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German Pages 159 Year 2015
Philosophische Schriften Band 87
Die Metaphysik und die transzendentale Reduktion Von Franz Förschner
Duncker & Humblot · Berlin
FRANZ FÖRSCHNER
Die Metaphysik und die transzendentale Reduktion
Philosophische Schriften Band 87
Die Metaphysik und die transzendentale Reduktion
Von
Franz Förschner
Duncker & Humblot · Berlin
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Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Die rationale Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die transzendentale Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Transzendentale und rationale Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 § 2 Descartes’ „Zweifelsbetrachtung“ und die Gleichsetzung des Ich als Denken und Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Descartes’ Cogitatio als noetisches Absolutum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Descartes’ Cogitatio als Rückkehr zum metaphysischen Idealismus Augustins . . 14 3. Die Cogitatio als reines Denken; die Verdrängung der Zone des Gemütes und des „Psychischen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 4. Descartes’ „res cogitans tantum“ als reines Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 § 3 Husserls Kritik an Descartes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Descartes’ „Cogito“ als empirisches oder psychisches Erlebnis . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Descartes’ Reflexion des reinen Ich schöpft die Gegebenheit des transzendentalen Ego nicht aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 § 4 Der neue „Sinn“ der Cogitatio in der phänomenologischen Reduktion . . . . . . . 32 1. Die Sphäre des „reell Immanenten“ und der „absoluten Gegebenheit“ . . . . . . . . 32 2. Der neue „Sinn“ der Cogitatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Vernunft und Evidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 § 5 Vorläufiger Einwand: Die unbedachte und unterdrückte Möglichkeit innerhalb der Cogitatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Die logische Möglichkeit einer Welt an sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Das sich ur-teilende Ich und die Vorstellung einer Welt an sich . . . . . . . . . . . . . . 45 § 6 Husserls phänomenologisch-psychologische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Die erste Grundeinsicht des Selbstbewusstseins und ihre beiden logischen Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Die Phänomenologie der „psychischen“ Region und die „Erlebnisseite“ im Erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3. Die Unklarheit zwischen den Regionen in Bezug auf das „Erlebnis“ und die „Erscheinung“ oder: das „Wahrnehmungserlebnis“ und die „Dingwahrnehmung“ 57
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§ 7 Die transzendentale Phänomenologie im Verständnis der beiden Grundeinsichten des Selbstbewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Intersubjektivität als Erlebnis und Begegnung; das Ausmaß der Primordialsphäre 61 2. Das Verständnis der Intentionalität und die Reduktionen der Phänomenologie . . 65 3. Das reine Ego im Verständnis der beiden Grundeinsichten des Selbstbewusstseins 68 a) Das rein theoretische Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Das reine Ich als praktisches Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 § 8 Die andere Auffassung des Bewusstseins aus dem Verständnis der beiden Grundeinsichten des Selbstbewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Intentionalitas und Identitas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Die Intersubjektivität und ihre Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Die Bestimmungsstücke in den „Ideen 2“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Intersubjektivität nach der fünften „Cartesianischen Meditation“ . . . . . . . . . . 84 § 9 Kritik der Intersubjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Die Spannungen der Primordialsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Transzendenz als sachlicher Widersinn und als appräsentiertes alter ego; die Unstimmigkeit in der Ausweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Intersubjektivität und tierisches Bewusstsein; die Erweiterung eines alter ego . . 94 4. Schlussbemerkung: Ego absolutum und ego concretum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 § 10 Zeit und Bewusstsein im transzendentalen Idealismus; Augustins ursprüngliches „Zeiterlebnis“ und Kants verfehlte „Zeitvorstellung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 § 11 Husserls Untersuchungen zum Zeitbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Retention und die Einortung des Quellpunkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Retention als eigentümliche Intentionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Retention als doppelte Intentionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4. Wahrnehmung als äußere und innere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 5. Reproduktion und Retention; die Zeit als starre Einheit und als fließendes Jetzt . 117 § 12 Zeit und Erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Bewusstsein und Intentionalität im transzendentalen Ego . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Zeit und Intentionalität im Ego der Transzendentalphilosophie . . . . . . . . . . . . . . 128 3. Das reine Ich in der immanenten Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4. Ein Vergleich der Bestimmung der Zeit an Kants reiner Vernunft und in Husserls reinem Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 5. Die äußere Anschauung bzw. Wahrnehmung und ihre Verflechtung mit der inneren Anschauung bzw. Wahrnehmung (Fortsetzung des Vergleiches zwischen Kant und Husserl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
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§ 13 Bewusstsein und Intentionalitas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Die unzureichende Bestimmung des Bewusstseins; Intentionalitas als Ur-Teil des Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Die Zeit als Gemütsgrund; Gegebenheit oder Wahrnehmung? . . . . . . . . . . . . . . . 152 Schriftenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Sach- und Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
§ 1 Einleitung 1. Die rationale Reduktion Die Idee der Metaphysik, so wie sie in Aristoteles erstmals zum Durchbruch gekommen ist, versteht sich als rationale Reduktion. Diese Idee ist klar und einleuchtend: Absonderung des Begriffsinhalts von allem, was die Sphären und Dimensionen menschlicher Kultur und Geschichte zur Wissenswelt beigetragen haben. Die Durchführung aber ist schwer und dennoch nicht aussichtslos. Die rationale Reduktion zielt auf eine Wildnis des Seienden. Dies bedeutet, dass wir mit jenen Dingen beginnen, die uns vorab von jedem Welt- und Wissenschaftsbild gegeben sind, also mit der unmittelbar gegebenen „Lebenswelt“, wie Husserl es nennt. Aber darum geht es hier nicht, und so haben wir uns mit der Frage – was ist Rationalismus durch und durch – gar nicht herumzuschlagen. Die Idee der Metaphysik hat sich erst im Laufe von Jahrtausenden durchgesetzt. Der Idealismus, jener unfruchtbare Bastard aus Platon und Aristoteles, hat sie weithin wieder untergehen lassen. Allein die Idee ist unsterblich ins Bewusstsein gegeben, und sie wird immer wieder geboren, und sie wird sich immer wieder durchsetzen.
2. Die transzendentale Reduktion Die Idee der Metaphysik, nämlich Reduktion des Wissens oder Erkennens auf das unmittelbar Gegebene, schließt jedoch keineswegs den Fortschritt in der Geschichte des philosophischen Erkennens aus. Die alte Metaphysik war rationale Reduktion, aber vom Standpunkt eines naiven Realismus aus; und darin lag ihre Unentwickeltheit. Descartes hat das Anliegen erkannt: Die rationale Reduktion muss auch die transzendentale Reduktion mit einschließen; die rationale Reduktion muss in der Sphäre der transzendentalen Reduktion geschehen. Aber Descartes’ „Cogito, ergo sum“ bleibt ein Kurzschluss. Erst Husserl hat die Methode richtig entwickelt. Die Idee der Metaphysik leuchtet jetzt noch klarer. Die transzendentale Reduktion gehört zu ihrem Fortschritt; ohne den Einbezug gibt es keinen Fortschritt mehr. Darum liegt Kants Philosophie noch immer als unbewältigte Vergangenheit auf ihrem Weg, und die Metaphysik ist nur noch Vergangenheit.
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§ 1 Einleitung
Dies ist aber ihre Paradoxie: Husserls transzendentale Reduktion kommt zu einer schroffen Ablehnung der „historisch entarteten Metaphysik“.
3. Transzendentale und rationale Reduktion Der Fortschritt geschieht oft in Paradoxien. Das Thema der Schrift will nur eine Vorarbeit sein. Husserls transzendentale Reduktion soll nochmals überprüft werden. Hat Husserls Reduktion das Bewusstsein in seinem vollen Aufschluss ausgeleuchtet? Das Bewusstsein ist in zwei grundsätzlich verschiedenen Weisen gegeben. So hat schon Schopenhauer seine Willens-Metaphysik begonnen. Die Weisen der Gegebenheit stehen wie zwei Gleichungen, die sich einmal schneiden und einen absoluten Punkt ergeben könnten. Hat Husserl die Mitteilung der zweiten Gleichung, der zweiten und Grund verschiedenen Gegebenheit des Bewusstseins, ausgeschöpft? Oder hat er sie vernachlässigt, weil er sie nur als eine „Analogie“ zur ersten angesehen hat? Unser Augenmerk gilt nur dem Nachvollzug der Phänomenologie Husserls. Dabei soll sich die eben gestellte Frage beantworten. Je nachdem müsste die transzendentale Reduktion nochmals vollzogen werden. Jedoch nicht im Rahmen dieser Schrift.
§ 2 Descartes’ „Zweifelsbetrachtung“ und die Gleichsetzung des Ich als Denken und Seele 1. Descartes’ Cogitatio als noetisches Absolutum „… seit Kant traut man sich nicht mehr über das Bewusstsein hinaus.“1 Mit dieser Feststellung kennzeichnet man einen Zustand der Philosophie, dem man einen echten Fortschritt des Denkens sicherlich nicht absprechen möchte. Es klingt indes auch wie nach Verhängnis, Gefangenschaft und Aufgabe, wenn sich keiner mehr über das Bewusstsein hinaustraut. Der methodische Zweifel, den Descartes, diese merkwürdig zweideutige Gestalt zwischen der alten Metaphysik und der neuen Wissenschaft, eingeleitet hat, ist aber ungemein fruchtbar geworden für die Seinsbegründung, und was man vermisst und bedauert, das ist und bleibt die Tatsache, dass die alte Metaphysik diese Herausforderung nicht angenommen hat. Denn es liegt offensichtlich in der Zurückhaltung der alten Metaphysik, wenn sie nun seit dieser Wende zum Bewusstsein zu einer Überlieferung geworden ist, aus der nichts Neues mehr kommt. Könnte es denn nicht so sein, dass sie an der Enge des Bewusstseins nicht vorbeikommt und dass sie erst dann wieder den Weg des Fortschritts gehen kann, wenn sie durch diese enge Pforte gegangen ist. Sie müsste also sich dem Einschluss unterziehen, um einen neuen Aufschluss zu finden, weil es nur so weitergehen kann. Was also die alte Metaphysik so unbeweglich und leblos macht, – darüber muss man sich nicht mehr ausführlicher äußern – das ist doch eine Angst, die es als Selbstaufgabe anschaut, wenn sie sich einmal der Transzendentalphilosophie überlässt. Wenn dieses philosophische Bewusstsein aber sich seiner Sache sicher ist, dann auch von ruhiger Sicherheit getragen ist, warum sollte es dann aus der transzendentalen Sphäre nicht wieder zu sich selber finden? Hier deutet sich ein Versäumnis an: Was nämlich schlechthin abgelehnt worden ist als ein abseitiger Ansatz, das hat andrerseits die alte Metaphysik ins Abseits gestellt, weil diese die Wende zum Bewusstsein nicht als notwendiges Stadium des Durchgangs durchschaut hat. Denn warum sollte aus dieser Einstellung nicht eine neue Vereinbarung von Sein und Erkennen sich anbahnen? Wenn die philosophia perennis ihr Selbstverständnis und ihr Selbstbewusstsein nicht preisgegeben hat, dann darf sie doch auch überzeugt sein, dass es für sie ein Gewinn ist, wenn sie sich einlässt auf die „Epoché“, auf die „Einklammerung“ oder „Ausschaltung“ einer Seinsgeltung jenseits des Bewusstseins. 1
Hirschberger, Johannes: Geschichte der Philosophie. Bd. 2. Freiburg 1952. S. 545.
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§ 2 Descartes’ „Zweifelsbetrachtung“
Descartes hat sich vor Kant dem Zweifel unterzogen. Sehen wir zunächst einmal von der Weise, wie er vorgegangen ist, ab; darauf kommt es bei dem jetzigen Gesichtspunkt nicht an. Descartes war sich lange vor Kant schon klar darüber, dass die Neuzeit eine Neubegründung des metaphysischen Realismus erwartet. Die Ablehnung, die ihm von den Scholastikern und von den Neuscholastikern zugekommen ist, bestätigt nur das eben Gesagte: Man hat sich nur auf das Unzulängliche seiner Betrachtung versteift, ohne jedoch dem Anliegen näher zu kommen. Dass Descartes gerade in seiner Zweifelsbetrachtung den metaphysischen Idealismus des Kirchenvaters Augustin wieder belebt, bleibt unübersehbar. Die Einwände zeigen nur, dass man einen Gesinnungsgenossen, der das Gebot der Stunde gespürt hat, als unnötigen oder unnützen Zweifler abgelehnt hat. So hält ihm Lehmen, den wir einmal als Vertreter einer neuscholastischen Richtung allein anführen wollen, vor, er habe zwar einen festen Punkt im Bewusstsein gefunden, könne aber von da keinen Schritt tun. Schließlich hält man ihm aber auch noch den üblichen Allerweltseinwand entgegen, dass sein ganzer Zweifel sinnlos und unsinnig werde, wenn er das principium contradictionis nicht als letzten Grundstein übriglasse.2 Die fruchtbare Auseinandersetzung beginnt erst mit Husserl, der uns den wertvollen Aufschluss liefert. Descartes’ Weg des Zweifels macht deutlich, dass dem Philosophen vor Kant wie auch schon Augustin die Vorstellung vertraut ist, der ganze mundus sensibilis könnte ein Gemächte des sinnlichen Bewusstseins darstellen. Dass man aber mit dem transzendentalen Zweifel auch die innersten Denkgesetze in Abrede stellt, das ist uns geläufig, und wir übertragen diese Einsicht daher auch in die Zeit vor Kant. Es scheint aber so, als ob nicht einmal David Hume das principium contradictionis in seiner ganzen Tragweite in Abrede gestellt habe.3 Es bleibt Kant vorbehalten, dieses Principium klar in seine Schranken zu weisen.4 Darum erübrigt sich auch der Einwand gegenüber Descartes, er könne ohne das principium contradictionis gar nichts anfangen. Anders als Hume hat Descartes bei seiner Betrachtung noch so die Sphären zwischen dem Bewusstsein und einem Sinnenfälligen an sich vermengt, dass er auch
2 Lehmen, Alfons: Lehrbuch der Philosophie auf aristotelisch-scholastischer Grundlage in 3 Bd. Freiburg 1899. Bd. 1. S. 158 ff. 3 „Was niemals gesehen oder gehört worden ist, lässt sich doch vorstellen, und nichts übersteigt die Macht des Gedankens, das ausgenommen, was einen unbedingten Widerspruch einschließt.“ Hume, David: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Hrsg. von Raoul Richter. Hamburg 1961. (Philosoph. Bibliothek; 35). 2. Abschn. S. 19; „Wenn es auch niemals einen Kreis oder ein Dreieck in der Natur gegeben hätte, so würden doch die von Euklid demonstrierten Wahrheiten für immer ihre Gewissheit und Evidenz behalten.“ 4. Abschn. S. 35; „Es dürfte also des Interesses wert sein, die Natur jener Evidenz zu erforschen, die uns jede wirkliche Existenz und Tatsache sicherstellt, welche über das gegenwärtige Zeugnis der Sinne oder die Angaben des Gedächtnisses hinausgehen.“ S. 36; 12. Abschn., 2. Teil. 4 „Denn dass ihm gar keine Erkenntnis zuwider sein könne, ohne sich selbst zu vernichten, das macht diesen Satz zur conditio sine qua non, aber nicht zum Bestimmungsgrunde der Wahrheit unserer Erkenntnis.“ Kritik d. reinen Vern. A 152, B 191.
1. Descartes’ Cogitatio als noetisches Absolutum
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nicht auf den Gedanken gekommen ist, das principium causalitatis an dieser Verknüpfung ernsthaft in Frage zu stellen.5 Gemessen an Husserls „gereinigter Epoché“ wird erst klar, wie ungewohnt das Denken innerhalb der transzendentalen Sphäre ist, und darum muss man um so mehr anerkennen, dass Descartes zum Gedanken Husserls voll vorgedrungen war. Er hatte die Einsicht in den Händen, nur seine innere Gesinnung hinderte ihn, ihr zu folgen; und Husserls Ergebnis beweist nur zu deutlich, dass Descartes diesen Weg nicht gehen konnte, weil seine unmittelbare Gewissheit sich in den Weg stellte. Wenn Husserl seine „absolute Gegebenheit“ „noetisch“ und nicht „noematisch“ aussetzt, so finden wir diese Eingründung als Gedanken bei Descartes mehrmals ausgesprochen. Schließlich vollendet er sich ja im „cogito, ergo sum“. Allein Descartes steht ganz in der Überlieferung, und so wird sein Zweifel im Rahmen des metaphysischen Idealismus im Grunde nur das wiederholen, was Augustin in seinen philosophischen Schriften gebracht hat. „Ist nicht all dies, mag ich nun stets schlafen, mag auch mein Schöpfer, soviel an ihm liegt, mich täuschen, – ist nicht all dies trotzdem ebenso wahr wie mein Dasein? Was davon ist von meinem Bewusstsein unterscheidbar? (Quid est quod a mea cogitatione distinguatur?) Wovon lässt sich behaupten, dass es von mir selbst getrennt sei? Denn dass ich es bin, der zweifelt, der einsieht, der will, das ist so offenbar … denn wenngleich … nichts bildlich Vorgestelltes (imaginata) wahr ist, so ist doch die Einbildungskraft (vis imaginandi) selbst wirklich da und macht einen Teil meines Bewusstseins (cogitatio) aus.“6 Descartes spricht es noch deutlicher aus: „Denn wenn auch – wie schon oben bemerkt – das, was ich empfinde (sentio) oder mir bildlich vorstelle (imaginor), außer mir vielleicht nichts ist, so bin ich doch gewiss, dass jene Bewusstseinsbestimmungen (modi cogitandi), die ich Empfindungen und Einbildungen nenne, bloß als Bewusstseinsbestimmungen in mir vorhanden sind.“7 Dabei hat Descartes die clara et distincta Einsicht der Vernunft noch gar nicht im Auge; mit modi cogitandi wird das angesprochen, was Husserl später mit den noetischen „Modifikationen des Bewusstseins“ meinen wird. Es bestätigt sich sogar noch darin, dass auch Descartes wie Husserl den Willen einfach als eine Cogitatio des Bewusstseins auffasst, so dass er auch in dieser Hinsicht als dessen Vorgänger in der Vertretung einer „Willensintentionalität“ dasteht. „Was nun die Vorstellungen (ideae) anbetrifft, so können sie, wenn man sie nur an sich betrachtet (si solae in se spectentur) und sie nicht auf irgend etwas anderes bezieht, nicht eigentlich falsch sein … Auch im Willen (voluntas) selbst oder in den Gemütsbewegungen (affectus) hat man keine Falschheit zu fürchten; denn möchte ich etwas noch so Verkehrtes, ja etwas, was es in aller Welt nicht gibt, wünschen, so 5
Meditationes de prima philosophia. Medit. 3 Nr. 14 [42 – 43]; Nr. 33 – 34 [55]. Medit. 2. Nr. 9 [24]. Descartes, René: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie. Auf Grund d. Ausg. von Artur Buchenau neu hrsg. von Lüder Gäbe. 2. Aufl. Hamburg 1977. (Philos. Bibliothek; 250 a). S. 50 – 51 i. d. lat.-dt. Ausg. 7 Ebda. 3. 1 [32]; vgl. a. 2. 15 [31]. 6
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§ 2 Descartes’ „Zweifelsbetrachtung“
bleibt es nichtsdestoweniger wahr, dass ich es wünsche.“8 Dass das Gewünschte im Willen in einer anderen Weise ist, in einer grundlegend anderen als das Erkannte im Erkennen, spielt in der Zweifelsbetrachtung Descartes’ keine Rolle. Diese Gegebenheit fällt einfach in eine der Weisen der Cogitationes, der „Intentionalitäten“, und daran gemessen steht er der Transzendentalphilosophie schon nahe. Indem sich also alle Bewusstseinsbestimmungen bei Descartes als Cogitationes zusammenfassen lassen, daran knüpft ja Husserl bewusst an, dringt nun auch schwach schon jene Unterscheidung durch, die jeder Noesis ein entsprechendes Noema zuordnet. „Doch bietet sich mir noch ein anderer Weg zu prüfen, ob einige von den Dingen, deren Vorstellungen in mir sind, außer mir existieren. Sofern nämlich diese Vorstellungen nur gewisse Bestimmungen des Bewusstseins (modi cogitandi) sind, entdecke ich unter ihnen keinerlei Ungleichartigkeit und alle gehen anscheinend gleichermaßen von mir aus. Insofern mir aber die eine diese, die andere jene Sache vergegenwärtigt, sind die offenbar äußerst verschieden voneinander.“9
2. Descartes’ Cogitatio als Rückkehr zum metaphysischen Idealismus Augustins Auch Husserl hat Augustins berühmtes Wort in Anspruch genommen: Noli foras ire, in te ipsum redi, in interiore homine veritas habitat.10 Aber Husserl gewinnt diesem Wort ein ganz anderes Verständnis ab, so dass man gerade sagen möchte, dass hier nur noch ein äußerer Zusammenhang übrigbleibt. Dass Descartes wirklich eine zweideutige Gestalt ist, die naturwissenschaftlich-mathematisch der Neuzeit angehört, philosophisch wieder in die Antike zurückgeht, soll aber gerade daran klar werden. Descartes beruft sich nicht auf den antiken Denker, und doch vermittelt seine Zweifelsbetrachtung den ursprünglichen Geist desselben. Wenn Augustinus sagt, dass man eher mit dem Schiff in der Wüste vorwärtskomme, als dass man mit den Sinnen Geometrie betreiben könne,11 so wird man in den „meditationes de prima philosophia“ ständig daran erinnert.12 Wie Augustinus nur „Gott und die Seele“ zu erkennen wünscht13, so ergeben sich für Descartes am Ende zwei klare Ideen: Gott und die Seele. Hier wie dort erscheint die Feststellung schon zur Einleitung.14 8
3. 6 [36]. 3. 13 [40 – 41]. 10 De vera religione, cap. 39 n. 72; 5. Cartes. Medit., Schlusswort. 11 Soliloquia. 1. Bch. 4. Kap. 12 Synopsis [5]; Medit. 1. 3; 2. 16; 3. 11; „Car enfin, soit que nous veillions, soit que nous dormions, nous ne nous devons jamais laisser persuader qu’ à l’évidence de notre raison. … je dis, de notre raison, et non point, de notre imagination ni de nos sens.“ Descartes, René: Discours de la Méthode. [Franz.-dt.] Übers. u. hrsg. von Lüder Gäbe.Hamburg 1964. (Philosoph. Bibliothek; 261). 4. T. 8. [41]. 13 Soliloquia. 1. 2 [7]. 14 Medit. 1. 9
2. Rückkehr zum metaphysischen Idealismus Augustins
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Descartes hält also Husserls Entdeckung schon in Händen; aber er gewinnt sie, um sie gleich zu entleeren. Er steht zu sehr in dieser Überlieferung des metaphysischen Idealismus, der im Grunde ein Typus ist, der weder zu Platon noch zu Aristoteles richtig passt und dann in Descartes’ Rationalismus und in Kants Transzendentalismus zwiespältig weiterlebt. Man könnte deshalb annehmen, dass es aus dieser Einstellung nur zwei Möglichkeiten gibt: Descartes’ oder Husserls völlig geschlossener transzendentaler Idealismus. Doch hier hat eine neue Betrachtung zu beginnen, die nur bei Husserl ansetzen kann. Descartes’ Ergebnis ist tief angelegt in der metaphysischen Überlieferung mit ihrem eigenartigen Bewusstseinsbegriff, dem auch die Transzendentalphilosophie trotz ihrer Wende nicht entgeht. Während aber Husserl im Anfang der Eingründung die Vernunft geradezu in der Sinnlichkeit untergehen lässt, bewegt sich Descartes ganz im Rückzug von den Sinnen. Damit klärt sich auf, dass für ihn die Entdeckung von der noetisch absolut gegebenen Vorstellung innerhalb der Reduktion gar kein Gewicht in sich selber, also innerhalb der Sinneswahrnehmung hat. So wenig wie bei Augustin, der sogar den Freund nicht durch den Sinn, sondern durch die Vernunft kennt.15 Auch Descartes verwirft das Zeugnis der Sinne ganz und gar, wo es darum geht, den Grundstein der Erkenntnis zu legen. Man wird sich an Descartes dessen bewusst, dass hier ein altes und ein neues Denken aneinander stoßen; beide verstehen sich indes als Idealismus. Dass dieses Misstrauen gegenüber den Sinnen eine Voreingenommenheit bedeutet, die mehr von mystischem Ansinnen als von philosophischem Denken herrührt, liegt nicht erst seit der Phänomenologie auf der Hand, wie der metaphysische Realismus bezeugt. Es lässt sich also Descartes’ Zweifelsbetrachtung mit einem Schlage vollziehen, so wie auch die transzendentale Reduktion mit einem Akt des Willens und der Reflexion des Verstandes einzuholen ist. Das Ergebnis, welches Descartes dann festlegt, wird für uns zu einer Grundeinsicht, die uns erlaubt, die Eigenartigkeit der gesamten metaphysischen Überlieferung in ihrem hervorstechendsten Merkmal zu fassen. Ich kann die Augen schließen und mir die Ohren verstopfen, und ich kann mir vorstellen, dass ich keinen Leib hätte, und ich kann mich an irgendeinen fernen Ort versetzen. Für Descartes liegt hier eine unmittelbare Einsicht vor, die ihn zu jener innersten Einsicht führt, welche alles erst trägt: „Daraus erkannte ich, dass ich eine Substanz bin, deren ganzes Wesen oder deren Natur nur darin besteht, zu denken und die zum Sein keines Ortes bedarf, noch von irgendeinem materiellen Dinge abhängt, so dass dieses Ich, d. h. die Seele, durch die ich das bin, was ich bin, völlig verschieden ist vom Körper, ja dass sie sogar leichter zu erkennen ist als er …“16 „… sum igitur praecise tantum res cogitans, id est mens, sive animus, sive intellectus, sive ratio, …“17 In der Tat liegt für Descates hier eine „Selbstverständlichkeit“ im tiefsten Sinne des Wortes vor, tatsächlich sind aber hier alle Elemente des Begriffes gegeben, 15 16 17
Soliloquia. 1. 3 [8]. Discours … 4. T. 2 [34]. Meditationes … 2. 6 [21].
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§ 2 Descartes’ „Zweifelsbetrachtung“
welche die Entelechie des Aristoteles enthält: Psyche als Nous, Ousia und Entelecheia. Auch der Idealismus steht ganz im Banne dieser Urformel des abendländischen Denkens: Verstand = Geist = Seele = Wesen = Substantia. Darin zeichnet sich menschliches Sein aus, dass in ihm diese Insignien ineins gehen. Descartes denkt nur darin neuzeitlich, dass er den Grundbestand nicht ontologisch, sondern vom Ich des Phänomenologen her erschließt. Im Denken erfüllt sich dieses Wesen, die Ich-Substantia, so sehr, dass Descartes, wie später auch Kant und Husserl, dieses denkende Wesen nicht nur als ein erkennendes, sondern auch gleich als wollendes auffasst. Es will nicht als wollendes Wesen, es will als denkendes Wesen, als denkende Substantia.18 Aus moderner Sicht könnte man geradezu sagen, dass Descartes einem Kurzschluss zum Opfer gefallen ist; es gilt aber gerade, eine solche Geringschätzung zu vermeiden. Denn hier ist erneut zu bedenken, dass wir ihn zu leicht aus einer zeitlichen Sicht nach Kant verstehen wollen. Es geht ihm daher nicht in erster Linie um eine Vereinbarung von Sein und Erkennen, für den Idealisten muss sich diese Angelegenheit nicht im Aufzeigen, sondern in der Folge befestigen. In der Einkehr des Ich und in der Abkehr von den Sinnen verselbigt sich das Ich völlig mit der Vernunft, die auch die AnimaSubstantia oder der Animus-Intellectus ist. Einen anderen Weg als die Illuminatio des Inbegriffs gibt es für den Idealisten anscheinend nicht. Das Ich bin erklärt sich damit als Ich denke. Dabei gilt es zu beachten, dass der Anfang im Sein meines Bewusstseins gründet, das ich als „ich bin“ erfahre. An dem Absolutum fällt aller Zweifel ab, wobei am Zweifel selber eine Noesis und ein Noema offenbar werden. Indem das Sinnenfällige als Noema wegfällt, verliert aber das zweifelnde Ich auch jede Begründung. Während Husserl die Erscheinung an der Vernunft aufhebt und im Grunde damit gerade die Vernunft erfasst und sichert, lässt Descartes die Erscheinung zunächst gänzlich fallen. Er tut es in der Meinung, dass sich damit das Absolutum ganz von selber herausklärt. Darin liegt letztlich das Brüchige in Descartes’ Zweifel; er hat die ausgesetzte Lage, worin sich das „Ich bin“ vorfindet, gar nicht so angenommen, wie es die Natur des Erkennens fordert. Erkennen zeigt sich durchgehend als unterscheidende Vorstellung, und der vorgestellte Unterschied gehört zu seiner Natur. Indem Descartes mit dem Streichen der Sinne beginnt, deutet sich so etwas wie eine Verstümmelung des Erkennens an. Er nimmt die Mitteilung und wahre Aussage der Sinne nun doch nicht an, weil er die Annahme dieser Botschaft mit einer Seinsgeltung außerhalb des Bewusstseins gleichsetzt. Umgekehrt lässt sich daraus schließen, dass er sich in der Weise seines Zweifelns und in der Form des Begreifens (also methodisch) dem wirklich auszuführenden Zweifel gar nicht überlassen hat. Indem Descartes die Ausläufer des Erkennens fallen lässt, stellt sich sein „Ich bin“ als Residuum „Ich denke“ ein; das „Ich bin“ wird mit dem „Ich denke“ verselbigt. Tatsächlich aber muss ein solches Residuum als ein großes Unbekanntes dastehen, 18 Sed quid igitur sum? res cogitans; quid est hoc? nempe dubitans, intelligens, affirmans, negans, volens, nolens, imaginans, quoque et sentiens.“ Medit. 2. 8 [23].
2. Rückkehr zum metaphysischen Idealismus Augustins
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wenn man es im Verständnis eines Absolutum und einer unmittelbaren Einsicht geltend machen will. Descartes’ „cogito, ergo sum“ ist mir eine unmittelbare Gewissheit, aber gerade dies genügt hier nicht. Denn daraus folgt nicht zwingend, dass sich Sein an sich nach der Vorstellung meines Bewusstseins verhält. Kants Philosophie steht dagegen als Zeugnis, dass es sich anders denken lässt. Indem Descartes nämlich das „Ich bin“ in ein „Ich denke“ einmünden und in ihm völlig aufgehen lässt, hat er sich selber eingekerkert und sich die Möglichkeit genommen, eine Vereinbarung zwischen Sein und Erkennen als „sinnvoll“ und „verständig“ aufzuzeigen. Wie dieser Weg sich entfaltet, bleibt offen; mehr als eine Verneinung kann natürlich hier nicht angegeben werden. Er kann nicht als Abkehr zu Beginn von den Sinnen gehen. Eine Vereinbarung kann sich nicht als unmittelbare Einsicht wie ein Logicum einstellen, sonst wäre alle Philosophie wohl weithin überflüssig. Die unmittelbare Gewissheit mag für den Alltagsverstand genügen, sie genügt auch für mein Handeln und Entscheiden; sie fällt aber sofort unter die philosophische Ebene, wenn ich damit zu erklären beginne. Dass Descartes’ „je pense donc je suis“19 ein Unbekanntes geworden ist, zeigt sich nun daran, dass er aus dieser Einsicht Gott und die Seele als die klarsten aller Ideen erschließt. Diese Überzeugung ist damit noch nicht zum Ausdruck gebracht, dass er sagt: „Ich bin immer der Ansicht gewesen, dass es gerade die beiden Fragen über Gott und die Seele sind, die man eher mit den Mitteln der Philosophie als mit denen der Theologie zu beantworten habe.“20 Aber das Cogito, so wie es Descartes angelegt hat, trägt die Voraussetzungen zum Ontologismus. So wie aus der Existentia am „Ich bin“ der Wesensinhalt erschlossen wird, die angebliche Beweiskraft ist als Wesensaussage zu werten, so werden an der Existentia Gottes und der Seele die Essentia mitgefordert. Ich bin, ich denke, Seele; jede Gleichsetzung enthüllt sich als eine weitere petitio principii, die jeweils einen neuen, unbekannten Inhalt zur Anleihe nimmt. Die Gleichsetzung von Denken, Seele und Substantia entbehrt jeder Einsicht, und sie vermengt zudem noch Philosophisches mit Theologischem. Wenn schließlich aber alles darauf gegründet wird, dass Gott kein Betrüger sein kann, so hat Descartes gerade an der Stelle, wo ein ontologischer oder phänomenologischer Brückenschlag zur Wahrheitsbegründung hätte erscheinen müssen, ein moralisches Empfinden herangezogen.21 Wenn Descartes sagt, cogito, ergo sum, so sagt er das gleiche wie: sum, ergo cogito. Denn es hat eine Verselbigung von Sein und Denken zuvor stattgefunden. Es liegt durchaus nicht auf der Hand, dass ich Denken als den Kern menschlichen Seins erschließen darf. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, so hat Descartes die Umgebung des Seinskerns zuvor gestrichen. Was für Descartes zurückbleibt, ist eine bloße Vernunft als Warte für Gott und die Seele. Aber Descartes hat im Grunde nur als Beweis herangezogen, was in der Überlieferung schon längst
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Discours … 4. T. 1 [33]. Meditationes, Grußwort [2]. Medit. 3. 38 [58].
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gehärtet worden war: Anima intellectiva est forma substantialis.22 Wie Descartes in der Wahrheitsbegründung alles Körperliche zurückweist, so entspricht es seinem Idealismus auch, dass er diese Formel noch weiter einengt.23 „Sum praecise tantum res cogitans.“ Damit ist der für ihn so typische Rationalismus grundgelegt.
3. Die Cogitatio als reines Denken; die Verdrängung der Zone des Gemütes und des „Psychischen“ Das sich in die Vorstellung setzende Bewusstsein entdeckt sein „Ich bin“ in letzter Nervenspitze und im innersten Kern als „Ich denke“. So jedenfalls lehrt die metaphysische Überlieferung. Husserls reines Ich ist ein denkendes Ich.24 „Das: Ich denke muss alle meine Vorstellungen begleiten können …“25. „Ich bin mir aber nicht bewusst, wie ich an mir erscheine, noch wie ich an mir selbst bin, sondern nur, dass ich bin. Diese Vorstellung ist ein Denken, nicht ein Anschauen.“ So Kant.26 Auch wenn Kants Verknüpfung der reinen Apperzeption mit dem transzendentalen Schema und dem empirischen Ich ganz anders zu verstehen ist als Descartes’ Rückzug ins reine Denken, so stimmen alle darin überein, dass die letzte Einheit des Denkens und der „höchste Punkt“ des SelbstBewusstseins27 im Denken als Vorstellung des „Ich bin“ endet. „Das, Ich denke, drückt den Aktus aus, mein Dasein zu bestimmen. Das Dasein ist dadurch also schon gegeben, aber die Art, wie ich es bestimmen, d. i. das Mannigfaltige, zu demselben gehörige, in mir setzen solle, ist dadurch noch nicht gegeben.“28 Auch hier bestätigt sich das „Cogito, ergo sum“, allein die nächste Aussage entzieht schon Descartes’ Fortgang den Boden. Jedenfalls ist die beschriebene Gleichsetzung, die Verselbigung einer Intentionalitas mit einer Identitas im „Ich bin“ ein Factum, mit dem wir uns noch ausführlich zu befassen haben. Hier steht Descartes nur in einem tausendjährigen, gewaltigen Strom des Denkens. Angeblich lautete die ursprüngliche Fassung des „Cogito, ergo sum“ nur „cogitans sum“.29 In ihrer Kürze legt diese Form die Aussage „sum praecise tantum res cogitans“ noch näher. Sie bringt jedoch zum Ausdruck, was die andere mehr verbirgt: Es handelt sich um eine unmittelbare Gewissheit, die so gar nicht in einem echten Schluss aus sich hinausgeht. Kant hat es klar gesehen, dass aus dieser Einheit von Sein und Denken keinerlei Seinssetzung außerhalb des Ichpols abgeleitet werden kann. Es bleibt sich daher gleich, ob ich sage „cogitans sum“ oder „cogito, ergo sum“. 22 23 24 25 26 27 28 29
Thomas Aquinas, S. Theol. 1. 76. 4. S. Anm. 21 Zunächst sei hier nur auf „Ideen 2“, §§ 20 – 22, 30 verwiesen. Kant, Kritik d. reinen Vern. B 132. Ebda. § 25. B 157. Ebda. B 134. Ebda. § 25. B 158 Anm. Hirschberger, Bd. 2. 7. Aufl. S. 93 u. 94.
3. Die Cogitatio als reines Denken
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Als Schluss aufgefasst, habe ich es mit einer petitio principii zu tun; als Intuitio verstanden, habe ich mit dieser unmittelbaren Gewissheit die Ebene des philosophischen Ausdrucks verlassen. Ich kann damit nicht anfangen. Als Schluss aufgefasst, ist damit das principium contradictionis auch schon angewendet. Darin hält sich kein Fehler versteckt. Indem aber Descartes „ich bin“ und „ich denke“ zuvor schon kurzgeschlossen hat, nimmt die Form des Schlusses überhaupt keinen ontologischen Inhalt auf. Descartes müsste hier tatsächlich einen Erfahrungsinhalt verarbeiten, damit der Schluss hinübergreifen kann. Es bedürfte der Erfahrung der Sinne, die er aber unerbittlich eingeklammert hat als bloße Versuchung zur Täuschung. Der Nerv des Beweises, den Descartes führen will, lebt aus dem Unterschied zwischen den vorgestellten Dingen, die er als Erfahrung von außen ansieht, und dem eingeborenen Denken. Damit nutzt er freilich den Gehalt der sinnlichen Noesis, deren Anspruch als Absolutum er bereits anerkannt hatte, nicht aus. Alles Vorgestellte tritt in die Unterscheidung, und darin nistet für ihn (noematisch) die Gefahr der Täuschung so sehr, dass er sich auch Gott als Betrüger vorstellen kann. Mit den Denkgesetzen als principia innata ist diese Gegenüberstellung insoweit ausgeschlossen, dass ich „ich bin“ und „ich denke“ gleichsetze.30 Der beachtliche Unterschied, welcher zwischen dem principium contradictionis und dem principium causalitatis in Bezug auf die Erfahrung, auf das empirische Ich aufkommt, wird dann in der Folge von Descartes übersehen. Beachtet man nämlich, dass die Geometrie und die Mathematik das principium causalitatis gar nicht benötigen, so leuchtet auf, dass dieses weit inniger mit der Erfahrung verflochten ist und nur bei einer inhaltlich bestimmten Erfahrung zur Anwendung kommt. Dagegen erscheint die Erfahrung am principium contradictionis nur als conditio sine qua non, indem dieses Gesetz grundsätzlich immer anwesend ist. Wenn nun Descartes die Mitwirkung der Sinne streichen will, um seine Zweifelsbetrachtung zur Wahrheit zu führen, so hätte er zunächst auch das principium causalitatis mit großer Zurückhaltung behandeln müssen, weil dessen Verbindlichkeit zu sehr mit dem Sinnlichen verknüpft erscheint. An dieser Nahtstelle kommt Descartes’ unzulässiger Sprung zurück in die Sinnlichkeit besonders deutlich zum Vorschein. Er geht hier an Hand des principium causalitatis soweit in die Materie, dass er auch zwischen primären und sekundären Sinneseigenschaften keinen Vorbehalt macht. Es steht für ihn fest durch das lumen naturale, dass es sich bei dem genannten Principium um ein Denkgesetz handelt. Diese feste Gewissheit verleitet ihn aber nun, es an der Erfahrung zu bewähren, wobei ihm Verflochtenes als Absolutum unterläuft. „Nun ist es aber durch das natürliche Licht offenkundig, dass mindestens ebensoviel Sachgehalt in der gesamten wirkenden Ursache vorhanden sein muss wie in der Wirkung eben dieser Ursache.“ Hier liegt also ein Denkgesetz vor. Dann fährt er fort: „… und zwar ist dies nicht nur perspicue verum für Wirkungen, deren realitas 30 Discours … 4. T. 8 [41]. „Denn schließlich dürfen wir uns, ob wir nun schlafen oder wachen, immer nur von der Evidenz unserer Vernunft überzeugen lassen … von unserer Vernunft und nicht von unserer Einbildungskraft, oder unseren Sinnen.“
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actualis oder formalis est, sondern auch bei Vorstellungen (ideis), in denen nur eine realitas obiectiva betrachtet wird. D. h. z. B. ein Stein, der vorher nicht war, kann jetzt nur zu sein anfangen, wenn er von einer Sache hervorgerufen wurde, die alles das in der gleichen oder in einer vollkommeneren Form enthält, …. Auch kann die Wärme auf einen Gegenstand, der vorher nicht warm war, nur von einer Sache übertragen werden, die wenigstens eben den Vollkommenheitsgrad besitzt wie die Wärme selbst.“31 Die Ineinssetzung von Denken und Sein im „cogitans sum“ kann sich nur unter Ausschluss des eigenen Leiblichen halten, was Descartes auch als unerlässliche Bedingung genügend aufgezeigt hat. Dann wird aber das „Ich bin“ als Denken der Seele oder der Geistseele (Animus) aufgefasst. Was nun hier und auch sonst in diesem metaphysischen Ich, im Denken, in der Seele, in der Substantia offen bleibt, ist jener unermessliche, unterschwellige und eigenartig verdrängte Bereich des „Psychischen“, der sich mit Kants „empirischem Ich“ und Husserls „seelischem Ich“ auch nicht in seiner eigentümlichen Gesetzmäßigkeit genügend herausstellen lässt. Das Ausmaß der Verdrängung zeigt sich in Descartes’ Rationalismus besonders stark. Man denke nur an seine Vergleiche zwischen den Tieren und den Maschinen, wonach den Tieren nur ein lebender Mechanismus, jedoch keinerlei „Psyche“ zukommt.32 Nur von dieser Auffassung her lässt sich dann die Seele mit der Vernunft gleichsetzen, und die Vernunft wird dann zu einem Inbegriff von Verstand, Willen und geistigem Gemüt; sie wird kurzerhand „un instrument universel“.33 Hier hält sich, wie nicht anders zu erwarten, eine unausmessbare Dunkelzone, die zwischen der Vernunft und den Sinnen steht, die aber als bloßer Übergang in ihrer grundsätzlich anderen Gegebenheit nicht nur von Descartes zu wenig beachtet worden ist. Aber auch dann, wenn die andere Gegebenheit abgeblendet wird, wie es Husserl später tun wird, wirkt diese Zone als Verwicklung zwischen Verstandesbegriffen und sinnlicher Anschauung. Die Scheidung zwischen der Intellectio und der Imaginatio wird jedoch mit letzter Folgerichtigkeit so durchgeführt, dass das Erkenntnisvermögen in sich natürlich zerrissen wird: „Außerdem finde ich Denkvermögen besonderer Art in mir (facultates specialibus quibusdam modis cogitandi), nämlich die Vermögen der Einbildung und der Empfindung (facultates imaginandi et sentiendi), ohne die ich mein ganzes Ich klar und deutlich denken kann, aber nicht umgekehrt jene ohne mich. Ihr Wesen schließt nämlich einige Grade denkenden Verstehens ein (intellectionem nonnullam in suo formali conceptu includunt), woran ich erkenne, dass sie sich von mir wie die Bestimmungen vom Dinge unterscheiden.“34 Einer solchen Überlegung geht indes ein einschneidender Satz von ungeheurer Kühnheit schon voraus: „Ebendaraus also, dass ich weiß, ich existiere, und einstweilen nur von meinem Denken gewahr werden konnte, dass es zu meiner Natur 31 32 33 34
Medit. 3. 14 [42]. Discours … 5. T. 10 [57]. Ebda. Medit. 6. 10 [98].
3. Die Cogitatio als reines Denken
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oder meinem Wesen gehört, ebendaraus schließe ich mit Recht, dass mein Wesen auch allein im Denken besteht.“35 Wir haben gesehen, dass Descartes die Cogitatio in einem allgemeinen Verständnis von Erkennen gefasst hat. Dies hängt natürlich damit zusammen, dass er „ich bin“ als „ich denke“ bestehen lässt, womit sich dann letztlich alle „intentionalen“ Zuträger des Bewusstseins im Denken versammeln können, hier auch ihren Ursprung nehmen können. Von daher begründet sich auch, dass den Sinnen ebenso in Bezug auf sie als Noesis ein absolutes Sein zukommt. Aber die innere Geschlossenheit der erkennenden Anlage, welche mit dem Einheitsbegriff der Cogitatio zum Ausdruck gebracht wird, hält bei Descartes durchaus nicht stand, wie sich zeigt. Denn er hat den Gehalt nicht nur noematisch, sondern die Anlage hiermit auch noetisch wieder entzweit. Anders als bei Husserl, wo der Zusammenhalt hier gerade maßgeblich wird für die phänomenologische Beobachtung, entlässt Descartes alle „Cogitationes“ wieder. Dies erinnert unter gewissem Vorbehalt an Kants empirisches Ich, welches ja ein zerstreutes ist.36 Damit wird die Frage aufgeworfen, wo die Anlagen unterzubringen sind? Descartes’ ganze Aufmerksamkeit gilt der Vernunftseele als res cogitans, so dass nun auch eine Unterscheidung zwischen sinnlicher Erkenntnis und trieb- oder gemüthafter Sinnlichkeit ganz untergeht. So ist es diesem Denken ja auch eigen, den Willen der Vernunft als dem instrument universel einzugliedern.37 Es ist vor allem die sechste Meditatio, welche über die verschiedenen Gegebenheiten des Bewusstseins abhandelt und die auffällig macht, dass Descartes fast nur zwischen Vernunft und allem übrigen, leibhaftigen Bewusstsein unterscheidet. So kommt es, dass alles „Psychische“ als „in mir“, das Vorgestellte als „außer mir“ voneinander abgetrennt wird: „Abgesehen von Schmerz und Lust aber empfand ich in mir auch Hunger, Durst und andere Begierden dieser Art und ebenso gewisse körperliche Neigungen zur Fröhlichkeit und Trauer, zum Zorne und anderen Affekten; außer mir dagegen empfand ich, abgesehen von Ausdehnung, Figur und Bewegung der Körper, in ihnen auch Härte, Wärme und andere Berührungsqualitäten, ferner Licht, Farben, Gerüche, Geschmäcke und Töne, ….“38 Der grundlegende Unterschied im Bewusstsein, dass mir mein Leib über die Sinneserkenntnis wie jeder andere Leib gegeben ist, dass er mir aber in einer anderen, völlig unvergleichlichen Weise nochmals, erst eigentümlich gegeben ist, wird durch „innen“ und „außen“ in einem schwachen Bild erfasst. „Auch nahm ich nicht grundlos an, dass der Körper, den ich nach einer Art Sonderbefugnis (speciali quodam iure) den 35 „… ex hoc ipso, quod sciam me existere quodque interim nihil plane aliud ad naturam sive essentiam meam pertinere animadvertam praeter hoc solum, quod sim res cogitans, recte concludo meam essentiam in hoc uno consistere, quod sim res cogitans.“ Medit. 6. 9 [98]. 36 „Denn das empirische Bewusstsein, welches verschiedene Vorstellungen begleitet, ist an sich zerstreut und ohne Identität des Subjekts.“ Kritik d. r. Vern. § 16. B 133. 37 Vgl. Medit. 3. 1 [32]. 38 6. 6 [92].
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§ 2 Descartes’ „Zweifelsbetrachtung“
meinen nannte, mir enger angehörte als irgendein anderer.“39 Demgemäß wird dann auch zwischen sinnlich-leiblicher Gemütsbewegung und geistiger Gemütsbewegung keine innere Verwandtschaft und kein organischer Zusammenhang festgehalten, wie aus folgender Bemerkung hervorgeht: „Warum aber auf diese, ich weiß selbst nicht, wie zu beschreibende Schmerzempfindung eine Art Traurigkeit der Seele, warum auf das Lustgefühl eine Art Freude folgt … – dafür konnte ich in der Tat keinen anderen Grund angeben, als dass die Natur es mich so gelehrt habe; denn es ist durchaus keine Verwandtschaft, soviel ich wenigstens einsehe, zwischen dieser Erregung und dem Willen, Speise zu sich zu nehmen, oder zwischen der Empfindung eines schmerzenden Gegenstandes und dem Bewusstsein der Traurigkeit, die aus dieser Empfindung herrührt.“40 Die nach dem Gesichtspunkt „innen“ und „außen“ durchgeführte Abscheidung in der Ichgegebenheit wird nur noch bestärkt, wenn Descartes diese Zonen einfach als die der inneren und äußeren Sinne festhält: „Und in unzähligen anderen solchen Dingen fand ich das Urteil der äußeren Sinne trügerisch und nicht nur das der äußeren, sondern auch das der inneren (iudicia sensuum externorum et internorum); denn was kann es Innerlicheres geben als den Schmerz?“41 Also auch die innerste Gegebenheit des Schmerzes, die doch als Wahrnehmung nichts gleich hat mit einem Gegenstand des Sehens oder Hörens, fällt in die Einheit der Mitteilung trügerischer Sinnlichkeit. Dass dieser innerste Schmerz, der ja sowohl leiblich wie geistig sein kann, mit dem „Ich bin“ weit mehr verwachsen erscheint als eine zufällige Erscheinung, wird anscheinend deshalb nicht bewertet, weil ja auch er in Lust übergehen kann. So bleibt indes nur das reine „Ich bin“ als das „Ich denke“. Es handelt sich hier um eine Abstractio, die so nie erfahrbar ist. Natürlich ändert diese Feststellung nicht das Geringste an der Möglichkeit einer Einsichtnahme, weil jede Wesensschau so vonstatten geht. Diese Reflexio des reinen Ich zeigt sich jedoch als eine einmalige Gegebenheit, weil sich hier zwischen einer Intuitio und einer Abstractio nicht mehr trennen lässt. Aber ist diese Einheit des „reinen Ich“ wirklich die letzte Einheit, die identitas identitatum als letzter Begriff des Selbstbewusstseins, worin alle Zonen und Schichten des Bewusstsein in einer Ichspitze verschmelzen und gründen? Oder ist dieses Ich auch im letzten Begriff ein Zusammenklang von urgegebenen und grundverschiedenen Zonen? Es ist vor allem die Transzendentalphilosophie, welche das „reine Ich“ als Verselbigung von Identitas und Intentionalitas so in Anspruch genommen hat; es ist aber nicht weniger Descartes’ Rationalismus, der dieses durch die Metaphysik des Aristoteles vorbereitete Bewusstsein so versteht.
39 40 41
6. 6 [94]. 6. 6 [95]. 6. 7 [96].
4. Descartes’ „res cogitans tantum“ als reines Ich
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4. Descartes’ „res cogitans tantum“ als reines Ich Alle Fragen, die Descartes für uns aufwirft, begegnen sich an dem so entdeckten reinen Ich, wo Sein und Denken sich gegenseitig austauschen. Tatsächlich scheint hier der transzendentale Punkt aller Richtungen zu liegen: Idealismus, Realismus und Transzendentalismus treffen sich da an einem Quell. Aber nicht nur das. Dieses reine Ich trägt das „Wundersame“ an sich, dass es sich als die Übereinkunft von Reflexio, Intuitio und Abstractio erschließt. Darin liegt sicherlich die Überzeugungskraft, die es an Descartes vermittelt hat; darin behauptet sich aber auch die Geschlossenheit der Transzendentalphilosophie. Daraus bekundet sich dieser Quell aber auch schon im Ursprung als eine Weiche zu verschiedensten Ergebnissen, und die Anlagen zu den Auseinandersetzungen verbergen sich in dem scheinbar so reinen Ich, der res tantum cogitans. Für Descartes gehen hier Conclusio und Intuitio ineins: Cogito, ergo sum oder cogitans sum. Damit ist für ihn der Angelpunkt gefunden, womit er den transzendentalen Zweifel erledigt. Im „reinen Ich“ aber bleibt nach wie vor eine ganze Philosophie verborgen, die es zu erschließen gilt. Von diesem festen Punkt aus holt Descartes den Realismus Zug um Zug wieder zurück. Aus der Einheit von Sein und Denken im reinen Ich schließt Descartes nun, dass in den Körperdingen allein kein Denken zu Hause sein kann.42 Die gesamte sinnenhafte Anlage, welche zuvor abgesondert worden war vom reinen Ich, um dieses als Einheitsgrund zu entdecken, darf jetzt innigst mit ihm verbunden werden, damit die Wahrheit ihres abbildenden Gleichnisses vertreten werden kann. Er muss indes bei seiner Beweisführung einen im Grunde nicht vertretbaren, unmittelbaren Bezug zu Gott nehmen, der kein Betrüger sein kann.43 Streng genommen verdreht hier Descartes das Verhältnis von Beweisgrund und Beweisfolge. Die Übereinstimmung von Sein und Erkennen, näherhin hier von sinnlichem Abbild und sinnlicher Gestalt an sich, kann nicht durch Hereinnahme eines ethischen Beweggrundes gestützt werden. In Descartes’ Rationalismus dürfte ein Ontologicum nicht aus einem Ethicum begründet werden. Vor allem deshalb nicht, weil nicht aufgezeigt ist, dass eine Kluft jenseits des Seins der Sinne mit der Güte Gottes unvereinbar ist. Wir haben es hier mit einer Denkweise zu tun, die im Idealismus nicht selten ist. Die Ausgangsgründe des Idealismus sind indes andere als die der Philosophie Platons, wo Ethik als Ontologie entwickelt wird. Vor allem ist jedoch hier darauf zu achten, dass Descartes auf diese Weise keineswegs sich von dem Leuchtturm, auf den er sich im Meer des Zweifels eingefunden hat, wieder freisetzen kann. Denn das reine Ich muss nun jene Materie, die es zuvor verworfen hat, als Brückenschlag verwenden. Alles was sich an mathematischem Gehalt in der Materie retten lässt, darf sofort als Gerüst für sinnliches Gebilde angesetzt werden. Dabei kommt dem Idealisten natürlich sehr zugute, dass er seine 42 Diese Feststellung wird schon getroffen, bevor er auch das Vertrauen zu den Sinnen ausgesprochen hat. Medit. 6. 10 [100]. 43 6. 10 [100].
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§ 2 Descartes’ „Zweifelsbetrachtung“
reinen Formen nicht durch Abstractio aus der sinnlichen Materie, sondern durch Intuitio, durch Wesensschau oder Eidetik nach Husserl, gewinnen kann. Dennoch trennt Descartes zwischen einem geometrischen Ideal und dem rein mathematischen Verhältnis, um ganz sicher wieder von innen nach außen zu kehren: „… aber wenigstens all das ist in ihnen wirklich vorhanden, was ich klar und deutlich denke, d. h. alles das, ganz allgemein betrachtet, was zum Inbegriffe eines Gegenstandes der reinen Mathematik gehört.“44 So bedeutet denn das Tausendeck noetisch ein ganz anderes Verhältnis als das Dreieck, weil ich mir von ersterem auch kein Bild in abstracto machen kann. Insgesamt beruht die Rückgewinnung der Sinnlichkeit auf dem tragenden Grund der beiden Ideen Seele und Gott. Allein die Seele als reines Denken und damit als reines Ich wandelt sich unversehens, indem sie aus der rein logischen Sphäre, in die sie sich zurückgezogen hat, nun unvermittelt eine ontologische Anleihe macht, die es jedoch gerade zu beweisen im Sinne eines Aufzeigens gilt. Es geschieht indes nur mit der Idee Gottes, der kein Betrüger sein kann. Dies reicht also nicht hin, um das Ich jetzt wieder als eine unio mentis et corporis zu entdecken, da die Einheit, die den absoluten Grund liefern musste, ja zuvor aufgelöst und anders gefasst worden war.45 Mag Descartes’ Cogito auch nicht genügen, um das Vorhaben abzustützen; darin wird heute auch keiner mehr seine Bedeutsamkeit sehen. Es geht doch darum, dass man in seiner „Zweifelsbetrachtung“, wie Husserl sie nennt46, die Zeichen der Zeit verstehen lernt. Das Cogito steht als Anzeichen oder Wahrzeichen dafür, dass die Grundmauern einer naiven Voraussetzung erschüttert sind. Seit Kant scheint aber diese Zeitstrecke Descartes – Kant auch schon wieder zu Ende zu sein. Seit Husserl das transzendentale Bewusstsein nun endgültig verschlossen hat, waltet eine stillschweigende Vereinbarung. Entweder steht man auf der einen Seite oder auf der anderen, oder aber man umgeht in neuen fruchtbaren Denkanstößen geschickt diese bodenlose Kluft. Die Entscheidungen liegen hier, und solange hier nicht angesetzt wird, lebt zumindest die Metaphysik mit einer unbewältigten Vergangenheit seit Descartes. Descartes steht als Mahnmal. Bleiben wir im Vergleich mit dem Psychischen: Eine unbewältigte Vergangenheit verhindert letztlich echten Fortschritt. Es kommt zu Geschäftigkeit, es geht in die Breite; vor allem aber werden kleine Verbesserungen am Althergebrachten unternommen. Liegt es einfach daran, dass die philosophia perennis nur in einer seinsgläubigen und einmütigen Gesellschaft wie das christliche Mittelalter gedeihen kann? Verschwinden dann die Aussichten mit den Aussichten auf eine solche Gesellschaft? Diese Überlegung wird indes schon durchkreuzt von der Tatsache, dass die großartige Metaphysik des Mittelalters gar nicht in dieser Gesellschaft entstanden ist. Und damit kommen wir zu einem Ergebnis: Es bleibt bei der unbewältigten 44
6. 10 [100]. 6. 13 [102] Descartes nennt jetzt das Ich arctissime coniunctum et quasi permixtum mit dem Leibe. 46 Idee d. Phänomenologie. (Husserliana; 2). S. 4, 24. 45
4. Descartes’ „res cogitans tantum“ als reines Ich
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Vergangenheit seit Descartes. Seine Ablehnung seitens der Neuscholastik ist eine Ablehnung der Herausforderung, und die Transzendentalphilosophie steht nun als einziges, aber gewaltiges Hindernis sperrig auf dem Wege. Scheinbar ist inzwischen auch Husserls Phänomenologie überholt, scheinbar auch dieser Standpunkt verschüttet.47 Dies mag für alle die zahlreichen Strömungen der neuesten Zeit richtig sein, aber nur deshalb weil sie ohnehin kein bedeutendes Erbe zu beanspruchen haben. Die alte Metaphysik hat in ihrer Bestimmung die Auseinandersetzung mit der Transzendentalphilosophie; anders geht es nicht weiter.
47
Bollnow, Otto F.: Philosophie der Erkenntnis. 1970. S. 37.
§ 3 Husserls Kritik an Descartes 1. Descartes’ „Cogito“ als empirisches oder psychisches Erlebnis In Husserl vollendet sich der Denkweg Descartes’; in Husserl schließt sich aber auch die Transzendentalphilosophie Kants völlig. Er steht da, wo sich zwei verschiedene, geradezu gegensätzliche Absichten kreuzen, und er führt so beide mit letzter Folgerichtigkeit zu Ende. Darin liegt seine große Bedeutung für eine Begründung der Philosophie überhaupt, die sich aus den möglichen Einstellungen des philosophischen Bewusstseins zu seiner Welt mehr und mehr vorbestimmt und sich letztlich auf die „phänomenologische Reduktion“ einengt. Damit wird aber auch noch der Zweifel des Descartes „in Klammer gesetzt“ und „ausgeschaltet“. Die phänomenologische Reduktion und Descartes’ Cogito beleuchten sich gegenseitig; man lernt Husserls großen Gedanken verstehen, man sieht das Unzureichende an Descartes’ Brückenschlag, um den Realismus der alten Metaphysik zurückzugewinnen. Warum Descartes auf halbem Wege stehen geblieben ist, wird in der Krisis-Schrift erklärt.1 „Auf sein Ziel verschossen“ hat er „gerade das Bedeutsamste nicht herausgeholt, was er im „Ego“ der Epoché gewonnen hatte, …“. Nach Ausschaltung des Leibes und der sinnlichen Welt überhaupt „bestimmt sich für Descartes das Ego als mens sive animus sive intellectus.“ „Ist hier Descartes nicht schon im voraus beherrscht von … dem Unterschied des bloß sinnlich Erfahrbaren und dessen, was als Mathematisches Sache eines reinen Denkens ist? Ist ihm nicht schon selbstverständlich, dass die Sinnlichkeit auf ein an-sich-Seiendes verweist, nur, dass sie täuschen kann, und dass es einen rationalen Weg geben muss, dies zu entscheiden und das An-sich-Seiende in mathematischer Realität zu erkennen? Aber ist das alles nicht in eins durch die Epoché eingeklammert, und zwar selbst als Möglichkeit?“2 Nur das Ego darf bleiben als „absolutes Sein“, welches „nulla re indiget ad existendum“.3 Wir haben oben gesagt, dass Descartes auf seinem Weg des Zweifels die Geltung des Logischen gar nicht in Frage gestellt hat. Mithin bleibt die gesamte Mathesis universalis (Husserl) auch erhalten. Das bedeutet für unseren Einwand gegen das 1
Husserl, Edmund: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. 2. verb. Aufl. Hamburg 1982. (Philos. Bibliothek; 292). Zit.: Krisis. 2 Krisis, § 18. 3 Husserl, Edmund: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. 1. Haag 1950. (Husserliana; 3). Zit.: Ideen 1. S. 115.
