Die 'Moralia in Job' Gregors des Großen: Ein christologisch-ekklesiologischer Kommentar 3161486188, 9783161486180, 9783161586590

Dem modernen Leser erscheint Papst Gregors des Großen (590-604) umfangreiche Auslegung zum Buch Hiob nicht selten als wi

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German Pages 307 [311] Year 2005

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1. Forschungsstand und Fragestellung
1.1. Gregor als Grenzgestalt zwischen Spätantike und Frühmittelalter
1.2. Pastor und Consul Dei
1.3. Die Moralia in Job als allegorischer Kommentar zum Buch Hiob
1.4. Die Frage nach Auslegungsinteresse und Adressaten der Moralia in Job
Kapitel 2. Entstehung und Adressaten der Moralia in Job
2.1. Die in Konstantinopel gehaltenen Homilien über das Buch Hiob
2.2. Die überarbeitete und ergänzte Fassung der Moralia in Job
2.3. Die praedicatores als Adressaten der Moralia in Job
Kapitel 3. Hiob hactenus indiscussus
3.1. Grundzüge der Hiobinterpretation vor den längeren Abhandlungen des vierten Jahrhunderts
3.2. Die lateinischen Homilien, Traktate und Kommentare zum Buch Hiob seit dem vierten Jahrhundert
3.2.1. Hilarius Übersetzung und Bearbeitung der Hiobhomilien des Origenes
3.2.2. Zeno von Verona: Tractatus de Job
3.2.3. Der Ambrosiaster
3.2.4. Ambrosius: De interpellatione Iob et David
3.2.5. Augustin: Adnotationes in Job
3.2.6. Julian von Eclanum: Expositio libri Job
3.2.7. Hieronymus und der Kommentar des Presbyters Philippus
3.2.8. Caesarius von Arles
3.3. Gregors Moralia in Job in der Tradition der Hiobdeutung
Kapitel 4. Der Widmungsbrief an Leander von Sevilla
4.1. Gregors Lebensbeschreibung als Bezugsrahmen für das Verständnis der Moralia in Job
4.2. Die verschiedenen Modi der Schriftinterpretation zur aedificatio des Publikums
4.2.1. Das Ziel der Auslegung: aedificatio
4.2.2. Kriterien für die wörtliche oder die übertragene Deutung des Textes
4.3. Die Absage an die ars grammatica
Kapitel 5. Die Praefatio zu den Moralia in Job
5.1. Autor und Inhalt des Buches Hiob
5.1.1. Wer ist der Autor des Buches Hiob?
5.1.2. Worum geht es im Hinblick auf die sacrae historiae gesta des Buches Hiob?
5.1.3. Welche Typen enthält das Buch Hiob?
5.2. Die Praefatio als Gliederungsprinzip
Kapitel 6. Die Rolle der Kirche und ihrerpraedicatores im göttlichen Schöpfungs- und Heilsplan
6.1. Der augustinische Rahmen: menschliche Sünde und Gottes verborgene Fürsorge
6.1.1. Zur Frage des Augustinismus bei Gregor
6.1.2. Die Ursünde des Menschen als hochmütige Abkehr von Gott im Gefolge des Teufels
6.1.3. Die Auswirkungen der menschlichen Sünde
6.1.3.1. Der Verlust der ursprünglichen stabilitets des Menschen
6.1.3.2. Der Kampf des menschlichen Geistes mit dem ungehorsamen Fleisch
6.1.3.3. Der Verlust der ursprünglichen Gleichheit zwischen den Menschen
6.2. Gottes verborgene Heilsordnung gegen die Auswirkungen der menschlichen Sünde
6.2.1. Die Sündenstrafen als Erziehungsmittel Gottes
6.2.2. Die göttlichen iudicia occulta als Erziehung zur Demut
6.2.3. Die gegenwärtige Kirche als corpus permixtum
6.3. Die praedicatores als Gottes Werkzeuge zur Eindämmung der Sünden der ihnen Untergeordneten
6.3.1. Die gegenwärtige Kirche als hierarchisch gegliederter Leib Christi
6.3.2. Die Aufgaben der kirchlichen Führung im justinianischen Zeitalter
6.3.3. Die praedicatores als die von Gott eingesetzte liebevolle und strenge Zuchtrute
6.3.3.1. Der praedicator als praepositus – das Beispiel des Ezechiel
6.3.3.2. Verkündigung und zeitliche Herrschaft zur Besserung der sündigen Untergebenen
6.3.3.3. Die praedicatores als Bevollmächtigte Gottes in dieser Welt
Kapitel 7. Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung
7.1. Der Leib Christi zwischen Passion und Auferstehung
7.1.1. Die Passion des Leibes Christi
7.1.2. Die Auferstehung des Leibes Christi
7.1.3. Die Diskussion Gregors mit dem Patriarchen Eutychios von Konstantinopel über die Beschaffenheit des Auferstehungsleibes
7.2. Christi irdische Existenzweise als Paradigma für den gegenwärtigen Leib Christi
7.2.1. Versuchung
7.2.2. Blindenheilung
7.3. Menschheit und Gottheit des inkarnierten Gottessohnes
7.3.1. Die Erniedrigung des Gottessohnes als sichtbares Vorbild für eine andere Lebensführung
7.3.1.1. Christi Weg als Modell von der Erniedrigung zur Herrlichkeit
7.3.2. Christi unsichtbare und der menschlichen Erkenntnis entzogene Gottheit
Kapitel 8. Die praedicatores Christi im Spannungsfeld zwischen actio und contemplatio
8.1. Die condescensio des göttlichen Wortes
8.2. Die praedicatores als der Christus prolongatus
8.3. Die condescensio der praedicatores als Dienst am Leib Christi
8.4. Das Verhältnis zwischen uita actiua und uita contemplatiua
8.4.1. Der praedicator, der zu Jesu Füßen sitzen bleiben will
8.4.2. Der mediator Dei et hominum als Modell für die Verbindung zwischen uita contemplatiua und uita actiua
8.4.3. Die Verbindung zwischen uita contemplatiua und uita actiua im gegenwärtigen Leben der praedicatores
Kapitel 9. Christus und sein Leib in Abgrenzung zu häretischen und arroganten praedicatores
9.1. Die Abgrenzung gegenüber den Häretikern
9.1.1. Wen meint Gregor mit den Häretikern?
9.1.1.1. Die Auseinandersetzung mit der Apokatastasislehre der Origenisten
9.1.1.2. Die Häresie als christologische Verfehlung
9.1.2. Die Freunde Hiobs als Typus der Häretiker
9.1.3. Die häretische Sicht auf den Leib Christi
9.1.4. Die Häretiker als Gegner des Herrn und seiner praedicatores
9.2. Die Abgrenzung gegenüber den arrogantes
9.2.1. Elihus Verhältnis zu den Freunden Hiobs
9.2.2. Elihus Verachtung für die demütige Lebensweise der Kirche
9.2.3. Die arrogantes und das Problem der rechten Ausübung von zeitlicher Macht und Herrschaft
Kapitel 10. Zusammenfassung und Ertrag
Literaturverzeichnis
Quellen
Sekundärliteratur
Register
Stellenregister
Bibelstellen
Antike Autoren
Namenregister
Antike und Biblische Personen
Moderne Autoren
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Die 'Moralia in Job' Gregors des Großen: Ein christologisch-ekklesiologischer Kommentar
 3161486188, 9783161486180, 9783161586590

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Studien und Texte zu Antike und Christentum Studies and Texts in Antiquity and Christianity Herausgeber/Editor:

CHRISTOPH MARKSCHIES

Beirat/Advisory Board (Berlin) • GIOVANNI C A S A D I O (Salerno) (Berkeley) • J O H A N N E S H A H N (Münster) J Ö R G R Ü P K E (Erfurt)

HUBERT CANCIK SUSANNA E L M

(Berlin)

31

Katharina Greschat

Die Moralia in Job Gregors des Großen Ein christologisch-ekklesiologischer Kommentar

Mohr Siebeck

K A T H A R I N A G R E S C H A T , geboren 1965; 1985-1994 Studium der Evangelischen Theologie und Geschichte in Münster und Marburg; 1992 1. Staatsexamen Sekundarstufe I und II; 1994 1. Kirchliches Examen; 1997 Promotion (Westfälische Wilhelms-Universität Münster); 2004 Habilitation (Johannes-Gutenberg Universität Mainz).

978-3-16-158659-0 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

ISBN 3-16-148618-8 ISSN 1436-3003 (Studien und Texte zu Antike und Christentum) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2005 Mohr Siebeck, Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Druckpartner Rübelmann in Hemsbach auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Schaumann in Darmstadt gebunden.

Vorwort Das vorliegende Buch stellt die geringfügig überarbeitete und aktualisierte Fassung meiner Habilitationsschrift dar, die im Wintersemester 2003/2004 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Johannes GutenbergUniversität Mainz angenommen worden ist. Ohne die vielfältige Unterstützung, die ich im Laufe der Jahre von verschiedener Seite erfahren habe, wäre die Abfassung eines solchen Werkes nicht möglich gewesen. Daher möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich allen voran bei meinem Lehrer Professor Dr. Gerhard May zu bedanken, der mir als seiner Assistentin nicht nur alle Freiheiten in der Forschung gelassen hat, sondern sich immer wieder und mit unerschöpflicher Geduld .gregorianische Probleme' angehört und manch klugen Rat beigesteuert hat. Ein ebenso herzlicher Dank gilt dem gesamten Habilitationsausschuß, insbesondere Professor Dr. Irene Dingel für die wohlwollende und intensive Lektüre im Rahmen ihres Zweitgutachtens und Professor Dr. Friedrich Wilhelm Horn als dem umsichtigen Vorsitzenden dieses Ausschusses. Herrn Professor Dr. Christoph Markschies sei ganz herzlich dafür gedankt, daß er den vorliegenden Band in die Reihe .Studien und Texte zu Antike und Christentum' aufgenommen und mir darüber hinaus wertvolle Hinweise für die Überarbeitung gegeben hat. Einen nicht minder herzlichen Dank schulde ich Herrn Dr. Henning Ziebritzki vom Verlag Mohr Siebeck, der die Drucklegung mit großer Sorgfalt betreut hat. Ganz besonders sei auch der Antonie Wlosok-Stiftung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gedankt, die die vorliegende Arbeit bereits im Juni 2004 mit ihrem jährlich vergebenen Preis für Mainzer Arbeiten zur Erforschung der Spätantike ausgezeichnet hat. Meinem Vater, Professor Dr. Martin Greschat, und Monika Stegmann möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich für ihr nicht nachlassendes Interesse, ihr intensives Mit-Denken und Mit-Sorgen während der Zeit der Abfassung dieser Arbeit danken; meiner Schwester Dr. Isabel Greschat für ihr genaues Hinhören und kluges Nachfragen, und meiner Freundin Herta Winkelmeyer für ihre fürsorgliche und selbstlose Unterstützung von Frau zu Frau. Meinem lieben Mann, Dr. Reinhard G. Lehmann, danke ich für sehr viel mehr als nur dafür, daß er mit Recht von sich behaupten kann, der erste Leser

VI

Vorwort

dieses Buches gewesen zu sein. Er hat außerdem, trotz eigener Arbeitsbelastungen, so manche Stunde auf die Formatierung des Textes verwendet. Gewidmet sei dieses Buch meinem verehrten Lehrer Professor Dr. Gerhard May in Dankbarkeit.

Mainz, im Juni 2005

Katharina Greschat

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1. Forschungsstand und Fragestellung

l

1.1. Gregor als Grenzgestalt zwischen Spätantike und Frühmittelalter

1

1.2. Pastor und Consul Dei

3

1.3. Die Moralia in Job als allegorischer Kommentar zum Buch Hiob

9

1.4. Die Frage nach Auslegungsinteresse und Adressaten der Moralia in Job

21

Kapitel 2. Entstehung und Adressaten der Moralia in Job

23

2.1. Die in Konstantinopel gehaltenen Homilien über das Buch Hiob

23

2.2. Die überarbeitete und ergänzte Fassung der Moralia in Job

26

2.3. Die praedicatores

28

als Adressaten der Moralia in Job

Kapitel 3. Hiob hactenus indiscussus

31

3.1. Grundzüge der Hiobinterpretation vor den längeren Abhandlungen des vierten Jahrhunderts

31

3.2. Die lateinischen Homilien, Traktate und Kommentare zum Buch Hiob seit dem vierten Jahrhundert 3.2.1. Hilarius Übersetzung und Bearbeitung der Hiobhomilien des Origenes 3.2.2. Zeno von Verona: Tractatus de Job 3.2.3. Der Ambrosiaster 3.2.4. Ambrosius: De interpellatione lob et David 3.2.5. Augustin: Adnotationes in Job 3.2.6. Julian von Eclanum: Expositio libri Job 3.2.7. Hieronymus und der Kommentar des Presbyters Philippus 3.2.8. Caesarius von Arles

34 34 35 37 38 39 42 42 45

3.3. Gregors Moralia in Job in der Tradition der Hiobdeutung

46

Kapitel 4. Der Widmungsbrief an Leander von Sevilla

47

4.1. Gregors Lebensbeschreibung als Bezugsrahmen für das Verständnis der Moralia in Job

47

4.2. Die verschiedenen Modi der Schriftinterpretation zur aedificatio des Publikums 4.2.1. Das Ziel der Auslegung: aedificatio 4.2.2. Kriterien für die wörtliche oder die übertragene Deutung des Textes

53 53 55

4.3. Die Absage an die ars grammatica

58

VIII

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 5. Die Praefatio zu den Moralia in Job

65

5.1. Autor und Inhalt des Buches Hiob 65 5.1.1. Wer ist der Autor des Buches Hiob? 66 5.1.2. Worum geht es im Hinblick auf die sacrae historiae gesta des Buches Hiob?...68 5.1.3. Welche Typen enthält das Buch Hiob? 71 5.2. Die Praefatio als Gliederungsprinzip

75

Kapitel 6. D i e Rolle der Kirche und i h r e r p r a e d i c a t o r e s im göttlichen

Schöpfungs- und Heilsplan 6.1. Der augustinische Rahmen: menschliche Sünde und Gottes verborgene Fürsorge 6.1.1. Zur Frage des Augustinismus bei Gregor 6.1.2. Die Ursünde des Menschen als hochmütige Abkehr von Gott im Gefolge des Teufels 6.1.3. Die Auswirkungen der menschlichen Sünde 6.1.3.1. Der Verlust der ursprünglichen stabilitas des Menschen 6.1.3.2. Der Kampf des menschlichen Geistes mit dem ungehorsamen Fleisch 6.1.3.3. Der Verlust der ursprünglichen Gleichheit zwischen den Menschen 6.2. Gottes verborgene Heilsordnung gegen die Auswirkungen der menschlichen Sünde 6.2.1. Die Sündenstrafen als Erziehungsmittel Gottes 6.2.2. Die göttlichen iudicia occulta als Erziehung zur Demut 6.2.3. Die gegenwärtige Kirche als corpus permixtum 6.3. Die praedicatores als Gottes Werkzeuge zur Eindämmung der Sünden der ihnen Untergeordneten 6.3.1. Die gegenwärtige Kirche als hierarchisch gegliederter Leib Christi 6.3.2. Die Aufgaben der kirchlichen Führung im justinianischen Zeitalter 6.3.3. Die praedicatores als die von Gott eingesetzte liebevolle und strenge Zuchtrute 6.3.3.1. Derpraedicator alspraepositus - das Beispiel des Ezechiel 6.3.3.2. Verkündigung und zeitliche Herrschaft zur Besserung der sündigen Untergebenen 6.3.3.3. Die praedicatores als Bevollmächtigte Gottes in dieser Welt

Kapitel 7. Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

79 79 79 85 88 89 92 97 99 99 104 110 116 116 120 127 128 129 138

141

7.1. Der Leib Christi zwischen Passion und Auferstehung 142 7.1.1. Die Passion des Leibes Christi 142 7.1.2. Die Auferstehung des Leibes Christi 145 7.1.3. Die Diskussion Gregors mit dem Patriarchen Eutychios von Konstantinopel über die Beschaffenheit des Auferstehungsleibes 149 7.2. Christi irdische Existenzweise als Paradigma für den gegenwärtigen Leib Christi 7.2.1. Versuchung 7.2.2. Blindenheilung

155 156 158

7.3. Menschheit und Gottheit des inkarnierten Gottessohnes 7.3.1. Die Erniedrigung des Gottessohnes als sichtbares Vorbild für eine andere Lebensführung 7.3.1.1. Christi Weg als Modell von der Erniedrigung zur Herrlichkeit 7.3.2. Christi unsichtbare und der menschlichen Erkenntnis entzogene Gottheit

163 172 175 178

Inhaltsverzeichnis

IX

Kapitel 8. D i e p r a e d i c a t o r e s Christi im Spannungsfeld zwischen actio und contemplatio

185

8.1. Die condescensio des göttlichen Wortes

185

8.2. Die praedicatores als der Christus prolongatus

187

8.3. Die condescensio der praedicatores als Dienst am Leib Christi

190

8.4. Das Verhältnis zwischen uita actiua und uita contemplatiua 194 8.4.1. Derpraedicator, der zu Jesu Füßen sitzen bleiben will 194 8.4.2. Der mediatorDei et hominum als Modell für die Verbindung zwischen uita contemplatiua und uita actiua 199 8.4.3. Die Verbindung zwischen uita contemplatiua und uita actiua im gegenwärtigen Leben der praedicatores 200 Kapitel 9. Christus und sein Leib in Abgrenzung zu häretischen und arroganten praedicatores

207

9.1. Die Abgrenzung gegenüber den Häretikern 9.1.1. Wen meint Gregor mit den Häretikern? 9.1.1.1. Die Auseinandersetzung mit der Apokatastasislehre der Origenisten 9.1.1.2. Die Häresie als christologische Verfehlung 9.1.2. Die Freunde Hiobs als Typus der Häretiker 9.1.3. Die häretische Sicht auf den Leib Christi 9.1.4. Die Häretiker als Gegner des Herrn und seiner praedicatores

207 207 208 211 214 217 220

9.2. Die Abgrenzung gegenüber den arrogantes 9.2.1. Elihus Verhältnis zu den Freunden Hiobs 9.2.2. Elihus Verachtung für die demütige Lebensweise der Kirche 9.2.3. Die arrogantes und das Problem der rechten Ausübung von zeitlicher Macht und Herrschaft

228 228 230

Kapitel 10. Zusammenfassung und Ertrag

243

Literaturverzeichnis

257

Quellen

257

Sekundärliteratur

262

Register

279

Stellenregister Bibelstellen Antike Autoren

279 279 281

Namenregister Antike und Biblische Personen Moderne Autoren

292 292 293

Orte und Sachen

297

232

Kapitel 1

Forschungsstand und Fragestellung 1.1. Gregor als Grenzgestalt zwischen Spätantike und Frühmittelalter In der Moderne hat man Papst Gregor den Großen häufig als eine Figur des Übergangs von der Spätantike zum Frühmittelalter verstanden 1 und ihn geradezu als eine „Brücke vom patristischen Zeitalter zur monastischen Kultur des Mittelalters" 2 charakterisiert. Seine Bedeutung als „Grenzgestalt" 3 liege vor allem darin, zwischen dem antiken Erbe, besonders dem des großen Augustin, und dem beginnenden Mittelalter vermittelt zu haben. Diese in der Literatur noch immer weit verbreitete Ansicht hebt hervor, daß dieser Papst in den schwierigen Zeiten des Umbruchs sowohl in praktisch-politischer als auch pastoraler Hinsicht erhebliches Geschick bewiesen habe, um das überkommene Erbe auch für die weitere Zukunft zu bewahren 4 . Sie nimmt insofern selbst eine gleichsam vermittelnde Position ein, als sie weder die mittelalterliche Hochschätzung der gregorianischen Schriften, noch die nicht minder deutliche Ablehnung und Abgrenzung ihnen gegenüber, insbesondere führender protestantischer Theologen, weiter fortführt, die in Gregor den Repräsentanten der mit der Reformation überwundenen mittelalterlichen Theologie und Frömmigkeit sahen. Hier wollte etwa der Reformator Philipp Melanchthon Gregor den Ehrentitel „der Große" absprechen und nannte ihn statt dessen den

1

Eine nahezu v o l l s t ä n d i g e Bibliographie der V e r ö f f e n t l i c h u n g e n der Jahre 1 8 9 0 -

1 9 8 9 über Gregor den G r o ß e n verzeichnet R. GODDING, B i b l i o g r a f i a di G r e g o r i o M a g n o , 1 8 9 0 - 1 9 8 9 , Opere di Gregorio M a g n o , C o m p l e m e n t i 1, R o m 1 9 9 0 . 2

V g l . J. LECLERCQ, L ' a m o u r des lettres et le désir d e D i e u . Initiation aux auteurs

m o n a s t i q u e s du M o y e n A g e , Paris 1 9 5 7 , 30: „le pont entre l ' â g e patristique et la culture m o n a s t i q u e du m o y e n âge". 3

D i e s e B e z e i c h n u n g hat E. CASPAR in seiner G e s c h i c h t e d e s Papsttums II, Tübin-

g e n 1 9 3 3 , 4 0 8 geprägt. 4

V g l . auch die Z u s a m m e n f a s s u n g bei S. KESSLER, Gregor der G r o ß e als E x e g e t :

e i n e t h e o l o g i s c h e Interpretation der E z e c h i e l h o m i l i e n , IThS 4 3 , I n n s b r u c k / W i e n

1995,

141: „Gregor wird jetzt im K o n t e x t der untergehenden B i l d u n g s k u l t u r der A n t i k e g e s e hen, die er entsprechend der intellektuellen Ausrichtung der späten Väterzeit s a m m e l t und durch Konzentration auf das Praktische transformiert".

2

Kapitel 1

„Vortänzer und Fackelträger der untergehenden Theologie" 5 . Adolf von Harnack legte an ihn den Maßstab der augustinischen Gnadenlehre an und warf ihm vor, all das, was mit Augustin mühsam erreicht worden sei, wieder rückgängig gemacht und statt dessen dem unerträglich vergröbernden „Vulgärkatholizismus"6 des Mittelalters Vorschub geleistet zu haben. Auch über die Konfessionsgrenzen hinweg waren und sind sich die Vertreter dieser Ansicht weitgehend darin einig, daß Gregor, gemessen an Augustin, dessen spekulative Kraft und intellektuelle Durchdringung des Glaubens nicht mehr erreicht habe7, sondern in Moralismus und grobem Juridismus stecken geblieben sei 8 . In seinen Schriften sei deshalb schlechterdings nichts Neues oder gar Originelles zu entdecken 9 , so daß man seinen unbestreitbar enormen Einfluß auf die mittelalterliche Theologie nur abfällig zur Kenntnis nehmen konnte und ihn damit zu erklären versuchte, daß Gregor eben kein Mann der dogmatischen Auseinandersetzungen und kein spekulativer Theologe 10 gewesen sei, sondern lediglich ein von monastischer Askese durchdrungener Prediger und Mann der Tat, dem es jedoch mit seiner erheblich reduzierten und auf die Praxis und Moral gerichteten Theologie und gleichwohl sehr klugen Kirchenpolitik gelungen sei 11 , der Kirche in den schwierigen Zeiten des nun endgültig zusammenbrechenden Imperiums und der erstarkenden neuen Königtümer im Westen seinen eigenen Stempel aufzudrücken, der das nunmehr anbrechende

5

Vgl. seine Declamatio de corrigendis adol. studiis aus dem Jahre 1518, in: C. G. BRETSCHNEIDER (Hg.), Philippi Melanchthonis Epistolae, Praefationes, Consilia, Iudicia, Schedae Academicae, Corpus Reformatorum XI, Halle 1843, 15-25, hier 16: ... Gregorius, quem istiMagnum, egopraesultorem Kai SaSouxof Theologiaepereuntis voco ... 6 A. HARNACK, Lehrbuch der Dogmengeschichte III: Die Entwicklung des kirchlichen Dogmas, 5. Aufl. Tübingen 1932, 257ff. Dort heißt es beispielsweise auf Seite 266: „Alle die vulgärkatholischen Argumente, die Augustin zurückgeschoben und theilweise umgestimmt hat, sind mit doppelter Kraft wiedergekehrt!" Vgl. auch R. SEEBERG, Lehrbuch der Dogmengeschichte III: Die Dogmengeschichte des Mittelalters, 2 Leipzig 1913, 34-42. 7 Vgl. B. ALTANER/A. STOIBER, Patrologie. Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter, 8 Freiburg 1978, 466ff.; F. H. DUDDEN, Gregory the Great. His place in history and thought II, London 1905, 285. 8 Vgl. H. DE LUBAC, Exégèse Médiévale. Les quatres sens de l'Écriture, II/l, Théologie 42, Paris 1961, 53ff. 9

Vgl. CASPAR, Geschichte des Papsttums II, 514; J. M. WALLACE-HADRILL, The

Frankish Church, Oxford History of the Christian Church, Oxford 1983, 118. 10 Vgl. M. FRICKEL, Deus totus ubique simul. Untersuchungen zur allgemeinen Gottesgegenwart im Rahmen der Gotteslehre Gregors des Großen, Freiburg 1956, 134. DUDDEN, Gregory the Great II, 289: „Finally, Gregory was not, in the strict sense of the term, a theologian. He never build up a systematical system of doctrine; he never published a scientific exposition of any theological topic". 11 Vgl. G. JENAL, Gregor I der Große, in: M. GRESCHAT (Hg.), Gestalten der Kirchengeschichte 11, Papsttum I: Von den Anfängen bis zu den Päpsten in Avignon, Stuttgart 1984, 83-99, hier 98.

Forschungsstand und Fragestellung

3

Mittelalter prägen und bestimmen sollte 12 . In diesem Sinne zeichnete insbesondere Frederik H. Dudden Gregors Bild als das eines Mönchspapstes mit großen administrativen Fähigkeiten, dem aufgrund der äußeren Zeitumstände die Notwendigkeit auferlegt wurde, die noch kaum zivilisierten Völker des Nordens und Westens mit dem theologischen Gedankengut der inzwischen zu Ende gehenden Spätantike bekannt zu machen13. Infolgedessen, so sein Fazit, war der keineswegs einfache Übergang von der Antike zum Mittelalter, den Gregor für den Westen des Reiches zu leisten hatte, nur durch eine gezielte Vereinfachung, ja Verflachung, des theologischen Denkens in der Spätantike zu erreichen14.

1.2. Pastor und Consul Dei Spätestens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts mehren sich jedoch die Stimmen, die sich kritisch mit diesem bei Dudden gezeichneten Bild auseinandersetzen und mit Nachdruck betonen, Gregors Bedeutung liege nicht nur im Bereich seiner unbestreitbaren kirchenpolitischen Fähigkeiten, sondern auch im Bereich seiner Theologie, die keineswegs bloß als vergröberter Augustinismus zu verstehen sei, wie bereits Joseph P. McClain in seiner Untersuchung zu Gregors Vorstellungen über den Himmel deutlich gemacht hat15. Daran anschließend haben vor allem Robert Gillet 16 und vor allem Claude

12 Vgl. DUDDEN, Gregory the Great II, 285ff. Dudden charakterisiert Gregor als einen Mann der Tat, dem die Diskussion theologischer Problemstellungen im eigentlichen Sinne kein Anliegen war. 13 DUDDEN, Gregory the Great II, 285 beschreibt Gregors Tätigkeit folgendermaßen: „Out of the mass of current religious ideas and dogmatic conceptions, he selects and fixes such as seem to him to represent most accurately Catholic truth, or to be best adapted for the education of the new, half - civilized nations. And these ideas he simplifies as far as possible, casts them into sharp, clear forms, and so transmits them to the succeeding centuries". 14 Vgl. DUDDEN, Gregory the Great II, 294: „He toned it down, mutilating it on certain sides, and adapting it to vulgar intelligencies. The Augustinianism which Gregory passed over to the Middle Ages does not represent the true Augustine". Ähnlich auch in der Zusammenfassung ebd. 442: „So popularized Augustinianism was erected into a standard by Gregory, and thus passed over to the Middle Ages". 15 Vgl. J. P. MCCLAIN, The Doctrine of Heaven in the Writings of Saint Gregory the Great, The Catholic University of America, Studies in Sacred Theology Second Series 95, Washington 1956. 16

V g l . R . GILLET, I n t r o d u c t i o n , i n : R . GLLLET/A. DE GAUDEMARIS ( H g . ) , G r é g o i r e le

Grand: Morales sur Job, Première partie (Livres I-III), SC 32 bis , Paris 3 1989, 7-109; vgl. auch DERS., Spiritualité et place du moine dans l'Église selon Saint Grégoire le Grand, in: H. Crouzel (Hg.), Théologie de la vie monastique, Études sur la tradition patristique,

4

Kapitel 1

D a g e n s 1 7 h e r v o r g e h o b e n , d a ß G r e g o r e i n e auf das christliche L e b e n gerichtete Spiritualität g e p r ä g t habe, d i e für d i e M y s t i k d e s M i t t e l a l t e r s b e s t i m m e n d w e r d e n s o l l t e 1 8 . G e g e n ü b e r früheren, i n s b e s o n d e r e n e u s c h o l a s t i s c h e n Interpretationen der g r e g o r i a n i s c h e n Spiritualität 1 9 f a n d e n D a g e n s u n d a n d e r e in der W e i t e r e n t w i c k l u n g der a u g u s t i n i s c h e n U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n i n n e n u n d a u ß e n d e n e n t s c h e i d e n d e n S c h l ü s s e l für G r e g o r s V e r s t ä n d n i s der christl i c h e n E x i s t e n z 2 0 . D o c h anders als n o c h A u g u s t i n sei e s G r e g o r n i c h t m e h r darum g e g a n g e n , d i e Mittel, d i e i h m s e i n e B i l d u n g zur V e r f ü g u n g stellte, in den D i e n s t der V e r c h r i s t l i c h u n g der r ö m i s c h e n G e s e l l s c h a f t zu stellen 2 1 , v i e l m e h r richtete s i c h s e i n I n t e r e s s e in einer bereits w e i t g e h e n d c h r i s t l i c h b e s t i m m t e n Kultur auf e i n e t h e o l o g i s c h e A n a l y s e u n d F o r m u n g d e s i n n e r e n L e b e n s der S e e l e auf ihrem W e g zu Gott in ständiger A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit d e n Ä u ß e r l i c h k e i t e n der v e r g ä n g l i c h e n W e l t 2 2 . D a s Z e n t r u m s e i n e r T h e o l o g i e und Spiritualität l i e g e d e s h a l b in der fortschreitenden A b k e h r v o n der äußeren W e l t u n d einer H i n w e n d u n g n a c h innen 2 3 . W e i t e r e n t w i c k e l t w u r d e d i e s e r A n satz v o n C a r o l e Straw, d i e d e u t l i c h m a c h e n konnte, d a ß d i e G e g e n s ä t z e v o n

Collection Théologie 49, Paris 1961, 323-351. B. McGlNN, Die Mystik im Abendland II: Entfaltung, Freiburg/Basel/Wien 1996. 17 Vgl. die Synthese seiner Forschungen zu Gregor dem Großen bei C. DAGENS, Saint Grégoire le Grand. Culture et expérience chrétiennes, Études augustiniennes, Paris 1977. Vgl. zu diesem Ansatz auch J. FONTAINE, L'expérience spirituelle chez Grégoire le Grand. Réflections sur une thèse recente, RHSp 52, 1976, 141-153. 18 Für Dagens ist Gregor mehr als bloß ein großer Verwalter, er hält ihn für einen der größten mystischen Theologen des Westens, vgl. ebd. 28: „On a eu raison de réhabiliter Grégoire en montrant en lui bien plus qu'un grand administrateur: un des plus grands docteurs mystiques de l'Occident". Ahnlich wird Gregor auch von LECLERCQ, L'amour des lettres, 39 beurteilt. 19 Vgl. DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 26 in Abgrenzung gegenüber DUDDEN, Gregory the Great, F. LIEBLANG, Grundfragen der mystischen Theologie. Nach Gregor des Grossen Moralia und Ezechielhomilien, Freiburger theologische Studien, Freiburg 1937; L. WEBER, Hauptfragen der Moraltheologie Gregors des Grossen. Ein Bild altchristlicher Lebensführung, Paradosis 1, Fribourg 1947 und M. FRICKEL, Deus totus ubique simul. 20 Dagens beruft sich besonders auf den wichtigen Artikel von P. AUBIN, Intériorité et extériorité dans les Moralia in Job de S. Grégoire le Grand, RSR 62, 1974, 117-166; ähnlich auch R. BÉLANGER, Anthropologie et parole de Dieu dans le commentaire de Grégoire le Grand sur le Cantique des Cantiques, in: Grégoire le Grand, 245-254; M. DOUCET, „Vera philosophia". L'Existence selon Saint Grégoire le Grand, CCist 41, 1979, 227-253. 21 Vgl. DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 23f. 22 DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 24 sieht darin die Originalität Gregors und verweist darauf, daß diese Absicht zugleich sein Desinteresse am abstrakt - theologischen Denken erklärt. Gregors „Vulgärkatholizismus" sei nichts anderes als die psychologische und moralische Beschreibung des christlichen Lebens. 23 Vgl. DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 26: „Tel est le centre de la théologie et de la spiritualité de Grégoire".

5

Forschungsstand und Fragestellung

innen und außen, von Geist und Fleisch, Gottes- und Weltbezug des Menschen bei Gregor keineswegs vollkommen unverbunden nebeneinander stehen bleiben24. In origineller und charakteristischer Weise seien beide Bereiche vielmehr wechselseitig aufeinander bezogen und bilden letztlich ein komplementäres Gleichgewicht 25 . Grundlage für die Verbindung zwischen Fleisch und Geist, auf die es Gregor in Straws Interpretation entscheidend ankommt, ist jedoch weniger die Christologie als vielmehr die Vorstellung vom Opfer Christi in der Messe und dementsprechend auch im Leben des einzelnen Christen26. Für Straw bildet der Opfergedanke die Mitte und den Kern gregorianischer Theologie 27 . Auch wenn sie die Funktion des Opfers in der Theologie Gregors überbewertet und Gregors Oeuvre letztlich durch die Brille eines sakramentalen Wirklichkeitsverständnisses aus der Zeit des Investiturstreits liest28, bleibt dennoch festzuhalten, daß Straw zu Recht darauf aufmerksam gemacht hat, daß die für Gregors Denken typischen Gegensätze nicht voneinander getrennt werden dürfen, sondern daß es ihm vielmehr darauf ankommt, sie in eine, wenn auch spannungsreiche Beziehung zueinander zu setzen. Dagens, Gillet, Straw und eine Reihe anderer Gelehrter29, die in Gregor zuallererst den hochrangigen spirituellen Denker sehen, bemühen sich zwar darum, die Theologie Gregors in seine Zeit einzuordnen, doch bleiben die Bezüge zu den Ereignissen und Schwierigkeiten, mit denen es die Kirche des ausgehenden sechsten Jahrhunderts zu tun hatte, häufig ausgesprochen blaß. Nur sehr allgemein wird auf die katastrophale äußere Situation der Völkerwanderungszeit hingewiesen, um auf diesem Hintergrund und ausgehend von Gregors eigener Lebensbeschreibung im Widmungsbrief der Moralia in Job an seinen Freund Leander von Sevilla die Spannung zwischen der gegenwärtigen Welt und der Sehnsucht nach innerer Vollkommenheit als das Kern-

24

V g l . C. STRAW, G r e g o r y the Great. P e r f e c t i o n in I m p e r f e c t i o n , T r a n s f o r m a t i o n o f

the Classical H e r i t a g e 14, B e r k e l e y 1988. 25

V g l . STRAW, G r e g o r y the Great, 1 8 f f .

26

STRAW

zugrunde,

wie

legt

bereits

für

Gregor

sie insbesondere

die

Vorstellung

G. Teilenbach

f ü r die

einer

sakramentalen

Z e i t des

Realität

Investiturstreites

be-

schreibt; v g l . e b d . 18: „ T h i s g r a m m a r of reconciliation and c o m p l e m e n t a r y underlies the vision

of

unity

and the sacramental reality that is d i s t i n c t i v e l y

and

characteristically

Gregorian". 27

V g l . STRAW, G r e g o r y the Great, 20: „ S a c r i f i c e b e c o m e s the center o f

Gregory's

t h e o l o g y , b e it the s a c r i f i c e of Christ, the Mass, or the i n d i v i d u a l Christian, f o r s a c r i f i c e is the means w h e r e b y the t w o sides of reality are j o i n e d and r e c o n c i l e d . T h r o u g h sacrif i c e , the carnal b e c o m e s spiritual". 28

V g l . zu dieser K r i t i k auch M . SCHAMBECK, C o n t e m p l a t i o als M i s s i o . Z u

einem

Schlüsselphänomen bei G r e g o r d e m G r o ß e n , Studien zur systematischen und spirituellen T h e o l o g i e 25, W ü r z b u r g 1999, 12. Ihrer Ansicht nach l i e g t Straws Deutung eine einseitige Interpretation der D i a l o g e , v o r allem des dritten und vierten Buches, z u g r u n d e . 29

V g l . auch F. C L A R K , St. G r e g o r y the Great. T h e o l o g i a n of Christian

T h e A m e r i c a n B e n e d i c t i n e R e v i e w 39, 1988, 261-276.

Experience,

6

Kapitel 1

stück seiner zutiefst weltflüchtigen Spiritualität zu entfalten 3 0 . Darüber hinaus haben sich die auslegungsgeschichtlich orientierten Spezialuntersuchungen zu Gregors e x e g e t i s c h e n Werken 3 1 , vor allem zu den H o m i l i e n z u m B u c h E z e chiel 3 2 und z u m H o h e l i e d 3 3 , z w a r darum bemüht, Gregors M e t h o d e der Schriftinterpretation n o c h g e n a u e r zu e r f a s s e n und sind dabei v i e l f ä l t i g e n B e z ü g e n zur älteren patristischen E x e g e s e , insbesondere zu Origenes 3 4 , der auch die w e s t l i c h e A u s l e g u n g der Schrift nachhaltig beeinflußt hat 35 , auf d i e Spur g e k o m m e n . D o c h auch sie neigen dazu, Gregor und sein Schrifttum aus d e m K o n t e x t seiner e i g e n e n Zeit zu lösen. D a g e g e n konzentriert sich eine andere Forschungsrichtung g a n z auf das w e i t e F e l d der actio d e s Papstes Gregor des Großen und sieht in ihm in erster Linie den M a n n der Tat und den Consul Deii6, d e s s e n u m f a n g r e i c h e m Briefregister 3 7 zu e n t n e h m e n ist, w i e er 30 Besonders deutlich ist diese Tendenz bei SCHAMBECK, Contemplatio zu beobachten. Sie weist nur sehr kurz auf Gregors Lebensbeschreibung hin (2-9), bevor sie gründlich die Bedeutung der contemplatio in seinem Werk, besonders in den Moralia, nachzeichnet. Dabei arbeitet sie stark werkimmanent und löst Gregor fast vollständig aus dem Kontext des sechsten Jahrhunderts. 31 Vgl. M. FIEDROWICZ, Das Kirchenverständnis Gregors des Großen. Eine Untersuchung seiner exegetischen und homiletischen Werke, Römische Quartalschrift für Christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 50, Freiburg/Br. 1995; J. MCCLURE, Gregory the Great. Exegesis and Audience, Diss. Oxford 1978, macht auf die Entwicklung bestimmter Themen in den Schriften Gregors des Großen aufmerksam. Die Echtheit des Kommentars zu I. Könige ist inzwischen mit guten Gründen von A. DE VOGÛÉ angezweifelt worden, vgl. DERS., L'Auteur du Commentaire des Rois attribué à Saint Grégoire: un moine de Cava, RBen 106, 1996, 319-331; DERS., Le Glossa Ordinaria et le Commentaire des Rois attribué à Saint Grégoire, RBen 108, 1998, 58-60; zur Diskussion vgl. auch F. CLARK, The Authorship of the Commentary in I Regum: Implications of Adalbert de Vogûé's Discovery, RBen 108, 1998, 61-79. Die von A. de Vogûé bearbeitete neue Ausgabe der Sources Chrétiennes verzeichnet daher diesen Kommentar auch unter dem Namen des im Jahre 1156 gestorbenen Petrus von Cava, der ihn verfaßt haben soll. 32 Vgl. besonders KESSLER, Gregor der Große. 33 Vgl. V. RECCHIA, L'esegesi di Gregorio Magno al Cantico dei Cantici, Turin 1967; S. MÜLLER, Fervorem discamus amorem. Das Hohelied in der Auslegung bei Gregor dem Großen, St. Ottilien 1991. 34 Vgl. D. HOFMANN, Die geistige Auslegung der Schrift bei Gregor dem Großen, Münsterschwarzacher Studien 6, Münsterschwarzach 1968, 73 und KESSLER, Gregor der

Große, 175-190. 35

Vgl. auch C. JACOB, The Reception of the Origenist Tradition in Latin Exegesis, in: M. Saeba (Hg.): Hebrew Bible/Old Testament. The History of its Interpretation. Bd. I: From the Beginnings to the Middle Ages (Until 1300), Part 1: Antiquity, Göttingen 1996, 682-700. 36 Vgl. zuletzt J. RICHARDS, Consul of God. The Life and Time of Gregory the Great, London 1980 (dt.: Gregor der Große. Sein Leben - seine Zeit, Graz/Wien 1983). 37 E. PITZ, Papstreskripte im frühen Mittelalter. Diplomatische und rechtsgeschichtliche Studien zum Briefcorpus Gregors des Großen, Sigmaringen 1990, vermutet, daß die ca. 800 erhalten Briefe auf ungefähr 20.000 schließen lassen. D. NORBERG, Style person-

Forschungsstand und Fragestellung

1

das nach den Rückeroberungskriegen arg gebeutelte R o m 3 8 nunmehr mit einig e m Erfolg vor den anrückenden Langobarden zu schützen suchte, die päpstlichen B e s i t z u n g e n v o n allem im Süden Italiens reorganisierte, die Autorität des päpstlichen Stuhls g e g e n ü b e r den A n s p r ü c h e n aus Konstantinopel und d e m Exarchat R a v e n n a verteidigte, auf die Frankenherrscher E i n f l u ß auszuü b e n v e r s u c h t e und nicht zuletzt durch s e i n e n Mitbruder A u g u s t i n u s d i e M i s s i o n der A n g e l s a c h s e n betrieb 3 9 . In geradezu paradoxer W e i s e trennt die Forschung somit z w i s c h e n Gregors actio und seiner contemplatio und konzentriert sich dabei e n t w e d e r auf den k i r c h e n p o l i t i s c h aktiven Consul Dei oder auf den spirituell interessierten Pastor40. In seiner kürzlich erschienenen Untersuchung stellt Conrad L e y s e r daher fest, daß es fast s o scheint, als m ü s s e m a n sich für den Gregor der Briefe oder für den Gregor seiner exegetischen Werke, d. h. für den historisch p o l i t i s c h e n oder den spirituellen Gregor, entscheiden 4 1 . Daran h a b e n auch e i n i g e N e u e r s c h e i n u n g e n 4 2 und die mittlerweile drei großen internationalen F o r s c h u n g s k o l l o q u i e n , d i e das in den letzten Jahren deutlich g e w a c h s e n e Interesse an seiner Person, s e i n e m Werk und an seiner W i r k u n g bekunden, nur w e n i g ändern können 4 3 . nel et style administratif dans le Registrum epistolarum de S. Grégoire le Grand, in: Grégoire le Grand, 489-497, konnte zeigen, daß Gregor nur einige wenige Briefe selbst geschrieben hat, während die meisten von Schreibern seiner Kanzlei verfaßt wurden. 38 Vgl. dazu auch R. KRAUTHEIMER, Rom - Schicksal einer Stadt 312-1308, München 2 1996, 72-102; J. MEYENDORFF, Unité de l'Empire et divisions des Chrétiens. L'Église de 450 à 680, Paris 1993, 315ff. 39 Den Beziehungen zur fränkischen Kirche und der Angelsachsenmission wurde 1998 ein in Arles gehaltenes Forschungskolloquium gewidmet: L'Église et la mission au Vie siècle. La mission d'Augustin de Cantorbéry et les Églises de Gaule sous l'impulsion de Grégoire le Grand, présenté par C. de Dreuille, Actes du Colloque d'Arles de 1998, Paris 2000. 40 Diese beiden Titel verlieh ihm der anonyme Verfasser seines Epitaphs zu Beginn des siebten Jahrhunderts; vgl. ICUR 11,4156. RICHARDS, Consul of God dürfte den Titel seines Buches, in dem er sich ganz auf die actio Gregors konzentriert, kaum zufällig gewählt haben. Zum Epitaph vgl. jetzt auch C. DAGENS, Saint Grégoire le Grand Consul Dei: la mission prophetique d'un pasteur, in: Gregorio Magno e il suo tempo I, 33-45 und G. SANDERS, L'épitaphe de Grégoire le Grand: banalité ou message?, in: Gregorio Magno e il suo tempo I, 275-278. 41 Vgl. C. LEYSER, Authority and Ascetism from Augustine to Gregory the Great, Oxford Historical Monographs, Oxford 2000, 141. 42 Die beiden jüngsten Veröffentlichungen von E. GANDOLFO bieten unter verschiedenen Titeln fast denselben Text. Interessant ist, daß der Verfasser mit seinem ersten Werk: Gregorio Magna. Papa in un'epoca travagliata e di transizione, Rom 1994, den Akzent auf dem „historischen Gregor" legt, während das zweite Buch unter dem Titel: Gregorio Magno. Servi dei servi di Dio, Città del Vaticano 1998, eher den „spirituellen Gregor" darzustellen scheint. 43 Grégoire le Grand, ed. J. Fontaine et al., Colloques Internationaux du CNRS, Paris 1986; Gregorio Magno e il suo tempo, 2 Bde, SEA 33 und 34, Rom 1991; Gregory the

8

Kapitel 1

Eine Gesamtdarstellung, die beiden Aspekten seiner Wirksamkeit gleichermaßen gerecht zu werden versucht, hat erst Robert A. Markus als Ergebnis seiner langjährigen Beschäftigung mit Gregor dem Großen und seiner Zeit im Jahre 1997 vorgelegt 44 . Markus will erklärtermaßen nicht bloß die Ergebnisse von Gillet, Dagens, Straw und anderen über Gregors Spiritualität und seine innere Welt mit den Ereignissen der äußeren Welt verknüpfen, sondern Gregor als einen Theologen und Kirchenpolitiker des sechsten Jahrhunderts darstellen, der in einer gegenüber Augustin und seinen Zeitgenossen vollkommen veränderten Welt lebte und dachte 45 . Mit diesem Anliegen hat er zugleich den Weg für die weitere Forschung zu Gregor gewiesen, indem er betont: „To come to grips with his work, we need to place him firmly in both his worlds: the social reality and the intellectual and imaginative construct" 46 . Das heißt, daß auch Gregors exegetisches Werk und seine spirituelle Theologie in ihrem Bezug zu den Gegebenheiten des ausgehenden sechsten Jahrhunderts gesehen werden muß 47 . Denn für Gregor sind die biblischen Texte unmittelbar und durchgängig auf die aktuellen Bedrängnisse seiner Zeit bezogen, weil sich für ihn Wirklichkeit und Text gegenseitig auslegen. So hat man zwar häufig darauf hingewiesen, daß Gregor in den Wirren seiner Zeit die in der Schrift geweissagten Vorboten und Zeichen des künftigen Endes erblickt, auf das er hofft und nach dem er sich schon in diesem Leben sehnt 48 , jedoch noch nicht zufriedenstellend zu erklären vermocht, weshalb er sich von dieser Welt dennoch keineswegs zurückziehen will, sondern nicht nur in seinen Briefen, sondern auch in Schriftkommentaren wie den

Great. A Symposium, ed. J. C. Cavadini, Notre Dame 1995. Vgl. auch die Einschätzung bei LEYSER: Authority and Ascetism 141 Anm. 44: „but the basic division between the .historical' Gregory and the .spiritual/literary' Gregory has remained in place". 44 Vgl. R. A. MARKUS, Gregory the Great and his world, Cambridge 1997. Als Ergänzung zu den Forschungen von Markus versteht sich G. R. EVANS, The Thought of Gregory the Great, Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, Fourth Series 2, Cambridge 1986. 45

Vgl. MARKUS, Gregory the Great, XII. Vgl. MARKUS, Gregory the Great, XI. 47 Vgl. auch LEYSER, Authority and Ascetism, 143: „He was a man who inhabited the world of Old Testament exegesis and the world of barbarian invasion with equal aplomb". 46

48

V g l . DAGENS, Saint G r é g o i r e le Grand, 3 5 2 - 3 5 6

u n d 3 6 3 - 3 7 6 ; DERS., L a f i n

des

temps et l'Église selon Saint Grégoire le Grand, RSR 58, 1970, 273-288; R. E. MACNALLY, Gregory the Great (590-604) and his declining world, Archivum historiae pontificiae

1 6 , 1 9 7 8 , 7 - 2 6 ; MARKUS, G r e g o r y t h e G r e a t , 5 1 - 6 7 ; LEYSER, A u t h o r i t y

and

Ascetism meint gar, Gregor habe die Rolle des Bischofs angesichts des nahen Endes ausschließlich moralisch verstanden.

Forschungsstand

und

Fragestellung

9

Moralia in Job unermüdlich und immer wieder auf die actio als Ausdruck tätiger Nächstenliebe drängt 49 .

1.3. Die Moralia in Job als allegorischer Kommentar zum Buch Hiob Die Moralia siue expositio in Job als Gregors frühes exegetisches Hauptwerk 50 haben in der Forschungsliteratur selbst im Unterschied zu seinen späteren exegetischen Werken vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit und ein erstaunlich geringes Interesse gefunden 51 . Zwar werden sie zu den verschiedensten Fragen immer wieder herangezogen und es wird eifrig aus ihnen zitiert, doch nur w e n i g e Gelehrte beschäftigen sich speziell mit dieser Schrift 52 . Das liegt nicht zuletzt daran, daß sich der Zugang zu den Moralia in Job vor allem deshalb als so schwierig gestaltet, weil weder die Absicht noch der gedankliche Zusammenhang dieses ungewöhnlich umfangreichen 53 Hiobkommentars so recht klar zu sein scheinen 54 . Man hat die Moralia deswegen auch als eine Art von Enzyklopädie der spirituellen und moralischen Theologie 55 , als ein „dichtes, unstrukturiertes Kompendium gelebter Theologie" 5 6 , oder schärfer noch als einen „scarceley penetrable jungle" 57 bezeichnet. 49

Eine Ausnahme bildet etwa die von C. STRAW gezogene Verbindung zwischen Schriftauslegung und praktischer Anwendung insbesondere in ihrem Aufsatz: Gregory's Politics: Theory and Practice, in: Gregorio Magno e il suo tempo I, 47-63. Vgl. auch S. BOESCH-GAJANO, Teoria e pratica nelle opere di Gregorio Magno, in: Grégoire le Grand, 181-188, die insbesondere Gregors Verhältnis zu den Juden untersucht. 50 So W. BERSCHIN, Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter I, Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 8, Stuttgart 1986, 322; vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 14. 51 Vgl. dazu auch SCHAMBECK, Contemplatio, 14 Anm. 58. 52 Vgl. M. BAASTEN, Pride according to Gregory the Great. A Study of the Moralia, Studies in the Bible and Early Christianity 7, Lewiston 1986; SCHAMBECK, Contemplatio, 14f. wählt die Moralia als „Grundlagentexte" f ü r ihre Untersuchung, weil sie insofern von programmatischem Charakter sind, als sie „die Bedeutung der Gotteswirklichkeit für die Menschen seiner Zeit [...] buchstabieren". 53 MCGINN, Mystik II, 67 hat berechnet, daß die Moralia eines der längsten Werke der patristischen Literatur sind. 54 Vgl. S. E. SCHREINER, Where shall wisdom be found? Gregory's interpretation of Job, The American Benedictine Review 39, 1988, 321-342, hier 321: „In J o b ' s story, Gregory found every conceivable topic from the virtues of marriage to the Christology of Chalcedon". Im folgenden Satz spricht sie von „the diffuse and meandering nature of this work". 55 So DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 53; vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 14ff. 56 Vgl. CLARK, St. Gregory the Great, 264. 57 Vgl. MARKUS, Gregory the Great, 21.

10

Kapitel 1

Doch selbst wenn man bereit ist, in den Moralia in Job nicht nur end- und zusammenhanglose Erörterungen zu ganz verschiedenen Themenbereichen zu sehen58, sondern dieses Werk positiv als ein originelles „Handbuch der Moral und Askese, als Unterweisung des geistlichen Lebens und Einführung in die Kontemplation"59 zu würdigen, drängt sich bei der Durchsicht der einschlägigen Literatur dennoch der Eindruck auf, Gregor verhandle in den Moralia vollkommen unterschiedliche Probleme, die keinen inneren Zusammenhang aufweisen, und rede in seiner Hiobauslegung über alles mögliche, nur eben nicht über Hiob 60 . Als ein Kommentar zum Buch Hiob erschienen sie nicht nur Dudden wegen der Aneinanderreihung von endlosen Allegorien, die in jedem Wort oder Satz einen verborgenen, tieferen Sinn entdecken, als viel zu weitschweifig und aufgrund ihrer Länge überdies auch noch als ausgesprochen langweilig 61 . Cuthbert Butler sprach ihnen etwas später sogar ab, überhaupt ein Kommentar zum Buch Hiob zu sein: „It would be a complete mistake to estimate the Morals as a commentary on Job [...] They should be read without any thought of Job [...] and without any attention to the constant allegorizing"62. Bis in die jüngsten Veröffentlichungen hinein werden die Moralia als vom exegetischen Standpunkt her äußerst fragwürdig63 und in ihrer allegorischen

58 Vgl. auch J. LA PORTE, Une théologie systématique chez Grégoire?, in: Grégoire le Grand, 235-243. Er versteht das Leiden als wichtigstes Thema der Moralia, dem andere Themen zugeordnet werden, vgl. auch DERS., Gregory the Great as a theologian of suffering, The Patristic and Byzantine Review 1, 1982, 22-31, hier 22: „I propose to present Gregory as a great theologian of suffering. His enormous commentary on Job, the figure of suffering in the Bible, is almost exclusively a development of this theme. His theology of suffering reaches a great perfection, and, to a certain degree, systematic unity". 59 Vgl. E. DASSMANN, Kirchengeschichte II/L. Konstantinische Wende und spätantike Reichskirche, Stuttgart/Berlin 1996, 193f. 60 Vgl. P. CATRY, Épreuves du justes et mystère de Dieu. Le commentaire littéral du Livre de Job par Saint Grégoire, REAug 18, 1972, 124-144, hier 124: „on serait enclin à penser que Grégoire y a parlé de tout sauf de Job". MARKUS, Gregory the Great, 20 spricht davon, daß die Moralia „a fair number of mini-treatises" zu verschiedenen Themen enthalten. 61 Vgl. DUDDEN, Gregory the Great II, 307f. Vgl. B. SMALLEY, The Study of the Bible in the Middle Ages, Oxford z 1952, 34. 62 C. BUTLER, Benedictine Monachism, London 1924, 113. 63 Als repräsentativ kann die folgende Äußerung von JENAL, Gregor I, 95 gelten: „Der Kommentar erreicht nicht die Höhe älterer exegetischer Werke der Patristik, literarisch ist er schwerfällig und ungestalt, nicht selten sind die allegorischen Auslegungen gewaltsam und umständlich, es mangelt an einem deutlichen durchlaufenden Gedankenfaden, und bisweilen verliert sich der Text in Nebensachen".

Forschungsstand und Fragestellung

11

Deutung als im höchsten Maße willkürlich eingestuft 64 . Selbst bei Markus bleibt das Unbehagen gegenüber Gregors Verwendung der allegorischen Methode noch sehr deutlich spürbar, wenn er Gregors Auslegung etwa vorhält, sie entferne sich in unbegrenzter Freiheit viel zu weit vom zugrundeliegenden Text, lasse keinerlei Interesse an diesem mehr erkennen, und sei deshalb auch im spätantiken Sinne keine wirkliche Auslegung der Schrift mehr65. Gregors Interpretation folge vielmehr der ganz eigenen Logik einer spirituellen Unterweisung, die zwar hin und wieder den Anhalt am Text suche, doch dann in aller Breite vollkommen andere Themen entfalte66, wobei dem Text nur die Funktion zukomme, die von Gregor für wichtig erachteten Themen zu illustrieren67. Daß es Gregor anders als etwa Augustin, der wiederum den alleinigen Maßstab zur Bewertung Gregors abgibt, nicht um ein echtes Verständnis des auszulegenden Textes gehe, hält Markus letztlich für exegetisches Versagen 68 . In dieser Kritik an Gregors Hiobauslegung spiegeln sich noch immer die von einer neuzeitlichen Hermeneutik geprägten Vorbehalte gegenüber einer antiken Allegorese 69 , die dem Verdacht ausgesetzt bleibt, vollkommen Beliebiges in den Text hinein- oder aus ihm herauszulesen, ohne jedoch nach dem eigentlichen, möglichst objektiv zu erfassenden Sinn des Textes, d. h. nach der Aussageabsicht seines historischen Verfassers zu fragen 70 . Doch für Gre64

Nach R. L. W L L K E N , Gregory the Great as Biblical Commentator: The Moralia, unveröffentlichtes Manuskript, gehalten auf dem XIII International Congress on Patristic Studies, Oxford 1999, 1 ist diese Sicht in der Forschung immer noch vorherrschend. 65 Vgl. R. A. M A R K U S , World and Text in Ancient Christianity II: Gregory the Great, in: ders.: Signs and Meanings. World and Text in Ancient Christianity, Liverpool 1996, 45-70, hier 49ff. 66 Vgl. M A R K U S , World and Text in Ancient Christianity II, 5 0 . 67 Vgl. M A R K U S , World and Text in Ancient Christianity II, 49: „Such passages, very frequent in his homilies, are held together not by an interest in the text, but by the overall theme the texts are assembled to support and to orchestrate". 68 Vgl. M A R K U S , Gregory the Great, 41-45. Auf Seite 45 heißt es abschließend: „His [sc. Gregory's] own homiletic practice illustrates the unlimited freedom from textual restraint to which he felt entitled of his exegesis. He was more interested in the spiritual truth that the text could be made to support than in expounding its meaning". Den Einwand von R . M A N S E L L I , Gregorio Magno e la Bibbia, La Bibbia nell'alto medioevo, Settimane di Studio del Centra italiano di Studi sull'alto Medioevo 10, Spoleto 1963, 89, daß es sich um Auslegung des christlichen Glaubens handele, läßt er nicht gelten: as if that absolved it from extravagance as exegesis" (45 Anm. 49). 69 Vgl. auch H. C H A D W I C K , Pagane und christliche Allegorese, in: ders.: Antike Schriftauslegung, Hans-Lietzmann-Vorlesungen 3, Berlin/New York 1998, 1-23, hier 23. 70 Vgl. A. L O U T H , Discerning the Mystery. An Essay on the Nature of Theology, Oxford 1983, 97f.: by allegory, it is said, you can make any text mean anything you like. [...] It may well be difficult to get at the meaning of a literary passage, it may be impossible to be sure that we have arrived at this meaning: but the idea that the text means what the author meant it to mean - the idea, almost, that the meaning of a text is a

12

Kapitel 1

gor, der seine Moralia in Job gleichwohl und ganz selbstverständlich immer als einen Kommentar zum Buch Hiob aufgefaßt hat71, kann man auf diese Weise gerade nicht zum eigentlichen Sinn und zur Bedeutung des auszulegenden Textes vordringen72. Ihm kommt es gerade nicht darauf an, den Abstand zu den Umständen, die zur Entstehung des Textes geführt haben, und dementsprechend auch die Fremdheit des Textes hervorzuheben73. Vielmehr will Gregor seinem Adressatenkreis mit dem Buch Hiob einen Text, der ihm nach eigenem Bekunden fremd zu werden drohte74, mit dem Mittel der allegorischen Deutung seines Kommentars ausdrücklich wieder näher bringen. Mit der Allegorie läßt sich nach antikem Verständnis nicht nur ein Gedanke indirekt bildlich ausdrücken, sondern im Sinne der Allegorese auch aus einer Darstellung auf eine andere, hinter dem offenkundigen Wortsinn verborgene Deutung schließen 75 . Damit kann die allegorische Interpretation gewährleisten, daß ein als bedeutungsvoll angesehener Text seine Gültigkeit auch in veränderten Zeitsituationen und unter neuen Denk- und Lebensvoraussetzungen nicht zwangsläufig verlieren muß76. Um sich jedoch in ein verändertes Bezugssystem einzufügen und weiterhin von Wichtigkeit zu sein, muß dieser Text sorgfältig reinterpretiert und damit unter Umständen auch allegorisch gedeutet werden 77 . Die Bedeutung eines Textes erscheint somit ebenso wie seine Entstehung als Text historisch geworden, sie kann sich des-

past historical event - gives us a sense that the meaning of a text is something objective, something unproblematic". Zu diesem, auf dem protestantischen Schriftprinzip basierenden Umgang mit historischen Schriftzeugnissen vgl. auch ausführlich H. G. G A D A M E R , Wahrheit und Methode. Hermeneutik I: Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 6 1990, 177ff. 71 Vgl. auch SCHREINER, Where shall wisdom be found?, 322: „But in Gregory's mind the Moralia always remainded an ,expositio librum B. Job'". Vgl. auch G. A. ZLNN, Exegesis and Spirituality in the Writings of Gregory the Great, in: Gregory the Great. A Symposium, 168-180. 72 Vgl. auch E. T O B L E R , Gregors ,Moralia in Job'. Zur Beziehung zwischen Primärund Auslegungstext, in: P. Michel/H. Weder (Hg.): Sinnvermittlung. Studien zur Geschichte von Exegese und Hermeneutik I, Zürich 2000, 161-172, hier 170. 73 So betont etwa K. BERGER, Hermeneutik des Neuen Testaments, Gütersloh 1988, 108-143 die Wahrung der Fremdheit biblischer Texte. 74 Vgl. dazu den Abschnitt über die Entstehung der Moralia in Job unter 1. 75 Vgl. das berühmte Beispiel bei Quintilian Inst. Orat. 8,6,44, wo festgestellt wird, daß in der Horazode 1,14 unter dem Bild eines Schiffes auf See von den Gefahren für das Staatswesen durch Bürgerkriege die Rede ist. J. WHITMAN, Allegory. The Dynamics of an Ancient and Medieval Technique, Oxford 1987, unterscheidet zwischen der Redefigur der Allegorie, die zu den tropoi gehört, und der allegorischen Textauslegung, ebd. 3ff. Zur Entwicklung der allegorischen Redeform vgl. den Appendix I: On the History of the Term ,Allegoria', ebd. 262ff. 76 Das macht H. D Ö R R I E , Zur Methode antiker Exegese, ZNW 65, 1974, 121-138, sehr deutlich; vgl. auch CHADWICK, Pagane und christliche Allegorese, 2ff. 77 Vgl. dazu J. TATE, On the History of Allegorism, CQ 28, 1934, 105-114.

Forschungsstand

und

Fragestellung

13

h a l b a u c h i m L a u f e der Z e i t w a n d e l n und v e r ä n d e r n u n d w i r d n o t w e n d i g i m m e r v o n der g e s c h i c h t l i c h e n S i t u a t i o n , d e n A d r e s s a t e n u n d u n d d e m S t a n d p u n k t d e s j e w e i l i g e n Interpreten m i t b e s t i m m t 7 8 . W e n n d i e f r ü h e n C h r i s t e n d i e S c h r i f t e n d e s A l t e n T e s t a m e n t s n i c h t p r e i s g a b e n , s o n d e r n i m L i c h t e der d u r c h d a s C h r i s t u s e r e i g n i s v e r ä n d e r t e n S i c h t auf d i e H e i l s g e s c h i c h t e a n d e r s l a s e n , k o n n t e d a s n i c h t o h n e R ü c k w i r k u n g e n auf ihr T e x t v e r s t ä n d n i s b l e i b e n 7 9 . D a s b e d e u t e t n u n a b e r nicht, d a ß d a s w ö r t l i c h e V e r s t ä n d n i s g ä n z l i c h a u f g e g e b e n w o r d e n w ä r e 8 0 , g e r a d e P a u l u s b e z i e h t s i c h h ä u f i g auf w ö r t l i c h e A u s s a g e n d e s A l t e n T e s t a m e n t s 8 1 , d i e er j e d o c h in e i n e n v ö l l i g a n d e r e n ,

christologisch

q u a l i f i z i e r t e n B e z u g s r a h m e n stellt 8 2 . D o c h an a n d e r e n S t e l l e n

verwendet

Paulus, e b e n s o w i e nach ihm die altkirchlichen Schriftsteller, v o r z u g s w e i s e d i e a l l e g o r i s c h e Interpretation, u m d i e T e x t e d e s A l t e n T e s t a m e n t s v o n d e m d i e G e m e i n d e k o n s t i t u i e r e n d e n C h r i s t u s e r e i g n i s als i h r e m i n h a l t l i c h e m u n d

78 Zur Geschichtlichkeit als einer wichtigen Dimension der Hermeneutik und der Bedeutung der Wirkungsgeschichte f ü r das Verständnis des Textes, vgl. GADAMER, Wahrheit und Methode I,. 301ff. Die Notwendigkeit von Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte betonten z.B. J. GNILKA, Die Wirkungsgeschichte als Zugang zum Verständnis der Bibel, MThZ 40, 1989, 51-62; G. EßELING, Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift, Tübingen 1947, vgl. auch L. VLSCHER/D. LERSCH, Auslegungsgeschichte als notwendige theologische Aufgabe, Studia Patristica 1 = TU 63, 1957, 414-419. Kritisch äußert sich hingegen: F. DE BOOR, Kirchengeschichte oder Auslegungsgeschichte, ThLZ 97, 1972, 401-414. 79 Vgl. dazu ausführlich H. HÜBNER, New Testament Interpretation of the Old Testament, in: M. Saebo (Hg.): Hebrew Bible/Old Testament. The History of Its Interpretation I: From the Beginnings to the Middle Ages (Until 1300), Part 1: Antiquity, Göttingen 1996, 332-372 [Lit.]. 80 H. BRINKMANN, Mittelalterliche Hermeneutik, Tübingen 1980, 162, hebt hervor, daß in der jüdisch-christlichen im Unterschied zur paganen Allegorese die übertragene Deutung das wörtliche Verständnis nicht ersetzt, sondern aus ihm hervortritt. 81 Auf den Umgang des Paulus mit dem Alten Testament kann im Rahmen dieser Studie nicht genauer eingegangen werden, vgl. D.-A. KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus, BHTh 69, Tübingen 1986. 82 Vgl. HÜBNER, New Testament Interpretation, 342 mit Bezug auf den Abschnitt aus Ps. 142,2 (LXX) in Gal. 2,16: „Thus Paul places the Old Testament passage with it's genuinely literaral meaning in a larger, qualitatively different, theological grid. The original literal meaning is not negated, but newly understood with the new situation of salvation, and thus within a newly created reality. What needs to be stressed is that in Gal 2:16, Paul consults the Old Testament in a proper function to express his own theological Programm. In terms of this important point of his theology, Paul stands in a direct line with the Old Testament tradition - provided the fundamental hermeneutical principle is taken seriously that a phrase uttered for the first time in a certain historical situation can never again be understood in exactly the same way when adopted anew in different historical situations".

14

Kapitel 1

die Auslegung leitendem Sinnzentrum her neu und vertieft zu verstehen 83 . Deshalb hat die neuzeitliche Forschung hier nun vielfach gemeint, zwischen einer an den Ereignissen der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen orientierten Typologie und einer breit wuchernden und den biblischen Erzählungen nicht mehr sachgemäßen hellenistischen Allegorese unterscheiden zu müssen 84 . Doch vermochte dieser Versuch, die Typologie auf Kosten der Allegorese zu rehabilitieren, schließlich doch nicht zu überzeugen, weil auch ihm das neuzeitliche Vorverständnis zugrunde liegt, wonach der eigentliche Sinn der Schrift letztlich doch nur der historische sein kann 85 . Die antiken Schriftsteller haben den Begriff des Typus jedenfalls nicht von dem der Allegorie abgehoben 86 , und wie viele andere Kommentatoren vor ihm 87 hat auch Gregor weder terminologisch noch hermeneutisch zwischen Typos und Allegorie bzw. Typologie und Allegorese differenziert 88 .

83 So betont H. DE LUBAC, A propos de l'allégorie chrétienne, RSR 47, 1959, 5 - 4 3 gegenüber J. PÉPIN, Mythe et allégorie. Les origines grecques et les contestations j u d é o chrétiennes, Paris 1958, der die Kontinuität mit der paganen A u g l e g u n g hervorhebt, den christlichen Bezugsrahmen der allegorischen Interpretation. Vgl. auch J. PÉPIN, La tradition de l'allégorie. De Philon d ' A l e x a n d r i e à Dante, Paris 1987. 84

Vgl. dazu L. GOPPELT, Typos. Die typologische Deutung des Alten Testaments im Neuen Testament, Gütersloh 1939, der die typologische A u s l e g u n g nicht zuletzt deshalb gegen „jüdische Buchstäblichkeit" und „alexandrinische Fabelei" abgrenzt, um gegen Harnack und andere die bleibende Bedeutung des Alten Testaments f ü r den christlichen Glauben zu unterstreichen. Diese Unterscheidung machte insbesondere J. DANIÉLOU zum Schlüssel f ü r das Verständnis der altkirchlichen Exegese. Erstmals hat er dieses Modell in d e m Aufsatz: Traversée de la Mer rouge et baptême aux premiers siècles, RSR 33, 1946, 4 0 2 - 4 3 0 vorgestellt und danach in vielen weiteren Arbeiten verfochten, vgl. z.B. DERS., Sacramentum Futuri. Études sur les origines de la typologie biblique, Études de théologie historique, Paris 1950; ähnlich auch G. W . H. LAMPE/K. J. WOOLLCOMBE, Essays on Typologie, Studies in Biblical Theology 22, L o n d o n 1957. 85 Zur Kritik an dieser Unterscheidung vgl. auch H. CROUZEL, La distinction de la typologie et de l'allégorie, B L E 65, 1964, 161-174. Vgl. C. JACOB, „Arkandisziplin", Allegorese, Mystagogie. Ein n e u e r Zugang zur Theologie des A m b r o s i u s , T h e o p h a n e i a 32, Frankfurt/M. 1990, 160ff. 86 R. HAHN, Die Allegorie in der antiken Rhetorik, Diss. Tübingen 1967, 176-181 weist nach, daß viele altkirchliche Autoren alle Arten von nicht wörtlicher A u s l e g u n g als allegorisch bezeichneten, vgl. auch F. YOUNG, Biblical Exegesis and the Formation of Christian Culture, Cambridge 1997, 192ff.; H. DE LUBAC, . T y p o l o g i e ' et , A l l é g o r i s m e ' , RSR 34, 1947, 180-226; SMALLEY, Study, 7; LOUTH, Discerning the Mystery, 118. 87 Zu den alexandrinischen Autoren vgl. besonders W . VAN DEN BOER, Hermeneutic Problems in early Christian literature, VigChr 1, 1947, 150-167. 88 So auch FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 43, der den Begriff des allegorischtypologischen Sinns wählt, „um jene Ebene des Schriftverständnisses zu bezeichnen, die sowohl den Symbolgehalt biblischer Bilder als auch Analogien von Gestalten und Ereignissen biblischer Geschichte zur G r u n d l a g e nimmt, um zu neuen Einsichten im Schrifttext zu gelangen".

Forschungsstand

und Fragestellung

15

Sobald ein Text des Alten Testaments in diesen veränderten Kontext gestellt wird, entfaltet er für die spätantiken Christen eine ganz neue Tiefe und Dynamik, weil seine tiefere und eigentliche Bedeutung in Christus beschlossen liegt89, welche in der ihnen gegenwärtigen Kirche zugleich immer wieder neu entwickelt und dementsprechend auch immer wieder neu aktualisiert werden muß90. Nicht was ein Autor damals bei der Abfassung seines Textes gemeint haben könnte, sondern einzig und allein das, was der Text für die unmittelbare Gegenwart zu sagen hat, bestimmt deshalb das Interesse eines spätantiken Kommentators an diesem Text 91 . Die allegorische Schriftkommentierung dient somit einer aktualisierenden Neuinterpretation von Texten der heiligen Schrift für ein konkretes und damit auch historisch faßbares Publikum92. Sie sagt sehr viel mehr über den Interpreten und sein Publikum als über den zugrundeliegenden Text selbst 93 und ist keineswegs so unabhängig von der historischen Situation, wie es leider allzu häufig den Anschein erweckt94. Darüber hinaus verfährt auch die allegorische Schriftauslegung keineswegs derart willkürlich, wie ihr bisweilen unterstellt wurde95. Die For-

89 Vgl. H. D E L U B A C , Exégèse médiévale. Les quatres sens de l'Écriture 1/1, Théologie 41, Paris 1959, 305ff.; L O U T H , Discerning the Mystery, 121: „allegory is firmly related to the mystery of Christ, it is a way of relating the whole of Scripture to that mystery, a way of making a synthetic vision out of the images and events of the Biblical narrative". E. H E L L G A R T H , Erkenntnistheoretisch-ontologische Probleme uneigentlicher Sprache in Rhetorik und Allegorese, in: W. Haug (ed.): Formen und Funktionen der Allegorese, Stuttgart 1979, 25-37, spricht in diesem Zusammenhang von einer „bekenntnishaften Setzung", die der Allegorese vorausläuft. 90 Vgl. auch J A C O B , Reception, 6 8 4 : „Christian allegorical interpretation has to be considered as a ever new, reshaping, rereading, mirrowing of biblical narratives in the horizon of the Christian Church". 91 Vgl. auch C . J A C O B , Allegorese: Rhetorik, Ästhetik, Theologie, in: T. Sternberg (Hg.): Neue Formen der Schriftauslegung, QD 140, Freiburg 1992, 131-163, hier 143. 92 Zu diesem Anliegen vgl. auch B. S T U D E R , Die patristische Exegese, eine Aktualisierung der heiligen Schrift. Zur hermeneutischen Problematik der frühchristlichen Bibelauslegung, in: ders.: Mysterium Caritatis. Studien zur Exegese und Trinitätslehre der Alten Kirche, Studia Anselmiana 127, Rom 1999, 97-127. 93 Vgl. C. K A N N E N G I E S S E R , Die Bibel, wie sie in der frühen Kirche gelesen wurde. Die patristische Exegese und ihre Voraussetzungen, Concilium (D) 27, 1991, 25-30, hier 30. Was dort über die Exegeten des zweiten bis vierten Jahrhunderts gesagt wird, gilt auch für spätere Zeiten. 94 Vgl. auch J A C O B , Reception, 6 9 7 : „the true reason for interpreting a text in disregard of its historical meaning is its applicability to different historical situations. These new situations - which are historical as well - explain and legitimize the allegorical exegesis". 95 Vgl. D E L U B A C , Exégèse médievale I I / 2 , 6 8 - 7 5 nimmt den Vorwurf auf, mit der allegorischen Interpretation könne man in einen Text jeden beliebigen Inhalt gleichsam hineinlesen.

16

Kapitel

1

schung i n s b e s o n d e r e der letzten Jahrzehnte96 hat v i e l m e h r deutlich

gemacht,

daß sich d i e altkirchliche E x e g e s e der S c h r i f t nicht allein in der U n t e r s c h e i dung

zwischen

einem

wörtlichen

und e i n e m

allegorischen

schöpft97, sondern im größeren Z u s a m m e n h a n g

des

Schriftsinn

er-

literaturgeschichtlichen

Rahmens, den die spätantike Schultradition z u m Maßstab für die

Auslegung

v o n T e x t e n v o r g e g e b e n hatte98, erörtert w e r d e n m u ß 9 9 . Schon die origenistischen Prinzipien der Schriftauslegung, die auch

die

A u t o r e n des W e s t e n s m a ß g e b l i c h geprägt haben, w e r d e n nicht

hinreichend

erfaßt, w e n n m a n sich allzu einseitig auf seine V o r l i e b e für d i e

allegorische

Interpretation

im Unterschied z u m buchstäblich-historischen

Sinn

konzen-

triert100. W e i l f ü r O r i g e n e s j e g l i c h e s t h e o l o g i s c h e B e m ü h e n nichts a n d e r e s als m e t h o d i s c h e E x e g e s e d e r h e i l i g e n S c h r i f t e n w a r 1 0 1 , in d e n e n d u r c h das ken des H e i l i g e n Geistes ein tieferer Sinn im heilsbringenden

Wir-

Christusereignis

beschlossen liegt102, m u ß t e es das w i c h t i g s t e A n l i e g e n eines E x e g e t e n

sein,

seinen H ö r e r n diesen tieferen Sinn des auf dieser E b e n e g a n z und gar k o h ä renten und v o l l k o m m e n

96

widerspruchsfreien

Textes

zu entschlüsseln.

Die

V g l . dazu den Forschungsüberblick v o n U . WICKERT, Biblische E x e g e s e zwischen

Nicaea und Chalcedon: H o r i z o n t e , Grundaspekte, in: J. van Oort/U. W i c k e r t : Christliche E x e g e s e zwischen Nicaea und Chalcedon, K a m p e n 1992, 9-31. 97

V g l . zu dieser Unterscheidung besonders die Studien von H . DE LUBAC, Histoire et

Esprit. L ' i n t e l l i g e n c e de l'écriture d'après Origène, Paris 1950; R . P. C. HANSON, A l l e g o r y and Event. A Study of the Sources and Significance of O r i g e n e ' s Interpretation of Scripture, L o n d o n 1959 und M . SIMONETTI, Lettera e/o allegoria, R o m 1985. D a g e g e n unterscheidet R . A . MARKUS, W o r l d and T e x t in Ancient Christianity I: Augustine, in: ders.: Signs and Meanings. W o r l d and T e x t in A n c i e n t Christianity, L i v e r p o o l 1996, 1 - 4 3 zwischen . e x e g e s i s ' und .interpretation', w o b e i f ü r die erste K a t e g o r i e der T e x t im Zentrum steht, w o h i n g e g e n : „.Interpretation'

is less f o c u s e d on the text; it can bring into

play a much wider range of concepts, images, systems of ideas" (37). 98

V g l . dazu besonders P. HADOT, T h é o l o g i e , exégèse, écriture dans la philosophie

grecque, in: M . Tardieu

(Hg.): Les

règles de l'interpretation, Paris 1987, 13-34;

C.

SCHÄUBLIN, Zur paganen Prägung der christlichen E x e g e s e , in: J. van Oort/U. W i c k e r t ( H g . ) : Christliche E x e g e s e zwischen Nicaea und Chalcedon, K a m p e n 1992, 148-173. 99

Damit läßt sich auch die ältere These, die antiochenische E x e g e s e g e h ö r e

im

Unterschied zur alexandrinischen, deren allegorische Interpretation kritisiert werde, zu den V o r l ä u f e r n der modernen historisch-kritischen auch C. SCHÄUBLIN, Untersuchungen E x e g e s e , Theophaneia

23, Köln/Bonn

Exegese, nicht länger halten,

zu M e t h o d e und Herkunft der 1974. Nach

YOUNG, Biblical

vgl.

antiochenischen Exegesis,

161ff.

spiegelt sich hier die D i f f e r e n z zwischen einer eher rhetorisch und einer eher philosophisch geprägten Schultradition. 100 Y g |

DAZU

insbesondere

die ausführliche Dokumentation

v o n B.

NEUSCHÄFER,

Origenes als P h i l o l o g e , 2 Bde, S B A 18,1/18,2, Basel 1987. 101

V g l . HANSON, A l l e g o r y , 259.

102 Y g | ^

p r j n c _ 4,2,2. Das b e g r e i f e n w e d e r die Juden, die den T e x t nur wörtlich ver-

stehen und deshalb Christus nicht erkennen, noch die Marcioniten und Gnostiker, die den T e x t ebenfalls lediglich

auf der wörtlichen Ebene verstehen und so zu der falschen

A n n a h m e gelangen, hier handele ein D e m i u r g .

Forschungsstand

und

17

Fragestellung

eigentliche Aufgabe der Schriftauslegung sei deshalb die Suche nach dem tieferen Sinn, der sich hinter der bloßen Buchstabenhülle verberge 103 . Das geschah jedoch keineswegs willkürlich und nach eigenem Gutdünken, sondern mit den anerkannten Methoden für das Verständnis und die Interpretation von Texten 104 . Da sich Origenes einem bis in jedes einzelne Wort hinein vom heiligen Geist inspirierten Text gegenübersah, wandte er als ein in diesen Methoden intensiv geschulter Exeget erhebliche Sorgfalt auf, um den eigentlichen Gehalt möglichst jeden noch so unverständlich erscheinenden Wortes, jedes auf den ersten Blick schwierig wirkenden Gedankens oder dunkel anmutenden Satzes aufzudecken 105 . Den biblischen Texten mangelte es seiner Ansicht nach zwar fast vollständig an ästhetischer Schönheit und literarischer Raffinesse, doch sei gerade das ein untrügliches Indiz für ihre Nützlichkeit für den Leser, die Origenes zu einer hermeneutischen Grundkategorie seiner Textauslegung machte 106 . Letztlich gab es keinen biblischen Text, der in seinen Augen unwichtig sein konnte und so legte Origenes fast alle Bücher des Alten Testaments in Form von Scholien, Homilien und Kommentaren aus, selbst diejenigen, die bisher noch wenig beachtet worden waren wie etwa die Bücher Josua, Richter, Kohelet und Hiob 107 . Zunächst begeisterte sich Hieronymus für das Werk des Origenes ebenso wie für sein exegetisches Anliegen und übersetzte einiges davon ins Lateinische, darunter zwei Homilien zum Canticum sowie die Homilien zu Jeremia und Ezechiel 108 . Darüberhinaus verfaßte er eine Reihe eigener Auslegungen und blieb mit der Abfassung eines Buches über die Bedeutung der hebräischen Eigennamen und eines Verzeichnisses der hebräischen Ortsnamen auch

103

Basis

D e princ. 4 , 2 , 9 und 4 , 3 , 5 . V g l . auch W . MlZUGAKI, .Spirit' and ,Search': The of

Biblical

Hermeneutics

in O r i g e n ' s

On

First Principles

4,1-3,

in:

H.

W.

Attridge/G. Hata (Hg.), Eusebius, Christianity and Judaism, W a y n e State U n i v e r s i t y and Leiden 1 9 9 2 , 5 6 3 - 5 8 4 . 104

NEUSCHÄFER, O r i g e n e s I. Für die spätere Zeit v g l . auch M. IRVINE, T h e M a k i n g of

Textual Culture. .Grammatica' and Literary Theory, 3 5 0 - 1 1 0 0 , C a m b r i d g e Studies in M e d i e v a l Literature 19, C a m b r i d g e 1 9 9 4 , 2 4 4 f f . 105

NEUSCHÄFER, O r i g e n e s I, 1 3 9 - 2 4 6 . V g l . auch C. MARKSCHIES, O r i g e n e s und die

K o m m e n t i e r u n g des paulinischen Römerbriefs: B e m e r k u n g e n zur R e z e p t i o n v o n antiken K o m m e n t a r t e c h n i k e n im dritten Jahrhundert und zu ihrer V o r g e s c h i c h t e , in: G. W. M o s t (Hg.): C o m m e n t a r i e s - K o m m e n t a r e , Aporemata 4, G ö t t i n g e n 1 9 9 9 , 6 6 - 9 4 . 106

NEUSCHÄFER, O r i g e n e s I, 2 5 9 - 2 6 3 .

107

SlMONETTI, lettera, 7 4 .

108

In Ep. 3 3 , 4 ( C S E L 54, 2 5 5 , 1 0 - 2 5 9 , 2 Hilberg), die aus der Zeit stammt, als s e i n e

Verehrung für O r i g e n e s n o c h u n g e b r o c h e n war, stellt H i e r o n y m u s die G e l e h r s a m k e i t und das Werk des O r i g e n e s n e b e n das des Varro und preist ihn als einen christlichen centerus.

chal-

Zum U m s c h w u n g v o n der O r i g e n e s b e g e i s t e r u n g zur O r i g e n e s b e k ä m p f u n g bei

H i e r o n y m u s v g l . auch J. N . D . KELLY, Jerome. H i s Life, Writings and Controversies, London 1975, 195-209.

18

Kapitel 1

der Gelehrsamkeit des Origenes verpflichtet 109 . Ungeschulte Menschen sollten seiner Meinung nach die Finger von der Auslegung der heiligen Schrift lassen; aber leider, so fügte er hinzu, hält sich in dieser Kunst jeder allzu schnell für einen Meister, das alte Klatschweib ebenso wie der hingebungsvolle Greis oder der wortreiche Sophist, sie alle nehmen die Schrift zur Hand, reißen sie in Stücke und lehren sie, bevor sie sie wirklich verstanden haben110. Die Aufgabe eines Kommentars sei vielmehr folgendermaßen zu beschreiben: Commentarius quid operis habent? alterius dicta edisserunt, quae obscure scripta sunt, piano sermone manifestant, multorum sententias replicant, et dicunt: hunc locum quidem sie edisserunt, alii sie interpretantur, illi sensum suum et intellegentiam his testimoniis et hac nituntur ratione firmare, ut prudens lector, cum diuersas explanationes legerit et multorum uel probanda uel improbanda didicerit, iudicet quid uerius sit et, quasi bonus trapezita, adulterinae monetaepecuniam reprobetni. In seinem Kommentar zum Galaterbrief betonte Hieronymus, daß das Evangelium nicht in den Wörtern der Schrift zu finden sei, sondern nur in ihrem sensus, den der Exeget mit seinem Werk aufzudecken habe 112 . Auch wenn er sich in späteren Jahren nachdrücklich von Origenes distanzierte und eine allzu spekulativ verfahrende Allegorese unter keinen Umständen mehr dulden wollte113, konnte er den enormen Einfluß, den die Prinzipien der Textauslegung des alexandrinischen Bibelgelehrten auf die exegetischen Schriften der westlichen Theologen, insbesondere auf Hilarius und auf Ambrosius ausübte, dennoch nicht mehr aufhalten 114 . Diese Prinzipien waren ganz offensichtlich allzu gut dazu geeignet, den tieferliegenden sensus, d.h. die dem auszulegenden Text von vornherein beigelegte, tiefere Wahrheit hinter seinem Wortlaut wiederzufinden 115 . 109

Liber de nominibus hebraicis (CChrSL 72), und Liber des situ et nominibus locorum hebraicorum (PL 23, 8 5 9 - 9 6 5 ) . 110

Ep. 53,7 ( 4 5 3 , 2 - 4 5 4 , 1 2 Hilberg). Apol. adv. Ruf. I 16 (SC 3 0 3 , 4 4 , 1 5 - 2 3 Lardet); vgl. auch P. SINISCALCO, La teoria e la tecnica del commentario biblico secondo Girolamo, Annali di storia dell' esegesi 5, 1988, 2 2 5 - 2 3 8 . 111

112 In Comm. in. Ep. ad. Gal. 1,11 (PL 26, 322): Necputemus in uerbis Scripturarum esse Euangelium, sed in sensu. 113 In c o m m . in Ier. 5,2; 5,52 und 5 9 (CSEL 59, 2 9 9 , 1 8 - 2 2 , 3 3 6 , 2 1 - 2 4 und 3 4 6 , 2 1 - 2 3 Reiter) grenzt er sich von den Auslegungen des Origenes ab, den er als den allegoricus semper interpres charakterisiert. 114 v g l . auch SMALLEY, Study, 14: „To write a history of Origenistic influence in the West would be tantamount to writing a history of western exegesis". 115 Vgl. W. FREYTAG, Allegorie/Allegorese, in: G. Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik I, Darmstadt 1992, 3 3 0 - 3 9 2 , hier 331; vgl. auch F. SLEGERT, Early Jewish Interpretation in a Hellenistic Style, in: M. Saebo (Hg.): Hebrew Bible/Old Testament. The History of Its Interpretation I: From the Beginnings to the Middle Ages, Part 1: Antiquity, Göttingen 1996, 1 3 0 - 1 9 8 , hier 139: „The only criterion of the allegorists'

Forschungsstand und Fragestellung

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Daß es dem spätantiken Interpreten vor allem darum ging, in einer konkreten Situation diese dem Text innewohnende Wahrheit durch seine Auslegung erneut zur Sprache bringen, macht auch Augustin deutlich, der seine Hermeneutik in De doctrina christiana im Zusammenhang entfaltete116. Nicht zufällig handelt deshalb das erste Buch zuallererst von den res, den göttlichen Wahrheiten, die dem Interpreten von vornherein bekannt sein sollten und die es in den uerba der Schrift wiederzufinden gilt 117 . Bei seiner Suche stößt der Exeget auf ein vielfältiges Beziehungsgeflecht zwischen der ihn interessierenden Wahrheit und dem Text und bemüht sich darum, mit seinem Kommentar die von ihm entdeckten Verbindungen zwischen dieser Wahrheit und den uerba des Textes hervortreten zu lassen 118 . Auf dieser Grundlage kann der Interpret zudem Beziehungen zwischen ganz verschiedenen Texten der Schrift aufspüren, die sich vor allem dann, wenn sie die gleichen oder ähnliche Begriffe aufweisen, zusätzlich gegenseitig auslegen und vertiefen können, sobald sie im Lichte dieser zentralen Wahrheit gelesen werden 119 . Um eine geeignete und für das Publikum plausible Verbindung zwischen Text und bezeichneter Sache zu finden, greift die allegorische Auslegung selbstverständlich auf die Erkenntnisse der freien Künste zurück120. Wiederum in De doctrina christiana beschreibt Augustin, daß neben grammatischen, rhetorischen und philologischen Kenntnissen bisweilen auch eine gewisse Schulung im Hinblick auf Namen, Tiere, Steine, Pflanzen, Zahlen und Musik erforderlich sei, um einen biblischen Text in angemessener Weise auslegen zu könintelligent guesswork seems to have been consistency within a given system of knowledge. In the Hellenistic period this system was defined in philosophical terms based on Stoic physics and ethics, and could be dressed in a more or less Platonic fashion. Later on, in Christian use, allegory was subordinated to theological dogmatics". Ganz ähnlich auch HADOT, Théologie, 22: „C'est le même phénomène que l'on peut observer dans l'exégèse de la théologie chrétienne: les commentateurs et les théologiens retrouve la doctrine traditionelle de l'Église dans le moindre détail du texte sacré". 116 Vgl. die gründliche Analyse von K. POLLMANN, Doctrina christiana. Untersuchungen zu den Anfängen der christlichen Hermeneutik unter besonderer Berücksichtigung von Augustins ,De doctrina christiana', Paradosis 41, Fribourg 1996. 117 Für Augustin sind die res im doppelten Liebesgebot zusammengefaßt, vgl. De doctr. christ. 1,39 (28-30 Green). Vgl. dazu auch H.-J. SIEBEN, Die ,res' der Bibel. Eine Analyse von Augustinus, De doctrina christiana I-III, REAug 21, 1975, 72-90. 118 Vgl. auch STUDER, patristische Exegese, 113ff. WILKEN, Gregory the Great, 4ff. sieht an dieser Stelle vollkommen zu Recht Parallelen zur inuentio der antiken Rhetorik. 119 Daß man die Deutung einer unklaren Stelle zuverlässig aus dem gesamten Werk erheben könne, galt bereits seit der paganen Aristotelesinterpretation. Dieses Anliegen erfuhr in der origenistischen Auslegungstradition insofern eine Zuspitzung, als hier nun die Hinzunahme weiterer biblischer Belegstellen den Sinn einer an sich nicht einmal unklaren Textstelle in Richtung auf den verborgenen Schriftsinn lenken konnten, vgl. Neuschäfer, Origenes I, 276-285. 120 Vgl. SMALLEY, Study, 12; IRVINE, Making, 246; FREYTAG, Allegorie/Allegorese, 341.

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Kapitel 1

nen121. Jede allegorische Deutung eines Textes, die Bezüge zwischen dem Text und den zugrundeliegenden res aufweisen will, bleibt somit eingebettet in die ,cultural encyclopedia' 122 einer Gemeinschaft, die die Möglichkeiten der Interpretation eines Textes festlegt und umgrenzt. Doch nicht allein die größere kulturelle Gemeinschaft insgesamt, sondern der mit der Interpretation speziell anvisierte Adressatenkreis innerhalb dieser Gemeinschaft trägt entscheidend dazu bei, daß eine allegorische Deutung gleichsam funktioniert und verstanden wird123. Nur im Zusammenspiel mit den Erwartungen der anvisierten Leserschaft entfaltet sich demnach das Aufspüren der Bedeutung und die Aktualisierung des zugrundeliegenden Textes 124 . So konnte es Hieronymus mit seinen Homilien und Kommentaren gelingen, einem vorrangig an asketischen Fragestellungen interessierten Publikum spirituelle Weisungen zu geben 125 , während es Ambrosius und Hilarius offenbar in erster Linie um die Reinterpretation der Texte im Kontext der gegenwärtigen bedrängenden Fragen der Ekklesiologie ging 126 . Damit konstituiert die allegorische Interpretation des Textes zugleich eine hervorgehobene ,textual Community'127 im Rahmen der auch die einfachen 121

Augustin: De doctr. Christ. 11,58-67 (82-88 Green). Zum Begriff der .cultural encyclopedia' vgl. auch U. ECO, Metaphor, Dictionary, and Encyclopedia, New Literary History. A Journal of Theory and Interpretation 15, 1984, 255-271, und KANNENGIESSER, Bibel, 29. 123 Vgl. dazu CHADWICK, Pagane und christliche Allegorese, 17: „Ein Kriterium für die Akzeptanz der Allegorese liege darin, daß der aufgedeckte Sinn des Texes von der religiösen Gemeinschaft, der diese Texte heilig sind, als angemessen betrachtet werde". 124 YGJ (JAZU auch die knappe Bemerkung bei MARKUS, Gregory the Great, 44: „The meaning of a text was as much the creation of it's reader as it was determined by the text". Markus bestätigt diese Aussage mit seiner Kritik an Gregors wenig textgemäßer Exegese und macht damit deutlich, wie schwer dieser Schöpfungsakt einem modernen Menschen fallen kann, der nicht mehr der erste Adressat dieser Art der Textauslegung ist. Deshalb wäre es zu kurz gegriffen, nun mit KESSLER, Gregor der Große, 24 die allegorische Deutung als die „ganzheitlichere Auslegungspraxis" im Sinne eines Heilmittels für die angeschlagene historisch-kritische Methode zu empfehlen. 122

125

Vgl. R. KIEFFER, Jerome: His Exegesis and Hermeneutics, in: M. Saeb0 (Hg.): Hebrew Bible/Old Testament. The History of its Interpretation. Bd. I: From the Beginnings to the Middle Ages (Until 1300), Part 1: Antiquity, Göttingen 1996, 663-681. 126 Vgl. JACOB, Reception, 684. Zu Ambrosius vgl. auch T. GRAUMANN, Christus interpres. Die Einheit von Auslegung und Verkündigung in der Lukaserklärung des Ambrosius von Mailand, PTS 41, Berlin/New York 1994. 127 Den Begriff hat B. STOCK, Textual Communities, in: ders.: The Implications of Literacy. Written Language and Models of Interpretation in the Eleventh and Twelfth Centuries, Princeton 1983, 88-240, f ü r die häretischen Bewegungen des Mittelalters geprägt, die ihren Bruch mit der offiziellen Tradition im Rückgriff auf einen noch verbindlicheren Text zu legitimieren suchten. Von hier her hat sich der Begriff durchgesetzt, um den Sachverhalt zu beschreiben, daß: „Particular languages create particular communities". In dieser Weise benutzt auch MARKUS, World and Text in Ancient Christianity I, 41 diesen Begriff, ohne Stock jedoch zu erwähnen.

Forschungsstand

und

Fragestellung

21

Gläubigen umfassenden Kirche, die nicht nur in der Lage ist, einen bisweilen nicht ganz einfachen lateinischen Text zu lesen, sondern auch seine Bedeutung auf einer höheren Ebene zu erfassen vermag128.

1.4. Die Frage nach Auslegungsinteresse und Adressaten der Moralia in Job Diese angesichts der weitverzweigten Diskussion nur äußerst knappen Bemerkungen über die allegorische Schriftkommentierung sind insofern wichtig, als sie das Bewußtsein dafür wecken sollen, daß auch Gregors Deutung des Buches Hiob in den Moralia in Job nicht nur zusammenhanglos aneinandergereihte Texte und vollkommen willkürlich verhandelte Themen in Form eines Kommentars sind. Was auf den ersten Blick zunächst wie eine ungeordnete Zusammenstellung von sehr disparatem Textmaterial ohne inneren Zusammenhang aussieht129, kann sich bei näherem Hinsehen als eine strukturierte Einheit erweisen130, wenn es gelingt, die von Gregor dem Text beigelegten res, auf die die uerba des Hiobtextes hinweisen, sowie den von ihm anvisierten Adressatenkreis seiner Auslegung genauer zu bestimmen. Bis in die jüngsten Veröffentlichungen zu Gregors exegetischem Werk wird lediglich zwischen dem Gebrauch der verschiedenen Schriftsinne unterschieden131, ohne so recht deutlich machen zu können, welches spezifische Interpretationsinteresse132 er an den Text heranträgt und für welches Publikum er den biblischen Text mit seiner Auslegung in der historischen Situation des späten sechsten Jahrhunderts fruchtbar machen will133. Es steht zwar au-

128

Vgl. dazu auch MARKUS, World and Text in Ancient Christianity I, 41. MARKUS, World and Text in Ancient Christianity II, 61 hat für Gregors U m g a n g mit den Texten keinerlei Verständnis, er sieht hier lediglich: „merciless atomised bits of text are reassembled to support a spiritual treatise disguised as commentary". 130 YG] WLLKEN, Gregory the Great, 8: „What appears on first reading as an arbitrary piling up of random texts is in fact a subtle way of giving context to a text". 129

131 DE LUBAC, E x é g è s e medievale 1,1, 188ff. sieht Gregor als den wichtigsten Vorläufer für die im Mittelalter weit verbreitete Lehre v o m vierfachen Schriftsinn, ihm f o l g e n MANSELLI, Gregorio Magno e la Bibbia, 84ff.; G. ZEVINI, La metodologia dell'intelligenzia spirituale della sacra scrittura c o m e esegesi biblica in Gregorio Magno, in: C. Casale Marcheselli (Hg.): Parola e Spirito. Studi in onore di Settimio Cypriani I, Brescia 1982, 8 6 7 - 9 1 5 , hier 8 9 7 f f . ; SCHAMBECK, Contemplatio. Zur Diskussion vgl. auch H O F M A N N , Auslegung, 44ff.; ausführlich auch FlEDROWicz, Kirchen Verständnis, 3 1 f f . 132 Vgl. dazu besonders JACOB, Allegorese, 159: „Ein Urteil über den Wert und die Bedeutung einer allegorischen Ausdeutung muß aber von dem apriorischen theologischen Interesse ausgehen ..." 133

Vgl. auch STUDER, patristische Exegese, 101: „Wer sich zu einseitig auf die Frage nach den Schriftsinnen festlegt, läuft vor allem Gefahr, die Hauptsache zu vergessen, die

22

Kapitel 1

ßer Frage, daß sich Gregor in erster Linie dafür interessiert, was die Schrift und somit auch das Buch Hiob über das christliche Leben zu sagen hat, und daß er nicht nur mit der Auslegung dieses biblischen Textes die Notwendigkeit der conuersio und contemplatio des Menschen betonen will, doch bleiben solche in der Sekundärliteratur häufig anzutreffenden Zusammenfassungen seines Auslegungsinteresses 134 noch viel zu allgemein. Auch wird nicht selten darauf hingewiesen, daß sich Gregor mit seinen Moralia in Job vor allem an eine religiöse Elite 135 richtet, doch erscheint nicht so recht deutlich, was er diesen Menschen mit seiner Auslegung sagen will. Die Unklarheiten an dieser Stelle erstaunen um so mehr, als Gregor, wie viele Kommentatoren in der Spätantike, seinem Werk nicht nur einen längeren Widmungsbrief an seinen Freund Leander von Sevilla136, sondern auch eine ausführliche Praefatio voranstellt137, die beide präzise darüber Auskunft geben, wen er mit der Auslegung des Buches Hiob in den Moralia in Job ansprechen und wie er den nicht nur ihm selbst so schwierig anmutenden Text verstanden wissen will. Nach einem ersten kleineren Abschnitt über die Entstehungsgeschichte der Moralia in Job sowie einem kurzen Blick auf die Auslegungsgeschichte des Buches Hiob, das Gregor in den Moralia interessanterweise als hactenus indiscussus bezeichnet, soll deshalb zunächst die Interpretation des Dedikationsschreibens an Leander und Gregors Praefatio zu den Moralia in Job im Zentrum dieser Untersuchung stehen.

Tatsache nämlich, daß die christlichen Autoren der Antike im Gebrauch und in der Auslegung der Bibel in erster Linie die Aktualisierung eines heiligen Textes intendierten". 134 Vgl. S. KESSLER, Gregory the Great: a Figure of Tradition and Transition in Church Exegesis, in: M. Ssebo (ed.): Hebrew Bible/Old Testament. The History of Its Interpretation I: From the Beginnings to the Middle A g e s (Until 1300), Part 2: The Middle Ages, Göttingen 2000, 135-147, hier 140: „What interested Gregory in expounding the book of Job was what it says about the committed Christian life: Conversion, culminating in the life of contemplation, is the objective of his understanding the Bible", so fast wörtlich auch MARKUS, Gregory the Great, 43. 135 Ygi beispielsweise MARKUS, Gregory the Great, 45. 136 137

Vgl. Ep. ad Leand. 1 - 4 (CChr.SL 143, 1,1-7,229 Adriaen). Vgl. Praef. 1-21 (8,1-24,36 Adriaen).

Kapitel 2

Entstehung und Adressaten der Moralia in Job 2.1. Die in Konstantinopel gehaltenen Homilien über das Buch Hiob Gregor legte in seiner Zeit als päpstlicher Apokrisiar am kaiserlichen Hof von Konstantinopel1 das Buch Hiob aus. Dies geschah auf Bitten der Mönche seines Andreasklosters2, die ihm von Rom nach Konstantinopel gefolgt waren3, und ganz besonders seines von der westgotischen Partei der Katholiken dorthin entsandten engen Freundes4 Leander von Sevilla5. Seine Hörerschaft wollte von ihm die tieferen Wahrheiten und Geheimnisse dieses Buches eröffnet haben und bat ihn deshalb nicht nur um eine allegorische Interpretation der uerba historiae, sondern gezielt um eine moralische An-

1

Vgl. zu seinen Tätigkeiten in Konstantinopel auch W. STUHLFAHRT, Gregor I, der Große. Sein Leben bis zu seiner Wahl zum Papste nebst einer Untersuchung der ältesten Viten, Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 39, Heidelberg 1913; DUDDEN, Gregory the Great I, 123ff. C. DAGENS, Grégoire le Grand avant son pontificat: expérience politique et expérience spirituelle, in: L. Holtz (Hg.): De Tertullien aux Mozarabes I: Antiquité tardive et Christianisme ancien (lile - V i e siècles), FS J. Fontaine, Paris 1992, 143-150. 2 Zu den Klostergründungen Gregors, insbesondere des römischen Andreasklosters vgl. auch G. JENAL, Italia Ascética atque Monastica. Das Asketen- und Mönchtum in Italien von den Anfängen bis zur Zeit der Langobarden (ca. 150/250-604), Monographien zur Geschichte des Mittelalters 39,1, Stuttgart 1995, 266ff. 3 Vgl. Ep. ad Leand. 1 (2,33f. Adriaen): ... ubi me scilicet multi ex monasterio fratres mei germana uicti caritate secuti sunt. 4 Gregor betont durchweg seine enge Freundschaft zu Leander, vgl. Dial. III 31,1 (SC 260, 384,5f. de Vogüé/Antin): dudum mihi in amicitiis familiariter iuncto. Ep. I 41 (MGH I, 58,7 Ewald/ Hartmann): quemprae ceteris diligo. 5 Vgl. Ep. ad Leand. 1 (2,43f. Adriaen): ... etiam cogítate te .... Nach dem Bericht seines Bruders Isidor arbeitete Leander in Konstantinopel an einem aus zwei Büchern bestehenden Werk gegen die Arianer, vgl. Isidor De vir. ill. 57 (PL 83, 1103). Diese Schrift, die vermutlich die katholische Partei in Spanien stützen sollte, ist leider nicht überliefert. Zu Leander von Sevillas erhaltenem Werk: De institutione virginum et contemptu mundi, vgl. die Edition des Textes von P. A. C. VEGA, La Cuidad de Dios 159, 1947, 277-394 und die Diskussion um neue Fragmente bei T. BURÖN CASTRO, Dos fragmentos ,De institutione virginum et contemptu mundi' de San Leandro, Historia. Instituciones. Documentos 24, 1997, 101-114.

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Kapitel 2

wendung der allegorischen Deutung 6 . Sie erhoffte sich davon, die besonders s c h w i e r i g e n Textstellen mit H i l f e anderer biblischer B e l e g s t e l l e n besser verstehen zu können 7 . N a c h e i n i g e m Zögern entsprach Gregor ihren Wünschen und legte ihnen mit dem B u c h vor A u g e n den Beginn dieses seiner Ansicht nach schweren und bislang noch nicht kommentierten biblischen B u c h e s aus 8 . O f f e n b a r waren zu dieser G e l e g e n h e i t in Konstantinopel Schnellschreiber 9 a n w e s e n d , die Gregors Homilien 1 0 zum B u c h H i o b aufzeichneten 1 1 , denn man weiß, daß Leander von Sevilla eine solche Abschrift in seinem Gepäck hatte, als er um 5 8 5 / 6 Konstantinopel überstürzt verlassen mußte, um nach Spanien zurückzukehren 1 2 . Das geht aus e i n e m Brief des B i s c h o f s Licinianus von Cartagena hervor, in dem er den i n z w i s c h e n zum Papst gewählten Gregor bittet, ihm doch eine Kopie seiner Hiobauslegung zu schicken 1 3 . V o n Gregors H o m i l i e n zum B u c h H i o b wußte er nach eigenen Angaben durch ein kurzes Gespräch mit Leander von Sevilla:

6 Ep. ad Leand. 1 (2, 46-50 Adriaen): Qui hoc quoque mihi in onore suae petitionis addiderunt, ut non solum uerba historiae per allegoriam sensus executerem, sed allegoriam sensus protinus in exercitium moralitatis inclinarem ...; vgl. auch McCLURE, Gregory the Great, 20. 7 Ep. ad Leand. 1 (2,50ff. Adriaen) 8 Vgl. Ep. ad Leand. 2 (3,72f. Adriaen): Unde mox eisdem coram positis fratribus priora libri sub oculis dixi .... Vgl. dazu auch K E S S L E R , Gregor der Große, 88. 9 Vgl. dazu H. HAGENDAHL, Die Bedeutung der Stenographie für die spätlateinische christliche Literatur, JAC 14, 1971, 24-38. 10 Zur Gattung der Homilie, die auf eine aktualisierende Auslegung der Schrift zielt, vgl. auch M. SACHOT, Art. Homilie, RAC XVI, Stuttgart 1994, 148-175, hier 155-160. 11 Vgl. auch M C C L U R E , Gregory the Great, 4 ; P . M E Y V A E R T , The date of Gregory's Commentaries on the Canticle of Canticles and of I. Kings, Sacris Erudiri 23, 1978/79, 191-216, hier 210. 12 Leanders überstürzte Abreise aus Konstantinopel dürfte im Zusammenhang mit den Folgen der gescheiterten Erhebung des Hermenegild gegen seinen Vater, den König Leovigild, stehen, der die Westgoten unter arianischem Vorzeichen zu einem Königreich zusammenbinden wollte. Vgl. dazu und zur Konversion des anderen Sohnes des Leovigild, Reccared, im Jahre 587 zum Katholizismus D. RAMOS-LLSSÓN, Grégoire, Léandre et Reccaréde, in: Gregorio Magno e il suo tempo I, 123-136; J. VILELLA MASANA, Gregorio Magno e Hispania, in: Gregorio Magno e il suo tempo I, 167-186; insgesamt vgl. auch E. A. THOMPSON, The Goths in Spain, Oxford 1969, 57-113. 13 Vgl. Ep. I 41a (61,1-3 Ewald/Hartmann). Licinianus hatte offensichtlich nur sehr vage Vorstellungen von Gregors Schriften, da er ihn neben den Auslegungen zum Buch Hiob noch um die moralischen Bücher bat, die seiner Meinung nach in der Regula pastoralis erwähnt werden. Ihm war offenbar nicht bekannt, daß mit den moralischen Büchern nichts anderes als eben Gregors Moralia in Job gemeint waren. Vermutlich hatte Licinianus bis zu diesem Zeitpunkt nur die Regula pastoralis gelesen.

Entstehung und Adressaten

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Ante paucos annos episcopus Leander Spalensis remeans de urbe regia uidit nos praeteriens, qui dixit nobis habere se homilias editasu de libro sancti Job. Et quia festinans pertransiit, minime eas petentibus nobis ostendit15. Leander war seinerzeit von Konstantinopel k o m m e n d vermutlich auf dem schnellsten W e g über die südspanische Hafenstadt Cartagena 1 6 nach Sevilla weitergereist und hatte Licinianus in aller Eile lediglich mitteilen können, daß er v o n Gregor diktierte Homilien zum B u c h H i o b mitgebracht habe. D i e s e Fassung, die Licinianus von Cartagena zu diesem Zeitpunkt kaum zu Gesicht b e k o m m e n haben dürfte, zirkulierte offenbar in Spanien noch lange Zeit neben und in Ergänzung zu der später v o n Gregor überarbeiteten und beträchtlich erweiterten A u s g a b e der Moralia in Job11. Einige A u s z ü g e aus diesem Werk, die vermutlich dieser frühen Version entstammen, fanden, w i e Paul Meyvaert vor einigen Jahren nachweisen konnte, ihren W e g in die verschiedenen mittelalterlichen Florilegiensammlungen und wurden nachweislich noch im 12. Jahrhundert von einem anonymen M ö n c h des berühmten Klosters B e c in der Normandie abgeschrieben 1 8 .

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Diese Formulierung läßt vielleicht darauf schließen, daß dieses Exemplar keine Raubkopie, sondern ein von Gregor autorisierter Text war, so MEYVAERT, The date, 210 Anm. 41. Dagegen vermutet J. FONTAINE, Les relations culturelles entre l'Italie byzantine et l'Espagne wisigothique: La présence d'Eugippus dans la Bibliothèque de Séville, in: ders.: Tradition et actualité chez Isidore de Séville, Variorum Reprints, London 1988, 9-26, hier 22 jedoch mit Bezug auf Gregors Klage, daß unautorisierte Mitschriften der Evangelienhomilien in Umlauf seien - Ep. IV 17a (251,12ff. Ewald/Hartmann) - , daß Leander eine selbstangefertigte oder von einem Schnellschreiber kopierte Version mitgenommen habe. 15 Ep. I 41a (60,29-31 Ewald/Hartmann), vgl. auch McCLURE, Gregory the Great, 4; P. MEYVAERT, Uncovering a lost work of Gregory the Great: Fragments of the Early Commentary on Job, Traditio 50, 1995, 55-74, hier 63. 16 Cartagena war der wichtigste südspanische Hafen für Reisen von und nach Konstantinopel und gehörte, wie z.B. die auf das Jahr 589 oder 590 zu datierende Inschrift CIL II 3420 bezeugt, zu dieser Zeit zum byzantinischen Reich, vgl. dazu K.-F. STROHEKER, Das spanische Westgotenreich und Byzanz, in: ders.: Germanentum und Spätantike, Die Bibliothek der Alten Welt, Zürich/Stuttgart 1965, 207-245, hier 211ff. Mit de urbe regia dürfte deshalb die Hauptstadt Konstantinopel gemeint sein, so auch MEYVAERT, Uncovering a lost work, 63. 17 Leanders Bruder Isidor von Sevilla benutzte sie offenbar ebenso wie Taio von Saragossa, vgl. dazu auch MEYVAERT, Uncovering a lost work, 65ff. 18 Vgl. MEYVAERT, Uncovering a lost work, 55-74.

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Kapitel 2

2.2. Die überarbeitete und ergänzte Fassung der Moralia in Job Geraume Zeit nachdem er seine Homilien gehalten hatte, vermutlich aber erst nach seiner Rückkehr aus Konstantinopel19, als er ein wenig mehr Ruhe und Muße hatte, überarbeitete Gregor sie sehr gründlich und faßte sie zu einem vollständigen Kommentar zum Buch Hiob zusammen20. Nach seinen eigenen Angaben tat er dies, indem er vieles hinzufügte und nur weniges wegstrich und sich darum bemühte, das zuvor Diktierte nunmehr in eine angemessene Buchform zu bringen21. Spätestens im Jahre 591 müssen die Moralia in Job so gut wie fertig gewesen sein, denn Gregor berichtet, daß er zu Beginn seines Pontifikats gezwungen war, dieses Werk zu vollenden, weil seine Brüder nunmehr anderes von ihm verlangten22. Um ein in sich geschlossenes Ganzes zu erzielen, habe er versucht, das noch in Konstantinopel Aufgezeichnete und das erst später Geschriebene vom Stil her aneinander anzugleichen23. Den dritten Teil der Moralia mußte er jedoch weitgehend so stehen lassen, wie er war, da er keine Zeit mehr fand, ihn ebenso gründlich wie die anderen Teile zu überarbeiten24. Am Ende umfaßte das gesamte Werk fünfunddreißig Bücher, die sich auf sechs verschiedene Codices verteilen ließen25. Bereits kurz nach Antritt seines Pontifikats26 hatte er außerdem den Widmungsbrief an Leander abgefaßt, wie er seinem Freund in einem Schreiben aus dieser Zeit mitteilen konnte27. Schon vor 591 hatte Leander Gregor um 19

V g l . MEYVAERT, T h e date, 199.

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Ep. ad Leand. 2 (3,76 Adriaen) nennt er sein Werk nun mit dem Fachausdruck tractatus dictati, vgl. auch B. STUDER, Schola Christiana. Die Theologie zwischen Nicäa (325) und Chalcedon (451), Paderborn/München 1998, 204. W. GEERLINGS, Die lateinisch-patristischen Kommentare, in: ders./C. Schulze: Der Kommentar in Antike und Mittelalter. Beiträge zu seiner Erforschung, Clavis Commentariorum Antiquitatis et Medii Aevi 2, Leiden 2002, 1-14, hier 3 stellt fest, daß ein Großteil der überlieferten Kommentare gepredigte und anschließend niedergeschriebene Kommentare sind. 21 Ep. ad Leand. 2 (3,73ff. Adriaen): quia tempus paulo uacantius repperi, posteriora tractando dictaui, cumque mihi spatia largiora suppeterent, multa augens pauca substrahens atque ita, ut inuenta sunt, nonnulla derelinquens ea, quae me loquente excerpta sub oculis fuerant, per libros emendando composui, quia et cum postrema dictarem, quo stilo prima dixeram, sollicite attendi, vgl. auch Ep. 1,41 (CChr.SL 140, 49,51ff. Norberg) und McCLURE, Gregory the Great S. 4; sowie V. RECCHIA, Il metodo esegetico di Gregorio Magno nei Moralia in Job (11. 1;2; 4,1-47), Invigilata Lucernis 7-8, 1 9 8 5 / 8 6 , 1 3 - 6 2 , hier 13. 22

Ep. ad Leand. 2 (3,85f. Adriaen). Ep. ad Leand. 2 (3,79-83 Adriaen). 24 Ep. ad Leand. 2 (3,84-86 Adriaen); vgl. auch McCLURE, Gregory the Great, 4; MEYVAERT, The date, 208f. 25 Ep. ad Leand. 2 (3,89f. Adriaen). 26 Ep. ad Leand. 5 (7,227f. Adriaen) nimmt wohl auf Gregors Pontikat Bezug. 27 Ep. 1,41 (49,55ff. Norberg): Et nisi portitoris praesentium me festinatio coangustasset, cuneta uobis transmitiere sine alique inminutione uoluissem: maxime quia hoc 23

Entstehung und

Adressaten

27

eine Abschrift seiner Hiobaus legung gebeten28, denn er wußte ganz offenbar, daß die von ihm im Jahre 585/6 aus Konstantinopel in aller Eile mitgenommene Fassung noch nicht die endgültige war 29 . Gregor konnte Leanders Wunsch nach Übersendung einer Kopie seiner inzwischen ausgearbeiteten Hiobhomilien im Jahre 591 jedoch nicht nachkommen, wie er dem Freund erklärte, da sein Werk in diesem Moment noch von den Schreibern abgeschrieben werde30. Es scheint, als hätte Leander erst im Jahre 596 über den Presbyter Probinus eine Abschrift der von ihm erbetenen Moralia in Job erhalten31, doch fehlten dieser Abschrift noch immer die Teile III und IV, d. h. die Bücher 11 bis 22, von denen Gregor im Augenblick keine anderen Abschriften zur Hand hatte als die, die er bereits an die Klöster übergeben hatte32. Ob Leander die fehlenden Teile zu einem späteren Zeitpunkt noch erhalten hat33, oder ob er den Inhalt der Teile III und IV stillschweigend aus seiner nach Spanien mitgebrachten Fassung der konstantinopolitanischen Homilien ergänzt hat, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit sagen, da kein Brief der beiden Freunde überliefert ist, der noch einmal auf die Moralia in Job Bezug nimmt 34 . Im Unterschied zu seinen späteren Werken dauerte es also ungefähr zehn Jahre, von Gregors Ankunft als päpstlicher Apokrisiar in Konstantinopel im Jahre 579 bis in die Zeit um 590/591, bis die Moralia in Job endlich vollendet waren 35 . Manche Passagen lassen noch sehr deutlich erkennen, daß sie in Konstantinopel entstanden sind und sich auf Ereignisse der Hauptstadt des Reiches beziehen 36 . Andererseits bearbeitete und ergänzte

ipsum opus ad uestram reuerentiam scripsi ..., vgl. auch MEYVAERT, The date, 199 Anm. 18; KESSLER, Gregor der Große, 37. 28 Ep. 1,41 (49, 5 l f . Norberg). 29 Vgl. MEYVAERT, Uncovering a lost work, 63f. 30 Ep. 1,41 (49,54f. Norberg): ... nunc adhunc a librariis conscribuntur ... 31 Ep. V 53 (MGH II, 352,23f. Hartmann) 32 Ep. V 53 (352,24-353,2 Hartmann): Et quidem in eo opere tertiae etquartaepartis codices non transmisi, quia eos solummodo ex eisdem partibus codices habui quos iam monasteriis dedi. Vgl. auch FONTAINE, Les relations culturelles, 22; KESSLER, Gregor der Große, 38. 33 Davon geht L. SERRANO, La obra , Morales de San Gregorio' en la literatura hispano - goda, Revista di archivos, bibliotecas y museos 24, 1911, 4 7 9 - 4 9 1 , hier 488 aus, der die fehlenden Teile fälschlicherweise für den Schluß der Moralia in Job hält. 34 Vgl. MEYVAERT, Uncovering a lost work, 64f. 35 Vgl. MEYVAERT, The date, 199f.; MARKUS, Gregory the Great, 15: „... soon after his accession to the papal office"; MCCLURE, Gregory the Great, 5f. vermutet wohl zu Recht, daß ihm das neue Amt für eine weitere Bearbeitung der Moralia keine Zeit ließ. 36 Besonders der in Moralia XIV 56,72-74 (743,116-745,85 Adriaen) wiedergegebene Streit zwischen Gregor und dem Patriarchen Eutychius über die Leiblichkeit der Auferstehung, vgl. dazu auch Y.-M. DUVAL, La discussion entre l'apocrisiaire Grégoire et le patriarche Eutychios au sujet de la résurrection de la chair. L'arrière-plan doctrinal oriental et occidental, in: Gregoire le Grand, 347-366.

28

Kapitel 2

Gregor während seines Pontifikats noch einzelne Partien seiner Moralia31, wie etwa die berühmte Stelle in Moralia XXVII 11,21, falls dort wirklich auf die von Gregor selbst initiierte Christianisierung der Angeln angespielt wird38.

2.3. Diepraedicatores als Adressaten der Moralia in Job In Konstantinopel wurden die Moralia einer kleinen Gemeinschaft vorgetragen, die vermutlich nicht nur aus den mitgereisten Mönchen39, sondern auch aus einer größeren Gruppe spirituell anspruchsvoller und im Umgang mit schwierigen Texten geschulten Hörer bestand40. Wer im einzelnen zu den Hörern der in Konstantinopel vorgetragenen Homilien zum Buch Hiob gezählt hat, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen41. Neben Leander von Sevilla könnten auch der Diakon und spätere Mailänder Bischof Constantius42, Johannes der Faster43, Domitianus, der Bischof von Melitene und Neffe des Kaisers44, sowie Bischof Anastasius als ehemaliger Patriarch von An-

37

Vgl. FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 24; ähnlich äußert sich auch C. DAGENS in seiner Einführung zum ersten Band der neuen italienischen Ausgabe der Moralia: Commento Morale a Giobbe di San Gregorio Magno I (I-VIII), hg. von P. Siniscalco, Bibliotheca Gregorio Magno, Rom 1992, 7ff. 38 Daß diese Stelle ein späterer Zusatz sei, hatten schon die Mauriner vermutet, Gregorii Opera omnia I, Paris 1705, 8 6 2 A.d. Vgl. dagegen jedoch P. GROSJEAN, Rez. S. Brechter: Die Angelsachsenmission Gregors des Großen, AnBoll 60, 1942, 287-292, der darauf verweist, daß Gregor an dieser Stelle möglicherweise Tertullian Adv. Jud. 7 vor Augen hatte, w o von den Christen in Britannien die Rede ist. Zur Diskussion dieser Stelle vgl. auch MARKUS, Gregory the Great, 186 mit Anm. 99. 39 Das meint L. LA PlANA, L'omelia in San Gregorio Magno, EL 104, 1990, 51-64, hier 58. 40 Zu den in Konstantinopel geknüpften Kontakten mit einflußreichen Personen, vgl. auch DUDDEN, Gregory the Great I, 154ff.; MARKUS, Gregory the Great, l l f . ; KESSLER, Gregor der Große, 89.105; M. CHELINI, La Mission d'Augustin de Cantobéry dans la vision missionaire de Saint Grégoire le Grand, in: L'Église et la Mission au V i e siècle, 41-53, hier 44; L. PLETRI/C. FRAISSE-CouÉ, Gregor der Große und das wachsende Ansehen des Apostolischen Stuhls. Eine Untersuchung anhand seiner Briefe, in: L. Pietri (Hg.): Die Geschichte des Christentums Bd. III: Der lateinische Westen und der byzantinische Osten (431-642), Freiburg/Basel/Wien, 890-961, hier 893. 41

Vgl. LEYSER, Authority and Ascetism, 144. Vgl. die Formulierung in Ep. 3,31 (177,15ff. Norberg) mihi magna familiaritate coniunctus. RICHARDS, Gregor der Große, 46 zählt ihn neben Leander und Anastasius zu Gregors engsten Freunden aus seiner Zeit in Konstantinopel. 43 Vgl. Ep. 1,4 (4,1-5,18 Norberg). Johannes der Faster war offenbar gleichfalls eng mit Leander von Sevilla verbunden, dem er ein Buch über die Taufe widmete, vgl. Isidor De vir. ill. 52 (PL 8 3 , 1 1 0 2 ) . 44 Vgl. zu ihm auch R. PARET, Dometianus de Mélitène et la politique religieuse de l'empereur Maurice, REByz 15, 1957, 42-72. 42

Entstehung und

Adressaten

29

tiochia 45 zu dieser Gruppe gehört haben. Es wäre aber auch denkbar, daß einige Mitglieder aus höfisch-aristokratischen Kreisen mit asketischen Neigungen, denen Gregor auch später noch als spiritueller Ratgeber zur Seite stand, bei seinen Auslegungen zum Buch Hiob anwesend waren 46 . Vermutlich war es eine lateinisch sprechende Elite aus Mönchen und Laien, sowohl aus dem Westen als auch aus der Hauptstadt des Reiches 47 , die sich für Gregors Interpretation des Buches Hiob interessierte. Auch nach ihrer eingehenden Bearbeitung richteten sich die inzwischen sehr umfangreich gewordenen Moralia in Job ausschließlich an eine Elite und waren keinesfalls für die breitere Öffentlichkeit bestimmt 48 . Gregor selbst empfahl in einem Brief vom Juli 600 Innozenz, dem Präfekten von Afrika, der ihn um seine Auslegung zum Buch Hiob gebeten hatte, statt dessen die Werke des von ihm hoch verehrten Augustin 49 . Gregor lobt Innozenz zwar dafür, daß er sich neben seiner Beschäftigung mit weltlichen Dingen auch geistig sammeln möchte 50 , doch erscheinen ihm die Moralia in Job für Personen wie Innozenz nicht ganz das Richtige zu sein 51 . Deutlicher wird er in einem Schreiben vom Januar 602 an den Subdiakon Johannes von Ravenna 52 . Von verschiedenen Seiten sei ihm zugetragen worden, daß sein ehemaliger Mitbruder und jetziger Bischof der Stadt, Marinianus, den Hiobkommentar während der Feier der Vigilien öffentlich verlesen läßt. Diese Praxis findet beim Verfasser der Moralia keinerlei Zustimmung, quia non est illud opus populäre et rudibus auditoribus impedimentum, magis quam prouectum generat53. Für die dort versammelten mentes saecularium wäre ein Kommentar zu den Psalmen sehr

45 Zu Anastasius vgl. insbesondere die an ihn gerichteten Briefe Ep. 1,7 ( 9 , 1 - 1 0 , 2 8 Norberg); 1,25 ( 3 3 , 1 - 3 4 , 3 6 Norberg) 1,27 (35,5ff. Norberg); 5,42 ( 3 2 5 , 1 - 3 2 7 , 5 5 Norberg). 46

So M c C L U R E , Gregory the Great, 1. Lateinisch wurde selbstverständlich auch in Konstantinopel gesprochen, vgl. dazu besonders A. CAMERON, A Nativity Poem on the Sixth Century A.D., Classical Philology 74, 1979, 2 2 2 - 2 3 2 . 48 Mit den Moralia in Job wollte Gregor kaum ein weitgehend ungebildetes Publikum in dogmatischen und moralischen Fragen unterrichten, w i e P. CAZIER, Lectures du Livre de Job chez Ambroise, Augustin et Grégoire le Grand, Graphe 6, 1 9 9 6 , 8 1 - 1 1 1 annimmt. 47

49

Ep. X 16 ( 2 5 1 , 1 - 2 5 2 , 1 0 Hartmann). Ep. X 16 ( 2 5 1 , 2 7 - 3 0 Hartmann): Quod uero in expositio sancti lob transmitti uobis codicem uoiuistis, uestro omnino studio gaudemus, quoniam illi rei eminentiam uestram studere conspicimus, quae nec totos foris uos exire permittat et ad cor iterum saecularibus curis dispersos recolligat. 50

51 Gregor bezeichnet sein eigenes Werk hier als Kleie, während er das des Augustin Weizen nennt, vgl. Ep. X 16 ( 2 5 1 , 3 0 - 2 5 2 , 2 Hartmann). Zu diesem vermeintlichen Bescheidenheitsgestus vgl. auch RICHARDS, Gregor der Große, 56. 52

Ep. 12,6 (975 Norberg); vgl. auch MEYVAERT, The date, 202.

