaustralien ist derselbe Stil weniger aufgeregt, zahmer, musikalischer, dem Schreien unähnlicher. Der Umfang beträgt eine Oktave, und die Quartund Quintintervalle beginnen als Ruhepunkte hervorzutreten; die Melodie ist oft streng pentatonisch ohne Halbtöne. 3 2 Bei der Beschreibung dieser australischen Gesänge (die ich nicht gehört habe), verwendet E. H. Davies die Ausdrücke „ R a s e r e i " und „ K r a m p f " und spricht von „ekstatischen Sprüngen zur oberen O k t a v e " , von „stetig wachsender Erregung" und von „einem beträchtlichen Teil Leidenschaft". Dies wird vollauf bestätigt durch die wenigen Aufnahmen australischer Musik, die ich studieren konnte. In Afrika wiederum ist der sprunghafte und aufreizende Charakter fast verlorengegangen. Die Melodie ist im allgemeinen auf den U m f a n g einer Sexte reduziert und ihre Schritte sind fest abgestuft. Die eindrucksvollsten Melodien dieser A r t werden von nordamerikanischen Indianern gesungen (vgl. Bsp. 19). Einige davon sind von überwältigender K r a f t , voll Pathos und Leidenschaft und dabei doch zurückhaltend und feierlich. Viele stürzen in Terzen abwärts, in anderen ist die Quarte das Strukturintervall. 32

E. H. Davies, Aboriginal Songs of Central and Southern Australia, in: Oceania II, 1931/1932, 4 5 4 - 4 6 7 .

38

Den weiten Mittelbereich zwischen den beiden Extremen logogener und pathogener Musik vertritt die melogene Musik. Hier ist die Kantillation der Worte im Umfang genügend erweitert worden, um das Pathos der Worte selbst in einer biegsamen melodischen Linie widerzuspiegeln, und die ungezügelten Ausbrüche des pathogenen Stils sind so weit gemäßigt worden, daß die Textworte unterscheidbar und wesentlich werden. Dazu gibt mit vergrößertem Umfang der ebene Melodieverlauf des logogenen Stils demselben Hang abwärts nach, der den pathogenen Stil charakterisiert. Diese Tendenz erscheint bereits auf der Entwicklungsstufe von Dreitonmelodien. Der Autor prüfte mehrere hundert davon und fand, daß nur 8 Prozent auf dem oberen, 39 Prozent auf dem mittleren und 53 Prozent auf dem unteren Ton enden. Bei den späteren Viertonmelodien ist der ebene Melodieverlauf zur seltenen Ausnahme geworden. Auf dieser Stufe der Melodiebildung sind die logogenen und pathogenen Stile strukturellen Intervallen als einem zweiten Gestaltungsprinzip unterworfen. Die logogenen Melodien mit zwei und selbst mit drei Tönen, die im ersten Teil dieses Abschnittes erörtert wurden, befanden sich noch jenseits rationaler Intervallvorstellung. Ausgehend von einem Anfangston schritt der Sänger willkürlich zum folgenden Ton weiter, so etwa wie ein Spaziergänger seine Schritte setzt, ohne sich dabei an irgendeine Regel zu halten außer an seine Bequemlichkeit. Der Abstand dazwischen ist eine Distanz, die, obwohl sie durchaus in Cents meßbar ist, keinem Naturgesetz gehorcht. Die meisten Melodien, die den Umfang einer Terz überschreiten, zeigen dagegen das Bestreben, sich in bestimmten Intervallen zu kristallisieren, d. h. in Tonabständen, die durch einfache Schwingungsverhältnisse bestimmt werden: im Verhältnis 2 : 1 , das wir Oktave nennen, 3 : 2, der Quinte, 4 : 3, der Quarte. Die stärkste Anziehungskraft geht von der Quarte aus — und zwar aus physiologischen Gründen; doch ist es hier am besten, das anzuerkennen, ohne irgendwelche Erklärungen zu versuchen. Solche magnetische Anziehung äußert sich in zweierlei Form. Einmal berichtigen sich Töne, die annähernd und unbeabsichtigt um eine Quarte oder eine Quinte voneinander entfernt sind, von selbst (mit mehr oder weniger Erfolg): Vier Töne einer Reihe irrationaler Sekunden unterwerfen sich dem Gesetz der Quarte und werden zum Tetrachord; eine Melodie mit zwei aufeinanderfolgenden Terzen, deren Außentöne sich ursprünglich nur auf den gemeinsamen Mittelton, nicht aber aufeinander beziehen, wird zu einem Pentachord, das der Größe einer reinen Quinte angepaßt ist. Die andere Form dieser Anziehungskraft ist die ständige Rückkehr zu irgendeinem Grenzton, was als natürliche Folge zur melodischen Organisierung in Haupt- und Nebentöne führt. Und von hier aus öffnet sich der W e g zu den komplexen Strukturen höher entwickelter Völker. Doch trotz Überschneidung und Vermischung zeigt sich der ursprüngliche Dualismus der beiden entgegengesetzten Prinzipien selbst noch in der Komplexität höherer musikalischer Stile. Die ihnen eigenen Merkmale erscheinen wie bei Mendels Hasen und Pusteblumen — in der logogenen Reinheit chinesischer Musik und in dem feurigen Pathos balinesischer Orchester, in der Präzision indischer

39

Tanzlieder und der zügellosen Freiheit mongolischer Klagegesänge. Sogar noch deutlicher äußern sie sich in dem für Europa charakteristischen Wechsel zwischen statischen, „klassischen" Stilen, deren Akzent auf formaler und innerer Ausgewogenheit liegt, und dynamischen Stilen mit „ewiger Melodie" und ungezügelter Leidenschaft.

Es ist ein erregendes Erlebnis zu erfahren, daß das früheste bekannte Stadium der Musik in den Plapperliedchen kleiner Kinder in europäischen Ländern wiedererscheint. In diesem Fall wird das ontogenetische Gesetz vollauf bestätigt: Das Einzelindividuum faßt die Entwicklung der Menschheit zusammen. Wir verdanken Dr. Heinz Werner, dem ehemals in Wien tätigen Psychologen, eine planmäßig ausgewählte Serie von Phonogrammaufnahmen,33 die klar die Ergebnisse unserer eigenen Untersuchung widerspiegelt. Die frühesten Versuche von Kindern unter drei Jahren liefen auf Eintonlitaneien hinaus und auf Melodien mit zwei, eine knappe kleine Terz voneinander entfernten Tönen, deren unterer betont und häufig wiederholt wurde. Im Alter von drei Jahren brachten die Kinder Melodien mit zwei Tönen im Sekundabstand und sogar Dreitonmelodien hervor. Dreieinhalb Jahre alte Kinder sangen in absteigenden Tetrachorden. Fortwährende Wiederholung war das alleinige Formprinzip. Beispiel 23: Geplapper europäischer Kinder (nach Heinz Werner)

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Diese Kinder sind unverdächtig, auch nur durch ein einziges Merkmal unserer eigenen Musik beeinflußt worden zu sein. Daher müssen wir ihr Plappern als ontogenetische Wiederholung der frühesten Musik der Menschheit hinnehmen, und umgekehrt auch daraus folgern, daß die Musik der heutigen urtümlichsten Völker tatsächlich die erste Musik ist, die jemals existiert hat. 33

Heinz Werner, Die melodische Erfindung im frühen Kindesalter, in: Akademie der Wissenschaften in Wien, Phil.-Hist. Klasse, Sitzungsberichte, 182. Bd , 4. Abhandlung, Wien 1917.

4 Rhythmus und Instrumentalmusik Rhythmus 34 als Metrum und als Takt ist in der Zwei- und Dreitonkantillation noch unentwickelt. Die Einheit ist hier eine Textzeile oder eine kleine melodische Phrase, und was wir ein Stück nennen würden, ist nur eine willkürliche, ungeordnete Aneinanderreihung solcher Zeilen. Die Aufmerksamkeit reicht dabei nicht über die einzelne Zeile hinaus; sie endet mit dieser, und erwacht erst nach wenigen irrationalen Augenblicken der Entspannung von neuem. Wenn die folgende Zeile mehr oder weniger Silben als die vorangegangene hat, pflegt der Sänger den Rhythmus der neuen Situation anzupassen, wiederum ohne viel Berücksichtigung des Ganzen, das tatsächlich als organische Einheit nicht existiert. Wenn ein europäisch erzogener Musiker solche Lieder in sein eigenes Notationssystem überträgt, hat er die unangenehme Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Die eine zwingt, ungenau zu sein und ein akkurates Eins-Zwei, Eins-Zwei vorzutäuschen, wo Unregelmäßigkeit typisch ist. Die andere Möglichkeit besteht darin, auch die Schläge pedantisch zu zählen, die gar nicht gezählt werden sollten, rasch zwischen fünf Vierteln und sieben und sechs Achteln zu wechseln und damit den Eindruck Strawinskyscher Vielfalt oder eines Chaos zu erwecken. All das widerspricht der naiven Haltung ursprünglichen Gesanges, der weder regelmäßig noch ausgeklügelt noch chaotisch ist. Der beste Weg ist wohl, jegliche Taktangabe und im allgemeinen auch Taktstriche zu vermeiden, geringfügige Schwankungen zu vernachlässigen und irrationales Verweilen besser durch Fermaten als durch genaue Symbole darzustellen.

Die Koordinierung von Singen und körperlichem Rhythmus ist auf der Entwicklungsstufe der Wedda und bestimmter patagonischer Stämme noch schwach ausgebildet. Aber auf der nächst höheren Stufe ist fast jedes Singen dem beherrschenden rhythmischen Impuls unseres Körpers unterworfen, der in seiner einfachsten Form eine endlose, ungegliederte Folge gleicher Schläge darstellt. Sobald sich der Mensch einmal der Annehmlichkeit und der stimulierenden Wirkung solcher regelmäßigen Schlagfolgen voll bewußt geworden ist, singt er selten, ohne dabei in die Hände zu klatschen, auf den Boden zu stampfen oder den Bauch, die Brust, die Schenkel oder das Gesäß zu schlagen.35 34 35

Vgl. Curt Sachs, Rhythrn and Tempo, New York (1953). Vgl. Curt Sachs, World History of the Dance, a. a. O., 25, und The History of Instruments, a. a. O., 26.

Musical

41

Um die Wirkung zu verstärken, griffen urtümliche Sänger zu außerkörperlichen Vorrichtungen — Rasseln, Klappern, Stampfröhren und Trommeln — und schufen damit die Instrumentalmusik. Es kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß sich als natürliche Folge dieses kräftigen Zusammenschlagens eine Art rhythmischen Rauschzustandes einstellt. Der Verfasser hat viele Fälle erlebt, wo eine beim Einheimischen bestehende Abneigung zu singen durch das Zusammenschlagen eines Bumerangpaares überwunden wurde. In jedem Fall feuert es zu größerer Begeisterung an.36

Der Mensch lauscht dem Sekundenticken seiner Uhr oder dem Rütteln des Eisenbahnwagens nicht, ohne die endlose Folge gleichförmiger Schläge in einen Wechsel akzentuierter und unakzentuierter Schläge zu zerlegen. Er gliedert das eintönige tick-tick in eine Folge von tick-tack-Perioden und verbindet weiter jeweils zwei dieser Perioden miteinander, um eine noch höhere Einheit zu formen: ticke-tacke. Ticke-tacke ist mehr als bloß stark-schwach/stark-schwach. Es ist auch hellschwach/dunkel-schwach oder spitz-schwach/stumpf-schwach. Zwei neue Elemente sind damit in die rhythmische Gliederung eingedrungen: Klangfarbe und Tonhöhe. Dieser Entwicklung kommen die Musikinstrumente entgegen. Stampfröhren treten in Paaren unterschiedlicher Länge, Weite und Tonhöhe auf, und Trommeln werden abwechselnd mit einem Stock oder mit der bloßen Hand, oder auf die Membran und den massiven Rand, oder auf zwei verschieden gestimmte Felle geschlagen. In Samoa, um ein konkretes Beispiel anzuführen, „klingt das Schlagen der Matten wie das Traben eines Pferdes, der erste Ton wird mit beiden Stöcken, der zweite mit nur einem Stock geschlagen — ein trochäisches Gebilde". 3 ' Das sich ergebende rhythmische Gebilde rührt in erster Linie von den persönlichen motorischen Impulsen des Spielers her, unter den besonderen Bedingungen von Stimmung und Anlage, Alter und Geschlecht, Rasse und Beruf. Aber auch Form und Spielhaltung des Instruments sind wichtige Faktoren. Der Spieler handelt durchaus verschieden, je nachdem, ob seine Trommel groß oder klein ist, ob sie vertikal oder horizontal gehalten wird, ob sie aufgehängt ist oder wie ein Steckenpferd gehalten wird, oder ob er von einer Trommel zu einem Xylophon oder zu irgendeinem anderen Instrument übergeht. Alles lenkt den persönlichen Bewegungsimpuls zu einer speziellen Technik hin, die die Verwirklichung der musikalischen Ideen bestimmt. Musiker kennen dieses Prinzip aus der heutigen abendländischen Praxis. Ein Organist improvisiert in einem anderen Stil als ein Flötist oder ein Geiger; jedes Instrument bringt seinen eigenen Stil hervor.38 36 37 38

42

E. H. Davies, a. a. O., 459. Curt Sachs, World History of the Dance, a. a. O., 38. Vgl. Curt Sachs, Prolegomena zu einer Geschichte der Instrumentalmusik, schrift für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1933, 55—58; The History Instruments, a. a. O., 26, 37, 52.

of

in: ZeitMusical

Vokal- und Instrumentalstile vermischen sich in früher Musik niemals und konvergieren selten. Die Melodie ist keine abstrakte Idee, die wahllos auf Instrumenten oder mit der menschlichen Stimme verwirklicht werden kann. Tatsächlich erwartete man von keinem Instrument kantables Spiel, so wie wir es heute kennen. Das Spielen irgendwelcher Instrumente und das Singen poetischer Texte waren getrennte Verrichtungen, die nicht in eins verschmolzen; auch besaß keine urtümliche Sprache ein Wort für unseren Sammelbegriff „Musik", der beides einschließt.39 So geschah es, daß sich die menschliche Stimme — von den starren Schlägen der Trommel unabhängig — in unbeschränkter Freiheit darüber entfalten konnte, ja, daß Singstimme und Trommel ohne jede Schwierigkeit zwei völlig verschiedenen Rhythmen folgen konnten — ein bemerkenswerter Mangel an Übereinstimmung, der ein besonders intensives Fühlen beweisen mochte oder auch nicht. Solches Fühlen ist sicherlich sehr stark bei einigen Stämmen in Indien ausgeprägt, wo sich überschneidende Rhythmen zu echter Polyrhythmik entwickeln. Fox Strangways hörte ein Eingeborenenpaar des Pänan-Stammes in Indien alternierend in einem Vierschlagmaß singen, während eine Rahmentrommel und ein Triangel die Schläge in 3-2-3 beziehungsweise 2-2-4 Achtel einteilten: Beispiel 24: Indien (nach Fox Strangways) Trommel.

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In einer anderen Pänan-Melodie fielen auf den zweiten, dritten und vierten Schlag der vierzeitigen Singstimmen jeweils Händeklatschen und auf das zweite, vierte, fünfte, siebente und achte Achtel Trommelschläge, wobei das zweite Achtel synkopiert wurde.40 Scheinbare Synkopierung (obwohl nicht im gerade beschriebenen Beispiel) erklärt sich oft aus der Tatsache, daß einige Völker41 die Hebephase beim Trommelschlagen als betonte Anspannung und die Schlag- bzw. Senkphase als unbetonte Entspannung auffassen. Das ergibt, wenn der Arm bei der ersten und dritten Zählzeit gehoben wird und bei der zweiten und vierten niederschlägt, eine interessante Synkopierung nach unserer Terminologie, dagegen aber einen ganz direkten und natürlichen Rhythmus für nordamerikanische Indianer und andere Völkerschaften. Eine solche Auffassung ist jedoch nur in Ländern möglich, wo Trommeln in der Regel mit Stöcken geschlagen werden, so daß die Arme mit einem gewissen Nachdruck zum Schlagen ausholen. Bei handgeschlagenen Trommeln und auch bei schneller Aufeinanderfolge von Schlägen mit einem leichten Stock ist die Hebephase praktisch bedeutungslos, und Schall und Hauptzählzeit fallen zusammen. 39

40 41

Robert Lachmann, Zur außereuropäischen Mehrstimmigkeit, in: Beethoven-Zentenarfeier, Internationaler Musikhistorischer Kongreß, Bericht Wien, 1927, 324 ff. A. H. Fox Strangways, The Music of Hindostán, a. a. O., 34. Curt Sachs, The History o) Musical Instruments, a. a. O., 2 1 5 .

43

5 Mehrstimmigkeit Das tiefeingewurzelte Vorurteil, daß Harmonie und Polyphonie ein Vorrecht der mittelalterlichen und modernen westlichen Musikkultur gewesen seien, ist nicht stichhaltig. Auf keinem Kontinent und auf keiner der dazwischen liegenden Inselgruppen fehlen rudimentäre Formen von Mehrstimmigkeit. Wenn mehrere Sänger oder Instrumentalisten in gemeinschaftlichem Musizieren die gleiche Melodie singen bzw. spielen, sei es sukzessiv oder simultan, so nehmen sie sich in Wirklichkeit die Freiheit, in kleineren Details zu variieren. Die Wiederholung einer Melodie stimmt nur selten mit ihrer ersten Form überein, und auch die Stimmen eines Chores oder eines begleitenden Gesanges gleichen sich einander nicht völlig an. Jeder Teilnehmer verwirklicht die melodische Idee nach seinem persönlichen Geschmack, seiner Fähigkeit und den besonderen Bedingungen von Stimme und Instrument. Niemand achtet auf zufällige Reibungen, die sich aus solchen Abweichungen ergeben, noch ist jemand um ihren konsonanten oder wenigstens sinnvollen Charakter besorgt. Ein temperamentvoller Sänger wird die langsameren Terzschritte seines Partners in schnellere Sekunden auflösen, eine weniger gut geübte Stimme mag übermäßig hohe oder tiefe Töne durch irgendeine Wendung oder Pausieren ersetzen; ein vorzeitig notwendiges Atemholen muß eine unangebrachte Kadenz zwischen den Teilen verursachen. Solche Heterophonie ist sicherlich eine recht negative Form des Zusammenwirkens — weder polyphon noch harmonisch und scheinbar ohne Gesetz. Aber diese eigenwillige Unordnung besitzt oft besonderen Charme, und niemand, der je die reichen und farbenprächtigen Sinfonien balinesischer und javanischer Orchester gehört hat, kann leugnen, daß Freiheit eine gute Grundlage künstlerischer Gestaltung ist.

Oktavparallelen stellen sich als zwangsläufiges Ergebnis bei jedem Zusammensingen der beiden Geschlechter ein und finden sich deshalb auch bei Völkern niedrigster Entwicklungsstufe. Zunächst nicht beachtet, wurden sie später absichtlich gesungen. Auf derselben Entwicklungsstufe, z. B. auf Feuerland und auf den Andamanen, führt der Unterschied in der Stimmlage zwischen beiden Geschlechtern oder auch zwischen höheren und tieferen Stimmen des gleichen Geschlechts zu parallelen Quarten und Quinten, die sogar noch in unserer eigenen Kultur ohne Absicht des Sängers vorkommen. Dennoch erklärt der Lagenunterschied menschlicher Stimmen das Singen in Parallelen nicht — zumindest nicht er allein; denn bei parallelen Terzen und 44

Sekunden haben die beiden Stimmen praktisch denselben Aktionsbereich. Diese Parallelen treten weder spontan noch unbeabsichtigt auf. Auch ist es nicht zulässig, von europäischem Einfluß zu sprechen. Parallele Terzen, die sich besonders häufig in Bantu-Afrika finden, sind oft dem Einfluß weißer Ansiedler zugeschrieben worden. Aber das beweist nichts. Es gibt in Afrika bestimmte alte Saiteninstrumente, die in aufeinanderfolgenden Terzen gestimmt sind.42 Ein noch wichtigerer Beweis liegt darin, daß auf den westlichen Karolinen parallele Terzen als ein häufig wiederkehrendes charakteristisches Merkmal eines der frühesten musikalischen Stile der Menschheit vorkommen. Das folgende Beispiel wurde auf der Insel Mogemoc von elf Jungen und Mädchen im Chor gesungen. Es besteht aus nur drei Tönen in Sekundabstand, sowohl in der oberen wie in der begleitenden Stimme, so daß hier praktisch kein Beispiel 25 : Karolinen (nach Herzog)

J UÜU4 ' g f f f Unterschied im natürlichen Stimmbereich vorliegt. So ähnlich auch beide Stimmen sind, sie unterscheiden sich doch in einem Punkt: Während die obere Melodie zwei Ganztonschritte umfaßt, besteht die untere aus einem Ganzton und einem Halbton. Die daraus resultierenden Parallelen haben abwechselnd große und kleine Terzen — genau wie in Afrika und Europa. Besteht hier, auf einer sehr niedrigen Stufe, bereits eine Wurzel für unser harmonisches Empfinden, so embryonal und zum Verkümmern verurteilt es auch sein mag? Die aufsehenerregendste Art der Parallelführung sind die Sekunden auf den westlichen Karolinen und den Admiralitäts-Inseln.43 Die dieser fortlaufenden Reibung unterworfenen Melodien sind im Umfang auf zwei oder drei Töne beBeispiel 26: Karolinen (nach Herzog)

schränkt. Das erklärt wahrscheinlich auch, warum die Begleitstimme in so knappem Abstand folgt. Hier wie auch anderswo erscheint der mehr oder weniger große Abstand der Melodie häufig, um den Zwischenraum zwischen den beiden Stimmen deutlich zu machen. 42 43

Curt Sachs, Les Instruments de Musique de Madagascar, Paris 1938, 53. George Herzog, Die Musik der Karolinen-Inseln, a. a. O , 270 ff.

45

Ein seltsames Gegenstück bietet das Singen paralleler Sekunden in Istrien am nördlichen Rande der Adria,44 das einmal mehr zeigt, wie klein der Unterschied zwischen urtümlicher und europäischer Volksmusik ist.

Bordune, das sind ausgehaltene Töne ober- oder unterhalb einer Melodie, besitzen vergleichsweise wenig Bedeutung in urtümlicher Musik. Eine Kubufrau mag zwar einen hohen Ton aushalten, während der Mann eine einfache Zweitonmelodie singt,45 aber solche durchgehenden Bordune sind selten. In den meisten Fällen werden Bordune regelmäßig oder unregelmäßig unterbrochen. Auf einer Phonogrammaufnahme von der Insel Lifu im Loyalty-Archipel, die für die Archives de la Parole in Paris hergestellt wurde, fand der Autor ein kurzes, zu einem ausgehaltenen /' führendes Motiv aus drei Achtelnoten, das einige zwanzig Male von einem Frauenchor wiederholt wurde, während eine einzelne Frauenstimme oder ein zweiter Chor sekundierte und gegen das /' ein g' setzte. Unregelmäßige BorBeispiel 27: Lifu, Loyalty-Inseln (transkribiert von Curt Sachs)

dune sind häufiger. Eine Einzelstimme oder ein Chor, die die Melodie begleiten, wiederholen z. B. irgendeinen Ton, während die andere Stimme auf- oder absteigt oder auf einer Art Fermate verweilt. In solchen Fällen scheint die Borduntechnik nicht völlig außerhalb jener Entwicklungsperiode zu stehen, in der aus Zufall Absicht wird. Mit Bestimmtheit handelt es sich hier um einen Fall von Heterophonie. Antifhonie entstand aus den beiden Formen der Wiederholung, aus der Reihung und der Symmetrie. Sie ist fast unvermeidbar, wenn in Arbeits- oder Tanzgruppen zwei singende Chöre oder zwei Solosänger oder ein Solist und ein Chor einander abwechseln, um einfach der Erschöpfung zu entgehen bzw. um dem Dualismus in irgendeiner Pantomime stärkeren Ausdruck zu verleihen, z. B. Kampf, Werbung, oder dem Streit zwischen dem hellen und dem dunklen Mond.46 Immer dann, wenn fortwährende Antiphonie — ohne den regelnden Einfluß von Tanzbewegungen — zu langweilig wird, beginnen ungeduldige Sänger bereits 44

45

46

46

L u d w i g K u b a , Einiges über das istro-dalmatinische Lied, in: III. Kongreß der Internationalen Musikgesellschaft, Bericht Wien 1909, 271 — 276. Vgl. auch Ernst T h . Ferand, The 'Howling in Seconds' of the Lombards, in : The Musical Quarterly X X V / 3 , 1939.313-324Vgl. Erich M. von Hornbostel, Über die Musik der Kubu, in : B . Hagen, Die Orang Kubu auf Sumatra, F r a n k f u r t a. M. 1908, Nr. 25 und in: Sammelbände für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1922, 374 (25). Curt Sachs, World History of the Dance, a. a. O., 155 ff. Nguyen V a n H u y e n , Les Chants alternés des garçons et des filles en Annam, Paris 1933.

mit der Wiederholung, ehe die anderen ihren Abschnitt richtig beendet haben. Das Ergebnis ist ein Kanon im Einklang. Es war eine der größten unter den zahlreichen Überraschungen für die moderne Musikwissenschaft, als man herausfand, daß die Samoaner, ja die urtümlichen Semang im Dschungel von Malakka und gewisse Pygmäenstämme in den sumpfigen Wäldern zwischen den Quellen des Nil und Kongo solche überlappende Antiphonie zu regelrechtem Kanongesang entwickelt hatten: Beispiel 28 : Moni, M a l a k k a (nach Kolinski)

Solo Chor 111

1

Auf der malaiischen Insel Flores entwickelte sich sogar eine ausgefeilte Kombination eines von Frauen gesungenen Kanons über einem doppelten Bordun, den Männer auf der Tonika und Quinte aushielten. Eine eindringlichere Warnung gegen das Vorurteil einer .plausiblen' Entwicklung von einfachen zu komplizierten Formen könnte kaum erteilt werden. Beispiel 29: Flores (nach Jaap Kunst)

6 Schluß Trotz solcher Leistungen hängt urtümliche Musik eher von Routine und Instinkt ab als von theoretischer Überlegung. Das ist ihre Schwäche, die durch nichts übertüncht werden kann — auch nicht durch das irrtümliche Argument, urtümliche Sänger könnten sich gerade wegen des Mangels an intellektuellen Regeln mit größerer emotionaler Intensität äußern als ausgebildete Musiker, die ihre Inspiration durch das einengende, festgefügte Gewebe von Regeln und Technik filtern. Dieses Argument ist unbegründet, weil in urgesellschaftlichen Verhältnissen die Schwerfälligkeit der Tradition, die unerbittlicher ist als es irgendein gut durchdachtes System sein könnte, jede spontane Geste verurteilt. Trotz dieses Eingeengtseins hat eine Tatsache die Entwicklung und Vervollkommnung gesichert: der ursprüngliche Dualismus zweier verschiedener, ja entgegengesetzter Singstile. Der eine davon, der sich von der Kantillation herleitet, war logogen oder ,wortgeboren'. Seine Melodien begannen mit nur zwei Tönen — was einen ebenen Verlauf ergab — und wurden durch unaufhörliche Wiederholung eines winzigen Motivs ausgesponnen. Die Entwicklung war additiv. Mehr und mehr Töne kristallisierten sich in bestimmten Abständen um diesen zweitönigen Kern herum. Aber schon ehe diese Entwicklung einsetzte, entwickelten Völker niedrigster Kulturstufe die endlose Wiederholung zur Symmetrie beantwortender Phrasen weiter, nahmen die Tonika vorweg, erfanden die Sequenz und gingen zum mehrstimmigen Singen und sogar zur strengen kanonischen Imitation über. Den anderen Stil, der sich von Affektausbrüchen und motorischen Impulsen herleitet, nannten wir pathogen. Seine Melodien drängten, ungebändigten Katarakten vergleichbar, in abwärtsstrebende Richtung. Die Entwicklung war divisiv. Oktaven zeichneten sich ab, später Quinten und Quarten, die anstelle eines Kernes ein festes Gerüst bildeten. Alle höheren melogenen Formen entstanden durch das Zusammentreffen und Vermischen dieser beiden Grundstile. Dieser Prozeß wiederum stellte sich zwangsläufig ein, seit Wechselheirat, Handel und Krieg der Stammesisolierung und der allmächtigen Tradition entgegenarbeiteten. Das regte zum Vergleich an und dadurch zur Unterscheidung gemeinsamer und abweichender, annehmbarer und unannehmbarer Züge. In dieser ständigen Umordnung bildeten Einsicht, Wissen und wissenschaftliche Methode das Gegengewicht zu den negativen Kräften wie Trägheit und Nachahmung. Aber der geistige Prozeß, der nötig war, um von bloßer Nachahmung zu bewußter Schöpfung zu gelangen, überstieg die Fähigkeit der urgesellschaftlichen 48

Menschen. Sie entwickelte sich möglicherweise, als der Zusammenschluß der Stämme irgendwo in Asien das Phänomen hervorgebracht hatte, das wir ,Hochkultur' nennen. Dank der Wissenschaft, die die Hauptleistung der Hochkulturen ausmachte, entwickelte sich Musik zur Kunst. Mathematiker waren nötig, um in Zahlen und Verhältnissen auszudrücken, was in einem ihr eigenen imaginären, unmeßbaren Raum zu existieren schien. Und seit Analyse und Synthese Funktionen der Logik geworden waren, bedurfte es auch der Philosophie, um die Melodie in Einzeltöne und Intervalle aufzulösen und diese Elemente in immer wieder neuer Gestaltung aufzubauen.

4

Sachs, Musik

Zweites Kapitel

Der westliche Orient

i

Hochkultur und Musik Naives Denken neigt dazu, Entwicklungen, die niemals von einzelnen Menschen abhängig waren, zu personifizieren und sich langsame und einfache Entwicklungsvorgänge als dramatische Schöpfungsakte vorzustellen. So wurde Göttern und vergötterten Sterblichen die Erschaffung der musikalischen Kunst zugeschrieben. Die Bibel erhebt Adahs Sohn Jubal zum „Vater aller derer, die Leier und Flöte handhaben". Der ägyptische Gott der Weisheit, Thot, soll zweiundvierzig Bücher mit Abhandlungen über Astronomie, Akustik und Musik verfaßt haben und gilt auch als Erfinder der Leier. Apollo, der griechische Gott der Weisheit, des Lichts und der Ordnung, spielte die Kithara, während der indische Erfinder der Harfe, Närada, durch die Göttin der Gelehrsamkeit, der Sprache und der Redekunst zur Welt kam und ein Gesetzgeber und Astronom war. Nur die Chinesen machen eine Ausnahme. Die Anfänge der Musik, so sagen sie, liegen weit zurück, und sie wurde auch nicht durch eine einzige Generation erschaffen. 1 Eine Tatsache hebt sich mit eindringlicher Klarheit aus all dieser mythischen Unbestimmtheit ab: Die Hochkulturen führten die Musik von der Stufe ungebundenen Instinktes und engbegrenzter Tradition auf die Höhe von Gesetz und Logik, Maß und Zahl. Musik war berufen, ihren Platz unter den freien Künsten einzunehmen, noch lange bevor Alexandriner Gelehrte sie in das klassische Quadrivium mit Arithmetik, Geometrie und Astronomie und das Trivium der Grammatik, Rhetorik und Dialektik einordneten. Mit Hilfe der Wissenschaft wurden Theorie und Praxis der Musik auf Zahlen und Verhältniswerte, auf Analyse und Synthese gegründet, um das Herstellen und Stimmen von Instrumenten, die Bestimmung von Konsonanz und Dissonanz, 1

Lü B u We, Schi Tschun Tsiu (drittes Jahrhundert v. u. Z.), übersetzt von Richard Wilhelm, Frühling und Herbst des Lü Bu We, Jena 1928, 66.

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Musikalische Systeme im allgemeinen Keine direkte Quelle gibt Aufschluß über das Wesen hebräischer Melodien, auch wissen wir nicht, wie die Tempelsänger Ägyptens und Babyloniens ihre Gesänge einrichteten. Aber eins ist sicher: Wo immer unter Musikern eine höhere von einer niedrigeren Klasse unterschieden, wo immer das offizielle Vorbild eines Bildungszentrums anerkannt wurde, da müssen Gesetz und Logik, Maß und Zählen wirksam gewesen sein. Heman, Asaph, Jeduthun und ihre Kollegen in Mesopotamien und Ägypten verfügten über die Begriffe .korrekte' und .fehlerhafte' Musik; sie besaßen ein System. Ein System ist, ganz allgemein ausgedrückt, die spezifische Organisation des musikalischen Raumes, bezogen auf einen bestimmten nationalen oder zeitgebundenen Stil. Alle solche Systeme beruhen auf einem vorsystematischen Bestreben: „einen kühnen Sprung nach dem nahesten konsonanten Ton", wie Herbert A. Popley es hübsch ausdrückt, zu machen, mit anderen Worten, sich in einem oder mehreren der drei dem Menschen angeborenen konsonanten Intervalle zu kristallisieren: der Quarte, der Quinte und der Oktave. Diese Intervalle verleihen einer melodischen Bildung ein festes Skelett, sie heben bestimmte Töne im Vergleich zur Pause oder zum Vorhalt heraus, kurz, sie bewahren die Melodie davor, in Gesetzlosigkeit unterzugehen. Wo die Quarte als strukturbildender Faktor wirksam ist, ordnet sich die Melodie in ein Tetrachord ein (von griechisch tetra — vier), das heißt, in ein melodisches Grundgerüst, das eine Quarte umspannt und gewöhnlich ein oder zwei Füllnoten geringerer Bedeutung enthält. An Umfang größere Melodien, deren Struktur durch die Quarte bestimmt wird, schlagen sich in zwei solchen miteinander verketteten oder .verbundenen' Tetrachorden nieder, so daß der Kontaktton zu beiden gehört und als Zentral- und Hauptton der Heptade (Siebentonreihe) fungiert. Wo andererseits die Quinte strukturbildend in Erscheinung tritt, fügt sich die Melodie in ein Pentachord ein (von pente — fünf), das heißt, in ein melodisches Grundgerüst, das eine Quinte umspannt und gewöhnlich ein, zwei oder drei Füllnoten geringerer Wichtigkeit enthält. Die Hauptbetonung liegt auf dem unteren Grenzton. Eine pentachordale Melodie schlägt sich, wenn ihr Umfang entsprechend ausgedehnt ist, fast niemals in zwei Pentachorden, sondern, und hier macht sich der gebieterische Einfluß der Oktave geltend, in der Verbindung eines Pentachords mit einem Tetrachord nieder. Diese vollkommenste Form einer Skalenordnung vereinigt die drei angeborenen Intervalle in sich: Oktave, Quinte und Quarte. 57

Die Verbindung eines Pentachords und eines Tetrachords läßt zwei Kombinationsmöglichkeiten zu, die zugleich unterschiedliche, ja, entgegengesetzte Formen innerer Gewichtsverteilung einschließen. Modernen Musikern, die im Verlauf ihrer Kontrapunktstudien mit dem Dualismus der mittelalterlichen Kirchentöne bekannt geworden sind, sind sie unter den Begriffen authentisch und plagal geläufig. In der sogenannten authentischen Kombination befindet sich das Tetrachord im oberen Abschnitt der Leiter. Der tiefste Ton der Oktave wird zur Finalis oder Tonika und die in der Mitte liegende Quinte zur Confinalis oder Dominante. In der plagalen Kombination ist das Pentachord oben. Die Finalis oder Tonika verschiebt sich zur Mitte um eine Quarte, vom tiefsten Leiterton aus gerechnet, der zu einer Art Confinalis oder Dominante wird. Mittelalterliches Dorisch, zum Beispiel, besitzt die beiden Kombinationen: authentisch: plagal:

DEFGAHCD AHCDEFGA

Aber diese Bezeichnung ist irreführend und sollte besser vermieden werden. Sie deutet an, daß die authentische Form primär und die plagale sekundär ist. Tatsächlich aber ist es genau umgekehrt. In Indien stellt der .plagale' Sa-gräma die Grundform dar, demgegenüber der authentische Ma-gräma weniger wichtig war und schon im sechzehnten Jahrhundert verschwand. In Griechenland besaßen die primären Skalen Dorisch, Phrygisch und Lydisch die .plagale', und die Hypo-Skalen die .authentische' Form. Statt dessen schlage ich zwei Begriffe vor, die sich zwar nicht vom Griechischen herleiten und auch nicht so eindrucksvoll sind, dafür aber den tatsächlichen Unterschied auf einfachste Weise bezeichnen, ohne mit irgendwelchen spezifischen Merkmalen, die die Skalenbildungen in den verschiedenen Ländern und Systemen aufweisen könnten, in Konflikt zu geraten: hochquint (Fifth on top) für ,plagal' hochquart (Fourth on top) für .authentisch' Wenn nun angenommen wird, daß alle jemals verwendeten Töne einen festen Platz innerhalb dieser beiden Grundgerüstformen finden müßten, so erweist sich das bei näherer Betrachtung nicht nur als unmöglich, sondern auch als nicht wünschenswert. Unmöglich, weil Sänger, indem sie ihren jeweils wechselnden Einfällen und motorischen Impulsen folgen, die Quarte und Quinte mit einer praktisch unbestimmbaren Anzahl verschiedener Stufen ausfüllen, die niemand kodifizieren könnte oder wollte. Und nicht wünschenswert, weil die Brauchbarkeit der meisten Instrumente von der größtmöglichen Wandelbarkeit weniger Töne abhängt, das heißt, von Auswahl und Normierung. Um diese beiden Ziele zu erreichen, ist das Ordnungsgefüge, das einem System eigen ist, dreifach: hinsichtlich Tonhöhe, Tongeschlecht und Modus. Auf die Behandlung der Tonhöhen kann hier verzichtet werden, da sie selbstverständlich und in diesem Zusammenhang belanglos sind. Das Tongeschlecht kennzeichnet ungefähr die (im wesentlichen) unteilbare Größe der verwendeten Stufen. Das diatonische oder heptatonische Tongeschlecht 5»

setzt sich aus Ganz- und Halbtönen zusammen, das moderne ZwöZ/fow-Geschlecht aus Halbtönen, das pentatonische Tongeschlecht aus kleinen Terzen und Ganztönen oder großen Terzen und Halbtönen oder ähnlichen Kombinationen. Die genauen Größen dieser Stufen legten die Griechen in den sogenannten „Färbungen" fest; das abendländische diatonische Tongeschlecht, zum Beispiel, gab es in zahllosen Formen ungleichschwebender Temperatur ebenso, wie es sich in der gleichschwebenden Temperatur moderner Klaviaturen findet. Das Tongeschlecht liefert zwar noch "keine wirkliche'Skala, wenigstens'aber einen festen, an keine bestimmte Tonhöhe und keinen Anfangs- oder Endton gebundenen Stufenzirkel. Die scheinbar große Anzahl verschiedener Anordnungsmöglichkeiten, beispielsweise zweier kleiner Terzen und dreier Ganztöne innerhalb einer pentatonischen Oktave ist praktisch auf zwei beschränkt; denn nicht mehr als eine Terz findet in einem Tetrachord Platz, entweder oberhalb oder unterhalb des Ganztones. Beide Möglichkeiten sind augenscheinlich latent in jeder Tonreihe vorhanden, die — genau wie im Falle der schwarzen Tasten unseres Klaviers — die beiden kleinen Terzen jeweils durch abwechselnd zwei und drei Ganztöne voneinander trennt: ^ |( . . . Cis Dis Fis Gis Ais Cis Dis . . . L_ II I Die oberen Klammern bezeichnen die Tetrachorde, in denen die Terz unterhalb des Ganztones liegt, und die unteren Klammern diejenigen mit der Terz oberhalb des Ganztons. Selbst wenn die Tetrachorde verbunden statt unverbunden sind, erscheinen die daraus entspringenden Heptaden in der gegebenen Tonfolge: i 1 . . . Cis Dis Fis Gis H . . . i i In ähnlicher Weise enthält der einfache Fall des diatonischen oder heptatonischen Tongeschlechts über unverbundenen Tetrachorden einen Halbton in jedem Tetrachord, der entweder am oberen Ende, in der Mitte oder am unteren Ende liegt. Bei allen diesen drei Möglichkeiten sind die Halbtöne abwechselnd eine Quarte oder eine Quinte voneinander entfernt, so daß sie (wie bei den weißen Tasten unseres Klaviers) wechselweise durch zwei oder drei Ganztöne getrennt sind. Das ist also eine weitere Tonreihe ohne absolute Tonhöhenfestlegung und ohne Kennzeichnung des Ausgangs- bzw. Endpunktes, die wieder am besten durch einen Kreis dargestellt werden könnte. Ein Modus entsteht, wenn der Kreis, wie Mathematiker sagen würden, zum .Zyklus' und zur ,Uhr' gewandelt wird. Der Zyklus, ein Kreis mit einem Zeiger darin, bezeichnet die Richtung, in der sich der Kreis entwickelt, im oder entgegen dem Uhrzeigersinne: Ein Modus ist entweder aufsteigend oder absteigend, wenigstens in seiner vorherrschenden Richtung. Die Uhr ist ein Kreis, auf dem ein 59

Punkt als der Anfangspunkt hervorgehoben ist: Ein Modus wird zuwege gebracht, indem ein Ton aus der endlosen Reihe als Ausgangston oder Tonika ausgewählt wird. Obwohl sich alle Modi eines Tongeschlechts von derselben Tonreihe herleiten, unterscheiden sie sich voneinander in den tonalen Beziehungen innerhalb der Oktave, da ihre Grundtöne verschieden sind. Jeder Modus schließt eine ihm eigentümliche Struktur und Spannung ein. Das zeigen am besten die allen Musikern von ihren kontrapunktischen Studien her geläufigen Kirchentöne. Die weißen Tasten des Klaviers liefern die endlose Tonreihe des diatonischen Tongeschlechts. Der sogenannte Dorische Ton beginnt mit D und besitzt einen Ganzton (G) als erste und einen Halbton (h) als zweite Stufe, der sogenannte Phrygische Ton beginnt auf E mit einem Halbton als erster und einem Ganzton als zweiter Stufe, der Lydische Ton beginnt auf F und hat zuerst drei Ganztonschritte, der Mixolydische Ton beginnt auf G mit zwei aufeinanderfolgenden Ganztonschritten: Dorisch Gh G G Phrygisch h G G Lydisch G G Mixolydisch G

G G G G

h h h h

G G G G G h G G h G

Mit anderen Worten, die verschiedenartigen Modi eines Tongeschlechts erscheinen als Oktavreihen (mitunter auch als Heptaden), bei denen nacheinander der tiefste Ton einer jeden abgetrennt und am oberen Ende der nächsten Reihe wieder angefügt wird oder umgekehrt. In Hinblick auf eine kurze, prägnante Terminologie werden wir diese Umbildungen Ecktonversetzungen (toptail inversions) nennen. Es ist fast unnötig zu betonen, daß solche Verschiebungs- und Versetzungsoperationen eher ein theoretisches Hilfsmittel darstellen, als daß sie dem Wesen des Modus entspringen. Der Modus ist nicht das Ergebnis irgendeiner toten Abstraktion, sondern leitet sich von lebendigen Melodien ab, die unter dem Zwang veränderlicher emotionaler Disposition und wechselnder Tradition bald in großen, bald in kleinen Intervallen feste Gestalt annahmen. Von diesem Standpunkt aus gesehen ist es ratsamer, alle Modi eines Tongeschlechts in den gleichen Oktavraum zu projizieren (oder, wenn authentische und plagale Modi demonstriert werden sollen, in einen Bereich von anderthalb Oktaven), so daß alle dieselbe Tonlage und die gleiche Tonika besitzen. Jedenfalls ist das Nebeneinander der Modi meistens durch solche Projektion verwirklicht worden, und zwar besonders von Instrumentalisten, die wegen der begrenzten Anzahl der auf den meisten Instrumenten zur Verfügung stehenden Töne gezwungen waren, alle gebräuchlichen Skalen auf der Grundlage möglichst vieler gemeinsamer Töne zu koordinieren.

Die Zuordnung zu einem Modus ist im allgemeinen leicht. Eine Melodie, die den Umfang einer Oktave erreicht oder sogar überschreitet, wird deutlich erkennen lassen, ob das Pentachord oberhalb oder unterhalb des Tetrachordes liegt. Wenn dann die Struktur als plagal oder authentisch bestimmt worden ist, wird der Mo60

dus aus der Beschaffenheit des Tetrachords ersichtlich. Gewöhnlich werden den drei modalen Tetrachorden die griechischen Namen Dorisch, Phrygisch und Lydisch gegeben. Aber das ist nicht empfehlenswert. Seitdem nämlich diese Ausdrücke im Mittelalter irrtümlich durcheinandergebracht wurden, sind wir niemals sicher, ob „Dorisch" ein Tetrachord mit demHalbton amuntersten Ende bezeichnen soll wie in Griechenland, oder mit dem Halbton in der Mitte wie in der mittelalterlichen Musik. In unserem Buch schließen wir konsequent die mittelalterlichen falschen Bezeichnungen aus, fügen aber sicherheitshalber das Beiwort „griechisch" hinzu, wenn wir die Termini Dorisch, Phrygisch oder Lydisch gebrauchen. Noch besser wäre es jedoch, auf die griechischen Bezeichnungen überhaupt zu verzichten und statt dessen die modalen Tetrachorde und Oktaven auf die weißen Tasten des Klaviers zu übertragen und sie mit englischen oder auch italienischen Tonnamen zu benennen, die in nicht-lateinischen Ländern mehr die Bedeutung einer relativen als absoluten Stellung der Stufen innerhalb der Skala besitzen. Griechisches Lydisch und Dur sind, da sich der Halbton oben befindet, Do-Modi, ganz gleich, ob Do ein aufsteigendes Tetrachord Do Re Mi Fa oder ein absteigendes Tetrachord Do Si La Sol einleitet. In ähnlicher Weise sind griechisches Phrygisch und mittelalterliches Dorisch Re-Modi und griechisches Dorisch und mittelalterliches Phrygisch Mi-Modi. Die übrigen vier Symbole Fa Sol La Si verbinden nicht gleichartige Tetrachorde und können darum auch nicht ohne Gefahr eines Mißverständnisses Tetrachorde bezeichnen. Dagegen bezeichnen sie ordnungsgemäß die Endtöne der Oktavgattungen. Griechisches Hypolydisch und mittelalterliches Lydisch sind Fa-Modi, griechisches Hypophrygisch und mittelalterliches Mixolydisch sind SolModi, griechisches Hypodorisch und mittelalterliches Äolisch sind La-Modi und griechisches Mixolydisch ist ein Si-Modus. Wenn die Melodie den Umfang einer Oktave nicht erreicht, ist die Analyse oft schwieriger, aber in den meisten Fällen doch durchführbar. Wichtig ist hier die strenge Unterscheidung zwischen tetrachordalen und pentachordalen Melodien. In pentachordalen Strukturen wird die Terz stärker als die Quarte betont.

Skalen, die unentbehrlich sind, wenn Systeme dargestellt werden sollen, ordnen die Töne, die in einem bestimmten Modus auf einer bestimmten Tonhöhe verwendet werden, Stufe für Stufe in einer Reihe an. Sie erstrecken sich im engeren Sinne vom Grundton eines Modus bis zu seiner Oktave und berücksichtigen alle völlig ausgebildeten Töne, lassen aber die aus, die sich aus zufälliger Abänderung oder Modulation ergeben. Moderne Musiker setzen die Skala als selbstverständlich voraus. Sie sind geschult in analytischen Verfahren, lebendige Melodien in tote Töne zu zerstückeln, aus denen dann irgendeine gewünschte Anzahl neuer Melodien zusammengesetzt werden kann. Sie nehmen als selbstverständlich an, daß diese Töne dazu da sind, um in einer von unten nach oben in Stufen eingeteilten Ordnungsreihe betrachtet und verwendet zu werden. Ihnen fehlt jede Vorstellung, wie abstrakt und unnatürlich solche Ordnung ist, sofern sie nicht Forschungen auf dem Gebiet der 61

exotischen oder Volksmusik betrieben und versucht haben, die von ihnen befragte Person zu veranlassen, die Skala zu singen oder zu spielen, auf der nach abendländischer Ansicht ihre Melodien beruhen. Ein von westlicher Zivilisation unberührt gebliebener Mensch wird lange Zeit brauchen, bis er überhaupt versteht, wonach er gefragt wurde, und ebenso wird er in Verlegenheit geraten, wenn er eine Skala konstruieren soll. „ E s ist seltsam", schreibt F o x Strangways über einen Kadar-Musiker, den er in Indien traf, „ w i e schwer es war, Aufschluß über die Skala dieses Instruments zu erlangen. Der Spieler konnte sich nicht vorstellen, daß man einen einzelnen Ton für sich allein spielt, er versah ihn ständig mit einer Verzierung, wodurch er anschaulich zeigte, wie untrennbar eine Verzierung selbst von der einfachsten musikalischen Phrase ist. Zuletzt erreichte ich aber doch mein Ziel, indem ich nacheinander selbst seine Finger herunterdrückte." 1 3 Für den naiven Spieler hat ein Ton, der aus seinem melodischen Zusammenh a n g herausgelöst wird, nicht mehr Bedeutung als etwa ein aus dem Fell eines Tieres herausgezupftes Haar. Hoch und tief sind dagegen in der ganzen W e l t übliche Metaphern gewesen. Denn sie entstammen motorischen Impulsen und Reflexen. Bis heute passen die Hindus, die die Veden singen lernen, die Haltung des Kopfes streng den drei Kantillationstönen an. Sie geben ihm eine normale Lage für den Mittelton udätta, neigen ihn bei dem tieferen Ton anudätta und heben ihn bei dem höheren T o n svarita,14 Die Assoziierung der räumlichen Begriffe „ h o c h " und „ t i e f " mit Klangqualitäten ist dennoch nicht folgerichtig. Der Westen nennt Klänge mit mehr Schwingungen pro Sekunde höher. Soprane sind „ h o h e " Stimmen und Bässe „ t i e f e " Stimmen, und der V o k a l i ist „ h ö h e r " als u. Die alten Griechen taten gerade das Umgekehrte. Den tiefsten Ton der Skala nannten sie hyfidte — „ h o c h " , und den höchsten Ton niti — „ t i e f " . Der semitische Orient besitzt genau dieselbe Terminologie wie die Griechen. Die jüdischen Grammatiker nannten o und u, die dunkelsten Vokale, hagbähä, von gavoah — „ h o c h " . In hebräischer Schrift bedeutet ein P u n k t unterhalb eines K o n sonanten, daß auf ihn der V o k a l i folgt und ein Punkt darüber, daß ein o anschließt. In ähnlicher Weise schreiben die Araber einen kurzen schrägen Strich unterhalb des Konsonanten, u m anzuzeigen, daß darauf ein i folgt. Steht er dagegen darüber, so zeigt er an, daß auf den Konsonanten ein a folgt. Die Araber nennen die iGruppe von Vokalen hafd — „ S e n k u n g " und eine Männerstimme „ h o c h " , während eine Frauenstimme „ t i e f " ist. 1 5 Entsprechend .springen sie hinauf' zu einer tieferen Note und nennen die tiefste Lautensaite bamm — „höchste". Die Originalbedeutung von „ h ö h e r " im semitischen Orient entsprach nicht unserem „ i n größerer H ö h e " , sondern unserem „länger", gerade wie die längsten Orgelpfeifen die tiefsten Töne hervorbringen. 13 14

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A. H. Fox Strangways, The Music of Hindostan, a. a. O., 32. Martin Haug, Über das Wesen und den Werth des wedischen Accents, in: Abhandlungen der Philos.-Philol. Klasse der Kgl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften XIII/2, München 1873, 20. Eberhard Hommel, Untersuchungen zur hebräischen Lautlehre I, Leipzig 1917, 47ff.

3 Musik im alten westlichen Orient Auf ägyptischen Reliefs und Wandmalereien ist die Musik meist mit solchen Szenen aus dem Leben der Vornehmen verknüpft, die die Künstler abbildeten, um dem Toten in seinem zukünftigen Dasein Glückseligkeit und Freude zu sichern, ja direkt zu erzwingen. Festgelage mit Sängern, Spielern und Tänzern gibt es viel häufiger als Tempelzeremonien (s. Abb. 2 und 3). Knieende Instrumentalisten spielen Harfe oder blasen Flöte, während Sänger ihnen gegenübersitzen, um besser Takt halten zu können. Viele dieser Ensembles sind richtige Orchester; man sieht zum Beispiel auf einem Relief sieben Harfen und sieben Flöten. Das ist ein wichtiges Zeugnis, da ja die Schlußfolgerung nahe liegt, daß die Künstler bei vielen Darstellungen die Anzahl der Teilnehmer einfach aus Mangel an Raum reduziert haben könnten. Instrumentalorchester ohne Sänger wurden augenscheinlich noch nicht geschätzt. 16 Die Hauptinstrumente waren die oft wundervoll verzierten Harfen. Wir wissen nur zufällig durch ein einziges Wort, das sich in einer unvermuteten Quelle verborgen fand, in welcher Weise sie gestimmt wurden. In den Jüdischen Altertümern, die Flavius Josephus, der jüdische Historiker und Feldherr, im ersten Jahrhundert n. u. Z. schrieb, wird die ägyptische Harfe als ein von Tempelharfenisten (hieropsaltai) gebrauchtes örganon trigonon enarmönion bezeichnet. Die ägyptische Harfe wurde also enharmonisch gestimmt. An dieser Aussage gibt es absolut keinen Zweifel. Das enharmonische Tetrachord, wie es die Griechen verstanden, setzte sich aus einer großen Terz und einem Halbton zusammen. Der Ausdruck bezieht sich auch auf eine Heptade aus zwei solchen Tetrachorden, die durch einen gemeinsamen Ton miteinander verbunden sind, oder auf eine Oktave aus zwei solch unverbunden nebeneinanderstehenden Tetrachorden. Später spalteten die Griechen den Halbton in zwei Mikrotöne; aber diese .moderne' Spielart kann bei den ägyptischen Tempeln mit ihrer vieltausendjährigen Tradition nicht in Betracht kommen. Folglich lautete die Skala annähernd A F E C H. Sie kehrte in den höheren und tieferen Oktaven so oft wieder, wie es die Anzahl der vorhandenen Saiten zuließ. Das bedeutet, daß die Ägypter dieselbe archaische Skala besaßen, die die Griechen als ihr ältestes Tongeschlecht priesen und die die Japaner bis zum heutigen Tage bewahrt haben.

16

V g l . die Illustrationen in: C u r t Sachs, Die

Musikinstrumente

des alten

Ägyptens,

Berlin 1921, A b b i l d u n g e n 73, 76, 109, 109a, 1 1 2 .

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Man kann kaum annehmen, daß die Leiern, die im fünfzehnten Jahrhundert v. u. Z. in Ägypten auftauchten, das heißt, ungefähr zwölf oder dreizehn Jahrhunderte später als Harfen auf den Reliefs erschienen, demselben Tongeschlecht mit Großterzpentatonik verpflichtet waren. Josephus nannte ausdrücklich die Harfen enharmonisch, nicht aber die ganze ägyptische Musik. Außerdem waren sowohl im alten Griechenland wie im modernen Nubien und Äthiopien alle Leiern, deren Stimmung uns bekannt ist, dem üblichen pentatonischen Tongeschlecht mit kleinen Terzen unterworfen, das heißt der Reihe E G A H D, die sich nach oben und unten entsprechend der Anzahl vorhandener Saiten fortsetzte. Wir können kaum fehlgehen in der Annahme, daß sich die alten Harfenisten und Leierspieler beim Stimmen ihrer Instrumente genau so wie heutige Harfen-, Klavier- und Orgelstimmer allein auf ihr Gehör verlassen mußten. Das Gehör stützt sich auf drei angeborene Standardintervalle: die Oktave, die Quinte und die Quarte. Ausgehend von einem Ton in mittlerer Lage — mit Rücksicht auf die Stimmlage des Sängers — müssen die antiken Spieler eine andere Saite als Quinte dazu gestimmt haben; eine Quarte wieder zurück von dieser lieferte die Sekunde über dem Ausgangston. Oder es war der umgekehrte Weg einzuschlagen : Eine Quarte aufwärts und dann eine Quinte abwärts ergab die Sekunde unter dem Ausgangston. Das ist nun kein Quintenkreis oder Quintenzirkel, wie er allgemein genannt wird, sondern ein kontinuierliches, ja zyklisches Steigen und Fallen, wie zum Beispiel

^ ^ a. Zyklisches Prinzip oder — weniger förmlich

— A uf-und-A b-Prinzip mag eine hierfür angemessene kurze Bezeichnung sein.

