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German Pages 410 Year 2021
Evelyn Reuter Die Mehrdeutigkeit geteilter religiöser Orte
rerum religionum. Arbeiten zur Religionskultur | Band 8
Editorial Religion ist ein Kulturphänomen. Sie zeigt sich in Kunst und Gesellschaft, in Ethos und Recht, in Sprache, Konsumkultur, Musik und Architektur. Eine Deutung spätmoderner Religion wird sich darum immer auch auf weitere Segmente der Gegenwartskultur einlassen müssen. Dies gilt auch und gerade aus der Perspektive der Religionsforschung innerhalb und außerhalb von Theologie. Jenseits der überkommenen polarisierenden Orientierungen am isolierten Subjekt oder am dogmatischen Normenkanon rückt Religion als dynamische Ausdrucksform performativer Praxis ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Religionswissenschaft, Praktische Theologie und Kulturwissenschaft stellen sich dieser Aufgabe in je spezifischen Theoriezugriffen. Dabei werden Differenzen und Deutungskonflikte, Geltungsansprüche und Übergänge kenntlich gemacht und aufgeklärt. Denn die Frage nach religionskulturellen Formaten korreliert mit der nach religiösen Traditionen, theologischen Normierungen und sozialen Zuschreibungen. Diskurse zu Religion werden so in Bezugnahme auf religionstheoretische Fragehorizonte zum Gegenstand interdisziplinären Austauschs – empirisch, philologisch und historisch vergleichend. Die Bände dieser neuen Reihe widmen sich in unterschiedlicher Weise kulturellen Phänomenen und deuten sie semiotisch und ästhetisch in ihrer geschichtlich gewordenen Gestalt. Im Horizont fachlich gebundener Herangehensweisen wissen sich die Herausgeberin und die Herausgeber in besonderer Weise der Frage nach der Relevanz ihres Gegenstands verpflichtet. Die Reihe wird herausgegeben von Klaus Hock, Anne Koch und Thomas Klie.
Evelyn Reuter, geb. 1988, ist Lehrbeauftragte an den Universitäten Bremen und Jena. Sie promovierte in den Südosteuropastudien an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre umfassen qualitativempirische Religionsforschung in postsozialistischen Transformationsprozessen, Religionskontakte, religiöse Minderheiten und Islam in Europa.
Evelyn Reuter
Die Mehrdeutigkeit geteilter religiöser Orte Eine ethnographische Fallstudie zum Kloster Sveti Naum in Ohrid (Mazedonien)
Publiziert mit der Hilfe von Druckkostenzuschüssen der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft (DGMW), der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKMD) sowie der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB). Dissertation, Friedrich-Schiller-Universität Jena, 2019
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2021 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Kloster Sveti Naum zum Sommerfeiertag (2018), © Evelyn Reuter Lektorat: Anna Siebert, Berlin Satz: Frank Hamburger, Rostock Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5519-3 PDF-ISBN 978-3-8394-5519-7 https://doi.org/10.14361/9783839455197 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download
Inhalt
Abbildungen/Karten | 8 Abkürzungen | 9 Danksagung | 11 Anmerkungen zu Schreibweisen und Begrifflichkeiten | 13 1 Einleitung | 17
1.1 Wissensstand | 19 1.2 Problemstellung | 21 1.3 Fragestellung, Zielsetzung und Verortung | 24 1.4 Gliederung | 29
I. THEORETISCHE UND HISTORISCHE HINTERGRÜNDE ZUM KLOSTER SVETI NAUM Geteilte religiöse Orte: Forschungsstand und Theorie | 35 2.1 Shared – Beteiligte, Praktiken und Konsequenzen des Teilens | 35 2.2 Religious/Sacred – Bewertungskategorien und Deutungsansätze | 48 2.3 Places/Spaces – Gegenstand und Arena von Aushandlungsprozessen | 66 2.4 Fazit: Naum und sein Kloster als zwei mehrdeutig geteilte religiöse Orte | 78
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Religionen im Forschungsfeld | 83 3.1 Religiöse Vielfalt als Ausgangspunkt der gegenwärtigen Situation | 84 3.2 Politisierung multireligiöser und multiethnischer Gemeinschaften | 97 3.3 Religion in den ethnisch und religiös pluralen Gesellschaften der Gegenwart | 118 3.4 Fazit: Religion, Politik und Kultur im Wechselspiel | 136
3
4
Naum und sein Kloster in historischer Perspektive | 137
4.1 Naum: Die Geschichte des Klostergründers | 138 4.2 Klostergeschichte als Spiegel der Heiligenverehrung | 156 4.3 Fazit: Naum und sein Kloster als Schnittstellen religiös-kultureller Deutungsprozesse | 178
II D AS KLOSTER SVETI NAUM ALS WIMMELBILD: ERGEBNISSE DER FELDFORSCHUNG Religionsethnologische und multilokale Feldforschung | 185 5.1 Thematischer und sprachlicher Zugang zum multilokalen Feld | 186 5.2 Dichte teilnehmende Beobachtung im multilokalen Feld | 195 5.3 Verbale Kommunikation als Hauptinformationsquelle | 199 5.4 Als deutsche Forscherin in einem männerdominierten religiösen Feld | 204 5.5 Materialbasierter Ergebnisgewinn: Dokumentation und Auswertung | 208
5
6 Naums Grab und sein Kloster in den Verhandlungen religiöser Deutungen | 213
6.1 Agierende Gruppen in ihren inter- und intrareligiösen Beziehungen | 214 6.2 Naums Grab als Kern der Klosterkirche | 222 6.3 Muslimische Perspektiven auf Grab- und Klosterbesuch | 236 6.4 Fazit: Interreligiöse Einigung | 249
7 Das Naum-Kloster als Ziel von Pilgerreisen, Religions- und Freizeittourismus | 255
7.1 Motivationen von Pilgerreisen, Religionstourismus und Freizeitaktivitäten | 257 7.2 Der religiöse Kern als Ziel von Pilgerreisen und Religionstourismus | 264 7.3 Der äußere Bereich des Klosterkomplexes als Ort für Erholung und Freizeitaktivitäten | 273 7.4 Fazit: Das Kloster zwischen Pilgerfahrt und Sightseeing | 280
Das Naum-Kloster als Wirtschaftsstandort | 283 8.1 Dienstleistungen im Tourismus- und Freizeitgewerbe | 285 8.2 Handel mit kulturtouristischen Andenken im Klosterkomplex | 293 8.3 Jahrmarkt zum Sommerfeiertag | 299 8.4 Die religiösen Güter der Klosterkirche und der Handel mit dem Heiligen | 305 8.5 Fazit: Religionsökonomische Dimensionen des Naum-Klosters | 316
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9
Naum als religiöser und politischer Identitätsstifter | 321
9.1 Naum als Lokalheiliger | 322 9.2 Die subtile staatspolitische Relevanz von Naum und seinen Kirchen | 334 9.3 Das Naum-Kloster als Spiegel ethnisch-nationalen Miteinanders | 344 9.4 Fazit: Politische Dimensionen des Lokalheiligen und seines Klosters | 352 10 Resümee | 357 11 Nachweise | 363
Abbildungen/Karten Abb. 1: Kreismodell der Mehrdeutigkeit | 81 Abb. 2: Der 1818 von Ismail Bey errichtete Brunnen | 162 Karte 1: Übersichtskarte über den Klosterkomplex am Eingang desselben | 181 Karte 2: Lage des Klosters im multilokalen Feld (Kartendaten © 2020 Google) | 192 Abb. 3: Pyramide nach Lederach (1997) | 215 Abb. 4: Naum-Ikone in Kapelle bei najazma | 226 Abb. 5: Naum spannt den Bären vor den Pflug (Abb. von Gabriele Bauer) | 241 Abb. 6: Sarisalltiku-Ikone in Çaushli | 244 Abb. 7: Naums Grab | 267 Abb. 8: Holzstatue Sveti Naum von Boris Džeparovski | 288 Abb. 9: Jahrmarkttreiben am Vormittag des 3. Juli | 300 Abb. 10: Familie führt in Begleitung der Roma-Band ein Lamm um die Kirche | 313 Abb. 11: Ringmodell zum Raumkonzept | 352 Soweit nicht anders angegeben bin ich Urheberin und Rechteinhaberin der verwendeten Abbildungen und Karten.
Abkürzungen
Abb. Abbildung alb. albanisch BKMS bosnisch, kroatisch, montenegrinisch, serbisch blg. bulgarisch EN Erinnerungsnotiz(en) etc. et cetera f Folgende Gen Genesis, bezieht sich auf das erste Buch im Alten/Ersten Testament griech. griechisch IVZ Islamska Verska Zaednica (Islamische Glaubensgemeinschaft) Joh Johannesevangelium KMSh Komuniteti Mysliman i Shqipërisë (Muslimische Gemeinschaft Albaniens) KOASh Kisha Ortodokse Autoqefale e Shqipërisë (Autokephale orthodoxe Kirche Albaniens) Kor Korinther, bezieht sich auf die Briefe von Paulus an die Gemeinde in Korinth KOVZ Komisija za Odnosi so Verskite Zaednici i Religiozni Grupi (Kommision für Beziehungen mit Glaubensgemeinschaften und Religionsgruppen) maz. mazedonisch MPC Makedonska Pravoslavna Crkva (Mazedonisch Orthodoxe Kirche), seit 2009 mit dem Beinamen Ohridska Arhiepiskopija (Ohrider Erzbistum) PN Persönliche Nachricht SDSM Sozialdemokratski Sojuz na Makedonija (Sozialdemokratischer Bund Mazedoniens) SPC Srpska Pravoslavna Crkva (Serbisch Orthodoxe Kirche) türk. Türkisch
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UÇK Ushtria Çlirimtare e Kosovës (Befreiungsarmee Kosovos) vgl. vergleiche VMRO Vnatrešna Makedonska Revolucionerna Organizacija (Innere Makedonische Revolutionäre Organisation) Vnatrešna Makedonska Revolucionerna Organizacija-Demokratska VMRO- DPMNE Partija za Makedonsko Nacionalno Edinstvo (Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation – der Demokratischen Partei für Makedonische Nationale Einheit) v.u.Z. vor unserer Zeitrechnung
Danksagung
Die vorliegende Studie ist die überarbeitete Fassung der Dissertation, die ich im September 2019 bei der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena eingereicht habe. Die Promotion war für mich eine spannende Reise zu einem anfangs mehrdeutigen Ziel, die ich trotz manch schwerer Momente nicht missen möchte, weil ich die vielen neuen Eindrücke sehr genossen habe. Dabei haben mich viele Menschen begleitet und mir geholfen, meinen Weg zu finden, denen ich hier meinen Dank aussprechen möchte, die ich jedoch nicht alle namentlich nennen kann. An erster Stelle bedanke ich mich bei meinem Doktorvater, Prof. Dr. Dr. h.c. Thede Kahl, der mich dazu ermutig hat, diese Arbeit zu schreiben, und mich insbesondere in organisatorischen Angelegenheiten unterstützt hat sowie mir große Freiheiten im Arbeitsprozess und in Bezug auf die Inhalte gelassen hat. Daneben gilt mein Dank meiner Zweitbetreuerin, Prof. Dr. Anne Koch, die meine Arbeit mit großem Interesse begleitet hat und mir durch die Aufnahme in ihr Kolloquium neue Einsichten in die kulturwissenschaftliche Religionswissenschaft ermöglicht hat. In der Anfangsphase haben mir Dr. Tsypylma Darieva, Dr. Petra HimstedtVaid und Prof. Dr. Florian Mühlfried bei der Entwicklung meiner Ideen geholfen, denen ich für die inspirierenden Gespräche und Hinweise danke. Darüber hinaus wäre es mir ohne Stipendien nicht möglich gewesen, mich dreieinhalb Jahre intensiv mit meinem Forschungsprojekt zu beschäftigen. Daher danke ich stellvertretend Dr. Almuth Hattenbach und Dr. Knuth Berner vom dem Evangelischen Studierendenwerk Villigst für die Förderung von März 2016 bis Februar 2019, mit der viele anregende Begegnungen verbunden sind. Prof. Dr. Irene Dingel und Prof. Dr. Johannes Paulmann danke ich für die Aufnahme als Stipendiatin im Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz. Dort konnte ich von März bis August 2019 meine Dissertation in produktiver Umgebung und im regen Austausch vor allem mit anderen Stipendiat:innen konzentriert abschlie-
12 | Danksagung
ßen. Besonders bedanke ich mich bei Dr. habil. Manfred Sing für sein Interesse, die er mir als Mentor in Beratungsgesprächen entgegenbrachte. Auch meinen Begleiter:innen und Informant:innen während der Feldforschung in Mazedonien, Albanien und in Kosova möchte ich an dieser Stelle danken. Stellvertretend seien namentlich Dr. Elizabeta Koneska und Dr. Dragica Popovska genannt, die mir mit religionsethnographischem Rat zur Seite standen und mich mit weiteren Personen in Kontakt brachten. In diesem Zusammenhang danke ich auch Prof. Dr. Cecilie Endresen für ermutigende Unterhaltungen, die mir mit ihrem historisch-ethnographischen Ansatz zur Erforschung religiöser Phänomene in Südosteuropa zum Vorbild wurde. Ich danke weiterhin den Herausgeber:innen von rerum religionum. Arbeiten zur Religionskultur für die Aufnahme meiner Arbeit in ihrer Reihe sowie für hilfreiche Hinweise zur Bewältigung der Herausforderung bei dem ersten eigenen Publikationsprojekt. In diesem Zusammenhang danke ich auch der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns (ELKB), der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKMD) sowie der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft (DGMW) ausdrücklich für die Gewährung von Druckzuschüssen zur Realisierung des vorliegenden Buches. Nicht zuletzt bedanke ich mich bei meinen Kolleg:innen und Freund:innen, die mir mit konstruktiver Kritik und aufbauenden Worten durch die verschiedenen Phasen geholfen haben. Namentlich möchte ich all jenen danken, die meine Arbeit in Teilen gelesen: Cem Kara, Gerd Koch, Sebastian Lambertz, Norbert MappesNiedieck, Laura von Ostrowski, Martin Rötting und Zsofía Turóczy. Sie haben mir alle mit ihren verschiedenen Perspektiven geholfen, meine Gedanken inhaltlich zu präzisieren und klar verständlich zu formulieren. Ein besonderer Dank gilt Anna Siebert, die in kurzer Zeit meine ganze Arbeit sorgfältig lektoriert hat. Schließlich richtet sich mein Dank an meine Familie, die mir den nötigen Freiraum gewährt hat, den ich für diese Reise gebraucht habe, und von der ich gelernt habe, immer weiter Fragen zu stellen.
Anmerkungen zu Schreibweisen und Begrifflichkeiten
Wichtige Ausdrücke werden in der jeweiligen Lokalsprache kursiv und mit deutscher Übersetzung wiedergegeben. Begriffe aus Sprachen mit nichtlateinischem Alphabete sind zur leichteren Lesbarkeit im Fließtext den jeweiligen Regeln entsprechend wissenschaftlich transliteriert, in Fußnoten dagegen in der jeweiligen Standardschrift gehalten. Begriffe und Ausdrücke werden dann auf Deutsch und/ oder in einer deutschen Schreibweise wiedergegeben, wenn sie geläufig sind. Dazu gehören etwa »Derwisch« (maz. derviš; alb. dervish; türk. derviş) oder »Sufi-Orden« als Übertragung des weniger gängigen, aus dem Arabischen stammenden Begriffs »Tariqa« (vgl. Kara 2019: 51) sowie Namen bekannter historischer Figuren wie Kyrill und Method. Die Namen von Organisationen und Parteien verwende ich in der Originalsprache und gegebenenfalls mit einer daran angelehnten Abkürzung. Bei der ersten Erwähnung folgt zudem die deutsche Übersetzung, etwa Makedonska Pravoslavna Crkva (MPC, Mazedonisch Orthodoxe Kirche). Soweit nicht anders angegeben, habe ich alle Begriffe und Zitate selbst übersetzt. Zitate und einschlägige Begriffe aus dem Mazedonischen und Albanischen werden im Fließtext in eigener Übersetzung wiedergegeben. Im Fließtext folgt ihr jeweilig ursprünglicher Ausdruck in Kursivsetzung, sofern dieser sehr kurz ist oder keinen vollständigen Satz bildet. Handelt es sich dagegen um mehrere Zeilen umfassende Sätze, sind diese in einer Fußnote als Originalzitat belegt. Bei Übersetzungen von Aussagen aus der Feldforschung stelle ich das Kriterium der Lesbarkeit bewusst zugunsten eines lebendigen Eindrucks der Feldforschung zurück. Gleichzeitig versuche ich dabei nah an Inhalt und Form des Gesprochenen zu bleiben und die Aussagen der Gesprächspartner:innen stilistisch nicht zu glätten (vgl. Breidenstein et al. 2015: 180). Zitate aus dem Englischen übernehme ich unverändert. Namen von Gesprächspartner:innen nenne ich, wenn diese auf Nachfrage keine Einwände äußerten oder wünschten, anonym zu bleiben. Einige Namen
14 | Anmerkungen zu Schreibweisen und Begrifflichkeiten
habe ich geändert, weil die Gesprächsteilnehmer:innen sich zu der Frage nicht klar positioniert haben. Die Namen von historischen Figuren orientieren sich an den gegenwärtigen Schreibweisen in den Sprachen derjenigen Länder, mit denen sie am stärksten assoziiert sind (etwa maz. Naum, türk. Sarı Saltuk, alb. Abas Ali). Die Wiedergabe der Bezeichnung von religiösen Orten richtet sich nach den offiziellen Varianten der Länder, auf deren Gebiet sie sich befinden. In Zitaten aus Gesprächen werden Eigen- und Ortsnamen im Original beibehalten, um einen unmittelbaren Eindruck der Gesprächssituation zu ermöglichen. Die Ausdrücke Sveti Naum und Shën Naum beziehen sich folglich auf denselben Heiligen oder dasselbe Kloster, markieren jedoch, dass es sich im ersten Fall um eine mazedonisch- und im zweiten Fall um eine albanischsprechende Person handelt. Die Wiedergabe von Ortsnamen erfolgt in Anlehnung an die offiziellen Eigenbezeichnungen in den jeweiligen Landessprachen. Beispielsweise wird in der vorliegenden Arbeit »Mazedonien« als Kurzform für die frühere Selbstbezeichnung Republika Makedonija verwendet.1 Die Bezeichnung »Makedonien« bezieht sich dagegen in dieser Arbeit auf die historische Großregion, die im Anschluss an die Balkankriege auf die angrenzenden Länder aufgeteilt wurde. In den Sprachen Südosteuropas gibt es bisher keine abweichenden Bezeichnungen, um zwischen der historischen Großregion und der Republik bzw. den Teilregionen in Griechenland und Bulgarien zu unterschieden (alb. Maqedoni; BKMS Makedonija; griech. Makedonía; türk. Makedonya). Parallel dazu nenne ich die Republik, die 2008 aus der autonomen jugoslawischen Region Kosovo hervorging, Kosova, um die Anerkennung ihrer Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zum Ausdruck zu bringen.
1 Die offizielle Staatsnennung Mazedoniens folgte in Deutschland der Bezeichnung der Vereinten Nationen, die das Land am 8. April 1993 als The former Yugoslav Republic of Macedonia (Die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien) in die Organisation aufnahmen. Nach einem langen Namensstreit mit Griechenland einigten sich die Premierminister beider Länder am 12. Juni 2018 auf die Bezeichnung »Republik Nordmazedonien« (Marusic 2018b). Am 30. September 2018 fand ein Referendum in Mazedonien statt, in dem die Frage gestellt wurde: »Sind sie für die Mitgliedschaft in der EU und in der NATO mit der Anerkennung des Abkommens zwischen der Republik Mazedonien und der Republik Griechenland?« Das erwähnte Abkommen bezieht sich auf die Namensänderung. Da die Bevölkerungsbeteiligung zu niedrig ausfiel, es jedoch nur beratenden Charakter hatte, musste die Regierung die endgültige Entscheidung treffen (Marusic 2018c). Nachdem Mazedonien sich dafür aussprach, bestätigte auch Griechenland am 25. Januar 2019 die Namensänderung, die seitdem international Anerkennung findet und offiziell zum Beispiel in den Verhandlungen zum Beitritt zur Europäischen Union verwendet wird (Marusic 2019b; Marusic 2019a).
Anmerkungen zu Schreibweisen und Begrifflichkeiten | 15
Orte in Albanien und Kosova werden generell in der albanischen unbestimmten Form verwendet. Städtenamen wie Tiranë statt Tirana oder Korçë statt Korça werden denjenigen, die keine Spezialist:innen für die albanische Sprache oder Südosteuropa sind, daher ungewohnt erscheinen. Andere offizielle, lokalübliche und historische Bezeichnungen für Orte in den einzelnen Ländern, wie etwa Shkup (alb.) oder Üsküp (türk.) für Skopje, spare ich der Übersichtlichkeit halber aus. Auf solche Bezeichnungen verzichte ich auch in Fällen, in denen die Mehrheit der Bevölkerung nicht der Titularnation, sondern einer sprachlichen Minderheit angehört, wie zum Beispiel in der mehrheitlich albanisch besiedelten Stadt Tetovo (alb. Tetovë). Diese Ortsbezeichnungen bietet beispielsweise der Atlas der Donauländer (Breu 1989). Die Bezeichnung einzelner Personen oder ganzer Bevölkerungsteile als Mazedonier:innen, Albaner:innen, Türk:innen, Roma oder Aromun:innen beziehen sich immer auf das ethnische Selbstverständnis. Dieses muss nicht mit der Staatsbürgerschaft der Bezeichneten identisch sein. Beispielsweise ist ein Türke aus Ohrid demnach kein aus der Türkei Zugereister oder ein Tourist türkischer Staatsangehörigkeit, sondern ein Mann, der aus Ohrid stammt, eine mazedonische Staatsbürgerschaft besitzt und sich aufgrund seiner Erstsprache und auch wegen seiner familiären sowie kulturellen Prägung als ethnischer Türke versteht. Dabei verstehe ich Identitäten als Ergebnis von Konstruktionsprozessen und nicht als unveränderliche Wesensmerkmale. Datums- und Jahresangaben folgen dem gregorianischen Kalender, der in Albanien das Kirchenjahr bestimmt. Im Vergleich dazu bestimmt in Mazedonien der julianische Kalender die christlichen Feiertage orthodoxer und byzantinisch-katholischer Kirchen. Auf die Angabe der muslimischen Zeitrechnung beginnend mit der Hidschra wird aus Lesbarkeitsgründen verzichtet, zumal sie für die Inhalte der vorliegenden Arbeit keinen Mehrwert hat. Weiterhin bemühe ich mich um geschlechtersensible Sprache und verwende nur dann die maskuline Form, wenn es mir sicher scheint, dass keine Frauen zur beschriebenen Gruppe gehören. Das umfasst einerseits religiöse Geistliche wie christliche Priester oder im Untersuchungsgebiet Hodscha (mak. odža; alb. hoxhë; türk. hoca) genannten Imame. Andererseits gehören auch historische Herrschergruppen wie die Osmanen. Von Osman:innen zu sprechen, ließe eine ausdifferenziertere Gesellschaft vermuten, als dies bisher von historischer Forschung belegt wurde. Trotz aller angestrebter Sorgfalt lassen sich Inkonsequenz, Inkongruenz, Überschneidungen und Unregelmäßigkeiten jedoch nicht vollständig ausschließen.
1 Einleitung
Jedes Jahr am 3. Juli findet zu Ehren des Heiligen und Wundertäters Naum ein Fest an dem von ihm errichteten Kloster statt, das sich im Süden des Ohrid-Sees an der mazedonisch-albanischen Grenze befindet. Obwohl Naum ein christlicher Heiliger ist, nimmt nicht nur die christliche, sondern auch die muslimische Bevölkerung aus der näheren mazedonischen und albanischen Umgebung des Klosters am Fest teil. Die christlich-muslimisch gemischte Festgesellschaft kann auf eine lange Tradition zurückblicken, deren Wurzeln sich bis in das Osmanische Reich zurückverfolgen lassen. Dabei glauben einige der muslimischen Besucher:innen – darunter vor allem Mitglieder des Sufi-Ordens der Bektaschis –, in der Kirche liege nicht Naum, sondern der vorosmanische muslimische Missionar Sarı Saltuk begraben. Deren respektvolles, andächtiges Verhalten ähnelt dem der christlichen Besucher:innen, was für Außenstehende den Eindruck erweckt, auch alle muslimischen Klosterbesucher:innen verehrten Naum. Das Fest am 3. Juli lässt sich heute jedoch weniger als Pilger- oder Wallfahrtsfest, sondern eher als Volks- oder Patronatsfest beschreiben. Im Unterschied zu Kirchweihfesten ist das Kloster nicht mit einer bestimmten Kirchengemeinde verbunden, da das nächste Dorf seit einigen Jahren seine eigene Kirche besitzt. Bereits am Tag vor dem Fest strömen Menschen zum Kloster. Ziel ihres Besuchs ist das Grab des Heiligen in der Grabkapelle der Klosterkirche. Vor dem Grab knien sie nieder und legen ihr Ohr auf die Grabplatte, um den Herzschlag des »lebendigen Heiligen« (maz. živ svetec) zu hören. Die lokalen Besucher:innen bringen zudem verschiedene Geschenke für den Heiligen mit und legen sie am Grab nieder. Auf dem Weg zum Grab zünden sie vor der Kirche Kerzen an und legen Geld an den vorher aufgestellten Ikonen, die den Heiligen darstellen, ab. Im Klosterhof um die Kirche herum herrscht buntes Treiben, das den Volksfestcharakter andeutet: Tagsüber werden Lämmer um die Kirche geführt und eine RomaBand begleitet die Prozession; Textilien, die am Grab des Heiligen als Geschenk abgelegt wurden, werden weiterverkauft.
18 | Einleitung
Gemessen an der Dauer des Festes ist die Zeit, in der Geistliche den Gottesdienst in der Kirche feiern, äußerst kurz. Der liturgische Teil des Feiertags geht im Festgeschehen unter. Am Abend des 2. Juli beginnt um 19 Uhr die von einigen Priestern und Diakonen zelebrierte Abendmesse (maz. večerna bogoslužba) in der Klosterkirche Sveti Naum. Um diesen Teil des Festes nicht zu stören, verstummt die Roma-Band für etwa anderthalb Stunden. Für die Menge der Besucher:innen, die seit dem Morgen unaufhörlich den Klosterhof füllt und in das Innere der kleinen Klosterkirche drängt, gibt es nicht genug Platz in der Kirche, sodass immer nur Teile der Besucher:innen teilnehmen können. Der Menschenstrom wird mit der Zeit schwächer, reißt jedoch nie ganz ab und steigt am Morgen des 3. Juli wieder an. Gegen 10 Uhr beginnt die Festtagsliturgie, die mit der Wasserweihe auf dem Klosterhof endet. Anschließend füllen Besucher:innen das geweihte Wasser in Flaschen ab, um es mit nach Hause zu nehmen, und bekommen gesegnetes Brot sowie gekochten Weizen ausgeteilt. Außerhalb der Klostermauern ist der Volksfestcharakter stärker zu spüren. Direkt vor den Klostermauern ist anlässlich des Festes ein Jahrmarkt (maz. panaǵur/ alb. panair) aufgebaut. An den Ständen bieten die Händler:innen verschiedene Waren wie Süßigkeiten, Spielzeug, Kleidungsstücke der neuesten Mode, Werkzeug oder Küchengeräte zum Verkauf an, die keinen offensichtliche Bezug zu Naum aufweisen. Auch an anderen Stellen wird der Volksfestcharakter erkennbar: auf den freien Flächen übernachten Besucher:innen und Händler:innen in Zelten oder unter freiem Himmel; im Restaurant spielen Musiker traditionelle mazedonische Lieder und laden zum Reigentanz (maz. oro) ein. Auch die festen Holzhütten, an denen mazedonische Souvenirs verkauft werden, bleiben die ganze Nacht hindurch geöffnet. Das Angebot hat wie auf dem Jahrmarkt kaum Bezug zum Heiligen, dem die Feier gilt. Gleichzeitig ist das Naum-Kloster im Süden des Ohrid-Sees eine der größten touristischen Attraktionen in Mazedonien. Gründe dafür mögen neben dem Kloster auch in der faszinierenden Natur und dem Sandstrand, den es im Norden des Sees nicht gibt, liegen. Das Fest am 3. Juli markiert auch den Höhepunkt der Reisesaison von April bis September. In dieser Zeit kommen nicht nur Besucher:innen aus der näheren Umgebung der mazedonisch-albanischen Grenzregion, sondern internationale Tourist:innen aus anderen südslawischen Ländern, aus der Türkei sowie aus Westeuropa. Die meisten von ihnen unternehmen einen Tagesausflug mit dem Schiff, wenn sie keiner festen Reisegruppe angehören, die das Kloster mit einem eigenen Bus anfährt. Zur Übernachtung befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Klosterunterkunft auch ein Hotel, das sich die lokale Bevölkerung kaum leisten kann und das deswegen vorrangig von internationalen Gästen oder im Ausland arbeitenden Mazedonier:innen genutzt wird. Die Feierlichkeiten zu Naums Todestag am 5. Januar werden im Vergleich zum Sommerfeiertag nur von
Einleitung | 19
wenigen Mazedonier:innen besucht, die zum Großteil aus der näheren Umgebung kommen. Da der Tag außerhalb der Reisesaison liegt, fehlt der Volksfestcharakter ebenso wie touristische Angebote. Dagegen stehen die liturgischen Feiern stärker im Vordergrund und sind für einige der einzige Anlass, zum Kloster zu kommen.
1.1 WISSENSSTAND Die beschriebenen Ereignisse lassen unterschiedliche Charakterisierungen des Klosters zu. Es ist christlich-muslimischer Kontaktpunkt, Pilgerort oder Ausflugsziel, Wirtschaftsstandort oder politischer Identitätsmarker. Die große Bedeutung Naums und seines Klosters für die mazedonisch orthodoxe Bevölkerung hinterließ Spuren in Literatur, Kultur und Forschung. Naum und sein Kloster im Süden des Ohrid-Sees wurden bisher vor allem auf historische, literarische, künstlerische und architektonische Aspekte hin beleuchtet (Grozdanov 2015). Forschungsliteratur beschäftigte sich im Einzelnen mit Naums Viten (Trapp 1974, 1982), mit Wunderlegenden und Berichten über Heiligenkult (Celakoski 1997; Grozdanov 2011; Gusho 2002; Jovanovski 1996; Kitevski 2011; Risteski 2006, 2009, 2012) und mit Naum als Schriftsteller sowie seiner Rolle in der Literatur (Atanasov 2011; Martinovska 2006; Milovska 2006; Neziri 2011; Pandev 2006; Stojčevska-Antiḱ 2011). Ebenso finden sich Beiträge über Ikonen und Fresken, die ihn abbilden (Cvetkovski 2011; Grozdanova-Kocevska 2011; Gulevski 2008; Kelić 2011; Mitrevski 2011; Paligora 2011; Ruseva 2006), sowie weitere Artefakte und die Architektur der Kirche im Süden des Ohrid-Sees oder anderer Naum-Kirchen (Celakoski 2004; Girevski 2006; Kempgen 2019; Koco 1958, 1974). Schließlich widmete sich die Forschung auch der historischen Verortung Naums und des Klosters (Ilievski 2011; Snegarov 1972) sowie ihrer Bedeutung für die Region, das Bistum von Ohrid beziehungsweise der orthodoxen Kirche (Gocevski 2006; Veljanovski 2011); seltener auch für die Staatsbildung oder Naums nationaler und transnationaler sowie europäischer Dimension (Atanasovski 2006; Balevski 1984; Mironska-Hristovska 2011; Naska 2012; Ošlies 2011; Reuter 2015; Sandžakoski 2011; Zlateski 2011). Dass das Kloster sowohl von christlicher als auch von muslimischer Bevölkerung aufgesucht wurde und wird, ist dagegen bislang kein Thema umfassender Studien gewesen. Abgesehen von einigen Wundergeschichten über Naum zeugen einige historische Begebenheiten und ethnographische Beobachtungen davon. So haben sich etwa namentlich bekannte osmanische Beamte nachweislich am Kloster aufgehalten und es architektonisch mitgestaltet. Der Südosteuropahistoriker Maximilian Peyfuss betonte überdies, dass bereits im Jahr 1727 »unter den [Pilgern] auch Mohammedaner waren«, als der Erzbischof von Ohrid den Gedenktag
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von Naum wegen der Wetterbedingungen vom 23. Dezember/5. Januar auf den 20 Juni/3. Juli verlegte (Peyfuss 1996: 170f).2 Von der Kontinuität dieses Phänomens zeugen zudem Beobachtungen von Reisenden im Laufe des 19. Jahrhunderts sowie ethnographische Aufzeichnungen vom Anfang des 20. Jahrhunderts, wie die des britischen Historikers und Archäologen Frederick William Hasluck und des aus Österreich-Ungarn stammenden Militärkorrespondenten Vladimir Sís (Hasluck 1929: 70; Sís 1918: 45). Schon damals beobachtete Hasluck allerdings, dass nicht alle muslimischen Besucher:innen Naums wegen zum Kloster kamen, sondern, weil sie glaubten in der Kirche den vorosmanischen muslimischen Missionar Sarı Saltuk begraben glaubten. Bis in die Gegenwart hinein werden ihre Reisenotizen immer wieder in der Forschung rezipiert und teils durch neue Beobachtungen zu diesem Phänomen bestätigt. Lediglich ein Beitrag von Elizabeta Koneska über die Ereignisse und den christlich-muslimischen Kontakt am Kloster ist im Kontext jüngerer ethnographischer Forschungsansätze entstanden (Koneska 2013). Koneska beschreibt historische und kulturelle Aspekte und setzt das Fallbeispiel in Bezug zu anderen geteilten religiösen Orten in Mazedonien, ohne sie jedoch im Kontext jüngerer ethnographischer Debatten zu diskutieren. Die vielfältigen Ereignisse um Naum und sein Kloster bilden ein komplexes Geschehen, das nur schwer mit einem schon bestehenden Theorieansatz zu erfassen ist. Die jüngere ethnographische Forschung konzentriert sich auf das Phänomen, dass Menschen unterschiedlicher religiöser Traditionen denselben religiösen Ort aufsuchen, und beschreibt dieses mit dem Ausdruck »geteilte religiöse Orte« (Bowman 2012c; Hayden 2002a). Diese Studien weisen zudem darauf hin, dass sich oftmals religiöse und politische Handlungsdimensionen überlappen. Dabei stehen physische Orte im Zentrum. Die damit verbundenen religiösen Figuren als metaphorische Orte und deren transreligiöse Verehrung ist kaum thematisiert worden (Albera 2012: 228-232). Die Pilgerforschung dagegen nimmt sich der unterschiedlichen Motive und Handlungen der Besucher:innen an, die Orte wie das Naum-Kloster kontextabhängig zwischen Pilgerziel und touristischem Ausflugsziel verorten lassen (Katić et al. 2014b). Teils hängt mit den Untersuchungen der touristischen Dimension auch die Analyse der wirtschaftlichen Komponenten zusammen. Alternativ werden in der Literatur auch touristische und politische Gesichtspunkte von Pilgerorten zusammengedacht (Eade/Katić 2014b). Daneben gibt es auch Ansätze, die sich allgemein mit der Frage nach der Gestaltung religiöser Orte beziehungsweise der Untersuchung von Religion in verschiedenen Räumen beschäftigen, aber nicht auf die Besonderheit geteilter religiöser Orte eingehen (Knott 2005). 2 Die erste Datumsangabe entspricht dem gregorianischen Kalender, der in Albanien das Kirchenjahr bestimmt, und die zweite dem julianischen Kalender, nach dem in Mazedonien die christlichen Feste gefeiert werden.
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Die Untersuchung der Mehrdeutigkeit geteilter religiöser Orte unter Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher Dimensionen ist im Rahmen der bisherigen Forschung ein Desiderat. Die Untersuchung des Naum-Klosters mithilfe der genannten Theorien scheint dennoch naheliegend, weswegen sie im folgenden Kapitel näher ausgeführt und diskutiert werden. Vor allem Kim Knotts Ansatz ist wegen ihrer Definition des Ortes vielversprechend: »place is that nexus in space in which social relations occur, which may be material or metaphorical and which is necessarily interconnected (with places) and full of power« (Knott 2005: 134). Orte stehen folglich nicht für sich, sondern sind eine Projektionsfläche gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Die Analyse eines Ortes gibt daher auch Aufschluss darüber, welche Rolle Religion in der jeweiligen Gesellschaft spielt.
1.2 PROBLEMSTELLUNG Die Untersuchung des Fallbeispiels »Naum und dessen Kloster« kann Einblick in die Bedeutung von Religion im Allgemeinen sowie von Christentum und Islam im Besonderen für die Bevölkerung Mazedoniens und Albaniens geben. Das NaumKloster an der mazedonisch-albanischen Grenze zieht zum Feiertag Besucher:innen sowohl aus Mazedonien als auch aus Albanien an. Die nähere Umgebung des Klosters ist dabei erst seit den Balkankriegen (1912/1913) durch eine Grenze geteilt. Trotz unterschiedlicher Entwicklungen nach der staatlichen Trennung im 20. Jahrhundert gelten heute beide Staaten als postsozialistische Transformationsländer Südosteuropas3, die besonders in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht versuchen, sich an Westeuropa4 und den USA zu orientieren. 3 Eine Definition von »Südosteuropa« ist nicht unproblematisch. Das größte Problem dabei stellt die Grenzziehung im Norden und besonders die Abgrenzung im Nordwesten zu Mitteleuropa dar (Hösch 2016b; Sundhaussen 2016d: 911-913). Außerdem stellt sich die Frage, ob die zu den einzelnen südosteuropäischen Ländern gehörenden Inseln mit einzubeziehen sind. Der vorliegenden Studie liegt ein weiträumiger Begriff Südosteuropas zugrunde, der sowohl die Inseln als auch periphere Gebiete einbezieht, soweit es dem besseren Verständnis dient oder zur Vollständigkeit beiträgt. Da ich mich vorrangig auf die Grenzregion am Naum-Kloster und als weiteren territorialen Kontext auf die heutigen Staaten Mazedonien und Albanien konzentriere, kann die Frage der Abgrenzung Südosteuropas im Norden und Nordwesten für diese Unersuchung als nebensächlich betrachtet werden. 4 Zur begrifflichen Konstruktion des »Westens« vgl. auch die Kritik zu Kim Knotts Ziel der Analyse von Religion in »westlichen Gesellschaften« in Kapitel 1.3 Fragestellung, Zielsetzung und Verortung.
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Wegen seiner Vergangenheit wird Südosteuropa immer wieder als Brücke zwischen christlichem Okzident und muslimischem Orient betrachtet. Mit der Suche nach Anknüpfungspunkten an die »moderne westliche Welt« geht auch ein kultureller Wandel innerhalb der sogenannten »Balkanstaaten«5 einher, der von Auseinandersetzungen über den Umgang mit dem antiken, christlich-byzantinischen, muslimisch-osmanischen und sozialistischen Erbe geprägt ist. Südosteuropa war jahrhundertelang erst Teil des christlich-byzantinischen und dann des muslimischosmanischen Reichs, bevor sich unabhängige Nationalstaaten bildeten. Eine wichtige Grundlage für die Nationalstaatenbildung war die Einteilung der Bevölkerung auf ihre religiöse Zugehörigkeit hin, das sogenannte millet-System6, im Osmanischen Reich. Durch den weitreichenden sozialistischen Einfluss innerhalb der Nationalstaaten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der religiösen Zugehörigkeit der Bevölkerung weniger Bedeutung zugemessen, was letztlich zur Verdrängung religiöser Traditionen aus der Öffentlichkeit führte. Während sich die christliche Mehrheit damit arrangierte, hatte der sozialistische Einfluss auf religiöse Minoritäten zusätzlich auch stärkere normierende und homogenisierende Auswirkungen. Bis heute werden die Balkanstaaten vielfach in Bezug auf Aushandlungsprozesse zwischen Religion und Politik untersucht, da die Nationalstaatenbildung auf Grundlage religiöser Zugehörigkeiten noch keinen stabilen Zustand erreicht hatte, als der sowjetischen Sozialismus sie beeinflusste (Buchenau 2015: 270-273). Mit dem Zusammenbruch sozialistischer Staatsformen in Südosteuropa und der mit ihm einhergehenden Religionsfreiheit lebten Anfang der 1990er Jahre Religionsgemeinschaften wieder auf und sind gegenwärtig gesellschaftlich stärker wahrnehmbar. Jüngste Studien zu religiösen Phänomenen der Gegenwart beziehen sich jedoch noch immer überwiegend auf die politische Bedeutung der Untersuchungsgegenstände. Im Allgemeinen sind entsprechende Studien, die jedoch an dieser Stelle nicht umfassend besprochen werden können, entweder ethnologisch oder politikwissenschaftlich geprägt. Die Untersuchung religiöser Phänomene steht 5 Der Ausdruck »Balkan« ist wie »Südosteuropa« problematisch. Oftmals werden beide Begriffe synonym verwendet, obwohl »Balkan« geographisch betrachtet nur ein Teil von Südosteuropa ist (Sundhaussen 2016d). Im Unterschied zu »Südosteuropa« ist der Balkanbegriff vor allem in der Vergangenheit auch zur Projektionsfläche »westlicher« Vorstellungen zur Schärfung des Selbstbildes geworden (Sundhaussen 2016a). In den folgenden Ausführungen lehnt sich der Balkanbegriff vorranging an die Sprache der verwendeten Literatur an oder er bezieht sich auf die Teilregion Südosteuropas, die Mazedonien und Albanien umfasst. 6 Näheres dazu vgl. Kapitel 3.2.1 Religionen im Osmanischen Reich und ihre Bedeutung für die Nationenbildung.
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meist in einem institutionellen Kontext und nimmt die damit zusammenhängende Identität der Bevölkerung in den Fokus (vgl. Račiūnaitė-Paužuolienė 2018). Neben Arbeiten zu Identitätskonstruktion religiöse Gruppen, die in Südosteuropa bereits auf längere Tradition zurückblicken, gibt es auch einige Ansätze, neue religiöse Bewegungen zu untersuchen (vgl. Endresen 2019; vgl. Toncheva 2017; vgl. Toncheva 2018). Andere Studien gehen auf religiöse Lokaltraditionen ein und betrachten Gegenstände, an denen sich religiöses Verhalten und Verständnis materiell manifestieren (vgl. Lyubenova 2018). Transformationsprozesse spiegeln sich auch im Zusammenleben der verschiedenen religiösen und ethnischen Bevölkerungsgruppen wider. Sowohl interreligiöser als auch interethnischer Kontakt ist in Südosteuropa Teil alltäglichen Zusammenlebens, was sich bis in die Zeit des Osmanischen Reichs zurückführen lässt. Diese Vielfalt sorgt auch gegenwärtig gelegentlich für die statische, stark romantisierte Vorstellung eines relativ friedlichen Zusammenlebens zu osmanischer Zeit. Im Gegensatz dazu kommt es auch in multiethnischen Nachfolgestaaten immer wieder zu latenten und offenen Konflikten zwischen der Mehrheitsbevölkerung und Minderheiten. Diese Konflikte werden auch durch politische Interessen transnational agierender Akteur:innen geschürt. Die Republik Mazedonien war deswegen in den letzten Jahren einige Male in den Medien: Im Mai 2015 lieferte sich eine Gruppe bewaffneter Albaner:innen, die teils aus Mazedonien, teils aus Kosova stammten, mit der mazedonischen Polizei eine zweitägige Schießerei in der ethnisch gemischten Kleinstadt Kumanovo. Zuvor überfiel die albanische Gruppe eine mazedonische Polizeistation nahe der Grenze zu Kosova, um sich Waffen zu besorgen. Das Resultat der als Terroraktionen charakterisierten Ereignisse »waren 18 Tote, darunter acht Polizist/en, 39 Mitglieder der ausgemachten albanischen Terrorgruppe« wurden festgenommen »über ein Dutzend Häuser [waren] unbewohnbar geschossen« (Ernst 2017). Die albanisch-mazedonische Bevölkerung Kumanovos gab kurz darauf öffentlich bekannt, dieses Vorkommnis habe nichts mit ihrem Alltag zu tun. Die Gründe für die Tat scheinen vielfältig und reichten von Aussagen, es habe sich um einen Akt zur Gleichberechtigung der albanischen Minderheit in Mazedonien gehandelt, bis hin zur Darstellung, es sei ein politisches Ablenkungsmanöver der damaligen geschwächten Regierungspartei gewesen. Die Festgenommenen, die als ehemalige Kämpfer:innen der Befreiungsarmee Kosovos (Ushtria Çlirimtare e Kosovës, UÇK) identifiziert worden waren, wurden »wegen ›terroristischer Umtriebe‹ zu insgesamt 746 Jahren Gefängnis verurteilt«, was Proteste innerhalb der albanischen Bevölkerung hervorrief. Nach dem Regierungswechsel in Mazedonien wurde 2017 mit der Überprüfung der Gerichtsverhandlungen begonnen, um die Ereignisse eventuell in einem internationalen Zusammenhang weiterer Terrorgruppen betrachten zu können.
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Bereits um die Jahrtausendwende hatten die Auseinandersetzungen im Kosovo die innenpolitische Lage Mazedoniens nachhaltig beeinflussten. Im Anschluss daran wurde das Ohrider Rahmenabkommen geschlossen, das Frieden in der Republik durch die Verbesserung der Minderheitenrechte sichern sollte. Internationale Politiker:innen wie Klaus Schrameyer betonten in diesem Kontext auch, dass die Sicherheit auf dem Balkan von der Situation Mazedoniens abhängig sei (Schrameyer 2005: 157f; 2006: 186-189). Dem Rahmenabkommen folgten Segregationstendenzen in Mazedonien, die nach wie vor entlang der Grenze zwischen christlich-mazedonischer Mehrheitsgesellschaft und muslimisch-albanischer Minderheit verlaufen. Religion wird dabei zwar nicht explizit thematisiert, jedoch scheint es eine Erwartung zur Solidarisierung der Minderheiten entsprechend ihrer religiösen Zugehörigkeit zu geben (Bielenin-Lenczowska 2009). Im Unterschied zu Mazedonien ist die Bevölkerung Albaniens ethnisch betrachtet relativ homogen, hinsichtlich der religiösen Zugehörigkeit dagegen wesentlich pluralistischerer. Die vier religiösen Traditionen Orthodoxie, Katholizismus, Islam und der nonkonformistische Sufi-Orden der Bektaschis sind zwar quantitativ nicht gleichmäßig verteilt, allerdings sind sie staatlicherseits gleichberechtigter organisiert und anerkannt als in Mazedonien. Folglich gibt es in Albanien auch keine medienwirksamen größeren interethnischen oder interreligiösen Auseinandersetzungen. Welche Rolle Religion gegenwärtig in der Republik Mazedonien und dem angrenzenden Albanien spielt, ist bisher nicht abschließend geklärt: Einerseits durchlebten die Gesellschaften beider Länder sozialistische Regime, die sich in unterschiedlicher Härte auf die Möglichkeiten religiösen Ausdrucks auswirkten. Andererseits eröffneten sich nach 1990 Wege für die religiöse Rückbesinnung, die auch der Heiligenverehrung stärkere Bedeutung zukommen ließen (de Rapper 2008; Kraft 1998). Auch die Untersuchung der Mehrdeutigkeit des Naum-Klosters als geteilten religiösen Ort im Kontext der verschiedenen Ortstheorien kann lediglich Ausgangspunkt für weitere Studien sein; zumal sich die Ereignisse am Naum-Kloster in ihrer Wirkung eher auf die lokale anstelle der nationalen Ebene beschränken.
1.3 F RAGESTELLUNG, ZIELSETZUNG UND VERORTUNG Aus dem Desiderat zur Mehrdeutigkeit geteilter religiöser Orte ergibt sich folgende Forschungsfrage: Welche diskursiven Strategien formen mehrdeutige geteilte religiöse Orte? Unter diskursiven Strategien verstehe ich sowohl Handlungen der
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Akteur:innen als auch Zuschreibungen durch diese. Mit dem Ausdruck »mehrdeutiger geteilter religiöser Ort« verweise ich darauf, dass Orte nicht per se religiös sind, sondern durch weitere gesellschaftliche Elemente mehrdeutig markiert werden. Diese Arbeit beschäftigt sich exemplarisch mit der Mehrdeutigkeit des Naum-Klosters als geteiltem religiösen Ort. Daher verfolge ich mehrere Ziele mit dieser Arbeit: Allgemein möchte ich die Bedeutung von Religionen in postsozialistischen Transformationsgesellschaften beleuchten. Spezifischer soll so transethnisch und transnational stattfindender christlich-muslimischen Kontakt erfassbar werden. Ich lege eine historisch informierte Ethnographie zu geteilten religiösen Orten vor, deren Ergebnisse auf ähnlich gelagerte Fälle übertragen werden können. Methodisch möchte ich Anwendbarkeit und Übertragbarkeit von Kim Knotts Ansatz der Raumanalyse, den sie für westliche zeitgenössische Gesellschaften entwickelt hat, für eine nicht-westliche zeitgenössische Gesellschaft überprüfen. Außerdem sollen bestehende Theorien zur Analyse von Orten und geteilten religiösen Orten systematisch um den Aspekt der Mehrdeutigkeit ergänzt werden. Schließlich möchte ich innerhalb der Wissenschaftslandschaft einen intensiveren interdisziplinären Austausch anregen. Für ein besseres Verständnis der Transformationsprozesse in postsozialistischen Gesellschaften spielt die Untersuchung der sich verändernden Bedeutung von Religion in der Gegenwart eine entscheidende Rolle. Religion ist dabei im Anschluss an den kulturwissenschaftlichen Ansatz von Anne Koch (2007) sowohl als Kulturfaktor als auch als Kulturmuster zu verstehen. Demzufolge geht es nicht ausschließlich um die Rolle der institutionalisierten Religionsgemeinschaften, sondern auch darum welche Faktoren aus welchen Gesellschaftsbereichen das religiöse Kulturmuster ergeben. Damit geht auch die Frage einher, welche Bedeutung Gesellschaften ihrem historisch-religiösem Erbe zumessen. Vor dem Hintergrund des konkreten Forschungsfelds in Südosteuropa meint dies vor allem das byzantinisch-christliche, osmanisch-muslimische und sozialistisch-säkularisierte Erbe. Ich stelle bewusst diese religiösen Traditionen neben eine politische Ideologie, weil der Sozialismus strukturelle und funktionale Parallelen zu Christentum und Islam ausgebildet hat. Aus Perspektive einer kulturwissenschaftlich verstandenen Religionswissenschaft ist daher nicht zwischen politischen und religiösen Strömungen zu unterscheiden. Daran schließt sich das spezifischere Ziel an, transethnisch und transnational stattfindende christlich-muslimische Kontakte in postsozialistischen Transformationsländern zu untersuchen. Denn obwohl die Religionswissenschaft religiöse Traditionen und politische Ideologien auf der Metaebene vergleichend nebeneinanderstellen kann, werden sie auf der Objektebene klar voneinander unterschieden. Die Untersuchung des interreligiösen Verhältnisses, genauer gesagt des Verhältnisses der Anhänger:innen verschiedener Religionsgemeinschaften zu
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einander, ist insbesondere im multiethnischen Mazedonien von großer Relevanz. Dieser Forschungsansatz steht dem sonst dominanten Fokus auf interethnische Verhältnisse im postsozialistischen Mazedonien Anfang des 21. Jahrhunderts entgegen. Das Ziel, eine historisch informierte Ethnographie zu geteilten religiösen Orten vorzulegen, deren Ergebnisse auf ähnlich gelagerte Fälle übertragen werden können, beeinflusst sowohl die Form als auch den Inhalt der Arbeit. Eine Ethnographie ist laut Geertz eine »dichte Beschreibung« (Geertz 2007: 10), die sich zumeist auf qualitativ-empirisches Datenmaterial stützt. Inhaltlich geht es darum, Bedeutungsstrukturen des Forschungsfeldes herauszuarbeiten und dem Zielpublikum zu erklären. Die Ergänzung »historisch informiert« bezieht sich darauf, dass ich der Analyse der im Feld erhobenen Daten zwei Kapitel über den zeiträumlichen Kontext Naums, des Klosters und der Akteur:innen vorausschicke, um ein besseres Verständnis zu ermöglichen. Mit dieser Bestimmung werden die Grenzen einer ethnographischen Studie deutlich, die sich anhand der Frage nach der Verwertbarkeit und Übertragbarkeit der Ergebnisse verdeutlichen lassen: Das Anliegen, Ergebnisse auf ähnliche Untersuchungsgegenstände zu übertragen, bezieht sich im Fall dieser Arbeit auf geteilte religiöse Orte, die historisch gewachsen sind und infolgedessen eine gesellschaftliche Mehrdeutigkeit aufweisen. Die Übertragung auf ähnlich gelagerte Fälle impliziert jedoch nicht, dass sich daraus politische Handlungsanweisungen ableiten lassen können. Diese Grenze ist deswegen klar zu formulieren, weil auch wissenschaftliche Arbeiten von gesellschaftlichen Ereignissen beeinflusst sind. Einige ethnographische Arbeiten neigen dazu, ihre Grenzen zu überschreiten, und infolgedessen zur normativen Überfrachtung. In der Forschung zu geteilten religiösen Orten wird dies erkennbar: Es ist auffällig, dass sich trotz früherer Studien erst nach Robert Haydens Beitrag von 2002 ein großes Interesse an geteilten religiösen Orten entwickelte. Dass Hayden 2002 von einer antagonistischen Toleranz spricht, die immer ein unterschwelliges Gewaltpotential in sich berge, ist im Anschluss an die medienwirksamen und gesellschaftsprägenden Ereignisse des 11. September 2001 in New York nicht verwunderlich. Maria Couroucli formuliert als Grund für das anhaltende und sich in der Forschungsliteratur niederschlagende Interesse an geteilten religiösen Orten und den dort auftretenden Praktiken: »the study of mixed practices around sacred places can provide valuable clues to the common experience of people who lived ›together‹ for centuries, in or near the Holy Land, in Syria, Egypt, Anatolia or the Balkans« (Couroucli 2012a: 56). Diese Aussage impliziert die angespannte bis konfliktreiche politische Lage in multireligiös und multiethnisch-national bewohnten Nachfolgestaaten auf dem Gebiet des Osmanischen Reichs. Gleichzeitig verweist Couroucli mit dem Ausdruck »lived together for centuries« auf eine lange, relativ friedliche Koexistenz implizierende Tradition, da offen ausgetrage-
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ne Konflikte das Fortbestehen solcher Praktiken verhindern würden. Allerdings verzerrt diese Sicht historische Tatsachen. Auch das etwa 500 Jahre dauernde Zusammenleben von christlicher und muslimischer Bevölkerung im Osmanischen Reich gestaltete sich nicht einheitlich friedlich oder konfliktreich. Die Erfahrung, von der Couroucli schreibt, kann von lösungsorientierten Personen als Vorbild für neu entstehende religiös pluralistische Gesellschaften gelesen werden, die zum Beispiel durch Migration entstehen und die ebenfalls ein gewisses Konfliktpotential bergen. Problematisch ist dieser Anspruch, weil er versucht, vor dem Hintergrund historischer Vorstellungen Handlungsanweisungen für verschiedene Konfliktkonstellationen abzuleiten. Aus Beispielen geteilter religiöser Orte Handlungsanweisungen zu entwickeln, gerät zudem zur heiklem Angelegenheit, weil dabei Konfliktpotential in einzelnen Religionen gesucht wird. Dies wird etwa bei Robert Hayden deutlich, den Glenn Bowman für sein essentialistisches Identitätsverständnis kritisiert. Für Bowman verbirgt sich dahinter auch Huntingtons Clash-of-Civilizations-Theorie (Bowman 2012b: 3; Huntington 1996), die durch die Verwendung zur Analyse von gesellschaftlichen Entwicklungen zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden kann. In einem jüngst veröffentlichten Beitrag distanziert sich Bowman explizit von Huntingtons These (Bowman 2019: 111-114). Mit der Raumanalyse will Kim Knott Religionen in westlichen Gesellschaften untersuchen und verspricht sich dabei auch neue Einsichten über religiöse Phänomene (Knott 2005: 1-3). Unklar bleibt, warum sich ihr Ansatz nur auf westliche Gesellschaften bezieht, wo der »Westen« endet und wo der »Osten« anfängt. Deshalb ist das methodische Ziel dieser Arbeit, Knotts Ansatz exemplarisch auf eine nicht-westliche postsozialistische Transformationsgesellschaften anzuwenden. Ich gehe davon aus, dass sich die Aushandlungsprozesse einer Gesellschaft unabhängig von ihrer gesellschaftlichen, religiösen oder politischen Prägung an Orten und in Räumen erfassbar niederschlagen. Insofern hängt die Überprüfung der Übertragbarkeit von Knotts Ansatz auch mit den inhaltlichen Zielen der Arbeit zusammen. Im Anschluss an das aufgezeigte Forschungsdesiderat sollen die verschiedenen Theorien zur Analyse von Orten und geteilten religiösen Orten um den Aspekt der Mehrdeutigkeit ergänzt werden. Dieses Ziel ergibt sich aus der Beobachtung, dass bisherige Theorieansätze nur einzelne Aspekte komplexer religiöser Phänomene beleuchten und daher defizitär bleiben. Ereignisse an geteilten religiösen Orten sind jedoch vielschichtig und verleihen diesen eine zusätzliche Mehrdeutigkeit, die sich aus dem Zusammenspiel verschiedener – zum Beispiel religiöser, politischer, touristischer, ökonomischer oder auch medizinischer und pädago gischer – Gesellschaftsbereiche ergibt. Daher bedarf es einer Weiterentwicklung bestehender Ansätze, um bisherige Theorien miteinander zu verbinden und die
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Mehrdeutigkeit geteilter religiöser Orte darzustellen und zu erklären. Es wird sich für das Fallbeispiel des Klosters Sveti Naum zeigen, dass dessen Mehrdeutigkeit mit seiner Raumaufteilung zusammenhängt: An den religiösen Kern des Klosters haben sich im Laufe der Zeit durch verschiedene Aktivitäten und Ereignisse weitere Lebensbereiche angelagert, die sich vor allem im äußeren Bereich des Klosterkomplexes niederschlagen. Die Arbeit ist wegen ihres lokalen Schwerpunktes in den Südosteuropastudien zu verorten. Zu den Regionalstudien gehörend liegt in diesem fachlichen Kontext ein interdisziplinärer Zugang zum Verständnis der Komplexität des Feldes nahe (Schäbler 2007: 12f). Der Ursprung der Regionalstudien liegt im Allgemeinen zwar in den Politikwissenschaften (Schäbler 2007: 15f), allerdings umfasst ihr Fächerkanon mittlerweile auch Geschichts-, Sprach- und Literaturwissenschaften sowie Ethnologie (Schäbler 2007: 24-32). Die Religionswissenschaften sind allerdings selten daran beteiligt. Es überrascht daher wenig, dass religiöse Phänomene in den Regionalstudien vorrangig politisch und historisch betrachtet werden. Obwohl die Regionalstudien hauptsächlich Fakten und keine Theorien generieren, können sie als Korrektiv dienen (Schäbler 2007: 25, 32), denn es ist eine ihrer Hauptaufgaben »gewonnenen Erkenntnisse in die Fachdisziplinen und deren jeweilige Theoriebildung einzubringen und die dort vertretenen Ansprüche auf Universalität kritisch zu hinterfragen« (Schäbler 2007: 40). Durch ihren Untersuchungsgegenstand fällt die Arbeit gleichzeitig in das Interessenfeld der Religionswissenschaft. Die Religionswissenschaft hebt sich durch ihre Fragestellungen von anderen Fächern ab (von Brück 2007: 73). Sie beschreibt Formen und Inhalte der Aushandlungsprozesse innerhalb der Kulturwissenschaften (Koch 2007a: 33). Dafür greift sie auf wissenschaftliche Zugänge und Theorien sowie »gesellschaftliche Interaktionen« zurück, um »Theorie[n] für kulturelle Vorgänge sowie für kulturell-wissenschaftliche Selbstverständnisse auf[zustellen]«. Entsprechend arbeitet auch die Religionswissenschaft interdisziplinär. Durch die Teildisziplin Religionsethnologie überschneidet sich die Religionswissenschaft mit der ethnologischen Zugängen (Figl 2003: 43; Schmidt 2008: 24f, 60). Auch Regionalstudien werden seitens der Religionswissenschaft herangezogen. Allerdings gibt es in Deutschland kein religionswissenschaftliches Institut mit einer explizit regionalwissenschaftlichen Ausrichtung auf Südosteuropa. Beide Forschungsrichtungen können aufgrund ihres Selbstverständnisses nicht nur miteinander kooperieren, sondern weisen auch in Bezug auf verschiedene Nachbardisziplinen Gemeinsamkeiten auf. Dazu gehört beispielsweise die Ethnologie, deren ethnographische Methoden zur Erhebung qualitativ-empirischer Daten herangezogen werden. Auch ich beziehe mich in der vorliegenden Arbeit auf die Ethnologie als methodengebende Brückendisziplin. Zudem kön-
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nen sowohl die Südosteuropastudien und die Religionswissenschaft als auch die Ethnologie den Kulturwissenschaften zugerechnet werden. Mit der Erhebung notwendiger Daten mittels ethnographischer Daten und der Anfertigung der Arbeit als Ethnographie stärke ich den interdisziplinären Ansatz der drei genannten kulturwissenschaftlichen Fächer.
1.4 GLIEDERUNG Für die Analyse der diskursiven Strategien, welche die Mehrdeutigkeit eines religiösen Ort gestalten, stellen sich drei Kernfragen: Was ist ein geteilter religiöser Ort? Was ist ein mehrdeutiger religiöser Ort? Und was impliziert die Verflechtung der Aspekte mehrdeutig und geteilt religiös für Orte? Bevor ich das Kloster Sveti Naum im Süden des Ohrid-Sees als Fallbeispiel zur Beantwortung der Forschungsfrage heranziehe, beantworte ich vorbereitend die Unterfragen. Der Hauptteil der Arbeit gliedert sich daher in zwei Teile. Im ersten Teil erarbeite ich theoretische und historische Hintergründe für die Fallstudie. Dazu präsentiere ich im folgenden Kapitel den Stand der Forschung zu geteilten religiösen Orten (Kapitel 2). Ausgehend von Theorien, die sich explizit mit dem Phänomen geteilter religiöser Orte beschäftigen, untersuche ich in drei Schritten die einzelnen Komponenten dieser Theorien: Formen, Akteur:innen und Konsequenzen des Teilens, Bedeutung und Implikationen des Attributs »religiös« sowie Implikationen und Probleme verschiedener Orts- und Raumbezeichnungen. Die verschiedenen kulturwissenschaftlichen Ortstheorien kombiniere ich dabei mit Ansätzen der sich ebenfalls kulturwissenschaftlich verstehenden Religionswissenschaft. Mit diesem Kapitel begründe ich die Notwendigkeit meiner Studie als weiteres Fallbeispiel. Dem Theorieteil folgt eine historische Einbettung der Fallstudie bis in die Gegenwart. Die Gründe für diese Kontextualisierung des Untersuchungsgegenstandes leiten sich aus dem Forschungsstand ab (Eade 2014: 216-218; Hayden 2002a: 207f; Knott 2005: 20-29). Orte haben nicht nur eine eigene Geschichte, unterliegen von Menschen hervorgerufenen Wandlungen und sind historisch kontingent, sondern interagieren zudem mit ihren zeiträumlichen Kontexten. Für diese Arbeit ist ein historischer Zugang notwendig, um eine angemessene Betrachtung folgender Aspekte zu ermöglichen: erstens der Untersuchungsgegenstand im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen der Transformationsprozesse, zweitens Entstehung und Wandel geteilter Bereiche und Praktiken am Kloster sowie drittens Dynamiken und Machtverhältnisse, die sich am Kloster widerspiegeln.
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Im ersten historischen Teil (Kapitel 3) präsentiere ich eine kurze Religionsgeschichte Südosteuropas, um Naum und vor allem dessen Kloster in einem weiten zeiträumlichen Kontext zu verorten. Gleichzeitig zeigt das Kapitel, wie sich die Rolle von Religion in Form der institutionalisierten Deutungssysteme Christentum und Islam in Südosteuropa über die Jahrhunderte hinweg veränderte. Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand konzentriere ich mich auf Mazedonien und Albanien, insbesondere auf die Region zwischen Ohrid und Korçë als die unmittelbare Umgebung des Klosters. Da es sich bei Naum um eine Figur handelt, die im Zusammenhang mit der Christianisierung Südosteuropas steht, beginne ich auch den religionsgeschichtlichen Abriss mit der Christianisierung und stelle die Islamisierung des Raums vergleichend daneben. Im zweiten Teil des Kapitels skizziere ich, wie sich das Verhältnis der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften im Spiegel des politischen Wandels veränderte. Hauptstationen des Wandels ist die Situation der Region im Osmanischen Reich und während der Nationalstaatenbildung, welche sich mit der Zeit der sozialistischen Regimes überschneidet. Schließlich gebe ich einen Überblick über gegenwärtige Entwicklungen in Mazedonien und Albanien. Im zweiten Teil der historischen Verortung des Untersuchungsgegenstands stehen Naum und sein Kloster im Mittelpunkt (Kapitel 4). Durch die diachrone Darstellung knüpft das Kapitel an die kurze Religionsgeschichte an und verdeutlich die Entwicklungen der Makroebene exemplarisch durch Ereignisse auf der Mesoebene. Neben Naums Lebenslauf gehe ich auch darauf ein, wie sich die Rolle des Heiligen durch fortschreitende Zuschreibungen veränderte (Kapitel 4.1). Das Kloster stellt sowohl Naums sichtbares Erbe als auch seinen Hauptverehrungsort dar, weshalb im Anschluss dessen architektonische Wandel sowie die soziokulturelle und ‑politischen Bedeutungsverschiebungen erläutert werden (Kapitel 4.2). Bei beiden Teilkapiteln richtet sich das Augenmerk auf die Aushandlungsprozesse zwischen christlichen und muslimischen Besucher:innen. Zudem überschneiden sich in beiden historischen Kapiteln für die Zeit ab dem sozialistischen Jugoslawien die historisch bereits bekannten Informationen mit Interviewaussagen, die ich bei der Feldforschung gesammelt habe. Im Anschluss an die diachrone Perspektive auf Naums Leben sowie den Wandel seines Klosters im Zusammenhang mit den Ereignissen im zeiträumlichen Kontext folgt im zweiten Teil die synchrone Betrachtung aktueller Ereignisse am Kloster. Ich eröffne den zweiten Teil mit einer Vorstellung der Methoden zur Erhebung und Auswertung qualitativ-empirischer Daten (Kapitel 5). Mein Schwerpunkt liegt dabei auf der ethnographischen Datenerhebung und der Reflexion der Faktoren, die sie beeinflusst haben. Dafür lege ich zunächst meinen Zugang zum Untersuchungsfeld dar, um meine Beobachtungen und Erkenntnisse in den Kontext ihrer Entstehung einzuordnen und nachvollziehbar zu machen. Im Vorder-
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grund des Kapitels zum Daten- und Ergebnisgewinn stehen verschiedene Herausforderungen einer religionsethnologischen und multilokalen Feldforschung. Neben der Frage nach der Bedeutung inhaltlicher und sprachlicher Vorkenntnisse gehört dazu auch die Darstellung der durchgeführten Forschung im multilokalen Feld und der Methodenwahl. Da empirisch-qualitative Daten auch von der sie erhebenden Person abhängig sind, reflektiere ich meine eigene Rolle als junge deutsche Frau in dem männerdominierten Feld, das sich zwischen der Untersuchungsregion und der Religionsthematik aufspannt. Schließlich gehe ich darauf ein, wie ich die Daten dokumentiert und ausgewertet habe. Die daran anschließende Analyse richtet sich auf die am hervorstechendsten kulturellen Dimensionen des Klosters. Dazu gehören vor allem die Aushandlungsprozesse um die religiöse Deutung des Heiligen und seines Klosters, die die Basis der Untersuchung weiterer Dimensionen des Klosters ist (Kapitel 6). Direkt mit der Frage der Deutung sind die Motivationen und Interessen der Besucher:innen verbunden, die sowohl religiöser als auch kulturell- oder freizeitlich-touristischer Natur sein können (Kapitel 7). Daran schließen sich Überlegungen zur wirtschaftlichen Dimension im Klosterkomplex an, die sich auf die Bedürfnisse nicht religiös motivierter Besucher:innen, auf das ökonomische Handeln des Klosters als Wirtschaftseinheit und den Heiligen als Händler für Heilsgüter richten (Kapitel 8). Schließlich wird auch die gegenwärtige politische Bedeutung des Klosters untersucht und hinsichtlich ihrer lokalen und staatlichen Reichweite unterschieden (Kapitel 9).
I. Theoretische und historische Hintergründe zum Kloster Sveti Naum
2 Geteilte religiöse Orte: Forschungsstand und Theorie
Die Komplexität der Ereignisse am Naum-Kloster wurde aufgrund seiner traditionell dominierenden Charakterisierung als Kontaktpunkt christlicher und muslimischer Bevölkerung vor allem als geteilter religiöser Ort beschrieben (Koneska 2013). Was sind jedoch geteilte religiöse Orte? Dieser Frage gehe ich im Folgenden nach und zeige dabei, dass die bisherigen Theorien zu geteilten religiösen Orten defizitär sind und deswegen um andere Ansätze ergänzt werden müssen. Für die Darstellung des Forschungsstands ziehe ich einschlägige Forschungsliteratur über geteilte religiöse Orte heran, die seit 2002 im Anschluss an die Meinungsverschiedenheit zwischen Robert Hayden und Glenn Bowman entstanden ist. Dazu gehören in erster Linie diverse Sammelbände und einzelne Artikel. Da es sich bei den Ereignissen am Naum-Kloster um ein religiöses Phänomen handelt, dessen Erforschung jedoch kaum religionswissenschaftliche Einsichten einbezieht, ergänze ich die Theorie mit Ansätzen der Religionswissenschaft. In drei Schritten gehe ich darauf ein, was »geteilte religiöse Orte« sind und zerlege den Ausdruck in seine einzelnen Bestandteile, die ich jeweils in einem Unterkapitel untersuche. Wer teilt wie und mit welchen Konsequenzen einen religiösen Ort? Welche Bedeutung trägt das Attribut »religiös« in diesem Kontext? Welches Ortsverständnis liegt der Debatte zugrunde? Dazu stelle ich dar, welche Aspekte die Forschung bisher beleuchtet und vernachlässigt hat, welche Beiträge in den Südosteuropastudien thematisiert wurden und welche Position die Religionswissenschaft vertritt.
2.1 S HARED – BETEILIGTE, PRAKTIKEN UND KONSEQUENZEN DES TEILENS Die Debatte um »shared religious places« konzentriert sich in ihren theoretischen Überlegungen vorrangig auf die Beteiligten, Praktiken und Konsequenzen des
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Teilens. Die Reflexion des geteilten Gegenstands und der Attribution als »religiös« oder »heilig« ist zweitrangig. Das Unterkapitel gibt einen Überblick über die Entwicklung der Debatte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Vertieft werden dabei die Ansätze der beiden dominierenden Redeführer der Debatte, Robert Hayden und Glenn Bowman. Anhand von strukturellen Gemeinsamkeiten beider Ansätze werden weitere Dimensionen des Diskurses um das Phänomen des Teilens religiöser Orte sowie der sich anschließenden Forschungsliteratur herausgearbeitet. Überdies decken die folgenden Ausführungen auch Schwächen der Forschung zum Teilen religiöser Orte auf und verweisen ergänzend auf Theorien von Religions- und Kulturkontakten sowie exemplarisch auf Studien über Religions- und Kulturkontakte in Südosteuropa. Angestoßen wurde die Debatte um geteilte religiöse Orte von Robert Hayden mit seinem Beitrag Antagonistic Tolerance. Competitive Sharing of Religious Sites in South Asia and the Balkans (2002a). Diesen Beitrag kommentierte unter anderem Glenn Bowman, der dadurch und infolgedessen neben Hayden zur lautesten Stimme in der Debatte wurde (Bowman 2002). Hayden weist auf die Forschungsanfänge bei Frederick William Hasluck hin, dessen Werk Christianity and Islam Under the Sultans seine Frau Margaret Hasluck 1929 post mortem veröffentlichte. Hasluck fertigte die Studie im Anschluss am Beobachtungen während seiner Reisen im Osmanischen Reich an, auf denen er diverse Orte besuchte, die sowohl von christlicher als auch von muslimischer Bevölkerung in religiösen Kontexten aufgesucht wurden. Haslucks herausragende Rolle für die Entwicklung dieser Forschungsrichtung zeigt sich auch an den drei zusammengehörenden Sammelbänden, die seine Arbeit kritisch untersuchen (Shankland 2004, 2013). Weitere Studien über das Miteinander verschiedener religiöser Gruppen an religiös konnotierten Orten im Kosovo stammen von Ger Duijzings (Duijzings 1993, 1999, 2000). Im Vergleich zu Hasluck basieren diese Untersuchungen zwar auch auf ethnographischem Material, allerdings verschiebt sich der Fokus von einer Darstellung sogenannter volksreligiöser Praktiken hin zu einer Analyse religiöser Phänomene im Kontext der politischen Situation und unter dem Einfluss politischer Eliten. Manfred Sing bot jüngst in seinem Beitrag mit dem treffenden Untertitel (How) Do We Share the Sacred? einen Überblick über die sich daran anschließende Debatte. Er verzeichnet ein zunehmendes Interesse an geteilten religiösen Orten aufgrund der vielfältigen Sammelbände mit Untersuchungen zu Beispielen geteilter religiöser Orte in Gegenden von Südosteuropa bis Indien, die in den letzten zwanzig Jahren erschienen sind (Sing 2019: 11). Entgegen der scheinbaren Exotik, die geteilte religiöse Orte zwischen Südosteuropa und Indien erwecken können, zeigt Sing in seinem Forschungsüberblick, dass geteilte religiöse Orte auch in nichtreligiösen Umgebungen zu finden sind (Sing 2019: 6-10). Beispiele
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dafür sind stille Räume in Flughäfen, Einkaufszentren, Universitäten, Krankenhäusern oder Gefängnissen. Eine auffällige Gemeinsamkeit aller Beiträge ist, dass sie sich in erster Linie auf das Teilen bzw. die Praktiken des Teilens und deren Konsequenzen für die Beteiligten konzentrieren. Dagegen wird selten auch in der Wortwahl ausgedrückt, dass es nicht um die geteilten Orte (»shared religious places«), sondern um das Teilen der Orte (»sharing religious places«) geht. Im Folgenden möchte ich daher aufzuzeigen, wer in dieser Debatte als die teilende Akteur:innen identifiziert wird, wie diese teilen und mit welcher Konsequenz. Hayden greift bei der Entwicklung seines Ansatzes einer antagonistischen Toleranz unter anderem auf die Studien Haslucks und Duijzings zurück (Hayden 2002a). Unter Bezug auf weitere philosophische Konzepte stellte er fest, dass frühere Ansätze die Koexistenz verschiedener religiöser Gruppen an einem religiösen Ort häufig als Toleranz bezeichneten, wobei vorrangig aktive, respektvolle Toleranz gemeint war. Als Zeichen positiver Toleranz wurden auch synkretistische Phänomene genannt. Hayden dagegen betont, dass es sich um eine antagonistische Toleranz handelt: In den Gesellschaften der untersuchten Beispiele herrsche eine Grundspannung, in der die demokratische Mehrheit Minderheiten unterdrücke. Infolge dessen finde ein subtiler Machtkampf statt, bei dem passive Toleranz gegenüber dem offenen Konflikt bevorzugt werde. Ein offener Konflikt und sichtbare Intoleranz seien mit zu hohen Kosten für die Gruppe verbunden. Die den Konflikt unterdrückende Toleranz sei daher kein Ergebnis von verantwortungsvoller Politik, sondern von Überzeugungsarbeit politischer Eliten. Angeblich erkennbare Synkretismen seien lediglich Momentaufnahmen des Konflikts und dienten als Strategien zur Überbrückung während der Zeit, in der sich keine Gelegenheit biete, die konkurrierende Gruppe zu vertreiben. Haydens ethnologischer Ansatz zeichnet sich dabei durch einen politikwissenschaftlichen Schwerpunkt aus. Den Synkretismusbegriff verwendet auch Dionigi Albera – allerdings in einer abgeschwächten Form, »to denote the circulation and intermingling of heteroclite practices and beliefs« (Albera 2012: 220).1 Glenn Bowman, der sich bereits von Anfang an kritisch mit Haydens Ansatz auseinandersetzte, machte insbesondere auf dessen problematisches, weil essentialistisches Identitätsverständnis aufmerksam. Bowman bereicherte die »shared religious places«-Debatte durch den Hinweis, Identitäten würden immer situativ ausgehandelt (Bowman 2002; 2012b: 2). Zudem sind religiöse Orte für Bowman nicht einfach »the repositories of core identities« (Bowman 2012b: 1). Noch etwa 20 Jahre früher behauptete Bowman, dass »heilige« Orte zentrale Momen1 Zur Problematik des Synkretismus vgl. Kapitel 2.2 Religious/Sacred – Bewertungskategorien und Deutungsansätze.
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te für die Identität derjenigen sind, die bestimmte Orte als »heilig« definierten (Bowman 1993: 431f). Dagegen betont er in Auseinandersetzung mit Hayden, dass Identitäten situationsbedingt durch einzelne identitätsstiftende Elemente bestimmt werden und somit kontextbedingt flexibel sind: Auch »identities at syncretic shrines can function with relative unfixity« (Bowman 2002). Allerdings tendierten Menschen aufgrund der Flexibilität von Identitäten angesichts identitätsbedrohender Situation dazu, das Gewaltpotential auszuleben, welches in Toleranzsituationen unterdrückt werde, zumal wenn sie durch das Verhalten von Eliten bestärkt würden. Folglich könne, müsse es aber nicht zu Gewaltausbrüchen kommen. Insbesondere in Grenzzonen sind Identitäten nach Bowman vielmehr »local products rather than extensions of the hegemonic orthodox discourses of state and sect« (Bowman 2012b: 4). Auch der von Bowman edierte Sammelband orientiert sich an dessen Hayden-Kritik. Demzufolge fragen die Beiträge danach, wie sich soziale Felder um die religiöse Räume zu diesen verhalten oder sie beeinflussen (Bowman 2012b: 4f). Während Hayden keine Änderung oder nur »leise« Aushandlungsprozesse annimmt, will der Band zeigen, dass Verhalten und Beziehung zu »heiligen« Orten und Objekten individuell sind und verschiedene unvereinbare Aspekte zusammenbringen: »mimicry, imitation, disavowal, and avoidance are core strategies of mixing the nominally incommensurate in and around the same place«. Dabei würden »offizielle« Bedeutungen teils verändert, um potentielle Widersprüche aufzulösen. Autoritäten könnten das Miteinander fördern oder behindern. Das Beziehungsgeflecht der lokalen Bevölkerung sei selten einfach und harmonisch, was sich im alltäglichen Umgang miteinander widerspiegele. Harmonie gebe es nur an den Orten, die unter monolithischer Kontrolle einer Autorität stünden, die die Zahl der Besucher:innen begrenze. Bowman zufolge können in jedem Fall an einzelnen Orten und durch Rituale vorgestellte Gemeinschaften zwischen verschiedenen Gruppen entstehen. Bowmans Kritik an Haydens Ansatz schließen sich mehrere Sammelbände an, deren Beiträge allesamt zeigen, dass es verschiedene Strategien gibt, religiöse Orte zu teilen, das Miteinander dort auszuhandeln, und dass es nicht zwingend zu einem Konflikt zwischen den sich gegenüberstehenden Gruppen kommen muss. Der bereits genannte und von Bowman herausgegebene Sammelband bietet Beispiele aus Südosteuropa bis hin zu Nepal (Bowman 2012c). Daneben untersuchen Dionigi Albera und Maria Couroucli mit einem ethnologischen Zugang geteilte religiöse Orte im Mittelmeerraum (Albera/Couroucli 2012). Sie stellen unter anderem die Frage: »how useful is it for our analysis to distinguish between ›popular practices‹ and ›official religion‹« (Couroucli 2012b: 5). Diese Frage beantwortete die Religionswissenschaft seit dem cultural turn damit, dass beide – insofern sie zu unterscheiden sind – in den Untersuchungen gleichberechtigt
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nebeneinander stehen sollen (vgl. Bochinger 2013: 21). Elazar Barkan und Karen Barkey beschäftigen sich im Vergleich dazu mit dem Raum des ehemaligen Osmanischen Reichs (Barkan/Barkey 2014a). Ihr Beitrag zur Debatte besteht in dem Versuch, zu überprüfen, »whether sharing and contestation are politically or religiously motivated« (Barkan/Barkey 2014b: 1). Sie hinterfragen damit frühere Studien, die politische und religiöse Motivationen nicht explizit voneinander trennten. Dass das Teilen religiöser Orte auch weiterhin für die Wissenschaft von großem Interesse ist, zeigt sich in anderen laufenden Projekten verschiedener Disziplinen, deren Ergebnisse die Debatte beeinflussen können. Die Projekte können hier aufgrund ihrer Vielzahl nur exemplarisch angedeutet werden. Das große Interesse an solchen Fragen wird beispielsweise daran deutlich, dass sich einige Sessions der Jahrestagung der European Assocciation for the Studies of Religion im Jahr 2019 dem Thema widmen (EASR 2019). Einen weiteren Sammelband zu diesem Themenkomplex mit dem Titel Geographies of Encounter: The Rise and Fall of Multi-Religious Spaces bereiten Marian Burchard (Universität Leipzig) und Maria Chiara Giorda (Universität Turin) vor.2 Die Beiträge des Bandes untersuchen multireligiöse Kultstätten, Städte und Landschaften auf die Fragestellung hin, wie diese mit politischen Autoritäten und religiösen Gemeinschaften in Geschichte und Gegenwart interagieren. Im Rahmen ihres PostDoc-Projekts Shared places of Cult of Muslims and Christians in Macedonia in everyday praxis and Islamic jurisprudence beschäftigt sich Olimpia Dragouni (Humboldt-Universität Berlin) mit dem Phänomen in Mazedonien (Dragouni 2019). In der Slawistik angesiedelt, untersucht sie dafür auf der Basis von insbesondere offizielle muslimische Perspektiven Texten. In diesem Rahmen fand im Dezember 2019 auch eine Tagung mit dem Titel Discourses and practices of space sharing: Christians and Muslims in the Balkans statt. Ähnliche Studien, die sich nicht explizit und ausschließlich in den Forschungsdiskurs um geteilte religiöse Orte einreihen, untersuchen neben interreligiösen Kontakten und gemeinsamen Praktiken auch die Entwicklungen in postsozialistischen Gebieten. Dazu gehört etwa der Sammelband von Jonathan Harris, Catherine Holmes und Eugenia Russell, in dem mittels eines historischen Zugangs die Kontakte zwischen Byzantines, Latins, and Turks in the Eastern Mediterranean World after 1150 betrachtet werden (Harris et al. 2012). Tsypylma Darieva, Thede Kahl und Svetoslava Toncheva arbeiten in ihrem Sammelband Gemeinsamkeiten von Sakralität und Mobilität im Kaukasus und in Südosteuropa heraus (Darieva et al. 2017b). In einem weiteren Sammelband über den Kaukasus, herausgegeben 2 Die Informationen darüber stammen von den Herausgeber:innen (PN 10.06.2019/ 15.07.2019).
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von Tsypylma Darieva, Florian Mühlfried und Kevin Tuite, stehen ebenfalls neue religiöse Orte und Räume in einer religiös pluralen postsowjetischen Gegend im Mittelpunkt (Darieva et al. 2018b). Obwohl Haydens und Bowmans Ansätze auf den ersten Blick sehr unterschiedlich scheinen, gilt zusammenfassend, dass sie doch einige Gemeinsamkeiten aufweisen. Diese beziehen sich auf die Beschreibung der Akteur:innen, der Formen des Teilens und der Konsequenzen des Teilens, worauf ich im Folgenden näher eingehe: Die Akteur:innen werden sowohl wegen ihrer religiösen Zugehörigkeit als auch wegen ihrer soziopolitischen Situation als Mehr- oder Minderheit gekennzeichnet. Dabei fällt besonders auf, dass die Beteiligten meist dichotom angeführt werden: Christ:innen und Muslime/Muslimas, Sunnit:innen und Angehörige von Sufi-Orden, Geistliche und Lai:innen, Albaner:innen und Serb:innen oder Mazedonier:innen, Israelis und Palästinenser:innen, politische Elite und einfache Bevölkerung. Diese Unterscheidungen zwischen verschiedenen religiösen und/oder politischen Gruppen setzt sich in fast allen Studien zu »shared religious places« fort. Auffällig ist dabei, dass die Beispiele meist aus Bereichen kommen, in denen religiöse und ethnisch-nationale Zugehörigkeiten historisch voneinander abhängig entstanden sind und sich bis in die Gegenwart stark überschneiden. Die dichotomen Unterscheidungen der Akteur:innen sind die augenscheinlichsten und leiten sich von religiösen Hierarchien oder gesellschaftlichen Teilungen ab. Es geht folglich meist um Orte, die von einer bestimmten institutionalisierten religiösen oder ethnisch-nationalen Gemeinschaft dominiert werden (Darieva et al. 2018a: 6-8). Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die Besucher:innen – trotz erkennbarer Unterschiede zwischen lokalen Praktiken und offiziell religiösen Perspektiven –nicht im Widerspruch zu den konventionellen Religionsgemeinschaften sähen (Darieva et al. 2018a: 12f). Vielmehr betrachten sie sich als Teil ihrer Religionsgemeinschaften als wahre Gläubige, ohne dabei religiös zu polarisieren. Die Formulierung dichotomer Unterscheidungen lässt bereits anklingen, dass die Realität weit komplexer ist. Exemplarisch seien an dieser Stelle die Torbeschis, die Aromun:innen und die Albaner:innen genannt. Die Torbeschis sind muslimische Mazedonier:innen, die sich schwerlich mit der Idealvorstellung einer orthodoxen mazedonischen Nation vereinbaren lassen. Aromun:innen stellen eine sprachliche Minderheit dar und gehören oftmals der orthodoxen Kirche an, werden wegen ihrer geringen Anzahl jedoch kaum von der slawisch orthodoxen Mehrheit in Mazedonien unterschieden, sondern oftmals vernachlässigt. Albaner:innen schließlich definierten sich zunehmend über ihre gemeinsame Sprache statt über religiöse Zugehörigkeiten. Bereits daran wird deutlich, dass vor allem Haydens, teilweise aber auch Bowmans Studien in der Darstellung der Akteur:innen verkürzt sind, da sie die Beteiligten nicht komplex genug beschreiben. Dies
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mag auch der Kürze der einzelnen Beiträge geschuldet sein. Eine sinnvolle Unterscheidung scheint daher die von Barkan und Barkey vorgeschlagene zu sein: »religiös« steht bei ihnen im Gegensatz zu »politisch« »as a heuristic device in order to distinguish between the theological and confessional aspects of religion and the political goals of the group« (Barkan/Barkey 2014b: 2).3 Hinsichtlich der Akteur:innen beobachtete Albera außerdem, dass »the shrines of other religions seem to attract more women than men because women are less involved in more ›official‹ forms of worship, but men do often cross religious frontiers« (Albera 2012: 232). Außerdem sieht er vor allem eine muslimische Beteiligung an christlichen Kultstätten, aber kaum christliche Bevölkerungsgruppen an muslimischen Orten (Albera 2012: 224). Die Form des Teilens von Orten, die einer Religionsgemeinschaft zugerechnet werden, besteht in erster Linie im Aufsuchen eines physischen, religiös konnotierten Ortes und in zweiter Linie in bestimmten lokalen Praktiken. Das Aufsuchen religiöser Orte wird oftmals mit dem religiös konnotierten Wort Pilgern bezeichnet, das eine bestimmte Motivation der Besucher:innen vermuten lässt. An diesem Punkt überschneidet sich die »shared religious places«-Debatte mit der Pilgerforschung, in der sich zuletzt für die Region Südosteuropas unter anderem John Eade, Mario Katić, Tomislav Klarin und Mike McDonald hervorgetan haben (Eade/Katić 2014b; Katić et al. 2014b). Diverse Beiträge thematisieren auch das interreligiöse, -ethnische und -nationale Mit- und Gegeneinander an religiösen Pilgerstätten (Baeva 2014; Katić 2014a; Martić/Belaj 2016; Tsimouris 2014). Es ist jedoch auffällig, dass alle jüngeren Beiträge entweder auf Theorien der Pilgerforschung oder auf die »shared religious places«-Debatte eingehen. Lediglich durch ein Nachwort von Bowman in dem von Eade und Katić herausgegebenen Sammelband Pilgrimage and Sacred Places in Southeast Europe. History, religious tourism and contemporary trends werden die beiden Forschungsstränge ansatzweise miteinander verbunden (Bowman 2014). Zur Beantwortung der Frage nach der Form des Teilens gehört auch die Beobachtung, dass sich der Prozess des Teilens abhängig vom Einfluss politischer und religiöser Eliten unterschiedlich ausprägen kann. Darieva, Mühlfried und Tuite halten in der Einleitung ihres Sammelbands Sacred Places, Emerging Spaces: Religious Pluralism in the Post-Soviet Caucasus fünf Formen des Umgangs mit religiös gemischten Orten im postsowjetischen Kaukasus fest: »outright destruction […], purification […], toleration […], control […], appropriation and incorporation« (Darieva et al. 2018a: 11f). Aufgrund historisch bedingter politischer und religiöser Ähnlichkeiten zwischen Kaukasus und Balkan (Darieva et al. 2017a) 3 Einen Überblick über den Forschungsstand zur Verbindung von Politik und institutionalisierter Religion in Südosteuropa bietet Petrović 2012: 21-23.
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lassen sich auch in Bezug auf den Umgang mit religiös geteilten Orten Parallelen annehmen. Neben dem Teilen religiöser Orte wurde auch das Nichtteilen von physischen religiösen Orten und das Teilen nicht »heiliger« Orte thematisiert. Diese Forschungslücke zeigten die Herausgeber:innen des Sammelbands über die heiligen Orte im Kaukasus auf (Darieva et al. 2018a: 9f). Entgegen Annahmen in Anlehnung an die Theorien von Hayden und Bowman halten die Herausgeber:innen fest, dass Nicht-Teilen weder Anfeindung nach sich ziehen noch ein friedliches Zusammenleben behindern muss. Im Anschluss an eine frühere Studie von Annette Weiner zeigen sie, dass das Nicht-Teilen einen Wert des nicht Geteilten erzeugt und gleichzeitig sehr wohl von einem bewussten Zusammenleben und Toleranz zeugt. Zwei Beiträge des Sammelbands verdeutlichen: »cohabitation does not necessarily lead to sharing, collaboration or religious mixing«. Mühlfried, einer der Herausgeber, erläutert in seinem Artikel Not Sharing the Sacra am Beispiel des Zusammenlebens der jüdisch-christlichen Bevölkerung im georgischen Racha, dass das Nicht-Teilen eine Form der gegenseitigen Wertschätzung und des Respekts sein kann (Mühlfried 2018). Dabei weist er auch auf Zusammenhänge zwischen religiösem, wirtschaftlichem und sozialem Lebensbereich auf, die einander positiv beeinflussen können. Wichtig ist dabei das Verhältnis zwischen Mehr- und Minderheiten, weil letztere durch das Nicht-Teilen von religiösen Orten auch keine territorialen Ansprüche erheben, was das Miteinander beeinträchtigen könnte. Der zweite Beitrag in dem Sammelband zu Konsequenzen des Teilens trägt den Titel Sharing the Not-Sacred. Rabati and Displays of Multiculturalism und stammt von Silvia Serrano. Sie untersucht den Rabati-Komplex im georgischen Achalziche, dessen Restauration mit erkennbar religiösen Gebäuden wie einer Moschee und einer orthodoxen Kirche staatlich finanziert wurde, aber dennoch keinen praktischen religiösen Bezug hat (Serrano 2018). Denn die staatliche Deutungshoheit unterbindet jegliche religiöse Praxis in den Gebäuden der verschiedenen religiösen Gemeinschaften innerhalb des Komplexes, so dass nicht von einem Ort mit geteilter religiöser Praxis gesprochen werden kann. Die staatliche Förderung der Implementierung eines augenscheinlich multireligiösen Ortes enthüllt Serrano vielmehr als Tourismusstrategie: Der museale Gebäudekomplex verweist auf die historische Vielfalt Georgiens und erzeugt dabei das Bild von friedlichem Zusammenleben und einem »Neuen Jerusalem«. Albera stellte darüber hinaus fest, dass generell kaum ein wirkliches Miteinander des Teilens entsteht (Albera 2012: 234-239). Diejenigen Gruppen, zu deren religiöser Tradition der religiöse Ort nicht gehöre, die also nicht »zu Hause« seien, verhielten sich anders als diejenigen, die das »Hausrecht« hätten. Auf diese Weise erkläre sich die Beobachtung, dass nur wenige religiöse Praktiken aus Re-
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spekt bei beiden Gruppen zu finden seien, wie etwa das Anzünden von Kerzen. Das liege nur bedingt daran, dass einige Elemente wie das Kreuz christliche und muslimische Besucher:innen grundsätzlich trennten. Andere Aktivitäten an religiösen Orten, die nicht offensichtlich religiös konnotiert seien, könnten dagegen ohne Weiteres bei beiden Gruppen beobachtet werden. Zusammenfassend meint Albera: »The interaction between the followers of different religions inside these shrines is complex. Most of the time, the interaction is minimal and episodic, and moments of communion are rare« (Albera 2012: 238). Die Geistlichen, die für geteilte religiöse Orte zuständig seien, seien meist aufgeschlossen gegenüber Besucher:innen anderer religiöser Traditionen und kämen Bitten um Segen nach, den sie als transreligiöses Gut betrachteten. Für die Konsequenz des Teilens weist Hayden verstärkt auf das Konfliktpotential hin, wogegen Bowman Aushandlungsprozesse betont, die friedlich oder konflikthaft sein können stärker. Gemeinsam ist beiden Ansätzen, dass das Teilen eines Ortes niemals zwischen gleichberechtigten Gruppen stattfindet, wie Anna Biegelow festgestellt hat (vgl. Barkan/Barkey 2014b: 3). Auch in Bezug auf essentialistische Identitäten an geteilten religiösen Orten lassen sich Parallelen erkennen: Während Bowman Hayden für sein essentialistisches Verständnis religiöser Identitäten kritisiert, die an geteilten religiösen Orten aufeinander prallten, stellt Mühlfried auch bei Bowman in gewissem Maße ein essentialistisches Identitätsverständnis fest (Mühlfried 2018: 169f). Bowman geht zwar nicht von festgeschriebenen religiösen Identitäten aus, behauptet aber lokale Identitäten, die insbesondere in Grenzgebieten wichtiger seien (Bowman 2012b: 4). Haydens Ansatz zielt darauf ab, dass die sich in religiöser und/oder politischer Hinsicht gegenüberstehenden Gruppen miteinander konkurrieren würden, weil sie so klare Gruppengrenzen aufrechterhielten. Ähnliche Schlussfolgerungen lassen Bowmans Ausführungen zu, denn die Beteiligten scheinen ihre lokale Identität zugunsten eines gutnachbarschaftlichen Miteinanders zu pflegen (Bowman 2002). Gewaltsame Konflikte brechen nur durch den Einfluss von Eliten in identitätsbedrohenden Momenten aus. In beiden Ansätzen deutetet sich der Zirkelschluss an, die aufgezeigten Konsequenzen gingen aus bestimmten Motivationen hervor. Die Vermutung eines Zirkelschlusses bei Bowman verstärkt sich vor allem aufgrund seiner expliziten Annahme einer praktischen Nostalgie, die beim Teilen der Orte eine wichtige Rolle spiele: »The idea of ›practical nostalgia‹ implies the impulse towards sharing sites and practices around sites is often neither conscious nor ideological, but instead is resident as a sort of habitus within images of efficacious activities appropriate to the sites« (Bowman 2012b: 6, Hervorhebung im Original). Demzufolge streben Menschen laut Bowman unbewusst ein friedliches Zusammenleben an. Vor dem Hintergrund der Theorien zu vorgestellten Gemeinschaften ist es nicht überra-
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schend, dass Bowman die Zugehörigkeit zu einer lokalen Gemeinschaft als bedeutsamer einschätzt als diejenige zu einer größeren religiösen oder nationalen Gemeinschaft. Benedict Anderson definiert alle Gemeinschaften, die größer sind als Dörfer und in denen sich alle persönlich kennen, als vorgestellt (Anderson 2006: 6f). Gemeinschaften unterscheiden sich folglich nach der Art ihrer Vorstellung, wobei es leichter ist, sich vorzustellen, Teil eines Stammes oder einer kleinen lokalen Gemeinschaft als einer großen, vielleicht sogar transnationalen Religionsgemeinschaft zu sein. Andersons Ausführungen beziehen sich nicht auf die Zugehörigkeit zu Religionsgemeinschaften, sondern auf Nationen, die er als »imagined political community« bestimmt (Anderson 2006: 6). Weitere bekannte Theorien zu Nationen stammen von Eric Hobsbawm und Ernest Gellner, die einen größeren Schwerpunkt auf Nationen als Territorialstaaten und den subjektiven Willen als Grundlage zur Nationenbildung legen (Gellner 1983; Hobsbawm 1990). Im Zuge der Nationenbildung werden neben dem Territorium auch Geschichte, Sprache, Kultur und Religion als identitätsstiftende Merkmale einer Nation diskutiert. Für die Gegenwart haben sich zwei idealtypische Nationsformen herausgebildet (Sundhaussen 2016c). Die eine definiert sich über die Staatsbürgerschaft ihrer Mitglieder, der sie die »ethn[ische] Herkunft der Mitglieder unter[ordnet]«. Die andere Nationsform sieht dagegen in Kultur ihre Grundlage und kann daher »als Fortsetzung der Ethnie verstanden« werden. In Südosteuropa ist die größte ethnisch-nationale Gruppe meist gleichzeitig die Titularnation, von deren Selbstbezeichnung sich der Staatsname ableitet. In einer solchen Kulturnation werden »Staatsbürger, die nicht zur Titularnation des Staates gehören, […] als ethn[ische] oder nationale Minderheiten verstanden.« In Südosteuropa ist die Idee der Kulturnation stärker vertreten, was sich auch daran zeigt, dass etwa im Südslawischen die Begriffe »Nation« und »Ethnie« kaum voneinander zu unterscheiden sind, da beide mit dem Wort narod wiedergegeben werden können (Sundhaussen 2016b). Eng mit dem Nationsbegriff ist in Südosteuropa die Frage nach dem Verhältnis der christlichen und muslimischen Bevölkerung verbunden (Sundhaussen 2011: 106). Im 19. und 20. Jahrhundert gestaltete sich die Verhältnisbestimmung dynamisch zwischen Exklusion und Inklusion muslimischer Minderheiten und der Vorstellung einer politischen Identität jenseits religiöser Zugehörigkeiten. In der bisherigen Forschungsliteratur fällt auf, dass das Teilen und seine Konsequenzen im Mittelpunkt stehen. Fragen nach religiösen Handlungsmotivationen und Deutungsperspektiven der Akteur:innen fehlen weitgehend. Stattdessen stehen häufig die politischen Interessen der Beteiligten im Mittelpunkt, wobei oft ein Ungleichgewicht zwischen einer religiös und/oder politisch dominanten Mehrheit und einer dominierten Minderheit erkennbar ist. Zum Beispiel ist an christlichen Kultstätten meist eine muslimische Beteiligung erkennbar (Albera 2012: 224).
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Speziell für die Feier der Gedenktage von Heiligen und die damit einhergehende Verehrung hält Stefan Rohdewald einige Gründe fest, warum sich muslimische Bevölkerung partiell an christlichen Festen und Praktiken beteiligt. Ähnlich wie Bowman zeigt Rohdewald am Beispiel von Kyrill und Method, dass der »gesellige Aspekt [und die damit] verbundenen sozialen Praktiken«, also das Bedürfnis eine Gemeinschaft zu bilden, für interreligiöse Kontakte ausschlaggebend seien (Rohdewald 2009: 162). Damit können auch Gastfreundschaft und Neugier als Gründe angeführt werden, wie auch aus jüngeren ethnographischen Studien hervorgeht (vgl. Đorđević/Todorović 2007: 89f, 95). Laut Rohdewald war und ist »für die Anziehungskraft eines Heiligenkults auf Angehörige jedweder Religion [, auch des Islams,] die Aussicht [entscheidend], in den Genuß seiner Heilungskraft zu kommen, bzw. in Anlehnung an Bourdieu sein ›sakrales Kapital‹« (Rohdewald 2009: 156). Zusammen mit dem sozialen Aspekt der Gastfreundschaft ist auch die weniger religiös geprägte Perspektive der Heilung zu finden: Weniger die Feier eines Heiligen selbst, als vor allem der Besuch eines christlichen Orts, der mit einem christlichen Wunderheiler verbunden ist, kann der Erholung dienen (Couroucli 2012a: 48). Ältere Forschungsansätze sehen die Argumente für christlich-muslimische Kontakte im Kontext der Heiligenverehrung und des gemeinsamen Aufsuchens christlicher Orte stärker in religiösen Inhalten und Überzeugungen: Einerseits scheint ein Grund darin zu liegen, dass es in anderen Religionen wie im Islam keine Alternativen zu vorchristlichen und vorislamischen Elementen gibt, die zum Beispiel den Jahreszeitenwechsel oder andere Übergänge markieren (Petzolt/ Wiertz 1997: 98). Andererseits gehört in Südosteuropa und in der Südosteuropaforschung die These, dass es sich bei den muslimischen Beteiligten um »Kryptochrist:innen« handele, zu den häufigsten Erklärungen. Als »Kryptochrist:innen« werden historisch diejenigen bezeichnet, die scheinbar nur aus oberflächlichen pragmatischen Gründen zum Islam konvertierten, in der Familie jedoch weiterhin christliche Traditionen und Praktiken pflegten.4 Ein Vertreter dieser These war der serbische Philologe Vuk Karadžić (Rohdewald 2009: 157f). Allgemein kann das Teilen religiöser Orte und Praktiken als eine Form des Kontakts zwischen Religionen verstanden werden. Im Unterschied zum sogenannten interreligiösen Dialog, der gegenwärtig ein immer wieder auftauchendes Stichwort ist, wenn es um das Zusammenleben verschiedener religiöser Gruppen geht, bleiben interreligiöse Kontakte meist unbeachtet. Anhand von Definitionen des interreligiösen Dialogs möchte ich kurz skizzieren, was ich unter interreligiö4 Weitere Informationen zum Phänomen des Kryptochristentums sowie einige Probleme, die die Bezeichnung »Kryptochrist:innen« mit sich bringt, folgen im Kapitel 2.2 Religious/Sacred – Bewertungskategorien und Deutungsansätze.
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sen Kontakten verstehe und worin die Unterschiede liegen. Unter dem Ausdruck interreligiöser Dialog wird nach Michael Schmiedel »jedes Gespräch zwischen Menschen mit unterschiedlichen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen [gefasst], in dem diese Überzeugungen thematisiert werden […]« (Schmiedel 2008: 229). Daran anschließend können verschiedene Ebenen ausgemacht werden, die sich zwar überschneiden können, in einer wissenschaftlichen Betrachtung jedoch voneinander zu unterscheiden sind. Laut Ulrich Dehn reichen die Gespräche von »niedrigschwellige[n] Gespräche[n] und Begegnungen, die im lebensweltlichen Kontext zur Verbesserung der Atmosphäre beitragen«, bis hin zu »offizielle[n] Dialoge[n] von Repräsentanten religiöser Gemeinschaften« (Dehn 2008: 242). Interreligiöse Dialoge zielen demnach auf ein friedliches Zusammenleben, über das auf der Basis von Religion und Kultur explizit gesprochen wird. Im Unterschied dazu können interreligiöse Kontakte auch auf der Handlungsebene stattfinden, wobei eigene Überzeugungen im Kontakt unterschwellig und unreflektiert mitschwingen. Zudem können Kontakte auch negative Begegnungen wie Kriege umfassen, neue Glaubenslehren und Praktiken hervorbringen und politisch instrumentalisiert werden. Stärker als Kontakte zwischen Religionen sind im Allgemeinen Kontakte von Kulturen erforscht worden. Darauf näher einzugehen, überschreitet das Interesse des Unterkapitels. Allerdings ist es notwendig, kurz darauf hinzuweisen, da »sharing« bereits impliziert, dass zwei unterschiedlich geprägte Gruppen zusammenkommen und ein wie auch immer gearteter Austausch stattfindet. Deswegen seien lediglich einige Aspekte genannt, die etwa Cem Kara in seinem Überblick über Kulturbeziehungen in seiner Studie zu den Bektaschis wiedergibt (Kara 2019: 32-46). Kulturen sind in Anlehnung an Geertz als »selbstgesponnene Bedeutungsgewebe« zu interpretieren (Geertz 2007: 9). Sie prägen die Wahrnehmung und die Konstruktion des Eigenen und des Fremden. Gleichzeitig liefern sie verschiedene Strategien, um mit fremden Kulturen und Kulturelementen umzugehen und sie in Beziehung zum Eigenen zu setzen. Dem konstruktivistischen Ansatz entsprechend sind Kulturen nicht statisch unveränderlich, sondern stehen im Austausch und können auch aktiv konstruiert werden, wobei sich die verschiedenen Strategien der Separation, Aneignung und Abgrenzung von fremden Kulturelementen unterscheiden lassen.5 Geertz’ Ausdruck »selbstgesponnene Bedeutungsgewebe« für Kultur lässt zwar den Rückschluss der Konstruktion zu, lässt jedoch nicht erkennen, woraus sich das Gewebe zusammensetzt. Die Religionswissenschaftlerin Anne Koch greift für ihr eigenes kulturwissenschaftliches Religionskonzept, das an späterer 5 Wie das Verhältnis von Kultur und Religion bestimmt werden, kann folgt im Kapitel 2.2 Religious/Sacred – Bewertungskategorien und Deutungsansätze.
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Stelle eingeführt wird, das Kulturverständnis von Carley H. Dodd auf, mit dem sie diese Frage nach den Elementen des Gewebes beantworten kann: Dodd entwirft ein Kulturmodell mit zwei Kreisen um ein Zentrum mit »impliziten und hintergründigen Überzeugungen« (Koch 2007b: 23). Koch fasst dieses Modell wie folgt zusammen: »Zum Zentrum gehören die Kulturgeschichte und Identität einer Gesellschaft und ihre Überzeugungen, Werte und ihr Weltbild. Im ersten Ring um dieses Zentrum siedelt Dodd Rituale, Regeln, Belohnung/Bestrafung, Raumzeit, soziale Rollen und Beziehungen sowie Technologien (Essen, Kleidung, Werkzeuge) und Kunst, Wandlungsfähigkeit, nonverbale und sprachliche Interaktion an. Im zweiten, äußeren Ring ist der Ort von Institutionen oder allgemeiner von Systemen: Bildungssystem, Ökonomie und Verwandtschaftssystem, Arbeitswelt, Gesundheitswesen, politisches System und religiöse Systeme.«
Koch sieht darin nicht nur den Vorteil, dass Elemente von Kultur erkennbar werden, sondern auch, dass Dodd diese ins Verhältnis zueinander setzt. Einwände diskutierend, die die Anordnung der Elemente betreffen, entwickelt Koch die These, dass Kulturelemente in unterschiedlicher Konstellation miteinander in Verbindung treten können (Koch 2007b: 23f). Diese Konstellationen ergeben ein Muster, das es laut Koch auf der Metaebene zu analysieren gilt. Einen Überblick über die Entwicklung des interreligiösen Dialogs in den jugoslawischen Nachfolgestaaten bietet Geert van Dartel (Van Dartel 2000). Dabei wird deutlich, dass interreligiöse Dialoge zum Zweck eines friedlichen Zusammenlebens nach den Zerfallskriegen zwar sinnvoll erscheinen, jedoch noch in den Anfängen stecken. Folglich sind auch die zu beobachtenden Momente, in denen verschiedene religiöse Traditionen aufeinandertreffen, eher als interreligiöse Kontakte denn als Dialoge zu verstehen. Mit verschiedenen Kontaktformen zwischen Religionen und Kulturen des Zusammenlebens von christlicher und muslimischer Bevölkerung in Südosteuropa setzen sich die Beiträge des Sammelbandes Christen und Muslime. Interethnische Koexistenz in südosteuropäischen Peripheriegebieten unter verschiedenen Aspekten auseinander (Kahl/Lienau 2009). Der Band ist vor allem deshalb besonders wertvoll, weil die ausgewählten Beiträge eine Spannbreite von historischen und zeitgenössischen Phänomenen abdecken. Mit Blick auf die vorliegende Arbeit ist vor allem der darin enthaltene und bereits angeführte Aufsatz von Rohdewald relevant, der sich mit der muslimischen Verehrung christlicher Heiligen beschäftigt (Rohdewald 2009). Auch der Beitrag von Gabriella Schubert streift das Thema interreligiöser Kontakte, den sie im so-
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genannten Volksglauben verortet (Schubert 2009).6 Neben der bereits genannten Monographie von Kara über die Kulturbeziehungen des Bektaschi-Ordens existiert eine ähnliche, aber schlankere Studie von Kiriakidis mit dem Titel Bektaschitum und griechisches orthodoxes Mönchtum. Religionskontakt und Vergleich zweier mystischer Traditionen (Kiriakidis 2010). Weniger auf bestimmte Bevölkerungsgruppen, sondern auf einen Ort bezogen, ist dagegen die Untersuchung der christlich-islamischen Koexistenz in Prizren (Zirojević 2004). Auffällig in der Debatte um »shared religious places« ist, dass sie sich zwar damit auseinandersetzt, wie ein religiöser Ort geteilt wird. Allerdings wird dabei weitgehend die kritische Beschäftigung mit dem vergessen, was einen »religiösen Ort« ausmacht. Die folgenden beiden Unterkapitel sollen dieses Desiderat aufgreifen und für die damit zusammenhängenden Probleme sensibilisieren. Dabei geht es zunächst um die Frage, was »religiös« meint, denn die Begriffe zur Charakterisierung religiöser Phänomene sind bisher sowohl in der »shared religious places« als auch in den Studien aus der Südosteuropaforschung unzureichend thematisiert und reflektiert worden. Anschließend geht es darum zu zeigen, was einen Ort ausmacht, um auch das Verhältnis des Heiligen Naum zu seinem Kloster zu klären.
2.2 R ELIGIOUS/SACRED – BEWERTUNGSKATEGORIEN UND DEUTUNGSANSÄTZE Die Begriffe »heilig« und »religiös« werden in der Debatte um geteilte Orte unhinterfragt und oft synonym zueinander verwendet. Dies kann zum Beispiel ungewollte Bewertung zur Folge haben, die es aufzudecken gilt. Dazu skizziere ich in den folgenden Ausführungen die von Mircea Eliade grundgelegte Begriffsbestimmung sowie die gegenwärtige religionswissenschaftliche Perspektive, bevor ich auf die dürftigen Erklärungsansätze innerhalb der »shared religious places« Debatte eingehe. Anschließend folgt ein etwas umfangreicherer Einblick in die Bewertung religiöser Phänomene innerhalb der Südosteuropastudien und in damit einhergehende Probleme. Die Darstellung zielt darauf ab, das kulturwissenschaftliche Religionskonzept von Anne Koch für beide Bereiche – die »shared religious places«-Debatte und die Südosteuropastudien – fruchtbar zu machen, um somit Analysen von der Objekt- auf die Metaebene zu heben und zu reflektieren. Grundlage für die synonyme Verwendung von »religiös« und »heilig« ist die Arbeit des rumänischen Religionswissenschaftlers Eliade. Er definiert das Heilige 6 Anmerkungen zur problematischen Verwendung des Begriffes »Volkglauben« folgen im Kapitel 2.2 Religious/Sacred – Bewertungskategorien und Deutungsansätze.
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als getrenntes Gegenüber des Profanen (Eliade 1957: 7-12). Eliade setzt voraus, dass jeder Mensch einer Religion angehört und somit ein homo religiosus ist. Im Zuge dessen versucht er religionsphänomenologisch »heilige« und »profane« Momente in der Welt der homines religiosi auszumachen. Religionswissenschaftliche Ansätze zur Erforschung »religiöser« oder »heiliger« Orte kritisieren Eliades feststehende Dichotomie und untersuchen die Prozesse der Zuschreibung aus konstruktivistischer Perspektive (Sing 2019: 13f). Die Religionswissenschaftlerin Kim Knott, deren Raumanalyse ich an späterer Stelle einführe, schreibt, dass unter Bezug auf Jonathan Z. Smith »heilige Räume« nicht phänomenologisch, sondern als konstruiert zu betrachten seien (Knott 2015: 209). Infolgedessen habe Smith »das Heilige als eine transitive Kategorie [verstanden], die aus menschlicher ritueller Praxis und Zuschreibung von Bedeutung und Wert entsteht«. So werden Orte, Personen oder Gegenstände allgemein als deutungsoffen betrachtet. In der genannten Debatte hingegen kommt weiterhin tendenziell eine unhinterfragte parallele Begriffsverwendung von »sacred« und »religious« zur Anwendung. Bowman wies bereits in seiner frühen Studie von 1993 darauf hin, dass religiöse Orte mehrdeutig sein können (Bowman 1993: 431f, 453f). Die Mehrdeutigkeit beziehe sich auf seine Beobachtung, dass religiöse Orte sowohl für religiöse als auch lokale, nationale oder soziale Identitäten relevant sein können. In dieser Studie untersuchte er, wie sich Mehrdeutigkeit in Krisensituationen oder Momenten der Bedrohung reduzieren und sich dann eine Perspektive verfestigen kann. Auch in dem 2012 von ihm herausgegebenen Sammelband verdeutlicht er, dass es ihm um soziale Felder geht, die Orte mit hervorbringen und die dort folglich auch zu erkennen sind (Bowman 2012b: 4f). Die Frage nach der Zuschreibung bestimmter Eigenschaften bzw. der Charakterisierung eines Ortes als »religiös«, »multireligiös« oder »heilig« beantwortet er jedoch nicht. Ebenso wenig diskutiert er, was er mit den Ausdrücken »holy«/»sacred« oder »religious« meint. Er verweist lediglich darauf, dass »holy places« zentrale Momente für die Identität derjenigen sind, die Orten eine identitäts- und gemeinschaftsstiftende Bedeutung zuschreiben (Bowman 1993: 431f). Was genau »heilig« in verschiedenen Religionen bedeutet, kann jedoch nicht pauschalisiert werden.7 Vielmehr legt jede Gemeinschaft selbst fest, welcher Ort für sie unverrückbar »heilig« im Sinne von identitätsstiftend ist. Häufiger vermeidet Bowman derartige Begriffe zur Beschreibung von Orten jedoch und spricht stattdessen von »shrines«, womit er die religiöse Konnotation des physischen Ortes impliziert (Bowman 1993, 2010, 2012a, 2013, 2019).
7 Einen Überblick über die Entwicklungen und die Unterschiede innerhalb der drei miteinander verwandten monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam bietet Schmitz 2017.