53

Ep. 12,6 (975,48f. Norberg)

30

Kapitel 2

viel geeigneter, u m s i e zu guten W e r k e n anzuspornen 5 4 . D i e Moralia in Job sind nach s e i n e m Urteil k e i n e Lektüre und kein Stoff für d i e Unterrichtung e i n e s in spiritueller Hinsicht n o c h w e n i g erfahrenen Publikums 5 5 . S i e g e h ö r e n v i e l m e h r in die H ä n d e derer, die innerhalb der Kirche V e r a n t w o r t u n g e n für andere tragen und v o n G r e g o r als ihre rectores oder praedicatores56 angesprochen werden. Für die größere Gruppe der kirchlichen praedicatores, unter d e n e n in erster Linie, aber w o h l nicht a u s s c h l i e ß l i c h , kirchliche A m t s - und Funktionsträger v o r z u s t e l l e n sind 5 7 , und nicht nur für m o n a s t i s c h e Kreise 5 8 , hat G r e g o r d i e s e n K o m m e n t a r zu d e m i h m s o dunkel und a u s g e s p r o c h e n s c h w i e r i g e r s c h e i n e n d e n s o w i e b i s l a n g n o c h nicht a u s g e l e g t e n B u c h H i o b geschrieben.

54 Ep. 12,6 (975,49-976,51 Norberg): commenta Psalmorum legi ad uigilias faciat, quae mentes saecularium ad bonos mores praecipue informent. 55 M. BANNIARD, Viva voce. Communication écrite e communication orale du IVe au IXe siècle en Occident latin, Collection des Etudes Augustiniennes, Série Moyen-Age et Temps Modernes 25, Paris 1992, 136f. fragt sich, ob Gregor die Gläubigen in der Hauptstadt des byzantinischen Exarchates nicht unterschätzt habe. Zum kulturellen Niveau Ravennas vgl. auch A. GUILLOU, Régionalisme et indépendance dans l'Empire byzantin au Vile siècle. L'exemple de l'exarchat et de la Pentapole d'Italie, Rom 1969, 233ff. 56 Vgl. MARKUS, Gregory the Great, 32f.; KESSLER, Gregor der Große, 89f. 57 Vgl. auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 31 lff.; DERS., Grégoire le Grand et le ministère de parole: les notions d'ordo praedicatorum et d ' o f f i c i u m praedicationis, in: M. Bellis (Hg.): Forma Futuri, Studi in honore del Cardinale Michele Pellegrino, Turin 1975, 1054-1073; McCLURE, Gregory the Great, 45ff.; STRAW, Gregory the Great, 194ff.; FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 134ff.; KESSLER, Gregory the Great, 142; DERS., Gregor der Große, 88: „Diese Gruppe der Rektoren, Prediger oder Multiplikatoren ist für Gregor die privilegierte Zielgruppe, der in besonderer Weise sein pastorales Engagement gilt". Vgl. auch V. RECCHIA, Il ,Praedicator' nel pensiero e nell'azione di Gregorio Magno (imagini e moduli espressivi), Salesianum 41, 1979, 333-374; V. PARONETTO, Connotazione del .Pastor' nell'opera di Gregorio Magno: teoria e prassi, Benedictina 31, 1984, 325-343. 58 GLLLET, Spiritualité, 325ff. stellt erstaunt fest, daß es in Gregors exegetischem Werk keine Mönche, Cönobiten oder Eremiten gibt; vgl. auch LEYSER, Authority and Ascetism, 155ff.

Kapitel 3

Hiob hactenus indiscussus In seinem Widmungsschreiben an Leander bezeichnet Gregor das Buch Hiob als schwierig und behauptet sogar, es sei vor ihm noch nicht kommentiert worden 1 . Damit will er jedoch nicht behaupten, daß er der erste wäre, der sich je zu dieser biblischen Schrift geäußert hätte, sondern vielmehr darauf hinweisen, daß er keinen ihm hinreichend erscheinenden Kommentar zu diesem biblischen Buches kennt, auf das er die Brüder hätte verweisen können 2 .

3.1. Grundzüge der Hiobinterpretation vor den längeren Abhandlungen des vierten Jahrhunderts In frühchristlicher Zeit knüpfte man an die bereits im Testamentum Job und in einigen Richtungen der rabbinischen Tradition 3 erkennbare Absicht an, in Hiob nicht länger den mit Gott rechtenden Menschen, sondern den geduldig Leidenden zu sehen 4 . Diese Deutung wird in der Folgezeit intensiv ausgebaut 5 . Das Testamentum Job zeichnet Hiob als einen heldenhaften Kämpfer mit dem Teufel, dessen Götzenbilder er im Dienste des einen Gottes zerstört. Nach seinem geduldig ertragenen Leiden 6 muß selbst der Teufel anerkennend zugeben, daß Hiob ein großer Kämpfer ist7. An die Auseinandersetzung mit dem Teufel schließt sich ein Konflikt mit seinen Freunden an, die somit zu 1

Ep. ad Leand. 2 ( 2 , 5 4 f . A d r i a e n ) : . . . in obscuro

hac opere

atque

ante nos

hactenus

indiscusso. 2

V g l . auch McCLURE, Gregory the Great, 9: „he w a s c o m p e l l e d to stand a l o n e in

interpreting an o b s c u r e text". 3

Zu der k e i n e s w e g s einheitlichen rabbinischen A u s l e g u n g d e s H i o b b u c h e s v g l . aus-

führlich J. R. BASKIN, Pharaoh's Counsellors. Job, Jethro, and B a l a a m in R a b b i n i c and Patristic Tradition, B r o w n Judaic Studies 4 7 , C h i c o 1 9 8 3 , 8 - 2 6 . 4

V g l . dazu b e s o n d e r s : N . N. GLATZER, The b o o k of Job and his interpreters, in: A .

Altmann

(Hg.): Biblical m o t i f s . Origins and transformations,

Cambridge/Mass.

1966,

197-220. 5

V g l . auch A . T. HANSON, Job in early Christianity and rabbinic Judaism, C Q 2,

1 9 6 9 / 7 0 , 1 4 7 - 1 5 1 ; BASKIN, Pharaoh's Counsellors, 8; L. L. BESSERMAN, The L e g e n d of Job in the M i d d l e A g e s , C a m b r i d g e / M a s s . 1 9 7 9 , 4 6 f . 6

TestJob 2 7 , 1 0 .

7

TestJob 2 7 , 3 - 9 , BASKIN, Pharaoh's Counsellors, 31.

32

Kapitel

3

Kontrastgestalten des leidenden Gerechten werden 8 . Während Hiob die göttliche Gerechtigkeit trotz seines Leidens verteidigt, können seine Freunde nicht verstehen, warum Gott den unschuldigen Hiob strafen sollte. Elihu spricht gar für den Teufel, weshalb ihm am Ende auch keine Vergebung zuteil wird 9 . Die einzige direkte Erwähnung Hiobs im Neuen Testament (Jak. 5,10f.) 10 lobt entsprechend dieser Tradition dann auch Hiobs Geduld, die letztlich von Gott belohnt worden ist, und ermahnt die Gläubigen, sich Hiob zum Vorbild zu nehmen 11 . Damit ist die beherrschende Hiobdeutung in der gesamten alten Kirche angesprochen 12 : immer wieder wird in unterschiedlichen Zusammenhängen auf die Tugenden des Heiden Hiob 13 , in erster Linie auf seine Geduld, verwiesen, die den Glaubenden als nachahmenswertes Vorbild empfohlen wird. So preist Tertullian Hiob als ein Muster an Geduld 1 4 und betont, daß Gott, wie am Beispiel Hiobs deutlich werde, zwar nicht jeden Schmerz verhindert, doch die Bedrückten durch die Tugend und das Wissen stärke, für Gott zu leiden 15 . Die Bosheit des Teufels, die sich gegenwärtig in den Verfolgungen der Christen äußert, werde von Gott genutzt, um seine Gläubigen zu prüfen 16 . Clemens Alexandrinus sieht in Hiob ein Vorbild für den sich in stoischer Geduld und Standhaftigkeit bewährenden wahren Gnostiker 17 und auch Origenes gilt Hiob als ein vor Gott Gerechter, weil er geduldig im Leiden, standhaft in den Versuchungen, tugendhaft in seinen Taten und frei von allem

8

V g l . H.-P. MÜLLER, H i o b und seine Freunde. T r a d i t i o n s g e s c h i c h t l i c h e s z u m Ver-

ständnis des H i o b b u c h e s , T h S t 103, Zürich 1 9 7 0 , lOff. 9

V g l . TestJob 4 3 , l - 1 3 b .

10

V g l . auch: T. HAINTHALER, „Von der A u s d a u e r Ijobs habt ihr gehört (Jak. 5,11)".

Zur B e d e u t u n g des B u c h e s H i o b im N e u e n Testament, Europäische H o c h s c h u l s c h r i f t e n R e i h e X X I I I , T h e o l o g i e 3 3 7 , Frankfurt/Bern 1 9 8 8 . 11

Zur weiteren E n t w i c k l u n g d i e s e s M o t i v s vgl. auch M.-L. GUILLAUMIN, Recher-

ches sur l ' e x é g è s e patristique de Job, Studia Patristica 12 = T U 115, Berlin 1 9 7 5 , 3 0 4 3 0 8 , hier 3 0 7 f . 12

V g l . E. DASSMANN, A k z e n t e frühchristlicher H i o b d e u t u n g , J A C 31, 1 9 8 8 , 4 0 - 5 6 ,

hier 4 1 ; J. R. BASKIN, Job as moral e x e m p l a r in A m b r o s e , V i g C h r 35, 1 9 8 1 , 2 2 2 - 2 3 1 , hier 2 2 2 f . ; BASKIN, Pharaoh's Counsellors, 35. 13

Dazu, daß H i o b in der altkirchlichen E x e g e s e als H e i d e g e s e h e n wurde, v g l . auch

BASKIN, Pharaoh's Counsellors, 3 2 f f . 14

D e pat. 14 (CChr.SL 1, 3 1 5 , l f f . B o r l e f f s ) ; ähnlich auch Cyprian pat. 18 (CChr.SL

3 A , 1 2 8 f . M o r e s c h i n i ) und mort. 10 (CChr.SL 3 A , 21 Simonetti); v g l . auch M. SKIBBE, D i e ethische Forderung der patientia in der patristischen Literatur v o n Tertullian bis Pelagius, D i s s . Münster 1 9 6 4 . 15

Orat. 2 9 , 1 (CChr.SL 1, 2 7 4 Diercks), v g l . auch C. KANNENGIESSER, Job c h e z les

Pères, in: M. Viller/A. R a y e z (Hg.): Dictionaire d e la Spiritualité VIII, Paris 1 9 7 4 , 1 2 1 8 1 2 2 5 , hier 1 2 1 9 . 16

D e f u g a 2 , 1 - 3 (CChr.SL 2, 1 1 3 6 f . Thierry), vgl. auch Cyprian d o m i n . orat. 2 6

(CChr.SL 3 A , 1 0 6 M o r e s c h i n i ) . 17

Strom. IV 1 9 , 2 ( G C S 5 2 C l e m e n s A l e x a n d r i n u s II, 2 5 6 , 3 3 f f . Stählin/Früchtel).

Hiob hactenus

indiscussus

33

Bösen war18. Der tugendhafte Hiob wird bei ihm zum Vorbild für jeden Christen19, insbesondere für die Märtyrer20. Verschiedentlich wollen die Texte auch mit dem Hinweis Trost spenden, daß der leidende Gerechte dereinst bei Gott seinen Lohn empfangen wird. So begegnet in der lateinischen Visio Pauli der in den dritten Himmel entrückte Paulus dem Hiob, der auf sein Leben zurückblickt und dem Paulus erklärt, dieses Leiden sei nichts im Vergleich zu der künftigen Herrlichkeit 21 . Und in der Psychomachia des Prudentius tritt Hiob als ein Krieger der personifizierten Patientia auf, dem, noch vom Kampf gezeichnet, sein Anteil an der Kriegsbeute in Aussicht gestellt wird22. Daneben läßt sich seit Clemens Romanus ein weiterer, gleichfalls sehr einflußreicher Zug der Hiobauslegung erkennen. Hiob, so heißt es dort, war zwar gerecht und untadelig, aufrichtig, gottesfürchtig und mied alles Böse, dennoch klagte er sich selbst an und bekannte, daß niemand rein von Schmutz sei, selbst wenn sein Leben nur einen einzigen Tag währte 23 . Trotz seiner eigenen Gerechtigkeit weiß Hiob demnach um die grundlegende Sündigkeit des Menschen, die die misera conditio humana ausmacht 24 . Für Clemens Alexandrinus ist es gerade ein Zeichen für Hiobs überaus große Demut, daß er seine eigene Sündhaftigkeit bekennt 25 , und neben Origenes 26 kommen auch die

18 In Rom. comm. 2,12 und 7,4 (PG 14, 899.1107); in Mt. comm. ser. 77 (GCS 33, Origenes 8, 186 Klostermann); in Ex. hom. 11,3 (SC 321, 3 3 2 Borret); exc. in Ps. 36,25 (PG 17, 136). 19 In Ex. hom. 5,3 (160 Borret); In Cant. hom. 2,3 (GCS 33, Origenes 8, 46 Baehrens); In Cant. hom. 3 (172 Baehrens); In Mt. frag. 123 (GCS 41, Origenes 12/1, 6 4 Klostermann); In Mt. comm. ser. 93 (211 Klostermann). 20 Exhort, mart. 33 (GCS 1, Origenes 1, 29,2f. Koetschau). 21 Visio Pauli 49, in: Hennecke/Schneemelcher II, 671; vgl. auch BESSERMAN, Legend, 66ff. In ähnlicher Weise ermahnen auch die apostolischen Konstitutionen 7,8,7 den Leser mit dem Hinweis auf den künftigen Lohn zu Standhaftigkeit und Geduld ermahnen, vgl. dazu auch BASKIN, Pharaoh's counsellors, 36. 22 Psychomachia 163-171 (CChr.SL 126, 157 Cunningham): ... nam proximus lob haeserat invictae dura inter bella magistrae fronte severus adhuc et multo funere anhelus, sed iam clausa truci subridens ulcera vultu, perque cicatricum numerum sudata recensens milia pugnarum, sua proemia, dedecus hostis. illum diva iubet tandem requiescere ab omni armorum strepitu, captis et perdita quaeque multiplicare opibus, nec iam peritura referre. 23

l . C l e m . 17,3f. Vgl. auch E. DASSMANN, Art. Hiob, RAC XV, Stuttgart 1991, 366-442, hier 382. 25 Strom. III 100,4 und IV 106,3 (242,9ff. Stählin/Früchtel und 2 9 5 , I f f . Stählin/Früchtel). 26 Vgl. DASSMANN, Hiob, 387. 24

34

Kapitel 3

lateinischen Kirchenväter häufiger auf Hiobs Eingeständnis der allgemeinen menschlichen Sündhaftigkeit zu sprechen27. Bei Origenes und in der alexandrinischen Tradition findet sich schließlich auch die Interpretation, wonach der vom Teufel versuchte und leidende Hiob ein T T C x p d Ö E i y i J a Christi bildet28.

3.2. Die lateinischen Homilien, Traktate und Kommentare zum Buch Hiob seit dem vierten Jahrhundert Die längeren Abhandlungen und Kommentare zum Buch Hiob in lateinischer Sprache, die erst am Ende des vierten Jahrhunderts entstehen29, knüpfen an diese bekannten Traditionslinien an und entfalten die Figur des Hiob im Sinne eines Vorbildes für die patientia der Gläubigen, eines Sinnbildes für die allgemeine Sündhaftigkeit aller Menschen und bisweilen auch eines Vorausbildes auf Christus mit jeweils unterschiedlicher Akzentsetzung30. Einige dieser Predigten, Homilien, Traktate und Kommentare blieben bis in das sechste Jahrhundert hinein bekannt und wurden mehr oder weniger intensiv benutzt31. 3.2.1. Hilarius Ubersetzung und Bearbeitung der Hiobhomilien des Origenes Leider sind von der Übersetzung und Bearbeitung der 22 tractatus in Job des Origenes durch Hilarius von Poitiers32 nur noch einige wenige Fragmente

27 Die Belege sind gesammelt bei J. ZIEGLER, Job XIV,l-5c als wichtigster Schriftbeweis für die These: „Neminem sine sorde et sine peccato esse" (Cypr. test. 111,54) bei den lateinisch christlichen Schriftstellern, Sitzungsberichte der bayrischen Akademie der Wissenschaften, München 1985. 28 In Mt. comm. ser. 8,8 (GCS 38, Origenes 10, 200,29f.); vgl. auch Contr. Cels. VI 43 (GCS 2, 114,lff. Koetschau); In Mt. frg. 62 (GCS 41, Origenes 12/1, 40 Klostermann). 29 Vgl. W. GEERLINGS, Hiob und Paulus. Theodizee und Paulinismus in der lateinischen Theologie am Ausgang des vierten Jahrhunderts, JAC 24, 1981, 56-66, hier 58. Er vermutet einen Zusammenhang mit dem in dieser Zeit deutlich gestiegenen Interesse an Paulus und verweist auf die Krise des Reiches, die insofern Rückwirkungen auf die Theologie hatte, als sie der auf dem antiken Paideia-Gedanken beruhenden Erlösungslehre den Todesstoß gab. Vgl. auch DERS., Die lateinisch-patristischen Kommentare, 12ff. 30

31

V g l . DASSMANN, A k z e n t e , 4 0 ; BASKIN, P h a r a o h ' s C o u n s e l l o r s , 3 7 .

Vgl. Cassiodor Inst. 1,6,1-3 (FC 39,1 150f. Bürsgens), der mit Hieronymus, Augustin und einem anonymen Autor, den er mit Hilarius gleichsetzt, die ihm bekannten Ausleger des Hiobbuches aufzählt. 32 Darauf weist Hieronymus vir. ill. 100 (TU 14,1, 48 Richardson) hin: Est eius [Hilarii ...] et Tractatus in Job, quos de graeco Origenis ad sensum transtulif, in Ep. 57,6 ad Pammachium (CSEL 54, 512 Hilberg) werden sie homiliae genannt.

Hiob hactenus

indiscussus

35

erhalten33, so daß die Rezeption der origenistischen Hiobinterpretation im Westen weitgehend im Dunkeln bleiben muß. Aus den Fragmenten läßt sich lediglich ablesen, daß die durch Christus besiegte Ursünde des Menschen, die ausnahmslos jedem Menschen zu eigen ist, in dieser Auslegung des Buches Hiob eine gewisse Rolle gespielt haben muß 34 . Es wäre durchaus möglich, daß Hilarius, ähnlich wie in seinem Tractatus mysteriorum, in dem er alttestamentliche Personen typologisch im Hinblick auf Christus und die Kirche interpretiert35, auch in seiner Übertragung der origenistischen Hiobhomilien eine Deutung auf Christus und die Kirche hergestellt hat. Wir wissen jedoch lediglich, daß zu Zeiten Gregors des Großen der bereits genannte Licinianus von Cartagena, der ein ausgesprochen eifriger Sammler von Handschriften und Kommentaren war36, eben jenen aus sechs Büchern bestehenden Hiobkommentar des Hilarius besaß 37 . Ob aber auch Gregor dieses Werk gekannt oder sogar daraus geschöpft hat38, läßt sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen39. 3.2.2. Zeno von Verona: Tractatus de Job Gregor kennt Zeno, dessen Amtszeit als achter Bischof der norditalischen Stadt Verona nur ungefähr auf die zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts zu datieren ist, als einen Märtyrer und Bischof dieser Stadt, dem in der Nähe des Flusses Atesis (Etsch) eine Kirche geweiht war40. Zenos erhaltene Predigten,

33

Zur Edition der drei erhaltenen Fragmente vgl. CSEL 65, 2 2 9 - 2 3 1 Feder. Fragment 1 (CSEL 65, 229f. Feder), vgl. dazu auch J. DOIGNON, „Corpora uitiorum materies", Une formule-clé du fragment sur Job d'Hilaire de Poitiers inspiré d'Origène et transmis par Augustin (Contra Iulianum 2,8,27), VetChr 35, 1981, 2 0 9 - 2 2 1 . Zum 2. Fragement vgl. auch: G. FOLLIE!, Le fragment d'Hilaire „Quas lob litteras ..." Son interpretation d'après Hilaire, Pélage et Augustin, in: E.-R. Labande (Hg.): Hilaire et son temps, Paris 1969, 149-158. 34

35 Abgedruckt in CSEL 65, 1-38 Feder; dazu auch A. CHARLIER, L'Église corps du Christ chez S. Hilaire, EThL 41, 1965, 451-477. 36 Zu Licinianus von Cartagena vgl. oben unter 2.1. 37 Er schrieb in Ep. I 41 (60,34-36 Ewald/Hartmann) an Gregor: Habemus sane libellos sex beati Hilarii episcopi Pictaviensis, quos de graeco Origenis in latinum vertit; sed non omnia secundum ordinem libri sancii Job exposait. Vgl. auch DE LUBAC, Exégèse Médiévale 1,1, 222f.; McCLURE, Gregory the Great, lOf.; J. DOIGNON, „Rengaines" origéniennes dans les Homélies sur Job d'Hilaire de Poitiers, in: Centre d'Analyse et de Documentation Patristique (Hg.): Le Livre de Job chez les Pères, Cahiers de Biblia Patristica 5, Strasbourg 1996, 7-11, hier 7f. 38

Das vermutet P. MEYVAERT, A N e w Edition of Gregory the Great's Commentaries on the Canticle and I Kings, JThS 19, 1968, 215-225; hier 224. 39 So auch McCLURE, Gregory the Great, 11. 40 Vgl. Dial. Ill 19,2f. (346,7ff. de Vogûé/Antin) Gregor berichtet von dem Wunder, daß das Wasser bei der Überschwemmung des Jahres 589 nicht in die Kirche eindrang, obwohl deren Türen offen standen.

Kapitel 3

36

d i e v e r m u t l i c h in d e n Jahren z w i s c h e n 3 6 4 u n d 3 7 8 e n t s t a n d e n s i n d 4 1 , intere s s i e r e n s i c h in erster L i n i e für d i e m o r a l i s c h e n exempla

und die christolo-

g i s c h e n typica der a l t t e s t a m e n t l i c h e n P e r s o n e n 4 2 , d i e an e i n i g e n S t e l l e n a u c h e k k l e s i o l o g i s c h a u s g e d e u t e t w e r d e n 4 3 . I m Tractatus über d i e G e d u l d l o b t er in bereits b e k a n n t e r W e i s e d a s B e i s p i e l d e s H i o b 4 4 . D o c h w i d m e t er d i e s e r F i g u r z u s ä t z l i c h n o c h e i n e n e i g e n e n Tractatus, in d e m er d i e R a h m e n h a n d l u n g d e s H i o b b u c h e s a u s l e g t 4 5 . D e r erste T e i l e m p f i e h l t d e m A u d i t o r i u m d i e m o r a l i s c h e n T u g e n d e n H i o b s zur N a c h a h m u n g 4 6 . H i o b w i r d h i e r a l s e i n g e r e c h t e r M e n s c h d a r g e s t e l l t , der s i c h v o n a l l e n B e g e h r l i c h k e i t e n d i e s e r W e l t f e r n h i e l t 4 7 und durch seine außerordentliche Geduld schließlich sogar den Teufel

be-

s i e g t e 4 8 . D e r z w e i t e T e i l e n t f a l t e t auf der B a s i s d e s g l e i c h e n T e x t e s b i s in d i e E i n z e l h e i t e n e i n e H i o b - C h r i s t u s T y p o l o g i e 4 9 , d i e in d e u t l i c h e r A b g r e n z u n g z u d e n A r i a n e r n b e t o n t , d a ß der l e i d e n d e H i o b , der s e i n e R e i c h t ü m e r a u f g a b , e i n V o r b i l d f ü r d i e E n t ä u ß e r u n g Christi g e w e s e n s e i 5 0 . In s e i n e m L e i d e n w e i s t

41 Zur Datierung der Tractate zwischen der Entstehung der Psalmenauslegung des Hilarius, die Zeno benutzt hat, und der Schlacht von Adrianopel, vgl. auch C. TRUZZI, Zeno, Gaudenzio e Cromazio. Testi e contenuti della predicazione cristiana per le chiese di Verona, Brescia e Aquileia (360-410ca.), Testi e ricerche di Scienze religiose 22, Brescia 1985, 50ff. 42 Vgl. P. MARAVAL, Job dans l'oeuvre de Zénon de Vérone, in: Centre d'Analyse et de Documentation Patristique (Hg.): Le Livre de Job chez les Pères, Cahiers de Biblia Patristica 5, Strasbourg 1996, 23-30, hier 23; zur Auslegung Zenos vgl. auch V. BOCCARDI, Quantum spiritaliter intellegi datur. L'esegesi di Zenone di Verona, Augustinianum 23, 1983, 453-485, eine Aufstellung aller christologisch interpretierten Personen und Bilder findet sich bei TRUZZI, Zeno, 286ff. 43

V g l . TRUZZI, Z e n o , 1 4 2 f f .

44

Vg. Tractatus I 4 De patientia (CChr.SL 22, 35f. Löfstedt). Vgl. Tractatus I 15 De lob (60-62 Löfstedt).

45 46

V g l . T r a c t a t u s I 1 5 D e l o b 1 , 1 - 6 ( 6 0 - 6 1 L ö f s t e d t ) ; v g l . d a z u BOCCARDI,

Quantum,

474. 47

mundi 48

Vgl. Tractatus I 15 De lob 1,2 (60,7f. Löfstedt): ab universis concupiscentiis huius secretus. Vgl. Tractatus I 15 De lob 1,6 (61,46ff. Löfstedt), vgl. zum Thema der patientia

a u c h MARAVAL, J o b , 2 4 f . 49 Vgl. Tractatus I 15 De lob 11,7 (61,49f. Löfstedt): lob, quantum intellegi datur, fratres carissimi, Christi imaginem praeferebatur, vgl. auch DASSMANN, Hiob, 408; BOCCARDI, Quantum, 473. TRUZZI, Zeno, 205 vermutet, daß das Buch Hiob in der vorösterlichen Fastenzeit gelesen worden ist, weil auch der zeitgleiche, arianisch beeinflußte Anonymus in Job erklärt, daß dieses Buch an den Tagen des Fastens und der Enthaltsamkeit zur Annäherung an die Passion Christi seinen Platz hatte, vgl. PG 17 S. 374C. 50

Vgl. besonders Tractatus I 15 De lob 11,8 (61,60-62 Löfstedt) : lob facultates, quas habuit, amisit; et dominus caelestia sua bona amore nostro neglexit pauperemque se fecit, ut nos diuites faceret; vgl. auch BOCCARDI, Quantum, 474; BASKIN, Pharaoh's Counsellors, 36f.

Hiob hactenus

indiscussus

37

Hiob außerdem auf die Passion Christi51, und Hiobs abschließende Wiederherstellung steht für die Auferstehung und Erhöhung des Herrn, der den Gläubigen im Hinblick auf die Unsterblichkeit vorangegangen ist52. Damit umreißt der Tractatus de Job die entscheidenden Stationen des Heilsweges von der Kenosis bis zur Verherrlichung Christi, die Zeno in den erzählenden Passagen des Buches Hiob vorabgebildet findet. Mit Zenos Traktat begegnet uns zum erstenmal im lateinischen Sprachraum diese typologisch auf Christus, jedoch noch nicht auf die Kirche als Leib Christi zugespitzte Interpretation der Hiobgestalt53. 3.2.3. Der A mbrosiaster Unter den pseudoaugustinischen, der Gattung der Erotapokriseis 54 verpflichteten Quaestiones ueteris et noui testamenti, die dem Ambrosiaster zugeschrieben werden 55 , ist ebenfalls ein Traktat überliefert, der die Rahmenerzählung des Hiobbuches auslegt56. Dabei interessiert den Verfasser anders als Zeno, den der Ambrosiaster jedoch vermutlich gekannt hat57, nicht die Interpretation Hiobs als Sinnbild Christi, sondern ihm geht es vielmehr um die Frage nach der Gerechtigkeit des leidenden Hiob. Diesen stellt der Ambrosiaster seinen Hörern als das Beispiel für einen Gerechten vor Augen 58 und legt ihnen nahe, ihm nachzueifern. Hiobs Gerechtigkeit ist deshalb so bewundernswert, weil Hiob noch vor der Gabe des schriftlichen Gesetzes, ausgestattet allein mit seiner natürlichen Gerechtigkeit, seinem Schöpfer treu blieb59. Gerade das Leiden erweist ihn als gerecht60, weil er nicht von Gott abließ und wußte, daß Gott „von ganzem Herzen und über alle Dinge hinaus 51 Vgl. Tractatus I 15 De lob 11,9 ( 6 1 , 6 9 - 6 2 , 7 2 Löfstedt). An dieser Stelle stimmt Zeno mit der Interpretation des arianischen Anonymus in Job überein (PG 17, 4 7 1 A B ) . 52

Vgl. Tractatus I 15 De l o b 11,9 (62,72-76 Löfstedt). Vgl. BOCCARDI, Quantum, 473; DASSMANN, Akzente, 44; vgl. auch MARAVAL, Job, 25, der darauf verweist, daß Zeno vermutlich nicht von Orígenes beeinflußt war, der Hiob mehrfach ein TTapáSeiy^a Christi genannt hatte. Interessanterweise gibt es an dieser Stelle eine Berührung mit dem A n o n y m u s in Job, PG 17 S. 4 7 1 B . 53

54 Vgl. H. DÖRRIES, Art. Erotapokriseis (christlich), R A C VI, Stuttgart 1966, 347369, zu den Quaestiones 349f. 55 Vgl. A. SOUTER, A Study of Ambrosiaster, Texts and Studies 4, Cambridge 1905, vgl. zu den unterschiedlichen Fassungen auch G. C. MARTINI, Le recensioni delle „Quaestiones Veteris et N o v i Testamenti" di Ambrosiaster, RicRel 1, 1954, 4 0 - 6 2 . 56 57

1929,

Mit der Nummer 118 D e Job (CSEL 50, 3 5 5 , 5 - 3 5 8 , 1 9 Souter). Vgl. dazu auch A. D'ALÈS, L'Ambrosiaster et Zénon de Vérone, Gregorianum 10, 404-409.

58

118,2 ( 3 5 5 , 1 0 - 1 4 Souter). Der Begriff iustus kommt in diesem Traktat häufig vor, während von der Geduld Hiobs an keiner Stelle die Rede ist, vgl. auch GEERLINGS, Hiob und Paulus, 61. 59 118,3 ( 3 5 5 , 1 5 - 1 9 Souter); 118,7 (357,4-10 Souter); vgl. auch DASSMANN, Hiob, 407. 60

118,6 ( 3 5 6 , 1 5 - 2 3 Souter).

38

Kapitel

3

zu lieben ist"61. Für die Deutung des Ambrosiaster stellt Hiob, der den Teufel bezwingen konnte, zugleich ein Gegenbild zu Adam dar, weil er, anders als der Protoplast, der Versuchung durch seine Frau nicht nachgab62. Hiob wird in der Auslegung des Ambrosiaster weniger ein exemplum patientiae als vielmehr ein exemplum iustitiae, weil er sich gerade dadurch als gerecht erweist, daß er auch im Leiden an der göttlichen Gerechtigkeit festhält63.

3.2.4. Ambrosius: De interpellatione lob et David Hierbei handelt es sich um eine Serie von vier Homilien, die erst nach A m brosius unter dem Titel De interpellatione lob et David zusammengestellt worden sind64. Mit Bezug auf die drei Psalmen 41, 42 und 72 und einigen Passagen aus dem Hiobbuch äußert sich Ambrosius zunächst über die elende conditio humana, unter der der Mensch, wie das Beispiel Hiobs zeigt, in diesem saeculum zu leiden hat65. Hiob beklagt und bekennt66 den sündigen Zustand des Menschen 67 , aus dem ihn nur die göttliche Hilfe und sein Beistand befreien kann68. Er hofft angesichts des künftigen Gerichts auf die Auferstehung69, obwohl die Weisheit Gottes für den Menschen letztlich undurchschaubar bleibt70. In der zweiten interpellatio geht es um das die Gläubigen bedrängende Problem, weswegen die Ungerechten in dieser Welt Erfolg haben, während die Gerechten leiden71. Die Freunde Hiobs verkündigen zwar das göttliche Gericht, die Strafe der Schuldigen und den Lohn der Heiligen 72 , doch sie klagen Hiob zu Unrecht an, weil sie nicht bemerken, daß Hiob als Gerechter von Gott versucht und aus diesem Grund all seiner Reichtümer beraubt wird 73 . Der gerechte Hiob verachtet lachend die Widrigkeiten dieser

61

118,7 (357,7 Souter): ex toto

corde

super

omnia

diligendum.

Damit erfüllt H i o b

mit seinem Tun das Gesetz. 62

118,8f. (357,21 f f . Souter).

63

V g l . auch GEERLINGS, H i o b und Paulus, 61.

64

V g l . H . SAVON, L ' o r d r e et l'unité du D e interpellatione l o b et Dauid de Saint A m -

broise, Latomus 46, 1987, 338-355 kritisiert aufgrund der handschriftlichen Ü b e r l i e f e rung die von C. Schenkl in C S E L 32,2, 211-296 g e t r o f f e n e A n o r d n u n g des Textes. 65

I 3,6 ( C S E L 32,2, 2 1 3 , 2 5 f f . Schenkl); v g l . auch DASSMANN, A k z e n t e , 43; CAZIER,

Lectures, 8 2 f f . 66

I 6,20 ( 2 2 4 , 1 2 f f . Schenkl).

67

I 6,17 (223,3f. S c h e n k l ) : p e c a s s e condicionis

68

I 6,17 ( 2 2 3 , 2 f f . Schenkl); I I ( I I I ) 1,1 (233,4f. Schenkl): fragilis

tio humana,

quae

nusquam

sui habeat firmitatem

est-, I 7,22 ( 2 2 5 , 1 7 f f . Schenkl). nisi in protectione

et inbecilla caelesti-,

condi-

v g l . auch

DASSMANN, H i o b , 400. 69

I 8,26 ( 2 2 7 , 1 7 f f . Schenkl).

70

I 9,28 (229,4ff. Schenkl); v g l . auch CAZIER, Lectures, 87.

71

I I ( I I I ) 1,1 (233,7f. Schenkl): uident

frequenter

adflictari

inuistos

affluere

rebus secundis,

iustos

in hoc saeculo \ v g l . auch McCLURE, G r e g o r y the Great, 18.

72

I I ( I I I ) 2,3 (234,21 f f . Schenkl).

73

I I ( I I I ) 2,3 (235,22 Schenkl): a domino

mihi uenit ista

temptatio.

autem

Hiob hactenus indiscussus

39

Welt 74 , die keineswegs gering und an denen schon viele, allen voran der Protoplast Adam, gescheitert sind 75 . Materielle Güter erscheinen Hiob nunmehr als etwas geradezu Beschwerliches, da sie den Menschen hochmütig machen und seinen Schöpfer vergessen lassen 76 . Hiob richtet sich am Geistigen und am ewigen Leben aus und sieht den Sinn der göttlichen Schläge darin, daß sie ihn lehren, Gott zu fürchten 7 7 . Den gleichen Gedanken verfolgt Ambrosius auch in seiner Schrift De officiis ministrorum. Wenn man nach Beispielen für die rechte Lebensführung sucht, muß man sich nicht an heidnischen Vorbildern orientieren, denn gerade Hiob ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die Tugend der Standhaftigkeit 78 . Sein Geschick zeigt ihn außerdem als jemanden, der zwar in der Gefahr stand, sich von weltlichen Reichtümern korrumpieren lassen, der aber durch das von Gott verfügte Leiden von aller Anhänglichkeit an die irdischen Besitztümer gereinigt wurde 79 . 3.2.5. Augustin: Adnotationes in Job Wiederholt kommt Augustin in seinen erhaltenen Schriften auf die Figur des Hiob zu sprechen 80 . So verweist er nach der Eroberung Roms durch die Goten auf das Beispiel Hiobs, der den Reichtum in richtiger Weise besessen und nunmehr zwar äußerlich arm, innerlich jedoch reich sei 81 . Die vermutlich noch vor dem Jahre 400 82 verfaßten Adnotationes in Job waren ursprünglich nicht zur Veröffentlichung vorgesehene Randbemerkungen zum Buch Hiob, die Augustin in seinen eigenen Bibelcodex eintrug 83 . Sie wurden ihm jedoch gleichsam „aus der Hand gerissen und einfach veröffentlicht" 84 . In diesem Werk, das er selbst als aus lediglich kurzen und schwer verständlichen Anmerkungen bestehend charakterisiert 85 , spiegelt sich das Nachdenken des Bischofs von Hippo insbesondere über die Reden im Buch

74 75 76 77 78 79 80

II (III) 2,5 (236,9ff. Schenkl). II (III) 3,7 ( 2 3 7 , l l f f . Schenkl). II (III) 5,17 (243,12ff. Schenkl). II (III) 4,15 (241,9ff. Schenkl). De off. I 39,195 (CChr.SL 15, 73,20ff. Testard); vgl. dazu auch BASKIN, Job, 224. De off. II 5,20 (104,40ff. Testard); vgl. auch BASKIN, Job, 226f. Vgl. dazu auch A.-M. LA BONNARDIERE, Biblia Augustiniana 1,2 Paris 1960, 122-

172. 81

De civ. I 10 (CChr.SL 47, 10 Dombart/Kalb). Vgl. auch W. GEERLINGS, Adnotationes in Job, in: C. Mayer (Hg.): AugustinusLexikon I, Basel 1986-1994, 100-140, hier 100, der die Bedeutung Hiobs für die augustinische Auslegung hervorhebt. 83 Abgedruckt in CSEL 28,2 509-628, vgl. auch CAZIER, Lectures, 89ff. 82

84

85

S o d i e z u t r e f f e n d e S c h i l d e r u n g b e i GEERLINGS, H i o b u n d P a u l u s , 5 8 .

Vgl. Augustins Kritik an diesem Werk in seinen Retractationes 2,13 (CChr.SL 57, 99f. Mutzenbecher).

40

Kapitel 3

H i o b 8 6 . N a c h s e i n e r h ä u f i g l e i d e r nur s e h r f r a g m e n t a r i s c h e n I n t e r p r e t a t i o n 8 7 g e b e n s i e n i c h t nur ü b e r d e n s p e z i e l l e n M e n s c h e n H i o b , s o n d e r n in e r s t e r Linie über die Situation des g e s a m t e n M e n s c h e n g e s c h l e c h t s Auskunft88. H i o b b e k l a g t d e s M e n s c h e n S t e r b l i c h k e i t als d i e g e r e c h t e S t r a f e f ü r s e i n e S ü n d e 8 9 u n d s t e h t d a m i t g l e i c h z e i t i g f ü r j e d e n M e n s c h e n 9 0 , d e r s e i n L e b e n in d e r S p a n n u n g z w i s c h e n d e n v i e l f ä l t i g e n B e d r ä n g n i s s e n der g e g e n w ä r t i g e n W e l t , d i e s o w o h l d u r c h d i e V i e l z a h l an U n g e r e c h t e n als a u c h d u r c h d i e h o c h m ü t i g e ciuitas

diaboli91

b e d i n g t s i n d , u n d der H o f f n u n g auf d i e z u k ü n f t i g e H e r r l i c h -

keit f ü h r e n m u ß 9 2 . In d i e s e r P e r s p e k t i v e v e r w e i s e n d i e R e d e n d e s H i o b b u c h e s a u c h auf d e n M e n s c h g e w o r d e n e n C h r i s t u s 9 3 , d e s s e n i r d i s c h e s L e b e n g l e i c h falls v o n B e d r ä n g n i s s e n und V e r f o l g u n g g e k e n n z e i c h n e t war94. M i t Christus ist z u g l e i c h d i e K i r c h e a l s d e r L e i b C h r i s t i g e m e i n t , d i e n i c h t v o n i h r e m H a u p t z u trennen ist 9 5 . W a s v o n H i o b g e s a g t wird, k a n n s i c h d e m n a c h e b e n s o auf d i e K i r c h e als d e n L e i b d e s Herrn b e z i e h e n 9 6 , der s e i n e m H a u p t a u c h in

86 Die einleitende Rahmenhandlung spielt dagegen nur eine untergeordnete Rolle, vgl. Adn. I und Adn. II (CSEL 28,2, 509,4-510,16 Zycha); die abschließende Erzählung wird gar nicht mehr ausgedeutet. 87 Vgl. GEERLINGS, Adnotationes, 101. 88 Vgl. z.B. Adn. VI (518,8-10 Zycha): non enim uerba lob de inpatientia sunt flagellorum, cum significent dolorem, non peculiarem lob, sed quem habuit de omni genere humano. 89 Adn. VIII (532,1 Off. Zycha). 90 Adn. VI (521,1 Zycha): uerus enim homo. 91 Adn. IV (513,14ff. Zycha) bemerkt Augustin, daß gerade die Tiere in prophetischer Rede häufig auf den Teufel und seine ciuitas verweisen. 92 Vgl. z.B. Adn. XXXVII (593,27f. Zycha): et euulsum est de loco suo [36,34]; de terrenis rebus, quibus delectabatur, utsursum habeatur ad dominum. 93 Adn. XVI (544,9-12 Zycha): et nunc ecce in caelis est testis meus [16,19]: de domino uidetur dicere, quia nondum in terram descenderat. et conscius meus in excelsis [16,19]; propter participationem mortalitatem; Adn. XXXVII (594,12ff. Zycha) verweist auf die erste Ankunft Christi, ... dictum est ex persona eorum quos latuit diuinitas domini, infirmitatem carnis intuentes, (594,25f. Zycha) Vgl. auch M. PONTET, L'exégèse de saint Augustin prédicateur, Paris 1945, 469. 94 Adn. XXXV (585,27ff. Zycha), vgl. auch Adn. IX (529,20-23 Zycha): potest hoc de domino intellegi, qui et derisus est et cuius terra, hoc est corpus traditum est in manus Iudaeorum, et cuius iudicium faciens occultauit maiestatem ipsius. 95 Adn. XXIX (569,16-18 Zycha): haec ex persona dici uidentur ecclesiae simul cum capite Christo, tamquam totus ipse homo loquatur tempore abundantiae tribulationum et tentationum\ Adn. V (516,11-13 Zycha): dominus [...] qua descendens [...] conuertens nos in corpus suum\ vgl. dazu auch D. DOUCET, Job: L'Église et la tribulation. Augustin, Adnotationes in Job 29-31, in: Centre d'Analyse et de Documentation Patristique (Hg.): La Livre de Job chez les Pères, Cahiers de Biblia Patristica 5, Strasbourg 1996, 31-48, hier 35ff. und CAZIER, Lectures, 93. 96

Adn. XXXIX (626,29ff. Zycha); GEERLINGS, Adnotationes, 102.

Hiob hactenus

indiscussus

41

der Auferstehung nachfolgen wird 97 . In der Gegenwart leidet die Kirche wie ihr erhöhter Herr unter zahlreichen mit der gegenwärtigen Welt gegebenen Übeln und wird erst im Gericht bei der zweiten Ankunft des Herrn davon befreit werden 98 . Noch pilgert sie leidend ihrer Vollendung entgegen 99 . Für Augustin repräsentiert Hiob also nicht nur die an der Sünde leidende Menschheit, sondern zugleich schon deren Überwindung durch die Erniedrigung und das Leiden des mediator dei et hominum10°, das sich in der gegenwärtigen Kirche fortsetzt und widerspiegelt 101 . Die Interpretation verläuft aber nicht nur von Hiob über Christus zur Kirche, denn Hiob steht zugleich auch stellvertretend für alle durch die Passion Christi und den damit erwirkten Sündennachlaß Geheiligten als ein Gerechtfertigter innerhalb der Kirche 102 , die jedoch auch als das corpus iustorum nicht von Anfechtungen frei ist 103 . Gregors Interpretation des Hiobbuches liegt voll und ganz auf der Linie Augustins, die er bis in die Einzelheiten hinein entfaltet und weiter fortführt 104 . Vermutlich hat er die Adnotationes in Job des von ihm hochverehrten Augustin gründlich studiert und sich in den Hauptzügen seiner Auslegung von ihnen leiten lassen, auch wenn er im Einzelfall andere Akzente setzt und die wenigen Testimonien 1 0 5 , die Augustin zur Erläuterung des Textes bringt,

97 Vgl. Adn. XXXVIII (601,27-29 Zycha): primigenitus a mortuis, caput ecclesiae, secuturo etiam corpore in futura resurrectione sanctorum. 98 Augustin spricht in den Adnotationes in Job auffallend häufig von der ecclesia; fast immer heißt es, daß die Kirche unter gewissen Personengruppen leidet und von ihnen verfolgt wird, z.B. Adn. XII (535,6 Zycha und 536,21-23 Zycha); Adn. XVII (545,25f. Zycha); Adn. XXIV (558,28ff. Zycha); Adn. XXVI (563,4ff. Zycha); Adn. XXIX (569,25ff. Zycha); Adn. XXXI (579,10 Zycha); Adn. X X X V I (589,18ff. Zycha); Adn. XXXVII (597,8f. Zycha); Adn. XXXVIII (603,16ff. Zycha). Dort (604,6ff. Zycha) heißt es, daß es bis zum Gericht erduldet werden muß, daß in der Kirche auch die Ungerechten enthalten sind. 99

Adn. XXXI (576,22-24 Zycha), vgl. auch DOUCET, Job, 43f. Diesen Begriff verwendet Augustin häufiger, vgl. z.B. Adn. IX (530,23f. Zycha) und Adn. XXXVIII (614,16f. Zycha). 101 YG| AUCH DOUCET, Job, 38: „il représente et parle (ex persona) pour l'humanité dans sa totalité, non pas extensive, mais compréhensive, telle qu'elle se trouve déjà réalisée et annoncée dans l'union du Christ et de son Église". 102 Adn. XXXVIII (601,16ff. Zycha): ad insinuandam ergo differentiam diuinae humanitatis eius [...], quia passione [...], et iustificatorem sanctorum per peccatorum remissionem, quibus sanctis in unum redactis fit corpus eius ecclesia, cuius et partícula est lob secundum historiam quia iustificatus et figura uniuersae ... 103 Adn. IX (529,9ff. Zycha). 104 Man kann also nicht behaupten, daß Gregor mit seiner Interpretation des Buches Hiob in der patristischen Tradition einzigartig dasteht, wie FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 61 meint. 105 Erst in der Auslegung der letzten Kapitel greift Augustin häufiger auf andere Schriftbelege zurück. 100

42

Kapitel

3

nicht übernimmt. Wenn Augustin die nicht alle Verse gleichermaßen ausführlich interpretierenden und häufig allzu kurzen Adnotationes zu einem vollständigen und ausführlichen Kommentar zum Buch Hiob ausgearbeitet hätte, dann wäre Gregor wohl kaum zu dem Urteil gelangt, daß dieses dunkle und schwierige biblische Buch bislang noch nicht kommentiert worden sei. 3.2.6. Julian von Eclanum: Expositio libri Job Der Gegenspieler des Augustin hat neben einem jedoch nur teilweise erhaltenen Kommentar zum Buch Hiob 106 auch das Hohelied und die Propheten Hosea, Joel und Arnos ausgelegt. Er benutzte offenbar griechische Kommentare und kannte vielleicht auch die Deutung des Presbyters Philippus 107 . Zumeist stützt er sich auf den Text der Vulgata, zieht jedoch bisweilen auch die Septuaginta hinzu, wenn diese seinen Interpretationsabsichten eher entsprach108. Mit seiner Deutung wendet sich Julian gegen die Gnadenlehre Augustins, die nach den Vorgaben seiner Expositio Hiobs Freund Eliphaz vertritt, während Hiob sich nach Ansicht von Julian durchgängig seiner eigenen Gerechtigkeit bewußt ist109. Nur sehr selten bringt Julian Belegstellen aus dem Neuen Testament und macht deutlich, daß die Hiobfigur nur prophetisch auf Christus blickt, ihn aber gerade nicht typologisch vorabbildet 110 . Dieser Kommentar war jedoch kaum verbreitet und es ist äußerst unwahrscheinlich, daß Gregor ihn gekannt und für seine Moralia in Job verwendet hat111. 3.2.7. Hieronymus und der Kommentar des Presbyters

Philippus

Hieronymus hat sich im Rahmen seiner Übersetzungstätigkeit intensiv mit dem Buch Hiob beschäftigt. Im Vorwort zu Hiob weist er auf den kunstvollen Aufbau dieses Buches hin, das mit einem Prosatext beginnt, dann in dichterische Form übergeht, um schließlich wieder in der alltäglichen Redeweise zu münden, wobei der Verfasser alle Regeln der Poetik und Dialektik beachtet112. Hiob gilt Hieronymus aber auch ganz traditionell als ein Beispiel für Geduld und Hoffnung in Widrigkeiten 113 und als ein geduldiger Kämpfer der Kirche, der auf Christus geblickt hat114.

106

A b g e d r u c k t bei CChr.SL 8 8 , 1 - 1 0 9 d e C o n i n c k .

107

S o d i e V e r m u t u n g v o n DASSMANN, H i o b , 4 0 4 .

108

V g l . die S t e l l e n a n g a b e n bei MCCLURE, Gregory the Great, 15.

109

V g l . DASSMANN, H i o b , 4 0 4 .

110

V g l . M c C L U R E , G r e g o r y the Great, 16.

111

V g l . MCCLURE, G r e g o r y the Great, 16.

112

H i e r o n y m u s praef. V u l g . Job 1 ( 7 3 1 f . Weber), g a n z ähnlich auch Ep. 5 3 , 8 an

Paulinus v o n N o l a (CChr.SL 5 4 , 4 5 5 Hilberg). H i e r o n y m u s L o b d e s B u c h e s H i o b wird auch v o n C a s s i o d o r Inst. 1,6,2 ( 1 5 0 B ü r s g e n s ) zitiert. 113

C o m m . in Ep. ad Eph. 3 , 5 (PL 2 6 , 5 2 7 ) .

114

Liber contra J o a n n e m H i e r o s o l y m i t a n a 3 0 (PL 2 3 , 3 8 1 f . ) .

Hiob hactenus indiscussus

43

Einen e i g e n e n K o m m e n t a r z u m Hiobbuch soll nach A u s k u n f t des Gennadius der H i e r o n y m u s s c h ü l e r Philippus verfaßt haben 1 1 5 . D o c h sorgt d i e s e r bislang noch nicht in einer kritischen Edition v o r l i e g e n d e K o m m e n t a r in der F o r s c h u n g nach w i e vor für e i n i g e Verwirrung. Im Jahre 1 5 2 7 edierte der H u m a n i s t Sichardus, v e r m u t l i c h aus einer Fuldaer Handschrift 1 1 6 , e i n e n H i o b k o m m e n t a r unter d e m N a m e n des Presbyters Philippus, während e i n e A u s g a b e v o n 1 5 6 3 einen sehr ähnlichen T e x t nach einer anderen Handschrift bot und B e d a Venerabiiis als Verfasser angab 1 1 7 . M a n m u ß a l s o damit rechnen, daß B e d a m ö g l i c h e r w e i s e den K o m m e n t a r des Philippus bearbeitet hat und d i e b e i d e n A u s g a b e n d e s 16. Jahrhunderts nicht den ursprünglichen H i o b k o m m e n t a r des Philippus, sondern veränderte F a s s u n g e n bieten 1 1 8 . D a s dürfte auch auf den v o n Erasmus edierten und i m 26. B a n d der Patrologia Latina zu den spuria des H i e r o n y m u s gezählten H i o b k o m m e n t a r zutreffen 1 1 9 , der vermutlich e i n e spätere R e z e n s i o n g e g e n ü b e r d e m erheblich längeren Sichardustext darstellt, v o n d e m er sich auch s o n s t beträchtlich unterscheidet 1 2 0 . W e r für d i e s e n textus brevior verantwortlich ist, bleibt b i s l a n g g ä n z l i c h unklar 1 2 1 , w e n n auch e i n e R e i h e v o n G e m e i n s a m k e i t e n m i t den Moralia in Job v e r m u t e n lassen, daß der Bearbeiter z u m i n d e s t m i t d e n 115

Gennadius vir. 111. 63 (TU 14,1, 83 Richardson): Philippus presbyter, optimus auditor Hieronymi commentatus in Job edidit sermone simplici librum. Legi eius et familiares epístolas, et valde salsas et máxime ad paupertatem et dolorum tolerantiam exhortatorias. Moritur Marciano et Auito regnantibus. Demnach starb der Presbyter Philippus, der vielleicht auch zu den Hörern des Hieronymus in Betlehem gehört hat, zwischen Juli 455 und Oktober 456. 1 Philipp i presbyteri longe eruditissimi in historiam Job Commentarium, Basel 1527, zu den von Sichardus verwendeten Handschriften vgl. auch P. LEHMANN, Joannes Sichardus und die von ihm benützten Bibliotheken und Handschriften, Quellen und Forschungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters IV,1, München 1912. D. FRANSES, Het Job-commentaar van Philippus Presbyter, De Katholiek 157, 1920, 378-386, vermutet in diesem Werk den authentischen Kommentar des Philippus. 117 In Job libri tres ad Nectarium, in: Ven. Bedae Operum IV, Basel 1563 (Nachdrucke Köln 1612 und 1688); vgl. dazu FRANSES, Job-commentaar, 382; GLLLET, Introduction, 86; J. BAUER, Corpora orbiculata. Eine verschollene Origenesexegese bei Pseudo-Hieronymus, ZKTh 82, 1960, 333-341, hier 334 mit Anm.12. 118 Vgl. GlLLET, Introduction, 86; dagegen jedoch: A. VACCARI, Scripsitne Beda Commentarium in lob?, Biblica 5, 1924, 369-373. 119 Abgedruckt in PL 26, 655-850, vgl. dazu DASSMANN, Hiob, 405, der diesen Text ohne nähere Begründung für den echten Kommentar des Philippus hält; vgl. auch McCLURE, Gregory the Great, 12; GlLLET, Introduction, 86. FRANSES, Job-commentaar, 383ff. macht es sich etwas zu einfach, wenn er den Sichardustext für den Hiobkommentar des Philippus und den Text in PL 26 allein wegen des fehlenden Widmungsschreibens an Nectarius zur Bearbeitung aus der Feder Bedas erklärt. 120 Vgl. GlLLET, Introduction, 86; M. P. ClCCARESE, Una esegesi ,double face'. Introduzione all'Expositio in lob del presbítero Filippo, Annali di Storia dell'esegesi 9, 1992, 483-492, hier 484. 121

V g l . ClCCARESE, U n a e s e g e s i , 4 8 4 .

44

Kapitel 3

Grundzügen der gregorianischen A u s l e g u n g vertraut war 122 . Deutlicher noch mit Versatzstücken aus Gregors Moralia in Job angereichert ist jedoch die im 23. Band der Patrologia Latina abgedruckte Expositio interlinearis libri Job, der vermutlich ebenfalls der von Philippus stammenden Kommentar zugrunde lag 123 . Bloße Exzerpte aus Gregors Moralia in Job124 sind die im selben Band befindlichen Excerpta ex commentario in Jobum125, von denen man gleichfalls angenommen hatte, daß sie auf Hieronymus zurückgehen. Somit muß für alle bislang veröffentlichten Texte die Möglichkeit in Betracht g e z o g e n werden, daß sie den Text des v o n Philippus verfaßten Hiobkommentars nur in mehr oder weniger bearbeiteter Form bieten 126 . Überdies zeigt sich sehr deutlich, daß dieser Kommentar im Laufe der Zeit immer stärker mit Texten aus Gregors Moralia aufgefüllt wurde 1 2 7 . Es wird zwar angenommen, daß der von Sichardus edierte Text dem von Philippus verfaßten Kommentar zum Buch Hiob noch am nächsten kommt, weil er nachweislich einiges ältere Material enthält, das sogar noch aus den verlorenen Hiobhomilien des Origenes stammen könnte 1 2 8 . D o c h ohne eine kritische Edition des Textes läßt sich weder das Verhältnis zwischen den origenistischen Homilien und dem Kommentar 122

So heißt es in der praefatio PL 26, 655A: Job [...] figuram Christiportavit. Amici vero eius figuram haereticorum tenent, qui, sub nomine Christi, Christum blasphémant et impugnant; Elihu vero et Balaam typum praeferunt philosophorum McCLURE, Gregory the Great S. 13f. sieht hier den Einfluß von Gregors Auslegung: „the main characters in the Book of Job [are] drawn, often Verbatim, from Gregory's exegetical scheme". Vgl. auch GLLLET, Introduction, 86. Wie Augustin und Gregor legt auch dieser Kommentar großen Wert auf die christologisch-ekklesiologische Interpretation des Buches Hiob, vgl. z.B. I, 659A; II, 660D; V, 666: Ut in Filio Dei homo Christus sit Deus, et per eum Ecclesia; XIV, 690A; XV, 693A u.ö. Als Auslegungsregel wird jedoch XXIX, 744D formuliert, daß alles, was nicht auf Christus als das Haupt paßt, auf die Kirche als seinen Leib zu beziehen sei. Genau an dieser Stelle, zu Beginn der Auslegung des 29. Kapitels, hatte Augustin in den Adnotationes in Job festgestellt, daß das von Christus als dem Haupt Gesagte auch auf die Kirche als dessen Leib zutrifft. Neben großen Unterschieden im Einzelnen gibt es jedoch auch erstaunliche Parallelen, so stimmt etwa die Auslegung von Hiob 5,15, 666D, weitgehend mit Mor. VI 20,35 (309,lff. Adriaen) überein. Beide stützen sich zudem auf die gleichen Schriftstellen. 123 Abgedruckt in PL 23, 1475-1538, vgl. dazu auch MCCLURE, Gregory the Great, 1 3 f . ; GILLET, I n t r o d u c t i o n 8 5 ; FRANSES, J o b - c o m m e n t a a r , 3 8 1 . 124

125

V g l . GILLET, I n t r o d u c t i o n , 8 5 ; FRANSES, J o b - c o m m e n t a a r , 3 8 0 f .

Excerpta ex commentario in Jobum, qui ms. Amstelodami in bibliotheca cl. viri Marci Meybomii exstabat etputatur esse S. Hieronymi, PL 23, 1539-1552. 126 So auch die bislang gründlichste Untersuchung zu diesem Thema von I. FRANSEN, Le commentaire au Livre de Job du prêtre Philippe, Diss. Lyon, Maredsous 1949. 127 Vgl. auch MCCLURE, Gregory the Great, 13f. 128 Bei der Auslegung von Hiob 38,7 handelt es sich vermutlich um eine Deutung, die aus den verlorenen Homilien des Origenes zum Buch Hiob stammt, vgl. BAUER, Corpora, 334ff. CLCCARESE, Una esegesi, 489ff. fügt weitere Indizien für diese Vermutung hinzu. Sie sieht in diesem Werk deshalb: „l'eco della predicazione origeniana sul libro di Giobbe" (ebd. 492).

Hiob hactenus

indiscussus

45

des Philippus, noch die Beziehung zwischen diesem Kommentar und Gregors Moralia in Job genauer bestimmen 129 . 3.2.8. Caesarius von Arles Caesarius von Arles setzt mit seiner Auslegung des Buches Hiob einen nur auf dem Hintergrund seiner historischen Situation verständlichen Akzent in der Hiobinterpretation. Ausgehend von der traditionellen Deutung Hiobs als des gegen den Teufel kämpfenden athleticus Dei erläutert Caesarius, daß Hiob seinen Kampf im Rahmen der von der diuina dispensatio getroffenen Anordnungen führt. Sie ist es, die dem Streiter hilfreich zur Seite steht, zugleich aber auch sein Leiden zuläßt130. Das Leiden, so Caesarius, tritt nicht als etwas Fremdes zum christlichen Leben dazu, sondern macht es vielmehr erst aus, weil es den zu Gott strebenden Menschen beständig mit der Welt, dem Fleisch und dem Teufel konfrontiert. Ein Christ weiß häufig nicht, warum er leidet, doch kann er darauf vertrauen, daß auch Gottes iudicia occulta keineswegs ungerecht sind131. Weil Hiob in Reichtum und Armut unbeirrbar an Gott festhielt, wird er für Caesarius, ähnlich wie für Ambrosius, zu einem Paradigma für die rechte Einstellung des Christen im Hinblick auf die irdischen Güter132. Doch erfährt dieser Gedanke bei Caesarius eine ganz aktuelle Zuspitzung, denn in einer Zeit, in der die traditionellen Institutionen in Gallien nicht mehr in der Lage waren, die Armenfürsorge zu gewährleisten, ruft der Mönchsbischof seine Hörer dazu auf, Almosen zu geben und stellt ihnen zu diesem Zweck das Beispiel des Hiob vor Augen 133 . Die Hörer sollen Hiob nachahmen, indem sie demütig Almosen geben 134 . Wie Hiob sollen die Reichen freimütig sein, damit ihnen der demütige Arme wahren Reichtum vermittelt. Die Hiobauslegung hat hier eine ganz spezifisch sozialethische Ausrichtung, die jedoch für Gregors Deutung in den Moralia keine Rolle spielt.

129

Vgl. auch GlLLET, Introduction, 86; McCLURE, Gregory the Great, 13 Anm. 1. Serm. 132 (CChr.SL 103, 543f. Morin); vgl. auch A. FERREIRO, Job in the Sermons of Caesarius of Arles, RThAM 54, 1987, 13-26, hier 18. 131 Serm. 114 (474 Morin): ostendere quia deus noster, non solum misericors, sed et iustum est, et iudicia eius plerumque sunt occulta, numquam tarnen iniustitia. Vgl. auch Augustin serm. 343,10 (PL 39, 1511). 132 Serm. 131 (539f. Morin); vgl. auch FERREIRO, Job, 20ff. 133 Yg], dazu auch R. NÜRNBERG, Askese als sozialer Impuls. Monastisch-asketische Spiritualität als Wurzel und Triebfeder sozialer Ideen und Aktivitäten der Kirche in Südgallien im 5. Jahrhundert, Hereditas 2, Bonn 1988, 217. 134 Serm. 131 (541 Morin): imitentur beatum lob humiliter largas elymosinas faciendo. Den beiden Sermones 131 (538-541 Morin), und 132 (541-545 Morin) liegen Augustins Sermones 51 und 52 (PL 39, 1842-1845) zugrunde, die Caesarius seinen Bedürfnissen entsprechend umgestaltet hat. 130

46

Kapitel 3

3.3. Gregors Moralia in Job in der Tradition der Hiobdeutung Wenn Gregor das Buch Hiob als ausgesprochen schwierig und bislang noch nicht kommentiert bezeichnet, muß man davon ausgehen, daß er wirklich von keinem der ausgearbeiteten Kommentare wie dem Werk des Julian von Eclanum oder dem des Presbyters Philippus über das Buch Hiob wußte135. Es wäre durchaus möglich, daß er die Hiobdeutungen des Ambrosius oder des Hilarius gekannt hat, doch beweisen läßt sich das nicht. Mit einiger Sicherheit darf hingegen angenommen werden, daß Gregor Augustins Adnotationes in Job gelesen hat, auch wenn sie seinen Ansprüchen an einen ausführlichen Hiobkommentar kaum ausgereicht haben dürften. Mit seiner eigenen Interpretation in den Moralia in Job greift Gregor alle bereits bekannten Aspekte der Hiobinterpretation auf und führt insbesondere die Deutung Augustins fort. Er sieht in der Gestalt des geschundenen Hiob einen athleta Dei, der gegen die Anfeindungen des Satan kämpft 136 , und dementsprechend auch ein exemplum patientiae, den nicht zuletzt das Leiden lehrt, daß ihm irdische Besitztümer und irdischer Ruhm nichts bedeuten sollen. Hiobs Schicksal eröffnet Gregor die Möglichkeit, das Thema der göttlichen Gerechtigkeit im größeren Kontext der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen zu vertiefen, wobei Hiob für die misera conditio humana des gefallenen Menschen und als Typus für den entäußerten und leidenden Christus in Gemeinschaft mit seinem Leib der Kirche steht. Die verschiedenen Aspekte der Hiobauslegungen bleiben aber nicht einfach unverbunden nebeneinander stehen137, sondern werden in den Moralia in Job zu einem Interpretationszusammenhang verknüpft, dessen lehrhafter Charakter 138 auf die Unterweisung derpraedicatores zielt, weil sich in der Gestalt Hiobs als Sinnbild des Inkarnierten und leidenden Christus das Leben des Einzelnen ebenso wie das Leben der Kirche in ihrer Gesamtheit spiegelt139.

135

Das vermutet auch MCCLURE, Gregory the Great, 18: „Given that Gregory almost certainly had no knowledge of the commentaries of Philip and of Julien, [...] his statement about the lack of patristic exegesis on the Book of Job becomes perfectly intelligible". 136 Vgl. z.B. Mor. X 1,1 (534,Iff. Adriaen). 137 Diesen Eindruck vermittelt BESSERMAN, Legend, 55, der feststellt, daß Hiob in Gregors Moralia sowohl für den geduldig leidenden Heiligen als auch für den Typus Christi steht. 138 SMALLEY, Study, 34 betont den lehrhaften Charakter der typologischen und moralischen Auslegung. 139

V g l . KANNENGIESSER, J o b , 1 2 2 2 .

Kapitel 4

Der Widmungsbrief an Leander von Sevilla 4.1. Gregors Lebensbeschreibung als Bezugsrahmen für das Verständnis der Moralia in Job Gregor stellt seinem Kommentar zum Hiobbuch ein ausführliches Widmungsschreiben an seinen Freund Leander von Sevilla voran 1 , in dem es ihm vor allem darum geht, seine Ziele und die von ihm verwendeten exegetischen Methoden zu erläutern 2 . Zunächst gibt er jedoch, der Topik spätantiker Widmungsbriefe entsprechend 3 , mit knappen Worten Auskunft über sein eigenes Leben und beschreibt die verschiedenen Stationen seiner eigenen conuersio, die ihn aus den Stürmen dieser Welt ins Kloster und später im Dienst der Kirche mit einem gewissen Widerwillen wieder zurück in die Schwierigkeiten dieser Welt geführt hat4. Da Gregor auch in späteren Schreiben noch häufiger über die Bürde des von ihm übernommenen kirchlichen Amtes klagt 5 , hat man Gregors Darstellung seiner conuersio im Widmungsbrief an Leander und sein Leiden an der Zerrissenheit zwischen Kloster und Welt entweder als eine ritualisierte Geste eines antiken Amtsträgers verstanden, der zum Ausdruck bringen mußte, daß er sich den Anforderungen des ihm auferlegten Amtes nicht gewachsen fühlte 6 , oder aber abseits aller Konventionen als das ganz persönliche Bekenntnis eines Mannes gelesen, dem die Übernahme eines

1 Der Widmungsbrief an Leander von Sevilla ist jetzt ins Deutsche übersetzt und mit einem knappen Kommentar versehen bei P. MICHEL, Wo das Lamm watet und der Elefant schwimmt. Eine Darstellung von Gregors des Großen Epistola dedicatoria zu den Moralia in Job, in: H. Herwig u.a. (Hg.): Lese - Zeichen, FS P. Rusterholz, Tübingen 1999, 71-86. 2 Vgl. DAGENS, Saint Grégoire le Grand 286. 3 Vgl. dazu K. THRAEDE, Grundzüge griechisch-römischer Brieftopik, Zetemata 48, München 1970, 109ff. 4 Ep. ad Leand. 1 (1,1-2,53 Adriaen). 5 Dieses Thema klingt auch in den ersten erhalten Briefen an, die kurz nach seiner Amtsübernahme entstanden sind, Ep. I 5-7 (5-10 Norberg; aber auch Dial. prol. 3-6 (1214 de Vogûé/Antin). 6 So LEYSER, Authority and Ascetism, 142, der dieses Verständnis als das der „secularist tradition" der Gregorinterpretation bezeichnet.

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Kapitel 4

kirchlichen Amtes zutiefst widerstrebte, weil sie mit der Gefahr verbunden war, von der eigentlichen Ausrichtung auf das Innere abzulenken 7 . In diesen beiden Interpretationsalternativen spiegelt sich einmal mehr die Differenz, die die Gregorforschung bis in die Gegenwart hinein in zwei Lager teilt 8 . Doch ist in jüngster Zeit verstärkt darauf hingewiesen worden, daß sich Gregor keineswegs über die rhetorischen Gepflogenheiten seiner Zeit hinwegsetzte, sondern diese vielmehr für seine eigenen Bedürfnisse umgestaltete 9 . So sollte auch die Schilderung seiner conuersio und der damit verbundenen erneuten Rückkehr zu den Belangen dieser Welt als ein von Gregor ganz bewußt gestalteter Teil seines Widmungsbriefes an Leander und damit weniger als ein autobiographisches Zeugnis gelesen werden. Gregor macht sein eigenes Leben nicht nur zu einem Modell für die Unverträglichkeit zwischen den Anforderungen der sichtbaren äußeren Welt und der alleinigen Konzentration auf Gott 10 , zwischen der uita actiua und der uita contemplatiuan, sondern auch zu einer spannungsvollen und mit Leid gepaarten, ihm durch die Ausübung des kirchlichen Dienstes auferlegten Verbindung dieser beiden Pole. Mit einem Wort: Gregor gibt den Lesern nicht nur einen Einblick in seine eigenen Erfahrungen, sondern eine erste Einführung in die Thematik der Moralia in Job12. Sprachlich und sachlich lehnt sich Gregors Darstellung zunächst in aller Deutlichkeit an Augustins Bericht über die verschiedenen Etappen der im achten Buch der Confessiones geschilderten conuersio an 13 . Wenn Gregor 7 Vgl. DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 83ff. versteht Gregors Leiden an seinem Amt als eine persönliche „expérience spirituelle", vgl. auch ebd. 289ff. Vgl. auch CLARK, St. Gregory the Great, 271; A. MÉNAGER, Contemplation d'après Saint Grégoire le Grand, VS 9, 1923, 242-282, hier 281; SCHAMBECK, Contemplatio, 5. 8 Vgl. dazu den Überblick über die Forschung, oben unter 1.2. 9 L E Y S E R deutet Gregors Rhetorik als „rhetoric of vulnerability", vgl. ders.: „Let me speak, let me speak": Vulnerability and Authority in Gregory the Great's Homilies on Ezechiel, in: Gregorio Magno e il suo tempo II, 169-182. 10 So die Interpretation von H. GRAF REVENTLOW, Epochen der Bibelauslegung II: Von der Spätantike bis zum Ausgang des Mittelalters, München 1994, 108: „Gregor folgte in seinem Lebens- und Frömmigkeitsideal einem einfachen, traditionellen Muster: Es galt, angesichts des nahen Endes [...] sich von der Welt ab und dem Ewigen zuzuwenden". 11 CASPAR, Geschichte II, 342 sieht hier den ewigen und allgemein menschlichen „Widerstreit zwischen vita activa und vita contemplativa, in christliches und mönchisches Zeitgewand gekleidet". 12 Vgl. auch A. SMEETS, Une lettre comme don. Une lecture sémiotique de la lettre de Grégoire dans les .Moralia in Job', in: L. Panier (Hg.): Les lettres dans la Bible et dans la littérature, Lectio Divina 181, Paris 1999, 241-263, hier 250. 13 Vgl. P. COURCELLE, Les confessions de Saint Augustin dans la tradition littéraire, Antécédants et postérité, Paris 1963, 229f.; DERS., Grégoire le Grand devant les .Conversions' de Marius Victorinus, Augustin et Paulin de Noie, Latomus 36, 1977, 942-950. Auf die inhaltlichen Unterschiede zwischen Augustins und Gregors conuersio weist auch

Der Widmungsbrief an Leander von Sevilla

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beschreibt, w i e er als Abgesandter des päpstlichen Stuhles in Konstantinopel, alles, was ihm an sich selbst mißfiel, seinem Freund Leander dargelegt habe, dann klingt hier sicher nicht zufällig Augustins Gespräch mit Simplicianus an 14 . Im folgenden erläutert Gregor, womit er im Hinblick auf seine Person derart unzufrieden war: S c h o n vor längerer Zeit habe er die Gnade der conuersio empfangen und Verlangen nach dem H i m m l i s c h e n verspürt, doch erschien es ihm damals besser, den habitus dieses saeculum zu behalten 1 5 . Mit dem Kontrast zwischen desiderium caeleste und habitus saecularis wird ein wichtiges Problem angeschnitten, das nicht nur für Gregors e i g e n e Lebensführung entscheidend war 16 , sondern auch s e i n e g e s a m t e H i o b a u s l e g u n g durchzieht 17 . Ihm selbst wurde, so berichtet Gregor weiter, zwar schon die Liebe zum E w i g e n eröffnet, nach der er verlangte, doch hielt ihn, ähnlich w i e seinerzeit Augustin 1 8 , die Gewohnheit davon ab, sein Leben zu ändern 19 . Zunächst habe er dieses Problem in der W e i s e lösen wollen, daß er der Welt nur äußerlich, gleichsam dem Anschein nach diente, doch mußte er bald feststellen, daß die Sorgen der Welt immer größer wurden und auch von seiner Seele Besitz ergriffen 2 0 . Deshalb f l o h er schließlich vor der Welt und rettete sich DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 294ff. und DERS., Grégoire le Grand avant son pontificat, 144 hin. Er hält die Anlehnungen an Confessiones VIII lediglich für eine „stylisation littéraire". 14 Ep. ad Leand. 1 (l,4f. Adriaen): ... omne in tuis auribus, quod mihi de me displicebat, exposui erinnert an Augustin Conf. VIII 1,2 (CCSL 27, 113,24 Verheijen): mihi autem displicebat, vgl. dazu auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 297. 15 Ep. ad Leand. 1 (1,5-7 Adriaen): ... quoniam diu longeque conuersationis gratiam distuli et postquam caelesti sum desiderio afflatus, saeculari habitu contegi melius putavi. Augustin beschreibt diesen Konflikt jedoch sehr viel ausführlicher, Conf. VIII 5,10ff. (119,lff. Verheijen), vgl. auch REVENTLOW, Epochen II, 108. 16 Vgl. dazu auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 2 8 7 . 17 Vgl. S. KESSLER, Gregor der Große und seine Theorie der Exegese: Die Epistola ad Leandrum, in: Institutum Patristicum Augustinianum (Hg.): L'esegesi dei Padri Latini, XXVIII Incontro di studiosi di antichità cristiana II: Italia, Gallia, Iberia, SEA 68, Rom 2000, 691-700, hier 694. 18 DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 299 stellt fest, daß für Gregor, trotz der inhaltlichen Unterschiede, Augustin offenbar als Modell gedient hat. 19 Ep. ad Leand. 1 (1,7-9 Adriaen): Aperiebatur enim mihi iam de aeternitatis amore quid quaererem, sed inolita me consuetudo deuinxerat, ne exteriorem cultum mutarem. Die consuetudo ist auch für Augustin ein Hindernis, sich ganz Gott zuzuwenden, Conf. VIII 5,10 (119,10-12 Verheijen); Conf. VIII 5,11 (120,25ff. Verheijen); Conf. VIII 5,12 (121,50ff. Verheijen) und Conf. VIII 9,21 (126,15ff. Verheijen). Conf. VIII 11,27 (130,31 Verheijen) heißt es wie bei Gregor: aperiebatur enim ..., vgl. dazu DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 298. 20 Ep. ad Leand. 1 (1,9-13 Adriaen). Dieser Satz bezieht sich vermutlich auf Gregors Übernahme der Stadtpräfektur im Jahre 572/3, vgl. D. WYRWA, Der persönliche Zugang in der Bibelauslegung Gregors des Großen, in: H. H. Schmid/J. Mehlhausen (Hg.): Sola Scriptura. Das reformatorische Schriftprinzip in der säkularen Welt, Gütersloh 1991, 262-278, hier 267f. Anm. 33, und meint keine Kritik an falschen conuersi, die zwar das

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aus dem Schiffbruch dieses Lebens mit knapper Not in den sicheren Hafen des Klosters 21 . Die Flucht ins Kloster erwies sich jedoch lediglich als eine Zwischenstation; denn mit dieser ist die Schilderung seines Lebensweges noch keineswegs abgeschlossen 22 . Sein Leben nahm vielmehr eine ganz eigene und unerwartete Wendung, indem es Gregor nunmehr in den Dienst der Kirche stellte. Denn sub praetextu ecclesiastici ordinis wurde er wiederum in die Angelegenheiten dieses saeculum geworfen und verlor die einstige Ruhe, die ihm das Leben im Kloster geschenkt hatte23. Mit dem Altardienst legte man ihm zugleich den Gehorsam auf, andernfalls wäre er vor dieser Aufgabe geflohen 24 . Während noch vor der Welt ins Kloster fliehen konnte, war ihm hier nun keine Flucht mehr möglich. Härter und noch schwerwiegender als der Dienst am Altar erschien ihm jedoch der pastorale Dienst 25 . Anders als bei Augustin löste nicht schon der Rückzug von der Welt bei Gregor eine schwerwiegende Krise aus, sondern erst die erneute und nunmehr unumgänglich gewordene Beschäftigung mit den Dingen dieser Welt, die im Rahmen der Verkündigung notwendig wurde26. Gregor erfuhr am eigenen Leib, daß in den Wirren dieser ihrem Ende entgegengehenden Zeit auch von uns als denjenigen, die gemeint hatten, allein den inneren Geheimnissen zu dienen, verlangt wurde, sich um äußere Belange zu kümmern: Quia enim mundi iam tempora malis crebrescentibus termino adpropinquante turbata sunt, ipsi nos, qui interius mysteriis deseruire credimur, curis exterioribus implicamur...11. weltliche Gewand ablegten, aber in der Welt bleiben zu können glaubten, wie DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 295f. annimmt. 21 Ep. ad Leand. 1 (1,13-15 Adriaen). Zur maritimen Sprache vgl. auch GLLLET, Introduction, 116 Anm. 1 und J. KAHLMEYER, Seesturm und Schiffahrt als Bild im antiken Schrifttum, Diss. Greifswald 1934. 22 In seiner Darstellung interessiert sich DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 284ff. allein für die conuersio Gregors bis zum Rückzug von der Welt. Seiner Deutung folgt KESSLER, Gregor der Große und seine Theorie der Exegese, 694. In Gregors keineswegs freiwilliger Beschäftigung mit den Angelegenheiten dieser Welt im Dienst der Kirche sieht Dagens lediglich eine gravierenden Störung des friedlichen Klosterlebens, die ihm nicht als das Wirken der göttlichen Gnade erschien, sondern ihn im Rückblick mit einer gewissen Nostalgie erfüllte, vgl. auch DERS., La conversion de Grégoire le Grand, REAug 15, 1969, 149-162, hier 153f. 23 Ep. ad Leand. 1 (1,17-2,20 Adriaen). Zur Verbindung von Mönchtum und pastoraler Tätigkeit vgl. auch T. L. AMOS, Monks and Pastoral Care in the Early Middle Ages, in: T. F. X. Noble/J. J. Contrini (Hg.): Religion, Culture, and Society. Studies in Honor of R. E. Sullivan, Medieval Institute Publications, Kalamazoo/Michigan 1987, 165-185. 24 Vgl. Ep. ad Leand. 1 (1,13 Adriaen) mit Ep. ad Leand. 1 (2,23 Adriaen). 25 Ep. ad Leand. 1 (2,20-25 Adriaen), vgl. auch REVENTLOW, Epochen II, 108. 26 Ep. ad Leand. 1 (2,25-27 Adriaen). Vgl. auch MARKUS, Gregory the Great, 25; LEYSER, Authority and Ascetism, 161. 27 Ep. ad Leand. 1 (2,27-30 Adriaen).

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An dieser Stelle wird nun nicht mehr nur Leander, sondern durch die pointierte Formulierung ipsi nos jeder von Gregor anvisierte Leser direkt angesprochen28, der sich ebenfalls mit der Frage konfrontiert sah, wie ein geistliches Leben angesichts der wachsenden Aufgaben, die ohne die Mithilfe kirchlicher Amtsträger nicht länger zu meistern waren, gestaltet werden konnte. Durch den Wechsel zur ersten Person Plural, der in rhetorisch geschickter Weise fast exakt die Mitte des ersten Kapitels bildet, erreicht Gregor an dieser Stelle eine geradezu dramatische Zuspitzung, bevor er wieder zur Schilderung seines eigenen Lebens zurückkehrt. Anschließend deutet Gregor an, wie ihm die erzwungene Verbindung zwischen seinem Wunsch nach Absage an die Welt und notwendiger Beschäftigung mit der Welt durch das Wirken der diuina dispensatio erträglich gemacht wurde 29 . Er beschreibt seine Tätigkeit am kaiserlichen Hof von Konstantinopel - auch wenn ihm das damals selbst noch nicht bewußt war - als die eines Wächters in einem irdischen Palast30. In der Gemeinschaft der Brüder seines Klosters, die ihm nach Konstantinopel gefolgt waren, sah er das Wirken der göttlichen Fügung31, die ihm diesen schweren Dienst erleichterte. Daß er die göttliche Fügung erst jetzt nennt, und nicht schon bei seinem Rückzug von der Welt, dürfte jeden, der mit der Schilderung der conuersio in Augustins Confessiones auch nur etwas vertraut war, aufhorchen lassen. In diesem Zusammenhang verwendet Gregor erneut die für seinen Eintritt ins Kloster verwendete maritime Sprache: durch das Beispiel seiner Brüder fühlte er sich im Gebet geankert, auch wenn die Angelegenheiten dieser Welt weiterhin unaufhörlich auf ihn einströmten, und zu den Brüdern als seinem sicheren Hafen flüchtete er sich immer wieder vor den vielfältigen weltlichen Zerstreuungen32. Der kirchliche Dienst hatte ihn zwar der Ruhe des Klosters entrissen und in die Beschäftigung mit weltlichen Angelegenheiten gestellt, doch bewahrte ihm die Gemeinschaft mit der täglichen lectio der Schrift, die auf die compunctio zielte33, etwas von der contemplatio des Klosterlebens mitten 28

Vgl. dazu auch SMEETS, Une lettre comme don, 251. Vgl. auch M. WALTHER, Pondus, dispensatio, dispositio. Werthistorische Untersuchungen zur Frömmigkeit Papst Gregors des Großen, Diss. Bern 1941, 74-180. 30 Ep. ad Leand. 1 (2,30-33 Adriaen). Hier klingt der Terminus speculator für den Bischof an, vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 354. 31 Ep. ad Leand. 1 (2,34f. Adriaen) Das verborgene Wirken Gottes ist ebenfalls ein eminent wichtiges Thema in den Moralia in Job, vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 329ff. 32 Ep. ad Leand. 1 (2,34-37 Adriaen), vgl. Ep. ad Leand. 1 (1,13-15 Adriaen) die Beschreibung seines Rückzugs von der Welt. 33 Vgl. dazu vor allem I. HAUSHERR, Penthos. La doctrine de la componction dans l'orient chrétien, Orientalia Christiana Analecta 132, Rom 1944; B. MÜLLER, Der Weg des Weinens: die Tradition des Penthos in den Apophtegmata Patrum, FKDG 77, Göttingen 2000. Gregor dürfte hier in erster Linie von Cassian beeinflußt sein, vgl. auch P. CATRY, Désir et amour de Dieu chez saint Grégoire le Grand, REAug 10, 1975, 269-303. 29

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in der Geschäftigkeit und actio dieser Welt 34 . Durch die Schriftlesung im Innersten getroffen versetzt die compunctio dem Hörer einen schmerzhaften Stich und bewegt ihn dadurch zu tränenreicher Reue und Umkehr, die sich in seiner Lebensführung auszudrücken hat35. So gelang es Gregor offenbar mittels der täglichen Schriftlesung und -deutung in der Gemeinschaft der Brüder, sein Leben in ein gewisses Gleichgewicht zwischen den vielfältigen Anforderungen dieser Welt und seinem Wunsch nach Weltentsagung zu bringen. Der Schriftinterpretation kommt demnach die Funktion eines Bindegliedes zwischen den Notwendigkeiten dieser Welt und dem Streben nach der Ewigkeit zu. In diesem Kontext sieht Gregor nun auch seine eigenen Moralia in Job, um die ihn der Kreis aus mitgereisten Brüdern und anderen Interessierten, unter denen Leander besonders erwähnt wird, gebeten hat36. Sie erwarteten von Gregor nicht nur, daß er ihnen die Geheimnisse dieses Buches eröffnen und eine allegorische Interpretation der uerba historiae geben soll, vielmehr wünschten sie, daß er das Schwergewicht seiner Auslegung auf die moralische Anwendung der allegorischen Deutung legen möge 37 . Von Gregors Deutung des Hiobbuches erhoffte sich dieser Kreis, zu compunctio und Umkehr angeleitet zu werden und gleichzeitig die notwendige Orientierung und moralische Weisung 38 in einer Zeit zu erhalten, die in den Augen dieser Menschen eine vollständige Trennung von Kloster und Welt nicht mehr zuläßt und in der selbst von einem Asketen verlangt wird, daß er als ein Diener der Kirche von der diuina dispensatio gezwungen in dieser Welt seinen Dienst für andere tun muß39.

Zur westlichen Tradition und insbesondere zu Augustin vgl. J. DOIGNON, .Blessure d'affliction' et .blessure d'amour' (Moralia 6,25,42): une jonction des thèmes de la spiritualité patristique de Cyprien à Augustin, in: Grégoire le Grand, 297-303. Vgl. auch McGiNN, Mystik II, 85f. 34 Ep. ad Leand. 1 (2,39-43 Adriaen). 35 Vgl. auch A. DE VOGÛÉ, Die tägliche Lesung in den Klöstern (300-600), EuA 66, 1990, 96-105, hier 103f. 36 Ep. ad Leand. 1 (2,43-46 Adriaen), vgl. auch MARKUS, Gregory the Great, 10. 37 Ep. ad Leand. 1 (2,46-50 Adriaen): Qui hoc quoque mihi in onere suae petitionis addiderunt, ut non solum uerbae historiae per aliegorarum sensus excuterem, sed allegoriarum sensus protinus in exercitium moralitatis inclinarem .... In diesem Zusammenhang baten ihn die Brüder auch darum, ihnen weitere testimonia zu geben und diese zu erläutern. Von „praktischen Erläuterungen für das tägliche Leben durch verständliche Beispiele", wie KESSLER, Gregor der Große und seine Theorie der Exegese, 694 diese Aussage interpretiert, ist hier jedoch nicht die Rede! 38 Den mitgereisten Mönchen ging es also besonders um das exercitium moralitatis, vgl. auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 78 und MARKUS, Gregory the Great, 46. 39 SMEETS, Une lettre comme don, 256 beschreibt deshalb das Thema der Moralia folgendermaßen: „Comment se situer comme chrétien et clerc par rapport au monde?". Vgl. dazu auch R. RUDMANN, Mönchtum und kirchlicher Dienst in den Schriften Gregors des Großen, St. Ottilien 1959.

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4.2. Die verschiedenen Modi der Schriftinterpretation zur aedificatio des Publikums 4.2.1. Das Ziel der Auslegung:

aedificatio

Um das so schwierige Buch Hiob für sein Publikum zum Sprechen zu bringen und dem Anliegen seiner Brüder mit seinem Kommentar gerecht zu werden, will Gregor im Zentrum seiner Auslegung die uerba historiae figurativ und allegorisch interpretieren40. Dabei genügt es ihm jedoch nicht, einen Text nur in seinem unmittelbaren Zusammenhang zu erläutern, vielmehr will er besonders schwierige Schriftstellen durch Testimonien erklären 41 und auf diese Weise die Bedeutung des Textes durch weitere Belegstellen stützen, präzisieren oder in eine neue Richtung hin entfalten42. Für einen spätantiken Exegeten enthüllt sich der Sinn eines Textes häufig erst im Aufweis seiner Kohärenz mit anderen Schriftstellen, die ihn in ein anderes Licht stellen und damit seine Bedeutung klären43. Oft geht es Gregor auch darum, einen allegorisch interpretierten Text zusätzlich noch mit einer moralischen Deutung zu versehen 44 . Daher kündigt er an, den Text des Hiobbuches auf dreifache Weise zu interpretieren und zur allegorischen Deutung der uerba historia bisweilen noch ein exercitium moralitatis dazutreten zu lassen: Quibus nimirum multa iubentibus dum parere modo per expositionem ministerium, modo per contemplationis ascensum, modo per moralitatis instrumentum...45.

40 Ep. ad Leand. 1 (2,45f. Adriaen). Die mitgereisten Brüder hatten Gregor gebeten, er m ö g e ihnen die tieferen Geheimnisse dieses Buches eröffnen. 41 Ep. ad Leand. 1 ( 2 , 5 0 - 5 3 Adriaen). Vgl. auch REVENTLOW, Epochen II, 109; FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 4 1 f f . mit zahlreichen Beispielen aus den Moralia in Job. 42

Vgl. zu dieser in den Moralia ausführlich praktizierten Technik auch SMALLEY, Study, 34. 43 Vgl. dazu auch Augustin De doctr. christ. II 9 , 1 4 (70 Green): ut ad obscuriores locutiones illustrandas de manifestioribus sumatur exempta et quaedam certarum sententiarum testimonia dubitationes incertis auferant. Vgl. J. PÉPIN, Art. Hermeneutik, R A C XIV, Stuttgart 1988, 7 2 2 - 7 7 1 , hier 7 5 7 - 7 5 9 . Das Prinzip, schwer verständliche Stellen mit anderen, leichter verständlichen Stellen aus dem gleichen Werk zu deuten, praktizierte die rabbinische E x e g e s e ebenso wie die antike Homerauslegung, vgl. dazu auch C. SCHÄUBLIN, Homerum ex Homero, MH 34, 1977, 2 2 0 - 2 2 7 . 44 Ep. ad Leand. 1 ( 2 , 4 7 - 5 0 Adriaen): non solum uerba historiae per sensus excuterem, sed allegoriarum sensus protinus in exercitium moralitatis 45 Ep. ad Leand. 2 ( 3 , 8 6 - 8 9 Gregor der Große, 192ff.; DERS., B. DE MARGERIE, Introduction à Grand à Bernard de Clairvaux, 233f.

allegoriarum inclinarem.

Adriaen), vgl. auch CAZIER, Lectures, 97f.; KESSLER, Gregor der Große und seine Theorie der Exegese, 695; l'histoire de l'exégèse IV: L'occident latin de Léon le Paris 1990, 143f.; DAGENS, Saint Grégoire le Grand,

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Die erste Art der Interpretation soll jedoch im Verlauf des Kommentars in den Hintergrund treten. Statt dessen will sich Gregor vor allem auf die Entfaltung der Modi der contemplatio und der moralitas konzentrieren46, die sich häufig dadurch entdecken lassen, daß man zunächst einmal voraussetzt, daß ein Begriff im übertragenen Sinn gemeint sein muß, und diesen dann in den Kontext der gesamten heiligen Schrift stellt und sorgfältig auslotet, in welchem Sinn er an der konkreten Stelle verwendet wird47. Weil es die vordringliche Aufgabe eines jeden von Gott redenden Exegeten sei, seine Leser über Lebensführung und Moral zu unterrichten, habe er immer den diesem Ziel angemessenen rectus loquendi ordo zu ermitteln, um mit jeder Auslegung zur aedificatio seines Publikums beizutragen48. Wenn es ihm zur Erbauung der anderen willen notwendig und sinnvoll erscheint, dann müsse der Kommentator zuweilen auch von der Anordnung des Textes abweichen. Wie ein Fluß, der, nachdem er die tiefer gelegenen Täler überflutet hat, wieder in sein Bett zurückkehrt, soll auch der Exeget jede sich bietende Möglichkeit zur Erbauung seines Publikums nutzen, um sich dann wieder dem Text zuzuwenden 49 . Auf dieser Grundlage, so erläutert Gregor seinem Auditorium, will er die histórica an manchen Stellen nur ganz kurz ansprechen, während er anderswo mit Hilfe der allegorischen Interpretation die typica vertiefen, gelegentlich

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Ep. ad Leand. 2 (3,90-92 Adriaen); vgl. auch RECCHIA, II metodo, 15. Gregor beschreibt dieses Verfahren beispielsweise in Mor. V 31,54 (255,lff. Adriaen). Zunächst steHt Gregor fest: Seä prius sciendum est quia in scriptum sacra ßgurate positus tribus modis somnus accipitur. Aliquando enim somno mors carnis, aliquando topor neglegentiae, aliquando uero exprimitur, calcatis terrenis desideriis, quies uitae. Für jede Deutung gibt Gregor nun eine Reihe von Schriftstellen, um sich anschließend für die letzte Deutung zu entscheiden und diese ausführlich zu entfalten. In den Moralia nutzt Gregor dieses Verfahren sehr häufig, auch wenn er nur selten explizit erwähnt, daß es darum geht, die angemessene figürlich übertragene Deutung zu finden. Vgl. etwa auch Mor. VIII 46,76 (441,2 Adriaen): Saepe in sacro eloquio Dominus solis appellatione figuratur ... In dieser Weise klärt Gregor u.a. die Bedeutung von lectus (Mor. XXIII 24,46, 1178,2ff. Adriaen), vonpanis (Mor. XXIII 25,49, 1181,4ff. Adriaen), von aurum (Mor. XXXIV 15,26, 1752,lff. Adriaen), von locustae (Mor. XXXI 25,45, 1582,lff. Adriaen), von mons (Mor. XXXIII 1,2, 1670, lff. Adriaen), von equus (Mor. XXXI 24,43, 1579,lff. Adriaen), von gladius (Mor. XXXIV 8,17, 1744,lff. Adriaen) und von sol (Mor. XXXIV 14,25, 1750,lff. Adriaen), um nur eine kleine und vollkommen zufällige Auswahl zu nennen. 47

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Ep. ad Leand. 2 (4,94-96 Adriaen): ... ethunc rectum loquendi ordinem deputet, si cum opportunitas aedificationis exigit, ab eo se, quod loqui coeperat, utiliter deriuet, vgl. auch KESSLER, Gregor der Große, 193 und DERS., Gregor der Große und seine Theorie der Exegese, 695. 49 Ep. ad Leand. 2 (4,97-105 Adriaen). Vgl. auch H.-J. SPITZ, Die Metaphorik des geistigen Schriftsinns. Ein Beitrag zur allegorischen Bibelauslegung des ersten christlichen Jahrtausends, Münstersche Mittelalter - Schriften 12, München 1972, 125 Anm.14.

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aber auch die allegorisch-moralische Bedeutung allein bieten will 50 . Für einige Passagen kommen schließlich alle drei genannten Modi in Betracht 51 . In diesem Fall gleichen dann die histórica dem Fundament eines Gebäudes, auf dem mit der Deutung der Typen das eigentliche Gefüge ruht, das den Glauben ausmacht, während die moralische Auslegung dem Bauwerk schließlich seinen Schmuck durch Farbe und Anstrich verleiht52. Dieses Bild von der Errichtung eines Gebäudes macht noch einmal sehr deutlich, was die Interpretation der Schrift in ihrer dreifachen Weise nach Gregors Ansicht leisten soll: jegliche Auslegung der biblischen Schriften ist keineswegs Selbstzweck, sondern ganz und gar auf die aedificatio des jeweiligen Publikums ausgerichtet 53 . Oder mit Gregors eigenen Worten ausgedrückt: Vel certe quid ueritas dicta nisi reficiendae mentís alimenta credenda sunt54? Mit seiner expliziten Betonung der Erbauung und des Nutzens der Schriftinterpretation für den Leser stand Gregor keineswegs allein, sondern in einer langen Tradition christlicher Exegeten. Bereits für Orígenes war die Frage nach dem Nutzen von allergrößter Bedeutung 55 und wurde seither immer wieder als das Hauptziel der Schriftauslegung genannt56. 4.2.2. Kriterien für die wörtliche oder die übertragene Deutung des Textes Weswegen Gregor die histórica so häufig übergeht und nicht eigens interpretiert, macht er im folgenden mit Beispielen aus dem Buch Hiob selbst deutlich. Manchmal sind sie schlicht evident und bedürfen deshalb keines Kommentars. Man kann sie getrost vernachlässigen, um schneller zum Dunklen

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Ep. ad Leand. 3 (4,106ff. Adriaen); zu diesem „Methodenwechsel" vgl. auch KESSLER, Gregor der Große und seine Theorie der Exegese, 694ff.; MARKUS, Gregory the Great, 45ff. 51 Ep. ad Leand. 3 (4,106-110 Adriaen). 52 Ep. ad Leand. 3 (4,110-114 Adriaen). Vgl. auch SPITZ, Metaphorik, 209; KESSLER, Gregory the Great, 141; SCHREINER, Where shall Wisdom be found?, 325f. 53 in den Ep. ad Leand. 2 (3,92-4,105 Adriaen). Die Bedeutung der aedificatio Moralia in Job heben auch SMALLEY, Study, 34; KESSLER, Gregor der Große, 193; M. DOUCET, L'ordo expositionis dans les Moralia de Saint Grégoire le Grand, BLE 101, 2001, 99-120, hier 108ff.; MICHEL, Wo das Lamm watet, 77; J. P. CAVALLERO, La técnica didáctica de San Gregorio Magno en los Moralia in Job, Helmantica 41, 1990, 129-188, hier 138 hervor. 54 Ep. ad Leand. 3 (4,114f. Adriaen). Die französische Übersetzung SC 32 b,s , 125 gibt den Text etwas ungenau mit: aliments pour fortifier nos âmes" wieder. 55

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V g l . NEUSCHÄFER, O r í g e n e s I, 2 5 9 - 2 6 3 .

Vgl. dazu B. STUDER, . Zu einem Schlüsselwort der patristischen Exegese, in: Institutum Patristicum Augustinianum (Hg.): Mémorial J. Gribomont, SEA 27, Rom 1988, 555-581, hier 563.

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und Schwierigen vorzudringen57. Doch ist das keineswegs der einzige Grund, den Gregor an dieser Stelle anführt. Bisweilen muß man sie auch deshalb vermeiden, weil sie den Leser gerade nicht unterrichten, sondern nur verwirren58. So könne man sich beispielsweise bei oberflächlicher Betrachtung fragen, ob mit Hiob 9,13: sub quo curuantur quiportant orbem der die Welt tragende Riese Atlas gemeint sei. Ein solches Verständnis dieses Textes lehnt Gregor jedoch strikt ab; die biblische Hioberzählung habe rein gar nichts mit den „eitlen Fabeln der Poeten" zu tun59. Manchmal widersprechen sich die uerba historiae60 und geben damit schon von sich aus zu erkennen, daß in ihnen ein tieferer Sinn verborgen liegen muß, den es mittels der allegorischen Interpretation zu entdecken gilt61 Damit ist hinreichend begründet, warum er der Auslegung des Wortlautes nicht das gleiche Gewicht wie den beiden anderen Modi der contemplatio und der moralitas beimessen will 62 . Doch Gregor fragt in seinem Widmungsbrief an Leander nicht nur danach, wann es geboten ist, einen Text im übertragenen Sinne zu verstehen, sondern er macht umgekehrt auch deutlich, wann die Grenzen einer allegorischen Ausdeutung erreicht sind63: Aliquando autem qui uerba accipere historiae iuxta litteram neglegit, oblatum sibi ueritatis lumen abscondit, cumque laboriose inuenire in eis aliquid intrinsecus appetit, hoc quod foris sine difficultate assequi poterat, amittit64. Als Beispiel dafür, daß eine übertragene Auslegung den Sinn des Textes nicht erhellt, sondern vielmehr unzulässigerweise verdunkelt, führt Gregor 57

Ep. ad Leand. 3 (4,119f. Adriaen). Ep. ad Leand. 3 (4,120-122 Adriaen). 59 Ep. ad Leand. 3 (4,123-126 Adriaen) In ähnlicher Weise weist Gregor Mor. IX 11,12 (464,2f. Adriaen) den Gedanken zurück, daß die Schrift Hesiod, Aratus und Callimachus folgen könnte, die von Quintilian Inst. orat. 10,1 wegen ihres guten Stils gelobt wurden. 60 Ep. ad Leand. 3 (5,130ff. Adriaen); vgl. auch CAZIER, Lectures, 98. 61 Vgl. dazu auch: J. PÉPIN, A propos de l'histoire de l'exégèse allégorique: l'absurdité, signe de l'allegorie, Studia Patristica 1, Berlin 1957, 395-413 und DERS., La tradition, 70ff.; MICHEL, Wo das Lamm watet, 80. 62 Ep. ad Leand. 2 (3,91f. Adriaen): ... paulo diutius contemplationis latitudini ac moralitatis insudo. Den Literalsinn versteht Gregor häufig lediglich als Grundlage für die Entfaltung des allegorisch-moralischen Schriftsinnes, vgl. auch KESSLER, Gregor der Große und seine Theorie der Exegese, 697f. In den ersten drei Büchern handelt Gregor noch nacheinander zunächst den Wortsinn, dann den allegorischen und schließlich den moralischen Sinn ab, bevor er dieses schwerfällige Verfahren schließlich wieder aufgibt, vgl. auch TOBLER, Gregors ,Moralia in Job', 161f. 63 Gregor macht sich hier offenbar Augustin De doctr. christ. III 24,34 (164-166 Green) zu eigen, wonach der Exeget sehr sorgfältig unterscheiden muß, ob im Text locutio propria oder locutio figurata vorliegt; er darf weder einen wörtlich gemeinten Text übertragen verstehen (III 10,14 146-148 Green), noch einen übertragen gemeinten Text wörtlich interpretieren (III 5,9 140 Green). 64 Ep. ad Leand. 4 (5,163-6,166 Adriaen). 58

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mit Hiob 31,16-20 einen Beleg an, der eine eindeutige der misericordia angemessene Handlungsanweisung besitzt, die deshalb keiner zusätzlich allegorisch-moralischen Interpretation bedarf, weil sie diese Anweisung am Ende sogar zunichte machen könnte 65 . Diese Aussage darf man jedoch nicht aus ihrem unmittelbaren Kontext herauslösen und als ein „Plädoyer für den historisch-buchstäblichen Sinn der Schrift" verstehen 66 . Vielmehr macht diese Abgrenzung gegen eine in seinen Augen unsachgemäße Verwendung der allegorischen Interpretation einmal mehr deutlich, daß Gregor das Kriterium, ob eine Schriftstelle im wörtlichen oder im übertragenen Sinn zu verstehen ist, gerade nicht aus dem Text selbst gewinnt. Die Grenze einer allegorischen Deutung 67 legt nämlich nicht der Text fest, sondern sie ist für Gregor einzig und allein durch die Rezipienten bestimmt und wird erreicht, wenn die Schrift von den einfachen Leuten nicht mehr verstanden wird. Die Schrift muß deshalb immer so gedeutet werden, daß sie einerseits die Massen unterweisen kann, aber zum anderen auch den Geschulteren und nach Höherem Strebenden noch etwas zu bieten hat 68 . Einem Kommentator, der das weiß, gleicht die Schrift einem Fluß, der einerseits so seicht ist, daß ein Lamm darin waten kann, andererseits aber auch so tief ist, daß selbst ein Elefant darin schwimmen kann 69 . Jeden sollen die biblischen Schriften gleichermaßen unterweisen, die einfachen Gläubigen ebenso wie diejenigen, die sich schon in diesem Leben darauf konzentrieren wollen, ein heiliges Leben zu führen 70 . Deshalb betont Gregor am Ende seiner kleinen Abhandlung über den Gebrauch der Modi der Schriftinterpretation noch einmal nachdrücklich, daß jeder Exeget, der den Sinn und Gehalt der heiligen Schrift finden und erfassen will, die Vorgehensweise innerhalb seines Kommentars wechseln muß. Um den res der biblischen Schriften auf die Spur zu kommen und sie den Lesern zu verdeutlichen, muß er die species seiner Auslegung um ihretwillen bisweilen abwandeln 71 . 65

Ep. ad Leand. 4 (6,166-173 Adriaen). Gregor betont hier: Quae uidelicet si ad allegoriae sensum uiolenter inflectimus, cuncta eius misericordiae facta uacuamus. 66 So KESSLER, Gregor der Große und seine Theorie der Exegese, 697; ähnlich auch MARKUS, Gregory the Great, 45; FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 40. 67 Vgl. auch MICHEL, WO das L a m m watet, 81. 68 Ep. ad Leand. 4 (6,175-177 Adriaen): Habet in publico unde paruulos nutriat, seruat in secreto unde mentes sublimium in admiratione suspendat. 69 Ep. ad Leand. 4 (6,177f. Adriaen); vgl. auch KESSLER, G r e g o r der G r o ß e und seine Theorie der Exegese, 698; MICHEL, Wo das L a m m watet, 81. 70 Vgl. REVENTLOW, Epochen II, 113. Vgl. auch M. BANNIARD, Iuxta uniuscuiusque qualitatem. L ' É c r i t u r e médiatrice chez Grégoire le Grand, in: G r é g o i r e le Grand, 4 7 7 487. 71 Ep. ad Leand. 4 (6,179-182 Adriaen): Vt ergo uniuscuiusque loci opportunitas postulat, ita se per Studium ordo expositionis immutai, quatenus tanto uerius sensum diuinae locutionis inueniat, quanto ut res quaeque exegerit, per causarum species alternat.

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Doch bevor er sich der Frage nach den res im eigentlichen Sinne zuwendet, die in der ausführlichen Praefatio thematisiert wird, kommt Gregor zum Abschluß aber noch auf sein Verhältnis zur grammatischen Exegese zu sprechen.

4.3. Die Absage an die ars grammatica Wie es sich für einen Widmungsbrief gehört, thematisiert Gregor in diesem 72

letzten Abschnitt die Fehler und Unzulänglichkeiten seines Werkes , die er in erster Linie seiner langjährigen chronischen Krankheit anlastet 73 . Dennoch benutzt er die Tatsache, daß er während der Abfassung der Moralia in Job fast ständig krank war, nicht dazu, sich gegenüber seinen Lesern zu entschuldigen, vielmehr betrachtet er es geradezu als das Wirken der göttlichen Fügung, daß er als ein Geschlagener das Buch Hiob, das von einem Geschlagenen handelt, auszulegen hat74. Mit dieser unerwarteten Wendung innerhalb des klassischen „Entschuldigungstopos" 75 bereitet er den Leser nicht nur auf das in seinem Kommentar so wichtige Thema der diuina dispensatio vor, die auch die flagella keineswegs ausspart, sondern macht zudem darauf aufmerksam, daß ihn diese Erfahrung die Schrift mit anderen Augen lesen und seinem Publikum nahebringen läßt76. Dem an Leib und Seele eingeschränkten Menschen erscheint nunmehr alles, was eigentlich auf äußerliche Weise dienen sollte, samt eines jeglichen Instrumentariums zur Ausübung einer ars, untauglich geworden zu sein, um den Menschen nach innen zu führen 77 . Das heißt, daß die überlieferten Auslegungsregeln der ars grammatica nach seinem Verständnis keine geeigneten 72

Vgl. dazu auch G. SIMON, Untersuchungen zur Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, Archiv für Diplomat i e Schriftgeschichte, Siegel und Wappenkunde 4, 1958, 5 2 - 1 1 9 , hier 8 7 f f . , und zu Gregor besonders 105; P. RlCHÉ, Éducation et culture dans l'occident barbare IVe - V i l l e siècles, Paris "1995, 126; KESSLER, Gregor der Große, 145ff.; DERS., Gregor der Große und seine Theorie der Exegese, 698; F. WEISSENGRUBER, ZU Gregors des Großen Verhalten gegenüber der antiken Profanbildung, in: Gregorio Magno e il suo tempo II, 106119, hier 107. 73 Ep. ad Leand. 5 (6,187ff. Adriaen). KESSLER, Gregor der Große, 146 empfindet diese Sätze als „affektierte Bescheidenheit". 74 Ep. ad Leand. 5 ( 6 , 1 9 5 - 1 9 7 Adriaen): Et fartasse hoc diuinae prouidentiae consilium fuit, ut percussum lob percussus exponerem, et flagellati mentem melius per flagella sentirem. Vgl. dazu auch MARKUS, Gregory the Great, 19. 75 Vgl. KESSLER, Gregor der Große, 145. 76 Ep. ad Leand. 5 ( 6 , 1 9 2 - 1 9 5 Adriaen) 77 Ep. ad Leand. 5 ( 6 , 1 9 8 - 7 , 2 0 9 Adriaen), vgl. dazu auch MARKUS, Gregory the Great, 36.

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Mittel zur Verfügung stellen können, die Schrift in ihrer ganzen Tiefe und gleichsam existentiellen Bedeutung auszuloten. Mit ihrer Hilfe gelangt man nur an das Äußere eines Textes und produziert lediglich uerborum folia78. Eine Vielzahl solcher .Blätter' bringe jedoch mehr Versprechungen als echte Früchte hervor79 und ende in .fruchtloser Geschwätzigkeit' 80 . Folglich möchte Gregor den Maßstab solcher artes keinesfalls an seine Auslegung des Hiobbuches angelegt wissen: Unde et ipsam loquendi artem, quam magisteria disciplinae exterioris insinuant, seruare despexi. Nam sicut huius quoque epistolae tenor enutiat, non metacismi collisionem fugio, non barbarismi confusionem deuito, situs modosque et praepositionum casus seruare contemno, quia indignum uehementer existimo, ut uerba caelestis oraculi restringam sub regulis Donati81. Man hat diese knappen Sätze häufig aus ihrem unmittelbaren Kontext des Widmungsbriefes an Leander herausgelöst82 und als Beleg für die grundsätzliche Ablehnung der grammatica durch frühmittelalterliche Autoren wie Gregor gewertet83. Inzwischen ist jedoch deutlich geworden, daß auch ein Werk wie die Moralia in Job nicht ohne die seinerzeit gebräuchlichen Methoden und Normen der spätantiken grammatica auskommen konnte oder wollte 84 . Schon in den letzten Zeilen seines Widmungsbriefes gibt Gregor, ganz wie ein spätantiker grammaticus, die von ihm verwendeten Übersetzungen des Textes an85, und er unterrichtet seine Leser in der folgenden Praefatio über 78

Ep. ad Leand. 5 (6,209-211 Adriaen); vgl. dazu auch I R V I N E , Making, 193. Die gleiche Formulierung kehrt im Rahmen der den Kommentar abschließenden Selbstbezichtigung wieder, in der Gregor zugibt: Nam ad me intrinsecus rediens, postpositis uerborum foliis, postpositis sententiarum ramis, dum ipsam subtiliter radicem meae intentionis inspicio, Deo quidem ex ea me summopere placere uoluisse cognosco. (Mor. XXXV 20,49 1810,91-94 Adriaen) 79

Ep. ad Leand. 5 (7,213-215 Adriaen): Et cunctiprocul dubio scimus quia, quotiens in foliis male laetae segetis culmi proficiunt, minori plenitudine spicarum grana turgescunt. Gregor spielt hier mit dem Begriff folia, der einerseits Blätter von Pflanzen, andererseits aber auch Buchblätter meinen kann; vgl. dazu auch S P I T Z , Metaphorik, 98. 80 Ol Ep. ad Leand. 5 (7,209-213 Adriaen) Ep. ad Leand. 5 (7,215-222 Adriaen); W E I S S E N G R U B E R , Z U Gregors des Großen Verhalten, 107. 82 Vgl. auch K E S S L E R , Gregor der Große, 147. 83 Vgl. K E S S L E R , Gregor der Große und seine Theorie der Exegese, 6 9 9 . 84 Vgl. auch K E S S L E R , Gregor der Große, 145ff.; L. P L E T R I / C . F R A I S S E - C O U É , Gregor der Große, 895f. F . G A S T A L D E L L I , Teologia e retorica in San Gregorio Magno. II ritratto nei ,Moralia in Job', Salesianum 29, 1967, 269-299; V. P A R O N E T T O , Gregorio Magno e la cultura classica, Studium 74, 1978, 665-680. J E N A L , Italia Ascetica II, 664ff. Daß sich Gregor als ein geschulter Mensch des sechsten Jahrhunderts nicht außerhalb der gängigen Normen der Textinterpretation stellen konnte, hebt zudem I R V I N E , Making, 194 hervor: „To escape Donatan or late imperial latinitas, Gregory would have had to stop writing". 85 Ep. ad Leand. 5 ( 7 , 2 2 5 - 2 2 9 Adriaen); vgl. dazu auch P. S A L M O N , Le texte de Job utilisé par saint Grégoire dans les Moralia, in: A. Metzinger (Hg.): Miscellanea biblica et

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Autor, Inhalt und Skopus des von ihm kommentierten biblischen Buches 86 . Er bleibt auch in der sich daran anschließenden Durchführung seiner Auslegung zum Buch Hiob in den Grundzügen der Interpretationstechnik des seit der römischen Kaiserzeit üblichen Grammatikunterrichtes mit den idealtypischen Arbeitsschritten von lectio, emendatio, explanatio und iudicium verpflichtet, auch wenn er wie andere spätantike Kommentatoren kaum sämtliche Schritte vollzog und sich nicht immer an die genannte Reihenfolge hielt87. Das Schwergewicht der grammatisch-rhetorischen Exegese liegt in Gregors Moralia zum einen auf der emendatio, wobei es ihm vor allem darum zu tun ist, die verschiedenen Übersetzungen des Buches Hiob miteinander zu vergleichen, um diejenige herauszufinden, die für seinen Zweck am besten geeignet erscheint88. Doch Gregor kann neben der Übersetzung des Hieronymus, die er im allgemeinen bevorzugt, sowohl die „alte Übersetzung" 89 als auch die Septuaginta 90 heranziehen, um den Sinn des Textes aufzuhellen. Doch häufig machen Divergenzen in den Übersetzungen für ihn kaum einen Unterschied, da er der Auffassung ist, daß sich die verschiedenen Worte zwar im Äußeren unterscheiden, ihre tiefere Bedeutung jedoch davon nicht berührt wird91. Zum anderen legt Gregor großen Wert auf die explanatio des Textes,

orientalia R. P. Athanasio Miller O.S.B, oblata, Studia Anselmiana 27-28, Rom 1951, 187-194. 86 Praef. 1 ( 8 , 1 f f . Adriaen), vgl. insgesamt auch H. DE L U B A C , S a i n t Grégoire et la grammaire, RSR 48, 1960, 185-226; sowie D A G E N S , Grégoire le Grand, 31ff. 87 Vgl. dazu SCHÄUBLIN, Zur paganen Prägung, 171; NEUSCHÄFER, Origenes I, 35; GEERLINGS, Die lateinisch-patristischen Kommentare, 7ff. am Beispiel der Enarrationes in Psalmos des Augustin. 88 M. DOUCET, Modernité de Grégoire le Grand: son travail de vérification des documents, BLE 97, 1996, 119-135, hier 132 versteht dieses Vorgehen als die Suche des Exegeten nach dem zuverlässigsten Text. Gregor geht es jedoch eher um die Suche nach einem Text, der seinem Auslegungsinteresse entgegenkommt. 89 So deutet er beispielsweise in Mor. IV 9,14f. (172,lff. Adriaen) den Vers Hiob 3,8 zunächst nach der „alten Übersetzung" und anschließend nach der Vulgata. Vgl. auch Mor. V 11,20 (232,87 Adriaen); Mor. VIII 6,8 (385,lff. Adriaen); Mor. IX 34,53 (494,33ff. Adriaen); Mor. XX 32,62 (1048,lff. Adriaen). 90 Das Rhinozeros von Hiob 39,9 interpretiert er in Mor. XXXI 15,29 (1571,74ff. Adriaen) nach der Septuaginta als monoceros. Vgl. auch Mor. V 20,40 (35ff. Adriaen); Mor. XVIII 35,55 (922,lff. Adriaen); Mor. XXX 21,66 (1535,5ff. Adriaen). 91 Vgl. z.B. Mor. VIII 6,8 (385,1-5 Adriaen) als Auslegung zu Hiob 7,1: Militia est uita hominis super terram. Hoc in loco translatione ueteri nequaquam militia uita hominis, sed temptatio uocatur. Sed si utriusque uerbi sensus aspicitur, diuersum quidem est quod exterius resonat, sed unum eumdemque concorditer intellectum format. Einige Abschnitte weiter, in Mor. VIII 6,11 (388,108ff. Adriaen) macht Gregor dann deutlich, daß die Übersetzung mit militia als die weiterreichende in diesem Zusammenhang letztlich doch besser geeignet sei. Vgl. auch Mor. XX 10,21 (1019,9ff. Adriaen).

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i n s b e s o n d e r e auf ausführliche Wort- und Sacherläuterungen 9 2 , d i e die etym o l o g i s c h e Deutung einzelner im B u c h Hiob erwähnten B e g r i f f e 9 3 , Personen, S t ä m m e , V ö l k e r und Länder 9 4 e b e n s o w i e die E i g e n s c h a f t e n v o n Tieren 9 5 , Pflanzen 9 6 und E d e l s t e i n e n 9 7 , K e n n t n i s über d i e Gestirne 9 8 , S o n n e u n d Mond 9 9 , E i g e n s c h a f t e n c h e m i s c h e r Stoffe 1 0 0 , Musikinstrumente 1 0 1 , Zahlen 1 0 2 und v i e l e s andere m e h r u m f a s s e n 1 0 3 und n o t w e n d i g sind, u m den Sinn des T e x t e s verstehen zu können. Im Sinne eines iudicium dürfte Gregor wahrscheinlich die aedificatio, die N u t z a n w e n d u n g für den Leser, verstanden haben. D e s h a l b kann e s Gregor z u m A b s c h l u ß des W i d m u n g s b r i e f e s k e i n e s w e g s darum g e h e n , die spätantike Tradition der T e x t a n e i g n u n g in B a u s c h und

92 Vgl. zur Bedeutung der Wort- und Sacherläuterungen in der spätantiken Grammatik auch NEUSCHÄFER, Origenes I, 139f. 93 Vgl. z.B. Mor. IX 16,25 (475,95ff. Adriaen): Vnde et terrae princeps non incongrue graeco eloquio ßaoiÄeu5- dicitur. Aaèç enim populus interpretatur; ßaoiXebs igitur ßaais Àctoû uocatur, quod latina uidelicet lingua basis populi dicitur... 94 Vgl. I. OPELT, Etimologie ebraiche nei Moralia di Gregorio Magno, in: Gregorio Magno e il suo tempo II, 149-159; G. J. M. BARTELINK, Etymologisierung bei Gregor dem Großen, Glotta 63, 1984, 91-105, vgl. insgesamt auch M. E. AMSLER, Etymology and grammatical discourse in late antiquity and the early Middle Ages, Amsterdam Studies in the theory and history of linguistic science 44, Amsterdam/Philadelphia 1989. 95 Vgl. z.B. die Auslegung über den Adler in Mor. IX 32,48 (489,lff. Adriaen); die Schlange in Mor. XV 15,19 (759,lff. Adriaen); den Fuchs in Mor. XIX 1,2 CCSL 143A (956,11 ff. Adriaen); den Vogel Strauß in Mor. XXXI 8 , l l f f . (1557,lff. Adriaen); das Rhinozeros in Mor. XXXI 2.2ff. (1549,lff. Adriaen); der Hirschkuh in Mor. XXX 10,36 (1515,lff. Adriaen). Vgl. zur Deutung der Tiere bei Gregor insgesamt auch R.-J. HESBERT, Le Bestiaire de Grégoire, in: Grégoire le Grand, 455-466. 96 Vgl. etwa Mor. XII 53,60 (664,lff. Adriaen) die ausführliche Abhandlung über die Olive und den Wein; Mor. XIX 27,48f. (994,22ff. Adriaen) über die Palme; Mor. XX 10,21 (1019,lff. Adriaen) über den Wacholder. 97 Vgl. z.B. Mor. XVIII 47,75 (939,lff. Adriaen) Onyx und Saphir; Mor. XVIII 52,84 (947,14ff. Adriaen) Topas. 98 Vgl. z.B. Mor. IX 11,12 (464,lff. Adriaen); Mor. XXIX 31,67ff. (1481,lff. Adriaen). 99 Vgl. z..B. Mor. XXII 7,14 (1102,lff. Adriaen). 100 Vgl. z.B. die kurze Erklärung des Schwefels in Mor. XIV 19,23 (711,1-3 Adriaen). 101 Vgl. Mor. XX 41,78 (1061,lff. Adriaen). 102 Vgl. z.B. Mor. XXXV 8,15 (1783,83ff. Adriaen) zur Deutung der Zahl sieben. Vgl. auch G. CREMASCOLI, Le symbolisme des nombres dans les oeuvres de Grégoire le Grand, in: Grégoire le Grand, 445-454. 103 Z.B. in Mor. XV 40,71 (795,lff. Adriaen) hat Gregor gemäß Hiob 21,33 den Cocytus, den Fluß der Unterwelt, auszulegen. Diese Deutung lehnt er jedoch ab und erklärt cocytus statt dessen mit Bezug auf das Griechische als die Trauer von Schwachen.

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Kapitel

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Bogen zu verurteilen104, vielmehr nutzt er diese hervorgehobene Stelle105, um sich in zugespitzter Polemik gegenüber einer für seinen Geschmack zu stark an die säkulare Textkultur angelehnten Interpretation der biblischen Schriften abgrenzen106. Gemäß dem alten Topos: non uerba sed res, mit dem sich schon die Philosophen von den Rhetoren abgegrenzt hatten107, konnte Gregor sich damit auch auf sein Vorbild Augustin berufen, der erklärt hatte, er sei bei der Auslegung der Bibel durchaus bereit, einen Barbarismus statt eines Ausdrucks der klassischen Latinität hinzunehmen, wenn dieser zum Verständnis des Textes beitrage108. Für Augustin kämpfen die Grammatiker zwar gegen den Barbarismus, doch bleiben ihre Ausführungen für die Auslegung der Schrift letztlich ungeeignet 109 und einem Kommentator der Schrift stünde es besser an, von den Grammatikern kritisiert als vom Volk nicht mehr verstanden zu werden110. In den Confessiones blickt Augustin auf seine rhetorischen Studien zurück und bekennt, daß er zu dieser Zeit nicht zu Gott gelangen konnte, weil ihm der Blick auf äußerliche Dinge wie Barbarismen und andere sprachliche Fehler den Zugang zur Schrift versperrt habe 111 . Als christlicher Schriftkommentator interessiert sich der ehemalige Rhetoriklehrer stärker für die res der Bibel als für ihre uerba, ihm sind nunmehr ihre Inhalte und der in ihnen enthaltene göttliche Heilsplan wichtiger als deren sprachlicher Ausdruck 112 . In diese Traditionslinie stellt sich offenbar auch Gregor113, dessen Formulierungen zudem nahelegen, daß er sich speziell gegen seinen etwas älteren

104 v g l . auch DE LUBAC, E x é g è s e médiévale 11,1, 54. Zu dem altkirchlich-apologetischen T o p o s der Ablehnung heidnischer Rhetorik und Grammatik vgl. auch M. L. W. LAISTNER, The Christian Attitude to Pagan Literature, History 20, 1935, 4 9 - 5 4 . 105 Vgl. KESSLER, Gregor der Große, 146; JENAL, Italia Ascetica II, 6 7 0 f f . L. HOLTZ, Le contexte grammatical du défi à la grammaire. Grégoire et Cassiodore, in: Grégoire le

Grand, 5 3 1 - 5 4 0 , hier 532: le dédicataire joue le rôle de médiateur entre l'auteur et la foule anonyme des lecteurs". 106 IRVINE, Making, 1 9 1 f f . betont mit Recht die polemische Stoßrichtung am Ende des Widmungsbriefes. 107

Vgl. dazu auch STUDER, Delectare, 564. D e doctr. christ. III 3,7 (138 Green). 109 En. in Ps. 3 6 , 6 (CChr.SL 38, 371 Dekkers/Fraipont). 110 En. in Ps. 1 3 8 , 2 0 (CChr.SL 40, 2 0 0 4 Dekkers/Fraipont): Melius est reprehendant nos grammatici quam non intellegantpopuli. vgl. dazu auch KESSLER, Gregor der Große, 150. 108

111 Conf. I 18,28 (15,1-6 Verheijen): Quid autem mirum, quod in uanitates ita ferebar et ad te, deus meus, ibam foras, quando mihi imitandi proponebantur homines qui aliqua facta sua non mala si cum barbarismo aut soloecismo enuntiarent, reprehensi confundebantur, si autem libidines suas integris et rite consequentibus uerbis copiose ornateque narrarent, laudati gloriabantur? 112

Vgl. STUDER, Delectare, 572f. zu Augustin. Vgl. auch JENAL, Italia Ascetica II, 6 7 4 : „es liegt auf der Hand, daß es sich hierbei um das augustinische Konzept handelt". 113

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Z e i t g e n o s s e n C a s s i o d o r wendet 1 1 4 , der s e i n e n M ö n c h e n die säkulare B i l dungstradition unter ausdrücklicher Berufung auf A u g u s t i n 1 1 5 als Vorbereitung für das Verständnis der biblischen T e x t e nahelegte 1 1 6 . Zwar warnt auch Cassiodor vor der A n w e n d u n g einer Reihe v o n grammatischen R e g e l n auf die Schrift 1 1 7 , w a s auch für den M e t a c i s m u s und den hiatus uocalium gilt 1 1 8 , den Gregor getreu nach Donatus als collisio bezeichnet 1 1 9 . D o c h w e n n Cassiodor eine Korrektur der Handschriften für den Fall empfiehlt, daß nach Präpositionen, die s o w o h l mit Akkusativ oder Ablativ stehen können, nicht der richtige K a s u s folgt 1 2 0 , dann kann sich Gregor v o n s o l c h e n B e s t r e b u n g e n nur ausdrücklich distanzieren 1 2 1 . A b s c h l i e ß e n d fügt er hinzu, daß es unwürdig sei, die Worte der h i m m l i s c h e n W e i s s a g u n g unter die R e g e l n des Donatus zu f e s seln 1 2 2 , und behauptet darüber hinaus, daß sich kein Übersetzer der h e i l i g e n

114 Zu Cassiodors Programm vgl. auch R. SCHLIEßEN, Christliche Theologie und Philologie in der Spätantike. Die schulwissenschaftlichen Methoden der Psalmenexegese Cassiodors, AKG 46, Berlin 1974; F. TRONCARELLI, L'ordo generis Cassiodororum e il programma pedagogico delle Institutiones, REAug 35, 1989, 129-134; F. WEISSENGRUBER, Cassiodors Stellung innerhalb der monastischen Profanbildung des Abendlandes, WSt 80, 1967, 202-250, hier 208ff.; RLCHÉ, Éducation, 132ff.; IRVINE, Making, 195ff. Direkte Ubereinstimmungen zwischen Gregor und Cassiodor hat zuerst J. FONTAINE, Isidore de Séville et la culture classique dans l'Espagne wisigothique, Paris 1959, 33-36 festgestellt. 115 Vgl. auch JENAL, Italia Ascetica II, 655-658. 116 HOLTZ, Le contexte, 536 vermutet mit Bezug auf den durch Ep. VIII, 32 (33f. Hartmann) bezeugten Kontakt mit den Mönchen aus Vivarium, daß Gregor die Institutiones Cassiodors gelesen hat. RlCHÉ, Éducation, 129 und U. PIZZANI, S. Gregorio e le arti liberale, in: Gregorio Magno e il suo tempo II, 121-136, hier 126ff. halten das jedoch für unwahrscheinlich. 117 Cass. Inst. I 15,7 (198 Bürsgens): Regulas igitur elocutionem Latinorum, id est quadrigam Messii, omnimodis non sequaris ...

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Cass. Inst. I 15,7 (198 Bürsgens): meotacismos et hiatus uocalium omnino derelinque, quoniam hoc locum habere non possunt quae doctores litterarum liberalium regulariter custodire noscunt. Auf die deutliche Parallele zwischen Gregor und Cassiodor an dieser Stelle machen auch FONTAINE, Isidore de Séville, 35; RlCHÉ, Éducation, 128f.; HOLTZ, Le contexte, 533f. und ihm folgend MARKUS, Gregory the Great, 36 aufmerksam. Kritisch äußert sich dagegen PIZZANI, S. Gregorio, 126ff. 119 Donatus Ars Grammatica III 1, 654,13 (392,27 Keil). 120 Cass. Inst. I 15,9 (200 Bürsgens). In uerbis quae accusatiuis et ablatiuis praepositionibus seruiunt, situm motumque diligenter obserua ...; vgl. auch RlCHÉ, Education, 129; HOLTZ, Le contexte, 534 und P. CAZIER, Analogies entre l'encylopédie chrétienne et l'enseignement du grammaticus: l'exemple de l'Angelologie, in: Grégoire le Grand, 419-428, hier 420. 121 Ep. ad Leand. 5 (7,219f. Adriaen): situs modosque et praepositionum casus seruare contemno ... 122 Ep. ad Leand. 5 (7,220-222 Adriaen).