Holzblasinstrumente folgten einem ganz anderen Prinzip. Ihre Skalen hingen von der relativen Lage der Grifflöcher ab, deren Anordnung durch Längenmaße, das heißt, durch Fuß und Zoll und nicht durch irgendeine musikalische Vorstellung bestimmt wurde. Ich habe das allgemeine Prinzip in meiner History of Musical Instruments17 behandelt und brauche darum die Einzelheiten nicht noch einmal zu wiederholen, lediglich der Hauptpunkt sei angeführt: „Die meisten Holzblasinstrumente, sowohl primitive wie hochentwickelte, besitzen gleich weit voneinander entfernte Grifflöcher. Aber dieses Prinzip des gleichen Abstands schließt die Bildung irgendeiner musikalischen Leiter absolut aus, es sei denn, daß die Töne durch die Größe der Löcher, die Atemführung, die Grifftechnik oder durch irgendeinen besonderen Kunstgriff korrigiert würden." Unglücklicherweise sind die vielen Holzblasinstrumente, die auf ägyptischen und sumerischen Kunstwerken abgebildet sind, nicht deutlich genug dargestellt, um exakte Messungen zu ermöglichen. Aber eine genügende Anzahl erhalten gebliebener Blasinstrumente ist in beiden Ländern ausgegraben worden. Sie Hefern uns folgende Informationen: Von zwei ägyptischen Flöten aus einem Grab des Mittleren Königreiches (etwa 2000 v . u . Z . ) mißt die eine, wenngleich sie auch ohne Sorgfalt hergestellt ist, 95 cm in der Länge und besitzt Grifflöcher, die bei zehn, elf und dreizehn Fünf17

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a. a. O., 181.

zehntein der Gesamtlänge gebohrt sind. Die andere ist nur 90 cm lang und hat bei acht, neun und zehn Zwölfteln der Gesamtlänge je ein Griffloch. 1 8 Die Skala der erstgenannten Flöte lautete theoretisch 1 5 : 1 3 , 1 3 : 1 1 , 1 1 : 1 0 oder 248-289-165 Cents, die der zweiten 12:10, 10:9, 9:8 oder 316-182-204 Cents. Beide Flöten besaßen den U m f a n g einer Quinte (702 Cents), und die kürzere war genau unterteilt, u m ein pentatonisches Pentachord zu liefern. Tatsächlich aber wurden die Töne durch die ungenügende Größe der Löcher und durch die Einwirkung des Rohrteils unterhalb des jeweiligen Loches in unkontrollierbarer Weise erniedrigt, und zwar die höheren Töne mehr als die tieferen, weil hier ein längerer Teil der Flöte die theoretische Tonhöhe beeinträchtigte. Ich wiederhole: die theoretische Tonhöhe. Aus dem frühen Sumer (etwa 2700 v. u. Z.) besitzen wir im Universitätsmuseum in Philadelphia zwei schlanke Oboen. Eine davon hat vier Grifflöcher, ist aber zerbrochen und kann daher nicht berücksichtigt werden. Die andere weist nur drei Löcher auf, deren Abstände den Verhältnissen 1 0 : 9 : 8 : 7 entsprechen, das heißt, sie liefert annähernd Ganztöne (182-204-231 Cents). Die ägyptischen Holzblasinstrumente der letzten zweitausend Jahre v. u. Z. waren nicht wesentlich anders. Trotz ihrer Variabilität und unvermeidbarer Schrumpfungsprozesse des überaus empfindlichen Materials ist das Prinzip der Teilung nach gleichen Abständen unverkennbar. Die Stufen von Loch zu Loch sind Ganz- und Halbtönen angenähert, und die Lage des obersten Griffloches, das sich in der Mitte der unteren Hälfte der Pfeife befindet, deutet darauf hin, daß diese Oboen, deren Rohrweite zu eng ist, u m die Grundtöne hervorzubringen, normalerweise die höheren Oktavtöne und durch Überblasen die darüber liegenden Quinten hervorbrachten. 1 9

Die Streckengleichteilung, das trotz vieler Nachlässigkeiten und _ auch häufig bewußter Abänderung deutlich ausgeprägte Prinzip, nach dem die Grifflöcher von Holzblasinstrumenten angelegt wurden, erforderte alle Arten des Ausgleichs, u m musikalisch annehmbar zu werden. I m Falle schwingender Saiten bildete die Streckengleichteilung dagegen eine gute Grundlage zur Gewinnung von Tönen, die mit Recht als natürlich und wissenschaftlich zugleich bezeichnet werden kann. Die Saitenteilung war für Harfen praktisch bedeutungslos, da diese für jeden T o n eine eigene, „ o f f e n e " Saite besaßen. Dagegen war sie überall dort dringend notwendig, wo alle Töne auf einer oder zwei Saiten durch augenblicklichen Wechsel der schwingenden Saitenlängen hervorgebracht werden mußten. Das geschah dadurch, daß die Saite in geringer Entfernung längs eines Stabes oder Brettes gespannt und dann mit einem Finger der linken Hand dagegen gedrückt wurde, 18 19

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J. Garstang, The Burial Customs of Ancient Egypt, London 1907, I54ff. In den Museen zu: Leyden, die Oboen Nr. 475 und 477 — 12 : 9 : 8 : 7 : 6 Zwölftel; Turin Nr. 8 und Berlin Nr. 20667 — 12 : 11 : 10 : 9 : 8 Zwölftel; Turin Nr. 12 — 14 : 12 : 11 : 10 : 9 : 8 : 7 Vierzehntel; Turin Nr. 11 — 11:10:9:8:7:6 Elftel. Sachs, Musik

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wodurch die schwingende Länge der Saite entsprechend begrenzt werden konnte. Beim Abgreifen — wie das genannt wird — wurde die Hand durch Bünde geführt. Diese bestanden im Westen der alten Welt aus Schlingen, die an den gegebenen Punkten am Griffbrett befestigt wurden. Saiteninstrumente mit Griffbrett erreichten — zusammen mit Oboen — auf ihrem Wege von Asien Ä g y p t e n zuerst im fünfzehnten Jahrhundert v. u. Z. Sie gehörten zur Familie der Langhalslauten, bei denen der Hals viel länger als der winzige Schallkörper war. Den frühesten brauchbaren Beleg eines Griffbrettes bietet die Darstellung eines Lautenisten auf einem Wandgemälde im Grabe des Nacht in Theben in Ä g y p t e n (fünfzehntes Jahrhundert v. u. Z.), der eine westasiatische Langhalslaute mit neun Bünden spielt. Die sehr genau gezeichneten Bünde waren verlokkend genug, die Fantasie anzuregen. So bemühte sich mein verstorbener Freund Dr. Erich M. v. Hornbostel, die Abstände zwischen den Bindungen zu messen und sie in Cents zu übertragen. 20 Der hervorragende Forscher scheint jedoch mit seiner Interpretation und selbst mit seinem DatierungsVorschlag jener Malerei etwas zu weit gegangen zu sein. Obwohl ägyptische Kunstwerke sorgfältig gearbeitet sind, darf man sicher nicht erwarten, daß sie komplizierter mathematischer Analyse standhalten. Außerdem stützte sich Hornbostels Skala auf einen offensichtlichen Irrtum. Die erste und oberste Bindung bedeutet nur auf Instrumenten mit einem Wirbelkasten, der in einem bestimmten Winkel zum Griffbrett steht, eine Griffstelle, wie etwa bei Instrumenten von der A r t der heutigen Violine, wo der kleine Ebenholzsattel am oberen Ende des Griffbrettes den Anfang des frei schwingenden Teils der Saite darstellt. Die ägyptische Laute aber besaß weder Wirbel noch ein getrenntes Kopfstück. Folglich benötigten die Saiten, die einfach mit rund um das obere Ende des Stabes geschlungenen Schnüren befestigt waren, eine erste Bindung, um in gewisser Entfernung vom Griffbrett gehalten zu werden und freie Schwingungen zu ermöglichen. Die klingende Länge der Saite begann erst bei dieser ersten Bindung, und es war die zweite, die die erste Griffstelle markierte. Das ergibt ein anderes Bild. Die Saite ist in zwei Hälften geteilt, die obere Hälfte ist wieder in Drittel und Viertel unterteilt, das erste Viertel ist in zwei Strecken gespalten und ein fünftes Viertel ist jenseits der Mitte der Saite abgeteilt. Die Bundanordnung folgt also zwei übereinander geschichteten arithmetischen Reihen, von denen eine in Sechsteln und die andere in Achteln der Gesamtstrecke fortschreitet. Diese Ordnung ergibt eine Skala, in der wenigstens das tiefste Tetrachord chromatisch ist. Jede noch tiefer ins einzelne gehende Besprechung würde sich nur auf Mutmaßungen stützen, und das um so mehr, als sich die Tonhöhe auf Bundinstrumenten nicht in ganz genauem Verhältnis zum jeweils klingenden Saitenabschnitt verändert. Wesentlich hierbei ist jedoch das allgemeine Prinzip, nach dem nicht das Gehör, sondern die Streckengleichteilung einer Saite die Skala bestimmt (s. Abbildung 1). 20

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Erich M. von Hornbostel, Musikalische Tonsysteme, in: H. Geiger und Karl Scheel, Handbuch der Physik VIII, Berlin 1927, 435.

Die Streckengleichteilung bei Lauten war nicht ohne Beispiel. Eine vorislamische Langhalslaute aus Bagdad zeigt eine Saitenteilung in vierzig gleiche Teile, 21 von denen allerdings nur die oberen fünf wirklich verwendet und durch Bünde markiert wurden. Da die Abschnitte im Vergleich zur Gesamtlänge besonders klein waren, bildeten die Tonabstände praktisch gleiche Vierteltöne. Spätere Beispiele von Saitenteilungen in zwölf gleich große Abschnitte im Nahen Osten, beruhten auf der Tatsache, daß zwölf der Hauptnenner der Verhältniswerte ist, die die drei dem Menschen angeborenen Intervalle kennzeichnen : die Oktave l : 2, die Quinte 2:3, die Quarte 3:4. Pythagoras teilte nach Gaudentios' Isagoge sein Kanon (Monochord) in zwölf Teile. Im zweiten Jahrhundert n. u. Z. folgte ihm der griechisch-ägyptische Ptolemäus, indem er sein Tetrachord diatonikön homalôn empfahl, das durch die Bünde null, eins, zwei und drei einer in zwölf gleiche Teile unterteilten Lautensaite dargestellt wurde. Elf Zwölftel ergaben einen Dreiviertelton, zehn Zwölftel eine kleine Terz und neun Zwölftel eine Quarte. Der arabische Theoretiker Safï ad-Dïn beschrieb genau dasselbe Prinzip als konsonant und häufig verwendet.22 Es liegt noch heute den meisten islamischen Skalen zugrunde.

Die Untergliederung einer Saite nach der Streckengleichteilung war nicht das einzige und auch nicht einmal das vorwiegend angewandte Verfahren. Freilich, in gewissem Maße befriedigte die gleichförmige Zwölfteilung musikalische Ansprüche, da sie reine Oktaven (12:6), Quinten (12:8), Quarten (12:9) und kleine Terzen (12:10) ermöglichte. Aber die anderen Griffstellen, wie etwa 12:11 oder 12:7, waren musikalisch unbefriedigend. Infolgedessen unternahmen die Lautenisten etwas, was die Flötenspieler nicht gewagt hatten : Sie ersetzten die ungeeignete arithmetische Reihe der Bundanordnung mit ihren gleichen Abständen zwischen den Tönen durch eine geometrische Reihe mit proportional anwachsenden Distanzen. Beeindruckt davon, daß sich beim Abgreifen der Hälfte, eines Drittels und eines Viertels der gesamten Saitenlänge entsprechend die drei Hauptintervalle ergaben, gingen sie logisch einen. Schritt weiter und fügten je eine Abgriffstelle bei einem Fünftel der Saite, um die große Terz, und bei einem Sechstel, um die kleine Terz zu erzeugen, hinzu. Wir nennen dieses siegreiche Prinzip Teilungsprinzip. Sowohl das Teilungsprinzip als auch das schon besprochene Auf-und-Ab-Prinzip lieferten, als natürliche Prinzipien, .natürliche' Skalen. Aber nur ihre Oktaven, Quinten und Quarten und gewisse Ganztöne stimmten überein. Bei Skalen, diè sich aus dem Teilungsprinzip herleiteten, war die große Terz kleiner und der Halbton größer, während der Ganzton in zwei verschiedenen Größen auftrat. Einige Verhältniszahlen werden schnell den Grund verdeutlichen. Der erste Ganztonschritt, beispielsweise von C nach D, wird (wie auch bei der Anwendung 21

22

5*

In bezug auf die Zahl 40 vgl. Wilhelm Heinrich Roscher, Die Zahl 40 im Glauben, Brauch und Schrifttum der Semiten, in : Abhandlungen der Philologisch-Historischen Klasse der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften X X V I I , 190g, 91 —138. Carra de Vaux, Le traité des rapports musicaux par Saß ed-Din, Paris 1891, 308 — 317.

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des Auf-und-Ab-Prinzips) durch Abziehen einer Quarte von der Quinte gefunden, das heißt, C—D ist C—G minus D—G. Das geschieht, indem man das Verhältnis der Quinte, 3:2, durch das Verhältnis der Quarte, 4:3, dividiert. Als Ergebnis erhält man (nach dem Verfahren, die Brüche kreuzweise miteinander zu multiplizieren) für den Ganzton den Verhältniswert 9:8. Der darauf folgende Ganztonschritt D—E jedoch besteht aus der Differenz zwischen der großen Terz C — E (5:4) und dem soeben gefundenen Ganzton (9:8), das heißt, wenn man die Verhältnisse wie angegeben dividiert, 40:36, gekürzt 10:9. Er ist kleiner als der Ganzton C—D. Wo dagegen die Skala durch zyklisches Auf- und Absteigen in Quint- bzw. Quartschritten gewonnen wurde, sind unterschiedlich große Werte für Ganztöne von vornherein ausgeschlossen; denn jeder Ganzton ergibt sich hier ja aus einer aufsteigenden Quinte (C—G, D—A usw.) und einer fallenden Quarte (G—D, A —E usw.) und lautet unveränderlich 9:8. Dementsprechend folgt beim Quint-Quart-Zyklus die große Terz auch nicht dem Verhältnis 5:4 wie beim Teilungssystem, sondern (durch Addition zweier gleichgroßer Ganztöne) dem mit 9:8 multiplizierten Verhältnis 9:8 oder 81:64, das um das sogenannte didymische (oder syntonische) Komma größer als das Verhältnis nach dem Teilungsprinzip 5:4 (oder 80:64) ist. Der Größenunterschied zwischen den beiden großen Terzen zieht wiederum auch einen Größenunterschied zwischen den Halbtönen der beiden Systeme nach sich, denn der Halbton ergibt sich aus der Differenz zwischen der Quarte (C —F) und der großen Terz (C—E). Da die Teilungsterz kleiner ist, muß der zwischen ihr und der Quarte liegende Halbton entsprechend größer sein: Auf-und-Ab-Prinzip

großer Ganzton

großer Ganzton

Halbton

Teilungsprinzip

großer Ganzton

kleiner Ganzton

Halbton

Die Centwerte für die einzelnen Intervalle in beiden Systemen lauten: Eine reine Quinte: Eine reine Quarte: Zwei große Terzen: Zwei kleine Terzen: Zwei Ganztöne: Zwei Halbtöne:

702

{ { { {

nach nach nach nach nach nach nach nach

498

dem dem dem dem dem dem dem dem

zyklischen Prinzip Teilungsprinzip zyklischen Prinzip Teilungsprinzip zyklischen und dem Teilungsprinzip Teilungsprinzip Teilungsprinzip zyklischen Prinzip

408 386

316 294 204 182 112 90

Ein bemerkenswerter, ja beinahe überraschender Beweis dieses Gegensatzes zwischen dem Teilungs- und dem Auf-und-Ab-Prinzip tritt in einer geringfügigen 68

Abweichung der sonst analogen kosmologischen Musikauffassung in Babylonien — über die Plutarch etwa hundert Jahre n. u. Z. berichtet23 — und China zutage. Beide Kulturen brachten die vier Jahreszeiten mit den einfachsten musikalischen Intervallen in Verbindung. Die jeweilige Zuordnung lautet (wenn man zum Beispiel C als Ausgangston wählt und von unten nach oben liest) in CHINA Winter Herbst Sommer Frühling

BABYLONIEN C' G F D C

Sommer Winter Herbst Frühling

Bis auf die Zuordnung des Sommers besteht Übereinstimmung. Warum aber diese Abweichung? Ich denke, der Grund ist folgender: Der chinesischen Anordnung liegt ein Zyklus von Quinten oder Quarten (F, C, G, D oder D, G, C, F), der babylonischen dagegen die Teilung einer Saite in Grundton (1: i), Oktave (1:2), Quinte (2:3) und Quarte (3:4) zugrunde. Die gleiche philosophische Idee verwirklicht sich also, mit einem für jedes System charakteristischen Unterschied, im Auf-und-Ab-Prinzip in China, dem typischen Land des Quinten- und Quartenzyklus', und im Teilungsprinzip in Babylonien, der frühesten Heimat der mit Bünden versehenen Langhalslaute.

Partial- oder ,Obertöne' als natürliche Wegweiser, eine Lieblingsidee mancher Autoren, die eine .plausible' Theorie der Skalenbildung bieten wollen, sollten ganz aus unseren Gedankengängen ausgeschlossen werden. Obertöne geben, zumindest wenn sie als Überblastöne von Blasinstrumenten erscheinen, wahrhaftig dürftige Standardwerte ab. Naturgewachsene Tierhörner und Schilfrohrflöten liefern deutlich wahrnehmbar falsche Oktaven und Quinten, und selbst Instrumente handwerklich besserer Fertigung hängen von der Weite oder Enge der Bohrungen ab. Teiltöne im eigentlichen Sinne, das heißt Mitschwingungen eines gespielten oder gesungenen Tons, sind schwierig zu hören und kommen kaum vor dem späteren Mittelalter in Betracht. Selbst in Indien entdeckte der Theoretiker Särngadeva den zweiten Partialton, das heißt die harmonische Oktave, erst im dreizehnten Jahrhundert, und weitere dreihundert Jahre verstrichen, ehe Rämämätya höhere Harmonische beobachtete und sie für die Anordnung der Bünde seiner Vlnä nutzbar machte.24 Der Gedanke, daß Musiker im Altertum, ja selbst in noch früheren Stadien der Entwicklung, ihre Vorstellung von Oktaven, Quinten und Quarten von den gezupften, schnell verklingenden Harfenoder Leiernsaiten abgeleitet hätten, ist geradezu unsinnig. 23 24

Plutarch, De animae procreatione in Timaeo, 31. N. S. Ramachandran, The Evolution of the Theory of Music in the Vijayanegara Empire, in: S. Krishnaswami Aiyangar Commemoration Volume, 1936, 396f.

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Natürlich waren diese .Harmonischen' vollkommen und stellten die idealen Hauptintervalle aller Systeme dar, zumindest bis zur Quarte. Aber das war nur möglich aus dem einfachen Grunde, weil sie genau denselben Schwingungen der Hälfte, des dritten und vierten Teils der Saite wie die Töne, die sich in Befolgung des Teilungsprinzips ergaben, entsprangen. Sie waren eine parallele, keine anregende Erscheinung. Die auf ägyptischen Bildnissen dargestellten Sänger halten ihre linke Hand in einer Geste an das linke Ohr, die vielen orientalischen Sängern alter und neuer Zeit vertraut ist. Die besonders zwischen den Augenbrauen sichtbaren Falten deuten auf nasales Singen mit gepreßter Stimme in wahrscheinlich hoher Tonlage. Die Haltung des rechten Armes ist noch interessanter. Die Sänger verständigen sich mit ihren Begleitern, indem sie den rechten Unterarm ausstrecken und einige immer wiederkehrende Gesten ausführen. Sie drehen die Handfläche25 oder den Daumen nach oben,26 sie biegen den Daumen gegen den Zeigefinger27 oder wenden die Handfläche abwärts28 (s. Abbildung 3). Genau die gleichen Gebärden lassen sich in Indien beobachten. Hindusänger markieren stumm die einzelnen Taktteile dadurch, daß sie den Unterarm heben, die Handfläche nach oben oder unten drehen und die Finger ausstrecken oder aufwärts krümmen. Aber auch hörbares Taktschlagen war in Ägypten durchaus bekannt. In dem Grab des Amenemhet zu Theben (bald nach 1500 v. u. Z.) ist ein Dirigent abgebildet, der vor den Ausführenden steht und ihnen sein Gesicht zuwendet; er stampft den Takt mit dem rechten Fuß und schnippt mit Daumen und Zeigefingern.29 Auch hierfür sind in Indien Parallelen zu finden. Der Leiter führt die Daumen und Zeigefinger gegeneinander und schnippt mit der rechten oder der Unken Hand oder sogar mit beiden. Die Melodien der Sänger lassen sich jedoch von den Wandgemälden nicht ablesen. In Ägypten und Sumer hatte die Vokalmusik genau so wenig mit starren Systemen zu tun wie anderswo. Die dem unbegleiteten Sänger zugestandene Freiheit enthob ihn des Problems der Färbung, wenn auch nicht des Modus. Von den Instrumenten her läßt sich keine Schlußfolgerung ziehen, die auch nur die entfernteste Vorstellung vokaler Stile im alten westlichen Orient vermitteln könnte. Aber es gibt verschiedene indirekte Hilfsmittel, die einen gewissen Einblick erlauben. 25

26

27 28 29

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Vgl. Curt Sachs, Die Musikinstrumente des alten Ägyptens, a. a. O., Abbildung 86 aus der fünften Dynastie. Vgl. ebd. Abbildung 110 aus der fünften Dynastie und Abbildung 109 aus der zwölften Dynastie. Vgl. ebd. Abbildung 109 a aus der fünften Dynastie. Vgl. ebd. Abbildung 76. Vgl. ebd. Abbildung 9 aus der 18. Dynastie.

Den besten Zugang zum Vokalstil des alten westlichen Orients bietet die jüdische Musik, weil sie trotz gewisser unvermeidlicher Veränderungen seit viertausend Jahren ohne irgendeine Unterbrechung fortlebte. Natürlich ist in alten Zeiten keine jüdische Musik aufgezeichnet worden. Das Melodiengut wurde mündlich von Generation zu Generation überliefert. Dennoch erschloß der verstorbene Abraham Z. Idelsohn, ehemals Professor am Hebrew Union College in Cincinati, einen indirekten Weg zur alten Musik Israels. Er fand die genauen Gegenstücke verschiedener gregorianischer Melodien in entlegenen jüdischen Gemeinden, im Jemen, in Babylonien und Persien, die nach der Zerstörung des ersten Tempels (597 v. u. Z.) und der Babylonischen Gefangenschaft von Palästina und der weiteren Entwicklung der jüdischen Ritualmusik abgeschnitten waren. Demzufolge müssen diese Melodien vor dem Jahre 600 v. u. Z. im Mutterland existiert haben. Weniger Glück haben wir mit anderen Melodien. Das jüdische Volk ist fünfundzwanzig Jahrhunderte lang zerstreut gewesen und hat in dieser Zeit drei Gruppen herausgebildet: die Orientalen im mittleren Osten, die Sephardim im Mittelmeergebiet und die Aschkenasim im übrigen Europa. Ihre liturgischen Melodien sind ganz verschieden, nicht einmal die hauptsächlichsten Teile des musikalischen Gottesdienstes stimmen überein (genau wie bei den ambrosianischen und gregorianischen Fassungen der katholischen Kirchenmusik). Und doch ist der Grundstil der gleiche und muß daher ein altes Erbe noch aus der Zeit vor der Zerstreuung darstellen. Dieses alte Erbe ist wohl am besten in der Liturgie der orientalischen Juden erhalten, die ununterbrochen im Nahen und Mittleren Osten gelebt haben und niemals weltliche Musik in die Synagoge eindringen ließen und auch ihren Kantoren nicht erlaubten zu improvisieren. Zweifellos schließt solch ein Stillstand die Gefahr des Verfalls mit ein. Aber die Juden aus dem Jemen, aus Mesopotamien, Persien und Buchara scheinen der Degeneration entgangen zu sein. Sonst könnten ihre Gesänge den Melodien der Sephardim, die viele tausend Meilen entfernt lebten, nicht so auffallend ähneln. So wenden wir uns den orientalischen Juden zu, um Antwort auf unsere Fragen zu erhalten. In einem wichtigen Punkt unterscheiden sich aber selbst die orientalischen Juden nicht nur von ihren Vorvätern, sondern auch von den meisten Sängern der alten Zeit: Ihr Gesang ist unbegleitet. (Jedoch machte mich Dr. Joshua Bloch freundlicherweise darauf aufmerksam, daß es in der Synagoge von Bagdad im dreizehnten Jahrhundert Instrumentalmusik an den Zwischentagen des Passahund des Laubhüttenfestes gab.)30 Die Bibel liefert viele Belege der Untrennbarkeit von Gesang und Instrumentalspiel. An den Wassern Babylons hängten die Gefangenen ihre Leiern an den Weiden auf — wie sollten sie des Herrn Lied in fremden Landen singen? Und verschiedene Male werden in den Chroniken und den Büchern der Könige die Leiern 30

s. Leopold Zunz, Die Ritus des synagogalen Gottesdienstes, Berlin 1859, 57.

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und Harfen kle sir, die „Instrumente zum Gesang", oder lesarim, „für die Sänger", genannt.31 Im alten Ägypten begleiten sich alle auf den Wandmalereien oder Reliefs dargestellten Solosänger entweder selbst, oder aber sie sitzen einem Instrumentalisten gegenüber, den sie mit bestimmten Gesten anleiten. Sumerische Sänger werden kaum ohne Instrumente erwähnt,32 und denken wir, um den westlichen Raum einen Augenblick zu verlassen, an die Worte des Chinesen Zai Y u : „Die Alten sangen nicht, ohne ihre Worte auf den Saiten zu begleiten, noch spielten sie ein Saiteninstrument, ohne zu singen."33 Es läßt sich schwer ein Grund angeben, warum diese unumgängliche Verbindung bestand und warum sie gerade von den orientalischen Juden aufgegeben wurde. War es die allgemeine Entwicklung in der ganzen Welt, die von der komplexen, Sprache, Gesang, Instrumentalspiel, Tanz und Schauspielkunst in sich schließenden Ausführung zu einer spezialisierten Ausdrucksform strebt? Wie mögen die alten Juden gesungen haben? War ihr Singen wirklich ein Schreien in höchster Stimmlage, wie einige Gelehrte uns das glaubhaft machen wollten und dabei besonders auf verschiedene Psalmen verwiesen, die angeblich davon zeugen, daß im Fortissimo gebetet wurde? Ich habe den Verdacht, daß sie sich hierbei eher auf Übersetzungen als auf das hebräische Original beziehen. Wenn in Psalm 42 nach Luther die Seele zu Gott schreiet wie der Hirsch nach den Wasserbächen schreiet, so steht im Original in Wirklichkeit verlangen. Höchstens in Psalm 22,6 könnte das Wort zä'aq wirklich .schreiend' bedeuten. In der Tat ist kraftvolles Singen der normale Ausdruck von Inbrunst und paßt gut zu der naiven Vorstellung, daß Gottes Aufmerksamkeit leichter durch Ungestüm als durch Zurückhaltung angezogen wird. Als Samuels Mutter Hannah nach Silo ging, um in des Herrn Tempel um ein Kind zu bitten, „bewegten sich nur ihre Lippen, aber ihre Stimme war nicht zu hören; daher hielt Eli sie für betrunken." Stilles Gebet kannte man bis dahin nicht. Noch im zweiten Jahrhundert v. u. Z. wird in den Büchern der Makkabäer zweimal erwähnt, daß die Juden laut zu Gott schrien. Ebenso bietet das Christentum in dieser Hinsicht Beispiele. Abbot Pambo, der im vierten Jahrhundert n. u. Z. in Ägypten lebte, tobte über den „Mönch, der, ganz gleich ob er sich in der Kirche oder in seiner Zelle aufhielt, seine Stimme wie ein Bulle erhob", und sogar heute noch singen die christlichen Priester in Äthiopien mit lauter Stimme, bis sie den höchsten Punkt der Ekstase erreichen und vollständig erschöpft sind.34 Die drastische anthropomorphe Vorstellung, daß Gottes Ohr dem lautesten Schreier am weitesten offenstehe, widersprach dem gehobenen Judaismus der Propheten. Als die heidnischen Priester auf dem Berge Karmel ihren Gott Baal anriefen, verspottete sie der Prophet Elia und sprach zu ihnen: „Ruft recht 31 32 33 34

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Psalm 1 3 7 ; 1. Chronik X V I , 42; 2. Chronik I X , 1 1 und 1. Könige X , 12. Stephen Langdon, a. a. O., Einführung. R. H. van Gulik, The Lore of the Chinese Lute, Tokyo 1940, 66. Gustave Reese, Music in the Middle Ages, New York (1940), 66, 94.

laut, er ist ja ein Gott! Vielleicht ist er in Gedanken versunken, oder h a t zu schaffen, oder befindet sich auf Reisen; vielleicht schläft er auch und muß erst aufwachen." 3 5 In den heute noch erhaltenen altertümlichen Liturgien treten diese Dinge mit solcher Deutlichkeit nicht mehr zutage. Jemenitische Gemeinden singen nur bestimmte Amen, das Qedusa (Sanctus) und den großen Segen im Forte. Doch der Sänger soll eher eine weiche, ausdrucksvolle als eine laute Stimme haben und aus der Brust singen. Tenöre werden bevorzugt. 36 Dennoch geschieht es, daß sowohl die jemenitischen als auch die persischen Juden die Töne hinaufziehen, je mehr ihre Erregung wächst. 37 Die Chordisziplin ist in jemenitischen Gemeinden vorzüglich. Alle Männer und Kinder (Frauen sind ausgenommen) beteiligen sich am Singen der Gemeindelieder, alle sind gut mit den Melodien der Synagoge vertraut und singen wirklich unison. Der Rhythmus — nicht der Taktschlag — ist streng geregelt, und nie geschieht es, daß jemand zu schnell oder zu langsam singt. Der Melodiestil ist sehr einfach. Das Buch Esther singen die Jemeniten sehr rasch auf zwei Tönen, die um einen kleinen Ganzton (191 Cents) voneinander entfernt liegen, während sie für die lyrischen Poeme aus dem Pentateuch, für das Buch Hiob und die Mischna-Traktate aus dem Talmud drei Töne verwenden. Idelsohns Untersuchungen ergaben für diese drei Töne die Werte 469, 533 und 566 Hertz. Der in der Mitte liegende Ton c' dient als Schlußton, während die beiden anderen einen etwas zu großen Ganzton darunter bzw. einen normalen Halbton darüber liegen. Selbst in kunstvolleren Melodien überschreitet der Umfang nie eine Sexte, pentatonische Leitern kommen nicht vor. Demgemäß hat die jüdische Musik in ihrer urtümlichsten Form entschieden .additiven' Charakter in dem Sinne, wie es auf den Seiten 33—40 umrissen wurde. Eine Melodie, die den Umfang einer Quarte erreicht oder überschreitet, ordnet sich in einen der drei diatonischen Tetrachordtypen ein. (Griechisch)-Lydisch wurde für Klagethemen verwendet, wie zum Beispiel die Klagelieder, das Buch Hiob und das Sündenbekenntnis, während Phrygisch als leidenschaftlich angesehen wurde. Das dorische Tetrachord galt als lyrisch und feierlich. Der Kirchenvater Clemens Alexandrinus, der vom Jahre 202 an in Palästina lebte, führt Aristoxenos an, der gesagt haben soll, daß König Davids Psalmen der dorischen harmonia ähnlich waren. 38 Beispiel 30: Babylonische Juden (nach Idelsohn)

rf^ r f p B [¡[¿fP fp p m i j waj-jo-sa ä-do-noj 35 36 37 38

baj-jom

1. Könige X V I I I , 27. A. Z. Idelsohn, Hebräisch-Orientalischer Melodienschatz ebd. III, Jerusalem — Berlin — Wien 1922, 37. Clemens Alexandrinus, Stromata, VI, 1 1 .

ha-hu. I, Leipzig 1914, 17.

73

Der Talmud verachtet diejenigen, die die Heilige Schrift ohne Melodie lesen und die Worte ohne Gesang studieren. Der Gottesdienst, der sich auf das Lesen der Heiligen Bücher stützte, war in allen Teilen musikalisch. Der Gesang des Kantors wechselte mit den Weisen der Gemeinde ab. Bei beiden Formen handelte es sich um sogenannte Kantillation, wenngleich nicht in der Art der starren Monotonie einer christlichen Bibellesung, sondern eher in der Art des edlen Strömens gregorianischer Melodien. Dadurch, daß sie die Mitte zwischen bohrender Rezitation und eigenständigen melogenen Weisen hielt, war sie das ideale Mittel, um dem göttlichen Wort in all seinen Feinheiten Ausdruck zu verleihen, angefangen von der trockenen Aufzählung von Stammbäumen — „Dies aber sind die Geschlechter der Söhne Noahs" — bis zu dem gehobenen Pathos der Psalmen — „Rette mich, oh Gott; denn das Wasser gehet mir bis an die Seele." Die jüdische Liturgie besaß die ,ewige Melodie' des katholischen Ritus und des musikalischen Dramas, nicht aber den Kontrast von Evangelium und Choral wie der protestantische Gottesdienst oder aber den Kontrast der zwischen Rezitativ und Arie wechselnden .Nummern' der herkömmlichen Oper. Zwar hatten die sogenannten Lieder des Pentateuch, etwa das Bekenntnis des Lamech, die Propheten, der Gesang der Gesänge oder die Psalmen besondere melodische Grundgerüste, aber unserer Meinung nach sind sie in eben dem Maße Kantillation wie die epischen Teile der Bibel. Beispiel 31: Persische Juden (nach Idelsohn)

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Wie mögen diese melodischen Bildungen entstanden sein? Alle jüdischen Melodien sind im wahrsten Sinne des Wortes aus melodischen .Fertigteilen' zusammengesetzt. In zwei der urtümlichsten Liturgien, der jemenitischen und der persischen, besitzen die verschiedenen Teile der Heiligen Schrift — Pentateuch, Propheten, Psalmen, Esther, Klagelieder und so weiter — jeweils ein eigenes melodisches Grundgerüst, das aus zwei Motiven — einer Anfangsfloskel und einer Endkadenz — oder aber aus drei und sogar vier Motiven zusammengesetzt ist, die abwechselnd den Halbversen des Textes zugeordnet werden und dabei biegsam genug sind, um sich entsprechend der wandelbaren Silbenzahl zu entfalten oder zusammenzuziehen. Als Beispiel drucken wir den Anfang des „Gesanges vom Roten Meer" (Exodus XIV, 30) in der jemenitischen Fassung ab. Beispiel 32: Jemenitische Juden (nach Idelsohn)

wäj-jo-sa a-do-noj

äi jis-ro-el

mij-jadirris-ro -

Jim

Hier gibt es zwei melodische Grundmotive, das eine mit Halbschluß- und das andere mit Ganzschlußcharakter, die einander in beständiger Folge, 74

wenn auch je nach den Erfordernissen entsprechend verkürzt oder erweitert, abwechseln. E s ist wahrscheinlich, daß für die Psalmen ursprünglich, ehe ihnen innerhalb einer streng geordneten Liturgie ein bestimmter, fester Platz zugewiesen wurde, ein größerer Melodienvorrat und selbst Volksweisen ähnlicher Art verwendet wurden. Vielen Psalmen geht eine besondere Überschrift voraus, die angibt, wie der Psalm ausgeführt werden soll. Frühere Autoren mißverstanden diese Angaben. Sie nahmen an, daß sich solche dunklen Titelworte wie nginot, gittit oder hanchilot auf irgendwelche unbekannten Instrumente bezogen und die Spieler anwiesen, wie sie den Gesang begleiten sollten. Ich konnte diese Interpretation widerlegen und nachweisen, daß die Überschriften sehr wahrscheinlich die dazugehörige Melodie anzeigten. 39 Jedoch gab es keine fertig ausgebildete Melodie, die den Dichter veranlaßt hätte, ein Gedicht zu verfassen, das in Metrum und Länge mit ihr übereinstimmt (wie es in modernen Gesangbüchern angedeutet ist) aus dem einfachen Grund, weil sich die Psalmen in der Länge unterschieden und auch kein gleichförmiges Metrum besaßen. Unter „Melodie" verstand man im Orient immer eines jener biegsamen Grundgerüste, die die Araber schließlich als maqämät und die Hindus als rägas klassifizierten und die dem Sänger spezifische Tongeschlechter, Skalen, Tonhöhen, Akzente, Tempi und Affektgehalte vorschrieben, ihm aber auch volle persönliche Freiheit bei der Ausgestaltung gewährten.

Im späteren Kantillationsstil traten versgebundene Grundgerüste zugunsten von Wortmotiven zurück. Vorgegebene Motive, die je aus zwei oder mehr Tönen bestanden und insgesamt einige zwanzig zählten, wechselten jetzt von Wort zu Wort und nicht mehr von Vers zu Vers. Im ersten Vers der Bibel zum Beispiel besitzt jedes der sieben Worte — BresMt am Anfang bärd schuf Elohim Gott et hashämayim Himmel weet hääres und Erde — sein eigenes Motiv (obwohl weet sein Motiv mit dem entsprechenden akkusativen Präfix et teilt und hashämayim das Motiv von bresMt wiederholt). Diese Tropen oder Akzente sind dem Eingeweihten unter bestimmten technischen Bezeichnungen wie .Handbreite', ,Verweilen', .Versschluß' und vielen anderen geläufig. Ein solches Verfahren scheint auf den ersten Blick mechanisch und ruft die Erinnerung an gewisse .komponierende' Automaten wach, die um 1800 in Europa ersonnen wurden und fertige Tongruppen kaleidoskopartig zu immer neuen Melodien verbanden. Wie sehr auch diese Maschinen und verwandte Spiele den Kompositionsakt karikierten, sie brachten die Wahrheit zum Ausdruck, daß selbst in neuerer Zeit die melodische Erfindung .Komposition' im ursprünglichen Sinne des Wortes ist, und zwar mehr, als wir einzugestehen wagen. In allem Volksgesang, in der Kunst der deutschen Meistersinger, in Luthers Chorälen, in Calvins Psalter und lange vorher im Gregorianischen Gesang erscheint diese Mosaiktechnik mit aller Deutlichkeit. 39

Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 124 — 127. 75

Der wesentliche Unterschied zwischen dem alten und dem modernen westlichen Prinzip besteht in der Auffassung über das Wesen der melodischen Elementareinheit. Die moderne Einheit ist der leblose Einzelton, die alte Einheit war der Schritt. So betrachteten die Juden melodische Bewegung als aus motorischen Elementen oder .Motiven' im eigentlichen Sinne des Wortes zusammengesetzt, was sowohl philosophisch wie musikalisch korrekter ist. Der Leser wird einem Tanzforscher verzeihen, wenn er diesen Gegensatz mit der in der Choreographie ähnlichen Alternative vergleicht, wo ein T a n z entweder durch seine Durchgangspositionen oder durch die Folge seiner Schritte charakterisiert werden kann. Das folgende Beispiel gibt die von einem babylonischen K a n t o r gesungene Kantillation des zweiten Buches Mose (XII, 2 1 : „ D a berief Moses alle Ältesten in Israel . . . " ) wieder: Beispiel 33: Babylonische Juden (nach Idelsohn)

J ' j j l M'/TJIJ I j j j j I I j 1 I waj-jig-ra

mo-se

le-hol ziq-ne

jis-ra-el

if' J'f 1 n j ) j i " > j 11] 1 1 qadma

tetir

pasia

tarha

Jedes W o r t in dieser Zeile hat sein eigenes, fertig vorliegendes Motiv: wayiqrä (da berief) wird auf qadma (vorausgehend) gesungen; mose (Moses) auf tvir (gebrochen) ; Ichol-ziqne (alle Ältesten) auf pastä (Strecker); Israel auf tarchä (Bürde) oder tipchä (Handbreite). D a s Ergebnis ist eine erstaunlich natürliche, fließende und überzeugende Melodie. Der Komponist von Kantillationen ist beileibe kein Flickschuster, er könnte eher mit einem findigen Gärtner verglichen werden, der seine zwei Dutzend bunter Blumen zu immer neuen Sträußen anordnet. Oder er könnte, u m es noch genauer auszudrücken, mit einem Tanzmeister der Renaissance verglichen werden, der aus dem mehr als begrenzten Vorrat von pas simples, pas doubles, reprises und branles eine unbegrenzte Anzahl von basses danses, saltarelli und balli schuf. U m die Tradition in den kritischen Zeiten der ersten tausend Jahre n. u. Z. zu erhalten, erfanden jüdische Gelehrte in Babylonien und Pälastina nicht nur die bekannten Punkte und Striche, die über oder unter die Konsonanten gesetzt wurden und die folgenden, bisher nicht geschriebenen Vokale bezeichneten, sondern sie ersannen auch besondere Symbole zur genauen Melodie wiedergäbe. Die Tradition selbst wurde Masora genannt. Die Gelehrten, die eine gleiche Rolle wie die Alexandriner Grammatiker in der griechischen W e l t spielten, waren als Masoreten und die von ihnen geschaffenen Zeichen als masoretisch bekannt. Die melodischen Symbole der babylonischen Juden bestanden aus den Anfangsbuchstaben der Namen, unter denen die Tropen bekannt waren. Def Buchstabe täw bedeutete die Trope tvir, der Buchstabe yöd stand für die .bleibende' Trope yetiv, der Buchstabe zain für die .steigende' zäqaf und so weiter. Sie wurden 76

über die entsprechenden Vokalzeichen gesetzt, die im Widerspruch zur üblichen Praxis oberhalb der Konsonanten geschrieben wurden. Diese babylonische Buchstabennotation wurde aber aufgegeben und allgemein durch die späteren palästinensischen oder .tiberiensischen' Symbole ersetzt, die Haken, Punkte und Striche darstellten und teilweise über, teilweise unter die entsprechenden Silben geschrieben wurden. Die älteren, mit Buchstaben angezeigten babylonischen Akzente lenkten unsere Aufmerksamkeit auf eine andere, immerhin tausend oder mehr Jahre ältere Schrift, deren musikalischer Charakter zweifelhaft war. Etwa sechzig keilförmige Buchstaben oder besser Silben erscheinen als Randzeichen auf Tonplatten, auf denen der babylonische Mythos von der Erschaffung der Welt in zwei Sprachen, in hieratischem Sumerisch und in einheimischem Semitisch, aufgezeichnet ist. Sie sind in Reihen von drei, vier oder fünf Zeichen für jede Textzeile angeordnet: me me kur kur a a a a a ku ku lu lu usw. Der Text schließt mit der feierlichen Formel: „Geheim. Der Eingeweihte mag es dem Eingeweihten zeigen." Im Jahre 1923 unternahm ich einen ersten Versuch, die Randzeichen als eine musikalische Notation zu interpretieren, aber ich scheiterte, weil ich an Einzeltöne bestimmter Tonhöhe dachte. Dr. Francis W. Galpin mißlang vierzehn Jahre später ein ähnliches Bemühen.40 1939 nahm ich die Arbeit unter einem neuen Gesichtspunkt wieder auf, 41 indem ich die Annahme von Einzeltönen bestimmter Tonhöhe fallenließ und die babylonische Schrift mit musikalischen Gruppennotationen Äthiopiens und Indiens in Beziehung brachte. Villoteau, der hervorragende Musikgelehrte der französischen wissenschaftlichen Expedition, die Ägypten während der napoleonischen Eroberung (1798—1801) erforschte, hatte von äthiopischen Priestern in Kairo erfahren, daß abessinische Kirchensänger eine geheime — wiederum eine geheime! — Silbennotation verwendeten, die über die heiligen Verse geschrieben wurde. Die siebenundvierzig Silben, deren Bedeutung er kennenlernte, traten entweder einzeln auf, wie he, le, ma, oder auch doppelt, wie lama oder raha, oder sogar zusammengezogen, wie zum Beispiel hal, gerade wie in der babylonischen Schrift. Einige Jahrzehnte später fand der französische Orientalist Hermann Zotenberg in einem liturgischen Buch in der Bibliothèque Nationale nicht weniger als 168 Symbole der gleichen Art, von denen er eine vollständige Liste in seinem Katalog äthiopischer Manuskripte veröffentlichte. 42 Leider ist ihre Bedeutung unbekannt. Unsere Kenntnis erstreckt sich also lediglich auf die siebenundvierzig Definitionen, die Villoteau angeben konnte. Aber das genügt, um klarzumachen, daß die 40 41

42

Francis W . Galpin, The Music of the Sumerians, Cambridge 1937, 38—50, 99—104. Curt Sachs, The Mystery of the Babylonian Notation, in: The Musical Quarterly X X V I I / i , 1941, 6 2 - 6 9 . Hermann Zotenberg, Catalogue des Manuscrits Éthiopiens de la Bibliothèque Nationale, Paris 1877, 76.

77

äthiopische Notation Tongruppen einschließlich Verzierungsnoten und nicht Einzeltöne bezeichnet. Die Silbe se bedeutet, u m einige Beispiele anzuführen, einen absteigenden Halbton, die Silbe ka einen aufsteigenden Ganzton, wä einen Ganzton nach oben mit einem Triller auf dem höheren Ton, wa eine kleine Terz mit einem Zwischenton, we eine Quarte aufwärts, entweder als Sprung oder mit Zwischentönen, zeze das gleiche, aber eine Quinte aufwärts, re eine Schlußkadenz. Das ist offensichtlich das Prinzip der jüdisch-babylonischen Akzente. Die Silben (Abessinien besitzt keine Einzelbuchstaben) bedeuten Notengruppen, Motive und Tropen. Äthiopische Priester schreiben zeze für eine sprunghaft aufsteigende Quinte, und genau dasselbe bezeichnet das münäh der sephardischen Juden. Eine stufenweise absteigende Quinte mit geringfügigem Verweilen auf dem letzten Ton nennen sie si\ es ist das zarqä der aschkenasischen Klagelieder. Se bedeutet eine in schnellem Gang stufenweise absteigende Quarte — genau wie rvia' in der Rezitation der Propheten durch babylonische Kantoren. Östlich von Babylonien, in Südindien, verwenden die Sänger der Veden eine ähnliche Schrift, Silben wie ka, ki, ko und andere Konsonant-Vokal-Verbindungen, die Tongruppen und nicht Einzeltöne bezeichnen, werden in den T e x t eingefügt oder wie in Babylonien neben die Verse geschrieben. Nun ist nicht nur die vedische Kantillation sehr alt, sondern auch diese Form der Silbenschrift wird ausdrücklich als die älteste Vedanotation bezeichnet. Die äthiopischen, indischen und jüdischen Akzente erleichtern eine musikalische Interpretation der alten babylonischen Schrift, obwohl das Fehlen von Zeitangaben eine ernste Schwierigkeit bedeutet. Wenn es sich bei ihr wirklich u m eine musikalische Notation handeln sollte, würde das die Akzente u m mehr als tausend Jahre vorverschieben.

Die Titel von Büchern und Zeitschriftenaufsätzen, die hebräische und nichthebräische Tonzeichen behandeln, würden einen stattlichen Bibliographieband füllen. Leser, die an den verschiedenen Zweigen dieser komplizierten Materie interessiert sind, mögen daher die spezielle Literatur zu Rate ziehen. 43 Unser Interesse beschränkt sich auf solche Arbeiten, die die Beziehung von Melodie und Sprache zum Thema haben. Die Tatsache, daß Grammatiker sich angelegen sein ließen, musikalische Neumen hinzuzufügen, daß die frühesten uns bekannten Akzente, die griechischen A k u t , Gravis und Zirkumflex, sowohl die Orthographie als auch die Tonhöhe betrafen, daß in einigen Kantillationssystemen, wie beispielsweise im armenischen, den jüdischen Akzenten ähnliche Symbole Kommas, Kolons und Punkte anzeigen — alle diese und noch viele andere Tatsachen weisen auf eine gemeinsame Wurzel bestimmter sprachlicher und musikalischer Phänomene hin. Eine aufklärende, wenn auch späte Aussage stammt von einer jüdisch-syrischen Autorität, von B a r Hebräus, der im dreizehnten Jahrhundert n. u. Z. lebte. I n seinem Buch der Herrlichkeiten schreibt er: 43

78

Vgl. Peter Wagner, Neumenkunde, 2. Auflage Leipzig 1912; Carsten Höeg, La Notation ekphonitique, Kopenhagen 1935.

Da in allen Sprachen ein Satz seine Bedeutung allein schon durch Intonationen ändert, ohne daß man Substantive, Verben oder Partikeln hinzufügt oder entfernt, entdeckten syrische Gelehrte, die das Fundament für eine korrekte Sprache legten, durch die Erfindung von Akzenten einen Ausweg . . . und da diese Akzente eine Form musikalischer Tongebung darstellen, gibt es keine Möglichkeit, sie zu erlernen, außer durch Hören und durch Überlieferung von der Zunge des Lehrers zum Ohr des Schülers. 44

Aus Bar Hebräus' Feststellung folgt, daß die Hauptsorge der Sicherung einer unverfälschten und unverfälschbaren Textfassung galt. Das erforderte 1. korrekte Vokalisierung und 2. korrekte Intonation. Das dringende Bedürfnis nach Hinzufügung von Vokalen bedarf keiner Erklärung. Ein nach hebräischer Art vokallos geschriebener deutscher Ausdruck, z. B. Tr, würde mehrere Interpretationen zulassen, je nachdem ob Tr als Tar, Teer, Tier, Tor oder Tür gelesen wird. Die volle Bedeutung der Intonation kann jedoch kaum in heutigem Deutsch dargestellt werden. Aber selbst bei der hier recht nivellierten Sprachmelodie läuft man ständig Gefahr, mißverstanden zu werden, wenn man die Stimme nicht im richtigen Augenblick hebt oder senkt. So ist es wahrscheinlich und fast sicher, daß in Zeiten hochentwickelter Sprachmelodie im Interesse eines unmißverständlichen Textes von den Grammatikern Akzentzeichen eingeführt wurden. Verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten eröffneten sich aus solch einer neuartigen Schöpfung, und ihnen allen ist nachgegangen worden. Dort, wo kein geheiligter Text in feierlicher Kantillation vorgetragen wurde, wie zum Beispiel im alten Griechenland, entwickelten sich die Akzente zu Interpunktionszeichen und phonetischen Symbolen. In jüdischen und christlichen Ländern geschah das Gegenteil. Da die Bibeltexte gesungen wurden und unerlaubte Melodieveränderungen den Sinn und die Macht ihrer Verse gefährdet hätten, wurden die Akzentzeichen vervielfacht und in Neumen verwandelt, um alle möglichen Stufen und melismatischen Gruppen zu kennzeichnen. Unglücklicherweise trat gerade das ein, was die Akzente eigentlich verhindern sollten: Die Notation, die gewissenhaft in allen Gruppen der Judenschaft bewahrt und in gleicher Weise auf die biblischen Texte angewendet wurde, bezeichnet ganz unterschiedliche Melodien. Ein münäh, das in allen orientalischen Liturgien einen kühnen Sprung um eine Quinte aufwärts anzeigt, bedeutet in aschkenasischen Ländern ein enges, sich rankendes Melisma, während einem pastä im babylonischen Vortrag der Bücher der Propheten ein Schritt abwärts, im sephardischen dagegen ein Schritt aufwärts entspricht. Beispiel 34: Jüdische Akzente münäh

Bcrsiä

Wir sind noch nicht in der Lage, diese Widersprüche zu erklären. 44

nach Carsten Höeg, a. a. O., 142.

79

In Vergils Äneis spricht der Held: In-fan-/ dum Re-jgi-na ju-j bes re-no-j va-re do-/ lo-rem

Eine Ubersetzung in dürftiges Deutsch, aber getreu nach den originalen Silben und ihrem metrischen Charakter, würde lauten: Un-nenn-/ ba-re/ Lei-den, o/ Für-stin, er-/ neut dein Be-/ geh-ren /

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Hier ist das natürliche Metrum von unnennbare genau so verletzt worden, wie es mit dem Metrum von infandum im lateinischen Vers geschehen ist. Hebräische Dichtkunst zwängt die Worte niemals in ein fertiges Gerüst ein. Jedes Wort, ja jeder Satz bewahrt sein Metrum. Folglich gibt es hier weder eine regelmäßige Folge von Daktylen oder Jamben, noch findet man eine gleichbleibende Anzahl von Füßen in einem Vers. Hebräische Dichtung ist poetische Prosa. „Hebräische Prosodie unterscheidet sich grundsätzlich von klassischer Prosodie. Keine Dichtung wird nach einem sich wiederholenden metrischen Schema geschrieben. Der Rhythmus hebräischer Dichtung hängt nicht von der relativen Stellung der hervorstechenden Silbe in bezug auf die sie umgebenden Silben ab, sondern von einer bestimmten relativen Stellung der wichtigen Silbe in der Verszeile. Der klassische Vers ist im Vergleich dazu mechanisch. Der hebräische Vers ist dynamisch." 45 Die Anzahl unbetonter Silben, die den Akzenten vorausgingen, betrug eine, zwei, drei oder sogar vier, und der Dichter konnte nach Belieben seine Verse in Ubereinstimmung mit der mehr oder weniger starken dynamischen Spannung seiner Redewendung gestalten. Aber die Verse waren stets .steigend'. Sie begannen entweder in jambischer Form mit einer unbetonten Silbe oder, was öfter vorkam, in anapästischer Form mit zwei unbetonten Silben vor dem ersten Akzent. Der Rhythmus des Hohenliedes Salomos I, 2—3 lautet zum Beispiel folgendermaßen: yish-sha-qe-ni min-ne-shi-qot pi-hu ki-to-vim do-de-ha miy-ya-yin

Die zahllosen Autoren, die sich mit dem Problem des hebräischen Rhythmus beschäftigten, behaupten, daß die Juden, da sie keinen feststehenden Wechsel langer und kurzer Silben besaßen, praktisch die Länge der Silben ignorierten und statt dessen einige Silben, deren Wichtigkeit sich eher aus dem Text als aus formalen Eigenschaften ableitete, durch einen starken Akzent betonten. Während das klassische Metrum quantitativ gewesen ist (lang-kurz), war das hebräische Metrum nach ihrer Meinung akzentuiert (schwer-leicht). 45

80

Elcanon Isaacs, The Metrical Basis of Hebrew Poetry, in: The American Journal of Semitic Languages and Literatures X X X V , 1918, 29.

Die einzige Ausnahme, soweit ich sehe, bildet hier Elcanon Isaacs' Feststellung, daß das „hebräische Metrum die Mora(Zeiteinheit)-Basis der Poesie mit dem A k z e n t kombiniert. E s beruht auf der Anzahl der Morae, die durch die akzentuierte Silbe näher bestimmt wird." 4 6 H ä t t e irgendein Philologe die hebräische Musik zum Vergleich herangezogen, er hätte diese Feststellung bestätigt gefunden. Ein „qualitatives" Metrum führt z u musikalischen Akzenten mit gesteigerter Intensität und Taktschlagen. A b e r das ist hier nicht der Fall. Die unbetonte Silbe wird regelmäßig durch eine Brevis dargestellt, die wir als Achtelnote transkribieren können. Nur selten wird sie durch eine Ligatur von zwei Sechzehnteln ersetzt oder auf ein Sechzehntel reduziert. Die betonte Silbe wird durch eine Longa oder Viertelnote wiedergegeben. Kurz, die hebräische Melodie folgt dem quantitativen lang-kurz-Prinzip. A n Feiertagen werden einige Longae z u melismatischen Gruppen ausgesponnen, gerade wie im gregorianischen Gesang. Im ganzen gesehen ist der hebräische R h y t h m u s frei, er läßt sich keinem vorgegebenen metrischen Gerüst oder einzelnen T a k t m a ß e n einordnen.

Der archaische hebräische R h y t h m u s war weniger frei. Elcanon Isaacs fand in hebräischer Dichtung eine Entwicklung, „die als Bewegung von strenger Formbeachtung weg zur freieren Anlage der Prosa charakterisiert werden könnte." Vereinzelte Beispiele, die er in den ältesten Büchern der Bibel fand, nennt er „eindringliche Volksdichtung — oft lyrisch, mit metrischen Füßen von vorherrschend drei Morae und großer Regelmäßigkeit im Taktschlag. Die Verse sind kurz, sehr ausgeprägt und von gleichmäßiger Länge. Der A k z e n t liegt zum größeren Teil auf der letzten Silbe und die Wort-Fuß-Einheiten sind sich in ihrer Form ähnlich." Wir wählen als Beispiel die ersten beiden Verse des Gesangs von der Niederwerfung der Moabiter (viertes Buch Mose X X I , 27): bo-nu chesh-bon/ ttb-an-eh wti-bo-nen 'lr si-chon kl-esh jäz'-ähj me-chesh-bon le-hä-väh mi-qir-jat Der griechischen Terminologie nach besteht jeder Vers aus einer jambischen Dipodie und einem anapästischen Tripus, allerdings mit dem Unterschied, daß die Griechen eine lange Silbe wie 'lr in unbetonter Stellung nicht zulassen würden. In Anbetracht der Entwicklung von strengerem zu freierem R h y t h m u s in der Dichtung gelangen wir zu der unumgänglichen Schlußfolgerung, daß die jüdische Musik der Nomadenzeit vor dem Jahre 1000 v. u. Z. weniger ungezwungen war als in der späteren Liturgie. Zwei Tatsachen scheinen diese Schlußfolgerung zu bekräftigen. Erstens schildern fast alle musikalischen Episoden bis zur Zeit des Tempels den Chorgesang in Verbindung mit Gruppentanz und Trommelspiel. Die Hochzeitsgesänge heutiger jemenitischer Juden veranschaulichen, wie die Be48

ebd. 29 f.

6

Sachs, Musik

8l

gleitung v o n tanzenden Männern u n d trommelschlagenden R h y t h m u s in regelmäßige Zweiviertelschläge hineinzwängt. 4 7 A r t des Singens größtenteils den F r a u e n vorbehalten. Z u allen Ländern aber bevorzugten Frauen kurze u n d klare Seiten 36—37).

Frauen den freien Zweitens w a r diese allen Zeiten und in Formen (siehe die

Gesänge jüdischer F r a u e n in archaischen Gemeinden wurden v o n R o b e r t Lachmann untersucht. 4 8 E s ist wesentlich, daß solch eine Musikgattung existiert und n a c h Stil u n d A u s f ü h r u n g streng v o n der Musik der Männer geschieden ist. D a Dr. L a c h m a n n kein Notenbeispiel v o n diesen Liedern veröffentlicht hat, wird es z w e c k m ä ß i g sein, ihn im folgenden selbst z u W o r t e kommen zu lassen. Die Frauengesänge sind von einem beschränkten Vorrat typischer melodischer Wendungen abhängig. Die verschiedenen Gesänge reproduzieren diese Wendungen — oder einige davon — immer wieder . . . Ihre Tonbeziehungen enthüllen eine der vielen Verfahrensweisen vokaler Musik vor ihrer Abhängigkeit von einem rationalen Skalensystem der Theorie. Die Dichtungen sind alle durch wechselnde Reime in paarige Verse oder Strophen gegliedert. Bestimmte Dichtungen besitzen außerdem einen Refrain . . . Die meisten Lieder bestehen aus einer Melodie mit 2—4 Teilen und deren Wiederholungen. Zwei Sängerinnen — oder Gruppen von Sängerinnen — wechseln sich in diesen Wiederholungen ab . . . Die Zeilen oder Doppelzeilen des Gedichtes werden abwechselnd von beiden Sängerinnen gesungen. Die Frauengesänge gehören zu einer Gattung, deren Formen nicht hauptsächlich von der Bindung an den Text, sondern von Bewegungsverläufen abhängig sind. So finden wir hier an Stelle des freien Rhythmus' der Kantillation und ihrer sehr verschlungenen melodischen Linienführung eine periodische Auf- und Abbewegung. Dieser Gesangstyp geht — wie die Rezitation magischer oder liturgischer Texte — auf prähistorische Zeiten zurück . . . In den jüdischen Gemeinden, und zwar nicht nur in orientalisch-sephardischen Bezirken, sondern zum Beispiel auch im Jemen, begleiten die Frauen ihre Lieder mit Rahmentrommeln oder Zimbeln, die sie mit den Händen schlagen . . . Die Schläge folgen in regelmäßigen Abständen, sie fallen auf jeden Einschnitt der Melodie. Hiermit erfüllen sie aber nur eine der verschiedenen Funktionen, deren die Trommel im Nahen Osten fähig ist. Sie geben nur die Länge der Zeileneinheit an (wie offensichtlich auch die Zimbeln im Tempel), aber sie teilen weder die Melodie in Takte, noch zwingen sie sie in den Rahmen einer systematischen rhythmischen Figur . . . Die Gesänge gruppieren sich teilweise im 4/4-Takt und teilweise im 3/4-Takt, das heißt, in den beiden einfachsten Formen. Diese Beschreibung könnte dem B i l d a m nächsten kommen, das wir uns v o n Jephtas Tochter, die ihren V a t e r willkommen heißt, und v o n den Frauen, die D a v i d nach dem K a m p f gegen die Philister begrüßen, machen sollten.

47 48

82

A. Z. Idelsohn, a. a. O. I, 42. Robert Lachmann, Jewish Cantillation and Song in the Isle of Djerba, Jerusalem 1940, 67 — 82 u. a.

Parallelismus membrorum lautet der philologische Terminus, der das vorherrschende Strukturprinzip hebräischer Dichtung bezeichnet. Der Halbvers wird durch einen anderen Halbvers beantwortet, der entweder eine Verstärkung oder einen Widerspruch enthält, zwar nicht im selben Versmaß, aber mit ähnlichen Worten. Man betrachte zum Beispiel die Anfangszeilen des Buches Joel: Höret dies, ihr Alten, Und merkt auf, ihr Bewohner des Landes allesamt! Ist jemals etwas derartiges zu euren Lebzeiten Oder in den Tagen eurer Väter geschehen? Erzählt euren Kindern davon Und laßt eure Kinder es ihren Kindern erzählen.

Oder das älteste Gedicht in der Bibel (erstes Buch Mose IV, 23): Ada und Zilla, hört meine Rede! Ihr Weiber Lamechs, vernehmt meinen Spruch! Ich habe einen Mann erschlagen, weil er mich verwundete, Einen Jüngling, der mir einen Schlag versetzte. Wenn Kain siebenmal gerächt werden soll. So Lamech siebenundsiebzigfach.