1. Descartes’ „Cogito“ als empirisches oder psychisches Erlebnis
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Cogito, dass die logische Geltung von einem ontologischen Inhalt unterlaufen worden ist, wenn nun Descartes von da aus die Wirklichkeit als Transzendenz zurückerschließt. Husserls Einwand dürfte aber noch etwas weitergehen: Der Unterschied von logischem Gehalt, von geometrischer Körperwelt und dem Sinnlichen in seiner augenblicklichen Anfälligkeit ist in seiner selbstverständlichen Geltung auch noch einzuklammern. Nicht genug; die Seele bleibt dann immer noch als „Residuum einer vorgängigen Abstraktion des puren Körpers“, und damit ist die Epoché psychologisch verfälscht, bzw. von der „verborgenen Doppeldeutigkeit“ nicht gereinigt.4 Erst nach Einklammerung der Seele wie der des Leibes auch bleibt das Ego nicht mehr als letztes „Residuum der Welt“ zurück, sondern als die einzige „absolut apodiktische Setzung“.5 „Also das ist es, was als das gesuchte „phänomenologische Residuum“ übrig bleibt, übrig, obwohl wir die ganze Welt mit allen Dingen, …, uns selbst inbegriffen, „ausgeschaltet“ … haben. Wir haben eigentlich nichts verloren, aber das gesamte absolute Sein gewonnen, …“6 Descartes vermochte den Parallelismus von innerer und äußerer Erfahrung nicht zu überwinden. „Ich kann aber auch, indem ich wahrnehme, rein schauend auf die Wahrnehmung hinblicken, auf sie selbst, wie sie da ist, und die Beziehung auf das Ich unterlassen, oder von ihr abstrahieren: dann ist die schauend so gefasste und begrenzte Wahrnehmung eine absolute, jeder Transzendenz entbehrende, gegeben als reines Phänomen im Sinne der Phänomenologie.“7 Indem Descartes das Ich als psychisches Ich auffasste, gelangte er gar nicht in die reine Region des Schauens, wo erst die Gegensätzlichkeit von Seele und Welt sich aufhebt in einer transzendentalen Intentionalität. „Das ursprüngliche Problem war das Verhältnis zwischen subjektiv psychologischem Erlebnis und der in ihm erfassten Wirklichkeit an sich, zunächst der realen Wirklichkeit und weiter auch der mathematischen und sonstiger idealer Wirklichkeiten. Der Einsicht bedarf es zuerst, dass das radikale Problem vielmehr gehen muss auf das Verhältnis zwischen Erkenntnis und Gegenstand, aber in reduziertem Sinn, wonach nicht von menschlicher Erkenntnis sondern von Erkenntnis überhaupt, ohne jede existenziale Mitsetzungsbeziehung, sei es auf das empirische Ich oder auf eine reale Welt, die Rede ist.“8 Der Gedanken, auch von dem die Erkenntnis vollziehenden Ich abzusehen, scheint nun doch überzogen zu sein. So müsste doch auch noch die Intentionalität überhaupt untergehen, womit die Beziehung unvollziehbar würde. Vielleicht hat Husserl das Verhältnis etwas zu scharf ausgedrückt. Die nähere Darstellung zeigt jedoch, dass damit nicht jenes „Ich denke“, welches nach Kant „alle meine Vorstellung begleiten muss“, aufgehoben 4
Krisis, § 18. Ebda. 6 Ideen 1. S. 118 – 119. 7 Idee der Phänomenologie. S. 44, 33. 8 Ebda. S. 75, 32; vgl. a. die ausführliche Darstellung in: Phänomenologische Psychologie. Hrsg. von Walter Biemel. Den Haag 1962. (Husserliana; 9): Ergänzende Texte. A. Der Encyclopaedia Britannica Artikel. 4., letzte Fssg. II. S. 287 ff.; Amsterdamer Vorträge. II. S. 328 ff. 5
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§ 3 Husserls Kritik an Descartes
werden soll. Es geht darum, das „empirische, seelische Ich“ in seiner Weltverhaftung fallen zu lassen, weil ich sonst aus dem Psychologismus nicht herauskomme. Damit habe ich aber nur eine innere Entsprechung zur naturwissenschaftlichen Weltgewissheit. Hier ist Descartes stehen geblieben, indem er die seelische Sphäre, deren er sich ja so unmittelbar gewiss ist, gar nicht dem Zweifel übergeben hat. Aber damit wird der Zweifel wirkungslos und zum Kreislauf, denn mit dem Zweifel kann ich gar nicht anfangen; es geht doch darum, dass sich der Zweifel an der absoluten Gegebenheit auflöst. Was die Gegebenheit des reinen Ich im Unterschied zum seelischen Ich betrifft, so enthält sie freilich noch andere Ansichtsseiten, woran die Phänomenologie wohl noch zu wenig geprüft worden ist. In ihrer Zuwendung zum reinen Verhältnis von Erkennen und Gegenstand trifft sie jedoch genau das Grundanliegen einer zum Bewusstsein hin gewendeten Seins- und Wahrheitsbegründung, welches Descartes nicht erreicht hat. Dass seelisches Ichsein auch in die Klammer der Seinsgeltung zu setzen ist, erhärtet sich schon daran, dass wir es hier mit der innigsten Verwachsenheit von Leib und Psyche zu tun haben, wobei wir mit Psyche das Bewusstsein, nicht die Seele zu verstehen haben. Dass der eigene Leib als Gegenstand der Wahrnehmung ein Fremdkörper bleibt, gehört aber zur ursprünglichen Gegebenheit in der phänomenologischen Reduktion: „Aber ist das alles nicht ineins durch die Epoché eingeklammert und zwar selbst als Möglichkeit?“9 Darin liegt das überraschend zwingende des Ansatzes: Indem Husserl die seelische Scheidung, die sich bei Descartes als letztes Residuum noch erhalten hat, auch noch in die Klammer setzt, muss er nichts mehr dem Zweifel aussetzen, er „hat nichts verloren“, weil ihm dabei gar keine Seinssetzung mehr sich unterschieben kann. „Tue ich so, …, dann negiere ich diese Welt also nicht, als wäre ich Sophist, ich bezweifle ihr Dasein nicht, als wäre ich Skeptiker; aber ich übe eine im eigentlichen Sinn „phänomenologische Epoché“ …“10 Husserls Ansatz ist darin unbestechlich und unüberholbar; man möchte ihm eine zeitlose Gültigkeit zusprechen, wenngleich eine große philosophische Vorgeschichte nötig war, um diesen genial einfachen Gedanken zu finden. Betrachtet man die Dinge so, dann muss man anderer Meinung sein als Bollnow: „Auch bei Husserl bleibt eine folgenschwere überlieferte Voraussetzung erhalten, die sich bei genauerer Betrachtung als nicht haltbar erweist und die jetzt ebenfalls korrigiert werden muss. Dies ist der Ausgang von der theoretischen Haltung, von der reinen Betrachtung.“11 Den Ausgang von der reinen Betrachtung wird man schwerlich in Frage stellen können. Man muss doch wohl in ihr die letzte Möglichkeit des Philosophen schlechthin anerkennen, will man nicht zu Beginn schon eine Anleihe bei einer Behauptung machen. Unüberholbar, nicht unhaltbar ist für uns Husserls Standpunkt geworden, weil jede Absicht, Seiendes philosophisch zu beschreiben, nun auf diese Eingründung angewiesen ist, wenn sie nicht in ge9
Krisis, § 18. Ideen 1. S. 67. 11 Bollnow, Otto F.: Philosophie der Erkenntnis. Stuttgart 1970. S. 37.
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2. Descartes’ Reflexion des reinen Ich
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schichtlicher Rückständigkeit verharren will oder sich mit einer Teillösung von vornherein abfinden will. Husserls Epoché lässt die Welt neu als absolute Setzung des Bewusstseins entspringen, womit sich nun alles umkehrt, wenn man zum ursprünglichen Anliegen bei Descartes zurückblickt. Was jetzt als Evidenz schlechthin zurückbleibt, ist die „Intentionalität, die das Wesen des egologischen Lebens ausmacht. Ein anderes Wort dafür ist „cogitatio“, z. B. das erfahrend, denkend, fühlend, wollend etwas Bewussthaben usw. …“12 Von dieser Eingründung her ergeben sich die „Phänomenologie der Vernunft“, der eigenartige Inhalt des „Wesens“ als ein völliges Umdenken gegenüber den überkommenen Bedeutungsgehalten.
2. Descartes’ Reflexion des reinen Ich schöpft die Gegebenheit des transzendentalen Ego nicht aus Wir haben bei Descartes von einem „reinen Ich“ gesprochen, wenngleich diese Wortwahl von ihm selber nicht verwendet worden ist. In Bezug auf die Festlegung des Cogito, die von ihm getroffen worden ist, hielten wir es für berechtigt, diesen Ausdruck zeitlich im Voraus von Husserl zu entlehnen. Wir finden in Descartes’ „mens sive animus sive intellectus“ genau dieselben Züge wie in Husserls reinem Ich. Das Wenige, was wir von Husserls Einwand gegen Descartes zusammengerafft haben, scheint aber doch unsere Feststellung in Abrede zu stellen. Denn nach Husserls Begrifflichkeit müsste man doch annehmen, Descartes habe das transzendentale Ego in seiner Reinheit mit leibseelischen, also mit „psychisch“ Erlebnishaftem vermischt: „In der verhängnisvollen Form einer Unterschiebung des eigenen seelischen Ich für das Ego, der psychologischen Immanenz für die egologische Immanenz, der Evidenz der psychischen „inneren“ oder „Selbstwahrnehmung“ für die egologische Selbstwahrnehmung wirken sich die „Meditationen“ bei Descartes aus und wirken sie historisch fort bis zum heutigen Tage.“13 Um diesen Einwand richtig zu erfassen, muss man aber zunächst einmal und ihm zuwider davon ausgehen, dass Descartes’ Zweifelsbetrachtung das reine Ich tatsächlich erreicht hat, wie auch zuvor von Husserl eingeräumt worden ist: „Descartes’ Selbstmissdeutung: die psychologische Verfälschung des durch die Epoché gewonnenen reinen Ego.“14 Es verhält sich deshalb keineswegs so, dass Descartes die „innere“ psychische Wahrnehmung nicht ebenso wie die äußere sinnenhafte Wahrnehmung vom reinen „cogito“ als Denken abgestrichen hätte. Der Einwand Husserls ergeht natürlich bereits aus dem Selbstverständnis der transzendentalen Reduktion, und hier stellt er sich so dar, dass Descartes’ Reflexion zwar das reine Ich in den Begriff bekommt, dass diese Reflexion jedoch aus der 12 13 14
Krisis, § 20. Krisis, § 19. Krisis, § 18. Überschrift.
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§ 3 Husserls Kritik an Descartes
psychologischen Sphäre gar nicht hinauskommt. Das bedeutet, dass die Reflexion sich nicht zur transzendentalen Reduktion, das reine Ich sich nicht zum transzendentalen Ego ausweitet. Es reicht nicht hin, dass Descartes sich am reinen Ich festmacht. Genau genommen verkürzt sich jetzt die Epoché Descartes’ nach zwei Richtungen. Die Zweifelsbetrachtung löst sich einerseits nach außen nicht völlig von einem letzten Rest an mathematisch-logischem Realismus. Darum Husserls Bemerkung, dass Descartes die gesamte Mathesis universalis gar nicht eingeklammert habe. Erst in der anderen Richtung klärt sich auf, wie er zu dem Vorwurf kommen kann, Descartes habe das reine Ich „psychologistisch verfälscht“. Indem Descartes das Sein mit dem Denken im cogitans sum des reinen Ich verselbigt und dieses Denken aber als Seinsgesetze in der Welt in Geltung sein lässt, bleibt er, wie schon gezeigt, auf halben Wege stehen: „Ist ihm nicht schon selbstverständlich, dass die Sinnlichkeit auf ein an-sich Seiendes verweist, nur, dass sie täuschen kann, und dass es einen rationalen Weg geben muss, dies zu entscheiden und das An-sich-Seiende in mathematischer Rationalität zu erkennen? Aber ist das alles nicht ineins durch die Epoché eingeklammert, und zwar selbst als Möglichkeit?“15 So ist Descartes’ reines Ego in der Tat ein Residuum von Welthaftigkeit geblieben, so dass reines Ich auch in scheinbar gleichem Begriff doch nicht gleich reines Ich sein muss. Allein damit wird jener Vorwurf einer nicht genügenden Absonderung bzw. Einklammerung des seelischen Ich noch nicht genügend durchsichtig, wenn man sich erinnert, dass Descartes auch Lust und Schmerz vom reinen Ich gestrichen hat. Selbst wenn Descartes dieses logische Instrumentarium, welches untrennbar zur Selbsterscheinung des denkenden Ich gehört, folgerichtig von jeder heimlichen Seinsgeltung in der Welt abgehalten hätte, so hätte Descartes damit noch nicht das eigentliche Ausmaß der transzendentalen Reduktion damit erreicht. Denn erst jetzt vollzieht sich die entscheidende Wende. Indem ich also auch das Logische in die Klammer hereinnehme, hat der Zweifel keinen Gegenstand mehr übriggelassen, und erst jetzt enthüllt sich das transzendentale Ego einer voraussetzungslosen Beschreibung. Es sind jene Noesen der Sinnlichkeit, die Descartes in ihrer transzendentalen „Intentionalität“ schon erfasst hatte, um sie wieder fallen zu lassen, die nun den Ansatz zur absoluten Gegebenheit liefern können. So gesehen in der Weite des transzendentalen Ego zeichnet sich dann Descartes’ Zweifel tatsächlich als ein Haftenbleiben im psychischen Bereich ab, welches eben deshalb über die Kluft zwischen innen und außen nicht hinwegkommt. Husserls Transzendentalismus löst den Restbestand eines unbewältigten An-sich und als unbekanntes Jenseits auch noch auf. Erst jetzt erscheint er gereinigt von dem unausrottbaren, überkommenen Parallelismus zwischen Psyche mit Psychologie einerseits und Natur mit Naturwissenschaft andrerseits, der sich nur als andere Ansicht des Realismus durchschauen lässt. Da damit auch die Rahmenbedingung für Husserls „Phänomenologische Psychologie“ eingeholt ist, wird nochmals deutlich, dass sich hier alles umkehrt gegenüber Descartes’ „Meditationes“. So gesehen liegt 15
§ 18.
2. Descartes’ Reflexion des reinen Ich
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die Scheidung in ein reines und in ein seelisches Ich bei Husserl letztlich nicht mehr in dieser transzendentalen Ebene. Für das transzendentale Bewusstsein oder Ego bildet die Unterscheidung nach Vernunft und Sinnlichkeit nur eine „noetische Modifikation“ innerhalb der Sphäre. Bewusstsein darf so mit Psyche gleichgesetzt werden, worin Natur und Psyche nun innerhalb der transzendentalen Psyche als noetisch-noematische Gegebenheiten zu untersuchen sind. Es sind „Titel“ einer Selbstoffenbarung des geschlossenen Bewusstseins. Husserls Einwand gegen die „psychologistische Verfälschung“ ist damit immer noch nicht in seiner letzten Gründlichkeit angenommen. In ein gewisses Dunkel hüllt sich noch jene kaum nachvollziehbare Erkenntnis des Phänomenologen, die da sagt: „Erst recht war ihm natürlich unzugänglich die Erwägung, dass das Ego, so wie es in der Epoché als für sich selbst seiend zur Entdeckung kommt, noch gar nicht „ein“ Ich ist, das andere oder viele Mit-Iche außer sich haben kann.“16 Geht denn damit Husserl nicht auch noch über seine eigenen Voraussetzungen hinaus und scheint damit nicht auch noch die Selbstauflösung des reinen Ich gefordert zu werden? Man möchte es auch so aufzeigen: Denkt Husserl damit an eine allgemeine Zone des Erkennens, so wie Schopenhauer es tut? Dann wäre das einzelne Ich nur als Vollzieher in diese Zone eingeschaltet und eben damit als Ich-Selbst oder Identitas gerade wieder ausgeschaltet? Damit werden indes Fragen aufgeworfen, die letzte Eingründungen und Einstellungen der Phänomenologie selber in Frage stellen. Sie sind an der Auseinandersetzung mit Descartes nicht angreifbar und von Husserl selber auch hier nicht beabsichtigt. Für uns aber ergibt sich hier die neue Aufgabe, die uns weiterführen soll. Husserls reines Ich wird zunächst einmal als einsames Ego begriffen, es steht als Solipsismus da; dies wird von ihm selber auch nicht bestritten. Desto mehr muss also jener Einwand, der ein „ichloses“ Bewusstsein fordert, in einer unlösbaren Spannung stehen bleiben. Seelisches Ich, reines Ich und transzendentales Ego. Dass sich hier alle Unterscheidungen und alle Entscheidungen zur Phänomenologie zusammendrängen, darf jetzt wohl erwartet werden.
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§ 20.
§ 4 Der neue „Sinn“ der Cogitatio in der phänomenologischen Reduktion 1. Die Sphäre des „reell Immanenten“ und der „absoluten Gegebenheit“ Im reinen Phänomen des Erkennens, in der Erkenntnis als Gegebenheit lässt sich letzte Ursprünglichkeit einholen. Von hier aus muss Erschließung beginnen. Dies ist auch unser Anliegen. Dass damit die volle Wirksamkeit des Bewusstseins nicht erfasst ist, steht als offenbare Tatsache; allein damit wird der Anfang in seiner Eingründung nicht hinfällig. Unsere Untersuchung hat die phänomenologische Reduktion von innen her mit zu vollziehen, denn anders kann sie sich nicht erschließen und in dieser Eingründung ist sie nicht aus den Angeln zu heben. Die transzendentale Reduktion entfaltet in sich auch noch die phänomenologisch-psychologische Reduktion, und damit urteilt sich die Reduktion in eine weitere Möglichkeit innerhalb. Es ist genau zu prüfen, ob Husserl die innere Unterteilung des Bewusstseins in seiner Doppelgründigkeit voll angenommen hat. Er muss sie annehmen, um „Intersubjektivität“ begründen zu können, wie noch zu zeigen ist. Aber hat er auch im übrigen die Folgen angenommen, die sich dann einstellen und ihre Anerkenntnis verlangen? Die Möglichkeit, hier anders zu beobachten und dann anders zu denken, muss darauf zurückführbar sein, wie diese Doppelgründigkeit im Bewusstsein gegeben ist, wie weit sie sich zum Gegenstand einer phänomenologischen Betrachtung machen lässt. Je nachdem wird sich dann eine Ur-Teilung in der transzendentalen Reduktion ergeben, die eine andere Weiche legt. Hat Husserl die Psyche in ihrer alten, überkommenen Erblast einfach übernommen? Es geht darum, ob diese „Psyche“ für einen philosophischen Neubeginn überhaupt noch verwendbar ist oder ob dieses griffige Einheitsmodell nicht die allerwichtigsten Aufschlüsse im Bewusstsein überlagert. Das Phänomen ergibt sich als „cogitatio“, und dabei zeigt sich schon, was für die Reduktionen zu einem maßgeblichen Grundzug wird. Schaltet man die Seinsgeltung aus, so wäre es durchaus möglich, mit dem Noema zu beginnen, darauf das Gewicht zu legen. Das heißt, den Gegenstand als solchen in seinem Fortgang im Vorgang des Erkennens zu beschreiben. Natürlich kann sich nur eine Entwicklung des Sachverhalts in der Sphäre einstellen, wenn dieses „Ding“ nun immer im Rückbezug auf sein jeweiliges Fassungsvermögen sich entfaltet. Aber Husserl legt eben das ganze Gewicht der Gegebenheit in die Noesis, das dem Gegenstand entsprechende jeweilige Vorstellungsvermögen. Cogitatio meint die Vorstellung, ihr „Erlebnis während des Erlebens“; „das schauende direkte Erfassen und Haben der cogitatio ist schon ein Er-
1. Sphäre des „reell Immanenten“ und der „absoluten Gegebenheit“
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kennen, die cogitationes sind die ersten absoluten Gegebenheiten“, indem ich mich „in schlichter Reflexion“ darauf richte.1 Hier ist auch gleich zu bemerken, dass Husserl die Cogitatio so weit fasst, wie schon Descartes es getan hat. „Als Ausgang nehmen wir das Bewusstsein in einem prägnanten und sich zunächst darbietenden Sinne, den wir am einfachsten bezeichnen durch das cartesianische cogito, das „Ich denke“. Bekanntlich wurde es von Descartes so weit verstanden, dass es mitumfasste jedes „Ich nehme war, Ich erinnere mich, Ich phantasiere, Ich urteile, fühle, begehre, will“ und so alle irgend ähnlichen Icherlebnisse in den unzähligen fließenden Sondergestaltungen. Das Ich selbst, auf das sie alle bezogen sind, oder das „in“ ihnen in sehr verschiedener Weise „lebt“, tätig, leidend, spontan ist, rezeptiv und sonstwie sich „verhält“, lassen wir zunächst ganz und gar außer Betracht, und zwar das Ich in jedem Sinne, in dem es der rein psychologischen Sphäre verbleibt.“2 Man mag diese Festlegung für den Anfang und den Verlauf annehmen; wir können aber nicht umhin zu fragen, ob hier nicht schon eine denkwürdige Verwicklung vorliegt, die dann später, wenn es gerade darauf ankommt, nicht mehr genügend beachtet wird. Gewiss kann ich mein „Begehren“ und „Wollen“ als eine Cogitatio so betrachten wie mein Sehen, Hören und Urteilen. Wenn ich aber das Ich außer Betracht lassen soll, soweit es der rein psychologischen Sphäre angehört, dann muss ich hier zumindest fragen, ob dabei nicht die sehr feine Unterscheidung verschiedenartiger Gegebenheit übersehen worden ist. Wenn das Wollen und Begehren außer seinem Inhalt als cogitatio noch einen ganz anderen Bezug im Bewusstsein hat, dann könnte gerade diese Gegebenheit die „Sphäre sprengen“. Jedenfalls wäre hier Vorsicht geboten mit der „Cogitatio“, in „schlichter Reflexion“ wäre dann gerade nicht alles in das Ineins einer absoluten Gegebenheit zu fassen. Diese Überlegung soll zurückgehalten werden bis zur gegebenen Stelle. Von jetzt an entfaltet sich die Methode als das „Erfassen des Sinnes der absoluten Klarheit des Gegebenseins.“3 Die „reale Immanenz“ schließt als Bezugspunkt die „reale Transzendenz“ mit ein. Dem zu Folge löst sich das Reale überhaupt auf, und wir erhalten in der Einklammerung aller Seinsgeltung eine reelle Immanenz mit einer zu ihr verträglichen „reellen Transzendenz“. Reelle Immanenz und absolute Gegebenheit stellen sich als die Grundsteinlegung heraus. Ihr Gehalt und ihre Reichweite sind voneinander abzugrenzen, denn aus ihnen leitet sich die Verklammerung des Wissens der darauf folgenden, höheren Schichten ab. In einer Art transzendentaler Vorbetrachtung lässt sich der Unterschied zwischen dem „immanenten Sein“ und der „Dingwelt“, die im „Erlebnisstrom“ des immanenten Seins gegeben ist, erschließen. Auch wenn jede Cogitatio intentional mit einem jeweiligen Cogitatum verflochten ist, so hält sich gerade am ständigen Wechsel des „Abgeschatteten“ die Reinheit der Erlebnisseite durch.4 „Der Thesis der 1 2 3 4
Idee d. Phänom. S. 4, 25 – 29. Ideen 1. § 34. S. 75, 9 ff. Idee d. Phänom. B. S. 9. Die Dinge sind in der Dingwahrnehmung immer „abgeschattet“ gegeben. Näheres folgt.
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§ 4 Der neue „Sinn“ der Cogitatio
Welt, die eine „zufällige“ ist, steht also gegenüber die Thesis meines reinen Ich und Ichlebens, die eine „notwendige“ schlechthin zweifellose ist.“5 „Im Wesen eines reinen Ich überhaupt und eines reinen Erlebnisses überhaupt gründet die ideale Möglichkeit einer Reflexion, die den Wesenscharakter einer evident unaufheblichen Daseinsthesis hat“.6 Auf diesem Wege gelangt der Phänomenologe dann zu dem Ergebnis, in das er die transzendentale Reduktion eingründet: „Das immanente Sein ist also zweifellos in dem Sinne absolutes Sein, dass es prinzipiell nulla „re“ indiget ad existendum. Andrerseits ist die Welt der transzendenten „res“ durchaus auf Bewusstsein, und zwar nicht auf ein logisch erdachtes, sondern aktuelles angewiesen“.7 Auf diese Gegenüberstellung und den daraus abgeleiteten Schluss ist besonders zu achten, denn hier bieten sich zwei Möglichkeiten an, die transzendentale Reduktion herzuleiten. Es ist von Bedeutung, dass Husserl die Gegenüberstellung von ständigem Wandel einerseits und absoluter Gegebenheit innerhalb des Erlebnisstroms andrerseits heranzieht, um seinen Grund zu erhärten. Dass alle Vorgänge meines Bewusstseins, besonders aber jene „Erlebnisse“ des Erkennens, die Husserl hier im Auge hat, Vorstellungen meines Erkenntnisvermögens sind, ist eine Selbstsetzung meines Bewusstseins, die ich jederzeit mit einem Schlage vollziehen kann. Darüber ist noch abzuhandeln. Ich benötige nicht die Gegenüberstellung, die zudem noch ihre Ecken und Kanten mit sich bringt. Das Ergebnis lässt sich leichter, wirksamer und schlagkräftiger einholen, so wie Schopenhauer es schon getan hat.8 Husserl ist sich darüber sicherlich nicht im Unklaren. Wenn er nicht darauf zurückgreift, sondern in einer phänomenologischen Reduktion die Unbedingtheit des Bewusstseins ausweist, so ist hier bereits eine Vorentscheidung gefallen. Denn die unmittelbare Einsicht in die allumgreifende Selbstvorstellung des Bewusstseins schließt unabtrennbar die Möglichkeit eines unabhängig davon gegebenen Seienden nicht aus. Für das immanente Sein schließt sich also die Sphäre nicht ganz. Aus der Logik der Phänomena, so wie sie aus der Gegenüberstellung zum immanenten Sein sich ergibt, lässt sich eher das andere Ergebnis bekräftigen. Die logische Möglichkeit9, die Husserl ja nicht absprechen kann, verschließt sich dann sofort einer möglichen Wirklichkeit. Damit ist die transzendentale Reduktion vollzogen. Im Rahmen der vollzogenen transzendentalen Reduktion zeigt sich indes diese Gegenüberstellung als zumindest wechselhaftes Spiel. Denn die Dingwelt mit ihrem endlosen Wechsel stellt ja die Materie für das reell Immanente, an dem nun doch ein zweifellos gegebener Inhalt bestehen können muss. Denn wie sollte sonst fest begründetes Wissen aufkommen? Innerhalb der Sphäre schlägt sich nun die absolute Gegebenheit auch auf die gegenständliche Seite (Noema). Dies muss so kommen, 5 6 7 8 9
Ideen 1. § 46. S. 108 – 109. Ebda. S. 109, 12. Ebda. § 49. S. 115 – 116. Welt als Wille u. Vorstellung 1. § 1. Vgl. hierzu Ideen 1. § 48.
1. Sphäre des „reell Immanenten“ und der „absoluten Gegebenheit“
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denn anders ginge nichts voran; man hätte nur Erkenntnisflecken und käme aus einem Solipsismus nicht heraus. Die Cogitationes sind also die ersten absoluten Gegebenheiten; sie sind das Erkenntniserlebnis, welches auch dann bleibt, wenn ich das seelische Ich ganz der leibseelischen Einheit anheimfallen lasse. Jetzt erst kann das Cogitatum als reell Immanentes als etwas Zweifelloses gelten, weil es über seine Cogitatio nicht hinausweist: Es meint nichts über sich hinaus, es ist „voll und ganz adäquat selbstgegeben. Andere Selbstgegebenheit als die des reell Immanenten tritt zunächst noch nicht in den Gesichtskreis“.10 Das Erblickte im Blick, der im ständigen Jetzt vernehmbare Geigenton, also dieses reell Immanente meint nicht hinaus in eine „reale Transzendenz“, aber es meint auch nicht hinaus in eine „reelle Transzendenz“, also in denselben Geigenton in der Cogitatio Erinnerung. Das reell Immanente ist darin zweifelsfrei gegeben, dass es sich auch vor jeder immanenten Transzendenz zurückhält. Die Eingründung geschieht hier, weil reell immanent und absolut gegeben an diesem Ort zusammenfallen. Husserl löst den Fortgang gesicherten Wissens darin ein, dass die reelle Immanenz sich zu dem besonders ausgezeichneten Fall absoluter Gegebenheit aufklärt. Im reinen Schauen habe ich ungeschieden vom gegebenen Sachverhalt auch „das Feld der Wesensaussagen“, weil „die logischen Akte, die im Aussagen auf Grund des Erschauten sich ausprägen, unbemerkt bleiben“.11 Auch hier haben wir es wieder mit einer entscheidenden und maßgebenden Nahtstelle für die phänomenologische Methode zu tun; innerhalb der transzendentalen Reduktion begegnen wir hier einer Forderung, aus der die Phänomenologie überhaupt ihre eigenartige Grundform bezieht. Sie erhält hier zu Beginn ihre gegenteilige Ausprägung zur Phänomenologie Hegels. Denn dass die logischen Akte bei der Wesensschau im reell Immanenten gleichsam verwachsen bleiben, „unbemerkt bleiben“, ist natürlich für den Realismus eine in hohem Maße anfechtbare Meinung. Abstractio muss nicht als bewusst gesetzte Reflexion vollzogen werden; dies ändert indes nichts daran, dass wir es mit einem logischen Eingriff in die Materie des Sinnenfälligen zu tun haben. Husserl beugt diesem Einwand vor, wie noch zu sehen ist, indem er Vernunft und Sinnlichkeit in einem für ihn ganz besonders eigentümlichen Verhältnis fasst. Habe ich diesen Schritt zur Wesensschau, also innerhalb der Immanenz zur reellen Transzendenz vollzogen, so hat mein Wissen ein neues Ergebnis: Das Allgemeine ist zwar nicht reell immanent, aber dennoch absolut gegeben. „Die Erkenntnis des Allgemeinen ist etwas Singuläres, ist jeweils ein Moment im Strome des Bewusstseins; das Allgemeine selbst, das darin gegeben ist in Evidenz, ist aber kein Singuläres sondern ein eben Allgemeines, somit im reellen Sinne transzendent“.12 Die Möglichkeit der Verklammerungen der Wissensschichten und verschiedener Felder 10 11 12
Idee d. Phänom. A 3). S. 5, 29. Ebda. B 2). S. 8, 30. Ebda. S. 9, 9.
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§ 4 Der neue „Sinn“ der Cogitatio
ist damit grundsätzlich gegeben, und der Fortgang erklärt sich als „das Erfassen des Sinnes der absoluten Gegebenheit“. Fassen wir das in der Sphäre Dargestellte zusammen, so ergibt sich: Die „Erkenntnis … ist ein psychologisches Faktum“;13 „in allen ihren Ausgestaltungen ist die Erkenntnis ein psychisches Erlebnis: Erkenntnis des erkennenden Subjekts“.14 Aber lässt sich denn dieses psychische Erlebnis noch zusammenbringen mit jener Anweisung, die sagt, ich habe rein schauend auf die Wahrnehmung hin zu blicken und auch noch die Beziehung auf das Ich zu unterlassen?15 Kann ich denn von menschlicher Erkenntnis absehen, um Erkennen überhaupt ohne Mitsetzungsbeziehung zum psychischen Ich aufzuzeichnen?16 Aber diese Widersprüchlichkeit bleibt eben nur dann zurück, wenn ich nur eine psychologische Reduktion vollziehe. Dann komme ich aus dem Parallelismus von innerer und äußerer Erfahrung nicht heraus. Psyche erreicht aber gerade dann ihre transzendentale Weite, wenn ich vom Ich als Psyche auch noch absehe. In einem völlig anderen Verständnis gilt nun für den Phänomenologen auch noch der Satz: Anima est quoddammodo omnia. Psyche als innerstes Organ des Erkennens, als Einheits- und Wurzelgrund des gesamten Bewusstseins. Jedenfalls hat man sich zu hüten, darin eine überzogene oder unvollziehbare Forderung zu sehen. Was hier angestrebt wird, muss geradezu als Richtmaß über der phänomenologischen Philosophie stehen. Seelisches Ich muss einmal absterben; je folgerichtiger es geschieht, desto reiner erscheint das Erkennen, welches Husserl nun als „Erlebnis“ bezeichnet. Der Bezeichnung haftet freilich noch Seelisches an. Umgekehrt ergibt sich für uns – das ist nun nicht Husserls Gedanke – bei dieser Zurückführung des Bewusstseins auf reines Erkennen eine neue Aussicht: Es ist nötig, Erkennen völlig in seiner ureigenen Natur abzusondern, es völlig einsam zu setzen, weil noch mit einer anderen Gegebenheit im Bewusstsein gerechnet werden muss. Solange Erkennen nicht trennscharf zur Selbstvorstellung erhoben ist, kann eine andere Urgegebenheit in ihrer Grundverschiedenheit sich nicht genügend von der absoluten Gegebenheit des Erkenntniserlebnisses absetzen. Alles hängt indes davon ab, wie ich Bewusstsein in seinem letzten Begriff erschließe. Die philosophiegeschichtlichen Voraussetzungen ergeben, dass der Inhalt „Bewusstsein“ seit Platon und Aristoteles von dem Inhalt „Psyche“ vorbelastet worden ist. Die Transzendentalphilosophie überhaupt zieht sogar ihre innere Geschlossenheit aus dieser eigenartigen Prägung.
2. Der neue „Sinn“ der Cogitatio Vergleicht man Descartes’ Verständnis des „Cogito“ mit Husserls Auffassung der „Cogitatio“, so erschließt sich die neue Auslegung des „Vernünftigen“ bei Husserl, 13 14 15 16
Ebda. 1. Vorl. S. 19, 13. S. 20, 1. Ebda. 3. Vorl. S. 44, 33 – 36. 5. Vorl. S. 75, 37.
2. Der neue „Sinn“ der Cogitatio
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und von da aus gewinnt man erst Zugang zu dem eigenartigen Denken, das sich auch als metaphysisch in seiner Art verstanden wissen will. Es ist metaphysisch, „wenn es wahr ist, dass letzte Seinserkenntnisse metaphysische zu nennen sind“. Es ist es nicht im Sinne der „historisch entarteten Metaphysik“.17 Von der „Cogitatio“ ausgehend erschließt sich dann auch der Unterschied dieser vollendeten Transzendentalphilosophie zu der von Kant begründeten, in der ja im Grunde die alten metaphysischen Begriffsinhalte einfach in den Transzendentalismus übertragen werden. „Das: Ich denke, muss alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was garnicht gedacht werden könnte, …“18 „Diese Vorstellung ist ein Denken; nicht ein Anschauen.“19 Der Unterscheidung Kants zwischen Anschauen und Denken liegt nach wie vor die Trennung zwischen dem mundus sensibilis und dem mundus intelligibilis zu Grunde, die in Bezug auf ihre Erstellung im Bewusstsein der Sinnlichkeit und dem Verstande entspricht. In diesem Zusammenhang wird nun eine Kritik Husserls an Kant besonders aufschlussreich. Er macht nämlich diesem den Vorwurf, dass er zu schroff zwischen Verstand und Sinnlichkeit trenne. „Nach Husserl sind Sinnlichkeit einerseits und Verstand bzw. Vernunft andrerseits nicht streng getrennt, sondern fließen ineinander über, oder besser, es handelt sich hier gar nicht um zwei verschiedene Bereiche, sondern um zwei Aspekte einer tieferen Einsicht.“ „Die Scheidung zwischen Aktivität oder Spontaneität einerseits und Passivität oder Rezeptivität andrerseits ist nun für Husserl nur eine relative. Einmal ist Spontaneität immer mit der Sinnlichkeit, Vernunft also immer mit Sinnlichkeit als ihrem Untergrund verflochten.“ „Husserl war sich wohl bewusst, dass in Kants Begriff der Einbildungskraft, die sowohl sinnlich als auch verstandesmäßig (spontan) ist, und deren Synthesis die phänomenale Welt anschaulich bildet, die schroffe Scheidung von Sinnlichkeit und Verstand überwunden ist. Deshalb verliert aber Husserls Einwand nicht seinen Gegenstand. Denn die radikale Scheidung von Sinnlichkeit und Verstand bleibt bei Kant letztlich doch bestehen, nämlich als Korrelat der metaphysischen Gegenüberstellung des mundus sensibilis und des mundus intelligibilis …“20 So erklärt sich denn auch „Cogitatio“ als anderes Wort für „Intentionalität“, worin es ja darauf ankommt, dass „vernünftig“ und „sinnlich“ ursprünglich vereint sind.21 Erst wenn die schroffe Scheidung zwischen Verstand und Sinnlichkeit auch noch ausgeschaltet ist, dann hat die phänomenologische Reduktion ihr Ziel erreicht, nämlich die letztmöglich Eingründung, mithin Evidenz, im Bewusstsein. Damit ändert sich das Prüfverfahren völlig gegenüber den früheren Absichten Descartes’. 17
Husserl, Edmund: Cartesianische Meditationen. 2., durchges. Aufl. Hamburg 1987. (Philos. Bibliothek; 291). § 60. Zit.: Cartes. Medit. 18 Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg 1967. (Philos. Bibliothek; 37a). § 16, Ausg. B, S. 140. B 132. 19 Ebda. § 25. B 157. 20 Kern, Iso: Husserl und Kant. Haag 1964. S. 62 – 64. 21 Krisis, § 20.
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§ 4 Der neue „Sinn“ der Cogitatio
Dieser wollte beweisen, auch wenn das „Cogitans sum“ eine Intuitio ausdrücken möchte. Jedenfalls kam es Descartes darauf an, dass der Schluss oder die Intuitio in eine Transzendenz reicht. Husserl dagegen will gerade den „Denkakt“ vermeiden, und darin bestimmt sich das Eigenartige der Phänomenologie. Darum also will er nicht die schroffe Scheidung von Verstand und Sinnlichkeit, damit die Assoziation, die „synthetische Apperzeption“ eben gleitend übergehen kann. Daraus nimmt das „Vernünftige“ Züge an, die der überkommenen Bestimmung von Vernunft noch fremd sind. Während also Descartes beweisen oder schließen möchte, geht es Husserl um das Aufweisen. Die „Rechtsgründe“ werden nun anders als in der alten Metaphysik, wo „abenteuerliche Spekulationen“ ganze Gedankengebäude errichtet haben, Denkakt auf Denkakt wie Fuge um Fuge. Husserl setzt das Bewusstsein als das einzige Absolutum, quod nihil indiget ad existendum22, und daraus entsteht das Verbot eines Übergriffs in die Transzendenz des alten Realismus. Darum sollen „Denkakte“ oder „Analogieschlüsse“ vermieden werden, worauf Husserl gerade beim Aufzeigen der Intersubjektivität natürlich allen Wert legt.23 Während also Descartes ganz im „Sinne“ alter Metaphysik seine innere Gewissheit auf den Denkakt als Absolutum setzt, kehrt sich der Vorgang oder das Prüfverfahren bei Husserl gerade darin um, dass „Evidenz“ ganz anders gesucht wird. Evidenz findet ihre Grundbestimmung zuallererst aus dem „transzendental reinen Bewusstsein“. Die Reduktion ist erst dann völlig vollzogen, wenn sie einsieht, dass alles Sein im Bewusstsein seinen Grund hat, dass es außerhalb dieses Bewusstseins nichts geben kann. „Existenz einer Natur kann Existenz von Bewusstsein nicht bedingen …; sie ist nur, als sich in geregelten Bewusstseinszusammenhängen konstituierend.“24 So ist das Bewusstsein seinem „Wesen“ nach von allem weltlichen Sein völlig unabhängig, und es bedarf auch nicht irgendeiner Existenz. Man möchte hier hinzufügen, dass sein Wesen eben Dasein schlechthin ist, und dass es darin das einzige Absolutum ist. Darin gründet nun alle Evidenz, und daraus erklärt sich die Forderung einer Aufhebung schroffer Trennung zwischen Vernunft und Sinnlichkeit. Die Einsicht, dass Bewusstsein allein das Absolutum ist, welches Existentia und Essentia in jeder Hinsicht ausschließlich allein erstellt, ist Einsicht, Einsehen, Evidenz; sie ist Rechtsgrund in ursprünglichster Einheit. Darin liegt alle Evidenz als noetische Einheit von sinnlicher Wahrnehmung und Vernunft. Von dieser ursprünglichen Einheit leitet sich die Reichweite der „cogitatio“ her, die vernünftig wie auch sinnenhaft ist, und darum ist vernünftig alles, was ursprünglich und unmittelbar im Bewusstsein gegeben ist, in der reellen Immanenz einer bestimmten Noesis. Der Unterschied zu der Absicht des „Cogito, ergo sum“ hat sich nach dieser Einsichtnahme als Umkehrung herausgestellt. Das Bewusstsein schließt sich: „Nicht ist es ein Kantianischer Idealismus, der mindestens als Grenzbegriff die Möglichkeit 22 23 24
Ideen 1. § 49. Cartes. Medit., § 50. S. 113. Ideen 1. S. 121.
3. Vernunft und Evidenz
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einer Welt von Dingen an sich glaubt offen halten zu können.“25 So wird denn auch die Absicht zurückgewiesen, die transzendentale Reduktion zu vollziehen, um etwa Metaphysik neu zu begründen.26
3. Vernunft und Evidenz „Jeder Region und Kategorie prätendierter Gegenstände entspricht phänomenologisch nicht nur eine Grundart von Sinnen, bzw. Sätzen, sondern auch eine Grundart von originär gebendem Bewusstsein solcher Sinne und ihr zugehörig ein Grundtypus originärer Evidenz, die wesensmäßig durch so geartete originäre Gegebenheit motiviert ist.“27 „Einsicht, überhaupt Evidenz ist also ein ganz ausgezeichnetes Vorkommnis; dem „Kerne“ nach ist es die Einheit einer Vernunftsetzung mit dem sie wesensmäßig Motivierenden, wobei diese ganze Sachlage noetisch, aber auch noematisch verstanden werden kann.“28 Vergleichen wir zunächst einmal mit der alten Metaphysik in neuscholastischer Darstellung, so drücken sich die noetische und die noematische Seite dort etwa so aus: „Evidenz“ ist „die einleuchtende Notwendigkeit der Sache“. „Objektive Evidenz“ ist „höchstes Kriterium der Wahrheit“ und „letzter Grund der Gewissheit“.29 Danach entspricht eine subjektive Gewissheit einer objektiven Evidenz, wobei freilich eine Übereinstimmung von Denk- und Seinsgesetzen schon vorausgesetzt ist. Ob man Evidenz im Realismus oder im Transzendentalismus eingrenzt, sie wird darin übereinstimmen, dass sie eine objektive und eine subjektive Seite beansprucht. In Husserls phänomenologischer Reflexion genügen diese Bezeichnungen nicht; auch dann nicht, wenn man sie entsprechend in den Raum des transzendental geschlossenen Bewusstseins überträgt. Über Noesis und Noema ist noch Genaueres zu sagen; bis jetzt sollen sie einmal grob vereinfacht für die subjektive und objektive Seite des Erkenntnisvorgangs gehalten werden. Die große Entdeckung des Phänomenologen formt sich darin aus, dass Evidenz nicht etwa in Form eines Denkgesetzes aufgeht, sei es das principium contradictionis oder das principium causalitatis. Dies wäre nicht folgerichtig und ein Rückfall. Die „Phänomenologie der Vernunft“ beginnt mit dem „originär gebenden Sehen“, darin liegt die erste Regung des „Vernunftbewusstseins“30. Damit hat sich die Eingründung auch in Bezug auf die alte Transzendentalphilosophie verlagert. Mit dem neuen Ansatz entfaltet sich aber auch Evidenz, oder besser sie baut sich nun von diesem Grund her auf, und sie wandelt sich ab. Verschiedene Weisen des Gebens, die Sinngebungen der Erkenntnisbeziehung, bringen es zu ihrem eigentümlichen Ver25 26 27 28 29 30
Cartes. Medit. § 41. S. 88. Ebda. § 60. S. 142. Ideen 1. S. 340, Z. 30. Ebda. S. 335 u. 336. Lehmen, 1. Bd. S. 268. Ideen 1. § 136.
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§ 4 Der neue „Sinn“ der Cogitatio
nunftbewusstsein, also zu ihrer entsprechenden Evidenz. Die setzende Noesis und das gesetzte Noema, man kann auch sagen die noetische Setzung und der noematische Satz erfüllen aber den „Vernunftcharakter“ nur dann, wenn eine „Setzung auf Grund eines erfüllten originär gebenden Sinnes und nicht nur überhaupt eines Sinnes“ erfolgt.31 Husserl macht nun aber doch eine Einschränkung, wenn er den Sinnen gegenüber von „inadäquater“ und „assertorischer“ Evidenz spricht. So heißt es in der Einleitung zur „Phänomenologie der Vernunft“: „Selbstverständlich ist die hier in Rede stehende Möglichkeit vernünftiger Ausweisung nicht als empirische, sondern als „ideale“ als Wesensmöglichkeit verstanden.“32 Das assertorische Sehen eines Individuellen unterscheidet sich nun auch wieder wesentlich in seinem Vernunftcharakter vom apodiktischen Einsehen eines Wesens.33 Evidenz als Oberbegriff umfasst apodiktisches Einsehen und assertorisches Sehen; beide sind von einer „Wesensgattung“; „Vernunftbewusstsein überhaupt“ ist „eine oberste Gattung von thetischen Modalitäten“. Vernünftig ist nach den bisherigen Ausführungen jede originär gebende Setzung, auch die assertorische; aber im höchsten Sinne Akt der Vernunft ist nun doch wieder ein doxisches und adäquat gebendes Bewusstsein, welches Anderssein ausschließt.34 Individuelles entspricht einer inadäquaten Evidenz, adäquate Evidenz antwortet einer eidetischen, wesensmäßigen Setzung. Die Fälle der Evidenz werden aufgezählt, nach Unterschieden eingeordnet, die sich darin erweitern, dass sich freilich verschiedene Einteilungsgründe noch überschneiden. Man ist geneigt, bei Husserl eine gleitende Evidenz zu sehen, da er ja auch von einer „stetig sich steigernden Vernunftkraft“ ausgeht.35 Die unterdrückte Scheidung zwischen einem sinnlichen und einem vernünftigen Bewusstsein spricht sich in der Evidenz aus. Aber Evidenz ist nicht allein in der „originär gebenden Setzung“ enthalten; das tun die Sinne auch. Evidenz schließt die Anwesenheit des vernünftigen Bewusstseins mit ein, indem die evidente „Einsicht“ eben zum „Einsehen“ der Vernunft gebracht wird. Husserl hat es freilich leicht mit einer solchen Erklärung, da ja sein Ansatz den gemeinsamen Boden von Verstand und Sinnlichkeit fordert. Man sollte hier jedoch nicht übersehen, dass dieser Ansatz ein Stück Theorie voraussetzt, dem vielleicht das Aufzeigen schon fehlt.
31 32 33 34 35
Ideen 1. S. 335. Ebda. S. 333. Ebda. S. 337. Ebda. S. 336. Ebda. S. 339.
§ 5 Vorläufiger Einwand: Die unbedachte und unterdrückte Möglichkeit innerhalb der Cogitatio 1. Die logische Möglichkeit einer Welt an sich Für den Phänomenologen wird der Verstand zum schwer vorbelasteten Werkmeister des Metaphysikers, der immer die ursprüngliche Einheit der sinnlichen und des vernünftigen Schauens durch Schlussfolgerungen zu entzweien droht. Wie weit diese verhaltene Abneigung gegen einen angeblich sich im Mystischen verirrenden Verstand noch sachlich ist, mag dahingestellt sein. Angeblich gerät dieser in „metaphysische Spekulationen“ sich verlierende Verstand in lauter unlösbare Widersprüche. Es bleibt indes bei Beteuerungen, Husserl vermag keinen einzigen einleuchtenden Grund aufzuzeigen. Desto eigenartiger müsste man sich jedoch die Abgrenzung solcher verstandlicher und vernünftiger Äußerungen vorstellen. Husserls Bewusstseinsbegriff dürfte wohl nicht so weit von der allgemeinen Überlieferung abseits liegen, dass er von zwei verschiedenen Anlagen geistigen Einsichtnehmens ausgeht. Eine Spannweite zwischen vernünftiger Anschauung und verstandlicher Grundeinholung, wie sie anderweitig nicht mehr vorkommt, muss man aber wohl für die phänomenologische Wissensverklammerung annehmen. „Das unmittelbare „Sehen“ (moe?m), nicht bloß das sinnliche, erfahrende Sehen, sondern das Sehen überhaupt als originär gebendes Bewusstsein welcher Art immer, ist die letzte Rechtsquelle aller vernünftigen Behauptungen.1 Man kann hier einfach nicht übersehen, dass sich die Phänomenologie damit in eine Zone begibt, wo ihr unmittelbares „Sehen“ nicht weniger die Anschaulichkeit verliert als der seiner Gründe gewisse Verstand. Welch ein Unterschied zeichnet sich an dieser Vernunft ab, wenn man sie dem „negativen Verstande“ Kants entgegensetzt. Dort gibt es überhaupt keine Wesensschau.2 Husserls Phänomenologie der Wesensschau enthält zwar nicht jenen mystischen Zug einer Ideenlehre Platons, ihre Andeutung einer Verbindung von Vernunft und sinnlicher Wahrnehmung bleibt indes ein reines Postulatum, das nicht weniger Metaphysik enthält als der Realismus. Bedenkt man, dass es sich nicht um zwei verschiedene Anlagen handeln kann, so drängt sich sofort auch ein berechtigter Zweifel auf, ob es sich um zwei verschiedene Tätigkeiten ein und derselben Anlage handeln kann. Ein Verstand, der zurückgehalten werden soll, damit die Einheit von Vernunft und Wahrnehmung ihre innere Gewissheit nicht verliert. 1 2
Ideen 1. § 19. S. 44, 8. Näheres hierzu in der „Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins“, v. a. § 12. 4. u. 5.
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§ 5 Vorläufiger Einwand
Aber liegt hier nicht eine Unterdrückung der Natur des Denkens zutage, und wo tritt die Zone ans Licht, wo zergliederndes Begreifen und inneres Erschauen zu scheiden wären? Handelt es sich hier nicht schlechthin um die Anwendung des Denkens hin zu den Sinnen, die nun im einen Falle als vernünftiges Sehen, als Noein, im anderen Falle als eine verstandliche Auseinandersetzung gelten soll? Husserls Vernunft trägt Züge des intellectus possibilis, was ihre Verbindung zum Sinnlichen betrifft. Letztlich verneint sie sich aber daran wieder, da diesem nichts „Spontanes“ eignet. Nichtsdestoweniger könnte man sie aber dann mit dem sensus communis verwachsen sein lassen. Wie dem auch sei, die Ansichtssache, der wir uns nun zuwenden, lässt sich auch prüfen, ohne dass man innerhalb der Reduktion eine sorgfältige Scheidung nach verständigem Begreifen und vernünftigem Erschauen durchführen müsste. Denn hier geht es um eine Rahmenbedingung der transzendentalen Reduktion, und sie kann deshalb ebenso mit einem Schlage und in einer Grundeinstellung durchgezogen werden wie diese selbst. Der folgende Einwand gegen Descartes ist jetzt zu prüfen. „Ist ihm nicht schon selbstverständlich, dass die Sinnlichkeit auf ein an-sichSeiendes verweist, nur, dass sie täuschen kann, und dass es einen rationalen Weg geben muss, dies zu entscheiden und das An-sich-Seiende in mathematischer Rationalität zu erkennen. Aber ist das alles nicht ineins durch die Epoché eingeklammert, u n d z w a r s e l b s t a l s M ö g l i c h k e i t ? “3 Dass Descartes an seinen Meditationes den letzten, jedoch entscheidenden Rest Realismus nicht ausgeräumt hat, ist geklärt. Husserl schließt indes mit aller „Selbstverständlichkeit“ auch mit ein, dass hier auch der Gedanke einer Möglichkeit eines Seienden außerhalb der Reduktion aufzugeben sei. Ein solcher Schluss oder besser Beschluss erweist sich durchaus nicht als einleuchtend und erfordert eine besondere Betrachtung. Gewiss habe ich davon auszugehen, dass mein transzendentales Ego den ganzen Seinszusammenhang erstellt; dass nichts hereinkommt, was nicht schon im Bewusstsein ist und nichts aus meinem Bewusstsein außerhalb des Bewusstseins sich zu Seinsbeständen dieser ausgeschlossenen Art schlägt. Aber leuchtet mir auch in der gleichen Weise ein, dass die Möglichkeit in meinem Denken zu einem Übergriff würde, der einer unhaltbaren Seinssetzung nach Art des Realismus gleichkäme? Es liegt doch gerade in der Natur der Möglichkeit, dass sie innerhalb der Sphäre aufgeht und aufleuchtet und dass sie sich einer Seinssetzung durchgehend enthält. Husserl fordert hier gegenüber Descartes, dass Möglichkeit und Wirklichkeit Felder sind, die in gleicher Weise innerhalb der Sphäre abzustecken sind. Er widerspricht dem in aller Deutlichkeit in den „Ideen 1“, wie noch zu zeigen ist. Dass hier eine Phänomenologie des Möglichen rein im Bereich des Denkens aufzuzeigen wäre, hat Husserl vorschnell übergangen. Wie sehr aber sein Postulatum, nämlich die innige Verflechtung von Denkanschauung und Sinnwahrnehmung, maßgeblich ist, zeigt sich gerade hier, wo er nun dementsprechend die Möglichkeit im Denken mit der Möglichkeit im Anschauen der Sinne ebenso verwachsen haben will. 3
Krisis § 18. Hervorhebg. d. Verf. am Ende d. Textes.
1. Die logische Möglichkeit einer Welt an sich
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Lassen wir zunächst eine grundsätzliche Stellungnahme zu Wort kommen: „Die phänomenologische Methode ist so geartet, dass sie von vornherein den Weg zum Realismus als einer sinnvollen Position versperrt.“4 Von den Anforderungen der Wesensschau aus gesehen hieße es: Die Vorstellung Welt insgesamt, mein eigenes Ich als Leibgehäuse inbegriffen, entbehrt der Wesensnotwendigkeit eines Seins jenseits meines Bewusstseins. Wesensnotwendigkeit erscheint nur als transzendentale Beziehung zum ego cogito (Intentionalität). Der Gedanke vom Bewusstsein als einzigem Absolutum, welches nulla re indiget ad existendum, ist leicht nachzuvollziehen. Der Gedanke wird indes unvollziehbar, wenn ich eine logische Möglichkeit auch ausschließen soll. Hier stoßen wir an einen offenen Quellort, der von dem Phänomenologen sofort und ausschließlich für sich allein in Anspruch genommen wird. Ist es möglich, die phänomenologische Methode anzuwenden, ohne den Standpunkt der Transzendentalphilosophie zu beziehen? Hat es überhaupt einen Sinn, die Frage so zu stellen? Erlaubt der Ansatz des geschlossenen Bewusstseins zu Beginn eine Unentschiedenheit? Kann ein Philosoph diese Unentschiedenheit mit letzter innerer Redlichkeit aufbringen? Die Fragen machen uns deutlich, dass es kaum möglich ist, einer Voreingenommenheit zu entgehen. Desto nötiger macht es aber dieses Urteil, dass wir die logischen Möglichkeiten einer Eingründung des Seienden im Bewusstsein mit aller Sorgfalt ausleuchten. Das Bewusstsein erfährt sich als erscheinendes Absolutum, und es ist auch offenbar, dass dieses „Erscheinen“ nicht etwa als sinnenhafte Erkenntnis, sondern als vernünftiges Einsehen in ihm aufkommt. Aber schließt dieses Absolutum eine Welt als zweites Absolutum logisch aus? Besser: Folgt aus der Selbsterkenntnis des Bewusstseins notwendig die Verneinung einer Seinsgeltung, die nicht als vom Bewusstsein gesetzt bestehen kann? Kann das Bewusstsein einen Gegenstand setzen als nicht von ihm gesetzt, oder liegt darin ein logischer Widerspruch? Husserl gibt die Möglichkeit zu: „Die hypothetische Annahme eines Realen außerhalb dieser Welt“ enthält keinen „analytisch-formalen Widerspruch“, sie ist „logisch möglich“.5 Mit „außerhalb dieser Welt“ ist die eine Welt jenseits der transzendentalen Reduktion gemeint. Der nun folgende Satz enthält indes wieder die Abschirmung gegen die logische Möglichkeit: „Fragen wir aber nach den Wesensbedingungen ihrer Geltung, nach der durch ihren Sinn geforderten Art der Ausweisung überhaupt, die prinzipiell durch die Thesis eines Transzendenten … bestimmt ist, … so erkenne ich, das jeweils reine Reflexion übende ich, dass es notwendig erfahrbar sein müsse und nicht bloß für ein durch eine leere logische Möglichkeit erdachtes, sondern für mein aktuelles Ich, als ausweisbare Einheit meines Erfahrungszusammenhanges.“ Eine solche Welt außerhalb meines Bewusstseins müsse als „notwendig erfahrbar“ gegeben sein. Dem steht aber nun gegenüber. „Also kein reales Sein, kein solches, das sich bewusstseinsmäßig durch 4 5
Janssen, Paul: Edmund Husserl. Freiburg i. Br., Alber 1976. S. 16. Ideen 1. § 48. S. 113.
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§ 5 Vorläufiger Einwand
Erscheinungen darstellt und ausweist, ist für das Sein des Bewusstseins notwendig. Das immanente Sein ist also zweifellos in dem Sinne absolutes Sein, dass es prinzipiell nulla „re“ indiget ad existendum. Andererseits ist die Welt der transzendenten „res“ durchaus auf Bewusstsein, und zwar nicht auf ein logisch erdachtes, sondern aktuelles angewiesen.“ Gewiss steht da der grüne Baum im Garten vor unserem Sinn. Die „natürliche Einstellung“ zu ihm enthüllt sich dann als ein Abbildungsdenken, das sich dem Phänomenologen als „hypothetischer Widersinn“ erklärt. Denn diesem Ding meiner Vorstellung, der Ausdruck „Bild“ wäre schon eine geheime Setzung, soll ein Baum entsprechen. Aber die natürliche Einstellung erweist sich als unhaltbar, weil das Bewusstsein nie hinter sein eigenes Wahrnehmungsding und -erlebnis kommen kann. Diese Gewissheit und diese Einsicht des Phänomenologen liegt gesichert transzendental jeder Erfahrungswissenschaft und jeder Lebenserfahrung voraus.6 Aus der Sicht des Phänomenologen müsste nun jeder Rückbezug auf einen „wirklichen“ Gegenstand außerhalb des Erlebens zu einem regressus ad infinitum werden.7 Kraft dieser Einsicht schließt sich die Welt des Phänomenologen völlig im Bewusstsein, und jede Cogitatio eines „An sich“ ist „sinnlos“. Es wird hier bemerkt, dass Husserl den phänomenologischen Gedanken in seinem vollen Ausmaß gar nicht annimmt. Indem Husserl von einer Welt außerhalb meines Bewusstseins fordert, dass sie sich notwendigerweise als eine Notwendigkeit mitteilen müsse, übersieht er, der sonst so sorgfältige Beobachter, jene Vorgegebenheiten, die hier gerade entscheidend wirken. Wir gehen von einer logischen Möglichkeit aus. Mehr kann jetzt in der Zweifelsbetrachtung nicht gegeben sein. Der Schluss, wenn sie wirklich wäre, müsste sie sich als notwendig erweisen, holt schon etwas ein, was von der Möglichkeit so nicht gefordert werden kann, weil ich die Möglichkeit dabei im Schlusssatz bereits als Wirklichkeit gesetzt habe. Husserl erliegt hier selbst einer metaphysischen Spekulation, wobei er die beiden Denkfelder Möglichkeit und Wirklichkeit nicht in ihren verschiedenen Geltungsweisen annimmt. Die logische Möglichkeit kann nicht eingeräumt werden, um sie sofort, ohne eingehende Prüfung als hypothetischer Widersinn zu verwerfen. Es müssen zumindest allgemeine oder besondere Erlebnisse der Erfahrung offengehalten werden als mögliche Erfahrung einer begründeteren Einsichtnahme. Diese mögliche Erfahrung schließt dann auch mit ein, dass ich zu der Einsicht gelange, dass an dem Quellort der Reduktion, die ich mit einem Schlage vollziehe, noch gar nicht mehr gegeben sein kann als die logische Möglichkeit. Mit all dem wäre also zu rechnen. Für Kant und die ältere Philosophie ist die Trennung nach Anschauen und Denken so selbstverständlich geworden, dass Husserls Zug zur Einheit eine fruchtbare An6 Wie weit der Transzendentalismus durch moderne Nachrichtentechnik und Datenübertragung widerlegt wird, ist eine Betrachtungsweise, die unterhalb der philosophischen Ebene liegt. Man sollte deshalb davon absehen, mit solchen Gründen gegen die Transzendentalphilosophie vorzugehen. 7 Ideen 1. § 90.
2. Das sich ur-teilende Ich und die Vorstellung einer Welt an sich
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regung zur „Neubesinnung“ erweckt. Es hat sicher einen Anlass im Bewusstsein, der Vernunft gegenüber dem auseinandersetzenden Verstandesdenken eine neue und ursprüngliche Nähe zur Sinnlichkeit einzuräumen. Nun gehört es aber gerade mit hinein zu den Untersuchungen, nämlich das Aufzeigen, dass der metaphysischpsychische Bewusstseinsbegriff zu wenig Raum bietet, eine solche Anlage unterzubringen. Indem Husserl hier ganz in der Nachfolge Descartes’ steht, führt seine Annahme dazu, den Übergang von Vernunft und Sinnlichkeit einseitig und gleichsam gleitend erscheinen zu lassen. Gewiss legt auch er Wert darauf, dass jede Anschauung ihr eigentliches „Wesen“ hat und beide voneinander grundsätzlich verschieden sein sollen. Es bleibt jedoch gerade hier bei einer Aussage, die sich schwertut, Grundstufen durchsichtig zu machen. So bewahrt denn auch die Phänomenologie an dieser besonders formbestimmenden Stelle eine schillernde Zweideutigkeit. Es ist wichtig, dies zu sehen: Je nach dem wie ich das Verhältnis Denken und Anschauen darstelle, verschließt sich das Bewusstsein einer Welt an sich als „hypothetischer Widersinn“, oder es öffnet sich auf Grund der logischen Möglichkeit einer Welt an sich. Es ist „evident“, dass der sinnlichen Wahrnehmung keine Möglichkeit eingeräumt ist, einen Gegenstand jenseits des Bewusstseins noematisch auszuweisen. Das die Reflexion übende Ich-Bewusstsein findet sich darin nicht vor, und deshalb erlebt es hier keine Entzweiung in Urbild an sich und Abbild für es (Bewusstsein). Eben dieses ist aber für den Realisten eine Selbstverständlichkeit: Man kann vom Sinn eine solche Ausweisung gar nicht erwarten. In jeder Einstellung aber erweist sich die sinnliche Wahrnehmung wie vorgelagert, so dass Kant sagt: Denken ohne Anschauen ist blind. Oder es heißt: Nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu. Es dürfte daher in der ureigenen Fähigkeit des anderen Vermögens liegen, dass es sich und die vorgelagerte Wahrnehmung in die Vorstellung des SelbstIch setzt. Es liegt also im Denken, dass es die Reflexion übt, worin es sich über die Geschlossenheit der Wahrnehmung hinwegsetzt, um eben darin eine Welt an sich als nicht von ihm zu setzen. Und es zeigt sich gerade in dieser Fähigkeit der Reflexion, des Zurückbeugens über die vorgelagerte Sinnlichkeit, dass dieses Vermögen von ganz anderer Beschaffenheit und grundverschieden gegenüber der sinnenhaften Wahrnehmung ist. Die Fähigkeit der Reflexion erscheint als Wahrzeichen, an dem nicht vorbeizukommen ist. Denken ist schlichthin Reflexion. Es nimmt sich als neuer Grund wahr, erst von hier aus wird die doppelte Vorstellung deutbar.