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Schrift an diese Regeln gehalten habe, weshalb deren Verwendung auch dem Kommentator nicht anstünden123. Damit stellt Gregor unmißverständlich klar, daß ihn nicht allein Fragen nach eventuellen Textkorrekturen von Cassiodor trennen, sondern daß seine Schriftauslegung mehr als nur auf eine grammatisch-rhetorische Deutung abzielt124 wie das bei Cassiodor der Fall war, der ja gerade die ars grammatica des Donatus sehr geschätzt und seinen Mönchen des öfteren zur Lektüre empfohlen hat125. Denn während sich Cassiodor vornehmlich für die historia des Textes interessierte und sie in erster Linie als ein „exercice littéraire" 126 zur Schulung seiner Mönche betrachtete, geht es Gregor bei der Auslegung des Buches Hiob vor allem um die Unterweisung eines Publikums, das sich von einem vertieften Verständnis der im Text enthaltenen res zugleich auch Orientierung in den vielfachen Bedrängnissen der gegenwärtigen Welt erhofft. Cassiodors Schulung der Mönche in grammatischen Methoden zur Schriftinterpretation muß Gregor deshalb wie eine unzulässige Säkularisierung der Schrift und der ihr angemessenen Auslegung vorgekommen sein, die ihr ihren Charakter als unmittelbare Wegweisung für die Gläubigen durch das inspirierte göttliche Wort nimmt 127 . Gregor sieht offenbar Grund genug, dem kundigen Leser am Schluß seines Widmungsbriefes zu erklären, daß seine Vorstellung vom richtigen Verständnis der Schrift nicht dem Ideal des Cassiodor und seiner Anhänger 128 entspricht129, weswegen er sich hiervon ausdrücklich und in aller Deutlichkeit abgrenzt130.

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Ep. ad Leand. 5 (7,222-225 Adriaen). 124 Yg] z u (j e n Unterschieden zwischen Gregor und Cassiodor auch KESSLER, Gregor der Große, 148; PlZZANI, S. Gregorio, 135f. 125 Cass. Inst. I 15,12 (206 Bürsgens): ... Donatum lege, qui te possit de hac re breui compendio diligenter instruere. Vgl. auch Inst. II 1,1 (302 Bürsgens): ... nobis tarnen placet in medium Donatum deducere, qui et pueris specialiter aptus et tyronibus probatur accomodus; cuius gemina commenta reliquimus, ut supra quod ipse planus est, fiat clarior dupliciter explanatus. 126 So RlCHÉ, Éducation, 139. 127 Vgl. KESSLER, Gregor der Große, 148. 128 Daß sich Gregor insbesondere mit den Anhängern des Cassiodor auseinandersetzt, vermutet J. FONTAINE, Les relations culturelles, 23f. 129 Vgl. auch HOLTZ, Le contexte, 536f., der vermutet, daß die Nachricht vom Tode Cassiodors die in Konstantinopel weilenden Freunde Gregor und Leander dazu veranlaßt haben könnte, sich von Cassiodor zu distanzieren. MARKUS, Gregory the Great, 36f. vermutet hingegen, daß Gregor mit Leander übereingekommen sei, Leanders Bruder Isidor vor einer zu intensiven Beschäftigung mit der ars grammatica zu warnen. 130 Vgl. auch J. FONTAINE, Deux colloques: sur Grégoire le Grand et sur la culture antique tardive, REAug 28, 1982, 385-397, hier 388.

Kapitel 5

Die Praefatio zu den Moralia in Job 5.1. Autor und Inhalt des Buches Hiob Bevor Gregor mit seiner Auslegung des Hiobbuches im eigentlichen Sinn beginnt, gibt er den Lesern zunächst einen kurzen Überblick über Verfasser, Inhalt und Skopus des gesamten Werkes1. Welche Fragen ein Prolog zu einem exegetischen Kommentar abhandeln mußte, war durch die Schultradition weitgehend festgelegt und stand keineswegs im Belieben eines jeden Kommentators2. Gregor behandelt diese jedoch mit einer gewissen Freiheit, schließlich will er ja seine Auslegung nicht den Regeln des Donatus unterwerfen, und kommt daher lediglich auf die Frage nach dem Verfasser des Buches zu sprechen 3 , faßt im mittleren Teil der Praefatio den Inhalt dieser biblischen Schrift in seinem Nutzen für den Leser zusammen 4 und erörtert anschließend die dort vorkommenden Typen, d. h. die auftretenden Personen in ihrer allegorischen Deutung 5 . Warum er in seiner Praefatio nur diese Themen diskutiert und beispielsweise die Unterteilung des Buches in eine erzählende Rahmenhandlung und dichterische Passagen, worauf insbesondere Hiero-

1

Die

V g l . dazu PÉPIN, Hermeneutik, 7 5 9 ; NEUSCHÄFER, O r i g e n e s I, 6 0 f . ; GEERLINGS, lateinisch-patristischen

Kommentare,

4f.; zu G r e g o r

speziell

vgl.

auch

CAZIER,

Analogies, 420. 2

V g l . dazu SCHÄUBLIN, Untersuchungen, 6 6 f f . ; I. HADOT, Les introductions aux

c o m m e n t a i r e s e x é g é t i q u e s c h e z les auteurs n é o p l a t o n i c i e n s et les auteurs chrétiens, in: M. Tardieu (ed.), L e s règles de l'interprétation. Centre d ' É t u d e s d e s R e l i g i o n s du Livre, Paris 1 9 8 7 , 9 9 - 1 2 2 . 3 Fragen nach d e m V e r f a s s e r oder nach der Echtheit eines W e r k e s w u r d e n

ihm

A b s c h n i t t über das y v f ) a i o v abgehandelt, vgl. dazu SCHÄUBLIN, U n t e r s u c h u n g e n , 6 6 f f . ; HADOT, Introductions, 1 0 2 f f . 4

im

A n dieser Stelle dürfte Gregor s o w o h l die Frage d e s OKOITOS' als auch XPRIOIPOV Auge

haben,

vgl.

dazu

besonders

SCHÄUBLIN,

Untersuchungen,

68ff.;

HADOT,

der

Personen

Introductions, l O l f f . 5

Die

Frage

nach

der

allegorischen

Deutung

auftretenden

war

Bestandteil der n e u p l a t o n i s c h e n Einleitungen zu den p l a t o n i s c h e n D i a l o g e n und w u r d e christlicherseits s c h o n v o n O r i g e n e s in s e i n e m V o r w o r t z u m H o h e l i e d k o m m e n t a r

aus-

führlich erörtert, v g l . dazu auch HADOT, Introductions, 1 0 9 f f . , NEUSCHÄFER, O r i g e n e s I, 77-84.

66

Kapitel 5

nymus hingewiesen hatte6, gänzlich außer acht läßt, liegt insofern auf der Hand, als er das Hiobbuch nicht als ein Stück Literatur betrachten will. In der Praefatio geht es ihm ausschließlich darum, seine eigene Zugehensweise und seine eigenen Methoden im Hinblick auf die Interpretation dieses Textes darzulegen und zu rechtfertigen 7 . Die Frage nach dem Verfasser interessiert ihn offenbar deshalb besonders, weil sich ihm hier die Möglichkeit bietet, seine Theorie der göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift zu entfalten. Die Zusammenfassung des Inhalts des Buches erlaubt ihm die Feststellung seines theologischen Gehalts, und die Frage nach der allegorischen Deutung der im Buch Hiob auftretenden Personen läßt ihn die entscheidenden Weichen für seine eigene typologisch-allegorische Interpretation stellen. 5.1.1. Wer ist der A utor des Buches Hiob ? Erst einmal gilt es für Gregor zu klären, wer dieses ihm so schwierig erscheinende Buch verfaßt hat8. Gregor weiß, daß einige der Auffassung sind, Mose habe dieses Buch geschrieben, während andere behaupten, einer von den Propheten müsse der Autor dieser biblischen Schrift sein 9 . Er kennt die in der Nachschrift zum Text der Septuaginta vertretene Ansicht, wonach mit Hiob der in Gen. 36,33 erwähnte Jobab, ein Nachfahre Esaus, gemeint sein soll, der lange Zeit vor dem Gesetz gelebt habe10. Dazu merkt Gregor spitzfindig an, daß Jobab zwar schon vor der Zeit der Könige gewesen sei, was aber noch nicht unbedingt heißen müsse, daß er deswegen auch schon vor dem Gesetz gelebt habe 11 . Wer nun meint, Mose sei der Verfasser des Buches Hiob, nimmt damit auch an, daß Mose die ihm bekannte Geschichte des Hiob dafür verwendet habe, die Leser nicht nur durch die Gabe des Gesetzes mit Vorschriften zu unterrichten, sondern ihnen zugleich mit der Lebensführung eines Heiden ein Beispiel zu geben 12 . Anderen erscheint es jedoch nicht anders vorstellbar, als daß einer von den Propheten der Verfasser dieses Buches sei, da nur jemand mit einem prophetischen Geist derart geheimnisvolle Worte

6

Diese Frage hat Hieronymus in seiner Praefatio zum Buch Hiob erörtert, vgl. dazu oben unter 3.2.7. 7 Vgl. auch DOUCET, L'ordo expositionis, 111, der die Praefatio mit Recht als „axe du commentaire" bezeichnet. Q

Praef. 1 (8,lf. Adriaen): ... quaeritur, quis libri beati Job scriptor habeatur. Mit dieser Frage beschäftigen sich die ersten drei Kapitel der Praefatio. 9 Praef. 1 (8,2f. Adriaen). Ob das Buch Hiob von Mose oder aber von einem der Propheten stammt, wurde bereits im Judentum diskutiert. Für Mose als Verfasser des Buches sprach man sich beispielsweise bBaba Bathra 14b und 15a aus, während Josephus in Contra Apionem 1,8,39-41 (Niese V, 8,30-9,8) das Buch Hiob zu den prophetischen Schriften rechnet. 10 Hiob 42,17b-17e (LXX). 11 Praef. 1 (8,4-12 Adriaen). 12 Praef. 1 (8,12-17 Adriaen).

Die

67

Praefatio

Gottes hätte vernehmen können 13 . Gregor bricht die begonnene Diskussion, ob nun Mose oder doch einer der Propheten der Verfasser des Buches Hiob sei, an dieser Stelle schon wieder ab. Es erscheint ihm letztlich müßig, nach einem Verfasser zu suchen, da für den Glaubenden der Heilige Geist der eigentliche Autor dieses Buches sein müsse 14 . Der menschliche Verfasser kann immer nur das ausführende Organ sein, durch das uns der Heilige Geist die geschilderten facta zur Nachahmung überliefert 15 . Wer einen Brief von einer hochgestellten Persönlichkeit erhält, fragt schließlich auch nicht, mit welchem Schreibrohr dieser Brief geschrieben ist16. Dennoch begnügt sich Gregor nicht mit der Feststellung, daß der Heilige Geist als Verfasser des Buches Hiob anzunehmen sei. Er will das Verhältnis zwischen menschlichem Schreiber und Heiligem Geist noch genauer erörtern, weil er es für durchaus denkbar hält, daß Hiob selbst, vom Heiligen Geist inspiriert, die gesta seines eigenen geistigen Kampfes niedergeschrieben habe 17 . Daß Hiob von sich in der dritten Person spricht, sollte den Leser nicht irritieren, denn in der Heiligen Schrift kommt es häufiger vor, daß Menschen nicht direkt von sich selbst sprechen, eben weil sie in ihrem Reden zu Werkzeugen des Heiligen Geistes werden 18 . Gregor illustriert diese Art des Sprechens mit der täglichen Erfahrung der kirchlichen Lesung 19 . Wenn der Lektor im Gottesdienst beispielsweise mit Ex. 3,6 verkündet: „Ich bin es, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs", dann komme schließlich auch niemand auf die Idee, daß sich der Lektor für Gott halte. Vielmehr stelle er dem machtvollen Gotteswort lediglich seine menschliche Stimme zur Verfügung 20 . So erklärt sich auch das im Hinblick auf die Schrift anzutreffende Phänomen, daß die mit dem Heiligen Geist erfüllten Schriftsteller sich gewissermaßen außerhalb ihrer selbst stellen und in ihren Texten gleichsam wie von anderen berichten 21 . Deshalb schreibt nun auch Hiob von seinen gesta als von den gesta eines anderen. Insofern ereignet sich in den Erzählungen der Heiligen Schrift eine Verschränkung zwischen göttlicher und menschlicher

13

Praef. 1 (8,17-20 Adriaen).

14

Praef. 2 (8,21f. Adriaen): Sed quis haec scripserit,

cum tarnen auctor

libri Spiritus

Sanctus

15

Praef. 2 (8,23-25 Adriaen).

16

Praef. 2 ( 8 , 2 5 - 9 , 3 2 Adriaen).

17

fideliter

ualde

superuacue

quaeritur:

credatur.

Praef. 3 (9,33ff. Adriaen). Praef. 3 (9,35-48 Adriaen). Gregor verweist auf N u m . 12,3, w o v o n M o s e in der dritten Person berichtet wird; auf Joh. 19,26 und 21,20, w o Johannes selbst nicht genannt wird, sondern lediglich der Jünger, den Jesus liebte, angesprochen wird, und er verweist auf Lk. 24,13ff., w o Lukas von Cleophas und einem anderen Jünger auf d e m W e g spricht, mit dem für Gregor offenbar niemand anderer als Lukas selbst gemeint ist. 18

19 20 21

Praef. 3 (10,60ff. Adriaen). Praef. 3 ( 1 0 , 6 1 - 6 5 Adriaen). Praef. 3 ( 1 0 , 6 5 - 6 8 Adriaen).

68

Kapitel

5

Rede, weil jegliche Rede immer auch die Rede eines anderen ist: der Mensch redet von den Taten eines anderen, nämlich von den Taten Gottes, während umgekehrt ein anderer, respektive der göttliche Geist, von den Taten eines 22

Menschen erzählt . Gregor nutzt also die Frage nach dem Verfasser des Buches Hiob, um mit wenigen, rhetorisch anspruchsvollen Sätzen die göttliche Inspiration der Schriften zu skizzieren. Wie in der aktuellen kirchlichen Verkündigung leiht der Mensch auch in den inspirierten Schriften dem Gotteswort seine Stimme, so daß mit menschlichen Worten Gotteswort gesprochen wird, zugleich spricht aber dieses Gotteswort von nichts anderem als vom Menschen. So klingt bereits an dieser Stelle auf der Ebene der göttlich inspirierten Schrift das komplexe Zueinander und Miteinander von Göttlichem und Menschlichem und damit das Zentralthema des Buches Hiobs in der Interpretation Gregors des Großen an. 5.1.2. Worum geht es im Hinblick auf die sacrae historiae gesta des Buches Hiob? In den folgenden Abschnitten macht Gregor deutlich, worum es ihm bei seiner Auslegung der sacrae historiae gesta im Kern geht23. Für Gregor spricht das Buch Hiob zunächst einmal jeden Menschen in seinem Verhältnis zu Gott dem Schöpfer an. Pointiert beginnt Gregor deshalb seine Hiobauslegung mit dem Hinweis auf die grundlegende Situation eines jeden Menschen, der sich als Geschöpf dem Willen seines Schöpfers zu unterwerfen und sich selbst für nichts zu erachten habe 24 . Doch der Mensch - und Gregor meint damit ganz konkret seine Leser - hat sich darum nicht gekümmert. Deshalb hat Gott uns diepraecepta gegeben, doch wir haben sie ebenfalls nicht beachtet. Schließlich hat Gott zu den Geboten noch die exempla hinzugefügt, die die Menschen unter dem Gesetz um unserer Erbauung willen aufgezeichnet haben, doch auch ihnen sind wir nicht gefolgt 25 . Deshalb wird uns nun mit der Figur des Hiob ein exemplum aus den Heiden vor Augen gestellt 26 . Schon aus diesen

22 Gregor faßt das k o m p l e x e G e f ü g e religiöser Rede in Praef. 3 ( 1 0 , 6 8 - 7 3 Adriaen) in folgender chiastischer Kontruktion zusammen: [lobpotuit sua gesta ...] quasi non sua scribere, quia eo alterius erant quae loquebatur quo homo loquebatur quae Dei sunt. Et eo alter quae erant illius loquebatur, quo Spiritus Sanctus loquebatur quae hominis sunt. Praef. 4 ( 1 0 , l f . Adriaen); vgl. auch DOUCET, L'ordo expositionis, 111. 24 Praef. 4 (10,2-4 Adriaen): Omnis homo eo ipso quo homo est, suum intellegere debet auctorem cuius uoluntati tanto magis seruiat, quanto se quia de se ipso nihil sit pensat... 25 Praef. 4 (10,5-8 Adriaen). Die exempla des Alten Testaments dienen nach Gregors

Ansicht also in besonderem Maße der Erbauung. 26

Praef. 4 ( 1 0 , 1 1 - 1 1 , 1 4 Adriaen). Zu Gregors Bild von den Heiden, vgl. auch R. A.

MARKUS, Gregory the Great's pagans, in: R. Gameson/H. Leyser, Belief and Culture in the Middle A g e s . FS H. Mayr-Harting, Oxford 2 0 0 1 , 2 3 - 3 4 .

Die

69

Praefatio

wenigen knappen Sätzen wird klar, daß Gregor das Buch Hiob auf dem Hintergrund der gesamten Schöpfungs- und Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen gelesen haben will. Gregor hält es für ganz entscheidend, daß die diuina prouidentia immer Trägerin der in diesem Buch geschilderten Handlung bleibt, indem sie mit dem exemplum des Hiob nicht nur alle menschlichen Ausflüchte und Weigerungen, Gott als dem Schöpfer gehorsam zu sein, außer Kraft setzt27, sondern auch dafür Sorge trägt, daß der Erlöser, der gleichermaßen für Juden und Heiden gelitten hat, sowohl durch das Leben der Israeliten als auch durch das Leben eines Heiden angekündigt wird28. Doch stellen gerade Hiobs Leiden als Vorausbild auf Christus und die von der diuina prouidentia zugelassenen flagella, die in diesem Fall einen vollkommen Unschuldigen treffen, eine besondere Schwierigkeit bei der Interpretation dieses biblischen Buches dar, und Gregor muß einige Mühe aufwenden, seinen Lesern zu erläutern, weshalb der unschuldige Hiob leiden muß29. Gregor weiß sehr genau, daß insbesondere die Reden Hiobs dem unerfahrenen Leser allzu hart und anstößig vorkommen können. Um so wichtiger sei es, diese Stellen derpietas entsprechend auszulegen 30 . Deutlicher hätte er sein Interesse am Text kaum ausdrücken können. Zunächst einmal betont er, daß Hiob ohne seine flagella für uns unbekannt geblieben wäre, er hätte zwar für sich selbst tugendhaft gelebt, doch wären seine Tugenden 31 , die erst in den Bedrängnissen zutage treten 32 , unsichtbar geblieben. Trotz seiner reichlich vorhandenen Tugenden wird Hiob dennoch geprüft, damit er auch als Geschlagener weiß, daß selbst inmitten der flagella noch die göttliche Gnade am Werke ist33. Die flagella bilden somit den eigentlichen Prüfstein für Hiobs Tugenden, zumal der gütige Gott das böse Wirken des Teufels zuläßt, damit Hiob seine Verdienste vergrößern kann34. 27

Praef. 5 ( l l , 2 1 f f . Adriaen) Dieses Thema klang bereits zweimal im Widmungsbrief an Leander an, vgl. Ep. ad Leand. 1 (2,34ff. Adriaen) und 5 (6,195-197 Adriaen). 28 Praef. 5 (11,36-41 Adriaen). Daraus zieht DAGENS, Grégoire le Grand avant son pontificat, 148f. den Schluß, Gregor wolle mit den Moralia in Job auf die Situation im Westen des Reiches aufmerksam machen und hohe kirchliche Kreise dazu bewegen, sich der Heidenmission zu verschreiben. Im weiteren Verlauf des Kommentars spielt jedoch Hiob als Heide kaum eine Rolle. 29 CATRY, Épreuves meint, die Frage nach Leiden bilde auf der Ebene des Literalsinns das eigentliche Zentrum der Moralia in Job: „nous sommes bien là au coeur du problème du livre de Job selon son sens littéral" (ebd. 125). Doch hat die Frage nach dem Leiden nicht nur mit dem Literalsinn zu tun, weil das, was Gregor mit den sacrae historiae gesta bezeichnet, nicht mit dem Literalsinn identisch sind, wie Catry offenbar annimmt. 30 Praef. 7 (13,23ff. Adriaen). 31

Praef. 6 (11,42ff. Adriaen).

32

Praef. 6 (12,65f. Adriaen).

33

Praef. 7 (13,14f. Adriaen): ... etiam flagellatus agere gratias

34

Praef. 7 (13,19-22 Adriaen).

sciret.

70

Kapitel

5

Darüber hinaus bildet Hiob im Kampf zwischen Gott und dem Teufel nur so etwas wie die materia certaminis35. Hiob für schuldig zu halten, hieße letztlich nichts anderes als Gott selbst für schuldig zu erklären. Da der Teufel den Unschuldigen jedoch um jeden Preis bezwingen will, gebraucht er gegen Hiob jedes ihm zur Verfügung stehende Kriegswerkzeug 36 , und weil er die Festung seiner Seele von außen nicht bezwingen kann, bedient er sich mit den Reden der Frau einer Kriegslist, um die Festung durch Verrat zu erobern 37 . Hiob wird gleichzeitig von außen und innen bestürmt, seine Seele bleibt jedoch standhaft und wird nicht eingenommen 38 . Er erträgt sogar den fast feindlichen Trost seiner Freunde 39 , die den wahren Grund für die flagella nicht verstehen und deshalb selbst schuldig werden 40 . Gregor kommt es entscheidend darauf an, dem Leser deutlich zu machen, von welcher Art die Schläge sind, die Hiob zu erleiden hat. Grundsätzlich, so erläutert Gregor in einiger Ausführlichkeit, gibt es zwei verschiedene Arten von flagella, die Gott zuläßt: die einen treffen den Sünder und dienen deshalb als pädagogisches Mittel im Kampf gegen die Sünde. Sie können ihn entweder wegen seiner Halsstarrigkeit und seinem Ungehorsam Gott gegenüber strafen, oder aber versuchen, ihn in seiner Sündigkeit zu korrigieren, oder schließlich, als dritte Möglichkeit, ihn von weiteren Sünden abhalten41. All das trifft jedoch auf den unschuldigen Hiob nicht zu, denn es gibt auch eine andere Art von Schlägen, die einzig und allein dazu da ist, die Macht Gottes zu erweisen. Das sind die Schläge, die Hiob zu erdulden hat 42 . Die Freunde Hiobs verstehen die flagella, die Hiob zu ertragen hat, jedoch falsch und halten sie für eine Bestrafung seiner Sünde, weshalb sie auch so intensiv nach Hiobs Schuld forschen43. Darin erweisen sie sich aber als stolz gegenüber der göttlichen Gerechtigkeit, die sie am Ende dazu zwingt, sich auch gegenüber Hiob zu demütigen44.

35

Praef. 8 ( 1 4 , 3 9 f . Adriaen).

36

Praef. 9 (15,1 Adriaen) spricht Gregor von e i n e m ordo

37

Praef. 9 ( 1 5 , 2 f f . Adriaen).

38

Praef. 10 ( 1 6 , 3 8 - 4 2 Adriaen).

39

Praef. 11 ( 1 6 , l f f . Adriaen).

testationis.

40

Praef. 11 ( 1 6 , 1 7 - 1 8 , 2 2 Adriaen).

41

Praef. 12 ( 1 7 , 2 3 f f . Adriaen). V g l . auch CATRY, Épreuves, 1 3 3 .

42

Praef. 12 ( 1 7 , 4 6 - 1 8 , 4 8 Adriaen): Nonnunquam

nec pro

futura

percussione

iniquitate

monstretur.

percutitur,

sed

ut sola

uero

diuinae

quisque

uirtutis

nec pro

potentia

ex

praeterita amputata

A l s weiteren B e l e g führt Gregor mit Joh. 9 , 2 f . die Erzählung

v o m B l i n d g e b o r e n e n an, d e s s e n Blindheit w e d e r seiner e i g e n e n n o c h der Schuld seiner Eltern z u g e s c h r i e b e n w e r d e n k ö n n e , sondern: Neque sed ut manifestentur 43

Praef.

opera

12 ( 1 8 , 5 8 - 6 5

neque

parentes

Adriaen); v g l . auch SCHREINER, W h e r e shall W i s d o m

f o u n d ? , 3 2 7 f . und 3 3 6 . 44

hic peccauit,

eius,

Dei?

Praef. 12 ( 8 , 6 6 - 7 0 Adriaen).

be

Die Praefatio

71

Im mittleren Teil seiner Praefatio zu den Moralia in Job legt Gregor dar, auf welchem theologischen Hintergrund er das Buch Hiob deuten will. Für ihn gewinnt es seinen Sinn, sobald seine Aussagen in den größeren Kontext des durch die diuina prouidentia getragenen göttlichen Schöpfungs- und Heilsplans eingeordnet werden, zu dem auch die letztlich durch das Wirken des Teufels verursachten, aber dennoch von Gott zugelassenen flagella45 gehören, die allein Gott in der Person Christi zum Heil für die Menschen werden lassen kann. Mit einem eindrücklichen Bild faßt Gregor diesen Gedanken zusammen und leitet gleichzeitig zum Folgenden über: die diuina dispensatio läßt die Taten der Heiligen wie Sterne in unserer gegenwärtigen Nacht bis zum Aufgang des wahren Morgensterns unseres Erlösers leuchten und macht mit Hiob die Tugend der Geduld in den flagella für uns sichtbar und anschaulich46. Am Ende der Zeiten, wenn der ewige Morgen anbricht, wird Christus schließlich als der wahre Morgenstern aufgrund seiner Macht und Göttlichkeit endgültig heller strahlen als alle übrigen Sterne47. 5.1.3. Welche Typen enthält das Buch Hiob? Auf diesen wahren Morgenstern, auf Christus den Erlöser, läuft die gesamte göttliche Heilsgeschichte zu, ihn verkündigen deshalb auch die Erwählten des Alten Testaments sowohl mit ihrem Leben als auch mit ihren Worten 48 . Es gibt keinen Gerechten, der nicht per figuram für Christus steht49. Insofern die Gerechten Anteil am Gutsein Gottes haben, sind sie in dem, was sie sichtbar zum Ausdruck bringen, für andere Menschen von Nutzen 50 . Hiob steht daher gleich zweifach für Christus, mit seinen Worten kündigt er die Inkarnation an und mit seinem Leiden verweist er auf die Passion 51 . Doch für Gregor ist im

45 Vgl. auch LA PORTE, Gregory the Great, 22-31, der die Frage nach dem Leiden als das zentrale Thema der Moralia in Job versteht. 46 Praef. 13 (18,Iff. Adriaen); vgl. auch REVENTLOW, Epochen II, 109f.; BERSCHIN, Biographie I, 322f. 47 Praef. 13 (19,19-23 Adriaen). 48 Praef. 14 (19,24f. Adriaen). 49 Praef. 14 (19,25f. Adriaen), vgl. auch Augustin De doctr. Christ. III 22,32 (164 Green): ergo, quamquam omnia uel paene omnia quae in ueteris testamenti libris gesta continentur non solum proprie sed etiam figurate accipienda sint. Gregor begründet diesen Grundsatz in Mor. XXX 21,66 (1535,12-14 Adriaen) damit, daß die Person Christi essentialiter nicht zu erfassen, sondern nur figuraliter hinsichtlich seiner Eigenschaften zu umschreiben sei. 50 Praef. 14 (19,26-28 Adriaen). 51 Praef. 14 (19,32-37 Adriaen): Vnde et necesse fuit ut etiam beatus lob qui tanta incarnationis eius mysteria protulit, eum quem uoce diceret ex conuersatione signaret; et per ea quae pertulit, quae passurus esset ostenderet; tantoque uerius passionis illius sacramenta praediceret quanto haec non loquendo tantummode, sed etiam patiendo prophetaret. Vgl. auch SCHREINER, Where shall Wisdom be found?, 328.

Kapitel 5

72

B u c h H i o b nicht allein v o m inkarnierten und leidenden Christus die R e d e , sondern immer auch von der Kirche als d e m von Christus a n g e n o m m e n Leib: Sed quia Redemptor noster unam se personam cum sancta Ecclesia quam assumpsit, exhibuit [...] quisquís eum in semetipso significai, modo hunc ex capite modo ex corpore designai, ut non solum uocem capitis, sed etiam corporis teneat52. D i e s e Konzentration der A u s l e g u n g auf die D e u t u n g des totus Christus, auf Christus und s e i n e Kirche, hat Gregor v o n s e i n e m bewunderten Vorbild Augustin übernommen, d e s s e n A u s l e g u n g des T e x t e s nicht nur in den bereits erwähnten Adnotationes in Job, sondern auch in seinen Predigten und insbesondere in den Enarrationes in Psalmos auf Christus g e m e i n s a m mit s e i n e m L e i b zielen 5 3 . D o c h o b w o h l Gregor d i e s e s a u g u s t i n i s c h e Prinzip des totus Christus nicht nur hier in der Praefatio ausdrücklich benennt, sondern auch zu B e g i n n e i n e s j e d e n g r ö ß e r e n T e i l e s s e i n e s K o m m e n t a r s e x p l i z i t darauf zurückkommt 5 4 und im Verlauf der A u s l e g u n g w i e d e r und w i e d e r vorführt, w i e die Person des H i o b das L e b e n Christi und seiner Kirche widerspiegelt 5 5 , scheint es dennoch i m m e r noch nicht als der entscheidende Lektüreschlüssel für die t y p o l o g i s c h - a l l e g o r i s c h e Deutung der Moralia in Job verstanden wor52

Praef. 14 (19,37-20,43 Adriaen). Gregor bezieht sich ausdrücklich auf Eph. 4,15 und Kol. 1,24. 53 Vgl. P. BORGOMEO, L'Église de ce temps dans la prédication de Saint Augustin, Études Augustiniennes, Paris 1972, 191 ff. ; O. BRABANT, Le Christ, centre et source de la vie morale chez Saint Augustin. Études sur la pastorale des Enarrationes in Psalmos, Recherches et Synthèses, Section de Morale 7, Gembloux 1971; M. RÉVEILLAUD, Le Christ-Homme, tête de l'Église. Étude d'ecclésiologie selon les Enarrationes in Psalmos, RechAug 5, 1968, 67-94; N. KELLY, La persona del totus Chrístus. Interpretación cristiana de san Agustín, Augustinus 96, 1991, 147-153. Vgl. auch den kurzen Forschungsüberblick zu diesem Thema bei M. FlEDROWicz, Psalmus vox totius Christi. Studien zu Augustins Enarrationes in Psalmos, Freiburg/Basel/Wien 1997, 13-15 54 M. DOUCET, „Christus et Ecclesia una est persona". Note sur un principe d'exégèse spirituelle chez saint Grégoire le Grand, CCist 46, 1984, 37-58, hat mit Recht darauf hingewiesen, daß dieses Prinzip den Kommentar strukturiert. In der Forschungsliteratur wird die Personeneinheit von Christus und Kirche zwar häufiger, aber dennoch eher beiläufig erwähnt, vgl. etwa DUDDEN, Gregory the Great II, 306; RECCHIA, II metodo, 16; SCHREINER, Where shall Wisdom be found?, 335; MCGINN, Mystik II, 77; REVENTLOW, E p o c h e n II, 1 1 0 ; LA PORTE, U n e t h é o l o g i e , 2 3 5 . 55 Auch im Zusammenhang konkreter Auslegung wiederholt Gregor dieses Prinzip immer wieder, vgl. z.B. Mor. XIII 21,24 (682,5ff. Adriaen): Sed ut saepe iam me dixisse memeri, beatus lob sanctae Ecclesiae typum tenens, modo uoce corporis, modo autem uoce capitis utitur et dum de membris eius loquitur, repente ad uerba capitis leuatur\ ganz ähnlich auch Mor. XIX 14,22 (973,2-5 Adriaen). Vgl. auch Mor. XIV 38,46 (726,32ff. Adriaen): sanctus uir positus in dolore poenarum, modo suis, modo Ecclesiae, modo Redemptoris nostri uoeibus utitur; et plerumque sic sua narrai, ut tarnen per typum ea quae sunt sancta Ecclesiae ac Redemptoris nostri proférât. Auf der wörtlichen Ebene spricht Hiob für sich selbst, auf der Ebene der geistigen Auslegung spricht er sowohl für Christus als auch für seinen Leib, die Kirche.

Die Praefatio

73

den zu sein 56 . Das wirkt um so überraschender als Gregor gerade auf der Ebene der Kirche als des Leibes Christi weiter differenziert 57 und auch die anderen Personengruppen, die im Buch Hiob vorkommen, in seine allegorisch-typologische Auslegung mit einbezieht 58 . So verkörpert Hiobs Frau, weil sie Hiob mit ihrem Tun und Reden bedrängt und ihn zur Verfluchung Gottes bewegen will, die uita carnalium derer, die zwar zur Kirche gehören, aber mit ihrer allein auf weltlich-fleischliche Dinge gerichteten Lebensführung die anderen bedrängen, die ihrem Glauben auch mit ihrem Leben Ausdruck geben wollen59. Doch die Kirche in Gestalt von Hiob hat nicht nur diese Gruppe zu ertragen, sondern auch die Anfeindungen der Freunde Hiobs, die Gregor als Häretiker versteht. Sie kommen zwar zu Hiob, um ihn in seinem Leiden zu trösten, doch geht es ihnen in Wahrheit darum, ihn mit ihren Reden zu verführen 60 . Gregor sieht in ihnen in erster Linie falsche praedicatores, deren Ziel es ist, Gott mit ihren Worten zu verteidigen, die aber dennoch Gott mit ihrer Verkündigung angreifen 61 . Ebenso wie der Name Hiobs auf das Leiden Christi und der Kirche in den vielfältigen und häufig zermürbenden Betätigungen dieser Welt verweist 62 , verraten auch die Namen der Freunde Hiobs, daß sie Gott hochmütig verachten und auf diejenigen herabsehen, die sich nach den höheren Dingen sehnen, weil sie mit ihrer Verkündigung noch ganz den Maßstäben dieser Welt verhaftet sind63. Sie wenden sich stolz von der Kirche ab und können allein durch das Opfer der Kirche wieder mit ihr versöhnt wer-

56 Charakteristisch ist hier die ausdrücklich dem Kirchenverständnis Gregors gewidmete Darstellung von Fiedrowicz. Im Zusammenhang mit Gregors allgegenwärtiger allegorisch-typologischer Auslegung betont er (FIEDROWICZ, Kirchen Verständnis, 45): „Das von der Allegorie und Typologie eröffnete Mysterium umschließt daher zugleich Christus und die Kirche. Wo immer also in der Schrift sich ein Typos Christi findet, kann dieser bald auf das Haupt, bald auf den Leib verweisen". Diese Erkenntnis bleibt jedoch ohne greifbare Konsequenzen für die weitere Darstellung, das corpus Christi wird als ein Bild für die Kirche unter anderen abgehandelt (70ff.). Das Thema „Christus und die Kirche" wird noch einmal im Rahmen einer „trinitarischen Dimension der Kirche" (328) aufgegriffen, obwohl die von Fiedrowicz zugrundegelegte trinitarische Entfaltung der Kirche dem Denken Gregors fremd gewesen sein dürfte. 57 Praef. 14 (20,50f. Adriaen): Beatus ergo lob uenturi cum suo corpore typum Redemptoris insinuat. 58 Zu den Typen, die Gregor im Buch Hiob findet und in seinem Kommentar allegorisch ausdeutet, vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 58ff.; DOUCET, Christus et Ecclesia, 43f. 59 Praef. 14 (20,51-56 Adriaen). 60 Praef. 15 (20,57-59 Adriaen). 61 Praef. 15 (20,60ff. Adriaen). 62 Gregor folgt hier, Praef. 16 (20,lff. Adriaen), den Namensetymologien des Liber interpretationis nominum hebraicorum des Hieronymus. 63 Praef. 16 (21,5ff. Adriaen).

74

Kapitel 5

den64. Etwas abseits von den Freunden kommt Elihu die Rolle eines typus für die arrogantes innerhalb der Kirche zu. Auch diese Personengruppe redet und verkündigt hochmütig und obwohl sie im Unterschied zu den Häretikern den rechten Glauben hat, weswegen für sie nicht geopfert werden muß, weigert sie sich aber dennoch, ihren Glauben in rechter Weise zum Ausdruck zu bringen und ihr Leben entsprechend auszurichten65. Somit präzisiert Gregor im letzten Teil der Praefatio die Einordnung der im Buch Hiob geschilderten Reden und Ereignisse in den heilsgeschichtlichen Kontext und spitzt sie auf eine betont christologisch-ekklesiologische Deutung zu. Er zeichnet schon hier das Bild einer in der Nachfolge ihres Herrn in dieser Welt leidenden Kirche, die nicht allein von den vielen belastenden Beschäftigungen in der Welt angefochten, sondern zudem in ihrer Lebensführung von den carnales bedrängt und in ihren wahren Verkündigern von arrogantes und Häretikern angegriffen wird66. Die abschließende Rehabilitation des leidenden Hiob eröffnet Gregor den Blick auf das Ende der Zeiten, in dem dann auch die leidende Kirche ihren Lohn empfangen wird67. Doch ebenso wie Hiob weiß auch die Kirche und ihre praedicatores nicht, wann das Ende kommt und wie lange die Zeit der gegenwärtigen Bedrückung noch andauern wird68. Deshalb soll sie das, was über das Leiden Hiobs gesagt wird, einerseits die eigene gegenwärtige Erfahrung 69 deuten lehren, andererseits aber auch die Grenze dessen, was sie in dieser Welt wissen können und sollen, aufzeigen 70 . Nach Gregors eigener Auffassung spricht die ausführliche Praefatio bereits alle wesentlichen Themen seines Kommentars kurz an: In longum praefationis uerba protraximus, ut quasi totum breuiter perstringendo loqueremur71. Gemeinsam mit dem Widmungsbrief an Leander eröffnet sie damit den Zugang zu diesem umfangreichen Werk, das sich unter dieser Perspektive 64

Praef. 17 (21,1 ff. Adriaen). Praef. 19 (22,Iff. Adriaen). 66 Vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 337: „Wenn Ijob Typos einerseits Christi, andererseits der Kirche ist, dann findet die Kirche in Ijobs Lebensschicksal einen Spiegel, um ihre eigene Passion christologisch zu betrachten". 67 Praef. 20 (23,Iff. Adriaen). 68 Praef. 21 (23,23-26 Adriaen). Vgl. auch SCHREINER, Where shall Wisdom be found?, 334. 69 Vgl. besonders DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 83ff., der die persönlich-spirituelle Erfahrung Gregors hervorhebt, dagegen wendet sich jedoch C. LEYSER, Expertise and Authority in Gregory the Great: The Social Function of Peritia, in: Gregory the Great. A Symposium, 38-61. 70 Praef. 21 (24,28-31 Adriaen): Per hoc ergo, quod beati Job passio dicitur, docemur quod experiendo [mit SC 32 b,s , 172 gegen 24,29 Adriaen experimento] nouimus. Per hoc uero quod quantitas temporis in passione reticetur, docemur quid nescire debeamus. 71 Praef. 21 (24,32f. Adriaen). 65

Die

Praefatio

75

nicht länger als unstrukturiert und ohne einen „durchlaufenden Gedankenfaden" 72 erweist. Im Hinblick auf die Heilsgeschichte Gottes mit den sündigen Menschen gelesen 73 handelt das auf den ersten Blick so schwierig und dunkel scheinende Buch Hiob vom Wirken der göttlichen dispensatio oder prouidentia, die auch und gerade in den zunächst gänzlich unverständlichen und ungerecht anmutenden flagella zum Ausdruck kommt. Als eine christologisch-ekklesiologische Auslegung des Hiobbuches richten sich die Moralia in Job insbesondere an die als rectores oder praedicatores angesprochenen Adressaten, die gegenwärtig unter der Spannung zwischen Welt und Ewigkeit und zwischen actio und contemplatio leiden. Diese will der Kommentar als den gegenwärtigen Leib Christi ansprechen und erbauen, indem er ihnen vor Augen führt, daß sie in der Nachfolge ihres Hauptes Christi stehen, der als inkarnierter Sohn Gottes diesen Spannungen gleichfalls ausgesetzt war. Weil die Praefatio die wesentlichen Auslegungsschwerpunkte der Moralia in Job trotz aller Kürze bereits prägnant aufzeigt und zugleich die Deutung des gesamten Kommentars zum Buch Hiob in großen Zügen umreißt, soll sie für die nun folgende Interpretation leitend sein. Dadurch, daß eine Darbietungsform gewählt wird, die Gregor selbst für seine Auslegung bestimmt hat, kann vielleicht etwas deutlicher werden, wie sich die Bedeutung des Textes im Zusammenspiel zwischen dem explizit geäußerten Interesse der Adressaten und der Erwartung entfaltet, dort die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen zu entdecken, die in der sichtbar gegenwärtigen Kirche ihre Fortsetzung und jeweils aktuelle Konkretion findet 74 .

5.2. Die Praefatio als Gliederungsprinzip Entsprechend den von Gregor in der Praefatio formulierten Leitlinien für seine Auslegung des Hiobbuches soll im folgenden Teil dieser Untersuchung zunächst genauer danach gefragt werden, wie Gregor in der materiellen Durchführung seines Kommentars 75 auf das seit der Ursünde grundlegend gestörte Verhältnis zwischen Gott und Mensch zu sprechen kommt, und wie 72

So JENAL, Gregor I, 95; vgl. dazu auch oben unter 1.3. FlEDROWicz, Kirchenverständnis, 76 spricht mit Recht v o m „dynamischen Charakter" des Kirchenbildes bei Gregor, welches in eine „universale heilsgeschichtliche Perspektive" integriert sei. 73

74

Vgl. dazu auch DEMARGERIE, Introduction, 150f. Zurückgegriffen werden soll hier ausschließlich auf die Bücher I - X X X V d e r Moralia in Job, Parallelen aus den Ezechiel- oder den Evangelienhomilien, wie sie beispielsweise FlEDROWicz, Kirchenverständnis, 7 9 f f . zur systematischen Klärung des gregorianischen Kirchenverständnisses heranzieht, finden deshalb keine Berücksichtigung. 75

76

Kapitel 5

er die Auswirkungen dieser ersten Sünde auf die gegenwärtige Situation der Kirche und den von ihm anvisierten Adressatenkreis der in dieser Kirche tätigen praedicatores beschreibt. Gregors Ausführungen über die schöpfungsgemäße Bestimmung des Menschen, über dessen Nachahmung des teuflischen Unabhängigkeitsstrebens in der Abkehr von Gott, sowie über die verheerenden Folgen dieses Falls, die ein jeder Mensch seither in seinem Verhältnis zu sich selbst und zu anderen zu ertragen hat, können und wollen ihre Abhängigkeit und Nähe zu augustinischem Gedankengut keineswegs verleugnen 76 . Gregor übernimmt an dieser Stelle vieles von Augustin, doch setzt er insofern auch eigene Akzente, als es ihm in seiner Interpretation des Buches Hiob vor allem darauf ankommt, Gottes unter den Widrigkeiten dieser Welt verborgenes Heilshandeln mit den Menschen aufzuspüren, dessen Ziel es ist, das gefallene Geschöpf wieder zur ursprünglichen Gemeinschaft mit seinem Schöpfer zurückzuführen. Hier wird deshalb sehr sorgfältig zu untersuchen sein, wie sich in Gregors theologischer Deutung des Buches Hiob die diuina dispensatio der Sündenfolgen in Gestalt der flagella bedient, um die Sünde zu bekämpfen. Doch nicht nur die flagella, auch die dem Menschen gänzlich unzugängliche göttliche Gnadenwahl der iudicia occulta, die die gegenwärtige Kirche als ein corpus permixtum aus Erwählten und Verworfenen konstituiert, versteht Gregor ebenfalls als ein Mittel der göttlichen Erziehung, das den Sünder die Abkehr vom Hochmut und Demut lehren soll. Erst auf diesem Hintergrund kann dann auch die Rolle der praedicatores innerhalb des göttlichen Schöpfungs- und Heilsplans genauer ins Auge gefaßt werden. Gregor versteht die Kirche als hierarchisch gegliederten Leib Christi und empfiehlt den praedicatores, wohl nicht zuletzt aufgrund der konkreten historischen Erfordernisse am Ende des sechsten Jahrhunderts, neben der Beschäftigung mit den himmlischen Dingen auch in dieser Welt zeitliche Macht auszuüben, weil sie auf diese Weise als Bevollmächtigte Gottes gegen die Sünde der ihnen Untergebenen kämpfen sollen. In einem weiteren Teil soll dann die Person Christi, der als Bevollmächtigter Gottes die flagella der Sünder auf sich nimmt, um das Geschöpf mit dem Schöpfer zu versöhnen, im Mittelpunkt der Betrachtung stehen 77 . Doch läßt sich die Christologie, die Gregor im Zentrum der göttlichen Heilsgeschichte und demnach auch im Zentrum seiner allegorisch-typologischen Auslegung des Buches Hiob sieht, keinesfalls unabhängig von der Ekklesiologie, von der Kirche als dem sich noch gegenwärtig in dieser Welt befindli-

76 Vgl. z.B. den in 2.3. bereits erwähnten Brief Ep. X 16 (251,30ff. Hartmann), in dem Gregor dem Präfekten Innozenz die Schriften Augustins zur Lektüre empfiehlt. 77 SCHAMBECK, Contemplatio, 103 Anm. 2 stellt mit Recht fest, daß die gregorianische Christologie in der Forschung nur wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Auch FRIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 93f. Anm. 51 bemerkt deshalb: „Eine neuere Gesamtdarstellung bleibt ein Desiderat".

Die Praefatio

77

chen Leib Christi darstellen78. Nach Gregors Interpretation geht es immer um den totus Christus, um das Leben des Hauptes und seines Leibes zwischen Erniedrigung und Erhöhung. Deshalb soll zunächst nach der christologischekklesiologischen Relevanz seiner Deutung von Passion und Auferstehung gefragt werden. In diesen Zusammenhang gehört auch Gregors Bericht über seine Auseinandersetzung mit dem Patriarchen Eutychios von Konstantinopel über die Beschaffenheit des Auferstehungsleibes, die für Gregor nicht zuletzt deshalb so wichtig ist, weil auch hier die Frage nach dem Leib Christi auf die Kirche zielt79. Von ganz besonderem Interesse für den Leib Christi und die praedicatores, die sich nach dem himmlischen Vaterland sehnen und dennoch um der Nächsten willen in dieser Welt tätig werden müssen, erscheint es Gregor, in der Person des Hiob und in seinen Reden Hinweise auf den Inkarnierten zu finden, der in paradigmatischer Weise mit seiner eigenen Person Menschheit und Gottheit vereint hat. Daß sich das Thema der zwei Naturen Christi und ihr Verhältnis zueinander auch in Gregors Hiobkommentar in den Vordergrund schiebt, kann angesichts der Auseinandersetzungen um dieses Thema im justinianischen Zeitalter kaum verwundern. Dabei wird sich zeigen, daß Gregors christologische Aussagen ganz und gar der Reichsorthodoxie des ausgehenden sechsten Jahrhunderts entsprechen 80 . Die eine Person Christi in seiner göttlichen und menschlichen Natur gibt der Kirche als dem gegenwärtigen Leib Christi einerseits ein sichtbar-offenbares Vorbild für ihre demütige Lebensführung in dieser Welt, und macht sie andererseits auf das verborgene göttliche Heilswirken aufmerksam, das jedoch als das Tun des Schöpfers seinen Schrecken verlieren soll. Anschließend kann dann Gregors Bild von der Lebensführung der kirchlichen praedicatores dargestellt werden, die sich nach dem Vorbild ihres Hauptes in dieser Welt einerseits um der anderen willen in der condescensio erniedrigen und andererseits ebenso wie Christus selbst die Spannung zwischen actio und contemplatio auszuhalten haben. Auf dieser Grundlage, nach der Einordnung in die Heilsgeschichte und der Entfaltung Hiobs als Typus für Christus und für den Leib seiner Kirche, kann abschließend danach gefragt werden, wie Gregor diesen Typus nun gegen den Typus der Freunde Hiobs, die für die Häretiker stehen, und den Typus des Elihu als des Arroganten abgrenzt. Auch hier wird es ganz entscheidend darauf ankommen, die enge Verknüpfung zwischen der Christologie und der Ekklesiologie im Auge zu behalten. Erst auf diese Weise gewinnen die Häre-

78 Insofern greift auch S C H A M B E C K , Contemplatio, 1 0 3 zu kurz, als sie die Originalität der Christologie in der Auslegung im Hinblick auf die Anthropologie vermutet. Ganz ähnlich auch die Vermutung von B E R S C H I N , Biographie I, 3 2 3 f . 79

Vgl. Mor. XIV 5 6 , 7 2 - 7 4 ( 7 4 3 , 1 - 7 4 5 , 8 5 Adriaen). Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 147: „For his part, Gregory bore the inauspicious legacy of Justinian". 80

78

Kapitel 5

tiker ihr Profil als Feinde der rechtgläubigen Christologie im ausgehenden sechsten Jahrhundert, wie sie sich in Gregors Ekklesiologie und seinem Bild von der Lebensführung der kirchlichen praedicatores darstellen. Elihu, den Typus des Arroganten, zeichnet Gregor als einen Gegner des demütigen Christus, was sich insbesondere in seinem für einen wahren praedicator völlig falschen Umgang mit zeitlicher Macht über die ihm anvertrauten Untergebenen äußert.

Kapitel 6

Die Rolle der Kirche und ihrerpraedicatores im göttlichen Schöpfungs- und Heilsplan 6.1. Der augustinische Rahmen: menschliche Sünde und Gottes verborgene Fürsorge 6.1.1. Zur Frage

des Augustinismus

bei

Gregor

W a s Gregor an christlicher Literatur gekannt und in seinen W e r k e n verarbeitet hat, läßt sich z u m e i s t nur s c h w e r genauer b e s t i m m e n 1 . M a n w e i ß zwar, daß Gregor eine g a n z e Reihe griechischsprachiger Schriften, w e n n auch nicht im Original, d o c h z u m i n d e s t in lateinischen Ü b e r s e t z u n g e n g e l e s e n haben könnte 2 . Aber nur selten nennt er explizit die v o n ihm studierte Literatur, w i e e t w a i m V o r w o r t z u m dritten B u c h der Regula pastoralis, w o er sich auf Gregor v o n N a z i a n z beruft, dessen Apologeticus ihm vermutlich in der Ubersetzung des R u f i n z u g ä n g l i c h war 3 . D a ß er mit den Schriften des Origenes 4 , mit Theodoret 5 und auch mit d e m bis dahin noch nicht ins Lateinische übersetzte Werk des Ps. D i o n y s i u s 6 vertraut war, lassen seine A u s l e g u n g e n zu den

1

Zu den Quellen der Moralia in Job vgl. besonders GlLLET, Introduction, 81-109. Vgl. dazu EVANS, Thought, 7: „Among the Greek, he mentions the Cappadocians Gregory Nazianzen and Basil; he knew of Ignatius of Antioch, Epiphanius, Cyprian, Hilary of Poitiers, Jerome and Ambrose". GILLET, Introduction, 83ff.; STRAW, Gregory the Great, 13 Anm. 52. 3 Reg.past. 3 prol., (SC 382, 258 Judic/Rommel/Morel): Ut enim longe ante nos reuerendae memoriae Gregorius Nazianzenus edocuit ... Gregor bezieht sich offenbar auf Rufin: Apologeticus 49 (CSEL 46, 39f. Engelbrecht), vgl. dazu insbesondere R. A. MARKUS, Gregory the Great's rector and his genesis, in: Grégoire le Grand, 137-146. 4 Zu seiner Auslegung des Hoheliedes vgl. J. M. PETERSEN, The Influence of Origen upon Gregory the Great's Exegesis of the Song of Songs, Studia Patrística 18 (1985), 343-347; zu den Evangelienhomilien vgl. DIES., Greek Influence upon Gregory the Great's Exegesis of Luke 15,1-10 in ,Homilia in Evangelium' 11,34, in: Grégoire le Grand, 521-529. 5 Den Einfluß Theodorets weist nach: L. CRACCO-RUGGINI, Gregorio Magno, Agostino e i quattro Vangeli, Aug. 25, 1985, 255-263. 6 HomEv II 34 (CChr.SL 141, 312,336ff. Étaix). Vgl. zu dieser vieldiskutierten Stelle auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 151f. mit Anm. 40 und J. M. PETERSEN, ,Homo omnino latinus'? The Theological and Cultural Background of Gregory the Great, Speculum 63, 1987, 529-551. 2

80

Kapitel 6

biblischen Schriften vermuten. Noch deutlicher an griechischen Vorbildern orientiert er sich in den Dialogen, in denen er plausibel zu machen versucht, daß auch die von den Wirren der Völkerwanderung bedrohten Vertreter der italischen Mönchslandschaft den Protagonisten der gallischen und ägyptischen asketisch-monastischen Lebensweise in nichts nachstehen. Gregor formuliert hier in Anlehnung an die Historia religiosa des Theodoret und benutzt mit Lukian von Samosata und der Vita des Simeon Stylites von Antonius Vorlagen, für die sich in dieser Zeit noch keine lateinischen Übersetzungen nachweisen lassen7. Offenbar hat sich Gregor intensiver mit dem östlichen Schrifttum beschäftigt als bisher angenommen und dem Westen durch seine Werke zumindest implizit einiges davon vermittelt, weshalb die jüngere Forschung seine Rolle als Vermittler zwischen Orient und Okzident besonders hervorhebt8. Ob er im Zuge seiner Lektüre der östlichen Vätertexte auf uns unbekannte Übersetzungen zurückgreifen konnte oder ob er sich selbst Übersetzungen anfertigen ließ, läßt sich jedoch kaum noch zuverlässig klären. Seine eigene Kenntnis der griechischen Sprache dürften vermutlich kaum ausgereicht haben, die bisweilen nicht ganz einfachen Texte im Original zu lesen 9 . Zwar behauptet Gregor gelegentlich sehr zugespitzt 10 , überhaupt kein Griechisch zu können11, doch will er damit vermutlich nur sagen, daß er für

7 Vgl. dazu J. M. PETERSEN, The Dialogues of Gregory the Great in their Late Antique Cultural Background, STPIMS 69, Toronto 1984, 169-188; G. CRACCO, Uomini di Dio et uomini di Chiesa nell'Alto Medioevo, RSSR 12, 1977, 163-202 zu Theodoret und den Dialogen; L. CRACCO-RUGGINI, Grégoire le Grand et le monde byzantine, in: Grégoire le Grand, 83-94, hier 84 nennt außerdem noch Gregor von Nyssa, Johannes Chrysostomus, Aeneas von Gaza, Sozomenus und die Visio Pauli. 8 Diese Tendenz läßt sich auch an den Forschungen von Claude Dagens beobachten. In seiner Monographie hatte er noch die Differenzen zwischen Gregor und dem Osten hervorgehoben (vgl. DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 436f.), während er in einem späteren Aufsatz mit dem Titel: Grégoire le Grand et le monde oriental, RSLR 17, 1981, 243-252, Gregor als eine Figur des Dialogs zwischen Ost und West beschreibt. In der jüngeren Forschung wird Gregor zunehmend als ein Vermittler zwischen den beiden Kulturräumen gesehen, vgl. etwa CRACCO-RUGGINI, Grégoire le Grand et le monde byzantine, 83f.; STRAW, Gregory the Great, 13f.; KESSLER, Gregor der Große, 165f.;

SCHAMBECK, C o n t e m p l a t i o , 2 - 8 . 9

Zu Gregors Kenntnissen der griechischen Sprache vgl. KESSLER, Gregor der Große, 158ff.; J. M. PETERSEN, Did Gregory the Great know Greek?, SCH (L) 13, 1976, 121-134; DIES., „Homo omnino latinus?"; G. J. M. BARTELINK, Pope Gregory the Great's knowledge of Greek, in: Gregory the Great. A Symposium, 117-136. 10 Zum Kontext dieser Aussagen vgl. auch C. DAGENS, L'église universelle et le monde oriental chez Grégoire le Grand, Istina 20, 1975, 457-475, hier 465. 11 Ep. 7,29 (487,6f. Norberg): Et quamuis in multis occupatis, quamuis Graecae linguae nescius ... Der in diesem Zusammenhang gleichfalls häufig zitierte Brief, in dem sich Gregor empört darüber äußert, daß ihm die hochgestellte Dame Dominica, obwohl sie aus dem Westen stammt, auf Griechisch schreibt, sagt nichts über Gregors Vermögen im Hinblick auf die griechische Sprache (Ep. 3,63 214,20-22 Norberg).

Die Rolle der Kirche und ihrer praedicatores

81

offizielle oder schwierigere Texte Übersetzungen benötige 12 . Wenn er sich verärgert an Bischof Eusebius von Thessaloniki wendet und ihn bittet, gefälschte und häretische Predigten, die unter seinem Namen im Umlauf sind, zu vernichten, „denn wir können kein Griechisch, noch haben wir jemals irgendein Werk auf Griechisch geschrieben" 13 , dann muß man nicht mit seinem Biographen Johannes Diaconus annehmen, daß Gregor überhaupt kein Griechisch konnte14. Vermutlich wollte er mit diesem Schreiben lediglich zum Ausdruck bringen, daß er nicht in der Lage war, sich auf Griechisch schriftlich auszudrücken, weshalb die fraglichen Predigten unmöglich von ihm stammen können15. Man darf also annehmen, daß Gregor, ähnlich wie sein bewundertes Vorbild Augustin 16 , der vorgibt, trotz strenger Strafen ebenfalls kein Wort Griechisch gelernt zu haben17, diese Sprache einigermaßen leidlich beherrschte, auch wenn er mit einem gewissen römischen Stolz das Lateinische vorzog 18 . Mit dieser Sprache war Gregor aufgewachsen, in ihrer Tradition wurde er erzogen und für seine Zeit bemerkenswert gut ausgebildet 19 , wie seine erhaltenen Werke beweisen 20 . In dieser Sprache hat er sicherlich einige der Werke

12

So dürfte Ep. 10,21 (855,112ff. Norberg) zu verstehen sein, in der sich Gregor bei Eulogios über den Mangel an fähigen Übersetzern vom Griechischen ins Lateinische beklagt. 13 Ep. 11,55 (960,24f. Norberg): Nam non Graece nouimus nec aliquod opus aliquando Graece conscripsimus. 14 So interpretiert bereits Johannes Diaconus Vita Gregorii 4,81 (PL 75,228f.): Siquidem quod Graecam linguam nescierit, ipse testatur in epistola Eusebio, Thessalonicensi episcopi, scribens ... 15 So die Argumentation von PETERSEN, Did Gregory the Great know Greek?, 1 2 5 f . 16 Ep. XII 16a (363,6ff. Hartmann), vergleicht Gregor sein eigenes Werk mit despicabais aqua im Unterschied zu dem, was profunda, perspicua fluenta aus der Quelle der Werke des Augustin und des Ambrosius fließt. 17 Conf. I 14,23 (13,7f. Verheijen): Nulla enim uerba Uli noueram et saeuis terroribus ac poenis, ut nossem, instabatur mihi uehementer, und dazu PETERSEN, Did Gregory the Great know Greek?, 127. 18 Vgl. auch CRACCO-RUGGINI, Grégoire le Grand et le monde byzantine, 83: „Ce grand aristocrate et moine fut certainement en mesure de comprendre et de lire le grec, mais à maintes reprises, avec fierté, il insista sur son ignorance de cette langue". Die auch in den Moralia in Job immer wieder vorkommenden griechischen Etymologien lassen jedoch keinerlei Rückschlüsse auf Gregors Beherrschung der griechischen Sprache zu, weil sie bereits weitgehend Allgemeingut waren, vgl. auch BARTELINK, Etymologisierung, 91ff. 19 Vgl. zur Ausbildung im sechsten Jahrhundert vor allem RLCHÉ, Éducation, 123ff.; speziell zu Gregor vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 15f.; P. COURCELLE, S. Grégoire le Grand à l'école de Juvenal, Studi e materiali di storia delle religioni 38, 1967, 170174. 20

V g l . d a z u BERSCHIN, B i o g r a p h i e I, 3 0 5 - 3 2 4 ; BANNIARD, V i v a v o c e ,

MARKUS, Gregory the Great, 35.

105-179;

82

Kapitel 6

des Ambrosius, Hieronymus 2 1 , Rufin und auch des Cassian, d e s s e n Einteilung der Hauptsünden Gregor w e i t g e h e n d übernimmt 2 2 , s o w i e vermutlich n o c h andere Kirchenschriftsteller gelesen 2 3 . A b e r es w a r e n gerade die Schriften A u g u s t i n s , d i e Gregors D e n k e n in besonderer W e i s e geprägt haben 2 4 , w i e schon die subtilen B e z u g n a h m e n auf die Confessiones im Widmungsbrief der Moralia und die ausdrückliche Formulierung der A u s l e g u n g als A u s s a g e des totus Christus in der Praefatio zeigen. D i e F o r s c h u n g hat auf Gregors A u g u s t i n i s m u s i m m e r w i e d e r h i n g e w i e sen 2 5 und ihn nicht selten dafür kritisiert, daß er die A n s i c h t e n des B i s c h o f s v o n H i p p o nicht rein bewahrt, sondern vor a l l e m i m H i n b l i c k auf d i e Gnadenlehre modifiziert und damit verfälscht habe 2 6 . Gregor ausschließlich an A u g u s t i n zu m e s s e n , führt j e d o c h nicht weiter. V i e l m e h r m u ß Gregors Augustinrezeption auch auf d e m Hintergrund seiner e i g e n e n Zeit 2 7 und seines e i g e n e n Interpretationsinteresses verstanden werden. E i n e gründlichere A u f arbeitung der B e n u t z u n g A u g u s t i n s durch Gregor steht j e d o c h noch a m A n fang. Bisher liegen nur e i n i g e kleinere Untersuchungen, insbesondere zu den

21 Vgl. dazu besonders J. LECLERCQ, The Exposition and Exegesis of Scripture. From Gregory the Great to Saint Bernhard, in: G. W. H. Lampe (Hg.): The Exposition and Exegesis of Scripture. The West from the Fathers to the Reformation, CHB 2, Cambridge 1969, 183-197, hier 185f. 22 Vgl. GILLET, Introduction, 89-102. 23 Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 13f.; H. J. A. VAN BANNING, Gregory the Great and the surviving Arianism of his time: Did he know the Opus Imperfection in Matthaeum'i, Studia Patristica 38, 2001, 481-495. 24 Vgl. dazu MARKUS, Gregory the Great, 40: „John Cassian, especially, seems to have made a deep impression on his spirituality. But in all essentials it was Augustin's conceptual structures that shaped the world of his imagination". 25 Vgl. DUDDEN, Gregory the Great II, 293f.; C. BUTLER, Western Mysticism. The Teachings of SS Augustine, Gregory, and Bernard on Contemplation and Contemplative Life, London 1922, 106f.; DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 27Iff.; COURCELLE, Les confessions, 225-231. 26 Vgl. beispielsweise die Aussage von SEEBERG, Dogmengeschichte III, 43.: „Fast alles bei ihm hat seine Wurzeln bei Augustin, und nichts ist doch wirklich augustinisch". Vgl. auch DUDDEN, Gregory the Great II, 294: „He retained its superficial form, without its profound meaning". Anders jedoch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 271ff. Vgl. auch das moderatere Urteil der modernen Dogmengeschichtsschreibung, etwa bei K. BEYSCHLAG, Grundriß der Dogmengeschichte II/2, Grundrisse 3/2, Darmstadt 2000, 124ff. und E. MÜHLENBERG, in: Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte I: Die Lehrentwicklung im Rahmen der Katholizität, Göttingen 1982, 486-496. 27 Den Abstand zwischen Augustin und Gregor betont vor allem MARKUS immer wieder, vgl. Gregory the Great, 40f.; DERS., From Augustine to Gregory Gregory the Great, History and Christianity in Late Antiquity, London 1983; DERS., The End of Ancient Christianity, 4. Aufl. Cambridge 1998, 223-228; DERS., The Sacred and the Secular. From Augustine to Gregory the Great, JThS N.S. 36, 1985, 84-96.

Die Rolle der Kirche und ihrer praedicatores

83

kürzeren W e r k e n Gregors vor 2 8 . Gerade die u m f a n g r e i c h e n Moralia in Job sind in d i e s e r H i n s i c h t b e s o n d e r s s c h l e c h t e r s c h l o s s e n . D i e m a ß g e b l i c h e Textausgabe v o n Marc Adriaen im Corpus Christianorum gibt in ihren Apparaten keinerlei H i n w e i s auf e t w a i g e augustinische Parallelen 2 9 . Statt d e s s e n v e r w e i s t Adriaen s u m m a r i s c h auf Robert Gillets A u s g a b e in den S o u r c e s Chrétiennes 3 0 . D o c h auch dort trifft man nur g e l e g e n t l i c h auf Vermerke über Entsprechungen aus d e m Werk des Augustin 3 1 , denn Gillet g e n ü g t es, e x e m plarisch einige Abschnitte aus den Werken Augustins neben Passagen aus den Moralia in Job zu stellen, um nachzuweisen, daß Gregor seine ausschließlich auf K o n t e m p l a t i o n z i e l e n d e n Spiritualität aus A u g u s t i n s Schriften entlehnt habe 3 2 . U n f r e i w i l l i g macht Gillets kleine S y n o p s e aber auch auf die entscheid e n d e S c h w i e r i g k e i t e i n e s s o l c h e n Verfahrens a u f m e r k s a m , i n d e m s i e auf-

28

V. RECCHIA,: La memoria di Agostini nella esegesi biblica di Gregorio Magno, Augustinianum 25, 1985, 405-434, untersucht den direkten Hinweis auf Augustins Auslegung zu Mk. 11,13 in dem bereits erwähnten Brief an Eulogius aus dem Jahre 600, Ep. X 21 (256-258 Hartmann), und mit Hinweis auf E. EISENHOFER, Augustinus und die Evangelienhomilien Gregors des Großen. Ein Beitrag zur Erforschung der literarischen Quellen Gregors des Großen, in: H. M. Gietl (Hg.): FS A. Knöpfler, Freiburg/Br. 1917, 55-56, die Beziehung zwischen dem Tractatus in Iohannem in den Evangelienhomilien. Vgl. dazu auch L. CRACCO-RUGGINI, Gregorio Magno, Agostino e i quattro Vangeli, Aug 25, 1985, 255-263. V. PARONETTO, Une présence augustinienne chez Grégoire le Grand: Le De catechizandis rudibus dans la Regula pastoralis, in: Grégoire le Grand, 511-519, geht es um die Beziehung zwischen der Regula pastoralis und Augustins De catechizandis rudibus. V. RECCHIA, Il commenta allegorico di Genesi 1-3 nelle opere esegetiche di Gregorio Magno, VetChr 25, 1988, 421-449, stößt bei der Untersuchung der allegorischen Auslegung von Gen. 1-3 immer wieder auf Parallelen zu Augustin, besonders zu seinen Enarrationes in Psalmos. 29 Erst die neue Edition der Evangelienhomilien von R. Étaix im CChr.SL 141 verzeichnet auch die augustinischen Parallelen. Vgl. zu dieser Ausgabe auch K. GRESCHAT, Rez. R. Étaix (ed.): Gregorius Magnus. Homiliae in Euangelia, ZKG 112, 2001, 262f. Weder die Edition der Ezechielhomilien in CChr.SL 142, noch die der Homilien zum Hohelied in CChr.SL 144 oder des Kommentars zu 1. Könige in CChr.SL 144 gibt Hinweise auf Augustin. 30 M. Adriaen nennt in seinen Prolegomena zu CChr.SL 143, XIV summarisch Augustin, Cassian und Hieronymus, dessen Liber de nominibus hebraicis er im Apparat durchgängig nachweist. Für alles andere verweist er auf die Ausgabe der Sources Chrétiennes: „De fontibus quid dicamus? Luculenter de hac re tractauit R. Gillet in prolegomenis ad uersionem gallicam quae nuper Parisiis prodit". 31 So wird beispielsweise zu Mor. II 2,3 (SC 32 b,s , 258) auf Cassian coli. 7,3 und auf Augustin Conf. I 4,4 verwiesen. Zu Mor. II 12,20 (SC 32bis, 286f.) findet sich ein Hinweis auf Augustin Conf. VII 5,7. 32 GILLET, Introduction, 43: „On retrouve trait pour trait, dans le language mystique de Grégoire, les expressions d'Augustin". 86-89 findet sich die Zusammenstellung exemplarischer Texte.

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Kapitel 6

zeigt, daß Gregor seiner V o r l a g e häufig nur e i n z e l n e B e g r i f f e entnimmt und bisweilen Gedanken Augustins fast v ö l l i g frei formuliert 3 3 . Weil Gregor w e n i g e r aus den Texten Augustins zitiert, als vielmehr gleichsam in und mit ihnen lebt 3 4 , und er sie dabei als ein Kirchenführer des ausgehenden sechsten Jahrhunderts z u g l e i c h weiter fortschreibt, i n d e m er sie den B e d ü r f n i s s e n seiner Zeit anpaßt und damit abwandelt 3 5 , reicht es nicht aus, lediglich nach eventuell vorhandenen Parallelen und Zitaten aus A u g u s t i n s Schriften zu forschen. V i e l m e h r m u ß nach den grundlegenden Perspektiven und den zentralen T h e m e n gefragt werden, in die Gregor seine D e u t u n g des Hiobbuches stellt 3 6 . In seiner Praefatio hatte Gregor entfaltet, daß s e i n e A u s sagen über die Kirche und ihre praedicatores in den größeren K o n t e x t der H e i l s g e s c h i c h t e gehören 3 7 , w o b e i für ihn offenbar in erster Linie die augustinischen Vorstellungen v o n S c h ö p f u n g und Fall, Gnade und Erwählung s o w i e v o m G e g e n s a t z z w i s c h e n den b e i d e n corpora auch innerhalb der vorfindlichen Kirche im Sinne eines corpus permixtum leitend waren 3 8 . Sie bilden für ihn den R a h m e n , innerhalb d e s s e n er das B u c h H i o b auslegt und damit über 33 Es wäre vermutlich durchaus möglich gewesen, auch andere augustinische Texte neben die aus den Moralia ausgewählten Abschnitte zu stellen. 34 Vgl. dazu STRAW, Gregory the Great, 13; VAN BANNING, Gregory the Great, 484: „He almost never gives a literal quotation, even if you can feel constantly how much he must have read from all the Church Fathers, in particular St. Augustine". Ähnlich FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 359: „Gregor [hat] sich bestimmte Grundgedanken, besonders Augustins, so sehr zu eigen gemacht, daß er ohne direkte textuelle Abhängigkeit aus dessen Geist heraus zu schreiben vermochte". MARKUS, Gregory the Great, 17: „Usually he covers his tracks so well as to expunge all identifiable traces of his sources." Vgl. auch RECCHIA, La memoria, 417.431f. und PARONETTO, Une présence, 515. 35 Vgl. auch H.-I. MARROU, Rez. M. Frickel: Deus totus ubique simul, RHR 152, 1957, 224-226, hier 226: „II est bien évident que l'influence augustinienne est partout présente chez lui, mais saint Grégoire n'est pas simplement un écho, plus ou moins déformant, plus ou moins infidèle, il a aussi une expérience propre, un message à transmettre, une pensée qui n'appartient qu'à lui". 36 Vgl. auch sehr allgemein STRAW, Gregory the Great, 1 If.; FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 359. 37 FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 17f. „Im Denken Gregors, soweit es sich in seiner Verkündigung und Schriftauslegung widerspiegelt, gibt es kein Wesen der Kirche an sich, das unabhängig von der Heilsgeschichte erkennbar und darstellbar wäre, vielmehr ist letztere der Rahmen, innerhalb dessen sich Existenz und Schicksal der Kirche realisieren sowie dem Gläubigen manifestieren". Insofern ist auch die Zusammenstellung der gregorianischen Lehre, geordnet nach den dogmatischen Loci, wie man sie bei DUDDEN, Gregory the Great II, 296ff. findet, wenig geeignet, einen Zugang zu Gregors Denken zu bekommen. 38 Vgl. STRAW, Gregory the Great, 109 Anm. 17, die diesen Sachverhalt jedoch nur kurz streift: „Gregory does follow Augustine's view on the Fall in civ. 12-14; the influence of other works is more subtle". Vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 364f., der den Einfluß der augustinischen Lehre von den beiden ciuitates auf Gregor hervorhebt.

85

Die Rolle der Kirche und ihrer praedicatores den Ort der g e g e n w ä r t i g e Kirche und die R o l l e der kirchlichen innerhalb dieser H e i l s g e s c h i c h t e nachdenkt. 6.1.2. Die Ursünde des Teufels

des Menschen

als hochmütige

Abkehr

praedicatores

von Gott im

Gefolge

W i e A u g u s t i n 3 9 g e h t auch Gregor d a v o n aus, daß Gott den M e n s c h e n im Paradies e b e n s o w i e d i e E n g e l als v o l l k o m m e n rationales W e s e n zu s e i n e m Ebenbild erschaffen hat 40 . N a c h d e m Bilde und d e m Ratschluß des Schöpfers gemacht 4 1 , überragte der M e n s c h als eine creatura rationalis alle Tiere 4 2 , und herrschte s o w o h l über die sichtbare S c h ö p f u n g als auch kraft seines Verstandes über s e i n e n e i g e n e n Leib 4 3 . Aufgrund s e i n e s freien W i l l e n s b e s a ß das G e s c h ö p f die M ö g l i c h k e i t , seiner B e z i e h u n g zum Schöpfer zu entsprechen 4 4 . D e m ü t i g sollte der M e n s c h den Schöpfer als seinen Herrn anerkennen und

39 Zu den Übereinstimmungen zwischen Augustin und Gregor im Hinblick auf die Anthropologie vgl. DUDDEN, Gregory the Great II, 374-392; WEBER, Hauptfragen, 106139. 40 Zu den Engeln als Gliedern der himmlischen Gemeinschaft bei Gregor und Augustin, vgl. FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 82ff. 41 Gregor betont häufiger, daß Gott den Menschen zu seinem Bilde, d. h. als ein vernünftiges Wesen geschaffen habe, Mor. V 34,63 (262,46f. Adriaen): Rationalis uero creatura eo ipso quo ad imaginem auctoris est condita. Gregor unterscheidet nicht zwischen imago und similitudo, vgl. Mor. IX 49,75 (509,26-32 Adriaen); Mor. VI 12,14 (293,2f. Adriaen), Mor. XXIX 10,21 (1448,6-9 Adriaen); Mor. XXXII 12,17 (1642,56ff. Adriaen). Er ist hier deutlich von Augustin abhängig, vgl. Augustin De civ. XII 24 (381,lff. Dombart/Kalb); De trin. XI 5,8 (CCSL 50, 343,1-344,41 Mountain/Glorie); und dazu auch F. A. FAY, Imago Dei. Augustine's Metaphysics of Man, Antoninianum 49, 1974, 173-197. Dagegen will G. PENCO, San Gregorio e la teologia dell'imagine, Benedictina 18 (1971), 32-45 einen Unterschied zwischen Gregors Verwendung von imago und similitudo feststellen. Vgl. zum Thema der Erschaffung des Menschen bei Gregor auch WEBER, Hauptfragen, 106ff.; FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 85ff.; SCHAMBECK, Contemplatio, 83ff. 42 Mor. IX 49,75 (509,16ff. Adriaen); vgl. Augustin De civ. XII 24 (381,lff. Dombart/Kalb) und zu Gregor auch W. STÜRNER, Peccatum et potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken, Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 11, Sigmaringen 1987, 86. 43 Mor. XIV 15,17 (707,lff. Adriaen) stellt fest, daß der Mensch aus einem stärkeren Teil, dem spiritus rationalis oder der anima rationalis, und dem schwächeren Teil, dem Leib, besteht, der dem stärkeren Teil Untertan sein soll. Vgl. auch Augustin De civ. XIX 4 (666,93-95 Dombart/Kalb). 44 Zum freien Willen vgl. besonders Mor. IV 28,54 (198,5ff. Adriaen), wo ausdrücklich betont wird, daß das Geschöpf einst den freien Willen hatte, seinem Schöpfer zu entsprechen, vgl. auch Mor. III 14,26 (131,19f. Adriaen); Mor. XV 26,31 (768,12ff. Adriaen); Mor. XX 14,28 (1024,69ff. Adriaen); Mor. XXXV 14,28 (1792,132ff. Adriaen).

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Kapitel 6

ihm darum g e h o r s a m sein und nicht v o m B a u m der Erkenntnis essen 4 5 . D o c h der M e n s c h nahm seine s c h ö p f u n g s g e m ä ß e B e s t i m m u n g , die darin bestanden hatte, in enger G e m e i n s c h a f t mit Gott diesen im Paradies kontemplierend zu betrachten 4 6 , u m g e m e i n s a m mit den E n g e l n zur V o l l e n d u n g in die h i m m l i sche H e i m a t geführt und dort unsterblich zu werden 4 7 , gerade nicht demütig und g e h o r s a m an. V i e l m e h r verhielt er sich s e i n e m S c h ö p f e r u n d Herrn gegenüber ungehorsam 4 8 und w o l l t e ihm nicht länger in D e m u t untergeordnet sein 4 9 . Er verachtete die Unterordnung 5 0 und ließ sich v o m Teufel verführen 5 1 , der ihm aus H o c h m u t und sündiger V e r m e s s e n h e i t 5 2 Freiheit v o n der Unterordnung, e i n e h o h e Stellung und sogar e i g e n e Göttlichkeit versprach 5 3 . In stolzer N a c h a h m u n g des Teufels, der sich s o w o h l nach Gregors als auch nach

45 In Gehorsam wäre Adam ohne Mühe zur ewigen Seligkeit gelangt: Mor. XXXV 14,28 (1792,136-138 Adriaen): Vnde et primus homo praeceptum quod seruaret accepit, cui se si uellet oboediens subdere, ad aeternam beatitudinem sine labore perueniret. Vgl. auch Mor. IV 28,54 (198,2ff. Adriaen) und Mor. XXXV 14,29 (1794,180-183 Adriaen). Zu Augustin Gn. litt. VIII 13 (CSEL 28,1, 251,1-252,17 Zycha). Zum Gehorsam in diesem Kontext vgl. auch BAASTEN, Pride, 22f. 46 Mor. VIII 18,34 (406,27ff. Adriaen); Mor. XI 43,59 (619,2f. Adriaen); vgl. auch

LIEBLANG,

Grundfragen,

29ff.;

FLEDROWICZ,

Kirchenverständnis,

85f.;

SCHAMBECK,

Contemplatio, 83ff. 47 Das macht besonders Mor. IV 28,54 (198,1-5 Adriaen) deutlich: Ad hoc in paradiso homo positus fuerat, ut si se ad conditoris sui oboedientiam uinculis caritatis astringeret, ad caelestem angelorum patriam quandoque sine carnis morte transiret. Vgl. Augustin De civ. XII 22 (380,12-17 Dombart/Kalb): Hominem uero, cuiuis naturam quodam modo mediam inter angelos bestiasque condebat, ut, si Creatori suo tamquam uero domino subditus praeceptum eius pia oboedientia custodiret, in consortium transiret angelicum, sine morte media beatam immortalitatem absque ullo termino consecutus. Aufgrund seiner ratio sollte der Mensch nach Gregors Verständnis Gott betrachten und ewig leben, Mor. XIV 15,17 (708,1 lf. Adriaen) Vgl. auch FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 86; SCHAMBECK, Contemplatio, 84. 48 Mor. VIII 18,34 (406,27-32 Adriaen). 49 Mor. XXXV 14,29 (1793,179-1794,183 Adriaen). Vgl. Augustin In ep. Iohan. ad Parth.tr. 4,3 (PL 35, 2006f.). 50 Mor. XXXIV 21,40 (1761,9f. Adriaen): Ei quippe a quo conditus fuerat subesse despexit. 51 Vgl. zur Verführungskunst des Teufels auch H. SAVON, L'Antéchrist dans l'oeuvre de Grégoire le Grand, in: Grégoire le Grand, 389-400. 52 Mor. XXXIV 21,40 (1761,9ff. Adriaen). Gregor nimmt immer wieder auf die klassische Stelle Jes. 14,13f. Bezug: ... ascendam super altitudinem montium, similis ero altissimo. Er ist nicht nur an dieser Stelle von Augustin De civ. XIV 13 (434,lff. Dombart/Kalb) abhängig, vgl. auch D. J. MACQUEEN, Contemptus Dei: St. Augustine on the disorder of Pride in Society and its remedies, RechAug 9, 1973, 227-293, R. A. MARKUS, De civitate Dei and the Common Good, in: J. C. Schnaubelt/F. van Fleteren (Hg.): Collectanea Augustiniana. Augustine: Second Founder of the Faith, New York 1990, 245-259, und FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 84. 53 Mor. XXXIV 21,40 (1761,lOff. Adriaen); Mor. XXIX 8,18 (1446,17-22 Adriaen).

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Die Rolle der Kirche und ihrer praedicatores

A u g u s t i n s V e r s t ä n d n i s v o n der G e m e i n s c h a f t der E n g e l m i t Gott a b w a n d t e 5 4 , statt d e s s e n auf s e i n e e i g e n e G r ö ß e vertraute und s e l b s t über andere herrschen w o l l t e 5 5 , lehnte s i c h nun a u c h A d a m g e g e n d i e g ö t t l i c h e O r d n u n g auf, übertrat das g ö t t l i c h e G e b o t u n d m a ß t e s i c h an zu herrschen, w o er d o c h Gott in a l l e m u n t e r g e b e n s e i n s o l l t e 5 6 . A u s H o c h m u t erstrebte er d i e G o t t ä h n l i c h k e i t u n a b h ä n g i g v o n der T e i l h a b e a m S c h ö p f e r 5 7 , w e i l er e b e n s o w i e der T e u f e l G o t t nicht an G e r e c h t i g k e i t , s o n d e r n an M a c h t g l e i c h s e i n w o l l t e 5 8 . S e i t d e m ist der M e n s c h v o m H o c h m u t g e z e i c h n e t , i h m ist e i n peruersae z u e i g e n 5 9 , der d e n M e n s c h e n n u n m e h r zu e i n e m reprobus u n d similitudo

celsitudinis

appetitus

u n d z u einer

d e s h o c h m ü t i g e n T e u f e l s w e r d e n läßt 6 0 . D i e s e n

imago

Hochmut

b e z e i c h n e t G r e g o r d e s h a l b e b e n s o w i e A u g u s t i n 6 1 als d i e U r s a c h e u n d W u r z e l jeglicher Sünde62. 54 Mor. XXXIV 21,40f. (1761,11-1762,43 Adriaen) mit deutlichem Bezug auf Augustin De civ. XIV 13 (434,1-435,63 Dombart/Kalb). Vgl. auch FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 84f.; MACQUEEN, Contemptus, 239f. 55 In Gregors Formulierung der priuata celsitudo, Mor. XXXIV 21,40 (1762,20 Adriaen), klingt der späte Augustin nach, vgl. De civ. XI 33 (353,22 Dombart/Kalb); De trin. XII,9,14 (368,lf. Mountain/Glorie); Gn. lit. 11,15 (347,17f. Zycha). Dazu daß der Teufel herrschen will, statt Gott Untertan zu sein, vgl. De civ. XIV 11 (432,53ff. Dombart/Kalb). 56 Mor. XXIII 22,44 (1177,5-1178,8 Adriaen): Contra conditorem quippe superbire est praecepta eius peccando transcendere, quia quasi a se iugum dominationis eius excutit, cui per oboedientiam subesse contemnit. 57 Mor. III 14,26 (132,32f. Adriaen): ...ad paradisum conditus, diuinae similitudinem süperbe rapere uoluif, vgl. auch Mor. XXIX 8,18 (1446,17ff. Adriaen) und Augustin De civ. XIV 13 (434,5ff. Dombart/Kalb). 58 Mor. XXIX 8,18 (1446,21ff. Adriaen) Nach Augustin serm. 27 (PL 39, 896) will der Teufel seine Macht nicht in Abhängigkeit von Gott, sondern auf verkehrte Weise, d. h. gegen Gott ausüben: ... non esse sub illius potestate, sed habere contra illum potestatem. 59 In Mor. XXIX 8,18 (1446,23 Adriaen) nimmt er mit der Formulierung: Dei similitudinem peruerso appetendo ceciderat Augustin De civ. XIV 13 (434,5f. Dombart/Kalb) auf. Vgl. dazu MACQUEEN, Contemptus, 243f.; FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 87; vgl. auch BAASTEN, Pride, 55f. 60 Im Gefolge des Teufels wird der Mensch zur imago und similitudo des Teufels, vgl. Mor. XXXIII 3,6 (1674,41-43 Adriaen): Vmbra ergo mortes sunt omnes reprobi, quia illius nequitiam elationis imitantur; eiusque imaginem quasi umbra exprimunt, dum eius in se malitiae similitudinem trahunt. 61 Zu Augustin vgl. auch O. SCHAFFNER, Christliche Demut. Des hl. Augustinus Lehre von der humilitas, Cassiciacum 17, Würzburg 1959, 225-244; E. HEINLEIN, Die Bedeutung der Begriffe superbia und humilitas bei Papst Gregor I. im Sinne Augustins unter Berücksichtigung dieser Begriffe in den Schriften Cassians, Diss. Greifswald 1921. 62 Gregor zitiert in diesem Zusammenhang, ebenso wie Augustin, vgl. dazu MACQUEEN, Contemptus, 237ff., häufig Sir. 10,15: Initium omnis peccati superbia, so beispielsweise Mor. XIV 16,19 (708,10-709,12 Adriaen); Mor. XXIII 22,44 (1177,3f. Adriaen); Mor. XXIV 23,47 (1766,5ff. Adriaen); Mor. XXXI 45,87 (1610,14f. Adriaen); Mor. XXXII 9,11 (1636,5f. Adriaen) und Mor. XXXIV 23,47 (1766,5f. Adriaen); vgl.

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Kapitel 6

A u f g r u n d des stolzen und s ü n d i g e n U n g e h o r s a m s des M e n s c h e n g e g e n über Gott herrscht z w i s c h e n Schöpfer und G e s c h ö p f nunmehr ein Gegensatz, ja geradezu Feindschaft, weil der M e n s c h durch seinen sündigen H o c h m u t die ursprüngliche S c h ö p f u n g s o r d n u n g e i n s e i t i g a u f g e k ü n d i g t hat 63 . Statt s i c h demütig und g e h o r s a m der göttlichen Ordnung zu f ü g e n , ist der M e n s c h der teuflischen Verkehrung der göttlichen Ordnung g e f o l g t 6 4 und m u ß nun die v o n ihm selbst verursachten Spannungen und G e g e n s ä t z e ertragen, die d i e s e Verkehrung nach sich zieht 6 5 . 6.1.3. Die Auswirkungen

der menschlichen

Sünde

In einer sehr nach Augustins Ansichten v o n der m e n s c h l i c h e n Sünde klingenden Passage 6 6 beschreibt Gregor die willentliche Abkehr 6 7 des M e n s c h e n v o n der L i e b e zu Gott, für die der M e n s c h g e s c h a f f e n war und die ihm die K o n templation ermöglichte 6 8 , als e i n e n Fall a dilectione conditoris in semetipsum69. D o c h geht es Gregor w e n i g e r u m das, w a s A u g u s t i n als die Selbstliebe des M e n s c h e n 7 0 b e z e i c h n e t hatte. Gregor interessiert vielmehr das U n v e r m ö g e n des g e f a l l e n e n M e n s c h e n , bei sich zu bleiben und sich selbst zu

auch F. GASTALDELLI, Prospettive sul peccato in san Gregorio Magno, Salesianum 28, 1966, 65-94, hier 83-86; vgl. auch BAASTEN, Pride, 21 ff. 63 Mor. VIII 32,52 (423,2-6 Adriaen): Tunc sibi contrarium Deus hominem posuit cum homo Deum peccando dereliquit. Serpentis quippe persuasionibus captus hostis eius exstitit cuius praecepta contempsit. Iustus uero conditor hunc sibi contrarium posuit, quia inimicum ex elatione deputauit. Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 117; DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 254f.: „... le péché amène l'homme à choisir le monde contre Dieu, il provoque une rupture entre Dieu et nous, rupture dont nous sommes responsable dès que nous nous refusons à la grâce et à la loi divines". 64 Mor. XXIX 8,18 (1446,28ff. Adriaen) heißt die teuflische Ordnung: peruersus ordo. Zur Zerstörung der göttlichen Ordung durch den teuflischen und menschlichen Hochmut vgl. auch STÜRNER, Peccatum et potestas, 87. 65 Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 52. 66 Mor. VIII 10,19 (395,8ff. Adriaen). 67 Augustins Nachdenken über den in sich gespaltenen menschlichen Willen interessiert Gregor nicht, vgl. auch STRAW, Gregory the Great, l l l f . Vgl. auch P. CATRY, Amour du monde et amour de Dieu chez saint Grégoire le Grand, StMon 15, 1973, 253275. 68 Mor. VIII 10,19 (395,8-11 Adriaen): Ad hoc namque homo Canditus fuerat ut, stante mente, in arcem se contemplationis erigerei, et nulla hunc corruptio a conditoris sui amore declinaret. 69 Mor. VIII 10,19 (395,11-13 Adriaen), zu den Unterschieden zwischen Gregor und Augustin vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 109. 70 Der für Augustin so charakteristische Gegensatz zwischen amor Dei und amor sui, vgl. zur Genese dieses Gedankens etwa O. O'DONOVAN, The Problem of Self-Love in St. Augustine, New Häven 1980, spielt bei Gregor kaum eine Rolle, auch wenn er die Formulierung amor sui bisweilen verwendet, vgl. z.B. Mor. XVI 47,60 (833,8f. Adriaen).

Die Rolle der Kirche und ihrer

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genügen 71 , weil das Geschöpf mit dem Verlust der engen Bindung an den Schöpfer nach seinem Verständnis gleichsam sein eigentliches Selbst verloren hat 72 . Gregor kann deshalb sagen, daß der Mensch, der sich selbst gefallen will, sich zugleich von sich selbst entfernt 73 . Ohne die enge Gemeinschaft mit seinem Schöpfer meint der Mensch zwar, sich selbst genügen zu können, doch muß er feststellen, daß er in sich selbst sowohl von Seiten des Fleisches als auch von Seiten des Geistes nichts als Unordnung und Bedrückung erlebt 74 . Außerhalb seines eigentlichen Selbst, das von der engen Beziehung zu Gott geprägt sein sollte, lebt er gänzlich mit sich selbst entzweit 75 . Dahinter steht offenbar der augustinische Gedanke, daß Gottes Gerechtigkeit den sündigen Menschen sich selbst anheimgibt, so daß dieser ohnmächtig dem Streit mit sich selbst ausgeliefert wird 76 . Gregor wird diesen grundlegenden Zwiespalt des Menschen mit sich selbst vor allem im gestörten Verhältnis zwischen Geist und Leib und in den hierarchischen Verhältnissen der Menschen untereinander akzentuieren. 6.1.3.1. Der Verlust der ursprünglichen stabilitas des Menschen Nach Gregors Ansicht hatte Gott den Menschen ursprünglich so geschaffen, daß er in sich selbst bestehen konnte, solange er seinem Schöpfer zugewandt blieb 77 . In der hochmütigen und ungehorsamen Abwendung von der Liebe 71

Mor. VIII 32,55 (424,64ff. Adriaen) als Auslegung zu Hiob 7,20; Mor. XXXIV 21,40 (1762,23-25 Adriaen): Relieto eo qui uere illi sufficere poterai, se sibi sufficere posse iudicauit, et tanto magis infra se cecidet, quanto magis se contra gloriam sui conditoris erexit. Mor. VIII 10,19 (395,14 Adriaen) heißt es: nec in se consistere potuit. Vgl. dazu auch STRAW, Gregory the Great, 112f. 72 Vgl. dazu DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 168-170: Le péché comme sortie hors de soi. 73 Mor. X ,43,59 (619,2-4 Adriaen): Humanum genus contemplationem lucis intimae habuit in paradiso; sed sibimetipsi placens, quo a se recessit, lumen conditoris perdidit 74 Mor. VIII 32,55 (424,64-425,70 Adriaen): quia dum repulsus homo et a carne molestias, et a mente quaestiones tolerat, graue nimirum pondus semetipsum portat. Vndique larguoribus premitur, undique infìrmitatibus urgetur ut qui, relieto Deo, se sibi ad requiem sufficere credidit, nihil in se nisi tumultum pertubationis inueniret, inuentumque se fugere quaereret; sed auctore contempto, quo se fugeret non haberet. 75 Mor. VIII 10,19 (395,16 Adriaen): ... edam a semetipso dissensit; Mor. XXVI 44,79 (1326,18f. Adriaen): ... a semetipso aliquo modo etiam nesciendo deriuatur. Vgl. auch BAASTEN, Pride, 56. 76 Augustin De civ. XIV 15 (347,10-13 Dombart/Kalb): qui sua superbia sibi placuerat, Dei iustitia sibi donaretur; nec sic, ut in sua esset omnimodis potestate, sed a se ipse quoque dissentiens ... 77 Mor. V i l i 19,35 (406,lff. Adriaen): ... ut in semetipso consisterei creauit. Letztlich dürfte Gregor sich auch an dieser Stelle auf Augustins Vorstellung bezogen haben, daß die wahre Glückseligkeit nur in der Teilhabe an Gott liegt, vgl. De civ. XII 1 ( 3 5 5 , l f f . Dombart/Kalb); De civ. XIV 13 (434,1 Off. Dombart/Kalb). Vgl. auch STRAW,

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Gottes verlor er j e d o c h d i e s e n f e s t e n Stand 7 8 und wird seither ruhelos und g l e i c h s a m w i e ein im Paradies v o m B a u m g e f a l l e n e s Blatt v o m W i n d aufgewirbelt und umher getrieben 7 9 . O h n e die ursprüngliche Festigkeit des Geistes entfernt sich der M e n s c h i m m e r weiter v o n sich selbst, i n d e m er sich der Schuld und d e m Laster i m m e r weiter ausliefert und sich v o n ihnen beherrschen läßt 80 . Der erste M e n s c h war zunächst noch in der Lage, g l e i c h s a m aufrechtstehend vorüberzugehen, d o c h n a c h d e m er v o n der v e r b o t e n e n Frucht g e g e s s e n hatte, nahm er an e b e n d i e s e m status Schaden 8 1 . W e i l er s e i n e n Geist nicht auf Gott richten und stehen bleiben wollte, als er es noch konnte, kann er jetzt nicht m e h r aufrecht s t e h e n bleiben, s e l b s t w e n n er e s d e n n wollte 8 2 . D e m sündigen M e n s c h e n mangelt es an dem, w a s Gregor mit d e m m o n a s tisch geprägten B e g r i f f der stabilitas b e z e i c h n e t 8 3 . Statt d e s s e n wird der

Gregory the Great, 76 Anm. 54. Gregor setzt jedoch mit der Beschreibung des menschlichen Selbst einen etwas anderen Akzent als Augustin. 78 Mor. VIII 10,19 (394,11-16 Adriaen): Sed in eo quod ab ingenita standi soiiditate uoluntatis pedem ad culpam mouit a dilectione conditoris in semetipsum protinus cecidit. Amorem uero Dei, ueram scilicet stationis arcem deserens, nec in se consistere potuit, quia, lubricae mutabilitatis impulsu, infra se per corruptionem proruens, etiam a semetipso dissensit, vgl. auch Mor. IX 33,50 (491,13ff. Adriaen); Mor. XX 14,36 (1029,244ff. Adriaen); Mor. VIII 10,22 (398,90f. Adriaen); Mor. XXXV 17,43 (1804,25ff. Adriaen) und dazu DUDDEN, Gregory the Great II, 376ff.; STRAW, Gregory the Great, 107-127: Lubrica Mutabilitas. 79 Mor. XI 44,60 (619,lff. Adriaen) als Auslegung zu Hiob 13,25. 80 Mor. X 11,21 (552,17ff. Adriaen). 81 Mor. XI 50,68 (625,32-37 Adriaen): Fixum etenim statum hic habere non possumus ubi transituri uenimus; atque hoc ipsum nostrum uiuere, cotidie a uita transire est. Quem uidelicet lapsum primus homo ante culpam habere non potuit quia tempora, eo stante transiebant. Sed postquam deliquit in quodam se quasi lubrico temporalitas posuit; et quia cibum comedit uetitum, status sui protinus inuenit defectum. Vgl. auch die Beschreibungen in Mor. XXIV 11,32 (1211,228ff. Adriaen); Mor. XXV 3,4 (1232,38-45 Adriaen); Mor. XXVI 44,79 (1325,10ff. Adriaen) und auf den menschlichen Geist bezogen Mor. V 33,58 (260,11 Adriaen): Non ergo stat, sed transitspiritus. 82 Mor. VIII 10,19 (396,19f. Adriaen): Quia enim fixa mens stare cum potuit noluit, stare iam non ualet etiam cum uolet. Augustin De civ. XIV 13 (434,10ff. Dombart/Kalb) heißt es: si uoluntas [...] stabilispermaneret... 83 Vgl. neben bereits zitierten Stellen wie Mor. VIII 10,19 (394,11-16 Adriaen); Mor. XI 50,68 (625,32-37 Adriaen), z.B. auch Mor. XV 15,19 (760,25f. Adriaen): Quae dum nulla stabilitate solidata sunt, ea procul dubio uentus uitae mortalis rapit. Zum Begriff der stabilitas bei Gregor vgl. auch DUDDEN, Gregory the Great II, 276; WEBER, Hauptfragen, 226; DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 169 und STRAW, Gregory the Great, 78f. Zum monastischen Hintergrund des Begriffs der stabilitas, vgl. auch P. MLQUEL, De la stabilité, CCist 3, 1974, 313-322; J. LECLERCQ, Eloge de la stabilité, CCist 47, 1985, 259-266.

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M e n s c h den F o l g e n seiner e i g e n e n verdorbenen mutabilitas** und corruptio85 ausgesetzt, d i e seit der U r s ü n d e zu seiner m e n s c h l i c h e n Natur gehören 8 6 . W i l l e n t l i c h hat der M e n s c h s e i n e n e i n s t i g e n Stand v e r l a s s e n , g e z w u n g e nermaßen ist er dafür z u m S k l a v e n seiner e i g e n e n corruptio g e w o r d e n und m u ß die gerechte Strafe des T o d e s auf sich nehmen 8 7 , auf den sein zeitliches Leben nunmehr unaufhaltsam zusteuert 88 . Überdies hat er nach d e m leiblichen T o d auch den e w i g e n T o d zu fürchten 8 9 . Der T o d ist j e d o c h nur die äußere Seite der verdorbenen mutabilitas, die den M e n s c h e n seit seiner A b w e n d u n g v o m Schöpfer trifft. D e n n auch in sein e m Inneren, in s e i n e m Geist, m u ß er die mutabilitas ertragen, weil sein Geist ständig zu etwas anderem strebt als zu sich selbst, s o daß der M e n s c h kontinuierlich und dauerhaft große M ü h e n a u f w e n d e n muß, u m nicht noch tiefer zu sinken 9 0 . Ihn hält es nicht lange an e i n e m Ort 91 , nichts kann ihm mehr g e n ü gen 9 2 , w e i l er seither e i n e g e r a d e z u fatale L i e b e zu v e r g ä n g l i c h e n D i n g e n

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Mutabilitas gehört zum Wesen des Geschaffenen, weshalb auch die nicht gefallenen Engel mutabilis sind, Mor. V 38,68 (267,Iff. Adriaen). Den gefallenen Menschen kennzeichnet dagegen corruptio und mutabilitas. Vgl. zur mutabilitas bei Gregor auch DUDDEN, Gregory the Great II, 380f.; LIEBLANG, Grundfragen, 32; WEBER, Hauptfragen, 2 2 8 ; BAASTEN, P r i d e , 5 6 . 85

Vgl. z.B. Mor. VIII 6,8 (386,12f. Adriaen): Sponte quippe ab statu condicionis lapsa, et corruptionis suae putredine subdita. 86 Mor. XXVI 44,79 (1325,16-1326,18 Adriaen): Qui tarnen mutabilitatis usus ex primae praeuaricationis uitio iam quasi in naturam uenit. 87 Mor. XIX 1,2 (957,30f. Adriaen) betont, daß der Mensch nicht hätte sterben müssen, wenn er demütig stehen geblieben wäre. Vgl. Mor. IV 34,68 (213,41-44 Adriaen); und dazu auch SCHAMBECK, Contemplatio, 92ff. 88 Wie Augustin De civ. XIII 10 (391,Iff. Dombart/Kalb) bringt auch Gregor in Mor. XI 50,68 (624,16ff. Adriaen) den Tod mit der mutabilitas des Menschen in Verbindung. Mor. XXV 3,4 (1231,30ff. Adriaen) schildert den Verlust des Urstandes als einen Verlust der Unsterblichkeit, zu der der Mensch bestimmt war. Vgl. dazu auch die Ausführungen von C. STRAW, Purity and Death, in: Gregory the Great. A Symposium, 16-37. 89 Mor. IX 21,32 (479,6ff. Adriaen). 90 Mor. VIII 6,8 (368,15-18 Adriaen): Qui enim statum mentis inclinata deseruit, quid in se nisi motum uarietatis inuenit? Vnde nunc etsi ad summa appetanda se erigit, mutabilitas lubricae impulsu protinus ad semetipsam cadit. Mor. XI 50,68 (625,41-47 Adriaen): Quam tarnen mutabilitatem non solum exterius, sed interius quoque homo patitur, dum ad meliora exsurgere opera conatur. Mens enim mutabilitatis suae pondere ad aliud semper impellitur quam est, et nisi in statu suo arcta custodiae disciplina teneatur, semper in deteriora dilabitur. Quae enim semper stantem deseruit, statum quam habere potuit amisit. Vnde nunc cum ad meliora nititur quasi contra ictum fluminis conatur. Cum uero ab intentione ascendendi resoluitur, sine labore reducitur ad ima. Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 117; BAASTEN, Pride, 57f. 91 Mor. VIII 10,19 (396,20-29 Adriaen) als Auslegung zu Hiob 7,4; vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 89ff. 92 Mor. XXVI 44,79 (1326,24ff. Adriaen); Mor. VIII 10,19 (396,25f. Adriaen): Nil perceptum menti sufficit quia ipsum qui uere sufficere potuit, amisit.

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besitzt, die sich ständig wandeln und ihn von sich selbst ablenken 93 . Folgt er dieser Neigung und richtet seinen Sinn auf dieses wandelbare und flüchtige gegenwärtige Leben, dann kann er in Gregors Augen erst recht keinen festen Stand mehr gewinnen 94 . Da der Mensch mit seiner hochmütigen Abkehr von der demütigen Unterordnung unter den Willen Gottes diesem Leben mit seinen sich ständig ändernden Notwendigkeiten 95 ausgeliefert ist, muß er sich nicht nur um die sich gleichfalls ständig wandelnden Bedürfnisse seines vergänglichen Körpers kümmern, sondern zugleich auch feststellen, daß sein Geist trotz eifriger Bestrebungen letztlich unfähig ist, sich seinem Schöpfer dauerhaft und in angemessener Weise zuzuwenden 96 . Nicht nur der äußere Mensch, der Körper, auch der innere Mensch, sein Geist97, ist mit dem Verlust der ursprünglichen stabilitas so stark beschädigt, daß Hiob den gesamten Menschen mit Recht einen Verwandten der Würmer nennen kann, da er nicht nur von Seiten seiner körperlichen Natur, sondern auch von Seiten seines Geistes, voll und ganz verdorben ist98. 6.1.3.2. Der Kampf des menschlichen Geistes mit dem ungehorsamen

Fleisch

Der Geist als der höchste Teil des Menschen war in besonderer Weise zur Kontemplation, Erkenntnis und Gemeinschaft mit dem Schöpfer bestimmt. 93 Mor. VIII 32,54 (424,40-43 Adriaen): Transitoria pertinaciter diligit eorumque omissione incessanter atteritur, quia et incessanter cursu rapiente permutatur. Rebus autem mutabilibus subdita et a semetipsa uariatur. Mor. X 11,21 (552,17-23 Adriaen); Mor. XII 7,10 ( 6 3 4 , l f f . Adriaen); Mor. X X V I 44,79 (1325,13-16 Adriaen). 94 Mor. XX 14,36 (1029,244-248 Adriaen): Glarea namque est uita praesentis, quae indesinenter ad terminum suum ipso defectu mutabilitatis, quasi impulsu fluminis ducitur. Super glaream itaque habitare, est fluxui uita praesentis inhaerere, et ibi intentionem ponere, ubi gressum nequeat fixe stando solidare. 95 Zu den Notwendigkeiten vgl. auch Mor. XVIII 41,66 (931,12-14 Adriaen): Considerai namque unde quo lapsus est, quod a paradisi gaudiis ad aerumnas uitae praesentis, ab angelorum societatibus it ad curas necessitatimi; Mor. XX 14,28 (1024,69ff. Adriaen); Mor. XI 49,66 (624,40f. Adriaen). Sie sind eine Folge der ersten Schuld Mor. XX 14,29 (1025,117f. Adriaen): Quas uidelicet necessitates ex parentis primi culpa meruimus. 96 Vgl. auch Mor. VIII 32,52f. (423,9ff. Adriaen) und Mor. IV 34,68 (212,6ff. Adriaen). 97 Die A u s l e g u n g zu Hiob 10,9-12 in Mor. IX 50,76-53,81 (510,1-513,78 Adriaen) wird einmal auf den äußeren Menschen, den Körper, und dann auf den inneren M e n schen, den Geist, bezogen. 98 Mor. XIII 4 5 , 5 0 (695,9-16 Adriaen) als A u s l e g u n g zu Hiob 17,14: Quod si intellegi spiritaliter potest, et mater natura, et consuetudo non immerito soror uocatur quia ab illa cum ista sumus. Quae uidelicet mater et soror uermes sunt, quia ex natura corruptibili et consuetudine peruersa cogimur, ut quasi quibusdam uermibus, sie inquietis cogitationibus in mente fatigemur. Carnis enim natura uitiata et consuetudo peruersa quia innúmeras curas in corde infirmitatis nostrae generant, bene mater et soror uermes uocatur.

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D o c h durch seinen sündigen Ungehorsam steht der M e n s c h nunmehr außerhalb seiner selbst und damit weit entfernt v o m göttlichen Licht". Mit der Sünde stürzte der M e n s c h nicht nur aus dem Paradies in das Exil dieser Welt, sein Geist und seine Seele verloren gleichzeitig auch die Fähigkeit, das Göttliche, das unsichtbare Licht, unmittelbar und direkt schauen zu können 1 0 0 . Gregor ist davon überzeugt, daß der Geist des Menschen verdunkelt wurde und fiel, als der M e n s c h der Verlockung des T e u f e l s nachgab und ihm zustimmte 1 0 1 . Daraufhin konnte der Teufel in das Innerste des M e n s c h e n eindringen und berechtigterweise Macht über ihn gewinnen 1 0 2 . Seither ist der menschliche Geist entscheidend geschwächt und kann sich der vielfältigen delectatio carnis kaum noch erwehren 1 0 3 . W i e ein Blinder, der in der Dunkelheit umhertappt 104 , verliert er sich in der Liebe zu den sichtbaren D i n g e n und kann nichts anderes mehr erkennen, als was er mit seinen körperlichen A u g e n zu erkennen vermag 1 0 5 . Mit augustinischen Formulierungen führt Gregor aus,

Mor. VIII 18,34 (406,27-32 Adriaen): Ad contemplandum quippe Creatorem homo conditus fuerat ut eius Semper speciem quaereret, atque in sollemnitate illius amoris habitaret. Sed extra se per inoboedientiam missus, mentis suae locum perdidit quia, tenebrosis itineribus sparsus, ab inhabitatione ueri luminis elongauit. Mor. VIII 6,8 (386,15f. Adriaen). 100 Mor. V 34,61 (261,5-10 Adriaen); Mor. VIII 18,34 (406,27-32 Adriaen); Mor. IX 33,50 (491,25-30 Adriaen); Mor. XI 42,58 (618,35ff. Adriaen); vgl. auch LIEBLANG, Grundfragen, 31ff.; W E B E R , Hauptfragen, 226f.; STRAW, Gregory the Great, 107ff.; GLLLET, Introduction, 21ff.; FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 90f.; SCHAMBECK, Contemplatio, 95f. 101 Mor. XIII 44,49 (694,6-8 Adriaen): Tunc uero homo suum lectulum in tenebris strauit quando lucem iustitiae persuasori callido consentiendo deseruit. Mor. XXXV 17,43 (1804,20-22 Adriaen und 1805,46-52 Adriaen); Mor. XXXII 21,40 (1659,13ff. Adriaen). 102 Der Mensch wird zu Recht zu einem Gefangenen des Teufels, indem er ihm zustimmt, vgl. Mor. XVII 30,46 (877,31-34 Adriaen): Ipse namque diabolus in illa nos parentis primi radice supplantans, sub captiuitate sua quasi iuste tenuit hominem qui libero arbitrio conditus, ei iniusta suadenti consensit. 103 Mor. IV 13,25 (180,17ff. Adriaen); Mor. IV 27,49 (193,18-28 Adriaen) beschreibt Gregor, wie die Schlange zunächst Eva mit den fleischlichen Genüssen lockt und es ihr über Eva schließlich gelingt, auch Adams aufrechten Geist durch die Verlockungen des Fleisches zu Fall zu bringen. 104 Mor. VIII 30,49 (421,21-23 Adriaen) nennt den sündige Menschen einen Menschen, der gleichsam ohne Augen geboren wird. Vgl. auch Mor. IX 13,20 (471,36-38 Adriaen); Mor. IX 62,94 (523,27f. Adriaen); Mor. XXXV 17,34 (1804,20-22 Adriaen) und zu den Begriffen caecitas, tenebrae und nox, mit denen Gregor diesen Zustand umschreibt, auch SCHAMBECK, Contemplatio, 95. 105 Mor. V 34,61 (261,5-10 Adriaen): Humana quippe anima primorum hominum uitio a paradisi gaudiis expulsa, lucem inuisibilium perdidit et totam se in amorem uisibilium fudit, tantoque ab interna speculatione caecata est quanto foras deformiter sparsa; unde fit ut nulla nouerit nisi ea quae corporeis oculis, ut ita dixerim, palpando

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daß der Mensch, wenn er das göttliche Gebot gehalten hätte, seinem Fleisch nach geistig geworden wäre, nun aber als Sünder auch seinem Geist nach fleischlich geworden ist106. Gregor setzt jedoch einen etwas anderen Akzent als Augustin, indem er dafür in erster Linie den Körper und die körperlichen Sinne verantwortlich macht, die den Menschen immer weiter von seiner eigentlichen Ausrichtung ablenken107. Da der Körper selbst aus sichtbarem Material besteht, bindet er den menschlichen Geist an das Sichtbare und Irdische, füllt ihn beständig mit Gedanken an niedere Dinge108 und beschwert ihn durch die corruptio, die ihm seit der ersten Sünde zu eigen ist109. Von den körperlich sichtbaren Dingen geblendet ist dem menschlichen Geist der Blick auf das Unsichtbare verstellt110 und über die körperlichen Sinne gelangen immer neue Begierden wie Licht durch ein Fenster in das Innere des Menschen111. Auf diese körperlichen Dinge fixiert kann die menschliche ratio, die

cognoscit. Vgl. auch DUDDEN, Gregory the Great, 381f.; DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 208f. 10 ® Mor. V 34,61 (261,10-12 Adriaen): Homo enim, qui sipraeceptum seruare uoluisset, etiam carne spiritalis futurus erat, peccando factus est etiam mente carnalis ... Vgl. Augustin De civ. XIV 15 (437,9f. Dombart/Kalb): ... ut homo, qui custodiendo mandatum futurus fuerat etiam carne spiritalis, fieret etiam mente carnalis ... 107 Mor. V 34,61 (261,10-12 Adriaen): Homo enim, qui si praeceptum seruare uoluisset, etiam carne spiritalis futurus erat, peccando factus est etiam mente carnalis ut sola cogitet quae ad animum per imagines corporum trahit. Vgl. zum Unterschied zwischen Gregor und Augustin auch STRAW, Gregory the Great, l l l f . und 133: „While Augustine carefully separated body and soul, affirming the goodness of the body and locating sin in the will and the soul, Gregory tends to view sin as arising from the conflict of soul and body, reason and sensation". 10 ® Mor. V 34,61 (261,14-18 Adriaen): Corpus quippe est caeli, terrae, aquarum, animalium cunctaque rerum uisibilium, quas indesinenter intuetur, in quibus dum totam se delectata mens proicit, ab internae intellegentiae subtilitate grossescit; et quia iam erigere ad summa se non ualet in his infirma libenter iacet. 109 Gregor zitiert in diesem Zusammenhang häufiger Sap. 9,15: Corpus quippe quod corrumpitur aggrauat animam et deprimit terrena inhabitatio sensum multa cogitantem; so Mor. V 33,58 (260,15ff. Adriaen); Mor. VIII 23,40 (411,37ff. Adriaen); Mor. IV 34,68 (211,4ff. Adriaen); Mor. VIII 30,50 (421,37ff. Adriaen); Mor. XVII 27,39 (873,5ff. Adriaen); Mor. XVIII 44,71 (936,5ff. Adriaen); Mor. XX 3,8 (1008,93ff. Adriaen); Mor. XXVII 5,8 (1335,12ff. Adriaen); Mor. XXVIII 1,9 (1400,168ff. Adriaen); Mor. XXX 16,53 (1527,28ff. Adriaen). Dieser Vers war auch für Augustin De civ. XIV 3 (417,18-20 Dombart/Kalb) besonders wichtig. Die von Augustin getroffene Unterscheidung zwischen der Natur des Leibes als solcher und seiner corruptio war für Gregor offenbar selbstverständlich. 110 Mor. XXXI 49,99 (1619,20f. Adriaen). 111 Mor. XXI 2,4 (1065,2-9 Adriaen): Cum sit inuisibilis anima, nequaquam corporearum rerum delectatione tangitur, nisi quod inhaerens corpori quasi quaedam egrediendi foramina eiusdem corporis sensus habet. Visus quippe, auditus, gustus, odoratus et tactus, quasi quaedam uiae mentis sunt, quibus foras ueniat, et ea quae extra eius sunt substantiam concupiscit. Per hos etenim corporis sensus quasi per fenestras quasdam

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ursprünglich über den L e i b herrschen sollte 1 1 2 , d i e s e A u f g a b e h ä u f i g nicht mehr erfüllen, selbst w e n n sie es denn wollte 1 1 3 . Eindringlich und mit ständigem B e z u g auf A u g u s t i n schildert Gregor den K a m p f z w i s c h e n Körper und Geist, der d e n s ü n d i g e n M e n s c h e n mit s i c h selbst entzweit und ihn nicht länger in der L a g e sein läßt, sein e i g e n e s F l e i s c h zu beherrschen. Der erste M e n s c h lebte n o c h in Frieden mit sich selbst und verspürte keinerlei Unfrieden z w i s c h e n Geist und Leib, w e i l ihm die infirmitas s e i n e s Körpers n o c h f r e m d war. Er hätte auch weiterhin in Frieden mit sich selbst und mit s e i n e m F l e i s c h leben können, w e n n er sich nicht g e g e n seinen Schöpfer aufgelehnt hätte 1 1 4 . D o c h i n d e m der M e n s c h Gott ungehorsam wurde und sich d e m Teufel überantwortete, wurde er s c h w a c h und verlor diesen ursprünglichen Frieden, s o daß er v o n nun an einen K a m p f g e g e n sich selbst führen muß 1 1 5 . S e i t dieser Zeit w e i g e r t sich das F l e i s c h mit Recht, e i n e m Geist zu gehorchen, der seinerseits s e i n e m e i g e n e n Herrn g e g e n ü b e r ungehorsam war 1 1 6 . Ä h n l i c h w i e A u g u s t i n , v o n d e m Gregor auch an dieser Stelle a b h ä n g i g ist 117 , betont Gregor, daß der M e n s c h diesen Z w i e s p a l t an und in sich selbst erleiden muß. A u f sich selbst zurückgeworfen sein, heißt für Gregor j e d o c h in exteriora quaeque anima respicit, respiciens concupiscit. Mor. IV 26,47 (192,Iff. Adriaen); Mor. IV 26,49 (193,21-25 Adriaen). 112 Mor. XXX 16,54 (1528,49f. Adriaen): sciamus aliud in nobis esse rationale quod regit, aliud animale quod regitur. 113 Mor. VIII 32,54 (424,55-57 Adriaen): Semetipsam qualiter incorporea corpus regat intueri uult et non ualet. Vgl. auch Augustin De civ. XIV 15 (437,49ff. Dombart/Kalb). 114 Mor. XXVI 17,28 (1286,57-60 Adriaen): Si enim pie spiritus sub Deo premitur, caro illicite super spiritum non leuatur. Habet quippe spiritus commissum sibi dominium carnis, si tarnen sub Domino recognoscit iura legitimae seruitutis. Mor. VIII 6,8 (386,21f. Adriaen): Quietus homo possidere carnem potuit si bene ab auctore conditus, possidere uoluisset. Cumque se erigere contra conditorem studuit, in semetipso protinus carnis contumeliam inuenit. Vgl. auch BAASTEN, Pride, 62f. 115 Mor. IV 28,54 (198,15ff. Adriaen); Mor. IV 24,68 (212,6ff. Adriaen); Mor. VI 33,52 (321,13ff. Adriaen) Vgl. dazu die Schilderung des Menschen im Paradies bei Augustin De civ. XIV 26 (449,Iff. Dombart/Kalb) und De corr. et grat. XI 29 (PL 44, 934): Ille uero nulla tali rixa de se ipso aduersus se ipsum tentatus atque turbatus, in illo beatitudinis loco sua secum pace fruebatur. Doch in den sündigen Menschen: ... in eis caro concupiscit aduersus spiritum, et spiritus aduersus carnem ... Vgl. auch MCGINN, Mystik II, 83. 116 Mor. XXVI 17,28 (1286,60-1287,68 Adriaen): Nam si auctorem suum superbiendo contemnit, iure et a subiecta came proelium suscipit. Vnde et ille primus inoboediens mox ut superbiendo peccauit, pudenda contexit. Quia enim contumeliam spiritus Deo intulit, mox contumeliam carnis inuenit. Et quia auctori suo esse subditus noluit, ius carnis subditae quam regebat amisit, ut in seipso uidelicet inoboedientiae suae confusio redundaret, et superatus disceret, quid elatus amisisset; vgl. dazu auch STRAW, Gregory the Great, 116 117 Vgl. besonders Augustin De civ. XIII 13 (395,5ff. Dombart/Kalb).

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erster Linie, daß der M e n s c h mit d e m Leib „in sich selbst etwas hat, das ihn bedrängt" 1 1 8 . Mit d e m ersten U n g e h o r s a m und der h o c h m ü t i g e n A u f l e h n u n g g e g e n ü b e r Gott hat sich der M e n s c h g e g e n die ursprüngliche dispositio und den daraus resultierenden Frieden des Schöpfers gestellt 1 1 9 und er m u ß nun, s o l a n g e er lebt und sich in d i e s e m Leib befindet, den Aufruhr des F l e i s c h e s als die gerechte Strafe ertragen, die ihn mit der Last der S c h w ä c h e geboren sein und etwas F e i n d l i c h e s mit sich führen läßt 120 . Selbst diejenigen, die sich vor den E i n f l ü s s e n der W e l t verschließen und statt d e s s e n ganz auf das Göttliche konzentrieren w o l l e n , tragen diesen Kampf noch s o l a n g e in sich, w i e sie körperlich in dieser W e l t leben 1 2 1 . A u c h w e n n sie sich v o n allen körperlichen B e g i e r d e n trennen und ausschließlich nach oben streben, s o sind sie dennoch d e m Widerstreit der corruptio d e s L e i b e s ausgeliefert, die l e b e n s l a n g ihr Feind bleibt 1 2 2 . A u c h sie gehören zu den Nachfahren A d a m s und sind damit

118

Mor. XI 48,64 (622,12 Adriaen): In semetipse habet homo unde temptetur. Ähnlich auch Mor. XI 52,70 (626,3-5 Adriaen): Homo enim in corruptibili carne uiuens habet temptationum immunditias impressas in semetipso quia nimirum eas traxit ab origine. Gregor beschreibt den Leib als Gewand der Seele, das aus sich heraus voller Motten ist und sich damit selbst verzehrt. Dieses Bild verwendet er häufiger, vgl. auch Mor. IV 13,24f. (180,10ff. Adriaen) und Mor. V 38,68 (268,40ff. Adriaen) Zu der Akzentverschiebung gegenüber Augustin vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 122. 119 Mor. IX 5,5 (458,1-459,18 Adriaen) als Auslegung von Hiob 9,4: Quis restitit ei et pacem habuit?: Qui enim cuncta mirabiliter creat, ipse ut creata sibimet conueniat ordinai. In quo ergo conditori restitur, pacis conuentio dissipatur quia ordinata esse nequeunt, quae superni moderaminis dispositionem perdunt. Quae enim subiecta Deo in tranquillitate persisterent, ipsa se sibimet dimissa confundunt; quia in se pacem non inueniunt, cui uenienti desuper in auctore contradicunt. Sic summus ille angelicus spiritus, qui subiectus Deo in culmine stare potuisset, semetipsum repulsus patitur, quia per naturae inquietudinem foras uagatur. Sic primus humani generis parens qui auctoris praecepto restitit, carnis protinus contumeliam sensit; et qui subesse conditori per oboedientiam noluit, sub semetipso prostratus et pacem corporis amisit. Bene ergo dicitur: Quis restitit ei et pacem habuit? Quia peruersa mens unde se contra auctorem erigit, inde se in semetipsa confundit. Resistere autem Deo dicimur cum repugnare eius dispositionibus conamur. Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 116. 120 Mor. Vili 6,8 (386,24-27 Adriaen). 121 Mor. XVII 15,21 (864,17-21 Adriaen): Sed ecce nonnulli per donum spiritus adiuti contra infirmitatem suae carnis eriguntur, uirtutibus emicant, signorum quoque miraculis coruscant; nullus tamen est qui sine culpa uitam transeat, quousque carnem corruptionis portai. 122 Mor. VIII 22,38 (410,40-44 Adriaen): Sed mens [...] a cunctis delectationibus carnis forti cogitatione separatur, ad summa proficere appetii; et tamen adhuc de corruptione corporis contradictionem sentit. Mor. IX 26,40 (484,20-22 Adriaen): Vel certe et innocentem et impium ipse consumere dicitur, quia quamuis in mentis uita diuisi sint, primae tamen culpae merito aeque ad carnis interitum pertrahuntur. Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 134: „For those who have undertaken the solitary struggle for perfection, the body is the soul's mortal enemy".

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praedicatores

schon von ihrer Geburt an mit der Erbsünde belastet 123 , die für Gregor wie auch für Augustin über die fleischliche Begierde weitergegeben wird124. Der Mensch stammt aus der corruptio camis, die zugleich die Sündenstrafe ist, und er trägt sie zeit seines Lebens mit sich125. Ihr kann niemand entgehen, weshalb jeder, der in diesem Leben zu Gott zurückkehren möchte, mit dem Apostel Paulus noch ein anderes Gesetz in seinen Gliedern spürt, das dem Gesetz seines Geistes widerstreitet126. Im Widerstand des Fleisches gegen den Geist, der den Zwiespalt des Menschen mit sich selbst ausmacht, spiegelt sich einerseits die hochmütige Abkehr des Menschen vom Schöpfer. Andererseits ist der Aufruhr des Fleisches aber auch schon die Strafe für den Menschen, die er ertragen muß, weil er die göttliche Schöpfungsordnung derart nachhaltig gestört hat127. 6.1.3.3. Der Verlust der ursprünglichen Gleichheit zwischen den Menschen Die heillose und verheerende Unordnung, die sich der Mensch mit seiner hochmütigen und ungehorsamen Abwendung von der Teilhabe an Gottes Ordnung selbst zugezogen und unter der er nun zu leiden hat, betrifft aber nicht nur den Einzelnen, sondern auch das gesamte soziale Gefüge der Menschen untereinander. Gregor betont immer wieder, daß alle Menschen als göttliche Geschöpfe von Natur aus gleich geschaffen und lediglich den unvernünftigen Tieren übergeordnet waren128. Aber ebenso wie der Teufel in 123 Mor. IV (praef. 3) ( 1 5 9 , 6 2 f f . Adriaen); Mor. IX 2 1 , 3 2 ( 4 7 9 , l f f . Adriaen); Mor. X V 5 1 , 5 7 ( 7 8 4 , l f f . Adriaen); Mor. X X I V 2,4 ( 1 1 9 1 , 6 5 - 6 9 Adriaen): Omnes uidelicet nos inimica illa persuasio in culpa contagium ab ipsa radice polluerat, nullusque erat qui apud Deum pro peccatoribus loquens , a peccato Uber appareret, quia ex eadem massa editos aeque cunctos par reatus inuoluerat. Zur Erbsünde bei Gregor vgl. auch D U D D E N , Gregory the Great II, 3 8 4 f f . ; W E B E R , Hauptfragen, 2 3 0 - 2 3 3 ; S T R A W , Gregory the Great, 122f.; S C H A M B E C K , Contemplado, 83ff. 124 Gregor bezieht sich dabei häufig auf Ps. 50,7: Ecce enim in iniquitatibus conceptus sum et in delictis peperit me mater mea, vgl. Mor. IV (praef. 3) (160,74f. Adriaen); Mor. IX 4 8 , 7 3 (508,5f. Adriaen); Mor. XI 52,70 (626,7f. Adriaen); Mor. XVIII 5 2 , 8 4 (948,28f. Adriaen); Mor. XXVIII 19,43 (1430,13f. Adriaen). 125 Mor. XIII 4 5 , 5 0 ( 6 9 5 , l f f . Adriaen). 126 U m den Zwiespalt im Menschen deutlich zu machen, zitiert Gregor des öfteren Rom. 7,23, vgl. Mor. IV 2 8 , 5 4 ( 1 4 3 , 2 9 f f . Adriaen); Mor. VI 3 3 , 5 2 ( 3 2 1 , 1 3 f f . Adriaen); Mor. VIII 2 9 , 4 8 ( 4 2 0 , 3 1 f f . Adriaen); Mor. IX 3 6 , 5 8 ( 4 9 8 , 7 4 f f . Adriaen); Mor. X 10,17 ( 5 5 0 , 1 7 f f . Adriaen); Mor. XIX 6,12 (964,86ff. Adriaen); Mor. XXIII 11,21 ( 1 1 6 0 , 9 7 f f . Adriaen); Mor. X X I X 2,3 ( 1 4 3 5 , 2 9 f f . Adriaen); Mor. X X X I 4 0 , 8 0 ( 1 6 0 5 , 7 f f . Adriaen). Vgl. auch Augustin D e civ. XXII 21 (841,16-18 Dombart/Kalb) und De corr. et grat. XI 2 9 (PL 44, 933f.). 127 Mor. X X V 9 , 2 2 ( 1 2 4 7 f . , 2 5 - 2 8 Adriaen): Quod uidelicet agitur dispositione rius ordinata, sed inferius iniquitate confusa, ut et praecedens culpa sit causa quentis, et rursum culpa subsequens sitpraecedentis. 128

namque

supesubse-

Mor. X 27,46 (569,3f. Adriaen); Mor. XXI 1 5 , 2 2 (1082,4f. Adriaen): Omnes homines natura aequales sumus ...; Mor. X X I 15,24 ( 1 0 8 3 , 4 1 Adriaen); Mor.