Auch die Assyrer hielten sich an ,tautologische' und andere Parallelismen. Eine der Hymnen an Sin beginnt: Oh Herr, wer kommt dir gleich, wer kann mit dir verglichen werden? Allmächtiger, wer kommt dir gleich, wer kann mit dir verglichen werden? 48

Antiphonie ist die musikalische Entsprechung dichterischer Parallelismen. Dieser Ausdruck bedeutet im engeren Sinn abwechselndes Singen der beiden parallelen Zeilen durch zwei Halbchöre und im weiteren Sinn Wechselgesang eines Solisten mit einem antwortenden Chor, was in der römischen Kirche Responsorialgesang genannt wurde. Wechselgesang in geradezu riesigem Maßstab wird in dem talmudischen Traktat Sota, der sich auf eine Episode des Buches Josua bezieht, grob skizziert: Als die Israeliten den Jordan überquert hatten, und an den Berg Gerizim und den Berg E b a l in Samaria gelangt waren . . . erstiegen sechs Stämme den Gipfel des Berges Gerizim und sechs den Gipfel des Berges Ebal. Und die Priester und die Leviten blieben unten in der Mitte stehen, und die Priester standen rings um die Bundeslade, und um die Priester herum standen die Leviten, und ganz Israel befand sich an der einen und an der anderen Seite . . . und sie begannen mit dem Segen . . . und diese und jene antworteten „ A m e n ! " 5 0 49 60

6*

Charles Gordon Cumming, a. a. O., 97. Sota V I I , 5. 83

Als Moses, nachdem er sein Volk durch das Rote Meer geführt hatte, mit seinen Leuten den Lobgesang anstimmte: „ I c h will dem Herrn singen, denn E r ist hoch erhaben: Roß und Reiter hat E r ins Meer gestürzt . . . " nahm die Prophetin Mirjam, Aarons Schwester, eine Schellentrommel in die Hand, und alle Frauen zogen hinter ihr mit Schellentrommeln und mit Tänzen her. Und Mirjam sang den Männern als Antwort zu: „Singet dem Herrn, denn E r ist hocherhaben: Roß und Reiter hat E r ins Meer gestürzt." 8 1

Der jüdische Philosoph Philo (geb. 30—20 v. u. Z.), der trotz seiner hohen griechischen Bildung ganz der Gedankenwelt hebräischer Tradition verhaftet war, interpretierte diese Art des Singens als Antiphonie. „Am Ufer", schreibt er in seinem Buch über Mose, „bildeten die Hebräer aus den Männern und den Frauen zwei Chöre und lobten Gott; Moses stimmte den Gesang der Männer an und seine Schwester den Gesang der Frauen. Sie waren die Führer der Chöre."82 Aber auch wenn das — ganz abgesehen von den gleichen Textworten, die sowohl Männer wie Frauen sangen — nicht Antiphonie im engeren Sinne war, also Frauen gegen Männer, so war es doch mindestens Antiphonie im weiteren Sinn, bei der die Chöre ihren Vorsängern antworten. Um wirkliche Antiphonie handelte es sich offenbar, als anläßlich Davids Heimkehr nach seinem Siege über die Philister „die Frauen¿w Wechselgesang anhoben und sprachen: ,Saul hat seine Tausend geschlagen, David aber seine Zehntausend.' " 5 3 Das im Originaltext stehende Verb 'änäh bedeutet „antworten, erwidern". . Auf breit angelegte Antiphonie, möglicherweise von Sängern und Spielern ausgeführt, deutet ferner eine Beschreibung in dem Buche Nehemia. Als die Führer nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil (538 v. u. Z.) die Mauern von Jerusalem wieder aufgebaut hatten und sie eingeweiht werden sollten, holte man die Leviten aus allen ihren Wohnorten, damit die Einweihung begangen würde durch ein Freudenfest mit Danken und mit Singen, mit Zimbeln, Harfen und Leiern. D a versammelten sich die Tempelsänger . . . und (Nehemia) ließ die Obersten von Juda oben auf die Mauer steigen und stellte zwei große Gruppen auf, die danksagten und umzogen, nach rechts die Hälfte der Obersten von Juda und ein Teil der Priester mit Trompeten, darunter Juda und Hanani mit den Musikinstrumenten Davids, der andere Dankchor zog ihnen anders herum entgegen und blieb am Kerkertore stehen. So standen denn die beiden Dankchöre am Hause Gottes und die Sänger sangen schallend unter Jisrahja als Leiter. 64

Die älteren Rabbi des Talmud, die noch selbst den Tempel gesehen hatten, beschreiben Grundformen des responsorischen Wechselgesangs folgendermaßen: 1. Der Solist sang die vollständige Melodie und nach jedem Halbvers antwortete die Gemeinde mit demselben ersten Halbvers als Refrain. Diese Form war für das Hallel (Ps. 113—118) und für, den Lobgesang von der Flucht durchs Rote Meer (zweites Buch Mose XV) gebräuchlich. 51 52 53 54

2. Mose X V . Philo, Über das Leben Mosis I, 180. 1. Samuel X V I I I , 7. Nehemia X I I , 27—42 (gekürzt).

84

2. Der Solist und die Gemeinde wechselten im Vortrag von Halbvers zu Halbvers. Dies war die traditionelle Form des Shma Israel. 3. In der Schule wiederholten die Kinder die Kantillation des Lehrers nach jedem Halbvers. 4. Schon zur Zeit des Mose waren feststehende Refrains vorgeschrieben: „Und das ganze Volk soll antworten: Amen" (fünftes Buch Mose X X V I I , 15—26). Das beste Zeugnis für Chorantiphonie gibt Philos Beschreibung eines Abendmahlsgottesdienstes der Sekte der Therapeuten : 5S Gemeinsam stehen alle auf . . . und zwei Chöre werden gebildet . . . einer aus Männern und der andere aus Frauen, und für jeden Chor wird ein Vorsänger ausgewählt, der der Würdigste und Beste der Gruppe ist. Dann singen sie Hymnen, die zu Ehren Gottes in vielerlei Versmaßen und Melodien komponiert wurden, indem sie einmal alle miteinander singen, und ein anderes Mal einander auf geschickte Weise antworten . . . Der Chor der andächtigen Männer und Frauen ergibt im einfachen Singen und im Wechselspiel der Melodien . . . ein wirklich musikalisches Zusammenklingen, indem sich die durchdringenden Stimmen der Frauen mit den tiefen Stimmen der Männer mischen. 86

Auch heute noch wird responsorische Antiphonie in allen jüdischen Liturgien angewendet. Die Jemeniten singen das Hallet vorwiegend in der Form 1, die die Jerusalemer Juden zur Zeit des Tempels pflegten, während die babylonischen Juden es am Passahfest in der Form 2 vortragen. Daneben findet sich auch chorische Antiphonie, aber nur außerhalb der Synagoge. Die Jemeniten zum Beispiel singen alle außer einer Form außersynagogaler Dichtung in der folgenden Ausführung. Der (aus Männern bestehende) Chor ist in zwei Halbchöre von mindestens zwei Sängern unterteilt. Der Vorsänger, ein Mitglied des ersten Halbchores, singt den ersten Vers (acht Takte) zunächst allein, um die Melodie ins Gedächtnis zu rufen. Die folgenden Verse werden dann abwechselnd gesungen, und zwar der erste Halbvers vom ersten Halbchor und der zweite Halbvers vom zweiten Halbchor. Liegt eine Koda vor, singen beide Halbchöre sie gemeinsam. Trommeln sollen den Rhythmus schlagen. Im Falle, daß sie nicht zur Verfügung stehen oder, wie an Sabbattagen, nicht zulässig sind, klatschen die Zuschauer in die Hände. Diese Wechselgesänge werden niemals ohne Mitwirkung eines oder zweier Tänzerpaare gesungen — zu Beginn in langsamem, dann iti ständig gesteigertem Tempo bis zum rasenden Prestissimo. Bei der engen Verwandtschaft zwischen assyrischen und hebräischen religiösen Dichtungen sollte es als selbstverständlich gelten, daß es in Assyrien Antiphonie gab. Obwohl kein direkter, unwiderlegbarer Beweis dafür vorliegt, hatte C. G. Cumming, der eine Monographie über die assyrischen und hebräischen Lobgesänge verfaßte, doch genügend Material, um ein ganzes Kapitel über diesen Gegenstand zu schreiben und festzustellen: „Der Gebrauch des Refrains in den assyrischen 55 56

Philo, De vita contemplativa X I . Zitiert aus Gustave Reese, a. a. O., 60.

85

Hymnen weist wie im Falle der hebräischen Hymnen auf antiphonale Responsorien zwischen Priester und Chor bzw. Chor und Chor hin." 57 Greifbare Zeugnisse nicht-jüdischer Antiphonie stellen die ausgelassenen Spiele der Nubier in Oberägypten dar, die in ihrer archaischen Kultur eine ganze Reihe altägyptischer Züge getreu erhalten haben. Vor einhundertfünfzig Jahren beobachtete der französische Musikwissenschaftler Villoteau, wie sie in zwei Reihen zu je vier, sechs, acht oder auch noch mehr Männern sangen und tanzten, das Gesicht einander zugekehrt, im Abstand von zwei oder drei Fuß, genau wie auf bestimmten alten ägyptischen Reliefs. Villoteaus musikalische Beispiele zeigen kontinuierliches Abwechseln der beiden Chöre, von denen jeder zwei Takte singt, oder aber daß der zweite Chor mit einem überlappenden Refrain einfällt.58 Ich selbst nahm 1930 an nubischen Ruderbootfahrten auf dem Nil in der Nähe des ersten Wasserfalls teil und beobachtete, wie der Führer improvisierte und die Mannschaft respondierte, und zwar ziemlich genau in derselben Weise wie Kantor und Gemeinde in einer Synagoge. Beispiel 35 : Nubier (von Curt Sachs gehört) T Vhr.ÇffnnnT-

*

l.Chor

Doch all diese Belege werden noch übertroffen durch einen Brief von einem der Kirchenväter, St. Basilius (etwa 330—379), der darin das antiphonale und responsoriale Singen der Psalmen, wie es die „Ägypter, Libyer, Thebaner, Palästinenser, Araber, Phönizier, Syrer und die Anwohner des Euphrat" pflegen, verteidigt. 59 Das beweist, daß antiphonales und responsoriales Singen zwischen Libyen und Mesopotamien allgemein verbreitet war.

Die christliche Liturgie Syriens, die der jüdischen Liturgie Palästinas am nächsten steht, bezeugt, daß Antiphonie keineswegs das einzige musikalische Merkmal ist, daß Israel mit der übrigen östlichen Welt zwischen Libyen und Mesopotamien gemeinsam besaß. Obwohl eigentlich keine ihrer Melodien bis zum Altertum zurückverfolgt werden kann, sind sich die Forscher doch in der Annahme einig, daß sie ursprüngliche Elemente enthalten. Beispiel 36 : Syrische Christen (nach Idelsohn)

»

57 58

59

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J=112

Charles Gordon Cumming, a. a. O., 72—82, 99. Villoteau, De l'Etat Actuel de l'Art Musical en Egypte, in: Description de L ' É g y p t e , É t a t moderne, X I V , Paris 1826, 254 — 259. Gustave Reese, a. a. O., 63.

Hier liegen tatsächlich die gleiche Bevorzugung tetrachordaler Struktur, derselbe Kantillationsstil und auch bestimmte, in enger Beziehung zu den meisten archaischen jüdischen Weisen stehende Standardmelodien vor. Weitere Merkmale sind die Anpassungsfähigkeit melodischer Modelle an Texte verschiedener Länge und von unterschiedlichem Rhythmus, die Wiedergabe irregulärer qualitativer Metren durch irregulär wechselnde kurze und lange Noten, Akzente und Neumen, Parallelismus membrorum sowie ausgeprägte Antiphonie beiderlei Art wie Halbchor gegen Halbchor und Chor gegen Solosänger.60 Weiter nördlich formte sich unter syrischem Einfluß die früheste Kirchenmusik Armeniens. Wir kennen jedoch diese Musik nicht. Die alte Notation ist noch nicht entziffert worden, und die heutigen Melodien scheinen viel jüngeren Datums zu sein. Aber selbst die moderne Kantillation Armeniens beruht auf melodischen Formeln und nicht auf Skalen, und seine ältesten Hymnen sollen Prosa gewesen sein, das heißt frei im Rhythmus. Beide Merkmale stellen eine Beziehung zur jüdischen Musik her. 61 In ähnlicher Weise kehren die charakteristischen Züge der jüdischen Kantillation im Gesang der christlichen Nachbarn Israels im Westen wieder, bei den Kopten Ägyptens.

Die Kopten, die einheimischen Christen Ägyptens, haben die Rassenmerkmale der alten vorislamischen Ägypter bewahrt und gebrauchen im Gottesdienst noch deren Sprache. Alle Eroberer, die Griechen, Römer, Araber und Türken, haben sie fast unberührt gelassen. In Anbetracht dieser Beharrlichkeit besteht die Hoffnung, daß die ägyptische Musik der Spätzeit bis zu einem gewissen Grade in den koptischen Kirchengesängen erhalten geblieben sein könnte. Der Gesang wird von einigen blinden Sängern ausgeführt, die am Boden sitzend mit dünner, hoher und nasalgefärbter Stimme die Lieder vortragen und sich dabei mit dem hellen Klang kleiner Zimbeln begleiten, ähnlich wie die alten Ägypter ihr metallisches Sistrum schüttelten. Ihre Melodien sind streng heptatonisch und in der Hauptsache syllabisch mit relativ wenig Ligaturen und Verzierungen. Der Zuhörer vermeint oft, tetrachordale Modi zu hören. Beispiel 37 : Kopten (nach Newlandsmith) l*t—' * r

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Aber wer je koptischen Gottesdiensten beiwohnte — der Autor hatte mehrere Male in Kairo und Luksor dazu Gelegenheit — wird von der entmutigenden Unbestimmtheit der innerhalb einer Quarte oder Quinte liegenden Töne betroffen sein 60

A. Z. Idelsohn, Der Kirchengesang der Jakobiten, in : Archiv für Musikwissenschaft IV, 1922, 364—389. Egon Wellesz und andere Quellen: s. Gustave Reese, a. a. O., 432.

61

s. die Bibliographie bei Gustave Reese, a. a. O., 434. 87

und daher den Gedanken an eine modale Analyse fallen lassen. Das Problem, wie man diese Unbestimmtheit interpretieren soll, ist schwierig. Ist sie ein dem koptischen und also auch dem ägyptischen Stil eigenes Merkmal, oder ist sie eine Degenerationserscheinung? Im Hinblick auf das Wesen des Singens im allgemeinen und des orientalischen Singens im besonderen ist Übernahme wahrscheinlicher als Verfall. In ähnlicher Weise sollte auch äthiopische Kirchenmusik Berücksichtigung finden. Abessinien rühmt sich, jüdischer Abstammung zu sein, glaubt, daß sein erster Kaiser der Sohn König Salomos und der Königin von Saba war und behauptet, daß seine Kirche die Melodien des Tempels Salomos bewahrt habe. Die Geschichte ihrerseits berichtet, daß der erste Bischof Äthiopiens ein Phönizier, das heißt, ein Nachbar der palästinensischen Juden war, und daß um 500 n. u. Z. syrische Mönche als Missionare in dieses Land kamen. Beispiel 38: Abessinier (nach Herscher-C16ment)

Die Kantillation der abessinischen Kirchengesänge ist bis jetzt kaum erforscht worden. Wenigstens in ihrer Ausführung aber zeigt sie ein Merkmal, das uns an die jüdische Tempelmusik erinnert. Die Versenden werden durch Schütteln des Sistrums markiert, das entweder mit dem alten jüdischen oder aber wahrscheinlicher noch mit dem alten ägyptischen Sistrum identisch ist, das in seinem Heimatland längst vergessen wurde. Tatsächlich leugnen die Äthiopier nicht, daß es enge Bindungen zwischen ihrer Kirchenmusik und den Melodien der Kopten gibt. 62

Auch Mehrstimmigkeit ist ein faszinierendes Merkmal abessinischer Musik, und zwar umso mehr, als hier — abgesehen von dem arabischen Einfluß in den improvisierten Gesängen zur Massanqo, der Fiedel der wandernden Spielmänner — das musikalische Leben seit alten Zeiten unberührt geblieben zu sein scheint. Mondon-Vidailhet, ein französischer Resident Abessiniens, der ein ausgezeichneter Beobachter und wohl der beste unter den sehr wenigen Autoren war, die über äthiopische Musik schrieben, berichtet, daß die „liturgische Musik keineswegs ausschließlich homophon ist . . . Bei verschiedenen Zeremonien bemerkte ich, daß, bevor eine der Gruppen ihren Gesang beendet hatte, eine andere Gruppe bereits 62

88

s. die Bibliographie bei Gustave Reese, a. a. O , 434; s. a. den Beitrag von J Herscher-C16ment, Chants d'Abyssinia, in: Zeitschrift für Vergleichende Musikwissenschaft II, 1934, 5 1 - 5 7 -

anfing, so daß das Ganze eine sehr harmonische Musik, eine sehr komplizierte Art Kontrapunkt ergab . . ," 63 Er erzählt von bettelnden Aussätzigen, die vor Sonnenaufgang an den Türen ihrer glücklicheren Landsleute lalibaloë vortragen. Zuerst singt eine Frau, dann ein Mann, dann beide oder sogar drei; und bei diesem Zusammensingen ergibt sich, um Mondon-Vidailhets Worte zu übersetzen, „eine einfache Harmonie, die sich allgemein auf die Terz gründet." 64 Eine dritte Form des Gemeinschaftsmusizierens in Äthiopien findet sich in den Volksgesängen, die zafan genannt werden. Ein Solist singt die Strophen, der Chor fällt in den Refrain ein, und während alle gemeinsam die Koda singen, hört eine Stimme nach der anderen auf, bis nur eine einzige Stimme übrigbleibt, 66 fast wie in Haydns Abschieds-Sinfonie, wo ebenfalls ein Musiker nach dem anderen zu spielen aufhört und davongeht. Eine noch wichtigere Parallele wird in dem talmudischen Traktat Ardhin II, 3 angeführt. Bei der Erwähnung der Doppeloboe wird hier hinzugefügt, daß die Schlußkadenz nur auf einem Rohr gespielt wurde, „um sie angenehmer zu machen." Ich habe an anderer Stelle schon die Frage behandelt, aus welch verschiedenen Gründen zwei gleichzeitig geblasene Rohre weniger angenehm sein können.66 Vielleicht wurden sie unison gespielt und riefen, wenn sie nicht mit größter Sorgfalt aufeinander abgestimmt wurden, unangenehme Schwebungen hervor, oder aber sie spielten jeweils verschiedene Stimmen, möglicherweise und sogar wahrscheinlich in der Art eines Bordun. Bordunspielen ist in der Tat überall dort, wo Doppelpfeifen gespielt werden, die Grundform des Kontrapunktes. Der arabische Argül und die Doppeloboen Indiens, die sardinische Tripelklarinette Launeddas und praktisch alle Sackpfeifen in der Welt sehen eine Pfeife für die Melodie und die andere für den ausgehaltenen Orgelpunkt unterhalb der Melodie vor. Bordune, an sich schon archaisch, waren zweifellos schon vor wenigstens fünftausend Jahren bekannt. Auf einem Relief des ägyptischen Alten Reiches ist eine Doppelklarinette abgebildet, und Sumer hat Doppeloboen aus derselben Zeit hinterlassen. Auf einigen Gemälden des ägyptischen Neuen Reiches (nach 1500 v. u. Z.) greift ein Bläser das rechte Rohr mit beiden Händen ab, während das linke Rohr nur mit dem Daumen gehalten wird. Das weist deutlich darauf hin, daß das linke Rohr als Bordun mitklingt. Auf anderen Gemälden hält die linke Hand das Rohr oberhalb des höchsten Griffloches; auch dieses Rohr kann also keinesfalls mehr als einen einzigen Ton beigesteuert haben. Die Grifflöcher, die der Spieler nicht benutzen wollte, wurden mit Wachs verstopft. Eine in Theben ausgegrabene Pfeife, die etwa aus der Zeit gegen Ende des Mittleren oder Beginn des Neuen Reiches stammt, enthält noch heute das in drei der vier Grifflöcher gestopfte Wachs. 63

64 65 65

Mondon-Vidailhet, La Musique Ethiopienne, in: Lavignac, Encyclopédie de la Musique, Teil I, Bd. V, Paris 1922, 3192. ebd. 3181. ebd. 3180. Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 120. 89

Die Mehrstimmigkeit der Harfenspieler schließlich ist schon in meiner History of Musical Instruments behandelt worden. 87 Ein sehr bekanntes Relief im Britischen Museum stellt das elamitische Hoforchester dar, welches den assyrischen Eroberer im Jahre 650 v. u. Z. willkommen heißt. Unter den abgebildeten Spielern sind sieben Harfenisten, die einander in allen Einzelheiten mit der Ausnahme gleichen, daß sie verschiedene Saiten zupfen. Eine solche Abweichung darf bei einem Kunstwerk von realistischer, j a fast photographischer Genauigkeit nicht als zufällig betrachtet werden. A u c h kann der einzige Unterschied zwischen sonst sich völlig gleichenden Spielern nicht etwa durch formale Beweggründe des Künstlers erklärt werden, (s. Abbildung 4). Jeder Harfenspieler zupft zwei Saiten. D a die Ordnungszahlen der angerissenen Saiten jeweils um fünf auseinander liegen — die fünfte, zehnte, fünfzehnte und die achte, dreizehnte, achtzehnte werden gezupft — m u ß das Tongeschlecht pentatonisch gewesen sein, und zwar entweder mit großen Terzen und Halbtönen oder mit kleinen Terzen und Ganztönen. Die daran anknüpfende Frage, ob die Tetrachorde zu Heptaden oder zu Oktaven zusammengestellt wurden, ist bedeutungslos, da bei dem U m f a n g von zwanzig Saiten verbundene und unverbundene Tetrachorde einander irgendwie abwechseln. Nimmt man zum Beispiel an, daß die fünfte Saite auf A abgestimmt wurde, so ergibt die zehnte und die fünfzehnte a bzw. a', und die achte, dreizehnte und achtzehnte Saite e, e', und e". D a s Result a t wäre demnach eine auf moderne Weise orchestrierte Quinte, deren beide Töne in verschiedenen Kombinationen — als Doppeloktave, Oktave, Einklang und Quinte — unter den sieben Spielern verteilt sind : erster Harfenspieler: zweiter Harfenspieler: dritter Harfenspieler: vierter Harfenspieler: fünfter Harfenspieler: sechster Harfenspieler: siebenter Harfenspieler:

A-e" e-e' e'-e" e'-e' a'-e" a'-e" («K

Die unvorhergesehenen Ergebnisse, die das Studium dieses Reliefs lieferte, ermutigten mich, die Untersuchung auf andere alte Darstellungen von Harfenspielern aus Assyrien und Ä g y p t e n auszudehnen, bei denen die Saiten und zupfenden Finger mit ähnlicher Genauigkeit ausgeführt waren. Dabei fand ich auf assyrischen Darstellungen aus dem siebenten Jahrhundert v . u. Z. die Quinte und auf ägyptischen v o m frühen dritten Jahrtausend v. u. Z. an Quinten, Quarten, O k t a v e n und Einklänge abgebildet. E s ist wahrscheinlich, daß das mehr eine zufällige Hervorhebung der Haupttöne als eine ständige Begleitung in Parallelen bedeutet. Immerhin beweist es aber den Gebrauch pentatonisch gestimmter Instrumente, obwohl das wiederum nicht zwangsläufig auch die Verwendung pentatonischer Melodien in sich schließt. 87 68

90

ebd. 82. Curt Sachs, Zweiklänge im Altertum, in: Festschrift für Johannes Wolf, Berlin 1929, 168 — 170.

4 Schluß

Um kurz zusammenzufassen: Trotz des fast völligen Fehlens direkter Informationen erlauben uns Analogieschlüsse und andere indirekte Folgerungen, die ungefähren Umrisse davon zu skizzieren, wie Musik im alten westlichen Orient ausgesehen hat. Große Ensembles, wie die Hoforchester Ägyptens, Babylons und Elams, und die mit dem Tempel in Jerusalem verbundenen Chöre und Orchester, weisen auf einen hohen Stand musikalischer Erziehung, Fertigkeit und Erkenntnis hin. Das System, dem sie folgten, kann bis zu einem gewissen Grade von den verwendeten Musikinstrumenten abgeleitet werden. Die offenen Saiten von Harfen und Leiern weisen auf das Auf-und-Ab-Prinzip und fast mit Sicherheit auf eine pentatonische Stimmung hin, was auch andere Zeugnisse bestätigen. Die späteren Langhalslauten, die sich von einem Zentrum in Mesopotamien oder im Iran aus verbreiteten, deuten auf das Teilungsprinzip. Der Gesang war zumindest in den letzten tausend Jahren v. u. Z. heptatonisch orientiert, ohne jede Spur von Pentatonik. Stilistisch zeigte er im wesentlichen logogene Züge, vorwiegend syllabischen Aufbau und nur mäßig Verzierungen in Form von Ligaturen und Melismen. Die Melodie lehnte sich an vorgegebene Modelle an oder wurde aus sorgsam klassifizierten Motiven, nicht aber aus Einzeltönen zusammengesetzt. Infolgedessen entwickelte sich die Notation in der Richtung auf Gruppenschriften, Akzente und Neumen, nicht aber auf Tonhöhenschriften. .Metrum' im griechischen Sinne war unbekannt und ,Takt' mit regelmäßigen Schlägen existierte nur in Tänzen und in vom Tanz beeinflußter Musik. Die religiöse Melodik war rhythmisch frei, den unregelmäßigen Metren der Worte entsprach sie durch Dehnung der akzentuierten Silben, auch wenn diese phonetisch kurz waren. Neben einfachem Solo- und Chorgesang wurde Musik mit Vorliebe in den verschiedenen Formen der Antiphonie organisiert. Genau zu bestimmen, welche Rolle Mehrstimmigkeit spielte, ist schwierig. Bordune und konsonante Zusammenklänge kamen zumindest auf Instrumenten vor. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, daß der alte westliche Orient eine Musik besaß, die völlig abwich von dem, was Historiker des neunzehnten -Jahrhunderts über sie schrieben. Gleich zu Beginn des ersten Bandes der Geschichte der Musik von A. W. Ambros in der Ausgabe von 1887 kann man lesen, daß sich „die assyrische Musik niemals über das Niveau eines bloßen sinnlichen Reizmittels erhoben zu haben scheint", daß die Musik Babylons „auf jeden Fall wollüstig, lärmend und weit entfernt von einfacher Schönheit und edler Form

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war" und daß die Hauptaufgabe phönizischer Musik darin bestand, „die Schreie der Opfer zu übertönen, die in den glühenden Armen des Moloch verbrannt wurden." Welch ein Unterschied zu der ruhigen Einfachheit und der edlen Größe griechischer Musik! Legen wir diese übereilten und törichten Ansichten ad acta! Denn obgleich wir nicht wissen, wie die alte Musik geklungen hat, besitzen wir doch genügend Zeugnisse ihrer Macht, Erhabenheit und Würde. Und der nicht geringste Beweis liegt darin, daß selbst die Griechen für sich in Anspruch nahmen, von ihr gelernt zu haben.

Drittes Kapitel

Ostasien

1

Allgemeine Merkmale Dieser Abschnitt befaßt sich mit der Musik Chinas, Koreas und Japans sowie mit der Musik Indochinas von Annam bis Siam und der malaiischen Inseln, hauptsächlich Balis und Javas. Die chinesische Musik läßt sich bis zur Shang-Dynastie zwischen dem vierzehnten und zwölften Jahrhundert v. u. Z. zurückverfolgen. Die Anfänge der japanischen Musik fallen erst ins fünfte Jahrhundert u. Z., als die koreanische Hofmusik übernommen wurde. Im sechsten Jahrhundert kam Japan, wiederum auf dem Umweg über Korea, mit dem Buddhismus und mit der zeremoniellen Musik Chinas in Berührung, wohingegen der direkte Einfluß ohne fremde Vermittlung erst hundert Jahre später einsetzte. Von China übernahm Japan auch die zeremoniellen Tänze Indiens mit der dazugehörigen Musik, die zur feierlichen und farbigen Bugaku japanisiert wurde. Mit einer starken Strömung von der Mandschurei her fanden die fremden Einflüsse auf die klassische Musik Japans im achten Jahrhundert ihren Abschluß. Die japanische Musik ist archaischer als die chinesische, obwohl ihre Geschichte so viel kürzer gewesen ist. Auf den ersten Blick scheint das paradox. Aber es stimmt mit der allgemeinen Regel überein, daß Dinge in ihrer ursprünglichen Heimat weiterentwickelt werden, während ihre natürliche Entfaltung in fremder Umgebung zum Stillstand kommt. In vielerlei Hinsicht kann daher die Musik des alten Orients in Japan besser erforscht werden als in China.

Die alte Musik des Fernen Ostens, von der wir Kenntnis haben, ist nur ein Teil, ja sogar nur ein kleiner Teil der Musik, die in jenen alten Zeiten tatsächlich ausgeübt wurde und gefallen haben mag. Wir befinden uns hier fast in der gleichen Situation wie die Musikwissenschaftler, die sich mit dem Mittelalter befassen. Genau wie diese auf Bücher angewiesen sind, die von Mönchen für Mönche über die Musik von Mönchen geschrieben worden sind, während man den weltlichen 93

Gesängen und Tänzen keine Aufmerksamkeit schenkte, so wurde auch Chinas „Volksmusik, die mit eingeführten literarischen Prinzipien nicht zu vereinbaren war und für die es keinen anerkannten Präzedenzfall gab, einfach ignoriert." 1 Die wenigen Stellen, in denen .volkstümliche' Musik erwähnt wird, sind abschätzig. Nach Konfuzius' Worten ist die musikalische Äußerung eines ungebildeten Menschen „laut und schnell und dann wieder schwach und matt, ein Abbild heftigen Todeskampfes. Sein Inneres ist nicht harmonisch ausgeglichen, Sanftheit und anmutige Bewegungen sind ihm fremd." Als vulgär galt die „lärmende" Musik der Despoten von Xia und Yin, über die Lü Bu We, der Dichter des Frühling und Herbst, schreibt: „Sie hielten die starken Klänge von großen Pauken und Glocken, Klingsteinen, Klarinetten und Flöten für schön und hielten Massenwirkungen für sehenswert. Sie strebten nach neuen und seltsamen Klangwirkungen, nach Tönen, die noch kein Ohr gehört, nach Schauspielen, die noch kein Auge gesehen. Sie suchten einander zu überbieten und überschritten Maß und Ziel." 2 Die wahre Musik dagegen, oder, mit den Worten des Konfuzius, „die Musik des edelgesinnten Menschen, ist sanft und zart, sie bewahrt eine einheitliche Stimmung, erhebt und rührt. Solch ein Mensch kennt keinen Schmerz und trägt keine Trauer in seinem Herzen, heftige und verwegene Regungen sind ihm fremd." 3 Musik sollte heiter sein: yue-,Musik' und lo-,Heiterkeit' haben dasselbe Schriftzeichen. Der Gegensatz von guter und schlechter Musik schied weniger die religiöse von der weltlichen Musik, als vielmehr die esoterische Musik weniger Weiser, die die Musik als letzte Stufe beim Durchwandern des Universums ansahen, von der billigen Unterhaltung der Nichteingeweihten. Daher vermochte Lü Bu We „nur mit einem Menschen, der den Weltsinn erkannt hat, über Musik zu reden." 4 In solcher Musik war kein Platz für Staccato, Accelerando, starkes Crescendo oder Decrescendo — für nichts, was Unruhe, Leidenschaft und Begierde hervorrufen mochte. Musik war die Weisheit des Herzens. Ohne Zweifel konnte .gute Musik' auch langweilig sein, und wir tadeln den Prinzen Wen von Wei (426 bis 387 v. u. Z.) nicht für den Ausruf: „Wenn ich in Festgewand und Krone die alte Musik höre, so muß ich mich immer in acht nehmen, daß ich nicht einschlafe. Wenn ich dagegen den Gesängen aus Zheng und Wei lausche, kenne ich keine Müdigkeit." 5 Aber ganz abgesehen davon, ob gute Melodien als angenehm oder langweilig empfunden wurden — die Einstellung zur Musik ist nie idealistischer gewesen. Da der Ferne Osten eine so erhabene Auffassung besaß, räumte er der Kunst einen ganz besonderen Platz in seinem geistigen Leben ein. 1 2 3 4 5

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R. H. van Gulik, a. a. O., 39. Lü Bu We, a. a. O., 59. Wilhelm, a. a. O. Lü Bu We, a. a. O., 57. R. H. van Gulik, a. a. O., 37.

Für den Chinesen wird die Musik im Herzen des Menschen geboren. Was das Herz bewegt, das strömt in Tönen aus, und was als Ton erklingt, das beeinflußt das Herz des Menschen.6 Selbst Konfuzius, das geistige Vorbild seines Volkes, war von einer alten Hymne so tief beeindruckt, daß er *,drei Monate lang den Geschmack von Fleisch nicht verspürte", und als er das Qing spielte, rief ein an seinem Haus vorübergehender Mann aus: „Das Herz, das so den Klingstein schlägt, ist des Überfließens voll." 7 Eine alte Legende erzählt, daß der Musikmeister Wen aus Zheng den großen Meister Xiang auf seinen Reisen begleitete. Drei Jahre lang spielte er die Saiten, aber keine Melodie wollte zustande kommen. Da sprach der Meister Xiang: „Geh lieber nach Hause". Meister Wen legte seine Zither nieder, seufzte und sagte: „ E s liegt nicht daran, daß ich keine Melodie hervorbringen kann. Was meine Gedanken in Anspruch nimmt, hat nichts mit Saiten zu tun, wonach ich strebe, sind nicht Töne. Erst wenn ich es in meinem Herzen erlebt habe, vermag ich es auf dem Instrument auszudrücken; daher wage ich nicht, meine Hand zu bewegen und die Saiten zu berühren. Aber laß mir noch etwas Zeit und prüfe mich dann." Nach einiger Zeit erschien er wieder vor Meister Xiang, der ihn fragte: „Wie steht es mit deinem Spiel?" Meister Wen antwortete: „Ich habe es geschafft, bitte prüfe mein Spiel." Zu dieser Zeit aber war Frühling. Und als er die Shang-Saite zupfte und den achten Halbton zur Begleitung anschlug, kam ein kühler Wind auf, und die Sträucher und Bäume trugen Früchte. Als es Herbst war und er die /«¿-Saite zupfte, die er mit dem zweiten Halbton beantwortete, erhob sich eine linde, leichte Brise und die Sträucher und Bäume entfalteten ihre Pracht. Als es Sommer war und er die Yw-Saite zupfte und sie mit dem elften Halbton begleitete, senkten sich Rauhreif und Schnee hernieder, und die Flüsse und Seen froren plötzlich. Als der Winter gekommen war und er die ZÄt-Saite zupfte und sie mit dem fünften Halbton beantwortete, begann die Sonne zu sengen, und das Eis taute im Nu. Schließlich spielte er die Gowg-Saite und vereinte ihren Klang mit dem der anderen vier Saiten; da säuselten liebliche Winde, Wolken des Glückes zogen herauf, süßer Tau fiel und die Quellen sprudelten kraftvoll hervor. Die Zauberkraft der Musik, Naturgesetze zu bezwingen, ist in den Legenden aller Völker gepriesen worden. Der chinesische Mythus aber geht tiefer: Nicht der Klang als solcher besitzt diese Kraft — es ist das Herz, das dieses Wunder bewirkt, das große Herz, das in der Musik Ausdruck und Form findet.

Das große Herz in der Musik anderer Völker schlägt selten mit dem unseren im Einklang. Jeder weiß aus Erfahrung, wie schwierig es ist, die emotionalen Qualitäten des Musikstils unserer Ahnen von vor dreihundert Jahren zu erfassen, und wie sehr ein gewissenhafter Künstler im Zweifel darüber sein kann, ob seine Interpretation dem gerecht wird oder nicht, was der alte Komponist im Sinn hatte. 6 7

Lü Bu We, a. a. O., 73. The Original Chinese Texts London 1861, 185.

of the Confucian

Analecta,

übersetzt von J. Steele,

95

Aber die Kluft zwischen uns und .exotischer' Musik ist kaum überbrückbar. Wer jemals musikalischen Darbietungen im Orient beigewohnt hat, weiß, daß die Einheimischen oft völlig unbewegt scheinen, während sich Vorstellungskraft oder Anteilnahme des Besuchers entzünden, und daß er umgekehrt oft gänzlich kalt bleibt oder gar gelangweilt ist, während sie in ein verzücktes Yä Saläm ausbrechen. Obwohl uns der Genuß all ihrer Reize versagt ist, erkennen wir doch zumindest, daß Musik großartiger und reichhaltiger ist als unsere eigene begrenzte musikalische Aufnahmefähigkeit ihr gewöhnlich zugesteht. Und es ist gut, wenn man das weiß. Soweit es das alte China betrifft, scheint der emotionale Gehalt in viel stärkerem Maße von Einzelklängen als von melodischen Wendungen ausgegangen zu sein. Konfuzius' Steinplatte lieferte nur einen Ton; so muß .tiefempfundenes' Schlagen durch das Vermögen, beinahe unmerkliche Schattierungen des Anschlagens und Dämpfens und sogar des Unterbrechens auszuwerten, diesen einen Ton belebt haben. In ähnlichem Sinne erwartet man noch heute von japanischen Flötenspielern, daß sie den Einzelton nicht nur durch fortwährendes Vibrato, sondern auch durch geschicktes Treiben über seine normale Höhe beleben. Die Langzither in ihren beiden Formen Se und Qin,s die oft irrtümlich als „Laute" bezeichnet wird, ist der herausragende Repräsentant dieser esoterischen Musik des alten Chinas. Weder Sängerinnen noch Schauspieler durften dieses Instrument spielen. Aber von einem Gelehrten wurde erwartet, daß es sich irgendwo in seinen Arbeitsräumen vorfand, auch wenn er es nicht zu spielen verstand, und sogar dann, wenn es keine Saiten besaß. Entweder ganz allein oder im Beisein von wenigen auserwählten Freunden pflegte der Spieler, nachdem er Weihrauch angezündet und sich feierlich die Hände gewaschen hatte, das lange, schmale Instrument vor sich hinzulegen und sein verträumtes, zartes Spiel zu beginnen. Nur wenige Töne mögen rein und unverändert geblieben sein. Meistens wird der Saite kurz nach dem Anreißen für einen Augenblick oder den ganzen Zeitwert eine zusätzliche Spannung gegeben, so daß sich der Ton erhöht. Oder aber der Finger, der die Saite abgreift, verläßt den gerade angerissenen Ton und gleitet mit einem mehr wischenden Geräusch als melodiösem Glissando die Saite entlang. Solch fortwährendes Wehklagen und Schluchzen ist, obwohl es sicher unserem Geschmack nicht entspricht, unentbehrlich, sobald ostasiatische Musik zum Herzen spricht. Und hier hegt dann auch die Schönheit nicht so sehr in der Aufeinanderfolge der Töne wie in jedem einzelnen Ton selbst . . . Jeder Ton ist ein Wesen für sich und dazu bestimmt, im Innern des Hörers eine besondere Reaktion hervorzurufen. Da das Timbre demgemäß von äußerster Wichtigkeit ist, gibt es hier viele Möglichkeiten, die Klangfarbe ein und desselben Tones zu verändern. U m diese Musik verstehen und richtig würdigen zu können, muß das Gehör erst subtile Nuancen unterscheiden lernen. Derselbe Ton besitzt, wenn er auf einer 8

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Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 185 — 188.

anderen Saite gespielt wird, eine ganz andere Klangfarbe, und dieselbe Saite besitzt, wenn sie mit dem Zeige- oder Mittelfinger der rechten Hand gezupft wird, ein unterschiedliches Timbre. Die Technik, durch die diese Veränderungen des Timbres bewirkt werden, ist außerordentlich kompliziert. Allein vom Vibrato gibt es nicht weniger als sechsundzwanzig verschiedene Abarten. Der Eindruck, den ein Ton hervorruft, ist, wenn ihm ein anderer folgt, wieder anders. So ergibt sich ein unwiderstehliches, zwingendes Bild einer Stimmung, einer Atmosphäre, das dem Hörer die Empfindung einprägt, die den Komponisten inspirierte.1'

Dem Einzelton wurde tatsächlich größere Bedeutung beigemessen als der Melodie. Die in allen Arten von Orchestern zahlreich vertretenen Klangspiele waren nichts als Aneinanderreihungen einzelner Steine, metallener Platten oder Glocken, die zwar durch ein gemeinsames Gestell miteinander vereinigt waren, nicht aber durch irgendeine wirkliche Skalenordnung. Die Panflöten unterlagen dem gleichen Prinzip. Jede Strophe der Hymne an Konfuzius endete mit einem einzelnen Schlag auf einem Klingstein, der „den Ton aufnehmen" und ihn zum folgenden Wort weiterleiten sollte. Kosmologische Bedeutungen wurden Einzeltönen und nicht, wie im Westen, melodischen Formeln beigegeben. Auch die Tonschrift bestand aus einzelnen Tonhöhensymbolen. Auf den ersten Blick sollte man meinen, daß eine Musikkultur, in der die deutliche Trennung der Töne eher vermieden als angestrebt wird und in der es scheinbar mehr auf den Einzelton als auf seine melodische Beziehung zu anderen Tönen ankommt, wenig an genauen Tonhöhen und Skalen interessiert sei. Aber das Gegenteil'ist der Fall; denn die Wichtigkeit des Einzeltones und seine Unabhängigkeit konnten nur Gesetz und strenge Festlegung, nicht aber Anarchie zur Grundlage haben.

Tatsächlich war die Musik in China Gesetz und strenger Festlegung in weit größerem Maße unterworfen als irgendwo anders, denn sie „wurzelt im großen Einen", in der universellen Idee, die „man sich nicht vorstellen und nicht begrifflich benennen kann." 10 Die Welt selbst als Offenbarung des großen Einen, integrierte Zeit, Raum, Energie und Klang. Die Welt verkörperte die ewige Zeit in ihrem unveränderlichen Kreislauf der Jahreszeiten, Monate und Stunden. Sie verkörperte den ewigen Raum gegen Osten und Westen, Norden und Süden. Sie vereinigte alle Substanzen, Holz Metall, Haut und Stein zu einem Ganzen. Sie war Kraft, sichtbar in Wind und Donner, Feuer und Wasser. Und schließlich war die Welt Klang mit seinen zwei Wahrnehmungsaspekten — Tonhöhe und Klangfarbe. Zeit und Raum, Materie und Musik entsprachen einander und stellten in ihrer Kongruenz lediglich verschiedene Aspekte desselben Einen dar. Zwischen ihren unterschiedlichen Merkmalen herrschte folglich ebenfalls Übereinstimmung: Eine bestimmte Jahreszeit entsprach einer bestimmten Himmelsrichtung, einer Substanz, einem Musikinstrument oder einem Ton. 11 Und die vier Jahreszeiten 9 10 11

7

R. H. van Gulik, a. a. O , l f . Lü Bu We, a. a. O., 56 und 58. Zuerst im Zhou Ii beschrieben. Sachs, Musik

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wurden nicht nur durch bestimmte Zeitspannen, sondern auch durch musikalische Intervalle voneinander getrennt: Dem Auf-und-Ab-Prinzip folgend, führte eine Quinte vom Herbst zum Frühling, eine Quarte zurück zum Winter und eine Quinte zum Sommer, wobei sich die merkwürdige Gleichsetzung ergab, die der bereits im zweiten Kapitel erwähnten späteren babylonischen Auffassung ähnelte: F Herbst C Frühling G Winter D Sommer (Babylonien: C) Chinesische Weisheit hat sich ausgiebig mit endlosen Zuordnungen dieser Art beschäftigt. Jedes Instrument gehörte einer der Himmelsgegenden, Substanzen und Kräfte an. Die Glocke war Symbol für Westen und Herbst, Feuchtigkeit und Metall, die Trommel für Norden und Winter, Wasser und Haut. Und die Töne wurden den zwölf Monaten des Jahres und den ihnen entsprechenden allegorischen Tieren — Tiger, Hase, Drache, Schnecke, Pferd, Schaf, Affe, Hahn, Hund, Schwein, Ratte und Ochse — zugeordnet.

Kosmologische Bedeutungen musikalischer Begriffe sind, wie die jahreszeitliche Gleichsetzung Babyloniens zeigt, keinesfalls nur auf China beschränkt. Ähnliche Gleichsetzungen gibt es in Indien, in den islamischen Ländern, im alten Griechenland und sogar im christlichen Mittelalter. Jahreszeiten, Monate, Tage, Stunden, Planeten, Teile des menschlichen Körpers, Stimmungen, Krankheiten, Elemente und was nicht noch alles wurden verglichen und miteinander in Verbindung gebracht, und schließlich klingt der Kosmos selbst in ewiger Sphärenharmonie. Es sind gewisse Stellen aus der Bibel angeführt worden, die von der Idee kosmischer Harmonie beeinflußt sein sollen. Aber bestenfalls zeigen sie eine gewisse Aufnahmebereitschaft für eine solche Idee durch die allgemeine Vorstellung, daß „die ganze Erde" dem Herrn singen und „seinen Ruhm und seine wunderbaren Taten unter den Völkern verkünden" müsse. Es wäre ein logischer Schritt von Psalm 96,12, nach dem „alle Bäume des Waldes jubeln vor dem Herrn", zu Philo, der ausruft: „ 0 Herr, vermögen die Sterne, die zu einem Chor vereint sind, einen Gesang anzustimmen, der deiner würdig ist?" 1 2 Das Bindeglied zwischen ihnen bildet jene Frage in Hiob X X X V I I I : „ W o warst du, als die Morgensterne miteinander sangen?" Das Buch Hiob soll angeblich späteren Datums sein. Hiob selbst lebte in der Zeit der Babylonischen Gefangenschaft (sechstes Jahrhundert v. u. Z.). Andererseits schreibt Philo die Idee der kosmischen Harmonie den Chaldäern zu. Somit ist es höchst wahrscheinlich, daß die Sphärenharmonie, die aus älteren kosmologischen Zuordnungen entwickelt worden ist, ihre endgültige Fassung in Babylonien erhielt und von dort aus an die Juden, die Griechen und wahrscheinlich auch an die Ägypter weitergegeben wurde. 12

98

Philo, Über das Leben Mosis II, 239.

Eins aber sollte nicht übersehen werden: Die Sphärenharmonie unterscheidet sich grundlegend von der ursprünglichen Theorie der Zuordnung. Diese formulierte, daß sich ein bestimmter Planet zu einem anderen Planeten wie eine bestimmte Tonhöhe zu einer anderen Tonhöhe verhält. Die Sphärenharmonie dagegen zielte auf etwas völlig anderes ab. Nach ihr hallten die Planeten, oder vielmehr ihre Sphären, in wirklichen, wenn auch nicht wahrnehmbaren Tönen wider. In keiner der beiden Formen ist der Gedanke einer funktionellen, wechselseitigen Abhängigkeit von Gegenständen musikalischer und nichtmusikalischer Art von vornherein selbstverständlich; er kann sich nicht spontan und unabhängig in den verschiedenen Ländern zwischen Pazifik und Mittelmeer herausgebildet haben. W o aber dann, und wann entstand er? Wir wissen das nicht. Die beste aller Methoden, auf die frühesten Zeugnisse zurückzugreifen, versagt im Falle asiatischer Quellen, die wir mitunter nicht einmal auf tausend Jahre genau altersmäßig bestimmen können. Überdies schweigen sich die Texte Ägyptens, Sumers, Babyloniens, Assyriens und Persiens über diesen Gegenstand aus (was allerdings nicht beweist, daß kosmologische Zuordnungen unbekannt waren). Die einzige Feststellung, die wir treffen können, ist die: Die frühesten Zeugnisse dieser kosmologischen Zuordnungen sind chinesischer und griechischer Herkunft, und soweit es Griechenland betrifft, ist die Idee zweifellos einer Einfuhr aus dem Osten zuzuschreiben. Aber bis heute läßt sich die Frage noch nicht beantworten, ob ihre Wiege in China stand oder ob sie aus anderen Teilen Asiens eingeführt wurde.

Jede Zuordnung verlangt ein tertium comparationis. So ist die kosmologische Reihe Feuer — rot — Mars — Süden — Sommer logisch und aus sich heraus insofern zu verstehen, als mit allen ihren Gliedern die Vorstellung ,heiß' verbunden ist. Im Gegensatz dazu besitzt der Klang keine direkten Beziehungen zu anderen Kategorien der Vorstellung, außer durch die abstraktesten aller Vergleichsmomente : Zahl und Maß. Klang als solcher ist aber nicht greifbar und nicht meßbar, es sei denn durch Schwingungszahlen, die jedoch im alten China unbekannt waren. Der einzig gangbare Weg war der, vom Klang zu klangerzeugenden Vorrichtungen, das heißt, von Tönen zu Instrumenten überzugehen. Die Tonhöhe änderte sich mit der Größe des schwingenden Mediums, und die Beziehung zwischen zwei Tönen ließ sich durch das Verhältnis zweier Flöten- oder Saitenlängen ausdrücken. Aber der relative Charakter von Verhältniswerten hätte der Einbeziehung der Musik in kosmologische Zuordnungen nicht genützt. Mehr noch als irgendein anderes Volk brauchten die Chinesen absolute Tonhöhenwerte oder anders ausgedrückt, ein Standardmaß für die Länge. Tatsächlich trifft Lü B u We eindeutig die Feststellung: „Musik entsteht aus dem Maß." 1 3 Ja, die Verbindung von 13

7*

Lü Bu We, a. a. O., 56.

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Musik und Längenmaß gestaltete sich so eng, daß das Kaiserliche Amt für Musik dem Amt für Maß und Gewicht angegliedert wurde. Diese Idee wiederum war nicht nur in China bekannt. Ein jüdischer Dichter wie Jehuda Halevy (etwa 1080—1140), der so unchinesisch dachte und so viel später lebte, formulierte: „Maße, Gewichte, die Verhältnisse verschiedener Bewegungen, die Harmonie der Musik, alles erscheint in der Zahl." 14 Die der Standardtonhöhe zugeteilte Längeneinheit war der Fuß, der in China als Maßstab für jede Art der Ausdehnung nach Länge, Breite und Höhe diente. Die Musik wurde auf diese Weise regelrecht zu einer Funktion des Raumes, und wieder schien das Universum eine Einheit zu sein. Die Beziehung zwischen Tonhöhe und Fuß wurde so innig, daß im zehnten Jahrhundert u. Z. einige gelehrte Chinesen, die beauftragt worden waren, der sich ausbreitenden Verwirrung durch eine Neufestlegung Einhalt zu gebieten, ernsthaft die Frage diskutierten, ob die Tonhöhe von Fuß und Zoll oder der Fuß von der Tonhöhe abhängig sei.

Die Ordnung in der Musik war nicht hauptsächlich, wenn überhaupt, eine musikalische Angelegenheit. Sie war dem Kosmos wesenseigen. Zeit und Raum, Substanz und Kraft lagen außerhalb des menschlichen Herrschaftsbereiches. Aber den Klang erzeugte der Mensch selbst. In der Musik nahm er die schwere Verantwortung auf sich, das Gleichgewicht der Welt entweder zu stärken oder zu gefährden. Und diese Verantwortung schloß die besten Abbilder der Welt ein, die Dynastie und das Land. Das Wohl des Reiches war von der Richtigkeit der Tonhöhen und Skalen abhängig. Infolgedessen war die Neuordnung der Musik eine der ersten Handlungen eines neuen Herrschers. Würde denn die vorhergegangene Dynastie abgelöst worden sein, wenn ihre Musik nicht von der harmonischen Übereinstimmung mit dem Universum abgewichen wäre? Die Chinesen haben diese Gedankengänge schon ihren ältesten Dynastien zugeschrieben. Der legendäre Kaiser Shun, der um 2285 v. u. Z. auf den Thron gekommen sein soll, schärfte, wie das Shujing, die früheste chinesische Chronik, berichtet, seinem Hauptmusiker ein: ,,,Kui, ich befehle dir, das Musikwesen zu ordnen . . . Die Töne sollen mit dem Maß übereinstimmen. Die Rohrlänge ist die Bezugsnorm für die Stimme und die acht Instrumente, und du mußt sie alle in Übereinstimmung miteinander bringen, jedoch ohne die vorgegebene Ordnung anzutasten. Götter und Menschen werden dann ihre Zustimmung geben . . .' Alljährlich im zweiten Monat reiste er ostwärts, um die dort gelegenen Provinzen zu besuchen . . . er ordnete die vier Jahreszeiten, die Monate und die Anfangstage und überprüfte die Töne der Musik." 1 5

14

15

Yehuda Halevy, Cusari, Ausgabe Cassel, II § 65, I V § 25, zitiert nach Eric Werner und Isaiah Sonne, The Philosophy and Theory of Music in Judaeo-Arabic Literature, in: Hebrew Union College Annual X V I , 1941, 265. The Shoo King, übersetzt von W. H. Medhurst, Shanghai 1846, 10 und 33 f. The Shu King, übersetzt von Walter Gorn Old, London 1904, 12f., 10.

100

Wollte sich der Kaiser vergewissern, ob er seine Regierungsgeschäfte richtig durchführte oder nicht, lauschte er aufmerksam den sechs Tonhöhen, den fünf Tönen der Skala und den acht Arten der Musikinstrumente, und er nahm die Oden des Hofes und die Lieder des Dorfes her, um festzustellen, ob sie mit den fünf Tönen übereinstimmten. 16 Diese Vorstellungen führten während der Regierungszeit des Kaisers W u (141— 87 v . u. Z.) zur Gründung des Yuefu, des Kaiserlichen Musikamtes, mit besonderen Abteilungen zur Überwachung der zeremoniellen, der ausländischen, der aristokratischen und der Volksmusik und einem vollständigen Archiv des nationalen Melodienschatzes. Das Hauptanhegen dieses Amtes jedoch war die Festlegung und Bewahrung der genauen Tonhöhe. 16

The Shoo King, a. a. O., 69 f.

2

Die Lü's Kaiser Huang Di, so weiß die Legende zu berichten, befahl eines Tages „dem Ling Lun, Normtonpfeifen zu verfertigen. Ling Lun ging vom Westen des Da-HiaGebirges und kam zum Norden des Yüan-Yü-Berges. Da nahm er Bambusrohre aus dem Tale Hiä Hi und benützte diejenigen, deren Hohlräume dick und gleichmäßig waren, und hieb sie zwischen zwei Knoten ab. Ihre Länge betrug drei Zoll neun Linien. Er blies auf ihnen und bestimmte, daß die Tonika der Tonleiter Huang Dschung (huang zhong) sein solle. Er blies darauf und sprach: Das stimmt! Darauf machte er die zwölf Pfeifen. Da er am Fuße des Yüan-Yü-Berges den männlichen und den weiblichen Phönix singen hörte, unterschied er danach die zwölf Tonarten. Aus dem Gesang des männlichen machte er sechs und aus dem Gesang des weiblichen machte er auch sechs, die alle mit der Tonika Huang Dschung sich erzeugen ließen." 17 Da-Hia, das nach Annahme des englischen Sinologen Giles ein Bezirk von Baktrien gewesen sein soll, wurde kürzlich von Otto Franke als das Land der Tocharen identifiziert. Die Tocharen, die spätestens seit dem 13. Jahrhundert v. u. Z. an der südöstlichen Grenze der Wüste Gobi lebten, waren ein friedliebendes Volk und betätigten sich als Vermittler zwischen den östlichen und westlichen Kulturen. 18 Normtonpfeifen waren jedoch, soweit sich übersehen läßt, im Westen unbekannt, und es ist wahrscheinlicher, daß China die Methode, die einzelnen Töne voneinander abzuleiten, vom Abendland übernahm. Spätere Versionen derselben Legende liefern einige weitere Einzelheiten. Père Amiot, der älteste bedeutende Autor über chinesische Musik, hatte eine dieser Versionen in seinem Manuskript zitiert, nur ließ Abbé Roussel, sein posthumer Herausgeber, sie als „belanglos" beiseite und erwähnte sie lediglich in einer kurzen Fußnote. 19 Aber gerade diese Beschreibung ist besonders aufschlußreich. Ling Lun, so liest man, fand eine Bambuspfeife, die genau die Tonhöhe seiner eigenen Stimme ergab, wenn er leidenschaftslos sprach, und diese machte er zum huang zhong. Hier endlich gibt die chinesische Tradition einem musikalischen Gesichtspunkt unter so vielen außermusikalischen Fakten Raüm : Ursprünglich wurde der huang zhong ganz einfach von der mittleren Tonhöhe einer männlichen Stimme abgeleitet und erst später nach Fuß, Zoll und Linien normiert. 17 18

19

Lü B u We, a. a. O., 63ff. Otto Franke, Das alte Ta-hia der Chinesen, in: Ostasiatische Zeitschrift V I I I , 1919/ 1920, 117 — 136. M. Amiot, Mémoire sur la Musique des Chinois, Paris 1779, 86 Anm. a.

102

Der Standardton huang zhong, „die gelbe Glocke", „erzeugte" alle anderen Töne. Die meisten Autoren haben jedoch diesen Vorgang falsch dargestellt. Überblasen, so erklärten sie, ergab nicht die Oktave, sondern die Duodezime, da das Rohr vermutlich verschlossen war und infolgedessen keine gradzahligen Partialtöne hervorbrachte. Der erzeugte neue Ton wurde, wenn man ihn im Geiste in die tiefere Oktave transponierte, zur Quinte des Standardtones. Eine zweite Pfeife wurde auf diese Quinte abgestimmt. Beim Überblasen ergab sich wieder die Duodezime, die, wenn sie zwei Oktaven abwärts transponiert wurde, einen Ganzton über dem Standardton bildete. Und so schritt man weiter von Duodezime zu Duodezime. Dieser verwickelte Quintenzyklus mit seinen Überblastönen und den anschließenden Transpositionen um eine oder mehrere Oktaven (bis zu sechs) ist weder überzeugend noch nachgewiesen. Keine der Quellen spricht von Blasen oder Hören. Sie berichten im Gegenteil, daß die einzelnen Pfeifen unter Zuhilfenahme eines Zollstocks durch wechselweises Abziehen und Hinzufügen jeweils eines Drittels ihrer Gesamtlänge geschnitten wurden — also im Verhältnis 3:2 und 3:4. Da der chinesische Fuß als Längenmaß unter der Zhou-Dynastie in neun Zoll und jeder Zoll in neun Linien eingeteilt wurde, entsprach der Standardton einer Pfeifenlänge von einundachtzig Linien. Die nächste Pfeife war um ein Drittel oder siebenundzwanzig Linien kürzer. Die dritte Pfeife war um ein Drittel oder achtzehn Linien länger als die zweite. In graphischer Darstellung:

/ 81

54

\

/ 72

48

\

usw.