2. Das sich ur-teilende Ich und die Vorstellung einer Welt an sich Entspringen Sinnlichkeit und Vernunft einem gemeinsamen Erkenntnisgrund oder befindet sich hier nur eine geistige Bewusstseinsschicht, welcher die Sinne, die ja als Gesamtheit nie lebensnotwendig sind, vorgelagert bleiben? Anscheinend begünstigt die Phänomenologie die erstere Ansicht. So bilden die Sinne in ihrer Eigenständigkeit eher einen Abschluss, und die Vorstellung aus der Reflexion endet
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§ 5 Vorläufiger Einwand
dann an dieser Eingründung. Reflexion, die sich darüber hinwegsetzt, wird dann „sinnlos“ in ursprünglichster Bedeutung. Beide Ansichten ermöglichen indes eine Trennung, die letztere freilich mehr in der Anwendung. Wie weit die Einbildungskraft als eine Art Reflexion sinnlicher Wahrnehmung gelten kann, bedürfte einer Untersuchung, die wohl von der Phänomenologie nicht erbracht worden ist. Als denkendes Ich bin ich bei einer gegebenen Reflexion in der Einbildungskraft in gleicher Weise beteiligt wie bei der tatsächlichen äußeren Sinneswahrnehmung. Alle Anzeichen sprechen für einen grundsätzlichen Vorrang, bzw. für eine alleinige Grundeinnahme des denkenden Erkennens im Ich-Selbst. Wie es sich zeigt, liegt es in der Natur des Erkennens, dass es nur über seine sinnliche Vorstellung zur Welt findet. (Man bedenke, dass aber diese Vorstellung schon im einzelnen selber an der Notwendigkeit des Bewusstseins abfällt.) Eine Ausweisung von Welt an sich findet im wachen Bewusstsein tatsächlich statt, nämlich an dem andersgearteten Gemüt. Von hier aus entsteht der Phänomenologie der hauptsächliche und grundsätzlich anders geformte Einspruch, der die Phänomenologie zur zweckfreien Teilansicht macht. Diese Untersuchung schließt sich noch an. Unter den hier abgesteckten Rahmenbedingungen ergibt sich also, dass die Vorstellung einer Welt an sich nur als logisch erdachte, nicht als „aktuelle“ aufkommen kann. Husserls Annahme formt sich sodann in eine übersetzte Vorstellung: Der Sachverhalt Seiendes an sich müsste als Sinneswahrnehmung und als Gedanke in einem unmittelbar gegeben sein, um so auch unmittelbar einsichtig zu sein. Auch Kant hat den Gedanken geäußert, jedoch in anderer Absicht. Kant nimmt hier Stellung zu einer Welt an sich und räumt sogar die Möglichkeit ihrer inneren Erkenntnis ein. Allein dies wäre nur möglich, wenn wir einen Verstand hätten, der in einem auch anschauen könnte. Die Möglichkeit, dass es einen solchen Verstand geben könne, kann er nicht ausräumen.8 Kant kommt hier der Einstellung des Realismus sehr nahe und weist Husserls Satz von einer „logischen Möglichkeit“, die aber zu „hypothetischem Widersinn“ wird, zurück, weil er den anderen Schluss zieht. Dies ist sicherlich nicht als Beweis zu verstehen, aber seine Zugeständnisse werden genau der logischen Möglichkeit gerecht: Sie halten im Rahmen des Gegebenen die Mög8 Kritik d. reinen Vern. B 309. „… auch mag es Verstandeswesen geben, auf welche unser sinnliches Anschauungsvermögen gar keine Beziehung hat, aber unsere Verstandesbegriffe, als bloße Gedankenformen für unsere sinnliche Anschauung, reichen nicht im mindesten auf diese hinaus; was also von uns Noumenon genannt wird, muss als ein solches nur in negativer Bedeutung verstanden werden“; Ebda. B 307. „Wenn wir unter Noumenon ein Ding verstehen, so fern es nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist, indem wir von unserer Anschauungsart desselben abstrahieren; so ist dieses ein Noumenon im negativen Verstande. Verstehen wir aber darunter ein Objekt einer nichtsinnlichen Anschauung, so nehmen wir eine besondere Anschauungsart an, nämlich die intellektuelle, die aber nicht die unsrige ist, von welcher wir auch die Möglichkeit nicht einsehen können, und das wäre das Noumenon in positiver Bedeutung.“ Ebda. A 252 „Wir haben zwar oben nicht beweisen können: dass die sinnliche Anschauung die einzige mögliche Anschauung überhaupt, sondern dass sie es nur für uns sei; wir konnten aber auch nicht beweisen: dass noch eine andere Art der Anschauung möglich sei …“
2. Das sich ur-teilende Ich und die Vorstellung einer Welt an sich
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lichkeit einer Welt an sich offen, und sie verschließen die Möglichkeit ihrer Erkenntnis im Grunde nur durch eine Ur-Teilung in unserem Erkennen selber. Bewusstsein leistet offensichtlich nicht die Einheitsvorstellung von Anschauen und Denken, darum kann Welt an sich in der vom Phänomenologen geforderten Weise nicht ausgewiesen werden. Ist der Sachverhalt aufgezeigt, so genügt die logische Möglichkeit. Und nun mag eine neue phänomenologische Sicht die Sachen sprechen lassen. Von der Wahrnehmung kann eine Ausweisung einer mit Notwendigkeit gegebenen Welt nicht gefordert werden. Was aber die logische Möglichkeit einer erfahrbaren Welt an sich betrifft, so hat sie alle Gründe der Wahrscheinlichkeit auf ihrer Seite. Die Wahrnehmung hat ihre Form der Ur-Teilung des Vorgestellten, und das Denken der allgemeineren, der den Dingen innewohnenden Sachverhältnisse vollzieht sich als Ur-Teilung. Während das Ur-Teilen der Wahrnehmung nur als „Abschattung“ von Gegenständen in Raum und Zeit vor sich geht, das bedeutet, dass wir immer nur einen Teil erfassen, vollzieht das vernünftige Ur-Teilen eine Spaltung des Gegenstandes in eine Vorstellung als so gefasste und ständig zu vermehrende und in einen geforderten Gegenstand an sich. Betrachtet man dieses Verhältnis noch näher, so drängen sich zwei Beziehungen in einer Entsprechung des vernünftigen Bewusstseins auf. Dieses vernünftige Bewusstsein hat ja die Fähigkeit des Selbsterkennens als seinen Grundzug überhaupt. Wir dürfen darin die Grundunterscheidung des Erkennens suchen, weil sie jedem Erkenntnisakt zu Grunde liegt und weil Erkennen im Unterscheiden oder im in die Vorstellung Setzen sein allgemeines Merkmal angibt. Die logische Möglichkeit eines Seienden an sich bedarf zur Erklärung dieses gedanklichen Inhalts eines einsichtigen Grundes, und dieser Grund kann freilich nicht im An sich des Inhalts liegen, oder sagen wir besser: Er liegt tatsächlich nicht in dem zukommenden Gegenständlichen. Wir müssen also Husserl zustimmen in dieser Hinsicht. Daraus entsteht aber auch der Einwand: Die Vorstellung und die in ihr enthaltene Forderung einer Welt an sich entsteht untrennbar mit dem sich selber in die Unterscheidung setzenden Ich. Dabei müssen wir mit allem Nachdruck Husserls Anliegen unterstreichen: Dieser Vorrang des Vorstellens oder Unterscheidens darf in keiner Weise mit „Psychischem“ verwechselt werden. Er muss auf eine rein erkenntnismäßige Verfassung zurückgeführt werden. Also dürfen weder psychische noch erfahrungsmäßige Inhalte in der Beschreibung vorkommen; weder die Psychologie noch irgendein naturwissenschaftliches oder naturerforschendes Wissen dürfen hier zur Bestimmung verwendet werden. Das Ich, welches in seiner Grundverfassung immer die Reflexion seines Selbst enthält, hält damit auch eine Welt an sich in die Vorstellung. Und dabei zeigt sich nun eine neue Ansicht der Grundverfassung: Die Selbstvorstellung des Ich bedarf des begleitenden Inhalts einer abgesetzten Welt an sich; die unmittelbar gegebene Welt an sich erscheint in der Selbstvermittlung des Ich-Selbst. Wir haben es mit einer schon immer ursprünglich vermittelten, aber unmittelbaren Drei-in-Einheit zu tun.
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§ 5 Vorläufiger Einwand
Das Ich erfährt sich in der Vorstellung als Selbst, und diese Ur-Teilung in sich wiederholt sich nun in einer vorgestellten Welt und ihrer logischen Beziehung als Welt an sich, woraus die vorgestellte Welt als Gleichnis entsteht, so wie auch das Selbst in der Reflexion ein Gleichnis des Ich sein soll. Aber ist nun das vorgestellte Selbst dem ursprünglichen Ich näher und unmittelbarer als die vorgestellte Welt der Welt an sich? Aus der Drei-in-Einheit ist nicht zu entkommen. Die Vorstellung einer Welt an sich wird durch die Selbstvorstellung des Ich auch wieder zurückgenommen. Es ist so weder etwas gewonnen noch etwas verloren in Richtung zum Realismus der „natürlichen Einstellung“. Allein dieses Grundverhältnis muss zunächst einmal richtig gedeutet werden. Warum soll nun das ursprüngliche Ich unmittelbarer gegeben sein als eine Welt an sich? Müsste man dieses Ich nicht ebenso als seiendes absprechen wie die Welt an sich, und dann ergibt sich nach wie vor die Drei-in-Einheit als Erscheinung und ihre darin aufkommende Forderung eines An sich, sei es nun Welt oder Ich. Und darin bleibt immer gegeben die Trennung zwischen Wahrnehmung und Denken, weil erst das Denken ein An sich hinter der wahrgenommenen Vorstellung suchen oder vermuten kann. Dieses müssen wir annehmen: Was von dem Ich in die Vorstellung geht, das steht damit in der Unterscheidung des Selbsterkennens; und nichts, aber auch gar nichts von dem, was dem Ich bewusst wird, entrinnt der Vorstellung. Es dürfte nun nicht daran liegen, dass dieses Ich zu wenig Zeit und zu wenig Übung hat, um seine ureigene Zone oder Sphäre von allem, was Welt ist, zu lösen. Vielmehr verhält es sich doch so: Dieses Ich gewahrt seine ureigene Zone nur im Vergleich am Weltanderen. Selbsterkenntnis wird nur am Anderen möglich.
§ 6 Husserls phänomenologisch-psychologische Reduktion 1. Die erste Grundeinsicht des Selbstbewusstseins und ihre beiden logischen Möglichkeiten Die transzendentale Entscheidung, die sich in der phänomenologischen Reduktion vollzieht, hat eine Vorstufe: Die Betrachtung der „reinen Region des Bewusstseins“ kann so geschehen, dass sie das Sein der „realen Welt“ als gegenständliches Gegenüber im Sinne des Realismus noch offen lässt, also noch nicht „in Klammern setzt“. „Wir beginnen die näheren Ausführungen mit einer Reihe von Betrachtungen innerhalb deren wir uns mit keiner phänomenologischen 1pow^ mühen. Wir sind in natürlicher Weise auf die „reale Welt“ gerichtet und vollziehen, ohne die natürliche Einstellung zu verlassen, eine reine psychologische Reflexion auf unser Ich und sein Erleben.“1 Zwar ist das „reine“ oder „transzendentale Bewusstsein“ das „phänomenologische Residuum“, es entspricht aber so der „absoluten Region des Bewusstseins“ und nicht bloß der „reinen Region des Bewusstseins“.2 Jeder Wahrnehmung oder Vorstellung entspricht natürlicherweise ein seelisches Erleben. Indem ich dieses zum Gegenstand der Betrachtung mache, tritt die Einstellung zu einer Welt an sich noch gar nicht heran. Aber diese psychologischphänomenologische Voreinstellung enthält natürlich schon den Verständnisgrund zur transzendentalen Reduktion in sich, weil anders letztere gar nicht durchzuführen wäre. Denn schon hier gilt es aufzuzeigen, dass alle Phänomene der Welt in einem „Erlebnisstrom“ des seelischen Ich, der „reinen Region des Bewusstseins“ so gegeben sind, „dass sie ohne diese Einheit nicht sein können, und dabei einsichtig zu machen, dass eine reine Bewusstseinserfahrung derart möglich ist, dass sie, von reinem Erlebnis zu reinem fortschreitend, nie anderes berührt und mit aufnimmt als wieder Bewusstsein – wohin alle Bewusstseinssynthesen gehören.“3 Dass es hier letztlich nicht um Psychologie geht, erläutert die „Phänomenologische Psychologie“. „Transzendentale und psychologische Phänomenologie als in ihrem Grundsinn verschieden müssen aufs schärfste auseinandergehalten werden. Das aber, obschon die eine in die andere durch bloße Einstellungsänderung übergeht, also beiderseits „dieselben“ Phänomene und Wesenseinsichten auftreten, aber sozusagen mit ver-
1 Ideen I. S. 74. § 34. Das Wesen des Bewusstseins als psychologisch-phänomenologisches Thema. 2 Vgl. § 33. 3 Ideen I. S. 76.
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§ 6 Husserls phänomenologisch-psychologische Reduktion
schiedenen Vorzeichen, das ihren Sinn prinzipiell ändert“.4 Im Rahmen dieser Einstellung darf gesagt werden: „Der Psychologe ist auch als eidetischer Phänomenologe transzendental naiv.“5 Wir haben es mit einer „wundersamen Parallelität“ zu tun, worin die phänomenologische Psychologie mit der transzendentalen Phänomenologie zur Deckung kommt, wenngleich sie scharf getrennt bleiben. Es genügt „ein einziger Willenschritt, der Wille zu einer universalen und radikalen Epoché, zu einer transzendentalen Umwertung aller phänomenologisch-psychologischen Ergebnisse“, um jene Einsicht einzuholen, worin sich das „transzendentale Ich“ als die absolute Quelle aller Vorgänge des Bewusstseins weiß. Umgekehrt lässt sich derselbe Willenschritt zurück tun. „Freilich verbleibt in diesem als bleibender Erwerb der transzendentalen Forschung das Wissen, das dem naiv positiven Psychologen fremd bleibt, dass die gesamte und speziell die psychologische Positivität noematisches Gebilde transzendentaler Leistungen ist.“6 Auch die psychologische Positivität wird zum Phänomen, das wie die andere Seinsgeltung, die Welt der äußeren Phänomene, dem Monopol des transzendentalen Ego entspringt. Husserl zögert nicht, auch diesen Erfahrungsbereich als „noematisches Gebilde“ zu bezeichnen. Eine Kluft zwischen der „Region der reinen Phänomene“ und der „Region des reinen Bewusstseins“ lässt sich durchgehend nicht ausweisen. Die „Region des absoluten Bewusstseins“ und die „Region des reinen Bewusstseins“ werden so nur zwei verschiedene Einblendungen durch einen „Willenschritt“. Es ist das „reine Bewusstsein in seinem absoluten Sein“, was letztlich zurückbleibt7; es kommt darauf an, dass sich beide Regionen in einer absoluten Region schließen. In dieser Zusammenfassung dürfen wir die phänomenologische Reduktion einmal mit dem Satze Schopenhauers vergleichen: Wenn es eine Wahrheit a priori gibt, die aller erdenklichen Erfahrung vorausliegt, so doch diese, dass die ganze Welt meine Vorstellung ist. Bis dahin stimmen jedenfalls beide überein, weil mit „aller erdenklichen Erfahrung“ die Region des reinen Bewusstseins nicht ausgeschlossen wird. Nicht nur Husserl und Schopenhauer kommen an dieser ursprünglichsten Einsicht, die sich als Selbsterkenntnis des Denkens vorstellt, zusammen. Der ausschließliche Vorrang des Denkens, worin es sich eben scharf von jeder anderen Wahrnehmung abgrenzt, steht zur unmittelbarsten Einsicht immer an bei jedem Vollzug einer Vernunfterkenntnis. Die Philosophen mögen sich streiten, wie man die obersten Denkgesetze erklärt und darüber hinaus, ob dieses Seiende vor mir nur meine 4
Husserl, Edmund: Phänomenologische Psychologie. Den Haag 1962. (Husserliana; 9.) S. 247 – 248; ebda. „Auch die in phänomenologischem Sinne reine Psychologie, thematisch umgrenzt durch die psychologisch-phänomenologische Reduktion, ist immer noch positive Wissenschaft, sie hat die Welt als vorgegebenen Boden.“ Husserls Gebrauch des Wortes „Wesen“ und „Wesenseinsicht“ vollendet freilich das Wirrwarr um das „Wesen“, welches sich im Laufe der Geschichte darum eingestellt hat. 5 Ebda. S. 335. 6 Ebda. S. 343. 7 Ideen I, § 50.
1. Die erste Grundeinsicht des Selbstbewusstseins
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Vorstellung ist oder die getreue Abbildung eines Dinges. Schopenhauer hat es bereits gesagt. Hier steht die offenbarste Wahrheit an, die einzige, welche kein Philosoph anders deuten kann. Diese Einsicht formt sich jedoch für den Phänomenologen zu dem Satze: „Das immanente Sein ist also zweifellos in dem Sinne absolutes Sein, dass es prinzipiell nulla „re“ indiget ad existendum.“8 Es gilt aber aufzuzeigen, dass dieser Satz, nämlich die phänomenologische Ausformung der ersten Grundeinsicht, in der zweiten Hälfte bereits eine Vorentscheidung unterlegt hat. Unsere eben gemachte Aussage erscheint auf den ersten Blick als haltlos, sogar als Widerspruch in sich; denn dieser Satz kann doch bestehen, ob ich Realist bin oder Transzendentalist. Er ist in der Zone des Erkennens unanfechtbar, und alles, was in meinem Bewusstsein als Selbstbewusstsein vorgeht, ist „immanentes Sein“ und daher absolut, weil keine andere Quelle als mein Erkennen nachweisbar ist. Was in dieser Region nicht zur Vorstellung kommt, ist nicht da. Dies beinhaltet der Satz, und er schließt das „immanente Sein“ mit dem transzendentalen Ego ineins. Von diesem Angelpunkt des phänomenologischen Bewusstseins aus erweist sich die andere Einstellung als eine Auskehr ins Ungewisse, die allerdings rein logisch nicht widersinnig ist.9 Die Tatsache des naiven Standpunkts, dem die Philosophen und alle anderen Wissenschaften bisher obliegen, bezeugt die Möglichkeit. Ich habe immer die Möglichkeit, mich in den naiven Standpunkt zu versetzen, weil ich logisch nicht widerlegt werde. Aber diese Tatsache, wie ist sie zu verstehen? Beziehe ich einen übergeordneten Standpunkt als Phänomenologe, so dass die Ur-Teilung in eine jenseitige und eine psychische Seite wie eine Vorstufe unter mir liegt? Dann gäbe es den Streit nicht. Es handelt sich um ein jeweiliges Ein- und Ausblenden zweier logischer Möglichkeiten, und dies geschieht in einem „Willenschritt“, wie Husserl bemerkt. Wir wollen den Willenschritt nicht überbewerten; es darf hier dem Phänomenologen keine Willensentscheidung unterstellt werden, die im Vorgang nichts zu suchen hätte. Aber gerade deshalb muss der Willenschritt auch bewertet werden. Er steht außen, und es gibt noch etwas anderes im Verhältnis, auch wenn es in der Formgebung oder in der Seinsbegründung nirgendwo nachweisbar wird. Husserl räumt die Möglichkeit des anderen Standpunkts „rein logisch“ ein, sie ist nicht von der Hand zu weisen; aber den Vorwurf eines sachlichen Widersinns lässt er sofort folgen. Er muss geprüft werden. Die logische Möglichkeit reicht ihm nicht aus. Das die „reine Reflexion übende Ich“ kommt zu dem Ergebnis, dass eine Welt jenseits meines Bewusstseins für mein „aktuelles Ich“ „als ausweisbare Einheit meiner Erfahrungszusammenhänge“ „notwendig“ gegeben sein müsse.10 Es wird also für diese Gegebenheit der Grad einer unmittelbaren Einsicht gefordert.11 Bei 8
S. 115. S. 113, § 48. 10 § 48. 11 Wir vermeiden das Wort „Gewißheitsgrad“, weil damit die unmittelbare Einsicht mit der unmittelbaren Gewißheit vermengt würde. Nach unserer Auffassung ist bis jetzt in der Kritik hier eine sehr wichtige Unterscheidung noch nicht bedacht worden. 9
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§ 6 Husserls phänomenologisch-psychologische Reduktion
näherem Zusehen erweist sich indes diese Forderung als jene überzogene Forderung, worauf schon hingewiesen worden ist.12 Es ist das die reine Reflexion übende Ich, welches die Forderung aufstellt, indem es sich zum Monopol des Bewusstseins setzt. Es ist aufzuzeigen, dass dieses Ich in diesem Akt („aktuelles Ich“) seinen Teil für das Ganze ausgibt. Der Vorwurf, den Husserl dem Realismus macht, enthüllt sich auch als sachlicher Grund für Husserls Kritik an Kant. Husserls Festlegung einer in der Sinnlichkeit verwachsenen oder verwurzelten Vernunft wird hier zur notwendigen Selbstverteidigung, um die Einstellung zu halten. Das die reine Reflexion übende Ich hat auch Aristoteles als Noesis Noeseos schon gekannt13, doch kommt er zum gegenteiligen Schluss: „Denn das Sein der Vernunfterkenntnis und des Erkannten ist ja nicht dasselbe.“ Husserl steht hier völlig allein. Reflexion lässt sich nur als innerste Auseinandersetzung des Denkens mit der vorgelagerten Sinnlichkeit, aber auch mit dem gesamten Gemüt verstehen. Gewiss bleibt das transzendentale Ego als letzter Punkt und Strahlenkegel der Einheit allein zurück, doch damit ist keineswegs ausgemacht, dass es die Gesamtheit des Bewusstseins auch außerhalb seiner Zone vertreten kann. Um Husserls Anspruch halten zu können, müsste die Reflexion auch unmittelbar Sachen anschauen können. Tatsächlich wird sich die Reflexion immer als Rückzug in eine einseitige Verstandeshaltung erweisen; sie legt hier allgemeine Richtlinien fest; sie kann aber gerade so keinen „Erfahrungszusammenhang“ in sich beurteilen. Von einem „sachlichen Widersinn“ kann keine Rede sein, weil er dort aufleuchten müsste, wo Husserl zumindest eine „logische Hypothese“ einräumt. Mehr darf also hier gar nicht erwartet werden.
2. Die Phänomenologie der „psychischen“ Region und die „Erlebnisseite“ im Erkennen An der Dingwahrnehmung kann sich das Bewusstsein als Erlebnisseite zum Gegenstand seiner Betrachtung setzen. Was Husserl hier als Erlebnis bezeichnet, begründet sich vor allem aus den Absichten der Reduktion; für uns zeigt sich gerade darin ihr auffälligstes Merkmal: Das Erlebnis in seiner anderen Gegebenheit gegenüber dem Erkennen gehört so gar nicht mehr hinein in die absolute Region des Bewusstseins. Das Erlebnis wird in der transzendentalen Reduktion als „absolutes Sein“ für die Selbstvorstellung des Erkennens, für das Selbst-Erkennen im engsten Sinne, in Anspruch genommen. Es kommt hier darauf an, dass Erlebnis als gemüthafte Erfahrung in Form einer Wertung oder einer anderen Betroffenheit zurückgehalten wird. Jedes Erlebnis hat „ein eigenes, intuitiv zu erfassendes individuelles Wesen“, das aber dennoch sich nach einem „allgemeinen Wesen“, einer reinen „Wesensartung“ 12 13
Vgl. § 5. Metaph. 1074 b 34 – 1075 a.
2. Die Phänomenologie der „psychischen“ Region
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einordnen lässt.14 Lediglich die Weise des Gegebenseins soll betrachtet werden, und dann bleibt das Cogitatum als solches jenseits; sein reeller Gehalt gehört nicht mit zum Thema. „Und doch ist es klar, dass die cogitatio in sich cogitatio von ihrem cogitatum ist, und dass dieses als solches, und so wie es da ist, von ihr unabtrennbar ist.“15 Darum lässt sich diese Betrachtung auch durchführen, ohne dass auf die Grundeinstellung der transzendentalen Reduktion zurückzugehen ist. Genauer gesagt: Der Phänomenologe hat diese Einstellung noch gar nicht erreicht.16 Zum Wesen einer Cogitatio gehört, dass sie umgeben ist von einem „Hof von Hintergrundanschauungen“,17 „der Erlebnisstrom kann nie aus lauter Aktualitäten bestehen.“18 So hat z. B. der Hinblick gerade jetzt im Hintergrund immer noch Erinnertes, sonstwie wahrgenommene Erfahrung; wir haben so „erfahrende Akte, Gefühlsakte, Willensakte, ausdrücklich und nicht ausdrücklich.“19 Allen diesen Erlebnissen des Bewusstseins als Cogitatio, dem Cogito, eignet ein gemeinsames Wesen, die „Intentionalität“. Das intentionale Erlebnis bestimmt sich als „rein phänomenologisches Erlebnis“, es darf nur Bezug nehmen auf das, was in der Cogitatio „a priori, in unbedingter Notwendigkeit beschlossen ist.“20 Es bedeutet, dass Werturteile nicht in seiner reinen Erfassung enthalten sein dürfen. Würde man Husserls Absichten mit denen einer Erkenntnispsychologie gleichsetzen, so hätte man sein Anliegen in eine falsche Richtung gelenkt. Es trifft jedoch sicherlich zu, dass seine Vorgehensweise die alte Vorstellung der Psyche voraussetzt, wonach Cogitatio im weiten Sinne von dieser als ihrem umfassenden Grund veranstaltet und getragen wird. Sieht man von jeder Wertung in der Cogitatio ab, darum geht es ja hier, dann bleibt diese Cogitatio dennoch ungeschieden nach Akten des Gemütes und Akten des Erkennens.21 Als allgemeinste Einheit stellt sich aber hier schon die Absolutheit des transzendentalen Ego heraus: „das sagt als[o], dass dieses zum Wesen des cogito, des spezifischen Aktes als solchen gehörige, im geistigen Blick, im geistigen Auge haben, nicht selbst wieder ein Akt ist und insbesondere nicht mit einem Wahrnehmen (in einem noch so weiten Sinne) verwechselt werden darf und mit allen anderen, den Wahrnehmungen verwandten Aktarten. Es ist zu beachten, dass (wie schon weiter oben berührt worden ist) intentionales Objekt eines Bewusstseins (so genommen, wie es dessen volles Korrelat ist) keineswegs dasselbe 14
Ideen I. § 34. S. 75. S. 77. 16 Vgl. S. 74. 17 S. 77. 18 S. 79. 19 S. 79. 20 S. 80. 21 „Diesen Aktbegriff scharf geschieden zu erhalten, werden wir ausschließlich für ihn die Cartesianischen Reden cogito und cogitationes vorbehalten, … In diesem ausgezeichneten Sinn haben wir erfahrende Akte, Gefühlsakte, Willensakte, ausdrücklich und nicht ausdrücklich.“ S. 79; „Dieser Ichblick auf etwas ist, je nach dem Akte, in der Wahrnehmung wahrnehmender, in der Fiktion fingierender, im Gefallen gefallender, im Wollen wollender Blick-auf usw.“ S. 81. 15
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§ 6 Husserls phänomenologisch-psychologische Reduktion
besagt wie erfasstes Objekt.“22 Cogito meint jene letzte transzendentale Einheit, die Kant so bezeichnet: „Das „Ich denke“ muss alle meine Vorstellungen begleiten können.“23 Damit ist schon gesagt, dass dieser „höchste Punkt“ (Kant) jederzeit, auch wenn sonst nicht eigens gesetzt, zum intentionalen Objekt werden kann.24 Bewusstsein kann nur so sich in die Vorstellung bringen, soweit das transzendentale Ego sich selber einholen kann. Die Einholung zeigt sich als Scheidung des Bewusstseins in „immanente und transzendente Wahrnehmung“.25 Die immanente Wahrnehmung enthüllt sich darin als eine „wesensmäßige“ und „unvermittelte“, soweit sie sich immer wieder von einem transzendenten Gehalt abscheiden lässt. Die innere Einheit des Bewusstseins als „Erlebnisstrom“ wird so zur Vorstellung gebracht, dass alles, was als jeweils sich Wandelndes erweist, zur Transzendenz gehört. So gehört es nicht zum Wesen der inneren Wahrnehmung. Es wird möglich, sich um die „Gewinnung des Wesens jenes transzendentalen reinen Bewusstseins zu bemühen.“26 So sind die Dinge in ihrer Erscheinung als „abgeschattete“ gegeben (Farben, Gestalten, Glätte) und darin einem ständigen Wandel unterlegen, sie sind uns nie ganz gegeben. Die „Abschattung“ aber ist „prinzipiell nicht von derselben Gattung wie Abgeschattetes. Abschattung ist Erlebnis.“27 Das Abgeschattete wird nur möglich als räumlich, aber nicht als Erlebnis.28 Was so im Verhältnis von Abgeschattetem und Abschattung offenbar wird, zeigt sich als „grundwesentlicher Unterschied“ im Bewusstsein: „Sein als Erlebnis und Sein als Ding. Prinzipiell gehört es zum regionalen Wesen Erlebnis (speziell zur regionalen Besonderung cogitatio), dass es in immanenter Wahrnehmung wahrnehmbar ist, zum Wesen eines Raumdinglichen, dass es das nicht ist.“29 Transzendent auf der Stufe der psychologisch-phänomenologischen Reduktion ist immer der Dinggehalt im Bewusstseinsakt, dem das Erlebnis als die immanente Wahrnehmung zugeordnet ist. Was am Beispiel des Raumdinges in Form von „Abgeschattetem“ und „Abschattung“ aufgekommen ist, gilt ähnlich in den anderen Vermögen. Der Gerade-Hinblick des Bewusstseins hat das Ding „reell immanent“. Am ständigen Wechsel der Dinggehalte löst sich die immanente Wahrnehmung als Gegenstand ab, und so bleibt das Ding nicht mehr immanent, es ist die Transzendenz als die Möglichkeit der Auffüllung. Immanenz als Gegenstand der Beobachtung bestimmt sich dann nicht einfach als die Abstractio oder das Gleichnis der Dinggehalte, Immanenz meint hier die Begriffsvermögen des Bewusstseins als „Erlebnis“. Indem ich so jeweils die Transzendenz des „intentionalen Objekts“ absondere, 22 23 24 25 26 27 28 29
S. 81 – 82. Krit. d. r. Vern. § 16. S. 84. § 38. S. 87. S. 94 – 95, § 41. Ebda. S. 95, § 42.
2. Die Phänomenologie der „psychischen“ Region
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erschließt sich Bewusstsein als in sich geschlossener Zusammenhang, wenngleich es zu seinem Wesen gehört, dass es ohne das transzendente Objekt nicht sein kann und nicht zur Selbstdarstellung des „Erlebnisses“ kommen kann. Während der Realismus an diesem Verhältnis den Allgemeinbegriff als solchen nach seinem Bezug zu einer echten Transzendenz zu fassen sucht, verlagert sich hier das Verhältnis auf einen in sich geschlossenen Bewusstseinszug, Erkennen als Erlebnis, jedoch abgeschirmt zum Dinggehalt. Die Erfahrung entsteht nicht als Zwiesprache zwischen Sein und Erkennen, so dass sich beide Seiten aneinander beleuchten und enträtseln. Die Erfahrung wird in einer Abschirmung gesucht; Bewusstsein soll zum „Residuum der Weltvernichtung“ werden, damit es zu sich findet. Dazu muss die Erlebnisseite des Bewusstseins ausgeleuchtet werden, auch der Allgemeinbegriff in seiner so begriffenen Fassung muss daran in die Transzendenz gehen. Aber Transzendenz erhält sich dann als bloße Leere. Betrachten wir das Verhältnis im Zusammenspiel nach seiner Erscheinungsweise und nach seiner Erlebnisweise, so ergibt sich für das Erlebnis der Ausschluss des Abgeschatteten. Diese Seite hält sich nicht offen an endloser, immer neuer Erfüllung, weil sie nach ihrer Eigenart voll und ganz „einstimmig“ gegeben wird. Auf der anderen Seite darf die abgeschattete Weise des Dinggehaltes nicht dahin missverstanden werden, dass dabei nur ein „Abbild“ des Dinges gegeben wäre. Die Similitudo im Verständnis des metaphysischen Realismus müsste nach Husserl sich ad absurdum führen, weil sie endlos auf eine Folge von Bild in Bild hinauslaufen soll. Es gehört zum Wesen der Wahrnehmung, dass sie das Abgeschattete nicht als Bild (Bildtheorie), noch weniger indes als Zeichen (Zeichentheorie) erfasst; das Ding steht als „es selbst“ in der Abschattung. Die Abschattung an der Dingwahrnehmung vollzieht sich innerhalb eines Wahrnehmungstyps (z. B. Sehen); der Phänomenologe nennt eine solche „Modifikation“ sogar „Stil“. In der Weise des Gegebenseins kommt dem Ding eine „gewisse Inadäquatheit“ zu.30 Das Ding ist nicht nur in einer Weise gegeben, im Hintergrund kommen so z. B. Erinnerungsgehalte zu den Augenblicksgehalten hinzu. Abschattung und inadäquate Gegebenheit deuten an der Dingwahrnehmung das Erlebnis der Immanenz an, das Abgeschattete in seinem Wandel und seiner endlosen Möglichkeit stellt sich als die Dingseite dar. Die Quelle der Transzendenz führt so das Abgeschattete als sein Grundmerkmal an, dem gegenüber das Erlebnis in seiner Immanenz als „absolutes Sein“ bestehen kann. Wie man jetzt bemerkt, lässt sich das Verhältnis zwischen der abschattenden Wahrnehmung und dem abgeschatteten Ding jedoch nicht so einseitig und klar gesondert darstellen, wie der Phänomenologe es sehen will. Die Voraussetzung, die kurz zuvor erwähnt worden ist, dass nämlich das Ding (es selbst) und nicht eine bloße Similitudo gegeben ist, kommt hier mit ins Spiel. So hält sich der Vorgang in einem Schwingen (Oszillation), wobei Immanenz und Transzendenz sich doch nicht so eindeutig einordnen lassen. Nach dem Phänomenologen haben wir es jedoch mit einer durchgehenden Kennzeichnung zu tun: „Ein Gefühlserlebnis schattet sich nicht 30
§ 44.
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§ 6 Husserls phänomenologisch-psychologische Reduktion
einseitig ab [wie es die Dingseite tut]. Blicke ich darauf hin, so habe ich für jeden Punkt seiner kontinuierlichen Gegenwart ein Absolutes, es hat keine Seiten, die sich bald so, bald so darstellen könnten.“31 Wenn auch das Erlebnis der Immanenz ständig zerfließt und darin vollständig niemals wahrnehmbar ist, „diese Unvollständigkeit, bzw. „Unvollkommenheit“, die zum Wesen [gehört], ist eine prinzipiell andere als diejenige, welche im Wesen der „transzendenten“ Wahrnehmung, …“32 Das Erlebnis als immanente Wahrnehmung einerseits und das Ding als transzendent Wahrgenommenes bewahren in den Weisen der Wahrnehmung jeweils ihre eigentümlichen Weisen der Gegebenheit. Für den Phänomenologen begründet sich die „Gegebenheit“ zu einer „Seinsart“ im transzendentalen Sinne. Was sich dann als Erlebnis abzeichnet, gehört zu jener Seite oder Seinsart, welche grundsätzlich der Reflexion zur Verfügung steht. Erlebnis nach dieser Festlegung und in dieser Vorstelligkeit versteht sich daraus als absolut, dass es immer und schon vor jedem Wahrgenommenen da ist. Absolute Gegebenheit erhärtet sich daraus, dass ich das Ding nach seiner anderen Gegebenheit, sei es eine bloße Täuschung, eine Verfehlung oder sonst wie, fallen lassen kann; dagegen erlaubt das Erlebnis als Dingwahrnehmung keinen Zweifel in mir. „Aber mein Einfühlen und mein Bewusstsein überhaupt ist als strömende Gegenwart originär und absolut gegeben, nicht nur nach Essenz, sondern nach Existenz.“33 Alles Dingliche in der Wahrnehmung ist nie notwendig und immer zufällig.34 „Der Thesis der Welt, die eine „zufällige“ ist, steht also gegenüber die Thesis meines reinen Ich und Ichlebens, die eine „notwendige“, schlechthin zweifellose ist. Alles leibhaft gegebene Dingliche kann trotz dieser leibhaften Gegebenheit auch nicht sein, kein leibhaft gegebenes Erlebnis kann auch nicht sein: das ist das Wesensgesetz, das diese Notwendigkeit und jene Zufälligkeit definiert.“35 Wir wollen die schrittweise Reduktion, die Husserl später durchführt, im einzelnen hier nicht mehr beschreiben. Wie schon mitgeteilt worden ist, steht in der psychologischen Reduktion immer die transzendentale Einsicht offen, denn anders wäre sie überhaupt nicht zu vollziehen: Bewusstsein als Erlebnis ist zwar „modifiziert“ durch eine Dingwelt, aber es steht allein als zweifelloses, notwendiges, daher absolutes Sein in dem Sinne da, dass es „als ein für sich geschlossener Seinszusammenhang zu gelten hat …, in den nichts hineindringen und aus dem nichts entschlüpfen kann.“ „Zwischen Bewusstsein und Realität [reales Sein, innerhalb der Wahrnehmung transzendent] gähnt ein wahrer Abgrund des Sinnes.“ „Immanentes oder absolutes Sein und transzendentes Sein heißt zwar beides „seiend“, „Gegenstand“, und zwar hat beides seinen gegenständlichen Bestimmungsgehalt; evident ist
31 32 33 34 35
§ 44. S. 102. S. 103. § 46. S. 107. S. 108. § 46. S. 108 – 109.
3. „Wahrnehmungserlebnis“ und die „Dingwahrnehmung“
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aber, dass, was da beiderseits Gegenstand und gegenständliche Bestimmung heißt, nur nach den leeren logischen Kategorien gleich genannt ist.“36
3. Die Unklarheit zwischen den Regionen in Bezug auf das „Erlebnis“ und die „Erscheinung“ oder: das „Wahrnehmungserlebnis“ und die „Dingwahrnehmung“ Mit den zuletzt angeführten Sätzen ist die Reduktion zwar nur in der Skizze, jedoch so vollständig umrissen gegeben. Zieht man die Sätze im Umfeld hinzu, so könnte man leicht zu dem Ergebnis kommen, dass Husserl hier ein Prüfverfahren entwickelt hat, dessen Zweifel ein Instrumentarium an die Hand liefert, ohne dass hier eine Welt an sich in Abrede gestellt würde. Dem dürfte indes nicht so sein. So heißt es zunächst im Sinne einer geduldeten Welt: „Nicht ist die reale Wirklichkeit „umgedeutet“ oder gar geleugnet …“ Aber dann folgt auch sofort wieder: „Der Widersinn erwächst erst, wenn man philosophiert …“37 Und darin spricht sich die Grundhaltung aus. Die Phänomenologie lässt alles offen, solange man keine metaphysischen Aussagen beabsichtigt; sie richtet sich aber sofort als drohende, feindselige Mauer auf, wenn man hinübersetzen will. In der ersten Betrachtung wurde nur aufgezeigt, dass eine Welt an sich keinen logischen Widersinn einschließt. Der Phänomenologe sagt hier: Das ist nicht genug, um die Welt nicht in Abrede zu stellen. Der Realist aber sagt hier: Mehr kann man an dieser Stelle gar nicht erwarten. Jetzt geht es aber darum, etwas mehr aufzuzeigen als nur das Fehlen eines Widersinns. Nicht als ob hier für den Realismus ein Stützpunkt oder ein Beweiszusammenhang ins Feld geführt werden könnte. Es soll geprüft werden, ob Phänomenologie in ihrem von Husserl ausgeführten Ansatz nicht von einer unklaren Auslegung des Bewusstseins ausgeht, worauf sie ihre „Verschlossenheit“ gegenüber der Welt stützt. Es müsste also mehr noch an Schwäche deutlich werden als nur die Forderung eines Mutterbodens im Bewusstsein, wo Verstand und Sinnlichkeit ineinander verfasert sind. Husserl spricht von einem gähnenden Abgrund zwischen dem Seinssinn des Erlebnisses und dem Seinssinn des Dinghaften. An diesem Abgrund zerbricht dann auch jede Analogia oder Similitudo. Aber gerade so verfällt er in den alten Fehler Kants; und es geht ihm doch so sehr darum, den Idealismus Kants zu vermeiden, weil dieser das Ding an sich als unverarbeiteten Restbestand, nur als Existenz, nicht als Essenz, stehen lassen musste. Denn dieser gähnende Abgrund bleibt ja innerhalb der Wahrnehmung als immanente Transzendenz erhalten, auch hier lässt es sich nicht vermeiden, dass die Kluft der Seinsbegriffe zu einer Schwingung zwischen transzendental und transzendent wird, die sich so auch in ihrem Ausschwingen dem Begriff entzieht. Bleibt also doch ein unbekannter Seinsrumpf zurück? Darauf ist 36 37
S. 116 – 117, § 49. § 55. S. 155.
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§ 6 Husserls phänomenologisch-psychologische Reduktion
zunächst einmal hinzuweisen. Der gähnende Abgrund, der sich als zwei völlig verschiedene Seins- bzw. Gegebenheitsweisen anstellt, klafft zwischen der reinen Region der Phänomene und der reinen Region des Bewusstseins. Aus der reinen Region des Erlebnisses begründet sich indes die absolute Region als Bewusstsein, „in die nichts hineindringt“ von jenseits, aus der aber auch „nichts hinausdringt“. Damit zieht sich ein Riss durch die transzendentale Reduktion, der sich immer wieder in jeweils neuen Zuordnungen als Dunkelzone erhält. Wir haben es mit einer unscharfen Zone rein im Bereich der Phänomene zu tun. Aber die Reduktion steht und fällt gerade damit, dass an ihrer Eingründung alles unmittelbar und unmissverständlich aufleuchtet. Die Abgründe, welche auftauchen, wenn die Gesamtheit des Bewusstseins angenommen wird, lässt der Phänomenologe gar nicht in seiner transzendentalen Reduktion herankommen. Denn diese „psychische“ Phänomenologie erstellt sich dann als nachgeordneter Bereich, während sie nach unserer Auffassung gerade in der letzten transzendentalen Eingründung als zwei unmittelbar einsichtige Zonen ursprünglich ineinanderleben. Über diesen wichtigsten Punkt der Auseinandersetzung ist noch nachzudenken. Was sich nämlich dann als echter Abgrund enthüllt oder mehr verheimlicht, wird sich in der Phänomenologie demgemäß, weil nicht angenommen, als Untiefe herausstellen müssen. Wir wollen nicht vergessen, dass Husserl die Eigenart der Gegebenheiten, die durchgehenden Merkmale der Seiten, im Stadium der psychologisch-phänomenologischen Reduktion aufweist. Hier darf ja der philosophische Phänomenologe noch naiv sein. Aber schließt sich die Dunkelzone oder der Riss, wenn die transzendentale Reduktion sich im absoluten Bewusstsein schließt? Steht diese Zone dann nicht noch mehr zu einer metaphysischen Bewältigung an, die verdrängt wird. Auch die Sprache Husserls ist hier auffallend undeutlich, sie sucht undurchsichtige Fremdworte, die das Verhältnis verschleiern. Das Bewusstsein erweist sich so z. B. als „modifiziert“, wo schlicht und offensichtlich dessen Abhängigkeit vom „Abgeschatteten“ vorliegt. Hier verfolgen wir nun weiter die Spur des Risses. Die immanente Transzendenz ist das „Abgeschattete“, es gehört nicht zum „Erlebnis“, das ja auch als „Phänomen“ seiner Seite betrachtet werden kann. Aber die „Abschattung“ geht auf das Wahrnehmungserlebnis zurück, und sie erklärt sich so, ob ich noch naiv beobachte oder den transzendentalen Standpunkt beziehe. Es ist durchaus so einsehbar, wie der Phänomenologe es darstellt. Aber die Dinge ändern sich doch unter der Hand, wenn ich von einem gähnenden Abgrund rede und danach vom transzendentalen Bewusstsein aus eine Aussage im Sinne einer vorausgesetzten Welt zurückweise. Kann ich nämlich als Phänomenologe vom naiven Standpunkt aus die Verhältnisse als unmittelbar ansichtig hinnehmen, so ändert sich aber unbemerkt die Einstellung, wenn sich das Bewusstsein schließt. Nun wird eine neue Sicht, nämlich eine Erklärung, eigentlich unvermeidlich. Der Phänomenologe entwickelt seinen Standpunkt naiv, springt dann durch einen „Willenschritt“ in den transzendentalen Standpunkt, tut indes so, als ob die „Phänomene“ sich nach wie vor so einorten lassen. Dabei hilft ihm natürlich seine grundsätzliche Arbeitsanweisung: die intuitio sine comprehensione.
3. „Wahrnehmungserlebnis“ und die „Dingwahrnehmung“
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Wir kommen zu dem Ergebnis, dass Husserl hier auf zwei Seiten steht. Der Sprung in den transzendentalen Standpunkt schließt mit ein, dass der Phänomenologe auch jede Aussage gegen den Realismus unterlässt, weil er sich anders in zwei Seiten verwickelt. Die transzendentale Reduktion enthält eine gewisse Selbsteinkerkerung, der sich Husserl nicht unterzogen hat. Die Kluft der Gegebenheitsweisen am naiven Standpunkt wird zum Widerspruch nach dem Sprung. Müsste der Phänomenologe nicht zu folgender Weltansicht kommen? Ich, der ich die transzendentale Reduktion vollzogen habe, darf dem Realisten jetzt nicht mehr ins Handwerk reden. Er tut es aber, wenn er von einer „historisch entarteten Metaphysik“ spricht und seine Weltsicht als die wahrhaftige Metaphysik ausgibt.38 Es sind weitere Festschreibungen, die rein nach ihrer Erscheinungsweise zu prüfen sind, da Husserl den entscheidenden Schlussakt darauf setzt. Dem Dinglichen als dem durchgehend Zufälligen wird das Erlebnis als das verbleibend Notwendige entgegengestellt. Damit unmittelbar verflochten soll sich das Zufällige auch als das Zweifelhafte, das nach Existenz und Essenz Ungesicherte erweisen, und umgekehrterweise stellt sich das Notwendige als das zweifelsfrei Erkannte dar. Aber werden hier nicht zwei Betrachtungsinhalte auf jeder Seite kurzerhand verselbigt? In rein logischem Ausmaß lässt sich hier fragen, ob notwendig und zweifellos, zufällig und ungewiss a priori untrennbar zueinander gehören. Darum lässt sich diese Frage auch unabhängig davon stellen, ob ich mich naiv oder transzendental einstelle. Ist es nicht so, dass hier jeweils eine Existenz-Aussage und eine Essenz-Aussage in Missachtung ihrer Unterschiede mit innerer Notwendigkeit zusammenhängen sollen? So wären „notwendig“ und „zufällig“ als wesentlich zu bezeichnen, zweifelhaft und zweifellos beziehen sich in diesem Zusammenhang auf ein Vorhandensein. Betrachte ich die Zuordnungen dann nach der Dingseite und nach der vorstellenden Seite, so erhalte ich den anderen Gesichtspunkt der Epoché, den doch Husserl selbst zum Ausgang nimmt. „Ich negiere nicht das Sein der Welt als wäre ich Sophist.“39 Ich zweifle am Wesen des Dinges, insofern es nichts an sich hat, was außerhalb meines Bewusstseins wäre. Aber ich bin mir absolut sicher, dass es in seinem Dasein und Sosein meine Vorstellung ist. Dann lassen sich die Merkmale zweifellos und zweifelhaft nicht einseitig nach Erlebnis und Ding verteilen. Zu ähnlichen Feststellungen führt auch die Prüfung der inadäquaten Gegebenheit. Wir wollen sie nicht zu den logisch-phänomenologischen Unklarheiten rechnen und sie deshalb nur hier erwähnen. Husserls Verwendung des „Erlebnisses“ für die Erkenntnisvorstellung, für die Noesis, muss noch eingehender untersucht werden, und dann stehen ganz andere Bereiche an. Jedenfalls bezeugt aber schon der ungewöhnliche Inhalt und Gebrauch des Wortes an dieser Zone, was für die Epoché grundlegend, aber auch fragwürdig geworden ist: Der „Erlebnisstrom“ bezieht in der 38
Cartes. Meditationen § 60. S. 102. Vgl. a. Husserls Kritik an Kant, weil dessen Idealismus „mindestens als Grenzbegriff die Möglichkeit einer Welt von Dingen an sich glaubt offen halten zu können –“, ebda. § 41. S. 88. 39 § 31. S. 67.
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§ 6 Husserls phänomenologisch-psychologische Reduktion
Tat unterschwellig etwas ein, was im Blickfeld der Reflexion dennoch nicht zugelassen wird. Im Rahmen der von Husserl ausgezogenen Bestimmung mag man es dann auf sich beruhen lassen, wenn der „Inadäquatheit“ der „Dingwahrnehmung“ die „Erlebniswahrnehmung“ wiederum als etwas „Absolutes“ gegenübergestellt wird.40 „Auch ein Erlebnis ist nicht, und niemals, vollständig wahrgenommen, in seiner vollen Einheit ist es adäquat nicht fassbar. Es ist seinem Wesen nach ein Fluss, dem wir, den reflektiven Blick darauf richtend, von dem Jetztpunkte aus gleichsam nachschwimmen können, … Aber diese Unvollständigkeit, bzw. „Unvollkommenheit“, die zum Wesen der Erlebniswahrnehmung [gehört], ist eine prinzipiell andere als diejenige, welche im Wesen der „transzendenten“ Wahrnehmung liegt, …“41 Nehmen wir den „Erlebnisstrom“ in seiner unergründlichen Tiefe, aber auch in seiner wirklich anderen Gegebenheit, weil nämlich aus der anderen Zone, mit hinein, dann ist nichts weniger adäquat und absolut gegeben als dieses Erlebnis, und es zeigt sich dann gerade die „Erscheinung“ als klar, unmittelbar und vollkommen gegeben gegenüber dem „Erlebnis“.
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§ 44. S. 100 – 101. § 44. S. 103.
§ 7 Die transzendentale Phänomenologie im Verständnis der beiden Grundeinsichten des Selbstbewusstseins 1. Intersubjektivität als Erlebnis und Begegnung; das Ausmaß der Primordialsphäre Es ließe sich die Phänomenologie rein von den Phänomenen her betrachten, und wir haben es bisher fast ausschließlich getan. Es sollte geprüft werden, ob ihr Anspruch in der Teilzone bestehen kann; und man hat sich dann bewusst zu sein, dass hier Verzerrtes, aber jedenfalls nichts Letztgültiges herauskommen kann. Allein die Reflexion des Selbstbewusstseins vermag scheinbar die gesamte Weltvorstellung auszuhalten, und so lässt sich der gesamte Inhalt unter der ersten Grundeinsicht des Selbstbewusstseins ausspannen: Dies alles erkläre ich einmal als eine Leistung meines Bewusstseins. Aber ist es mein Bewusstsein oder ist es mein Erkennen, und wie verhalten sich Bewusstsein und Erkennen ineinander oder zueinander? Nun hat sich zwar gezeigt, dass die Auseinandersetzung schon an der Abgrenzung von Vernunft und Sinnlichkeit beginnt, doch erschüttert diese innere Zerrüttung nicht jene Grundeinsicht. Sie bleibt bestehen, auch wenn Reflexion vom Dafürhalten her alles andere zu ertragen scheint als eine Verwachsenheit mit der Sinnlichkeit. Von dieser Teilzone aus gesehen sind die Unklarheiten in bezug zur Dingseite und zur Erlebnisseite, die wir zuvor angemerkt haben, sicherlich nicht so, dass sie alles erschüttern würden. Aber der Phänomenologe hat sich entschieden zu weit vorgewagt, wenn er hier eine „logische Möglichkeit“ sofort mit einem „sachlichen Widersinn“ ausschaltet.1 Er macht hier eine Aussage im Umfange des leistenden Bewusstseins, die er nicht verantworten kann aus den Gegebenheiten und Voraussetzungen. Doch die Last der gesamten Anlage „Phänomenologie“ drängt zu einer phänomenologisch-logischen Einheit wie zu ihrer Ruhe- und Mittellage hin, und die Frage Verselbigung oder Einheit lässt sich anscheinend nicht verdrängen. Wenn wir diesem Punkt bisher so viel Aufmerksamkeit gewidmet haben, so liegt es nur daran, dass hier noch weit mehr ansteht, als zunächst offen liegt.2 Denn letzten Endes geht es nicht nur um die Einheit von Denken und Wahrnehmen als einer intuitio sine comprehensione. Sämtliche Anlagen des Bewusstseins treffen sich hier am höchsten oder tiefsten Punkt, nur hier kann der Quellort des transzendentalen Ego erwartet werden. 1 2
Ideen I, § 48. Es entgeht uns, ob die Kritik an Husserls Phänomenologie hier überhaupt angesetzt hat.
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§ 7 Die transzendentale Phänomenologie
Im Geltungsbereich der äußeren Erscheinung oder im Ausmaß der Dingwahrnehmung ist mir sogar der eigene Leib als Fremdkörper gegeben; erst recht also gehört die leibliche Einheit des Anderen der vom Bewusstsein erstellten Erscheinung an. Stelle ich mich also so zur transzendentalen Reflexion, so leistet mein Bewusstsein mithin auch die Gemeinschaft der Anderen, und es scheint nur noch ein einsames transzendentales Ego übrig zu bleiben. Hier käme freilich die Verzerrung der Teilzone zu Tage. Die Gemeinschaft, die ich so von außen erlebe, fällt auch der „Vernichtung der Dingwelt“ zum Opfer, nur mein immanentes Sein bleibt auch hier zurück als „zweifellos in dem Sinne absolutes Sein, dass es prinzipiell nulla re indiget ad existendum.“3 Wenn Husserl hier von der gleichen Erscheinung der Anderen her deren innere Wirklichkeit als alter Ego und damit als weiteres immanentes absolutes Sein erschließen würde, wenn er so die „Monadengemeinschaft“ begründen würde, hätte er im entscheidenden Augenblick die Epoché zu einem Kartenhaus gemacht. Die Frage, ob Husserl an dieser Stelle, die es wohl nicht schwer hat, sich als Sinnmitte auszuweisen, nicht doch einen „Analogieschluss“ oder „Denkakt“ in die Dingwelt an sich verdeckterweise anwendet, ist anscheinend noch nicht geklärt.4 Man hat den Nerv des Zusammenhalts der „Monadengesellschaft“ sicherlich nicht erfasst, wenn man Husserl unterschiebt, dass er auf Grund der Gleichheit der Leiber über die „Präsentation“ des Leibes nun doch zu einer „Präsentation“ des alter Ego käme, welches doch nie aus der Sphäre der „Appräsentation“ herauskommen kann. Eine Assoziation durch „Paarung“, „Sinnesüberschiebung“ oder „Fernüberschiebung“ mag dem alter Ego auch asymptotisch nahe kommen, es reicht jedoch hier nicht, um es zur unmittelbaren Gegebenheit, zur „Präsentation“ zu bringen.5 So drängt alles zur Beantwortung der spannenden Frage: „Wie kommt es, dass … der überschobene Sinn in Seinsgeltung übernommen ist als an dem Körper dort seiender Gehalt psychischer Bestimmungen, während sie doch im Originalitätsbereich der … 3
Ideen I, S. 115. Die folgende Untersuchung legt den Text der fünften „Cartesianischen Meditation“ zu Grunde, erschienen bei F. Meiner. „Denkakt“ und „Analogieschluss“ S. 113, § 50. Zur Kritik an der „Intersubjektivität“ sollen hier nur zwei Stimmen vorgestellt werden, die ihm jedoch sicherlich nicht entschieden den Vorwurf machen: „Husserl verdeckt sich diesen Sprung, indem er die Konstitution des Anderen als Einheit von Präsentation und Appräsentation, …, charakterisiert. Verrät Husserls Rede von der analogischen Modifikation des ego, durch die das alter ego als seiend gesetzt wird, nicht, dass hier eine Seinsthese erfolgt, die konstitutiv nicht ausweisbar ist.“ Janssen, Paul: Edmund Husserl. 1976. S. 124. „Aber auch dieser Nachweis fügt sich der in der Einleitung vorgezeichneten Linie ein: Husserls Phänomenologie nicht schlechthin zu verteidigen, sondern sie auf konkrete Kritiken Antwort geben zu lassen. Diese Maxime gilt im besonderen Maße für die Primordialität, eine Erfahrungsstruktur, deren Aufstellung zu Kritik bzw. Kontroverse geradezu auffordert. Das letzte Wort über ihre Legitimität ist nach unserer Meinung noch nicht gefallen. Es kann also wohl sein, dass die zunehmende Beschäftigung mit ihr – vor allem jetzt nach Veröffentlichung der Intersubjektivität-Manuskripte – dazu führen wird, sie als unhaltbar – gar als einen „Ungedanken“ – aufzugeben.“ Aguirre, Antonio F.: Die Phänomenologie Husserls im Lichte ihrer gegenwärtigen Interpretation und Kritik. 1985. S. 164. 5 § 51. 4
1. Intersubjektivität als Erlebnis und Begegnung
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primordialen Sphäre nie als sie selbst sich zeigen können?“6 Wenn die „Monadengemeinschaft“ in der Seinsgeltung meiner „Primordialsphäre“ begründet werden muss, genügt keine Anhäufung von Wahrscheinlichkeiten in der „Präsentation“ des Leibes. Es ist eine Stelle in den „Ideen I“, der wir den Grundgedanken entnehmen möchten, soweit dieser geeignet ist, um Intersubjektivität in den Grenzen der Epoché zu tragen. „Der Thesis der Welt, die eine „zufällige“ ist, steht also gegenüber die Thesis meines reinen Ich und Ichlebens, die eine „notwendige“, schlechthin zweifellose ist. Alles leibhaft gegebene Dingliche kann trotz dieser leibhaften Gegebenheit auch nicht sein, [aber, und das ist hier das Entscheidende:] kein leibhaft gegebenes Erlebnis kann auch nicht sein: das ist das Wesensgesetz, das diese Notwendigkeit und jene Zufälligkeit definiert.“7 Man wird immer wieder auf diese Stelle zurückkommen müssen, weil sich nirgendwo die Gegenüberstellung der Seiten und ihre tragfähige Verknüpfung so scharf abzeichnet. Der springende Punkt hält sich hier in der doppeldeutigen „leibhaften Gegebenheit“, nämlich einmal als Ding und zum anderen als Erlebnis. Der fremde Leib ist mir niemals als inneres Erlebnis gegeben; er wird in der Region der Phänomene „präsent“, dort ist er „originär“ gegeben, aber so immer „zufällig“, nie „notwendig“. Da ich mich aber als „psychophysische Einheit“ „notwendig“ und „zweifellos“ erfahre, halte ich hier als „psychophysisches Ich“ das Erlebnis und das Ding in einer unmittelbaren Verselbigung.8 Es bedarf also in Bezug auf mein Ich-Selbst, welches die Einklammerung aller Seinsgeltungen der Phänomene veranstaltet hat, keines verstandlichen Aktes, der eine aufgebrochene Kluft (durch die Reflexion) schließen müsste. Natürlich wird auch hier gerade Husserls großes Anliegen besonders wichtig, geradezu notwendig: Das Zusammenrücken oder -wachsen von Vernunft und Wahrnehmung. Man kann aber hier Husserl einräumen, dass die unmittelbare Einheit des Bewusstseins wohl ohne Schluss gegeben ist, wie immer man auch das Zueinander der beiden Begriffsvermögen9 fasst. Jedenfalls wird hier der Schluss als bewusst gesetzter Denkakt nicht erfordert. Wenn wir hier einmal aus der Epoché heraustreten, so könnten wir sagen, dass diese Einheit eines Selbstbewusstseins auf der Ebene tierischer Erkenntnis noch enthalten sein dürfte. Wir sehen nun, dass ich mich nach Vollzug der transzendentalen Reduktion nicht eingemauert habe, so dass der Andere gerade deshalb zum unüberbrückbar „Fremden“ würde, weil ich ihn in allen Schichten als meine Setzung eingestehen müsste. In meinem „leibseelischen“ Selbst ist jedenfalls der Grund gelegt. Damit schließt sich freilich „Intersubjektivität“ noch nicht ganz. Das Dingerlebnis bleibt die einmalige Ursprünglichkeit meines absoluten Selbst. Wie komme ich aber nun zum Nächsten? Doch nur, indem ich nun dennoch mein leibgeistiges Ich im alter Ego 6 7 8 9
§ 52, S. 116 – 117. § 46, S. 108 – 109. Hierzu Cartes. Medit. § 44 ff. Auch die Wahrnehmung in ihren verschiedenen Formen hat ihren „Begriff“.
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§ 7 Die transzendentale Phänomenologie
wiederhole. Hier drängen sich alle Fragen zusammen: Liegt nun doch ein Schluss vor, den Husserl nicht vertreten kann, oder ist diese Frage schon immer von einem gewissen Standpunkt der Auslegung her vorbeantwortet? Es hat keinen Sinn für uns, dass wir uns hier um eine Antwort bemühen. Diese hängt davon ab, wie man das Bewusstsein fasst, und für uns erstellt sich Bewusstsein anders als bei Husserl. Man kann jedoch hier feststellen, dass die Einwände gegen Husserls „Intersubjektivität“ von der weithin übereinstimmenden Auffassung Bewusstsein ausgehen, die auch bei Husserl vorliegt. Dies erklärt das Ergebnislose des Streitgesprächs. Lassen wir die eben angefangene Überlegung dahingestellt und nehmen wir die Intersubjektivität Husserls als gangbare Lösung an, so beansprucht die transzendentale Phänomenologie eine neue Stufe des Naiven. Jene erste Einstellung, welche die Welt als absolut setzt, ist vorbei. „Sie stammt aus einer philosophischen Verabsolutierung der Welt, die der natürlichen Weltbetrachtung durchaus fremd ist. Diese ist eben natürlich, sie lebt naiv im Vollzug der von uns beschriebenen Generalthesis, sie kann also nie widersinnig werden. Der Widersinn erwächst erst, wenn man philosophiert …“10 Wir entnehmen dem zunächst einmal, dass Husserl „naiv“ in doppelter Bedeutung verwendet, so dass es eigentlich drei Stufen des Naiven in der geistigen Entwicklung gibt. Naiv auf der zweiten Stufe erklärt sich so der Realismus, der über sein Denkgesetz gebeugt eine Einheit herstellt, indes er in die Entzweiung mit der Welt gefallen ist. Aber Husserls Anspruch, erneut in eine naive Einstellung zur Welt zu kommen, dürfte hier wohl unhaltbar sein, weil die Sinngebung des Denkens am Sein der Welt zur Natur menschlichen Erkennens gehört und so auf keiner Stufe fehlen kann. Man muss ein tierisches, menschenunwürdiges Erkennen voraussetzen, um Husserls Einstufung des Naiven folgen zu können. Der Widerspruch, den diese Behauptungen verbergen, wird gerade an der Einheit mit der Natur offenbar. Denn diese Einheit mit dem natürlichen Sein ist untergraben zu Gunsten einer ursprünglichen Einheit der „Monadengesellschaft“. Es ist gewiss eine philosophisch höchst reizvolle Überlegung, die Natur so zu betrachten, wie sie die Kulturschmiede der Monadengesellschaft entstehen lässt. So wird die Natur ganz anders gesehen als in den Augen von Naturwissenschaft und Technik. Allein dieser Naturbegriff hat mit dem ursprünglichen Einvernehmen mit der Natur auch nichts gemeinsam. Die Gefahr der Entfremdung in der Gesellschaft findet an der „Intersubjektivität“ keinen Anlass, aber sie ist in die Natur abgedrängt, und hier verlangt sie nun wieder auf allen Stufen des Naiven eine Antwort. Das naive Kleinkind erlebt tatsächlich die Natur von der Gemeinschaft mit der Mutter her, und daraus zeigt sich eine Verwandtschaft mit dem Naturbegriff der Monadengesellschaft. Aber hier bricht eben die Frage ein: Kann Philosophie nur beginnen, indem sie die Monadengemeinschaft mit hereinnimmt in die Anfangsbegründung, oder hat sie die Möglichkeit, mitten in der Monadengesellschaft aufzubrechen, um in einem geistigen Abenteuer die Wildnis Seiendes und Sein aufzusuchen?