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s e i n e m H o c h m u t e i n e n V o r r a n g v o r d e n ü b r i g e n E n g e l n anstrebte, s o w o l l e n sich seither auch die M e n s c h e n , die ihm nacheifern, g e g e n die M a c h t des Schöpfers stellen, seine Ordnung verkehren und hochmütig anderen M e n s c h e n ü b e r g e o r d n e t sein 1 2 9 . D i e s e s Streben n a c h H e r r s c h a f t und Ü b e r o r d n u n g ist für G r e g o r , ä h n l i c h w i e b e r e i t s für A u g u s t i n , A u s d r u c k d e s s ü n d i g e n H o c h m u t s , w e i l e s u n m i t t e l b a r m i t der A b w e n d u n g v o n G o t t u n d v o n der G e m e i n s c h a f t m i t d e m N ä c h s t e n v e r b u n d e n ist 1 3 0 . W a s i m m e r der M e n s c h singulariter

z u e r r e i c h e n s u c h t , ist l e t z t l i c h n i c h t s a n d e r e s als d i e N a c h -

a h m u n g d e s t e u f l i s c h e n H o c h m u t s 1 3 1 . W e r n a c h B e s t ä t i g u n g für s e i n e n V o r rang anderen g e g e n ü b e r u n d n a c h B e s i t z verlangt, der ihn anderen g e g e n ü b e r a u s z e i c h n e t , der z e i g t sich als zutiefst v o n d i e s e r H e r r s c h s u c h t geprägt 1 3 2 . D a s g r u n d l e g e n d f a l s c h e Streben d e s M e n s c h e n i m G e f o l g e d e s T e u f e l s n a c h e i g e n e r G r ö ß e u n d U n a b h ä n g i g k e i t v o n Gott läßt d e n M e n s c h e n n i c h t nur z u G o t t e s F e i n d w e r d e n , s o n d e r n v e r g i f t e t a u c h d i e m e n s c h l i c h e n B e z i e h u n g e n , d i e n u n m e h r v o r a l l e m v o n V e r a c h t u n g u n d N e i d anderen g e g e n ü b e r b e s t i m m t sind 1 3 3 . In A b w e n d u n g v o n der G e m e i n s c h a f t u n d der u r s p r ü n g -

XXIII 16,29 (1165,9-19 Adriaen); Mor. XXIV 25,52 (1226,4ff. Adriaen); Mor. XXVI 26,44 (1299,29-31 Adriaen); Mor. XXVI 26,45 (1300,66ff. Adriaen); Mor. XXVI 26,46 (1301,98f. Adriaen); Mor. XXIV 25,52 (1226,4ff. Adriaen), vgl. dazu auch C . BROUWER, Égalité et pouvoir dans les Morales de Grégoire le Grand, RechAug 27, 1994, 97-129, hier insbesondere 121ff.; STÜRNER, Peccatum et potestas, 86. 129 M o r . XXXIV 23,55 (1772,219ff. Adriaen): Ille nihil aliud mentes sibi subditas docet quam celsitudinis culmen appetere, cuncta aequalia mentis tumore transcendere, societatem omnium hominum alta elatione transire, ac sese et contra potentiam conditoris erigere. Vgl. dazu auch STRAW, Gregory the Great, 79f.; FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 88. 130 Mor. XXIV 25,52 (1227,21-26 Adriaen); Mor. XXXIV 21,40f. (1761,11-1762,43 Adriaen), diese Stelle ist deutlich von Augustin De civ. XIV 13 (434,1-435,63 Dombart/Kalb) beeinflußt, Mor. XXXIV 23,55 (1772,219ff. Adriaen) u.ö. Zur Abwendung des Teufels von der Gemeinschaft der Engel vgl. auch Augustin De civ. XI 33 (353,13ff. Dombart/Kalb); der Teufel strebt hier nach eigener celsitudo. Zur Herrschsucht des Teufels, der es vorzieht, andere Untertan zu machen, statt selbst Untertan zu sein, vgl. auch Augustin De civ. XIV 11 (432,53ff. Dombart/Kalb). 131 Mor. XXIII 6,13 (1154,47ff. Adriaen): Quisquis bonum se habere singulariter gaudet, quisquis uideri sublimior ceteris quaerit, illum uidelicet imitatur, qui despecto bono societatis angelorum [...] Altissimi similitudinem superbe appetens, per iniquium desiderium quasi ad quoddam culmen conatus est singularitatis erumpere\ Mor. XXXIV 22,42 (1762,1-1763,10 Adriaen). Vgl. dazu auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 85. 132 Ähnlich wie Augustin beschreibt auch Gregor den tumor, betont aber ganz besonders das singulariter bonum habere, vgl. Mor. XXIII 6,13 (1153,7-55 Adriaen) mit Augustin Conf. X 39,64 (190,1-8 Verheijen), dazu auch J. PROCOPÉ, Art. Hochmut, in: RAC XV, Stuttgart 1991, 795-858, hier 850-852 und FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 88.

133 m 0 j \ XVII 10,12 (858,7ff. Adriaen): Alius quippe alium despicit, et alter in alterum inuidiae facibus ignescit. Qui ergo ex tumore mentis a caritatis unitate se séparant

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liehen Gleichheit aller Menschen will der gefallene Mensch ständig seine eigene Vorrangstellung demonstrieren und andere in seine Abhängigkeit bringen. Deshalb ist nichts so gefährlich wie zeitliche Machtausübung, denn sie steht immer in der Gefahr, mit sündigem Hochmut einherzugehen 134 . Hinsichtlich ihres Ursprungs folgt Gregor hier im wesentlichen den Vorstellungen Augustins 135 . Für beide sind die bestehenden Herrschaftsverhältnisse und die gegenwärtige Über- und Unterordnung nicht bereits mit der menschlichen Natur als solcher gegeben, sondern Auswirkungen der menschlichen Sünde, deren Folgen der Mensch als die Verkehrung der göttlichen Ordnung in dieser Welt aushalten und erleiden muß136.

6.2. Gottes verborgene Heilsordnung gegen die Auswirkungen der menschlichen Sünde 6.2.1. Die Sündenstrafen als Erziehungsmittel

Gottes

Auch nach Gregors Ansicht beläßt es der Schöpfer nicht dabei, daß der Mensch den Gegensatz zu Gott, in den er sich selbst gestellt hat, als die gerechte Strafe im Exil dieser Welt an seinem eigenen Körper und Geist aushalten und ertragen muß 137 . Gregor ist vielmehr davon überzeugt und im Kontext seiner Auslegung zum Buch Hiob insbesondere daran interessiert aufzuzeigen, daß Gott das sündige Geschöpf, das ja er selbst gut geschaffen hatte, auch weiterhin gut regiert138. Da Gott nur Gutes und nichts Böses schafft oder anordnet, ordnet er also nach dem Fall des Menschen die Sündenstrafen an, um das Geschöpf mittels der von ihm selbst verursachten

134

Mor. V 11,17 (229,5f. Adriaen): Nam cum praeire se potestate ceteros conspicit, alta de se elate cogitans sentit. 135 Y g [ d a z u auch BROUWER, Égalité et pouvoir, 102ff., der einen genauen Vergleich zwischen Augustin De civ. XIX 14-15 ( 6 8 0 , I f f . Dombart/Kalb) und Mor. X X I 15,22-24 (1082,4-1083,45 Adriaen) f ü h r t . 136

Mor. X X V I 26,46 (1301,98-100 Adriaen: Cunctos quippe natura aequales genuit, ut autem alii ad regendum aliis commitantur, non eos natura, sed culpa postponif, vgl. dazu auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 196ff. 137 Mor. VIII 32,52 (423,1-15 Adriaen); Mor. IV 26,47 (192,12-15 Adriaen). 138 Mor. X X I V 20,46 (1222,3-11 Adriaen): Per se quippe mundum regit, quem per se condidit; nec eget alienis adiutoriis ad regendum, qui non eguit ad faciendum. Sed haec idcirco colliguntur, ut liquido uidelicet quia omnipotens Deus, si per semetipsum regere non neglegit quod creauit, quod bene creauit utique bene regit, quia quod pie condidit impie non disponit; et qui necdum facta curauit ut essent, quae sunt facta non deserit. Quia ergo praesens est in regimine qui auctor exstitit in creatione, curam nostri non praeterit. Vgl. auch Mor. X X V I 20,35 (1293,29f. Adriaen).

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Widersprüche und Strafen wieder zurück zur göttlichen Schöpfungsordnung und damit schließlich zum Heil zu führen 139 . Gregor erläutert diesen Zusammenhang anhand seiner ausführlichen Auslegung zu Hiob 2,10. Wenn Hiob an dieser Stelle zu seiner Frau, die ihm nahegelegt hat, Gott zu verfluchen und zu sterben, tadelnd sagt: Si bona accipimus de manu Domini, mala quare non sustineamus?, dann sind mit den bona die zeitlichen oder ewigen Gaben Gottes gemeint und mit den mala die gegenwärtigen flagella, unter denen der Mensch aufgrund seiner Sünde zu leiden hat140. Doch erst auf dem Hintergrund von Jes. 45,7: Ego Dominus et non est alter, formans lucem et creans tenebras; faciens pacem et creans mala, wird deutlich, inwiefern Gott für diese mala verantwortlich ist. Selbstverständlich, so erläutert Gregor, schafft Gott nicht das Schlechte, vielmehr ist gemeint, daß er das von ihm ursprünglich gut Geschaffene für den schlecht handelnden Menschen zu den flagella werden läßt, so daß das Geschaffene selbst und die Schmerzen, die daraus entstehen, für den Übeltäter zu etwas Schlechtem werden141. Nachdem sich der Mensch von der Gemeinschaft mit Gott getrennt und sich dem Geschaffenen unterstellt hatte, wollte er in seinem Stolz die Schuld nicht zugeben, so daß sie für ihn deswegen zu einer korrigierenden Strafe wurde, damit er unter Schmerzen um so schneller wieder zur Einsicht dessen komme, was er verloren hat142. Wenn es also bei Jesaja heißt: formans lucem et creans tenebras, dann versteht Gregor darunter, daß mit den äußeren flagella die Dunkelheiten der Schmerzen geschaffen werden, um im Inneren das Licht des Geistes durch die Erkenntnis zu erhellen 143 . Entsprechend bezieht sich die Aussage: faciens pacem et creans mala, darauf, daß der Mensch den Frieden mit Gott zurückerlangen soll, weil ihm die gut geschaffenen Dinge, die der Mensch nicht auf gute Weise begehrt hat, zu etwas

139

Mor. XVIII 29,46 (915,15ff. Adriaen): Nam bona faciens et ordinans Deus, mala uero non faciens, sed ab iniquis facta ne inordinante eueniant ipse disponens ... Um Gottes schöpferisch-ordnende Tätigkeit zu beschreiben, verwendet Gregor gerne den Begriff ordinare, vgl. auch Mor. IX 4,4 (458,11-13 Adriaen): Qui hoc quoque hic forti sapientia ordinai, ut humana mens cum contra auctorem se eleuat, ipsa se sua elatione confundat. Mor. IX 5,5 (459,25f. Adriaen): ... quod stulte per culpam geritur, hoc in agentis poenam mirabiliter ordinatur. 140 Mor. III 9,15 (124,14ff. Adriaen) als Auslegung zu Hiob 2,10. Vgl. auch LA PORTE, Gregory the Great, 26: „The theological problem of suffering in Moralia is that of the flagella Dei, i.e. of God-sent suffering". 141 Mor. Ill 9,15 (124,19-23 Adriaen): Neque enim mala, quae nulla sua natura subsistunt, a Domino creantur; sed creare se mala Dominus indicai, cum res bene conditas nobis male agentibus in flagellum format, ut ea ipsa et per dolorem quo feriunt, delinquentibus mala sint; et per naturam, qua exsistunt, bona. Vgl. auch Catry: Epreuves S. 137. 142 Mor. III 9,15 (124,25-31 Adriaen). 143 Mor. III 9,15 (124,32-34 Adriaen): quia cum per flagella exterius doloris tenebrae creantur, intus per eruditionem lux mentis accenditur.

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Schlechtem, zu den flagella, geworden sind144. Und eben durch diese flagella soll der Mensch in seinem Geist korrigiert und demütig zum Frieden mit dem Schöpfer zurückgeführt werden145. Die Sündenstrafen sind demnach eingeordnet in den umfassenden göttlichen Heilsplan. Nach Gottes Willen soll der mit sich selbst entzweite Mensch nicht in dem von ihm verschuldeten Zustand des Unfriedens bleiben und an seinen eigenen Widersprüchen zerbrechen müssen. Deshalb hat Gott die Schuld des Menschen für ihn in Strafe verwandelt146, um ihn durch eben diese Strafe zu formen und zu erziehen 147 . Die von Gott gemeinte Schöpfungsordnung verkehrt sich somit zu einer Strafordnung, die den Menschen nunmehr auf eine ihm verborgene Weise zum Heil leitet148. Ebenso hat Gott auch den Verlust der ursprünglichen Gleichheit der Menschen untereinander insoweit geordnet, als er den gefallenen Menschen in dieser Welt innerhalb der hierarchischen Strukturen von Über- und Unterordnung formen und erziehen will149. Diese vom hochmütigen und Gott gegenüber ungehorsamen Menschen verursachte Hierarchie 150 der Menschen untereinander dient Gott in dieser Welt dazu, die Menschen durch diese sichtbare und der göttlichen Schöpfungsordnung keineswegs entsprechende Ordnung hindurch zu lenken. Analog dazu denkt Gregor auch über den Aufruhr des Fleisches. Weil der Mensch den körperlichen Sinnen nachgegeben und dem Fleisch gefolgt ist, widerspricht er der göttlichen Ordnung und wird nun durch eben dieses Fleisch gequält. Doch will Gottes gerechte, dem Menschen jedoch häufig verborgene Anordnung den Menschen durch die von ihm selbst verursachten Widersprüche hindurch demütig machen und über den Weg der Demut zurück zum Leben führen 151 . Die Strafe, die auf die Sünde folgt, soll

144 Mor. III 9,15 (124,34-37 Adriaen): quia tunc nobis pax cum Deo redditur, cum haec quae bene sunt condita, sed non bene concupita, in ea quae nobis mala sunt, flagella uertuntur. 145 Mor. Ill 9,15 (124,37-41 Adriaen). 146 Mor. IX 47,87 (518,41ff. Adriaen); Mor. XI 43,59 (619,6ff. Adriaen); Mor. XIII 23,36 (688,Iff. Adriaen) u.ö. 147 Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 137: Gregory focuses on education, on enlightening the mind darkened by sin". 148 Mor. IX 5,5 (459,20ff. Adriaen) und dazu STRAW, Gregory the Great, 117. 149 Mor. X X I 15,22 (1082,14-17 Adriaen): Ipsa autem diuersitas quae accessit ex uitio, recte est diuinis iudiciis ordinata, ut quia omnis homo iter uitae aeque non graditur, alter ab altero regatur\ vgl. auch STÜRNER, Peccatum et potestas, 89; STRAW, Gregory the Great, 86; MCGINN, Mystik II, 78ff.; BROUWER, Égalité et pouvoir, 107ff. 150 Zu Gregors Verständnis von Hierarchie vgl. auch G. O'DALY, Art. Hierarchie, RAC XV, Stuttgart 1991, 41-73, besonders 70; MARKUS, Gregory the Great's .rector', 141; DERS., Gregory the Great, 30; STRAW, Gregory the Great, 86ff. 151 Mor. XXIV 4,7 (1193,7-14 Adriaen): Et quia per oculorum uisum carnem secuti sumus, de ipsa carne, quam praeceptis Dei praeposuimus, flagellamur. In ipsa quippe cotidie gemitum, in ipsa cruciatum, in ipsa interitum patimur, ut hoc nobis mira disposi-

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d e m M e n s c h e n als flagella Dei die in falscher Sicherheit blind g e w o r d e n e n A u g e n ö f f n e n und ihn als e i n e n Bedrängten, der o h n e s e i n e n ursprünglich sicheren Stand a u s k o m m e n muß, erkennen lassen, w a s er durch s e i n e e i g e n e Sünde verloren hat 1 5 2 . D e r l e i d e n d e M e n s c h soll b e g r e i f e n , daß nicht Gott ungerecht handelt 1 5 3 , sondern daß der Sünder, der stolz über d i e göttlichen Strafen murrt und ihre B e r e c h t i g u n g nicht e i n s e h e n w i l l , sich nicht nur anfänglich, sondern auch weiterhin g e g e n ü b e r Gott ins Unrecht setzt 1 5 4 . D i e Strafe soll den M e n s c h e n an s e i n e S c h u l d v e r w e i s e n 1 5 5 und i h m d e u t l i c h machen, daß er zur göttlichen Ordnung zurückkehren kann, w e n n er die erlittene Strafe z u m A n l a ß nimmt, d e m ü t i g zu werden und der Größe und Macht s e i n e s S c h ö p f e r s zu g e d e n k e n 1 5 6 . D a n n ordnet er sein e i g e n e s Urteil d e m göttlichen Urteil unter, w e i l er erkannt hat, daß der gute S c h ö p f e r ihn nicht ungerecht oder ohne einen Grund strafen würde 1 5 7 . Gregor sieht es als einen großen Trost, daß alles Strafleiden v o n nichts anderem verursacht wird als v o m Willen des Schöpfers 1 5 8 . Wer das Urteil seines tione Dominus in poenam uerteret, per quod fecimus culpam; nec aliunde esset interim censura supplicii, nisi unde fuerat causa peccati, ut eius carnis amaritudine homo erudiretur ad uitam, cuius oblectatione superbiae peruenit ad mortem. Vgl. dazu auch STRAW, Gregory the Great, 142. Zur göttlichen Ordnung, die es dem Teufel gestattet, den Menschen zu versuchen, um ihn demütig zu machen und nicht stolz zugrunde gehen zu lassen, vgl. Mor. XXXIII 14,28 (1697,Iff. Adriaen). 152 Mor. VI 23,40 (313,7-11 Adriaen): Vnde fitplerumque diuini muneris largitale, ut culpam poena subsequatur et flagella oculos delinquentis aperiant quos inter uitia securitas caecabat. Torpens quippe animus percussione tangitur et excitetur, quatenus qui statum suae rectitudinis securus perdidit, afflictus consideret quo iacet. Vgl. auch CATRY, Épreuves, 127ff. 153 Mor. IX 46,70 (506,5-8 Adriaen); Mor. XXXII 1,1 (1626,51-55 Adriaen); Mor. XXVI 15,25 (1283,12ff. Adriaen); Mor. XVI 27,34 (819,33-36 Adriaen): Et quia considerant quoniam is, qui mire angelos regit iniuste homines non disponit, profecto inueniunt causales rationes quam iustae sint, dum ipsae causae extrinsecus uideantur iniustae. Mit diesem Vorwurf hatte sich auch Augustin auseinanderzusetzen, vgl. De corr. et grat. IX 28 (PL 44, 933). 154 Mor. V 37,67 (266,Iff. Adriaen); Mor. XXIII 18,33 (1168,llff. Adriaen); Mor. XXIV 9,23 (1204,28-30 Adriaen): Nam peccatores nos quidem in tranquillitate loquimur, sed cum de peccatis ipsis flagello interueniente corripimur, murmuramus. 155 Mor. XXIV 9,23 (1204,30f. Adriaen): Poena ergo nos interrogai, si ueraciter cognoscimus culpam. 156

157

V g l . dazu auch BAASTEN, Pride, 1 1 2 f .

Mor. XXIII 18,33 (1168,13-1169,24 Adriaen): Homo namque sub Deo est conditus, et ad conditionis ordinem redit, quando sibi aequitatem iudicis sui, etiam quam non intellegit, anteponit. Bene ergo dicitur: Respondebo tibi quod maior sit Deus homine (Hiob 33,12), ut considerata potentia creatoris, deferueat tumor mentis per memoriam conditionis. [...] Pensauit enim conditionis suae ordinem, et iustitiam percussionis inuenit, quia qui benigne eum qui non erat condidit, eum profecto qui erat non nisi iuste percussit. 158 Vgl. dazu auch STRAW, Gregory the Great, 1 If.

Die Rolle der Kirche und ihrer

praedicatores

103

Schöpfers demütig anerkennt und die Strafe erduldet, der stimmt der göttlichen Gerechtigkeit zu und wird dadurch von seiner eigenen Ungerechtigkeit befreit 159 . Indem er das göttliche Urteil über sich anerkennt, verbindet er sich wiederum mit Gott und richtet sich gewissermaßen gegen sein eigenes sündiges Selbst160. In der Erkenntnis, daß er ursprünglich einmal gut geschaffen war, aber seit seinem verhängnisvollen Bündnis mit dem Teufel verdorben ist, unterscheidet er nunmehr zwischen seiner Sünde und seiner schöpfungsgemäßen Beschaffenheit und möchte von nun an möglichst jede Schuld vermeiden, um zu seinem ursprünglichen Zustand zurückgeführt zu werden161. Gregor ruft seine Leser mehrfach und eindringlich dazu auf, sich von den flagella korrigieren zu lassen und auf diese Weise, wenn schon nicht auf das göttliche Gebot, so doch zumindest auf den in dieser Welt allgegenwärtigen Schmerz zu hören 162 . Wer sich in dieser Welt korrigieren läßt, der versteht, daß hier die Liebe und Zucht des Vaters waltet und noch nicht der Zorn des Richters163. Wenn er sich hier selbst anklagt und sein selbstverschuldetes Geschick beweint 164 , kann der Mensch über den Weg der Strafe und der Furcht vor Gott zur Liebe zurückgebracht werden165.

159 Mor. XXXII 4,5 (1630,19-23 Adriaen): Magna enim satisfactio percussionis est uoluntatis iusta conditionis. [...] Nam cum pro iniustitiae peccato percutimur, si in percussione nostra diuinae uoluntati coniungimur, mox a nostra iniustitiae ipsa coniunctione liberamur. 160 Mor. XXXII 4,5 (1630,27-29 Adriaen): In uindicta enim sua Deo se socians, sese contra se erigit, et magna est iam iustitia, quod uoluntati iudicis concordat in poena, cui discrepauit in culpa. Vgl. auch Mor. XXIV 8,15 (1197,1-9 Adriaen). 161 Mor. XXIII 21,43 (1177,106-112 Adriaen). 162 Mor. XVIII 22,35 (908,24ff. Adriaen) Gregor interpretiert an dieser Stelle Ps. 93,20: Qui fingis dolorem in praecepto. Der Leser hat sicherlich noch Gregors Ausführungen über die erste Gesetzesübertretung des Menschen und die folgenden schmerzhaften Sündenstrafen im Ohr. Vielleicht entsinnt er sich auch noch der Praef. 4 (10,lff. Adriaen), wo Gregor dem Leser Hiob als Beispiel vor Augen stellt, an dem sich der sündige Menschen orientieren soll, der das göttliche Gesetz nicht befolgt hat. 163

Mor. XXI 22,36 (1091,54-57 Adriaen): Constat autem quia in hac uita cum percutit, si percussionem correctio sequitur, disciplina patris est, non ira iudicis; amor corrigentis est, non districtio punientis. Ex ipso ergo praesenti uerbere iudicia aeterna pensanda sunt. Vgl. dazu auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 376f.; LA PORTE, Gregory the Great, 28; CATRY, Épreuves, 136: „C'est un père, non un juge; il ne punit pas, il corrige, parce qu'il aime". 164 Mor. XXIII 21,40 (1174,4f. Adriaen): Qui dum subtiliter uel flagella publica, uel iudicia occulta considérant, semetipso afficere flendo non cessant. Vgl. auch Mor. XX 20,46 (1036,lff. Adriaen); Mor. VI 33,52 (322,40-44 Adriaen) und BAASTEN, Pride, 69f. 165 M o r x i 43,59 (619,6-9 Adriaen): Sed ecce post culpam uenit in poenam, ex poena autem ad amorem redit, quia quis fuerit culpae fructus inuenit; atque illam faciem quam timuit in culpa excitatus requirit ex poena ...; Mor. VII 3,3 (336,3-6 Adriaen). Zu diesem Themenkomplex vgl. auch die Ausführungen von STRAW, Gregory the Great, 213ff.: ,The just penitent'.

104

Kapitel 6

Die göttliche Zucht, so interpretiert Gregor verschiedentlich Aussagen aus dem Buch Hiob, dient insofern der Belehrung, als sie den Menschen zur compunctio führen will 166 . Gregor beschreibt die compunctio als eine Selbsterkenntnis des menschlichen Geistes, die sich der eigenen Schuld bewußt wird und sich entweder der vergangenen Schlechtigkeit erinnert (ubifuit) oder mit Furcht an die Zukunft des Gerichts denkt (ubi erit). Sie kann aber auch die Beschwerlichkeit des gegenwärtigen Lebens beklagen (ubi est) oder anfangen, sich nach dem himmlischen Vaterland zu sehnen, das der Mensch in dieser Welt noch nicht erreicht hat (ubi non est)167. Wie die compunctio auf die eigene Schlechtigkeit gerichtet sein kann, ist es ihr andererseits auch möglich, den Menschen in seiner Hoffnung und in seinem Verlangen nach der Ewigkeit zu bestärken 168 . Der menschliche Geist, der zuvor bei der Betrachtung der gegenwärtigen Übel betrübt war, wird dann sozusagen über sich selbst hinausgehoben und in Freude erneuert, um nicht in Verzweiflung zu fallen 169 . In dieser Weise handelt und verkündigt Gott selbst durch seine Worte in der Schrift. Einerseits erschrecken sie den Menschen durch ihre harten Drohungen, andererseits ermutigen sie ihn durch ihre Tröstungen. Für Gregor äußert sich in Gottes Worten der Schrift seine wunderbare Kunst der Belehrung, die den Menschen weder in den gegenwärtigen Übeln verzweifeln, noch unvorsichtig und sich seiner selbst allzu sicher sein läßt170.

6.2.2. Die göttlichen iudicia occulta als Erziehung zur Demut Auf dreierlei Weise, so interpretiert Gregor den Beginn der Gottesrede in Hiob 38,3: Interrogabo et responde mihi, fragt und erprobt der Schöpfer in 166 Mor. XXIII 21,40 (1174,5ff. Adriaen) als Auslegung von Hiob 33,16: Et erudiens eos instruit disciplina. 167 Mor. XXIII 21,41 (1175,25-32 Adriaen): Quattuor quippe sunt qualitates quibus iusti uiri anima in compunctione uehementer afflcitur, cum aut malorum suorum reminiscitur, considérons ubi fuit; aut iudiciorum Dei sententiam metuens, et secum quaerens, cogitat ubi erit; aut cum mala uitae praesentis solerter attendens, moerens considérât ubi est, aut cum bona superna patriae contemplatur, quae quia necdum adipiscitur, lugens conspicit ubi non est. Vgl. auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 406; MCGINN, Mystik II, 87. 168 Mor. XXIV 6,10 (1194,Iff. Adriaen). Vgl. auch CATRY, Épreuves, 139ff. 169 Mor. XXIV 6,11 (1195,24ff. Adriaen): ... Quo utcumque conspecto, in gaudio cuiusdam securitatis absorbetur; et quasi post defectum uitae praesentis ultra se rapta, aliquo modo in quadam nouitate recreatur. Vgl. auch Mor. XXIV 11,24 (1213,281ff. Adriaen); Mor. XXVI 20,35 (1292,Iff. Adriaen). 170 Mor. XXXIII 7,14 (1684,2-7 Adriaen): Notandum ualde est quod scripturae suae uerba misericorditer temperans Deus, modo nos asperis incitationibus terret, modo blandis consolationibus refouet, et terrorem fomentis miscet; et fomenta terrori, ut dum circa nos utrumque mira magisterii arte temperatur, nec desperate inueniamur territi, nec incaute securi. Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 144.

Die Rolle der Kirche

und ihrer

105

praedicatores

dieser Welt auf schmerzhafte und verborgene Weise sein Geschöpf. Durch die flagella prüft er die Geduld des Menschen, diepraecepta stellt er auf, um den Gehorsam des Menschen zu erforschen, und mit den iudicia occulta will er ihn demütig machen 171 . Indem Gott dem Verständnis des Menschen das eine eröffnet, anderes jedoch verschließt, kann sich der Mensch in seiner Erkenntnis niemals hochmütig aufblasen, sondern nur in aller Demut seine eigene Nichtigkeit im Vergleich zur Größe Gottes bekennen 172 . So oder ähnlich äußert sich Gregor, wenn er sich in seinem Hiobkommentar auf Augustins Lehre von der göttlichen Gnadenwahl bezieht, denn mit Augustin ist Gregor der Ansicht, daß Gott, seinem verborgenen, aber keineswegs ungerechten Ratschluß entsprechend 173 , gnädig einige Menschen von Beginn an erwählt und sie in ihrem tugendhaften Leben bewahrt, während er zugleich zuläßt, daß sich andere durch ihre sündigen Vergehen selbst ins Verderben stürzen174. Wem sich Gott nicht mit seiner Gnade zuwendet, den läßt er in seinem selbstverschuldeten Unheil175, aus dem der Mensch von sich aus keinen Ausweg finden kann, wie die Beispiele Kains, des Pharaos oder auch des Judas zeigen176. Aus welchem Grund Gott den einen erwählt und den anderen verstößt, kann und darf der Mensch, der auf die Erkenntnisfähigkeit seiner humanitas beschränkt ist177, keinesfalls versuchen zu ergründen oder gar zu durch-

171

Mor. X X V I I I 6 , 1 3 ( 1 4 0 3 , I f f . Adriaen).

172

Mor. X X V I I I 6 , 1 3 ( 1 4 0 4 , 2 0 f f . Adriaen).

173

Mor. X X V 1 5 , 3 3 ( 1 2 5 8 , 4 f . Adriaen): ... ut alius

sed nullus

iniuste.

repellatur,

alius

eligatur

occulte,

Mor. X X X I I I 2 1 , 3 8 - 4 0 ( 1 7 0 8 , 1 - 1 7 1 0 , 5 6 Adriaen) begründet in aller

Ausführlichkeit, w a r u m die göttliche G n a d e n w a h l k e i n e s f a l l s u n g e r e c h t sein kann, v g l . auch WEBER, Hauptfragen, 1 7 4 - 1 7 8 . 174

Mor. X X I X 2 , 4 ( 1 4 3 7 , 8 5 f f . Adriaen); Mor. X V I I I 2 6 , 4 3

Pensandum diis suis simul diis

praeterea innocentes

in eis proficiat suis

deserens,

est quod

occulto

custodiens,

usque

et annorum scaturientibus

consilio

omnipotens

ad uirtutum

numerositas uitiis

prouehit

et celsitudo

ire per

Deus

abrupta

(913,92-97

quosdam

summa, meritorum. permittit.

Adriaen):

ab ipsis

ut aetate Alios

exor-

crescente,

uero in

exor-

V g l . auch DAGENS,

Saint G r é g o i r e le Grand, 2 5 0 . 175

Gregor macht immer wieder deutlich, daß Gott w e n i g e r aktiv verwirft, als den

M e n s c h e n in seiner selbstverschuldeten D u n k e l h e i t zu b e l a s s e n , z.B. Mor. X X V

9,24

( 1 2 5 0 , 1 0 3 - 1 0 6 Adriaen): Inducere

tene-

bras

inferat,

ipsum

in nocte

sed

quod

caecasse

obscura

autem corda

sit a caecitatis

noctem

Dominus

peccantium tenebris

es Mor. X X V 9 , 2 2 ( 1 2 4 7 , 2 2 Adriaen): Quem

misericorditer

liberare enim

dicitur, noluisse.

liberare

noluit,

non quod non

ipse

illustret,

ut

hoc

Kurz und k n a p p heißt deserendo

percussit.

V g l . d a z u auch STRAW, Gregory the Great, 1 3 8 . 176

auch

Mor. X I 9 , 1 2 f . ( 5 9 1 , 1 - 5 9 3 , 5 3 Adriaen). Zu Gregors Lehre v o n der G n a d e v g l . WEBER, Hauptfragen,

1 7 4 f f . ; DUDDEN, G r e g o r y

the Great II, 2 9 3 f f . ;

STRAW,

Gregory the Great, 140 mit A n m . 7 7 . 177

V g l . auch S. E. SCHREINER, The R o l e of Perception in G r e g o r y ' s Moralia in Job,

Studia Patristica 28, 1 9 9 3 , 8 7 - 9 5 .

106

Kapitel 6

schauen 1 7 8 . Gottes iudicia occulta bleiben d e m M e n s c h e n in dieser W e l t entz o g e n und w e r d e n erst i m künftigen Endgericht offenbar 1 7 9 . A u f der E b e n e der H e i l s g e s c h i c h t e ist gerade die Erwählung und die V e r w e r f u n g der Juden das deutlichste Sinnbild für die Undurchschaubarkeit der g l e i c h w o h l i m m e r gerechten g ö t t l i c h e n iudicia. Gregor hält daran f e s t , daß Gott d i e Juden ursprünglich gut g e s c h a f f e n hat, ihnen aber d e n n o c h gestattete, sich v o n ihm abzuwenden 1 8 0 . Zunächst hat Gott Israel erwählt und die H e i d e n v e r w o r f e n , doch dann hat er sich der H e i d e n gnädig erbarmt und nunmehr die Juden verworfen 1 8 1 . W e s h a l b sich Gott s o verhält, kann der M e n s c h nicht verstehen, ihm bleiben die göttlichen iudicia occulta verborgen, weil er nicht in der L a g e ist, die Macht des Göttlichen als s o l c h e zu schauen 1 8 2 . U n d dennoch sollte der M e n s c h ständig bedenken, daß hinter allem, w a s im Äußeren geordnet ist, der W i l l e der verborgenen göttlichen Gerechtigkeit steht 1 8 3 . Gregor betont deshalb e b e n s o w i e Augustin, daß n i e m a n d w i s s e n kann, w e r i m Endgericht zu der Zahl der zuvor v o n Gott Erwählten zählen wird 1 8 4 . D a s E n d e des Judas und das des Schächers am Kreuz m a c h e n nach Gregors A n s i c h t nur zu deutlich, w i e w e n i g man auf das m e n s c h l i c h e Urteil vertrauen kann. W e r hätte nach m e n s c h l i c h e n Maßstäben gedacht, daß Judas, der doch zu den A p o s t e l n

178

Mor. XXIX 30,57 (1475,2-8 Adriaen): Quia superiecto quodam ignorantiae nostrae uelamine, incomprehensibilitas diuini iudicii humanae mentis oculo nullatenus penetratur [...] Nemo ergo perscrutali appetat cur cum alius repellitur, alius eligatur ... Mor. XXVII 2,4 (1333,53-56 Adriaen): Sed is uidelicet per infirmitatem carnis nostris obtutibus apparens, dum alios reprobat, alios uocat, mira iudicia exhibuit, quae a nobis et cogitari possint, et comprehendi non possint. Mor. XXVII 4,7 (1334,22ff. Adriaen); Mor. XXV 14,32 (1257,Iff. Adriaen); Mor. XXIX 33,77 (1489,1-8 Adriaen). Augustin De corr. et grat. VIII 17 (PL 44, 925f.) betont ebenso wie Gregor die Verborgenheit der göttlichen Gnadenwahl. 179 Mor. XXV 8,19 (1243,Iff. Adriaen): ... Sed hoc nunc secreto iudicio cotidie agitur, quod tunc publico demonstratur. 180 Mor. XXIX 28,55 (1473,23ff. Adriaen). Zu Gregors Bild von den Juden vgl. auch E. BAMMEL, Gregor der Große und die Juden, in: Gregorio Magno e il suo tempo I, 283291; R. A. MARKUS, The Jew as a hermeneutic device: the inner life of a Gregorian topos, in: Gregory the Great. A Symposium, 1-15; J. STERN, Israel et l'Église dans l'exégèse de Saint Grégoire le Grand, in: Institutum Patristicum Augustinianum (Hg.): L'esegesi dei Padri Latini, XXVIII Incontro di studiosi dell'antichità cristiana II: Italia, Gallia, Iberia, SEA 68, Rom 2000, 675-689. 181 Mor. XXIX 29,56 (1473,Iff. Adriaen); Mor. XXV 14,32 (1257,1-6 Adriaen); Mor. XXIX 18,33 (1456,43-45 Adriaen); Mor. XXVII 2,4 (1333,60-62 Adriaen). 182 Mor. X 6,6 (537,Iff. Adriaen) macht einen Unterschied zwischen Gottes offenbaren Werken, wie der Schöpfung, und seinen verborgenen Werken, den iudicia occulta. 183 Mor. XXV 14,32 (1258,27f. Adriaen): In cunctis ergo quae exterius disponuntur, aperta causa rationis est occultae iustitiae uoluntatis. 184 Die für Augustin so wichtige Stelle Mt. 20,16: Multi sunt uocati, pauci uero electi, spielt bei Gregor keine Rolle und kommt nur Mor. XXV 8,21 (1247,130f. Adriaen) ein einziges mal vor.

Die Rolle der Kirche

und ihrer

107

praedicatores

gehörte, am Ende verworfen, während ausgerechnet der Schächer am Kreuz gerettet wird? 185 Ein Mensch kann noch nicht einmal im voraus wissen, wer im Verlauf seines Lebens schlecht bleibt oder wer im Guten verharrt. Und niemand weiß, wer sich von den Tiefen zu den Höhen wendet und wer von den Höhen in die Tiefe stürzt186. Schon einfache Beispiele aus dem alltäglichen Leben machen deutlich, daß das Geschick des Menschen in den gegenwärtigen wirren Zeiten des sechsten Jahrhunderts nicht zu durchschauen ist187: ein gerechter Mann erhält vor Gericht nicht etwa Recht, sondern wird bestraft, während sein gänzlich ungerechter Gegner den Sieg davonträgt. Da trachtet einer seinem Nächsten nach dem Leben und bleibt selbst am Leben; ein anderer jedoch, der vielen Menschen von Nutzen war, wird getötet. Jemand gelangt zur Macht, dem es nur darum geht, andere zu verletzen, während ein anderer, der die Verletzten verteidigen will, von diesem unterdrückt wird. Und der eine möchte frei sein von weltlichen Beschäftigungen und wird doch mit Aufgaben überhäuft; der andere drängt sich nach eben diesen Aufgaben und bleibt doch gezwungenermaßen frei von Betätigung188. Ganz ähnlich verhält es sich mit der menschlichen Lebensführung 189 . Auch hier kann niemand wissen, ob jemand, der sein Leben schlecht begonnen hat, bis zum Ende seines Lebens etwa noch schlechter wird, oder ob er so lange lebt, um schließlich doch noch korrigiert zu werden. Umgekehrt kann es sein, daß einer, der gut lebt, bis zum Ende seines Lebens immer besser wird, oder aber, daß er nur gut zu leben scheint und dennoch bei Gott verworfen ist190. Der eine wird ungläubig geboren und bleibt es zeit seines Lebens, ein anderer ist katholisch und bleibt es auch; ein weiterer wird katholisch erzogen und fällt dann dem Irrtum anheim, der letzte schließlich kommt aus dem Irrtum und beendet sein Leben schließlich als Katholik191.

185

Mor. X X V 8 , 1 9 ( 1 2 4 4 , 3 3 f f . Adriaen); Mor. X X I X 1 8 , 3 3 ( 1 4 5 6 , 4 5 f f . Adriaen).

186

Mor. X X I X 1 8 , 3 3 ( 1 4 5 6 , 3 7 - 4 1 Adriaen): Quis uero

rum nubila duret

mentis

in malo,

quis a summis 187

die

suae

radium

uel quis perseueret reuertatur

ad

mittat,

ut aliqua

in bono,

inter

consideratione

uel quis ab infimis

ista occultorum discernât,

conuertatur

iudicio-

uel quis

per-

ad summa,

uel

infima?

D a z u , daß Gregor in den Wirren des a u s g e h e n d e n s e c h s t e n Jahrhunderts gerade

Unerforschlichkeit

des

göttlichen

Ratschlusses

betont,

vgl.

auch M .

CRISTIANI,

. T e m p u s prophetiae'. Temporalité et savoir dans l ' e x é g è s e d e G r é g o i r e le Grand, A r c h i v o di f i l o s o f i a 53, 1 9 8 5 , 3 2 7 - 3 5 0 . 188

Mor. X X I X 3 3 , 7 7 ( 1 4 8 9 , 1 - 1 8 Adriaen). Gregor spricht hier v o n der göttlichen

praedestinatio, 189

während er d i e s e n B e g r i f f s o n s t eher meidet.

Gregor geht an dieser Stelle erklärtermaßen v o m G e r i n g e r e m z u m Größeren über,

Mor. X X I X 3 3 , 7 7 ( 1 4 8 9 , 8 f . Adriaen): aparuis

ad maiora

ueniamus.

190

Mor. X X I X 3 3 , 7 7 ( 1 4 8 9 , 1 9 - 2 4 Adriaen).

191

Mor. X X I X 3 3 , 7 7 ( 1 4 8 9 f . , 2 4 - 3 0 Adriaen). Im H i n b l i c k auf die G n a d e der T a u f e

Mor. X X V I I 4 , 7 ( 1 3 3 4 , 2 2 f f . Adriaen).

108

Kapitel 6

All diese Beispiele zeigen, daß die Tatsache, wie jemand in dieser Welt angesehen wird oder wie es ihm hier ergeht, sich nicht nur sehr schnell ändern kann und damit letztlich vollkommen unberechenbar ist, sondern auch nichts darüber aussagt, ob er am Ende zu den Verworfenen oder zu den Erwählten zählen wird 192 . Die Entscheidungen der göttlichen iudicia occulta bleiben dem Menschen denn auch zeit seines Lebens verborgen und bedrängen ihn dennoch in ihrer Verborgenheit 193 . Und doch haben sie, wie Gregor in Anlehnung an Passagen aus dem Werk Augustins erläutert194, ihren Nutzen für den Menschen195, indem sie den menschlichen Hochmut austilgen und ihn Demut lehren196. Wer erkennen muß, daß er die iudicia occulta Gottes nicht durchdringen kann, der sieht auf seine eigene Schwäche und lernt aus seinem eigenen Mangel, der ihn demütig werden und sich fürchten läßt. Paradoxerweise entdeckt der Mensch, der die iudicia occulta nicht entdecken kann, in Demut und Furcht die richtige Haltung seinem Schöpfer gegenüber: secreta sapientiae non inueniens inuenit197. Weil er die göttlichen iudicia occulta nicht verstehen kann, soll er sich vor ihnen fürchten und demütig werden, nicht länger auf sich selbst vertrauen, sondern seine Zuflucht bei Gott dem Schöpfer suchen198. Niemand weiß um den Ausgang eines anderen Menschen bei Gott, und wenn der Mensch zu sich selbst zurückkehrt, muß er feststellen, daß ihm auch sein eigenes Ende unbekannt bleibt. Angstvoll wird er daraufhin demütig und kann weder aufgrund seiner geleisteten Werke stolz werden noch aufgrund einer Gnade, die ihn sicher bis zum Ende bewahrt199. Anders als Augu192

Mor. V 1,1 (218,Iff. Adriaen); Mor. XXIX 18,32 (1456,30-33 Adriaen): Multos enim uidemus cotidie, qui iustitiae luce resplendent, et tarnen ad finem suum nequitiae obscuritate tenebrantur; et multos cernimus peccatorum tenebris obuolutos et tarnen iuxta uitae suae terminum repente reddi luce iustitiae liberos. Vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 284 Anm. 46, der jedoch diesen Text zu allgemein als einen Beleg f ü r die Wandelbarkeit des menschlichen Lebens wertet. 193 Mor. V 1,1 (218,16-18 Adriaen): Quia ergo inter diuina iudicia graui incertitudinis suae caligine humana menspremitur... 194 Augustin äußert sich dazu in De corr. et grat. IX 24 (PL 44, 930f.) und XIII 40 (PL 44, 940f.). Dort heißt es: Nam propter utilitatem secreti, ne forte quis extollatur, sed omnes etiam qui bene currunt timeant, dum occultum est qui perueniant. 195 Mor. X 5,5 (537,26ff. Adriaen) stellt die nun folgende Abhandlung über die göttlichen iudicia occulta unter die Maßgabe:... adnos eruditio ... 196 Mor. X 6,7 (538,15ff. Adriaen). 197 Mor. X 6,7 (538,30-36 Adriaen). 198 Mor. XXIX 33,77 (1490,34-39 Adriaen): Ad cognoscendos quippe istos iudiciorum secretorum sinus nullus ascendit. Dicatur ergo homini, ut se nescire cognoscat, nescientem uero se cognoscat ut timeat; timeat ut humilietur, humilietur ne praesumat in se; non praesumat in se, ut conditoris sui auxilium requirat. Et qui in se fidens mortuus est, auctoris sui adiutorium appetens uiuat. 199 M o r . XXIX 18,34 (1457,73-77 Adriaen): ... omnino ab hominibus ignoratur, ut iustorum iniquorumque terminum comprehendat; nisi ut aliorum finem cognoscere non ualens, ad suum recurrat; quia sicut aliorum, sie etiam suum nesciat, et nesciens timeat,

Die Rolle der Kirche und ihrer

praedicatores

109

stin führt Gregor keine Auseinandersetzung um die Beharrlichkeit der göttlichen Gnade, er will seinen Lesern vielmehr zu der Einsicht verhelfen, daß der Mensch, der sich noch nicht einmal seiner menschlichen Natur nach selbst begreifen kann, demütig werden und die Macht der für ihn undurchdringlichen göttlichen Natur anerkennen und loben soll200, so unverständlich ihm die göttlichen iudicia occulta auch erscheinen mögen201. Gregor ist es wichtig, daß sich der Mensch im Angesicht der iudicia occulta um seine vermeintlichen Sicherheiten in dieser Welt bringen läßt, damit er erkennt, daß diese keineswegs das Ziel des menschlichen Lebens ausmachen202. Das heißt aber auch, daß gerade diejenigen, die sich von den Unsicherheiten dieser Welt zurückziehen und für sich Sicherheit und Ruhe finden wollen, bisweilen auch von den iudicia occulta angefochten und um ihre Ruhe gebracht werden können 203 . Niemand ist davor gefeit, daß sein Leben nicht durch eben diese iudicia occulta schlagartig verändert werden kann, wie das Beispiel des Apostels Paulus überdeutlich macht, den Gott selbst, für den betrachtenden Menschen vollkommen unerwartet, von einem persecutor zu einem praedicator gewandelt hat204. Als einem von Gott berufenen praedicator wurden ihm zwar viele der göttlichen Geheimnisse geoffenbart, aber dennoch hatte auch er keinen Zugang zu den göttlichen iudicia occulta und konnte nicht erkennen, warum die Juden verworfen, die Heiden jedoch erwählt wurden205. Weil er in das Innere des Göttlichen nicht eintreten timens gratiae

humilietur, humiliatus iam de operibus suis extolli non debeat, et non elatus in arce persistat? Vgl. auch Mor. XXVIII 4,13 ( 1 4 0 5 , 5 1 f f . Adriaen). 200 Vgl. z.B. Mor. IX 33,51 (492,71ff. Adriaen); Mor. X X I X 15,27 ( 1 4 5 2 , 1 4 - 1 7 Adriaen) mit Bezug auf Hab. 3,10: Vnde bene per prophetam dicitur: Dedit abyssus uocem suam, ab altitudine phantasiae suae, quia dum semetipsam mens humana non penetrai, ex comparatione sui, diuinae naturae potentiam quam comprendere non sufficit humilius laudet. 201 Mor. X X I X 3 3 , 7 7 ( 1 4 9 0 , 4 1 f f . Adriaen); Mor. X X X I I 1,1 ( 1 6 2 6 , 5 1 - 5 5 Adriaen): Diuina enim iudicia cum nesciuntur, non audaci sermone discutienda sunt, sed formidoloso ueneranda; quia et cum causas rerum in flagello non aperit, eo iustas indicai, quo se eas facere qui summe iustus est demonstrat. 202 Mor. XXIII 2 4 , 4 6 ( 1 1 7 9 , 4 2 - 4 4 Adriaen): Via quippe est uita praesens, qua patriam tendimus; et idcirco hic occulto iudicio frequenti pertubatione conterimur, uiam pro patria diligamus.

ad ne

203 Mor. XXIII 24,46 ( 1 1 7 9 , 2 5 f f . Adriaen). Diese Auslegung v o n Ps. 4 0 , 4 gipfelt schließlich in den Worten: Ac si diceret: Omne quod hic sibiparauit ad requiem, hoc ei mutasti occulto iudicio ad pertubationem. Quod pio quidem Consilio agitur, ut huius peregrinationis tempore electorum uita turbetur, 204 Gregor kommt häufiger auf dieses Beispiel zu sprechen, vgl. Mor. X X V I I 2 9 , 5 3 ( 1 3 7 3 , 1 3 f f . Adriaen); Mor. X X X I 16,30-19,35 ( 1 5 7 2 , 1 - 1 5 7 5 , 4 2 Adriaen); Mor. X X I X 18,32 ( 1 4 5 6 , 5 3 f f . Adriaen). 205 Mor. XXVIII 4,13 ( 1 4 0 4 , 3 9 - 4 1 Adriaen): Qui rursum cum secreta Dei iudicia de repulsione Iudaeorum et gentium uocatione discuterei, atque ad ea peruenire non posset

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Kapitel

6

konnte, blieb er demütig bekennend vor der Tür stehen; was er im Inneren nicht erkennen konnte, das lobte er angstvoll als ein Außenstehender 206 . Selbst dieser Paulus, der von sich gesagt hat: ich züchtige meinen Körper und mache ihn zum Sklaven, damit ich nicht anderen predige und mich selbst als verworfen erweise207, war in Gregors Augen ein Beispiel an außerordentlicher Demut und fürchtete sich selbst als ein praedicator davor, am Ende nicht zu den Erwählten zu gehören, sondern von Gott verworfen zu sein208. 6.2.3. Die gegenwärtige Kirche als corpus permixtum Schon der erste Vers des Buches Hiob: Vir erat in terra Hus nomine lob, den Gregor zunächst iuxta historiam interpretiert, macht in seiner Auslegung deutlich, daß es ihm im gesamten Kommentar zentral um den Gegensatz zwischen Guten und Schlechten, Erwählten und Verworfenen geht209. Denn das Land Hus meint in seiner Deutung nicht nur das Land der Heiden, die schon als solche voller Laster sind und ihren Schöpfer nicht kennen, sondern steht für die Schlechten insgesamt, unter denen Hiob als ein Guter lebt. Wenn Hiob in Vers 30,29 von sich sagt: Frater fiii draconum et socius struthionum210, dann will er auf das Leiden der iusti unter den reprobi aufmerksam machen, wie Gregor mit Bezug auf weitere Schriftbelege ausführt. Schon auf der ersten Seite des Kommentars zum Buch Hiob, im Zuge der Auslegung des ersten Verses, wird kurz auch die Kirche angesprochen, die in dieser Welt inmitten der vielen iniqui leben muß 211 . Bei der Interpretation von Hiob 30,29 selbst angelangt, stellt Gregor dann fest, daß hier das erwählte Volk der Kirche, das unter Übeltätern und Heuchlern lebt, von sich selbst sagt: Frater fiii draconum et socius struthionum212. Dieses erwählte Volk wäre nicht vollkommen, wenn es nicht auch geduldig die Schlechtigkeiten seiner Nächsten ertrüge. Die allgegenwärtige Vermischung von Gutem und Schlechtem, Erwählten und Verworfenen läßt sich einerseits an der Natur ablesen, wo der Weizen vom Unkraut niedergedrückt wird, die Blumen unter Dornen wachsen und die duftende Rose mit schmerzhaften Dornen ausge206 Mor. XXVIII 4 , 1 3 ( 1 4 0 4 , 4 9 - 1 4 0 5 , 5 1 A d r i a e n ) : . . . quia per cognitionem intromitti ad interiora non ualuit, per confessionem ante ianuas humilis stetit; et quod intus comprehendere non potuit, foris timendo laudauit. 207

1. Kor. 9,27: Castigo corpus meum et seruituti subicio, ne forte aliis praedicans, ipse reprobus efficiar. Dieser Text, auf den sich Gregor an dieser Stelle bezieht, entspricht nicht ganz dem Text der Vulgata. 208 Mor. X X I X 1 8 , 3 3 ( 1 4 5 6 , 5 3 f f . Adriaen). 209 Mor. I 1,1 ( 2 5 , l f f . Adriaen). 210 Hiob 30,29. 211 Mor. I 1,1 ( 2 5 , 1 2 - 2 8 Adriaen). Neben Hiob 3 0 , 2 9 bezieht sich Gregor auf 2. Petr. 2,7f.; Phil. 2,15; Apok. 2,13 und Cant. 2,2. Die beiden letzten Stellen versteht Gregor als Aussagen der Kirche. 212

Mor. X X 29,75 ( 1 0 5 8 , 1 1 - 1 5 Adriaen). Gregor weist hier ausdrücklich auf seine Auslegung zu Hiob 1,1 zurück.

Die Rolle der Kirche und ihrer

praedicatores

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stattet ist213. Andererseits wird sie auch durch Zeugnisse der Schrift bestätigt. Dort heißt es, daß Adam zwei Söhne hatte, von denen einer erwählt, der andere verworfen war. Drei Söhne entstiegen der Arche, von denen nur zwei in Demut verharrten, während der dritte den Vater verlachte. Abraham hatte zwei Söhne, von denen einer unschuldig, der andere zum Verfolger seines Bruders wurde. Ebenso hatte auch Isaak zwei Söhne, der jüngere blieb in seiner Demut, der ältere wurde verworfen. Von den zwölf Söhnen Jakobs wurde einer unschuldig verkauft, während die anderen aus Bosheit ihren Bruder verkauften. In gleicher Weise wurden auch in der Kirche zwölf Apostel erwählt, doch es gab einen unter ihnen, der sie dadurch erprobte, daß er die anderen verfolgte214. Gregor verwendet in diesem Zusammenhang zwar die Beispiele aus der Schrift, die bei Augustin das Nebeneinander von ciuitas Dei und ciuitas terrena anzeigen, sein Interesse ist jedoch gegenüber Augustin wiederum ein klein wenig verschoben215. Er charakterisiert die electi genauer als Augustin, bezeichnet sie als unschuldig und demütig und beschreibt sie als von den reprobi bedrängt und verfolgt. Diese Bedrückung und Verfolgung durch die reprobi, so Gregor, hat insofern durchaus ihren guten Sinn, als sie der Reinigung und Läuterung der electi dient, weil nur diejenigen wahrhaft gut sind, die auch unter den Bösen im Guten beharren können216. Die Kirche als der gegenwärtige Leib Christi ist demnach zutiefst vom Gegensatz zwischen den electi und reprobi geprägt, wie die erneute Auslegung des ersten Verses: Vir erat in terra Hus nomine lob, nunmehr auf der christologisch-moralischen Ebene zeigt217. Hiob steht hier für die electi inner213

Mor. XX 29,75f. (1058,16-1059,22 Adriaen). Mor. XX 39,76 (1059,22-32 Adriaen): Duos namque filios habuit primus homo, sed unus electus alter reprobus fiiit. Tres quoque filios area continuit, sed duobus in humilitate persistentibus, unus ad patris irrisionem ruit. Duos Abraham filios habuit, sed unus innocens, alius uero fratris persecutor fuit. Duos quoque Isaac filios habuit, unus in humilitate seruatus, alter uero et priusquam nasceretur reprobatus est. Duodecim lacob filios genuit, sed ex his unus per innocentiam uenditus, ceteri uero per malitiam uenditores fratris fuerunt. Duodecim quoque apostoli in saneta Ecclesia sunt electi, sed ne improbati remanerent, unus eis admixtus est, qui eos persequens probaret. 214

215

Vgl. dazu auch T. RENNA, Augustine's ,City of God' in John Wyclif and Thomas More, in: J. C. Schnaubelt/F. van Fleteren (Hg.): Collectanea Augustiniana. Augustine, Second Founder of the Faith, New York 1990, 261-271, hier 261: „The first writer after Augustine to be more specific about the elect was Pope Gregory the Great. While not contradicting anything in Augustine's De civitate Dei, Gregory stressed the similarity between exemplary Christians and the electi (or iusti), the conventional patristic term for the blessed in heaven". 216

Mor. XX 29,75 (1059,33-36 Adriaen). Die folgenden Schriftzitate, die Gregor hier als Beleg für diese Aussage heranzieht, sind die gleichen, die er schon in der Auslegung von Hiob 1,1 verwendet hatte, vgl. auch Fiedrowicz: Kirchenverständnis S. 282f. 217 Mor. I 24,33 (43,9-18 Adriaen).

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Kapitel 6

halb der Kirche, die sich der Schmerzen dieses Lebens bewußt sind und sich deshalb zutiefst nach der Ewigkeit des himmlischen Vaterlandes sehnen. Demgegenüber wähnen sich die uneinsichtigen Sünder gut, verlangen nach dem Vergänglichen, betrachten nicht das Ewige und scheinen dementsprechend den Schmerz auch nicht zu spüren218. Sie erheben die Augen ihres Geistes nicht zum Licht der Wahrheit, wozu sie geschaffen sind, sie kontemplieren nicht das himmlische Vaterland und verlieren sich voll und ganz an diese Welt, die sie in ihrer Blindheitfür das Licht halten219. Anders jedoch die Erwählten; sie erachten das Vergängliche für nichtig und forschen statt dessen aus, wozu sie geschaffen sind. Sie lassen sich an Gott und der kontemplierenden Betrachtung Gottes genügen und wünschen nichts sehnlicher als Bürger der oberen Welt zu werden. Körperlich noch an diese Welt gebunden, sind sie mit dem Geist jedoch schon der Welt enthoben. Ihr Geist beweint, was sie verloren haben, und spornt sie unablässig in ihrer Liebe zur ewigen Heimat an220. Gleichzeitig macht Gregor aber auch deutlich, daß sich das Leben der electi nicht allein in dieser weltflüchtigen Betrachtung des Ewigen erschöpft, sondern auch durch die actio bestimmt sein soll, die nicht minder sorgfältig erwogen werden muß221. In den electi sieht Gregor das wandernde Gottesvolk der Kirche, das für ihn im eigentlichen Sinne Kirche ist, weil es weiß, daß es seine Heimat im Himmel hat und die Gegenwart als Exil betrachtet, das es geduldig zu ertragen gilt222. Diesem Volk steht mit den vielen reprobi gegen-

218

Mor. I 25,34 (43,5-9 Adriaen). Mor. I 25,34 (43,9-14 Adriaen): Nequaquam enim ad ueritatis lucem, cui conditi fuerant, mentis oculos erigunt; nequaquam ad contemplationem aeternae patriae desidera aciem tenunt sed semetipsos in his quo proiecti sunt deserentes, uice patriae diligunt exilium quod patiuntur et in caecitate, quam tolerant, quasi in claritate luminis exsultanf, vgl. auch Mor. VII 2,2 (335,13-18 Adriaen); Mor. V 3,3 (220,Iff. Adriaen). 220 Mor. I 25,34 (43,15-44,23 Adriaen). Vgl. auch Mor. VIII 10,19 (395,7f. Adriaen): Sancta uero Ecclesia quousque uitam corruptionis ducit, flere mutabilitatis suae damna non desinif, Mor. VIII 22,38 (409,36ff. Adriaen) beklagt Hiob als Typos der Kirche, daß diese in dieser Welt noch dem Widerspruch des Fleisches ausgeliefert ist. 221 Mor. I 25,35 (44,36-45 Adriaen): Nam qui solerter in uitae Consilio figit mentem, caute sese in omni actione circumspiciendo considérât. Et ne ex re quae agitur repentinus finis aduersusque subripiat, hunc prius molliter posito pede cogitationis palpai, pensât ne ab his quae agenda sunt formido praepediat; ne in his quae differendo praecipitatio impellat; ne praua per concupiscentiam aperto bello superent; ne recta per inanem gloriam insidiando supplantet. lob ergo in terra Hus habitat, dum mens electi quo magis per consilium uiuere nititur, eo angusti itineris dolore fatigatur. Vgl. auch Mor. XI 42,57 (618,13-15 Adriaen). 219

222 Diese Kirche hat es für Gregor seit jeher gegeben, vgl. auch R. BÉLANGER, Ecclesia ab exordio mundi: modèles et et degès d'appartenance à l'Église chez Grégoire le Grand, Studies in Religion 16, 1987, 265-273.

Die Rolle der Kirche und ihrer praedicatores

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wärtig noch ein anderes gegenüber, das auf die sichtbaren Dinge fixiert und deshalb auch seinem Geist nach fleischlich gesinnt ist223. Immer wieder kommt Gregor im Verlauf seines Kommentars auf den Gegensatz zwischen diesen beiden Völkern zu sprechen, die er auch als die Gerechten und die Ungerechten224, als die heilige Kirche225 oder das corpus Christi im Unterschied zum corpus diaboli bezeichnen kann226. Mit ständig neuen Wendungen beschreibt Gregor die Differenz zwischen den Erwählten, die demütig sind und die Welt verachten, und den Verworfenen, die im Gefolge des Teufels hochmütig an dieser Welt Gefallen finden 227 . Letztere bleiben selbst gegenüber den vielfältigen flagella hart228. Wie Steine, auf die man schlagen kann, und die dennoch keinen Klang hervorbringen, werden auch die reprobi gezüchtigt und antworten dennoch nicht mit einem demütigen Bekenntnis229. Und selbst wenn sie einen Klang hervorbringen und bekennen, dann tönen sie doch oft nur wie Erz230. In dieser Welt leben beide corpora oder Völker noch zusammen und sind auch beide in der Kirche zu finden231, denn auch in ihr gibt es gegenwärtig die carnales232, und sie trägt in ihrem Schoß eine nicht geringe Anzahl an Verworfenen und nur scheinbar Gläubigen233. Ebenso wie Augustin beruft sich auch Gregor auf Mt. 13,47 und

223

Mor. XVIII 30,48 (916,17ff. Adriaen) Hier steht wiederum Augustin De civ. XIV 15 (437,9f. Dombart/Kalb) im Hintergrund. Vgl. auch Mor. XV 57,68 (792,14-22 Adriaen) und DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 391f; FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 107ff. 224 Vgl. z.B. Mor. VIII 54,92 (454,21ff. Adriaen). 225 Zu dem Begriff der sancta Ecclesia, den Gregor häufig verwendet, vgl. auch G. HOFER, La „sancta Ecclesia" di Gregorio Magno, StMon 30, 1989, 593-636. 226 Mor. III 16,29 (134,14ff. Adriaen); Mor. IV 11,18 (175,3ff. Adriaen); Mor. IX 28,44 (487,23-26 Adriaen); Mor. XIII 10,12 (675,lff. Adriaen); Mor. XIV 21,25 (712,lff. Adriaen); Mor. XV 15,19 (760,31ff. Adriaen); Mor. XXXII 16,28 (1651,lff. Adriaen); Mor. XXXIV 4,8 (1738,lff. Adriaen); Mor. XXXIV 22,42 (1762,lff. Adriaen) Zum corpus diaboli vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 263ff. 227 Mor. VII 21,24 (349,8ff. Adriaen); Mor. VII 21.25 (350,29ff. Adriaen); Mor. VIII 12,27 (400,lff. Adriaen); Mor. XV 57,68 (792,19ff. Adriaen); Mor. XVIII 21,34 (906,1-5 Adriaen); Mor. XX 4,11 (1009,lff. Adriaen); Mor. XXX 5,20f. (1504,22-1505,58 Adriaen) u.ö. 228 Mor. VII 21,25 (350,29ff. Adriaen). 229 Mor. VII 22,26 (350,lff. Adriaen). 230 Mor. VII 22,26 (351,16ff. Adriaen). Vgl. auch LA PORTE, Gregory the Great, 27. 231 Mor. XVIII 30,48 (917,37ff. Adriaen). 232 Mor. III 20,36-21,40 (138,1-141,58 Adriaen). Sinnbild der carnales ist Hiobs Frau; vgl. auch Praef. 14 (20,50ff. Adriaen). 233 Mor. XIII 8,10 (674,14f. Adriaen): Se quia nunc intra sinum fidei multos etiam reprobos tenet ... Mor. XIII 7,9 (673,lff. Adriaen) und Mor. XXIX 6,13 (1441,53ff. Adriaen) spricht Gregor von den quasi fideles. Vgl. auch Mor. XXV 10,26 (1251,48ff. Adriaen). Zum Problem der Scheinchristen vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 289ff.

114

Kapitel 6

v e r g l e i c h t d i e K i r c h e mit e i n e m N e t z , das in d i e s e m Jahrhundert d e s H e i d e n tums vielerlei Fische fängt: Gute und Schlechte, Stolze und

Demütige,

E i f e r n d e und S a n f t e , D u m m e und W e i s e 2 3 4 . N i c h t alle, d i e jetzt zu ihr k o m m e n , z ä h l e n d e s h a l b a u c h s c h o n zu d e n Erwählten 2 3 5 , d i e n a c h G r e g o r das e i g e n t l i c h e , j e d o c h in d i e s e r W e l t n o c h v e r b o r g e n e Zentrum der K i r c h e bilden 2 3 6 . In ihrem Kern, in electis

suis,

hat d i e Kirche, w i e G r e g o r mit B e z u g

auf E p h . 5 , 2 7 betont, w e d e r F l e c k e n n o c h R u n z e l n 2 3 7 . D i e s e K i r c h e , d i e ecclesia

in electis

suis,

m u ß d i e g r o ß e Zahl an V e r w o r f e n e n , d i e s i c h in ihr

drängen, in G e d u l d ertragen, d o c h darf sie sich durch ihren E i n f l u ß nicht v o n ihrem W e g abbringen lassen 2 3 8 . D i e G r e n z e n d i e s e r ecclesia

electorum

sind in d i e s e r W e l t n o c h nicht

sichtbar, sie hat Gott in s e i n e n d e m M e n s c h e n u n z u g ä n g l i c h e n iudicia f e s t g e l e g t . Zur ecclesia

electorum

occulta

z ä h l e n d e s h a l b alle E r w ä h l t e n , w ä h r e n d

alle V e r w o r f e n e n letztlich außerhalb v o n ihr stehen, m a g e s auch g e g e n w ä r t i g s o erscheinen, als gehörten sie zu ihr 2 3 9 . D i e v o n d e r p e r m i x t i o v o n E r w ä h l t e n und V e r w o r f e n e n g e p r ä g t e G e g e n w a r t versteht G r e g o r d e s h a l b f o l g e r i c h t i g als e i n e Zeit der R e i n i g u n g und der Erprobung für die Erwählten 2 4 0 . Gott läßt

234 Mor. XXXIII 18,34 (1704,9-13 Adriaen): Quae recte etiam sagenae in mari missae comparatur, ex omni genere piscium congreganti, quia missa in hoc gentilitatis saeculum nullum respuit: sed malos cum bonis, superbos cum humilibus, iracundos cum mitibus, et fatuos cum sapientibus cepit. Augustin verwendet insbesondere dieses Bild häufiger, um die gegenwärtig sichtbare Kirche als ein corpus permixtum zu charakterisieren, vgl. dazu auch BORGOMEO, L'Église, 308-312. 235 Mor. XXV 8,21 (1246,120ff. Adriaen). 236 Ygj JMGH y . CONGAR, L'écclesiologie du haut moyen âge. De saint Grégoire le Grand à la désunion entre Byzance et Rome, Paris 1968, 67: „l'accent semble être mis, moins sur l'élection et la prédestination que sur la fidélité, sur l'exercice effectif de la vie selon l'Esprit. L'ecclesia electorum est l'ensemble de ceux qui sont vraiment l'Église, qui montrent dans la charité et l'humilité, les signes de leur élection ...". Nach FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 288 gewinnt der Begriff der Erwählten bei Gregor eine mehr moralisch-eschatologische Komponente. 237 Mor. XIII 8,10 (673,8ff. Adriaen); Mor. XX 29,58 (1046,8-18 Adriaen), vgl. dazu auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 283. 238 Mor. VIII 10,23ff. (398,106-399,145 Adriaen); Mor. XX 17,43f. (1035,14ff. Adriaen). Neben dem Begriff der sancta Ecclesia verwendet Gregor häufiger Formulierungen wie Ecclesia electorum: Mor. XVIII 30,49 (917,66 Adriaen); Mor. XX 18,44 (1036,7 Adriaen); Mor. XX 30,60 (1047,2f. Adriaen); Mor. XXX 16,53 (1527,35 Adriaen) oder Ecclesia in electis suis: Mor. XX 38,74 (1058,56 Adriaen); Mor. XIX 25,46 (993,118ff. Adriaen); Mor. XXXV 17,43 (1804,31f. Adriaen) oder auch, um das wichtige Thema der Einheit zwischen Christus und seinem Leib noch deutlicher hervortreten zu lassen, Dominus in electis suis: Mor. XII 11,15 (637,16-638,20 Adriaen). 239 Mor. XXVIII 6,16 (1407,22f. Adriaen): Intra has ergo mensuras sunt omnes electi, extra has omnes reprobi, etiam si intra fidei limitem esse uideatur. Vgl. auch

FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 2 8 5 f f . 240

Mor. XX 39,76 (1059,33ff. Adriaen).

Die Rolle der Kirche und ihrer praedicatores

115

das Wüten der Ungerechten gegen die Gerechten zeitlich begrenzt zu241, damit die Gerechten demütig werden242. Nach seiner dem Menschen verborgenen Anordnung macht Gott die electi über den Weg des Leidens und der Angriffe von Seiten der reprobi demütig und bewahrt sie auf diese Weise davor, in Ewigkeit verloren zu gehen243. Ebenso wie Gott die Sündenstrafe zuläßt und damit im uneigentlichen Sinne das Schlechte schafft, wird er nach Gregors Verständnis insofern selbst zu einem bonus persecutor, als er die Verfolgung durch die Ungerechten gestattet, die die Gerechten immer wieder bedrängen und anfechten244. Die Erwählten sollen nach seiner dem Menschen verborgenen dispositio gereinigt werden245, wie das Gold, das im Feuer geprüft und geläutert wird246. Häufig vergleicht Gregor die Erwählten in der Kirche mit dem Weizen, der gegenwärtig noch die Spreu der Verworfenen ertragen muß, weil sie ihm zur Reinigung seiner Lebensführung dienen kann. Im Endgericht wird jedoch nur der Weizen in der himmlischen Scheune gesammelt, während die Spreu verbrannt werden wird247. Erst dann wird die Kirche der Erwählten von den Verworfenen befreit werden248 und kann das göttliche Licht vollständig schauen249. Gregor macht sich also in seinem Kommentar zum Buch Hiob nicht nur die Auffassungen Augustins über Ursprung und Folgen der anfänglichen Sünde weitgehend zu eigen250, sondern übernimmt auch die wesentlichen Aspekte der augustinischen Vorstellung von einer verborgenen und dem 241 Mor. XX 24,51 (1041,31-33 Adriaen): Et omnipotens Deus electorum suorum aduersarios temporaliter permittit excrescere, ut per malorum saeuitiam purgetur uita bonorum. Zur Zulassung der Bedrängnis als iudicia occulta auch bei Augustin De civ. XX 19 (733,117ff. Dombart/Kalb). 242 Mor. XX 24,52 (1041,34ff. Adriaen). 243 Mor. XXXIII 12,26 (1696,150ff. Adriaen); Mor. XXXIII 14,28 (1697,lff. Adriaen). 244 Mor. XIII 7,9 (673,16-19 Adriaen); Mor. XXV 8,21 (1246,120ff. Adriaen). 245 Mor. XVI 54,67 (837,2ff. Adriaen); Mor. XIV 52,60 (734,1-19 Adriaen), vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 276ff. 246 Mor. XVIII 26,40 (911,24ff. Adriaen); vgl. auch Mor. XX 29,76 (1059,33-35 Adriaen) und Mor. XXXIV 7,13 (1742,21ff. Adriaen). 247 Zur Auslegung von Mt. 3,12 vgl. insbesondere Mor. XXVII 30,54 (1373,lff. Adriaen): Frumentum desiderat nubes. Quid enim electi quique sunt, nisi frumenta Dei caelestibus horréis recondenda? Quae nunc in tritura aerae paleas tolerant, quia in hac purgatione sanctae Ecclesiae mores contraríos reproborum portant ... Ahnlich auch Mor. XX 39,75 (1059,20 Adriaen); Mor. XXVI 41,76 (1323,53-56 Adriaen); Mor. XXIX 6,11 (1440,20-22 Adriaen); Mor. XXXIV 5,10 (1740,lOff. Adriaen). Zu Augustin vgl.

auch BORGOMEO, L'Église, 315-322. 248

Mor. XXIX 30,60 (1476,58-61 Adriaen). Gregor verwendet in diesem Zusammenhang häufiger das Bild von der Morgenröte: Mor. XXIX 2,4 (1436,43ff. Adriaen); Mor. XVIII 29,46 (915,8-12 Adriaen); Mor. IV 11,19 (177,40ff. Adriaen); Mor. IV 25,46 (191,1-192,19 Adriaen). 249

250 Y g ]

a u c h

FlEDROWICZ, K i r c h e n v e r s t ä n d n i s , 8 9 .

116

Kapitel 6

Menschen unzugänglichen Gnadenwahl Gottes. Wie Augustin ist auch Gregor davon überzeugt, daß diese sichtbare gegenwärtige Kirche noch keineswegs mit der Gemeinschaft der Heiligen identisch ist, weil sich in ihr sowohl Erwählte als auch Verworfene befinden. Erst mit dem Endgericht werden diese beiden corpora voneinander getrennt werden, so daß erst dann die eigentliche Kirche, die Kirche der Erwählten, die in der Gegenwart noch vielfältigem und bitterem Leiden ausgesetzt ist, ans Licht treten kann. Im Zusammenhang seines Hiobkommentars akzentuiert Gregor jedoch stärker als Augustin, daß das allgegenwärtige Leiden, sowohl die Sündenstrafen der flagella Dei, als auch seine iudicia occulta und die Bedrückung der electi innerhalb der Kirche durch die reprobi nichts anderes als der Ausdruck der innerweltlichen Ordnung und Fürsorge Gottes ist251, der die Sündenfolgen als Erziehungsmittel einsetzt, um seine Erwählten schon in dieser Welt gehorsam, demütig und geduldig zu machen und sie damit wieder zu ihm und zu seiner Schöpfungsordnung zurückzuführen. Weshalb Gregor gerade dieses Thema in seinen Moralia in Job so entschieden in den Vordergrund rückt, wird noch klarer ersichtlich, wenn man sein Nachdenken über die Funktionen, die ihre praedicatores in der gegenwärtigen Kirche ausüben sollen, etwas näher betrachtet.

6.3. Die praedicatores als Gottes Werkzeuge zur Eindämmung der Sünden der ihnen Untergeordneten 6.3.1. Die gegenwärtige Kirche als hierarchisch gegliederter Leib Christi Gregor interpretiert die Kirche in seinem Hiobkommentar nicht nur als eine permixtio aus Erwählten und Verworfenen, sondern in erster Linie und wiederum in deutlicher Anlehnung an Augustin, als den gegenwärtigen Leib Christi252. Anders als Augustin entfaltet Gregor dieses Thema jedoch auch im Hinblick auf die mit der Sünde entstandene Hierarchie, indem er den Leib

251 Vgl. dazu auch STRAW, Gregory the Great, 1 If.: „The very fact that God controls everything, either by active ordination or passive permission, is sufficient proof of his terrible power and of his abiding mercy as well. While this realization might unsettle modern minds, it would come only as a relief to Gregory and his contemporaries, who were so familiar with the cavalier and the ruthless enterprises of the devil. Reassured of God's ultimate control, they can envision limits to the devil's power and trust that the chaos around them is really part of a greater providential order". 252 Es sei an dieser Stelle noch einmal daran erinnert, daß Gregor seiner gesamten Interpretation des Buches Hiob diese Deutung zugrundelegen will, vgl. Praef. 14 (19,3720,56 Adriaen).

Die Rolle der Kirche und ihrer praedicatores

117

Christi sehr plastisch als einen Körper beschreibt 2 5 3 , der aus stärkeren und schwächeren Gliedern besteht 2 5 4 . D i e Schwächeren kann Gregor mit der äußeren Haut d i e s e s L e i b e s v e r g l e i c h e n , weil sie mit äußeren D i n g e n und der A n o r d n u n g der n o t w e n d i g e n irdischen A n g e l e g e n h e i t e n befaßt sind. D e m g e g e n ü b e r b e z e i c h n e t er die Stärkeren, die sich u m das H i m m l i s c h e sorgen, als die K n o c h e n , die d i e s e n Leib zusammenhalten 2 5 5 . E i n e m e t w a s g e l ä u f i geren Bild z u f o l g e g l e i c h e n die Starken den A u g e n und die S c h w a c h e n den Füßen d i e s e s Körpers, w o b e i es Gregor darauf ankommt, daß sich die F ü ß e auf ihrem W e g von den A u g e n leiten lassen sollen 2 5 6 . Vermutlich bezieht sich Gregor in dieser Körpermetaphorik auf Rufins Apologeticus257. Diejenigen, die sich im R a h m e n der Kirche u m die äußeren D i n g e sorgen, b e f i n d e n sich g e g e n ü b e r denjenigen, die sich der cura caelestis w i d m e n , in einer deutlich niedrigeren Position 2 5 8 . A n der Spitze des L e i b e s Christi steht deshalb eine kleine Elite, die sich vor allem um die h i m m l i s c h e n D i n g e küm-

253

Mor. XXVIII 10,22ff. (1413,44ff. Adriaen) bezieht sich Gregor auf die paulinische Vorstellung (1. Kor. 12) der Kirche als eines Körpers mit verschiedenen Gliedern, deren Haupt Christus ist. Zu Beginn des Abschnittes 23 heißt es deshalb noch einmal ausdrücklich: Quid enim sancta Ecclesia, nisi superni sui capitis corpus est? Für Gregor ist entscheidend, daß die Glieder des Leibes zwar unterschiedliche Aufgaben erfüllen, in der Liebe jedoch eins sind. Vgl. zur Vorstellung von der Kirche als eines Körper bei Gregor auch STÜRNER, Peccatum et potestas, 93f. 254 Zu den Starken und Schwachen allgemein vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 182f., der in der mangelnden Ausrichtung an der himmlischen Realität den Grund für die Anfälligkeit und Verführbarkeit der Schwachen sieht. 255 Mor. XX 40,77 (1060,8-12 Adriaen): Exterius quippe causa eius est terrena dispensatio, interior uero cura caelestis. Cutis ergo nomine infirmi signantur, qui nunc in ea exteriori utilitati deseruiunt. Per ossa uero fortes eius figurati sunt, in quibus corporis illius compago solidatur. Ähnlich auch Mor. XIII 7,9 (673,7-10 Adriaen). 256

Mor. X X 23,50 (1040,Iff. Adriaen); Mor. X I X

14,23 (974,48ff. Adriaen);

Mor.

XIX 25,43 (991,49ff. Adriaen) und Mor. XIII 36,41 (690,2ff. Adriaen). Vgl. dazu auch STRAW, Gregory's Politics, 48f. 257 Nach MARKUS, Gregory the Great's rector, 139-142 lassen die eben genannten Texte den Einfluß des Apologeticus Gregors von Nazianz in der Übersetzung des Rufin spüren, der bereits das paulinische Bild von der Kirche als eines Körpers auf den Unterschied zwischen Herrscher und Beherrschte reduziert hatte: „The multiplicity of the Pauline ministries is reduced to two: the rulers and the ruled, and their relation portrayed in the philosophical commenplace of the higher controlling the lower in the hierarchy of natures" (ebd. 140f.). Vgl. darüberhinaus auch Mor. XIII 20,23 (681,1-4 Adriaen). Dort nennt Gregor die praelati das Antlitz des Leibes Christi; Mor. XIV 35,43 (724,36-44 Adriaen) kritisiert die sacerdotes, die nur scheinen als wären sie Häupter des Leibes Christi. 258 Mor. XIX 14,23 (974,48ff. Adriaen): ... nimirum pedes Ecclesiae sunt inferiorum operum ministri, qui dum ad usus necessarios ea quae sunt exterius exercent, per extremum ministerium uelutpedes terrae inhaerent. Ähnlich auch Mor. XX 23,50 (1040,Iff. Adriaen) und Mor. XIX 25,43 (991,49ff. Adriaen). Mor. XXII 23,54 (1133,2 Adriaen) vergleicht hi qui minori loco positi mit den Bauern, die die Erde bearbeiten.

118

Kapitel 6

mert, als Untergebene bezeichnet er dagegen alle, die mit den Angelegenheiten dieser Welt befaßt sind259. Auffällig ist, daß Gregor die Menschen, deren Sorge der cura caelestis gilt, nun aber gerade nicht neben die kirchlichen Leitungsfunktionen stellt, sondern beide miteinander in Übereinstimmung zu bringen sucht260, weil er gerade nicht für Menschen schreibt, die nach dem berühmten Wort Cassians den Bischof und die Frau fliehen und abseits vom Getriebe dieser Welt ihren Zufluchtsort suchen und sich ausschließlich der cura caelestis hingeben wollen 261 . Gregor mahnt vielmehr seine Adressaten, neben der Sorge um das Himmlische keinesfalls die cura animarum an den Nächsten zu vergessen. So nutzt er beispielsweise die Auslegung von Hiob 31,39: Si fructus eius comedi absque pecunia262, um seine Leser daran zu erinnern, daß sie eine Verantwortung gegenüber dem Leib der Kirche haben. Die Frucht der Kirche unbezahlt zu essen hieße, lediglich den eigenen Hunger zu stillen und der Kirche nicht die geschuldete praedicatio zu erstatten263. Nach der göttlichen Verfügung sollen alle Glieder des Leibes Christi einander dienen. Diejenigen, die anderen übergeordnet sind, leisten ihren Dienst mit dem Wort, die Untergeordneten mit ihrem Gehorsam 264 . Die Übergeordneten haben demnach vor allem die Aufgabe, ihre Untergebenen im Kontext der Kirche durch das Wort der Verkündigung zu ermahnen 265 . Doch ist mit der Übernahme der praedicatio im Dienste des Nächsten noch keineswegs der gesamte Aufgabenbereich derer, die anderen übergeordnet sind, beschrieben, wie die Auslegung des nächsten Verses veranschaulicht: Pro frumento oriatur mihi tribulus et pro hordeo Spina266. Gregor versteht unter frumentum 259 Vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 193ff.: Ecclesia humiliter serviens. 260 Ygj z u m Zusammenhang zwischen Leib-Christi Theologie und bischöflichem Amt auch den knappen Hinweis von L. SERENATHÀ, Servi di tutti. Papa e vescovi a servizio della Chiesa secondo s. Gregorio Magno, Turin 1980, 134. 261 Vgl. Cassian Inst. XI 18 (CSEL 17,1, 203,15f. Petschenig): omnimodis monachum fugere debere mulieres et episcopos. Die Ekklesiologie hat Cassian als monastisch ausgerichteten Theologen offenbar nicht interessiert; vgl. dazu auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis S. 372f.: „... die Ekklesiologie [stellt] keinen expliziten Gegenstand asketisch-monastischer Reflexion" dar. 262 Mor. XXII 22,53 (1132,lff. Adriaen). 263 Mor. XXII 22,53 (1132,2-9 Adriaen): Fructus etenim terrae absque pecunia comedere est ex Ecclesia quidem sumptus accipere, sed eidem Ecclesiae praedicationis pretium non praebere. [...] Terrae igitur fructus absque pecunia comedit, qui ecclesiastica commoda ad usum corporis percipit, sed exhortationis ministerium populo non impendit. 264 Mor. XXII 22,53 (1132,22-26 Adriaen): Omnes namque qui sub dispensatione conditoris uicario nobis ministerio iungimur sub uno ac uero Domino, quid nobis aliud nisi inuicem serui sumus? Cum igitur is qui subest seruit ad obsequium, restai procul dubio ut is quipraeest seruiat ad uerbum. 265 Mor. XXII 22,53 (1132,15-18 Adriaen). 266 Mor. XXII 24,55 (1133,lff. Adriaen) zu Hiob 31,40.

Die Rolle der Kirche und ihrer praedicatores

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an dieser Stelle das opus spirituale, das auf den Geist ausgerichtet ist, und unter hordeum die notwendige dispensatio irdischer Angelegenheiten, zu der die Übergeordneten immer dann gezwungen werden, wenn sie schwachen und fleischlich gesinnten Menschen dienen267. Sobald die Vorgeordneten ihren Untergebenen im übertragenen Sinne Speise zubereiten und ihnen mit der Verwaltung irdischer Angelegenheiten dienen, ist auch ihr eigenes Tun nicht mehr frei von der Vermischung mit der Spreu, die das Leben in dieser Welt und in der gegenwärtigen Kirche ausmacht268. Gregor weiß sehr genau, wie bitter es für diejenigen sein kann, die dieser Welt entsagen wollen, wiederum um der Nächsten willen mit den Angelegenheiten dieser Welt belastet zu werden. Doch sind es nach seiner Ansicht die göttlichen iudicia occulta, die diesen Menschen gleichwohl eine Vorrangstellung in dieser Welt zumuten, so daß sie nunmehr im Inneren der Sehnsucht nach dem Himmlischen, im Äußeren jedoch dem ihnen auferlegten Dienst leben und dabei weder die Vollendung vernachlässigen, noch der dispositio des Schöpfers in dieser Welt hochmütig widersprechen sollen269. Auf geradezu wundersame Weise wird ihnen die Menge an Schwachen zugemutet, damit sie sich einerseits selbst für unvollkommen und gering erachten und somit ein Höchstmaß an Demut erlangen, und zum anderen zugleich möglichst viele von denen, die ihnen an Untergebenen in dieser Zeit beigemischt sind, mit sich zum himmlischen Vaterland führen270. In der gegenwärtigen Welt ist dieser Dienst nach Gregors Auffassung eine Notwendigkeit, der man sich, weil er von der göttlichen Ordnung verfügt ist, keinesfalls entziehen darf, auch wenn man ihn als ausgesprochen schwer und belastend empfindet271. Denjenigen, die sich der cura caelestis verschrieben 267 Mor. XXII 24,55 (1134,16-19 Adriaen): In frumento quippe spiritale opus, quod mentem refìcit, in hordeo autem terrenarum rerum dispensatio figurantur. In qua saepe dum seruire infirmis atque carnalibus cogimur... 268 Mor. XXII 24,55 (1134,19-21 Adriaen): ... quasi sua iumentis alimenta praeparamus, atque ipse nostrorum usus operum quasi more hordei habet aliquid de admixtione palearum. 269 Mor. V 4,5 (222,1-11 Adriaen): Desiderant quippe mortificare se funditus atque ab omni uita gloriae temporalis extinguere; sed occultis saepe Dei iudiciis uel praeesse in regime, uel occupati iniunctis honoribus compelluntur, atque inter haec mortificationem plenissimam indesinenter exspectant. [...] Et intus quidem seruant desiderium pietatis, foris autem explent ministerium ordinis; quatenus nec a perfectione per intentionem recedant, nec dispositioni conditoris per superbiam contradicant. Vgl. dazu DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 157; McCLURE, Gregory the Great, 47f.; MARKUS, Gregory the Great, 24. 270 Mor. V 4,5 (222,11-21 Adriaen); vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 37: those whose comprehension is most perfect serve their neighbors in the most exalted way by leading them to salvation. Even the contemplative must be a preacher, so to speak". 271 Mor. XXIV 25,55 (1229,94ff. Adriaen) Gregor spricht auch hier vom ordo diuinae dispensationis. Vgl. dazu auch BAASTEN, Pride, 103.

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Kapitel 6

haben, hält Gregor immer wieder vor Augen, daß auch sie in die verborgene göttliche Ordnung für diese Welt eingebettet sind und im Kontext der Kirche mit der Verkündigung und der Herrschaft über andere Menschen auf demütige Weise eine zeitliche Aufgabe zu erfüllen haben, die ihnen von Gott auferlegt ist, weil er ihnen keinen vollständigen Rückzug von den Angelegenheiten dieser Welt mehr gestattet 272 . In Zeiten der Not, wenn es an geeigneten Menschen mangelt, die sich um der Nächsten willen um die äußeren Angelegenheiten kümmern, d. h. wenn dem Leib Christi gegenwärtig gleichsam nicht mehr genügend Füße zur Verfügung stehen, dann sollen sich auch diejenigen, die mit spirituellen Gaben ausgestattet sind, zur Schwachheit der anderen herablassen und ihnen in ihren irdischen Notwendigkeiten, soweit das für sie angemessen ist, aus Nächstenliebe dienen 273 . 6.3.2. Die Aufgaben der kirchlichen Führung im justinianischen

Zeitalter

Daß Gregor auf Bitten seiner Mitbrüder der Interpretation des Hiobtextes die Frage nach der heilsgeschichtlichen Verortung der Kirche und nach den Aufgaben der kirchlichen Führung unterlegt, kommt sicherlich nicht von ungefähr 274 . Vielmehr spiegelt sich in den Anfragen, die die Brüder an Gregor herantrugen, vieles von den Unsicherheiten, die die Situation der Kirche und ihrer Amtsträger im Zeitalter Justinians kennzeichnete 275 . Gerade Justinian, der Priestertum und Königtum gemeinsam als von Gott gegeben betrachtete, um das irdische Leben der Untertanen zu ordnen 276 , hatte 272

Mor. XXV 16,38 (1263,123-127 Adriaen): Quia enim potestas regiminis ministrari non potest sine studio curae temporalis, aliquando omnipotens Deus mira disposition pietatis, ut tenerae spiritalium mentes a terrena cura disiunctae sint, onus regiminis duris ac laboriosis iniungit... 273 Mor. XIX 25,45 (991,70-74 Adriaen): Sed inter haec sciendum est quia cum proximorum causis exterioribus qui apte deseruiant desunt, debent hi quoque qui spiritalibus donis pleni sunt eorum infirmitati condescendere terrenisque illorum necessitatibus, in quantum decenter ualent, caritatis condescensione seruire. Vgl. auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 156f.; 274 Vgl. dazu auch McCLURE, Gregory the Great, 41f.; FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 223 vermutet, daß Gregor durch die politische Struktur am Kaiserhof in Konstantinopel dazu angeregt wurde, im Anschluß an die westlich-römische Tradition den Dienstgedanken zu entfalten, der dem östlichen Denken fremd war. 275 Vgl. dazu auch ausführlich MARKUS, Gregory the Great, 82ff. 276 Dieses Ideal wird programmatisch im Vorwort zur sechsten Novelle aus dem Jahre 535 formuliert, CIC(B).N 35f.: Maxima quidem in hominibus sunt dona dei a superna collata dementia sacerdotium et imperium, illud quidem divinis ministrans, hoc autem humanis praesidens ac diligentiam exhibens; ex uno eodemque principio utroque procidentia humanam exornant vitam. Vgl. dazu auch F. DVORNIK, Early Christian and Byzantine Political Philosophy. Origins and Background, Dumbarton Oaks Studies 9,2, Washington 1966, 815-819; M. CLAUSS, Die oupificovia von Kirche und Staat zur Zeit Justinians, in: K. Dietz u.a. (Hg.): Klassisches Altertum, Spätantike und frühes Christentum, FS A. Lippolt zum 65. Geburtstag, Würzburg 1993, 579-593.

Die Rolle der Kirche und ihrer praedicatores

121

nicht nur ein Interesse am M ö n c h t u m , das er noch stärker in die kirchlichen Strukturen einbinden wollte 2 7 7 , sondern vor a l l e m an den B i s c h ö f e n s e i n e s nach den langen Rückeroberungskriegen n e u g e e i n i g t e n Reiches 2 7 8 . In ihnen sah er nicht selten die Vertreter der städtischen Macht 2 7 9 , nachdem der D e k u rionenstand w e i t g e h e n d durch eine w e n i g e r klar definierte Gruppe v o n Notablen 2 8 0 , die sich j e d o c h nicht in gleicher W e i s e für das W o h l der städtischen G e m e i n s c h a f t verantwortlich fühlten, ersetzt w o r d e n war 2 8 1 . Spätestens seit d e m fünften Jahrhundert waren Klerus und B i s c h o f g e m e i n s a m an der Wahl der städtischen Ä m t e r s o w o h l eines defensor282, eines curator als auch eines

277 Vgl. dazu F. PRINZ, Das westliche Mönchtum zur Zeit Gregors des Großen, in: Grégoire le Grand, 123-136, hier 125. 278 Vgl. auch H. HÜRTEN, Gregor der Große und der mittelalterliche Episkopat, ZKG 73, 1962, 16-41. 279 Vgl. Justinian Novellae 128,4 CIC(B).N 638; 128,16 CIC(B).N 641f.; 128,17 CIC(B).N 642f.; 128,23 CIC(B).N 645. In Hadrianopolis in Paphlagonien schien es bereits am Ende des sechsten Jahrhunderts keinen anderen städtischen Machthaber mehr gegeben zu haben als den örtlichen Bischof, an den sich der Kaiser wenden konnte, vgl. dazu auch D. FEISSEL/I.KAYGUSUZ, Un mandement impérial du Vie siècle, Traveaux et Mémoires 9, 1985, 397-419. 280 Die Quellen zu den Verhältnissen in Norditalien nach dem Sieg der Byzantiner nennen die Notablen: proceres, primates, optimates, seniores, maiores, ohne daß klar wäre, welche genauen Positionen damit bezeichnet werden, vgl. dazu auch F. M. AUSBÜTTEL, Die Verwaltung der Städte im spätantiken Italien, Frankfurt 1988, 21 l f f . Im byzantinischen Italien waren besonders viele Militärs und deren Nachfahren unter den Notablen, vgl. zu dieser Entwicklung insbesondere die grundlegende Studie von T. S. BROWN, Gentlemen and Officers: Imperial Administration and Aristocratie Power in Byzantine Italy 554-800, Rom 1984. 281 Geradezu verzweifelt versuchte Justinian reiche Stadtbewohner davon abzuhalten, in den Regierungsdienst oder in die Kirche abzuwandern, vgl. insbesondere X 33,1-4 CIC(B).C 415f.; 35,1-3 CIC(B).C 416f.; 38,1 CIC(B).C 418; sowie die beiden Nov. 38 CIC(B).N 246-253 und 87 CIC(B).N 425-428. Doch er konnte diese Entwicklung, die schon vor Konstantin begonnen hatte, nicht mehr aufhalten. Vgl. dazu auch C. LEPELLY (Hg.), La fin de la cité antique et le début de la cité médiévale de la fin du Ille siècle à l'avènement de Charlemagne, Bari 1996; L. WEBSTER, The Transformation of the Roman World, Berkely/Los Angeles 1997; J. H. W. G. LIEBESCHUETZ, The Décliné and Fall of the Roman City, Oxford 2001. 282 Kaiser Anastasius (491-518) erließ auf Bitten einer Delegation aus Corycus in Cilicien ein Gesetz, das die Wahl des defensor und des curator regelte, MAMA III, 197A (vgl. auch die ausführliche Beschreibung der Inschrift in der Textausgabe 122ff). Im Westen wurde die Wahl des defensor schon seit einem Gesetz von 409 unter Beteiligung von Klerus, Bischof, honorati, possessores und Kurialen geregelt, vgl. I 55,8 CIC(B).C 91. Nach Cassiodor Var. VII,11 (CCSL 96, 271,1-272,16 Fridh) soll der defensor, zu dessen Aufgaben auch die Überwachung der Preise gehörte (Var. VII,12, 212,Iii. Fridh), wie ein Patron für seine Klienten sorgen. Daß auch der Klerus ein Interesse an der Wahl eines defensor hatte, zeigt beispielsweise auch Augustin Ep. 22*,2-4 (Divjak 524f.). Augustin beschreibt hier die Notwendigkeit eines defensor, der die Schwachen vor der

122

Kapitel 6

sitonam beteiligt, so daß damit der Kirche und der Stadt gemeinsam die Sorge für das Wohlergehen der untergebenen Bevölkerung oblag 284 . Diese Entwicklung war fast zwingend, da die Position des Bischofs mit der Förderung und den Privilegien der christlichen Kaiser enorm gewachsen und der Bischof schließlich zu einer der reichsten und mächtigsten Personen in der Stadt geworden war, die somit auf sehr effektive Weise zum Heil der inzwischen weitgehend christlich gewordenen Bevölkerung beitragen konnte285. Unter Justinian wurden dem Bischof dann zunehmend Aufgaben übertragen, die in einem für Korruption ausgesprochen anfälligen System nach einem gerechten Schiedsrichter mit entsprechender Reputation und Ansehen verlangten286. Bischöfe mußten den Geldwert der militärischen annona, der Steuer für den Sold der Soldaten, festsetzen 287 ; sie hatten zu entscheiden, was geschehen sollte, wenn Regelungen bezüglich öffentlicher Bauten nicht eingehalten wurden288; und sie bildeten gemeinsam mit anderen Notablen ein Gremium, vor dem sich jeder, der öffentliche Gelder ausgegeben hatte, zu verantworten hatte289. Sie konnten bei Machtmißbrauch seitens des Staates intervenieren und sollten nach dem Willen Justinians den Provinzgouverneur beaufsichtigen, der bei Antritt seines Amtes einen Eid vor dem Bischof und den Notablen ablegen mußte290. Sowohl der Bischof als auch die Notablen konnten sich beim Kaiser über die Amtsführung eines Provinzgouverneurs

Machtwillkür schützen sollte, was die Kirche nicht tun konnte, wollte sie nicht ihrerseits zu einem weltlichen Ankläger werden. 283 Vgl. I 4,17 CIC(B).C 41 und X 27,3 CIC(B).C 407 (491-505) zur Wahl des sitona, dessen Aufgabe es war, aus öffentlichen Mitteln Getreide zu kaufen, um es zu moderaten Preisen an die Bevölkerung abzugeben. Vgl. auch LIEBESCHUETZ, Decline and Fall, 150: „Participation in the appointment of the sitona would enable the churches to perform this duty more effectively". 284 Diesem Modell ist auch die justinianische Gesetzgebung verpflichtet, vgl. dazu D. CLAUDE, Die byzantinische Stadt im 6. Jahrhundert, München 1969, 107-145. 285 YGJ C)AZU P. BROWN, Power and Persuasion. Towards a Christian Empire, Madison 1992, 45-158; É. REBILLARD/C. SOTINEL (Hg.), L'Évêque dans la cité du IVe au Ve siècle: Image et autorité, Collection de l'école française de Rome 248, Rom 1998; K. L. NOETHLICHS, Zur Einflußnahme des Staates auf die Entwicklung eines christlichen Klerikerstandes, JAC 15 ,1972, 136-153. 286 Yg] a u c h A. GUILLOU, L'Évêque dans la société méditerranéenne des VIe-VIIe siècles, B E C h 131, 1 9 7 3 , 5 - 2 0 ; LIEBESCHUETZ, D e c l i n e and Fall, 1 5 1 f . :

requiring the

bishop to supervise fair dealing in various difficult aspects of municipal administration". 287 Vgl. I 4,18 CIC(B).C 41. Im westgotischen Spanien waren die Bischofssynoden eng in die Verwaltung eingebunden und unterstanden den königlichen Weisungen, doch hatten sie die Möglichkeit, vom Staat bestimmte Steuereintreiber abzulehnen, vgl. zur Situation in Spanien auch E. A. THOMPSON, The Goths in Spain, Oxford 1969. 288 Vgl. 14,8-10 CIC(B).C 40. 289 Vgl. I 4,26 CIC(B).C 42, dieser Text stammt aus dem Jahre 531; vgl. Nov. 128,16 von 545 CIC(B).N 641f. 290 Vgl. Nov. 8,14 CIC(B).N 77f.

Die Rolle der Kirche und ihrer

praedicatores

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beschweren, und wenn ein Bürger vom Provinzgouverneur ungerecht behandelt wurde, hatte er die Möglichkeit, sich an den Bischof zu wenden, der seinerseits alles zu tun hatte und sogar bis zum Kaiser selbst vordringen durfte, um dem Bürger sein Recht zu verschaffen 291 . Diese dem Bischof übertragenen Aufgaben, die ihn einiges an Zeit und Einsatz gekostet haben dürften, machten aus ihm noch keinen säkularen Amtsträger292. Seine Rolle war vielmehr in erster Linie die eines Aufsehers und eines Schiedsmannes zwischen denen, die weltliche Herrschaft ausübten, und den Einwohnern des Reiches, die auch in den spätantiken Rechtsquellen zunehmend als subiecti bezeichnet wurden293. Inwieweit er diese Funktion mit Leben erfüllen konnte, hing an der ihm entgegengebrachten Achtung und nicht zuletzt an seiner Moralität und persönlichen Integrität 294 . Der Bischof besaß damit einen nicht unerheblichen Spielraum 295 , den er vor allem im Westen des Reiches 296 in den durch die Völkerwanderungswirren erheblich kleiner gewordenen Städten nutzen konnte, um das Vakuum zu füllen, das sich aus den ungeklärten Zuständigkeiten und dem mangelnden Zwang zur Zusammenarbeit mit den Notablen ergab. So waren es in der Krisenzeit des ausgehenden fünften Jahrhunderts häufig nicht die Notablen, sondern die Bischöfe, die ihre Stadt auch nach außen hin vertraten. Unter ostgotischer Herrschaft scheinen die italischen Bischöfe ihren städtischen Aufgaben, die sie gemeinsam mit den Notablen durchzuführen hatten, mehr oder weniger unverändert nachgekommen zu sein. So berichtet Cassiodor davon, daß Bischöfe gemeinsam mit den honorati im Jahre 527, als eine Hungersnot 291 Vgl. N o v . 86 aus dem Jahre 5 2 9 CIC(B).N 4 1 9 - 4 2 3 ; vgl. zur Gesetzgebung Justinians auch K. L. N O E T H L I C H S , Art. Justinianus (Kaiser), R A C XIX, Stuttgart 1999, 748-752. 292 Daß der Bischof nicht zu einem säkularen Amtsträger wurde, betont besonders L I E B E S C H U E T Z , Decline and Fall, 137ff. 293 Ygi d a z u : w . S. T H U R M A N , The application of subiecti to Roman citizens in the imperial laws of the Late Roman Empire, Klio 5 2 , 1 9 7 0 , 4 5 3 - 4 6 3 ; C . D U P O N T , Sujets et citoyens sous le Bas-empire romain de 312 à 565 après Jésus Christ, Revue Internationale des droits de l'antiquité, 3e série, 2 0 , 1 9 7 3 , 3 2 5 - 3 3 9 . 294

Vgl. LIEBESCHUETZ, Decline and Fall, 152f.: it should be remembered that the bishop's effectiveness in this role depended lastly neither on his place in an administrative structure, nor on his legal prerogatives, but on the widespread belief that by virtue of his office he represented a higher moral order". 295 LIEBESCHUETZ, Decline and Fall, 154 vermutet dahinter sogar eine g e w i s s e Absicht: „It may be that Justinian's legislation assigning duties to bishops involved an element of wishful thinking". 296

Mitte des sechsten Jahrhunderts war die große Zeit der Bischöfe des Ostens bereits mehr oder weniger Vergangenheit, vgl. auch S . M I T C H E L L , Anatolia. Land, Men, and Gods in Asia Minor II: The Rise of the Church, Oxford 1993, 120f. In Ägypten haben sie offenbar keine große Rolle in der Verwaltung gespielt, vgl. auch A. S T E I N W E N T E R , Die Stellung der Bischöfe in der byzantinischen Verwaltung Ägyptens, in: S. Riccobono (Hg.): Studi in onore di Pietro de Francisci I, Mailand 1956, 75-99.

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Kapitel 6

bevorstand, g e g e n e i n e künstlich e r z e u g t e Getreideverknappung v o r g e h e n mußten 2 9 7 . U n d w e n n Datius v o n Mailand mit der Ü b e r w a c h u n g des Getreideverkaufs aus ö f f e n t l i c h e n Kornspeichern beauftragt wurde 2 9 8 , dann wird erneut deutlich, daß m a n d e m B i s c h o f die R o l l e des neutralen Mittlers zutraute 299 . Drastisch ändern sollte sich d i e s e Situation allerdings durch d i e furchtbaren A u s w i r k u n g e n der byzantinischen Rückeroberung Italiens und der kurz darauf f o l g e n d e n Langobardeninvasion 3 0 0 , die die städtische Führungsschicht vielerorts stark s c h w ä c h t e , w e n n nicht gar e n d g ü l t i g vernichtete 3 0 1 . D e r B i s c h o f war in v i e l e n Städten die e i n z i g v e r b l e i b e n d e M a c h t 3 0 2 und nicht w e n i g e Städte, die keinen B i s c h o f s s i t z besaßen, verschwanden in den f o l g e n den Jahren und Jahrzehnten von der Landkarte 3 0 3 . Gregor w u c h s in diesen wirren Zeiten der Rückeroberung auf und war mit der durch die N o t e r z w u n g e n e n K o m p e t e n z e r w e i t e r u n g des b i s c h ö f l i c h e n A m t e s vertraut 304 , die ihm, gerade im byzantinischen Italien, neben den seel-

297

Cassiodor Var. IX 5 (351,1-352,28 Fridh). Cassiodor Var. XII 27 (495,1-496,29 Fridh). 299 Mit LIEBESCHUETZ, Decline and Fall, 157 Anm. 132 gegen M. HEINZELMANN, Bischof und Herrschaft vom spätantiken Gallien bis zu den karolingischen Hausmeiern. Die institutionellen Grundlagen, in: F. Prinz (Hg.): Herrschaft und Kirche, Monographien zur Geschichte des Mittelalters 33, Stuttgart 1988, 23-82, der darin eine Einbindung des Bischofs in die reguläre Verwaltungsarbeit sieht. 300 Yg| (j a z u auch M. ROUCHE, Grégoire le Grand face à la situation économique de son temps, in: Grégoire le Grand, 41-58. 301 Vgl. dazu die bekannte Passage aus den Ezechielhomilien II 6,22 (CChr.SL 142, 310,524-311,532 Adriaen), in der Gregor nicht nur die gegenwärtige Situation beklagt, sondern wieder und auch in diesem Zusammenhang deutlich macht, daß er die flagella als göttliche Antwort auf die menschliche Sünde versteht, die den Menschen zur Umkehr anhalten sollen: Quid est iam rogo, quod in hoc mundo libeat? Vbique luctus aspicimus, undique gemitus audimus. Destructae urbes, euersa sunt castra, depopulati agri, in solitudine terra redacta est. Nullus in agris incola, pene nullus in urbibus habitator remansit; et tarnen ipsae paruae generis humani reliquiae adhuc cotidie et sine cessatione feriuntur. Et finem non habent flagella caelestis iustitiae, quia nec inter flagella sunt actionis culpae. Alios in captiuitatem duci, alios detruncari, alios interflci uidemus. Quid ergo quod in hac uita libeat, fratres mei? Etwas später stellt Gregor fest, daß inzwischen auch der Senat verschwunden ist, vgl. ebd. 311,560f. 302 Vgl. MARKUS, Gregory the Great, 6f. 303 Vgl. LIEBESCHUETZ, Decline and Fall, 95f.: „The lack of a bishop considerably reduced the city's chances of survival". Zur Situation in Süditalien vgl. auch die Beschreibung von C. WLCKHAM, Early Medieval Italy, London 1981, 148f. 304 Vgl. auch G. JENAL, Gregor der Große und die Stadt Rom ( 5 9 0 - 6 0 4 ) , in: F. Prinz (Hg.): Herrschaft und Kirche, Monographien zur Geschichte des Mittelalters 33, Stuttgart 1 9 8 8 , 1 0 9 - 1 4 5 , hier vor allem 112ff. 298

Die Rolle der Kirche und ihrer

125

praedicatores

sorgerischen verstärkt auch administrative Aufgaben übertrug 305 . Er klagt darüber, daß ein Kirchenmann gegenwärtig so stark mit weltlichen Dingen beschäftigt sei, daß man häufig nicht einmal wisse, utrum pastoris officium an terreni proceris agat306. Hier lauerten nach seiner Ansicht erhebliche Gefahren, weil nichts einen unvorbereiteten Mann der Kirche mehr korrumpieren könne als die Beteiligung an weltlichen Angelegenheiten dieser Art307. Doch gestattet die aktuelle Situation weder Klerikern noch Mönchen, sich davon ganz und gar zurückzuziehen. Gregor bemüht sich nun darum, der kirchlichen Führung einzuschärfen, daß sie sich nicht an der vergänglichen Welt, sondern am Ewigen und damit an der göttlichen Schöpfungsordnung zu orientieren habe308. Andererseits, und das ist Gregor nicht minder wichtig, müssen die kirchlichen Leiter darüber unterrichtet werden, daß sie in dieser Welt sowohl mit der praedicatio als auch mit der Herrschaft über andere Menschen eine Aufgabe von Gott übertragen bekommen haben, zu deren Ausübung sie sich auch solcher Mittel bedienen müssen, die nicht der göttlichen Schöpfungsordnung, sondern seiner liebenden Zuwendung und strafenden Erziehung gegenüber den gefallenen Geschöpfen entsprechen. Wer als ein praedicator im Inneren fest gegründet ist, seinen Geist auf das Ewige richtet und sich demütig Gott unterordnet, der kann im unbeständigen Fluß der gegenwärtigen Zeiten aufrecht stehen309. Er weiß sich selbst in rechter Weise zu ordnen, seinen Leib und die Fülle der Gedanken zu kontrollieren, und kann deshalb auch anderen Menschen mit seinem Leben ein Beispiel geben 310 . Ein praedicator, der sich Gott dem Schöpfer unterordnet und dementsprechend auch das Verhältnis zu seinem Fleisch schöpfungsgemäß ordnet, indem er es beherrscht311, ist nach Gregors Ansicht auch in der Lage, als ein Übergeordneter verant-

305 Zur Rolle des Bischofs im byzantinischen Italien vgl. auch WlCKHAM, Early Medieval Italy, 77f.; BROWN, Gentlemen and Officers, 175-189; MARKUS, Gregory the Great, 6f. 306 Vgl. Ep. I 24 (35,30f. Ewald/Hartmann). Der Brief datiert aus dem Umfeld der Amtsübernahme Gregors, vgl. auch MARKUS, The Sacred and the Secular, 87f. 307

Vgl.

a u c h FlEDROWICZ,

Kirchenverständnis,

371;

LIEBESCHUETZ,

Decline

and

Fall, 1 5 6 . 308

Vgl. FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 371. Mor. XXXI 28,35 (1590,9-11 Adriaen): Vir autem bene Deo subditus seit inter transeuntia stare, seit inter lapsus decurrentium temporum mentis gressum figere... 310 Mor. IV 29,65 (200,59ff. Adriaen): Reges quippe sunt sanetipraedicatores Ecclesiae, qui et commissos sibi recte disponere, et sua bene regere corpora sciunt [...] Reges enim sunt, quia sibimetipsis praesident; terrae autem consules quia exstinetis peccatoribus uitae consultum praebent. Reges sunt quia semetipsos regere sciunt; terrae sunt consules quia terrenas mentes per exhortationis suae consilium ad caelestia pertrahunt. 311 Vgl. dazu Mor. XVIII 43,70 (936,90ff. Adriaen); Mor. X X V I 28,53 (1307,15ff. Adriaen). 309

126

Kapitel 6

wortlich über andere Menschen zu herrschen312. Gerade weil ihm die äußeren, vergänglichen Dinge nichts bedeuten und er alles Irdische flieht, kann er damit betraut werden, dem untergebenen und sündigen Nächsten mit der Verkündigung zu dienen, selbst wenn er dabei in weltliche Angelegenheiten verstrickt wird und zudem zeitliche Macht ausüben muß. Diesem Thema widmet Gregor seine erstaunlich ausführliche Auslegung zu Hiob 28,14: Et mare loquitur: Non est mecum313. In einem ersten Abschnitt seiner Deutung will Gregor zunächst unter dem Wort mare das Leben derer, die dieser Welt verhaftet sind, verstanden wissen, die keine stabilitas aufweisen und keine Ruhe finden können. Demgegenüber stellt er dann seinen Lesern die Ruhe des Geistes, der vollkommen frei ist von weltlichen Sorgen, Wünschen und Erwägungen, als das eigentliche Ziel vor Augen. Erst wenn die vielfältigen Gedanken um weltliche Dinge ausgetrieben sind, kann sich der Mensch sammeln und in seinem Inneren Ruhe finden 314 . Doch Gregor kommen offenbar sofort die Väter in den Sinn, die zwar in ihrem Inneren ruhig, aber dennoch im Äußeren mit vielerlei weltlichen Angelegenheiten belastet waren. Er verweist auf Joseph, der in der Zeit der Hungersnot nicht nur Ägypten mit Nahrungsmitteln versorgte, und stellt fest, daß Daniel als ein von den Babyloniern eingesetzter princeps magistratuum mit noch weit größeren Aufgaben in dieser Welt beauftragt war315. Denen, die von sich aus nicht nach Macht und Ansehen streben, davon ist Gregor überzeugt, erlegt Gott selbst solche Tätigkeiten aufgrund seiner verborgenen Anordnung auf, damit sie auch das Äußere ruhig und besonnen ordnen 316 . Das eine sollen sie aus innerer Berufung, das andere als ein äußeres Amt tun317. Im Inneren von allem Weltlichen, insbesondere von der Herrschsucht, frei, und allein nach Gott und der von ihm geschenkten Ruhe fragend, können und sollen diese praedicatores um der Nächsten willen auch ihre Aufgabe in der Welt wahr312 Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 26: „A parallel pattern exists for self and society: if the focus of personal stability is in the citadel of the mind exerting discipline over irrational members, the focus of social and political stability is an exercising control over a similar ,body' of which it is .head'". 313 Mor. XVIII 43,68-79 (933,1-936,116 Adriaen). Vgl. zu Gregors Deutung auch MARKUS, Gregory the Great, 24 Anm. 28: the whole section 68-70 is heavily Augustinian in its inspiration", ohne jedoch näher darauf einzugehen. 314 Mor. XVIII 43,68 (933,1-935,54 Adriaen). Der Abschnitt endet mit folgenden Worten: In his itaque inquietudinum fluctibus habitare sapientiam non posse cognoscens, ait: Et mare loquitur: Non est mecum. Nullus quippe earn plene recipit, nisi qui ab omni se abstrahere actionum carnalium fluctuatione contendit. Es folgen noch zwei Bekräftigungen aus Eccl. 38,25 und Ps. 45,11. 315

Mor. XVIII 43,69 (935,55-64 Adriaen). Mor. XVIII 43,70 (935,73-936,116 Adriaen). Vgl. zu diesem Abschnitt auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 158-160. 317 Mor. XVIII 43,70 (936,1 lOf. Adriaen) spricht Gregor vom inwendigen uotum und dem äußeren officium. 316

Die Rolle der Kirche und ihrer praedicatores

127

nehmen und verkündigen. Dabei dürfen sie durchaus auch zeitliche Macht ausüben und, wie die Beispiele des Joseph und Daniel zeigen, Aufgaben des städtischen Magistrats übernehmen. Wenn es keine zivile Verwaltung mehr gibt, die sich in dieser Weise um der Nächsten willen mit den äußeren und weltlichen Angelegenheiten befaßt, darf sich der praedicator angesichts der Not nicht scheuen, aus Nächstenliebe Verantwortung für die Untergebenen zu übernehmen und ihnen zu dienen318. 6.3.3. Die praedicatores als die von Gott eingesetzte liebevolle und strenge Zuchtrute In den Moralia in lob spricht Gregor seine Adressaten nicht unmittelbar als Bischöfe319 an, sondern verweist mit den Bezeichnungen praedicatores320 und praepositi, praelati, regentes, rectores oder qui praesuntm in erster Linie auf die Funktionen, die sie im Rahmen der gegenwärtigen Kirche und in dieser Welt ausüben sollen. Das dürfte auch der Grund dafür sein, daß in seinen exegetischen Schriften nie explizit von Mönchen oder Asketen die Rede ist322. Mit seiner Auslegung zum Buch Hiob will Gregor ganz offensichtlich eine kirchliche Führungsschicht unterweisen, wie sie, weil sie im Inneren allein auf Gott und seine Wirklichkeit ausgerichtet sein soll, dennoch zugleich um 318 Mor. XIX 25,45 (991,70-74 Adriaen). Auf dem Hintergrund der Zeit läßt sich diese Stelle kaum anders verstehen. Gregor selbst hat sich während seines Pontifikats immer wieder der Not seiner Untertanen erbarmt und Funktionen der zusammengebrochenen zivilen Administration übernommen, vgl. auch RICHARDS, Gregor der Große, passim; LIEBESCHUETZ, Décliné and Fall, 157f. 319 Nur in Mor. XIX 14,23 (975,76ff. Adriaen) ist von den episcopi die Rede, zu denen sich auch Gregor selbst rechnet. In Mor. XXII 22,53 (1132,9ff. Adriaen) zählt Gregor sich zu den pastores. Vgl. zu diesen beiden Stellen, die vermutlich der letzten Bearbeitung Gregors aus der Zeit als Papst entstammen auch MARKUS, Gregory the Great's rector, 139. 320 Zur Häufigkeit des Begriffs praedicator vgl. Thesaurus Gregorii Magni - Series A: Formae, 260 und 302. FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 134 stellt fest, daß der praedicator vor allem in Gregors exegetischem Werk vorkommt. 321 Diese Bezeichnungen, die den gesamten Kommentar zum Buch Hiob durchziehen, verwendet Gregor häufig synonym, vgl. z.B. Mor. IV 31,61 (205,2-4 Adriaen): Quos alies principes nisi sanctae Ecclesiae rectores uocat, quos indesinenter in loco praedicatorum praecedentium diuina dispensatio subrogat? Vgl. dazu auch MARKUS, Gregory the Great's rector, 141ff.; FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 194; LEYSER, Authority and Ascetism, 156ff. 322 Gregor verwendet in den Moralia nicht ein einziges Mal den Terminus monachi, vgl. auch GLLLET, Spiritualité, 325ff.; LEYSER, Authority and Ascetism, 155: „In the world of Gregory's exegesis, monasteries have all but disappeared. There are no monachi, or cenobites, or hermits". Leyser sieht in dem für Gregor unmittelbar bevorstehenden Weltende den Grund für das Verschwinden sämtlicher kirchlicher Institutionen und vertritt die Ansicht, daß es Gregor ausschließlich um die Beschreibung einer moralischen Autorität geht.

128

Kapitel 6

der Nächsten willen zu verkündigen und als Verkündigende in rechter Weise mit der ihnen verliehenen zeitlichen Macht über die ihnen Untergebenen umzugehen hat. 6.3.3.1. Derpraedicator

als praepositus — das Beispiel des Ezechiel

Ein sehr anschauliches Bild vom Verhalten des rechten praedicator, der immer zugleich auch ein praepositus ist, zeichnet Gregor in seiner umfassenden Deutung von Hiob 34,36323, bei der er sich weit vom auszulegenden Text entfernt und zwei Zeichenhandlungen des Propheten Ezechiel interpretiert324. Wenn Gott dem Ezechiel befiehlt, ein Loch in die Wand zu brechen, dann ist mit Ezechiel der praepositus gemeint, der mit schmerzhaftem Tadel die verhärteten Herzen seiner Untergebenen öffnet 325 und dort eine Fülle an irdischen und götzendienerischen Gedanken findet, die es herauszureißen gilt. Für Gregor ist diese Strenge der praepositi aber nichts anderes als der Ausdruck ihrer Liebe zu den Untergebenen, für die die praepositi insofern Verantwortung vor Gott tragen, als sie nicht aufhören dürfen, die Verkehrten zu tadeln, weil sie andernfalls selbst für deren Schlechtigkeit zur Verantwortung gezogen und bestraft werden 326 . Mit Ez. 4,1-3 führt Gregor diese Auslegung fort, nennt Ezechiel aber nun einen praedicator327, der den Hörern mit seiner Verkündigung nicht nur den göttlichen Frieden vor Augen stellt328 und ihnen zugleich aufzeigt, daß ihre gegenwärtigen sündigen Laster gegen das himmlische Vaterland ankämpfen, sondern sie unablässig im Kampf gegen die Laster durch die uirtutes bestärkt 329 . Dementsprechend versteht Gregor die Mauer, die Ezechiel zwischen sich und der Stadt errichten soll, im Sinne einer Schutzmauer vor dem ewigen göttlichen Zorn, die der praedicator sowohl mit

323

Mor. X X V I 6,6-11 (1270,1-1275,168 Adriaen). Gregor legt hier Ez. 8,8-10 und Ez. 4,1-3 aus. Zu dem Verfahren, bei der Deutung des Textes auf andere testimonia zurückzugreifen, vgl. Ep. ad Leand. 1 (2,50-53 Adriaen). 325 Mor. X X V I 6,7f. (1271,30ff. Adriaen). Gregor interpretiert zunächst das Gotteswort an Ezechiel (8,8): Fili hominis, fode parietem in folgender Weise: Per Ezechielem praepositorum persona Signatur, per parietem duritia subditorum. Et quid est parietem fodere, nisi asperis correptionibus duritiam cordis aperire? Quem cum perfodisset, apparuit ostium, quia cum cordis duritia asperis correptionibus aperitur, quasi quaedam ianua ostenditur, ex qua omnia in eo qui corripitur cogitationum interiora uideantur. Kurz nimmt Gregor noch einmal im Zusammenhang seiner Auslegung in Mor. XXXI 27,53 (1588,35-39 Adriaen) auf diese Deutung Bezug, vgl. dazu auch STRAW, Gregory the Great, 211. 324

326

Mor. XXVI 6,8 (1272,68-88 Adriaen). Zuvor hatte er ihn bereits in die Reihe der doctores und magistri eingeordnet, Mor. X X V I 6,8 (1272,73 Adriaen) und Mor. X X V I 6,9 (1273,95.97 Adriaen). 328 Mor. X X V I 6,9 ( 1 2 7 3 , 1 0 0 - 1 0 3 Adriaen). 329 Mor. XXVI 6,9 (1273,104ff. Adriaen). Mit der Zunahme an Tugenden wachsen nach Gregors Ansicht jedoch auch die Versuchungen. 327

Die Rolle der Kirche und ihrer praedicatores

129

der cura praedicationis als auch mit der cura regiminis für die ihm von Gott Anvertrauten aufzustellen hat. Nur w e n n er diese Funktionen a n g e m e s s e n wahrnimmt, die Untergebenen harsch tadelt und bei ihnen somit Furcht vor dem Gericht erzeugt, damit sie sich bessern, lädt er nach d e m Wort Gottes keine Schuld auf sich und tut seinem Dienst am Nächsten Genüge 3 3 0 . Will er der ihm von Gott auferlegten Verantwortung gegenüber den schwächeren Gliedern des Leibes Christi gerecht werden, dann kommt der praedicator nicht umhin, auch zeitliche Herrschaft über die ungerechten Untergebenen auszuüben, um sie zu Umkehr und Besserung anzuhalten 3 3 1 . 6.3.3.2. Verkündigung Untergebenen

und zeitliche

Herrschaft

zur Besserung

der

sündigen

D i e in dieser Welt anderen Menschen vorgeordneten kirchlichen Machthaber sind die ausführenden Organe der verborgenen göttlichen Ordnung in dieser Welt 3 3 2 . Sie bilden einen ordo praepositorum, der dem Volk zu dessen Formung vorsteht und die Kirche in den vielfältigen Versuchungen dieser Welt regiert 333 . Gott selbst hat sie aufgrund seiner dispositio den Untergebenen übergeordnet, damit sie diesen dienen und ihnen mit ihrem Dienst von Nutzen sind 334 . V o n Gott an diesen Platz gestellt und mit zeitlicher Macht ausge-

330 Mor. XXVI 6,10 (1274,131ff. Adriaen). Gregor bezieht sich hier auf Ez. 3,19 und Apg. 20,26f. 331 Mor. XXVI 6,11 (1274,151-153 Adriaen) im Unterschied zu denen, die gerecht und nicht untergeben sind. Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 202: „The hierarchial and corporate structure of the Church places the preacher implicitly as temporal head of the body of Christians. [...] Preachers become the moral and institutional leaders as well as the emotional center of the visible Church". Vgl. auch STÜRNER, Peccatum et potestas, 93. 332 So auch BROUWER, Égalité et pouvoir, 117: „Le pouvoir temporel est un instrument de la providence divine, rien de plus". Allerdings bezieht er sich an dieser Stelle insbesondere auf die weltlichen Machthaber. 333 M o r . I 14,20 (34,38-40 Adriaen):... praepositorum ordo [...] qui, dum ad formam uitae populis praesunt, sanctam Ecclesiam in tentationem fluctibus regunt. Mit Augustin kommt Gregor an dieser Stelle auf die Dreiteilung des Gottesvolkes zu sprechen, wobei Noah für die Kirchenleiter, Daniel für die Enthaltsamen und Hiob für die Verheirateten steht, ähnlich auch Mor. XXXII 20,35 (1656,14-20 Adriaen), vgl. zu dieser Unterscheidung auch G. FOLLIET, Les trois categories chrétiens, survie d'une thème augustinien, AThA 14, 1964, 81-96. Jedoch erwähnt Gregor dieses Thema lediglich sehr kurz und legt keinerlei Gewicht darauf, vgl. DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 312ff.; MARKUS, Gregory the Great, 28; FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 188ff.; LEYSER, Authority and Ascetism, 156, sein ganzes Interesse gilt den Verkündigern und kirchlichen Amtsträgern. So auch MCCLURE, Gregory the Great, 45: „... he was concerned in the Moralia not with the masses of the Church, but with the élite: Job was a holy man, a guide not to the good husband, but to the preacher". 334 Mor. IX 25,37 (482,14f. Adriaen); Mor. XXV 16,38 (1263,128-130 Adriaen); Mor. XXVI 26,46 (1302,116f. Adriaen); Mor. XXVII 24,44 (1363,Iff. Adriaen); Mor.

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Kapitel 6

stattet, sollen sie Bauern g l e i c h den Acker der Untergebenen bestellen und mit ihrer Verkündigung das Saatgut ausbringen 3 3 5 , u m auf d i e s e W e i s e die unter d e m V o l k v e r b o r g e n e n electi nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten z u m e w i g e n L e b e n zu führen 3 3 6 . Mit ihren Worten eifern die praedicatores deshalb i m m e r w i e d e r g e g e n d i e s ü n d i g e n Laster der ihnen U n t e r g e benen und setzen alles daran, d i e s e über tränenreiche R e u e und B u ß e w i e d e r auf den rechten W e g zu bringen 3 3 7 . D i e praedicatio der kirchlichen Leiter b e s t e h t d e s h a l b auch z u n ä c h s t e i n m a l in harscher Z u r e c h t w e i s u n g u n d correctio der Sünder 3 3 8 . S o vergleicht Gregor in seiner A u s l e g u n g zu H i o b 3 9 , 3 0 den praedicator mit e i n e m R a u b v o g e l , der sofort zur Stelle ist, sobald er Kadaver, d. h. im T o d g e f a n g e n e Sünder, erblickt. Ihnen nützt er, i n d e m er sie mit seiner praedicatio streng tadelt und sie damit g l e i c h s a m verschlingt 3 3 9 , u m auf d i e s e W e i s e d i e e h e m a l s Ungerechten zu bekehren und sie d e m L e i b Christi einzuverleiben 3 4 0 . Der Herr selbst, s o führt Gregor an anderer Stelle aus, richtet das V o l k durch die Worte der Verkündigung und ruft es tadelnd

XXI 15,22 (1082,17-19 Adriaen): Sancti autem uiri cum praesunt, [...] nec praeesse gaudent hominibus, sed prodesse. Das von ihm häufig verwendete Wortspiel praesse prodesse hat Gregor von Augustin übernommen, vgl. z.B. De civ. XIX 19 (687,29f. Dombart/Kalb), vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 203. 335 Mor. XXII 21,52 (1131,20-22 Adriaen): Ad hoc quippe diuina dispensatione ceteris unusquisque praeponitur, ut subiectorum animus, quasi substrata terra, praedicationis illius semine fecundetur. 336 Mor. XXVII 30,54 (1374,10-21 Adriaen) hält Gregor fest, daß die Verkündiger per doctrinam und per uitam die Aufgabe haben, die electi zur patria caelestis führen, vgl. dazu auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 137ff., der die Verkündigung der patria caelestis für den Kern der Aussagen Gregors über den Inhalt der praedicatio hält. 337 Mor. XXIV 16,41 (1218,41ff. Adriaen) beschreibt diesen Vorgang mit vielen Beispielen aus der Schrift, vor allem aus dem Corpus Paulinum. Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 201: „As Gregory explains the adventures of prophets and saints, he exposes the sins of his audience, stirring up their tears of repentence and exhorting them to reform their wicked ways". 338 Mor. XXVII 24,45 (1365,78-81 Adriaen): Praecipit igitur Dominus niui et hiemis pluuiis, ut in terram descendant, dum aspiratione sancti spiritus pro corrigendis peccatoribus corda sanctorum ad ministerium praedicationis humiliât. Vgl. zur Verkündigung auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 319-323 und DERS., La prédication de la pénitence chez S. Grégoire le Grand, in: F. G. Antonelli (Hg.): Mens concordet voci. FS A. G. Martimort, Paris 1983, 471-483. 339 Gregor verwendet im Zusammenhang mit den praedicatores häufiger Bilder des Verschlingens und Vertilgens, vgl. auch Mor. XI 33,45 (610,2ff. Adriaen); Mor. XVIII 35,56 (923,35-39 Adriaen); Mor. XIII 12,15 (677,6ff. Adriaen): Per ipsos quippe sancta Ecclesia iniquos a uitiis content et quasi glutiens in sua membra conuertit. 340 Mor. XXXI 53,106 (1622,lOff. Adriaen) Wer allerdings selbst noch gegen die Laster kämpft, der kann anderen nicht als praedicator übergeordnet sein: Mor. XXIII 11,21 (1160,81-83 Adriaen): Hi ergo qui adhuc uitiorum hello subiacent nequaquam per praedicationis usum praeesse magisterio ceterorum debent.