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Darüber hinaus sind Bowmans Studien für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse, weil seine Ergebnisse teilweise auch auf Forschungen in Mazedonien beruhen und somit im selben Untersuchungsraum wie die Forschung der vorliegenden Arbeit zu verorten sind. Für seine Feldforschung in Mazedonien arbeitete er auch mit Elizabeta Koneska, einer Mitarbeiterin des Ethnographischen Museums in Skopje (Mazedonien) zusammen. Aus dieser Kooperation heraus verfasste Koneska einige Beiträge über geteilte religiöse Orte in Mazedonien (Koneska 2006, 2012, 2013). In einem der Artikel betrachtet sie unter anderem auch das Naum-Kloster im Süden des Ohrid-Sees als geteilte Kultstätte (Koneska 2013). Ihr Forschungsansatz gleicht dem Bowmans: Sie stellt die Geschichte des Heiligen und der Entstehung des Ortes dar, soweit sie bekannt ist, und verweist auf den Moment des Teilens. Sie konzentriert sich bei der Darstellung gegenwärtiger Ereignisse jedoch nur auf die Teilungspraktiken des physischen Orts seitens der aus Mazedonien stammenden Besucher:innen. Dabei vernachlässigt sie andere Aspekte wie die Besucher:innen aus dem angrenzenden Albanien, die religiöse Bedeutung Naums für die Einzelnen sowie die verschiedenen Besuchs- und Handlungsmotivationen. Auf albanischer Seite fehlen derartige Untersuchungen; weder haben sich aus Albanien stammende Wissenschaftler:innen mit dem NaumKloster als geteiltem religiösen Ort noch mit anderen geteilten religiösen Orten innerhalb Albaniens beschäftigt. Als Vertreter der internationalen Forschungslandschaft untersuchte der Ethnologe Gilles de Rapper waqf (alb. vakëf) genannte religiöse Einrichtungen als Beispiel für geteilte religiöse Räume in Albanien (de Rapper 2012). Als Religionswissenschaftlerin erforschte Cecilie Endresen dagegen ein konkretes religiöses Objekt in Shkodër (Endresen 2012b). Dabei handelt es sich um die Ruinen eines Gebäudes innerhalb einer alten Festung, das von der katholischen Gemeinschaft als Kirche und von der muslimischen Gemeinschaft als Moschee beansprucht wird. Gleichzeitig deklariert und schützt der Staat den als kishë-xhami (alb. für Kirchenmoschee) bekannten Festungsteil als Kulturdenkmal und entzieht ihn somit jeder religiösen Nutzung. Auch andere, die sich in die Debatte einbringen, bieten selten eine Erklärung dessen, was sie mit den gewählten Attributen meinen. Hayden verwendet »religious« und »sacred« synonym zueinander und als Merkmal der Zugehörigkeit zu einer konkreten Religionsgemeinschaft im Untersuchungsfeld (Hayden 2002a). Dieser Verwendung schließen sich andere Wissenschaftler:innen an, die sich mit »shared religious places« beschäftigen (Albera/Couroucli 2012; Barkan/Barkey 2014b). Eine gewisse Bedeutungsverschiebung findet sich in Dragica Popovskas Studie über »heilige« Steine in Mazedonien, die nicht zwingend mit einer Religionsgemeinschaft verbunden sind und dennoch von Personen verschiedener Religionsgemeinschaften aufgesucht werden. Sie bestimmt den Terminus »sacred [as] some combination of mystical, divine, religious or spiritual«, der auch »posi-
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tive, good, healing« und »restrictive taboos« impliziert (Popovska 2014: 65). Im Unterschied zu den Beiträgen zu »shared religious places« konzentriert sich dieser Beitrag auf die Besuchspraxis, die sich zwischen der religiösen Deutung als Pilgerreise und allgemeinem Tourismus bewegt. In der Forschung zu geteilten religiösen Orten wird der Begriff »heilig« meist synonym zu »religiös« verwendet und nicht weiter hinterfragt, sodass er gegenüber »religiös« auch keinen Zugewinn an Bedeutung aufweist. Diese Verwendung steht konträr zu der Perspektive der Religionswissenschaft, die »heilig« als kon struiert problematisiert und auf entsprechende Zuschreibungsprozesse eingeht, statt den Ausdruck zu verwenden. Im Anschluss an die konstruktivistische Perspektive konzentriere ich mich in den folgenden Ausführungen auf das Attribut »religiös«. Der Ausdruck »heilig« wird in der vorliegenden Arbeit und insbesondere im Analyseteil nur insofern verwendet, als er explizit von den Akteur:innen im Feld vorgegeben wird. Er ist dann als Ausdruck der Objektebene zu identifizieren und auf der Metaebene zu dekonstruieren. Dazu gehört es, seine Bedeutungen im jeweiligen Kontext und die damit einhergehenden diskursiven Strategien, also verschiedenen Handlungen und Zuschreibungen, zu erläutern. Zunächst ist jedoch ein Blick auf die verwendete Terminologie in den Regionalstudien zu werfen. Auch im Bereich der Südosteuropastudien scheinen die größeren, institutionalisierten Religionsgemeinschaften wie das orthodoxe Christentum oder der sunnitische Islam dafür normgebend zu sein, was »religiös« bedeutet. Das belegt unter anderem die getrennte Darstellung religiöser Gruppen und Ansichten in »Konfessionen« und »Volksglauben« im Handbuch Balkan (Himstedt-Vaid 2014; Kahl 2014: 117-131). Auch Beiträge, die sich nicht explizit mit Religion, sondern zum Beispiel mit dem Zusammenhang von Politik und Religion in Südosteuropa beschäftigen, greifen immer wieder auf die dominierenden Religionsgemeinschaften zurück. Allen Beiträgen gemeinsam ist die fehlende Unterscheidung der Termini »Religion«, »Konfession« oder »Denomination«. Ksenija Petrović bietet in ihrer Monografie Nationale Identität und Religion in Serbien und Kroatien im Vergleich eine Definition von Religion und Religiosität, die im Vergleich zu den umfassenden Ausführungen zu nationalen Identitäten jedoch ausgesprochen knapp ausfällt: »Religion und Religiosität, die als Teile des traditionellen Wertekomplexes zu betrachten sind, gelten im Allgemeinen als eine der wenigen dauerhaften Werteorientierungen. Auf der individuellen Ebene können sie dem Einzelnen ein Gefühl der Gemeinschaft, einen geistigen, emotionalen, oder, allgemeiner ausgedrückt, soziopsychologischen Rückhalt vermitteln. Auf der kollektiven Ebene können sie einzelne Individuen zu einer Gemeinschaft verbinden, die sie bis zu einer Homogenisierung großer Gruppen wie beispielsweise Nationen führen kann, wie es in einigen Transformationsstaaten Ost- und Südosteuropas zu beobachten ist.« (Petrović 2012: 13)
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Petrović betrachtet Religion demnach als moralische und symbolgebende Deutungsinstanz sowie als soziales Gefüge mit psychologischer Bedeutung. Außerdem untersucht sie Religion im Zusammenhang mit Politik, da Religion ihrer Meinung nach wertgeleitete Orientierungen vorgibt, die auch politisch relevant sein können (Petrović 2012: 14f). Das Verständnis mag für die Untersuchung ausreichen, vernachlässigt jedoch Verbindungen mit anderen Gesellschafts- und Lebensbereichen wie Gesundheit und Ernährung, Bildung und Kunst oder Kleidung. Die normgebende Betrachtung der etablierten Religionsgemeinschaften zeigt sich zudem an den bewertenden Betrachtungen religiöser Gruppen und Phänomene, die keiner der institutionalisierten Religionen eindeutig zugeordnet werden können. Diese schlägt sich in Begriffen nieder wie »kryptochristlich«, »synkretistisch«, »heterodox«, »Volksglaube« oder »Volksreligion«, die teilweise sogar explizit miteinander verbunden werden. Bedenkenswert ist, dass auch jüngere Literatur, die sich mit Religion und religiösen Phänomenen in Geschichte und Gegenwart Südosteuropas beschäftigt und einen Überblick dazu geben will, auf diese Begriffe zurückgreift (Calic 2016: 102-104; Himstedt-Vaid 2014: 694; Kahl 2014: 127-130; Koller 2011b: 259-261). Das Hauptproblem ist, dass in den Beiträgen häufig darauf verzichtet wird, die verwendeten Termini kritisch zu hinterfragen. Stattdessen setzen die Verfasser:innen ein statisches, teils essentialistisches Verständnis voraus und übernehmen die genannten Begrifflichkeiten unkritisch aus dem Untersuchungskontext, den meist die Perspektive einer religiösen Tradition dominiert.8 Im Folgenden skizziere ich kurz das gängige Verständnis dieser Begriffe und die damit verbundenen Einzelprobleme. Ich beziehe mich dabei exemplarisch auf verschiedene Studien, die für die historische Kontextualisierung des Untersuchungsgegenstands relevant sind. Ein Überblick über die historische Entwicklung der Religionen im Forschungsfeld folgt an späterer Stelle. »Kryptochristentum« ist eine spezielle Unterform von »Kryptoreligionen«, ein Phänomen, bei dem die offizielle Religionsangehörigkeit einen tatsächlich gelebten Glauben überdeckt. Als sogenannte »Kryptochrist:innen« werden in Südosteuropa diejenigen Personen bezeichnet, die offiziell vom Christentum zum Islam konvertierten und im Geheimen weiterhin dem Christentum anhingen (Bartl 2016). Das bedeutet, dass sie teilweise muslimische Namen annahmen und gelegentlich in die Moschee gingen, jedoch innerhalb der Familie weiterhin christliche Traditionen pflegten und beispielsweise ihre Kinder taufen ließen. Dieses Phänomen tauchte in der Zeit des 15. und 16. Jahrhunderts in Bosnien-Herzegowina und Anfang des 18. Jahrhunderts bis Ende des 19. Jahrhunderts auch in Albanien auf. 8 Ähnliche Schwierigkeiten stellte Christoph Bochinger bei der Entwicklung von sozialwissenschaftlichen Religionsdefinitionen fest (vgl. Bochinger 2013: 24-26).
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Gelegentlich wurde dieses Phänomen auch als »imperfect Moslem conversion or […] mixed religion« betrachtet (Skendi 1967: 246). Für Vertreter der Kirchen und des Osmanischen Reichs war dieses Verhalten problematisch. Vor allem die katholischen Kirche forderte Klarheit und schloss notfalls entsprechende Personen von der Teilnahme an der Eucharistie als gemeinschaftsstiftendem Element aus (Koller 2011b: 261; Skendi 1967: 238f). Auf lokaler Ebene waren Vertreter der katholischen und der orthodoxen Kirche dagegen toleranter. Die Vertreter des Osmanischen Reichs suchten Klarheit, weil die Frage der Zugehörigkeit zum Islam Konsequenzen für ihre Untertanen mit sich brachte. Während Muslime zum Kriegsdienst verpflichtet waren, musste die nichtmuslimische Bevölkerung eine Kopfsteuer bezahlen (türk. cizye). In der Vergangenheit ist darüber hinaus auch über die Existenz von »kryptomuslimischen« (Çelebi 2000: 40f, 64-67, 126f, 188-193; Hasluck 1929: 73f, 442-446, 570-574) sowie »kryptojüdischen« (Hasluck 1929: 153, 473f) Gruppen in Südosteuropa spekuliert worden. Rohdewald bemerkt richtig, dass in jedem Fall die Betrachtung eines religiösen Phänomens als »kryptochristlich«, »‑muslimisch« oder »‑jüdisch« immer eine Außenperspektive ist (Rohdewald 2009: 155f). Perspektiven der Praktizierenden müssten zur besseren Bewertung herangezogen werden, liegen jedoch nicht vor. Das Problem bei diesem Begriff ist, dass er eine statische Religionsvorstellung impliziert, die eine eindeutige Religionszugehörigkeit fordert – entweder Christentum oder Islam. Alternative Mischformen scheinen nicht akzeptabel. Der Begriff mag zwar annehmbar scheinen, da er neutraler als etwa »Pseudomuslime« klingt. Als Kategorie religionswissenschaftlicher Untersuchungen ist er dagegen aufgrund der eurozentrischen Perspektive nicht vertretbar. Denn die Erwartung einer eindeutigen »Religionszugehörigkeit wird oft als europäisches Phänomen gesehen und trifft [zum Beispiel] auf asiatische Religiosität nur bedingt zu« (Rötting 2016: 116). Religionswissenschaftlich neutraler ist die Distanzierung von historisch gewachsenen Bezeichnungen, die eine Wertung implizieren. Demnach sollten sogenannte »Kryptochrist:innen« stattdessen als Personen betrachtet werden, die im Zuge der Konversion mehreren Religionen angehören (Rötting 2011: 57). Angemessener und neutraler scheinen daher die historisch verwendeten südslawischen und griechischen Bezeichnungen »doppelgläubig« (Skendi 1967: 80), weil sie keine der beiden Glaubensrichtungen höher oder niedriger stellen. Eng mit dem »Kryptochristentum« ist die Vorstellung des »Synkretismus« verbunden, denn »Kryptoreligionen« können im Allgemeinen als eine spezielle synkretistische Form betrachtet werden (Robbins 2011). Das Attribut »synkretistisch« hat wie »heterodox« jedoch einen anderen Fokus. Während »synkretistisch« allgemein die Vermengung von Elementen verschiedener religiöser Traditionen thematisiert, betont »heterodox« die Abweichung von der »orthodoxen« Norm. Tijana Krstić zeigt exemplarisch die Begriffsgeschichte des Synkretismus
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und der damit einhergehenden Idee von Toleranz in der Osmanistik auf (Krstić 2011: 16-18). In den 1930er Jahren wurde der Synkretismusbegriff mit der Vorstellung »heterodoxer« Sufi-Orden, die Christ:innen zum Islam bekehren wollten, assoziiert. In den 1990er Jahren fand »Synkretismus« als Reaktion auf die Beschreibung des Osmanischen Reichs als fanatisch und unterdrückend auch in den Studien zur frühen Osmanischen Geschichte Eingang. Die Übernahme des Terminus ging mit einem Gegenentwurf zu bisherigen Bildern der osmanischen Herrschaft einher, in dem der Islam der osmanischen Anfänge in Südosteuropa keine scharfen Grenzen hatte und deswegen verschiedene nicht-muslimische Gruppen aufnehmen konnte. Hinter den beiden Begriffen »synkretistisch« und »heterodox« steht die Vorstellung der Existenz unveränderbarer Reinformen religiöser Traditionen. Die Vermischung der vorgestellten Reinformen, deren Ergebnis als »synkretistisch« oder »heterodox« bezeichnet werden, ist ein Zeichen für eine Veränderung, die gegenüber den Vorstellungen der authentischen Originale meist negativ besetzt ist. Infolgedessen werden »synkretistisch heterodoxe« Formen des Islams als oberflächlich bewertet, was sich wiederum an die christliche Vorstellung der Orthodoxie anlehnt. Krstić selbst lehnt den Terminus »Synkretismus« nicht ganz ab, betrachtet ihn jedoch als höchst problematisch und strebt seine ständige Prüfung an. Auch in der Forschung zu geteilten religiösen Orten sowie in den Südosteuropastudien wird »Synkretismus« mit verschiedenen problematischen Prämissen oder Konsequenzen verwendet: Hayden formulierte die Kritik an dem Begriff explizit in seinem Beitrag über Antagonistic Tolerance (Hayden 2002a: 207f). Er kritisiert die weit verbreitete Vorstellung, synkretistisch erscheinende Handlungen seien als Zeichen für Toleranz zu deuten. Bowman dagegen betont: »It is impossible to avoid ›syncretism‹ in discussing inter-communal mixing at shrines« (Bowman 2012a: 11). Im Unterschied zu Hayden hebt Bowman damit hervor, dass Identitäten nicht starr, sondern flexibel sind. Bowman vergisst dabei jedoch, dass Religionen ebenfalls keine festen und unveränderlichen Größen sind. Ein Beispiel für die Verwendung des Begriffes »Synkretismus« innerhalb der Südosteuropastudien bietet folgendes Zitat: »Und noch heute gibt es den Synkretismus aus religiösen und heidnischen Symbolen und Praktiken sowohl bei den orthodoxen Christen wie auch bei den Muslimen auf dem Balkan« (Himstedt-Vaid 2014: 694). In diesem Satz werden erneut die problematischen Vorannahmen deutlich, Orthodoxie und Islam seien per se seit ihren Anfängen unveränderte und reinzuhaltende Größen und Vermischungen seien zu vermeiden, weil sie die ursprünglichen Formen verunreinige. Zwei konkrete Probleme können in Bezug auf die Verwendung des Begriffs »Synkretismus« formuliert werden: Einerseits kann der Begriff »synkretistisch« als sinnentleert betrachtet werden, denn er vernachlässigt, dass sich alle Religio-
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nen und Kulturen immer im Kontakt miteinander befinden und sich folglich in Anlehnung und Abgrenzung voneinander entwickeln (Hefner 2009).9 Konsequenterweise müssten somit auch alle religiösen Phänomene und Strömungen als »synkretistisch« bezeichnet werden. Dies gilt sowohl für die Entwicklung und Etablierung großer Religionsstränge wie des orthodoxen Christentums und des sunnitischen Islam, die das Untersuchungsfeld bestimmen, als auch für kleinere lokalgefärbte Traditionslinien, die sich in Auseinandersetzung mit den Hauptsträngen ausbilden. Ähnliches gilt auch für die Begriffe des Vermischens wie etwa »mixed« (Albera 2008; Bowman 2010; Duijzings 1999). Der Ausdruck wird jedoch meist inkonsequent nur auf ausgewählte Phänomene übertragen. Mit dieser konkreten Verwendung hängt das zweite Problem zusammen. Denn die Anwendung auf ausgewählte Entwicklungen impliziert eine Abweichung von der statisch gedachten Norm und damit einhergehend auch eine Abwertung gegenüber dieser Norm. Als Norm werden in Bezug auf mein Forschungsfeld die traditionellen Religionsgemeinschaften gesetzt, zu denen die orthodoxe und die katholische Kirche, der sunnitische Islam sowie das Judentum zählen. Die Verwendung des Begriffs »Synkretismus« impliziert demnach auch eine Stellungnahme, die aus der Perspektive der Religionswissenschaft zu vermeiden ist. Welchen Wert hat also die Bezeichnung eines Phänomens als synkretistisch vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen? Hilfreicher ist es, Phänomene auf Veränderungen hin zu untersuchen und diese Prozesse möglichst wertfrei ohne den Synkretismusbegriff zu beschreiben. Daran versuchen sich unter anderem Religionswissenschaftler:innen. Allgemein ist »Synkretismus« in der Religionswissenschaft ein Thema, dass zu einer Vielfalt an Ansätzen und Literatur geführt hat (vgl. Leopold/Jensen 2004). Im deutschsprachigen Raum beschäftigte sich zum Beispiel Ulrich Berner ausführlich mit Konzepten von Synkretismus und bot verschiedene Erklärungsansätze (Berner 1978, 1982, 1991, 2001a, 2001b, 2004a, 2004b, 2007). In neueren Ansätzen zeigt Berner auch verschiedene mit dem Begriff einhergehende Probleme auf und schlägt alternativ vor, Bourdieus Ansatz zu Habitus und Feld zur Beschreibung der Phänomene heranzuziehen (Berner 2010). Christoph Bochinger betont, dass nach 9 Die Untersuchung der Entwicklung religiöser Traditionen und Institutionen ist innerhalb der Religionswissenschaft Teil der Religionsökonomie, genauer der Neueren Institutionenökonomie (Koch 2014: 104-125). Durch verschiedene Aushandlungsprozesse mit anderen Gruppierungen kommt es zur Starrheit von Systemen, die Pfadabhängigkeiten und die Idee von Meinungsverfälschungen nach sich ziehen, oder zur Abspaltung von anderen Gruppen (DiMaggio/Powell 1991: 65-70). Gestaltpsychologisch sind Religionen mentale Modelle, die der komplexitätsreduzierenden Wahrnehmung der Welt dienen (Brinitzer 2001: 164- 167).
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dem cultural turn Synkretismen in der Religionswissenschaft »als Normalfall und nicht als Ausnahme gesehen« werden (vgl. Bochinger 2013: 21). Im Unterschied zu »Synkretismus« bezieht sich der Ausdruck »Heterodoxie« auf eine von der Norm abweichende Deutung innerhalb einer religiösen Tradition. Dieser Begriff wird insbesondere zur Beschreibung innerislamischer Strömungen verwendet, die von dem sunnitischen Mainstream-Islam abweichen. In Südosteuropa basiert der Mainstream-Islam in osmanischer Tradition auf der hanafitischen Rechtsschule (Tanasković 2007: 12). Dieser wird teilweise im Unterschied zu den »heterodoxen« Gruppen auch als »orthodox« bezeichnet. Als vom normgebenden sunnitischen Islam abweichende Bewegungen werden vor allem SufiOrden (Barkey 2015: 52f; Clayer 2015: 35f) und insbesondere der Orden der Bektaschis (Giesel 2017; Zarcone 2014: 22f) betrachtet. Der Terminus »heterodox« ist zwar nicht oft, dafür jedoch bereits ausführlich und intensiv im Bereich der Islam- und Sufi-Forschung diskutiert worden: Das wertende Urteil, was »orthodox« oder »heterodox« ist, zeugt auch von den Aushandlungsprozessen um politische und religiöse Deutungshoheiten und Machtstrukturen (Langer/Simon 2008: 281f). Dieses dichotome Begriffspaar wurde aus dem Christentum in die islamischen Studien übernommen, was jedoch aus verschiedenen Gründen problematisch ist (Langer/Simon 2008: 273-277). Einerseits gibt es das Begriffspaar »Orthodoxie« und »Heterodoxie« oder sinngemäße Ausdrücke in islamischen Traditionen nicht, sondern nur den Ausdruck firaq für Abspaltung, der auch auf andere Religionen übertragbar ist. Daran anknüpfend entwickelte sich eine Debatte darüber, ob es das Phänomen der Orthodoxie im Osmanischen Reich in Form des sunnitischem Islam hanafitischer Richtung gegeben hat, auch wenn das Wort dafür nicht existierte (vgl. Knysh 1993). Dabei stellt sich die Frage, welches der »orthodoxe« Islam, also der Maßstab, sein sollte. Der sunnitische und der schiitische Islam unterscheiden sich zwar voneinander, sind jedoch gleichberechtigte Varianten. Hierbei umfasst beispielsweise die sunnitische Variante verschiedene lokale Ausprägungen und vier Rechtsschulen. Tradition und Gesetz bilden zwar das Zentrum sunnitischer Varianten, die Aushandlung dessen, was »orthodox« sein soll, ist jedoch abhängig von der Auslegung einer Autorität. Im Gegensatz zum Christentum gibt es jedoch keine autorisierte Institution, die in den öffentlichen Debatten um richtig und falsch oder akzeptabel und inakzeptabel entscheiden kann. Dem sich der wertenden Meinung der bestimmenden Mehrheit anschließenden, statischen Verständnis des Begriffspaars ist der weniger essentialistische Ausdruck »(non-)konformistisch« entgegenzusetzen (Dressler 2002: 23-25; Kara 2019: 51f; Karamustafa 2007: 155-171). Innerislamische Wertungsversuche werden dadurch abgelehnt und für die dahinterstehenden Machtstrukturen sensibilisiert.
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Ein weiteres Problem in der Bewertung der nicht-sunnitischen Bektaschis als »heterodox« begründet sich in der historischen Entstehung. Denn eine scharfe Abgrenzung zwischen sunnitischer und schiitischer Theologie kristallisierte sich erst im 16. Jahrhundert als Ergebnis politischer Machtkämpfe zwischen dem Osmanischen und dem Safawidischen Reich heraus (Krstić 2011: 12f). Die Grenzen zwischen den islamisch-theologischen Gruppierungen waren zu Beginn der osmanischen Eroberungen folglich fließend (Krstić 2013: 48f). In diesem Kontext entstand auch der heute als nonkonformistisch betrachtete Bektaschi-Orden (Zarcone 2014: 22f). Kara zeigt in seiner Monographie über die Kulturbeziehungen der Bektaschis, dass die Stigmatisierung dieses Ordens als »antisunnitisch« eng mit der Beobachtung von Parallelen zwischen dem Bektaschi-Orden und dem Christentum einherging (Kara 2019: 242-252). Diese Parallelen wurden im 19. Jahrhundert entweder dadurch erklärt, dass die Bektaschis eine »kryptochristliche« Gruppe seien, oder dadurch, dass Bektaschis sich bewusst christliche Elemente aneigneten, um der christlichen Bevölkerung einen leichteren Zugang zu ihrer Auslegung des Islams und somit eine leichtere Konversion zu ermöglichen. Gelegentlich wird »heterodox« auch als eine vermeintlich neutralere Bezeichnung anstelle von »häretisch« verwendet. Dies zeigt beispielsweise Edgar Hösch mit dem Eintrag »Häresie« im Lexikon zur Geschichte Südosteuropas (Hösch 2016a). Gleichwohl »Häresie« historisch betrachtet ein Terminus christlicher Kirchen ist, um abweichende Lehrmeinungen negativ zu kennzeichnen, verweist Hösch darauf, dass auch der Islam im Osmanischen Reich »nicht v[on] häretischen Anfechtungen verschont [blieb]. Sektiererische Schwärmer sammelten sich vornehmlich in den schwer kontrollierbaren Verzweigungen der Derwischorden«. Hösch setzt nonkonformistische Sufi-Orden auch mit den dualistisch geprägten Bogumil:innen gleich, die während des Mittelalters vor allem in Bulgarien und Bosnien verbreitet waren. Beide Begriffe, sowohl »synkretistisch« als auch »heterodox«, werden gelegentlich auch mit dem Begriff »Volksglauben« assoziiert. Die Begriffe »Volksglaube«, »Volksreligion« und »Volksfrömmigkeit« zielen darauf ab, Ideen und Praktiken zu beschreiben, die die Bevölkerung verfolgt. Ein seltener Ansatz einer Begriffsbestimmung innerhalb der Südosteuropastudien findet sich in Petra Him stedt-Vaids Beitrag im Handbuch Balkan. Sie bestimmt den Begriff »Volksglaube« in Anlehnung an den Volkskundler Klaus Beitl sowie an die auf Ostkirchen spezialisierten Theologen Paul Wiertz und Martin Petzhold als Ersatzbegriff zu dem negativ konnotierten Begriff »Aberglauben« (Himstedt-Vaid 2014: 691). Zudem versteht sie ihn als Teil einer Volkskultur, die wiederum »ein wesentlicher Bestandteil jeder Kultur« sei, zu der außerdem eine »Hochkultur« der »Oberschicht« gehöre. »Volksreligion« ist damit implizit auch das Gegenüber von »Hochreligion«. Die volksreligiösen Ideen und Praktiken ließen sich demnach
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nur schwerlich mit denen der Religionsgemeinschaften vereinen, denen verschiedene Bevölkerungsgruppen in Südosteuropa angehören. Allgemein wird für Südosteuropa angenommen, dass die Bedeutung der Volkskultur und somit auch des Volksglaubens seit den Kriegen Anfang des 20. Jahrhunderts abgenommen hat (Clayer 2006; Elsie 2004: 2, 4f, 11; Koller 2011a: 295; Telbizova-Sack 2000: 154, 158). Dieser Trend verstärkte sich aufgrund der Zerstörungen von Kultstätten in weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen, sowie der kommunistischen Atheismuspolitik einzelner Länder. Bis in die Gegenwart hinein sind Tendenzen, gemeinsame Elemente bewusst zu verdrängen, erkennbar. Treffend beschreibt Volkhard Krech die Probleme des Ausdrucks »Volksreligion«, der »im Gegensatz zur Virtuosenreligiosität und Hochrel[igion]« steht (Krech 2005: 1170). Das Hauptproblem ergebe sich »auf Grund des Attributs ›Volk‹«, das die Gefahren sowohl »mögliche[r] Missverständnisse als auch bewertende[r] Konnotationen« berge. Diese Gefahren hängen laut Krech einerseits mit der politischen Konnotation und andererseits mit der Implikation sozial unterschiedlicher Gesellschaftsschichten zusammen. »Volk« meine in diesem Zusammenhang weder eine gemeinsame politische Identität auf Basis von gemeinsamer Sprache, Kultur und Geschichte, noch eine besondere soziologische Schicht. Bezüglich der Bewertungsproblematik hält Krech fest: »Die bewertenden Konnotationen reichen vom pejorativen Gebrauch – V[olksfrömmigkeit] der ungebildeten Massen im Gegenüber zur rel[igiösen] Elite und ›reinen‹ Lehre – bis zum positiven Verständnis als authentische und lebendige Religiosität im Unterschied zur erstarrten Hochrel[igion].«
Krech verdeutlicht exemplarisch an drei Phänomenen, die auch in der Religionsgeschichte Südosteuropas vorkommen, dass die sogenannten Volks- und Hochreligionen sich dynamisch zueinander verhalten (Krech 2005: 1171). So führte zunächst der Kontakt zwischen neuen und älteren Religionen zur Übernahme und Neuinterpretation älterer Elemente, um an Bekanntes anzuknüpfen und dadurch schneller Verbreitung zu finden. Das bekannteste Phänomen ist in diesem Zusammenhang die Errichtung von Kirchen an Orten mit vorchristlichen Heiligtümern, wodurch der frühere Kult gleichzeitig verdrängt wird. Für dieses Phänomen kann nicht nur behauptet werden, es sei volksreligiös, sondern auch, es sei synkretistisch. Krech spricht weiterhin von Variantenbildung innerhalb einer Religion und führt dazu die Askese der Brahmanen in Indien als Beispiel für die »Hochreligion« und Derwische als Bewahrer der volksreligiösen Tradition an. In Südosteuropa leben vor allem Bischöfe und Mönche asketisch und dem bereits erwähnten Bektaschi-Orden wird die Bewahrung volksreligiöser Elemente nachgesagt. Schließlich kann sich Volksreligion auch innovativ zur offiziellen Religion verhalten. Als
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Beispiel nennt er die Entwicklung des Heiligenkults, die von der Überzeugung der Gläubigen ausgeht und erst später von der Kirche offiziell bestätigt wird. Um die genannten Gefahren zu vermeiden, schlägt Krech vor, Towlers »Begriffspaar ›common‹ und ›official religion‹« zu verwenden. Mit Hilfe dieser könne der »Blick auf abweichende, unorth[odoxe] und ggf. innovative rel[igiöse] Wissens-, Glaubens- und Handlungsformen« gelenkt und »religionsgesch[ichtliche] Dynamiken« aufgezeigt werden. Da in meinem Untersuchungsfeld die Tendenz besteht, dass studierte Geistliche sowie überzeugte und intellektuelle Gläubige von der offiziellen Theologie abweichende Ideen und Praktiken ablehnen oder zum Beispiel als »pagan« abwerten, bietet sich auch eine Unterscheidung an, die auf den Bildungs- und Reflexionsstand der Einzelnen abzielt: Die religiöse Elite setzt sich beispielsweise im Studium reflektiert mit ihrem Glauben auseinander und grenzt sich bewusst von den Perspektiven der Lai:innen ab. Die Lai:innen dagegen übernehmen religiöse Ansichten meist unhinterfragt von den sie prägenden Gemeinschaften wie Familie oder Dorfgemeinschaft.10 Allen genannten Begriffen ist gemeinsam, dass – um mit Rohdewald zu sprechen – hinter ihnen eine »perspektivische Gewichtung von Wahrnehmung transreligiöser Phänomene« steckt (Rohdewald 2009: 156). Der Begriff »transreligiös« bietet sich für die genannten Phänomene an, weil er nach Roland Faber im Unterschied zu »interreligiös« Veränderungen mitdenkt, die bei Kontakten zwischen Personen aus verschiedenen religiösen Traditionen möglich sind (Faber 2003: 65-69). Transformationsprozesse, die sich bei einzelnen Personen aus dem interreligiösen Dialog ergeben und sich auch auf den intrareligiösen Dialog auswirken können, beschreibt Rötting als interreligiösen Lernprozess (Rötting 2016). Da es sich bei den beschriebenen Phänomenen nicht um Resultate von interreligiösen Dialogen im Sinne bewusster und reflektierter Gespräche zum Ziel eines friedli10 In Bezug auf die prägende religiöse Tradition und die Bedeutung reflektierter Auseinandersetzung damit kann eine Parallele zu Martin Röttings Theorie der Spiritualität gesehen werden (Rötting 2019). Rötting vergleicht Spiritualität mit Navigation, wobei die prägende religiöse Tradition eine »primäre Sinnkarte« bietet, die erweitert werden kann, wenn sie durch bestimmte Ereignisse nicht mehr ausreicht, um das eigene Leben sinnvoll erzählen und somit narrativ die eigene Identität zu konstruieren. Dazu werden weitere Sinnangebote überprüft und die »primäre Sinnkarte« mit Hilfe dieser Angebote zu einer »salienten Sinnkarte« umgebaut. In Anbetracht dieser Theorie muss dann die Frage gestellt werden, ob die traditionelle Vorstellung weiterhin zutrifft, dass Geistliche einer Religion mit der religiösen Elite gleichzusetzen sind. Obwohl sich meines Erachtens durch die Sinnkarten-Theorie auch die traditionelle Vorstellung verschiebt, ist die traditionelle Einteilung dennoch für den Untersuchungsgegenstand beizubehalten, da sie weitgehend dem Selbst- und Fremdbild der Geistlichen und Lai:innen im Forschungsfeld entspricht.
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chen Zusammenlebens, sondern um Ergebnisse interreligiöser Kontakten handelt, sind diese im Sinne Fabers auch als transreligiös zu bezeichnen. In diesem Zusammenhang sind weiterhin kurz die Ausdrücke »Konfession« und »Denomination« zu nennen und zu unterscheiden. Beide Begriffe entstanden im Kontext verschiedener Abgrenzungs- und Legitimierungsprozesse neuer Gruppierungen im westlichen Christentum (Oberdorfer 2001; Richey 1999). Während »Konfession« nur auf innerchristliche Strömungen angewandt wird, die sich durch ihre ›Bekenntnisse‹ voneinander unterscheiden, findet »Denomination« auch im außerchristlichen Bereich bezüglich verschiedener Strömungen im Judentum und im Islam Verwendung. In Beiträgen zu Religionen in Südosteuropa kommt es gelegentlich vor, dass diese Begriffe für einzelne institutionalisierte religiöse Traditionen gebraucht werden, um zum Ausdruck zu bringen, dass es sich dabei um gleichwertige Strömungen handelt (vgl. Barkey 2015: 57; Endresen 2014: 214f, 219; Kahl 2014: 89, 117-131). Konkret betrifft dies das orthodoxe und katholische Christentum, das Judentum und den Islam. Dieser Ansatz lässt sich auf die im Osmanischen Reich etablierte Vorstellung von millets zurückführen, mit der in den tanzimat-Reformen des 19. Jahrhunderts auch die Gleichstellung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit und die Anerkennung der Religionsgemeinschaften zusammenhängt.11 Allerdings ist die Übertragung dieser aus dem Christentum stammenden Termini als eine Tendenz zu bewerten, die religiöse Vielfalt vereinfachend und aus christlicher Perspektive vereinnahmend darstellt. Um Missverständnisse und ethnozentrische Bewertungskategorien zu vermeiden, verwende ich in der vorliegenden Arbeit den Ausdruck »religiöse Tradition«, der sich an die Überlegungen von Markus Dreßler anlehnt (Dressler 2019). Alle relevanten Beiträgen aus der »shared religious places«-Debatte und den Südosteuropastudien teilen den interdisziplinär angelegten kulturwissenschaftlichen Ansatz. Da sich diese Gemeinsamkeit auch mit dem Selbstverständnis der Religionswissenschaft überschneidet, die einen kritisch-konstruktiven Beitrag zur Debatte leisten kann, lege ich meiner Untersuchung ein kulturwissenschaftliches Religionskonzept zugrunde. Ein solches erarbeitet Anne Koch in ihrer Habilitationsschrift, in der sie zwischen Religion als »Kulturfaktor« einerseits und als »Kulturmuster« andererseits unterscheidet (Koch 2007b: 21-32). Das konzeptuelle Verständnis von Religion als Kulturfaktor oder Kulturelement beinhaltet unter anderem »institutionelle Formen« wie die im Untersuchungsfeld anzutreffenden Religionsgemeinschaften und die »tatsächlich geübte[n] Praktiken« wie den Besuch des Klosters, das Darbringen von Votivgaben 11 Zum millet-Begriff und den historischen Zusammenhängen vgl. Kapitel 3.2.1 Religionen im Osmanischen Reich und ihre Bedeutung für die Nationenbildung.
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oder den Erwerb von Devotionalien. Infolgedessen definiert Koch: »Religion ist nur in der Oberflächenbetrachtung ein eigener Kulturfaktor. In einer vollständigeren metasprachlichen Rekonstruktion ist Religion ein Bild, das erst sichtbar wird mit dem Blick auf das besondere Zueinander der Kulturelemente« (Koch 2007b: 27). Dieses Bild, das sich aus einzelnen Kulturelementen zusammensetzt, nennt Koch »Religion als Kulturmuster«. Darunter versteht sie »das Bezugssystem eines bestimmten Sets von Kulturelementen aus allen Gliederungsebenen von Kultur und ihrer Beziehungen untereinander. […] Das Kulturmuster Religion ist […] Gegenstand der Metaebene. Das Muster ergibt sich aus involvierten Kulturelementen« (Koch 2007b: 26). Religion als Kulturmuster kann infolgedessen verschiedene Funktionen übernehmen, zum Beispiel »Werte verstärk[en], ästhetische Kanons entwickel[n oder] die Agenda der Regeln des Zusammenlebens aufstell[en]« und dadurch eine bestimmte Kultur prägen (Koch 2007b: 28f). Für jede Kultur muss individuell an einer »bestimmte[n] sich als zusammengehörig identifizierende[n] Gruppe und deren Überzeugungs- und Praktikenmenge entschieden werden«, wie das Muster aussieht. Koch bemerkt zudem: »[j]e individueller die Gesellschaft ist, desto eher ist mit dem Befund zu rechnen, dass für manche Religion eine Festtagsgestaltung ist, für andere eine Lebenssinnlieferantin etc.« Als Kulturmuster ist Religion kein abgrenzbarer Lebensbereich, sondern durchzieht andere Gesellschaftsbereiche. Infolgedessen sind religiöse Phänomene auch immer aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Ein solches Religionsverständnis bietet sich auch an, um eine Auf- oder Abwertung religiöser Phänomene oder Gruppen zu vermeiden. Vor dem Hintergrund der Definitionsweite von Religion als Kulturmuster kann für die Untersuchung religiöser Phänomene im Forschungsgebiet Religion im engeren Sinne als Symbolsystem betrachtet werden (Geertz 2007: 49-54). In diesem existieren verschiedene Codes, die beteiligte Akteur:innen situativ und individuell abrufen können. Im Untersuchungsfeld sind die Symbolsysteme eng mit den historisch etablierten Religionsgemeinschaften der orthodoxen und der katholischen Kirche sowie dem sunnitischen Islam verbunden, schließen aber auch andere nonkonformistische Systeme wie die des Bektaschi-Ordens ein. Religionen allgemein als Symbolsysteme zu verstehen, ist mit Koch allerdings abzulehnen, weil sie sich als Kulturmuster immer aus der Konstellation der einzelnen Kulturelemente ergeben. Koch bestimmt soziale Systeme insofern als »religiös«, als es dem Selbstbild der Systeme entspricht und mit »einer Selbstbezeichnung der Gruppe/n als ›religiös‹, als ›Gemeinschaft‹ oder ›Weg‹ usw. oder im Sinne eines Systems, das lebensausrichtende Sinnvorgaben macht bzw. in dem diese ausgetragen werden[,]« einhergeht (Koch 2007b: 22f). Selbstbild und Selbstbezeichnungen sind auf der Objektebene zu verorten. Dass Koch »religiös«
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so fasst, widerspricht nicht ihrem Ansatz, dass Religionen auf der Metaebene zu analysieren. Vielmehr ist diese Definition gegenüber der oft anzutreffenden Vorstellung, Religion würde sich von anderen Gesellschaftsbereichen durch einen Bezug zu einer überweltlichen Transzendenz unterscheiden, als Abgrenzung zu verstehen. Der Transzendenzbezug ist in den etablierten Religionsgemeinschaften des Forschungsfeldes zwar zu erkennen, allerdings bezieht sich Kochs Definition nicht auf diese konkreten Gemeinschaften. Vielmehr positioniert sie sich mit dem Ausschluss des Transzendenzkriteriums in der religionswissenschaftlichen Debatte darüber, wie Religion zu definieren ist, wenn es auch religiöse Traditionen ohne Transzendenzbezug gibt. Die im Feld vorgefundenen religiösen Phänomene und Meinungen, was Religion sei, lassen Religion als Institutionen begreifen, die ein Sinnangebot zur Reduktion der lebensweltlichen Komplexität und der damit zusammenhängenden Unsicherheiten bereithalten (vgl. Koch 2014: 108). Der Begriff »Religion« (maz. religija/alb. fe) sowie »Glaube« (maz. vera/alb. besim) ist im Forschungsfeld mit sich explizit religiös verstehenden institutionalisierten Gemeinschaften verbunden und entstammt demzufolge der Objektebene, die mit Koch von der Metaebene zu unterscheiden ist. Diese auf der Objektebene des Forschungsfelds als »Religion« verstandenen Religionsgemeinschaften bestimmen normativ sowohl die Glaubensinhalte als auch religiöse Praktiken. Dazu gehört in allen Gemeinschaften der Glaube an nur einen Gott und Bestimmungen dazu, wer wann wie und wo beten, Feste feiern und sich wie in oder an einer Gebetsstätte verhalten sollte. Insbesondere durch Vorstellungen des moralischen Handelns gibt es zwischen den institutionalisierten Religionsgemeinschaften und ihren Mitgliedern einen Alltagsbezug. All diese Elemente, die Institutionen, Glaubensinhalte und Vorschriften, Praktiken sowie religiöse Orte und Gebäude bilden im kulturwissenschaftlichen Religionsverständnis Religion als Kulturfaktoren. Um die komplexen Ereignisse am Naum-Kloster, das als religiöses Objekt ein Kulturelement darstellt, zu verstehen, reicht die Analyse der Objektebene nicht aus. Vielmehr muss das Phänomen auf der Metaebene betrachtet werden. Das bedeutet, dass ich bei der Analyse nicht nur die ausdrücklichen Bezeichnungen und Zuschreibungen, sondern auch deren Verflechtung mit den Interessen und Handlungen der Akteur:innen berücksichtige, obgleich die Akteur:innen diese nicht explizit thematisieren. Die aufgezeigte enge Verbindung zwischen Religion und Politik in Südosteuropa ist der deutlichste Hinweis darauf, dass Religionen auch in dieser Region nicht von anderen Lebensbereichen getrennt sind. Infolgedessen ist auch das gewählte Beispiel auf Religion als Kulturmuster und nicht als Kulturfaktor zu untersuchen. Koch distanziert sich auch von dem Religionsbegriff der reinen Objektebene, indem sie sich J. Z. Smith anschließt und es den Religionswissenschaftler:innen
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überlässt, den zu untersuchenden Gegenstandsbereich als religiös zu definieren (Koch 2007b: 29). Dazu erklärt sie: »Dieser pragmatische Ansatz einer religionswissenschaftlichen Gegenstandsbestimmung ist von der Verwendung von ›Religion/Religionen/religiös‹ auf der Objektebene der Religionen, von Religionskritikern oder anderen nicht religionswissenschaftlichen Bezugnahmen zu unterscheiden.« (Koch 2007b: 29)
Die Abgrenzung von »anderen nicht religionswissenschaftlichen Bezugnahmen« lässt sich auf die vorangegangenen Ausführungen übertragen: Die Verwendung der diskutierten Begriffe gemäß der auf Südosteuropa fokussierten Regionalstudien sowie der Forschung zu »shared religious places« ist deswegen problematisch, weil sie sich nicht reflektiert von den vorgegebenen Begriffen der Objektebene distanziert. Es gehört jedoch nicht in den vorrangigen Aufgabenbereich dieser »nicht religionswissenschaftlichen« Forschungsrichtungen, eine Religionsdefinition vorzulegen. Daher möge meine umfassende Auseinandersetzung mit problematischen Begriffen nicht als scharfe Kritik, sondern als Anregung zu einer intensiveren Beschäftigung mit religionswissenschaftlichen Ansätzen und als Aufruf zu einem stärkeren interdisziplinären Austausch bewertet werden. In der kulturwissenschaftlichen Konzeptionalisierung von Religion als Kulturmuster liegt eine weitere Stärke gegenüber anderen Modellen, die Religion nur auf ihre Sinn- und Orientierungsleistungen reduzieren. Koch kritisiert, dass eine derartige Reduktion »erstens zu inhaltlich gefüllt [wäre], […] zweitens in der Gefahr einer Rationalisierung von Religion (der Funktion, Orientierung zu geben) [stünde] und […] drittens im weiten Sinne, nach dem alles Mögliche Orientierung bieten kann, so unspezifisch [wäre], dass er nicht nützlich ist.« (Koch 2007b: 29)
Religion als Kulturmuster verstanden geht über diese Bestimmung hinaus. Vor allem vor dem Hintergrund der Sozialismuserfahrung Südosteuropas ist zu ergänzen, dass auch politische Ideologien als Sinn- und Orientierungsleistungen betrachtet werden können – selbst dann, wenn sie sich explizit von Religion (als Kulturelement) distanzieren. Auf der Objektebene sind religiöse Traditionen und institutionalisierte Religionsgemeinschaften von politischen Ideologien wie dem Sozialismus zu unterscheiden. Da Akteur:innen sowohl politisch als auch religiös handeln oder politische und religiöse Akteur:innen sich gegenseitig beeinflussen können, ist die Grenze zwischen Religionen und politischen Ideologien jedoch auch dort nicht völlig klar. Auf der Metaebene dagegen sind einzelne Akteur:innen, Rituale, Gegenstände, Gebäude und Ideen als eigenständige Elemente zu be-
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stimmen, ohne sie einem der beiden Bereiche zuzuordnen und daraufhin zu untersuchen, welches kulturelles Muster sie ergeben. Ähnlich verhält es sich mit anderen Gesellschaftsbereichen: Religion und Tourismus werden genauso unterschieden wie Religion und Wirtschaft, Religion und Bildung oder Religion und Medizin. Diese Unterscheidungen sind ebenso nur auf der Objektebene möglich, müssen aber im Anschluss an das kulturwissenschaftliche Religionskonzept auf der Metaebene reflektiert und auf das Muster hin analysiert werden, dass sich aus den einzelnen Elementen ergibt. Am zu untersuchenden Naum-Kloster sind etwa folgende ein solches Muster bestimmende Elemente auf den ersten Blick erkennbar: der Heilige Naum, sein historisches und gegenwärtiges Wirken, der Kontakt mit und die Verehrung von Heiligen, der Glaube an und die Legenden über Wunder und Heilungen, Votivgaben und wirtschaftliche Interessen, die Institution der orthodoxen Kirche, Besucher:innen, der Staat, der Umgang mit dem historischen materiellen und geistlichen Erbe, das Sarı-Saltuk-Narrativ, der interreligiöse Kontakt, der Klosterkomplex und das Territorium, die Gestaltung religiöser Feiertage, des Tourismus sowie religiöse und ethnisch-nationale Identitätsdiskurse. Auffällig ist bei den gezeigten gängigen Unterscheidungen, dass sich die scheinbar nicht religiösen Gesellschaftsbereiche zusammenfassen und der Religion gegenüberstellen lassen. Diese Unterscheidung wird gewöhnlich mit den Begriffen »religiös« und »säkular« erfasst und ist in der Religionswissenschaft nicht unumstritten, worauf an dieser Stelle nur in Ansätzen eingegangen werden kann. Diese Unterscheidung in »religiös« und »säkular« findet sich auch in Studien der Regionalwissenschaft zu Südosteuropa (vgl. Kahl/Roșu 2018). Die gängige Unterscheidung ist mit Christoph Kleine zu verstehen, der im Anschluss an Luhmanns Religionsverständnis nicht religiöse Gesellschaftssysteme mit dem Attribut »säkular« überschreibt (Kleine 2013: 225-235). Der Religionswissenschaftler fasst seine Position dazu wie folgt zusammen: »Das, was nicht religiös ist, kann man als ›säkular‹ bezeichnen. Bei den Begriffen ›religiös‹ und ›säkular‹ handelt es sich dann um Differenzbegriffe oder relationale Begriffe, die voneinander abhängen« (Kleine 2012: 65). Darauf, inwiefern die Begriffe miteinander zusammenhängen, geht Kleine nicht weiter ein. Auch der Religionswissenschaftler Christoph Bochinger betont, dass »religiös« und »säkular« sowie »Religion« und »Säkularität« nur in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander zu bestimmen sind (Bochinger 2013: 17). Sowohl Bochinger als auch Kleine bestimmen »Säkularität« infolgedessen in Abgrenzung zu »Religion« negativ. Bochinger definiert »›Säkularität‹ im Sinne einer nicht-religiösen weltanschaulichen und lebenspraktischen Orientierung« (Bochinger 2013: 41). Kim Knott dagegen kritisiert die scharfe Trennung von religiösen und säkularen Deutungsperspektiven und zeigt, dass diese hinfällig
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ist (Knott 2005: 124-126). Ihrer Meinung nach handele es sich dabei vielmehr um gleichberechtigte Positionen innerhalb eines Deutungsfeldes, das in modernen westlichen Gesellschaften erkennbar ist. Unabhängig davon ist die Kritik, die Koch an Definitionen von Religion als Orientierungsleistung übt, auch auf ein analog entwickeltes Säkularitätsverständnis wie das von Bochinger übertragbar. Kleine hingegen übernimmt für »Säkularität« die Definition von Monika Wohlrab-Sahr und Marian Burchard als »institutionell und kulturell-symbolisch verankerte[] Formen und Arrangements der Unterscheidung zwischen Religion und anderen gesellschaftlichen Bereichen« (Kleine 2013: 254). Diese Definition liegt auch dem Ansatz der Leipziger Forschungsgruppe »multiple secularities« zugrunde, zu deren Initiator:innen Kleine und Wohlrab-Sahr gehören (vgl. Kleine/ Wohlrab-Sahr 2016: 3).12 Im Vergleich zu Bochingers Definition scheint das Leipziger Konzept nach Kochs Kriterien ausgereifter, weil es Religion und »Säkularität« nicht auf das problematische Verständnis einer Orientierungsleistung reduziert. Mit Verweis auf Kochs Religionskonzept könnte dieser Säkularitätsbegriff verwendet werden, um nicht religiöse Kulturfaktoren zusammenzufassen. Allerdings würde Religion dabei wieder nur auf einen Kulturbereich oder einen Kulturfaktor reduziert werden und eine Sonderstellung unter allen Kulturfaktoren und ‑bereichen zugeschrieben bekommen. Im Gegensatz zu Kochs Ansatz kann diese strikt dichotome Definition die Querverbindungen verschiedener Gesellschaftsbereiche nicht erklären und ist daher in dieser Arbeit zu vernachlässigen. Die häufig anzutreffende Polarität aus »religiös« und »säkular« sowie »Religion« und »Säkularität« kann mit dem kulturwissenschaftlichen Ansatz von Koch aufgelöst werden. Denn die musterbildenden Kulturelemente ihres Ansatzes sind nicht per se religiös, sondern werden kulturabhängig als solche wahrgenommen. Einen säkularen Kulturfaktor gibt es dagegen generell nicht. Infolgedessen und um dieses Problem zu umgehen, verzichte ich in meiner Ethnographie möglichst auf die Unterscheidung von religiös und säkular und versuche stattdessen, scheinbar nichtreligiöse Faktoren konkret anderen Gesellschaftsbereichen wie Wirtschaft, Politik oder Bildung zuzuordnen.
12 In dem Konzept wird »Säkularität« außerdem von »Säkularismus« und »Säkularisierung« abgegrenzt: Säkularismus: »secularism […] refers equally to institutional arrangements for separating politics and religion, and to their ideological legitimisation« und »secularisation […] indicates a process, as part of which distinctions are institutionalised and the influence of religion on other societal sub-domains is lessened (and vice versa) (Chaves 1994) [and] this term encompasses the decline of religious belonging, belief and participation, as well as the privatisation of the religious (Casanova 1994)« (vgl. Kleine/Wohlrab-Sahr 2016: 2f).
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Zusammengefasst lässt sich sagen, dass dieses der Arbeit zugrunde gelegte kulturwissenschaftliche Religionskonzept darauf abzielt, (1.) eine Auf- oder Abwertung religiöser Gruppen und Perspektiven zu vermeiden, (2.) Religion als einen mit verschiedenen Lebensbereichen verbundenen Kulturfaktor und zugleich als ein Kulturmuster zu betrachten und schließlich (3.) die begrifflich schwierige Differenzierung zwischen religiös und säkular zu vermeiden.
2.3 P LACES/SPACES – GEGENSTAND UND ARENA VON AUSHANDLUNGSPROZESSEN Orte und Räume stehen in der von Hayden und Bowman angeführten Theoriedebatte nicht im Mittelpunkt. Ähnlich wie die Attribute »religiös« und »heilig« bleiben auch die Termini »Ort« und »Raum« kaum hinterfragt. Stattdessen werden verschiedene Begriffe verwendet, die den physisch-geographischen Charakter der untersuchten Orte und Räume betonen. Explizite Überlegungen zu metaphorischen Orten fehlen in den Studien zu »shared religious places« ebenso wie methodische Ansätze zur Untersuchung religiöser Orte und Räume. Im Folgenden möchte ich zunächst auf die verwendeten Termini sowie deren Implikationen eingehen und anschließend die Darstellung mit Überlegungen zu metaphorischen Orten ergänzen, wofür ich exemplarisch auf die Theorie der Erinnerungsorte zurückgreife. Dabei ist jeweils darauf hinzuweisen, welche Aspekte in der Südosteuropaforschung bereits thematisiert wurden. Schließlich biete ich einen Überblick über Kim Knotts methodischen Ansatz zur Erforschung von religiösen Räumen beziehungsweise zur Lokalisierung von Religion. Dieser steht exemplarisch für die vielfältigen Zugänge zu Raum in der Religionswissenschaft. Bereits bei der Betrachtung der Titel vorgelegter Studien und Sammelbände zu dem Thema wird die Begriffsvielfalt deutlich, mit der sie sich auf die Kategorie Raum beziehen. Bowman schreibt bereits Anfang der 1990er Jahre explizit von »shrines« und impliziert damit, dass es sich um physische religiöse Kultstätten handelt (Bowman 1993, 2010, 2013). Gelegentlich verwendet er auch den Terminus »holy places« (Bowman 2012c). Hayden dagegen greift in seinem Beitrag von 2002 den Ausdruck »religious sites« auf, womit er ebenfalls auf eine physisch lokalisierbare, religiös konnotierte Stelle verweist (Hayden 2002a, 2002b). Terminologisch stehen Barkan und Barkey mit dem Begriff »sites« in Haydens Tradition, obwohl die Begriffsverwendung keinen Unterschied für die Positionierung in der Theoriedebatte erkennen lässt (Barkan/Barkey 2014a). Den Begriff »space« führen Albera und Couroucli an (Albera/Couroucli 2012). Die von Couroucli formulierte Einleitung zeigt jedoch mit der undefinierten und nicht vom titelge-
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benden »spaces« abgegrenzten Verwendung des Begriffs »places«, dass ersterer Begriff kaum intentional zur Abgrenzung gewählt wurde (Couroucli 2012b). Einen Neuansatz zur Begriffsdifferenzierung innerhalb dieser Debatte wagte Hayden 2013 zusammen mit dem Historiker Timothy Walker. Neben einer Ortsdefinition führt er auch den Ausdruck »religioscapes« zur Umschreibung von »religious spaces« ein (Hayden 2013; Hayden/Walker 2013). Hayden definiert geteilte religiöse Orte wieder über den Begriff »sites« und somit wieder über physische Kultstätten: »shared religious sites [are] nodes in structures of social interactions between populations that distinguish themselves and each other as different, on religious grounds, through time« (Hayden/Walker 2013: 407). Orte sind demzufolge im Allgemeinen durch soziales Handeln von Menschen konstruiert und stehen daher immer im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken, deren Reichweite unterschiedlich sein kann. Einzelne Orte zu betrachten, mag die Forschung erleichtern, ist allerdings nicht ausreichend (Hayden/Walker 2013: 407). Deswegen sind diese als Teile von Religionslandschaften (»religioscapes«) zu betrachten und zu untersuchen. Zur Entwicklung des Konzepts von Religionslandschaften greifen Hayden und Walker insbesondere auf Arjun Appadurais Konzept der »ethnoscapes« zurück (Appadurai 1996). Sie verstehen darunter die Verteilung physischer Manifestationen bestimmter religiöser Traditionen und Menschen, die sie in Raum und Zeit bilden. Hayden und Walker betonen: »the population and the physical manifestations of the religion are components of a religioscape; a physical artefact associated with a religion that is no longer practiced may be evidence of a previous religioscape but does not itself constitute a religioscape« (Hayden/Walker 2013: 407). Zudem sind Religionslandschaften durch die Mobilität der Menschen und ihr Handeln in hohem Maße veränderbar, sodass die sie mit Bedeutung aufgeladen werden oder in Vergessenheit geraten können (Hayden/Walker 2013: 408). Dass es sich um eine Fortführung von Haydens ursprünglichem Ansatz handelt, wird insbesondere daran erkennbar, welche Bedeutung dem Faktor Zeit zugemessen wird: Er ist nicht mehr nur eine wichtige Komponente zur Untersuchung und Einschätzung von Praktiken, sondern auch für die Erfassung des Wandels von Religionslandschaften und Bedeutungen. Auch andere Versuche, geteilte religiöse Orte und Räume strukturell zu erfassen, zielen auf die Merkmale physischer Orte und deren Verortung in Räumen ab. Mit Blick auf den Mittelmeerraum, insbesondere auf das Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reichs, stellt Albera fest, dass geteilte religiöse Orte meist in der ländlichen Peripherie zu finden seien (Albera 2012: 225-228). Den Grund dafür sieht sie darin, dass sich Orte in der Peripherie der Reichweite von Autoritäten entzögen. Allerdings können auch bedeutendere Orte unter strenger Beobachtung von Geistlichen zu geteilten Orten werden: Darieva, Mühlfried und Tuite warnen
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daher explizit vor Verallgemeinerung und bringen Gegenbeispiele für geteilte religiöse Orte und Räume in Städten (Darieva et al. 2018a: 9). Als religiöse Orte und Räume werden in Südosteuropa vornehmlich solche betrachtet, die mit etablierten und institutionalisierten Religionsgemeinschaften assoziiert sind. Auffällig ist auch hierbei, dass es sich in erster Linie um für religiöse Praktiken genutzte Gebäude, um physische Orte, handelt wie Kirchen, Klöster, Moscheen und Tekken, die die architektonische Landschaft der Region nachhaltig prägen. Daneben gab es vor allem seitens der muslimischen Regierung des Osmanischen Reichs weitere mit dem Islam verbundene Gebäude oder Gebäudekomplexe. Dazu gehören etwa eine »Medrese« genannte Koranschule oder eine »Imaret« genannte Suppenküche, die sich an eine Moschee anlagern und Teil eines wakfs, einer wohltätigen religiösen Stiftung, sein konnten (Deguilhem 2002: 89; Peters 2002: 59f). Außerdem gehören zu dieser Kategorie auch Gräber einzelner religiöser Figuren, denen eine Wunderkraft zugeschrieben wird. Als religiöse Orte oder Räume konnten vor allem bis zur Enteignung der Religionsgemeinschaften durch sozialistische Regime auch die zu wakfs und Klöstern gehörigen Ländereien gezählt werden. Zu physisch-geographischen religiösen Orten können auch Orte in der Natur gezählt werden, die aufgrund ihrer äußeren Erscheinung religiös bewertet werden. Insbesondere werden Steinen und Höhlen religiöse und/oder magische Kräfte zugeschrieben, wie Dragica Popovska am Beispiel Mazedoniens zeigt (Popovska 2011, 2012a, 2012b, 2014). Dieser Eindruck beziehungsweise die Zuschreibung kann durch die Umgebung verstärkt werden, wenn sich etwa eine Quelle in der Nähe befindet. Einzelne Steine können entweder als Überreste einer Kultstätte gedeutet werden oder auch als Ausgangspunkt für einen religiösen Neubau genutzt werden. Gleichzeitig sind einzelne Steine sowie Bäume oder Wasserstellen ohne erkennbaren religionsgemeinschaftlichen Kontext so deutungsoffen, dass sie von verschiedenen religiösen Traditionen beansprucht werden können. In der gegenwärtigen ethnologisch geprägten »shared religious place«-Debatte stehen physisch-geographische religiöse Orte im Vordergrund. Daneben gibt es auch metaphorische religiöse Orte, die geteilt werden können. Ohne sie als metaphorische Orte zu benennen und gesondert zu theoretisieren, werden in der genannten Debatte neben physischen Orten zum Beispiel auch Heilige und Rituale betrachtet (Sing 2019: 14). Im Vergleich zu vielen anderen Studien geht Albera in seinen Ausführungen auch auf die »hybrid saints« ein (Albera 2012: 228-232). Er sieht ein Verehrungspotential besonders bei den Heiligen, für die nur ein unbestimmtes Profil und eine schematische Hagiographie überliefert und über deren Leben also kaum etwas bekannt ist. Deren Verbreitung im ländlichen Raum trägt dazu bei, dass Albera außerdem einen Bezug zum von den Jahreszeiten abhängigen Landwirtschaftskalender herstellt. Allerdings zielt auch Albera nicht auf eine
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Erklärung von Heiligen als metaphorische Orte ab, sondern benutzt sie lediglich dafür das Interesse an physischen Orten und deren teilungsermöglichendem Potential zu erklären. Das wird daran deutlich, dass er auf die manchmal nicht nachvollziehbare geographische Verbreitung von Heiligenkulten aufmerksam macht. Zur Beantwortung der Frage, was metaphorisch-symbolische Orte sind, orientiere ich mich an Pierre Noras Ausdruck der lieux de mémoire, der die Theorie der Erinnerungskultur geprägt hat (Nora 1998).13 Wichtig ist dabei nicht nur die Frage, wer an was erinnert, sondern auch wie es zu Erinnerungen kommt. Im Folgenden skizziere ich daher zunächst das Subjekt des Erinnerns sowie die Organisation von Erinnerungen, bevor ich das Objekt des Erinnerns erläutere. In der Theorie der Erinnerungsorte ist das zu untersuchende Subjekt des Erinnerns meist ein Kollektiv, welches ein gemeinsames Gedächtnis ausbildet, das von Maurice Halbwachs sogenannte »kollektive Gedächtnis« (vgl. Assmann 1992). Dieses entsteht durch Kommunikation zwischen Individuen einer Gemeinschaft. Individuelle und kollektive Identitäten entstehen dabei in gegenseitiger Abhängigkeit. Die Organisation von Erinnerungen und kulturellen Gedächtnissen übernehmen Kollektive oder Institutionen »durch gezielte Erinnerungs- bzw. Vergessenspolitik« (Assmann 2009: 15). Mit der Intentionalität ist auch »die Gefahr der Verzerrung, der Reduktion, der Instrumentalisierung von Erinnerung« verbunden, die »nur durch öffentliche begleitende Kritik, Reflexion und Diskussion aufgefangen werden« können. Objekte des Erinnerns sind gemäß Halbwachs »Wahrheiten«, die sich »in der konkreten Form eines Ereignisses, einer Person [oder] eines Ortes darstellen« und für ein Individuum oder eine bestimmte Gruppe »identitätskonkret« sind (Assmann 1992: 38-44; Hervorhebung im Original). Die Objekte müssen zudem einen »Raum- und Zeitbezug« für die Erinnernden aufweisen, um den für Identitätsbildungen notwendigen Eindruck von Kontinuität zu erzeugen. »Wahrheiten« verweisen auf einen identitätsstiftenden Teil der Erinnernden und garantieren somit den Zusammenhalt des Kollektivs. Erinnerte Wahrheiten weisen außerdem das Charakteristikum der »Rekonstruktivität« auf: Sie werden von der erinnernden Gemeinschaft an ihre Bedürfnisse angepasst. Geschichte und Erinnerungen sind dabei nicht gleichzusetzen. Während die Geschichte beziehungsweise die Geschichtsschreibung bemüht ist, neutral über Ereignisse zu berichten, erinnert das Gedächtnis bewertend an Ereignisse. Diese »Wahrheiten« wurden mit Pierre Nora als »lieux de mémoire« bekannt: Seine These aus Erinnerungsorte Frankreichs lautet, dass es Erinnerungsorte brauche, weil Erinnerungen in einer immer schnelllebiger werdenden Gesellschaft keinen Platz mehr im Alltagsleben der 13 Einen Überblick über die Forschungsgeschichte des Erinnerungsdiskurses bieten Frank/Rippl 2007.
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Menschen hätten (Nora 1998: 11-19). Die Sehnsucht der Menschen nach Erinnerungen führe zur Schaffung spezieller Orte, an denen sich die Erinnerungen materialisieren lassen könnten. Wie Halbwachs versteht also auch Nora Orte im übertragenen Sinne als topographische Orte sowie als Gegenstände, Ideen oder Personen. Die explizite Thematisierung des metaphorischen Verständnisses von Orten fehlt im Diskurs um »shared religious places«. Kim Knott dagegen zeigt im zweiten Teil ihrer Monographie mit ihrer Analyse der linken Hand, dass Religionswissenschaft sich sowohl mit physischen als auch mit metaphorischen Orten beschäftigen sollte und dass die auch miteinander verbunden sein können (Knott 2005: 133-228). Auch in den auf Südosteuropa bezogenen Studien beschäftigen sich einige Beiträge mit symbolisch-metaphorisch religiösen Orten beziehungsweise Erinnerungsorten. Darunter zählen vornehmlich Betrachtungen über religiöse Figuren, zu denen je nach religiösem Kontext Heilige, Derwische, Scheichs oder Babas gehören. Heilige und Heiligenfeste waren in der älteren Volkskunde und Ethnologie, die sich mit dem Balkan beschäftigten, nur ein Randthema in Abhandlungen über den sogenannten »Volksglauben« (Belović 1927; Krauss 1890, 1908; Schneeweis 1961; Vakarelski 1966, 1969). Dabei wurde vor allem die christliche Überlagerung früheren Dämonenglaubens betrachtet; der islamische Einfluss hingegen erfährt nur am Rande Berücksichtigung. Zudem weckten transreligiöse Phänomene das Interesse von Balkanreisenden (Durham 1904, 1995; Hahn 1853, 1868; Ippen 1892, 1907; Ormandžijan 1984; Steinmetz 1904, 1905, 1908). Über Heilige die als metaphorische (geteilte) religiöse Orte gelten können, formulierte der Historiker und Orientalist Franz Babinger Mitte des 20. Jahrhunderts: »Es gehört zu den reizvollsten aber auch verwickeltsten Aufgaben der Volksforschung im islamischen Verbreitungsgebiet auf dem Balkan, die oft seltsamen Vermengungen von christlichen und muslimischen Heiligen, denen wir allenthalben begegnen, aufzuzeigen.« (Babinger 1959: 213)
Es scheint ein zunehmendes Interesse daran zu geben, der von Babinger formulierten Aufgabe nachzukommen, wobei die Beiträge sich in unterschiedliche Forschungsrichtungen einordnen lassen (Endresen 2015b; Pawelek 2015; Reuter 2015; Rohdewald 2007, 2009, 2017, 2019). Insbesondere Rohdewalds jüngere Aufsätze sind für die vorliegende Studie relevant, da er darin Sarı Saltuk als transnationale Erinnerungsfigur untersucht, die von einigen Bektaschis und Sunnit:innen mit Naum identifiziert wird.14 Die Grenzen metaphorischer und physischer Orte gehen fließend ineinander über, wenn solche Personen sowohl an 14 Vgl. Kapitel 4.1.3 Naum und das muslimische Sarı-Saltuk-Narrativ.
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ihren Grab- und/oder Wirkungsstätten als auch unabhängig davon erinnert und eventuell sogar für religiöse oder andere Zwecke in Anspruch genommen werden. Der Fokus der jüngeren Forschungen liegt vor allem auf der (trans-)nationalen Bedeutung der Heiligen für die Nationalstaatenbildung seit dem 19. Jahrhundert. Diese Beiträge ordnen sich theoretisch den Studien über Erinnerungskulturen zu, die sich religiösen Erinnerungsorten widmen. An Noras Erinnerungsorte Frankreichs schließen sich verschiedene Projekte wie der Sammelband Erinnerungsorte des Christentums mit theologisch ausgerichteten Beiträgen (Markschies/Wolf 2010). Oftmals gehören die behandelten Erinnerungsorte jedoch zum westlichen Christentum. Eine ähnliche Tendenz wird in dem Band Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter erkennbar (Petersohn 1994), der nur vier Beiträge zum »orthodoxen Osten« bietet. Davon nimmt sich wiederum nur einer dem Thema der »politischen Heiligenkulte bei den orthodoxen Südslaven« an (Kämpfer 1994). Dem stehen neuere Forschungsprojekte zu religiösen Erinnerungsorten in Ost-, Mittel und Südosteuropa gegenüber. Dazu gehört etwa das Projekt »Zwischen religiöser Tradition, kommunistischer Prägung und kultureller Umwertung: Transnationalität in den Erinnerungskulturen Ostmitteleuropas seit 1989« am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas der Universität Leipzig (GWZO)15 (Kenneweg/Troebst 2008). Ein weiteres Beispiel ist das vom Herder Forschungsrat (Fachkommission für Kirchen- und Religionsgeschichte) und den Universitäten Stuttgart und Passau getragene Forschungsprojekt »Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa« mit einem gleichnamigen Sammelband (Bahlcke et al. 2013). Neben den kulturwissenschaftlichen Ansätzen von Albera oder den Ansätzen der Erinnerungstheorien gibt es auch dezidiert theologische Beiträge darüber, was Heilige auszeichnet und welche Funktion sie für die Gläubigen übernehmen. Im Christentum sind Heilige unabhängig konfessioneller Unterschiede Teil der Kirche. Dennoch ist Heiligenverehrung in erster Linie ein Phänomen der katholischen und der orthodoxen Kirchen. Daher wird sie in der protestantischen Theologie seit der Aufklärung entweder im Bereich der Kirchengeschichte oder der Konfessionskunde behandelt, seltener unter dem spirituellen oder liturgiegeschichtlichen Aspekt im Bereich der Praktischen Theologie (Dahlgrün 2009: 581-597; Knodt 1998; Lucius 1904; Speyer 1997). Auch die islamische Theologie beschäftigte sich zeitig mit Fragen bezüglich der islamischen Heiligen und ihren Taten (Radtke 2002: 109f). 2 Allerdings kann nicht damit gerechnet werden, dass dieses Thema auch die gegenwärtigen islamischen Theologen beschäftigt, da Heiligenverehrung durch wahabitische Strömungen offiziell bekämpft wird (Clarke/Gabbay 15 2017 wurde das GWZO zum Leibniz-Institut und trägt seitdem die Bezeichnung Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO).
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2009: 24; Ohtsuka 2009: 232). Dies zeigt sich auch daran, dass in der Literatur, die den Islam überblicksartig betrachtet, Volksglauben und Heiligenverehrung nur am Rande Beachtung finden, während die Literatur über lokale Erscheinungen des Islams stärker den Volksglauben sowie transreligiöse Phänomene in den Blick nimmt (Woodward 2009: 388). Was ist nun aber die Gemeinsamkeit von metaphorischen und physischen Orten? Wie können Orte und Räume für die vorliegende Untersuchung definiert werden? Diese Fragen gehen insbesondere mit einer Abgrenzung von Ort zu Raum einher. In seinem bereits genannten Forschungsüberblick verweist Manfred Sing auf die Unterscheidung des Soziologen Thomas Gieryn (2000) und nennt mit diesem drei Merkmale für Orte: »location, material form, and meaningfulness« (Sing 2019: 15). Interreligiöse Orte und multireligiöse Räume dürften daher nicht miteinander verwechselt werden, obwohl sie miteinander zusammenhängen: »Neither can multi-religious space be reduced to examples of shared sites, nor do shared places symbolize a multi-religious landscape. Instead, a shared place represents a special arrangement for the direct encounter of different people, whereas multi-religious space can include different places, various arrangements, and contradictory behaviour. Although shared sacred places and multi-religious space are inter-connected in various ways, transformations on one of the two spatial levels often affect the other only indirectly.« (Sing 2019: 15)
Haydens und Walkers Ansatz, der zwischen religiösen Orten und Religionslandschaften unterscheidet und den Zusammenhang beider Begriffe erläutert, steht mit diesen Ausführungen trotz terminologischer Unterschiede im Einklang. Dass sich Orte innerhalb von Räumen befinden und im Vergleich zu diesen stärker bedeutungsgeladen sind, vertritt auch Kim Knott in ihrer 2005 erschienen Monographie The Location of Religion. A Spatial Analysis. Innerhalb der Religionswissenschaft ist dieser einer der einschlägigsten Ansätze zur Raumdebatte. In ihrer Definition von Ort setzt sie im Vergleich zu Gieryn einen anderen Akzent. In ihrem Ansatz bezieht sich Knott zur Unterscheidung von »place« and »space« insbesondere auf Doreen Massey. Knott definiert Orte als Knotenpunkt der drei Raummomenten des Konzipiert-, des Belebt- und des Wahrgenommen-Seins (Knott 2005: 32f). Während der Raum jedoch vor allem durch sein Konzipiert-Sein auffällt, sind Orte vorrangig durch das Moment des Belebt-Seins geprägt. Dadurch werden Orte zu Arenen von Aushandlungsprozessen, in denen sich Veränderungen abzeichnen. Räumliche Praktiken vermitteln zwischen gelebten Orten und konzipierten Räumen, weil sie beide implizit beeinflussen. Im Unterschied zu Gieryn bestimmt Knott Orte nicht vorrangig über deren materielle Form: »place is that nexus in space in which social relations occur, which may be material or metaphorical and which is necessarily interconnected (with places) and full of power« (Knott
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2005: 134). Dieser Ansatz ist für das Vorhaben dieser Studie besser geeignet, weil dadurch sowohl Naum als auch das Kloster als religiöse Orte untersucht werden können – Naum als metaphorischer, das Kloster als physischer Ort. Die Definitionen von Ort und Raum sind die Grundlage von Knotts Monographie, die darauf abzielt, einen theoretischen Methodenansatz zu entwickeln, um Religionen in modernen westlichen Gesellschaften zu untersuchen (Knott 2005: 1). Abgesehen davon, dass es in Anbetracht der Ansätze von Foucault, Bourdieu, Lefebvre und Certeau aus den 1980er Jahren als zeitgemäß erscheint, sich mit Räumen zu beschäftigen, nennt Knott zwei weitere Gründe für den methodischen Mehrwert der Raumanalyse für die Religionswissenschaft (Knott 2005: 1-3). Einerseits erhofft sie sich durch diesen neuen religionswissenschaftlichen Ansatz auch neue Einsichten über religiöse Phänomene. Andererseits ist es ein zentrales Ergebnis ihrer Arbeit mit Studierenden, dass Religionen und religiöse Phänomene exemplarisch und lokal untersucht werden müssen statt sie zu verallgemeinern. Vorgreifend auf die Methode der vorliegenden Studie kann an dieser Stelle bereits auf Adele Clarkes Ansatz der Situationsanalyse verwiesen werden, in dem Raum eine zentrale Rolle spielt. Clarke konstatiert, dass Wissen immer ein Produkt von Praktiken sei und dass es in seinem räumlichen Kontext betrachtet werden müsse (Clarke 2012: 91; Clarke et al. 2016: 162). Zudem spricht Clarke ähnlich wie Knott auch von »sozialen Welten« und »Arenen«, die kollektive Akteur:innen und wichtige nichtmenschliche Elemente veranschaulichen, die durch ihr Wirken und durch Diskurse in fortwährende Aushandlungsprozesse eingebunden seien (Clarke 2012: 24). Vor allem der Ausdruck der »sozialen Welten« impliziert, dass es nicht ausschließlich um physische, sondern auch um soziale Räume, also gesellschaftliche Strukturen geht. Dieser Ansatz bietet sich daher ebenfalls für mein Vorhaben an. Knott betrachtet zwar explizit sowohl Orte als auch Räume. Sie konzentriert sich in ihren theoretischen Ausführungen jedoch vornehmlich auf den Raum. Bei der Entwicklung ihres Ansatzes stützt sie sich insbesondere auf Henry Lefebvres La Production de l’Espace und verfolgt drei Ziele bei der Entwicklung einer Theorie von »space, place, and location«: »to reflect upon space as a medium in which religion is situated; to develop a spatial strategy for examining the relationships between religion and its apparently secular context; to consider the spaces produced by religions, religious groups, and individuals in contemporary Western societies.« (Knott 2005: 3)
In diesem Zusammenhang definiert sie Raum kurz als »a medium, a methology, and an outcome« (Knott 2005: 3, Hervorhebung im Original). Raumanalyse ist ihrer Meinung nach deshalb so wertvoll für die Untersuchung von Religion,
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weil sie verschiedene Aspekte zusammenbringt und dazu beiträgt, Wissen über diese Aspekte zu generieren (Knott 2005: 6). Raumanalyse kann zum Beispiel Aufschluss über alltägliche Raumpraxis religiöser Menschen, die Produktion religiöser Räume, Machtverhältnisse und Aushandlungsprozesse verschiedener religiöser und politischer Deutungsperspektiven sowie territoriale Ansprüche geben. Durch sie können auch Einsichten über das Verhältnis von Religionen in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten sowie über die Nutzung von Kapital durch Religionen beziehungsweise ihre Kapitalflüsse gewonnen werden. Zudem zeichnen sich in Räumen auch soziale Verhältnisse ab. Das Attribut »metaphorisch« versteht sie im Anschluss an die Philosophen George Lakoff und Mark Johnson als das, was Menschen Orientierung in Form von kognitiven Konzepten bietet (Knott 2005: 14f). Orientierung bieten Räume folglich aufgrund derjenigen Bedeutung, die ihnen im Zuge der Aushandlungsprozesse zugeschrieben wird. Orte sind für Knott, wie bereits erwähnt, Knotenpunkte im Raum, die miteinander verbunden sind und an denen soziale Beziehungen sichtbar werden (Knott 2005: 134). Wie Räume können laut Knott auch Orte physisch oder metaphorisch, also bedeutungsaufgeladen verstanden werden. Die Parallele zum Erinnerungsdiskurs, in dem Orte auch als Personen, Gegenstände oder Ideen betrachtet werden, zieht sie zwar nicht explizit. Mit der exemplarischen Analyse der linken Hand wird sie jedoch implizit erkennbar. In späteren Studien überträgt sie ihren Ansatz auch auf eine medizinische Einrichtung (Knott/Franks 2007) und ein häusliches Alltagsritual (Knott 2007). Die Übertragung auf einen symbolischen Ort in Form einer Person wie Naum ist daher nicht abwegig. Die Konzentration auf den Raum bedeutet nicht, dass Knott Zeit als Analysekomponente vernachlässigen würde (Knott 2005: 4f). Allerdings bezieht sie sich wie Lefebvre eher auf Zeit, indem sie den Prozess der Raumproduktion betrachtet. Auch für Hayden ist Zeit eine wichtige Komponente bei der Analyse von »shared religious sites« (Hayden 2002a: 207f). Wie bereits gezeigt, geht es Hayden dabei jedoch nicht um die Analyse der Raumproduktion als Ganzes, sondern um die angemessene Bewertung gemeinsamer religiöser Praktiken nicht als synkretistisches, sondern als kompetitives Verhalten. Couroucli dagegen zeigt, dass die Praktiken des Teilens selbst erst das Produkt einer langen Geschichte sind (Couroucli 2012b: 5f). Sowohl Knott als auch Hayden haben vor allem ein gegenwartsbezogenes Interesse an Religion und betrachten entsprechend vorrangig die synchronen Entwicklungen. Bei keinem der beiden Ansätze wird ersichtlich, in welchem Maße neben der diachronen auch die synchrone Ebene berücksichtigt werden muss. Zur Analyse von religiösen Räumen und Religion im Raum hat Knott im Rahmen ihrer Theorie ein Instrumentarium von sieben Oberbegriffen entwickelt. In daran anschließenden Beiträgen reduziert sie die Zahl der Termini auf fünf:
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»(i) the body as the source of space, (ii) the dimensions of space, (iii) the properties of space, (iv) the aspects of space, and (v) the dynamics of space« (Knott 2008: 1008). Im Folgenden gehe ich kurz darauf ein, was Knott unter den einzelnen Punkten versteht. Ihr erster Begriff, »Körper« (»body«), beschreibt die Grundlage dessen, was verhandelt wird (Knott 2008: 1108). Der Körper ist laut Knott der Ausgangspunkt für Erfahrungen und Repräsentation von Raum sowie für das Reden über Umwelt, Beziehungen, Zeit, Prozesse, Kultur und das Heilige und somit mehr als die Summe seiner Teile. Außerdem reflektiert und repräsentiert er gleichzeitig die religiöse Disziplin oder wird durch sie konditioniert und organisiert. Neben der linken Hand führt Knott in ihrem Beitrag von 2008 auch eine Straße als Beispiel für einen religiösen Raum beziehungsweise einen Raum, an dem sich Religion wiederfindet, an. Entsprechend kann auch das zu untersuchende Naum-Kloster betrachtet werden. Mit dem Terminus »Dimensionen« (»dimensions«) bezeichnet Knott die physische, soziale und mentale Beschaffenheit von Räumen (Knott 2008: 1109). Die Untersuchung dieser Dimensionen ermöglicht es, religiöse Daten »in the context of the material and physical world, the space of social relationships, and in ideological, imaginary and cosmological locations« zu stellen. Wie Lefebvre sieht auch Knott diese drei Raumdimensionen an einem Ort präsentiert. Knotts Beispiel der Straße lässt sich auch deswegen auf das Naum-Kloster übertragen, weil diese Räume materiell und physisch aus verschiedenen Baumaterialien, sozial aus den dort lebenden und arbeitenden Menschen sowie ideologisch aus den über sie vermittelten Bildern und Vorstellungen besteht. Diese Dimensionen werden durch die verschiedenen temporär oder permanent mit dem Ort verbundenen Gruppen (re‑)produziert werden. Religion kann in jedem Detail identifiziert werden, in den Ziegeln und Fugen religiöser und anderer Gebäude, in Diskussionen über Moral und Verhalten, in Treffen und Festen. Eng mit der sozialen Dimension ist auch der dritte Ausdruck, »Eigenschaften« (»properties«) von Räumen, verbunden. Darunter fasst Knott die Momente der Gestaltung und Ausweitung des Raumes zusammen, die sich auch zeitlich erfassen lassen, sowie Gleichzeitigkeit und Macht (Knott 2008: 1109f). Gleichzeitigkeit verdeutlicht nach Knott die realen und vorgestellten Beziehungen zu anderen Räumen und Orten durch die Bewegung von Menschen und Kapital sowie durch Kommunikation. Gleichzeitig werden in Räumen Machtkämpfe ausgetragen, durch die diese laut Lefebvre und Foucault gekennzeichnet werden. Diese Aushandlungsprozesse beziehen sich auf Ideen und Symbole sowie auf gesellschaftliche Strukturen. Um eine Querverbindung zur »shared religious places«-Debatte herzustellen, sei hier kurz angemerkt, dass Haydens Ansatz der antagonistischen
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Toleranz und die sich daran anschließende Diskussion die Machteigenschaft von Orten thematisiert (vgl. Hayden 2002a). Wieder in Anlehnung an Lefebvre fasst Knott unter Aspekten (»aspects«) von Räumen drei Möglichkeiten zusammen, nämlich wie der Ort wahrgenommen (»perceived«), konzipiert (»conceived«) und gelebt (»lived«) wird (Knott 2008: 1110f). Wahrnehmung zeigt sich anhand der Praxis im Raum, Konzeption in der Repräsentation des Raumes und Präsentation durch das Leben im Raum. Diese Aspekte hängen stark mit der Gestaltung eines Ortes zusammen, was beispielsweise »[r]ituale Praktiken und Pilgerfahrten […] oder Verehrung von Heiligen« verdeutlichen (Darieva et al. 2017a: 13). Diese haben »einen konstruktiven Charakter und [gelten deswegen] als soziale und kulturelle Praxis […], mit deren Hilfe [neben Orten] regionale Netzwerke aber auch politische Allianzen ausgehandelt, aufrechterhalten und aufgelöst werden«. Der fünfte und letzte Begriff von Knott, Dynamiken (»dynamics«), zielt auf die Verbindung der anderen Begriffe untereinander ab (Knott 2008: 1111). Diese Dynamiken erschweren es, die von Knott entwickelten Analysetermini systematisch abzuarbeiten, wovon sie sich auch explizit distanziert (Knott 2005: 129). Knott geht es in ihrem Ansatz um die Verstrickungen verschiedener Elemente und Faktoren sowie um die an Orten sichtbar werdenden Aushandlungsprozesse, die damit auch zur Konstruktion von Orten in Räumen beitragen. Ihre These lautet, dass an Orten beziehungsweise in Räumen Aushandlungen verschiedener Deutungssysteme sichtbar werden, die sie im Deutungsfeld der Kategorien »religiös«, »säkular« und »postsäkular« verortet (Knott 2005: 125f).16 Die Dynamiken religiöser Orte werden zum Beispiel in der Erforschung von Pilgerorten deutlich, wobei die religiöse Praxis, seltener die Eigenschaft der Macht im Vordergrund steht (Eade/Katić 2014b; Katić 2014b). Die Debatte um religiöse Orte und Räume ist im Allgemeinen nicht unbemerkt an der Religionswissenschaft vorübergegangen. Anne Koch zeigt in einem kurzen Überblick, »dass Raum in der Religionswissenschaft der letzten Jahrzehnte eine wirkungsvolle Kategorie ist, in der sich die Diskussionen unterschiedlicher Disziplinen überschneiden und aufeinander beziehen« (Koch 2017: 8). Neben der jüngsten Debatte zum Raum in der Religionswissenschaft stellt sie auch Ansätze der Religionsgeographie dar und nimmt anschließend religiöses Leben im städtischen Raum, auf religiöse Raumarrangements sowie den Aspekt von Tourismus und Pilgern in den Blick. In jüngster Vergangenheit hat sich neben Kim Knott auch Thomas Tweed in seiner Monographie Crossing and Dwelling. A Theory of Religion mit Raum als 16 Zum Verhältnis von »religiös« und »säkular« vgl. Kapitel 2.2 Religious/Sacred – Bewertungskategorien und Deutungsansätze.
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religionswissenschaftlich relevanter Kategorie beschäftigt (Tweed 2009). Insbesondere das vierte Kapitel ist für seinen Raumansatz relevant, in dem er die Bewegung von Migrant:innen zu religiösen Orten (crossing) und das Verweilen (dwelling) an solchen analysierte (Tweed 2009: 80-122). Dabei entwickelte er seine These, dass auch das Verweilen selbst Raum konstituierend ist. Denn obwohl Verweilen scheinbar mit Untätigkeit assoziiert wird, erkennt Tweed darin drei sich überschneidende Prozesse, »mapping, building, and inhabiting« (Tweed 2009: 82). In einem Artikel mit dem prägnanten Titel Space fasst er seine Erkenntnisse zum Raum zusammen und bietet vielleicht eine Antwortmöglichkeit auf die Frage, warum konkrete physische Orte und Räume im Diskurs stärker berücksichtigt werden als metaphorische. Raum ist für ihn ähnlich wie für Knott »differentiated, kinetic, interrelated, generated, and generative« (Tweed 2011: 116), weswegen an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen werden soll. Tweed hebt sich durch die Berücksichtigung sprachlicher Ausdrücke, die ihm in der Feldforschung begegneten und die sich in einzelnen Sprachen finden, von Knott ab. Dabei stellt er fest, dass beteiligte Lai:innen und Geistliche selbst meist konkrete statt abstrakte Räume meinten und dass es in manchen Sprachen derlei Unterscheidungen nicht gebe (Tweed 2011: 116f). Die Tatsache, dass die Akteur:innen selbst vor allem physische Orte in Räumen thematisierten, überschneidet sich mit der Beobachtung, dass diese auch im Diskurs um »shared religious places« im Vordergrund stehen. Es ist daher mit dem Vokabular des kulturwissenschaftlichen Religionskonzepts von Koch zu vermuten, dass mit dem thematisierten Phänomen beschäftigten Wissenschaftler:innen diesbezüglich oftmals auf der Objektebene verharren, statt ihre Beobachtungen auf der Metaebene zu analysieren. Schließlich wirkte die Raumkategorie auch in der Religionswissenschaft des deutschsprachigen Gebiet produktiv auf die Theoriebildung ein. Bisher unerwähnt blieb etwa Fritz Heinrich, der konkret Architektur als religionswissenschaftliche Quelle betrachtet (Heinrich 2017). Darüber hinaus entwickelt er die Theorie einer religiösen Matrix, die er bisher noch in keinem Fachartikel ausformuliert vorgelegt hat. Allerdings stellte er diese im Sommersemester 2015 im Rahmen seiner Vorlesung Religionen im Spiegel ihrer architektonischen Repräsentationen an der Ludwig-Maximilians-Universität München vor. Er definiert: »[r]eligiöse Matrix als formale Bestimmung des Systems von Einzelfaktoren, die eine Religion, i.e. ein religiöses System, mit den Denkstrukturen eines historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontext[es] so verknüpfen, dass sie über das Funktionieren des jeweiligen religiösen Systems entscheiden.« (Heinrich 2015: 63)
Für die Matrix identifiziert er sechs Einzelfaktoren, die sich an Architektur zeigen und ein Pendant in den Religionen besitzen: historisches Bewusstsein – religiöse
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Tradition, Wissenschaft – religiöse Gelehrsamkeit, Unverfügbarkeit – Transzendenzvorstellungen, Verfügbarkeit – Religiöse Proposition, Ästhetik – religiöses Erscheinungsbild und soziales Bewusstsein – religiöse Performanz (Heinrich 2015: 78). Mithilfe dieser Matrix bietet er religiöse Fixpunkte zur Beschreibung von Wandel und Kontinuität religiöser Systeme, die in der Architektur Spuren hinterlassen (Heinrich 2017: 101f). Heinrichs Überlegungen dienen der vorliegenden Arbeit als Anstoß für die Frage, welche konkreten Einzelfaktoren bei der Konstruktion von Orten religiöser Tradition beteiligt sind. Die angeführten Definitionen von Orten und Räumen ergänzen die Debatte der »shared religious places« grundlegend. Sie zeigen, dass Orte und Räume im Allgemeinen Ergebnisse beziehungsweise Arenen von Aushandlungsprozessen sind. Geteilte religiöse Orte und Räume sind demzufolge weniger exotisch, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Gleichzeitig können im Anschluss an die Unterscheidung von physischen und metaphorischen Orten zwei religiöse Orte ausgemacht werden, die für die folgende Analyse relevant sind: Das Kloster Sveti Naum ist ein religiöser Ort im physisch-geographischen Sinn, der Heilige Naum als Gründer und Namenspatron des Klosters ist dagegen ein religiöser Ort im metaphorischen Sinn. Wie das Verhältnis der beiden Orte zueinander zu bestimmen ist, werden die folgenden Kapitel zeigen.
2.4 F AZIT: NAUM UND SEIN KLOSTER ALS ZWEI MEHRDEUTIG GETEILTE RELIGIÖSE ORTE Der dargestellte Forschungsstand zeigt, dass innerhalb der Debatte um »shared religious places and spaces« ein Schwerpunkt auf dem Teilen liegt. Dies impliziert die Fragen nach den Akteur:innen und den Konsequenzen des Teilens. Wer teilt und wer nicht? Was bedeutet das für die Teilenden? Auch die Gründe und Ziele des Teilens wurden teilweise thematisiert, wobei die Studien jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die Forschungsdebatte weist zwei Desiderata auf, auf die ich in den vorangehenden Ausführungen aufmerksam gemacht habe. Diese Forschungslücken überschneiden sich mit denen der Regionalstudien zu Südosteuropa. Das eine Desiderat betrifft die Bedeutung des Attributs »religiös« und das andere die Definition des Untersuchungsgegenstands »Ort« beziehungsweise »Raum«. Die größere Lücke ist diejenige zur Bedeutung des Begriffs »religiös«, zu dem »heilig« oftmals synonym verwendet wird. Darauf gehen frühere Studien nicht ein, sondern setzen seine Bedeutung unhinterfragt voraus. In einigen Ansätzen wird »religiös« von anderen Gesellschaftsbereichen wie dem »politischen« abzugrenzen versucht.
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Religion und nationale oder lokale Politik sind parallel zueinander zu betrachten, da beide als identitätsstiftend verstanden werden können. Diese Parallele ist im Untersuchungsfeld auch historisch bedingt, wie noch zu zeigen ist. Die kleinere Lücke betrifft die Definition des Untersuchungsgegenstands »Ort« beziehungsweise »Raum«. Oftmals werden konkrete, physische Kultstätten als abgrenzbare Fallbeispiele untersucht. Hayden und Walker haben etwa zehn Jahre nach Anstoß der Debatte damit begonnen, diese Lücke mit der Einführung des Konzepts der »religioscapes« zu schließen. Geteilte religiöse Orte sind in Anlehnung an diesen Forschungsstand oftmals historisch gewachsene Kultstätten, die unter anderem aufgrund ihrer Geschichte und teilweise aufgrund ihrer gegenwärtigen Verwaltung konkreten religiösen Traditionen zuzuordnen sind. Ein Bezug zum Raum fehlt weitestgehend. Geteilt werden sie von Gruppen verschiedener religiöser Traditionen. Diese können sich wegen ihrer unterschiedlichen religiösen Zugehörigkeit konträr gegenüberstehen, sodass es an der Kultstätte zu offenen oder unterschwelligen Machtaushandlungen kommt. Die Gruppen können sich vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen lokalen Identität auch friedlich an der Kultstätte begegnen und sich gegebenenfalls gegen eine dritte sie bedrohende Partei verbünden. Eine weitere Möglichkeit ist, dass sich Besucher:innen gegenseitig nicht beachten und religiöse oder politische Zugehörigkeit nicht thematisieren. Geteilt werden die Orte auch durch verschiedene Praktiken, die religiös verstanden werden. Das Aufsuchen von Kultstätten seitens verschiedener Gruppierungen ist meist ein hinreichender Hinweis auf einen geteilten religiösen Ort. Der Besuch wird dabei oftmals religiös gewertet. Er ist es jedoch nicht zwingend, da er beispielsweise entweder als Pilgern oder als touristisches Verhalten interpretiert werden kann. Aufgrund ihrer Forschungslücken können die bisherigen Studien nicht erklären, wie sich die von ihnen ausgemachte Attribuierung »religiös« zu anderen Lebensbereichen wie Politik, Wirtschaft oder Tourismus verhält. Überdies bleibt auch der Zusammenhang zwischen den physischen Kultstätten und den damit oftmals verbundenen religiösen Figuren wie beispielsweise Heiligen als metaphorische Orte unbesprochen. Zur Erfassung der komplexen Ereignisse zu Naum und seinem Kloster bedarf es daher weiterer Untersuchungen. Für die genannten Desiderata habe ich in den vorangehenden Unterkapiteln vorgeschlagen, sie mithilfe von Theorieansätzen aus der Religionswissenschaft zu beheben. Religion soll wegen der Vielfalt beteiligter Disziplinen mit dem kulturwissenschaftlichen Ansatz nach Anne Koch als Kulturmuster verstanden werden, das aus verschiedenen Elementen bestehen kann, die im ersten Moment vielleicht nicht religiös erscheinen. Der Ansatz ist eine kritische Reaktion auf die Trennung der Religion von anderen gesellschaftlichen Bereichen, die sich in anderen Ansätzen finden lassen. Das Raumkonzept nach Kim Knott bietet eine Möglichkeit,
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physische und metaphorische Orte und Räume zusammen zu denken, und damit eine Grundlage für die gemeinsame Untersuchung von Naum und seinem Kloster. Außerdem entfaltet Knott ein Begriffsinstrumentarium zur Analyse der Gestaltung und Bedeutung von Orten und Räumen. Dabei können alle Elemente berücksichtigt werden, die an einem Ort und in einem Raum erkennbar und an der Aushandlung ihrer Bedeutung und Gestaltung beteiligt sind. In der vorliegenden Untersuchung verbinde ich die Theorien der ethnologisch und historisch geprägten »shared religious place«-Forschung mit den aufgezeigten religionswissenschaftlichen Konzepten. Demnach handelt es sich bei Orten um physische oder metaphorische Punkte innerhalb eines Raumes, die durch verschiedene Handlungen und Zuschreibungen, also durch diskursive Strategien mit Bedeutungen aufgeladen werden. Diskursive Strategien machen Orte und Räume zu dem, als was sie gemeinhin wahrgenommen werden – religiös, öffentlich, privat, touristisch, wirtschaftlich, etc. –, wobei ein Merkmal als prägend hervorgehoben wird. Religiös sind diese Orte und Räume, wenn sie von den beteiligten Akteur:innen mehrheitlich als solche identifiziert werden. Dies geschieht in den meisten Fällen durch die Verbindung zu einer konkreten religiösen Tradition im Untersuchungsfeld, die als institutionalisierte Organisation auftritt und ebenfalls eine beteiligte Akteurin sein kann. In diesem Fall handelt es sich um Religion als Kulturfaktor auf der Objektebene. Religionswissenschaftliche Analysen mit einem kulturwissenschaftlichen Ansatz erfordern jedoch die Betrachtung von Religion auf der Metaebene als Kulturmuster, dass sich durch verschiedene Kulturelemente zusammensetzt, die nicht zwangsläufig auch auf der Objektebene als religiös betrachtet werden. Sind Orte und Räume im Allgemeinen eine Projektionsfläche für Aushandlungsprozesse innerhalb einer Gesellschaft, so können religiöse Orte und Räume als Projektionsfläche des religiösen Kulturmusters betrachtet werden, das eine Gesellschaft prägt. Ort und Raum können demnach in zwei Hinsichten geteilt religiös sein. Zum einen können sie von Akteur:innen geteilt werden, die unterschiedlichen religiösen Traditionen angehören. Diese Teilung bezieht sich in der »shared religious places«-Forschung vor allem auf religiöse, seltener auf ethnisch-nationale und kaum auf soziale Unterschiede. Zum anderen können Orte und Räume auch als geteilt betrachtet werden, wenn ihre religiöse Charakterisierung aufgrund weiterer scheinbar nicht religiöser Elemente infrage gestellt wird. Da der Begriff »geteilt« in der Forschung zu »shared religious places« bereits auf die religiösen Agierenden geprägt ist, führe ich für den zweiten Fall den Analysebegriff »Mehrdeutigkeit« ein. In meinem Forschungsfeld sind mehrdeutige religiöse Orte vor allem in der sozialistischen Zeit entstanden, in der Kirchen und Moscheen – wenn sie nicht zerstört wurden – in Konzerthallen, Kunstgalerien, Waffenlager oder andere
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Lagerhallen umgewandelt wurden und verwaltungstechnisch dem Staat unterstanden. Wie noch zu zeigen ist, wurden nach dem Ende der sozialistischen Systeme den Religionsgemeinschaften (noch) nicht alle Gebäude zurückgegeben, so dass bis in die Gegenwart derartige geteilte religiöse Gebäude zu finden sind. Das zu untersuchende Naum-Kloster erfüllt trotz der Rückgabe an die orthodoxe Kirche die Kriterien des Geteilt-Seins als auch der Mehrdeutigkeit und ist somit ein mehrdeutiger geteilter religiöser Ort und Raum. Es wird sich zeigen, dass Naum vor allem in Verbindung mit dem Kloster ebenfalls als ein solcher Ort zu sehen ist – geteilt religiös und mehrdeutig. Die Kapitel der synchronen Analyse im zweiten Teil des Buches betrachten die Ereignisse am Kloster genauer. Strukturgebend sind dafür die Dimensionen des Handlungsgeflechts, die sich am deutlichsten im Klosterareal widerspiegeln und aufgrund der Praktiken anbieten. Diese sind die Dimensionen (1.) der Deutung des physischen und metaphorischen Orts sowie die dazugehörigen Aushandlungsprozesse, (2.) des Tourismus, (3.) der Wirtschaft sowie (4.) der Politik. Diese Dimensionen sind mit einzelnen Kreisen vergleichbar, die sich trotz ihrer Eigenständigkeit mit anderen überschneiden (Abb. 1). Da das Kloster ein religiöses Zentrum hat, lagern sich auch die Kreise der touristischen, ökonomischen und politischen Dimensionen um den Kreis der Deutungsdimension. Gleichzeitig sprechen diese Überschneidungen für Kochs
politisch
religiös touristisch
Abb. 1: Kreismodell der Mehrdeutigkeit.
ökonomisch
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Religionsverständnis als Kulturmuster, dass sich aus einzelnen Kulturelementen zusammensetzt und von der Deutung der Einzelnen abhängig ist. Bei der Analyse gehe ich auch auf die Überschneidungen der einzelnen Kreise ein, die das Kloster geteilt religiös und mehrdeutig erscheinen lassen.
3 Religionen im Forschungsfeld
Die Begriffe »Heilige« und »Klöster« bezeichnen Figuren und Orte, die von ihrer Umwelt als religiös beziehungsweise christlich konnotiert wahrgenommen werden. Dies steht im Kontrast dazu, dass nicht nur Christ:innen, sondern auch Teile der muslimischen Bevölkerung Naums Kloster aufsuchen. Um die am Kloster entstehenden christlich-muslimischen Kontakte erklären zu können, ist es notwendig, nachzuvollziehen, wie sich Christentum und Islam in dieser Region verbreitet haben und welche Bedeutung diese Religionen in der Gesellschaft hatten. Die Entstehung des christlich-muslimischen Kontakts am Naum-Kloster und die Gleichsetzung Naums mit Sarı Saltuk durch einige Bektaschis zeugt zudem von einem Wandel der Religionen. Dieser ist in Südosteuropa vor allem auf politische Entwicklungen innerhalb des Osmanischen Reichs zurückzuführen, die oftmals durch Kontakte mit anderen Imperien angeregt wurden. Grundsätzlich war der Status der einzelnen Religionsgemeinschaften im Osmanischen Reich politisch gestaltet. Als Selbst- und Fremdbild prägend nahmen sie in der osmanischen Bevölkerung eine Vorrangstellung unter anderen Kulturfaktoren ein. Religion als ein für die meisten nicht-muslimischen Bevölkerungsteile seit Beginn des 19. Jahrhunderts Kernelement der Nationenbildung, wurde ab der Mitte des 20. Jahrhunderts tendenziell aus der Öffentlichkeit verdrängt. Mit diesem Wandel der gesellschaftlichen Bedeutung von Religionen veränderte sich auch der christlich-muslimische Kontakt am Naum-Kloster: Mit den osmanischen Eroberungen entwickelte sich der Kontakt am Kloster, was sich in Bautätigkeiten und der Herausbildung eigener Narrative belegen lässt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Kontakt bis zum Ende der sozialistischen Regime unterbunden, um anschließend neu aufleben zu können. Ziel des Kapitels ist, die vielfältigen, bis heute bestehenden Kontakte und Handlungen christlicher und muslimischer Bevölkerung an dem metaphorischen Ort »Naum« vor allem anhand des Aufsuchens seines Klosters historisch und gesellschaftlich zu verorten. Das Leben und Wirken Naums und der Wandel, dem
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sein Kloster im Laufe der Jahre unterlag, sind nur im zeiträumlichen Kontext nachzuvollziehen. Denn auch die Menschen des lokalen Einzugsbereichs des Naum-Klosters stehen als wahrnehmende, interpretierende und gestaltende Akteur:innen in einem historisch gewachsenen Kontext, der sie beeinflusst und auf den sie sich beziehen. Daher geht es in diesem Kapitel darum, die dazugehörigen historisch relevanten Hintergründe darzustellen, bevor sich das folgende Kapitel Naum und seinem Kloster im Speziellen widmet. In chronologischer Reihenfolge stelle ich zunächst die Verbreitung von Christentum und Islam, den dominierenden Religionen in Südosteuropa sowie ihr wechselseitiges Verhältnis dar. Ereignisse in dieser Untersuchungsregion sind stark mit den Entwicklungen um die politischen Zentren der jeweiligen Zeit verflochten sind. Deshalb konzentrieren sich diese Abschnitte nicht allein nicht allein auf das Einzugsgebiet des Klosters, sondern vor allem auf sein Zusammenspiel mit dem Byzantinischen und Osmanischen Reich. Danach werden Entwicklungen der politischen Instrumentalisierung von Religion im Zuge der Nationalstaatenbildung besonders in Mazedonien und Albanien dargestellt. Abschließend werden die sich in der Gegenwart überschneidenden ethnischen und religiösen Strukturen und deren öffentliche Thematisierung in beiden Staaten betrachtet. In der Forschung zu Südosteuropa wird die Entwicklung und gesellschaftliche Bedeutungsverschiebung von Religionen und religiösen Phänomenen häufig mit Verweisen auf politische Ereignisse sowie politische und kulturelle Identitäten diskutiert. Die folgende Darstellung ist davon beeinflusst, versucht jedoch gleichzeitig, diese Forschungstendenz mit Bezug zur Theorie der Gestaltung religiös mehrdeutiger Orte zu hinterfragen: Welche weiteren Faktoren spielen bei der Verortung von Religionen eine Rolle? Welche Akteur:innen handeln den gesellschaftlichen Ort der Religionen aus? Auf welche Bereiche wirkt sich der Status von Religionen aus? Die folgenden Ausführungen erheben keinerlei Anspruch darauf, eine umfassende Religionsgeschichte zu bieten. Sie können vielmehr nur einen groben Überblick bieten, um die Geschichte Naums und die seines Klosters in einen größeren historischen Rahmen zu setzen.
3.1 R ELIGIÖSE VIELFALT ALS AUSGANGSPUNKT DER GEGENWÄRTIGEN SITUATION Die Verbreitung beider Religionen bildet die Grundlage christlich-muslimischer Kontakte an dem metaphorischen und dem physischen Ort »Naum«. Die Bedeutung anderer religiöser und vorchristlicher Strömungen wird nur zum besseren Verständnis aufgegriffen. Stattdessen setze ich mit der Darstellung der Christiani-
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sierung ein, da Naum an der zweiten Phase der Christianisierung beteiligt war und sie somit den weiteren Kontext seines Wirkens bietet und komme dann zur Islamisierung. Dabei geht es im Kontext der Verbreitung des Islams nicht nur darum, ab wann und warum auch muslimische Besucher:innen am Kloster auszumachen waren. Vielmehr ist die Islamisierung auch deswegen von Interesse, weil sie nachzuvollziehen hilft, wann und warum Naum von Bektaschis und Sunnit:innen mit Sarı Saltuk identifiziert wurde, der aus bektaschitischer Perspektive und zum Teil auch aus Sicht sunnitischer Türki:nnen bereits vor der osmanischen Eroberung den Islam in Südosteuropa verbreitet haben soll. 3.1.1 Christianisierung und Machtpolitik in Südosteuropa
In der Gegend um das Naum-Kloster zwischen Ohrid und Korçë verbreitete sich das Christentum ab dem 9. Jahrhundert. Diese Zeit gehört in die zweite von drei Phasen der Christianisierung Südosteuropas. Die erste Phase entspricht frühchristlicher Mission seit dem 1. Jahrhundert, die zweite Phase ist die Mission in den slawisch besiedelten Gebieten seit dem 8. Jahrhundert, an der Naum beteiligt war, und die dritte Phase ist die Mission des heutigen Westungarns im 10. und 11. Jahrhundert (Stadtmüller 1950: 144f). Aufgrund der Lage des Klosters und der historischer Zusammenhänge werden die Verbreitung des Christentums im heutigen Albanien und den slawisch besiedelten Gebieten im kirchen- und reichspolitischen Kontext des ost- und des weströmischen Reichs betrachtet. Die dritte Phase wird vernachlässigt, da die Mission im westungarischen Raum keinen Bezug zum Untersuchungsgebiet aufweist. Die Ausbreitung des Christentums begann in Südosteuropa bereits im 1. Jahrhundert. Zunächst verlief sie langsam entlang großer Verkehrsstraßen zwischen Handelsstätten an der Küste und Garnisonsstädten an der Donau, bevor sie das Hinterland erreichte. Auch das heutige Albanien wurde von der Küste her christianisiert (Bartl 1995: 39). Eine besondere Rolle spielte dabei die Stadt Durrës, die bereits im Jahr 58 ein Bistum gewesen sein soll. Allerdings gibt es in Albanien keine archäologischen Funde von der frühchristlichen Zeit bis in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts (Ceka 2015: 102). Auch die Gegend um Ohrid und Pogradec wurde bereits in der ersten Phase, zu Beginn des 4. Jahrhunderts christianisiert (Grozdanov 2003: 5; Gusho 2000: 40f). Im Jahr 380 wurde das Christentum zur Reichsreligion erklärt, womit es offiziell machtpolitische Dimensionen bekam (Moeller 2011: 81f). Als im Jahr 395 das Römische Reich geteilt wurde, verlief die Trennlinie zwischen Ost- und Westrom durch Südosteuropa und war immer wieder Grund für Auseinandersetzungen (Calic 2016: 32f). Davon zeugte auch der ungeklärte Grenzverlauf zwischen der ost- und der weströmischen
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Kirche (Calic 2016: 40). Als ab dem 6. Jahrhundert slawische, awarische und protobulgarische Gruppen in Südosteuropa einwanderten, erlitten das noch nicht nachhaltig verankerte Christentum und seine kirchlichen Strukturen einen Rückschlag (Calic 2016: 33f). Infolgedessen dominierten wieder nicht-christliche Religionselemente das religiöse Leben. Erst in der zweiten Phase wurde das Christentum in Südosteuropa nachhaltig verbreitet. Hintergrund dafür waren die Machtkämpfe zwischen ost- und dem weströmischem Reich, die sich seit dem 7. Jahrhundert auch in Missionsbemühungen widerspiegelten (Calic 2016: 35f). Die zweite Phase der südosteuropäischen Christianisierung ist auch als »Slawenmission«1 bekannt, die im 9. Jahrhundert von den thessalonischen Brüdern Kyrill und Method angeführt wurde und die auch den historischen Kontext von Naums Wirken bildet. Allerdings ist die zweite Phase der Christianisierung nicht deckungsgleich mit der Mission der Slaw:innen. Letztere wurde bereits im 8. Jahrhundert von Missionaren aus bairischen und aquileianischen Bistümern in den angrenzenden slawisch besiedelten Gebieten vorangetrieben (Calic 2016: 35; Dopsch 1987: 304-309). Vor diesem kirchenpolitischen Hintergrund strebten die slawischen Herrscher der Missionsgebiete ihre Unabhängigkeit von dem Oströmischen Reich sowie dem Ostfränkischen Reich an, wobei letzteres Nachfolger des Weströmischen Reichs ist. Das Christentum spielte dabei wegen seiner machtpolitischen Dimension eine herausragende Rolle: Die herrschenden Eliten der sich etablierenden Reiche trieben die Christianisierung voran, weil die Annahme des Christentums »Anerkennung […] in der christlich-abendländischen Welt« bedeutete und damit die Herrschaftsautorität legitimierte (Calic 2016: 39f). Als erster strebte Rastislav, Herrscher des slawischen Fürstentums Moravien, die Unabhängigkeit vom Ostfränkischen Reich an (Hannick 1978: 287f).2 Grund 1 Im Folgenden wird der dafür etablierte Begriff verwendet, obwohl er zwei Probleme in sich birgt. Einerseits vernachlässigt der Ausdruck, dass auch Slawinnen christlich wurden, er ist also nicht gendersensibel. Andererseits kann bei Kyrills und Methods Tat nicht von einer Mission im Sinne einer Bekehrung der Slaw:innen zum Christentum gesprochen werden, weil die slawischen Gruppen der Gegend bereits vor Kyrill und Method von lateinischen Missionaren christianisiert wurden. 2 Die geographische Lage Moraviens, das häufiger auch als Mähren bezeichnet wird, ist nicht gesichert. In der Forschung wurde daher mehrfach diskutiert, ob sich Moravien nördlich oder östlich der Donau befunden habe, vgl. Boba 1987; Eggers 1996; Betti 2014. Boba verortet Moravien südlich der Donau im Tal des Flusses Morava, mit Bischofssitz in Sirmium, der Hauptstadt der damaligen römischen Provinz Pannonien, in der heutigen Vojvodina. Im Anschluss an Boba argumentierte Eggers für die These, Moraviens Grenze im Westen sei die Donau gewesen und habe dann noch Gebiete
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für die Bemühungen war das 862 gegen das Fürstentum Moravien abgeschlossene Bündnis Ludwig des Deutschen mit dem bulgarischen Herrscher Khan Boris. Daraufhin hatte sich Rastislav an den byzantinischen Kaiser Michael III. gewandt und »um die Entsendung von Lehrern oder Missionaren, die sein Volk in slawischer Sprache belehren könnten«, gebeten (Dopsch 1987: 317). Die politische Dimension des Anliegens wird besonders daran deutlich, dass bereits Missionare der lateinischen Westkirche in seinem Fürstentum wirkten (Bernhard 1987: 31f). Diese verwendeten zwar Latein als Gottesdienstsprache, um das Christentum zu vermitteln, griffen sie jedoch auch auf die slawische Sprache zurück. Um sich nicht zu sehr in die kirchenpolitischen Angelegenheiten Moraviens einzumischen, ließ Kaiser Michael III. Kyrill und Method als Lehrer und nicht als Bischöfe, zu Rastislav schicken (Hannick 1978: 290-292). Sie eigneten sich für das Unternehmen aus zwei Gründen: Einerseits stammten sie aus Thessaloniki und hatten dort slawisch gelernt (Tarnanidis 1987: 20; Tzermias 1996: 80-83). Andererseits konnten sie schon auf Erfahrungen in der Mission zurückgreifen (Hannick 1994: 289f). Hauptkritikpunkte der lateinischen Konkurrenten aus den bairischen und aquileianischen Bistümern bezogen sich auf die wichtigsten Merkmale der Slawenmission in Moravien und Pannonien: Sie wandten sich sowohl gegen die Glagolica als erste Schrift für das Slawische, die von Kyrill und Method entwickelten wurde, als auch gegen Gottesdienste in slawischer Sprache (Bernhard 1987: 29-33). Allerdings wurde die Mission Kyrills und Methods 869 bei ihrem Besuch in Rom von Papst Hadrian II. und später durch ein Schreiben von Papst Johannes VIII. legitimiert (Bernhard 1987: 39f). Nachdem Kyrill noch in Rom verstarb, wurde Method Bischof von Sirmium. Trotz Methods neuer Position hielt der Konflikt mit den lateinischen Missionaren an und setzte sich auch nach Methods Tod darin fort, dass seine Schüler vertrieben wurden (Dopsch 1987: 330-335). Laut seiner Heiligenvita war Naum bereits in Moravien Teil der kyrillomethodianischen Mission und reiste auch nach Rom, wo er zum Priester geweiht wurde (Trapp 1974: 166). Er dürfte sich daher der Bedeutung der Sprache für die Verbreitung des Christentums bewusst gewesen sein. Ein weiterer Schauplatz der Slawenmission war das Bulgarische Reich. Auch dort lässt sich der Vorteil politischer Anerkennung und Legitimation erkennen, den die Annahme des Christentums mit sich brachte. Fast parallel zu den Ereignissen in Moravien und Pannonien wandte sich auch der bulgarische Khan Boris wie weiter östlich der Theiß umfasst, so dass sich Moravien in dem heutigen Dreiländereck zwischen Ungarn, Serbien und Rumänien befunden habe. Betti warf Boba vor, er verzerre die geopolitischen Karten des 19. Jahrhunderts, und verortet Moravien dagegen nördlich der Donau, im heutigen Mähren und der Slowakei.
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sein moravischer Nachbar Rastislav aus Angst vor der byzantinischen Vorherrschaft »an die entferntere Großmacht« (Dopsch 1987: 322f). Für Khan Boris war diese Großmacht das Ostfränkische Reich, von dem Rastislav dagegen versuchte, unabhängig zu werden. Wie in Moravien gab es auch im bulgarischen Reich bereits vor der nachhaltigen Slawenmission weniger erfolgreiche Missionsversuche (Hannick 1994: 921-925). Während der Auseinandersetzungen mit den ost- und weströmischen Mächten ließ sich Boris 864 im byzantinischen Ritus taufen und wandte sich nach weiteren Verhandlungen gänzlich von Rom ab und Byzanz zu (Dopsch 1987: 323-328). Vor diesem Hintergrund wurden 886 Methods vertriebene Schüler Kliment, Naum und Angelarij im Bulgarischen Reich aufgenommen, wo sie die Mission ihrer Lehrer Kyrill und Method vom Donaudelta bis zum Epirus fortsetzten (Hannick 1978: 304). Als Vertriebene bekamen sie die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen und die Relevanz ihrer Tätigkeit zu spüren, obwohl sie nicht aktiv in das politische Geschehen involviert waren. Ein wichtiges Wirkungszentrum von Kliment und Naum war die Grenzregion zwischen Ohrid und Korçë, wo Naum auch sein Kloster errichtete. Abhängig von den jeweiligen Machtkonstellationen veränderten sich die Grenzen und der Status des Erzbistums Ohrid über die Jahrhunderte (Prinzing 1993: 1377-1379). Dabei war das Bistum immer für mehrere Sprachgruppen zuständig, zu denen Slaw:innen, Albaner:innen und Aromun:innen gehörten. Inwiefern sprachliche oder andere kulturelle Merkmale kollektive Identitäten bestimmten, ist nicht belegt. Die Identifikation über die christliche Kultur schien folglich ausreichend (Tzermias 1996: 82-84). Allerdings wurde mit den Ursprüngen der Slawenmission auch eine sprachliche Grundlage gelegt, auf die später die Nationalkirchen zurückgriffen. Der südliche Teil des orthodoxen albanischsprachigen Raums gehörte bis zu dessen Auflösung zum Ohrider Erzbistum und war bis zum Ende des Osmanischen Reichs dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel unterstellt (Giakoumis 2010: 77f). Auch Naums Kloster gehörte zum selben Verwaltungsgebiet wie der orthodoxe südalbanische Raum. Die politisch motivierte Ausbreitung des Christentums war zwar flächendeckend angelegt, individuelle Motivationen zur Annahme oder Verweigerung des Christentums und der Ausprägungsgrad der Überzeugung sind jedoch nicht prüfbar. Lokale nicht-christliche Religionselemente wurden mit der Christianisierung entweder aufgegriffen und annehmbar umgedeutet oder zu unterdrücken versucht (Himstedt-Vaid 2014: 693). Vor allem die christliche Umdeutung von Bekanntem half der Bevölkerung, leichter in die neue Religion zu finden. Beispiele dafür sind Kirchen und Klöster, die auf nicht-christlichen, religiösen Orten errichtet und durch die Zuschreibung zu einem Heiligen christlich interpretiert wurden (Wiertz/Petzolt 1997: 76). Ob Naums Kloster ein Beispiel dafür ist, ist nicht überliefert.