64

Der Schritt aufwärts wurde — musikalisch gesehen — als untere Ableitung (inferior generation) bezeichnet, da er von unten herkam, wohingegen der Schritt abwärts als obere Ableitung (superior generation) galt. Theoretisch ergab dieses Verfahren eine Kette aufsteigender Quinten und absteigender Quarten: C

F

D

/ \ / \ G

E

A

/ \

H

/

Fis

\

Cis

/

Gis

\

Dis

/

Ais

Nach sechs unteren und sechs oberen Ableitungen wurden die Operationen abgebrochen, so daß, wieder nur rein theoretisch, eine vollständige chromatische Tonreihe zustande kam. Die sechs ungradzahligen Tonstufen (unsere untere Reihe) wurden lü's oder „Normen" genannt und als männlich angesehen, während die sechs gradzahligen, später ebenfalls als lü's bezeichneten Töne Namen hatten, die dem Sinn nach „Begleiter, Zwischenglied, seitlich Gelegenes" bedeuteten, und als weiblich galten. Das zeigt, daß die Töne, die durch untere Ableitung gewonnen wurden, anfänglich keine selbständige musikalische Bedeutung oder bestenfalls nur eine untergeordnete besaßen. Die Reihen setzten sich aus sechs lü's von gleichgroßen Ganztonabständen zusammen. 103

Eine Folge von Qualitäten als abwechselnd männlich und weiblich aufzufassen und sich ihr gleichzeitiges Vorhandensein als Ergebnis einzelner Ableitungen vorzustellen, ist gewiß keine alltägliche Idee. Und doch erinnert sie stark an die kabbalistische Weltentstehungslehre der alten Juden, die das Ewig-Männliche mit dem Ewig-Weiblichen verband und beides fest in das Ewig-Menschliche einfügte. Gott erschuf die W e l t durch zehn Worte oder sephirot. Die erste sephira — das Prinzip aller Prinzipien, die Krone alles Erhöhten — war weder positiv noch negativ, und obwohl geschlechtslos, war sie doch zeugungsfähig. Diese erste sephira erzeugte alle übrigen neun sephirot in aufeinanderfolgenden Ableitungen. Die zweite sephira wurde Verstand (bind) genannt und war negativ und feminin. Die dritte sephira, ein K i n d der vorigen, wurde Weisheit genannt (häkmä) und war positiv und maskulin. Und so ging es weiter. Wieder einmal sehen wir uns dem beeindruckenden Kosmopolitismus mystischen Gedankengutes gegenüber. J. F. C. Füller sagt von der K a b b a l a : „Arische und chaldäische esoterische Lehren drangen in sie ein. In Ä g y p t e n wirkten die Mysterien des Sonnengottes und der Mondgöttin, die Mysterien von Osiris und Isis auf sie ein. Assyrien undBabylonien lieferten einen nicht geringen Beitrag, und ziemlich viel mag auch auf die Veden, die Upanischaden, die Bhagavadgita und den Vedanta zurückzuführen sein, und vieles in der praktischen K a b b a l a ganz besonders auf die Tantras. In ihr finden sich Züge des Hinduismus, des Taoismus, des Buddhismus, des Zoroastrismus . . ." 2 0 In Anbetracht eines solchen geistigen Kosmopolitismus drängt sich die Frage auf, ob der alte Mittlere Osten, besonders Sumer, Babylonien und Ä g y p t e n nicht auch eine A r t Zw-System in ihrer Musik besaßen. Übrigens müssen diese Länder, da ihre Harfen und Leiern offene Saiten hatten, ihre musikalischen Systeme nach demselben Auf-und-Ab-Prinzip, über das die Chinesen verfügten, aufgebaut haben. Überdies berichten die Legenden Chinas, daß des Kaisers Minister die lü's aus dem Westen holte.

Zweimal gebrauchten wir bei der Erklärung der lü's das W o r t theoretisch. Beide Male wollten wir den Leser damit vor der Annahme warnen, daß die Chinesen jemals eine vollkommene Methode des Stimmens besessen hätten. D a s F u ß m a ß selbst war alles andere als konstant. E s variierte zwischen einer Mindestlänge von zwanzig Zentimetern während der Zhou-Periode und einem Maximalwert von vierunddreißig Zentimetern während der Ming-Zeit. D a s Verhältnis dieser beiden Extremwerte, das annähernd 3 : 5 betrug, ergab zwangsläufig musikalische Abweichungen im Rahmen einer kleinen Sexte. Wenn der Stimmton während der Zhou-Zeit ein C war, so entsprach er in der Ming-Zeit dem darunterliegenden E ! Man kann sich leicht vorstellen, welche musikalischen K o n sequenzen sich ergaben, wenn Tempel und Paläste altehrwürdige Stein- und Glockenspiele aus Epochen aufbewahrten, deren Fuß- und Tonhöhenmaße anders waren. so

J. F. C. Füller, The Secret Wisdom of the Qabalah, London (1937).

104

So viel von absoluter Tonhöhe. Die Beziehung zwischen den lü's war nicht weniger fehlerhaft. Die Verhältniswerte 4 : 3 für die Quarte, und 3 : 2 für die Quinte waren zwar theoretisch einwandfrei, versagten jedoch in der Praxis, da die Tonhöhe nicht nur von einem, sondern mindestens von drei Faktoren abhing: natürlich von der Länge des Rohres, aber auch von seinem Durchmesser und von der Ansatzhaltung der Lippen des Spielers. Die Duodezime des Grundtones, die durch Überblasen einer Normtonpfeife 21 hervorgebracht wurde und mit der man der allgemeinen Annahme zufolge die abgeleiteten Töne überprüft haben soll, machte das Ergebnis eher ungenauer als genauer. Denn nach Dr. Manfred Bukofzers Versuchen22 ist die durch Überblasen erzeugte Duodezime gedackter Pfeifen zu hoch, wenn die Pfeife länger als acht Zoll ist, und zu tief, wenn die Pfeife kürzer als acht Zoll ist. Die Abweichung kann bis zu einem Viertelton betragen. Die Beeinflussung der Tonhöhe durch die blasenden Lippen ist in China nicht erkannt worden, und auch der Wichtigkeit des Durchmessers wurde nur in einigen Perioden der chinesischen Geschichte Aufmerksamkeit geschenkt. Im zweiten Jahrhundert u. Z. zum Beispiel versahen die staatlichen Eichmeister alle Pfeifen mit gleichem Durchmesser, im dritten Jahrhundert dagegen verringerten sie ihn allmählich Linie um Linie, wobei sie von einem Rohrdurchmesser von neun Linien für den Ton huang zhong ausgingen. Schon allein die Zahl neun,-hergeleitet von den neun mal neun Linien der Standardlänge des huang zhong, deutet darauf hin, daß der Bestimmung des Durchmessers eher zahlensymbolische Spekulationen als irgendwelche mathematischen Verhältnisse zugrunde lagen. Aber selbst bei korrekten Abmessungen waren die einzelnen Tonhöhenwerte noch längst nicht völlig zuverlässig, da die Stärke des Atemstromes und der jeweilige Winkel, unter dem er die obere Öffnung des Rohres schnitt, die theoretischen Berechnungen beeinträchtigen mußten. Schließlich war der Quintenzirkel von vornherein vorbelastet, weil er die Oktave, die für den Aufbau von Skalen unerläßlich ist, immer nur annähernd, niemals aber genau erreichte. Die Begründung ist mathematisch einleuchtend: Quintfortschreitungen bedeuten rechnerisch ein Potenzieren des Verhältniswertes 3/2, wobei der Potenzexponent in direkter Abhängigkeit von der Zahl der Schritte anwächst, die Oktave unterliegt dem Verhältniswert 2/1. Eine Potenz von drei kann aber nie mit einer Potenz von zwei zusammenfallen. Im Jahre 40 v. u. Z. versuchte der Musiker Jing Feng, den Fehler durch die Erweiterung des ¿«-Zyklus' von zwölf auf sechzig zu korrigieren, und um 430 u. Z. überbot ihn ein anderer, indem er den Zyklus bis zur dreihundertundsechzigsten Quinte fortführte. Dem Leser soll der geradezu groteske Verhältniswert, den die 3Öoste Potenz von 3/2 ergibt, hier erspart bleiben — solche Haarspalterei stand in keinem Verhältnis zu der Ungenauigkeit des Verfahrens, und sie blieb darum auch wirkungslos. 21

Vgl. Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 418.

22

Manfred

Bukofzer,

Präzisionsmessungen

an primitiven

Musikinstrumenten,

in:

Zeitschrift für Physik IC, 1936, 643—665, besonders 660.

105

Wir wollen hier nicht all die nutzlosen Versuche, die seitdem unternommen wurden, beschreiben, sondern es bei der Feststellung bewenden lassen, daß der huang zhong von Anfang an eine zweifelhafte Norm darstellte und die Auseinandersetzung um ihn niemals zur Ruhe kam. Die Geschichte der chinesischen Tonhöhe ist eine mehr als zweitausend Jahre währende Geschichte von Verwirrung, Selbsttäuschung und Fehlschlägen. Die Mittel wechselten und mit ihnen die Ergebnisse. Die /«-Reihe ist als eine „Skala" bezeichnet worden. Besonders in ihrer vollständigen Form, mit den eingegliederten Hilfs-Zw's, schien sie eine chromatische Skala zu sein, und als eine solche wurde sie folgerichtig auch beschrieben. Aber das war falsch. Die zwölf Töne bildeten niemals eine Skala im engeren Sinne des Wortes, und am allerwenigsten glichen sie unserer modernen chromatischen Skala mit ihren gleich großen Halbtönen von je einhundert Cents. In einem Quintenzirkel ist jeder Halbton von dem benachbarten durch sieben Quintfortschreitungen oder 7 x 702 = 4 9 1 4 Cents getrennt, was natürlich um vier Oktaven oder 4 x 1200 = 4800 Cents abwärts transponiert werden muß. So ergibt sich für den Halbton ein Wert von 114 Cents. Da aber der Ganzton 204 Cents beträgt, kann der ergänzende Halbton nicht mehr als 90 Cents ausmachen. Weit von einer gleichschwebend temperierten Skala entfernt, ist die Reihe der lü's — wenigstens wäre sie es bei korrekter Stimmung — eine Folge abwechselnd großer und kleiner Halbtöne, an die sich das westliche Ohr schwerlich gewöhnen kann. Überdies behauptete sich auch weiterhin die alte Unterscheidung zwischen oberer und unterer Ableitung, und zwar in Anordnung wie auch in Benennung. Der Chinese, der das Universum als harmonisches Gleichgewicht zwischen yang und yin, dem männlichen und dem weiblichen Prinzip, auffaßt, bezeichnete die sechs ungradzahligen lü's als „männlich" und die sechs gradzahligen als „weiblich". Die oben erwähnte Legende erzählt das auf ihre Art. Sie schreibt sechs lü's einem Vogelmännchen und sechs einem Vogelweibchen zu. Dieser Gegensatz war so klar, daß bei Musikinstrumenten, die nach den lü's gestimmt wurden, die beiden Reihen niemals gemischt auftraten. Bei Stein- und Glockenspielen war den männlichen lü's die obere und den weiblichen die untere Reihe der Platten oder Glocken vorbehalten. Panpfeifen, die anfangs nichts anderes als komplette Sätze von Normtonpfeifen darstellten, bestanden entweder nur aus männlichen oder nur aus weiblichen Pfeifen oder hielten die beiden Reihen, wenn sie kombiniert wurden, voneinander getrennt in zwei Flügeln.23 Nach abendländischer Auffassung würden solche Instrumente fortlaufende melodische Linien durch alle Intervallarten spielen. Die Chinesen dagegen richteten ihre Aufmerksamkeit lediglich auf Einzeltöne, deren Auswahl eher von der Jahreszeit und dem besonderen Ritus des Tages als von musikalischen Erwägungen abhängig war.

Die Verwechslung der ¿¿¿-Reihen mit einer Skala — einer in der Tat „dunklen" Skala, wie sie die Koreaner einschränkend nennen — ist schon viel früher gemacht 23

Vgl. Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 168, 169, 176, 177.

106

worden, und zwar in einer Weise, die interessant genug ist, um wiedergegeben zu werden. Jene Legende von der Wanderung des Ministers nach dem Westen wird durch eine andere Überlieferung ergänzt, derzufolge das Vogelmännchen seine Töne in aufsteigender und das Vogelweibchen die seinen in absteigender Folge sang. Der Symbolismus von männlichen und weiblichen Skalen ist offensichtlich. In vielen Kulturen wurde das männliche Geschlecht durch ein aufwärts- und das weibliche durch ein abwärtsweisendes Symbol dargestellt, genauso wie in unseren Biologie- und Botanikbüchern. Aber es gab noch einen weit wichtigeren Unterschied zwischen auf- und absteigenden Skalen. Aufsteigende Skalen waren in der Regel instrumental, absteigende dagegen vokal. Es ist nicht schwierig, den Grund hierfür zu finden. Ein urtümlicher Sänger beginnt nicht im tiefen Stimmregister, um dann höher und höher zu klettern, sondern normalerweise fängt er im oberen Register an und bewegt sich dann abwärts zur unteren Grenze seines Stimmumfanges. Instrumentalisten verhalten sich anders. Ein Bläser bringt seine Skala hervor, indem er die Grifflöcher nacheinander Loch für Loch öffnet. Infolgedessen ist sie aufsteigend. In gleicher Weise gehen Lautenisten, Fiedler und Spieler von Bundzithern von der leeren Saite aus und lassen die höheren Töne der gegriffenen Saite folgen. Tatsächlich wird im zweiten Teil des siebenten Buches Yo tsi berichtet, daß die Instrumente im alten Himmels- und Erdkult in einer aufsteigenden /«-Reihe spielten, und die Stimmen in einer absteigenden ¿-¿¿-Reihe sangen.24 Diese Gegensätzlichkeit, die noch zur Zeit der Tang-Dynastie (618 —907 u. Z.) bestand, erfuhr erst gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts eine Vereinfachung. Prinz Zai Y u setzte voraus, daß alle vokalen Tonarten um eine Quarte höher als die entsprechenden Instrumentaltonarten liegen. Singstimmen und Instrumente verwendeten zwei verschiedene, eine Quarte voneinander entfernte Tonarten, und das Zusammenspiel erfolgte dementsprechend durchweg in parallelen Quarten. Die Singstimmen mochten in F singen, während die Instrumente in C darunter spielten. Das entsprach genau der kontrapunktischen Form des Organums im frühen Mittelalter, in der der Cantus oben gesungen wurde, während das Organum, (was ursprünglich „Instrument" bedeutet) ihn parallel in der Unterquarte begleitete. In ähnlicher Weise spielen die Siamesen parallele Quarten auf ihren Gongspielen.25

In Japan sind die zwölf lü's als ritsu bekannt — ein Terminus, der nicht mit dem Namen eines der bevorzugtesten melodischen Modi des Landes verwechselt werden darf. Es gibt auch Normtonpfeifen wie in China, aber sie sind für die musikalische Praxis unbedeutend. Allgemein werden die ritsu auf der Grundlage des Auf-undAb-Prinzips festgelegt. Spieler der bundlosen Langzither Koto spannen die erste 24 25

Timothy Richard, Paper on Chinese Music, Shanghai 1899, 5. Vgl. Carl Stumpf, Tonsystem und Musik der Siamesen, in: Beiträge zur Akkustik und Musikwissenschaft, H e f t 3, 1901 Beilage, 2f.; dass. in: Sammelbände für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1922, 172t.

107

Saite, bis eine bestimmte Tonhöhe erreicht ist, dann stimmen sie die sechste Saite in der Oberquarte und die achte Saite in der Oberquinte, gehen eine Quarte abwärts zur dritten Saite und von hier eine Quinte aufwärts zur zehnten Saite und so weiter. Der Normton selbst „ist innerhalb gewisser Grenzen willkürlich. Für einen Sänger mit lauter Stimme wird er hinauf- und für einen Sänger mit kleiner Stimme herabgestimmt. Aber die normale Höhe dieses Tones ist annähernd das mittlere C." 26 Eine neuere japanische Quelle gibt als Normton den tiefsten Ton der Längsflöte Shakuhachi, das d', mit 292 Schwingungen an.27 Es sei bemerkt, daß der Mittlere Osten ebenfalls das d' als Normton verwendet und ihn auch vom tiefsten Ton der Längsflöte ableitet. 26

27

Francis Piggott, The Music and Musical Instruments of Japan, hama—London 1909, 85. Hisao Tanabe, Japanese Music, Tokio 1936, 22.

2. Auflage, Yoko-

3 Die Skalen Die Normalskala des Fernen Ostens ist pentatonisch und besitzt keine Halbtöne. Sie bestellt aus drei Ganztönen und zwei kleinen Terzen, wobei diese Terzen abwechselnd durch einen oder zwei Ganztöne voneinander getrennt sind, genau wie bei der Anordnung der schwarzen Tasten auf unserem Klavier. Die Skala wird gewöhnlich in der Form gong (do), shang (re), jue (mi), zhi (sol), yu (la), gong (do) dargestellt. Diese fünf Töne waren in das Netzwerk kosmologischer Bedeutungen etwa in gleicher Weise wie die zwölf lü's einbezogen. Es bestand eine enge Wechselbeziehung zwischen den Tönen Himmelsrichtungen Planeten Elementen Farben

gong Norden Merkur Wald schwarz

shang Osten Jupiter Wasser violett

jue Zentrum Saturn Erde gelb

zhi Westen Venus Metall weiß

yu Süden Mars Feuer rot

Von dieser Skala wird im allgemeinen behauptet, sie sei durch eine Auswahl von fünf Tönen aus den lü's entstanden. Diese falsche Darstellung sollte nicht endlos wiederholt werden. Erstens bildeten die lü's unreine Intervalle und waren daher für Skalenbildungen unbrauchbar. Zweitens muß die Skala als solche bereits existiert haben, bevor das künstliche System der lü's konstruiert wurde. Drittens bestanden die lü's in ihrer frühesten Anordnung aus zwei völlig voneinander unabhängigen Reihen von je sechs Ganztönen ohne die charakteristischen kleinen Terzen, Quarten oder Quinten in einer der beiden Skalenreihen. Eine Auswahl der fünf für die Skalenbildung notwendigen Töne hätte bedeutet, zwischen beiden Reihen hinund herzuspringen und wenigstens zwei, wenn nicht gar drei der fünf Töne aus der bloß nebengeordneten weiblichen Reihe, die zu Anfang überhaupt kaum zählte, herauszugreifen. Das leuchtet aber nicht ein. Immer, wenn man Skalen von Systemen ableitet, heißt das, den Wagen vor das Pferd spannen. In der ganzen Welt sind die Skalen von lebenden Melodien abstrahiert und in Systemen zusammengefaßt worden. Von .Auswahl' zu sprechen, trifft nur für den Grundton gong zu, der tatsächlich, so weit es die Ritualmusik betrifft, ein Ton der ¿¿¿-Reihe sein mußte. Der huang zhong wurde als Grundton gewählt, wenn dem Himmel Opfer dargebracht wurden, für die Erdopfer aber wurden die Melodien um eine Quinte, für das Sonnenopfer um eine Sekunde und für das Mondopfer um eine Sexte transponiert. Darüber hinaus erfuhren alle Melodien monatlich eine Verschiebung um ein lü, so daß die109

selbe Melodie, die im Januar — sagen wir — in E gespielt, im Februar nach F transponiert wurde. Keine Quelle spricht je davon, daß die anderen vier Töne mit vier lü's übereinstimmen. Völlig unabhängig unterliegen sie einer der beiden Methoden, Skalen von einem Anfangston aus zu entwickeln, und zwar entweder dem zyklischen Prinzip oder dem Teilungsprinzip. Allerdings werden bei der Langzither Qin beide Prinzipien gleichzeitig befolgt. Sie besitzt leere Saiten, die zu einem Zyklus reiner Quinten und Quarten nach Gehör eingestimmt werden, aber nur der Begleitung dienen. Bei der Melodiesaite andererseits sind die Griffstellen auf ungewöhnliche Weise markiert. Anstelle wirklicher erhöhter Bünde, die vom oberen Ende ausgehen, sind dreizehn kleine Perlmuttplättchen, die zur Markierung der Griffstellen in den Resonanzboden eingelegt sind, von der Mitte aus symmetrisch nach beiden Enden hin angeordnet, und zwar bei der Hälfte der Gesamtlänge der Saite, beim ersten und zweiten Drittel, beim ersten und dritten Viertel, beim ersten und vierten Fünftel, beim ersten und fünften Sechstel und beim ersten und siebenten Achtel. Die sieben Saiten bestanden aus einer unterschiedlichen Anzahl von Seidenfäden, und zwar aus 48, 54, 64, 72, 81, 96 und 108. Sie reproduzierten so in den Zahlen ihrer Fäden die musikalischen Verhältnisse 8 : 9 (204 Cents, den Ganzton) und 27 : 32 (294 Cents, die kleine Terz). Auf diese Weise unterlagen die leeren Saiten dem Auf-und-Ab-Prinzip, während die Melodiesaite dem Teilungsprinzip folgte. Infolgedessen hatten die Melodie und ihre Begleitung unterschiedlich große Terzen, unterschiedlich kleine Terzen und unterschiedliche Sekunden. Dieser Widerspruch war sicherlich nicht auf ein unempfindliches Gehör zurückzuführen. Sogar ein Norminstrument wie das Chuen, das im letzten Jahrhundert v. u. Z. zur Einstimmung von Glockenspielen hergestellt wurde (und wahrscheinlich auch sein riesiger Prototyp, das Kyun der Zhou-Dynastie), vereinte dieselben beiden Prinzipien miteinander: Ein hölzerner Resonanzboden mit einer Länge von neun Fuß war mit dreizehn Saiten versehen, von denen zwölf leer verwendet wurden, während die dreizehnte, die sich in der Mitte befand, über einer genau unterteilten Skala entlanglief. Diese Skala wich jedoch von der symmetrischen Anordnung der Griffmarken auf dem Qin ab. Ein Bild, das Prinz Zai Y u siebzehnhundert Jahre später veröffentlichte — entweder nach einem alten Gemälde oder aber nach einem vorhandenen Exemplar — zeigt zwölf in einer einzigen Reihe angeordnete Markierungen mit proportional zusammenschrumpfenden Distanzen.

Die modalen Anordnungen der chinesischen pentatonischen Skala werden am besten in der japanischen Theorie charakterisiert. Dort erscheint die pentatonische Oktave aus drei Sekunden und zwei kleinen Terzen in zwei klar definierten Formen: Ryo und Ritsu. Ryo, als chinesischer und männlicher Modus bezeichnet, beginnt mit zwei aufeinanderfolgenden Sekunden, etwa CDE GA C, und könnte zahlenmäßig (in Hinblick auf seine charakteristischen Anfangstöne) durch 123 symbolisiert werden; er hat C als Finalis und G als Confinalis. Ein gutes und leicht zugängliches Beispiel 110

hierfür ist das chinesische Lied „Die Plätze der Freude" oder „Die fünfzehn Blumensträuße" auf Seite 42 in J. A. van Aalsts Chinese Music. Beispiel 39 : Chinesisches Lied (nach van Aalst)

Ritsu, als „weiblich" angesehen und in Japan bevorzugt, ist völlig andersgeartet. Er bildet eine Oktave aus zwei unverbundenen Quarten, deren jede durch einen Füllton unterteilt ist. Dieser Füllton liegt manchmal näher beim oberen, manchmal näher beim unteren Grenzton. Entsprechend tritt die Ritsu-Leiter in zwei Formen auf: DE GAH D und D FGA CD. Die Zahlensymbole für sie wären 124 und 134, oder für Ritsu ganz allgemein 1-4 (mit 2 oder 3 als Einschiebsel). Als Beispiele geben wir ein japanisches Lied und den Beginn der chinesischen Konfuzius-Hymne, die wahrscheinlich das älteste erhaltene Stück fernöstlicher Musik darstellt: Beispiel 40: Japanisches Lied (nach Noel Peri)

Olj J I j H j J J l J ^ M J H I Beispiel 41: Hymne an Konfuzius

¡ £ 3 = :

HM'

V

Insgesamt ergeben sich drei Modi, die können: 124: GA 134: A 123:

H_ll'

p

g

in folgender Weise dargestellt werden CDE CDE CDE

G GA GA

C

Nach den Quellen der Zhou-Dynastie zu schließen, gab es sieben Ausgangstöne für modale Versetzungen der pentatonischen Skala, wahrscheinlich noch ehe die Skala selbst sieben Töne erhielt. Aber diese modale Vielfalt war wohl kaum mehr als theoretische Konstruktion. Die Musiktheorie aller alten Kulturen betrachtet ausführlich die Menge möglicher Veränderungen und Kombinationen, ohne sich dabei im geringsten um die Realitäten des musikalischen Lebens zu kümmern.

Die Anordnung CDE GA (123) ist allgemein als die ursprüngliche, als die Standardform angesehen worden, von der die anderen modalen Anordnungen durch die übliche E c k t o n Versetzung abgeleitet w u r d e n .

111

Das ist jedoch ein Irrtum. Die 123-Skala unterscheidet sich grundlegend von jeder i'4-Skala. Die letztere, die in verbundenen oder unverbundenen Tetrachorden organisiert ist und auf Heptaden oder Oktaven hinausläuft, geht auf einfache Formen zurück, bei denen sich unter dem normativen Einfluß der Quarte einem ursprünglichen Terzkern ein Sekundaffix, oder umgekehrt einem Sekundkern ein Terzaffix anfügt, um eine Quarte zu erreichen. Eine 123-Skala dagegen ist praktisch immer hexachordal, es gibt hier weder Septimen noch Oktaven. Auch ist sie nicht in Tetrachorden organisiert, ja, es fehlt selbst die Quarte. Statt dessen wirkt die reine Quinte als normative Kraft. Zwei übereinandergeschichtete Terzen verbinden sich zu einem Pentachord; die tiefere Terz wird mit einem Füllton versehen, während die Sexte eigentlich nur einen Nebenton darstellt, der zur Quinte zurückkehrt. Diese völlig verschiedene Natur der 123-Skala geht deutlich aus den Melodien urtümlicher Völker hervor, in denen die Elemente klarer als in den ausgearbeiteten Gesängen Chinas zutage treten. Eines der besten Beispiele ist die folgende Melodie aus Grönland: Beispiel 42: Ostgrönland

Noch weiter zurück gehen der 123-Skala zwei Viertonbildungen voraus. Eine davon, bei der die untere Terz ausgefüllt ist, die Sexte aber fehlt (123-5), erscheint im folgenden Schicksalslied, das von den Wogulen (Mansi) in Westsibirien gesungen wird: Beispiel 43: Wogulen (Mansi), Sibirien (nach Väisänen)

J-108

iA M P r i- ir Die andere Form, mit Sexte, aber ohne Fülltöne, (i'3'56) soll durch eine Vokalmelodie von den Salomonen veranschaulicht werden: Beispiel 44: Salomonen (nach Hornbostel)

i

J=132.

.

Diese Struktur muß also sehr alt sein, aber sie hat wohl kaum die völlig abweichende i'4-Struktur hervorgebracht. 112

Japan stellt der sogenannten chinesischen eine eigene nationale Skala gegenüber. Sie ist zwar ebenfalls pentatonisch, aber nicht .anhemitonisch'. Jedes ihrer Tetrachorde enthält eine ungeteilte große Terz oben und einen Halbton unten. Diese eindrucksvolle Skala erscheint in drei Modifikationen, die genau den drei Erscheinungsformen griechischer Modi, Hypodorisch, Dorisch und Hyperdorisch, entsprechen: Hirajöshi: AHC i

i EF i

:

i A

(verbundene Tetrachorde mit unten zugefügter Oktave, hypo) i 1 Kumoi(jöshi): EF AHC E i (unverbundene Tetrachorde) i Iwato[jöshi): HC EF i i

1 AH

(verbundene Tetrachorde mit oben zugefügter Oktave, hyper) Der Bedeutung nach steht Hirajöshi an erster Stelle, an zweiter Kumoi. Hirajöshi ist der Modus des folgenden Kinderliedes: Beispiel 45: Japanisches Kinderlied (nach Noel Peri) Presto

^ .

IrrirnTrlrrUflrrirTTj l

Ein Solo auf der Langzither Koto, das in einer Todesszene in der Tragödie Kesa gespielt wird,28 veranschaulicht Kumoi: Beispiel 46: Koto-Solo aus der japanischen Tragödie ,Kesa' (nach Abraham und Hornbostel) PA SM

?4

\ ' *J j

,i=f

IJ J

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^ '1

- p p »•. j "

PP

p

28

Nach Otto Abraham und E. M. von Hornbostel, Tonsystem und Musik der Japaner, in: Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft IV, 1903, 351; dass. in: Sammelbände für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1922, 223.

8

Sachs, Musik

H 3

Häufig findet sich Modulation. Das erste der folgenden Beispiele zeigt den Übergang von Kumoi (unverbundene Tetrachorde) zu Hirajöshi (verbundene Tetrachorde), das zweite Beispiel moduliert umgekehrt von Hirajöshi nach Kumoi:

Beispiel 47: Japanisches Lied (nach Noel Peri)

Beispiel 48: Japanisches Lied (nach Noel Peri) j l l l

f

r

-

M

'

I

n

f

i

i ~ T , i

1

n

i

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Alle Bücher stimmen in der unüberlegten Behauptung überein, daß die Japaner, um allzu wirkungslose melodische Bildungen zu würzen, zwei Töne der chinesischen Skala um einen halben Ton erniedrigt hätten — der Mensch ist stets geneigt, Dinge, die er zufällig zu einem späteren Zeitpunkt kennenlernt, als Abkömmlinge bereits zuvor bekannter zu interpretieren. Der Gedanke der Würzung klingt verdächtig westlich, er riecht nach modernem Virtuosentum und Aufgeblasenheit. Vom psychologischen Standpunkt aus muß man im Gegenteil zugeben, daß ein größerer Kontrast der Intervalle als Zeugnis von stärkerer emotionaler Spannung wohl kaum ein späteres Entwicklungsergebnis darstellt. Das wird durch eine äußerst bezeichnende Tatsache bestätigt. Die japanische Volksmusik übernahm niemals die chinesische Skala, sondern griff ungeachtet der Hof- und Tempelbräuche immer wieder auf große Terzen und Halbtöne zurück. In Korea liegen die Dinge etwa ähnlich. Die Koreaner besitzen eine pentatonische Skala vom 123-Typ, deren Terz sie .erniedrigen': DEF AH. Auch diese Skala kommt ausschließlich in der Volksmusik vor. 29 Die Großterzskala stellt also zweifellos eine Grundschicht, ein altes ererbtes Vorbild dar, das zu allen Zeiten trotz vieler fremder Übertünchungen durchgeschimmert hat.

Verwandte Skalen gab es auch außerhalb Japans und Koreas. In Indien finden sie sich zahlreich in allen möglichen Kombinationen und Anordnungen — mit zwei großen Terzen oder einer großen und einer kleinen Terz oder auch mit einer großen und zwei kleinen Terzen. Dabei ist es schwer zu sagen, wie viele dieser Skalen eher einem späteren Streben nach Vollständigkeit als Beispiel 49: Indischer Räga Malahärl (nach C. R. Day) «J V s

—IT

m

® C. S. K e h , Die koreanische Musik, S t r a ß b u r g 1934,

114

1

5-

musikalischer Notwendigkeit zuzuschreiben sind. Auf jeden Fall besaßen vier der in Bharatas Nätyasästra, Indiens ältestem Quellenwerk über Musik, aufgezählten Skalen schon entweder zwei oder zumindest eine große Terz: Ärsabhi, Sädjodisyavati, Dhaivati, Nisädi. Möglicherweise sollte bei der zweiten und der dritten Leiter das F erhöht sein (was nach Bharatas eigener Feststellung in verschiedenen Fällen notwendig war). Auch die Mongolei verwendet Großterzskalen,30 obwohl offenbar nicht mehr durchweg in reiner Form. Unser Beispiel, das Carl Stumpfs kurzer Monographie über mongolische Musik31 entnommen ist, enthält ein D, das augenscheinlich einer späteren Schicht angehört: Beispiel 50: Burjat-Mongolen (nach Stumpf)

Selbst Griechenland kannte die starke Wirkung der Großterzpentatonik. Ein späteres Kapitel wird die wichtige Funktion ihrer griechischen Form, der sogenannten Enharmonik, behandeln. Und auch die alten Ägypter stimmten ihre Tempelharfen nach der Großterzskala. Das Vorhandensein dieser Skalen in der Mongolei, bei Belegen in Ostasien, Indien, Ägypten und Griechenland, deutet auf einen möglichen Ursprung in Zentralasien hin. Diese Annahme wird dadurch bekräftigt, daß sich Großterzskalen auch bei den marokkanischen Berbern finden, die aus Zentralasien herzustammen und viele Züge zentralasiatischer Kultur bewahrt zu haben scheinen (zum Beispiel Häuser mit mehreren Stockwerken).32

Stärker als irgendein anderes Land neben Japan ist der malaiische Archipel der Großterz verhaftet. In Westjava, dem urtümlichsten Teil der Insel, tragen die Sänger ihre Lieder in Skalen mit zwei großen Terzen vor, wie etwa (absteigend): 398 + 94 + 210 + 402 + 96 Cents33 1 1 1 1 492 498 30

31

32

33

8*

Ilmari Krohn, Mongolische Melodien, in: Zeitschrift für Musikwissenschaft I I I , 1920, 7 1 . Carl Stumpf, Mongolische Gesänge, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft I I I , 1887, 3 0 3 ; dass. in: Sammelbände für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1922, 110. E . M. von Hornbostel und R. Lachmann, Asiatische Parallelen zur Berbermusik, in: Zeitschrift für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1933, 4 — 1 1 . J a a p Kunst, De toonkunst van Java, 's-Gravenhage 1934, Teil I, 3 1 8 .

115

Das heißt, daß es sich um zwei unverbundene Tetrachorde handelt, von denen jedes aus einer reinen großen Terz oben und einem Halbton unten besteht — also um ein genaues Abbild der japanischen Kumoi-Skala. Eine Menge Einzelinstrumente und das ganze Orchester Westjavas verfügen über Skalen mit einer oder sogar zwei großen Terzen in ähnlicher Anordnung. Wer sich speziell hierfür interessiert, sei auf die genauen Messungen in dem Kapitel über Westjava bei Jaap Kunst verwiesen. 34 Das klassische Großterzgeschlecht des Archipels, das auf ganz Java und der Nachbarinsel Bali gebräuchlich ist, heißt fielog. Diese Skala läßt sich schwerlich durch eine verbindliche Folge von Centzahlen wiedergeben. Zwei verbundene Tetrachorde ergeben eine Heptade; jedes Tetrachord besteht aus einer Großterz Beispiel 51: Javanischer Pelog (übertragen von Curt Sachs nach Decca 20124 A)

oben und und einem Halbton oder ähnlich unten. Die Abweichungen sind jedoch recht erheblich. Selbst auf ein und demselben Instrument bleiben die Terzen und Sekunden selten gleich groß. Eine Sekunde kann beispielsweise 91 Cents messen, die folgende dagegen 176, und eine annähernd große Terz von 376 Cents steht neben einer quartähnlichen Terz von 488 Cents. Die Tetrachorde sind größer, oft sogar beträchtlich größer als eine reine Quarte. Zum Verständnis für diesen Mangel an Regelmäßigkeit möchte ich den Leser auf den Schluß des Abschnittes über die Färbungen im Kapitel über Griechische Musik auf Seite 196 ff. verweisen. Malaiische Skalen sind, milde ausgedrückt, wirklich sehr frei. Tonhöhen und Tondistanzen besitzen einen erstaunlichen Spielraum selbst auf ein und demselben Instrument, und es ist purer Zufall, wenn man auf eine reine Quarte stößt. Solch ein Mangel in einem musikliebenden Land würde kaum begreifbar sein, wenn wir nicht wüßten, daß der Quintenzirkel hier ebensowenig bekannt war wie die harmonische Unterteilung der Saiten. Die Orchester des Archipels bestehen faktisch aus Idiophonen, die irgendwelche greifbaren Beziehungen zwischen Länge und Tonhöhe nicht zulassen. Die anderen Instrumentenklassen sind nur durch eine oder zwei Trommeln und eine gelegentlich mitwirkende Flöte oder (arabisch-persische) Fiedel vertreten. Wenn man nach balinesischen oder javanischen Stimmethoden fragt, erhält man zur Antwort, daß irgendein alter Gonggießer ein paar hochgeachtete Metallstäbe besäße, die er von einem fernen Verwandten geerbt hat und mit mehr oder weniger Genauigkeit als Tonnormen benutzt. Mit anderen Worten, die Skalen wurden nicht konstruiert, sondern durch Jahrhunderte hindurch wieder und immer wieder mit ständig wachsender Ungenauigkeit kopiert. Der Archipel besitzt zwar eine musikalische Überlieferung, aber keine musikalische Wissenschaft. 34

ebd. 197, 199, 288, 290, 309, 311, 312, 318.

116

Zwei archaische Typen javanischer Orchester, die munggang und kodok ngorek genannt werden, besitzen einen beschränkten Tonumfang von nur einem Tetrachord der pelog-Art: (absteigend) E C H. Sie sind besonders stark geheimnisumwoben und verehrt und sollen deshalb sehr alt sein, älter als der pelog selbst. Ich muß gestehen, daß ich hiervon nicht überzeugt bin. Das erste Orchester in munggang-Stimmung soll aus dem vierten Jahrhundert u. Z. stammen. Ist das nun wirklich ,alt' zu nennen? Können wir ernstlich glauben, daß die Javaner, obwohl sie fortgeschritten genug waren, um eigene Orchester zu bilden, zu dieser Zeit, also mehr als tausend Jahre nach der Periode />e/og-ähnlicher Skalen in Griechenland, noch nicht über das Stadium von Dreitonmelodien hinausgelangt sein sollten, ganz abgesehen davon, ob sie ostasiatischen oder indischen Einflüssen ausgesetzt oder aber sich selbst überlassen waren? Ich halte die Schlußfolgerung, daß einer aus zwei Tetrachorden bestehenden Heptade ursprünglich ein einzelnes Tetrachord vorangegangen sein muß, für etwas zu einfach. Ich kann auch in anderen Beispielen keinerlei Bestätigung entdecken. Der pelog wird oft fälschlich als eine heptatonische Skala dargestellt. Die Terzen sind, wie sachunkundige Autoren schreiben, angeblich durch Überspringen zweier der sieben Töne entstanden. Dabei verhält es sich gerade umgekehrt. Um die Möglichkeit modaler Umgruppierungen innerhalb desselben Tonumfanges zu schaffen, wurden die Instrumente mit sieben Tönen ausgestattet, von denen jeweils zwei durch ihre Nachbartöne vertreten werden können. Es gibt also sieben Stellen für fünf Stufen der Skala, und es handelt sich somit ebensowenig um ein .Uberspringen', wie wenn wir C-Dur spielen und die schwarzen Tasten auslassen. Das Problem der Modi ist nicht ganz leicht zu lösen. Es gab einst drei Modi: Nem oder Bern, Lima oder Pelog und Barang. Wenn man sie der Einfachheit halber in A notiert, würden sie lauten: Nem: Lima: Barang:

(A) H C E F A A H D E F A H C E F G

Aber Dr. Jaap Kunst wie auch Dr. Manfred Bukofzer, der so liebenswürdig war, mir seine unveröffentlichten Notizen zur Verfügung zu stellen, heben hervor, daß die Modi eine ziemlich belanglose Rolle spielen und besonders Lima nicht beachtet würde. Dennoch scheint Lima zumindest historisch wichtig zu sein. Man kann nicht übersehen, daß Nem mit seinen verbundenen Tetrachorden und dem unten hinzugefügten Ton dem japanischen Hirajöshi entspricht. Und Lima würde, wenn sein H erniedrigt wäre, mit seinen getrennten Tetrachorden genau dem Kumoijöshi gleichen. Aus Dr. Bukofzers Material schließe ich, daß das H tatsächlich fast immer um etwa einen Viertelton niedriger ist, als es eigentlich sein müßte. Das sieht verdächtig nach einem Kompromiß zwischen den beiden Modi aus. Ein solcher Kompromiß hätte sicher eine Parallele im westlichen Orient, wo die neutrale Terz des Zalzal von Bagdad (gest. 791) und der persischen Lautenisten aufgenommen worden ist, um den Ubergang von verbundenen zu unverbundenen 117

Tetrachorden zu erleichtern. 38 D a ß Lima schließlich fallengelassen wurde, könnte einer gewissen Antipathie gegen unverbundene Tetrachorde zuzuschreiben sein.

Salendro oder slendro, das andere wichtige, im Gegensatz zum .weiblichen' -pelog als männlich betrachtete Tongeschlecht der Malaien, wird allgemein als eine in fünf Stufen gleicher Größe unterteilte O k t a v e beschrieben, wobei sich jede Stufe auf sechs Fünftel eines Ganztones oder 240 Cents beläuft. Das stimmt im großen ganzen, obwohl genaue Stufengleichheit nie erreicht wird. Die Stufen variieren zwischen 185 und 275 Cents. Aber diese E x t r e m e sind Ausnahmen; der eine Grenzwert liegt bei rund 231 Cents und der andere bei etwa 251 Cents. Beispiel 52: Javanischer Slendro (übertragen von Curt Sachs nach Decca 20124 B)

(im Original einenHalbfonhöher) Das Bild ändert sich, wenn wir uns von modernen Instrumenten ab- und sehr alten, auf javanischem Boden ausgegrabenen Instrumenten zuwenden, die als Beleg noch zuverlässig sind, da ihre Metallstäbe eine konstante Tonhöhe bewahrt haben. Während kein modernes Metallophon eine Stufe besitzt, die mehr als 275 Cents beträgt, verfügen die alten Exemplare im allgemeinen über eine größere Stufe zwischen 300 und 310 Cents 36 und außerdem über eine kleinere von rund 280 Cents. Hier zeigen sich unmißverständlich Spuren einer alten, in drei Sekunden und zwei kleine Terzen unterteilten Oktave — eine Teilung, die zumindest jeder Europäer ohnehin herauszuhören glaubt. A b e r die Spuren alter Terzen zeugen auch von einer A r t Temperierung, die auf eine Einebnung des Unterschiedes zwischen Terzen und Sekunden abzielt. V o n den beiden Terzen jeder Oktave erreicht oder überschreitet nur eine die Standardgröße von dreihundert Cents. Die andere ist bei den ersten beiden Exemplaren kleiner, während sie beim dritten Exemplar tatsächlich den vergrößerten Sekunden angeglichen worden ist. Der wahre Sachverhalt der slendro-Skala dürfte sich auch dadurch ergründen lassen, daß alle den javanischen und balinesischen Kulturen gemeinsamen Merkmale auf Bali in einer urtümlicheren Entwicklungsstufe in Erscheinung treten. Folglich muß ein Vergleich zwischen javanischen und balinesischen slendroStimmungen Licht auf die Entwicklung dieses Systems werfen. Auf den ersten B l i c k unterscheiden sie sich kaum. Die Abstände von Ton zu Ton scheinen auf B a l i genau so willkürlich zu sein wie auf Java. Nichtsdestoweniger gelangt man, 35

Antoine Dechevrens, Études de Science Musicale, 2 e Étude, Anhang IV, Paris 1898, 8.

36

J. Kunst und C. J. A. Kunst-v. Wely, De Toonkunst van Bali II, in: Tijdschrift van het Koninklijk Bataviaasch Genootschap 65, 1925, 476, 477.

118

wenn man sich die Mühe macht, die Mittelwerte der vier Intervalle einer größeren Anzahl sorgfältig vermessener Instrumente Balis und Javas zu errechnen, zu einem festen Ergebnis. Der durchschnittliche Abstand von Ton zu Ton beträgt auf B a h : 219 (Summen:

250 469

228 697

260 Cents 957 Cents)

Die Durchschnittswerte auf Java lauten: 236 (Summen:

240 476

248 724

227 Cents 961 Cents)

Auf Bah ist der Grad der Temperierung geringer. Die Distanz von 697 Cents stimmt praktisch mit der reinen Quinte überein. Man hat angenommen, daß slendro, und zwar selbst auf Java, älter als pelog sei. Das ist sehr unwahrscheinlich, ja, es gibt sogar ein eindeutiges Anzeichen für das Gegenteil. Einer der javanischen Töne heißt limä, „der fünfte", und ein anderer nem, „der sechste". Aber das ist nur im pelog so. Im slendro bezeichnen sie den vierten und den fünften Ton. Die Terminologie muß also ursprünglich für pelog geschaffen und später erst auf slendro übertragen worden sein.

Die Modus-Frage ist nicht so leicht beantwortet. Java besaß drei slendro-Modi, aber sie haben heute keinerlei Bedeutung mehr, und selbst ihre Unterscheidungsmerkmale sind nahezu vergessen. Sie werden auf denselben Instrumenten mit gleichem Umfang und gleicher Skala gespielt und unterscheiden sich lediglich in ihren Haupttönen voneinander, die im Orchester durch einzelne Schläge des großen Gongs hervorgehoben werden. Aber selbst diese Haupttöne sind nicht über jeden Zweifel erhaben. Dr. Jaap Kunst fand heraus, daß der zweite Ton der (aufsteigenden) Oktave bei 64,2 Prozent aller Melodien im Modus Nem, der vierte Ton bei 84,7 Prozent aller Sawgá-Melodien und der fünfte Ton bei 59 Prozent aller Man/wra-Melodien (gegenüber 41 Prozent mit anderen Haupttönen) als Grundton verwendet wird. Darin äußern sich Auflösungserscheinungen. Aber es zeigt auch, daß ursprünglich von verschiedenen Tönen der Skala aus begonnen wurde, wie bei den indischen grämas und den europäischen Hexachorden. Daraus müssen sich Schwierigkeiten ergeben haben, sobald die Notwendigkeit, alle Modi auf denselben Einoktavinstrumenten zu spielen, die javanischen Musiker zwang, die drei Skalen in denselben Raum zu projizieren. Terzen mochten notwendig gewesen sein, wo das Instrument nur Sekunden hergab und umgekehrt. Das könnte der Schlüssel zur Lösung des schwierigen slendro-Vvoblems sein. Ebenso wie sich unsere gleichschwebende Temperatur aus dem Bedürfnis nach Transposition ergeben hat, könnte die slendro-Temperatur leicht als Kompromiß zwischen Sekunden und Terzen aufgefaßt werden. Das wiederum könnte den Verfall der Modi erklären, die ja schließlich von der Verschiedenheit und nicht der Angleichung der beiden Intervallarten abhängig sind. 119

Es scheint, daß die Modi, oder richtiger, die einem bestimmten Modus zugeschriebenen Melodien heute lediglich vom Standpunkt der Wahl einer passenden Aufführungszeit Bedeutung besitzen. Stücke in Nem sollen zwischen sieben Uhr abends und Mitternacht gespielt werden, Sangä ist der passende Modus für den frühen Morgen zwischen Mitternacht und drei Uhr sowie für die Zeit zwischen Mittag und sieben Uhr, und Manjura gehört den Stunden zwischen drei Uhr früh und Mittag an. Dieser Zeitplan ist unverkennbar indischer Herkunft. Auch der Name salendro weist nach Indien. Er stammt wahrscheinlich von der Salendrä-Dynastie auf Sumatra her, die von der Koromandelküste in Südindien herüberkam und Java fast bis gegen Ende des ersten Jahrtausends u. Z. beherrschte. So dürfte es klüger sein, slendro mit rägas wie Madhyamävati, Mohana oder Hamsadhvani anstatt mit der chinesischen Skala in Verbindung zu bringen.

Siam, Kambodscha und Burma beschließen den Kreis ostasiatischer Skalen. Sie weisen eine starke Tendenz zu gleichstufiger Temperatur auf, wie sie auch die slendro-Anordimng zeigt, ohne aber im geringsten den Unterschied zwischen Ganztönen und Terzen aufzuheben. Das wird durch eine Unterteilung der Oktave in sieben (theoretisch) gleiche Teile erreicht, von denen jeder bei korrekter Teilung 171,4 Cents messen würde. Daß diese Abstände in der Praxis genau eingehalten werden, ist natürlich fraglich, da das Gehör ohne physikalische und mathematische Hilfsmittel nicht in der Lage ist, ein Intervall genau zu unterteilen. Wie sehr sich auch Carl Stumpf, der ein ausgezeichnetes Gehör besaß, über die relative Genauigkeit wunderte, mit der siamesische Musiker ihre Instrumente einstimmten,37 so schwankten die Intervalle, die Alexander J. Ellis gemessen hat,38 doch immerhin zwischen 90 und 219 Cents. Die Siamesen verwenden diese sieben Töne gleichen Abstands als Stufen für pentatonische Skalen, indem sie zwei dieser Töne jeweils auslassen. Dadurch erzielen sie einen scharfen Kontrast zwischen kleinen Ganztönen von 171,4 Cents und neutralen Terzen von 343 Cents. Die Lage der übersprungenen Stufen bestimmt die Modalstrukturen: I I I

II II -

III III

IV IV

V V V

VI VI -

VII

I I I

(Der achte Ton stellt nicht den Endpunkt einer Leiter wie unsere Oktave dar, sondern den Anfangston einer neuen Heptade.) 87

Carl Stumpf, Tonsystem und Musik der Siamesen, in: Sammelbände für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1922, 1 2 7 — 1 7 7 .

38

s. A . J. Ellis, Über die Tonleitern verschiedener Völker, a. a. O., 36—42.

120

Die Sänger schenken dieser Temperatur wenig Beachtung. Die folgende Opernarie, die fast europäische Intervalle verwendet, wechselt mit Orchesterritornellen in siamesischer Stimmung ab: Beispiel 5 3 : Siamesisches Opernsolo (übertragen von Curt Sachs nach Decca 2 0 1 2 7 B)

Die Palast- und Tempelmusik hat in China ebenso wie in Korea und Japan den eingeschobenen Halbton abgelehnt, da er die Leidenschaften nicht besänftigte, sondern die Seele mit sinnlicher Begierde erfüllte.39 Doch wurde den angeblich übersprungenen Stufen ein fester Platz in der weltlichen Musik eingeräumt, wenngleich vorerst auch nur in Gestalt von Wechseltönen. Der von den Japanern Ritsu genannte Modus trat, wie wir gesehen haben, in zwei verschiedenen Formen auf: 12-456-8 und 1-34578, das heißt als DE GAH D und D FGA CD. Diese beiden rein pentatonischen Formen des Ritsu erforderten also eine vollständige Siebentonreihe. Dennoch hielten sich die Melodien streng an eine der beiden pentatonischen Tonfolgen, ohne sie jemals miteinander zu kombinieren. Diese Beschränkung wurde später aufgehoben. Den Komponisten wurde gestattet, die beiden Formen innerhalb derselben Melodie zu mischen, allerdings unter der Voraussetzung, daß die kritischen Töne alternativ gebraucht wurden und niemals Halbtöne berührten oder bildeten: Beispiel 54: Japanisches Lied (nach Noel Peri)

Plßßß. 1—1 LT

# IA

t

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*

Schließlich wurde auch, wenigstens in der Volksmusik, diese letzte Einschränkung fallen gelassen. Die ityo-Skala 123 andererseits wurde auf direktem Wege durch die Einfügung einer übermäßigen Quarte und einer großen Septime zu einer heptatonischen Leiter vervollständigt: FGAhCDeF. Ähnlich spalteten die Japaner ihre großen Terzen in zwei Sekunden auf: AeFEdCHA. Keine Skala aber wurde streng heptatonisch. Die hinzugefügten Töne besaßen den Charakter von überleitenden oder Hilfstönen und hatten nicht einmal das Vorrecht zu eigenen Namen. Die Chinesen bezeichneten sie mit dem Namen des direkt darüberliegenden Tones unter Hinzufügung des Beinamens bian, was so viel wie ,auf dem Wege zu', .werden zu' bedeutet. 88

C. S. Keh, a. a. O., 39.

121

Eine in zeitgenössischen Quellen überlieferte Erzählung zeigt, wie weit die Chinesen noch von einer wirklichen heptatonischen Skala entfernt waren. Zwischen 560 und 578 u. Z. versetzte ein Mann aus Kutscha in Ostturkestan seine chinesischen Zuhörer in Erstaunen, weil er .haargenau' eine vollständige Dur-Skala auf seiner Laute Pifia spielte. Ihre Töne hießen sochiba, sadalik, badalik, kichi, shachi, shakukalam, shalap, panjam, dzilidzap, hulidzap. Die Bedeutung einiger dieser Ausdrücke ist unbekannt, andere wiederum sind klar. Professor Nicholas N. Martinovitch, dessen Meinung ich in dieser Frage einholte, war so freundlich, folgende Entsprechungen vorzuschlagen: zerstreuend, volltönend, austauschend, klein, verspritzend, königliches Wort, hängend, die fünfte, starkes Tremolo, sehr stark. „Natürlich", so schreibt er, „bin ich mir bei meinen Vorschlägen nicht ganz sicher, denn die Verderbtheit dieser Worte ist zu groß." Etwa zur gleichen Zeit wird in einer anderen Quelle behauptet, daß die achtundzwanzig .fremden Modi' — einerlei welche es auch gewesen sein mochten — mit Hilfe der chinesischen Normpfeifen nicht festgelegt werden konnten, sondern nur durch die Saiten der Pipa,40 Mit anderen Worten, die neu eingeführte westliche Musik folgte dem Teilungs- und nicht dem Auf-und-Ab-Prinzip. Allerdings übernahm auch die Querflöte Di eine westliche Dur-Skala. Im großen ganzen waren die heptatonischen Melodien im Norden Chinas häufiger als im Süden anzutreffen. Sogar Japan hat eine Dur-Skala gekannt, die Champa. Im Jahre 763 wird Musik aus Champa, das ist Kambodscha, zum ersten Male erwähnt, als sie anläßlich eines Banketts am kaiserlichen Hof gespielt wurde. Aber vierhundert Jahre später wurde der kambodschanische Stil in Japan dem chinesischen Stil angeglichen, und es ist unmöglich zu sagen, ob die ursprüngliche Champa-Musik die Dur-Skala, die die heutigen Japaner mit diesem Namen bezeichnen, besessen hat oder nicht. 41 Die Entwicklung ostasiatischer Skalen beginnt sich jetzt abzuzeichnen. Sie geht aus von streng pentatonischen Skalen mit Terzen jedweder Größe. Auf einer zweiten Entwicklungsstufe erscheinen Siebentonreihen in der Form, daß sieben Töne zur Bildung streng pentatonischer Skalen zur Auswahl stehen. Auf einer dritten Stufe werden die beiden .übergangenen' Töne in die Skala aufgenommen, allerdings nur als Durchgangsnoten. Schließlich werden sie völlig eingegliedert. Die Temperatur durchlief eine parallele Entwicklung. Der pelog stellt eine Vorstufe zur Temperatur dar. Im Gegensatz dazu sind in China und Japan die Skalen ziemlich gut nach Ganz- und Halbtönen und kleinen und großen Terzen temperiert worden. Im slendro wurden die ursprünglich kleinen Terzen und die Ganztöne mehr und mehr einander angeglichen, was fünf fast gleich große Sechsfünfteltöne in der Oktave ergab. In Siam, Kambodscha und Burma auf der anderen Seite sind sieben Tonstufen einander so angeglichen worden, daß sie sieben fast gleich große Siebenachteltöne bilden, von denen fünf in den Melodien wirklich verwendet werden. 40 41

R. H. van Gulik, a. a. O., 39. Vgl. Noël Péri, Essai sur les gammes Japonaises, Paris 1934, u n d Paul Demiéville, La Musique came au Japon, in: Publications de l'École Française d'ExtrêmeOrient, Études Asiatiques I, 1925, 200 und 225.

122

4 Melodie und Rhythmus Skalen und Modi sind, obwohl sie nicht ausschließlich instrumentalen Charakter haben, auf Grund von Instrumenten aufgestellt worden. In vokaler Musik erscheinen sie meist in jenen Stilen, die eine Mitwirkung von Instrumenten erfordern. Allerdings muß betont werden, daß der Ferne Osten Singstile kennt, die von Instrumenten und damit auch von der Starrheit der Skalen und Modi völlig unabhängig sind. Wir brauchen hier nicht näher auf den buddhistischen Kantillationsstil einzugehen. Aber ein Kapitel über ostasiatische Musik wäre unvollständig, wenn jener eigentümliche Rezitativstil, der im japanischen nö seine Vollendung fand, unerwähnt bliebe. Das nö in seiner gegenwärtigen Form erreichte seinen Höhepunkt erst um 1500 u. Z. Es ist ein urtümliches lyrisches Drama, das aus ekstatischen Ritualen der Vergangenheit hervorging, aber dann in eine weltliche Umgebung übertragen und von einigen maskierten Schauspielern in strenger Einheit von Wort, Melodie und Tanz aufgeführt wurde. Sein Gesang, der nichts von der Freizügigkeit besitzt, die dem heutigen abendländischen Menschen so teuer ist, bewegt sich um nicht mehr als neun stereotype, immerfort wiederkehrende Szenen, den ersten Auftritt der Hauptperson der Handlung, den Reisebericht einer zweiten Person, mit dem sich diese selbst einführt und so weiter. Das geschieht in einer gleichförmigen Kantillation auf einem Toñ, der jedoch von melodischen Formeln unterbrochen wird, die in der unbestimmten, gleitenden Art mit anschließender Erhöhung intoniert werden, wie wir es von japanischen Zithern und Flöten kennen. Diese Formeln sind unteilbare Einheiten, deren jede einen besonderen Namen besitzt, etwa .Drehung', .Farbe', .Spannung' usw. (vergleichbar den Tropen in der jüdischen Kantillation). Wenn die Kantillation wieder einsetzt, springt sie in eine um eine Quarte tiefere Lage und sogar noch eine Quarte weiter abwärts (a—e—H), oder sie sinkt zunächst um einen Ganzton und springt dann um eine oder zwei Quarten weiter hinunter (a—g—d—A). Der Rhythmus ist ebenso irrational wie die Intonation, und selbst wenn eine melodische Formel ein festeres Metrum nahelegt, versucht der Sänger diesen Eindruck durch eine Art Rubato zu zerstören. Lediglich in der tieferen Tonlage neigen Rhythmus und Intonation zu größerer Regelmäßigkeit. Das auf der Bühne sitzende Orchester besteht aus einer mit einem Schlegel und zwei mit der Hand geschlagenen Trommeln und einer Querflöte. In der Regel schlagen die Trommler einen gleichmäßigen Rhythmus, obwohl sich die Singstimme frei bewegt. Ab und zu fällt die Flöte ein und erhebt sich über die Singstimme. Aber ihre Melodie ist mit dem Gesang weder abgestimmt noch steht sie 123

wenigstens in Wechselbeziehung zu ihm. Die beiden Stimmen sollen nicht zusammen gehört werden, sondern sie sollen nur gleichzeitig existieren, in einem magischen, nicht in einem ästhetischen Sinn. Mit unserer gegenwärtigen Terminologie ist es unmöglich, eine angemessene Vorstellung von der fremdartigen Stimmgebung des Ostens zu vermitteln. Die Koreaner erwarten wenigstens von ihren Geischas, daß sie in tiefer Stimmlage singen.42 Im allgemeinen „lassen nur Kinder und Kutscher die Töne aus dem Bauch kommen". 43 Die fernöstliche Singweise ist nasal, gepreßt, explosiv, sie zeigt besondere Vorliebe für hohe Tonlagen, geht oft bauchrednerisch in die tiefsten Register über und wird fortwährend mit Glissandi durchsetzt. So außergewöhnlich sie unserem Ohr anfangs auch erscheinen mag, so schnell wirkt sie selbst auf den unvorbereiteten westlichen Zuhörer als das vollkommene Gegenstück zur Maske, die der Sänger trägt. Sie verbirgt seine Wesensgleichheit, ja seine menschliche Natur und erhebt ihn über die Welt des Alltags hinaus in die Sphäre der Helden, Götter und Dämonen. Haben wir diese mystische Atmosphäre erst einmal erlebt, so beginnen wir, uns der Grenzen des westlichen .natürlichen' Stils bewußt zu werden, der unfähig ist, Wotan, den Göttervater, und Hans Sachs, den Schuhmacher aus Nürnberg, voneinander abzuheben. Die chinesische Oper in ihrer klassischen Form wurde vom Text beherrscht. Es könnte auch gar nicht anders sein. Monosyllabischen Sprachen stehen wenige hundert Silben zur Verfügung, um zehntausende von Gegenständen und Begriffen zu bezeichnen. Daher besitzt jede Silbe viele unterschiedliche Bedeutungen. Das Verständnis hängt von der spezifischen Intonation ab, von der steigenden, gleichbleibenden oder fallenden Tonbewegung der Stimme. Die Melodik muß diesen Intonationsbewegungen folgen; denn Worte, die entgegen ihrer natürlichen Sprachmelodie vertont sind, wären unverständlicher als ein Fragesatz mit fallender Intonation am Satzende in irgendeiner europäischen Oper.44 Infolgedessen war die Vokalmusik des klassischen China streng logogen. Ein musikalisches Vokabular hielt einen Vorrat geeigneter Einzeltöne für den gleichbleibenden Sprechton beziehungsweise von Tongruppen für jeden der drei Sprechtöne bereit, die wiederum nach .männlichen' und .weiblichen' Formen unterteilt wurden, wobei die letzteren geringfügig anders waren und einen Ton tiefer lagen.