Die Rolle der Kirche und ihrer praedicatores

131

zur Buße341. Erst dann schenkt er den nunmehr Büßenden durch die Worte derselben praedicatores, die ihre Hörer zuvor mit Schrecken erfüllt haben, Trost und Hoffnung auf das himmlische Vaterland342. Diese Art der praedicatio, die die hochmütigen Sünder zunächst erschreckt, sie erniedrigt und die daraufhin demütig Gewordenen tröstet und stärkt343, entspricht als dispensatio praedicatorum344 dem göttlichen ordo dispensationis, der die sündigen hochmütigen Menschen auch durch flagella und iudicia occulta zu einer demütigen Haltung gegenüber Gott führen und auf diese Weise die Rückkehr des Menschen zu Gott in der Abkehr von den irdischen Dingen vorzubereiten hilft345. Dem gleichen Ziel dient auch die Ausübung der zeitlichen Macht durch die kirchlichen praepositi. Diesem Thema schenkt Gregor in seiner Auslegung zum Buch Hiob kaum geringere Aufmerksamkeit als seinen Ausführungen über die rechte praedicatio346. Obwohl er sich an manchen Stellen deutlich an Passagen aus Augustins De ciuitate Dei orientiert und diesem Werk eine Vielzahl von Formulierungen entlehnt347, geht es Gregor doch auch hier um 341 Mor. XXVII 12,22 (1346,2-7 Adriaen): Per haec nimirum uerba praedicatorum, id est guttas nubium, per haec fulgura miraculorum Deus populos iudicat, quia eorum corda territa ad paenitentiam uocat. Nam dum superna audiunt, dum mira opéra attendunt, mox ad corda sua redeunt, et sese de anteactis prauitatibus affligentes, aeterno tormenta pertimescunt. Vgl. auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 31 l f f . und DERS., La prédication, passim. 342 Mor. XXVII 12,22 (1346,7ff. Adriaen) Ganz ähnlich auch Mor. XXVII 17,34 (1357,54ff. Adriaen). Die Verkündigung derpatria caelestis ist demnach nicht das alleinige Hauptthema der kirchlichen praedicatio, wie FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 137ff. annimmt. 343 Mor. XXVII 17,33 (1355,lff. Adriaen); Mor. XX 5,13 (1010,27ff. Adriaen) betont, daß die kirchliche Verkündigung Hoffnung und Furcht mischt, vgl. auch Mor. XXXIII 12,24 (1649,71ff. Adriaen); Mor. XX 38,74 (1057,38ff. Adriaen) besonders 1058,64f.: Irascitur et amat, saeuit et tranquilla est, quatenus infirmos suos et corrigat ex aemulatione, et foueat ex pietate. Mor. XXIX 20,38 (1460,42ff. Adriaen); Mor. XXX 3,14 (1500,151ff. Adriaen) Zum Hahn als Bild für den Verkündiger vgl. auch HESBERT, La Bestiare, 455f. 344 Mor. XXVII 12,22 (1346,8f. Adriaen). 345 Mor. XXVII 12,22 (1346,12-1347,17 Adriaen). Dem ordo dispositionis entspricht es, daß Gott die Sünder zunächst durch seine praedicatores hart tadelt, um sie anschließend in ihrer Hoffnung zu bestärken. 346 Vor allem in einigen längeren thematischen Abschnitten in Mor. XXI 15,22-24 (1081,1-1083,70 Adriaen); Mor. XXIV 25,52-55 (1226,1-1229,104 Adriaen); Mor. XXV 16,34-41 (1259,1-1265,208 Adriaen); Mor. XXVI 26,44-48 (1298,1-1303,164 Adriaen); Mor. XXXI 1,1-7,10 (1549,1-1557,47 Adriaen); Mor. XXXIV 23,47-56 (1766,11773,247 Adriaen). 347 Gerade die Passage Mor. XXI 15,22-24 (1081,1-1083,70 Adriaen) zeigt enge Verwandtschaft zu Augustin De civ. XIX 14-15, vgl. E. BERNHEIM, Mittelalterliche Zeitanschauungen in ihrem Einfluß auf Politik und Geschichtsschreibung I: Die Zeitanschauungen, Tübingen 1918, 55; R. W. CARLYLE, A History of Médiéval Political Theory in

132

Kapitel 6

e t w a s anderes als A u g u s t i n . Er w i l l w e n i g e r über d e n U r s p r u n g v o n M a c h t und U n t e r o r d n u n g n a c h d e n k e n 3 4 8 als d i e j e n i g e n , d i e M a c h t über andere ausüben, g a n z konkret d a z u anleiten, d i e s e s in rechter und a n g e m e s s e n e r W e i s e zu tun 3 4 9 . W e n n G r e g o r über d i e B e d e u t u n g zeitlicher M a c h t reflektiert und sie als e t w a s durchaus N ü t z l i c h e s beschreibt, dann hat das nichts mit Sakralisierung v o n w e l t l i c h e r M a c h t als s o l c h e r zu tun 3 5 0 , v i e l m e h r zielt Gregor auf die U n t e r w e i s u n g der kirchlichen praedicatores

als praepositi351,

d i e zu sei-

nen Zeiten nicht u m h i n k ö n n e n , auch z e i t l i c h e M a c h t a u s z u ü b e n 3 5 2 . G r e g o r s

the West I: The Second Century to the Ninth, Edingburgh/London 3 1930, 126f.; M. REYDELLET, La royauté dans la littérature latine de Sidoine d'Apollinaire à Isidore de Séville, BEFAR 243, Rom 1981, 463-468; MARKUS, The Sacred and the Secular, 86f. und die sorgfältige Analyse von BROUWER, Égalité et pouvoir, 102-112. 348 In dieser Hinsicht stimmt Gregor vollkommen mit Augustin überein. Sowohl Augustin als auch Gregor sehen die Ursache für die ungleiche Herrschaft auf Erden in der Ursünde des Menschen, auf die Gott mit der dem Menschen verborgenen dispositio reagiert, vgl. nur De civ. XIX 15 mit Mor. XXVI 26,46 (1301,98-100 Adriaen): Cunctos quippe natura aequales genuit; ut autem alii ad regendum aliis committantur, non eos natura sed culpa postponit. Herrschaft hat auch für Gregor nichts verdienstvolles an sich, prosperitas ist nicht weniger ambivalent als aduersitas, vgl. dazu auch STRAW, Adversitas et prosperitas: une illustration du motif structurel de la complémentarité, in: Grégoire le Grand, 277-288. 349 Vgl. auch MARKUS, The Sacred and the Secular, 86f.: „Although Gregory quotes Augustine liberally in this passage, it is not clear that he has understood the import of Augustine's views on power and subjection; and whether he has understood them or not, he was clearly not interested in them, for he turns away from discussing the foundations of power in favour of defining a model for the conduct of the superior". DERS., Gregory the Great, 29; DERS., The Latin fathers, in: J. H. Burns (Hg.): Cambridge History of Medieval Political Thought, c. 350-C.1450, Cambridge 1988, 92-122, hier 116-122. Vgl. auch P. MEYVAERT, Gregory the Great and the Theme of Authority, Spode House Review 3, 1966, 3-12. 350 Sätze wie Mor. XXVI 26,44 (1299,18-20 Adriaen): Magna est etiam potentia temporalis, quia habet apud Deum meritum suum de bona administratione regiminis; sind aus dem Kontext herausgelöst und in diesem Sinne verstanden worden, vgl. etwa BERNHEIM, Mittelalterliche Zeitanschauungen I, 34-49; CARLYLE, History, 147-160 unter der Überschrift: The sacred authority of the ruler; H.-X. ARQUILLIÈRE, L'augustinisme politique. Essai sur la formation des théories politiques du moyen-âge, L'Eglise et l'État au moyen-âge 2, Paris 2 1955, S. 121-141; REYDELLET, Royauté, 467f. und 495-503. Die genannten Autoren sind jedoch vor allem an Gregors Verhältnis zu den weltlichen Machthabern seiner Zeit, insbesondere zu den germanischen Königen, interessiert. Fragen des kirchlichen Amtes werden von ihnen hingegen kaum beachtet. 351

Vgl. auch BROUWER, Égalité et pouvoir, 112: „La portée des textes des Morales sur le pouvoir est d'une grande importance, car si les passages interprétés politiquement sont destinés au pouvoir ecclésiastique, la tendence à la sacralisation ou même à une mission religieuse du pouvoir temporel, trait caractéristique des conceptions de saint Grégoire selon la critique contemporaine, se trouve sans fondement". 352 Auch die Zuordnung zwischen weltlicher und geistlicher Herrschaft interessiert Gregor weniger, vgl. MARKUS, Gregory the Great, 86. Auf das Verhältnis zwischen den

Die Rolle der Kirche und ihrer praedicatores

133

Ü b e r l e g u n g e n gelten den kirchlichen rectores, die mit d e m ministerium praedicationis353 auch das ministerium potentiae temporalis354 auferlegt b e k o m men. D i e Herrschaft über andere M e n s c h e n ist in Gregors A u g e n e b e n s o w i e die praedicatio eine zeitlich begrenzte A u f g a b e 3 5 5 , die der göttlichen dispositio/dispensatio für die Zeit dieser Welt entspricht und der sich die rectores o d e r p r a e p o s i t i deshalb nicht hochmütig und e i g e n w i l l i g widersetzen dürfen. A u c h mit ihrer zeitlichen Macht haben sie u m der N ä c h s t e n w i l l e n ein ministerium ordinis356 auszuüben und folglich die äußerlichen D i n g e demütig zu ordnen 3 5 7 . W i e mit der praedicatio sollen sie auch mit der ihnen verliehenen potentia temporalis insofern der göttlichen Ordnung dienen, als sie die Laster der ihnen Untergebenen korrigieren und auf diese W e i s e gleichfalls g e g e n die A u s w i r k u n g e n der m e n s c h l i c h e n Sünde zu k ä m p f e n haben 3 5 8 . D i e aus der Sünde entstandene hierarchische Gliederung der M e n s c h e n untereinander und auch die Über- und Unterordnung innerhalb der kirchlichen G e m e i n s c h a f t

potentes huius saeculi, der Kirche und den praedicatores geht er in seiner Auslegung zu Hiob 39, 9-12, Mor. XXXI 1,1-7,10 (1549,1-1557,47 Adriaen) und Mor. XXXI 16,3019,35 (1572,1-1575,45 Adriaen) ein, vgl. zu dieser Interpretation besonders STRAW, Gregory's politics, 47-63. 353 Von einem ministerium praedicationis spricht Gregor häufiger, vgl. z.B. Mor. XXVII 24,45 (1366,75.81 Adriaen); Mor. XIX 25,42 (990,16f. Adriaen). 354 Zur Bezeichung ministerium im Hinblick auf die zeitliche Macht, vgl. z.B. Mor. XXVI 26,45 (1300,70ff. Adriaen). 355 Mor. XXVI 26,46 (1302,123-126 Adriaen) hebt den Gegensatz zwischen der schöpfungsgemäßen Gleichheit aller Menschen und der zeitlichen Uber- und Unterordnung hervor. Ebenso wie die Herrschaft ist auch die praedicatio zeitlich begrenzt und endet mit dem endzeitlichen Gericht: Mor. XX 14,35 (1028,228 Adriaen): cum aeternae patriae lux emicuerit, praedicare cessabunt. Mor. XVIII 54,93 (955,183ff. Adriaen); Mor. XXVII 24,45 (1365,69ff. Adriaen). 356 Mor. V 4,5 CCSL 143 S. 222,8-11: Et intus quidem seruant desiderium pietatis, foris autem expient ministerium ordinis; quatenus nec a perfectione per intentionem recedant, nec dispositioni conditoris per superbiam contradicant. Mor. XXIV 25,55 (1229,96ff. Adriaen) warnt Gregor seine Leser eindringlich davor, den ordo diuinae dispensationis aus falsch verstandener Demut hochmütig zu fliehen und das Joch Gottes als des obersten rector aus dem Verlangen nach von Gott unabhängiger Machtausübung abzuwerfen. Der Leser dürfte inzwischen längst begriffen haben, daß ein solches Verhalten nichts anderes als die Nachahmung des teuflischen Unabhängigkeitsstrebens wäre. 357 Mor. V 11,19 (231,70 Adriaen): ... bene exteriora disponunt... Offensichtlich entspricht das recht verstandene menschliche disponere der göttlichen dispositio für diese Welt. 358 Gregor betont immer wieder, daß die Aufgabe der zeitlichen Machtausübung lediglich in der correctio der sündigen Laster besteht: Mor. XXIV 25,54 (1228,59ff. Adriaen); Mor. XXVI 26,45 (1300,68f. Adriaen): Et tarnen corrigendis aliorum uitiis apta exsecutione praeparatur\ Mor. XXVI 26,46 (1301,lOOf. Adriaen): Vitiis ergo se debent rectores erigere, quorum et causa praeferuntur...; vgl. auch BROUWER, Egalité et pouvoir, 114: „Le rôle fundamental de tous pouvoir entre hommes est de réprimer les fautes pour le profit de tous".

134

Kapitel 6

wird damit zu einer zeitlichen Ordnung Gottes, die in rechter und für den Menschen nützlicher Weise geübt wird, weil sie dazu dient, den sündigen Menschen wieder zu Gott zurückzubringen 359 . Gregor erläutert mit seiner Auslegung zu Hiob 31,15 diesen Zusammenhang, indem er wie Augustin versichert, daß Gott die mit ratio begabten Menschen als Herren über die unvernünftigen Tiere geschaffen habe, nicht jedoch als Herren über andere Menschen. Aus diesem Grund habe man die Väter des Alten Testaments auch Hirten und nicht Fürsten geheißen, weil sie über Viehherden und nicht über Menschen geherrscht haben 360 . Ausdrücklich erklärt auch Gregor, daß der Mensch dem ordo naturalis entsprechend nur den unvernünftigen Tieren, nicht aber anderen Menschen übergeordnet sei361. Und dennoch, so betont Gregor im klaren Unterschied zu Augustin, hätten die heiligen Männer häufig von ihren Untergebenen gefürchtet werden wollen. Sie wollten jedoch nur deshalb gefürchtet werden, weil sie erkennen mußten, daß ihre Untergebenen Gott nicht fürchteten 362 . Diejenigen, die keinerlei Angst vor den göttlichen iudicia haben, soll deshalb wenigstens menschliche Furcht davon abhalten, weiterhin zu sündigen 363 . Als praepositi waren die heiligen Männer trotz der Tatsache, daß sie gefürchtet waren, nämlich keineswegs hochmütig, weil sie nicht ihren eigenen Ruhm, sondern die Gerechtigkeit der ihnen Untergebenen suchten364. Gregor kann an dieser Stelle keinen Widerspruch zum ordo naturalis der göttlichen Schöpfungsordnung entdecken. Die Übergeordneten, die von den schlecht Lebenden gefürchtet werden, herrschen schließlich nicht über vernünftige Menschen, vielmehr beherrschen sie lediglich Sünder, die mit ihrem lasterhaften Leben auf die Ebene von unvernünftigen und wilden Tiere

359

Mor. XXI 15,22 (1082,14-17 Adriaen). Damit hat zeitliche Macht nichts Sakrales, vgl. auch das knappe Fazit bei BROUWER, Égalité et pouvoir, 117: „Le pouvoir temporel est un instrument de la providence divine, rien de plus". 360 Augustin De civ. XIX 15 (682,lff. Dombart/Kalb); vgl. zu Augustin auch R. A. MARKUS, Saeculum: History and Society in the Theology of St. Augustine, Cambridge 1988, 72ff. Ähnlich auch Gregor Mor. XXI 15,22 (1082,19-25 Adriaen); vgl. dazu STÜRNER, Peccatum et potestas, 90: hier begegnen wir einem der wenigen wörtlichen Anklänge an Augustin ...". Vgl. auch BROUWER, Égalité et pouvoir, 108. 361 Mor. XXI 15,23 (1082,26-29 Adriaen): Homo quippe animalibus irrationalibus, non autem ceteris hominibus natura praelatus est; et idcirco ei dicitur, ut ab animalibus et non ab homine timeatur, quia contra naturam superbire est, ab aequali uelle timeri... 362 Mor. XXI 15,23 (1082,29-32 Adriaen): ... quamuis plerumque a subditis etiam sancti uiri timeri appetunt, sed quando ab eisdem subditis Deum minime timeri deprehendunt... 363 Mor. XXI 15,23 (1082,32f. Adriaen) Furcht vor dem Gericht kann für Gregor jedoch immer nur der erste Schritt auf dem Weg zu Gott sein, denn erst die Liebe zu Gott läßt den Menschen wirklich gute Werke tun, vgl. dazu auch BAASTEN, Pride, 115. 364 Mor. XXI 15,23 (1082,33-35 Adriaen).

Die Rolle der Kirche

und ihrer

135

praedicatores

gesunken sind, weshalb mit Recht Macht über sie ausgeübt werden muß365. Die kirchlichen praepositi verhalten sich demnach entsprechend der von Gott für diese Welt verfügten Ordnung, wenn sie über die ihnen untergebenen sündigen Menschen Macht ausüben, um deren Laster zu korrigieren und sie zur Gottesfurcht anzuhalten366. Wer in dieser Weise über andere herrscht, der ahmt schließlich sogar Gott selbst nach, indem er seine Macht nicht hochmütig und zu seinem eigenen Ruhm, sondern vielmehr demütig und zum Nutzen anderer Menschen verwendet367. Wo jedoch kein Laster zu korrigieren ist, muß folglich auch nicht geherrscht werden. Denn die bereits korrigierten und nunmehr angemessen lebenden Brüder bedürfen der Herrschaft nicht länger368, sie sind deshalb nach dem ordo naturalis zu behandeln, weil alle Menschen ursprünglich gleich geschaffen sind369. Gregor verdeutlicht das Gemeinte am Beispiel des Petrus370, den er den primus pastor Ecclesiae nennt371. Petrus sah den gläubig gewordenen Cornelius nicht als einen Untergebenen an, sondern betrachtete ihn aufgrund seiner menschlichen Natur als ihm selbst gleichrangig372. Vollkommen anders verhielt er sich jedoch gegenüber den Sündern Ananias und Saphira, deren Verfehlung er mit all seiner Macht entgegentrat373. Wie Petrus wollte auch Paulus, den Gregor häufig als einen praedicator egregius

365

Mor. X X I 1 5 , 2 3 ( 1 0 8 2 , 3 5 - 3 9 Adriaen), v g l . auch STÜRNER, Peccatum et potestas,

9 0 ; BROUWER, Égalité et p o u v o i r , 111 ; STRAW, Gregory the Great, 8 6 . 366

V g l . STÜRNER, Peccatum et potestas, 9 0 f . : „ D i e hierarchisch gegliederte,

durch

V e r e h r u n g und Furcht der Untertanen g e g e n ü b e r den Machthabern und deren L i e b e zu ihrem V o l k geprägten O r d n u n g der G e m e i n s c h a f t hat also nach G r e g o r s A n s i c h t als gottg e w o l l t e und z u g l e i c h n o t w e n d i g e F o l g e d e s m e n s c h l i c h e n A b f a l l s v o n Gott auf j e d e W e i s e der U b e r w i n d u n g e b e n d i e s e s A b f a l l s zu dienen". 367

Mor. X X V I 2 6 , 4 8 ( 1 3 0 3 , 1 5 7 - 1 6 0 Adriaen): Deum

fastigium

potentiae

qui praelatus 368

intentus

ceteris prodesse

utilitatibus,

appétit,

non

uitiis potius

quam fratribus

quippe

et non suis

potestatis,

sed

desiderat,

elatus

qui

administrai,

itaque

locus

bene

regitur,

cum

is

dominatur.

Mor. X X I 1 5 , 2 4 ( 1 0 8 4 , 4 0 f . Adriaen): Cum uero deest

de excellentia

imitari

laudibus

praeesse.

Mor. X X V I 2 6 , 4 6 ( 1 3 0 1 , 9 7 f . Adriaen): Summus

quipraeest 369

alienis

de aequalitate

condicionis

uitium

gaudent

quod

corrigatur,

non

. . . ; ähnlich a u c h Mor.

X X V I 2 6 , 4 6 ( 1 3 0 1 , 9 7 f f . Adriaen). 370

Zur Figur des Petrus im G e s a m t w e r k Gregors v g l . auch J. MODESTO, G r e g o r der

Große. N a c h f o l g e r Petri und Universalprimat, StTG 1, St. Ottilien 1 9 8 9 . 371

Zu der B e z e i c h n u n g

Adriaen)

Adriaen); primus pastor 372

als primus

Gregor nennt Petrus

Ecclesiae Mor.

Ecclesiae

pastor

vgl.

auch den primus

praedicator

auch Mor.

apostolus

XVI

51,64

(Mor. X I V

(836,1 lf.

50,58

(Mor. X V I I I 5 4 , 9 1 9 5 3 , 1 0 7 Adriaen);

733,7 summus

(Mor. X I X 2 6 , 4 7 9 9 4 , 2 4 Adriaen).

XXI

15,24

(1083,45ff.

Adriaen);

Mor.

XXVI

26,45

(1300,76-1301,80

Adriaen) mit B e z u g auf A p g . 1 0 , 2 6 . V g l . auch BAASTEN, Pride, 1 0 4 . 373

Mor. X X V I 2 6 , 4 5 ( 1 3 0 1 , 8 0 f f . Adriaen) mit B e z u g auf A p g . 5 , 1 - 1 0 . V g l . dazu auch

FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 2 0 0 f .

136

Kapitel

6

bezeichnet 374 , nicht über seine Brüder herrschen, sondern ihnen gleich sein 375 . Sobald er jedoch bei einem von ihnen Schuld entdeckte, die es zu korrigieren galt, mußte aber auch Paulus ein strenger Lehrer sein und die Untergebenen mit der Rute züchtigen 376 . Jeder kirchliche Leiter hat also sehr genau darauf zu achten, im Inneren demütig und an der Gleichheit der Menschen als der von Gott ursprünglich gewollten Ordnung orientiert zu sein, ohne deshalb im Äußeren 377 die notwendige Strenge als die von Gott gegen die menschliche Sünde verfügte göttliche Anordnung aufzugeben. Beides gehört eng zusammen. Keinesfalls darf um einer übermäßigen humilitas willen das Recht auf Herrschaft aufgegeben werden, weil ein solcher rector nicht länger in der Lage wäre, die Lebensführung seiner Untergebenen der nötigen disciplina zu unterwerfen 378 . Ein guter kirchlicher praedicator undpraepositus muß nach Gregor selbst in der humilitas noch disciplina üben können und darf umgekehrt die disciplina keinesfalls ohne die humilitas ausführen 379 . Diesen Zusammenhang entfaltet Gregor ausführlich in seiner Auslegung zu Hiob 29,25 380 . Bereits der Literalsinn des Textes läßt sich nach Gregor so verstehen, daß bei einem guten rector die auctoritas regendi und die benignitas consolandi miteinander vermischt sind, weil der Text sowohl die Begriffe rex als auch consolator enthält 381 . Ein solcher rector übt gegenüber

374 Mor. V I 3 5 , 5 4 ( 3 2 3 , 2 7 Adriaen); Mor. X V I 6 7 , 8 1 ( 8 4 7 , 2 5 Adriaen); Mor. X X 3 6 , 6 9 ( 1 0 5 4 , 3 0 . 4 5 Adriaen); Mor. X X X I 2 6 , 5 2 ( 1 5 8 7 , 4 5 Adriaen). Zu Gregors Paulusbild als eines M o d e l l s für den praedicator vgl. auch LEYSER, Authority and A s c e t i s m , 163ff. 375

Mor. X X V I 2 6 , 4 5 ( 1 3 0 1 , 8 5 f f . Adriaen). Mor. X X V I 2 6 , 4 5 ( 1 3 0 1 , 9 4 - 9 6 Adriaen): Sed cum culpam quae corrigi debuisset inuenit, ilico magistrum se esse recoluit dicens: Quid uultis? In uirga ueniam ad uos? (1. Kor. 4 , 2 1 ) . Gregor bringt den Lehrer v o l l k o m m m e n selbstverständlich mit der Rute in Verbindung. V g l . auch Mor. X X I V 1 6 , 4 2 ( 1 2 2 0 , 1 1 7 - 1 2 2 Adriaen). 376

377 Herrschaft ist für Gregor etwas Äußeres, vgl. auch Mor. X X V I 2 6 , 4 6 ( 1 3 0 2 , 1 2 3 f f . Adriaen). 378 Mor. X X V I 2 6 , 4 6 ( 1 3 0 1 , 1 1 2 f f . Adriaen); vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 2 0 0 f f . , der j e d o c h ausschließlich die Ausrichtung an der „ursprünglichen S c h ö p f u n g s k o n d i t i o n der Menschheit" im Blick hat. 379 Mor. X X I V 1 6 , 4 2 ( 1 2 2 0 , 1 0 1 f f . Adriaen): Tanta autem dispensatione se temperant, ut neque cum se erigunt intrinsecus rigidi sint, neque rursum cum se humiliant extrinsecus remissi; quia et in disciplina humilitatem custodiunt et in humilitate disciplinam. Es f o l g e n eine lange R e i h e v o n B e l e g e n aus den Korintherbriefen, die den Zusammenhang z w i s c h e n humilitas und disciplina; Mor. X X V I 2 6 , 4 5 ( 1 3 0 0 , 7 0 - 7 4 Adriaen): Cum ergo potentia temporalis ministerium suscipitur, summa cura uigilandum est, ut sciat quisque et sumere ex illa quod adiuuat, et expugnare quod temptat; et aequalem se cum illa ceteris cernere, et tarnen se peccantibus zelo ultionis praeferre. V g l . zu den Briefen im Hinblick auf d i e s e s T h e m a auch WEBER, Hauptfragen, 8 7 f f . 380

Mor. X X 5 , 1 4 ( 1 0 1 2 , 7 2 f f . Adriaen).

381

Mor. X X 5 , 1 4 ( 1 0 1 2 , 7 4 - 8 0 Adriaen): ... sciendum nobis est quod ualde aedificare etiam iuxta historiam potest, si perpendat quomodo bonis rectoribus mixta sit et

lectorem

Die Rolle der Kirche und ihrer

praedicatores

137

seinen Untergebenen nicht nur auf gerechte Weise Erbarmen, er übt ihnen gegenüber auch auf liebevolle Weise Zucht382. Diesen Zusammenhang findet Gregor auch im Gleichnis vom barmherzigen Samariter beschrieben: hier steht das Öl, das derjenige, der vorsteht, auf die Wunden seiner Untergebenen gießt, für die Sanftheit, der Wein dagegen für die mit Schmerzen verbundene Reinigung der von den Sünden verursachten Wunden 383 . Wie eng beides zusammengehört, zeigt auch das Beispiel des Mose, der als praepositus sein Volk zärtlich liebte und zugleich hart züchtigte384. Immer wieder trat Mose aus Liebe für sein sündiges Volk ein und suchte den Zorn Gottes zu beschwichtigen, wobei er sich selbst nicht schonte385. Doch obwohl er seinem Volk mit so großer Liebe verbunden war, entzündete sich nichtsdestoweniger auch sein Eifer gegen ihre Sünden386. Im Inneren glühte er durch das Feuer der Liebe, im Äußeren war er jedoch entflammt durch den Eifer der Strenge387. Solange er über das Volk Israel herrschte, vermischte Mose beides miteinander, damit nicht etwa dem Erbarmen die Strenge oder der Strenge das Erbarmen fehle 388 . Gregor bezeichnet Mose als einen starken Gesandten und bewundernswerten Mittler, der die Sache des Volkes bei Gott durch Gebet, die Sache Gottes beim Volk durch das Schwert vertrat389. Schließlich erhörte Gott seinen Diener Mose als einen Sachwalter des Volkes, weil er sah, daß dieser anstelle von Gott selbst über das Volk herrschte390.

regendi auctoritas et benignitas consolandi. Ait enim: Cumque sederem quasi rex circumstante exercitu, ecce auctoritas regiminis: Eram tarnen maerentium consolator; ecce ministerium pietatis. 382 Mor. XX 5,14 (1012,81-83 Adriaen): Sed circa subditos suos inesse rectoribus debet et iuste consulens misericordia, et pie saeuiens disciplina. 383 Mor. XX 5,14 (1012,83-89 Adriaen). 384 Mor. XX 5,14 (1012,101ff. Adriaen): Intueri libet in Moysipectore misericordiam cum seueritate sociatam. Videamus amantem pie et districte saeuientem ... 385 Gregor bezieht sich hier auf Ex. 32,31f. 386 M o n XX 5,14 (1013,114-116 Adriaen): Sed tarnen iste qui tanto eius populi amore constringitur, contra eius culpaspensemus quanto zelo rectidudinis accendatur. 387 Mor. XX 5,14 (1013,122ff. Adriaen). Einige Zeilen später (132f.) heißt es: Intus amans, diuinae irae supplicando obstitit; foris saeuiens, culpam feriendo consumpsit. 388 Mor. XX 5,14 (1013,136-138 Adriaen): In regimine ergo populi utrumque Moyses miscuit, ut nec disciplina deesset misericordiae, nec misericordiae disciplinae. 389 Mor. XX 5,14 (1013,129-131 Adriaen). Vgl. dazu auch STRAW, Gregory the Great, 205: „Mediating between God and the sinner, the preacher teaches the sinner, helping him interpret the meaning of his trials so that he might be disciplined and improved by them". 390 Mor. XX 5,14 (1013,134-136 Adriaen): Et idcirco omnipotens Deus fidelem famulum suum citius exaudiuit agentem pro populo, quia uidit quid super populum acturus esset ipse pro Deo.

138

Kapitel 6

6.3.3.3. Die praedicatores als Bevollmächtigte Gottes in dieser Welt Mit ihrer Verkündigung, die für Gregor nicht ohne zeitliche Herrschaft über andere vorstellbar ist, handeln die praedicatores an Gottes Stelle in dieser Welt, indem sie gegen die Auswirkungen der ersten Sünde ankämpfen und sich unablässig darum bemühen, ihre Mitmenschen zu Gott zurückzubringen. Im Innern ganz auf die göttliche Schöpfungsordnung und die contemplatio des Ewigen ausgerichtet, stehen sie im Äußeren ganz im Dienste der göttlichen dispositio für diese vergängliche Welt und sollen den ihnen untergebenen Sündern deshalb auch mittels Zucht und Strafe entgegentreten391. Daß sie damit einen ,Gottes-Dienst' in der Welt ausüben, macht Gregor einmal mehr im Zusammenhang seiner Auslegung zu Hiob 36,29-31 deutlich392. Hier vergleicht er die praedicatores mit den von Gott ausgebreiteten Wolken393 und mit einem Zelt, in dem Gott auf seinem Weg durch diese Welt wohnt394. Gott, der selbst an keinen Ort gebunden ist, bindet sich an seine Verkündiger, die mit ihrer ganzen Person entsprechend zu Gottes zeitlichem und weltlichem Wort werden. Durch sie handelt unsichtbar Gott selbst, so wie er es angeordnet und verfügt hat395. Der verkündigende Paulus war so eine Wolke und ein Zelt Gottes, weil er mit seiner Verkündigung die Hörer erfüllte und im Geist unsichtbar von Gott bestimmt wurde. Selbst als er in Ketten gelegt nach Rom kam, war er in Gregors Augen noch mit der Ordnung dieser Welt beschäftigt, weil Gott unsichtbar und verborgen durch ihn seinen Weg ging und durch seine Verkündigung das Werk seiner anfänglichen Gnade vollendete396. Gleiches gilt nach Gregors Auslegung auch für Mose, der das Volk in der Wüste leitete, sich jedoch dann von der Gemeinschaft mit dem Volk trennte, weil es ihn nach den höheren Dingen verlangte. Doch darauf, daß sich Mose vom Volk zurückzog, kommt es Gregor an dieser Stelle nicht so sehr an. Gregor betont vielmehr, daß Mose zu einem Zelt Gottes wurde, als 391

Mor. XVIII 45,73 (938,12-14 Adriaen). Dort betont Gregor, daß die wahren praedicatores nicht anstelle der göttlichen Weisheit, sondern durch sie die ihnen untergebenen Menschen regieren:... neque ut pro ea, sed per eam subiectos populos regerent 392 Mor. XXVII 11,19-12,23 (1344,1-1347,47 Adriaen). 393 Zu der geläufigen Gleichsetzung der praedicatores mit den Wolken, die auch bei Gregor sehr häufig vorkommt, vgl. E. MANNING, Le symbolisme de la nubes (nephélè) chez Origène et les pères latins, RSR 51, 1963, 96-111, hier 106f., und SPITZ, Metaphorik, 106f. 394 Mor. XXVII 11,19, (1344,7f. Adriaen): Tentorium quippe in itinere poni solet. Et cum praedicatores sancii in mundo mittuntur, iter Deo faciunt. Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 203. 395 Mor. XXVII 11,19 (1344,15-19 Adriaen). 396 Mor. XXVII 11,19 (1345,34-38 Adriaen): Idem rursum dum catenis uinctus Romam peteret Paulus occupaturus mundum, latens in eius pectore quasi sub tentorio ibat Deus, quia et occultus uideri non poterai, et per uerba praedicationis proditus iter incohatae gratiae sine cessatione peragebat.

Die Rolle der Kirche und ihrer

praedicatores

139

er nach Ägypten ging, um das Volk zurückzurufen, damit es von Gott erlöst werde397. Auch durch Mose ging Gott somit unsichtbar den Menschen zuliebe seinen Weg in dieser Welt. Der in seiner Majestät überall ist, erbarmt sich in der Verkündigung seiner praedicatores der sündigen Geschöpfe und läßt sich durch ihr Tun auf diese Welt ein398. Die praedicatores sind nicht weniger als Gottes Sprachrohr und Handlungsträger, deren er sich bedient, um die Menschen durch Wort und Tat zu sich zurückzurufen. Deshalb schildert Gregor Paulus und Mose hier nicht als kontemplative Persönlichkeiten, die sich um ihres eigenen Heils willen von der Welt und ihren Mitmenschen zurückzogen, sondern als dem Volk Vorgeordnete, die sich deshalb notwendig mit der Welt befassen mußten 399 , um anderen durch ihr zeitliches Tun der Verkündigung und Machtausübung von Nutzen sein zu können.

397

Mor. X X V I I Reg. 7,23: Iuit Deus 398 Mor. X X V I I 399 Mor. X X V I I

11,19 ( 1 3 4 5 , 4 4 - 4 7 Adriaen) mit Bezug auf das Testimonium v o n 2. in Aegyptum, ut redimerei sibipopulum. 11,19 ( 1 3 4 5 , 4 1 - 4 9 Adriaen). 11,19 ( 1 3 4 5 , 2 9 f f . Adriaen).

Kapitel 7

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung Diepraedicatores, die Sehnsucht nach der vollkommenen contemplatio in der Ewigkeit haben, müssen dennoch zugleich als zeitliche Oberhäupter einer noch in dieser Welt pilgernden und verborgenen Kirche der Erwählten 1 anstelle von Gott selbst handeln. Wie sie beides in ihrer eigenen Lebensführung miteinander verbinden können und sollen, ist für Gregor mit der Person Christi, dem ewigen Haupt der gegenwärtig-irdischen Kirche vorgezeichnet. Denn in Christus läuft nach Gregors Ansicht die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen paradigmatisch zusammen 2 . Hier wird für den sündigen Menschen faßbar, daß es Gott selbst war, der Schöpfer und Erlöser 3 , der den Weg der Demut und des Leidens in dieser Welt gegangen ist, um seine Erwählten über diesen Weg wieder zu seiner Schöpfungsordnung zurückzuführen 4 . Wenn Gregor die enge Gemeinschaft zwischen Christus und seiner Kirche der Erwählten in der Auslegung des Buches Hiob wiederfindet, dann will er vor allem aufzeigen, wie Christi Lebensschicksal, sein Leiden und sein Tod ebenso wie seine Auferstehung und Verherrlichung auch das gegenwärtige Leben der Kirche, die hier und jetzt seinen irdischen Leib bildet, bestimmen soll5. 1 Vgl. die prägnante Formulierung in Mor. XXIII 24,46 (1179,42 Adriaen): Via quippe est uita praesens, qua ad patriam tendimus. Im Hinblick auf die Erwählten als Zentrum der Kirche, die noch in dieser Welt wandern, vgl. Mor. XVIII 30,48 (916,21ff. Adriaen): Peregrinus itaque est populus, omnium numerus electorum, qui hanc uitam quoddam sibi exilium deputantes, ad supernam patriam tota cordis intentione suspirant ... Dazu auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 387-392 und FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 107-124. 2 Vgl. zur Christologie bei Gregor auch DUDDEN, Gregory the Great II, 324-347; MCGINN, Mystik II, 77ff.; STRAW, Gregory the Great, 147-178; FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 337-342; SCHAMBECK, Contemplatio, 102ff. Auf die enge Verbindung zwischen Christologie und Ekklesiologie wird in der Sekundärliteratur jedoch nicht näher eingegangen. 3 Zur Einheit von Schöpfer und Erlöser bei Gregor vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 176. 4 Vgl. FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 93-98 zu den augustinischen Anklängen bei Gregor; P. HALE, L'imitazione di Cristo come ritorno in san Gregorio Magno, VM 84

und 85, 1966, 3 0 - 4 2 und 8 9 - 9 9 . 5

Vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 342.365.

142

Kapitel

7

7.1. Der Leib Christi zwischen Passion und Auferstehung Unverkennbar an Augustin geschult und von ihm inspiriert6 kommt Gregor im Verlauf seines Kommentars zum Buch Hiob unablässig auf die enge Schicksalsgemeinschaft zwischen Christus und seinem Leib zu sprechen, die für ihn eine einzige Person und unmittelbare Einheit bilden7. Damit erhält die Kirche als Leib Christi Anteil sowohl am Leiden als auch an der Verherrlichung ihres Hauptes, wie Gregor beispielsweise in seiner langen Auslegung zu den Versen Hiob 2,3-8 deutlich macht8. 7.1.1. Die Passion des Leibes Christi Gregor nimmt an dieser Stelle explizit auf seine in der Praefatio aufgestellte Auslegungsmaxime Bezug, wonach die allegorische Interpretation in erster Linie die Einheit von Haupt und Leib aufzeigen will, und erklärt, daß der Herr gegenwärtig vieles an seinem Leib, der die Kirche ist, erleiden muß, während dieser Leib im Himmel durch den Herrn als sein Haupt verherrlicht wird 9 . Diese bis in die Gegenwart andauernde Gemeinschaft zwischen Christus und seinem Leib der Kirche läßt sich aber nur auf dem Hintergrund der Fleischwerdung und damit der echten Verleiblichung Christi angemessen verstehen10, weshalb er in der Deutung der genannten Verse zunächst auf die Leiden Christi und danach auf die Leiden der Kirche eingehen will, die auch den erhöhten Christus als das Haupt des Leibes nicht unberührt lassen11. Er betont 6

V g l . d a z u auch S. TROMP, Corpus Christi q u o d est Ecclesia, 1. Introductio g e n e r a -

lis, R o m

2

1 9 4 6 , 8 7 - 9 8 ; die ausführliche Darstellung v o n E. MERSCH, Le corps m y s t i q u e

du Christ, 2 B d e , Bruxelles/Paris

3

1 9 5 1 w i d m e t Gregor lediglich knapp z w e i Seiten, v g l .

ebd. II, 4 0 5 f . ; zu A u g u s t i n v g l . i n s b e s o n d e r e T. J. VAN BAVEL/B. BRÜNING, D i e Einheit d e s „Totus Christus" bei A u g u s t i n , in: C. Mayer (Hg.): Scientia A u g u s t i n i a n a . F S A . Zumkeller, C a s s i c i a c u m 3 0 , Würzburg 1 9 7 5 , 4 3 - 7 5 ; B. STUDER, U n a p e r s o n a in Christo, A u g u s t i n i a n u m 25, 1 9 8 5 , 4 5 3 - 4 8 7 . 7

S o setzt G r e g o r b e i s p i e l s w e i s e in Mor. III 1 9 , 3 5 ( 1 3 8 , 3 2 - 3 4 Adriaen) das L e i d e n

der Kirche explizit mit der uita Redemptoris 8 9

tate

gleich.

Mor. III 1 3 , 2 5 - 1 9 , 3 5 ( 1 3 0 , 7 9 - 1 3 8 , 4 4 Adriaen). Mor. III 1 3 , 2 5 ( 1 3 0 , 8 0 - 8 5 Adriaen): Sed quia capitis

compago patitur

et corporis caritatis,

tractaremus,

quia

et iam corpus

nimirum

eius,

sollicita

et Dominus

id est Ecclesia,

in exordio

intentione multa

adhuc

de suo capito,

huius operis

praemisimus per

corpus

uidelicet

dum de

quanta quod

Domino,

uni-

in eis nos

in caelo

sit

sumus, glo-

riatur. 10

Insofern ist FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 7 0 in aller Deutlichkeit zu wider-

sprechen, der meint: „ V o n kurzen A n d e u t u n g e n a b g e s e h e n wird man e i n e e i n g e h e n d e r e Fundierung

der Leib

Christi-Theologie

im

Inkarnationsgeschehen

bei

Gregor

nicht

finden". 11

Mor. III 1 3 , 2 5 ( 1 3 0 , 8 7 f f . Adriaen); Mor. X X X 1,3 ( 1 4 9 2 , 4 9 f f . Adriaen). Gregor

führt hier,

ebenso

wie

Augustin

in En.

Dekkers/Fraipont) A p g . 9 , 4 an: Intellegant gant

Christus,

et membra

Christi

intellegant

in Ps. membra

54,3

(CChr.SL

Christi,

in Christus;

39,

et in membris quia

caput

656,31-657,35 suis

et membra

intelleunus

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

143

nicht nur hier an dieser Stelle, daß Christus, der aufgrund seiner Göttlichkeit mit dem Vater eins ist, allein um unseretwillen einen menschlichen Leib und damit die forma des verdammten Menschen12 annahm, um uns entsprechend seiner göttlichen dispositio zu erlösen13 und unsere flagella des Todes zu ertragen14. Als Mensch kam er ins Fleisch und nahm freiwillig, nicht durch eigene Schuld und Sünde gezwungen, den Tod als unsere Strafe auf sich15, um uns davon zu erlösen16. Christus, so führt Gregor an anderer Stelle aus, wirke deshalb als ein göttliches Heilmittel, weil er etwas Gleiches mit etwas Gegensätzlichem verbindet17, denn der Erlöser stimmt mit dem Menschen hinsichtlich seiner menschlichen Natur überein und heilte ihn kraft seiner Übermenschlichkeit und göttlichen Natur18. Diese der teuflischen elatio fundamental entgegengesetzte Demut und Niedrigkeit Christi, der um der Menschen willen selbst Mensch wurde und sich um ihretwillen bis zur Passion erniedrigte, kann Gregor gar nicht genug preisen19, entreißt sie doch zugleich die Menschen der Herrschaft des Teufels, dessen Glieder mit Pilatus als Haupt des corpus diaboli schon damals den Leib Christi bespuckten, schlugen, geißelten und schließlich kreuzigten20. Da der Teufel zwar den Sohn Gottes fürchtete, die göttlichepietas und dispositio jedoch nicht durchschaute, hielt er Christus aufgrund seiner Leidensfähigkeit für einen bloßen Menschen21 und tötete den Sündlosen zu Unrecht, wodurch er schließlich auch das Recht auf den Leib Christi, d. h. auf die Erwählten Nos cum ilio in caelo per Christus. Caput in caelo erat, et dicebat: Quid mepersequeris? spem, ipse nobiscum in terra per caritatem. 12 Vgl. auch Mor. XXX 21,66 (1536,23-26 Adriaen): Incarnatus itaque Dominus qui in forma Dei aequalis est Patri, in forma serui minor est Patre, qua minor etiam semetipso; vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatici, 108. 13 Mor. III 14,27 (132,27ff. Adriaen). 14 Mor. III 14,26 ( 1 3 1 , l l f . Adriaen): qui Patri aequalis est per diuinitatem, uenit propter nos ad flagella per carnem\ vgl. auch Mor. III 18,33 (136,Iff. Adriaen); Mor. XIV 54,67 (739,3ff. Adriaen); Mor. XXIV 3,5 (1192,16ff. Adriaen); Mor. XXX 22,67 (1536,7f. Adriaen). 15 Mor. III 14,27 (132,38-41 Adriaen) : Mediator etenim noster puniri pro semetipso non debuit quia nullum culpae contagium perpetrauit. Sed si ipse indebitam non susciperet numquam nos a debita morte liberaret. Vgl. auch Mor. II 22,41 (84,1 If. Adriaen); Mor. XI 52,70 (627,20ff. Adriaen); Mor. XXX 21,66 (1536,33f. Adriaen): Quem quamuis macula culpae nostrae non attigit, passio tamen nostrae mortalitatis adstringit. 16 Mor. III 14,26f. (131,Iff. Adriaen); Mor. XXX 22,67 (1536,8ff. Adriaen); Mor. XXIV 3,3 (1190,25ff. Adriaen). 17 Mor. XXIV 2,2 (1189,9ff. Adriaen). Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 153: „This opposition and inner unity is the fundamental structural pattern of the Redemption, and indeed of the larger cosmos". 18 Mor. XXIV 2,2 (1190,22ff. Adriaen) 19 Mor. Ill 19,34 (137,19ff. Adriaen); Mor. XXXIV 23,54 (1770,169ff. Adriaen). 20 Mor. Ill 16,29 (134,10ff. Adriaen). Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 154f. 21 Mor. Ill 15,28 (132,Iff. Adriaen).

144

Kapitel

7

verlor 22 . In seiner Deutung zu Hiob 40,19f. 23 beschreibt Gregor den Gottmenschen Christus als einen Angelhaken mit einem sichtbaren Köder und einem verborgenen Widerhaken 24 . Indem Christus Mensch wurde und um der Menschen willen einen Körper annahm, köderte er den Teufel, der gierig zuschnappte und dabei von der hinter dem Fleisch verborgenen Gottheit durchbohrt wurde 25 . Während der Passion machte Christus seine Göttlichkeit nicht offenbar, wie Gregor auch in seiner Auslegung zu Hiob 31,34 betont 26 . Dieser Vers meint, auf Christus gedeutet, daß dieser schwieg und nicht zur Tür hinausging, weil er seiner schwachen menschlichen Natur nach das ihm zugefügte Leiden bereitwillig- ertrug und seine göttliche Macht nicht ausübte 27 . Seine Verfolger sahen zwar die von ihm gewirkten Wunder und die Zeichen seiner göttlichen Macht 28 , blieben aber dennoch bei ihrer alten sündigen Blindheit und trauten seiner Gottheit nicht 29 . Die Menschen, die meinen, lediglich einen Menschen sterben zu sehen, gehören für Gregor letztlich zum corpus diaboli, weil sie seine Gottheit nicht erkennen, die er den Erwählten offenbart 30 . Wenn er es gewollt hätte, so hätte er als Erniedrigter die Macht seiner Gottheit zeigen und das von ihm selbst angenommene schwache Fleisch überwinden können. Doch er zeigte im Leiden lediglich seine Menschheit und verbarg

22

V g l . Mor. III 16,31 ( 1 3 5 , 5 5 f f . Adriaen); v g l . auch Mor. X V I I 3 0 , 4 6 f . ( 8 7 7 , 1 6 f f .

Adriaen). 23

M o r . X X X I I I 7 , 1 4 - 9 , 1 7 ( 1 6 8 4 , 1 - 1 6 8 8 , 3 8 A d r i a e n ) . V g l . a u c h STRAW, G r e g o r y t h e

Great, 155, die sich auf einen g a n z ähnlichen T e x t aus den E v a n g e l i e n h o m i l i e n bezieht. 24

tur,

Mor. X X X I I I 7 , 1 4 ( 1 6 8 4 , 1 6 f . Adriaen): Quis nesciat aculeus

occultatur?

Diese

christologische

quod

Deutung

in hämo

des

esca

ostendi-

Angelhakens

stammt

ursprünglich w o h l v o n Gregor v o n N y s s a , vgl. ebd. A n m . 3 5 . V g l . auch G. AULEN, Christus Victor. A historical study of the three main types of the idea of atonement, London 25

l0

1970, 52f.

Mor. X X X I I I 9 , 1 7 ( 1 6 8 8 , 3 4 - 3 8 Adriaen): An extrahere ut ego,

Subaudis dum

mortalis

quidam

inde

qui ad raptoris

caro

conspicitur,

deuorantem

mortem

incarnatum

et immortalitatis

perimat

unde

acumen

poteris

unigenitum

potentia potentiae

non quo

Leuiathan

hämo?

Filium

mitto,

uidetur,

quasi

transfigat

in

quo

hamus

occultat.

Vgl.

zur Tradition der hier z u g r u n d e l i e g e n d e n V o r s t e l l u n g v o m L o s k a u f oder der T ä u s c h u n g des T e u f e l s auch die kurze Z u s a m m e n f a s s u n g bei SCHAMBECK, Contemplatio, 1 2 5 - 1 3 0 . 26

Mor. X X I I 1 6 , 4 1 ( 1 1 2 1 , 1 4 3 f f . Adriaen).

27

Mor. X X I I 1 6 , 4 1 ( 1 1 2 2 , 1 4 9 - 1 5 2 Adriaen): Ipse

qui sub ipsa iam hora passionis exserere

noluif,

cum humanitatis

tacuit

infirma

et ostium

pateretur,

egressus

diuinitatis

non

est,

potentiam

vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 1 0 4 . Ä h n l i c h auch Mor. X X 3 6 , 6 9

( 1 0 5 4 , 1 6 f f . Adriaen). 28

D i e W u n d e r b e z e u g e n für Gregor die Gottheit Christi, v g l . auch Mor. X X V I I I 1,5

(1398,95f.

Adriaen);

Mor.

XVIII

40,64

(930,114-117

Adriaen).

Vgl.

auch

W.

McCREADY, S i g n s of sanctity. Miracles and the thought of G r e g o r y the Great, S T P I M S 9 1 , Toronto 1 9 8 9 . 29

Mor. V I 1 9 , 3 4 ( 3 0 8 , I f f . Adriaen); Mor. XIII 2 3 , 2 6 ( 6 8 3 , 2 5 f . Adriaen).

30

Mor. X X I I 1 6 , 4 1 ( 1 1 2 2 , 1 6 4 - 1 6 9 Adriaen).

Der totus Christus zwischen

Erniedrigung

und

145

Erhöhung

seine göttliche Natur, indem er sich vor Pilatus nicht zu erkennen gab und seinen Leib, den er um der Erwählten willen angenommen hatte, dem Leiden überließ31. Gregor will mit dieser Auslegung deutlich machen, daß Christi Leib immer noch unter den Angriffen des corpus diaboli leidet und somit Anteil am Leiden Christi hat32, auch wenn Christus als das Haupt vom Himmel her über die Herzen der Gläubigen herrscht 33 . Er ist der festen Uberzeugung, daß Christus gegenwärtig alles erduldet, was die reprobi den electi zufügen 34 . Und niemand anders als Christus selbst leidet in dieser Zeit leiblich unter den vielen fleischlich Gesinnten innerhalb der Kirche und unter den Angriffen von Seiten der Häretiker und arrogantes3S. 7.1.2. Die Auferstehung des Leibes Christi Als das nunmehr auferstandene und erhöhte Haupt seines Leibes vermag Christus seiner Kirche aber auch die Hoffnung zu geben, einst nach allem Leiden an seiner Herrlichkeit Anteil zu erlangen36. Denn, so fragt Gregor, was sollte die Auferstehung anderes bedeuten, als daß unsere eigene Schwäche in der Hoffnung auf das zukünftige Leben gestärkt werde? 37 Die Auferstehung

31

Mor. X X I I 1 6 , 4 1 ( 1 1 2 2 , 1 5 2 - 1 6 1 Adriaen).

32

V g l . s c h o n die Praef. 16 ( 2 1 , 3 - 5 Adriaen): Quo

passio

uel sanctae

cruciatur.

Ecclesiae

labor

exprimitur,

quae

nimirum

multipli

dolore

praesentis

uel

Mediatoris

uitae

fatigatione

V g l . Mor. III 1 3 , 2 5 ( 1 3 0 , 7 9 f f . Adriaen) und dazu SCHAMBECK, Contemplatio,

142; Mor. III 1 7 , 3 2 ( 1 3 5 , 4 f f . Adriaen); Mor. III 1 9 , 3 5 ( 1 3 7 , 2 5 f f . Adriaen); Mor. III 2 1 , 4 1 (142,73-75

Adriaen); Mor. VI

1,1

( 2 8 4 , 6 f f . Adriaen); Mor. X X V I

16,26

(1283,lff.

Adriaen); v g l . auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 2 3 3 f f . und zu den Parallelen b e i A u g u s t i n ebd. 7 1 . 33

Mor. III 1 9 , 3 5 ( 1 3 7 , 2 5 - 1 3 8 , 3 2 Adriaen).

34

Mor. III 1 9 , 3 5 ( 1 3 7 , 2 8 - 1 3 8 , 3 2 Adriaen): Ipse quippe

reprobis sumus,

eius

lacerantur.

iam sese super

quod deorsum 35

electi retinet,

Et quamuis

omnia

liberum

corpus

sentit.

exserit,

caput

huius

reproborum

cotidie

patitur

corporis

quod

tarnen uulnera

Gregor führt die B e d r ü c k u n g der Kirche durch die carnales,

omne

quod

a

uidelicet

nos

adhuc per

suum

Mor. III 2 0 , 3 6 - 2 1 , 4 1

( 1 3 8 , 1 - 1 4 2 , 7 2 Adriaen), breit aus. Nicht minder gefährlich e r s c h e i n e n ihm j e d o c h d i e Häretiker, Mor. III 2 2 , 4 2 ( 1 4 2 , 1 1 - 1 6 Adriaen): Sancta peregrinationis

suae

in afflictione

suorum

lapsus

dolet,

insuper

mentum

namque

quibusdam

iaculis,

doloris

eius,

constituta,

alios etiam

irrationalibus

sub

Christi

haeretici

uerbis

cum

itaque

uulnera

nomine

tolerat

in contentione

figunt.

Ecclesia

omni hoc

sustinent,

cum

hostes

tempore membrorum

Christi.

conueniunt

Ad

eamque

augquasi

V g l . auch Mor. X X I X 3 1 , 7 2 ( 1 4 8 3 , 9 1 f f .

Adriaen); Mor. X X X I 7 , 1 0 ( 1 5 5 6 , 3 8 f f . Adriaen). 36

Mor. III 1 3 , 2 5 ( 1 3 0 , 8 0 - 8 5 Adriaen). V g l . zu A u g u s t i n a u c h BORGOMEO, L ' É g l i s e ,

2 0 0 - 2 0 8 und z u m G a n z e n auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 7 2 . 37

nisi

Mor. V I 2 0 , 3 5 ( 3 1 0 , 1 5 - 1 7 Adriaen): Qua uidelicet

ut ad spem

uitae

subsequentis

infirmitas

nostra

resurrectione roboretur?,

quid aliud v g l . auch Mor.

5 4 , 6 7 ( 7 4 0 , 1 4 f . Adriaen); Mor. X X V I I 1 5 , 2 9 ( 1 5 3 2 , 4 5 f f . Adriaen); Mor. X X V I I ( 1 5 3 3 , 7 2 f f . Adriaen).

agitur, XIV 15,30

146

Kapitel 7

ihres Herrn macht dem geängstigten Volk der Erwählten Mut und bekräftigt sie38. Gerade die ersten dieses Volkes, die praedicatores, werden durch die Auferstehung gefestigt und werden stark in ihrer Hoffnung auf das ewige Leben39, die ja auch ihre gegenwärtige Verkündigung tragen soll40. Christi leibliche Auferstehung versichert der jetzt noch in der Dunkelheit dieser Welt lebenden Kirche, daß auch sie als der Leib Christi dereinst auferstehen und zu ihrer ursprünglichen Bestimmung zurückkehren darf, um das ewige Licht zu schauen41. Für Gregor sind es insbesondere die Verse Hiob 16,20: Ecce enim in caelo testis meus42 und Hiob 19,25: Scio enim quod Redemptor meus uiuat43, die die Hoffnung auf die Teilhabe des Leibes der Kirche an der Erhöhung und Vollendung ihres Hauptes bezeugen44. Anläßlich seiner Auslegung des erstgenannten Verses überträgt Gregor die Deutung wiederum von Christus auf die Kirche als den Leib Christi. Die Auferstehung des um der Menschen willen angenommenen Fleisches Christi versichert auch der Kirche, daß sie dereinst einmal fleischlich auferstehen wird45. Von der Auferstehung des Hauptes ermutigt, soll diese Kirche dann auch in der Lage sein, das gegenwärtige Leiden, die Bedrängnisse und Widrigkeiten

38 Mor. VI 21,36 (310,1-4 Adriaen). Vgl. auch Mor. XIX 28,51 (998,22-23 Adriaen): ... apparuit creator in carne, ut humanum genus per resurrectionem figeret, quod per defectum cotidie ibat in mortem. 39 Mor. VI 21,36 (310,4ff. Adriaen). 40 Mor. XIX 1,3 (957,32ff. Adriaen) als Auslegung des Gleichnisses vom Senfkorn, das sich für Gregor auf Christus bezieht: Granum namque ftiit cum moreretur, arbor cum resurgeret. Granum per humilitatem carnis, arbor per potentiam maiestatis. [...] Huius arboris rami sanctipraedicatores sunt. 41 Mor. IV 25,46 (191,4ff. Adriaen) spricht Gregor von einer neuen Geburt der Kirche durch die Auferstehung: Ortus uero aurorae est illa noua natiuitas resurrectionis qua sancta Ecclesia etiam carne suscitata oritur ad contemplandum lumen aeternitatis. Vgl. auch Mor. IV 11,19 (176,37ff. Adriaen) und dazu auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 425f. 42 Mor. XIII 24,27 (683,1-684,39 Adriaen). 43 Mor. XIV 54,67-55,71 (739,1-743,114 Adriaen); Der Editor der Moralia, M. ADRIAEN, entscheidet sich an dieser Stelle für die Lesart: Scio enim quod Redemptor meus uiuit, obwohl er zugleich zugeben muß, daß das gleichfalls textkritisch gut bezeugte und in der Vulgata stehende uiuat vermutlich richtig sei. Weshalb er dennoch uiuit lesen möchte, wird deshalb nicht recht klar. 44 Vgl. dazu S. MÜLLER-ABELS, ,Scio enim quod redemptor meus vivat' - Auferstehung bei Gregor dem Großen (Moralia in lob XIV,67-78), Studia Patristica 38, 2001, 449-459. Zur Auslegungsgeschichte dieses berühmten Verses vgl. auch DASSMANN, Akzente, 47-49. 45 Mor. XIII 24,27 (684,19-22 Adriaen): Carnis quippe eius resurrectionem mente conspicit, atque ad spem fortiter conualescit quia quod in suo uidit iam factum capite, sperat in eius quoque corpore quod uidelicet ipsa est absque dubietate secuturum.

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

147

sowie alles Vergängliche zu ertragen und den fleischlichen Tod zu verachten46. Besonders nachdrücklich stellt Gregor die christologisch verankerte Hoffnung der Kirche auf Auferstehung in seiner Auslegung zu Hiob 19,25 seinen Lesern vor Augen, indem er wiederum die christologische Deutung auf die Kirche überträgt47. Ihr als der Leib Christi wird durch die Auferstehung des Erlösers versprochen, daß sie einst ihrem Haupt nachfolgen wird48. Dadurch, daß Christus am dritten Tag von den Toten auferstand, hat er seinen Körper, den Gregor wieder und wieder mit der Christus nachfolgenden Kirche gleichsetzt, sichtbar werden lassen, und der gegenwärtigen Kirche damit die Hoffnung auf ihre künftige Auferstehung am Ende der Zeiten gemacht 49 . Während wir jedoch noch bis zum Ende der Welt warten müssen, ist Christus schon nach drei Tagen auferstanden und hat uns durch die Kraft seiner Gottheit die Neuwerdung seines eigenen Fleisches gezeigt50. Indem er unsere infirmitas auf sich nahm und die Strafe des Todes erduldete, hat er die menschliche corruptio schon durch seine Auferstehung verwandelt 51 . Seither muß der Mensch nicht mehr das sündige und gefallene Geschöpf bleiben, sondern kann als erwählter Erlöster zu seinem ursprünglichen Stand und damit zur Schöpfungsordnung zurückkehren und dieses auch mit seiner erneuerten Lebensführung zum Ausdruck bringen 52 . Er ist dann nicht mehr, wie Gregor 46

Mor. XIII 24,27 (684,13ff. Adriaen) nennt aduersa, transitoria, tribulationes und mors carnis als die Gegensätze zur ewigen Welt. 47 Die christologische Interpretation des Verses hatte er in Mor. XIV 54,67 (739,1740,16 Adriaen) entfaltet. 48 Mor. XIV 55,68 (740,3-7 Adriaen): Resurrectionem quippe quam in se ostendit nobis promisit, quia suis capitis sequuntur membra. Redemptor ergo noster suscepit mortem, ne mori timeremus. Ostendit resurrectionem ut nos resurgere posse confidamus; Mor. XIII 24,27 (684,12ff. Adriaen); Mor. XXIX 32,75 (1487,13 Adriaen): in semetipso exemplum nobis resurrectionis praebuif, Mor. XIV 55,69 (741,43f. Adriaen); vgl. zu dieser Auslegung auch FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 341: „Wie kaum an einer anderen Stelle wird hier das Bemühen Gregors deutlich, alle Skepsis zu widerlegen und der Auferstehung Christi exemplarische Bedeutung für die Kirche zuzuschreiben". 49

Mor. XIV 55,68 (740,15-19 Adriaen). Mor. XIV 55,68 (740,19-22 Adriaen); Mor. XXIV 2,3 (1190,42-49 Adriaen). 51 Mor. XXIV 3,6 (1193,48-50 Adriaen): Et quia infirmitatem suscipiens Dominus, dum poenam nostram moriendo tolerauit, corruptionem nostram resurgendo mutauit ... Vgl. auch Mor. III 18,33 (136,1-5 Adriaen); Mor. IV 34,68 (213,44ff. Adriaen): Sed creatura haec tunc a seruitute corruptionis eripitur cum ad filiorum Dei gloriam incorrupta resurgendo subleuatur... 52 Mor. XXIV,4,8 (1193,20ff. Adriaen): Mortalitatis suae poena in quadam uetustatis suae senectute deiectus est; reuertatur ad dies adolescentiae suae, id es prions uitae integritate renouetur, ut non eo maneat quo lapsus est, sed ad hoc redemptus redeat ad quod percipiendum conditus fuit. [...] ... id est, electorum animae gratia baptismatis renouatae, quae non in uitae ueteris usu deficiunt, sed noui hominis conuersatione decorantur. Vgl. auch HALE, L'imitazione, 40. 50

148

Kapitel

7

mit paulinischer Begrifflichkeit feststellt, der alte Mensch, sondern er hat einen neuen Menschen angenommen 53 . Inmitten von geistig gesinnten Feinden und fleischlich gesinnten Nächsten kann somit für den Leib Christi schon jetzt und inmitten dieser Welt ein neues Leben beginnen 54 , das sich der Mensch aber nur über den schwierigen Weg der Erniedrigung, unablässiger Buße, Askese und guter Werke aneignen kann 55 . In diesem Zusammenhang interpretiert Gregor häufiger Lk. 23,31: Si in uiridi ligno haec faciunt, in arido quid fiet? Das frische Holz steht in Gregors Deutung für Christus, der in sich die Kraft der Gottheit hatte, während wir als bloße Menschen lediglich dürres und trockenes Holz sein können 56 . Doch auch dieses dürre Holz darf jetzt Hoffnung haben, da der mit der Passion gestorbene und ausgelöschte Leib Christi durch die Auferstehung wieder mit neuer Kraft erfüllt wurde und das erneuerte Holz mit der Ausbreitung des Glaubens nach der Auferstehung des Herrn neue Zweige trieb 57 . Christus, der zugleich Mensch und Gott war, hat den Tod seiner menschlichen Natur nach auf sich genommen und ihn seiner göttlichen Natur nach überwunden 58 . Von den Fesseln der menschlichen infirmitas befreit und nicht länger in der forma eines Sklaven kehrte Christus nach dem Abstieg in die Hölle mit seinen Gliedern in den Himmel zurück 59 . Erst nach seinem Leiden und Sterben ließ der Auferstandene seine Gottheit und Konsubstantialität mit dem

53 Vgl. dazu auch GASTALDELLI, Teologia e retorica, 2 7 1 - 2 7 4 ; DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 2 6 7 f f . 54 Mor. X I X 3 0 , 5 3 ( 9 9 9 , 1 5 - 2 4 Adriaen): A feruore etenim mentis uel inter spiritales inimicos, uel inter carnales quosque proximos, ipso aliquo modo uiuendi usu ueterascimus, et assumptae nouitatis speciem fuscamus. A qua tarnen uetustate cotidie si studia circumspectionis inuigilent, orando, legendo, bene uiuendo renouamur, quia uita nostra dum lacrimis lauatur, bonis operibus exercetur, sanctis meditationibus tenditur, ad nouitatem suam sine cessatione reparatur. Beatus igitur lob sic sua narret, ut nostra significet, quia sancta Ecclesia cum fideles suos conspicit... 55 Vgl. zur Aneignung des Heils bei Gregor auch die Darstellung bei LIEBLANG, Grundfragen, 34f.; STRAW, Gregory the Great, 174ff.; FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 99f. 56 Mor. XII 5,8 ( 6 3 2 , 4 3 f f . Adriaen); Mor. XIX 28,51 ( 9 9 8 , 1 8 - 2 3 Adriaen); dieser Vers steht offenbar auch in Mor. X I V 55,68 ( 7 4 0 , l f f . Adriaen) im Hintergrund und wird durch die hier vorliegende Auslegung von Num. 17,1-8 ergänzt. Gregor spricht dort häufiger mit Lk. 23,31 von ariditas, obwohl dieses Wort in Num. 17,1-8 nicht vorkommt. 57

Mor. XII 5,8 ( 6 3 3 , 4 8 f f . Adriaen). Mor. X I V 5 5 , 6 9 ( 7 4 1 , 4 4 f f . Adriaen): ... unus idemque Deus et homo mortem, quam ex humanitate pertulit, ex diuinitate superauit... Vgl. auch Mor. VI 2 0 , 3 5 ( 3 1 0 , 1 3 15 Adriaen): ... Redemptor noster et uires gentilium, et linguas Iudaeorum moriendo ex humanitate pertulit sed ex diuinitatis suae potentia resurgendo superauit. 58

59 Mor. X X X 2 2 , 6 7 ( 1 5 3 6 , 1 2 - 1 5 3 7 , 1 5 Adriaen): ... is qui ad suseipiendam formam uererat, in ipsa serui forma ab inferni uineulis absolutus, ad caelum etiam membris liber rediret...

serui cum

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

149

Vater deutlicher erkennen 60 . Während im Zusammenhang mit der Passion die menschliche Natur Christi in den Vordergrund rückte und die göttliche Natur verborgen blieb, tritt nun, wenn Gregor von der Auferstehung Christi und Neuwerdung seines Leibes spricht, die göttliche Natur Christi und die damit verbundene Ermöglichung des neuen Lebens stärker hervor 61 . Für Gregor ist es insbesondere die Gottheit Christi, die dem Menschen, von der diuina dispensatio verfügt, die verlorene Dimension des Ewigen und des geradezu Gegenweltlichen neu eröffnet und wiederum zugänglich macht 62 . Er kann sogar sagen, daß der im Himmel weilende ewig göttliche Christus Mensch werden und vom Himmel herabsteigen mußte, um seine menschliche Gefolgschaft, seinen Leib, täglich wieder zum Himmel emporzuführen 63 .

7.1.3. Die Diskussion Gregors mit dem Patriarchen Eutychios von Konstantinopel über die Beschaffenheit des Auferstehungsleibes Gregor berichtet in diesem Zusammenhang von der Kontroverse um das Wesen des Auferstehungsleibes 64 , die er als päpstlicher Apokrisiar seinerzeit mit dem Patriarchen von Konstantinopel, Eutychios, geführt hat 65 . Er fügt sie in den unmittelbaren Kontext seiner Auslegung von Hiob 19,25ff. 6 6 ein, offenbar, weil sie für ihn eben an diese Stelle gehört und seinen Lesern etwas verdeutlichen soll. Nach Gregors Interpretation will Hiob mit diesen Versen nämlich darauf verweisen, daß Christus den Tod bereitwillig auf sich nahm, damit wir ihn nicht fürchten müssen, und daß er sich leiblich als Auferstandenen zeigte, damit wir darauf vertrauen können, künftig ebenfalls wie er

60

Mor. XXVI 28,52 (1307,34-1308,38 Adriaen). Vgl. dazu auch STRAW, Gregory the Great, 166. 62 So bereits Praef. 13 (18,1-19,23 Adriaen). Die Tugenden der Gerechten erhellen das gegenwärtige Dunkel, bis Christus ex diuinitate vom ewigen Morgen kündet. Vgl. auch FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 118f„ der jedoch das für Gregor so wichtige ex diuinitate, d. h. die Gottheit Christi, unerwähnt läßt. 63 Mor. XXVII 15,30 (1353,69ff. Adriaen). 64 Mor. XIV 56,72-74 (743,1-745,85 Adriaen). Vgl. dazu auch DUDDEN, Gregory the Great II, 432; vor allem DUVAL, La discussion, 347-366. Vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 240 und DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 341, der jedoch in Anm. 115 Eutychios mit Eutyches verwechselt! 65 Vgl. zu Eutychios von Konstantinopel auch DUVAL, La discussion, 348-350; zu seiner theologischen Entwicklung seit dem Konzil von Konstantinopel, auf dem er eine wichtige Rolle spielte, und zu seiner nur armenisch erhaltenen Schrift über die Unterscheidung zwischen Natur und Person vgl. auch A. GRILLMEIER, Jesus der Christus II/2: Die Kirche von Konstantinopel im 6. Jahrhundert, Freiburg/Basel/Wien 1989, 512-514 sowie P. ANANIAN, L'opusculo di Eutichio patriarca di Costantinopoli sulla .Distinzione della natura e persona', in: Armeniaca. Mélanges d'études arméniennes, Venedig 1969, 61

355-382. 66

Vgl. zu Gregors Interpretation dieses Verses oben unter 7.1.2.

150

Kapitel 7

leiblich aufzuerstehen. Dabei ist entscheidend, daß derselbe Leib Christi, der gestorben ist, auch auferstanden ist, weil in seinen Augen ansonsten die Kirche als der Leib Christi die Hoffnung auf ihre zukünftige Auferstehung verlöre67. Aus diesem Grund - eben weil er den Leib Christi mit der Kirche gleichsetzt - hat sich Gregor nun mit abweichenden Ansichten über das Schicksal des Leibes nach dem Tod auseinanderzusetzten68. Unsinnig erscheint ihm die von nicht wenigen vertretene Auffassung, wonach Körper und Geist mit dem Tod getrennt werden und der Körper untergeht69. Sie zerstöre jegliche Hoffnung auf die Auferstehung70, doch läßt sie sich recht einfach und allein mit der ratio alltäglicher Erfahrungen widerlegen, die die Auferstehung von scheinbar unwiederbringlich Verlorenem bezeugen71. Der Anbruch des Tages nach der Nacht, das erneute Wachstum der Pflanzen nach dem Winter und das Entstehen großer Bäume aus winzigen Samenkörnern72 legen es nahe, daß Gott auch aus Staub wieder Menschen erstehen lassen kann73. Zur ratio tritt dann das nach Ansicht von Gregor ungleich wichtigere Beispiel der leiblichen Auferstehung Christi, um auch uns der künftigen Auferstehung nach dem Vorbild unseres Hauptes zu versichern74. Doch stößt Gregor an dieser Stelle 67 Mor. XIV 55,68 (740,3-9 Adriaen): Resurrectionem quippe quam in se ostendit, nobis promisit, quia sui capitis gloriam sequuntur membra. Redemptor ergo noster suscepit mortem, ne mori timeamus. Ostendit resurrectionem ut nos resurgere posse confidamus. Vnde et eamdem mortem non plusquam triduanam esse uoluit, ne si in illo resurrectio differretur, in nobis omnimodo desperaretur. Im folgenden legt Gregor Ps. 109,7 aus wie auch in HEv. I 25,7 (212,212-213,225 Etaix). Vermutlich basiert diese Auslegung auf Hieronymus Tractatus de Psalmos zu Psalm 109 (CChr.SL 78, 227-229 Morin), vgl. auch DUVAL, La discussion, 352f. 68

Es geht Gregor nicht allgemein um Glaubenszweifel an der leiblichen Auferstehung, wie MÜLLER-ABELS, Scio enim, 456 meint, sondern um die Verteidigung des fundamentalen Prinzips seiner christologisch ausgerichteten Ekklesiologie. 69 Mor. XIV 55,70 (741,56-59 Adriaen): sunt uero nonnulli qui considerantes quod spiritus a carne soluitur, quod caro in putredinem uertitur, quod putredo in puluerem redigitur, quod puluis ita in elementis soluitur, ut nequaquam ab humanis oculis uideatur. Eine ähnliche Ansicht erwähnt Gregor bereits in Mor. VI 15,19 (297,36ff. Adriaen). 70 Mor. XIV 55,70 (741,59-742,60 Adriaen). 71 Mor. XIV 55,70 (742,62-90 Adriaen). 72 Auf das Samenkorn kommt Gregor auch Mor. VI 15,19 (297,51ff. Adriaen) zu sprechen, stellt jedoch in diesem Zusammenhang fest, daß die Auferstehung einfacher mit diesem Beispiel als mit der ratio zu erfassen sei, vgl. Mor. VI 15,19 (297,50f. Adriaen): Hoc nimirum comprehendiper rationem non potest sed tarnen credi facile per exemplum potest. 73 Mor. XIV 55,70 (742,85-88 Adriaen). 74 Mor. XIV 55,70 (742,90-96 Adriaen): Sed quia in nobis sensus torpuit rationis, accessit in exemplo gratia Redemptoris. Venit namque conditor noster, suscepit mortem, ostendit resurrectionem, ut qui resurrectionis spem ex ratione tenere noluimus, hanc ex eius adiutorio et exemplo teneremus. Dicat igitur beatus lob: Scio quod Redemptor meus uiuit, et in nouissimo die de terra surrecturus sum (Hiob 19,25).

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

151

auf die Schwierigkeit, daß er die Beschaffenheit des Auferstehungsleibes klären muß, da für den Duktus seiner Auslegung die Identität des irdischen mit dem auferstandenen Leib unerläßlich ist, damit Christi irdischer Leib, die gegenwärtige Kirche der Erwählten, ihrer künftigen Auferstehung sicher sein kann. Er umreißt das Problem, das sich ihm stellt, folgendermaßen: Sed ecce resurrectionem audio, effectum tarnen eiusdem resurrectionem exquiro. Credo namque quia resurrecturus sim, sed uolo ut audiam qualis. Sciendum quippe mihi est, utrum in quodam alio subtili fortasse, uel aereo, an in eo quo moriar, corpore resurgam. Sed si in aereo corpore surrexero, iam ego non ero qui resurgo. Nam quomodo est uera resurrectio, si uera esse non poterit caro? Aperta ergo ratio suggerit quia si uera caro non fiierit, procul dubio resurrectio uera non erit. Neque enim recte resurrectio dicipotest, ubi non resurgit quod cecidit75. Gregor formuliert somit eine recht einfache Alternative: an der Beschaffenheit des Leibes zeigt sich, ob es der gleiche Mensch ist, der da aufersteht oder nicht. Einzig und allein die Vorstellung, daß der Mensch mit seinem wahren Fleisch aufersteht, läßt es ihm plausibel erscheinen, daß der gleiche Mensch, der gestorben ist, nun auch auferstehen wird. Eine Auferstehung subtili aero corpore kann für ihn somit keine wahre Auferstehung sein. Daß sich Gregor diesem Standpunkt gegenüber so deutlich abgrenzt, liegt auf der Hand. Nicht lange zuvor hatte Kaiser Justinian in seinem Dekret von 54376 und daraufhin auch das fünfte Konzil von Konstantinopel von 553 diese Auffassung von der Auferstehung als origenistisch verurteilt und mit dem Anathema belegt77. Hiob äußert sich zudem selbst mit den Worten von Vers 19,26: Et rursum circumdabor pelle mea vollkommen eindeutig zugunsten einer Auferstehung mit dem wahren Fleisch, so daß es eigentlich gar keiner weiteren Diskussion bedürfte, wäre da nicht der Patriarch Eutychios von Konstantinopel, der behauptet hatte, corpus nostrum in illa resurrectionis gloria erit impalpabile, uentis aereque subtilius78. Gregor sieht demnach kaum einen nennenswerten Unterschied zwischen den Ansichten der verurteilten Orige-

75 Mor. XIV 55,71 (743,102-111 Adriaen). Vgl. dazu auch MÜLLER-ABELS, Scio enim, 454f. 76 Vgl. das fünfte Anathema des Edictum contra Origenem in: M. AMELOTTI/L. MlGLIARDI ZlNGALE (Hg.), Scritti teologici ed ecclesiastici di Guistiniano, Florentina Studiorum Universitas, Legum Iustiniani Imperatoris Vocabularium, Subsidia 3, Milano 1977, 116ff. (griech.), 117ff. (lat.). Vgl. dazu auch F. DlEKAMP, Die origenistischen Streitigkeiten im sechsten Jahrhundert und das fünfte allgemeine Konzil, Münster 1899, 49f. und GRILLMEIER, Jesus der Christus II/2, 419. 77 ACO IV,1 248f. Zur Ablehnung der ätherischen oder kugelförmigen Leiblichkeit des Auferstandenen vgl. den X. antiorigenistischen Kanon ACO IV,1 249,19-22. Vgl. wiederum DlEKAMP, Die origenistischen Streitigkeiten 129ff.; GRILLMEIER, Jesus der Christus II/2, 422ff. 78 Mor. XIV 56,72 (743,1-5 Adriaen). Vgl. auch MÜLLER-ABELS, Scio enim, 455.

152

Kapitel 7

nisten und denen des Eutychios 7 9 , wird ihm mit d i e s e m Urteil j e d o c h in keiner W e i s e gerecht 8 0 . In seiner Schrift über die Auferstehungsleiblichkeit 8 1 hatte Eutychios offenbar a n g e n o m m e n , daß sich der Auferstandene nach Lk. 2 4 , 3 9 lediglich aus p ä d a g o g i s c h e n Gründen leiblich zeigte, während Gregor d a v o n überzeugt ist, daß der A u f e r s t a n d e n e e i n e n verherrlichten, aber d e n n o c h tastbaren Körper b e s e s s e n habe 8 2 . D i e s e D e m o n s t r a t i o n w ä r e l e t z t l i c h z w e c k l o s , w e n n man w i e Eutychios annähme, daß sein Körper sich danach in einen subtilen und untastbaren g e w a n d e l t habe 8 3 . Eine derartige Veränderung hieße nach s e i n e m Verständnis, den L e i b Christi mit R o m . 6 , 9 erneut d e m T o d zu unterwerfen 8 4 . E u t y c h i o s hat g e g e n Gregor nun offenbar mit 1. Kor. 15,50: Caro et sanguinis regnum Dei possidere non polest*5, argumentiert, w a s dieser aber d a h i n g e h e n d verstanden w i s s e n will, daß F l e i s c h hier eben nicht im Sinne v o n leibhaftigem Fleisch, sondern im Sinne v o n Schuld interpretiert werden m ü s s e 8 6 . W e n n Eutychios in seiner Auferstehungsschrift nun auch n o c h 1. Kor. 1 5 , 3 6 f . anführt, u m die D i f f e r e n z z w i s c h e n d e m irdischen und d e m verherrlichten L e i b Christi deutlich zu machen 8 7 , s o antwortet ihm Gregor, daß mit d i e s e r Stelle nur g e m e i n t sein k ö n n e , daß der A u f e r s t e -

79 Gregor nennt Eutychios trotz aller Differenzen gleichwohl nie einen Häretiker, gegen FlEDROWicz, Kirchenverständnis, 240. Zu Gregors Auseinandersetzung mit den Häretikern vgl. das folgende Kapitel 8. 80 DUVAL, La discussion, 350 vermutet, Gregor habe das Anliegen des Eutychios, der keineswegs ein Origenist war, als ein im westlichen Denken geschulter Mensch, dem die theologischen Kontroversen des Ostens weitgehend fremd blieben, nicht richtig verstehen können. Vgl. ebd. 348: „Réduite à ces éléments, une telle position devrait naturellement conduire un Occidental à évoquer Origène". Duval nimmt deshalb an, daß Gregor von der Auseinandersetzung des Hieronymus mit Johannes von Jerusalem, den Hieronymus verdächtigte, die Auferstehung des Fleisches in der Folge von Origenes zu leugnen, beeinflußt sei, was Gregors Sicht auf Eutychios in eine bestimmte Richtung gelenkt habe. Darüberhinaus glaubt Duval, daß Hieronymus seinerseits von Tertullians Ansichten über falsche Lehren im Hinblick auf die leibliche Auferstehung in De resurrectione carnis abhängig sei, vgl. dazu Y.-M. DUVAL, Tertullien contre Origène sur la résurrection de la chair dans le Contra Iohannem Hierosolymitanum, 23-36 de Saint Jérôme, REAug 17, 1971, 227-278. 81 Eustratios Vita Eutychii 9,89 (PG 86.2373A-2376C) weist darauf hin, daß Eutychios am Ende seines Lebens von Unverständigen im Hinblick auf die Auferstehung bekämpft worden sei. Einer dieser Unverständigen, die am Ende den Sieg davontrugen, dürfte Gregor gewesen sein. 82 Mor. XIV 56,72 (743,10ff. Adriaen) Vgl. auch MÜLLER-ABELS, Scio enim, 455, die jedoch davon ausgeht, daß Gregors Interpretation das Mißfallen des Eutychios erregt hat. 83

M o r . X I V 5 6 , 7 2 ( 7 4 4 , 2 0 - 2 5 A d r i a e n ) . V g l . a u c h DUVAL, L a d i s c u s s i o n , 3 5 6 .

84

Mor. Mor. Mor. Mor.

85 86 87

XIV XIV XIV XIV

56,72 56,72 56,72 56,73

(744,25-31 Adriaen). (744,31f. Adriaen). (744,33-52 Adriaen). (745,56-61 Adriaen).

Der totus Christus zwischen

Erniedrigung

und

Erhöhung

153

hungsleib im Zuge der Auferstehung verherrlicht werde 88 . Er verliere somit nichts von dem, was er habe, sondern erhalte zusätzlich noch etwas dazu, was er zuvor nicht hatte, wie Gregor mit Augustin betont 89 . In der Interpretation des Eutychios hingegen verliere der Leib sogar das, was er einmal besessen habe90. Um die Überlegenheit der eigenen Position noch stärker hervorzuheben, berichtet Gregor im Anschluß daran, daß die Diskussion mit Eutychios noch sehr lange weitergegangen sei, bis der Kaiser Tiberius Constantinus auf den Streit aufmerksam wurde und nach Anhörung beider Parteien befohlen habe, die Schrift des Eutychios verbrennen zu lassen91. Wenig später seien sowohl Gregor selbst als auch Eutychios ernstlich erkrankt; er sei bald wieder gesund geworden, Eutychios sei jedoch gestorben. Doch noch kurz vor seinem Tod habe dieser seinen Irrtum im Hinblick auf den Auferstehungsleib eingesehen und in Gegenwart von Gregors Freunden, die den Todkranken besuchten, die Haut seiner Hand gefaßt und gesagt: Confiteor quia omnes in hac carne resurgemus92. Mit dieser recht drastischen Wendung macht Gregor deutlich, daß er den Bericht über die Kontroverse mit dem Patriarchen Eutychios an dieser Stelle einfügt, weil er ihm offenbar in besonderer Weise geeignet erscheint, die Richtigkeit seiner eigenen Vorstellung vom Auferstehungsleib zu veranschaulichen 93 . Neben der mit Eutychios geführten Diskussion um die rechte Auslegung der angeführten Schriftstellen ist es ihm wichtig, darauf hinzuweisen, daß seine Deutung nicht nur die Zustimmung des Kaisers, sondern am Ende auch die des Eutychios selbst gefunden habe, wie dessen Bekenntnis auf dem Sterbebett zeigt94. Für Gregor sind hiermit sämtliche

88

Mor. X I V 5 6 , 7 3 ( 7 4 5 , 6 2 f f . Adriaen).

89

Es wäre durchaus m ö g l i c h , daß Gregor hier v o n A u g u s t i n Ep. 2 0 5 , 5 f . ad C o n s e n tium (CSEL 57, 3 2 7 f . Goldbacher) abhängig ist, der nicht nur die g l e i c h e K o n s e q u e n z aus 1. Kor. 1 5 , 3 6 f . zieht, sondern ebenfalls mit Rom. 6 , 9 argumentiert. 90

Mor. X I V 5 6 , 7 3 resurrectionis non dixit [sc. E u t y c h i o s ] autem quod deerat, sed deesse

( 7 4 5 , 6 5 - 6 9 Adriaen) : / / / e [sc. Paulus] itaque in augmente gloriae grano seminis deesse quod erat, sed adesse quod non erat. Iste dum uerum corpus resurgere denegat, nequaquam dicit adesse quod erat.

91 Mor. X I V 5 6 , 7 4 ( 7 4 5 , 7 0 - 7 6 Adriaen); vgl. auch DUVAL, La discussion, 3 5 7 : „Le b i o g r a p h e d ' E u t y c h i o s , nous l ' a v o n s vu, reconnaît implicitement la .defaite' de son maître quand il conteste la validité des critiques qui furent é m i s e s par d e s ignorants". 92

Mor. X I V 5 6 , 7 4 ( 7 4 5 , 7 6 - 8 4 Adriaen).

93

MÜLLER-ABELS, Scio enim, 4 5 6 sieht hier e i n e Parallele zur D a r s t e l l u n g s w e i s e im vierten B u c h der D i a l o g e , w o die Erzählungen der Entfaltung und V e r a n s c h a u l i c h u n g einer T h e s e z u m T h e m a T o d und Auferstehung dienen. 94 Mor. X I V 5 6 , 7 4 ( 7 4 5 , 8 4 f . Adriaen): Quod sicut ipsi fatebantur, omnino prius negare consueuerat. Gregor geht es also weniger darum, zunächst den Kaiser als d e n irdischen und schließlich Gott als den himmlischen Schiedsrichter eingreifen zu lassen, w i e MÜLLER-ABELS, Scio enim, 4 5 5 f . und DUVAL, La discussion, 3 5 8 vermuten, als vielmehr sinnenfällig die A n e r k e n n u n g für seine Position seitens d e s Kaisers, aber auch

154

Kapitel 7

Möglichkeiten eines falschen Verständnisses vom Auferstehungsleib überwunden95, so daß auch von dieser Seite nunmehr endgültig feststeht, daß eben doch kein anderer Leib auferstehen wird als derjenige, der zuvor gestorben ist. Genauer betrachtet, so fährt Gregor in seiner Auslegung von Hiob 19,2527 fort, hätte es dieser ganzen Diskussion jedoch gar nicht bedurft, da sich Hiob ja mit 19,26 selbst vollkommen eindeutig ausdrückt, indem er sagt: Et in carne mea uidebo Deum96. Angesichts dieser Aussage kann es für Gregor keinerlei Zweifel an der wahren Auferstehung des Fleisches 97 nach dem exemplum Christi mehr geben98, zumal Hiob mit dem folgenden Vers zum Ausdruck bringt, daß er selbst und kein anderer die Auferstehung sehen wird: Quem uisurus sunt ego ipse et oculi mei conspecturi sunt, et non alius. Demnach ist völlig offenkundig, daß Hiob solchen Ansichten, wie Eutychios oder auch andere sie geäußert haben, von vornherein widerspricht 99 . Wir, so Gregor weiter, folgen vielmehr der Überzeugung des Hiob und glauben, daß das Fleisch unseres Erlösers nach der Auferstehung wahrhaftig tastbar war, und wir bekennen deshalb: carnem nostram post resurrectionem futuram et eadem et diuersam: eadem per naturam, diuersam per gloriam; eadem per ueritatem, diuersam per potentiamm. Gregor sieht sich augenscheinlich genötigt, an dieser Stelle ein klares Bekenntnis abzulegen und daran festzuhalten, daß der auferstandene und verherrlichte Leib zwar die incorruptio gewinnt, dabei aber nichts von der essentia seiner natura verliert101. Gregors explizites Bekenntnis und sein Beharren auf der wahren leiblichen natura des Auferstehungsleibes Christi entspringt des Eutychios selbst zu dokumentieren, der seine eigene Auffassung im Angesicht des Todes offenbar selbst wenig tröstlich fand. 95 Nach dem Tod des Eutychios habe Gregor die Diskussion nicht weiter fortgesetzt, weil Eutychios kaum Schüler gehabt habe, vgl. Mor. XIV 56,74 (744,78-80 Adriaen). 96 Mor. XIV 56,76 (746,95ff. Adriaen). 97 Zur Häufung des Begriffs der dubitatio in der Auseinandersetzung um die wahre Auferstehungsleiblichkeit vgl. auch MÜLLER-ABELS, Scio enim, 455. 98 Mor. XIV 56,76 (746,97-101 Adriaen): St itaque iste uir sanctus ante effectum resurrectionis dominicae reducendam carnem in integro statu credidit, quis erit reatus nostrae dubitationis, si uera carnis resurrectio nec post exemplum creditur Redemptoris? DUVAL, La discussion, 358 erscheint diese Art der Argumentation im Unterschied zu den vielfältigen subtilen Differenzierungen in der östlichen Theologie reichlich dürftig: „Le Christ, et tout ce qui le concerne, est vraiment 1 'exemplum, ce qui doit suffire ä un Romain". 99

Mor. XIV 57,77 (746,1-9 Adriaen). Mor. XIV 57,77 (746,9-14 Adriaen). Vgl. auch DUVAL, La discussion, 357; MÜLLER-ABELS, Scio enim, 457. 101 Mor. XIV 57,77 (746,14f. Adriaen): Erit itaque subtilis, quia et incorruptibilis. Eritpalpabilis, quia non amittet essentiam ueracis naturae. 100

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

155

jedoch weniger der Engstirnigkeit eines aus dem Westen stammenden Apokrisiars, dem die Feinheiten der theologischen Diskussion in der Hauptstadt fremd geblieben sind102, als wiederum auch hier dem Anliegen, sein als corpus Christi angesprochenes Auditorium mit dem Beispiel der wahrhaft leiblichen Auferstehung seines Hauptes der eigenen leiblichen Auferstehung zu versichern103. Hiob steht in Gregors Interpretation zwar auch für sich selbst, vor allem aber als Typus für Christus und damit zugleich auch für seinen gegenwärtig noch irdischen Leib, die heilige und universale Kirche104.

7.2. Christi irdische Existenzweise als Paradigma für den gegenwärtigen Leib Christi Gemäß der von ihm aufgestellten Auslegungsmaxime versteht Gregor die gegenwärtige Kirche vor allem unter der Perspektive des noch in dieser Welt befindlichen Leibes Christi, der am Lebensweg seines Hauptes von der Passion zur Auferstehung, vom Leiden zur Hoffnung, von der Demut zur Erhöhung Anteil hat und den Weg seines Hauptes mit seinem eigenen Leben nachvollzieht105. Dabei interessiert Gregor nicht allein die Rückkehr des Leibes zur Gottesschau als der ursprünglichen Bestimmung des Menschen, die die Kirche zu einem Raum der „sehnsuchtsvollen Heilserwartung" 106 werden läßt, sondern vor allem ihre noch von Leid bestimmte gegenwärtig irdische Existenzweise107, die einerseits von der inneren Orientierung am Ewigen und 102 Das betont noch einmal DUVAL, La discussion, 347: „On y verra un Occidental, réaliste et peu enclin à la réflexion philosophique, résister, à l'aide de sa culture religieuse occidentale, à des spéculations sur la nature du corps ressuscité, telles qu'il s'en livrait alors à Constantinople et Alexandrie". 103 Mor. XIV 54,67 (740,13-15 Adriaen): ... sed quid, beate lob, per resurrectionem illius etiam de tuae carnis resurrectione confidis, aperta quaesumus, uoce profitere-, vgl. auch Mor. XIV 55,68 (740,3-5 Adriaen): resurrectionem quippe quam in se ostendit nobis promisit, quia sui capitis gloriam sequuntur membra. 104 Mor. XIV 58,78 (747,6 Adriaen) stellt das zum Abschluß des XIV. Buchs der Moralia noch einmal ausdrücklich fest. 105 Vgl. zum „dynamische[n] Charakter der Aussagen Gregors über die irdische Kirche", der heilsgeschichtlich begründet ist und auf die Rückkehr des einzelnen Menschen und der Kirche zu ihrem himmlischen Ursprung zielt, auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 384f. 106 FlEDROWICZ, Kirchenverständnis 384 und 368f. beschreibt in dieser Weise den zentralen Gedanken der gregorianischen Ekklesiologie. 107 Mor. XXVI 28,54 (1308,57-62 Adriaen): Sanctis namque uiris iste locus humilitatis est, ut ille sit celsitudinis. Vnde alias scriptum est: Humiliasti nos in loco afflictionis. Locus quippe affiictionis est uita praesens. Qui ergo ad aeternam patriam tendunt, nunc semetipsos temporaliter in affiictionis loco despiciunt, ut tunc in loco gaudii ueraciter sublimentur.

156

Kapitel

7

andererseits von der notwendigen actio um des Nächsten willen bestimmt ist. In einzigartiger Weise hat der inkarnierte Christus, der sowohl von göttlicher als auch von menschlicher Natur war, dem Leib Christi und seinen praedicatores diese Verbindung in seiner Person und mit seinem eigenen irdischen Leben vorgelebt. Inwieweit er Christi göttliche und menschliche Natur mit dem Leben des Leibes Christi und seiner praedicatores in Verbindung bringen kann, sei zunächst an Gregors Auslegung der Versuchung Christi und der Heilung des Blinden deutlich gemacht.

7.2.1. Versuchung In der Auslegung zu Hiob 2,6: Dixit autem Dominus ad satan: Ecce in manu tua est, uerumtamen animam illius serua bringt Gregor das Verhältnis zwischen göttlicher und menschlicher Natur in Christus ausdrücklich zur Sprache 108 . Mit dieser Aussage ist nach Gregor nicht etwa gemeint, daß der Teufel Christi Seele nicht versuchen durfte, vielmehr wird gesagt, daß er sie trotz seiner Versuchungen nicht überwinden konnte 109 . Von seiner göttlichen Natur her anders als die Menschen, ließ sich Christi Seele um der Menschen willen, die häufig von vielen auf sie einstürzenden Versuchungen gequält werden, gewissermaßen aus Notwendigkeit heraus erschüttern 110 . Und obwohl sich der Teufel die größte Mühe gab und Christus gleich dreifach in der Wüste versuchte, gelang es ihm dennoch nicht, Christus in seinem Inneren ins Wanken zu bringen. So wie Christus im Äußeren alles bereitwillig auf sich nahm, blieb er doch nach Gregors Auslegung von Hiob 2,6 im Inneren unbeeindruckt und standhaft, weil er an seiner Gottheit festhielt 111 . Auf diese enge Verbindung zwischen Menschheit und Gottheit in der Person Christi kommt es Gregor offenbar an dieser Stelle ganz besonders an, weil ihm diese Verbindung die Möglichkeit eröffnet, zwischen äußerer Veränderung und innerer Festigkeit zu unterscheiden. Durch seine Gottheit ordnete und verfügte Christus, was ihn im Äußeren aufgrund seiner Menschheit verwirrte, so daß er selbst unbewegt über alles regierte, auch wenn er sich gleichwohl nach außen hin bewegt und unbeständig zeigte, um entsprechend

108

Mor. III 1 6 , 3 0 ( 1 3 4 , 3 8 f f . Adriaen). V g l . auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand,

188; STRAW, Gregory the Great, 1 6 7 ; zur A u s l e g u n g s t r a d i t i o n d i e s e s V e r s e s v g l . auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 2 7 7 f . und 3 5 1 . 109

Mor. III 1 6 , 3 0 ( 1 3 4 , 3 8 - 4 0 Adriaen).

110

Mor. III 1 6 , 3 0

sumus,

irruente

saepe

nis est necessitate 111

concutimur,

sicut

nos

qui puri

nostri

anima

homines temptatio-

turbata.

ut tarnen eius mens

Verwendung

enim

ita Redemptionis

Mor. III 1 6 , 3 0 ( 1 3 5 , 4 6 - 4 8 Adriaen): Sic entim

suscipere, Zur

( 1 3 4 , 4 0 - 4 2 Adriaen): Neque temptatione

des

interius

diuinitati

augustinischen

FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 2 7 7 .

suae

dignatus inhaerens

Interioritätsprinzips

est haec

exterius

inconcussa bei

Gregor

cuncta

permanerei. vgl.

auch

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

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der g ö t t l i c h e n dispositio G e n u g t u u n g für d i e m e n s c h l i c h e S c h w ä c h e zu leisten 1 1 2 . D e m n a c h war Christus in der V e r s u c h u n g seiner göttlichen Natur nach ruhig und ordnete das, w a s ihn seiner a n g e n o m m e n e n und sichtbar menschlichen Natur nach erschütterte 1 1 3 . Im Z u g e seiner A u s l e g u n g der V e r s u c h u n g Christi durch den T e u f e l spricht G r e g o r v o n Christi göttlicher und m e n s c h l i c h e r Natur, u m d e n Erwählten der Kirche 1 1 4 zu versichern, daß auch s i e d i e H o f f n u n g haben dürfen, durch die vielfältigen Versuchungen und Bedrängnisse des g e g e n w ä r tigen L e b e n s nicht in ihrem Innersten angegriffen und ins W a n k e n gebracht zu werden 1 1 5 , w i e bereits die f o l g e n d e moralisch akzentuierte Interpretation d e s s e l b e n V e r s e s H i o b 2 , 6 deutlich macht 1 1 6 . Im Verlauf s e i n e s K o m m e n t a r s verweist Gregor häufiger darauf, daß der M e n s c h zwar im Äußeren v o n b ö s e n Geistern oder auch v o m T e u f e l selbst versucht und s o z u s a g e n bis ins Mark erschüttert, d o c h z u g l e i c h im Inneren durch die G n a d e Gottes bewahrt und gekräftigt wird 1 1 7 . W e r in der e n g e n B i n d u n g an Gott den S c h ö p f e r und Erlöser s e i n e innere stabilitas w i e d e r g e f u n d e n hat, den v e r m ö g e n auch äußerpraediliche Widrigkeiten nicht zu brechen 1 1 8 . Vor allem in den kirchlichen

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Vgl. zur göttlichen Heilsordnung auch Mor. II 20,34 (81,7-11 Adriaen): Quia in semetipsa [sc. das göttliche Licht] manendo immutabilis, mutabilia cuncta disponit [...] Vnde fit ut in aeternitate eius fixa maneant ea quae non fixa exterius saeculorum uolumina émanant. Somit spiegelt sich für Gregor in der Person Christi die göttliche Heilsordnung. 113 Mor. III 16,30 (135,48-54 Adriaen): Qui et si quando turbatus spiritu infremuisse dicitur, ipse diuinitus disponebat quantum ipse humanitus turbaretur, immutabiliter omnibus praesidens et semetipsum mutabilem in satisfactione infirmitatis ostendens. Quietus ergo in semetipso manens, disposuit pro ostendenda humanitate quam susceperat, etiam turbulentis fecit. Vgl. dazu auch STRAW, Gregory the Great, 167f. In ähnlicher Weise beschreibt Gregor auch die Passion Christi, Mor. XXIX 19,36 (1458,13ff. Adriaen). 114 Schon im folgenden Abschnitt, Mor. III 16,31 (135,55ff. Adriaen), wird die Seele mit den Erwählten und ihrer Lebensführung identifiziert. 115

Mor. II 45,70 (100,Iff. Adriaen); Mor. III 5,6 (117,Iff. Adriaen); Mor. X X X I I

24,50 (1668,Iff. Adriaen). Vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 277. 116 Mor. III 29,57 (150,Iff. Adriaen). 117 Mor. IX 53,80 (512,39ff. Adriaen); Mor. X 16,32 (561,22ff. Adriaen). Vgl. auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 187f., der diese Differenz als den spirituellen Kampf versteht: „Les notions d'extériorité et d'intériorité recouvrent cette antithèse permanente de la faiblesse humaine et de la force divine". 118 Mor. XV 56,63 (789,5-8 Adriaen): Sed sanctus uir tanto eos alta consideratione diiudicat, quanto inter damna quae pertulerat infracta rectitudine stabat. Quid enim ei foris rerum damna nocuerant, qui illum non amiserat quem interius amabat? Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 168: „Christ's conquest of the mutabilities that afflict mankind ensures the perfection of the resurrected body and serves as an example of the selfcontrol and stability the Christian should imitate in his earthly life".

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catores, die in b e s o n d e r e r W e i s e für den L e i b der K i r c h e stehen 1 1 9 , sieht Gregor s o l c h e M e n s c h e n , die, f e s t auf den M e n s c h g e w o r d e n e n G o t t e s s o h n gegründet, v o n den äußeren Schwierigkeiten zwar immer w i e d e r bedrängt und verfolgt, in ihrem Innersten j e d o c h standhaft bleiben und deshalb auch letztlich nicht ü b e r w u n d e n werden 1 2 0 . S o m i t bietet d i e D i f f e r e n z z w i s c h e n göttlicher und m e n s c h l i c h e r Natur in Christus Gregor d i e M ö g l i c h k e i t , auch für den Leib Christi und die praedicatores z w i s c h e n e i n e m inneren Festhalten am e w i g und unveränderlich G ö t t l i c h e n und e i n e m durch W a n d e l und Veränderung geprägten Bereich des Äußeren zu unterscheiden 1 2 1 . 7.2.2.

Blindenheilung

In ganz ähnlicher W e i s e versteht Gregor das Z u s a m m e n w i r k e n von M e n s c h heit und Gottheit des inkarnierten Christus, w e n n er in seinen A u s l e g u n g e n zu H i o b 4 , 1 5 f : Et cum spiritus me transiret, inhorruerunt pili carnis meae. Stetit quidam cuius non agnoscebam uultum und zu H i o b 2 8 , 2 3 : Deus intellegit uiam eius et ipse nouit locum illius d i e B l i n d e n h e i l u n g e n Christi beschrieben findet 1 2 2 . Seit d e m Sündenfall der mutabilitas und d e m transitus unterworfen, b e g e g n e t d e m für d i e h ö h e r e Wirklichkeit blind g e w o r d e n e m M e n s c h e n 1 2 3 mit Christus e t w a s Göttliches, das sich um des M e n s c h e n w i l l e n j e d o c h selbst

119 Vgl. z.B. Mor. XXVII 3 8 , 6 3 ( 1 3 8 1 , 2 1 f f . Adriaen). Gregor kündigt an, nun das, was er allgemein über die Kirche gesagt hat, auf einzelne Glieder der Kirche zu übertragen. Mit den Gliedern der Kirche sind aber im folgenden vor allem die praedicatores gemeint. 120 Mor. XXVIII 1 8 , 3 8 ( 1 4 2 4 , 1 - 1 0 Adriaen). Vgl. dazu auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 278. 121 DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 189 sieht zwar die christologische Basis dieser Unterscheidung, betont jedoch, Gregor sei gerade an dieser Stelle weniger Theologe als „maître de la vie spirituelle". 122 Mor. V 34,63 (262,57ff. Adriaen); Mor. XIX 3,5 (959,8ff. Adriaen). In Mor. VIII 30,49 (420,15-421,21 Adriaen) wird nur kurz auf die Blindenheilung nach Joh. 9,6 eingegangen. Gregor erklärt zu dieser Stelle, daß der Erlöser seinen Speichel mit dem Staub mischte und so unsere blinde Wahrnehmung für die contemplatio öffnete: Vnde et Redemptor ueniens saliua luto miscuit et caeci nati oculos reparauit; quia superna gratia carnalem cogitationem nostram per admixtionem suae contemplationis irradiat et ab originali caecitate hominem ad intellectum reformat; vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 151. 123 Mor. I 25,34 (43,9ff. Adriaen); Mor. V 34,61 (261,5ff. Adriaen); Mor. VII 2,2 (335,15ff. Adriaen); Mor. VIII 18,34 (406,30-32 Adriaen); Mor. VIII 30,49 (421,21-23 Adriaen); Mor. XI 42,58 (618,35ff. Adriaen); Mor. XI 49,66 (624,40ff. Adriaen); Mor. XVI 64,78 (845,12ff. Adriaen); Mor. XXVII 46,79 (1392,104-109 Adriaen), vgl. zum Thema der geistigen Blindheit auch DUDDEN, Gregory the Great II, 380-384; LIEBLANG, Grundfragen, 31-33; WEBER, Hauptfragen, 226f.; STRAW, Gregory the Great, 107-127; GLLLET, Introduction, 21-27; FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 90f.

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vorübergehend zeigte124. Dieses ist für Gregor der tiefere und eigentliche Sinn der Erzählung von der Heilung des Blinden, weil es im Text heißt, daß Christus sich seinen Hörern als vorübergehend zeigte, dann aber stehenblieb, um den Blinden zu heilen125. Das Vorübergehen deutet Gregor auf die menschliche Natur Christi, die gleichsam eine in der Zeit vorübergehende war, das Stehen auf seine bleibende und unveränderlich göttliche Natur126. Indem er eine menschliche Natur annahm, erbarmte er sich der menschlichen Blindheit, die er zugleich durch seine göttliche Natur erleuchtete127. Weil er um unseretwillen geboren wurde, litt, auferstand und in den Himmel aufstieg, ging er vorüber und vollzog somit in Gregors Interpretation nichts anderes als eben eine actio temporalisni. Mit seiner um der Menschen willen angenommenen Natur handelte Christus demnach notwendig weltlich und zeitlich. Doch zugleich blieb Christus stehen und erleuchtete die Menschen, weil sein Wort nicht bloß wie eine dispensatio temporalis vorüberging, sondern in Ewigkeit bleibt und dadurch alles erneuert. Dieses Stehenbleiben meint in Gregors Auslegung nichts anders, als daß Christus entsprechend der göttlichen Heilsordnung alles Veränderliche durch seine göttliche Unveränderlichkeit ordnete129. Um der Menschen willen wurde der, der von sich aus keine Veränderlichkeit kannte, vorübergehend und nahm die Veränderlichkeit auf sich, damit er aufgrund seiner Göttlichkeit dem Menschen das verlorene Licht zurückgeben konnte130. 124 Mor. V 24,63 (262,54-58 Adriaen): Vnde et Redemptor noster quia diuinitatis eius status capi ab humana mente non potuit, hunc nobis in carne ueniens, creatus, natus, mortuus, sepultus, resurgens et ad caelestia rediens, quasi transeundo monstrauit. Vgl. zu diesem Text auch HALE, L'imitazione, 33. Dazu, daß der Mensch an seinem status Schaden nahm und vorübergehend wurde, vgl. auch oben den Abschnitt 6.1.3.1. 125 Mor. V 24,63 (262,58-263,60 Adriaen). Hier ist nicht ganz klar, auf welches Evangelium Gregor sich bezieht. Der Gegensatz zwischen transire und stare findet sich nur im Text von Mt. (Mt. 20,30 und 20,32), dort handelt es sich allerdings nicht nur um einen, sondern um zwei Blinde; vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 107 Anm. 18. 126 Mor. V 34,63 (263,60-62 Adriaen): Per humanitatis quippe dispensationem transire habuit; per diuinitatis uero potentiam quia ubique praesens est, stare. Ganz ähnlich auch Mor. XIX 3,5 (959,8f. Adriaen): Viam per humanitatus transitum, locum uero per statum diuinitatis. 127 Mor. V 34,63 (263,62-65 Adriaen); Mor. XIX 3,5 (959,14-18 Adriaen). Ähnlich auch Mor. XXIX 2,2 (1435,7-9 Adriaen): Sed quia, dum ipse umbras nostrae temporalitatis suscepit. lumen nobis suae aeternitatis infundit ... Zur Lichtmetaphorik vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 173f. 128 Mor. XIX 3,5 (959,18-20 Adriaen): Quod enim propter nos natus et passus est, quod resurrexit, ascendit in caelum, quasi transit Iesus, quia haec nimirum actio temporalis est. 129 Mor. XIX 3,5 (959,21-24 Adriaen): Sed stans eos tetigit et illuminauit, quia non sicut illa dispensatio temporalis, ita uerbi aeternitas transit quae in se manens innouat omnia. Stare enim Dei, est incommunitabili cogitatione mutabilia cuncta disponere. 130 Mor. XIX 3,5 (959,24ff. Adriaen).

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Wiederum, w i e s c h o n in der A u s l e g u n g zur V e r s u c h u n g Christi, liegt der A k z e n t auch im Hinblick auf die B l i n d e n h e i l u n g darauf, daß Christus seiner menschlichen Natur nach um der M e n s c h e n w i l l e n zeitlich handelte, d o c h das Zeitliche z u g l e i c h aufgrund seiner göttlichen Natur auf das E w i g e hin orientierte und damit neu ordnete. S o m i t m ü s s e n auch die Erwählten als der L e i b der Kirche nicht länger blind und auf den B e r e i c h der körperlich sichtbaren und vergänglichen Wirklichkeit fixiert bleiben, in den sich die M e n s c h e n mit der Sünde verloren haben 1 3 1 . S i e dürfen v i e l m e h r s c h o n in dieser Welt, obw o h l sie noch ganz und gar körperlich sind und an der Vergänglichkeit Anteil haben 1 3 2 , anfangshaft mit der Kontemplation das e w i g e göttliche Licht schauen 1 3 3 . W e n n sie im transitus der gegenwärtigen W e l t ihre , A u g e n der Begierde' vor den sichtbaren und körperlichen D i n g e n m ö g l i c h s t vollständig verschließen 1 3 4 , sich v o n a l l e m Sichtbaren a b w e n d e n und statt d e s s e n ganz auf das Unsichtbare konzentrieren 1 3 5 , dann können die Erwählten durch die D u n kelheiten der G e g e n w a r t hindurch s c h o n jetzt und in dieser W e l t e t w a s v o n der höheren Wirklichkeit erkennen 1 3 6 und inmitten der g e g e n w ä r t i g e n , v o n

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Mor. VIII 10,25 (399,142-145 Adriaen): Sancta autem Ecclesia in electis suis cotidie quantus sit rebus exterioribus cursus conspicit et idcirco in intimis pedem sollicitae intentionis flgit. Mor. VIII 24,41 (411,1 ff. Adriaen); Mor. IV 30,58 (203,66ff. Adriaen) u.ö. Vgl. auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 165-204, hier 202: par le péché originel, l'homme, qui avait été créé pour jouir d'une parfaite intériorité, par la vision de son Créateur, s'est perdu et dispersé dans l'extériorité; sa vie ici-bas est, dès lors, devenue un combat, dont le but est d'échapper à cette dispersion et de retrouver l'intériorité primitive". 132 Mor. IV 34,68 (213,60ff Adriaen).; Mor. V 2,2 (219,lff. Adriaen); Mor. V 6,8 (224,lff. Adriaen); Mor. V 32,57 (259,46ff. Adriaen) u.ö. 133 Mor. XXVII 15,30 (1353,8ff. Adriaen) beschreibt das Wunder, daß der gefallene blinde Mensch nicht nur zu seinem ursprünglichen Stand zurückkehren kann, sondern sogar in den Himmel aufgenommen wird. Vgl. auch FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 90. 134 Mor. V 31,54 (256,23-26 Adriaen) als Auslegung zu Josephs Traum: In itinere quippe dormire, est in hoc praesentis uitae transitu a rerum temporalium amore quiescere. In itinere dormire est in dierum labentium cursu ab appetitu uisibilium mentis oculos claudere. Die Augen des sündigen Menschen heißen bei Gregor auch oculos concupiscentiae, vgl. ebd. 256,30f. Vgl. auch Mor. XXI 2,4 (1065,lff. Adriaen). 135 Mor. V 29,51 (253,4-8 Adriaen): Nisi enim se ab exterioribus desideriis absondat, interna non pénétrât. [...] ... quia et substracta a uisibilibus inuisibilia conspicit, et repleta inuisibilibus uisibilia perfecte contemnit. Mor. XXIII 21,42 (1176,7lff. Adriaen); Mor. VI 37,59 (329,147-150 Adriaen). Zu diesem Weg des Menschen nach innen, den Gregor offenbar aus den Confessiones Augustins übernommen hat, vgl. auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 208ff. mit COURCELLE, Les Confessions, 225ff. und FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 90ff.: Per visibilia ad invisibilia. 136 Mor. VIII 30,50 (421,29-34 Adriaen): Ecce enim electorum mens iam terrena desideria subicit; iam cuncta quae considérât praeterire transcendit; iam ab exteriorum delectatione suspenditur et quae sint bona rimatur, atque haec agens plerumque in

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der mutabilitas geprägten W e l t g l e i c h s a m innehalten und damit stehen bleiben 1 3 7 . Gregor beschreibt die H e i l u n g der m e n s c h l i c h e n Blindheit auch als einen A u f s t i e g , der v o n den äußeren D i n g e n zur Erkenntnis des e i g e n e n inneren Selbst und weiterhin v o m Selbst zu Gott d e m S c h ö p f e r führt 1 3 8 . D o c h zur vollständigen Erkenntnis und Schau Gottes ist der M e n s c h in d i e s e m L e b e n als e i n körperliches und damit u n b e s t ä n d i g e s W e s e n n o c h nicht fähig 1 3 9 . L e d i g l i c h für e i n e n kurzen M o m e n t k ö n n e n ihm d i e mit der S ü n d e blind g e w o r d e n e n A u g e n g e ö f f n e t werden, so daß er etwas von der göttlichen Klarheit erkennen darf 1 4 0 , bevor er dann aber w i e d e r zu sich selbst und damit in erster Linie zur Erkenntnis seiner e i g e n e n S c h w ä c h e zurückkehren muß, die ihn das wahre A u s m a ß seiner Strafe begreifen läßt 141 . S o m i t steigert die H e i lung der blind g e w o r d e n e n A u g e n des m e n s c h l i c h e n G e i s t e s einerseits die Sehnsucht nach der unsichtbar göttlichen D i m e n s i o n der Wirklichkeit, die der M e n s c h jetzt noch nicht sehen, sondern gegenwärtig und in d i e s e m L e b e n nur aus den Spuren und Z e i c h e n des Göttlichen a b l e s e n kann 1 4 2 , und läßt ihn

dulcedinem superna contemplationis rapitur, iamque de intimis aliquid quasi per caliginem conspicit... Vgl. dazu auch LIEBLANG, Grundfragen, 36ff. 137 In Mor. XXVI 44,79f. (1325,Iff. Adriaen) beschreibt Gregor den Verlust der stabilitas, die der Mensch in der Kontemplation teilweise wiedergewinnen kann: In contemplatione namque creatoris hoc accepturi sunt, ut una semper mentis stabilitate perfruantur. Vgl. auch Mor. XXVI 44,80 (1326,35f. Adriaen). 138 Mor. V 34,61f. (261,18-25 Adriaen): Cum uero miris conatibus ab his exsurgere nititur, magnum ualde est si ad cognitionem suam, repressa corporali specie, anima perducatur; ut semetipsam sine corporea imagine cogitet et cogitando se, uiam sibi usque ad considerandam aeternitatis substantiam paret. Hoc autem modo quasi quamdam scalam sibi exhibet semetipsam per quam ab exterioribus ascendendo in se transeat, et a se in auctorem tendat. Vgl. zu dieser Vorstellung des Aufstiegs auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 213ff.; SCHREINER, The Role of Perception, 90ff.; MCGINN, Mystik II, 98ff. 139 Mor. VIII 30,49 (421,23ff. Adriaen); Mor. IX 11,17 (468,140ff. Adriaen); Mor. X 8,13 (546,19ff. Adriaen); Mor. XXXI 51,101 (1619,Iff. Adriaen) vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 31 Off. 140 Mor. V 7,13 (227,53-56 Adriaen): Vnde fit plerumque ut in ipsis piis fletibus illa interni gaudii claritas erumpat; et mens quae in torpore prius caeca iacuerat, ad inspectionem fulgoris intimi suspiriis uegetata conualescat. Vgl. auch Mor. V 32,57 (259,46-50 Adriaen). 141 Mor. VII 2,2 (334,Iff. Adriaen); Mor. V 33,58 (259,4-9 Adriaen): Neque enim in suauitate contemplationis intimae diu mens figitur, quia ad semetipsam ipsa immensitate luminis reuerberata reuocatur. Cumque internam dulcedinem degustai, amore aestuat, ire super semetipsam nititur, sed ad infirmitatis suae tenebras fracta relabitur. Vgl. auch Mor. X 8,13 (546,23-27 Adriaen); Mor. XXIII 21,41 (1176,60ff. Adriaen). Vgl. dazu auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 165f. 142 Mor. X 8,13 (546,27-33 Adriaen): Incircumscripti luminis iubar intueri conatur et non ualet; quod infirmitate pressus animus et nequaquam penetrai, et tarnen repulsus amat. Iam namque de se conditor per quod ametur ostendit, sed uisionis suae speciem

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andererseits den Abstand seiner eigenen Schwachheit zum Göttlichen um so deutlicher spüren, der den Menschen nunmehr Furcht vor dem göttlichen Gericht empfinden143, demütig sein und beständig Buße tun läßt144. In seiner Person hat Christus nicht nur mit seinen Handlungen das Vergängliche geordnet, sondern auch mit seiner eigenen Kontemplation gezeigt, wovon alles abhängt145. Deshalb sollen auch die demütigen praedicatores inmitten der Übel des gegenwärtigen Lebens und der Dunkelheit anderen Menschen sowohl mit ihrem Leben als auch mit ihrer Verkündigung etwas von diesem Göttlichen vermitteln146, da den ,Augen des Fleisches' die uita caelestis hier noch verborgen ist147. Gregor beschreibt, wie die göttliche Gnade die irdischen Fischersorgen eines Petrus auf das himmlische Reich ausrichtete und ihn damit zu einem praedicator machte, der mit seiner Lebensführung den Dienst der Verkündigung für andere mit der Kontemplation um seiner selbst willen verknüpfte148. Noch eindrücklicher schildert Gregor den Weg des Paulus, den Gott sogar von einem persecutor zu dem praedicator schlechthin wandelte149 und ihn im Dienst der Verkündigung erniedrigte und vielfach leiden ließ150. Mit seiner gesamten Lebensführung wird Paulus somit in seiner Demut und in seinem Kampf gegen die Sünde auf dem Weg zum himmlischen Vaterland auch für andere zu einem Vorbild151. Auch der Apostel Paulus blieb keineswegs auf amantibus substrahit. Sola ergo eius uestigia conspicientes gradimur, qui hunc per donorum suorum signa sequimur quem necdum uidemus. Vgl. auch Mor. X X V I 12,17 (1278,22ff. Adriaen); Mor. X X X I 51,101 (1619,1-3 Adriaen) und dazu STRAW, Gregory the Great, 47-65; FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 92f. 143 Mor. V 9,15 (228,3ff. Adriaen); Mor. X 14,25 (555,3-6 Adriaen); Mor. V 3 2 , 5 6 ( 2 5 8 , I f f . Adriaen). 144 M o r . V 7,13f. (227,47ff. Adriaen); Mor. V 32,56 (258,Iff. Adriaen); Mor. X X V I 12,18f. (1279,61ff. Adriaen); dieser Abschnitt schließt mit den Worten: Vide quantum a diuina celsitudine separaris, au cuius potentia etiam illae potestates humilitate contremiscunt quae te immensa sublimitate transcendunt; et quanto ipse summo inferior es, qui inferiorem te esse etiam inferioribus deprehendit. Mor. X X V I 12,19 ( 1 2 9 7 , 8 2 - 8 6 Adriaen); Vgl. auch Mor. X X V I I 19,39 ( 1 3 6 0 , I f f . Adriaen); Mor. X X I X 15,27f. ( 1 4 5 2 , I f f . Adriaen). 145 Mor. XXVIII 13,33 (1421,21-24 Adriaen): Quia igitur humano cordi quid ageret ignoranti Dei atque hominis Mediator apparuit, qui et agendo transitoria disponeret, et contemplando ostenderet unde cuncta penderent... 146 Mor. X X I X 2 7 , 5 4 ( 1 4 7 1 , I f f . Adriaen). 147 Mor. XXVII 24,45 (1365,50ff. Adriaen). 148 Mor. XXVII 4 1 , 6 9 (1385,15-25 Adriaen); vgl. dazu auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 132f. 149 Mor. XI 10,16 (594,52ff. Adriaen); Mor. X X X I 16,30 ( 1 5 7 2 , I f f . Adriaen). 150 Mor. X X X I 18,33 ( 1 5 7 4 , I f f . Adriaen). Die Erniedrigung der Arbeiter Gottes reicht für Gregor bis zur Nachahmung der Passion Christi. 151 Mor. X X X I 24,43-45,91 ( 1 5 8 1 , 6 8 - 1 6 1 2 , 1 0 7 Adriaen). Gregor legt an dieser Stelle Hiob 39,19-25 aus und interpretiert Paulus als equus Dei.

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den Bereich der gegenwärtigen Wirklichkeit beschränkt, sondern erhob sich immer wieder zur Kontemplation des Göttlichen152. Weil Christus um der menschlichen Not willen Mensch geworden, für die Menschen gelitten hat und für sie gestorben ist, und zugleich vollständig von seiner Gottheit durchdrungen war, für die er nun auch dem Menschen die Augen geöffnet hat, kann gerade sein irdisches Leben, sein transitus153, für die praedicatores als Häupter seines irdischen Leibes, der ja noch in dieser Welt unter den Auswirkungen der Sünde leidet und dennoch der himmlischen Heimat entgegengeht, zum Vorbild werden. Ihre innere Ausrichtung auf die göttliche Wirklichkeit und die am Nächsten orientierte äußere actio temporalis wird so in rechter Weise miteinander zu verbinden.

7.3. Menschheit und Gottheit des inkarnierten Gottessohnes Was im irdischen Leben Christi mit der Verbindung zwischen seiner göttlichen und menschlichen Natur hervortrat, das ist nach Gregors Ansicht bereits mit der Menschwerdung des göttlichen Erlösers grundgelegt154. Für Gregor läuft die gesamte, in der Schrift bezeugte Heilsgeschichte auf dieses Ereignis zu155, weshalb er in seiner Auslegung des Buches Hiob immer wieder die Gelegenheit findet, auf die Konsubstantialität des Inkarnierten mit dem Menschen einerseits und mit Gott andererseits einzugehen156. Um seinen Lesern die ekklesiologischen Konsequenzen aus der mit der Person Christi neu eröffneten Verknüpfung zwischen Mensch und Gott zu erläutern, muß er bisweilen auch etwas näher auf das Verhältnis zwischen Menschheit und Gottheit in Christus eingehen. Hier zeigt sich, daß Gregor keineswegs, wie häufig behauptet wurde, lediglich die alten chalkedonen152 Mor. XXXI 46,92-53,106 (1613,1-1623,33 Adriaen) versteht Paulus als einen Adler, der sich zu den himmlischen Dingen emporschwingt. 153 Zur Bedeutung des transitus Christi bei Gregor vgl. auch die Ausführungen bei HALE, L'imitazione, 32ff. 154 Vgl. zum Thema der Inkarnation auch STRAW, Gregory the Great, 147ff.; SCHAMBECK, Contemplatio, 102ff., die Gregors Verständnis der Inkarnation jedoch anachronistisch nach modern-dogmatischen Modellen interpretiert. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 93ff. sieht die Inkarnation in erster Linie als Möglichkeit der Rückführung der Kirche und des Einzelnen in der Kirche zu Gott. 155 Mor. XXIX 31,68ff. (1481,20ff. Adriaen) entfaltet diesen Gedankengang ausführlich. Vgl. auch Mor. XIX 15,24 (975,lff. Adriaen); Mor. XXIX 21,69 (1482,35-45 Adriaen); Mor. XXVIII 7,18 (1409,19ff. Adriaen) und KESSLER, Gregor der Große, 225ff. 156 Daß Gregors Auslegung immer wieder um Bilder kreist, die im Sinne der Gottheit und Menschheit des mediator Dei et hominum gedeutet werden, stellt auch S. ZLMDARSSWARTZ, A Confluence of Imagery: Exegesis and Christology according to Gregory the Great, in: Grégoire le Grand, 327-335 im Hinblick auf die Ezechielhomilien fest.