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Ideen I. § 55, S. 135.
2. Das Verständnis der Intentionalität und die Reduktionen
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2. Das Verständnis der Intentionalität und die Reduktionen der Phänomenologie Die phänomenologische Reduktion unterscheidet näherhin drei Stufen oder Vollzüge; dabei enthüllen sich Vollzugsformen als Vollzugsinhalte. Die Bezeichnung Stufen bleibt mehr an der Weise der darstellenden Abfolge hängen. Darum wird es aber auch möglich, die absolute Reduktion ohne den riesigen Aufwand an Vorbereitung mit einem Schlage zu vollziehen. Schopenhauer hat es uns vorgeführt, indem er sie in einem einzigen Grundsatz hinstellt und dann seine Philosophie daraufhin entwickelt. Denn wäre die transzendentale Reduktion nicht in einem einzigen Hinblick zu vollziehen, so wäre sie niemals in ihrer Unmittelbarkeit tragfähig. Es gehört zur Grundeinsicht des Selbstbewusstseins, dass sie die Verbindlichkeit des ersten Denkgesetzes einschließt; es gehört aber noch hinzu, dass sie den Unterschied zu sich selbst als Bewusstsein, nämlich alles Gegenständige als eigene Vorstellung, wieder zurückschließt. Alles ist eine Leistung meines Bewusstseins. Diese Einsicht steht dem frühen Bewusstsein nicht weniger offen als dem späten; was ich daraus mache, ist eine andere Sache. Verwenden wir die Bezeichnung Leistung, so haben wir einen passenden Sammelbegriff, welcher nichts auseinanderhält. Er soll es auch nicht bei der ersten Grundeinsicht des Selbstbewusstseins: Ob Erleiden oder Erzeugen, ob Eindruck oder Ausdruck, ob Begegnung im Erkennen oder Erlebnis im Gemüt; dies alles ist Leistung meines Bewusstseins. Allein diese beschließende Einsicht enthält nicht den zwingenden, denknotwendigen Verschluss des Bewusstseins gegenüber einem offenen Seienden. Leistung zielt natürlich auf ein höchst verwickeltes Verhältnis, dennoch steht nichts im Wege, die Einstellung des Bewusstseins zu vollziehen. Leistung scheint mehr zu beinhalten als die „Intentionalität“ des Phänomenologen, im Rahmen der transzendentalen Phänomenologie entspricht jedoch die „Intentionalität“ dem Vollsinn der Leistung. Um die „Intentionalität“ von unserer Auffassung zu unterscheiden, werden wir fortan die unsrige mit Intentionalitas bezeichnen. Intentionalität schließt alles mit ein, was im Bewusstsein mitschwingt, was im „Erlebnisstrom“ eines „wachen Ich“ in jeder möglichen Weise gegeben sein kann. „Ist ein intentionales Erlebnis aktuell, also in der Weise des cogito vollzogen, so „richtet“ sich in ihm das Subjekt (das „Ich“) auf das intentionale Objekt. Zum cogito selbst gehört ein ihm immanenter „Blick-auf“ das Objekt, das andererseits aus dem „Ich“ hervorquillt, das also nie fehlen kann. Dieser Ichblick auf etwas ist, je nach dem Akte, in der Wahrnehmung wahrnehmender, in der Fiktion fingierender, im Gefallen gefallender, im Wollen wollender Blick-auf usw.“11 Intentionalität darf nicht einfach als Wahrnehmung im weitesten Sinne verstanden werden. „Unter Erlebnissen im weitesten Sinne verstehen wir alles und jedes im Erlebnisstrom Vorfindliche; also nicht nur die intentionalen Erlebnisse, die aktuellen und potentiellen cogitationes,
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Ideen. 1. S. 81, 24. § 37.
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§ 7 Die transzendentale Phänomenologie
dieselben in ihrer vollen Konkretion genommen; sondern was irgend an reellen Momenten in diesem Strom und seinen konkreten Teilen vorfindlich ist.“12 Wichtig wird daran, dass Intentionalität sich auf alles bezieht, was im Bewusstsein bewusste Beziehung herstellen kann. „In der Einheit eines cogito“ kann „intentional verflochten ein doppeltes cogito“ sein. „Nicht bloß das Sachvorstellen, sondern auch das es umschließende und für es mitfungierende Sachwerten hat den Modus Aktualität“. „Im allgemeinen sind die Gemüts- und Willensakte in höherer Stufe fundierte, und demgemäß vervielfältigt sich auch die intentionale Objektivität und vervielfältigen sich die Weisen, wie die in der einheitlichen Gesamtobjektivität beschlossenen Objekte Zuwendung erfahren oder erfahren können.“13 „Im absoluten Bewusstsein haben wir immerfort ein „Feld“ der Intentionalität und nun „richtet“ sich der geistige „Blick“ des Aufmerkens bald auf „dies“, bald auf das.“14 Es ist für jeden unmittelbar einsehbar, dass in diesem „absoluten Bewusstsein“ das Ich als letzter Pol der Selbst-Einheit alles vertreten muss, was vorgeht in ihm. „Sofern jedes cogito ein cogitatum fordert, und dieses im Aktvollzug zum reinen Ich in Beziehung steht, finden wir in jedem Akte eine merkwürdige Polarität: auf der einen Seite den Ichpol, auf der anderen das Objekt als Gegenpol. Jeder eine Identität, aber eine solche von radikal verschiedener Art und Herkunft.“15 Fassen wir das Ergebnis zusammen, so erhalten wir die „Intentionalität“ als den eigentlichen philosophischen Gegenstand der transzendentalen Reduktion. „Rein“ ist dieses Ich, insofern es als absolute Selbstheit, nicht nur als Einheit, seinem Erlebnisstrom gegenübersteht. „Als reines Ich birgt es keine verborgenen inneren Reichtümer, es ist absolut einfach, liegt absolut zutage, aller Reichtum liegt im cogito und der darin adäquat erfassbaren Weise der Funktion.“16 Am Begriff der Intentionalität teilen sich die Reduktionen in verschiedene Bedeutungszonen und demgemäß nach verschiedenen Einklammerungen oder Seinsgeltungen. Bei der Intentionalität in der absoluten Reduktion liegt ein Abstractum vor, worauf sich letztlich die Transzendentalphilosophie einzig und allein beziehen kann. In der „ursprünglichen“ Bedeutung meint Intentionalität einfach die sich ausfächernde Erfahrung und Selbsterfahrung des Bewusstseins, die auf dem Boden der natürlichen Einstellung vertretbar ist. Auch hier lässt sich von einem reinen Ich als Träger der Leistungen reden, das sich schließlich als Gegenstand seiner Vorstellung, seines „Ich-Blicks“ setzen kann. Dies gilt in jedem Falle: „Das reine Ich ist durch das reine Ich, das identisch selbe, gegenständlich setzbar.“17 Die psychologische Reduktion und die phänomenologische Reduktion müssen deshalb nicht unbedingt im Rahmen der transzendentalen Reduktion vollzogen werden, eignet 12 13 14 15 16 17
Ebda. S. 80, 34. Ebda. S. 83. Ideen. 2. S. 105 – 106. Ideen. 2. S. 105, 9 ff. Ebda. S. 105, 5. Ideen 2. S. 101, 20.
2. Das Verständnis der Intentionalität und die Reduktionen
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ihnen doch zunächst nur das Vorhaben, alles Gegenständliche in seiner Gegebenheit im Bewusstsein zu beobachten oder das Bewusstsein an seinen Vorstellungen zu ergründen. Es fällt schwer, die phänomenologische und die psychologische Reduktion auseinander zu halten. Auch Husserl steht in Bezug auf den Inhalt „Psyche“ ganz in der alten Überlieferung. Psyche meint auch hier die Gesamtheit des Bewusstseins und ist dann sehr wohl von „Seele“ zu unterscheiden. Erst durch die Seele erhalten wir Bezug zu jener anderen Gegebenheit des Leibes und zu dem, was sich im eigentlichen Sinne mit Gemüt bezeichnen lässt. Aber diese seelische Sphäre wird dann nicht als Gemüt neben dem Erkennen aufgefasst. Vielmehr wird Seelisches als die leibnahe Unterschicht zum geistigen Bewusstsein verstanden, und dann wird auch sinnliches Erkennen zu einer Vermittlung zwischen Geist und Leib.18 Seele erzeugt als Medium das „substantiell-reale Doppelwesen Mensch oder Tier“.19 Sinnlichkeit als untere, seelische Schicht im Bewusstsein erinnert uns besonders an Aristoteles.20 Psyche meint dann wieder die Einheit des Bewusstseins, wie auch die Phänomenologische Psychologie es überhaupt mit der Eingründung des Gegenständlichen, der Raumvorstellung wie der Zeitwahrnehmung im Bewusstsein zu tun hat. Wenn wir sagen, dass Husserl in Bezug auf die Zuständigkeit der Psyche im Gesamtbereich menschlicher Erfahrung die überlieferte Bedeutung übernimmt, so stellt sich sofort die Gefahr des Missverständnisses ein. Denn andrerseits darf er ja gerade in einzigartiger Weise in Anspruch nehmen, dass er zuerst Psychologie in einem völlig neuen Verständnis entwirft. Dies ändert indes nichts daran; man darf sogar sagen, dass hier Psychologie im Zeichen der Ratio sich ihre endgültige Begründung einholt. Der bisherige Rahmen der Psychologie geht völlig unter in der Weite einer Psychologie, die sich von ihrem Thema her nicht mehr von der Phänomenologie oder der Philosophie unterscheidet. Wenn Platons Philosophie Psychologie ist, so ist es Husserls Phänomenologie im selben Umfang. Dass sie es in einem völlig gewendeten Verhältnis ist, schließt nicht aus, dass hier der Zusammenhang einer philosophischen Idee in der Geschichte sein Ende findet. Bisher hat sich das Phänomen Psyche als wissenschaftlicher Begriff vorgestellt, jetzt wird die gesamte Wissenschaft zur Vorstellung Psyche. Es soll sichtbar werden, wie jene Kennzeichen der Psyche, die sich in ihrer Eigenart als philosophische Eigenform herausgeprägt haben, hier ihre Übersteigerung finden. Was von der Philosophie ausgesagt wird, das ist auch die Psychologie: „… nichts anderes als ,Rationalismus‘ durch und durch, aber nach den verschiedenen Stufen der Bewegung von Intention 18 Husserl spricht von einer „Ursphäre der Intentionalität, einer uneigentlichen, weil von keiner eigentlichen „Intention auf“ die Rede ist, wozu es des Ich bedarf.“ Ideen. 2. S. 335. Beil. 12. 1, § 2. 19 Ebda. S. 120, § 30. 20 Zur „Ursphäre der Intentionalität“ gehört eben, dass zwischen Gemüt und Erkennen noch nicht klar geschieden ist. Vgl. hierzu Aristoteles, Über die Seele. 3. 9 – 10. Wie weit die Phänomenologie überhaupt zwischen Gemüt und Erkennen klar scheidet, ist natürlich das Hauptaugenmerk bei dieser Untersuchung.
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§ 7 Die transzendentale Phänomenologie
und Erfüllung in sich unterschiedener Rationalismus, die ratio in der ständigen Bewegung der Selbsterhellung, …“21 Rationalismus ist diese Psychologie dann nicht nur in Bezug auf das sie denkende Bewusstsein, sondern auch nach ihrem Gegenstand.
3. Das reine Ego im Verständnis der beiden Grundeinsichten des Selbstbewusstseins a) Das rein theoretische Ich Das „immanente Sein“ hat sich, soweit es absolute Gegebenheit beansprucht, in zwei Seiten vorgestellt. Zunächst einmal sind es die Cogitationes als solche, das psychische Erlebnis des Erkennens. So leuchtet es ein, „dass das Sein des Bewusstseins, jedes Erlebnisstromes überhaupt, durch eine Vernichtung der Dingwelt zwar notwendig modifiziert, aber in seiner eigenen Existenz nicht berührt würde.“ Es stellt sich am zufälligen Wechsel des Erscheinenden dann „zweifellos in dem Sinne“ als „absolutes Sein“ heraus, „dass es prinzipiell nulla „re“ indiget ad existendum“.22 Hier haben wir die eigentliche Urgegebenheit, auf die immer zurückzugehen ist, alles andere genügt nicht zur Begründung. Allein die absolute Gegebenheit kann sich nicht auf die Noesis der Erlebnisseite einengen, so käme ja kein Fortschritt im Erkennen zustande. Es gehört zur Erlebnisseite, dass ihre absolute Gegebenheit die transzendentale Reduktion erst begründet, um dann aber auch innerhalb dieser die Grundlagen zu allem gesicherten Wissen zu liefern. Zuerst muss die absolute Gegebenheit des Bewusstseins am Wandel des Zufälligen erhärtet werden. So wird denn diese Seite der Intentionalität absolut gesetzt. Natürlich hat sie den Grund in sich als reines Ego, die Phänomene bedingen nur die Selbstgewissheit des Bewusstseins. Aber mit der ureigenen absoluten Gegebenheit kann sich die Intentionalität nicht erfüllen, dem zufälligen Wechsel kommt nun Gesichertes zu. Es wird ihm vom Bewusstsein zugesprochen, so dass sich jetzt sagen lässt, gerade auf Grund der transzendentalen Reduktion erhält die Dingwelt ihren inneren Halt und ihren wesentlichen Gehalt. Es bedarf der transzendentalen Reduktion, damit immanentes Sein als absolut gesichertes auch im Noema sich eingründen kann. Es hat sich dann gezeigt, dass absolute Gegebenheit auch nicht auf das reell Immanente eingeengt werden kann. Das Allgemeine ist so in der Dingwahrnehmung nicht enthalten; dennoch trägt es das Merkmal absoluter Gegebenheit, das reell Immanente ist Sonderfall und Ursprung noematischer absoluter Gegebenheit.23 Wie aber ist das reine Ego, welches alle Vorgänge trägt und veranstaltet, einzugrenzen? Die Aussagen deuten darauf hin, dass wir es mit der rein erkenntnismä21 22 23
Krisis, § 73, S. 273. Ideen 1. § 49. S. 115, 18 – 22, 35 – 37. Idee d. Phänom. 2. Stufe. Vgl. § 4.1.
3. Das reine Ego
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ßigen Zone des Bewusstseins zu tun haben. Selbstverständlich kann Intentionalität nur in einem erkennenden Bewusstsein gehalten sein. Jede Vorstellung, erst recht jede Reflexio wird von Erkennen geleistet. Was im Erkennen nicht bewusst wird, d. h. nicht in die Unterscheidung geht, bleibt Unbewusstes und Unterbewusstes. Aber gehört es dann nicht in den Behälter des Bewusstseins? Welche Rolle spielt das Gemüt im reinen Ego? Hier müssen wir ansetzen, um zu prüfen, wie Husserl und die Transzendentalphilosophie überhaupt das Bewusstsein sehen. Es hat sich gezeigt, dass Kant und auch Husserl das Modell „Psyche“ aus der alten Überlieferung übernommen haben. Die schwachen Stellen dieses Schemas lassen sich in der Metaphysik überbrücken, weil hier manches unklar und im Halbdunkel der Unentschiedenheit bleibt. Bei Kant jedoch wird es offensichtlich, dass er noch Unklares und noch Unentschiedenes begrifflich in die Einseitigkeit vorangetrieben hat. Es geht darum, wie Bewusstsein als Ineinander von Gemüt und Erkennen zu begreifen ist. Es wäre zu prüfen, ob der Transzendentalismus auf einer unrichtigen Auffassung von Bewusstsein ruht. Was uns zunächst zur Verfügung steht, sind die beiden Grundeinsichten des Selbstbewusstseins.24 Philosophie mag zwar einen sehr praktischen Zweck haben, dass sie in ihrer Durchgestaltung aber auf reines Schauen angewiesen ist, sollte fraglos bleiben. Die zweite Grundeinsicht, dass mir mein Leib, aber auch mein Bewusstsein noch auf eine ursprünglich andere Weise gegeben ist als meine Vorstellungsinhalte des Erkennens, ergänzt erst meine Grundeinsicht. Die Dinge verhalten sich aber deshalb so verwickelt, weil mir diese zweite Grundeinsicht dennoch nur über die erste gegeben werden kann. Denn alles, was vorgeht in meinem Bewusstsein, kann nur über Erkennen bekannt werden. Dies ändert indes nichts daran, dass mein Bewusstsein aus zwei Zonen mit gleicher Ursprünglichkeit lebt. Wenn ich aber angesichts dieses Sachverhalts sage, das geistige Bewusstsein sei der Verstand selbst, dann enthüllt sich hier die Möglichkeit einer anderen Auffassung. Erkennen wird hier nicht nur als Teilzone verstanden, welche für das Gemüt die Vorstellung übernimmt. Erkennen steht im Mittelpunkt des Bewusstseins, und das Gemüt bildet den innersten Kreis um die Mitte. So muss dann freilich die Vernunft zur radix individuationis werden, und die ratio practica muss die vornehmsten ursprünglichen Regungen des Gemütes in sich aufnehmen. Man denke nur an Kants Freiheitsbegriff. Der Rationalismus liegt verlockend greifbar zu Tage, es ist deshalb umso nötiger, die andere, von Schopenhauer schon vertretene Auffassung im Auge zu behalten. Wenn Husserl in der phänomenologischen Reduktion die „seelische“ Ichbeteiligung gar nicht in der Sphäre des reinen Schauens zulässt, so liegt hier sicherlich noch keine Ausformung vor, die jene Auffassung voraussetzt.25 Dem reinen Schauen entspricht jedoch als Quell die „reine Region des Bewusstseins“, und damit ist das 24 Erste Grundeinsicht: Alle Erfahrung kann als Leistung meines Bewusstseins aufgefasst werden. Zweite Grundeinsicht: Bewusstsein ist sich in zwei grundverschiedenen Weisen gegeben, nämlich als Gemüt und Erkennen. 25 Vgl. Idee d. Phänom. S. 44, 35 u. 75, 33.
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§ 7 Die transzendentale Phänomenologie
reine Ego bereits auf ein Bewusstsein ausgerichtet, welches im Erkennen seinen Mittel- und Schwerpunkt findet. Natürlich gilt es nicht nur für das die Reduktion vollziehende Ego.26 Eine weitere Abgrenzung geschieht durch den eigenartigen Gebrauch des Wortes „Erlebnis“, welches bereits ein gespanntes Verhältnis erzeugt. Denn einesteils soll alles Gemüthafte beim reinen Schauen zurückgehalten bleiben, andernteils aber bezeichnet „Erlebnis“ eher ein Ereignis der Gemütszone. Diese Spannung löst sich indes, wenn man Erkennen als die tiefste und innerste Schicht des Bewusstseins anspricht, so dass Gemütserlebnisse fast ins Vorfeld der Vernunft rücken. Jedenfalls ist es ungewöhnlich, einen reinen Akt der Reflexion als Erlebnis zu bezeichnen. Der Phänomenologe hat damit einen Begriff schon vorvergeben, bevor er an das diesem eigentümlichere Feld kommt. Der Grund dafür scheint jedoch durch: Es geht doch darum, die ganze Erlebnisfülle des Bewusstseins in die Vernunftzone zu legen, so dass diese eben auch als Veranstalter nicht nur Teilzone ist. Intentionalität, Erlebnis und Erlebnisstrom entspringen einem Cogito und seinen Cogitationes. „Wohl zu beachten ist dabei, dass hier nicht die Rede ist von einer Beziehung zwischen irgendeinem psychologischen Vorkommnis – genannt Erlebnis – und einem anderen realen Dasein – genannt Gegenstand – … Vielmehr ist hier und überall von rein phänomenologischen Erlebnissen, bzw. von ihrem Wesen die Rede, und von dem, was in ihrem Wesen „a priori“, in unbedingter Notwendigkeit beschlossen ist.“27 Wir haben es mit einem Rationalismus zu tun, aus dem selbst das Wesen und das Erlebnis a priori bestimmt sind. Mit der Ausrichtung auf das reine Schauen wird zunächst einmal am Gegenstand eine Teilansicht vorgenommen, die aber sonderbarerweise immer das Ganze zu ihrem Inhalt haben möchte. Die Grundhaltung der Phänomenologie prägt eine eigenartige, zwecklose Schau, die aber gerade in dieser Zweckfreiheit überall Zugriff hat. Alles Zweckmäßige fügt sich zunächst einmal nicht ein in das „immanente Sein“, und indem es so in der Transzendenz steht, verhindert es Einsichten einer absoluten Gegebenheit. Es lässt sich aber so auch nicht vermeiden, dass diese Schau des Gegenständlichen intentionaliter zurückgreift auf das die Erkenntnisakte setzende Ich. Indem es nicht um den Dingwert, sondern um den Dingverhalt geht, muss auch das reine Ich eine seelische Abspaltung an sich vollziehen. Dass ich gerade das Ding sehe, dass ich gerade dieses Ding begehre, ist gegeben; alles Wertende hat noch nichts zu suchen. Das „reine Ich“ hält sich da immer wieder heraus, um sich auf das erkennende Ich einzuschließen, und dieses bestätigt sich daran, dass es sich immer erneut in die Reflexion setzen kann. „Aber diese Polarisierung hat ihr merkwürdiges Gegenstück in der Ich-Polarisierung. Von jedem, was sich geradehin als ein Gegenstand gibt, führt nicht nur die Reflexion auf konstituierende Erlebnisse, in denen der Gegenstand als Pol konstituiert, sondern jederzeit ist eine Reflexion möglich auf das identische Ich: Und dieses Ich ist das Subjekt aller Erlebnisse und das Subjekt für alle seine Gegenstände als Einheitspol seiner Intentionalitäten; aber es ist nicht selbst 26 27
Ideen 1. § 47 ff. Ideen 1. § 36. S. 80, 5 – 17.
3. Das reine Ego
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sein Erlebnis.“ Und dieses Ich „ist im reellen Strom der Erlebnisse nicht zu finden“. „Ich, der ich jetzt wahrnehme, … bin identisch derselbe, der ich mich in der Wiedererinnerung finde, … Die absolute Identität erkenne ich in der Reflexion.“ Dennoch ist „dieses reine Ich – das offenbar Kant im Auge hatte, als er vom Ich der transzendentalen Apperzeption sprach – … nicht ein toter Identitätspol.“28 Die Beschreibung passt auf das erkennende Ich; nur in ihm ist Reflexion gegeben. Wenn dieses Ich aber im reellen Strom der Erlebnisse nicht zu finden ist, weil es selbst kein Erlebnis ausmacht, so erkennt sich das Ich durch die Reflexion als absolut identisch. Damit wird die Identitas aus dem erkennenden Ich abgeleitet. Es ist aber hier zu beachten, dass in phänomenologischer Reduktion diese Aussage nicht etwa auf ein rein logisches principium individuationis zielt, sondern transzendentales Ausmaß annimmt. Wir wollen uns nochmals die Frage gegenwärtig setzen, um das Ziel unserer Nachforschung im Auge zu behalten. Versteht Husserl das reine Ich nur in dem Sinne, dass es Träger der Erkenntnisakte ist? Dann weiß es sich als das Ich, welches Philosophie betreibt; und damit ist keine Vorentscheidung getroffen, es bleibt offen für alle weiteren Eingrenzungen. Oder ist es nicht nur das philosophische Ich, das sich als Teilzone im Bewusstsein versteht? Dann beansprucht sich das reine Ich als Ich- und Einheitspol im Bewusstsein, und von ihm gehen kegelförmig die Vorgänge, die Vorstellungen und die Erlebnisströme aus. Nach unserer Auffassung hängt die Einstellung zum Transzendentalismus letztlich allein davon ab, wie Bewusstsein zu verstehen ist. Solange hier nicht angesetzt wird und solange hier keine Klarheit erarbeitet wird, dringt ein Urteil darüber nicht zum Kerngebiet seiner Festlegungen vor. Das reine Ich verbirgt „keine verborgenen inneren Reichtümer, es ist absolut einfach, liegt absolut zutage, aller Reichtum liegt im cogito und der darin adäquat erfaßbaren Weise der Funktion.“29 Gewiss wandelt es sich in seinen Akten, aber seine Akte wandeln es selbst nicht. Hier verweist Husserl auf eine vielleicht tiefere Schicht der Identitas als die in der bloßen Reflexion angezielte. Denn: „Es ist nicht ein Identisches, das in mannigfaltigen durch wechselnde Umstände bestimmten Zuständlichkeiten bleibender Eigenschaften sich allererst zu bekunden und zu bewähren hat.“30 Das reine Ich steht als der letzte, absolute Grund; absolute Gegebenheit als Selbstsetzung, denn „das reine Ich ist durch das reine Ich, das identisch selbe, gegenständlich setzbar.“31 „Jedes cogito mit all seinen Bestandsstücken vergeht im Fluss der Erlebnisse. Aber das reine Subjekt entsteht nicht und vergeht nicht.“32 Aber dieses reine Ich tritt nun dennoch in der Sphäre des Bewusstseins auf
28 29 30 31 32
Phänomenologische Psychologie. § 41. S. 207, 28 – 208, 32. Ideen 2. § 24. S. 105, 5. Ideen 2. § 24. S. 104, 8. Ebda. § 22. S. 101, 20. Ebda. § 23. S. 103, 8.
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§ 7 Die transzendentale Phänomenologie
und ab.33 Wenn jede Cogitatio ihren Hof und ihre dunkle Umgebung aufweist, so stellt sich das reine Ich als die letzte gegenständlich setzbare Einheit des Bewusstseins heraus. Dabei stoßen wir auf den die Reflexion übenden und letztlich sich selber einholenden Ich-Pol. Die Vorstellung geht also von einem gleitenden reinen Ich aus, welches mehr oder weniger in den Hintergrund treten kann. Alle diese Züge deuten bis jetzt noch auf ein philosophisches Ich, jedoch nicht im Sinne einer praktischen, vielmehr einer rein theoretischen Reflexion. Wie weit dieses reine Ich in Willensakten höchster sittlicher Anspannung vorhanden sein kann, da hier Reflexion geradezu einem Nullwert zugehen kann, bleibt ungeklärt. Es müsste denn sein, dass dieses reine Ich in solche Akte der Entscheidungen gar nicht verwickelt wird. Wäre dann die Aussage, dass reines Ich in seinen Erlebnissen gar nicht vorkommt, so zu verstehen? Jene Seite darf nicht übersehen werden: Das theoretische Ich vermag sich in allen seinen Akten, in seinen vornehmsten menschlichen Regungen wie einen fremden Gegenstand zu betrachten. Nichts anderes als die ureigene Natur des Erkennens, (um nicht vom Wesen des Erkennens zu reden) kommt hier zum Vorschein. Allein das erkennende Ich vermag in diesem Daseinsvollzug noch nicht einmal das gesamte Bewusstsein zu vertreten, geschweige denn die innerste Identitas des Bewusstseins zu begründen. Es müsste daher nach dieser Auffassung, wenn man sie den bisherigen Beschreibungen des reinen Ich entgegensetzt, bei einem reinen Schauen für letzteres bleiben. Dieser Einstellung entspricht es auch, wenn ich meinen Leib als das ursprünglichste Gegenüber aufnehme. „Im Leibe finde ich freilich die Empfindungsschicht lokalisiert, darunter sinnliche Lust, sinnlichen Schmerz; aber damit ist nur gezeigt, dass sie nicht in den Bereich des eigentlich Ichlichen hineingehört; wie der Leib überhaupt so ist alles ihn als Gegenstand ausmachende „Nicht-Ich“ dem Ich gegenüber und nur in der Weise des Gegenüber dem Ich zugehörig, eben als daseiender Gegenstand seiner Erfahrungen.“ Bei allen Eigentümlichkeiten des Leibes, seinen „besonderen Tugenden“, bleibt es dabei: „… all das sind Ichlichkeiten von Gnaden der ursprünglichen Ichlichkeiten.“34 Mit dem Leibe habe ich freilich nur ein Gegenüber, auch wenn hier sinnliche Lust und sinnlicher Schmerz ihren Quellort finden. Das „reine oder transzendentale Ich“ darf nach den bisherigen Bestimmungen auch das „reale seelische Subjekt, bzw. die Seele, das identische psychische Wesen, das real verknüpft mit dem jeweiligen Menschen- und Tierleib das substantiell-reale Doppelwesen Mensch oder Tier, Animal, ausmacht“, noch von sich abschirmen.35 Die Doppeldeutigkeit des Psychischen lässt sich jetzt nicht mehr übersehen. Denn aus der Abgrenzung des reinen 33 „Zum reinen Ich gehört also statt des Entstehens und Vergehens nur die Wesenseigentümlichkeit, dass es seinen Auftritt hat und seinen Abgang, …“ § 23. S. 103, 36; „Das reine Ich, sagten wir oben, tritt auf und wieder ab: so ist das Wesen des Bewusstseins in der Einheit des Flusses, dass ihm nicht überall, aber in einzelnen Akten das reine Ich sein Licht aufstecken kann und nur in einzelnen Akten.“ § 26. S. 107, 15. 34 Ideen 2. § 54. S. 212, 15 – 213, 4. 35 Ideen 2. § 30. S. 120.
3. Das reine Ego
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Ich gegenüber Leib und Seele rückt nun die Psyche als Gesamtheit des Bewusstseins eng mit dem Seelischen zusammen. Gemäß den Zielen der phänomenologischen Psychologie erhält jedoch das transzendentale Ich gerade in ihrem Bereich die ihm entsprechende philosophische, ja metaphysische Grundlegung seiner Gegenständlichkeiten. In dieser Ausweitung wird dann die Erkenntnis als psychisches Ereignis bezeichnet. Mit dem Begriff der Psyche zeichnet sich das erste Schillern am Verständnis des reinen Ich ab. b) Das reine Ich als praktisches Ich Unsere Nachforschungen gehen mit einem vorgefassten Schema vom Bewusstsein an Husserls reines Ich heran. Wir können es so zusammenfassen: Nach den beiden Grundeinsichten ist mir die Einheit des Ich-Selbst, also der innerste Kern des Selbst als bewusstseinsmäßiges, in zwei Zonen ineins gegeben. Demnach erscheint es auch nicht aussichtslos, dieses Ich nach den ursprünglich reinen Zonen zu ergründen und deren Anteile im Leben des Bewusstseins zu suchen. Das kann nur heißen, dass jede Zone ihre eigenartige Natur durchsichtig werden lässt. Wir hegen die Erwartung, dass die Zonen unvermengt, nichtsdestoweniger ungetrennt einander durchdringen. Dazu berechtigt uns die doppelte Einsicht a priori und die Überlegung, dass Bewusstsein nur gelingen kann, indem die Zonen ihre Natur im Zusammenklingen als Bewusstsein bewahren und nicht verlieren. Natürlich meldet sich nun noch eine weitere Unterscheidung an. Wenn dem so sein sollte, müssten wir dann nicht dieses Bewusstsein in einer letzten Fassung als Anlage in zwei Zonen und darin Bewusstsein im Vollzug als Zusammenklang auffassen? Hätten wir damit nicht schon eine brauchbare Erklärung für das befriedete und abgeklärte oder für das zerrissene und unglückliche Bewusstsein zur Hand. Damit kämen wir jedoch in metaphysische Gefilde, während wir doch dafürhalten dürfen, dass unser Vorgehen bis jetzt den Kreis der Phänomenologie, in den wir Husserl gefolgt sind, nicht überschreitet. Nun zeigt sich im Verlauf der Untersuchung, dass Husserls reines Ich sich in unser Schema nicht einordnen lässt. Es darf auch nicht erwartet werden, da Bewusstsein im Begriffszeichen der Psyche eben anders gesehen wird. Husserls reines Ich ist als geistiges Ich schwerpunkthaft ein vernünftiges Ich. Nach unserem Schema wäre dies nur eine Seite des Ich, die das ganze Ich vertritt, es aber nicht begründet. Nach dem herkömmlichen Schema beinhaltet indes Vernunft auch praktische Vernunft, und damit ergeben die bezeichneten Zonen anlagenhaft schon einen Ich-Pol oder ein vernünftiges Monopol. Dies gilt es zu beachten, wenn Husserl vom „reinen Schauen“ oder vom Erlebnis Erkennen spricht. Da hier immer eine andere Grundauffassung von Bewusstsein zum Tragen kommt, so schwingt dieser Inhalt auch in den Aussagen mit. Es zeigt sich dabei, dass auch die phänomenologische Sicht gerade deshalb, weil sie retrospective und reflexive von Anfang an arbeiten muss, in ihren absoluten Gründen bereits Anlass zu Abweichungen findet.
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§ 7 Die transzendentale Phänomenologie
Husserls reines Ich verbirgt also bereits Züge, die es auch zum letzten, ungeschiedenen Quellgrund alles Gemütsmäßigen geeignet machen. Zunächst ist hier nochmals auf die Psyche als die eigentliche Einhüllende des Bewusstseins hin zu weisen, wobei diese sicherlich nicht als ein mehr äußerlicher Zusammenhalt zu verstehen ist. Husserls Ideal einer rein phänomenologischen Psychologie rechnet mit einer Psyche, die wir durch und durch als „Intentionalität“ auffassen dürfen. Auch hier geraten Vernunft und Psyche zusammen; Vernunft als psychischer Urgrund, Psyche als geistiges Ich ermöglichen transzendentale Einholung jeder Seinsgeltung. Darum reicht Psyche weiter, gründet tiefer als Seele, und sie kommt auch da noch zum Tragen, wo das reine Ich nicht in seinem Erlebnisstrom vorkommt.36 Deutet diese Auffassung noch zum rein Erkenntnismäßigen in unserem Sinne hin, so leitet sich aber hier auch ein unmittelbarer Übergang zur ratio practica her. Es geht immer darum, das „Wesen“ der Intentionalität in ihrer reinen Natur herauszustellen, daher tritt noch alles zurück, was mit Wertung und deren absoluten Gründen einer Gegebenheit zu tun hat.37 Aber dieses Abhalten der anderen Gegebenheit liegt anscheinend mehr in der Weise des Vorgehens als in einer Grundverschiedenheit innerhalb der Intentionalität selber, die Unterscheidung gehört nicht zum Ursprünglichsten.38 Allerdings muss diese Verzweigung in der Phänomenologie der Vernunft ergänzend auch als Parallelismus von logischer und praktischer Vernunft gesehen werden.39 Husserl übersieht natürlich nicht das Eigentümliche im Verhältnis von Wertung und Gemüt. Aber die „doppelte intentio“ oder die „doppelte cogitatio“ bleibt letztlich doch als ein gemeinsamer Nenner zurück, der in dem einen
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Vgl. zum vorhergehenden Abschnitt: Phänomenol. Psychol. § 44. S. 217, 8. „Die reine Phänomenologie, als eine auf reine Subjektivität bezogene Wissenschaft kann natürlich auch Psychologie genannt werden, reine Psychologie in einem ganz bestimmten Sinn“; ebda. S. 222, 24. „Die Grundwissenschaft wird nun die transzendentale Phänomenologie, eine Psychologie höchsten und neuen Sinnes, welche alle Vernunftkritik in sich befasst und alle echten philosophischen Probleme.“ Von den Zeitgenossen wurden solche Aussagen dahin missverstanden, dass nun die „Reinheit der Erkenntnis“ zu einem verengten psychischen, also seelischen Erleben abdriften sollte. Psyche als transzendentale Subjektivität begründet jedoch als transzendentale Vernunft erst alle objektive Wissenschaft. Husserl kann sich also der psychologischen Kritik gerade deshalb entziehen, weil auch für ihn letztlich die Psyche anima intellectiva ist. 37 Ideen 1. § 37. S. 83, 1 ff. „In Akten der Art, wie es die wertenden sind, haben wir also ein intentionales Objekt in doppeltem Sinne: wir müssen zwischen der bloßen „Sache“ und dem vollen intentionalen Objekt unterscheiden, und entsprechend eine doppelte intentio, und eventuell ein zwiefaches Zugewendetsein; in der Einheit eines cogito ist intentional verflochten ein doppeltes cogito.“ 38 „Der Problemtitel, der die ganze Phänomenologie umspannt, heißt Intentionalität. Er drückt eben die Grundeigenschaft des Bewusstseins aus, alle phänomenologischen Probleme, selbst die hyletischen, ordnen sich ihm ein. Somit beginnt die Phänomenologie mit Problemen der Intentionalität; aber zunächst in Allgemeinheit …“ Ideen 1. § 146. S. 357, 19. 39 § 147.
3. Das reine Ego
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Falle nicht nur als Erkennen das Gemüt auch vertritt, sondern als ratio practica eben das Gemüt selber ist.40 Es finden sich nur gelegentlich Bemerkungen, die jedoch keineswegs ausreichen für Bausteine zu einer praktischen Vernunft. Das reine Ich, welches „durch das reine Ich, das identisch selbe, gegenständlich setzbar“ ist,41 geht ineins mit dem „Ich der „Freiheit“„, welches so Akte des Erkennens wie auch des Gemütes in sich zusammennimmt.42 Man muss aber hinzufügen, dass diese ursprüngliche Subjektivität, das Ich im eigentlichen Sinne43 als „innere Erfahrung, die absolut originär ist und keine Elemente der Vergegenwärtigung enthält“, ganz auf die „Leibhaftigkeitserfassung“ angewiesen ist.44 Damit soll nur angedeutet werden, dass Gemüt als geistige Anlage ganz vom Erkennen (Intentionalität), als sinnenhafte ganz vom Leiblichen aufgenommen wird. Wir haben das reine Ich als kristallene Durchsichtigkeit, weil aus der Reflexion sich Intentionalitas und Identitas als dasselbe erweisen sollen, und alles, was in den Gründen des Gemütes verborgen liegt, das wird zum „seelischen“ Ich, zum realen Ich, zum Leibhaftigen herabgesetzt. Gewiss, nimmt man in letzter Folgerichtigkeit das Verhältnis an, so bleibt nur die Intentionalität zurück. Husserl holt den Gedanken vollends ein, indem er auch noch die „Beziehung auf das Ich unterlässt“.45 Er geht so weit in diese Richtung, dass nicht mehr „menschliche Erkenntnis“, sondern „Erkenntnis überhaupt“ gesucht wird.46 Abgesehen davon, dass hier ein für den Phänomenologen nicht vertretbarer Übergriff vorliegt, droht hier nicht nur die Auflösung des Gemütes, sondern die des Bewusstseins überhaupt. Wir werden noch weitere Male bemerken, gerade am entscheidenden Brückenschlag, nämlich der Intersubjektivität, dass Husserl Gemüt hereinnimmt, wo er es benötigt, dass er es aber ausschaltet, wo es der transzendentalen Reduktion im Wege steht.
40 § 148. S. 363, 15 ff. „Die Werte, die praktischen Gegenständlichkeiten, ordnen sich dem formalen Titel „Gegenstand“, „Etwas überhaupt“ unter. Sie sind also vom Standpunkt der universellen analytischen Ontologie material bestimmte Gegenstände, die ihnen zugehörigen „formalen“ Ontologien der Werte und praktischen Gegenständlichkeiten materiale Disziplinen. Andererseits haben die Analogien, die in dem Parallelismus der thetischen Gattungen (Glaube, bzw. Glaubensmodalität, Werten, Wollen) und der ihnen spezifisch zugeordneten Synthesen und syntaktischen Formungen gründen, ihre Kraft, und eine so wirksame, dass Kant geradezu das Verhältnis vom Wollen des Zweckes und Wollen der Mittel als „analytisches“ bezeichnet und dadurch freilich Analogie mit Identität verwechselt. Das eigentlich Analytische, das zur prädikativen Synthesis der Doxa gehörige, darf nicht vermengt werden mit seinem formalen Analogon, das bezogen ist auf die Synthesen der Gemüts- und Willensthesen. Tiefliegende und wichtige Probleme der Phänomenologie der Vernunft knüpfen sich an die radikale Aufklärung dieser Analogien und Parallelen.“ 41 Ideen 2. § 22. S. 101, 20. 42 § 54. S. 213, 20. 43 Ebda. 44 Ideen 2. §. 51, S. 199, 4. 45 Idee d. Phänom. 3. Vorl. S. 44, 35. 46 Ebda. 4. Vorl. S. 75, 36.
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§ 7 Die transzendentale Phänomenologie
Suche ich Intentionalitas in dieser „Reinheit“, dann darf ich dieses Ich nicht so ohne weiteres das „Ich der Freiheit“ nennen; es sei denn, ich habe ihm schon etwas unterlegt, was erst einer sorgfältigen Nachforschung bedarf. Absolute Gegebenheit müsste immer schon als doppelgründige anerkannt werden, dann blendet sich in die ursprünglichste Intentionalität ein zweiter Anhaltspunkt mit ganz eigenartigen Gesichtszügen ein, die zwar nur in der Intentionalitas gegeben, sich dennoch niemals in ihr auflösen lassen. Eine solche Doppelgründigkeit lässt sich natürlich nicht einfach nach innerer und äußerer Erfahrung aufteilen, weil ja Selbsterfahrung des Bewusstseins nicht einfach Selbstsetzung des Erkennens ist. Das Anliegen des Phänomenologen geht doch dahin, in der Reflexion das Erkennen allein als Gegenstand aus dem Bewusstsein herauszulösen. Erkennen (allein, das ist selbstverständlich) setzt Erkennen für sich. Dieses vergegenständlichte Erkennen beschreibt aber Husserl mit Selbstverständlichkeit als „das Ich der „Freiheit“, das aufmerkende, betrachtende, vergleichende, unterscheidende, urteilende, wertende, angezogene, abgestoßene, zugeneigte, abgeneigte, wünschende und wollende: das in jedem Sinne „aktive“, stellungnehmende Ich.“47 Alle diese Verzweigungen laufen als „Cogitationes“ in einer transzendentalen Intentionalität zusammen, die keine „reale Beziehung“ mehr zurückbehält.48 Dagegen ist nichts einzuwenden: „Die Seinsart des Erlebnisses ist es, in der Weise der Reflexion prinzipiell wahrnehmbar zu sein“.49 Aber taucht hier nicht eine Verworrenheit in der Einklammerung auf, weil dieses reine Ich der Intentionalität unterschwellig nun doch real mit der totaliter abgeschnittenen Dingwelt verwachsen bleibt? Dieses reine Ich, das ja intentionaliter subiective und obiective zur Deckung gebracht werden soll, darf sich dann auch nicht mehr als „abgeneigtes, zugeneigtes, wünschendes und wollendes“ verstehen. Der Vollzug und das beweiskräftige Aufzeigen der Epoché hängen vom absoluten reinen Ich ab, von dem allein sich sagen lässt, dass es „prinzipiell nulla „re“ indiget ad existendum“.50 An dieser letzten Eingründung erfährt der transzendentale Ansatz indes auch seine grundsätzliche Anfechtbarkeit. Das reine Ich schließt eine vorgeprägte Auffassung mit ein, deren letzte Folgerichtigkeit nicht angenommen wird. Entweder nehme ich das reine Ich als reines Erkennen an, dann erfahre ich Intentionalitas als Ur-Teil meines Ich, und Bewusstsein müsste sich dann logisch gewaltsam als Absolutum schließen. Ich werde dann der phänomenologischen Reduktion gerecht, ich folge ihrer Weisung, indem ich mich bewusst auf Intentionalitas einstelle. Ich habe so eine ganz anders geartete Einklammerung zu vollziehen: Alles Gemütsmäßige ist subiective und obiective aus der Beziehung Sein und Erkennen so lange wie möglich auszublenden. Der Inbegriff wird sich ganz von selber vollziehen. 47
Ideen 2. § 54. S. 213, 20. „Diese Beziehung ist unmittelbar keine reale Beziehung, sondern eine intentionale Beziehung auf ein Reales … Dass jedesmal, wenn das Objekt existiert, der intentionalen Beziehung eine reale „parallel“ läuft, … das ist ein psychophysisches Faktum. Es liegt aber nicht in der intentionalen Beziehung selbst, …“ § 55. S. 215 – 216. 49 Ideen 1. § 45. S. 105, 20. 50 Ideen 1. § 49. 48
3. Das reine Ego
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Oder aber ich nehme Bewusstsein als ein Concretum an, dann erreiche ich nicht jene letzte Grundsteinlegung, wo es nulla re indiget ad existendum. Der Aufschluss weist sodann in eine andere Richtung, und es ist durchaus nicht offenbar, dass dieser Weg nicht gangbar sein sollte.
§ 8 Die andere Auffassung des Bewusstseins aus dem Verständnis der beiden Grundeinsichten des Selbstbewusstseins 1. Intentionalitas und Identitas Wir halten fest, dass Husserls reines Ich, das wahrhaft geistige Ich, sich als ein ego concretum enthüllt. Es behält sich die reine Einheit vor, weil Intentionalität letztlich auch Identität, den Nerv des Selbstbewusstseins, entspringen lässt. Es bedeutet, dass das reine Ich in seinen Cogitationes, soweit sie sich nach Denken, Wollen und Empfinden entfalten, auch in der Reflexion zu sich selber sich nur gegenständlich auseinandersetzt, nicht jedoch als Pol der Ausstrahlung bzw. der Einstrahlung.1 Eine letzte Klärung werden wir hierzu erhalten, wenn wir das Zeiterlebnis der Transzendentalphilosophie untersuchen. Es liegt dann auch im Zuge dieser Auffassung, wenn man nicht mehr zu einer Unterscheidung nach unmittelbarer Einsicht und unmittelbarer Gewissheit vordringen kann; denn letztere enthält eine Verflochtenheit der beiden Grundeinsichten des Selbstbewusstseins, erstere jedoch nicht. Die zweite Grundeinsicht des Selbstbewusstseins, welche in der Metaphysik zu wenig beachtet worden ist, erweist sich als ein Schlüssel zu neuen Erkenntnissen, überhaupt zum Aufschluss für eine neue Metaphysik. Auf diesem Wege löst sich dann auch der Parallelismus zwischen der ratio practica und der ratio theoretica in zwei verschieden geartete Gründe auf, so dass die sittliche Erkenntnis in ihrer Eigentümlichkeit nicht einfach dem logischen Apriori verglichen, sondern besser begründet wird. Grenzen wir Bewusstsein auf seine erkenntnismäßige Seite ein, dies erlaubt ein erster oberflächlicher Zugriff, so erhalten wir für diese ein durchgehendes Merkmal, wonach sich eine Scheidung durchführen lässt. Erkennen ist eine Unterscheidung, die sich aus einer Vereinigung hält; man kann es auch eine Vereinigung aus der Unterscheidung nennen. Damit haben wir das Verhältnis nur logisch bestimmt, und so ist noch nicht viel gewonnen. Wir benötigen eine Aussage, die uns erfahrungsmäßig etwas in Aussicht stellt. Ich bemerke nun, dass Unterscheidung ohne Vergleich dem Nichts gleichkommt. Jede echte Unterscheidung hat einen Vergleich zum Inhalt, denn anders bleibt sie leer. Für die Bestimmung von Erkennen bleibt mir nur der Rückbezug auf mein Ich-Selbst; ich setze es in Vergleich mit anderen Gegenständen. Erkennen findet darin seinen natürlichen Weg. So wie Leben naturhaft, triebhaft zur Nahrung hinfindet, so gelangt Erkennen zum Vergleich von Selbstbe1
Ideen 1. § 35. S. 78, 32 – 79, 15; Ideen 2. § 25. S. 105, 15 ff.
1. Intentionalitas und Identitas
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wusstsein und Gegenständlichem. Indem es hier das allgemeine Merkmal entblößt, steht es im Selbstverständlichen. Darin ur-teilt sich aber das Selbst-Vernünftige erneut, die Ur-Teilung ist natürlich wieder ein Vergleich. Erkennen entdeckt seinen Grundzug: Es betrachtet sein Selbst und alles, was dieses Selbst umwickelt, wie einen fremden Gegenstand. Erkennen vermag von seinem Selbst abzusehen; es zeigt sich geradezu als selbstlos. Wir entdecken darin sogar das tiefe Geheimnis der sittlichen Empfindung. Ich betrachte nicht nur meinen Leib wie einen fremden Gegenstand; was ich immer in die Vorstellung, in die Reflexion bringe, das vermag ich wie ein Fremdgegebenes zu setzen. Ich erfahre es in Wahrheit, indem ich es sachlich und unpersönlich in die Vorstellung setze. So gesehen enthüllt sich Intentionalitas als selbstlos. Habe ich nicht den Eindruck, dass ich mich in Bezug auf Erkennen von keinem anderen Ich-Menschen unterscheide und dass dieses Erkennen sogar die Einheit eines Artwesens überschreitet? Mit dieser Einsichtnahme einer intentionalitas transcendentalis erreiche ich nicht die Tiefe meines Ich-Bewusstseins. Das selbstlose Erkennen erfährt sich in einem selbstischen Gemüt, welches sich am Erkennen als Ich erlebt. Es ist nicht so, dass diese Identitas der Intentionalitas entspringt. Das Ich erfährt sich als Identitas und Intentionalitas in ebenbürtiger Ursprünglichkeit, auch wenn seine Identitas schon immer durch die Intentionalitas zu sich kommt. Die Einheit des Selbstbewusstseins erfährt sich als die Ergänzung zweier Ur-Teilsanderen, die sich, gerade weil sie grundverschieden sind, ineinanderfügen. Denn anders läge nur eine Verdoppelung vor. Wenn also die Intentionalitas sich als die selbstlose Natur des Erkennens erklärt hat, so dürfen wir jetzt wegen verschiedener Beobachtungen im anderen Ur-Teil, dem Gemüt, den Träger des Ichhaften vermuten. Denn nur das Ich-Bewusstsein unterscheidet mich scheinbar von allen anderen Ich-Menschen. Der ständige Wandel, welcher in mir vor sich geht, lässt sich denkbar schlecht über Vernunft und Sinneserkenntnis erklären. Vielmehr nehme ich diese als wandellosen Spiegel wahr, welche mir eine Verfassung bewusst machen, die sich in mancherlei Schwankungen auslebt. Ich erlebe mich hungrig nach einer Speise, ich erlebe mich gleichgültig nach dieser Speise. Diese, meine Verfassung nehme ich im Erkennen wahr. Die zweite Einsicht des Selbstbewusstseins sagt mir aber allein, dass dieses Erkennen nicht die Ursache und auch nicht der Ursprung dafür sein kann. Also muss ich das „reine Ich“ anders fassen. Auch das die letzte Reflexion vollziehende reine Ich muss sich so immer schon in sich selber vermittelt erfahren. Es geht hier nicht nur um die Vermittlung in der Reflexion, diese liegt in der Natur des Verstandes. Es geht vielmehr darum, dass der letzte, uneinholbare Ich-Punkt, welcher in den „Erlebnissen des Erkennens“ gar nicht vorkommt, wie Husserl meint, schon immer als eine Vermittlung zweier Ursprünge sich vollzieht, aus der Identitas des Gemütes und der Intentionalitas des Erkennens. Damit gewahren wir auch am Gemüt einen entsprechenden Grundzug: Dem Vergleich, der auch eine Unterscheidung ist, steht hier die Verselbigung gegenüber. Gemüt kennt an sich keinen Unterschied, Erkennen hat den Unterschied an sich. Gemüt löst alles am Selbst auf, Erkennen lässt alles als Gegenstand bestehen. Er-
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§ 8 Die andere Auffassung des Bewusstseins
kennen löst das Gemüt aus seiner unterbewussten Ichverkrampfung, das Gemüt verleiht dem Erkennen das Ich-Bewusstsein. Erkennen hat Gemüt an sich, Gemüt hält Erkennen für sich; so entsteht Selbstbewusstsein an und für sich. Bewusstsein ist Selbstbewusstsein.2 An der sich ergänzenden Grundverschiedenheit der Zonen entnehmen wir jedoch einen auffallenden Vergleich. Beide Zonen erscheinen in einer gewissen Abstimmung auf sinnlich Greifbares und auf Unsichtbares, nennen wir es Geistiges, veranlagt zu sein. Darum kann ich auch nicht behaupten, dass mein reines, geistiges Ich die sinnliche Lust und den sinnlichen Schmerz nicht in seiner ursprünglichsten Ichhaftigkeit hätte. „Im Leibe finde ich freilich die Empfindungsschicht lokalisiert, darunter sinnliche Lust, sinnlichen Schmerz; aber damit ist nur gezeigt, dass sie nicht in den Bereich des eigentlich Ichlichen hineingehört; wie der Leib überhaupt so ist alles ihn als Gegenstand ausmachende „Nicht-Ich“ dem Ich gegenüber und nur in der Weise des Gegenüber dem Ich zugehörig, eben als daseiender Gegenstand seiner Erfahrungen …; aber all das sind Ichlichkeiten von Gnaden der ursprünglichen Ichlichkeiten.“3 Ziehe ich mich in die reine Zone des Erkennens zurück, so lassen sich diese Sätze natürlich bei aller Einschränkung vertreten. Für die Begründung der Intersubjektivität muss sich Husserl dann auf harte Folgen und ernste Vorwürfe einstellen. Zutreffender ist hier jedoch, dass der Phänomenologe den Bewusstseinskern oder den Ichpol in überspannter Weise auf Erkennen eingeengt hat, so dass sich jetzt klar ablesbare Folgen einstellen, worauf bereits hingewiesen worden ist: Die Zone des Gemütes wird nicht untergliedert in einen höheren und einen mehr sinnenhaften Anteil, sie wird auseinandergerissen. Dabei muss der geistigere Anteil vom Erkennen übernommen werden, soweit das geistige Bewusstsein ja im Verstand gründen soll; der niedere Anteil hingegen geht in der „Gegenständigkeit“ des Leibes unter, wobei nochmals der Vorrang des Verstandes unterstrichen wird. Die Einheit des Gemütes erhält sich aber gerade in einer Untergliederung. Gegenüber der anderen Auffassung möchten wir hier auf beiden Seiten zwei entsprechende Ebenen oder Stockwerke sehen, die durch eine Längsachse scharf nach Gemüt und Erkennen getrennt sind. Dagegen neigt die andere Auffassung eher dazu, den Verstand und das höhere Gemüt als eine einzige, geistige Zone durch eine Querachse vom sinnlichen Bewusstsein abzugrenzen. Ohne Zweifel soll der Wert dieser Auffassung nicht verkannt werden. Natürlich begünstigt sie eine Zone des Geistigen, indem sie dieses vor allzu leichtfertiger Vermengung mit leibhaftiger Erfahrung abschirmt. Es muss jedoch auch gesehen werden, dass die innere Einheit der Gemütszone dabei überhaupt nicht geschont wird. Damit verschließt sich indes ein Ursprung, der in verschiedener Richtung neue Einsichten bereithält.
2 Dieser Satz ist freilich nur in der phänomenologisch-psychologischen Klammer vertretbar. 3 Ideen 2. § 54. S. 212, 15 ff. u. S. 213, 3.
2. Die Intersubjektivität und ihre Begründung
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2. Die Intersubjektivität und ihre Begründung a) Die Bestimmungsstücke in den „Ideen 2“ Zwei Modelle des Bewusstseins stellen sich dar. Das eben kurz umrissene Modell sträubt sich aber durchaus nicht gegen eine Ausarbeit der phänomenologischen Methode an ihm, jedenfalls werden noch keine Hindernisse sichtbar. Wir können es doch so ausdrücken: Die zweite Grundeinsicht sperrt sich nicht gegen die erste, sie gestaltet sich als allgemeinster Innenausbau im Rahmen der ersten. Aus der Sicht des zweiten Modells Bewusstsein wollen wir versuchen, uns ein Urteil zu erarbeiten über den umstrittenen Grund zur Intersubjektivität im Geltungsbereich der transzendentalen Reduktion. Aus dem Vergleich der beiden Modelle können wir nun eine gewisse Spannung entnehmen, die innerhalb der Phänomenologie Husserls schon die Einheit zwischen dem „reinen Ich“ und der „Primordi(n)alzone“ zu sprengen droht. Es ist keine in sich ruhende und fest begründete Einheit mehr, welche das Herzstück der Phänomenologie tragen soll. Man möchte sagen, dass Husserl bald auf die eine, bald auf die andere Seite das Gewicht des Bewusstseins verlagern muss, um die Brücke zum alter ego, um die Monadengemeinschaft halten zu können. Denn diese Einheit schließt Transzendenz in die Immanenz oder umgekehrt, und sie soll kein „Denkakt“, kein „Analogieschluss“ sein. Aus der „Idee der Phänomenologie“, aus den „Ideen 1 und 2“ entnehmen wir eine innere Geschlossenheit: Die absolute Gegebenheit des immanenten Seins verfestigt sich in einem zunehmenden Rückzug in die apodiktische Gewissheit vernünftiger Wesenseinsicht. Zwar hebt die Gewissheit an der Dingwahrnehmung an, sie ist aber darin schon über eine bloß sinnliche Vernunft hinweg, dass ja Begründung sich noetisch als Erlebnis des Erkennens einstellt.4 Dem „Abgeschatteten“ an der Dingwahrnehmung steht das „Wesen des reinen Bewusstseins von Etwas“ als der eigentliche Grund entgegen. Dies Verhältnis erstellt sich in „schlichter Reflexion“. Allein die Reflexion schließt dann auch das seelische Ich aus dem Erlebnis der Erkenntnis aus, reines Schauen bleibt zurück.5 Schließlich entdeckt die Phänomenologie das reine Ich als Ich der Intentionalität. Dazu gehört: Das reine Ich ist durch das reine Ich setzbar.6 Die absolute Identität erkenne ich in der Reflexion.7 Aber das reine Ich kommt in seinem Erlebnisstrom nicht vor.8 Die leibseelische Sphäre wird als „Ichlichkeit von Gnaden der ursprünglichen Ichlichkeit“ zu einer Gegenständigkeit des reinen Ich.9 4 5 6 7 8 9
Vgl. Ideen 1. §§ 34 – 49. Idee d. Phänom. S. 44, 35 u. S. 75, 33. Ideen 2. § 22. Phänom. Psychol. § 41. S. 208, 6. Phänom. Psychol. § 41. S. 207, 35. Ideen 2. § 54.
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§ 8 Die andere Auffassung des Bewusstseins
Verfolgen wir die Rückzugsbewegung zum reinen Ich, die sich in immer höheren Reflexionen vollzieht, so entdeckt das „Vernunftsubjekt“ immer erneut seine Identität daraus und gewinnt in dieser Form der Subjektivität sein Endziel, den absoluten Grund. Im Zuge dieser Reflexion, die eine Abscheidung in der eigenen leibseelischen Erfahrung vornimmt, erhält das reine Ich seine Gewissheit, wobei in einer gegenläufigen Bewegung eine Entfremdung zum eigenen Leibe sich andeutet. Husserl scheidet die Leibzone als innere, seelische Erfahrung vom transzendentalen Ego ab, um Sicherheit zu gewinnen. Die Absicht bleibt unverkennbar. Sie wird jedoch so zu einem Hindernis auf dem Weg zum alter ego, was freilich so niemals in Erwägung gezogen wird. Die Darstellung in den „Ideen 2“ lässt einen geordneten Aufbau vermissen. Husserl befasst sich mit der „Einfühlung“ in das fremde Ich, bevor sich das reine Ich in seiner intentionalen Reinheit von seelischer Verhaftung herausschält.10 Freilich gleicht es mehr einem Anlauf als einer überzeugenden Durchführung, was hier aufgeboten ist, um Intersubjektivität überzeugend in ihrem eigenen Sein zu erhärten. (Dennoch darf man sich wohl zu Recht fragen, ob die fünfte „Cartesianische Meditation“ in ihrer spröden Ausführlichkeit etwas wirklich Neues an Einsicht bringt.) Hier ist zunächst einmal von „Inneneinstellung“ und „Außeneinstellung“ zum Leib die Rede, der in der ersteren „frei bewegliches Organ“ und Träger des Seelenlebens ist. Er ist „Umschlagspunkt“, das in „Außeneinstellung und Inneneinstellung Konstituierte ist kompräsent“.11 Über die Inneneinstellung erreiche ich mich selbst nicht als „Raumding“ wie andere Dinge, ich muss also wieder auf das reine Wahrnehmungserlebnis zurückgreifen. Daraus entsteht der „fundamentale Unterschied zwischen Urpräsenz und Appräsenz. Urpräsent ist mir dann jeder Leib in der Wahrnehmung; urpräsent ist mir jedoch nur das, was sich in der Inneneinstellung ergibt, an seelischem Sein gegeben.“12 Als Leibkörper steht das alter ego urpräsent da, seine Innerlichkeit wird mir durch Einfühlung appräsent.13 „Nach Maßgabe der erfahrenen Lokalisation findet dann auch fortgehend Zuordnung von Physischem und Psychischem statt, und mit Recht.“14 Das „System der Appräsentationen“, das aus meiner Inneneinstellung seine „ursprüngliche Vorlage hat“, bewährt sich in durchgehender „Kompräsenz“; dem in Wahrnehmung Urpräsenten wird aus meiner Inneneinstellung ein alter ego appräsent eingefühlt. Dass wir es hier mit dem wunden Punkt zu tun haben, ist klar. „Zur Erscheinung des fremden Menschen gehört aber außer dem Erwähnten auch die seelische Aktinnerlichkeit. Dabei ist zu sagen, dass der Anfang auch hier übertragene Kompräsenz ist: zu dem gesehenen Leibe gehört ein Seelenleben wie zu dem meinen.
10 11 12 13 14
Ideen 2. §§ 42 – 47. Ideen 2. § 42. § 44. § 45. Ebda. S. 164, 14.