Einsilbige Sprachen eignen sich nicht für quantitative Versmaße; die Unterscheidung von lang und kurz ist weit weniger wichtig als bei zusammengesetzten Wörtern. Zwar unterlag die Dichtung (und zweifellos auch die Musik) während der Tang-Dynastie, in der die Chinesen besonders Gefallen an eleganten Formen empfanden, festen Versmaßen. Um ein Beispiel anzuführen: Ein Gedicht aus dem 42 43

44

C. S. Keh, a. a. O., 20. O. Abraham und E. M. von Hornbostel, Tonsystem und Musik der Japaner, Sammelbände für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1922, 212. Vgl. John Hazedel Levis, Foundations of Chinese Musical Art, Peiping 1936.

124

in:

achten Jahrhundert u. Z., „Der Trinker im Frühling", ist in folgendem gekünstelten Versmaß gehalten: 45

Aber andererseits war die Tang-Zeit für Einflüsse aus Indien und dem Mittleren Osten sehr empfänglich, und dieser poetische Stil mag deshalb fremden Vorbildern zuzuschreiben sein. In der Regel hat der Chinese Dichtung und Musik dem qualitativen starkschwach-Prinzip mit der Silbe als Zeiteinheit oder Grundschlag unterworfen. Da aber chinesische Verse äußerst kurz sind — in der Regel enthalten sie vier, fünf oder sechs Silben — wird jeder Vers musikalisch durch einen Takt mit entsprechend vielen Schlägen und nicht wie anderswo durch eine ganze Phrase wiedergegeben. Solche musikalisch-poetischen Formbildungen sind entweder asymmetrisch und rhapsodisch (cht) oder aber symmetrisch (shi). Die reinste Verwirklichung einer symmetrischen Form findet sich in der Hymne an Konfuzius, dem Hauptstück der konfuzianischen Liturgie, die wahrscheinlich die früheste erhaltene Entwicklungsstufe chinesischer Musik repräsentiert. Die Tempelsänger tragen sie in unglaublich langgezogenen Tönen gleicher Dauer vor, und auf jeden dieser Töne entfällt eine Einzelsilbe des Textes. Vier solche Töne bilden einen Vers und acht Verse eine Strophe. Auch hier wiederum erweist sich der Einzelton als Keimzelle chinesischer Musik (s. Notenbeispiel 41).

Der qualitative Rhythmus (,Takt') ist, obwohl er oft der Betonung gesprochener Worte zuwiderläuft, außer im Fernen Osten in Tibet und unter den Turkvölkern einschließlich der Tataren, Kirgisen und Baschkiren verbreitet. In demselben weiten Gebiet herrschen vierschlägige Zeitmaße vor. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. In Korea und China haben sich Volkslieder im Dreiertakt erhalten, und die Chinesen besaßen im ersten Jahrtausend ungerade und sogar gemischte Zeitmaße. Aber diese sind wiederum fremden Einflüssen zugeschrieben worden. 46 Dem Rhythmus kommt sicherlich geringere Bedeutung als in anderen Ländern zu. Die große Anzahl der Schlaginstrumente in allen Teilen des Fernen Ostens sollte uns nicht irreführen. Die meisten dieser Instrumente dienen überhaupt nicht dem Rhythmus. Rasseln, Schrapinstrumente, Glocken und Steine hatten andere Aufgaben. Die Trommeln aber wurden mit Stöcken geschlagen und eigneten sich daher besser zum Taktschlagen als zur Wiedergabe komplizierter rhythmischer Gebilde. 45 46

Heinz Trefzger, Das Musikleben der Tang-Zeit, in: Sinica X I I I , 1938, 58. ebd. 59.

125

Es wäre jedoch falsch, dieses Taktschlagen mit den groben vier Schlägen unserer Big-Band-Trommeln zu vergleichen. Im ältesten erhaltenen Musizierstil, den klassischen chinesisch-japanischen Bugaku-Tänzen, liegt der starke Akzent auf dem letzten Schlag, der durch ein Aufstampfen des Tänzers und einen kräftigen, von einem sanften Schlag auf die vorherige Halbzeit vorbereiteten Schlag auf der Trommel hervorgehoben wird: eins, zwei, drei, VIER. Bugaku soll indischen Ursprungs sein, wie überhaupt die gesamte chinesische und japanische Musik während der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends u. Z. unter indischem Einfluß stand. Und doch war den hochentwickelten rhythmischen Formen, den tälas, die das charakteristischste Kennzeichen indischer Musik bilden, keine Chance im Osten beschieden. Im Jahre 860 u. Z. wurde eine Abhandlung über das Trommeln in China mit seinen über einhundert .Symphonien' verfaßt, die zweifellos indische tälas darstellten. Aber es entwickelte sich daraus nichts, und keiner der fernöstlichen Stile hat auch nur die geringste Spur dieser Modelle bewahrt. Die drei Rhythmen, die in tibetanischer Orchestermusik verwendet und auch dann weiter geschlagen werden, wenn die anderen Stimmen schweigen,47 sind offensichtlich nicht fernöstlichen Ursprungs, sondern verderbte indische Modelle.

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Die von Colin McPhee kürzlich beschriebenen hochentwickelten Polyrhythmen balinesischer Zimbelspieler sind ebenfalls nicht fernöstlicher Herkunft. „Die Zimbelgruppe umfaßt nicht weniger als sieben Spieler, von denen jeder ein unterschiedlich großes Zimbelpaar besitzt, mit dem er eine andere rhythmische Formel ausführt. Dieselben rhythmischen Motive können gelegentlich während des Reisstampfens gehört werden, wenn das ständige Stampfen der Keulen im hölzernen Trog durch verschiedene synkopierte Rhythmen begleitet wird, die gegen die Seiten oder Enden des Troges geschlagen werden."48 47 48

T. Howard Somervell, The Music of Tibet, in: The Musical T i m e s L X I V , 1923, 108. Colin McPhee, The Technique of Balinese Music, in: Bulletin of the American Musicological Society Nr. 6, 1942, 4.

5

Notation Keine niedere Kultur gelangt zu Noten- oder anderen Schriften. Der geistige Horizont ist eng, das Wissen ist im Umfang begrenzt. Die mündliche Überlieferung beherrscht alles, und das Gedächtnis, unbelastet und unangefochten durch andere Mittel der Bewahrung, ist in einem kaum glaubhaften Maße ausgebildet. Viele besondere Umstände mußten beitragen, ehe die frühesten Formen des Schreibens die Uberlieferung und das Gedächtnis unterstützten. Allein einer war zwingend für die Musik: die Furcht, daß sich die Tradition in Zeiten der Not und Gefahr als nicht widerstandsfähig genug erweisen und die Wirksamkeit der Kulthandlungen durch eine ungenaue Wiedergabe der heiligen Gesänge gefährden könnte. Ein bemerkenswertes Beispiel bietet die musikalische Notation, die auf der Insel Bali von gelehrten Hindu-Javanern erfunden wurde. Diese waren im sechzehnten Jahrhundert u. Z. vor den mohammedanischen Eroberern aus ihrer Heimat Java geflohen und wollten ihre traditionelle Musik vor dem Vergessen in einem neuen Land ohne Tradition bewahren. Die Schrift bestand aus einer Art Stenographie. Die fünf Töne dang, ding, dung, deng, dong wurden einfach durch die kleinen Symbole für die Vokale a, i, u, e, o ohne Bezeichnung des Rhythmus wiedergegeben.49 Während die Alphabete eine relativ übereinstimmende Entwicklung von realistischen Bildern zu abstrakten Symbolen und von Begriffen zu Lauten durchgemacht zu haben scheinen, folgte die musikalische Notation gleich von Anfang an verschiedenen Prinzipien, und die meisten Völker benutzten sogar mehrere Systeme gleichzeitig. Es gab Tonnotationen, die die Einzeltöne mit Hilfe von Symbolen, die dem gebräuchlichen Alphabet entnommen wurden, bezeichneten, Tabulatoren oder Fingersatznotationen, die die Hand des Spielers leiteten, ohne nach den Tönen, die hervorgebracht werden sollten, zu fragen, Neunten, die die melodischen Stufen graphisch mehr in ihrem Richtungsverlauf denn als Gruppen von zwei oder drei bestimmten Tonhöhen abbildeten, und Gruppennotationen, in denen geläufige Tongruppen durch bestimmte Silben oder Spitznamen bezeichnet wurden. Der Ferne Osten hat mindestens seit Beginn unserer Zeitrechnung Musikschriften besessen. Da besonders Einzeltöne im Mittelpunkt des Interesses standen, wurde vor allem die Tonnotation bevorzugt. Das trifft im engsten Sinne auf die Spieler von Stein- und Glockenspielen zu, die an der eigentlichen Melodieführung 49

J. Kunst und C. J. A. Kunst-v. Wely, De Toonkunst (1925), 4 7 - 6 8 .

van Bali, Teil I, Weltevreden

127

unbeteiligt sind, da sie nur eine Steinplatte oder eine Glocke auf einmal anschlagen, von denen jede lediglich einen der lü's hervorbringt. Ganz folgerichtig werden die Tonhöhen mit der ersten Silbe der /w-Namen benannt: huang (zhong), ying (zhong), wu (yi) und so weiter. Wie alle chinesischen Notationen und auch die gewöhnliche Schrift werden die Symbole in absteigenden Spalten, die von rechts nach links fortschreiten, angeordnet. Die Sänger dagegen, denen mehr an der Melodieführung als an der absoluten Tonhöhe liegt, verwenden fünf Silbensymbole, die die pentatonische Skala bezeichnen: gong, shang, jue, zhi, yu. Sie werden unter oder rechts neben die entsprechende Textsilbe geschrieben. Trotzdem wird die absolute Tonhöhe durchaus nicht vernachlässigt; eine Note am Anfang zeigt an, auf welchen lü der Grundton gong gestimmt werden soll (genau wie wir es im Falle unserer Klarinetten „in A " oder Hörner „in F " tun) (s. die Abbildung S. 129). Dieselbe Notationsart ist bei den Spielern der Pipa und aller Blasinstrumente gebräuchlich. Die meisten dieser Instrumente waren relativ neuen westlichen Ursprungs und wurden anfangs wahrscheinlich von Mongolen gespielt. Als Folge davon wurden die komplizierten chinesischen durch die einfacheren mongolischen Schriftzeichen ersetzt. Wenn nun Singstimmen und Lauten dieselbe Melodie vortragen, stehen sowohl die mongolischen als auch die chinesischen Symbole unter jeder Textsilbe.

In Ostasien gab es auch Ansätze zu Neunten für solche Melodien, bei denen es mehr auf den melodischen Bogen als auf Einzeltöne ankam. Ein von links nach rechts aufsteigender Strich bedeutete .aufsteigende', ein horizontaler Strich .Hegende' und ein von links nach rechts absteigender Strich .absteigende' Bewegung. Ein X zwischen zwei dieser Striche gestattete beide Bewegungen. Oder aber ein kleiner weißer Kreis bezeichnete ebene und ein schwarzer Seitenbewegung, deren Richtung durch zusätzliche Silben als fallend oder steigend näher bestimmt werden mußte. Mitunter halbierte der Komponist diesen Kreis. Weiß oben und schwarz unten bedeutete eine mehr oder weniger eben verlaufende Bewegung, stellte es Zur nebenstehenden Abbildung (S. 129). Chinesische Notation (nach JohnHazedel Levis). — Die Schrift verläuft abwärts, die senkrechten Zeilen werden von rechts nach links gelesen. Die vier Zeilen mit großen Symbolen geben den Text wieder, wobei jedes Symbol ein (einsilbiges) Wort darstellt. Die kleinen Zeichen zu beiden Seiten einer Zeile geben die Melodie an. Die Symbole zur Rechten bezeichnen die genauen Tonhöhen jeder Zählzeit und jedes Wortes, so das erste in der rechten Ecke oben ein a', das zweite und dritte ein c". Die folgende Gruppe der drei seitlich vom vierten Textwort stehenden Symbole bezeichnen eine Ligatur auf einer Zählzeit, a' — c " — a'. Die fünfte Gruppe bedeutet die Ligatur g' — a' auf einer Zählzeit und dazu eine Pause (der waagerechte Strich), die das Ende der Phrase angibt. Die Symbole linkerhand sind Neumen, von denen die ersten drei horizontale Bewegung, die vierte steigende und fallende und die fünfte steigende Bewegung anzeigen. 128

« 9

Sachs, Musik

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aber frei, sie auch steigend oder fallend zu gestalten. Schwarz oben und weiß unten bezeichnete das Gegenteil. Auch das unvermeidliche manuelle Gegenstück zu den Neumen fehlt nicht. Die Chinesen gebrauchen die Hand, um die vier Typen der Tonbewegung in der Sprache dem Gedächtnis einzuprägen. Sie berühren das dritte Glied des Zeigefingers, um ping, den ebenen Ton anzuzeigen, die Spitze desselben Fingers für shang, den Steigeton, die Spitze des Ringfingers für qu, den fallenden Ton, und das dritte Glied desselben Fingers für ru, die (musikalisch bedetuungslose) dialektbedingte Kürzung jeder der vorhergehenden drei Bewegungen.60 Die Ähnlichkeit mit Guido von Arezzos berühmter Hand ist auffällig. Zeichen für den Rhythmus wurden mit den anderen Notationsformen zusammen gegeben. Aber im allgemeinen genügte es, das Ende einer Phrase zu markieren, da die Phrase selbst durch die Silbenanzahl im Vers bestimmt wurde, und jede dieser Silben — wenigstens im Prinzip — mit einem musikalischen Taktschlag zusammenfiel. Gelegentlich konnte eine Silbe länger oder kürzer als ein Taktschlag sein. Solche regelwidrigen Fälle wurden entweder durch die Tradition entschieden oder aber dem persönlichen Geschmack des Sängers überlassen.

Tabulaturen wurden von Langzither- und Flötenspielern verwendet. Sie zeigten vor allem an, was ihre Finger tun mußten, um die gewünschten Töne hervorzubringen, nicht aber die Töne selbst, die beim Anfertigen oder Stimmen der Instrumente unveränderlich festgelegt wurden. Zeichen neben den Textsilben gaben an, welche Saiten zu zupfen waren. Ein rechts in der Mitte der Spalte stehendes Zeichen schrieb den Daumen vor. War es nach links verschoben, bedeutete es den Zeigefinger, nach rechts den Mittelfinger. Nicht einmal das, was wir Verzierungen nennen würden, blieb, wie in der älteren europäischen Musik, dem Geschmack des Spielers überlassen. Das feine Schwanken des Tons, das die Starrheit pentatonischer Skalen auflöst, ist so wichtig für ostasiatische Musik, daß alle hier nur möglichen Kunstgriffe sorgsam geordnet, mit Namen versehen und durch die Silbensymbole ihrer Namen in der Notation zum Ausdruck gebracht worden sind: ka (um die Bezeichnungen der japanischen Kotospieler anzuführen) bedeutet das Erhöhen eines Tones durch Niederdrücken der Saite hinter dem Steg, niju oshi die Erhöhung um einen Ganzton, e das nachträgliche Erhöhen eines bereits gezupften und erklingenden Tons, ke eine kurze Erhöhung des Tons und sofortiges Zurückführen der Saite in ihre ursprüngliche Schwingung, yü dasselbe, nur daß die Rückkehr erst kurz vor Erklingen des nächsten Tons geschieht, kaki das Zupfen zweier nebeneinanderliegender Saiten in schneller Aufeinanderfolge mit demselben Finger, uchi das Schlagen der Saiten hinter dem Steg während langer Pausen, nagashi ein Gleiten mit dem Zeigefinger über die Saiten und so weiter. Diese Tabulatur enthält auch zwei Symbole, die nicht in den Bereich der Verzierungen gehören: kake ist eine häufige Phrase von fünf Tönen, von denen zwei mit dem Zeigefinger, zwei auf einer tieferen Saite mit dem Mittelfinger und der 60

John Hazedel Levis, a. a. O., 17.

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fünfte mit dem Daumen auf einer höheren Saite gezupft werden; hazumu ist eine kurze fallende Phrase, die aus einem punktierten Ton auf der zehnten Saite und zwei auf der neunten und der achten Saite folgenden Tönen besteht. Diese Zeichen gehören in die Kategorie der Gruppennotation. Neuere Untersuchungen haben klar erwiesen, daß diese Tabulatur eine chinesische Übertragung von in Indien gebräuchlichen Sanskritsymbolen ist.61 Tatsächlich sind die Verzierungen auf den Langzithern, die sonst keine Parallele in ostasiatischer Musik besitzen, nichts anderes als die gamakäs Indiens. Sie wurden unter dem zunehmenden Einfluß des Buddhismus während der Han-Dynastie importiert und auf die Technik chinesischer Zithern übertragen, die die Lieblingsinstrumente meditierender buddhistischer Priester und Mönche wurden.

Keine dieser Schriften gibt Zeitwerte an. Der Rhythmus wurde meistens dem Instinkt und der Tradition überlassen,52 oder aber der Komponist fügte eine besondere Notation für die Taktschläge hinzu. Jedoch ist diese Notation ziemlich widerspruchsvoll und stützt sich doch mehr auf das Ohr als auf das Auge. Die Chinesen schreiben kleine Kreise neben die entsprechenden Töne, um den vierten Schlag des Taktes anzugeben, und oft markieren sie den ersten, zweiten und dritten Schlag durch einfache Punkte. Viertelnoten erhielten infolgedessen immer einen Punkt, während viele Achtelnoten überhaupt nicht bezeichnet wurden. Auf diese Weise zweigte sich eine elementare Mensuralnotation von der Schlagnotierung ab. Der Punkt, der eigentlich einen Taktschlag bezeichnete, erhielt die Bedeutung einer Viertelnote, während halbe Noten durch zwei und ganze Noten durch drei Punkte angegeben wurden. Die japanische Notation ist folgerichtiger. Allen Hauptschlägen werden Kreise zugeordnet, die, um das Lesen zu erleichtern, abwechselnd mit einfachem und mit doppeltem Rand versehen sind, wohingegen die regelmäßigen leichten Schläge durch kleinere Kreise angezeigt werden. Traten in der Koto-Musik Achtel- oder Sechzehntelnoten auf, so wurden die Zeichen, die auf die zu spielende Saite verwiesen, zwischen die Kreise gesetzt, und zwar entweder direkt in die Mitte, oder aber, wenn sie einer punktierten Note folgten, näher zum folgenden Kreis. Einige Kotospieler haben auch Mensuralsymbole verwendet: einen vollen Kreis für eine ganze Note, einen aufgerichteten Halbkreis (gleich einem D) für die halbe Note und einen Viertelkreis (gleich dem oberen Teil eines D) für die Viertelnote.63 Das Tempo wird nicht angegeben. Natürlich ändert es sich, wenn auch nicht innerhalb desselben Stückes. Unterschiedliche Tempi sollen miteinander kontra stieren, nicht aber ineinander übergehen. 51 52

53

9*

Vgl. Heinz Trefzger, a. a. O., 52 ff. Wang Guang Ki (Kuang-chi Wang), Über die chinesischen Notenschriften, Sinica III, 1928, 110—123. Mueller, Einige Notizen über die japanische Musik, a. a. O., 19.

in:

6 Mehrstimmigkeit

Ostasiatische Chöre singen stets unison — genau wie die Chöre im alten Griechenland. Die merkwürdige Tatsache, daß im buddhistischen Gottesdienst jeder Sänger dieselben Worte im selben Rhythmus, aber in irgendeiner behebigen Tonart singt, 64 liefert keinen Einwand. Dagegen gehören die fremdartigen, nie endenden Bordune im Chorgesang Tibets in den indischen, nicht aber in den chinesischen Bereich tibetanischer Kultur. V o n dem Begleiter eines Sängers wird im Gegensatz dazu erwartet, daß er u m eine irrational kleine Zeitspanne nachfolgt, etwa so, wie ein A d j u d a n t vermeidet, auf gleicher Höhe mit seinem General zu reiten. Das ist besonders die Praxis der japanischen Flötenspieler, aber ebenso beruht nahezu die ganze ostasiatische Begleittechnik auf verschobenen Phrasen, auf kanonähnlicher Vorausnahme und Verzögerung. Der Sänger schafft eine reiche, ausgezierte Realisation irgendeines melodischen Modells, während der Instrumentalist, der das gleiche Modell im Sinn hat, dem Sänger alle notwendige Freiheit läßt und bemüht ist, ihm behutsam zu folgen. Seine Töne kommen in genauer — wenn auch nicht pedantisch präziser — Reihenfolge, erscheinen aber verzögert, wenn die Singstimme ihre Ornamente unerwartet einschränkt, und eilen voraus, wenn der Sänger eine Phrase ausdehnt. Auf einer jüngeren Stufe ist dieses zwangsläufige Nichtübereinstimmen z u einem hochbewerteten künstlerischen Ausdrucksmittel geworden, bei dem die fortwährende Reibung von Sekunden und Septimen wahrscheinlich nicht als Dissonanz im abendländischen Sinn aufgefaßt wird. In der geistlichen Musik Chinas sind solche Begleitungen in großem Maße vereinfacht worden. Eine Regel klassischer Musik lautet: Während der Sänger eine ganze Note aushält, spielt die Langzither zweiunddreißig Zweiunddreißigstel und die Mundorgel fügt einen einatmenden und einen ausatmenden Halbnotenwert hinzu. Die Saiteninstrumente begleiten immer in gebrochenen Akkorden, die aus dem Einklang, der Quarte und der Oktave oder dem Einklang, der Quinte und der Oktave bestehen und sich streng parallel mit dem Sänger bewegen. Japanische Kotospieler besitzen mehr Freiheit; bald unterstützen sie die Singstimme, bald füllen sie die Lücken im R h y t h m u s aus, die durch ausgehaltene Töne des Sängers entstehen. Sie bringen auf diese Weise Zusammenklänge von Oktaven, reinen oder verminderten Quinten, Quarten, Terzen und sogar Sekunden hervor. Aber der abendländische Ausdruck Harmonie ist hierfür kaum angebracht. Diese aus zwei oder drei Tönen bestehenden Zusammenklänge sind nicht ,funk54

C. A. Wegelin, Chineesche Muziek, in: China IV, 1929, 143.

132

tional'. Sie fügen dem musikalischen Raum weder eine dritte Dimension hinzu, noch schaffen sie eine emotionale Atmosphäre. In praktisch allen Fällen fügen sie zu den Tönen des Sängers lediglich andere Töne hinzu, die dieser gerade verlassen hat oder aber eben anstimmen will. Sie sind überlagerte melodische Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft und damit letzten Endes nichts anderes als geballte Heterophonie. Dasselbe gilt auch für die Akkorde der Mundorgel — jenem Instrument, das bei den Chinesen Sheng und bei den Japanern Shö heißt. Ich habe es als ein Stück Holz beschrieben, das in der Form eines Flaschenkürbis geschnitzt ist. Der Hals dient hierbei als Mundstück und Luftleitung, während der Körper einen Windkasten zur Versorgung der Pfeifen bildet. Dreizehn oder mehr schlanke Rohre verschiedener Länge (das längste mißt sechzehn bis zwanzig Zoll) ragen in kreisförmiger Anordnung aus dem Windkasten in die Höhe. Innerhalb des Windkastens besitzt jede Pfeife eine seitliche Öffnung, die von einer dünnen Metallzunge abgedeckt wird".

Der Spieler bläst eine Melodie und mit den übrigen Pfeifen eine akkordische Begleitung. In der Hofmusik Japans haben sich alte Harmonien erhalten, die vor einem Jahrtausend von China nach Japan gelangten. Einige bestehen aus drei, einige aus fünf und einige aus sechs Tönen. Nur zwei der elf gebräuchlichen Akkorde entsprechen den abendländischen Molldreiklängen. Die anderen bestehen aus den Tönen pentatonischer Skalen, die entweder gleichzeitig (zum Beispiel: DE FGA)

oder in anderen Kombi-

nationen (wie H C D E F A) erklingen. Diese komplizierten Harmonien werden im heutigen China durch einfache Quart- und Quintparallelen ersetzt. In beiden Fällen liegt die Melodie genau wie im alten Griechenland und im frühen europäischen Mittelalter unter der Begleitung. 55

Das Problem der ostasiatischen Mehrstimmigkeit wird zwar nicht gelöst, aber immerhin doch klarer durch den Gegensatz von rechter und linker Musik. Die buntgemischten Einflüsse, die seit 800 u. Z. äuf die japanische Musik einwirkten — mandschurische, koreanische, chinesische und indische — konnten offensichtlich nicht zu einem einzigen organischen Stil verschmolzen werden. So gliederten die Japaner sie im neunten Jahrhundert nach zwei getrennten Stilen auf. Mandschurische und koreanische Einflüsse wurden zur sogenannten rechten Musik mit der Querflöte Koma fuye und der großen Sanduhrtrommel San-no tsuzumi als charakteristischen Instrumenten vereinigt. Chinesische und indische Einflüsse dagegen bildeten die sogenannte linke Musik mit der Querflöte Öteki, der Mundorgel Shö und der kleinen zylindrischen Trommel Kakko als charakteristischen Musikinstrumenten. Außer diesen Instrumenten teilten sich beide Stile in den Gebrauch der Oboe Hichiriki, der Laute Biwa und der Zither Sö-no koto sowie der größeren Trommel Taiko und des kleinen Gongs Shöko. Der wesentliche Unterschied bestand jedoch im Gebrauch der beiden Hauptinstrumente, der Flöte und der Oboe. Während sie in der linken, chinesischen 55

Curt Sachs, The History of Musical Instruments, a. a. O., 182 ff.

133

Musik unison mit den Akkorden der Mundorgel gespielt wurden, bewegten sie sich in der rechten, mandschurischen Musik im Kontrapunkt.66 Das Hoforchester des Mikado, das sich rühmt, die Tradition des ersten Jahrtausends u. Z. unverändert bewahrt zu haben, musiziert in einer äußerst komplizierten Form von Mehrstimmigkeit. Sein Timbre ist hell und klar, da keines der fünf Melodieinstrumente tiefer als bis zur Mitte der eingestrichenen Oktave reicht. Eine Mundorgel und eine Längsflöte spielen die Melodie hoch oben in der zweigestrichenen Oktave, und eine Querflöte verdoppelt sie eine Oktave darüber. Alle diese drei Blasinstrumente spielen heterophon, bald verbinden, bald trennen sie sich und bilden dabei Terzen oder sogar reibende Sekunden. Ihre unstete melodische Linie wird sogar noch unbeständiger dadurch, daß die Flöten fortwährend um irrationale Mikrotöne hochgetrieben werden. Unter diesem schneidenden Lärm schließt sich die Laute demselben melodischen VerBeispiel 55: Japanische Hofmusik (nach Mueller)

lauf in Quarten oder anderen Zusammenklängen an, und die Zither fügt sich mit einem kurzen, trockenen Ostinatomotiv ein. Von den beiden Trommeln steuert die Kakko Wirbel sowie einzelne und wiederholte Schläge bei, während die Taiko einige Einzelschläge hinzufügt. Der Gong markiert den Beginn jedes Taktes mit einem einzelnen Schlag. Dem Autor mißlang der Versuch, die Partitur nach einer Phonogrammaufnahme niederzuschreiben. Unser Beispiel folgt daher der Partitur, die Dr. Mueller, der Gelegenheit hatte, jeden einzelnen Spieler zu überprüfen, veröffentlicht hat. 67 57

Mueller, Einige Notizen über die japanische Musik, a. a. O., Heft 9, 31 — 33. — Moderne Transkriptionen in: Sukehiro Shiba, Score of Gagaku, Tokio 1955ff.

7 Orchester Orchester waren klingende Brücken zwischen dem Makro- und dem Mikrokosmos, zwischen der Welt der Götter und Ahnen und der Welt der Lebenden, da sie alle Klassen von Instrumenten in sich vereinigten, von denen jedes als Symbol für ein Element, eine Himmelsrichtung, eine Jahreszeit, einen Planeten, eine Substanz stand: das Klingsteinspiel für Nordwesten und Stein, das Glockenspiel für Westen, Herbst und Metall, die Langzither für Süden, Sommer und Seide, die Flöte für Osten, Frühling und Bambusrohr, der Trog und der Tiger für Südosten und Holz, die Trommel für Norden, Winter und Haut, die Mundorgel für Nordosten und Kürbis, und die kugelförmige Tonflöte für Südosten und Erde. Kui, der Hauptmusiker des Kaisers Shun „sagte, daß, als sie den klingenden Stein leicht und kräftig schlugen und Qin und Se zupften und ihre Saiten anschlugen, um Ubereinstimmung mit dem Gesang zu erzielen, (die Geister der) Ahnen und Vorfahren zur Erde wiederkehrten. Ihre Gäste nahmen den Hauptsitz ein. Und das Heer der Edelleute bot ehrend (einander Platz) an. Am Ende der Halle hatten Pfeifer und Trommler Aufstellung genommen, die durch den geschlagenen Trog und den geschrapten Tiger zusammengeführt oder unerwartet unterbrochen wurden, während die Mundorgel und die Glocke die Zwischenspiele andeuteten." 68 Die Größe eines Orchesters spiegelte den Rang und die Macht seines Besitzers wider. Im Gegensatz zu den riesenhaften kaiserlichen Orchestern gestattete die Zhou-Dynastie (1122— 255 v. u. Z.) den hohen Würdenträgern nur die Unterhaltung von siebenundzwanzig (meist blinden) Musikern, die an drei Seiten eines Viereckes saßen, während einfache Adlige nicht mehr als fünfzehn Spieler halten durften, die in einer Linie Aufstellung nahmen. Die Han-Dynastie verfügte in den Jahren 58—75 u.Z. über drei Orchester: eins für religiöse Feierlichkeiten, ein zweites für die Bogenschützen des Palastes und ein drittes für Bankette und den Harem. Die Gesamtzahl der Orchestermitglieder betrug 829. Der Hof unterhielt auch eine große Militärkapelle. Die Orchester schlössen Sänger und Tänzer mit ein. Die Tänzergruppe, mit Waffen für kriegerische Motive und mit Federn und Flöten für friedliche Stoffe ausgestattet, hielt sich eng an Dichtung und Musik, indem sie die Schriftsymbole des Textes nachbildete. 58

The Shoo King, a. a. O., 46.

136

Die Tang-Dynastie (618—907 u. Z.), die großes Interesse an der Pflege der Künste zeigte, scheint die Hoforchester zur höchsten Entfaltung gebracht zu haben. Sechs von ihnen spielten .stehend' und acht .sitzend'. Insgesamt zählten sie fünf- bis siebenhundert Mitglieder. Verschiedene graphische Grundrisse verdeutlichen die Aufstellung einiger dieser Orchester. In einem Falle hat der Dirigent 20 Oboenspieler vor sich, dann kommen in einer zweiten Reihe 200 Mundorgelspieler, in einer dritten Reihe 40 Flöten- und 128 Lautenspieler und in einer vierten Reihe 120 Harfenspieler; 2 Klingsteinspiele stehen links und zwei Glockenspiele rechts von ihm, und hinter diesen vier Klangspielen eine nicht genannte Anzahl von Trommeln. Eine andere Darstellung zeigt, daß Chöre die linke und die rechte Seite des Orchesters von vorn nach hinten einnahmen. In einem dritten Diagramm ist das Tanzorchester mit vierundvierzig Spielern nach einem Kreis mit eingezeichnetem Quadrat angeordnet, zwanzig Ya-Trommeln bilden den Kreis, während vierundzwanzig Spieler mit Stampfrohren, Klapperrohren und Trommeln wechselweise im Viereck aufgestellt sind. Die Hofmusiker wurden von einer kaiserlichen Musikakademie, dem .Birnengarten', unterhalten. Ihre weibliche Abteilung, der .Garten des ewigen Frühlings', bildete unter der persönlichen Aufsicht des Kaisers mehrere hundert junge Damen heran. Diese Einrichtung stand auch Mädchen von außergewöhnlicher Schönheit offen, die musikalisch weniger begabt waren; sie wurden mit dem Titel von Hilfsmusikanten aufgenommen. Auf einem kürzlich aufgefundenen entzückenden Gemälde aus dem achten Jahrhundert u. Z. ist ein Teil des weiblichen HofOrchesters, das vor dem Kaiser Ming Huang (713—756) und seiner Gemahlin musiziert, dargestellt. Das Mädchen, das die Gruppe leitet, handhabt eine Klapper. Im Hintergrund schlägt ein Mädchen eine große Trommel, die übrigen Instrumente — Harfen, Langzithern und Lauten, Querflöten, Oboen und Mundorgeln, Metallophone und Sanduhrtrommeln — werden paarweise gespielt89 (s. Abbildung 5). Außer diesen Orchestern, die alle in geschlossenen Räumen musizierten, unterhielt der kaiserliche Hof eine große Kapelle, die im Freien spielte. Sie bestand aus einer Vorhut von 890 Gong-, Zimbel-, Trommel- und Blasinstrumentenspielern, zu der außerdem achtundvierzig Sänger gehörten, und einer Nachhut von 408 Musikern in ähnlicher Verteilung, das heißt, aus nicht weniger als 1346 Mitgliedern.60 Der koreanische Hof unterhielt während der Regierungszeit des Königs Setjo (1457—1468) 572 Spieler und Chorsänger und 195 Musikschüler, und noch im Jahre 1897 besaß der Kaiser 772 Musiker81 (s. Abbildung 6).

Der chinesische Hof erfreute sich auch an der Mannigfaltigkeit, und nicht nur an der Größe seiner Orchester. Die Aristokratie besaß, wie alle Gesellschaftsschichten 59 60

Vgl. Heinz Trefzger, a. a. O., 68ff. Maurice Courant, Essai Historique sur la Musique Classique des Chinois, in : Lavignac. Encyclopédie de la Musique, Teil I, Bd. I, Paris (1913), 7 7 f f .

«

C. S. Keh, a. a. O., 17.

137

mit höherer Bildung, einen stark ausgeprägten Sinn für exotische Klangfarben und kannte den einzigartigen Reiz, den fremde Musik auf die Vorstellungskraft ausübt. Die Kaiser schätzten die von verbündeten Königen als Geschenke gesandten Sängerinnen und Musikantinnen genauso wie ehedem die ägyptischen Pharaonen. Konfuzius nahm einst, als „das Volk von Ce an Lu Musikantinnen als Geschenk sandte, die Ke Huan empfing, und drei Tage lang kein Hof gehalten wurde", 62 aus Protest seinen Abschied vom Hofe — ein Protest, der an eine Äußerung des großen jüdischen Philosophen und Arztes Maimonides (1135—1204) erinnert, daß weltliche Musik nicht geduldet werden sollte und auf gar keinen Fall dann, wenn sie von einer Sängerin ausgeübt wird. 63 Dieses Vergnügen an fremder Musik war besonders in Zeiten der Ausdehnung des Reiches mit imperialistischem Stolz verbrämt. Wann immer ein Land erobert worden war, wurden einheimische Musiker an den chinesischen Hof entsandt, um dort ein nationales Orchester zu bilden — nicht nur gelegentlich oder als vereinzelt dastehende Tributleistung, sondern als eine ständige Einrichtung neben anderen, die bereits bestanden, wie wenn das Wappen eines eroberten Landes dem Wappenschild des Siegers einverleibt wurde. Von den sogenannten Sieben Orchestern, die im Jahre 581 u. Z. unterhalten wurden, kam eines aus Kaoli, einem tungusischen Landstrich, ein anderes aus Indien, ein drittes aus Buchara, ein viertes aus Kutscha in Ostturkestan mit zwanzig Spielern meist westlicher Instrumente, das schon im Jahre 384 u. Z. gegründet worden war und sich so großer Beliebtheit erfreute, daß der Kaiser es verbieten wollte. Zu ihnen gesellten sich einzelne Musiker aus Kambodscha, Japan, Silla, Samarkand, Päktsche, Kaschgar und Turkestan. Die .Gelehrten', puristische Verfechter der ,alten' Musik, protestierten vergeblich. Die Zahl der Hoforchester war im siebenten Jahrhundert auf neun angewachsen, einige kambodschanische Musiker jedoch, die im Jahre 605 verpflichtet worden waren, wurden wieder zurückgeschickt, da ihre Instrumente zu primitiv waren. Im Jahre 801 oder 802 stellte der Kaiser fünfunddreißig burmesische Musiker ein, und zwischen 1000 und dem Ende der Monarchie wurden zu den bereits bestehenden zwei weitere mongolische Orchester, ein Ghurka-Orchester, ein annamesisches, ein tibetanisches und ein islamisches Orchester hinzugefügt. Japan war nicht weniger aufnahmebereit als China. Im Jahre 809 gehörten achtundzwanzig Lehrer fremder Musikstile, Kambodschaner, Chinesen, Sillaner und andere, zur kaiserlichen Musikakademie. 64

Die Orchester, die heute in China, Korea und Japan (ausgenommen das Hoforchester des Mikado) nahezu ausgestorben sind, haben sich im Südosten Asiens, 62 63

84

The Original Chinese Texts of the Confucian Analecta, a. a. O., 237. Vgl. Eric Werner und Isaiah Sonne, The Philosophy and Theory of Music in JudaeoArabic Literature, a. a. O., 281. Vgl. Paul Demieville, La Musique came au Japon, a. a. O., 199—226.

138

besonders auf Java und Bali erhalten und bilden dort den Mittelpunkt der musikalischen Praxis. Auf den malaischen Inseln nennt man sie gewöhnlich gamelan, von gamel - .handhaben'. Ein Gamelan unterscheidet sich völlig von einem modernen Orchester. Westliche Orchester sind Körperschaften von Musikern, die zu fast allen Gelegenheiten musizieren, die sich die neuesten Modelle von Instrumenten anschaffen und sie brauchen, wenn es ausdrücklich vorgeschrieben wird, beziehungsweise sie sogar innerhalb desselben Werkes wechseln. Dagegen stellen malaiische Orchester Gruppen von Instrumenten dar, die meist aus alten Zeiten ererbt und Spielern wie Komponisten vorgeschrieben sind. So wie sie zusammengesetzt sind, bilden sie unveränderliche Einheiten von einem derart persönlichen Charakter, daß sie individuelle Namen mit der Anrede kjah i - .Herr' haben. Die meisten Höfe besitzen eine ganze Anzahl von ihnen; dem Sultan von Soesoehoenan gehören mindestens neunundzwanzig vollständige Gamelan-Orchester, von denen jedem einzelnen besondere Aufgaben zugewiesen sind. Große Gamelan-Orchester bestehen aus drei verschiedenen Größen von Metallophonen, deren Platten auf einem Resonanzkasten angebracht sind, aus drei Größen von Metallophonen mit aufgehängten Platten, wobei die verschiedenen Größen im Oktavabstand gestimmt sind, aus drei entsprechenden Größen von Gongspielen, zwei Größen von Xylophonen, bis zu zwanzig kleinen und großen Gongs, zwei handgeschlagenen Trommeln, einer Flöte und einer Fiedel. In dem glitzernden Getön dieses fremdartigen Orchesters sind, wie ich in meiner History of Musical Instruments bereits ausführte, die einfache und feierliche Melodie der Bässe, ihre freie Umspielung und geschwätzige Auszierung durch die kleineren Klangspiele und die Interpunktion der Gongs, von denen die kleineren das Ende von Abschnitten markieren, während die kraftvollen Bässe der großen Gongs die Hauptteile beschließen, deutlich zu unterscheiden. Die zwei Trommeln bestimmen das wechselnde Tempo.

Kambodscha, Siam und Burma, die Länder zwischen dem indonesischen Archipel und China, vervollständigen das Verbreitungsgebiet orchestraler Musik, das sich von dem weiten Gebiet des Mittleren und Nahen Ostens abhebt, wo die Kammermusik vorherrscht. Die Siamesen begleiten ihre Theateraufführungen durch Orchester, die im allgemeinen aus zwei Flöten, zwei Gongspielen, zwei Metallophonen, zwei Xylophonen, einem Einzelgong und drei großen Trommeln bestehen. Die strenge Verdopplung der melodieführenden Instrumente gegenüber drei Trommeln erinnert an das eben erwähnte chinesische Frauenorchester der Tang-Zeit. Andererseits verbinden die vorherrschenden metallischen Klangfarben das siamesische Orchester mit dem malaiischen Gamelan. Der relativ große Anteil von Trommeln weist jedoch auf die Nachbarschaft Indiens hin. Noch weiter entfernt von javanischen Idealen ist das Frauenorchester Kambodschas, in dem die drei malaiischen Sätze an Idiophonen, das Xylophon, das Metallophon und das Gongspiel, mit Saiteninstrumenten verbunden sind: 139

einer großen Zither, einer chinesischen Laute und einer arabisch-persischen Fiedel.66 Burma verwendet seine Orchester hauptsächlich zur Begleitung seiner Schattenspiele, der pwe. Diese Orchester sind klein; sie bestehen aus zwei Paar Klappern, zwei Paar Zimbeln, einem Gongspiel, das in einem kreisförmigen Gestell rund um den hockenden Spieler aufgebaut ist, einem ähnlichen Trommelspiel, einer großen, an einem Galgen aufgehängten Trommel und zwei Oboen, die mit solcher Kraft und Ausdauer gespielt werden, daß sich meistens ein Assistent bereithält, um den zusammenbrechenden Spieler zu stützen (s. Abbildung 7). Diese durchdringenden Oboen, die statt der hell klingenden Gongspiele Javas und Balis die Melodieführung übernehmen, sind bestimmt indischer Herkunft. Aber noch deutlicher indische Züge trägt das beispiellose Trommelspiel, das normalerweise aus vierundzwanzig sorgsam abgestimmten Trommeln besteht, die innen an den Wänden eines kreisförmigen Gestells aufgehängt sind. Der in der Mitte hockende Spieler schlägt sie mit bloßen Händen und bringt mit erstaunlicher Technik und Feinfühligkeit schnelle, tokkataähnliche Melodien hervor.66 Und so wenden wir uns denn dem eigentlichen Indien zu. 65

66

Illustrationen in: Curt Sachs, Die Musikinstrumente Indiens und Indonesiens, 2. Auflage Berlin 1923, 9. Illustrationen in: Curt Sachs, Die Musikinstrumente Birmas und Assams, München 1917, Tafel 2; ders., Die Musikinstrumente Indiens und Indonesiens, a . a . O . , 4 und 5.

1

Der vedische Gesang Der Veda umfaßt die Gesamtheit der (vorbuddhistischen) religiösen Weisheit Indiens, die in vier Büchern zusammengetragen ist: dem Rig-Veda (Veda der Verse), dem Säma-Veda (Veda der Melodien) sowie zwei weiteren, dem JadschurVeda und dem Atharwa-Veda. Der Rig-Veda stellt den ältesten Teil dar. Obgleich die Angaben über seinen Ursprung und seine Entstehungszeit nicht völlig gesichert sind, nehmen moderne Spezialisten an, daß seine älteren Teile bereits zwischen Zweitausend und Eintausend v. u. Z. bestanden, als die vom Nordwesten kommenden Arier in Indien einzufallen und es zu erobern begannen. Das vedische Ritual gipfelte in dem feierlichen Soma-Trankopfer, bei dem vier Priester mitwirkten, von denen jeder aus einem der vedischen Bücher rezitierte: der Hohepriester, der die Zeremonie mit Versen aus dem Atharwa-Veda anführte, der Adhvaryu, der Beschwörungsformeln aus dem Jadschur-Veda murmelte, der Udgätar, der aus dem Säma-Veda sang, und der Hotar, der Teile aus dem RigVeda in einem Stil vortrug, der ebensogut rezitierend wie psalmodierend genannt werden könnte. Die frühe Rezitation verwendete wahrscheinlich nur zwei Töne. Der Grammatiker Pänini, der im vierten Jahrhundert v. u. Z. lebte, schrieb unmißverständlich: „ E i n auf hohem Ton gesprochener Vokal wird udätta genannt; wird er auf tiefem Ton gesprochen, heißt er anudätta; die Verbindung beider heißt svarita." Das ist zwar eine phonetische Feststellung, aber sie trifft ebensogut auf die Rezitation wie auf die Kantillation zu, da der Rig-Veda mit den graphischen Symbolen derselben drei Bezeichnungen versehen ist. Das alte Sanskrit besaß tatsächlich drei melodische (nicht dynamische) Akzente, die die Griechen und Römer als oxys oder acutus, barys oder gravis und penspömenos oder circumflexus unterschieden. Der svarita war jedoch in seiner Bedeutung genau so unbestimmt wie der Zirkumflex. Entgegen Päninis Feststellung, zumindest nach seiner Zeit, wurde der svarita, statt eine Kombination des udätta und des anudätta darzustellen, zu einem Vorschlag, der von einem höheren Ganz- oder Halbton zum udätta fiel, so daß die spätere Form des vedischen Gesangs eine Dreitonmelodie mit der Betonung auf udätta war. Gelegentlich wurde dem hohen Ton eine Silbe zugeordnet, ohne daß er durch eine Ligatur mit dem mittleren Ton verbunden war. Aber selbst in solchen Fällen folgte auf ihn beständig der mittlere, niemals aber der tiefere Ton.

Der Säma-Stil ignoriert den Rhythmus. Lange und kurze Töne folgen dem natürlichen Metrum der Worte, und der letzte Ton vor einer Atempause wird seltsamer143

weise akzentuiert. Heutige Säma-Sänger aus dem Süden unterscheiden sechzehn Zeitwerte, die von einer bis zu sechzehn Einheiten gleichmäßig zunehmen. Die kürzeste Einheit, anudruta, soll in ihrer Länge „vier Augenblicken, zweiunddreißig Momenten oder 16384 Atomen" entsprechen. Melodisch gibt es zwei vollständig verschiedene Säma-Typen. Der archaische Typ beschränkt sich auf die drei Töne des Rig-Veda mit dem Schwerpunkt auf dem mittleren Ton. Beispiel 56: Indische Kantillation, archaischer Stil (nach Felber)

£

J=94-

3

gliss.p > +

>

m 3

>

H

Der jüngere Typ, der schon um 400 v. u. Z. belegt ist, soll nach Angabe einiger Gelehrter eine Angleichung an bereits vorher existierende Melodien darstellen, was oft durch Einfügung bedeutungsloser Silben geschah. Er besitzt den Umfang einer Sexte, obwohl theoretisch sieben Töne zur Verfügung standen. Beispiel 57: Indische Kantillation, späterer Stil (nach Felber)

J = 87

Aber der erste und höchste Ton wurde selten, wenn überhaupt, verwendet; denn nach den Worten des Buches Sämavidhänabrähmana „leben die Götter auf dem höchsten Ton des Säma, die Menschen auf dem ersten der folgenden." Daher sprachen die Hindus von einem plus sechs, nicht von sieben Tönen und teilten die Zahl eins entweder dem Ton zu, der eigentlich der zweite war oder aber beiden, nämlich dem ersten und dem zweiten Ton. Sie nannten den Ton der Götter krushta und gaben den verbleibenden Tönen in absteigender Reihenfolge die Namen frathama - .erster', dvitiya - .zweiter', trtlya - .dritter', öaturtha - .vierter', mandra .fünfter' und atisvärya - .sechster' oder ähnliche Bezeichnungen. Wenn sie, um diese Töne schriftlich zu fixieren, Zahlen verwendeten, ordneten sie sie in der Reihenfolge 1 1 2 3 4 5 6 oder 1 1 1 2 3 4 5 6 , ohne die 7 einzubeziehen, obwohl sie diese gelegentlich gebrauchten, um eine besondere Art Ligatur zu bezeichnen. A. C. Burneil, der Herausgeber des vierten Buches des Säma-Veda,2 beschreibt diese Yama-Skala als (absteigend) F E D C H A G. Aber trotz mancherlei Diskussion ist noch nicht ermittelt worden, ob eine absolute Tonhöhe und eine feststehende Skala für die alten Riten erforderlich war. Phonographisch aufgenom2

A. C. Burnell, The Ärsheyabrähmana,

144

Mangalore 1876.

mene Säma-Gesänge unterscheiden sich sowohl von Burneils Angaben als auch untereinander. Aber es gibt zu wenig Beispiele, um genügende Klarheit zu schaffen.3 Die beiden Säwa-Stile heben sich beträchtlich voneinander ab. Die Dreitonmelodien des archaischen Stils sind freizügiger. Sie variieren kurze Motive, ohne in regelmäßigen Takten abzulaufen oder strengere Symmetrieregeln zu befolgen; auch entsprechen sie nicht immer den Textsilben. Die meisten Intervalle werden durch eine Art Glissando überbrückt. Die Sechstonmelodien des jüngeren Typs beruhen meist auf mehreren Motiven, gleichmäßigen Metren und regelmäßiger Gliederung. Sie halten sich auch viel enger an die Silben des Textes und vermeiden kontinuierliches Gleiten. Der Unterschied deutet eine interessante chronologische Entwicklung des Singens an. Beim Übergang von der Rezitation zum Gesang trat zunächst ein sprechähnliches Glissando von Ton zu Ton auf, ehe die einzelnen Tonhöhen streng voneinander getrennt wurden. In ähnlicher Weise büßten Metrum und Gliederung ihren .natürlichen' Charakter ein, wurden vereinfacht und genormt. Das einzige Problem wirft der zunehmend syllabische Charakter der Melodien auf. Aber es dürfte klar sein, daß die Teilung nach Silben eine spätere analytische Abstraktion darstellte, der die Vorstellung von ungeteilten Sätzen voranging.

Nie ist eine willkürliche Veränderung des Textes oder seiner Darstellung zugelassen worden aus Furcht, daß die magische Kraft des Veda dadurch geschwächt werden könnte. Der Stil, in dem man ihn heute singt, wird trotz gewisser Verfallserscheinungen und all der lokal und zeitlich bedingten Veränderungen, denen sich im Verlauf von viertausend Jahren nichts Menschliches entziehen kann, im großen und ganzen authentisch sein. Ohne gewisse Hilfsmittel zur Unterstützung der mündlichen Überlieferung hätte sich der vedische Stil nicht so relativ unverfälscht erhalten. Eins dieser Hilfsmittel bestand darin, den Kopf in dem oberen, dem mittleren und dem unteren Ton zugeordneten Bewegungen zu heben, geradezuhalten oder zu senken. Als der ursprüngliche Umfang von zwei oder drei Tönen erweitert wurde, gaben die Säma-Sänger die metaphorischen Reflexbewegungen auf und gingen zum Zählen der Töne der Veda-Skala über, die sie dementsprechend durch Ordnungszahlen bezeichneten: den ersten, den zweiten usw. Da in der Alten Welt das Zählen durchweg durch Berühren der Finger unterstützt worden ist, erfanden die Hindus mehrere Methoden des Fingerzählens, darunter eine, die im mittelalterlichen Europa unter dem Beinamen „Guidos Hand" in Gebrauch war. Mit dem rechten Zeigefinger berührten sie eine bestimmte Stelle der linken Hand, die dem zu singenden Ton zugewiesen war. Es gab fünf solcher Stellen: Der kleine Finger bedeutete den tiefsten Ton, das untere Ende des Zeigefingers 3

Erwin Felber und Bernhard Geiger, Die indische Musik der vedischen und der klassischen Zeit, in: Sitzungsbericht der Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien, Phil.-Hist. Klasse, 170. Bd., 7. Abhandlung, Wien 1925.

10

Sachs, Musik

145

den nächstfolgenden, dann kam der Ringfinger und schließlich wieder der Zeigefinger für den vierten und fünften Ton. Diese Angaben können nicht ohne Einwände hingenommen werden; denn erstens gehören die bezeichneten Töne der Leiter der gewöhnlichen Musik und nicht der vedischen Kantillation an, und zweitens erhebt sich die Frage, warum der Mittelfinger ausgelassen wird, während der kleine und der Zeigefinger doppelt verwendet werden. Als Notation im engeren Sinn werden in Nordindien, wie wir sahen, Zahlensymbole und im Süden Silben verwendet, die dem gewöhnlichen Alphabet entnommen wurden: ka, ki, ko, ku, kai, kau und viele andere Konsonant-Vokal-Kombinationen. Nur wenige dieser Silben bezeichnen Einzeltöne: ta bedeutet den vierten Ton der absteigenden Skala, na verlangt eine Ligatur des ersten und des zweiten Tons und eine Dehnung auf einem von beiden, cho kennzeichnet die Aufeinanderfolge des zweiten, dritten und vierten Tons, ke steht für eine Gruppe von nicht weniger als sieben Tönen. Es sind insgesamt zweihundertsiebenundneunzig solche einsilbigen Bezeichnungen bekannt. Wieder ist hier eine Silbenschrift, die dem gebräuchlichen Alphabet entstammt, mit religiösen Texten gekoppelt, wieder steht sie für heilige, unverletzliche Melodien, und wieder bezeichnet sie stereotype Tongruppen. Der einzige Unterschied betrifft ihren Platz in den Manuskripten. Sie werden hier direkt innerhalb des Textes rechts hinter die erste Silbe einer Zeile und auch, was aber selten ist, in die Zeilenmitte gesetzt. Beide Positionen kommen am Anfang des ersten säman anschaulich zur Geltung (TA, CHO und NA sind musikalische Symbole): o a

TA gna i CHO ya hi NA

vi

ito

i

Neben dieser Form, die von C. A. Burneil entdeckt und untersucht worden ist,4 konnte Richard Simon eine andere ermitteln,5 bei der jedem fiarvan des Textes die Melodie folgte, zum Beispiel: barhä-isä auhovä TA K H Ä SI RI Burnell bezeichnet die südindische Buchstabennotation als „die älteste'', das heißt, daß sie älter als die für denselben Zweck in Nordindien verwendeten Zahlen ist. Seinen philologischen Gründen könnte man die allgemeine Tatsache hinzufügen, daß Südindien die älteren Traditionsformen getreuer bewahrt hat als der Norden, der immer wieder im großen Maße fremder Eroberung und Einwanderung ausgesetzt war. Die mögliche Beziehung dieser Schrift zu äthiopischen und babylonischen Notationen war Gegenstand eines Referates, das der Autor 1939 auf eine Sitzung des von der Amerikanischen Musikwissenschaftlichen Gesellschaft in New York veranstalteten Internationalen Kongresses hielt.4 4 5

6

a. a. O., Einführung. Richard Simon, Die Notation der vedischen Liederbücher, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes X X V I I , Wien 1913, 346. Curt Sachs, The Mystery of the Babylonian Notation, a. a. O.

146

2 Zeugnisse aus bildender Kunst und Literatur

Bildzeugnisse zur frühesten indischen Musik sind selten. Die älteste Stufe der indischen Kultur, die sogenannte Induskultur des dritten Jahrtausends v. u. Z., scheint lediglich eine musikalische Spur hinterlassen zu haben: Ein häufig verwendetes Ideogramm seiner rätselhaften Schrift stellt offensichtlich eine vertikale Bogenharfe des Typus dar, der im frühen Altertum zwischen Nil und Ganges verbreitet war. Nach einem in Dunkel gehüllten Zeitraum von zweitausend Jahren werden die Informationen sicherer und ausführlicher. Unter dem Einfluß griechischer Kunst fangen indische Bildhauer in Nord- und Zentralindien an, Reliefs, von denen viele musikalische Szenen darstellen, in die Wände von Tempeln und Grabmälern einzumeißeln. Diese wichtigen Quellen sind in einer hervorragenden französischen Veröffentlichung zugänglich gemacht worden7 (s. Abbildung 8 und 9). Bildzeugnisse sagen jedoch wenig über den musikalischen Stil im alten Indien aus. Indessen beweisen sie zwei Tatsachen: erstens die wichtige Rolle handgeschlagener Trommeln, was für Indien bis auf den heutigen Tag charakteristisch geblieben ist und auf eine starke Abhängigkeit von motorischen Impulsen und vom Rhythmus hindeutet; zweitens, daß das einzige Saiteninstrument die Bogenharfe war. Infolgedessen muß die klassische Vinä, die in Dichtung und Musiktheorie so häufig erwähnt wird, im Altertum eine Harfe gewesen sein, ehe der Name gegen Ende des ersten Jahrtausends u. Z. auf die heutige Röhrenzither und achtzehn andere Instrumente8 übertragen wurde. Der in verschiedenen alten Quellen erwähnte Resonanzkasten aus Leder bestätigt diese Feststellung. Die typische Mädchengruppe, die Tänzer mit Harfen und Trommeln begleitet, bestimmte zunächst ausschließlich das Bild, bis dann im ersten Jahrhundert u. Z. die indoskythischen Höfe im Nordwesten männliche Musiker mit Lauten, Leiern und Doppeloboen zu halten begannen. Die beiden letzteren Instrumentenarten verschwanden aber nur zu bald wieder, da der griechische Einfluß auf die Musik gering blieb oder sich gar nicht auswirkte; die Laute jedoch wurde aufgenommen. Zimbeln erschienen zwischen dem vierten und sechsten Jahrhundert, und die Vinä trat in der älteren ihrer beiden heutigen Ausführungen erst im siebenten Jahrhundert auf. Les Instruments de Musique de l'Inde Ancienne, Paris Sangita-makaranda, Ausgabe Telang, Baroda 1920.

' Claudie Marcel-Dubois, 8

Vgl. Närada,

10*

1941.

147

Literarische Zeugnisse sind glücklicherweise reichlicher vorhanden als in den meisten Ländern. Poetische Werke wie das große Nationalepos Rämäyana9 beschreiben Indiens Musikleben zur Zeit Piatos, ohne technische Einzelheiten zu übergehen. Auch alte Wörterbücher geben mancherlei Aufklärung. Vor allem aber gibt es in Prosa und in Versen verfaßte Spezialabhandlungen über Musik, die zwar nicht immer leicht verständlich und auch nicht frei von späteren Hinzufügungen, aber sehr ausführlich und im großen ganzen recht brauchbar sind. Leider ist ihr Alter ziemlich ungewiß, und es gab häufig Fehldatierungen. „Der Ozean der Musik" (Sangita Ratnäkara), ein Buch von Särngadeva, der als größte Autorität der indischen Musik gilt und noch heute in den Herzen indischer Musiker Verehrung weckt, wurde vor nicht langer Zeit auf ungefähr 200 u. Z. datiert und „als das älteste zuverlässige und heute noch greifbare Werk über Musik betrachtet." 10 Heute wissen wir, daß Särngadeva im dreizehnten Jahrhundert, also nicht weniger als tausend Jahre später lebte. Die tatsächlich älteste und zweifellos wichtigste Abhandlung über alte Musik sind die Kapitel 28—34 Bharatas einzigartigem Buch über die Theaterkunst Indiens, dem Nätya-sästra, von dem bisher nur das achtundzwanzigste Kapitel übersetzt worden ist.1^ Diese vorzügliche Quelle gewänne für uns einen noch größeren Wert, wenn wir annähernd ihre Entstehungszeit wüßten. Die meisten Kritiker setzen übereinstimmend dafür die ersten Jahrhunderte u. Z. an. Eine kürzlich veröffentlichte Bibliographie legt die Entstehungszeit jedoch hypothetisch ins vierte oder gar fünfte Jahrhundert v. u. Z. 12 Aber zu welcher Zeit auch immer Bharata dieses Werk verfaßt haben mag, sein Buch bezeugt, daß es im alten Indien ein wohlbegründetes Musiksystem mit einer sorgfältig ausgearbeiteten Theorie der Intervalle, der Konsonanzen, der Modi, sowie von melodischen und rhythmischen Modellen gegeben hat. 9

P . C . Dharma, Musical

Culture in the Rämäyana, in: Indian Culture IV,

1937,

447-45310

C. R. Day, The Music and, Musical Instruments of Southern India and the Deccan, London 1891, 13.

11

Sanskrit-Text,

französische

Übersetzung

und

Kommentare:

Joanny

Grosset,

Contribution a l'étude de la musique hindoue, in: Bibliothèque de la Faculté des Lettres de Lyon, Paris 1888, Bd. 6. Englische Übersetzung (unvollständig) : E. Clements, Introduction to the Study of Indian Music, London 1913, 4 9 — 5 1 . SanskritText, deutsche Übersetzung und Kommentare (unvollständig) : Bernhard Breioer, Die Grundelemente der altindischen Musik, Diss. Bonn 1922. 12

M. S. Ramaswami Aiyar, Bibliography of Indian Music, in: Journal of the R o y a l Asiatic Society of Great Britain and Ireland, 1941, 237.