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sischen Formeln wiederholt 157 . Vielmehr bemüht er sich ganz bewußt darum, rechtgläubige Aussagen im Anschluß an das fünfte ökumenische Konzil von Konstantinopel (553) zu treffen, das den vom Kaiser Justinian geförderten Neuchalkedonismus 158 nunmehr für das gesamte Reich 159 , und damit auch für den Westen verbindlich machte160, wo viele die Verurteilung der ,Drei Kapi157

Diesen Eindruck erweckt die Darstellung bei STRAW, Gregory the Great S. 147ff., auch wenn sie, ohne näher darauf einzugehen, 149 und 163 vom Neuchalkedonismus bei Gregor spricht; ihr folgt weitgehend SCHAMBECK, Contemplatio, 102ff. Explizit formuliert KESSLER, Gregor der Große, 231: „In seiner theologisch konservativen Grundhaltung ist Gregor weit davon entfernt, einen originellen Beitrag zu den im sechsten Jahrhundert diskutierten Fragen der Christologie zu leisten; vielmehr beschränkt er sich auf die Wiederholung der orthodoxen Formeln von Chalkedon". 158

Dieser Begriff wurde von J. LEBON, Le monophysisme Sévérien, Étude historique, littéraire et théologique sur la résistance monophysite au concile de Chalcédoine j u s q u ' à la constitution de l'Eglise jacobite, Louvain 1909, in Analogie zu der Unterscheidung zwischen Alt- und Neunicaenismus geschaffen. Sein Schüler C. MOELLER verstand insbesondere die Lehre des Nephalius als den Versuch, einen Ausgleich über den Weg der simultanen Verwendung der Mia-Physis und der chalkedonensischen Duo-PhyseisFormel zu erzielen, vgl. ders.: Néphalius d'Alexandrie, RHE 40, 1944/45, 73-140. Präzisiert wurde diese Bestimmung von M. RICHARD, Le Néo-chalcédonisme, MSR 3, 1946, 156-161, der in der gleichzeitigen Benutzung beider Formeln die Bedingung für die Rechtgläubigkeit sah und neben Nephalius auch auf Johannes Grammaticus, Maxentius und Leontius von Jerusalem verwies. Dieser Sicht schloß sich dann auch C. MOELLER, Le chalcédonisme et le néo-chalcedonisme en Orient de 451 à la fin du V i e siècle, in: A. Grillmeier/H. Bacht (Hg.): Das Konzil von Chalkedon, Geschichte und Gegenwart I: Der Glaube von Chalkedon, Würzburg s 1979, 368-720, an. A. GRILLMEIER, Der Neu-Chalkedonismus, HJ 77, 1958, 61-70, sowie DERS., Jesus der Christus II/2, 450-455 unterscheidet zwischen einem extremen Neuchalkedonismus, der beide Formeln zugleich benutzt sehen will, und einem gemäßigten Neuchalkedonismus, dem es darum geht, Chalkedon mit Cyrill aufzufüllen, ohne den „Mitgebrauch der Mia-Physis-Formel" (ebd. 454) zuzulassen. In diesem letzteren Sinne waren sowohl Justinian als auch Gregor Neuchalkedonier. 159 YG] (JAZU VOR A N E M R HAACKE, Die kaiserliche Politik in den Auseinandersetzungen um Chalkedon (451-553), in: A. Grillmeier/H. Bacht (Hg.): Das Konzil von Chalkedon. Geschichte und Gegenwart II: Entscheidung um Chalkedon, Würzburg 1953, 95-177. Zum Neuchalkedonismus in den östlichen Regionen des Reiches vgl. auch P. ALLEN, Neo-Chalcedonisme and the Patriarchs in the Late Sixth Century, Byzantion 50, 1980, 5-17. Über die bei P. T. R. GRAY, Art. Neuchalkedonismus, in: T R E XXIV, Berlin/New York 1994, 289-296, verzeichnete Literatur hinaus sei noch auf hingewiesen auf J. VAN OORT/J. ROLDANUS (Hg.), Chalcedon: Geschichte und Aktualität. Studien zur Rezeption der christologischen Formel von Chalkedon, Leuven 1997. 160 y g ) f(IR JEN Westen besonders A. GRILLMEIER, Vorbereitung des Mittelalters. Studie über das Verhältnis von Chalkedonismus und Neuchalkedonismus in der lateinischen Theologie von Boethius bis zu Gregor d. Gr., in: A. Grillmeier/H. Bacht (Hg.): Das Konzil von Chalkedon. Geschichte und Gegenwart II: Entscheidung um Chakedon, Würzburg 1953, 791-839; P. GALTIER, L'occident et le néochalcédonisme, Gregorianum 40, 1959, 54-74; D. WYRWA, Drei Etappen der Rezeptionsgeschichte des Konzils von Chalkedon im Westen, in: Chalkedon: Geschichte und Aktualität, 147-189.

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

165

tel' nach w i e vor für e i n e n Verrat an Chalkedon hielten 1 6 1 . Offenbar m u ß t e sich Gregor während der Zeit s e i n e s Aufenthaltes in Konstantinopel intensiver mit den noch immer leidenschaftlich und äußerst kontrovers diskutierten P r o b l e m e n der Christologie beschäftigen als ihm lieb war 1 6 2 . Hier festigte er s e i n e Ü b e r z e u g u n g , d i e ihn bereits direkt nach s e i n e r R ü c k k e h r aus der Hauptstadt des R e i c h e s , n o c h als päpstlicher Apokrisiar 1 6 3 , und später dann als Papst beharrlich für die A n e r k e n n u n g des f ü n f t e n K o n z i l s und für die Ü b e r w i n d u n g des ,Drei-Kapitel-Schismas' eintreten ließ 1 6 4 . D e s h a l b verwundert es nicht, daß er sich s c h o n in den frühen Moralia in Job als Vertreter der n e u c h a l k e d o n e n s i s c h e n Christologie zu erkennen gibt, w e l c h e er dann als Papst im W e s t e n verteidigen und verbreiten sollte 1 6 5 . S o liest sich seine betont christologische A u s l e g u n g von Hiob 28,19: Non adaequabitur ei topazium de Aethiopia fast w i e ein Bekenntnis 1 6 6 und w i e ein A u s w e i s der e i g e n e n Rechtgläubigkeit im A n s c h l u ß an die A u s f ü h r u n g e n des K o n z i l s 1 6 7 . G e n a u s o w i e das K o n z i l grenzt sich Gregor zunächst nachdrücklich g e g e n den Häresiarchen Nestorius und all s e i n e Vorläufer ab, die Christus als e i n e n durch die göttliche Gnade z u m S o h n Gottes gemachten M e n s c h e n a n s e h e n und damit 161

Vgl. zum Drei-Kapitel-Schisma die ausführliche Darstellung bei L. DUCHESNE, L'Église au sixième siècle, Paris 1925, 156-255; MEYENDORFF, Unité, 250ff. 162 Ygi z u m Bericht über die Auseinandersetzung mit dem Patriarchen Eutychios von Konstantinopel über die Auferstehungsleiblichkeit, Mor. XIV 5 6 , 7 2 - 7 4 ( 7 4 3 , 1 1 6 - 7 4 5 , 8 5 Adriaen), auch unter 6 . 1 . 3 . Erst unter der Perspektive moderner dogmengeschichtlicher Handbücher erscheint es so, als sei „die Zeit der großen dogmatischen Kontroversen vorüber", wie FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 2 3 9 für das Ende des sechsten Jahrhunderts meint feststellen zu können. 163 YGI MGH [[ App. III, 449-467. Dieser dritte Brief an die Gemeinden in Istrien, die dem päpstlichen Stuhl vorwarfen, seine Position hinsichtlich des fünften Konzils geändert zu haben, dürfte nicht von Pelagius II, sondern von Gregor noch in Konstantinopel oder unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Rom geschrieben worden sein, vgl. dazu P. MEYVAERT, A letter of Pelagius II composed by Gregory the Great, in: Gregory the Great. A Symposium, 94-116; ähnlich bereits CASPAR, Geschichte II, 371ff. Meyvaert vermutet, daß Gregor in Konstantinopel auf griechisches Material zurückgegriffen habe, vgl. dazu auch R. SCHIEFFER, Zur Beurteilung des norditalischen Dreikapitel Schisma, ZKG 87, 1976, 167-201, hier 189-192. 164 YGI GRILLMEIER, Vorbereitung, 833f. zu Gregors Aussagen über das Konzil von Konstantinopel und zu seiner Haltung im Drei-Kapitel-Streit, wie er sie in seinen Briefen zur Sprache bringt. Auf Gregors Christologie oder die Moralia in Job geht Grillmeier nicht ein. Vgl. zu Gregors Politik im Hinblick auf das Drei-Kapitel-Schisma auch MARKUS, Gregory the Great, 1 2 5 - 1 4 2 . 165 GRAY, Neuchalkedonismus, 294 erklärt lapidar: „Diese Christologie erlangte weite Verbreitung durch Gregor den Großen, der sechs Jahre in Konstantinopel verbracht hatte". 166 Auch in der Auseinandersetzung mit Eutychios hatte Gregor häufiger sehr betont von Bekenntnis gesprochen, vgl. Mor. XIV 57,77 (746,9-14 Adriaen) und das Bekenntnis des Eutychios in Mor. XIV 56,74 (745,76ff. Adriaen). 167 Mor. XVIII 52,85 (948,32ff. Adriaen).

166

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behaupten, Christus wäre der eine seiner Menschheit nach und ein anderer seiner Gottheit nach gewesen 168 . Anschließend beschreibt er die rechtgläubige Christologie, nicht ohne sich dabei ausdrücklich auf die chalkedonensischen Formeln zu beziehen. Auffällig ist allerdings, daß Gregor wie selbstverständlich von Christus als unus ex utraque et in utraque natura spricht169 und damit eine Formulierung verwendet, die das Konzil von Chalkedon noch in aller Deutlichkeit abgelehnt hatte. Sie wurde erst im sechsten Jahrhundert von den Vertretern des Neuchalkedonismus gebraucht, die die Vorstellung von einer hypostatischen Union der Naturen in der Person des Mensch gewordenen Gottessohnes entwickelten, um Cyrills antinestorianische Lehre vom Logos als der fleischgewordenen Natur Christi mit der Begrifflichkeit des Konzils von Chalkedon auszudrücken170. Diese Lehre faßte der Kaiser Justinian in seinem Dekret über den rechten Glauben (Confessio fidei) von 551 zusammen 171 , das nicht nur viele Formulierungen des Konzils von 553 vorwegnimmt, sondern auch die von Gregor bezeugte Synthese Christi ,aus zwei Naturen' und ,in zwei Naturen' enthält172. Im Vorwort zum 29. Buch seines Kommentars zeigt Gregor einmal mehr, daß er voll und ganz hinter dem justinianischen Neuchalkedonismus und den Beschlüssen des fünften Konzils von Konstantinopel steht. Nachdrücklich 168

Mor. XVIII 52,85 (948,32-47 Adriaen). Obwohl Nestorius nicht genannt wird, ist dennoch offenkundig, daß nur er gemeint sein kann, vgl. auch FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 242 und EVANS, Thought, 130. Das vierte Anathema des Konzils von Konstantinopel hatte dieses Verständnis der Einung des Gott-Logos mit dem Menschen ausdrücklich abgewiesen, vgl. ACO IV,1, 215,26-216,15. 169 Mor. XVIII 52,85 (948,47-949,72 Adriaen). Vor allem die letzten Zeilen spiegeln die Bezugnahme auf Chalkedon: ... manens unus ex utraque et in utraque natura, nec naturarum copulatione confusus, nec naturarum distinctione geminatus. Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 169f.; SCHAMBECK, Contemplatio, 138, denen jedoch der entscheidende Unterschied zu den Formulierungen des Chalkedonense entgangen ist. 170 Diese Formel wird von den skythischen Mönchen als frühen Vertretern des Neuchalkedonismus ebenso verwendet, Maxentius: Responsio contra Acephalos II 3 (CChr.SL 85A, 44,25 Glorie) und dazu W Y R W A , Drei Etappen, 188, wie von dem späteren Leontius von Jerusalem, vgl. dazu GRILLMEIER, Jesus der Christus II/2, 453. 171 Der Text findet sich sowohl griechisch als auch lateinisch bei E. SCHWARTZ, Drei dogmatische Schriften Justinians, Abhandlungen der bayrischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Abteilung, Neue Folge 18, München 1939, 71-111. Zum lateinischen Text vgl. auch R. SCHIEFFER, Zur lateinischen Überlieferung von Kaiser Justinians O^ioAoyia xr|S op0f|s TTIOTECOS (Edictum de recta fide), Kleronomia 3, 1971, 285-301, und DERS, Nochmals zur lateinischen Überlieferung von Justinians O^oXoyia T?|S op0i)s rrioTScos (Edictum de recta fide), Kleronomia 4, 1972, 267-284. 172 Y G ] SCHWARTZ, Drei dogmatische Schriften, 75,16-19: unde ex utraque natura, id est ex deitate et humanitate unum Christum compositum [...] et in utraque autem natura, id est in diuinitate et humanitate, unum dominum nostrum Iesum Christum dei uerbum incarnatum et hominem factum cognoscentes .... Vgl. auch GRILLMEIER, Jesus der Christus II/2, 456.

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

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bekennt er sich an dieser Stelle zur Lehre von den zwei Geburten Christi, der die eine uirtus et sapientia Dei ist: die eine sei seine Geburt vom Vater in Ewigkeit und die andere die von der Mutter aus der Zeit173. Alle, die sich dieser Aussage nicht anschließen konnten, wurden vom Konzil mit dem Anathema belegt174. Auf die Einung der Naturen im fleischgewordenen Gottessohn kommt Gregor etwas genauer in seiner Auslegung der Überschattung Mariens nach Lk. 1,35: Virtus altissimi obumbrabit tibi zu sprechen175. Da ein Schatten nur entstehen kann, wenn Licht auf einen Körper fällt, kann diese Stelle in Gregors Deutung nur meinen, daß das unkörperliche göttliche Licht im Leib der Maria einen Leib angenommen habe176. Interessant ist, daß Gregor in diesem Zusammenhang auch auf die Vermittlertätigkeit der Seele eingeht177, die er im Zusammenhang von Hiob 38,19: deridet equitem et ascensorem eins näher beschreibt. Hier setzt er das Fleisch Christi mit dem Pferd gleich, den Reiter mit der Seele, und den ascensor mit dem Logos178. Um die Einheit der Person Christi zu wahren, so Gregor, müsse man sich vorstellen, daß der Logos den Reiter in dem Moment besteigt, in dem dieser sich im Schoß der Jungfrau das beseelte Fleisch erschafft 179 . Gregor nutzt das Bild vom Pferd, Reiter und ascensor, um zu veranschaulichen, daß die Einung der Naturen zustande kommt, indem sich der Gott-Logos mit dem mit einer vernünftigen Geist-Seele begabten Fleisch verbindet180. Genau diese Auffassung von der

173

Mor. XIX 1,1 (1434,Iff. Adriaen); besonders 26f.: Natus igitur ex Patre sine tempore, ex matre nasci est dignatus in tempore... 174 ACO IV,1, 215,15-18: Si quis non confitetur dei uerbi duas esse natiuitates, unam quidam ante saecula ex patre sine tempore incorporaliter, alteram uero in ultimis diebus eiusdem ipsius qui de caelis descendit et incarnatus de sancta gloriosa dei genetrice et semper uirgine Maria natus est ex ipsa, talis anathema sit. Ganz ähnlich schon Justinians Dekret aus dem Jahre 551, vgl. SCHWARTZ, Drei dogmatische Schriften, 73,29-32. 175 Mor. XVIII 20,33 (907,32-41 Adriaen); Mor. XXXIII 3,5 (1673,1-12 Adriaen); vgl. auch die Auslegung Leos im Tomus Leonis ACO 11,2,1, 26,19ff. 176 Mor. XXXIII 3,5 (1673,10-12 Adriaen): Quia enim umbra non aliter exprimitur, nisi per lumen et corpus, uirtus ei Altissimi obumbrauit, quia in eius utero lux incorporea corpus sumpsit. 177 Mor. XVIII 20,33 (907,34-37 Adriaen): Vmbra enim a lumine formatur et corpore. Dominus autem per diunitatem lumen est, qui mediante anima, in eius utero fieri dignatus per humanitatem corpus. 178 Mor. XXXI 23,42 (1578,Iff. Adriaen). 179 Mor. X X X I 23,42 (1578,9-12 Adriaen): Nam custodita unitate personae ualet intellegi, quia Verbum Dei tunc equitem ascendit, quando animatam carnem sibi uterum uirginis condidit, vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 165, die zur Vermittlungstätigkeit der Seele jedoch nur auf einige Parallelen bei Augustin und Ambrosius hinweist. 180 Vgl. auch Mor. XXXIII 16,32 (1701,17-19 Adriaen). Gregor ist damit präziser als Leo, der im Tomus ACO 11,2,1 2 7 , l f . bemerkt hatte:... hoc est in ea carne quam sumpsit ex homine et quam spiritu uitae rationalis animauit.

168

Kapitel 7

Einung der Naturen hatte sich das K o n z i l v o n Konstantinopel 1 8 1 nach d e m Dekret Justinians von 5 5 1 zu e i g e n gemacht 1 8 2 . D e n g l e i c h e n Sachverhalt findet Gregor auch wieder, w e n n er mit Ez. 1,4 das Elektron als e i n e M i s c h u n g aus Silber und G o l d ausdeutet, w e l c h e das Silber heller leuchten läßt und den Glanz des G o l d e s mildert 1 8 3 . D e r u m der M e n s c h e n w i l l e n aus göttlicher und m e n s c h l i c h e r Natur z u s a m m e n g e s e t z t e Christus veredelte also die m e n s c h l i c h e Natur und mäßigte die göttliche für unseren Anblick 1 8 4 . A u f der E b e n e des Metalls kann Gregor o h n e j e d e Einschränkung v o n einer V e r m i s c h u n g sprechen, für die Person Christi schließt sich dieser Sprachgebrauch j e d o c h aus. Gregor wählt deshalb, sicherlich mit Bedacht, d i e Formulierung ex diuina atque humana natura compositus, mit der im sechsten Jahrhundert die Einung Christi positiv g e g e n ü b e r der nestorianischen Trennung und der e u t y c h i a n i s c h e n V e r m i s c h u n g verstanden und begrifflich gefaßt werden konnte 1 8 5 . D i e R e d e v o n der compositio Christi aus den beiden Naturen wurde insbesondere für Kaiser Justinian 1 8 6 z u m Leitbegriff für seine Christologie 1 8 7 . M i t s e i n e m Edikt v o n 5 7 1 übernahm Justin II. 188 t e i l w e i s e sogar den g e n a u e n

181

ACO IV,1,215,26-216,15. S C H W A R T Z , Drei dogmatische Schriften, 75,28f: in utero sanctae uiriginis creauit sibi ex ipsa in sua subsistentia carnem animatam animam rationabili et intellectuali, quod est natura humana. Zur Übernahme der Definitionen des justinianischen Dekrets auf dem fünften Konzil vgl. auch G R I L L M E I E R , Jesus der Christus II/2, 469. 183 Mor. XXVIII 1,5 (1397,88-1398,91 Adriaen). 184 Mor. XXVIII 1,5 (1398,92-95 Adriaen): Quid ergo in electro nisi Mediator Dei et hominum demonstratur? Qui dum semetipsum nobis ex diuina atque humana natura composuit et humanam per deitatem clariorem reddidit, et diuinam per humanitatem nostris aspectibus temperauit. 1 8 5 V G L . auch G R I L L M E I E R , Jesus der Christus I I / 2 , 3 5 2 : „Mit einer bemerkenswerten Häufigkeit beginnt sich auch innerhalb der chalcedonensischen Christologie des 6. Jahrhunderts der Begriff der Synthesis (compositio, Zusammensetzung) für die Deutung der Einheit in Christus einzunisten". 186 Vgl. S C H W A R T Z , Drei dogmatische Schriften, 75,16f. E * deitate et humanitate unum Christum compositum; wieder und wieder heißt es in diesem Dekret, Christus sei aus menschlicher und göttlicher Natur zusammengesetzt, vgl. ebd. 77,33-35, 81,15, 83,12.25, 85,3.6.16, 87,22f.38, 89,1 u.ö. Vgl. auch die Formulierung in ACO IV,1, 216,5f.: secundum compositionem sive subsistentiam factam esse, sicut sancti patres docuerunt, et ideo unam eius subsistentiam compositam, qui est dominus noster lesus Christus. 187 Vgl. G R I L L M E I E R , Jesus der Christus II/2, 456: „Seit dem Auftreten der skytischen Mönche in Konstantinopel hat das Wort .Zusammensetzung' (synthesis, synthetos; compositio, compositus) zunehmend eine Rolle gespielt. Nun wird es zum Leitwort der Christologie Justinians". 188 Zu seiner Religionspolitik vgl. auch A. C A M E R O N , The early religious policies of Justin II, SCH 13, 1973, 51-67. 182 YGJ

Der totus Christus zwischen Erniedrigung

und Erhöhung

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Wortlaut der Confessio fidei seines Vorgängers Justinian 189 und bekräftigte somit die neuchalkedonensische Christologie, die von Christus als dem göttlichen Logos sprach, der auch als Fleisch Gewordener eine aus menschlicher und göttlicher Natur zusammengesetzte Hypostase bleibt 190 . Diese Christologie, nach der Jesus Christus als der ewige Logos und Sohn des Vaters eine vollständige, aus Leib und Seele bestehende menschliche Natur annahm, indem er sie für sich erschuf, um in ihr nun menschlich und damit für die Menschen sichtbar zu existieren 191 , hält Gregor ganz offenbar für die allein verbindliche und rechtgläubige Christologie 192 , die zudem vollkommen mit dem Tomus Leonis übereinstimmt, der auf dem fünften Konzil wiederholt und noch einmal ausdrücklich bestätigt wurde 193 . Schon Leo der Große hatte die doppelte Genitura des Gottessohnes ex paire vor der Zeit und ex Maria virgine in der Zeit hervorgehoben 194 , und die Nähe zwischen Leo und Gregor zeigt sich insbesondere bei dessen Auslegung der gegen den Satan gerichteten göttlichen Frage Hiob 1,8: Numquid conside-

rasti seruum meum Job, quod non sit ei similis in terra ?195

Gregor verdichtet an dieser Stelle schon zuvor getroffene christologische Aussagen, wonach mit Hiob auf den leidenden Christus verwiesen wird 196 , der auf Erden nicht seinesgleichen hat, weil nur er zugleich Gott und Mensch war und nicht wie ein bloßer Mensch von Gott adoptiert werden mußte 197 . Die menschliche Gestalt, die er annahm, minderte weder seine Göttlichkeit, noch 189 Zu den wörtlichen Übernahmen vgl. auch F. WINKELMANN, Die östlichen Kirchen in der Epoche der christologischen Auseinandersetzungen, Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen 1,6, Berlin 1980, 104-106. 190 Vgl. Evagrius Schol. HE V 4 (Bidez-Parmentier, 197,28-201,11), vgl. dazu auch GRILLMEIER, Jesus der Christus II/2, 508-511. 191 Bisweilen betont Gregor die Gottheit des inkarnierten Logos so stark, daß seine Menschheit zu verblassen droht, vgl. z.B. Mor. V 18,37 (244,66-71 Adriaen): Vt ergo uindictam cogitans Dominus demonstretur, flare irascendo dicitur; non quo ipse in natura sua mutabilitatis uicissitudinem recipiat sed quo post longam patientiam, quando uindictam peccatoris exsequitur, is qui in semetipso tranquillus est, pereuntibus turbulentus uidetur. DUDDEN, Gregory the Great II, 329-335 hat ihm deshalb Doketismus vorgeworfen. Dagegen richtet sich jedoch zu Recht die Kritik von J. LEBON, Le prétendu docétisme de s. Grégoire le Grand, RechTh 1, 1929, 177-201; vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 168. 192 Es bleibt daher unverständlich, weshalb GALTIER, L'occident, 67ff. der Ansicht ist, Gregor beziehe sich ausschließlich auf die Aussagen des Konzils von Chalkedon. 193 ACO IV,1, 167-172. 194 ACO 11,2,1, 25,12ff. FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 367f. kann jedoch kaum Gemeinsamkeiten zwischen Leo und Gregor entdecken. 195 Mor. II 23,42 (85,Iff. Adriaen). 196 Praef. 16 (20,2f. Adriaen); Mor. I 11,15 (31,1 ff. Adriaen). 197 Mor. I 18,26 (39,8-11 Adriaen): Omnes qui in fide Deo nascuntur, superat; quia non ut ceteros adoptio sed natura ilium diuinitatis exaltat, qui etsi humanitate ceteris apparuit similis diuinitate tarnen mansit supra omnia singularis.

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Kapitel 7

verkürzte die göttliche Natur seine Menschheit, wie Gregor mit Bezug auf Phil. 2,6f. noch einmal ausdrücklich feststellt 198 . Er bezieht sich damit auf einen Text, der nicht nur im Dekret Justinians als wichtigste Belegstelle für die eine Hypostase in und aus zwei Naturen genannt wird199, sondern auch für den Tomus Leonis200 von zentraler Bedeutung war. Christus entäußerte sich selbst, indem er, der in seiner Größe unsichtbar blieb und aufgrund seiner Gottheit alles durchwirkte, sichtbar wurde und die forma serui annahm 201 . Mit dieser Aussage, die für Gregor von erheblicher Tragweite ist und im Verlauf seines Kommentars zum Buch Hiob noch häufiger begegnet, lehnt er sich wiederum an Formulierungen Leos an, der ebenfalls betont hatte, daß sich der unsichtbare Christus in seiner Menschwerdung erniedrigte und sichtbar wurde, wodurch jedoch keine seiner beiden Naturen eine Einbuße erfuhr 202 . Ebenso wie Leo legt auch Gregor Wert darauf, daß der seinem Wesen nach Unsichtbare, indem er die menschliche Natur annahm, sichtbar wurde, ohne dadurch seine göttlich unsichtbare Natur aufzugeben 203 . Immer wieder weist Gregor darauf hin, daß der Erlöser aufgrund seiner Gottheit der Welt und jedem Menschen überlegen bleibt204. Christus ist mit keinem Menschen zu vergleichen, denn er besaß aufgrund seiner Gottheit, was kein

198

Mor. II 23,42 (85,1 Iff. Adriaen); vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 170. Vgl. SCHWARTZ, Drei dogmatische Schriften, 75,29-35 und 87,35-38. 200 ACO 11,2,1 27,11-14: adsumpsit formam serui sine sorde peccati, humana augens, diuina non minuens, quia exinanitio illa qua se inuisibilis uilibilem praebuit et creator ac dominus omnium rerum unus uoluit esse mortalium, inclinaüo fuit miserationis, non defectio potestatis. proinde qui manens in forma dei fecit hominem, in forma serui factus est homo, tenet enim sine defectu proprietatem suam utraque natura et sicut formam serui dei forma non adimit, ita formam dei serui forma non minuit-, vgl. dazu auch WYRWA, Drei Etappen, 160. 199

201

Mor. II 23,42 (85,16-19 Adriaen): ... ei semetipsum exinanisse, est ab inuisibilitatis suae magnitudine se uisibilem demonstrasse ut serui forma tegeret hoc quod incircumscripte omnia ex diuinitate penetraret. Vgl. auch SCHWARTZ, Drei dogmatische Schriften, 77,10f.: ... et cum inuisibilis in suis esset, uisibilis factus est in nostris. 202 H. ARENS, Die christologische Sprache Leos des Großen. Analyse des Tomus an den Patriarchen Flavian, PThSt 122, Freiburg 1982, 354ff. weist auf, daß Leo in seinem Tomus mit Selbstzitaten aus seinen eigenen Predigten arbeitet, die ihrerseits wiederum sehr häufig auf augustinischen Texten basieren. 203 Zu dem von Leo häufig verwendeten Satz: inuisiblis in suis uisibilis est factus in nobis (ACO 11,2,1, 28,2f.), der sich auch in Justinians Dekret (SCHWARTZ, Drei dogmatische Schriften, 77,10f.) findet, vgl. auch ARENS, christologische Sprache 382f. und 438f. 204 Mor. I 18,26 (39,9-11 Adriaen): quia etsi humanitate ceteris apparuit similis diuinitate tarnen mansit supra omnia singularis; Mor. XXXIV 23,54 (1771,180f. Adriaen): Redemptor autem noster magnus manens supra omnia, fieri inter omnia dignatus est paruus; Mor. XXIV 2,3 (1190,51-1191,54 Adriaen): Quia igitur Dominus uere natus, uere mortuus, uere resuscitatus, in omnibus tamen distat a nobis magnitudine potentiae, sedsola concordat nobis ueritate naturae...

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

171

Mensch je von sich aus hatte205. Als solcher wurde er allein um der Menschen willen zum mediator Dei et hominum206 und nahm die menschliche Natur an, weil ihn der Mensch seiner Gottheit nach nicht erfassen konnte. Doch auch als der Inkarnierte war er zugleich in seiner Gottheit unsichtbar und für den Menschen nicht zu durchdringen207. Aufgrund seines Fleisches wurde Christus für uns begreifbar und verständlich, während er in seiner Gottheit dem Verständnis des Menschen entzogen bleibt208. Daß der Fleisch gewordene Gottessohn in seiner Person Mensch und Gott, und damit Sichtbares und Unsichtbares, miteinander vereint hat, ist für Gregors Hiobkommentar, der nicht die Christologie als solche darstellen oder verteidigen, sondern die Bedeutung der Einung der beiden Naturen in Christus für die Kirche als den Leib Christi und für ihre praedicatores aufzeigen und entfalten will, von ganz besonderem Interesse209. Mit seiner sichtbaren Menschheit und Niedrigkeit weist der inkarnierte Christus der Kirche als seinem angenommenen Leib ihren Weg in der Welt. Dieser führt nur über die demütige Nachfolge zu der von ihm neu eröffneten unsichtbaren Herrlichkeit, während ihr die bleibend unsichtbare Gottheit und Macht des Inkarnierten bis zum Ende dieser Welt verschlossen bleibt.

205

Er kann weder mit den ersten Menschen, noch mit den Engeln, vgl. Mor. XVIII 47,75 (939,15-940,22 Adriaen), noch mit Propheten oder Aposteln verglichen werden, vgl. Mor. XVIII 47,76 (940,40-43 Adriaen): Ei qui homo inter homines cernitur, nec in antiquis quisquam, nec in nouis patribus aequatur, quia ex Deitate habet quod in humanitate quemquam similem non habet. Er kann auch nicht mit legislatores gleichgesetzt werden, wie Gregor als Auslegung zu Hiob 36,22: Ecce Deus excelsus in fortitudine sua, et nullus ei similis in legislatoribus; Mor. XXVII 2,3 (1332,2f. Adriaen) erläutert: Qui humilis uidebitur in infìrmitate, excelsus manet in fortitudine... 206 Zur altabendländischen Tradition der Formel: mediator Dei et hominum (nach l.Tim. 2,5), die bei Leo (ACO 11,2,1, 27,5f.) und gehäuft bei Gregor begegnet, vgl. auch P. CATRY, L'amour du prochain chez saint Grégoire le Grand, StMon 20, 1978, 287-344, hier 299 mit Anm. 62, und BEYSCHLAG, Grundriß der Dogmengeschichte II/l, 96 Anm. 168. 207

Mor. V 34,63 (262,55-58 Adriaen); Mor. XVI 30,37 (821,29ff. Adriaen); Mor. XIX 30,53 (997,11-13 Adriaen): Creator quippe qui in diuinitate uideri non poterai, assumpsit a nobis unde uideretur a nobis\ Mor. XX 36,69 (1054,27-30 Adriaen); Mor. XXXIV 23,54 (1770,169ff. Adriaen); vgl. dazu auch STRAW, Gregory the Great, 62. 208 Mor. XXVII 5,8 (1335,14-21 Adriaen); Mor. XVII 27,39 (874,30-33 Adriaen): Tu qui ex carne comprehensibilis factus es, ex diuinitate tua intellegentiam nostri sensus excede et in teipso nobis incomprehensibilis permane. Tenet ergo uultum solii sui, quia maiestatis suae potentiam mortalibus abscondit. Zu Leos Formulierung: inconprehensibilis uoluit conprehendi (ACO 11,2,1, 28,3), vgl. auch ARENS, Christologische Sprache, 439f. 209 Daß es ihm nicht um die Entfaltung der Christologie als solcher geht, zeigt die Bemerkung in Mor. XVIII 52,85 (949,69-72 Adriaen): manens unus ex utraque et in utraque natura, nec naturarum copulatione confusus, nec naturarum distinctione geminatus. Sed quia non haec tractanda suscepimus, ad exponendi ordinem redeamus.

Kapitel 7

172

J e d o c h v e r m a g der L e i b Christi, d e m g n ä d i g e r ö f f n e t w o r d e n ist, daß Christus nicht nur M e n s c h , sondern auch v o n göttlicher Natur war, zu verstehen, daß in Christus der u n z u g ä n g l i c h e S c h ö p f e r selbst M e n s c h g e w o r d e n ist 210 . Somit verlieren auch seine iudicia occulta trotz ihrer bleibenden Unverständlichkeit ihren Schrecken, s o daß der Leib Christi unbedingtes Vertrauen in den g l e i c h w o h l unerforschlichen göttlichen Heilsplan haben kann. 7.3.1. Die Erniedrigung andere Lebensfiihrung

des Gottessohnes

als sichtbares

Vorbild fiir eine

Für Gregor liegt es auf der Hand, daß die Inkarnation und Erniedrigung Christi seine humanitas als humilitas für den M e n s c h e n sichtbar g e m a c h t und diejenigen, die ihm glauben und n a c h f o l g e n , ebenfalls mit D e m u t und N i e d rigkeit erfüllt 2 1 1 . D e n n indem der unsichtbare Gott um der M e n s c h e n w i l l e n sichtbar wurde, so erläutert Gregor im Rückgriff auf e i n e lange Tradition 2 1 2 , die sich nicht nur im Osten 2 1 3 , sondern auch im W e s t e n , und hier vor a l l e m bei A u g u s t i n und dementsprechend w i e d e r u m besonders h e r v o r g e h o b e n bei

210

noster

Zu d e m von G r e g o r sehr h ä u f i g v e r w e n d e t e n Begriff des conditor vgl. auch FlEDROWICZ, K i r c h e n v e r s t ä n d n i s , 94.

et

redemptor

211 Mor. II 35,58 (96,46-48 Adriaen): Bene autem dicitur [...] quia dum ipse humilitatem carne suscepit, in se credentibus uota humilitatis infudit. Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 171f., die in diesem Zusammenhang auch auf Gemeinsamkeiten mit Leo tract. XXIII 5 hinweist. 212 Mor. II 24,43 (86,2-7 Adriaen): Venit namque inter homines Mediator Dei et hominum, homo Christus lesus ad praebendum exemplum uitae hominibus, simplex; ad non parcendum malignis spiritibus, rectus; ad debellandam superbiam, timens Deum; ad detergendam uero in electis suis uitae immunditiam, recedens a malo. Vgl. zur Nachahmung des exemplum Christi auch Mor. II 35,57 (95,25ff. Adriaen); Mor. IX 38,61 (501,37ff. Adriaen); Mor. XXI 6,11 (1073,21-24 Adriaen); Mor. XXIV 2,2 (1189,181190,24 Adriaen); Mor. XXIX 1,1 (1434,13-15 Adriaen) u. ö. Schon Ignatius von Antiochien sah den Weg zum Heil als Nachahmung des Leiden Christi, das das Leben des Menschen bestimmen soll, vgl. dazu T. PREISS, La mystique du l'imitation du Christ et de l'unité chez Ignace d'Antioche, RHPhR 17, 1938, 197-242; E. J. TlNSLEY, The imitatio Christi in the Mysticism of St. Ignatius of Antioch, StP 2 = TU 64, Berlin 1957, 553560. Vgl. insgesamt auch A. HEITMANN, Die ethische Nachahmung Gottes nach der Väterlehre der zwei ersten Jahrhunderte, Rom 1940; SCHAMBECK, Contemplatio, 132135. 213 Zum Christusgeschehen als Paideia in der griechischen Tradition, vgl. vor allem W. JÄGER, Paideia Christi, ZNW 50, 1959, 1-14; zu Clemens von Alexandrien vgl. W. BIERBAUM, Geschichte als Paidagogia Theou. Die Heilsgeschichtslehre des Klemens von Alexandrien, MThZ 5, 1954, 246-272; J. WYTZES, Paideia and Pronoia in the works of Clemens Alexandrinus, VigChr 9, 1955, 148-158; zu Origenes vgl. H. KOCH, Pronoia und Paideusis. Studien über Origenes und sein Verhältnis zum Piatonismus, AKG 2,2, Berlin/Leipzig 1932; H. CROUZEL, Théologie de l'image de Dieu chez Origène, Paris 1956.

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

173

L e o 2 1 4 findet, brachte er nicht nur die B e z i e h u n g z w i s c h e n Gott und M e n s c h w i e d e r ins G l e i c h g e w i c h t , u m die in t e u f l i s c h e n H o c h m u t und Sünde verstrickten M e n s c h e n zu befreien und zu erhöhen 2 1 5 , sondern gab den M e n s c h e n z u g l e i c h ein B e i s p i e l , das sie mit ihrem e i g e n e n L e b e n n a c h a h m e n s o l l e n . Letztlich ist es a l s o Gott selbst, der die s ü n d i g e n M e n s c h e n korrigiert und wieder auf den W e g der Gerechtigkeit bringt, d o c h mußte Gott dazu M e n s c h und damit für die M e n s c h e n sichtbar werden, u m ihnen e i n e verstehbare forma imitationis g e b e n zu können 2 1 6 . Gregor betont, daß der e w i g e und in der V o l l k o m m e n h e i t g e z e u g t e Christus d e m M e n s c h e n ein B e i s p i e l gab, indem er d e m Vater g e g e n ü b e r gehorsam war 2 1 7 und sich zur m e n s c h l i c h e n S c h w a c h h e i t herabneigte, u m die M e n s c h e n nach d e m V o r b i l d d e s Vaters v o l l k o m m e n zu machen 2 1 8 . W e i l er in seiner Göttlichkeit v o n den M e n s c h e n nicht erkannt w e r d e n konnte 2 1 9 , wurde Christus M e n s c h und kam in m e n s c h l i c h e r Natur, u m v o n

214 Augustin De vera rel. 32 (CChr.SL 32, 207,43-53 Daur) sieht den Grund für die Inkarnation darin, den Menschen ein Beispiel für ihr Verhalten zu geben, vgl. dazu auch W. GEERLINGS, Christus Exemplum. Studien zur Christologie und Christusverkündigung Augustins, TTS 13, Mainz 1978. Für Leo, der deutlich von Augustin beeinflußt ist, vgl. Tract. 45,2 (CChr.SL 138A, 265,50ff. Chavasse); Tract. 63,1 (382,lff. Chavasse); Tract. 67,5 (411,95ff. Chavasse). Der letzte Abschnitt des Tomus Leonis hebt die imitatio des Christus humilis besonders hervor, vgl. ACO 11,2,1, 32,21ff. Vgl. auch BEYSCHLAG, Grundriß der Dogmengeschichte II/l, 100-112: Die abendländische Demutschristologie (Exkurs). 215 Vgl. die knappe Formulierung Mor. XXXII 5,6 (1631,10-12 Adriaen): Sed omnipotens Deus ad sua nos trahens, usque ad nostra se humiliat, atque ut alta insinuet, humilibus condescendit... Vgl. auch Mor. XVI 30,37 (821,26ff. Adriaen) und dazu auch STRAW, Gregory the Great, 152f.; Mor. XX 36,69 (1054,29f. Adriaen): Sed ut ad internas diuitias rediret homo, foras apparere dignatus est pauper Deus. Mor. XVIII 34,54 (921,lff. Adriaen) vergleicht Gregor Christus mit einem Raubvogel, der von der Höhe seiner Gottheit den sterblichen Menschen erblickte, sich erniedrigte und um der Menschen willen sterblich wurde, um den Menschen zur Auferstehung zu führen; vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 146f. 216 Mor. XXIV 2,2 (1189,17-1190,24 Adriaen): Vitiosus enim homo corrigi non imitationis poterat nisi per Deum. Videri autem debuit qui corrigebat, ut praebendo formam, anteactae malitiae mutaret uitam. Sed uideri ab homine non poterat Deus; homo ergo factus est, ut uideri potuisset. Iustus igitur atque inuisibilis Deus, apparuit similis nobis homo uisibilis, ut dum uidetur ex simili, curaret ex iusto; et dum ueritate generis concordat conditioni, uirtute artis obuiaret aegritudine. Vgl. auch HALE, L'imitazione, 35. 217 Mor. XXXV 14,28 (1793,160ff. Adriaen), vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 145. 218 Mor. XXIX 1,1 (1434,11-13 Adriaen) mit Bezug auf Mt. 5,48: Estote perfecti, sicut et Pater uester caelestis perfectus est. 219 Zu diesem Problem vgl. auch Mor. XXVII 40,67 (1384,lff. Adriaen) Solange der Mensch noch den Bedingungen dieser Welt unterliegt, kann er das göttliche Licht noch

174

Kapitel

7

den Menschen gesehen zu werden, damit er ihnen ein exemplum gebe, welches sie mit dem eigenen Leben nachahmen können220. Deshalb erschien Christus aber nicht allein sichtbar, sondern zutiefst verachtet; er ertrug Gespött, Schande und Leid, damit der demütige Gott den Menschen durch sein eigenes Beispiel lehre, nicht länger hochmütig zu sein221. Wie wichtig die humilitas für den Menschen in der Nachfolge Christi ist, läßt sich daran ablesen, daß der über alle Maße große Christus sich selbst erniedrigte und klein wurde, um dem Menschen diese Tugend mit seinem eigenen Leben nahezubringen222. Schon mit der Auslegung des ersten Verses des Buches Hiob macht Gregor die Leser auf diese Perspektive seiner Deutung aufmerksam: der inkarnierte Herr, so heißt es dort, zeigte an sich selbst alles, was er in uns hinein gab, indem er dem Menschen das, was er mittels der Gebote befahl, durch sein eigenes Beispiel zu verstehen gab223. Mit der Menschwerdung nahm Christus, so führt Gregor die Auslegung dieses ersten Verses fort, das alte Leben auf sich, verließ es jedoch mit seiner eigenen Lebensführung und prägte denen, die ihm folgen, ein vollkommen neues Leben ein224. Somit spielt Christi Lebensweg, sein Weg in dieser Welt, der von der Menschwerdung und Erniedrigung, dem Leiden und damit zugleich vom Gegensatz zu den Sehnsüchten und Begierden des sündigen Menschen bestimmt war225, in Gregors Interpretation eine ganz entscheidende Rolle. Er versteht Christi Lebensweg in der Erniedrigung immer auch im Sinne eines

nicht vollständig schauen und redet deshalb w i e ein Blinder v o m Licht. D a s E w i g e wird d e m M e n s c h e n erst dadurch bekannt, daß Christus die m e n s c h l i c h e Natur annahm. 220

genere

Mor. X X I X 1,1 ( 1 4 3 4 , 1 3 - 1 5 Adriaen): In illa itaque cognosci

imitaretur. 221

non poterat;

proinde

in humanitatem

natiuitate

diuina

uenit ut uideretur,

ab

uideri

humano uoluit

ut

V g l . auch HALE, L ' i m i t a z i o n e , 3 5 .

Mor. X X X I V 2 3 , 5 4 ( 1 7 7 0 , 1 6 9 f f . Adriaen) V g l . auch STRAW, Gregory the Great,

172; FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 9 6 . Zu Christus als Lehrer der D e m u t v g l . auch GlLLET, Introduction, 9 5 - 9 7 mit V e r w e i s auf Cassian, während SCHAFFNER, Christliche D e m u t , 8 3 f f . i n s b e s o n d e r e auf A u g u s t i n verweist. 222

Mor. X X X I V 2 3 , 5 4 ( 1 7 7 1 , 1 7 3 - 1 7 6 Adriaen): Quanta

propter

quam

passionem 223

factus

ueraciter

edocendam

humilitatis magnus

uirtus est, usque

est, ad

estparuus?

inspirauit,

ostendit

ut quodpraecepto

M o r . I 1 3 , 1 7 ( 3 3 , 9 - 1 2 Adriaen): ... quia

conuersationis

ergo

is qui sine aestimatione

Mor. I 1 3 , 1 7 ( 3 2 , 2 - 4 Adriaen): Incarnatus

quod nobis 224

solam

uitam

deseruit

et nouam,

quam

etenim diceret,

uetustatem secum

Dominus

exemplo

detulit

quam

in semetipso

omne

suaderet. natus

sequacium

inuenit, moribus

humanae impres-

sit. 225

Gregor faßt den G e g e n s a t z des L e b e n s w e g e s des Inkarnierten zu den Erwartungen

der Juden in Mor. II 3 4 , 5 6 ( 9 4 , 1 7 f . Adriaen) knapp z u s a m m e n : Sed uenit, ueniens

noua docuit

docens

mira exercuit,

mira faciens

praua

quia

tolerauit.

expectatus

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

175

Modells für die Lebensführung der Glieder des Leibes Christi, solange diese noch körperlich in dieser Welt leben226. 7.3.1.1. Christi Weg als Modell von der Erniedrigung zur Herrlichkeit Wenn im Hiobtext das Stichwort ,Weg' anklingt, dann nutzt Gregor häufig die Gelegenheit, seinen Lesern nicht nur den Lebensweg des Inkarnierten vor Augen zu stellen, sondern sie zugleich zu ermahnen, diesem auch mit dem eigenen Leben zu entsprechen. So deutet er Hiob 23,11: Vestigia eius secutus est pes meus. Viam eius custodiui et non declinaui im Hinblick auf das Leben und Leiden des inkarnierten Christus und nennt es ein Beispiel für alle Menschen, die seinen Fußspuren mit ihrem Leben nachfolgen 227 . In seiner Auslegung von Hiob 24,23: Oculi enim eius sunt in uiis illius beschreibt Gregor den Weg Christi, auf den der Sünder in dieser Welt blicken soll228. Für die Glieder am Leib Christi gilt es, das Haupt zu betrachten, die eigenen Wege der gewöhnlichen menschlichen Lebensführung zu verlassen und statt dessen die Lebensweise Christi nachzuahmen, indem sie die prospera verachten, sich statt dessen den allgegenwärtigen aduersa stellen und dabei immer nach der Ewigkeit als dem Ort des bleibenden Ruhms fragen 229 . Diejenigen, die Christus nachfolgen, müssen vor allem lernen, zwischen dem Ort des Ruhms und dem Weg dorthin zu unterscheiden. Nur über den Weg der Nachfolge des inkarnierten Christus, der der schmale Weg ist230 und den Jüngern in diesem Leben Anteil am Kelch der Passion gibt, kann der Mensch zur bleibenden Herrlichkeit gelangen. Wer den ewigen Ruhm in der Herrlichkeit erreichen will, muß in diesem Leben Christus nachfolgen und schon hier den Weg der Demut gehen231. Mit Hiob 34,27: Et omnes uias eius intellegere noluerunt232 bezeichnet Gregor das zeitliche Handeln des inkarnierten Gottessohnes wiederum als den 226 Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 172: ,All Christ's life - not just his death upon the Cross - is exemplary of his Passion, his humility and sacrifice". 227 Mor. XVI 33,41f. (824,18ff. Adriaen) Gregor bezieht sich hier zur Erklärung des Textes auf 1. Petr. 2,21: Christus passus est pro nobis, relinquens uobis exemplum ut sequamini uestigia eius. In einem ähnlichen Zusammenhang stellt er auch in Mor. XXI 6,11 (1073,12ff. Adriaen) dieses Zitat. 228 Mor. XVII 7,9 (855,13ff. Adriaen). Vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 96. 229 Mor. XVII 7,9 (855,13-856,27 Adriaen). 230 Wie dieser schmale Weg, den der praedicator gehen soll, aussieht, entfaltet Gregor ausführlich in Mor. XXVII 37,61 (1379,6-15 Adriaen). 231 Mor. XVII 7,9 (856,27-31 Adriaen):... Vnde et eorum mox oculis imitandus calix passionis obicitur, ut uidelicet si ad sublimitatis gaudia tenderent, prius uiam humilitatis inuenirent. Vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 234: „So wie es Gott in seiner Entäußerung vorlebte, ist jetzt der Mensch aufgerufen, den Deszensus Gottes mitzugehen, um an seinem Aszensus teilzuhaben". 232 Mor. XXV 12,30 (1255,18ff. Adriaen).

176

Kapitel

7

Weg 233 , mit dem er anderen ein Beispiel seiner eigenen humilitas gab. Die Hochmütigen, die den Weg der Erniedrigung des Herrn nicht verstehen wollen, sehen in Christi irdischem Leben nichts anderes als Niedrigkeit, Verachtung, Verspottung und Tod und vermögen nicht zu erkennen, daß die künftige Verherrlichung einzig und allein über diesen Weg zu erreichen ist 234 . Ganz ähnlich interpretiert Gregor auch Hiob 21,14: Scientiam uiarum tuarum nolumus2is. Die Ungerechten verachten den Weg Gottes in dieser Welt, der ein Weg der Niedrigkeit und der Demut war. Doch, so betont Gregor mit Nachdruck, im Erlöser kam Gott selbst, um zu leiden, die aduersa dieser Welt gleichmütig zu ertragen und ihre prospera zu meiden. Damit lehrte er die Menschen, die sündige Ordnung umzukehren und geradezu außer Kraft zu setzten, denn sein jetziger Leib soll nunmehr nach dem Vorbild Christi die prospera des ewigen Lebens anstreben und die aduersa des gegenwärtigen Lebens nicht länger fürchten 236 . Christus wurde bei uns nicht nur Mensch, um uns durch sein Blut zu erlösen, so Gregor, sondern auch, um uns und unser Leben durch das von ihm gezeigte Beispiel seines eigenen Lebens nachhaltig zu verändern 237 . Mit seiner Lebensführung bewirkte er demnach zweierlei: indem er Mensch wurde und in diese Welt kam, verwies er den Menschen zum einen auf eine andere und höhere Wirklichkeit; und indem er in dieser Welt selbst als Mensch lebte, lehrte er den Menschen gleichzeitig etwas anderes als die ewige Fortsetzung des teuflischen und sündigen Hochmuts 2 3 8 . Während all die hochmütigen Abkömmlinge Adams die prospera des gegenwärtigen Lebens anstreben, die aduersa meiden, die Schande fliehen und nur ihren eigenen Ruhm suchen, lebte der eingeborene Gottessohn den Menschen ein

233

Mor. X X V 1 2 , 3 0 ( 1 2 5 5 , 2 4 f . Adriaen): Via quippe

actio quam 234

temporaliter

est incarnatae

sapientiae

omnis

gessit.

Mor. X X V 1 2 , 3 0 ( 1 2 5 6 , 4 3 f f . Adriaen); v g l . dazu F i e d r o w i c z : Kirchenverständnis

S. 9 6 . Ä h n l i c h auch Mor. X V I I I 3 4 , 5 4 ( 9 2 2 , 1 9 f f . Adriaen). 235

Mor. X V 4 5 , 5 1 ( 7 7 9 , l f f . Adriaen).

236

Mor. X V 4 5 , 5 1 ( 7 8 0 , 1 6 - 2 1 Adriaen): Quia

fuit,

ipse hic Deus

uenit

et aduersa

prospera dazu

doceret

Dominus huius

mundi

aeternae

SCHAMBECK,

redemptor uitae

noster

aequanimiter appeti

Contemplatio,

pertulit,

et aduersa

147f.

enim in uia Dei

ad proba,

Ähnlich

in hac uita

ad contumelias, prospera

praesentis auch

fortiter uitae

Mor.

humilitas

ad

passionem

uitauit,

ut

non formidari\

XXX

24,69

et vgl.

(1538,lff.

Adriaen); v g l . dazu auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 9 5 . 237

Mor. X X X 2 4 , 6 9 ( 1 5 3 8 , 4 f . Adriaen): Idcirco

non solum 238

alia

nos sanguine

fuso redimeret,

namque

sed etiam ostenso

inter nos homo factus

exemplo

Mor. X X X 2 4 , 6 9 ( 1 5 3 8 , 5 - 7 Adriaen): In conuersatione

inuenit,

... quia iniquitate

Deus

et uiuendo iniquis

reuocauit

alia

docuit.

fitgientibus ...

est, ut

commutaret.

igitur

nostra

et

ueniendo

V g l . auch Mor. X X V I 1 0 , 1 5 ( 1 2 7 6 , 2 8 - 3 0 Adriaen):

incarnatam

ostendendo

contra

posuit,

eos protinus

ab

Der totus Christus zwischen Erniedrigung

und

Erhöhung

177

diametral anderes Leben vor239. Er suchte die aduersa und verachtete die prospera, er nahm die Schande willig auf sich und floh den weltlichen Ruhm240. Er lehnte es ab, von den Juden zu ihrem König gemacht zu werden, und ging statt dessen in den Tod, um mit seiner Auferstehung auch andere vom Tod zu erwecken241. Somit öffnete er einerseits den blinden Menschen die Augen für das zukünftige Leben nach dem Tod242 und lehrte uns andererseits durch das Beispiel seines irdischen Lebens die Ausrichtung auf die Ewigkeit, die das gegenwärtige Leben nicht für das Eigentliche hält und um seiner selbst willen liebt, sondern ausschließlich um der Verheißung des Künftigen willen erträgt243. Gregor verwendet häufiger, selbst wenn der auszulegende Text dafür keinerlei Anhaltspunkte bietet244, das Motiv des Weges245, um die Inkarnation und Lebensführung des demütigen Christus zu beschreiben, die seinem Leib die Perspektive auf die höhere Wirklichkeit und das ewige Leben eröffnet, und ihm zugleich schon hier eine andere Lebensführung ermöglicht, die sich den Maßstäben dieser Welt widersetzt, weil sie auch in dieser Welt am ewig Göttlichen orientiert ist. Gregor schärft seinen Lesern ein, stets und in allem dem Leben Christi nachzuahmen, und übt harte Kritik an denjenigen, die zwar das .Sakrament der Erniedrigung des Herrn' 246 nehmen, sich jedoch trotzdem weigern, in der imitatio des Herrn selbst um der anderen willen ein demütiges Leben zu füh-

239 Y g ] z u r g e w ö h n l i c h e n Ordnung der sündigen Welt auch die kurze Bemerkung Mor. VIII 10,20 (396,51 Adriaen): Expectamus etenim prospera, formidamus aduersa. 240 Mor. X X X 2 4 , 6 9 (1538,7-11 Adriaen); Mor. X X 36,69 ( 1 0 5 4 , 2 4 - 2 7 Adriaen). 241 Mor. X X X 2 4 , 6 9 ( 1 5 3 8 , 1 1 - 1 7 Adriaen). 242 Mor. X X X 2 4 , 6 9 ( 1 5 3 8 , 1 7 f f . Adriaen); so auch Mor. X X I X 14,26 ( 1 4 5 1 , 9 - 1 2 Adriaen): ipse prius et uitam quam nouimus moriendo despiceret, et uitam quam non nouimus resurgendo monstrauit. In morte quippe sua nostrae oculos mentis aperuit, et quae esset uita quae sequeretur ostendit. 243 Mor. X X X 2 4 , 6 9 ( 1 5 3 8 , 1 7 - 2 7 Adriaen). Vgl. auch Mor. X X V I I Adriaen) und dazu F L E D R O W I C Z , Kirchenverständnis, 9 7 .

15,29

(1352,45-48

244 Mor. X 3 1 , 5 3 ( 5 7 6 , 3 7 f f . Adriaen); Mor. XI 5 2 , 7 0 ( 6 2 7 , 1 6 f f . Adriaen); Mor. X X I X 12,23 ( 1 4 4 9 , l l f f . Adriaen); Mor. X X I X 14,26 (1451,16 Adriaen) u. ö. 245 Mor. X V I 9 , 1 3 ( 8 0 6 , 1 - 4 Adriaen) stellt unter dem Stichwort semita die humilitas Christi der superbia dieses saeculum gegenüber; Mor. X V I I 3 3 , 5 4 ( 8 8 3 , l f f . Adriaen); Mor. XVIII 3 4 , 5 4 ( 9 2 1 , l f f . Adriaen); Mor. X X I X 2 1 , 4 0 ( 1 4 6 2 , l f f . Adriaen); Mor. X X I X 2 4 , 4 9 ( 1 4 6 7 , l f f . Adriaen) u. ö. 246

Mor. X X V I I 12,23 ( 1 3 4 7 , 4 3 - 4 6 Adriaen): Vnde in ipsa quoque sancta Ecclesia plurimi fidem tenent, et uitam fidei non tenent; humilitatis dominicae sacramenta percipiunt, sed humiliari dominica imitatione contemnunt... V o m Sakrament spricht Gregor in seinen exegetischen Schriften nur sehr selten, vgl. auch F I E D R O W I C Z , Kirchenverständnis, 1 4 1 - 1 4 6 . D a g e g e n versucht S T R A W , Gregory the Great passim von ihrer Interpretation der Dialoge her das Sakrament zu einem Schlüsselbegriff der T h e o l o g i e Gregors zu machen, was zumindest für die Moralia kaum zutreffend sein dürfte.

178

Kapitel 7

ren. Das Sakrament des Leidens Christi247 soll in uns nicht untätig sein, vielmehr sollen wir mit unserem eigenen Leben das nachahmen, was wir empfangen haben und gleichzeitig anderen das verkündigen, was wir verehren248. 7.3.2. Christi unsichtbare und der menschlichen Erkenntnis entzogene Gottheit Gregor beschränkt sich jedoch nicht auf die Interpretation der Menschwerdung als Christi Weg der Erniedrigung und Demut, mit dem er den Menschen ein sichtbares und anschauliches Beispiel für ein anderes Leben gab. Nicht minder wichtig ist es ihm zu betonen, daß der inkarnierte Christus unsichtbar Gott blieb249. Aufgrund seiner Menschheit war er für die Menschen sichtbar und damit für sie verständlich, aufgrund seiner unsichtbaren Gottheit ließ er sich jedoch nicht verstehen250. Als die vor der Zeit aus Gott hervorgegangene Weisheit und Kraft Gottes251 war er ebenso wie der Vater ewig und unsichtbar, weswegen die Menschen diesen, ihrer Wahrnehmung und ihrem Verständnis gänzlich unzugänglichen Weg Christi nicht erkennen können252. Da der dem Fleisch und dieser Welt verhaftete Mensch immer nur in irgendeiner Weise umrissene Bilder zu sehen vermag, kann er den unumgrenzten Gott und das Licht der Ewigkeit in dieser Welt niemals direkt

247

Mor. XXXIII 29,52 (1719,40ff. Adriaen) spricht von sacramenta infirmitatis. Mor. XIII 23,26 (683,17-19 Adriaen): Vt ergo in nobis sacramentum dominicae passionis non sit otiosum, debemus imitari quod sumimus et praedicare ceteris quod ueneramur. Vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 214, der hier eine der wenigen Hinweise auf die Eucharistie entdeckt; und HALE, L'imitazione, 31, der jedoch nicht auf die Verkündigung eingeht. 248

249

Mor. I 18,26 (39,7-11 Adriaen); Mor. III 14,26 (131,7-12 Adriaen): qui unius cum Patre eiusdemque naturae est [...] qui Patri aequalis est per diuinitatem; Mor. XXVII 2,3 (1332,2-4 Adriaen): Qui humilis uidebitur in infirmitate, excelsus manet in fortitudine ...; Mor. X X X 21,66 (1536,23f. Adriaen): Incarnatus itaque Dominus qui in forma Dei aequalis est Patri; vgl. auch Mor. X V 4 6 , 5 2 (781,26-28 Adriaen) und Mor. XVI 30,37 (821,32f. Adriaen): Vnde hoc quoque mox subditur, per quod diuinitas inuisibilis atque incomprehensibilis demonstretur; die Unsichtbarkeit und Unerkennbarkeit Gottes wird auch im folgenden Abschnitt, Mor. XVI 31,38 ( 8 2 1 , l f f . Adriaen) weiter ausgeführt, vgl. auch Mor. XVI 43,54f. ( 8 3 0 , l f f . Adriaen) Mor. X X 3 8 , 7 3 (1057,24-27 Adriaen) stellt fest, daß gegenwärtig weder Gott noch Christus als sein Abbild zu sehen ist. 250 Mor. XVII 2 7 , 3 9 (874,30-32 Adriaen) als Auslegung von Cant. 8,14: Tu qui ex carne comprehensibilis factus es, ex diuinitate tua intelligentiam nostri sensus excede et in teipso nobis incomprehensibilis permane. 251 Mor. X X I X 1,1 1 4 3 4 , l f f . Adriaen). 252 Mor. XVIII 54,88 (950,5f. Adriaen) als Auslegung zu Hiob 28,20f.: Sed quia ab inuisibili et coaeterno Patre nascitur, eius uia occulta est. Vgl. auch Mor. Mor. X X I X 1,1 (1434,13f. Adriaen): In illa itaque natiuitate diuina ab humano genere cognosci non poterai...; Mor. XXXII 6,8 (1634,4-6 Adriaen): Ipse apud nos in sublime erigitur, cum nostris mentibus in natura sua impenetrabilis demonstratur; vgl. dazu auch GlLLET, Introduction, 21 ff.

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

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schauen253. Seiner göttlichen Natur nach blieb auch Christus für den Menschen unsichtbar und verborgen, weil der fleischliche Mensch schlechterdings nicht in der Lage ist, die göttliche substantia als solche zu betrachten254. Selbst wer wie der Apostel und praedicator Paulus bereits dieser Welt gestorben ist, in ihr nach nichts Weltlichem mehr verlangt, vollkommen demütig und verachtet lebt, kann zwar schon hier ein wenig von der göttlichen Klarheit erkennen, die göttliche Natur selbst wird er in diesem Leben aber dennoch nie schauen können255. Erst nach der Auferstehung werden die dem göttlichen Weg und seinen Spuren schon in diesem Leben folgenden Menschen endgültig von der corruptio des Fleisches befreit und als Christi verherrlichter Leib das hier noch verborgene Göttliche per speciem sehen können256. Für Gregor ist also auch der gegenwärtige Leib Christi noch nicht in der Lage, die Macht des Göttlichen, nach der seine Glieder so sehnsüchtig streben und verlangen, zu erkennen, vielmehr spüren sie diese Macht nichtsdestoweniger nur an den ihnen verborgen bleibenden göttlichen iudicia251. Als der selbst Unsichtbare läßt er den Menschen seine verborgenen iudicia sichtbar vor Augen stehen, deren Ursprung und Gründe den Menschen nicht zugänglich gemacht werden258. Der sichtbar Mensch gewordene Christus handelte aufgrund seiner Göttlichkeit für die Menschen letztlich unverständlich, indem er nach seinen iudicia einige erwählte, andere verwarf, einigen die Augen öffnete, anderen jedoch die Augen verschloß, sich vor den Weisen dieser

253 Mor. XVIII 54,88 (952,44ff. Adriaen). Vgl. dazu und zum Folgenden auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 36f.; LIEBLANG, Grundfragen, 137ff. 254 Gregor betont immer wieder, daß die in dieser Welt mögliche contemplatio des fleischlichen Menschen nicht der Schau der göttlichen substantia entspricht, vgl. z.B. Mor. IV 24,45 (19031ff. Adriaen); Mor. V 36,66 (264,17ff. Adriaen), vgl. zur letztgenannten Stelle auch SCHAMBECK, Contemplatio S. 416, zum Ganzen ebd. 417ff. 255 In Mor. XVIII 54,88ff. (950,1 ff. Adriaen) erörtert Gregor diese Frage ausführlich. 256 Mor. X 8,13 (545,lff. Adriaen); Vgl. auch Mor. X X X 4,17 (1503,6ff. Adriaen); Mor. XXXII 7,9 (1635,19ff. Adriaen) u.ö. Die Kirche wird beispielsweise in Mor. XVIII 48,78 (942,42-48 Adriaen) angesprochen: Vnde sancta Ecclesia sponsi sui speciem in diuinitate desiderans nec tarnen ualens, quia aeternitatis illius formant quam intueri concupiuerat ab eius oculis assumpta abscondebat, in Canticis canticorum maerens dicit: En ipse s tat post parietem nostrum. Ac si aperte dicat: Ego hunc in diuinitatis suae iam specie uidere desidero sed adhuc a uisione illius per assumptae carnis parietem excludor. Vgl. auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 64f., der feststellt, daß die Verborgenheit Gottes die Sehnsucht des Menschen nach ihm steigert. 257 Mor. X 9,14 (548,24f. Adriaen):... cum non praesens per speciem cernitur, sens per iudicium sentiatur. 258 Mor. XVII 27,40 (874,48-51 Adriaen): ... quia inuisibilis manens, occulta nos iudicia exerit, ut et fiat in promptis quod uidere possimus et tarnen origo facti in abditis, ut cur fiat, nescire debeamus.

praesuper lateat

180

Kapitel 7

W e l t verbarg und statt d e s s e n den Geringen zu erkennen gab 2 5 9 . D i e iudicia und W e g e der unsichtbar göttlichen Natur Christi bleiben für die M e n s c h e n unbegreiflich 2 6 0 und diese sollten deshalb keinesfalls s o v e r m e s s e n sein, diese erforschen und gar verstehen zu w o l l e n 2 6 1 . D e s h a l b w i s s e n auch die kirchlichen praedicatores nichts über die göttlichen iudicia oder über Christi göttliches Werk, w i e Gregor mit B e z u g auf H i o b 3 6 , 2 4 ausdrücklich feststellt 2 6 2 . W i e allen anderen M e n s c h e n ist auch ihnen das göttliche Werk in d i e s e m L e b e n verschlossen 2 6 3 . D o c h g e m e i n s a m mit d e m in dieser W e l t pilgernden Leib Christi, nämlich den electi, die ihrem Haupt in L i e b e anhängen, s e i n e m Beispiel mit ihrer L e b e n s f ü h r u n g f o l g e n und in dieser W e l t darunter leiden, daß sie das Göttliche noch nicht per speciem sehen können 2 6 4 , w i s s e n sie um das Eigentliche, w e i l ihnen im G e g e n s a t z zu den reprobi die b e i d e n Naturen der einen Person Christi gleichermaßen bekannt sind, w i e Gregor mit seiner A u s l e g u n g zu H i o b 3 6 , 2 5 : Omnes homines uident eum, unusquisque intuetur procul ausführt 2 6 5 . Während die reprobi lediglich auf Christi humanitas fixiert sind, s e h e n die Erwählten und ihre praedicatores tiefer und w e r d e n mittels 259

Mor. XXVII 2,4 (1333,53-60 Adriaen): Sed is uidelicet per infirmitatem carnis nostris obtutibus apparens, dum alios reprobat, alios uocat, mira iudicia exhibuit, quae a nobis et cogitari possint, et comprehendi non possint. Gregor belegt diese Aussage mit Joh. 9,39 und Mt. 11,25. Vgl. auch Mor. XXV 15,33 (1258,1-5 Adriaen); Mor. XXX 5,21 (1505,58-61 Adriaen). 260 Mor. V 29,52 (254,47-50 Adriaen): Quasi enim per quemdam ad nos sonitum erumpit, dum considerando nobis sua opera ostendit in quo semetipsum utcumque indicai, dum quam sit incomprehensibilis manifestai. 261 Mor. XXIX 29,56f. (1474,26ff. Adriaen) mit Bezug auf Rom. 11,33: Inscrutabilia sunt iudicia eius et inuestigabiles uiae eius. Vgl. auch die Auslegung zu Hiob 36,23 in Mor. XXVII 3,5 (1333,lff. Adriaen), wo ebenfalls das Motiv des Weges aufgenommen wird. Zur Undurchschaubarkeit der göttlichen iudicia vgl. auch Mor. IV 16,29 (182,3-8 Adriaen); Mor. XV 46,52 (781,26-28 Adriaen); Mor. XXXII 1,1 (1626,51-53 Adriaen): Diuina enim iudicia cum nesciuntur, non audaci sermone discutiendo sunt, sed formidoloso ueneranda. 262 Mor. XXVII 4,6 (1334,lff. Adriaen). Vgl. auch Mor. XIII 21,24 (682,3f. Adriaen) als Auslegung von Hiob 16,17: Sed cum occulta Dei iudicia nec praepositi uigilantes intellegunt, palpebrae sanctae Ecclesiae caligant. 263 Mor. XXVII 4,6 (1334,9-11 Adriaen): Sed tarnen opus eius ignoratur, quia nimirum iudicia illius ipsi etiam qui hunc praedicant impenetrata uenerantur. 264 Mor. XXVII 5,8 (1335,11-14 Adriaen): Cui etsi iam per amorem iuxta sunt, adhuc tamen ab ilio terrenae inhabitationis pondere disiunguntur; et quamuis ei bene uiuendo inhaereant, a contemplationis eius specie longe se esse suspirant. Vgl. auch mit Bezug auf die Kirche Mor. XVIII 48,78 (941,22ff. Adriaen), besonders 941,48ff.: In hac itaque terrestri domo quousque uiuimus, ipsum, ut ita dicam, corruptionis nostrae parietem mentis oculo nullatenus penetramus et uicissim in aliis uidere occulta non possumus. Vnde Ecclesiae sponsi sui speciem uidere in diuinitate desiderans nec tamen ualens, quia aeternitatis illius formam quam intueri concupiuerat ab eius oculis assumpta humanitas abscondebat... (Cant. 2,9). 265 Mor. XXVII 5,8 (1335,lff. Adriaen).

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

181

der Gnade auch der Göttlichkeit Christi gewahr 266 . Sie erkennen seine vom Menschen verschiedene göttliche Natur, ohne jedoch deshalb sein Werk oder seine iudicia besser verstehen zu können267. Der Leib Christi hat mit der Erkenntnis der Menschheit und Gottheit Christi Kenntnis vom Wichtigsten, weil er durch Christus dessen gewiß sein kann, wer in dieser Welt handelt, während ihm das weniger Wichtige, nämlich das Wissen, warum etwas auf diese Weise geschieht, bis zum Ende unklar und unzugänglich bleibt 268 . Dadurch, daß den Erwählten die Augen für die göttliche Wirklichkeit des erniedrigten, Mensch gewordenen Christus geöffnet werden, auf die das Alte Testament per figuram gelesen zuläuft und die Christus selbst im Neuen Testament verkündigt hat269, bekommen sie insofern Einblick in den göttlichen Heilsplan, als sich ihnen im Wissen um die compositio Christi aus göttlicher und menschlicher Natur erschließt, daß in den verborgenen und dunkel erscheinenden iudicia niemand anderes als der Mensch gewordene demütige Christus handelt, der als der Schöpfer von unsichtbar göttlicher Natur ist270, und der deshalb alles, was geschieht, von jeher entsprechend seiner dem Menschen unverfügbaren göttlichen Heilsordnung festgesetzt hat271.

266 Mor. XXVII 2,3 (1332,20ff. Adriaen). Als Beleg führt Gregor das Petrusbekenntnis nach Mt. 16,16 an. Mor. XVIII 49,80 (943,13ff. Adriaen) ist dieses Bekenntnis die gültige Glaubensaussage der ganzen Kirche. Vgl. auch Mor. XIII 22,25 (682,10-13 Adriaen) : Vnde factum est ut Redemptori nostri sanguinem quem persecutores saeuientes fuderant, postmodum credentes biberent eumque esse Deifilium praedicarent. 267 Mor. XXVII 5,8 (1335,25f. Adriaen): Dubii quippe de eius essentia non sumus, et tarnen in eius iudiciis incerti remanemus. Zur ähnlichen Verwendung des Begriffs essentia bei Leo dem Großen vgl. auch ARENS, christologische Sprache, 197-203. 268 M o r XXVII 5,8 (1336,27-31 Adriaen): Patet nobis quod summum est, absconditur quod minimum. Minus quippe sunt eius opera quam ipse; et agentem cernimus, sed in actione caligamus; quia uidelicet cur quid fiat incertum est, sed quis sit qui haec incerta faciat, incertum non est. 269 Mor. XXX 1,2 (1491,19ff. Adriaen); besonders Mor. XXX 1,2 (1492,32-36 Adriaen): Quibus et tunc in nebulae doctrinae suae uocem Dominus protulit, cum de se etiam aperta narrauit. Quid est enim apertius, quam: Ego et Pater unus sum? Quid apertius dicere, quam: Antequam Abraham fieret, ego sum? Vgl. auch Mor. V 29,52 (253,24ff. Adriaen). Nach Gregor spricht Johannes, auf den er sich in diesem Abschnitt bezieht, vom verborgenen Wort Gottes und vom unsichtbaren Sohn. 270 Zur Identität von Schöpfer und Erlöser in Christus vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 176; SCHAMBECK, Contemplatio, 158. 271 Mor. XXVII 4,6 (1334,11-14 Adriaen): Et sciunt ergo quem praedicant, et tarnen eius opera ignorant, quia cognoscunt per gratiam eum a quo facti sunt, sed eius iudicia comprehendere nequeunt, quae ab ilio etiam super ipsos fiunt. Vgl. dazu auch WEBER, Hauptfragen, 30f.

182

Kapitel 7

Ebenso wie Leo in seinem Tomus272 betont auch Gregor, daß Christus seiner unsichtbar göttlichen Natur nach eins mit dem Schöpfer ist, der die Menschen nicht nur ab initio erschuf, sondern auch selbst menschliche Natur annahm, um sie zu retten273. Die göttliche Natur in der Person Christi zu erkennen bedeutet für Gregor deshalb auch, daß die Menschen Zutrauen zu den unverständlichen Werken und selbst zu den unheimlichen iudicia occulta des unsichtbaren Schöpfers fassen dürfen274. Gregor wird in den Moralia in Job nicht müde, seine Leser auf die liebevolle Zuwendung Gottes zu seinem menschlichen Geschöpf hinzuweisen, welches der Schöpfer mit großer Sorgfalt geschaffen hat und keinesfalls ungerecht zugrunde gehen lassen will275. Der Mensch kann dessen gewiß sein, daß der Schöpfer nach wie vor über seine Schöpfung regiert und sie trotz allem nicht im Stich läßt276. Was er gut geschaffen hat, das kann er nicht auf weniger gute Weise ordnen, denn Gott selbst hat sich, indem er es ins Sein gerufen hat, an das von ihm Geschaffene gebunden, um es auch weiterhin zu lenken und zu regieren277. Weil Christus nicht nur Mensch wurde, sondern auch als Mensch Gewordener zugleich von göttlicher Natur war, zeigte er dem Menschen mit seinem Wesen und mit seinem Wirken, daß die sichtbare Wirklichkeit stets vom unsichtbar Göttlichen durchdrungen und von ihm geordnet wird278. Das göttliche Handeln und die göttliche dispositio selbst kann der Mensch zwar nicht durchschauen, doch das gnadenhafte Wissen um die göttliche essentia Christi279 läßt ihn zumindest erkennen, daß mitten in dieser sichtbaren Welt und in ihren häufig derart unberechenbaren Widrigkeiten dennoch Gottes Schöpfergüte und damit sein unbedingter Wille zum 272 Ygj ACO 11,2,1, 27,8f.: nostra autem dicimus quae in nobis ab initio creator condidit et quae reparanda suscepit, vgl. auch BEYSCHLAG, Grundriß der Dogmengeschichte II/l, 95. 273 Gregor betont deshalb, daß Christus die menschliche Natur nicht nur geschaffen, sondern selbst angenommen hat, vgl. Mor. XIII 2 4 , 2 7 (684,33-39 Adriaen). 274 Mor. X X V 15,33 ( 1 2 5 8 , I f f . Adriaen). 275 Mor. X X V I 20,35 ( 1 2 9 2 , I f f . Adriaen). Dagegen zeigt sich STRAW, Gregory the Great, 178 von diesem Trost wenig überzeugt: „What comfort these reflections give Gregory is difficult to know". 276 Mor. X X I V 20,46 ( 1 2 2 2 , I f f . Adriaen). 277 Mor. X X I V 20,46 (1222,5-11 Adriaen): Sed haec idcirco colliguntur, tu liquendo indicet quia omnipotens Deus, si per semetipsum regere non neglegit quod creauit, quod bene creauit utique bene regit, quia quod pie condid.it impie non disponit; et qui necdum facta curauit ut essent, quae sunt facta non deserit. Quia ergo praesens est in regime qui auctor exstitit in creatione, curam nostri non praeterit. 278 M o r . X X V 15,33 (1258,12-1259,15 Adriaen): Qui enim omnia administrando implet, regit implendo; nec uniuerso deest, cum disponit unum; nec uni deest, cum disponit uniuersum, cuncta scilicet naturae suae potentia quietus operatur. 279 Für Gregor hat alles Geschaffene nur insofern eine essentia, wenn es vom Göttlichen geordnet und regiert wird, vgl. die Auslegung in Mor. XVI 3 7 , 4 5 (825,Iff. Adriaen) und dazu DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 2 2 0 f f .

Der totus Christus zwischen Erniedrigung und Erhöhung

183

Heil wirksam sind. Für den Menschen wird die beiden Naturen des Fleisch gewordenen Gottessohnes somit zum Schlüssel für das Verständnis und den Umgang mit den verschiedenen uestigia Gottes in der sichtbaren Wirklichkeit, die dazu geeignet sind, den Menschen wieder zu Gott zurückzubringen280. Mit der Person Christi in seiner zweifachen Natur, der sichtbares Fleisch angenommen und damit gleichsam selbst zu einem Sakrament geworden ist281, erschließt sich für Gregor ebenso wie über die Betrachtung der Schrift, die ebenfalls eine compositio aus göttlichem und menschlichem Wort darstellt und von Gregor als ein Sakrament bezeichnet wird282, auch die Tätigkeit der kirchlichen praedicatores, die in dieser Welt in der Nachfolge ihres Hauptes ebenso ihre Sehnsucht nach dem Göttlichen mit der Zuwendung zu den Menschen zu verbinden haben.

280 Mor. XXVI 12,17 (1278,23-28 Adriaen): Vestigia quippe creatoris nostri sunt mira opera uisibilis creaturae. Ipsum namque adhuc uidere non possumus, sed iam ad eius uisionem tendimus, si eum in his quae fecit miramur. Eius ergo uestigia creatura dicimus, quia per haec quae ab ipso sunt sequendo imus ad ipsum. Vgl. auch Mor. V

2 9 , 5 2 (38ff. Adriaen); Mor. X V I 33,41 ( 8 2 4 , 2 5 f f . Adriaen). 281

Mor. XXXIV 14,25 (1750,22f. Adriaen): Humanitatis assumptae sacramentum in lumine manifestae uisionis ostendit. Vgl. dazu auch SCHAMBECK, Contemplatio, 106. 282 Vgl. dazu auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 141-146, der feststellt, daß für Gregor mit dem Sakrament in erster Linie das verkündigende Wort gemeint ist. Die sakramentalen Vollzüge interessieren Gregor nur am Rande, seine Auslegung des Buches Hiob läuft auf das Sakrament der Verkündigung in der Schrift und durch das Wirken der praedicatores zu.

Kapitel 8

Diepraedicatores Christi im Spannungsfeld zwischen actio und contemplatio 8.1. Die condescensio des göttlichen Wortes Gregor verweist wiederholt darauf, daß sich die Schrift mit den zeitlichen Worten sichtbarer Zeichen und verständlicher Bilder bedienen muß, um vom ewig Göttlichen zu reden 1 . Manchmal scheint es dem Menschen zwar, als rede sie allzu menschlich und damit unwürdig von Gott, wenn beispielsweise davon erzählt wird, daß Gott zornig und eifernd war oder aber davon, daß er Reue zeigte 2 . Doch mit dieser Redeweise steigt sie ebenso wie Christus selbst in die Schwäche der menschlichen Worte ab, um dem Menschen über diesen Weg nach oben zu führen 3 . Obwohl Gott selbst unberührt von menschlichen Leidenschaften bleibt, wird er dennoch zornig genannt, weil er die Sünde straft. Wenn gesagt wird, daß ihn etwas reute, dann ist gemeint, daß er etwas Äußeres änderte, nicht daß er seinen Ratschluß revidierte 4 . Auf diese Weise kann der Mensch Gott, der ohne Eifer ist, als eifernd wahrnehmen, ihn, der selbst ohne Zorn ist, zürnend sehen, oder den Reuelosen als einen Reuenden begreifen, und wird somit darauf hingewiesen, daß in ihm, der in seiner Unveränderlichkeit als solcher für die Menschen unverständlich wäre, alles Vorübergehende bleibt und alles Flüchtige zum stehen kommt 5 . Die Schrift neigt sich mit ihrer Verkündigung zum Menschen herab, um den Menschen nach oben zu führen, deshalb redet sie von der Ewigkeit auf zeitliche Weise und leitet durch bekannte Worte den zeitlichen Sinn zur noch

1 Mor. II 20,34f. ( 8 1 , l f f . Adriaen); Mor. X X 3 2 , 6 3 (1049,32ff. Adriaen); Mor. XXXII 5,7 (1631,15ff. Adriaen) Vgl. auch HALE, L'imitazione, 90, der den transitus Christi auch in Gregors Schriftverständnis entdeckt. 2 Mor. X X 32,62 ( 1 0 4 8 , l f f . Adriaen). 3 Mor. X X 32,63 (1049,32ff. Adriaen). Vgl. auch R. BÉLANGER, La dialectique Parole-Chair dans la christologie de Grégoire le Grand, in: Gregory the Great. A Symposium, 82-93. 4 Mor. XX 32,63 (1049,61ff. Adriaen). Vgl. auch Laktanz De ira Dei 17,18ff. (Kraft/Wlosok, 58ff.), der den gerechten Zorn Gottes nicht als Affekt, sondern als eine nach außen gerichtete Notwendigkeit zur correctio der menschlichen Schlechtigkeit versteht. 5

Mor. X X 32,63 (1050,70ff. Adriaen).

186

Kapitel

8

unbekannten Ewigkeit6. Weil Gott selbst sich gemäß seiner eigenen dispositio um unseretwillen erniedrigt hat, um uns zu sich zu ziehen, bedient er sich auch hier wiederum uns bekannter Dinge, um uns das Unbekannte nahezubringen7. Deshalb kann in der Schrift letztlich die gesamte vorfindliche Wirklichkeit, sowohl die Beschreibung eines menschlichen Körpers als auch seelischer Gegebenheiten, die Schilderung eines Tieres und selbst unbelebter Dinge, von Christus als heilvoller Verbindung zwischen Gott und Mensch zeugen8. Was dem modernen Leser als langatmige und bisweilen willkürliche Allegorese erscheint, das ist für Gregor mit der Person Christi selbst begründet, dessen göttliche essentia nur umschrieben werden kann9 und dessen compositio aus Göttlichem und Menschlichem sich dem Menschen nur langsam und annäherungsweise erschließt. Diesen Prozeß findet Gregor im Auferstehungsbericht des Evangelisten Lukas beschrieben. Dort heißt es, daß sich der Auferstandene nicht sofort zu erkennen gab, sondern zunächst die Engel zu denjenigen sandte, die ihn noch am Grab suchten10. Danach erschien er seinen Jüngern, die noch auf dem Weg waren und über ihn redeten, doch gab er sich ihnen erst nach einer moralischen Unterweisung zu erkennen und zeigte sich ihnen beim Brotbrechen11. Nicht plötzlich, sondern Schritt für Schritt werden diejenigen, die den Leib Christi bilden, durch seine Worte, die sie nun, weil sie um seine beiden Naturen in der einen Person wissen, nicht mehr nur wörtlich, sondern mittels der spiritalis intelligentia auch geistig verstehen kön-

6

Mor. II 2 0 , 3 5 ( 8 1 , 1 7 - 2 2 Adriaen): Sed

loquitur,

dignum

est ut uerbis

dum de aeternitate traiciat;

seque

infundant. 7

aliquid

bene

temporalibus

temporaliter

nostris

mentibus

cum

utatur

narrat,

scriptura

sacra

quatenus

condescendendo

assuetos

aeternitas

temporalibus

incognita

temporaliter sensim

dum uerbis

editis leuat;

ad

et

aeterno

cognitis

blanditur

V g l . auch dazu SCHAMBECK, Contemplatio, 1 8 8 f f .

Mor.

XXXII

5,7

(1631,6ff.

Adriaen);

vgl.

auch

Mor.

XVI

35,43

(824,lff.

suam

aliquando

Adriaen). 8

Mor. X X X I I 5 , 7 ( 1 6 3 1 , 1 6 - 1 9 Adriaen): Vnde fit ut per scripturam

a corporibus

hominum,

ab insensatis

rebus

uia

aliquando

quasdam

a mentibus,

longe dissimiles

aliquando

uero ab auibus,

in se similitudines

V g l . auch Mor. X X X 2 1 , 6 6 ( 1 5 3 5 , l f f . Adriaen).

10

Mor. II 2 0 , 3 5 ( 8 1 , 2 6 - 2 8 Adriaen).

11

Mor. II 2 0 , 3 5 ( 8 1 , 2 8 - 3 1 Adriaen) nach Lk. 2 4 , 4 f f . : ... rursum

moras

ipse

cognoscendum

quidem

sed

se in panis

non

cognoscendus

fractione

monstrauit.

apparuit,

discipulis

qui post

de se in exhortationis

Ganz ähnlich interpretiert Gregor

in Mor. X X X V

1 4 , 2 6 ( 1 7 9 0 , 4 0 - 5 7 Adriaen) auch H i o b 4 2 , 1 1 : et comederunt

panem

eius.

in domus

uero

trahat.

9

loquentibus

aliquando

cum

eo

D i e Gläubigen, die Christus nicht als b l o ß e n M e n s c h e n , sondern

auch in seiner Gottheit erkennen, h ä n g e n ihm in G e m e i n s c h a f t an und e s s e n z u s a m m e n mit ihm das Brot in s e i n e m Haus, weil sie die Schrift nicht länger wörtlich, sondern geistig verstehen und sich an ihr sättigen k ö n n e n . V g l . d a z u auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 32.

Die praedicatores Christi zwischen actio und contemplatio

187

nen12, in enger Vertrautheit mit ihrem Haupt, das außerhalb der Zeit steht und doch selbst die Zeit kennt, schon in dieser Welt auf den Weg zur Ewigkeit geleitet13.

8.2. Die praedicatores als der Christus prolongatus Weil Christus nicht ohne seinen gegenwärtigen Leib der Kirche in dieser Welt existieren will, durchschreiten mit den Aposteln und den Verkündigern14 die Füße seines Leibes nach seinem eigenen Zeugnis diese Welt15. Diese Füße des Herrn nehmen den äußerst mühevollen und beschwerlichen Dienst der Verkündigung um der anderen Glieder des Leibes Christi auf sich, auch wenn sie sich dabei notwendig mit dem Staub dieser Welt beflecken müssen16. Gregor kann die praedicatores aber auch als die Stimme des Herrn bezeichnen17. Weil Christi maiestas hier noch nicht per speciem zu schauen ist, wird sie derzeit von seinen praedicatores verkündigt, die sich fleischlicher Worte und des Klanges der vertrauten menschlichen Stimme bedienen müssen, um auf diese Weise die fleischlichen Herzen aufrütteln zu können18.

12 Für Gregor ist es Christus als die göttliche Weisheit selbst, die sich nach Prov. 9,2-4 nicht nur für uns opfert, sondern gleichsam als ein Sakrament auch den Wein ex narratione histórica et intelligentia spiritali mischt, vgl. Mor. XVIII 29,43 (876,24-26 Adriaen). An anderer Stelle, Mor. XXXIII 16,32 (1702,25-27 Adriaen), deutet Gregor das Mischen des Weins auf die Verkündigung der Menschheit und Gottheit Chisti: Vinum miscuit, quia diuinitatis et humanitatis suae pariter nobis arcana praedicauit. Vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 145, der zu Recht von einer „Sakramentalität des Wortes" bei Gregor spricht, ohne jedoch auf die für ihn entscheidend wichtige Verbindung zwischen Menschheit und Gottheit in Christus näher einzugehen. 13 Mor. II 20,35 (81,36ff. Adriaen). 14 Vgl. zur Abfolge der verschiedenen Verkündigergenerationen auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 127ff.; SCHAMBECK, Contemplatio, 206ff. 15 Mor. XIX 14,22 (973,2-7 Adriaen): Quia Christum et Ecclesiam unam esse personam erebo iam diximus, illum uidelicet huius corporis caput, hanc autem illius capitis corpus, aliter haec uerba iuxta uotem capitis aeeipi, atque aliter iuxta uocem corporis debent. Quos ergo pedes Domini nisi sanetos praedicatores aeeipimus? De quibus dicit: Et inambulabo in eis (2. Kor. 6,16). Vgl. auch die bereits genannte Stelle Mor. XXVII 11,19 (1344,12-16 Adriaen), ebenfalls mit Bezug auf 2. Kor. 6,16. 16 Mor. XIX 14,22 (973,9ff. Adriaen). 17 Mor. XXX 4,17 (1502,1-1503,6 Adriaen). 18 Mor. XXX 4,17 (1502,1-1503,6 Adriaen): In hac enim uita infirmitatis nostrae Dominus non aperta species maiestatis suae, sed praedicatorum suorum uoce locutus est, ut corda adhuc carnalia carnis lingua pulsaret, et tanto facilius insueta pereiperent, quanto ea per sonitum consuetae uocis audirent. Vgl. auch Mor. XXXI 10,15 (1561,30f. Adriaen) als Aussage über die kirchlichen doctores: Vt sciatis quia ego sum qui per uos loquentes operor...

188

Kapitel

8

Gegenwärtig geht der mit Gott gleiche Christus seinen Weg in dieser Welt perpraedicatores suos19 und begibt sich durch ihr Tun und Reden in die Herzen der Menschen 20 . Unter den Bedingungen der Zeitlichkeit kann der Mensch die beiden Naturen des Gottessohnes nur per ora praedicantium und damit nur durch etwas erfassen, das sich selbst dem transitus der Welt anpaßt, indem es vorübergeht 21 . Erst nach der Auferstehung wird der Mensch in der Lage sein, das ewige uerbum Dei, das er hier nur anfänglich und im Glauben sehen kann, vollständig und per speciem zu schauen 22 . Deshalb sind alle heiligen Männer von Christus selbst gesandt, um die electi mit dem Beispiel ihrer Lebensführung auf seinen Weg vorzubereiten und ihnen diesen mit ihrem Wort zu verkündigen 23 , indem sie die Herzen der Hörer von den Lastern reinigen, so daß die Größe Gottes in sie einströmen kann24. Gregors ausführliche Auslegung zu Hiob 37,6: qui praecipit niui ut descendat in terram, et hiemis pluuiis, et imbri fortitudinis suae beschreibt diese Aufgabe der praedicatores noch etwas genauer 25 . Das gegenwärtige Leben gleicht der hier gemeinten winterlichen Jahreszeit, weil in ihr die Hoffnung auf das Höhere durch die Bindung an das Vergängliche kalt geworden ist. Doch ist der Winter auch die Zeit des Regens, d. h. die Zeit der Verkündigung der derzeitigen praedicatores oder rectores, die die fleischlichen Augen der electi, denen die uita caelestis bislang noch verborgen ist, mit ihren Worten zu benetzen haben26, bis schließlich im kommenden Sommer der Wiederkunft Christi die praedicatio nicht mehr nötig sein und aufhören wird27. Der Regen der Verkündigung meint jedoch nicht nur den imber forti-

19

Mit Hiob 3 9 , 1 8 - 2 5 nutzt Gregor auch das Bild des Pferdes zur Beschreibung der praedicatores als equus Dei, durch das Gott selbst handelt und verkündigt, vgl. Mor. X X X 2 3 , 4 1 - 4 5 , 9 1 ( 1 5 7 8 , 1 - 1 6 1 3 , 1 1 6 Adriaen). 20 Mor. X X V I I 11,19 ( 1 3 4 4 , 1 5 f . Adriaen): Iter quippe per eos [sc. praedicatores suos] agit, dum humanis cordibus eorum se eloquio infundit. Vgl. auch Mor. X X V I I 12,22 ( 1 3 4 6 , l f f . Adriaen), w o in aller Deutlichkeit betont wird, daß Christus gegenwärtig durch das Wort seiner Verkündiger handelt. FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 153f. meint jedoch, daß die Christus-Repräsentanz der Verkündiger bei Gregor schwächer als noch bei Ambrosius, Augustin oder Leo dem Großen ausgeprägt sei. 21

Mor. XVIII 5 4 , 9 3 ( 9 5 5 , 1 8 3 - 1 8 6 Adriaen): Quae nimirum uisio nunc fide incohatur, sed tunc in specie perficitur, quando coaeternam Deo sapientiam, quam modo per ora praedicantium quasi per decurrentia flumina sumimus, in ipso suo fönte biberimus. 22

Mor. X X X 4 , 1 7 ( 1 5 0 3 , 6 f f . Adriaen). Mor. XVIII 4 5 , 7 3 (938,12f. Adriaen). Vgl. auch schon Praef. 6 , 1 4 ( 1 9 , 2 4 - 2 6 Adriaen): Quem electi omnes dum bene uiuendo praeeunt et rebus et uocibus prophetando promiserunt. Nullus enim iustus fuit qui non eius perfiguram nuntius exstiterit. 23

24

Mor. X I X 3,6 ( 9 5 9 , 3 4 f f . Adriaen).

25

Mor. X X V I I 24,45 ( 1 3 6 5 , 5 0 f f . Adriaen).

26

Mor. X X V I I 2 4 , 4 5 ( 1 3 6 5 , 5 7 - 6 0 Adriaen). Hier spielt Gregor einmal mehr auf die

Heilung der blinden, d. h. der fleischlichen A u g e n der Menschen an. 27

Mor. X X V I I 24,45 ( 1 3 6 5 , 5 5 f f . Adriaen).

Die praedicatores

Christi zwischen

actio und

189

contemplatio

tudinis, die praedicatio diuinitatis, sondern auch den imber infirmitatis, die 28

praedicatio incarnationis , die jedoch im auszulegenden Text noch nicht einmal vorkommt 29 . Nur auf diese Weise, so erläutert Gregor, eben weil die heiligen Männer Christi Menschheit verkündigen, kann in die Herzen ihrer Hörer zugleich auch die Stärke seiner Gottheit einströmen 30 . Als Bekräftigung führt er sowohl für den imber fortitudinis als auch für den imber infirmitatis, für Christi Gottheit und für seine Menschheit, eine Reihe von Belegen aus dem ersten Kapitel des Johannesevangeliums an, wobei er sicher nicht zufällig nahezu die gleichen Texte verwendet, die auch Leo in seinem Tomus als Belegstellen für die Menschheit und Gottheit Christi gebraucht hatte31. Gregor schließt seine Auslegung mit dem Verweis auf den imber fortitudinis, den gottgleichen Christus, dem befohlen worden sei, zur Erde herabzusteigen, damit er selbst uns durch die Stimmen seiner Heiligen die Schwäche seiner Menschheit verkündigte, um uns auf diesem Wege zugleich mit der Stärke seiner Gottheit bekannt zu machen 32 . Ebenso wie sich Christus um der Menschen willen erniedrigt hat, um sie schließlich zu sich emporzuführen, so sollen sich auch die praedicatores in der imitatio Christi aus Liebe zu ihren Untergebenen herabneigen und ihnen gegen die ausschließliche Diesseitsorientierung des sündigen Menschen von der diuinitas Christi und von der himmlischen Heimat 33 der erwählten Menschen künden. Dadurch, daß die praedicatores anderen von Nutzen sind, ahmen sie zugleich Christus den Schöpfer nach, der sich in den Worten der Schrift gerade nicht zu seinem eigenen Ruhm kundgetan hat, sondern um uns zu belehren und zu sich zu ziehen 34 . Nur auf diesem Weg, der bei der Erkenntnis der Stärke und Gottheit des Inkarnierten beginnt und mit der endgültigen Schau zum Ziel kommt, kann sich der erwählte Mensch kontemplierend immer tiefer auf seinen Herrn einlassen, um „ihn hörend zu erken28

Mor. X X V I I 2 4 , 4 6 ( 1 3 6 6 , 8 3 f . Adriaen): Imber catio diuinitatis. 29

Nam imber

infirmitatis

quippe

eius est praedicatio

fortitudinis

Dei

incarnationis

est

praedi-

...

In seiner A u s l e g u n g zu H i o b 2 9 , 2 3 , vgl. Mor. X X 2 , 5 ( 1 0 0 5 , 6 5 f f . Adriaen), hatte

Gregor den B e g r i f f imber j e d o c h bereits mit der Inkarnation g l e i c h g e s e t z t . 30

Mor. X X V I I 2 4 , 4 6 ( 1 3 6 6 , 8 7 - 8 9 Adriaen): Sic autem infirma praedicant, 31

ut auditorum

suorum

etiam diuinitatis

sancti

fortia

Mor. X X V I I 2 4 , 4 6 ( 1 3 6 6 , 8 9 - 9 6 Adriaen). Für den imber

Gregor auf Joh. 1,1 und Joh. l , 3 f . ; für den imber

infirmitatis

uiri humanitatis

eius

infundant. fortitudinis

beruft sich

auf Joh. 1 , 1 4 und Joh. 1 , 1 1 .

L e o v e r w i e s hinsichtlich der Gottheit Christi ebenfalls auf Joh. 1,1 und Joh. l , 3 f . , w ä h rend er die M e n s c h h e i t Christi in Joh. 1 , 1 4 und Gal. 4 , 4 b e z e u g t fand, v g l . A C O II 2 , 1 , 28,17-20. 32

Mor. X X V I I 2 4 , 4 6 ( 1 3 6 6 , 9 6 - 9 9 Adriaen): Imbri

in terram

descendat,

praedicat,

ut nobis

33

sanctorum

etiam mira et fortia

suorum

uocibus

suae diuinitatis

ergo fortitudinis sie nobis

praedicatio.

Mor. X V I I I 7 , 1 4 ( 8 9 4 , 3 8 f f . Adriaen).

suae praecipit

humanitatis

suae

ut

infirma

innotescat.

V g l . d a z u FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 1 3 7 - 1 4 1 zur patria

zentralen Inhalt der 34

quia

caelestis

als d e m

190

Kapitel 8

nen, erkennend zu lieben, ihm liebend zu folgen, ihn nachfolgend anzunehmen und ihn annehmend in der Schau zu genießen"35. Gregor sieht in den praedicatores solche Menschen, die zur contemplatio aufsteigen und nicht nur die Menschheit, sondern auch die Gottheit Christi betrachten wollen36. Ihnen ist mit Jes. 33,1737 verheißen, daß sie dereinst mit ihren eigenen Augen den König in seinem Schmuck sehen werden, d. h. die diuinitas Christi von Angesicht zu Angesicht schauen und nicht nur seine jetzige forma serui erblicken sollen38. In diesem Leben läßt sich die Gottheit Christi jedoch nur gleichsam wie von Ferne wahrnehmen, wie das Beispiel des Paulus zeigt, der, obwohl er schon in diesem Leben in den dritten Himmel entrückt wurde, die Gottheit dennoch nur undeutlich zu erkennen vermochte. Zugleich konnte dieser vorbildliche praedicator das Wenige, was er sah, seinen schwachen Hörern nicht verkündigen, weil diese noch nicht fähig waren, die Gottheit Christi zu erfassen39. Obwohl der praedicator also selbst nach der contemplatio strebt und sich an ihr sättigen will, so deutet Gregor den Vers Hiob 39,30: pulli eius lambent sanguinem, steigt er doch um seiner schwachen Hörer willen zu ihnen herab, um diejenigen Glieder des Leibes Christi, die die verborgene Gottheit nicht zu erfassen vermögen, mit der Verkündigung von Inkarnation und Passion Christi zu nähren40. So sollen die praedicatores einerseits in der Nachfolge Christi aus Sorge um die ihnen anvertrauten Glieder seines Leibes zu ihnen herabsteigen, um ihnen mit ihrer Verkündigung nützlich zu sein, und andererseits entsprechend der beiden Naturen Christi immer wieder aufsteigen, um über dem Wirken in dieser Welt die Betrachtung des Göttlichen nicht zu vergessen.

8.3. Die condescensio der praedicatores als Dienst am Leib Christi Ebenso wie Christus, der Schöpfer und das ewige uerbum Dei, aus Sorge um die Menschen und um ihnen aus ihrem sündigen Zustand zu helfen, demütig wurde und selbst als Mensch zu den Menschen herabstieg41, sollen sich nun 35

Mor. XVIII 7,14 (894,46-48 Adriaen): eum audientes cognoscere, cognoscentes amare, amantes sequi, sequentes adipisci, adipiscentes uero eius uisione perfrui. Die Übersetzung folgt SCHAMBECK, Contemplatio, 179. 36 Mor. XXXI 51,102 (1620,26ff. Adriaen). 37 Regem in decore suo uidebunt oculi eius. 38 Mor. XXXI 51,102 (1620,42ff. Adriaen). 39 Mor. X X X I 51,103 (1621,62ff. Adriaen). 40 Mor. X X X I 52,104 (1622,2-15 Adriaen). 41 Vgl. auch Mor. XIX 8,14 (966,14-16 Adriaen): Quia enim naturam sapientiae penetrare non possumus quid sit in se, ex condescensione Dei audiuimus quid sit in nobis

Die praedicatores

Christi zwischen actio und contemplatio

191

auch die praedicatores anderen Menschen zuwenden und ihnen mit ihrer Verkündigung dienen42. Einem Raubvogel gleich, der nach Hiob 39,30 sofort zur Stelle ist, sobald er einen Kadaver sieht, nimmt auch Christus um der Menschen willen einen sterblichen Leib, d. h. einen Kadaver an und führt die Seelen der Erwählten nach ihrer Ablösung vom Fleisch mit sich nach oben43. Neben dieser Deutung bietet sich für Gregor jedoch noch eine weitere Auslegung zu dieser Stelle an. Der Kadaver meint nun die Sünder und der Raubvogel einen praedicator des Leibes Christi, der sobald er die Sünder erblickt, herbei fliegt, um ihnen nützlich zu sein und das lebendigmachende Licht zu zeigen, sie dabei jedoch als Sünder hart tadelt, und sie damit gleichsam verschlingend, von Ungerechten in Unschuldige verwandelt und sie zu Gliedern des Leibes Christi macht44. Gregor beruft sich auch hier auf das von ihm häufig angeführte Zeugnis des Apostels und praedicator Paulus, der in dieser Weise Judaea, Korinth, Ephesus, Rom und Spanien durcheilte, um den Sündern die Gnade des ewigen Lebens zu verkündigen45. Beide Interpretationen zu ein und demselben Text meinen nicht völlig Verschiedenes, sondern ergänzen einander, weil sich sowohl Christus selbst als auch die seinem Leib gegenwärtig vorstehenden praedicatores mit ihrer Verkündigung erniedrigen und auf die Ebene der anderen Menschen einlassen, um diese mit sich nach oben zu ziehen46. Wie die Wolken, so interpretiert Gregor die bereits zuvor erwähnte Stelle in Hiob 37,6, die als Wasser nach oben gestiegen und dort durch die contemplatio fester geworden sind, so steigen auch die heiligen praedicatores aus Liebe zu den Nächsten wiederum zur Erde herab und verflüssigen sich als Regen. Ihre Festigkeit soll den Weg der bekehrten Sünder bei Gott leiten und schützen, ihre condescensio die Sünder tadeln und korrigieren, indem sie so

42

Mor. XIX 25,45 (991,70ff. Adriaen); Mor. XX 36,69 (1054,16ff Adriaen); Mor. XXXII 5,7 (1631,lOff. Adriaen); vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 205f. und MARKUS, Gregory the Great, 27: „What Gregory calls .condescension' has overtones of Christ's kenosis (Philipp. 2:7); by it, the Christian, and the minister pre-eminently, becomes a servant". 43 Mor. XXXI 53,105 (1622,lff. Adriaen). Dieses Bild hatte Gregor schon Mor. XVIII 34,54 (921,lff. Adriaen) ausführlich entfaltet, vgl. dazu auch oben unter 7.3.1. 44 Mor. XXXI 53,106 (1622,lOff. Adriaen). Vgl. dazu auch oben unter 6.3.3.2. 45 Mor. XXXI 53,106 (1623,23ff. Adriaen). 46 Gregor führt häufiger eine auf Christus und eine auf seinen Leib bezogene Interpretation an. Doch nur selten stehen die Deutungen so weit voneinander entfernt wie seine Auslegung der Kamele, die Hiob nach der Rahmenerzählung besitzt. Hiob 1,3 in Mor. I 28,40 (46,7ff. Adriaen) meint in seiner Deutung die condescensio der angesprochenen praedicatores, die einerseits eine terrena dispensatio ausführen und andererseits ihr Vertrauen ganz auf die caelestia setzen, während er in Mor. X X X V 16,38 (1799,33ff. Adriaen) die Kamele als Hinweis auf die condescensio des Inkarnierten deutet.

192

Kapitel 8

auf die Hörer einwirken, daß diese mit ihrem Leben Frucht bringen 47 . Als Beispiel verweist Gregor wiederum auf den Lebensweg des Paulus, der das Gesetz zunächst nur fleischlich verstand, dann jedoch zum Himmlischen geführt wurde, dort die Festigkeit des geistigen Verständnisses erhielt, und sich dennoch demütig und von der Liebe Christi genötigt, wiederum den schwachen Brüdern zuneigte, um ihnen durch seine Verkündigung nützlich zu sein48. Somit zieht die Liebe Christi die praedicatores einerseits zur contemplatio der oberen Dinge empor und weist sie andererseits zugleich unmißverständlich an, sich wieder ihren Nächsten in Demut zuzuwenden, um diese ebenfalls mit sich zu Gott emporzuführen 49 . Dieses Herabneigen der praedicatores um der anderen willen wird von Gregor nicht minder intensiv reflektiert als ihr Aufstieg zu den himmlischen Dingen. Denn wären die praedicatores nicht von den Höhen ihrer Kontemplation immer wieder auch zur menschlichen Schwäche herabgestiegen, dann könnten sie anderen Menschen am Leib Christi nicht von Nutzen sein 50 . Indem seine praedicatores nicht dauerhaft bei den höheren Dingen verweilen, sondern sich den Menschen mit ihrer Verkündigung zuwenden, steigt letztlich Christus selbst zu den Menschen herab und tut sich ihnen in seiner Gottheit kund51. In der condescensio der praedicatores setzt sich demnach die Erniedrigung und Entäußerung des Gottessohnes in dieser Welt fort, die sich an das menschliche Fassungsvermögen anpaßt und den Menschen unter den Bedingungen der Zeitlichkeit mit der Kraft seiner Gottheit bekannt machen und sie

47

Mor. XXVII 24,44 (1364,13-20 Adriaen): Niues ergo ad terram de caelestibus ueniunt, cum sublimia corda sanctorum quae iam solida contemplatione pascuntur pro fraterna caritate ad humilia praedicationis uerba descendunt. Sicut enim nix terram cum iacet operit, cum uero liquatur rigat, ita sanctorum uirtus et per firmitatem suam apud Deum uitam peccatorum protegit; et per condescensionem suam quasi liquefacta arentem terram ut fructus proférât infundit. Ähnlich auch Mor. XXVII 24,45 (1366,78-81 Adriaen); vgl. auch Mor. X X X 13,48 (1523,26ff. Adriaen). 48

Mor. XXVII 24,44 (1364,26ff. Adriaen). Mor. XXVII 24,44 (1365,43-47 Adriaen) mit Bezug auf 2. Kor. 5,14: Quia igitur Caritas Christi quae sanctorum mentes ad superna subleuat, eas pio moderamine pro fraterna dilectatione etiam ad humilitatem condescensionis format. 50 Mor. XXX 13,48 (1523,28-33 Adriaen): Nisi enim praedicatores sancti ab illa immensitate contemplationis internae quam capiunt, ad infirmitatem nostram humillima praedicatione quasi quadam incuruatione descenderent, numquam utique in fide filios procrearent. Nobis quippe prodesse non possent, si in suae altitudinis erectione persisterent. 51 Mor. X X X 13,48 (1524,49-54 Adriaen) als Interpretation von Ps. 143,5: Domine inclina caelos tuos, et descende. Cum enim inclinantur caeli, descendit Dominus, quia cum se in praedicatione sua sancti doctores attrahunt, diuinitatis notitiam nostris cordibus infundunt. Nequaquam ad nos Deus descenderet, si praedicatores eius in contemplatione rigore inflexibilis permanerent. 49

Die praedicatores

Christi zwischen actio und contemplatio

193

schon in dieser Welt anfangshaft zu sich ziehen will52. Größten Wert legt Gregor deshalb gerade darauf, daß sich die praedicatores ihren Hörern in der condescensio wirklich zuneigen, um sie auf diese Weise zu retten. Als Vorbild dient wiederum Paulus, der nach 1. Kor. 9,22 allen alles werden wollte53. Der egregius praedicator näherte sich demnach in Gregors Interpretation auf dem Wege der condescensio den Ungläubigen, um jeden in sich aufzunehmen und sich in jeden von ihnen zu verwandeln 54 . Damit die Hörer Nutzen aus dem Gesagten ziehen können, muß sich der praedicator nämlich vollständig auf die unterschiedlichen Möglichkeiten seines Publikums einlassen und bisweilen auch auf sehr unterschiedliche Weise verkündigen, um möglichst viele zu erreichen 55 . Die Kunst, sowohl den Einzelnen als auch die Gemeinschaft der Glaubenden mittels der Verkündigung zu erbauen, besteht für Gregor darin, aus der gleichen Lehre die für jeden passende Ermahnung und Aufmunterung hervortreten zu lassen56. Gregor drängt seine Leser an vielen Stellen seines Kommentars zum Buch Hiob geradezu, die condescensio um der anderen willen nicht nur als eine lästige Störung der eigenen contemplatio zu betrachten, sondern sich stets vor Augen zu führen, daß auch das uerbum Dei, durch das schließlich alles Sichtbare geschaffen ist, es selbst nicht für unwürdig erachtete, zu uns Menschen herabzusteigen, menschliches Fleisch anzunehmen und den Menschen nützlich zu sein57. Auf diese Weise, in der demütigen condescensio, durchdringt ein solcher praedicator am Ende auch die oberen Dinge um so besser, je demütiger er um seiner Liebe zum Schöpfer willen auch das Geringe nicht verachtet58.

52

Vgl. zu diesem von Gregor häufig benutzten Begriff auch K. DUCHATELEZ, La .condescendance' divine et l'histoire du salut, NRTh 6, 1973, 5 9 3 - 6 2 1 , der insbesondere auf das Verständnis der Inkarnation als condescensio Gottes im Sinne der heilvollen Zuwendung und Anpassung an die Möglichkeiten des Menschen in der östlichen Tradition eingeht. Bei westlichen Autoren werde seiner Ansicht nach die condescensio Gottes als Inkarnation dagegen kaum angesprochen, ebd. 619. 53

Mor. VI 3 5 , 5 4 ( 3 2 3 , 2 0 f f . Adriaen); vgl. auch MARKUS, Gregory the Great, 29. Mor. VI 3 5 , 5 4 ( 3 2 3 , 2 7 - 3 2 4 , 3 6 Adriaen). 55 Mor. VI 37,57 (326,56f. Adriaen): Sed inter haec magnopere sciendum est quia ualde inter se diuersae sunt conspersiones animorum. 56 Mor. X X X 3,12 ( 1 4 9 9 , 9 1 f f . Adriaen): Non enim una eademque cunctis exhortatio conuenit [...] Pro qualitate igitur audientium formari debet sermo doctorum, et et ad sua singulis congruat, et tarnen a communis aedificationis arte numquam recedat. [...] Vnde et doctor quisque, ut in una cunctos uirtute caritatis aedificet, ex una doctrina, non una eademque exhortatione längere corda audientium debet. Gregor umreißt damit bereits das Programm seiner kurz nach den Moralia entstandenen Regula Pastoralis, vgl. auch MARKUS, Gregory the Great, 72f. 54

57

Mor. X I X 2 5 , 4 5 ( 9 9 1 , 7 0 f f . Adriaen). Mor. XIX 2 5 , 4 5 (992,83f. Adriaen): tanto subtilius humilius pro amore conditoris nec inferiora contemnit. 58

superiora

penetrat,

quanto

194

Kapitel 8

8.4. Das Verhältnis zwischen uita actiua und uita contemplatiua 8.4.1. Der praedicator, der zu Jesu Füßen sitzen bleiben will In einem der längeren thematisch orientierten Abschnitte, die Gregor den Vorwurf eingetragen haben, er rede von vielen Dingen, nur eben nicht von Hiob59, kommt er in seiner Deutung zu Hiob 5,26: Ingrediens in abundantia sepulcrum, sicut infertur aceruus in tempore suo ausführlich auf das Verhältnis zwischen uita actiua und uita contemplatiua60 in der Lebensführung des praedicator zu sprechen. Gregor geht es an dieser Stelle um die Lebensführung der Häupter des Leibes Christi, die offenbar eine auf Kontemplation zielende Lebensweise in Abgrenzung zu den der Welt und den äußeren Dingen verhafteten einfachen Gläubigen vorzogen61. Hier steht der Begriff des sepulcrum zunächst einmal für die uita contemplatiua der angesprochenen Leser, denen alle äußeren Dingen tot sind62, weil sie ja selbst mit Christus gestorben sind63. Dennoch empfiehlt Gregor seinen Lesern keineswegs eine ausschließlich kontemplative Lebensweise, sondern behauptet bereits mit dem folgenden Satz, daß sepulcrum auch für die uita actiua stehen kann64. Weil sowohl die uita contemplatiua als auch die uita actiua auf die Überwindung der ausschließlichen Diesseitsverhaftung zielen, gehören sie für Gregor unmittelbar zusammen. Der praedicator soll nicht allein den Rückzug von den äußeren Dingen in weitestgehender Trennung von der Welt leben, vielmehr soll er wissen, daß er mit der uita actiua zugleich auch einen Dienst im Bereich des Äußeren ausüben muß65. Der vollkommene praedicator darf deshalb weder um der contemplatio willen das Tun vernachlässigen, noch um der operatio willen die Kontemplation hintanstellen66. Dem praedicator sollte vielmehr die Gestalt Abrahams

59

Vgl. dazu auch die Ausführungen unter 1.3. Vgl. auch K. S. FRANK, Actio und Contemplatio bei Gregor dem Großen, TThZ 78, 1969, 283-295; McGlNN, Mystik II, 123ff.; M. SCHAMBECK, Actio und Contemplatio - Überlegungen zu einem Modell bei Gregor dem Großen, WiWei 62, 1999, 27-47; zu Gregors Anleihen bei Augustin, Cassian und Julianus Pomerius vgl. auch MARKUS, Gregory the Great, 17-22. 60

61

Mor. VI 3 7 , 5 6 - 6 2 ( 3 2 5 , 1 - 3 3 2 , 2 5 2 Adriaen). Mor. VI 37,56 ( 3 2 5 , l f f . Adriaen); vgl. auch EVANS, Thought, 107f. 63 Mor. VI 37,56 (325,7f. Adriaen). Um die enge Verbindung zwischen Christus und den Gläubigen aufzuzeigen, zitiert Gregor hier Kol. 3,3. 64 Mor. VI 37,56 (325,8-14 Adriaen). Vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 313. 65 Vgl. MARKUS, Gregory the Great, 23ff.; für STRAW, Gregory the Great, 45f. setzt Gregor das Ideal des „kontemplativen Verkündigers" gegen das Ideal des monastischen Asketen, der mit seiner Lebensführung zum Ausdruck bringt, daß er der Welt vollkommen gestorben und begraben ist (ebd. 189f.). 62

66

Mor. VI 37,56 (325,15-17 Adriaen). Vgl. auch McCLURE, Gregory the Great, 39.

Die praedicatores

Christi zwischen actio und contemplatio

195

vor Augen stehen, der seine Frau in einem Doppelgrab begrub67, und damit deutlich machte, daß er sich von den vordergründigen Wünschen dieses Lebens abgewandt und diese sowohl mit der uita actiua als auch mit der uita contemplatiua begraben hat68. Doch das eigentliche Vorbild für die Verbindung beider Lebensweisen durch den praedicator findet Gregor in der Person des Erlösers Jesus Christus, der am Tag Wunder in den Städten vollbrachte und sich nachts zum Gebet auf den Berg zurückzog69. Somit erweist sich der Inkarnierte selbst als vollkommener praedicator, der weder die uita actiua noch die uita contemplatiua vernachlässigte, sondern Kontemplation und actio zugunsten der Nächsten in seiner eigenen Lebensführung zusammenbrachte70, indem er sich in Liebe schauend zu Gott erhob, um dann wiederum verkündigend zum Nutzen der Nächsten zurückzukehren71. In der Nachahmung des inkarnierten Christus lassen sich somit keinesfalls die Kontemplation als Liebe zu Gott von der Tätigkeit und Verkündigung als Liebe zum Nächsten trennen, die der praedicator als das zeitliche Haupt des Leibes Christi nunmehr auch in seiner eigenen Lebensführung miteinander in Verbindung bringen soll72. Wie wichtig Gregor die Verkündigung und damit die tätige Nächstenliebe gerade derer ist, die schon in diesem Leben nach Vollkommenheit streben, läßt sich aus der weiteren Deutung desselben Verses Hiob 5,26 ablesen73. Mit großer Eindringlichkeit warnt Gregor zunächst einmal davor, die uita actiua möglichst schnell hinter sich zu lassen und zur uita contemplatiua aufzu-

67 Vgl. Gen. 23,19. Dieser Text eignet sich für Gregors Auslegung offensichtlich besonders, weil es dort heißt: atque ita sepeliuit Abraham Sarram uxorem suam in spelunca agri duplici. 68 Mor. VI 37,56 (325,17-24 Adriaen); vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 333. 69 Gregor bezieht sich an dieser Stelle offenbar auf Lk. 6,12. 70 Mor. VI 37,56 (325,24-326,30 Adriaen); vgl. zum Inkarnierten als Grund für die Verbindung zwischen uita actiua und uita contemplatiua auch LIEBLANG, Grundfragen, 169; MÉNAGER, Contemplation, 252; SCHAMBECK, Contemplatio, 334. 71 Mor. VI 37,56 CCSL 143 S. 326,30-32: Speculando quippe in Dei amore surgitur, sed praedicando ad proximi utilitatem reditur, vgl. auch MARKUS, Gregory the Great, 23f. vermutet hingegen, daß Gregor die Vorstellung, das kontemplative Leben sei dem aktiven übergeordnet, mit dieser Formulierung herunterspielen möchte. 72 Mor. VI 37,56 (326,32ff. Adriaen) Zu Gregors genuiner Konzeption als Symbiose beider Formen im Leben des Verkündigers vgl. auch CATRY, L'amour du prochain, 290f.; BUTLER, Western Mysticism, 213ff.; DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 151-163; BAASTEN, Pride, 103ff.; FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 224-231; SCHAMBECK, Contemplatio, 310-336, die sich darum bemüht darzustellen, daß sich actio und contemplatio bei Gregor „gegenseitig bedingen und beleben" (ebd. 319). 73 Mor. VI 37,59-62 (329,142-332,252 Adriaen); vgl. auch MARKUS, Gregory the Great, 23. Darum, daß die uita actiua auf die uita contemplatiua schon in diesem Leben vorbereitet, wie SCHAMBECK, Contemplatio, 311-314 meint, geht es Gregor an dieser Stelle jedoch nicht.

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steigen74. Wer mehr zu kontemplieren versucht, als er in der Lage ist zu verstehen, der steht schon sehr bald in der Gefahr, falsche Lehren anzunehmen und möglicherweise sogar selbst zu einem Häretiker und Lehrer des Irrtums zu werden75. Aber auch die kleinere Zahl derjenigen, die schon in dieser Welt ausschließlich nach der uita contemplatiua leben will76, muß sich nach ihrer Liebe und Verantwortung gegenüber dem Nächsten fragen lassen, um sich nicht hochmütig zum Nebel des Irrtums (nebula erroris) zu erheben77. Ein vollkommen kontemplatives Leben ist für Gregor erst in der Ewigkeit möglich; wer in dieser Welt wahrhaft vollkommen sein will, muß sich hier in diesem Leben zuerst und vor allen Dingen mit der uita actiua abmühen, bevor ihm die ewige Ruhe der contemplatio in der künftigen Welt geschenkt wird78. Zu diesem Zweck ruft er seinen Lesern die Erzählung von der Heilung des besessenen Geraseners ins Gedächtnis. Denn dieser wollte, nachdem er von Jesus geheilt worden war, zu dessen Füßen sitzen bleiben, wurde jedoch von Jesus nach Hause geschickt, um auch anderen von seiner Heilung zu berichten79. Ganz ähnlich wie dieser Gerasener wollen offenbar auch die Angesprochen, die bereits etwas vom Göttlichen erkannt haben, nicht mehr zu den menschlichen Angelegenheiten zurückkehren. Sie verweigern sich den Mühen um den Nächsten und suchen in diesem Leben allein die Ruhe der Kontemplation80. Genau diese Menschen jedoch schickt Christus wieder nach Hause und befiehlt ihnen zu verkündigen, was mit ihnen geschehen ist, denn sie sollen sich zuerst in dieser Welt mit ihrem nach außen gerichteten Tun mühen, bevor sie sich an der ewigen Kontemplation erfreuen dürfen 81 .

74 Mor. VI 37,57f. ( 3 2 6 , 5 6 - 3 2 9 , 1 4 1 Adriaen). Vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 320f. und DIES., Actio und Contemplatio S. 35f., die in diesem Zusammenhang von der „Schlüsselfunktion der Individualität" spricht. Doch derart moderne Vorstellungen wie Individualität oder gar Subjektivität (ebd. 25) sind von Gregor nicht gemeint, ihm geht es um unterschiedliche Menschentypen, vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 2 2 9 vollkommen zu Recht annimmt. 75

Mor. VI 3 7 , 5 7 (327,67-71 Adriaen): Hinc namque est quod nonnulli inquieti spiritus, dum plus exquirunt contemplando, quam capiunt, usque ad peruersa dogmata erumpunt, et dum ueritatis discipuli esse humiliter neglegunt, magistri errorum fiunt. 76

Vgl. auch Mor. X X X I I 3,4 ( 1 6 2 9 , 4 6 - 5 3 Adriaen). Mor. VI 37,58 ( 3 2 8 , 1 2 2 - 3 2 9 , 1 2 9 Adriaen). 78 Mor. VI 37,59f. ( 3 2 9 , 1 5 5 - 3 3 0 , 1 6 1 Adriaen); vgl. auch MARKUS, Gregory the Great, 23. 77

79

Mor. VI 3 7 , 6 0 ( 3 3 0 , 1 6 3 - 1 6 8 Adriaen). Gregor bezieht sich hier auf Lk. 8 , 2 6 - 3 9 . " Mor. VI 37,60 ( 3 3 0 , 1 6 8 - 1 7 2 Adriaen): Cum enim quamlibet parum de diuina cognitione perspicimus, redire ad humana iam nolumus et proximorum necessitatibus onerari recusamus, quietem comtemplationis quaerimus, nihil aliud nisi hoc quod sine labore reficit, amamus. 8

81

Mor. VI 37,60 ( 3 3 0 , 1 7 5 - 1 7 5 Adriaen). Gregor nimmt den Leser mit dem charakteristischen nos gleichsam in die Erzählung mit hinein.

Die praedicatores Christi zwischen actio und contemplatio

197

U m das G e m e i n t e noch besser und mit B e i s p i e l e n aus der Schrift zu verans c h a u l i c h e n , legt Gregor nun die Erzählung v o n Jakob aus, der u m Rahel diente, aber zunächst nur Lea bekam 8 2 . Rahel, die s c h ö n und unfruchtbar war, steht hier für die Kontemplation, die nach dem, w a s Gottes ist, fragt, während Lea als die Kurzsichtige und Fruchtbare die uita actiua symbolisiert, die sich tätig u m d i e N o t w e n d i g k e i t e n bemüht 8 3 . D e r K o n t e m p l i e r e n d e sieht mehr, d o c h bringt er für Gott w e n i g e r Kinder hervor, während j e d o c h der Verkünd i g e n d e umgekehrt w e n i g e r sieht, aber mehr Kinder gebiert 8 4 . E b e n s o w i e Jakob m u ß sich also auch der a n g e s p r o c h e n e L e s e r z u n ä c h s t mit der uita actiua d e n M ü h e n der praedicatio unterziehen, d i e v i e l e K i n d e r hervorbringt 85 , bevor er die angestrebte Ruhe der Kontemplation erlangen kann 8 6 . Im g l e i c h e n Sinn interpretiert Gregor dann auch die b e i d e n Frauenfiguren Martha und Maria nach Lk. 10.38-42 8 7 . Während Maria als Sinnbild für die uita contemplatiua den Worten des Erlösers untätig zuhörte und zu s e i n e n Füßen saß 8 8 , w o l l t e die für die uita actiua stehende Martha ihm tätig zu D i e n sten sein. Marthas Sorge, so betont Gregor nachdrücklich, wird nicht getadelt, Maria wird j e d o c h gelobt, w e i l ihre Verdienste g e g e n ü b e r denen der Martha angesichts der k o m m e n d e n W e l t doch noch größer sind 8 9 . 82 Mor. VI 37,61 (330,176ff. Adriaen). FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 224 Anm.151 meint, daß Gregor mit dieser Interpretation Augustin c. Faust. 22,52 (CSEL 25,1, 645,11-647,17 Zycha) folgt, der mit Bezug auf auf die beiden Frauen Jakobs erklärt hatte, die Nächstenliebe sei die Voraussetzung für die Gottesschau. Doch Gregor geht es nicht so sehr darum, die Voraussetzungen für die uisio Dei zu klären als den Angesprochenen die uita actiua nahezulegen. Vgl. zur Auslegung der beiden Frauenfiguren auch V. PARONETTO, Rachele e Lia, Studium 62, 1966, 733-740. 83 Mor. VI 37,61 (330,181-183 Adriaen); vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 189ff.; EVANS, Thought, 107; MARKUS, Gregory the Great, 23. 84 Mor. VI 37,61 (330,184-187 Adriaen). 85 An anderer Stelle, Mor. XXX 13,47f. (1522,lff. Adriaen), schildert Gregor mit großer Eindringlichkeit die Geburtsschmerzen des Paulus, der als praedicator nicht auf der Höhe der Kontemplation bleibt, sondern, um Kinder hervorzubringen, mit seiner Verkündigung zur menschlichen Schwachheit herabsteigt. 86 Mor. VI 37,61 (330,185ff. Adriaen). 87 Mor. VI 37,61 (330,190-331,205 Adriaen); vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 225. Zur Auslegungsgeschichte vgl. auch D. CSÄNYI, Optima pars. Die Auslegungsgeschichte von Lk. 10,38-42 bei den Kirchenvätern der ersten vier Jahrhunderte, StMon 2, 1960, 5-78. 88 Mit der Formulierung: ad pedes illius residebat (Lk. 10,39) schafft Gregor eine Verbindung zwischen Maria und dem geheilten Gerasener, der nach Gregor ebenfalls zu Jesu Füßen saß: ... ad Saluatoris sui pedes residet, Mor. VI 37,60 (330,163f. Adriaen). Der Bibeltext sagt lediglich, daß der Gerasener bei Jesus bleiben wollte: ... ut cum eo esset (Lk. 8,38). 89 Mor. VI 37,61 CCSL 143 S. 331,201-203. Im Kommentar zum 1. Königebuch V 180 (CChr.SL 144, 531,4389-532,4432 de Vogüe) wird der praedicator, der wegen seiner Sorge um die Brüder nicht still zu Füßen des Erlösers sitzen bleiben kann, mit Martha verglichen, die ihm tätig dient und ihn gleichwohl immer wieder betrachtet. Vgl.

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Kapitel

8

Wie Augustin begründet auch Gregor den Vorrang der uita contemplatiua an dieser Stelle eschatologisch90, denn die Werke der uita actiua sind an die körperliche Welt gebunden und werden im Unterschied zur Kontemplation auch mit dieser Welt an ihr Ende kommen91. Damit kann als letzte Interpretation sepulcrum nicht die uita contemplatiua in diesem Leben, sondern die endgültige Kontemplation nach den vielfältigen Mühen in dieser Welt meinen92. Für diese Deutung bietet sich insbesondere die zweite Hälfte des Verses Hiob 5,26 an: sicut infertur aceruus in tempore suo93. Für die Erwählten ist die gegenwärtige Zeit, in der sie mannigfaltige Nöte spüren und erleiden, nur eine fremde Zeit, während ihre eigene Zeit, die sie von diesen Sorgen und Nöten befreit, das Grab ist, das ihnen, die sich zuvor in der fremden Zeit abgemüht haben, die ersehnte ewige Ruhe der Kontemplation schenkt94. Die lange Auslegung zu Hiob 5,26, in der Gregor das Verhältnis zwischen der uita actiua und der uita contemplatiua erörtert, läßt erkennen, daß es ihm weniger um eine allgemeine Zuordnung der beiden Modelle zur Lebensführung geht95 als darum, den nach Vollkommenheit strebenden Lesern nahezulegen, daß sie von Christus dazu angehalten werden, um der Nächsten willen auch ihre Aufgabe als praedicatores in dieser Welt wahrzunehmen. Christus selbst hat ihnen unter den Bedingungen der Zeit vorgelebt, wie diese Verbindung zwischen der kontemplativen Liebe zu Gott und der tätigen Liebe zum Nächsten gelingen kann, und schickt nun als das erhöhte Haupt seine Glieder, die zu Füßen ihres Herrn sitzen bleiben und schon hier ein nur kontemplatives Leben führen möchten, immer wieder zu seiner Verkündigung in die Welt hinaus. Die endgültige Ruhe vor allen mit Mühe und Leid verbundenen Betätigungen, die sie schon hier ersehnen, können sie in der Zeit noch

auch A . DE VOGÛÉ, Les vues de Grégoire le Grand sur la vie religieuse dans son Commentaire de Rois, StMon 20, 1978, 17-63. 90 Zu Augustins Interpretation der Maria und Martha Perikope vgl. auch A. M. LA BONNARDIÈRE, Les deux vies. Marthe et Marie, in: dies. (Hg.): Saint Augustin et la Bible, BiToTe 3, Paris 1986, 4 1 1 - 4 2 5 ; SCHAMBECK, Actio und Contemplatio, 31. 91

Mor. VI 37,61 ( 3 3 1 , 2 0 3 f f . Adriaen). Mor. VI 3 7 , 6 2 ( 3 3 1 , 2 1 6 f f . Adriaen). 93 Mor. VI 3 7 , 6 2 ( 3 3 2 , 2 2 3 f f . Adriaen). 94 Mor. VI 3 7 , 6 2 ( 3 3 2 , 2 4 6 - 2 4 8 Adriaen): Sepulcrum ergo in tempore frumenti aceruus ingreditur, quia ille aeternam requiem percipit, qui prius exurendis paleis liber sit, disciplinae pressuras sentit. 92

suo sicut hic, ut ab

95 Diesen Eindruck erweckt die Darstellung bei SCHAMBECK, Contemplatio, 3 1 0 f f . , die in dies.: Actio und Contemplatio wiederkehrt. Hier werden drei unterschiedliche Modelle der Zuordnung unterschieden: 1. actio als Vorbereitung auf die contemplatio, 2. Vorordnung der contemplatio vor die actio, 3. die bleibende Spannung zwischen actio und contemplatio. Unfreiwillig macht Schambeck jedoch selbst deutlich, daß Gregor keinerlei Interesse an solchen Zuordnungen gehabt haben kann, weil sie für jedes ihrer Modelle auf die hier diskutierte Stelle in Mor. VI 3 7 , 5 6 f f . verweist.