2. Die Intersubjektivität und ihre Begründung
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… es wird seelisches Sein verstanden, …“15 Wir haben es hier mit einem Analogieschluss aus der Sphäre der Wahrnehmung zu tun: „Ich setze nun mit dieser Realität ein Analogon meines Ich und meiner Umwelt, also ein zweites Ich mit seinen „Subjektivitäten“, seinen Empfindungsdaten, … in der Einfühlung mache ich die Setzung des Anderen mit, …“16 „Das Objekt Mensch ist also ein transzendentes äußeres Objekt, Objekt einer äußeren Anschauung, und zwar ist es eine zweischichtige Erfahrung: mit äußerer urpräsentierender Wahrnehmung verflochten ist appräsentierende (bzw. in das Äußere introjizierende) Einfühlung, und zwar in einer Apperzeption, die das ganze Seelenleben und Seelensein realisiert zu einer Art Erscheinungseinheit, …“17 Im Zusammenhang mit einer phänomenologischen Reduktion dessen, was wir mit dem anschaulichen Inhalt und dem Begriffsgefüge Natur verstehen, möchte man diese Betrachtung Natur dann als Gebilde der Monadengemeinschaft durchsichtig werden lassen. So hat es wohl Husserl verstanden, wenn er mit diesen Worten schließt: „Die Analyse der Natur und Naturbetrachtung zeigt also, dass sie ergänzungsbedürftig ist, dass sie in sich Voraussetzungen birgt und somit über sich hinausweist auf ein anderes Gebiet des Seins und der Forschung: das ist das Feld der Subjektivität, die nicht mehr Natur ist.“18 Behält man diesen vorausgehenden Gesichtspunkt im Auge, dann geht es also in erster Linie gar nicht um den Seinsverstand von Intersubjektivität, sondern um die Auflösung einer naturwissenschaftlichen Seinsgeltung in die Anschauungsform einer Bildungsgemeinschaft. Dennoch schließt eine solche Unterlage eine Begründung mit ein. „Es wird seelisches Sein verstanden.“19 „Es konstituieren sich dann die fremden Subjekte, die als Analoga des eigenen und zugleich als Naturobjekte apperzipiert werden, es konstituiert sich die Natur als intersubjektiv gemeinsame und objektiv (exakt) bestimmbare … zweifellos ist auch, dass die mit der Einfühlung sich vollziehende Setzung einer intersubjektiven Welt in Form der Naturwissenschaft die Möglichkeit zulässt, das intersubjektiv Gesetzte „theoretisch“ so zu bestimmen, dass der Bestimmungsgehalt unabhängig wird von den einzelnen Subjekten, … Diese ganze Auffassung setzt aber voraus, was nie in einen „Index“ verwandelt werden kann: das absolute Subjekt mit seinen Erlebnissen … Diese absolut vorausgesetzten Subjekte sind aber nicht die Subjekte als Natur …“20 Die Bestimmungsstücke hier sind für uns deshalb von Wichtigkeit, weil Husserl sich nicht scheut, von der „Kompräsenz“ zweier Erfahrungseinstellungen (innen und außen) zu reden, wobei der eigene Leib als „Umschlagspunkt“ zum Grundpfeiler der „absoluten Subjekte“ wird. Natürlich wird sich kaum ein anderer Weg finden lassen. 15 16 17 18 19 20
§ 45. S. 166, 13 – 20. S. 168, 28 – 33. S. 169, 19 – 26. Ideen 2. § 47. S. 172, 8. S. 166, 19. S. 171.
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§ 8 Die andere Auffassung des Bewusstseins
Schopenhauer spricht hier in aller Offenheit von dem „Schlüssel“, mit dem sich die Natur erschließen lässt; und auch Husserl gebraucht an dieser Stelle mehrmals den verbindlichen Begriff „Analogon“, der den Analogieschluss nicht zu unterdrücken vermag. Schopenhauer darf es tun: Er beruft sich auf die beiden grundverschiedenen Weisen des Gegebenseins der Erfahrung am Bewusstsein. Darüber hinaus hegt er ganz andere Absichten, worin er den Transzendentalismus Kants, mithin auch den Husserls bekämpft. Husserl jedoch steht auf einem anderen Feld. Es ist ein kopflastiger Transzendentalismus, der sich darin die Möglichkeit untergräbt, über die vorgelagerte Leibeszone ein alter ego zu erschließen. Es ist bezeichnend, dass die Entdeckungen des reinen Ich, welches ja in seinen Erlebnissen nicht vorkommt, erst nachher gemacht werden. Gerät Intersubjektivität nicht in die Enge des Solipsismus, wenn das absolute Bewusstsein jene andere Gegebenheit, die des Gemütes, aus der Zone des reinen und transzendentalen Ich hinausdrängen möchte? Muss Husserl hier eine Springerrolle auf sich nehmen? Ich schließe jeden Bezug einer Transzendenz aus und ich ziehe mich auch aus der Gemütszone zurück, um absolute Erkenntnis zu begründen. So aber ist mir ein Analogieschluss ins alter ego als Denkakt in die Transzendenz untersagt. b) Intersubjektivität nach der fünften „Cartesianischen Meditation“ Das sich selbst setzende Ego entdeckt in der transzendentalen Sphäre sein reines Ich als tiefgründige Einheit, die sich „noetisch-ontisch“21 als Selbigkeit von Identität und Intentionalität vorstellt.22 Wie aus „Ideen 1 und 2“ zu verstehen ist, liegt der Schwerpunkt des Ich-Selbst im Vermögen der Reflexion. „Selbstverständlich“ erhält hier einen doppelten Sinn, einen gesetzten (obiective) und einen setzenden (subiective). Das phänomenologische Vorgehen erweist sich davon abhängig, dass es sich in die reinen Gründe des Schauens zurückzieht. Je schärfer es den Mittelpunkt des transzendentalen Kreises fasst, desto schärfer scheidet sich die immanente Transzendenz von der unhaltbaren Transzendenz des Realismus. Wie sehr alles in dieser Sphäre des Schauens gründet, wird auch in der fünften „Cartesianischen Meditation“ nochmals betont: Es ist die „erste Sphäre“, und das Eigenheitliche meiner Seele erreicht in dieser Schauung nur den Rang einer zweiten Sphäre oder zweiten Schicht.23 21 Im Gegensatz zur noematisch-ontischen Gegebenheitsweise des Anderen; vgl. § 43 d. Cartes. Medit. 22 Wir unterscheiden davon Identitas und Intentionalitas nach dem anderen Schema des Bewusstseins. 23 „Wenn ich also als dieses Ego mein Phänomen der objektiven Welt auf mein Eigenheitliches reduziere und nun dazunehme, was ich irgend sonst als mir eigen finde (das nach jener Reduktion „Fremdes“ nicht mehr enthalten kann), so ist dieses gesamte Eigenheitliche meines Ego wiederzufinden in dem reduzierten Weltphänomen als das Eigenheitliche „meiner Seele“, nur dass es hier als Komponente meiner Weltapperzeption ein transzendental Sekundäres ist. … Dabei gehört aber doch jedes Bewusstsein von Fremdem, jede Erscheinungsweise von ihm mit in die erste Sphäre. Was irgend das transzendentale Ego in jener ersten Schicht als Nichtfremdes
2. Die Intersubjektivität und ihre Begründung
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Mit der ersten Sphäre sind also zuerst jene Grundanlagen angesprochen, die Erkennen als Erlebnisseite „meinen“. Streng genommen lässt sich nur aus ihr das Bewusstsein als absolutes Sein festhalten, welches nulla re indiget ad existendum. Demgegenüber wurde die Dingwahrnehmung noematisch in ihrer Abschattung und Zufälligkeit, daraus als Nicht-Notwendigkeit in den Schatten gestellt, um das Erlebnis des Erkennens in Form einer Selbstbeobachtung (Selbsterkennen) desto überzeugender herauszuklären.24 Die Bezeichnung Erlebnis erweckt nun seelische Erinnerungen. Um den Standpunkt des transzendentalen Ego vollendet einzuholen, muss das in der „Inneneinstellung“ Erfahrene aus der Sphäre des ursprünglichsten Ich abgehalten werden.25 Damit sind die Voraussetzungen gelegt, um das alter ego durch „überschobenen Sinn in Seinsgeltung“, „für sich selbst genau so seiend, wie ich für mich bin“ zu erfahren.26 Wie die Bezeichnungen „Sinnesüberschiebung“, „Fernüberschiebung“, vor allem jedoch „Einfühlung“ andeuten, muss sich aber nun eine Verlegung meines Bewusstseins ins Seelische vollziehen, denn in jener ersten Sphäre ist mir nur der Leib des Anderen originaliter gegeben, und es bestehen keine Aussichten, das alter ego als „psychophysische Einheit“, so wie ich mich erlebe, in „Präsentation“, was einer Seinsgeltung gleichkommt, zu erhalten. Es vollzieht sich die „Scheidung in die konstitutiven Systeme, die Eigenheitliches und die Fremdes konstituieren. Ich, das reduzierte „Menschen-Ich“ („psychophysisches Ich“), bin also konstituiert als Glied der „Welt“, mit dem mannigfaltigen „Außer-mir“, aber ich selbst in meiner „Seele“27 konstituiere das alles und trage es intentional in mir.“28 Husserl muss auf die beiden Grundeinsichten und ihre verschiedenartige Gegebenheit zurückkommen, die hier als zwei „konstituierende Systeme“ aufgezeigt werden. Aus den beiden „Systemen“ bestimmt sich aber die „Primordialsphäre“ keineswegs nur als jene seelische Innenerfahrung, die etwa das Erkennen als Wahrnehmungserlebnis und das Erlebnis Seele zusammenfassen würde. So könnte keine Einfühlung gelingen, weil damit das Wesen der Intentionalität wieder verstümmelt worden wäre. Die Erfahrung des „Fremden“ gehört zur „Eigenheitlichkeit“ meines Bewusstseins. „Als transzendental Eingestellter versuche ich zunächst innerhalb meines transzendentalen Erfahrungshorizonts das Mit-Eigene zu umgrenzen. Es ist, sage ich mir zunächst, Nicht-Fremdes. Ich beginne damit, diesen Erfahrungshorizont von allem Fremden überhaupt abstraktiv zu befreien.“29 Wie hier und in der Folge – als „Eigenes“ – konstituiert, das gehört in der Tat zu ihm als Komponente seines konkret eigenen Wesens, wie noch zu zeigen sein wird; es ist von seinem konkreten Sein untrennbar. Innerhalb und mit den Mitteln dieses Eigenen konstituiert es aber „objektive“ Welt, … § 46. S. 102. 24 Vgl. Ideen 1. §§ 34 – 46. 25 Vgl. Ideen 2. §§ 42 – 47; § 54. 26 Cartes. Medit. §§ 52, 53, 56. 27 Genauer wäre hier von „Psyche“ zu sprechen. 28 § 44. S. 101. 29 § 44. S. 97.
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§ 8 Die andere Auffassung des Bewusstseins
einsichtig wird, verwendet nun der Phänomenologe „abstrahieren“ in einem völlig eigenartigen Sinn, der jedoch nur diese Auffassung von Bewusstsein unterstreicht. Er behält sich hier die Abscheidung des anderen „konstitutiven Systems“ vor; es wird die gemüthafte Zone und die ihr eingegliederte Sinnlichkeit (also nicht die Sinnesorgane) von der eigentlich phänomenologischen Sphäre (Vernunft und Sinnlichkeit, Anschauen plus Denken) abgesondert. Es ist deshalb wiederum bezeichnend, wenn Husserl dafür einen Fachbegriff verwendet, der eigentlich auf die erkenntnismäßige Zone zugeschnitten ist. Bei dieser Form von „Abstraktion“ wird aber offenbar, dass die Erstellung des „Fremden“ zu meiner Eigenheitlichkeit gehört. „Von der Abblendung des Fremden wird nicht betroffen das gesamte psychische Leben meiner, dieses „psychophysischen“ Ich, darunter mein welterfahrendes Leben, also nicht meine wirklichen und möglichen Erfahrungen von Fremdem. Es gehört also in mein seelisches Sein hinein die gesamte Konstitution der für mich seienden Welt, und in weiterer Folge auch deren Scheidung in die konstitutiven Systeme, die Eigenheitliches und die Fremdes konstituieren.“30 „Wenn ich andere Menschen eigenheitlich reduziere, so gewinne ich eigenheitliche Körper, wenn ich mich reduziere als Menschen, so gewinne ich „meinen Leib“ und meine „Seele“, oder mich als psychophysische Einheit, in ihr mein personales Ich, das in diesem Leib und „mittels“ seiner in der „Außenwelt“ wirkt, …“31 Es kommt jetzt alles darauf an, dass die beiden, „konstitutiven Systeme“ am Ich intentionaliter in eins geschlossen werden. Ging es in den „Ideen“ darum, das „reine Ich“ im Rückzug aus allem Leibhaftigen zu entdecken, um Gewissheit zu begründen, so gilt es jetzt, jene andere Zone in das „reine Ich“ nach Möglichkeit aufzunehmen. Denn die transzendentale Reduktion erlaubt mir die „Erschließung“ des Anderen nur als „Einfühlung“ mittels des anderen Systems. „Ist die eigenheitliche Reinigung an der Außenwelt und am Leibe und am psychophysischen Ganzen vollzogen, so habe ich meinen natürlichen Sinn eines Ich insofern verloren, als ausgeschieden bleibt jeder Sinnbezug auf ein mögliches Uns oder Wir und alle meine Wirklichkeit im natürlichen Sinne. In meiner geistigen Eigenheit bin ich aber doch ein identischer Ichpol meiner „reinen“ Erlebnisse, derjenigen meiner passiven und aktiven Intentionalität, und aller von daher gestifteten und zu stiftenden Habitualitäten.“32 „Reduziere“ ich mich auf die „primordiale Sphäre“, so tritt der Andere als Körper auf; als solcher ist er primordial „präsent“, original gegeben. Primordial bin ich bis jetzt der einzige Mensch.33 Mit äußerster Vorsicht beginnt nun eine Begründung, die 30
§ 44. S. 100 – 101. Ebda. S. 99 – 100. 32 S. 100. Unter „Habe“ versteht Husserl sonst das Verhältnis des reinen Ich zu seiner Leiblichkeit. 33 § 50. Husserl spricht auch bis jetzt vom Anderen als „Analogon“. „… der Andere ist Spiegelung meiner selbst, und doch nicht eigentlich Spiegelung; Analogon meiner selbst, und doch wieder nicht Analogon …“ § 44. S. 96. Diese Redeweise ist durchaus erlaubt bis § 49, da hier nur primordiale Leiblichkeit vorausgesetzt ist. Aus § 49 ist zu entnehmen, dass auch 31
2. Die Intersubjektivität und ihre Begründung
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mit dem unanschaulichen Begriff „Apperzeption“ eine erste Brückenschicht legt, um in der Primordialität der eigenen Monade die Entstehung des Anderen, so wie ich bin, zu ermöglichen. „Es wäre also eine gewisse verähnlichende Apperzeption, aber darum keineswegs ein Analogieschluss. Apperzeption ist kein Schluss, kein Denkakt.“34 Es wird jetzt klar, dass „Apperzeption“ noch keineswegs Einfühlung ins Seelenleben des Anderen beabsichtigt; das gerade nicht. Apperzeption muss hier als Gleichnisbildung der Sinne und des sinnlichen Gedächtnisses verstanden werden. Damit soll also gerade jene Abstractio ferngehalten werden, die nach der Metaphysik (Aristoteles, Thomas; auch Kant, da er ja „zu schroff zwischen Verstand und Sinnlichkeit trennt“) den intellectus agens beteiligt.35 Die „Apperzeption“ bedarf einer besonderen Beachtung. Dass sie das Sprungbrett ist zur Transzendenz des alter ego, leuchtet ein; dass Husserl aus ihr herausholt, soviel sie nur hergibt, ist verständlich. Stellen wir uns hier wieder einmal auf den Standpunkt des Realismus oder gar den des Biologen, so könnte man „Apperzeption“ in dieser Eingrenzung auch dem Tiere, wenigstens dem hochentwickelten Säugetier, einräumen. Dennoch ist diese Überlegung schief, weil das Tier wohl aus sich sein Erkenntnisvermögen nicht zum Gegenstand seiner Betrachtung setzt. Daher wirkt Husserls Bemühung, hier den Denkakt auszuschalten, verklemmt, unnatürlich und irgendwie zweckentfremdet. Sicherlich spielt es eine Rolle, wo ich beim Allgemeinbegriff den intellectus agens ansetze und was bei der Abstractio auf Leistung des Gemeinsinnes und der sinnlichen Erinnerung zurückgeht. Kennt der Verstand überhaupt eine Abstractio aus den Phantasmata oder besitzt er nur logische Gesetze? Je nachdem wird man Husserl mehr oder weniger weit begleiten hier. Ich muss hier bei dieser Alltagserfahrung um jeden Preis den Denkakt „wegdenken“, damit mir ein möglichst unmittelbarer Übergang von der sinnlichen Anschauung in das seelische Empfindungsfeld gewährleistet wird. Während ich sonst gerade die Vernunft unmittelbar sprechen lassen soll (intuitio sine comprehensione), muss ich hier den Verstand wie einen Betrüger zurückhalten. Zeigt sich hier nicht die ganze Unnatürlichkeit einer Beweisführung? Dieses Misstrauen, die Folge des verschlossenen statt des geschlossenen Bewusstseins, schlägt aber am Ende um ins Gegenteil, wenn Husserl nun anders als in den „Ideen 1“ den natürlichen Eindruck zu Hilfe nimmt, um „Intersubjektivität“ einzurichten. Es bleibt nicht bei der Apperzeption an dieser Schicht. Bei einer intuitio sine comprehensione muss sich Apperzeption als der eigentliche „Vorgang“ in der Entdeckung der Phänomena auszeichnen, und so ist zu erwarten, dass diese Erkenntnisform zu einer kunstvollen Verzweigung entwickelt wird. So nimmt eine Apperzeption auch einen „Zwecksinn“ an. Das Kind wendet die Schere an, vom Ansehen „objektive Welt“ sich als intersubjektive Konstitution schon ausweisen lässt, ehe sich das alter ego in Seinsgeltung begründen lässt. 34 § 50. S. 113. 35 „Jede Apperzeption, …, weist auf eine ,Urstiftung‘ zurück, in der sich ein Gegenstand ähnlichen Sinnes erstmalig konstituiert hatte.“ § 50. S. 113 – 114.
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§ 8 Die andere Auffassung des Bewusstseins
her, ohne Vollziehen eines Schlusses. Apperzeptionen bilden sich entsprechend den „Stufenbildungen der gegenständlichen Sinne“. In der Kürze der Beschreibung, aber zusammen damit, dass sie nun doch überall entscheidend zulangen sollen, verbirgt sich viel Unklarheit in den Apperzeptionen. Darauf muss hingewiesen werden, weil solche Apperzeptionen gleich Pfeilern vom Grundwerk durch mehrere Stockwerke hindurch tragen sollen, Wissen verklammern sollen, um so objektive Wissenschaft zu begründen.36 Allein der eigentliche Übergang kann sich noch nicht ereignet haben; er kann in der Apperzeption noch nicht verborgen sein. Auch wenn die Apperzeption als „passive Synthesis“ nun näherhin als „Paarung“ oder als „Assoziation“ eingeteilt wird, so bleiben wir in der Ebene des sinnenfälligen Gleichnisses.37 „Wie kommt es, dass, wie die Tatsache lehrt, der überschobene Sinn in Seinsgeltung übernommen ist als an dem Körper dort seiender Gehalt psychischer Bestimmungen, während sie doch im Originalitätsbereich der (allein zur Verfügung stehenden) primordialen Sphäre nie als sie selbst sich zeigen können?“38 Nun enthüllt freilich Apperzeption weitere Möglichkeiten einer endlosen Angleichung. Habe ich die „analogisierende Verähnlichung“ auf der Ebene des Artgleichen angenommen, so findet ein ständig sich bewahrheitender Vergleich statt zwischen meiner leibseelischen Primordialität und dem mir primordial gegebenen Leib des Anderen. „Also indiziert in dieser Appräsentation der in meiner monadischen Sphäre auftretende Körper im Modus Dort, der als fremder Leibkörper, als Leib des alter ego apperzipiert ist, „denselben“ Körper im Modus Hier, als den, den der Andere in seiner monadischen Sphäre erfahre.“39 Dass hier eine Andeutung vorliegt, die noch keine Seinsgeltung tragen kann, wird von Husserl immer zugegeben. Aber der originaliter gegebene Leib des Anderen trägt die Kennzeichen der Intentionalität. Ich gewahre Intentionalität von „außen“ primordial, und ich erlebe Intentionalität von „innen“ primordial. Hier berühren wir den Ereigniskern: „Jede durch assoziative Paarung erwachsende Fernüberschiebung ist zugleich Verschmelzung und in ihr, soweit nicht Unverträglichkeiten eingreifen, Verähnlichung, Angleichung des Sinnes des einen an den des anderen.“40 Als letzter, tragender Grund der „Verschmelzung“ vermag sich nur die Primordialsphäre zu halten. Sie leistet den Sprung hinüber zum alter ego, indem sich dieser einfach aus dem Zusammenschluss der eigenen Außen- und Inneneinstellung seine Verbindlichkeit in Form von Seinsgeltung holt. Intentionalität muss auch hier als Selbst walten, so dass Husserl an dieser Stelle mit Fug und Recht wie auch an der Apperzeption sagen kann, es liege kein Denkakt vor. Der springende Punkt ist also der, dass der Zusammenschluss der beiden Sphären in mir selber intentionaliter 36 37 38 39 40
§§ 50 u. 58. § 51. S. 115. § 52. S. 116 – 117. § 53. S. 120. § 53. S. 120.
2. Die Intersubjektivität und ihre Begründung
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jedem Denkakt schon vorausliegt. Dann bedeutet die Reflexion zu diesem Zusammenhalt auch keineswegs eine Auseinandersetzung, einen Unterschied, der im gedanklichen Begriff in eine entgleitende Transzendenz fiele. Wir finden dieses Verhältnis in den „Ideen 1“ schon in seiner reinsten Fassung ausgesprochen. Intersubjektivität steht dort noch gar nicht an. Die beiden Sphären von Primordialität sind aber dort als absolute Einheit der Intentionalität gegeben: „Der Thesis der Welt, die eine „zufällige“ ist, steht also gegenüber die Thesis meines reinen Ich und Ichlebens, die eine „notwendige“, schlechthin zweifellose ist. Alles leibhaft gegebene Dingliche kann trotz dieser leibhaften Gegebenheit auch nicht sein, kein leibhaft gegebenes Erlebnis kann auch nicht sein: Das ist das Wesensgesetz, das diese Notwendigkeit und jene Zufälligkeit definiert.“41 Die Überzeugung hält sich aus der Gegenüberstellung: das zufällige, leibhaft gegebene Ding und das notwendig, leibhaft gegebene Erlebnis. Aus dem Zusammenhang in den „Ideen 1“ darf nicht vergessen werden, dass „Erlebnis“ hier ganz in der erkenntnismäßigen Sphäre liegt, so dass „leibhaft“ nach der Bestimmung, die dort das „reine Ich“ annimmt, sich geradezu verflüchtigen lässt.42 Den Schlussstrich unter die aufzeigende Beweisführung zieht eine Überlegung, die nachher nochmals genau geprüft und mit einer anderen Stelle verglichen werden muss. „Das primordiale Unverträgliche in der Koexistenz wird verträglich dadurch, dass mein primordiales Ego das für es andere Ego durch eine appräsentative Apperzeption konstituiert, die ihrer Eigenart gemäß nie Erfüllung durch Präsentation fordert und zulässt.“43 Die Tatsache in mir, dass ich nämlich dieses alter Ego als ein solches erfasse, welches primordial mein eigenes Erlebnis gar nicht sein kann (Präsentation in der Inneneinstellung), wird nun mit Ausschlag gebend, indem der Beweis aus der Verneinung die bejahende Setzung als die einzig gangbare Lösung vorstellt.
41
Ideen 1. § 46. S. 108 – 109. Vgl. Idee der Phänom. 3. Vorl. S. 44, 35 u. S. 75, 33; Ideen 2. § 54. S. 212, 15. „Reines Schauen“ als „intellektives Erlebnis“, Idee d. Phänom. S. 31, 11. 43 Cartes. Medit. § 54. S. 122. 42
§ 9 Kritik der Intersubjektivität 1. Die Spannungen der Primordialsphäre Kants Transzendentalismus verbirgt einen tiefen Riss zwischen Sein und Bewusstsein, daher im Sein und im Bewusst-Sein. Sein an sich bleibt zugegebenermaßen als aufgegebener, ungeklärter Rest zurück. Zwischenmenschliches Bewusstsein wird aber von Kant als letztgültige Gesetzmäßigkeit wie als verbindendes Apriori immer vorausgesetzt. Kant hat keinen ernsthaften Versuch unternommen, in ähnlicher Weise wie Husserl dieses Sein zu bestimmen. Mit dem ungeklärten Rest „Sein an sich“ gerät Kants Philosophie in besondere Verlegenheit, da nun gerade diese Seite und die andere Seite, Kants ungeklärte „Intersubjektivität“, widerspruchsvoll aneinander stoßen. Die dunkle Zone erweitert sich daher beträchtlich, Sein an sich und Bewusstsein für sich können hier wieder zusammenlaufen oder aber Sein an sich müsste einverleibt werden. Im Grunde steht hier also zweimal das entscheidend Wichtige unbewältigt an. Hier wäre eigentlich von einem „Ungedanken“ zu reden. Denn aus ihrer Behauptung setzt diese Philosophie zweimal Sein an sich, jedoch in abgrundtiefer Andersartigkeit. So bleibt Kants Intersubjektivität eine unausgesprochene Selbstverständlichkeit, die aber sofort in Widerstreit mit dem Rest „Sein an sich“ gerät, sobald sie in Begriff genommen wird. Husserl hat diese unheilbare Krankheit im Transzendentalismus gesehen: „Nicht ist es ein Kantianischer Idealismus, der mindestens als Grenzbegriff die Möglichkeit einer Welt von Dingen an sich glaubt offen halten zu können – …“1 Wer sich dem Transzendentalismus verschreibt, muss sich ihm ganz verschreiben; dazu berechtigt schon die Einsicht, dass Bewusstsein eine transzendentale Geschlossenheit beanspruchen darf. Indem Husserl diesen Rückstand auflöst, räumt er dem Transzendentalismus das große Hindernis aus dem Wege. So wie nun Sein an sich seinen Sinn verliert, wächst aber Bewusstsein zusammen, Bewusst-Sein an sich wird zum Ersatz. Ist damit Seinserschließung aufgegeben und die Seinsfrage, die vor und nach Husserl unausrottbar ist, fallen gelassen?2 Die Frage ergeht von außen, und so erreicht man den Anfang nicht. Husserls Ansatz macht es nötig, dass man ihm folgt in den transzendentalen Kreis; und dann muss die Frage sich diesen Umständen aussetzen. Die Phänomenologie darf beanspruchen, dass der sich mit ihr Auseinandersetzende der transzendentalen Reduktion beitreten muss. Sie darf es deshalb, weil sie ein Apriori transzendental zu Grund legt. Darin hält sie eine besondere Auszeichnung. 1 2
Cartes. Medit. (4. Medit.) § 41. S. 88. Vgl. Ströker, Elisabeth / Janssen, Paul: Phänomenologische Philosophie. 1989. S. 203 ff.
1. Die Spannungen der Primordialsphäre
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Absolutes, immanentes Sein wächst zu Intersubjektivität zusammen; die „Verschmelzung“ trägt als unterscheidende Vereinigung natürlich die Züge des Erkennens, welches ganz mit Intentionalität übereinkommt. Erst aus der Innenseite des Kreises brechen nun Fragen auf, die sich nicht mit dem eingeschlossenen BewusstSein der Phänomenologie zufrieden geben wollen. Es ist schon mehrmals gesagt worden, dass Intentionalität bei Husserl zwischen Identitas und Intentionalitas, letztlich zwischen Begegnung im Erkennen und Erlebnis im Gemüt sich zu wenig auseinandersetzt. Die Metaphysik des Aristoteles enthält die Anlagen zu der im Transzendentalismus noch mehr gefestigten „Verschmelzung“. Gehen wir also davon aus, dann bekommt Husserls „Fernüberschiebung“ zur Einrichtung einer zwischenmenschlich absoluten Gegebenheit erst ihre aufklärende Deutung. Die „Verschmelzung“ ist Sein in der Vorstellung, im Ausdruck, und sie kehrt so nur nach außen, was im einzelnen Ich schon vorausgesetzt oder geschehen ist. Sein ist Bewusst-Sein als Erkennen, esse est percipi. Damit ist die Phänomenologie innerhalb ihres auszumessenden Bereiches in eine Teilzone eingegangen. Es liegt nicht nur daran, dass Phänomenologie zunächst einmal Anfangsbegründung sein muss, wenn eine transzendentale Zweckmäßigkeit in dieser Philosophie noch gar nicht aufgetaucht ist. Sie kann gar nicht mehr auftauchen, weil der Zweck in ihrer eigenartigen Anfangsbegründung untergehen muss. Was für Bewusstsein in den „Ideen 1“ gilt – indiget nulla re ad existendum -, überträgt sich nicht nur auf Intersubjektivität, es verschließt sich einem umgreifenden Sinnzusammenhang, der die Türe zur Metaphysik wieder aufschließt und damit die Möglichkeit, Sein in einer tieferen Gründung zu erfassen. Man kann es auch so sehen: In Husserls Anfangsbegründung verschmelzen unmittelbare Einsicht und unmittelbare Gewissheit. Erkennen und Gemüt schließen sich zusammen, und so ist nichts einzuwenden; einen festeren Grundstein gibt es nicht. So gesehen möchte man für Husserl eintreten, wenn er die verähnlichende „Apperzeption“ und die darauf stehende Fernüberschiebung unterhalb der Ebene eines Denkakts ansetzen möchte. Hier hängt alles daran, und die Frage, ob Denkakt oder nicht Denkakt, kreist geradezu unlösbar in sich selber. Man muss sie deshalb anders angehen. Fasst man Bewusstsein so, wie es hier geschehen ist, Intentionalität wird für alle Vorgänge des gesamten Bewusstseins grundsätzlich Ursprünglichkeit, so begünstigt diese Auffassung Husserls Verständnis der Apperzeption. Allein diese Auffassung hält in Husserls Werk selber nicht Stand, weil sich dennoch eine UrTeilung abzeichnet, die je nach der Absicht des Beweisgangs zurechtgemacht wird. Um immanentes Sein als absolute Gegebenheit auszuweisen, wird die Erlebniszone ganz auf die noetische Seite von Erkennen eingeengt. Damit geraten freilich sinnliche Lust und sinnlicher Schmerz ganz aus dem Blickfeld des reinen Ich. Blickfeld hat hier den Rang von Seinsfeld. Behalten wir nun diese Auffassung im Auge, dann gerät die Fernüberschiebung in der 5. „Cartesianischen Meditation“ in einen Denkakt, weil die Primordialzone in sich nicht mehr die nötige Einheit aufweist. Die Fernüberschiebung ohne Denkakt erfordert indes, dass die leibhaftige Empfindung ganz hereingenommen wird in das „reine Ich“, und dies kommt in der genannten
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§ 9 Kritik der Intersubjektivität
Meditation zum Tragen. Im gleichen Zuge öffnet sich aber dann Bewusstsein in seiner absoluten Immanenz; es schließt nicht mehr in sich selber, und aus der Frage taucht nun doch ein ungeklärter Restbestand Sein an sich auf.
2. Transzendenz als sachlicher Widersinn und als appräsentiertes alter ego; die Unstimmigkeit in der Ausweisung Je nachdem wie ich das reine Ich fasse, rücken dementsprechend Unterschiedenes oder Verselbigtes zusammen beziehungsweise auseinander. Fasse ich das reine Ich in aller Schärfe, so schiebt sich eine Vermittlung ein, welche die intuitio sine comprehensione nicht mehr zulangen lässt. Fasse ich aber das Ich als ein Concretum, so erhalte ich eine unsichere Zone, und da hinein fällt die Einheit von Transzendenz und Intersubjektivität. Das Verhältnis in der Inneneinstellung kehrt sich hier nach außen, und was sich so im „Innen“ kaum auseinanderhalten lässt, das klafft nun „außen“ in einen mehr oder weniger auffallenden Widerspruch: Transzendenz einmal als „sachlicher Widersinn“ einer Welt an sich, Transzendenz ein andermal als appräsentiertes alter ego. Transzendenz in einem Widerspruch, der den Begriff in sich selber sprengt. Das verschlossene Bewusstsein muss sich öffnen, um zu schließen. Auf eine Unstimmigkeit im Aufweisen der so gründlich verschiedenen Transzendenz muss deshalb jetzt aufmerksam gemacht werden. Den ersten Teil oder den ersten Beweisgang haben wir schon besprochen.3 Husserl räumt die Möglichkeit einer Welt rein logisch ein, phänomenologisch fällt sie jedoch sofort als sachlicher Widersinn weg.4 Sie müsste sich in ihrer Notwendigkeit unmittelbar, also nach der Weise immanenten Seins ausweisen. In der Form des Ausweisens ist freilich Erkenntnis als Erlebnis schon als absolutes Sein gegeben und gesetzt. Die Möglichkeit, Erkennen als Mittel zu verstehen, fällt damit aus. Wenn Erkennen ein Mittel ist, kann es so nicht ausgeschaltet werden. Es müsste daher zumindest die Möglichkeit, dass erkennendes Bewusstsein auch Mittel oder Vermittlung ist, offen gehalten werden. Husserls phänomenologische Reduktion hat schon diese Möglichkeit von vornherein ausgeschlossen. Die Möglichkeit einer Seinsvermittlung wird nicht ausgenommen, weil nur Notwendigkeit anerkannt wird. Es wird von einer Welt an sich gefordert, dass sie als begriffene sich im Sein verselbigt. Von diesen Voraussetzungen müssen wir nun ausgehen, und sie liefern uns den Maßstab, der an die Ausweisung von Intersubjektivität zu legen ist. Die Verselbigung von Sein und Bewusst-Sein am alter ego wird von Husserl klar bezeugt. Es ist Sein von meinem Sein, Monade wie ich auch, Wiederholung einer je eigenen Primordialsphäre. Aber Husserl ist sich auch im Klaren, dass mein primordiales Ego das andere Ego nie so erstellen kann, dass dieses in seiner ihm eigentümlichen Pri3 4
Vgl. § 5. Ideen 1. § 48.
2. Transzendenz als sachlicher Widersinn
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mordialität präsent würde. Eine solche Gegebenheit kann apriori gar nicht gefordert werden. Sehen wir zunächst einmal davon ab, dass im ersten Falle nur eine dinghafte Welt, im zweiten Falle eine äußere Gegenständlichkeit gegeben ist, die aus einer neuartigen Beziehung heraus eine innere Notwendigkeit beanspruchen darf. Dann ergibt sich, dass dieser Körper dort primordial in derselben Weise mir zugeordnet ist, wie jede andere fremde Dingwahrnehmung. Sehen wir also von der eingefühlten „Paarung“ oder „Assoziation“ noch ab, so läge hier, wenn wir die Aussagen zusammenbringen, ein in die Augen springender Widerspruch vor. Denn im ersten Falle fordert Husserl, dass dieser zufällige Gegenstand „Welt“ als notwendiger apriori sich ausweisen müsste, um Seinsgeltung außerhalb meines Bewusstseins beanspruchen zu können. Da er dies nicht vermag, wird die logische Möglichkeit mit sachlichem Widersinn ausgeräumt. Der fremde Gegenstand Weltding enthält keine innere Anlage, die sich mit meinem Ich so verknüpfen könnte, dass ihm daraus eine Daseinsberechtigung wie diesem, meinem Ich zukäme. Die Möglichkeit wird gar nicht erwogen. Dagegen bietet sich mir das alter ego als innere Möglichkeit des fremden Leibes an. Der Sprung ins alter Ego beruft sich nicht in erster Linie auf die vermittelnde Ähnlichkeit der Leiber. Diese wird vielmehr zu einer nie fehlschlagenden Beglaubigung meiner Setzung. Dennoch liegen hier Parallelen auf einer gemeinsamen Ebene des Vergleiches. Im ersten Falle wird ein Ausweis gefordert, der im Noema des Sinnes nicht liegen kann und im Verstand als ein Apriori daher wohl nicht mehr anwesen kann. Im zweiten Falle aber wird das „primordial Unverträgliche“ des Aufweisens apriori eingesehen: Das Mitdasein des anderen Ich erfüllt sich, indem ich einsehe, dass seine absolute Seinsgeltung gar kein solches Aufzeigen zulässt und deshalb auch nicht so gefordert werden kann. Hier bleibt indes noch manches offen, so dass sich der Widerspruch nicht so leicht aus der Vergleichsebene entzieht, wie es scheint. Natürlich taucht auch hier jene Doppelsinnigkeit am reinen Ich auf, die letztlich als bleibender Unruheherd in der Phänomenologie zu Hause ist. Gehen wir zunächst davon aus, dass die Erhebung des anderen Ich doch über einen Denkakt ablaufen müsste, so geschähe dies über den Leib der Vermittlung, und der Widerspruch läge dann offen zutage. Nehmen wir aber zu Gunsten Husserls eine „einfühlende Apperzeption“ an, dann stellt sich uns eine andere Schwierigkeit in den Weg, nämlich jene des ego concretum. Die Absonderung des reinen Ich von der leibhaftigen Sinnlichkeit, so wie sie Husserl in den „Ideen 2“ durchgezogen hat, lässt sich an der „einfühlenden Apperzeption“ freilich nicht mehr durchhalten. Sie setzt wegen der „Fernüberschiebung“ gerade das verwachsene Ich voraus, da sonst der Nerv des Empfindungsfelds und damit der Überzeugungskraft tot ist. Husserl muss sich jedoch für das eine oder für das andere Ich entscheiden, weil hier nicht Stadien und nicht Stufen eines Ich zur Verfügung stehen, die ich je nach Bedarf einnehmen kann. Ich muss daher mit dem ego concretum den Leib in Seinsgeltung annehmen. Welche Folgen nun für die Phänomenologie entstehen, liegt auf der Hand. Der eigene und der fremde Leib werden aus dem Zusammenhang der fremden Phaenomena „heraus-
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§ 9 Kritik der Intersubjektivität
gerissen“, der Riss hat sich ganz nach außen verlagert; oder aber der gesamte Realismus kehrt durch die Hintertüre wieder ein. Intersubjektivität möchte so verstanden werden, dass ich mich aus dem unmittelbar erlebten, gemüthaften Ich hinüber- und hineinversetze in das andere gemüthafte Ich, ohne dass mein Ich sich dabei in die logische Zone begibt. Da Husserl Bewusstsein nicht als zweigründiges ausleuchtet, treten die beiden Weisen des Gegebenseins im Ich auch in der phänomenologisch-psychologischen Reduktion nicht in genügender Trennschärfe heraus. Die Kennzeichnung nach „Außeneinstellung“ und „Inneneinstellung“ reicht in mehrfacher Hinsicht nicht aus, um die Zonen des Bewusstseins und die Möglichkeiten, sich rein erkenntnismäßig darauf einzustellen, jeweils in ihren ursprünglichen Grundzügen anzugeben. Daher stellt sich uns die Aufgabe, die gesamte Arbeit nocheinmal zu unternehmen; und sie berechtigt zu Erwartungen. Streng genommen müssen wir nun sagen, dass geistiges Ich schon etwas anderes andeutet als reines Ich; gemüthaftes Ich ist schon immer im Erkennen vermittelt. Erkennendes Ich, welches seine Erkenntnisvermögen in Reflexionen setzt, hat darin eine andere Ursprünglichkeit als erkennendes Ich, welches seine gemüthafte Zone zur Vorstellung macht. Gemüt und Erkennen erschließen sich dann nicht einfach als Zonen, diese Sichtweise bliebe viel zu sehr am Leiblichen haften, sie erklären sich als die zwei grundlegenden Weisen der Selbstgebung und der Selbst-Stiftung des Bewusstseins im Ich. Reines Ich wird zu einem nichtssagenden Index, geistiges Ich schließt dann gemüthaftes wie auch erkennendes Ich ein, gemüthaftes Ich trennt noch nicht zwischen geistig und leiblich, seelisches Ich kann im besten Falle als Medium innerhalb des Gemütes aufgefasst werden. Aus den Elementen des Bewusstseins und den möglichen Zuordnungen muss Intentionalitas und Identitas erschlossen werden. Husserls Intentionalität ist trotz der sorgfältigen Untersuchungen viel zu wenig gegliedert. Freilich liegt diese Einförmigkeit im Ansatz schon eingezwängt vor: Gemüt und Erkennen, aber auch Vernunft und Sinnlichkeit, das alles soll sich als scintilla animae in einer Ichspitze verselbigen. Aber die Identitas des Ich-Bewusstseins schließt nicht aus, dass sie ein Accord sein kann. Eine unendliche Fülle der einfachsten und unmittelbar gegebenen Tatsachen des alltäglichen Bewusstseins stehen für unseren Aufschluss ein, sie sind gar nicht zu übersehen.
3. Intersubjektivität und tierisches Bewusstsein; die Erweiterung eines alter ego Intersubjektivität deutet, nachdem sie einmal so von der Phänomenologie eingerichtet ist, unweigerlich auch ins tierische Bewusstsein. Es ist nötig, in dieser Richtung sich vorzutasten. Der Transzendentalismus schafft sich hier selber eine ernst zu nehmende Auseinandersetzung, auch wenn tierisches Bewusstsein nur durch menschliches dabei vertreten ist. Intersubjektivität, so wie sie Husserl begriffen hat, tut sich schwer, das Tierreich völlig auszuschließen. Denn ist es nicht das unmittelbar gemüthafte Hinübersetzen, welches keinen Denkakt will, das mich auch in die Nähe
4. Schlussbemerkung: Ego absolutum und ego concretum
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des tierischen Ich bringt? Ich erlebe das Gemüt eines Hundes, und ich erlebe durch Einfühlung ein Gemüt, welches sich noch nicht einmal in ein rein sinnliches Schema einpressen lässt. Der Jagdhund, welcher bei der Jagd nicht dabei sein durfte, knurrt aus Eifersucht, wenn sein Herr erfolgreich zurückkommt. Die Äußerungen tierischer Zuneigung, das hervorragende Pflichtbewusstsein bei Pferden, die begrenzte Lernfähigkeit, die Möglichkeit einer Verständigung stehen aber noch näher am Menschlichen. Wenn also Einfühlung so vonstatten geht und wenn Interconscientia, Sympathie und Empathie nicht auf Schlussfolgerungen gründen, wo soll ich dann die scharfe Grenze sehen, an der tierisches Bewusstsein so abfällt, dass ich es nur noch als Sonderfall einer Dingwahrnehmung annehmen darf?
4. Schlussbemerkung: Ego absolutum und ego concretum Wir kommen zu dem Ergebnis, dass Intersubjektivität und transzendentale Reduktion überhaupt sich in der Phänomenologie wie in einem einzigen Brennpunkt vereinigen. Hier laufen alle Fäden zusammen am „reinen Ich“, und jede Veränderung an der Einstellung des reinen Ich zieht sofort Folgen für die entscheidenden Beziehungen der Bewusstseinsträger in der Monadengemeinschaft. Die Phänomenologie wird darin zu einer völlig eigenartigen Arbeitsweise und auch Seinsverwaltung, dass sie beständig das „Einblenden“ verschiedener Einstellungen des Bewusstseins erlaubt und auch benötigt. Sein rein aus der Beziehung des Erkennens führt zu einer gegenseitigen Beleuchtung, und es gibt keine anderen Lichtquellen. Nun entfaltet sich darin der Gedanke, Sein an sich völlig loszulassen, was ihr auch den Vorwurf eingebracht hat, dass sie die Seinsfrage gar nicht stellen würde. Hier also halten sich die Meinungsverschiedenheiten, und hier wird der Grundstein in der Tat zum Stein des Anstoßes. Allein diesem Einwand, wenn er so hingestellt wird, lässt sich entgegenhalten, dass er sich nicht klar ist, was er will und was von der Phänomenologie zu erwarten ist. Der Einwand hat nur eine gewisse Berechtigung, wenn er Husserls Beschluss im Auge hat: Denn dieser beansprucht ja selbst, eine metaphysische Aussage zu sein, und er behauptet noch, dass diese Metaphysik durchaus ein „immanentes“ Ergebnis der Sphäre sei. Dann muss also der Einwand hier ansetzen und den ganzen Weg nocheinmal gehen; anders geht es nicht. Es wäre jedenfalls bequem und zu einfach, nur zu sagen, die Seinsfrage würde sich dieser Philosophie gar nicht stellen. Ganz im Gegenteil! In dieser Philosophie liegt die Möglichkeit, die Seinsfrage in einer Gründlichkeit zu stellen, die der Metaphysik bisher gar nicht als Leitstern vorgeschwebt hat. Kant ist die große Anregung und Herausforderung für die Metaphysik vor ihm. Husserl ist ein Wegweiser, und so ist Husserl in mehrfacher Hinsicht ein Schnittpunkt von Gedankenzügen. Der Gedanke Seiendes an sich behauptet sich mit einer unausrottbaren Hartnäckigkeit und beansprucht so, immer letzte Gründlichkeit zu sein. Aber ebenso ursprünglich verheißt die erste Grundeinsicht des Selbstbewusstseins, dass letzte Gründung des Seienden nur in einer
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gegenseitigen Rollenverteilung gefunden werden kann. Man benötigt zwei Gleichungen für zwei Unbekannte. Erschließt sich aber Bewusstsein nicht in zwei grundverschiedenen Weisen des Gegeben-Seins? Hier hat die Phänomenologie einen Bereich nicht aufgedeckt. Bollnow führt an, der Ausgang vom rein theoretischen Standpunkt sei unhaltbar und auch überholt.5 Dieser Einwand trifft uns selber und soll als völlig verfehlt zurückgewiesen werden, zumal er keinerlei Gründe anzuführen weiß, was nur zu verständlich ist. Es wäre schlimm um das Erkennen im Gewirre der Geschichte bestellt, wenn es so seinsverlassen wäre, wie Bollnow es einschätzt.6 Wie kann ein natürlicher Standpunkt des Bewusstseins unhaltbar sein? Husserls Zielvorstellung kreist zurück in die letzte Rückbesinnung philosophischer Vernunft, reines Schauen als Ideal ist nicht unhaltbar, sondern erster und letzter Halt. Die Schwierigkeit besteht in der Einnahme oder in der Einholung des Standpunkts: Der Philosoph muss lernen, abzusterben am seelisch verhafteten Ich. Reines Schauen wird zum selbstlosen Erkennen, und Erkennen gibt daran seine natürliche Anlage zu erkennen. Es soll wie ein Bewusstsein ohne Ich vor sich gehen. Husserl hat dieses letzte Insichgehen des reinen Erkennens in den „Texten zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins“ noch entschiedener angezielt als in den „Ideen“ und in der „Idee der Phänomenologie“.7 Kann ich denn anders, als dieses Ideal mir zu setzen, und stehe ich denn nicht schon in der Skepsis, wenn ich es in Frage stelle. Husserl hat überzeugend letzte Gründung eingeholt. Die Auseinandersetzung entsteht jedoch am reinen Ich. Dem Ideal des reinen Schauens, welches so das Apriori beträchtlich erweitert, widerspricht nun keineswegs, wenn Bewusstsein in einer anderen Unmittelbarkeit eine anders beschaffene Zone in sich hat. Reines Schauen muss in seiner Zuständigkeit für das Gesamt des Bewusstseins noch genauer bestimmt werden. Wenn reines Schauen entdeckt, dass es nicht letztlich alleiniges Monopol ist, zerrinnt ihm keineswegs sein eingenommener Standpunkt ins Unhaltbare. Jedoch hat die transzendentale Reduktion eine Fuge, die sich nie ganz schließt; wie immer ich mich stelle und auch einblende, es bleibt ein Rest übrig. Hier geht ein Einwand an Husserl. Im reinen Schauen blende ich einen Teilbereich der Primordialsphäre aus, den gemütsmäßigen Anteil. Ich beziehe in dieser Hinsicht letzte Gründung, weil diese Hinsicht zur transzendentalen Beziehung schlichthin geworden ist. Damit sitze ich aber auch in einem elfenbeinernen Turm. Ohne ausdrücklichen Denkakt, ohne Analogieschluss, ohne Seinsbegriff im An-sich erreiche ich dann kein alter ego. Ich habe ja einen nötigen Teilbereich der Primordialsphäre ausgeblendet, und ich habe Hand in Hand damit die transzendentale Reduktion vollzogen. Mit dieser Eingrenzung des Standorts und aus diesen Voraussetzungen erreiche ich nur den er5
Bollnow, Philosophie der Erkenntnis. S. 21. Ebda. S. 21. 7 Nähere Angaben zu den „Texten …“ folgen; vgl. a. Schriftenverzeichnis. Zur obigen Aussage vgl. Nr. 51, S. 212, 37; 215, 37; 216, 9. 6
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scheinenden Leib des Anderen; ich erhalte eine Fassade, aber ich darf daran keine innere Fassung wie die meinige erschließen. In dieser Einstellung erschließt sich absolutes immanentes Sein, nämlich Bewusstsein, welches „nulla re indiget ad existendum“. Nach Kant ist synthetische Apperzeption ein Denken, nicht ein Anschauen.8 Husserls Suche nach einem gemeinsamen Punkt von Vernunft und Sinnlichkeit dürfte zu der Ansicht nicht kommen. Aber versuchen wir, Kants Festlegung zu vergessen. Da sich dem Phänomenologen das alter ego nicht über einen Denkakt erschließen kann, muss er nun die Primordialsphäre in ihrer gesamten ursprünglichen Gegebenheit annehmen, dazu gehören sinnliche wie auch geistige Lust- und Schmerzempfindungen. Es bedeutet, dass sich das reine Ich mit Inhalten anfüllt, die Husserl ausgeblendet hatte, wo es darum ging, Bewusstsein als absolutes, immanentes Sein auszuweisen. Um das alter ego in einer unmittelbaren Einfühlung zu erreichen und zu sichern, wird jetzt diese Zone unverzichtbar; jetzt hat sie den Sitz im Leben. Hier drängen sich zwei Einstellungen und zwei Richtungen in einem Standpunkt zusammen, so dass die Frage, ob sich hier in letzter Eingründung ein Riss abzeichnet, sorgfältig zu prüfen ist. Husserl gewinnt in Richtung auf das reine Ich absoluten Grund; der Grund für Intersubjektivität schwindet dabei aus dem Augenmerk. Um Intersubjektivität tragen zu können, muss dagegen eine Zone eingenommen werden, von wo aus der Grundsatz, dass Bewusstsein nulla re indiget ad existendum, sich so nicht halten kann. Handelt es sich an diesen beiden Ausrichtungen, einerseits absoluter Grund, andrerseits Einfühlung ins alter ego, um Beweisgründe, die stufenhaft sich verklammern und die auf der jeweiligen Stufe eine Verlagerung des Ich einfach mit sich bringen? Oder ist es nicht vielmehr so, dass sich der transzendentale Idealismus nur so schließt, dass beide Blickrichtungen aus diesem einen Punkt und dieser letzten Einstellung begründet und getragen werden müssen? Kommt man nicht zu dem Eindruck, dass der Einstellungswechsel, was Husserl etwas sophistisch als Einblenden bezeichnet, vom ego absolutum zum ego concretum in der eigenen Primordialsphäre noch ein alter ego benötigt, um die innere Einheit des geschlossenen Bewusstseins halten zu können? Wenn Husserls Philosophie angreifbar ist, dann hier. Ein „verdeckter Sprung“ in die Welt könnte übersehen werden, aber ein Riss im Ego müsste dann zurückbleiben. Ein ungeklärter Rest, eine Fuge, durch die der alte Realismus hereindrängt, bleibt immer zurück. Aus dem absoluten Ego komme ich nur durch einen Denkakt zum Anderen. Aus der Einfühlung oder der Fernüberschiebung komme ich indes nicht aus dem tierischen Bewusstsein heraus. Ich muss daher Intersubjektivität auf meiner 8
„Dagegen bin ich mir meiner selbst in der transzendentalen Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen überhaupt, mithin in der synthetischen ursprünglichen Einheit der Apperzeption, bewusst, nicht wie ich mir erscheine, noch wie ich an mir selbst bin, sondern nur dass ich bin. Diese Vorstellung ist ein Denken, nicht ein Anschauen.“ Transz. Ded. d. reinen Verstandesbegriffe (Ausg. B). § 25. S. 174.
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leiblich-seelischen Ebene annehmen. Dann vollzieht sich freilich eine Verklammerung zu „objektiver Welt“ in Richtung Materie, die Husserl in dieser Verfassung nur in Richtung zur geistigen Welt annehmen will. Denn in Richtung Materie würde sich so wohl unweigerlich der Naturbegriff der alten Metaphysik wieder einfinden.9
9 Vgl. hierzu „Ideen 2. S. 121, 1 ff. „Das seelische Ich, bzw. die Seele ist eine ganz anders, prinzipiell auf einem monadischen Bewusstseinszusammenhang bezogene Einheit als das reine Ich. Was in ihm wesentlich liegt, das erkennen wir, wenn wir von der psychologischen Ich-Idee, von der Rede von menschlichen, überhaupt animalischen Subjekten ausgehen …. … das seelische Subjekt hat ein materielles Ding als seinen Leib, weil dieser beseelt ist, d. h. weil es seelische Erlebnisse hat, die im Sinne der Menschen-Apperzeption in eigentümlich inniger Weise mit dem Leibe eins sind.“ Das reine Ich wird hier als erkenntnismäßiges Ich von der anderen Gegebenheit abgesondert. Wir wollen nicht übersehen, dass hier diese Gegebenheit nur durch eine leibhaftige Sinnlichkeit vertreten wird. Dies führt jedoch zu der bekannten, zusätzlichen Schwierigkeit: Die Trennung des Gemütes in einen sinnlichen Teil und eine geistige Anlage, die aber Husserl zum reinen Ich im phänomenologischen Sinne streng genommen auch nicht zulässt.
§ 10 Zeit und Bewusstsein im transzendentalen Idealismus; Augustins ursprüngliches „Zeiterlebnis“ und Kants verfehlte „Zeitvorstellung“ Die tiefsinnigste Zeituntersuchung der Antike kommt zu dem Ergebnis: „In dir, mein Geist, messe ich die Zeiten“.1 Wir entnehmen der Stelle wieder einen besonderen Hinweis, weil Augustin hier von Animus im Sinne von Geist und nicht von Anima als Seele spricht. Es dürfte freilich kaum im Sinne des großen Kirchenvaters gelegen haben, die Zeit lediglich im Bewusstsein gründen zu lassen. Allein Augustin bemerkt wohl deutlicher als die früheren Denker, dass mit einer physikalischen Bestimmung der Zeit nicht beizukommen ist, weil alle Physica schon immer die Zeit voraussetzen. So findet er denn: „Es sind nämlich drei Zeiten in der Seele, und anderswo sehe ich sie nicht; die Erinnerung als Gegenwärtiges von dem Vergangenen, die Wahrnehmung als Gegenwart der Jetzigen, die Erwartung als Gegenwärtiges der Kommenden.“2 Die Überlegung geht dahin, dass Zeit eine innere Wirklichkeit oder Daseinsweise ist, deren Allmacht man überhaupt nicht begreift, wenn man sie als Begleiterscheinung körperlicher Bewegung verstanden wissen will.3 „Ich sehe also, dass Zeit eine Art Ausdehnung ist. Aber sehe ich es wirklich, oder scheint es nur so?“4 Die letzte Aussage führt uns wieder zurück zu den drei „Zeiten“ in der Seele, und wir entnehmen dem, dass Augustin das große Rätsel der Zeit im Bewusstsein mit wenigen Strichen einer Skizze schon angestoßen hat. Wie komme ich überhaupt zu einer Erkenntnis der Zeit, die sich doch völlig anders verhält oder mitteilt als alles andere, was im Bewusstsein lebt? Wenn aber die Zeit eine solch innere Wirklichkeit ist, dass sie nicht als die Bewegung der Körper gedeutet werden kann, dann muss sie doch im Bewusstsein gesucht und ergründet werden, weil Bewusstsein höheres, grundlegenderes Sein ist als die Körper. Vor allem entgeht er der Gefahr einer einseitigen Sicht des Bewusstseins in Bezug auf das Zeiterleben. Sehe ich sie denn wirklich? Fragen wir allgemeiner: Ist denn Zeit überhaupt eine „Vorstellung“? Wenn der Kirchenvater sagt, dass die Zeit im Animus gemessen wird, so bleibt hier noch alles offen für weitere Unterscheidungen im Bewusstsein; und was Husserl dann in unvergleichlicher Sorgfalt und Ausdauer, in endlosem Ringen ans Licht bewegt, wird 1
Augustinus: Confessiones. 11. Buch. 27, 36. In te, anime meus, tempora metior. Ebda. 20, 26. Sunt enim haec in anima tria quaedam et alibi ea non video, praesens de praeteritis memoria, praesens de praesentibus contuitus, praesens de futuris expectatio. 3 Ebda. 23, 29; 24, 31: „Non est ergo tempus corporis motus.“ 4 23, 30 „… tempus quandam esse distentionem.“ 2
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§ 10 Zeit und Bewusstsein im transzendentalen Idealismus
hier schon feinsinnig angedeutet: „Die Affectio, welche von den verstreichenden Dingen in dir erzeugt wird und die zurückbleibt, wenn jene vergangen sind, sie messe ich als dauernde, nicht jene, die vorbei sind, damit es geschieht. Sie also ermesse ich, wenn ich Zeitspannen messe. Also führt die Affectio zu den Zeitspannen, oder ich messe überhaupt keine Zeit.“5 Was sich hier herausklärt, ist vor allem Folgendes: Nicht vorstellende Sinnlichkeit lässt mich der Zeit innewerden. Aber es ist auch nicht die Memoria allein, welche den Zeitsinn in mir erzeugen kann. Der geheimnisvolle Zeitquell im Bewusstsein verhüllt sich, er tritt niemals in Erscheinung. Wenn Augustinus hier von der Cogitatio (des Bewusstseins) spricht, so springt die Ähnlichkeit zu Descartes und Husserl in die Augen, und er gebraucht die Cogitatio wohl andeutungsweise in diesem Umfange. Was den antiken Denker beschäftigt, ist Husserls großes Anliegen: Jene unerklärliche, geradezu widersinnige doppelte Intentionalität der Zeit im Bewusstsein: Die Jetzt-Phase mit ihrer noch frischen Retention und die Wiedererinnerung, die sich doch ganz anders zeigt und dennoch in der Jetzt-Phase (als Fluss) mitgetragen wird. Protention, Retention und Wiedererinnerung in ihrer jeweils verschiedenen Gegebenheit finden wir also in: praesens de futuris expectatio, praesens de praesentibus contuitus, praesens de praeteritis memoria.6 „Also aus dem, was noch nicht ist, durch das hindurch, was ohne Ausdehnung ist, in das, was nicht mehr ist.“7 Wir messen die Zeitspannen und die Einheit stiftende Zeit überhaupt im Vorübergehen. Was aber vorbei ist, hat kein Sein mehr; die Vergangenheit ist nicht mehr. Wie aber messe ich die gegenwärtige Zeit im Bewusstsein, da sich doch das Jetzt, unendlich klein werdend, im Augenblick verflüchtigt? Wir messen sie als vergangene Zeit. Aber was vergangen, ist nicht; und was nicht ist, kann nicht gemessen werden. Und dann bleibt immer noch die Frage: „Die Zeit selbst also, womit messe ich sie?“8 Angesichts dieser Schwierigkeit sinkt alles weltliche Ausmaß an der Zeit auf den zweiten Rang herab, so dass er der neuzeitlichen und der modernen Philosophie auf einmal überraschend nahe kommt. Seine Auffassung von Zeit und Bewusstsein bewirkt es. Jenes Unvereinbare in der Zeitmessung, die seiende Zeit wird mit der nichtseienden Zeit verglichen, hat wohl erst Husserl wieder in dieser Schärfe entdeckt. Er spricht sogar von einem Fluss Heraklits, der eigentlich im völligen Zweifel münden müsste: „Aber alle Erlebnisse fließen dahin, Bewusstsein ist ein ewiger heraklitischer Fluss, was eben gesagt ist, sinkt in den Abgrund der phänomenologischen Vergangenheit, und ist nun für immer dahin.“9 „Sollen wir also sagen, nur das absolute Jetzt sei wirkliche Gegebenheit …? So geraten wir in einen extremen 5
27, 36. Vgl. 20, 26. 7 21, 27. 8 26, 33. 9 Husserl, Edmund: Texte zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins (1893 – 1917). Hrsg. von Rudolf Bernet. Text nach Husserliana. 10. Hamburg 1985. (Philos. Bibliothek; 362). S. 215. (Nr. 51). 6
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Skeptizismus. Schließlich dürften wir nicht einmal wagen, von einem Fluss des Bewusstseins zu sprechen und von irgendetwas überhaupt zu sprechen, da das absolute Jetzt nirgends fassbar zu sein scheint, …“10 Augustin kämpft nicht so hartnäckig weiter wie Husserl, er lässt das Unvereinbare im „Schoß des tiefen Geheimnisses“ Gottes; aber Husserl kommt nicht zur entscheidenden Einsicht. Wieder ist es die bekannte Auffassung von Bewusstsein, welche ihm die Sicht verbaut. Es hat seinen guten Grund also, wenn wir den antiken Kirchenvater hier voranstellen. In diesem Bewusstsein ist noch Weite und Offenheit für die andere Zone, welche aus der Metaphysik des Aristoteles nicht die günstigen Möglichkeiten zu einer Entfaltung mitbekommt. Vor allem muss hier gesehen werden, dass Augustin keineswegs das Zeiterleben in eine sinnenhafte Vorstellung einzwängt. In einer intentio oder cogitatio animi wird die distentio temporum bemessen. Das Zeiterleben aber vollzieht sich in einem Wechsel und Zusammenklingen von affectiones oder affectus und von sensus; die Gesamtheit des Bewusstseins in seinen Zonen ist daran beteiligt. So endet die Zeitfrage Augustins.11 Der mittelalterlichen Metaphysik legt es sich nicht nahe, die Zeit an ihrer Eingründung im Bewusstsein zu erforschen. Es geht um die Ordnung der Übereinkunft zwischen Sein und Denken, dem Logos im mundus intelligibilis entspricht hier die Zeit im mundus sensibilis; also bleiben auch hier die Dinge unverstellt. Wenn nun Kant unsere Erkenntnis zwei Grundquellen des Gemütes entspringen lässt, so liegt hier nicht etwa ein zeitgemäßer Sprachgebrauch oder eine ungeschickte Wortwahl vor. Hier endet der metaphysische Bewusstseinsbegriff in einer Einheitsvorstellung, die zudem noch eine unglückliche Verschränkung der Zonen mitführt. Alles wird hier gewaltsam in ein Schema gepresst, welches keine Anregungen zu einer fruchtbaren Zwiesprache mit dem Sein vermittelt. Statt der beiden grundverschiedenen Weisen des Gegeben-Seins im Bewusstsein sieht Kant dieses in einer Unterschicht als „Rezeptivität“ und einer Oberschicht als „Spontaneität“. Dabei muss nach seinen Voraussetzungen eines unbekannten Seins an sich Sinnlichkeit empfangend und erzeugend sein. Dann bleibt unerklärt, warum Vernunft nicht auch empfangend und erzeugend sein sollte. In diesem Aufbau des Bewusstseins werden demnach Gemüt und Erkennen durchgehend vermengt oder verwechselt, was sich auch in einem verfehlten Zeitbegriff zum Ausdruck bringen muss. So spricht er von „Empfindung“ als „Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit“, womit freilich das Eigentümliche einer Gemütsbeziehung schon für das andere Vermögen vorbelegt wird.12 Die „Rezeptivität unseres Gemütes, Vorstellungen zu empfangen“, wird „Sinnlichkeit“ genannt; dass Gemüt und Erkennen jeweils ihre eigengründige Gegebenheit des sinnlichen Seins haben, muss dabei völlig untergehen.13 Wie aber soll Rezeptivität der Sinnlichkeit neben einer reinen Form der 10 11 12 13
Ebda. S. 216 – 217. Vgl. 31, 41. Kritik d. r. Vern. § 1. Ebda. Die transzendentale Logik II. S. 95.