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3.1.2 Die vielfältige Islamisierung Südosteuropas
Der Prozess der Islamisierung Südosteuropas ist sehr komplex und kann nicht vereinheitlicht werden. Die negative Darstellung der Islamisierung des Balkans, die mit dem »türkischen Joch« assoziiert wird, ist vor allem das Ergebnis nationalistischer, also postosmanischer Geschichtsschreibung. Jüngere Forschungen zogen dagegen mögliche Motivationen zum Glaubenswechsel heran, um ein nüchterneres Bild von der Islamisierung zu zeichnen, das nicht die Sicht einer polemisierenden christlich geprägten Elite wiedergibt. Ich folge diesem Ansatz in den weiteren Ausführungen, obwohl dies dazu führt, dass Christianisierung und Islamisierung Südosteuropas nicht äquivalent dargestellt werden können. Aufgrund bisher fehlenden Forschungen kann die Christianisierung nicht unter Berücksichtigung individueller Konversionsmotivationen geschildert werden. Die Beschreibung der Islamisierung aus der Perspektive religiöser oder politischer Institutionen und Akteur:innen dagegen – wie bei der Rekonstruktion der Christianisierung vorgenommen – läuft Gefahr, den Prozess einseitig nachzuzeichnen. Die Islamisierung Südosteuropas fand nach der Christianisierung statt, weswegen beide Prozesse nicht als Verflechtungsgeschichte dargestellt werden können. Dennoch ist es aufgrund von Konversionen christlicher Individuen und Gruppen unumgänglich, die Verflechtungen beider Glaubensrichtungen zu betrachten. Im Folgenden wird zunächst in Bezug auf den Prozess der Islamisierung die Grundlage interreligiöser Verflechtungen dargestellt. Im Gegensatz zum Christentum verbreitete sich der Islam nicht über eine gezielte Mission. Die Gründe der Verbreitung des Islams in Südosteuropa sind vielfältiger als die der Christianisierung und lassen sich nur bedingt bestimmten politischen Entwicklungen im Osmanischen Reich zuordnen. Abschließende und umfassende Ausführungen individueller Konversionsgründe sind auch aufgrund fehlender Thematisierung in bisher untersuchten Quellen nicht möglich (Clayer 2015: 35). Wie bei der Christianisierung wird auch die Verbreitung des Islams in Phasen unterteilt: Die erste Phase beginnt bereits vor den osmanischen Eroberungen im 10. Jahrhundert mit der Ansiedlung muslimischer Händler (Clayer 2015: 32) und endet Mitte des 16. Jahrhunderts (Koller 2011b: 256f). Die zweite Phase zeichnet sich durch einen starken Anstieg der Konversionszahlen ab Mitte des 16. Jahrhunderts und ihrem erneuten Rückgang im 18. Jahrhundert aus. Im Konversionsverhalten christlicher und jüdischer Bevölkerungen zeigen sich dabei jedoch deutliche Unterschiede. Während Christ:innen häufiger zum Islam konvertierten, trifft dies auf die jüdische Bevölkerung weniger zu. Dass es auch in relativen Zahlen weniger jüdische Konversionen gab, liegt eventuell daran, dass die jüdische Bevölkerung religionsbedingt weder politischem noch
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wirtschaftlichem Druck ausgesetzt waren: Die Ende des 15. Jahrhunderts vertriebenen Sephard:innen waren vom Osmanischen Reich wohlwollend aufgenommen und integrierten sie sich schnell in das wirtschaftliche Leben in den Städten (Koller 2011b: 274f). Eine besondere zum Islam konvertierte jüdische Gruppe ist die sogenannte dönme-Gruppierung, die ein Zentrum im heutigen Thessaloniki hatte und sehr verschlossen war (vgl. Baer 2010; Koller 2011b: 275f). Die Geschichte dieser Gruppe begann 1666 mit der Konversion Sabbatai Tzevis, eines charismatischen Chiliastikers, der aufgrund seiner Einstellung und seines Wirkens von den osmanischen Behörden vor die Wahl zwischen Hinrichtung und Konversion gestellt wurde. Nach Tzevis Tod 1683 konvertierte vor allem eine größere Gruppe in Thessaloniki freiwillig zum Islam (Şişman 2015: 134). Die ersten Kontakte mit dem Islam in Südosteuropa kamen bereits im 10. Jahrhundert durch Handel und Reisen zustande (Clayer 2015: 32). Ebenfalls auf die Zeit vor den osmanischen Eroberungen werden die gazis datiert, die als islamische Glaubenskämpfer verstanden werden (Koller 2011b: 255). Allerdings zeigen neuere Forschungen, dass gaza/gazi zusammen mit akın/akıncı als »Renner und Brenner« lediglich die Art und Weise der Kriegsführung bezeichneten und dass unter diesen auch Christen waren. Ein solcher Glaubenskämpfer soll auch Sarı Saltuk gewesen sein (Rohdewald 2017: 75).3 Der Islam verbreitete sich seit den osmanischen Eroberungen in Südosteuropa zunächst dadurch, dass sich Osmanen in neu gewonnenen Gebieten ansiedelten (Calic 2016: 100-102). In dieser Zeit verbreitete er sich vor allem in den Städten, was durch den Bau von Moscheen und anderen islamischen Einrichtungen verstärkt wurde. Allerdings war die herrschende osmanische Elite im Vergleich zu den unterworfenen Christ:innen nur eine Minderheit. Bereits zu Beginn konvertierte ein Teil der landbesitzenden christlichen Bevölkerung, um sich in das Wirtschaftssystem zu integrieren und somit den Status quo aufrecht zu erhalten (Clayer 2015: 35). Mit den Eroberungen und der Ausweitung des Osmanischen Reichs entstand ein Bedarf an größeren Truppen. Zu diesem Zweck wurden bereits im 14. Jahrhundert aus christlichen Familien – vor allem vom Land – Jungen für das Militär eingezogen (Calic 2016: 97f). Die Jungen der sogenannten Knabenlese (türk. devşirme) bildeten die »neuen Truppen« (türk. yeni çeri), die Janitscharen. Als Leibwache des Sultans wurden sie islamisch erzogen und genossen zahlreiche Privilegien. Die Rekrutierung christlicher Söhne nahm Mitte des 17. Jahrhunderts ab, weil sich Vertreter muslimischer Familien zunehmend freiwillig meldeten (Koller 2011b: 245f). Die »neuen Truppen« christlicher Herkunft waren eng mit der Sufigruppe der Bektaschis verbunden, weil in einigen Kasernen ein 3 Mehr zur Person Sarı Saltuks im Kapitel 4.1.3 Naum und das muslimische Sarı-SaltukNarrativ.
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Bektaschi-Baba residierte, der aber nicht mit einem geistlichen Führer verglichen werden konnte (Kara 2019: 78-83). Vielmehr reisten die neuen Ordensvorsteher der Bektaschis traditionell nach Istanbul, um sich vom Janitscharen-Aga absegnen zu lassen. Die Bektaschis gehen auf den im 13. Jahrhundert lebenden Namensgeber Hacı Bektaş Veli und dessen Anhänger zurück, formierte sich jedoch erst im 16. Jahrhundert als Orden mit spezifischer Struktur. Der osmanische Versuch, die Janitscharen durch die Einführung einer modernen Armee zu ersetzen, führte dazu, dass sich diese vehement gegen die Zentralregierung auflehnten, und gipfelte 1826 schließlich in ihrem Verbot (Hanioğlu 2010: 58-60). Damit ging auch das Verbot des Bektaschi-Ordens und die Schließung als Tekken bezeichneten Versammlungshäuser der Bektaschis einher. Konsequent wurde das Verbot jedoch nur in Istanbul und den Provinzen umgesetzt, die den osmanischen Autoritäten direkt unterstellt waren (Doja 2006: 87). Im heutigen Albanien, das zur osmanischen Peripherie gehörte, konnte sich der BektaschiOrden dagegen weiter ausbreiten. Naum und sein Kloster waren insofern davon betroffen, als die Bektaschis in der näheren Umgebung des Klosters versuchten, es durch die Identifikation Naums mit Sarı Saltuk zu vereinnahmen. Das Verbot der Bektaschis wurde dagen häufiger auf ihre nicht-sunnitische Prägung als auf politische Aktivitäten zurückgeführt, da sie eine Art Auffangbecken für diverse, ebenfalls nicht-sunnitische Gruppen waren. Wenngleich der Osmanische Staat offiziell religiöse Differenzen zur Begründung der Maßnahmen anführte, zeigten Studien jedoch, dass es sich dabei um einen Deckmantel für realpolitische und wirtschaftliche Interessen handelte (Kara 2019: 81-84). Die Unterstützung der Bektaschis durch die osmanische Regierung und der bektaschitische Einfluss auf die militärische Einheit der Janitscharen scheinen jedoch gegen diese These zu sprechen. Die nicht-sunnitische, nonkonformistische4 Prägung der Bektaschis wirft die Frage auf, »welcher Islam« sich mit und in dem Osmanischen Reich verbreitete. Es ist unumstritten, dass der sunnitische Islam hanafitischer Rechtsschule zur prägenden Richtung des Osmanischen Reichs wurde (Tanasković 2007: 12). Eine scharfe Abgrenzung zwischen sunnitischer und schiitischer Theologie kristallisierte sich erst im 16. Jahrhundert als Ergebnis politischer Machtkämpfe zwischen dem sunnitischen Osmanischen und dem alidisch-schiitischen Safawidischen Reich heraus (Krstić 2011: 12f). Die Grenzen zwischen den islamisch-theologischen Gruppierungen waren zu Beginn der osmanischen Eroberungen fließend (Krstić 2013: 48f). Der Osmanist Cemal Kafadar bezeichnet die Lage bis ins 15. Jahrhundert hinein daher als »metadoxy«, »a state of being beyond doxies, a combination of being dox-naïve and not being 4 Zum Begriff »nonkonformistisch« vgl. Kapitel 2.2 Religious/Sacred – Bewertungskategorien und Deutungsansätze sowie die Ausführungen bei Kara 2019: 51f.
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doxy-minded« (Kafadar 1995: 76). In diesem Kontext der fehlenden Abgrenzungen formierten sich auch die Bektaschis (Zarcone 2014: 22f). Neben den ihnen beteiligten sich noch andere Sufi-Gruppen an der Verbreitung des Islams in den südosteuropäischen Gebieten, wie zahlreiche Tekkengründungen der Halvetis belegen (Clayer 2015: 35f). Die Halvetis rechnen sich heute im Gegensatz zu den Bektaschis jedoch zum sunnitischen Konformismus. Davon zeugt auch, dass sie weder einen besonderen Anspruch auf das Naum-Kloster erheben noch Naum mit Sarı Saltuk gleichsetzen. Die staatliche Unterstützung der Formierung des Bektaschi-Ordens und ihre Anbindung an die Janitscharen fallen in die Frühneuzeit und der Widerspruch greift aufgrund der veränderten Konstellation innerhalb der muslimischen Gemeinschaften im Jahr 1826 nicht mehr. Die zweite Islamisierungsphase begann im Zuge der sunnitisch-schiitischen Auseinandersetzungen, die auch zur Herausbildung einer schärferen Trennlinie zwischen der sunnitischen Mehrheit und den nonkonformistischen Bektaschis führte. Gleichzeitig ist die zweite Phase eine Reaktion auf verstärkte Missionsbestrebungen der lateinischen Westkirche (Ursinus 2016: 424). Allerdings sind nicht nur die Bemühungen der katholischen Kirche um die (Rück-)Gewinnung orthodoxer und muslimischer Gläubiger ein Grund für die Gegenreaktion. Auch politische Auseinandersetzungen des osmanischen Imperiums mit christlichen Nachbarreichen trugen in verschiedenen Weisen zur Islamisierung der Bevölkerung bei: Im katholischen Nordalbanien nahm zum Beispiel ein Teil der Bevölkerung nach der gescheiterten Beteiligung an Aufständen gegen die osmanische Herrschaft aus Angst vor Vergeltung den Islam an (Koller 2011b: 257f). Motiviert wurden die Aufstände durch das Vorrücken habsburgischer Truppen in Südosteuropa. Neben politischen Ereignissen führten auch andere Faktoren zu Konversionen und dem Anstieg muslimischer Bevölkerungszahlen, darunter die Abwanderung von Christ:innen, Epidemien und Hungersnöte. Einer der Hauptgründe für Konversionen wird in der Kopfsteuer (türk. cizye) gesehen (Skendi 1967: 235). Diese wurde bereits seit den osmanischen Eroberungen – zunächst pro Familie oder Haus und ab 1691 »von jedem erwachsenen und gesunden männlichen NichtMuslim« – erhoben (Kurz 2009: 90). Der Historiker Koller bemerkt über die oft vertretene Theorie, vor allem die Erhebung der Kopfsteuer habe zu Konversionen geführt: »Eine solche Theorie kann jedoch nicht erklären, warum die Islamisierung auf dem Balkan erst im 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte und die Menschen nicht schon früher in großer Zahl konvertiert waren« (Koller 2011b: 257). Der zunehmende Steuerdruck im 17. Jahrhundert könne laut Koller die Konversionsentscheidung lediglich unterstützt haben, »um durch den Glaubenswechsel die Möglichkeit, zumindest der Kopfsteuer zu entgehen, zu nutzen« (Koller 2011b: 257). Im Vergleich zu früheren meist individuellen und freiwilligen Kon-
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versionen sind viele Konversionen im 17. Jahrhundert auch das Ergebnis einer gezielten und politisch motivierten Islamisierung. Konversionen im 17. Jahrhundert sind auf die Politik Mehmet IV. zurückzuführen (Baer 2004; Baer 2008). Unter dessen Herrschaft wurden auch Kirchen und Synagogen systematisch in Moscheen umgewandelt. Die Kopfsteuer stellte folglich nur eine von mehreren Konversionsgründen dar. Die Darstellung der Konversionspragmatik zeigt, dass der Islam kaum aus ideologischer Überzeugung als Deutungssystem angenommen wurde (Calic 2016: 103).5 Infolgedessen entstanden verschiedene transreligiöse Praktiken. Ein transreligiöses Phänomen wird in der Südosteuropaforschung als »Kryptochristentum« bezeichnet, womit eine oberflächliche Annahme des Islams gemeint ist (Koller 2011b: 260f). Dazu gehörte, dass das steuerzahlende Familienoberhaupt zum Islam übertrat, um die Kopfsteuer zu sparen, und einen muslimischen Namen annahm; gleichzeitig wurden Kinder weiterhin getauft, christliche Feiertage beachtet und christliche Bräuche praktiziert.6 Das Aufsuchen christlicher Orte wie des Naum-Klosters seitens der muslimischen Bevölkerung, ist zwar ein transreligiöses Phänomen, jedoch nicht zwingend eine Konversionsfolge. Vielmehr zeugt es eher von Wunderglauben, insbesondere vom Glauben an Wunderheilungen, mit denen der pragmatische Wunsch nach Gesundheit und die Hoffnung auf die Wunscherfüllung einhergeht. Möglicherweise spielte bei der (zunächst) oberflächlichen Annahme des Islams auch die »unzureichende Dichte an kirchlichen Infrastrukturen in einigen Regionen Südosteuropas« eine Rolle (Koller 2011b: 259). Vor dem Hintergrund fehlender religiöser Bildungsmöglichkeiten ist es auch nicht verwunderlich, dass die Übertritte zu einem unbekannten Deutungssystem nicht mit letzter Konsequenz – entsprechend eurozentrischen Vorstellungen – stattfan5 Bis in die Gegenwart wird besonders für die albanische Bevölkerung behauptet, dass ihr »i[m] A[llgemeinen] immer noch das Interesse an Religion [fehle]« (Elsie 2004: 11). Jedoch ist auffällig, dass sich die politischen Einschränkung nur bedingt auf die religiöse Praxis auswirkte, die nach dem Ende der kommunistischen Zeit in den jeweiligen Ländern wieder neu auflebte, so dass es, wie zum Beispiel in Albanien, zu einem »religious ›competition‹« um Individuen und Gesellschaft kommen kann (Clayer 2003b: 37). In diesem Zusammenhang kann mit den Ausführungen Clayers dafür plädiert werden, dass Religion speziell im Fall Albaniens meist als Mittel zum Zweck dient: Menschen wenden sich auch heute noch jener Religion zu, die für die Verfolgung der eigenen Interessen – seien es alltägliche Probleme oder Identitätsfragen – am vielversprechendsten scheint (Clayer 2003a: 324). Ähnliches wurde auch für die bulgarische muslimische Minderheit in den Rhodopen behauptet (Karagiannis 2003: 47f). 6 Weiteres dazu im Kapitel 2.2 Religious/Sacred – Bewertungskategorien und Deutungsansätze.
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den. Dort wo Konvertierte mit den nonkonformistischen Bektaschis in Kontakt kamen, war es vielleicht auch die erste Möglichkeit, das islamische Deutungssystem inhaltlich und praktisch kennenzulernen. Denn außer Derwischen ist kaum etwas über islamische Wandergelehrte bekannt, die den Kontakt zur Bevölkerung suchten. Nicht auszuschließen ist, dass die Bektaschis einen Missionsauftrag hatten, der sie aus strategischen Gründen eher christlich definierte Elemente in ihr System religiöser Deutungen und Praktiken integrieren ließ. Dazu gehörte zum Beispiel die Gleichsetzung christlicher Heiliger mit eigenen religiösen Vorbildern. Eine der wichtigsten muslimischen Figuren ist Sarı Saltuk, der mit dem Heiligen Naum an dessen Kloster im Süden des Ohrid-Sees, mit dem Heiligen Spyridon auf Korfu und mit dem Heiligen Nikolaus in Bulgarien identifiziert wurde (Rohdewald 2017: 85-93). Ein weiterer christlicher Heiliger, der besonderes Ansehen der muslimischen Bevölkerung genießt, ist Georg, der mit Hıdır oder Hıdırelles, einer anderen muslimisch-religiösen Figur, gleichgesetzt wird (vgl. Couroucli 2012a; Hasluck 1929: 320-328; Koneska 2012). Der komplexe Islamisierungsprozess, den die Politik des Osmanischen Reichs beeinflusste, lässt sich nicht vereinfachend für ganz Südosteuropa zusammenfassen. Er ist immer regional und gleichzeitig im Zusammenhang des Reichs zu betrachten. In der Gegend um das Naum-Kloster verbreitete sich der Islam ebenfalls von Städten ausgehend. Ohrid wurde Ende des 14. Jahrhunderts erobert und erlangte den Rang einer Hauptstadt der gleichnamigen osmanischen Verwaltungseinheit eines Sandschaks (Kiel 1993: 164f). Trotz der spärlichen Überlieferungslage zu ihrer Eroberung kann davon ausgegangen werden, dass die Stadt verhältnismäßig friedlich eingenommen wurde. Obwohl 1466 einige Christ:innen in das neugegründete Elbasan deportiert wurden, belegen Steuerregister erst seit Beginn des 16. Jahrhunderts einen stetig wachsenden muslimischen Bevölkerungsanteil (Kiel 1993: 165f). Im Vergleich zum Umland belegen Register der Jahre 1536 bis 1539 für die Stadt Ohrid allerdings einen wesentlich höheren christlichen Anteil (Koller 2011b: 256). Nach der osmanischen Einnahme Ohrids wuchs die Stadt mit neuerbauten Moscheen, Hamams oder islamischen Stiftungen (türk. vakıf), die eine klare Islamisierung Ohrids zu erkennen geben, über die Stadtmauern hinaus (Dervishi 2005: 159-170; Kiel 1993: 166). Die Stadt Korçë wurde Ende des 15. Jahrhunderts, etwa ein Jahrhundert nach der Eroberung der Region, als osmanisches Administrationszentrum gegründet (Kiel 1986: 264f). Die umliegenden Dörfer zählten noch Anfang des 16. Jahrhunderts mehr christliche als muslimische Häuser. Die abseits der Via Egnatia gelegene Stadt gewann erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an Bedeutung. Eine Ursache war die Flucht vieler Einwohner:innen aus dem damaligen Handelszentrum Moschopolis, dem heutigen Voskopojë, das ab 1769 mehreren
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Angriffen und Plünderungen zum Opfer fiel (Peyfuss 1996: 41-46).7 Voskopojë ist auch deshalb für die vorliegende Fallstudie relevant, weil es bis zur Zerstörung zum Ohrider Erzbistum gehörte, eine nach Naum benannte Druckerei besaß und seine Bevölkerung den Naum-Kult nach der Flucht auch in anderen Gebieten verbreitete. Durch die zuziehende Bevölkerung aus Voskopojë wuchs die Stadt Korçë, wodurch sie auch an politischer und kultureller Bedeutung gewann. Dies zeigt sich etwa daran, dass in Korçë die erste albanophone Schule gegründet wurde, die von 1887 bis 1902 existierte (Kiel 1986: 266). Obgleich die Stadt eines der wichtigsten osmanischen Zentren Südalbaniens war, war Anfang des 20. Jahrhunderts immer noch mehr als die Hälfte der Einwohner:innen christlich-orthodox und nicht muslimisch. Neben den Sunnit:innen waren um Ohrid und Korçë auch Bektaschis präsent, wahrscheinlich jedoch erst ab Anfang des 19. Jahrhunderts (Rohdewald 2017: 88f). Über ihre Frühgeschichte in jener Gegend existieren keine Belege (Elsie 2013: 2). Die Gruppe selbst geht jedoch davon aus, dass sie sich mit Sarı Saltuk verbreiten konnte, der bereits im 13. Jahrhundert lebte. Die Ausbreitung der Bektaschis in Südalbanien ist auch mit der Auflösung der Janitscharen Anfang des 19. Jahrhunderts verbunden (Clayer 2012b: 8). Erst mit der Verbreitung der Bektaschis in Südalbanien etablierte sich vermutlich auch die Praxis, Naum mit Sarı Saltuk zu identifizieren. Die damalige Verbreitung der Bektaschis zeigte sich vor allem an der Anzahl ihrer als Tekken bezeichneten religiösen Versammlungsorte. Die damalige Tekkenanzahl war höher als die heutige (Clayer 1990). Das belegt auch eine Tekke, die bis Anfang des 20. Jahrhunderts in Struga existierte, heute aus unbekannten Gründen jedoch nicht mehr lokalisierbar ist (Dervishi 2005: 162). Daneben gibt es bis heute in Ohrid und Struga auch Halvetis, deren Tekken im 18. Jahrhundert gegründet wurden. Die Halvetis waren eine der am weitesten verbreiteten Sufigruppierungen in Südosteuropa (Clayer 2012b: 10). Der Prozess der Islamisierung Südosteuropas fand durch die Vielfältigkeit seiner Motivationen, Umstände und Verläufe sowie die unterschiedlichen Interpretationen des Islams regional nicht einheitlich statt. Gleichzeitig ist wiederholt zu betonen, dass es außer Übertritten auch noch andere Gründe für die prozentuale Zunahme muslimischer Bevölkerung gab. Zudem lassen sich aufgrund der oft freiwilligen Übertritte Rückfragen zur Intensität der religiösen Verwurzelung, zur Bedeutung des offiziellen Bekenntnisses der religiösen Zugehörigkeit und zur Nachhaltigkeit der zum Großteil politisch motivierten Christianisierung stellen. Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand stellt sich vor allem die Frage, wie sich der prozentuale Anstieg muslimischer Bevölkerung und die erwähnte Identi7 Die Ereignisse von 1769 beschreibt Falo 2015: 203-208 anschaulich. Die Hintergründe der Stadtentwicklung stellt Xhufi 2010 dar.
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fizierung Naums mit Sarı Saltuk auf die Wahrnehmung und die Entwicklung des Klosters auswirkten. 3.1.3 Fazit: Politisch motivierte Religionsverbreitung
Die Ausführungen machen deutlich, dass die Verbreitung der Religionen, die den Untersuchungsraum dominieren, nicht immer politisch motiviert, aber doch politisch beeinflusst war. Allerdings unterscheiden sich die Prozesse hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Intentionen. Während die herrschende Elite bis zur osmanischen Eroberung die Christianisierung der Bevölkerung missionarisch vorantrieb, stieg der muslimische Bevölkerungsanteil ohne den gezielten Einfluss der osmanischen Elite. Die osmanische Politik brachte dennoch Umstände hervor, die den Übertritt der Untertan:innen zum Islam förderten (Clayer 2015: 35). Als Beispiel dafür wird in erster Linie der Steuerdruck als wirtschaftlicher Aspekt angeführt. Über die Bedeutung wirtschaftlicher Komponenten bei der Christianisierung ist dagegen nichts überliefert. Die durchaus beabsichtige politische Dimension der Ausbreitung der Religionen ist auch mit der Bedeutung von Bildung verbunden: Mit der Christianisierung ging die gezielte Ausbildung religiöser Experten einher, welche die christliche Lehre an die Bevölkerung weitergeben sollten. Dennoch lassen sich Rückfragen an das christlich-theologische Bildungssystem stellen. Denn eine konsequente Belehrung, mit der sich die christliche Bevölkerung identifiziert, führt schwerlich zu einem pragmatischen Religionswechsel. Die Vermittlung einer zentralen Lehre blieb bei der Verbreitung des Islams aus, was zu verschiedenen transreligiösen Phänomenen führte, die gegenwärtig in den Südosteuropastudien zumeist als »heterodox« sowie als »synkretistisch« oder »volksreligiös« charakterisiert werden (vgl. Barkey 2015: 52f; Clayer 2015: 35f; Giesel 2017; Koller 2011b: 259261; Zarcone 2014: 22f).8 Die Unterrichtung einer bestimmten islamischen Lehre fehlte allerdings auch deswegen, weil sich wie gezeigt erst im 16. Jahrhundert ein Bewusstsein für die Unterschiede islamischer Positionen herauskristallisierte. Zudem waren religiöse Inhalte vom Verständnis der vermittelnden Personen abhängig (Krstić 2011: 48). Die verschiedenen transreligiösen Formen mit ihren jeweiligen Inhalten hingen auch mit den ausgehandelten Interessen der verschiedenen Akteur:innen zusammen. Die Bandbreite der aushandelnden Akteur:innen reichte »from the Ottoman government, its political rivals, converts, mothers and wives, to the Orthodox Church« (Krstić 2011: 72).
8 Zu den Begrifflichkeiten vgl. Kapitel 2.2 Religious/Sacred – Bewertungskategorien und Deutungsansätze.
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Diese transreligiösen Phänomene, die in verschiedenen Kontexten zum Beispiel als »Volksglaube« oder »Kryptochristentum« beschrieben werden, lassen sich vornehmlich an den mit ihnen verbundenen mehrdeutigen Praktiken erkennen. Dazu gehörte unter anderem, dass das Naum-Kloster mit der Islamisierung seiner näheren Umgebung nicht mehr nur von Christ:innen, sondern auch von muslimischer Bevölkerung aufgesucht wurde und die teilweise Gleichsetzung Naums mit Sarı Saltuk. Diese transreligiösen Phänomene trugen nicht zur Etablierung der Religionen bei, gewähren aber Einsicht in die Bedürfnisse der Menschen. Im Vordergrund standen Schutz und Glück hinsichtlich familiärer, medizinischer und (land‑)wirtschaftlicher Anliegen. Religionspolitische Verhältnisse beeinflussten auch weitere kulturelle Zeugnisse, wie Kunst, Architektur und Literatur. Auch sie förderten die religiöse Vielfalt nicht, aber ihre Entstehung und Nutzung spiegelten gesellschaftliche Gegebenheiten wider. Am Beispiel des von Naum errichteten Klosters ist an späterer Stelle auf diese verschiedenen Bereiche exemplarisch einzugehen.
3.2 P OLITISIERUNG MULTIRELIGIÖSER UND MULTIETHNISCHER GEMEINSCHAFTEN Bereits die Verbreitung der im Forschungsgebiet vertretenen Religionen war mit politischen Interessen verbunden. Religiöse Zugehörigkeit hatte daher auch direkte gesellschaftliche Folgen. Während sich das Christentum in Südosteuropa mit dem Byzantinischen und dem Bulgarischen Reich, also großen Kollektiven, unter den Slaw:innen zu verbreiteten begann, verbreitete sich der Islam – ebenfalls politisch bedingt – tendenziell individueller. Die Wahrnehmung religiöser Gruppen als Kollektive mit einer gemeinsamen politischen Identität ist vor allem das Ergebnis der Ideen und Bemühungen des 19. Jahrhunderts, Nationalstaaten mit heterogener Bevölkerung zu schaffen. Die Ausbildung von religiösen und ethnisch-nationalen Grenzen ist historisch stark verflochten und wirkt bis in die Gegenwart. Mazedonien und Albanien repräsentieren zwei verschiedene Formen osmanischer Nachfolgestaaten, in denen sich die Grenzen religiöser und politischer Zugehörigkeiten weniger überschneiden: Mazedonien ist im Vergleich zu Albanien vor allem ein multiethnischer, aber auch ein multireligiöser Staat und Albanien ein hauptsächlich multireligiöser Staat mit einer atheistischen Pause. In den folgenden Ausführungen sind von der Frage geleitet, welche Rolle die Religionen in den beiden Ländern vom Beginn der Nationalstaatenbildung bis zum Ende der sozialistischen Zeit spielten.
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3.2.1 R eligionen im Osmanischen Reich und ihre Bedeutung für die Nationenbildung
Übertritte zum Islam scheinen in erster Linie offiziellen Charakters zu sein. Adanır konstatiert daher auch für die Zeit der Nationalstaatenbildung noch eine »relativ problemlose[] Kommunikation auf individueller Ebene bei fortbestehender Segregation auf Gruppenebene« (Adanır 2009: 73). Dieser Umstand ist auf die mit dem Osmanischen Reich anbrechende Situation zurückzuführen, die im Gegensatz zu christlichen Reichen mehrere Glaubensrichtungen in der Bevölkerung zulässig machte. Dies wirft die Frage nach den Bedingungen und der Gestaltung des Zusammenlebens auf. Marlene Kurz hielt fest, dass zur Beantwortung dieser Frage meist auf zwei verschiedene Elemente verwiesen wird, die das Verhältnis von muslimischer und nicht-muslimischer Bevölkerung geregelt haben sollen: der Vertrag des Kalifen Omar und das millet-System. Allerdings gab es »im Islam zu keiner Zeit eine uniforme Verwaltung der Nicht-Muslime, sondern stets eine Fülle von Einzelentscheidungen der Herrschenden und große Unterschiede in juristischen Meinungen« (Kurz 2009: 85). Vor allem der sogenannte Vertrag von Omar als Grundlage für die Regelung des Verhältnisses christlicher Untertan:innen zur muslimischen Elite galt nicht für Südosteuropa (Kurz 2009: 87-89). Dieser oftmals als Vertrag bezeichnete Pakt wurde im 7. Jahrhundert mit der christlichen Bevölkerung Jerusalems geschlossen und diente im arabischen Raum als stabilisierender Faktor der sich neu etablierenden muslimischen Identität. Die Grundlage für die Verhältnisbestimmung liegt dennoch in der Unterscheidung von muslimischer und nicht-muslimischer Bevölkerung. Letztere wurde mit dem juristischen Terminus zimmi bezeichnet, was aus dem Arabischen entlehnt mit »Schutzbefohlener« übersetzt werden kann. Mit der Garantie des Schutzes durch die herrschende muslimische Elite ging auch die Pflicht für die zimmi einher, Schutzgeld zu entrichten. Dieses Schutzgeld verband sich mit dem allgemeinen Steuersystem, das alle reaya genannten Untertan:innen betraf. Die Einteilung der Steuerzahler bildete die »ursprüngliche, grundlegende gesellschaftliche Trennungslinie«, die jedoch keine verwaltungstechnische Konsequenzen nach sich zog (Kurz 2009: 94). Für Untertan:innen, die nicht direkt dem Sultan dienten, galt die Steuerpflicht, ob sie muslimisch waren oder nicht. Die nicht-muslimischen, jüdischen oder christlichen Untertan:innen mussten als zimmis, Schutzbefohlene, zusätzlich zu den üblichen Steuern die Kopfsteuer (türk. cizye) zahlen. Die Unterteilung der Bevölkerung in muslimisch und nicht-muslimisch sowie weitere Unterscheidungen der nicht-muslimischen Bevölkerungsgruppen werden mit dem Begriff millet wiedergegeben. Ab dem 19. Jahrhundert wurde millet im Zuge von Reformen systematisiert und somit zur Bezeichnung eines Verwaltungs-
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systems im Osmanischen Reich. Paradoxerweise basierte dieses System einerseits auf dem Koran und früherer osmanischer Praxis, andererseits stellt es durch die Gleichstellung aller millets von 1856 auch einen Bruch mit den Vorgaben des Koran und der früheren Praxis dar.9 Der aus dem Koran übernommene arabische Begriff kann laut dem Historiker Benjamin Braude allgemein mit »Gemeinschaft« übersetzt werden, bezeichnete zunächst jedoch nur die Anhänger:innen des Islams (Braude 1982: 69-72).10 Braudes Beitrag Foundation Myths of the Millet System markierte den Auftakt einer neuen Debatte, die den millet-Ausdruck hinterfragte. Er versuchte nachzuweisen, dass der Terminus vor dem 19. Jahrhundert nicht allgemein für die einzelnen Religionsgemeinschaften verwendet wurde, was Manfred Ursinus anschließend bestritt (Ursinus 1989). Laut Braude wurde millet nur in Ausnahmen auch für nicht-muslimische, einflussreiche Personen als Vertretung ihres jeweiligen millets verwendet, um diese wohlgesonnen zu stimmen. Für Braude war der Ausdruck ursprünglich ein Begriff der Korrespondenzsprache, nicht der Verwaltungssprache. Die nicht-muslimischen Untertan:innen wurden stattdessen als Rumi (griechisch), Ermeni (armenisch), Latin (römisch) sowie Yahudi (jüdisch) bezeichnet. Die Bezeichnungen hätten sich damals ausschließlich auf religiöse, nicht auf nationale Gruppierungen bezogen. Das Verständnis von millet als Religion basiere Braude zufolge auf Missverständnissen und Rückprojizierungen, die mangelhaften Übersetzungen in westlichen Wörterbüchern geschuldet gewesen sei (Braude 1982: 72-74). Daraus schließt Braude auf das Fehlen eines administrativen Begriffs wie millet, was gleichzeitig impliziert, dass es keine entsprechende Kategorie und damit lange keine institutionalisierte Politik gegenüber der nicht-muslimischen Bevölkerung gegeben habe. Braudes Darstellung wurde von Manfred Ursinus kritisiert und nachgebessert. Ursinus bestätigt, dass der millet-Begriff zwar systematisch ab dem 19. Jahrhundert genutzt wurde, allerdings auch schon in den Jahrhunderten zuvor auftauchte (Ursinus 1989). Er zeigt darüber hinaus allerdings, dass millet sehr wohl mit Religion zu übersetzen ist und anderen Begriffe wie tayfa und cemaat, die vor dem 19. Jahrhundert Verwendung fanden, derselbe Gedanke zu Grunde lag: Die Einteilung der nicht-muslimischen Bevölkerung hinsichtlich 9 Für den Hinweis auf diesen Zusammenhang und weitere hilfreiche Anregungen zur osmanischen und islamischen Geschichte danke ich meinem Mentor Manfred Sing (Mainz). 10 Der Historiker Roderic H. Davison schließt sich der Definition von millet an, bietet daneben allerdings zwei weitere Bedeutungen, die nicht die ursprünglichen sind: Zum einen kann der Begriff zur Attribuierung einer Gemeinschaft von Überzeugungen oder Praktiken verwendet werden und zum anderen kann er auch eine religiöse Organisation mit ihren hierarchischen Strukturen bezeichnen (Davison 1982: 320).
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ihrer Religionen in drei Gruppen, die byzantinisch-orthodoxe, die armenische11 und die jüdische Gemeinschaft. Die Einteilung der nicht-muslimischen Bevölkerung entsprechend ihrer Religionsgemeinschaften bedeutet auch, dass es vor der Errichtung des millet-Systems Verbindungen zwischen der osmanischen Regierung und den nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften gegeben hat. Die osmanische Regierung hatte politische und wirtschaftliche Interessen an den nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften. Politisch nutzte die Regierung Strukturen der Gemeinschaften, um die nichtmuslimische Bevölkerung zu kontrollieren. Davon zeugt zum Beispiel, dass die osmanische Regierung höhere Ämter innerhalb der Kirche an Personen ihrer Wahl verkaufte (Koller 2011b: 267f). Dadurch werden finanzielle Interessen der Zentralregierung deutlich. Gleichzeitig erzeugte die Regierung dadurch eine Machtabhängigkeit, die sie wiederum einsetzte, um sich die Loyalität der Kirchenobersten zu sichern. Die Verbindung aus finanziellen und machtpolitischen Interessen zwischen Ökumenischem Patriarchat und Osmanischem Reich zeigte sich zudem in der vom Sultan veranlassten Auflösung der orthodoxen Patriarchate von Peć (alb. Pejë) im Jahr 1766 und von Ohrid im Jahr 1767. Beide Patriarchate litten unter der Steuerlast, die mit dem regelmäßigen Verkauf der Patriarchenposition an loyalere und finanzstärkere Männer einherging. Ihre Macht demonstrierten die Osmanen auch in der Übernahme christlicher Kirchen wie der Hagia Sophia (türk. Aya Sofya) in Istanbul oder der Sveti Pantelejmon in Ohrid, die sie in Moscheen umwandelten. Das war neben der Demonstration von Macht auch eine pragmatische Möglichkeit, um schnell ein eindrucksvolles Gotteshaus einrichten zu können. Eine systematische Zerstörung ganzer Kirchen oder die Beschädigung von Fresken durch das Auskratzen der Augen der Abgebildeten ist nicht nachgewiesen. Alternative Interpretationen führen die ausgekratzten Augen auf den Wunderglauben zurück: Gläubige sollen sich als Heilmittel Teile von Fresken abgekratzt haben, wobei den Augen die stärkste Heilkraft zugesprochen wurde (EN 28.06.2016). Allerdings wurden längst nicht alle Kirchen zu islamischen Gebetsstätten umfunktioniert, wie die Geschichte des Naum-Klosters zeigt. Der Anteil der muslimischen Bevölkerung stieg nur leicht an, so dass zunächst eine Moschee pro Siedlung ausreichte. 11 Vor allem am Beispiel des armenischen millets zeigt sich die deutliche Verbindung zwischen religiöser und ethnisch-nationaler Zugehörigkeit. Während heute »armenisch« eher als Bezeichnung für die ethnisch-nationale Zugehörigkeit verstanden wird, bezog sich der Ausdruck damals auf die Armenisch Apostolische Kirche. Der Terminus war notwendig zur Abgrenzung von der byzantinisch orthodoxen Kirchentradition, da sich die armenische Kirche nicht am Konzil von Chalcedon (451) beteiligte und sich somit vorchalcedonische Kirche von der byzantinisch-orthodoxen Kirche unterscheidet.
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Die religiöse Zugehörigkeit der Reichsuntergebenen gewann vor allem mit der zunehmenden Profilierung des Sunnitentums im 16. Jahrhundert an Bedeutung (Kurz 2009: 94). Das Zeitalter der sogenannten »Konfessionalisierung« beeinflusste das religiöse Miteinander ausgehend von den politischen Entwicklungen, die verstärkt von Kontakten mit dem Habsburgischen und dem Safawidischen Reich geprägt waren (Krstić 2011: 167f). Durch zahlreiche Handelskontakte mit Westeuropa konnten nicht-muslimische Untertan:innen des Osmanischen Reichs ab dem 18. Jahrhundert einen Sonderstatus erwerben. Parallel dazu setzten sich Westeuropäer:innen wiederum gegenüber der osmanischen Zentralregierung für den Schutz der christlichen Bevölkerung ein. »Beide Maßnahmen rückten die ›eigenen‹ Nicht-Muslime in der Wahrnehmung der Muslime in immer größere Nähe zu den potentiell stets feindlichen Christen Europas« (Kurz 2009: 94). In Folge des griechischen Unabhängigkeitskampfes (1821–1830) veränderte sich das Verhältnis zwischen muslimischer und christlicher Bevölkerung grundlegend: Aus Angst vor weiteren Spaltungsbewegungen setzte nach der Erneuerung des Militär- und Verwaltungswesen unter Sultan Mahmud II. auch die Reform weiterer gesellschaftsrelevanter Aspekte ein (Kurz 2009: 94-96). Durch diese tanzimat genannten Reformen sollten alle Bevölkerungsgruppen unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit gleichgestellt und eine Art osmanische Nationalität im Reich implementiert werden (Hanioğlu 2010: 75f). Orientiert an westlichen Vorbildern war dieses Unterfangen mit zunehmender Bürokratie, Zentralisierung und Kontrolle verbunden (Hanioğlu 2010: 59-64). Dabei wirkte sich das Erneuerungsstreben nicht nur auf der Regierungsebene aus, sondern umfasste durch die Etablierung von Zeitungen und mit der Einrichtung neuer und der Wiederbelebung früherer Schulen auch den Kommunikations- und Bildungsbereich. Zudem gab es durch Handelsbeziehungen zwischen westeuropäischen und osmanischen Nicht-Muslimen weitere Neuerungen nach westlichem Vorbild im Kultur- und Technikbereich, wozu neben Journalismus auch Theater, Tanz, Telegraphie und Übersetzungsbüros gehörten (Davison 1982: 321-323). Allerdings erwiesen sich die Reformbemühungen als schwierig, weil Religion weiterhin vor allem von den Autoritäten als Merkmal der Bevölkerungseinteilung betrachtet wurde (Hanioğlu 2010: 75f). Zudem förderte auch die Regierung »the religious foundation of the millets, [by] drafting organic laws governing the self-administration of the three major non-Muslim communities«. Das Ziel der Reformen war die Unterbindung nationaler Entwicklungen nach französischem Vorbild. Der Nationalgedanke war jedoch stärker, sodass das Gegenteil erreicht wurde und die millets zu einer der wichtigsten Grundlagen separatistischer Nationalbewegungen wurden. Die Verknüpfung von Religion und Nation kann jedoch nicht auf das millet-System reduziert werden, weil sie, wie die jüngere Nationalismusforschung zeigt, ein transnationales Phänomen darstellt (Clayer 2011; Schulze Wessel 2006). Folglich
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kann nur davon gesprochen werden, dass das millet-System die Entwicklung von Nationen auf Basis von Religion zwar begünstigte, jedoch nicht ausschlaggebend dafür war. Die Separation der Bevölkerung wurde durch weitere Faktoren gefördert. Darunter fiel auch die Wirtschaft, da die ländliche Bevölkerung als Folge von Kriegen und als Ergebnis der Reformmaßnahmen den zunehmenden Abgabendruck zu spüren bekam (Sundhaussen 2011: 92-94). Dieser Druck »löste jene unzähligen Rebellionen [seitens der nicht-muslimischen Landbevölkerung] aus, die den inneren Zersetzungsprozess des Imperiums mehr und mehr beschleunigten und in die Befreiungskämpfe des 19. Jahrhunderts überleiteten. Die große Mehrheit der Freiheitskämpfer, die sich am ersten und zweiten serbischen Aufstand 1804-1813 und 1815 oder am griechischen Befreiungskrieg 1821-1829 beteiligten, strebten jedoch nicht die Errichtung eines Nationalstaats, sondern die Wiederherstellung ihrer lokalen Autonomie und die Befreiung von Abgaben an. Sie führten einen sozialen, keinen nationalen Befreiungskampf.« (Sundhaussen 2011: 92f)
Nachdem sich die nicht-muslimischen Bevölkerungsgruppen gegen den Druck erhoben hatten, setzten sich junge gebildete Eliten, die durch Aufenthalte in Westeuropa mit westlichen Modernisierungstheorien in Kontakt kamen, an die Spitze dieser Bewegung, um Nationalstaaten nach westlichem Vorbild zu gründen. Dazu nutzten sie auch die Reformergebnisse von 1830 und wählten Religion zum Hauptkriterium der neuen nationalen Identität (Sundhaussen 2011: 96). Zum anderen gaben auch identitätspolitische Gründe weitere Impulse zur nationalen Teilung vor allem der christlichen Bevölkerung. Davon zeugt die Entstehung des bulgarischen Exarchats 1872 in Abgrenzung zum Ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel (Sundhaussen 2011: 99-101). Das Exarchat musste sich zwar in religiösen, nicht aber in territorialen Angelegenheiten nach dem Patriarchat richten. Gleichzeitig stellte das bulgarische Exarchat auch die Identität des jungen griechischen Staates auf den Prüfstand, der sich mit dem millet der rumeli, also der »Griechen«, als Vertreter der orthodoxen Christenheit verstand (Sundhaussen 2011: 102). Der Historiker Holm Sundhaussen behauptet, dass »die ›säkularisierte Religion‹ nur noch als nationales Identitätsmerkmal gegenüber der Außenwelt bzw. als kultureller Bezugsrahmen [gedient habe] und […] ihre transzendente Bedeutung weitgehend oder völlig eingebüßt [habe]« (Sundhaussen 2011: 104). Offen blieb dabei, wie die muslimische Bevölkerung eingeordnet werden könnte, deren Vorfahr:innen vom Christentum zum Islam konvertiert waren und deren konversionsbedingter historisch christlicher Herkunft sich auch die national-politisch engagierten Eliten bewusst waren. In diesem Zusammenhang gewannen weitere Identitätsfaktoren wie Sprache, Abstammung und Geschichte
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an Bedeutung, die der Herausbildung einer nationalen Gemeinschaft dienen konnten (Sundhaussen 2011: 105-112). Hierbei wird vor allem der Charakter einer Kulturnation »als Fortsetzung der Ethnie« im Gegensatz zu einer Nation deutlich, die sich über die Staatsbürgerschaft ihrer Mitglieder identifiziert und in der die »ethn[ische] Herkunft der Mitglieder untergeordnet« ist (vgl. Sundhaussen 2016b, 2016c). Die Kulturnation ist im Sinne Andersons eher als vorgestellte Gemeinschaft zu betrachten (Anderson 2006). Die erfolglosen Integrationsversuche der muslimischen Bevölkerungsteile führten schließlich zur deren Vertreibung aufgrund ihrer vermeintlichen Andersartigkeit. Zusammengefasst war die Einteilung der Bevölkerung hinsichtlich ihrer religiösen Zugehörigkeit in millets eine der wichtigsten Grundlagen für verschiedene politische und wirtschaftliche Entscheidungen der osmanischen Regierung. Religiöse Zugehörigkeit entschied darüber, ob die Kopfsteuer zu bezahlen oder Militärdienst zu leisten war. Zudem führte sie zusammen mit anderen Entwicklungen, wie dem steigenden Steuerdruck und der Verbreitung der westeuropäischen Nationsidee durch junge Gebildete, unter den Christ:innen in Südosteuropa zu Separationsbewegungen und diese wiederum zur Entstehung der Nationalstaaten. Die religiöse Zugehörigkeit war bei der Nationalstaatenbildung jedoch oftmals nur eines von vielen Zugehörigkeitsmerkmalen (vgl. Sundhaussen 2011) und die Einteilung in millets nur eine von mehreren gesellschaftsordnenden Faktoren. Die zunehmende religiös-nationale Segregation verhinderte nicht, dass einzelne Individuen über diese Grenzen hinweg problemlos miteinander kommunizieren konnten (Adanır 2009: 73). Der kurze Blick auf die Religionsgeschichte der beiden religiösen Haupttraditionen macht darüber hinaus deutlich, dass Religion in der Forschungsregion nur in enger Verbindung mit anderen Bereichen des Lebens eine tragende Bedeutung gewann: Während das Christentum vor allem aufgrund der Instrumentalisierung seiner politischen Deutung an Tragweite gewann, waren für den Islam im Osmanischen Reich oft die politischen und wirtschaftlichen Verbindungen ausschlaggebend. Bildung und andere Lebensbereiche, die Schnittstellen mit Religion aufweisen, sind historisch betrachtet lange nur im politisch-wirtschaftlichen Kontext von Bedeutung. Das Dreiergespann Wirtschaft, Politik und Religion bildete schließlich die Basis für die Entstehung der Nationalstaaten, in denen das Verhältnis der Komponenten zueinander neu ausgehandelt wurde. 3.2.2 Religion im Spiegel der jungen Nationalstaaten
In der Tradition der millets stehend wurde Religion für viele südosteuropäische Nachfolgestaaten des Osmanischen Reichs einer der wichtigsten Faktoren für die
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Nationenbildung. Das zeigt sich an verschiedenen Punkten, wie an dem Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei, der 1923 im Lausanner Abkommen beschlossen wurde (Leontiades 1935: 552-560). Als Kriterium für den Austausch galt die Religionszugehörigkeit der auszutauschenden Bevölkerungsgruppen: Die christlich-orthodoxe Bevölkerung aus dem türkischen Staatsgebiet wurden nach Griechenland und die sunnitisch-muslimische Bevölkerung Griechenlands in die Türkei vertrieben, um- und angesiedelt. Dabei gab es einige Ausnahmen, die jedoch nichts an der Grundidee änderten: Die Orthodoxen Istanbuls und die muslimische Bevölkerung in Westthrakien wurden in dem Abkommen explizit von einem erzwungenen Wohnortwechsel verschont. Das Beispiel einer kleinen graecophonen, muslimischen Minderheit im Pontosgebiet, die von dem Austausch ausgeschlossen war (Kahl 2016: 146-149), verdeutlicht die tiefe Verwurzelung der Vorstellung abgrenzbarer religiösen Zugehörigkeiten und die Nachrangigkeit der Zugehörigkeit zu einer Sprachgruppe. Abwanderungen von muslimischen Bevölkerungsanteilen in Gegenden des noch existierenden Osmanischen Reichs, wie in den Kosovo, nach Makedonien oder Nordalbanien, sowie von christlicher Bevölkerung aus dem Osmanischen Reich in die neuen christlich dominierten Länder wurden dagegen bis zum Beginn der Balkankriege nicht direkt politisch verstärkt (Clayer/Bougarel 2017: 52-57). Die Abwanderungen waren eher wirtschaftlich und gesellschaftlich als durch Gewalt und Diskriminierung begründet. Dem Prinzip der religiösen Zugehörigkeit nachgeordnet war im Osmanischen Reich die Sprachgemeinschaft (Sundhaussen 2011: 90). Die Zugehörigkeit zu einer Sprachgemeinschaft hatte keinerlei mit den Implikationen der religiösen Zugehörigkeit vergleichbare Konsequenzen. Am Beispiel der Auseinandersetzungen zwischen dem neu entstandenen bulgarischen Exarchat und der dadurch in Frage gestellten griechisch-orthodoxen Gemeinschaft wird jedoch deutlich, dass neben der religiösen Zugehörigkeit noch andere Faktoren wie Sprache und Territorium wichtig waren. Der Zusammenhang zwischen Sprache und Territorium wird auch anhand kollektiver Erinnerungen an die christlichen Reiche des Mittelalters deutlich, die damals schon in einem kirchenpolitischen Abhängigkeitsverhältnis zueinanderstanden. Religion spielte in den christlichen Reichen des südosteuropäischen Mittelalters keine ausschlaggebende Rolle für die Abgrenzung von anderen Reichen, da die Bevölkerung weitgehend dem orthodoxen Christentum angehörte. Im Vergleich zu Bulgarien, Serbien oder Griechenland unterlag die Entstehung der Nationalstaaten Mazedoniens und Albaniens aus verschiedenen Gründen ganz anderen Voraussetzungen. Religion war dabei eher ein zweitrangiger Faktor der Nationenbildung. Mazedonien und Albanien teilen die Gemeinsamkeit, dass ihre heutigen Territorien bis zu den Balkankriegen zum Osmanischen Reich gehörte. Danach begannen internationale Vertreter mit der Grenzziehung, die von verschie-
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denen Interessen beeinflusst wurde. Im Folgenden geht es darum, wie sich die Rolle der Religionen von der Nationalstaatenbildung bis zum Ende der sozialistischen Regime veränderte. 3.2.2.1 Die Rolle der Religion im jugoslawischen Mazedonien
Der heutige Staat Mazedonien verfügt über keinen mittelalterlichen Vorläufer, auf den er sich berufen konnte, sondern lediglich eine im Osmanischen Reich unter der Bezeichnung »Makedonya« bekannte geographische Großregion. Diese wurde nach dem ersten Balkankrieg im Zuge der Grenzziehung unter den Nachbarstaaten Griechenland, Bulgarien und Serbien aufgeteilt, die die Region während des Krieges besetzt hatten (Barker 1999: 11-13). Ein weiterer politischer Akteur stellte bereits vor dem Zerfall des Osmanischen Reichs Ansprüche auf Gebiete der historischen Großregion Makedonien – die »Liga von Prizren« (alb. Lidhja e Prizrenit). Auf diese gehe ich im Kontext der Entstehung des albanischen Staates ein. Vorwegnehmend sei an dieser Stelle angemerkt, dass das Naum-Kloster keinen Anlass zur Auseinandersetzung zwischen den drei christlichen Ländern darstellte, aber in Bezug auf die Grenzfrage zwischen Jugoslawien und Albanien eine herausragende Rolle spielte. Das große Interesse der drei christlich geprägten Nachbarländer an der Region wird an verschiedenen Punkten in der Geschichte bis in die Gegenwart deutlich. Zwischen Mazedonien und Griechenland entwickelte sich in den 1990er Jahren nach der mazedonischen Unabhängigkeit ein Streit um den Namen Mazedoniens (Willemsen 2001: 10-12). Deutlich wird der Interessenskonflikt anhand der mazedonischen und griechischen Staatsbezeichnung: Sowohl Makedonija (maz.) als auch Makedonía (griech.) stehen etymologisch in der Tradition der historischen Großregion, die beide Länder mit dem antiken Makedonien und Alexander dem Großen in Verbindung bringen. Infolgedessen wehrte sich Griechenland gegen den Namen seines nördlichen Nachbarlandes aus Angst vor mazedonischen Gebietsansprüchen und nutzte stattdessen die Bezeichnung Former Yugoslavian Republic of Macedonia. Zwischen Bulgarien und Mazedonien bieten dagegen die Sprachähnlichkeit und die über einen großen Zeitraum gemeinsame Geschichte Anlass zum Zweifel an einer eigenständigen mazedonischen historisch, kulturellen, sprachlichen und schließlich nationalen Identität (Willemsen 2001: 8f). Das serbische Königreich und später Jugoslawien konnte die slawische Bevölkerung des neugewonnenen makedonischen Territoriums südserbisch prägen, weil es trotz Bestrebungen des Nachbarlandes noch nicht eindeutig bulgarisch definiert war (Drezov 1999: 51-54). Die serbische Nationsidee schlug sich auch in Bezug auf religiöse Ange-
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legenheiten nieder: Neben der Eingliederung der orthodoxen Gläubigen unter das serbischen Patriachat (Kraft 1998: 342f) wurde die muslimische Bevölkerung – insbesondere in der Grenzregion zum mehrheitlich muslimischen Albanien – zum Verlassen des Gebiets ermutigt (Clayer/Bougarel 2017: 91). Da sich das Naum-Kloster in dem Serbien zugeschlagenen Teil der historischen Großregion befindet, ist im Folgenden auch nur die weitere historische Entwicklung des mazedonischen Teils im ehemaligen Jugoslawien zu betrachten, der später als Republik Mazedonien zu einem eigenständigen Staat wurde. Den politischen Kurs in der mazedonischen Frage änderte Jugoslawien erst nach dem Zweiten Weltkrieg als Strategie gegen die bulgarischen Vereinnahmungstendenzen (Boeck 2009: 261). Im Zuge dessen erkannte Jugoslawien Mazedonien als Teilrepublik an und förderte die mazedonische Nationsbildung. Dafür griff die jugoslawische Regierung auf frühere Versuche, ein mazedonisches Bewusstsein und eine mazedonische Nation zu entwickeln, zurück. Diese Versuche umfassten bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts nationalgefärbte Unabhängigkeitsbestrebungen unter osmanischer Herrschaft wie die der Vnatrešna Makedonska Revolucionerna Organizacija (Innere Makedonische Revolutionäre Organisation, VMRO) (Boeck 2009: 259f). Außerdem setzte die Regierung den zentralen Akzent mit der Erschaffung der mazedonischen Standardsprache (Voss 2005: 53-56), womit Sprache im Vergleich zu Religion eine bedeutendere Rolle für die Nationsbildung zugesprochen wurde. Religion war zunächst kein Thema im Bildungsprozess der mazedonischen Nation, obwohl die bulgarische Besatzung sich auch auf die Reichweite der serbisch orthodoxen Kirche auswirkte (Alexander 1979: 182f). Religion als späteres identitätsstiftendes Moment brachte einen neuen, bis in die Gegenwart anhaltenden Konflikt hervor, der weniger international-politischer als vielmehr kirchenpolitischer Färbung ist. Als Teilrepublik Jugoslawiens war Mazedonien nach dem Zweiten Weltkrieg von kommunistischen Ideen geprägt. Dies bedeutete eine Abwertung von Religion in der Öffentlichkeit, was sich jedoch mit der Zeit veränderte (Bremer 2003: 12). Sie reichte von »Verfolgungen, körperlichen Misshandlungen […] sowie Schauprozessen« bis hin zur Ignoranz der Religionsgemeinschaften (Bremer 2003: 40f). Religion wurde per Gesetz zur Privatangelegenheit, die weder zu Vorteilen noch zu Nachteilen im privaten und beruflichen Leben führte. Lediglich bei nationalistischen Aktivitäten griffen die Behörden ein, wobei der Staat einen weiten Interpretationsspielraum hatte. Eine »Atheisierungskampagne« wie in anderen sozialistischen Ländern gab es in Jugoslawien nicht. Trotzdem fanden Schließung und Umnutzung religiöser Gebäude statt. Das Naum-Kloster wurde beispielsweise enteignet und in ein Museum umgewandelt, so dass dort keine Gottesdienste
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mehr stattfinden konnten, aber ein touristischer Ausflugsort entstand.12 Die Bevölkerung von Ohrid kennt auch andere Fälle: Die Kirche Sveti Ǵorǵi war zur Zeit Jugoslawiens eine Schule, berichtete mir ein Türke, der in der Nähe der Kirche lebt (EN 04.03.2017). Ihm zufolge seien 90% der existierenden Kirchengebäude erst nach der Unabhängigkeit gebaut worden, ohne nachweislich historische Vorgängerbauten gehabt zu haben. Eine ältere mazedonische Nachbarin meinte dazu, die Kirche hätte jedoch vorher schon existiert und sei dann erst in eine Schule umgewandelt worden. Ein anderer Türke aus Ohrid berichtete, die Schule Bratstvo Edinstvo (dt. Brüderlichkeit Einheit) sei in Jugoslawien auf dem Gelände eines muslimischen Friedhofs errichtet worden (EN 29.06.2018). Auch in anderen Orten wurden Gebäude und Besitz von Religionsgemeinschaften geschlossen oder anderweitig genutzt wie die in ein Museum umfunktionierte Husamedin Paşa Moschee in Štip (Bowman 2010: 209f). Ein weiteres Beispiel ist die Bektaschi-Tekke in Tetovo, die bis heute auf unterschiedlichen Ebenen umstritten ist. Sie wurde nach der Enteignung im Sozialismus als Ausflugsziel mit Hotel und Restaurant genutzt und nach der Unabhängigkeit Mazedoniens an die Islamische Religionsgemeinschaft (maz. Islamska Verska Zaednica, IVZ) zurückgegeben (EN 02.06.2016). Infolgedessen kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der IVZ und der örtlichen Bektaschigemeinschaft (Georgievski 2013). In den 1960er Jahren begannen die institutionalisierten Religionsgemeinschaften sich mit der politischen Situation zu arrangieren, zumal auch die Religiosität der Bevölkerung abgenommen hatte (Bremer 2003: 44). Allerdings ging die Religiosität nicht generell oder nur in bestimmten Religionsgemeinschaften zurück, sondern abhängig davon, wie stark eine Lokalgesellschaft und ihre Strukturen von den kommunistischen Ideen Jugoslawiens durchdrungen waren (Clayer/Bougarel 2017: 162f). Am Beispiel der muslimischen Gemeinschaft Jugoslawiens wird anhand von Statistiken über Bosnien-Herzegowina und Kosovo deutlich, dass die Religiosität in den Regionen schwächer war, in denen die Urbanisierung, das Bildungsniveau und der politische Status der Bevölkerung stärker ausgeprägt waren. Auch in Mazedonien dürften demnach die in der Peripherie gelegenen Bergdörfer eine lebendigere religiöse Tradition aufgewiesen haben als politische Zentren wie Skopje oder andere große Städte. Allerdings ist dies nicht verallgemeinerbar, wie aus der Erzählung des ehemaligen Bürgermeisters von Ljubaništa, dem unmittelbaren Nachbardorf des Klosters, deutlich wird (Naumoski 2016a, 2016b). Er berichtete stolz, wie er mit Hilfe von Partei und Genossenschaft das weit von Ohrid abgelegene Dorf an den damaligen Standard angepasst habe, indem er für fließendes Wasser gesorgt, Strom und Telefon installieren und die Straße asphaltieren 12 Vgl. Kapitel 4.2.3 Das Kloster als Schauplatz kirchen- und nationalpolitischer Auseinandersetzungen.
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lassen habe, sodass das Dorf auch durch einen Bus mit der Stadt verbunden werden konnte. Zudem habe sich die Dorfgemeinschaft damals an dem Ausbau des Naum-Klosters als Ausflugsort beteiligt. Dadurch unterstützte sie die politische Intention, Religionsgemeinschaften und religiöse Praktiken aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Erst in den 1980er Jahren stieg politische und gesellschaftliche Bedeutung der Religionsgemeinschaften wieder an (Bremer 2003). Mit ihrer steigenden Bedeutung wuchs auch der Einfluss der orthodoxen Kirche, wodurch sie neue Handlungsspielräume aushandeln konnte. Auch dies schlug sich am NaumKloster nieder, das zuvor vom Staat enteignet und zum Ausflugsziel umfunktioniert worden war: Ab Mitte der 1980er Jahre durfte die orthodoxe Kirche die Klosterkirche einmal jährlich vom Staat für einen Gottesdienst am 3. Juli mieten, dem Feiertag Naums (Risteski 2009: 24). Die Konsequenzen der mazedonischen Nationsbildung zeigten sich in Bezug auf Religion an der Gründung der Mazedonisch Orthodoxen Kirche (MPC, Makedonska Pravoslavna Crkva). Bereits Anfang der 1950er Jahre stellte sich die mazedonische Frage auch hinsichtlich der religiösen Zugehörigkeit (Alexander 1979: 249). Die slawische Bevölkerung Mazedoniens war wie die der Nachbarländer Serbien, Bulgarien und Griechenland christlich-orthodox geprägt. Daher bot sich nach der Aufteilung der Region diesbezüglich keine grundlegende Reibungsfläche mit der Bevölkerung der mazedonischen Teilrepublik. Nur zwischen den beiden südslawischen Ländern Jugoslawien und Bulgarien ergab sich ein Interessenskonflikt (Kraft 1998: 343f). Während die slawische Bevölkerung in Jugoslawien als südserbisch wahrgenommen wurde, war sie aus Sicht Bulgariens bulgarisch. Entsprechend wurde die slawische Bevölkerung Mazedoniens in Jugoslawien dem serbischen Patriarchen unterstellt, während gleichzeitig das benachbarte Bulgarien die gemeinsame Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche betonte und auf diese Weise zu vereinnahmen suchte. Die Konkurrenz mit Bulgarien trug schließlich auch dazu bei, dass Jugoslawien die Eigenständigkeit einer mazedonischen Nation förderte. Mitte der 1950er Jahre begann die Serbisch Orthodoxe Kirche (BKMS Srpska Pravoslavna Crkva, SPC), Zugeständnisse zu machen, indem sie zwei mazedonische Bischöfe berief und Mazedonisch als Liturgiesprache zuließ (Alexander 1979: 254). Da die Umsetzung dieser Annäherungsversuche nicht den Vorstellungen der mazedonischen Kirchenmitglieder entsprach, verkündigte die »Versammlung der Mazedonischen Kirche und des Volkes« 1958 die Wiederherstellung des historischen Erzbistums von Ohrid mit einem mazedonischen Weihbischof (Alexander 1979: 264f). Die SPC kritisierte den Vorgang als unkanonisch und akzeptierte die neue Situation erst 1959, nachdem Titos Regierung Druck ausübte und ihr finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt hatte (Alexander 1979: 265f). Das Interesse der Regierung an der Formierung einer orthodoxen Kirche der mazedonischen Teil-
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republik lag vor allem in der Schwächung der SPC. Der innerkirchliche Interessenkonflikt verstärkte sich mit der Weihe eines zweiten mazedonischen Bischofs durch den serbischen Patriarchen im selben Jahr. Da zwei Bischöfe einen dritten Bischof weihen können, war somit die Basis für die Neugründung einer orthodoxen Teilkirche geschaffen (Alexander 1979: 267). In den Folgejahren Anfang der 1960er Jahre verbesserte die SPC ihre Beziehungen zur Regierung. Gleichzeitig geriet die mazedonische Kirchenfrage wieder in den Hintergrund, obwohl sich die Situation der orthodoxen Kirche in Mazedonien stabilisierte (Alexander 1979: 268, 280-286). Die Stabilisierung der MPC führte zum endgültigen Bruch mit der SPC. Stationen auf dem Weg zum Bruch waren die Einrichtung neuer Kirchen und Klöster, die Ausbildung der Priesterkandidaten in mazedonischer Sprache, der Hegemonieanspruch der SPC gegenüber den mazedonischen Gläubigen und Geistlichen, die Gründung von zwei weiteren Bistümern für die internationale Diaspora und schließlich die einseitige Autokephalieerklärung im Jahr 1967, 300 Jahre nach der Aufhebung des Ohrider Patriarchats. Als autokephale Kirche erhebt die MPC den Anspruch, »jurisdiktionell selbständig [zu sein und] ein eigenes Oberhaupt [zu] besitzen[…]« (Schulz/Wiertz 1984: 10). Im Vergleich dazu wäre sie als autonome Kirche zwar selbständig, jedoch »jurisdiktionell mit einer anderen orthodoxen Kirche verbunden« geblieben, die in diesem Fall der SPC wäre, von der sie sich lösen wollte. Die MPC, die ihre Argumente kirchenrechtlich und -geschichtlich untermauerte, erfuhr sowohl die Unterstützung politischer Autoritäten Jugoslawiens im Allgemeinen als auch der Teilrepublik Mazedonien im Besonderen. Infolgedessen wurde der MPC nach der Unabhängigkeitserklärung Mazedoniens das enteignete Naum-Kloster zurückgegeben. Die Anerkennung der MPC als autokephale im Kreis der orthodoxen Kirchen ist allerdings bis in die Gegenwart ungeklärt. Die anderen Religionsgemeinschaften der mazedonischen Teilrepublik waren wie anfangs auch die orthodoxe Kirche auf jugoslawischer Ebene organisiert: Dies galt beispielsweise für die katholische Kirche, sowohl für den Zweig des römischen als auch für den Zweig des byzantinischen Ritus. Nachdem die Existenz von slawischen Katholik:innen des byzantinischen Ritus lange Zeit seitens der SPC bestritten wurde, unterstellten römisch-katholische Vertreter sie 1944 zusammen mit den Katholik:innen des römischen Ritus dem kroatischen Bistum Križevci (Reuter 2020). Spätestens 1972 begannen sich auch in der katholischen Kirche mit byzantinischem Ritus eigene Strukturen herauszubilden, die der zahlenstärkeren römisch-katholischen Kirche unterstanden. Die muslimische Gemeinschaft erweist sich in ihrer ethnisch-sprachlichen Zugehörigkeit wesentlich heterogener als die christliche, orientierte sich in dem neuen, christlich geprägten Staat jedoch an den Organisationsstrukturen der Kirchen. Bis 1930 unterstand die muslimische Gemeinschaft dem Muftiat von Niš
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und Belgrad (Clayer/Bougarel 2017: 98f). Erst ab 1930 unterstand sie der für ganz Jugoslawien zuständigen Islamischen Gemeinschaft mit Sitz in Sarajevo. Im Sozialismus wurde die Islamische Gemeinschaft wie andere Religionsgemeinschaften an staatliche Interessen angepasst und verlor im Zuge dessen ihre Bildungsstätten sowie die rechtssprechenden Institutionen (Kraft 1998: 372f). Nur Sarajevo blieb als muslimisches Zentrum auch für die religiöse Bildung wichtig, das sich gleichzeitig einer panislamischen Idee verbunden wusste (Clayer/ Bougarel 2017: 158-162). Die in Albanien selbständig organisierten Bektaschis gehörten in Jugoslawien trotz ihrer nonkonformen Ausrichtung wie andere Sufi-Gruppen zur Islamischen Gemeinschaft (Clayer/Bougarel 2017: 153). Erst 1974 wurde in Jugoslawien der Bund der Erhabenen Islamischen Derwischorden (BKMS: Savez Islamskih Derviških redova Alijje) gegründet, was zunächst auf Widerstand der sunnitischen Dachorganisation stieß. Zudem versuchte Jugoslawien den muslimischen Bevölkerungsanteil zu reduzieren, indem es für die Auswanderung muslimischer Bürger:innen ein Abkommen mit der Türkei abschloss (Clayer/Bougarel 2017: 133f). Infolge des Abkommens zwischen Jugoslawien und der Türkei reduzierte sich auch in Mazedonien die muslimische Bevölkerung und damit die potentielle Beteiligung muslimischer Besucher:innen am NaumKloster. Darüber, wie sich die Abwanderung auf die Identifizierung Naums mit Sarı Saltuk auswirkte, gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Die Rolle der Religionsgemeinschaften war zudem mit der der sprachlichkulturellen Minderheiten verbunden. War Religion im Osmanischen Reich einer der wichtigsten Faktoren zur Einteilung der Bevölkerung, gewannen in Jugoslawien zusätzlich Sprachen an Bedeutung. Das führte zur differenzierteren Wahrnehmung gesellschaftlicher Sprach- und Religionsgemeinschaften. Da diese Entwicklung mit der tendenziellen Abwertung von Religion einherging, kann folglich nicht mehr pauschal die Rede von christlich-muslimischem Kontakt am Kloster sein. Vielmehr erfordert es die neue historische Situation, dass die Besucher:innen auch hinsichtlich ihrer Sprachen differenziert betrachtet werden. Daher soll im Folgenden kurz dargestellt werden, welche sprachlichen und religiösen Minderheiten in diesem regionalen Kontext eine Rolle spielen und wie sich ihre jeweilige soziopolitische Position in Jugoslawien veränderte. Dadurch werden gleichzeitig potentielle Besucher:innen des Klosters bestimmt. In Mazedonien wie in ganz Jugoslawien gab es drei verschiedene Arten sprachlich-kultureller Minderheiten: Im Zuge der Grenzziehung durch sprachlich gemischte Gebiete wurden Bevölkerungsteile zu Minderheiten innerhalb eines Staates oder einer Teilrepublik, die vorher in ihrer Region die Mehrheit bildeten. Da gleichzeitig ein Staat existierte, in dem ihre ethnisch-kulturelle Gruppe die bestimmende Mehrheit bildete, kann diese Gruppe als nationale Minderheit bezeichnet werden. In Mazedonien gehören bis heute insbesondere die Albaner:innen
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dazu, die die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe sind. Eine andere Art nationaler Minderheit bilden in Mazedonien beispielweise türkische und bosnische Einwohner:innen. Auch sie wurden erst mit dem Zerfall des Osmanischen Reichs und der Grenzziehung zu einer nationalen Minderheit. Im Unterschied zur albanischen Minderheit waren sie vorher keine Mehrheit in der Region, da die Staaten, in denen ihre ethnisch-kulturelle Gruppe die Mehrheit darstellt, keine Nachbarstaaten Mazedoniens sind. Schließlich gab es noch eine dritte Art von Minderheiten, deren Gruppen keinen eigenen Staat hatten und haben. In ganz Mazedonien zählten dazu vor allem Roma und Aromun:innen. In Mazedonien stellte die muslimische Bevölkerung die religiöse Minderheit mit der wahrscheinlich größten ethnischen Bandbreite (Kraft 1998: 370f). Die Größe der albanisch-muslimischen Minderheit führte vor allem aus Sicht muslimischer slawischsprachiger Minderheiten zunehmend zur Angst vor albanischer Vereinnahmung (Kraft 1998: 374-376). Mit der religionspolitischen Entspannung in Jugoslawien wurde Ende der 1960er Jahre neben der religiösen Bezeichnung musliman die nationale Kategorie Musliman eingeführt, die jedoch nur die slawophonen muslimischen Gruppen Bosnien-Herzegowinas bezeichnete (Clayer/Bougarel 2017: 136). Kleinere slawischsprachige Gruppen, wie die Torbeschis in Mazedonien, waren davon ausgeschlossen. Das führte dazu, dass sich jene slawophonen muslimischen Minderheiten an die Muslimani BosnienHerzegowinas oder die Albaner:innen als größere anerkannte Gruppen anpassten (Clayer/Bougarel 2017: 139f). Beide Fälle bedeuteten wiederum einen Verlust für die mazedonische Bevölkerungszahl, worauf die Regierung mit politischen Initiativen zur Stärkung der mazedonischen Identität der Torbeschis reagierte. Demzufolge beschränkte sich die Debatte um die Minderheiten nicht nur auf die Diskussion um religiöse Zugehörigkeiten, obwohl diese deren wichtigster Faktor waren. Auffallend ist, dass tendenziell bei muslimischen Minderheiten ethnisch-sprachlicher Zugehörigkeit eine höhere Bedeutung zukam: Die orthodox geprägte aromunische Minderheit etwa gelangte kaum in den Fokus des Interesses, weshalb ihr kulturelles Leben auch nicht aktiv politisch beeinflusst wurde (Dahmen 2005: 72). Allerdings fiel ihr ethnisches Bewusstsein der jugoslawischen Assimilierungspolitik zum Opfer (Šisler 2016: 178-181). Auch die christlich-muslimisch gemischte Roma-Gemeinschaft war aufgrund ihrer Mitgliederanzahl wesentlich präsenter in der Öffentlichkeit und tendierte erst mit Beginn der Ausbreitung jugoslawischer Ideologie zur Assimilierung (Hofmeisterová 2016: 288; Marushiakova/Popov 2012: 5; Marushiakova/Popov 2016: 20). In Mazedonien und im Kosovo nahm das ethnische Bewusstsein der albanischsprachigen Roma zu, so dass sie schließlich begannen, eine eigene Gruppe zu bilden (Marushiakova/Popov 2016: 37f). Trotz der Toleranz und des Integrationswillens seitens der jugoslawischen Regierung zeigten sich jedoch im Bereich der Bildung
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und hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage große Unterschiede (Hofmeisterová 2016: 290-295). Die türkische Minderheit genoss besonders unter anderen muslimischen Gruppen hohes Ansehen (Pikal 2016: 312-320). Infolgedessen stieg ihre Zahl in den Statistiken, was teilweise von der jugoslawischen Regierung angestrebt wurde. Gleichzeitig unterstützte Jugoslawien jedoch die Vertreibung der Minderheit in die Türkei. Die Förderung der Assimilation muslimischer Gruppen an die türkische Bevölkerung seitens Jugoslawiens ging vor allem zu Lasten der albanischen Minderheit, die zu Beginn der 1960er Jahre begann, sich dagegen zu wehren. Die albanische Bevölkerung Jugoslawiens hatte aufgrund ihres sprachlichen Alleinstellungsmerkmals, ihrer Geschichte und des benachbarten Albaniens ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, eine eigene ethnische Gruppe zu bilden, und forderte deswegen ihre Gleichstellung ein (Heler 2016: 355-364). Allerdings endeten die verschiedenen politischen Bemühungen in der Diskriminierung albanischer Bevölkerung durch den Staat, die bis in die Gegenwart wirken. Die Schließung der Grenze zwischen Albanien und Jugoslawien sich sowohl auf politischer als auch auf privater Ebene auf transnationale Beziehungen aus. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Religion bei der Entstehung der mazedonischen Nation neben Sprache, Geschichte und Territorium nur einen weiteren Faktor darstellte. Das von der politischen Elite angestrebte Ergebnis lässt sich infolgedessen als Kulturnation im Sinne einer »Fortsetzung der Ethnie« bezeichnen (Sundhaussen 2016c: 635). Während Religion wegen des millet-Systems anfangs einen ausschlaggebenden Faktor für die nationale Loslösung vom Osmanischen Reich darstellte, übernahm bei der mazedonischen Nationsbildung im sozialistischen Jugoslawien vor allem die mazedonische Sprache diese Funktion. Mit der Aufwertung der sprachlichen Unterschiede und der Abwertung der Religionen ging eine zunehmende Ausdifferenzierung der Bevölkerung nach sprachlich-kulturellen Gesichtspunkten einher, so dass zwischen verschiedenen sprachliche und religiöse Minderheiten unterschieden werden musste. Die Etablierung der MPC, die entgegen der sozialistischen Religionspolitik in Jugoslawien als einzige religiöses Institution staatlich gefördert wurde, steht im Kontrast zur allgemeinen Politik, andere religiöse oder sprachliche Gruppen in den staatlich vereinheitlichenden Strukturen aufgehen zu lassen. 3.2.2.2 Albanisches Streben nach Einheit
In Albanien spielte Religion im Vergleich zu den restlichen Ländern Südosteuropas bei der Nationsbildung eine völlig andere Rolle. Der Grund dafür lag in der religiösen Heterogenität der albanophonen Bevölkerung. Im Norden fanden sich vor allem Sunnit:innen und Katholik:innen und im Süden Orthodoxe und Bek-
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taschis. Verglichen mit dem Territorium der Südslaw:innen gab es zudem auch nur ein kleines mehrheitlich albanophones Gebiet. Demnach wählte die politische Elite andere Kriterien für die Nationsbildung, darunter insbesondere die Sprache. Da das Naum-Kloster direkt an der Grenze zu Albanien liegt, greifen seine potentiellen Besucher:innen aus Albanien folglich auf andere historisch-politische Erfahrungen zurück als diejenigen aus Mazedonien. In den folgenden Ausführungen geht es aus diesem Grund darum, wie sich die Relevanz von Religion in Albanien veränderte, die die Wahrnehmung und das Verhalten der albanischen Besucher:innen am Naum-Kloster beeinflusste. Die Bildung einer albanischen Nation begann vor der Anerkennung eines albanischen Staats mit der »Liga von Prizren« (alb. Lidhja e Prizrenit), deren Geschichte auch mit der Grenzziehung Mazedoniens verbunden ist. Ursprünglich entstand die »Liga von Prizren« 1878 als muslimische Initiative zum Schutz der albano- und slawophonen muslimischen Bevölkerung im Rahmen der sich verändernden politischen Lage nach dem russisch-osmanischen Krieg (Endresen 2012a: 50). Als albanisch-slawische Verbindung war sie relativ erfolglos, da sich die muslimisch-albanische Bevölkerung von den orthodox geprägten, slawischen Nachbarländern bedroht sah. Die »Liga von Prizren« entwickelte sich daher zunehmend zu einer religionsübergreifenden albanischen Gruppe, in der sich auch albanische Katholiken einbrachten (Endresen 2012a: 51). Im Zuge dessen verlor die Gruppe nicht nur ihre religiöse Färbung, sondern streifte Religion bewusst als Identitätsfaktor ab. Schließlich richtete sich die Gruppierung nicht mehr gegen die Vereinnahmung durch die benachbarten Länder, sondern strebte eine Autonomie vom Osmanischen Reich an. Die Grundlage dafür bildete unter anderem die albanische Sprache, die mit keiner der angrenzenden Sprachen näher verwandt ist und dadurch unter der albanischen Bevölkerung Einheit stiften konnte. Das angestrebte Großalbanien sollte alle Territorien umfassen, in denen albanisch gesprochen wurde – wenn auch nur von einem Teil der Bevölkerung (Musaj 2011: 177f). Das betraf auch einen großen Teil des Territoriums der heutigen Republik Mazedoniens. Gleichzeitig erhoben die griechischen, serbischen und italienischen Nachbarländer territorialen Anspruch auf das albanischsprachige Gebiet (Portmann 2011: 562f). Erst 1921 wurde Albanien als Staat fraglos von den Nachbarländern anerkannt. Allerdings stand die Grenzziehung im Anschluss wieder zur Diskussion. Dies wird beispielsweise am Naum-Kloster und der unklaren Formulierung der Grenzkommission, die festgelegt hatte, dass das Gebiet »von Lin bis Sv. Naum« zu Albanien gehören solle.13
13 Mehr dazu im Kapitel 4.2.3 Das Kloster: Schauplatz kirchen- und nationalpolitischer Auseinandersetzungen.
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Religion spielte in Albanien nur eine periphere Rolle. Bereits 1878 prägte Pashko Vasa den Ausdruck: »Schaut nicht auf die Kirchen und Moscheen. Die albanische Religion ist das Albanertum.« (alb. Mos shikoni kisha e xhamia: Feja e shqyptarit asht shqyptaria.), der bis in die Gegenwart identitätsstiftend wirkt (Endresen 2012a: 1). Die Bildung einer albanischen Nation basiert auf der Zusammenstellung verschiedener Ideen und Annahmen, auf die seit 1912 immer wieder zurückgegriffen wurde. Die Hauptelemente jener Zeit fasst die Religionswissenschaftlerin Cecilie Endresen in ihrer Untersuchung über die symbolische Nationsbildung Albaniens zusammen: »Albanians are united by blood and language. Modern Albanians are the direct descendants of the Illyrians of antiquity. Albanian national consciousness predates the advent of political nationalism. National identity is completely detached from religion. Religious differences do not matter to Albanians. Albanians have special skill and traditions as regards religious tolerance.« (Endresen 2014: 202f)
Auf dieser Basis konnte die Bevölkerung, die sich zuvor vor allem lokal über Faktoren wie Familie, Arbeit und Religion identifizierte, vereinheitlicht werden. Die Betonung von Sprache als verbindendes Element gegenüber trennender Religionen ist auch in der albanischen Staatsbildung nur das Ergebnis identitätspolitischer Auseinandersetzungen. Sprache spielte aufgrund der vielen Dialekte zunächst keine Rolle für ein gesamtalbanisches Bewusstsein. Vor dem Hintergrund der heterogenen Bevölkerung und den vielfältigen persönlichen und regionalen politischen Interessen zentralisierte und modernisierte Ahmet Zogu als König den albanischen Staat (Endresen 2014: 203f). Dazu enthob er zum Beispiel die mittelalterliche Figur des christlichen Fürsten Gjergj Kastrioti, Skënderbeu genannt, seines christlichen Kontexts, dessen mehrdeutiges Erbe Zogu beanspruchte. Die Säkularisierung des Staats wurde jedoch bereits 1920 vor Ahmet Zogus Regentschaft festgelegt (Myteveli 2018: 141). Parallel zu ersten Säkularisierungsansätzen wurde Religionsausübung stärker staatlich kontrolliert und Toleranz gegenüber den verschiedenen Religionsgemeinschaften gesetzlich verankert (Myteveli 2018: 141-143). Ausschlaggebend dafür war Zogus eigene religiöse Indifferenz, die ihn – möglicherweise angeregt durch die Ideen der islamischen Reformgruppe der Ahmadiyya – dazu brachten, ein Gleichgewicht zwischen den Religionen anzustreben (Endresen 2012a: 16, 63). Diese staatlichen Vorschriften isolierten die Religionsgemeinschaften, die sich gleichzeitig auf institutioneller Ebene etablierten. Die sunnitisch-muslimische Gemeinschaft entwickelte in den 1920er Jahren zunehmend ein eigenes Profil, dass die albanische Nationsbildung unterstützte (Myteveli 2018: 143f). Beispielsweise wandte sie sich vom Kalifat ab, verbot Polygamie und Kopftuch. Zudem entwi-
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ckelte sich innerhalb der Gemeinschaft eine Debatte, ob sie sich nach Osten oder nach Westen orientieren solle. Auch die Gemeinschaft der Bektaschis etablierte sich unter Zogus Herrschaft. Im Jahr 1930, fünf Jahre nachdem die Bektaschis gemeinsam mit allen weiteren Sufi-Orden in der neugegründeten türkischen Republik verboten worden waren, siedelte der albanisch-stämmige Dedebaba Salih Niyazi als Oberhaupt nach Tiranë über (Clayer/Bougarel 2017: 97). Schon ab 1921 fanden drei Kongresse statt, aus denen Statuten für die neue Gemeinschaft hervorgingen. Allerdings blockierte ein Teil der sunnitischen Gemeinschaft die Anerkennung der Bektaschis, weil sie diese als muslimische Gruppe mitvertreten wollten. Mit der Ankunft des Oberhaupts wurde in Tiranë 1930 auch die Tekke gebaut, die 1945 zur Kryegjyshata botërore Bektashiane, zum Hauptsitz der Bektaschis weltweit wurde (Endresen 2012a: 23). Die orthodoxe Kirche strebte in dieser Zeit Autonomie, die staatlicherseits durch die Einführung des Albanischen als Liturgiesprache und die Anbindung an den Westen und damit der Bruch mit der slawischen und griechischen Liturgie unterstützt wurde (Myteveli 2018: 144f). Allerdings erkannte das Ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel die Autokephalie der Albanisch Orthodoxen Kirche erst 1937 an (Endresen 2012a: 25f). Lediglich zur katholischen Kirche gestaltete sich das Verhältnis trotz guter Beziehungen zu Italien schwierig (Myteveli 2018: 145f). Schwerpunkte der Auseinandersetzungen waren unterschiedliche Auffassungen zum Thema der Ehescheidung und die Einschränkung religiöser Bildungseinrichtungen, weil Bildung zunehmend eine Aufgabe des Staates wurde (Endresen 2012a: 68). Das Verhältnis zur katholischen Kirche verbesserte sich erst mit der Besetzung Albaniens durch Italien im Jahr 1939, wodurch andere Religionsgemeinschaften jedoch nicht beeinträchtigt wurden (Myteveli 2018: 147f). Auf der Grundlage dieser identitätsstiftenden Momente baute das sozialistische Regime auf, indem es potentiell staatsbedrohliche Feindbilder schuf, was zur kompletten Abschottung führte (Endresen 2014: 204). Das umfasste sowohl die Abschottung von anderen sozialistischen Ländern als auch die Isolierung der Religionsgemeinschaften von ihren internationalen Netzwerken, was in das Verbot aller Religionen mündete. Die Religionspolitik jener Zeit lässt sich in drei Stufen einteilen (Ceka 2010: 220). Im ersten Schritt wurden 1945 bis 1949 Gemeinschaften hinsichtlich ihrer Bildungsfunktion und internen Organisation beschnitten sowie durch Enteignung wirtschaftlich geschwächt. In diesen Zeitraum fiel auch die Schließung der Grenze, die zum Beispiel die albanische Bevölkerung aus der Region zwischen Pogradec und Korçë daran hinderte, das Naum-Kloster auf der mazedonischen Seite zu besuchen. Damit sank die Chance christlich-muslimischer Kontakte am Kloster noch vor dessen Umwandlung in ein Museum. Ab 1950 wurden die Gemeinschaften systematisch abgebaut und ab 1967 fuhr das sozialistische Regime unter der Diktatur Enver Hoxhas mit der Erklärung Alba-
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niens zum ersten atheistischen Staat einen gezielten Kurs gegen die Religionen. Vom Rückbau der Religionsgemeinschaften und der Schließung der Grenzen war vor allem der Bektaschi-Orden, die jüngste auf albanischem Boden etablierte Religionsgemeinschaft, betroffen gewesen sein. Während die anderen Religionsgemeinschaften schon seit mehreren Jahrhunderten in Albanien vertreten waren, verbreiteten sich die Bektaschis größtenteils erst im Laufe des 19. Jahrhunderts. Erst seitdem dürfte sich auch die Vorstellung verbreitet haben, in Naums Grab läge Sarı Saltuk begraben. Angesichts der jungen Geschichte der Bektaschis in Albanien stellt sich die Frage, wie nachhaltig der Versuch war, die Sarı-SaltukVorstellung zu etablieren. Im sozialistischen Albanien wurden die Religionsgemeinschaften im Zuge der Atheisierungspolitik enteignet, was sich nicht nur auf deren Ländereien beschränkte. Mit dem Religionsverbot wurden alle religiösen Einrichtungen geschlossen, umfunktioniert oder abgerissen. In Pogradec wurde beispielsweise 1967 die Moschee Ebu Bekr abgerissen und anschließend durch ein Kino an gleicher Stelle ersetzt, das 1991 wieder in eine Moschee umgewandelt wurde (EN 11.07.2016). Die etwa 20 Meter von der damaligen Moschee entfernte Türbe Shën Konstandin wurde ebenfalls entfernt (Gusho 2000: 58f). Die alte Kirche Fjetja e Shën Mërisë (Entschlafung der heiligen Maria) war bis 1991 ein Lager (alb. magazin) (Gusho 2000: 59-65). Die Bektaschi-Tekke in Melçan dagegen diente aufgrund ihrer erhöhten Lage als Militärstützpunkt (Gaber 2016b). Eine Ausnahme scheint die Kirche Shën Marenë zu sein, da sie – auch heute noch – schwer erreichbar im Gebirge liegt, was den kommunistischen Einfluss fernhielt (EN 27.08.2017). Die Regierung veranlasste in den meisten Kirchen die Entwendung der Einrichtung, deren Ikonen und Ikonostasen das Museum für mittelalterlichen Kunst in Korçë seit 1980 ausstellt (EN 23.07.2016). Rückblickend wird deutlich, dass auch der in Albanien implementierte Atheismus als wichtiger Bestandteil der sozialistischen Ideologie lediglich eine Ersatzreligion darstellte, die alle traditionellen Religionen als Deutungssysteme ersetzen wollte (Ceka 2010: 216f). Begleitet wurde diese religionspolitische Entwicklung zum Teil durch außenpolitische Umstände wie die Abwendung von Jugoslawien im Jahr 1948 (Ceka 2010: 221), die mit der Grenzschließung einherging (Heler 2016: 357f). In dem Zusammenhang wurde der Atheismus kommunistisch-ideologisch untermauert: Religion widerspreche dem Kommunismus, stehe gegen die moderne wirtschaftliche Entwicklung des Landes und sei in der albanischen Bevölkerung das Ergebnis vom Zwang der Fremdherrschaften (Ceka 2010: 223f). Der Kurs äußerte sich in allen Bereichen des beeinflussbaren öffentlichen und privaten Lebens und fand in der Bevölkerung teilweise großen Anklang, so dass Religion höchstens als geheime Privatsache gelebt wurde (Ceka 2010: 224-227).
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Erst 1987, zwei Jahre nach dem Tod des Diktators Enver Hoxha begann sich Albaniens Politik langsam für religiöse Themen zu öffnen (Ceka 2010: 227-229). Die kommunistische Nationsbildung richtete sich nicht nur gegen die Religionen, sondern auch gegen das herrschende patriarchale Kultursystem, das besonders im ländlichen Raum und in der Gebirgsperipherie vorherrschte (Musaj 2011: 196-198). Zudem kamen – wie in Mazedonien – auch in Albanien im Zuge der Grenzziehung und der Ausdifferenzierung der Bevölkerung verschiedene sprachliche und kulturelle Minderheiten zum Vorschein. Ein Großteil davon fiel auch der Politik zum Opfer: Obwohl sich Albanien bereits 1921 offiziell dem Minderheitenschutz verschrieben hatte, kam es diesem nur in geringem Umfang nach (Stoppel 2003: 15-17). Da Minderheiten sich im albanischen Sinn »nach Sprache, Ethnie und Siedlungsgebiet« definierten, sank der prozentuale Anteil der Minderheiten (Stoppel 2003: 26-30). Die aromunische Bevölkerung und die Roma verschwanden mit diesen Kriterien ganz aus den Statistiken. Die gezielte Ansiedlung von albanischen Familien in Minderheitsgebieten sowie eine diskriminierende Bildungspolitik förderten eine Politik der Albanisierung den Minderheiten gegenüber. Die ethnischen und nationalen Minderheiten waren folglich aufgrund ihres geringen Bevölkerungsanteils auch »minderwertige und minderberechtigte Gruppen« (Jahn 2007: 9-12). Für Albanien lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Religion im Prozess der Nationsbildung eine untergeordnete Rolle spielte, die zunehmend von der Regierung verdrängt wurde. In diesem Zusammenhang war auch der Verlust des Naum-Klosters als Teil des albanischen Staatsterritoriums spätestens für das sozialistische Regime nicht mehr von Interesse. Dies steht im Kontrast zu den anderen südosteuropäischen Ländern, die auch in der Tradition des osmanischen millet-Systems anfangs eher Religion hohe Relevanz zumaßen. Im Gegensatz zu Mazedonien war die Bevölkerung Albaniens in religiöser Hinsicht wesentlich heterogener, weswegen religiöse Vielfalt sich nicht als Grundlage einer gemeinsamen Nation anbot. Sprachlich-kulturell betrachtet war die Bevölkerung dagegen wesentlich homogener, was Sprache als ein Merkmal nationaler Einheit förderte. 3.2.3 Fazit: Zwischen Separation und Vereinheitlichung
Im 19. Jahrhundert wurde im Osmanischen Reich mit der Verstärkung des milletSystems entgegen den Reformgedanken die Idee der Nationsbildung auf religiöser Basis gefördert. Durch die tanzimat-Reformen wurden zuvor existierende Tendenzen innerhalb der Bevölkerung, religiöse Zugehörigkeit neben Beruf und Familie als identitätsstiftenden Faktor zu sehen, gefestigt. Die Eliten, die im Kontakt mit Westeuropa standen, konnten für die Implementierung westlicher Nationsideen
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auch auf die osmanische millet-Vorstellung zurückgreifen. Dadurch wurde die religiöse Zugehörigkeit einmal mehr politisch instrumentalisiert. Wie konsequent diese Politisierung war, verdeutlichte der Statuswandel der Religionen unter den verschiedenen politischen Regierungen und ihren Ideologien. In Mazedonien als späte Teilrepublik Jugoslawiens und in Albanien wurden politische Kurse verfolgt, die hinsichtlich Religion kaum unterschiedlicher hätten sein können: Während in Mazedonien im Zuge der Nationsbildung erst die MPC zur Abgrenzung von Bulgarien und der Schwächung der SPC gegründet wurde, wurden in Albanien zur Etablierung einer homogenen albanischen Nation alle Religionen verboten und als Nebensächlichkeit herabgestuft. Während der sozialistischen Zeit verlor auch das Naum-Kloster an gesellschaftlicher Relevanz, obwohl es bei der Grenzziehung zwischen Albanien und Jugoslawien ein wichtiger Streitpunkt gewesen war. Die Enteignung des Klosters im sozialistischen Jugoslawien, die Parallelen in Albanien hat, zeigt exemplarisch, dass sich politische Ideologien zudem auf verschiedene Bereiche der Religionen auswirkten: Durch die Enteignung und Umwandlung in ein Museum bewertete der Staat religiöse Kunst und Architektur nicht nur stärker als allgemeines historisches Kulturgut, sondern griff gleichzeitig auch in finanzielle Angelegenheiten und innere Strukturen ein. In beiden Ländern war Religion in Bezug auf die angestrebte Gründung einer Kulturnation jedoch nur ein Aspekt neben anderen. Daneben wurde vor allem Sprache als Faktor der Bildung beider Nationalstaaten instrumentalisiert: Während in Mazedonien die großen Ähnlichkeiten zum Bulgarischen und zum Serbischen für Auseinandersetzungen und die Spaltung der historischen Großregion sorgten, wurde die albanische Sprache, die mit keiner der angrenzenden Sprachen näher verwandt ist, trotz großer dialektaler Unterschiede für die Bevölkerungsgruppe einheitsstiftend. Grund dafür war die seitens der albanischen Bevölkerung wahrgenommene Dominanz der religiösen Gruppen in den christlichen Nachbarländern. Während mit der sogenannten Slawenmission bereits im Mittelalter die Grundlage der slawophonen orthodoxen Kirchen neben die der graecophonen orthodoxen Kirche gelegt wurde, fehlte diese sprachliche Grundlage unter der albanophonen christlichen Bevölkerung.