3 Skalen Indiens Skalen sind zahllos. Doch hat es eine Art Standardskala gegeben, auf die schon die allerfrühesten Quellen, das Rikprätisakhya und das Rämäyana-Epos (beide um 400 v. u. Z.) eingehen: shadja, rsabha, gändhära, madhyamä (,der mittlere'), panchama (,der fünfte'), dha.iva.ta und nisäda, gewöhnlich abgekürzt zu sa ri ga ma fia dha ni. Die sieben Namen bezeichnen in erster Linie Stufen, nicht Töne. Diese ungewöhnliche Auffassung hat möglicherweise die gleiche Ursache, die Herr Coomaraswamy für das von Sängern und Instrumentalisten so häufig verwendete Portamento angibt : In Indien gilt das Intervall mehr als der Ton. 13 Es ergab sich unvermeidlich, daß die Namen der Schritte aushilfsweise auch auf die Töne, die sie begrenzten, übertragen wurden. Ein Schritt besitzt aber zwei Grenztöne, und so steht die Frage, welchen man damit belegen soll. Im heutigen Indien entschied man sich für den tieferen Ton : sa bezeichnet den Ton C mit dem Ganzton darüber (C—D). Im Altertum dagegen war es umgekehrt: sa bedeutete den Ton D mit dem Ganzton darunter. Dieser Gegensatz erklärt sich wahrscheinlich aus dem Widerspruch zwischen absteigenden Vokal- und aufsteigenden Instrumentalskalen. Anstelle speziell entwickelter Notationszeichen verwenden indische Musiker genauso wie die Chinesen zur Aufzeichnung ihrer Musik die musikalischen Silben selbst, was besonders einfach ist, da die von der Sanskritschrift Nägari abgeleiteten Alphabete nicht einzelne Konsonanten, sondern fertige Silbensymbole enthalten. Entsprechend der in der Heimat des Musikers verbreiteten Schrift unterscheidet sich zwangsläufig auch die Notation. Die von ihm verwendeten Symbole können der Hindustani-, der Bengali-, der Telugu-, der Malayalam- oder irgendeiner anderen Schrift angehören, die in dem betreffenden Gebiet bevorzugt wird. Die alten Tamilen dagegen benutzten anstelle von Silben ihre sieben langen Vokale 14 , was genau ägyptischen und griechischen Anrufungen entsprach.16 Zeichen für Zeitwerte, die früher in Verbindung mit den Notensymbolen verwendet wurden, sind als zu kompliziert aufgegeben worden. Heute können die 13 14

15

Ananda Coomaraswamy, Indian Music, in: The Musical Quarterly III, 1917, 167. N. Chengalavarayan, Music and Musical Instruments of the Ancient Tamils, in: Quarterly Journal of the Mythic Society, New Sériés X X V I , 1935, 80. Franz Dornseiff, Das Alphabet in Mystik und Magie, Berlin 1925. C. E. Ruelle, Le Chant Gnostico-magique des Sept Voyelles Grecques, in: Congrès International d'Histoire de la Musique (Paris 1900), Documents, Mémoires et Voeux Solesmes 1901, 15«.

149

ursprünglichen Symbole zwar zur Kennzeichnung längerer oder kürzerer Töne abgeändert werden, aber sie geben keine genauen Zeitwerte an. Die musikalische Interpunktion wird durch spezielle Zeichen bei Wiederholung und am Ende einer Periode angegeben.

Die alte Struktur dieser Skala war überraschend. Alle Stufen waren nochmals unterteilt, und zwar die Halbtonschritte in zwei und die Ganztonschritte entweder in drei oder vier Elemente, so daß sich insgesamt zweiundzwanzig Elemente oder srutis ergaben: D E F G A H C D 3 2 4 4 3 2 4 1 1 1 1

9

1

4 22

9

1

Es ist viel über das rätselhafte Problem nachgedacht worden, warum und wie die Hindus zu einer Unterteilung in zweiundzwanzig Teile kamen. Vierundzwanzig Vierteltöne wären verständlich gewesen, aber zweiundzwanzig Teile? Wer eine solche Frage stellt, ist durch die heutige Vorstellung gleichschwebender Temperatur voreingenommen.16 Tatsächlich waren die srutis nicht etwa Einheitswerte, sondern sie hatten im Gegenteil, da die Eigenart indischer Skalen dies erforderte, dreierlei verschiedene Größen. Die beiden wesentlichen Kennzeichen dieser Skalen sind Aufbau und Transposition. Indiens Standardskalen beruhten auf dem Teilungsprinzip; sie verwendeten große Ganztöne von 204, kleine Ganztöne von 182 und Halbtöne von 112 Cents. Diese Bestandteile traten je nach dem geforderten Modus in verschiedenen Anordnungen auf, und die modalen Skalen konnten auf jede beliebige Tonhöhe transponiert werden. Die ständige Umstellung der Oktave erforderte Erleichterungen beim Umwandeln von Halbtönen oder großen Ganztönen in kleine Ganztöne, beim Zufügen oder Abtrennen von entsprechenden Teilen. Alle Permutationen bei diesen ,Plus-und-Minus-Operationen' waren mit nur drei Elementen ausführbar: a) zweiundzwanzig Cents oder einem ,Komma', der Differenz zwischen dem großen und dem kleinen Ganzton (204—182 Cents), b) siebzig Cents, der Differenz zwischen dem kleinen Ganzton und dem Halbton und c) neunzig Cents, der Differenz zwischen dem Halbton und dem Komma. Folglich ergaben sich für den großen Ganzton: 90 + 22 + 70 + 22 = 204 C.,

16

den kleinen Ganzton: 90 + 22 + 70

= 182 C.,

den Halbton:

= 112 C.

90+22

Vgl. E. M. von Hornbostel und R. Lachmann, Das indische Tonsystem bei Bharata und sein Ursprung, in: Zeitschrift für Vergleichende Musikwissenschaft I, 1933, 73-91-

150

Die ,Plus-und-Minus-Operation' zeigt außerdem die genaue Reihenfolge der zweiundzwanzig srutis an: D

E F G A H C D 112 70 22 90 22 70 22 90 22 90 70 22 90 22 70 22 90 22 70 112

Die erste und die letzte Stufe von je 112 Cents, die kleinste Stufe, mit der jede Modalleiter anfängt und aufhört, wird bei dieser Operation nicht zerlegt.

Zwei Hauptskalen oder grämas kommen in Bharatas Abhandlung vor: Sagräma und Ma-gräma. Und sogleich beginnen die Schwierigkeiten. Bharata definiert nämlich zuerst (in sloka 25) Sa-gräma als eine Skala von 3244324 srutis, später jedoch (in den folgenden slokas 26—29) beschreibt er sie als Folge von 432 4 432. Er hat die Reihe um eine Stelle nach links verschoben, ohne den Widerspruch zu erklären. Wahrscheinlich aber hat er sich letzten Endes doch nicht selbst widerprochen; denn wenn irgendeine Stelle in Bharatas viel bearbeitetem Buch nach einem späteren Zusatz aussieht, dann diese überraschende, unnötige und widersprüchliche erneute Darstellung. Die Theorie der Skalen und Modi läßt keinen Zweifel daran, daß Sa-gräma mit dem Ton sa begann und ein D-Modus war. Ma-gräma, die andere Hauptskala, unterschied sich nach Bharatas erster Definition nur durch die Verschiebung einer .Standard'-{pramäna)Sruti (von 22 Cents) von G —A nach A —H: D

E

F

Sa-gräma

3

2

Ma-gräma

3

2

G A H 4 4 3

C 2

D 4

2

4

! 4

3

4

Wie aber konnte ein so geringer Unterschied die Aufstellung der beiden grundlegenden und sogar als gegensätzlich aufgefaßten Skalen veranlassen und rechtfertigen? Sehr viele Autoren vermochten dieses schwierige Problem nicht zu lösen, und einige von ihnen haben trotz der ausführlichen Hinweise in alten Abhandlungen rundweg bestritten, daß es Ma-gräma überhaupt je gegeben habe. Diese Behauptung war freilich unfruchtbar und auch unnötig. Die wirkliche Beschaffenheit des Ma-gräma geht aus der zweiten Stelle in Bharatas Abhandlung hervor. Die Skala begann mit ma und war in 434 2 432 srutis aufgegliedert. Diese Reihe muß um eine Stelle zur Folge 342 4 324 srutis verschoben werden, um dem korrekten Sa-gräma zu entsprechen. Sa-gräma

D

E

F

3

2

4

(3

2

4)

Ma-gräma

G A 4 3

H 2

G A H 3 4 2

C 4

D C

D E F G 4 3 2 4 151

Innerhalb des Umfanges der sa-sa-Oktave würde sich der Ma-gräma allerdings nur durch diese eine sruti unterscheiden. Der tatsächliche Unterschied bestand jedoch offensichtlich in der großen Terz und der kleinen Septime. Aber das ist noch nicht die volle Wahrheit: Sa-gr&ma ist die plagale und Ma-gräma die authentische Form indischer Skalen. Der Ma-gräma soll im 16. Jahrhundert aus der Praxis verschwunden sein.17 Daß die plagale Form wirklich wichtiger war, scheint durch Särngadeva (dreizehntes Jahrhundert) bestätigt zu werden, der berichtet, daß der Sänger im dritten Teil des äläpa — der improvisierten Einleitung eines räga — mit der Tonika beginnt und nur drei Töne darüber benutzt, dann aber zu Tönen der tieferen Oktave heruntersteigt, ehe er das obere Tetrachord entwickelt. Man sollte das Problem der grämas nicht beiseitetun, ohne in Betracht zu ziehen, daß Bharatas zweite Feststellung (die ich für einen späteren Zusatz halte) das jüngere Stadium der indischen Musik widerspiegelt: Sa-gräma ist zu einem C-Modus und Ma-gräma zu einem F-Modus geworden. Diese letztgenannte Skala ist in der ältesten Quelle in Tamil, dem Tiväkaram (drittes Jahrhundert u. Z.), beschrieben.18 Die Skala, so heißt es, enthält 4 432 432 srutis. Das ist ebenfalls ein F-Modus und zwar — eine bemerkenswerte Tatsache — in der genauen Sruti-Anordnung des Sa-gräma von ma ab. Das läßt darauf schließen, daß Bharatas Text möglicherweise schon im Altertum umgearbeitet wurde. Und es könnte auch den Gedanken bestärken, daß Bharata selbst seine Abhandlung viel früher geschrieben hat.

Eine dritte Skala, Gändhära-gräma oder Ga-gräma, ist bisher ein ungelöstes Geheimnis. Sie wird in Bharatas Buch nicht erwähnt und hatte sich im dreizehnten Jahrhundert u. Z., als der große Theoretiker Sämgadeva sein Sangita Ratnäkara schrieb, bereits „in Indras Himmel zurückgezogen." Ich sage „nicht erwähnt," ohne hinzuzufügen „noch". Es ist unzulässig, aus Bharatas Schweigen zu schließen, daß der Ga-gräma erst nach seiner Zeit entstand. Zwei weitere Tatsachen warnen vor einem derart voreiligen Schluß. Erstens sprechen alte Tamilwerke gleich von vier Modi, anstatt von zwei wie Bharata, 19 und zweitens gibt es die Geschichte von Supriya. Eine der buddhistischen Legenden erzählt, daß Supriya, ein berühmter Musiker, imstande war, auf einer Saite — mit den Worten des französischen Übersetzers — „sept notes avec vingt-et-un tons et demi-tons"20 zu spielen. Ich weiß nicht genau, was sich Léon Feer unter Tönen und Halb tönen vorstellt. Der Sanskrittext deutet derartiges überhaupt nicht an; er spricht von sieben svaras und einundzwanzig mürchanas. 11 18 M 30

N. S. Ramachandran, a. a. O., 392. Herbert A. Popley, The Music of India, Calcutta (1921), 31. ebd. 34. Avad&na-Çataka, übersetzt von Léon Feer, in: Annales du Musée Guimet XVIII, 1891, 76.

152

Wie der nächste Abschnitt zeigen wird, bezeichnet dieses Wort unmißverständlich modale Ecktonversetzungen, von denen jeder gräma sieben besitzt. Infolgedessen muß in der Zeit der Hundert Legenden noch ein dritter gräma existiert haben. Leider kennen wir die Entstehungszeit dieser Legenden nicht. Aber sie wurden schon im dritten Jahrhundert u. Z. ins Chinesische übertragen, das Original mag daher ein- oder zweihundert Jahre vorher geschrieben worden sein.21 Ich verzichte darauf, den Leser mit der verwirrenden Vielfalt widerspruchsvoller Beschreibungen in der späteren Sanskritliteratur und moderner Versuche, sie zu interpretieren, bekannt zu machen. Diejenigen, die sich für die schwer feststellbare Ga-Skala interessieren, seien auf die letzte Kontroverse zwischen Fox Strangways und Ramaswami Aiyar verwiesen.22 Diese Ungewißheit wirft noch eine andere Frage auf. Wir wissen, daß zwei Grundprinzipien überall in der Welt skalenbildend wirkten: das zyklische Prinzip mit gleich großen Ganztönen von 204 und Halbtönen von 90 Cents, und das Teilungsprinzip mit großen Ganztönen von 204, kleinen Ganztönen von 182 und großen Halbtönen von 112 Cents. Bharatas System beruht auf dem Teilungsprinzip, und dieses wiederum leitet sich von gegriffenen Saiten her. Aber die frühe Periode des indischen Altertums besaß außer der Harfe mit freischwingenden Saiten kein anderes Saiteninstrument. Keine Laute, keine Zither lieferten ein Griffbrett. Indien muß das Auf-undAb-Prinzip besessen haben und es kann also nur irgendwo verborgen sein. Aber dient nicht schließlich das System der srutis gleichermaßen gut den Zwekken beider Prinzipien? Gestattet es nicht sogar einen reibungslosen Ubergang? Überträgt man in einem Tetrachord, das auf dem Teilungsprinzip beruht, eine Standard-Srwft (22 Cents) von F—E nach E—D, so erhält man die beiden großen Ganztöne und den kleinen Halbton, die das Auf-und-Ab-Prinzip verlangt: D

E 182

F 90

G 204

n ..

h . «'s

JjWbJ"l )

:

Das Skolion des Seikilos ist in £DH-Stimmung mit zwei Kreuzen notiert und besitzt den Umfang e'— e. Die dynamische niese, h wird vernachlässigt — die Melodie ist ganz klar phrygisch ohne jede Orientierung auf die dynamis.

Das zweite Berliner Fragment ist in iTD/Z-Stimmung mit zwei Kreuzen notiert und bewegt sich im Umfang von fis'—a. Tonart und Modus ist Phrygisch, die dynamische mése h tritt stärker als die thetische mése in Erscheinung.

Die Teile B, D und F der zweiten delphischen Hymne sind in .EDii-Stimmung ohne Vorzeichen notiert und besitzen den Umfang f'—e. Dynamische mese ist a, Tonart und Modus ist Dorisch. Beispiel 82 : Zweite delphische Hymne

15*

227

Der Oxyrhynchos-Papyrus ist in E D C - S t i m m u n g ohne Vorzeichen notiert und hat den Umfang /'—/. Tonart und Modus ist Hypolydisch. Man beachte die beiden verbundenen Tetrachorde und die thetische mese, die gemäß der authentischen Struktur, die Hypolydisch erfordert, auf c' anstatt auf b liegt. Beispiel 83 : Oxyrhynchos-Papyrus

frrjrf ^

f"J\*j -

rlü m

D a s erste Berhner Fragment, ein instrumentales Nachspiel, ist in EDHStimmung mit einem Kreuz notiert und hat einen U m f a n g von a' —e. Tonart und Modus ist Hypodorisch. Der A k z e n t liegt eher auf der thetischen mése a als auf der dynamischen mése e. Beispiel 84 : Erstes Berliner Fragment, Nachspiel

Diese Analysen lassen keinen Zweifel, daß Tonart und Modus lediglich zwei verschiedene Aspekte ein und desselben Phänomens darstellten. Sie offenbaren aber auch, daß die beiden Aspekte sich nicht unbedingt das Gleichgewicht hielten. Einige Melodien neigten eher zum dynamischen als zum thetischen Zentrum, bei anderen Melodien traf das Gegenteil zu. Das Vorherrschen eines Zentrums konnte tatsächlich das andere ausschließen. Die thesis wird in der ersten delphischen H y m n e völlig vernachlässigt, das Skolion des Seikilos dagegen vermeidet das dynamische Zentrum und ist rein thetisch. Die modale Struktur tritt in Melodien ausgeprägter in Erscheinung, die zum thetischen Zentrum neigen; sie ist nirgends klarer als im Skolion und nirgends fragwürdiger als in der ersten delphischen Hymne. Diese mangelnde Ausgewogenheit zwischen thesis und dynamis, zwischen Modus und Tonart schließlich gibt uns eine Antwort auf die schwierige Frage, warum so viele griechische Theoretiker sich so völlig gleichgültig zum Modus verhielten. Dieser Abschnitt muß tatsächlich mit der Feststellung wider Willen enden, daß die spätere Periode des Altertums die Modi genauso zersetzte wie das sechzehnte Jahrhundert die Kirchentöne und das zwanzigste Dur und Moll. Die Vorherrschaft der dorischen Struktur war so stark, daß, als das Vollkommene System ausgebildet 228

wurde, Skalen mit Vorzeichen eher als verschobene Normalskalen denn als Skalen, die einem abweichenden Modus angehörten, betrachtet wurden. In früheren Zeiten hatte der geringere Umfang der Leiern dieser Auffassung entgegengewirkt, später schwächte die angewachsene Saitenanzahl den Widerstand von seiten der Instrumentalmusik ab. Im zweiten Jahrhundert u. Z. ist die modale Auffassung so stark durch Tonartenbeziehungen überschattet, daß Athenaios die verspottet, „die nicht die spezifischen Unterschiede (er sagt kat' eidos — wörtlich „entsprechend der Eigenart") zu sehen fähig sind, sondern einfach auf die Höhe oder Tiefe der Töne achten und jetzt eine hypermixolydische harmonia und gleich darauf eine andere, die höher als diese ist, annehmen."26 Was Athenaios meint, ist ganz einfach folgendes: Hypermixolydisch, das ein Kreuz besaß und lediglich eine Verdopplung des Hypodorisch in der höheren Oktave darstellte, war vom Standpunkt der modalen Struktur völlig unnütz und zeugte von modaler Zersetzung. Athenaios' Zeugnis ist nicht das einzige dieser Art. Auch Ptolemäus bekämpfte Hypermixolydisch, und Plutarch berichtete, daß in Argos das Gesetz ftaramixolydiäzein (wir müssen das umständlich umschreiben — „über die mixolydische Tonart hinauszugehen") verbot. Diese Leute hatten vergessen, daß Hypermixolydisch, das scheinbar Hypodorisch verdoppelte, in Wirklichkeit ein plagaler phrygischer Modus war, während ein Hypodorisch authentisches Dorisch darstellte. Boethius' Zusammenfassung der griechischen Theorie gegen Ende des Altertums erwähnte nicht eimal mehr die Modi. 25

Deipnosophistai

XIV, 625.

8 Ethos Mit den Worten „eine harmonia sollte ein ausgeprägtes Ethos oder Pathos besitzen" (eidos ethous e fäthous), schließt Athenaios die auf Seite 229 angeführte Stelle. Der berühmte Ausdruck Ethos kennzeichnete die emotionale Kraft von Melodien entsprechend den ihnen zugrunde liegenden Skalen. Aristoteles sagt in seiner Politik VIII, 5, daß „sich die musikalischen Skalen wesentlich voneinander unterscheiden und die, die sie hören, unterschiedlich von jeder beeinflußt werden. Einige von ihnen machen die Menschen traurig und gedrückt, wie das sogenannte Mixolydisch, andere schwächen den Willen wie die weichlichen (aneimenas) harmoniai, andere wiederum rufen eine gemäßigte und gefaßte Stimmung hervor, was die besondere Wirkung des Dorischen zu sein scheint; Phrygisch reißt zu Begeisterung hin." Was verlieh eigentlich einer Skala solch emotionale Kraft? Was machte Dorisch männlich und kriegerisch, Hypodorisch majestätisch und standhaft, Mixolydisch pathetisch und klagend, Phrygisch aufregend und bacchisch, Hypophrygisch aktiv, Lydisch düster, Hypolydisch ausschweifend und wollüstig? Die rationalistischen Autoren des neunzehnten Jahrhunderts waren ratlos bei diesem Problem. Sie betrachteten Dorisch, Phrygisch und Lydisch als modale Tetrachorde und waren, wie man leicht einsieht, unfähig, irgendeine Beziehung zwischen den Emotionen eines Menschen und der Stellung eines Halbtones unter Ganztönen zu entdecken. Wäre dem Ethos nicht so große Bedeutung beigemessen worden, wie es augenscheinlich zu Piatos und Aristoteles' Zeit geschah, so hätten sie darüber gelacht, wie es manch griechischer Kritiker zu seiner Zeit getan hatte. Ein wirklicher Fortschritt wurde erzielt, als sie mehr die absoluten Tonhöhen als die modale Anordnung in Betracht zogen. Die Tonhöhe war für die Ausprägung eines Ethos zweifellos unentbehrlich. Das Pseudoaristotelische Problem X I X , 49 nennt ausdrücklich einen tiefen Ton „weich und ruhig" und einen hohen Ton „aufreizend". Den unmittelbarsten Beweis für die emotionale Kraft der Tonhöhe liefert Ptolemäus' Feststellung, daß „dieselbe Melodie in den höheren Tonarten eine aktivierende Wirkung besitzt und eine niederdrückende in den tieferen Tonarten, da ein hoher Ton die Seele strafft, während ein tiefer sie erschlaffen läßt. Daher können die in der Mittellage nahe des Dorischen gelegenen Tonarten mit ausgeglichenen und gefestigten Seelenzuständen, die höheren Tonarten nahe des Mixolydischen mit erregten und unruhigen Zuständen und die tieferen Tonarten nahe des Hypodorischen mit schlaffen und kraftlosen Stimmungen verglichen werden."26 "

Ptolemäus, Harmonia, 3. Buch V I I , 99; vgl. auch 2. Buch V I I , 58.

230

Aristides Quintiiianus spielt offensichtlich auf diese Unterschiede von tief, mittel und hoch an, wenn er in dem Kapitel über „Melodiebildung" (melopoiia) drei Arten von Melodien — hypatoid, mesoid und netoid — gegenüberstellt, die sich, wie er sagt, mit den drei tropoi oder Melodiestilen — tragisch, dithyrambisch und nomisch — decken. Dr. Schäfke, der Herausgeber und Kommentator von Aristides' Werken, hat sich sicherlich geirrt, wenn er die drei Arten mit hypo-, zentralen und hyper-Skalen vergleicht: Melodien und nicht Skalen stehen zur Debatte. Ungeachtet ihrer Skalen sind sie netoid oder mesoid oder hypatoid, wenn ihre Haupttonbereiche nahe der thetischen néte, mése oder hypdtè liegen. Unsere Analysen erhellten gebliebener Stücke machen das vollkommen klar. Von den drei Hymnen des Mesomedes, die alle mixolydisch sind, haben zwei ihren Schwerpunkt auf den Tönen zwischen c' und e'. Da e' die thetische nété darstellt, sind sie zweifellos netoid. Dagegen hat die Musen-Hymne die Betonung auf c' und a, der thetischen mése. Sie ist sicherlich mesoid, obwohl sie zu derselben Tonart und demselben Modus gehört wie die beiden anderen Hymnen. Weitere netoide Beispiele sind der hypermixolydische Päan und Bellermanns lydisches Stück. Mesoide Beispiele sind Seikilos' phrygisches Skolion und Euripides' mixolydisches Stasimon. Dagegen gibt es keine hypatoiden Melodien unter den Überresten.

Die drei Tonbereiche hoch, mittel und tief und ihre ethischen Qualitäten wurden ebenso in der islamischen Musik betont. Daher können wir sicher sein, daß die aus den Pseudoaristotelischen Problemen und aus Ptolemäus angeführten Textstellen darauf abzielten. Jedoch sind die Tonhöhenbereiche nicht die einzigen ethischen Qualitäten von orientalischen Melodiemodellen. Sie bestehen ebenso a) in den verwendeten Stufen — Vierteltönen, Halbtönen usw., b) in deren Anordnung und Aufeinanderfolge, c) darin, ob die Skala in einer mittleren Tonlage, oder um eine Quarte, Quinte oder Oktave auf- oder abwärts transponiert erscheint, d) in bestimmten melodischen Wendungen und e) im Tempo und in der Beweglichkeit. Was das letzte Merkmal betrifft, so wird der maqärn Räst immer in einem gemäßigten Tempo ohne kleine Zeitwerte oder Verzierungen ausgeführt. Der maqäm Mähür, der,,Traber' ', der praktisch dieselbe Skala wie Räst besitzt, bewegt sich viel rascher. Die rägas oder Melodiemodelle Indiens werden in ähnlicher Weise durch ihre Anfangs-, End- und Zentraltöne, durch ihre modalen Skalen und durch die ausgelassenen Töne gekennzeichnet. Das erinnert auffallend an die petteia (Brettspiele) der Griechen, einen Zweig ihrer Kompositionskunst, die lehrte, welche Töne zu vermeiden und welche zu spielen waren, wie oft jeder verwendet werden sollte, welcher der Anfangs- und welcher der Schlußton war. Und Aristides Quintiiianus, der diesen Wissenszweig erwähnt, 27 fügt hinzu: „Das unterstützt das Ethos." Hier endlich beginnen wir, festen Fuß zu fassen. Das Ethos einer Melodie hing vom Zusammenwirken einer ganzen Anzahl von Eigenschaften ab, die orientalische Musiker als charakteristische Züge ihrer maqämät und rägas bezeichnen. Nicht ein 27

a. a. O., 207. 231

einzelner Zug, weder modale Struktur noch Tonhöhe oder astrologische Zuordnung, macht das Ethos aus.28 Das Problem des griechischen Ethos ist viel komplexer, als es sich frühere Autoren vorstellten. Wir können annehmen, daß die Frage der Tonhöhe in der griechischen Musik mit ihrem ungewöhnlichen Dualismus von thésis und dynamis verwickelter gewesen ist als in orientalischer Musik. Hoch und tief in ihrer einfachsten, absoluten Bedeutung scheinen belanglos in Anbetracht der Tatsache, daß alle griechischen Skalen trotz ihres theoretischen Umfangs an beiden Enden beschnitten wurden, um mit dem günstigsten Tonhöhenbereich der Singstimmen und Instrumente übereinzustimmen. Drei der erhalten gebliebenen Stücke bewegen sich von /' bis / (der Papyrus von Oxyrhynchos, Bellermanns kurze Instrumentalmelodie und die Helios-Hymne), und dennnoch steht eins in Hypolydisch, eins in Lydisch und das dritte in Mixolydisch. Das wohl in theoretischen Skalen, nicht aber in lebendigen Melodien faßbare ,hoch' und ,tief' muß etwas anderes als Umfang bedeutet haben, wahrscheinlich etwas, das die Griechen selbst für schwer erfaßbar und beschreibbar hielten — sonst hätten sie sich viel klarer ausgedrückt. Die Lösung läßt sich sicher nicht aus unserer eigenen musikalischen Erfahrung mit Tonhöhen herleiten, sondern eher aus den zwei Merkmalen, durch die sich die modernen von den griechischen Zuordnungen der Tonarten wesentlich unterscheiden. Unsere westliche Musik besitzt a) keine bestimmte Grenzlinie zwischen hoch und tief, und b) folgen die Tonarten einander in gleichen Abständen, ohne in ein logisch aufgebautes System eingeordnet zu sein. Dagegen trennte in Griechenland die dorische mése unabänderlich hoch von tief, und in der Beziehung von thésis und dynamis verband eben dieser Ton, das unverrückbare Zentrum, ganz gleich um welche Tonart es sich handelte, die Tonordnungen in einer Weise miteinander, die ihre charakteristischen Distanzen deutlich machte. Jedoch nicht die Distanzen des Umfanges, sondern die Distanzen von der thetischen zur dynamischen mése, die den griechischen Melodien ihre musikalische und daher emotionale Spannung verlieh. Zwar streben nicht alle erhalten gebliebenen Stücke zu zwei Zentren. Der Papyrus von Oxyrhynchos besitzt kein thetisches und das Skolion des Seikilos kein dynamisches Zentrum. Dennoch ist das eher eine Bestätigung als ein Widerspruch. Die Ethoslehre gehört in die klassische Periode, sie bestand nicht in vorklassischen Zeiten und wurde in den Jahrhunderten nach der Zeitenwende verspottet. Gleicherweise wurden Tonarten als solche, das heißt die dynamis, in vorklassischer Zeit nicht beachtet, und die Modi, das heißt die thésis, verschwanden in der nachklassischen Epoche. Die beiden entgegengesetzt wirkenden Kräfte fielen chronologisch zusammen, und sie waren wahrscheinlich auch miteinander verknüpft. Das würde die Vermutung ergeben, daß das Ethos auf der Einheit von Tonart und Modus, von dynamis und thésis beruhte. Die beiden Stücke, die hier eine Ausnahme machen, vertreten Stile, in denen es diese Einheit nicht gab. Der rein dynamische Papyrus von Oxyrhynchos soll be28

Erich M. von Hornbostel, Tonart und Ethos, in: Festschrift für Johannes Wolf, Berlin 1929, 73 — 78.

232

kanntlich spät entstanden sein, und das rein thetische Skolion könnte im Geiste einer viel älteren, nicht genau zu bestimmenden Epoche geschrieben worden sein, da volkstümliche Gesänge Stile befolgen, die von gebildeteren Komponisten aufgegeben wurden. Der Papyrus von Oxyrhynchos, eine frühchristliche Hymne, war sicherlich nicht „ausschweifend und wollüstig", obwohl Tonart und Modus hypolydisch waren, und Seikilos' Skolion war eher melancholisch als „erregt und bacchisch", wie eine phrygische Melodie sein soll. Diese Stücke, die nur ein Zentrum haben, und denen daher die Spannung zwischen zwei Brennpunkten fehlt, widersprechen der Ethoslehre. Somit bestätigen sie unsere Annahme, daß das Ethos eine Qualität von Melodien mit zwei Brennpunkten ist. In welcher Weise jedoch die Spannung zwischen zwei Schwerkräften auf den griechischen Geist einwirkte, liegt außerhalb unseres Begriffsvermögens. Aber können wir überhaupt erwarten, das Wesen des Ethos in der alten griechischen Musik besser zu verstehen als wir die Definitionen begreifen, die Hindus und Araber von modernen rägas und maqämät geben? In Anbetracht der völligen Übereinstimmung des griechischen Ethos und der spezifischen Qualitäten der indischen rägas und der arabischen maqämät ist das Fehlen eines entsprechenden hellenischen Terminus ungewöhnlich und verdächtig. Aber ist es vielleicht weniger überraschend, daß die Griechen ohne Unterschied drei oder vier verschiedene Termini für die Skala verwendeten, so daß Plutarch mit einem gewissen Unwillen von „Tönen, Tropen oder Harmonien, oder wie man sie sonst nennen will," sprechen konnte? Bei alledem gibt es keine absolute Gleichbedeutung. Termini, die in einem späteren Stadium durcheinandergebracht wurden, müssen ursprünglich verschiedene Bedeutungen gehabt haben. Wenn einer der drei Termini Plutarchs in früherer Zeit die spezielle Bedeutung eines Melodiemodells im indischen und arabischen Sinne besaß, dann muß es harmonia gewesen sein, da dieses Wort, niemals aber tonos oder tropos, mit ethischen Qualitäten verbunden ist. Athenaios legt Gewicht auf das Ethos und Pathos, das eine echte harmonia besitzt, und Plutarch spricht von einer „tränenreichen" (threnodike) Harmonie. Das wirft möglicherweise Licht auf Plutarchs dunkle Beschreibung von Olympos' Komposition nömos Athenäs, in der der erste Teil arche oder anäpeira und der Hauptteil harmonia genannt wird. Für Rudolph Westphal war diese Benennung so unverständlich, daß er — wieder einmal — einen Schreibfehler annahm und in seiner Übersetzung das Wort durch unverbindliche Punkte wiedergab. Wer dagegen mit orientalischer Musik vertraut ist, den weist diese Textstelle auf das Formprinzip hin, das sich in der indischen Musik bis heute erhalten hat. Auf Seite i74ff. erläuterte ich die duale Form in der Kunstmusik, die sorgsam das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Gesetz aufrechterhielt: „Der erste {arche) Teil, äläpa, ist eine improvisierte Einleitung, in der der Sänger die wesentlichen Züge des betreffenden räga herausstellt, seine Skala, die besonders betonten Töne, die ihm eigenen Verzierungen — und zwar sowohl zum eigenen Nutzen als auch dazu, dem Zuhörer das Verständnis zu erleichtern," Das ist genau das, was anäpeira bedeutet: .Übung, Probe'. Und der dem äläpa folgende Teil wird einfach räga genannt, genau wie der der anäpeira folgende Teil einfach harmonia genannt wird. 233

9 Gesundheit und Erziehung

In einem langen Abschnitt über Musik in seiner Politik übernimmt Aristoteles die Einteilung der Melodien nach ihrem Ethos, wobei jede Klasse ihre besondere harmonia besitzt. Jedoch fügt er, indem er gegen Engherzige angeht, hinzu, daß man ihren Wert nicht von vorgefaßten Standpunkten aus beurteilen sollte; Musik sollte in Hinblick auf a) Erziehung, b) Reinigung und c) geistigen Genuß, Entspannung und Erholung untersucht werden. Etwas später stellt Aristoteles fest (Politik VIII, 1342 a), daß krankhaft erregte („verzückte") Personen, wenn sie enthusiastische Melodien vernehmen, die ihre Seele berauschen, wieder zur Besinnung gebracht werden. Hier befinden wir uns genau im Kern dessen, was die Griechen kdtharsis oder Heilen durch Reinigung nannten. Werner und Sonne bezeichnen das ganz richtig als „grundsätzlich homöopathische Behandlung."29 Andererseits suchte die allopathische Behandlung Wahnsinnige dadurch zu besänftigen, daß sie „ihren zerrütteten Seelen tief die magisch numerische und kosmische Ordnung einprägte, um sie gleichsam mit den Proportionen des Universums in Einklang zu bringen."30 Die Behandlung körperlicher Leiden wird seltener erwähnt, obwohl sie keinesfalls ungewöhnlich war. Athenaios stellt ausdrücklich fest, daß „Personen, die an Ischias litten, stets von ihren Anfällen verschont sein würden, wenn man den Aulos in der phrygischen harmonia über dem angegriffenen Teil spielte."31 Auch sollten wir nicht vergessen, daß die Päane ursprünglich Zaubergesänge gegen Krankheit und Tod darstellten.

Berauschung und Heilung durch Musik gehörten zu den zahlreichen urzeitlichen Überbleibseln im geistigen Leben Griechenlands. In der klassischen Periode der griechischen Kultur galt als ausgemacht, daß die doppelte Macht der Musik, die Seele zu beruhigen und zu erregen, auf die moralischen Eigenschaften der Nation einwirke. Sie stärkte oder schwächte den Charakter, erzeugte Gut und Böse, Ordnung und Anarchie, Ruhe und Unrast. Im siebenten Jahrhundert v. u. Z. wurde der Musiker Thaletas berufen, den spartanischen Gesetzgeber Lykurgos zu unterstützen, während eines Bürgerkrieges riet das Delphische Orakel, den Kom29

Eric Werner und Isaiah Sonne, a. a. O., 274.

30

ebd.

31

a. a. O., X I V , 624.

234

ponisten Terpander herbeizurufen, um der Stadt den Frieden wiederzugeben, und in Athen forderte Plato von den Hütern seines Idealstaates, die Republik auf Musik zu gründen. Diese Ideen waren keinesfalls griechisch. Sie bestanden bereits in China und Ägypten, ehe sie in Griechenland Eingang fanden. Aber es war ein griechischer (wenn auch anfänglich ägyptischer) Zug, sie in einem pädagogischen System zu organisieren. Für Plato war die Ausübung der Musik schlechthin Erziehung, paideia. Daher sollte musikalische Ausbildung, und zwar vokal und instrumental, obligatorisch sein. Und sie war tatsächlich im großen Maße obligatorisch. Jeder Bürger Arkadiens mußte von früher Jugend an bis zum Alter von dreißig Jahren die Musik erlernen. In spartanischen Schulen hatte die Musik den Vorrang vor der Grammatik, und noch ein Dichter wie Lukian forderte, daß die Musik als Gegenstand der Erziehung an erster Stelle stehen sollte und Arithmetik erst an zweiter. Mit der Idee, Musik für erzieherische Zwecke auszusondern, geht Plato sicherlich auf ältere Quellen zurück. Im fünften Jahrhundert v. u. Z. berichtete Herodot, daß es der ägyptischen Jugend nicht gestattet war, Musik aufs Geratewohl zu erlernen. Nur gute Musik wurde zugestanden, und es waren die Priester, die darüber entschieden, welche Musik gut war. Denselben Gedankengängen entsprechend begannen die griechischen Knaben bei den ältesten Hymnen und gelangten schließlich zur zeitgenössischen Musik. Melodien schädlicher Tonarten wurden gemieden, während denen, die besonders geeignet waren, den Charakter zu stählen, der Vorzug gegeben wurde. Aristoteles vermittelt in seiner Politik VIII, 6 in wohl klarster Form eine Vorstellung der Gedankengänge seiner Zeit: Und nun müssen wir die schon aufgeworfene Frage entscheiden, ob die Kinder selbst singen und spielen lernen sollen oder nicht. Unzweifelhaft gibt es einen durch die eigene Ausübung der Kunst bewirkten beträchtlichen Unterschied im Charakter. Für die, die selbst nicht musizieren, ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, tüchtige Richter der Leistung anderer zu sein. Auch sollten Kinder etwas zu tun haben, und die Klapper des Archytas, die die Leute ihren Kindern geben, um sie zu beschäftigen und davon abzuhalten, irgendetwas im Hause zu zerbrechen, war eine ausgezeichnete Erfindung; denn ein junges Ding kann nicht stillsitzen. Ist die Klapper ein Spielzeug, das dem kindlichen Verstände entspricht, so ist die (musikalische) Erziehung eine Art Klapper für die größeren Kinder. Wir schlußfolgern daher, daß sie Musikunterricht nicht in der Form erhalten sollen, um nur Kritiker zu werden, sondern Ausübende. Die Frage, was für verschiedene Altersgruppen angemessen ist oder nicht, kann man leicht beantworten. Auch ist es nicht schwer, den Einwand derer zu widerlegen, die behaupten, daß das Erlernen der Musik niedrig sei. Wir erwidern erstens, daß die, die Sachverständige sein sollen, auch Ausübende sein müssen, und daß sie in der Jugend anfangen sollten, sich zu üben, obgleich sie die praktische Ausübung aufgeben mögen, wenn sie älter sind; sie müssen gelernt haben, das Gute zu erkennen und sich daran zu erfreuen dank ihres in der Jugend erworbenen Wissens. Was aber zweitens den Vorwurf angeht, daß die Musik gemein mache, so ist das eine Frage (des Grades), die uns keine Schwierigkeiten bei der Entscheidung bringt, wenn wir überlegt haben, in welchem Maße sich Freie, die zur politischen Tugend erzogen sind, mit der Kunst befassen sollen, welche Melodien und welche Rhythmen sie verwenden dürfen und welche Instrumente verwendet werden sollten, wenn sie im Spielen unterwiesen werden; denn 235

auch das I n s t r u m e n t ergibt einen Unterschied. In diesen Unterscheidungen liegt die Antwort auf den Vorwurf; denn es ist wohl möglich, daß gewisse Methoden des Lehrens und Lernens von Musik nachteilige Wirkung haben. Natürlich ist es richtig, daß das Erlernen der Musik weder die spätere Berufstätigkeit behindern noch den Körper untüchtig und für die Verpflichtungen in Staats- und Militärwesen, ob das die Ausübung in der Jugend oder ihr Studium in späteren Jahren betrifft, untauglich machen darf. Das richtige Maß wird gewonnen werden, wenn die Schüler im Musikunterricht von den Künsten ferngehalten werden, die bei berufsmäßigen W e t t k ä m p f e n gebräuchlich sind, und nicht danach streben, die phantastischen Vortragskunststücke zu erreichen, die jetzt bei solchen W e t t k ä m p f e n Mode sind und sich von diesen in den Unterricht eingeschlichen haben. Mag die Jugend lernen, bis sie in der Lage ist, sich an edlen Melodien und R h y t h m e n zu erfreuen und nicht bloß an jener gemeinen Musik, an der auch jeder Sklave oder jedes Kind und sogar manche Tiere Gefallen finden.

Bemalte Vasen, besonders das prächtige Gefäß von Duris, das in Caere ausgegraben wurde und im Berliner Museum aufbewahrt wird, vermitteln eine Vorstellung vom griechischen Musikunterricht. Der Meister sitzt auf einem Stuhl, vor ihm befindet sich der Schüler und beobachtet sein Spiel. Bei einer Gesangsstunde steht der Schüler in respektvoller Haltung, während der Lehrer die Melodie auf einem Doppelaulös bläst. Beim Unterricht auf der Leier sitzt der Schüler und spielt zusammen mit dem Meister. Er liest dabei von dessen Händen in der gleichen Art ab, wie sie allen orientalischen und Volksmusikanten, die nicht nach notierter Musik lernen, geläufig ist. Vom Meister wurde erwartet, daß er in einfachem Unisono begleitete. Plato meinte, daß eine kontrapunktische Begleitung bei einem normalen Dreijahreskursus für einen Knaben im Alter von neun bis zwölf Jahren zu kompliziert sein würde. Aber — gab es überhaupt so etwas wie Kontrapunkt im alten Griechenland?

10 Kontrapunkt? D a s Problem, ob die Griechen irgendeine A r t von Kontrapunkt oder Harmonie besaßen oder nicht, ist so leidenschaftlich diskutiert worden — wenn das noch als Diskussion gelten kann — daß sich der Leser mitunter über die Heftigkeit beider Parteien wundert. Denn schließlich hat die Wissenschaft eher ein Interesse daran, die Wahrheit aufzuspüren, als irgendeine vorgefaßte Meinung durchzusetzen und die Person des Gegners in Verruf zu bringen. 32 Dennoch tappten die Opponenten im Dunkeln, da sie von den einzig vergleichbaren Tatsachen keinerlei Kenntnis hatten : von den polyphonen Formen der urtümlichen Völker und des alten Orients. Man kann diese schwierige Frage nicht beantworten, wenn einem Fugen und Dominantakkorde vorschweben. Sogar so bleiben die meisten Zeugnisse in griechischen T e x t e n unklar. Die einzige unbestreitbare Tatsache ist negativ. Die Griechen besaßen keine vokale Mehrstimmigkeit, wenn man die Oktavparallelen ausnimmt, die sich zwangsläufig aus dem Zusammenwirken hoher und tiefer Stimmen beim Chorgesang ergaben. 3 3 Anders lagen die Dinge bei begleiteten Vokalstücken und reiner Instrumentalmusik. Die Begleitung in vorklassischer Zeit war einfach, und alle Versuche, einen Beweis, daß es Harmonie während jener Periode gab, aus einer bestimmten T e x t stelle bei Aristoxenos 3 4 herauszulesen, waren erfolglos. Die einzig mögliche Schlußfolgerung ist, daß Olympos und Terpander, die legendären Erzväter der griechischen Musik, Töne in der Begleitung spielten, die sie in der Melodie ausließen (was auch für das Euripides-Fragment, Bsp. 76, gilt). Wir wissen nicht, wie eng das Instrument der Stimme folgte, aber wir wissen sicher, daß der strenge Einklang, den die meisten modernen Autoren für vorklassische Zeiten angenommen haben, außer Frage steht. Der Einklang ist weder üblich noch gar natürlich — nirgends in der urgesellschaftlichen oder orientalischen W e l t gab es eine solche Praxis. Die Rolle der Instrumente ist vielfach darauf beschränkt, den Hauptton stets genau wiederanzugeben, ein kurzes Ostinatomotiv hinzuzufügen oder aber ,hetero32

33 34

Die frühesten Monographien: Fr. Jos. Fétis, Les Grecs et les Romains ont-ils connu l'harmonie simultanée des sons? in: Mémoires de l'Académie Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique, Bd. X X X I , Bruxelles 1859; A. J. H. Vincent, Réponse à M. Fétis, Lille 1859; A. Wagener, Mémoire sur la Symphonie des Anciens, (1861). Vgl. Aristoteles, Problemata Physica X I X , 18. Plutarch, Péri mousikês, Kap. 18. 237

phon' zu spielen, das heißt, die gleiche Melodie nach dem persönlichen Gefühl und den Fähigkeiten der Spieler und entsprechend den besonderen Voraussetzungen ihrer Instrumente zu interpretieren, ohne sich „um den konsonanten oder zumindest sinnreichen Charakter der entstehenden Zusammenklänge "zu kümmern. Der Terminus Heterophonie ist von den Griechen entlehnt worden. Aber er scheint unglücklicherweise in Griechenland eine ganz andere Bedeutung gehabt zu haben. Plato verwendet ihn in seinen Gesetzen wie folgt: Ein Musiklehrer, so sagt er, der Knaben im Alter von neun bis zwölf Jahren unterrichtet, sollte mit seiner Leier einfach die Melodie, die die Leier des Schülers spielt, verdoppeln; er sollte sich besser der Heterophonie enthalten, ohne engere Intervalle durch weitere, tiefere Töne durch höhere und schnelles Tempo durch langsames zu beantworten. Einige Gelehrte, die entschieden der Vorstellung von griechischer Mehrstimmigkeit entgegentraten, scheuten sich nicht zu behaupten, daß diese Stelle, die überhaupt keinen Beweis für Mehrstimmigkeit liefere, klar für heterophone Paraphrasierung zeuge (in der Bedeutung, die die moderne Terminologie diesem Wort gibt). Ich bin davon nicht überzeugt. Wer heterophon spielt, betrachtet die beiden melodischen Linien als gleichartig, ohne sich „um den konsonanten oder zumindest sinnreichen Charakter der entstehenden Zusammenklänge" zu kümmern. Plato dagegen betont ihre Verschiedenartigkeit. Die Begleitung, an die er denkt, ist absichtlich in Intervallen, Tonhöhen, Rhythmen und Anzahl der Töne verschieden. Auch wird ausdrücklich auf verschiedenartige Intervalle, .symphonische' und ,antiphonische' (einerlei, was diese Termini auch bedeuten mögen) hingewiesen.35 Mehrere hundert Jahre später, wahrscheinlich im ersten Jahrhundert u. Z., hält das pseudoaristotelische Buch Perl kösmou noch immer an denselben Unterschieden fest: „Musik verbindet hohe und tiefe, kurze und lange Töne in verschiedenen Stimmen (phönais) miteinander, um eine Harmonie zu erreichen."™ Es wird kaum möglich sein, eine klarere Beschreibung darüber zu finden, was wir einen gemischten zweistimmigen Kontrapunkt nennen. Diese Kontrapunkte besaßen nicht immer die angemessene Durchsichtigkeit. Athenaios warnt einen Bläser: „Weshalb ihr beide, du und dieses Mädchen, mit diesem Stück fortfahren sollt . . . dort, wo ihr gemeinsam spielen wollt oder wo ihr wieder einzeln spielt, dort sollt ihr euch zunicken — keine Rätsel — um alles deutlich werden zu lassen."37

Der Autor Pseudo-Longinos erklärt etwa zur gleichen Zeit, daß die Melodie (kyrios phtongos — Hauptstimme) gewöhnlich durch die beiden .paraphonen' Intervalle, die Quinte und die Quarte, „süßer gemacht" wird.38 Das ist ein unverkennbarer Beweis für den häufigen Gebrauch nicht etwa funktioneller Akkorde im 36 36 37 38

Plato, Gesetze V I I , 812 D - E . J. Handschin, Musikalische Miszellen, in: Philologus L X X X V I (1930), 57. Deipnosophistai X I V , 618. J. Handschin, a. a. O., 52.

238

modernen Sinne, sondern konstanter Töne, genauso wie in ostasiatischer, babylonischer, ägyptischer und mittelalterlicher Musik. Pseudo-Loginos, der wahrscheinlich im ersten Jahrhundert u. Z. schrieb, ist ein verhältnismäßig später Gewährsmann. Aber wir wissen von Plutarch, daß sogar die, die er als „die Alten" bezeichnete, c' in Konsonanz mit /, das obere e' in Dissonanz mit d' wie in Konsonanz mit a sowie d' in Dissonanz mit c' und h und in Konsonanz mit a und g spielten. Eine solche elementare Harmonie muß die Regel gewesen sein; denn Plutarch berichtet, daß die Musiker, die das enharmonische Geschlecht bekämpften, dies mit der „Unvereinbarkeit von Vierteltönen mit Konsonanz" begründeten. Nur sechs Intervalle wurden symphonia (Zusammenklang) genannt: die Quarte, die Quinte und die Oktave sowie deren Oktavierungen. Jedoch wandelt sich die Terminologie. Theo von Smyrna, ein Autor aus dem zweiten Jahrhundert u. Z., nannte die Oktave und die Doppeloktave Antiphonien und die Quarte und die Quinte Paraphonien. Vielleicht ein halbes Jahrhundert später verstand Gaudentios unter Paraphonie ein Intervall, das weder konsonant noch dissonant war wie zum Beispiel der Tritonus und die große Terz,39 während Aristides Quintiiianus die Oktave als Homophonie bezeichnete. Die antike Definition von Konsonanz besaß einen bemerkenswert modernen Beigeschmack. „Wenn symphonische Töne auf Streich- oder Blasinstrumenten zugleich erklingen", meinte Gaudentios, „so bildet der tiefere Ton mit dem höheren und der höhere mit dem tieferen eine Einheit. Wir nennen sie symphonisch, da die beiden Töne zu einer Einheit verschmelzen." Bacchius fand eine noch gedrängtere Ausdrucksform für den gleichen Gedanken: Konsonanz ist die Verbindung zweier Töne, bei der keiner höher oder tiefer als der andere zu sein scheint. Boethius jedoch gab die beste Definition: Bei einer Dissonanz erwartet man, daß jeder Ton seinen eigenen Weg geht, das heißt — um Groves treffende Definition des Terminus Dissonanz anzuführen — Dissonanz ist „eine Verbindung von Tönen, die ein gewisses ruheloses Verlangen im Innern nach irgendeiner weiteren Verbindung hervorruft." Konsonanzen sind „angenehm", sagt Boethius, und das Pseudoaristotelische Problem X I X , 13 stellt fest, daß „jede beliebige Konsonanz süßer als ein Einzelton klingt." Sollen wir da glauben, daß die Griechen sie nicht verwendeten? 39

Gaudentios, Isagoge, in: Carolus Janus, Musici Scriptores Graeci, a. a. O., p. 17.

11 Akzente und Rhythmus Griechische Verse besitzen zweierlei Arten von Akzenten, die als melisch und metrisch unterschieden werden können: Melisch Metrisch

Chi-o-no-ble-pha-rou fät-er a-oüs ^ _ « ^ „ „ _

Dieser Anfangsvers der Helios-Hymne zeigt deutlich den Dualismus der A k z e n t e : die beiden A k u t e und den Zirkumflex, die von den Worten nicht zu trennen sind, und die Longen, die durch das spezifische Metrum des Verses, in dem sie sich vereinen, betont werden. Auf den ersten Blick scheint die letztgenannte Akzentform die erste aufzuheben. Tatsächlich würden sich heutige Leser beim Rezitieren des Verses nach dem poetischen Metrum richten und die natürlichen Akzente der Worte völlig außer acht lassen. Aber sie würden sich falsch verhalten. Die antike Rezitation, einerlei, ob gesungen oder gesprochen, ließ beide Akzente zu ihrem Recht kommen; das poetische Metrum gestaltet ihren Rhythmus, die Wortakzente dagegen wirkten sich auf ihre Tonhöhen aus. Die drei Akzente — A k u t , Gravis und Zirkumflex — stellten wirklich Symbole für Tonhöhenbewegungen dar, die, wie im Sanskrit und im Chinesischen, wesentliche Kennzeichen auch der alten griechischen Sprache waren. Sie dienten dazu, hohe, mittlere und tiefe sowie steigende, fallende und gleichbleibende Tonhöhe anzuzeigen. Diese Tonabwandlungen wurden berücksichtigt, wenn sie nicht mit rein melodischen Erfordernissen in Konflikt gerieten. Der A k u t wurde oft durch einen höheren Ton wiedergegeben. In den ersten Zeilen der Helios-Hymne zum Beispiel sind zwölf von sechzehn Akut-Akzenten durch aufsteigende Stufen gekennzeichnet. Ausnahmen sind leicht erklärt. In der gleichen Hymne steht die akzentuierte Silbe des Wortes agallömenos tiefer statt höher, weil der Komponist diesen Teil der Melodie an das vorhergehende ichnessi diokeis angleichen wollte. Beispiel 85: Helios-Hymne

seai-sin a-gal - 16-me-nos ko-mais 240

Im Skolion des Seikilos wird der Zirkumflex-Akzent — mit einer Ausnahme — durch die Ligatur einer fallenden Terz dargestellt, was an den svarita im vedischen Gesang erinnert. Es gibt jedoch Stücke, in denen der melische Akzent der Sprache mehr oder weniger vernachlässigt wird. Denn auch die griechische Musik kannte den ständigen Widerspruch zwischen logogenem und melogenem Stil, zwischen Melodien, die sich der natürlichen Sprache unterordneten und Melodien, die dem Text keine Beachtung schenkten. Sowie zumindest der Akut-Akzent berücksichtigt wird, ist der westliche Musiker versucht, eine Hauptzählzeit dafür anzusetzen. Aber oft fällt der Akzent auf eine leichte Zählzeit oder auf die kurze Note nach der Punktierung, die in unserer Musik unbetont oder sogar nur von sekundärer Bedeutung sind. In Griechenland aber stellte der Ton einen wirklichen Akzent dar und konnte daher nicht sekundär sein. Deshalb müssen sich solche Melodien durch eine besondere Biegsamkeit des Rhythmus, der sich sowohl den melischen als auch den metrischen Akzenten anschmiegte, ausgezeichnet haben.

Die metrischen Akzente in Dichtung ufid Melodik gehorchten dem sogenannten quantitativen Prinzip; sie traten als la.nge Silben oder Töne unter kurzen, nicht aber als schwere zwischen leichten Schlägen in Erscheinung. Die kurze Note oder Brevis — die wir in unserer modernen Notation durch eine Achtelnote wiedergeben — stellte die Zeiteinheit (chrönos prötos) dar. Die Griechen bezeichneten diese .erste Zeit' als kleinstes Atom, das weder durch eine Silbe noch durch einen Ton oder eine Gebärde weiter unterteilt werden konnte. Die Longa maß zwei Breves oder eine Viertelnote, mit Ausnahme des Versendes, wo sie die Dauer eines ganzen Versfußes erforderte. Die Füße wurden als aus je zwei (gleichen oder ungleichen) Phasen — nicht Zeiteinheiten — bestehend aufgefaßt und entsprechend dem Verhältnis der Dauer der beiden Phasen, je nachdem ob es 1 : l , 2 : 1, 3 : 2 oder 4 : 3 betrug, in vier Gruppen eingeordnet. Die Griechen erkannten sehr deutlich, daß die rhythmischen Verhältnisse mit den harmonischen Verhältnissen des Einklangs, der Oktave, der Quinte und der Quarte übereinstimmten. So stellte Dionysios von Halikarnassos (erstes Jahrhundert v. u. Z.) ausdrücklich fest, daß Rhythmus und Harmonie im wesentlichen eins wären. Die vier Gruppen lauteten: A. Isa — ,gleiche' oder daktylische Füße, unsere geraden Taktformen: 1. Prokeleusmatikos oder Pyrrhickios

16

Sachs, Musik

n

2/8

2. Prokeleusmatikos, doppelt

^

^

4/8

3. Anapaistos (unser Daktylus)

J

J"J

2/4 24I

4. Anapaistos

n

j

2/4

5. Spondeios

j

j

2/4

6. Spondeios, doppelt

J

J

2/2

B. Diplasia — .doppelte' oder jambische Füße, bei denen ein Teil des Taktes doppelt so lang wie der andere war, daß heißt, 2 + 1 oder 1 + 2 , entsprechend unseren dreizeitigen Taktarten: 1. Jambos

j j

2. Trochaios

j

3. Orthios

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4. Trochaios Semantos

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Abbildung 6. Koreanisches Orchester (nach Sachs). — Man beachte die Stein- und Glockenspiele in ihren aufrechten Gestellen. Abbildung 7. Burmesisches Orchester (nach Sachs). — Vorne Gongspiel, Trommelspiel und Faßtrommel, im Hintergrund Oboen, Zimbeln und eine Klapper

A b b i l d u n g 8. Indische Tänzerinnen, T r o m m l e r und Harfenisten. T e m p e l in B h a r h u t , um 200 v. u. Z. (nach Claudie M a r c e l - T 1 " h o i s )

A b b i l d u n g 9. Indische Tänzerin und .Musikantinnen m i t T r o m m e l n , Querflöte, L a u t e und H a r f e . Relief aus P a w a v a , erste J a h r hunderte u. Z. (nach C o o m a r a s w a m y )

Relief

aus

dem

Abbildung 10. Das Skolion des Seikilos. Von einer Grabstelle zu Tralles in Kleinasien, um 100 v. u. Z. — Das Skolion beginnt auf der sechsten Zeile. Die über die entsprechenden Textsilben gesetzten Noten stammen aus dem geläufigen Alphabet und gehören zur sogenannten Vokalnotation. Die Striche über einigen dieser Noten sind rhythmische Zeichen.