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§ 10 Zeit und Bewusstsein im transzendentalen Idealismus
Sinnlichkeit wohnen, die als reine Anschauung a priori doch auch hier zu Hause sein muss?14 Es bleibt offensichtlich, dass Sinnlichkeit nicht reine Rezeptivität sein kann, was durch Kants Zeitbegriff erneut zu Tage tritt. Indem Kant Raum und Zeit als äußere und innere Anschauungsformen kennzeichnet, entgeht ihm, dass die Zeit ganz anders im Bewusstsein gegeben ist als der Raum. Von einer Raumvorstellung lässt sich unbedenklich reden, aber Kant erliegt nun unvorsichtigerweise einem Parallelismus und spricht auch von „Zeitvorstellung“. „Die Zeit ist eine notwendige Vorstellung, die allen Anschauungen zum Grund liegt.“15 Bei der Beschreibung des Raumes entgeht ihm indes nicht, dass „äußerlich die Zeit nicht angeschaut werden kann, so wenig wie der Raum als etwas in uns.“16 Der bildliche und wörtliche Vergleich „Vorstellung“ bekundet die Gleichsetzung: Raumsinn und Zeitsinn. Damit ist das Tor geschlossen, welches uns dem Geheimnis Zeit näher bringen könnte.
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§ 1. S. 64. § 4. § 2. S. 66.
§ 11 Husserls Untersuchungen zum Zeitbegriff 1. Retention und die Einortung des Quellpunkts Wir haben uns mit der Zeit zu befassen, weil sie einen wichtigen Hinweis liefert zur Verfassung des Bewusstseins. Es ist gerade die Zeit, welche besonders deutlich macht, dass Bewusstsein als innerste Einheit dennoch aus zwei Ursprüngen lebt. Daraus folgt, dass die andere Auffassung, wenn sie sich bemüht, die Zeit aus dem Bewusstsein zu verstehen, in die letzte Ursprünglichkeit des Zeitlichen nicht vordringen wird, weil ihr die Unterscheidung fehlt, die zu diesem letzten Ursprung führt. So kommt es, dass Husserl am Ende seiner einzigartigen Untersuchungen zum Phänomen Zeit eigentlich mehr in einer hilflosen Geste als im Bewusstsein der Lösung des Rätsels auf ein „letztes Bewusstsein“ hinweist, indem nun die Erklärung für das Widerspruchsvolle liegen soll. Aber nur zu deutlich wird auch hier noch einmal offenbar, dass er sich Bewusstsein im letzten nur als Monopol denken kann, worin Identitas und Intentionalitas verschmelzen sollen. „Es fragt sich nun aber, ob wir nicht sagen müssen, es walte über allem Bewusstsein im Fluss noch das letzte Bewusstsein. … Es ist aber ernstlich zu überlegen, ob man solch ein letztes Bewusstsein annehmen muss, das ein notwendig „unbewusstes“ Bewusstsein wäre; nämlich als letzte Intentionalität kann sie (wenn Aufmerken schon immer vorgegebene Intentionalität voraussetzt) nicht Aufgemerktes sein, also wie in diesem besonderen Sinn zum Bewusstsein kommen.“1 Damit wird Intentionalität nach ihrer ureigentlichen Erscheinungsweise aufgelöst, um auch noch Unbewusstes aufnehmen zu können, einfach deshalb, weil Intentionalitas und Identitas auch im letzten Begriff ein und dasselbe sein sollen. Allein diese Entscheidung wird nur in Erwägung gezogen. Wäre denn die Phänomenologie nicht insgesamt auf brüchige Gründe gestellt, wenn dem Unbewussten auch noch Intentionalität zugestanden werden müsste? Husserls Zeituntersuchungen erregen ungeteilte Bewunderung, und er hat wohl nirgendwo das phänomenologische Prüfverfahren so hellsichtig und sorgfältig angewandt wie hier. Allein die Einsicht, dass Zeit gar nicht im Erkennen so gegeben ist wie der Raum als Vorstellung, dass Zeit anders als die Raumvorstellung und das sie Erfüllende im Gemüt entspringt, musste ihm aus den besagten Gründen verschlossen bleiben. Dies soll im vorhinein gesagt werden, so dass wir seine Ergebnisse aus dem vorbereiteten Verständnisgrund desto besser einordnen können. Die „Texte zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins“ wiederholen sich unzählige Male; es sind Arbeitspapiere, die wohl so gar nicht für eine Veröffentlichung gedacht waren; die „Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins“ lesen sich dazu 1
Texte z. Phänom. d. inn. Zeitbew. Nr. 54. S. 248. Schlusswort.
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§ 11 Husserls Untersuchungen zum Zeitbegriff
als Reinschrift. Aber die „Texte“ sind ungemein aufschlussreicher gerade deshalb. Ihr ständiges Kreisen führt zu immer neuen Unterscheidungen, worin wir indes immer deutlicher erkennen, dass die Zeit zwar in einem an sich unbewussten Gemüt entspringen muss, dass sie aber in einer völlig eigenartigen Weise nur am Erkennen wahrgenommen werden kann. Es ist also kein „letztes Bewusstsein“, welches Bewusstes und Unbewusstes nochmals zusammenfassen würde, und es bedarf auch keiner „doppelten Intentionalität“; dies führte nur zu einem endlosen Wechsel, nicht zu einer endgültigen Erklärung. Die Tatsache, dass die Psychologen bis hin zu Franz Brentano die Zeit beständig mit einem gegenständlichen Ereignis verwechselt haben, zeigt, dass man sich ihrer Eigenart dem Raume gegenüber gar nicht bewusst geworden ist.2 Erst Brentano führt eine klare Scheidung durch, indem er die Erinnerung, letztlich als Phantasie aufgefasst, zum Ursprung der Zeit erklärt. (Damit würde man Kant Recht geben, der meint, er habe sie als innere Anschauung genügend von der Raumvorstellung abgegrenzt.) Nach Husserl kommt Brentano zu dieser Ansicht, indem er den frischen Nachhall, den jede Dingwahrnehmung im Gedächtnis hinterlässt, als Zeiterleben erklärt. Im Gedächtnis klingen die „jeweiligen Wahrnehmungsvorstellungen ohne jede Vermittlung“ nach. „Brentano spricht von einem Gesetz ursprünglicher Assoziation.“ Hier setzt Husserl an mit einer Unterscheidung, die klar macht, dass Gedächtnis oder Phantasie nicht ursprüngliches Zeitempfinden sein können. Denn so lassen sich eine wiederholende Wiedererinnerung, die ja ein gewollter Akt sein kann, und die unmittelbare Nachwirkung einer augenblicklichen Erscheinung gar nicht auseinanderhalten. „Brentano scheidet nicht zwischen Akt und Inhalt bzw. zwischen Akt, Auffassungsinhalt und aufgefasstem Gegenstand. Wir müssen uns aber klar werden, auf wessen Rechnung das Zeitmoment zu setzen ist.“3 Wenn das „Zeitmoment“ überhaupt im Erkennen walten sollte, so käme freilich nur das Gedächtnis in Frage, und dies wird wohl Brentano zu seiner Ansetzung veranlasst haben. Denn für den Metaphysiker Brentano gibt es wohl keine andere mögliche Quelle; der Phänomenologe aber sieht, dass so die Lösung nicht stimmen kann. Wenn die Zeit im Gedächtnis sitzt, haftet sie dessen Vorstellungsinhalten an, der Zeitinhalt wohnt also den sinnlichen Erzeugnissen inne. Dann hätte der Augenblick an sich gar keine Zeit, und es wäre die ständig sich überlappende, ursprüngliche Assoziation, die ihn scheinbar in die Zeit hereinnimmt. Es ist gerade die Verwachsenheit der Gedächtnisinhalte mit dem Flussbett Zeit, welche Husserl zu einer scharfen Trennung dieses so Verflochtenen anregt. Denn anders würden alle wichtigen Unterscheidungen zu Grunde gehen. Was Husserl mit immer neuen Be2 „Viele meinen, die Frage nach dem Ursprung des Zeitbegriffs sei nicht anders zu beantworten als die nach dem Ursprung von Farben, Tönen usw. So wie wir eine Farbe empfinden, so empfinden wir auch die Dauer der Farbe; … Aber das ist ein handgreiflicher Irrtum … Dauer der Empfindung und Empfindung der Dauer ist zweierlei.“ Husserl, Edmund: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins. Hrsg. von Martin Heidegger. 2. Aufl. Tübingen 1980. S. 375 – 376. 3 Ebda. S. 380.
1. Retention und die Einortung des Quellpunkts
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weisstücken aufzeigt, ist der grundlegende Unterschied zwischen dem Zeitfluss, der seine ursprüngliche, völlig eigengesetzliche Bewegung hat, und einer Zeitdauer, die ihre Vermittlung im Bewusstsein erhält. „Was wir hier beschrieben haben, ist die Weise, wie das immanentzeitliche Objekt in einem beständigen Fluss „erscheint“, wie es „gegeben“ ist. Diese Weise beschreiben, heißt nicht die erscheinende Zeitdauer selbst beschreiben.“4 Der Aufschluss zu allen klaren Scheidungen muss im Jetzt gesucht werden, weil hier alle Bestandsstücke gegeben sind. „Je weiter wir uns aber vom Jetzt entfernen, bekundet sich eine um so größere Verflochtenheit und Zusammengerücktheit.“5 Als Hauptinhalt dieser Beobachtung stellt sich das Gesetz von Urimpression und evidenter Retention heraus. Der „Quellpunkt“ ist ein Jetzt-Eindruck, der einen Nachhall hat mit ganz anderen Kennzeichen als die unterbrochene Wiedererinnerung. „Wenn aber das Tonjetzt, die Urimpression, in Retention übergeht, so ist diese Retention selbst wieder ein Jetzt, ein aktuell Daseiendes. Während sie selbst aktuell ist (aber nicht aktueller Ton), ist sie Retention von gewesenem Ton. … Jedes aktuelle Jetzt des Bewusstseins … wandelt sich in Retention von Retention und das stetig.“6 Was sich so als natürliches Kennzeichen im Umfeld des Jetzt einstellt, trägt jedenfalls nicht die Züge des Gedächtnisses und kann wenigstens ursprünglich dort nicht eingeortet werden. Ähnlich wie in den „Ideen 1“ das absolute immanente Sein der Noesen vom abgeschatteten noematischen Dinggehalt abgesichert wird, so erhält der Zeitquell seine eigene Intentionalität gegenüber dem vorgestellten Inhalt, sei er nun in der augenblicklichen Anschauung oder sei er nach beliebig langer Unterbrechung in der Einbildung erneut hervorgebracht. Der Zeitfluss bleibt davon unberührt. Husserls „Retention“, das Eigenartigste, was wohl über Zeitbewusstsein gesagt worden ist, hat uns deshalb zu beschäftigen, weil sie uns hinführt zu jenem Verhältnis, worum es uns allein geht: Um das Zueinander von Zeit und Intentionalität. Denn auch hier wollen wir ein Hauptmerkmal sehen, welches die beiden Auffassungen von Bewusstsein grundlegend auseinander hält. Wir müssen vom „Quellpunkt“ ausgehen, worunter Husserl die „Jetztphase“ im Zeitfluss versteht. Quellpunkt und Jetztphase zielen auf das rein zeitliche Ausmaß des Wahrnehmungserlebnisses. Dass „der zeitkonstituierende Fluss als absolute Subjektivität“ hier zum Tragen kommt, ist eine Beobachtung, der niemand widersprechen wird.7 Die „zeitkonstituierenden Phänomene“ müssen mit aller Trennschärfe von den in der Zeit „konstituierten Gegenständlichkeiten“ abgesetzt werden. Wir haben es hier mit der Achse zwischen subjektiv und objektiv zu tun, wonach 4
Ebda. S. 386. S. 387. 6 S. 390. 7 „Wir können nicht anders sagen als: dieser Fluss ist etwas, das wir nach dem Konstituierten so nennen, aber es ist nichts zeitlich „Objektives“. Es ist die absolute Subjektivität und hat die absoluten Eigenschaften eines im Bilde als „Fluss“ zu Bezeichnenden, in einem Aktualitätspunkt, Urquellpunkt, „Jetzt Entspringendem“ usw.“ S. 429. § 36. 5
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§ 11 Husserls Untersuchungen zum Zeitbegriff
subjektive Zeit und objektiv gegenständliche Zeitdauer nach ihrer jeweiligen Eigengesetzlichkeit erforscht werden können. (Selbstverständlich ist hier objektive Zeit in der Sphäre der Reduktion zu verstehen.) Mit der „Urimpression“ treffen wir dann den Brennpunkt, wo also ein Wahrnehmungsereignis als objektiver Gegenstand und als „Jetzt“ im Zeitfluss eingegründet ist. Das Jetzt ist selbst ein flüssiges, der Gegenstand der Wahrnehmung steht in einer objektiven Zeitdauer. Bei der so verstandenen „Urimpression“, die ja eine fließende ist, spielt sich am „Jetztpunkt“ im Fluss eine eigenartige Zurückhaltung der Urimpression ab, die Husserl in der Regel mit „Retention“ bezeichnet. Retention, auch primäre Erinnerung genannt,8 ist ein Vorgang, welcher sich nach allen Merkmalen eindeutig auf die subjektive, den Zeitfluss erstellende Seite des Bewusstseins schlägt. Dass seine Beobachtung eines Gegenstands als Beispiel notwendig bedarf, widerspricht nicht, dass er dem Gegenständlichen, dem wahrgenommenen Ding nicht angehört. Husserl legt großen Wert auf diese Einordnung. Er geht soweit, dass die Retention weder als eine Wahrnehmung noch als ein Akt des Bewusstseins aufgefasst werden darf. Husserl spricht zwar gerne vom „Kometenschweif“, vom „Erinnerungsschweif“, vom „Nachhall“, vom „Abklingen“, vom „Verblassen“ der Retention; man hüte sich aber, hier eine Nachwirkung auf der vorgestellten Seite zu sehen. Retention hat nichts zu tun mit dem Nachflimmern oder Nachschwingen, welches natürlicherweise jeder Einheit von Urimpression und Quellpunkt im Jetzt anhaftet. Wir dürfen uns Retention, wie sich noch zeigen wird, als einen unwillkürlichen Reflex im zeitbildenden Bewusstsein denken, der selbsttätig jedem Eindruck nachschwingt.9 Retention gehört zum Aufbau des Urbewusstseins, sie ist als Eigentümlichkeit zeitlicher Auffassung oder von Zeiterzeugung gegeben. So darf sie eben nicht als Akt verstanden werden, da dies zu Widersprüchen führen müsste.10 Das „Tonjetzt“ ließe sich natürlich im Sinne einer Infinitesimalrechnung zu einem mathematischen Punkt ansetzen.11 Damit käme man gerade nicht in die Nähe des Phänomens. Was den Ausschlag gibt für Husserls große Aufmerksamkeit der Retention gegenüber, klärt sich beispielhaft am Zustandekommen einer Melodie, aber auch einer Bahnkurve eines bewegten Körpers in unserer Wahrnehmung. Wieso 8
S. 404. § 19. „Nun ist es aber schon nach den bisherigen Ausführungen klar, dass die retentionalen „Inhalte“ gar keine Inhalte im ursprünglichen Sinne sind. … Das Nachklingen selbst, die Nachbilder überhaupt, … haben mit dem Wesen der Retention überhaupt nichts zu tun, … Wohl aber gehört es zum Wesen der Zeitanschauung, dass sie in jedem Punkt ihrer Dauer (…) Bewusstsein vom eben Gewesenen ist und nicht bloß Bewusstsein vom Jetztpunkt des dauernd erscheinenden Gegenständlichen.“ S. 392. § 12; ebda., weiter oben: „Es soll natürlich nicht geleugnet werden, dass es Nachklänge gibt. Aber wo wir sie erkennen und unterscheiden, da können wir bald konstatieren, dass sie nicht zur Retention als solcher gehören, sondern zur Wahrnehmung.“ Vgl. a. § 37. S. 430. 10 „Man darf nur dieses Urbewusstsein, diese Urauffassung, oder wie man es sonst nennen will, nicht als einen auffassenden Akt missverstehen.“ S. 473. Beilage IX. 11 Vgl. Phänomenolog. Psychol. § 40. S. 200, 30 „… wobei wir nicht an mathematische Idealpunkte denken dürfen.“ 9
2. Retention als eigentümliche Intentionalität
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behält Bewusstsein das Ganze und nicht nur abgehackte Jetztpunkte, da es sich doch hier offensichtlich nicht um Wiedererinnerung (Reproduktion, sekundäre Erinnerung) handelt? Diese Frage beschäftigt den Phänomenologen besonders; sie ist Anlass, die seine Retention als Antwort prägt. Sie entsteht aber auch auf Grund des Zusammenkommens von Zeit und Intentionalität in seinem Verständnis von Bewusstsein. Also „Erinnerung bzw. Retention ist nicht Bildbewusstsein, sondern etwas total anderes.“12 Retention erklärt sich als eine an sich leere, inhaltslose Verfassung des zeitlichen Urbewusstseins, die freilich nur in der Erfüllung durch eine Wahrnehmung zum Zuge kommt. Das Tonjetzt ist im nächsten Augenblick ein Gewesen in Bezug auf das neue Tonjetzt, es ist aber gegenwärtig im neuen Tonjetzt als Retention. Diese Form einer Verzahnung, das Eben-Gewesen bleibt im Eben-Jetzt gegenwärtig, prägt sich nach zwei Merkmalen aus. Sie liegt allem Anschaulichen schon zu Grunde, und sie beschränkt sich nicht als eng begrenzter scharf gezogener Hof um das Eben-Jetzt. Sie verliert sich als Abschattung, indem das Eben-Gewesen selbst wieder Retention von einem Eben-Gewesen in sich hat.13 Wir haben es demnach mit einer gewissen Bandbreite des Jetzt im Zeitfluss zu tun, so dass Eben-Jetzt und Eben-Gewesen sich niemals entflechten lassen. Gerade weil diese Urverfassung mit dem Anschaulichen noch gar nichts zu tun hat, gewährleistet sie eine zusammenhängende Wahrnehmung. Man möchte sagen, dass der Zeitfluss oder das die Zeit erstellende Bewusstsein als „absolute Subjektivität“ nun doch so etwas zum Vorschein bringt wie Zeitquanten. Gewiss hat die „objektive Zeit“ Husserls nichts zu tun mit objektiver Zeit in der Physik, vor allem deshalb nicht, weil Zeit als Intentionalität aufgefasst ist, wie zu zeigen ist. Retention formt sich bei Husserl als innere Notwendigkeit einer intentional verstandenen Zeit. Aus den Bedingungen geht dann hervor, dass Retention auch bei der Reproduktion zu Grunde liegt. Auch wenn diese Zeitdauer oder Zeitstrecke gegenständlich aus dem Zeitfluss ausgeklammert wird, so muss dennoch die Retention eingreifen, um auch dem Wiedererinnerten ihr Gesetz zur Erfüllung des Anschaulichen zu geben.14
2. Retention als eigentümliche Intentionalität Wenn Husserl von einer „eigentümlichen Intentionalität“ spricht, so äußert sich hier, dass es ihm nicht entgangen ist, was Retention von aller Wahrnehmung ab12
§ 13. S. 394. „Den Fluss entlang oder mit ihm gehend, haben wir eine stetige zum Einsatzpunkt gehörige Reihe von Retentionen. Überdies schattet sich jeder frühere Punkt dieser Reihe als ein Jetzt wiederum ab im Sinne der Retention. An jede dieser Retentionen schließt sich so eine Kontinuität von retentionalen Abwandlungen an, und diese Kontinuität ist selbst wieder ein Punkt der Aktualität, der sich retentional abschattet.“ § 11. S. 390. 14 „All die Abschattungen, Modifikationen, die die Zeitform konstituieren, finden sich hier, und genau so, wie sich im Fluss der Tonphasen der immanente Ton konstituiert, so konstituiert sich im Fluss der Tonvergegenwärtigungsphasen die Einheit der Tonvergegenwärtigung.“ § 23. S. 409. 13
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§ 11 Husserls Untersuchungen zum Zeitbegriff
scheidet und letztlich zu einem Fremdling in der Gattung der Intentionalitäten macht. Hier geraten unvermeidlich Merkmale aneinander, die sich nicht einigen können. Man wäre geneigt, Retention als eine Art unbewusste Intentionalität anzunehmen, jedoch wird hier widersprochen. Es liegt ja gerade in dieser Auffassung von Bewusstsein, dass solche Inhalte wie Unbewusstes oder Unterbewusstsein, die nicht in einer Vorstellung mit dem Selbstbewusstsein zur Deckung gebracht werden können, ausgeschlossen bleiben müssen. Es liegt nicht nur in dem von der Phänomenologie verwendeten Modell Bewusstsein, ihr ausweisendes oder aufzeigendes Verfahren schließt eine so gegebene Möglichkeit aus. Darin hält sich auch ein Unterschied zur Metaphysik, dass sie eine Möglichkeit, die sich in einer übergreifenden Erklärung als richtiger Lösungsweg einstellt, gar nicht annehmen dürfte. So sagt denn auch Husserl in diesem Zusammenhang über Retention und Intentionalität. „Es ist eben ein Unding, von einem „unbewussten“ Inhalt zu sprechen, der erst nachträglich bewusst würde. Bewusstsein ist notwendig Bewusstsein in jeder seiner Phasen. Wie die retentionale Phase die voranliegende bewusst hat, ohne sie zum Gegenstand zu machen, so ist auch schon das Urdatum bewusst – und zwar in der eigentümlichen Form des „Jetzt“ – ohne gegenständlich zu sein.“15 Es ergibt sich so, dass Retention bloß noch in Form von Verneinungen und Abscheidung dessen, was sie nicht sein soll, sich als Intentionalität ausweisen kann. „Die Retention ist keine Modifikation, in der die impressionalen Daten reell erhalten blieben, nur eben in der abgewandelten Form: sondern sie ist eine Intentionalität, und zwar eine Intentionalität eigener Art. Indem ein Urdatum, eine neue Phase auftaucht, geht die vorangehende nicht verloren, sondern wird „im Begriff behalten“ (d. i. eben „retiniert“), und dank dieser Retention ist ein Zurückblicken auf das Abgelaufene möglich; die Retention selbst ist kein Zurückblicken, das die abgelaufene Phase zum Objekt macht: …“16 Wir haben zur Bestimmung der Retention bis jetzt nur Stellen aus den „Vorlesungen zur Phänomenologie des innere Zeitbewusstseins“ verwendet. Dies macht eine Erklärung nötig, da doch die „Texte zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins“ sowohl eine Weiterentwicklung in sich selbst als auch gegenüber den „Vorlesungen“ aufzeigen sollen. So heißt es in den „Texten …“ „… die Retention ist ebenso ein absolut gebender Akt wie die Wahrnehmung, …“17 Dagegen hat es in den Vorlesungen noch geheißen: „Man darf nur dieses Urbewusstsein, diese Urauffassung, oder wie man es sonst nennen will, nicht als einen auffassenden Akt missverstehen.“18 Auch wird ja dort mehrmals die Retention von der Wahrnehmung geschieden.19 Man sollte jedoch nicht übersehen, dass die Gegensätze sich nicht etwa als Akt und nicht Akt aussprechen, sondern vielmehr als „gebender Akt“ und „auffassender Akt“. Dann lassen sich beide Stellen durchaus vereinbaren, da ein 15 16 17 18 19
Beilage IX. S. 472 – 473. Ebda. S. 471 – 472. Nr. 51. S. 219, 22. Beilage IX. S. 473. § 12. S. 392; § 37. S. 430; § 13. S. 394.
3. Retention als doppelte Intentionalität
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gebender Akt auch als Grundtätigkeit des Urbewusstseins verstanden werden kann, was für die Retention zutrifft. Eine Änderung in Bezug auf Retention als Erinnerung muss dagegen angenommen werden. Während in den „Vorlesungen …“ die Retention unbedenklich als primäre Erinnerung bezeichnet wird,20 nimmt Husserl in den letzten Texten der „Texte …“ die Erinnerung ganz von der Retention zurück. „Der Fehler wird schon gemacht, wenn man die Retention in Bezug auf die früheren Bewusstseinsphasen als Erinnerung bezeichnet. Erinnerung ist ein Ausdruck, der immer nur Beziehung hat auf ein konstituiertes Zeitobjekt; Retention aber ein Ausdruck, der verwendbar ist, um die intentionale Beziehung (eine grundverschiedene) von Bewusstseinsphase auf Bewusstseinsphase zu bezeichnen, wobei Bewusstseinsphasen und Bewusstseinskontinuitäten selbst nicht selbst wieder angesehen werden dürfen als Zeitobjekte.“21 Kurz zuvor wird aber doch noch die Retention als „Erinnerung der vorgängigen Erinnerung“ genannt.22 Damit wird klar, dass man Erinnerung nur dann von der Retention zu scheiden hat, wenn sie sich am Gegenständlichen festhalten möchte. Ansonsten hat sich an der Beschreibung der Retention nichts geändert.
3. Retention als doppelte Intentionalität „So anstößig (wo nicht anfangs sogar widersinnig) es erscheint, dass der Bewusstseinsfluss seine eigene Einheit konstituiert, so ist es doch so.“23 Husserl findet sich in den späteren „Texten …“ nicht mehr so leicht mit diesem geheimnisvollsten Phänomen ab; die Zeit ist so zu sagen Wesen und Unwesen in einem. Die Spannungen bleiben in seinen Beobachtungen, und mit der ihm eigenen inneren Redlichkeit erkennt er sie immer mehr und lässt er sie auch so am Ende der „Texte …“ ungelöst stehen. Die „doppelte Intentionalität“ im Zeitbewusstsein bildet das zweite eigentümliche Bestandteil seiner Zeituntersuchungen, und es klärt sich langsam heraus, was in den „Vorlesungen …“ kaum ausgesprochen, zögernd bedacht wird, was aber am Ende der „Texte …“ dann offen gesagt werden muss: Das absolute Bewusstsein ist zeitlich und auch wieder nichtzeitlich. Von diesem Pol in Gegensätzen aus muss man die Lehre von den beiden Intentionalitäten des Zeitlichen verstehen. Sie wird zu einem allgemeinen Merkmal des Zeitbewusstseins; die Retention, die Reproduktion, der Zeitfluss enthüllen dieses Unerklärliche. „Die Doppelheit in der Intentionalität der Retention gibt uns einen Fingerzeig zur Lösung der Schwierigkeit, wie es möglich ist, von einer Einheit des letzten konstituierenden 20 § 13; § 19; Beilage IX. S. 472. Auch hier heißt es: „Die Retention ist kein Akt (…), sondern ein Momentbewusstsein …“. 21 Texte … Nr. 50. S. 199. Wenn dann auch noch die Retention als „unzeitlich“, „nicht in der immanenten Zeit“ eingeschätzt wird, so hat sich eine Ansicht hier erhärtet, die noch eigens zu besprechen und von Bedeutung ist. 22 Ebda. Vgl. Anm. 1 d. Hrsg. 23 Vorlesungen … § 39. S. 434.
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Bewusstseinflusses zu wissen.“24 Was hier zum Vorschein kommt, gilt allgemein für die Doppelheit der Intentionalität: es lassen sich hier schwer die retentionale, die reproduktive und die allgemeine doppelte Intentionalität auseinanderhalten, da wir es schlichthin mit einer Grundform zu tun haben. Es wird besonders durchsichtig an der 8. Beilage zu den „Vorlesungen“. Eine doppelte Intentionalität entnimmt Husserl dem Zeitbewusstsein, weil wir es einmal im Hinblick auf seine fließende Form betrachten können. Der Erlebnisstrom erstellt sich in ursprünglichster Weise selber als Einheit einer Erlebnisreihe, wobei die bereits beschriebene Retention zum Tragen kommt. Um die beiden Sichtweisen auseinander zu halten, wollen wir diese erste Intentionalität wie eine Leerform behandeln, wenngleich sie natürlich ohne intentionale (zum Wahrgenommenen hin) Einheit „sinnlos“ ist. Erst auf Grund dieser Verkettung kann das Bewusstsein überhaupt zum Gegenstand der Selbstbetrachtung werden. Im „Vor-Zugleich“ haben wir wie in einem Fadenkreuz immer zwei Intentionalitäten im Jetzt. Das Jetzt ist Urempfindung im fließenden Jetztpunkt, damit zugleich gekoppelt bleibt aber die eben verflossene Phase. Die erste verflossene Phase ist als erste Retention im Nullpunkt des Vor-Zugleich der Urempfindung. Die zweite verflossene Phase ist als zweite Retention in der ersten verflossenen Phase und so fort. Dies führt zu einem Fluss stetigen „Sichabschattens“ von den „stetig vorangegangenen Phasen“.25 Dass sich dann Intentionalität nicht nur auf die erste Phase, sondern auf die schwindende Abschattung bezieht, geht aus der Natur der Retention hervor. Retention, die Husserl doch deutlich genug von der Reproduktion abgrenzt, schließt indes keinen Rückblick ein, der die verflossene Einheit sich eigens gegenwärtig machen würde. Dieser Grundzug wird doch in den „Vorlesungen“ einigermaßen klar herausgestellt. Desto mehr muss es erstaunen, wenn Husserl nun in den „Texten“ an auffallend parallelen Stellen die „Retention“ weitgehend mit der „Reproduktion“ ersetzt hat.26 Es zeigt einmal, was schon erwähnt worden ist, dass nämlich im Hinblick auf eine doppelte Intentionalität die besonderen Formen der Zeitbegriffe schwerlich sich trennen lassen. Zum anderen wird wohl nirgendwo mehr so deutlich, wie wenig klar sich das Geheimnis Zeit in endgültige Begriffsformen fassen lässt.27 Es bleibt aber dabei, dass Husserl diese erste Intentionalität als „Längsintentionalität“ bezeichnet, weil ihr Hinblick immer der Form und der Richtung des Flusses als solcher gilt. In ihr kommt es zur Bildung der immanenten Zeit, wobei der Bewusstseinsfluss selber seine eigene Einheit im Erlebnis des Strömens erstellt. Da aber die „doppelte Intentionalität“ der Retention ihre „Wesenskonstitution“ ausmacht, erhält die „Längsintentionalität“ ihre ureigenen Züge nur bedingt an der „Querin24
Ebda. S. 433 – 434. „Im absoluten Übergehen, fließend, wandelt sich die erste Urempfindung in Retention von ihr, diese Retention in Retention von dieser Retention usw.“ Vorl. § 39. S. 435. 26 Vgl. „Vorlesungen“ § 39 und „Texte“ Nr. 54, hier v. a. S. 245. 27 Es fällt natürlich auf, wenn in den „Texten“ auf S. 245 und in den „Vorlesungen“ auf S. 435 wörtlich derselbe Text steht, nur dass in den „Texten“ statt „Retention“ die „Reproduktion“ erscheint. 25
3. Retention als doppelte Intentionalität
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tentionalität“.28 Aus der Beschreibung geht hervor, warum Längsintentionalität keine Wahrnehmung sein kann. Sie hält das eben Wahrgenommene wie einen Reflex zurück, und es erscheint so, als ob diese Art der Zurückhaltung nicht als ein Akt der Abbildung aufgefasst werden sollte. Sie ergibt sich einfach aus der Wirkung der Zeit, näherhin des Zeitflusses, und man muss wohl hier hinzunehmen, dass Husserl die Jetztpunkte des Flusses nicht als „mathematische Idealpunkte“ verstanden wissen will.29 Sehen wir uns nun die „Querintentionalität“ an, dann lernen wir freilich auch verstehen, warum Husserl eine Unschlüssigkeit oder einen sich ändernden Standpunkt an den Tag legt, wo es um die Einordnung der Retention geht. Tatsächlich bekundet die „Querintentionalität“ ganz andere Züge als die „Längsintentionalität“, so dass man sagen möchte, sie sei überhaupt nicht als Retention einzuschätzen. Der Grund, warum Husserl in den „Vorlesungen“ beide Blickrichtungen der Retention zuordnet, dürfte wohl in der „primären Erinnerung“ zu suchen sein, die Schnittpunkt der Längs- und Querachse wird, somit tatsächlich als Punkt beide Richtungen in sich birgt und deshalb auch als Drehpunkt angesehen werden kann. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man hinzunimmt, dass ja auch die Protention als Erwartung an diesem Brennpunkt des Erlebens beteiligt ist. Beide Begriffe, primäre Erinnerung und Retention, treffen sich im gleichen Inhalt, nämlich am frischen Eindruck. Es lässt sich aber auch hier bemerken, dass die primäre Erinnerung sich dem Akt der Wahrnehmung hin offen hält, da sie doch vom frischen Eindruck lebt; dagegen bestimmt sich Retention eigentlich als Verarbeitung desselben. Querintentionalität kann sich nur im Jetztpunkt, also in der Phase der Urempfindung ereignen; es ist die fließende Front der Wahrnehmung. In ihr wird gegenständliches Sein eingegründet, in ihr erstellt sich die Zeitdauer als gegenständliche. Bildlich stellt sich die „intentionale Einheit“ deshalb quer zur Flussrichtung dar, denn sie erneuert sich ja unentwegt in der Urempfindung, die so nicht als Retention gesehen werden kann. Die Urempfindung, der ständige Brennpunkt der Wahrnehmung, darf so nicht Retention sein, sie ergibt aber in der Quere zum Strom entlang die „objektive Zeit“ gegenüber der „immanenten Zeit“ der Längsachse.30 28 „… es ist der eine einzige Bewusstseinsfluss, in dem sich die immanente zeitliche Einheit des Tons konstituiert und zugleich die Einheit des Bewusstseinsflusses selbst … es erscheint, dass der Bewusstseinsfluss seine eigene Einheit konstituiert. … Der Blick kann sich einmal durch die im stetigen Fortgang des Flusses sich „deckenden“ Phasen als Intentionalitäten vom Ton [quer] richten. Der Blick kann aber auch auf den Fluss, auf eine Strecke des Flusses, auf den Übergang des fließenden Bewusstseins vom Tonansatz zum Tonende gehen. … Fassen wir irgendeine Phase des Bewusstseinsflusses ins Auge (…), so befasst sie eine im Vor-Zugleich einheitliche Kontinuität von Retentionen … (im Ansatzglied ist sie neue Urempfindung [quer], im stetig ersten Glied, das nun folgt, in der ersten Abschattungsphase, unmittelbare Retention der vorangegangenen Urempfindung [längs], …“ Vorl. S. 434. Die eckige Klammer wurde vom Verf. hinzugesetzt. 29 Phänom. Psychol. S. 200, 30. 30 „Oder wir lenken den Blick auf die intentionalen Einheiten, auf das, was im Hinströmen des Flusses intentional als Einheitliches bewusst ist: dann steht für uns da eine Objektivität in
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§ 11 Husserls Untersuchungen zum Zeitbegriff
Urempfindung, das bedeutet „äußere Wahrnehmung“, ist nötig, damit beides zum Klingen kommt; denn „das innere Bewusstsein ist ein Fluss“, das der „äußeren Reihe“ bedarf, welche die „objektive Zeit“ erstellt. Das innere Bewusstsein hat deshalb auch nicht die Daten, es hat nur die Phasen, welche diese Daten weitertragen. So kann Husserl auch von innerer und äußerer Retention“ sprechen.31
4. Wahrnehmung als äußere und innere Streng genommen haftet Wahrnehmung an der Urempfindung des Jetztpunkts, allein mit einer so scharfen Eingrenzung würde man zu sehr die Ereignisse Zeit und Erkennen an das Punkthafte binden. Wahrgenommen wird ja auch die Melodie in der Retention; ihre Gegebenheit liegt in der Einheit von Protention, Urbewusstsein und Retention, so dass Husserl hier von einer „adäquaten Wahrnehmung des Zeitobjekts“ sprechen kann.32 Auf den Jetztpunkt geheftet ergibt sich nur wieder jene ideale Grenze, die den mathematischen Punkt erfordern würde. Wahrnehmung wird also auch als der Zusammenhang bzw. der Übergang von Wahrnehmung und Retention begriffen, so dass wir sie als Vollbegriff der beiden Intentionalitäten ansehen dürfen, die Husserl wiederum als Formen der Retention eingestuft wissen will. Wie man sieht, bietet sich ihm so ein Übergang von der Wahrnehmung zur Retention wie auch umgekehrt. Ursprünglich jedoch müsste man die Längsintentionalität mit der Retention, die Querintentionalität mit der Wahrnehmung gleichsetzen.33 Wenn nun Husserl deutlich genug sagt, dass beide Gesichtspunkte zwei Seiten einer Wirklichkeit ergeben, so ist er eigentlich begrifflich gar nicht genötigt, die Unterschiede doch wieder verschwimmen zu lassen. Für unsere Hinsicht wird es aber wieder bedeutsam, dies zu sehen; denn auch hier macht sich wieder eine Ausformung des Bewusstseinsbegriffs bemerkbar. Zeit und Erkennen müssen hier im Pol entspringen, so dass Ursprünglichkeit keine nähere Unterscheidung mehr zur Intentionalität bekommt. Es kommt uns darauf an, dass wir Husserls Zeitverständnis immer im Fadenkreuz des doppelten Gesichtspunkts sehen, der sich am Ende in seiner Gegensätzlichkeit der objektiven Zeit, das eigentliche Zeitfeld gegenüber dem Zeitfeld des Erlebnisstromes“. Vorles. Beil. VIII, S. 469; „Bei der zweiten Intentionalität verfolge ich nicht den Fluss der Felder, …, sondern richte mein Augenmerk auf das, was in jedem Feld und in jeder Phase, die das Feld als ein Linearkontinuum hat, intendiert ist“; ebda. S. 470; „Nehme ich die Richtung auf den Ton, lebe ich mich aufmerkend in die „Quer-Intentionalität“ ein …“ S. 435; „Demnach sind in dem einen einzigen Bewusstseinsfluss zwei untrennbar einheitliche, wie zwei Seiten einer und derselben Sache einander fordernde Intentionalitäten miteinander verflochten.“ S. 436. 31 Beil. VIII. S. 471. 32 Vorl. § 16. S. 398. 33 „Im idealen Sinne wäre dann Wahrnehmung (Impression) die Bewusstseinsphase, die das reine Jetzt konstituiert, und Erinnerung jede andere Phase der Kontinuität. Aber das ist eben nur eine ideale Grenze, etwas Abstraktes, das nichts für sich sein kann. … Und dem entspricht der kontinuierliche Übergang von Wahrnehmung zu primärer Erinnerung.“ S. 400.
4. Wahrnehmung als äußere und innere
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erhalten muss. Wahrnehmung hatte bis jetzt immer noch den „Eindruck“ als prägendes Kennzeichen, auch wenn sie den Zurückbehalt mitnimmt; so entspringt sie wenigstens eindeutig der vorgestellten Seite. Es liegt aber nicht an der besonderen Phänomenologie, es liegt an dem weitgefassten Anspruch des Begriffes selbst, wenn Husserl ohne „innere Wahrnehmung“ nicht auskommen kann, womit freilich jene Form der „äußeren Wahrnehmung“ auch wieder aufgeweicht wird. „In dem Sinne wie bei der äußeren Wahrnehmung erscheint eben das Objekt nicht. … Sprechen wir von innerer Wahrnehmung, so kann darunter nur verstanden werden: entweder 1. das innere Bewusstsein des einheitlichen immanenten Objekts, das auch ohne Zuwendung vorhanden ist, nämlich als das Zeitliche konstituierendes; oder 2. das innere Bewusstsein mit der Zuwendung.“34 Wenn mit den Bezeichnungen innere und äußere Wahrnehmung der eigentliche Unterschied in der Natur der Sache nicht gut getroffen wird, so lässt sich dieser Mangel an die Sprache weitergeben. Die Sprache ist für Husserls Sicht nicht gerüstet; es zeigt sich, dass „Wahrnehmung“ weithin unentbehrlich ist. So kommt es denn auch, dass zwischen innerer und äußerer Wahrnehmung die ganze Spannweite des phänomenologischen Zeitverständnisses eingefasst wird. An der Längs- und der Querintentionalität beginnt der Unterschied zwischen dem inneren Zeitfluss und der gegenständlichen Zeitdauer sich mehr keimhaft zu entfalten, an den beiden Wahrnehmungen klafft die Verschiedenartigkeit der beiden Zeiten auseinander. Husserl spricht von einer vierfachen Wahrnehmung, wonach diese Spannweite eingefasst wird.35 Fassen wir einmal die äußere Wahrnehmung rein von ihrer raumdinglichen Gegenständlichkeit und die innere Wahrnehmung als das Gewahrwerden des Zeitstroms als „absolute“, immanente „Subjektivität“, so haben wir einen Gegensatz, wonach man die gegenständliche Seite geradezu als zeitloses Bild der Wahrnehmung bezeichnen möchte. Wir haben innen einen Fluss ohne Dauer.36 Wir haben außen nur Räumliches; und man könnte es aus dem Verständnisgrund der Reduktion doch als eine Vorstellung des absoluten Bewusstseins fassen, das sich nun merkwürdiger-
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§ 44. S. 447. Vorl. § 44; Beil. VI. Auf die genaue Kennzeichnung im einzelnen wollen wir hier um der Übersichtlichkeit willen verzichten. Was daran wichtig ist, wird sich noch herausstellen. Dass sich die vier Sichtgründe nicht mit Ecken und Kanten absondern voneinander, wird nach dem Sachverhalt bisher einleuchtend. 36 „Im ursprünglichen Fluss gibt es keine Dauer. Denn Dauer ist die Form eines dauernden Etwas, …“ Beil. VI. S. 466; „Die zeitkonstituierenden Phänomene sind also evidentermaßen prinzipiell andere Gegenständlichkeiten als die in der Zeit konstituierten. Sie sind keine individuellen Objekte, bzw. keine individuellen Vorgänge. … dieser Fluss ist etwas, das wir nach dem Konstituierten so nennen, aber es ist nichts zeitlich ,Objektives‘. … Für all das fehlen uns die Namen.“ § 36. S. 429. Es ist der letzte Satz, der uns daran erinnert, dass eben im Feld von innerer und äußerer Wahrnehmung die Sprache zu wenig vorbereitet ist, um Husserls Wiedergabe des Sachverhalts zu genügen. 35
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weise bei Husserl doch als etwas Zeitloses durchsetzt.37 Es ist aber gerade dieses Ungelöste in der Phänomenologie des Zeitbewusstseins, das wir hier zurückdrängen müssen, weil wir sonst den Zusammenhang auflösen würden. Husserls immanenter Zeitfluss und die objektive Zeitdauer sind der Zerreißprobe ausgesetzt, wenn man sie vom „letzten Bewusstsein“ her begründen muss. Allein phänomenologisch ist hier aller Scharfsinn aufgeboten, um die Einheit aufzuzeigen. Wir müssen uns hüten, hier das Verhältnis phänomenologisch von der anderen Auffassung des Bewusstseins her zu sehen. Das absolute Bewusstsein muss bei Husserl Zeitliches und Nichtzeitliches in einem Hinblick aushalten, wie auch schon am Zeitfluss, der seine eigene Einheit mit sich trägt, angedeutet worden ist.38 „Jedes individuelle Objekt (jede im Strom konstituierte Einheit, sei es immanente oder transzendente) dauert und dauert notwendig, d. h. es ist kontinuierlich in der Zeit und ist Identisches in diesem kontinuierlichen Sein, das zugleich als Vorgang angesehen werden kann. Umgekehrt: was in der Zeit ist, ist kontinuierlich in der Zeit und ist Einheit des Vorgangs, der Einheit des Dauernden im Vorgehen unabtrennbar mit sich führt.“39 Der Gegensatz spricht sich in einem neuen grundlegenden Merkmal aus: In der objektiven Zeitdauer stehen individuelle Objekte, Individuen. Aber: „Im ursprünglichen Fluss gibt es keine Dauer.“ Hier gibt es keine „individuellen Objekte“, „dieser Fluss ist … nichts zeitlich Objektives.“40 Haben wir eine unüberbrückbare Kluft und Zeitbegriffe, die von Grund aus verschieden sind, vor uns? Was hier auftaucht, muss uns doch an das Ausweisen des alter ego mittels einer „Fernüberschiebung“ erinnern; und dann haben wir es nicht mit einem Parallelismus zu tun, vielmehr bilden der immanente Zeitfluss und die objektive Zeit die allgemeinste Grundvoraussetzung für das Verhältnis der Intersubjektivität. Husserl selber hat diesen Gedanken nicht ausgesprochen. Intersubjektivität ist für ihn eine absolute Seinssetzung. Objektive Dauer des Gegenständlichen erklärt sich aber im Rahmen der Reduktion, mithin bleibt es bei einer Zeitdauer der Gegenstände, die aus dem immanenten Zeitfluss erstellt werden.41 Wie wir sehen, kann „objektive Zeit“ aus der Ego-Sphäre gar nicht hinaus, um als Grundlage für Intersubjektivität zu dienen, denn damit stände Husserl im Realismus. Objektive Zeit im Sinne der Gesellschaft (erst recht im Verständnis der Naturwissenschaft), wird also bereits getragen vom Erlebnis der Intersubjektivität. Objektive Zeit im Verständnis der 37 „Die subjektive Zeit konstituiert sich im absoluten zeitlosen Bewusstsein, das nicht Objekt ist.“ Vorl. S. 464 u. Nr. 3; „Es fragt sich aber, ob es einen Sinn hat, im wirklichen und eigentlichen Sinn zu sagen, dass die konstituierenden Erscheinungen des Zeitbewusstseins (des inneren Zeitbewusstseins) selbst in die (immanente) Zeit fallen.“ Texte z. Phänom. Nr. 54. S. 235 [369]; vgl. a. Nr. 50. S. 199 – 200 [333 – 334]. 38 Vgl. Vorl. S. 434 u. S. 436. 39 Vorl. §. 35. S. 428. 40 Beil. VI. S. 466; § 36. S. 429. 41 Beil. VIII und § 44. S. 447. „Im Falle des äußeren Objektes haben wir also: 1. die äußere Erscheinung; 2. das konstituierende Bewusstsein, in dem die äußere Erscheinung als Immanentes sich konstituiert; …“.
4. Wahrnehmung als äußere und innere
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„Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins“ darf deshalb nicht verwechselt werden mit objektiver Zeit einer intersubjektiven Gesellschaft im Begriff der transzendentalen Reduktion. Die Schichten des Objektiven sind deshalb äußerst verwickelt und verklammert, soweit es um Kulturschichten geht. Aber der Übergang in die objektive Zeit, die ja in der Immanenz der Reduktion bleibt, geschieht nun doch in einer ähnlich merkwürdigen Weise wie dort zwischen dem leibseelischen Ich und dem nur leiblich „originär gegebenen“ anderen Ich. Im Grunde wird hier die Zeit wie dort das alter ego als gegeben schon vorausgesetzt und dann das Ausweisen im zugelassenen Rahmen der Reduktion durchgeführt. Der Zeitfluss hat weder Form noch Dauer, es gibt „kein Stück Nicht-Fluss“ in ihm. Der Gedanke, dass der gleichmäßige Fluss eben selber die Form abgeben könne, wird zwar kurz aufgegriffen, aber dialektisch nicht verarbeitet.42 Erst in der „Phänomenologischen Psychologie“ findet man den springenden Punkt des Überganges.43 Als Leitlinie dient die Unterscheidung zwischen dem reell Immanenten und dem reell Transzendenten der Wahrnehmung. In der „Idee der Phänomenologie“ wird der Allgemeinbegriff als das reell transzendente aufgezeigt; zwar ist er in unmittelbarer Wahrnehmung (reell immanent) nicht gegeben, er kann desungeachtet absolut gegeben sein. Hier versteht Husserl unter reeller Transzendenz44 den „intentionalen Gegenstand“, der immer nur „abgeschattet“ in reeller Immanenz gegeben sein kann. Transzendent oder irreell in der Wahrnehmung steht der Gegenstand, weil in der letzteren nur ein Ansichtsteil des intentionalen Gegenstandes gegeben sein kann. Nehmen wir den Gegenstand in seiner reellen Immanenz, so haben wir die „wundersame“ Tatsache, „dass ein solches rein Subjektives, wie ein intentionales Erlebnis, nicht nur mancherlei in sich hat, im Sinn reeller Teile, individueller zeitlicher Momente, sondern auch als Intentionales so etwas wie z. B. ein sich in ihm darstellendes Objekt.“45 Es zeigt sich zunächst, dass das reell Immanente in der Zeitdauer seine zu Grunde liegende Ebene der Selbigkeit hat. Denn ergänze ich den Gegenstand durch ein weiteres Ansichtsteil in der Wahrnehmung (Synthesis), so verliert das zuvor reell Immanente seine Selbigkeit, und diese hält sich nur noch im intentionalen Gegenstand.46 Das reell Immanente ist aber in seinem Erscheinen desto deutlicher als Dauer dem subjektiven Zeitstrom übergeben: „Alles, was wir aus dieser immanenten Zeitsphäre als einzeln immanenten Zeitgegenstand, als ein Er42
Beil. VI. S. 466 – 467. „Auf der einen Seite die Sphäre des seienden Objekts bzw. des wahrgenommenen Raumfeldes und … die Sphäre der objektiven Zeitlichkeit, auf der anderen die Sphäre der bloß subjektiven Erscheinungen mit ihrer Zeitlichkeit, die von der objektiven scharf zu trennen ist. … Dieser fundamentale Unterschied wird sich über die Wahrnehmungssphäre hinaus erstrecken. Selbst in der Beschränkung auf räumliche Objektivität ist es ja im voraus klar, dass sie nicht bloß wahrgenommene, sondern auch erinnerte, erwartete, bedachte, bewertete usw. sein kann.“ S. 169 – 170. 44 Phänom. Psychol. § 34. 45 Ebda. S. 172, 20 – 24. 46 Ebda. S. 173, 3 – 15; S. 175, 12 – 26. 43
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lebnis herausfassen, ist Seiendes nur als Strömendes. So jedes Empfindungsdatum, aber auch jede Erscheinung von, jedes intentionale Erlebnis überhaupt.“47 Damit ist eine innige Verklammerung zwischen dem reell Immanenten und dem reell Transzendenten (irreell in der Wahrnehmung) schon gegeben: „Für immanente Wahrnehmungsobjekte gibt es offenbar keinen Unterschied zwischen dem, was von ihnen in jeder Wahrnehmungsphase „eigentlich“ wahrgenommen ist, und dem, was davon nur uneigentlich mitgesetzt ist als etwas, das hätte wahrgenommen, oder was künftig nur in anderer Zeitlage noch zur Wahrnehmung kommen könnte.“48 Es kommt alles darauf an, dass das in der äußeren Wahrnehmung „reell immanent“ Gegebene in das Erlebnis des Strömens eingegründet wird. Ist das Wahrgenommene in seiner eigentlich gegenständlichen Seite immer abgeschattet gegeben, so haben wir nun von Seiten des Erlebnisses eine adäquate Wahrnehmung: „was hier als Konkretes, als Erlebnis auftritt, ist „adäquat“ wahrgenommen, d. i., es ist im gewahrenden Wahrnehmen nicht in einer bloßen Seite und in immer neuen Seiten gegeben, sondern was in jeder Wahrnehmungsphase von dem Erlebnis gefasst ist, das ist eben vollinhaltlich das Erlebnis selbst in dieser Phase, und nicht eine bloße Seite dieser Phase, ein bloßer Teil ihres Gehaltes.“49 Das Verbindliche liegt darin, dass ein abgeschattetes Objekt als Erlebnis adäquat gegeben ist, so dass dessen subjektive Strömung zur objektiven Dauer sich vergegenwärtigt und vergegenständlicht. „Es gibt hier eben nicht die Spannung von Objektivem, das sich nur durch subjektive Erscheinungen darstellt, und diesem es darstellendem Subjektiven.“50 Gewiss erhält das Abgeschattete in seiner „Zeitmaterie“ und in seiner „Zeitstelle“ seine „Identität“. Retention will zwar nicht als gegenständlich aufgefasst werden, ihr „Nachhall“ wirkt sich indes als sinnlicher Gehalt aus, so dass doch gerade hier die Verzahnung stattfindet, welche die sinnlichen Inhalte zur Zeitmaterie und zu „Zeitobjekten“ werden lässt. Es muss hier herausgestellt werden, dass Husserls eigenartiger Begriff der „Retention“ tatsächlich und im wahrsten Sinne des Wortes in die Augen (oder Ohren) springt: Der Zeitfluss prägt sich mittels der Retention in die Materie der äußeren Wahrnehmung ein, so dass Dauer im Gegenstand als vergegenständlichter Fluss erscheint. Mehr denn je scheint also hier die Vorstellungswelt „verzeitlicht“ zu sein.51 Dass im Akt der Wahrnehmung ein zeitloser Gehalt vorhanden ist, wird jedoch nicht übersehen. Die „Gesamtauffassung des Gegenstandes enthält zwei Komponenten: die eine konstituiert das Objekt nach seinen außerzeitlichen Bestimmungen, die andere schafft die Zeitstelle, …“.52 Damit taucht auch 47
S. 171, 15 – 19. S. 171, 29 – 172, 5. 49 S. 171, 19 – 26. 50 S. 172, 9 – 11. 51 „Dass diese Inhalte gleichwohl Zeitobjekte sind, dass sie sich in einem Nacheinander als ein Kontinuum von Urimpressionen und Retentionen erzeugen, und dass diese Zeitabschattungen der Empfindungsdaten ihre Bedeutung haben für die Zeitbestimmungen der mittels ihrer konstituierten Objekte, verlieren wir dabei nicht aus dem Auge.“ Vorl. § 30. S. 418. 52 Ebda. 48
5. Reproduktion und Retention
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eine andere Identität als die zeitliche der Zeitobjekte auf. Husserl hat die äußere Wahrnehmung keineswegs verzeitlicht. Dies wäre das Ende des Allgemeinbegriffs. Was er unter „unzeitlich gefassten Auffassungsdaten“ versteht, dürfte das reell Transzendente sein, soweit es in jeder sinnlichen Auffassung den allgemeinen Gehalt darstellt.53 Wie weit sich eigentliche Anschauung, dieses bestimmte Rot, von der Wesensanschauung, das Rote allgemein, in der Phänomenologie entflechten lässt, ist natürlich eine neue Frage, die aber ausgeklammert bleiben könnte. Bei der ursprünglichen Nähe von Vernunft und Sinnlichkeit ist jedenfalls an eine Abstractio im scholastischen Sinne nicht zu denken. Wie weit wird sie bei Farben auch vorstellbar?
5. Reproduktion und Retention; die Zeit als starre Einheit und als fließendes Jetzt Um die Frage beantworten zu können, wie sich Zeit und Intentionalität in der Phänomenologie verhalten, fehlt uns noch ein wichtiges Bestandsstück: Die Reproduktion, die auch Wiedererinnerung oder sekundäre Erinnerung genannt wird. Zumindest sie ist von der Wahrnehmung abzusetzen.54 Wenngleich die Urimpression hier fehlt, kann diese „Vergegenwärtigung“ sich über die allgemeine Grundform des Flusses, nämlich die Retention, nicht hinwegsetzen. Benötigt denn Retention nicht ursprüngliche Wahrnehmung, um ins Schwingen zu kommen? Aber Wiedererinnerung setzt als solche ihren Inhalt ja gegenwärtig mit der Kraft ihrer Einbildung, und „sie baut sich selbst in einem Kontinuum von Urdaten und Retentionen auf und konstituiert (oder vielmehr: re-konstituiert) in eins damit eine immanente oder transzendente Dauergegenständlichkeit (je nachdem sie immanent oder transzendent gerichtet ist).“55 Reproduktion läuft in Anlehnung an die Wahrnehmung in Abschattung und Abstufung ab, und die erstere bringt es als Vergegenwärtigung mit sich, dass Wahrnehmung nicht einfach abklingend und sich abstufend in Wiedererinnerung übergehen kann.56 Als bewusst gewollte Setzung oder als unwillkürliches 53
„Die unzeitlich gefassten Auffassungsdaten konstituieren das Objekt nach seinem spezifischen Bestande, und wo dieser erhalten bleibt, können wir schon von einer Identität sprechen“; ebda. 54 Vorl. § 17. S. 400; § 16. S. 397; Texte Nr. 45. S. 163 ff. [297 ff.]. 55 Vorl. § 15. S. 396; vgl. a. § 19. S. 406. „Jede konkrete Wahrnehmung impliziert ein ganzes Kontinuum solcher Abstufungen. Genau dieselben Abstufungen verlangt aber auch die Reproduktion, das Phantasiebewusstsein, nur eben reproduktiv modifiziert. Beiderseits gehört es zum Wesen der Erlebnisse, dass sie in dieser Weise extendiert sein müssen, dass eine punktuelle Phase niemals für sich sein kann.“ 56 „Die Modifikation des Bewusstseins, die ein originäres Jetzt in ein reproduziertes verwandelt, ist etwas ganz anderes als diejenige Modifikation, welche, sei es das originäre, sei es das reproduzierte Jetzt verwandelt in das Vergangen. Diese letztere Modifikation hat den Charakter einer stetigen Abschattung; wie das Jetzt sich stetig abstuft in das Vergangen und weiter Vergangen, so stuft sich auch das intuitive Zeitbewusstsein ab. Dagegen ist von einem stetigen Übergang von Wahrnehmung in Phantasie, von Impression in Reproduktion keine Rede“; ebda. S. 405. Wenn in den „Texten“ S. 245 [379], Nr. 54 und in den „Vorlesungen“
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§ 11 Husserls Untersuchungen zum Zeitbegriff
Wiederaufleben trägt die Vergegenwärtigung in der Weise der Wiedererinnerung ein ganz anderes Verhältnis zum Jetztpunkt im Bewusstseinsfluss mit sich, und sie nimmt offensichtlich auch einen anderen Bezug zum Zeitfluss innerhalb des Strömens ein als die Retention. Nur so wird es doch erklärbar, dass Retention innerhalb der Reproduktion zum Tragen kommt. Allein damit taucht auch schon eine Schwierigkeit auf, die sich nun nicht mehr abbauen wird, und die den Phänomenologen in die Nähe der Skepsis geraten lässt, so dass auch deren Lösungsmöglichkeiten ernsthaft durchgespielt werden. Denn die Wiedererinnerung als Zeit erklärt sich ja als eingefrorener Strom, der als stehende Dauer doch herausgenommen ist, um beständig im jeweiligen Jetzt gegenwärtig zu sein. Dennoch soll aber Retention als Urtakt des ursprünglich gegebenen Zeitflusses in diese Einheit, die doch gerade abgesetzt sein muss vom ursprünglichen Zeittakt, hineingreifen. Es geht hier darum, dass auch hier der Zusammenhang einer Melodie, einer Bahnbewegung im inneren Auge gegeben ist. Retention innerhalb der Reproduktion oder als tragender Grund derselben leitet sich daher mehr als Forderung denn als offenbare Einsicht ab. Husserl hat dieses unerklärliche Ineinander von zwei an sich unvereinbaren Zeitformen so ausdrücklich nicht dargestellt. Wenn er aber später am selben Text die „Retention“ mit der „Reproduktion“ ersetzt hat, so könnte es sein, dass doch gerade diese Überlegung den Ausschlag dafür gegeben hat.57 In einer grundlegenderen Form findet man diese Ratlosigkeit aber immer wieder angezeigt: „Die Zeit ist starr, und doch fließt die Zeit. Im Zeitfluss, im stetigen Herabsinken in die Vergangenheit konstituiert sich eine nicht fließende, absolut feste, identische, objektive Zeit. Das ist das Problem.“58 „So anstößig (wo nicht anfangs sogar widersinnig) es erscheint, dass der Bewusstseinsfluss seine eigene Einheit konstituiert, so ist es doch so.“ Aber hier fügt er nun hinzu: „Und es lässt sich aus seiner Wesenskonstitution verständlich machen.“59 Aus der Sicht des Phänomenologen stellt sich die Wiedervergegenwärtigung doch so dar: Ich wiederhole das Erlebnis in seinem ganzen Wahrnehmungsgehalt, indem ich es aber als Zeitdauer aus dem Vergangen herausnehme. Ich setze eine Zeitdauer zeitlos gegenwärtig. Aber ich lasse in dieser herausgenommenen Zeitstrecke, die ich nur enthoben mir so „vorstellen“ kann (damit darf nicht der gegenständliche Inhalt verwechselt werden), dennoch den Zeitfluss darin wieder lebendig werden. Eigentlich muss sich der ursprüngliche Zeitfluss im vergegenwärtigten Erlebnis widerspiegeln. Nun ist es aber gerade diese Längs- und Querintentionalität der Retention, die sich so nicht vom ursprünglichen Jetztquell als Erleben wiedervergegenwärtigen lässt. Man muss es in dieser Zuordnung sehen, weil S. 435, § 39 derselbe Wortlaut steht, nur dass in den (späteren?) Texten die „Retention“ durch „Reproduktion“ ersetzt ist, so könnte hier ein Wandel in der Auffassung vorgegangen sein. Da am Verhältnis von Reproduktion und Retention zeitloses und zeitliches Erkennen zusammengeraten und Husserl diesen Punkt, woran sich die Gegensätze stoßen, immer aufs neue bedacht hat, muss hier mit Schwankungen gerechnet werden. 57 Vgl. die Anmerkung zuvor und weiter oben. 58 Vorl. § 31. S. 420. 59 Ebda. § 39. S. 434. Es soll hier nochmals bemerkt werden, welch ein Wirrwarr mit dem Wesensbegriff eingetreten ist.