3.3 R ELIGION IN DEN ETHNISCH UND RELIGIÖS PLURALEN GESELLSCHAFTEN DER GEGENWART Nach dem Ende der sozialistischen Regime zu Beginn der 1990er Jahre, die durch religionsabwertende Politik gekennzeichnet waren, lebten Religionsgemeinschaften in Mazedonien und Albanien angesichts der politisch wiedergewährten Reli-
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gionsfreiheit neu auf. Ohne eine detaillierte Entwicklung seit Beginn der 1990er Jahre nachzuzeichnen, sollen im Folgenden die Tendenzen religiöser Bedeutung in den beiden Staaten diskutiert werden. Aufgrund der unterschiedlichen historischen Erfahrungen seit der Abwendung Albaniens von Jugoslawien und anderen sozialistischen Staaten ist eine grenzübergreifende Betrachtung des Untersuchungsgebiets kaum möglich. Deswegen ist nachfolgend das Einzugsgebiet des Naum-Klosters, aus dem die lokalen Besucher:innen kommen und das durch eine Grenze geteilt ist, im Kontext der jeweiligen Staaten zu betrachten. Vor dem Hintergrund von Statistiken und gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen werden auch anhand von Feldforschungsdaten Spezifika des Religionsdiskurses besonders mit Blick auf das Zusammenleben dargestellt. Die Zustands- und Tendenzbeschreibungen von Religion in den beiden Ländern sind ein Ausschnitt weiterer Lebenswirklichkeit der Besucher:innen des Naum-Klosters, deren Handlungen den Ort vor dem Hintergrund seiner Vergangenheit deuten. 3.3.1 E thnopolitische Konflikte entlang der Religionsgrenzen im multiethnischen Mazedonien
Mit der Loslösung von Jugoslawien erlebten die Religionsgemeinschaften auch im selbständigen Mazedonien im Zusammenhang ethnischer, sprachlicher und kultureller Zugehörigkeiten wieder einen Aufschwung (Cacanoska 2015). Vor allem die Mazedonisch Orthodoxe Kirche (MPC) und die Islamische Religionsgemeinschaft (IVZ) beherrschen die Öffentlichkeit. Die MPC scheint dadurch, dass sie die mitgliederstärkste Religionsgemeinschaft ist, in der Bevölkerung größere Akzeptanz zu erfahren, obwohl ihre Unabhängigkeit in den Reihen der orthodoxen Kirche nicht anerkannt wird. Mazedoniens Selbständigkeit verschärfte den Konflikt, indem die SPC die MPC 1994 aufforderte, sich als ehemaliges Ohrider Erzbistum wieder der Jurisdiktion der SPC zu unterstellen, was die MPC jedoch nicht tat (Cepreganov et al. 2014: 427f). 2002 kam es erneut zu Gesprächen zwischen den beiden Kirchen, im Zuge derer sich die SPC bereit zeigte, die Autonomie der MPC, aber nicht deren Autokephalie anzuerkennen. In diesem Zusammenhang zeigte sich auch die nationsbildende Funktion der MPC für die mazedonische Politik, als der damalige Präsident Boris Trajkovski die fehlende Anerkennung der Autokephalie der MPC mit der fehlenden Anerkennung der Unabhängigkeit des mazedonischen Staates verglich. Um eine Einigung zu erzielen, änderte die Synode der MPC im Jahr 2009 ihre Verfassung, indem sie die Bezeichnung »Ohrider Erzbistum« (maz. Ohridska Arhiepiskopija, OA) als Verweis auf ihre jahrhundertelange Tradition ergänzte. Die Versuche des Moskauer Patriarchats, zwischen beiden Kirchen zu vermitteln,
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scheiterten unter anderem an dessen engen Beziehungen zur SPC sowie an ähnlichen Separationstendenzen der orthodoxen Kirche in der Ukraine (Cepreganov et al. 2014: 429). Im Oktober 2018 schöpften Vertreter der MPC im Zusammenhang mit der Autokephalie der Ukrainisch Orthodoxen Kirche erneut Hoffnung, offiziell als unabhängige Kirche bestätigt zu werden (Marusic 2018a). Die IVZ gründete sich als Nachfolgeorganisation der früher für ganz Jugoslawien zuständigen Institution, die ihren Sitz in Sarajevo hatte, und agiert von Skopje aus auf nationaler Ebene (Rexhepi 2018: 10f). Probleme der Anerkennung als unabhängige Organisation, wie sie die MPC erlebte, hatte die IVZ in Mazedonien nicht. Stattdessen diskutiert die IVZ intern seit einigen Jahren die Frage nach salafistischen und wahabitischen Einflüssen und danach, wie diese zu vermeiden sind (Clayer/Bougarel 2017: 201-208; Rexhepi 2018). Diese Diskussion gewann dadurch auch für die mazedonische Gesellschaft an Relevanz, als syrische Flüchtlinge auf der sogenannten »Balkanroute« durch Mazedonien nach Westeuropa gelangen wollten. Gleichzeitig besteht ein generelles Interesse daran, die muslimische Gemeinschaft des Balkans von der muslimischen Gesamtgemeinschaft, der ummah, als europäisch zu unterscheiden (Rexhepi 2017: 68). Der politische Wandel äußert sich auch physisch in der Rückgabe von religiösen Gebäuden und Ländereien sowie dem Neubau von Gebetshäusern, die auch ein Zeichen gelebter Religionsfreiheit sind. Im Zuge der Unabhängigkeit Mazedoniens gab der Staat Gebäude und Ländereien wieder an die Religionsgemeinschaften zurück, denen das vorherige Regime sie weggenommen hatte. Die sogenannte »Denationalisierung« des Besitzes der Religionsgemeinschaften wurde jedoch nicht zur Zufriedenheit aller Beteiligten durchgeführt. Die Yeni Cami, die Neue Moschee, in Bitola wird vom Kulturministerium immer noch als Kunstgalerie betrachtet (EN 14.10.2016). Das Kloster Sveta Bogorodica in Veljusa bei Strumica und die Kirche Sveti Ilija in Star Dojran stehen unter Denkmalschutz, so dass das Kulturministerium über die Nutzung und Veränderung der Räume entscheiden kann (EN 09.07.2018). Kritisch ist auch der Fall der Tekke Harabati Baba in Tetovo, die vor der Enteignung zum Besitz der Bektaschis gehörte. Diese Tekke wurde im Zuge der Denationalisierung an die sunnitische IVZ übergeben, da die Bektaschis in Jugoslawien nicht selbständig registriert waren (Reuter 2019: 229-231). Ihre Rückgabe ist bis in die Gegenwart ein Streitpunkt in der heiklen Angelegenheit der Registrierung der Bektaschis als eigene Gruppe. Die Schwierigkeiten der Bektaschis auf der Mesoebene, sich als staatlich anerkannte Gruppe zu registrieren, weist auch auf die Situation der ausgelebten Religionsfreiheit auf der Makroebene hin, die von den Interessen der verschiedenen Akteur:innen beeinflusst wird. Überdies lassen diese Schwierigkeiten vermuten, dass die Frage nach der Bedeutung des Naum-Klosters, in dem sie ihren Missionar Sarı Saltuk begraben glauben, für die Bektaschis eine Nebensächlichkeit ist. Allgemein wird
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die Religionsfreiheit vom Staat garantiert und ist von internationalem Interesse, nimmt jedoch auf nationaler Ebene nur untergeordnete Bedeutung ein (Bureau of Democracy 2016; Girevski 2016; Metaj-Stojanova 2015). Außerdem werden neue Moscheen, Kirchen, Tekken und Klöster restauriert oder neu errichtet, was an einen Wettstreit um Vorherrschaft erinnert (vgl. Hayden/Walker 2013: 409): Die Kirche Sveti Kliment i Pantelejmon in Ohrid wurde wieder neu errichtet, nachdem die Reste der Imaret-Moschee entfernt wurden (Ivanova-Reuter 2017: 393f). Neue Moscheen sind vor allem im stärker albanisch besiedelten Westen zu finden (EN 18.07.2016). Neubau und Renovierungen von Kirchen und Moscheen sind Strategien der jeweiligen Religionsgemeinschaft, um die jeweils andere Gruppe in den Hintergrund und die eigene in den Vordergrund zu drängen, und somit der Versuch, sich gegenüber der anderen Gruppe als dominant zu behaupten (Hayden/Walker 2013: 414f). Fast alle Gesprächspartner:innen verwiesen bei der Frage, wie sich das interreligiöse Zusammenleben gestalte, auf die politische Bedeutung der Religionen. Allerdings betonten sie noch stärker die greifbaren interethnischen Spannungen zwischen der orthodox-mazedonischen und der muslimisch-albanischen Bevölkerung. Während meiner Feldforschung befand sich Mazedonien in einer Phase politischen Umbruchs: Im Dezember 2016 fanden die vorgezogenen Parlamentswahlen statt, denen die Bunte Revolution (maz. Šarena Revolucija) vorausgegangen war. Auslöser waren Korruptionsvorwürfe, die gegenüber dem damaligen Premierminister, Nikola Gruevski, erhoben wurden. Auch wenn sich die Aktivismus größtenteils in der Innenstadt von Skopje abspielte, strahlte sie auch in die übrigen Regionen des Landes aus: Im Januar 2017 fand ich im Zentrum Ohrids ein Wahlplakat mit der Aufschrift: Glasaj protiv dvojazična i federalizacija! Glasaj protiv SDSM! (Stimme gegen die Zweisprachigkeit und gegen die Föderalisierung! Stimme gegen die SDSM!). Das anonyme Plakat trägt die politische Handschrift der damaligen Regierungspartei, der Vnatrešna Makedonska Revolucionerna Organizacija – Demokratska Partija za Makedonsko Nacionalno Edinstvo (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit, VMRO-DPMNE). Hintergrund der negativen Wahlkampagne sind die Bestrebungen der damaligen Oppositionspartei, der Sozialdemokratski Sojuz na Makedonija (Sozialdemokratischer Bund Mazedoniens, SDSM). Diese hatte im Wahlkampf versprochen, Albanisch zu einer offiziellen Sprache zu erheben. Die mazedonische Mehrheit fühlte sich von den dadurch gestärkten Rechten der größten Minderheit bedroht. Religion und vor allem Islam spielten dabei jedoch – im Gegensatz zur Wahrnehmung meiner Gesprächspartner:innen – de facto eine untergeordnete Rolle. Allgemein ist Religion in Politik und Öffentlichkeit dennoch relevant. Das zeigen Statistiken und junge Initiativen, die interreligiöse Dialoge und Kontakte
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thematisieren: Die Volkszählung von 2002 erfasste sowohl die religiöse als auch die sprachliche Zugehörigkeit der 2.022.547 Einwohner:innen, kombinierte die Angaben jedoch in keiner Darstellung (Gerasimovski 2002: 197, 334). Die Prozentzahlen lassen jedoch annehmen, dass sich die sprachlichen und religiösen Gruppen nahezu decken: 64,77% der Bevölkerung gab an, orthodox zu sein, und 66,49% sehen Mazedonisch als Erstsprache, 1,22% Serbisch, 0,34% Aromunisch. 33,33% sind laut Statistik »muslimisch«, wobei nicht weiter zwischen sunnitisch und bektaschitisch unterschieden wurde, 25,12% albanisch, 3,85% türkisch, 1,9% Roma, 0,42% bosnisch. Neben den beiden zahlenmäßig größten Religionsgemeinschaften sind 0,35% der Bevölkerung katholisch und 0,03 % gehören einer protestantischen Gemeinschaft an. 1,52% gaben an, einer anderen Religionsgemeinschaft anzugehören. Wieviel Prozent der Bevölkerung jüdisch ist, geht aus der Statistik nicht hervor. Die Alternative »ohne Religion« gibt es in der Darstellung nicht, wodurch die Statistik im Allgemeinen problematisch ist. 0,95% haben außerdem eine andere Erstsprache angegeben. Registriert sind bei der Komisija za Odnosi so Verskite Zaednici i Religiozni Grupi (Kommission für Beziehungen mit Glaubensgemeinschaften und Religionsgruppen, KOVZ) noch weitere Gemeinschaften, die ebenfalls nicht in der Statistik auftreten. Zudem gibt es nicht registrierte Religionsgemeinschaften in Mazedonien, zu denen beispielsweise die Bahá’í gehören. Die Annahme, dass religiöse und sprachliche Zugehörigkeiten deckungsgleich sind, wird am Beispiel kleinerer Gruppierungen widerlegt. Ein Beispiel ist die katholische Kirche, zu der sowohl Albaner:innen als auch Mazedonier:innen gehören. Zudem gibt es seit einigen Jahren eine Albanisch Orthodoxe Kirche, die auf die Initiative von Branko Manoilovski gegründet wurde (EN 22.10.2016). Staatlich anerkannt ist diese Gruppierung als »Religionsgemeinschaft der Orthodoxen Albaner in der Republik Mazedonien« (maz. Verska Zaednica na Pravoslavni Albanci vo Republika Makedonija). Vor dem Hintergrund der Bedeutung, die religiöser Zugehörigkeit im Osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts zugeschrieben wurde, ist nicht unwahrscheinlich, dass eine albanisch-orthodoxe Minderheit in Jugoslawien ihre Sprache zugunsten ihrer religiösen Zugehörigkeit aufgab, um sich der orthodoxen Mehrheit anzupassen. Mit dem 2001 geschlossenen Rahmenabkommen von Ohrid gewannen die albanischen Bürger:innen in Mazedonien mehr sprachliche Rechte (Schrameyer 2006). In den Fällen, in denen das Bewusstsein um eine albanisch-orthodoxe Identität in den Familien aufrechterhalten oder es bei Studien wiederentdeckt wurde, ist es daher auch nicht auszuschließen, dass das albanische Identitätsmoment dadurch wieder erstarken konnte. Die dem Rahmenabkommen folgenden gegenwärtigen Segregationstendenzen verlaufen entlang der Grenze zwischen der christlich-mazedonischen Mehrheitsgesellschaft und der muslimisch-albanischen Minderheit. Religion wird dabei zwar nicht
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explizit thematisiert, jedoch scheint es eine Erwartung zur Solidarisierung der Minderheiten entsprechend ihrer religiösen Zugehörigkeit zu geben (BieleninLenczowska 2009). Auffällig ist in dem Zusammenhang auch, dass erst mit dem Rahmenabkommen neben der MPC auch die IVZ, die katholische Kirche, die Evangelisch-Methodistische Kirche und die Jüdische Gemeinschaft als gleichranging in der Verfassung genannt werden (Detrez 2015: 20f). Diese und andere, kleinere Gruppen sind bei staatlich angebundenen KOVZ registriert. Mit der Registrierung erlangen die Religionsgemeinschaften auch Rechte gegenüber dem Staat, die ihre Finanzierung betreffen: »Once registered, a church, religious community, or religious group is exempt from taxes and is eligible to apply for property restitution for those properties nationalized during the communist era, government-funded projects, and construction permits for preservation of shrines and cultural sites.« (Bureau of Democracy 2017)
Obwohl laut staatlichen Aussagen alle registrierten Gruppen gleichgestellt sind und dementsprechend gleichbehandelt werden, zeugt die Realität immer wieder von dem Gegenteil. Besonders hinsichtlich der Finanzierung von Neubauten und Restaurierungen religiöser Gebäude zeigte sich, dass die MPC als größte Religionsgemeinschaft bei der Verteilung staatlicher Zuschüsse bevorzugt wurde (Bureau of Democracy 2009). Religiöse Stätten werden teilweise auch von Privatpersonen und ohne die Unterstützung der Religionsgemeinschaften, mit denen sie verbunden sind, errichtet. Die Gelder dafür stellen nicht nur Mitglieder der jeweiligen religiösen Tradition bereit, sondern gelegentlich auch Personen aus der Nachbarschaft, die einer anderen Denomination zugehören. Ein albanischer Bektaschi aus der Gegend von Resen berichtete, dass sein Vater Geld für die Errichtung einer Kirche spendete, was unüblich für Albaner:innen aus seiner Gegend sei (EN 10.01.2017). Er ergänzte, dass dieses Verhalten religiös begründet sei. Denn Albaner:innen seien wie westliche Leute, bei denen einzelne Religionen keinen Unterschied machen würden. Dieses Verhalten kann jedoch auch unter Nachbarschaftshilfe gezählt werden (vgl. Baskar 2012; Martić/Belaj 2016: 74). Oftmals geschieht der privat initiierte Bau religiöser Gebäude ohne staatliche Baugenehmigung, was jedoch im Regelfall keine negativen Konsequenzen nach sich zieht (Bureau of Democracy 2009). Grundsätzlich sind alle Gruppen, unabhängig davon, ob sie staatlich registriert sind, finanziell selbst für sich verantwortlich. Das betrifft sowohl Bauprojekte als auch die Bezahlung von Geistlichen und Mitarbeiter:innen der jeweiligen Gemeinschaft. Konkret bedeutet das, dass alle Aktivitäten über Spenden und Dienstleistungen an die religiösen Organisationen finanziert werden. Religiöse Dienstleistungen sind vor allem seelsorgerischer Art, die Menschen in schweren
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Lebensphasen oder Lebensübergängen begleiten wie der Geburt eines Kindes, bei Trauungen, Beerdigungen, Krankheiten und anderen Schicksalsschläge. Einige Angestellte verdienen ihren Lebensunterhalt durch zusätzliche Nebentätigkeiten. Traditionell gehört etwa die Betätigung in der Landwirtschaft dazu, die in Familienbetrieben organisiert ist. Je nach Ausbildung und Möglichkeiten unterrichten Geistliche in höheren Bildungseinrichtungen oder versuchen – wie viele andere Menschen auch – in der Tourismusbranche etwas zu ihrem Lebensunterhalt dazu zu verdienen, indem sie beispielsweise Tretboote vermieten (EN 06.07.2018). Priester legitimieren ihre Nebentätigkeiten mit einem Verweis auf Paulus, der seinen Lebensunterhalt nicht durch seine Missionstätigkeit und durch Spenden der Gemeindemitglieder verdiente, sondern als Zeltmacher (vgl. Apg 18,3). Die christliche Bevölkerung betrachtet dieses Verhalten jedoch ambivalent. Teils zeigt sie Verständnis für die ökonomische Situation der Priester, teils findet sie die Art der Nebentätigkeiten unangemessen. Schließlich unterstellen einige den Priestern als Vertreter der Kirche, sie würden in die eigene Tasche wirtschaften und dadurch die Armen (maz. siromašci) vernachlässigen. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts wird in Mazedonien interreligiöser Kontakt als Teil des interethnischen Verhältnisses betrachtet (Krasniqi 2011; Matevski 2013; Vangeli 2010). Daran zeigt sich, dass Religion zur Stärkung der ethnischnationalen Gruppenidentität politisiert wird. Das betrifft sowohl die orthodoxe und muslimische Mehrheit der in Mazedonien lebenden Bevölkerung, die die Mazedonier:innen und die Albaner:innen stellen, als auch kleinere Gruppen, wie die Torbeschis, die mazedonischsprachige muslimische Minderheit (Bojda 2011; Božinovska 2015; Dikici 2008). Gleichzeitig existiert eine Debatte, wann die muslimische Bevölkerung die Mehrheit ausmachen werde (Mughal 2015: 122f). Dahinter steht die Angst der Mazedonier:innen als Mitglieder der orthodox geprägten, slawischen Titularnation, selbst zu einer Minderheit zu werden oder – vor dem Hintergrund der Erinnerungen an das Osmanische Reich als das »türkische Joch« (maz. tursko robstvo) – zwangsislamisiert zu werden, wie immer wieder in Gesprächen deutlich wurde (EN 02.01.2017). Ein orthodoxer Mazedonier äußerte eine solche rassistisch anmutende Perspektive aufgrund eigener Erfahrungen, die die prägende jugoslawische Propaganda sowie persönliche Erfahrungen im Kosovokrieg umfassten. Dabei stellte er ethnische und religiöse Zugehörigkeit miteinander gleich. Diese Gleichstellung spiegelt sich auch in den öffentlichkeitswirksamen internationalen Konferenzen zu sogenannten »interreligiösen und interzivilisatorischen Dialogen« wider, die vor dem Hintergrund der bewaffneten Auseinandersetzungen und des Ohrider Rahmenabkommens initiiert wurden (Mojzes 2017: 20). Die Konferenzen finden seit 2007 alle drei Jahre statt, wobei die anfängliche Euphorie nachließ: Nicht nur die Zahl der Teilnehmer:innen wurde durch die Finanzierung
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eingeschränkt, sondern auch die Anzahl der Konferenzsprachen sowie die Dauer (Mojzes 2017: 21-23). Zudem hielt auch die politische Situation im Land die IVZ davon ab, eine Vertretung zu schicken. Der Staat und die UNESCO fördern die Konferenzen, die Aufbereitung und Publikation ihrer Ergebnisse (KančeskaMilevska 2008, 2011, 2016). Andere Formate sind interreligiöse Dialogformate auf Landesebene, wie sie beispielsweise die Konrad-Adenauer-Stiftung fördert (Czymmeck 2018), oder die Fernsehsendung Na ista strana (»Auf derselben Seite«), die von dem Journalisten Marjan Nikolovski initiiert wurde. Nikolovski gründete auch das Internetportal religija.mk, das den Anspruch erhebt, religiös und politisch unabhängig zu sein (Nikolovski 2015). Von der Sendung Na ista strana erzählte mir der Priester Aleksandar Stojanoski aus Tetovo. Im Gespräch wurde deutlich, wie wichtig ihm im interreligiösen Dialog und Kontakt die Bewahrung der Reinheit der Religionen ist. Dabei ging es ihm um den Schutz der Wahrheit und um die Tatsache, dass christliche und muslimische Gläubige nicht zusammen beten können: »Wir Christen haben eine Dogmatik, eine Theologie und die Muslime haben eine andere. Und es wird nicht so eine Annäherung geben, dass wir zusammen zu Gott beten. Das können wir nicht erwarten, das wird niemals passieren. […] Und die orthodoxe Kirche meint und ist überzeugt und das verdeutlicht sie oftmals, dass sie eine Wahrheit in sich hat. Und deswegen will sie nicht, will sie aus Liebe kein gemeinsames Gebet mit anderen. Nicht, weil sie andere nicht liebt, sondern weil es keine Vermischung der Wahrheit geben soll, und unserer Wahrheit entsprechend. Weil, wie ein Heiliger sagte, es kann keinen Dialog in der Liebe geben, wenn es keinen Dialog in der Wahrheit gibt. Zuerst müssen wir akzeptieren, woran wir glauben, wer wir sind, was wir sind, und danach können wir die Liebe zeigen.«14
Die Möglichkeit, dass jemand erst im Dialog mit anderen sich selbst kennen und die Gegenseite schätzen lernen könne (Rötting 2011: 54), scheint in dem Zusammenhang nicht vorstellbar. Der Hinweis auf die Wahrheit betont zudem das tren14 »Ние христијаните имаме една догматика, едно богословие, муслиманите си имаат друго. А не може да дојде до такво приближување, ние да заедно се молиме на бога. Тоа не може да го чекуваме. Тоа не може нкогаш да се случи. […] А православната црква смета и убедена и тоа повеќе пати се покажува дека има вистината во себе си. И затоа од љубов не сака, не сака заедничари молитвеност со другите. Не затоа не ги сака другите туку затоа што не треба да има мешање на вистината, и на вистината според нас. Бидејќи како што вели еден светител, не може да има еден дијалог во љубовта ако нема дијалог во вистината. Прво треба да се сложиме во што веруваме, кои сме, што сме, по потоа да покажеме љубовта.« (Stojanoski 2017)
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nende Element der Religionen zu Lasten von Gemeinsamkeiten und Friedenspotentialen. Dagegen unterschlägt er jegliche Hinweise auf Unterschiede innerhalb des Christentums und des Islams. Die fehlende Differenzierung ist der Mehrheitsverteilung geschuldet: »Christlich« bedeutet meist »orthodox« und »muslimisch« wird im lokalen Sprachgebrauch synonym zu »sunnitisch« verwendet. Das mangelnde Bewusstsein in der Bevölkerung, was »muslimisch« und »sunnitisch« bedeutet, verdeutlichte sich mir zugespitzt im Gespräch mit einem türkisch-albanischen Mann aus Bitola, dessen Familie ich 2017 zum Opferfest besuchte (EN 01.09.2017). Er erklärte mir zunächst, wie er und seine Familie das Opferfest feiern. Er sprach dabei immer wieder von »Muslimen« (maz. muslimani) und war sehr irritiert davon, dass ich das Wort »Sunniten« (maz. suniti) verwendete. Er erklärte mir deswegen, dass »Sunniten« eine »Sekte« und keine »Muslime« seien. Wenn Bektaschis nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft lebten, war vor allem für die christlichen Befragten die Unterscheidung zwischen Sunnit:innen und Bektaschis unklar. Erklärungsversuche vieler nicht sufischer Gesprächspartner:innen, was Derwische seien, brachte verschiedene Vorurteile wie sexuelle Unzucht, schmerzvolle Rituale und andere unmoralische Praktiken zum Vorschein, die durch die Medien vermittelt scheinen. Gegenüber den Tendenzen und Strukturen in Jugoslawien sind die Unternehmungen Mazedoniens als Versuch einer positiven Wertschätzung der religiösen Vielfalt zu betrachten. Denn Ökumene oder interreligiöser Dialog waren keine im multiethnischen und religiös vielfältigen Jugoslawien historisch gewachsenen Instanzen der universitären oder institutionellen Öffentlichkeit (Bremer 2003: 6569). Auch heute fehlt die Religionswissenschaft an den staatlichen Universitäten in Mazedonien. Vertreter:innen der Religionssoziologie, der Geschichts- und Politikwissenschaften sowie der Kunstgeschichte oder der Archäologie setzen sich in Ansätzen mit der Geschichte und den Strukturen der beiden großen Religionsgemeinschaften des sunnitischen Islams und der orthodoxen Kirche auseinander. Religiöse Phänomene, die vom normativen Verständnis dieser Religionsgemeinschaften abweichen, werden dagegen von der Ethnologie oder Folkloristik untersucht. Im Zuge der Säkularisierung entstanden im sozialistischen Jugoslawien vermehrt Kontakte zwischen Personen, die aus unterschiedlichen religiösen Traditionen kamen, jedoch ohne religiöse Interessen. Dies spiegelt sich auch in der gegenwärtigen Wahrnehmung des Einflusses der Religionen und des interreligiösen Kontakts auf das Zusammenleben wider (Manasievski 2016: 101). Ein Türke aus Ohrid betonte, es gebe heute noch »interreligiösen Kontakt auf hohem Niveau« (maz. meǵureligiski kontakt na visoko nivo) und zählte dann die Feiertage auf, an denen sich die christliche und muslimische Nachbarschaft gegenseitig besuche, um einander Glückwünsche auszusprechen: Ostern, Weihnachten, das Ende des Ramadans sowie das Opferfest (EN 15.03.2017). Seine Schlussfolgerung lautet:
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»Es gibt keinerlei Arten von Missverständnissen, sondern Toleranz« (maz. Nema nikakvi nedorazbiranja, nego tolerancija). Der staatlich unterstützte Dialog auf höchster institutioneller Ebene steht folglich den Alltagserfahrungen von interreligiösen Kontakten gegenüber. Entgegen dieser Beobachtung gibt es mittlerweile staatlichen Religionsunterricht an allen Schulen (EN 16.01.2017). Der Religionsunterricht wird allen Schüler:innen unabhängig von ihrer religiösen Tradition erteilt, wobei sie zwischen den beiden Ausrichtungen »Geschichte der Religionen« und »Ethik der Religionen« wählen können (Bureau of Democracy 2009). Das Unterrichtsfach hat das Potential, den interreligiösen Dialog zu fördern, indem religiöse Themen in die Gesellschaft getragen werden. Es gibt allerdings keine Untersuchungen dazu, wie nachhaltig sich dieses Unternehmen gestaltet. Erschwert wird die Möglichkeit des interreligiösen Dialogs vermittels des Religionsunterrichts durch das Schulsystem, das im Zuge des Ohrider Rahmenabkommens zu einer ethischen Separation tendiert. In Punkt 6.5 dieses Abkommens heißt es, dass nur jene Sprachen offizielle Sprachen sind, die von mindestens 20% der Bevölkerung gesprochen werden. In ganz Mazedonien betrifft dies nur das Albanische, auf lokaler Ebene bringt diese Regelung auch anderen Minderheiten das Recht ein, ihre Erstsprache zu verwenden. Das führte dazu, dass »[a]n vielen Schulen […] seit 2001 Schüler nach ethnischer Herkunft in verschiedene Unterrichtsschichten eingeteilt [werden], um mittlerweile gezielt Konfliktsituationen zu vermeiden. […] Die ethnische Separation ist über Elternräte bis ins Ministerium festzustellen« (Vetterlein 2007: 8). Da die religiösen und sprachlichen Grenzen, wie gezeigt, nahezu deckungsgleich sind, verschwindet mit der Trennung der Schüler:innen nach sprachlich-ethnischer Zugehörigkeit auch die Möglichkeit zum interreligiösen Austausch. Religion ist für die meisten Menschen in Mazedonien ein Teil der kulturellen Tradition, daher ist individuelles Interesse an Religion eher selten. Zum Beispiel können Eltern häufig nicht nachvollziehen, wenn sich ihre Kinder für ein asketisches Leben im Kloster entscheiden (Matevski 2011: 122-124). Andererseits ist in der muslimischen Gemeinschaft die Tendenz zu beobachten, dass sich vor allem junge Menschen stärker mit dem Koran und dessen »wahrer« Bedeutung beschäftigen (EN 20.10.2016). Der Mufti von Resen sieht die Entwicklung positiv, weil in den 1930er und 1940er Jahren der Glaube viel stärker gelebt worden sei. Die alten Gläubigen stürben aus und könnten ihre Erfahrung nicht weitergeben. Umso besser finde er es, dass junge Menschen im Zeitalter des Internets einfacher an die richtigen Informationen kämen. Ein Imam aus Tetovo erklärte die Tendenz zur Wahrheitssuche auch mit dem Verweis auf die neuen Ausbildungswege von Imamen: Sie studieren an Universitäten und Medresen und würden nicht mehr von alten Imamen angelernt, wie es früher üblich gewesen sei (EN 22.10.2016). Teilweise gingen sie nun für ihr Studium ins Ausland, wie die Türkei oder Ägyp-
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ten. Dort lernten die nicht-türkischen Studenten Türkisch beziehungsweise alle Studenten Arabisch und könnten dadurch auch relevante Texte im Original lesen. Im Studium werde generell ein Schwerpunkt auf die Beschäftigung mit Koran und Hadithen gelegt, vor deren Hintergrund überlieferte Praktiken und Vorstellungen kritisch hinterfragt würden. Entsprechend könnten die gut ausgebildeten Imame auch ihren Gemeindemitgliedern theologische Inhalte besser vermitteln. Die Tendenzen in Mazedonien lassen sich als Bruch und Kontinuität zur jugoslawischen Vergangenheit zusammenfassen. Ein Bruch mit der jugoslawischen Politik zeigt sich in der öffentlichen Aufwertung von Religion, die zuvor abgewertet und ins Privatleben verdrängt wurde. Eine Kontinuität wird insbesondere im Verhalten der mazedonisch-orthodoxen Mehrheit deutlich, die sich als bestimmende Titularnation versteht. Statt konstruktiv zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen beizutragen, sind die politischen Vertreter:innen oft darauf bedacht, ihre eigene Gruppe zu schützen. Dadurch vertiefen sie die sprachlich-kulturellen Unterschiede der Gesamtbevölkerung und spalten diese dadurch. Im Vergleich zu den Anfängen der Nationalstaatenbildung in Südosteuropa drehte sich das Verhältnis zwischen Sprache und Religion um: Während religiöse Zugehörigkeit bei der Loslösung des Osmanischen Reichs der Hauptfaktor zur Nationenbildung war, wird Religion gegenwärtig eher als untergeordnetes Element betrachtet, dass die Unterschiede zwischen verschiedenen Ethnien und Nationen untermauert. Aus der Aufwertung der Religion in der Öffentlichkeit seit der Unabhängigkeit als Stärkung der kulturellen Unterschiede folgte jedoch nicht, dass Religion auch im Leben der Einzelnen an Bedeutung zugenommen hätte. Nur wenige beachten religiöse Praktiken auch im Alltag und setzen sie konsequent um. 3.3.2 R eligiöse Indifferenz und interreligiöse Toleranz in Albanien
Nachdem sich Albanien in der sozialistischen Zeit vom Rest der Welt abgrenzte und dies durch die Schließung der Grenzen verdeutlichte, öffnete das Land im Jahr 1991 die Grenzen und begann, wieder verstärkt Kontakte mit anderen Ländern aufzunehmen. Dabei brach auch die Diskussion über die eigene Identität neu auf (Endresen 2014: 204f). Die Rehabilitation der Religionen trug dazu bei, dass das sozialistische Albanienbild an Eindeutigkeit verlor. Allerdings ist das steigende Interesse von Einzelnen an der Auslebung der wieder gewährten Religionsfreiheit, das sich in der Zuwendung zu Religionsgemeinschaften abbildet, nur schwerlich mit religiösen Motiven zu begründen (Schmidt 2007: 100f). Vielmehr wandte sich die Bevölkerung verschiedenen religiösen Traditionen aus der wirtschaftlichen Not und in der Hoffnung auf Unterstützung durch die international vernetz-
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ten Religionsgemeinschaften zu. Der Balkanologe Fabian Schmidt schreibt dazu: »Zweifellos bestanden die Gründe oftmals auch darin, Kinder zum Studium ins Ausland zu schicken oder bezahlte Jobs zu ergattern.« Die Aufarbeitung der sozialistischen Vergangenheit Albaniens fand im Allgemeinen »nur sehr schleppend und unfreiwillig« und die der kommunistisch orientierten Religionspolitik und Weltanschauung im Besonderen »so gut wie gar nicht« statt (Ceka 2010: 215). Das unreflektierte sozialistische Erbe zeigt sich auch in der Beobachtung, dass Geistliche zur Untermauerung ihrer Behauptung einer interreligiösen Toleranz in Albanien weiterhin kommunistische Ideen benutzen (Endresen 2010: 233). Allen voran steht dabei die Forderung, dass Religion die albanische Bevölkerung nicht spalten solle. Nachdem das Religionsverbot im Mai 1990 aufgehoben wurde, etablierten sich die vier großen religiösen Traditionen – Katholizismus, Orthodoxie, sunnitischer Islam und Bektaschitum – wieder institutionell. Das zeigt sich besonders an der Wiederbelebung der Kirchen, Klöster, Moscheen und Tekken: Wie in Mazedonien wurden auch vermehrt neue religiöse Gebäude errichtet wie etwa die Kirche Ngjallja e Krishtit (Auferstehung Christi) in Pogradec (Gusho 2000: 65) oder die Moschee im Nachbardorf Rëmenj, die für das wegen Wegzug schrumpfende Dorf sehr imposant ist (EN 07.02.2017). Die vier Religionsgemeinschaften wurden explizit im Zuge der 1998 verfassungsrechtlich garantierten Religionsfreiheit (Art. 10, 24) benannt. Gleichzeitig ist Albanien ein laizistischer Staat, in dem es beispielsweise verboten ist, in öffentlichen Schulen Religion auszuüben, und in dem es keinen Religionsunterricht gibt. Beim Aufbau ihrer Institutionen wurden die Religionsgemeinschaften finanziell und strukturell aus dem Ausland unterstützt (Hofmann 2012: 121). Das änderte sich im Juni 2009, als ein Gesetz die Finanzierung der religiösen Gemeinschaften aus dem Ausland unterband, nachdem diese bereits ein Jahr zuvor von der Steuerpflicht befreit wurden. Stattdessen unterstützt der Staat die vier Religionsgemeinschaften bei bestimmten Projekten. In der Praxis werden diese Bestimmungen jedoch umgangen, was sich etwa an dem Neubau von Moscheen in der ländlichen Peripherie zeigt (EN 07.02.2017). Etwa zwanzig Jahre nach dem Ende des sozialistischen Regimes gab die knappe Mehrheit der 2.800.138 Einwohner:innen Albaniens 2011 im Zensus an, sie sei sunnitisch oder bektaschitisch, wobei 56,7% »muslimisch« und 2,09% »bektaschitisch« angaben (Nurja 2012: 71). Dagegen ordneten sich keine 20% einer christlichen Tradition zu. Zudem äußerten sich etwa 15% nicht zu ihrer Religion, weitere 5% gaben an, besimtarë të pacilësuar, also »unspezifizierte Gläubige« zu sein, und 2,5% definierten sich atheistisch. Im Gegensatz zu der heterogenen religiösen Zugehörigkeit zeichnen die Antworten auf die Frage nach der ethnischen und kulturellen Zusammensetzung ein homogeneres Bild: 82,58% fühlen sich albanisch, etwa 15% äußerten sich wieder nicht dazu. Die restliche Bevölkerung
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ordnete sich der griechischen, mazedonischen, montenegrinischen, aromunischen oder der Roma-Minderheit zu. Eine weitere Tabelle des Zensus zeigt, dass die albanische Bevölkerung tendenziell muslimisch ist, wohingegen die Minderheiten, die nominell mit den Nachbarstaaten assoziiert sind, wie auch die Aromun:innen vorrangig orthodox sind (Nurja 2012: 73). Die Abfrage von religiöser, sprachlicher und ethnisch-kultureller Zugehörigkeit fand 2011 erstmals seit 1950 statt (Hofmann 2012: 120). Allerdings war die Erhebung sehr umstritten, denn die Angaben durften nicht von denen der Behörden abweichen, die aus der sozialistischen Zeit stammten, als Einzelne pragmatisch nach der Prägung der Mehrheitsbevölkerung ihrer Region registriert wurden (Verbica 2011). Angaben, die von denen der Behörden aus sozialistischer abwichen, wurden mit einer Geldstrafe von 700 Euro geahndet. Trotz der verschwindend geringen Anzahl der Minderheiten betrachtet die Bevölkerung Albaniens ihren Staat als multiethnisch (Endresen 2014: 210). Die statistischen Angaben sind dabei auch das Ergebnis von Abwanderungen und Albanisierung der Minderheiten. Im Kontext der Nationsbildung blieb offen, wer zur Nation gehöre: Umfasste die Nation auch die Minderheiten und bildete somit eine Nation aufgrund der Staatsbürgerschaft, in der die ethnisch-kulturelle Zugehörigkeit nachgeordnet war? Oder wurde die Nation auf Basis der Zugehörigkeit zur albanischen Sprachgruppe gebildet, womit eher die Kulturnation als Verlängerung der Ethnie impliziert ist? Auch in Bezug auf die Statistikergebnisse zur religiösen Verteilung der Bevölkerung Albaniens gab es kritische Meinungen. Das zeigen die Erhebungsergebnisse anderer Institutionen, wie der Autokephalen Albanisch Orthodoxen Kirche (Kisha Ortodokse Autoqefale e Shqipërisë, KOASh) oder der Swiss Metadatabase of Religious Affiliation in Europe (KOASh 2012; SMRAE 2018). Obwohl die Prozentzahlen voneinander abweichen, zeichnet sich tendenziell eine muslimische Mehrheit ab. Da die Mehrheit der Staatsbürger:innen Albaniens sich ethnisch als albanisch betrachtet, stellt sich die Frage des Zusammenlebens weniger mit Blick auf ethnisch-kulturelle, als vielmehr hinsichtlich der religiösen Vielfalt. Das interreligiöse Zusammenleben und die Bedeutung von Religion für die gegenwärtige Gesellschaft in Albanien wird je nach Perspektive einem von zwei extremen ideologischen Erklärungen zugeordnet – entweder religiöse Indifferenz oder interreligiöse Toleranz (Schmitt 2010: 9). Eine kritische Auseinandersetzung mit Religion findet in der Wissenschaft aufgrund fehlender Strukturen (Schmitt 2010: 9f) nur in Ansätzen statt. Die Disziplin der Religionswissenschaft fehlt im Fächerkanon der staatlichen Universitäten gänzlich. Religiöse Phänomene werden wie in Mazedonien teils in den Disziplinen der Ethnologie, Soziologie, Geschichts- und Politikwissenschaft sowie Kunstgeschichte und Archäologie thematisiert. Die religiöse Indifferenz entspricht tendenziell nicht dem Selbstbild der albanischen Bevölke-
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rung, sondern einer Außenperspektive (Giakoumis 2010: 88). Sie drückt eine Kritik an der problemlosen religiösen Vielfalt sowie an der religiösen Mobilität aus. Die interreligiöse Toleranz dagegen wird vor allem als Selbstbild tradiert und gelegentlich auf ein Charakteristikum der albanischen Bevölkerung zurückgeführt, das sich durch die Geschichte zieht (Musaj 2011: 14). Die Sprach- und Literaturwissenschaftlerin Shpresa Musaj greift für diese Argumentation bewusst auf internationale Dokumente von Diplomat:innen und anderen Reisenden zurück, die diese Perspektive stützen (Musaj 2011: 15f). Andererseits kann das Bild der interreligiösen Toleranz auch eine Außenperspektive sein, die das unproblematische Zusammenleben von Vertreter:innen verschiedener religiöser Gemeinschaften zum Vorbild für westliche Gesellschaften und als gute Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der EU betrachten (Merdani 2013: 160f; Schmidt 2007: 100f). Die albanische Regierung zeigt sich gegenüber den Religionsgemeinschaften neutral als »part of a pragmatic, calculated strategy to employ the religious diversity in the population to their own advantage« (Endresen 2014: 218). Die genannten Positionen implizieren keine religiöse Perspektive, sondern das essentialistische Verständnis einer statischen Religionszugehörigkeit. Zudem ist die Position vorrangig im Kontrast zum Religionsverständnis in den orthodoxen Nachbarländern zu sehen, in denen Religion im Zuge der Selbständigkeit auch eine nationsbildende Funktion übernahm. Gelegentlich wird die Indifferenz auch auf historische Umstände der Religionsannahme zurückgeführt, was laut Nathalie Clayer jedoch keine ausreichende Rechtfertigung sein kann, sondern positionell begründet sei: »Die Themen der Zwangskonversionen, der Oberflächlichkeit des Islam sowie der Existenz von Kryptochristen und Bektaschi, die selbst als Kryptochristen betrachtet werden, benutzen im Allgemeinen jene, die so die muslimische Identität der Albaner herunterspielen oder beseitigen und die ursprüngliche christliche Identität, zu der sie zurückkehren möchten, fördern wollen.« (Clayer 2003a: 324)
Auch meine eigenen empirisch erhobenen Daten sind diesbezüglich zweideutig. Die Idee der interreligiösen Toleranz, die auf Pashko Vasa zurückgeführt wird, begegnete mir immer wieder mit dem Schlagwort tolerancë e harmoni (Toleranz und Harmonie) (EN 21.07.2016). In abgewandelter Form führt eine muslimische Lehrerin der islamischen Schule (medrese) für Mädchen in Korçë, die von der Türkei finanziert wird, den verbindenden Gedanken Pashko Vasas an: Feja e shqiptarit është shqiptaria (Die Religion des Albaners ist das Albanertum), ohne ihn dem Urheber zuordnen zu können (EN 01.02.2017). Dagegen betont der Metropolit von Korçë im Interview die Basis des friedlichen Zusammenlebens explizit aus der christlichen Perspektive heraus:
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»I think it’s the duty of all the Christian[s] to love everybody and to try to help them. Dialogue doesn’t mean that you agree with everything. But it’s much better to have a dialogue than to fight. And we have to find ways how to live together without compromise our religion and our beliefs, but to find ways how to live. Preaching hatred is not something that belongs to Christianity. […] For sure there are tendencies and different thoughts, radicals and we will always have these things. But as a Christian we should understand that we don’t have enemies. They can see us as a[n] enemy, but we cannot see in the same way. What I mentioned before that they always remain our brothers and if we think they are wrong, still our brothers that are wrong. And this has been in the centuries the core of Christian belief, for sure.« (Pelushi 2016)
Auch der Imam der älteren Moschee von Pogradec sprach in versönlichem Ton von der koranbasierten Toleranz der Religionen, die zum besserem Verständnis (alb. mirëkuptim) führen soll (Shahu 2016). An anderer Stelle im Interview betonte er jedoch die ebenfalls koranbasierte Einsicht, dass es nur eine Wahrheit gebe. In einem Vergleich mit einer Alltagssituation verdeutlichte er seine Ansicht: So wie nur eine Person im Auto das Steuer in der Hand halten könne, so gebe es auch nur einen Gott, der die Richtung, die Wahrheit vorgeben könne. Zwei Fahrer, die zwei verschiedene Richtungen ansteuern könnten, seien nicht möglich. Die nominell mehrheitlich sunnitische Bevölkerung in Pogradec weist eine Bandbreite an gelebter Religiösität auf. Neben einigen Vertreter:innen, die den Islam in den letzten Jahrzehnten neu für sich entdeckten und streng praktizieren, gibt es weiterhin diejenigen, die einen pragmatischen Umgang mit der religiösen Zugehörigkeit pflegen. Ein in Griechenland arbeitender Mann aus Pogradec berichtete davon, dass er seinen Namen kurz nach dem Ende des sozialistischen Regimes geändert habe, um im christlich geprägten Griechenland einfacher Arbeit zu finden (EN 27.01.2017). In Griechenland suche er Kirchen auf, weil es keine Moscheen gebe, meinte er. Gleichzeitig kommentierte er, dass es zwecklos sei (alb. kot të kesh), Moscheen aufzusuchen, ohne dafür Gründe zu nennen. Andere wechselten nicht nur ihren Namen, sondern sie ließen sich je nachdem, in welchem Land sie arbeiten wollten, auch in der Kirche taufen, die unter den Glaubensrichtungen des Landes am weitesten verbreitet sei (EN 28.01.2017). Das heißt, für eine Arbeitsstelle in Griechenland ließen sie sich in der orthodoxen Kirche taufen, für eine in Italien dagegen in der römisch-katholischen Kirche. Der Sohn des Priesters der neuen orthodoxen Auferstehungskirche betrachtete das pragmatische Vorgehen als Unwissenheit und Desinteresse der Bevölkerung bezüglich der Bedeutung von Religion. Das Desinteresse wurde mir besonders am 25. Dezember 2016 bewusst, als sich im Weihnachtsgottesdienst in der Hauptkirche von Voskopojë nur wenige Menschen aus dem nominell orthodoxen Dorf versammelten. Einen weiteren Gottesdienst in einer der vielen anderen Kirchen feierte der einzige Priester vor
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Ort nicht. Andererseits werden der Tradition entsprechend Kinder christlicher Familien wieder getauft und einige christliche Männer feiern auch ihren Namenstag in Verbindung mit dem Besuch einer Kirche (EN 29.12.2016). Dagegen äußerte ein bektaschitischer Restaurantbesitzer aus Pogradec, dass ihn nur seine eigenen Feiertage interessierten, nicht jedoch die der anderen Religionsgemeinschaften (Zgjani 2017b). Unter Freunden spiele die religiöse Zugehörigkeit keine Rolle und auch allgemein wisse er nicht immer, wer der Tradition nach welcher Religion angehöre. Gleichzeitig meinte er, dass sich die christliche und muslimische Bevölkerung gegenseitig zu Feiertagen gratulieren. Generell sei die nationale Zugehörigkeit für ihn jedoch wichtiger als die religiöse. Entgegen der Behauptung, das Verhalten der Menschen sei Unwissen und Desinteresse geschuldet, sind auch andere Interpretationen möglich. Besonders in religiös gemischten Familien können neue transreligiöse Formen ausgemacht werden. Die Mitarbeiterin des kleinen Stadtmuseums in Pogradec etwa stammt aus einer christlich-muslimischen Familie und berichtete von ihrer Sozialisation: Ihr Vater entstamme einer christlichen, ihre Mutter einer muslimischen Familie (EN 27.01.2017). Die Anfang-30-Jährige ließ sich erst vor Kurzem taufen, um in der Kirche heiraten zu können. Ihre Mutter dagegen empfing die Taufe zusammen mit ihrem Sohn bereits nach dem Ende des sozialistischen Regimes. Die Familie feiere weiterhin Feste aus beiden religiösen Traditionen. Die Museumsmitarbeiterin erzählte außerdem, dass ihr getaufter Bruder auch beschnitten sei – allerdings aus gesundheitlichen Gründen. In Albanien seien viele Christen aus hygienischen Gründen beschnitten, erklärte sie nüchtern. Auch bei Bektaschis sind ähnliche transreligiöse Praktiken erkennbar: Der Fahrer des Babas aus Melçan, Mitte 20, der auch ehrenamtlich sehr aktiv in seiner Tekke tätig ist, entstammt ebenfalls aus einer gemischten Ehe – seine Mutter ist orthodox, sein Vater Bektaschi. Zu dem Stichwort »Toleranz und Harmonie« erklärte auch er, er suche mit seiner Familie an religiösen Feiertagen Kirchen und Tekken auf, das sei nicht nur ein pro-formaVerhalten von den Geistlichen verschiedener Religionen. Die Bandbreite der Interpretationen zwischen Desinteresse und Unwissenheit einerseits und transreligiösen Formen andererseits zeigte sich überdies in Gesprächen mit Gesprächspartner:innen aus muslimischen Familien. Einzelne Personen bestätigten, dass sie muslimisch seien, aber noch nie in einer Moschee gewesen seien, während des Ramadans nicht fasteten, zu christlichen Feiertagen in die Kirche gingen und sich teils ihrer christlichen Vorfahr:innen bewusst seien (EN 29.01.2017). Für sie ist ihre religiöse Zugehörigkeit folglich eher Teil ihrer kulturellen Tradition als Ausdruck eines spirituellen Bedürfnisses. Allerdings gibt es auch junge Menschen, die sich verstärkt ihrer religiösen Tradition zuwenden. Eine junge Frau aus Korçë erzählte, dass sie praktizierende Muslima sei, obwohl sie in der Öffentlichkeit kein Kopftuch trage (EN 31.01.2017). Sie habe den Islam von
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ihrem Großvater kennengelernt, der fünfmal täglich zum Gebet in die Moschee gehe. Ihr Vater und ihre Schwester dagegen praktizierten den Islam nicht. Den Ausdruck zoti është një! (Gott ist einer!), hörte ich sowohl von muslimischen als auch von christlichen Gesprächspartner:innen. Die unterschiedlichen Gottesbilder in Islam und Christentum, zum Beispiel hinsichtlich Christologie und Trinität, wurden in keinem Gespräch problematisiert. Stattdessen wurden regelmäßig – unabhängig jeder religiösen Zugehörigkeit – die verbindenden Werte in Form der mosaischen Gebote betont: Du sollst nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen. Daneben wurde mir immer wieder gesagt, wie wichtig es sei, den Menschen als Menschen zu betrachten und ihn aufgrund seines Handelns zu bewerten und nicht aufgrund seiner Herkunft oder seines Glaubens. Ähnlich der religiösen Zugehörigkeit und der Ausübung religiöser Praktiken verhält sich auch die sprachlich-ethnische Zugehörigkeit. Minderheiten, die in der sozialistischen Zeit nicht anerkannt wurden, verloren zum Teil ihr Bewusstsein für diese Identifkationsfaktoren und beherrschen die ursprünglichen Erstsprachen nicht mehr. Während meiner Forschung stellte ich fest, dass die jüngeren Generationen der aromunischen Bevölkerung in Voskopojë nur noch rudimentär die Sprache ihrer Vorfahr:innen sprechen. Nachdem das sozialistische Regime die Albanisierung von Minderheiten anstrebte, wurden ab 1991 unabhängige lokale aromunische Vereine gegründet, die sich später teils miteinander auf regionaler Ebene verbanden (Dahmen 2005: 72; Kahl 2000: 129f). Nicht nur aromunische, sondern auch slawische Gruppen waren davon betroffen, wie mir eine Frau aus Tushemisht berichtete: Während in der Grenzregion am Prespa-See die slawische Minderheit anerkannt und gefördert wurde, war der Gebrauch des lokalen slawischen Dialekts in der Gegend um Pogradec strikt verboten (EN 12.07.2016). Sie erinnerte sich jedoch daran, dass ihre Großeltern hinter vorgehaltener Hand auf einer Sprache tuschelten, die sie nicht verstanden habe und als slawisch bezeichnete. Eine weitrechende aktive Wiederbelebung ehemaliger sprachlich-kultureller Identitäten scheint unwahrscheinlich. Hinsichtlich des Wandels der Rolle von Religion in Albanien lässt sich festhalten: Religion kann im Gegensatz zur sozialistischen Zeit frei ausgelebt werden, sowohl auf kollektiver als auch auf individueller Ebene. Im Vergleich nehmen Kollektive ihre neu gewonnene Freiheit stärker als Einzelne wahr und bringen sie zum Ausdruck. Aufgrund des strikten Religionsverbots im sozialistischen Staat gerieten scharfe Trennungen auf individueller Ebene eher in Vergessenheit. Die neugewonnene Religionsfreiheit drücken Einzelne daher auch in Deutungen und Praktiken aus, die stark von denen der Religionsgemeinschaften abweichen und als Vermischung verschiedener Traditionen erscheinen. Gleichzeitig nutzen politische Eliten die offizielle religiöse Vielfalt im Land, um das Bild der friedlichen Einheit von Albaner:innen zu untermauern. In der Betonung der albanischen Ein-
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heit und Gleichheit zeigt sich die Kontinuität zum Sozialismus, obwohl die Idee vorkommunistischen Ursprungs ist. 3.3.3 F azit: Religion als Element der Verhärtung nationsbildender Tendenzen
In dem Unterkapitel zur Rolle der Religionen in der Gegenwart wurde deutlich, dass sowohl in Mazedonien als auch in Albanien Brüche und Kontinuitäten zu ihrer sozialistischen Vergangenheit erkennbar sind. Ein Bruch mit den sozialistischen Systemen beider Ländern ist die wiedergewährte rechtliche und politische Freiheit der Religionen, die sich in der Rückgabe und Wiederbelebung und im Neubau von Gotteshäusern zeigt. Die Auswirkung der Religionen auf das Zusammenleben der Menschen unterstreicht dagegen die Beständigkeit des kommunistischen Einflusses. Gleichwohl schlägt sich die Gemeinsamkeit kommunistischer Tradition in konträren Bewertungen religiöser Zugehörigkeiten nieder: Während in Mazedonien die Religionsgemeinschaften zur weiteren Separation der sprachlich-kulturellen Gruppen – vor allem der mazedonischen und der albanischen – beitragen, wird in Albanien nach wie vor betont, Religion sei für die nationale Identität der Albaner:innen zweitrangig. Dies wirkt sich auch auf die gegenseitige Wahrnehmung von Albaner:innen und Mazedonier:innen aus. In der Analyse der Ereignisse am Naum-Klosters zeigt sich, dass diese unterschiedlichen Standpunkte zu Missverständnissen führen können. Neben Aushandlungsprozessen zwischen den einzelnen religiösen Gruppen und der Regierung fallen hierunter auch intrareligiös zu klärende Angelegenheiten wie die Ausbildung von Geistlichen, die Verwaltungsstruktur auf nationaler Ebene oder die Beziehungen zu Partnerorganisationen auf internationaler Ebene. Die gesellschaftliche Rolle von Religion spiegelt sich auch in der Beteiligung am Bildungssystem und in der wirtschaftlichen Situation der Gemeinschaften wider. Am Beispiel der religiösen und sprachlichen Minderheiten und ihren kulturellen Identitäten seit den 1990er Jahren wird ebenfalls deutlich, dass der frühere politisch-sozialistische Kurs noch in den postsozialistischen Gesellschaften nachwirkte. Im Gegensatz zum gesellschaftlichen Bewusstsein um die Stellung der Religion wird die Ausprägung einer persönlichen Religiosität zudem vom familiären Umfeld beeinflusst: Überdauerte das Wissen um religiöse Zugehörigkeit die abwertende Religionspolitik der sozialistischen Regime in den älteren Generationen, steigt die Wahrscheinlichkeit der Wiederbelebung in den jüngeren Generationen, die die vorsozialistische Situation nicht erlebten. Die Neuentdeckung und die individuelle Zuwendung zur Religion stellen jedoch Ausnahmen dar.
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3.4 F AZIT: RELIGION, POLITIK UND KULTUR IM WECHSELSPIEL Die Untersuchung von Naum und seinem Kloster sowie dem dort stattfindenden christlich-muslimischen Religionskontakt stehen in Zusammenhang mit Fragen nach der Verbreitung und dem Wandel von Religionen. Daher betrachtete das Kapitel den Bedeutungswandel von Christentum und Islam seit ihrer Ausbreitung in Südosteuropa bis in die Gegenwart. Es wurde deutlich, dass sich sowohl Christentum als auch Islam unter dem Einfluss politischer Aushandlungsprozesse verbreiteten und etablierten. Neben politisch mächtigen Akteur:innen waren auch Geistliche und religiöse Lai:innen aus der Bevölkerung an historischen Aushandlungsprozessen beteiligt. Im 20. Jahrhundert und im Zuge der Nationalstaatenbildung wurde Religion immer stärker politisch vereinnahmt, was bis in die Gegenwart zu spüren ist. Christentum und Islam stehen sich in diesem Zusammenhang entweder – wie in Mazedonien – konkurrierend gegenüber oder sind – wie in Albanien – im Vergleich zur Bedeutung ethnisch-nationaler Zugehörigkeit zweitrangig. Weitere Einflussfaktoren sind wirtschaftliche Interessen, die jedoch auch im Zusammenhang mit politischen Entwicklungen zu sehen sind. Außerdem hat die gesellschaftliche Stellung von Religion auch Auswirkungen auf kulturelle Lebensbereiche, wie Architektur, Literatur und Kunst, auf die im Rahmen dieser historischen Darstellung nicht weiter eingegangen werden konnte. Die Ausführungen skizzierten den historischen Wandel der Religionen, die die Menschen des Untersuchungsgebiets in ihrem Denken und Handeln beeinflussten und beeinflussen. Sie bieten daher auch den weiteren historischen Kontext für Naum und sein Kloster als Untersuchungsgegenstand. Im folgenden Kapitel fokussiere ich auf den historischen Kontext der Handlungen am Naums-Kloster, bevor ich anschließend die Praktiken und Interpretationen der Besucher:innen während meiner Feldforschung analysiere. Es ist anzunehmen, dass sich die im Allgemeinen unterschiedlichen Erfahrungen mit und Zugänge zur Religion auch an konkreten Beispielen wiederfinden. Infolgedessen sind Missverständnisse in der grenzübergreifenden Wahrnehmung Naums und seines Klosters zu erwarten, die sich in Zuschreibungen und Handlungen zeigen. Gründe, die albanische Klosterbesucher:innen aus muslimischer Tradition für ihr Verhalten angeben, müssen nicht mit den Erklärungen christlicher Mazedonier:innen für deren Verhalten übereinstimmen, das sie am Kloster beobachten können. Die unterschiedlichen Sprachen bilden zudem eine Barriere, mögliche Missverständnisse, die aus der gegenseitigen Wahrnehmung entstehen, durch Kommunikation zu beheben. Die Analyse meines Feldforschungsmaterials wird derartige Kommunikationsprobleme sowie voneinander abweichende Selbst- und Fremdbilder diskutieren.
4 Naum und sein Kloster in historischer Perspektive
Im Kontext der dargestellten Religionsgeschichte im Forschungsfeld entstand und veränderte sich auch das von Naum um 900 errichtete Kloster. Das Fundament für die Wahrnehmung und Gestaltung des Ortes bilden Naum und sein Wirken. Die historisch gewachsenen religiösen, sprachlichen und politischen Zugehörigkeiten in Südosteuropa prägen gegenseitige Wahrnehmung und gesellschaftliches Miteinander, das sich auch in der Beziehung und im Verhalten der Besucher:innen zum und am Kloster widerspiegelt. Im religiös, sprachlich und ethnisch-national heterogenen Mazedonien und im angrenzenden Albanien gehören interreligiöse und interethnische Kontakte zum alltäglichen Zusammenleben. Kontakte zwischen den verschiedenen Gruppen gestalten sich im Alltag abhängig davon, wie sich die Bevölkerung der einzelnen Orten zusammensetzt. In Ohrid leben Mazedonier:innen, Türk:innen, Albaner:innen, Aromun:innen, Serb:innen, Bosnier:innen, Roma und Mitglieder kleinerer ethnischer und sprachlicher Gruppen zusammen (Gerasimovski 2002: 151). Im Gegensatz dazu ist Ljubaništa, das unmittelbare Nachbardorf des Klosters, nahezu rein mazedonisch besiedelt. Je größer die religiöse und sprachlich-ethnische Vielfalt eines Ortes ist, desto mehr Möglichkeiten gibt es, mit anderen Gruppen in friedlichen oder konfliktären Kontakt zu kommen. In der Umgebung Ohrids und des Klosters gestaltet sich der Kontakt zum Beispiel im Unterschied zu Skopje, der Hauptstadt Mazedoniens, verhältnismäßig friedlich. Das Kloster fiel bisher nicht als Schauplatz politischer Auseinandersetzungen auf. Kontaktmöglichkeiten gibt es in nahezu allen Lebensbereichen, solange politisch einflussreiche Eliten sie nicht verhindern. Maria Bara, Thede Kahl, Gerassimos Katsaros und Cay Lienau haben dies in einer Studie über Westthrakien und die Dobrudscha anhand sogenannter Daseinsgrundfunktionen für Südosteuropa belegt (Bara et al. 2009: 18-50). Die in ihrer Arbeit herangezogenen Daseinsgrundfunktionen umfassen »Wohnen, Arbeiten, Versorgung, Freizeit und Erholung, Bildung und in der Gemeinschaft leben«. Kontakte in Südosteuropa
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beschränken sich jedoch nicht nur auf die genannten Bereiche, sondern können auch an religiös konnotierten, physischen und symbolischen Orten, wie Naum und seinem Kloster, entstehen. Der Kontakt von christlicher und muslimischer Bevölkerung im Zusammenhang mit Naum zeigt sich am stärksten an Naums Feiertag. Da Feiertage traditionell der Verehrung von Heiligen dienen, wird infolgedessen der christlich-muslimische Kontakt häufig auch als gemeinsame Verehrung betrachtet. Insbesondere das von Naum errichtete Kloster im Süden des Ohrid-Sees wird dabei als Hauptort seiner Verehrung offenbar. Verwaltungstechnisch gehört es zwar zu Ljubaništa, allerdings liegt es einige Kilometer von diesem Ort entfernt und zählt nur eine Handvoll ständiger Bewohner:innen. Dazu zählen der weißhaarige Nektarij und der seit den 1980er Jahren tätige Mitarbeiter Dragan, ein Mann mittleren Alters, mit seiner Frau, die sich vor allem um den Haushalt kümmert. Auch die beiden Söhne des Küsters leben in den Mauern des ehemaligen Mönchsklosters. Christlich-muslimische Begegnungen am Kloster, das teils als geteilter religiöser Ort verhandelt wird (Koneska 2013), sind daher nicht alltäglich, sondern von der Zusammensetzung der Besucher:innen abhängig. Es gibt verschiedene Gründe, das Kloster aufzusuchen, die sowohl mit der Gestalt des Klostergründers als auch mit dem Kloster selbst verbunden sind. Diese Gründe sind wie der metaphorische und geographische Ort selbst ebenfalls im Zuge des historischen Wandels beider Orte entstanden. Da Orte eine eigene Geschichte haben, von Menschen hervorgerufenen Wandlungen unterliegen und historisch kontingent sind, muss auch das Naum-Kloster und das sich dort ergebende Handlungsgeflecht im historischen Zusammenhang untersucht werden. Nachdem im vorangehenden Kapitel die zeiträumlichen Kontexte skizziert wurden, mit denen Naum und sein Kloster interagierten und interagieren, wird im Folgenden zunächst Naum vorgestellt und anschließend die Entwicklung des Klosters dargelegt. Ausgehend von der Annahme, dass es sich um einen geteilten religiösen Ort handelt, liegt ein besonderer Schwerpunkt auf dem historischen Kontakt christlicher und muslimischer Besucher:innen und dem muslimisch-osmanischen Einfluss.
4.1 N AUM: DIE GESCHICHTE DES KLOSTERGRÜNDERS Über Naums Leben ist sehr wenig bekannt, was in Wissenschaft und lokaler Bevölkerung zu Mutmaßungen führte (Trapp 1974: 166). Im Folgenden soll zunächst kurz die Quellenlage beschrieben werden, bevor in Anlehnung an Quelleninhalte das Wissen der Forschung über Naums Leben rekonstruiert wird. Daraufhin skizziere ich Versuche, auf Grundlage der wenigen Informationen und der historischen Leerstellen weiteres Wissen über Naum zu erschließen. Neben den vor
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allem christlich geprägten Legenden und Spekulationen stelle ich anschließend eine muslimische Perspektive auf Naum vor, die bis in die Gegenwart besteht. 4.1.1 Diener der Slawenapostel, Mönch und Errichter des Klosters
Grundlegende Informationen über Naums Person sind in seinen slawischen und griechischen Heiligenviten überliefert, die jedoch zum Großteil voneinander abhängig sind. Die Abhängigkeit der Viten und der Akoluthien genannten gottesdienstlichen Ordnung der Stundengebete zeigt sich einerseits an parallelen Formulierungen und andererseits an Fehlern, die tradiert wurden (Trapp 1974: 162-164). Durch das Vergleichen der griechischen Vita mit den slawischen Viten Naums und Kliments zeigt Trapp, dass die griechische Variante historische Fehler aufweist und kaum eigenes Material verwendet (Trapp 1974: 164). Zum Teil ist die Abhängigkeit auch das Ergebnis mangelnder Informationen, was sich auch in der später entstandenen Vita der sogenannten »sieben Slawenapostel« fortsetzt, so dass etwa die »Tätigkeiten eines einzelnen der Sieben grundsätzlich immer allen gemeinsam zugeschrieben« worden sind (Trapp 1982: 477). Da dies keine seltene Praxis war (Schreiner 1994: 370), sind Viten im Allgemeinen als Quellen für »historische Interpretationen« unbrauchbar (Hannick 1994: 930f). Dennoch sind sie die einzigen Quellen über Naums Leben. Den ältesten schriftlichen Beleg bietet die längere Vita Kliments, des Gefährten Naums und ersten slawischen Bischofs von Ohrid (Trapp 1974: 163). Dort findet sich auch Naums erste namentliche Erwähnung in einer Auflistung der »sieben Slawenapostel« (Trapp 1982: 475). Gemeinsam mit einer »Volksüberlieferung oder [einem] Epitaph« bildet sie die Grundlage für die erste slawische Vita Naums (Trapp 1974: 165), die unter anderem Cvetan Grozdanov abgedruckt und ins Mazedonische übersetzt hat (Grozdanov 2015: 25f). Diese slawische Vita setzt erst im Jahr 893 mit Informationen zu Naums Leben ein, als Naum nach Ohrid gesandt wurde. Ausgehend von der Notiz in der Kliment-Vita, Naum sei einer seiner Gefährten und Schüler Kyrills und Methods gewesen, griffen spätere Naum-Viten rückblickend ebenfalls das Leben und Wirken von Kyrill und Method auf, über das stichhaltigere Fakten überliefert sind. Dies beweist etwa die lange griechische, von Trapp vorgelegte Vita, die aus dem Jahre 1646 stammt (Trapp 1974: 167-182). Als Schüler Kyrills und Methods lässt sich Naums Leben und Wirken ebenfalls in der zweiten Phase der Christianisierung Südosteuropas und in der »Slawenmission« verorten.1 1 Die deutsche Übertragung der slawischen Viten Kyrills und Methods mit einigen Anmerkungen zur Geschichte bietet Randow 1977. Zur Christianisierung Südosteuropas vgl. Kapitel 3.1.1 Christianisierung und Machtpolitik in Südosteuropa.
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Über seine Herkunft und sein Leben bis zur »Slawenmission« ist nichts bekannt. Erst die zweite slawische Vita behauptet, Naum entstamme einer wohlhabenden Familie aus »Mösien« (Grozdanov 2015: 14). Die lange griechische Vita dagegen rechtfertigt das Fehlen entsprechender Informationen mit dem Hinweis, die Vorgeschichte spiele für Naum selbst aufgrund seiner Bescheidenheit und Weltabgewandtheit keine Rolle (Trapp 1974: 169). In der Wissenschaft wurden zudem Überlegungen zu Naums Geburtsjahr angestellt, das für die Zeit zwischen 830 und 840 angenommen wird (PMBZ 2013; Risteski 2009: 13). Unsicher ist auch, ob Naum sich Kyrill und Method als Schüler schon vor deren Mission auf der chasarisch besiedelten Halbinsel Krim anschloss und sie dorthin begleitete. Die Viten belegen nur seine Beteiligung an der »Slawenmission« in Moravien (Grozdanov 2015: 25; Trapp 1974: 168f). Die längere griechische Vita führt die Ereignisse detaillierter, wenn auch nicht immer korrekt aus: Die Mission bei den Slaw:innen unter Kyrill und Method ist nicht gleichzusetzen mit dem Wirken ihrer Schüler im Bulgarischen Reich (Trapp 1974: 170f). Bereits unter dem thessalonischen Brüderpaar soll Naum als Lehrer gearbeitet haben und an der Erfindung der Glagolica, der ersten Alphabet für die slawische Sprache, beteiligt gewesen sein. Andere Interpretationen gehen davon aus, dass Naum stattdessen später an der Etablierung der Kyrillica beteiligt gewesen sei (Oschlies 2011: 1012f). Er soll auch zu den Schülern gehört haben, die Kyrill und Method 867 nach Rom begleiteten und dort zum Priester geweiht wurden (Trapp 1974: 166). Nach Methods Tod am 6. April 885 geriet Naum wie andere Schüler zunächst in die Gefangenschaft lateinischer Gegner. Nach der Vertreibung flüchtet er mit Kliment und Angelarij 886 über Belgrad nach Pliska ins Bulgarische Reich (Risteski 2009: 13). Die von Grozdanov angeführte slawische Version bietet einen anderen Verlauf (Grozdanov 2015: 25): Viele Schüler wurden an Juden verkauft und von diesen in Venedig weiterverkauft. Als ein Mann davon hörte, der im Auftrag des Kaisers Vasili von Konstantinopel unterwegs war, kaufte er sie frei und sandte einen Teil nach Konstantinopel. Von dort aus gingen einige weiter nach Bulgarien, wozu auch Kliment und Naum gehörten.2 Kliment wurde 886 nach seiner Ankunft in den Westen des Reichs, nach Kutmičevica3, geschickt (Risteski 2009: 13), um dort das Christentum zu festigen, während Naum in der bulgarischen Hauptstadt blieb (Miklas 1992: 16). Aus-
2 Eine Alternative, in der sich die beiden genannten Varianten nicht wiedersprechen, bietet Oschlies 2011: 1002f. 3 Zur Lage von Kutmičevica vgl. Ilievski 2011.
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gangspunkt der Tätigkeit Kliments war Devoll4, von wo aus er Klöster in Ohrid und Glavinica errichten lassen sollte. In Ohrid errichtete Kliment ein Kloster, das Pantelejmon geweiht wurde und das zum Zentrum für die Ausbildung von Geistlichen und Lehrern in slawischer Sprache wurde (Ivanova-Reuter 2017: 379).5 Bis 893 war Naum in Preslav, der neuen bulgarischen Hauptstadt, scheinbar ebenfalls mit der theologischen Ausbildung und der Verbreitung des Christentums beschäftigt (Risteski 2009: 14). Denn als Kliment im Jahr 893 zum Bischof geweiht wurde, schickte Zar Simeon Naum als Kliments Nachfolger nach Ohrid (Miklas 1992: 16f). Nachdem er sieben Jahre an der von Kliment gegründeten Ausbildungsstätte gelehrt hatte, begann er laut der ersten slawischen Vita im Jahr 900, also zehn Jahre vor seinem Tod, am Südufer des Ohrid-Sees ein Kloster zu erbauen (Grozdanov 2015: 25).6 Dort wurde er nach seinem Tod am 23.12.910 nach julianischem Kalender begraben. In diesem Zusammenhang stellt Grozdanov auch die Frage, wann Naum Mönch geworden war (Grozdanov 2015: 15). Zwar ist überliefert, dass er als Mönch starb, aber nicht, wann er in den Mönchsstand übergetreten ist. Da damals das zölibatäre Priestertum vorherrschte, geht Grozdanov davon aus, dass Naum bereits vor dem Beginn der Mission in Moravien Mönch wurde und dann 867 in Rom zum Priester geweiht worden war (Grozdanov 2015: 14f). Wann er als Heiliger kanonisiert wurde, ist unbekannt (Risteski 2009: 18). Das einigermaßen gesicherte Wissen über Naums Leben und Wirken lässt sich auf folgende Fakten beschränken: »Naum tritt wie Klemens mit Konstantin und Method 867 die Romreise an, wird dort wahrscheinlich zum Priester geweiht, gerät nach dem Tod Methods (6. 4. 885) so wie dessen andere Schüler in Gefangenschaft, gelangt 886 nach der Vertreibung mit Klemens und Angelar über Belgrad nach Preslav, wird 893 von Zar Simeon als Lehrer nach SW-Makedonien gesandt, erbaut vermutlich im Jahre 900 ein Michael-Kloster am Ochridsee und stirbt als Mönch am 23.12.910.« (Trapp 1974: 166)
Das Fehlen weiterer gesicherter Informationen war in der Wissenschaft immer wieder Anlass für Versuche, »über [den Mangel an Hinweisen] hinaus biographi4 Zur Lage von Devoll und dem Umfang des dazugehörigen Erzbistums vgl. Grozdanov 2015: 17-23. 5 Es scheint, dass in Albanien alternativ davon ausgegangen wird, Kliment sei zuerst nach Ohrid und dann nach Devoll gegangen und habe dort besagte Ausbildungsstätte errichtet (Gusho 2000: 141). 6 Die zweite slawische Vita behauptet das Jahr 905 für den Bau des Klosters (Grozdanov 2015: 9).
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sches Material über Naum zu erschließen« (Trapp 1974: 166). In der jüngsten Vergangenheit versuchte Wolf Oschlies, die Frage bezüglich Naums Tätigkeiten in der Hauptstadt des Bulgarischen Reichs zu klären: »Der Schlüssel steckt unzweifelbar in der Institution ›Schule‹, ihrem Geist und ihren vielfältigen Funktionen« (Oschlies 2011: 1005). Die räumliche Nähe der Schule zum Herrscherhaus befähigte sie, eines seiner »Machtzentren« zu sein (Oschlies 2011: 1006f). Naum war laut Oschlies einer der wichtigsten Männer im Reich und mit hochsensiblen Aufgaben betraut. Aus Gründen der Vertraulichkeit konnten Naums Leistungen nicht in die Öffentlichkeit gelangen und gewürdigt werden. Dies sei auch der Grund dafür, dass es keine Informationen über sein Wirken in der Hauptstadt gebe. Die einzige Leistung, für die er bekannt werden konnte, sei die Schaffung der Kyrillica gewesen, die aus politischen Gründen notwendig gewesen sei und ursprünglich als »Kompromiss-Alphabet« gesehen werden müsse (Oschlies 2011: 1007-1009). Weder Naum noch Kliment werden heute jedoch als Schrifterfinder erinnert, obwohl es dazu Vorlagen in den Viten gibt. Es ist jedoch fraglich, ob Oschlies’ leistungsorientierter Ansatz sinnvoll ist. Denn Naum war in erster Linie Priester und Mönch. In dieser Rolle ist auch ein zurückgezogenes Leben in Stille denkbar, wie der Blick auf das heutige orthodoxe Klosterleben in Mazedonien zeigt (Matevski 2011: 118f). Seine Lehrtätigkeit ist nicht zwingend als politischer Akt zu bewerten. In dem Zusammenhang lässt sich daher fragen, ob und warum Naum wie von Oschlies angenommen politische Funktionen im Reich hätte wahrnehmen sollen. Selbst wenn Khan Boris Naums Potential erkannt hätte, gäbe es immer noch keine Beweise dafür, dass er Naum derartige Angebote gemacht hätte. Und wenn es dazu gekommen wäre, hätte Naum das Angebot ablehnen können, um sich dem Leben eines Geistlichen zu widmen. 4.1.2 Informationsmangel und Ausdehnung des Kults
Neben wissenschaftlichen Versuchen, aus dem historischen Kontext heraus weitere Informationen über Naums Leben zu erschließen, stehen historisch ältere Versuche seitens der Kirche und der lokalen Bevölkerung. Diese Ansätze unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Intentionen. Die lokale Bevölkerung will mit ihren Ergänzungen den Ruhm und die Verehrungswürdigkeit des Heiligen stärken und verbreitet dadurch auch Naums Kult. Wissenschaftliche Bemühungen gehen dagegen eher dahin, Naums Leistungen zu ergründen und damit die Ursache seiner Verehrung zu erklären. Ein erster Versuch, die Informationslücke zu schließen, war die Ausschmückung der Heiligenvita über Naum, die nur wenige biographische Daten bietet.
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Dafür griffen die Autoren späterer Naum-Viten auf Informationen über die Mission in Moravien und Pannonien zurück, die aus den Viten Kyrills und Methods bekannt waren. Aber auch an anderen Stellen wurden Ergänzungen vorgenommen. Dies spiegelt sich zum Beispiel in der längeren griechischen Vita wider, die im Kontrast zum tatsächlichen Wissen vor allem am Ende nur einen »ermüdenden rhetorischen Erguß« bietet (Trapp 1974: 163), der keine weiteren Fakten enthält. Zudem beendet die Vita den biographischen Teil mit einem Bericht über die wunderheilende Wirkung der Asche des verstorbenen Naum (Trapp 1974: 172-175). Diese von der Kirche unterstützte Erweiterung weist auf den offiziellen Bedarf seitens der Kirche hin, die Leerstelle in Naums Lebenslauf nach dessen Tod zu füllen. Es ist anzunehmen, dass die schriftliche Erweiterung mit Blick auf seine Wundertätigkeit in Wechselwirkung mit der Ausbreitung des Naum-Kults durch seine Ikonen und mit der zunehmenden Verehrung Naums durch die Bevölkerung zu sehen ist. Spätestens im 13. Jahrhundert ist eine liturgische Feier für Naum nachweisbar, was die Entstehung und Verbreitung seines Kults seit seinem Tod impliziert (Grozdanov 2015: 57f). Denn eine plötzliche Verbreitung von Naums Kult, die etwa drei Jahrhunderte nach dessen Tod und ohne vorherige Lokaltradition oder ein erkennbar ausschlaggebendes Moment plötzlich einsetzt, ist nur schwer vorstellbar. Auch an den überlieferten Ikonen ist die Kultausdehnung erkennbar: Die ältesten erhalten gebliebenen Ikonen, die Naum zeigen, stammen aus dem 14. Jahrhundert. Allerdings ist es sehr wahrscheinlich, dass die ersten Ikonen bereits im 10. Jahrhundert angefertigt wurden. Das älteste Fresko aus dem Jahr 1361 befindet sich im Kloster Sveti Zaum, an der Südostküste des Ohrid-Sees (Grozdanov 2015: 59f). Es zeigt zwar nicht das Gesicht, dafür aber die vollständige Figur im Kreis seines Gefährten Kliments und weiterer Heiliger. Neben den Abbildungen, die Naum im Porträt und in ganzer Gestalt darstellen, gibt es in der heutigen Klosterkirche auch solche, die weitere Lebensstationen Naums zeigen. Bis auf die Darstellung von Naums Tod haben die anderen neun Bilder nur Legenden und Erzählungen der lokalen Bevölkerung zur Grundlage: 1) Naums Debatte mit dem Herrscher Khan Boris-Michael über die Orthodoxie, 2) Naums Gefangenschaft, 3) Naum tauft die Tochter des Herrschers, der ihm zum Dank das Land für die Errichtung des Klosters überließ, 4) ein Wassereimer hinterlässt einen Abdruck im Stein, 5) Naums Verfolgung durch Bogomilen, 6) Naum spannt den Bären anstatt des Ochsen in einen Pflug ein, weil der Bär den Ochsen zuvor gefressen hat, 7) gelähmter Mönch, der Naums Leichnam stehlen wollte, 8) Naum heilt »Nervenkranke« (maz. nervno zaboleni), 9) Pferdedieb in der Dämmerung vor den Klosterpforten (Grozdanov 2015: 144-149). Anhand der Ikonen lässt sich die Ausbreitung des Naum-Kults seit dem Ende des 17. Jahrhunderts
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im ganzen Ohrider Erzbistum (Cvetkovski 2011) sowie im österreichisch-ungarischen Imperium (Grozdanov 2015: 237-252) nachweisen. Zu den Ikonen kommen auch dem Heiligen geweihte Kirchen auf, über deren Geschichten je nach Entstehungszeitpunkt wenig bekannt ist. Bei einigen spielt die Nähe zum Ohrid-See oder zu Heilquellen eine große Rolle: Die wahrscheinlich älteste Naum-Kapelle dürfte im heutigen Albanien gegeben haben. In Moschopolis, dem heutigen Voskopojë, einem kleinen Ort bei Korçë, finden sich Ruinen einer Kapelle, die entweder Naum oder Spiridon geweiht war (Falo 2015: 136f). Die Vermutung, dass es sich um eine Naum-Kapelle gehandelt habe, die möglicherweise aus dem 18. Jahrhundert stammte, ist auf die noch zu zeigenden Verbindungen des Ortes zum Kloster und zum Ohrider Erzbistum zurückzuführen. Hinweise auf ältere Naum-Kapellen, zumal im heutigen Albanien, liegen mir nicht vor. Zudem existiert bis in die Gegenwart eine Naum-Kapelle in Shipskë, einem Nachbardorf von Voskopojë (EN 23.12.2016). Über die Geschichte dieser Kapelle hat die lokale Bevölkerung jedoch nichts überliefert. Von Voskopojë aus wurde der Naum-Kult von den Flüchtenden nach den Angriffen auf die damalige Stadt unter anderem nach Bitola gebracht. Dort wurde laut der Frau, die sich um die Kirche zurzeit der Feldforschung kümmerte, ein Wohnhaus zu einem nicht genau datierbaren Zeitpunkt während des Osmanischen Reichs zur Naum-Kirche umgewandelt (EN 14.10.2016). Es gibt zwar keine Quellen mit zuverlässigen Informationen über die Kirche in Bitola, aber zwei Legenden über die Umwandlung (Risteski 2009: 216-219). Gemäß der ersten, wurde das Haus 1825 oder 1828 in eine Kirche umgewandelt, was zu der Information der Kirchenpflegerin passt. Die zweite Legende datiert die Umwandlung auf die Jahre 1935/1936, also in die postosmanische Zeit. Eine weitere dem Heiligen geweihte Kapelle in Albanien soll unter der Herrschaft von Ahmet Zogu, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in der Nähe von Pogradec errichtet worden sein (Risteski 2009: 77). Allerdings ist nicht klar, wo genau diese Kapelle gestanden haben soll, ob sie noch existiert oder was mit ihr während der kommunistischen Herrschaft passiert ist. Eventuell bezieht sich die Gründungsgeschichte, die Stojan Risteski in seinem Buch festhält, auf die kleine Kapelle nahe der mazedonisch-albanischen Grenze, die über einer najazma genannten Quelle errichtet wurde. Nach der undatierbaren Umwandlung eines Wohnhauses im Zentrum Bitolas in eine Naum-Kirche wurden im heutigen Mazedonien weitere dem Heiligen geweihte Kirchen, Klöster und Kapellen errichtet. Die erste Kirche wurde 1923 in Livoišta, einem Dorf bei Ohrid, gebaut (Trifunovski 1992: 123-125). Im Osmanischen Reich wurde das Dorf von einigen osmanischen Offizieren kontrolliert und diente noch bis 1938 als Station auf dem Handelsweg zwischen Bitola und Debar. Eine Kirche zu bauen, nachdem die dominierenden Osmanen ihre Macht verloren hatten und das Gebiet zu Jugoslawien gehörte, ist ein deutliches Zeichen
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der Abgrenzung. Obwohl die Gründe für die Widmung der Kirche an Naum unklar sind, hat der andauernde Kampf zwischen Albanien und Jugoslawien um die territoriale Zugehörigkeit des Hauptklosters7 wahrscheinlich den Prozess der Namensgebung beeinflusst. Die befragte Dorfbevölkerung erinnerte sich jedoch eher an die Renovierung der Kirche im Jahr 1974 (EN 15.01.2017). Das zweite nach Naum benannte kirchliche Gebäude ist das Kloster in Radišani bei Skopje. Diesen Neubau initiierten 1938 zwei zugereiste Metallbearbeiter aus dem einige Kilometer weiter nördlich gelegenen Pobožje (Girevski 2006: 17f). Die Gründe für den Neubau sind nicht überliefert. Bekannt ist nur, dass es im Dorf bereits zwei Kirchen gab und dass das Grundstück für die neue Kirche einer christlichen Familie gehörte, die es von einem osmanischen Beamten übernommen hatte (Girevski 2006: 15-17). Zur Baugeschichte ist auch bekannt, dass die Ikonenmaler aus Skopje kamen, jedoch ihren familiären Ursprung in Kumanovo hatten (Girevski 2006: 19). Ein Bezug zum ursprünglichen Naum-Kloster in Ohrid ist nicht erkennbar. 1964 wurde die Kirche um eine Unterkunft (maz. konak) ergänzt, die außer Wohn- und Schlafräumen auch eine Küche umfasst (Girevski 2006: 27). Zudem bekam der neue Klosterkomplex auch ein Gemeindebüro, womit das Kloster zu einer festen Größe im Ort aufgewertet wurde. Die Unterkunft wurde jedoch nur von einzelnen, asketisch lebenden Nonnen und Mönchen bewohnt, die sich um das Areal kümmerten (Girevski 2006: 36f). Anfang der 1990er Jahre wurde das Kloster auf Initiative des Erzbischofs Gavril neu errichtet, womit auch eine Vergrößerung des Gebäudes einherging (Girevski 2006: 20-22). Die Tatsache, dass ein offizieller, hochrangiger Kirchenvertreter Verantwortung für eine Kirche übernahm, die von der Bevölkerung errichtet worden war, scheint im Zuge der Unabhängigkeit der Republik auch kirchenpolitische Gründe zu haben: Die einseitige Autokephalieerklärung der MPC von 1967 hatte bereits damals nationsbildende Funktion, derer sich politische Akteur:innen mit dem Ausscheiden Mazedoniens aus dem sozialistischen Jugoslawien wieder bedienten. Der MPC wurden wie den anderen Religionsgemeinschaften in Mazedonien mehr Freiheiten gewährt, wodurch sie sich stärker in die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens einbringen und die religionsdistanzierte jugoslawische Vergangenheit gezielt abstreifen konnte. Insbesondere festigte die MPC ihre eigene Position, indem sie sich durch Baumaßnahmen bei orthodoxen Mazedonier:innen in Erinnerung rief, die darauf als identitätsstärkendes Angebot zurückgreifen konnten. Bemerkenswert sind auch die Baugeschichten von zwei weiteren Naum geweihten Kirchgebäuden in den zu Ohrid gehörenden Dörfern Leskoec und Orman aus der Zeit des kommunistischen Jugoslawien. Der Zeitpunkt der Errichtung des 7 Vgl. Kapitel 4.2.3 Das Kloster als Schauplatz kirchen- und nationalpolitischer Auseinandersetzungen.
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Kirchenneubaus in Orman wurde im Jahr 1970, also im Kontext der Autokephalieerklärung der MPC, genau dokumentiert (Trifunovski 1992: 115f). Der Grund dafür, die Kirche nach Naum zu benennen, liegt in der Zeit vor der Übernahme des Dorfes durch osmanische Eroberer, weil es zu den Ländereien des Naum-Klosters (maz. vakufski imot) gehört hatte. Durch den Neubau wurde diese historische Verbindung wiederbelebt und architektonisch gefestigt. Die Dorfbewohner:innen beziehen ihre Entscheidung auf ein nicht datierbares Ereignis: Männer, die morgens die Felder pflügen wollten, sahen ein Feuer, das von Orman nach Ohrid und zum Naum-Kloster im Süden des Sees wanderte, und identifizierten es mit Naum, der sein Land in Orman besucht habe (Risteski 2009: 68f). Dagegen ist die Entstehungsgeschichte der Kirche in Leskoec nicht genau überliefert (Ohridsko arhierejsko namesništvo 2015). Allerdings liegen zwei Gründungserzählungen vor (EN 17.01.2017). Laut der ersten Variante sei Naum von seinem Kloster geflohen, weil es dort am Strand so viele Nackte gegeben habe. In Leskoec habe er sich niedergelassen, weil es so ein schöner und ruhiger Ort sei. Allerdings meinte mein junger Gesprächspartner, dass der Teil von der Flucht wahrscheinlich von Personen aus der Zeit des Kirchenbaus geträumt sei. In der zweiten Variante soll Naum zuerst in Leskoec und danach südlich des OhridSees gewesen sein, um schließlich wegen der dort vorkommenden Heilquellen sein Kloster in dieser Gegend zu errichten. Naums Durchreise als Gründungsmotiv findet sich auch in der etwa zeitgleich entstandenen Kapelle in Bolno, die 1965 etwa drei Kilometer nordwestlich von Resen errichtet wurde (Jovanovski 2005: 54). Auch dort erschien Naum einer Frau namens Pemba im Traum (EN 13.03.2017). Es heißt, er habe sie gebeten, die počinalište genannte Stelle zu schützen, wo er sich auf dem Weg von Stipona nach Ohrid ausgeruht hatte. Diese Stelle war bereits zuvor aufgrund einer Quelle mit heilsamem Wasser bekannt und geschätzt. Allerdings wusste bis zu diesem Zeitpunkt niemand etwas über die Verbindung zwischen der Heilquelle und Naums Leben. Diese Geschichten verdeutlichen die starke Verbundenheit der breiten Bevölkerung mit dem Heiligen, die nicht von der offiziellen Kirche beeinflusst ist. 1970 wurde die Kapelle mit einem Dach versehen (Risteski 2009: 73-76). Später ergänzte ein Haus mit Küche, Aufenthaltsraum und Schlafmöglichkeiten die Kapelle zu einem kleinen Kloster. Individuelle Motivationen, eine Naum-Kirche zu bauen, wurde auch in diesem Fall zu einer kollektiven Angelegenheit. Darüber hinaus erwähnt Risteskis Eintrag interessanterweise, dass die erste Liturgie von dem Hauptpriester Metodija Poposki gefeiert wurde, jedoch nicht die bemerkenswerte zeitliche Nähe des Kirchenbaus zur Autokephalieerklärung der MPC. Auffällig ist, dass die Erzählungen über die Errichtung dieser Kirchen oftmals mit Träumen verbunden sind, in denen Naum sich mitteilt. Träume als Motivation für die Errichtung von Kirchen und Klöstern wie die geschilderten sind keine
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Seltenheit, gelten sie doch auch in anderen südosteuropäischen Regionen als eine weithin akzeptierte Möglichkeit, um mit höheren Mächten und Heiligen in Kontakt zu treten (Bax 1995: 54f). Ein albanischer Bektaschi, Ende 50, aus Dolna Bela Crkva, einem Dorf bei Resen, kommentierte das Vorgehen mit einer generellen Charakterisierung der Orthodoxen als fanatisch: »Orthodoxe, Griechen und Mazedonier sind fanatisch. Wenn sie etwas träumen, bauen sie sofort eine Kirche. Die Katholiken, die möge Gott schützen, verbreiten den Kult des Heiligen Naum nicht« (maz. Pravoslavni, grčki i makedonski, se fanatični. Ako sonuvaat nešto, odma crkva pravat. Ne katolici, bog da gi čuva, proširija kultot na Sveti Naum. EN 10.01.2017). Nach der Unabhängigkeit Mazedoniens übernahm die MPC die Initiative zur Ausdehnung des Naum-Kults. Auch aus diesem Prozess sind viele organisatorische Informationen nicht dokumentiert: Die erste Naum-Kirche wurde zwischen 1992-1995 als Klosterkomplex im albanisch-muslimisch geprägten Gebirge von Popova Šapka bei Tetovo neu errichtet (Stankovski 2003: 32). Sie wird als Nachfolgerin der früher existierenden Kirche Sveta Bogorodica betrachtet, die unter osmanischer Herrschaft zerstört wurde (Stankovski 2003: 30f). Die Tatsache, dass das Kloster in einer vorrangig weder christlich noch slawisch geprägten Umgebung errichtet wurde, kann auch als Machtdemonstration verstanden werden und geht mit dem territorialen Anspruch der abwesenden Mazedonier:innen einher, die im Staat die Mehrheit bilden (vgl. Hayden/Walker 2013: 409). Dafür sprechen auch die Reaktionen der albanisch-muslimischen Einwohner:innen, die sich gegen diesen Bau aussprachen (MPC-PKE o.J.). Neben diesem Kloster gibt es weitere von der MPC initiierte und Naum geweihte Kirchengebäude im unabhängigen Mazedonien, etwa im Südosten des Landes. Das Kloster in Hamzali, einem Dorf bei Strumica, ist im Unterschied zum Kloster in Popova Šapka bewohnt. Allerdings wurde es nicht Naum allein geweiht, sondern bekam den Namen Sveti Kliment i Naum (Božinovska/KOVZ 2011: 67). 2000 begann der Bau des Klosters, das zunächst von Mönchen bewohnt war (MPC o.J.). Seit 2010 wird das Kloster jedoch von Nonnen bewohnt, berichtete die Äbtissin (EN 28.06.2017). Zudem sei das Kloster bereits vor ihrer Ankunft in Sveti Kliment, Pavel i Car Justinijan umbenannt worden. Grund dafür war, dass es in zwei Nachbarorten ebenfalls Naum geweihte Kirchen gab, welche die Kommission für Beziehungen mit Glaubensgemeinschaften und Religionsgruppen (Komisija za Odnosi so Verski Zaednici i Religiozni Grupi, KOVZ) noch 2011 in ihrer Karte aller religiösen Objekte im Land vermerkte (Božinovska/ KOVZ 2011: 65). Während die Kirche im Nachbarort Čanaklija ihren Namen behielt, wurde die im Dorf Gerčelija in Sveti Theophil umbenannt, erklärte die Äbtissin des Hamzali Klosters.
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Obwohl ich keine zuverlässigen Informationen über die beiden Kirchen in Čanaklija und Gerčelija finden konnte, muss sich die Erklärung, warum eine kleinere Kirche den Namen des bedeutenden Heiligen behalten konnte, auf die Baujahre beziehen. Folglich muss die Kirche in Čanaklija die älteste der drei Kirchen sein. Allgemein sind die drei Gebäude so neu und unbedeutend, dass sogar das Personal der Eparchie in Strumica nichts über sie wusste (EN 10.07.2018). Dennoch ist Naums Kult wichtig für den Eparchen, der sich Naums Name aussuchte als er Bischof wurde. Die Bemühungen, Naums Kult in dieser Gegend, weit weg von Ohrid zu etablieren, erwecken den Eindruck, es müsste eine weitere NaumLücke auf dem Gebiet der MPC geschlossen werden. Gleiches gilt auch für die Kirchen in Čiflik bei Kočani und in Prilep. In Čiflik benannte Stefan Veljanovski, der Erzbischof der MPC, laut Angaben der gegenüber der Kirche wohnenden Familien die Kirche (EN 26.02.2017). In Prilep befindet sich nach eigenen Beobachtungen die neuste Kirche für Naum, die ebenfalls von der MPC errichtet wird, im Bau (EN 18.08.2017). Zudem gibt es im Südosten Mazedoniens in Nov Dojran, nahe der Grenze zu Griechenland, eine Kapelle, die Naums Namen trägt. Ihr Bau wurde von einer aus Skopje stammenden Frau angeregt. Diese hatte am 08. August 2002 ein Bootsunglück überlebt, als sie in einem Boot von Struga zum Naum-Kloster fuhr und mit ihrem Boot in ein Unwetter geriet (Milkovska 2014). Im Traum erschien ihr nach eigenen Aussagen Naum als Retter. Zum Dank legte sie am 5. Januar 2011 mit Hilfe anderer auf dem Grundstück ihres Schwiegervaters in Nov Dojran den Grundstein der besagten Kapelle, deren Bau sie in sozialen Medien dokumentiert. Da der Bau noch nicht abgeschlossen sei, ist die Kapelle nach Auskunft des örtlichen Priesters noch nicht geweiht, obwohl bereits jährliche Gedenkfeiern am 5. Januar stattfänden (EN 06.07.2018). Die Nachbarschaft kennt verschiedene Varianten der Gründungsgeschichte, was davon zeugt, dass Religiosität auch hier eine sehr private Angelegenheit verhandelt wird, selbst dann, wenn sie in der Öffentlichkeit sichtbar wird. Die Kultausdehnung Naums spiegelt sich auch in Erzählungen und Legenden über den Heiligen wider. Die unbekannte Vorgeschichte Naums hatte etwa Erzählungen um Naums Herkunft zur Folge. Häufig werden Naum und Kliment aufgrund der Bezeichnung »Bruder«, die in den Viten auftaucht, und in Anlehnung an Kyrill und Method zu einem Brüderpaar stilisiert (Trapp 1974: 166). In Ohrid erzählte mir Živko, einer meiner Gastgeber, eine weitere Geschichte über den Zusammenhang zwischen Naums Herkunftsfamilie und den Kontakt zu Kliment (EN 05.01.2017): Eines Tages als Naum mit seiner Schwester im Gärtchen (bavče) ihres Hauses arbeitete, kam zufällig Kliment vorbei und sah sie bei der Arbeit. Kliment hielt inne und sprach ihnen Segenswünsche aus. Naum und seine Schwester erwiderten diese. Naum war von dieser Begegnung so angetan, dass er
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seine Schwester bat, auch Pastor (pastir) wie Kliment werden zu dürfen. Als seine Schwester sich einverstanden zeigte, folgte er Kliment. Obwohl Naum und Kliment nicht als leibliche Brüder, sondern nur als geistliche Brüder dargestellt werden, gibt es offensichtliche Abweichungen vom bekannten geistlichen Werdegang Naums. Außerdem ist die Rede davon, dass Naum eine Schwester hatte, die in Živkos Erzählung jedoch keinen Namen trägt. Stärker als in der Gegend um Ohrid wird Naum auf albanischer Seite, in Pogradec und Umgebung, eine Schwester zugesprochen. Dort sind ihr Name und ihre Geschichte dagegen bekannt: Es ist die Heilige Marina (alb. Shën Marenë) – eine Märtyrerin des 3. Jahrhunderts aus Kleinasien (Risteski 2009: 70f). Sie ist zusammen mit Jovan Vladimir auf einer Ikone der Ikonostas im Naum-Kloster auf der linken Seite der königlichen Mitteltür abgebildet (Grozdanov 2015: 114-116). Ihr geweihte Klöster befinden sich bei dem Dorf Tuminec am Prespasee sowie nahe dem Dorf Llëngë, in den Bergen südwestlich von Pogradec . Um das Kloster bei Llëngë, das auch von der muslimischen Bevölkerung der umliegenden Orte besucht wird, ranken sich eigenständige Legenden (EN 29.08.2017). Ein Großteil der bis in die Gegenwart unter der Bevölkerung geteilten Legenden und Erzählungen über Naum drehen sich jedoch um ihn als Wundertäter (maz. čudotvorec) und Heiler (maz. iscelitel). 4.1.3 Naum und das muslimische Sarı-Saltuk-Narrativ
Nicht nur die christliche Bevölkerung nutzte den Informationsmangel für ihre Zwecke und weitete den Kult Naums mit Hilfe von Legenden aus. Auch muslimische Gruppen konnten aufgrund der Lücke eine Beziehung zum Heiligen und dem mit ihm verbundenen Ort aufbauen. Naum war für die muslimische Bevölkerung unter anderem wegen der ihm zugeschriebenen Heilkraft attraktiv, die nicht an die Grenzen religiöser Traditionen gebunden war. Einige muslimische Gruppen füllten die Leerstelle mit einem eigenen Narrativ, welches der Figur und dem Ort die christliche Konnotation abstreitet. Die Rede ist von Sarı Saltuk (maz. Сари Салтик, alb. Sari Salltëk). Hasluck berichtete in seinem Werk Christianity and Islam Under the Sultans über verschiedene Perspektiven, denen er am Anfang des 20. Jahrhunderts begegnete: »It is frequented by Bektashi Mohammedans from the surrounding district, who identify the saint with their own Sari Saltik. Even the orthodox Sunni recognize the saint as one of their own, alleging (a) that he lived before the rise of the Bektashi heresy and (b) that the Christians usurped his tomb.« (Hasluck 1929: 70) »While I was at S. Naum (1914), the Greek abbot to whom I am indebted for information on the relations of the Bektashi with the monastery, told me that he had received a visit
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from the abbot [i.e. baba] of one of the Bektashi tekkes at Koritza [i.e. Korçë], who told him that Sari Saltik, on a visit to the monastery, had, with the Christian abbot, miraculously crossed the lake to Okhrida on a straw-mat.« (Hasluck 1929: 583, Hervorhebung im Original)
Die beiden Zitate verdeutlichen in erster Linie, dass es nicht nur ein einziges muslimisches Sarı-Saltuk-Narrativ gibt. Die existierenden Varianten beziehen sich in erster Linie auf die muslimische Prägung Sarı Saltuks, die wiederum von der eigenen Perspektive der Erzählenden abhängig ist. Auffallend ist bei Haslucks Ausführungen die strenge Unterscheidung zwischen Sunnit:innen und Bektaschis, die sich erst im 16. Jahrhundert herausbildete. Andere Sufigruppen, wie die bis heute in Ohrid und Struga vertretenen Halvetis, fehlen in der Debatte. Als Hinweis dafür, dass das Aufsuchen des Klosters religiöse Gründe hat, führt Hasluck auch den Gebetsteppich an – »kept at the tomb for the benefit of Moslem pilgrims« –, den bereits von Hahn erwähnte, der jedoch bald als Reliquie des Heiligen proklamiert wurde (Hasluck 1929: 583). Wann und wie sich die Vorstellung, dass das von Naum errichtete Kloster mit Sarı Saltuk verbunden sei, ausbreitete, ist nicht sicher überliefert (Rohdewald 2017: 88f). Gesichert scheint dagegen, dass die Idee erst nach der Festigung des Kults um Sarı Saltuk an der Schwarzmeerküste und der Verbreitung nach Westen hin aufkam. Der im 17. Jahrhundert umherreisende Schriftsteller Evliya Çelebi trug maßgeblich dazu bei, dass einzelne Orte in Bosnien, im albanischen Siedlungsgebiet und in der Region Mazedonien mit der Person und dem Kult um Sarı Saltuk verbunden wurden. Ein weiterer Faktor war die Verbreitung der Bektaschis im albanischsprachigen Raum, der erst im 19. Jahrhundert Elbasan umfasste. Diese Beobachtungen führen zu Fragen nach der Figur Sarı Saltuks: Wer war er? Auf welcher Grundlage und mit welchem Ziel wurde er mit Naum identifiziert? Sarı Saltuks Leben als historische Person kann nur vage nachgezeichnet werden. Den ältesten bekannten Text über Sarı Saltuk schrieb der in der Sufitradition der Rufais stehende Kamaluddin Muhammad as-Saradj ar-Rufai im Jahr 1315 (Rohdewald 2017: 75). In diesem wird er als gazi, als vorosmanischer Kämpfer, bezeichnet und mit der Verbreitung des Islams assoziiert. Etwas älter ist die Erwähnung Sarı Saltuks im marokkanischen Reisbericht des arabischen Reisenden Ibn Battuta im 14. Jahrhundert (Norris 1993: 146). Er schreibt über eine Stadt, die zwischen der Krim und der heute bulgarischen Stadt Jambol liegt und die nach »Baba Saltuq« benannt wurde. Welche Stadt er meint, ist umstritten: Norris plädiert für die Stadt Babadağ in der rumänischen Dobrudscha, während Leiser einen ukrainischen Ort am unteren Dnepr annimmt (Leiser 1997: 60; Norris 1993: 147). In einem Bericht erklärte Ibn Battuta den Titel »Baba« als das Wort für Vater, lässt dabei aber den Bedeutungsrahmen offen. Ob es sich um die Rangbezeichnung einer Derwisch-Gruppe handelt, kann folglich spekuliert werden.
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Unterstützt wird diese Annahme durch die Verbundenheit Sarı Saltuks mit den Rufais (Norris 2006: 61) und seine bis heute andauernde Bedeutung als wichtige historische Figur für die Bektaschis (Elsie 2001: 225; 2004: 5). Sarı Saltuk stammte ursprünglich aus Zentralasien und war ab 1260 am südöstlichen Steppenrand der Rus Mitglied einer tatarischen Kriegergruppe, in der er für die Verbreitung des Islams zuständig war (Rohdewald 2017: 75-77). Die nahe des Schwarzen Meeres gelegene Stadt Babadağ bildete dabei möglicherweise einen Ausgangspunkt der bulgarischen Eroberungen im Süden.8 Spätestens ab dem 15. Jahrhundert war Babadağ ein »zentraler Ort der muslimischen Verehrung Sarı Saltuks« (Rohdewald 2017: 76). Im Anschluss wurden die Legenden über ihn gesammelt und verschriftlicht. Eine Islamisierung der Stadt Babadağ ist wahrscheinlich, weil wie an vielen anderen Orten auch dort Sarı Saltuk den Kult des Ortsheiligen Nikolaus verdrängte (Hasluck 1929: 429-434). Bekannt hierzu ist auch der Zusammenhang, dass Nikolaus häufig ein Heiliger in Küstenstädten war, der im Zuge der Christianisierung den Platz des griechischen Meeresgottes Poseidon einnahm (Stadtmüller 1954: 239). Allerdings bleibt es Spekulation, ob und in welcher Form auch Christ:innen zur Türbe in Babadağ pilgerten und ob das Wissen um einen vorislamischen Nikolauskult in Babadağ vergessen oder verdrängt wurde (Norris 1993: 155). Die Tatsache, dass Sarı Saltuk ein vorosmanischer Krieger war, begünstigte nach Auffassung des Orientalisten und Turkologen Hans Joachim Kißling die Inanspruchnahme seine Beanspruchung verschiedener Gruppen »als ›utraquististische[n] Heilige[n]‹ (hier: seine Vermengung mit dem Heiligen Nikolaus) [durch verschiedene Gruppen] entschieden« (Kissling 1986b: 287). Einen »utraquistischen Heiligen« definiert Kißling als einen »von mehreren Religionen verehrten Heiligen« (Kissling 1986a: 374f). Dies meint die Ersetzung christlicher Heiligen durch religiöse Figuren des Islams. Der christliche Kult wird jedoch nicht verdrängt, sondern besteht neben dem muslimischen weiter. Entgegen der Vereinnahmung durch die Bektaschis wird Sarı Saltuk von Rohdewald auch als »sakrales Kapital [für] Sunniten« betrachtet, da er »Sunnit hanefitischer Richtung« war (Rohdewald 2017: 69). Wie sunnitisch Sarı Saltuk tatsächlich war, sei dahingestellt, denn die scharfe Trennung zwischen sunnitischer und schiitischer Theologie ist das Ergebnis politischer Auseinandersetzungen zwischen Osmanischem und Safawidischem Reich im 16. Jahrhundert. Da die Bektaschis aus verschiedenen Gründen eher zu den schiitischen als zu den sunnitischen Sufi-Orden gezählt werden (Giesel 2017), ist ein trennscharfes Urteil über Sarı Saltuks Prägung schwer möglich. Seine Entwicklung zum »utraquistischen« Heiligen wird durch 8 In der früheren Forschung war umstritten, ob die Eroberung von Norden nach Süden (Hasluck 1929: 432f; Leiser 1997: 61) oder umgekehrt (Norris 1993: 147) stattfand.
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andere Quellen gefördert, die ihn als spirituellen Führer charakterisieren (Norris 1993: 148f). Als solcher habe er sich in der Nähe des Herrschers aufgehalten und sei sogar vom Patriarchen als Heiliger betrachtet worden. Spekulativ ist auch, ob Sarı Saltuks Verehrung von christlicher und muslimischer Seite auch dessen eigene Perspektive wiedergibt. Bei den genannten Quellen handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Erweiterung der Legenden um den Anführer einer türkischen Eroberungsgruppe, die wiederum mit zahlreichen Motiven arabischer und persischer Geschichten bereichert wurden (Norris 1993: 149f). Im Zuge dessen wird er auch mit dem arabischen Helden Sayyid Battal identifiziert, der als direkter Nachkomme Muhammads und gazi gilt, sich als Mönch verkleidete und mit christlichen Theologen disputierte. Die Charakterisierung als Bektaschi-Heiligen in der Saltukname, der Legende Sarı Saltuks, wird durch weitere Ergänzungen zugespitzt (Kiriakidis 2010: 32; Norris 2006: 56). Er sei nicht nur ein direkter Schüler des Namensgebers der Bektaschis, Hacı Bektaş-ı Veli, gewesen, der ihn zur Mission nach Südosteuropa geschickt habe. Vielmehr sei er laut der Legende mit verschiedenen Wunderkräften ausgestattet wie dem Fliegen auf seinem Gebetsteppich zum Überqueren von Wasser oder der Kraft, einen siebenköpfigen Drachen zu enthaupten (Elsie 2001: 226; Hasluck 1929: 432; Norris 1993: 150-152). Die Legende über Sarı Saltuk als Drachentöter erinnert sehr an die Legende des christlichen Heiligen Georg. Aufgrund anderer Parallelen zu christlichen Heiligen, die die Bektaschis kreierten, um ihre religiöse Tradition unter den Christ:innen einfacher zu verbreiten, scheint auch diese Entsprechung kein Zufall zu sein. Laut Evliya Çelebi hieß Sarı Saltuk eigentlich Muhammad Bukhari (Leiser 1997: 61). Außerdem sei er ein Schüler Ahmed Yasawis gewesen, von dem er sein Holzschwert erhalten habe. Mit diesem habe er in anderen Sagen einen Drachen getötet. Er sei darüber hinaus auch ein Gefährte und Gehilfe des Namensgebers der Bektaschis gewesen. Mit ihm wird auch die besondere Fähigkeit verbunden, an verschiedenen Orten zur selben Zeit präsent zu sein, was möglicherweise mit der Zuschreibung von sieben, zwölf oder 40 Gräbern zusammenhängt (Hasluck 1929: 437; Norris 1993: 151, 153f). Hasluck gibt eine von Evliya Çelebi tradierte Version der Legende wieder, der zufolge Sarı Saltuk ein Begleiter Hacı Bektaş‑ı Velis gewesen sei und nach der Eroberung Bursas mit 70 Schülern zur Mission nach Europa geschickt worden sei: Neben den südosteuropäischen Stationen führt ihn seine Reise auch auf die Krim, nach Moskau und nach Polen, wo er »at Danzig […] killed the patriarch ›Svity Nikola‹, and assuming his robes, in this guise made many converts to Islam« (Hasluck 1929: 429; Leiser 1997: 61). Die sieben Orte, denen er einen seiner Särge zukommen lassen will, decken sich teilweise mit denen, die er der Legende nach besucht haben soll:
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»Before his death the saint gave orders that his body should be placed in seven coffins, since seven kings should contend for its possession. This came to pass: each king took a coffin, and each coffin was found, when opened, to contain the body. The seven kingdoms blessed by the possession of the saint’s remains are given as (1) Muscovy, where the saint is held in great honour as Svity Nikola (S. Nicholas); (2) Poland, where his tomb at Danzig is much frequented; (3) Bohemia, where the coffin was shown at ›Pezzunijah‹; (4) Sweden, which possessed a tomb at ›Bivanjah‹; (5) Adrianople, near which (at Baba Eski) is another tomb; (6) Moldavia, where the tomb was shown at Baba Dagh; and (7) Dobrudja, in which district was the convent of Kaliakra containing the seventh tomb.« (Hasluck 1929: 430)
Die Anzahl der Särge wird teils auf die sieben wichtigsten islamischen Propheten »Adam, Moses, Aaron, Idris, Joseph, Jesus and Muhammad« zurückgeführt (Norris 1993: 154). Die Variante der zwölf Särge benennt die Könige »Tatar Han, and the kings of the Vlachs, Edirne, Boğdan (Moldavia), Russia, Hungary, Granada (in Spain?), Croatia (?) and Poland, although Sari Saltik had stressed that his real or ›master‹ coffin, or sarcophagus, would be at Baba Eski in Thrace« (Norris 1993: 154). Die Zahl zwölf scheint ebenfalls einen theologischen Hintergrund zu haben, wobei sich verschiedene Erklärungen anbieten, etwa die zwölf Imame, die in einer der schiitischen Strömungen verehrt werden. In der dritten Variante, der zufolge Sarı Saltuk 40 Särge in Auftrag gegeben haben soll, erkennt Hasluck einen Versuch Sarı Saltuk mit den 40 Märtyrern zu identifizieren (Hasluck 1929: 437). Naums Kloster gehörte weder zu den ursprünglichen sieben, noch zu einem der zwölf Gräber (Hasluck 1929: 70, 430, 583; Norris 1993: 154). Mit Kaleshi ist daher anzunehmen, dass Sarı Saltuks Bekanntheit im 19. Jahrhundert so stark wuchs, dass die Sarg-Legende auch dazu genutzt wurde, um am Naum-Kloster im slawisch-albanisch besiedelten Raum einen weiteren Verehrungsort zu etablieren (Rohdewald 2017: 89). Das würde auch erklären, warum westeuropäische Reisende erst zu dieser Zeit anfingen, darüber zu berichten. Auch Evliya Çelebi erwähnte das Kloster in seinem Reisebericht durch Südalbanien nicht im Zusammenhang mit Beschreibungen der Städte Struga, Ohrid und Pogradec: Er führt es weder als Pilgerstätte von Sunnit:innen, noch als besonders auffällig nach der Umdeutung durch die Bektaschis an (vgl. Çelebi 2000: 194-225). Ein Grund für die Identifizierung Naums mit Sarı Saltuk lässt sich in den Bemühungen um die muslimische Mission bei der christlichen Bevölkerung erkennen. In der Identifizierung sieht Rohdewald einen »möglichst wirkmächtige[n] rhetorische[n] Kunstgriff zum Zweck der Glaubenspropaganda« (Rohdewald 2017: 90).9 Zu den äußeren Umständen dieser gehörte laut Hasluck die Bekta9 Dass die Identifikationsstrategie der Bektaschis keine Seltenheit war, beobachtete Hasluck auch bei Naums Gefährten Kliment (Hasluck 1929: 583). Kliment wird jedoch
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schi-freundliche Politik Ali Paşas, eines einflussreichen Lokalregenten in der Umgebung des heutigen südalbanischen Tepelenë, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die das ausschlaggebende Moment zur Umdeutung bot (Hasluck 1929: 586-591). Seine Politik unterstützte die Strategie der Bektaschis, christliche Heiligtümer zu vereinnahmen, um das Bektaschitum zu verbreiten. Aufgrund des Zerfalls des Osmanischen Reichs und der Entstehung mehrerer christlich geprägter Nationalstaaten konnte die Missionspropaganda der Bektaschis keine nachhaltigen Erfolge erzielen. Der Grund, warum Naum sich zur Identifizierung mit Sarı Saltuk anbot, kann in der Nähe zum Ohrid-See gesehen werden. Denn der Kult um Sarı Saltuk verbreitete sich häufig in Küstenstädten und verdrängte dort die Kulte um christliche Heilige, die als Schutzheilge von Gewässern verehrt wurden, wie beispielsweise Nikolaus in Babadağ und Spyridon auf Korfu. Weiterhin liegt die Identifizierung Naums mit Sarı Saltuk auch an seiner großen lokalen Bedeutung, die er seinen wunderheilenden Kräften verdankt. Dieser Charakterzug von Heiligen zog generell Menschen unabhängig von ihrer religiösen Einstellung, also auch muslimische Bevölkerung, an (Rohdewald 2009: 155f). Sarı Saltuk jedoch ist an keinem Ort mit Heilungen assoziiert, was ihn von Naum unterscheidet. Wesentlich öfter wird er mit Waffen verbunden. Über den Kultort Babaeski schreibt der Theologe Stephan Gerlach, er sei mit Waffen ausgestattet gewesen, von denen die »Türcken« sagen, dass sie »St. Niclaus geführet [habe]: die Griechen aber sprechen, die Türken habens nur hineingehänget« (Gerlach 1674: 511). Im bulgarischen Kaliakra dagegen existiert die konkrete Legende von Sarı Saltuk als dem Töter des siebenköpfigen Drachens, wobei er das ihm zur Verfügung stehende Holzschwert verwendet habe (Hasluck 1929: 429f). Eine ähnliche Geschichte existiert über das Wirken Sarı Saltuks in Krujë (Hasluck 1929: 435). Trotz der unterschiedlichen Charakterisierung, die sie erfuhren, konnten Naum und Sarı Saltuk weitere Wunder vollbringen. Diese dürften die Anerkennung der Bevölkerung unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit hervorgerufen, sie in Staunen und Ehrfurcht versetzt und zur Respekt- und Verehrungshandlungen veranlasst haben. Da die Identifikationsstrategie von den Anhänger:innen Sarı Saltuks ausging, stellt sich die Frage, ob und inwiefern auch neuere Naum geweihte Kirchen und Klöster durch den Kult um Sarı Saltuk überlagert wurden. Eigene Forschungen an mit Naum verbundenen Orten zeigten, dass Kulte um die beiden religiösen Figumit einem gewissen Babalăk identifiziert, wie 1865 in einer Zeitschrift zu lesen war (Rohdewald 2009: 159). Dazu trug eventuell die muslimische Umwandlung des zuvor christlich geprägten kirchlichen Kloster- und Ausbildungskomplexes in Ohrid bei, von der gegenwärtig noch das Grab von Sinan Çelebi zeugt (Ivanova-Reuter 2017: 380f, 393-395).
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ren sich an keinem anderen Ort überschneiden. Die Gründe dafür könnten einerseits in der geringen Bedeutung der anderen Kirchen und Klöster gegenüber dem ursprünglichen Kloster im Süden des Ohrid-Sees liegen. Andererseits erfolgte die Mehrzahl der Neugründungen in der Zeit nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs und fiel damit in die Zeit der Etablierung der christlich-orthodoxen Kirche als dominierender Religionsgemeinschaft in Mazedonien und nicht in die der Verbreitung des Bektaschitums. 4.1.4 F azit: Ein christlicher Heiliger und seine religiös-kulturelle Deutungsvielfalt
Der Mangel an historisch greifbaren Fakten über das Leben Naums führte zu wissenschaftlichen Spekulationen sowie christlicher Legendenbildung und vereinnahmenden muslimischen Narrativen. Diese bilden die Grundlage für die Erinnerung an Naum und seiner Verehrung. Bekannt wurde Naum wie andere Heilige seit dem Mittelalter vor allem als Wundertäter, weil er zu Lebzeiten nicht politisch aktiv war (Angenendt 1994: 29f). Als Wunderheiler war er für Kranke unabhängig von ihrer religiösen Prägung interessant, weswegen auch die lokale muslimische Bevölkerung an seinem Wirken Interesse zeigte. Diese Zuschreibung und die Erinnerung daran schlagen sich in verschiedenen kulturellen Formen nieder, die von Kunst und Architektur bis zu Legendenbildung reichen. Gleichzeitig zeugt die Kultausdehnung vom Ineinandergreifen privater und kollektiver Interessen. Letztere können institutionalisiert sein und zum Beispiel kirchenpolitisch die Ausdehnung der MPC unterstützen, sie können jedoch auch auf die Interessen einer Dorfgemeinschaft zurückgeführt werden. Naums fehlendes offensichtlich politisches Engagement ist der Grund dafür, dass er sich nicht als politisch relevante Erinnerungsfigur eignet (Reuter 2015: 168-170). In der Öffentlichkeit wird Naum vor allem als Diener seiner Lehrer Kyrill und Method erinnert. Im Gegensatz dazu steht die Erinnerung an Sarı Saltuk als Glaubenskämpfer. Einen offensichtlichen Anknüpfungspunkt für Naums Identifikation mit Sarı Saltuk bieten weder die Viten noch die daran anschließenden Legenden. Lediglich ihre Wundertätigkeit und der Bezug zum Wasser sind Gemeinsamkeiten. Dies zeigt sich auch daran, dass die Strategie, Sarı Saltuk mit Naum zu identifizieren, nur auf das von Naum errichtete Kloster am Ohrid-See beschränkt ist. Mit Blick auf das Sarı-Saltuk-Narrativ als Missionsstrategie sind die anderen Orte weniger attraktiv, weil sie einerseits nicht annähernd von der Bedeutung des durch Naum gegründeten Klosters sind und andererseits nach dem Verbot der Bektaschis im Osmanischen Reich (Hanioğlu 2010: 58-60) und unter Atatürk entstanden (Reuter 2019: 232), in einer Zeit also, in der sich die Bekta-
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schis neu organisieren mussten. Daran ändert nichts, dass auch andere Naum geweihte Kirchen und Klöster von Teilen der muslimischen Bevölkerung aufgesucht werden.
4.2 K LOSTERGESCHICHTE ALS SPIEGEL DER HEILIGENVEREHRUNG Ein genauerer Blick auf das Kloster sowie seine Geschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart soll den physischen Treffpunkt der Heiligenverehrung christlicher und muslimischer Bevölkerung als Hintergrund der verschiedenen Narrative erhellen. Gleichzeitig sollen vor dem Hintergrund der Theorie der Mehrdeutigkeit von Orten neben interreligiösen Kontakten am Kloster auch die Verflechtungen religiöser Dimension mit anderen Lebensbereichen beachtet werden. Die Geschichte des Klosters rekonstruierte Cvetan Grozdanov ausführlich in seiner Monographie Sveti Naum Ohridski. Er bezieht sich dabei auf archäologische und kunsthistorische Erkenntnisse vieler anderer Autor:innen, wodurch allerdings seine Monographie von älteren Studien über das Naum-Kloster eine gewisse Pfadabhängigkeit aufweist. Seine Ausführungen bieten daher einen wichtigen Bezugspunkt für die folgende Darstellung. Besonders im Hinblick auf die jugoslawische Vergangenheit ergänze ich Grozdanovs Gedankengänge mit Legenden und Erinnerungen, die mir bei Gesprächen während der Feldforschung erzählt wurden. 4.2.1 Naums Kloster der Erzengel in der Eparchie Devoll
Die Gründung des Klosters ist unmittelbar mit dem Leben Naums. Nachdem Naum im Jahr 893 nach Ohrid kam und seinem Gefährten Kliment, der in der Zwischenzeit zum Bischof ernannt wurde, in der Lehre half, zog es ihn einige Jahre später an das Südufer des Sees, wo er um 900 wahrscheinlich mit Hilfe der lokalen Bevölkerung ein Kloster baute. Bei der Wahl des Ortes fällt zunächst auf, dass er auf der anderen Seite des Sees liegt, weit abgelegen von der Stadt Ohrid. Religiös gesehen trug die Abgeschiedenheit des Ortes positiv zur Etablierung des asketischen Mönchslebens bei (vgl. Matevski 2011: 118f). Zudem steht das Kloster inmitten einer beeindruckenden natürlichen Kulisse, die Cvetan Grozdanov als »eine der biblischen Landschaften« bezeichnet (Grozdanov 2015: 10). Daneben gab es aber auch strategische Gründe für den Ort, der als Knotenpunkt zwischen Ohrid, Devoll und Prespa sowie und der Verbindung zur Adria diente (Grozdanov 2015: 9f). Organisatorisch gehörte das Kloster seiner Lage nach zur Eparchie Devoll, nicht zu Ohrid (Groz-
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danov 2015: 16). Irritierenderweise heißt es gleichzeitig in der ersten Naum-Vita, Naum sei ein »Presbyter des Bischofs Kliment« gewesen, der wiederum seinen Sitz in Ohrid hatte (Grozdanov 2015: 14). Als Auflösung dieses Widerspruchs in der Klosterzugehörigkeit nimmt Grozdanov an, die Reichweite von Kliments Bistum habe sich etappenweise ausgeweitet (Grozdanov 2015: 21-23). Über das Kloster in seiner ursprünglichen Form sind kaum Hinweise erhalten. Anfang der 1950er Jahre zeigten archäologische Untersuchungen, dass die heutige Kirche nicht wie lange angenommen aus der Zeit Naums, sondern aus der Zeit des Osmanischen Reichs stammt (Koco 1958: 64f). Das einzige, was von Naums erster Klosterkirche übrigblieb, sind die beiden Säulen, die auch in der Vorhalle der heutigen Kirche verbaut sind (Grozdanov 2015: 51). Diese sind gleichzeitig Träger der wahrscheinlich ältesten slawischen, nicht-kanonisierten Sprach- und Schriftzeugnisse (Kempgen 2019). Allerdings wurde die heutige Klosterkirche auf den Ruinen einer dreischiffigen Kirche errichtet, die unter Naums Leitung entstand (Koco 1974: 153). Ende des 9. und Anfang des 10. Jahrhunderts war es allgemein üblich Kirchen mit drei Schiffen zu errichten, wie auch die von Naums Zeitgenossen Kliment errichtete, bezeugt (Grozdanov 2015: 41). Neben dieser Gemeinsamkeit zeigen sich auch Parallelen bezüglich der Lage und der Gestaltung der Gräber beider Erbauer. In Anlehnung daran entstanden vermutlich auch Legenden darüber, Kliment und Naum hätten gleichzeitig mit dem Bau ihrer Kirchen begonnen (Grozdanov 2015: 47f). Um zu kontrollieren, welche Kirche eher fertig sei, sollen zum Arbeitsbeginn und ‑ende Zeichen gegeben worden sein. In mehreren Varianten wurde Naums Kirche vor Kliments fertig gestellt, weil es zu Fehlern bei der Signalübertragung über den See kam (Risteski 2009: 64f). Einige Legenden verbinden die Baulegenden mit der Umwandlung der Kirche Kliments in eine Moschee – als Strafe dafür, dass sie die Zeichen falsch gedeutet und eher mit der Arbeit aufgehört oder früher mit ihr begonnen hatten. Warum das Naum-Kloster nicht in eine Moschee umgewandelt wurde, berichten weitere Legenden (Risteski 2009: 110-114). Kern der Geschichten ist eine Wette, durch die den lokalen Paschas und Beys Naums Stärke anhand eines Bechers mit Wein demonstriert wurde. Dabei wurde der mit Wein gefüllte Becher aus einer in den Legenden variierenden Höhe fallen gelassen und soll unbeschadet mit dem Wein auf dem Boden aufgekommen sein. Anfangs war die Kirche außerdem von einem Friedhof umgeben, auf dem auch Naum als Gründer begraben wurde (Grozdanov 2015: 41). Grabungen Mitte der 1950er Jahre legten mehrere Gräber frei, einige von ihnen im heutigen Kircheninneren, zwischen dem dreiteiligen Eingang, dem Tribelon, und dem Versammlungsraum der Gemeinde, dem Naos (Koco 1958: 70f). Das ursprüngliche Grab befand sich auf der südlichen Seite der Vorhalle und wurde durch die später
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gezogene Südwand der Grabkapelle Teil der Kirche (Koco 1958: 72-76). Zu der Schlussfolgerung kam der leitende Archäologe und Kunsthistoriker Dimče Koco, weil er das Grab im Gegensatz zu den umliegenden zwar gut erhalten, jedoch leer aufgefunden hatte. Das Grab befand sich dementsprechend zunächst nicht in einer geschlossenen Grabkapelle, sondern war eine (halb‑)offene Grabstelle, zu der mehrere Personen gleichzeitig gehen konnten (Grozdanov 2015: 47). Die Lage der gefundenen Gräber und die fehlenden Ruinen unter den Wänden der heutigen Vorhalle zeugen zudem vom Ausbau der ursprünglichen Kirche in zwei Etappen (Koco 1958: 71, 77-79). Überdies wurde der heute als Naum-Kloster bekannte Gebäudekomplex ursprünglich nicht seinem Erbauer gewidmet. Noch im 19. Jahrhundert versuchte der französische Diplomat und Historiker Pouqueville den Namen des Klosters auf den alttestamentlichen Propheten Naum zurückzuführen (Grozdanov 2015: 11). Dafür datierte er den Bau des Klosters ins 6. Jahrhundert unter Kaiser Justinian. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass das Kloster den Erzengeln geweiht war, wie die erste slawische Vita Naums behauptet, oder nur dem Erzengel Michael, was der zweiten slawischen Vita zu entnehmen ist. Gründe für die Engführung auf einen Engel gibt es genug, war der Erzengel Michael doch der bekannteste, was durch seine Doppelfunktion als militärischer Stratege und Heiler begründet wurde (Grozdanov 2015: 11f). Untermauert wird die These durch poetische Texte, die Naum und Kliment verfassten, und durch die bis heute in der Kirche zu findende Ikonographie (Grozdanov 2015: 12, 27-30). Eng mit der Zuweisung des Klosters an den Erzengel Michael, der nicht nur als Heiliger des Militärs und der Herrscher, sondern auch als Wunderheiler galt, geht auch die Übertragung der Heilkräfte auf Naum einher. Das spiegelt sich auch in den Gründungslegenden wider, von denen mir eine Verkäuferin im Klosterkomplex eine Variante diktierte: »Das war vor vielen Jahren. Sveti Naum war ein Wundertäter, er kam von Prespa. Als er am Dorf Trpejca ankam, gab es oben auf dem Hügel einen König. Der König hatte eine Tochter. Sie war sehr schön, aber sie war krank. Als Sveti Naum zum See hinunterging, bemerkte er ein Mädchen, das bei der Quelle saß und weinte. Er fragte sie, warum sie weine, und sagte: Ihr seid so schön. Sie begann, ihm ihre Geschichte zu erzählen, dass sie krank sei und nicht geheilt werden könne. Sveti Naum sagte ihr*, sie solle sich nicht sorgen, denn er werde sie heilen. Danach ging sie zu ihrem Vater. Sveti Naum, sagte sie* ihm, kann heilen und verlangt kein Geld für die Arznei. Der Vater des Mädchens sagte auch: Was du willst, werde ich dir geben, nur dass du meine Tochter gesund machst. Die Tochter wurde gesund und [der Vater] gab ihm für den Dienst einen Büffel. Das Fleisch werde ich dir zurückgeben und von der Haut werde ich einen Faden machen. So lang, wie mein Faden sein wird, soviel Platz wirst du mir geben, damit ich eine Kirche machen kann. [D.h. soviel Platz, wie er mit
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dem Faden umspannen kann.] Und so geschah es, dass der Zar sich wunderte, er hatte nie gesehen, wie er das machte – wie dünn [er] die Haut [schnitt] – und er war ihm dankbar, dass er seine Tochter geheilt hatte.« (EN 06.07.2016, eigene Hervorhebung, in der Originalerzählung steht an Stellen mit * die maskuline Form)10
Der Kern dieser und anderer Versionen (Risteski 2009: 57-62) der Geschichte ist: Naum heilte die Tochter eines reichen Mannes, der ihm zum Dank ein Stück Land schenkte, auf dem das Kloster errichtet wurde. Durch diese individuelle Erzählung weisen die Legenden Lokalkolorit auf. Besonders der reiche Mann bekommt dabei oftmals eine konkrete Position zugeschrieben wie König, Zar, Landwirt oder Bey. Ein Priester aus Resen berichtete, dass das Kloster später noch nach demselben Prinzip Ländereien hinzugewonnen habe (Atanasov 2016): Niyazi Bey war Ende des 19. Jahrhunderts ein wohlhabender, führender osmanischer Beamter (vgl. Zürcher 1993: 65f), dessen Haus in der Kleinstadt Resen als ein Museum für Regionalgeschichte dient. Laut dem Priester aus Resen sei Niyazi Bey im Traum zum Naum-Kloster gerufen worden, als seine Tochter sehr krank war. Niyazi Bey sei dem Ruf gefolgt und habe am Kloster gebetet, woraufhin seine Tochter geheilt worden sei. Zum Dank habe er einen Teil seines Besitzes, wie die Ländereien des Dorfes Stipona, an das Kloster gegeben. Aus diesem Grund, so der Priester, gehen Teile der muslimischen Bevölkerung zum Naum-Kloster, um die Reliquien zu verehren. Ein weiteres Element der Gründungsgeschichte, das variabel gestaltet wird, ist die Krankheit der Tochter. Da Naum bis heute vor allem als Wunderheiler von Kopf- und Geisteskrankheiten bekannt ist,11 heißt es in Albanien etwa, die Tochter sei ohne Haare gewesen sei (Gusho 2000: 139). Erst 10 »Тоа било пред многу години. Св. Наум бил чудотвореџ, дошол од Преспа. Кога стигнал кај село Трпејца на ридот горе имало некој крал. Кралот имал една ќерка. Таа била многу убава, ама била болна, Св. Наум кога слегол долу покрај езерото забележал една девојка која седи до изворот и плаче. Ја прашал зошто плаче и рекол: Вие сте толку убава. Почнувала таа да му разкажува својата прикаска дека е болна и не може да се излекува. Св. Наум му рекол да не се сеќирај дека тој ќе ја излекува. Потоа отишла кај неговиот татко. Св. Наум, му рекол, може да излекувал и не бара пари за лекот. Таткото на девојката и рекол: Шо сакаш ќе ти дадам, само да оздрави мојата ќерка. Ќерката издравела и за услугата му подарал еден бивол. Месото ќе го вратам а од кожата ќе направам конец. Колку должина ќе имам конецот толку место ќе ми дадеш да направам црква. Така и бидна му Царот се вчудо, не видил како је направил колку тенка кожата и му бил благодарен што ја излекувал својата ќерка.« 11 Diese Zuschreibung leitet sich möglicherweise von der Bedeutung seines Namens ab: Das slawische Wort um bedeutet »Verstand« oder »Gedanke«, die Präposition na dage-
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als Naum ihr die Haare mit Quellwasser gewaschen habe, seien sie wieder lang und schön gewachsen. Wie Naum an das Stück Land für sein Kloster kam, wird gelegentlich auch in der Wissenschaft thematisiert. Im Zusammenhang mit Naums Tätigkeit spekuliert Oschlies etwa, ob es sich um ein Geschenk der bulgarischen Herrscher gehandelt habe: »Hätten Boris und Simeon ihre Kasse geräumt, um einem unbedeutenden Schreiber und Übersetzer an einem ausgesucht schönen Platz den Bau eines großen Klosters zu ermöglichen?« (Oschlies 2011: 1011). Auch in Oschlies’ Ansatz spiegelt sich als Motiv der Legenden »Land als Lohn« wider. Gleichzeitig impliziert es neben einem auf Leistung ausgerichteten Belohnungssystem auch die Vorannahmen von herrschaftlichem Landbesitz, -verteilung und -verwaltung sowie deren Administration durch eine Baugenehmigung. Eine klare Antwort auf die Frage der Landnahme steht jedoch bisher noch aus. Am Beispiel der Anfänge des Klosters wird deutlich, dass der Mangel an Informationen – wie schon in Bezug zum historischen Naum – Legendenbildung und Spekulationen inspiriert. Besonders bei der Legendenbildung ist eine anachronistische Tendenz zu erkennen, die muslimisch-osmanische Elemente bereits in die Gründungszeit vordatiert. Die lokal gefärbte Darstellung ist ein Beweis für die lebendige Tradierung des Grundmotivs sowie für das bis in die Gegenwart reichende Bewusstsein, einer Beziehung der Bevölkerung zum Heiligen und zu dessen Kloster. 4.2.2 Erweiterungen des Klosters im Osmanischen Reich
Die Bedeutung des Klosters für die Bevölkerung ist auch von den Ereignissen während der osmanischen Herrschaft beeinflusst. In der Zeit trugen sowohl Bautätigkeiten als auch sozial- und kirchenpolitische Veränderungen dazu bei, dass das Kloster an Ansehen gewann. Die erweiternden Bautätigkeiten begannen, nachdem das Kloster aus unbekannten Gründen zerstört wurde (Grozdanov 2015: 73). Die Zerstörung wird ins 15. oder 16. Jahrhundert datiert, genauere Hinweise fehlen jedoch (Koco 1974: 154). Das Narrativ der Zerstörung dieser Kirche während der osmanischen Eroberung fehlt in den Legenden. Die ursprüngliche Kirche wurde mit zwei Erweiterungen in drei Phasen auf den Ruinen wiedererrichtet. Der Stil der in der Zeit der osmanischen Herrschaft neuerbauten Kirche ähnelt dem einiger Kirchen, die mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Zeit vor der osmanischen Eroberung stammen. Das bedeutet, dass sich die Architektur weitgehend ohne os-
gen »an« oder »auf« und kann im Mazedonischen auf einen Dativ oder Genitiv verweisen.