Nachwort zur deutschen Fassung

Durch die vorliegende Übersetzung wird einem breiteren Leserkreis in Deutschland eines der großen zusammenfassenden Werke aus der Feder des 1959 in New York verstorbenen deutschen Musikwissenschaftlers Curt Sachs zugänglich gemacht. Es ist der Versuch, eine infolge der faschistischen Herrschaft entstandene Lücke in der musikwissenschaftüchen Literatur zu schließen. Gleich anderen bedeutenden Geistesschaffenden war Curt Sachs 1933 gezwungen, die Heimat zu verlassen. Auf diese Weise blieb ein großer Teil seiner Arbeiten, in denen er vor allem allgemeine Prinzipien und Züge der Musik oder einzelner ihrer Bereiche, ihrer weltweiten Zusammenhänge und Entwicklungen darzustellen versucht, in Deutschland weitgehend unbekannt. Das ist ein großer Verlust. Denn gerade der hervorragenden Fähigkeit Curt Sachs' zu Verallgemeinerungen, Zusammenfassungen, zum Zeichnen von großen Linien hätte das deutsche Musikleben bedurft. Seit Jahrzehnten ist kaum eine nennenswerte Darstellung zur Weltmusikgeschichte erschienen. Daher ist es bei allen Einwänden, die sich aus neuen Forschungen ergeben und auch zu Grundgedanken der Darstellungen Sachs' erhoben werden können, noch heute von Gewinn, seine Emigrationswerke nachzuliefern. Die Initiative, Versäumtes nachzuholen und das 1943 in New York erschienene Buch ,The Rise of Music in the Ancient World' ins Deutsche zu übertragen, ging von E. Stockmann aus. Ihm ist es zu danken, daß noch zu Lebzeiten des Autors das Projekt fixiert wurde, dessen Ergebnis heute vorgelegt werden kann. Bei der Herstellung der deutschen Ausgabe des Sachsschen Werkes war es vielfach unumgänglich, Rat und Hilfe zu verschiedenen Problemen von Fachkollegen und Vertretern anderer Fachgebiete einzuholen. Ihr freundliches Entgegenkommen hat wesentlich zum Gelingen der Arbeit der Herausgeber beigetragen, die allen Beteiligten für diese Unterstützung herzlichen Dank abstatten. Curt Sachs (1881—1959) gehört zu den großen Gelehrtenpersönlichkeiten der deutschen Musikwissenschaft. Seine Universalität, die in ihm verwirklichte Einheit von Lehre und Forschung, sein Verhältnis zur Praxis, zur Entwicklung der Wissenschaft sind im Prinzip vorbildlich. Die breite Grundlage für seine spätere wissenschaftliche Arbeit erwarb sich der in Berlin Geborene durch eine vielseitige Ausbildung und erste Tätigkeit. Er studierte Musik (Klavier, Theorie und Komposition), Musikwissenschaft und Kunstgeschichte, und entschied sich erst relativ spät für ein engeres Gebiet, die Musikwissenschaft, ohne jedoch, wie die Themenstellung verschiedener seiner Arbeiten besonders deutlich macht (es sei hier nur auf ,The Commonwealth of Art' aus dem Jahre 1946 verwiesen), jemals die anderen ihm zugleich zugänglichen Fachgebiete aufzugeben. Sachs hat 19

Sachs, Musik

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mit seinen Forschungen die Aspekte der traditionellen Musikwissenschaft wesentlich erweitert und vor allem versucht, die Grundzüge der Musik als an die menschliche Gesellschaft gebundenes, komplexes Phänomen herauszuarbeiten. Für ihn war Musik mehr als nur Technik, er sah in ihr einen wichtigen Teil der menschlichen Natur, ihn interessierten die Geschicke der Musik als höchster Ausdruck menschlicher Individuen, Geschlechter und Nationen, 1 und er versuchte demgemäß, ihre allseitigen Beziehungen und Quellen aufzuspüren. Das äußert sich sowohl in einzelnen entsprechend angelegten Publikationen, wie etwa dem hier vorgelegten Werk, als auch in der Vielfalt der Themenstellung seiner Publikationen überhaupt. Ihr Rahmen ist weitgespannt. Sachs leistete wichtige Beiträge zur Instrumentenkunde, zur Musikethnologie, zur Geschichte des Tanzes, zur Geschichte und Vorgeschichte der artifiziellen Musik in Europa, zur Notationskunde und zu Grundfragen der Musikwissenschaft und Musikerziehung, er verfaßte verschiedene Biographien, untersuchte die stilistischen Beziehungen von Musik und anderen Kunstgattungen, arbeitete an Sammelwerken mit, schrieb Berichte, Besprechungen usw. Dieser ungeheuren Produktivität und Vielseitigkeit des Forschers und Publizisten Sachs, der seinen Schriften durch eine blendende, fantasiereiche, lebendige Darstellungsweise ein anziehendes Äußeres zu geben wußte, trat die erfolgreiche Tätigkeit als Erzieher ebenbürtig zur Seite. Gerühmt als stets aktiver, anregender, geduldiger, ideenreicher Lehrer, hat er eine Vielzahl von Musikwissenschaftlern ausgebildet, die sein Erbe weitertragen. Besondere Beachtung verdient Sachs' Verhältnis zur Praxis und zur Entwicklung der Erkenntnisse in seiner Wissenschaft. Sachs war nicht der Forschertyp, der sich von der Außenwelt abkapselt. Ihm war es wichtig, bei Wahrung seines wissenschaftlichen Anliegens eine Sprache zu sprechen und Formulierungen zu finden, die auch außerhalb eines engen Kreises von Spezialisten verstanden wurden. Und er verschmähte es nicht, „durch die Fenster nach draußen auf die Welt" zu schauen und neue Erkenntnisse aufzugreifen.2 Solcher Aufgeschlossenheit ist es wohl zuzuschreiben, daß Sachs in seinen Werken eine gewisse Dynamik, eine Entwicklung seines Standpunktes, seiner Grundgedanken aufzuweisen hat. Sachs ist bereit gewesen, unter dem Zwang neuer Erkenntnisse alte Anschauungen aufzugeben und neue Wege zu beschreiten. Es wäre hier etwa an die Kulturkreislehre bzw. den Evolutionismus zu denken, die in der Konzeption vieler seiner Werke eine große Rolle spielten, in den späten aber wesentlich modifiziert, mit anderen Akzenten versehen oder aber auch beiseite gelassen wurden. Bei der Herstellung der deutschen Fassung von tThe Rise of Music in the Ancient World' ließen sich die Herausgeber von dem Prinzip leiten, sie so nahe wie möglich in Sinn und Gestalt dem Original nachzubilden. Da mit dem Hinscheiden des Autors die Möglichkeit einer autorisierten revidierten Fassung genommen war und von ihm selbst nur einige geringfügige Veränderungen und Zufügungen vorlagen, schien diese Form, obwohl die Forschung in den inzwischen verstrichenen Jahrzehnten viele neue Erkenntnisse in Grundfragen wie im Detail 1 a

s. Carleton Sprague Smith, Curt Sachs, ebd.

290

in: Acta Musicologica X X X I 1959, 45.

erbracht hat, die geeignetste und einer im übrigen auch sehr aufwendigen Bearbeitung vorzuziehen. Der Leser ist also nicht angehalten, das Buch schlechthin als Offenbarung und kritiklos hinzunehmen. Ungeachtet der in ihm enthaltenen bleibenden musikwissenschaftlichen Kenntnisse und Erkenntnisse, der Fantasie und Brillanz in Konzept und Darstellung, soll es durchaus als historisches Zeugnis für Stand und Leistung eines großen Vertreters der deutschen Musikwissenschaft betrachtet werden. Die Herausgabe beschränkte sich im wesentlichen auf redaktionelle Eingriffe, auf Veränderungen zur Ausmerzung von sachlichen Fehlern und Vermeidung von Mißverständnissen. Ein wesentliches Gewicht wurde auf Kontrolle und Korrektur der Zitate, Auszüge und Quellenangaben gelegt, ein zeitraubendes und, wie zugegeben werden muß, bei der schwierigen Quellenlage nicht immer erfolgreiches Unternehmen. Auch hat Sachs die Quellen oft sehr frei gehandhabt. Dennoch konnten etwa 95% der Referenzen geprüft und viele Flüchtigkeiten und auch Fehler korrigiert werden. Von zusätzlichen Quellenbelegen wurde abgesehen, obwohl sich wiederholt Stellen finden, in denen Sachs offen auf andere Autoren zurückgreift. In einigen wenigen Fällen zwang die Kontrolle der Zitate, Quellenangaben usw. jedoch zu größeren Eingriffen. So wurde z. B. auf Grund der Kontrolle mehrerer Quellenausgaben die Widersprüchliche Darstellung zu Beginn des neunten Abschnitts in Kapitel V I korrigiert. An einigen Notenbeispielen wurden ebenfalls redaktionelle Veränderungen vorgenommen. Allerdings sind verschiedene Differenzen zwischen Sachsschen Übertragungen und Analysen und neueren Darstellungen, die sich besonders im griechischen Kapitel zeigen, nicht beseitigt worden, da man in ihnen offensichtlich Eigenheiten der Sachsschen Interpretation sehen muß. Bei der Herstellung der deutschen Fassung ergaben sich einige Probleme im terminologischen Bereich. Sachs hat z. B. für verschiedene spezielle Tatbestände neue, oft Anglizismen darstellende Ausdrücke geprägt. Es seien hier nur solche Ausdrücke wie Fifth on top und Fourth on top (Original S. 65), toptail inversions (Original S. 67) give-and-take Operations (Original S. 166) und andere erwähnt. Sicher ist es nicht in allen Fällen gelungen, der Gefahr, daß sie bei der Übertragung etwas von ihrer Plastik und Prägnanz verlieren, zu entgehen. Auch ergaben sich Schwierigkeiten, adäquate, allgemein zu verwendende Termini für solch vieldeutige Ausdrücke wie beat, pattern usw. zu geben. Es erwies sich als zweckmäßig, je nach dem Zusammenhang unterschiedliche, dafür aber sinnentsprechende Übersetzungen zu wählen. Besonders erwähnt werden muß, daß der von Sachs zur Bezeichnung urgesellschaftlicher, — oder eigentlich allgemeiner und unpräziser — urtümlicher Verhältnisse und Verhaltensweisen verwendete englische Terminus primitive im Deutschen vermieden wurde, obwohl in ihm derselbe Sinngehalt steckt. Da diesem Wort aber im deutschen Sprachgebrauch zugleich eine pejorative Färbung anhaftet, wurde es durch andere Ausdrücke, gewöhnlich durch „urtümlich" ersetzt. Es hegt auf der Hand, daß mit der Wahl eines angemessenen Ausdruckes natürlich nur die terminologische Frage gelöst, nichts aber an der hinter dem Gebrauch des Wortes überhaupt steckenden inhaltlichen Problematik geändert wird. Die heutige Musikwissenschaft kann sich mit einer solchen undifferenzierten Umschreibung einer Vielzahl zwar ähnlicher, aber histo291

risch-konkret doch recht unterschiedlicher Sachverhalte nicht mehr zufrieden geben. Zu den redaktionellen Eingriffen gehört auch, daß verschiedentlich Zufügungen vorgenommen worden sind, um heute in Deutschland nicht mehr gebräuchliche Namen von Völkerschaften zu kommentieren. Weiter sind einige Bemerkungen zur Rechtschreibung von Namen und fremden Ausdrücken nötig. Da Sachs eine Vielzahl von Quellen ausgewertet hat, finden sich bei ihm auch deren voneinander abweichende Schreibweisen einzelner Namen und Sachwörter wieder. Um der verwirrenden Mannigfaltigkeit zu begegnen, wurde der Versuch unternommen, die Transkription und auch die Klein- und Großschreibung zu vereinheitlichen. Das ging nicht ohne Schwierigkeiten, und es gibt Grenzfälle. Bei der Transkription der chinesischen Namen und Begriffe wurde nach der neueren chinesischen Transkriptionstabelle verfahren, die arabischen Wörter wurden nach der bei Brockelmann gegebenen Übertragung vereinheitlicht. Die Schwierigkeiten setzen bei Zitaten und lokalen bzw. dialektbedingten Unterschieden in der Schreibweise ein. Generell wurden Zitate unverändert gelassen und höchstens die sonstige Schreibweise zur Vermeidung von Inkongruenzen mit dem übrigen Text in Klammern beigegeben. Weiter galt als Regel für fremde Ausdrücke, Eigennamen groß und Begriffe mit Gattungscharakter klein und kursiv zu schreiben. Curt Sachs hat mit seinem Buch versucht, das zu seiner Zeit (Anfang der vierziger Jahre) von der Musikforschung erarbeitete Material über die Kulturen der Alten Welt, von Ostasien bis zum Mittelmeergebiet, in einer großangelegten Synthese als Entwicklung der Musik im Altertum darzustellen. Das Bild, das er dabei entwerfen kann, ist sowohl der faktologischen als auch der systematisierenden Leistung nach hochinteressant. Es zeichnen sich eine Vielfalt musikalischer Landschaften, ein ungeahnter Reichtum an Merkmalen, Problemen und Unterschieden ab. Aber Sachs verfolgt mit seiner großangelegten Synopsis mehr als nur eine Zusammenfassung zu einer Art Musikgeschichte der Welt bis zum Ausgang des Altertums. Er will die frühgeschichtlichen Stile der Musik deutlicher skizzieren, die orientalischen Systeme in neuen Zusammenhängen zeigen, das Bild von der Theorie und Praxis in Griechenland neu formen und die Quellen unserer eigenen Musik bloßlegen. Von seinen Arbeiten wie von den bisherigen Konzeptionen der Musikgeschichte her bildet die Musik Griechenlands den Angelpunkt der Darstellung. Ihr ist das weitaus umfangreichste und gewichtigste Kapitel (V) gewidmet. Der Aufstieg der Musik vom Standard der im ersten Kapitel gezeichneten urgesellschaftlichen Erscheinungen führt über die Musik der archaischen Imperien in Ägypten und im Zweistromland (II), im Fernen Osten und in Südostasien (III) und in Indien (IV) schließlich nach Griechenland. Es folgen abschließend ein kurzes Kapitel über die Verwertung und den Nachhall griechischer Musik — insbesondere der Theorie — im islamischen Bereich (VI) und ein Dutzend Seiten über die besondere Entwicklung im Westen Europas seit dem Ausgang des Altertums (VII). Sachs strebt bewußt einen neuen Ansatzpunkt in seiner Darstellung des Höhepunktes antiker Musikkultur an. Er versucht die Musik des alten Griechenland organisch mit der des Orients in Verbindung zu setzen, die vielfältigen und doch eng miteinander verwandten Stile des 292

Ostens wie des Westens und ihre gemeinsame Problematik in ihrer engen Wechselbeziehung zu behandeln. Er unterstreicht prinzipiell, daß die Musik Griechenlands in hohem Maße Asien Dank zu zollen hat. In dem Aufschwung der sogenannten Vergleichenden Musikwissenschaft und der damit eingebrachten Kenntnis besonders auch orientalischer Musikpraxis sieht er neue Möglichkeiten, die früher durch Unkenntnis dieser Musik falsch interpretierten Quellen zur griechischen Musik in neuer Weise zu untersuchen. Und nicht nur Griechenland, sondern den gesamten alten Orient will er in die allgemeine Geschichte der Musik einbezogen wissen. Seine Bemühungen zielen darauf ab, aus dem riesigen inzwischen erarbeiteten Material Zusammenhänge, Parallelen, Ähnlichkeiten zwischen Völkern herauszuschälen, die räumlich weit voneinander getrennt lebten und sich doch in „eigentümlicher, unbewußter Partnerschaft zusammenfanden: Griechen und Japaner, Hindus und Araber, Europäer und nordamerikanische Indianer." (S. 12). Es ist ein riesiges Unternehmen, dem sich Sachs zugewendet hat, und es ist, wie man betonen muß, in der heutigen Zeit der durch Isolierung und Verlieren der Zusammenhänge gefährdeten, stark spezialisierten und verästelten Musikwissenschaft von eminenter Bedeutung. Gerade aber dieser prinzipielle Charakter der Leistung von Sachs machen einige methodologische Bemerkungen nötig, die sowohl für eine Synopsis im Sachsschen Sinne wie auch für Einzeldarstellungen von Belang sind und von der Musikwissenschaft in den seit der Abfassung des Buches vergangenen Jahren erarbeitet wurden. Sie mögen sein Studium anregen und zu neuen Vorstellungen führen. Sachs ist völlig im Recht, wenn er den Gegenstand der Musikgeschichtsschreibung auf die urgesellschaftlichen und Sklavenhalterformationen ausdehnt und sich davon eine bereicherte Erkenntnis auch der anderen, „späteren" Kulturen verspricht. Aber nach dem heutigen Wissen kann man es nicht rechtfertigen, den urtümlichen und orientalischen Zweig der Musikwissenschaft nur, wie Sachs es ausdrückt, als ,das „Einleitungskapitel" unserer eigenen Musik' anzusehen (S. 26). Für Sachs sind bestimmte Stile, Merkmale, Geräte usw., die heute noch wie anscheinend schon vor Tausenden von Jahren existieren, vor allem Relikte historisch früher, mit den Vorstufen unserer Musik vergleichbarer Entwicklungsphasen, er sieht, wie das nicht nur aus dem vorliegenden, sondern auch aus anderen Büchern hervorgeht, in den Ergebnissen dieser Zweige der Musikwissenschaft vornehmlich die methodische Möglichkeit, dem Verständnis literarischer, ikonographischer, archäologischer Befunde usw. näherzukommen. Sicher hat die entwickelte Vergleichende Musikwissenschaft, von der Sachs spricht, durch ihr reiches Material geholfen, unsere Einsicht in die gewaltige Entwicklung der menschlichen Musikkultur zu vergrößern, zugleich hat sie uns aber auch in die unendliche Vielfalt dieser Entwicklung Einblick nehmen lassen. Mehr noch: Die musikethnologische Forschung bzw. die Musikalische Völkerkunde als Erbin der alten Vergleichenden Musikwissenschaft ist heute zu dem Ergebnis gekommen, daß die Musikkulturen anderer Länder und Kontinente, die eine alte Überlieferung besitzen, nur sehr bedingt als Zeugnisse für eine frühgeschichtliche, ja vorgeschichtliche Epoche zu verwenden sind. Denn selbst bei der scheinbaren Beharrung mancher dieser Traditionen muß nach den Erfahrungen mit einem steten Wandel gerechnet 20

Sachs, Musik

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werden. Und Sachs liefert, ohne daß er das aber in dieser Hinsicht verwertet, selber schon Belege für diese Erkenntnis, so wenn er auf die Widersprüche in der angeblich festen Tradition der liturgisch gebundenen Musik der Juden hinweist oder aber die vedische Tradition u. a. m. bespricht. Auch die Augenscheinlichkeit ontogenetischer Gesetze, mit der Sachs, der eigentlich wiederholt scharf gegen Plausibilitäten solcher Art zu Felde zieht, spielt, vermag nichts daran zu ändern, daß in der Aufeinanderfolge der einzelnen Kapitel nicht die Epochen einer einzigen geradlinigen Entwicklung zu sehen sind, sondern nur Ausschnitte aus der Geschichte der verschiedenen Musikkulturen der Welt jeweils zu dem Zeitpunkt, als sie Höhepunkte erreichten und einen wesentlichen Teil zur Entwicklung der Musik anderer Völker beitrugen. Die moderne Musikethnologie, die ein Teilgebiet der Musikwissenschaft darstellt und deren Gegenstand in der Untersuchung der verschiedenen Musikkulturen der Welt außer der europäischen artifiziellen Tradition und einiger Grenzerscheinungen in der Vielfalt ihrer Schichtungen und Entwicklungen liegt, hat begonnen, dafür hinreichende Belege zu erarbeiten. Sie wird zeigen, welche verschiedenen Wege die Völker in ihrem historischen Werden, Sein und Vergehen beschritten haben, wie Aufstieg und Fall und Stagnation und Veränderung auf Grund eigener sozialökonomischer Vitalität und in Wechselbeziehung zu anderen Völkern die Geschichte der zahlreichen Musikkulturen der Welt gekennzeichnet haben. Sie wird, allgemein formuliert, die Dialektik und Vielfalt der kulturhistorischen und besonders der musikhistorischen Prozesse der menschlichen Gesellschaft aufklären helfen. Durch die musikethnologische Forschung, aber auch überhaupt durch die moderne musikwissenschaftliche Grundlagenforschung ist eine andere Hypothese, die in Sachs' Arbeiten eine große Rolle spielt, als unbrauchbar erkannt und aufgegeben worden. Es handelt sich um die in der alten Vergleichenden Musikwissenschaft recht verbreitete Kulturkreistheorie, für die alle vergleichbaren kulturellen Erscheinungen ihren Ursprung in einem einheitlichen Zentrum haben, bzw. das mit ihr verbundene evolutionistische Gedankengut. Diese Ideen schlagen sich z. B. deutlich nieder, wenn Sachs die Voraussetzungen der europäischen Musikentwicklung im Gegensatz zur orientalischen Tetrachordik durch die Existenz einer urtümlichen Terzstruktur charakterisiert, die Europa mit den nordamerikanischen Indianern, mit asiatischen und afrikanischen Völkerschaften gemeinsam als differentes und wohl auf ein früheres gemeinsames Zentrum zurückzuführendes Merkmal besessen und die zu gegebener Zeit den Ausgangspunkt der Entwicklung der „Wunder der westlichen Musik" gebildet habe. Diese Vorstellung steht mit dem Ablauf der historischen Prozesse nicht im Einklang. Und weiter: Obwohl sich Sachs einerseits von der „Illusion eines ewigen Fortschritts" freigemacht hat, bleibt er doch andererseits der evolutionistischen Vorstellung von der progressiven Entwicklung melodischer Stile von der Zwei- über die Drei-, Vier- und Mehrstufigkeit verhaftet, die auf einem viel zu geringen Material aufbaut und dem durch neuere Forschungen erarbeiteten Befund widerspricht. Sachs hat sich später, man muß hier besonders auf sein letztes Werk, 'The Wellsprings of Art', verweisen, unter dem Eindruck neuer Erkenntnisse von diesen Vorstellungen weit294

gehend gelöst. Hier aber scheint es ihm nötig, obwohl er sich allgemein mehr dem Ordnen und Zusammenfügen des riesigen Materials als grundsätzlichen Erörterungen und Rückschlüssen widmet, verschiedentlich auf Kongruenzen mit dieser Lehre hinzuweisen. Merkwürdigerweise ergeben sich bei ihm aus solchen allgemeinen Interpretationen mitunter Unstimmigkeiten und Widersprüche. So stellt die Konstatierung des prinzipiellen Unterschieds zwischen der Musikentwicklung Europas und der des alten Orients einschließlich Griechenlands praktisch das anderweitig formulierte historische Verhältnis von Altertum und Neuzeit in Frage. In den Darlegungen der alten Vergleichenden Musikwissenschaft spielte die Frage des Ursprunges der Musik, die an der Musik heute noch vorhandener urgesellschaftlicher Formationen verifiziert wurde, eine große Rolle. Auch Sachs erörtert die Anfänge der Musik, wobei er zur Ablehnung verschiedener früherer Theorien gelangt, u. a. auch der in neuerer Zeit immer noch gern akzeptierten Idee eines Ursprungs in der Sprache. Abgesehen davon, daß die Ursprungsproblematik heute nicht mehr so im Zentrum der Überlegungen steht wie andere Themen, sieht auch Sachs auf Grund des Materials keine Möglichkeit, zu endgültigen Feststellungen zu kommen. Aber dem Augenschein nach beginnt für ihn die Musik mit Singen, das sich durch den merkwürdigen Dualismus zweier Grundstile, ekstatisches, weitausholendes Entladen der Stimme und quasirezitativisches Singen von geringem Umfang auszeichnet, ein Dualismus, dessen Nachhall Sachs selbst noch im angeblichen Wechsel europäischer klassischer und romantischer Stile zu vernehmen meint. Von diesen beiden Prinzipien ist für ihn die weitere Entwicklung aus inneren Antrieben und in Kontakt zu anderen Völkern ausgegangen. Kann es nun keineswegs als gesichert angesehen werden, daß „Singen" jeglicher anderen Lauterzeugung vorausgegangen sein muß, so ist es bei der Sachlage doch müßig, darum zu streiten. Sinnvoller und interessanter mag es dagegen sein zu überlegen, ob die kausativen Prinzipien, die Sachs als Triebkräfte und Richtschnur der Entwicklungen vorstellt, wirklich als ursächlich gelten können. Neben solchen schon erörterten Zügen in seinen Vorstellungen, die sich in dem Rückgriff auf die Kulturkreislehre z.B. oder aber bei der Ursprungsproblematik in dem dualistischen Prinzip der angenommenen vokalen Grundstile zeigen, spielen bei Sachs das Naturgesetzliche und rein menschliche Faktoren eine große Rolle. Für verschiedene Erscheinungen macht er vor allem Geschlechtsunterschiede verantwortlich, wiederholt spricht er von „angeborenen" oder „natürlichen" Intervallen u. a. m. In all dem offenbart sich, daß für Sachs keineswegs das gesellschaftlich-historische Wesen der Musik geklärt ist, daß hinter all seinen Interpretationen eine Anschauung über das Wesen der Musik und ihr Verhältnis zur Natur besteht, die von der modernen Musikwissenschaft nicht mehr geteilt wird. A m deutlichsten erscheint sie in der vielleicht etwas überspitzten Formulierung, daß Singen, und man kann auch allgemeiner Musik dafür setzen, als „Ausdruck der menschlichen Seele und motorischer Impulse" „wenig mit der veränderlichen Außenseite des Lebens" zu tun habe (S. 17). Zwar ist die Musikwissenschaft in ihren Forschungen, vor allem was die Grundlagen der Musik angeht, heute noch nicht so weit gekommen, um alle Probleme, die das Wesen der 20*

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Musik, ihre Stellung in Natur und Gesellschaft betreffen, sicher und mit Entschiedenheit beantworten zu können. Aber einige Grundfragen dürfen als geklärt angesehen werden. Danach sind verschiedene Züge in Sachs' Konzeption in Frage zu stellen. Das bedeutet nicht, daß es keine psychisch-physischen Aspekte in der Musik gäbe, daß die Musik mit Natur nichts zu tun habe usw. Aber die Zusammenhänge sind anders. Die Musik ist dem Wesen nach ein gesellschaftliches Phänomen und in ihrem Sein und in ihrer Entwicklung unlöslich mit der Existenz und der Entwicklung der Gesellschaft verbunden. Die Vielfalt der Entwicklungslinien und -stufen in der gesellschaftlichen Totalität kehrt historisch konkret in der Vielfalt der menschlichen Musikkultur wieder. Damit ist noch nichts über den Charakter der Musik einer Epoche, einer Menschengruppe usw., über ihren Gegenstand, ihre Funktion, ihre Gestalt usw. gesagt. Wie wir wissen, gibt es hier große historische Unterschiede. Ganz gleich aber, ob die Musik als kommunikative Leistung, als einfache Lebenstätigkeit und -äußerung oder ähnlich zu fassen ist, sie ursächlich von der „veränderlichen Außenseite des Lebens" trennen zu wollen, ist nach heutigem Wissen unbedingt falsch, genauso wie es andererseits keine genügend stichhaltigen Beweise für eine Verankerung etwa struktureller Züge der Musik in biologisch-physischen Gegebenheiten gibt, mögen sie nun als Auswirkungen des Geschlechts, der Rasse oder sonstwie gefaßt sein. Neben der zu starken Inanspruchnahme anthropologischer Kriterien gehört auch das angebliche Angeborensein bestimmter „natürlicher" Intervalle in die Welt der unbewiesenen Axiome, auf die Sachs zurückgreift. Sicher ist das menschliche Musizieren an akustische Gesetze, an Eigenheiten des Materials, an biologisch bedingte Fähigkeiten usw. gebunden. Sie berühren die Musik jedoch nur insofern, als sie Grenzen und Voraussetzungen hefern. Aber es gibt keine „Natürlichkeit" etwa bestimmter Intervalle. Die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Intervallen zu unterscheiden bzw. einzelnen akustischen Tatbeständen differente Bedeutungen beizugeben oder sie überhaupt in einer Qualität zu erfassen, ist historisch erworben. Und strukturelle Unterschiede der Musik verschiedener Menschengruppen, mögen sie nun nach Geschlecht oder Völkern differenziert sein, haben sich immer noch als sozial begründet gezeigt. Die Problematik besteht so bei Sachs im wesentlichen darin, daß er seine Überlegungen auf Grund ungenügender Kenntnis der Historizität des menschlichen Lebens, ungenügender Einsicht in den Gattungscharakter des Menschen bzw. auf Grund eines die historischen Züge der Musikkulturen zu wenig herausarbeitenden Materials anstellt. Durch anscheinend langlebige Züge verflüchtigt sich ihm der gesellschaftliche Charakter der Musik zum bloß menschlichen, und nur selten gelangt er zu Andeutungen, die über diese Vorstellungen hinausgehen, so etwa, wenn er im Zusammenhang mit der Entwicklung der Harmonie eine Verbindung zum Erscheinen der Perspektive in der Malerei zieht und von „tief unter der musikalischen Oberfläche wirksamen geheimen Kräften" spricht (S. 283). Sachs unternimmt in seinem Buch den hoch einzuschätzenden Versuch, er ist sich dessen bewußt und spricht es auch aus, vorurteilsfrei an das vorliegende Material heranzugehen und zu Interpretationen zu gelangen, die nicht den Stempel der europäischen Musikanschauung tragen (vgl. z. B. seine plastische Dar296

Stellung des Unterschiedes der Traditionen in Ost und West S. 95 ff.)- Bei der Erläuterung der Vergleichenden Musikwissenschaft und ihrer Methoden, aber auch an anderen Stellen kommt er auf die Problematik des Eurozentrismus zu sprechen, die nicht nur bei der Betrachtung der Musikkulturen, etwa bei der Auffassung der Intervalle, rhythmischer Modelle und musikalischer Strukturen, sondern selbst in den Darstellungsmitteln, etwa dem mit der europäischen artifiziellen Musik gewachsenen Notationssystem usw. auftreten kann. Auch Sachs' Erkenntnis, daß musikhistorische Dokumente einseitig sein können oder aber akademische Maßstäbe die Sicht einschränken mögen — er weist u. a. auf die an die Kirche gebundene mittelalterliche Musikgeschichtsschreibung, auf die Vernachlässigung der Volksmusik in der Berichterstattung des alten China und auf das Problem der Beurteilung neuer Entwicklungslinien hin — ist von großer Bedeutung. Und doch entgeht er selber nicht diesem in der Wissenschaftsgeschichte der Musikforschung begründeten alten Fehler. Nicht nur, daß er sich immer wieder zu sehr im Gestrüpp theoretischer Erwägungen um Intervalle und Skalen verliert und damit nur eine Seite, und wohl selten die wichtigste, der jeweiligen Musikkultur erfaßt. Hier scheint die alte Tradition der Vergleichenden Musikwissenschaft durch. In der Überbewertung von Tonverhältnissen, Skalen, auch festen Melodien drückt sich eine für die europäische Entwicklung typische, für andere Kulturen aber nicht in gleicher Weise wichtige Eigenart aus. Sicher betont Sachs wiederholt, daß die Praxis primär, die Theorie dagegen sekundär zu allen Zeiten gewesen sei, er formuliert auch Gedanken zum Verhältnis von Gesetz und Freiheit in orientalischen Musikkulturen, aber es gelingt ihm nicht, der Praxis den ihr gebührenden Platz einzuräumen. Sicher ist vieles auf die schlechte Quellensituation zurückzuführen. Die wenigen Fakten über die Musikkultur des chinesischen Altertums z. B. entnahm die europäische Musikwissenschaft seinerzeit fast ausschließlich den Werken der chinesischen Klassiker in Philosophie und Literatur, und nur wenig klingendes und notenschriftlich fixiertes Material stand ihr zur Verfügung. Die Abhängigkeit von theoretisierenden Betrachtungen als hauptsächlicher Kenntnisquelle zog zwangsläufig eine Verschiebung zugunsten der theoretisch-spekulativen Seite nach sich, und die Musikkultur des alten China wird als Folge davon auch heute noch vielfach vor allem im Lichte des ¿¿¿-Systems, kosmologischer Zuordnungen, des höfischen Zeremoniells, aristokratisch-vornehmer Erbauung und legendärer Erschaffungsgedanken gesehen. Die moderne Musikforschung hat dagegen auf Grund eines riesigen Materials angemessene Relationen zwischen historisch-gesellschaftlicher Entwicklung, theoretischem Denken, archäologischer Tatsache, ikonographischer oder literarischer Information und musikalischer Praxis herstellen können. Die Erforschung der Stimmungen von Klingsteinspielen; Kugelflöten und Glockenspielen der Shang- und Zhou-Zeit, die weitgehend vom /«-System abweichen, hat z. B. gezeigt, daß im alten China das Verhältnis der musikalischen Praxis zum /«-System mit allen seinen spekulativen Zuordnungen sehr lose und vor allem anders gewesen ist, als es bisher angenommen wurde usw. Die Beachtung des Verhältnisses von Theorie und Praxis, überhaupt aber eine richtige Auffassung der Praxis, gehören zu den wichtigsten Voraussetzungen der musikwissenschaftlichen Forschung heute. 297

In der Praxis ist die entscheidende Sphäre der Musikkultur jeder Gruppe von Menschen zu sehen. In ihr spielen sich die wesentlichen Vorgänge dieser Art von Kommunikation ab. Die musikalische Praxis hat bedeutende historische Veränderungen erfahren und ist gerade heute wieder im Begriff, entscheidende Veränderungen durchzumachen. Es ist also stets nötig, die Praxis genau zu umschreiben. Jede Musikpraxis als gesellschaftliche Erscheinung, ganz gleich von welcher Entwicklungsstufe die Rede ist, trägt in sich feste Normen, die die Grundlage ihrer kommunikativen Funktion bilden. Diese Normen kann man sich als Gerüst des musikalischen Bewußtseins vorstellen, auf keinen Fall aber werden sie etwa durch theoretische Erwägungen gebildet, wie es von Sachs mehrmals, wenn auch sehr unklar, ausgesprochen wird. So äußert er im Zusammenhang mit der Vielfalt der Skalen der arabischen Musik, daß in der Praxis die Normen, die von der Theorie zu schaffen versucht wurden, nicht befolgt worden seien. Diese falsche Gegenüberstellung resultiert aus der Tatsache, daß Sachs, obwohl er verschiedentlich die Abhängigkeit der Theorie von der Praxis und selbst den oft negativen, systemhungrigen, apraktischen Zug der Theorie zu manchen Zeiten und in manchen Schulen hervorhebt, erstens wesentlich auf theoretische Quellen angewiesen ist, zweitens aber, daß er das Wesen der Theorie verkennt und sie nicht als Reflexion der Praxis ansieht — mit allen Konsequenzen der Rückwirkung — sondern letztlich doch als eigenständiges Prinzip, das zwischen natürlichen oder überhaupt vorgegebenen Maßstäben und Praxis vermittelt bzw. die in der Praxis gültigen Normen schaffen kann. So ist auch sein Schluß verständlich, daß sich aus dem Widerspruch der in den arabischen Skalen erscheinenden verschiedenen Ableitungsprinzipien der Zwang zu einer Temperatur ergeben habe. Wenn aber die Praxis, wie Sachs selbst feststellt, z. B. die Unterschiede zwischen großen und kleinen Ganztönen ignoriert hat, wieso ergab sich der Zwang zur Temperatur? Und auch die Zalzal-Ligatur als Temperierung zwischen kleinem Ganzton und Halbton aufzufassen, ist merkwürdig. Ist nicht gerade das Denken nach Haibund Ganztönen, die Negierung anderer, in der Praxis ebenso normal gebrauchter Töne — Sachs betont das ja gerade selbst im ersten Kapitel — ein Widerschein eurozentrischer Musikauffassung? So gibt es eine ganze Reihe von Fragen, auf die sich der Leser bei der sicher fesselnden Lektüre des Sachsschen Werkes eine Antwort schaffen muß, oder die er zumindest auffinden und stellen sollte. Daß sie nicht alle in einem ausführlichen Kommentar besprochen oder gar durch einen bearbeiteten Text aufgehoben wurden, dürfte den Wert des Buches kaum schmälern. Man wird sogar erwarten dürfen, daß seine jetzige Gestalt eigene Überlegungen und den Gedankenaustausch zu den vielen Problemen zu fördern vermag. Berlin, Januar 1967

Jürgen Ebner

Register Aalst, J. A. van i n Abbot Pambo 72 abendländisch 132, 133 Abert, Hermann 221, 223 Ableitung, obere (superior generation) i03f. — , untere (inferior generation) 103 f. Abessinien 78, 88, 256, s. Äthiopien Abgreifen 66, 67 Abraham, Otto 23 Abschieds-Sinfonie 89 Abwärtsschlag 171, 242, 244 Accelerando 94, 174 accordatura 186, 192, 193, 201, 211, 212, 213, 214, 216 accutus 143 Achtelnoten 31, 81, 131, 168, 172, 241 Achtelpause 267 Adah 50 Admiralitäts-Inseln 45 Adria 46 Affekt 48, 75 Affix 34, 112 Afrika 38, 45, 255, 271, 287 'Agam 259, 261 'Agam 'Usayrän 260 Agogik 174 agön 248, 252 Agonensänger 250 Ägypten 30, 33, 50, 52, 54ff„ 57, 63, 64, 65, 66, 67, 70, 72, 77, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 98, 99, 104, 115, 149, 164, 176, 178, 181, 196, 235, 239, 249, 261, 268, 273, 287 Aischylos 249 Aiyar, Ramaswami 153

A j a x 180 Akbar (Kaiser) 157, 158, 173 Akkord 132, 133, 134, 165, 238, 282 âkshara 167 Akustik 50, 261 Akut 78, 240, 241 Akzent 75, 77, 78, 79, 80, 81, 86, 91, 126, 143, 168, 172, 24off., 265, 266, 278, 285 äläpa 152, I74ff., 233t., 269 Alexander der Große 53, 177, 255 Alexandrien 50, 76, 176, 182, 195 Al-Färäbl 256, 257, 258, 263 Algerien 269 Al-Hïra 256 Ali al-Isfahänl 258 Al-Kindï 256 Alkman 247 Allabreve 171 Alleluja 282 alta vox 38 Alteration 159 Altertumskunde, musikalische 287 Alypios 182, 198, 213 Ambros, A. W. 91 ambrosianisch 71 Amen 73 Amenemhêt 70 Amenophis IV. 55 Amerika 271, 287 Amiot, Père 102 Ammianus, Marcellinus 270 amsa 155 Amur 19 Analyse 50, 221, 222, 228, 247, 271, 276 Anapaistos 241, 242

(Anmerkung: Die Stichwörter stellen oft Substitute von sinnverwandten, zum gleichen Stamm gehörigen Wörtern dar.) 299

Anapäst 80, 81, 242, 243, 245, 284, 285 anäpeira 233 f. Andalusien 269 Andamanen 27f., 44 aneiménas 230 aneimené 204 Anfangston 39, 59, n o , 120, 155, 225, 231, 263, 280 anga 169 Angelsachsen 282 Angleichung, kulturelle 55 anhemitonisch 113, 2 1 1 Annam 93, 138 anthropologisch 279 antimetrisch 245, 284 Antiphonie 46JE., 47, 83, 84, 85, 86, 87, 91, 239

antistrophé 250 anudätta 72, 143 anudruta 144 Äolisch 61, 190, 198, 200, 204, 208, 214, 215 Apollo 50, 180, 248, 251, 252 Apollo-Hymne 212 apotomé 194, 257, 258 appoggiatura 267 Araber 12, 62, 67, 75, 86, 87, 88, 89, 140, 159, 176, 184, 194, 196, 255ff., 283, 287 Arabien 56 'Arad 260 'Aradbär 209 Arbeau, Toinot 284 Arbeit, durchbrochene 266 arche 202, 233 Archipel, malaiischer 115, 184, 190 — , indonesischer 139 Archives de la Parole 46 archon 248 Archytas von Tarent 189, 195, 235 Argos 229 Argül 89, 267 Arie 74 Arion von Methymna 248 Arier 194, 143 Aristides Quintiiianus 182, 188, 189, 210, 215, 216, 231, 239, 250, 251 Aristoteles 194, 202, 230, 234, 235 Aristoxener 194 300

209,

116, 233,

202,

Aristoxenos von Tarent 73, 181, 189, 190, 193. 194. 195. 205, 206, 207, 210, 237, 242 Arithmetik 50, 235 Arkadien 235 Armenien 78, 87 Ärsabhi 115, 160 ärsis 242 ff. Asaph 53, 57 Äsävarl 160, 162, 163 Aschkenasim 71, 78, 79 Asien 16, 49, 54, 55, 56, 66, 96, 99, 117, 120, 122, 123, 128, 130, 131, 132, 138, 165, 178, 183, 190, 191, 239, 263, 267, 271, 279, 280, 287, 288 Assyrien 30, 83, 85, 90, 91, 99, 104, 178 ästhetisch 124 Astrologie 51, 232, vgl. Kosmologie Astronomie 50, 51, 52 Ata 169 Atem 64, 105, 166 Athen 208, 235, 248 Athenaios 182, 206, 208, 219, 229, 230, 233. 238, 247, 248 Äthiopien 64, 72, 77, 78, 88, 89, 146, 184, s. Abessinien atisvärya 144 Attis-Adonis 249 Auf-und-Ab-Prinzip (zyklisches Prinzip) Ö4ff., 67ff., 91, 98, 104, 107, 110, 122, 153, 194, 259, 26of., 261 Aufführungsstil 273 Aufwärtsschlag 242 Aug 259, 260 augmentieren 170 Aulet 248f., 251 Aul6s 177, 234 Aulösspieler 190 Ausbildung, musikalische 234 Ausdruck 36, 166 Ausdrucksmittel 132, 246, 257 Ausführung 155, 171, 268 Ausgangston 60, 64, 69 s. Tonika Austausch, musikalischer 56, 176 —, kultureller 177 Australien 38 Ausübung 235, 246 Auszierungen 165

authentisch 58, 60, 152, 159, 199, 207, 208, 228, 229, 274

Automaten, komponierende 75 Avicenna 256 Babylonien 52, 55, 57, 69, 71, 75, 76, 78, 79. 85. 9 i . 98, 99, 104, 146, 176, 177, 239, 273

Babylonische Gefangenschaft 71, 84, 98 bacchisch 230, 233 Bacchius 239 Bach, J. S. 247 Bagdad 67, 71, 117, 261 Bahräm Gür 256 Baif 284 Bakchios 242 Bakongo 34 Baktrien 102 Bali 39, 93. 116, 118, 119, 126, 127, 139, 140

Balkan 271 balli 76 bamm 62 Bantu 25, 45 Bar Hebräus 78, 79 Barang 117 Barbat 256 barritus 270t. barybromos 208 barys 143 baryteros 214 Baschkiren 125 St. Basilius 86 bäsis 242 Baß 62 bassa vox 38 basses danses 76 basso ostinato 30, 267 f Bauchredner 19 Bayätl 196, 210, 260, 263 Beben 165 Beduinen 251, 255 Beethoven, L. van 16, 247, 287 Begleitung 45, 110, 132, 133, 164, 236, 2 3 7 t , 249, 256, 266, 282, 283, 285, 288

Bei 52 Bellacula 35 BelJermann, Fr. 212, 213, 214, 216, 221, 226, 231, 232, 243

Bern 117 Ben Arza 54 Berber 115 Berechja 53 Berlin-Papyrus (-Fragment) 180, 212, 222, 223, 227, 228, 243, 248

Berufsmusiker 51, 52, 53, 265 Beschwörungsformeln 143 Besseler, H. 272 Betonung 125, 165, 167, 171, 276, 284 Bewegung 16, 3 3 t , 42, 76, 167, 171 Bhagavadgita 104 Bhairava 155, 161, 162, 163 Bhairavi 155, 160, 162, 163 Bharata 115, 141, 148, 151, 152, 153, 154, 158, 159,. 170, 1 7 1 , 172

bharya 161 Bhätkande, N. V. 161, 162, 163 bian 121, 202, 280 Big-Band-Trommeln 126 Bihäg 155, 161, 162 Bilahari 155 Biläl ibn Riyäfe 256 Biläval 155, 160, 161, 162, 163, 172 Birnengarten 137 Biwa 133 Bläser 89, 107, 176, 190, 219, 238, 244, 249, 253 Blasinstrumente 64, 69, 128, 134, 137, 173, 206, 219, 239, 253

Bloch, J. 71 Blockflöten 164 Bodenstampfen 41 Boethius 182, 200, 213, 229, 239, 255 Bogen 55 Bogenharfe 147, 176, 177 Bohrung 69 Bombay 161 Böotisch 204, 209 Bootsgesänge 37 Bordun 46 f., 47, 56, 89ff., 91, 132, 164, 267, 268

Bordunpfeife 164, 267 Botokuden 29f., 31 branles 76 Brasilien 29, 35 Brevis 81, 241, 284 Buchara 71, 138, 256 Bücher, K. 15

301

Buchstabennotation 76, 146, 186 Buddhismus 93, 1 3 1 , 132, 152, 176 Bugaku 93, 126 Bühne 123 Buka 34, 35 Bukofzer, M. 105, 1 1 7 Bumerang 42 Bünde 66ff., 69, 110, 257, 258, 281 Bundlaute 56 bundlos 107, 164 Bundzither 107 Burette 183, 214 Burgund 55, 270 Burma 120, 122, 138, 139, 140 Burneil, A. C. 144, 145, 146 Büsallk 260, 264 Buschmänner 25 Buzurg 264 Byzanz 250, 255, 256 Caere 236 Calvin 75 cansos, cantigas 271 Cantus 107 cantus planus 172 caturtha 144 Ce 138 Celebes 28 Celtes, C. 284 Censorinus 2 1 1 Cent 23ff , 39, 65, 66, 68, 106, 116, 118, 119, 120, 150, 151, 153, 193, 194, 195, Ì97. 257, 2 58, 260 Ceylon 29, 141 Chaconne 30 chalará 204 Chaldäer 98, 104 Champa 122 Chanten s. Ostjaken chi 125 China 39, 50, 69, 72, 93ff , 99, ioo, 102, 104, 105, 106, 107, 110, 112, 113, 114, 120, 121, 122, 124, 125, 126, 128, 131, 132, 133, 138, 139, 153, 165, 176, 184, 2 53. 279> 280, 281, 282, 287 Chopin 287 Chor 44, 45, 46, 52, 54, 73, 83, 84, 85, 86, 87, 89, 91, 132, 137, 158, 244, 247ft, 253

302

Choral 74, 75 Choralnotation 283, 285 Chorantiphonie 85 Choreographie 76 Chorgesang 81, 91, 132, 237, 247ff. Chortanz 248, 249 chroai 193, s. Färbung chróma 195 chröma hemióllon 193 chróma malakón 193, 194 chróma syntonon 194, 195, 260 chróma toniaion 193 chromatisch 66, 103, 106, 142, 161, 186, i88ff , 193, 194, 196, 198, 203, 210, 214, 260 chrónos prótos 241, 244, 246 Chrysothemis 211 Chuen 1 1 0 Cicero 244, 253, 254 Cincinati 71 circumflexus 143, s. Zirkumflex ClaqUeure 252 Claude le Jeune 284 Clemens Alexandrinus 73, 250 close 31 Collangettes 258 Comparative Musicology 25 Coníinalis 58, 110, 196, 259 Coomaraswamv 149, 164 Crescendo 94 Cruit 282 Daktylus 80, 167, 241, 242, 243, 244, 284, 285 Dädrä 168 Daghda 282 Da-Hia-Gebirge 102 dä'ira 269 Dänemark 276, 285 Darius 53 Darwin, Ch 15 David 52, 53, 73, 82, 84, 176 Davies, E. H. 38 Dechevrens 261 Decrescendo 94 Degeneration 88 deklamatorisch 268 Delphi 180, 251, 253 Dém 29

Densmore, Fr. 23 Derwisch 263 Deubner, L. 191 Deutschland 55, 273, 278 Dhaivati 115, 160 Dhlma 168 Dhruva 169 Di 122 Dialektik 50 Dialog 249 Diapason 257 diatonisch 58, 59, 60, 73, 159, 163, 186, 187, i88ff. 193, 194, 196, 200, 201, 207, 210, 2 1 1 , 222, 260, 273, 275 didtonon 195, 260 dicLtonon ditonialon 1 9 4 ! , 257 didtonon homal6n 67, I94f., 261 dicLtonon malakön I93f., 194, 195 dicLtonon syntonon 193, 194, 195, 258, 260 didtonon toniaion 194, 195 diazeuxis 204 Dichtung 30 Didymos 195 diezeugm6nön 204, 205 dim 266 Dionysios (Komponist) 181 Dionysios von Halikarnassos 241 Dionysius Jamblicus 204 Dionysos 248, 249 Dionysoskult 249 Dlpaka 157 Diplasia 242 Dipodie 8i, 242, 243 Dirigent 70, 137, 171, 249 Dissonanz 50, 132, 239, 287 Distanz 23f., 25, 39, 67, 110, 116, 119, 194, 196, 197. 206, 232 Dithyrambus 231, 247, 248 ff. ditonialon 196, 210 diwän 263 Dominante 58, 155, 237, 274, 278, 280, 281 Doppelaulös 236 Doppelbordun 175 Doppelflöte 183, 184 Doppelfuß 242 Doppelklarinette 89, 267 Doppeloboe 55, 56, 89, 147, 251 Doppeloktave 90, 204, 207, 215, 239

Doppelpfeife 89 Doppelschläge 165 Dorer 247 Dorios tónos 217 Dorisch 58, 60, 61, 73, 1 1 3 , 159, 162, 190, 191, 198, 199, 200, 201, 202, 204, 205, 206, 207, 209, 210, 2 1 1 , 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 221, 222, 224, 227, 228, 230, 232, 259, 271, 272, 276, 280 Doristí harmonía 217 Drama, griechisches 249 ff. —, lyrisches 123, s. nö —, musikalisches 74, 288 Dreiachtelnoten 171 Dreiachteltakt 243 Dreiachteltöne 193 Dreiertakt 125, 284 Dreiklang 133, 283 Dreitonmelodie 28, 33, 39, 40, 117,

185, 203, 212, 220, 247,

143,

145. 279

Dreiviertelton 193, 206, 222, 260, 26iff. Drittelton 193, 194, 195, 257, Druide 282 dum 266 Duodezime 103, 105 Dur 61, 122, 155, 162, 163, 228, 260, 270, 272, 274, 275, 287 Durchgangston 122, 221 Durgä 161, 162 Duris 236 dvitiya 144 dynamis 216, 227, 228, 2 3 2 I dynamisch 221, 222ff., 2 3 2 ! , 280 Echo 165 Ecktonversetzungen (toptail inversions) 60, 1 1 1 , 153, 154, 210, 218, 287 Edison, Th. A. 22 eidos 183, 198 Einfall 58 Einheitswerte 150, 194 Einklang 90, 132, 237, 241 Einleitung 174, 233, 268 Einschnitt 245 einstimmig 250, 283, 285 Eintonlitanei 40 Eintonmelodie 28 f. Eintonrezitation 29 303

Einzelklang 96 Einzelton 23, 49, 76, 77, 78, 91, 96, 97, 106, 124, 125, 127, 128, 146, 164, 239 E k ä 168, 169 ekbolé 222 éklysis 222 Ekstase 38, 123, 263 Elam 90, 91 Elemente, motorische 76 el-Hola'I, Kamel 261/2 Ellis, A. J . 23, 25, 120 emmelés 277 Emotion 60, 230, 232, 255 Empfinden, harmonisches 45 Empfindung 97, 158 Enaenetos 248 Endton 3 1 , 59, 61, 225, 231, 280 Engbewegung 33 f. England 55, 273 Enharmonik 1 1 5 , i88ff., 193, 202, 203, s. Tongeschlecht enharmonisch 63, 64, 188ff., 194,195,198, 200, 203, 210, 222, 224, 225, 239, 250 Enharmónion 193, 194 Enlil 52 Ensemble 63, 91, 174, 267, 268, 269 Entwicklungslehre 28 Epitriton 242 Epilog 249 Eratosthenes 195, 260 Erech 52 Erhöhung 186, 187, 214, 217, 280 Erhöhungszeichen 185 Erniedrigung 165, 194, 217, 280 Erniedrigungszeichen 185, 213, 222 Erregungsfaktor 38 Erziehung 51, 91, 191, 234ff. Eskimos 19, 37 Ethos 166, 23off , 234, 263 Etrurien 253 Eudoxios von Cadiz 176 Euklid 182, 204 Eunuchen 141 Euphrat 86 Euripides 180, 188, 225, 231, 250 Euripides-Fragment 237 Europa 21, 40, 41, 45, 46, 55, 56, 75, 1 1 8 , 119, 1 2 1 , 130, 145, 156, 164, 166, 178, 184, 195, 255, 257, 270ff , 288

304

Evangelium 74 exodos 249 Fabius Quintiiianus 167, 244 Falsett 269 Färbung 59, 70, 159, I93ff., 210, 257, 258, 260 Feer, L. 152 Fermate 41, 46 Feuerland 44 Fewkes, W. 22 Fiedel 88, 107, 116, 139, 140, 175 fifth on top s. hochquint Finalis 32, 58, 1 1 0 , 226, 274, 277 Fingersatz 186, 188, 213, 214 Fingersatznotationen 127 Finnland 30, 279 Fleischer, O. 276 Florentiner Camerata 288 Florenz 55, 273 Flores 47 Floskeln, melodische 166 Flöte 42, 50, 52, 55, 63, 64, 65, 67 94, 96, 99, 123, 130, 132, 133, 134, 136, 137, 139, 251, 267 Form 18, 32, 37, 38, 40, 91, 125, 167, 174, 247ff., 268 Formeln, melodische 87, 97, 123 —, rhythmische 126, 266 Formprinzip 40, 233 Forschung, musikwissenschaftliche 25 fourth on top s. hochquart Fox Strangways, A. H. 18, 31, 43, 62, 153, 164 Franke, O. 102 Franken 270, 282 Frankreich 273, 278, 285 Frauenchor 27, 46 Frauengesänge 82 Frauenorchester 139 Frauenstimme 62 Friedrich II. 282 Fuge 237 Fuller, J . F. C. 104 Füllton 34, 35, 57, 1 1 1 , 1 1 2 Fünfvierteltöne 193 Funktion, harmonische 267, 287 Fyzee- Rahamin, Atiya Begum 158

Gabala 256 Ga-gräma 152 ff. Gahär-gäh 261 Galilei, V. 181 Galpin, Fr. W. 77 gamakä 131, 164 ff. Gamelan 56, 139 Gändhära-gräma s. Ga-gräma Gändhäri 160 Ganges 147 Ganzschluß 31, 32, 74 Ganzton 23, 24, 45, 59, 60, 65, 67, 68, 73,

78, 90, 103, 106, 109, 118, 123, 130, 143, 149, 150, 153, 187, 188, 194, 195, 202, 203, 210, 216, 219, 230, 257, 258, 261, 262, 275, 277, 279

120, 159, 206, 259,

122, 186, 208, 260,

Gaudentios 67, 182, 189, 213, 239 Gaukler 271 Gautier, J . 25 Gebärde 33, 36, 70, 241 Gefühl 158 Gehör 21, 22, 64, 110, 120, 165, 196 Geiger 42, 267, 269 Geisha 124 Gemeinschaftsmusizieren 89 Gemütsbewegung 52, 281 Geometrie 50 Genus, diatonisches 198, s. Tongeschlecht Geräusch 96, 244 Germanen 270, 275, 278, 282 Gerüst, melodisches 271 —, metrisches 81 —, tetrachordales 155, 281 Gerüstintervall 257 Gesang 27, 29, 32, 37, 41, 44, 52, 53, 54,

71, 72, 74, 75, 84. 87, 88, 91, 101, 123, 136, 141, 145, 164, 185, 187, 217, 250, 253, 268, 269, 281

Gesang, begleiteter 174 —, vedischer 143ff., 166, 241 Gesang der Gesänge 74 Gesangbuch 75 Gesänge 17, 18, 21, 37, 38, 56, 57, 71, 82,

88, 94, 112, 127, 145, 183, 249, 250, 255, 270, 273, 279

Gesänge, weltliche 93/4, 274 Geschmack 44, 96, 130, 142, 175, 182,

196, 247, 279

Gesellschaft, philharmonische 183 Gestalt 52, 196 Gestaltung 39, 49, 265 Gesten, Gestik 70, 166, 170, 171, 243 Gesundheit 234 ff. Ghurka-Orchester 138 Gilde 51, 52 Giles 102 Gilman, B. 22, 23 gittit 75 Glaukos von Rhegion 182 Gleitetöne 189 Gliederung, rhythmische 18, 42, 167 Glissando 96, 124, 145, 165 Glocken 94, 97, 98, 103, 106, 125, 136 Glockenspiel 104, 106, 110, 127, 136* 137 Gobi 102 Golf von Bengalen 27 Gombosi, O. J . 219 gong 95 Gong 116, 119, 133, 135, 137, 139 Gongspiel 107, 139, 140 Gopaul, Naik 157 gotisch 276 Gottesdienst, buddhistischer 132 —, musikalischer 71 —, protestantischer 74 Grabgesänge 247 gräma 119, i 5 i f f . , 153. *59. 258, 280, s. Ga-gräma, Ma-gräma, Sa-gräma Grammatik 50, 215, 235 Granada 269 Gravis 78, 143, 240 St. Gregor 274 gregorianisch 71, 74, 271, 282 Gregorianischer Gesang 75, 273ff., 278, 285 Grenzton 39, 57, 1 1 1 , 149, 216 Griechenland 12, 30, 55, 56, 57, 58, 59, 61,

62, 63, 64, 67, 79, 81, 87, 91, 92, 98,

99. 115, 117. 1 3 2 . 133. 143. 147. *49,

156, 159, 161, 177, i78ff., 253, 255, 256, 257, 260, 270, 274, 278, 280, 281, 282, 284, 287, 288, s. Hellas Griffbrett 66ff., 153 Griffloch 64, 65, 89, 107, 164, 206, 219,

281

Grifftechnik 64 Griffmarke 1 1 0

305

Grönland 19, 1 1 2 Großterzgeschlecht 1 1 6 Großterzpentatonik 64, 1 1 5 , 190, 191, 203 Großterzskala 1 1 4 , 1 1 5 , 202, 203 Grove 239 Grundeinheit, melodische 165 —, rhythmische 266 Grundgerüst, melodisches 57, 58, 74, 75, s. Gerüst —, versgebundenes 75 Grundtöne 60, 61, 65, 105, 109, 1 1 9 , 128, 173, 186, 199 Gruppennotation 77, 91, 127, 1 3 1 Gruppentanz 81 Guaraní 17 Guido von Arezzo 130, 145, 275, 277 Hackbrett 256 Halbchöre 83, 85 Halbschluß 3 1 , 32Í., 74 Halbton 23, 24f., 38, 45, 59, 60, 61, 63, 65, 68, 73, 78, 90, 95, 106, 109, 1 1 3 , 1 1 4 , 116, 1 2 1 , 143, 150, 152, 153, 159, 1 6 1 , 162, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 193, 194, 195, 198, 201, 202, 203, 206, 208, 210, 2 1 1 , 212, 214, 216, 217, 218, 219, 221, 226, 230, 231, 257, 258, 259, 260, 261, 262, 273, 275, 279, 288 Halbvers 84, 85 Halevy, Yehuda 100 Hallel 84, 85 Hammerich, A. 276 Hamsadvanl 120 Han-Dynastie 1 3 1 , 136 Hanani 84 hanchilot 75 Händeklatschen 41, 43, 85, 170 Händel, G. Fr. 55 Hänuman 157, 168 Harfe 50, 52, 53, 54, 55, 63, 64, 69, 72, 84, 91, 104, 137, 147, 153, 176, 256, s. a. Horizontalharfe, Vertikalharfe Harfenist 64, 90, 137 harmonía 73, 1 8 3 , 1 8 9 , 198, 2 0 0 I , 208, 214, 217, (Harmonie) 219, 229, 230, 2 3 3 ! , 234, 241, 250, 263 Harmonie 26, 44, 89, 100, 116, 132, 133, 193, 237, 238, 239, 262, 270, 282, 2 8 3 ! , 287 306

Harmonie, kosmische 98 Harmonische 69, 70, s. Obertöne, Partialtöne Harmonium 164 Hassan ibn Täbit 256 Hauptton 39, 57, 90, 119, 237 Hauptzählzeit 43, 241 Haydn, Joseph 89 Hearp 282 hebräisch 57, 78, 80, 81, 85, 176, 250 Heilung durch Musik 234 Helios-Hymne 181, 187, 212, 216, 225, 232, 240, 243, 245, 248 Hellas 233, 243, 247, 282 hellenistisch 256 Heman 53, 57 hemiolia 242, 244 Heptachord 198, 199 Heptade 57, 59, 60, 63, 90, 1 1 2 , 1 1 6 , 1 1 7 , 120, 190, 192, 199, 202, 205, 209, 2 1 1 , 222 heptatonisch 58, 59, 87, 91, 1 1 7 , 1 2 1 , 122, 161, 1 9 1 , 200, 201, 202, 255 Herakleides Pontikos 182, 200, 206, 208 Herodot 56, 235 hestotes 219 Heterophonie 44, 46, 133, 134, 237/8 f. Hexachord 1 1 2 , 1 1 9 , 275 hexatonisch 142, 154, 159, 201, 257 Hiä Hi 102 hichiriki 133 hieropsaltai 63 Higäz 196, 260, 264 Hilfsmusikanten 137 Hilfstöne 1 2 1 Hindolam 163 Hindu 12, 62, 70, 75, 127, 144, 145, 150, 158, 159, 161, 163, 165, 167, 174, 176, 233, 245f., 258, 264, 280, 281, 283 Hindustan 142, 174 Hinterindien 176 Hirajöshi 1 1 3 , 1 1 4 , 1 1 7 , 199 Hirten 52 ,hoch' 62, 231, 232, 246 Hochkultur 49, soff., 155 hochquart 58, 199 hochquint 58, 199 Hochzeitschor 248 Hochzeitsgesänge 81