Die praedicatores

Christi zwischen actio und

contemplatif)

199

nicht erreichen. Hier und jetzt müssen sie sich tätig in der Verkündigung um ihre Nächsten mühen, damit ihnen dann in der künftigen Welt schließlich die ewige Ruhe und Kontemplation zuteil wird96. 8.4.2. Der mediator Dei et hominum als Modell für die Verbindung zwischen uita contemplatiua und uita actiua Aus einer etwas anderen Perspektive beleuchtet Gregor das Verhältnis zwischen uita contemplatiua und uita actiua im Zuge der Auslegung von Hiob 38,6: Vel quis dimisit lapidem angularem eius?91. Mit dem Begriff des Ecksteines wird auf eine christologische Interpretation verwiesen, jedoch klingt die Verbindung zwischen Juden und Heiden durch den Eckstein Christus in der einen Kirche hier nur kurz an, weil Gregor dieses Thema schon an anderer Stelle länger entfaltet hat98. Statt dessen legt er nun die beiden Naturen Christi aus und betont, daß Christus, indem er unsere menschliche Natur annahm, zugleich auch unser Verstehen aufrichtet und uns die Möglichkeit der Kontemplation eröffnet hat99. In sich selbst hat er die beiden Lebensführungen der uita actiua und der uita contemplatiua vereint und damit den Gläubigen ein Beispiel gegeben100. Ursprünglich waren beide Lebensweisen vollständig voneinander geschieden, erst der Inkarnierte hat sie in sich selbst vereint und beide mit seinem eigenen Leben sichtbar gemacht, indem er tagsüber Wunder in den Städten tat und sich nachts zum Gebet auf den Berg zurückzog. Mit dem exemplum seines eigenen Lebens hat er gezeigt, wie sowohl die Liebe zu Gott als auch die vergängliche Liebe zum Nächsten geübt werden kann, ohne eines von beiden zu vernachlässigen101. Dem unwissenden menschlichen Herzen 102 erschien

9 6 F L E D R O W I C Z , Kirchenverständnis, 2 2 6 formuliert in diesem Zusammenhang zu wenig prägnant: „Solange nämlich hier auf Erden zusammen mit anderen Menschen gelebt wird, darf sich niemand von den Pflichten der Nächstenliebe dispensieren, ohne die das himmlische Reich nicht zu erlangen ist". 97 Mor. XXVIII 13,33 ( 1 4 2 0 , l f f . Adriaen); vgl. auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 161. 98 Mor. XXVIII 8,19 ( 1 4 1 0 , l f f . Adriaen); vgl. zu dieser Auslegung auch F L E D R O W I C Z , Kirchenverständnis, 1 0 0 . 99 Mor. XXVIII 13,33 (1420,3-8 Adriaen). 100 Mor. XXVIII 1 3 , 3 3 ( 1 4 2 0 , l O f . Adriaen) Vgl. dazu auch S C H A M B E C K , Contemplatio, 331: „Weil die Kenosis Gottes den Aufstieg des Menschen zu Gott erst wieder ermöglichte, Actio aber die Nachgestaltung der Entäußerung und Contemplatio die Imitatio des Aszensus ist, ist deren Korrelation auch die Weise, das Paradigma, das Christus ist, nachzuahmen. Hier klingt an, was durch die Inkarnation ausgelöst wurde".

101 Mor. XXVIII 13,33 (1420,14-1421,21 Adriaen). Dieser Abschnitt lehnt sich inhaltlich sehr eng an die bereits untersuchte Passage aus Mor. VI 37,56 an; vgl. auch

SCHAMBECK, C o n t e m p l a t i o , 3 3 0 . 102

Zu Gregors Vorstellung Contemplatio, 20ff.

vom

menschlichen

Herzen

vgl.

auch

SCHAMBECK,

200

Kapitel 8

der Mittler zwischen Gott und Mensch, der mit seiner irdischen Wirksamkeit einerseits das Vergängliche ordnete und andererseits durch sein eigenes Betrachten zeigte, wovon alles abhängt103. Die Person Christi ist demnach in ihrer zweifachen Natur der eigentliche Schlüssel für die Verbindung zwischen uita actiua und uita contemplatiua, weil Christus als inkarnierter Gottessohn in seinem eigenen Leben beide Lebensweisen gleichermaßen praktiziert hat104. Als der einzige, der sine tempore war, konnte er seinem noch irdischen Leib cum tempore zeigen, daß in diesem Leben die verschiedenen Lebensführungen nicht notwendig auseinanderfallen müssen105. Die tiefste Begründung für die Verknüpfung von uita actiua und uita contemplatiua liegt demnach in der Inkarnation Christi, der die menschliche Natur angenommen hat und von der Höhe in die Tiefe hinab gestiegen ist106. Sie ermöglicht dem sich noch in dieser Welt befindlichen Leib Christi die Kontemplation als erneute Ausrichtung auf die künftige Welt und läßt ihn zugleich unter den Bedingungen der Zeit und in der Nachfolge Christi eine Synthese zwischen der uita actiua und der uita contemplatiua leben. 8.4.3. Die Verbindung zwischen uita contemplatiua und uita actiua im gegenwärtigen Leben derpraedicatores Auf die Einheit zwischen der uita actiua und der uita contemplatiua, die der praedicator mit seinem eigenen Leben in der Nachfolge Christi gestalten soll, geht Gregor im Verlauf seiner Moralia in Job noch häufiger ein107. So stellt er beispielsweise im letzten Teil einer längeren Interpretation von Hiob ll,14f. mit Vers 15: Et eris stabilis et non timebis fest108, daß in dieser vergänglichen Welt weder die eine Lebensweise, die auf den Nutzen für den Nächsten abzielt, noch die andere, der man näher kommt, wenn man von sich selbst absieht und statt dessen allein dem Höheren zustrebt, von ewiger Dauer sein 103

Mor. XXVIII 13,33 (1421,21-24 Adriaen); vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 223. 104 Vgl. auch MCGINN, Mystik II, 91: „Jesus, der Gottheit und Menschheit in sich vereint, ist die Mitte von Gregors Versuch, Innen und Außen, Kontemplation und Aktion in der Heilsgeschichte zu verbinden". Leider wird dieses Thema von McGinn nicht weiter vertieft. 105 Mor. XXVIII 13,33 (1421,26-28 Adriaen): Nisi ego, qui unicum sine tempore genui seruandis hominibus cum tempore ostendi, in cuius uita discerent etiam diuersa uiuendi studia non discrepare. 106 Mor. XXVIII 13,33 (1421,29f. Adriaen). 107 Ausführlich beschreibt Gregor in Mor. XXXI den praedicator Paulus einerseits unter dem Bild des Pferdes Gottes, das sich hier in dieser Welt müht und gegen die Laster ankämpft, und andererseits unter dem Bild eines Vogels, der sich zur Kontemplation des Göttlichen erhebt, vgl. dazu auch den Abschnitt Mor. XXXI 45,91 (1612,108ff. Adriaen), der das Scharnier zwischen diesen beiden Auslegungen bildet. 108 Mor. X 15,31 (559,123ff. Adriaen); vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 322f.

Die praedicatores

Christi zwischen actio und contemplatio

201

kann109. Deshalb muß auch derpraedicator von der contemplatio, bei der er nicht lange verweilen kann, immer wieder zum Tun zurückkehren, um dann anschließend wieder zur contemplatio aufsteigen zu können 110 . Der Gedanke, daß der praedicator die contemplatio in diesem Leben nicht beständig genießen, sondern immer wieder zur actio zurückkehren und sich auch dort um der Nächsten willen bewähren muß, durchzieht die Auslegung in den Moralia in Jobm. So deutet Gregor das Bild von der Heuschrecke, die sowohl Beine als auch Flügel besitzt, auf das Leben der praedicatores, weil diese sich einerseits am Erdboden mit der uita actiua abmühen müssen, sich jedoch andererseits auch vom Erdboden lösen und im Sinne der uita contempladua ihre Flügel benützen können112. Weil sie hier aber nicht endgültig bei der contemplatio verharren können, müssen sie wie die Heuschrecken bald wieder herabsteigen, um erneut auf der Erde tätig zu werden und dabei zugleich wieder das Verlangen nach dem Aufstieg zu verspüren113. Gregor vergleicht die Verkündiger auch mit Fischen, die von Zeit zu Zeit aus der Tiefe auftauchen müssen, um sich an der frischen Luft zu erquikken114. Die praedicatores scheinen auch wie die Sonne, weil sie dem gegenwärtigen Leib Christi durch ihre Kontemplation die Augen für das ewige Vaterland öffnen, dann aber leuchten sie wie die Sterne, weil sie in der gegenwärtigen Dunkelheit mit ihrer uita actiua unsere irdischen Notwendigkeiten ordnen 115 , indem sie uns durch ihr irdisches Tun ein Beispiel zur Nachahmung geben 116 . Schließlich gleichen die praedicatores den Blitzen, die nach Hiob 38,35 von Gott geschickt werden, von ihm ausgehen und zu ihm zurückkommen 117 . So treten auch die heiligen Männer nach der

109

Mor. X 15,31 (559,123-133 Adriaen). Mor. X 15,31 (560,141-146 Adriaen). 111 Vgl. auch MARKUS, Gregory the Great, 24: „The life of the faithful minister is a constant returning from action to contemplation and from contemplation to action". 112 Mor. XXXI 25,49 (1584,71ff. Adriaen). 113 Mor. XXXI 25,49 (1584,84-1585,93 Adriaen): Qui in hac uita positi, diu in diuina contemplatione manere non possunt, sed, quasi locustarum more, a saltu quem dederant in pedibus suis se excipiunt, dum post contemplationem sublimia ad necessaria actiuae uitae opera reuertuntur, nec tamen in eadem uita actiua remanere contenti sunt. Sed dum ad contemplationem desideranter exsiliunt, quasi rursum aera uolantes petunt; uitamque suam uelut locustae ascendentes descendentesque peragunt, dum sine cessatione semper et summa uidere ambiunt, et ad semetipsos naturae corruptibilis pondere reuoluuntur. 110

114

Mor. V 11,19 (231,64ff. Adriaen); vgl. auch MARKUS, Gregory the Great, 24. Mor. IX 8,8 (461,14-17 Adriaen): Praedicatores sancii et sol nostris oculis fiunt cum contemplationem nobis uerae lucis aperiunt, et uelut stellae in tenebris lucent cum per actiuam uitam profuturi nostris necessitatibus terrena disponunt. 116 Mor. IX 8,8 (461,17-21 Adriaen). 117 Mor. XXX 2,8 (1495,53ff. Adriaen); vgl. auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 160f. 115

202

Kapitel 8

Kontemplation hinaus in die öffentliche Wirksamkeit 118 und kehren wieder zu ihr zurück, um sich neu an der göttlichen Flamme zu entzünden 119 . Der gleiche Sachverhalt läßt sich für Gregor auch mit dem Bild des Flusses ausdrükken, der nach Eccl. 1,7 an den Ort zurückfließt, an dem er entsprungen ist120. Wie sich die heiligen Männer nach der Kontemplation dem Dienst an uns als der uita actiua zuwenden und um unseretwillen mit körperlichen Worten verkündigen, zugleich aber unablässig und kontinuierlich zur Betrachtung des Göttlichen zurückkehren 121 , sollen auch die gegenwärtigen praedicatores denn niemand anderes ist mit dem für Gregors Auslegung so charakteristischen nos gemeint - nach der contemplatio den Dienst der uita actiua versehen und anschließend wieder zur contemplatio zurückfinden 122 . Mit immer neuen Bildern und Vergleichen 123 beschreibt Gregor diese Verbindung zwischen der uita actiua und der uita contemplatiua, die das Leben der praedicatores nach dem Vorbild des inkarnierten Christus mitten in dieser Welt prägen soll124. Eine solche Lebensführung, davon ist Gregor überzeugt, kann ein praedicator des Leibes Christi jedoch nicht inmitten des tumultus der vielfältigen weltlichen Aufgaben erlernen und einüben 125 . Er muß sich vielmehr von den Sorgen und Beschäftigungen dieser Welt zumindest zeitweise abwenden und, soweit das unter den Bedingungen dieser Zeit möglich ist, sich dem Göttlichen kontemplierend zuwenden, was nichts anderes heißt, als unter Abse-

118 Mor. X X X 2,8 (1495,53-55 Adriaen): Fulgura etenim, sicut superius dictum est, sancti uiri mittuntur et eunt, cum a secreto contemplationis ad publicum operationis exeunt. 119 Mor. XXX 2,8 (1495,57-61 Adriaen). 120 Mor. X X X 2,8 (1495,63ff. Adriaen). 121 Mor. X X X 2,8 (1496,69-76 Adriaen). 122 Mor. XXX 2,8 (1496,84-89 Adriaen). Gregor wiederholt hier noch einmal den Vers Hiob 38,34 als direkte Gottesrede im Hinblick auf die praedicatores. Die Formulierungen entsprechen denen, die er einige Zeilen zuvor für die heiligen Männer als der Vorbilder für die gegenwärtigen praedicatores gebraucht hatte. 123 Vgl. zu den von Gregor verwendeten Bildern für den praedicator auch J. ZABALETA, El ministerio y la vida sacerdotal en S. Gregorio Magno, Clar. 13, 1973, 81186, hier vor allem 104-108; L. GLORDANO, Note sul simbolismo dei praedicator nell'omelie sul Vangeli di Gregorio Magno, in: dies. (Hg.): Gregorio Magno. II maestro della communicazione spirituale e la tradizione gregoriana in Sicilia, Catania 1991, 157-

175.

124 y g i MARKUS, Gregory the Great, 24, der zu Recht hervorhebt, daß es für Gregor keinen linearen Aufstieg von der actio zur contemplatio gibt. 125

Das macht Gregor beispielsweise als Auslegung von Num. 32 zu Hiob 36,32 in Mor. XXVII 13,24f. (1348,1-1350,73 Adriaen) deutlich. Mor. XII 52,59 (664,26ff. Adriaen) betont ebenfalls die Gefahren, die einem praedicator und Leiter des Volkes von der Beschäftigung mit äußeren Angelegenheiten drohen.

Die praedicatores

Christi zwischen actio und contemplatici

203

hung der äußeren Dinge den Gang nach innen anzutreten126. Ein solcherpraedicator erweist sich dem Äußeren gegenüber zunächst einmal gleichsam als schlafend und ganz auf das Innere ausgerichtet127. Nur wer durch anhaltende Übung und beständige Ausrichtung auf das Himmlische im Inneren gefestigt ist, kann anderen Menschen im Äußeren dienen und ihnen voranstehen, ohne in den alten Stolz zurückzufallen, seine Ausrichtung an den spiritalia zu vergessen und sich von den Äußerlichkeiten bestimmen zu lassen128. Gregor verweist in diesem Zusammenhang wiederum auf das Beispiel des Mose, der sich zwar schon in Ägypten darum bemüht hatte, auf seinen Herrn zu hören, ihm gegenüber jedoch aufgrund seiner mannigfaltigen äußeren Beschäftigungen nur eingeschränkt wach war129. Erst in der Wüste wurde Mose dem tumultus des Äußeren gegenüber empfindungslos und dementsprechend endgültig wach für die innere Begegnung mit dem Göttlichen130. Doch gerade diejenigen, die einen immer größeren Abstand zur Welt bekommen wollen, werden gegenwärtig mit weltlichen Aufgaben belastet und in die Sorge um zeitliche Dinge eingebunden131, ebenso wie seinerzeit Mose, der Jahre später zu einem praelatus des Volkes Israel wurde und als solcher die Verknüpfung zwischen uita actiua und uita contemplatiua zu leben hatte132. Als das Haupt seines Volkes wurde er zur Gottesbegegnung auf 126 Mor. V 11,19 (231,54ff. Adriaen); vgl. dazu auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 176-178. 127 Mor. XXIII 20,37 (1171,lff. Adriaen) als Auslegung zu Hiob 33,15. Den Schlaf versteht Gregor häufiger als Sinnbild für die Kontemplation des Göttlichen in dieser Welt, vgl. auch Mor. IV 28,54 (198,lff. Adriaen); Mor. VIII 24,41 (411,lff. Adriaen). 128 Mor. XII 52,59 (664,26-34 Adriaen) beschreibt die Schwierigkeiten des praedicator und praelatus folgendermaßen: Quia enim saepe contingit ut pro utilitate multorum etiam sancii uiri exterioribus actibus seruiant, et populorum gubernationibus occupentur, hoc infirmi aspicientes, et per uetustam adhuc superbiam quaerentes imitari, exterioribus se actionibus inserunt; sed quanto ad eas non eruditi spiritalibus ueniunt, tanto eas carnaliter exsequuntur. Nisi enim prius cor longo studio et diutina conuersatione in desideriis caelestibus conualescat, cum ad exteriora agenda refiinditur, ab omni statu boni operis eradicatur. 129

Mor. XXIII 20,37

(1172,21-31

A d r i a e n ) ; v g l . a u c h SCHAMBECK,

Contemplatio,

327f. 130

Mor. XXIII 20,37 (1172,23-28 Adriaen): Sed extincto Aegyptio, postquam in desertum fugit, illic dum quadraginta annis deguit, quasi ab inquietis terrenorum desideriorum tumultibus obdormiuit; atque idcirco diuinam uocem percipere meruit, quia per supernam gratiam quanto magis ab appetendis exterioribus torpuit, tanto uerius ad cognoscenda interiora uigilauit. 131 Mor. V 4,5 (222,lff. Adriaen); vgl. dazu insbesondere MARKUS, Gregory the Great, 24; ähnlich auch Mor. XVIII 43,70 (935,73ff. Adriaen); Mor. XXIII 20,38 (1172,32ff. Adriaen). 132 Mor. XXIII 20,37 (1172,29 Adriaen): ... israelitici populi turbis praelatus ... Diese Form der uita mixta erscheint Gregor geradezu als die Lebensform der praedicatores des Leibes Christi in dieser Welt.

204

Kapitel 8

den Berg geführt, ließ dort die äußeren Wirren dieser Welt hinter sich und horchte allein auf die göttliche Stimme, um sich anschließend wieder dem Volk zuzuwenden, ihm das Gehörte zu vermitteln und nach außen zu wirken133. So sollen sich auch die heutigenpraedicatores und rectores immer wieder von den Erkenntnissen der fleischlichen Sinne lösen und sich nach innen wenden, bevor sie im Äußeren und für die Menschen sichtbar handeln134. Auf die rechte Verbindung zwischen uita actiua und uita contemplatiua kommt es für Gregor insbesondere im Hinblick auf die Häupter des Leibes Christi an, die als praedicatores Verantwortung für das Volk tragen und es leiten sollen135. Für sie gibt es neben dem Bereich des Inneren, der der Kontemplation des unanschaulich Göttlichen vorbehalten ist, auch einen nicht minder wichtigen Bereich des Äußeren, in dem sie, durch die menschlichen Notwendigkeiten gezwungen, einen öffentlichen Dienst zu verrichten haben136. Gerade weil sie keinerlei Amt oder weltliche Funktion selbstherrlich und von sich aus anstreben 137 , sondern sich demütig allein der göttlichen Verfügung unterordnen sollen, die ihnen diese Tätigkeiten im äußeren Bereich geradezu gegen ihren eigenen Willen auferlegt 138 , können sie, ohne in ihrer inneren Ausrichtung auf das Göttliche Schaden zu nehmen, zugleich auch im Äußeren wirksam werden und dieses Äußere durch ihre Verkündigung und ihr Tun ordnen139. Was Gregor von den praedicatores des Leibes Christi fordert, das tut er zugleich selbst mit seiner Auslegung des Buches Hiob in den Moralia, die er offenbar als Verkündigung und damit als eine zeitliche actio versteht. Weil 133

Mor. XXIII 20,38 (1172,32ff. Adriaen). Mor. XXIII 20,38 (1173,43ff. Adriaen). Der Abschnitt beginnt mit: Hoc cotidie boni rectores faciunt... 135 Gerade der Verkündigerstand soll die Verbindung zwischen uita actiua und uita contemplatiua leben, vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 332ff.; DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 151f.;l63 u.ö. behauptet hingegen die Priorität des kontemplativen Lebens und geht damit letztlich an Gregors Absicht vorbei. 136 y 4,5 (222,8-12 Adriaen): Et intus quidem seruant desiderium pietatis, Joris autem expient ministerium ordinis; quatenus nec a perfectione per intentione recedant, nec dispositioni conditoris per superbiam contradicant. Mira enim diuinitatis pietate agitur, cum is qui perfecto corde ad contemplationem tenditur, humanis ministeriis occupatur...-, vgl. auch Mor. XXIII 20,38 (1172,32ff. Adriaen); Mor. XVIII 43,70 (935,77ff. Adriaen): Pleni quippe superna sapientia discernunt qualiter debeant et ad aliud uacare intrinsecus, et ad aliud extrinsecus occupari; ut si forte occulta Dei ordinatione aliquid eis non appetentibus de huius saeculi curis imponitur, cédant Deo quem diligunt et prae amore eius intrinsecus solam illius desiderent uisionem; prae timore uero eius impositam sibi extrinsecus humiliter expleant actionem ... 134

137

138

V g l . d a z u a u c h FIEDROWICZ, K i r c h e n v e r s t ä n d n i s , 2 0 8 - 2 1 1 .

Mor. XVIII 43,70 (936,94ff. Adriaen); Mor. XXIII 1,8 (1149,240-249 Adriaen); Mor. XXIV 25,55 (1229,94ff. Adriaen). 139 Mor. XVIII 43,70 (935,73ff. Adriaen).

Die praedicatores

Christi zwischen actio und contemplatio

205

aber der praedicator auch nicht dauerhaft bei der actio verweilen kann, kündigt er im letzten Kapitel an, daß er nun, nachdem er seinen Lesern das Wort Gottes ausgelegt und damit einen äußeren Dienst auf sich genommen hat, ad curiam cordis und damit in sein Inneres zurückzukehren habe140. Die Verbindung zwischen uita actiua und uita contemplatiua, wonach der praedicator im Innern kontemplierend auf das Göttliche und im Äußeren ordnend tätig auf den Nächsten ausgerichtet ist141, gründet demnach in der Person Christi, der sich um der sündigen Menschen willen erniedrigte und Mensch wurde, und auch als Inkarnierter dennoch Gott und Schöpfer aller Dinge blieb. Ihm sollen die praedicatores als die gegenwärtigen Häupter des Leibes Christi mit ihrem eigenen Leben entsprechen und sich nicht durch die allgegenwärtigen falschen praedicatores, die Gregor in den Typen der Häretiker und der arrogantes beschrieben findet, von ihrem Weg, der nur über die Demut zur endgültigen Herrlichkeit führt, abbringen lassen.

140

Mor. XXXV 20,49 (1810,82f. Adriaen). Vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 332; MARKUS, Gregory the Great, 24: „this is how Gregory pictured the wholeness of the preacher's life in the very last chapter of the Moralia". 141 Vgl. auch Mor. V 11,19 (231,69-73 Adriaen): Qui ergo rebus temporalibus occupantur, tunc bene exteriora disponunt cum sollicitate ad interiora refugiunt; cum nequaquam foras perturbationum strepitus diligunt, sed apud semetipsos intus in tranquillitatis sinu requiescunt.

Kapitel 9

Christus und sein Leib in Abgrenzung zu häretischen und arroganten praedicatores 9.1. Die Abgrenzung gegenüber den Häretikern 9.1.1.

Wen meint

Gregor

mit den

Häretikern?

D i e A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t H ä r e t i k e r n , d i e G r e g o r in H i o b s w i e d e r f i n d e t , spielt in d e n Moralia

Freunden

in Job i m U n t e r s c h i e d z u s e i n e n a n d e r e n

e x e g e t i s c h e n W e r k e n , in d e n k a u m H ä r e t i k e r v o r k o m m e n , e i n e w i c h t i g e R o l l e 1 . W e n er a l l e r d i n g s m i t d i e s e n Häretikern m e i n t , v o r d e r e n L e h r e n u n d praedicatio

er s e i n e L e s e r i m m e r w i e d e r warnt, ist n i c h t g a n z e i n f a c h f e s t z u -

stellen 2 . Z w a r n e n n t er b i s w e i l e n e i n i g e N a m e n 3 , d o c h w i r d n i c h t s o recht klar, g e g e n w e n er s i c h hier i m E i n z e l n e n w e n d e t 4 . D a ß G r e g o r m i t der u n s p e z i f i s c h b l e i b e n d e n G r u p p e v o n H ä r e t i k e r n in seinem H i o b k o m m e n t a r kaum eine oder mehrere der konkreten Häresien s e i n e r e i g e n e n Z e i t v o r A u g e n hat, m i t d e n e n er s i c h auf d o g m a t i s c h e r E b e n e auseinandersetzt 5 , wird b e i g e n a u e r e m H i n s e h e n s c h n e l l deutlich 6 . W i e w e n i g 1

Praef. 15ff. (20,57ff. Adriaen). Vgl. zu Gregors Auseinandersetzung mit den Häretikern auch: DUDDEN, Gregory the Great II, 407f.; A. BOROS, Doctrina de haereticis ad mentem sancti Gregorii Magni, Rom 1935; DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 340ff.; C. MORESCHINI, Gregorio Magno e le eresie, in: Grégoire le Grand, 337-346; FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 239ff.; SCHAMBECK, Contemplatio, 136-138. 3 Gegen A. BOCOGNANO, Introduction à la troisième partie des Moralia: Livres XIXVI, in; ders.: Grégoire le Grand Morales sur Job, Troisième partie Livres XI-XVI, SC 212, Paris 1974, 7-35, hier 25 Anm. 3, der behauptet: „Grégoire ne prononce le nom d'aucune hérésie, et, encore qu'on puisse identifier par moment docètes ou ariens, c'est à l'esprit hérétique même qu'il s'attaque". Wie dieser häretische Geist zu beschreiben ist, sagt Bocognano jedoch leider nicht. 4 Vgl. die fast verzweifelt klingende Aussage von DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 341 über die Erwähnung von Häretikern in den Texten der Moralia in Job: „Mais que l'on examine de près tous ces textes et l'on apercevra qu'ils ne visent presque jamais des hérésies caractérisées". FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 239ff. erklärt sich die Bedeutung, die die verschiedenen Häretiker für Gregor haben, recht notdürftig mit der latenten Gefahr, die von ihnen trotz staatlicher Maßnahmen immer noch ausgeht. 5 Vgl. zu den verbreiteten Handbüchern, die den kirchlichen Amtsträgern helfen sollten, Häresien zu erkennen, auch J. McCLURE, Handbooks against heresy in the west, from the late fourth to the late sixth centuries, JThS N.S. 30, 1979, 186-197. 2

Kapitel 9

208

ihn b e i s p i e l s w e i s e die erst kürzlich verurteilten Origenisten mit ihrer A p o katastasislehre in dieser Hinsicht interessieren 7 , zeigt deren äußerst knappe und kaum h e r v o r g e h o b e n e E r w ä h n u n g i m vorletzten B u c h der Moralia in Job*. 9.1.1.1.

Die Auseinandersetzung

mit der Apokatastasislehre

der

Origenisten

Im Z u g e seiner A u s l e g u n g zu H i o b 4 1 , 2 3 : Aestimabit abyssum quasi senescentem k o m m t Gregor zu d e m Schluß, daß sich dieser Vers auf das corpus diaboli b e z i e h e n muß, w e l c h e s die k ü n f t i g e n und z w e i f e l l o s u n e n d l i c h e n Strafen des göttlichen Gerichts zu verharmlosen sucht 9 . Zu den Gliedern des corpus diaboli gehören die v o n ihm nur an dieser Stelle erwähnten Origenisten 1 0 , die der Ü b e r z e u g u n g widersprechen, daß die Strafen des göttlichen Gerichts niemals enden werden 1 1 . U m sie zu widerlegen, führt Gregor in den f o l g e n d e n Abschnitten ein kleines Streitgespräch mit ungenannten Vertretern der Apokatastasislehre, die zu Gregors Zeiten bereits durch Justinians Dekret v o n 5 4 3 verurteilt waren 1 2 .

° So der kurze Abschnitt „Konkrete Häresien" bei FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 240-242. MORESCHINI, Gregorio Magno, 337-346 vermutet die Wurzeln seines Bildes von den Häretikern in seinen Erfahrungen mit kirchlichen Machthabern, insbesondere in Konstantinopel: la tippizazione del graeculus esperto in teologia, pronto a parlare e a discutere, nei confronti del quäle il romano, sia pagano sia cristiano, e sempre stato ostile e sospetto" (ebd. 338). 7 Vgl. auch H. CROUZEL, L'Apocatastase chez Origene, in: L. Lies (Hg.): Origeniana Quarta. Die Referate des 4. internationalen Origeneskongresses (2.-6. September 1985), IThS 19, Innsbruck 1987, 282-290. 8 Gegen MORESCHINI, Gregorio Magno, 244, der gerade im Hinblick auf Gregors Auseinandersetzung mit den Origenisten die Vermutung äußert, durch eine genauere Untersuchung der von Gregor bekämpften Ansichten ließen sich interessante Schlußfolgerungen über die religiösen Kontroversen des ausgehenden sechsten Jahrhunderts ziehen. Daß Gregors Urteile über Häretiker vielmehr mit großer Vorsicht zu behandeln sind, hat insbesondere R. A. Markus im Hinblick auf den Donatismus deutlich gemacht, von dem Gregor in seiner Korrespondenz zwar häufiger berichtet, von dem es aber sonst keinerlei zeitgenössische Spuren gibt. Markus vermutet deshalb, Gregor habe als treuer Augustinleser das, was er aus Afrika hörte, fälschlicherweise für Donatismus gehalten, vgl. DERS., Gregory the Great, 188-200; DERS., Christianity and dissent in Roman Africa: changing perspectives and recent work, SCH 9, 1972, 21-36; DERS., The problem of .Donatism' in the sixth Century, in: Gregorio Magno et il suo tempo I, 159-166. 9 Mor. XXXIV 19,34 (1758,11-15 Adriaen). 10 Mor. XXXIV 19,34-38 (1758,1-1761,94 Adriaen). Er nennt die Origenisten in Mor. XXXIV 19,38 (1760f.,92f. Adriaen); vgl. dazu auch MORESCHINI, Gregorio Magno, 344. 11 Mor. XXXIV 19,34 (1758,1-15 Adriaen). 12 Vgl. zum Edictum contra Origenem auch GRILLMEIER, Jesus der Christus II/2, 408ff. und oben unter 7.1.3.

Abgrenzung zu häretischen und arroganten praedicatores

209

Gregor läßt sie eine Reihe von Gründen gegen die ewige Bestrafung der Sünder vorbringen 13 , um sie daraufhin kurz und knapp zu widerlegen 14 . Wenn die Strafen der Verworfenen nicht unendlich wären, so argumentiert Gregor, vielleicht im Rückgriff auf Justinians Dekret aus dem Jahre 543, dann könnten auch die Freuden der Seligen nicht ewig währen 15 . Und ebenso wie der Mensch mit ewiger Strafe bedroht wird, damit er von seiner Ungerechtigkeit abläßt, wird ihm auch die ewige Seligkeit verheißen, um ihn zur Gerechtigkeit anzuspornen 16 . Auf die Entgegnung der Verteidiger der Apokatastasislehre, Gott könne nicht derart ungerecht sein, daß er eine endliche Schuld mit einer ewigen Strafe vergelte 17 , antwortet Gregor mit dem Hinweis, daß die Ungerechten nicht entsprechend ihrer Taten, sondern entsprechend ihrer Absichten, die ja zweifellos darauf ausgerichtet sind, ewig zu leben und ewig zu sündigen, verurteilt werden. Deshalb bleibt Gott, auch wenn er die Ungerechten in Ewigkeit straft, dennoch voll und ganz gerecht 18 . Auch könne keine Rede davon sein, daß Gott etwa Freude an der grausamen Bestrafung hätte, weil er sich nicht am Ende doch noch der Ungerechten erbarmt 19 , denn schließlich ist Gott gerecht und bestraft die Ungerechten nicht nur wegen ihrer eigenen Missetaten, sondern auch um der Gerechten willen, damit sich diese um so mehr als Schuldner der göttlichen Gnade erkennen 20 . Zuletzt wenden die Vertreter der Apokatastasislehre noch ein, daß doch die Heiligen sicherlich auch für ihre Feinde um Beendigung der ewigen Strafe bitten 21 . Gregor gibt dagegen jedoch zu bedenken, daß die Heiligen für ihre Feinde in diesem Leben beten, damit sie sich bekehren und somit der ewigen Strafe entgehen, jedoch nicht für den Teufel und zur Rettung derjenigen, die zum ewigen Feuer verdammt sind 22 .

13 Ihre Argumente leitet Gregor mit der Wendung: at inquiunt ein, vgl. Mor. XXXIV 19,35 (1759,23f. Adriaen); Mor. XXXIV 19,36 (1759,36 Adriaen); Mor. XXXIV 19,37 (1759,50 Adriaen); Mor. XXXIV 19,38 (1760,66 Adriaen). 14 Seine Gegenrede leitet er mit: quibus breuiter oder citius respondemus ein, vgl. Mor. XXXIV 19,35 (1758,18 Adriaen); Mor. XXXIV 19,35 (1759,26f. Adriaen); Mor. XXXIV 19,36 (1759,39 Adriaen); Mor. XXXIV 19,37 (1759,56f. Adriaen); Mor. XXXIV 19,38 (1760,68f. Adriaen). 15 Mor. XXXIV 19,35 (1758f.,18ff. Adriaen). Dieses Argument findet sich auch in Justinians Dekret von 543, vgl. AMELOTTI/MIGLIARDI ZINGALE, Scritti, 100,38-104,18 (griech.) und 101,34-105,17 (tat.); vgl. auch GRILLMEIER, Jesus der Christus II/2, 418. 16 Mor. XXXIV 19,35 (1759,23-35 Adriaen). 17 Mor. XXXIV 19,36 (1759,36-38 Adriaen). 18 Mor. XXXIV 19,36 (1759,39-49 Adriaen). 19 Mor. XXXIV 19,37 (1759,50-56 Adriaen). 20 Mor. XXXIV 19,37 (1760,59-65 Adriaen). 21 Mor. XXXIV 19,38 (1760,66-68 Adriaen). 22 Mor. XXXIV 19,38 (1760,69-91 Adriaen).

210

Kapitel 9

In dieser nur sehr kurzen und nicht mehr als exkursartigen Auseinandersetzung mit den Origenisten23 befaßt sich Gregor mit deren Argumenten nur insofern, als sie die Frage nach der Gerechtigkeit des ewig strafenden Gottes berühren, und wertet ihre Ansichten dementsprechend als Täuschungen des corpus diaboli, das die wahre Tragweite der gerechten und daher ewigen Bestrafung des Sünders verschleiern will. An einer intensiveren Diskussion über die denkerischen Implikationen der Apokatastasislehre hat Gregor offensichtlich keinerlei Interesse und kehrt nach Beendigung seines Exkurses unverzüglich zur Auslegung des Buches Hiob zurück24. Die von offizieller Seite verurteilten Origenisten erwähnt er in den Moralia nur an dieser Stelle, aber er bezeichnet sie interessanterweise noch nicht einmal ausdrücklich als Häretiker25. Somit ist davon auszugehen, daß Gregor die origenistische Apokatastasislehre zwar für grundlegend falsch hält, aber offenbar nicht sie meint, wenn er von den Häretikern und der Häresie spricht. In ganz ähnlicher Weise urteilt er auch über andere, schon längst verurteilte häretische Ansichten wie etwa die der Manichäer26. Ihre Lehre von den beiden Prinzipien kennzeichnet er deutlich als eine falsche Lehre27 und erwähnt Mani und die Manichäer in den Moralia mehrmals kurz28, doch stehen auch die Manichäer nicht im Mittelpunkt seines Interesses, selbst wenn er sie mit der sehr unspezifisch beschriebenen Häresie der Anthropomorphisten29 gemeint haben sollte30.

23 Die Formulierung in Mor. XXXIV 19,38 (1760,92-1761,94 Adriaen): ... haec contra Origenistas breuiter diximus, ad eum quem praetermisimus exponendi ordinem recurramus zeigt, daß Gregor seine Auseinandersetzung mit den Origenisten als einen Exkurs betrachtet. 24 Mor. XXXIV 19,38 (1761,95ff. Adriaen). 25 Gegen FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 240ff., der auch im Zusammenhang mit den Origenisten von einer Auseinandersetzung mit konkreten Häresien spricht. 26 Zu anderen, in den Moralia zumeist nur knapp erwähnten häretischen Anschauungen, vgl. auch MORESCHINI, Gregorio Magno, 341-344. 27 Mor. XXXII 12,17 (1642,73-75 Adriaen). Zu Justinians Vorgehen gegen die Manichäer vgl. auch S. N. C. LlEU, Manichaeism in the Later Roman Empire and medieval China. A historical survey, Manchester 1985, 168ff. 28 Mor. XVIII 26,43 (913,116-118 Adriaen) bemerkt Gregor, daß Mani dem Mose vorwarf, ein Mörder zu sein; Mor. XIX 18,27 (978,lff. Adriaen) wird die wahre Lehre der Kirche als uia media im Unterschied zu den extremen Positionen der Häretiker beschrieben: die Kirche verkündigt einen Gott und hält zugleich gegen Sabellius an den drei Personen fest; indem sie aber an den drei Personen festhält, bekennt sie gegenüber Arius einen Gott. Zugleich wendet sie sich gegen Mani, der die Ehe verachtet, und gegen Jovinian, der die Jungfrauenschaft verachtet. 29

Mor. XXXII 5,7 (1631,6ff. Adriaen); vgl. auch Augustin Haer. 50 (CChr.SL 60, 321,13-322,10 Vander Plaetse/Beukers). 30 Zu Augustins Vorwurf eines anthropomorphen Gottesbild bei den Manichäern vgl. beispielsweise Conf. III 7,12 (33,lff. Verheijen).

Abgrenzung zu häretischen und arroganten praedicatores

211

9.1.1.2. Die Häresie als christologische Verfehlung Die Ansicht dieser sogenannten Anthropomorphisten ist insofern interessant, als Gregor sie ausdrücklich als Häresie bezeichnet und sich mit ihr in einiger Ausführlichkeit im Kontext seiner Auslegung von Hiob 40,4: si habes brachium sicut Deus et si uoce simili tonas auseinandersetzt31. Wer wie die Anthropomorphisten lediglich auf das Körperliche beschränkt bleibt, so urteilt Gregor, der ist unfähig zu begreifen, daß sich im Inkarnierten der allmächtige Gott selbst erniedrigt hat, um uns zu sich zu erheben; der kann auch die bildliche, auf die beschränkten Möglichkeiten des Menschen eingehende Redeweise der Schrift nicht verstehen; dem erschließt sich weder die göttliche Schöpfung noch Gottes bleibend heilvolle Zuwendung zu seinen Geschöpfen, die in der condescensio des Göttlichen in Christus um der menschlichen Schwäche willen ihren wohl deutlichsten und sinnenfälligsten Ausdruck findet32. So unbestimmt die Häresie der Anthropomorphisten auch bleibt, so klar wird an dieser Stelle Gregors Anliegen, wenn er von Häretikern spricht. Im Kern sind es also sämtliche in der Christologie wurzelnden Verfehlungen, die Gregor als Häresie bezeichnet und als solche brandmarkt33. Das Profil der Häresie bleibt in den Moralia gleichwohl unscharf, weil es Gregor nicht darauf ankommt, eine ganz bestimmte christologische Position mit dem Verdikt der Häresie zu belegen. Eine Aussage wie Hiob 30,1: Nunc autem derident me iuniores tempore. Quorum non dignabar patres ponere cum canibus gregis mei bezieht sich vielmehr auf die Häretiker insgesamt, die gegenüber der Kirche zeitlich jünger sind und diese hochmütig verachten34. Die ,Hunde meiner Herde' sind dagegen die praedicatores, die die Herde der Kirche beschützen, während die als nicht würdig erachteten Väter nur die patres haereticorum oder haeresiarches meinen können, die falsche Lehren vertraten und Falsches verkündigten, weshalb man sie innerhalb der Kirche auch nicht zu den Vätern zählt35. Als solche benennt Gregor ausdrücklich: Arius, Pho31

Mor. XXXII 5,6 (1631,lff. Adriaen). Mor. XXXII 5,7 (1631,6ff. Adriaen); vgl. dazu auch FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 241, der die Anthropomorphisten zwar unter die Rubrik: „Konkrete Häresien" einordnet, ohne jedoch sagen zu können, wer damit gemeint sein sollte. 33 Gregor ist in seiner Wortwahl sehr genau, nur christologische Irrlehren bezeichnet er als Häresie. Vgl. auch GRILLMEIER, Jesus der Christus II/2, 4, der den orbis christianus in Gregors Zeiten als einen orbis christologicus sieht und feststellt, daß es die christologische Frage war, die die Geister im sechsten Jahrhundert bewegte. Auch Leo serm. 28,4f. (141,58ff. Chavasse) hatte offenbar im Gefolge von Augustin die Häresien insgesamt als Mißverständnis der Menschwerdung Christi verstanden, vgl. dazu auch STUDER, Schola christiana, 300. 34 Mor. XX 6,15f. (1014,lff. Adriaen). Vgl. dazu auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 242. 35 Mor. XX 6,16 (1015,24ff. Adriaen). 32

212

Kapitel

9

tinus, Macedonius, Nestorius, Eutyches, Dioscorus, Seuerus multique his similes36. Ihre Lehren weichen von den rechtgläubigen Ansichten der Kirche ab, weswegen sie nicht zu den Hütern der Herde Christi, sondern zu denen, die die kirchliche Einheit zerrissen haben, gerechnet werden 37 . Abgesehen von ihrem Gegensatz zur Kirche und den praedicatores bleiben diese Häresiarchen in ihrer Lehre jedoch weitgehend unspezifisch; die Ansicht des Arius, daß der Sohn Gottes bloßes Geschöpf sei, wird an anderer Stelle schlicht als wahnsinnig bezeichnet 38 . In der Frühzeit der Kirche, so Gregor, nachdem die äußeren Feinde besiegt waren, hielten eben viele der gläubig Gewordenen Christus, den Mittler zwischen Gott und Mensch, für einen bloßen Menschen, der aus Gnade vergöttlicht wurde 39 . Nach Gregors Interpretation unterscheidet sich die Auffassung, die der Häresiarch Arius vertrat, nur sehr geringfügig von der des Häretikers Nestorius40, sie verfehlen insofern beide die rechtgläubige Christologie, als sie, ebenso wie die bereits genannten Anthropomorphisten, die Menschheit Christi in den Vordergrund stellen und damit in letzter Konsequenz einen Adoptianismus vertreten, der dem von Natur aus göttlichen Wesen des Mittlers nicht gerecht wird, weil dieser allein um der Menschen willen Mensch und daher sichtbar wurde, jedoch zugleich auch unsichtbar und der Schöpfer aller Dinge und Gott blieb41. Als Vertreter der rechtgläubigen und reichsverbindlichen Christologie sieht Gregor gegenwärtig die weltlichen Machthaber auf Seiten der Kirche42, weshalb ihr von den Häretikern vorgeworfen wird, sie verdanke ihre weltweite Verbreitung nicht der ratio ueritatis ihrer Lehren, sondern allein derpotentia

36

Mor. X X 6 , 1 6 ( 1 0 1 5 , 3 4 f . Adriaen) W o h e r Gregor d i e s e Liste hat, ist nicht ganz

klar, im D e k r e t Justinians, v g l . SCHWARTZ, Drei d o g m a t i s c h e Schriften, 9 3 , 2 4 f . , w e r d e n lediglich: Arius, E u n o m i u s , M a c e d o n i u s , A p o l l i n a r i s , N e s t o r i u s und E u t y c h e s genannt. Eben d i e s e N a m e n nennt auch das XI. A n a t h e m a d e s K o n z i l s v o n Konstantinopel, vgl. A C O IV,1, 2 1 8 . 37

Mor. X X 6 , 1 6 ( 1 0 1 5 , 3 4 f f . Adriaen).

38

Mor.

XXXII

24,51

(1668,29ff.

Adriaen).

SCHAMBECK,

Contemplatio,

136

stellt

etwas naiv fest, daß sich Gregor mit seiner Lehre nicht redlich auseinandersetzt. 39

Mor. X V I I I 5 1 , 8 3 ( 9 4 6 , 1 1 ff. Adriaen). Gregor w e n d e t sich hier in aller A u s f ü h r -

lichkeit g e g e n d i e s e A n s i c h t und betont statt d e s s e n v e h e m e n t die Einzigartigkeit und U n v e r g l e i c h b a r k e i t Christi, die seiner Natur nach kein bloßer M e n s c h j e m a l s erreichen kann. Ein Häresiarch wird Mor. X V I I I 5 2 , 8 5 ( 9 4 8 , 3 4 Adriaen) mit f o l g e n d e m A u s s p r u c h zitiert: Non inuideo 40

Christo

Deo facto,

si uolo, et ipse possum

fieri.

Mor. X V I I I 5 2 , 8 5 ( 9 4 8 , 4 5 f f . Adriaen). Dort wird Nestorius als iste

haereticus

b e z e i c h n e t , v g l . auch o b e n unter 6 . 3 . 41

Mor. X V I I I 5 2 , 8 5 ( 9 4 8 , 4 2 Adriaen) fällt das Stichwort der gratia

G e g e n d i e s e V o r s t e l l u n g grenzt sich Gregor bereits zu B e g i n n der Moralia

adoptionis. in aller D e u t -

lichkeit ab, vgl. Mor. I 1 8 , 2 6 ( 3 9 , l f f . Adriaen); Mor. II 2 3 , 4 2 ( 8 5 , 5 - 9 Adriaen). 42

Mor. X V I 5 , 9 ( 8 0 3 , 9 3 f f . Adriaen).

Abgrenzung zu häretischen und arroganten praedicatores

213

fortitudinis der christlichen Kaiser43. Die weitverbreiteten Häretiker 44 können sich vielerorts nicht mehr öffentlich äußern45. Doch obwohl ihnen die staatliche Unterstützung versagt bleibt und sie selbst nicht die Macht haben, die Kirche zu verfolgen, sind sie dennoch in der Lage, immer wieder einflußreiche Große dazu anzustacheln46. In ihrer Verachtung der universalen Kirche gewähren ihnen auch mächtige Patrone vielerlei Hilfe und Unterstützung, denen sie im Gegenzug bei der Verteidigung und Verwaltung der Güter behilflich sind47. Die Häretiker verkündigen deshalb weitgehend im Verborgenen48, was sie jedoch bei den einfachen Menschen um so heiliger erscheinen läßt 49 und ihre Anziehungskraft enorm vergrößert 50 . Auf diese Weise machen sie nicht nur auf Ungebildete und Schwache Eindruck 51 , mit ihren gelehrten Reden gelingt es ihnen, auch immer wieder Reiche und Mächtige an sich binden, die in dieser Welt mit äußeren Angelegenheiten beschäftigt sind52. Mit dieser insgesamt recht allgemein gehaltenen Beschreibung der kirchlichen Situation bringt Gregor offenbar die Erfahrung der allgegenwärtigen kirchlichen Spaltung und der damit einhergehenden Ausbildung regional bestimmter Führungschichten aus kirchlichen und weltlichen Oberen zum Ausdruck, der sich die Vertreter der Reichsorthodoxie in nachjustinianischer Zeit gegenübersahen 53 .

43 Mor. XVI 5,9 (803,101-104 Adriaen): Quia enim christianos principes praedicationem eius tenere conspiciunt, hoc quod ei a populis creditur, non uirtutem rectitudinis sed causam saecularis potentiae esse suspicantur. 44 In Mor. XIV 5,5 (701,2f. Adriaen) läßt Gregor die Häretiker behaupten, sie erfüllten ebenfalls die ganze Welt. 45 Mor. XIX 18,27 (979,27ff. Adriaen); vgl. dazu auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 239. 46 Mor. XVI 54,67 (838,14ff. Adriaen), MORESCHINI, Gregorio Magno, 340 vermutet, daß Gregor hier von seinen eigenen Erfahrungen in Konstantinopel oder im Umgang mit dem Exarchen von Ravenna spricht. 47 Mor. XVIII 17,27 (902,14ff. Adriaen); im gleichen Sinne auch Mor. XXXI 28,55 (1519,24-30 Adriaen). 48 Mor. V 23,45 (249,4ff. Adriaen); Mor. V 27,49 (251,2-7 Adriaen). 49 Mor. V 23,45 (249,4f. Adriaen): Vnde et latenter praedicant, quatenus eorum praedicatio tanto sacra, quanto et occulta uideatur. 50 Mor. XX 12,23 (1021,16ff. Adriaen); Mor. XXIII 25,49 (1183,57f. Adriaen); vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 247f„ der dahinter so etwas wie eine Strategie der Häretiker vermutet. 51 Mor. XVI 52,65 (836,2ff. Adriaen). 52 Mor. XVII 3,5 (853,43-47 Adriaen) und Mor. XVII 4,6 (853,1-10 Adriaen). 53 Vgl. A. GUILLOU, Régionalisme; T. S. BROWN, Gentlemen and officers; R. A. MARKUS, Justinian's Ecclesiastical Politics and the Western Church, in; ders. (Hg.): Sacred and Secular. Studies on Augustine and Latin Christianity, London 1994, 1-12, hier 12: „It is one of the ironies of history that Justinian's religious policies, conceived

214

Kapitel 9

Gregor steht ganz auf Seiten dieser Reichsorthodoxie und bekämpft daher in den Moralia in Job den Typus des Häretikers, der die Konsequenzen aus der Lehre vom inkarnierten, in seinen beiden Naturen Menschheit und Gottheit miteinander versöhnenden Logos verfehlt und damit im Gegensatz zur Reichskirche steht54. Ein falsches Verständnis der einen Person Christi in seinen beiden Naturen läuft mit Notwendigkeit auf eine verkehrte Sicht des Leibes Christi und der Aufgabe seiner praedicatores in dieser Welt hinaus55. Dieser Typus der Häretiker, für den im Buch Hiob die Freunde Hiobs stehen, bildet deshalb geradezu die Kehrseite zu Gregors Bild von der Kirche und von der Aufgabe und Lebensführung ihrer praedicatores als der zeitlichen Häupter des Leibes Christi56. 9.1.2. Die Freunde Hiobs als Typus der Häretiker In der Praefatio zu seiner Auslegung des Buches Hiob macht Gregor deutlich, daß man den Häretiker auf der typologisch-allegorischen Ebene in den Freunden Hiobs beschrieben finden kann, die neben den carnales und arrogantes eine weitere, nicht zu unterschätzende Bedrohung für die Erwählten des Leibes Christi in der gegenwärtigen Kirche darstellen57. Als nur scheinbare Freunde, die sich jedoch letztlich als Feinde und Gegner des leidenden und erniedrigten Hiob erweisen58, offenbaren sich die Häretiker als Widersacher der Kirche. Nicht zuletzt deshalb, weil Christus und sein Leib unmittelbar zusammengehören59, sind für Gregor christologische Irrlehren und falsche Ansichten

with the aim of creating a united Church within a reunified Empire, should have reinforced just those forces which brought about this regionalism". 54 Vgl. auch STRAW, Gregory the Great, 150f. Vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 136: „Gregor unterscheidet mit der Tradition grundsätzlich zwischen zwei Arten von Häresien. Die eine schmälert das Gottsein Jesu, während die andere das Menschsein verkürzt". 55 Bezeichnend ist, daß Gregor in der Auseinandersetzung zwischen Hiob als der Kirche und den Freunden als Häretikern häufig von confessio oder professici spricht, z.B. Mor. XII 24,29 (646,2-5 Adriaen); Mor. XII 29,34 (649,3f. Adriaen); Mor. XII 26,31 (647,2-4 Adriaen); Mor. XII 25,30 (647,21f. Adriaen). 56 So macht beispielsweise Mor. XVI 4 9 , 6 2 (834,11-18 Adriaen) deutlich, daß die Häretiker den Gliedern seines Leibes und damit dem Herrn selbst Gewalt antun. 57 Praef. 15 (20,57ff. Adriaen); vgl. auch MORESCHINI, Gregorio Magno, 339f. 58 Praef. 15 (20,58f. Adriaen): sub specie consulendi agunt negotium seducendi. Vgl. auch Mor. XI 1,1 (585,23f. Adriaen). 59 Zu dieser „idée directrice", die Gregor gerade an den Nahtstellen, d. h. in den Vorworten zu den sechs großen Teilen und manchmal auch zu Beginn einzelner Bücher wiederholt, vgl. auch DOUCET, Christus et Ecclesia, 41ff.

Abgrenzung zu häretischen und arroganten praedicatores

215

über das Wesen der Kirche nicht voneinander zu trennen60. So vergleicht Gregor zu Beginn des achten Buches der Moralia die gegenwärtige Kirche nach Hiob 6,27 mit einem Waisenkind61, dessen Vater gestorben ist, so daß es dem Auferstehungsleben seines Vaters zwar jetzt schon im Glauben folgen, dieses Leben aber noch nicht schauend betrachten kann, und in diesem niedrigen und demütigen Leben den dauernden Angriffen von Seiten der Häretiker ausgesetzt ist62. Die enge Verklammerung zwischen dem erhöhten Christus und seinem noch in dieser Welt befindlichen Leib der Kirche ist auch im Hinblick auf die Häretiker von Bedeutung. Sie erhalten ihr ganz eigenes Profil im Gegensatz zu seiner christologisch bestimmten Ekklesiologie63. Neben der Praefatio bietet das erste Auftreten der Freunde Hiobs im Kontext von Hiob 2,1 lff. Gelegenheit, die Häretiker auch als Gegner der sichtbaren Kirche näherhin zu charakterisieren64. Schon allein durch ihre Namen und Herkunftsorte, die Gregor nach Hieronymus deutet65, geben sie zu erkennen, daß sie Gott hochmütig verachten66, als praedicatores nur an zeitlichem Ruhm interessiert sind67, und die demütige Betrachtung des Mysterium

60 Daß es um eine Auseinandersetzung um die Kirche, d. h. um das Fleisch Christi geht, wird bereits Praef. 11 (16,lff. Adriaen) mit der häufigen Erwähnung des Fleisches angedeutet. 61 Neben dem Bild vom Waisenkind (pupillus) verwendet Gregor häufiger auch das Bild von der Witwe (uidua) für die Kirche, vgl. Mor. XVI 45,57f. (832,lff. Adriaen); Mor. XVII 3,5 (853,30ff. Adriaen) u.ö. 62 Mor. VIII 1,1 (382,13-17 Adriaen): Sanctae quippe Ecclesiae populus quia mortui patris est filius, pupillus non incongrue dicitur; cuius resurgentis uitam iam quidem per fidem sequitur sed necdum per speciem contemplatur. Super pupillum uero haeretici irruunt, cum humilitatem fidelis populi importunis falsisque allegationibus affligunt. Etwas weiter, in Mor. VIII 4,5 (384,8f. Adriaen) heißt es, daß Hiob mit 6,29 das Seinige gegen seine Freunde tat, jedoch das Unsrige gegen die Häretiker vorbrachte. 63 Gregor schärft dem Leser zu Beginn des dritten Teils in Mor. XI 1,1 (585,17-23 Adriaen) wiederholt ein: Sed quotiens partes singulas ad legendum sumis, reducere Semper ad memoriam eam quam praeposui causa originem, stude, quia et per beatum lob qui dolens dicitur, passiones Domini eiusque corporis, id est sancta Ecclesiae designantur; et amici eius haereticorum tenent speciem qui, ut saepe iam diximus, Deum dum defendere nituntur, offendunt. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 242ff. geht zwar auf die Trennung der Häretiker von der Kirche ein, erwähnt jedoch den engen Zusammenhang zwischen Christologie und Ekklesiologie im Hinblick auf die Häretiker nicht. 64 Mor. III 23,46 (144,2-5 Adriaen) als Auslegung von Hiob 2,11: Condicunt sibi haeretici, quando praua quaedam contra Ecclesiam concorditer sentiunt; et in quibus a ueritate discrepant, sibi in falsitate concordant. 65 Vgl. dazu auch OPELT, Etimologie, 150-152. 66 Praef. 16 (21,6-9 Adriaen); Mor. III 22,44 (143,34-36 Adriaen) als Auslegung des Namens Eliphaz Domini contemptus. 67 Praef. 16 (21,9-12 Adriaen); Mor. III 22,44 (143,36-39 Adriaen) als Auslegung des Namens Baldad uetustas sola.

216

Kapitel

9

Christi im wahren Glauben geringschätzen 68 . Ihre Herkunftsorte lassen darauf schließen, daß sie zuviel wissen wollen, daß sie sich in ihrer Schriftauslegung zwar eifrig um die Worte, jedoch nicht um die Nächstenliebe bemühen, und durch ihre schönen Reden gelehrt erscheinen wollen, wobei sie das Verkehrte um so überzeugender vorbringen, als sie den sensus uitae der Worte verbergen69. Sie zeigen sich also ganz dem Denken dieser Welt verhaftet und wollen mit ihrer terrena intelligentia die göttlichen Worte begreifen 70 . Weil sie von der Kirche getrennt sind71, bleiben sie lediglich im Bereich des Äußerlichen und dringen nicht bis zu einem tieferen Verständnis vor, das nur der spiritalis intelligentia im Rahmen der Kirche möglich ist72. So können sie nur ihre eigenen Ansichten verbreiten, statt das Ewige zu erforschen, um die Kirche in den vielfachen Anfechtungen dieses gegenwärtigen Lebens zu trösten, weswegen sie sich lediglich als Verführer und nicht als wahre Tröster erweisen 73 . Offenbar ist ihnen insbesondere die Verkündigung der kirchlichen praedicatores, die sich um der anderen willen bemühen und damit selbst erniedrigen, ein Dorn im Auge 74 . Weil sie selbst nicht tiefer blicken können, machen sie sich auch von der Kirche ihres Herrn völlig falsche Vorstellungen, sie erwarten, diese bereits mit Christus in der Höhe zu finden und erkennen die leidende und den Widrigkeiten ausgesetzte Kirche nicht als solche75. Daß dieser völlig falschen Sicht auf die Kirche letztlich eine verfehlte Interpretation der Inkarnation des Gottessohnes zugrunde liegt, macht Gregor einige Abschnitte später deutlich, indem er den zuvor ekklesiologisch gedeu68

Praef. 16 ( 2 1 , 1 4 - 1 7 Adriaen); Mor. III 2 2 , 4 4 ( 1 4 3 , 3 9 f f . Adriaen) als A u s l e g u n g

des N a m e n s Sophar dissipatio

speculae\

vgl. zur A u s l e g u n g der N a m e n auch DAGENS,

Saint G r é g o i r e le Grand, 3 4 2 . 69

Mor. III 2 2 , 4 5 ( 1 4 3 , 4 5 - 1 4 4 , 7 4 Adriaen).

70

Mor. III 2 5 , 4 9 ( 1 4 5 , 1 7 - 1 4 6 , 2 6 Adriaen); vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständ-

nis, 2 4 8 f f . 71

D a ß die Häretiker v o n der Kirche getrennt sind, betont Gregor häufig, v g l . Mor.

XII 2 8 , 3 3 ( 6 4 8 , 2 f . Adriaen); Mor. X V I I 3,5 ( 8 5 3 , 3 1 f . Adriaen); Mor. X X 7 , 1 7 ( 1 0 1 6 , 3 4 3 6 Adriaen) u. ö. V g l . dazu FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 2 4 2 - 2 4 6 . 72

Mor. III 2 5 , 4 9 ( 1 4 5 , 1 7 - 1 4 6 , 2 6 Adriaen). FlEDROWICZ, Kirchenverständnis,

meint, der M a n g e l an spiritalis

intelligentia

249

der Häretiker stelle den e i g e n t l i c h e n Kern-

punkt der A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit den Häretikern dar, hier handele e s sich u m „ . . . sein [Gregors] e i g e n t l i c h e s A n l i e g e n , w e n n er das P h ä n o m e n der Häresie reflektiert". D o c h scheint Gregors A k z e n t eher darauf zu liegen, daß den Häretikern d i e spiritalia

trotz

eifrigen B e m ü h e n s v e r s c h l o s s e n bleiben, e b e n weil sie die Kirche als den g e g e n w ä r t i g e n Leib Christi geringschätzen, v g l . d a z u auch Mor. X X 8 , 1 9 ( 1 0 1 7 , 3 1 f f . Adriaen). 73

Praef. 15 ( 2 0 , 5 7 - 5 9 Adriaen); Mor. III 2 3 , 4 6 ( 1 4 4 , 5 - 8 Adriaen).

74

Mor. III 2 6 , 5 2 ( 1 4 7 , 4 2 f f . Adriaen).

75

Mor. III 2 4 , 4 7 ( 1 4 5 , 1 - 1 0 Adriaen): Haeretici

considérant, in alto

oculos

leuant,

sunt sita quae

Haeretici cognoscunt.

igitur,

quia

cernunt;

quia pro

uidelicet

sed tarnen hanc

magno

quippe

ipsi in immo

praesentia

in dolore

appetunt,

cum sanctae

Ecclesiae

sunt et cum eius opera positam eam

facta recipiunt,

non cognoscunt.

in uulneribus

positam

[...] non

Abgrenzung

zu häretischen

und arroganten

praedicatores

217

teten Vers Hiob 2,13: Sederuntque cum eo in terra septem diebus et Septem noctibus nunmehr christologisch auf die Menschwerdung Christi bezieht 76 . Zwar verneinen die Häretiker die Tatsache der Inkarnation des Mittlers nicht, doch denken sie entweder anders über seine Gottheit, oder stimmen mit uns gerade nicht im Hinblick auf die Beschaffenheit der Inkarnation überein 77 . Das Mysterium der Inkarnation leugnen können diese Häretiker nicht, sich aber wahrhaft zu diesem Mysterium zu bekennen, das heißt für Gregor nicht weniger als an das wahre Fleisch des Erlösers gemeinsam mit der Kirche zu glauben: Cum beato ergo lob in terra sedere, est ueram Redemptoris carnem cum sancta Ecclesia credere78. Schon das erste Auftreten der Freunde Hiobs, die den Typus für die Häretiker bilden, vermittelt einen etwas genaueren Eindruck davon, worum es ihm in seiner Auseinandersetzung mit den Häretikern geht. Weil diese in seinen Augen im Hinblick auf die Fleischwerdung Christi falsch denken, sind sie letztlich noch ganz den Maßstäben dieser Welt verhaftet und können deshalb auch die Kirche nicht als den wahren Leib Christi erkennen, der in dieser Welt in der Nachfolge seines Hauptes noch von der Niedrigkeit und Demut des Inkarnierten in der Zuwendung zu den anderen Menschen bestimmt sein soll. 9.1.3. Die häretische Sicht auf den Leib Christi Wie das kirchliche Bekenntnis zur Inkarnation und wahren Fleischwerdung des Erlösers das Bild von der gegenwärtigen Situation der Kirche als des Leibes Christi bestimmt, erläutert Gregor im Zuge seiner weiteren Auslegung des Buches Hiob. Ebenso wie Hiobs Freunde will auch der Typus des Häretikers 79 Gott gegenüber Hiob verteidigen, doch stellt er sich mit seiner Verteidigung am Ende selbst gegen den wahren und gerechten Gott80. So meinen die Häretiker zwar auch, mit ihren Reden Gott zu verehren, doch widersprechen sie unter dem Anschein der Demut den Mysterien Got76

Mor. III 26,51 ( 1 4 6 , 2 0 - 1 4 7 , 3 7 Adriaen). Mor. III 26,51 ( 1 4 7 , 2 7 - 3 0 Adriaen): Sed sunt nonnulli haeretici qui factam mediatoris incarnationem non denegant, sed aut de diuinitate quam est aliter aestimant, aut in ipsa nobis incarnationis qualitate discordant. 77

78

Mor. III 26,51 (147,36f. Adriaen). Mor. XII 2 5 , 3 0 ( 6 4 7 , 3 - 6 Adriaen) hebt noch einmal ausdrücklich hervor, daß die Freunde Hiobs für den Typus des Häretikers stehen. Vgl. auch Mor. VIII 3 6 , 6 0 ( 4 2 9 , 2 8 3 0 Adriaen); Mor. X I V 2 5 , 2 9 (715,8ff. Adriaen); Mor. X V I 4,5 ( 8 0 0 , 9 f f . Adriaen); Mor. X V I 2 0 , 2 5 (814,14f. Adriaen); Mor. XVII 1,1 ( 8 5 0 , 1 3 - 1 5 Adriaen); Mor. XVII 18,26 (866,4f. Adriaen) u.ö. 79

80 So bereits in Praef. 15 ( 2 0 , 6 0 - 6 2 Adriaen): quia uidelicet omnes haeretici Deum dum defendere nituntur, offendunt; und Praef. 15 ( 2 0 , 6 6 f . Adriaen): Omnis uerus haereticus in eo quod Deum defendere cernitur, ueritati illius aduersatur. Vgl. auch Mor. XI 2 8 , 3 9 (608,7ff. Adriaen); Mor. XII 23,28 (646,4ff. Adriaen); Mor. XII 2 7 , 3 2 ( 6 4 8 , l f f . Adriaen).

218

Kapitel 9

tes81, weil sie entweder die Gottheit oder, was nicht weniger gravierend ist, die Menschheit Christi verkürzen und behaupten, es sei Gottes gänzlich unwürdig, wirkliches Fleisch anzunehmen und wahrhaftig um unseretwillen zu sterben82. Gregor beschreibt hier den „Irrtum einer doketistischen Christologie [...], die Gottes Erhabenheit dadurch retten will, daß sie die Annahme einer wahren menschlichen Natur leugnet"83. Vielleicht klingen hier auch Gregors eigene Erfahrungen mit Monophysiten84 oder Aphtartikern85 nach, aber was diesen Typus der Häretiker86 nach Gregors Ansicht eigentlich so gefährlich macht, ist, daß sie sich auf die Schrift87 und auch auf die Väter88 berufen, um ihren Herrn gegen die rechtgläubige Kirche und ihre praedicatores zu verteidigen89, die erklärtermaßen an der wahren Fleischwerdung des Erlösers festhalten und sich dazu bekennen, auch wenn das den Häretikern unwürdig erscheinen mag90. Für Gregor bekennt sich die Kirche, wie er auch gegenüber dem Patriarchen Eutychios von Konstantinopel in aller Deutlichkeit hervorgehoben hatte91, zu Christi wahrem Fleisch und sie wird eben 81 Mor. XII 25,30 (647,9-11 Adriaen). Vgl. auch Mor. XXXV 8,14 (1782,60ff. Adriaen). 82 Mor. XII 25,30 (647,11-13 Adriaen). 8 3 F I E D R O W I C Z , Kirchenverständnis, 2 4 9 ; vgl. auch E V A N S , Thought, 1 3 1 . 84 So die vage Vermutung von BOCOGNANO, Introduction, SC 212, 192 Anm. 1. 85 Zur Diskussion der Antichalkedonenser Severus von Antiochien und Julian von Halikarnaß um die Aphtarsia vgl. auch G R I L L M E I E R , Jesus der Christus II/2, 82ff. und L. P E R R O N E , II „Dialogo contro gli aftartodoceti" di Leonzio di Bisanzio e Severo di Antiochia, CrSt 1, 1980, 411-442. Zu Justinians Neigung zum „Aphtartismus", vgl. auch G R I L L M E I E R , Jesus der Christus II/2, 489ff. 86 Gregor typisiert und hat keinerlei Interesse an einer genauen Charakterisierung der Ansichten seiner Widersacher, ganz gleich ob es sich um verurteilte Häresien oder um geringfügige Lehrunterschiede in speziellen Fragen handelt. Hätte er uns etwa den Namen des Eutychios nicht genannt, wäre man nach seiner Schilderung kaum auf die Idee gekommen, es könnte sich um ihn handeln, vgl. auch DUVAL, La discussion, 348. 87 Mor. XVI 49,62 (834,2-5 Adriaen); Mor. XVIII 13,20 (898,lff. Adriaen). Sie sammeln aus der Schrift testimonia gegen die Kirche, vgl. Mor. VIII 44,72 (438,14-19 Adriaen); Mor. XVIII 16,24 (900,4ff. Adriaen). 88 Stellen wie Mor. VIII 38,62 (430,10ff. Adriaen) und Mor. XII 28,33 (648,5ff. Adriaen) zeigen, daß sie sich auf die Väter berufen. Gregor wirft ihnen Mor. XII 36,41 (653,5ff. Adriaen) allerdings vor, daß sie sich auch auf verurteilte Lehrer stützen und diese Väter nennen, vgl. dazu auch F I E D R O W I C Z , Kirchenverständnis, 247. 89 Für Gregor sind die gegenwärtigen praedicatores die legitimen Nachfolger der Väter, vgl. Mor. VIII 40,64 (431,7-9 Adriaen); Mor. XII 28,33 (648,8-12 Adriaen). Vgl. zur Ausbildung einer „Theologie der Kirchenväter" im vierten und fünften Jahrhundert auch S T U D E R , Schola Christiana, 255-260; T. G R A U M A N N , Die Kirche der Väter. Vätertheologie und Väterbeweis in den Kirchen des Ostens bis zum Konzil von Ephesus 431, BHTh 118, Tübingen 2002. 90 Mor. XII 25,30 (647,15-17 Adriaen). 91 Vgl. zur Diskussion mit Eutychios um die Beschaffenheit des Auferstehungsleibes oben unter 7.1.3.

Abgrenzung zu häretischen und arroganten praedicatores

219

gerade aufgrund dieses Bekenntnisses von den Häretikern angegriffen, die Gott verteidigen wollen und der Kirche vorwerfen, Gott zu beleidigen 92 . Nach Ansicht dieser Häretiker resultieren alle Widrigkeiten, die die Kirche gegenwärtig in diesem Leben zu ertragen hat, aus dem Gott zugefügten Unrecht ihres Bekenntnisses 93 . Die Häretiker erachten das kirchliche Bekenntnis zur Inkarnation des Gottessohnes und zu seinem wahren Leib und Tod für schuldhaft und sehen in der momentanen Situation der von Leid, Drangsalen und Erniedrigung bedrückten Kirche die Folgen der von ihr begangenen Sünden94. Der Vorwurf der Häretiker, die Kirche müsse wegen ihres gegenwärtigen Leidens vor Gott schuldig geworden sein, ist in Gregors Interpretation deshalb das zentrale Thema, über das Hiob mit seinen Freunden in den Reden des Buches diskutiert95. Die Freunde Hiobs wähnen sich schon jetzt in diesem Leben heilig96 und verachten die Kirche in den Widrigkeiten, weil sie deren Leiden für die notwendige Konsequenz des falschen Bekenntnisses halten97. Ihrer Ansicht nach können die Schwierigkeiten derjenigen, die sich für den gegenwärtigen Leib Christi halten, nur den einen Grund haben, daß sie eben doch nicht vor Gott gerecht sind98. Ohne selbst den Eindruck zu haben, in diesem Leben angefochten zu sein, führen die Häretiker die Anfechtungen derer, die zur Kirche gehören, auf die von ihnen begangenen Sünden zurück, denn sonst, so argumentieren sie, befänden sie sich gegenwärtig kaum in einer solch schwierigen Situation 99 . Das Leid kann nach ihrem Verständnis nur von den Sünden der Kirche her-

92

Mor. XII 25,30 (647,17-19 Adriaen): Sancta autem Ecclesia ueram carnem, ueram mortem illius confitetur; sed haec dicens, ab haereticis irrogare Deo contumeliam creditur. 93 Vgl. Mor. XII 25,30 (647,21f. Adriaen): Cui si quid in hoc mundo aduersitatis euenerit, hoc ei contingere ex ipsa hac iniuria suae confessionis dicunt. 94 Mor. XII 26,31 (647,2-4 Adriaen): Quia enim ex errore confessionis existimant mala aduersitatis erumpere, labia sua ei asserunt respondere ut culpa eloquii sit causa flagelli. FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 250f. spricht, ohne auf diese Stelle genauer einzugehen, von einem „falschen Glaubensbekenntnis" als Grund für die gegenwärtigen Drangsale. Worin dieses falsche Glaubensbekenntnis besteht, wird aus seinen Ausführungen jedoch nicht deutlich. CATRY, Épreuves, 131 hält die Entsprechung von Tun und Ergehen gar für das Glaubensbekenntnis der Häretiker. 95 MORESCHINI, Gregorio Magno, 340f. bemerkt, daß ihm keine antike Häresie bekannt ist, die eine solche Lehre vertritt, wie Gregor sie in den Moralia beschreibt; für BOCOGNANO, Introduction, SC 212, 9 vertreten die Häretiker: une thèse traditionelle que soutient parfois le sentiment obscur d'une justice immanente ...". Vgl. auch SCHREINER, The Rôle of Perception, 93f. 96 Mor. V 31,42 (247,34-41 Adriaen). 97 Mor. XII 28,33 (648,16-18 Adriaen); vgl. dazu auch EVANS, Thought, 133. 98 Mor. XIV 6,7 (701,12-16 Adriaen); Mor. XVI 62,76 (843,lff. Adriaen). 99 Mor. XIV 30,35 (719,1-8 Adriaen).

220

Kapitel

9

rühren 100 . Sie können sich nicht vorstellen, daß die Geschlagenen ohne ersichtlichen Grund leiden müssen, und nehmen statt dessen an, daß sie von niemand anderem als von Gott selbst geschlagen werden 101 , der in ihnen demnach Ungerechte sieht 102 . So halten die häretischen Verkündiger den angefochtenen Katholiken vor, daß ihre Verstorbenen ganz offensichtlich verdammt sein müssen, denn, hätten sie dem Schöpfer nicht mißfallen, wäre nicht eine so große Zahl von ihnen untergegangen 103 . Die Häretiker machen der Kirche aber nicht nur Vorhaltungen, sie bemühen sich auch darum, die aufgrund ihrer Ungerechtigkeit leidende Kirche davon zu überzeugen, ihre eigene Ungerechtigkeit zu erkennen 104 , in angemessener Weise Buße zu tun, sich der Gnade des Schöpfers 105 und denen, die sie wieder zur Gerechtigkeit zurückführen können, anzuvertrauen 106 . Dann wären auch die Katholiken nicht länger von Gott getrennt 107 und könnten Trost finden, sobald sie den Lehren 108 und dem Bekenntnis der Häretiker 109 folgten. Linderung für ihr vielfaches Leiden 110 und den ersehnten zeitlichen Frieden stellen sie den Katholiken für den Fall in Aussicht, daß sie sich ihnen anschließen 111 , da eben dieser Frieden den Gläubigen ihrer Ansicht nach von Gott verheißen worden sei 112 . 9.1.4. Die Häretiker als Gegner des Herrn und seiner

praedicatores

Die Häretiker wollen mit ihren Überzeugungen zwar ihren Herrn verteidigen, doch gerät diese Verteidigung vor allem deshalb zu einem Angriff auf ihn,

100

M o r . X V I 7,11 (804,4f. Adriaen); Mor. X V I 6 2 , 7 6 ( 8 4 3 , 1 3 - 1 6 Adriaen); Mor. XVII 2 0 , 2 9 (868,5-8 Adriaen); Mor. VI 24,41 ( 3 1 4 , 1 1 - 1 6 Adriaen); Mor. VII 3 2 , 4 8 ( 3 7 0 , 2 4 - 2 8 Adriaen). 101 Mor. X V 3 3 , 3 9 ( 7 7 4 , 2 6 - 3 0 Adriaen). 102 Mor. X V 4 3 , 4 9 ( 7 7 9 , 1 7 f f . Adriaen). 103 Mor. VIII 37,61 ( 4 2 9 , 6 - 1 0 Adriaen): Ac si afflictis catholicis errorum praedicatores dicant: Vitae uestrae prouidete et quam peruersa teneatis, ex eorum qui inter uos defiincti sunt damnatione cognoscite, quia conditori omnium nisi perfidia uestra displiceret, nequaquam a uobis tarn numerosos populos interitu saeuiente substraheret. 104

Mor. XIII 2,2 (669,8ff. Adriaen). Mor. X V I 16,21 ( 8 1 0 , l f f . Adriaen); Mor. VIII 37,61 ( 4 3 0 , 1 6 - 2 0 Adriaen). 106 Mor. X X 13,24 ( 1 0 2 2 , l f f . Adriaen). 107 Mor. X V I 16,21 (810,3f. Adriaen). 108 Mor. X V I 2 5 , 3 0 ( 8 1 6 , 3 4 - 3 6 Adriaen); Mor. X V I 16,21 ( 8 1 0 , 8 - 8 1 1 , 1 0 Adriaen). 109 Mor. XII 2 9 , 3 4 (649,3f. Adriaen): Si professionem fidei corrigeres, iamdudum consolationem a flagellis habere potuisses. 105

110

Mor. VIII 3 8 , 6 2 ( 4 3 0 , 2 - 8 Adriaen). Mor. X V I 15,20 ( 8 1 0 , 7 - 9 Adriaen). Den Häretikern geht es damit um einen ganz anderen Frieden als Wiederherstellung des ursprünglichen Friedens mit Gott, auf den Gregor so großen Wert legt, vgl. dazu oben unter 6.1.3.2. 111

112

M o r . X V I 7,11 ( 8 0 4 , 1 1 - 1 3 Adriaen); Mor. VIII 3 8 , 6 2 ( 4 3 0 , l f f . Adriaen). Vgl. dazu auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 2 5 0 f .

Abgrenzung zu häretischen und arroganten praedicatores

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w e i l sie letztlich nur ihre e i g e n e n Ziele v e r f o l g e n 1 1 3 und sich damit g e g e n Christus und seinen irdischen Leib der Kirche stellen 1 1 4 . Gregor sieht in ihnen nicht nur die Vertreter irgendeiner falschen Lehre 1 1 5 , sondern d i e e i g e n t l i c h e n F e i n d e seiner zutiefst c h r i s t o l o g i s c h orientierten E k k l e s i o l o g i e . M i t ihren v i e l e n und s c h ö n e n Worten 1 1 6 , d i e s i e reich an Erkenntnis und gelehrter als andere erscheinen lassen 1 1 7 , v e r f o l g e n die Häretiker die Absicht, den Herrn zu verteidigen, doch bringen sie damit lediglich ihr eigenes 1 1 8 , ihrer A n s i c h t nach d e m der Kirche in jeder Hinsicht überlegenes W i s s e n vor 1 1 9 . Gregor sieht in ihnen deshalb Hochmütige, die sich g e g e n die in der N a c h f o l g e ihres Herrn stehende demütige Kirche wenden 1 2 0 . D a ß diese häretischen praedicatores121 stolz nach W i s s e n und W e i s h e i t streben, andere M e n s c h e n 113 Sie wollen die Kirche ihre eigenen Überzeugungen belehren und nähern sich ihr deshalb, um sie zu trösten, vgl. Mor. III 26,46 (144,7f. Adriaen); vgl. auch Mor. XVI 47,60 (834,13-17 Adriaen): Non enim Dei, sed suum opus peragunt, dum non recta dogmata sed propria desiderio sequuntur. Scriptum quippe est: Ambulans in uia immaculata, hic mihi ministrabat [Ps. 100,6], Qui ergo non in uia immaculata ambulai, sibi magis quam Domino ministrai. 114 Mor. XII 23,28 (646,4ff. Adriaen). Unter dem Namen Christi kämpfen sie gegen den Namen Christi, Mor. XX 7,17 (1016,39-41 Adriaen): Vel certe omnes haeretici sancta Ecclesia uita ipsa fatetur indignos, quia nimirum sub nomine Christi militant contra nomen Christi. 115 Die Verkündigung falscher Lehren durch die Häretiker erwähnt Gregor sehr häufig: vgl. etwa Mor. XVI 5,7 (801,40ff. Adriaen); Mor. XVI 5,8 (802,67ff. Adriaen); Mor. XVI 16,21 (810,3ff. Adriaen); Mor. XVI 20,25 (814,16ff. Adriaen); Mor. XVI 49,62 (834,13ff. Adriaen); Mor. XVI 52,65 (836,17-19 Adriaen); Mor. XI 28,39 (607,3-6 Adriaen); Mor. XIV 6,6 (701,4ff. Adriaen); Mor. XVIII 13,20 (898,3ff. Adriaen); Mor. XX 9,20 (1018,12-14 Adriaen); Mor. XX 12,23 (1020,4ff. Adriaen). 116 Mor. III 22,45 (144,65ff. Adriaen). 117 Mor. XX 8,18 (1016,lff. Adriaen); Mor. XIV 28,32 (717,2ff. Adriaen); Mor. XVI 5,8 (802,59f. Adriaen); vgl. auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 342. 118 Mor. XII 27,32 (648,6-10 Adriaen); Mor. X 22,40 (565,5-8 Adriaen). 119 Mor. XVI 8,12 (805,34-36 Adriaen); Mor. XVI 5,8 (802,75f. Adriaen); Mor. XVII 19,28 (867,12-14 Adriaen). 120 Mor. III 22,43 (142,19ff. Adriaen): Haereticorum quippe locus ipsa superbia est [...] Haeretici igitur de loco suo ueniunt quia contra sanctam Ecclesiam ex superbia mouentur. Mor. X 24,43 (568,34-38 Adriaen); Mor. XIV 6,6 (701,8-11 Adriaen); Mor. XVIII 52,86 (949,88-90 Adriaen); Mor. XVI 9,13 (806,3f. Adriaen) formuliert sehr knapp: Sicut semita nostri Redemptoris humilitas, ita semita saeculorum superbia est. Vgl. zum Hochmut der Häretiker auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 342; SCHREINER, Where shall Wisdom be found?, 336-339; FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 246-248. 121 Vgl. auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 342; „On dirait que, pour Grégoire, il existe une sorte A'ordo haereticorum qui serait l'antithèse de \'ordo praedicatorum". Worin diese Antithese besteht, führt Dagens jedoch leider nicht näher aus; ähnlich auch EVANS, Thought, 133. Gregor nennt sie bisweilen auch perversi praedicatores: Mor. XIV 6,6 (701,4f. Adriaen); Mor. XVII 3,5ff. (853,30ff. Adriaen); Mor. XVIII 15,23

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Kapitel 9

im Unterschied zur Kirche als minderwertig verachten122 und ihnen gegenüber wie jeder Sünder in der Nachahmung des Teufels singulariter sein wollen123, kann nur daran liegen, daß sie die Wahrheit über die Menschwerdung des Gottessohnes nicht begriffen haben und Christus nicht nachfolgen. Sie sind somit nur scheinbar praedicatores ihres Herrn124. Für wahre praedicatores zeigen sie dagegen viel zu wenig Interesse am erniedrigten Christus und dementsprechend auch an einer demütigen Lebensführung in seiner Nachfolge. Ihr Bestreben gilt vielmehr vor allem der Darstellung ihrer eigenen Weisheit und ihres eigenen Wissens125. Sie fragen nicht danach, welche Worte der Schrift Demut lehren, ihre Lebensweise in ruhiger Weise anordnen oder ihnen Geduld zeigen könnten, sondern suchen in der Schrift lediglich danach, was sie gelehrt und beredt erscheinen läßt; nur das verlangen sie zu wissen, um sich in einzigartiger Weise gegenüber anderen hervorzutun126. Der Drang der Häretiker nach mehr Wissen und Erkenntnis ist aber nicht nur Ausdruck ihres Stolzes und ihrer Überheblichkeit anderen gegenüber, der (899,3ff. Adriaen) u.ö. oder errorum praedicatores: Mor. XVI 6,10 (803,5 Adriaen); Mor. XVII 3,5 (853,43 Adriaen); Mor. XVII 5,7 (845,7 Adriaen) u.ö. Vgl. zu den unterschiedlichen Bezeichnungen für die Häretiker auch FlEDROWICZ; Kirchenverständnis, 240. 122 Mor. X 24,43 (568,34-38 Adriaen): Sic praui quilibet, sic omnes haeretici superba uoce meliores docere non metuunt, quia omnes se inferiores se arbitrantur. Sed saneta Ecclesia elatos quosque ab aestimationis suae culmine reuocat, et discretione manu ad aequalitatis compagem reformat. 123 Mor. V 23,45 (249,6-9 Adriaen): Communem autem scientiam habere refugiunt ne ceteris aequales aestimentur; et quaedam noua Semper exquirunt, quae dum aliis nesciunt, apud imperitorum mentes ipsi de scientiae singularitate gloriantur. Mor. V 24,46 (250,lff. Adriaen) Mor. XVII 4,6 (853,5ff. Adriaen); Mor. XX 8,18 (1017,6-8 Adriaen); vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 246f. 124 Mor. XVII 4,6 (853,8-10 Adriaen): Qui magna de se sentiens, sed uera de Domino ignorons, longe a fidei cognitione disiungitur, et tarnen uideri fidei praedicator conatur. Ähnlich auch im folgenden Abschnitt Mor. XVII 5,7 (853,lff. Adriaen). Zur lediglich scheinbaren Demut der Häretiker vgl. auch Mor. III 21,50 (146,lff. Adriaen). 125 Mor. XV 13,16 (757,26-29 Adriaen). Insofern gleichen die Häretikern den Heuchlern, die die Geheimnisse der Heiligen Schrift studieren, jedoch nicht aus ihnen leben, sondern vor allem anderen gegenüber gelehrt erscheinen wollen, vgl. Mor. XV 13,16 (757,15ff. Adriaen). Demgegenüber betont Gregor mit Bezug auf Hiob 26,4 gegen die Häretiker in Mor. XVII 20,29 (867,3f. Adriaen): Prius autem nostrum est uiuere, postmodum sapere, quia ut sapientes esse ualeamus, prius agitur ut simus. Zu den Begriffen scientia und sapientia bei Gregor vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 340352. 126 Mor. XX 8,18 (1016,3-1017,8 Adriaen): Neque enim ea quaerunt ex quibus semetipsos ad humilitatem erudiant, mores in tranquillitate disponant, patientiam seruent, longanimitatem exhibeant; sed ea solummodo quae eos doctos ac loquaces demonstrent, illa scire appetunt ex quibus singulariter eruditi uideantur. Vgl. auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 73: le mot hérésie est presque synonyme chez lui d'orgueil intellectuel dans la compréhension de l'Écriture".

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in scharfem Kontrast zu Niedrigkeit und Demut des inkarnierten Christus steht, sondern richtet sich zudem zielstrebig auf das für den Menschen unsichtbare und unverständliche Göttliche127. In ihrem hochmütigen Verlangen nach Erkenntnis verachten sie das kirchliche Wissen über den Mensch gewordenen Sohn Gottes128. Sie wollen mehr über das Göttliche wissen als die menschliche ratio aus sich heraus erkennen und verstehen kann129. Deshalb versuchen sie, immer tiefer in die göttliche Natur einzudringen130 und meinen am Ende sogar, selbst die dem Menschen verborgenen göttlichen iudicia zu durchschauen, wenn sie mit Hiob die Kirche und ihre praedicatores aufgrund ihres Bekenntnisses für schuldig und von Gott schon in diesem Leben gestraft halten131. An dieser Anschuldigung zeigt sich in aller Deutlichkeit, daß die Häretiker nichts von Christus und seinem gegenwärtig irdischen Leib verstanden haben, weswegen Gregor mit seiner ausführlichen Auslegung der Antwort Hiobs an Eliphaz ab Hiob 23,1, die er durchgehend als Worte der Kirche und ihrer Gläubigen liest, seine christologisch fundierte Ekklesiologie noch einmal im Unterschied zu den Häretikern darstellt132. Die Gläubigen erleben sich in dieser Welt als geschlagen, weil sie ihren Schöpfer noch nicht sehen können 127

Mor. XVI 5,8 (802,67-75 Adriaen) als Auslegung von Hiob 22,7: Haeretici igitur, quia sua dogmata praedicare non cessant, sanctam Ecclesiam quasi de imperitia irrident, dicentes: Aquam lasso don dedisti et esurientipanem subtraxisti. [...] Etpanem se esurientibus non subtraxisse suspicantur, quia etiam de inuisibilibus atque incomprehensibilibus requisiti, cum superba audacia respondent. 128 Mor. XVI 8,12 (805,21-30 Adriaen): Sic itaque exteriora circumdat ut interiora impleat; sie interiora implet ut exteriora circumdet; sie summa regit ut ima non deserat; sie imis praesens est ut a superioribus non recedat; sie latet in sua specie ut tarnen cognoscat in operatione; sie cognoscitur in suo opere ut tarnen comprehendi non ualeat a eognoseentis aestimatione; sie adest ut uideri nequeat; sie uideri non ualet ut tarnen eius praesentiam ipsa sua iudicia testentur; sie se nobis intellegendum praebet ut tarnen ipsum nobis radium sui intellectus obnubilet ... Vgl. dazu auch SCHAMBECK, Contemplatio, 158f. 129 Mor. XIV 28,32 (717,lff. Adriaen). Gregor stellt ihnen häufig die wahren praedicatores entgegen, die sich nach Rom. 12,3: Nam plus sapere quam oportet sapere, sed sapere ad sobrietatem demütig mit dem zufriedengeben, was der Mensch aufgrund der Inkarnation vom Göttlichen wissen kann, vgl. Mor. III 22,45 (143,49ff. Adriaen); Mor. XVI 5,8 (802,76ff. Adriaen); Mor. XVI 43,55f. (831,58ff. Adriaen); Mor. XVI 67,81 (846,12ff. Adriaen); Mor. XX 8,18 (1017,lOff. Adriaen). Vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 252: „Die Demut verzichtet auf ein letztes Wissen-Wollen in diesen Fragen, mündet vielmehr in die Anbetung des unerforschlichen göttlichen Ratschlusses". 130 Mor. XVI 43,54f. (830,lff. Adriaen). 131 So formuliert Gregor ausdrücklich in Mor. XVII 20,29 (868,5-8 Adriaen): Baldad autem, qui beatum lob in flagellatum pro culpa credidit, occultum Dei iudicium quod uenerari humiliter debuit, superba nisus est temeritate penetrare. 132 Mor. XVI 26,31ff. (817,lff. Adriaen). Zu Gregors Technik der „Dialogisierung" längerer Redeabschnitte, insbesondere der Reden des Buches Hiob, vgl. auch TOBLER, Gregors ,Moralia in Job'.

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und statt dessen im Exil dieser Welt gleichsam am Ort der Blinden leben müssen, wo die Widrigkeiten ständig weiter zunehmen 1 3 3 . Sie empfinden deshalb um so größere Sehnsucht danach, ihren Herrn nicht nur im Glauben, sondern auch im Schauen zu erkennen, wie Gregor mit erneutem Bezug auf den geheilten Gerasener verdeutlicht, der bei seinem Herrn bleiben will, aber zur Verkündigung nach Hause zurückkehren mußte 134 . Hier kommt Gregor wiederum auf die beiden Naturen Christi zu sprechen, dessen Milde einerseits etwas von seiner Verborgenheit zeigt und auf diese Weise die Sehnsucht nach dem Göttlichen entzündet, der aber andererseits dennoch verborgen bleibt und so die Sehnsucht steigert 135 . Wenn den Gliedern der Kirche in dieser Welt etwas Unvorhergesehenes zustößt, dann nähern sie sich kontemplierend der maiestas des Schöpfers und seinen iudicia occulta und erkennen, daß es im Inneren und Verborgenen nichts Ungeordnetes und Ungerechtes geben kann, sollte es im Äußeren und Offenbaren auch noch so ungeordnet und ungerecht erscheinen 136 . Die Betrachtung der Größe und Macht der Gottheit läßt jeden Menschen seine eigene Ohnmacht, Niedrigkeit und Ungerechtigkeit spüren 137 . Mittlerweile bei der Auslegung von Hiob 23,7 angelangt, gibt der Begriff der aequitas Gregor nun die Gelegenheit, ausdrücklich auf den Inkarnierten, den Mittler zwischen Gott und Mensch, einzugehen, der nach dem Wort des Paulus in 1. Kor. 1,30 zu unserer sapientia und unserer iustitia geworden ist 138 . Durch ihn allein wurde die menschliche Gerechtigkeit wiederhergestellt, der sich dazu in seiner Gottheit, die wir von uns aus nicht erreichen konnten, klein machen und Menschheit annehmen mußte 139 . Die folgenden Verse Hiob 23,8-9 zeigen überdeutlich, daß der Inkarnierte in seiner diuinitas inuisibilis atque incomprehensibilis blieb 140 , was Gregor daraufhin zuspitzt, daß der Schöpfer, der alles durchdringt, aber selbst nicht durchdrungen werden kann, deshalb um so mehr gefürchtet werden muß, als er unsichtbar 133

Mor. XVI 26,32 (817,25ff. Adriaen). M o r . XVI 27,33 ( 8 1 8 , l f f . Adriaen). Zu Gregors Auslegung des geheilten Geraseners vgl. auch oben unter 7.4.1. 135 Mor. XVI 2 7 , 3 3 (818,14-19 Adriaen): Fit ergo nobis omnipotens Deus dulcis in miraculis, et tarnen in sua celsitudine manens occultus, ut et quiddam monstrando de se occulta nos inspiratione in suo amore succendat, et tarnen abscondendo maiestatis suae gloriam amoris sui uim per aestum desiderii augeat. 136 Mor. XVI 2 7 , 3 4 (819,29-31 Adriaen): ... ad occulta Dei iudicia recurrunt, ut in eis uideant quia inordinante intus non disponitur quod inordinatum foris currere uidetur. 137 Mor. XVI 28,35f. ( 8 1 9 , l f f . Adriaen). Vgl. dazu auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 183f. 138 Mor. XVI 30,37 (820,10ff. Adriaen). 139 Mor. XVI 30,37 (820,16ff. Adriaen). 140 Mor. XVI 31,37 ( 8 2 1 , l f f . Adriaen). Die Verse lauten nach der Vulgata: Si ad orientent iero, non apparet; si ad occidentem, non intellegam eum; si ad sinistram, quid agam? non apprehendam eum; si me uertam ad dexteram, non uidebo illum. 134

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bleibt, weil damit auch für den Menschen unklar bleibt, wann und wie er sich zu unserer Lebensführung äußert141. Somit muß das Leiden keineswegs auf begangene Sünden hinweisen, wie die auf die Ordnung dieser Welt fixierten Freunde Hiobs meinen 142 , sondern kann auch, wie das bei Hiob und beim Inkarnierten der Fall ist, der Vergrößerung der menschlichen Verdienste und dem Lob Gottes und seiner Taten dienen143. Die folgenden Verse Hiob 23,11-12 weisen die Kirche dementsprechend auf die sichtbar nicht zu den Beurteilungsmaßstäben dieser Welt passende Heilsordnung Gottes, deren uestigia mit der Güte, Demut und Geduld des inkarnierten Mittlers nunmehr offenbar geworden sind144. Gregor betont einmal mehr die Niedrigkeit, Milde und Demut Christi und rät dem Menschen, der die göttliche Ordnung in dieser Welt doch nicht durchschauen kann, seinen Blick nicht in die Höhe, sondern vielmehr umgekehrt auf die Erde zu richten und dort und in diesem Leben den uestigia des Inkarnierten zu folgen 145 . Die Häretiker dagegen beschäftigen sich so intensiv und über die Maßen mit der unerkennbar göttlichen Natur und dem Ruhm des unsichtbaren Schöpfers, daß sie darüber auch das, was man auch jetzt schon über ihn wissen kann, in ihrem Hochmut aus dem Blick verlieren146. Diejenigen, die der Kirche angehören, sind jedoch wahrhaft demütig und gebildet, weil sie um die göttlichen Geheimnisse wissen und darüber hinaus 141

Mor. XVI 31,38 (821,23-26 Adriaen): Creator autem noster, qui ubique totus est et cernens cuncta non cernitur, tanto magis metuendus est, quanto inuisibilis permanens, de nostris actibus quando et quid decernat ignoratur. 142 Mor. XV 56,67 (791,lff. Adriaen). Vgl. auch SCHREINER, Where shall Wisdom be found?, 337. 143 Mor. XVI 32,39 (822,6ff. Adriaen). Gregor betont wieder und wieder, daß Hiob nicht von Gott wegen seiner Sünden geschlagen wird, vgl. etwa Mor. XIV 31,38 (720,39ff. Adriaen); Mor. XVI 16,21 (811,17-19 Adriaen). Vgl. bereits Praef. 12 (17,46ff. Adriaen), wo mit der johannäischen Erzählung vom Blindgeborenen gezeigt werden soll, daß das Leiden auch dazu dienen, die opera Dei sichtbar werden zu lassen (Joh. 9,3). Vgl. auch die Ausführungen von CATRY, Épreuves, 133-135, der mit Recht darauf hinweist, „... le peuple fidèle éprouvé attend avec confiance la gloire de la résurrection, parce que son Seigneur l'a précédé dans cet état glorieux" (ebd. 135). 144 Mor. XVI 33,41 (824,18-20 Adriaen). 145 Mor. XVI 33,41 (824,21-27 Adriaen): Cuius nimirum uitam dum beatus lob, superno spiritu repletus, sollicita intentione conspiceret, futuram mansuetudinis illius humilitatem praeuidens, quasi ad exemplum sibi propositum recurrit, ut quicquid in hac uita ageret, ad imitationis illius uestigia ligaret, quatenus qui occultae dispositionis eius sublimia uidere non potert, quasi in terra conspiciens, ad imitationem eius uestigia teneret. 146 Mor. XX 8,18 (1017,12ff. Adriaen): Vitra se quippe sunt quae perscrutantur dumque ad hoc tendunt quod comprehendere nequeunt, ea cognoscere neglegunt ex quibus erudiri potuerant. [...] Dulcedinem quippe spiritalis intelligentiae qui ultra quam capit comedere appétit, etiam quod comederat euomit, quia dum summa intellegere ultra uires quaerit, etiam quae bene intellexerat amittit.

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Kapitel 9

auch unterscheiden können, welche von ihnen erforscht und welche von ihnen unerforscht verehrt werden sollen147. Statt über die unerkennbar göttliche Natur zu spekulieren, genügt es ihnen, das zu bedenken, was man wissen kann, nämlich Christus den eingeborenen Sohn Gottes seiner Menschheit nach148. Indem die Häretiker hochmütig die gemeinschaftliche Erkenntnis der Kirche verachten149 und singulariter in die innersten göttlichen Geheimnisse einzudringen versuchen, verstehen sie mitunter kaum noch, was Gott im Äußeren zu ihnen gesprochen hat150. Ebensowenig wie sie etwas von Christus seiner beiden Naturen nach begriffen haben, verstehen sie den göttlichen Heilsplan und seine Heilige Schrift; sie bleiben vielmehr im Sichtbaren und Äußerlichen stecken151, weil sie nicht erfassen, daß sich Gott selbst entäußert hat, um den Menschen über dieses Äußere nach innen und damit zu sich selbst zu bringen152. Statt dessen befassen sie sich waghalsig mit der göttlichen Natur, ohne jedoch entsprechend zu leben oder mit ihrer Lebensführung in irgendeiner Weise Frucht zu bringen153. Aufgrund ihrer Ausrichtung auf das Höhere tadeln sie die Kirche wegen der großen Anzahl von Schwachen, ohne jedoch zu sehen, daß Gott selbst die menschliche Schwachheit in Demut angenommen und zu den Schwachen herabgestiegen ist154. Sie tragen deshalb ihre Erkenntnisse im Unterschied zu den kirchlichen praedicatores auch nicht vor, um andere zu bessern oder zu belehren, sondern einzig und allein, um sich damit vor anderen zu brüsten und als gelehrt darzustellen155. Über die kirchlichen praedicatores, die mit ihrer Verkündigung der Kirche gleichsam Kin-

147 Mor. X X 8,19 (1017,31-35 Adriaen). Vgl. zur Bedeutung dieser Stelle auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand 45 und 73. 148 U m diesen Sachverhalt zu verdeutlichen, interpretiert Gregor in Mor. X X 8,19 (1017,35ff. Adriaen) Ex. 12,10: Vt comedentes agnum, quicquid de eo reliquum fuerit igni comburamus. Das Passahlamm essen, meint für ihn, die humanitas Christi zu bedenken, und das, was ungenießbar ist und übrigbleibt, d. h. was der Mensch nicht verstehen und begreifen kann, demütig dem Heiligen Geist zu lassen. 149

Mor. V 23,45 (249,6ff. Adriaen). Mor. X X 8,19 (1018,47-50 Adriaen): Vnde fit ut ipsa eos elatio que intus apud semetipsos eleuat, a ueritate foras repellat uixque in dictis Dei exteriora copiant, qui se sécréta spiritalia penetrasse singulariterputabant. 151 Mor. X X 9,20 ( 1 0 1 8 , l f f . Adriaen); vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 251f. 152 Vgl. dazu auch DAGENS, Saint Grégoire le Grand, 2 4 1 f . 153 So formuliert Gregor in seiner Auslegung zu Hiob 30,3 in Mor. X X 8,18 (1017,811 Adriaen): Plerumque enim audacter de natura diuinitatis tractant, cum semetipsos miseri nesciant. Egestate ergo ac famé sua steriles fiunt, quia ea perscrutari desiderant, ex quibus bonae uitae germina non producant. Vgl. auch Mor. XVI 47,16 ( 8 3 3 , l f f . Adriaen); Mor. XVII 19,28 (867,5-7 Adriaen). 150

154 155

Mor. XVII 11,15 (860,29-34 Adriaen). Mor. X 24,43 (568,30-32 Adriaen). Vgl. auch Mor. XVI 47,60 (833,8ff. Adriaen).

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22.1

der gebären, können sie nur hochmütig lachen156. Die Kirche in Gestalt von Hiob hält dieser Überheblichkeit der häretischen Verkündiger deshalb mit feiner Ironie den Vers Hiob 12,2 entgegen: Ergo uos estis soli homines, et uobiscum morietur sapientia157. Die Häretiker wollen hochmütig und stolz mehr wissen und irren sich doch insofern, als es ihre eigentliche Aufgabe gewesen wäre, die Irrtümer der anderen zu korrigieren158. Vollkommen zu Recht stellt Hiob dem Bildad nach Beendigung der Reden seiner Freunde dann auch die rein rhetorische Frage, wem sie mit ihrem stolzen Wissen denn eigentlich helfen wollen159. Gottes Helfer und Verteidiger sind sie nur scheinbar, wenn sie ihm mit ihrer hochmütigen Weisheit zu Hilfe eilen wollen160. Sie meinen zwar Gott nützlich zu sein, doch die wirklichen Helfer Gottes sind nach 1. Kor. 3,9 die demütig handelnden praedicatores und nicht die Häretiker, die sich selbst für bedeutend halten und nicht auf demütige Weise Gottes Helfer und damit zugleich anderen Menschen nützlich sein wollen161. Vor diesen häretischen praedicatores, die verführen statt zu trösten und sich nicht als Helfer Gottes, sondern als seine Feinde erweisen, weil sie sich der Verkündigung und actio um der Nächsten und Schwachen willen verweigern162, kann Gregor seine Leser deshalb nur sehr nachdrücklich warnen. Nicht minder gefährlich erscheint Gregor jedoch der Typus des arroganten praedicator, den er in der Gestalt des Elihu beschrieben findet und der erst später, nachdem die anderen Freunde ihre Reden bereits beendet haben, ausführlich zu Hiob spricht und nun seinerseits den Herrn verteidigen will.

156

Mor. XVIII 30,49 (917,50ff. Adriaen). Mor. X 24,43f. (568,39ff. Adriaen) Ausdrücklich wird gesagt, daß Hiob hier für die Kirche spricht. 158 Mor. X X I X 20,60 (1477,77ff. Adriaen) An dieser Stelle kommt Gregor auch außerhalb seiner Auslegung der Reden Hiobs mit seinen Freunden noch einmal auf die Häretiker zu sprechen. 159 Mor. XVII 18,26f. ( 8 6 6 , l f f . Adriaen). Hiob fragt Bildad in Hiob 26,1: Cuius adiutor es ? 160 Mor. XVII 18,26 (866,4-6 Adriaen): Quia igitur amici eius haereticorum speciem tenentes, quasiadiuuantes Deum, sapientiam suam ostendere conabantur... 161 Mor. XVII 18,27 (867,23-25 Adriaen): Sed qui de sensu suo alta sapiunt, esse humiliter Dei adiutores nolunt; quia dum se Deo utiles esse aestimant, a fructu se utilitatis alienant. Vgl. auch die Fortsetzung dieses Gedankens im folgenden Abschnitt Mor. XVII 19,28 (867,5f. Adriaen): Et quia hi quos tenere haereticorum speciem diximus per locutionem suam ostentationipotius quam utilitati seruiebant... 157

162 p(j r Gregor verfehlen sie sowohl die Gottes- als auch die Nächstenliebe, vgl. Mor. X X 7,17 (1015,6ff. Adriaen); Mor. X X 12,23 (1021,46ff. Adriaen); vgl. dazu auch CATRY, L'amour du prochain, 287ff.

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Kapitel

9

9.2. Die Abgrenzung gegenüber den arrogantes 9.2.1. Elihus Verhältnis zu den Freunden Hiobs Die Figur des Elihu steht in den Moralia in Job für den Typus des Arroganten163 und insbesondere für den arroganten Verkündiger, zu dem auch die praedicatores der universalen Kirche sehr schnell werden können, wenn sie nicht genau auf ihre Worte und ihr Tun achtgeben 164 . Die Arroganten unter den praedicatores befinden sich nämlich im Unterschied zu den Häretikern innerhalb der Kirche 165 und verkündigen demnach öffentlich, doch ist ihre Rede und ihr Handeln vor allem von der elatio geprägt 166 . Auch an dieser Stelle gibt bereits Elihus Name und Herkunftsgeschlecht über ihn genauere Auskunft 167 . Sein Name, den Gregor mit Deus Dominus übersetzt 168 , macht deutlich, daß dieser Typus des Arroganten keineswegs als Häretiker 169 , sondern vielmehr als ein Rechtgläubiger anzusehen ist, weil die Arroganten nichts Falsches im Hinblick auf Christi wahres Fleisch glauben und sie in ueritate carnis etiam formam Deitatis intellegunt170. Hierin ist ihnen offenbar nichts vorzuwerfen, sie halten, anders als die Häretiker, an der Einung von wahrer Menschheit und Gottheit in der Person des Inkarnierten fest. Doch das Herkunftsgeschlecht des Elihu zeigt in Gregors Interpretation, daß die Gefahr, die vom Typus der arroganten praedicatores ausgeht, darin besteht, daß sie sich in ihrer Rede und in ihrem Handeln dem einfachen Gottesvolk überlegen glauben 171 . In seiner Kritik an

163

Praef. 19 ( 2 2 , 1 - 3 Adriaen); Mor. XXIII 1,4 ( 1 1 4 6 , 1 2 5 f f . Adriaen); vgl. zu d i e s e m

T y p u s auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 2 5 8 f f . 164

S o Gregor in der langen Einleitung zur A u s l e g u n g der Elihureden, H i o b 3 2 - 3 7 , die

den f ü n f t e n Teil der Moralia Mor. X X I I I

Worten: Sanctae dicit sollerti

in Job und damit die Bücher X X I I I bis X X V I I u m f a s s e n , in

1,8 ( 1 1 4 9 , 2 2 5 f f . Adriaen). D e r Abschnitt b e g i n n t f o l g e n d e n uniuersalis

cura se inspicit,

uita a lingua

discordet;

et male uiuit,

amittat.

Ecclesiae

spiritalis

ne in eo quod

ne pacem

quam

quisque

recta praedicat

in Ecclesiam

165

Mor. X X I I I 1,7 ( 1 1 4 8 , 1 9 4 f f . Adriaen).

166

Mor. X X I I I 1,8 ( 1 1 5 0 , 2 5 3 f . Adriaen).

praedicator

uitio se elationis

adnuntiat,

mahnenden

in cunctis

in seipso

quae

extollat;

dum bene

ne dicit

167

Mor. X X I I I 2 , 9 ( 1 1 5 0 , I f f . Adriaen).

168

Gregor b e z i e h t sich hier o f f e n b a r nicht auf H i e r o n y m u s , der Elihu im Liber int.

hebr. n o m . (CChr.SL 72, 1 0 3 , 2 0 d e Lagarde) mit Elihu deus meus iste erklärt hat. 169

Gregor unterscheidet genauer z w i s c h e n den Häretikern und den arrogantes,

als

das in der Sekundärliteratur g e s c h i e h t , s o faßt z.B. EVANS, Thought, 1 3 0 f f . beide Gruppen unter d e m g e m e i n s a m e n Stichwort . h e r e s y ' z u s a m m e n . 170

Mor. X X I I I 2 , 9 ( 1 1 5 0 , 9 f . Adriaen). V g l . auch SCHREINER, The R o l e of Perception,

9 3 : „Elihu's w o r d s w e r e o f t e n misapplied to Job but w e r e doctrinally true". 171

dicitur,

Mor. quia

XXIII

2,9

unusquisque

(1150,22-1151,25 praedicator

Adriaen): Eliu

arrogans

intra

itaque

uniuersalem

de

cognatione Ecclesiam

Ram positus,

Abgrenzung zu häretischen und arroganten praedicatores

229

den Freunden Hiobs erweist sich der rechtgläubige Elihu sogar ausdrücklich als ein Feind der Häretiker 172 und bekämpft diese mit seiner eigenen Verkündigung173. Die arroganten praedicatores äußern demnach zwar ausschließlich Wahres und Richtiges über ihren Gott, aber weil sie mit dem, was sie sagen, nicht nach dem Ruhm Gottes, sondern nur nach ihrem eigenen Ruhm fragen, wird ihre Rede für die Kirche dennoch zu einem Problem 174 . Denn sie bedrängen mit ihrer Verkündigung nicht nur die Häretiker als die äußeren Feinde der Kirche, vielmehr richten sie sich in ihrer Ruhmsucht und der damit verbundenen Geringschätzung der einfachen Gläubigen letztlich auch gegen das Wesen der demütigen Kirche selbst175. Mit den Freunden Hiobs haben zunächst die Häretiker ihre Stimme erhoben, um mit ihren verkehrten Ansichten über das Göttliche ihren Herrn zu verteidigen. Doch hat ihre Verteidigung ihn selbst gemeinsam mit seiner Kirche bekämpft. Elihu will nunmehr mit seinen rechtgläubigen Aussagen über das Göttliche gegen diese Häretiker kämpfen, um den wahren Leib Christi, die Kirche, mit seiner Rede zu verteidigen. Doch auch diese Verkündigung erreicht ihr Ziel nicht. Statt die Kirche zu beschützen, wie Elihu es eigentlich vorhat, blickt er hochmütig auf sie herab und verachtet sie176. Insofern greifen die arroganten praedicatores statt der äußeren Feinde die in der

sanctis populis fidei ueritate sociatur, quamuis ab eorum uita elationis prauitate disiungitur. Vgl. auch Praef. 19 (23,12ff. Adriaen). 172 Zur direkten Auseinandersetzung zwischen ihnen vgl. Mor. XXIII 8,15 (1155,lff. Adriaen); Mor. XXIII 3,10 (1151,21f. Adriaen): ... intra sanctam Ecclesiam constituti, et aduersarios premunt, dum uera praedicant... Daß die Arroganten im Unterschied zu den Häretikern das „rechte Glaubensbekenntnis" haben, betont auch FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 258f. 173 Mor. XXIII 4,11 (1152,8ff. Adriaen); vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 258. 174 Mor. XXIII 4,11 (1152,16f. Adriaen); Mor. XXIII 9,16 (1156,15-20 Adriaen): Arrogantes enim intra Ecclesiam positi respondent contra eam [sc. Hiob], sed non sicut haeretici exterius constituti. Neque enim contradicunt ei praua praedicando, sed peruerse uiuendo, quia nec de Deo, ut haeretici, indigna sentiunt, sed de se plus quam necesse est, digna suspicantur. Vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 259, der das Gemeinsame zwischen den häretischen und den arroganten Verkündigern darin sieht, daß die einen die Kirche von außen mit Worten angreifen, während die anderen von innen mit ihren Taten gegen sie vorgehen. 175 Mor. XXIII 3,10 (1151,24f. Adriaen); Mor. XXIII 9,16 (1156,15-20 Adriaen); vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 259. 176 Mor. XXIII 4,11 (1152,22-24 Adriaen): ... quia uidelicet arrogantes intra positi eamdem sanctam Ecclesiam quam defendunt, despiciunt... Zu ähnlichen Formulierungen über die Häretiker, die Gott verteidigen wollten und ihn damit verletzten, vgl. oben unter 8.1.3.

230

Kapitel

9

Kirche neben ihnen Stehenden an, weil sie sich hochmütig über ihre Nächsten erheben177. 9.2.2. Elihus Verachtung für die demütige Lebensweise der Kirche Den arroganten Verkündigern macht Gregor zum Vorwurf, daß sie die demütige und verächtlich scheinende Lebensführung der Kirche in der Nachfolge und nach dem Vorbild ihres Herrn geringschätzen178, weil sie den demütigen Christus nicht auf demütige Weise betrachten können. Sie predigen ihn zwar, aber bekämpfen ihn dennoch zugleich mit ihrem hochmütigen Verhalten179. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, daß auch sie den tieferen Grund für Hiobs Leiden nicht verstehen und ebenso wie die Häretiker glauben, Hiob werde wegen begangener Verfehlungen von Gott gestraft180. Daß Hiob pro gratia von Gott geschlagen wird181, vermögen sich auch die arrogantes, obwohl sie meinen, alles besser zu wissen, nicht vorzustellen. Anders als die Häretiker versuchen sie jedoch nicht, in das göttliche Geheimnis einzudringen, sondern diese praedicatores verhalten sich nicht demütig gegenüber den göttlichen iudicia occultaiSZ, indem sie die anderen Menschen in dieser Situation nicht demütig trösten, sondern die Gelegenheit nutzen, sich

177

extra uiuentes Mor. XXIII 13,26 ( 1 1 6 3 , 7 2 - 7 4 Adriaen): ... non contra aduersarios clamant, sed quosdam intra sinum sanctae Ecclesiae quasi uicinos ac iuxta positos increpant ; vgl. auch Mor. X X I V 16,40 ( 1 2 1 8 , 3 4 f f . Adriaen); Mor. X X I V 2 3 , 5 0 ( 1 2 2 4 , 2 6 Adriaen): Habent hoc proprium omnes arrogantes, ut cum fortasse acutum aliquid sentiunt, inde mox ad uitium elationis erumpant, sensusque omnium in sui comparatione despiciant seque in suo iudicio aliorum meritis anteponant. Vgl. dazu insgesamt auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 259. 178

Mor. XXIII 3 , 1 0 ( 1 1 5 1 , 1 5 - 1 9 Adriaen). D i e ausführlichen christologischen Erörterungen des Buches X X V I I der Moralia in lob, ( 1 3 3 1 , l f f . Adriaen), die Gregor in seiner Auslegung zu Hiob 3 6 , 2 2 f f . vorträgt und aus denen er weitreichende Folgen für das Leben der praedicatores ableitet, werden von ihm mit dem folgenden Satz eingeleitet: Vnde nunc Eliu Redemptoris nostri aduentum humilem non humilis conspicit, et eum prophetando praedicat, quem elatis moribus impugnai, dicens ... 179

180

Mor. XXIII 17,30 ( 1 1 6 6 , l f f . Adriaen); Mor. X X V I 7 , 1 2 ( 1 2 7 5 , l f f . Adriaen); Mor. X X V I 3 6 , 6 7 (1317, 4 5 - 4 7 Adriaen) mit B e z u g auf Hiob 36,16: Sed haec Eliu rede diceret, si beato lob eius sententia conueniret. Pro culpa enim ßagellatum credidit, et idcirco eum in os angustum cecidisse iudicauit. Mor. X X V I 39,71 ( 1 3 1 9 , l f f . Adriaen) u.ö. 181

potuisse 182

Mor. XXIII 17,30 (1166,5f. Adriaen): Sed Elihu etiam pro gratia ßagellari.

non

credidit,

cessante

culpa,

D i e Aussage des Elihu in Hiob 3 3 , 1 2 : Hoc est ergo in quo non es iustificatus, Mor. XXIII 17,30 ( 1 1 6 6 , 6 f f . Adriaen), macht das ebenso deutlich wie Mor. X X V I 2 1 , 3 9 ( 1 2 9 4 , 3 8 f f . Adriaen), w o ausdrücklich gesagt wird, daß es die verborgenen göttliche iudicia sind, die an Hiob handeln. Vgl. auch Mor. X X I V 24,51 ( 1 2 2 6 , l f f . Adriaen).

Abgrenzung zu häretischen und arroganten praedicatores

231

über ihre M i t m e n s c h e n zu erheben und diese h o c h m ü t i g zu tadeln 1 8 3 . S o stellen sie sich selbst über die g e g e n w ä r t i g e Kirche, die ihnen i m V e r g l e i c h mit den früheren Zeiten der großen Väter aufgrund der großen Zahl an S c h w a chen, aber auch w e g e n der zahlreichen V e r f e h l u n g e n ihrer Amtsträger, die sie nur zu gern verallgemeinern, ohne wirkliche Führung erscheint 1 8 4 . S i e s e h e n eine R e i h e von Kirchenführern, die sich im Glanz der ihnen verliehenen zeitlichen Macht sonnen 1 8 5 , und hätten mit dieser A n k l a g e durchaus Recht, w e n n sie sie auf d e m ü t i g e W e i s e vorgetragen hätten 1 8 6 . Ihnen g e h t e s j e d o c h nur darum, die Kirche tadelnd zurechtzuweisen, damit sie sich selbst durch ihre überhebliche R e d e w e i s e 1 8 7 und angebliche W e i s h e i t zur S c h a u stellen können 1 8 8 . M i t ihrer V e r k ü n d i g u n g streben sie nach Gregors A n s i c h t l e d i g l i c h nach äußerem R u h m , nach menschlicher A n e r k e n n u n g und Lob 1 8 9 , und bleiben somit letztlich allein d e m Äußeren verhaftet 1 9 0 , während sie sich z u g l e i c h immer weiter v o m Inneren entfernen 1 9 1 .

183 Mor. XXIII 17,30 (1166,6ff. Adriaen); Mor. XXIII 17,31 (1167,43-1168,46 Adriaen): Eliu ergo in ßagellis beati lob idcirco ueracem rationem non inueniunt, quia eam quaerere humiliter nescit; et increpare potius quam consolari paratior, dicit: Hoc est ergo, in quo non es iustificatus. Mor. XXVI 6,6 (1270,22-1271,26 Adriaen): At contra arrogantes uiri quia caritatis uiscera non habent, non solum non compatiuntur etiam iustis dolentibus, sed eos insuper sub specie iustae increpatione affligunt; et uel si qua in eis sunt parua mala exaggerant, uel ea quae uere bona sunt male apud se interpretanda commutant. 184 Mor. XXVI 41,75f. (1322,8ff. Adriaen). Vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 259. 185 Mor. XXVI 41,76 (1322,33-1323,37 Adriaen): Vident profecto quod nonnulli rectores illius, temporali potestate subnixi, eiusdem potestate pascuntur. Vident quod religionis reuerentiam, quam huic mundo patres moriendo seruauerunt, hi exsultando in terrenis gaudiis metunt... 186 Mor. XXVI 42,77 (1324,lOf. Adriaen). Gregor legt Wert darauf, daß das Richtige auch in richtiger Weise gesagt werden muß. 187 Mor. XXIII 3,10 (1151,5ff. Adriaen). 188 Mor. XXIII 1 0 , 1 7 ( 1 1 5 7 , 2 2 f f . Adriaen). FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 2 5 8 260 sieht in der angemaßten Intellektualität der arrogantes das eigentliche Problem dieser Gruppe innerhalb der Kirche: „Auch bei der Beschreibung dieses Menschentypus innerhalb der Kirche liegt die bekannte Kategorie des vitium elationis zugrunde, das sich von den übrigen Gläubigen abzusondern trachtet und, diesmal aufgrund intellektueller Vorzüge und Leistungen, die eigenen Vorangstellung zu begründen sucht", (ebd. 2 5 9 f . ) 189 Mor. XXVI 24,42 (1297,9ff. Adriaen); Mor. XXVI 34,62 (1314,29-31 Adriaen): Arrogantes autem humanis laudibus mollia corda prostituunt, quia suis amoribus corrumpuntur. De quibus alias dicitur: Erunt homines seipsos amantes (2. Tim. 3,2). 190 Mor. XXVI 34,62 (1313,lff. Adriaen). 191 Mor. XXIV 12,36 (1214,13ff. Adriaen).

232

Kapitel

9

9.2.3. Die arrogantes und das Problem der rechten Ausübung von zeitlicher Macht und Herrschaft Daß diese arroganten praedicatores das officium locutionis nicht allein aus äußerer Notwendigkeit und um der Nächsten willen übernehmen 192 , hat nach Gregors Ansicht erhebliche Auswirkungen auf ihr Verhältnis zu denjenigen, die ihnen in dieser Welt untergeben sind. So predigen diese praedicatores zwar wortreich die humilitas Christi, doch verhalten sie sich selbst keineswegs demütig, weil ihre Worte nicht von Nächstenliebe und Mitleid für die in dieser Welt noch Leidenden geprägt sind 193 . Elihus Worte machen nach Gregors Interpretation von Hiob 34,36 vielmehr deutlich, daß dieser nicht nur nicht von Nächstenliebe, sondern sogar von einem verborgenen Haß auf seine Mitmenschen bestimmt wird, weil er Hiob noch weitere Erprobungen und weiteres Leiden wünscht 194 . Wenn Elihu mit Hiob 33,33 seinen Gesprächspartner mit folgenden Worten zurechtweist: Tace et docebo te sapientiam, dann ist vollkommen offenkundig, daß sich Elihu als Typus für die arroganten praedicatores hochmütig aufbläht, und, weil er sich für besonders gebildet hält, meint, von seiner hohen Position aus bedeutsame Worte über unbedeutende Menschen zu verbreiten 195 . Gregor hält deshalb diesen Verkündigern vor, ihnen ginge es nicht darum, die ihnen untergebenen Nächsten zu belehren oder durch ihre Worte gerechter zu machen, sondern ausschließlich darum, sich darzustellen, um selbst gelehrter und weiser als sie zu erscheinen 196 . Die arrogantes halten sich selbst für bedeutsam, streben nach der celsitudo an Weisheit, und verlieren eben damit zugleich die Gnade der humilitas aus dem Blick. Mit dem Apostel Paulus kann ihnen Gregor deshalb nur entgegenhalten: Scientia quippe inflat, Caritas uero aedificat197. Von der demütigen condescensio der wahren praedicatores um der Nächsten willen sind diese praedicatores weit entfernt 198 . Statt sich den Nächsten demütig zuzuwenden, sehen sie sich als solche, die in dieser Welt in summi-

192

Mor. XXIII 1,8 ( 1 1 4 9 , 2 4 0 f f . Adriaen). Mor. X X I V 14,38 ( 1 2 1 5 , I f f . Adriaen). 194 Mor. X X V I 6,11 ( 1 2 7 4 , 1 5 1 f f . Adriaen). 195 Mor. X X I V 13,37 ( 1 2 1 5 , 4 1 - 4 4 Adriaen): Quia uero arrogantes omnes in eo quod proferunt typho superbiae inflantur, et uelut in alto positi sic doctorum speciem sumunt ac si eorum uerba dignatione quadam super indignos homines coelitus effundantur... 193

196 Mor. X X I V 1 5 , 3 9 ( 1 2 1 6 , 1 3 - 1 2 1 7 , 1 5 Adriaen): Sicut enim superius dictum est, non illos appetit erudire, sed se ostendere; nec intuetur quam iusti qui audiunt fiant, sed ipse quam doctus, cum auditur appareat. Mor. X X V I 23,41 ( 1 2 9 5 , I f f . Adriaen); Mor. X X V I 2 4 , 4 2 ( 1 2 9 7 , 9 f f . Adriaen). 197

Mor. X X V I 2 5 , 4 3 ( 1 2 9 8 , 2 1 f . Adriaen) mit Bezug auf 1. Kor. 7,33. Mor. X X V I 29,71 ( 1 3 1 9 , I f f . Adriaen); Mor. X X V I 6,6 ( 1 2 7 0 , 1 4 f . Adriaen): Quia enim de se alta sentiunt, idcirco humilibus nullatenus condescendunt. 198

Abgrenzung

zu häretischen

und arroganten

praedicatores

233

tatis culmine residieren und weit entfernt sind von denjenigen, die sich so tief unter ihnen befinden 199 . Ihr Verhältnis zu den Untergebenen ist nicht von sorgender Zuwendung, sondern von dem, was bereits Augustin die Gier nach Herrschaft genannt hatte, geprägt 200 . Gregor wirft diesen Verkündigern deshalb mit Bezug auf das durch den Propheten gesprochene Gotteswort Ez. 34,4: Vos autem cum austeritate imperabatis eis, et cum potentia201 auch vor, ihre Untergebenen nicht korrigieren, sondern mit aller Härte und Macht beherrschen zu wollen202. In ihrem Verhalten gegenüber denjenigen, über die sie zeitliche Macht haben, spiegelt sich nach Gregors Verständnis das uitium elationis der arrogantes203, gegen das der Herr selbst die humilitas als die magistra et omnium materque uirtutum gesetzt hatte204. Von dieser humilitas den Schwächeren und Geringeren gegenüber legen die Schriften der beiden Apostelfürsten Paulus und Petrus hinreichend Zeugnis ab205. Doch, und das ist Gregor offenbar außerordentlich wichtig, haben auch diese keineswegs darauf verzichtet, ex potestate andere Menschen zu belehren, wie das auch der Inkarnierte selbst getan hat, der nach Mt. 7,29 als Lehrer Macht hatte, aber diese gerade nicht wie die Schriftgelehrten und Pharisäer benutzte206. Der Maßstab für die rechte Ausübung von Macht und wahrer Lehre durch die Tätigkeit der praedicatores ist deshalb wiederum die Person Christi, weil er aufgrund seiner Gottheit über die potentia verfügte und uns zugleich aufgrund seiner Menschheit und Niedrigkeit damit diente 207 . Da sich die praedicatores nach diesem Vorbild verhalten und folglich auch in dieser Weise zeitlich begrenzt Macht ausüben sollen, um ihren Mitmenschen zu dienen, ist es keineswegs erstaunlich, daß Gregor in der Auseinandersetzung mit den arrogantes immer wieder, zum Teil auch in sehr ausführlichen und 199

Mor. X X I I I 1 3 , 2 3 ( 1 1 6 1 , 6 f f . Adriaen).

200

Mor. X X I I I 1 3 , 2 3 ( 1 1 6 1 , 1 l f . Adriaen). Gregor v e r w e n d e t hier w i e d e r u m augusti-

n i s c h e s G e d a n k e n g u t , o h n e j e d o c h w i e Augustin zu formulieren. 201

Mor. X X I I I 1 3 , 2 3 ( 1 1 6 1 , 1 2 f . Adriaen). Mit e b e n d i e s e m Vers argumentiert Gregor

auch in Mor. X X I V 2 5 , 5 2 ( 1 2 2 6 , 1 2 f . Adriaen). 202

Mor. X X I I I 1 3 , 2 3 ( 1 1 6 2 , 1 4 - 1 6 Adriaen).