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manische Einflüsse fortsetzen konnte (Koco 1974: 154-156). Die Kirche erhielt dabei ihre gegenwärtige architektonische Form. Es ist weder bekannt, wann und unter welchen Umständen das Kloster zerstört wurde, und noch ist der Zeitpunkt überliefert, wann begonnen wurde, es wiederaufzubauen. Anfang des 17. Jahrhunderts muss es allerdings bereits Pläne für die Wiedererrichtung gegeben haben: Mit einem Brief aus dem Jahr 1631 versuchte der Ohrider Erzbischof Avramij Spenden für den Klosterbau in Westeuropa zu sammeln (Grozdanov 2015: 73). Jenes Schreiben ist außerdem interessant, weil es der erste schriftliche Nachweis darüber ist, dass das Kloster nach seinem Erbauer als Naum-Kloster benannt wurde. Abgesehen von der Aktion des Erzbischofs zur Spendensammlung ist über den Verlauf des Baus nichts weiter bekannt. Die archäologischen Untersuchungen verdeutlichten lediglich die Reihenfolge der Entstehung der Kirchenbestandteile (Koco 1958: 79f). Obwohl es sich um eine verhältnismäßig kleine Kirche handelt, ziehen sich der Bau und die Einrichtung der Kirche über ein Jahrhundert hin: 1711 wurde die Ikonostase (Grozdanov 2015: 77) mit Bildern des aus Korçë stammenden Ikonographen Konstantin (Grozdanov 2015: 103-105) fertiggestellt. Die Grabkapelle wurde 1799 auf Anweisung von Abt Stefan errichtet und 1800 ausgemalt (Grozdanov 2015: 141). Die Gelder dafür sammelte der Priestermönch Grigorij sogar in Ungarn (Celakoski 2010: 46). Infolge seines guten Kontakts zum Klostervorsteher ordnete Ali Paşa den Bau einer Kuppel über der Grabkapelle an, die ab 1806 mit der ganzen Kapelle ausgemalt wurde (Celakoski 2010: 47). Während die Kuppeln neubyzantinischen Stils sind, weisen die Fresken postbyzantinischen Charakter auf (Grozdanov 2015: 77, 135). In jedem Fall ist kein osmanischer Einfluss auf die Ausgestaltung feststellbar – lediglich die Form der Fenster erinnert an die Architektur des Osmanischen Reichs (Grozdanov 2015: 76). Mit der Fertigstellung der Klosterkirche Anfang des 19. Jahrhunderts waren die Bautätigkeiten jedoch nicht abgeschlossen. Es folgte der Bau mehrerer Unterkünfte und der Küche, die 1875 einem Brand zum Opfer fielen (Grozdanov 2015: 279). Dabei ist besonders der muslimisch-osmanische Einfluss beziehungsweise die Hilfe einflussreicher Osmanen hervorzuheben, deren Namen überliefert sind: Den noch heute erhaltenen Brunnen stiftete 1818 Ismail Bey (Abb. 2). Celadin Bey, der Herrscher von Ohrid, ließ 1820 einen kiosk, eine Art kleine Säulenhalle bauen, in der er sich mit seiner Frau erholte. Diese osmanische Hilfe kann als Anerkennung und Respekt gegenüber dem Heiligen oder als Zeichen dafür betrachtet werden, dass sich diese Osmanen ausgesprochen wohl am Kloster fühlten. Gleichzeitig kann es auch als eine Art Nachbarschaftshilfe gewertet werden, die sich mindestens bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts nachweisen lässt (EN 10.01.2017). 1846 entstand der Plan eines Neubaus, der jedoch scheiterte, weil einerseits der planende Abt vor der Umsetzung verstarb und weil andererseits
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Abb. 2: Der 1818 von Ismail Bey errichtete Brunnen, links neben dem Eingang der Klosterkirche.
dessen Nachfolger aus Respekt vor dem alten Gotteshaus kein neues bauen wollte (Grozdanov 2015: 80f). Hintergrund der Idee eines Neubaus war der Wunsch nach mehr Platz für die Gläubigen. Stattdessen wurde in den 1850er Jahren noch eine neue Grabplatte angefertigt. 1868 wurde zudem ein Turm mit mehreren Zimmern errichtet (Celakoski 2010: 53). In der Nacht vom 2. auf den 3. Februar 1875 brach der bislang verheerendste Brand im Kloster aus, der versehentlich durch eine Gruppe hochrangiger osmanischer Gäste verursacht wurde, die im Kloster übernachtete (Celakoski 2010: 53). Dabei wurden viele Unterkünfte, Speisesäle sowie die Küche und andere Bereiche vom Feuer erfasst und zerstört (Grozdanov 2015: 279). Nur die Klosterkirche und die Voskopoja-Veranda blieben erhalten (Celakoski 2004: 18f). Der Brand
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entstand zwar im Zusammenhang mit einem Aufenthalt osmanischer Beamter, allerdings kann nicht von einer mutwilligen Zerstörung des Klosters seitens der osmanischen Eliten gesprochen werden. Der Brand wurde nicht gelegt, sondern er verbreitete sich wie kleinere Brände, die es früher gelegentlich gab, aufgrund von Funkenflug, Unachtsamkeit und mangelnden Sicherheitsvorkehrungen. Mit Blick auf die vielen erwarteten Besucher:innen zum Feiertag, wurden vor dem 3. Juli 1875 schnell provisorische Unterkünfte sowie eine Küche gebaut (Celakoski 2010: 54). Im März 1876 wurde der Bereich mit den Zellen zur Heilung von Kranken wiederhergestellt, der 1708 errichtet worden war und in dem die Kranken während ihrer Behandlung lebten (Celakoski 2010: 47, 54). Der Bereich wurde auch bolnica, »Krankenhaus«, genannt. Ein Jahr später, 1877, wurde die Klosterkirche um ihre Vorhalle, den sogenannten Pronaos, erweitert, die eine Frau aus Korçë mit dem Namen Paraskeva Kota stiftete (Celakoski 2010: 47). Das Ende der Bauarbeiten belegt eine Gipsfliese, die sich an der äußperen Tür der Kirche befand und 1925 mit der Krankenstation zerstört wurde (Grozdanov 2015: 81). Der Turm wurde im Jahr 1878 neugebaut, wobei die Zimmer seitdem den osmanischen Wächtern zur Verfügung gestanden hatten (Celakoski 2010: 55). Neben den Bauaktivitäten weitete sich das Kloster im 19. Jahrhundert auch durch den Zukauf von Ländereien aus, wobei diese von reichen muslimischen Landbesitzern stammten (Celakoski 2004: 18): 1833 wurde zunächst das Gebiet des Dorfs Ljubaništa von Celadin Bey abgekauft (Grozdanov 2015: 279). Es folgten weitere Ländereien bei Stenje, einem Dorf bei Resen, das dem Ohrider Jaşar Bey gehörte, sowie bei Pojani in Albanien (Grozdanov 2015: 280). Außerdem kam das Kloster in den Besitz weiterer Gebiete bei Bitola und Kostur, die es geschenkt bekam. Den wirtschaftlichen Wohlstand des Klosters machten auch zwei Wassermühlen sowie eine zwischenzeitlich 8000 Schafe umfassende Herde aus (Celakoski 2010: 50, 58). Der Anbau von Nutzpflanzen trug zu seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit bei (Celakoski 2010: 60). Finanziert wurden der Neubau der Kirche und der Ausbau des Klosters auch mittels der Einnahmen von Kirchen, die sich im heutigen Albanien befinden. Joan Pelushi, der Metropolit aus Korçë, deutet die Finanzierungswege am Beispiel von Peshkopi an: »And the church of Saint Naum was repaired many times from the income that used to come from a church that is now in Peshkopi, it’s a village close to the border with Macedonia, it’s in Albania. It’s [an] old church, that they have restored recently and was called Peshkopi maybe because, maybe was the See of the bishop. In Albania peshkop it’s bishop. And during the summer the bishop used to stay over there. And so, the church had a lot of income. And a lot of this income was used and to repair many times the church of Saint Naum. Because all this area was under one bishop.« (Pelushi 2016, eigene Hervorhebung)
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Die Sammlung und Verwaltung von Spenden an die Kirche war folglich eng mit der Person des Bischofs verbunden. Nicht nur der Aufruf zur Spendenaktion, auch seine Präsenz wirkte demnach als eine Art Marketingstrategie für die Kirche. Obwohl das Naum-Kloster kein Bischofssitz war, gab es ein kirchenpolitisches Interesse an seiner Pflege und Instandhaltung, wodurch es herausragende Bedeutung erlangte. Grund dafür war der parallele Bedeutungsverlust der Kirche Sveti Pantelejmon, die Naums Gefährte Kliment als erster slawischer Bischof erbauen ließ (Ivanova-Reuter 2017: 379f). Als Bischofskirche, in der dieser auch begraben wurde, bekam die Panteleimon geweihte Kirche von der Bevölkerung auch den Namen Sveti Kliment. Dem immer noch kursierendem Narrativ, die Kirche sei dem Zerstörungs- und Umwandlungswillen der osmanischen Eroberer Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts zum Opfer gefallen, stehen archäologische Untersuchungen entgegen: Ausgrabungsfunde lassen darauf schließen, dass die Kirche wahrscheinlich erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zunächst in eine Mescit und Ende des 16. oder Anfang des 17. Jahrhunderts in eine Freitagsmoschee mit Minarett umgewandelt wurde (Ivanova-Reuter 2017: 380; Koco 2000: 93-98). Die Gebeine Kliments wurden vor der Umwandlung in die Kirche der Sveta Bogorodica Perivlepta überführt, weswegen diese ebenfalls den Namen Sveti Kliment trägt. Das Zentrum christlicher Frömmigkeit verschob sich infolge des Verlustes der Bischofskirche vom Norden des Sees in dessen Süden. Das Naum-Kloster bot sich möglicherweise als neuer religiöser Mittelpunkt an, weil es außerhalb der Stadt Ohrids und damit außerhalb des neuen osmanischen Verwaltungszentrums lag. Außerdem war Naum Zeitgenosse, Mitarbeiter und Nachfolger Kliments. Naums Kloster eignete sich daher am besten für die Neuverortung des verlorengegangenen, zu erinnernden religiösen und kulturellen Kerns der lokalen christlichen Identität, die ihren Ausgangspunkt in Kliments Werk hatte. Anfang des 18. Jahrhunderts erfuhr die Gegend um Ohrid im Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Habsburgischem und Osmanischem Reich (1699) eine kulturelle Erneuerung, die mit der Hoffnung auf Unabhängigkeit verbunden war (Grozdanov 2015: 97-100). Zudem veränderte sich auch das Ohrider Erzbistum, das 1727 zum Patriarchat erhoben wurde (Celakoski 2004: 28f). Im selben Jahr verschob der Ohrider Erzbischof Joasaph Naums Feiertag von dem 23. Dezember auf den 20. Juni des julianischen, das heißt vom 5. Januar auf den 3. Juli des gregorianischen Kalenders (Peyfuss 1996: 170). Die offizielle Verschiebung des Feiertags auf einer Synode geht möglicherweise auf eine ältere nichtkanonisierte Tradition zurück, wonach die lokale Bevölkerung das Naum-Kloster seltener im Winter, sondern verstärkt im Sommer aufgesucht hatte (Grozdanov 2015: 267). Dieses Ereignis ist für die Entwicklung und Verbreitung des Kults von herausragender Bedeutung, da es dem Kloster zu noch mehr Aufmerksamkeit verhalf:
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Einerseits entstand in diesem Zusammenhang vermutlich das älteste Siegel des Klosters (Celakoski 2004: 28f). Dieses hatte jedoch mehr symbolische als praktische Bedeutung und ging schließlich verloren. Andererseits entwickelte sich mit Naums Sommerfeiertag eine Art Jahrmarkt (maz. panaǵur, alb. panair), die den Bekanntheitsgrad des Heiligen erhöhte und maßgeblich zum materiellen Wohlstand des Klosters beitrug (Grozdanov 2015: 266). Im Zusammenhang mit der Verlegung von Naums Gedenktag im Jahr 1727 steht auch Peyfuss’ Aussage, dass »unter den [Pilgern] auch Mohammedaner waren« (Peyfuss 1996: 170), was jedoch nicht zur Begründung des Ohrider Erzbischofs Joasaph gehörte (Risteski 2009: 32). Bemerkenswert ist außerdem, dass Evliya Çelebi das Kloster knapp 50 Jahre früher, im Jahr 1670, bei seiner Durchreise nicht als muslimischen Kultort beschrieb (vgl. Çelebi 2000: 194-225). Es ist daher anzunehmen, dass es ihm entweder nicht bekannt war oder nicht erwähnenswert erschien. Sollten zur Zeit Evliya Çelebis tatsächlich noch keine muslimischen Personen das Kloster aufgesucht haben, stellt sich die Frage nach einem ausschlaggebenden Ereignis für die Veränderung dieses Zustands. Die Ausbreitung des Kults erfasste das ganze Erzbistum, das sich bis ins Epirusgebirge streckte und orthodoxe Gläubige verschiedener Herkunft umfasste (Grozdanov 2015: 267).12 Die Verbreitung des Kults zeigt sich am deutlichsten an dem Aufkommen von Naum-Ikonen innerhalb des Bistums, wie in Bitola, Voskopojë, Berat und Kozani, aber auch in Gegenden außerhalb des Bistums, wie auf dem Athos und im habsburgischen Reich (Grozdanov 2015: 223-236, 268-270). Dazu trugen vor allem soziopolitisch motivierte Auswanderungen bei. Besonders eindrücklich für das Ohrider Erzbistum waren Angriffe auf das aromunisch besiedelte Moschopolis, heute Voskopojë, in deren Folge viele Bewohner:innen den Ort verließen. Gleichzeitig entfiel mit der Zerstörung und der Auswanderung die finanzielle Unterstützung aus der ehemaligen Handelsstadt (Grozdanov 2015: 153). Stattdessen trugen die Geflohenen den Kult in ihre neue Heimat, wo er in Form von hagiographischen Gravierungen auch private Züge annahm (Márta 2012: 243-246). Aber auch im näher gelegenen Bitola lassen sich Spuren dafür finden, dass die aromunischen Zugewanderten den Glauben an und den Kult um Naum mitbrachten oder verstärkten, wie die Grafik von Hristofor Žefarovič verdeutlicht (Gulevski 2008: 56). Die Grafik erinnert dabei an die Naum-Bilder, die die nach Ungarn geflohenen Aromun:innen aus Voskopojë für ihren privaten Ver12 Die Feststellung sagt jedoch nichts über die Bedeutung der Herkunft oder der verwendeten Sprache für die Identitäten aus. Vielmehr ist die Betonung der Zusammensetzung rückblickend eine Reaktion auf die gegenwärtige Betonung der ethnischen und nationalen Zugehörigkeiten, die mit den Separationstendenzen einhergehen, vgl. Kapitel 3.2.1 Religionen im Osmanischen Reich und ihre Bedeutung für die Nationenbildung.
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ehrungskult gebrauchten. Vielleicht war auch der 1856 abgebrannte Klosterladen in Korçë ein Bestandteil des Kults um Naum, den die Flüchtlinge aus Voskopojë mitgebracht hatten (vgl. Grozdanov 2015: 282). Einer der Hauptgründe für die zunehmende Ausweitung des Kults ist Naums Ruf als Wundertäter und Heiler, der durch den Bau eines Krankenhauses gestärkt wurde (Grozdanov 2015: 266). In Anlehnung daran erlangte das Kloster bereits unter osmanischer Herrschaft weniger religiös konnotierte Funktionen: Legenden und Überlieferungen sprechen dafür, dass auch osmanische Bedienstete das Kloster als Erholungsort und Übernachtungsmöglichkeit nutzten (Grozdanov 2015: 279, 282-284). Ein weiterer Hinweis für die Wertschätzung des Ortes seitens der Osmanen ist die bereits genannte Errichtung des Brunnens und des Kiosks. Außerdem ist überliefert, dass hochrangige Osmanen im Kloster als Gäste übernachteten, wie bei der Entstehung des Brandes im Jahr 1875 deutlich wurde. Die Handlungen der einflussreichen Osmanen lassen vermuten, dass auch weniger einflussreiche muslimische Untertan:innen das Kloster aus Heilungs- oder Erholungsgründen aufsuchten. Daneben galt Naum auch als Patron der Landwirtschaft, da er als erster in der Gegend Äpfel, Birnen und andere Pflanzen kultiviert habe, meinte ein junger Mann aus Leskoec (EN 16.01.2017). Da Landwirtschaft lange einer der Hauptberufe in der Gegend war, konnte sich der Kult um Naum auch in dieser Hinsicht religionsunabhängig ausbreiten. Der Prozess der Ausweitung wurde zudem durch die Etablierung des Buchdrucks beeinflusst, durch den Naums Viten und andere Dokumente schneller verbreitet werden konnten. Hervorzuheben ist hierbei die Druckerei in Voskopojë, die durch Naum als Patron mit dem nahegelegenen Kloster und dem Ohrider Erzbistum in enger Verbindung stand (Peyfuss 1996: 83-86). Voskopojë hatte bereits zuvor eine besondere Beziehung zu dem Kloster: 1646 fertigte Georg, ein einflussreicher Mann aus Voskopojë, eine Abschrift der Liturgie und der Vita Naums an (Grozdanov 2015: 73). 1662 wurde Gavril, der Abt des Klosters Johannes des Täufers (alb. Manastir i Shën Prodhromit) aus Voskopojë, auch für das NaumKloster zuständig (Grozdanov 2015: 102f). Auch international, in den Druckereien von Venedig und Leipzig und später auch in den Druckereien von Wien und Izmir (Smyrna), wurden die Schriften verlegt (Grozdanov 2015: 267). Zum Teil bestanden zwischen Voskopojë und den genannten Städten auch Handelsbeziehungen, erinnerte sich auch Sotiraq Grosi, ein älterer Gesprächspartner aus dem Dorf (Grosi 2016). Im Zusammenhang mit der Druckerei steht auch die Verbreitung des Kults um die sieben Slawenapostel seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Trapp 1982: 475-482). Ein Schwerpunkt des Kults lag in Berat, weshalb sich Naums Kult vermutlich über diese Verbindung auch weiter nach Südwesten ausdehnte.
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Unter osmanischer Herrschaft gelangte das Naum-Kloster zu hohem Ansehen, Reichtum und großer Popularität. Hintergrund waren seine Zerstörung und Neuerrichtung sowie der Bedeutungsverlust des christlich-kulturellen Zentrums in Ohrid. Aus den historischen Darstellungen geht nicht hervor, inwiefern sich der Bedeutungsgewinn mit der Verbreitung des Kults um Sarı Saltuk überschneidet. Unabhängig von der Verortung Sarı Saltuks am Kloster seitens verschiedener muslimischer Gruppen herrschten respektvolles Verhalten und materielle Zuwendung vor. Die positiven Überlieferungen und Geschichten über das Verhalten der muslimisch-osmanischen Oberschicht spiegeln demnach das zeitgenössische christlich-muslimische Verhältnis als harmonisches wider. 4.2.3 D as Kloster als Schauplatz kirchen- und nationalpolitischer Auseinandersetzungen
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Kloster zunehmend zum Schauplatz der ethnisch-nationalen Auseinandersetzungen, woran die gesamtpolitische Situation des Osmanischen Reichs erkennbar wird. Die religiös-kulturelle Bedeutung Naums und seines Klosters gerät dadurch zugunsten seiner politischen Vereinnahmung in den Hintergrund. Den Anfang der politischen Streitigkeiten markierte ein Ereignis kircheninterner Reichweite: Nachdem 1767 das Ohrider Patriarchat aufgelöst und unter die Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel gestellt worden war, stand 1869 die kirchliche Schulbehörde von Ohrid mit dem Ökumenischen Patriarchat um die Vorherrschaft über das Kloster, die vor allem dessen wirtschaftliche Verwaltung betraf, in Konflikt (Grozdanov 2015; Snegarov 1972: 34-39). Der Höhepunkt des Interessenkonflikts ereignete sich im Anschluss an den Feiertag im Jahre 1874. Da das Ohrider Patriarchat nicht mehr existierte, versuchte die Bevölkerung Ohrids das Kloster wieder vollständig unter Kontrolle zu bekommen (Grozdanov 2015: 282). Allerdings gelangte das Kloster nach dem Feiertag unter die direkte Verwaltung des Patriachats in Konstantinopel. Der Konflikt entzündete sich an der Frage, wer die Kirche abschließen, den Schlüssel an sich nehmen und damit – politisch gesehen – über das Kloster wachen solle. Der Phanariotische Bischof Meletija bereitete den vorangegangenen Streitigkeiten ein Ende, indem er osmanischen Beamte einschaltete. Jene erhielten bereits Mitte des 19. Jahrhunderts vom Erzbischof Dionosie die Befugnis, Entscheidungen in Hinblick auf das Kloster zu treffen (Celakoski 2010: 59). Die nicht überlieferten Gründe und Interessen der osmanischen Beamten für die Unterstellung des Klosters unter das Patriarchat in Konstantinopel sind wohl mit Obrigkeitshörigkeit zu erklären. Das
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Kloster verblieb von dem Zeitpunkt an bis zu den Balkankriegen unter der Jurisdiktion von Konstantinopel (Grozdanov 2015: 282). Ein Grund für die zunehmende kirchenpolitische Bedeutung des Klosters in dieser Zeit ist das 1000-jährige Jubiläum der moravischen Mission im Jahre 1869. Im Zuge dessen nahm neben dem Kult von Kyrill und Method auch der Kult um ihre Schüler in der slawischen Welt zu. Das zeigt sich besonders an der Ausweitung der Erinnerungen an die Mission der sieben sogenannten Slawenapostel (Grozdanov 2015: 258, 268). In diesem Zusammenhang entstanden in der Umgebung zunächst entsprechende Ikonen und eine Vita, die zum Beispiel in der Druckerei von Voskopojë gedruckt wurde. Da Naum der Patron der Druckerei war, steht die Verbreitung des Kults um die sieben Slawenapostel auch im Zusammenhang mit dem Kloster. Die slawische Welt hatte generell ein großes Interesse an Naum und seinem Kloster, was an der Tatsache deutlich wird, dass Mitte des 19. Jahrhunderts ein Mann von der Krim zum Abt im Naum-Kloster am Ohrid-See wurde (Celakoski 2010: 39). Darüber hinaus wurde auch im nicht-slawischen Ausland, wie in Rumänien oder Österreich, immer wieder nach finanzieller Unterstützung gesucht (Grozdanov 2015: 286f). Das letzte Hilfegesuch nach dem Brand im Jahr 1875 stammt aus dem Jahr 1889 und ging an die Kirchenoberhäupter in Russland. In dieses Unterfangen war der Priester Sotir Bliznakovski als Gesandter eingebunden, der im Zuge der Aufstände gegen die osmanische Regierung Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts getötet wurde. Ein Ehepaar aus Ljubaništa berichtete von einer Sammelaktion eines Priesters, die sich im Grenzgebiet abspielte (Krstanoska/Krstanoski 2016): Ein russischer Priester, der in Resen und Bitola gedient hatte, habe in allen Kirchen das Geld eingesammelt und es in einem Stock verwahrt, wie ihn alte Leute zum Gehen benutzen. Der Stock sei innen ausgehöhlt gewesen. Zwei junge, etwa 18-jährige alte Männer aus Ljubaništa hätten den Priester durchschaut, ihn erschossen und ihm das Geld gestohlen, das sie später während ihrer Zeit als Partisanen in Albanien versteckten. Ob der Priester das Geld gestohlen oder nur eingesammelt habe, sei jedoch unklar. Sollte er das Geld nur eingesammelt haben, dann liegen als dessen Verwendungszweck die Erneuerungsarbeiten am Kloster nahe, was jedoch nicht bestätigt ist. Die Geschichte habe das Ehepaar vom Pferdeführer des Priesters erfahren, der ebenfalls aus Ljubaništa stammte, aber während des Überfalls flüchten konnte. Ob es sich bei dem Priester um Sotir Bliznakovski gehandelt hat, bleibt ungewiss. Die Kontextualisierung des Handelns der beiden jungen Männer in einer politisch unruhigen Zeit könnte dafür sprechen. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass auch in der Zeit späterer Unruhen Spenden von Geistlichen gesammelt wurden. Allgemein lässt sich bis in die Gegenwart ein Misstrauen gegenüber Priestern erkennen, die sich allein um finanzielle Angelegenheiten der Kirche kümmern.
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Zum expliziten Gegenstand politisch-nationaler Auseinandersetzungen wurde das Kloster im Kontext der Grenzziehungen zwischen Albanien und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Im November 1912, während des Ersten Balkankriegs, waren die serbischen Truppen in der Gegend von Ohrid einmarschiert (Grozdanov 2015: 287). Damit erhoben sie bereits Anspruch auf ein Gebiet, das erst 1913, nach dem Zweiten Balkankrieg, nicht mehr zum Osmanischen Reich gehörten sollte. Im Zuge der Aufteilung der Region Makedonien wurden die Stadt und das Naum-Kloster ein Jahr später, ab November 1913, administrativ Bitola unterstellt. Die Grenzkommission für Albanien und Serbien entschied, dass das Gebiet »von Lin bis Sv. Naum« zu Albanien gehören solle. Allerdings betreute das südslawische Königreich das Kloster noch bis November 1915, da der Beschluss der Kommission bis dahin nicht ratifiziert war. 1915 nahmen im Zuge des Ersten Weltkriegs bulgarische Einheiten das slawisch besiedelte Gebiet um Ohrid bis zum Kloster ein. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Kloster von französischen Truppen übernommen und das Problem der Grenze erneut aufgeworfen (Grozdanov 2015: 290). Umstritten war die Auslegung der Formulierung »von Lin bis Sv. Naum« unter den Nachbarländern und den in der Grenzkommission vertretenen Staaten (Balevski 1984: 125-132). Die albanische Seite verstand »bis« inklusiv, das heißt als zu Albanien gehörig (Naska 2012: xv). Das südslawische Königreich dagegen verstand den Ausdruck exklusiv, was dazu führte, dass das Kloster vorerst unter der Verwaltung Ohrids verblieb (Grozdanov 2015: 290). Die Friedenskonferenz in Paris, die am 9. November 1921 begonnen hatte, griff die Frage der Grenzziehung wieder auf. Sie bekräftigte die Auslegung der zweideutigen Formulierung »von Lin bis Sv. Naum« zugunsten Albaniens (Grozdanov 2015: 290; Naska 2012: xvif). Mit Blick auf die kulturelle Bedeutung der Klostergeschichte für die südslawische Bevölkerung wurde die Grenzproblematik seitens des jugoslawischen Königreichs wieder aufgeworfen (Grozdanov 2015: 290). 1924 gab die internationale Gemeinschaft den Fall an das Gericht im Haag weiter (Balevski 1984: 186-189; Naska 2012: xviii-xx). Dessen beratendes Urteil lautete, dass die »bis St. Naum«Formulierung zweideutig sei, was neue Verhandlungen zwischen Albanien und Jugoslawien hervorrief (Balevski 1984: 196-214). Die endgültige Entscheidung hängt mit dem Regierungsantritt Ahmet Bey Zogollis (Zogu) zusammen, da ihm das südslawische Nachbarland bei der Machtergreifung geholfen hatte (Naska 2012: xx-xxiii). Bei ihrem Treffen am 6. August 1925 beschlossen die Botschafter beider Länder, dass das Naum-Kloster zu Jugoslawien gehören solle, die weiter nördlich gelegene Stadt Peshkopi dagegen zu Albanien (Grozdanov 2015: 290). Dieser Entschluss wurde am 14. November 1925 auf einer Volksversammlung in Albanien angenommen. Die historisch ausgehandelte nationale Grenze ist im Laufe der Zeit eine selbstverständliche und unhinterfragte Tatsache geworden, die
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auch die Entwicklung der Religionsgemeinschaften beider Länder auf institutionell-organisatorischer Ebene beeinflusste. Die Verbindung zwischen Albanien und dem Kloster, das von einem slawophonen Mönch errichtet worden war und zum slawisch geprägten Ohrider Erzbistum gehörte, ist historisch begründet. Denn einerseits gehörte ein Großteil des heutigen Albanien strukturell zum damaligen Ohrider Erzbistum. Andererseits zeigte sich die tatsächliche Verbindung zwischen der Bevölkerung des neugegründeten Albaniens und dem Kloster auch in der materiellen und personellen Unterstützung der vorausgegangenen Jahrhunderten. Von der Verbindung zwischen dem Kloster und Albanien zeugt heute noch die najazma genannte Quelle, kurz hinter dem mazedonisch-albanischen Grenzübergang, die auch durch eine dem Naum geweihten Kapelle mit dem Kloster verbunden ist. »Najazma: it’s a corruption of the word ajazma that means sanctification«, erklärte mir der Metropolit von Korçë im Interview (Pelushi 2016). Der albanische Ausdruck ajazma leitet sich wie das Türkische ayazma vom Griechischen hagíasma ab, was wiederum ein Derivat von hágios und etymologisch auch mit hagnós verwandt ist (Anastassiadou-Dumont 2019: 46). Der Begriff taucht auch im Mazedonischen als ajazma auf und steht in allen genannten Sprachen für eine »heilige Quelle«, also eine besondere, mit religiöser Bedeutung aufgeladene Quelle. Bis zur Grenzschließung Albaniens gehörte die Quelle nicht nur symbolisch durch den Namen, sondern auch praktisch zum Kloster. Pelushi berichtete, dass die Gläubigen die beiden Orte aktiv miteinander verbunden haben: »And this water [from the spring] was taken over there [to the monastery] to make the blessing. And this water was used to bless all the people that were in this day in this feast – mostly people that have mental problems.« Stojan Risteski, der die Wunder Naums in einem Buch veröffentlichte, meinte, dass diese Tradition bis Mitte der 1940er Jahre üblich gewesen sei (EN 29.06.2016). Die dort errichtete Kapelle sei bis 1967 noch von den Bewohner:innen der Region um Pogradec aufgesucht worden (Risteski 2009: 72). Auch die Grenzschließung änderte an der Verbindung zwischen dem Kloster und der Bevölkerung Albaniens vorerst nichts. Die Militärpräsenz am Kloster und die mit Pass zu überquerende Grenze sorgten zunächst für einen Rückgang der Besucher:innen in der Bevölkerung (Risteski 2009: 34). Um Besuche aus Albanien zu erleichtern, traf das Innenministerium 1945, also noch vor der Grenzschließung, jedoch die Entscheidung, der Grenzübergang am Kloster sei anlässlich des Feiertags am 3. Juli frei überquerbar. Die Bestimmungen zur Grenzüberquerung betrafen darüber hinaus auch viele familiäre Kontakte und Beziehungen zwischen Korçë und Ohrid, die durch die Grenze getrennt worden waren (Naumoski 2016a). Erst mit dem politischen Bruch zwischen Albanien und Jugoslawien, der die Grenzschließung seitens Albaniens nach sich zog, »wurde [der Grenzverkehr]
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vollkommen eingestellt und die Grenze praktisch undurchlässig« (Steinke/Ylli 2007: 31). In der Zeit der umstrittenen territorialen Zugehörigkeit kam es zu weiteren Veränderungen. Zu den baulichen Neuerungen zählte vor allem der Glockenturm, der nach mittelalterlichem Vorbild gebaut und nach Jovan Vladimir benannt wurde (Grozdanov 2015: 291). Nach der Klärung des Grenzverlaufs traten neue Ansprüche zur Flächennutzung auf den Plan: Am 8. Oktober 1937 gab das Höchste Landwirtschaftsgericht (maz. Višiot agraren sud) in Skopje die Ländereien des Klosters bis zum Bach Čerava an die Familien in Ljubaništa (Grozdanov 2015: 291). Während des Zweiten Weltkriegs änderte sich die territoriale Zugehörigkeit des Klosters wieder, als es 1941 unter die italienische Besatzungsmacht in Albanien geriet. Dagegen lehnte sich jedoch die Dorfbevölkerung Ljubaništas auf, so dass das Kloster nach der Kapitulation Italiens am 8. September 1943 wieder zu Jugoslawien gehörte. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschob sich mit dem Aufkommen der kommunistischen Regierungen in Jugoslawien und Albanien sowie der Stabilisierung der bestehenden Grenze die Bedeutung des Klosters als Schauplatz interner politischer Aushandlungsprozesse erneut: Zunächst wurden nach der Befreiung von der italienischen Besatzung die Ländereien beiderseits des Baches Čerava an die Bevölkerung zur Errichtung einer landwirtschaftlichen Genossenschaft gegeben (Grozdanov 2015: 291). Auch Krste Naumoski, der in Ljubaništa aufwuchs und später zum Bürgermeister des Dorfes wurde, erinnerte sich an die Zeit der Genossenschaft (Naumoski 2016a). Er markierte diese Zeit als Anfang der Entwicklung des Dorfes, das erst in der kommunistischen Zeit an eine Wasserversorgung sowie ans Strom- und Telefonnetz angeschlossen worden sei. Schließlich sei in jener Zeit auch die Verbindung in die Stadt und zum Kloster verbessert worden, indem Bewohner:innen die Straßen asphaltiert hätten und ein Bus eingesetzt worden sei. Dieser sei einmal pro Tag nach Ohrid gefahren. 1950 »wird das kulturhistorische Denkmal der Kirche Sveti Naum mit den umliegenden Klosterunterkünften unter den Schutz des Gesetzes gestellt« (zitiert nach Risteski 2009: 21, Hervorhebung im Original). Als solches nutzte der Staat es als Museum, was zur Folge hatte, dass im Kloster keine Mönche mehr wohnen und keine Gottesdienste mehr gefeiert werden durften. Stattdessen wurde Eintritt verlangt. Mit der Verbreitung von Fotoapparaten war auch das fotographieren in der Kirche erlaubt, was heutzutage verboten ist (Krstanoska/Krstanoski 2016). Auch das Anzünden von Kerzen in der Kirche verbot der Staat zum Schutz der Fresken, die Anfang der 1960er Jahre freigelegt worden waren, was den religiösen Charakter des Gebäudes in den Hintergrund drängte. Zudem wurden unter der Leitung von Dimče Koco zu Beginn der 1950er Jahre zunächst archäologische Untersuchungen und ab dem 6. August 1955 auch Aus-
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grabungen in und an der Kirche vorgenommen (Koco 1958: 58f, 65). Damit ging auch die Zerstörung des Glockenturms in den Jahren 1954 und 1955 einher, der in der Zeit des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen erbaut worden war. Da der Turm nicht wiederaufgebaut wurde, kann spekuliert werden, dass es sich dabei nicht um eine rein pragmatische Handlung im Sinne der Wissenschaft, sondern auch um ein politisches Statement gegen die Politik des Königreichs gehandelt haben könnte. Die archäologischen Grabungen wurden notwendig, als die ersten Untersuchungen zeigten, dass die heutige Kirche aus der Zeit des Osmanischen Reichs stammte. Daher stellte sich die Frage, was mit der ursprünglich von Naum errichteten Kirche passiert war (Koco 1958: 65). Im Mittelpunkt der Grabungen stand die Grabeskapelle an der Südseite der Klosterkirche, die zuvor als Anbau entdeckt worden war. An dieses Ereignis erinnerte sich das Ehepaar Mileva und Nikola aus Ljubaništa gemeinsam, das die Graböffnung im Jugendalter erlebt hatte (Krstanoska/ Krstanoski 2016). Auf die Frage, wer das Grab geöffnet habe, meinte Mileva, dass die Mitglieder der staatlichen Kommission Jugoslawiens bereits verstorben seien. Wer daran beteiligt gewesen sei, sei nicht bekannt, ergänzte Nikola, nur dass sie aus Belgrad oder aus dem Ausland gesandt worden waren. Er behauptete weiter, die staatliche Kommission habe das Grab geöffnet, um Gold zu finden, weil sie nicht daran geglaubt hätten, dass das Herz des Heiligen in dem Grab schlage. Mileva meinte außerdem, die Kommission habe aber nichts außer einem Skelett gefunden. Nikola versuchte den Fund einzuschätzen, indem er erklärte, Naum sei nur »ein Mann des Volkes« (maz. naroden čovek) gewesen, der »Gesundheit verkauft« habe (maz. podaruval zdravje), allerdings habe es damals sicherlich noch kein Geld gegeben. Mileva zufolge habe Naum den Kranken geholfen, indem er konkrete Anweisungen gegeben habe, die sie in leichter dialektaler Färbung zusammen mit ihrem Mann formulierte: »Arbeitet nur, damit ihr gesund werdet, esst und trinkt und – arbeitet« (samo rabotajte da se izlečite i jajte i piete i – rabotajte). Aus den Erinnerungen der Eheleute wird deutlich, dass das Ziel der archäologischen Untersuchungen für die Bevölkerung unklar blieb. Die Bewertung der Untersuchung ist vielschichtig: Einerseits zeigt sie eine Kritik an der Ideologie des damals neuetablierten kommunistischen Regimes, die ein – in den Augen der Bevölkerung – unangemessenes Verhalten an der religiösen Stätte zuließ. Erklärt wurde die Grabung deswegen mit Ideen, die nachvollziehbarer scheinen – als Grabschändung aus Geldgier. Gleichzeitig überschneidet sich die Kritik am politischen System mit der Übernahme der religionskritischen und atheistischen Haltung. Das zeigt sich in den enttäuschten Erwartungen der Bevölkerung, was in dem Grab zu finden sei, die mit einer Ernüchterung der religiösen Vorstellungen einherging. Die Tatsache, dass nur ein Skelett und nicht das hörbar schlagende Herz gefunden wurde, erforderte eine neue Deutung. Die logische Schlussfolge-
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rung Nikolas war Entglorifizierung und Entmystifizierung, indem er Naum nicht mehr als Heiligen und Wundertäter bezeichnete, sondern lediglich als einfachen Menschen, der Kranke geheilt habe. Allerdings ist diese Kritik nicht zu verallgemeinern, denn ein während des Feiertags am Zeltplatz dienender Soldat ergänzte, dass alle Kommissionsmitglieder innerhalb eines Jahres gestorben seien (EN 06.07.2016). Daran zeigt sich ein Rest des Glaubens an den Heiligen und seine Wunderkraft: Der zeitnahe Tod der Beteiligten wird als Strafwunder für den Unglauben und das unrechte Verhalten am Grab interpretiert. Der federführende Kunsthistoriker und Archäologe Dimče Koco starb jedoch erst 1993 (Petkov ski 1994: 19), sodass der Bericht des Strafwunders eher als religiöse Legende zu werten ist, die Kritik am politischen System zum Ausdruck bringt. Dass dies eine Frage der Überlieferung und der Generation ist, zeigt sich auch an einem weiteren Detail. Denn in der Version des Soldaten, der zum Zeitpunkt des Gesprächs etwa Ende dreißig war, hat die Kommission einen Körper mit Nägeln, Haut und Haaren und sogar mit einem Bart vorgefunden. Dem Soldaten zufolge sei das bei verstorbenen Heiligen üblich. Den archäologischen Grabungen folgten weitere bauliche Veränderungen, wobei zunehmend Freizeitaspekte des Klosters gefördert wurden: Zunächst wurden im Klosterkomplex das Restaurant Ostrovo und Übernachtungsmöglichkeiten errichtet (Naumoski 2016b). Anschließend folgte 1968 der Straßenbau von Ohrid zum Kloster, berichtete der ehemalige Bürgermeister von Ljubaništa stolz im Zusammenhang der Entwicklung des Dorfes und des Klosterkomplexes unter seiner Leitung im Kommunismus. Er veranlasste und organisierte die Neuerungen und packte in den Jahren 1965 bis 1972 selbst tatkräftig im Restaurant mit an, das zunächst staatlich und später von Gastarbeiter:innen privat geführt wurde. Diese Neuerungen schafften nicht nur Arbeitsplätze und trugen zur Entwicklung der Region bei, sondern hatten auch politische Dimensionen. Zum Beispiel bewegten sie laut dem ehemaligen Bürgermeister von Ljubaništa auch Tito zweimal zu einem Besuch des Klosterkomplexes. Im Jahr 1962 habe Tito im Restaurant Ostrovo zu Mittag gegessen und sei ein zweites Mal dort gewesen, als der Staffellauf nach Belgrad am 25. Mai an der nahegelegenen Grenze startete (Naumoski 2016b). Der Ort wurde durch Titos Anwesenheit, die der Bürgermeister als Wertschätzung verstand, touristisch aufgewertet und durch den Staffellauf politisch aufgeladen, indem das Kloster die jugoslawische Einheit unterstützend stärker an das politische Zentrum angebunden wurde. Als vormals umstrittenes Grenzgebiet und im Zuge der Abgrenzung vom kommunistischen Albanien gewann das Kloster aufgrund seiner geographischen Lage auch als Militärstützpunkt an Bedeutung. In den 1970er Jahren wurde dort laut Krste Naumoski ein Militärzeltplatz (maz. vojni kamp) als Erholungsgebiet eingerichtet, der jährlich 2.000 bis 3.000 Gäste hatte, die privat oder über ihre Betriebe einen Platz erhielten. Welche
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Rolle die Nähe des Militärzeltplatzes in Bezug auf die 1948 geschlossenen Grenze und für die internationale Sicherheit spielte, ist schwer zu beurteilen. Trotz aller Mühen seitens Jugoslawiens verlor das Kloster seine religiöse Bedeutung nie vollständig. So erinnerte sich ein älterer Türke aus Ohrid daran, dass während seiner Jugendzeit, Mitte der 1960er Jahre, Teile der muslimischen Bevölkerung für ihre Gesundheit das Kloster aufgesucht und dort Schafe als Opfer (kurban) geschlachtet hätten (Salih 2016a). Einige mögen dies auch für Sarı Saltuk getan haben. Dabei war er sich bezüglich einer Einschätzung, was er davon halten solle, ob das richtig war, nicht sicher. Heute würde das jedenfalls niemand mehr tun. Auch ein orthodoxer Mazedonier aus Bitola berichtete, er habe das Kloster bereits seit 1979 jedes Jahr aufgesucht, um dem Heiligen ein Schaf zu bringen (Bitolčanec 2016). Das befragte Ehepaar aus dem benachbarten Ljubaništa bestätigt ebenfalls, dass zur Zeit Jugoslawiens immer Menschen zum Kloster gekommen seien, um geheilt zu werden (Krstanoska/Krstanoski 2016). In diesem Zusammenhang erzählte Mileva auch die Geschichte eines wohlhabenden Italieners, der Verwandtschaft in Resen und ein krankes Kind gehabt habe. Mit seinem Geld habe er das Hotel als Unterkunft für die Besucher:innen, sowie das Restaurant und die Küche gebaut, um etwas für die Gesundheit des Kindes zu tun. Und mit dem Fortschritt des Baus habe das Kind begonnen, sich zu bewegen, zu sprechen, zu hören – es wurde gesund. Gottesdienste zu Naums Feiertagen waren zunächst staatlicherseits nur eingeschränkt erlaubt und ab 1985 wieder in größerem Umfang am 3. Juli (Risteski 2009: 24). Laut dem Archimandrit des Klosters zahlte die Kirche dem Staat damals Geld dafür, die in ein Museum umgewandelte Klosterkirche am Feiertag für 24 Stunden nutzen und einen Gottesdienst feiern zu können (Nektarij 2016). Die Nutzungsgebühr habe etwa der Hälfte dessen entsprochen, was die Kirche von den Festtagsgästen gespendet bekommen habe. Ab 1982 wurde auch wieder begonnen, die Opfergaben sowie deren Spender:innen mit Herkunft zu protokollieren (Risteski 2009: 40f). Im Februar 1985 wurden 13 Ikonen der Ikonostasе gestohlen (Risteski 2009: 22f), deren traditionell festgelegte Anordnung bis dahin kurioserweise umgekehrt war (Grozdanov 2015: 120). Die weitreichende Bedeutung dieses Ereignisses zeigt sich einerseits an der Beteiligung von Interpol an der Suche nach dem Dieb, andererseits an der Anfertigung neuer Ikonen im Jahr 1993, die das Ministerium für Kultur der jungen Republik Mazedoniens finanzierte (Risteski 2009: 23). Ein Soldat, der 2016 nach dem Sommerfeiertag am Klosterzeltplatz stationiert war, erzählte eine Variante, die in der Bevölkerung kursiert (EN 06.07.2016): Der Dieb komme aus Ohrid und sei auch bekannt, obwohl er nie gefasst wurde. Laut dem Soldaten habe er nicht 13 Ikonen, sondern die zwölf Apostelikonen gestohlen. Sehr wahrscheinlich habe er die Ikonen nach Italien verkauft. Der Informant geht deswegen davon aus, dass der Dieb wahrscheinlich kumot, der Pate der Mafia ge-
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wesen sei: Caro [sic!] di tutti Don Vito. Seine Strafe würde der Dieb noch erhalten. Denn Gott verzögere sie vielleicht, aber vergesse sie nicht: Die ganze Familie des Diebes sei ein Chaos! – In der Erzählung spiegelt sich zum einen das Gottvertrauen wider, das das ganze Gespräch durchzog und das sich im erwarteten Strafwunder Gottes konkretisiert. Zum anderen lassen die Aussagen über die Ikonenmotive und die mafiöse Bezeichnung des Diebes auch die Tendenz erkennen, dass verschiedene Informationen, die in der Bevölkerung kursieren, zu alternativen Versionen der Geschichte führten. Nach dem Zerfall Jugoslawiens verblieb das Kloster in der ehemaligen Teilrepublik und wurde am 20. März 1991 der MPC übergegeben (Grozdanov 2015: 291f), die seit ihrer Gründung umstrittenen ist (Alexander 1979: 280-284). Das Kloster fällt in den Verwaltungsbereich der Eparchie Debar-Kičevo, die ihren Sitz in Ohrid hat. Die MPC zelebrierte den Erhalt des Klosters am 3. Juni 1993, indem sie anlässlich des 1100-jährigen Jubiläums der Ernennung Kliments zum Bischof und der Ankunft Naums in Ohrid ein internationales Symposium am Kloster veranstaltet (Grozdanov 2015: 292). Die sogenannte Denationalisierung wirkte sich auf das äußere Erscheinungsbild des Klosters aus, das die Veränderungen aus der Zeit Jugoslawiens ordnend fortsetzte: »Seit der Rückgabe des Klostergeländes an die Orthodoxe Kirche wurde das Areal mit einer Mauer umgeben, ›ordentliche‹ Souvenirbuden anstelle der wilden Grills aufgestellt und der touristische Wildwuchs zurückgestutzt« (Kempgen 2019: 63).13 Laut Aussagen eines Händlers habe »die Kirche« (maz. crkva) außerdem die Parkplätze asphaltieren lassen – nach 2013 erst den Parkplatz für Busse und Privatautos am Eingang des Klosterkomplexes und nach 2016 den Parkplatz hinter den festen Souvenirbuden für die Händler:innen (EN 01.07.2018). Der Informant bezeichnete die baulichen Veränderungen seitens »der Kirche« als deren »Mildtätigkeit« gegenüber ihm und den anderen Händler:innen. Neben den Veränderungen der touristischen Infrastruktur des Klosters wurde 2005 auch im inneren des Klosterkomplexes eine Kyrill und Method geweihte Kapelle errichtet, die der älteren Klosterkirche hinsichtlich des Platzes in nichts nachsteht.
13 Bei der Präsentation seiner Ergebnisse am 22. Juni 2018 im Rahmen des SchmausKolloquiums an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zeigte Sebastian Kempgen zur Kontextualisierung auch eigene Fotos von »wilden Bratereien«, die es Anfang der 1990er Jahre noch gab. Als ich selbst das erste Mal im September 2013 am Kloster war, war von dem »touristischen Wildwuchs« nichts mehr zu erkennen. Andere religiöse Stätten in Südosteuropa weisen vor allem an Feiertagen immer noch jenen »touristischen Wildwuchs« auf, wie etwa der Berg Tomorr bei Berat, der im August zum größten Wallfahrtsort der Bektaschis in Albanien wird.
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Wer die Entscheidungen der Veränderungen traf, bleibt offen, denn crkva besitzt mehrere Bedeutungen: Kirchengebäude, Klosterkomplex, Klosterverwaltung, Parochie, Eparchie, MPC als Dachorganisation oder die gesamte orthodoxe Gemeinschaft unter der Leitung des Ökumenischen Patriarchats. Da Entscheidungen nur von Personen getroffen werden und in Mazedonien finanziellen Angelegenheiten der Kirche innerhalb von Eparchien geregelt werden, muss entweder die Klosterverwaltung oder die Eparchie die verantwortliche Entscheidungsträgerin gewesen sein. Zudem gab es auch eine kleine personelle Veränderung am Kloster. Bevor der mazedonische Staat das Klostergelände der MPC offiziell zurückgab, zog im September 1990 Otec Nektarij in das Kloster ein (Nektarij 2016). Als Mönch und Priester wurde er von seinem Bischof zur Wiederbelebung des Klosterlebens geschickt. Nektarij übernimmt gleichzeitig auch die Funktion des Archimandriten, des Klostervorstehers. Bis in die Gegenwart ist er jedoch der einzige Mönch im Naum-Kloster, obwohl in ganz Mazedonien seit seiner Unabhängigkeit die Anzahl aktiver Klöster und Mönche zugenommen hat (Matevski 2011: 120f). Ein Grund für die ausbleibenden Mönche im Naum-Kloster wird von Außenstehenden unter anderem am Tourismuspotential des Klosterkomplexes festgemacht, das den Bedingungen des asketischen Mönchlebens widerspricht: Einerseits steigern die vor allem im Sommer zum Kloster strömenden Menschenmengen den Geräuschpegel im abgelegenen Ausflugsziel um ein Vielfaches. Das orthodoxe Klosterleben ist in Mazedonien dagegen vorranging hesychastisch – von Stille, Gebet und Abgeschiedenheit – geprägt (Matevski 2011: 118f). Neben der touristischen Geräuschkulisse laden Sonne und See andererseits dazu ein, viel nackte Haut zu zeigen. Letzteres wird ebenfalls als ablenkend und störend für das asketische Leben empfunden. Im Unterschied zum Naum-Kloster spielt angemessene Kleidung in anderen Klöstern eine wesentlich größere Rolle. In den Klöstern Sveti Jovan Bigorski in der Nähe von Debar sowie Sveta Petka in Velgošti bei Ohrid werden am Eingang lange weite Röcke mit Gummizug für Frauen bereitgelegt. Im Kloster Sveti Jovan Bigorski müssen zudem auch Männer Hosen mit langen weiten Hosenbeinen überstreifen. Im Gegensatz zur personellen Veränderung des Klostervorstehers zeugen andere Personalentwicklungen von einer gewissen Kontinuität: Die MPC übernahm Dragan, der bereits Mitte der 1980er Jahre Museumsmitarbeiter war, nach der Rückgabe des Klosters für die Position des Küsters. Gemeinsam mit seiner Frau lebt er ebenfalls im Kloster. Zudem hat das Naum-Kloster eine herausragende Bedeutung für die personelle Aufstellung der orthodoxen Kirche in Albanien. Am 27. Dezember 1991 erhielt der aus Pogradec stammende Todi Vasil Jovani die Priesterweihe und wurde somit zum ersten Priester für Pogradec und für ganz Albanien seit 1967 (Gusho 2000: 70). Zuvor war er mit dem Wunsch gegangen,
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Priester zu werden, zum Naum-Kloster (Nektarij 2016). Zur Vorbereitung habe er an einem theologischen Kurs in Struga teilgenommen, wo andere ihm geholfen hätten, die auch Albanisch beherrschten. 4.2.4 Fazit: Ein Kloster und seine Mehrdeutigkeit
Das Naum-Kloster gewann in der Vergangenheit zu seiner eindeutig christlich-orthodoxen Ausrichtung verschiedene Bedeutungen dazu. Dabei ist die zunehmende religiöse Bedeutungsvielfalt des Klosters nur eine der historischen Dimensionen. Das Kloster entwickelte sich zunächst innerhalb der christlich-orthodoxen Deutungsansätze von einem Ort der christlich-monastischen Frömmigkeit zum Pilgerort voller Wunder- und Heilkräfte. Vor allem als Ort, der bis heute Heilung verspricht, war das Kloster bereits in der Vergangenheit auch für nicht-christliche Kranke ein Anlaufpunkt. Spätestens mit dem Ausbau des Klosters in der Zeit des Osmanischen Reichs vergrößerte sich die Bandbreite der Bedeutung des mit ihm assoziierten Heils, indem auch die säkulare Seite in Form von Gesundheit und Erholung betont wurde. Pilgerreisen verloren ihr religiös motiviertes Moment zugunsten einer Art Naherholungstourismus. Der mit der Heilung einhergehende christlich-muslimische Religionskontakt ist ein weiteres historisch gewachsenes Element des Klosters. Die interreligiösen Beziehungen nach der osmanischen Eroberung spiegeln sich in den Legenden und Erinnerungsnarrativen des Klosters wider. Das führt sogar soweit, dass Kontakte in die vorosmanische Zeit zurückprojiziert werden, wie die Varianten der Gründungslegenden zeigen. Generell lässt sich dabei eher eine versöhnlich-friedliche Tendenz feststellen. Sie wurde durch das ehrfürchtige Verhalten der Sunnit:innen und Bektaschis dem Ort gegenüber gestützt (Celakoski 2004: 15f). Die Zerstörung des Klosters durch »die Türken« ist ein schwaches Narrativ, wofür kaum Belege existieren. Im Gegenteil wurde der Großbrand im Jahr 1875 eher zufällig von Osmanen ausgelöst. Der wohlwollende muslimische Einfluss auf das Kloster zeigt sich zudem im materiellen Erbe wie etwa dem Brunnen. Die Ereignisse seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zeigen außerdem, dass im Zusammenhang der Nationalstaatenbildung in Südosteuropa die religiöse Bedeutung stark in den Hintergrund gedrängt worden ist. Stattdessen wurde das kunsthistorische Erbe sowie die natürliche Umgebung nicht-religiös für national-politische und wirtschaftliche Interessen genutzt. Damit ging bis zum Ende Jugoslawiens auch die Verdrängung der christlich-muslimischen Kontakte und Narrative aus dem öffentlichen Leben einher. Nach der Unabhängigkeit Mazedoniens wurde das Kloster schließlich als religiöser Ort wiederbelebt.
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4.3 F AZIT: NAUM UND SEIN KLOSTER ALS SCHNITTSTELLEN RELIGIÖS-KULTURELLER DEUTUNGSPROZESSE Das Kapitel zeigt vor dem Hintergrund des vorangehenden Überblicks über den Wandel der Bedeutung der Religionen im Forschungsfeld, dass die Wahrnehmung Naums und die Entwicklung des Klosters historisch kontingent sind. Sie stehen im Zusammenhang mit der Geschichte des Untersuchungsgebiets und unterliegen von Menschen verursachten Wandlungen. Wahrnehmung und Entwicklung der beiden metaphorischen und geographischen Orte weisen in ihrer Geschichte Kontinuitäten und Brüche auf. Insbesondere am Klosterkomplex wird dies erkennbar: Als Ort religiöser Praxis errichtet, diente es spätestens in der osmanischen Zeit auch als Ausflugsziel und Übernachtungsmöglichkeit und wurde unter jugoslawischer Verwaltung in ein Museum ohne religiöse Funktion umgewandelt. In der Gegenwart vereint das Kloster all diese Facetten. Auch Naums Wahrnehmung als metaphorischer Ort steht in Kontinuität und Bruch zu seiner historischen Person. Als Mönch und Schüler der Slawenapostel Kyrill und Method erweiterte sich das Spektrum seiner Zuschreibungen um die Wahrnehmung als Wundertäter, Heiler, Landwirt und als muslimische »Heiligenfigur« Sarı Saltuk. Die diachrone Betrachtung der Geschichte Naums und seines Klosters zeigte auch, wie sich interreligiöse Kontakte an religiösen Orten historisch entwickeln können. Die Tatsache, dass das Kloster nicht inmitten einer christlich-muslimisch Siedlung liegt, ändert nichts am Interesse und dem beim Besuch zustande kommenden Kontakt der ethnisch, religiös und sprachlich gemischten Bevölkerung. Gründe für die muslimische Bevölkerung, das Kloster aufzusuchen, liegen vor allem in Naums Ruf als Wunderheiler und in der zur Erholung dienenden Natur. Darin unterscheiden sich die muslimischen Gäste nicht von christlichen Besucher:innen. Ein besonderes muslimisches Narrativ ist die Identifizierung Naums mit dem vorosmanischen Glaubenskämpfer Sarı Saltuk, das sowohl türkischen Sunnit:innen als auch den Bektaschis bekannt ist. Die Identifikation der beiden religiösen Figuren tauchte jedoch erst im Laufe des 19. Jahrhunderts auf. Der Zeitpunkt hängt mit der späten Verbreitung der Bektaschis in der Region zusammen, auf deren Vereinnahmungsversuch die sunnitische Gemeinschaft möglicherweise mit der Etablierung einer eigenen Version des Sarı-Saltuk-Narrativs nur reagiert hat. Andererseits wäre das Narrativ schon früher belegt. Weiterhin ist auch denkbar, dass die kirchenorganisatorischen Entwicklungen die Identifikationsstrategie der Bektaschis nicht unterbinden konnten. Denn nachdem das Ohrider Patriarchat aufgehoben und dem weit entfernten Patriarchat in Konstantinopel unterstellt wurde, entstand ein gewisses Machtvakuum, das Mitte der 1870er Jahre auch zu
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Auseinandersetzungen mit der slawisch-christlichen Bevölkerung führte. Die These lässt sich jedoch aufgrund fehlenden Materials bis heute nicht verifizieren. Die inhaltlichen Unterschiede zwischen den beiden Figuren, Naum und Sari Saltuk, hatten keinen negativ trennenden Einfluss auf die gegenseitige Wahrnehmung – soweit es vor allem von christlicher Seite überliefert ist. Naum Celakoski sieht in der christlichen Toleranz muslimischer Narrative beziehungsweise deren Inklusion eine Strategie der Verwalter zum Schutz des Klosters (Celakoski 2004: 20). Unabhängig vom Wissen um die Akteur:innen am Kloster und deren Interessen und Aktivitäten zeigen sich im Wandel der Zeit verschiedene Aushandlungsprozesse. Dabei überschnitten sich die Interessen von Christentum und Islam. Ausgehend von einer christlich-orthodoxen Deutung und fehlenden Informationen über die Heiligenfigur entwickelten sich verschiedene Legenden und Narrative. Die führten wiederum zu einer Ausdehnung des Kults – sowohl auf symbolischer als auch auf territorialer Ebene: Naums Kult, der ihn vor allem als Wundertäter und Heiler erinnerte, verbreitete sich in ganz Mazedonien, im Süden Albaniens und im Norden bis nach Ungarn. Diese Tendenz schlug sich sowohl im Anstieg von Kultgegenständen und Kultorten als auch in der Anzahl der Klosterbesucher:innen nieder. Infolgedessen begannen sich in der Geschichte die ursprünglich religiös gedeutete Figur und ihr Ort auch mit Bereichen zu überschneiden, die sowohl religiös als auch nicht-religiös verstanden werden können, wie Kunst und Architektur, Literatur, Tourismus, Gesundheitswesen, Wirtschaft und Politik. Wie sich die Rückgabe des Klosters an die MPC in der Gegenwart auf das Zusammenspiel der verschiedenen Bereiche auswirkt und welche Rolle Naum als Heiligenfigur dabei spielt, ist in der synchronen Analyse des empirischen Materials zu zeigen. Wie eingangs bereits gezeigt, ergeben die Feiertagsereignisse am Naum-Kloster ein Wimmelbild. Die dichte Beschreibung sowie die Analyse der Ereignisse und des Handlungsgeflechts der Beteiligten, ihrer Praktiken und Motivationen ist schwierig, weil sie sich nicht immer genau voneinander trennen lassen. Es bedarf daher eines strukturgebenden Raumkonzepts, um das Handlungsgeflecht zu entwirren. Der gezogene historische Längsschnitt über das Leben und Wirken Naums sowie über den Wandel des Klosters zeigte, dass sich das Naum-Kloster räumlich unter Anlagerung weiterer Dimensionen zu einem Klosterkomplex ausgeweitet hat. Auf Grundlage der historischen Beobachtungen lässt sich das Raumkonzept des Klosters wie folgt beschreiben: Der historisch gewachsene Klosterkomplex zeigt sich gleichzeitig als Ort und als Raum, der sowohl geteilt religiös als auch mehrdeutig ist. Bei diesem Klosterkomplex handelt es sich um einen Ort, weil er als Einheit betrachtet wird. Alles, was sich darin befindet und abspielt, ist Teil des Klosterlebens. Als Ort steht er als Knotenpunkt in einem weiteren Raum, der sich mit Hayden als »religioscape« bezeichnen lässt. Die Religionslandschaft bezieht sich nicht nur auf die unmittel-
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bare Umgebung von Ohrid, die an der Grenze aufhört, sondern spannt sich grenzüberschreitend zwischen Mazedonien und Albanien auf. In dieser Studie über das Naum-Kloster, in der dieses als zentraler Knotenpunkt in der Religionslandschaft gesetzt wird, lassen sich andere Knotenpunkte so um das Kloster anordnen, dass sich ein Netzwerk religiöser Orte erkennen lässt. Wie noch zu zeigen ist, ist das Netzwerk in der näheren Umgebung des Klosters dichter geknüpft als in seiner Peripherie. Gleichzeitig ist der Klosterkomplex an sich auch ein Raum, denn in ihm können kleinere Orte wie Naum und sein Grab, die Klosterkirche, das Restaurant, der Zeltplatz, das Seeufer oder die Quellen ausgemacht werden. Das Verhältnis der einzelnen Orte innerhalb des Klosterkonzeptes lässt sich ebenfalls als Beziehung zwischen Zentrum und Peripherie beschreiben: Es wird sich zeigen, dass Naum das Zentrum des Klosters ist – sowohl als metaphorischer als auch als physisch-materieller Ort in Form seines Grabes. Dass das Grab gleichzeitig das Ziel christlicher und muslimischer Gäste ist, macht es zu einem geteilten religiösen Ort. Historisch haben sich an dieses religiöse Zentrum durch das Handeln und die Interessen der Akteur:innen andere Dimensionen angelagert. Zu denen, die heute noch deutlich erkennbar sind, gehören die touristische, die wirtschaftliche und die politische Dimension. Andere Dimensionen wie die medizinische waren in der Vergangenheit stärker ausgebildet und verloren an Bedeutung. Durch diese verschiedenen Dimensionen ist der Klosterkomplex gleichzeitig christlich-muslimischer Kontaktpunkt, Pilgerort oder Ausflugsziel sowie Wirtschaftsstandort und politischer Identitätsmarker. Durch die Gleichzeitigkeit dieser unterschiedlichen Dimensionen wird der Klosterkomplex mehrdeutig. Diese Dimensionen werden umso deutlicher erkennbar, je weiter sie vom religiösen Zentrum entfernt sind. Zentrum und Peripherie bilden einen Innenund Außenraum des Klosterkomplexes (Karte 1). Getrennt werden diese beiden Bereiche durch die Klostermauer in deren Inneren die Klosterkirche mit Grab, eine Kyrill und Method geweihte Kapelle, der Klosterhof, die Unterkünfte des Klosterpersonals und das Klosterhotel mit Restaurant sowie ein Garten liegen. Außerhalb der Mauern, aber noch innerhalb des Klosterkomplexes, befinden sich der Zeltplatz, der See mit Sandstrand, die Schiffsanlegestelle, die Quellen, zwei weitere Restaurants, feste Holzhütten zum Souvenirverkauf, eine weitere Kirche und zwei Kapellen sowie der Platz vor dem Kloster, auf dem zum Sommerfeiertag am 3. Juli der Jahrmarkt stattfindet. Die Mauer ist jedoch eine durchlässige Raumgrenze, die Gäste problemlos überqueren können. Wie die synchrone Analyse verstärkt zeigen wird, wechseln die Gäste mit dem Übergang von einem zum anderen Bereich teilweise auch ihre Rolle: Während sie im Inneren häufig als Gläubige gelten, sind sie im Außenbereich vor allem als Tourist:innen oder Handel Treibende wahrnehmbar. Diese Rollen sind nicht vom Bereich abhängig, indem sich
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jemand bewegt, sondern werden von den Aktivitäten der Gäste und ihren Perspektiven auf das Kloster bestimmt.
Karte 1: Übersichtskarte über den Klosterkomplex am Eingang desselben: (1) Markt und Souvenirs, (2) Toiletten, (3) Restaurant »Drim«, (4) Restaurant »Ostrovo«, (5) Hotel und Restaurant »Sveti Naum«, (6) Kloster »Sveti Naum«, (7) Kirche »Sveta Petka«, (8) Quellen des Schwarzen Drin, (9) Kirche »Sveta Bogorodica«, (10) Kirche »Sveti Atanasij«. Die Klostermauer grenzt Nummer 5 und 6 ein. Der Zeltplatz, die Schiffsanlegestelle und der Platz für den Jahrmarkt sind nicht gekennzeichnet. Dunkelgrau zeigt die Grünflächen, hellgrau dagegen Gewässer.
II Das Kloster Sveti Naum als Wimmelbild: Ergebnisse der Feldforschung
5 Religionsethnologische und multilokale Feldforschung
Zu den gegenwärtigen Ereignissen am Kloster Sveti Naum mangelt es an Forschungen und Schilderungen – sowohl mit Blick auf christlich-muslimische Aushandlungsprozesse als auch in Bezug auf andere Gesellschafts- und Lebensbereiche. Ausgehend von diesem Informationsdefizit bietet sich zur Beantwortung der Forschungsfrage eine Materialerhebung mittels ethnographischer Feldforschung an. Der Einsatz von Feldforschungsmethoden wie ethnographischen Interviews, Gesprächen und teilnehmender Beobachtung hat gegenüber anderen Methoden zwei entscheidende Vorteile: Einerseits ermöglichen sie »die sinnliche Unmittelbarkeit der gesuchten Forschungserfahrung« und andererseits »die Dauerhaftigkeit des Realitätskontaktes«, der durch die »Akkumulation von Felderfahrungen [zu einem] umfangreiche[n] Kontext- und Hintergrundwissen« führt (Breidenstein et al. 2015: 33f; Hervorhebungen im Original). Zudem bringt ein ethnographischer Ansatz die Chance der »Offenheit des Forschungsprozesses« mit sich, ein Gebot der qualitativen Sozialforschung (Breidenstein et al. 2015: 37). Allerdings birgt empirische Forschung neben diesen Möglichkeiten auch verschiedene Schwierigkeiten des Feldzugangs. So ist die Chance für eines offenen Forschungsprozesses gleichzeitig eine Schwierigkeit, da die Feldforschung nicht zielgerichtet Ergebnisse produzieren kann. Das zeigt sich in den religionsethnologischen Feldforschungen verstärkt, denn sie »gehören zu den schwierigsten Studien der Ethnologie, behandeln sie doch Themen, die von den Angehörigen der Religionen mitunter als geheim oder als privat angesehen werden. Genau wie man Kindern den Zugang zu bestimmten Informationen nur nach und nach gewährt, werden auch Fremde und Nichteingeweihte ausgeschlossen oder mit nichtigen Informationen abgespeist. Auf Fragen erhalten sie oft lediglich eine oberflächliche Antwort, Geheimnisse werden ihnen vorenthalten. […] Der Zugang zu den Informationen über
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Rituale und andere religiöse Praktiken berührt die Debatte um Insider/Outsider, welche die gesamte Forschung über Religion betrifft […].« (Schmidt 2008: 68)
Auch ich war mit solchen Schwierigkeiten konfrontiert, die sich aus der Kombination meines soziokulturellen Status, meines Feldzugangs, der historisch gewachsenen, sozialpolitischen Umstände und gegenseitigen Erwartungen ergaben. Diese Schwierigkeiten stellen jedoch einen unvermeidbaren Bestandteil des Forschungsprozesses dar, weil sie »Gelegenheiten der Relevanzaufspürung« sind, die in der Reflexion erste Erkenntnisse über das Feld bieten (Breidenstein et al. 2015: 38f). Im Folgenden möchte ich meine methodische Herangehensweise zur Erhebung und Auswertung von Datenmaterial und meine Rollen im Feld beschreiben, um meine Beobachtungen und Erkenntnisse in den Kontext ihrer Entstehung einzuordnen und nachvollziehbar zu machen.
5.1 T HEMATISCHER UND SPRACHLICHER ZUGANG ZUM MULTILOKALEN FELD Bereits vor Beginn der Feldforschung habe ich mich intensiv mit Gegenstand und Feld der Untersuchung vertraut gemacht. Die Heiligenfigur Naum habe ich als (trans‑)nationalen Erinnerungsort untersucht und das Naum-Kloster als Tagestouristin besucht. Keiner der beiden Zugänge brachte grundlegendes Forschungsmaterial für die vorliegende Fallstudie hervor, dennoch erwarb ich mir dadurch Vorwissen über die Geschichte und eine konkrete Vorstellung des physischen Ortes in seinen räumlichen Bezügen. Während meiner Feldforschung knüpfte ich an diese Vorerfahrungen an, indem ich mir zu Beginn einen Überblick über die Forschungslandschaft und den Forschungsstand in beiden Ländern verschaffte. Die ersten Ergebnisse zeigten inhaltliche Unterschiede zwischen den in Mazedonien und Albanien bearbeiteten Themen: Die in Skopje gefundene Literatur zu Naum und seinem Kloster war auf architektur- und kunsthistorische Aspekte sowie auf Legenden über sein Dasein als Wunderheiler hin angelegt. In Albanien lag der Schwerpunkt dagegen auf dem »Kryptochristentum« und auf dem toleranten und harmonischen Miteinander der Religionsgemeinschaften im Land.1 Ein anderes wichtiges Moment der Annäherung war die lokal gesprochene Sprache. Beides, Wissen und Sprache, brachte ich zum Teil aus meinem Studium der Südosteuropastudien mit und öffnete mir damit im Feld so manche Tür. Bei1 Vgl. Kapitel 3.3.2 Religiöse Indifferenz und interreligiöse Toleranz in Albanien.
Religionsethnologische und multilokale Feldforschung | 187
des bestimmte meine vielen Rollen während der Forschung, wie mich Menschen wahrnahmen, was sie glaubten, das ich hören wollte, und was sie mir erzählten. Entsprechend wirkten Wissen und Sprache auch auf meine Methodenwahl und meinen Methodeneinsatz zurück. 5.1.1 S prachschulen und »mu(h)abet« – Die Entwicklung relevanter Sprachkenntnisse
Die Sprache als Mittel zur Verständigung spielte die größere Rolle, da ich ohne sie mein Wissen nicht im Feld hätte einsetzen können. Allgemein ist das Beherrschen der Sprache der zu untersuchenden Gruppen notwendig, ganz gleich, ob es sich dabei um eine Fremdsprache, einen Dialekt oder einen Soziolekt handelt (Senft 2008: 105f). Angesichts der geplanten transnationalen Untersuchung ist daher das Beherrschen der beiden Sprachen Mazedonisch und Albanisch notwendig, »um eine Qualitätssicherung der ethnografischen Methode sicher zu stellen« (Weissköppel 2005: 59). Als offizielle Verkehrssprachen reichten sie mir auch für Gespräche mit Mitgliedern sprachlicher Minderheiten, mit denen ich in Kontakt kam. Für die Forschung ist Mazedonisch die relevantere Sprache, da sich das Kloster in Mazedonien befindet und Mazedonisch als staatliche Verkehrssprache gilt. Meine zu Beginn eher passiven Sprachkenntnisse des Mazedonischen aktivierte ich durch beständige und beharrliche Anwendungsversuche in Alltags- und Fachgesprächen. Diese Bemühungen führten zu einem sicheren und für meine Forschung relevanten Vokabular. Darüber hinaus konnte ich parallel zur Feldforschung durch die Teilnahme an der Ohrider Sommerschule, die die Universität Kiril i Metodije Skopje jährlich ausrichtet, meine Sprachkompetenz systematisiert verbessern. Auf diese Weise schaffte ich es innerhalb weniger Monate, freie Gespräche und längere Interviews führen zu können. Infolgedessen brachten einige Personen im außeruniversitären Umfeld, die ich zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt meines Aufenthalts traf, ihr Erstaunen über meine Sprachfähigkeiten zum Ausdruck und fragten nach meiner Herkunft beziehungsweise danach, ob nicht wenigstens meine Verwandten »von hier« (maz. od ovde) kämen. Die Kenntnisse des Mazedonischen ermöglichten mir einen Zugang zur slawophonen Bevölkerung und zu den sprachlichen Minderheiten der Albaner:innen, Türk:innen, Aromun:innen und Roma. Zu aromunischen Gruppen hatte ich jedoch in Mazedonien kaum Kontakt und die Roma meinten, nur noch Bruchstücke »ihrer« Sprache zu beherrschen. So wichen vor allem die türkische und die albanische Bevölkerung von ihrer Erstsprache ab, um sich mit mir zu unterhalten. Allerdings hatten alle makedophonen Gruppen ihre sprachlichen Eigenarten: Wäh-
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rend die mazedonische Bevölkerung häufig Dialektformen verwendete, ließen die turko- und albanophonen Sprachgruppen verstärkt Begriffe aus ihren jeweiligen Erstsprachen einfließen oder sprachen eine serbisch beeinflusste Variante. Für die Forschung auf der albanischen Seite des Klosters ist die Beherrschung des Albanischen wichtiger, weil die slawophone Minderheit bei Pogradec zur Zeit der sozialistischen Diktatur stark assimiliert wurde. Albanisch als Amtssprache erlernen dagegen alle Mitglieder ethnisch-sprachlicher Minderheiten. Meine Albanischkenntnisse waren anfangs eher passiv ausgeprägt. Die Aktivierung dieser Sprache gestaltete sich schwieriger, da sich Mazedonisch zuvor für mich neben Englisch zur dominanten Fremdsprache entwickelt hatte. Infolgedessen traten regelmäßig lexikalische und semantische Interferenzen auf. So fiel mir oftmals der mazedonische Ausdruck vor dem albanischen ein. Dies war manchmal hilfreich, wenn sich das türkisch beeinflusste Vokabular überschnitt wie etwa in muabet/muhabet (maz./alb. für Gespräch) oder fildžan/filxhan (maz./alb. für Tasse). Zudem finden sich diverse Internationalismen wie telefon, avtobus und taksi. Daneben kommen jedoch ähnlich klingende Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung hinzu: kutše/kuq (maz. für Hund/alb. für rot) und godina (maz. für Jahr/alb. für Gebäude). Besonders in der Anfangszeit diente mir daher Englisch als Ausweichsprache. Fortschritte in der Anwendung des Albanischen konnte ich erst mit meinem Aufenthalt in Pogradec, in einem kaum anglophonen Umfeld erreichen. Auf der Basis solider Alltagskommunikation auf Albanisch führte ich später qualitative Interviews. Ergänzend besuchte ich, ähnlich wie für das Mazedonische, im August 2016 zur Verbesserung meiner Albanischkenntnisse einen zweiwöchigen Kurs in Prishtinë (Kosova), den die örtliche philologische Fakultät jährlich anbietet. Die Kenntnis der Lokalsprachen als vielleicht wichtigstem Schlüsselzugang zum Feld zeigte sich besonders hilfreich in der Kontaktaufnahme während teilnehmender Beobachtungen, die ich ohne eine/n Übersetzer/in durchführen konnte (vgl. Schlehe 2008: 131f). Denn direkte Kommunikation mit Personen, deren Erstsprache verhältnismäßig wenige als Fremdsprache erlernen, schafft eine schnelle Vertrauensbasis (Schlehe 2008: 121). Zudem ergänzen sprachbasierte Methoden die teilnehmende Beobachtung hervorragend, um Fragen nach Handlungsmotiven, Vorstellungen und Perspektiven anderer Menschen zu beantworten. 5.1.2 Möglichkeiten und Gefahren von Wissen
Der Begriff »Wissen« umfasst das angelesene Vor- und Kontextwissen, theoretisches und praktisches Wissen (Breidenstein et al. 2015: 170f). Ich zähle auch Erfahrungen dazu, die ich während des Forschungsaufenthalts und bei früheren
Religionsethnologische und multilokale Feldforschung | 189
Besuchen in Mazedonien gemacht habe. Auch Verhalten in Gestik und Mimik sowie Lebens- und Denkweisen oder Redewendungen sind Erfahrungswissen, das mein Verhalten beeinflusste. Das bereits zuvor erlangte Wissen umfasste sowohl den historischen Kontext der Christianisierung, der osmanischen Eroberung und der Verbreitung des Islams als auch jüngere historisch-politische und gesellschaftliche Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts. Auch hinsichtlich der beiden großen Religionsgemeinschaften der Region, des orthodoxen Christentums und des sunnitischen Islams, verfügte ich über theologisches und religionswissenschaftliches Vorwissen. Lediglich über einige religiöse Minderheiten wie den Sufi-Orden der Bektaschis hatte ich zuvor eine sehr begrenzte Vorstellung. Das Vor- und Kontextwissen birgt Schwierigkeiten und Chancen zugleich. Es bedarf der permanenten Reflexion im Feld, damit es nicht auf den Untersuchungsgegenstand übertragen wird und zu einer vorgefertigten, möglicherweise aber falschen Interpretation des Erlebten führt (Breidenstein et al. 2015: 67; Girtler 2001: 42). Sich des eigenen Vor- und Kontextwissens inklusive Theorien bewusst zu werden, ist ein wesentlicher Teil der Auswertung (Clarke 2012: 54f; Gobo 2008: 76f), die in dieser Studie in Anlehnung an die Grounded Theory stattfindet (Emerson et al. 2011: 171-199). Im Rahmen der Datenerhebung machte sich das Vorwissen besonders bei der Formulierung von Interviewfragen bemerkbar. Durch die intentional gestellten Fragen waren meine Gesprächspartner:innen angehalten, in eine bestimmte Richtung zu denken. Es ist daher nicht auszuschließen, dass mir einige das erzählten, was ich ihrer Meinung nach hören wollte. Zudem verhinderte die anfängliche zielgerichtete Suche nach bestimmten Informationen auch die Sicht auf bis dahin unbeachtete Perspektiven wie die Entwicklung der Infrastruktur Ljubaništas und den Ausbau des musealen Klosterkomplexes in der Zeit Jugoslawiens, von denen der ehemalige Bürgermeister von Ljubaništa berichtete. Die neuen Aspekte trugen zur Erweiterung meines Kenntnisstandes bei, auf den ich bei anderen Gelegenheiten im Feld zurückgreifen und an den ich weitere Gespräche anknüpfen konnte. Besonders am Anfang war das Wissen für gezielte Fragen dennoch eine Hilfe, da es ein zielgerichtetes Vorgehen beim Aufsuchen bestimmter Orte und Menschen sowie die klare Formulierung meines Anliegens ermöglichte. Dieser Einstieg erwies sich als hilfreich, Gespräche auf das Thema fokussiert zu führen. Mein gegenstandsbezogenes Vor- und Kontextwissen wirkte sich auf meine Rolle im Feld aus. Ich wurde trotz meiner Suche nach Meinungen und Informationen eher als Expertin mit Insiderwissen denn als Lernende wahrgenommen. Wurde ich als Lernenden wahrgenommen, kam es auch zu schwierigen Gesprächen voller Stereotype, die sich auf das multiethnische und interreligiöse Zusammenleben im Alltag sowie auf das Mit- und Nebeneinander am Naum-Kloster bezogen.
190 | Das Kloster Sveti Naum als Wimmelbild: Ergebnisse der Feldforschung
Dabei galt es, mit viel Feingefühl die herausgeforderte Balance zwischen kommunikativem Meinungsaustausch und Vorsicht vor belehrender Beeinflussung des Feldes zu wahren, um mein jeweiliges Gegenüber zufriedenzustellen und nicht mit meinen Perspektiven zu verärgern. Seit Bronislaw Malinowski zielt eine Ethnographie diesbezüglich auf die Darstellung der Beteiligten im Forschungsfeld und die ihrer Meinungen, Perspektiven und ihrer Lebensgestaltung ab (Gobo 2008: 8). Mein Wissen hatte unterschiedliche Auswirkungen auf die Suche nach (potentiellen) Gesprächspartner:innen im Feld und die Begegnungen mit ihnen. Vorwegnehmend sei kurz zusammengefasst, dass ich dadurch Distanz und Irritationen sowie Anerkennung und Vertrauen hervorrief. 5.1.3 Mobile Forschung im multilokalen Feld
Aus dem dargestellten Vor- und Kontextwissen zeichnete sich auch das geographische Untersuchungsfeld ab. Da das Kloster der Hauptort für die Verehrung Naums ist, bietet es auch den Ausgangspunkt der Studie. Zudem lag eine mobile, statt einer traditionellen, einjährigen, stationären Feldforschung nahe. Denn die meisten Menschen am Kloster sind entweder Tagesgäste oder arbeiten dort während der Reisesaison und bilden keineswegs eine dauerhafte Gemeinschaft. Diese als multi-sited2 ethnography bezeichnete mobile Forschung ermöglicht die Untersuchung verschiedener Aspekte (Marcus 1998: 90-95). Konkret nutzte ich die damit verbundenen Verfolgungsstrategien, um den sogenannten Pilgernden zu ihren Heimatorten (follow the people), dem Heiligen selbst und seinen (neu gebauten) Kirchen (follow the thing oder als neue Kategorie: follow the saint) sowie einigen Geschichten, die mit dem Heiligen zusammenhängen (follow the plot, story, or allegory), zu folgen. Dieser Ansatz ermöglichte die Wahrnehmung der Forschung in einer immer stärker vernetzten Welt (Marcus 1998: 80-82), obgleich er auch Nachteile mit sich brachte: »An jedem Ort muss man erneut sein Anliegen plausibel machen und eine Vertrauensbasis für offene Interviews aufbauen. Der teilnehmenden Beobachtung sind unter diesen Bedingungen wegen der kürzeren Verweildauern natürlich engere Grenzen gesetzt, als bei einem stationären Feldforscher, der sich nicht nur das Vertrauen einiger Schlüsselinformanten, sondern der gesamten Lokalgruppe erwerben kann.« (Schlee 2002: 140f)
2 Adele Clarke versteht den Ausdruck »Multisite-Forschung« dagegen als Bezeichnung zur Verwendung verschiedener Daten (Clarke 2012: 183), die gemeinhin eher als Triangulation bezeichnet wird.
Religionsethnologische und multilokale Feldforschung | 191
Die multilokale Forschung erforderte somit ein hohes Maß an Mobilität, wobei die implizierte Flexibilität, relevante Orte erst zu ent-decken, als Strategie zu betrachten ist (Weissköppel 2005: 50). Ein Beispiel für eine solche Entdeckung war die Kirche Shën Marenë im Gebirge westlich von Pogradec. Die Kirche ist eine interessante Entdeckung, da Marina (alb. Marenë) in der Umgebung von Pogradec als Naums Schwester gilt. Außerdem wurde die Kirche in der Zeit des kommunistischen Regimes von antireligiösen Tendenzen der Zerstörung und Umfunktionierung religiöser Gebäude verschont. Schließlich unternahm ich die Fahrt dorthin mit zwei mir bis dahin unbekannten Familien muslimischer Tradition, die mir gern von ihrer Beziehung zu dieser Kirche, dem Naum-Kloster auf mazedonischer Seite und ihren Traditionen erzählten. In der Kirche kreuzte sich demnach die Spurensuche nach Naums Schwester und nach den Kirchen- und Klosterbesuchen muslimischer Bevölkerungsteile. Dieses »assoziative Vorwärtstasten« entlang einzelner Spuren, hin zu einem Pfad des Verstehens (Weissköppel 2005: 52; Hervorhebung im Original) birgt zudem die Gefahr, in einer Sackgasse ohne verwertbare Erkenntnisse zu enden. Diese Erfahrung machte ich zum Beispiel im Oktober 2018 in der Prespa-Gegend (EN 18.10.2016): Einem Hinweis folgend fuhr ich nach Nakolec, einem kleinen Dorf am mazedonischen Ostufer des Prespa-Sees kurz vor der Grenze zu Griechenland, um eine Türbe und deren Hüter aufzusuchen. Die Türbe war zwar offen, der Hüter allerdings unterwegs bei der Apfelernte. Seine Frau und seine Mutter empfingen mich freundlich, doch konnte mir lediglich die Mutter etwas über die Entstehungsgeschichte der Türbe erzählen. Der Hüter selbst lehnte eine Begegnung aufgrund Informationsmangels telefonisch ab, womit meine Spurensuche in diesem Dorf endete. Dem vielfältigen Charakter meines Anliegens folgend führte ich eine mobile, elf Monate3 dauernde Feldforschung an 42 verschiedenen Orten in Mazedonien, Albanien und Kosova durch. Ausgehend vom Naum-Kloster suchte ich vor allem die Region zwischen den Städten Ohrid am nordöstlichen Ufer des gleichnamigen Sees und Korçë in Albanien auf, die in älteren Reiseberichten als Herkunftsorte der Klostergäste erwähnten wurden (Hasluck 1929: 436, 583; Sís 1918: 45). Menschen, denen Naum und das Kloster etwas bedeuten und die etwas dazu zu erzählen haben, können sowohl am Kloster als auch in ihren Heimatorten angetroffen werden. Darüber hinaus suchte ich gezielt Orte auf, an denen Bektaschis leben und/oder Bektaschi-Türben und ‑Tekken stehen, um zu prüfen, welche Bedeutung 3 Aus verschiedenen Gründen unterbrach ich die Forschungsaufenthalte gelegentlich für einen kurzen Zeitraum: April – Mitte September 2016, Oktober 2016, Ende Dezember 2016 – März 2017, Mitte August – Anfang September 2017, Ende Juni – Mitte Juli 2018.
192 | Das Kloster Sveti Naum als Wimmelbild: Ergebnisse der Feldforschung
Bitola Битола Pogradec
Karte 2: Die Karte zeigt die geographische Lage des Klosters. Die roten Kästchen zeigen die großen Orte, die ich während der multilokalen Feldforschung aufgesucht habe. Ich habe diese diese Karte auf Daten von Google basierend erstellt und die roten Kästchen ergänzt. Kartendaten © 2020 Google/Additional Content Partner.
Naum für die Bektaschis hat. Hintergrund dieser Bemühungen ist Haslucks Beobachtung, dass Bektaschis Naum auch mit Sarı Saltuk identifizierten. Daneben hielt ich mich auch in den Hauptstädten Skopje und Tiranë als Zentren von Politik und Wissenschaft auf. Vergleichsdaten zur Erarbeitung der Besonderheit des NaumKlosters erhob ich an religiösen Stätten, die ebenfalls von Personen verschiedener Religionsgemeinschaften aufgesucht werden. Trotz des multilokalen Zugangs verwende ich den streitbaren Ausdruck »Feld«, da »[d]ie Vorstellung eines Feldes […] die Notwendigkeit [impliziert], dass es zur Forschung abgesteckt werden muss« (Weissköppel 2005: 48f). Die aufgesuchten Orte stehen thematisch oder über die Klosterbesucher:innen mit dem Naum-Kloster am Ohrid-See in Verbindung. Da sie auch untereinander verschiedene Beziehungen aufweisen, kann von einem Netzwerk religiöser Orte gesprochen werden (Karte 2). In diesem Netzwerk bildet das Naum-Kloster im Rah-
Religionsethnologische und multilokale Feldforschung | 193
Mazedonien
Bitola (Битола) Kičevo (Кичево) Makedonski Brod (Македонски Брод) Ohrid (Охрид) - Gorno Leskoec (Горно Лескоец) - Livoišta (Ливоишта)
- Ljubaništa (Љубаништа)
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geteilte religiöse Orte
Literatur
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5
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Resen (Ресен)
Бела Црква)
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- Kanatlarci (Канатларци) - Bolno (Болно) - Dolna Bela Crkva (Долна
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- Velgošti (Велгошти) Prilep (Прилеп)
Bektaschis/ BektaschiTürben/-Tekken
Tabelle 1
Herkunft der Klosterbesucher:innen
Naum geweihte Kirchen, Kapellen oder Klöster
men der unternommenen Feldforschung das Zentrum. Die folgende Tabelle listet alle Orte mit den Gründen des Aufsuchens auf, die sich zum Teil überschnitten:4
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4 Der Nennung der Ortsnamen folgt dabei folgendem Muster: Orte in Mazedonien werden zunächst in lateinischer Umschrift genannt. Anschließend folgt in Klammern die Bezeichnung in kyrillischen Lettern. Orte in Albanien werden zunächst in der unbestimmten Form genannt. Die bestimmte Form folgt anschließend in runden Klammern. Andere offizielle und historische Ortsbezeichnungen werden der Übersichtlichkeit halber ausgespart. Handelt es sich bei den Orten um Dörfer, sind sie den Verwaltungskreisen (maz. okolina, alb. qark) untergeordnet. Insofern Kreis und Gemeinde (maz. opština, alb. bashki) nicht übereinstimmen, folgt auch die zusätzliche Angabe der Gemeinde und gegebenenfalls die der Verwaltungseinheit (alb. njësitë administrative). In Klammern stehende Kreuze deuten darauf hin, dass ich bei meiner Suche nicht fündig wurde, der Ort jedoch trotzdem mit dem Thema assoziiert wird. Die kursiv gesetzten Ortsnamen weisen auf kurz- und längerfristige Basisstationen hin. 5 Kirche im Bau, Stand August 2017.
Kosova
Albanien
Mazedonien
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- Grnčari (Грнчари)
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- Nakolec (Наколец)
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Skopje (Скопје) - Radišani (Радишани) Struga (Струга) - Misleševo (Мислешево) Strumica (Струмица) - Hamzali (Хамзали, Okolina Strumica) Tetovo (Тетово) - Popova Šapka (Попова Шапка) Orte, die zu anderen größeren Städten gehören - Čiflik (Чифлик, Opština Češinovo-Obleševo, Okolina Kočani) - Nov Dojran (Дојран, Opština Dojran) - Star Dojran (Дојран, Opština Dojran) Berat (Berati) - Tomorr (Tomorri, Bashki Poliçan, Njësitë Administrative Vërtop) Korçë (Korça) - Melçan (Melçani, Njësitë Administrative Qëndër Bulgarec) - Shipskë (Shipska, Njësitë Administrative Voskopojë) - Turan (Turani, Njësitë Administrative Drenovë) - Voskopojë (Voskopoja) Krujë (Kruja, Qark Durrës) Pogradec (Pogradeci, Qark Korçë) - Rëmenj (Rëmenji, Njësitë Administrative Buçimas) - Tushemisht (Tushemishti, Njësitë Administrative Buçimas) - Llëngë (Llëngu, Njësitë Administrative Trebinjë)
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Tiranë (Tirana)
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Gjakovë (Gjakova) Prishtinë (Prishtina) Prizren (Prizreni)
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6 Kirche Shën Marenë.
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Multilokale Forschung fördert zudem die Flexibilität und Offenheit des Denkens, denn sie erlaubt es, von bekannten Kategorien wie Ethnien abzuweichen, statt sie vorauszusetzen (Schlee 2002: 141). Die Notwendigkeit, ethnische Zugehörigkeiten zu hinterfragen, zeigte sich besonders anhand von Kičinica, einem orthodoxen Dorf bei Gostivar im Westen Mazedoniens. Vor ein paar Jahren fing ein Mann an zu behaupten, das Dorf sei albanisch, obwohl dort seit Jahrzehnten Mazedonisch gesprochen werde. Infolge seiner Bemühungen, Albanisch als Alltagssprache im Dorf sowie als Liturgiesprache in der Kirche zu implementieren, wurde die Albanisch Orthodoxe Gemeinschaft in Mazedonien gegründet. Erklärbar ist die Wiederentdeckung der sprachlichen Ursprünge mit der Bedeutung, die Religion im Osmanischen Reich hatte: Zugunsten der religiösen Zugehörigkeit wurde Sprache damals vernachlässigt. Das Beispiel zeigt, dass sich religiöse Zugehörigkeit und auf Sprache basierende Ethnizität entgegen der nationalen Tendenzen umstritten und dynamisch zueinander verhalten können.
5.2 D ICHTE TEILNEHMENDE BEOBACHTUNG IM MULTILOKALEN FELD Die charakteristische Methode der ethnologischen Feldforschung ist die teilnehmende Beobachtung. Sie bietet einen einfachen Zugang zum Feld, da sie auch ohne bewusste Interaktion geschehen kann (Hauser-Schäublin 2008: 37). Die unter anderem als unüberprüfbar, ineffizient und zeitintensiv kritisch hinterfragte Methode hat im Unterschied zur vielgeschätzten Methode des Interviews den Vorteil, dass sie auch Ungesagtes sowie Unsagbares erfassen kann (Spittler 2001: 3-8). Zudem ist sie pragmatischer im Feld einzusetzen und umgeht die Schwierigkeit, Aspekte sprachlich erfassen zu wollen, die etwa der Geheimhaltung unterliegen. Im Vergleich zur Feldforschung und der Gemeinsamkeit der physischen Nähe, ist teilnehmende Beobachtung als dichte Teilnahme zu verstehen, die sich durch »soziale Nähe« unterscheidet (Spittler 2001: 19, Hervorhebung im Original). Dichte Teilnahme wird durch das Selbst-Erleben erzeugt, das alle Sinne beansprucht, was bei multilokaler Feldforschung schwer erreichbar, jedoch nicht unmöglich ist (Hauser-Schäublin 2008: 43). 5.2.1 Verhalten an religiösen Orten und bei religiösen Praktiken
Meiner Fragestellung entsprechend lag ein Schwerpunkt auf der Untersuchung des Klosters während der Feiertage zum Gedenken an Naum. Die Aktivitäten zum Gedenken und zur Verehrung konzentrieren sich an dem von ihm errichteten Klos-
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ter auf den 3. Juli. Um einen ausgewogenen Eindruck zu bekommen, verbrachte ich diesen Feiertag 2016 und 2018 am Kloster. 2016 suchte ich das Kloster zudem einige Tage vor und nach dem Fest auf, um die Unterschiede und Veränderungen von einem alltäglichen Tag im Klosterkomplex hin zu einem Feiertag und zurück zum Alltag zu beobachten. Unterschiede zeigten sich sowohl an der Zahl der Gäste als auch an deren Aktivitäten, worauf im Analyseteil einzugehen ist. Außerdem besuchte ich das Kloster am 5. Januar 2017, da dies dem Todestag Naums und somit dem ursprünglichen Datum seines Gedenkens entspricht. Auch hierbei zeigten sich große Unterschiede zum Sommerfeiertag, da außerhalb der Reisesaison liegend weniger Menschen das Kloster besuchten, was auch das touristische Angebot vor Ort stark einschränkte. Für ein ausgeglichenes Bild suchte ich das Kloster außerdem gelegentlich an weiteren Tagen ohne offizielle Feierlichkeiten auf. Mein erster Kontakt war der Hauptmitarbeiter Dragan, ein kräftiger Mann aus Bitola, Mitte 50, mit langem grauem Bart. Er wurde mir als Ansprechpartner von Elizabeta Koneska empfohlen, einer am Museum für Ethnologie tätigen Kollegin. Während er zunächst abweisend erschien, ließ er sich nach einigen Tagen auf mich ein. Grund hierfür waren meine täglichen Besuche, die ich ihm morgens um 7:00 Uhr abzustatten begann. Um die Zeit war er zwar schon auf den Beinen, aber es gab noch keine Besucher:innen, sodass es sich als die beste Zeit herausstellte, um in Kontakt zu kommen. Dragan versorgte mich als Zeichen seiner Wertschätzung zunehmend mit Informationen und Hinweisen sowie mit Büchern und Andenken. Er erließ mir zudem den Eintritt, um ins Innere der Kirche zu gelangen. Neben den regelmäßigen Gesprächen beobachtete ich die Tätigkeiten der Besucher:innen und vollzog sie gelegentlich selbst, zum Beispiel in das Innere der Kirche gehen, Kerzen anzünden, das Grab in der Kirche aufsuchen, das Ohr auf das Grab legen, Geld spenden und (geweihtes) Wasser abfüllen sowie den Besuch der Gottesdienste am Sonntag und an den Feiertagen. Allerdings nahm ich nicht an allen Praktiken teil, weil mir als nicht-orthodoxer Christin beispielsweise der Empfang der Eucharistie seitens der orthodoxen Kirche nicht erlaubt ist. Andere niedrigschwellige Praktiken, wie etwa die Ikonenverehrung, habe ich zwar (teilweise) äußerlich, aber im Bewusstsein der theologischen Bedeutung nicht innerlich mitvollzogen. Andere Praktiken, wie etwa das Schenken von Gaben wie Öl, Kleidungsstücke oder Schafe an den Heiligen, habe ich nur beobachtet. Um keine religiös hybride Rolle einzunehmen (Weissköppel 2005: 56), kommunizierte ich auch an anderen religiösen Orten meine religiöse Zugehörigkeit und mein Anliegen, was meistens akzeptiert wurde. Innerhalb des gesamten Klosterkomplexes beteiligte ich mich individuell an weiteren Aktivitäten der Besucher:innen wie dem Besuch anderer Kirchen und Kapellen, inklusive der Bewunderung von Ikonen, Geldspenden und des Trinkens von Wasser, der Übernachtung im Hotel des Klosterkomplexes sowie der Nutzung von Freizeitangeboten oder des Konsums
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angebotener Güter. Zu den Aktivitäten im und am Klosterkomplex, die den Kontext des Heiligenkults im engeren Sinne bilden, gehört auch die Verrichtung entlohnter Arbeit, der ich jedoch nicht nachgegangen bin. Neben dem Kloster habe ich weitere religiöse Orte aller religiösen Traditionen aufgesucht, um das Verhalten am Kloster in der religiösen Landschaft des Forschungsfeldes zu kontextualisieren. Wenn es sich anbot, nahm ich an verschiedenen Formen religiöser Praktiken teil. Der Zugang zu christlichen Heiligtümern war in der Regel problemlos und die Teilnahme an Praktiken ohne Hindernisse. Lediglich auf den Dörfern nahm es Zeit in Anspruch, die richtigen Ansprechpartner:innen und Verantwortlichen zu finden. Auch in den Moscheen war der Zutritt für mich als nicht-Muslima recht einfach, da ich mich entsprechend mit Kopftuch und langer Kleidung bedeckte. Im Vergleich zu den christlichen Praktiken nahm ich bei den Gebeten muslimischer Traditionen stärker eine beobachtende, als eine teilnehmende Rolle ein (Girtler 2001: 61-64). Durch die Besuche religiöser Stätten entstanden teilweise Kontakte zu Familien vor Ort, die mich nach Hause einluden. Die Einblicke in das Familienleben war oftmals verbunden mit weiteren Aspekten der Auslebung von Religiosität wie etwa die Einladung zu einem Fastenbrechen im Ramadan (türk. iftar) (EN 08.06.2016). Solchen Erlebnissen folgte oftmals eine tiefere Verbundenheit, die von weiteren Kontakten begleitet war. Ganz unterschiedliche Erfahrungen machte ich dagegen mit der teilnehmenden Beobachtung bei den Bektaschis. Der Zugang zu ihren Stätten und die Teilhabe an ihren Praktiken war von der jeweiligen Ortsgruppe abhängig (Reuter 2019: 236). Allgemein waren die Gruppen in Mazedonien zugänglicher. Hinsichtlich der Verweigerung der Teilnahme beziehungsweise des Zugangs zeigten sich Parallelen mit den Bektaschi-Gruppen in Albanien. Hier zeigt sich der Einfluss des albanischen Bektaschi-Oberhaupts, Edmond Brahimajs, dessen Sitz sich im sogenannten Bektaschi-Weltzentrum (alb. Kryegjyshata Botërore Bektashiane) in Tiranë befindet, auf manche Ortsgruppen in Mazedonien. 5.2.2 Das Verhältnis von Forschung, Alltag und Freizeit
Teilnehmende Beobachtung und Freizeit lassen sich nicht ohne Weiteres trennen (Girtler 2001: 74). Das erlebte ich während meines Feldaufenthalts immer wieder und besonders dann, wenn es kein Gebet, keine Zeremonie, kein Ritual aufzusuchen oder einen neuen Ort zu erkunden gab. Dann verbrachte ich Zeit mit den Menschen vor Ort, bei und mit denen ich wohnte. Dadurch gewann ich Einblicke in ihren Alltag, der den Handlungskontext der Ereignisse im und am Kloster im weiteren Sinne darstellt (vgl. Kahl 2005: 88f), baute Vertrauen zu den Personen auf oder stabilisierte die Beziehungen zu ihnen, und tauchte so in die Lebens-
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und Gedankenwelt der lokalen Bevölkerung ein, wodurch ich zu einem besseren Verständnis ihrer Ansichten gelangte (vgl. Hauser-Schäublin 2008: 42). Neben pekuniären Gegenleistungen erhielten alle, mit denen ich mich traf, ein gewisses Prestige, weil dadurch der Anschein entstand, sie hätten gute Kontakte ins wirtschaftsstarke Deutschland, und weil eine junge Deutsche, die die lokale Sprache spricht, als sehr exotisch gilt (vgl. Hauser-Schäublin 2008: 46). Mit dem Wechsel von Quartieren änderten sich auch die Umstände, an neue Informationen zu gelangen. Nicht immer war die Vermittlung einer Unterkunft durch Bekannte damit verbunden, einen guten Zugang zu den Gastgeber:innen und somit zu Daten zu kommen. Während wenige keinen Kontakt wollten oder selbst zugezogen waren und mir wenig sagen konnten, waren die meisten doch sehr kommunikativ. Insbesondere ein älteres Ehepaar aus Ohrid zeigte sich sehr hilfsbereit: Der Mann, Živko, erzählte mir vor allem Legenden über verschiedene Kirchen und seine Frau Boža erklärte mir Bräuche und Feiertage, begleitete mich zu Kirchen und nahm mich zu Festen der Familie in ihrem Heimatdorf Misleševo mit (EN 19.01.2017). Ich begleitete sie auch in verschiedenen Alltagssituationen, wodurch ein nahezu familiäres Verhältnis entstand (vgl. Hauser-Schäublin 2008: 46). Das zeigt sich im anhaltenden Kontakt via sozialer Medien, wodurch ich auch nach meinem Feldaufenthalt Einzelheiten nachbesprechen konnte.7 In einigen Fällen entwickelte sich der ursprüngliche Zweck des Kontakts, der wirtschaftliche Gewinn durch das Vermieten eines Zimmers, zu einem familiären Verhältnis, was sich teilweise als für die Forschung hinderlich erwies. Selten gab es im gemeinsam verbrachten Alltag Aspekte, die von Relevanz für meine Forschung wären. Dennoch zeigten auch Zufallsbegegnungen während gemeinsamer Erledigungen mit den neuen Vertrauten, bei denen sich spontan Möglichkeiten zu Fragen ergaben, dass Freizeit und Arbeit nicht zu trennen ist. Zwar ist teilnehmende Beobachtung sehr zeitaufwendig, diese Zeit ist jedoch erforderlich, um zu Ergebnissen zu gelangen (Spittler 2001: 21). Aufgrund der schlechten Planbarkeit von langfristigen Verabredungen passte ich mich der Spontaneität des Lebens vor Ort an. Daher ging ich flexibel meinen Forschungsinteressen nach, wofür ich mehrere Ideen entwickelte. Die permanente Wachsamkeit verband Arbeit und Freizeit.
7 Die Rolle, die soziale Medien in Südosteuropa spielen, ist nicht zu verachten, z.B. ist facebook nicht nur unter jungen Menschen weit verbreitet, sondern bei Menschen aller Schichten und Altersklassen. Sogar im universitären Bereich nutzen Professor:innen die Plattform, um sich mit ihren Studierenden auszutauschen. Für erste Überlegungen über den Einsatz internetbasierten Austauschs vgl. Schlehe 2008: 129f.
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5.3 V ERBALE KOMMUNIKATION ALS HAUPTINFORMATIONSQUELLE Während die teilnehmende Beobachtung als dichte Teilnahme bei längerfristigen, stationären Feldforschungen durch Gespräche ergänzt wird, dreht sich beim multilokalen Forschungsansatz das Verhältnis von Beobachtungen und Gesprächen um. Die Hauptinformationen im multilokalen Forschungsfeld bestehen vorrangig aus »verbalen Informationen auch über Rituale und andere im Prinzip beobachtbare Abläufe« (Schlee 2002: 141). Geschuldet ist dies der kürzeren Aufenthaltsdauer an den vielen relevanten Orten, die es nicht immer ermöglicht, Praktiken im Alltag und bei Zeremonien zu beobachten. Zur Erhebung verbaler Informationen werden in der Ethnologie traditionell Interviews verwendet, die insbesondere eingesetzt werden, um die Perspektive von Akteur:innen zu erfassen (Schlehe 2008: 121). Mit ihrer Hilfe können auch Vorstellungen, Wissen und Meinungen der Beteiligten aufgezeichnet werden, die über beobachtbare Praktiken hinausgehen und die gewonnene Außenperspektive auf den Forschungsgegenstand durch die Innenansicht ergänzt werden. Deswegen lege ich im Folgenden dar, wie ich im Rahmen meiner multilokalen Feldforschung vorging und wie ich dabei 66 Interviews, Gespräche und Gesprächsfetzen in mazedonischer (40), albanischer (25) und englischer (1) Sprache aufnahm. Davon sind allerdings einige Aufnahmen zweisprachig. Weitere Audioaufnahmen entstanden in Zusammenarbeit mit dem Journalisten Norbert Mappes-Niediek. 5.3.1 Z wischen ethnographischen Interviews und ero-epischen Gesprächen
Bei den »qualitative[n] ethnographische[n] Interviews« der Feldforschung findet ein »interkultureller Interaktions- und Kommunikationsprozess statt«, bei dem »(mindestens) zwei Menschen einander kennen [lernen]« (Schlehe 2008: 119, eigene Hervorhebung). Ähnlich verhält es sich mit »ero-epische[n] Gespräche[n]«, bei denen sich nicht nur eine Person öffnen und ausfragen lassen muss, sondern es sich um ein fragend-erzählendes Gespräch mit gleichberechtigtem Austausch der Beteiligten handelt (Girtler 2001: 147-153). Dadurch bekommen ero-epische Gespräche ein Vertrauen schaffendes Moment, weswegen sie sich in der mobilen Feldforschung eignen, um die mit kurzen Feldaufenthalten einhergehende Schwierigkeit abzufangen, dass Vertrauen normalerweise über einen langen Zeitraum aufgebaut wird (Schlee 2002: 140f). Während meiner Forschung kamen abhängig von den zu befragenden Personen beide Formen zum Einsatz. Offizielle Vertreter von Religionsgemeinschaften
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zogen es zum Teil vor, einen Termin zu vereinbaren, was dem Treffen und dem Gespräch von Anfang an den Charakter eines Interviews verlieh (vgl. Schlehe 2008: 125). Der Metropolit von Korçë, Joan Pelushi, ließ sich etwa einige Tage vor dem Treffen die ausgearbeiteten Fragen geben, an denen er sich im Gespräch orientierte und deren Überleitungen er selbst lieferte. Der Interviewcharakter des Gesprächs verdeutlichte sich zudem durch die Wahl des Ortes: Gespräche, die als Interviews wahrgenommen wurden, führte ich in den Büros der Befragten. Selten führte ich Interviews mit Vertreter:innen der lokalen Bevölkerung. Gespräche mit Interviewcharakter entwickelten sich zumeist an den religiös konnotierten Orten (Kirche, Kloster, Tekke, Türbe, Moschee, Friedhof) und in deren Umgebung, seltener zu Hause. Ero-epische Gespräche entstanden bei Besuchen in den Häusern der Menschen oder am Arbeitsplatz sowie auf der Straße. Für die geplanten Interviews, entwickelte ich zu Beginn der Feldforschung klare Fragen mit den wichtigsten Aspekten für ein Leitfadeninterview (vgl. Schlehe 2008: 127). Mit der Abfassung der Fragen auf Deutsch, Englisch, Mazedonisch und Albanisch sicherte ich mich gegen eventuelle Probleme ab, die bei ad hoc Formulierungen in einer Fremdsprache entstehen können. Der Fragenkatalog umfasste zwei ineinander übergehende Fragenkomplexe: 1) Naum als Erinnerungsfigur: Wer war Naum und was hat er gemacht? Wann und wo wird Naum wie verehrt? Welche Legenden oder Wundergeschichten gibt es über Naum? Wie sieht die individuelle Beziehung zwischen dem Befragten und Naum aus? Welche Rolle spielen Wunder? 2) Naums Bedeutung in der gegenwärtigen Gesellschaft: Welche Rolle spielt Naum in der Gesellschaft? Welche Bedeutung hat Naum für die unterschiedlichen religiösen Gruppen? Welche Auswirkungen hat die religiöse Bandbreite der Klosterbesucher:innen auf das interreligiöse Miteinander? Der Fragenkatalog der halbstrukturierten Interviews konzentrierte sich folglich auf die Verehrungspraxis Naums und ihre potentiellen Unterschiede sowie ihre Gründe und Ziele. Bei der Formulierung der Fragen berücksichtigte ich den soziokulturellen Hintergrund meines Gegenübers. Für die ero-epischen Gespräche gestaltete ich die Fragen möglichst offen (vgl. O’Reilly 2005: 120f), damit auch mir bis dahin unbekannte Aspekte zur Sprache kommen konnten (Schlehe 2008: 121). Vorformulierte Fragen können die notwendige Sensibilität, Aufmerksamkeit und Flexibilität, um während eines Gesprächs auf Aspekte einzugehen, die von den Gesprächspartner:innen als relevant erachtet wurden, nicht ersetzen. Nur durch Offenheit in Gesprächen und teilnehmende Beobachtung wurden verschiedene Dimensionen des Ortes sichtbar. Vorformulierte Fragen setzen einen zu statischen Fokus auf die Forschungsfrage und vernachlässigen Forschungsbeobachtungen in Theorie und Analyse.
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Die entwickelten Leitfragen nutzte ich als sprachliche und methodische Orientierung, die ich abhängig von der Gesprächssituation abwandelte, von denen ich mich bereits in den ersten Interviews löste und die ich spontan mit Fragen ergänzte, um Unklarheiten und Verständnisprobleme möglichst zu umgehen (Girtler 2001: 65). Zunehmend entfernte ich mich von vorformulierten Fragen, prägte mir jedoch die Schwerpunkte des Fragebogens ein, um sie während des themenzentrierten Gesprächs im Hinterkopf zu behalten (Schlehe 2008: 126f). Ich zielte damit darauf ab, gegenüber den harmonischen und toleranten Dialogdarstellungen auch Aussagen zu unkontrollierbaren interreligiösen Kontakten und Praktiken zu provozieren. Zudem führte ich unabhängig von den Gesprächsteilnehmer:innen auch Zeit und religionspolitische Umstände Jugoslawiens beziehungsweise Albaniens als Vergleichspunkt an, um Entwicklungen nachzeichnen zu können. Davon ausgehend erzählten mir einige Menschen sogar von der Zeit vor den kommunistisch-sozialistischen Regimes. Der Verlauf der Gespräche entwickelte sich situativ spontan: Bei den ero-epischen Gesprächen geschah es gelegentlich, dass sich zu der Unterhaltung weitere Personen hinzugesellten, so dass sich Gruppengespräche entwickelten. Andererseits entwickelten sich nicht immer Gespräche oder Interviews, so dass ich mich wie andere ethnographisch Forschende »mit Smalltalks zufrieden geben [musste], für den (sic!) sich eher aktuelle Themen […] anboten« (Weissköppel 2005: 57). Auf der Spurensuche zeichnete ich daher Gespräche mit unterschiedlichen Themen und unterschiedlicher Länge im Rahmen von fünf Minuten bis zwei Stunden auf. Das Gesagte dokumentierte ich möglichst als Audioaufnahme, wodurch manches Gespräch einen Interviewcharakter bekam. In einigen Fällen lehnten die Befragten eine Audioaufnahme ab, erlaubten mir jedoch mitzuschreiben oder diktierten mir ihre Aussagen. In anderen Fällen war die Aufnahme des Gesprochenen nicht sinnvoll, etwa wenn die Geräuschkulisse zu laut war. Ergänzend fertigte ich zu den geführten Gesprächen Protokolle an. 5.3.2 Zusammensetzung und Reaktionen des Samplings
Das Sampling, die Auswahl von Gesprächs- und Interviewpartner:innen, ergab sich zum Großteil erst vor Ort. Ich strebte eine ausgeglichene Auswahl der Befragten nach Alter und Geschlecht, ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit sowie zwischen religiösen, repräsentativen Funktionsträgern wie Priestern und Imamen und einfachen Mitgliedern an. Zudem plante ich eine ausgeglichene Zusammensetzung hinsichtlich der religiösen, ethnischen und nationalen Zugehörigkeit.
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Mit Blick auf Südosteuropa als Untersuchungsregion wäre traditionell eine Unterscheidung der Befragten bezüglich ihrer national-ethnischen und religiösen Zugehörigkeit zu erwarten. Da diese Unterscheidung jedoch wenig über die Art der Gespräche aussagt, liegt stattdessen eine Einteilung hinsichtlich der Tätigkeiten und des Wissens nahe: 1) Geistliche Autoritäten: Vertreter dieser Kategorie leiten eine religiöse Gruppe an oder stehen ihr vor wie etwa der Priestermönch des Naum-Klosters, der Metropolit von Korçë, ein Imam aus Struga, ein Mufti aus Resen oder das albanische Oberhaupt der Bektaschis. Die sozioreligiösen Verhältnisse bringen es mit sich, dass (nahezu) alle Vertreter:innen dieser Gruppe männlich sind. 2) Bevölkerung: Zu dieser Kategorie gehören alle anderen Befragten, die den lokalen religiösen Traditionen angehörten. Nicht nur die geistlichen Autoritäten sprachen von »Masse« oder »Volk« (maz. narod/alb. njerëz), was sich besonders auf fehlende religiöse Funktionen bezieht. Denkbar wäre von »Gläubigen« zu sprechen, jedoch ohne über die Intensität ihres Glaubens zu urteilen oder darüber, wie dieser ausgelebt wird. In meiner Forschung handelte es sich besonders um Menschen, die das Kloster besuchten oder dort als Handelnde, Musiker oder Soldaten arbeiteten. 3) Wissende: Zu dieser Gruppe gehören Intellektuelle und Engagierte wie Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Disziplinen wie Geschichte, Soziologie, Theologie und Ethnologie, Personen, die religiöse Orte betreuen und pflegen, journalistisch und politisch Aktive sowie Lehrer:innen. Die Grenzen der dritten Gruppe zu den anderen beiden sind fließend. Die Wissenden sind entweder gleichzeitig religiöse Funktionsträger, wie Imame und Priester, oder sie gehören zur »Bevölkerung«, wobei sie sich aufgrund ihrer religiösen oder gesellschaftlichen Funktion im Gespräch hervortaten. Die gängige ethnographischen Praxis von Schlüsselpersonen, die repräsentativ über ihre Kultur informieren können (vgl. Schlehe 2008: 128), lehne ich ab, da eine solche Entscheidung aufgrund der Vielfalt von Kontakten im multilokalen Feld nicht möglich ist. Zudem sind auch Personen, die nichts über die Geschichte des Klosters oder die Praktiken der Verehrung sagen können oder wollen, relevant, da sie ein anderes Moment beleuchten, nämlich dass der Heilige und sein Kloster nicht für alle Menschen im abgesteckten Feld von Bedeutung sind. Gleichzeitig können ihre Perspektiven soziokulturelle Hintergründe beleuchten. Wie bei der teilnehmenden Beobachtung sind zwischenmenschliche Beziehungen zum jeweiligen Gegenüber, die von den sozialen Rollen geprägt sind, auch für das Zustandekommen und die Inhalte von Gesprächen und Interviews bedeutsam (Schlehe 2008: 137-139). Aufgrund des bereits beschriebenen Wissensgefälles war die Suche nach Gesprächspartner:innen, die außerdem ihre Aussagen aufzeichnen lassen wollten, schwierig. Am Kloster selbst war dies auch der hohen Fluktuation von Besucher:innen geschuldet, die zielgerichtet zur Kirche gingen und sich dann in meist familiärem Rahmen anderen Freizeitaktivitäten widme-
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ten. Von der Bevölkerung erhoffte ich mir Meinungen und Vorstellungen sowie Berichte über das, was sie praktizieren. Ich erwartete Aussagen, die nicht durch theologische Studien überdeckt waren. Viele schreckten jedoch auf ihr Unwissen verweisend zurück, wenn ich ihnen mein Anliegen vortrug, weil sie nichts Falsches sagen wollten. Stattdessen herrschte die verbreitete Ansicht, dass ich mich mit diesen Fragen an die theologisch Geschulten wenden müsse. Das Wissen, das die Bevölkerung erwartete, unterstrich die Autorität der Geistlichen, die dadurch religiöse Diskurse stärker bestimmen und sozio-religiöse Kontrolle ausüben können (Spittler 2001: 7). Aufgrund dieser Autorität erhoffte ich mir, dass die Geistlichen für mich zu einer Art »Vermittlungsstelle« zur lokalen Bevölkerung würden. Ich fragte die geistlichen Autoritäten daher in Gesprächen und Interviews, ob sie jemanden persönlich kennen, der oder die eine besondere Beziehung zu Naum hätte. Gegenüber sunnitischen oder Bektaschi-Autoritäten stellte ich die Frage auch in Bezug zu Sarı Saltuk. In diesem Zusammenhang fragte ich auch nach Menschen, die von einem Wunder mit einer der beiden Figuren berichteten. In seltenen Fällen führte dieses Vorgehen aber zum gewünschten Ziel. Lediglich der Hauptmitarbeiter der Klosterkirche vermittelte mir den Kontakt zu einer Familie aus Bitola, die seit mehreren Jahren zum Festtag des Heiligen kam. Er organisierte mir außerdem ein Interview mit dem einzigen im Kloster lebenden Mönch, da sich keine Gelegenheit bot, mit diesem unverbindlich ins Gespräch zu kommen. Die Herausforderung den Geistlichen gegenüber bestand darin, dass sie als Träger von Informationen und Wissen repräsentativ auftraten, wie es von der lokalen Bevölkerung erwartet wurde, die sie mir als geeignetere Gesprächspartner empfahlen. Als Autorität versuchten sie mir, die sie als Forscherin ernstnahmen, ein Idealbild der Religion und Frömmigkeitspraxis zu zeichnen: Der Metropolit von Korçë erzählte, dass in Albanien sowohl der Winter- als auch der Sommerfeiertag des Heiligen gefeiert werde und dass es in Shipskë bei Voskopojë eine dem Naum geweihte Kirche gebe (Pelushi 2016). Ausgehend von diesen Informationen organisierte ich einen Forschungsaufenthalt um den Winterfeiertag in Voskopojë und Shipskë (EN 23.12.2016). Dabei stellte sich jedoch heraus, dass die Kirche nur eine Kapelle an einer höher geschätzten Kirche war, dass es keine Feier gab und Dorfbewohner:innen den Termin des Feiertags nicht kannten. Gleichzeitig half mir mein theologisches Wissen bei Gesprächen mit Geistlichen, genauer nachzufragen und mit kontrastierenden Vergleichen zu anderen Religionen zugespitzte Aussagen zu provozieren. In manchen Gesprächen brachte ich Wissen über die eigene religiöse Tradition ein, etwa, wenn es um das Heiligenverständnis in verschiedenen christlichen Konfessionen ging. Dadurch entwickelten sich die Gespräche von einem asymmetrischen Geben und Nehmen von Informationen zu angeregtem Austausch auf theologisch-inhaltlicher Augenhöhe
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(Schlehe 2008: 119f, 122). Andere geistliche Autoritäten hingegen verschwiegen bewusst ihre Erfahrungen und distanzierten sich auf Nachfrage von historisch gewachsenen Traditionen als Volksfrömmigkeit. Einige meinten, sie könnten oder wollten nichts dazu sagen, andere betonten, diese spielten keine Rolle, weil sie nicht der ursprünglichen authentischen Idee ihrer Religion entsprächen.