5. Reproduktion und Retention
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Husserl von den verschiedenen Intentionalitäten der Zeit spricht, die ein unlösbares Geflecht bilden müssen. Es sind drei Bestandteile, die das Wiedererinnerte zusammensetzen. 1. Die gehaltvolle Seite des Erlebnisses. 2. Die im Erlebnis wiedererstehende Zeit als Dauer. 3. Das Erlebnis ist zwar vergegenwärtigt, aber es verliert nicht seine Zeitstelle, die es als Beziehung von Vergangen und Jetzt hat. Dem entsprechend unterscheidet auch die Wiedererinnerung nach zwei Intentionalitäten des Zeitlichen, die sich nun aber von anderer Art als jene der Retention erweisen. Wir haben es mit einem „Gesamtkomplex von Intentionen“ zu tun, worin eine „Doppelheit von Intentionen“ dem Phänomen des Zeitlichen zugeordnet ist. Die eine ist auf die „erfüllte Dauer“ des Erlebnisses gerichtet, denn „eine Dauer ist gar nicht vorstellbar oder besser nicht setzbar, ohne dass sie in einem Zeitzusammenhang gesetzt wird, …“ Die andere Intention ist auf die Zeitstelle gerichtet und erzeugt damit jenes Bewusstsein von etwas Vergangenem, das mehr oder weniger abgeschattet, inhaltslos hinabgetaucht ist, soweit es aus der dazwischen liegenden Strecke genährt wird.60 Die Frage, welche Husserl sich hier stellt, wurde schon einmal behandelt. „Ist nun auch das Letztere Reproduktion? … Natürlich, das Ganze wird reproduziert, nicht nur die damalige Bewusstseinsgegenwart mit ihrem Fluss, sondern „implicite“ der ganze Strom des Bewusstseins bis zur lebendigen Gegenwart.“61 Die Antwort ist jedoch nur eine stark abgeschwächte Bejahung, wie wir eben gesehen haben.62 Die objektive Zeitreihe dazwischen wird aber in ihrer abgeschatteten Inhaltsleere dann auch noch in „Analogie“ zur Abschattung des Gegenstands im Raume gesetzt. Ein Vorgehen, welches wir uns nachher noch genauer ansehen müssen, da hier eine Mitteilung gefunden werden kann zu unserem Anliegen, nämlich Zeit und Intentionalität. Von einem „Komplex an Intentionalitäten“ lässt sich jetzt schon reden, wenn man allein die zeitlichen Beziehungen und Verknüpfungen zwischen Bewusstsein und Gewusstem in Betracht nimmt. Die Intentionen der Reproduktion gelten der Dauer als einer objektiven Einheit; jene der Retention sind im subjektiven Zeitfluss veranlagt, in dessen fließendem Jetzt sich gar keine Dauer bilden kann. Denn damit ist eine Einheit aus dem Fluss herausgeschnitten, eine Beharrlichkeit, die ein Stück Nicht-Fluss darstellt. Zum Wesen des Flusses gehört es, dass in ihm keine Beharrung sein kann.63 Auch an der Reproduktion unterscheidet Husserl eine innere und eine äußere Form,64 womit sich zeitliche Intentionalität noch weiter entfaltet. Auch hier 60
Vorl. § 25. S. 411. Ebda. 62 S. 412 „Aber diese Intention ist eine unanschauliche, eine „leere“ Intention, und ihr Gegenständliches ist die objektive Zeitreihe von Ereignissen, und diese ist die dunkle Umgebung des aktuell Wiedererinnerten.“ 63 Vorl., Beil. VI, S. 466. 64 Bei Retention lässt sich ja die äußere in etwa der Querintentionalität, die innere der Längsintentionalität gleichsetzen. 61
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§ 11 Husserls Untersuchungen zum Zeitbegriff
ergibt sich für die äußere Reproduktion die untrennbare Verflechtung mit der Wahrnehmung.65 „Die äußere Reproduktion ist aber notwendig bewusst durch die innere Reproduktion.“66 Was jedoch hier weit mehr zu Bewusstsein kommt als an der Retention, ist die Gegenüberstellung von „äußerem Erscheinen“ und „innerem Bewusstsein“. Denn Wiedererinnerung als äußere Setzung hält sich dabei als Erlebnis ganz in der Einheit des inneren Bewusstseins. Erst in den „Beilagen“ wird aber dieses innere Bewusstsein als „Zeitbewusstsein“ bezeichnet und nun aber auch noch als ein „Wahrnehmen“ angenommen.67 Bisher stellte sich die Wahrnehmung in einer gewissen Abgrenzung gegenüber der Wiedererinnerung dar. Betrachtet man das Zeitbewusstsein als inneres Bewusstsein, so bietet sich das Vor-Zugleich des Jetztpunkts als innere Wahrnehmung freilich an, indem der äußeren Urimpression der anschaulichen Wahrnehmung die innere Urimpression der zeitlichen Wahrnehmung entspricht. Dass dabei Zeitbewusstsein als Intentionalität nur bestärkt wird, geht daraus hervor. Mit der Verinnerlichung des Zeitbewusstseins, die ja eine Tatsache des Bewusstseins ist, tritt der Gegensatz von gegenständlicher Wahrnehmung in ihrem zeitlosen Eindruck und dem im Zeitfluss erstellten Gegenstand im innersten Ich auch hervor. Die Retention enthüllt sich als eine unmittelbare Ausstrahlung des Zeitflusses, soweit dieser als absolute Subjektivität aufzufassen ist; nur als Wirkung verflechtet sie sich irgendwie zum Gegenständlichen. Mit der Reproduktion müssen wir indes ein merkwürdig gegenläufiges Verhältnis von Intentionalitäten annehmen. Wahrnehmung erreicht nun einen so allgemeinen Sinn, dass sie geradezu ihre unterscheidenden Kennzeichen verliert. Doch ist damit keine grundsätzliche Schwierigkeit oder gar ein Widerspruch gegeben. Wahrnehmung hat ihren Kern als sinnliche Urimpression; vergegenwärtigen wir ein vergangenes Ereignis, liegt auch eine Wahrnehmung vor, weil die Blickrichtung bei Abänderung des Vorstellungsvermögens die gleiche bleibt. Ich blicke mit dem inneren Auge in dieselbe Richtung. Dann zeigt sich die innere Wahrnehmung des Zeitbewusstseins als eine „Erinnerung“ ganz eigener Art, weil der „Blick“ auf ein inhaltsloses „Innen“ gerichtet ist. Was hier zum Vorschein kommt, ist ein Verhältnis, das sich in seinen verschiedenen Intentionen doch immer als ein IchStrahl erklären muss. „Der Jetztpunkt hat für das Bewusstsein wieder einen Zeithof.“ (Retention). „Alles ist sonach gleich mit der Wahrnehmung und primären Erinnerung, und doch ist es nicht selbst Wahrnehmung und primäre Erinnerung.“ Aber die zeitliche Gegenwart des Ereignisses ist „gleichzeitig“ eine erinnerte. Dieser Heranholung läuft entgegen, dass ja das Ereignis desungeachtet im Zeitbewusstsein
65 „Erinnere ich mich anschaulich an einen äußeren Vorgang, so habe ich eine reproduktive Anschauung von ihm. Und es ist eine setzende Reproduktion.“ § 27. S. 414. 66 Ebda. 67 „Dieses gegenwärtige, jetzige, dauernde Erlebnis ist schon, wie wir durch Blickänderung finden können, eine „Einheit des inneren Bewusstseins“, des Zeitbewusstseins, und das ist eben ein Wahrnehmungsbewusstsein. „Wahrnehmen“, das ist hier nichts anderes als das zeitkonstituierende Bewusstsein …“ Vorl., Beil. XII. S. 481 – 482.
5. Reproduktion und Retention
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seine Zeitstelle hat, nämlich die dazwischen liegende Dunkelstrecke bis hin zum Jetztpunkt.68
68
Vgl. Vorl. § 15. S. 396.
§ 12 Zeit und Erkennen 1. Bewusstsein und Intentionalität im transzendentalen Ego Die Spannungen, welche sich am Bewusstseinskern der Phänomenologie gezeigt haben, lassen sich nach unserer Sicht aus zwei Gründen verstärken. Es ist einmal die innerste Vereinigung von Ratio und Identitas, wonach das Gemüt dann entweder zum empirischen Ich abgesondert wird oder aber in dieses reine Ich so aufgenommen ist, dass es sich in seiner eigenen Wirklichkeit und Wirkweise gar nicht mehr erklären kann. Die Wurzeln zu dieser mächtigen Begriffslast reichen weit zurück. Descartes, Kant und Husserl stehen hier nicht als Neubeginn. Für die Phänomenologie muss überdies noch jeder metaphysische Grund sich in reines Schauen übersetzen lassen, sonst bleibt er als abenteuerliche Mutmaßung im Untergrund. Wo daher jede Ontologie des Bewusstseins nur als Phänomenologie sich halten kann, da wird Bewusstsein durch und durch zur Intentionalität, und diese läuft so mit Identität völlig zusammen. Aber mit dieser Sicht muss eine Phänomenologie des Gemütes bestimmt nicht ihre ursprünglichsten Gründe einholen; die Tatsachen des Bewusstseins sprechen hier unmittelbar anders. Wir berufen uns auch nochmals auf Schopenhauer als beredten Zeugen. Auf diese vorbereitenden Anlagen sei nochmals aufmerksam gemacht, wo es darum geht, Husserls „eigentümliche Intentionalität“ des Zeitlichen zu prüfen. Vom Gemüt als ursprünglicher Stätte des Zeitlichen ist deshalb auch bei Husserl nicht die Rede. Wir haben es mit einer besonderen Intentionalität im Bewusstsein zu tun, was indes durchaus nichts Besonderes sein muss gemessen an den mannigfaltigen „Modifikationen“ desselben. Lassen wir also die Zeit als eine eigentliche Gegebenheit des Gemütes beiseite, so müssen wir sie als innere Wahrnehmung dennoch als einen ausstrahlenden Ichpol ansehen. Intentionalität bedeutet eine bestimmte Ausrichtung des Bewusstseins, die in ihrer noetischen Fassung das Apriori für das noematische Feld der Erfahrung in sich trägt. Einstrahlung oder Ausstrahlung? Wie sehr der Phänomenologe hier die Ausstrahlung des Ich bevorzugt, zeigt sich daran, dass er eben auch Empfindungen, die man gemeinhin dem Gemüt zurechnet, am liebsten als Ausstrahlung des Ichpols ansehen möchte.1 Das Bewusstsein 1 Ideen. 2. § 54. „Wir finden also als das ursprüngliche und spezifisch Subjektive das Ich im eigentlichen Sinne, das Ich der „Freiheit“, … das in jedem Sinne „aktive“ …“ S. 213. Es wird nicht übersehen, dass jede Actio auch eine Passio enthält, aber dann heißt es: „„Rezeptivität“ ist wohl dem Sinne nach ein Ausdruck, der eine niederste Stufe der Aktivität einschließt, wenn auch nicht die eigentliche Freiheit der tätigen Stellungnahme“; ebda. Das Ich ist das „Ich der Intentionalität“, von dem es schließlich heißt: „Es bleibt also von dem in Inneneinstellung
1. Bewusstsein und Intentionalität im transzendentalen Ego
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ist Ich als Intentionalität, Ratio und Radiatio. Anstatt das Gemüthafte in seiner Andersartigkeit herauszustellen, versucht er, auch diese Sphäre einer Form des Cogito unterzuordnen, so dass die Erkenntnis dieser Gegebenheit im Erkennen zum Erkennen selber zu werden droht.2 Es leuchtet ein, dass nach den eingrenzenden Richtlinien der Reduktion nur jener Anteil als Bewusstsein zugelassen wird, der in heller Durchsichtigkeit sich nach seinem Begreifen des Gegenständlichen beschreiben lässt. Von diesem Ausgange her wird die Suche nach einem geradezu ichfreien Erkennen verständlich. Das sich so in die Reflexion setzende Erkennen hat den Gegenstand als das Fremd-Andere immer bei sich, er gehört zum Selbst-Erkennen als unabdingbare Voraussetzung. Dass die Verhältnisse aber sofort verschränkt und verwickelt werden, wenn die andere Gegebenheit des Gemütes in die Reflexion gesetzt wird, liegt ebenso zu Tage. Je nachdem wie ich aber Erkennen und Gemüt am Ichpol zuletzt ineins fasse oder in ursprünglicher Verschiedenheit als ergänzende Einheit verstehen will, ändern sich die Beziehungen und Setzungen in der Reflexion. Die weite Bedeutung des Cogito und damit der Intentionalität bei Husserl wird nur verstehbar, wenn wir eben von jenem Ichpol ausgehen, in dem Intentionalitas und Identitas zur Intentionalität verschmolzen sind. Das schließt ein, dass der gemüthafte Anteil nicht nur als gegenständliches Selbst in die Reflexion geht, sondern auch an der Setzung des erkennenden Ich selber beteiligt ist. Von dieser mehr oder weniger unausgesprochenen Vorstellung geleitet, kommt es zu den mannigfaltigen Cogitationes und Intentionalitäten des phänomenologischen Bewusstseinsbegriffs. Unmittelbar damit hineingeflochten erweist sich jene unstimmige Sichtweise des (reinen) Ich, wonach einmal das empirische Ich zu etwas Vorgelagertem wird, zum anderen aber doch hineingehören soll zum intentionalen Ich. Es hat zur Folge, dass Intentionalität einerseits Züge aufnimmt, die wohl gar nicht zu ihr gehören, weil ihre eigentliche Abgrenzung gegenüber dem Gemüt untergetaucht ist. Andrerseits müsste nun aber auch den Gemütsregungen eine ausgefächerte Intentionalität zukommen, so dass parallel zu den fünf Sinnen und dem denkenden Erkenntnisvermögen eine entsprechende Verteilung von Intentionalitäten zu erwarten wäre. Was in diesem Bereich als unterbewusste „Vorgegenständlichkeit“ verborgen liegt und gerade so als Wurzel der Identitas lebt, müsste ursprünglich aus sich eine Intentionalität entwickeln. In der Tat spricht Husserl später sogar von einer „Triebintentionalität“.3 Gegebenen nur das Subjekt der Intentionalität, der Akte, als das im ursprünglichen und eigentlichen Sinne Subjektive übrig.“ S. 215. 2 Vgl. Marbach, Das Problem des Ich i. d. Phänomenologie Husserls. § 42 b. Die Kontinuität der Auffassung des Ich als Ausstrahlungszentrum von Akten der Form cogito. S. 291 ff., bes. S. 296. „Gelegentlich versucht Husserl aber sogar die Affektion dem eigentlich vollzogenen Bewusstsein im Sinne des cogito als Ich-Aktualität einzuordnen, wodurch eine Ausdehnung des Begriffs cogito gerade auf das in den Ideen dem cogito entgegengesetzte Reich der „Aktregungen“ entsteht.“ Die Arbeit stützt sich hauptsächlich auf unveröffentlichte Texte. Vgl. dort die Anm. 31 u. 32 auf S. 296. 3 Marbach, S. 297. „In den dreissiger Jahren erwägt Husserl darüber hinaus aber auch, diese niedersten Intentionalitäten als vom Ich auslaufende zu fassen; er spricht von „universaler
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§ 12 Zeit und Erkennen
Verfolgt man diese Auffassung weiter, so ergeben sich mancherlei Intentionalitäten im sinnenhaften und im geistigen Bereich des Gemütes, so dass man am Ende von einer Intentionalität des Hungers, des Durstes, des geschlechtlichen Bereiches, des sinnlichen und geistigen Leidens und der Freude ausgehen müsste. Desto deutlicher wird dann aber auch, dass sich in dieser Richtung keine Aufklärung, sondern eine Verwirrung der Intentionalität einstellen wird. Husserl selber spürt die Schwierigkeiten, wenn er zwischen aktiver und passiver Intentionalität schwankt, die sich natürlich bei einer „Willensintentionalität“ in den Vordergrund stellen müssen. Wo hier zwischen Willen (aktiv) und Gemüt (passiv) nicht unterschieden wird, kann nur Unklarheit walten. Nach unserer Auffassung verliert hier die Intentionalität ihre ureigentlichen Merkmale der sich vorstellenden Gegenständlichkeit und droht zu einem undeutlichen Gattungsbegriff zu werden. Es ist doch gerade das unpersönliche, ichlose Erkennen, welches Husserl zeitweilig so klar herausgearbeitet hat, mit dem man die Intentionalitas abgrenzt vom übrigen Bewusstsein. Die transzendentale Reduktion erstellt sich zunächst einmal als Solipsismus; sie ist aber in gewisser Weise auch wieder darüber hinaus, indem sie diese Sphäre ichlos, d. h. in Ausschaltung des empirischen Ich beschauen will.4 Sie findet dann in der Intentionalität ihren Grund als Selbst-Erkennen. Wenn aber nun Husserl von einer Willensintentionalität, sogar noch von einer Triebintentionalität spricht, so ist die ursprüngliche Idee nicht nur aufgegeben, es ist die Reduktion um ihren Ansatz gebracht. Es kommt alles darauf an, dass die Grundverschiedenheit in letzter Ursprünglichkeit im reinen Ich eingelegt ist. Selbst wenn ich von der anderen BewusstTriebintentionalität“, die von dem sich selbst zeitigenden Ich als Pol ausgeht. Er hebt ebendort diese hypothetische Auffassung gegen seine frühere Konzeption der passiven Intentionalität ab, in welcher er zuerst „nicht vom Ich gesprochen, nicht sie als ichliche (im weitesten Sinn Willensintentionalität) charakterisiert“ habe.“ Vgl. hierzu Anm. 38, S. 297: cf. Hu[sserliana] XV, Intersubjektivität III, Nr. 34, Sept. 1933, S. 595. 4 Vgl. Marbach, § 12. S. 67 ff. „In der phänomenologischen Analyse werden die adäquat gegebenen Erlebnisse also noch betrachtet, als schwebten sie gleichsam im leeren Raum und wären „niemandes“ Erlebnisse. … Von vornherein habe ich es als Phänomenologe nur mit „meinen“ Erlebnissen zu tun, die ich aber nicht als „meine“, sondern als reine, absolute apperzipiere, mag es mit der Beziehung auf das „Ich“ phänomenologisch wie immer stehen.“ Marbach fährt dann fort: „So ist verständlich, dass die transzendentale Phänomenologie auf dieser Stufe ihrer Problematik ohne besonderes Interesse für die subjektive Richtung auf ein Ichsubjekt der reinen Erlebnisse auskommen kann. Das „Ich“ mag zwar in Verlegenheit setzen, es liegt aber auf dem Boden der phänomenologischen Reduktion auf die adäquaten Selbstgegebenheiten des reinen Bewusstseins kein „zwingendes Motiv“ vor, dem sich meldenden Problem des Ich auf den Grund zu gehen.“ Sicherlich haben wir es hier mit dem idealen Verständnisgrund der Reduktion zu tun, der den „Ideen“ und der „Idee der Phänomenologie“ als Leitgedanke innewohnt. Es kommt nach unserer Auffassung aber nun alles darauf an, dass wir es hier nicht mit der ersten „Stufe ihrer Problematik“ zu tun haben, sondern mit einer Eingründung, die sich so in allen Einstellungen des Bewusstseins durchhalten muss. Wenn Husserl für die Einrichtung der Intersubjektivität ein anders aufgefasstes Ich benötigt, so haben wir es nicht mit einer neuen Schicht im Ich-Bewusstsein zu tun, die sich von der anderen begründen ließe. Vielmehr zeigt sich hier die phänomenologische Reduktion in sich uneins. Vgl. hierzu § 9, 1. 2 u. 4. Kritik d. Intersubjektivität.
1. Bewusstsein und Intentionalität im transzendentalen Ego
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seinsauffassung ausgehe, die für den Phänomenologen leitend ist, zeigt sich jene Intentionalität, womit das Ich seine Gemütserlebnisse wahrnimmt, von ganz anderer Art als die andere und ausgefächerte, die ihr Ideal in der „Selbstlosigkeit“ findet. Man übersieht den entscheidenden Unterschied, wenn man hier von analogen Verhältnissen spricht.5 Die andersartige Gegebenheit der Gemütszone im Bewusstsein bekundet sich gerade darin, dass hier eine Entsprechung von Noesis und Noema gar nicht ermittelt werden kann. Es gehört zum Gemüt, dass es auf einmal gegeben ist, darin liegt Identitas; aber das Gemüt hat nur im Erkennen eine Intentionalität, und es hat dort nur eine unmittelbare, einzige Gewissheit seiner Stimmung. Alles, was hier analog erscheint, ist bereits im Erkennen vermittelt. Es gibt keine Intentionalitäten wie bei den Sinnen (Sehen, Hören, Tasten), die wir dem Erkennen einzuordnen haben.6 Vielmehr lebt das Bewusstsein aus einer Zusammenarbeit, die keinerlei Parallelismus oder Analogie aufweist. Wir werden uns mehr und mehr bewusst, dass die hier vorgebrachten Einwände gegen die Phänomenologie in dieser Hinsicht doch standortgebunden erscheinen. Wir möchten aber ihre Berechtigung davon ableiten, dass ja innerhalb der phänomenologischen Reduktion die jeweils verschiedene Einblendung des Bewusstseinsbegriffs vorgenommen wird. Es geht hier um das Verhältnis von Bewusstsein und Intentionalität, dessen Prüfung wir jetzt abgrenzen müssen von der vorgenommenen Untersuchung zur Intersubjektivität. Denn dort liegen die Dinge etwas anders. Dort galt es, Husserls Begriff des Ego anzunehmen; nur in der Mitverfolgung der Ergebnisse konnte aufgezeigt werden, dass dieses Ego in sich selber unstimmig ist. Es kann nur die Einheit der transzendentalen Reduktion durchhalten, indem es für die Ermöglichung einer Monadengesellschaft einen Inhalt annimmt, den es zuvor ausgeschlossen hat, um die transzendentalen Gründe in ihrer Unbedingtheit auszuweisen.7 Um Bewusstsein und Intentionalität nach dem Ausmaß wechselseitiger 5 Ideen 1. S. 237 (§ 95): „Analoge Ausführungen gelten dann, wie man sich leicht überzeugt, für die Gemüts- und Willenssphäre, für Erlebnisse des Gefallens und Missfallens …; das alles sind Erlebnisse, die mehrfache und oft vielfache intentionale Schichtungen enthalten, noetische und dementsprechend auch noematische.“ 6 Es bleibt allerdings unverkennbar, dass innerhalb der Sinne eine je eigenartige Intentionalität, die man besser Zugang nennt, zum Gemüte führt, wo sich das im Erkennen streng Getrennte in die Verselbigung des Gemütes begibt. 7 Vgl. a. Marbach, § 42 c. S. 298 ff. „Der summarisch gehaltene Ausblick auf die Kontinuität der zweiseitigen Auffassung des Ich, auf welche wir in dieser Studie über Husserls Stellung zum Problem des Ich stiessen, bekräftigt schliesslich den in unseren vorangegangenen Kapiteln gewonnenen ersten Eindruck, Husserls Ichbegriff gerate in eine von ihm selbst nicht von Grund auf geklärte Zweideutigkeit … Das Ich „in unbestimmter Leiblichkeit [1. Motivationslinie] (oder gar keiner) und in unbestimmter Persönlichkeit oder als pures reines Ich“ stellte sich als ein gegenüber der zeitlichen Einheit des Bewusstseinsstromes eigentümliches Prinzip der Einheit meiner aktuellen und meiner vergegenwärtigten Erlebnisse heraus. In der zweiten Motivationslinie fanden wir die Einbeziehung des Ich bei der Bestimmung der Bewusstseinsform cogito an Phänomene der Aufmerksamkeit gebunden. Hier zeigte sich, dass Husserl das Ich nach Analogie mit dem Orientierungszentrum Leib als Zentrum des aktiven und affektiven Bewusstseinslebens anspricht und es solcherart im Grunde genommen in der
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§ 12 Zeit und Erkennen
Bedingung ausleuchten zu können, ist es nötig, innerhalb der transzendentalen Reduktion die beiden Begriffsmodelle nach ihrer Möglichkeit zur Erklärung anzusehen. Es geht letztlich um das Verhältnis von Zeit und Intentionalität, und es soll aufgezeigt werden, dass die andere Auffassung gerade hier die sich stoßenden Gegensätze eines zeitlichen und zeitlosen Ich besser in einem Schema zu schlichten vermag. Oder anders hingesehen, es wird an der Zuordnung des zeitlichen Bewusstseins zur Intentionalität des erkennenden Bewusstseins besonders deutlich, dass im Rahmen dieses Modells von Bewusstsein die Intentionalität zu weit gefasst bzw. nicht klar genug geschieden ist. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, die andere Auffassung in einer Einkehr des Bewusstseins nach der Weise phänomenologischer Reduktion als innere Gegebenheit überzeugend darzustellen. Da sie im Rahmen dieser Studie nicht entfaltet werden kann, scheint es so, als ob der Einwand gegen Husserls Begriff der Intentionalität mittellos dastünde. Ganz so verhält es sich jedoch nicht. Wenn die Phänomenologie von unmittelbaren Gegebenheiten ausgeht, so liegen offenbar schon hier die Anlässe zu verschiedenen Ausrichtungen, und unsere Untersuchung hat bis jetzt nichts anderes getan, als davon Gebrauch zu machen. Die Grundeinsichten des Bewusstseins, nämlich die ursprüngliche Gegebenheit von Gemüt und Erkennen, berechtigt uns zu einer Behauptung, weil wir sie als unmittelbare Bewusstseinserfahrung ansehen müssen: Zeit entspringt dem Gemüt. Es gibt keinen Zeitsinn, so wie es die Sinne des Erkennens gibt. Wenn Husserl der Zeit eine mehrfache Intentionalität zuspricht, so folgt er dennoch dem Vorbild Kants, auch wenn er sich dem Erfassen des Zeitlichen ungleich hellsichtiger und behutsamer nähert. Haben wir es dann an der unmittelbarsten Gegebenheit des Bewusstseins schon mit einer Auseinandersetzung zu tun, so dass die absolute Gegebenheit bereits eine Auslegung enthält? Was bleibt denn als wirklich unumstößliche Einsicht bestehen, wenn am Urquell allen Einsehens schon die Auslegung in die Auffassung sich unversehens einschleicht oder einschlingt? Wir sehen aber, dass es hier in der Tat eine Grundeinsicht gibt, die allem Zweifel standhält und jede Auslegung zurückweisen kann. Hier behauptet sich das unumstrittene Gemeinsame für alle Philosophie, und diese Einsicht erscheint uns näher als die Denkgesetze, weil diese als solche in ihrer Form bereits eine eigenartige Verschmelzung von Intuitio und Abstractio darstellen. Allein der Satz, alles was ich bewusst erfahre, ist eine Vorstellung, eine äußere und innere Wahrnehmung meines Bewusstseins, geht mich noch näher an. Mit der zweiten Einsicht, dass ich mich als gemüthaftes und als erkennendes Bewusstsein vorfinde, halte ich mich zwar ebenso am Ursprung aller Einsicht, aber damit öffnet Funktion eines leiblich bestimmten Subjekts auftreten lässt. Diese beiden Auffassungen des Ich sind bei Husserl nicht klar geschieden, so dass sein Ichbegriff als ein zweideutiger zu bezeichnen ist. Er trifft einmal als Bezeichnung des Prinzips der Einheit des Bewusstseins die reine subjektive Einheit der aktuellen und der vergegenwärtigten Akte, die nicht durch den Leib erfüllbar ist, das andere Mal als Bezeichnung des Einstrahlungs- bzw. des Ausstrahlungszentrums der intentionalen Erlebnisse aber gerade das leiblich bestimmte Subjekt des aktuellen Bewusstseinsverlaufs, den fungierenden Leib.“
1. Bewusstsein und Intentionalität im transzendentalen Ego
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sich schon die Möglichkeit einer Deutung des Bewusstseins, wie wir sehen. Es wird jetzt auch verständlich, warum die Phänomenologie diese Grundeinsicht erst in zweiter Linie zulassen möchte, warum das reine Ich in den „Ideen“ sich als erkennendes, sich als ichloses und gemütloses Ideal gewinnen möchte. Damit soll die Auffassung weiterreichen, um die Möglichkeit einer Auslegung, die beim zweiten Schritt schon ansteht, abzuweisen. Die Reduktion verlegt den Bewusstseinsinhalt, der sich als Absolutum halten muss, ins Erkennen. Aber dies Auffassung muss nachher zurückpendeln, weil sich sonst das intersubjektive Sein verflüchtigen würde in einen bloßen Vorstellungsinhalt. Rückwirkend offenbart sich daher eine Auslegung, die nicht zwingend aus der ersten Grundeinsicht hervorgeht, von Husserl aber so vertreten worden ist: Das immanente, absolute Bewusstsein welches nulla re indiget ad existendum, erfüllt als solches nur eine Sphäre des Bewusstseins. Eine phänomenologische Reduktion wird daraus keineswegs hinfällig, ihr Grundstein bleibt unumstößlich. Sie hat sich aber dessen bewusst zu sein, dass dann eine solche absolute Setzung für das Bewusstsein nicht vertretbar ist. Man muss von dieser Sicht ausgehen, will man Intentionalität in Husserls Phänomenologie in die richtigen Ausmaße bringen. Intentionalität ist nichts anderes als Erkennen, allein für unsere Sicht reicht dies nicht hin für Bewusstsein. Husserls reines Ich enthält ohne Zweifel auch gemüthafte Züge, die sich als solche aber gerade darin mit dem reinen Ich verselbigen müssen, dass ihnen Intentionalität in ebenso ursprünglicher Weise zukommt. Das Gemüt soll sich im „letzten Bewusstsein“ mit dem Erkennen verselbigen. Natürlich lässt sich die Beziehung als verselbigte auch umgekehrt sehen. Den Anfang muss freilich das reine Schauen machen. Man mag hier einwenden, dass eine solche Ur-Teilung des Bewusstseins, die von uns dem phänomenologischen Ansatz entgegengestellt wird, bereits als ein Metaphysicum zu gelten habe. Dann folgt die Zurückweisung unserer Auffassung, indem man darauf hinweist, dass Phänomenologie sich hier in Spekulationen einlassen würde. Mit welchem Rechtsgrund will aber dann diese Art von Phänomenologie ausweisen, dass ihr Bewusstseinsbegriff keine Spekulation ist. Man überlege sich nur, welche Folgen es hätte, wenn dieses intentionale Ich im selbigen auch gemüthaftes Ich wäre. Dies führte zu einer Verdoppelung der Ur-Teile in sich, die sich nur als Verselbigung wirklich erweisen könnte. Die unmittelbare Gewissheit, dass ich mir in zwei grundverschiedenen Weisen gegeben bin, findet aber nur in einer wechselseitigen Ergänzung ihre zufriedenstellende Erklärung. Dann mag die nun zu ziehende Schlussfolge eine metaphysische sein; aber sie leuchtet innerhalb der phänomenologischen Reduktion auf, mag sie nun noch eine transzendentale sein oder auch nicht. Dem Gemüt eignet ursprünglich nicht Intentionalität. Spreche ich also von „Willensintentionalität“, so führe ich einen Parallelismus von Intentionalitäten, der sich das Bewusstsein verdoppeln lässt. Was dem Erkennen eignet, entbehrt das Gemüt; was zum Gemüt gehört, kann ursprünglich nicht im Erkennen sein. Erkennen erscheint als das alleinige Vermögen, welches alle Verhältnisse im Bewusstsein an und für sich setzt, und es vollendet sich darin, dass es sich selber noch als Gegenstand setzt. Aber die Selbst-Setzung ist nur am Anderen
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§ 12 Zeit und Erkennen
möglich, welches sich in Fremd-Gegebenes und in Selbst-Gegebenes erschließt. Damit haben wir aber innerhalb der phänomenologischen Reduktion eine dreigründige Absolutheit in der Einheit des Bewusstseins gegeben. Wir haben es immer noch mit einer erscheinenden Dreigründigkeit zu tun. Dies bedeutet aber auch, dass schon das „Abgeschattete“ zum absoluten Bewusstsein gehört. Dann gestaltet sich der Anfang innerhalb der Epoché anders als in der Rückversicherung auf das „immanent Absolute“; doch hier ist darauf nicht einzugehen. Es soll einsehbar werden, dass wir es mit einer dreigründigen Absolutheit zu tun haben, worin Erkennen alleiniger Verwalter und Inhaber der Intentionalität sein kann.
2. Zeit und Intentionalität im Ego der Transzendentalphilosophie Fasst man die Zeit, wie der Realismus es macht, als die innerste und allgemeinste Daseinsweise des Stofflichen auf, so erhält das Bewusstsein eine gewisse begriffliche Entspannung am Rätsel Zeit. Es erlebt die Zeit in sich, denn es lebt im Leibe. Andrerseits erstellt Erkennen nicht die Gegenstände aus eigener Formgebung und Daseinssetzung, es nimmt sie wahr. Aber Zeit lässt sich damit keineswegs hereinnehmen, da offensichtlich keinerlei Vorstellung dem Gegenständlichen anhaftet, und was immer wir an Zeit im Bereich der Vorstellung ermitteln, setzt schon immer unser Erlebnis Zeit voraus. Wir haben ein Apriori in uns, das sich Mittel und Wege verschafft, um sich am Wandel der Dinge zu vergleichen. Dies alles ist Gleichnis der Zeit, nicht erlebte Zeit. Also erstellt sich Zeit anders im erkennenden Bewusstsein als seine Gegenstände, wie ein Strom, der von innen in die Gegenstände hineinfließt, um dennoch unvorstellbar im Quell des Bewusstseins zu bleiben als dessen andere, weitere Fassung. Aber ist Zeit dann ein Vermögen des Erkennens, ein innerer Sinn? Wieso erfahre ich sie dann als Zustand? Wenn sie jedoch nicht zum Erkennen gehört, wieso nehme ich sie dann nicht wahr wie ein sinnliches oder geistiges Sein? Es bleibt uns die Möglichkeit, Zeit dann als Gemütsbewegung aufzufassen, da sich Leibhaftigkeit darin unmittelbar ausdrückt. Da sich Selbstbewusstsein nur am Erkennen erfahren kann, muss sich Zeit irgendwie dort einprägen. Nur ergibt es einen beträchtlichen und auch folgenreichen Unterschied, ob man die Zeit in aller Ursprünglichkeit dem Erkennen entspringen lässt oder ob diese allgemeinste und innerste Daseinsweise im Gemüt zu lebendigem Bewusstsein emporsteigt. Dann ist Zeit als Flussbett der Materie eben so wenig Erkennen wie Leben. Der Transzendentalismus kämpft hier mit kaum zu bewältigenden Schwierigkeiten. Die Zeit wird zu seiner „Vorstellung“ aus dem Bewusstsein, sie wird zur inneren Grundfassung des Erkenntnisbildes, der Raum zur äußeren. Die Gegensätze stoßen jedoch aneinander, wenn Bewusstsein als ganzes in eine „Intentionalität“, wenn auch in eine ausgefächerte, hinein muss. In dieser letzten Verselbigung müssen ein zeitliches und ein unzeitliches Ich auch noch zusammengehen, wenngleich dieser Zeitsinn ganz andere Kennzeichen anführt als das Vermögen der Unterscheidung.
2. Zeit und Intentionalität im Ego der Transzendentalphilosophie
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Wenn Zeit als Erkenntnisform aufgefasst wird, so deutet dies nur jene allgemein verbreitete Ansicht an, dass Bewusstsein mehr oder weniger erkennendes Bewusstsein sein müsse. Was sich dann, was sich ja nicht leugnen lässt, als Unterbewusstsein verbirgt, bleibt sonach in der Vorstellung eines Untererkennens, das sich in Träumen und ähnlichen oder unbekannten Zuständen des Bewusstseins an die Tageshelle des Erkennens schafft. So wäre hier auch das Geheimnis der Formgebungen und der Verstandesgesetze zu finden, das wir nach Kant durch keinen Kunstgriff des Verstandes der Natur entwinden können. Wir haben die „immanente Zeit“ als innersten Lichtkegel des reinen Ich zu verstehen, so dass gleichsam jede Intentionalität dieses Licht im Rücken hat. Er ist Ursprungsquell, dem das Ich nicht entkommt; es erlebt sich im Zeitstrom. Auch die wiedererinnerte Zeitstrecke erlebt sich nur im Bewusstseinsstrom. Hier bleibt alles klar einsichtig. Aber die wiedererinnerte Zeitstrecke, die nur am gegenständlichen Gehalt vorstellbar wird, erhält dennoch im Zeitstrom eine zeitenthobene Beziehung zum reinen Ich, welches sich als ständigen Fluss erfährt, um in diesem Fluss sich als Selbst wandellos zu halten.8 Damit erstellen sich unlösbare Schwierigkeiten. Absolutes Bewusstsein ist reine Intentionalität. An diesem Grundsatz der Phänomenologie kann kein Abstrich gemacht werden. Reine Intentionalität kann aber nur „unzeitlich, nämlich nichts in der immanenten Zeit“ sein.9 Es stellt sich also eine Aufgabe, die bisher außer Betracht gelassen worden ist; das reine Ich war „durchaus innerhalb der immanenten Zeitlichkeit“ behandelt worden.10 Wie ist Intentionalität des Zeitbewusstseins zu verstehen? Diese Frage müssen wir ganz aus der Sicht des phänomenologischen Bewusstseins zu beantworten versuchen; d. h. Zeitbewusstsein müsste demnach in einem Bewusstsein eingegründet werden, welches inhaltlich mit Intentionalität übereinkommt. Bis jetzt hat die Phänomenologie ihre innere Geschlossenheit daraus bezogen, dass sie absolutes Bewusstsein gleich reines Ich gleich reine Intentionalität gesetzt hat. Die Unklarheit ist vor allem am Inhalt Intentionalität zum Vorschein gekommen. Denn irgendwie gehört dann die geistige Ebene des Gemütes mit hinein in die Intentionalität. Andrerseits erstellt sich und erhellt sich reines Ich phänomenologisch lediglich aus letzter und höchster Reflexion, weil es nur so mit dem Inhalt reine Intentionalität übereinkommt. Hier muss daher die Ausscheidung alles Gemüthaften vollzogen werden, oder Intentionalitas entdeckt sich als ein Ur-Teil von Bewusstsein. Sie weiß sich als Tag, in dem alles ans Licht kommt; sie weiß aber auch, dass Tageswirklichkeit ohne Nachtseite ein Ungedanke ist. Intentionalitas lässt alles er8 Im Zusammenhang der Freilegung des reinen Ich in den „Ideen 2“ wird dessen Zeiterleben nur ganz flüchtig angesprochen. Vgl. hierzu S. 102; 103, 8; 102, 29 – 103, 5; 110, 9 – 12; 112, 34 – 113, 10; 119, 39 – 120, 2. Es hätte das Ziel der Erörterung in den Hintergrund treten lassen, wenn Husserl an diesem Ort die äußerst aufwendigen Zeituntersuchungen mit einbezogen hätte. 9 Husserl, Edmund: Texte zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins (1893 – 1917). Hrsg. u. eingel. von Rudolf Bernet. Text nach Husserliana. 10. Hamburg 1985. (Philos. Bibliothek; 362). S. 200. 10 Ideen 2. S. 102, 35 – 103, 5.
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scheinen, und darin wird sie in der Tat absolutes Sein. Eine doppelte Intentionalitas zeichnet sich dann nur als Erkennen des Erkennens ab. Die Gestimmtheiten des Gemütes z. B. erfüllen diese Beziehung nicht. Sogleich bemerken wir aber, dass die Zeit sich so einfach nicht als die wandellose, gleichmäßig abfließende Grundstimmung des Gemütes erklären lässt. Es widerspricht aber auch nichts, wenigstens bis jetzt noch nichts, dass die Zeit eine Grundvoraussetzung dazu sein könnte. Fassen wir die unterste Schicht des Gemütes als Zeitstrom auf, so ergeben sich noch keine Schwierigkeiten, das Ich als Urquell des fließenden Jetztpunkts zu erklären. Denn dieses Ich ist ein zutiefst gemüthaftes Ich, und ich kann nun geradezu die Sinne als die Vermittlung meines Selbsterlebens und meiner gemüthaften Icherfahrung betrachten. Ich bemerke freilich auch, dass die Summe der fünf Sinne noch kein Bewusstsein ergeben. Denn jeder ist in seiner Art so verschieden, dass sie nicht einfach in einen gemeinsamen Sinn einmünden können. Der sensus communis trägt eindeutig die Zeichen des Erkennens, und wir dürfen annehmen, dass er mit der Erinnerung in innigster Verbindung steht oder diese selbst ist.11 Wenn also hier die beiden Zonen die Einheit des Ich erstellen, so dürfen wir sie dennoch nach ihren Eigenarten unterscheiden. Aus dem Gemüt ist das Ich durch und durch in Zeit eingebettet; Ich ist als Gemüt Zeitsein, so erfährt es sich in seiner innersten Gründung und als Identitas. Ich erlebe mich als Zeitfluss; und damit stehe ich aber schon an dem „Widersinnigen“, wie Husserl es nennt; dass dieses dahinfließende Ich nämlich ständig mitgerissen ist im Strome und dennoch seinen Kopf emporhält über den Strom, um einen dauernden Überblick zu besitzen. Hat diese Zeitdauer, die „objektive Zeit“, die noch nicht die äußere Zeit sein kann, noch etwas zu tun mit der „immanenten subjektiven Zeit“? Haben denn die fließende Zeit und die Zeitdauer nicht grundsätzlich verschiedene Merkmale? Man wird unwillkürlich an das metaphysische Begriffspaar von Existentia und Essentia erinnert, wenn man Zeitfluss und Zeitdauer zusammennimmt. Und so wie dort das Individuum entstehen soll, so ergeben doch hier Zeitstrom und Zeitdauer das eine, selbige Ich; Zeitdauer als zeitloses Zeitmaß und Zeitstrom als fließende Maßlosigkeit entspringen dem selbigen Ich. Zeitform und Zeitmaterie möchte man sagen. Aber ist damit die Einheit des Zeitbegriffes nicht völlig gesprengt?
3. Das reine Ich in der immanenten Zeit Husserls Beobachtungen geben die allgemeine Auffassung der im Bewusstsein erscheinenden Zeit wieder. Wir machen alle die Feststellung, dass Zeitdauer und Zeitfluss in einem merkwürdigen Gegensatz stehen. Diese Auffassung wird deshalb so eingängig, weil sich in Bezug auf die Zeit sehr leicht erfahren lässt, dass die Zeit uns nicht von außen wie der Raum gegeben sein kann. Nirgendwo hat die Transzendentalphilosophie leichteres Spiel zum Überzeugen als mit der Zeit. Wir dürfen 11
Ähnlich verhält es sich vielleicht mit Verstand und Vernunft.
3. Das reine Ich in der immanenten Zeit
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deshalb davon ausgehen, dass wir es hier mit einer seltenen Übereinstimmung in der auffassenden Beobachtung zu tun haben. Aber es hat sich schon im Umriss gezeigt, dass sich für das Ego der Transzendentalphilosophie die Gegensätze als Zeit stoßen. Wir wollen es nochmals an Husserls Gedanken zum Zeitbewusstsein deutlich machen. Im Anschluss daran sollen die Spannungen im Zeitverständnis an der anderen Deutung des Bewusstseins geprüft werden, die ja nicht weniger von einer Einklammerung jeder Seinsgeltung ausgeht. Es muss auffallen, dass gerade an der Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins sich zögernd, aber dann mit Bestimmtheit der Gedanke durchsetzt, dass es ein zeitloses erkennendes Bewusstsein gibt. Aber wie ist zeitloses Bewusstsein hier zu verstehen? Ist damit eine Zeitlosigkeit gemeint in dem Sinne, wie die Scholastiker vom zeitlosen Wesen sprechen, oder meint hier zeitlos einfach, dass dieser bestimmten Intentionalität der Begriff Zeit einfach nicht zukommt? „Zeit ist übrigens, wie aus den später nachfolgenden Untersuchungen hervorgehen wird, ein Titel für eine völlig abgeschlossene Problemsphäre und eine solche von ausnehmender Schwierigkeit. Es wird sich zeigen, dass unsere bisherige Darstellung gewissermaßen eine ganze Dimension verschwiegen hat und notwendig verschweigen musste, um unverwirrt zu erhalten, was zunächst allein in phänomenologischer Einstellung sichtig ist, … Das transzendentale „Absolute“, das wir uns durch die Reduktionen herauspräpariert haben, ist in Wahrheit nicht das Letzte, es ist etwas, das sich selbst in einem gewissen tiefliegenden und völlig eigenartigen Sinn konstituiert und seine Urquelle in einem letzten und wahrhaft Absoluten hat.“12 Das Gesagte bedarf keiner näheren Erläuterung mehr, und diese Richtungslinie der Aussagen hält sich auch in den „Ideen 2“ so durch. Es soll nur noch vermerkt werden, dass mit dieser Zeitform noch nicht die „objektive Zeit“ der Phänomenologie gemeint ist.13 „Der Erlebnisstrom ist eine unendliche Einheit, und die Stromform ist eine alle Erlebnisse eines reinen Ich notwendig umspannende Form …“14 Es kommt uns darauf an, wie das reine Ich der Stromform einzuordnen ist; aber es ist im Grunde schon gesagt. Doch soll hier sogleich vorweggesagt werden, dass dieses reine Ich als eingebettetes in den Zeitstrom und als Urquellpunkt des Zeitstroms dann auch die ständige Quelle ungelöster Spannung bleibt. Wie aber aus dem Gesagten hervorgeht, schließen sich die absolute Gegebenheit des reinen Ich und seine Einbettung in eine Stromform, die letztes Absolutum bleibt, nicht aus.15 Wir erfassen mit dem Zeitstrom die unterste, tragende Schicht im Bewusstsein; als Absolutum im letzten Bestand kann dieses Zeitliche gelten, soweit es alles einhüllt. Gehen wir davon aus, dass reines Ich in der Phänomenologie sich nur als reine In12
Ideen 1. § 81. S. 197 – 198. Vgl. ebda. S. 196. 14 Ebda. S. 200, 18. 15 „Zum Wesen des reinen Ich gehört dabei die Möglichkeit einer originären Selbsterfassung, einer „Selbstwahrnehmung“, … vermöge deren das reine Ich sich als reines Ich des Wiedererinnerns erfasst, somit als selbstwahrgenommene aktuelle Gegenwart, desgleichen, dass es sich vom vergangenen Jetzt hin als zeitlich dauerndes erfasst usw.“ Ideen 2. § 22. S. 101. 13
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tentionalität zu begreifen weiß und dass hier nur der Quellpunkt aller Cogitationes angesetzt werden kann, so scheinen alle Gründe für ein zeitloses Bewusstsein aufgegeben zu sein. Denn so vermag sich doch ein zeitloses Bewusstsein lediglich als ein andauerndes Bewusstsein zu erhalten. Auch in den „Ideen 2“ wird die immanente Zeit als der tiefste „Sinn“ des Bewusstseins angegeben, der gerade deshalb zum Urgrund aller erkenntnismäßigen Erlebnisse werden kann, weil er in seiner Tiefe mit dem reellen Inhalt der Erlebnisse gar nicht mehr verhaftet erscheint. Wenn diese inhaltlose Tiefe des Bewusstseins in der Phänomenologie der Erlebnisse abgeschirmt bleibt, so ist stillschweigend mitgesetzt, dass es sich bei den Cogitationes des reinen Ich um dauerhafte, aus dem tieferen Sinn der Zeit erstellte Einheiten handelt.16 Es liegt ganz in der Ansicht dieses Begriffes von Bewusstsein, wenn „Bewusstsein“ mit „Erlebnis“ ausdrücklich gleichgesetzt wird, womit das reine Ich nur noch tiefer in das Erlebnis der Zeit eingepflanzt wird. Wir dürfen davon ausgehen, dass Husserl hier eine verschmolzene Einheit von Zeit und reinem Ich, aber auch von Gemüt und Erkennen walten sieht. Ziehen wir das Ergebnis unserer Untersuchung zur intersubjektiven Monadengesellschaft heran, so ist jetzt auf die Wandlung des Ich besonders zu achten. Wir haben es mit dem reinen Ich der „Ideen“ zu tun. Das Ego der Primordialsphäre in der fünften Cartesianischen Meditation ist ein ego concretum, welches die leibliche Sphäre in seinen Inhalt aufnehmen muss, um „apperzeptive Einfühlung“ tragen zu können. Das reine Ich dagegen unterscheidet sich schon vom „seelischen Ich“ so, dass ihm keinerlei persönliche Eigenschaften zuerkannt werden können. Vom seelischen Ich heißt es: „Es ist dann ersichtlich, dass unter diesem seelischen Ich, etwa dem menschlichen, aber unter Ausschluss der Leiblichkeit nicht gemeint ist der monadische Fluss, der erfahrungsmäßig zu diesem Leib gehört, und auch nichts mit diesem Fluss als reelles Moment Vorkommendes, sondern eine zwar wesentlich auf ihn bezogene, aber ihm in gewissem Sinne transzendente Einheit.“17 Für das reine Ich verbleibt dann die Anlage der Intentionalität, die sich in der höchsten Reflexion einholt. Letztlich hat aber diese unpersönliche Anlage, also gewissermaßen das ichlose Erkennen als reines Ich, die Zeit als tiefsten Grund in sich oder unter sich. Folgt man dem inneren Sinn dieser Beschreibung, dann enthüllt sich die Zeit als die allen Intentionalitäten zu Grunde liegende Erlebnisweise, die in ihrer Eigentümlichkeit gerade zu einer allgemeinen Intentionalität wird, um allen anderen ihre Zuständigkeit einzuprägen. 16
„Es ist übrigens zu beachten, dass die Einheiten, die wir hier überall betrachten, so z. B. das identische cogito, als Einheiten einer Dauer, …, eben selbst schon bewusstseinsmäßig konstituierte Einheiten sind. … in einem tieferen … „Bewusstsein“ eines anderen Sinnes, in dem all das, was wir bisher „Bewusstsein“ oder „Erlebnis“ nannten, nicht reell vorkommt, sondern als Einheit der „immanenten Zeit“, mit der es sich selbst konstituiert. Dieses Tiefste, die immanente Zeit … haben wir absichtlich in dieser Abhandlung außer Betracht gelassen … Und zu dieser Sphäre gehört auch das identische reine Ich. Es ist als identisches dieser immanenten Zeit.“ Ideen 2. § 23. S. 102, 29 – 103, 4. 17 Ideen 2. § 30. S. 121, 8 ff.
3. Das reine Ich in der immanenten Zeit
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Es soll hier nochmals erwähnt sein, dass Husserls reines Ich, so sehr ihm auch die Eigenschaften eines reinen Erkennens eignen, dennoch nicht in dieser Sicht völlig aufgeht. Wenn es auch das Anliegen des Phänomenologen ist, das „Erlebnis“ des Erkennens gleichsam als eine Zone des Über-Ich oder als eine allwaltende Wesenszone herauszustellen, wir müssen uns hüten, es in das andere Schema aufzuteilen. Das reine Ich trennt im Letzten nicht mehr nach Vernunft und hohen geistigen Gemütsbewegungen. Es gehört zu Husserls Auffassung von Intentionalität, dass urteilende und wertende Vernunft in einem einzigen Pol entspringen. Dann erklärt sich auch von dieser Sicht aus, dass die Zeit ins Erkennen gehört. Die Ansichten Husserls zum Verhältnis von Zeit und reinem Ich lassen nach den bis jetzt angeführten Stellen doch wohl die folgende Anlage einsehen: Die Zeit entlässt keine Intentionalität, bzw. sie entspringt keiner solchen, die als zweiter Grund neben der Vernunft das reine Ich vollendet. Wo es darum geht, die absolute Gegebenheit der Cogitatio zu sichern, da wird die Zeit außer Betracht gelassen, wie Husserl in den „Ideen 1“ und nochmals in den „Ideen 2“ bemerkt. Aber die Einlösung einer solchen Absonderung um der Klarheit willen folgt dann auch ohne Rückbehalt. Dem innersten Cogito, welches in unmittelbarer Selbstgegebenheit alles in die Reflexion stellt, dem reinen Ich also, unterliegt als Wurzelgrund immer noch „dieses Tiefste, die immanente Zeit“ als ein dunkles, inhaltloses Wahrnehmungserlebnis, welches reell niemals in eine Vorstellung eingeht. Darin liegt übrigens der große Unterschied zur Raumvorstellung, freilich wird er weder von Kant noch von Husserl in seinem vollen Ausmaß erfasst. Desungeachtet muss aber das reine Ich in seiner reinen, transzendentalen Apperzeption, in seiner Synthesis alles Mannigfaltigen durch und durch als zeitliches aufgefasst werden. So jedenfalls belehrt uns die Stelle in den „Ideen 2“.18 Dass dieses reine Ich in zeitlicher Dauer seinen Auftritt hat und dann wieder abgeht, ändert daran natürlich nichts weniger als dass dieses dadurch entstehen und vergehen würde. Das reine Ich hält sich als Absolutum im Zeitfluss, dessen Quell es selber ist.19 Davon ist also auszugehen. Dass diese Festlegungen mit einer anderen Gruppe von Aussagen über ein zeitloses Bewusstsein in Widerstreit geraten, muss jetzt zurückgehalten werden, so wie Husserl das Ausmaß der Zeit (freilich in umgekehrter Weise) bei den Cogitationes zunächst zurückhält. Wir kommen daher zu dem Ergebnis, dass die Zeit nicht eine Intentionalität erstellt, die einfach immer dabei sein muss; sie gehört zum reinen Ego, so wie die Dauer und der Fluss im Letzten nur zwei Ansichten ein und derselben Sache sind.
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§ 22. S. 102, 29 – 103, 4. „Zum reinen Ich gehört also statt des Entstehens und Vergehens nur die Wesenseigentümlichkeit, dass es seinen Auftritt hat und seinen Abgang.“ S. 103, 36. 19
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§ 12 Zeit und Erkennen
4. Ein Vergleich der Bestimmung der Zeit an Kants reiner Vernunft und in Husserls reinem Ich „Das reine Ich muss alle meine Vorstellungen begleiten können. Dieser Kantische Satz hat einen guten Sinn, wenn wir unter Vorstellungen hier alles dunkle Bewusstsein verstehen. … Auf alles im Bewusstseinsfluss intentional Konstituierte kann es hinsehen, es erfassen, dazu Stellung nehmen usw.“20 Eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der transzendentalen Apperzeption Kants äußert sich auch hier, und fast könnte es scheinen, als ob hier dem reinen Ich nun doch eine größere Selbstständigkeit dem Zeitfluss gegenüber eingeräumt wäre als bei Kant. Wir wollen den Vergleich hier nicht übergehen, in der Hoffnung, dass er uns vielleicht eine Mitteilung bereithält, ob nun die gegenständliche Seite des Wahrnehmungserlebnisses wenigstens in ihrer ureigenen „äußeren Wahrnehmung“ den Zeitgehalt von sich entfernt hält. Demnach ließe sich dann eine Grundlage heranziehen, so dass man rückwirkend vom zeitlosen Noema auf eine zeitlose Noesis zurückgreifen könnte. Dass ein Vergleich mit Kant dann nebenbei geführt wird, bedarf einer Nachsicht. Natürlich bedürfte es einer eingehenderen Studie. Es hat zunächst den Anschein, dass von dem Ding an sich, dem Kant eine dunkle, unbekannte Seinsweise irgendwie zubilligt, keine nähere Bestimmung auf das hier zu prüfende Verhältnis ausginge. Das hieße, es wäre keine maßgebliche Abänderung in Bezug auf reines Ich bei Husserl und transzendentale Apperzeption bei Kant von daher zu erwarten, dass Husserl den transzendentalen Idealismus von diesem Überbleibsel des Realismus vollends gereinigt hat. Denn dieses unbekannte Ding an sich kann schon im Vorfeld des transzendentalen Schemas und am empirischen Ich oder in der Rezeptivität nichts beanspruchen, was zu einer inneren Formbestimmung des transzendentalen Ego überhaupt verwendet werden könnte. Aber diese Betrachtungsweise dürfte doch voreilig sein, weil sie eben Aufschlüsse im Vorfeld sucht und nicht da, wo man sie am wenigsten erwartet. Es muss schon auffallen, wenn Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“ immer wieder darauf zu sprechen kommt, dass die „transzendentale Idealität der Zeit“ gar nichts ist, den Dingen an sich nicht anhaftet und dass ich in rein vernünftiger Erfassung der Dinge dies auch feststellen könnte. „Wenn aber ich selbst, oder ein anderes Wesen mich, ohne diese Bedingung der Sinnlichkeit, anschauen könnte, so würden eben dieselben Bestimmungen, die wir uns jetzt als Veränderungen vorstellen, eine Erkenntnis geben, in welcher die Vorstellung der Zeit, mithin auch der Veränderung, gar nicht vorkäme.“21 Dass es sich hier um eine Intentionalität handelt, besagt die Bezeichnung „reine Form der
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Ideen 2. § 26. S. 108, 20. B 54 ff. Vgl. auch A 36. „Solche Eigenschaften, die den Dingen an sich zukommen, können uns durch die Sinne auch niemals gegeben werden. Hierin besteht also die transzendentale Idealität der Zeit, nach welcher sie, … den Gegenständen an sich selbst (ohne ihr Verhältnis auf unsere Anschauung) weder subsistierend noch inhärierend beigezählt werden kann.“ 21
4. Ein Vergleich der Bestimmung der Zeit
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sinnlichen Anschauung“,22 „notwendige Vorstellung, die allen Anschauungen zum Grunde liegt“,23 „die Form des inneren Sinnes, d. i. des Anschauens unserer selbst und unseres inneren Zustandes“, die „innere Anschauung“.24 Kant sagt aber auch: „Sie ist also wirklich nicht als Objekt, sondern als die Vorstellungsart meiner selbst als Objekts anzusehen.“25 Bereits aus der transzendentalen Ästhetik geht hervor, dass ein Begreifen der Dinge an sich nicht nur eine erfundene Denkmöglichkeit sein muss, sondern als ein übersinnliches (nicht im mystischen Sinne) Erfassen eigentlich gegeben sein könnte. „Wir kennen nichts, als unsere Art, sie wahrzunehmen, die uns eigentümlich ist, die auch nicht notwendig jedem Wesen, obzwar jedem Menschen, zukommen muss.“26 Es steht nun außer Frage, dass menschliches Erkenntnisvermögen (Denkvermögen) nur auf Gegenständlichkeit einer möglichen Erfahrung bezogen werden darf.27 Wir haben es also mit der merkwürdigen Auffassung zu tun, dass die reinen Kategorien an sich auf Sein an sich hingeordnet sind, dieses auch so erfassen könnten, wäre es nicht durch das transzendentale Schema gegeben und damit abgeschirmt.28 Es mag schon sein, dass wir mit dieser Auslegung Kant wohl zu sehr in die Nähe des Realismus bringen. Es muss klar festgehalten werden, dass die reine Kategorie für Kant nur einen Grenzwert an der Verneinung abgeben kann. Auch wenn er von möglichen Wesen spricht, die im Besitze einer unmittelbaren „Anschauung“ sein könnten, so wird die Möglichkeit gleich wieder in ihre Schranken gewiesen.29 Aber darum geht es 22
A 32. A 31. 24 A 33, B 50. 25 B 54. 26 A 42 – B 60. 27 „Der transzendentale Gebrauch eines Begriffs in irgendeinem Grundsatze ist dieser: dass er auf Dinge überhaupt und an sich selbst, der empirische aber, wenn er bloß auf Erscheinungen, d. i. Gegenstände einer möglichen Erfahrung, bezogen wird. Dass aber überall nur der letztere stattfinden könne, ersieht man daraus. Zu jedem Begriff wird erstlich die logische Form eines Begriffs (des Denkens) überhaupt, und dann zweitens auch die Möglichkeit, ihm einen Gegenstand zu geben, darauf er sich beziehe, erfordert. Ohne diesen letzteren hat er keinen Sinn, und ist völlig leer an Inhalt, … Also beziehen sich alle Begriffe und mit ihnen alle Grundsätze, so sehr sie auch a priori möglich sein mögen, dennoch auf empirische Anschauungen, …“ B 298 – B 299. 28 „Es kann daher ratsam sein, sich also auszudrücken: Die reinen Kategorien … haben bloß transzendentale Bedeutung, sind aber von keinem transzendentalen Gebrauch, … B 305. 29 „Hieraus entspringt nun der Begriff von einem Noumenon, der aber gar nicht positiv … Damit aber ein Noumenon einen wahren, von allen Phänomenen zu unterscheidenden Gegenstand bedeute … ich muss noch überdem Grund dazu haben, eine andere Art der Anschauung, als diese sinnliche ist, anzunehmen, … Wir haben zwar oben nicht bewiesen: dass die sinnliche Anschauung die einzige mögliche Anschauung überhaupt, … wir konnten aber auch nicht beweisen: dass noch eine andere Art der Anschauung möglich sei, und, obgleich unser Denken von jener Sinnlichkeit abstrahieren kann, so bleibt doch die Frage, ob es alsdann nicht eine bloße Form eines Begriffs sei, und ob bei dieser Abtrennung überall ein Objekt übrigbleibe.“ A 252 – A 253. 23
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§ 12 Zeit und Erkennen
auch gar nicht, ob bei einer „Abtrennung“ des Denkvermögens ein solches noch bestehen könnte. Für uns gibt es nur ein Noumenon im „negativen Verstande“.30 Mit diesen Äußerungen werden indes Bestandsstücke einer Auffassung offenbar, der wir einen beachtlichen Unterschied gegenüber dem phänomenologischen Bewusstsein entnehmen möchten. Husserls Einwände, Kant trenne zu schroff zwischen Verstand und Sinnlichkeit, finden hier einen Anhaltspunkt. Kants Überlegungen zeigen immerhin, dass Vernunft als bloßer Richtwert in keiner Weise für die Zeit empfänglich ist noch eine Vorstellung des Zeitlichen hat. Während für Husserl die immanente Zeit das Tiefste im Bewusstsein ausmacht, den Wurzelgrund abgibt, wird die klar abgesonderte Vernunft von der Zeit in Bann geschlagen, sobald sie zur Anwendung kommt. Die Vernunft als negativer Verstand bezeugt aber bei Kant mehr als nur an den reinen Denkformen, dass sie nicht im Zeitfluss steht. Wir müssen hier Husserls Ringen, das absolute Bewusstsein in einer gewissen Zeitlosigkeit begrifflich herauszuklären, hinzunehmen. Dass es für ihn eine Art Postulatum und deshalb ein Anliegen ist, bleibt fraglos. Allein das reine Ich ist schon so tief in die zeitliche Intentionalität eingetaucht, dass es für ihn geradezu „widersinnig“ wird, wie der Ich-Fluss seine eigene Strecke oder Dauer in eine gesicherte Vorstellung bringt. Für Kant bestehen diese Schwierigkeiten nicht. Dass er mehr der Gefahr des Solipsismus ausgesetzt ist, gehört zur Kehrseite seiner Einstellung. Jedenfalls tut sich aber Kant gemäß der so aufgefassten reinen Vernunft nicht schwer, im Erkennen eine Anlage von der zeitlichen Bestimmung abzusondern, auch wenn deren Anwendung sofort dem Zeitfeld gehört. Die Unterschiede laufen an der verschieden aufgefassten Vernunft auseinander. Es soll auch nachher noch darin bewiesen werden, dass ja Husserls „Ideation“ in schroffem Gegensatz zur Abstractio bei Kant steht. Zunächst aber wollen wir noch die Unterschiede im Stadium der Absonderung aufzeigen, und danach haben wir es bei Kant mit der reinen Vernunft zu tun, wo wir bei Husserl schon an das reine Ich stoßen. Hier gelangen wir an die letzte Eingründung, woran sich die verschiedenen Ausformungen offenlegen. Denn Kants reine Vernunft scheint oder erscheint wohl nicht nur vom Zeitfeld abgesetzt zu sein, sie behält sich am eigentlichen Ich-Pol, so wie wir ihn von Husserl her kennen, viel mehr zurück, als dass sie in ihn eingeht. Hier liegt also das Entscheidende: Kants reine Vernunft erklärt sich in der Tat als „negativer Verstand“, indem sie ihren formenden Anteil und ihre Bestimmungen dem Bewusstsein nur als Grenzwert eines rein logischen Verhältnisses zukommen lässt. Während so Husserls Vernunft den Mittelpunkt des reinen Ich abgibt, nähert sich Kants Vernunft schon dem Licht in Platons Höhlengleichnis, das wir immer nur im Rücken haben und das uns nur so zum unfehlbaren Richtmaß werden kann. So verstanden bestehen freilich keine Schwierigkeiten, die Vernunft von der Zeit zu entkleiden. Dass eine solche Vernunft in Reinkultur nicht wirklichkeitsfähig und
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B 307.