Hofmusik 133 Hofmusiker 1 1 , 53, 137 Hoforchester 90, 91, 134, 137, 138 Holland 56 Holzblasinstrumente 64, 65, 185 homophon 88, 239 Kopi 36 Hoquetus 285 Horaz 245 Hörer 96, 97 Horizontalharfe 268 Horn 128, 268 Hornbostel, E. M. von 18, 23, 66 Huang Di 102 Huang Dschung s. huang zhong huang zhong 102, 103, 105, 106, 109, 128 Hussaynl 264 Hussaynl 'USayrän 209, 260 Hygros ben Levi 54 Hymne 83, 85, 86, 95, 97, 1 1 1 , 125, 180, 199, 231, 233, 235, 240, 247, 274 Hymnen, delphische 189, 191, 196, 209, 222, 223, 224, 226, 227, 228, 243, 248 hypátg 62, 204, 205, 216, 217, 218, 231, 243 hypatoid 231 f., 263 hypáton 205 Hyperäolisch 215 hyperbolaiön 204, 205 Hyperdorisch 1 1 3 , 200, 207f., 215 Hyperj astisch 215 Hyperlydisch 213, 215 Hypermixolydisch 212, 215, 216, 218, 222, 223, 229, 231, 248 Hyperphrygisch 215, 260 Hypoäolisch 215 Hypodorisch 61, 113, 159, 162, 199, 200, 206, 207f., 208, 209, 212, 215, 216, 218, 219, 220, 222, 228, 229, 230, 260 Hypoj astisch 215 Hypolydisch 61, 159, 162, 185, 199, 202, 206, 212, 213, 214, 215, 216, 218, 220, 221, 222, 228, 230, 232, 233 Hypomixolydisch 220 Hypophrygisch 61, 159, 162, 199, 206, 212, 215, 218, 220, 221, 230, 260 hypórchema 247 Ibn Sinä 256, 264, 267 Idelsohn, A. Z. 71, 73

Ideogramm 147 Idiophon 116, 139 Illustration 251 Imitation 48 improvisieren 33, 42, 71, 86, 88, 152, 233, 267, 268 Impuls, motorischer 17, 33, 42, 48, 58, 62, 147, 165 —, rhythmischer 41 —, vokaler 281 incentiva 183, 184 Indianer 12, 19, 25, 37, 38, 43, 271, 280 Indien 12, 31, 39, 43, 58, 62, 69, 70, 77, 78, 89, 93, 98, 114, 115, 117, 119, 120, 125, 126, 131, 132, 133, 138, 139, 140, 141 ff., 184, 189, 190, 195, 210, 231, 233. 255, 258, 263, 265t., 266, 267, 269, 280, 281, 282, 283, 284, 286 Indochina 93 indoskythisch 147 Indus 177 Induskultur 147 inferior generation s. Ableitung Infix 33, 35, 37, 276 Infrafix 34, 35 Innini 52 Instrument 26, 42, 43, 44, 50, 52, 53, 54, 55. 56, 58, 60, 62, 64, 66, 70, 72, 75, 84, 90, 91, 95, 96, 98, 99, 100, 106, 107, 116, 117, 118, 119, 120, 123, 125, 128, 130, 133, 136, 137, 138, 139, 147, 165, 177, 178, 184, 186, 200, 202, 2 1 1 , 214, 215, 219, 232, 235, 236, 237, 238, 253, 256, 257, 267, 268, 281, 282, 283 instrumental 56, 107, 122, 164, 228, 235, 243, 244, 251, 265, 266, 268, 269, 281, 282 Instrumentalist 44, 60, 63, 72, 107, 132, 149 Instrumentalleiter (-skala) 149, 281 Instrumentalmusik 42, 71, 141, 229, 237, 281, 282, 283 Instrumentalnotation 185 ff. Instrumentalspiel 71, 72 Instrumentalstil 43, 282 Interpretation 95, 155 Intervall 16, 23, 2 4 ! , 29, 3 2 ! , 33, 38, 39, 49. 5 2 . 57. 60, 67, 69, 70, 98, 106, 114, 118, 120, 121, 145, 148, 149, 165, 182, 307

189, 193, 194, 222, 238, 239, 257, 260, 267, 271, 273, 277, 283

Intervalle, ,antiphonische' 238 —, .paraphone' 238 — , .symphonische' 238 Intervallvorstellung 39 Intonation 79, 123, 124, 189, 195 Iqä'ät 265 ff. Irak 255 Iran 56, 91, 177, s. a. Persien 'Iräq (maqäm) 264 Irland 55, 282 Irtysch 279 isa, ison 241, 244 Isaacs, E . 81 Isfahan 196, 210, 260, 263 Islam 56, 67, 98, 138, 176, 199, 209, 210, 2 3 1 , 255ft., 265, 280

Island 2 7 1 , 276 I s r a e l 5 2 f f . , 56, 7 1 , 86, 87

Istrien 46 Italien 55, 253, 273 Iwato (jöshi) 1 1 3 , 199 Iyäs ibn Qablsa 256 jambisch 81, 242, 243f., 244 Jambos 242 Jambus 80, 167, 242, 243, 246, 265, 284 J a p a n 12, 25, 5 1 , 63, 93, 96, 1 1 3 , 1 1 4 , 1 1 5 , 121, 122, 123, 126, 130, 1 3 1 , 132,

133,

138, 176, 184, 190, 1 9 1 , 193, 199, 200, 2 0 1 , 202, 282, 287

Jastisch 190, 198, 200, 204, 209, 210, 2? 4, 215 jätis 154, 159 ff-, 169 J a v a 22, 56, 93, 1 1 5 , 1 1 6 , 1 1 7 , 1 1 8 , 1 1 9 , 120, 127, 139, 140, 193, 287

Jazzband 287 Jeduthun 53, 57 Jemen 7 1 , 73, 74, 81, 82, 85 Jenissei 19 Jephta 82 Jerusalem 85, 91 J h a m p a 169 Jing Feng 105 Jisrahja 84 jodeln 19 Joel 53 Johannes de Grocheo 271, 285

308

Jonisch 190, 200, 204, 209, 2 1 4 Josephus, Flavius 63, 64 J u b a l 50 J u d a 84 Juden 52, 55, 62, 71 ff., 74, 76, 78ff., 87, 88, 98, 99, 1 0 4 , 2 7 3

Jue 95, 1 0 9 Jugoslawen 30 Julian der Abtrünnige 270 Jünglingsweihe 27 ka 7 8 Kabbala 104 Kabylen 251 Kadar 62 Kadenz 28, 29, 44, 88, 268, 273 Kairo 77, 87, 180, 212, 243 Kairo-Fragment 222, 226 Kakko 133, 135 Kambodscha 120, 122, 138, 139 Kamerun 56 Kammermusik 139, 174 Känika 18 Kanon 47, 48, 132 Kanon 67 kantabel 43 Kantate 269 Kantillation 39, 41, 48, 62, 74, 75, 76, 78, 79, 82, 85, 86, 87, 1 2 3 , 1 4 2 , 1 4 3 , 2

146,

73> -IS, vgl. a. Gregorianischer Gesang Kantor 74, 76, 78, 86 Kaoli 138 Kapelle 267 KäphI 160, 162, 163 Karl der Große 270 Karolinen 28, 45 Kaschgar 138 Kastagnetten 244 Kaste 5 1 kätharsis 234 K e Huan 138 Kenanja 53 Kesseltrommeln 266 Keten 19 Kette 36f., 275 khälis 173 Khamäj 160, 162 Kinderlieder 37, 1 1 3

Kinnari 176 Kinnor 176 Kirchenmelodien 273 Kirchenmodi 271, 274, 275, s. Kirchentöne Kirchenmusik 87, 271, 273, 274 —, äthiopische 88 ff. —, katholische 71, 166 —, koptische 273 Kirchensänger, abessinische 77 —, römische 270 Kirchentöne 58, 60, 199, 219, 228, s. Kirchenmodi Kirgisen 125, 279 Kithara 50, 195, 200, 201, 202, 204, 205, 210 Kitharis 200 Kitharöde 208 kitharodös 252 Klagegesang 40 Klagelieder 73, 74, 78 Klang 19, 62, 95, 97, 99, 100, 156, 269, 270 Klangempfindung 181 Klangerzeugung 181 Klangfarbe 42, 96, 97, 138, 139, 175, 211 Klangspiele 97, 137, 139 Klapper 42, 137, 140, 235 Klapperrohr 137 Klarinette 94, 128, 164 Klarinettist 214 Klasse 51, 57 Klaviatur 59, 196, 262, 286 Klavier 59, 6o, 61, 64, 109, 196, 199, 218, 262, 286 Kleinasien 55, 178, 180, 249 Kleinterzpentatonik 200, 20iff. Kleinterzskalen 200, 202, 203 Klingstein 94, 95, 97, 136 Klingsteinspiel 127, 136, 137 Knabenchor 248 Koda 85, 89 kodok ngorfek 1 1 7 Kokkara 18 Koma fuye 133 Komi s. Syrjänen Komma, didymisches 68, 150, 195 —, pythagoräisches 24, 257, 258 —, syntonisches ( = didymisches) 68 21

Sachs, Musik

Komödie 249 Komponisten 55, 95, 121, 128, 1 3 1 , 139, 172, 187, 214, 233, 234/5, 24°. 245. 249, 273, 285, 288 Komposition 75, 166, 231, 269, 281, 287 Konfuzius 94, 95, 96, 97, 1 1 1 , 125, 138 Kongo 34, 47 Konservatorium 253 konsonant 44, 57, 67, 91, 238, 239, 267 Konsonanz 50, 148, 201, 23gf., 267f., 283, 287 Kontamination 247 Kontrapunkt 58, 60, 89, 107, 134, 173, 199, 219, 236, 237 ff., 283 , Kontrast 114, 120, 196, 202, 244 Kopten 87ff., 273 Korea 19, 93, 106, 1 1 4 , 1 2 1 , 124, 125, 133, 137. 138, 1 7 6 Koromandel 120 Körperschlag 41, 171 korsisch 271 kosmologisch 69, 97, 98, 99, 109, 157, 158, 191, 287 Koto 51, 52, 107, 1 1 3 , 130, 1 3 1 , 132 Kreta 55, 56, 183, 2 1 1 , 244, 247, 248 kroümata 185 kroüpalon 244 krushta 144 Kubu 38, 46 Kuhnau, Johann 251 Kui 100, 136 Kultur 17, 55, 147 Kumoi(jöshi) 113, 114, 116, 117, 191, 199 Kunst 157, 165 Kunst, Jaap 116, 117, 1 1 9 Künste, freie 50 Kunstfertigkeit 165, 166 Kunstgesang 141 Kunstlied 164 Kunstmusik 25, 142, 174, 233, 253, 258, 271 Kutscha 122, 138 Kutsuk 264 kyrios phtongos 238 Kyun 1 1 0 Lachmann, Robert 12, 37, 82, 251 Lagasch 52 lalibaloö 89 309

Lamech 74 Lamprokles 208 Landini, Francesco 273 Landini-Sexte 278 Langhalslaute 55, 66, 67, 69, 91, 164, 177, 257

Längsflöte 108, 134 Langzither 96, 107, 110, 113, 130, 131, 1 3 2 . *33. i-36. *37. Laos 281 Lasos von Hermione 181, 249 Launeddas 89 Laute 50, 52, 55, 62, 64, 66, 67, 68, 71, 84,91, 96, 122, 128, 133, 134, 137, 139, 140, 142, 153, 165, 177, 186, 256, 257, s. a. Bundlaute, Langhalslaute Lautenist 66, 67, 107, 117, 137, 164, 261, 267 Lautstärke 246 Leier 52, 53, 54, 55, 69, 104, 147, 176, 177, 184, 186, 187, 191, 193, 194, 199, 200, 201, 202, 2 1 1 , 212, 214, 229, 236, 238, 250, 252, 253, 268 Leierspieler 64, 192, 195, 216, 249 leimma 194, 245, 257, 258 Leiter 23, 24, 58, 64, 73, 115, 120, 146, 257 Leitton 274, 277, 279, 280 Lesbier 183, 245 Leviten 53, 54, 83, 84 Libyen 86 lichanós 193, 194, 204, 205, 217, 218, 219, 261 Liebeslied 277 Lied 101, 115, 256, 258 Liedform 32 Ligaturen 87, 91, 143, 144, 146, 241, 245 limi, 119 Lima 117, 118, 1 1 9 Ling Lun 102 linguistisch 279 Liniennotation, 275 linke Musik I33ff. Linos-Lied 56 Liturgie 28, 52, 55, 71, 73, 74, 75, 77, 81, 82, 85, 86, 88, 125 Livius 253 lo 94 Lobgesang 84, 168 Logik 50, 51, 57

310

logogen 38t., 39, 48, 91, 124, 241 Lokrisch 198, 204, 209 Longa 81, 240, 241, 245, 284 Loyalty-Archipel 46 Lu 138 lü 101 ff., logf., 128 lü-Reihe 107, 109 lü-Zyklus 105 Lü Bu We 94, 99 Lukian 235 Luksor 87 Lully, Jean Baptiste 55 Luther, Martin 72, 75 Lyall, C. J . 256 Lydien 178 lydion 195f , 2iof. Lydisch 56, 58, 60, 61, 73, 159, 161, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 206, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 220, 221, 226, 230, 231, 232, 259, 271, 272, 276, 280 Lykurgos 234 Lyra 200 lyrisch 250 Lysiades 248 Lysikrates 248 Ma-gräma 151 ff., 153, 159, 258 Mädchenchöre 248 Madhyamä 160 MadhyamävatI 120 magisch 82, 124, 145, 234 Magnifikat 269 Mahädeva 156, 161 Mähür 231, 261, 263 Mähüräni 261 Maimonides 138 Malaien 116, 118, 139, 176 Malaiische Inseln 93 Malakka 27, 47 malakön 195 Mälkos 155, 162, 163 Mälsarl 172 Mandschurei 133 mandra 144 Manjurä 119, 120 Männerstimme 62 Mansi s. Wogulen Mantizomenoi 18

198, 210, 219, 260,

maqäm 75, 197, 210, 231, 233, 260, 263ff., 268, 280, 283 Marcianus Capeila 253 Marokko 1 1 5 , 184, 255, 269, 280, 285 Marschtanz 285 Marseillaise 56 Marsyas 179, 251 Martinovitch, N. N. 1 2 2 Märvä 162, 163 Masora, Masoreten 76 Maß 50, 67, 99 Massanqo 88 Maßeinheit 245 Massenkonzert 252 Maßwert 51 Materialleiter 258 Mathematik 5 1 , 215, 256 Mathya 169 Mauren 269 Mäya 280 McPhee, C. 126 Medizin 51, 256 Medizinmann 18 Medizintanz 248 Mehrstimmigkeit 44, 88, 90, 91, I 3 2 f f . , 2 3 7 . 238, 267, 283, s. Polyphonie Meistersinger 75 Melanesien 271, 287 melisch 240, 241 Melisma 79, 91, 282 Melodie 18, 19, 23, 29f., 32, 38, 39, 123H., 167, 275, 285 Melodie, „ewige" 40, 74 Melodieführung 127, 128, 139, 140 Melodieinstrument 134 Melodiekern 34 Melodiemodell 155, 231, 233, 263 Melodiestil 26, 27ff., 73, 231 Melodiestruktur 37 Melodie typ 38 Melodieverlauf 39 melogen 39, 48, 74, 241 melopoiia 231 Membran 42 mensura 285 Mensuralnotation 1 3 1 , 284, 285 Mensuralsymbole 1 3 1 mesaulikd 185 Megäqah, Mihä'il 261 21*

mése 198, 205, 207, 216, 217, 218, 221, 222ff., 231, 232 mesoid 231 f., 249, 263 Mesomedes 1 8 1 , 231 méson 204, 205 Mesopotamien 55, 56, 57, 7 1 , 86, 91, 177, 255 metabolé 222 Metallophon 1 1 8 , 137, 139 Metrum 41, 75, 8o, 81, 87, 91, 123, 143, 145, i67ff., 177, 24off., 248, 250, 265ff., 284ff. Midas 251 Mikado 134, 138 Mikronesier 17 Mikrotöne63, 134, 1 4 1 , 142, 188, 189, 257, 288 Militärkapelle 136 Ming Huang 137 Ming-Zeit 104 Mirliton 19 Mittelalter 133, 145, 167, 239, 255, 271, 275, 278 Mittellage 230 Mixolydisch 60, 61, 159, 199, 200, 206, 207, 209, 210, 2 1 1 , 212, 213, 214, 215, 216, 218, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 230, 231, 232, 260 modal 60, 61, 1 1 0 , 1 1 1 , 1 1 7 , 150, 1 5 1 , 155, 198, 207, 208, 210, 216, 217, 218, 219, 228, 229, 230, 231, 232, 258, 259, 263, 271, 285 Modalstruktur 120 Modell 28, 263, 264 Modell, antipoetisches 265 —, formales 175 — , melodisches 87, 91, 132, 142, 148, 156ff., 176, 268 — .rhythmisches 22, 126, 148, 168ff., 176, 177, 2 6 6 I Modi, metrische 284 ff. Modulation 61, 1 1 4 , 209, 222f., 223, 224, 226, 244 Modus 58, 59ff., 70, 87, 107, 1 1 0 , 1 1 1 , 1 1 3 , 1 1 7 , 1 1 9 , 120, 1 2 1 , 122, 123, 142, 148, 150, 1 5 1 , 152, 159, 190, 1 9 1 , 195, I98ff., 204, 207, 208, 209, 213, 214, 217, 219, 221, 222ff., 231, 232f., 233, 2 5o, 255, 257ff., 274, 280 311

Mogemoc 45 Mohammed 176 Mohammedaner 56, 127, 168, 176, 189, 265, 257, 259, 261, 269 Mohana 120 Moll 133, 207, 228, 270, 287 Mönche 88 Mondon-Vidailhet 88, 89 Mongolei 40, 115, 128, 138, 166, 279 Monochord 67, 182, 194 Monotonie 74, 174, 263 Monteverdi, Claudio 247 Mora 81 f. Moral 234 Mordwinen 279 Moses 52 Motette 285 Motiv 18, 29, 31, 46, 48, 74, 75, 76, 78, 91, 126, 145, 156 mousikci. 176 mousike 243, 244 Mueller 135 Muezzin 256 münäh 78, 79 Mundorgel 132, 133, 134, 136, 137, 281 munggang 1 1 7 mürchana 152, 153 ff. Muscheltrompete 19 Musen 251 Musen-Hymne 181, 202, 212, 225, 231, 243, 248 musica falsa (ficta) 278 musica mensurata 285 Musikakademie 137, 138, 287 Musikamt s. Yuefu Musikauffassung 69, 275 Musikausübung 251 Musiker 53, 54, 55, 57, 58, 60, 61, 137, 138, 139, 141, 147, 148, 157, 158, 173, 174, 177, 217, 223, 234, 236, 239, 241, 248, 253, 261, 269 Musiker, weibliche 53, 138, 176 Musikgeschichte 25, 182, 251, 254, 273t. Musikhistoriker 179, 184, 213, 271, 276, 284 Musikinstrumente 25, 42, 97, 101, 106, 133, 176 Musikkultur 44, 55, 97 Musikleben 148

312

Musiklehrer 238 Musiklineal 24 ff. Musikpraxis 141, 244, s. Praxis Musikpsychologie 184 Musiksystem 148 Musiktheorie 32, 1 1 1 , 147, 181, 182, 189, 255ff., s. Theorie Musikunterricht 235, 236 Musikwesen 100, 253 Musikwissenschaft 19, 20, 22, 26, 47, 182, 183, 194, 256 Musikwissenschaft, Vergleichende 21, 25ff , 179, 184, 271 Mutation 275 Mystik 51, 124 Nachahmung 48 Nachbarton 117, 223, 277 Nachspiel 223, 228 Nacht (Theben) 66 Nahäwand 197, 209, 259, 260, 261 Narada 50, 156, 159, 165 nasal 70, 124, 166 nauba 268 ff. Navaho 30 Nawä 260, 261 Nebenton 29, 39, 1 1 2 Nebukadnezar 268 Neger 38, 56, 184 nem 119 Nem 117, 119, 120 Nemesis-Hymne 181, 212, 225, 243, 248 neté 62, 204, 205, 213, 216, 217, 218, 219, 231, 251 netoid 2 3 1 I , 250, 263 Neuguinea 19, 29, 34, 35, 36, 38 Neumen 78, 79, 87, 91, 127, 128, 130, 166, 275. 284 nginöt 75 Nikomachos 182, 192, 199 Nil 47, 86, 147 Ningirsu 52 Nippur 52 Nisädi 115, 160 nö 16, I23ff. nomisch 231, 249, 250 nómos 243, 248, 250 ff. nómos Athenàs 233, 244 nómos Orthios 243, 251

nömos Trochaios 243, 251 nömos, Pythischer 244 None 210, 257 Nordamerika 38, 43, 271 Norm 23, 103, 105, 196, 197, 261 normieren 58, 145, 261, 281, 282 Norminstrument 1 1 0 Normpfeifen 122 Norm ton 108 Normtonpfeifen 102, 105, 106, 107 Notation 1 1 , 77, 78t, 79, 87, 91, 1 2 7 f t , 130, 1 4 6 ! , 149, 169, 179, 181, 182, i85ff., 188, 201, 212, 241, 275, s. Buchstabennotation, Fingersatznotation, Liniennotation, Mensuralnotation, Silbennotation, Tonhöhennotation, Tonnotation, Vedanotation, Vokalnotation Notationsmittel 271 Notationssystem 22, 23, 41, 51, 185, 275 Noten 128 Notengruppen 78 Notenlinien 286 Notenschrift 22, 23, 51, 127 Notensymbole 149 Notierung 22, 213 Nubien 64, 86, 184 Ob 279 Oberägypten 86 Oberquarte 108 Oberquinte 108, 154 Obertöne ögff., s. Harmonische, Partialtöne Oboe 52, 54, 55, 65, 66, 133, 137, 140, 147, 164, 251, 256, 267 Oboenspieler 137, 164 Ode 101 Ode, Pythische 180 Ohr 244 Oktave 24t, 25, 38, 39, 48, 52, 57, 58, 59, 60, 61, 63, 64, 67, 69, 90, 103, 105, 106, 110, 1 1 1 , 112, 118, 119, 120, 122, 132, 134, 139, 141, 142. 152. 154. 161, 163, 166, 171, 190, 192, 193, 196, 198, 199, 202, 204, 209, 210, 2 1 1 , 213, 215, 216, 217, 218, 221, 225, 229, 231, 239, 241, 257, 258, 260, 262, 267, 271, 274, 275, 278, 279

Oktavgattung 61, 202 Oktavgerüst 277 Oktavierung 239 Oktavparallelen 44, 237 Oktochord 198 olympisch 202 Olympos 179, 190, 233, 237 Oper 74, 124, 247, 282, 288 Oper, chinesische 124 f. Opfer 253 Opferfest 248 Orakel, Delphisches 234 Orchester 39, 54, 63, 91, 97, 117, 119, 123, 1 3 6 f f , 173, 174, 253, 267, 268, 269, 282, 283 Orchestermusik 22, 126 Orchesterritornell 121 orchestrieren 90 Organisation, musikalische 53 Organist 42, 273 órganon trigonon enarmónion 63 Organum 107, 282, 285 Orgel 64, 262 Orgelpfeifen 62 Orgelpunkt 89, 267 Orient 5 o f f , 155, 196, 237, 256, 274, 282, 284, 287, s. Osten Orient, Ferner 167, 200 — , islamischer 195, 196, 263 — , Vorderer 167 orientalisch 12, 22, 23, 25, 70, 142, 155, 156, 161, 179, 183, 184, 194, 196, 205, 231, 232, 233, 237, 259, 260, 268, 269, 270, 271, 273, 274, 281, 287, 288 Ornament 132, 165, 267, 268 Orotschen 19 Orthios 242, 246 Osiris 249 Ostasien 93ff., 115, 202, 280, s. Asien Osten, Ferner 94, 109, 123, 124, 125, 126, 127, 158, 165, 278, 283, 284, 287 — .Mittlerer 71, 104, 108, 125, 139, 196, 259, 282, 283 —, Naher 67, 71, 82, 139, 259 Ostinato 268 Ostinato-Bässe 267, s. basso ostinato Ostinaiomotiv 135, 237 313

Ostjaken 19, 279 Oteki 133 overt 31 Oxyrhynchos-Hymnus (-Papyrus) 181, 199, 212, 214, 216, 221, 222, 228, 232, 233 oxys 143 oxyteros 214 Päan 180, 231, 234, 247, 248, 250 Pädagogik 178, 270 Paiàn 6 paiàn 248 paideia 235 Paiòn diàgyros 242 Paiòn epibatos 223, 242, 244 Päktsche 138 Palästina 55, 71, 73, 76, 86, 88, 176 Palastmusik 121 Pänan 43 Pancami 160 Panini 143 Panflöten (-pfeifen) 97, 106, 281 Pantomime 46, 251 päonisch 242, 243 f., 244 Papua 36 Parallele 44, 45, 46, 90, 107, 132, 222, 223, 224, 226 Parallelgesang 283 Parallelismus membrorum 83, 87 paramése 205, 217, 218 paranlte 204, 205, 213, 217, 218, 219 Paraphonie 239 f. Paraphrasierung 238 parhypàte 204, 205, 217, 218, 219 parhypàte (Färbung) 195 f. Paris 46 parodos 249 parthénia 248 Partialtöne 69f., 103, s. Harmonische, Obertöne parvan 146 Parvati 161 pas double 76 pas simple 76 Passacaglia 30 Passahfest 85 Passamaquoddy 22 Passion 247 pastä 76, 79 314

Patagonier 25, 31, 41 pathogen 38f., 39, 48 pàthos 222 Pathos 38, 39, 74, 230, 233 Pauken 94 Pausanias 182 Pause 57, 130, 168, 245 Pedalton 164 pelog 116, 118, 119, 122 Pelog 1 1 7 Peloponnesischer Krieg 183 Pentachord 39, 57, 58, 60, 61, 65, 112, 196, 197. 198, 199, 201, 204, 259, 260, 271, 279, 287 Pentateuch 73, 74 Pentatonik 280, 283 pentatonisch 38, 39, 59, 64, 65, 73, 90, 91, 109, 110, 1 1 1 , 112, 1 1 3 , 114, 120, 121, 122, 128, 130, 133, 142, 154, 159, 161, 162, 163, 184, 186, 19 1 » 193. 200, 201, 202, 203, 204, 2 1 1 , 214, 222, 223, 224, 257, 271, 279, 280, 281 Periode 32, 150, i69f., 171, 172, 267, 268 perispómenos 143 Permutation 35, 150, 169, 172, 244 Persien 53, 71, 73, 74, 99, 116, 117, 140, 164, 176, 255, 256, 257, 260, 261, 265, s. a. Iran pesrev 268 petteia 231 Pfeifen 56, 65, io2ff., 105, 106, 133, 164, 177, 268 Pfeifenspielerin 176 Pfeifer 130 Pharao 1 1 , 53, 138 Pherekrates 156, 214 Philippe de Vitry 278 Philister 82 Philo 84, 85, 98 Philologie 183, 184, 214 Philosophie 51, 215, 256, 263 phönais 238 phonetisch 91 Phönizien 55, 56, 86, 88, 92, 178 Phonogramm-Archiv 22 Phonogrammaufnahme 38, 40, 46 Phonograph 22, 25, 144

Phorminx 200 Phrase 31, 32, 34, 41, 48, 62, 125, 130, 1 3 1 , 132, 268, 275

Phryger 251 Phrygien 178, 179, 190, 248 Phrygisch 55, 58, 60, 61, 73, 159, 162, 190, 204, 214, 226, 259,

198, 199, 200, 206, 207, 210, 215, 216, 217, 227, 229, 230, 260, 271, 276

201, 211, 218, 231,

202, 203, 212, 2 1 3 , 219, 220, 233, 234,

Phrynis von Mytilene 183, 214 Physiker 51 physiologisch 246 Pipa 122, 128 Pindar 180, 181 ping 128 plagal 58, 60, 152, 199, 207, 208, 229, 274

Plapperliedchen 40 Plato 148, 195, 198, 230, 235, 236, 238, 247

Piektrum 252, 267 Plus-und-Minus-Operationen 150, 151 Plutarch 69, 182, 183, 189, 190, 192, 193, 201, 208, 209, 214, 217, 233. 239, 246

229,

Politik 51, 191 Pollux, Julius 182 Polynesien 17, 28 Polyphonie 44, 237, 283, 285, s. Mehrstimmigkeit Polyrhythmus 43, 126, 266 Poona 31 Popley, H. A. 57 Portamento 31, 149, 165, 189 Posaune 56 Prädominante 155, 163, 164 Pralltriller 164, 165 Präludium 251, 268, 269 prathama 144 Praxis 42, 50, 107, 120, 139, 152, 154, 170, 184, 237, 255, 261, 266, 284

pressus 166 Priester 51 Prinzip, zyklisches s. Auf-und-Ab-Prinzip Privileg 51 professionell 250 prokeleusmatikös 241, 242

Pronomos von Theben 219 proslambanômenos 204, 205 prosodiakôs 243 provenzalisch 271 Prozession 243, 248 Psalm 54, 72, 73, 74, 75, 86, 250 Psalmodie 28, vgl. Kantillation psalmodieren 31, 143 Psalter 75 Psellos, Michael 250 Pseudo-Longinos 238, 239 ptolemäisch 207 Ptolemäus 67, 182, 189, 194, 195, 207, 208, 210, 229, 230, 231, 257, 258, 260, 261

Pulsation 19 punctus divisionis 168 Punktierung 171, 241 Pürvl 162, 163 putra 161 pwe 140 Pygmäen 16, 25, 47, 271 pyknôn 188, 192 Pyrrhichios 241, 243 Pythagoräer 181 Pythagoras 67, 181, 256 Pythagoras von Zakynthos 219 qadma 76 Qänün 267 Qedusa 73 Qin 1 1 , 96, n o , 136, 165 Qing 95 qu 130 Quadrivium 50 qualitativ i25ff., iö7ff., 244 quantitativ I24ff., i67ff., 241, 283 Quarte 24, 29, 32, 34, 35, 36, 38, 39, 44, 48, 57, 58, 59, 61, 64, 67, 69, 7 ° . 73. 7 8 . 8 7 . 9o, 98, 103, 107, 108, 109, 110, 1 1 1 , 1 1 2 , 123, 132, 134, 162, 163, 194, 199, 207, 209, 2 1 1 , 2 3 1 , 238, 239, 241, 263, 267, 271, 273, 274, 275, 280, 281, 282

68, 105, 116, 201, 257, 277,

Quarte, übermäßige 121, 162 Quartenzirkel 257 Quartparallelen 133 Quartett 247

315

Querflöte 122, 123, 133, 134, 137 quilisma 166 Quinte 24, 34, 38, 39, 44, 47, 48, 57, 58, 59, 64, 65, 67, 68, 69, 78, 79, 87, 90, 98, 103, 105, 108, 109, 110, 112, 119, 132, 199, 207, 209, 2 1 1 , 216, 221, 231, 238, 239, 241, 257, 263, 272, 274, 277, 278, 280, 281 Quintenzirkel 64, 103, 105, 106, 116 Quintfortschreitungen 105, 106 Quintparallelen 133 Quint-Quart-Strukturen 274 räga75, 120, 142, 152, I55ff., 172, I 7 4 f f , 176, 231, 2 3 3 ! , 263, 280, 282, 283 rägini 156, 161 Rahäwl 264 Rahmentrommel 43, 55, 82, 176, 266, 284 Räjaräjesvara-Tempel 172 Rallentando 174 Rämämätya 69 Rämäyana 148, 149, 157, 158, 159, 166 Rassel 42, 125 Rasseltrommel 55 Rast 231, 260, 263, 264 Raum, musikalischer 57, 216, 249 re 78 Reaktion, motorische 33 rechte Musik 133 ff. Redekunst 50 Reflex, motorischer 62 Refrain 27, 84, 85, 86, 89 Register 38, 124, 166 Reibung 44, 45 Reihung 46 Reinach, Th. 183, 214 Reiner, Marcus 24 Reinigung (kätharsis) 234 Renaissance 55, 76 Reperkussionston 225 Repertoire 27, 37, 270 reprises 76 Resonanzboden 1 1 0 Resonanzkasten 139, 147 Responsorialgesang 83, 86, vgl. Antiphonie Responsorium, antiphonales 86 Rezitation 74, 78, 82, 143f , 145, 240 316

Rezitationsstil 123 Rezitationston 277 Rezitativ 74 rezitieren 143 rhapsodisch 125 Rhetorik 50 Rhythmus 15, 22, 28, 3 i f , 37, 4iff., 5*. 56, 73. 80, 81, 85, 87, 91, i23ff., 127, 130, 131, 132, 143ff , 147, 167ff., 223, 235, 236, 238, 24off , 255, 258, 265 ff , 284 ff , 288 Riemann, Hugo 185, 190, 200, 243 Ritomell 268 ritsu 107 f Ritsu 110, m f , 121, 201 f Ritual 54, 123 Ritual, vedisches 143 Ritualmusik 71, 109 Ritus 74, 106, 141, 144 Röhrentrommel 177 Röhrenzitter 147 Rom 87, 143, 178, 181, 183, 252, 253ff., 255, 270, 279, 280, 284 Rondeau 278 Rondo 174 Rousseau, Jean Jacques 15, 16 Roussel, Abbé 102 ru 130 Rubato 123 Rüpaka 169, 245 rvïal 78 Ryo n o f f . , 121, 201 Saba 88 Sa-gräma i5iff., 153, 159, 280 Sachs, Hans 124 Sackpfeifen 89, 164, 268 Sadjï 160 Sâdjodîsyavatï 1 1 5 Safï ad-Dïn 67 Saite 55, 63, 64, 65, 66, 69, 70, 72, 99, 104, 107, 108, n o , 116, 122, 130, 131, 136, 152, 153, 156, 165, 183, 186, 187, 188, 191, 194, 200, 201, 204, 205, 211, 212, 213, 214, 216, 219, 221, 229, 252, 257, 258, 267, 281 Saiteninstrument 45, 53, 66, 72, 132, 139, 147. 153- !54 185, 190 Saitenteilung 65

S a k a d a s 243, 251 S a k a i 27 S a l e n d r ü - D y n a s t i e 120 salendro s. slendro S a l o m o 52, 53, 88 S a l o m o n e n 34, 35, 112, 281 saltarelli 76 S a m a - G e s ä n g e 145 S a m a - S ä n g e r 144, 145 S a m a - S t i l 143, 145 s ä m a n 146 S a m a r k a n d 138 S ä m a v i d h ä n a b r ä h m a n a 144 S a m o a 42, 47 San-no t z u z u m i 133 S a n c t u s 73 S a n d u h r t r o m m e l 133, 137 Sangä. 119, 120 Sänger 19, 27, 28, 31, 33, 36, 38, 39, 42, 44, 46, 48, 51, 52, 53, 54, 55, 58, 63, 64, 70, 72, 73, 75, 82, 84, 107, 108, 1 1 5 , 121, 123, 130, 132, 133, 136, 137, 149, 152. 155. 165. 166, 173, 175, 187, 189, 215, 216, 217, 233, 245, 248, 249, 250, 252, 253, 260, 261, 262, 263, 267, 269, 281, 285 Sänger, blinde 5 1 , 87 Sängerinnen 138, 157, 176, 256 S a n s k r i t 1 4 1 , 143 Sardinien 89 S ä r n g a d e v a 69, 148, 152 Saröd 165 Sassaniden, 256, 265 S a t z 268, 269 S a u l 52 S ä z k ä r 261 S c h ä f k e , R . 231 Schall 43 S c h a l l a u f n a h m e 22, 165 Schallkörper 66 Schalltrichter 19 S c h a m a n e n 18, 19 S c h a m a n e n r i t e n 263 S c h a m a s c h 52 Schattenspiele 140, s. p w e Schauspiel 72 Schauspieler-Sänger 249 Schellentrommel 52, 84 Schema 1 9 8

Schicksalslieder 37, 1 1 2 Schilirohrflöte 69 S c h i w a 141, 161 Schläge 167, 169, 170, 1 7 1 , 172, 173 Schlaginstrumente 125, 269 Schlagnotierung 131, 1 7 1 Schlegel 123 S c h l u ß t o n 73, 155, 231, 273 Schneider, M. 283 Schrapinstrumente 125 Schrapröhre 18 Schreien 72 ff. Schubert, F r a n z 16 S c h w e d e n 271 Schwingungen 23, 24ff , 66, 70, 130, 181 Schwingungsverhältnisse 24, 39 Schwingungszahlen 24, 25, 99 se 78, 96, 136 Se 11 S e c h s a c h t e l t a k t 243 Sechsfünfteltöne 22, 122 Sechssiebentel töne 193 Sechstonmelodien 145 Sechszehntel 81, 131 Seikilos 180, 187, 188, 202, 212, 227, 228, 231, 232, 233, 245, 250 Seitenbewegung 128 S e k u n d e n 22, 2 4 I , 29, 32, 33, 34, 35, 39, 40, 45, 46, 64, 109, 110, 112, 116, 118, 119, 121, 132, 134, 191, 193, 195, 2 1 1 , 257. 258 Sekunden, ü b e r m ä ß i g e 159, 162, 260 Sekundkern 112 S e m a n g 47 semitisch 55, 62, 77, 176, 177, 284 Seneca 253 Senoi s. S a k a i S e p h a r d i m 71, 78, 79, 82 sephira i04f.

163,

S e p t i m e n 24, 112, 121, 132, 152, 210, 260, 278, 281 Sequenz 48 S e t j o 137 S e x t e n 24, 38, 73, 104, 109, 112, 144, 210 Shakuhachi108 shang 95, 109 s h a n g (Steigeton) 128 S h a n k a r , U d a i 161, 175

317

Sheng 133 shi 125 Shö 133 Shöko 133 Shujing 100 Shun 100, 136 si 78 Siam 93, 107, 120, 121, 122, 139 Sibirien 19, 37, 112, 279 Siebenachteltöne 122 Siebentonreihe 121, 122, s. Heptade Sl-gäh 263 Slkah 280 Silbennotation 77 Silbenschrift 146 Silbenzahl 74 Silla 138 Simhanadana 170 Simon, R. 146 Sin 83 Sinfonie 44 Singen 17, 18, 19, 25, 27, 28, 33 t., 36, 37, 38, 41, 42, 43, 46, 48, 70, 72, 88, 124, 141, 145, 155, 166, 189, 196, 235, 249, 250, 256, 270, 281, 282, 283 Singmanier 19 Singstil 19, 20, 48, 123 Singstimme 38, 43, 107, 123, 128, 132, 2 1 1 , 215, 232, 382 Singtechnik 23 Singweise 124 Sippar 52 Sistrum 52, 87, 88 Sitäx 177 Sitztänzer 28 Sizilien 180, 253 Skala 2 4 ! , 25, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 69, 75, 87, 97, 100, 101, 105, 106, 107, i09ff., 123, 128, 130, 133, 142, 144, 145, 146, 149 ff., 153, 155, 159. 161, 162, 174, 177, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 193, 194, 195, 196, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 205, 207, 208, 209, 210, 2 1 1 , 213, 214, 216, 218, 219, 221, 229, 230, 231, 232, 233, 255, 257ff., 263, 275, 278, 279, 280, 281, 287, 288 Skandieren 28 Skandinavien 281 318

Sklavinnen 141 Skolion 180, 187, 188, 202, 212, 216, 227, 228, 231, 232, 233, 241, 245, 2 5 0 ! slendro n 8 f f . , 193 slendro-Temperatur 1 1 9 Soesoehoenan 139 Solist 83, 174 solistisch 249, 250 Solmisation 217 ff. Sologesang 91, 248 Solosänger 46 Somanätha 164 Sonate 251 Sö-no koto 133 Sonne, I. 234 Sophokles 249 Sopran 62 Sowjetunion 279 Spanien 269, 271 Sparta 234, 247, 248 Spencer, Herbert 15, 16 Sphärenharmonie 98 ff. Spiel 17, 141 Spiele, Dionysische 248 —, Karnäische 248 —, Panathenäische 248 —, Pythische 182, 248, 251, 252 Spielen 184, 196, 235, 238, 282 Spieler 51, 52, 62, 63, 64, 76, 84, 89, 90, 105, 107, 126, 127, 130, 133, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 154, 164, 196, 197, 200, 2 1 1 , 216, 238, 253, 257, 260, 261, 262, 267, 269, 281 Spieler, blinde, 136 Spielhaltung 42 Spielleute 271 Spielmann 88 Spondäus 169, 246 Spondeios 242 spondäisch 201, 244 spondeiasmös 222 Sprachakzent 28 Sprache 50, 72, 78, 124, 287 Sprache, musikalische 22 Sprachmelodie 16, 22, 79 Sprechstimme 19 Sprechton 124 Springtanz 285 Sprung 78, 79, 165

Sri 158 sruti isoff , 159, 165, 258 sruti-System 153 Stabzither 176 Staccato 94 Stampfröhre 42 f., 137 Standardintervall 64 Standardskala 149, 150 Standard ton 102 f. Standardtonhöhe 100 Standharfe 55 Standlied 180, 250, s. stdsimon stäsimon 180, 225, 231, 250 Steigeton 128 Steinspiele 104, 106, 125, 127 stereön 195 Stil 12, 16, 17, 2i, 25, 28, 36, 38, 39, 40, 42, 45, 48, 51, 57, 70, 122, 126, 133, 142, 145, 147, 249, 250, 256, 262, 269, 271, 273, 281 Stile rappresentativo e recitativo 15 Stiles, Fr. Haskins Eyles 218 Stimm-Maskierung 19 Stimmbänder 38, 281 Stimmbereich 45 Stimme 19, 31, 43, 44, 45, 73, 89, 100, 108, 124, 126, 157, 158, 165, 187, 237, 238, 250, 270 Stimme, gepreßte 70, 87 Stimmfärbung 19 Stimmgebung 124 Stimmkraft 38 Stimmlage 44, 64, 72, 124, 281 Stimmregister 107 Stimmton 104 Stimmumfang 107, 166 Stimmung, Stimmen 50, 64, 90, 91, 110, 116, 118, 121, 130, 186, 191, 192f., 201, 210, 2 1 1 , 212, 214, 216, 221, 222ff., 246, 281 Stimmung (emotional) 97, 98, 155, 165, 230 Stimmungsgehalt 155, 263 Stimmvorrichtung 214 Stoll, D 164, 165 Strabo 176 Straßensänger 273 Strawinski, Igor 41 Streckengleichteilung 65 ff.

Streichinstrumente 201, 239 Strophe 249

Strophe 30, 89, 125, 174, 268 strophisch 248, 250 Struktur 37, 38, 39, 57, 60, 61, 87, 112, ^ o . !55. 1 74. 198-, 202, 208, 210, 2 1 1 , 213, 216, 217, 221, 228, 229, 232, 247, 2 58, 259, 260, 268, 272, 273, 275, 276 Strukturelement 275, 280 .Stufe.58, ,59,-60,.61,.65, 79,..ii7,.ai8„i24, 127, 142, 150, 151, 159, 163, 165, 171, 189, 193, 194, 198, 231, 240, 277 Stufenzirkel 59 Stumpf, Carl 16, 115, 120 Stützton 196 Subfinalis 277 Subjektivismus 183 Subsemitonium 274, 277, 278 succentiva 183, 184 Suidas 251 Sülphäkatä 172 Sumatra 38, 120 Sumer 52, 55, 64, 65, 70, 72, 77, 89, 99, 104, 177 superior generation s. Ableitung Suprafix 34, 35 Supriya 152 svara 152 svarita 62, 143f., 241 syllabisch 87, 91, 145, 245, 275, 282 Symbole, palästinensische (tiberiensische) 77

Symmetrie 46, 48, 145, 172 symphonia 239 Symphonie 239 t., 269 Synagogalmusik 273 Synagoge 73, 86 synemenön 205, 2 1 1 synemenös 2 1 1 Synkope 267 Synkopierung 43, 126 syntono 204 Syntonolydisch 209, 210 syntonon 196, 2iof. syntonos 210 Syrien 55, 78, 86, 87, 88, 255, 256 Syrjänen 279 System 23, 57, 58, 61, 70, 91, 104, 109, 179. 185, 194, 195, 198, 204, 213, 319

21g, 232, 255, 256, 2Ö0, 2Ö1, 262, 273, 274» 275, 280, 281 System, modales 191 —, pädagogisches 234 —, Vollkommenes 198, 204ff., 228 systema 183 systema teleion 204 systema teleion ¿latton 205 ff. Tabulatur 127, i 3 o f f , 186, 187 Tacitus 270 Taiko 133, 135 tak 266 Takt 41 f., 63, 70, 81, 82, 85, 91, 125, 135, 145, i67ff., 172, 242ff., 266 f , 284ff. Taktformel 285 Taktgliederung 31 Taktmaß 167, 169 Taktschlag 130, 131, 165 Taktschlagen 70, 73, 81, 125, 126, 170, 244 f., 284, 285 Taktstrich 41, 286 Taktteil 70 täla i26f., 168ff., 176, 244, 245, 266 Tambattam 176 Tamburi 164, 175, 177 Tamilen 149, 161 täna I54f. Tandschur 164, 172 Tang-Dynastie 107, 124, 125, 137, 139 Tantras 104 Tanz 17, 2 7 f , 32f-, 33f-> 3öff-. 7 2 , 75. 84. 91. 93. 94. 1 2 3 , 126, 141, 243, 244, 247, 249, 284 Tanzchor, dionysischer 249 Tänzer 18, 32, 36, 55, 63, 85, 126, 136, 147. 285 Tanzgruppe 46 Tanzlied 40 Tanzmeister 76 Tanzorchester 137 Tanzspiele 249 taqsim 267f., 268, 269 tarchä 76 tarkib 267 Tataren 125, 256 Taulipdng 18 Teilungsprinzip 67ff , 91, 110, 122, 150, 153. !95. 209, 258, (259), 260I 320

teleute 202 Tempel 52, 63, 71, 81, 91, 104, 147 Tempeldienst 51, 52 Tempelharfe 115 Tempelmusik 54, 88, 121 Tempelsänger 52, 57, 84, 125 Tempelzeremonie 63 Temperament 33, 44, 158, 246 Temperatur 121, 122, 261 Temperatur, gleichschwebende 24f., 59, 119, 120, 150, 193, 194, 195, 196, 209, 262, 287, 288 —, ungleichschwebende 59 Temperierung 118, 119 Tempo 18, 23, 75, 85, 131, 139, 167, 174, 231, 238, 246, 263 Tenor 73, 251 Terminologie 62, 158, 159, 183, 198, 199, 204, 205, 211, 213, 214, 217, 219, 238, 239. 256, 274 Terpander 183, 199, 211, 235, 237 Terz 22, 24, 32f•» 33. 34. 35. 36. 37. 39, 40, 44, 45, 59, 61, 63, 64, 67, 68, 78, 89, 90, 109, l i o , 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 132, 134, 152, 184, 188, 189, 190, 191, 193, 194, 1 95. 201, 202, 210, 211, 216, 221, 225, 239, 241, 258, 259, 260, 263, 271, 272, 273, 279, 280, 281 Terz, neutrale 117, 120, 193 Terzgerüst 271 Terzkern 112 Terzketten 275 ff , 287 Terz-Quint-Gerüst 281 Terzstruktur 279 Tetrachord 39, 40, 57, 58, 59, 60, 61, 63, 66, 67, 73, 87, 90, 116, 117, 152, 153, 155. 159, 163, 177, 188, 189, 190, 191, 193, 194. 1 95. 196-, 198, 199, 200, 201, 202, 204, 205, 208, 210, 211, 216, 217, 218, 222, 224, 225, 226, 230, 257, 258, 259, 260, 261, 271, 273 Tetrachord, unverbundenes 59, 63, 90, 112, 114, 116, 117, 118, 159, 161, 190, 205, 207, 209, 261, 287 —, verbundenes 57, 59, 63, 90, 112, 114, 116, 117, 159, 190, 198, 202, 205, 207, 209, 228, 261, 287 Tetralogie 249

Text 27f., 124 Thaletas 234, 248 Thamyris 251 Theben 86, 89 Thema 29 Theo von Smyrna 239 Theoderich 182 Theon 248 Theorie 50, 56, 60, 110, 148, 151, 154,

Tondauer 125 Tonflöte 136 Tonfolge 59, 121, 157 Tongebung 79 Tongeschlecht 58, 59, 60, 63, 64, 75, 90, 118,

161,

i88ff., 193, 195, 196,

200,

155, 1 6 1 , 169, 177, 178, 194, 199, 2 1 3 ,

39> 2 57. 2 58, 283, s. a. ZwölftonGeschlecht Tongruppe 29, 75, 78, 124, 127, 146 Tonhöhe 16, 19, 23, 28, 31, 38, 42, 58, 59,

2 1 7 , 229, 232, 253, 256, 257, 259, 261,

6 1 , 6 5 , 66, 7 5 , 7 7 , 7 8 , 9 7 , 99, 1 0 0 , 1 0 1 ,

267, 273, 277, 2 8 1 , 287

102, 105, 106, 108, 1 1 6 , 1 1 8 , 128, 145,

Theoretiker 194, 196, 228, 264, 267, 278 Therapeuten 85 f. th£sis 216, 228, 232f , 242Ü.

thetisch 221, 223, 225f., 227, 228, 231, 2 3 2 ! , 2 3 3 , 249, 2 5 1 , 280

St. Thomas 176 Thot 50 Thrazien 183, 251 threnodike 233 Tibet 35, 125, 126, 132, 138, 161 ,tief' 62, 231, 232, 246 Tierhörner 69 Tiger 136 tik 2 6 6 Timbre 19, 23, 96, 97, 134, 266 Timbutu 176 Timotheos von Milet 156, 183 Tintäl 172 tipchä 76 Tocharen 102 Todi 162 Tokio 287 Ton, ebener, 128 —, fallender 130 —, hoher 143, 144, 145 —, mittlerer 143, 144, 145 —, tiefer 143, 145 Tonabstand 16, 33, 39 Tonalität 60, 272, 281 Tonarten 102, 107, 132, 154, 178, 183, 1 8 5 , 1 9 1 , 1 9 5 , 1 9 8 , 2 0 5 , 2 0 6 , 2 0 7 , 209,

2 1 1 , 2 1 3 , 214, 216, 219, 2 2 1 , 222ff., 230,

231,

232t,

233, 235,

269, 2 7 5

Tonbereich 231 Tonbewegung 124, 128 Tonbezeichnungen 218

255,

258,

2

150, 1 7 3 , 2 1 3 , 230, 232, 240

Tonhöhe, absolute 105, 144, 185, 217, 218, 230

—, fallende 240 —, gleichbleibende 240 —, relative 218 —, steigende 240 Tonhöhenmaß 104 Tonhöhennotation 91, 186 Tonhöhensymbole 97 Tonika 32, 47, 48, 58, 60, 102, 152, 155, 196, 259, 263, 274, 2 7 7 , 280, 2 8 1

Tonlage 38, 60, 64, 70, 123, 124, 156, 231, 263

Tonleiter 102 Tonnorm 116 Tonnotationen 127, 187 Tonordnung 232 tonos 183, 198, 233 Tonreihe 59, 60, 103 Tonschrift 97 Tonschwingung 249 Tonstufe 103, 122 Tonstärke 19, 266 Tonumfang 1 1 7 Tonwahrnehmung 181 toptail inversions s. Ecktonversetzungen Torres-Straße 38 Torrhebos 201 Tradition 33, 48, 50, 51, 60, 63, 76, 127, 130, 1 3 1 , 134, 155, 158, 184, 255

tragisch 231, 249 tragódia 249 Tragödie 180, 248, 249, 250, 288 Tralles 180 Trance 28, 263 Transkription 22, 23

321

transponieren 212, 215, 231 Transposition 103, 1 1 9 , 150, 153, 154, 207, 213, 216 Transpositionsskalen 2 1 5 Trauertänze 27 Tremolo 122, 166 tremula voce 166 Triller 78, 164, 165 Trinklied 180, 250, s. Skolion Trinkopfer 201 Triole 18 Tripelinstrument 219 Tripelklarinette 89 Tripelleier 219 Tripodie 243 Tripus 81 Triputa 169, 244 trite 201, 202, 204, 205, 216, 217, 218, 219 Tritonus 24, 239', 278, 280 Trivium 50 Trochaios 242 Trochaios Semantos 242 Trochäus 42, 242, 243f., 244, 265, 284 Trog 136 Trommel 19, 42t., 43, 55, 56, 82, 85, 98, 116, 123, 125, 126, 134, 135, 136, 137, 139, 140, 147, i72ff., 175, 176, 266, 267, 284, s. a. Kesseltrommel, Rahmentrommel, Rasseltrommel Trommel, große 137 —, zylindrische 133 Trommelbegleitung 177 Trommelfell 173 Trommelspiel 81, 1 4 0 ! Trommler 123, 136, 137, 170, 179, 266, 284 Trompete 19, 53, 54, 84 Tropen 75, 76, 78, 123, 213, 217, 233 tropos 183, 198, 213, 231, 233 tropos spondeiakös 201 trtlya 144 Tschuktschen 19 tuba (gregorianisch) 277 Tumburuvlnä 177 Tunbür von Huräsän 257 Tunesien 251 tungusisch 138 Turkestan 122, 138 Türken 87, 176, 196, 209, 255, 257, 259, 261, 268, 287 322

Turkvölker 125 Tuwais 265 tvlr 76 tvisöngvar 271 Überblasen 65, 103, 105 Überblaston 69, 251 Uberlieferung, mündliche 127, 145 'Üd 257, 258 üdätta 62, 143 Udmurten s. Wotjaken Ugro-Finnen 279, 280 Uitoto 34 'Umar ibn al-Nu'män 256 Umfang 38, 39, 57, 60, 61, 65, 73, 90, 1 1 7 , 119, 145, 205, 210, 2 i i , 213, 215, 216, 218, 222ff., 232, 248, 255, 268 Umstimm-Vorrichtung 214 Undezime 205 Ungarn 279 Unisono 73, 89, 132, 134, 236 Unterhaltung 51, 94, 1 4 1 , 175 Unterquarte 154 Upanischaden 104 Ural 279 'Ussäq 210, 260, 264 Väisänen, A. O. 279 Variabilität 65 Variante 169 Variation 35, 155, 174 variieren 3 1 , 44, 145 Veda 62, 78, 104, 142, 143ff., 166 Vedanotation 78 Vedanta 104 Venantius Fortunatas 270 Verbindungston 154, 198 Verfall 88, 254 Vergil 80 Vergleichende Musikwissenschaft s. Musikwissenschaft, Vergleichende Verhalten, musikalisches 196 Verhältniswerte 50, 103ff., 110, 194, 196 Versetzungszeichen 159 Versfuß 167, 24iff., 265 Versmaß 124, 125, 245, 265 Versmetrik 168 Vertikalharfe 268

Verzierungen 23, 62, 78, 87, 91, 130, 131, 164, 165, 174, 231, 233, 263 vibägha 169 Vibrato 96, 97 Viertelnote 81, 1 3 1 , 168, 171, 172, 223, 226, 241, 284 Viertelton 67, 105, 117, 150, 188, 189, 193. 194. 1 95. 206, 210, 222, 231, 239, 261, 262, 288 Viertonmelodie 35, 39 Villoteau, G. A. 77, 86 VInä 69, 147, 157, 165, 175, 176 Violine 66, 175 Virgil 253 Virtuose 54, 196, 248, 252, 253 Virtuosentum 114, 182 Virtuosität 174 voceri 271 vokal 70, 107, 123, 164, 185, 187, 191, 193, 202, 235, 237, 266, 268, 281, 282 Vokalmusik 70, 124, 281 Vokalnotation 185, 187!. Vokalskalen 149, 281 Vokalstil 43, 71, 282 Volksgesang 51, 55, 75, 89, 141, 276, 284 Volkslied 19, 125, 182, 274 Volksmelodien 268 Volksmusik 46, 51, 52, 62, 94, 101, 114, 1 2 1 , 253 Volksmusikanten 236 volkstümlich 233, 250, 260 Volksweise 75 Vollkadenz 32 Vorderasien 164 Vorhalt 57 Vorsänger 27, 84, 85 Vorschlag 143, 165 Vorspiel 267, 269 Vorstellung, musikalische 33, 64 Vortänzer 249 Vortragsweise 164 Vorzeichen 159, 213, 221, 227, 228, 229, 280 wa 78 Wagner, Richard 15, 288 waljda 267 we 78 Wechseltöne 121

Wechselgesang 52, 83, 84, 85 Wedda 29, 31, 34, 37, 41, 141 Wei 94 Weitbewegung 33 f. Wen (aus Wei) 94 Wen (aus Zheng) 95 Wendung 32, 44, 82, 96, 155, 165, 231, 263 Wendung, subsemitonale 277 —, subtonale 277 Werner, H. 40 Westphal, R. 233 Wettkämpfe 236, 248, 249, 250 Wiederholung 29, 3 0 ! , 31, 40, 44, 46, 47, 48, 50, 207, 250, 265 Wiegenlieder 37 Wirbel 66, 135 Wirbelkasten 66 Wischnu 156 Wissenschaft 50, 51 Wogulen 37, 112, 279 Wortmotiv 75 Wotan 124 Wotjaken 279 Wu 101 wu (yi) 128 Xia 94 Xiang 95 Xylophon 42, 139 Ya-Trommel 137 Yak-gäh 260 Yaman 160, 162, 163 Yamana 34 Yang 106 Yecuaná 35 Yekta, R. 197 yetiv 76 yin 106 Yin 94 Ying zhong 128 Yu 95, 109 Yue 94 Yuefu 101 Yüan-Yü 102 zafan 89 Zahl 50, 51, 57, 99 323

Zählzeit 43, 171/2, 241, 242 Zai Y u 72, 107, 1 1 0 Zalzal 1 1 7 , 261 Zangüla 264 Zanza 56 zäqaf 76 zarqä 78 Zäsur 245 Zauberer 5 1 Zaubergesänge 234 Zeile 30, 41 Zeiteinheit 19, 125, 144, 169, 170, 241, 244, 245, 246, 265 Zeitmaß 19, 125, 173, 174 Zeitwert 1 3 1 , 144, 149, 150, 1 7 1 , 231, 284, 285 Zentralasien 1 1 5 Zentraloktave 216 Zentralton 57, 155, 185, 2 1 1 , 231 Zentrum, dynamisches 216 —, feststehendes 216 Zeremoniell, höfisches 141 Zeremonien 17, 18, 88, 93, 101, 143, 253 zeze 78 Zheng 94 Zhi 95, 109 Zhou-Dynastie 103, 104, 110, 1 1 1 , 136 Zigeunerskala 159, 161, 162, 163, 260 Zimbeln 52, 53, 54, 82, 87, 126, 137, 140, 147. 173

Zimbelspieler 126, 137 Ziräfkand 264 Zirkumflex 78, 143, 240, 241 Zither 52, 95, 123, 1 3 1 , 133, 135, 140, 147, 153, 267, 268, s. Langzither Zokugaku 191, 199, 202 Zotenberg, H. 77 Zuhörer 233, 244, 245, 252 Zuni 22, 36 Zupfinstrument 165 Zusammenklänge 91, 132, 134, 1 9 1 , 238, 239 Zusammenspiel 268 Zusatztöne 34 Zweiertakt 285 zweistimmig 238 Zweitaktmaß 265 Zweitonkern 36 Zweitonmelodie 28, 32, 33, 38, 46 Zweitonstil 29 Zweiunddreißigstel 132 Zwergvölker 16 Zwiegesang 35 Zwischenspiel 136 Zwischenton 78, 154 Zwölfton-Geschlecht 59 zyklisches Prinzip s. Auf-und-Ab-Prinzip Zyklus 59 Zypern 56