5.4 A LS DEUTSCHE FORSCHERIN IN EINEM MÄNNERDOMINIERTEN RELIGIÖSEN FELD Die teilnehmende Beobachtung vor allem im Rahmen der multilokalen Forschung erforderte, dass ich flexibel verschiedene Rollen übernahm (vgl. Weissköppel 2005: 59f). Meiner bewussten Entscheidung für eine bestimmte Rolle im Feld kamen meist die Erforschten zuvor, welche mir – meist unauffällige – Rollen zuschrieben (vgl. Hauser-Schäublin 2008: 38). Entsprechend erlebte ich immer wieder Verunsicherung, die mit der Herausforderung der »Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz, Einlassen und Rückzug, Spontaneität und Reflexion« (Schlehe 2008: 120) einhergingen. Neben meinem Wissen und meinen Sprachkenntnissen beeinflussten insbesondere die Faktoren Alter, Herkunft und Geschlecht meine Feldreise. Dazu zählten auch Inhalte, denn mein Anliegen wurde von verschiedenen Personen als delikat, unverständlich bis provokativ oder als besonders lobenswert und politisch von besonderer Bedeutung betrachtet. 5.4.1 S exuelle Annäherungen, Unterstützung und Begleitung – Herausforderungen als alleinreisende, deutsche junge Frau
Insbesondere die Erfahrungen, die mit meiner Wirkung als meist alleinreisende, deutsche junge Frau einhergingen, forderten mich immer wieder in unterschiedlicher Weise heraus. Teilweise wurde ich als kultur- und geschichtsinteressierte Touristin wahrgenommen, weswegen einige versuchten, Geld zu verdienen und mir dazu Führungen zu sehenswürdigen Orten anboten. Da nicht allein das religiöse Untersuchungsfeld aufgrund der sozialen Strukturen der örtlichen Religionsgemeinschaften stark männerdominiert, sondern auch die Gesellschaft noch immer patriarchal geprägt ist, erlebte ich graduell sehr unterschiedliche (sexuelle) Aufdringlichkeiten mehrerer Kontaktmänner im Feld. Manchmal war es mir nicht möglich, den Kontakt sofort und ganz abzubrechen, da die Männer an verschiedenen Orten mein Erstkontakt waren und ich sie als Informanten oder zum Knüpfen weiterer Kontakte benötigte. Die kurze Zeit, die ich durch meine ausgeprägte Reisetätigkeit an manchen Orten verbrachte, erlaubte es mir nicht, wählerisch zu
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sein und neue Kontakte aufzubauen. Freundlichkeit und Höflichkeit wurden mit Zuneigung oder noch wahrscheinlicher mit Offenheit verwechselt (vgl. Johansson 2015: 59f). In Mazedonien sowie in Albanien gilt vor allem in muslimisch besiedelten Dörfern das Auftreten einer alleinreisenden Forscherin »as a provocative behaviour, without her doing something scandalous« (Ashtalkovska Gajtanoska 2015: 115). Infolgedessen interpretiert die Bevölkerung das von ihren Normen abweichende Verhalten als Ausdruck sexueller Freizügigkeit. Zudem wurde regelmäßig auch nach meinem Familienstand und Nachwuchs gefragt (Ashtalkovska Gajtanoska 2015: 117, 119), einige Männer ignorierten meine Antworten dennoch. Mein freundlich, aber hartnäckig signalisiertes Desinteresse an einer körperlichen Beziehung führte nicht zu Kontaktabbruch seitens der Männer, vielmehr verschob sich ihr Interesse auf meine deutsche Herkunft. Ich wurde als Vertreterin eines modernen, angestrebten Lebens interessant, was sich in der Thematisierung der wirtschaftlichen Vorzüge Deutschlands widerspiegelt: Am Naum-Kloster traf ich einen jungen Rom aus Bitola, der seinen Lebensunterhalt als Musiker bestreitet (EN 02.07.2016). Später erkundigte er sich schließlich bei mir, wie er am einfachsten in Deutschland Asyl bekäme, wobei er auf die wirtschaftliche Diskriminierung der Roma in Mazedonien hinwies (EN 01.09.2017). Weitere Anfragen zielten auf Studiengänge und Sprachkurse in Deutschland, gepaart mit Fragen zu Lebenshaltungskosten, Stipendien- und anderen Finanzierungsmöglichkeiten. So unterschiedlich die verschiedenen Anliegen waren, verdeutlichten sie doch die lokal prekäre wirtschaftliche Situation und sensibilisierten mich für die ökonomische Dimension meiner Forschung. Vor dem Hintergrund solcher Belästigungserfahrungen war es nicht verwunderlich, dass vor allem Frauen immer wieder ihre Sorge um meine Sicherheit ausdrückten, wenn ich eine ihnen unbekannte Gegend erkunden wollte. Gelegentlich führte dies dazu, mir wohlwollend nicht zu helfen und meine Forschung zu behindern oder mir stattdessen vertrauenswürdige Begleiter zu organisieren, die weitere Kontaktaufnahmen ebenfalls negativ beeinflussen konnten. Selten begleiteten mich die Frauen selbst und unterstützten mich, indem sie meine Begegnungen auf Personen lenkten, die in ihren Augen aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeiten oder ihres Wissens ein gewisses soziales Ansehen genossen. Nach den verschiedenen Erfahrungen im Feld holte ich mir gelegentlich auch männliche Vertraute aus Deutschland ins Feld, die teilweise selbst aus dem mazedonisch-albanischen Raum stammten, jedoch keinen wissenschaftlichen Zugang hatten. Ihre Anwesenheit sorgte für eine gewisse Sicherheit, da sie den Erwartungen der Erforschten entsprach. Ähnliche Erfahrungen machte ich auch während der einmaligen Zusammenarbeit mit Norbert Mappes-Niediek, einem früheren
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Südosteuropakorrespondenten.8 Während die lokalen, vermittelnden Personen sehr daran interessiert waren, sich an der Klärung meiner Fragen zu beteiligen, bevor sie zu privaten Fragen übergingen, brachten sich die Begleiter aus Deutschland mit individuellen Interessen in die Gespräche ein, was manchmal ganz von der Forschungsfrage wegführte. Das Thema Sport allerdings zeigte sich dabei als vertrauensbildend und beziehungsfördernd. Häufiger jedoch wurden Aspekte des Themas vertieft, indem etwa Gemeinsamkeiten und Unterschiede theologischer Themen besprochen wurden, wenn die Beteiligten nicht derselben religiösen Tradition angehörten. 5.4.2 Religiöses Insiderwissen
Eine weitere Wahrnehmungsdimension meiner Person im Feld begründete sich auf meinem Wissen. Mein zuvor erworbenes Vor- und Kontextwissen hatte mir nur zum Teil ein religiöses Insiderwissen verschafft. Dennoch war ich gelegentlich der allgemeinen Schwierigkeit religionsethnologischer Feldforschung ausgesetzt, Informationen im fremden religiösen Feld zu sammeln (vgl. Schmidt 2008: 68f). Insbesondere bei den Bektaschis machte ich unterschiedliche Erfahrungen als Nichteingeweihte. Während einige Gruppen mir als Nicht-Initiierte den Zutritt zum Gebetsraum, dem makam, verweigerten, drückten andere ihr Unverständnis aus, warum sie überhaupt etwas geheim halten sollten. Darüber hinaus forderten mich andere dazu auf, mit dem Wissen und den visuellen Materialien über die Bektaschis in die Öffentlichkeit zu gehen, was meiner Forschung eine religionspolitische Note zu geben drohte. Ohne es bewusst zu provozieren, wurde ich durch die Gespräche zu einer Insiderin, zu einer Vertrauten. Dadurch wurde mir auch der Zutritt zu den Gebetsräumen gewährt und die Teilnahme an einigen Ritualen gestattet. Ich profitierte durch den Besuch verschiedener Gruppen vom zuvor gesammelten Wissen. Was mir die eine Gruppe sagte, konnte ich bei einer anderen ohne Bedenken wiedergeben und als Anknüpfungspunkt für weitere Fragen nutzen. Durch das angehäufte Wissen wurde ich zunehmend eine Insiderin, was sich auch in den von mir gestellten Nachfragen widerspiegelte. Konkrete, tiefer gehende Fragen wurden anerkennend als ehrliches Interesse und teilweise als Zeichen mei8 Das Interesse am interreligiösen Zusammenleben verband unsere gemeinsame Datenerhebung. Dabei entstanden gemeinsame Audioaufzeichnungen für meine Forschung und sein Hörfeature, vgl. »Begegnungskultur auf dem Balkan. Zusammenkunft der Kulturen – Wenn Jesus und Mohammed feiern«, ausgestrahlt am 09.12.2017 im Deutschlandfunk
(http://www.deutschlandfunkkultur.de/begegnungskultur-auf-dem-balkan-
zusammenkunft-der-kulturen.958.de.html?dram:article_id=399560).
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ner eigenen Religiosität wahrgenommen, auch wenn diese die Gespräche zeitlich ausdehnten. Ein Vertreter der Bektaschis aus Kičevo lobte mich bei meinem zweiten Besuch für meine wohlüberlegten Fragen. Die Anhäufung von Wissen führte in einigen Fällen dazu, dass ich mehr wusste als die Geistlichen. Das wiederum rief Vorbehalte über ihre eigene Auskunftsfähigkeit und Irritationen hervor. Nachdem ich immer wieder mit dem Pfarrer der katholischen Gemeinde in Ohrid über mein Thema ins Gespräch kam, zierte er sich, mir ein Interview zu geben. Denn aufgrund der vorangegangenen Gespräche war er zu dem Schluss gekommen, dass er mir nichts sagen könne, was ich nicht schon wüsste. Das spiegelt auch seine Antwort des aufgezeichneten Interviews auf die Frage nach den Feiertagen Naums wider: »In den richtigen, lokalen Kalendern, sagen wir, in den Kalendern, die Kroatien herausgibt, gibt es einen Tag, der ihm geweiht ist. (leiser:) Welcher Tag war das? Du weißt, welcher Tag das war.«9 Eine weitere beispielhafte Situation ereignete sich mit dem Baba, dem lokalen Oberhaupt der Bektaschis in Gjakovë (Kosova), den ich aufsuchte, weil die Bektaschis ihren Hauptsitz nach dem Religionsverbot in Albanien nach Gjakovë (alb.)/ Đakovica (BKMS) ins damalige Jugoslawien verlegt hatten. Zur gleichen Zeit wurde das Naum-Kloster bei Ohrid, welches von den Bektaschis in Mazedonien auch mit der Grabstätte Sarı Saltuks identifiziert wird, zum Museum umfunktioniert. Daher suchte ich an dieser Stelle nach Informationen darüber, welche Rolle das bektaschitische Andenken an Sarı Saltuk in Jugoslawien spielte. Als ich ihn nach Verehrungsorten Sarı Saltuks fragte, antwortete er zunächst, das seien Krujë in Albanien und die Kirche St. Spiridon auf der griechischen Insel Korfu. Da ich bei der Aufzählung auch das Naum-Kloster im Süden des Ohrid-Sees erwartete, aber nicht zu hören bekam, sprach ich ihn gezielt darauf an. Der ältere Herr mit grauem Bart antwortete vorsichtig in lokalem Dialekt und freute sich schließlich darüber, auch etwas von mir gelernt zu haben: »Über Sarı Saltuk dort weiß ich nichts, ich habe niemals [darüber] gelesen […] Ich danke Ihnen, [...] denn ich habe meine Freunde in Mazedonien, aber mir haben sie nichts erzählt.«10 Anders wirkte mein Wissen und die Rolle als Expertin dagegen auf die lokale Bevölkerung. Die Mehrzahl der Personen im Feld nahmen aufgrund ihres teilweise sehr niedrigen Bildungstands das starke Wissensgefälle wahr. Der Eindruck verschärfte sich, weil Religion sowie Wissen um Geschichte und Traditionen bei einem Teil der Bevölkerung an Bedeutung verloren hatte und in Vergessenheit 9 »Во уредени, локални календери да кажеме во тие календари коишто Хрватска ги издава постој еден ден посветен на него. Кој ден беше? Ти знаеш кој ден беше.« (Sveštenik 2016) 10 »Për Sari Salltikun aty nuk di, s’kam lexu asnjëherë [...] Ju falënderoj [...] se kam miqtë e mi në Maqedoni por muaj më nuk tregu.« (Lama 2017)
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geraten ist. Das sorgte dafür, dass sie sich über ihre Auskunftsfähigkeit unsicher waren. Dabei ging es darum, was sie tatsächlich zu wissen meinten. Sie kommunizierten vor allem die Angst, hinsichtlich der religiös-theologischen Bedeutung etwas Falsches zu sagen. Die Folge war, dass sie gar nichts sagen wollten. Lediglich in einem Fall ging es nicht um das fehlende Wissen: Ein älterer Rom aus Bitola, den ich am Naum-Kloster traf, verwehrte mir die Auskunft, weil er meinte, in mir eine Journalistin zu erkennen, die Informationen gegen ihn verwenden würde.
5.5 M ATERIALBASIERTER ERGEBNISGEWINN: DOKUMENTATION UND AUSWERTUNG Das erhobene Datenmaterial wurde in mehreren Schritten ausgewertet, um Analyseergebnisse durch eigenes Material zu stützen, wie es die Grounded Theory vorsieht, die nicht »an spezielle Datentypen, Forschungsrichtungen oder theoretische Interessen gebunden« ist (Strauss 1998: 29f). Die Grounded Theory eignet sich, weil sie einen reflektierten Umgang mit qualitativen, subjektiv gesammelten Daten bietet und der inneren Logik der Daten folgend ergebnisoffen ist (Strauss 1998: 34f). Wichtig für die Auswertung ist lediglich, dass Daten schriftlich vorliegen, um sie lesen zu können (Emerson et al. 2011: 173-175). Erkenntnisgewinnung und ‑sicherung beginnen folglich bereits während der ethnographischen Feldforschung, wozu ich mich während der teilnehmenden Beobachtung punktuell aus dem Geschehen zurückgezogen habe, um das Erlebte und Gehörte schriftlich festzuhalten (vgl. Hauser-Schäublin 2008: 52-54). Dieser Schritt der Dokumentation und Reflexion, welcher der Vorarbeit zur Präsentation der Ergebnisse entspricht, war mir in Form eines traditionellen Feldtagebuchs während der mobilen Forschung aus Zeitgründen nicht möglich (vgl. Weissköppel 2005: 58). Stattdessen notierte ich meist nur Zeit, Ort und beteiligte Personen eines Erlebnisses sowie Ergebnisse von Besprechungen, Forschungs- und Analyseideen. Nachträglich formulierte ich Erinnerungen an eindrucksvolle Begebenheiten aus. Gelegentlich schrieb ich für mir nahestehende Interessierte in Deutschland längere Berichte, um sie über meine Tätigkeiten und Erlebnisse zu informieren. Gespräche und Interviews dokumentierte ich den Wünschen der Befragten entsprechend. Ich verfasste Gesprächsnotizen, um Unterhaltungen zu dokumentieren, wenn sich die Gesprächspartner:innen nicht mit dem Diktiergerät aufnehmen lassen wollten oder konnten (vgl. Schlehe 2008: 134f). Die Notizen sind aufgrund des Sprech- und Gesprächstempos sehr heterogen, was Sprache, Schrift und Zitate angeht. Mit ausdrücklicher Erlaubnis zeichnete ich Interviews und Ge-
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spräche mit einem Diktiergerät auf. Die Übertragung ins Deutsche hat den Anspruch, nah an Inhalt und Form des Gesprochenen zu bleiben (vgl. Breidenstein et al. 2015: 180), weswegen das Kriterium der Lesbarkeit zugunsten eines lebendigen Eindrucks von der Feldforschung zurückgestellt wurde und die Aussagen stilistisch nicht geglättet wurden. Im Feld bediente ich mich weiterer Aufzeichnungsmöglichkeiten als Erinnerungsstütze wie Zeichnungen und Skizzen, die historische Entwicklungen, soziale Beziehungsgeflechte oder geographische Lagen verdeutlichten. Foto- und Videoaufnahmen als zusätzliche visuelle Erinnerungsstütze (vgl. Breidenstein et al. 2015: 90f) setzte ich besonders bei der Dokumentation von Gebäuden, Bildern und anderen Gegenständen sowie bei Abläufen von Gebeten oder Ritualen ein. Ereignisse aus dem Feld, Erzählungen, Skizzen und weitere Erinnerungsstützen, die nicht als Audiomitschnitt eines Gesprächs vorliegen, markiere ich in der vorliegenden Studie daher als Erinnerungsnotizen (EN) mit Datum. Die Grenzen der Hauptmethoden zur Datenerhebung – teilnehmende Beobachtung, ero-epische Gespräche und Interviews – gingen in meiner Forschung fließend ineinander über. Die verschiedenen Datentypen und Dokumentationsweisen sind daher auch zusammen zu betrachten und in der Auswertung aufeinander zu beziehen, um »die Komplexität des Phänomens« ausreichend abbilden zu können (Breidenstein et al. 2015: 34f). Die Kombination von Methoden bei der Untersuchung eines Phänomens wird auch als Triangulation bezeichnet (Flick 2008: 72f), die auch dem Ansatz der Grounded Theory zur Auswertung qualitativer Daten entspricht (vgl. Flick 2008: 9; Strauss 1998: 55f). Im Anschluss an die Digitalisierung meiner Aufzeichnungen codierte ich das Material zur Beantwortung der Forschungsfragen. Bei der Bildung der Codes und im Verstehensprozess spielte mein Vor- und Kontextwissen eine bedeutende Rolle, da es meine Sensitivität bei der Theoriebildung erhöhte, Vergleichsmöglichkeiten bot und dabei half, Variationen zu entdecken (Strauss 1998: 36f). Variationen bedeutete nicht, dass ich von »›normale[n]‹ oder ›abweichende[n]‹ Positionen« ausging (Clarke 2012: 165), denn dies hieße, mich einer Position zu verpflichten und mich der Frage der Deutungsmacht nicht neutral nähern zu können. Da die Grounded Theory essentialistisch-positivistische Annahmen impliziert, wertete ich die Daten nur in Anlehnung an diesen Ansatz aus und orientierte mich stärker an der von Adele Clarke weiterentwickelten Situationsanalyse, die die »vollständige Postmodernisierung der Grounded Theory« beansprucht (Clarke 2012: 62). Vor dem Hintergrund der Ortstheorie bot sich Clarkes Situationsanalyse an, da die gesammelten Daten in Form von Karten (maps) ausgewertet werden (Clarke 2012: 73f). Das Kartographieren hatte den Vorteil, außer den Handlungsstätten innerhalb des Klosterraums auch den Zusammenhang der Handlungen zu verorten und als Hilfestellung für den Analysevorgang zu veranschaulichen
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(Clarke 2012: 154f). Ausgehend von Clarkes Empfehlung zu Karten sozialer Welten und Arenen sowie den Positionskarten (Clarke 2012: 177) habe ich den Klosterkomplex – von der äußeren Abgrenzung in Form von Mauer und Zaun bis ins Innere der Klosterkirche – als physisch greifbare Arena festgelegt, auf die sich der Fokus der Analyse richtet. In der Arena »Klosterkomplex« lassen sich soziale Welten erkennen, die verschiedene ausgehandelte Diskurse umfassen und sich in Handlungen niederschlagen (vgl. Clarke 2012: 86-92). Durch die sozialen Welten ist der Klosterkomplex auch mit anderen Arenen wie Wohnorten, Arbeitsbereichen oder Religionsgemeinschaften verbunden, die bei der Analyse punktuell vergleichend zu berücksichtigen waren. Für die Analyse gruppenübergreifender Ansichten eignen sich zudem Positionskarten (Clarke 2012: 165-167). Die Betrachtung der verschiedenen Standpunkte unabhängig von den Beteiligten kann dabei helfen, Bewertungen der Aussagen und Stereotypenbildung zu vermeiden. Zwischen offiziellen Meinungen der Religionsgemeinschaften, die von der religiösen Elite präsentiert werden, und den Perspektiven der breiten Bevölkerung zu unterscheiden, ist genauso verkürzt wie eine scharfe Trennung zwischen christlichen und muslimischen Standpunkten oder eine zwischen den Motivationen von Pilgernden und Kulturreisenden. Das Verhalten und die Auffassungen Einzelner sind prinzipiell individuell und nicht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zu bestimmen. In der vorliegenden Studie werden Standpunkte und Handlungen trotzdem vorrangig im Zusammenhang mit den jeweiligen Zugehörigkeiten betrachtet, um fließende Übergänge aufzuzeigen.11 Die Forschungsfragen und die daraus abgeleiteten Gesprächsthemen sind aus Vorwissen generiert und bilden erste Kategorien (vgl. Emerson et al. 2011: 175). Bereits die Kategorie »Heiliger« als Charakterisierung Naums setzte ich voraus, genauso wie die Annahme verschiedener religiöser, ethnischer und nationaler Zuordnungen der Klostergäste und der sie trennenden Grenzen. Andere Kategorien, vor allem die, die verschiedenen Tätigkeiten thematisieren, entstammen dem Material. Durch das systematische und reflexive Codieren des Materials wird einer intuitiven und selektiven Auswertung der Forschungsliteratur vorgebeugt (vgl. Breidenstein et al. 2015: 171f). Dazu gehören auch die von Kim Knott gebildeten Kategorien zur näheren Beschreibung religiöser Räume (vgl. Knott 2005: 127-130). Knotts Anspruch entsprechend werden ihre Begriffe nicht systematisch als Kategorien der Auswertung angewandt, sondern als Erinnerungshilfe genutzt. Auch der dargestellte Forschungsstand und die Theorie bilden lediglich einen flexiblen Interpretationsrahmen, der eine Wahrnehmungsmöglichkeit der deutungsoffenen und komplexen Wirklichkeit bietet. 11 Vgl. Kapitel 6.1 Agierende Gruppen in ihren inter- und intrareligiösen Bezügen.
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Informationen von Felddaten und Literatur fließen in der vorliegenden Studie sich ergänzend zu einer »dichte[n] Beschreibung«, also einer Ethnographie zusammen (Geertz 2007: 10). Der Gegenstand der Ethnographie kann als »eine Vielfalt komplexer, oft übereinander gelagerter [sic!] oder ineinander verwobener Vorstellungsstrukturen [verstanden werden], die fremdartig und zugleich ungeordnet und verborgen sind« (Geertz 2007: 14f). Da es eine reine Beschreibung von Fakten und Ereignissen nicht geben kann, ist auch meine Ethnographie von individuellen Wahrnehmungen und Interpretationen geprägt, die gleichzeitig eine Erklärung von Erklärungen, ein »Herausarbeiten von Bedeutungsstrukturen« ist. Die vorliegende Monographie bietet wie andere ethnographische Darstellungen »Interpretationen […] zweiter und dritter Ordnung« (Geertz 2007: 22f). Als Übersetzung des Erfahrenen in präzisen Ausdrücken für Interessierte bezieht sich die Interpretation ausschließlich auf den beschriebenen Einzelfall (Geertz 2007: 34-38), der allerdings später mithilfe ähnlicher Beispiele aus demselben Feld überprüft werden kann. Stärker als in den Abschnitten über die zeitgenössische Religions- und Klostergeschichte verbinde ich Literatur und eigenes Forschungsmaterial in der folgenden Darstellung der synchronen Entwicklung des Naum-Klosters. Das Einbeziehen des historischen Kontexts ermöglicht ein besseres Verständnis aktueller Ereignisse. Anders gesagt: Die Verbindung von ethnographischem Material mit Methoden zur historischen Annäherung eignet sich hervorragend, um die synchronen und diachronen Veränderungen Naums und seines Klosters als religiöse Orte zu erfassen (vgl. Barkey 2015: 43f). Zudem bietet der historische Zugang auch die Verortung des Phänomens in einer breiteren Situation, die Clarke einfordert (Clarke 2012: 65). So ist auch das im Anschluss an den historischen Überblick erarbeitete Raumkonzept, also die Unterscheidung in Innen- und Außenraum des Klosterkomplexes, innerhalb der folgenden Analysekapitel strukturgebend.
6 Naums Grab und sein Kloster in den Verhandlungen religiöser Deutungen
»The effects of the supernatural presence that is attributed to certain sites are multifarious. The sacred power of the site, which is bound up with the power of its saint, does not simply capture the attention of the faithful despite their denominational differences. It also makes the religious specialists who are in charge of the sanctuary more willing to accept the transversal demand for religious goods.« (Albera 2012: 232)
Schon die allgemeine Bezeichnung des Komplexes um Sveti Naum als Kloster (maz./alb. manastir), belegt, dass es sich hierbei um einen christlich-religiösen Ort handelt. Bereits in der Zeit der osmanischen Herrschaft gehörten auch muslimische Beamte und Bevölkerungsteile zu den Besucher:innen des Klosters. Ein Teil von ihnen versuchte schon damals, Naum und dessen Kloster durch Geschichten über den vorosmanischen Sarı Saltuk als muslimischen Ort zu interpretieren und zu vereinnahmen.1 Die Bezeichnung »Kloster« überdauerte das sozialistische Jugoslawien, wo es in den Staatsbesitz überging sowie als Museum deklariert und genutzt wurde. Seine religiöse Funktion wurde in dieser Zeit nur auf der Ebene einzelner Personen erinnert und durch entsprechende Praktiken aufrechterhalten. Die lebendig gehaltene Erinnerung an seine frühere Bedeutung trug auch dazu bei, dass der Ort als Kloster im Zuge der »Denationalisierung« (mak. denacionalizacija), der Rückgabe enteigneter religiöser Besitzungen, wiederbelebt werden konnte. Diese Auseinandersetzungen über die Deutungshoheit zwischen religiösen und politischen Akteur:innen überschneiden sich mit der Raumordnung. Die Daten meiner Feldforschung zeigen außerdem, dass Naums Grab das religiöse Zentrum des Klosterkomplexes ist. 1 Zur Person, Geschichte und Legendenbildung Sarı Saltuks sowie zum historischen Zusammenhang zu Naum und dessen Kloster vgl. Kapitel 4.1.3 Naum und das muslimische Sari-Saltuk-Narrativ.
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Ziel des Kapitels als erster Teil der synchronen Analyse ist es, darzustellen, wie verschiedene Deutungsansätze ausgehandelt werden, die Naum, dessen Kloster und den Klosterkomplex als Ganzes betreffen. Dazu identifiziere ich zunächst die Gruppen, die maßgeblich am Aushandlungsprozess beteiligt sind, und zeige ihre inter- und intrareligiösen Beziehungen zueinander auf. Danach stelle ich die Gruppen mit ihren Deutungsansätzen dar, die in Äußerungen zum Vorschein kommen können und durch Handlungen in der Klosteranlage gestützt werden. Abschließend diskutiere ich den Zusammenhang religiöser Deutungen mit der Raumordnung, das Verhältnis der einzelnen Gruppen, ihrer Deutungsansätze zueinander sowie die Konsequenzen der Beobachtungen auf die Verknüpfung religiöser und anderer Lebensbereiche.
6.1 A GIERENDE GRUPPEN IN IHREN INTER- UND INTRARELIGIÖSEN BEZIEHUNGEN An der Aushandlung der religiösen Deutung des Untersuchungsgegenstands sind alle historisch gewachsenen Gruppen direkt oder indirekt beteiligt, die im Forschungsfeld um das Kloster herum anzutreffen sind. Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand des Klosters als religiösen Ort, sind die aushandelnden Akteur:innen Teil des »religiösen Feldes« (Bourdieu 2000), das sich über die Staatsgrenzen hinweg aufspannt. Diese lassen sich sowohl hinsichtlich ihrer religiösen Zugehörigkeit als auch hinsichtlich ihrer sozialen Position innerhalb der Gruppe kategorisieren. Das inter- und intrareligiöse Interaktionsgefüge kann im Anschluss an John Paul Lederachs Ansatz mit Hilfe einer Pyramide beschrieben werden (Lederach 1997: 38-43) (Abb. 3). Das aus der Friedens- und Konfliktforschung stammende Modell ist darauf angelegt, Prozesse und Konstellationen von Akteur:innen auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen zu analysieren, wofür die Pyramide horizontal gedrittelt wird. Als Weiterentwicklung für Prozesse im interreligiösen Dialog zeigt Orinta Rötting, dass die Pyramide sich auch in der Vertikalen mehrmals teilen lässt (Rötting Ž. 2016: 301-303). Die vertikale Teilung beschreibt die Beziehungen zwischen verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Perspektiven, die an den Aushandlungsprozessen beteiligt sind, und kann so mehrere Religionsgemeinschaften innerhalb einer Gesellschaft abbilden. Die horizontale Dreiteilung veranschaulicht die hierarchischen Strukturen innerhalb der Gruppen, die aufgrund ähnlicher Perspektiven einander auch vertikal zugeordnet sind. Mit der Hierarchie geht ein deutliches Machtgefälle einher, wobei sich die Mitgliederanzahl und die öffentliche Sichtbarkeit einzelner Gesellschaftsgruppen reziprok
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Organisatorische Führung Regionalvertretung Gemeindeleitung/ Ortsvertretung Engagierte, »Wissende«, sogenannte »wahre Gläubige«
Religiöse Lai:innen
katholisch
christlich
orthodox
bektaschitisch
muslimisch
sunnitisch
Abb. 3: Pyramide nach Lederach (1997). Die vertikalen Linien markieren die Grenzen der religiösen Traditionen und der damit einhergehenden theologischen Positionen. Die horizontalen Linien verdeutlichen die Grenzen zwischen soziopolitischen Stufen innerhalb der jeweiligen Gruppe. Unterbrochene Linien geben Aufschluss darüber, wie durchlässig die Grenzen sind.
proportional zueinander verhalten: je weniger Mitglieder sich auf einer Ebene befinden, desto sichtbarer sind sie und umgekehrt. Das Pyramidenmodell eignet sich für die Analyse der religiösen Deutungshoheit über den Ort Sveti Naum, weil dadurch verschiedene Gruppen im Aushandlungsprozess mit ihren Perspektiven und Anliegen sichtbar werden. Damit werden auch gegenseitige Wahrnehmungen und die Beziehungen der Pyramidensegmente beschreibbar. Auf diese Weise werden Religionsgemeinschaften nicht als statische Konstrukte, sondern stärker als dynamische Gebilde betrachtet. Auf die im Forschungsfeld vorgefundenen Gruppen übertragen, heißt das: Die vertikalen, strahlenförmigen Grenzlinien unterteilen die einzelnen religiösen Traditionsstränge und grenzen sie von anderen religiösen Systemen ab. Dem entspricht die Einteilung in orthodoxes und katholisches Christentum, in sunnitischen Islam und Bektaschitum. Die horizontalen Linien entsprechen den soziopolitischen Stufen innerhalb der religiösen Gemeinschaft, die sich in den hierarchischen Organisationsstrukturen verdeutlichen. In der untersuchten Region dominiert die vertikale Einteilung der Gruppen in Bezug auf ihre Ansichten und Handlungen als institutionalisierte Religionen das Handlungsfeld. Die mitgliederstärkste religiöse Tradition ist die christliche
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Orthodoxie, die sich in der Gegend des Klosters aufgrund der Staatsgrenze in der MPC und der KOASh organisiert. Innerhalb der orthodoxen Kirchen beider Länder gibt es Minderheitengruppen, die sich durch ihre Sprache von der Mehrheit unterscheiden. Dazu gehört in der näheren Umgebung des Klosters insbesondere die slawophone Bevölkerung auf der albanischen Seite des Prespa-Sees, die sich zwar als mazedonisch versteht, sich jedoch nicht unabhängig von der orthodoxen Kirche Albaniens organisiert. Auf mazedonischer Seite etabliert sich überdies seit einigen Jahren eine albanisch orthodoxe Gemeinschaft. Neben der dominierenden christlich-orthodoxen Tradition gibt es in Ohrid noch eine römisch-katholische Gemeinde, die dem Bistum Skopje untersteht.2 Den Islam vertritt im Einzugsgebiet des Klosters die hanafitisch sunnitisch geprägte Gemeinschaft quantitativ am stärksten. In Mazedonien organisiert sich diese in der IVZ und in Albanien in der Komuniteti Mysliman i Shqipërisë (KMSh, Muslimische Gemeinschaft Albaniens). Zur sunnitischen IVZ zählen in Ohrid und Struga auch der Sufi-Orden der Halveti, der in beiden Städten mit einer Tekke vertreten ist.3 In Albanien stellte Cecilie Endresen eine Unterscheidung zwischen einer akkommodablen und einer neofundamentalistischen Strömung innerhalb der sunnitischen Gemeinschaft fest. Während die akkommodable Richtung sich an die vorherrschenden Ideen von Kultur und Nation anpasst, betont die neofundamentalistische Richtung dagegen Unterschiede zwischen Religion und den Ideen aus Kultur und Nation (Endresen 2015a: 222f). Die Unterscheidung trifft auch auf die Situation in Mazedonien zu, wie der Einstellung eines Imams aus Tetovo zu entnehmen ist: Er kritisierte die Imamausbildung, die früher bei älteren Imamen stattfand und sich auf die Weitergabe von Traditionen konzentrierte (EN 22.10.2016). Dagegen bevorzugte er das moderne Hochschulstudium, das auch das Lesen und die Interpretation des Korans umfasse. Seiner Meinung nach führte die fehlende wissenschaftliche Ausbildung dazu, dass sich aus Unwissen und in Verbindung mit vorislamischen Vorstellungen falsche Überzeugungen und Praktiken etablieren konnten. Zum Islam zählen außerdem die Bektaschis, die in Albanien als eigenständige Religionsgemeinschaft, die Kryegjyshata Botërore Bektashiane, organisiert sind (Reuter 2019: 219). In Mazedonien gehören sie
2 Kleinere christliche Gruppen, die im Einzugsgebiet des Klosters anzutreffen sind, können in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden, da sie nicht historisch gewachsen sind und sich daher auch nicht an den Aushandlungsprozessen um die religiöse Deutung des Klosters beteiligen. 3 Halvetis und andere Sufi-Gruppen, die unter dem Schirm der sunnitischen Dachorganisationen stehen, befinden sich auch in Albanien, jedoch nicht im engeren Einzugsgebiet des Klosters. Sie werden daher in den folgenden Ausführungen außer Acht gelassen.
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dagegen offiziell zur IVZ und versuchen sich erst seit Beginn der 1990er Jahre als eigenständige Organisationen zu registrieren. Neben die Unterscheidung religiöser Lager, die sich durch sprachlich-kulturelle Merkmale weiter untergliedern, tritt die Unterteilung nach sozialen Positionen innerhalb der Religionsgemeinschaften. Die horizontalen Ebenen ermöglichen es, intrareligiös-hierarchische Differenzierungen vorzunehmen, die sich sowohl auf organisatorisch-funktionelle als auch spirituelle Aufgaben der Vertreter:innen verschiedener Ebenen beziehen. Sie soll jedoch keinesfalls die Dichotomie zwischen Volksglauben und Hochreligion vertiefen, die ich im Kapitel zu Theorie und Forschungsstand für die Südosteuropastudien identifiziert und kritisiert habe. Stattdessen dienen die Ausführungen dazu, die Vorannahme zu hinterfragen, die religiös gebildete Elite verfüge gleichzeitig auch über Deutungshoheit. Die Überlegungen helfen auch dabei, die Verwendung von Begriffen hinsichtlich ihrer Herkunft zu reflektieren und für die Problematik zu sensibilisieren, dass mit der Aneignung offizieller Ausdrücke einer Religionsgemeinschaft auch Urteile über religiöse Phänomene übernommen werden. In der horizontalen Einteilung lässt sich religionsübergreifend die zahlenmäßig kleine Gruppe an der Spitze als Vertreter in organisatorischen Führungspositionen charakterisieren, die gleichzeitig auch als Geistliche und Seelsorger in ihren religiösen Gemeinschaft fungieren. Dazu zählen die Patriarchen der MPC und der KOASh sowie der Bischof des römisch-katholischen Bistums Skopje, die Großmuftis der IVZ und der KMSh sowie der Dedebaba (alb. kryegjyshi) der Bektaschis in Albanien und Babas oder Halifebabas der registrierten Bektaschi gruppen in Mazedonien. In ihrer Position unterscheiden sich die Männer aufgrund erworbenen Wissens oder herausragender Fähigkeiten. Den Vertretern der großen Gemeinschaften ist überdies gemeinsam, dass sie durch einen standardisierten Vorgang legitimiert werden, wobei meist Wissen, Fähigkeiten oder Persönlichkeit ausschlaggebend sind. Abgesehen vom römisch-katholischen Bischof des mazedonischen Bistums Skopje, der zuvor vom Papst als höherstehender Instanz bestimmt wurde, werden die Repräsentanten der auf nationaler Ebene organisierten Religionsgemeinschaften zur Legitimation aus den eigenen Reihen in ihre Position gewählt.4 Die Repräsentanten sind je nach Selbstverständnis und Größe der Religionsgemeinschaft umgeben von einem bürokratisch-organisatorischen Apparat. In den Kirchen setzt sich der Mitarbeiterapparat meist aus qualifizierten Geistlichen, in den islamischen Organisationen dagegen aus Personen mit unterschiedlicher beruflicher Ausbildung zusammen. Die wenigen Personen an der Spitze der Pyramide sind in der Öffentlichkeit besonders sichtbar und müssen 4 Ein Überblick über die Geschichte der katholischen Kirche in Mazedonien mit einem Schwerpunkt auf die byzantinisch-katholische Kirche findet sich in Reuter 2020.
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deswegen ein Profil aufweisen, das Stabilität und Sicherheit ausstrahlt und das mit starren inhaltlichen Positionen einhergeht (Lederach 1997: 38-40). Ihr Status trägt dazu bei, dass sie über große Macht und bedeutenden Einfluss verfügen. Während die Repräsentanten auf nationaler Ebene an der Spitze der Pyramide stehen, befinden sich auf der mittleren Ebene deren regionale Vertreter wie orthodoxe Bischöfe und Muftis. Aufgrund der geringen Mitgliederzahlen der römisch-katholischen Kirche und der Bektaschis fehlt die Unterscheidung zwischen regionaler und nationaler Ebene. Das römisch-katholische Bistum in Mazedonien repräsentiert mit Blick auf die ganze Organisation bereits die mittlere Ebene. Auf nationaler Ebene wird sie jedoch organisatorisch mit der MPC gleichgesetzt. Die Bektaschis sind ein weiterer Sonderfall. Während sie sich in Mazedonien nicht gemeinschaftlich organisieren und teils zur sunnitisch geprägten IVZ zählen, bilden sie in Albanien offiziell eine eigene, anerkannte Religionsgemeinschaft (Reuter 2019: 219). Die Bektaschi-Gemeinschaft in Albanien mit Sitz in Tiranë erhebt mit der Selbstbezeichnung Kryegjyshata botërore Bektashiane den Anspruch, der Hauptsitz des Oberhaupts der Bektaschis weltweit zu sein – ähnlich wie die römisch-katholische Kirche mit Sitz in Rom. Im Gegensatz zu dieser Behauptung ist die Bektaschi-Gemeinschaft Albaniens de facto jedoch keine weltweit vertretene, sondern, wie Nathalie Clayer schreibt, eine panalbanische Religionsgemeinschaft (Clayer 2012a: 196-198). Dies zeigt sich auch daran, dass sich einige Bektaschis in Mazedonien dem albanischen Oberhaupt und andere dagegen Autoritäten in der Türkei unterstellen (Reuter 2019). Die Aufgabe der Vertreter:innen der mittleren Ebene besteht darin, die Spitze der Organisation mit den Repräsentanten der Basisebene zu verknüpfen. Während die Geistlichen der obersten Ebene jedoch keine eigene Gemeinde zu betreuen haben, kann es auf dieser Ebene vorkommen, dass sich geistliche Repräsentanten zusätzlich um die Mitglieder einer Gemeinde kümmern. Im Gegensatz zur oberen Ebene der national-organisierten Religionsgemeinschaften werden die Repräsentanten alle von der höheren Instanz bestimmt, welche sie gleichzeitig legitimiert. Im Vergleich zur Pyramidenspitze sind die Vertreter der mittleren Ebene flexibler und vernetzter (Lederach 1997: 41f). Macht und Einfluss haben sie vor allem auf der Beziehungsebene. Auf der untersten Ebene stehen orthodoxe und katholische Priester, Imame und Babas als Repräsentanten der Religionsgemeinschaften. Ihre Aufgabe ist es, die religiöse Organisation gegenüber den Mitgliedern ihrer Gemeinden zu präsentieren, indem sie konkrete seelsorgerliche Dienste an den Gläubigen verrichten. Gleichzeitig vertreten sie die Anliegen der Gemeindemitglieder gegenüber ihrer religiösen Organisation. Unterstützt werden sie je nach Größe der Gemeinde und verfügbarem Personal von weiteren Mitarbeitern wie Diakonen, Muezzins oder Derwischen, die unterschiedlichen Aufgaben nachgehen. Die Repräsentanten der Gemeinde sind im Vergleich zu den Vertretern der anderen Ebenen viel stärker von
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der alltäglichen Lebenswirklichkeit betroffen (Lederach 1997: 42f). Das bedeutet auch, dass über Spezialwissen über lokale Angelegenheiten verfügen, weil sie die Ängste und Probleme der breiten Bevölkerung selbst erleben. Diese Umstände bewirken teils pragmatische Führungsstile, die im Widerspruch zu den starren Positionen stehen können, die die Repräsentanten der Pyramidenspitze vertreten. Neben den aufgezeigten strukturellen Gemeinsamkeiten gibt es auch Unterschiede zwischen den Religionsgemeinschaften. Aus katholischer Perspektive sind es die Weihen, die das Erreichen der verschiedenen Stufen ermöglichen und mit denen die Legitimation der geweihten Personen, bestimmte Handlungen auszuführen, einhergeht (Müller 2005). Ähnlich werden Geistliche in der orthodoxen Kirche eingesetzt. Dem Christentum ähnliche Hierarchiestufen gibt es unter den Bektaschis, wobei die Bektaschi-Informanten die Struktur entweder mit der der orthodoxen (EN 15.10.2016) oder der katholischen Kirche verglichen (EN 25.10.2016), je nachdem, welche in ihrem eigenen Umfeld präsenter war. Im sunnitischen Islam dagegen gibt es unter den ausgebildeten Autoritäten keine weiteren Abstufungen hinsichtlich der geistlichen Hierarchie. Imame unterscheiden sich von den ihnen vorgesetzten Muftis einzig durch deren organisatorische Zuständigkeit. Auf der Mikroebene der Gemeinden spiegeln sich die hierarchischen Verhältnisse wider, die sich in den Religionsgemeinschaften auf der Makroebene der Gesellschaft ausmachen lassen. Dabei vertreten die Geistlichen als Gemeindeleitung die oberste, Mitarbeiter:innen die mittlere und Gemeindemitglieder die unterste Ebene. Wie sich das Verhältnis zwischen der Gemeindeleitung und den Gemeindemitgliedern gestaltet, zeigen die Bezeichnungen der Beteiligten. Für die Benennung der Gemeindeleiter gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste ist die Benennung der Funktion. Im orthodoxen und katholischen Christentum drückt »Priester« (maz. sveštenik, pop; alb. prift) aus, dass diese Personen Gottesdienste anleiten und Riten vollziehen. Im sunnitischen Islam ist »Hodscha« (maz. odža; alb. hoxha; türk. hoca) in Verwendung. Im Unterschied zu dem in Deutschland gebräuchlicheren Begriff »Imam« bezeichnet »Hodscha« ursprünglich einen Religionsgelehrten.5 De facto entspricht ein odža/hoxha/hoca im Untersuchungsgebiet jedoch der deutschen Vorstellung vom Imam als einem Gemeindevorsteher und Vorbeter. Die zweite Möglichkeit ist die familiäre Benennung des Gemeindeleiters als »Vater«, welche die Aufgabe der Fürsorge impliziert. Im orthodoxen und 5 Der deutsche Begriff »Imam« leitet sich vom Arabischen ʿimāma ab, was die oberste Leitungsposition im Islam meint (Madelung 1986: 1163f). Der Begriff »Hodscha« vom Persischen ḵh̲wād̲j̲ a bezeichnete ursprünglich Gelehrte, Lehrer, Händler, Minister und Eunuchen (Baerman, et al. 2012). Im Osmanischen Reich wurde der Begriff schließlich hauptsächlich für religiöse Gelehrte verwendet.
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katholischen Christentum bezeichnet »Vater« (maz. otec; alb. at) das spirituelle Verhältnis der Geistlichen zu ihren Gemeindemitgliedern und markiert stärker, dass Priester sich auch um das Wohlbefinden und die spirituellen Bedürfnisse der Gemeinde kümmern müssen. Bei den Bektaschis hingegen ist das aus dem Türkischen übernommene Wort für »Vater« (baba) der einzige und offizielle Titel für denjenigen, der als Geistlicher auch eine Gemeinde leitet. Die christlichen Vaterbezeichnungen (maz. otec; alb. at) sind im Untersuchungsgebiet nicht üblich, um einen Familienvater (maz. tatko; alb. baba) im biologischen oder sozialen Sinn zu kennzeichnen. Insbesondere der mazedonische Ausdruck otec bezeichnet im Mazedonischen ausschließlich eine geistliche Person oder auch Gott. Im Unterschied dazu kann otec in anderen slawischen Sprachen wie Russisch auch den Familienvater bezeichnen. Im Mazedonischen ist außerdem der Begriff pop üblich, jedoch eher als Fremdzuschreibung und teils mit einer abwertenden Konnotation. Sowohl die Funktions- als auch die Beziehungsbezeichnungen verweisen auf Hierarchien und implizieren Autoritätsverhältnisse. Die Akteur:innen der untersten Ebene einer Gemeinde werden entweder nach ihrer Quantität oder ihrer Glaubensposition benannt. Um die große Anzahl der Gemeindemitglieder auszudrücken, werden Ausdrücke für »Menschenmenge, -masse« oder auch »Volk, Bevölkerung« (maz. narod; alb. popull/njerëz) verwendet.6 In Hinblick auf die Glaubensposition gelten alle Mitglieder einer religiösen Gemeinschaft als »Gläubige« (maz. vernici; alb. besimtare) – unabhängig davon zu welcher Religion sie gehören. Allerdings wird der Begriff insbesondere von Imamen benutzt, um praktizierende Gläubige von nichtpraktizierenden zu unterscheiden. Weitere Unterscheidungen gibt es allgemein im Christentum hinsichtlich des Empfangs der Taufe: Gemeindemitglieder sind die, die bereits getauft wurden. Die anderen, die die Taufe noch nicht empfangen haben, sind Katechumen:innen, die jedoch seit der Etablierung der Kindertaufe im 4. Jahrhundert keine relevante Größe mehr bilden (Grethlein 2001: 869). Bei den Bektaschis ist die Unterscheidung der Gemeindemitglieder bedeutsamer, weil es keine Initiation für Kinder gibt. In der Hierarchie befinden sich unter den ausschließlich männlichen Derwischen durch ein Ritual aufgenommene Männer und Frauen (türk. muhib; alb. my6 Der Begriff narod als »Volk« findet auch mit seiner politischen Bedeutung Verwendung. Er bezeichnet entweder unbestimmt die Bevölkerung gegenüber politischen Eliten oder bestimmt das »Volk« eines bestimmten Gebiets im Sinne einer Ethnie oder einer Nation. Die politische Verwendung ist jedoch für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand irrelevant, da sich alle am Kloster Agierenden darüber im Klaren sind, dass sie von verschiedenen Orten kommen und verschiedene Sprachen sprechen, weswegen die übliche politische, ethnisch-nationale Differenzierung durch entsprechende Attribute in dem Kontext fehlen. Vgl. auch zur Verwendung im Deutschen von Krech 2005.
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hib). Diejenigen, die nicht eingeweiht sind, werden als Sympathisant:innen (türk. aşık; alb. ashik) bezeichnet. Die Unterscheidung zwischen Leitung und Mitgliedern einer Gemeinde trat im Forschungsfeld in Zusammenhang mit der Frage nach historischem und theologischem Wissen oder bestimmten Fähigkeiten auf, die ein Autoritätsverhältnis implizierten. Die Kategorie der Wissenden innerhalb einer Religion deckte sich meist mit der Position der Geistlichen. Immer wieder kam es vor, dass Gemeindemitglieder mich darauf hinwiesen, dass sie nicht genug Wissen hätten. Deswegen schickten sie mich zu einem der von ihnen anerkannten Geistlichen: zu Priestern, dem Regionalbischof von Korçë, zu Imamen, zu Babas oder einem Scheich (maz. šeik; alb. sheh/shejh; türk. şeyh). Nur in wenigen Ausnahmen wurden auch Derwische explizit als auskunftsfähig charakterisiert. Nur in einem einzigen Fall bekam ich auch von einem Diakon (maz. ǵakon) Informationen, der in diesem Moment den abwesenden Bischofssekretär vertrat (EN 10.07.2018). Zudem kam es gelegentlich vor, dass sehr aktive Gemeindemitglieder oder Angestellte ebenfalls zum Kreis der Wissenden gehörten. Zum Beispiel schickte mich ein türkischer Imam aus Struga zu seinem Schwiegervater, der in Ohrid lebte, weil er so viel Wissen habe, dass er »wie google« (maz. kako gugl) sei, und mir meine Fragen beantworten könne (EN 08.06.2016). Allerdings ist das Wissen der Geistlichen in erster Linie ein theologisches, während das der engagierten Gemeindemitglieder sich auf historische Fakten und den Wandel innerhalb der religiösen Ortsgemeinde oder der Gesellschaft beschränkt. Die Gemeindemitglieder sind dagegen aufgrund fehlender Kenntnisse oder Fähigkeiten auch als religiöse Lai:innen zu bezeichnen. Personen, die über diese Gruppen sprechen, ohne ihnen direkt anzugehören wie Religionswissenschaftler:innen, Religionssoziolog:innen oder Historiker:innen tauchen in dieser Struktur nicht erkennbar auf. Aufgrund der sozialistischen Vergangenheit Mazedoniens und Albaniens fehlt die Religionswissenschaft immer noch in der Universitätslandschaft beider Länder. Religionssoziolog:innen beschäftigen sich weniger mit den Strukturen der Religionsgemeinschaften als mit dem Wandel religiöser Strukturen in der Gesellschaft. Im Folgenden zeige ich, wie die genannten religiösen und sozialen Gruppen die Deutung Naums und des Klosterkomplexes aushandeln. Ausgehend von der im Untersuchungsgebiet vorherrschenden vertikalen Unterteilung der Gruppen gehe ich dabei erst auf die christlichen und dann auf die muslimischen Perspektiven ein. Dabei wird sich zeigen, dass die größten Meinungsunterschiede auf der höchsten Ebene der Partizipationspyramide zu finden sind. Da diese Ebene sowohl die höchste geistliche als auch die höchste organisatorisch-repräsentative Autorität darstellt, liegt dort auch die Deutungshoheit über religiöse Orte (vgl. Koch 2014: 124). Die festen vertikalen Grenzen religiöser Auslegung, die zwischen den Vertretern der Pyramidenspitze bestehen, weichen in der untersten Ebe-
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ne zunehmend auf. Die argumentativen und praktischen Auseinandersetzungen um die richtige religiöse Deutung Naums und seines Klosters legen Naums Grab als raumordnenden Kern frei. Wie religiös der restliche Klosterkomplex verstanden wird, thematisiert die Diskussion am Ende des Kapitels. Sie setzt dafür die verschiedenen Deutungsansätze miteinander ins Verhältnis und fragt nach den intra- und interreligiösen Beziehungen der am Kloster agierenden Gruppen.
6.2 NAUMS GRAB ALS KERN DER KLOSTERKIRCHE Das Naum-Kloster hat eine unbestrittene und klar erkennbare christlich-orthodoxe Prägung. Den Kern des Klosters bildet die Klosterkirche, in der sich wiederum zwei zentrale Orte ausmachen lassen. Wie in jeder Kirche bildet der Altar, an dem die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi als das Herzstück orthodoxer und katholischer Gottesdienste zelebriert wird, eines davon.7 Das andere Zentrum markiert das Grab Naums, der die Kirche zwar errichtete, dessen Grab sich ursprünglich jedoch nicht in der Klosterkirche befand. Beide Zentren verweisen auf die theologischen und traditionell-kulturellen Bedeutungen der Klosterkirche und die damit einhergehenden Auseinandersetzungen, auf die ich im Folgenden eingehe. Historisch betrachtet wurde das Kloster weder als ein orthodoxes noch als ein Naum geweihtes Kloster gegründet. Naum lebte und wirkte vor der als Morgenländisches Schisma bekannten Trennung der orthodoxen und der römisch-katholischen Kirchen, die in das Jahr 1054 datiert wird (Odilo 2000: 149f). Wie seine Lehrer Kyrill und Method sowie sein Kollege Kliment stand auch er zwischen der ost- und der weströmischen Kirche. Die Mission in Moravien wurde zwar von oströmischer Seite her gefördert und von zwei aus der byzantinischen Tradition stammenden Geistlichen, Kyrill und Method, geleitet. Allerdings fand das Missionsprojekt im Einflussgebiet der weströmischen Kirche statt, sodass es nach Streitigkeiten mit den fränkischen Geistlichen der päpstlichen Legitimierung des Unternehmens bedurfte. Auch Naum nahm laut seiner Vita an der Reise nach
7 Auch in evangelischen Strömungen spielt diese Wandlung eine nicht zu vernachlässigende Rolle, allerdings weichen die evangelischen Wandlungsvorstellungen vom orthodoxen und katholischen Verständnis ab. Ich führe die Unterschiede an dieser Stelle nicht weiter aus, da sich evangelische Gruppen während meiner Feldforschung nicht erkennbar an den Aushandlungsprozessen zur religiösen Bedeutung beteiligten. Letzteres mag auch daran liegen, dass evangelische Gruppen allgemein eine kaum wahrnehmbare Minderheit in der Region darstellen.
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Rom teil und erhielt dabei möglicherweise die Priesterweihe.8 Für die katholische Kirche in Ohrid und Mazedonien spielten während der Feldforschung weder Naum noch das Kloster eine herausragende Rolle, obwohl Papst Johannes Paul II. 1985 Naums Lehrer Kyrill und Method zu Patronen Europas erhoben hatte (Mitewa-Michalkowa 2008: 363). Dass Naum für die Katholik:innen in Mazedonien verhältnismäßig wenig bedeutet, liegt unter anderem daran, dass sie dort nur eine sehr kleine Minderheit darstellen und in Ohrid erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine katholische Kirche errichtet worden war (Grulich 1999: 92-94). Auch der Priester der katholischen Gemeinde in Ohrid gab an, dass des Heiligen Naum trotz der räumlichen Nähe und seiner Erwähnung im von ihm verwendeten Heiligenkalender, der von einem kroatischen Bistum herausgegeben worden ist, liturgisch nicht gedacht werde (EN 31.05.2016). Nichtsdestotrotz besuchten auch die wenigen Katholik:innen aus Ohrid und Mazedonien das Kloster gelegentlich. Zum anderen errichtete Naum eine Kirche, die er den Erzengeln oder dem Erzengel Michael weihte, die also ursprünglich nicht seinen Namen trug. Das Kloster wurde nachweislich erst seit Beginn des 17. Jahrhunderts nach seinem Erbauer Naum benannt. In jener Zeit wurde das ursprünglich außerhalb der Kirche gelegene Grab im Zuge der Neuerrichtung der zerstörten Klosterkirche so verlegt, dass es ein Teil der Kirche wurde. Damit rückte die Verehrung Naums mit seinem Kloster auch hinsichtlich der religiösen Praxis weiter an den Altar als das theologische Zentrum der Kirche heran. Die in der Geschichte vorgenommenen Veränderungen schlagen sich bis in die Gegenwart in den verschiedenen Perspektiven der Geistlichen und Lai:innen nieder: Aus orthodoxer und katholischer Perspektive gehören Heilige elementar zur Ekklesiologie, der Lehre der Kirche (Larentzakis 2001: 95-101). Ursprünglich als Kollektivbezeichnung für die an Christus Glaubenden und auf seinen Namen Getauften verwendet, entwickelte sich der Ausdruck »Heilige« zunehmend zur Bezeichnung einzelner Figuren der Kirchengeschichte, »in deren Leben Gott in besonderer Weise wirkt« (Gemeinhardt 2010: 8). Im Laufe der Kirchengeschichte entstanden verschiedene Heiligen-Typen, die sich etwa aufgrund ihres historischen Kontextes und ihres Lebensstils einteilen lassen, sowie eine spezielle liturgische Gedächtnis- und Verehrungsform (Reuter 2018: 88-90). In dieser Tradition stehen auch die Feiertage zum Gedenken an Naum, der als in Askese lebender Mönch, als Diener seiner Lehrer, als Wundertäter (maz. čudotvorec) und Heiler (maz. iscelitel) erinnert wird, da er kaum Potential zur kollektiven, politisierten Erinnerung aufweist (Reuter 2015: 168-170). Wie bei anderen Heiligen entwickelte sich auch sein Verehrungskult erst postmortal an seinem Grab, an dem sich Praktiken von Gebeten und liturgischen Formen bis zu Votivgaben, 8 Vgl. Kapitel 4.1.1 Diener der Slawenapostel, Mönch und Errichter des Klosters.
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Reliquien- und Ikonenverehrung zunehmend materialisierten. Praktiken der Heiligenverehrung bestehen bis in die Gegenwart als Zeichen dafür, dass auch über den Tod hinaus eine besondere Beziehung zwischen Gott und Naum besteht, was sich in der wunderheilenden Kraft am Grab verdeutlicht. Das Zentrum der Verehrung Naums bildet laut dem Metropoliten aus Korçë, Joan Pelushi, der Gottesdienst, der wiederum aus zwei Hauptbestandteilen besteht (Pelushi 2016). Diese Sicht unterscheidet sich von der Sicht und den Praktiken der Lai:innen, auf die ich an späterer Stelle eingehe. Das erste Element ist, wie bei anderen Feiertagen auch, die Eucharistiefeier, die er als unblutige Opfergabe versteht, bei der der Priester Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandelt und an die Gläubigen verteilt. Als zentraler Ort des Gottesdienstes, mit dem die Eucharistie verbunden ist, gilt der Altar, auf dem die Wandlung vollzogen wird (Plank 1998: 336). Auch der Archimandrit des Klosters bewertet die Liturgie als den wichtigsten Part des Feiertages (Nektarij 2016). Andere Praktiken am Kloster, wie das dreimalige Umrunden der Kirche mit einem Lamm als Votivgabe, das auf Wunsch von einer musizierenden Roma-Band begleitet wird, sind für ihn ebenfalls legitim. Um die größere Bedeutung des Gottesdienstes hervorzuheben, spricht der Archimandrit jedoch davon, dass die Menschen ihre »Vergnügungen« (maz. veselbi) und die Musik während des Gottesdienstes aus Respekt einstellten. Die Roma-Musiker dagegen meinten, dass sie ihre Tätigkeit auf Wunsch des Priesters für die Zeit des Gottesdienstes unterbrechen mussten, obwohl noch Leute anstanden, um die Kirche mit einem Schaf zu umrunden (Muzičari 2016). Erst wenn der Priester das Singen der Abendmesse beendet habe, dürften sie weiterspielen. Die Pause hat auch einen die Raumordnung betreffenden praktischen Aspekt, denn zur Zeit der Gottesdienste drängen vielen Besucher:innen in den kleinen Kircheninnenraum, wodurch sich am Eingangsbereich eine Menschentraube bildet, die ein Umrunden der Kirche erschwert. Das zweite Element der liturgischen Verehrung Naums ist laut dem Metropoliten Pelushi die Wasserweihe (Pelushi 2016). Diese schließt sich sowohl am Feiertag im Sommer als auch im Winter an den Festgottesdienst am Vormittag an. Während der Gottesdienst im Altarraum und im Gemeinderaum, dem Naos, gefeiert wird, weihen die Priester das Wasser im Hof vor dem Eingang der Kirche. Die Besucher:innentraube konzentriert sich um das Geschehen. In der orthodoxen Kirche findet die Wasserweihe normalerweise zu Epiphanias statt, der auch als Tag der Taufe Jesu gilt. Die Wasserweihe an Naums Feiertagen ist daher ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber Festen anderer Heiliger. Als Ort der Wasserweihe bestimmt der Metropolit von Korçë allerdings nicht den Klosterhof oder den Eingangsbereich der Kirche, sondern eine Quelle namens najazma, an der eine kleine Kapelle errichtet wurde (Pelushi 2016). Die Ortsbezeichnung najazma ist eine Verschmelzung der Wörter në (»an, in«) und ajazmë (»Weihwasser«), wobei
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sich ajazmë vom griechischen Ausdruck agiasmós (»Weihe, Weihwasser«) ableitet. Dieses »holy water« der najazma-Quelle wurde laut Pelushi für die Wasserweihe an Naums Feiertagen im Winter und im Sommer verwendet. Grund dafür dürfte die Überlieferung sein, dass Naum an dieser Stelle an Land ging, nachdem er den See überquert hatte.9 Im Laufe des 20. Jahrhunderts verlor die Quelle aufgrund der politischen Entwicklungen ihre historisch gewachsene Relevanz für die traditionelle Wasserweihe: Im Zuge der Auseinandersetzungen um die Grenzen zwischen Albanien und der serbischen Provinz Mazedonien wurde die Quelle zunächst vom Kloster getrennt. Mit der Grenzschließung von 1948 und der Anti-Religionspolitik des kommunistischen Albaniens ab 1967 verlor die Quelle nicht nur räumlich, sondern auch praktisch den Bezug zum Kloster und zu den Feiertagstraditionen. Nachdem die Kapelle im Kommunismus als Toilettenhäuschen für die Grenzbeamten diente, wurde sie optisch, zum Beispiel durch Ikonen, wieder in einen religiösen Ort umgewandelt (EN 30.06.2016). Allerdings wird sie nur selten für liturgische Zwecke genutzt (Shpendi 2016). Auch der Zustand der Kapelle, die aus nur einem Raum besteht und sich wenige Schritte von der Grenze weg am Seeufer befindet, vermittelt diesen Eindruck (EN 30.06.2016). Zum Zeitpunkt der Forschung war das kleine weiße Gebäude optisch zwar als Kapelle erkennbar, bot jedoch kaum Platz für zwei Personen. Das Kapelleninnere zeigte sich deutlich heruntergekommen: Die Fußbodenfliesen waren teilweise gebrochen, an den weißen Wänden trat an der unteren Seite grüner Schimmel hervor und auch die Farbe der an die Wand gemalten Naum-Ikone blätterte leicht ab (Abb. 4). Die najazma, die in der Kapelle sprudelt, ist vor allem unter der Bevölkerung auf albanischem Staatsterritorium bekannt. Sie wird auch deswegen gegenwärtig nicht für liturgische Handlungen genutzt, weil sie sich vom religiösen Kern des Klosters aus gesehen in der Peripherie befindet. Die Festtagspraktiken verdeutlichen, dass es neben dem Altar, den die Geistlichen als Mittelpunkt der Festivitäten propagieren, ein weiteres Kultzentrum gibt: Das Ziel der Besucher:innen ist Naums Grab. Dies mag zum einen daran liegen, dass der liturgische Teil zeitlich stark begrenzt ist, Naums Grab dagegen an dessen Festtag im Sommer über 24 Stunden lang zugänglich ist. Hinzu kommt, dass der Raum, in dem die Liturgie gefeiert wird, nur begrenzt Platz für Teilnehmer:innen bietet. Zum anderen liegt der Fokus auf dem Grabbesuch, da Gottesdienste und Eucharistiefeiern jeden Sonn- und Feiertag in nahezu jeder Kirche besucht werden können. Naums Grab allerdings gibt es nur an diesem Ort und verleiht diesem seine besondere Bedeutung. Historisch betrachtet hängen die Eucharistiefeier am 9 Vgl. Kapitel 4.2.3 Das Kloster als Schauplatz kirchen- und nationalpolitischer Auseinandersetzungen.
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Abb. 4: Naum-Ikone in der Kapelle bei najazma. Die Kapelle diente im Kommunismus als Toilettenhäuschen für die Grenzbeamten.
Altar und die Verehrung von Heiligen an ihren Gräbern eng miteinander zusammen: Bereits zu Beginn des Märtyrer:innenkults wurde die Heiligenverehrung mit der Eucharistiefeier und einem gemeinsamen Mahl am Grab des Heiligen gefeiert (Hausberger 1985: 648f). Mit der zunehmenden Materialisierung der Heiligenverehrung entwickelte sich außerdem die Vorstellung, dass Altäre mit einem Heiligen und dessen Grab oder einer Reliquie verbunden sein müssen (Knodt 1998: 105-107). Deswegen ist es seither üblich, Reliquien von Heiligen, nach denen die Kirche benannt ist, in der Nähe des Altars zu platzieren. In den Ostkirchen wird dazu seit dem 13. Jahrhundert ein Reliquienstück in das Antimension genannte Altartuch eingenäht (Ohme 1998: 546; Plank 1998: 336). Von dieser Verbindung leitet sich auch die Idee von Schutzpatron:innen einzelner Kirche ab. Grab und Altar stehen sich daher grundsätzlich nicht konträr gegenüber. Die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der Geistlichen und der Besucher:innen deuten dennoch daraufhin, dass es sich um zwei verschiedene Zentren handelt. Insbesondere der Metropolit Joan Pelushi betonte die Liturgiefeier als Zentrum der Heiligenverehrung, während die befragten Priester aus Mazedonien auch die traditionellen Praktiken der gläubigen Besucher:innen in ihre Darstellung mit einbezogen. Auch der Priester und Theologieprofessor Aleksandar Girevski
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betont den Wert des Glaubens der Lai:innen und legitimiert ihn mit einem Zitat von Johannes Chrysostomos, wonach der »reine Glaube […] bei dem Volk« zu finden sei (zitiert nach Girevski 2006). Girevski bezieht diese sich kaum vom Klosterbesuch bei Ohrid unterscheidenden Aussage auf die Handlungen und Reaktionen der Menschen, die das Naum-Kloster in Radišani bei Skopje besuchen. Einer der Hauptunterschiede ist dabei der Besuch von Naums Grab, das es nur im Kloster am Ohrid-See gibt.10 Diejenigen, die das Grab aufsuchen, suchen den Kontakt zu Naum als dem »lebendigen Heiligen« (maz. živ svetec). An den Feiertagen im Sommer gelangen sie nach stundenlangem Anstehen zum Grab des Heiligen, vor dem sie auf die Knie gehen, um das Ohr auf die Grabplatte zu legen und den Herzschlag des »lebendigen Heiligen« zu hören. Ob es sich bei den hörbaren Geräuschen tatsächlich um Naums Herzschlag handelt, ist allerdings umstritten. Zu der umstrittenen Deutung der Geräusche trugen auch die archäologischen Grabungen Mitte der 1950er Jahre bei, die unter der Leitung des Archäologen und Kunsthistorikers Dimče Koco stattfanden. Nikola und Mileva, ein älteres Ehepaar aus Ljubaništa, meinten, dass die Kommissionsmitglieder der Graböffnung kein schlagendes Herz, sondern nur das Skelett gefunden hätten (Krstanoska/Krstanoski 2016). Der ehemalige Bürgermeister von Ljubaništa erklärte zudem, das Geräusch käme durch den Widerhall der Fußtritte der Besucher:innen, die durch die Kirche gehen, zustande (Naumoski 2018b). Auch ein etwa 40-jähriger Soldat, der zur Zeit der Sommerfeiertage 2016 am Zeltplatz diente, bestätigte, die genannte Kommission habe die Legende vom schlagenden Herzen zerstören wollen (EN 06.07.2016). Dafür habe sie eine neue Deutung in Umlauf gebracht, nach der das hörbare Rauschen vom Wasser unterirdischer Quellen stamme, das unter der Kirche fließe. Andere erklärten wiederum, das schlagende Geräusch entspräche dem eigenen Puls, der beim Auflegen des Ohres hörbar werde, oder an dem Grab sei nichts zu hören (vgl. Packer 2011). Auch an anderen Orten in meinem Forschungsfeld wurde deutlich, dass Gräber und Reliquien von Heiligen eine besondere Anziehungskraft auf die Gläubigen und Besucher:innen ausübten, insofern es sie gibt. Die Reliquien von Kliment sind bei der Wiederherstellung der von ihm errichteten Kirche wieder von der Kirche Sveta Bogorodica Perivlepta, die auch Staro Sveti Kliment genannt wird, 10 Im Naum-Kloster in Radišani befinden sich auch zwei Gräber. In einem von ihnen liegt der Erzbischof Gavril begraben, der den Bau dieses Klosters initiierte. Girevski spekuliert in seinen Ausführungen, ob der Wunsch des Erzbischofs, in einer Naum-Kirche begraben zu werden, mit dem »verbreiteten Glauben [verbunden sei], dass die Würdigen das Herz von Sveti Naum hören können, wie es unter der Grabplatte klopft« (Girevski 2006).
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zurückübertragen worden (Ivanova-Reuter 2017: 380, 386f). Sie werden seitdem allerdings nur symbolisch über dem historischen Grab präsentiert, das wiederum durch eine Glasplatte in den Ruinen erkennbar, allerdings nicht für Besucher:innen zugänglich oder berührbar ist. Vor allem bei den Bektaschis sind Gräber von Derwischen oder Babas Pilgerziele, die berührt und an denen Votivgaben hinterlassen werden.11 Der Ritus, das Ohr auf ein Grab zu legen, um den Herzschlag des Begrabenen zu hören, ist mir während meiner Feldforschung jedoch an keinem anderen Ort begegnet. Als »lebendiger Heiliger« ist Naum aufgrund seiner Wunderkraft bekannt. Theologisch gesehen, erklärte der Metropolit Pelushi, sei es aber nicht Naum, der die Wunder vollbringe, sondern Gott: »Because only God can make miracles not the saint. A saint is a [sic!] intercessor. The power to make miracles belongs to God, not to us. No human being can do that. He can pray and God through him can do these things, to glorify this kind of life let’s say, like a reward of this. And the relicts of a saint are witness of the work of the Holy Spirit. So, and a human being can become a saint through the work of the Holy Spirit. And because they were touched by the Holy Spirit, they can transmit something from this other dimension. This is the understanding, because sometimes popular understanding is like magician.« (Pelushi 2016)
Diese Perspektive schließt sich an Naums Vita an, die wie andere Heiligenviten Wunder auf die Kraft Gottes zurückführt. Naum und Heilige im Allgemeinen werden dadurch als Medium Gottes betrachtet, das Gott zur Erreichung seiner Ziele einsetzt. Durch die Lai:innen verschiebt sich die Bedeutung der orthodox-theologischen Perspektive. Laut einem am Zeltplatz stationierten Soldaten müsse ein Heiliger erst sterben, bevor er zum Heiligen werden könne (EN 06.07.2016). Naum sei einer der meist verehrten Heiligen und deswegen ein živ svetec, ein »lebendiger Heiliger«. Als Heiliger sollte er sofort nach seinem Tod ins Paradies kommen, aber Gott habe zu Naum gesagt: »Das Paradies ist nicht bei mir, sondern dort, wo du warst« (maz. rajot ne e kaj mene, nego tamu kadešto beše). Gott habe Naum damit zurück zu seinem Kloster geschickt, wo er als lebendiger Heiliger bis heute wirke. Daher gilt Naums Kloster bis in die Gegenwart auch als Ort seines wunderbaren Wirkens. Mimoza Aliloska, eine Händlerin aus Bitola versteht den Ausdruck živ svetec wörtlich: »Er [d.i. Naum] lebt noch, der Geist des Heiligen lebt noch, er 11 Zur Bedeutung von Gräbern in sunnitischen und bektaschitischen Traditionen vgl. 6.3 Muslimische Perspektiven auf Grab- und Klosterbesuch zwischen Ablehnung und Vereinnahmung.
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lebt noch« (maz. ušte živee, ušte mu živee duhot na svetec, ušte živee) (Aliloska 2016). Ihrer Meinung nach ist es deswegen möglich, an Naums Feiertag dessen Herz schlagen zu hören. Außerdem zeigt sich für sie Naums Lebendigkeit daran, dass er Kranke heile. Wenn es ihr nicht gut geht, denke sie an den Heiligen und fühle sich gleich besser. Zudem spüre sie eine besondere Aura, wenn sie die Kirche beträte, und etwas Wunderliches erfasse sie. Auch andere Menschen erführen Naums Kraft, was anhand der vielen Wunderlegenden deutlich werde, die wie die Gründungslegende oft von Heilungen handeln.12 Außerdem erzählte sie mir Geschichte, die nicht von Krankheit und Heilung, sondern von einer Rettung handelt: Eine Frau liebte einen Mann, kam aber als Nonne in das Naum-Kloster, als er eine andere heiratete. Weil sie ihren Liebeskummer nicht ertrug, stürzte sie sich eines Tages von den Felsen in der Nähe des Klosters. Ihrer reinen Seele wegen wollte Gott – nicht Naum – jedoch nicht, dass sie stirbt und verwandelte sie in einen großen dunkelblauen Schmetterling. Bis heute fliegt der Schmetterling am Kloster herum und kann gelegentlich gesehen werden. Mit der Schmetterlingslegende verdeutlicht sie implizit, dass nicht nur Naum selbst, sondern auch Gott an Naums Kloster Wunder vollbringt. Außerdem weitet sie dadurch die sich an Naums Grab verortete Wunderkraft auf das ganze Kloster aus. Auf die Partizipationspyramide nach Lederach bezogen, zeichnet sich ein Deutungsgefälle dahingehend ab, wer die Wunder wirkt. Der Metropolit Pelushi und die Händlerin Mimoza vertreten dabei unterschiedliche Ebenen innerhalb der Struktur der orthodoxen Kirche. Während Pelushi wegen seines Amtes die oberste Ebene präsentiert, steht Mimoza auf der untersten Gemeindeebene. Obwohl Mimozas Sicht, dass auch Gott Wunder am Kloster bewirke, im Einklang mit der angeführten Aussage des Metropoliten Pelushi steht, macht die Mehrzahl der Wunderlegenden deutlich, dass die Lai:innen auf der untersten Ebene eher davon ausgehen, dass Naum für die Wunder verantwortlich ist. Das Kloster wurde aufgrund der Natur, von der es umgeben ist, bereits im Mittelalter mit Heilkräften verbunden (Grozdanov 2015: 10). Im Zuge des Ausbaus wurde das Kloster deswegen auch um eine Krankenstation erweitert, die allerdings im Jahr 1925 zerstört wurde. Nichtsdestotrotz hielt der Ruf des Klosters als Ort der Krankenstation bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg an, woran sich zum Beispiel Mileva Krstanoska aus Ljubaništa erinnerte (Krstanoska 2016). Als Kind war sie einmal mit ihrer Großmutter auf dem Weg nach Albanien, weil deren Brüder dort lebten. Die Beamten ließen sie als Kind jedoch nicht über die Grenze, weswegen sie im Kloster warten musste. Dort erlebte sie, dass Gesunde und Kranke zusammenlebten: 12 Wunderlegenden sind teilweise durch die Heiligenviten beeinflusst (vgl. Trapp 1974: 166), werden mündlich tradiert und teilweise verschriftlicht (vgl. Risteski 2009).
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»Und das Kloster behandelte die kranken Leute wie Sveti Nom*, der heilte. […] sie [d.i. die für die Heilung Verantwortlichen] gaben ihnen [d.i. den Kranken] Essen, Trinken und sie schlossen sie dort [in einem gesonderten Raum] weg, […] damit sie nicht um das Kloster herum sind. Das Kloster wurde vor allem beschützt. Weißt du, der Mensch ohne Verstand, kann alles machen. Ikonen zerstören, drinn’ zechen, alles. Und Sveti Nom*, weil er Heiler war, schloss sie ein, für ein paar Tage, einige Wochen, einige für Jahre, damit sie hier geheilt werden. […] An der Kirche gibt es hier etwas Gebautes, direkt in der Kirche, im Gebäudekomplex der Kirche, aber es wird ausschließlich von außen betreten, nicht von der Kirche. […] Und so hat es [das Kloster] sie hier gehalten, sie gelassen, sie gelehrt mit denen, die arbeiteten, sie nahmen sie, damit sie arbeiten, damit sie lernten nicht nur eingesperrt zu sein. Es war notwendig, dass sie auch lernten, zu arbeiten, mit dem Volk in Kontakt zu treten, um richtig gesund zu werden.«13
Das Kloster war eine Art Nervenklinik (maz. nervni bolnici) (Krstanoska/Krstanoski 2016). Die Kranken, die durch Betätigung in der Landwirtschaft geheilt worden wären, hatten ihre Schlafräume bei den Ställen. Die Kranken seien damals aus ganz Mazedonien, ganz Jugoslawien und aus Albanien gekommen, meinte Mileva. Ihre Herkunft und religiöse Zugehörigkeit seien für die Aufnahme auf der Klosterkrankenstation irrelevant gewesen. Deswegen komme ihrer Meinung nach bis heute noch jeden Tag »jede Art von Volk« (maz. sekakov narod idat) und zünde Kerzen an, um für Gesundheit zu bitten. Auch der ehemalige Bürgermeister, Krste Naumoski, erinnerte sich daran, dass das Kloster früher eine Heilanstalt gewesen sei (Naumoski 2018a): Die »Verrückten und Behinderten« (maz. budala i defekte) wurden von ihren Verwandten zum Kloster gebracht. Die Behandelnden waren keine Ärzte, erklärte Naumoski, sondern die Priester und Mönche des Klosters. Um die Heilung allerdings kümmerte sich allein der Geist des Klosters, also Naum. Neben dem Aufenthalt im fensterlosen Raum der Kirche, der nur von außen zugänglich ist, der Verköstigung und Beratung, erinnert er sich daran, dass 13 »И болните луѓе како свети Ном* што исцелител манастир ги леча. […] ги му дајеја јадење, пиење и таму ги затвореа да не […] била окулу манастирот. Манастирот се чуваше од све. Знаш, човекот не со умот може све да праит. Икони да кршит и да лумпуват натре, све. И свети Ном* пошто беше исцелител ги затвораше внатре по неколку дена, некои недели, некои со години, да се ислечвеле тука. […] До црква имат тука заградено одма во црквата, во склоп на црквата, ама посебно од надвор се влегви, не од црквата. […] И така ги држеше тој тука, ги пуштеа, ги учеа со тие што работет ги земеа и да работет, за да учет не само да се, да стојат само затворени. Требит и да се учат, да работет, да со народ да се контактирет, здраво право, здравје со тие болните да, да се онаквет постео да се излече.« (Krstanoska 2016) *Ном/Nom ist dialektal für Naum.
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die budala und defekte auch geschlagen wurden, damit sie wieder zu Verstand kämen. Als Medizin wurde auch geweihtes Wasser oder heiliges Wasser aus dem Brunnen verwendet. Darüber hinaus wird bis in die Gegenwart auch das Schlafen an religiösen Orten als heilsam betrachtet, das in der Literatur als »Tempelschlaf« bezeichnet wird, weil diese Praxis bereits aus der vorchristlichen Antike bekannt ist (vgl. Lucius 1904: 257f, 299f). Allerdings ist diese Praxis am Naum-Grab eher selten zu beobachten (EN 28.06./02.07.2016), davon zeugen eher Heilungslegenden.14 Als weiteres Medikament, das aus dem Kloster stammte, kratzten die Christ:innen früher die oberste Farbschicht der Fresken mit den Nägeln ab, erklärte der Klostermitarbeiter Dragan (EN 28.06.2016). Insbesondere den Augen wurde eine göttliche Kraft zugesprochen, weswegen sie eine besonders beliebte Quelle für das heilende Pulver darstellte. Der Klostermitarbeiter wehrte mit dieser Erklärung auch die Vorstellung ab, die »Türken« (maz. turci) hätten den Heiligen die Augen ausgekratzt, um ihnen die Wunderkraft zu nehmen. Diese Praxis ist folglich eventuell als Beispiel dafür zu sehen, dass es nicht nur die Vorstellung des bösen, sondern auch des guten Blicks gab (Kahl 2006: 324-326). Zu den Hilfesuchenden zählten noch zu Zeiten Jugoslawiens viele kinderlose Frauen, die nach Übernachtungen im Kloster schwanger wurden (Naumoski 2018a). Selbst kinderlose Frauen ranghoher Offiziere im Klosterhotel brachten danach gesunde Kinder zur Welt. Diese Ereignisse überzeugten den sozialistisch geprägten Gesprächspartner davon, dass am Kloster eine Wunderkraft wirke. Die Lai:innen brechen die komplexe theologische Vorstellung so herunter, dass der Heilige die Wünsche nicht nur an Gott vermittelt, sondern sie gegebenenfalls erfüllt. An Gottes Stelle tritt der Heilige als Wundertäter und Heiler. Dabei geht es nicht um Wahrheit, sondern um Gesundheit und Hilfe. Der Zugang zum Heil wird für die Hilfesuchenden durch Naum unmittelbarer. Naum als Wundertäter und Heiler zu betrachten, entspricht der historischen Erfahrung und ist durch die Überlieferung dieser Erfahrung greifbarer. Außerdem bestätigen neue Wundergeschichten die Tradition. Sowohl die najazma-Quelle als auch das Grab sind Orte des Heils, an denen sich Naums Kraft symbolisch bündelt und erfahrbar wird. Diese Vorstellung steht im Kontrast zur Unverfügbarkeit des transzendenten Gottes und seines Wirkens. Das unverfügbare Heil wird in Form von Gesundheit, Glück und Familie konkret und über verschiedene Wege zugänglich und fassbar wie am Grab, durch geweihtes Wasser, durch Kerzen und andere Devotionalien (vgl. Flasche 2008: 76-79). 14 Der sogenannte Kirchenschlaf wurde sowohl in älteren als auch in aktuellen ethnologischen Studien zu anderen religiösen Orten in Südosteuropa beobachtet, vgl. Couroucli 2012a: 52; Hahn 1868: 89; Lubanska 2013: 97-108; Steinmetz 1908: 18; Hasluck 1929: 55.
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Zwei weitere Indizien sprechen dafür, dass für die Lai:innen das Naum-Grab dem tatsächlichen Kultzentrum entspricht. Das erste Indiz ist ein historisches und betrifft die Verlegung des Grabes im 17. Jahrhundert. Das Grab, das ursprünglich einige Meter weiter südlich lag, wurde erst an die Außenmauer der damaligen Klosterkirche gerückt und anschließend mit einer Mauer eingefasst als die zerstörte Klosterkirche zu Beginn des 17. Jahrhunderts neuerrichtet wurde. Dabei entstand eine Grabkapelle, die über den Narthex genannten Kirchenvorraum betretbar ist. Auf diese Weise wurde das Grab Teil der Klosterkirche. Das zweite Indiz sind die sich vor und auf dem Grab häufenden Votivgaben, die sich nicht oder nur in stark abgeschwächter Form am Altar finden.15 Die Besucher:innen legten während der Feiertage Textilien, wie Strümpfe, T-Shirts und Handtücher sowie haltbare Lebensmittel, wie Öl oder Zucker, oder Geld am Grab ab. Im Vergleich dazu fand die Ikonostase zwischen Altar und Gemeinderaum keine derartige Beachtung. Die Gründe dafür, dem Heiligen Geschenke zu bringen, sind unterschiedlich. Sie stellen traditionell ein Zeichen der Ehrerbietung und des Respekts und eine Gabe der Dankbarkeit dar. Sie übernehmen außerdem die Funktion, die Ernsthaftigkeit eines geäußerten Wunsches sowie die Bereitschaft, auch etwas dafür zu leisten, zu unterstreichen. Dadurch soll sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Naum die Bitten und Wünsche erhört und durch Wunder erfüllt. Der Metropolit von Korçë kommentiert die Geschenkpraxis als akzeptable Tradition, solange sie nicht gegen die Liturgie als offiziellen Teil der kirchlichen Heiligenverehrung steht: »There are local traditions. And […] our church […] it’s not against them, if they are not against the gospel. […] But it’s not part of liturgy. […] In one way, it’s a [sic!] old belief like you offer something to God. Although it’s not something Christian in the sense that we don’t do sacrifice to, the blood is sacrifice. But many time [sic!] that church have make them more or has given to many traditions, to many customs a Christian understanding. […] So, the true offering at the Christian church is the holy Eucharist, the bloodless, without blood.« (Pelushi 2016)
Diese Aussage stimmt auch mit den Überlegungen der »kirchlichen Synoden« überein, »die vorchristliche und außerchristliche Überlieferungen verurteilten, [und denen es] tatsächlich nicht um die Ausrottung dieses oder jenen Brauches [ging], sondern um die Durchdringung einer ganzen, für das Leben des einfachen Menschen sogar entscheidenden Kulturschicht« (Wiertz/Petzolt 1997: 76). Al15 Zur Bedeutung der Votivgaben für die Beziehung zwischen den Gebenden und Naum sowie zur verwaltenden Rolle der Kirche vgl. Kapitel 8.4 Die religiösen Güter der Klosterkirche und der Handel mit dem Heiligen.
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lerdings ist selbst die Heiligenverehrung ursprünglich kein Teil des christlichen Glaubens, sondern wurde erst in Bezug auf die Märtyrer:innen aus der Zeit der Christ:innenverfolgung aufgenommen (Wiertz/Petzolt 1997: 79-81). Vorteile für die sich neu etablierende Institution Kirche waren damals verschiedene Parallelen und, dass sich vorchristliche Gottheiten durch neue christliche Heilige ersetzen ließen. Eine Sonderform der Votivgaben ist das Lamm (maz. jagne). Lämmer wurden nicht wie die anderen Geschenke in die Grabkapelle geführt. Menschen, die Naum ein Lamm darbringen wollten, umrundeten die Kirche dreimal mit dem Tier. Die Lämmer wurden dabei entweder in einer Schubkarre transportiert, auf dem Arm getragen, an einem Strick oder an den Hörnern geführt. Einige der Darbringenden blieben vor dem Eingang der Kirche stehen und bekreuzigten sich dreimal. Die Zahl drei ist symbolisch zu verstehen, meinte der Metropolit Joan Pelushi (Pelushi 2016). Wie bei der Trinität stehe auch das dreimalige Umrunden der Kirche oder das dreimalige Bekreuzigen für Vollkommenheit. Das Darbringen eines Lamms ist meist mit Wünschen verbunden, die Naum erfüllen soll oder bereits erfüllt hat. Ein aus Bitola stammender Mann, der bereits seit 1979 den Heiligen jedes Jahr in seinem Kloster aufgesucht hat, um ihm je ein Schaf für seine (teilweise bereits erfüllten) Wünsche darzubringen, meinte, er könne den Heiligen prinzipiell um alles bitten: »Ich glaube so sehr an Sveti Naum, dass es mir keiner ausreden kann. Das heißt, es ist extrem viel, was ich glaube. Der heilige Naum, das Kloster hilft mir viel. Alles, was mir versprochen wird, wird mir erfüllt. Wenn ich jetzt zu Sveti Naum sage, dass 200.000 Euro fallen sollen […], werden sie fallen. Nur bin ich nicht so einer. Wir haben Geld, wir haben Leben, wir haben alles. Sucht nur Gesundheit!«16
2016 brachte er sechs Lämmer dar – für seine Frau, seine Söhne und die Gesundheit von Familienmitgliedern. Wie konkret ein solcher Wunsch ist, hängt von der Situation der Einzelnen ab. Er kann präventiv zu verstehen sein oder als Reaktion auf ein bestimmtes Ereignis wie eine Operation oder eine bestimmte Krankheit, wozu auch Kopfschmerzen, Lähmung oder Kinderlosigkeit gezählt werden. Für den Gesprächspartner aus Bitola ist die Gabe der Lämmer ein religiös motiviertes Anliegen und keine Feiertagstradition, die neben anderen steht. Deutlich wurde 16 »Јас толку верувам во Свети Наум што не може никој да ме одречи. Значи тој е претерано многу верувам. И мене свети Наум, манастирот многу ми помага. Се што ќе се обеќам, се ми врши. Сега да реча, на свети Наум 200.000 евра да паднат […], ќе паднат. Само јас не сум таков. Си имаме ние пари, сие имаме живот, имаме све. Само барајте здравје!« (Bitolčanec 2016)
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dies auch daran, dass er mit seiner Familie nur zum Kloster gereist ist, um die Kirche mit den Lämmern zu umkreisen und das möglichst zu einem Zeitpunkt, zu dem es noch verhältnismäßig ruhig und menschenleer ist. Die Lammtradition ist gegenwärtig nicht unumstritten. Aleksandar Stojanoski, der als Priester in Tetovo dient, verurteilte das Umrunden der Kirche mit Schafen als heidnisch (maz. pagan) (Stojanoski 2017). Überdies vermutete er einen Einfluss des muslimischen Opfers (kurban)17, obwohl die Lämmer am Kloster aufgrund der Fastenzeit vor den Feiertagen der Heiligen Peter und Paul weder geschlachtet noch zubereitet oder verzehrt werden. Dieses Kultelement fehlt am Naum-Kloster von Popova Šapka, einem Berg im Westen Tetovos. Dass die Praktik des Umkreisens der Kirche mit einem Lamm jedoch nicht nur an dem von Naum errichteten Kloster am Ohrid-See stattfindet, bestätigten zwei ältere Frauen aus Resen, die sich um die Verwaltung und Instandhaltung des nahegelegene NaumKlosters in Bolno kümmerten (Stefka/Dana 2017). Auch dort werden traditionell zum Sommerfeiertag Lämmer für Naum um die Kirche geführt, allerdings vorrangig von Christ:innen. Die Gesprächspartnerinnen berichteten, dass früher auch Hühner und Hähne statt Lämmern gebracht wurden. Besser sei es jedoch, Lämmer zu bringen, was auf die Legende zurückzuführen sei, dass Naum eines Tages einen Vater daran gehindert habe, sein Kind Gott zu opfern, und stattdessen ein Lamm geopfert habe.18 Sie meinten weiter, dass am Abend des Feiertags die Lämmer verkauft würden und der Erlös zum Erhalt der Kirche verwendet werde. Die Verehrungspraktik, die Kirche mit einem Lamm zu umrunden, ist jedoch vornehmlich am von Naum errichteten Kloster zu beobachten. Da dieses Kloster wegen Naums 17 In der sunnitischen Tradition werden Schafe zum Opferfest geschlachtet. Daneben ist es bei den Bektaschis auch üblich, Schafe zum Aschurafest zu schlachten und zu verzehren (EN 11./12.10.2016 und 15./16.10.2016). Aschura ist der zehnte Tag des Trauermonats Muharem im islamischen Kalender. Bei den Bektaschis beendet dieser Feiertag ähnlich wie im schiitischen Islam die vorangehende Fastenzeit, die anlässlich des Martyriums Husseins, einem Sohn Alis und Enkel des Propheten Muhammeds, während der Schlacht von Kerbela abgehalten wird. 18 Die Begründung weist Parallelen zu der alttestamentlichen Erzählung auf, laut der Abraham, der seinen Sohn Isaak opfern sollte, von einem Engel davon abgebracht wurde und stattdessen Gott einen Widder als Brandopfer (Gen 22, 1-19). Eine ähnliche Variante kursiert auch unter den Festgästen der Bektaschi-Wallfahrt am Berg Tomorr, an dem das Schlachten von Lämmern zu den wichtigsten religiösen Praktiken zählt (EN 22.08.2017). Allerdings sei es Abas Ali, der als Engel Gottes Eltern davon abgehalten habe, ihre Kinder zu schlachten, was ihnen der Teufel eingeredet habe. Diese Geschichten zeigen die lebendige Legendenbildung in Auseinandersetzung mit Geschichten des Alten Testaments und den Parallelen im Koran (Sure 37, 99-113).
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Grab auch der Hauptverehrungsort ist, ist anzunehmen, dass die dargebrachten Lämmer wie die anderen Votivgaben auf das Grab als religiöses Zentrum zielen. Im Unterschied zu den Geistlichen, die Gottesdienst und Wasserweihe als Zentren des Festtags definieren, prägt sich den Besucher:innen neben dem Gang zum Grab eher das Umkreisen der Kirche mit Lämmern als besonderes Ritual an Naums Feiertag ein. Durch diese beiden Rituale hebt sich dieser Tag in den Augen der Besucher:innen von anderen Tagen am Kloster sowie von anderen kirchlichen Feiertagen ab. Schafe spielen in Mazedonien teilweise auch zu Patronatsfesten einzelner – vor allem, aber nicht ausschließlich ländlicher – Kirchgemeinden eine Rolle: Wenn das Fest nicht in eine Fastenzeit fällt, werden Schafe geschlachtet und in großen Kesseln im Hof der Kirchen als Eintopf zubereitet sowie anschließend zum Verzehr an die Anwesenden verteilt. Eine explizite Verbindung zwischen dem Lamm als Votivgabe oder dem aus Lämmern zubereiteten Eintopf und dem Festtagsgottesdienst findet sich jedoch nicht. Eine Parallele kann höchstens zu Jesus Christus gesehen werden, der in Joh 1,29 den Titel »Lamm Gottes, das der Welt Sünde wegträgt« erhält (Young 1995), ein Motiv, das auch in der Abendmahlsliturgie auftaucht. Weit weniger auffällige Votivgaben als die Lämmer sind Kerzen, die die Besucher:innen vor der Kirche anzündeten. Auch sie sind mit Wünschen für die Gesundheit und das Glück der eigenen Person oder von Familienmitgliedern verbunden. Sie können zudem für das Gedenken an Verstorbene stehen. Am NaumKloster werden seit der jugoslawischen Zeit, als es als Museum genutzt wurde, keine Kerzen mehr im Inneren der Kirche angezündet, um die Fresken vor dem Ruß zu schützen. Stattdessen stehen vor dem Eingangsbereich mehrstöckige Kerzenständer bereit. In einigen anderen Kirchen in Mazedonien und Albanien ist es noch möglich, brennende Kerzen in den Kerzenständern des Kircheninneren zu platzieren. Dafür, dass der ursprüngliche Platz der Kerzen ebenfalls das Grab war, sprechen drei Beobachtungen: Erstens war die Kirche, die Naum errichtete, um ein Vielfaches kleiner als die heutige und bot möglicherweise keinen Platz dafür. Zweitens finden sich neben Gräbern auf christlichen Friedhöfen kleine Kästen aus Glas und Metall, in denen Kerzen für die Verstorbenen zum Schutz vor dem Wetter angezündet werden. Zudem werden bei Beerdigungen und Trauertagen Kerzen an die Anwesenden verteilt. Drittens können teilweise auch an muslimischen Heiligengräbern brennende Kerzen gefunden werden. Das ist jedoch stark davon abhängig, wer diese Gräber betreut und kontrolliert: In der Innenstadt von Bitola befindet sich das kaum beachtete Grab von Tez Baba in einem überdachten Raum (EN 31.08.2017). Eine alte Albanerin, die sich um das Grab kümmerte, verkaufte Kerzen, die die Besucher:innen anzündeten und direkt auf das Grab stellten. Wenn die Kerzen abgebrannt waren, schabte die alte Frau die Wachsreste von der Grabplatte. Im Gegenzug dazu ist an der während des Kommunismus aufgelösten
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Türbe an der alten Moschee in Korçë ein Schild angebracht, auf dem in Schrift und Bild das Anzünden von Kerzen untersagt wird (EN 28.07.2016). Wie unterschiedlich die Perspektiven unter der muslimischen Bevölkerung auf das Grab und das Kloster Naums ist, zeigen die folgenden Ausführungen.
6.3 M USLIMISCHE PERSPEKTIVEN AUF GRAB- UND KLOSTERBESUCH Die religiösen Bedeutungen Naums und seines Klosters werden auch innerhalb der muslimischen Gemeinschaft verhandelt. Die Meinungen dazu weisen eine große Bandbreite auf, die von Aushandlungsprozessen sowohl in der eigenen religiösen Tradition als auch mit den christlichen Standpunkten zeugen. Der Widerstreit der Perspektiven auf muslimischer Seite ist bereits daran erkennbar, dass einige mit der bewussten Fernbleiben vom Kloster verbunden sind. Demnach sind am Aushandlungsprozess um die religiöse Bedeutung von Naum und dessen Kloster auch Akteur:innen beteiligt, die nicht gleichzeitig Klosterbesucher:innen sind. Schon in der Zeit des Osmanischen Reichs suchten neben Christ:innen auch Teile der muslimischen Bevölkerung aus der Umgebung den Heiligen in seinem Kloster auf. Spätestens seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ist die muslimische Präsenz am Kloster auch durch Bautätigkeiten belegt. Die architektonischen Anhaltspunkte bezeugen jedoch weder die Perspektiven auf Naum noch die Handlungen jener Besucher:innen, sondern lediglich eine hohe Wertschätzung dem Ort gegenüber. Die Nationalstaatenbildung und die damit einhergehende Religionspolitik im 20. Jahrhundert in Mazedonien als Teil Jugoslawiens und in Albanien trugen dazu bei, dass die Zahl der muslimischen Klosterbesucher:innen abnahm. Gleichzeitig gestaltete das jugoslawische Regime das Kloster zunehmend als historisch-kulturelles Ausflugsziel. Darüber hinaus verstärkt sich in der Gegenwart die Tendenz, dass Personen der muslimischen Gemeinschaften einen Islam anstreben, bewusst den Koran lesen und sich mit den Inhalten ihres eigenen Glaubens auseinandersetzen. Glaube verstehen sie dabei nicht nur als das blinde Vertrauen auf Überlieferungen, sondern vor allem als rational-logisches Wissen, das mit wissenschaftlichen Ansichten in hohem Maß kompatibel ist. Die Tradition des Klosterbesuchs sowie eine potentielle Konkurrenz am Heiligtum verschwinden daher langsam. Außerdem wird der Ort von der Mehrheit als christlich-orthodoxes Kloster wahrgenommen. Die wissensbetonte und koranbasierte Perspektive auf Heiligenverehrung im Allgemeinen und auf die religiöse Bedeutung von Naum und dem Kloster im Besonderen wird oft als die offizielle, konformistische islamische Lehre betrachtet. Auch im Untersuchungsgebiet nimmt das Studium der Schriften an Bedeutung zu,
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wie das Beispiel eines Imams aus Pogradec zeigt, der sein Theologiestudium an der Universität in Peshkopi absolviert hatte. Er erklärte, es habe dort zwar auch arabische Lehrer aus Ägypten gegeben, die die arabische Sprache und den Koran lehrten (Shahu 2016). Aber diejenigen Theologen, die an arabischen Fakultäten im Ausland studiert haben, seien hinsichtlich theologischer Fragen besser ausgebildet als die in Albanien studierten Imame. Der Imam, der den Besuch von christlichen Kirchen und Klöstern seitens muslimischer Gläubigen ablehnte, wandte sich zugunsten der neofundamentalistischen Strömung und einer stärker schriftbasierten Auslegung gegen die albanische Tradition (vgl. Endresen 2015a: 231f). Allerdings finden sich weder im Koran noch in den Hadithen eindeutige Äußerungen zur Definition und zum Umgang mit Heiligen (Cohn 2005: 8034). Aus den fehlenden Aussagen wird oft ein Verbot der Heiligenverehrung abgeleitet, weil es sich nicht mit der Idee des Monotheismus vertrage. Die Auslegung in den einzelnen Rechtsschulen ist jedoch etwas differenzierter zu betrachten: Sowohl die in Südosteuropa historisch tradierte hanafitische als auch die eher konservative hanbalitische Rechtsschulen erkennen die Existenz der Heiligen und deren Wunder an (Meri 2002: 267f). Die hanbalitische Rechtsschule lehnt im Gegensatz zur hanafitischen den Gedanken explizit ab, dass der Besuch der Gräber und die Bitte um Fürsprache eine Auswirkung auf die Gläubigen hätten und darauf, wie es ihnen am Tag des letzten Gerichts ergehen wird. Dabei beziehen sich die Vertreter:innen auch auf Stellen im Koran, die davor warnen, sich einen anderen Fürsprecher als Gott zu suchen (Meri 2002: 264). Heiligenverehrung wird schriftbasiert insbesondere von salafistischen und wahabitischen Strömungen abgelehnt (Radtke 2002: 111). Allgemein wird die Verehrung von religiösen Figuren, die sich an deren Gräbern kristallisiert, aus sunnitisch-theologischer Perspektive als non-konformistische Praxis in der Grauzone betrachtet. Schließlich wird sie darüber hinaus seit dem 19. Jahrhundert auch vom westlichen Rationalismus angefochten. Die Ablehnung gilt zum Großteil auch muslimischen Heiligenfiguren, die entweder mit dem christlichen Terminus für Heiliger (maz. svetec; alb. shenjt) oder mit traditionell muslimischen, aus dem Türkischen übernommenen Begriffen bezeichnet werden. Zu den muslimischen Ausdrücken gehören zum einen religiöse Funktionsbezeichnungen wie Baba oder Derwisch. Zum anderen zählt auch der Ausdruck evliya dazu, der sich von dem arabischen Wort walī von der Wurzel w-l-y für »nah sein« ableitet (Radtke 2002: 109). Die Wortwahl verdeutlicht zum Teil die von den Sprechenden vertretene Position: Werden die religiösen, mit dem Islam assoziierten Figuren mit dem christlichen Begriff für Heiliger bezeichnet, stehen sich christliche und muslimische Figuren meist gleichwertig gegenüber. Die Gleichsetzung ist eher bei den Bektaschis als bei der sunnitischen Gemeinschaft anzutreffen. Darüber hinaus kann die Verwendung eines eher christlich
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konnotierten Begriffs auch in einer pragmatischen Entscheidung der Sprecher:innen begründet liegen, um sich mir gegenüber verständlich auszudrücken. Werden muslimische Figuren dagegen mit dezidiert muslimischen Begriffen beschrieben, geht damit die Betonung der trennenden Unterschiede zwischen Christentum und Islam einher. Die Vorstellungen und Definitionen der Einzelnen überschneiden sich jedoch mit anderen, so dass es vor allem bei religionsinternen Abgrenzungsversuchen bleibt: Ein sunnitischer Türke aus Ohrid behauptete eine strikte Trennung zwischen Heiligen und Evliya (Salih 2016b). Ein Evliya führe ein vorbildliches Leben, allerdings könnten Menschen nicht jede:n, die/der ein:e Evliya ist, erkennen. Außerdem könne nur »ein Muslim« ein Evliya, ein:e Freund:in Gottes, werden, die/der sich dadurch auszeichne, dass sie/er den von Gott erhaltenen Auftrag erfüllt. Das Kriterium, dass ein Mensch seinen göttlichen Auftrag erfüllt, führt der Metropolit aus Korçë dagegen auch für die Identifikation von Heiligen an (Pelushi 2016). Der sunnitische Türke aus Ohrid differenziert überdies Evliya als eine Oberkategorie für alle Gott nahestehenden Personen, der die Kategorie der »Propheten« untergeordnet ist. Ein:e Prophet:in kann zwar auch ein Evliya sein, sie/er hebt sich jedoch durch die göttliche Botschaft von anderen Evliya ab. Allerdings gibt es unter Sunnit:innen auch andere Erklärungsansätze dafür, wie sich Heilige und Evliya zueinander verhalten. Im Kontrast zu dem Gesprächspartner aus Ohrid vertrat ein sunnitischer Türke aus Kičevo die Ansicht, dass Heilige (maz. sveci) höherrangig seien als Evliya (Grupa 2017). Er erklärte, dass Heilige für ihn zum Beispiel Muhamed, Isa und Musa seien und dass er sie auf Türkisch mit dem Begriff peygamber, zu Deutsch »Prophet«, bezeichne. Die verschiedenen Begriffsverwendungen gehen möglicherweise mit den theoretischen und praktischen Unterschieden im Blick auf die Besuche religiöser Orte einher. Die Verehrung von christlichen oder muslimischen »Heiligen« oder Evliya und der Besuch christlicher Stätten lehnten insbesondere Imame, Muftis und anderen Mitarbeiter der organisierten islamischen Religionsgemeinschaften und diejenigen ab, die regelmäßig zur Verrichtung des Pflichtgebets in die Moschee gehen. Muslimische Heiligenfiguren an ihren Gräbern aufzusuchen und mit ihnen in Form von Gebeten in Kontakt zu treten, sei ihrer Meinung nach deswegen abzulehnen, weil nur allein Gott angebetet und um Hilfe gebeten werden dürfe. Heiligenfiguren nehmen sie aufgrund ihrer Historizität als Menschen wahr. Durch das Beten zu einem Menschen, sei es als Fürsprecher oder als Helfer, werde dieser zum Rivalen (maz. rival) Gottes, erklärte ein albanischer Imam aus Bitola (Osmani 2017). Die Praxis selbst werde im Islam als shirk bezeichnet und sei ein nutzloser, wenn nicht sogar schädlicher Fehltritt gegenüber Gott:
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»Dabei ist es [d.i. das Beten zu Verstorbenen] als Perspektive von Gebeten verboten. Denn wir beten nur zu Allah. Das heißt, es gibt den Koran, den wir lesen. [Darin] heißt es: Nur dich verehre ich und nur von dir suche ich Hilfe. Das heißt, verstorbene Leute können dir nicht helfen. […] Im Islam gilt das als Rivale, dass Gott gehindert wird. In der islamischen Terminologie ist es als shirk bekannt. Das bedeutet, Gott kann alles verzeihen. Er kann verzeihen, dass jemand Alkohol trinkt, er kann viele verschiedene Sünden verzeihen. […] Das schlimmste, shirk als Rivalität, vergibt Gott nicht.«19
Der aus dem Arabischen stammende Begriff shirk impliziert, dass andere Gottheiten oder göttliche Wesen neben dem im Islam alleinigen Gott, Allah, akzeptiert werden (Gimaret 1997: 484-486). Dadurch werde Gott die Einzigkeit und Einzigartigkeit abgesprochen, was gegen die monotheistische Vorstellung spreche und folglich als unislamisch gilt. Ursprünglich diente der Ausdruck zur Abgrenzung von polytheistischen Traditionen, wozu weder das Juden- noch das Christentum zählten. Der Imam aus Bitola übertrug den Ausdruck auf die Tradition der Besuche von Gräbern sowie der damit verbundenen Gebetspraxis und Hoffnung auf Hilfe, die er unter seinen muslimischen Zeitgenoss:innen beobachtet habe. Damit weitet er das Verständnisses von shirk dahingehend aus, dass der Islam möglichst korantreu und vor negativen Einflüssen geschützt ausgelebt werden solle. Für den Imam stellte das eine wichtige Thematik dar, weil zu der von ihm betreuten Moschee auch die Türbe von Hasan Baba20 gehört, an der sich vor allem Frauen aus der Nachbarschaft traditionell jeden Donnerstagabend versammeln (Osmani 2017). Die Menschen zündeten Kerzen an, brächten Geschenke und Kleidungsstücke zum Grab, damit die Wunderkraft auf die Gegenstände übergehe und den Menschen helfe. Seit 15 Jahren betreue er die Moscheegemeinde schon und ver19 »Меѓутоа е забрането како вид на молби. Бидејќи ние се молиме само на Алах. Значи има ово курано ние читаме, […] значи: само тебе обожавам и само од тебе помош барам. Значи умрени луѓе не можат да ти помагнат. […] Во исламот ова се смета како ривал да му прече на господ. Во исламската терминологија е посната како ширк. Значи господ све може да опрости, може да опрости некој да пие алкохол, може да опрости да разни, разни гревови. […] Најуто ширко од ривалството не го опростува господ.« (Osmani 2017) 20 Wer Hasan Baba war, ist nicht sicher belegt, und auch Legenden überliefern nur wenig. Laut dem Imam handelte es sich um einen Mann, der wahrscheinlich gegen die osmanischen Truppen kämpfte. An der Stelle, wo sich gegenwärtig das Stadtzentrum befindet, soll ihm der Kopf abgeschlagen worden sein. Hasan Baba war jedoch noch nicht sofort tot, sondern nahm seinen Kopf unter den Arm und ging noch etwa anderthalb Kilometer, bevor er starb. An der Stelle, wo er starb, wurde er erst begraben und später wurde sein Grab eingemauert. Die Moschee und der Friedhof sind erst später hinzugekommen.
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suche gegen die dem Islam widerstrebende Praxis anzugehen, was ihm jedoch bisher nicht abschließend gelungen sei. Der Anspruch der Bektaschis, dass der Titel »Baba« darauf hinweise, dass die Türbe Hasan Babas in die Bektaschi-Tradition falle, weitet überdies die Auseinandersetzung um die angemessene religiöse Deutung des Grabs aus. Neben die theologisch-normativen Bedenken tritt seitens der Albaner:innen aus Mazedonien im Allgemeinen sowie derer aus Ohrid und Struga im Besonderen tendenziell ein Desinteresse an der Figur und Geschichte von Naum sowie an dessen Kloster. Im Vergleich dazu gibt es andere muslimische Gruppen, für die das Grab im Naum-Kloster kulturell, historisch oder religiös von Bedeutung ist. Neben der strengen, scheinbar koranbasierten Verurteilung von »Heiligen«Verehrung, die mit dem Aufsuchen ihrer Gräber und anderen religiösen Orten verbunden ist, existieren weitere Meinungen. Eine kompromissbereite Aufweichung der vermeintlich konformistischen Ablehnung derartiger Praktiken im Allgemeinen ist Ehrerweisung und das Zollen von Respekt gegenüber muslimisch-religiösen Figuren, die den christlichen Heiligenfiguren in Funktion und Bedeutung am nächsten kommen. Im Vergleich zur strikten Auslegung des Imams aus Bitola ist die die Meinung eines türkischen Imams aus Struga zwar ebenfalls ablehnend, allerdings räumt er ein, dass die in den Türben Begrabenen mit der Rezitation der ersten Sure (fatiha) gegrüßt werden dürften (Jakupi 2016). Der türkische Imam betreute in Struga eine Moschee, die 1770 als Halveti-Tekke gegründet worden ist und den Sufi-Orden der Halveti bis in die Gegenwart beherbergt (EN 08.06.2016). Obwohl er selbst kein initiierter Halveti war, war er der Gruppe gegenüber positiv eingestellt, was sich im guten Kontakt zum Scheich der Halvetis sowie in seiner Teilnahme am zikr genannten Ritualgebet zeigte (EN 09.06.2016). In Bezug auf die Ehrerbietung muslimisch-religiöser Figuren erwähnte der Imam überdies, dass die Halvetis kollektiv freitags morgens im Ramadan die Gräber verstorbener Geistlicher aufsuchten, die er auch begleitete (EN 08.06.2016).21 Sein Schwiegervater, der in Ohrid lebte, meinte, dass früher die Türben auch ein Ort gewesen seien, an dem die Gläubigen den Koran lasen und studierten (Salih 2016a). Unter den vielen muslimischen und besonders sufischen Figuren ist Sarı Saltuk hervorzuheben.22 Bis in die Gegenwart existiert bei der türkischen Bevölkerung unter den Bektaschis in Mazedonien das Narrativ, das Naum-Kloster beherberge ursprünglich das Grab Sarı Saltuks, weswegen jener mit Naum zu identifizieren 21 Da die Grabbesuche sehr früh am Morgen stattfänden und nur kurz dauerten, ließ der Imam mich nicht teilnehmen, weil sich für mich seiner Ansicht nach der Aufwand nicht lohne (EN 08.06.2016). 22 Zu den historischen Hintergründen vgl. Kapitel 4.1.3 Naum und das muslimische SarıSaltuk-Narrativ.
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sei. In der türkischen Gemeinschaft in Ohrid existiert die Legende, Sarı Saltuk sei ein Sufischeich gewesen, jedoch ausdrücklich kein Bekaschi (EN 04.03.2017). Da es jedoch bereits vor seiner Ankunft in Ohrid schon einen Halveti-Scheich gab und es keine zwei Scheiche an einem Ort geben könne, musste Sarı Saltuk sich einen anderen Ort suchen. Also flog er auf einem Lammfell über den See an die Stelle, an der das Naum-Kloster steht. Gekleidet war er in ein Priestergewand, so dass die christliche Bevölkerung ihn für einen ihrer Geistlichen halten musste. Dort vollbrachte er bis zu seinem Lebensende Wunder, die auch Naum zugeschrieben wurden. Die bekannteste Legende ist, dass er einen Bären anstatt eines Ochsens, den dieser zuvor gefressen habe, in einen Pflug eingespannt habe. Alternativ wird der Bär in den Erzählungen durch einen Wolf ersetzt. Das friedliche Pflügen mithilfe eines Ochsen und eines Bären ist gegenwärtig auch an mehreren Stellen im Kloster als Fresko oder Relief abgebildet (Abb. 5). Die Gleichsetzung Sarı Saltuks mit Naum zeigt sich in der doppelten Legendentradition sowie in der Interpretation von Abbildungen und in der Zuschreibung des im Kircheninneren gelegenen Grabs. Das Sarı-Saltuk-Narrativ ist jedoch längst nicht mehr bei allen türkischen Sunnit:innen Teil des kulturellen Gedächtnisses. Ein Mann, der aus einer traditionell
Abb. 5: Naum spannt den Bären vor den Pflug, der zuvor den Ochsen gefressen hat. Mosaik über dem Eingangstor zum Kloster (Abb. von Gabriele Bauer).
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sunnitischen, türkisch-albanischen Familie aus Bitola stammt und mit einer mazedonischen Christin verheiratet ist, behauptete, er habe noch nie etwas von Sarı Saltuk gehört (Aliloska/Aliloski 2016). Er habe die Feiertage am 2. und 3 Juli jedes Jahr mit seiner Familie am Naum-Kloster verbracht, teils privat, teils geschäftlich. Auf die Frage, ob er an den Heiligen Naum (maz. Sveti Naum) glaube, antwortete er: »Ja, ich glaube. Ich glaube an alles, was gut ist« (maz. Da, veruvam. Vo sve veruvam što e ubavo). Ihm war jedoch auch bewusst, dass es auch »Muslime« (maz. muslimani) gibt, die nicht an Sveti Naum glauben, zum Beispiel in Ohrid. Seine christlich-orthodoxe Frau kommentierte diese Beobachtung mit den unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen: »Es gibt verschiedene Gerichte auf dem Tisch, es gibt verschiedene Menschen« (maz. Ima razni jadenja na masata, ima razni luǵe). Sarı Saltuk ist gegenwärtig auch ein religiöser Erinnerungsort der Bektaschis. Unter den Bektaschis Mazedoniens wird wie unter den sunnitischen Türk:innen die Erinnerung tradiert, dass das Naum-Kloster in Wirklichkeit das Originalgrab von Sarı Saltuk sei. Allerdings gebe es im Vergleich zu der christlichen Tradition keinen Feiertag, an dem Sarı Saltuk gedacht werde (EN 15.10.2016). Infolgedessen besuchen sie das Naum-Kloster auch nicht regelmäßig zu bestimmten Tagen. Die gelegentlichen Ausflüge zum Naum-Kloster, das eine Sarı-Saltuk-Türbe beherberge, finden laut einem Derwisch aus Kanatlarci vor allem individuell statt (Memišoski 2016). Nur gelegentlich organisieren die Bektaschis innerhalb ihrer jeweiligen Ortsgruppen gemeinsame Ausflüge mit Bussen, meinte Baba Abedim aus Kanatlarci (EN 15.10.2016). Dass das Kloster selten aufgesucht werde, liege vor allem daran, dass es für die meisten Ortsgruppen weit entfernt sei, denn in Ohrid und Struga fänden sich nur vereinzelt Angehörige des Ordens. Für die Bektaschis aus Kanatlarci und Kičevo ist die Türbe in Makedonski Brod von größerer Bedeutung, die gegenwärtig jedoch vorrangig als Kirche wahrgenommen wird (Koneska 2006). Dagegen gehörte es zur Tradition der albanischen Bektaschis aus der Umgebung von Resen, jährlich zum Sommerfeiertag Naums auch dessen Kloster auf der anderen Seite des Galičica-Gebirges zu besuchen und dort auch zu übernachten (EN 10.01.2017). Obwohl alle Bektaschis in Mazedonien das Grab Sarı Saltuk zuschreiben, ist das Verhalten an diesem Ort nicht pauschal geregelt. Während einige lediglich in die Kirche gehen und die Grabverehrung den christlichen Besucher:innen überlassen, meinen andere, auch sie als Bektaschis legten ihr Ohr auf das Grab, um das Herz Sarı Saltuks schlagen zu hören (Memišoski 2016). Laut dem Klostermitarbeiter Dragan beten die Bektaschis, die seinen Beobachtungen nach zum Großteil aus Bitola stammen, auf dem Hof oder an der Tür (EN 28.06.2016). Dabei breiten sie die Arme aus, als erwarteten sie, etwas zu empfangen. Die Bektaschis in Mazedonien besuchen sowohl Grab als auch Klos-
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ter auch deswegen individuell oder im Kollektiv ihrer Ortsgruppen, weil sie nicht gemeinsam auf Landesebene organisiert sind. Im Vergleich dazu geriet das Wissen um die Gleichsetzung Naums und Sarı Saltuks bei den Bektaschis in Albanien in Vergessenheit. Sie erinnerten Sarı Saltuk zwar weiterhin als eine für ihre religiöse Tradition wichtige Figur, aber assoziieren ihn nicht mit dem Naum-Kloster. Einerseits mag dazu die kommunistische Zeit in Albanien beigetragen haben, in der jedwede Religionsausübung verboten und in der alle Grenzen geschlossen waren, so dass auch die Pilgertradition zum in Jugoslawien gelegenen Naum-Kloster abriss. Andererseits gibt es zwei weitere Orte, die bis in die Gegenwart als Grabstätten Sarı Saltuks erinnert werden und dabei auf eine mindestens ebenso lange Tradition zurückschauen (vgl. Rohdewald 2017: 89): In Albanien selbst gehört dazu die Türbe in einer Felsenhöhle am Rand der Kleinstadt Krujë, nahe Tiranë. Ein alter Bektaschi aus Melçan bei Korçë berichtete, dass er sogar im kommunistischen Albanien Wege gefunden habe, zu der Höhle in Krujë zu gehen und dort ein Opfer darzubringen (Gaber 2016a). Der zweite Ort besteht in der Spiridon-Kirche auf der griechischen Insel Korfu, die nicht weit von der südalbanischen Küste entfernt liegt. Ähnlich wie im Naum-Kloster wird Sarı Saltuk auch auf Korfu mit Spiridon identifiziert und in dessen Grab verortet. In der Türbe von Baba Kalanderi in Çaushli findet sich als Beleg dafür die ausgebleichte Kopie einer Ikone, auf der in griechischer Schrift ho hagios Spyrídōn zu lesen ist, die jedoch mit dem Titel Sarisalltiku versehen ist (EN 02.08.2016, Abb. 6). Abhängig davon, aus welcher Gegend in Albanien die befragten Bektaschis stammten, verorteten sie das Zentrum des Kultes um Sarı Saltuk entweder in Krujë oder auf Korfu. Der alte Bektaschi aus Melçan kannte als einer der wenigen Befragten auch noch die Legende, dass das Naum-Kloster ein Wirkungsort Sarı Saltuks war (Gaber 2016b). Allerdings hätten ihn die Mazedonier:innen, weil sie orthodox sind, Naum genannt und ihm als Heiligen dort ein Kloster gebaut. Gegen das Vergessen des Naum-Klosters als bektaschitischen Erinnerungsort wird im Museum des Hauptsitzes des Oberhaupts der Bektaschis weltweit (alb. Kryegjyshata Botërore Bektashiane)23 in Tiranë Ohrid als einer der Orte angeführt, an denen sich ein Grab von Sarı Saltuk befindet. Dass diese Information auch im Zentrum in Tiranë eher historischen Überlieferungen denn gelebter Spiritualität entspricht, zeigt etwa das Unvermögen des vielwissenden Sekretärs des Zentrums, eines emeritierten Geschichtsprofessors, die Türbe in oder bei Ohrid genauer zu lokalisieren (EN 14.05.2016). Zudem fehlt die Türbe auch im jährlich herausgegebenen Kalender der Bektaschi-Gemeinschaft, in dem alle Feier23 Zum Anspruch eines internationalen Zentrums der Bektaschis vgl. Clayer 2012a: 195199.