4. Ein Vergleich der Bestimmung der Zeit
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nicht wirkfähig ist, steht unumstritten. Allein dies ändert nichts daran, dass sie als Bestandteil zeitlich erhaben steht. Mit dem Abrücken vom Zeitlichen und dem Entrücken aus der Mitte des Ich entsteht eine Leere im Bewusstsein, die durch das empirische Ich bei Kant sicher nicht ausgefüllt werden soll. Damit tritt nun Kants eigenwillige Apperzeption in das Blickfeld, denn man muss wohl erwarten, dass hier nur die transzendentale Apperzeption alles wieder ins Gleichgewicht bringen kann, was durch eine so entrückte Vernunft offen gelassen wird. Und dabei wird sich zeigen, um das Ergebnis vorwegzunehmen, dass Kants Bewusstsein nicht weniger im Zeitlichen ruht als dasjenige Husserls. Husserls Aussage – Kants „ich denke“ erhält eine guten Sinn, wenn es in das „dunkle Bewusstsein“ hineingehen kann – enthüllt in diesem Zusammenhang ihren Verständnisgrund: „… das Ich waltet nur im Vollzug, in den eigentlichen Cogitationen.“ In dieser Bestimmung droht es unterzugehen im Zeitfluss und im Vollzug; aber Husserl fährt fort: „Aber in alles kann es seinen Blick hineinsenden, was den Strahl der Ich-Funktion eben aufnehmen kann. Auf alles im Bewusstseinsfluss intentional Konstituierte kann es hinsehen, …“31 Hier wird offenbar, dass Husserl Kants „Ich denke“ mit großer Zurückhaltung annimmt, weil er dieses „Ich denke“ mit der reinen Vernunft gleichsetzt, dann aber wohl zu einer einseitigen Sicht gekommen sein dürfte. Kant gewinnt aber damit wieder seine Ausgeglichenheit des Bewusstseins, dass die „transzendentale Apperzeption“ in vielleicht noch höherem Maße als bei Husserl als ein „Ich im Vollzug waltet“. „Nun ist klar, dass es ein Drittes geben müsse, was einerseits mit der Kategorie, andrerseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit stehen muss, … Diese vermittelnde Vorstellung muss rein … und doch einerseits intellektuell, andrerseits sinnlich sein. … Nun ist eine transzendentale Zeitbestimmung mit der Kategorie … sofern gleichartig, als sie allgemein ist und auf einer Regel a priori beruht. Sie ist aber andrerseits mit der Erscheinung sofern gleichartig, als die Zeit in jeder empirischen Vorstellung des Mannigfaltigen enthalten ist.“32 Damit wäre im „Schema“ das Verhältnis gelöst, aber die Schwierigkeiten sind hier nicht minder gegeben. Sie verlagern sich bei Kant in den Verstand. Denn der Verstand nimmt bei ihm die Mitte des Bewusstseins ein, und dennoch lässt es sich kaum vertreten, dass er gegenüber der Vernunft ein irgendwie abgesetztes Vermögen sein könne. Die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption ist der „höchste Punkt“, „dieses Vermögen ist der Verstand selbst“.33 „Das erste reine Verstandeserkenntnis also, worauf sein ganzer übriger Gebrauch sich gründet, welches auch zugleich von allen Bedingungen der sinnlichen Anschauung ganz unabhängig ist, ist nun der Grundsatz der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption.“34 Fallen in dieser ursprünglichen Apperzeption letztlich das „Ich bin“ und das „Ich denke“ zusammen? Um diese 31 32 33 34
Ideen 2. § 27. S. 108. A 138, B 177 – A 139, B 178. B 134. B 137 – B 138.
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Frage dreht es sich hier. Wir dürfen Kant als den Vollender jener Bewusstseinsauffassung betrachten, in der sich alles im Verstande versammelt. Es läge also auf der Linie, wo sich das Gemüt in den Verstand begibt, wo sich Gemüt und Erkennen im Überhang zum Erkennen verselbigen. Und dann steht am Ende: „Verstand ist, allgemein zu reden, das Vermögen der Erkenntnisse“.35 Dem entspricht nur mit letzter Folgerichtigkeit, wenn sich auch die Identitas völlig in die Intentionalitas begibt, bzw. wenn sich die Identitas aus der transzendentalen Apperzeption als der ursprünglichsten Synthesis einer Intentionalitas herleiten muss. „Synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauungen, als a priori gegeben, ist also der Grund der Identität der Apperzeption selbst, die a priori allem meinem bestimmten Denken vorhergeht.“36 „Ich bin mir also des identischen Selbst bewusst, in Ansehung des Mannigfaltigen der mit in einer Anschauung gegebenen Vorstellungen, weil ich sie insgesamt meine Vorstellungen nenne, die eine ausmachen. Das ist aber soviel, als, dass ich mir einer notwendigen Synthesis derselben a priori bewusst bin, welche die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption heißt, …“37 All diese Bestimmungen lösen sich erst in einem „Ich denke“ ein, welches aber in einem veranschaulichten Grunde scheinbar ruhen müsste. Die „vermittelnde Vorstellung“, wenn auch rein a priori, kommt dann in ihrer Mittlerrolle doch auf Seiten der Anschauung zu stehen. Lässt sich aber so das „Ich denke“ einfach als den Nerv des „Ich bin“ annehmen? Allein damit haben wir nicht den Inbegriff der ursprünglichen Einheit erfasst. Kants „Ich denke“ muss als leere Form und so aber auch als „Einheit der Handlung“ verstanden werden.38 Die Form als „Verstandeshandlung“ bedarf der Materie, der Verstand als „Vorstellungskraft“ weist sich als reiner „Aktus der Spontaneität“ aus.39 Stellt man ihm nun das transzendentale Schema einfach als Anschauung gegenüber, so ergibt sich zwar eine klar umrissene Abgrenzung zwischen Anschauen und Denken, aber es fehlt die entscheidende Werkstätte, Kants geheimnisvolle „Einbildungskraft“. Im Zueinander von „Vorstellungskraft“ und „Einbildungskraft“, die nun wohl gar nichts mehr zu tun hat mit der reinen Vernunft, erklärt sich ganz von selber das Verhältnis von „Ich denke“ und „Ich bin“. Dass diese Einbildungskraft eine zwielichtige Rolle spielt, ist gar nicht anders zu erwarten. Die Spannungen, welche sich in Husserls Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins ergeben, hat Kant mit der Vermittlung durch die Einbildungskraft gelöst. Es lässt sich also nicht einfach behaupten, dass „Ich denke“ und „Ich bin“ zusammenfallen, sie kommen zusammen, so wie die Vorstellungskraft und die Einbildungskraft zusammen nur ein „Cogitans sum“ erzeugen können. Aber was geschieht zwischen der Vorstellungskraft und der Einbildungskraft in der Tiefe des Bewusstseins, und vor allem wie lässt 35 36 37 38 39
B 137. B 134. B 135. B 153. B 130.
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sich dann dieses Verhältnis einmal in Bezug auf den inneren Sinn, ein andermal in Bezug auf unser Augenmerk, das Gemüt einordnen? Haben wir es mit der Einbildungskraft bei Kant vielleicht mit Anlagen des Gemütes zu tun? Die Frage weiß sich bei Kant von besonderer Berechtigung. Näherhin kommen wir jetzt zu dem Ergebnis, dass die ganze Schwere des Bewusstseins nur deshalb so im Verstand zusammengehen kann, weil doch diese Spitze des Selbst, Kants Ich-Pol, zu engstem Zusammenwirken mit der Einbildungskraft schon angelegt ist. „Also zugegeben: dass man aus einem gegebenen Begriffe hinausgehen müsse, um ihn mit einem anderen synthetisch zu vergleichen, so ist ein Drittes nötig, worin allein die Synthesis zweier Begriffe entstehen kann. Was ist nun aber dieses Dritte, als das Medium aller synthetischen Urteile? Es ist nur ein Inbegriff, darin alle unsere Vorstellungen enthalten sind, nämlich der innere Sinn, und die Form desselben a priori, die Zeit. Die Synthesis der Vorstellungskraft beruht auf der Einbildungskraft, die synthetische Einheit derselben aber (die zum Urteilen erforderlich ist) auf der Einheit der Apperzeption. Hierin wird also die Möglichkeit synthetischer Urteile, und da alle drei die Quellen zu Vorstellungen a priori enthalten, auch die Möglichkeit reiner synthetischer Urteile zu suchen sein, …“40 Es sind also drei Elemente, worin das Bewusstsein ruht, und hier wird die Einbildungskraft zum eigentlichen Schwerpunkt, weil die „Synthesis der Vorstellungen“ auf ihr beruht. In Bezug auf die Synthesis der Einbildungskraft leistet der Verstand die ursprünglichste Einheit der Apperzeption. So sehr nun alles auf die bewusste Synthesis des „Ich denke“ angelegt ist, so bleibt die transzendentale Apperzeption eine leere Einheit ohne die produktive Einbildungskraft, worin wir wohl das „Ich bin“ annehmen dürfen. Das „Cogitans sum“41 füllt sich als synthetische Einheit dreier Elemente, die jeweils als Quell zu Vorstellungen a priori wirken. Die reine Einbildungskraft wird zur Vermittlung, darin das Mannigfaltige der Anschauung unter die notwendige Einheit der Apperzeption gebracht wird. Die Mittellage verknüpft (allerdings nicht aktiv wie der Verstand) zwei an sich unvereinbare Elemente des Erkennens. Nach unserer Auffassung haben wir es nur mit Anlagen des Erkennens zu tun, so dass das Gemüt noch gar nicht beteiligt wäre. Natürlich wird diese Sicht in Kants Verständnis leer und haltlos, da Gemüt zu einer allgemeinen Einrahmung des Bewusstseins für ihn wird. Wie man sieht, bildet aber das „Ich denke“ nicht mehr als das Skelett des Bewusstseins, welches ohne das Fleisch der Einbildungskraft gar nichts vermag. Grundsätzlich dürfen wir aber dem „Ich denke“ den Modus und die Abkunft von der Vernunft zuerkennen. Damit ist eine großartige Lösung gefunden, die man wohl in ihrer eindrucksvoll klaren Setzung bei Husserl gar nicht finden kann, da er, man möchte sagen unglücklicherweise, die Vernunft mit der Sinnlichkeit immer da zusammenbringen möchte, wo Kant beide trennt. Man darf es von daher so sehen, dass die notwendige Synthesis des „Ich denke“ sich in einem Vorbehalt gegenüber dem Bewusstseinsstrom ausweisen kann, auch 40 41
A 155, B 194. Wir entleihen die Form von Descartes.
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wenn dieser nicht zu Bewusstsein kommt. Denn das „Ich bin“ der Einbildungskraft entquillt nun dennoch im inneren Sinn und lebt sich darin aus; alles vollzieht sich im zeitlichen Bewusstsein. Die Einordnung der Einbildungskraft hält sich keineswegs in einer zwielichtigen Unklarheit zwischen dem Verstand und der Anschauung; man sollte sie in Bezug auf die innere Selbstanschauung des Bewusstseins deshalb auch nicht zwischen den Verstand und die Anschauung stellen, weil diese „Synthesis speciosa“42 als formendes Vermögen sich solcherart nicht zwischen dem Verstand und den inneren Sinn zwängt. Daher bleibt das transzendentale Schema, näherhin die innere Anschauung, letztlich die unmittelbare Verbindung zwischen der Spontaneität des Verstandes und dem empirischen Ich in seiner Rezeptivität.43 Die Einbildungskraft liefert dem Verstand die stofflichen Formen (Synthesis speciosa), und diese an sich sinnliche Einrichtung erhält erst im Verstand ihre forma intellectualis (Synthesis intellectualis). Die Synthesis geschieht in der Zeit. Die machtvolle Bedeutung der Einbildungskraft wird damit unterstrichen, dass sie die eigentliche Stätte, den Umschlagplatz des Bewusstseins abgibt, wo Rezeptivität und Spontaneität, wo Materie und Form sich treffen. Man sieht aber auch, dass die Formung in zwei Stufen vor sich geht, nämlich als forma speciosa und als forma intellectualis. Anders als bei Husserl haben wir es hier mit einer rein logischen Form des Begriffes zu tun, die Gestalt bewahrt sich ganz in der Einbildungskraft, so dass die Abstractio derselben auch nicht als Gleichnis im Verstande stehen kann. Dass diese Einbildungskraft bei Husserl eine solche Bedeutung nicht einnehmen kann, geht aus dem Verständnis und dem Wirken der Ideation hervor, die ja geradezu eine in Sinnlichkeit getauchte Vernunft fordert. Damit gelangen wir zu einer gewissen Aussicht, um dem Vergleich, der ja in fragender Erwartung vorgenommen wurde, eine vorsichtige und allseitig abwägende Antwort geben zu können. Das Ergebnis zeigt sich als ein eigentümlich unentschiedenes, da die Beziehungen in jeweils verschiedener Hinsicht mehr oder weniger verflochten erscheinen.
42
Vgl. § 24. „Nun ist das, was das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung verknüpft, Einbildungskraft, die vom Verstande der Einheit ihrer intellektuellen Synthesis, und von der Sinnlichkeit der Mannigfaltigkeit der Apprehension nach abhängt.“ B 164; „Da nun alle unsere Anschauung sinnlich ist, so gehört die Einbildungskraft, der subjektiven Bedingung wegen, unter der sie allein den Verstandesbegriffen eine korrespondierende Anschauung geben kann, zur Sinnlichkeit; sofern aber doch ihre Synthesis eine Ausübung der Spontaneität ist, … so ist die Einbildungskraft sofern ein Vermögen, die Sinnlichkeit a priori zu bestimmen, und ihre Synthesis der Anschauungen, den Kategorien gemäß, muss die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft sein, welches eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit … ist.“ B 151 – B 152. 43
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5. Die äußere Anschauung bzw. Wahrnehmung und ihre Verflechtung mit der inneren Anschauung bzw. Wahrnehmung (Fortsetzung des Vergleiches zwischen Kant und Husserl) Kants transzendentale Apperzeption behauptet sich als ein Denken in einer der Zeit gegenüber abgesicherten Erhabenheit. Daran ändert nichts, dass jeder Akt des Verstandes schon Anwendung und Verknüpfung zum Sinnlichen wird. Indem die Ermöglichung zum Akt erst damit gegeben wird, weiß sich das „Ich denke“ freilich immer im „Ich bin“ aufgenommen, enthalten, getragen, oder wie man es nennen will. Wir können davon ausgehen, dass für Kant der Verstand keine besondere Anlage gegenüber der Vernunft bedeutet, sondern nur die eigentliche Anwendung derselben zur Erfahrung hin. Dann gilt für die Eingründung des Verstandes auch, was von der Vernunft ausgesagt ist: „Die reine Vernunft, als ein bloß intelligibles Vermögen, ist der Zeitform, und mithin auch den Bedingungen der Zeitfolge, nicht unterworfen. … Denn die Bedingung, die in der Vernunft liegt, ist nicht sinnlich, und fängt also selbst nicht an. … Denn da Vernunft selbst keine Erscheinung und gar keinen Bedingungen der Sinnlichkeit unterworfen ist, so findet in ihr, selbst in Betreff ihrer Kausalität, keine Zeitfolge statt, …“44 Damit ist die Möglichkeit jener Erklärung gesichert, an der sich Husserl so schwer tut: Wie das Ich Quellpunkt des Zeitstroms sein kann, von ihm sich in letzter Tiefe mitgetrieben erfährt, um dennoch Zeitdauer in einer sich zum Gegenstand setzenden Strecke zu überblicken. Indem die Vernunft hier im Abseits bleibt, erfährt das Ich einen erkenntnismäßigen Halt gegenüber dem Zeitfluss. Es ist ein völlig inhaltsloser Halt, denn jeder Inhalt würde die Vernunft der Sinnlichkeit unterwerfen, sie hält sich nur als bloßes Regulativum, als „negativer Verstand“, rein vom Zeitstrom. Betrachten wir aber jetzt die Kehrseite dieser Veranlagung. Kants Vernunft kennt keine Ideen. Platons Ideen oder Augustins innere Anschauung (Illuminatio) sind hier als Wesensschau undenkbar, wo die pure Zeit zur inneren Anschauung geworden ist. Das „Ich denke“ entspringt einem zeitlosen Quell, allein Reflexion in dieser Richtung ist ihm streng untersagt. Daraus ergibt sich das für Kant eigenartige Vorgehen bei der Abstractio. Es können sich hier keine Species im Sinne einer Ideatio oder eines vom Verstande gebildeten Gleichnisses einstellen, da die Abstractio nur rein logische Begriffsformen zur Anwendung bringt. Es wandeln sich alle Allgemeinbegriffe, soweit in ihnen Empirisches enthalten ist, auch im Gedächtnis. Kants Einbildungskraft ist zwar mit hoher „Spontaneität“ ausgerüstet, aber sie wird „produktiv“ wie auch „reproduktiv“ vom inneren Sinn bewegt, und sie hat nicht den inneren Halt der alten Memoria im Idealismus. Wendet man hier Husserls Schauen an, etwa das Herumgehen um die Dinge, so dass sich das „reell Immanente“ ständig entleert und das zuvor „Abgeschattete“ sich als das „reell Immanente“ anfüllt, so ergibt sich der bemerkenswerte Mangel in Kants Bild- und Allgemeinbegriffen, da weder die Abstractio noch die Ideatio hier zulangt. Die biologische Species unterliegt 44
A 551, B 579 – A 553, B 581.
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dem Zeitstrom, und sie müsste sich nach dem Bewegtsein der Einbildungskraft ständig abwandeln. Die Flucht der Bildwelt zieht indes den Kreis noch enger, so dass am einzelnen Gegenstand sogar der Kern der Selbigkeit zu zerrinnen droht. Bei Husserl hält sich die Selbigkeit, wie gleich zu zeigen ist, als Synthesis der noematischen Bestandsstücke im „reell Transzendenten“ („Irreelles“). Kants Verstand bleibt leer, die logische Form ergibt keine Selbigkeit. Was hier gesucht wird, ist eine Brücke zwischen dem der Zeit unterworfenen Bewusstsein und einer entrückten Denkform, die fassungslos wird an einer wichtigen Mittelzone zwischen Anschauen und Denken. Das Gebäude, das ich zu verschiedenen Zeiten, im Frühlicht und im Abendlicht, dazu noch von verschiedenen Standorten aus sehe, vermag sich schwer in seiner Selbigkeit zu halten.45 Die Einheit, welche gegeben ist durch das „Ich denke“ mit dem „Ich bin“, trägt hier nichts bei, um die Selbigkeit eines Gegenstands im Bewusstsein zu untermauern, da sich nun diese Einheit in Bezug auf eine Selbstsetzung des Ich den gleichen Schwierigkeiten ausgesetzt sieht. Das „Ich denke“ schließt „Ich bin“ schon ein, aber daraus lässt sich keine Selbsterkenntnis entnehmen. Denn mein eigenes Dasein ist zwar nicht Erscheinung, um es aber näher zu bestimmen, muss es mir in der Form des inneren Sinnes gegeben werden, und danach stellt es sich der inneren Anschauung gemäß der Art, wie das Mannigfaltige zu Bewusstsein kommt. Selbsterkennen als Reflexion auf Erkennen als Zone in Absonderung vom Gemüt ist bei Kant aussichtslos. „Das Bewusstsein seiner selbst ist also noch lange nicht in Erkenntnis seiner selbst.“46 Ich komme so aus der „Selbstanschauung des Gemütes“47 nicht heraus. Kants Vernunft bleibt als logisches Regulativum eine Grenzlinie ohne jeden Inhalt, und sie leistet als reine Apperzeption des „Ich denke“ den nötigen Halt im Selbstbewusstsein gegenüber dem inneren Sinn. Die Freilegung eines Selbsterkennens ist nicht möglich. „… das empirische Bewusstsein, welches verschiedene Vorstellungen begleitet, ist an sich zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts. Diese Beziehung geschieht also dadurch noch nicht, dass ich jede Vorstellung mit Bewusstsein begleite, sondern dass ich eine zu der anderen hinzusetze und mir der Synthese derselben bewusst bin. Also nur dadurch, dass ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen in einem Bewusstsein verbinden kann, ist es möglich, dass ich mir die Identität des Bewusstseins in diesen Vorstellungen selbst vorstelle, …“48 Wie immer man auch das selbstbewusste Ich auffassen mag, man wird an dieser Bestimmung Kants nicht vorbeikommen. Dennoch wird hier besonders deutlich, wie sehr Kants Selbstbewusstsein einerseits ganz in den Verstand gelagert ist, andrerseits aber von hier sich ganz in die der Zeit unterworfene Sinnlichkeit sich begeben muss. Kants Bewusstsein muss ständig aus sich hinausgehen, es ist alles andere als das im ei45 Vgl. Gurwitsch, Aron: Der Begriff des Bewusstseins bei Kant und Husserl. In: KantStudien. 55 (1964). S. 410 – 427; v. a. S. 420. 46 B 157, § 25. 47 B 70. 48 § 16, B 133.
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gentlichen Gemüt ruhende Ich. Dafür fehlt bei ihm schon die Bezeichnung, weil Gemüt wie ein Behälter das gesamte Erkennen zum Inhalt hat. Husserls Verhältnis von Zeitsinn und Bewusstsein erweist sich in mancher Hinsicht gerade als Umkehrung, und darum ist hier auch zu beginnen, wo wir bei Kant aufgehört haben. Demgemäß erstehen dann auch die Schwierigkeiten andernorts. Aber ist es nun nicht gerade das zerstreute empirische Bewusstsein, mit dem er beginnen will, wenn er von dem Ideal eines reinen Schauens ausgeht, das „ichlos“ am äußersten Rand der Sphäre der phänomenologischen Reduktion ansetzt, um Erkennen rein als Erlebnis zu betrachten? Dieser Anfang weiß sich vom Ziel bewegt, die Beziehung zum Ichpol untergehen zu lassen, um die Beziehung Noesis-Noema als Verfassung des Bewusstseins herauszulösen.49 Indem ich nun dieses „reine Schauen“ als das absolut Gegebene feststelle, bin ich im Selbstverständlichen. Damit ist die innige Verklammerung von Vernunft und Sinnlichkeit schon wie eine Voraussetzung a priori gegeben.50 Indem Husserl das Verhältnis von Vernunft und Sinnlichkeit völlig anders begreift als Kant, kommt er zunächst einmal zu einem ganz anderen Ergebnis: Er kann den Zeitstrom, wenngleich er das Tiefste im Bewusstsein ausmacht, sogar außer Betracht lassen, um desto ungestörter die Erkenntnis als „Erlebnis“ zu erhalten.51 Mit der Einsicht, dass die immanente Zeit das letzte Absolutum im Bestand des Bewusstseins ausmacht, kommt diese Bestandserhebung überhaupt nicht in Widerstreit. Dies liegt offensichtlich in der Natur des phänomenologischen Anfangs, zu dem Kant überhaupt keinen Zugang hat. Dass die gesicherte Anfangslage die zeitlichen Schwierigkeiten aber immer weiter in die Vernunft abdrängt, wo sie einmal ans Licht treten müssen, kündigt sich indes hier schon an. Kants Bewusstsein ist klar gefügt, der Phänomenologe sucht mit seiner intuitio sine comprehensione eher die Fugen abzublenden. Husserls reines Ich kann sich nicht durchhalten, es muss Anleihen beim ego concretum später machen, wie aufgezeigt wurde. Damit schwingt auch die Zeit schon in den scheinbar so zeitlosen Gegenstand der äußeren Wahrnehmung, wie die Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins dann auch zugibt.52 Indem Husserl bei der Retention zwischen einer „Längs- und einer Querintentionalität“ unterscheidet, verliert die immanente Zeit (keineswegs die objektive Zeit) ihre geradlinige Zielstrebigkeit, sie erhält eine 49
Idee d. Phänom. 3. Vorles. S. 75, 33; S. 44, 35. Vgl. a. Marbach, S. 254; S. 67 f.; S. 295. Idee d. Phänom. S. 50, 5. 51 Ideen 2. § 23. S. 102, 29 – 103, 4; Ideen 1. § 81, S. 197 – 198. 52 Vgl. hier Gurwitsch, Begriff d. Bewusstseins … S. 423: „In Sachen des Bewusstseins gilt es also zu unterscheiden: auf der einen Seite die Akte oder Noesen, die in der phänomenalen Zeit ihr Sein haben, ihr Auftreten, ihre Dauer und ihr Abklingen, und zwischen denen die zeitlichen Verhältnisse des Zugleich und Nach-einander bestehen; auf der anderen Seite stehen die Noemen oder Vermeintheiten, die sich als zeitlose und in diesem Sinne irreale oder ideale Gebilde erweisen.“ Wir bemühen uns zu zeigen, dass die Beziehung so scharf umrissen nicht gegeben sein dürfte, wenigstens nicht da, wo man mit dem Noema das abgeschattete Wahrnehmungsteil angibt. 50
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gewisse Zerstreuung. Hier findet doch eine Annäherung an Kant statt, die aber für das Bewusstsein gesehen nur als eine Randerscheinung gehalten werden kann. Kants Zeitverständnis ist streng geradlinig.53 Husserls Retention erklärt sich einmal als ein Nachwirken in der Längsrichtung des Zeitstroms. Man kann sich indes das Festhalten am Augenblicklichen als reinen Zeitstrom gar nicht vorstellen; die Verzögerung des Jetztpunkts wird nur verständlich, indem sie sich bildhaft am Gegenstand auswirkt. Sie schlägt sich zum Gegenständlichen, also quer zum eigentlichen Zeitstrom, so dass sich „querintentional“ als bildlich übersetzt, während „längsintentional“ den reinen Zeitfluss allein erfassen möchte. Retention, so wie Husserl sie nun einmal versteht, wird deshalb gar nicht anders als in der noematischen Bildachse deutbar. Was hier zum Vorschein kommt, spricht aber dafür, dass der Ichstrahl der Zeit nun doch mit dem Ichblick der äußeren Wahrnehmung sich untrennbar verflochten zeigt. Die Begründung dafür leitet sich zwar anders her als bei Kant, eine Annäherung an den Zeitfluss des Gegenständlichen, zu dem hier vornehmlich das Gehörte zu rechnen ist, lässt sich dann doch feststellen. Es ist wichtig, dies zu sehen, weil der Zeitfluss im Bewusstsein nur da zum Ichstrahl wird, der „zusehends“ mit dem Ichblick verschmilzt, wo die Zeit als eine Intentionalität aufgefasst wird. Ein Grundzug der Transzendentalphilosophie stellt sich hier vor. Am Gegenstand zeichnet sich sodann eine Zeitweise ab, die eben nicht einfach als „Zeitdauer“ wiederzugeben ist. Denn Zeitdauer ist in jedem Fall gegeben, auch wenn der Gegenstand, näherhin das Wahrnehmungsteil des Gegenstands, als absolut zeitloses Noema gesetzt wird. Was hier vor sich geht, wird zu einer Verzeitlichung der äußeren Wahrnehmung, so dass die „hyletischen Daten“ selbst etwas Fließendes bekommen.54 „Es zeigt sich dabei: Konkrete Wahrnehmung als originales Bewusstsein (originale Gegebenheit) von zeitlich erstrecktem Gegenständlichen ist innerlich aufgebaut als ein selbst strömendes System von momentanen Wahrnehmungen (den sogenannten Urimpressionen).“55 Wir haben es mit einer Verschmelzung von Zeitfeld und Bildgestalt in der „Urimpression“ zu tun, die deshalb mehr beinhaltet als bloß Zeitdauer, die sich auch als Zeitansicht eines zeitlosen Gegenstands deuten lässt. Innere und äußere Wahrnehmung in ihrer jeweils verschiedenen Intentionalität können so dennoch einem einzigen Quell im Bewusstsein entspringen. Statt der Zeitdauer des Wahrgenommenen gibt dann die „Zeitmaterie“ die Erscheinungsweise eindringlicher wieder.56 53 Husserl nennt die „Zeitstrecke“ in der „Päd. Psychol.“ eine „mehrdimensionale“. S. 202. Vgl. Kant, Kritik d. r. V. B 47. „Sie hat nur eine Dimension“. 54 „Hyletische Daten“ s. „Päd. Psychol.“ § 31. 55 Phänom. Psychol. S. 202, 1. 56 „Die Gesamtauffassung des Gegenstandes enthält zwei Komponenten: die eine konstituiert das Objekt nach seinen außerzeitlichen Bestimmungen, die andere schafft die Zeitstelle, das Jetztsein, Gewesensein usw. Das Objekt als die Zeitmaterie, als das, was die Zeitstelle und die zeitliche Ausbreitung hat, als das, was dauert oder sich verändert, als das was jetzt ist und dann gewesen ist, entspringt rein aus der Objektivation der Auffassungsinhalte, …“ Vorles. S. 419.
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Eine deutliche Unterscheidung gegenüber Kant tritt aber an der Selbigkeit des Gegenstands auf, der ja diese nur in seiner ganzheitlichen Gegebenheit halten kann. Auf die Schwäche bei Kants bildhaften Gesamtansichten und Allgemeinbegriffen, die im Zeitstrom untergehen, d. h. ihre Selbigkeit nicht halten können, ist schon hingezeigt worden. Hier bewährt sich nun die Wesensschau des Phänomenologen, indem nicht nur der Gegenstand als Verband aller Teilansichten, sondern auch als Artbegriff leicht seine Selbigkeit in einer höheren Wahrnehmung halten kann: „Die Synthesis strömender Erscheinungen im selben Objekt … hat die wundersame Eigenheit einerseits, eine reelle Synthesis zu sein, und andererseits, in jeder Phase etwas Irreelles in sich zu haben; nämlich evidenterweise in getrennten Phasen numerisch-identisch dasselbe Objekt „in“ sich zu haben, das hier irreell heißt, …“57 Das Ding hält seine Selbigkeit im „Irreellen“ oder „Idealen“, da seine Ansichtsteile unter sich den Zusammenhang nicht halten könnten. Husserl kann aber hier nach der Festlegung seiner Vernunft mit Recht von einer sich durchhaltenden Selbigkeit ausgehen, die in einer höheren Noese dann auch noch für die Selbigkeit einer biologischen Species zureicht. Es reicht hin, um das reell Transzendente absolut gegeben sein zu lassen.58 Wir kommen nun zu den ungelösten Spannungen, die in Husserls Wesensschau auftreten müssen, da sich ein idealer, aber sinnlicher Gehalt aus der „Zeitmaterie“ in die Transzendenz begibt und so die Selbigkeit des Gegenstands rettet. Wie weit hier Retention und Reproduktion gleitend ineinander übergehen, kann nur dahingestellt bleiben. Husserl hat später die Retention, die er doch von der Reproduktion getrennt wissen wollte, durch die Reproduktion ersetzt.59 Die Ergebnisse dieser Untersuchungen haben sicherlich keine entscheidende Bedeutung für das phänomenologische Bewusstsein, die Auflösung des Unterschiedes spricht aber auch für jenen Grundzug, der für die Wesensschau durchgehend bleibt: Die enge Verflechtung von Anschauen und Denken. Hier klafft der Abstand zu Kant, und was für letzteren eigentlich wie eine Voraussetzung a priori angesetzt wird, das stellt sich hier Husserl als eine Forderung entgegen, die er von der phänomenologischen Betrachtungsweise her nicht mehr verklammern und einholen kann. Wenngleich die Zeit den tiefsten absoluten Grund im Bewusstsein abgibt, so sind die logischen Urteile in ihrer Zeitlosigkeit unerschüttert stehen geblieben.60 Aber beansprucht das Zeitlose innerhalb der „absoluten Subjektivität“ des Zeitflusses nun wirklich ein Sein jenseits des Zeitlichen, oder hält es sich als Selbigkeit einer Dauer, ohne die auch die Sel57
Phänom. Psychol. § 34. S. 174, 25; vgl. a. S. 175, 12 ff. Idee d. Phänom. 2. Stufe. S. 9, 9. „Die Erkenntnis des Allgemeinen ist etwas Singuläres, ist jeweils ein Moment im Strome des Bewusstseins; das Allgemeine selbst, das darin gegeben ist in Evidenz, ist aber kein Singuläres sondern eben ein Allgemeines, somit im reellen Sinne transzendent.“ 59 Vgl. § 46. 3. Anm. 295. 60 In den „Ideen 1“, § 69 wird freilich die formale Logik auch eingeklammert, weil ja alles, was aus der natürlichen Einstellung kommt, fallen muss. Sie wird jedoch aus der Phänomenologie der Vernunft „wesensmäßig einsichtig“ gemacht. 58
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bigkeit des Dinges nicht aufrecht zu halten wäre? Ein Seiendes jenseits des Zeitstroms wäre einem Rückfall in die Metaphysik gleichzusetzen. Wie kann aber an der Grundverfassung des Bewusstseins, in der wir doch die Intentionalität des Zeitstroms sehen sollen, das Bewusstsein von Zeitenthobenem aufkommen? Jedenfalls setzt sich gerade an der Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins die Rede vom zeitlosen Bewusstsein durch. Es ist ein Ergebnis, dem die Phänomenologie keinen Grund mehr unterlegen kann und das ihr im Erscheinen aufgezwungen wird. Es ist jenes „Widersinnige“, dass der Fluss seinen eigenen Beobachter ausbildet, der mitschwimmend dennoch einen festen Punkt hat, von dem aus der Zeitstrahl als Strecke gemessen wird.61 „Im ursprünglichen Fluss gibt es keine Dauer. … Im Fluss kann prinzipiell kein Stück Nicht-Fluss auftreten.“62 Dann werden Überlegungen angestellt, ob denn die bleibende Form nicht gerade im beständigen Fluss ihre innere Einheit bewahrt. Aber Husserl weiß wohl, warum er nur ein Fragezeichen setzt; denn diese Lösung würde mit seiner Betrachtungsweise brechen. „Prinzipiell ist individuelles oder konkretes Sein Unveränderung oder Veränderung; … Prinzipiell ist jede Phase einer Veränderung in eine Ruhe auszubreiten, jede Phase einer Ruhe in eine Veränderung überzuleiten. Betrachten wir nun im Vergleich dazu die konstituierenden Phänomene, so finden wir einen Fluss … Aber prinzipiell ist keine Phase dieses Flusses auszubreiten in eine kontinuierliche Folge, also der Fluss so umgewandelt zu denken, dass diese Phase sich ausdehnte in Identität mit sich selbst. Ganz im Gegenteil finden wir prinzipiell notwendig einen Fluss stetiger „Veränderung“, und diese Veränderung hat das Absurde, dass sie genau so läuft, wie sie läuft. … Es ist nichts da, was sich verändert, und darum kann auch von etwas, das dauert, sinnvoll keine Rede sein.“63 „Für all das fehlen uns die Namen“, heißt es schließlich.64 Wir finden fast den gleichen Wortlaut, nur noch schärfer in den Gegensatz gestellt in den „Texten“.65 Die Schlussfolge, die aus der Beobachtung zu ziehen ist, wird schon vorangestellt: „Es fragt sich aber, ob es einen Sinn hat, im wirklichen und eigentlichen Sinn zu sagen, dass die konstituierenden Erscheinungen des Zeitbewusstseins (des inneren Zeitbewusstseins) selbst in die (immanente) Zeit fallen.“ Dass es Zeitloses im Bewusstsein, mithin zeitloses Bewusstsein gibt, ist ein Tatbestand: „Also ist es evident, dass die zeitkonstituierenden Erscheinungen prinzipiell andere Gegenständlichkeiten sind als die in der Zeit konstituierten, dass sie keine individuellen Objekte sind. … Also kann es auch keinen Sinn haben, von ihnen zu sagen … sie seien im Jetzt und waren vorher, sie folgten einander zeitlich
61 Vorles. S. 434 [68]: „So anstößig (wo nicht anfangs sogar widersinnig) es erscheint, dass der Bewusstseinsfluss seine eigene Einheit konstituiert, so ist es doch so.“ 62 Ebda. S. 466 ff. [100 ff.] 63 Vorles. § 35. S. 428 – 429. 64 Ebda. § 36. S. 429; Texte … Nr. 54. S. 237, 16 [371]. 65 Nr. 54. S. 235, 30 – 236, 31 [369 – 370].
5. Die äußere Anschauung bzw. Wahrnehmung
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nach oder seien miteinander gleichzeitig usw.“66 So unterscheiden wir am Urteilen das Urteil als Fluss und den logischen Inhalt, der in diesem erscheint.67 Es liegt an den Festlegungen der Reduktion, dass sie aus den erscheinenden zeitlosen Inhalten die Festsetzung eines zeitlosen Bewusstseins notwendig erzwingt, und damit steht ein transzendentaler Idealismus: „Die subjektive Zeit konstituiert sich im absoluten zeitlosen Bewusstsein, das nicht Objekt ist.“68 Was sich in den „Vorlesungen“ und den „Texten“ „zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins“ nun gegen Ende hin durchsetzt, das erscheint wie eine Umkehrung des Vorgehens, das wir in den „Ideen“ zur Kenntnis genommen haben. Dort wird die Zeit, da sie ja das zu Grunde liegende Absolute ist, nicht mit hereingenommen in die Betrachtung, und es ändert daran nichts, dass immanentes Bewusstsein in diesem Strom „nulla re indiget ad existendum“. Jetzt heißt es: „Also Empfindung, wenn damit das Bewusstsein verstanden wird (nicht das immanente dauernde Rot, Ton etc.; also das Empfundene), ebenso Retention, Wiedererinnerung, Wahrnehmung etc. ist unzeitlich, nämlich nichts in der immanenten Zeit. … Das sind höchst wichtige Sachen, vielleicht die wichtigsten der ganzen Phänomenologie.“69 Es ist ein überraschendes Ergebnis und ein unerwartetes, womit die „Texte“ enden, und es steht in einem bemerkenswerten Gegensatz zu Kant. Dessen Vernunft kann sich in ihrer überpersönlichen Zeitlosigkeit nur halten, indem sie jeden Inhalt der zeitunterworfenen Sinnlichkeit anvertraut. Husserl dagegen hängt am Ende die Sinnlichkeit an der Vernunft auf und lässt so das gesamte Bewusstsein (für uns Erkennen) im Zeitlosen stehen. Damit gerät er freilich in Widerstreit mit sich.70 Die Texte enden in einer tiefen Ratlosigkeit. „Sollen wir also sagen, nur das absolute Jetzt sei wirkliche Gegebenheit …? So geraten wir in einen extremen Skeptizismus. Schließlich dürften wir nicht einmal wagen, von einem Fluss des Bewusstseins zu sprechen und von irgendetwas überhaupt zu sprechen, da das absolute Jetzt nirgends fassbar zu sein scheint, wenn wir den Fluss abstraktiv abzutun und sogar in Frage zu stellen versuchen.“71 Die unauflösbaren Spannungen zwischen dem zeitlichen und dem zeitlosen Bewusstsein zwingen Husserl nun doch nach einer Intentionalität im Unterbewusstsein zu suchen, die er aber ablehnen muss, da sie doch die gesamte Phänomenologie untergräbt. 66
Texte Nr. 54. S. 236, 32. Ebda. S. 238 [372]. 68 Vorles. Beil. VI, S. 464 [98]. 69 Texte Nr. 50. S. 200 [334]. 70 Vgl. das Vorwort von R. Bernet zu den Texten, S. LIV: „Es darf jedoch nicht verschwiegen werden, dass die in den vorliegenden Texten ausgeführte Lehre von der Unzeitlichkeit des absoluten Bewusstseins und seiner Selbsterscheinung in der retentionalen Längsintentionalität noch Vieles im Unklaren lässt. Nicht nur die von Husserl in späteren Jahren noch selbst ausgeführten Zeitanalysen, sondern auch die Behandlung des Zeitproblems in der neueren phänomenologischen Bewegung insgesamt bleiben geprägt durch diese offengelassenen Fragen, Unklarheiten und ausweglosen Aporien.“ 71 Nr. 51, S. 216 – 217 [350 – 351]. 67
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§ 12 Zeit und Erkennen
„Es fragt sich nun aber, ob wir nicht sagen müssen, es walte über allen Bewusstsein im Fluss noch das letzte Bewusstsein. … es ist aber ernstlich zu überlegen, ob man solch ein letztes Bewusstsein annehmen muss, das ein notwendig „unbewusstes“ Bewusstsein wäre; nämlich als letzte Intentionalität kann sie (wenn Aufmerken schon immer vorgegebene Intentionalität voraussetzt) nicht Aufgemerktes sein, also nie in diesem besonderen Sinn zum Bewusstsein kommen.“72 Damit wäre die Einlösung gegeben. Aber dem kann Husserl letztlich nicht zustimmen, und so enden die „Texte“ mit jenem Verständnis der Intentionalität, welches das Bewusstsein ganz darin aufgehen, damit aber das Ungelöste stehen lässt: „Nur Intentionalität kann sich in Intentionalität modifizieren.“73
72 73
Texte Nr. 54, S. 248 [382]. Texte, Schlusssatz.
§ 13 Bewusstsein und Intentionalitas 1. Die unzureichende Bestimmung des Bewusstseins; Intentionalitas als Ur-Teil des Ich Man geht wohl nicht fehl, wenn man es als einen Grundzug der gesamten phänomenologischen Bewegung ansieht, dass sie Bewusstsein und Intentionalität zu einem Inhalt machen möchte.1 Dass Phänomenologie sich dann nicht mit einem Unterbewusstsein herumzuschlagen hat, leuchtet ein; Tiefenpsychologie kann für Husserl überdies nur eine Parallele zum Realismus bedeuten. Bei aller Anerkennung des Letzteren folgt aber für uns ganz und gar nicht das Erstere. Es verhält sich eben keineswegs so, dass sich Bewusstsein in Intentionalitas erschöpft, sei sie auch darin unauslotbar, wenn man sich den Untiefen der „Psyche“ verschließt, um sich auf den Grundsatz einzulassen, der da sagt: Alles Bewusstsein ist Bewusstsein von etwas. Diese Selbstverständlichkeit ist ein Sammelplatz für alles sich entzweiende Denken, und sie wird mit der ersten Grundeinsicht des Selbstbewusstseins so nebenbei gegeben. Sage ich, dass alles, was mit meinem Ich in Verbindung steht, von meinem Bewusstsein erstellt wird, so ist die Beziehung das Mindeste. Was immer erscheint, wird von mir erstellt, und Bewusstsein als reine Beziehung von … ist dann jenes Bewusstsein, welches nie mit dem Erstellten oder Gewussten zusammenfällt. Also dürfte das Bewusstsein nie erscheinen, und so gäbe es auch kein Selbstbewusstsein. Husserl liebt es, die Bildtheorie des Realismus ad absurdum zu führen; angeblich führte dies zu einem regressus ad infinitum.2 Aber dieser ausweglose Zustand, der immer erneut zurücksetzt, müsste doch weit eher aufleuchten, wenn ich von einem Bewusstsein ausgehe, das sich mit Intentionalitas auswechseln lässt. Tatsächlich liegt es in dieser Absicht dann, dass Bewusstsein als Bewusstsein von … sich wie ein ichloses Erkennen loslöst von einem Rumpf-Ich, das irgendwie dasein muss, um einem so verstandenen Bewusstsein Einhalt zu gebieten im regressus ad infinitum. Es ist aber gerade die Forderung meines Erkennens, dass dieses tragende Rumpf-Ich nicht jene Psyche der Tiefenpsychologie sein kann, die wir nur erschließen aus einem Verhalten, welches überhaupt keinen erkenntnismäßigen (phänomenologischen) Zusammenhang offenlegt. Dieses Ich, das wir Gemüt nennen, liegt der unmittelbaren Betrachtung, also der transzendentalen Reduktion auch, als ein anderes „Erlebnis“ 1 De Waelhens, A.: Die phänomenologische Idee der Intentionalität. In: Husserl et la Pensée Moderne. [Franz.-dt.] S. 129 – 142. (Phänomenologica; 2). „„Bewusstsein ist Intentionalität“: das steht gewiss – für Husserl – außer Frage.“ 2 In den „Ideen 1“ und in der „Idee d. Phänomenologie“ taucht dieser für uns völlig ungeklärte Einwand immer wieder auf.
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§ 13 Bewusstsein und Intentionalitas
als das „Erlebnis des Erkennens“ nicht weniger offen, und dennoch hat es die Phänomenologie gründlich verfehlt. Indem sie nämlich vom Erlebnis des Erkennens spricht, hat sie bereits in sinnbildlicher Wortwahl sich die Möglichkeit entgehen lassen, dessen Eigennatur gegenüber dem Bewusstsein als Beziehung von … herauszustellen. Das transzendentale Ego versteht sich als rein „intentionales“ Ego, und es beansprucht das Erleben für seinen ursprünglichsten Sinngehalt. Aber so kann es sich nicht halten und muss heimlich in die andere Zone überwechseln; es verlässt im entscheidenden Augenblick seine Eingründung, um scheinbar die Wirklichkeit in der Einheit eines Begriffes zu bewältigen. Wir haben uns dem Zeitbewusstsein in der Phänomenologie nur deshalb so eingehend gewidmet, weil hier besonders deutlich wird, worum es geht. Husserls unübersehbares Werk vermittelt in dem, was veröffentlicht ist, den Eindruck, als ob eine Phänomenologie des Gemütes, vor allem des sittlichen und Kultur bildenden Gemütes, nur in der Abfolge der Zeit zu kurz gekommen sei; so als gälte es, zuerst das Grundlegendere zu klären. Aber dieser Eindruck ist eine Selbstaussage der Phänomenologie, die eben ihre Einseitigkeit schon bekundet. Es ist einsichtig, dass die transzendentale Reduktion so beginnen muss, wie sie es in der Tat auch ausführt. Dazu gehört mit innerer Folgerichtigkeit die Einschließung auf das intentionale Ich, die Einklammerung dessen, was sich als Urbestand der Gemütszone offensichtlich ausweisen kann. Dann wird die Selbstbeobachtung des Selbst-Erkennens den Anfang machen und den Grundstein legen. Hier kann Sein nur den Anfang machen innerhalb der Sphäre. Allein zu diesem so beschlossenen Anfang gehört das Selbstverständnis einer Teilzone als ursprünglichste Aussage. Die Phänomenologie Husserls lässt dieses Eingeständnis vermissen, und so nur entsteht der Eindruck, als ob die Phänomenologie des Gemütes noch kommen würde. Husserls reines Ich ist ein Ur-Teil des Ich, aber er tut so, als sei es ein Absolutum, quod nulla re indiget ad existendum. Der Anfang geschieht rein in der Vorstellung, gleichsam „ichlos“, weil es unnötig ist, mit dem Verwickelten von Gemüt und Erkennen zu beginnen, wenn es auch einfach geht. Anders käme man kaum zu klaren Festsetzungen. Aber dies geschieht um des Aufschlusses und um der Klarheit des Anfangs willen. Dann hat die Phänomenologie ihr einziges großes Gebiet zu entdecken, von dem aus allein sich der alles begründende und alles verbindende Sinnzusammenhang von Sein und Bewusstsein sich lichten kann: Es dreht sich alles um das Verhältnis von Gemüt und Erkennen in einem geschlossenen Bewusstsein. Indem Husserl diesen Anfang als Teilzone des Bewusstseins so gar nicht ausgibt, erstellt sich diese Phänomenologie in ihrer Eigentümlichkeit. Es ist ein sorgfältiges Ausleuchten nach dem Verhältnis von Noesis und Noema, aber damit verbleibt sie im Grunde immer in der Teilzone. Es bleibt beim reinen Schauen, das keine Begründung sucht, auch nicht suchen darf. Denn der Zweck enthüllt sich nur am Verhältnis von Gemüt und Erkennen, welches sich aber nur erschließen kann, wenn das Gemüt in seiner anderen Gegebenheit angenommen und untersucht wird. Wenn nun Bewusstsein rein als Intentionalität ausgegeben wird, so entnehmen wir dem den Hinweis dafür, dass Bewusstsein nur als Erkennen in den veranstaltenden Grund
1. Die unzureichende Bestimmung des Bewusstseins
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aufgenommen worden ist. Es bedeutet in einem mathematischen Gleichnis, dass hier zwei Unbekannte, nämlich Sein und Bewusst-Sein, mit einer einzigen Gleichung ermittelt werden sollen. Es gibt nur eine Grundgleichung in der Phänomenologie, und das Gemüt hält nur den Rang einer davon abgeleiteten Beziehung. Das Gemüt ist aber als zweite Grundgleichung des Bewusstseins gegeben. Der Inhalt der Phänomenologie kommt über den Begriff einer Teilwirklichkeit nicht hinaus. Darum ist dieser Weg der Phänomenologie nocheinmal zu gehen. Indem die so auszuführende Phänomenologie im Zusammenwirken der Ur-Teile ihr eigentliches und aufschlussreiches Gebiet und Anliegen entdeckt, gelangt sie zunächst einmal zu der Einsicht, dass nur so das Bewusstsein sich schließt, indem das Subiectum nach seinem vollen Gehalt auch zum Obiectum werden kann. Aber dies heißt nicht, dass das Vorstellende nach seinem vollen Inhalt zum Vorgestellten voll genügt. Man wird uns dann aber auch abnehmen, dass wir hier nicht vorweg das Verhältnis angeben können, wenn es sich als die eigentliche Darstellung entwickeln soll. Am Beispiel der Zeit soll nur Vorläufiges in Aussicht gestellt werden. Wir bemerken, dass diese allgemeine Verfassung des Bewusstseins als Grundbefindlichkeit des Gemütes gegeben ist; das Gemüt ist uns in seiner untersten Schicht als inhaltslose Zeit gegeben, und alles fällt nun in den Zeitfluss. Was immer an Gemütsbewegungen in uns vor sich geht, ist von Zeit durchtränkt und also damit ineins gegeben. Wollten wir der Zeit als „innerer Wahrnehmung“ eine Intentionalitas zubilligen, so wie wir der äußeren Wahrnehmung ein Bewusstsein von … zuerkennen, so ergäben sich jene Unstimmigkeiten, mit denen Husserl zu kämpfen hat. Es lässt sich aber dann schon soviel ablesen. Der Zeit eignet keine Intentionalitas wie der äußeren Wahrnehmung, denn sie ist keine Wahrnehmung, sondern ein Wahrgenommenes. Anders müssten Hunger, Durst, Schmerz und Lust usw. jeweils ihre eigene Intentionalitas haben. Was Husserl an der Zeit bemerkte, ist nur ein allgemeines Befinden des Gemütes, welches sich an jeder Art von Gemütsbewegung im besonderen ausformen müsste. Wir hätten schließlich eine hierarchia intentionalitatum, die zu denselben Schwierigkeiten führte, die an Platons Ideenlehre sich als unlösbar bemerkbar machen. Das Gemüt und alles, was in diese Zone gehört, hat seine eigentümliche Gegebenheit, die es von den Begriffsvermögen unterscheidet. Es kann keine Intentionalitas besitzen, weil sonst nur Ungereimtes im Begriff des Bewusstseins sich einstellte. Es bedarf aber auch keiner Intentionalitas, weil dies zu einer unsinnigen Verdoppelung ad infinitum im Bewusstsein führen würde. Es sind einfache Beobachtungen des alltäglichen Gemütslebens, des sinnlichen und des geistigeren Vermögens, die uns zu dieser Annahme führen, dass Gemüt und Erkennen sich in ihrer Grundverschiedenheit ergänzen. Dann leuchtet ein, dass nichts sich so in der einen Anlage wiederholen kann, wie es in der anderen angelegt ist. Damit aber beginnt erst die Betrachtung um das Geheimnis Bewusstsein: Wie erfährt sich Gemüt am Erkennen? Wie unterscheidet sich diese Gegebenheit vom Fremdgegebenen und vom Erkennen als Selbstvorstellung? Die Ur-Teile oder die Anteile, wie immer man es nennen mag, zeigen sich in mannigfaltigen Weisen des in Beziehung Tretens zueinander, und jetzt
152
§ 13 Bewusstsein und Intentionalitas
scheint es so, als ob darin die ganze Arbeit bestände: Dass wir diese möglichen Bezugsformen und Zusammenstellungen als Züge von Wirklichkeit bestimmen.
2. Die Zeit als Gemütsgrund; Gegebenheit oder Wahrnehmung? Ungeachtet der großen Fragen, die sich nun erst angekündigt haben, können wir aber jetzt eine hinreichende Möglichkeit sehen, um jenes Unstimmige von Zeitstrom und zeitlosem Bewusstsein in eine gewisse Zuordnung zu bringen. Wir haben gesehen, wie die Auffassungen in der phänomenologischen Betrachtungsweise in Widerstreit miteinander geraten sind. Wie kann der stetig fließende Zeitstrom als tiefster Grund im Bewusstsein seine eigene Zeiteinheit erstellen? Wie kann er sich in einzelne Strömungseinheiten unterteilen, die unlösbar im strömenden Medium angesetzt sind, dort ihre Zeitstelle haben, die sich nicht ändert? Denn es ändert sich nicht die Zeitstelle, es ändert sich nur der Abstand zum Nullpunkt, der sich als das Jetzt zu erkennen gibt. Diese Fragen müssen sich als ausweglos erweisen, wenn ich die Zeit als innere Wahrnehmung parallel zur Raumwahrnehmung ansetze, so wie Kant und Husserl es auch tun. Ich gehe dann von einem Parallelismus einer „Raumintentionalität“ und einer „Zeitintentionalität“ aus und übersehe, dass Zeiterleben etwas ganz anderes ist als Raumvorstellung. Dabei handelt es sich innerhalb der immanenten Wahrnehmung auch beim Raum schon um eine Verdrehung von Wahrnehmung und Wahrgenommenem. Gewiss bedeutet innerhalb der Sphäre der Raum die Ermöglichung des Raumes, so dass transzendental die Raumvorstellung mit dem Noema Raum zusammenfällt. Aber liegt hier nicht eine Gleichsetzung von Noesis und Noema vor, die sich in einer höheren Synthesis einfach deshalb eingeschlichen hat, weil jenseits des Raumes nichts mehr erscheint, was wahrnehmbar wäre. Bedenkt man indes, dass der Raum seine Gegebenheit im Sehen nicht allein, sondern auch im Hören und Tasten hat, so haben wir es noch mit übersetzten Intentionalitäten zu tun. Desungeachtet erweist sich also die Zeit von anderer Zugehörigkeit im Bewusstsein, und wenn Husserl schließlich vom zeitlosen Bewusstsein spricht, so muss er eigentlich „gegen den Strom“, entgegen seinen Voraussetzungen und entgegen der demgemäß zur Verfügung stehenden Möglichkeit einer Erklärung das „Widersinnige“ einsehen. Allein solcher Widerstreit der Gründe ergibt sich eben nur, wenn ich davon ausgehe, dass Zeit und Erkennen einem einzigen Bewusstseinsgrund, einem Ich-Pol entspringen. Dem ist jedoch nicht so. Wenn die Zeit dem Gemüt entspringt, so ist Erkennen für sich zeitlos. Dann erledigt sich das Rätsel, wie kann der Zeitstrom seine eigene Einheit erstellen, von selber. Es ist gerade nicht der Zeitgrund, der sich selber ins Maß setzt; dieser vermag in der Tat nichts mehr als strömend zu sein. Nur das zeitlose Erkennen erstellt ein Nichtzeitliches in die Zeitströmung. Die Frage, die aber hier zurückbleibt, wurde in allgemeiner Fassung schon gestellt. Wie nimmt das
2. Die Zeit als Gemütsgrund; Gegebenheit oder Wahrnehmung?
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zeitlose Bewusstsein das Zeitliche wahr? Wie teilen sich Erkennen und Gemüt gegenseitig mit? Die Antwort gerät zu einer Ontologie. Wir wollen an dieser Stelle nicht übersehen, dass der phänomenologische Begriff vom Ich in dieser Hinsicht mit einem Vorteil ausgestattet ist. Die Frage der Vermittlung in den Zonen, der Selbstmitteilung im Ich, die für uns noch ohne Lösung dasteht, löst sich in der Fassung dieses Ich von selber. Denn Intentionalitas birgt in sich Identitas, das Selbst fügt sich nicht als eine Ich-Einheit aus Ur-Teilen zusammen, es ist Verselbigung. Dieses reine Ich offenbart sich als Wirkung nach zwei Ansichten, und Sinnlichkeit, sei es erkenntnismäßige oder gemütsmäßige, vermittelt dann nur noch nach außen. Die Hindernisse erscheinen freilich schon da, wo Husserl reines Schauen als geradezu ichloses Erleben des Erkennens wahrnehmen möchte. Es ist durchaus nicht so, dass der Unterschied von Gemüt und Erkennen die phänomenologische Sphäre überschreiten würde in eine metaphysische Setzung. Der Unterschied springt sofort in die Augen als die zweite Grundeinsicht des Selbstbewusstseins. Der Vergleich mit der Verschiedenheit zwischen Sehen und Hören trifft zwar nur schlecht das Verhältnis, diese dürfte jedoch weniger beträchtlich sein als jene Verschiedenheit.
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Schriftenverzeichnis
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Sach- und Personenverzeichnis Abschattung 47, 54, 58, 81, 107, 116, 117, 141 Absolute Gegebenheit 30, 32, 33, 34, 36, 68 ff., 91, 143, 145 Absolutes Bewusstsein 66, 113 ff., 129 Absolutes Ich, s. u. Ego absolutum Adäquate Wahrnehmung 112, 116 Äußere Wahrnehmung 141 ff. Analogieschluss 62, 81, 83, 84, 87, 96 Anschauen und Denken, s. u. Sinnlichkeit und Vernunft Apperzeption 18, 38, 83, 87 ff. , 89, 91, 93, 97, 132, 139 Appräsenz 62, 82, 88, 89, 92 Aristoteles 9, 15, 16, 36, 52, 67, 91, 101 Assertorische Evidenz 40Augustinus, Aurelius 12, 13, 14, 15, 99 ff., 141 Assoziation 88, 93 Außeneinstellung 82, 88, 94 Bollnow, Otto 28 Brentano, Franz 104 ff. Cogitatio 11, 13, 21, 37, 53 Denkakt 38, 62, 63, 81, 84, 88, 91, 94, 96 Descartes, René 9, 11 ff., 37, 42, 100, 122 Doppelte Intentionalität 110, 130 Ego absolutum 95 ff., 132 Ego concretum 92, 93, 95 ff., 97, 132, 143 Egologische Immanenz 29 Eidetik 24, 35, 140, 145 Einbildungskraft 13, 138, 141 Einfühlung 83, 85, 86, 93, 95, 97, 132 Empirisches Ich 18, 20, 21, 122 ff., 137 Entelecheia 16 Erinnerung, s. a. Retention (primäre Erinnerung), s. a. Reproduktion (sekundäre Erinnerung) Erinnerung 99 ff., 130, 141
Erkennen und Gemüt 69, 91, 93, 104, 122, 125, 126, 142, 150 Erlebnis 34, 35, 36, 52, 53, 54, 56 ff., 68, 131 Essentia 17, 56, 57, 59 Evidenz 38, 39 ff. Existentia 17, 38, 56, 57, 59 Fernüberschiebung 62, 85, 88, 91, 93, 97, 114 Geistiges Ich 94 Gemeinsinn, s. u. sensus communis Gemüt und Erkennen, s. Erkennen und Gemüt Hegel, G. W. F. 35 Heraklit 100 Hume, David 12 Ichpol 66, 80, 86, 122, 152 Ideation s. u. Eidetik Identität 71 Identitas 18, 22, 31, 71, 75, 78 ff., 91, 94, 103, 123, 125 Immanente Transzendenz 35, 57, 58 Immanente Wahrnehmung 54, 152 Immanente Zeit 129 ff., 143, 146 Immanentes Sein 33, 34, 51, 62, 68 ff., 70, 91 Inadäquate Evidenz 40, 55 Inneneinstellung 82, 85, 88, 92, 94 Innere Wahrnehmung 54, 141 ff. Intellectus agens 87 Intellectus possibilis 41 Intentionalität 27, 37, 43, 53, 64 ff., 74, 103, 119, 122, 124, 128 ff., 148 Intentionalitas 18, 22, 75, 76, 78 ff., 91, 94, 103, 123, 149 ff. Intersubjektivität 32, 61 ff., 76, 83, 87, 90 ff., 132 ff. Irreell 115 ff., 145
Sach- und Personenverzeichnis Kant, Immanuel 12, 15, 17, 18, 37, 41, 54, 57, 69, 95, 97, 99 ff., 101, 134 ff., 141 ff. Kompräsenz 82 Längsintentionalität 110 ff., 118, 143 Lebenswelt 9 Mathesis universalis 26, 30 Metaphysischer Idealismus 12, 13 ,14 Metaphysischer Realismus 12, 15 Methodischer Zweifel 11 Modi cogitandi 13 ,20 Monadengemeinschaft 62, 63, 64, 81, 95 Naiv 64 Negativer Verstand 41 Noema 13, 14, 16, 19, 21, 32, 39, 68, 93, 105, 122, 125, 134, 143 Noesis 11, 13, 14, 16, 19, 21, 30, 32, 38, 39, 59, 68, 91, 105, 122, 125, 134, 143 Nous 16 Objektive Zeit 107, 111, 114 ff., 118, 130, 144 Ontologismus 17 Ousia 16 Paarung 88, 93 Passive Intentionalität 124 Passive Synthesis 88 Phänomenologische Psychologie 30 Phänomenologisch-psychologische Reduktion 32, 49 ff., 54, 58 Platon 9, 15, 23, 36, 41, 67, 141, 151, Präsentation 62, 85 Praktische Vernunft 74, 78, 133 Primäre Erinnerung s. Retention Primordialzone 61, 81, 85, 88 ff., 92, 96, 132 Protention 100, 111 Psychische Region 52 ff. Psychologische Immanenz 29 Psychologisch-phänomenologische Reduktion, s. Phänomenologisch-psychologische Reduktion Psycho-physische Einheit 63, 86 Querintentionalität 110 ff., 118, 143
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Rationale Reduktion 9 Reale Immanenz 33 Reale Transzendenz 33 Rechtsgrund 38, 41 Reelle Immanenz 32, 33, 35, 38, 68, 115 ff., 141 Reelle Transzendenz 33, 35, 115 ff., 142, 145 Reines Ich 18, 22, 23, 28, 29, 31, 63, 66, 68 ff., 76, 79, 81, 86, 89, 93, 97, 122 ff., 127, 129, 132, 134 ff., 150, 153 Reines Schauen 35, 69, 96, 122, 127, 143 Reproduktion 107, 110, 117 ff., 129, 145 Retention 100, 103 ff., 111, 116, 117 ff., 143, 145 Rezeptivität 101, 134, 140 Schopenhauer, Artur 31, 34, 50, 84, 122 Seelisches Ich 20, 28, 29, 31, 35, 81, 132 Sekundäre Erinnerung s. Reproduktion Sensus communis 42, 87, 130 Sinnesüberschiebung 62, 85, 88 Sinnlichkeit und Vernunft 20, 35, 37, 44, 52, 57, 61, 63, 97, 136, 139, 143, 145 Spontaneität 101, 138, 140 Subjektive Zeit 113 ff., 128 ff. Synthesis speciosa 140 Synthetische Apperzeption, s. u. Apperzeption Theoretische Vernunft 78, 133 Transzendentale Wahrnehmung 54 Transzendentales Ego 29, 30, 31, 42, 50, 52, 54, 61, 82 Transzendentales Schema 18, 134, 137 ff., 140 Triebintentionalität 124 Unmittelbare Einsicht 17, 78, 91 Unmittelbare Gewissheit 17, 78, 91 Urbewusstsein 112 Urempfindung 112 Urimpression 105 ff., 120, 144 Urpräsenz 82 Verklammerung (von Wissen) 35, 88, 98 Verschmelzung 88, 91 Vorstellungskraft 138 ff.
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Sach- und Personenverzeichnis
Wahrnehmung, s. a. Äußere Wahrnehmung, s. a. Immanente Wahrnehmung, s. a. Innere Wahrnehmung Wahrnehmung 112 ff., 120, 141 ff. Wesensschau, s. u. Eidetik Wiedererinnerung, s. Reproduktion Willensintentionalität 13, 124, 127
Zeit, s. Immanente Zeit, s. Objektive Zeit, s. Subjektive Zeit Zeitdauer, s. Objektive Zeit Zeitfluss, s. Subjektive Zeit Zweck 70, 91, 150