203

G e g e n FIEDROWICZ, Kirchen Verständnis, 2 5 8 - 2 6 0 , der auf d i e s e s

der arrogantes 204

Fehlverhalten

nicht näher eingeht.

Mor. X X I I I 1 3 , 2 4 ( 1 1 6 2 , 1 7 f f . Adriaen). V g l . auch DAGENS, Saint Grégoire le

Grand, 4 2 , der hier bestätigt sieht, daß die Moralia

nicht das Werk e i n e s T h e o l o g e n ,

sondern das eines Moralisten sind. 205

Mor. X X I I I 1 3 , 2 4 ( 1 1 6 2 , 2 5 - 3 1 Adriaen).

206

Mor. X X I I I 1 3 , 2 4 ( 1 1 6 2 , 3 l f f . Adriaen). Gregor legt hier den Vers: Praecipe

et doci

cum omni imperio

haec,

(1. Tim. 4 , 1 1 ; Tit. 2,15) aus, den er als das W o r t d e s Paulus an

e i n e n Schüler versteht. S o m i t sollen sich alle N a c h f o l g e r und Schüler d e s Paulus in dieser W e i s e verhalten. 207

Mor. X X I I I 1 3 , 2 4 ( 1 1 6 2 , 4 0 - 4 2 Adriaen): Ex diuinitatis

quod nobis per humanitatis

suae innocentiam

ministrauit.

quippe

potentia

habuit

id

234

Kapitel 9

l a n g e n P a s s a g e n 2 0 8 , auf d a s P r o b l e m der r e c h t e n A u s ü b u n g v o n z e i t l i c h e r M a c h t z u s p r e c h e n k o m m t 2 0 9 . In A b g r e n z u n g z u E l i h u , d e m T y p u s f ü r d i e arroganten V e r k ü n d i g e r , soll d e n L e s e r n der Moralia

in Job u m s o d e u t l i c h e r

w e r d e n , w i e d i e z u t i e f s t d e m ü t i g e n , w e i l a m d e m ü t i g e n Christus a u s g e r i c h teten w a h r e n praedicatores temporalis

der K i r c h e m i t der i h n e n v e r l i e h e n e n

potentia

u m z u g e h e n h a b e n 2 1 0 . S o kritisiert G r e g o r in s e i n e r A u s l e g u n g z u

H i o b 3 4 , 7 erneut d i e arrogantes,

d i e m i t ihrer V e r k ü n d i g u n g ihre b e d r ä n g t e n

H ö r e r aus H e r r s c h s u c h t m e h r s c h e l t e n u n d tadeln als d a ß s i e i h n e n b e i s t e h e n u n d s i e trösten w o l l e n 2 1 1 . D a s m e i n t j e d o c h k e i n e s w e g s , d a ß Härte, T a d e l u n d S c h e l t e der unterg e b e n e n H ö r e r s c h a f t an s i c h s c h o n e t w a s F a l s c h e s w ä r e n , i m G e g e n t e i l : a u c h d i e iusti praedicatores

kritisieren ihr A u d i t o r i u m b i s w e i l e n sehr h e f t i g u n d

z e i g e n k e i n e r l e i N a c h g i e b i g k e i t i m H i n b l i c k auf ihre S ü n d e n 2 1 2 . D o c h m i t B e i s p i e l e n aus der p a u l i n i s c h e n K o r r e s p o n d e n z , v o r a l l e m aus d e n Korintherb r i e f e n , m a c h t G r e g o r z u g l e i c h klar, d a ß d i e r e c h t e n praedicatores

a u c h in

i h r e m T u n i m m e r auf d e n d e m ü t i g e n Christus b e z o g e n s i n d , w e i l s i e n i c h t s i c h selbst, s o n d e r n ihn v e r k ü n d i g e n , u n d d e s h a l b in s e i n e r N a c h f o l g e sehr g e n a u z w i s c h e n der ä u ß e r e n N o t w e n d i g k e i t der correctio

u n d der inneren,

bisweilen jedoch verborgenen Liebe zu den Untergebenen zu unterscheiden

208 BROUWER, Égalité et pouvoir, 112ff. weist auf die in der Forschung häufiger diskutierten Texte Mor. XXV 16,34-40; Mor. XXIV 25,52-55; Mor. XXXIV 23,47-56; Mor. XXVI 26,44-48 und schließlich Mor. XXXI 1,1-7,10 hin, die er die „... cinq grands texts consacrés au pouvoir" (ebd. 113) nennt. Es dürfte kaum ein Zufall sein, daß Gregor drei von jenen Passagen in den Kontext der Elihureden, d. h. in die Auseinandersetzung mit den arrongantenpraedicatores, einbettet. 209 Isoliert man die Texte, dann bleibt häufig unklar, ob hier weltliche oder geistliche Machthaber gemeint sind; vgl. auch BROUWER, Égalité et pouvoir, 114; FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 222f. Weil es in den Moralia vor allem um die praedicatores, d. h. um kirchliche Obere geht, ist dieses Werk gänzlich ungeeignet, um die insbesondere von REYDELLET vorgebrachte These, Gregor habe einer Sakralisierung der weltlichen Gewalt Vorschub geleistet, zu stützen, so mit Recht auch BROUWER, Égalité et pouvoir, 112; la tendance à la sacralisation ou même à une mission religieuse du pouvoir temporel, trait caractéristique des conceptions de saint Grégoire selon la critique contemporaine, se trouve sans fondement". Wo es um weltliche Machthaber geht, werden diese klar als solche beschrieben; die prominenteste und am häufigsten diskutierte Textstelle dürfte wohl die Auslegung des für den Menschen nicht zu zähmenden Rhinozeros nach Hiob 39,9-12 in Mor. XXXI 1,1-7,10 (1549,1-1557,47 Adriaen) sein, vgl. dazu auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 222 und insbesondere STRAW, Gregory's politics, passim. 210 Daß es Gregor in den Moralia vor allem um „die Ausübung kirchlicher Amtsvollmacht" geht, vermutet auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 222f., der jedoch über das potentiae temporalis ministerium erstaunlich wenig zu sagen hat. 211 Mor. XXIV 16,40f. (1218,30ff. Adriaen); Mor. XXVI 42,77 (1324,10-14 Adriaen); vgl. zur Auslegung der ersten Stelle auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 42. 212 Mor. XXIV 16,41 (1218,41ff. Adriaen).

Abgrenzung zu häretischen und arroganten praedicatores

235

wissen213. Wenn Elihu als Typus der arroganten Verkündiger dem Hiob als Typus der Kirche mit Hiob 36,18 vorwirft: Non te ergo superat ira, ut aliquem opprimas, dann heißt das, daß die Arroganten die wahrhaftigen praedicatores bisweilen sogar als vom Zorn Geleitete ansehen, die mit ihrer correctio der Sünder nichts anderes tun als Unschuldige unberechtigterweise zu quälen und zu bedrücken214. Damit sehen die arrogantes auf die Ausübung zeitlicher Macht durch den gegenwärtigen Leib des Herrn herab, weil sie nicht in der Lage sind zu begreifen, daß man dort das Zeitliche verachten und es dennoch in vollkommener Weise regieren kann, gerade wenn man einzig und allein das Ewige liebt und erwartet. Die Ausübung von Macht widerspricht der demütigen Lebensführung keineswegs, vielmehr achten die wahren praedicatores sehr genau darauf, daß sie weder aus Demut die notwendige Herrschaft vernachlässigen, noch umgekehrt beim Herrschen die ihnen eigene humilitas verlieren215. Wie beides miteinander in Einklang zu bringen ist und was die wahrhaften praedicatores bei der rechten Ausübung zeitlicher Herrschaft über ihre Untergebenen bedenken sollten, um nicht selbst zu arroganten praedicatores zu werden, das legt Gregor in den bereits erwähnten, etwas längeren und thematisch orientierten Passagen im Zusammenhang der Elihureden ausführlich dar216.

213

Mor. X X I V 16,41f. (1218,56ff. Adriaen). Der Abschnitt läuft auf die Aussage von 2. Kor. 4,5: Non enim nosmetipsos praedicaemus, sed lesum Christum Dominum nostrum, nos autem seruos uestros per Christum zu. FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 4 2 bemerkt zu dieser Art der Bereicherung des auszulegendenen Verses mit weiteren Schriftstellen: „So bietet Gregor innerhalb einer alttestamentlichen Auslegung einen kleinen Traktat über die correctio fraterna innerhalb der Kirche, der ganz von paulinischem Geist erfüllt ist. Ein deutliches Beispiel für die durchaus biblische Inspiration auch der allegorischen Interpretation". Dieser Traktat über die correctio fraterna gehört für Gregor in den Zusammenhang der Auseinandersetzung mit den arroganten Verkündigern; deshalb stellt er ihnen mit Paulus ein Beispiel für den demütigen praedicator gegenüber. 214

M o r . X X V I 4 0 , 7 2 (1320,22ff. Adriaen): Saepe enim cum uident ab Ecclesia districte prauos corrigi, quasi queruntur iniuste innocentes affligi, et nitorem disciplinae eius commutant appellatione nequitiae. [...] Arrogantes enim irae motum deputant, quicquid a sancta Ecclesia geritur censura disciplinae. Vgl. auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 259. Wie die kirchliche correctio diese Gefahr vermeidet, erörtert Gregor ausführlich in der längeren moralischen Auslegung dieses Verses in Mor. X X V I 4 3 , 7 8 ( 1 3 2 4 , l f f . Adriaen). 215

Mor. X X V I 4 0 , 7 3 (1320,43-1321,49 Adriaen): ... nequaquam uidelicet perpendentes quod sit in ea qui et sit in ea qui et despicientes nouerint perfecte temporalia regere, et amantes aeterna plenis desideriis expectare; et dispensationem potestatis acceptae peragere, et humilitatis insitae ministerium custodire, ut nec humilitatis causa curam suscepti regimis neglegant, nec rursum occasione regiminis in eis humilitas intumescat. 216

Vgl. dazu BROUWER, Égalité et pouvoir, 113.

236

Kapitel

9

Die von Elihu getroffene Aussage über die göttliche Gerechtigkeit in Hiob 34,18: Qui dicit regi: apostata; qui uocat duces impios meint in Gregors Deutung, daß niemand anders als der Herr selbst die arroganten praedicatores mit diesem Wort harsch tadelt, indem er sie als Abtrünnige und Ungläubige bezeichnet 217 . Er nennt sie Abtrünnige, weil sie sich als diejenigen, die Macht über andere haben, in ihrer Herrschaftsausübung stolz aufblasen, die anderen verachten und sich ihnen nicht in der Weise der condescensio zuwenden 218 . Sie wollen vielmehr lediglich über andere Menschen herrschen, aber nicht um ihres Herrn willen, sondern, damit sie von ihren Untertanen gar an seiner Stelle verehrt werden 219 . In ihrem Hochmut und in der Verachtung für die ursprüngliche Gleichheit der Menschen untereinander wollen diese praedicatores oder rectores durch ihre einzigartige Machtstellung anderen gegenüber singulariter sein und ahmen damit am Ende sogar den Teufel nach, der ebenfalls einzig sein wollte und die ursprüngliche Gemeinschaft mit den Engeln verachtete 220 . Einen solchen rector, der sich gegenüber seinen Untertanen in dieser Weise hochmütig aufbläst, aus eigener Machtfülle über sie zu herrschen meint und nicht daran denkt, daß der Schöpfer alle Menschen ursprünglich gleich geschaffen hat 221 , betrachtet Gregor nicht länger als im Dienste Gottes und des Herrn, des obersten rector, stehend, weshalb dieser ihn auch mit Recht einen Apostaten nennt 222 .

217 Mor. X X I V 2 5 , 5 2 - 5 5 ( 1 2 2 6 , 1 - 1 2 2 9 , 1 0 4 Adriaen). Auch wenn BROUWER, Égalité et pouvoir, 1 1 3 behauptet, es sei „difficile à déterminer", ob an dieser Stelle mit den rectores geistliche oder weltliche Große gemeint seien, geht doch aus dem Zusammenhang hervor, daß hier Elihu als Typus für die arroganten Prediger kritisiert wird, zumal die Beschreibung ihres Verhaltens dem der arrogantes praedicatores, wie es in den Elihureden geschildert wird, vollkommen entspricht. 218

Die kirchlichen praedicatores herrschen nach Gregors Ansicht keinesfalls anstelle der göttlichen Weisheit, sondern durch sie, vgl. Mor. XVIII 4 5 , 7 3 ( 9 3 8 , 1 2 - 1 4 Adriaen). 219 Mor. X X I V 2 5 , 5 2 ( 1 2 2 6 , 2 - 4 Adriaen): Saepe nouimus quodplerique quipraesunt inordinatum sibi metum a subditis exigunt, et non tarnen propter Dominum quam pro Domino uenerari uolunt. R E Y D E L L E T , La Royauté, 471 meint, hier könne nur ein weltlicher Machthaber gemeint sein: „il est difficile d'imaginer un évêque assoiffé de puissance au point de se prendre pour Dieu le Père". Dagegen mit Recht B R O U W E R , Égalité et pouvoir, 113: „II me semble au contraire que le premier à pouvoir se faire honorer à cause de Dieu est l ' h o m m e d'Église". 220

Mor. X X I V 2 5 , 5 2 ( 1 2 2 6 , 1 6 f f . Adriaen). Diesen Ausführung stellt Gregor in Mor. X X X I V 2 3 , 4 7 - 5 6 ( 1 7 6 6 , 1 - 1 7 7 3 , 2 4 7 Adriaen) die Herrschaft der Demütigen der Machtausübung des hochmütigen Teufels gegenüber, vgl. dazu auch B R O U W E R , Égalité et pouvoir, 113f. 221

Vgl. dazu auch oben unter 6.1.3.3. Mor. X X I V 2 5 , 5 2 ( 1 2 2 7 , 2 6 - 3 1 Adriaen): Quia ergo unusquisque rector quotiens extollitur in eo quod ceteros regit, totiens per lapsum superbiae a summi rectoris seruitio separatur; et cum aequales sibi subditos despicit, eius super se dominium sub quo omnes aequales sunt non agnoscit, recte dicitur: Qui dicit regi: apostata. 222

Abgrenzung zu häretischen und arroganten praedicatores

231

Ein Ungläubiger heißt er in der Auslegung zu Hiob 34,18, weil er durch sein eigenes schlechtes Beispiel die ihm Untergebenen zur Schuld der elatio und damit letztlich auch zum Unglauben verführt 223 . Wie der Apostel Paulus224 sollte ein wahrer praedicator und rector deshalb sehr vorsichtig mit der Macht umgehen, die mit der pastoralen Aufgabe verbundenen ist225, und den anderen mit der eigenen Lebensführung immer wieder exempla humilitatis geben226, um so die eigene Machtstellung dazu zu nutzen, deren Sünden zu korrigieren, ohne jedoch selbst der Gefahr der häufig mit der Herrschaft einhergehenden elatio zu erliegen227. Er entgeht dem Vorwurf seines Herrn, ein abtrünniger Herrscher oder ungläubiger Führer zu sein, wenn er die potestas nicht als eine Ehre, sondern als eine Last ansieht, die ihm die undurchschaubare göttliche Fügung auferlegt. Aus diesem Grund darf er sich dem Herrschaftsverhältnis zu seinem obersten rector nicht hochmütig oder aus falsch verstandener Demut entziehen, vielmehr soll er demütig die ihm übertragene Macht über andere Menschen ausüben, ohne jedoch an der Machtausübung an sich Gefallen zu finden 228 . In ganz ähnlicher Weise interpretiert Gregor die von Elihu etwas später zu seiner eigenen Rechtfertigung vorgebrachte Aussage in Hiob 36,5: Deus potentes non abicit, cum et ipse sit potens, deren angemessener Deutung er

223

Mor. X X I V 25,53f. (1227,32ff. Adriaen). Für Gregor wird mit Mor. XXIV 25,53 (1227,40-42 Adriaen) die Aussage des Paulus in 1. Thess. 2,6f.: Nec quaerentes ab hominibus gloriam, necque a uobis, neque ab aliis, cum possimus oneri esse, ut Christi apostoli, sed facti sumus in medio uestrum paruuli zum Leitwort für den rechten Umgang der praedicatores mit der Macht. 225 Mor. X X I V 2 5 , 5 3 (1227,45ff. Adriaen) ist von der potestas pastoralis potentiae die Rede, vgl. auch BROUWER, Egalité et pouvoir, 113. Daß Gregor hier die Machtausübung der pastores/praedicatores anspricht, geht aber schon aus Mor. XXIV 2 5 , 5 2 (1226,1 l f f . Adriaen) hervor. Zu den Fragen, die jemand, der herrschen soll, für sich klären muß, vgl. auch Mor. X X V 16,41 (1265,103ff. Adriaen). Zum pastoralen Dienst insgesamt vgl. auch FLEDROWICZ, Kirchenverständnis, 21 l f . 226 Mor. X X I V 2 5 , 5 4 l ( 2 2 7 , 4 9 f f . Adriaen). Zum exemplum der eigenen Lebensführung vgl. auch FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 146-150. 227 Mor. X X I V 25,54 (1228,56ff. Adriaen); vgl. auch BROUWER, Égalité et pouvoir, 119: „Le pouvoir temporel des justes [...] requiert une maîtrise de soi suffisante pour diriger les affaires sans y prendre goût, pour exercer l'autorité avec humilité". 228 Mor. X X I V 25,55 (1229,88-104 Adriaen): Et rectorprouidus tanto iam neque rex apostata, neque dux impius uocabitur, quanto ei cogitatione sollicita potestas quae accepta est, non honor, sed onus aestimatur. [...] Quae ut ministrari recte ualeat, oportet primum ut hanc non cupiditas, sed nécessitas imponat. Percepta autem nec pro formidine debet deseri, nec ex libidine amplecti; ne aut peius quis quasi ex humilitate superbiat, si diuinae dispensationis ordinem fugiendo contemnat; aut eo iugo superni rectoris abiciat; quo eum super ceteros priuatum regimen delectat. Potestas ergo cum percipitur, non ex libidine amanda est, sed ex longanimitate toleranda, ut inde tune ad iudicium salubriter leuis sit, unde nunc ad ministerium patienter grauis innotescit. 224

238

Kapitel

9

ebenfalls einen längeren Abschnitt widmet229. Er betont, daß die rechte Ausübung zeitlicher Macht durchaus ein großes Verdienst vor Gott sein kann230, doch mindestens ebenso groß sind in seinen Augen die mit der Herrschaft über andere verbundenen Gefahren, die letztlich alle in der elatio im Verhältnis zu den anderen Menschen wurzeln231 und in der Verachtung für die ursprüngliche Gleichheit der Menschen untereinander gipfeln232. Darin, daß sich diese rectores aufblasen und anderen gegenüber singulariter sein wollen, geraten sie in die unmittelbare Nähe der allein auf die äußerliche Macht gerichteten Bestrebungen des Teufels233 und bilden nur allzu schnell Glieder an dessen Leib234. Demgegenüber ruft Gregor seinen Lesern aufs neue in Erinnerung, daß die Äußerlichkeiten dieser Welt keineswegs dem göttlichen Urteil entsprechen müssen. Wer äußerlich auf dem Höhepunkt zeitlicher Macht ist, kann bei Gott bereits verworfen sein, wenn er nicht länger demütig ist, sondern sich anderen gegenüber als etwas Besseres fühlt, wie das Schicksal Sauls hinreichend deutlich macht235. Dieser stand zunächst aufgrund seiner Demut dem Volk vor, wurde jedoch von Gott aufgrund seines Hochmutsverworfen236; aufgeblasen durch zeitliche Macht, hielt er sich selbst im Vergleich zu den anderen für groß, doch miro modo gilt gerade der, der sich selbst für klein hält, bei Gott als groß, weswegen der Herr selbst einen jeden seiner rectores durch das

229

Mor. X X V I 2 6 , 4 4 - 4 8 ( 1 2 9 8 , 1 - 1 3 0 3 , 1 6 4 Adriaen); vgl. dazu auch DAGENS, Saint

G r é g o i r e le Grand, 1 3 6 f . 230

Mor. X X V I 2 6 , 4 4 ( 1 2 9 9 , 1 8 - 2 0 Adriaen): Magna

quia habet 231

apud Deum meritum

est

suum de bona administratione

enim potentia regiminis

temporalis,

....

Mor. X X V I 2 6 , 4 4 ( 1 2 9 9 , 2 0 f f . Adriaen) z e i c h n e t Gregor das Bild eines h o c h m ü -

tigen und ganz an Ä u ß e r l i c h k e i t e n w i e d e m m e n s c h l i c h e n L o b orientierten oder rector, 232

Mor. X X V I 2 6 , 4 4 ( 1 2 9 9 , 2 9 f f . Adriaen).

233

Mor. X X V I 2 6 , 4 4 ( 1 2 9 9 , 3 3 - 4 1 Adriaen): In quodam

apud

semetipsum;

cere

ceteros

[...]

Ad eius

despiciens

et qui aequa

dedignatur; similitudinem

sicque

ceteris

naturae

usque

ducitur,

qui

conditione

ad eius singulare

quippe

se constituit

constringitur,

[sc. d e s T e u f e l s ] similitudinem culmen

appetens,

culmine

ex aequo

respiducitur

et socialem

uitam

... Gregor zitiert hier w i e auch in Mor. X X I V 2 5 , 5 2 ( 1 2 2 7 , 2 5 f . Adriaen) den

Vers Jes. 1 4 , 1 4 : Ascendam w i e in den Moralia 234

praedicator

der dadurch den B e z u g zu s e i n e m e i g e n e n Inneren verliert.

Mor. XXV

super

altitudinem

nubium,

similis

ero Altissimo,

den er hier,

d u r c h g e h e n d , auf den T e u f e l bezieht. 1 6 , 3 4 ( 1 2 5 9 , l f f . Adriaen); v g l . auch BROUWER, Égalité et p o u v o i r ,

115: „Le m a u v a i s pasteur fait partie des hypocrites, dont le chef est l'Antéchrist". 235

Mor. X X V I 2 6 , 4 4 ( 1 3 0 0 , 4 2 f f . Adriaen). Gregor beschreibt Saul hier k e i n e s w e g s

als e i n e n w e l t l i c h e n Machthaber, sondern lediglich als einen Führer s e i n e s V o l k e s ; g e g e n BROUWER, Égalité et p o u v o i r , 114, der meint:

le p o u v o i r civil est très e x p l i c i t e m e n t

concerné". 236

Mor. X X V I 2 6 , 4 4 ( 1 3 0 0 , 4 6 f . Adriaen): Per humilitatem

superbiam

reprobatus.

quippe

praelatus

est,

per

Abgrenzung zu häretischen und arroganten praedicatores

239

Wort des Propheten Jesaja und des Paulus vor jeglicher Ruhmsucht anderen gegenüber warnt237. An und für sich ist die Ausübung von zeitlicher Macht nichts Schlechtes238, wie Gregor erneut betont, doch entscheidend wichtig ist es, daß sie in rechter Weise geübt wird. Sie wird dann in angemessener Weise gebraucht, wenn sie ausschließlich dazu genutzt wird, Sünden anderer zu korrigieren und somit letztlich die ursprünglich schöpfungsgemäße Gleichheit aller Menschen wiederherzustellen239. Wenn sie ihre einzige Aufgabe darin sieht, die Sünden der Untergebenen zu bekämpfen, dann steht sie im Dienste Gottes und übernimmt gemäß der Aussage von Rom. 13,4: Minister enim Dei est, uindex in iram, eine Funktion im Hinblick auf den göttlichen Heilwillen für diese Welt240. Somit kommt es für die kirchlichen rectores entscheidend darauf an herauszufinden, ob sie Herrschaft über andere Menschen ausüben müssen, weil die Notwendigkeit zur correctio sündiger Menschen besteht241. Sie sollen sich jedoch immer darüber im klaren sein, daß allein die Sünden und Laster der anderen Menschen es rechtfertigen, daß sie als die wahren kirchlichen rectores gegenwärtig über andere Menschen, jedoch nur, solange diese noch sündig sind, im Einklang mit dem göttlichen Willen Macht ausüben242. Bei der Ausübung dieses Amtes der correctio haben die rectores immer darauf zu achten, daß sie einerseits per disciplinam die Lasterhaften zurechtweisen müssen, andererseits aber per humilitatem niemals vergessen dürfen, daß sie die ehemaligen Sünder, die die correctio angenommen haben, nunmehr als ihnen gleichgestellte Brüder behandeln sollen243. 237 Mor. XXVI 26,44 (1300,45ff. Adriaen). In seiner Auslegung verbindet Gregor sehr geschickt das Gotteswort an Saul in 1. Reg. 15,17: Nonne cum esses paruulus in oculis tuis, caput te constitui in tribubus Israel? mit den Warnungen aus Jes. 5,21: Va e qui sapientes estis in oculis uestris, et coram uobismetipsis prudentes und Rom. 12,16: Nolite prudentes esse apud uosmetipsos. In Mor. XXV 16,35 (1260,43ff. Adriaen) verwendet Gregor dasselbe Gotteswort, um deutlich zu machen, secundum meritum plebium disponuntur corda rectorum 238 Mor. XXVI 26,48 (1303,160f. Adriaen): Tumoris namque elatio, non ordo potestatibus in crimine est. Vgl. auch Mor. XXVI 27,49 (1303,9-11 Adriaen). 239 Mor. XXVI 26,45 (1300,64-66 Adriaen): Bene hanc exercet, qui seit per illam super culpas erigi, seit cum illa ceteris aequalitate componi. Vgl. auch STÜRNER, Peccatum et potestas, 89ff. 240 Mor. XXVI 26,45 (1300,68-70 Adriaen). 241 Mor. XXVI 26,45 (1300,70ff. Adriaen). Zu dem von Gregor häufig verwendeten Beispiel des Petrus und des Paulus vgl. oben unter 6.3.3.2. 242 Mor. XXVI 26,46 (1301,97-101 Adriaen): Summus itaque locus bene regitur, cum is qui praeest uitiis potius quam fratribus dominatur. Cunctos quippe natura aequales genuit, ut autem alii ad regendum aliis commitantur, non eos natura, sed culpa postponit. Vitiis ergo se debent rectores erigere, quorum et causa praeferuntur... 243 Mor. XXVI 26,46 (1301,105ff. Adriaen) Gregor formuliert sehr knapp: Seruanda itaque est in corde humilitas, et in opere disciplina.

240

Kapitel

9

Wer im Äußeren den Dienst der Herrschaft auf sich nimmt, der muß sich immer wieder im Innern demütig der ursprünglichen Schöpfungsgleichheit aller Menschen versichern, um nicht der Gier nach Macht zu erliegen 244 . In dieser Weise hat insbesondere David in deutlichem Kontrast zum hochmütigen und ruhmsüchtigen Saul seine Art der Herrschaftsausübung verstanden245. Doch Gregor weiß sehr genau, daß eine solche Ausübung von zeitlicher Macht keineswegs der Normalfall ist, denn Herrschaft und elatio liegen gewöhnlich so eng beieinander, daß sie kaum noch voneinander zu unterscheiden sind. Um so erstaunlicher und geradezu als ein Wunder erscheint ihm deshalb die ars uiuendi derjenigen, die zwar Macht haben, aber dennoch im eigentlichen Sinne keine Machthaber sind, weil sie zwar den Nutzen der Macht kennen, während ihnen das Schädliche, das der Herrschaft nur allzu häufig anhaftet, unbekannt ist246. Diesen wahren praedicatores und rectores gilt deshalb die Aussage: Deus potentes non abicit, cum et ipse sit potens, denn mit dieser Art der Machtausübung ahmen sie letztlich Gottes eigenes Tun nach, wenn sie zum Heil der Menschen im Äußeren herrschen und als praelati anderen von Nutzen sein wollen247. Nochmals betont Gregor, daß der Besitz von Macht an sich nichts Schlechtes ist248, denn Gott selbst ist letzten Endes der oberste Machthaber, der seine Herrschaft ausschließlich zugunsten der Menschen und zu ihrem Heil übt249. In gleicher Weise sollen deshalb auch diejenigen praedicatores und rectores, die aufgrund des unerforschlichen göttlichen Ratschlusses in dieser Welt von Gott Macht verliehen bekommen haben250, diese nach dem 244

Mor. X X V I 2 6 , 4 6 ( 1 3 0 2 , 1 2 3 f f . Adriaen). Mor. X X V I 26,47 ( 1 3 0 2 , 1 3 0 f f . Adriaen). Insbesondere die beiden Bezugnahmen auf den Beginn von Psalm 130: Neque elati sunt oculi mei und Neque ambulaui in magnis sind von Gregor sicherlich mit Bedacht g e g e n seine Charakteristik Sauls in Mor. X X V I 2 6 , 4 4 ( 1 3 0 0 , 4 5 f f . Adriaen) ausgewählt. In Mor. X X V I I 4 6 , 7 7 ( 1 3 9 0 , 4 8 f f . Adriaen) lobt Gregor erneut Davids demütige Lebensweise und Herrschaft, wobei häufiger auf die sehr ähnliche Aussage in 2. Reg. 6,22: eroque humilis in oculis mei Bezug g e n o m m e n wird. 245

246

Mor. X X V I 2 6 , 4 8 ( 1 3 0 3 , 1 5 2 - 1 5 6 Adriaen): Subtilissima namque ars uiuendi est culmen tenere, gloriam premere; esse quidem in potentia, sed potentem se esse nescire; ad repetenda noxia omne quod potenter ualet ad largienda bona potentem se cognoscere, ignorare. 247 Mor. X X V I 2 6 , 4 8 ( 1 3 0 3 , 1 5 7 - 1 6 0 Adriaen): Deum quippe imitari desiderat, qui fastigium potentiae alienis intentus utilitatibus, et non suis laudibus elatus administrat, quipraelatus ceteris prodesse appetit, non praeesse. 248

Mor. X X V I 2 6 , 4 8 ( 1 3 0 3 , 1 6 0 f . Adriaen): Tumoris namque elatio, statis in crimine est. Vgl. auch Mor. X X V I 2 7 , 4 9 ( 1 3 0 3 , 9 - 1 1 Adriaen).

non ordo

pote-

249 U m diese Parallelität zu unterstreichen, bezeichnet Gregor Gott bisweilen als den obersten rector, vgl. Mor. X X I V 2 5 , 5 2 ( 1 2 2 7 , 2 5 f f . Adriaen); Mor. X X I V 2 5 , 5 5 ( 1 2 2 9 , 8 8 f f . Adriaen). 250

Mor. X X V I 2 6 , 4 8 ( 1 3 0 3 , 1 6 1 f . Adriaen): Potentiam Deus tribuit... Weil die Herrschaft nach Gottes undurchschaubarem Ratschluß geordnet ist, heißt das umgekehrt aber

Abgrenzung

zu häretischen

und arroganten

praedicatores

241

Vorbild des Inkarnierten demütig und zugunsten ihrer Nächsten ausüben und sie nicht dazu benutzen, sich selbst wie die arroganten praedicatores, die Gregor hier nach wie vor im Blick hat, stolz gegenüber anderen Menschen zu erheben. Nur so kann es den praedicatores als Bevollmächtigten der diuina dispensatio gelingen, ebenso wie Christus selbst, der die Mitte der göttlichen Heilsgeschichte und das Haupt der gegenwärtigen Kirche ist, ihre Nächsten, die ihnen in dieser Welt untergeben sind, auf den Weg zu Gott zu führen.

auch, daß die subditi ihre Herrscher in dieser Welt nicht hochmütig und eigenmächtig richten dürfen, sondern statt dessen demütig ertragen sollen, vgl. dazu ausführlich Mor. X X V 16,36f. ( 1 2 6 1 , 6 4 f f . Adriaen). Für Gregor stehen die Untergebenen, die ihre Machthaber kritisieren, immer auch in der Gefahr, die verborgene göttliche Heilsordnung und damit letztlich Gott selbst zu kritisieren, vgl. dazu nicht minder ausführlich Mor. X X V 16,38 ( 1 2 6 2 , 1 1 4 f f . Adriaen).

Kapitel 10

Zusammenfassung und Ertrag Die vorliegende Studie versucht, deutlich zu machen, daß Gregors ausführliche Hiobinterpretation in den Moralia in Job keineswegs ein Stück vollkommen willkürlicher Allegorese ohne jeglichen roten Faden und inneren Zusammenhang ist, die von einem Autor stammt, der bereits an der Schwelle zum Mittelalter stand und daher nicht mehr wie noch der immer wieder zum Vergleich mit Gregor herangezogene Augustin mit der antiken Bildung und Textkultur vertraut und in ihr verwurzelt war1. Vielmehr erweisen sich die Moralia, gerade wenn man sie auf dem Horizont der spätantiken Auslegung und Deutung von Texten liest, als ein betont christologisch-ekklesiologischer Kommentar zum Buch Hiob, dessen Ausdeutung des zugrundeliegenden Textes noch immer den klaren und seit langem anerkannten hermeneutischen Prämissen folgt, wie sie Augustin insbesondere in seinem Werk De doctrina christiana niedergelegt und für die Auslegung der biblischen Schriften eingefordert hatte2. Ebenso wie Augustin sieht auch Gregor im Ganzen der göttlichen Heilsgeschichte, die in der Kirche ihre legitime Fortsetzung bis in seine Gegenwart hinein findet, das für sein Textverständnis relevante Bezugssystem, in das er demnach auch das ihm zunächst so dunkel und schwierig erscheinende Buch Hiob stellt und in dem er diese biblische Schrift gelesen und verstanden wissen will. Doch ist sein Auslegungsinteresse gegenüber Augustin insofern ein klein wenig verschoben, als Gregor schon in seinem Widmungsbrief an Leander mit der Schilderung des eigenen Lebensweges deutlich macht, daß er seine eigene conuersio nicht nur als einen Rückzug von den Angelegenheiten dieser Welt, sondern im Sinne einer weitergehenden und erneuten Umorientierung auch als eine von niemand anderem als von der diuina dispensatio erzwungene erneute Zuwendung zur Welt im Dienst der Kirche begreift, die ihn dazu veranlaßt, zwar inmitten dieser Welt, aber dennoch nicht auf sie ausgerichtet zu leben und zu handeln.

1 Vgl. die sehr drastische Beschreibung bei DUDDEN, Gregory the Great I, 15: „He [sc. Gregory] never attained a perfect sanity of view. From his birth he was sick - a victim of the malady of the Middle Ages". 2 So auch LEYSER, Authority and Ascetism, 178: „In the De doctrina Christiana and throughout his work, Augustine developed the techniques of exegesis [...] which were obviously fundamental for Gregory's own work as an exegete".

244

Kapitel 10

Nach dem Vorbild Augustins, der als Asket und Bischof gleichfalls die uita contemplatiua mit der uita actiua verbunden und in Einklang gebracht hatte, reflektiert auch Gregor dieses Thema gleich zu Beginn seines Dedikationsschreibens. Dieses ist weniger als ein autobiographisches Zeugnis zu werten als vielmehr im Sinne einer ersten Einführung der Leser in seine Auslegung des Hiobbuches, die auf eine Vergegenwärtigung der Heiligen Schrift im Kontext der Kirche des ausgehenden sechsten Jahrhunderts zielt. Offenbar will Gregor mit seinem Kommentar in erster Linie eine kirchliche Elite von praedicatores ansprechen, die sich in dieser von vielen Umbrüchen geprägten Zeit nicht mehr vollständig von den Angelegenheiten dieser Welt in die Abgeschiedenheit eines Klosters zurückziehen kann, sondern actio und contemplatio in angemessener Weise miteinander verbinden und wie Gregor selbst in der Spannung zwischen der Sehnsucht nach der Ewigkeit und dem Dienst am Nächsten in dieser Welt leben muß. In dieser Situation, die die Erwartungen an die kirchliche Führungsschicht des justinianischen Zeitalters umreißt, soll die Betrachtung der Schrift, in der schließlich auch Göttliches und Menschliches miteinander verbunden sind, die kirchlichen praedicatores dazu anleiten, einerseits ganz Gott zu leben, andererseits aber auch in dieser Welt ihren Nächsten zu dienen. Es wäre deshalb ein folgenschweres Mißverständnis anzunehmen, Gregor wolle seine Leser mit den Moralia in Job einzig und allein zur contemplatio des Göttlichen anleiten, damit sie sich mit Hilfe der Schriftmeditation schon hier immer weiter von dieser Welt lösen und auf dem Weg zur Ewigkeit voranschreiten können3. Gregor will die bestehende Spannung mit seiner Schriftinterpretation keinesfalls einseitig auflösen; für ihn bleibt sie vielmehr bis zu dem zwar noch nicht unmittelbar bevorstehenden, jedoch gegenwärtig erkennbar näher gerückten Ende der Welt bestehen 4 . Ihm geht es offenbar vor allem darum, die kirchlichen praedicatores, die von dem verborgenen Handeln der diuina dispensatio mitten in diese Spannung hinein gestellt sind und nun auch in dieser Welt handeln müssen, mittels seiner Deutung des Buches Hiob zu erbauen und sie damit zugleich in die Lage zu versetzen, ihrerseits mit Hilfe der Auslegung biblischer Texte als praedicatores wiederum ihre Nächsten zu

3

D a s behauptet Markus in seiner vor w e n i g e n Jahren e r s c h i e n e n e n

umfassenden

Darstellung, vgl. MARKUS, Gregory the Great, 5 0 : „Gregorian religion w a s in e v e r y w a y a religion of detachment: scriptural in its substance, it detached the reader f r o m the letter of the scripture, h e l p i n g to detach him, at the s a m e time, f r o m the world he w a s to read in its light". D i e s e n A n s a t z hat LEYSER, Authority and A s c e t i s m , 1 5 0 f f . insofern weiterentwickelt, als er über Markus hinaus die A n s i c h t vertritt, Gregor habe sich auch v o n allen weltlichen Institutionen g e l ö s t . 4

V g l . dazu auch B. E. DALEY, The H o p e of the Church. A H a n d b o o k of Patristic

E s c h a t o l o g y , C a m b r i d g e 1 9 9 1 , 21 I f .

Zusammenfassung und Ertrag

245

erbauen 5 . Somit ergibt es sich zwangsläufig, daß Gregor auch die Entscheidung, ob eine auszulegende Textstelle, wie er mit einer ganzen Reihe von Beispielen aus dem Buch Hiob veranschaulicht, proprie oder figúrate zu verstehen ist, danach trifft, inwieweit die Deutung der aedificatio des jeweilig anvisierten Publikums dient. Eine vornehmlich an den altbekannten grammatischen Regeln orientierte Exegese des biblischen Textes, wie sie zu seiner Zeit insbesondere von Gregors etwas älterem Zeitgenossen Cassiodor gemeinsam mit seinen Mönchen im Kloster Vivarium geübt wurde, erscheint ihm deshalb ebenso wie seinerzeit Augustin letztlich nutzlos zur Erbauung der Kirche zu sein, weswegen er sie am Ende seines Widmungsbriefes an Leander auch als ,fruchtlose Geschwätzigkeit' ablehnt. Die tiefere Bedeutung des schwierigen und dunklen Buches Hiob, auf die es Gregor mit seiner Deutung ankommt, erschließt sich, sobald man es in den Gesamtzusammenhang der diuina dispensatio einordnet, von der wiederum die ganze Schrift mit Christus als ihrer Mitte Zeugnis ablegt. Als der inkarnierte Gottessohn hat Christus die Spannung, unter der die praedicatores gegenwärtig leiden, in seiner eigenen Person auf sich genommen, um die Menschen vor der ewigen Verdammnis zu retten6. Dieses Leiden, das nicht nur die jetzigen praedicatores, sondern jeder Mensch empfindet, der sich der Unzulänglichkeiten und eklatanten Widersprüche in dieser Welt bewußt wird, thematisiert Gregor deshalb auch ausführlich in seiner Praefatio zu den Moralia. Er betrachtet auch das menschliche Leiden auf dem Hintergrund des allumfassenden göttlichen Heilsplans und sieht in ihm den Ausdruck der göttlichen flagella, die entweder der correctio der Sünder dienen oder aber das Wirken der göttlichen Gnade um so deutlicher hervortreten lassen wollen 7 . Für Gregor konzentriert sich das Wirken der göttlichen Gnade in der Heilsgeschichte auf den sichtbar erniedrigten und in dieser Welt Fleisch gewordenen Christus, der jedoch auch gegenwärtig nicht ohne seinen angenommenen Leib, die Kirche, in dieser Welt existieren will. In dieser unmittelbaren Verbindung zwischen Christus und der Kirche, die ganz auf der Linie der augustinischen Theologie und speziell seiner ekklesiologischen Konzeption des totus Christus liegt, sieht Gregor den entscheidenden Schlüssel zum

5

Vgl. auch MARKUS, Gregory the Great, 32: „The people whom Gregory is most often adressing, the class of redores or praedicatores, are told how the Scriptures are to be expounded to others". 6 Vgl. dazu vor allem STRAW, Gregory the Great, 257ff. 7 Die Frage nach dem Leiden steht nach Ansicht der beiden bereits erwähnten Arbeiten von LA PORTE, Gregory the Great und DERS., Une théologie systématique? im Mittelpunkt der gregorianischen Hiobdeutung und bildet in seinen Augen den Knotenpunkt für alle übrigen Themen, die in den Moralia in Job verhandelt werden. Die Christologie spielt jedoch in der Deutung von La Porte keine hervorgehobene Rolle.

246

Kapitel

10

Verständnis des Buches Hiob8, weshalb er Hiob nicht nur als Typus für Christus, sondern auch als Typus für die Kirche versteht und ihm die übrigen Personen der Hioberzählung zuordnet9. Demnach steht Hiobs Frau für die fleischlich Gesinnten innerhalb der Kirche, die Freunde Hiobs für die Häretiker, die dadurch, daß sie das wahre Bekenntnis zu Christus geringschätzen, auch seinen Leib, die Kirche, bedrängen, sowie der später hinzukommende Elihu für die Gruppe der Arroganten, welche die ihnen im Rahmen der gegenwärtigen Kirche Untergebenen verachtet10. Schon allein diese Aufzählung der verschiedenen Typen, die Gregor in den Moralia in Job ausdeutet, läßt erkennen, daß es Gregor mit seinem christologisch-ekklesiologischen Kommentar zum Buch Hiob darauf ankommt, Augustins theologische Konzeption des totus Christus für die Bedürfnisse seines eigenen Publikums im ausgehenden sechsten Jahrhunderts fruchtbar zu machen und weiterzuentwickeln. Sobald Gregor in der Durchführung seines Kommentars auf einen oder mehrere Verse trifft, die sich in diesem Sinne interpretieren lassen, folgt er weitgehend dem durch die Schriften Augustins vorgezeichneten Aufriß der göttlichen Heilsgeschichte11. Ganz im Sinne Augustins begreift daher auch Gregor die Ursünde des Menschen und seinen Fall als Ausdruck des Ungehorsams gegenüber dem Schöpfer und als Nachahmung der stolzen Auflehnung des Teufels, die den Menschen zu einem Feind Gottes und zu einem stolzen Imitator diaboli werden ließen. Im Kontext seiner Auslegung des Buches Hiob interessiert sich Gregor dann aber insbesondere für das dem Sünder seither verborgene Heilshandeln seines göttlichen Schöpfers, das gleichsam sub contrario wirksam wird und sich dabei die vom Menschen verursachten Auswirkungen und Konsequenzen seiner Sünde zunutze macht. Gregor knüpft auch hier erkennbar an augustinische Gedanken an, wenn er recht ausführlich entfaltet, inwieweit der Verlust der ursprünglichen stabilitas und der Möglichkeit der unmittelbaren Gotteserkenntnis, ebenso wie der in dieser Welt nicht enden wollende Widerstreit zwischen dem menschlichen Fleisch und seinem Geist12, sowie die Entstehung einer Hierarchie unter den

8 Dagegen vertritt FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 364f. die Auffassung, Gregor rezipiere weder die Tiefe noch die Spannbreite der augustinischen Lehre vom totus Christus. 9 Vgl. noch einmal den bereits häufiger zitierten wichtigen Aufsatz von DOUCET, Christus et Ecclesia, 37: il ne s'agit pas simplement d'un thème parmi bien d'autres dans ses commentaires bibliques, mais d'une véritable idée directrice, et comme d'une ligne de crête". 10 Gregor wiederholt diese Leseanweisung jeweils zu Beginn eines jeden Teils der Moralia, vgl. dazu wiederum DOUCET, Christus et Ecclesia, 44f. 11 Vgl. dazu auch FIEDROWICZ, Kirchenverständnis, 364f. 12 Der Gegensatz zwischen Fleisch und Geist, der im Opfer Christi versöhnt und aufgehoben wird, steht im Zentrum der Interpretation von STRAW, Gregory the Great.

Zusammenfassung und Ertrag

247

Menschen, einerseits zwar gegenwärtig vielfach bitteres Leiden verursachen, aber dennoch zugleich auch als flagella Dein zu verstehen sind, die das sündige Geschöpf eben mittels dieser göttlichen Schläge wieder zu seinem Schöpfer zurückbringen wollen. Ganz und gar entzogen bleibt dem Menschen hingegen die göttliche Gnadenwahl, die die gesamte Menschheit in zwei entgegengesetzte corpora, das corpus Christi14 und das corpus diaboli, teilt15. In dieser Welt und somit auch in der gegenwärtig irdischen Kirche sind beide corpora noch miteinander vermischt, erst mit dem künftigen Endgericht werden sie dann endgültig voneinander getrennt werden16. Für Gregor ist auch das menschliche Nichtwissenkönnen um die für den Menschen unzugänglichen und in der Göttlichkeit verborgenen iudicia occulta mit schmerzlichem Leiden verbunden, das jedoch nach seiner Auffassung zur Konsequenz haben sollte, daß der Mensch seinem Schöpfer gegenüber demütig wird und angesichts von dessen Größe seine eigene Nichtigkeit anerkennt. Innerhalb dieses umfassenden Rahmens der göttlichen Fürsorge für sein gefallenes Geschöpf, die das menschliche Leiden in dieser Welt mit einschließt, kommt den von Gregor mit den Moralia in Job angesprochenen praedicatores eine ausgesprochen wichtige Funktion zu. Sie stehen nach seiner Ansicht an der Spitze des in dieser Welt hierarchisch gegliederten corpus Christi und tragen deshalb vor Gott die Verantwortung für das Heil der ihnen gegenwärtig untergebenen Menschen seines irdischen Leibes. Ihnen wird im justinianischen Zeitalter von der diuina dispensatio selbst auferlegt, als kirchliche Führungsschicht die ihnen in dieser Welt verliehene zeitliche Macht nicht zu ihrem eigenen Ruhm, sondern ausschließlich zum Wohle ihrer Untertanen zu benutzen17. Denn durch die praedicatores

13 Vgl. auch LA PORTE, Gregory the Great, 26: „However, to some degree every one is a sinner, whom God invites to repentence. The flagella Dei are God's chastisements for sins". 14 Für Gregor sind das corpus Christi und die heilige Kirche, d. h. die Kirche der Erwählten, die ecclesia in electis suis, deckungsgleich, da die Kirche dadurch heilig wird, daß Christus sie zu seinem irdischen Leib macht, vgl. auch DOUCET, Christus et Ecclesia, 57. 15 Gregor spricht nur selten wie Augustin von zwei ciuitates, da es für ihn am Ende des sechsten Jahrhunderts keine säkulare Ordnung mehr gibt. Vgl. dazu auch MARKUS, Gregory the Great, 58: „In Gregory's image the Church is dominant in society, or, more accurately, it is a community which has by and large absorbed earthly powers and agencies into its own being. The image reflects the realities of his time. Questions about the value and purpose of the secular order and its institutions and the way they are related to human salvation such as had exercised Augustine no longer had any meaning in Gregory's world". 16 Zur permixtio bonorum et malorum im Rahmen der Kirche bei Augustin vgl. auch BORGOMEO, L'Église, 315ff. 17 Vgl. zu dieser in der Spätantike weitverbreiteten Anschauung über den Nutzen der Macht, die auch Augustin teilte, auch MARKUS, Gregory the Great, 30: „The superior

248

Kapitel 10

handelt niemand anderes als der göttliche Schöpfer in dieser Welt, der sich der Auswirkungen der Sünde und insbesondere der hierarchischen Gliederung der menschlichen Gesellschaft bedient, um die seinen praedicatores untergebenen Nächsten einerseits mittels der Verkündigung auf das Ewige auszurichten, sie aber andererseits auch mittels Strafen von weiteren Sünden abzuhalten und sie damit notfalls auch gegen ihren eigenen Willen auf den rechten Weg zu zwingen. Somit bringen die praedicatores nicht nur das Leiden der gefallenen Menschheit zum Ausdruck, durch das sie sich jedoch nunmehr belehren lassen und das sie zugleich auch dazu veranlaßt, sich inmitten der Widrigkeiten dieser Welt nach der Ewigkeit zu sehnen, vielmehr sollen sie zugleich eine eminent wichtige Aufgabe im Rahmen der göttlichen Heilsordnung übernehmen, indem sie andere durch ihr Tun zu ihrem Schöpfer zurückführen. Für Gregor sind die praedicatores des corpus Christi damit aber letztlich in die gleiche Spannung gestellt, die der Schöpfer selbst auf sich genommen hat, als er sich gedemütigt und erniedrigt hat und in dieser Welt Mensch geworden ist, um die sündigen Menschen wieder zu sich zurückzubringen. In den Moralia kann deshalb die Figur des Hiob als ein Typus ebenso wie für Christus auch für seinen Leib der Kirche stehen, weil beide gemeinsam eine Person sind18. Gregor entfaltet in der Auslegung des Buches Hiob die augustinische Konzeption des totus Christus, wobei die Kirche ganz auf Christus bezogen ist, der als das Haupt ihre Mitte und ihr Zentrum bildet. In der engen „Schicksalsgemeinschaft von Haupt und Leib in Leiden, Tod und Auferstehung" 19 nimmt Christus nicht nur am gegenwärtigen Leiden seines irdischen Leibes Anteil, sondern gibt ihm zugleich auch mit seiner Auferstehung die Hoffnung auf die zukünftige Auferstehung des gegenwärtig noch irdischen corpus Christi. Doch ist mit dieser Deutung, nach der die leidende Kirche als der Leib Christi vor allem sehnsüchtig auf die endgültige Verherrlichung wartet, nur ein, wenn auch zweifellos wichtiger Aspekt der gregorianischen Verwendung des totus Christus - Gedankens angesprochen 20 . Denn andererseits, und das

held power over his subjects for their good. Gregory did not question the paternalistic implications. What mattered was that in his actions and attitudes the superior should conform to his model". 18 R. GlLLET spricht in seinem Artikel: Grégoire le Grand, in: M. Viller/A. Rayez (Hg.): Dictionnaire de la Spiritualité VI, Paris 1967, 872-910, hier 889, geradezu vom: „caractère christocentrique de la religion de Grégoire". Von diesem Christozentrismus darf man jedoch die gregorianische Ekklesiologie nicht abtrennen. 1 9 FlEDROWICZ, Kirchenverständnis, 365. Diesen Aspekt hebt insbesondere FlEDROWICZ in seiner Monographie zu Gregors Kirchenverständnis hervor. Für seine ganz auf die gregorianische Spiritualität zielende Interpretation ist folgende Zusammenfassung charakteristisch: „Schließlich ist die sehnsuchtsvolle Ausrichtung der irdischen Kirche auf ihre Vollendung in der patria caelestis

Zusammenfassung

und Ertrag

249

scheint Gregor in seiner Auslegung des Buches Hiob nicht minder wichtig zu sein, soll der von den praedicatores angeführte gegenwärtige Leib Christus bereits in diesem Leben seinem Haupt folgen, indem er wie der inkarnierte Christus selbst die Orientierung am Göttlichen mit der Zuwendung zum Nächsten verbindet. In sehr eigenständiger und durchaus origineller Weise schlüsselt Gregor deshalb das im justinianischen Zeitalter für das gesamte Reich geltende rechtgläubige Bekenntnis zu der einen Person Christi, der nach der neuchalkedonensischen Terminologie „in und aus zwei Naturen" oder „aus göttlicher und menschlicher Natur zusammengesetzt" war und der als der inkarnierte Gottessohn, um für die Menschen sichtbar zu sein, einen wahrhaftigen Leib angenommen hat, nunmehr auch für das Verhalten und die Aufgaben der praedicatores in dieser Welt auf. In seiner eigenen Person hat Christus die Niedrigkeit und Demut um der anderen willen mit seiner Hoheit und bleibenden Göttlichkeit und engen Gemeinschaft mit Gott verbunden, woraus die praedicatores seines Leibes lernen sollen, sich einerseits nach dem Vorbild ihres Hauptes zum Heil ihrer ihnen in dieser Welt untergebenen Nächsten zu erniedrigen und ihnen mit ihrem Tun demütig zu dienen. Andererseits sollen sie aber auch die bleibende Hoheit Christi, der der Schöpfer aller Dinge ist und seine Schöpfung dementsprechend auch weiterhin, wenn auch für den Menschen verborgen, regiert, in aller Demut betrachten und daraus die Gewißheit ableiten, daß dieser Schöpfer, der sich selbst entäußert und erniedrigt hat, auch in seiner Verborgenheit keinesfalls ungerecht handeln könnte. Für Gregor bildet Christus in seinen beiden Naturen das Zentrum der diuina dispensatio, die sich in der Kirche und in der Schrift spiegelt, weil auch sie in der gleichen heilvollen Weise göttliches und menschliches Wort miteinander verbindet. In der Nachfolge ihres Hauptes und als die Bevollmächtigten Christi in dieser Welt sollen die praedicatores deshalb die condescensio um der anderen Menschen willen üben und ihnen mit ihrer zeitlichen Verkündigung 21 auch mittels Ausübung von Macht dienen. Doch über der actio zugunsten ihrer Nächsten sollen sie keinesfalls die contemplatio des Göttlichen vergessen, sondern beides miteinander in Einklang bringen, ebenso wie der Inkarnierte sich selbst entäußerte und den Menschen mit seinem Tun diente, sich aber dennoch auch als Erniedrigter immer wieder zurückzog, um seiner engen Verbindung mit dem Göttlichen Ausdruck zu verleihen. Um das Profil der praedicatores als der praelati des noch in dieser Welt befindlichen corpus Christi noch deutlicher hervortreten zu lassen, bezieht

ein Charakteristikum, das nicht nur die ekklesiologischen Themen Gregors prägt, sondern auch eine Intensität erlangt, wie sie in der vorangegangenen Tradition in dieser Weise nicht zu finden ist" (ebd. 370). 21 Vgl. auch SCHAMBECK, Contemplatio, 229, die der Ansicht ist, in der Verkündigung verlängere „sich der Deszensus Gottes bis in unsere Zeit hinein".

250

Kapitel 10

Gregor auch Hiobs Auseinandersetzung mit den Freunden und mit dem später hinzukommenden Elihu in seine Gesamtkonzeption des totus Christus mit ein. Sie stehen für ihn als Typen für die häretischen und arroganten praedicatores und kommen als solche zwar zu Hiob, um ihn in seinem Leiden zu trösten und ihren Herrn mit klugen Reden zu verteidigen, greifen dabei aber seinen gegenwärtigen Leib an und verletzen ihn. In den Freunden Hiobs sieht Gregor, der ganz offenbar spätestens seit seiner Zeit in Konstantinopel entschieden für die justinianische Reichsorthodoxie eintritt, die verschiedenen christologischen Häretiker, die sich nicht nur als Feinde Christi, sondern auch als Feinde seines Leibes erweisen. Ihre Meinung, wonach die Kirche Schuld auf sich geladen hat und deshalb in dieser Welt leidet, zeigt sehr deutlich, daß sie von der Niedrigkeit Christi ebensowenig wie von der Demut der gegenwärtigen Kirche als des corpus Christi verstanden haben. Statt dem Haupt in seiner Entäußerung um der Nächsten willen zu folgen, spekulieren diese praedicatores hochmütig über die dem Menschen verborgenen göttlichen Urteile und können schon aus diesem Grund keine Bevollmächtigten und Helfer Gottes in dieser Welt sein22, die andere Menschen zum Heil führen und dem Herrn schon in dieser Welt den Weg bereiten könnten. Sie sind lediglich dazu in der Lage, die ihnen anvertrauten Nächsten mit sich ins ewige Verderben zu reißen. Die Elihureden des Buches Hiob nutzt Gregor, um die praedicatores des corpus Christi davor zu warnen, wie Elihu zwar wortreich die Freunde Hiobs, d. h. die Häretiker, zu kritisieren und zu bekämpfen und sich damit als rechtgläubige Verteidiger ihres Herrn auszuweisen und zur Schau stellen zu wollen, aber dennoch die Kirche als Leib Christi anzugreifen. Gerade damit fügen die arroganten praedicatores, die Gregor in der Gestalt des Elihu wiederfindet, seinem irdischen Leib insofern schweren Schaden zu, als sie die Demut in der Nachfolge Christi verfehlen, weil sie die ihnen von der verborgen handelnden diuina dispensatio auferlegte Machtstellung anderen gegenüber nicht im Sinne eines gehorsamen Dienstes an den Nächsten verstehen, sondern in ihrem letztlich nur auf irdische Dinge begrenzten Sinn in der weltlichen Macht eine Möglichkeit sehen, für sich selbst Ruhm und Ansehen zu gewinnen. An dieser Stelle schließt sich dann auch der Kreis. Diese arroganten praedicatores werden ihrer Verantwortung für das Heil der ihnen untergebenen Menschen des irdischen corpus Christi nicht gerecht, weil sie nicht erkennen, daß die diuina dispensatio die mit der Sünde entstandene hierarchische Gliederung der Menschen in ihren Dienst stellt, um den Leib Christi mit der Verkündigung zu erbauen und in der Nachahmung des Hauptes die Sünder mit22 Zum Gegensatz von Hochmut und Demut, den Gregor, anders als Augustin, vor allem im Rahmen des kirchlichen Amtes und der kirchlichen praedicatores reflektiert, vgl. auch HEINLEIN, Bedeutung, 216.

Zusammenfassung

und

251

Ertrag

tels der Gerechtigkeit auf den rechten Weg zwingt und die Bekehrten mit Milde behandelt23. In seiner Auslegung des Buches Hiob zeichnet Gregor ein insgesamt recht anspruchsvolles und komplexes Bild von der irdischen Kirche als des gegenwärtig noch unter den Widersprüchen dieser Welt leidenden Leibes Christi, dessen Führungsschicht der praedicatores sich angesichts ihrer vielfältigen Aufgaben im justinianischen Zeitalter nicht mehr voll und ganz von den Angelegenheiten dieser Welt zurückziehen und nur das eigene Heil in der contemplatio der himmlischen Dinge suchen kann, sondern wie der erniedrigte Christus zugleich mit ihrer actio dem Nächsten dienen soll. Mit der Figur des Hiob stellt Gregor seinen Lesern das Idealbild eines rechtgläubigen Verkündigers der Kirche vor Augen, der sich trotz seiner brennenden Sehnsucht nach der Ewigkeit gleichfalls unablässig um das Wohl und Heil seiner Untergebenen in dieser Welt sorgt. Diesen Hiob als einen praedicator des Leibes Christi kann Gregor deshalb gar nicht dafür genug loben: Pensemus autem cuius celsitudinis iste uir fiierit qui indoctos docens, lassos roborans uacillantesque confirmans, inter curas domus, inter multiplicium rerum custodiam, inter affectus pignorum, inter studio tot laborum, erudiendis se ceteris impendit. Et illa quidem occupatus exercuit sed tarnen Uber magisterio doctrinae militauit. Temporalia regendo disposuit; aeterna praedicando nuntiauit; uitae rectitudinem et agendo uidentibus ostendit et loquendo audientibus ingessit24. Im gesamten Buch Hiob findet Gregor immer wieder Aussagen, die seine Leser als die praedicatores der gegenwärtigen Kirche auffordern wollen, in der Nachfolge Christi als des Hauptes dieser Kirche der sündigen Ordnung dieser Welt fremd zu bleiben, aber dennoch ebenso wie Christus selbst auch im Rahmen dieser Welt alles dafür zu tun, daß möglichst viele Menschen am Ende gerettet werden 25 . Gregor weiß ganz genau, daß die Moralia in Job sehr lang und für manche seiner Leser sogar viel zu lang geraten sind. Deshalb empfiehlt er all denjenigen, die gegenwärtig zu wenig Zeit haben, um den gesamten Kommentar zu 23

In g a n z ähnlicher W e i s e hatte bereits Leo am E n d e s e i n e s T o m u s die A u f g a b e der

auctoritas mam

imitatores autem 24

episcopalis

suam

posuit

nos suae

misericordia

beschrieben: quia

pro

ouibus

suis

uult esse pietatis, non repellat.

dominus

noster

et qui uenit animas ut peccantes

uerus

et bonus

hominum

quidem

iustitia

pastor

saluare,

qui

non

coerceat,

ani-

perdere, conuersos

A C O 11,1, 3 2 , 2 1 - 3 2 , 1 .

Mor. V 1 4 , 3 1 ( 2 3 9 , 8 - 1 6 Adriaen) als A u s l e g u n g v o n H i o b 4 , 3 f . Gregor hat z u v o r

angemerkt, daß d i e s e T e x t s t e l l e keiner allegorischen Interpretation bedarf, sondern auch s o für den Leser v o n g r o ß e m N u t z e n ist: Si ipse lectoris 25

utilitas

historiae

textus

aspicitur,

magna

est

(239,3f.).

S o erklärt sich auch Gregors g r o ß e s Interesse an der M i s s i o n , v g l . auch DAGENS,

Saint G r é g o i r e le Grand, 3 3 1 f f . W i e d e r u m ist für Gregor auch hier i n s b e s o n d e r e der A p o s t e l Paulus ein Vorbild, der selbst unermüdlich missionierte, v g l . ebd. 3 3 2 f .

252

Kapitel

10

lesen, sich an den von ihm am wenigsten bearbeiteten dritten Teil, d. h. an die Bücher 11 bis 16 zu halten, da in ihnen in größerer Kürze als in den übrigen Teilen das wichtigste von dem enthalten sei, was er insgesamt mit seinem Werk habe sagen wollen 26 . Dieser Ratschlag, den der Autor seinen beschäftigten Zeitgenossen hier gibt, macht zugleich auf ein gewisses Dilemma der Moralia in Job aufmerksam. Die Brüder seines Andreasklosters hatten Gregor zwar seinerzeit in der Hauptstadt Konstantinopel um die Auslegung des Buches Hiob gebeten und somit nach den Moralia verlangt, doch erscheinen sie ihnen nun doch als zu ausführlich und zu umständlich, weshalb sie ihn mit der Regula pastoralis schon bald um etwas Kürzeres bitten 27 . Offensichtlich ganz bewußt schreibt Gregor auf ihren Wunsch hin gerade keine neue Mönchsregel, sondern mit der Regula pastoralis ein relativ knappes Handbuch für Bischöfe 28 . In seiner Regula wirbt Gregor ebenso wie bereits in den Moralia dafür, daß die praedicatores kontemplative Sammlung und pastorales Engagement in dieser Welt um der Nächsten willen miteinander verbinden und dazu durchaus im Rahmen ihres Amtes auf demütige Weise weltliche Macht ausüben dürfen 29 . Diese wesentlichen Gedanken der Pastoralregel sind also bei Gregor keineswegs erst im Umfeld seiner Pontifikatsübernahme entstanden 30 , vielmehr hat er dieses Konzept bereits in seinen Moralia explizit christologisch-ekklesiologisch reflektiert und darüber hinaus auch in aller Ausführlichkeit entfaltet. Wie wenig die Regula pastoralis eine positive Neuinterpretation der Verbindung zwischen der uita actiua und der uita contemplatiua ist, zeigen auch die vielen teils wörtlichen Übernahmen aus den Moralia31. Man darf deshalb vermuten, daß Gregor seine Regula pastoralis

26

Mor. X I 1,1 ( 5 8 5 , 1 2 - 1 4 Adriaen): Cui uero ad studiose

partis

ei breuitas

dicenda 27

placeat

in qua

non

tarn quae

sentimus

legendum dicimus

non uacat,

quam

ea quae

huius sunt

signamus. Ep. ad Leand. 2 ( 3 , 8 5 f . Adriaen). In d i e s e m Z u s a m m e n h a n g spricht G r e g o r auch

d a v o n , daß er den dritten Teil der Moralia

aus Zeitgründen nicht m e h r überarbeiten

konnte, weil seine Brüder anderes v o n ihm verlangten. 28

Vgl.

dazu auch B. JUDIC, Structure et f o n c t i o n d e la Regula

pastoralis,

in:

Grégoire le Grand, 4 0 9 - 4 1 7 , hier 4 1 4 : „C'est d'abord, premièrement un manuel pour les prédicateurs, c ' e s t - à - d i r e les évêques". V g l . auch W . SPEIGL, D i e Pastoralregel Gregors des Großen, R Q 8 8 , 1 9 9 3 , 5 9 - 7 6 . 29

V g l . MARKUS, Gregory the Great, 14; RUDMANN, M ö n c h t u m ,

7 9 f f . ; LEYSER,

Authority and A s c e t i s m , 140. 30

aus

D a s meint KESSLER, Gregor der Große, 4 0 : „Während die Ijobpredigten n o c h mehr monastischer

Perspektive

distanziert

über

das

Wesen

kirchlichen

Engagements

reflektieren, ist die Pastoralregel e i n e Programmschrift für den e n g a g i e r t e n Amtsträger in Kirche und W e l t g e w o r d e n . D i e p o s i t i v e Neuinterpretation des aktiven L e b e n s im K o n text seiner S e h n s u c h t nach d e m ruhigen Frieden einer vita

contemplativa

ist auf den

B e g i n n seiner Pontifikatszeit zu datieren". 31

Regula

V g l . auch die S y n o p s e v o n B. JUDIC in seiner Einleitung zur T e x t a u s g a b e der pastoralis

in S C 3 8 1 , 18f. A n m . 4.

Zusammenfassung

und Ertrag

253

nicht als etwas vollkommen Neues, sondern wohl eher als eine Art Kompendium für diejenigen praedicatores der Kirche verstanden hat, die nicht mehr die nötige Zeit und Muße aufbringen konnten, sich intensiver mit seinen Moralia in Job zu befassen 32 . Mit dem ausführlichen Hiobkommentar wollte Gregor die praedicatores in die Zeit der wiedergewonnenen Reichs- und Bekenntniseinheit nach den Rückeroberungskriegen Justinians 33 unterweisen und erbauen, sich ihrer Aufgabe im gesamten Kontext der durch Jesus Christus eröffneten Heilsgeschichte klar zu werden und sie in der Nachfolge ihres Herrn zu gestalten. Diesem zuerst in den Moralia entwickelten Konzept war jedoch insgesamt kein allzu großer Erfolg beschieden, was nicht zuletzt daran lag, daß schon kurz nach Gregors Tod viele der von ihm nicht geförderten Kleriker samt ihren Gönnern vornehmlich in Italien und Rom erneut die Oberhand erlangen konnten34. Noch wichtiger dürfte jedoch sein, daß schon Gregor selbst in einer sich zunehmend auf die einzelnen Regionen konzentrierenden und damit letztlich in einer kleiner werdenden Welt lebte35, in der die Bezugsgröße des gesamten römischen Reiches, die für Gregor und seine Vorstellung von der Amtsausübung der kirchlichen praedicatores noch von grundlegender Bedeutung war, insbesondere im Westen immer stärker verblaßte. Daß einmal eine Größe wie das fränkische Reich mächtiger und für die Bewohner des Westens weitaus wichtiger werden sollte als das römische Reich mit seinem politischen und religiösen Zentrum in der Hauptstadt Konstantinopel, hätte sich Gregor vermutlich trotz seines Interesses sowohl an den Franken wie auch an den anderen Völkern des Westens nie träumen lassen36. 32 Es scheint, als wäre die Regula pastoralis zunächst sehr viel stärker verbreitet gewesen als die Moralia in Job, von denen selbst jemand wie der äußerst interessierte und eifrige Handschriftensammler Bischof Licinianus von Cartagena nur recht vage Kenntnis hatte, vgl. Ep. I 41a ( 6 1 , I f f . Ewald/Hartmann). 33 Das betont mit Recht auch MARKUS, Gregory the Great, 2 0 4 : „In Gregory's time the Roman Church was still very much a part of the imperial system that had been given its shape by Justinian [...]. This was the unquestioned context of his pontificate; he could scarcely have imagined a diffently constituted Church. It was within this framework that his work as a rector of his Church and a pastor of his flock was to be structured". 34 Vgl. zu Gregors Feinden in Konstantinopel und Rom insbesondere P. LLEWELLYN, The Roman Church in the Seventh Century: The Legacy of Gregory the Great, JEH 25, 1974, 3 6 3 - 3 8 0 ; zur Isolation Gregors bereits zu seinen Lebzeiten vgl. auch LEYSER, Authority and Ascetism, 1 4 3 f f . 35 Vgl. dazu insbesondere das grundlegende und in dieser Studie schon häufiger genannte Werk von GUILLOU, Régionalisme, passim. 36 Vgl. zu dieser Entwicklung, die zweihundert Jahre nach Gregor zum d e m ausschließlich auf den Westen ausgerichteten fränkischen Großreich führen sollte, auch R. A. MARKUS, Gregory the Great's Europe, in: Transactions of the Royal Historical Society, 5.th series 31, 1981, 2 1 - 3 6 [wieder abgedruckt in: From Augustine to Gregory the Great X V ] , Ähnlich auch M. SLMONETTI, Gregorio Magno e la nascità dell'Europa, VetChr 34, 1997, 3 1 1 - 3 2 7 .

254

Kapitel 10

Doch verhinderte diese Entwicklung keineswegs, daß die Moralia in Job auch weiterhin abgeschrieben und insbesondere im Westen verbreitet wurden. Neben die Handschriften, die mit großer Sorgfalt den gesamten Text wiedergeben, traten bald auch mehr oder weniger ausführliche Exzerpte dieses langen Werks, die zu sehr verschiedenen Zwecken und mit unterschiedlichen Absichten angefertigt wurden37. Bereits kurz nach Gregors Tod machte sein treuer Schüler Paterius aus den Moralia den sogenannten Liber de expositione Veteris ac Novi Testamentis de diversis libris Sancti Gregorii concinnatus3S, in dem er die Auszüge nach der Reihenfolge der biblischen Büchern anordnete und damit einen einbändigen Kommentar zur gesamten Bibel aus der Feder seines verehrten Lehrers erhielt. Etwas später, in der Mitte des siebten Jahrhunderts, entsandten die Väter des siebten spanischen Nationalkonzils von Toledo39 ihren Bischof Taio von Saragossa nach Rom, damit er von dort eine Ausgabe der Moralia in Job mitbrächte40, aus denen offenbar Taio selbst dann eine Sammlung von Texten zu verschiedenen dogmatischen Fragen verfertigte, für die man sich in dem erst kürzlich zum katholischen Glauben konvertierten Königreich interessierte41. Für die nunmehr katholisch gewordene westgotische Kirche bekamen somit Gregors Moralia in Job eine wichtige theologische Autorität42. Ungefähr zur gleichen Zeit, aber aus offenbar völlig anderen Gründen, wurde der irische Mönch Lathcen auf die Moralia aufmerksam und stellte aus ihnen eine Reihe von Texten zusammen, die vielleicht auch apotropäischen Zwecken dienen sollten43. Weitere Auszüge und der ab dem neunten Jahrhundert breit einsetzende Strom der bis auf die heu-

37 Vgl. auch G. BRAGA, Moralia in lob: Epitomi dei Secoli VII-X e loro evaluazione, in: Grégoire le Grand, 561-568. 38 Abgedruckt bei PL 79, 683-916. 39 Zur starken spanischen Nationalkirche des siebten Jahrhunderts vgl. auch THOMPSON, The Goths, 278f.; MEYENDORFF, Unité, 34Iff. 40 Ungefähr ein halbes Jahrhundert nach Gregors Tod konnte man in Spanien offenbar kein Exemplar der Moralia in Job mehr finden! 41 Vgl. zu Taios Sententiae die Ausgabe in PL 8 0 , 7 2 7 - 9 9 0 . Vgl. auch R. WASSELYNCK, Les compilations des Moralia in Job du Vile aux Xlle siècle, RThAM 2 9 ,

1962, 5-32. 42

Neben England ist die Verehrung für Gregor zunächst in Spanien nachweisbar, vgl. auch KESSLER, Gregor der Große, 28. 43 Dieses Werk trug den Titel: Egloga quam scripsit Lathcen filius Baith de Moralibus lob quas Gregorius fecit, und ist abgedruckt in CChr.SL 145. Vgl. auch WASSELYNCK, Les compilations, 11-14; BRAGA, Moralia, 562f. Daß es Lathcen um die Abwehr von Dämonen ging, vermutet LEYSER, Authority and Ascetism, 185f. mit Bezug auf die Ausrichtung in Lathcens Lorica: „Here, perhaps, also an explanation for the lapidary character of the epitome: it was itself to serve as a form of lorica, to ward off demons of which it spoke".

Zusammenfassung und Ertrag

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tige Zeit erhaltenen Handschriften der Moralia in Job44 bezeugen, daß dieses Werk während des gesamten Mittelalters abgeschrieben und vor allem bis zum 13. Jahrhundert 45 von den unterschiedlichen Exegeten, Kirchenvertretern und Asketen bewundert und unter verschiedenen Blickwinkeln gelesen wurde46. Von den berühmten Kirchen-reformern Odo von Cluny, Johannes von Gorze und Adalbert von Metz ist überliefert, daß sie sich selbst ein persönliches Exemplar der Moralia anfertigten oder sich eines anfertigen ließen, mit dem sie sich zeit ihres Lebens intensiv beschäftigten und in dem sie die Hauptlinien der Kirchenreformen ihrer eigenen Zeit vorgezeichnet fanden 47 . Dieser Umgang mit Gregors Moralia in Job macht einmal mehr deutlich, daß sie im Mittelalter noch stets für aktuell gehalten wurden und daß sich dieser ausführliche Hiobkommentar des ausgehenden sechsten Jahrhunderts immer wieder „in un opera sempre diversa ma sempre attuale" 48 wandeln konnte, bis man ihn in der Neuzeit außerhalb von monastischen und spirituell interessierten Kreisen schließlich immer weniger zu schätzen wußte 49 und in ihm weder etwas Originelles noch etwas Aktuelles zu finden bereit war.

44 Vgl. ADRIAEN in den Prolegomena zu seiner Ausgabe in CChr.SL 143 S. Vllff. Ähnlich auch LECLERCQ, L'amour des lettres, 31: „Les manuscrits de ses oeuvres sont innombrables". 45 Vgl. ADRIAEN in den Prolegomena zu CChr.SL 143, XI. 46 Vgl. auch R. WASSELYNCK, Les Moralia in Job dans les ouvrages de morale du Haut Moyen Age latin, RThAM 31, 1964, 5-13; LECLERCQ, L'amour des lettres, 31ff. betont einmal mehr den großen Erfolg insbesondere der Moralia im Mittelalter. 47 Vgl. dazu ausführlich BRAGA, Moralia, 564f.; LECLERCQ, L'amour des lettres, 31. 48 BRAGA, Moralia, 565. 49 Vgl. auch WLLKEN, Gregory the Great, 1.

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Register

Stellenregister Bibelstellen Altes

Testament

(Anordnung Gen 2 3 , 1 9 Gen 3 6 , 3 3

nach der

Vulgata) 195 66

Hiob 7,20

89

Hiob 9 , 4

96

Hiob 9,13

56

Hiob 10,9-12

92

Hiob

11,14f .

200

Hiob Hiob

12,2 13,25

90

Hiob

16,17

180

Hiob

16,20

146

17,14

92

19,25

146, 1 4 7 , 1 5 0

227

Ex 3,6

67

Ex 12,10

226

Hiob Hiob

Ex 3 2 , 3 1 f .

137

Hiob 19,25-27

149, 154

Hiob

151, 154

19,26

Num 12,3

67

Hiob 2 1 , 1 4

176

Num 17,1-8

148

Hiob 2 1 , 3 3

61

Num 3 2

202

Hiob 2 2 , 7 Hiob 23,1

223

IReg

239

Hiob 2 3 , 7

224

Hiob 2 3 , 8 - 9

224

15,17

223

2Reg 6 , 2 2 2Reg 7,23

240

ffioé

23,11

175

139

Hiob

23,1112

225

Hiob 2 4 , 2 3

175

Hiob

110, 1 1 1 , 1 7 4

Hiob 26,1

227

1,1

Hiob 1,3

191

Hiob 2 6 , 4

222

Hiob 1,8 Hiob 2,3-8

169

Hiob 2 8 , 1 4

126

142

Hiob 2 8 , 1 9

165

Hiob 2,6

156,157

Hiob 2 8 , 2 0 f .

178

Hiob 2,10

100

ffioi

28,23

158

Hiob 2,11

215

Hiob 2 9 , 2 3

189

Hiob 2,11 ff.

215

ffioi

Hiob 2,13 Hiob 3,8

217

Hiob 30,1

136 211

60

Hiob 30,3

226

Hiob 4,3f.

251

Hiob 3 0 , 2 9

110

Hiob 4 , 1 5 f

158

Hiob 3 1 , 1 5

134

Hiob 5 , 1 5

44

Hiob 3 1 , 1 6 - 2 0

57

Hiob 5 , 2 6

194,195,198 215

Hiob 3 1 , 3 4 Hiob 3 1 , 3 9

144

Hiob 6,27 Hiob 6 , 2 9

215

Hiob 3 1 , 4 0

118

Hiob 7,1

60

Hiob 3 2 - 3 7

228

ffioé

91

Hiob 3 3 , 1 2

102, 2 3 0

7,4

29,25

118

280 Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Hiob Ps Pi Ps Ps Ps Ps fi ft Pi Ps Ps

Register

33,15 33,16 33,33 34,7 34,18 34,27 34,36 36,5 36,16 36,io 36,22 36,22ff. 36,23 36,24 36,25 36,29-31 36,32 37,6 38,3 38,6 38,7 38,19 38,34 38,35 39,9 39, 9-12 39,18-25 39,30 40,4 40,19f 41,23 42,11 42,17b-17e

40,4 41 42 45,11 50,7 72 93,20 100,6 109,7 130 143,5

203 104 232 234 236, 237 175 128,232 237 230 -»ir 171 230 180 180 180 138 202 188,191 104 199 44 167 202 201 60 133, 234 162, 188 130,190, 191 211 144 208 186 66 109 38 38 126 97 38 103 221 150 240 192

Prov 9,2-4

187

Eccl 1,7 Eccl 38,25

202 126

Can? 2,2 Cant 2,9 Cani 8,14

110 180 178

Sap 9,15

94

Sir 10,15

87

Jes Jes Jes Jes Jes

239 86 238 190 100

5,21 14,13f. 14,14 33,17 45,7

£zl,4 Ez 3,19 Ez 4,1-3 Ez 8,8-10 Ez 34,4

168 129 128 128 233

Hab 3,10

109

Neues

Testament

(Anordnung Mt Mt Mt M Mt Mt Mt Mt

3,12 5,48 7,29 11,25 13,47 16,16 20,16 20,32

nach der

Vulgata 115 173 233 180 113 181 106 159

Mk 11,13

83

Lk Lk Lk Lk Lk Lk Lk Lk Lk Lk

1,35 6,12 8,26-39 8,38 10,38-42 10,39 23,31 24,4ff. 24,13ff. 24,39

167 195 196 197 197 197 148 186 67 152

Joh Joh Joh Joh Joh Joh Joh Joh

1,1 l,3f. 1,11 9,3 9,6 9,39 19,26 21,20

189 189 189 225 158 180 67 67

281

Stellenregister

Apg Apg Apg Apg

5,1-10 9,4 10,26 20,26f.

135 142 135 129

Rom flom £ôm Rom flôm Rôm

6,9 7,23 11,33 12,3 12,16 13,4

152,153 97 180 223 239 239

lKor lKor iATor lKor lKor lKor lKor lKor

1,30 3,9 4,21 7,33 9,22 9,27 12 15,36f. 15,50

224 227 136 232 193 110 117 152,153 152

2Kor 4,5 2Kor 5,14 6,16

235 192 187

Go/ 4,4

189

Eph 4,15 Eph 5,27

72 114

Phil 2,6f. Phil 2,15

170, 191 110

Ko/1,24 ATo/ 3,3

72

IThess 2,6f. /7Ym 2,5 ITim 4,11 27ïm 3,2 77/2,15 Jak 5,10f. IPetr 2,21 2/>eir 2,7f. Apok 2,13

194 237 171 233 231 233 32 175 110 110

Antike Autoren Ambrosiaster Quaestiones 118,2 118,3 118,6

118,7 118,8f. Ambrosius De

interpellatione 13,6 I 6,17 16,20 I 7,22 18,26

19,28 II (III) 1,1 II (III) 2,3 II (III) 2,5 II (III) 3,7 II (III) 4,15 II (III) 5,17 De officiis I 39,195 II 5,20 Augustin Adnotationes in Job I II IV V VI VIII IX XII XVI XVII XXIV XXIX XXXI XXXV XXXVI XXXVII XXXVIII XXXIX Confessiones 14,4 114,23 118,28 III 7,12 VII 5,7

37-38 37 37 37 37, 38 38 18, 2 0 , 4 5 , 8 1 , 8 2 , 167, 188 38-39 38 38 38 38 38 38 38 38 39 39 39 39 39 39

39-42 40 40 40 40 40 40 40, 41 41 40 41 41 40, 41 41 40 41 40, 41 41 40 83 81 62 210 83

282 Vili 1,2 49 Vili 5,10 49 Vili 5,11 49 Vili 5,12 49 Vili 9,21 49 Vili 11,27 49 X 39,64 98 Contro Faustum 197 22,52 De civitate Dei 39 110 87, 98 XI33 89 XIII 86 XII 22 85 XII 24 91 XIII10 95 XIII13 94 XIV 3 87, 98 XIV 11 86, 87, 89, 90, 98 XIV 13 89,94, 95,113 XIV 15 95 XIV 26 85 XIX 4 99,131 XIX 14-15 132, 134 XIX 15 130 XIX 19 115 XX 19 97 XXII 21 De correptione et gratta Vili 17 106 1X24 108 1X28 102 XI 29 95,97 XIII40 108 De dottrina Christiana 19 I,39 53 II 9,14 20 II,58-67 62 III 3,7 71 III 22,32 56 III 24,34 De genesi ad litteram VIII13 86 De haeresibus 50 210 De trinitate XI 5,8 85 XII,9,14 87 De vera religione 32 173 Enarrationes in Psalmos 36,6 62 54,3 142 138,20 62

Register Epistolae 205,5f. 153 Epistolae/Divjak 22*,2-4 121 In Epist. Joannis ad Porthos 4,3 86 Retractationes 2,13 39 Sermones ZI 87 45 51 45 52 45 343,10 Caesarius Sermones 114 131 132 Cassian CoUationes Patrum 7,3 De institutis coen. XI18 Cassiodor Institutiones 1,6,1-3

1,6,2 115,7 115,9 115,12 II 1,1 Variae VII,11 VII, 12 1X5 XII 27 Clemens Alexandrinus Stromata III 100,4 IV 106,3 IV 19,2 Cyprian De bono patientiae 18 De dominica oratione 26 De mortalitate 10

45 45 45 51,82, 83,118, 174, 194 83 118 63, 64, 245 34 42 63 63 64 64 121 121 124 124

33 33 32

32 32 32

283

Stellenregister Donatus Ars grammatica III 1, 654,13 Eustratios Vita Eutychii 9,89

63, 64, 65 63

152

Evagrius Scholasticus HisLeccl. V4

169

Gennadius De viris ill. 63

43

Gregor der Große Dialogi prol. 3-6 III 19,2f. 11131,1 Epistulae 1,4 1,7 1,25 1,27 1.41 3,31 3,63 5.42 7,29 10,21 11,55 12,6 124 141 141a 15-7 IV 17a V 53 X 16 X 21 VIII, 32 XII 16a Ex.reg. V 180 EzHom. II 6,22 HomEv. 125,7 II 34 Moralia in Job Ep. ad Leand. 1-4

3 4 5 Praef.

22, 23, 24, 47, 49, 50, 51, 52, 53, 69, 128 24,26,31,53, 54, 55, 56, 252 55, 56 56, 57 26, 58, 59, 63, 64

1-21

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

47 35 23 28 29 29 29 26, 27 28 80 29 80 81 81 29, 30 125 23, 35 24, 25, 253 47 25 27 29, 76 83 63 81 197 124 150 79

22

11

12 13 14 15 15ff. 16 17 19 20 21 I

22 22, 60, 66, 67 67 67,68 68,103 69 69, 188 69 70 70 70 70, 215 70, 225 71, 149 71,72, 73,113, 116 73, 214, 216, 217 207 73,145, 169, 215, 216 74 74, 228, 229 74 74

1,1 11,15 13,17 14,20 18,26 24.33 25.34 25.35 28.40

110 169 174 129 169,170,178, 212 111 112,158

2,3 12,20 20,34f. 20,35 22.41 23.42 24.43 34.56 35.57 35.58

83 83 157,185 186,187 143 169,170, 212 172 174 172 172

112 191

II

284

Register 45,70

157

9,15 13,25-19,35 13,25 14,26 14,26f. 16,29 16,30 16,31 17,32 18,33 19,34 19,35 20,36-21,40 21,41 21,50 22,42 22,43 22,44 22,45 23,46 24,47 25,49 26,46 26,51 26,52 29,57

100, 101 142 142, 145 85, 1 4 3 , 1 7 8 87, 143 113,143 156,157 144,157 145 143, 147 143 142, 145 113,145 145 222 145 221 215,216 216, 2 2 1 , 2 2 3 215,216 216 216 221 217 216 157

(praef. 3) 9,14f. 11,18 11,19 13,24f. 13,25 16,29 24,45 24,68 25,46 26,47 26,49 27,49 28,54 29,65 30,58 31,61 34,68

97 60 113 115, 146 96 93 180 179 95 115, 146 95,99 95 93 85, 86, 95, 97, 203 125 160 127 91,92,94,147, 160

1,1 2,2 3,3 4,5 7,13f.

108 160 112 119, 133, 2 0 3 , 2 0 4 161, 162

9,15 11,17 11,19 11,20 14,31 18,37 20,40 23,45 24,46 24,63 27,49 29,51 29,52 31,42 31,54 32,56 32,57 33,58 34,61 34,61 f. 34,63 36,66 37,67 38,68

162 99 133, 201, 203, 60 251 169 60 213, 222, 226 222 159 213 160 180,181, 183 219 54, 160 162 160, 161 90, 9 4 , 1 6 1 93, 9 4 , 1 5 8 161 85, 158,159, : 179 102 91,96

1,1 12,14 15,19 19,34 20,35 21,36 23,40 24,41 33,52 35,54 37,56-62 37,56 37,57 37,57f. 37,58 37,59 37,59f. 37,60 37,61 37,62

145 85 150 144 44,145,148 146 102 220 95, 97, 103 136,193 194 194,195, 199 193,196 196 196 160,195 196 196,197 197, 198 198

VI

VII 2,2 3,3 21,24 21,25 22,26 32,48 VIII 1,1

112, 1 5 8 , 1 6 1 103 113 113 113 220 215

Stellenregister 4,5 6,8 10,19 10,20 10,22 10,23ff. 10,25 12,27 18,34 19,35 22,38 23,40 24,41 29,48 30,49 30,50 32,52 32,52f. 32,54 32,55 36,60 37,61 38,62 40,64 44,72 46,76 54,92

215 60, 91, 93, 95, 96 88,89,90, 91,112 177 90 114 160 113 86, 93, 158 89 96,112 94 160, 203 97 93, 1 5 8 , 1 6 1 94, 160 88,99 92 92, 95 89 217 220 218, 220 218 218 54 113

4,4 5,5 8,8 11,12 11,17 13,20 16,25 21,32 25,37 26,40 28,44 32,48 33,50 33,51 34,53 36,58 38,61 46,70 47,87 48,73 49,75 50,76-53,81 53,80 62,94

100 96, 1 0 0 , 1 0 1 201 56,61 161 93 61 91,97 129 96 113 61 90, 93 109 60 97 172 102 101 97 85 92 157 93

1,1

46

285 5,5 6,6 6,7 8,13 9,14 10,17 11,21 14,25 15,31 16,32 22,40 24,43 24,43f. 27,46 31,53

108 106 108 161, 179 179 97 90, 92 162 200, 201 157 221 2 2 1 , 2 2 2 , 226 227 97 177

1,12 9,12f. 10,16 28,39 33,45 42,57 42,58 43,59 44,60 48,64 49,66 50,68 52,70

14, 215, 252 105 162 217, 221 130 112 93, 158 8 6 , 1 0 1 , 103 90 96 92,158 90, 91 96, 9 7 , 1 4 3 , 177

XI

IX

X

XII 5,8 11,15 23,28 24,29 25,30 26,31 27,32 28,33 29,34 36,41 52,59 53,60 XIII 2,2 7,9 8,10 10,12 12,15 20,23 21,24 23,26 23,36 24,27 36,41

148 114 217, 221 214 214, 217, 218, 21 214, 219 217,221 216, 218, 219 214, 220 218 202, 203 61 220 113,115, 117 113,114 113 130 117 72,180 144,178 101 146, 147, 182 117

Register 44,49

93

15,20

220

45,50

92, 9 7

16,21

220, 2 2 1 , 2 2 5

20,25

217,221

[V 5,5

213

25,30

220

6,6

221

26,31ff.

223

6,7

219

26,32

224

15,17

85, 8 6

27,33

224

16,19

87

27,34

102, 2 2 4

19,23

61

28,35f.

224

21,25

113

30,37

171,173, 178,224

25,29

217

31,37

224

28,32

221,223

31,38

178, 2 2 5

30,35

219

32,39

225

31,38

225

33,41

183, 2 2 5

35,43

117

33,41f.

175

38,46

72

35,43

186

50,58

135

37,45

182

52,60

115

43,54f.

178, 2 2 3

54,67

1 4 3 , 1 4 5 , 1 4 6 , 147,

43,55f.

223

155

45,57f.

215

55,68

147, 1 4 8 , 1 5 0 , 155

47,16

226

55,69

147, 1 4 8

47,60

88, 2 2 1 , 2 2 6

55,70

150

49,62

2 1 4 , 218, 2 2 1

55,71

151

51,64

135

56,72-74

27, 7 7 , 1 4 9 , 1 6 5

52,65

213, 221

56,72

77,149,151,152,

54,67

115, 2 1 3

165

62,76

219, 2 2 0

67,81

136, 2 2 3

56,73

152,153

56,74

1 5 3 , 1 5 4 , 165

56,76

154

3,5

213, 215, 2 1 6 , 2 2 2

57,77

154,165

3,5ff.

221

58,78

155

4,6

213, 2 2 2

5,7

222

V

XVII

13,16

222

7,9

175

15,19

61,90,113

10,12

98

26,31

85

11,15

226

33,39

220

15,21

96

40,71

61

18,26

217,227

43,49

220

18,26f.

227

45,51

176

19,28

221,226,227

46,52

178,180

20,29

220, 222, 223

51,57

97

27,39

94,171,178

56,63

157

27,40

179

56,67

225

30,46f.

93, 144

57,68

113

33,54

177

VI

XVIII

4,5

217

7,14

189,190

5,7

221

13,20

218, 221

5,8

221,223

15,23

221

5,9

212, 2 1 3

17,27

213

6,10

222

20,33

167

7,11

220

21,34

113

8,12

221,223

22,35

103

9,13

177, 2 2 1

26,40

115

287

Stellenregister 26,43 29,43 29,46 30,48 30,49 34,54 35,55 35,56 40,64 41,66 43,68-79 43,68 43,69 43,70 44,71 45,73 47,75 47,76 48,78 51,83 52,84 52,85 52,86 54,88ff. 54,91 54,93 X

105, 210 187 100,115 113,141 114,227 1 7 3 , 1 7 6 , 1 7 7 , 191 60 130 144 92 126 126 126 125,126, 203, 204 94 138, 188, 236 61,171 171 179, 180 212 61,97 165, 1 6 6 , 1 7 1 , 2 1 2 221 178,179 135 133,188

1,1 1,2 1,3 3,5 3,6 6,12 8,14 14,22 14,23 15,24 18,27 25,42 25,43 25,45 25,46 26,47 27,48f. 28,51 30,53 SC 2,5 3,8

167 61,91 146 158,159 188 97 190 72,187 117,127 163 210, 213 133 117 120,127, 1 9 1 , 1 9 3 114 135 61 146, 148 148,171

4,11 5,13 5,14 6,15f. 6,16

189 94 113 131 136,137 211 211,212

7,17 8,18 8,19 9,20 10,21 12,23 13,24 14,28 14,29 14,36 17,43f. 18,44 20,46 23,50 24,51 24,52 29,58 29,75 29,76 30,60 32,62 32,63 36,69 38,73 38,74 39,75 39,76 40,77 41,78 XXI 2,4 6,11 15,22 15,23 15,24 22,36 XXII 7,14 16,41 21,52 22,53 23,54 24,55 XXIII 1,4 1,7 1,8 2,9 3,10 4,11 6,13

216, 221, 227 221, 222, 223, 225, 226 216, 226 221,226 60, 61 213,221,227 220 85,92 92 90,92 114 114 103 117 115 115 114 110,111 115 114 60,185 185 136,144,171,173, 177,191 178 114,131 115 111,114 117 61 94,160 172,175 9 7 , 9 9 , 1 0 1 , 130, 131,134 134,135 97,135 103 61 144,145 130 118,127 117 118,119 228 228 204, 228, 232 228 229, 230, 231 229 98

288

Register

8.15

229

8.21

9.16

229

9.22

10,17

231

9,24

105

11,21

97,130

10,26

113

13.23

233

12,30

175,176

13.24

233

14.32

106

13,26

230

15.33

105,180,182

16.29

98

16,34-41

131

17.30

230,231

16.34

131,234,238

17.31

231

16.35

239

106,114,115 97, 105

18,33

102

16,36f.

241

20.37

203

16.38

120, 129, 2 4 1

20.38

203,204

21.40

103,104

6,6-11

21.41

104,161

6,6

128,231,232

21.42

160

6,7f.

128

21.43

103

6,8

128

22.44

87

6.9

128

24,46

54, 109, 141

6.10

129

25.49

54,213

6.11

129,232

7.12

230 176

XXIV

XXVI 128

2.2

143, 172, 173

10,15

2.3

147,170

12,17

162,183

2.4

97

12,18f.

162

3.3

143

12,19

162

3.5

143

15.25

102

3.6

147

16.26

145

4.7

101

17,28

95

6,11

104

20,35

99, 1 0 4 , 1 8 2

6,10

104

21.39

230

8,15

103

23.41

232

9,23

102

24.42

231,232

11.32

90

25.43

232

12.36

231

26.44

13.37

232

14.38

232

15.39

232

16.40

230

16,40f.

130,234

16.41 f.

235

16.42

136

26.47

240

20.46

99, 182

26.48

135, 239, 2 4 0

23.47

87

28.52

149

23.50

230

28.53

125

24.51

230

28.54

155

25.52

98,131,233,234,

29,71

232 231

98,131,132,234, 2 3 8 , 239, 2 4 0

26.45

98,133, 135,136, 239

26.46

9 8 , 99, 1 2 9 , 1 3 2 , 133,135,136,239, 240

236, 237, 2 3 8 , 2 4 0

34,62

25,53f

237

36,67

230

25.54

133,237

39.71

230

119,133,204,237,

40.72

235

40.73

235

41,75f.

231

25.55

240

XXV 3.4

90,91

41.76

115,231

8,19

106, 107

42.77

231,234

289

Stellenregister

43,78

235

14,26

177

44,79

89, 90, 9 1 , 9

15,27

109

44,79f.

161

15,27f.

162

18,32

108,109

XXVII 2,3

171, 178, 181

18,33

106,107,110

2,4

106, 180

131

4,6

180,181

20,38 18,34

4,7

106,107

20,60

227

5,8

94, 171, 1 8 0 , 1 8 1

21,40

177

11,19-12,23

138

21,69

163

11,19

138,139,187,188

24,49

177

11,21

28

27,54

162

12,22

131, 1 8 8

28,55

106

12,23

177

29,56f.

106, 180

13,24f.

202

30,57

106

15,29

145, 1 7 7

30,60

115

15,30

145, 1 4 9 , 1 6 0

31,67ff.

61, 163

17,33

131

31,72

145

17,34

131

32,75

147

19,39

162

33,77

106, 107, 108,

24,44

129, 192

24,45

108

XXX

130, 1 3 3 , 1 6 2 , 1 8 8 ,

1,2

192

1,3

142

24,46

189

2,8

201,202

29,53

109

3,12

193

30,54

115,130

3,14

131

37,61

175

4,17

179, 187, 188

38,63

158

5,21

180

40,67

173

10,36

61

41,69 46,77

162

13,47f.

197

240

13,48

192

46,79

158

16,53

94, 1 1 4

16,54

95

21,66

60,71,143,1:

XXVIII

181

1,5

144, 1 6 8

1,9

94

4,13

109, 110

22,67

143, 148

6,13

105

23,41-45,91

188

6,16

114

24,69

176, 177

7,18

163

8,19

199

1,1-7,10

131,133,234

10,22ff.

117

2,2ff.

61

13,33

162,199, 200

7,10

145

18,38

158

8,1 I f f .

61

19,43

97

15,29

60

16,30-19,35

109,133

XXIX

186

XXXI

1,1 2,2

172, 173, 174, 178

16,30

1 0 9 , 1 3 3 , 162

159

18,33

162

2,3

97

23,42

167

2,4

105,115

24,43

54, 162

6,11

115

25,45

54

6,13

113

25,49

201

8,18

86, 87, 8 8

26,52

136

10,21

85

27,53

128

12,23

177

28,35

125

290

Register 28,55 40,80 45,87 45,91 46,92-53,106 49,99 51.101 51.102 51.103 52.104 53.105 53.106 XXXII 1,1 3.4 4.5 5.6 5.7 6.8 7.9 9,11 12,17 16,28

20,35 21,40 24.50 24.51 XXXIII 1,2 3.5 3.6 7,14 9,17 12.24 12,26 14,28 16,32 18,34 21,38-40 29.52 XXXIV 4,8 5.10 7,13 8,17 14.25 15.26 19.34 19.35 19.36 19.37 19.38 21,40

213 97 87 200 163 94 161,162 190 190 190 191 130,191 102,109,180 196 103 173,211 185,186, 191,210, 211 178 179 87 85, 210 113 129 93 157 212 54 167 87 104,144 144 131 115 102,115 167,187 114 105 178 113 115 115 54 54, 183 54 208 209 209 209 208, 209, 210 86, 87, 89

21,40f. 22.42 23,47 23.54 23.55 XXXV 8.14 8.15 14,26 14.28 14.29 16,38 17,34 17.43 20,49 Reg.past. 3 prol.

87,98 98,113 87,131,234,236 143,170, 171,174 98 218 61 186 85, 86, 173 86 191 93 90,93,114 59, 205 79

Hieronymus

17,18, 20, 34, 42, 43, 44, 60, 66, 73, 82, 83,152, 215, 228 Apol. adv. Ruf. 116 18 Comm. in Ep. ad Ephesios 3,5 42 Comm. in Ep. ad Galatas 1,11 18 Comm. in 1er. 5,2 18 5,52 18 5,59 18 De viris ill. 100 34 Epistolae 33,4 17 53.7 18 53.8 42 57,6 34 Liber contra Joannem Hierosolymitana 30 42

Isidor von Sevilla De viris ill. 52 57

28 23

Johannes Diaconus Vita Gregorii 4,81

81

Josephus Contra Apionem 1,8,39-41

66

Stellenregister Laktanz De ira Dei 17,18ff. Leo der Große Tomus Leonis Tractatus 45,2 63,1 67,5

185

Philippus, Presbyter Hiobkommentar

42-45

167,169,170,171, 173,182,189

Prudentius Psychomachia 163-171

33

Quinti lian Institutio oratoria 8,6,44 10,1

12 56

Rufin Apologéticas 49

79,117

173 173 173

Maxentius Responsio contra Acephalos 113 166 Orígenes

6,16,17,18, 32, 33, 34, 37, 44, 55, 65, 79, 152,172

Comm. in ep. ad Rom. 2,12

7,4 Contra Celsum VI43 De principiis 4,2,2 4,2,9 4,3,5 Excerpta in Psalmos 36,25 Exhort, mart. 33 In Cant Horn 2,3 3 In Ex. hom. 5,3 11,3 In Mt. comm. ser. 8,8

77 93 In Mt. frg. 62 123

33 33 34 16

17 17 33 33 33 33 33 33 34 33 33 34 33

Tertullian Adversus Judaeos 7 De fuga 2,1-3 De oratione 29,1 De patientia 14

28 32 32 32

Testamentum Job 27,3-9 27,10 43,l-13b

31 31 32

Visio Pauli 49

33

Zeno von Verona Tractatus de lob (115) De lob De lob 1,1-6 De lob 1,2 De lob 1,6 De lob 11,7 De lob 11,8 De lob 11,9 Tractatus de patientia (14)

35-37 36 36 36 36 36 36 37 36

292

Register

Namenregister Antike und biblische

Personen

Abraham 111, 1 8 1 , 1 9 4 , 1 9 5 Adam 38, 39, 86, 87, 93, 96, 1 1 1 , 1 7 6 Aeneas von Gaza 80 Ananias/Saphira 135 Anastasius von Antiochien 28, 29 barmherziger Samariter 137 Beda Venerabiiis 43 Clemens Romanus 33 Constantius von Mailand 28 Cornelius 135 Cyrill 1 6 4 , 1 6 6 Daniel 1 2 6 , 1 2 7 , 1 2 9 Datius von Mailand 124 David 38, 240 Dioskur von Alexandrien 212 Domitianus von Melitene 28 Elihu 32, 44, 74, 77, 78, 227, 228, 229, 230, 232, 234, 235, 236, 237, 246, 250 Esau 66 Eusebius von Thessaloniki 81 Eutyches 149, 212 Eutychios von Konstantinopel 7 7 , 1 4 9 , 1 5 1 , 165,218 Eva 93 Ezechiel 128 Gregor von Nazianz 79 Gregor von Nyssa 80 Hilarius von Poitiers 18, 20, 34-35, 36 Innozenz, Präfekt von Afrika 29, 76 Isaak 111 Jakob 111, 197 Jobab 66 Johannes (Evangelist) 181 Johannes Chrysostomus 80 Johannes der Faster 28 Johannes Grammaticus 164 Johannes von Ravenna 29 Joseph 126, 127, 160 Jovinian 210 Judas 105, 106, 111

Julian von Halikarnass 218 Justin II. 168 Justinian 120, 121,122, 123, 151,164, 166, 167, 1 6 8 , 1 6 9 , 1 7 0 , 208, 209, 210, 212, 218, 253 Kain 105 Lathcen 254 Lea Siehe Rahel Leander von Sevilla 5, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 31, 47, 48, 49, 51, 52, 56, 59, 64, 69, 74, 243, 245 Leontius von Jerusalem 1 6 4 , 1 6 6 Licinianus von Cartagena 24, 25, 35, 253 Lukian von Samosata 80 Maria 197,198 Macedonius 212 Mani/Manichäer 210 Marinianus von Ravenna 29 Martha Siehe Maria Mose 66, 6 7 , 1 3 7 , 1 3 8 , 1 3 9 , 203, 210 Nestorius 165,166, 212 Noah 129 Paterius 254 Paulus 13, 33, 34, 97, 1 0 9 , 1 1 0 , 1 3 5 , 1 3 6 , 1 3 8 , 139, 153,162, 163, 179, 190,191, 192, 193, 197, 200, 224, 232, 233, 235, 237, 239, 251 Pelagius II 165 Petrus 135, 162, 233, 239 Pharao 105 Photinus 212 Pilatus 143, 145 Ps. Dionysius 79 Rahel 197 Sabellius 210 Saul 238, 239, 240 Schacher am Kreuz 106 Severus von Antiochien 212, 218 Simplicianus 49 Sozomenus 80 Taio von Saragossa 254 Theodoret von Cyrus 80

Namenregister

Moderne Autoren Allen, P. 164 Altaner, B. 2 Arnos, T. L. 50 Amsler, S. 61 Ananian, P. 149 Arens, H. 170, 171,181 Arquillière, H.-X. 132 Aulén, G. 144 Ausbüttel, F. M. 121 Baasten, M. 9, 86, 87, 88, 89, 91, 95, 102, 103, 119,134, 135, 195 Banniard, M. 30, 57, 81 Banning, H. van 82, 84 Bartelink, G. J. M. 61, 80, 81 Baskin, J. R. 31, 32, 33, 34, 36, 39 Bauer, J. 43, 44 Bélanger, R. 4, 112, 185 Berger, K. 12 Bernheim, E. 131,132 Berschin, W. 9, 71, 77, 81 Besserman, L. L. 31, 33, 46 Beyschlag, K. 82, 171,173,182 Bierbaum, W. 172 Boccardi, V. 36, 37 Boesch-Gajano, S. 9 Borgomeo, P. 72, 114,115, 145, 247 Boros, A. 207 Brabant, O. 72 Braga, G. 254, 255 Brinkmann, H. 13 Brouwer, C. 98, 99, 101,129,132, 133,134, 135, 234, 235, 236, 237, 238 Brown, M. 121 Brown, P. 122 Brown, T. S. 121,125, 213 Brüning, B. 142 Burön Castro, T. 23 Butler, C. 10, 82, 195 Cameron, A. 29,168 Carlyle, J. 131,132 Caspar, E. 1, 2, 48, 165 Catry, P. 10, 51, 69, 70, 88,100,102,103, 104,171,195, 219,225, 227 Cavallero, J. P. 55 Cazier, P. 29, 38, 39, 40, 53, 56, 63, 65 Chadwick, H. 11, 12, 20 Charlier, A. 35 Chelini, M. 28 Ciccarese, M. P. 43, 44 Clark, F. 5, 6, 9, 48 Claude, D. 80,122 Clauss, M. 120

293

Congar, Y. 114 Courcelle, P. 48, 81,82, 160 Cracco, G. 80 Cracco-Ruggini, L. 79, 80, 81, 83 Cremascoli, G. 61 Cristini, M. 107 Crouzel, H. 3,14,172, 208 Csàny,D. 197 Dagens, C. 4, 5, 7, 8, 9, 23, 28, 30, 47, 48, 49, 50, 52, 53, 60, 69, 74, 79, 80, 82, 88, 89, 90, 94, 103,104,105, 113,119,120,126, 129,130,131, 141,146,148,149,156, 157,158, 160, 161, 179, 182, 195, 199, 201, 203, 204, 207, 216, 221, 222, 224, 226, 233, 238, 251 D'Alès, A. 37 Daley, B. E. 244 Daniélou, J. 14 Dassmann, E. 10, 32, 33, 34, 36, 37, 38, 42, 43, 146 de Lubac, H. 2, 14,15,16, 21, 35, 60, 62 de Margerie, B. 53, 75 de Vogué, A. 6, 52,198 Diekamp, F. 151 Doignon, J. 35, 52 Dorrie, H. 12 Dòrries, H. 37 Doucet, D. 40, 41 Doucet, M. 4, 55, 60, 66, 68, 72, 73, 214, 246, 247 Duchateiez, K. 193 Duchesne, L. 165 Dudden, H. 2, 3, 4,10, 23, 28, 72, 82, 84, 85, 90, 91, 94, 97, 105,141,149, 158,169, 207, 243 Dupont, C. 123 Duval, Y.-M. 27, 149,150, 152,153, 154,155, 218 Dvornik, F., 120 Ebeling, G. 13 Eco,U. 20 Eisenhofer, E. 83 Evans, G. R. 8, 79,166, 194,197, 218, 219, 221,228 Fay, F. A. 85 Feissel, D. 121 Ferreiro, A. 45 Fiedrowicz, M. 6, 14, 21, 28, 30, 41, 51, 53, 57, 72, 73, 74, 75, 84, 85, 86, 87, 93, 98, 99, 108, 111, 113,114, 115,117, 118, 120, 125,127, 129,130,131, 135,136, 141, 142,145, 147, 148,149, 152,155,156, 157,158, 160, 161, 162, 163, 165,166, 169,172, 174,175, 176, 177,178,183,

294 186, 1 8 7 , 1 8 8 , 1 8 9 , 1 9 1 , 1 9 5 , 1 9 6 , 1 9 7 , 199, 200, 204, 207, 208, 210, 211, 213, 215, 216, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 226, 228, 229, 230, 231, 233, 234, 235, 237, 246, 248 Folliet, G. 3 5 , 1 2 9 Fontaine, J. 4, 7, 23, 25, 27, 63, 64 Fraisse-Coué, C. 28, 59 Frank, K. S. 194 Franses, D. 43, 44 Freytag, W. 1 8 , 1 9 Frickel, M. 2, 4, 84 Gadamer, H. G. 1 2 , 1 3 Galtier, P. 1 6 4 , 1 6 9 Gandolfo, E. 7 Gastaldelli, F. 59, 88, 148 Geerlings, W. 26, 34, 37, 38, 39, 40, 60, 65, 173 Gillet, R. 3, 5, 8, 30, 43, 44, 45, 50, 79, 82, 83, 9 3 , 1 2 7 , 158, 174,178, 248 Giordano, L. 202 Glatzer, N. N. 31 Gnilka, J. 13 Godding, R. 1 Goppelt, L. 14 Graumann, T. 20, 218 Gray, P. T. R. 164,165 Greschat, K. 83 Grillmeier, A. 1 4 9 , 1 5 1 , 1 6 4 , 1 6 5 , 1 6 6 , 1 6 8 , 169,208,209, 211,218 Grosjean, P. 28 Guillaumin, M.-L. 32 Guillou, A. 30,122, 213, 253 Haacke, R. 164 Hadot, I. 65 Hadot, P. 1 6 , 1 9 Hagendahl, H. 24 Hahn, R. 14 Hainthaler, T. 32 Hale, P. 141,147, 159, 163,173, 174, 178, 185 Hanson, A. T. 31 Hanson, R. P. C. 16 Harnack, A.v. 2 , 1 4 Hausherr, I. 51 Heinlein, E. 87, 250 Heinzelmann, M. 124 Heitmann, A. 172 Hellgarth, E. 15 Hesbert, R.-J.61, 131 Hofmann, D. 6, 21 Holtz, L. 23, 62, 63, 64 Hübner, H. 13 Hürten, H. 121

Register Irvine, M. 17, 19, 59, 62, 63 Jacob, C. 6 , 1 4 , 15, 20, 21 Jäger, W. 172 Jenal, G. 2 , 1 0 , 23, 59, 62, 63, 75, 124 Judic, B. 252 Kahlmeyer, J. 50 Kannengiesser, C. 15, 20, 32, 46 Kaygusuz, 1.121 Kelly, J. N. D. 17 Kelly, N. 72 Kessler, S. 1, 6, 20, 22, 24, 27, 28, 30, 49, 50, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 62, 64, 80, 163,164, 252, 254 Kieffer, R. 20 Koch, D.-A. 13 Koch, H. 172 Krautheimer, R. 7 La Bonnadiere, A.-M. 3 9 , 1 9 8 La Piana, L. 28 La Porte, J. 10, 71, 7 2 , 1 0 0 , 1 0 3 , 1 1 3 , 245, 247 Laistner, M. L. W, 62 Lampe, G. W. H. 14 Lebon, J. 164, 169 Leclercq, J. 1, 4, 82, 90, 255 Lehmann, P. 43 Lersch, D. 13 Leyser, C. 7, 8, 28, 30, 47, 48, 50, 74,127, 129,136, 243, 244, 252, 253, 254 Liebeschuetz, J. H. W. G. 1 2 1 , 1 2 2 , 1 2 3 , 1 2 4 , 125, 127 Lieblang, F. 4, 86, 91, 93, 1 4 8 , 1 5 8 , 1 6 1 , 179, 195 Lieu, S. N. C. 210 Llewellyn, P. 253 Louth, A. 11,14, 15 MacNally, R. E. 8 MacQueen, D. J. 86, 87 Manning, E. 138 Manselli.R. 11,21 Maraval, J. 36, 37 Markschies, C. 17 Markus, R.A. 8, 9 , 1 0 , 11,16, 20, 21, 22, 27, 28, 30, 50, 52, 55, 57, 58, 63, 64, 68, 79, 81, 82, 84, 86, 1 0 1 , 1 0 6 , 1 1 7 , 1 1 9 , 120, 1 2 4 , 1 2 5 , 1 2 6 , 1 2 7 , 1 2 9 , 1 3 2 , 134,165, 1 9 1 , 1 9 3 , 1 9 4 , 1 9 5 , 1 9 6 , 1 9 7 , 201, 202, 203, 205, 208, 213, 244, 245, 247, 252, 253 Marrou, H.-I. 84 Martini, G. C. 37 McClain, J. P. 3 McClure, 3. 6, 24, 25, 26, 27, 29, 30, 31, 35, 38, 42, 43, 44, 45, 46, 119,120, 129, 194, 207 McCready, W. 144

Namenregister McGinn, B. 4, 9, 52, 72, 95,101,104, 141, 161,194, 200 Melanchthon, P. 1 Ménager, A. 48,195 Mersch, É. 142 Meyendorff, J. 7,165, 254 Meyvaert, P. 24, 25, 26, 27, 29, 35, 132, 165 Michel, P. 12, 47, 55, 56, 57 Miquel, P. 90 Mitchell, S. 123 Mizugaki, W. 17 Modesto, J. 135 Moeller, C. 164 Moreschini, C. 207, 208, 210, 213, 214, 219 Mühlenberg, E. 82 Müller, B. 51 Müller, H.-P. 32 Müller, S. 6 Müller-Abels, S. 146,150,151,152,153,154 Neuschäfer, B. 16,17, 19, 55, 60, 61,65 Noethlichs, K. L. 122,123 Norberg, D. 6 Nürnberg, R. 45 O'Donovan, O. 88 Opelt, I. 61, 215 Paret, R. 28 Paronetto, V. 30, 59, 83, 84,197 Penco,G. 85 Pépin, J. 14, 53, 56, 65 Perrone, L. 218 Petersen, J. M. 79, 80, 81 Pietri, L. 28, 59 Pitz, E. 6 Pizzani, U. 63, 64 Pollmann, K. 19 Pontet, M. 40 Preiss, T. 172 Prinz, F. 121, 124,269 Procopé, J. P. 98 Ramos-Lissón, D. 24 Rebillard, É. 122 Recchia, V. 6, 26, 30, 54, 72, 83, 84 Renna, T. I l l Réveillaud, M. 72 Reventlow, H. Graf 48, 49, 50, 53, 57, 71, 72 Reydellet, M. 132, 234, 236 Richard, M. 164 Richards, J. 6, 7, 28, 29,127 Riché, P. 58, 63, 64, 81 Rouche, M. 124 Rudmann, R. 52, 252 Sachot, M. 24 Salmon, P. 59 Sanders, G. 7

295

Savon, H. 38, 86 Schaffner, O. 87,174 Schambeck, M. 5, 6, 9, 21, 48, 76, 77, 80, 85, 86, 91, 93, 97,141, 143, 144,145,158, 159,163,164,166, 172,173,175,176, 179,181,183,186, 187,190,194,195, 196,198, 199, 200, 203, 204, 205, 207, 212, 214, 222, 223, 249 Schäublin, C. 16, 53, 60, 65 Schieffer, R. 165, 166 Schlieben, R. 63 Schreiner, S. E. 9, 12, 55, 70, 71, 72, 74,105, 161,219,221,225,228 Seeberg,R. 2, 82 Serenathà, L. 118 Serrano, L. 27 Sieben, H.-J. 19 Simon, G. 58 Simonetti, M. 16,17, 253 Siniscalco, P. 18 Skibbe, M. 32 Smalley, B. 10,14,18, 19, 46, 53, 55 Smeets, A. 4 8 , 5 1 , 5 2 Sotinel, C. 122 Souter, A. 37 Speigl, W. 252 Spitz, H.-J. 54, 55, 59,138 Steinwenter, A. 123 Stem, J. 106 Stock, B. 20 Straw, C. 4, 5, 8, 9, 30, 77, 79, 80, 81, 82, 84, 88, 89, 90, 91, 93, 94, 95,96, 97, 98, 101, 102,103, 104,105,116, 117,119,126, 128, 129,130,132,133, 135,137, 138, 141, 143,144,148,149, 156,157,158, 162, 163,164,166, 167, 169,170, 171, 172,173,174,175, 177,181,182, 194, 197, 214, 234, 245, 246 Studer, B. 15, 19, 21, 26, 55, 62, 142, 211, 218 Stuhlfahrt, W. 23 Stürner, W. 85, 88, 98, 101,117,129,134, 135, 239 Tate, J. 12 Thompson, E. A. 24, 122, 254 Thraede, K. 47 Thurman, W. S. 123 Tinsley, E.J. 172 Tobler, E. 12, 56, 223 Tromp, S. 142 Troncarelli, F. 63 Truzzi, C. 36 Vaccari, A. 43 van Bavel, T. J. 142 van den Boer, W. 14

296 Vilella Masana, J. 24 Vischer, L. 13 Wallace-Hadrill, J. M. 2 Walther, M. 51 Wasselynck, R. 254, 255 Weber, L. 4, 85, 90, 91, 93, 97, 1 0 5 , 1 3 6 , 1 5 8 , 181 Webster, L. 121 Weissengruber, F. 58, 59, 63 Whitman, J. 12 Wickert, U. 16 Wickham, C. 124, 125

Register Wilken, R. L. 11,19, 2 1 , 2 5 5 Winkelmann, F. 169 Woollcombe, K. J. 14 Wyrwa, D. 4 9 , 1 6 4 , 166, 170 Wytzes, J. 172 Young, F. 1 4 , 1 6 Zabaleta, J. 202 Zevini, G. 21 Ziegler, J. 34 Zimdars-Swartz, S. L. 163 Zinn, G. A. 12

297

Sachregister

Orte und Sachen actio Siehe contemplatio-actio aduersa Siehe prospera-aduersa aedificatio 53-55, 61, 245 Allegorie/Allegorese 9-21, 24, 52, 53, 55, 56, 57, 65, 66, 72, 76, 142,186, 214, 243 Angelsachsenmission 7, 28 annona 122 Anthropomorphismus 211 Apokatastasis 208-10 Arius/Arianer 23, 24, 36, 210, 211, 212 arrogantes 74, 145, 205, 214, 228-241 außen Siehe innen-außen Bischofsamt 120-27, 244, 252. Siehe auch Kirche: hierarchische Gliederung Blindheit, geistige 93, 102, 112,144,158-63, 174,177, 188,224 Christus, mediator dei et hominum 41,162, 163,168, 171,172 compositio 168, 181, 183,186 compunctio 51, 52, 104 condescensio 77,185-87, 190-93, 211, 232, 236, 249 Confessio fidei Justinians 166, 169 contemplatio-actio 6, 7, 9, 22, 51, 75, 77, 112, 138,141, 156, 158,162,163,179,190, 191,192, 193, 194,195,196, 198, 200-205, 227, 244, 249, 251 conuersio 22, 47-52 corpus diaboli 113, 143,144,145, 208, 210, 238, 247 Siehe auch Teufel correctio 103, 130, 133,185, 234, 235, 239, 245 cultural encyclopedia 20 curato, 121 defensor 121 Demut Siehe Hochmut-Demut diabolus Siehe Teufel diuina dispensatio 45, 51, 52, 58, 69, 71, 76, 127,149, 241, 243, 244, 245, 247, 249, 250 Donatismus 208 Drei-Kapitel-Schisma 165 elatio Siehe Hochmut-Demut Engel 85, 86, 87, 91, 98,171, 186, 236 Erbauung Siehe aedificatio

Erniedrigung/Entäußerung 36, 41, 77, 219, 249, 250 Siehe auch condescensio exempium 32, 33, 34, 36, 37, 38, 39, 42, 45, 46, 55, 66, 68, 77,105, 107,109, 111, 150, 154, 162, 163, 174,176,172-78,192, 193, 195, 202, 199-205, 230, 233, 241, 249 Exil (dieser Welt) 99, 112, 224 Siehe auch patria caelestis flagella Dei 58, 69, 70, 71, 75, 76, 100, 101, 102, 103,105, 113,116,124,131,143, 245, 247 Fleisch Siehe Geist-Fleisch (des Menschen) Geduld 222 Siehe auch patientia Geist-Fleisch (des Menschen, 5, 89, 92-97, 101,246 Gottebenbildlichkeit 85 Häresie/Häretiker 73, 74, 77, 78, 145, 196, 205, 207- 227, 228, 229, 230, 246, 250 Hierarchie Siehe Kirche: hierarchische Gliederung Hochmut-Demut 33, 70, 73, 76, 86, 87, 88, 98, 99, 100,101, 102, 105,108, 110,111, 119, 133, 141,143,155, 162,172, 173,174, 175, 176, 178,192, 203, 205, 217, 221, 222, 223, 225, 226, 227, 228, 232, 235, 236, 237, 238, 240, 241, 246, 249, 250 innen-außen 4, 5, 8, 39, 50, 58,110,119, 126, 136,137,157,158, 194,196, 203, 204, 216, 224, 226 iudicia occulta 45, 76,104-10,114, 116, 119, 131,134,172,179, 180,181, 182, 223, 224, 230, 247 Kirche corpus Christi 37, 40, 73, 75, 76, 77,111, 113, 116,117, 120, 130,142, 143, 146, 147, 148, 150, 152, 155,156, 158, 171, 172, 175,179,180, 181,186,190, 192, 200, 201, 216, 217, 219, 229, 247, 248, 249, 250 corpus permixtum 84, 110-16 ecclesia electorum 110,114-16,141,146, 151,157, 160 hierarchische Gliederung 116-39, 248 Siehe auch Machtausübung

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Register

kirchliches Bekenntnis 154-55,172, 217-20, 253 Kloster, Rückzug von der Welt 8, 47-52,109, 120, 125, 194, 244, 251 Siehe auch contemplatio Konstantinopel, Hauptstadt des Reiches 26, 27, 28, 29, 49, 51,155, 165, 250, 252, 253 Konzil von Chalkedon (451) 164,166 Konzil von Konstantinopel (553) 149, 151, 164,165,166,167, 168, 212 Machtausübung 76, 78, 99,116-39, 227-41, 247, 249, 250, 252 Monophysiten 218 mutabilitas Siehe stabilitas-mutabilitas Neuchalkedonismus 164,165,166,169, 249 ordo naturalis 134,135 Siehe auch Schöpfungsordnung Paradies 85, 86, 90, 93, 95 patientia 33, 34, 36, 38, 46 patria caelestis 77, 86, 104,109,112,119, 128,130,131, 133,141,155, 162,163, 189, 201, 248 prospera-aduersa 175-77 Ravenna, Exarchat 7, 30, 213 res-uerba 19, 21, 57, 62, 64 Rom 7, 23, 39,165, 253, 254 Senat, 124 Rückeroberung Italiens unter Justinian 7, 121, 124, 253 Schöpfungsordnung 76, 85-103,116, 125, 133-36,138,141,147 Gleichrangigkeit aller Menschen 97-99,101, 134-36, 236-40 Schriftsinne, tieferer Schriftsinn 10,14,15,16, 17,18, 19, 23, 56, 57, 60, 64,136, 159, 181,187, 216,245 sitona 122 stabilitas-mutabilitas 89-92,126,156-57, 158,161,246 Stolz Siehe Hochmut-Demut Sünde/Sündenfall 35, 40, 41, 70, 75, 76, 79139,163,173,175,185,191, 209, 210, 219, 222, 225, 234, 235, 237, 239, 245, 246, 248, 250 superbia Siehe Hochmut-Demut

Teufel 31, 32, 34, 36, 38, 40, 45, 46, 70, 71, 86, 87, 93, 95, 97,98,102,103,143,144, 156, 157,169, 209, 222, 236, 238, 246. Siehe auch corpus diaboli Textauslegung, grammatisch-rhetorisch 16,17, 20, 47, 53, 60, 61, 58-64, 65, 243, 245 textual Community 20 totus Christus 72, 77, 82,141-183, 245, 246, 248,250 transitus 158,160, 163,185,188 Typologie 14, 55, 65 Elihu, Typus der arrogantes 74, 227-41, 246 Hiob, Typus für Christus u. Kirche Siehe totus Christus Hiobs Frau, Typus der carnales 73, 246 Hiobs Freunde, Typus der Häretiker 73, 207-27, 246 Untertanen/Untergebene 76, 78,118,119,122, 126, 127,128,129-137, 227-241, 246, 247, 248, 249, 250, 251. Siehe auch Machtausübung Westgotenreich 23, 24, 25,122, 254

Studien und Texte zu Antike und Christentum Studies and Texts in Antiquity and Christianity Editor:

CHRISTOPH MARKSCHIES

(Berlin)

Aland, Barbara /Hahn, Johannes /Ronning, Christian (Ed.): Literarische Konstituierung von Identifikationsfiguren in der Antike. 2003. Volume 16. Betz, Hans Dieter: The „Mithras Liturgy". 2003. Volume 18. Bracht Katharina: Vollkommenheit und Vollendung. 1999. Volume 2. Bremer, Jan Maarten: see Furley, William D. Conring, Barbara: Hieronymus als Briefschreiber. 2001. Volume 8. Cook, John Granger: The Interpretation of the New Testament in Greco-Roman Paganism. 2000. Volume 3. - : The Interpretation of the Old Testament in Greco-Roman Paganism. 2004. Volume 23. Dörnemann, Michael: Krankheit und Heilung in der Theologie der frühen Kirchenväter. 2003. Volume 20. Egelhaaf-Gaiser, Ulrike /Schäfer, Alfred (Ed.): Religiöse Vereine in der römischen Antike. 2002. Volume 13. Elliott, Mark W.: The Song of Songs and Christology in the Early Church. 2000. Volume 7. Förster, Hans: Die Feier der Geburt Christi in der Alten Kirche. 2000. Volume 4. Frateantonio, Christa: Religiöse Autonomie der Stadt im Imperium Romanum. 2003. Volume 19. Furley, William D. / Bremer, Jan Maarten: Greek Hymns I. 2001. Volume 9. - : Greek Hymns II. 2001. Volume 10. Greschat, Katharina: Die Moralia in Job Gregors des Großen. Volume 31. Hahn, Johannes: see Aland, Barbara Henner, Jutta: Fragmenta Liturgica Coptica. 2000. Volume 5. Henze, Matthias: The Syriac Apocalypse of Daniel. 2001. Volume 11. Hirsch-Luipold, Rainer: Plutarchs Denken in Bildern. 2002. Volume 14. Die ikonoklastische Synode von Hiereia 754. Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar ihres Horas, besorgt von Torsten Krannich, Christoph Schubert und Claudia Sode, nebst einem Beitrag zur Epistula ad Constantiam des Eusebius von Cäsarea von Annette von Stockhausen. 2002. Volume 15. Krannich, Torsten: see Die ikonoklastische Synode von Hiereia 754. Maas, Michael: Exegesis and Empire in the Early Byzantine Mediterranean. 2003. Volume 17.

Studies und Texts in Antiquity and

Christianity

Mastrocinque, Attilio: From Jewish Magic to Gnosticism. 2005. Volume 24. Mutschier, Bernhard: Irenaus als johanneischer Theologe. 2004. Volume 21. Ronning, Christian: see Aland, Barbara Samellas, Antigone: Death in the Eastern Mediterranean (50-600 A.D.). 2002. Volume 12. Schäfer, Alfred: see Egelhaaf-Gaiser, Ulrike Schulze, Christian: Medizin und Christentum in Spätantike und frühem Mittelalter. 2005. Volume 27. Schurig, Sebastian: Die Theologie des Kreuzes beim frühen Cyrill von Alexandria. 2005. Volume 29. Schubert, Christoph: see Die ikonoklastische Synode von Hiereia 754. Sode, Claudia: see Die ikonoklastische Synode von Hiereia 754. Stockhausen, Annette von: see Die ikonoklastische Synode von Hiereia 754. Tiersch, Claudia: Johannes Chrysostomus in Konstantinopel (398^404). 2002. Volume 6. Der Tractatus Tripartus aus Nag Hammadi Codex I (Codex Jung). Neu übersetzt von Peter Nagel. 1998. Volume 1.

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