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Abb. 6: Sarisalltiku-Ikone in Çaushli.
tage und Wallfahrtstermine zu Bektaschi-Tekken und -Türben verzeichnet sind (vgl. Kryegjyshata Botërore Bektashiane 2017). Im Vergleich zur sunnitisch türkischen Gemeinschaft und den Glaubensgenoss:innen in Mazedonien tendiert die Bektaschi-Gemeinschaft in Albanien folglich stärker dazu, diesen Teil ihres kollektiven Gedächtnisses zugunsten nationaler, also in Albanien liegender Erinnerungsorte zu verdrängen (vgl. Assmann 2009: 15). Beeinflusst wurde diese Tendenz durch die sozialistische Anti-Religions- und Abschottungspolitik sowie durch die postsozialistischen Prozesse der Nationalstaatenbildung. Der Vergleich widerstreitender Ansichten der strikten Ablehnung christlicher Heiligenverehrung und der moderateren Position hinsichtlich der Ehrerbietung gegenüber muslimisch religiösen Figuren, zeigt, dass das Zentrum der Auseinandersetzungen die Praxis des Aufsuchens der Gräber ist. Da Naums Grab auch im christlichen Diskurs dessen Kernpunkt markiert, unterstützen die divergierenden muslimischen Haltungen die Annahme, dass Naums Grab der zentrale Ort im Klosterraum ist, den es aus religiösen Gründen nicht aufzusuchen gilt. Die sicherste Vorkehrung für praktizierende Muslime und Muslimas ist daher, das Kloster trotz seiner historischen Bedeutung oder seiner natürlichen Umgebung nicht zu besuchen. Dieses Verhalten hat außerdem eine Parallele im Totenkult, wie er in Südosteuropa innerhalb der muslimischen Gemeinden praktiziert wird. Friedhöfe befinden sich meist außerhalb der Stadt und die Angehörigen suchen die Gräber ihrer Verstorbenen selten wieder auf, daher gibt es traditionell auch keine Grab-
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pflege. Dies steht im Kontrast zu den Praktiken der christlichen Nachbar:innen, die in regelmäßigen Abständen ihre Verstorbenen auf dem Friedhof besuchen und ihnen teilweise Getränke, Nahrungs- und Genussmittel mitbringen. Nach muslimischer Vorstellung ist ein Verstorbener tot und von der Welt der Lebenden getrennt. Die Lebenden können des Toten überall gedenken. Neben der Vermeidungsstrategie, die auf der Ablehnung der Beteiligung an christlichen Praktiken basiert, finden sich weitere Alternativen. In Auseinandersetzung mit der Problematik des Aufsuchens von Naums Grab bietet sich als Kompromisslösung die Verschiebung der Perspektive an: weg von der Heiligenfigur und dessen Grab hin zu dem historisch bedeutsamen und natürlich schön gelegenen Ort sowie den dort angebotenen Aktivitäten. Damit ändert sich auch der Blick auf die Raumordnung: Nicht das Grab steht im Mittelpunkt, sondern das gesamte Kloster mit Natur und Verkaufsständen. Der Imam aus Pogradec, der die Verehrung von Heiligen koranbasiert ablehnte, erklärte die dennoch große Anzahl muslimischer Klosterbesucher:innen damit, dass die meisten aus Neugier hingingen, »aus Neugier, um zu schauen« (alb. për kuriozitet, për të parë) (Shahu 2016). Einige gehen auch aus Tradition, weil sie es nicht anders kennen. Er unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen praktizierenden und nichtpraktizierenden Muslimen und Muslimas. Die Praktizierenden wüssten demnach: »Das ist nicht mein Kult« (alb. kjo nuk është kulti im). Die Nichtpraktizierenden gehen seiner Meinung nach in die Kirche, um sie sich anzuschauen. Was sie dabei tun oder glauben, ordnet er dem unter, was seiner Meinung nach der Norm entspräche: »Die hingegen, die den Glauben nicht praktizieren und ihn nicht kennen, er geht und schaut. Oder ich kann gehen, um die Kirche anzusehen, einfach aus Neugier, wie es in einer Kirche ist, gehe hinein und schaue. Aber ich kann nicht [Ikonen] küssen, oder [mich] bekreuzigen, weil ich weiß, dass das für mich verboten ist.«24
Nichtpraktizierende sind für ihn daher folglich Gläubige, die sich in ihrem Gesamtverhalten an den Grundsätzen des Islams orientieren. Die Grundsätze sind für ihn eine Art Grenze, die nicht überschritten werden dürfen. Für ihn gibt es auch andere Gründe, warum muslimische Gläubigen das Naum-Kloster besuchen: »Sie gehen nicht zur Verehrung, sie gehen nur einfach zu Besuch, zum Vergnügen. Und dort wird auch ein Basar veranstaltet, damit noch mehr gehen, weil es einen Basar gibt, um etwas 24 »Kurse ata që nuk praktikojnë fenë dhe nuk e dinë, ai vete e shikon. Ose unë mund të shkoj, të shikoj kishen, thjeshtë për kuriozitet, që si është kisha, hyj brënda, e shikoj. Por nuk mundem do të puth, apo të kryej […], sepse unë e di që është ndaluar për mua.« (Shahu 2016)
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zu kaufen und so einfach ist es. Und das scheint, als ob sie zum Beten hingehen, weil sie gehen [...] es sieht so aus also ob, weil nachts ein panair veranstaltet wird. Wenn ich jetzt zum Beispiel sage, du hättest einen Tag […] hier bei der Moschee und es würde ein panair geben, dann würden auch die Christlichen zum panair kommen und ich sage denen, damit sie sehen: Diese [Christ:innen] kommen auch, um zu beten. Während sie nicht gekommen sind, um zu beten. Sie sind einfach für den panair gekommen.«25
Der Klosterbesuch ist demnach eine Freizeitbeschäftigung, die mit der Besonderheit des Festes und der Einkaufsmöglichkeiten auf dem Jahrmarkt (alb. panair; maz. panaǵur) verbunden ist. Der Eindruck, das Naum-Kloster habe eine religiöse Bedeutung für die muslimischen Besucher:innen, trüge und entstehe nur aufgrund der Parallelität verschiedener Angebote. Ein Klosterbesuch ist für ihn demnach nur unter Berücksichtigung der muslimischen Vorstellungen auf den Gesamtraum Kloster denkbar. Dass es verschiedene Gründe gibt, bestätigt auch ein junges Ehepaar muslimischer Tradition aus Pogradec (EN 27.01.2017). Neben den genannten touristischen Motiven ist ihnen jedoch auch die religiöse Dimension des Ortes wichtig. Außerdem verweisen sie auch auf die politische Bedeutung, die das Kloster in der Vergangenheit für Pogradec hatte, bis König Zogu es für seinen Machtaufstieg verkaufte. Beide Argumentationen zeigen, dass der Bedeutungsverlust des Grabes und die parallele Aufwertung des Klosterkomplexes als Ganzes eine muslimische Teilnahme an Klosterbesuchen ermöglicht. Aufgrund anders gerichteter Interessen und damit einhergehender Aktivitäten unterstützen muslimische Klosterbesuche somit wiederum die mehrdeutige Entwicklung des Ortes. Das Naum-Kloster wird besonders als Ausflugsort betrachtet und als solcher auch von Teilen der muslimischen Gemeinschaft Ohrids aufgesucht. Einige muslimische Gesprächspartner:innen begründen den Besuch mit Interesse an Gebäuden als historischem Erbe, an den Ikonen als Kunstwerk oder mit Respekt gegenüber Freund:innen und Kolleg:innen. Andere dagegen halten den Besuch von Kirchen und Klöstern für vermeidbar. Eine Türkin aus Ohrid, die den Islam streng praktiziert, argumentierte damit, dass sie keine Kirchen besuchen müsse, um Ikonen zu sehen, denn die könne sie auch in Büchern anschauen (EN 18.03.2017). 25 »Nuk shkojnë për adhurim, shkojnë vetëm për thjeshtë për vizitën, për qejf. Dhe aty bëhët edhe pazar, që shkojne më shumë që ka pazar për të blejnë ndonjëgje, më edhe thjeshtë. Edhe kjo duket sikur vijnë për të falur, së vijnë [...] tregon sikur së natë kohë bëhët panair. Si për shëmbull ta them të kesh një ditë […] tek xhamia këtu dhe të bëhët një panair dhe të vijnë edhe të krishterët në panairi dhe thuaj ata që shikojne: erdhen këta që të falen. Ndërsa s’kanë ardhen që të falen. Ata kanë ardhen thjesht për panair.« (Shahu 2016)
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An die scheinbare Erlaubnis muslimischer Geistlicher für den Klosterbesuch als touristische und kulturelle Sehenswürdigkeit schließt sich eine weitere Perspektive auf den Klosterkomplex als Ganzes an, wobei es nicht mehr um Naum als Heiligen oder Sarı Saltuk als muslimische Erinnerungsfigur geht. Das Kloster wird als »heiliger Ort« (maz. sveto mesto; alb. vend i shenjtë) bezeichnet. Heilige Orte werden häufig so verstanden, dass sie nicht an eine Religion gebunden sind. Ein Mitarbeiter des Museums der Liga von Prizren meinte etwa, dass heilige Orte seines Erachtens für die Menschheit, nicht für eine einelne religiöse Gruppe bestimmt seien (EN 21.02.2017). Als »heilige Orte« gelten in Albanien auch die Bektaschi-Türbe von Abas Ali auf dem Berg Tomorr im Süden (EN 20.08.2017) sowie die katholische Kirche Shën Ndou in Laç im Norden (EN 24.08.2017). Albaner:innen suchen diese Orte unabhängig von ihrer religiösen Tradition auf und verbinden die Pilgerreise meist mit Wünschen und Hoffnungen auf Heilung, Familiengründung oder -zuwachs. Das Prinzip des heiligen Ortes greift auch in der traditionell muslimischen Bevölkerung in Mazedonien. In Ohrid wird etwa eine Türbe nahe der Polizeistation als sveto mesto bezeichnet, deren Pflege seit Generationen in der Verantwortung einer türkischen Familie liegt. Der erwachsene Sohn der Familie meinte, dass er sowohl in Moscheen als auch in Kirchen gehe (EN 07.08.2016). Das Naum-Kloster besuche er jedes Jahr, zünde dort eine Kerze an und spende Geld, bekreuzige sich aber nicht. Sein Handeln begründete er damit, dass es keinen Unterschied zwischen den Religionen gebe, da es auch nur einen Gott gebe (maz. eden e gospod) und »wir alle gleich sind« (maz. site sme isti): Menschen seien wie Gäste auf der Erde, müssten in jeder Religion Gutes tun und zur geistlichen Erneuerung fasten. Aber weder Menschen noch Heilige noch Derwische können Wunder vollbringen, sondern nur Gott, meinte er. Seine Aussage überschneidet sich mit den Perspektiven des Metropoliten Pelushi und der christlichen Händlerin aus Bitola. Entsprechend spielen weder Naum noch Sarı Saltuk noch das Grab im NaumKloster für seinen eigenen Glauben eine herausragende Rolle. Ähnlich äußerte sich ein Rom, Mitte 40, über das Kloster, der mit zwei Verwandten am Sommerfeiertag das traditionelle Umrunden der Klosterkirche mit Lämmern musikalisch begleitete (Muzičari 2016). Er argumentiert, dass es keinen Unterschied mache, welcher Ethnie jemand angehört, denn das Kloster sei allen Menschen gegeben. Zum Feiertag am 2. und 3. Juli fallen vor allem zwei Gruppen mit traditionell muslimischem Hintergrund am Kloster auf. Die eine Gruppe sind Einwohner:innen aus dem albanischen Pogradec und dessen näherer Umgebung, die andere sind mazedonische Roma, die vor allem aus der Gegend um Resen und Bito-
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la stammen.26 Für beide Gruppen ist der Besuch des Naum-Klosters Teil ihrer Tradition, die sie mit unterschiedlichen Akzenten begründen: Die aus Albanien stammende Gruppe argumentiert gelegentlich mit der ehemaligen politischen Bedeutung des Klosters, häufiger aber mit dem Freizeitaspekt und geht »zum Vergnügen« (alb. për qejf) hin. Sie zünden an der Klosterkirche Kerzen an, nutznießen aber auch die anderen Angebote im Klosterkomplex. Auffallend ist, dass viele meiner Gesprächspartner:innen aus Pogradec sich als muslimisch verstanden, auf Nachfrage jedoch ein distanziertes Verhältnis zum Islamverständnis der studierten Geistlichen angaben (EN 29.01.2017). Ihre religiöse Zugehörigkeit stellt daher eher eine kulturelle Tradition als den Ausdruck eines spirituellen Bedürfnisses dar. Auch für die Roma aus Mazedonien scheint die Religion eher Teil ihrer Tradition als persönliche Überzeugung zu sein. Laut Aussage des Klostermitarbeiters Dragan bilden sie die größte muslimische Gruppe am Kloster (EN 28.06.2016). Sie verbinden den Besuch entweder mit einem Kurzurlaub oder mit ihrer beruflichen Tätigkeit, ohne das Kloster oder den Heiligen ethnisch, politisch oder religiös umzuinterpretieren und zu vereinnahmen. Ein Rom aus Bitola im mittleren Alter, der einen Stand auf dem Jahrmarkt am Kloster hat, erklärte »wir sind Muslime, aber wir sind zur Hälfte auch Christen« und ergänzte »wir fasten nicht und gehen in die Kirche« (EN 01.07.2016). Die Aussage lässt die Gründe und Bedeutung des Besuchs der Roma am Naum-Kloster offen, könnte aber darauf schließen lassen, dass muslimische Roma als Zeichen der Verbundenheit mit christlichen Roma Kirchen und Klöster aufsuchen, obwohl ich am Naum-Kloster keine christlichen Roma getroffen habe. Die muslimischen Roma verbanden wie christliche Besucher:innen ihren Aufenthalt auch mit Praktiken wie dem Anzünden von Kerzen mit Heilungswünschen und brachten teilweise auch Lämmer als Dankopfer (maz./alb./türk. kurban) dar. Die Mehrheitsgesellschaft Mazedoniens erklärt das Verhalten oft damit, dass Roma aufgrund ihrer mangelnden Bildung religiös flexibel seien (Popovska 2013: 46-48). Der Bildungsstand der Roma nimmt jedoch aufgrund von Informationen, die durch die Medien verbreitetet werden, und sozialpolitischen Entwicklungen zu (Popovska 2013: 149-153). Unter den muslimischen Besucher:innen, die keine Roma sind, gibt es auch einzelne Personen, die das Naum-Kloster aus religiösen Motiven aufsuchen. Sie bringen ebenfalls verschiedene Votivgaben in Form von Textilien, Lebensmittel oder Lämmern dar, die sie wie die christlichen Klosterbesucher:innen mit Wünschen für Gesundheit, Glück und Familie verbinden. Die Lammgabe findet in der muslimischen Tradition im kurban genannten Opfer eine Parallele. Als Gabe an ein Kloster oder für einen christlichen Heiligen entspricht es sunnitisch-theolo26 Christ:innen bilden sowohl in Pogradec und Umgebung als auch unter den Roma aus Resen und Bitola eine Minderheit.
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gisch gesehen jedoch nicht der Norm. Außerdem dient besonders der medizinische Nutzen als Vorwand für einen Klosterbesuch. Ein 58 Jahre alter Albaner, der in Ohrid in einer Wechselstube arbeitete, erzählte mir, dass er seit etwa 20 oder 25 Jahren fünfmal am Tag das Pflichtgebet verrichte (EN 19.01.2017). Vorher habe er regelmäßig das Naum-Kloster oder die Türbe in Grnčari wegen Schwindelgefühlen (maz. vrtoglavica) aufgesucht. Zögernd meinte er, das habe ihm ein wenig geholfen, heute nehme er jedoch Medikamente gegen die Beschwerden. Sein ambivalentes Verhältnis zu religiösen Heilkünsten unterstreicht er mit der Erzählüng über einen Imam aus Bitola, der viel über Heilungen gewusst habe und selbst heilen konnte, jedoch bereits verstorben sei. Hinsichtlich nonkonformistischer Praktiken argumentieren auch Imame, die an einer Universität oder Islamschule studiert haben, mit mangelnder Bildung. Sie unterscheiden wie der Imam aus Pogradec darüber hinaus zwischen wahrhaft gläubigen und nicht-praktizierenden Muslimen und Muslimas. Die Vielfalt der aufgezeigten muslimischen Perspektiven reicht von Ablehnung des Grabs als religiösem Ort bis zur vereinnahmenden Sakralisierung des Klosterkomplexes. Während die christliche Bevölkerung das Grab als religiösen Kern des Klosters eines Besuchs würdig erachtet, herrscht unter den muslimischen Akteur:innen nur Konsens darüber, dass das Kloster als Ausflugsziel ein wertvolles historisches Erbe mit einer sehenswerten Natur darstellt. Verallgemeinernd lässt sich daher behaupten, dass sich die christlichen und die muslimischen Perspektiven mit Bezug zu Naums Grab als religiösem Zentrum konträr zu einander verhalten. Das unumstrittene christliche Zentrum erfährt die größte Ablehnung seitens der muslimischen Gemeinschaft insgesamt. In der weitesten territorialen Ausdehnung von Naums Wunderkraft auf den Klosterkomplex besteht dagegen die größtmögliche Übereinstimmung der christlichen und muslimischen Perspektiven. Daneben sind hinsichtlich der intrareligiösen Differenzen zwei Beobachtungen festzuhalten: Einerseits bekommt der Ort und insbesondere das Grab durch das Sarı-Saltuk-Narrativ eine religiöse Bedeutung sowohl für die bektaschitische als eine sunnitische Gemeinschaft. Andererseits gilt Sarı Saltuk in Ohrid auch als türkisch-sunnitische Erinnerungsfigur. Deswegen ist weder eine prinzipielle Ablehnung des Klosters als religiöser Ort noch eine klare Trennung der Meinungen in Bektaschi- und Sunni-Tradition innerhalb des muslimischen Lagers erkennbar.
6.4 FAZIT: INTERRELIGIÖSE EINIGUNG Der erste Teil der Analyse führte in verschiedene Deutungsansätze Sveti Naums ein, dessen Person und Wirken symbolisch an Grab, Kloster und Klosterkomplex
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verortet wird. Naum war ein Schüler der sogenannten Slawenapostel Kyrill und Method, der wahrscheinlich den Großteil seines Lebens als Mönch verbrachte und der gegen Ende mit der Ausbildung neuer Theologengenerationen zur kognitiven Ausbreitung des Christentums beitrug. Als Gründer des Klosters im Süden des Ohrid-Sees ist er mit seinem Kloster auch deswegen physisch verbunden, weil sein Grab während des Erneuerungsprozesses durch die Errichtung einer Grabkapelle zum Teil der Klosterkirche wurde. Die Naum zugeschriebene Wunderkraft, die er bereits zu Lebzeiten besessen haben soll, ist das wichtigste Kriterium im Aushandlungsprozess. Dieser lässt sich durch drei Punkte zusammenfassen: den Zusammenhang religiöser Deutung und Raumordnung des Klosters, die soziale Struktur als Verhältnis von Gästen und Gastgebenden sowie den fließenden Übergang zwischen religiösen und anderen Dimensionen. Die Darstellung religiöser Inhalte verdeutlichte, dass die Verhandlung der Argumente eng mit der historisch gewachsenen Raumstruktur verbunden ist. Vor allem die Erinnerungen der Zeitzeug:innen verschiedener politischer Systeme demonstrierten, dass sich in Abhängigkeit vom politischen Wandel und dem Ausbau des Klosters der Glaube an die Wunder- und Heilkraft Naums auch auf das Kloster ausdehnte. Von Naums Person aus übertrug sich die Kraft auf das ihn symbolisierende Grab, dann auf die anderen Räume der Kirche und das Kloster sowie den ganzen Klosterkomplex. Die räumliche Ausweitung der Symbolkraft unterstrich zunächst die wachsende Bedeutung des Klosters. Anschließend konnte am Ausmaß der Ausweitung die Stärke der Klosterbedeutung gemessen werden, da es die jugoslawische Umwandlung überdauerte. Das Grab bildet dabei den religiösen Kern, dessen Bedeutung stärker umstritten ist als der Erholungseffekt des Klosterkomplexes in schöner Natur. Abgesehen von dem jugoslawischen Zwischenspiel, das der Legende über Naums hörbar schlagendes Herz die Faszination nehmen wollte, streiten insbesondere Vertreter der obersten Ebene der Partizipationspyramide um die richtige Deutung. Die christlich dominantere Deutung Naums und seines Grabs wird durch die Verbindung zwischen Raum und Zeit während der Feiertage verstärkt, die ursprünglich dem Totengedenken entsprachen. Die soziale Struktur des Aushandlungsprozesses lässt sich mit dem Verhältnis von Gästen und Gastgebenden vergleichen, worauf die Bezeichnung als »Besucher:innen« bereits einen ersten Hinweis liefert. Dieses Verhältnis ist prinzipiell ein asymmetrisches, weil es auch eine unhinterfragbare Deutungshoheit impliziert. Die Gastgebenden bestimmen die Regeln und das Gastrecht in ihrem Haus, ein Regelbruch aus Unwissen wird Gästen teilweise nachgesehen (vgl. Rötting 2011: 170). Die Sozialstruktur am Kloster überschneidet sich nur teilweise mit der Partizipationspyramide nach Lederach, in die sich die Akteur:innen einsortieren lassen. Am Kloster gibt es mehrere Gast-Gastgeber:in-Konstellationen. Die auffälligste ist die in der christlich-orthodoxen Vertikalen, zwischen den Vertretern
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der MPC und den Lai:innen. Der Archimandrit und der Küster kümmern sich um die Einhaltung der liturgischen Zeiten und Abläufe und koordinieren den Einsatz weiterer Hilfskräfte, die sie am Feiertag dabei unterstützen. Die Klosterbesucher:innen fügen sich den Anweisungen des Personals. Ihre Geschenke sind keine liturgische Vorgabe und werden von den Gastgebenden teils als nichtchristlichen Ursprungs betrachtet, jedoch dankend angenommen. Zudem ist es erwünscht, dass der christlich-orthodoxe Teil der Besucher:innen auch am Festgottesdienst teilnimmt oder sich bekreuzigt. Sie werden aus verschiedenen Gründen jedoch nicht dafür belangt, wenn sie es nicht tun. Das Verhältnis zwischen Christ:innen und muslimischen Klosterbesucher:innen ist die zweite Möglichkeit einer Gast-Gastgeber:in-Konstellation. Die christlich-orthodoxen Gastgeber:innen sind sich dessen bewusst, dass auch Menschen muslimisch-religiöser Tradition den Ort besuchen. Allerdings kennen die meisten Christ:innen mögliche religiöse Unterschiede zwischen Sunnit:innen, sunnitisch geprägten Sufi-Orden und Bektaschis nicht und differenzieren demzufolge auch nicht. Sie unterscheiden die muslimischen Besucher:innen oft nur hinsichtlich ihrer ethnischen und nationalen Zugehörigkeit. Der Metropolit Pelushi kannte jedoch den Unterschied, da er selbst einer Bektaschi-Familie entstammt (Seminarist/Albo 2005). Er begründete die Anwesenheit von sunnitischen und Bektaschi-Albaner:innen damit, dass diese sich häufig ihrer christlichen Wurzeln bewusst seien (Pelushi 2016). Folglich besuchten sie Kirchen entweder aus Tradition oder, um wieder in die Kirche einzutreten. Als zum Christentum konvertierter Bektaschi wusste Pelushi auch um die Identifizierung Naums mit Sarı Saltuk. Bei den meisten christlichen Gesprächspartner:innen stieß die Vorstellung, einige muslimische Gruppen glaubten, dass das Grab im Kloster nicht Naum, sondern einer Art muslimischen Heiligen gehöre, auf Unverständnis. Mileva Krstanoska aus Ljubaništa entrüstet sich: »Sie können nicht sagen, dass Sveti Naum ein muslimischer Heiliger ist. Das geht nicht. Ein christlicher Heiliger ist er« (maz. Ne može tie da go rečat sveti Naum muslimanski svetec. Ne može toa. Hristijanski svetec toj e) (Krstanoska/Krstanoski 2016). Der Klostermitarbeiter des NaumKlosters wusste zwar, dass Türk:innen und Bektaschis Naum auch Sarı Saltuk nennen, war aber der Meinung, dass das nur ein anderer Name für Naum sei (EN 28.06.2016). Stojan Risteski, der Wundergeschichten dokumentiert hat, die Naum zugeschrieben werden, kannte das Sarı-Saltuk-Narrativ auch, lehnte die Gleichsetzung mit Naum und die Dokumentation von Wundergeschichten über Sarı Saltuk jedoch ab (EN 29.06.2016). Dennoch werden muslimische Gäste am Kloster als Kranke und Hilfesuchende akzeptiert, unter anderem, weil ihnen nachgesagt wird, dass sie keine eigenen Heiligen hätten (EN 17.07.2016). Der Metropolit Pelushi erklärte darüber hinaus, dass die Heilungen muslimischer Kranker beweise, dass Gott auch sie annehme und das Kloster tatsächlich über heilende Kräfte
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verfüge (Pelushi 2016). Die Kirche Gottes dürfe sich zudem niemandem verschließen, der oder die inständig um Hilfe bitte. Solange sie sich angemessen und unauffällig verhielten, würden ihnen weder Zugang noch Teilhabe verwehrt. Von den muslimischen Gästen wird daher kein spezifisches Verhalten erwartet oder erzwungen. Da sich unter den muslimischen Besucher:innen vorrangig Personen aus dem untersten Pyramidensegment befinden (vgl. Abb. 3), finden die Aushandlungsprozesse am Kloster sowohl in der Vertikalen mit Vertreter:innen der MPC als auch auf der horizontalen Ebene mit christlichen Besucher:innen statt. Im Vergleich herrscht dabei eine größere Nähe auf der Horizontalen. Im Gegensatz dazu ist die größte Meinungsverschiedenheit auf der obersten horizontalen Ebene der Partizipationspyramide, zwischen den christlichen und den abwesenden muslimischen Geistlichen. Es scheint so als wäre die Kirche die bestimmende Gastgeberin. Allerdings lässt sich diese Behauptung mit einem Blick in die jugoslawische Geschichte infrage stellen. In jener Zeit war das sozialistische Regime die bestimmende Autorität, die das Kloster als historisches Museum und Ausflugsziel uminterpretierte. Dass ein Teil der Bevölkerung das Kloster trotzdem verstärkt an den Feiertagen aufsuchte, spricht dafür, dass sich die Besetzung der Rollen im Verhältnis von Gast und Gastgeber:in dynamisch gestaltet. Die sozialistische Regierung, die eine die Religion abwertende Politik betrieb, als die Gastgeberin eines christlich-orthodox verstandenen Ereignisses zu betrachten, wirkt paradox. In dieser Hinsicht lassen sich das sozialistische Regime und die orthodoxe Kirche mit ihren Vertreter:innen als Verwaltung fassen. Sie organisieren den Umgang mit dem historischen Erbe auf unterschiedlichen Wegen und mit verschiedenen Perspektiven. Die Art der Verwaltung durch das sozialistische System unterscheidet sich auch hinsichtlich der Berücksichtigung des Willens der lokalen Bevölkerung von der Verwaltung durch die orthodoxe Kirche. Die sozialistische Regierung entschied sich gegen die tradierte Interpretation und das Fest, weil es der eigenen Ideologie widersprach. Dagegen ließ die MPC das Erbe nach dem Ende des sozialistischen Jugoslawiens wiederaufleben, wobei das religiös konnotierte Verhalten eines Bevölkerungsteils zur Zeit Jugoslawiens das Vorhaben der MPC unterstützte. Bereits Ende der 1980er ließ die sozialistische Regierung auf Bestreben der Klosterbesuchenden den Festgottesdienst am 3. Juli zu. In dieser Konstellation überschneiden sich die vertikalen Pyramidensegmente, da die Klosterbesucher:innen aufgrund ihrer christlich-orthodoxen Herkunft und der sozialistischen Überprägung zu beiden Segmenten gehörten. Wenn die orthodoxe Kirche durch eine staatliche Regierung als Verwaltung austauschbar ist, bietet sich eine dritte Gast-Gastgeber:in-Konstellation an, bei der Gott selbst der Gastgeber ist. Naum, die MPC sowie deren Vertreter:innen werden als Verwalter:innen in unterschiedlichen Ab-
Naums Grab und sein Kloster in den Verhandlungen religiöser Deutungen | 253
stufungen betrachtet. Gegenüber diesen sind alle Menschen ohne Unterschied in der Rolle der Gäste. Anhand aller Konstellationen zwischen Gästen und Gastgeber:innen zeigen sich fließende Übergänge auf den vertikalen und horizontalen Aushandlungsebenen und den damit einhergehenden Interpretationen. Damit einhergehend verschwimmen auch die Grenzen zwischen religiösen und anderen Gesellschaftsbereichen. Diese Beobachtung spricht auch dafür, Religion nicht nur als Kulturfaktor, sondern als Kulturmuster zu betrachten, als »Bezugssystem eines bestimmten Sets von Kulturelementen aus allen Gliederungsebenen von Kultur und ihrer Beziehungen untereinander« (Koch 2007b: 26). Ich argumentiere daher mit Glenn Bowman dafür, dass »the semantic multivocality of [a] holy place […] is seen to reflect the diversity of interests of the various communities which revere it« (Bowman 1993: 431). Den Lai:innen geht es weniger um theologische Wahrheiten, als um Gesundheit, Glück und Familie. Die Bedeutung des Naum-Klosters für verschiedene Gesellschaftsbereiche zeichnete sich bereits in seiner Geschichte ab. Die Reichweite der Bedeutung des Klosters veränderte sich auch mit seinem historischen Wandel. Ein Bereich, der bis in die Gegenwart für die Wahrnehmung und Gestaltung des Klosters relevant scheint, ist die Medizin. Das tradierte Narrativ von Naum dem Wunderheiler und die damit verbundenen Heilungsgeschichten ziehen Kranke und Hilfesuchende weiterhin zum Kloster. Mit dem Besuch gehen Hoffnungen auf und Wünsche für Gesundheit einher sowie die Erfahrung, dass das bis dato kaum wissenschaftlich untersuchte Gesundheitssystem nicht immer helfen kann: Die medizinische Versorgung ist verhältnismäßig kostspielig und oft nicht ausreichend (Gieler/Danner 2013: 392).27 Aufgrund kostenintensiver und nicht im27 Abgesehen von hohen Kosten für Medikamente und Sonderbehandlungen, müssen auch einige zum medizinischen Berufsalltag gehörende Tätigkeiten zusätzlich bezahlt werden. Ein eindrückliches Beispiel ist die inoffizielle, freiwillige Dankeszahlung einer unbestimmten Summe an das medizinische Personal, das bei der Geburt eines Kindes half, damit es sich in der Folgezeit angemessen darum kümmert. Außerdem entspricht der Umgang und die Betreuung geistig und körperlich Benachteiligter nicht den medizinischen Standardvorstellungen der EU (EC 2018). Der Mangel an medizinischem Personal in Mazedonien geht zudem häufig mit Korruption einher, was sich auf Terminvereinbarungen und -einhaltungen oder die medikamentöse Einstellung auswirkt. Trotz der Einführung eines vielversprechenden, neuen Systems, zur Verkürzung von Wartezeiten bei medizinischen Spezialist:innen im Jahr 2013, verzögert sich der erwartete Erfolg aufgrund der schleppend verlaufenden Ablösevorgangs des früheren Systems (Björnberg/Phang 2019: 15f). Zudem sind auch die technische Ausstattung und die Behandlungsmethoden nicht auf dem neuesten medizinischen Stand.
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mer zufriedenstellender Behandlungen drücken sich im Aufsuchen religiöser Orte Hoffnungen und Wünsche auf ein Heilungswunder sowie ein Misstrauen in das Gesundheitssystem aus. Bis zur Umwandlung des Klosters in ein Museum im Jahr 1950 wies das Kloster auch einen medizinischen Bereich auf, der mit der Rückgabe an die MPC 1991 nicht wiederbelebt wurde. Die medizinische Bedeutung des Klosters ist folglich privat und nicht öffentlichkeitswirksam. Dagegen sind bis heute folgende Dimensionen am Kloster erkennbar: In Anlehnung an die medizinische Dimension gehen Heilung, Genesung, Erholung und Freizeitgestaltung ineinander über und lassen sich im Schlagwort »Tourismus« bündeln. Diese Perspektive lässt es zu, die Klosterbesucher:innen mit ihren unterschiedlichen Motivationen differenzierter wahrzunehmen. Als touristischer Ausflugsort ist das Kloster ein wichtiger wirtschaftlicher Standort mit vielen Arbeitsmöglichkeiten und einem breiten Güterangebot. Nicht zuletzt weist das Kloster auch eine politische Bedeutung auf. Naum und sein Kloster wirken sowohl auf religiöse als auch auf politische Identitäten in Albanien und Mazedonien. Darüber hinaus ließen sich weitere Dimensionen des Klosters herausarbeiten, wie Kunst oder Bildung. Allerdings waren diese während der Feldforschung keine wahrnehmbaren oder repräsentativen Aspekte des Klosters, die aufgrund bestimmter Angebote und Tätigkeiten ein eigenes Untersuchungsfeld geboten hätten. Daher folgen drei weitere Analyseteile, die das Kloster in touristischen, wirtschaftlichen und politischen Dimensionen verorten.
7 Das Naum-Kloster als Ziel von Pilgerreisen, Religions- und Freizeittourismus
»In this mixture of sounds, smells and impressions, I realized how complex this pilgrimage place (and others) really is, how many functions it performs, how many meanings are attributed to it and how many it actually has. This mix of devotion, celebration and socializing is typical of almost all pilgrimage places and it seems to me that one cannot exist without the other. This is the reason that pilgrimage places are so important for the community – they fulfil a multitude of functions – but also why pilgrimage is not reducible to one theoretical frame or research method.« (Katić 2014a: 22)
Das Naum-Kloster wird durch seine vielen verschiedenen Besucher:innen und deren Aktivitäten auch als touristisches Ausflugsziel geprägt. Der Aufenthalt am Kloster ist Teil der Freizeitgestaltung seiner Gäste. Die Trennung vom Alltag wird auch in der Distanz deutlich, die bei der An- und Abreise abhängig von der Herkunft der Gäste überwunden werden muss. Auch die einzelnen Aktivitäten vor Ort lassen erkennen, dass es sich bei dem Aufenthalt um eine außeralltägliche Freizeitbeschäftigung handelt. Die touristische Dimension des Klosters wird an verschiedenen Stellen am und im Klosterkomplex deutlich. Im Folgenden werde ich auch die touristischen Freizeitaktivitäten zum erarbeiteten Raumkonzept in Verbindung setzten. Es wird sich zeigen, dass die Raumordnung relevant und strukturgebend für das Auftreten religiöser und anderer Reisemotivationen ist. Häufig ist die Meinung vorzufinden, christliche Klöster könnten – vor allem, wenn sie aktiv von der zuständigen kirchlichen Institution genutzt werden – Ziel religiöser Pilgerreisen und Wallfahrten, jedoch keine international beliebten touristischen Ausflugsziele sein. Damit verbunden ist die Vorstellung eines besinnlich kontemplativen und gegebenenfalls erholsamen Aufenthalts in Stille und Gebet. Im Gegensatz dazu hält beispielsweise der Südslawist Sebastian Kempgen über das Kloster fest: »Das Kloster Sveti Naum am Südufer des Ohrid-Sees in unmittelbarer Nachbarschaft zur albanischen Grenze gehört zu den wichtigsten Touristen-
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attraktionen Makedoniens« (Kempgen 2019: 61). Zur Kontextualisierung seiner Forschung beschreibt Kempgen zudem verschiedene Aktivitäten im und am Klosterkomplex, die sich an der natürlichen Umgebung orientieren, auf die Verköstigung der Besucher:innen oder auf deren Versorgung mit Andenken abzielen. Die religiöse Dimension des Klosters streift er lediglich in der Entstehungsgeschichte, religiöse Momente des zeitgenössischen Tourismus sowie andere religiöse Elemente und Aktivitäten verschweigt er. Dass das Kloster auch noch für christlichorthodoxe Interessen genutzt wird, lässt sich lediglich durch den Hinweis erahnen, dass das Klostergelände an die orthodoxe Kirche zurückgegeben worden sei. Bis auf die Verwendung der religiösen Begriffe zur Charakterisierung des Ortes als Kloster gibt es bei Kempgen demnach keine Hinweise auf den religiösen Kern. Im Folgenden möchte ich die Verflechtungen der religiösen und der touristisch-freizeitlichen Dimensionen des Ortes aufzeigen. Im Zusammenhang mit den religiös-deutenden Aushandlungsprozessen wird deutlich, dass die Beschreibungen der Pilger- und der Tourismusmomente die Ereignisse am Kloster nur bruchstückhaft erfassen. Darüber hinaus wird der historische Wandel häufig ausgeblendet. Die folgenden Sequenzen zeigen am Beispiel des Tourismus, dass der Übergang zwischen religiöse und touristischer Deutung fließend ist. Dazu werden die verschiedenen Aktivitäten der Besucher:innen und die damit zusammenhängenden Motivationen betrachtet. Neben diesen verdeutlicht auch ein Blick auf die historische Entwicklung des Klosters, wie religiöse Pilgerreisen und Tourismusformen ineinander übergehen können. Die Zugänge, die sich mit Motivationen, Ausflugszielen, Formen und Konsequenzen religiöser und säkularer Pilgerreisen und Tourismusformen beschäftigen, sind vielfältig (Collins-Kreiner 2018). Vor diesem Hintergrund begrenzt sich das Kapitel auf die Untersuchung, wie Naum als symbolischer Ort und das Kloster als physischer Ort das dort vorzufindende Reise- und Besuchsverhalten beeinflussen. Damit geht auch die Frage einher, ob und wie sich dieses Verhalten auf die Wahrnehmung des Heiligen und des Klosters auswirkt. Durch den Schwerpunkt auf der gegenseitigen Beeinflussung religiöser und touristischer Elemente bezieht sich das Kapitel auch allgemein auf die Theorie zu mehrdeutigen religiösen Orten. Im Folgenden bestimme ich zunächst relevante Begriffe und damit verbundene Ideen und setze sie zueinander ins Verhältnis. Die daran anschließenden Kapiteleinheiten orientieren sich an der inneren Raumordnung des Klosterkomplexes, die mit verschiedenen Aktivitäten verbunden ist. Im Kontrast zu Kempgens Klosterbeschreibung stelle ich anschließend die Handlungen am symbolischen und physischen Zentrum des Orts dar, das sich vom Grab in der Klosterkirche bis auf den Klosterhof erstreckt. Danach liegt der Schwerpunkt auf den im Außenbereich des Klosterkomplexes vorfindlichen Aktivitäten. Im Zusammenhang mit den einzelnen Aktivitätsbereichen sind auch verschiedene Besucher:innengruppen mit
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ihren Motivationen, das Kloster aufzusuchen, darzustellen. Die Darstellung wird zeigen, dass Besucher:innen mehrere, sich überschneidende Motivationen aufweisen können, die je nach Bereich des Klosterkomplexes anders akzentuiert auftreten. Dadurch scheinen auch die Grenzen der inneren Raumordnung ineinander überzugehen.
7.1 M OTIVATIONEN VON PILGERREISEN, RELIGIONSTOURISMUS UND FREIZEITAKTIVITÄTEN Mit der Frage der Begriffs- und Verhältnisbestimmung von Pilgerreisen, religiösem Tourismus und Freizeitaktivitäten beschäftigen sich neben der Religionswissenschaft auch verschiedene Teildisziplinen der Geographie und der Soziologie sowie die Volkskunde (Gatzhammer 2012: 253f). Der Fokus verschiedener Studien über das Pilgern verschob sich von einer strikten Unterscheidung zwischen Pilgerreisen und verschiedenen Tourismustypen hin zu einer Vermischung beider Reiseformen (Collins-Kreiner 2018). Trotz der Verwischung der Grenzen, die offensichtlich fließend ineinander übergehen, »[ist] Pilgern […] nicht gleich Pilgern. Der Unterschied zwischen heiligmäßigen Wallfahren, spiritueller Sinnsuche und profanem Wandern ist nicht unbedingt auf Anhieb zu erkennen« (Gamper/Reuter 2012: 228). Diese Beobachtungen treffen auch auf die Besuche des Naum-Klosters zu. Ohne hinter den Forschungsstand zurückzugehen und die jüngsten Ergebnisse zu ignorieren, halte ich eine Differenzierung dennoch für hilfreich. Denn Besucher:innen eines religiös verstandenen Ortes sind nicht pauschal als Pilgernde zu charakterisieren, weil sie sich selbst vielleicht nicht als solche betrachten. Eine Schwierigkeit der Unterscheidung liegt darin, dass Reisende mehrere Motivationen für den Besuch religiöser Orte haben können (vgl. Clayer 2017: 130). Im Folgenden sind eine Identifizierung und Verhältnisbestimmung der verschiedenen Klosterbesucher:innen aufgrund ihrer Motivationen, also ihrer Be-Weg-Gründe vorzunehmen. Es wird sich zeigen, dass zwar eine Einteilung von Reisetypen vorgenommen werden kann, diese aber selten in Reinform auftreten. Ich folge daher Vihra Baeva, die in einer Fallstudie über verschiedene Besucher:innen der sogenannten Russischen Kirche in Sofia festhält, dass »one has to consider [the visitors] inner heterogenity, the zones of diffusion and the dynamic fuzzy margins between them« (Baeva 2014: 91). Trotz der unscharfen Grenzen muss der Differenzierungsversuch deswegen unternommen werden, um Perspektiven einiger Gesprächspartner:innen gerecht zu werden. Ein Imam aus Pogradec betonte etwa,
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dass Personen muslimischer Tradition, die zum Naum-Kloster gingen, weniger religiös motiviert seien, sondern eher aus Neugier und zum Vergnügen an dem Fest teilnähmen (Shahu 2016). Die theoretischen Überlegungen sollen daher helfen, die anschließenden Ausführungen nachvollziehen zu können. Pilgerreisen können als Besuche bedeutungsgeladener Orte definiert werden. Victor Turner definiert Pilgerorte als »›threshold,‹ [sic!] a place and moment ›in and out of time‹« (Turner 1973: 214). Pilgern hebt er als nicht alltägliches Ereignis hervor. Die Beteiligten erhoffen sich dabei, »to have direct experience of the sacred, invisible, or supernatural order, either in the material aspect of miraculous healing or in the immaterial aspect of inward transformation of spirit or personality«. Laut Turner sind Pilgerreisen außerdem in hohem Maße gemeinschaftsstiftend. Im Gegensatz zu Urlaubsreisen können Pilgerreisen darüber hinaus auch der Bildung von Identitäten dienen (Tšerkassova 2014: 119). Entgegen Victor Turners Vorstellungen sind Pilgerreisen jedoch nicht zwingend religiös zu verstehen. Die deutende Instanz kann sowohl eine Religionsgemeinschaft als auch ein staatliches System oder eine politische Gruppe sein, wie unter anderem in Untersuchungen zu Pilgerreisen in Ost- und Südosteuropa gezeigt wurde (vgl. Albera/Eade 2016; Giakoumis 2014; Tšerkassova 2014). Religiöse und politische Pilgerreisen unterscheiden sich folglich nicht aufgrund ihrer Funktion, sondern inhaltlich in Abhängigkeit von den Ideologien deutender und gegebenenfalls inszenierender Instanzen. Als politisch können Pilgerreisen dann bestimmt werden, wenn sie wie im kommunistischen Südosteuropa explizit ohne Bezug zu einer Religionsgemeinschaft, aber zur Implementierung der staatlichen Ideologie etabliert wurden, die sich von Religion distanziert. Auch ohne den Bezug zu Religion, können diese Ausflüge als Pilgerreisen charakterisiert werden, wenn das Kriterium des Besuchs bedeutungsgeladener Orte erfüllt ist. Darüber hinaus kann auch zwischen Pilgerreisen und Wallfahrt differenziert werden. Wallfahrt findet im Gegensatz zu Pilgerreise zu einem bestimmten Ort aus einem konkreten feierlichen Anlass und meist ohne Übernachtung statt (Gatzhammer 2012: 254f). Diese Unterscheidung ist laut Gatzhammer nur im deutschen Sprachgebrauch möglich. Allerdings gibt es diese Unterscheidung mindestens noch im Niederländischen, wo bedevaart der deutschen Wallfahrt und pelgrimsreis oder pelgrimstocht der Pilgerreise entspricht.1 Zudem ist Wallfahrt noch stärker als Pilgerfahrt religiös konnotiert. Zur Untersuchung der Besuche des Naum-Klosters trägt sie wenig bei, da Zeitpunkt, Dauer und Gestaltung von verschiedenen Faktoren abhängen und letztlich individuellen Entscheidungen unterliegen. Religiöse Pilgerreisen in theistischen Religionen im Sinne von Kulturfaktoren können neben der Anbetung Gottes auch mit der Verehrung weiterer 1 Ich danke Norbert Mappes-Niedick und Olga Witmer für die Hinweise.
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religiöser Mittlerfiguren, wie Heiliger, sowie mit Bitten um Heilung oder anderweitiger Hilfe verbunden sein. Die Begriffe in den lokalen Sprachen geben neben Einblicken in die Sprachgeschichte auch einen Eindruck davon, welche Aspekte für das Aufsuchen religiöser Orte wichtig sind. Für Pilgerreise und Wallfahrt werden im Mazedonischen und im Albanischen jeweils zwei Begriffe synonym verwendet: Im Mazedonischen sind es adžilak und poklonenie und im Albanischen haxhillëk und pelegrinazh.2 adžilak und haxhillëk leiten sich zwar von dem arabischen Begriff hajj ab, der die Pilgerfahrt nach Mekka bezeichnet. Die Ausdrücke können aber in beiden Sprachen sowohl christliche als auch muslimische Pilgerreisen bezeichnen. Die anderen beiden Begriffe, poklonenie und pelegrinazh, können demnach als christliche Pendants betrachtet werden. Allerdings werden auch diese nicht ausschließlich für christliche Pilgerreisen verwendet. Beispielsweise wird die jährliche Pilgerfahrt der Bektaschis auf den Tomorr auch eher als pelegrinazh denn als haxhillëk bezeichnet (EN 11.01.2017). Der albanische Begriff leitet sich vom Lateinischen peregrinus ab und hängt dementsprechend mit der Begriffsgeschichte westeuropäischer Entsprechungen zusammen (vgl. Albera/Eade 2016: 5-9). Das mazedonische poklonenie dagegen leitet sich von dem Verb pokloni ab, das »beugen« bedeutet und im religiösen Kontext im Sinne von »sich vor jemandem oder etwas verbeugen« verwendet wird. Im Albanischen ist zwar die entsprechende Verbalform përkulem auch in diesem Sinne gebräuchlich. Das dazugehörige Substantiv përkulje wird jedoch nicht als wertschätzende Verbeugung im religiösen Sinn verwendet. In dem Begriff poklonenie steckt außerdem das Wort »Geschenk« (maz. poklon), was ein Hinweis darauf ist, dass bei den Besuchen teilweise auch Gaben dargebracht werden. Neben diesen Verbalformen kann das Verb »pilgern« im Mazedonischen auch mit »gehen« (maz. odi) gebildet werden. Dazu wird der Ausdruck odi na mit poklonenie oder adžilak kombiniert. Der Ausdruck odi na poklonenie/adžilak bedeutet wörtlich »zur Verbeugung/Pilgerreise gehen«. Im Albanischen werden die genannten Substantive dagegen mit dem Verb »machen« (alb. bëj) gebildet. Außerdem gibt es noch die Begriffe litija (maz.) und procesion (alb.) zur Markierung einer Prozession, die jedoch für die Ereignisse am Kloster irrelevant sind.
2 Es gibt weitere Begriffe im Mazedonischen, um religiös motivierte Reisen zu bezeichnen, wie verski, religiozni und poklonički turizam oder odočestie (Girevski 2008). Girevski schreibt in diesem Zusammenhang, dass die Kirche den Tourismusbegriff oft vermeidet, um »die Glaubwürdigkeit der religiösen Bedeutung dieses Reisens« nicht zu minimieren. Die von Girevski aufgezählten Begriffe und Unterscheidungen sind mir bei der Feldforschung nicht begegnet, weswegen ich sie im Folgenden nicht berücksichtige.
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Insbesondere das im Mazedonischen gebräuchliche Vokabular zeigt, dass es weniger um den Weg zu einem Ort als vielmehr um die Verehrungspraktiken vor Ort geht. Diese Konnotation zeigt sich auch in anderen Sprachen orthodox geprägter Länder Südosteuropas (Baeva 2014: 82). Dafür spricht auch, dass in der Praxis wenige religiöse Orte mit einem längeren Weg verbunden sind, der zu Fuß bewältigt wird. Eine Ausnahme ist bis in die Gegenwart der Gipfel des Berges Tomorr, auf dem sich die Bektaschi-Türbe von Abbas Ali befindet (EN 21.08.2017). Gründe dafür, dass einige den Fußmarsch zum Gipfel auf sich nehmen, sind jedoch der nicht asphaltierte Weg und die Tatsache, dass nur wenige Menschen einen Geländewagen besitzen, der für den langen und steilen Weg geeignet ist. Die Beobachtung, dass im Untersuchungsfeld der Weg nicht das Ziel der Reise ist, sondern das Erreichen des Zielpunkts, steht im Gegensatz zu gegenwärtigen Tendenzen in Westeuropa. Hape Kerkelings Bestseller Ich bin dann mal weg verdeutlicht diese exemplarisch für sogenannte »Pilgernde« aus Deutschland. Kerkeling hat durch seine niedergeschriebenen Erfahrungen eine Welle an Nachahmungen ausgelöst (Gamper/Reuter 2012: 211). Markus Gamper und Julia Reuter zeigen in ihrer Studie, »dass im Laufe der letzten Jahre besonders die spirituellen Motive beim Pilgern immer wichtiger werden. [Pilgern] ist zu einer bedeutsamen Form der selbstinitiierten, nicht konfessionell gebundenen Sinn- und Selbstsuche unterwegs geworden« (Gamper/Reuter 2012: 228f). Religiöse Bindungen und kirchliche Vorstellungen sind dabei weniger ausschlaggebend. Hubert Knoblauch und Andreas Graff setzen Kerkelings Erfahrungen in den größeren Kontext einer »populären Spiritualität«. Sie bezeichnen Kerkeling »mit seiner Pilgerreise […] geradezu [als] das Musterbeispiel gegenwärtiger Spiritualität«, dessen Buch »die Haltung seiner Leserschaft« ausdrücke (Knoblauch/Graff 2009: 725f). Die Suche nach Transzendenzerfahrungen ist ihrer Meinung nach aufgrund der Anzahl derjenigen, die sie machen und davon berichten, Teil einer solchen populären Spiritualität (Knoblauch/Graff 2009: 744). Die verschiedenen Formen spiritueller Erfahrungen, die nicht zwingend theistischer Natur sind, sind ein weiteres Merkmal dieser populären Spiritualität. Popularität bedeutet ihrer Meinung nach, »dass sich die Grenzen der Religion bzw. des religiösen Feldes selbst auflösen (Knoblauch 2008). Es heißt keinesfalls, dass die Religion als halbwegs markierter institutionalisierter Bereich verschwindet. Es bedeutet aber, dass sich neben sie andere Formen stellen, die deswegen auch eine andere Bezeichnung erhalten. Durch [die anderen Formen] öffnet sich ein fließender Übergang in die allgemeine, besser: populäre Kultur – eine populäre Entgrenzung, der wir nicht nur wissenschaftlich mit der Ausweitung des Religionsbegriffes
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Rechnung tragen, sondern auch die von den Menschen durch die Verwendung des Begriffes der Spiritualität angezeigt wird.« (Knoblauch/Graff 2009: 744)3
Überdies stellte Josef Langer in einer Studie über deutsche und österreichische Pilgerorte in Osteuropa fest, dass Pilgern viele Parallelen zu alternativen Lebensweisen aufweist (Langer 2014: 141). Es bietet zum Beispiel die Möglichkeit, sich durch Entschleunigung der belastenden Alltags- und Berufswelt ein wenig zu entziehen. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass es auch im Untersuchungsfeld Pilgernde gibt, deren Motivationen spiritueller Natur sind oder der populären Spiritualität zugeordnet werden können, was allerdings zur Überprüfung einer fortführenden Studie bedürfte. Solche spirituellen Pilger:innen sind mir nicht begegnet. Von Pilgernden lassen sich andere Besucher:innen unterscheiden, deren Reise zum Kloster als touristischer Ausflug beschrieben werden kann. Die Unterscheidung basiert auf den jeweiligen Motivationen der Reisenden. Äußeres Erscheinungsbild und Handlungen lassen dagegen auf den ersten Blick kaum differenzierende Rückschlüsse zu. Im Allgemeinen zählen Pilgernde zur Gruppe der Reisenden, die neben wirtschaftlichen oder politischen Gründen auch »primär touristische[] Motivationen« aufweisen können (Freyer 2015: 81-89). Dazu gehören zum Beispiel Erholung und Vergnügen, Vergemeinschaftung sowie Urlaub zum Zweck der Bildung oder des körperlichen Ausgleichs. Entsprechend lassen sich diese Motivationen auch bei Besucher:innen religiöser Orte feststellen. Neben den Pilgernden bilden Religionstourist:innen eine weitere Gruppe unter den Besucher:innen am Naum-Kloster. Die Grenzen zwischen beiden Gruppen sind jedoch bereits seit dem Mittelalter fließend (Katić et al. 2014a: 15f). Berichten über organisierte Pilgerreisen nach Israel zufolge wurde schon damals teilweise mehr Wert auf die Anzahl der zu besichtigenden Orte als auf die Intensität des Gebets und der Gotteserfahrung gelegt. Geschuldet war dies sicherlich dem Umstand, dass Reisen lange dauerten und kostspielig waren, so dass viele Menschen meist nur einmal im Leben nach Israel reisten – wenn sie es sich überhaupt leisten konnten. Die Frage, welches Verhältnis zwischen religiösem Tourismus und Pilgerreisen besteht, wird in der gegenwärtigen Forschung unterschiedlich beantwortet (Katić et al. 2014a: 18). Gelegentlich werden Pilgerreisen als eine Form von religiösem Tourismus betrachtet, weil sich die Merkmale stark über3 Der Knoblauch und Graff zugrundeliegende Begriff von »Religion als halbwegs markierte[m] institutionalisierte[m] Bereich« entspricht dem, was Anne Koch in ihrem Religionskonzept als Kulturelement bezeichnet würde. Insofern sei die Definition nicht mit dem der vorliegenden Ethnographie zugrundeliegenden Religionsbegriff zu verwechseln.
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schneiden: »›Religious tourism‹ is a term that has come to define a movement towards places understood as religious heritage, a cultural construct framed by space and by time, an idea, an image, a building or landscape, a route: in sum, objects of memory and devotion« (Chemin 2011: 56). Eine Differenzierung der Klosterbesucher:innen erfordert eine Arbeitsdefinition, die sich nicht nur auf die Aktivitäten, sondern auch auf die Motivationen bezieht. Allgemein kann religiöser Tourismus dem Kulturtourismus als Unterkategorie zugerechnet werden (Gatzhammer 2012: 254). Kulturtourismus wiederum ist eine Form des Urlaubs- und Freizeittourismus, wobei Reisen ein Konsumgut darstellt, das dem Vergnügen dient (Freyer 2015: 102-104). Ich verwende im Folgenden den Begriff »Religionstourist:innen« anstelle von »religiöse Tourist:innen« als Übersetzung des englischen Ausdrucks »religious tourists«. Denn die wörtliche Wiedergabe als »religiöse Tourist:innen« birgt die Gefahr des Missverständnisses, die Religiosität der Reisenden stünde im Vordergrund. Dies wird anhand weiterer religiös motivierter Fahrten deutlich, die weniger touristisch angehaucht sind. In seiner Monographie Religion und moderner Tourismus, die vielfältige Zusammenhänge aufdeckt, listet der Religionswissenschaftler Michael Stausberg folgende Beispiele für religiöse Reisen auf, ohne sie ausführlicher zu erläutern: »Religiöse Aus- und Weiterbildungen, Besuch religiöser Autoritäten, Besinnung und Meditation, Buße, Heilung, Mission, Karitas, Teilnahme an religiösen Festen und Ritualen [sowie] Teilnahme an sonstigen religiösen Veranstaltungen (z.B. Kirchentag oder Weltjugendtag)« (Stausberg 2010: 20-22). Religionstourist:innen zeichnen sich jedoch durch ihr Interesse an Religion und religiösen Phänomenen als Teil von Kulturen aus und sind daher dem Typ der Bildungs- und Besichtigungsurlauber:innen zuzuordnen. Das Interesse an Religion und religiösen Phänomenen kann neben Religionsgeschichte zum Beispiel auch Kunst und Architektur umfassen. Ebenso wie Pilgernde gehören Religionstourist:innen nicht notwendigerweise selbst der religiösen Tradition an, von der ihr Ausflugsziel geprägt ist. Dragica Popovska unterscheidet zwischen »visitors who seek spiritual experience [and] tourists wanting to learn about culture and traditions of the local community« (Popovska 2014: 71). Religionstourist:innen sind Vertreter:innen des Urlaubs- und Freizeittourismus. Urlaubs- und Freizeittourist:innen unterscheiden sich in erster Linie nicht durch ihre Motivation. Walter Freyer betont, »dass die im Deutschen übliche Gleichsetzung von ›Urlaub‹ und ›Reisen‹ nicht voll zutreffend ist. Zum einen ›muss‹ in der Urlaubsfreizeit nicht zwangsläufig gereist werden, zum anderen kann auch in anderen ›Frei-Zeiten‹ gereist werden.« (Freyer 2015: 69)
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Urlaubs- und Freizeittourist:innen haben grundsätzlich selten nur eine Motivation für ihre Reise (Freyer 2015: 84f). Zu den gängigen Gründen zählen Erholung und Entspannung, Vergnügen, sportliche Aktivitäten, die Erkundung von Kultur und Natur sowie das Treffen von Familie und Freundeskreis. Infolgedessen kommen Urlaubs- und Freizeit- sowie die Unterkategorie der Religionstourist:innen ebenso wie Pilgernde kaum in Reinform vor. Stattdessen vermischt sich die Kategorie der Religionstourist:innen mit anderen Urlaubs- und Freizeittourismustypen, was eine Einteilung schwer möglich macht (Freyer 2015: 103f). Pilgernde und Religionstourist:innen unterscheiden sich daher hinsichtlich ihrer Motivation, religiöse Orte aufzusuchen. Gemeinsam sind ihnen jedoch nicht-religionsaffine Interessen und Verhaltensweisen der Freizeitgestaltung. Urlaubsreisende in Ohrid und im Klosterkomplex kommen sowohl aus den jugoslawischen Nachfolgestaaten als auch aus Bulgarien und der Türkei sowie aus Westeuropa. Vor allem orthodoxe Besucher:innen aus den Balkanstaaten kommen stärker religiös motiviert zum Kloster. Dazu gehören auch Nachkommen von nach Westeuropa ausgewanderten orthodoxen Südosteuropäer:innen. Diese reisen zum Großteil individuell und verbringen ihren Urlaub teilweise mit und bei Verwandten. Mit ihrem Besuch des Klosters können sie zum Beispiel auch nostalgische Erinnerungen an den gemeinsamen jugoslawischen Staat verbinden. Es findet sich zudem eine große Anzahl Individualreisender aus Westeuropa ohne südosteuropäische Wurzeln. Organisierte internationale Reisgruppen stammen vor allem aus der Türkei und den Niederlanden. Diese sind wie viele westeuropäische Individualreisende eher den Religions- und Kulturtourist:innen zuzurechnen. Vor allem für türkische Staatsbürger:innen ist Mazedonien ein beliebtes Reiseland, weil es relativ günstig ist und weil sie seit 2012 kein Visum zur Einreise benötigen (BYEGM 2012). Bei niederländischen Reisenden hat sich speziell Ohrid als eine beliebte Urlaubsgegend etabliert (EN 30.06.2018). Neben den niedrigen Preisen beeinflusste auch die direkte Fluglinie von Amsterdam und Maastricht nach Ohrid in der Sommersaison die hohen Zahlen niederländischer Tourist:innen in der Umgebung (Corendon 2019). Das Zusammentreffen verschiedenartiger Motivationen zeigt sich auch im Naum-Kloster: Anhand der inneren Raumordnung des Klosters werden nicht verschiedene Reisetypen, sondern verschiedene Interessen und Aktivitäten erkennbar. Während am religiösen Kern des Ortes in erster Linie Motivationen von Pilgernden und Religionstourist:innen erkennbar sind, dominieren im restlichen Klosterkomplex nicht religiöse Reisemotive. Überdies werden der religiöse Kern und der touristische Freizeitbereich des Klosterkomplexes als zwei räumlich voneinander getrennte Bereiche erkennbar. Dies möchte ich in den folgenden Abschnitten darlegen und anschließend den Zusammenhang der ineinander übergreifenden Übergänge einzelner Klosterbereiche und der Besuchsmotivationen reflektieren.
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7.2 D ER RELIGIÖSE KERN ALS ZIEL VON PILGERREISEN UND RELIGIONSTOURISMUS Historisch und der inneren Raumordnung nach ist Naums Grab der religiöse Kern des Klosters und demnach auch das Ziel der meisten Klosterbesucher:innen. Da das Grab im Inneren der Klosterkirche liegt, ist der Besuch des Grabs kaum vom Besuch der Kirche zu trennen, was sich auch in der folgenden Darstellung widerspiegelt. Die Interessen, Grab und Kirche aufzusuchen, unterscheiden sich sowohl je nach religiöser Prägung als auch je nach der Herkunft der Besucher:innen. Infolgedessen kann in diesem Klosterbereich auch am deutlichsten zwischen Religionstourismus und Pilgerreisen unterschieden werden. Religiöse Motivationen, das Naum-Kloster aufzusuchen, und christlich-orthodoxe Handlungen zeigen sich während Naums Feiertagen im Sommer am 3. Juli und im Winter am 5. Januar in unterschiedlicher Intensität. Zu Naums Winterfeiertag am 5. Januar sowie am Abend zuvor sind die religiösen Motivationen und Handlungen deutlicher zu erkennen als am 3. Juli. Am 3. Juli vermischen sich religiöse Motivationen und Handlungen stärker mit touristischen. Dafür gibt es zwei Gründe: Einerseits markiert der Sommerfeiertag einen Höhepunkt der allgemeinen Tourismussaison von April bis September, während der Winterfeiertag im Januar außerhalb der allgemeinen Reisezeit liegt. Andererseits ist der 5. Januar gleichzeitig Naums Todestag und somit der ursprüngliche und bis 1727 auch der einzige Feiertag. Damals verschob der Ohrider Erzbischof den Winterfeiertag wegen der schlechten Witterungsbedingungen zugunsten der Pilgernden auf den 3. Juli und führte somit offiziell einen Sommerfeiertag für Naum ein (Grozdanov 2015: 267; Peyfuss 1996: 170). Im Vergleich zum 3. Juli wird am 5. Januar jährlich deutlich, dass das Aufsuchen des Klosters im Kern christlich-orthodox motiviert ist. Denn im Gegensatz zum Sommerfeiertag fehlen alle Freizeitangebote vor Ort, denen im Sommer nachgegangen werden kann. Alle Handlungen und Gegenstände weisen zum Winterfeiertag einen Bezug zur Klosterkirche auf und stehen in der Symboltradition der christlich-orthodoxen Deutung des Ortes: Am 4. Januar 2017 war es still am Kloster, das Hotel war geschlossen, die Souvenirhütten verriegelt, die Besucher:innen blieben aus (EN 04.01.2017). Nur wenige Menschen aus der näheren Umgebung machten sich am Vorabend des Gedenktags auf den Weg zum Kloster. Dort fand der traditionelle, einstündige Gottesdienst statt, den der einzige im Kloster lebende Mönch mit ein paar weiteren Klerikern aus Ohrid und Umgebung gestaltete. Am Ende des Gottesdienstes wurde neben Brot auch gekochter Weizen an die Anwesenden verteilt, der mit Nüssen, Zucker und Zimt zubereitet war. Anschließend lud der Archimandrit zum Abendessen in das Klosterrestaurant ein, das eigens zu diesem Anlass während der Win-
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terpause in Betrieb genommen wurde. Es wurden in Essig eingelegtes Gemüse (maz. turšija), Kartoffelsalat und Bohnensuppe gereicht, weil Naums Feiertag in der Fastenzeit vor dem 6. Januar liegt, an dem in Mazedonien das Weihnachtsfest in der orthodoxen und der byzantinisch-katholischen Kirche gefeiert wird. Traditionell verzichten Orthodoxe in dieser Zeit auf Fleisch sowie teilsweise auch auf Öl und Milchprodukte. Zum Trinken wurden Wasser und regionaler Schnaps (maz. rakija), meist aus Trauben gebrannt, bereitgestellt. Wein dagegen wurde nicht angeboten, obwohl er ebenfalls aus Trauben hergestellt ist. Es heißt, wer in der Fastenzeit kein Öl zu sich nimmt, soll auch keinen Wein trinken. Am 5. Januar begann der Gottesdienst, den der Priestermönch wieder gemeinsam mit einigen Kollegen zelebrierte, um 8:30 Uhr vormittags (EN 05.01.2017). Die meisten Besucher:innen kamen aus Mazedonien, vor allem aus Ohrid und vereinzelt aus großen Städten wie Skopje, wie die Autokennzeichen erkennen ließen. Zudem fanden sich einige albanische Familien unter den Festgästen, die sich nicht in ihrem Verhalten, sondern allein aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse unterschieden, die sie dazu nötigten, sich allein mit Gestik und Mimik zu verständigen, um beispielsweise Kerzen zu kaufen. Vor der Kirche zündeten die Besucher:innen Kerzen an, gingen anschließend in die Grabkapelle, um dort Geld, Öl sowie Kleidung abzulegen und den Herzschlag des Heiligen zu hören. Anschließend drängten sich die Menschen in den Gottesdienstraum, der zu klein ist, um allen Gästen Platz zu bieten. Vor allem Kinder wurden dabei nach vorne gelassen. Wer es schaffte, bis zur Naum-Ikone vorzudringen, legte auch dort Geld oder einen kleinen getrockneten Strauß einer Basilikumart (maz. bozilok) ab. Basilikum soll einen gutriechenden Duft verbreiten, der den Heiligen ehrt. Die Kleriker verwendeten getrocknetes Basilikum auch bei der Wasserweihe als Abschluss des Gottesdienstes vor der Kirche. Nach der Wasserweihe wurden wie am Vorabend gesegnete Brote (maz. nafori) und gekochter Weizen unter den Anwesenden verteilt. Die Brote wurden kreuzförmig aufgeschnitten und ein Schluck Wein hineingegossen. Außerdem gab es warmen Schnaps. Die Anwesenden füllten sich geweihtes Wasser ab, um es mit nach Hause zu nehmen. Die Handlungen, die sich an dem rituellen Ablauf der Gottesdienste orientieren, lassen die religiösen Motivationen der Besucher:innen nur im Kontext und im Unterschied zum Sommerfeiertag klar erkennbar werden. Im Gegensatz zum Sommerfeiertag werden keine Alternativen der Freizeitgestaltung angeboten, die andere Motivationen vermuten lassen. Von den Winterfeiertagsbesucher:innen kann folglich behauptet werden, dass sie Gläubige (maz. vernici) und somit aufgrund ihrer Motivation als Pilgernde einzustufen sind. In Anlehnung an die Ausführungen des mazedonischen Soziologen Zoran Matevski lässt sich ein weiteres Indiz für diese These anführen. Denn obwohl die Anzahl orthodoxer Gläubiger statistisch anstieg, beziehen sich diese Angaben seiner Meinung nach nicht auf
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»convinced believers, but the number of traditional believers« (Matevski 2011: 121). Zudem meint Matevski, dass es kaum 10% »of real convinced believers (those who accept everything said by the Orthodox faith)« unter der orthodoxen Mehrheit gebe. Die Annahme, der Besuch sei zumeist religiös motiviert, wird außerdem durch die Einstellung der lokalen Bevölkerung gegenüber den Witterungsbedingungen gefördert. Die Mehrheit der lokalen Bevölkerung zieht es vor, das Haus bei Kälte, Eis und Schnee nicht zu verlassen. Bereits früher scheinen die Wetterbedingungen und die Entfernung ein Grund für das Fernbleiben vieler Gläubiger gewesen zu sein, weswegen die Verlegung des Feiertags in den Sommer durch der Erzbischof Joasaph im Jahr 1727 auch als Maßnahme zum Schutz der Pilgernden interpretiert wurde (Grozdanov 2015: 267; Peyfuss 1996: 170). Allerdings stellten weder die Wetterbedingungen noch die Distanz zum Kloster unüberwindbare Hindernisse dar. Davon zeugt auch die Erzählung eines Ehepaars aus dem Nachbardorf Peštani, das zur Vorabendmesse des Winterfeiertags zum Naum-Kloster ging (EN 04.01.2017). Früher, als es noch keine Busse oder Taxis gab und nicht jede Familie ein Auto hatte, gingen sie zu Fuß zum Kloster. Selbst im Winter seien sie damals zum Kloster gelaufen. Sie machten sich gegen Mitternacht auf den etwa vier Stunden dauernden Weg zum Kloster, das sie dann gegen 5:00 Uhr morgens erreichten. Die Zeit, an die sie sich erinnern, ist die Zeit im sozialistischen Jugoslawien, als das Kloster als Museum genutzt wurde. Damals gab es keinen Geistlichen und deswegen auch keine Liturgie. Der Mann aus Peštani betonte, sie seien damals »zur Ehre« (maz. za čest) des Heiligen zum Kloster gegangen. Der Besuch des Klosters von wenigen Personen und den schwierigen Umständen zum Trotz kann folglich mit Matevski als Zeichen dafür gedeutet werden, dass es sich bei den Besucher:innen um »convinced believers« handle. Entgegen der etymologischen Erklärung des mazedonischen Begriffs poklonenie als Verbeugung im Sinne der Verehrung geht aus der Argumentation des Gesprächspartners hervor, dass auch der Weg, der bewältigt werden muss, relevant ist, um das Grab zu erreichen. Der Weg ist zwar nicht das Ziel, aber seine Bewältigung ist ein Teil der Verehrungspraxis. Während des Winterfesttags, dem ursprünglichen Feiertag zum Gedenken an Naums Todestag, liegt der Schwerpunkt der Besucher:innen auf den christlich-orthodoxen Praktiken. Dennoch nahm in jüngerer Vergangenheit auch zum Winterfeiertag die touristische Dimension leicht zu. Dazu trugen auch zwei Schiffe bei, die nach dem Ende des offiziellen Gottesdienstes von Ohrid zum Kloster fuhren, obwohl während der Winterzeit der Verkehr eingestellt ist (EN 05.01.2017). Die Ausrichtung der christlich-orthodoxen Festtagsakte im Juli ist identisch mit denen im Januar. Die Feierlichkeiten in der Kirche unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Anzahl der Besucher:innen. Außerdem richtet sich die Haupt-
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richtung noch stärker auf das Grab als im Winter. Ähnlich wie im Januar ist auch im Juli eine wichtige Strategie, um schneller ans Ziel zu kommen, der Verweis darauf, dass Kinder dabei sind. Je jünger die Kinder sind, desto mehr Verständnis scheinen die Männer zu haben, die die Besucher:innenmasse sicher durch die Kirche schleusten (EN 02.07.2018). Sie ließen die Besucher:innen mit Kindern im Bereich des Vordereingangs durch die Absperrung in die Warteschlange treten, wodurch sich die Wartezeit erheblich verkürzte. Der Gottesdienst konnte auch deswegen kaum von den Gläubigen besucht werden, weil es viel zu lange dauerte, in das Innere der Kirche zu gelangen. Die Wartezeit ließ sich zudem schwerlich abschätzen. An der Verteilung von einer gekochten Weizenspeise, Brot und geweihtem Wasser im Anschluss an den Festtagsgottesdienst am 3. Juli hingegen konnten wieder mehr Besucher:innen teilhaben, weil es mehr Platz auf dem Hof als im Kircheninneren gab, so dass sich die Menschen einfacher bewegen konnten. Das Verteilen der Gaben dauerte auch nicht so lang wie die Feier eines ganzen Gottesdienstes. Gleichzeitig ist die Verteilung eine Zuwendung zum Einzelnen und somit wie der Besuch des Grabs individueller und etwas sinnlich Erlebbares, das im Gottesdienst weniger möglich ist (Abb. 7). Zum Sommerfeiertag finden sich im Innenbereich des Klosterkomplexes weitere religiös gedeutete Aktivitäten, die jedoch von der offiziellen Perspektive der
Abb. 7: Naums Grab. Ein Besucher kniet vor dem Grab nieder, bevor er das Ohr auf die Grabplatte legt, um das Herz schlagen zu hören.
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Kirchenvertreter abweichen. Im Mittelpunkt steht für die meisten Besucher:innen im Sommer nicht mehr die Teilnahme am Gottesdienst, sondern das Aufsuchen des Grabes. Damit geht das Ablegen von Votivgaben für den Heiligen am Grab einher. Joan Pelushi, der Metropolit aus Korçë, erklärte: »In one way, it’s a [sic!] old belief like you offer something to God. Although it’s not something Christian in the sense that we don’t do sacrifice to, the blood is sacrifice. […] We don’t deny the people to eat lamb, but a part of offering. So, the true offering at the Christian church is the holy Eucharist, the bloodless, without blood. […] the people want to offer something. But [it is] not part of our liturgy.« (Pelushi 2016)
Eine besondere Art von Votivgaben ist das Darbringen von Lämmern. Obwohl sie anschließend nicht geschlachtet werden, meinte der Archimandrit Nektrarij trotzdem, die Lämmergabe als Überreste der alttestamentlichen und paganen Opferrituale oder als muslimischen Einfluss identifizieren zu können (Nektarij 2016). Diejenigen, die dem Heiligen ein Lamm (maz. jagne) schenken, bewerten ihre Handlung dagegen als Teil der Verehrungspraxis am Kloster, die über die Jahrhunderte hinweg zur Tradition wurde. Nicht immer wird dabei deutlich, ob es sich um eine religiöse oder kulturelle Tradition handelt. Ein Gesprächspartner aus Bitola, der jedes Jahr mehrere Lämmer zum Kloster gebracht hat, betonte zum Beispiel, es gehe ihm nur um den Akt als Ausdruck seiner Dankbarkeit (Bitolčanec 2016). Das wird auch daran deutlich, dass er lediglich für diesen Akt anreiste. Obwohl er sich selbst stark in der christlich-orthodoxen Tradition verankert wusste, verließ er das Klosterareal, ohne am Gottesdienst teilgenommen zu haben (EN 02.07.2016). Er befürchtete, dass er mit den Lämmern zur touristischen Attraktion würde, wenn er in die Masse der Festtagsbesucher:innen geriete. Abgesehen davon, dass das Umrunden der Kirche mit den Lämmern für Besucher:innen aus westeuropäischen Ländern exotisch erscheinen mag, gewann diese Praxis durch die musikalische Begleitung durch eine Roma-Band zusätzlich an touristischer Attraktivität. Manchmal entschieden sich Zuschauer:innen spontan dazu, selbst auch einmal das Lamm um die Kirche zu führen (EN 02.07.2018). Die Möglichkeit des rent a jagne (EN 12.07.2018) bestand ausnahmslos für alle, sowohl für diejenigen, die religiös motiviert zum Kloster kommen, als auch für diejenigen, die das Kloster als Religionstourist:innen aufsuchen. Teilweise waren es auch nur die Roma-Musiker und ihre Musikinstrumente im Klosterhof, die Interesse bei den Besucher:innen weckten. Am Morgen des 2. Juli 2018, als die Festlichkeiten noch nicht begonnen hatten, besuchte zum Beispiel eine türkische Reisegruppe das Kloster. Die Roma-Musiker hatten ihre Instrumente abgestellt und sich auf eine Bank gesetzt, während sie auf die ersten warteten, die ein Schaf um die Kirche führen wollten. Eine Frau aus der türkischen Reisegruppe griff
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zu einer der großen Trommeln (maz. tapan), begann darauf zu spielen und ließ sich von den anderen fotografieren. Die Roma-Musiker standen auf, nahmen ihre Instrumente und spielten für die Gruppe einige Melodien, sodass diese zu tanzen begannen und den Musikern wie bei einer Hochzeit Geld zusteckten. Daran zeigt sich, dass sich bereits im Innenbereich des Klosters die Interessen der religiösen und Religionstourist:innen mit der Vergnügungsmotivation der Urlaubs- und Freizeittourist:innen überschneiden. Es liegt nahe zu vermuten, dass die jugoslawischen Bemühungen, das Kloster zu einem touristischen Ausflugsziel umzuwandeln, insbesondere bei der muslimischen Bevölkerung griffen und deren Motivationen veränderten. Diese Annahme bewahrheitet sich jedoch nur teilweise. Qazim, ein etwa 60-jähriger albanischer Bektaschi aus Dolna Bela Crkva, einem Dorf bei Resen, erinnerte sich, dass er bereits als kleines Kind mit der ganzen Familie zum Feiertag am 3. Juli das NaumKloster besucht habe (EN 10.01.2017). Die albanischen Bektaschis aus der Gegend um den Prespa-See sind unter der Bezeichnung kolonjari bekannt, weil ihre Vorfahr:innen aus der Gegend Kolonjë, südlich von Korçë, stammten. Laut Qazim soll Ali Pascha Tepelenë (1741-1822) selbst Bektaschi gewesen sein und vor etwa 300 oder 350 Jahren den Vorfahr:innen der kolonjari das unbesiedelte Land südlich von Resen gegeben haben, damit sie den Glauben der Bektaschis weiter verbreiteten (vgl. Svetieva 1993: 101f). Das Naum-Kloster hatte einen besonderen Stellenwert für die kolonjari. Qazim meinte, das Kloster sei in seiner Kindheit kako našiot manastir, »wie unser Kloster« (EN 10.01.2017). Wer von den kolo njari nicht zum Kloster gegangen sei, habe es sich finanziell nicht leisten können. Aufgrund der Distanz zwischen dem Herkunftsdorf und dem Kloster übernachteten die meisten von ihnen am Kloster. Qazim argumentierte über die pragmatische Begründung hinaus und betonte die religiöse Qualität der Übernachtung: Das sei gut für die Seele. Diese Begründung zeugt eindeutig von der religiösen Motivation der kolonjari-Bektaschi, die auch in weiteren Handlungen und Interpretationen erkennbar wird. Das Ziel der kolonjari war wie für die christlichen Besucher:innen das Grab im Kircheninneren. Als Zeichen der Verehrung berührten sie das Grab dreimal mit dem Mund. Ob sie auch das Ohr auf die Grabplatte legten, um den vermeintlichen Herzschlag des Heiligen zu hören, erzählte der Gesprächspartner nicht. Stattdessen berichtete er, dass die kolonjari das grüne Tuch auf dem Grab als Zeichen (maz. znak) deuteten, dass es kein christliches, sondern ein Bektaschi-Grab sei. Ob es sich dabei um das Grab von Sarı Saltuk handle, wusste er nicht. Anders als die Christ:innen umrundeten die kolonjari die Kirche nicht mit Lämmern, spendeten aber an zwei Stellen im Kloster Geld. Die Praxis der Christ:innen, Essen und Trinken auf das Grab zu legen, empfand Qazim als »fanatisch«. Seiner Meinung nach demonstrierten diese dadurch von sich überzeugt und provokativ ihre Macht
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gegenüber anderen. Die Bektaschis tun das nicht, meinte er. Dass Bektaschis das Kloster immer noch besuchen, ist auch unter einigen Christ:innen bekannt. Stojan Risteski dokumentierte ihr Verhalten in seinem Buch Čudata na Sveti Naum, das inmitten von anderer christlich-orthodoxer Literatur im Klosterladen ausliegt und somit vor allem die christliche Leser:innenschaft informieren will. Er schreibt, dass die Bektaschis ihre Schuhe vor dem Klostertor abstellten und sich verbeugend in die Kirche gingen und rückwärts mit dem Gesicht zur Kirche wieder herauskämen (Risteski 2009: 87f). Über das Verhalten und die Motivationen von Sunnit:innen ist im Allgemeinen weniger bekannt. Das trifft vor allem auf die Albaner:innen Mazedoniens zu. Im Unterschied dazu behauptet Risteski über die Türk:innen aus Mazedonien zumindest, dass diese Naum als »unseren Vater« bezeichnen würden (Risteski 2009: 88). Darüber hinaus gibt es einige Wundergeschichten über Türk:innen und Albaner:innen, die von Naum geheilt wurden (Risteski 2009: 104). Obwohl die vorliegende Studie keinen Anspruch auf Repräsentativität erhebt, fällt auf, dass mir während der Feiertage niemand aus diesen beiden Gruppen am Kloster begegnete, der oder die von sich behauptet hätte, aus religiösen Gründen zum Heiligen oder zum Kloster gekommen zu sein. Eine Ausnahme war ein türkischalbanischer Sunnit aus Bitola, der mit einer mazedonischen Christin verheiratet ist. Neben religiösen Aktivitäten in und an der Klosterkirche widmete sich das Paar jedoch in erster Linie dem Verkauf von Kleidung und Schmuck an ihrem Stand auf dem Jahrmarkt (maz. panaǵur; alb. panair). Anders verhält es sich dagegen mit der Gruppe der Roma aus Mazedonien, die aus verschiedenen Orten und mit verschiedenen Motivationen anreisen, was auch mehrere Erzählungen der lokalen Bevölkerung belegen (Risteski 2009: 77, 87). Im Gegensatz zu anderen sunnitischen Bevölkerungsgruppen habe ich mehrere Roma getroffen, die erklärten, sich wegen ihres Glauben an Naum zu ihm auf den Weg gemacht zu haben. Die meisten zündeten auch Kerzen an und besuchten das Grab, aber wenige umrundeten die Kirche mit einem Lamm. Roma können demnach auch eindeutiger religiöse Motivationen zugeschrieben werden als anderen sunnitisch geprägten Bevölkerungsgruppen. Die ihnen zugeschriebene religiöse Indifferenz und Flexibilität hat jedoch Grenzen hinsichtlich eindeutiger christlicher Praktiken. Von den Roma oder den anderen sunnitischen Gruppen besuchte niemand die Gottesdienste, weder zum Winter- noch zum Sommerfeiertag. Auch bekreuzigten sich die aus Mazedonien stammenden Sunnit:innen nicht. Etwas anders sieht es unter den sunnitischen Besucher:innen aus Albanien aus. Unter ihnen sagten vor allem Frauen, die mit Christen verheiratet sind, dass sie nicht nur Kirchen besuchten und Kerzen anzündeten, sondern auch am Gottesdienst teilnähmen und sich bekreuzigten (EN 12.07.2016). Die Mehrheit der sunnitischen Albaner:innen suchte
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das Kloster jedoch weniger religiös motiviert auf und verstand den Besuch eher als eine vergnügliche Tradition, die sie weiter pflegen. Während bei den Besucher:innen aus der unmittelbaren oder weiteren Umgebung der Besuch am Grab im Kircheninneren die Hauptmotivation darstellt, sind für internationale Tourist:innen oft kunsthistorische und/oder architektonische Aspekte der Klosterkirche interessanter. Zum Beispiel besuchte ein Künstler aus Ägypten, der in Paris lebte, das Kloster, weil er von der Schönheit der Fresken gehört hatte (EN 07.07.2016). Eine weitere Kunstinteressierte kam aus dem asiatischen Raum, um die Fresken der Kirche Sveti Atanasij zu studieren (EN 19.06.2016). Die Kirche Sveti Atanasij befindet sich ebenfalls im Klosterkomplex, ist jedoch etwas abgelegen vom Hauptschauplatz. Andere internationale Tourist:innen besuchen das Kloster vor allem deshalb, weil es in ihrem Reiseführer als eine der schönsten Sehenswürdigkeiten erwähnt wird. Die wenigen Informationen, die sie über das Kloster haben, beeinflussen auch ihr Verhalten und ihre Erwartungen. Eine vierköpfige Familie aus Chemnitz besuchte das Kloster einen Tag nach dem Sommerfeiertag (EN 04.07.2018). Da sie eine hübsche Unterkunft im Nachbardorf Ljubaništa gefunden hatte, habe sie am Vortag zwar mitbekommen, dass viele Menschen zum Kloster fuhren, wussten aber nicht warum. Lediglich die beiden jüngeren Personen betrachteten die Kirche von innen. Die junge Frau berichtete ihren Eltern, es gebe alte Ikonen und Fresken im Kircheninneren zu sehen. Allerdings sei es sehr dunkel und die Bilder seien teilweise stark beschädigt. Für die beiden älteren Familienmitglieder würde sich der Besuch der Klosterkirche nicht lohnen, da deren Sehkraft sehr nachgelassen habe. Der hierbei deutlich werdende Religionstourismus ist mit dem Interesse verbunden, authentisches religiöses Kulturerbe zu erleben. Gleichzeitig ist die Vorstellung eines Klosters auch mit Ruhe und Erholung verbunden, wobei sich die Motivationen des Religionstourismus mit denen von Urlaubs- und Freizeittourismus stark überschneiden. Der Familienvater aus Chemnitz charakterisierte das Kloster als »nicht so touristisch überlaufen« und »unberührt« (EN 04.07.2018). Allerdings war der Klosterkomplex in den Tage zuvor durchaus »touristisch überlaufen«, wenn auch durch den religiös konnotierten Lokaltourismus und nicht hauptsächlich durch internationale Kulturtourist:innen. Die Ergänzung »unberührt« zielt auf die Authentizität ab, die durch einen fehlenden Einfluss westlicher Standards erhalten blieb. Sie bezog sich dabei jedoch nicht nur auf die historisch gewachsenen Kulturgüter, wie die Fresken im Inneren der Kirche, sondern auch auf die natürliche Umgebung. Der Klosterkomplex wird demnach als Einheit und im weiteren naturräumlichen Kontext verstanden. Sein Interesse daran, die Authentizität aufrecht zu erhalten, drückte er in der Bitte aus, ich möge diesen Ort in Deutschland nicht weiterempfehlen.
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Die Informationen über die Klosterkirche, die Individualreisende aus Reisehandbüchern und Reisegruppen von ihren Reiseleitern erhalten, können stark variieren. Ein alleinreisendes Paar aus Wien war über die Feierlichkeiten am 2. und 3. Juli sehr überrascht (EN 04.07.2018). Sie hatten sich zwar mithilfe eines Reisehandbuchs über das Kloster informiert, konnten diesem aber nur entnehmen, dass es im September und im Januar einen Feiertag am Kloster gebe. In anderen Reisehandbüchern fehlt sogar diese Information (von Oppeln 2018: 134f). Stattdessen werden holzschnittartig und verkürzt ein historischer Überblick über das Kloster und Legenden um den Heiligen sowie Informationen zur Anreise, Unterkunft und Restaurants geboten. Im Gegensatz zu knapp gehaltenen Informationen in manchen Reisehandbüchern genießen geleitete Reisegruppen den Vorteil, weitere Informationen von der Reiseleitung zu erhalten. Vor allem die ausschließlich männlichen Leiter türkischer Gruppen informierten diese sowohl über die Geschichte des Klosters als auch über das Sarı-Saltuk-Narrativ, das vor allem im kollektiven Gedächtnis der lokalen türkischen Bevölkerung blieb (EN 06.07.2016/02.07.2018). Da Sarı Saltuk auch in der Türkei keine unbekannte Figur ist, wird den Reisenden aus der Türkei somit ein Anknüpfungspunkt zum muslimisch-osmanischen Erbe geboten, der es ihnen ermöglicht, eine emotional-nostalgische Beziehung zu dem Ort aufzubauen. Im Allgemeinen ist Mazedonien bei Türk:innen auch deswegen ein beliebtes Reiseziel, weil damit die teils nostalgische Erinnerung daran einhergeht, dass Mazedonien Teil des früheren Osmanischen Reichs war. Außerdem ist in der Zeit Jugoslawiens ein Teil der türkischen Bevölkerung in die Türkei ausgewandert. Einige ihrer Nachfahr:innen begeben sich nun auf die Suche nach den Spuren ihrer Herkunft (EN 28.08.2017). Neben den eher kulturellen Motivationen vor allem bei internationalen Reisenden werden in ihrem Verhalten auch religiöse Interessen beim Besuch der Klosterkirche erkennbar. Auch wenn sie nicht den Gottesdienst besuchen, lässt sich doch immer wieder beobachten, dass sie aus Neugier ihr Ohr auf das Grab legen, weil sie das bei anderen Besucher:innen beobachtet haben. Aber oft ist zu sehen, dass auch internationale Reisende aus dem nicht-balkanischen Kontext die Gelegenheit nutzen, Kerzen anzuzünden. Hintergründe und Motivationen dafür sind individuell. Es ist daher zu vermuten, dass dahinter teilweise die vor allem in der katholischen Kirche bekannte Tradition des Gedenkens an Verstorbene steht, die auch mit einem Gebet verbunden sein kann.
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7.3 D ER ÄUSSERE BEREICH DES KLOSTERKOMPLEXES ALS ORT FÜR ERHOLUNG UND FREIZEITAKTIVITÄTEN Der äußere Bereich des Klosterkomplexes wird weniger religiös wahrgenommen als der innere Kern, obwohl er ein historisch etablierter Teil des Klosters ist. Davon zeugt auch der Ausdruck »Ohrider Wies’n«, mit dem ein Paar aus Wien die Feiertagsereignisse im Außenbereich am 2. und 3. Juli umschrieb (EN 04.07.2018). Die Wahrnehmung als nicht-religiöser Bereich, der zum Feiertag die Fläche für die »Ohrider Wies’n« bietet, ist der Umwandlung des Klosters in einen touristischen Ausflugsort in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschuldet. Nachdem das Kloster von der orthodoxen Kirche enteignet und in ein Museum umgewandelt worden war, lebten dort weder Mönche, noch durften dort Gottesdienste stattfinden. Trotz der Unterdrückung des religiösen Charakters konnten die allgemeinen Feierlichkeiten Anfang Juli kaum unterbunden werden, ohne zu offensichtlich in die Selbstbestimmung und die freie Gestaltungskraft der Besucher:innen einzugreifen. Die Feierlichkeiten hielten sich trotz der Umwandlungsstrategien, weil sie Teil der lokalen Tradition waren. Mit andauernder Abwesenheit von Kirchenvertretern am Kloster verloren auch die Feierlichkeiten an religiösem Charakter. Da Orte durch die dort vorfindlichen Elemente und Aktivitäten geprägt werden, verlor vor allem der äußere Bereich des Klosterkomplexes als Festareal durch die Enteignung in Jugoslawien an religiöser Bedeutung. Bereits zur Zeit Jugoslawiens war das Naum-Kloster eines »der beliebtesten Ausflugsziele der Ohrider und der zahlreichen Heimat- und Fremdtouristen, die jedes Jahr von allen Seiten herkommen« (Balevski 1984: 13). Nataša Gregorič Bon bezeichnet diesen Prozess als Desakralisierung religiöser Orte, der durch bestimmte touristische Aktivitäten »such as partying« vorangetrieben wird (Gregorič Bon 2014: 148). Die Wahrnehmung des Ortes und die Gestaltung der Aktivitäten bedingen sich folglich gegenseitig. Der in der Gegenwart vor allem touristisch konnotierte Außenbereich des Komplexes weist folglich stärker ein jugoslawisches Erbe auf als der Klosterkern. Dieser Außenbereich bildet ein natürliches und ein von Menschen geschaffenes touristisches Aktivitätsfeld, das teils mit dem Klosterkern verbunden ist und vor allem ein Anziehungspunkt für den Freizeit- und Kulturtourismus im Sommer ist: »Das Kloster liegt auf einem Felsen neben dem Quellsee des Ohrid-Sees. Hier tritt Wasser, das vom etwas höher gelegenen Prespa-See unter dem Gebirgsmassiv hindurch seinen Weg findet, aus dem Boden in zahlreichen kleinen Quellen wieder aus. Da es auch einen Bade-
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strand gibt, war das Areal in der Neuzeit immer schon ein beliebtes Ausflugsziel, zumal sich eine passende Infrastruktur mit Restaurant, Cafés und ›typisch jugoslawischen‹ Grills gebildet hatte. […] Individualreisende und Bustouren verbinden dabei den Besuch des Klosters oft mit einer Tour in den Galičica-Nationalpark, also das Bergareal zwischen Ohrid- und Prespa-See. Seit der Rückgabe des Klostergeländes an die Orthodoxe Kirche wurde das Areal mit einer Mauer umgeben, ›ordentliche‹ Souvenirbuden anstelle der wilden Grills aufgestellt und der touristische Wildwuchs zurückgestutzt.« (Kempgen 2019: 63)
Das natürliche Aktivitätsfeld ist gleichzusetzen mit der faszinierenden natürlichen Umgebung, in der sich das Kloster befindet und die gleichzeitig einen Teil des Klosterkomplexes ausmacht. Die Klosterverwaltung greift nur unwesentlich in die Natur des Areals ein, indem sie im Eingangsbereich den Rasen mähen und die Grünflächen vereinzelt mit Büschen bepflanzen lässt. Der Eingriff in die Natur wird besonders in dem vom Kloster angelegten Garten deutlich, der sich direkt an die Gebäude des Klosters und des Klosterhotels anschließt. Er ist durch hohe Mauern vom äußeren Bereich des Areals abgegrenzt. In seinem Zentrum steht eine künstliche Wasserfallanlage, die nur während der gängigen Besuchszeiten in Betrieb ist. Dieser Garten verbindet den inneren religiösen und den äußeren touristischen Bereich in vielerlei Hinsicht. Durch die Mauer ist der Garten räumlich gesehen eher dem inneren Bereich zuzurechnen, obwohl in ihm keine offensichtlich religiösen Aktivitäten stattfinden. Er dient eher der Erholung, in dem Urlaubs- und Freizeittourist:innen sich an der Wasserinstallation erfreuen und die Besucher:innen aus der näheren Umgebung picknicken, Mittagsruhe halten oder sogar während des Feiertags übernachten. Eine jährlich am 3. Juli zum Kloster kommende Gruppe aus Korçë gestaltete ihren Aufenthalt mit Picknick mit lautstarkem traditionellem Gesang (EN 03.07.2018). Außerdem laufen im Areal zwischen Eingang und Klosterkirche auch ein paar Pfauen umher. Unter diesen befand sich auch ein weißes Pfauenpaar, über das ein Schild am Eingangstor des Gartens angab: »Двата пауните
»Die beiden weißen Pfauen
Дуле и Снешка Dule und Sneška се подарок од
sind ein Geschenk des
Зоолошка градина – Белград и
Zoologischen Gartens – Belgrad und
Лајонс Клуб Лихнидос – Охрид
Lions Clubs Lihnidos – Ohrid
Охрид, 13. Новември 2015«
Ohrid, 13. November 2015«
Gleichzeitig hat dieser Garten auch eine religiöse Dimension. Pfauen zum Beispiel sind ein aus Indien stammendes religiöses Symbol, das sich zunehmend auch großer »Beliebtheit […] in der kirchlichen wie profanen altchristlichen Kunst er-
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freute« (Lother 1929: 33f, 84f). Im christlichen Kontext wiesen sie vor allem auf Bezüge zur Paradieslandschaft hin. Etymologisch betrachtet bezeichnet das Wort »Paradies« »einen eingehegten Park, eine Gartenanlage« (Pezzoli-Olgiati 2003: 909). In der Religionsgeschichte des Alten Orients, die das Christentum stark beeinflusste, war das Paradies immer mit der Natur als geordnete Schöpfung assoziiert. Auch die Legenden um Naum besagen, dass die Umgebung des Klosters sogar von Gott als Paradies bezeichnet worden sei (Risteski 2009: 56). In diesem Zusammenhang verwundert es nicht, dass Cvetan Grozdanov auch die Umgebung des Klosters als »eine der biblischen Landschaften« bezeichnet (Grozdanov 2015: 10). Darüber hinaus stellte auch Dragica Popovska bei der Untersuchung sogenannter heiliger Steine fest, dass viele aufgrund ihrer natürlichen Umgebung ihren »sacred status« in Zeiten, in denen die religiöse Deutung der Welt zurückging, behalten konnten (Popovska 2014: 67). Das spricht dafür, dass das Kloster seinen religiös-anziehenden Charakter erst aus der natürlichen Umgebung bezog. In der Natur außerhalb des angelegten »Klosterparadieses« nehmen Attraktionen aus dem Freizeit- und Urlaubsbereich zu. Dazu zählen beispielsweise das Baden oder Zelten, die sich jedoch nur im Sommer anbieten. Der Ohrid-See lädt wegen des guten Strandes und trotz der niedrigen Temperaturen nicht nur zum Angeln, sondern auch zum Baden ein. Baden am Kloster wird jedoch aus unterschiedlichen Gründen von streng christlich-orthodoxen Gläubigen nicht gern gesehen. Diese Gläubigen argumentieren damit, dass es eine Frage der Ehrfurcht und des Anstands gegenüber Gott, dem Heiligen und den Mönchen sei, seinen Körper nicht halbnackt am Kloster zu präsentieren. Dieses Argument bildet auch die Grundlage für eine der Gründungslegenden des Naum-Klosters in Leskoec (EN 17.01.2017). Naum sei von seinem Kloster geflohen, weil es dort am Strand so viele Nackte gegeben habe, und habe sich dann in Leskoec niedergelassen, weil es so ein schöner und ruhiger Ort sei. Gleichzeitig findet sich das Argument der Ehrfurcht und des Anstands auch im Zusammenhang mit den Kleidungsvorschriften in Kirchen und Klöstern. In den Eingangsbereichen vieler Kirchen in Ohrid finden sich Hinweisschilder, auf denen Personen in Badebekleidung durchgestrichen sind, um zu verdeutlichen, dass diese nicht erwünscht sind. Überdies argumentieren streng christlich-orthodoxe Gläubige auch damit, dass am Feiertag des Heiligen niemand baden gehen sollte, weil die Gefahr zu ertrinken an diesem Tag besonders hoch sei (EN 03.07.2016). Warum das so sein soll, ist nicht klar. Vermutlich steht dahinter die Vorstellung, dass Naum nicht nur Gläubigen und Bedürftigen hilft, sondern auch Anstandslosigkeit und Ehrfurchtlosigkeit bestraft (vgl. Risteski 2009: 161-213). Eine Besucherin aus Negotino berichtete, dass sie bei ihrem ersten Besuch ein Strafwunder erlebt habe (EN 03.07.2016). 2001 sei sie zum ersten Mal zu Naums Feiertag am Kloster gewesen. Als sie Kerzen kaufen wollte, dachte sie, dass die Kerzen teuer seien (sveḱi se skapi). Danach sei sie um-
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gefallen und kurz ohnmächtig geworden. Seitdem sei sie sich sicher, dass es sich bei dem Kloster um einen heiligen Ort handle. Eng mit der Frage nach dem Badevergnügen sind die Bootsausflüge zu den teilweise unterirdischen Quellen des Schwarzen Drin verknüpft, der durch den Ohrid-See fließt. Dort ist das Baden jedoch aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt, weil die Wassertemperatur sehr niedrig ist und an der Stelle, wo das Wasser in den Ohrid-See fließt, gibt es eine relativ starke Strömung. Der Boden nahe den unterirdischen Quellen ist überdies sehr schlammig und bietet keinen sicheren Halt (EN 15.08.2015). Das Badeverbot im Bereich der Quellen ist überdies auch eine Vorsichtsmaßnahme für den Bootsverkehr, damit es nicht zu Komplikationen bei einem Zusammenstoß kommt. Unproblematischer ist Baden dagegen im Zusammenhang mit Bootsausflügen zu dem kleinen Kloster Sveti Zaum an der Ostküste des Ohrid-Sees, das sich vor allem durch schöne und seltene Fresken auszeichnet (EN 05.07.2016). Dieses Kloster wurde Erzählungen zufolge ebenfalls von Naum gegründet, allerdings nicht für die breite Masse, sondern »für den Verstand« (maz. za um) (Aliloska 2016; Risteski 2009: 57). Dort gibt es im Vergleich zum NaumKloster kein aktives monastisches Leben. Das Kloster wird stattdessen als gesetzlich geschütztes Kulturdenkmal betrieben. Baden kann demnach zwar auch als pietätlos gegenüber dem Ort betrachtet werden, in Askese Lebende können sich dadurch jedoch nicht gestört fühlen, weil es sie dort nicht gibt. Ein weiterer hervorzuhebender Ort, dessen Bedeutung zwischen touristischen und religiösen Motivationen schillert, ist die Wiese links der Kirche Sveta Petka. Erhan, der jüngste Musiker der Roma-Band, erinnerte sich, dass 2012 oder 2013 auf der Wiese noch Tische und Stühle aufgebaut waren, um zu essen, und dass Musik gespielt und dazu getanzt wurde (EN 02.07.2018). Die Kirche hätte das »Schauspiel« allerdings verboten, weil dort oft Betrunkene Schlägereien angefangen hätten. Diese Wiese trage den Namen ǵupana, meinte Erhan, in Anlehnung an ǵupci, eine der gängigen Bezeichnungen für die Roma in Mazedonien, denn diese hätten sich dort hauptsächlich aufgehalten. Zur Zeit der Feldforschung diente die Wiese nur noch als wilder Zeltplatz für die Roma, die auf dem Jahrmarkt einen Stand betrieben. Im Gegensatz zu diesen Aussagen und Beobachtungen, die weniger auf religiöse als auf ökonomische Motivationen schließen lassen, steht auch eine christliche Perspektive, die den Roma religiöse Gründe für ihr Handeln unterstellt: Wie andere Gruppen hatten Roma auch eine eigene Unterkunft (maz. konak), die an dieser Stelle stand (Risteski 2009: 170f). Roma seien vor allem zum Sommerfeiertag zum Naum-Kloster gekommen, aber »nicht zum Verkaufen oder Kaufen, sondern um im Klosterkomplex zu sein, um Sveti Naum Ehre und Respekt zu erweisen, um bei ihm und in seiner Nähe zu sein«. Risteski schreibt weiter, dass Roma geholfen haben, das Kloster vor dem Fest vorzubereiten und am Festtag selbst das Essen zu kochen. Ihr Verhalten hebe sich nicht von dem
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anderer Gläubiger ab, da es früher üblich gewesen sei, sich für bestimmte Dienste und eine bestimmte Zeit an einer selbstgewählten Kirche zu verpflichten. Diese Selbstverpflichtung hänge mit einem Wunsch zusammen, dessen Erfüllung sie sich dadurch erhofften. Die Roma hätten sich vor allem »für Gesundheit und Fortschritt« verpflichtet. Ein Bereich des äußeren Klosterkomplexes hat dagegen seine religiöse Konnotation ganz verloren. Das liegt daran, dass er ein Teil des geschaffenen touristischen Aktivitätsfelds ist, das unmittelbar mit der Natur verbunden ist: Der Zeltplatz wurde zur Zeit Jugoslawiens als Erholungszentrum für Militärangehörige errichtet. Was sich dort vorher befand, ist nicht bekannt. Naheliegend ist, dort die früheren Unterkünfte zu vermuten, die die Besucher:innen für eigene Zwecke als Kollektiv errichteten. Nachdem Mazedonien aus dem jugoslawischen Staatsverbund austrat, wurde ein Teil des Militärerholungszentrums abgetrennt und für mazedonische Staatsbürger:innen zugänglich gemacht. Der andere Teil des Militärgeländes steht gegenwärtig immer noch der Erholung von im Militär Beschäftigten und ihren Familien zur Verfügung. Motivationen, dort zu übernachten, sind nicht religiöser Art, obwohl die Campenden während ihres Aufenthalts auch das Kloster aufsuchen. Das Hauptanliegen ihres Aufenthalts am Zeltplatz ist jedoch, sich zu erholen. Dazu gehören auch Aktivitäten in anderen Teilen des Klosterkomplexes, wie Baden im oder Angeln am See. Scheinbar mit religiösen Motivationen ist das Betreten des Zeltplatzes am 2. und 3. Juli verbunden, wenn er als Abkürzung für die Besucher:innen aus Albanien dient. Sie kommen über diesen Weg schneller zum Ziel, weil er ihnen den langen Weg entlang der Straße um den Klosterkomplex herum erspart. Da bei vielen albanischen Besucher:innen nach eigenen Aussagen jedoch weniger religiöse Motivationen als vielmehr das Vergnügen (alb. qejf) im Mittelpunkt stehen, ist auch das Durchqueren des Zeltplatzes nicht religiös motiviert, womit dem Zeltplatz jegliche religiöse Relevanz fehlt. Aufgrund fehlender staatlicher Finanzierungen wurde der Zeltplatz 2018 geschlossen und dient seitdem nur noch als Abkürzung. Auch andere touristische Aktivitätsfelder im Außenbereich des Klosterkomplexes lassen religiöse Motivationen vermissen. Stattdessen kommt dort das Bedürfnis nach Vergnügen (maz. ḱef; alb. qejf) zum Vorschein. Vor allem für die sunnitischen Besucher:innen aus Pogradec und Umgebung wird dabei deutlich, dass Naum keine besondere religiöse Rolle für sie spielt. Sie gehen vielmehr deshalb zum Kloster, weil sie religiös tolerant sind, meinten zwei Mitarbeiter der Stadtverwaltung (Merolli/Cana 2017). Überdies sei das Kloster schön gelegen und das Fest sei mit dem Jahrmarkt selbst eine sehenswerte Attraktion. Der Jahrmarkt (maz. panaǵur; alb. panair) findet auf dem Platz zwischen der Brücke über den Schwarzen Drin und dem Eingang zum inneren Bereich des Klosterbereichs sowie zwischen der Anlegestelle der Schiffe und der ǵupana-
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Wiese ausschließlich zum Sommerfeiertag im Juli statt. Die Lage des Jahrmarkts verdeutlicht zusätzlich, dass er einen Schnittpunkt zwischen religiösen und touristischen Motivationen und Aktivitäten bildet. Werden Zeit und Ort bei der Betrachtung vernachlässigt, überwiegt allerdings die touristische Dimension. Abgesehen vom nicht-religiösen Warenangebot stand der Jahrmarkt lange im Zusammenhang mit den ausgelassenen Feierlichkeiten der ǵupana-Wiese. Risteski schreibt zum Beispiel, dass Roma ein wichtiger Bestandteil des Jahrmarkts seien: »Ohne sie schaut es nicht nach einem panaǵur aus. Mit ihrer Musik, ihrem Lied und Tanz geben sie der Feierlichkeit eine besondere Schönheit und besonders mit ihrer Pietät gegenüber Sveti Naum« (Risteski 2009: 171, eigene Hervorhebung). Musik und Tanz verlagerten sich mit dem Verbot der Feierlichkeiten auf der ǵupana-Wiese um 2012 herum auch vom Jahrmarktplatz weg. Während die Roma-Band vor allem im Klosterhof spielte und nur gelegentlich einige Töne im Jahrmarktsbereich von sich gab, wurde auf der Restaurantinsel mit traditioneller Musik zum Tanz eingeladen (EN 02.07.2018). Im Speisesaal des Hotelrestaurants dagegen werden aus Pietätsgründen während der Feiertage weder eine Live-Band noch eine Tanzmöglichkeit geboten (EN 03.07.2018). Für die lokale Bevölkerung sind diese Details zum Sommerfeiertag am Kloster selbstverständlich. Für Reisende ohne Wurzeln in Südosteuropa, die das Kloster eventuell sogar zufällig am Feiertag aufsuchten, haben die Feierlichkeiten dagegen großen Überraschungseffekt: Das Paar aus Wien besuchte das Kloster zur Zeit des Sommerfeiertags, war jedoch nicht auf die Feierlichkeiten eingestellt (EN 04.07.2018). Es hatte einige Nächte im Klosterhotel gebucht, weil sie sich eine ruhige Atmosphäre versprachen. Sie hatten nicht erwartet, dass sie bei ihrer Ankunft am 2. Juli mitten in »Ohrider Wies’n« geraten würden. Da sie von Albanien aus angereist waren, wurden sie bereits an der Grenze von den vielen Menschen mit ihren »Plastiksackerln« überrascht, in denen sie ihre Einkäufe vom Jahrmarkt nach Hause trugen. Für den etwa 500 Meter langen Weg vom Eingang des Klosterkomplexes bis zum Hotel selbst brauchte das Paar mit seinem Mietwagen fast eine halbe Stunde – obwohl ihnen alle Menschen Platz machten. Zudem wären sie beinahe einer Braut über das Kleid gefahren. Der Ausdruck »Ohrider Wies’n«, der die Eindrücke des Paars von den Ereignissen der Festtage zusammenfasst, bezieht sich allerdings auf das Geschehen im äußeren Klosterkomplexbereich. Gleichzeitig unterstützen die Eindrücke auch die These der inneren Raumordnung, dass das Kloster einen religiösen Kern und einen äußeren Bereich hat und dass im äußeren Bereich Religion scheinbar irrelevant ist. Die Feierlichkeiten insgesamt gleichen daher eher einem Kirchweihfest mit religiösem Kern und allerlei nicht-religiösen Angeboten als einer andächtigen Pilgerfahrt zu Ehren des Heiligen. Im Unterschied zu manchen Kirchweihfesten im deutschsprachigen Raum fehlen lediglich Fahrgeschäfte.
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Zum von Menschen geschaffenen touristischen Aktivitätsfeld gehören auch die Restaurants, das Hotel und die ganzjährigen Souvenirbuden am Eingangsbereich des Klosterkomplexes. Sie entstanden vor allem in der Zeit Jugoslawiens, als das Kloster in ein Museum umgewandelt wurde. Der Bau des Restaurants Ostrovo und des Hotels unterstützten die Umwandlung des Klosterkomplexes zu einem touristischen Ausflugsziel ebenso wie der Ausbau der Straßen zwischen Ohrid und dem abgelegenen Kloster. Nachdem das Klosterareal an die MPC zurückgegeben wurde, griff diese die touristische Tendenz auf und brachte sie in eine für den religiösen Kontext annehmbare Form, indem sie etwa »›ordentliche‹ Souvenirbuden anstelle der wilden Grills auf[stellen] und de[n] touristische[n] Wildwuchs zurück[stutzen]« ließ (Kempgen 2019: 63). Ein besonderes Erlebnis, das besonders von internationalen Urlaubstourist:innen als bewusste Freizeitbeschäftigung in Anspruch genommen wird, sind die Fahrten mit dem Schiff von Ohrid über den See zum Naum-Kloster. Bei gutem Wetter genießen die Reisenden dabei Sonne und Aussicht. Teils nutzen auch Reiseveranstalter diesen Weg mit großen, recht homogenen Gruppen, die dann die Ereignisse bestimmen. So kann es vorkommen, dass eine große türkische Gruppe die Musik bestimmt und anfängt, auf dem Deck zu tanzen (EN 15.08.2015). Allerdings gibt es auch weniger touristisch motivierte Gruppen, die den Weg mit dem Schiff über den See wählen. Im Jahr 2002 begleiteten fünf Geistliche eine Gruppe von 120 Gläubigen im Rahmen eines Glaubenskurses zum Naum-Kloster (Risteski 2012: 96f). Als der Himmel sich verdunkelte, das Schiff auf dem See in einen Sturm geriet und von hohen Wellen ergriffen wurde, so dass die Pas sagier:innen Angst bekamen, begannen die Geistlichen mit den Gläubigen für ihre Rettung zu den Heiligen Naum und Nikola zu beten. Als sich der Wind legte und der Himmel wieder klar wurde, war es das Naum-Kloster, was die Reisegruppe als Erstes erblickte. Einer der Geistlichen berichtete: »Dort, erfüllt von süßem Frieden und tiefer Freude, brachten wir Geschenke und ein Geschenk der Lippen dar – erkenntliche Lieder zu Sv. Naum, weil wir mit seiner Fürsprache vor Gott von dem furchtbaren Sturm gerettet wurden.« Auch der eher touristisch geprägte Bereich der Schifffahrt, der das Klosterareal selbst nur peripher tangiert, kann also für christlich-orthodoxe Motivationen in Anspruch genommen werden. Den Besuch des Naum-Klosters »[verbinden] Individualreisende und Bustouren […] oft mit einer Tour in den Galičica-Nationalpark, also das Bergareal zwischen Ohrid- und Prespa-See« (Kempgen 2019: 63). Teilweise wird behauptet, dieses Gebiet hätte früher zu den Ländereien des Klosters gehört. Das erkläre auch, warum auf dem Weg von der Seite des Prespa-Sees zum Ohrid-See gelegentlich der Motor ausgehe (EN 30.06.2018) (Risteski 2009: 115f). Davon wissen Urlaubsreisende jedoch selten etwas. Das Paar aus Wien plante einen Ausflug in diese Berge und erkundigte sie sich zuvor bei der albanischen Touristeninforma-
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tion in Pogradec über das Gebiet (EN 04.07.2018). Die Angestellte händigte ihnen zwar Material aus, aus dem hervorging, dass es sich um ein internationales Naturschutzprojekt handele, an dem neben Mazedonien und Albanien noch andere Länder beteiligt waren. Als sich die beiden daraufhin nach Wegen und Zugängen erkundigten, meinte die Miatbeiterin jedoch, dass sie darüber nichts wisse. Das sei die Angelegenheit Mazedoniens. Dieses Beispiel zeigt, dass das Wissen um frühere Klosterländereien für den internationalen Urlaubstourismus keine Rolle spielt. Gleichzeitig verweist es auf die politische Situation der Region: Das Paar war sichtlich verwundert über die Art der internationalen Kooperation. Sie stellten mir die Frage, ob die Aussage der Mitarbeiterin lediglich Unwissenheit bedeutete oder sogar Ablehnung der Zusammenarbeit mit Mazedonien. Generell gehören zu beliebten Aktivitäten der Besucher:innen auch das fotografische Festhalten ihres Aufenthalts. Besonders beliebt sind daher Selfies und Gruppenfotos, das Essen, die Boote zu den Quellen, der Klosterpark und die Rad schlagenden Pfauen, die sich frei im Areal bewegen (EN 03.07.2018). Obwohl das Fotografieren in der Klosterkirche selbst verboten ist, beschränkt es sich nicht nur auf den äußeren Bereich des Klosterkomplexes. Im Klosterhof finden sich neben den genannten Bildmotiven weitere beliebte Perspektiven wie der Blick auf den See mit den Schiffen sowie die um die Kirche geführten Schafe in Begleitung der Roma-Band. Vor allem die jüngere Generation zückt ihre Handys, nachdem sie durch das schwere, alte Holztor gegangen sind, um die sich ihnen bietende Szene zu fotografieren.
7.4 F AZIT: DAS KLOSTER ZWISCHEN PILGERFAHRT UND SIGHTSEEING Das Wechselspiel verschiedener Motivationen, das Kloster zu besuchen, verdeutlichte im Zusammenhang mit der inneren Raumordnung des Klosterkomplexes, dass sich den Bereichen innerhalb des Areals verschiedene Motivationen und damit einhergehende Aktivitäten finden lassen. Im Innenbereich stehen religiöse Interessen und Interessen an Religion als Teil der Kultur im Vordergrund. Im Außenbereich dagegen liegt der Schwerpunkt auf Erholung und Vergnügungen, sowohl für die christliche und die muslimische Lokalbevölkerung als auch für internationale Tourist:innen. Fast alle Besucher:innen weisen verschiedene Motivationen auf, die sie dazu bringen, sich mühelos zwischen den einzelnen Aktivitätsbereichen zu bewegen. Außerdem lassen sich die Motivationen keiner Besuchsgruppe hinsichtlich ihres Glaubens oder ihrer Herkunft zuordnen. Insbesondere die Besucher:innen
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aus dem ehemaligen Jugoslawien, Bulgarien und Albanien können nicht immer eindeutig einer Kategorie zugewiesen werden. Einerseits kommen sie nicht aus Mazedonien und lassen sich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit als internationale Besucher:innen charakterisieren. Internationale Gäste vor allem aus Westeuropa scheinen jedoch bei ihrem Klosterbesuch tendenziell touristische Motivationen zu verfolgen. Andererseits sind die Besucher:innen aus Südosteuropa zumindest in historischer Hinsicht emotional mit dem Kloster verbunden. Für sie gehört der Klosterkomplex zu einer vergangenen Heimat. Sowohl die orthodoxe als auch die muslimische Bevölkerung Südosteuropas hat somit religiöse und touristische sowie teilweise politisch-nostalgische Motivationen, das Kloster aufzusuchen. Die komplexen Ergebnisse des Kapitels stehen einer meist monochromen Darstellung des Klosters entgegen. Wahrnehmung und Charakterisierung des Klosters sind von der Herkunft der Beschreibenden abhängig und können sich demzufolge auch stark voneinander unterscheiden. Entgegen der Wahrnehmung westlicher Reisenden, dass es sich beim Naum-Kloster um eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten handele (Kempgen 2019: 61), gilt das Kloster insbesondere zum Feiertag des Heiligen als Verehrungsort, der von Gläubigen aufgesucht wird. Letzteres belegen regelmäßig und meist anonym verfasste Artikel in mazedonischen Zeitungen (Čudata na Sveti Naum Ohridski - iscelitel i prosvetitel na makedonskiot narod 2016; Denes se praznuva Sveti Naum Ohridski-Čudotvorec 2015; Zaverska 2019). Häufig berichten letztere auch davon, dass viele Gläubige aus der ganzen Welt zum Grab des wunderheilenden Heiligen kämen und dass es keinen Unterschied mache, welchem Glauben und welcher Nationalität sie angehörten. Selten wird auch nur angedeutet, dass zum Sommerfeiertag nicht nur die Verehrung Naums, sondern auch der Jahrmarkt einen wichtigen Bestandteil bildet (OhridNews 2015). Urlaubstourist:innen werden in den Berichten ganz übersehen. Das Kloster wird während der Feierlichkeiten am 3. Juli, dem Sommerfeiertag, durch verschiedene Handlungen, die nicht offensichtlich religiös konnotiert sind, bereichert. Seine religiöse Bedeutung hat es dadurch jedoch nicht verloren. Naum, der Heilige, der das Kloster gegründet hat, geriet jedoch durch die jugoslawischen Maßnahmen, durch die das Kloster in ein touristisches Ausflugsziel umgewandelt wurde, in den Hintergrund. Zog früher Naums Ruf als Wunderheiler gläubige Pilger:innen aus der Umgebung an, sind es gegenwärtig vielmehr die Natur, die Geschichte, die Architektur und die Kunst, die verstärkt internationale Tourist:innen anlocken. Überdies ist es das Fest mit dem Feiertagsjahrmarkt, das als außeralltägliches und überregional bekanntes Ereignis Menschen aus der näheren Umgebung anzieht. Naum steht daher eher im Schatten des Klosterareals, das sich vor allem durch die umgebende Natur auszeichnet.
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Während aus der religiösen Perspektive die Wunderheilkraft des Heiligen in seinem Kloster als heiligem Ort betont wird, ist es aus touristischer Perspektive eher die erholsame Wirkung der Natur, die zum Beispiel in der Qualität der sauberen Luft begründet liegt und sich also von der Stadtluft in Ohrid unterscheidet. Den verschiedenen Perspektiven ist die Wahrnehmung des Klosters gemeinsam, die unterschiedlich gedeutet wird. Allerdings unterscheidet sich das Verständnis dessen, was als erholsam betrachtet wird. Während die lokalen und südosteuropäischen Besucher:innen eher das Nichtstun bevorzugen, ist für internationale Tourist:innen häufig ein abwechslungsreicher Urlaub das Ziel. Phasen der körperlichen Betätigung und der Ruhe gehören ebenso dazu wie die intellektuelle Beschäftigung mit Geschichte und Kultur der ihnen fremden Reiseregion, zu der neben der religiösen Prägung auch Essen, Musik und Tanz zählen. Die Wahrnehmung des Naum-Klosters beeinflusst auch das Verhalten der Besucher:innen, wodurch sich das Bild des Klosters reproduziert. Werden nur die religiösen Deutungen Naums und seines Klosters explizit untersucht, geht die wichtige touristische Facette des Klosters in einer möglichst umfassenden Analyse verloren. Schließlich bildet die Frage nach Reisemotivationen und Reiseverhalten auch das Bindeglied zwischen der Untersuchung der religiösen Deutungen und der komplexen wirtschaftlichen Dimension des Klosters.
8 Das Naum-Kloster als Wirtschaftsstandort
»Schon in der vorderasiatischen, griechischen und römischen Religionsgeschichte sind Tempel, Heilstätten, Orakel, Heiligengräber und Pilgerziele ökonomische Organisationen, die zu einem beträchtlichen Teil den Fleischhandel, die Wissenstradierung, Kunstmarkt, Anlagen, Dienstleistungen, Kreditwesen und Güterproduktion managten.« (Koch 2014: 176)
Das Naum-Kloster wird an verschiedenen Punkten als ökonomisch handelnde Organisation erkennbar. Vorrangig sind die ökonomischen Aktivitäten an religiösen Orten direkt mit den Bedürfnissen der Besucher:innen verbunden (vgl. Katić et al. 2014a: 16f). Dabei spielt es keine Rolle, ob sie als Pilgernde, Religionsoder Freizeittourist:innen zum Kloster kommen. An mehreren Stellen am und im Klosterkomplex ist die ökonomische Bedeutung des Klosters klar erkennbar, an anderen Stellen dagegen kommt sie indirekt zum Vorschein. Das Kloster als Organisation hat ebenfalls einige wirtschaftliche Aktivitäten innerhalb des Komplexes vorzuweisen. Dazu gehört etwa das Verpachten von Holzhütten für den Handel mit Souvenirs sowie der Betrieb eines eigenen Andenkenladens. Die Klosteranlage wird für den Tourismus in Hinblick auf ihre Geschichte, Gestaltung und natürliche Umgebung mit religiösen und anderen Akzenten vermarktet. Neben den wirtschaftlichen Aktivitäten des Klosters kann auch Naum, der Gründer des Klosters, als Händler religiöser Güter betrachtet werden. Im Folgenden werde ich wirtschaftliche Aktivitäten zum erarbeiteten Raumkonzept in Verbindung setzten. Es wird sich zeigen, dass die Raumordnung durchaus relevant und ordnend für das Auftreten religiöser Güter ist. Häufig begleitet christliche Organisationen die Erwartung, nicht gewinnorientiert, sondern sozial verträglich oder gemeinnützig zu arbeiten, keine Reichtümer anzuhäufen oder zur Schau zu stellen, es sei denn, es handelt sich um kulturelle Güter. Diese Wahrnehmung der ökonomischen Dimension des Klosters zu thematisieren, ist auch aus zwei weiteren Gründen relevant. Zum einen stellte John
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Eade fest, dass die bisherige Pilgerforschung die ökonomische Dimension oft zugunsten des sozialen und kulturellen Kontextes vernachlässigte (Eade 2014: 215f). Eade betont, dass erst Ian Reader diesen Zusammenhang 2013 anhand mehrerer Fallstudien ausführlicher thematisiert hat. Zum anderen betont er, dass die Untersuchung der wirtschaftlichen Seite von Pilgerreisen und anderen religiösen Tourismusformen in Ost- und Südosteuropa notwendig sei, weil sie die Lebenswirklichkeit und die Erfahrungen der Menschen unmittelbar betrifft. Die meisten Länder Ost- und Südosteuropas »have experienced dramatic political and economical changes after 1989« (Eade 2014: 215f). Die Folgen der Transformationsprozesse bezeugten viele Menschen in meinem Untersuchungsfeld, indem sie in Gesprächen mit mir immer wieder auf ihre eigene schlechte wirtschaftliche Situation hinwiesen. Ihre Berichte spiegeln sich in offiziellen Statistiken wider: Im Jahr 2015 lebte 21,5% der Bevölkerung Mazedoniens unter der Armutsgrenze (CIA 2019b), in Albanien waren es 2012 laut der Angaben nur 14,3% der Bevölkerung (CIA 2019a).1 Diese Angaben decken sich fast mit denen über die offizielle Arbeitslosenquote, die jedoch zum Beispiel illegale Beschäftigung vernachlässigt. In beiden wirtschaftlich schwachen Staaten herrscht angesichts der großen Arbeitslosigkeit ein gewisses Ringen um den Erhalt des eigenen Lebensstandards beziehungsweise dessen Verbesserung (Gieler/ Danner 2013: 391), was sich beispielsweise auch in zunehmender Emigration nach Deutschland zeigt (Destasis 2018: 221f). Von der im Land gebliebenen Bevölkerung sind nach offiziellen Angaben in Mazedonien über 50% der Beschäftigten im Dienstleistungsgewerbe tätig, in Albanien über 40%. Die Beschäftigungsrate im Agrarsektor liegt in Albanien ebenfalls bei etwa 40%. Die Landwirtschaft trägt aber verhältnismäßig wenig zum Bruttoinlandsprodukt bei, weil sie vor allem zur Selbstversorgung betrieben wird. Da Selbstversorgung kaum rentabel ist, kann auch für Albanien eine Tendenz zur Beschäftigung im tertiären Sektor behauptet werden. In jedem Fall ist Wirtschaft ein relevanter Aspekt in der Betrachtung des Klosters, weil sie einen existentiellen Lebensbereich der lokalen Bevölkerung darstellt. Überdies behauptet Eade, dass Pilgerorte von den wirtschaftlichen und politischen Veränderungen nach 1989 profitierten (Eade 2014: 215f). In Bezug auf das Naum-Kloster spricht sein Ausbau nach 1991, der von der MPC als neue Verwalterin veranlasst wurde, für Eades These. Die Verflechtungen der religiösen und der wirtschaftlichen Dimension des Ortes religionsökonomisch aufzuzeigen (Koch 2014), ist das Ziel des Kapitels. Aufgrund der Vielfalt religionsökonomischer Theorien und Zugänge beschränken sich die Ausführungen auf folgende Frage: Wie beeinflussen Naum als symbo1 Sofern nicht anders angegeben stammen die folgenden Angaben aus den beiden ausgewiesenen Seiten des CIA World Factbook.
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lischer Ort und das Kloster als physischer Ort den dort stattfindenden Handel? Gleichzeitig wird auch untersucht, ob und wie sich der Handel auf die Wahrnehmung des Heiligen und des Klosters auswirkt. Den Verkaufsstandorten entsprechend werden außerdem ökonomische Güter, also Waren und Dienstleistungen, sowie die Handeltreibenden mit ihren Präferenzen beschrieben. Dabei kommen nicht nur religiöse Güter im Zentrum des Komplexes in höchster Konzentration vor. Vielmehr zeigt sich, dass der Heilige und das Kloster als symbolischer und physischer Ort sowie die Zeit des Feiertags auch im Außenbereich des Komplexes für das wirtschaftliche Verhalten von hoher Bedeutung sind. Dabei gibt es Abstufungen innerhalb des Außenbereichs, die sich außerhalb des Areals fortsetzen. Im Folgenden werden die wirtschaftlichen Phänomene von außen nach innen beschrieben. Das bedeutet, dass zuerst der offensichtlich und erwartbar touristische Wirtschaftsbereich nachgezeichnet wird, der sich zum Innenbereich des Klosterkomplexes hin verstärkt mit religiösen Elementen vermischt. Anschließend werden die ökonomischen Aspekte im religiösen Zentrum beleuchtet, die weniger von touristischen als von religiösen Motivationen abhängig sind.
8.1 D IENSTLEISTUNGEN IM TOURISMUS- UND FREIZEITGEWERBE Als touristischer Ausflugsort ist das Kloster ein wichtiger wirtschaftlicher Standort mit vielen Arbeitsmöglichkeiten. Da die unterschiedlichen Gruppen von Besucher:innen auch nach verschiedenen Gütern fragen, entwickelten sich entsprechende Angebote. Zu erwarten sind vier Dienstleistungsbereiche, die sich in Transport, Informationen, Verpflegung und Unterkunft unterteilen lassen. Transport steht unter den Dienstleistungsangeboten an erster Stelle dieser Betrachtung, da das Kloster vom Tourismuszentrum Ohrid aus nicht fußläufig erreichbar ist. Gingen Menschen früher zu Fuß zum Kloster und verbanden wegen des weiten Weges ihren Aufenthalt meist mit einer Übernachtung, gestaltet sich der Klosterbesuch gegenwärtig für viele nur noch als Tagesausflug. Die Hintergründe liegen im technischen Fortschritt, dem Straßenbau zur Zeit Jugoslawiens und der damit verbundenen Entwicklung des Heimattourismus am Klostermuseum Sveti Naum. Die häufigsten verwendeten Transportmittel sind Linienbusse und Taxis sowie Reisebusse und Boote. Taxis und Busse stellen sowohl für die lokale Bevölkerung als auch für andere Reisende die Haupttransportmittel dar. In der Gegend um das Kloster besitzt nicht jede Familie ein eigenes Auto und auch den wenigsten internationalen Reisenden steht dieses zur Erkundung ihrer Reiseziele zur Verfügung. Einige der Reisen-
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den nutzen stattdessen Angebote vor Ort, ein Auto stunden- oder tageweise zu mieten. Ein Großteil der Menschen ist jedoch auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen, um zum Kloster zu gelangen. Die Strecke von Ohrid zum Kloster und zur Grenze bedient das Busunternehmen Galeb regelmäßig im Zweistundentakt, Kleinbusse anderer Unternehmen fahren nur saisonal. Zu den Fahrgästen von Galeb gehören vor allem morgens und abends diejenigen, die am Kloster einer Beschäftigung nachgehen. Dazwischen sind es Mazedonier:innen, die meist einen der zwischen Stadt und Kloster gelegenen Orte ansteuern, und internationale Individualreisende. Neben Bussen, die festgelegte Strecken nach vorgegebenen Zeiten abfahren, sind sowohl in Mazedonien als auch in Albanien Taxis übliche Nahverkehrsmittel. Taxifahrer nutzen teilweise dieselben Linien wie die Busse und verlangen dann dieselben Fahrtkosten. Reisende aus der näheren Umgebung bevorzugen generell die Fahrt mit dem Taxi, weil sie zum selben Preis schneller am Ziel sind und Taxis individuelle Haltewünsche berücksichtigen. Aus der Ohrider Umgebung fahren jedoch wenige Menschen mit dem Taxi zum Kloster, denn selten wollen genug Personen gleichzeitig die Strecke fahren, so dass die Fahrt mit dem Taxi mehr als die 110 Denari (ca. 1,80 Euro) für die Busfahrt kostet. Auf albanischer Seite gibt es, anders als in Mazedonien, zwar etablierte Buslinien, jedoch keine Fahrpläne. Die Kleinbusse (alb. furgon) fahren bei Bedarf ab, wenn mindestens alle Sitzplätze belegt sind. Sie passieren jedoch nicht die Grenze, weil die Fahrzeuge dazu teuer auslandsversichert sein müssen. Für gelegentliche Grenzübertritte lohnt sich die kostspielige Versicherung nicht, die beim Grenzübergang mit der »grünen Karte« nachgewiesen werden muss. Deswegen fahren die Klosterbesucher:innen von der albanischen Seite mit furgon oder Taxi nur bis zur Grenze und bewältigen den Rest des Weges zu Fuß. Als weiteres Transportmittel verkehren in den Sommermonaten Schiffe zwischen Nord- und Südufer des Sees. »Von Ohrid aus fahren in der Saison täglich ein oder mehrere Schiffe zu einem Tagesausflug ca. 30 km längs über den See. Das Kloster hat eine eigene Anlegestelle, an der die Schiffe ihre Gäste zu einem mehrstündigen Aufenthalt entlassen, bevor die Rückfahrt angetreten wird.« (Kempgen 2019: 61f)
Auf diesen Schiffen sind Kapitäne mit einer Crew beschäftigt, die Fahrkarten verkauft und kontrolliert, den Prozess des Ablegens und Anlegens koordiniert, für Ordnung und Sauberkeit sorgt sowie Getränke und kleine Snacks verkauft. Diese Transportmöglichkeit rentiert sich nur im Sommer, wenn es genügend Tourist:innen gibt, die sie nutzen. Hin- und Rückfahrt kosten 600 Denari (ca. 10 Euro). Die Fahrt in eine Richtung dauert etwa zwei Stunden und rentiert sich für die lokale
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Bevölkerung kaum, da diese Variante teurer und zeitintensiver ist als die knappe halbe Stunde mit dem Taxi oder die dreiviertel Stunde mit dem Bus. Größere Reisegruppen fahren mit Bussen ihrer Reiseunternehmen. Außerdem fahren einige organisierte Gruppen auch aus Sicherheitsgründen nicht mit dem Schiff. Die Leiterin der Ohrider Sprachschule erklärte die Wahl des Reisebusses für den Ausflug zum Kloster mit dem Hinweis, dass es einige Jahre zuvor ein Schiffsunglück mit Toten auf dem See gegeben habe (EN 04.06.2016). Sie wolle das Risiko nicht eingehen und eventuell entstehende Schäden und Verluste verantworten. Das Kloster und die Institution Kirche profitieren nur indirekt vom Transport, denn es gibt kein kirchlich geführtes Transportunternehmen. Allerdings besitzt und bewirtschaftet die Kirche den kostenpflichtigen Parkplatz außerhalb der Klostermauern, der bei der Anreise mit Reisebussen sowie von Privat- oder Mietautos genutzt wird. Ein weiterer Dienstleistungsbereich, der im Zusammenhang mit Tourismus zu erwarten wäre, ist das Bereitstellen von Informationen, die das Kloster etwa internationalen Reisenden historisch näherbringen würden. Stattdessen bietet nur eine Tafel am Eingang des Klosterkomplexes eine lediglich in Mazedonisch und Englisch beschriftete Karte des Areals. Eine weitere Tafel unterhalb des Klosterhotels nahe der Schiffsanlegestelle informiert über die Entstehung der nebenstehenden Holzstatue, die den Klostergründer Naum darstellt (Abb. 8). Ansonsten bieten nur gelegentliche Wegweiser eine Orientierung, jedoch keine Fakten zum Klosterkomplex. Personen, die informierend durch den Klosterkomplex führen, sind vor Ort nicht anzutreffen, weder ehrenamtlich noch gegen Bezahlung. Der Priestermönch und der langjährige Klostermitarbeiter Dragan oder dessen Söhne sind vielleicht auskunftsfähig, sind jedoch mit anderen Aufgaben ausgelastet. Auskunft über den Ort und seine Geschichte bieten dagegen Reiseleiter:innen ihren eigenen, meist internationalen Gruppen. Individualreisende finden die benötigten Informationen nur in Form von Büchern oder online. Aufschluss über die natürlichen Gegebenheiten des Klosterkomplexes geben die Fahrer der kleinen Boote, wenn sie ihrer zahlenden Kundschaft die am Kloster befindlichen unterirdischen Quellen des Schwarzen Drins (maz. Crn Drim) zeigen, der durch den Ohrid-See fließt. Auch die Fahrer, Betreiber und Betreuer der Transportmittel stellen aktiv keine Beziehung zwischen den Besucher:innen und dem Heiligen oder dem Kloster her, weder durch Erklärungen noch durch die Namen der Unternehmen. Nicht einmal die Namen der Schiffe, die zum Kloster fahren, Aleksandrija und Makedonija, weisen auf Naum und sein Kloster hin. Lediglich einige gesprächige Taxifahrer erzählen ihren Passant:innen etwas über die Geschichte des Klosters, die Stadt
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Abb. 8: Holzstatue Sveti Naum von Boris Džeparovski. Besucher:innen steckten der Statue textile Votivgaben zu. Rechts dahinter informiert eine Informationstafel in drei Sprachen über den Entstehungsprozess.
Ohrid oder Mazedonien, wenn sie Interesse spüren, und stellen dadurch während der Fahrt eine Verbindung her. Die Erwartungen, dass an einem so bekannten Ausflugsziel die Dienstleistung Fremdenführung bedient wird, werden am Naum-Kloster enttäuscht. Die offensichtliche Vermarktungslücke lässt auf das Verständnis der potentiellen Anbieter:innen zurückschließen: Es wird davon ausgegangen, dass die Besucher:innen aus der näheren Umgebung über die Geschichte und die Bedeutung des Klosters ausreichend informiert sind und daher keine Führung benötigen. Auch bei internationalen Reisenden ist kein Bedarf erkennbar, da sie meist als geführte Reisegruppe unterwegs sind und dort die zu erwartenden Informationen bereitgestellt bekommen. Ein dritter Dienstleistungsbereich, der mit dem Klosterkomplex verbunden ist, stellt die Versorgung mit Lebensmitteln dar. In diesem Bereich haben sich innerhalb des Komplexes vier Anlaufstellen etabliert. Das älteste und renommierteste Restaurant liegt auf einer kleinen Insel im Schwarzen Drin, bevor dieser in den See fließt. Der Name des zur Zeit Jugoslawiens errichteten Restaurants, Ostrovo, leitet sich von dem mazedonischen Wort ostrov, »Insel«, ab. Seinen Charme be-
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kommt es durch seine Lage und die Einrichtung, die nostalgisch an vergangene Zeiten erinnert. Die Besitzverhältnisse sind in Bezug auf das Ostrovo-Restaurant von außen betrachtet seit der Rückgabe des Klosterkomplexes an die MPC ungeklärt. Geführt wird das Restaurant von einem der beiden Söhne des Küsters, der im Klostergebäude aufwuchs (PN 27.01.2019). Dass das Kloster vom Restaurant aufgrund der emotionalen und familiären Verbindung des Geschäftsführers profitiert, ist nicht auszuschließen. Zum Sommerfeiertag lockt er zudem mit einer Band, die mazedonische Volksmusik spielt und damit zu traditionellen Reigentänzen (maz. oro) einlädt. Die jüngere und moderner anmutende Konkurrenz, das Cuba Libre Restaurant Drim, befindet sich auf dem Weg zum Kloster zwischen den Souvenirbuden und der Flussmündung in den See. Mit Sitzmöglichkeiten und Straßenverkauf ist das Schnellrestaurant für die Laufkundschaft die günstigere Variante. Die dritte Variante ist das Hotelrestaurant direkt am Kloster, das ebenfalls auf eine längere Geschichte zurückblickt. Es wird hauptsächlich von Hotelgästen und den Mitarbeiter:innen der Kirche genutzt. Die Nähe und Ausstattung nutzen die Vertreter der Kirche besonders zu den Feiertagen, um das eigene Personal zu verköstigen. Zum Winterfeiertag, zu dem wenig Besucher:innen kommen, lädt der Archimandrit Nektarij alle Anwesenden zum Essen in das Hotelrestaurant ein. Das Hotelpersonal unterbricht dafür die Winterpause und achtet bei der Kost auf die religiös bedingten Fastenregeln. Während des Sommerfeiertags beachtet das Restaurant die Fastenregeln ausschließlich für die Kirchenmitarbeiter:innen, nicht aber für die anderen Gäste. Eine Mitarbeiterin der Kirche empfahl mir, im Hotelrestaurant zu Mittag zu essen, weil es so nah an Sveti Naum sei (EN 03.07.2018). Sie interpretierte die Nähe der Klosterkirche zum Hotelrestaurants als besonders wertvoll, als würde die Heiligkeit des Ortes auf die nähere Umgebung abfärben. Dort zu essen, würde sich folglich auch positiv auf die Gäste auswirken. Zwei weitere Möglichkeiten der Verköstigung sind etwas unscheinbarer. Eine befindet sich während der Ferienmonate Juli bis September westlich des Klosters, auf dem Erholungsgelände für Militärangehörige. Das kleine Restaurant ist zwar für alle Hungrigen offen, wird jedoch wegen seiner Lage kaum wahrgenommen. Die andere Anlaufstelle für die Versorgung ist ein kleiner Supermarkt mitten in den Souvenirhütten, der ein paar verzehrfertige Grundnahrungs- und Genussmittel – außer Obst und Gemüse – verkauft. Alle Verköstigungsstätten beziehen sich zeitlich und räumlich auf Naum und das Kloster: Alle nutzen das touristische Potential des Ortes, das sich über die sonnigen Monate April bis September erstreckt und im Ansturm der Besucher:innen am Sommerfeiertag gipfelt. Das zeigt sich auch in der Besatzung, denn die Saisonarbeiter:innen werden für den 2. und 3. Juli von weiteren Kellner:innen unterstützt, die aufgrund freundschaftlicher Beziehungen zu den Lokalbetreiben-
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den auch aus weiter entfernt liegenden Städten, wie Kavadarci, stammen (EN 01.07.2018). Lediglich der Supermarkt weist überdies auch durch seinen Namen – Sveti Naum – auf die Verbindung mit dem Kloster hin. Unterkünfte als vierter Dienstleistungsbereich am Kloster gehen historisch auf die konak zurück, die die lokale Bevölkerung im jeweiligen Stadtverbund bereits zu osmanischer Zeit selbst errichtet hatte. Sie dienten damals als Herbergen, in denen sich die Reisenden vom langen Weg ausruhen konnten, den sie oft zu Fuß bewältigten. Da der Klosterbesuch mittlerweile aufgrund verschiedener Transportmittel als Tagesausflug möglich ist, stehen im Klosterkomplex nur noch zwei Unterkünfte mit Schlafplätzen zur Verfügung. Das bereits genannte Hotel ist direkt in die Räumlichkeiten des Klosters eingezogen. Die Zimmer sind in vier Bereiche eingeteilt, die mit dem aus dem Türkischen übernommenen Begriff konak bezeichnet werden. Das breite Bedeutungsspektrum von konak, das von Villa und Palast über Herberge bis hin zum Gebäudekomplex mit den Schlafräumen der Klosterbewohner:innen reicht, lässt überdies weitere Assoziationen zu, die Übernachtungsgäste anlocken können. Die Besitzverhältnisse in Bezug auf das Klosterhotel sind wie die des Restaurants Ostrovo von außen betrachtet seit der Rückgabe des Klosterkomplexes an die MPC unklar (PN 27.01.2019). Geschäftsführer des Hotels ist einer der beiden Söhne des Küsters, der im Kloster aufwuchs. Demnach verfolgt er vermutlich nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern ist auch emotional und ideell mit dem Ort seiner Kindheit verbunden. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass das Kloster finanziell nicht nur vom Restaurant, sondern auch von dem Hotel profitiert. Die andere Schlafmöglichkeit im Klosterkomplex ist der Campingplatz (maz. kamp). Er wurde ausschließlich in den Sommerferien betrieben und war mazedonischen Staatsbürger:innen vorbehalten, weil er vom Staat unterhalten wurde. Der Staat stellte dort Platz für eigene Zelte sowie vollausgestattete Wohnwagen, sanitäre Anlagen und eine Rezeption zur Verfügung, an der zwei Personen als Ansprechpartner:innen beschäftigt waren. Außerdem wurden allgemein noch zwei bis vier Soldaten zur Überwachung am Zeltplatz beschäftigt, um deren Verköstigung sich ein beim Militär angestellter Koch kümmerte. Im Sommer 2016 bestand die Truppe aus insgesamt vier Soldaten, um die Arbeit während des geöffneten Campingplatzes zu bewältigen. Im Sommer 2018 war der Campingplatz geschlossen, so dass nur zwei Soldaten und ein Koch beschäftigt wurden, die anlässlich des Feiertags von zwei weiteren Kameraden unterstützt wurden (EN 01.07.2018). Die Soldaten sorgten am geschlossenen Zeltplatz dafür, dass niemand unerlaubt zeltete, und überwachten den Zeltplatz, der den Besucher:innen aus Albanien während des Feiertags als Abkürzung diente. Hintergrund der Schließung war, dass der Staat lange Zeit nicht in den Campingplatz investiert hatte, was sich in
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der alten und abgenutzten Anlage sowie der Ausstattung zeigte, die niemandem mehr zugemutet werden sollte. Daneben gibt es weitere Schlafmöglichkeiten, die subtil mit dem Klosterkomplex verbunden sind. Zum einen ist es die Vila Risteski in Ljubaništa, die zum Restaurant Ostrovo gehört. Die Verbindung zwischen Unterkunft und Klosterkomplex wird dadurch erkennbar, dass Unterkunft und Restaurant jeweils füreinander werben und einer der Söhne des Klostermitarbeiters Dran das Restaurant betreibt. Aufgrund der intransparenten Besitzverhältnisse scheint es nicht abwegig, dass die Klosterleitung von der Unterkunft profitiert, wenn sie sich nicht sogar selbst an der Leitung beteiligt. Daneben gibt es zum Sommerfeiertag akzeptierte kostenlose Alternativen für die diejenigen, die sich eine Übernachtung in einem geschützten und betreuten Raum nicht leisten können. Dazu gehören das Wildzelten am öffentlich zugänglichen Seeufer oder auf der Wiese neben der Kirche Sveta Petka – beides außerhalb der Klostermauern – sowie das Schlafen unter freiem Himmel im Klosterpark. Die meisten Unterkünfte der Besucher:innen befinden sich jedoch außerhalb des Klosterkomplexes, in Ohrid und Umgebung. Neben Hotels vermieten immer mehr Privatpersonen einzelne Zimmer oder ganze Wohnungen an Gäste aus dem In- und Ausland, wofür sie zunehmend über Onlineanbieter, wie Booking.com oder AirbNb, werben. Die Räumlichkeiten befinden sich häufig in den oberen Etagen der als Mehrfamilienhäuser errichteten Eigenheime. Die vermieteten Etagen wurden ursprünglich für die Kinder geplant, die nach der Hochzeit traditionell mit ihren eigenen Familien im Haus der Eltern oder Schwiegereltern wohnen. Besonders ältere Paare versuchen folglich nicht nur ihren Lebensunterhalt zu erwerben oder ihre Rente aufzubessern. Für sie schließen die aufgenommenen Gäste auch eine soziale Lücke, die ihre Kinder mit dem sozial oder wirtschaftlich motivierten Aus- und Wegzug hinterlassen. Teilweise wohnen ihre Kinder, vor allem die Töchter, bei den Schwiegereltern. Teilweise leben und arbeiten die Kinder aber auch in wirtschaftlich vielversprechenderen Städten, wie der Hauptstadt Skopje, oder im westeuropäischen Ausland und besuchen ihre Eltern deswegen seltener. Die Betreibenden der beiden Unterkünfte im Klosterkomplex nutzen das Potential des Klosters unterschiedlich. Das Hotel ist bereits durch seine Entstehungsgeschichte stärker mit dem Heiligen und dem Kloster verbunden und genießt hohes Ansehen, vor allem bei denen, die es sich nicht leisten können. Der Campingplatz, der zur Zeit Jugoslawiens nur dem Militär zur Verfügung stand, unterstützt den Heimattourismus ohne ausgewiesene Verbindung zum Kloster. Die fehlenden staatliche Investitionen sind schwierig zu beurteilen, denn es gibt kein einheitliches staatliches Tourismuskonzept (Auswärtiges Amt 2018). Allerdings investierte vor allem die bis 2017 regierende VMRO-DPMNE auch in den Neubau orthodoxer Kirchen und Klöster sowie in die Renovierung bereits existierender und
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als Kulturerbe unter Denkmalschutz stehender religiöser Gebäude. Die Partei, die einen eher nationalkonservativen politischen Kurs verfolgt, unterstreicht dadurch die Verbindung zwischen mazedonischer und christlich-orthodoxer Identität. Besonders für die lokale Bevölkerung aus Ohrid und Umgebung ist der Tourismus eine der wirtschaftlichen Haupteinnahmequellen. Tendenziell profitiert die mazedonische Seite um Ohrid mehr von den Tourst:innen aus dem In- und Ausland als die albanische um Pogradec, was auch am Verkehrsnetz liegt, dass erst in den letzten Jahren ausgebaut wurde. Viele Menschen aus der Umgebung des Klosters versuchen, sich im tertiären Sektor zu betätigen und vom Tourismus zu profitieren, indem sie selbstständig – und teilweise schwarz – Unterkünfte und Fahrdienste anbieten. Das Dienstleistungsgewerbe im Tourismus- und Freizeitbereich zeigt abgesehen vom Hotel und dem dazugehörigen Restaurant keine besondere Verbindung zu Naum und dem Kloster. Außerdem ist der direkte Einfluss der Heiligenfigur auf die touristischen Dienstleistungen wesentlich schwächer als der des Klosters. Das liegt daran, dass der Klosterkomplex über seine religiöse Bedeutung hinaus auch die Faktoren Geschichte, Kunst und Architektur, sowie Natur und Erholung als vermarktbare Tourismusattraktionen nutzt. Die Angebote der touristischen Dienstleistungen sind zudem unmittelbar vom Faktor Zeit beeinflusst. Allgemein sind das Wetter und damit auch die Reisesaison für einen Besuch am Kloster ausschlaggebend. Das zeigt die hohe Anzahl der Gäste in den wärmeren Monaten von April bis September im Vergleich zu den kälteren Monaten von Oktober bis März. Das Wetter als Hauptfaktor für einen Klosterbesuch steht den eventuellen Erwartungen entgegen, dass ein Kloster vor allem im Rahmen von christlichen Feiertagen aufgesucht werde. Die beiden religiösen Feiertage im Januar und im Juli, die zum Gedenken an Naum stattfinden, spielen für die Besuchszahlen auch eine Rolle, wenn auch eine untergeordnete. Sie erhöhen die Besucher:innenzahl innerhalb der jeweiligen Saison schlagartig, die danach auch sofort wieder abfällt. Die Nachfrage nach touristischen Dienstleistungen steigt jedoch nur im Sommer, während zum Winterfeiertag am 5. Januar religiöse Motivationen im Vordergrund stehen. Touristische Dienstleistungen, die Natur und Kultur ins Zentrum rücken, sind folglich im Winter nicht oder kaum nachgefragt. Die touristischen Dienstleistungen am Kloster richten sich nach der Reisezeit und setzen auf saisonalen Profit. Das religiöse Potential, das Naum als verehrungswürdigem Heiligen von der christlichen Bevölkerung zugeschrieben wird, wird dabei nur mittelbar durch seine Beziehung zum geographischen Ort des Klosters vermarktet. Die latente indirekte Vermarktung der Verehrungswürdigkeit Naums entspricht der oft vorherrschenden Erwartung, dass religiöse Güter nicht
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kapitalistisch und gewinnbringend, sondern uneigennützig und zur Vermehrung des religiösen und ideellen Wertes eingesetzt werden sollen.
8.2 H ANDEL MIT KULTURTOURISTISCHEN ANDENKEN IM KLOSTERKOMPLEX Neben dem touristischen Dienstleistungsgewerbe zeigt sich das wirtschaftliche Potential des Klosters am deutlichsten am Handel. Unverkennbar wird Handel an den festen Verkaufsständen getrieben: Mehrere kleine Holzhütten ziehen sich links des Weges vom Haupteingang bis zur Brücke hin. Etwa auf der Hälfte der Strecke befindet sich der kleine Supermarkt »Sv. Naum«, in dem das Nötigste und einige Genussmittel verkauft werden, die sowohl von Besucher:innen als auch von dort Arbeitenden komsumiert werden. Unter jedem Dach der Holzhütten befinden sich immer zwei Stände, die durch eine Holzwand getrennt sind. Dort wird eine Vielfalt an Waren angeboten, die offenbar für alle Besucher:innen etwas bereithält. An den meisten Ständen gibt es Souvenirs mit – teils offensichtlichem, teils latentem – Lokal- oder Regionalbezug. Einen latenten Bezug zur Gegend haben etwa Ketten, Ohrringe, Armbänder und andere Schmuckstücke mit und ohne Perlen. Perlen sind zwar ein Wahrzeichen Ohrids, weil sie aus Muscheln des OhridSees gefertigt werden und ihre schimmernde Farbe von Schuppen der Fischart Weißer Ukelei (maz. plašica) erhalten (»Ostrovo« 2014). Da Perlen jedoch auch an anderen Orten der Welt auffindbar sind, ist der Bezug zu Ohrid nur aufgrund der expliziten Hinweise Ohridski Biseri und Ohrid Pearls greifbar. In Bezug auf religiöse, staatliche oder ethnische Zugehörigkeit sind sie dagegen neutral. Die Zielkundschaft definiert sich folglich stärker über ihre Geschlechterrollen als über religiöse oder politische Kollektive: In erster Linie spricht der Schmuck das weibliche Publikum an, das sich zum Verweilen eingeladen fühlt. Männer sind dagegen eher in weiblicher Begleitung dafür zu begeistern, besonders wenn sie durch Großzügigkeit ihre Liebe demonstrieren können. Auch der Preis der lokalen Kostbarkeiten grenzt den tatsächlichen Kund:innenkreis ein, da die Perlen aufgrund der aufwendigen Herstellung nicht für alle erschwinglich sind. Auch Felle, die der heimischen Jagd entstammen, sind nicht deutlich als Regionalprodukte erkennbar. Sie werden sowohl unverarbeitet als auch zu Kleidungsstücken, wie Mützen, verarbeitet verkauft. Im Vergleich zum Schmuck sind sie neutraler, da sie unabhängig von religiöser Überzeugung, Herkunft oder Geschlecht getragen werden können. Da die Zeit des Tourismus vor allem von April bis September dauert, werden die winterlichen Fellmützen auch im Hochsommer
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angeboten. Die Händlerin erklärte die Gründe für das scheinbar absurde Angebot von Fellmützen im Sommer: Vor allem Tourist:innen aus Russland und der Türkei seien an Jagderzeugnissen aus Mazedonien interessiert (EN 02.07.2018). Neben der guten Qualität seien vor allem die niedrigen Produktionskosten ausschlaggebend, die sich auch im Verkaufspreis niederschlagen. Zudem könne eine Fellmütze, die eher in der kalten Jahreszeit getragen werde, auch im Sommer verkauft werden. Der unschlagbare Preis steigere nur den Kaufwunsch der ohnehin Interessierten, die ihren Sommerurlaub in Mazedonien verbringen. Unschlagbar sind diese Argumente jedoch nicht, wie folgende Szene verdeutlicht, die sich kurz nach ihrer Stellungnahme ereignete: Zwei türkisch sprechende Frauen blieben stehen und nahmen interessiert Fellmützen in die Hand. Die Verkäuferin nannte ihnen auf Türkisch die Namen der Tiere, von denen das Fell stammte. Die Frauen schienen zu verstehen. Sie setzten die Mützen auf, lachten und fragten sich gegenseitig, wie sie damit aussähen. Die Verkäuferin begann daraufhin, ihnen den Preis auf Türkisch in Euro mitzuteilen. Ohne die Reaktion ihrer Kundinnen abzuwarten, ging sie sofort mit dem Preis weiter runter. Erfolglos, die beiden Frauen setzten die Mützen ab und gingen zum Ausgang. Durch das preisliche Entgegenkommen versuchte die Händlerin soziale Nähe und Kauflust bei den Frauen zu erzeugen. Auch der Sprachwechsel ins Türkische, das sie bis auf die Zahlen und ein paar hilfreiche Begriffen nicht beherrschte, gehört zur Verkaufsstrategie der Sympathieerzeugung. Die Szene zeigt auch, dass der Faktor persönlicher Vorlieben von den Verkäufer:innen nicht berücksichtigt wird, weil sie ihn in der kurzen Zeit nicht beeinflussen können. Ein stärkerer Lokalbezug ist bei kleineren Souvenirs erkennbar, deren Kostenpunkt wesentlich niedriger liegt. Dazu gehören etwa Postkarten, Magnete, Schlüsselanhänger, Flaschenöffner und Schneekugeln mit Motiven wie dem Naum-Kloster, der Stadt Ohrid, der berühmten Kirche Jovan Kaneo, dem Amphitheater und anderen sehenswerten Orten der Gegend – Gegenstände, die sowohl erschwinglich als auch geschlechtsneutral sind. Der Lokalbezug grenzt den Kreis der Kund:innen nicht maßgeblich ein, weil die Produkte allgemein abbilden, was touristisch sehenswert erscheint. Aufgrund des Verkaufsstandorts innerhalb eines christlich-orthodoxen Klosterkomplexes scheint es nicht zu überraschen, dass sie hauptsächlich christliche regionalhistorische Anknüpfungspunkte bieten. Es ist jedoch auffällig, dass auch an anderen Souvenirständen in der Stadt Ohrid kaum Andenken mit osmanisch-muslimischer Konnotation zu finden sind, obwohl es vor dem historischen Hintergrund und angesichts des fehlenden staatlichen Tourismuskonzepts zu erwarten wäre. Das Fehlen osmanisch-muslimisch geprägter Andenken spricht für die dominante christlich-slawische Erinnerungskultur, die im Zuge der Nationsbildung entstand und andere Erinnerungen strategisch verdrängte oder abwertete.
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Die Standbetreiber:innen haben mit ihren Souvenirs eine konkrete Hauptzielgruppe im Blick. Einer der Händler im Klosterkomplex sagte frei heraus, dass alle, die wie er einen festen Stand betrieben, nur von den Tourist:innen profitierten und nicht von den Gläubigen (maz. vernici), die vor allem am Feiertag kommen (EN 06.07.2018). Mit Tourist:innen sind in diesem Fall internationale Besucher:innen des Klosters gemeint, die sich das Kloster wegen seiner Geschichte und kunsthistorischen Bedeutung ansehen. Die sogenannten »Gläubigen« kommen dagegen aus ihrer Nachbarschaft. Sie könnten aufgrund der Nähe jeden Tag kommen, statt nur zum Feiertag, tun es aber nicht. Sie kaufen auch nichts an den Ständen, denn sie haben keinen Bedarf an Erinnerungsstücken aus ihrer eigenen Lebenswelt. Ähnliches gilt für Keramikgeschirr mit traditionellen Mustern und andere nützliche Erinnerungsstücke. Für Klosterbesucher:innen aus der näheren Umgebung sind die Souvenirs nicht wegen der einseitig christlich-slawischen Motive oder des allgemeinen Lokalkolorits uninteressant. Vielmehr beobachtete ich, als ich mit einzelnen Familien zusammenlebte, dass die Lokalbevölkerung notwendige Küchen- und Haushaltsutensilien bei Händler:innen ihres Vertrauens und nicht am Kloster oder einem anderen historischen und touristischen Ort kauft. Die Gründe dürften pragmatischer Natur sein: Die Bevölkerung kauft notwendige Gebrauchsgegenstände kostengünstiger in nahegelegenen Einkaufsmöglichkeiten, wodurch sie auch die Transportwege kurzhalten. Der Großteil der feilgebotenen Souvenirs, die nicht nur – teilweise praktische – Erinnerungsstücke für die Tourist:innen aus einem ihrer Urlaube sind, ist zudem mit Emotionen verbunden. Neben den unauffälligen Andenken mit Lokalkolorit, die auf latenten Lokalstolz setzten, stehen Waren, die aufgrund ihrer Symbolik auch Regional- und Nationalstolz transportieren. Der findet sich auf Textilien, wie Schals, T-Shirts und Sonnenmützen, die mit historischen und politischen Symbolen versehen sind, wie dem Umriss Großmakedoniens, mit Alexander dem Großen und der Sonne von Vergina in den Nationalfarben rot-gelb. Gelegentlich tragen die Textilien auch nur den Schriftzug Macedonia oder Makedonija. Vor allem der häufig auf Englisch gehaltene Schriftzug spricht ein internationales Publikum an. Allerdings richten sich die Produkte, die die nationalsymbolische Ebene bedienen, auch an die mazedonischen Landsleute, die im Ausland leben und arbeiten. Sie fühlen sich meist weiterhin so mit ihrer Heimat verbunden, dass sie dort nahezu jährlich einmal hinfahren, um ihren Urlaub mit dem Besuch von Familie, Verwandten und Bekannten zu verbinden. Auch kleinere Souvenirs sind mazedonisch markiert oder versuchen die Kundschaft auf einer persönlichen emotionalen Ebene anzusprechen. Die emotionale Ebene wird zum Beispiel durch Armbänder bedient, die den Namen der schenkenden oder beschenkten Person tragen können. Auch die aus Holz gefertigten Schlüsselanhänger in Herzform mit der Aufschrift
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»Ich liebe dich« in Mazedonisch, Englisch, Albanisch und Türkisch zielen auf die Emotionen der Kundschaft. Einer der Stände sticht mit seinem Warenangebot besonders heraus. Der Standbetreiber Ǵorǵi verkauft Ikonen, die er selbst anfertigt. Es sind keine gemalten Ikonen, sondern Prägungen aus Kupfer (maz. bakar), die der knapp 50‑Jährige in einen Holzrahmen setzt. Sowohl das geprägte Metall als auch die Holzrahmen kauft er bereits vorgefertigt in Skopje ein. Ǵorǵi nimmt vor Ort die Endverarbeitung der Teile vor: Er beizt den Rahmen, klebt die Metallikone auf und gibt schließlich – teilweise auf Wunsch der Kund:innen – goldene Farbe auf die Ikone. Stolz erzählt er, er habe die goldene Farbe in Sprühdosen in den Niederlanden gekauft, wo er vor allem im Winter Bekannte besuche. Er sprühte zur Vergoldung zunächst etwas Farbe in den Deckel der Sprühdose und verteilte dann die feuchte Farbe mit einem Pinsel auf dem Kupfer. Er setzte mit dem Gold einige Akzente und hob besondere Merkmale heraus, wie den Heiligenschein, Kreuze an der Kleidung oder die Lanze des Heiligen Georg. Als Verkaufsstrategie setzt der Ikonenverkäufer auf die Ehrlichkeit seiner Arbeit in mehrerer Hinsicht. Er demonstrierte dafür im Gespräch mit potentieller Kundschaft aus Mazedonien und anderen jugoslawischen Nachfolgestaaten die Schwielen und Farbspuren von Gold und Beize an seinen Händen. Er zeigte damit, dass er im Gegensatz zu den anderen, die einen Stand betrieben, nicht nur verkaufe, sondern auch körperlichen Einsatz bei der Herstellung seiner Ware zeige. Besonders deutlich wurde das daran, dass er sich nach den Wünschen der Käufer:innen richtete. War die gewünschte Ikone nicht fertig vorrätig, suchte er die entsprechende Metallprägung gemeinsam mit ihnen. Nach Vereinbarung stellte Ǵorǵi das Exemplar fertig, während seine Kund:innen sich das Kloster ansahen. Nach ihrem Besuch konnten sie sich dann von seiner Arbeit überzeugen und teils noch die Goldfärbung beobachten. Das Argument der ehrlichen Arbeit verstärkte Ǵorǵi durch die Ware selbst, indem er auch auf die Heiligkeit der Motive verwies, womit er indirekt an die Frömmigkeit der Kundschaft appellierte. Diese setzte der Ikonengestalter und -verkäufer voraus, da die Kund:innen ein Kloster, einen religiösen Ort aufsuchten. Mit dieser Argumentation stellte er das Kloster, den Heiligen und religiöse Beweggründe in den Vordergrund. Andere Dimensionen des Ortes, wie dessen touristische, politische und wirtschaftliche Bedeutung, unterschlug er. Er nutzte das Hauptmerkmal des Ortes, um aus dessen Vermarktung Kapital zu schlagen. Die Strategie der Instrumentalisierung religiöser Gefühle zielt vor allem auf Besucher:innen christlicher Tradition ab. Im Gegensatz zu den Ständen mit Schmuck oder Fellen grenzt dies die Zielgruppe stärker ein. Allerdings ließ der Ikonenhändler nichts unversucht und demonstrierte seine Sprachkenntnisse auch mit ein paar nützlichen Brocken Türkisch sowie Albanisch (EN 02.07.2018). Auf
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seine Albanischkenntnisse und sein historisches Wissen über die Region schien er besonders stolz. Auch sein albanischer Mitarbeiter aus Struga hat ihm dabei geholfen, der ihn vor allem in der Anfertigung der Artikel unterstützte und sich dagegen beim Verkauf zurückhielt. Andere albanische Händler:innen und Mitarbeiter:innen gab es vor Ort kaum. Ǵorǵi war stolz darauf, einen tüchtigen albanischmuslimischen Mitarbeiter zu beschäftigen, weil er mir daran beweisen konnte, dass es keine Probleme zwischen den verschiedenen Ethnien und Religionen vor Ort gebe. Die von mir vermuteten Probleme seien allesamt politisch erzeugt und bedingt. Die Händler:innen lebten sowohl in den Nachbardörfern als auch in Ohrid selbst. Der über die Grenzen Ohrids hinausreichende Ruf des Klosters, wirtschaftlich profitabel zu sein, ließ auch weitere Händler:innen aus anderen Städten in Mazedonien zuziehen. Der Ikonenverkäufer stammte ursprünglich aus Skopje, wo er auch einen Teil der Materialien für seine Ikonen gekauft hatte. Sein Standnachbar, der auch mit Souvenirs aus den albanischen Nachbarorten Tushemisht und Pogradec handelte, stammte dagegen aus Bitola. Auch er hatte einen albanischen Geschäftskollegen aus Struga, mit dessen Hilfe er die Souvenirs aus Albanien besorgte und einen kleinen Souvenirladen in der Innenstadt von Pogradec eröffnete. In dem Laden, den er nach einer Saison wieder schloss, weil er sich nicht rentierte, beschäftigte er eine Frau aus Pogradec, deren Monatsgehalt 100 Euro betrug. Die beiden Zugezogenen lebten jeweils allein in einem Haus in Ljubaništa, wo sie sich auf unterschiedliche Weise in die Dorfgemeinschaft einbrachten. Das Leben ohne Familie, insofern sie eine hatten, zeigt, dass sie mit alten Verbindungen gebrochen haben und weitestgehend ohne familiäre Verpflichtungen agieren. Im Unterschied zu ihnen banden ihre Standnachbar:innen, die aus der Umgebung von Ohrid stammten, bei Bedarf andere Familienmitglieder ein. Die beiden Beispiele zeigen außerdem, dass das Kloster überregional und international in wirtschaftliche Kreisläufe eingebunden ist. Der Verkauf von Souvenirs an den festen Ständen im Klosterkomplex zeigt, dass der Verkaufsstandort allein nicht ausschlaggebend für das Auftreten religiöser Güter ist. Wie die touristischen Dienstleistungen verweisen auch die Andenken nur in wenigen Ausnahmen auf Naum oder das Kloster als die symbolischen und geographischen Orte, an denen sie verkauft werden. Selbst eine Verknüpfung zum orthodoxen Christentum ist kaum unter den Andenken zu finden. Die Beobachtungen lassen sich historisch mit der Enteignung des Klosters begründen: Die Umwandlung in ein Museum rief nicht-religiöse Andenken hervor und verdrängte den Handel mit Devotionalien – sofern es ihn gab. Sie stand außerdem im Kontext der jugoslawischen Politik, die Bekenntnis und Ausübung von Religion im alltäglichen, öffentlichen Leben erschwerte. Die Andenken transportierten symbolhaft Gefühle von Verbundenheit mit der Region und der
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Natur um Ohrid, der mazedonischen Nation oder mit einer nahestehenden Person. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere die Andenken mit Bezug zur slawisch-mazedonischen Nation erst im Zuge der Enteignung des Klosters auftauchten, da parallel dazu die mazedonische Nationsbildung durch Jugoslawien gefördert wurde. Darüber, inwieweit die Unabhängigkeit Mazedoniens oder die Regierung der nationalkonservativen VMRO-DPMNE weitere Impulse setzten, kann nur spekuliert werden. Verkaufsstrategisch werden mit den Andenken verschiedene Aspekte des Selbstverständnisses der Besucher:innen angesprochen: kultur- und kunsthistorisches Interesse, Weltoffenheit sowie Geschlecht und persönliche Beziehungen. Die religiöse Zugehörigkeit der Einzelnen wird dagegen vernachlässigt, obwohl erwartet werden könnte, dass sie an einem Kloster als religiösem Ort im Vordergrund steht. Strategisch scheint dies die Schnittmenge zwischen den Interessen der Handelspartner:innen – den Einzelhändler:innen und den Tourist:innen – zu sein. Parallel zur Enteignung des Klosters entwickelte sich neben dem Warenangebot auch die Vorstellung darüber, wer die Zielgruppe sei: Mit Umwandlung in einen touristischen Ausflugsort sollten vor allem Tourist:innen angelockt und Gläubige sowohl aus der Öffentlichkeit als auch aus dem Klostergeschehen verdrängt werden. Mit der Rückgabe religiöser Gebäude und Ländereien an die jeweiligen Religionsgemeinschaften konnte dort das religiöse Leben offiziell wieder gefördert werden, wie am Beispiel des Naum-Klosters deutlich wurde. Besucher:innen aus der Region werden seitens der Verkäufer:innen als »Gläubige« beschrieben, da sie hauptsächlich am Sommerfeiertag zum Kloster kommen, der als Hochfest des Heiligen gilt. Da das Souvenirangebot der Stände durch die jugoslawische Politik kulturtouristisch geprägt worden ist, zielte es jedoch weniger auf diejenigen ab, die das Kloster aus religiösen Gründen aufsuchten. Ein weiterer Grund könnte auch darin liegen, dass internationale Reisende im Vergleich zu Besucher:innen mit kurzem Anreiseweg über mehr Geld verfügen und dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie etwas kaufen. Das Kapitel zeigt zudem, dass der Standort des Souvenirhandels auch Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage des Klosters hat. Denn trotz fehlendem Bezug der Ware zu Naum, dem Kloster oder zum orthodoxen Christentum profitiert das Kloster vom Handel mit touristischen Andenken im äußeren Bereich des Klosterkomplexes durch die Verpachtung der Holzhütten als Verkaufsstände. Auch hierfür war nicht zuletzt die Rückgabe des Klosters an die MPC ausschlaggebend. Als Eigentümerin duldete die Klosterverwaltung die zur Zeit Jugoslawiens etablierten Souvenirhändler:innen nicht nur, sondern festigte vielmehr ihre Anwesenheit in wettergeschützten Holzhütten. Darüber hinaus weist auch der nach 2016 asphaltierte Parkplatz hinter den Hütten darauf hin, dass die Händler:innen von Verantwortlichen als fester Bestandteil des Klosterkomplexes betrachtet werden. Die
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Beobachtungen im äußeren Bereich des Klosterkomplexes stehen insofern trotz des meist fehlenden religiösen Bezugs der Warenangebote und der Zielgruppe den häufig anzutreffenden Erwartungen leicht entgegen, dass christliche Organisationen nicht gewinnorientiert wirtschaften dürfen. Allerdings sei vorwegnehmend gesagt, dass die Stände durch die Herstellung des religiösen Bezugs auch mit dem Jahrmarkt und dem Klosterladen konkurrieren würden.
8.3 JAHRMARKT ZUM SOMMERFEIERTAG Neben dem saisonalen Handel mit touristischen Souvenirs erscheint zum Sommerfeiertag ein weiterer Handelsbereich am Kloster. Jährlich findet am 2. und 3. Juli auf dem Weg von der Brücke bis zu den Mauern des Klosters ein Markt (maz. panaǵur; alb. panair) statt. Im Vergleich zu den festen Souvenirständen kommt beim Jahrmarkt zu der Nähe zum religiös gedeuteten Ort auch noch der Faktor Zeit hinzu, der durch das Fest des Heiligen religiös konnotiert ist. Der Jahrmarkt stellt somit eine besondere Form von Feiertagswirtschaft dar. Infolgedessen liegt es nahe, anzunehmen, dass auch die Anzahl der religiösen Güter prozentual zunimmt. Die Forschungsergebnisse stehen dieser Erwartung jedoch konträr gegenüber. Stattdessen spiegelt der Markt verschiedene Aspekte der ökonomischen Lage der Händler:innen, die aus Mazedonien stammen, wider. Außerdem zeigt der Jahrmarkt, verglichen mit den Souvenirhütten, eine weitere Dimension der Verflechtung von Wirtschaft und verschiedenen Reisearten auf: Die Handelnden sind über ihre berufliche Tätigkeit hinaus auch in der Rolle von religiösen Pilger:innen und Freizeittourist:innen am Kloster. Der Jahrmarkt besteht aus kleinen, wenige Tage zuvor errichteten mobilen Ständen, deren Betreiber:innen diverse Alltagsgegenstände verkaufen: Kleidung, Schmuck, Spielzeug, Süßigkeiten, Waschmittel, Gemüseschäler, Werkzeuge, Bettdecken und Kopfkissen (Abb. 9). Nachdem die Besucher:innen die Kirche und das Grab aufgesucht haben, schlenderten sie auch über den Jahrmarkt. Bereits auf dem Weg zur Kirche und zum Grab kamen sie daran vorbei. Einige warfen dabei auch schon einen Blick auf die Waren. Gekauft wurde jedoch erst nach dem Kirchenbesuch. Das hatte den Vorteil, dass die Einkäufe den langwierigen Besuch der kleinen, vollgestopften Kirche nicht noch zusätzlich erschwerten. Die Besucher:innen verhielten sich entsprechend ihrer sozialen Rollen: Die Augen der Kinder strahlten beim Anblick der blinkenden und glitzernden Spielsachen, Frauen durchsuchten die Wühltische nach dem T-Shirt in der richtigen Größe oder in einer anderen Farbe, während die Männer ihre Familien begleiteten, bezahlten oder weiterliefen, bis sie etwas für sich gefunden hatten.
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Abb. 9: Jahrmarkttreiben am Vormittag des 3. Juli.
Für die Händler:innen startete bereits am Vormittag des 2. Juli der Verkaufsmarathon, denn sie gönnten sich bis zum frühen Abend des 3. Juli keine große Pause. Wenn der 3. Juli auf einen Samstag oder Sonntag fällt, dauert der Marathon noch länger. Im Jahr 2016 war der 3. Juli ein Sonntag und der Jahrmarkt begann bereits am Freitagnachmittag, als zunehmend Gäste das Kloster erreichten, und dauerte ebenfalls bis Sonntagabend. Die ganze Nacht hindurch kamen und gingen Besucher:innen und damit potentielle Kund:innen. Außerdem sind die Stände nicht abschließbar, ihre Ware bliebe demnach während einer Pause unbeobachtet und vor Dieb:innen ungeschützt. Damit die Händler:innen Pausen zur Erholung einlegen konnten, betrieben immer mindestens zwei Personen einen Stand. Dabei handelte es sich meist um Männer mit ihren Ehefrauen, selten auch um Brüder oder sehr enge Freunde. Wenn die Ehepaare Kinder hatten, die alt genug waren, sich gelegentlich allein zu beschäftigen, brachten sie diese mit. Bisweilen vertrieb sich ein Elternteil auch die Erholungszeit mit den Kindern am See. Der Aufenthalt am Kloster, der in erster Linie dem Geschäft diente, bekam durch Kinder den Charakter eines Familienausflugs, wie das Beispiel einer aus Bitola stammenden Familie zeigte: Mimoza ist eine christliche Mazedonierin und ihr Mann ein türkisch-albanischer Muslim. Ihre gemeinsame Tochter ging bereits in die Grundschule. Ich lernte sie am 1. Juli 2016 kennen, als sie kurz nach der An-
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kunft ihr Zelt auf dem Campingplatz (maz. kamp) aufgeschlagen hatten. Andere Handelsfamilien dagegen zelteten wild auf einer Wiese am Wasser oder übernachteten in ihren Autos. Im Hotel zu übernachten, war aus Kostengründen für niemanden von ihnen möglich. Während Mimoza das Mittagessen auf einem Campingkocher vorbereitete, ging ihr Mann mit der Tochter zum Angeln und Baden an den See. Nach dem Essen bauten sie gemeinsam den Stand auf und arrangierten die Kleidung, vor allem Hosen und T-Shirts für Mädchen und junge Frauen auf dem Verkaufstisch. Die Ware kauften sie vorher immer persönlich in der Türkei, wo auch einige Verwandte leben. Beim Aufbau ihres Standes traf das Ehepaar gute Bekannte aus ihrer Stadt. Die Bekannten waren zwei Roma-Brüder, die jeweils mit ihren Frauen einen Stand betreuten. Wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu den Roma lassen sich an ihnen weitere Aspekte des wirtschaftlichen Lebens in Mazedonien verdeutlichen. Die Roma-Bekannten sprachen etwas Deutsch, da sie ein paar Monate in Deutschland gelebt hatten, um Asyl zu bekommen. Roma aus Mazedonien gelten jedoch nicht als politisch verfolgte Gruppe. Ihre gesellschaftliche Benachteiligung zeigt sich in ihrem Bildungsstand und ihrer wirtschaftlichen Situation, die sich im Zustand vieler Roma-Siedlungen widerspiegelt: Kleine alte Häuser, die fast zerfallen, stehen neben großen halbfertigen Neubauten, dazwischen – im Gegensatz zu anderen Wohngegenden – nichtasphaltierte Straßen. Kinder werden von der Schule wieder nach Hause geschickt, weil sie keine saubere Kleidung tragen. Ohne Schulabschluss sind viele Roma gezwungen, Arbeiten zu verrichten, die kein hohes Bildungsniveau erfordern, wie Plastikflaschen sammeln, Metallwaren schmieden und verkaufen oder gelegentliche Aushilfstätigkeiten auf den Feldern von mazedonischen Familien. Zudem prägen phänotypisch als Roma erkennbare Bettler:innen das Bild fast jeder größeren Innenstadt Mazedoniens. Viele versuchen, der Armut durch Aufenthalte im Ausland zu entkommen und von dort auch ihre Familien finanziell zu unterstützen (Popovska 2013: 159f). Die Armut und die allgemein schwierige Wirtschaftslage Mazedoniens und Albaniens reichen in Deutschland jedoch nicht aus, um Roma und anderen wirtschaftlich benachteiligten Gruppen Asyl zu gewähren. 2015 stieg die Zahl von Flüchtlingen aus politischen Konfliktregionen, wie Syrien und dem Irak, deren Chancen auf ein Bleiberecht höher waren als die von Wirtschaftsflüchtlingen. Vor diesem Hintergrund stieg in den Jahren 2014 bis 2016 auch die Zahl der Menschen aus Mazedonien und Albanien an, die Deutschland wieder verließen (Destasis 2015: 202; 2016: 202; 2017: 218; 2018: 254). Es ist davon auszugehen, dass diese zum Großteil freiwillig zurück in ihre Herkunftsländer gingen, denn eine Abschiebung bedeutet auch das Wiedereinreiseverbot (§ 11 AufenthG). Das Verbot ist grundsätzlich unbefristet, kann auf Antrag jedoch auf mindestens 5 Jahre befristet werden. Der Vorteil des freiwilligen Verlassens von Deutschland impliziert dem-
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nach die Möglichkeit, später ohne größere Probleme wiederzukommen und erneut zu versuchen, sich wirtschaftlich auf irgendeine Weise zu integrieren. Betteln ist daher eine wichtige Beschäftigung zur Sicherung des Lebensunterhalts der oft schlechtausgebildeten und diskriminierten Roma in Mazedonien. Bettelnde Roma treten vor allem zu religiösen Feiertagen an den religiösen Orten auf, die von vielen Gläubigen aufgesucht werden: 2017 bettelten sowohl am 7. Januar, dem Weihnachtsfest nach julianischem Kalender, als auch an Mariä Himmelfahrt, am 28. August, Roma-Frauen aus Bitola vor der Kirche Sveta Bogorodica Kamensko in der Innenstadt von Ohrid. Auch am Naum-Kloster sind sie zum Sommerfeiertag anzutreffen. Da sie sonst am Kloster fehlen, sind sie ein Teil des jährlich stattfindenden panaǵur. Zu religiösen Feiertagen wie Ostern, Weihnachten, dem Zucker- und Opferfest zu betteln, stellt eine scheinbar religiös motivierte Wirtschaftsstrategie dar: Sie zielt darauf ab, Gläubige an ihre religiöse Pflicht zu erinnern, auch an Arme zu denken und wohltätig zu spenden, wovon die ökonomisch schlechter gestellten Roma profitieren. Die wirtschaftliche Situation der Einzelhändler:innen führte am Kloster zu Konkurrenz, die auch in kleinen Auseinandersetzungen enden konnte. Ein Grund zum Streiten war unter anderem die Frage, wer an welcher Stelle seinen Stand aufbauen dürfe. Am Morgen des 2. Juli 2016 kamen weitere Personen, die einen Stand betreiben wollten. Sie behaupteten, jemand habe ihren Platz vom Vorjahr belegt, und versuchten, ihn über eine Diskussion wieder zu erhalten. Da die Plätze nicht offiziell und beispielsweise kontrolliert durch eine von der Kirche beauftragte Person vergeben worden waren, mussten sich die Streitparteien ohne Hilfe einig werden. Die später Angereisten zeigten sich schließlich einsichtig und überließen den anderen »ihren« Platz, denn diese hatten bereits am Vortag ihre Stände aufgebaut und Ware ausgelegt. Die pragmatische Lösung verhinderte den zusätzlichen Aufwand derjenigen, die früher kamen, alles wieder ab- und neu aufzubauen. Die angebotene Ware war dagegen kein Grund zur Auseinandersetzung, höchstens zum Konkurrenzdenken. Ein Beispiel ereignete sich am Abend des 2. Juli 2016: Eine zweite Roma-Gruppe aus Bitola zog durch das Fest, um für die Besucher:innen zu musizieren und dabei etwas Geld zu verdienen. Sie hielten sich jedoch nur außerhalb der Klostermauern auf. Der jüngere Trommler der von der Kirche engagierten Roma-Band meinte, die anderen dürften nicht hoch zur Kirche, und argumentierte dabei mit dem Gewohnheitsrecht und der Legitimation durch die kirchliche Organisation: »Wir sind da schon seit Jahren und wir werden angerufen«. In der Begründung geht es nicht um die Qualität der Musik, sondern um die Dienstleistung an sich, was wirtschaftliche Gründe hinter dem Konkurrenzdenken der Musiker nahelegt. Allerdings herrschte nicht grundsätzliches Konkurrenzverhalten zwischen den Händler:innen des Jahrmarkts. Sie kamen aus verschiedenen mazedonischen
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Städten und kannten sich teilweise untereinander, da sie sich alljährlich auf diesem und gelegentlich bei anderen Festen trafen. Konkurrenzverhalten war auch kaum zwischen den Betreibenden der Jahrmarkt- und der festen Souvenirstände zu beobachten. Manchmal entwickeln sich lose Kontakte zwischen beiden Verkaufsorten. Die Feiertage am Kloster wurden dann auch für ein Wiedersehen genutzt, bei dem sie sich über die wichtigsten Neuigkeiten austauschten. Auch in Bezug auf ihre Kundschaft standen die Händler:innen des Jahrmarkts mit denen der Souvenirhütten nicht prinzipiell in Konkurrenz. Der Jahrmarkt zielte auf diejenigen, deren Besuch ihrer Meinung nach religiös motiviert war, während die Souvenirstände sich vornehmlich auf die internationalen Reisenden ausrichteten. Die eigene Kundschaft als religiös-motivierte Klosterbesucher:innen zu betrachten, lag für die aus Mazedonien stammenden Verkäufer:innen nahe. Ihre Perspektive ist historisch gewachsen und bezog sich auf alle, die bevorzugt am Feiertag zum Kloster kamen. Dabei unterschieden sie ihre Kundschaft nicht danach, ob sie aus Mazedonien oder Albanien stammte. Die Feiertagsgäste, die aus der Gegend von Pogradec und Korçë kommen, als religiös motiviert zu betrachten, widerspricht allerdings oft deren Selbstbild. Ein Teil von den aus Albanien kommenden Besucher:innen legte keinen besonderen Schwerpunkt auf die religiöse Bedeutung des Klosterbesuchs. Dafür sprechen Aussagen, nach denen sie zum Vergnügen (alb. për qejf,) und wegen des nur am Sommerfeiertag stattfindenden Jahrmarktes (alb. panair) kommen. Gegen die religiöse Motivation aller aus dem angrenzenden Albanien kommenden Gäste spricht auch, dass sie die religiöse Bedeutung der Raum-Zeit-Verbindung am Kloster nur am Sommerfeiertag, nicht aber am Winterfeiertag wahrnehmen – obwohl sie relativ nah am Kloster leben. Die unterschiedlichen und unausgesprochenen Erwartungen an die religiösen oder ökonomischen Motivationen beeinflusst jedoch das Verhalten der Handelspartner:innen nicht. Der Bezug zum Heiligen und seinem Kloster ging auf dem Jahrmarkt nicht über die Nutzung der religiösen Raum-Zeit-Faktoren des Feiertags als Verkaufsstrategie hinaus. Die Handelnden gestalteten ihre Beziehung zum Heiligen individuell: Während einige nur Kerzen anzündeten, versuchten andere, nach ihrer Ankunft und vor ihrer Abreise auch die Kirche zu betreten und zum Grab zu gehen. Das christlich-muslimische Ehepaar aus Bitola legte außerdem großen Wert darauf, wie andere Gläubige, die es sich finanziell leisten können, ein Schaf um die Kirche zu führen. Als der Mann 2018 ohne seine Frau zum Kloster kam, schob er allein das Lamm in der Schubkarre dreimal um die Kirche. Mimoza erzählte mir im Gespräch allerdings auch von dem Wunder, dass Naum ihr beim Verkauf helfe: »Zum Beispiel geht es mir nicht gut. Ich sage mir: Lele, wie werde ich verkaufen? Es geht mir nicht gut. Und an den zwei Tagen fühle ich mich allerbestens.
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Er gibt Kraft. Er gibt alles.«2 Sie verband in dieser Aussage ihre eigene, kraftraubende Verkaufstätigkeit mit der kraftgebenden und gesundheitsfördernden Macht des Heiligen. In der Gegenwart des Klosters meinte sie, seine Macht zu spüren (Aliloska 2016). An anderen Kirchen und Klöstern spüre sie dagegen die Macht anderer Heiliger, wie etwa am Kloster Sveti Jovan in Bitola, an dem sie selbst einige Zeit ehrenamtlich tätig war. Außerdem spielt auch die allgemeine wirtschaftliche Situation der Einzelnen eine Rolle beim Besuch des Klosters am Feiertag. Besonders wichtig ist das für die potentielle Kundschaft aus Albanien. Die Gründe dafür haben sich seit der Grenzöffnung Albaniens jedoch leicht verändert: Bewohner:innen von Ljubaništa erinnerten sich noch daran, wie Anfang der 1990er Jahre viele Menschen aus Albanien auf die mazedonische Seite kamen und kauften, was sie brauchten und konnten, weil es in ihrem Land infolge des Kommunismus an allem mangelte. In kurzen Unterhaltungen wiesen mich mehrere Besucher:innen aus Albanien darauf hin, dass sie zwar an jedem Tag zum Kloster gehen können, aber den Besuch am Feiertag bevorzugten, weil dann auch der Jahrmarkt (alb. panair) stattfinde. Die Ware selbst sei keine andere als die in den Geschäften in ihren Heimatorten, allerdings sei sie auf dem panair am Naum-Kloster preiswerter zu erwerben. Dicke Bettdecken und Kopfkissen für die kalte Jahreszeit verkauften sich daher auch im Sommer 2018 – bei über 30°C – sehr gut. Der Handel ist entsprechend für beide Geschäftsseiten eine Gewinnsituation. Der Zusammenhang des Jahrmarkts mit dem Kloster umfasst neben den zeiträumlichen Faktoren auch einen ökonomischen Aspekt, der sich aber im Laufe des 20. Jahrhunderts veränderte. Der Jahrmarkt war seit seiner Entstehung, die spätestens mit der Verlegung des Feiertags im Jahr 1727 einsetzte, eine Möglichkeit zur Finanzierung des Klosters (Grozdanov 2015: 266). Er verlor seine finanzielle Bedeutung für das Kloster, als es im Jahr 1950 vom Staat enteignet wurde. Mit dem Ausbau des Klosters als nationales Ausflugsziel etablierte sich verstärkt, was Sebastian Kempgen als »wilde[] Grills [und] touristische[n] Wildwuchs« bezeichnet (Kempgen 2019: 63) und Anfang der 1990er Jahre als Souvenirstände in festen Holzhütten untergebracht wurde. Mit der Wiederbelebung des Klosters als religiöse Einrichtung und dem offiziellen Umschwung, Naums Feiertag wieder im christlich-orthodoxen Sinn von liturgischen Handlungen begleitet zu begehen, entwickelte sich auch der dazugehörige Jahrmarkt wieder. Von diesem profitierte das Kloster jedoch nicht, da es keine Standgebühren von den Jahrmarkthändler:innen erhob. Das Kloster verdiente nur durch die Verpachtung der Souvenirholzhütten, die den ursprünglichen Jahrmarkt ablösten. Im Vergleich zu den Anfängen 2 »На пример не сум добра […] Си велам: Леле, како ќе продавам? Не ми е добро. И тие два дена јас се осеќам преубао. Дава сила, дава се.« (Aliloska 2016)
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des Jahrmarkts erzielten folglich vor allem die Einzelhändler:innen selbst aus dem Jahrmarktsgeschäft Gewinne. Das Kloster hat dagegen nur einen indirekten Nutzen daraus, weil er für einen Teil der albanischen Staatsbürger:innen ein wichtiger Grund für den Klosterbesuch gewesen ist. Der Jahrmarkt nimmt wie die festen Souvenirstände die religiöse Bedeutung des Klosters auf. Allerdings beschränkt er sich dabei nicht nur auf den Ort selbst, an dem Naum wirkte und seine Kirche baute. Über den Raum hinausgehend greift der Markt auch auf den zeitlichen Aspekt zurück, den der Heilige mit seinem Ort umfasst, indem er jährlich lediglich zum Sommerfeiertag des Heiligen stattfindet. Die religiöse Bedeutung von Ort und Zeit des Handels werden jedoch nicht explizit thematisiert oder mit den Waren aufgegriffen, um die Bedürfnisse der Kundschaft zu bedienen. Stattdessen spielt das religiöse Potential von Zeit und Raum eine vorrangig ökonomische Rolle.
8.4 D IE RELIGIÖSEN GÜTER DER KLOSTERKIRCHE UND DER HANDEL MIT DEM HEILIGEN Im inneren Teil des Klosterkomplexes lassen sich ebenfalls verschiedene wirtschaftliche Vorgänge beobachten. Diese reichen vom offensichtlichen Handel mit christlich-orthodox konnotierten Waren über diverse Dienstleistungen bis hin zum Handel mit dem Unverfügbaren, der zum Teil unsichtbar ist. Die Interpretation der verhandelten Güter als religiös oder nicht-religiös hängt von den Perspektiven derjenigen ab, die sich am Handel beteiligen. Am deutlichsten fallen dabei Profite wie an den bereits beschriebenen Stellen im Komplex durch den Besuch von Tourist:innen ins Gewicht. Neben dem zum Kloster gehörenden Hotel als Übernachtungsmöglichkeit und dem dazugehörigen Restaurant, das auch von Tagesgästen aufgesucht werden kann, wird auch aus dem Besuch der Klosterkirche selbst Profit geschlagen, da das Betreten Eintritt kostet. Das Verlangen von Eintrittsgeld, das für einen Großteil der gut erhaltenen und sehenswerten Kirchen und Klöster in Ohrid übliche Praxis ist, stellt ein Überbleibsel aus der Zeit Jugoslawiens dar, in der viele religiöse Gebäude wie das Naum-Kloster als Museum genutzt wurden. Lediglich an Feiertagen sind die Besucher:innen davon befreit, um die langsam in die kleine Kirche strömenden Menschenmassen nicht noch stärker abzubremsen, denen dabei möglicherweise pauschal eine religiöse Motivation unterstellt wird. Die Anliegen der Besuchenden spielen im Allgemeinen jedoch keine Rolle für die Entrichtung des festgelegten Preises.
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Die Höhe des festgelegten Eintrittspreises richtet sich nach dem sozialen Status derjenigen, die das Innere der Kirche sehen wollen. Erwachsene müssen den vollen Preis in Höhe von 100 Denari (ca. 1,66 Euro) zahlen, für Kinder und Studierende wird nur ein Betrag von 20 Denari (0,33 Euro) erhoben. Gelegentlich kann mit Dragan, dem Klostermitarbeiter mit ergrauendem Vollbart, der das Kassenhäuschen betreut, der Eintrittspreis verhandelt werden. Ich brauchte zum Beispiel nichts mehr zu bezahlen, um die Kirche zu betreten, nachdem ich ihm mein Forschungsanliegen verdeutlicht hatte (EN 28.06.2016). Sowohl in Mazedonien und anderen postjugoslawischen als auch in postsozialistischen Ländern wie Albanien, Bulgarien und Russland werden nach diesem Prinzip bis in die Gegenwart Eintrittspreise ausgehandelt. Der Besuch der Kirche und des Heiligengrabs, die Besichtigung der Ikonen, Fresken und (innen-)architektonischen Aspekte werden religionsökonomisch betrachtet durch die Erhebung des Eintritts strategisch zu kostbaren kulturellen Gütern erhoben (vgl. Koch 2014: 142). Das Verlangen von Eintrittsgeld kann als Strategie der künstlichen Wertsteigerung betrachtet werden, da sie den Zugang ins Kircheninnere und somit zum religiösen Gut des Heiligengrabs erschwert. Bedeutender als diese Strategie der erzeugten Verknappung ist jedoch die natürlichere Wertsteigerung aufgrund der Lage des Klosters. Denn im Vergleich zu einem Aufenthalt in Ohrid, dem wirtschaftlichen, politischen und touristischen Zentrum der Region, wird der Besuch des außerhalb der Stadt gelegenen Klosters mit einem erholsamen Aufenthalt in der Natur assoziiert. Gleichzeitig ist die Überwindung der Distanz zum Kloster mit verschiedenen Transportmitteln kostspieliger und zeitintensiver als das Aufsuchen anderer Sehenswürdigkeiten in Ohrid, was vor allem der lokalen Bevölkerung einen Besuch zusätzlich erschwert. Neben dem Verkauf von Eintrittskarten für die Besichtigung der Klosterkirche als Kulturdenkmal verdient das Kloster auch durch den Handel mit religiös konnotierter Stückware. Im Kassenhäuschen, das sich direkt links neben dem Eingang der Klosterkirche befindet, werden auch Devotionalien verkauft, wie Ikonen, Bilder, Kreuze, Armbänder, Bücher, Ansichtskarten oder Schlüsselanhänger, die einen Bezug zu Naum, seiner Kirche oder dem Klosterkomplex aufweisen. Ein weiterer begehbarer Klosterladen unterstützt den Klostermitarbeiter Dragan, der auch das Kassenhäuschen besetzt, beim Verkauf religiöser Gegenstände. In diesem Laden liegen vorrangig Bücher zu christlich-orthodoxen Themen aus, die sich entweder auf den Heiligen und das Kloster oder allgemein auf christlich-orthodoxe Lehre und Frömmigkeitspraxis beziehen. Ausschließlich beim Kassenhäuschen können Bienenwachskerzen mit verschiedenen Durchmessern sowie durchsichtige Plastikflaschen mit eingeprägtem Naumabbild zum Abfüllen von Wasser erworben werden.
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Der Handel mit anderen religiös konnotierten Andenken, den Skye Doney als »sacred economy« bezeichnet, geht auf die Vorstellung zurück »that God, through a divine plan, left pieces of the eternal on the earth to help the faithful« (Doney 2013: 63). Doney führt weiter aus: »That is to say that the petitioners for and purchasers of Andenken viewed themselves as vessels, potential recipients of divine favor through religious objects: medals, relic silk, rosaries. They believed they could interact with and be part of the eternal.« Mit seiner Forschung zeigt er zudem, dass nicht nur die Pilgernden in diese »sacred economy« eingebunden sein können, sondern auch Daheimgebliebene, denen Devotionalien als Andenken mitgebracht werden. Seine Ausführungen unterstreichen zudem die Behauptung, dass sich die religiöse Dimension mit verschiedenen gesellschaftlichen Dimensionen überschneiden kann: Im äußeren Bereich des Klosterkomplexes, wo die religiöse Bedeutung des Ortes abnimmt und religiöse Besuchsmotivationen kaum relevant sind, überschneiden sich Wirtschaft und Tourismus ebenso wie direkt am Grab als dem religiösen Zentrum des Ortes. Als Devotionalien, religiöse oder kulturelle Andenken werden die Gegenstände entweder wegen ihres intendierten Gebrauchs oder ihres offensichtlichen Bezugs zu Naum, dem Kloster oder der christlich-orthodoxen Tradition verstanden. Ob die Ware religiös definiert wird, hängt auch von den Perspektiven der Konsument:innen ab. Das zeigte sich mir in zwei Situationen, in denen es um Alkoholika ging, die gelegentlich im Kassenhäuschen vertrieben wurden: Wein oder Schnaps aus der Umgebung wurde in Glasflaschen, die mit Naum- oder Klostermotivetiketten versehen waren, verkauft. In einem Fall bekam ich eine Flasche Wein von dem Klostermitarbeiter, die ich Boža, meiner Gastgeberin in Ohrid, schenkte (EN 04.01.2017). Boža freute sich über das Geschenk und meinte, das es von besonderem Wert sei, weil es von Sveti Naum stamme. Das Wissen darum, woher ich den Wein hatte, war nicht allein ausschlaggebend dafür, dass sie ihn als von hohem religiös-emotionalen Wert würdigte. Die wertschätzende Zuschreibung nimmt Boža vor allem aufgrund ihrer eigenen christlich-orthodoxen Herkunft und Prägung vor, in der dieser Deutungsansatz tradiert wird. Im Anschluss an Doney ist anzunehmen, dass sich die Beschenkte durch das Mitbringsel mittelbar selbst an dem Besuch des Klosters beteiligt fühlte, den sie aufgrund ihres Glaubens eher als Pilgerreise (maz. poklonie), denn als touristischen Ausflug – geschweige denn als Forschungsaufenthalt – deuten würde. Auch sie wurde in Doneys Sinn Teil der »sacred economy«, in der Religion und Wirtschaft miteinander verflochten sind. Im anderen Fall überlegte eine aus Chemnitz stammende Familie nach dem Kirchenbesuch, ob sie einen aus der Region kommenden Schnaps (maz. mastika) in einer der dekorativen Flaschen kaufen solle (EN 04.07.2018). Sie entschieden sich schließlich dagegen, weil mastika in jedem Supermarkt erhältlich sei. Im Gegensatz zu Boža betrachtete die Chemnitzer Familie den Schnaps als Gegenstand
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der mazedonischen Kultur, ohne ihn wegen seines Verkaufsortes religiös zu interpretieren, da sie nicht vom christlich-orthodoxen Deutungsmuster geprägt war und auch keine religiös-emotionale Beziehung zu Naum und dem Kloster hatte. Ob und welchen traditionell christlichen Hintergrund die Familie hatte, ging aus der kurzen Begegnung nicht hervor und lässt sich auch nicht spekulativ erschließen. Die in ortsbezogenen Verpackungen vertriebenen Alkoholika sind für internationale Tourist:innen folglich eher eine Souvenirart neben anderen im Klosterkomplex, während sie für die Menschen mit christlich-orthodoxem Hintergrund als eine Devotionalienform gelten können. Religiöse Güter traten am Kloster neben käuflich erwerbbaren Waren auch in Gestalt von Dienstleistungen auf. Religiöse Dienstleistungen sind das ganze Jahr über am Kloster anzutreffen. Dazu gehörte vor allem die Verkaufstätigkeit Dragans, die ihre religiöse Färbung über die vertriebenen Waren sowie das Angestelltenverhältnis bei der Kirche bekommt. Im Gegensatz zu vielen anderen Souvenirhändlern konnte er neben Mazedonisch nur BKMS sprechen. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, sich auch mit Menschen zu verständigen, die diese Sprachen nicht beherrschten. Die ausgezeichneten Preise unterstrich er in der Kommunikation mit Gestik und Mimik. Dragan war auch als Küster an der Klosterkirche mit der Pflege und Instandhaltung der Kirchenräume beschäftigt. Zu seinen täglichen Aufgaben gehörten das Auf- und Abschließen der Tür der Klosterkirche, die auch mit dem An- und Ausschalten der Beleuchtung in der Kirche einherging. Nur im Altarraum leuchteten kleine Öllämpchen ununterbrochen, die er überwachen musste. Besondere Aufgaben übernahm Dragan in der Vor- und Nachbereitung von Naums Sommerfeiertag. Zum Bereich der religiösen Dienstleistungen zählten auch die ausschließlich von Geistlichen übernommenen Aufgaben. Ganzjährig verantwortet der Archimandrit Nektarij die Feier von Gottesdiensten vor allem die Liturgie (maz. liturgija) am Sonntagvormittag sowie gelegentlich Trauungen (maz. venčavka) und Taufen (maz. kršteva), die Seelsorge und Krankensalbungen. Bei den Liturgien hat ihm gelegentlich Dragan ausgeholfen, indem er einige Lesungen übernahm. Die Gläubigen entlohnten den Klostervorsteher für seine Dienstleistungen – wie andere Priester –, indem sie an verschiedene Stellen in der Kirche Geld legten und für individuelle Gottesdienste eine von der MPC festgelegte Gebühr entrichteten. Als Mönch am Naum-Kloster war Nektarij nicht so sehr auf die Gebühren angewiesen wie seine verheirateten Kollegen. Eine Dorfbewohnerin aus Ljubaništa berichtete, dass ihre Tochter sich im Naum-Kloster vom Archimandriten habe trauen lassen wollen (EN 08.07.2016). Da der Bräutigam jedoch aus Ohrid stammte und die Trauungen traditionell in der Gemeinde des Mannes stattfinden, schickte Nektarij das Paar zum zuständigen Priester, um die Handlung kollegial legitimieren zu lassen. Der andere Geistliche stellte sich gegen den Willen des Paares, da er
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auf die Gebühr nicht verzichten wollte. Erst als Nektarij versprach, die Gebühr an den Kollegen abzutreten, gab dieser sein Einverständnis. Die Dorfbewohnerin erzählte die Geschichte, um die monastische Genügsamkeit und Großzügigkeit Nektarijs gegenüber der allgemein bekannten Geldgier der Priester zu betonen. Sie vernachlässigte dabei, dass vor allem im Sommer viele Besucher:innen zum Naum-Kloster kommen, die durch ihr touristisches Verhalten das Kloster mitfinanzieren. Der Archimandrit hat außerdem im Vergleich zu den meisten anderen Priestern keine eigene Familie zu versorgen. Infolgedessen ist er weniger auf die Gebühren angewiesen als sein vermutlich verheirateter Kollege, zumal dessen Kirche weniger Besucher:innen und damit auch weniger Spenden zu verzeichnen hat. Das Verhalten des anderen Priesters ist nicht von Gier, sondern vom eigenen Bedarf und dem Wissen um die Organisationsstrukturen der MPC geprägt, die auch die Finanzierung sowie die Zuständigkeit der Dienstleistungen regelt. Anlässlich der Feiertage treten religiöse Dienstleistungen am Kloster stärker in den Vordergrund. Grund dafür ist der mit den Besucher:innenzahlen steigende Mehraufwand. Um den Mehraufwand zum Sommerfeiertag zu bewältigen, rekrutierten die Verantwortlichen des Klosters Mitarbeiter:innen von Kirchen in Ohrid und Umgebung. Die zusätzliche Unterstützung für den hauptamtlichen Küster des Klosters kümmerte sich um den Verkauf von Devotionalien und Bienenwachskerzen, die an den Feiertagen die wohl am meisten verkauften Waren darstellen. Fast alle, die in die Kirche strömten, zündeten vorher oder danach mehrere Kerzen an. Deswegen wurden im Innenhof des Klosters auch weitere Verkaufsstände aufgestellt. Vorrangig kümmerten sich die zusätzlichen Mitarbeiter:innen um den reibungslosen Ablauf des Festes, die dazu auch mit einem Schild am Oberteil als redar, »Ordner«, ausgezeichnet wurden. Die »Ordner«, zum größten Teil Männer, übernahmen verschiedene Aufgaben, die Dragan sonst allein erledigte: Einige Männer achteten auf die mit Sand und Wasser gefüllten Kerzenständer, drückten erst brennende Kerzen zusammen und entsorgten schließlich das meist nur bis zur Hälfte abgebrannte Wachskonglomerat, um Platz für neue Kerzen zu schaffen. Andere Männer überwachten den Besuch des Kircheninnenraums. Weitere Mitarbeiter verwalteten die Votivgaben, die die Menschen an Naums Grab ablegten. In regelmäßigen Abständen sammelten sie die Geldspenden in der Kirche ein und trugen kistenweise Ölflaschen, Textilien und andere Gaben aus der Grabkapelle. In der Kapelle sitzen zum Feiertag seit einigen Jahren zwei alte Frauen ehrenamtlich die ganze Nacht, überwachen das Geschehen und räumen bei Bedarf einige der Votivgaben von der Grabplatte weg, damit es wieder Platz für neue gibt. Die Textilien wurden an einem Stand im Innenhof des Klosters von Kirchenmitarbeiterinnen wieder an Besucher:innen verkauft, die ihre erworbene Ware teilweise wiederum als Spende zum Grab trugen. Öl, Zucker und andere Gaben verstauten
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die Ordner dagegen im Nebenraum in der Kirche, der jedoch nur von außen betretbar ist und früher der Krankenheilung diente. Zwei bis drei weitere Ordner kümmerten sich an diesen Tagen um die Lämmer, fütterten und tränkten sie, führten sie in den kleinen Stall und tauschten die Tiere, mit denen Gläubige die Kirche umrundeten, gelegentlich aus. Mit ihnen arbeitete ein weiterer Mann zusammen, der Buch über den Handel mit den Lämmern führte. Er notierte die Personen mit Namen und Herkunftsort, die ein Lamm oder mehrere Lämmer liehen und wieviel Geld sie dafür bezahlten. Der Lammhandel zahlte sich für die Kirche doppelt aus, da die geschenkten Lämmer nicht nur gegen Geld verliehen, sondern ein paar Tage nach dem Fest weiterverkauft wurden. Den Erlös erhielt zunächst das Kloster, das wiederum einen Teil an die Eparchie abtreten musste. Alternativ wurden die Lämmer an ein größeres Kloster überführt, an dem es bereits eine Schafherde gab und in dem mehrere Mönche lebten, die sich darum kümmern konnten. Die erbrachten Gaben dienen folglich auch der Finanzierung der Institution Kirche und stellen einen Teil des Lebensunterhalts von Geistlichen, Klosterbewohner:innen und Angestellten. Die MPC als kirchliche Institution ist Arbeitgeberin im Dienstleistungsgewerbe. Sie beschäftigt einzelne Menschen aus ihren Gemeinden, die die Innenräume der Kirchen und gegebenenfalls die dazugehörigen Grünflächen in Ordnung halten, Besucher:innen betreuen sowie ihnen Eintrittskarten, Kerzen und Devotionalien verkaufen. Die MPC ist eine willkommene, weil auch in Krisenzeiten sichere Arbeitgeberin. Dragan, der bereits Mitte der 1980er Jahre am Kloster arbeitete, als es noch als Museum diente, wurde nach der Rückgabe an die Kirche von dieser weiterbeschäftigt. Einer der Ordner, der speziell für den Feiertag zum Kloster bestellt wurde, erzählte mir, dass er lange arbeitslos gewesen sei, bevor ihn die MPC beschäftigt habe (EN 03.07.2018). Zuvor habe er versucht, über Verwandte nach Schweden zu gehen, um dort zu arbeiten. Nachdem das nicht funktioniert habe, habe ihm ein Freund, der als Bischofssekretär in der Eparchie angestellt war, geholfen, bei der Kirche anzufangen. Zunächst habe er in Sveti Nikola, einer Kirche an der Ostküste des Ohrid-Sees, gearbeitet, bevor er schließlich an der Kirche Sveta Perivlepta, die auch Staro Sveti Kliment genannt wird, zu arbeiten begonnen habe. Manchmal helfe er auch in Kičevo, im Kloster Sveta Bogorodica aus – dem Ort, an den die Feiertagsschafe von Sveti Naum gebracht werden. Die MPC hat neben Priestern und Ordner:innen auch junge Männer, Theologiestudenten und Anwärter des Theologiestudiums, die erst noch das vorbereitende Abitur absolvieren müssen, in die Aktivitäten bedeutender Feiertage eingebunden. Sie übernahmen die Aufgaben der Ordner und besprengten in regelmäßigen Abständen diejenigen, die sich für den Besuch der Kirche und besonders des Grabs anstellten, mit geweihtem Wasser.
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Religionsökonomisch betrachtet, investiert die MPC durch ihr Verhalten als Arbeitgeberin in religiöses Humankapital: Die Ausbildung des klerikalen Nachwuchses sowie das Einbinden anderer Gemeindemitglieder als nichtklerikale Mitarbeitende steigert auf kognitiver und emotionaler Ebene die Verbundenheit mit der Institution Kirche (vgl. Koch 2014: 136). Die Zusammenarbeit von Arbeitnehmer:innen und der kirchlichen Einrichtung ist für beide Seiten von Vorteil. Die MPC festigt ihre Position und ihr Ansehen sowie ihre ideologische Reichweite. Die Arbeitnehmer:innen bestreiten ihren Lebensunterhalt in einer angesehenen Institution und setzen sich ferner auch mit ihrer christlich-orthodoxen Identität auseinander. Dazu beschäftigen sie sich mit den Vorstellungen, Argumentationen und Praktiken der orthodoxen Kirche und integrieren sie in ihr Leben. Ein während des Feldaufenthalts oft auftauchendes Beispiel, das den Einfluss der MPC auf ihre Angestellten zeigt, betrifft die Praxis des Kopftuchtragens christlich-orthodoxer Frauen beim Besuch von Kirchen und Klöstern. Unter anderem äußerte sich auch der Ordner am Kloster, der lange Zeit arbeitslos war, zu dieser neuen »Mode« (EN 03.07.2018). Er meinte, dass die meisten Frauen in Mazedonien ein Kopftuch trügen, um ihre Frömmigkeit zur Schau zu stellen, was ihm missfalle. Prinzipiell sei die Praxis jedoch richtig, weil sie in der Bibel begründet sei (vgl. 1 Kor 11, 2-16). Er verwies in dem Zusammenhang auf Russland, wo alle Frauen in dieser Hinsichtlich vorbildlich seien. Auch die im Erasmus-Kloster zwischen Ohrid und Struga arbeitende Küsterin begründete die gewünschte Kleiderordnung mit dem Verweis auf die Bibel (EN 18.03.2017). Die Kopftuchvorschrift für Frauen sah auch sie als Ideal an und kommentierte die Tatsache, dass sich diese biblische Vorschrift nicht durchgesetzt hat, etwas pessimistisch: Ama nie sme daleku od toa – »Aber wir sind weit davon entfernt«. Die Russisch Orthodoxe Kirche wird durch diese Argumentation zur Orientierungsgröße für die nicht anerkannte MPC und ihre Gläubigen. Der Archimandrit Nektarij kritisierte dagegen implizit die damit einhergehende Machtkonstellation, als er darauf aufmerksam machte, dass »hier«, also in Mazedonien, die Basis für die Erleuchtung Russlands liege.3 3 Die Netzwerkkonstellation verdeutlicht, welche Bedeutung das Moskauer Patriarchat für die Anerkennung der Autokephalie, also der jurisdiktionellen Eigenständigkeit der MPC übernimmt: Historisch stark mit der SPC verbunden, unterstützte die Russisch Orthodoxe Kirche sie darin, die Trennung der MPC 1967 als ungültig zu betrachten und deren Autokephalie nicht anzuerkennen. Die Anerkennung seitens der Russisch Orthodoxen Kirche blieb nicht zuletzt auch wegen der Streitigkeiten um die Autokephalie der Ukrainisch Orthodoxen Kirche aus (BIRN 2018). Der Annäherungsversuch seitens der MPC an die Russisch Orthodoxe Kirche kann religionsökonomisch als mimetischer Isomorphismus betrachtet werden (vgl. DiMaggio/Powell 1991: 69f). Dabei handelt
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Das Humankapital am Kloster ist aufgrund seiner expliziten Verbindung zur Kirche christlich-orthodox geprägt. Dabei lassen sich hinsichtlich verschiedener Fähigkeiten zwei Gruppen unterscheiden. Für die eine Gruppe ist allein das ZurVerfügung-Stellen der Arbeitskraft charakteristisch, in der anderen Gruppe geht es um erworbenes theologisches Wissen. Mit dem Wissen sind auch Tätigkeiten verbunden, die dezidiert als religiös betrachtet werden. Beide tragen zudem auch durch die damit zusammenhängenden Tätigkeiten zur Vermehrung des finanziellen Kapitals des Klosters und der Eparchie bei. Die Güter – Waren, Dienstleistungen und Humankapital – werden dabei nicht wie auf einem Markt direkt ausgetauscht, sondern durch soziale Interaktionen verhandelt (vgl. Koch 2014: 144). Durch den Konsum religiöser Güter und Dienstleistungen steigt auch das symbolische Kapital der einzelnen Klosterbesucher:innen in Form von Ansehen (vgl. Koch 2014: 62-64). Die beteiligten Lai:innen können als sogenannte »wahre Gläubige« betrachtet werden, die sich von den nichtpraktizierenden Traditionschrist:innen unterscheiden (Matevski 2011: 121). Sowohl die Wahrnehmung als auch die Wertigkeit religiöser Güter sind demnach durch das soziale Konstrukt und die Deutungshoheit der religiösen Gemeinschaft am Kloster bedingt, es entwickelt sich also eine Pfadabhängigkeit. Neben dem offensichtlichen Handel finden an und in der Klosterkirche selbst auch unsichtbare Geschäfte mit dem Unverfügbaren statt, die im weitesten Sinne dem Bereich der Dienstleistungen zugerechnet werden können. Gemeint ist der Handel, den Gläubige und Bedürftige mit Gott oder dem Heiligen einzugehen versuchen, um Gesundheit oder die Erfüllung anderer Wünsche zu erlangen. Religionswissenschaftlich betrachtet sind sowohl der Handelspartner als auch das Verhandelte unverfügbar, weil sie außerhalb des menschlichen Einflussbereichs liegen (vgl. Flasche 2008: 76-79). Der Handel selbst ist demnach der Versuch, einen Zugang zum Unverfügbaren zu finden. Die Bittenden binden die Äußerung ihrer Wünsche an konkrete Handlungen, um die Wunscherfüllung positiv zu beeinflussen. Die Handlung des Verfügbarmachens besteht in der expliziten Darbringung von Gaben, an der Klosterkirche vor allem in Form von Kerzen. Am Feiertag selbst steigt mit der Besucher:innenzahl auch die Menge der angezündeten Keres sich um eine Strategie von Institutionen, die versuchen, Unsicherheiten durch Nachahmen anderer Organisationen zu überwinden, die sie als legitimer oder erfolgreicher wahrnehmen. Im Fall der MPC gestaltet sich der mimetische Isomorphismus in der Wiedergabe anerkannter Argumentationsmuster und Verhaltensweisen, die sich bisher jedoch nicht durchgesetzt haben. Auf diese Weise demonstrieren sie ihre Rechtgläubigkeit sowie ihr richtiges Verhalten und versuchen dadurch, ihre Autokephalie nachträglich zu legitimieren.
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zen. Dazu kommen zum Feiertag weitere Geschenke, wie Textilien, Öl oder Zucker, die direkt am Grab abgelegt werden. Fast ausschließlich zum Sommerfeiertag ist dagegen die Gabe »Lamm« (maz. jagne) am Kloster anzutreffen (Abb. 10). Diese wird teilweise auch explizit als »Opfer« (maz./alb./türk. kurban) bezeichnet, obwohl es wegen der gleichzeitigen Fastenzeit nicht geschlachtet wird. Die Geschäfte mit dem Unverfügbaren werden folglich durch die Gegenleistungen sichtbar, die die Bittenden darbringen und die »Ordner« verwalten. Die Behauptung, dass die Darbringung der Gaben einen Handel markiert, wird anhand der Darstellung der Lammschenkungen und der Wortwahl bei der Begründung deutlich. Ein Mann aus Bitola, der im Jahr 2016 sechs Lämmer um die Kirche führte und sie anschließend dem Kloster überließ, berichtete über den Anfang seiner »Geschäftsbeziehungen« mit dem Heiligen: »Im ersten Jahr brachte ich ein Lamm und ich hatte mir versprochen [davon] – damals war ich noch nicht verheiratet – ich verspreche mir, eine junge Frau zu nehmen. Und ich kam hierher, brachte ein Lamm und im nächsten Jahr, nach ein, zwei Jahren, heiratete ich. Und mir erfüllte sich das Versprechen, mir erfüllte sich das, wofür ich hier her zum Kloster kam. Im zweiten Jahr, nachdem ich verheiratet war, sagte ich: dass ich ein männliches Kind haben möge. Und Gott gab mir ein männliches Kind. Das heißt, ich hatte versprochen, wenn ich ein männliches Kind bekomme, werde ich noch ein Lamm bringen.«4
Abb. 10: Familie führt in Begleitung der Roma-Band ein Lamm um die Kirche 4 »Првата година донесов едно јагне и си имав обеќано за – тогаш не бев женет – се обеќам да земам млада жена и дојдов тука, донесов јагне и другата година, по една година, две, се женив. И мене ми се исполна она ветеното, мене ми се
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Während er das erste Lamm als Vorleistung zu Naum ans Kloster brachte, um eine Frau zu finden, brachte er das zweite Lamm erst, nachdem sein erster Sohn geboren war. In beiden Fällen initiierte der Gesprächspartner einen Handel mit Naum um das unverfügbare Familienglück: Im ersten Fall durch eine konkrete Leistung – in der Hoffnung darauf, dass der Heilige reagieren werde, im zweiten durch das Versprechen eines weiteren Schafs – in der Hoffnung, dass der Heilige an dem Handel interessiert sei und sich wieder darauf einlassen würde. Die verwendeten Verben obeḱa (von BKMS obećati) und veti bedeuten »versprechen«, »widmen« oder »schwören« und drücken ursprünglich keinen wechselseitigen Handel, sondern einen einseitigen und individuellen Vorgang aus. Oft wird auch das Adjektiv taksen (dialektal taksan) in diesem Zusammenhang verwendet: »Wenn [er] verpflichtet ist, wird [er] ein Lamm kreisen« (maz. Ako e taksan ḱe vrti jagne), erklärte ein Roma-Paar aus Resen (EN 02.07.2016). Das Wort taksen wird meist mit »versprochen« übersetzt, hängt jedoch mit dem Substantiv taksa, »Gebühr«, zusammen und impliziert folglich eine finanzielle Verbindlichkeit, die einen Handel ausmacht. Vom lateinischen Verb taxare und dem dazugehörigen Substantiv taxa abgeleitet (Širilova 2001: 906f) bezieht sich dieser administrative Begriff auf Güter, deren Erhalt eine Gegenleistung erwarten lässt. Trotz der leichten Bedeutungsunterschiede werden die Ausdrücke in Bezug auf das Darbringen eines Lamms synonym verwendet. Ein Schaf um die Kirche zu führen, hat auch einen explizit finanziellen Aspekt, der über die Bedeutung als religiöse Handlung hinausgeht. Ein Mann aus Korçë, der jedes Jahr mit Freunden zum Kloster reist, verdeutlichte den Zusammenhang zwischen religiösen Motivationen und Handlungen aus finanzieller Sicht (EN 03.07.2018): Die meisten Klosterbesucher:innen aus Albanien bringen kein Lamm dar, weil sie es sich finanziell nicht leisten können. Ein Lamm zu kaufen oder am Kloster zu mieten, sei so teuer, dass er mindestens einen ganzen Tag dafür arbeiten gehen müsse. Die eigenen finanziellen Einbußen, die dadurch entstehen würden, stellte er jedoch nicht in den Zusammenhang mit dem dadurch entstehenden Profit des Klosters. Auch die sonst oft anzutreffende Meinung, dass sich die Geistlichen an den Bedürftigen bereicherten, die in ihrer Not Kirchen aufsuchten und von ihrem wenigen Hab und Gut auch noch Almosen spendeten, war kein Thema in seiner Argumentation. Im Vergleich zu den individuellen finanziellen Einbußen, die bei der Lammgabe entstehen, wird der Gelderwerb während des Klosterbesuchs eher nachgeordnet. Der Gesprächspartner behauptete dazu: Wer wirklich will und glaubt, der nimmt sich an dem Tag frei und kommt. Die Aussage исполно што бев дојден тука во манастиро. Втората година од ко си женив реков да имам машко дете. И господ ми даде машко дете, значи си имам ветено ако добијам машко дете ќе донесам јагне уште едно.« (Bitolčanec 2016)
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überrascht auch deswegen, weil er und einige seiner Begleiter arbeitslos waren. Andere waren bereits Rentner oder arbeiteten in Griechenland und besuchten das Kloster während ihres Heimaturlaubs. Lediglich eine der beiden Ehefrauen, die die Männergruppe begleitete, war berufstätige Krankenschwester. Im Gegensatz zu den anderen musste sie sich tatsächlich frei nehmen, weil der Feiertag auf einen Wochentag fiel. Die Vorstellung, das Unverfügbare mit Worten, Taten und Geschenken beeinflussen zu können, entspricht der do-ut-des-Idee, der Idee des Tun-ErgehenZusammenhangs (Koch 2014: 57). Die Vorstellung von Gott oder dem Heiligen als »Geschäftspartner« impliziert die theologisch problematische Vorstellung von deren Bestechlichkeit (Koch 2007c: 52). Das theologisch geschulte Personal lehnte die Darbringung von Lämmern als Opfer und somit auch als Gegenleistung für Heilungen und andere Wundertaten von Naum ab – nicht zuletzt, weil sie meinten, dass allein Gott Wunder vollbringen könne. In seinen Formulierungen findet sich die Idee der Gegenleistung jedoch weiterhin. Nektarij, der Priestermönch am Naum-Kloster sprach davon, dass Menschen die Lämmer »für Gesundheit, aus Dankbarkeit, als Gebet, ich meine als Gabe« (za zdravje, za blagodarnost, kako molitva, mislam kako dar) darbringen (Nektarij 2016). Der Ausdruck dar kann als Geschenk verstanden werden, das keine Gegenleistung braucht. Allerdings impliziert die Verbindung mit den aufgezählten Gründen eine Gegenleistung seitens des Unverfügbaren. Im Gegensatz zum Archimandriten nannte der Metropolit keine Gründe für die Darbringung der Lämmer (Pelushi 2016). Stattdessen stellte er die Lämmertradition Eucharistie als Opfer in Zusammenhang mit dem Verständnis der christlichen sowie mit dem muslimischen kurban, das nach seiner Schlachtung gegessen wird. Dabei verwendete er den Begriff offer als Opfer – sowohl für die christlich-theologisch verstandene Eucharistie als auch für die Gabe der Lai:innen. Die Begriffe offer und dar implizieren einen Austausch von Gaben und Leistungen, also einen Handel zwischen Gott und den Menschen, an dem letztere aktiv beteiligt sein können. Das Kapitel beleuchtete die Vorgänge im inneren Kreis des Klosterkomplexes aus religionsökonomischer Sicht. Dabei wurde deutlich, dass mit Naum in zweierlei Hinsicht Geschäfte abgeschlossen werden. Einerseits ist Naum ein Objekt und andererseits ein Subjekt des Handels, er ist gleichzeitig Ware und Dienstleister. Als Ware handeln die Vertreter:innen der MPC indirekt mit Naum, indem sie seine Person, sein Werk und sein Wirken vermarkten – Naum wird dadurch zur Marke (vgl. Koch 2014: 175). Gläubige und Bedürftige handeln zudem auch unmittelbar mit Naum als Geschäftspartner, wobei das Verhandelte ebenso unverfügbar wie Naum selbst ist. Die Institution Kirche ist an den unmittelbaren Geschäften mit dem Heiligen selbst nicht beteiligt und lehnt diese teilweise sogar theologisch ab. Trotzdem profitiert sie als Verwalterin der Votivgaben und Vermittlerin des Zu-
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gangs zum Heiligen davon. Dadurch wird Naum als Grund für die Bereitstellung verschiedener religiöser Güter indirekt auch zum Arbeitgeber für die Angestellten der MPC. Im Vergleich zu den anderen Handelsorten im und am Klosterkomplex zeigte sich, dass sich am religiösen Zentrum auch die wirtschaftlichen Aktivitäten und das Vorkommen religiöser Güter konzentrierten. Diese Beobachtungen widersprechen den oft anzutreffenden Erwartungen, dass religiöse Güter nicht gewinnbringend zur Anhäufung von materiellen Gütern einzusetzen sind.
8.5 F AZIT: RELIGIONSÖKONOMISCHE DIMENSIONEN DES NAUM-KLOSTERS Der gesamte Klosterkomplex gleicht einem Marktplatz. An verschiedenen Stellen im und am Klosterkomplex treten Waren, Dienstleistungen und Kapital mit religiöser oder anderer kultureller Färbung auf. Die Raumordnung des Klosterkomplexes spiegelt sich im Auftreten religiöser Güter wider: Das religiöse und historische Zentrum, also die Klosterkirche mit dem Grab, ist gleichzeitig das Handelszentrum für religiöse Güter. Während im ganzen Klosterkomplex Handel getrieben wird, werden vor allem die an und in der Klosterkirche auftretenden Güter religiös wahrgenommen. Allerdings ist diese Wahrnehmung von der Perspektive der Einzelnen abhängig. Naum ist im Zentrum Ware und Geschäftspartner zugleich. Zudem kann Naum historisch und lai:innentheologisch betrachtet sowohl als Gründer des Klosters als auch indirekt als Begründer des Handelsplatzes gelten. Das Kloster als physischer und Naum als symbolischer Ort beeinflussen den Handel mit religiösen Gütern demnach gleichermaßen. Parallel lässt sich zum Auftreten der Güter auch die Frage nach Profiteur:innen des Handels beantworten. Von den Geschäften am Rand des Klosterkomplexes profitiert das Kloster als Teil der Eparchie von Debar und Kičevo nur wenig. Stattdessen sind es die Einzelhändler:innen selbst, die durch das entgeltliche Anbieten ihrer Dienste und den Verkauf von Souvenirs ihren Lebensunterhalt verdienen. Dass das Kloster dennoch teilweise von den Geschäften profitiert, ist dadurch bedingt, dass es die Verkaufsstandorte verpachtet. Die miteinander konkurrierenden Geschäfte im gesamten Klosterkomplex sind daher auch miteinander verflochten, weil sie auf dem von der Klosterverwaltung regulierten Gelände stattfinden. Das Kloster verdient als Organisation selbst jedoch in erster Linie am Geschehen im Inneren des Klosterkomplexes. Neben den gesammelten Geldern steigt auch das Ansehen des Klosters durch den Vertrieb religiöser Andenken und durch Dienstleistungen, da es dadurch sein Bild als religiösen Ort reproduziert, das sich in der Außenwahrnehmung widerspiegelt. In diesem Zusammenhang profitieren
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auch die angestellten Lai:innen des Naum-Klosters und gelegentlich einzelne Angestellte der Eparchie. Schließlich bereichern sich auch die Klosterbesucher:innen durch den Handel am Kloster. Pekuniär gesehen profitieren die albanischen Staatsbürger:innen am Sommerfeiertag von den niedrigen Preisen der auf dem Jahrmarkt angebotenen Waren. Symbolisch betrachtet gewinnen auch andere Besucher:innen, da sie im Tausch gegen Geld und Reisebemühungen und entsprechend ihren Erwartungen religiöse, kulturelle oder touristische Erfahrungen und Erinnerungen sammeln können. Dazu gehören vor allem Heilung und Erholung, Wallfahrt und Kulturtourismus, Kirche und Museum, Klosteranlage und Natur. Um den symbolischen und pekuniären Profit aller Beteiligten zu steigern, richten die Händler:innen ihr Warenangebot auf die Erwartungen der Besucher:innen und darauf aus, welche Dimension des Ortes sie am dominantesten wahrnehmen. Dabei ist außerdem zu beobachten, dass sich das Güterangebot parallel zu den Motiven der Besucher:innen mit der Zeit ausdifferenziert hat und die Händler:innen sich auf die Bedürfnisse bestimmter Besuchsgruppen spezialisiert haben. Damit gehen die Verkaufsstrategien einher, die Sympathien erzeugen sowie auf die Notwendigkeit, den Bedarf, die preisliche Erschwinglichkeit und auf die Symbolträchtigkeit der Waren verweisen sollen. Gefördert wird der Handel außerdem durch beidseitiges Interesse, das sich auch im Kommunikationsverhalten widerspiegelt. Entsprechend ist neben dem Zusammenhang mit der religiös deutenden Dimension des Ortes auch eine Abhängigkeit der wirtschaftlichen und der touristischen Dimensionen festzuhalten. Im Kontext der aufgezeigten Zusammenhänge von Wirtschaft, Religion und Tourismus am Kloster muss auch diskutiert werden, wie die individuelle Wirtschaftssituation der lokalen Bevölkerung mit ihrem Handelsverhalten am Kloster in Einklang zu bringen ist. Die Frage stellt sich besonders angesichts der wirtschaftlichen Situation derjenigen, die aus der Grenzregion stammen und oft betonten, selbst nicht genug Geld zum Leben zu haben. Am Kloster sind zwei gegensätzliche Tendenzen zu beobachten: Einerseits herrscht ökonomische Konkurrenz um die marktführende Position. Sie zeigt sich zum Beispiel in den Diskussionen um die Plätze der Verkaufsstände, in der Rechtfertigung der einzelnen Roma-Musikgruppen hinsichtlich der Legitimität ihrer Anwesenheit oder in den Bemühungen der Taxifahrer um Fahrgäste. Andererseits geben auch weniger Wohlhabende aus der Region in diesem Kontext Geld aus, um das Kloster zu erreichen und religiöse Handlungen zu vollziehen, Geld, das sie an anderer Stelle im Leben brauchen. Während die erste Tendenz mit dem rational-choice-Ansatz erklärt werden kann, widerspricht dem die zweite Perspektive und zielt auf einen Handel beziehungsweise auf Gewinn auf anderer Ebene ab: Der Handel mit Gott oder dem Heiligen beabsichtigt den Erwerb von unverfügbaren Gütern, die gegen Votivgaben ertauscht werden sollen (vgl. Koch 2007c: 52).
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Darüber hinaus zeigte sich, dass Albanien im Gegensatz zu Mazedonien im Allgemeinen nur wenig vom Tourismus am Ohrid-See und gar nicht von den Ereignissen am Kloster profitiert. Das nahegelegene Pogradec bietet zwar im Unterschied zu Ohrid selbst einen Sandstrand, aber keine herausragenden Sehenswürdigkeiten. Interessanter für den internationalen Tourismus ist dagegen die Stadt Korçë, die jedoch nicht am Ohrid-See liegt. Pogradec ist vor allem für albanische Staatsbürger:innen und insbesondere Menschen aus größeren Städten interessant. Der Ort bietet im Sommer Bademöglichkeiten, bessere Luft als in Großstädten und ist zudem günstiger als Tourismusorte am Meer. Die Tendenz, aus religiösen Motiven heraus rational zu handeln und in Naum als Ware oder Geschäftspartner zu investieren, zeigt sich an materiellen und immateriellen Zuwendungen, die dem Ausbau der Anlage zukommen. Davon zeugen etwa die Geschichten und Ereignisse um die Naum geweihten Kirchen, die in den 1960er Jahren entstanden. Im Gegensatz zur MPC beteiligte sich der Großteil der jeweiligen Dorfgemeinschaft am Bau und Ausbau der Kirchen und Klöster. Bis in die Gegenwart regeln einzelne Personen aus den Gemeinden die Instandhaltung und den Ausbau der Objekte. Die Gelder dafür stammen – trotz oder wegen der ökonomischen Krisensituationen – ebenfalls aus den privaten Mitteln der Gläubigen der jeweiligen Gemeinden und nicht von der zuständigen Eparchie. Eine Gesprächspartnerin aus Resen, die für das Naum-Kloster in Bolno zuständig war, begründete die Spenden an Kirchen und Klöstern damit, dass sich Gläubige hier individuell einbringen können, nicht zuletzt da Kirchen, weil sie nicht staatlich organisiert seien, auf Spenden angewiesen sind (EN 16.01.2017). Geld werde zwar auch im Gesundheits- oder Bildungssystem benötigt, doch können die Menschen in diesen Bereichen nicht spenden. Die Spendenden sehen ihre Investitionen freilich nicht als direkte Finanzierung von Priestern oder der Institution Kirche an, wie ihre häufige Kritik an den Priestern zeigt, denen sie Geldgier unterstellen. Stattdessen verstehen sie ihre Handlungen als Investition in die Beziehung zu den Heiligen und zu Gott, wovon sie sich Glück, Hilfe und Wunder erhoffen. Sie ordnen ihre schwierige wirtschaftliche Lage, soweit es möglich ist, den religiösen Anliegen unter. Dabei gehen sie jedoch nicht so weit, ihre Lebensgrundlage aufzugeben. Stattdessen drücken sie ihre religiösen Bedürfnisse aus, indem sie anderen, die zum Kloster reisen, Geld oder Votivgaben mitgeben, um diese stellvertretend für sie darzubringen. Folglich messen die Menschen aus der Region Geld einen niedrigeren Wert bei als dem Unverfügbaren. Der Handel am Kloster wirkt sich kaum auf die Wahrnehmung des Klosters und Naums als religiöse – physische und symbolische – Orte aus. Lediglich die Bevölkerung aus Albanien sieht in der Marktdimension einen weiteren Grund, zum Kloster zu kommen. Ansonsten verstärkt der Handel mit verschiedenen Souvenirs nach außen den Eindruck des Klosters als touristischen Freizeitort. Die
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Händler:innen nehmen den Ort zudem als Arbeitsplatz wahr, wobei niemand von ihnen behauptete, die religiöse Bedeutung Naums und seines Klosters sei der Grund für die Wahl ihres Arbeitsortes. Naum wird somit nicht bewusst zum Arbeitgeber stilisiert. Stattdessen werden der symbolische und der physische Ort direkt an der Klosterkirche in Form von Andenken, Büchern, Wasserflaschen, Ikonen und anderem Stückgut vermarktet. Dazu gehört auch das Erlebnis, das Ohr auf das Grab zu legen und Naums Herzklopfen zu lauschen. Schließlich spielt auch der Faktor Zeit eine wichtige Rolle in den wirtschaftlichen Ereignissen des Klosters. Zum einen spielt Zeit als Vergangenheit eine allgemeinere Rolle im Blick auf die Entstehung und den Wandel der wirtschaftlichen Aktivitäten. Im Laufe der Geschichte des Klosters und im Kontext der politischen Umstände hat sich das Spektrum der auftretenden Güter erweitert. Zudem nahmen die Profile der Kund:innen und der Händler:innen zu. Die historische Entwicklung des Klosters als Marktplatz lässt sich vom religiösen Kern her erklären: Während anfangs der Handel mit dem und um das Unverfügbare im Mittelpunkt stand, der mit Votivgaben einherging, entwickelte sich daran anschließend der Handel mit Devotionalien. Im Laufe der Geschichte wurde das Kloster im Osmanischen Reich zunächst aufgrund seiner natürlichen Umgebung als Erholungsort wahrgenommen und schließlich durch die Enteignung zur Zeit Jugoslawiens touristisch ausgebaut und kommerzialisiert. Der Zeitfaktor wirkt zum anderen im Feiertag verstärkend auf jede Form von Handel ein, die eng mit der historischen Entwicklung des Klosters verbunden ist. Er brachte unter anderem den Jahrmarkt hervor, der wiederum ein Grund für die lokale Bevölkerung ist, das Kloster aufzusuchen. Die zunehmende wirtschaftliche Aktivität zeigt sich insbesondere am temporären Jahrmarkt, der steigenden Zahl von Mitarbeiter:innen direkt am Kloster sowie im Auftreten spezieller religiöser Güter wie geweihtem Wasser, Lämmern und in der Roma-Band, die das Umrunden der Kirche mit den Lämmern musikalisch unterstützt. Die ursprünglich von Naum, dem Klostergründer, intendierte monastische Bedeutung des Ortes, die im Laufe der Zeit historisch um weitere Aspekte angereichert wurde, begründet zusammenfassend auch das Potential für den Handel: Potentielle Kundschaft kommt zu dem Ort wegen dessen historisch gewachsener Deutungsvielfalt, die zwischen religiösen und nicht-religiösen Perspektiven steht. Die Einkaufsmöglichkeiten, welche die Händler:innen zum eigenen Profit nutzen, sind demgegenüber sekundär aufgrund der zeiträumlichen Bedeutung des Heiligen und des Klosters. Die ökonomischen Güter, also Waren und Dienstleistungen, zeigen allerdings, dass der religiös-symbolische Gehalt des Heiligen und seines Klosters nur direkt an der Kirche vermarktet wird.
9 Naum als religiöser und politischer Identitätsstifter
»Die Mehrzahl der Heiligen in frühchristlicher Zeit ist in der Tat oder fiktiv der Opposition gegen den Staat entwachsen […]. Der Asket, der sich freilich auch eher in einer Zeit gesicherter religiöser Verhältnisse oder in absoluter Entfernung von Staatsgewalt – im positiven und negativen Sinn – entwickeln kann, erfüllt kaum jemals die Funktion eines politischen Heiligen.« (Schreiner 1994: 378)
Naum lebte seiner Zeit als Mönch in Askese, wirkte als Diener seiner Lehrer und setzte deren Arbeit im damaligen Bulgarischen Reich fort. Peter Schreiner zufolge hat Naum demnach kaum das Potential zum politischen Heiligen. Dennoch wird gelegentlich versucht, seine Lehrtätigkeit spekulativ als bildungspolitisches Engagement zu interpretieren (vgl. Oschlies 2011: 1005-1007). Die Spekulationen über Naums Rolle in der Politik änderten jedoch nichts an seinem geringem Potential, in der Öffentlichkeit als politisch relevanter Heiliger erinnert zu werden (Reuter 2015: 168-170). Stattdessen wird Naum weiterhin vor allem als Wundertäter und Heiler erinnert, der allen Menschen unabhängig von ihrer religiösen oder ethnisch-nationalen Zugehörigkeit je nach Bedarf hilft. Das lässt ihn und sein Kloster auf den ersten Blick unpolitisch erscheinen. Auch gegenwärtig ist das Naum-Kloster weder politischer Akteur noch Objekt politischer Interessen. Dagegen war es in der Vergangenheit Gegenstand verschiedener Auseinandersetzungen. Insbesondere im 20. Jahrhundert wurde sein politischer Wert auf nationaler und internationaler Ebene ausgehandelt. Neben staatspolitischen Akteuren beteiligte sich auch die orthodoxe Kirche daran. Anfangs deckten sich die kirchen- und staatspolitischen Interessen, bevor sie sich ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts konträr gegenüber standen. Jugoslawien und Albanien richteten sich dabei in unterschiedlichem Maß gegen Religion im Allgemeinen und somit auch gegen die orthodoxen Nationalkirchen. Erst ab Beginn der 1990er Jahre kann zumindest für Mazedonien behauptet werden, dass die MPC,
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die 1967 als nationsbildende Kraft vom jugoslawischen Regime etabliert wurde, mit der Wiederbelebung des Klosters auch die Interessen der slawisch-mazedonischen Regierung subtil unterstützt. Ziel des Kapitels ist es, die gegenwärtige politische Bedeutung Naums und seines Klosters auf verschiedenen Ebenen differenziert zu untersuchen. Dabei wird sich zeigen, dass die innere Raumordnung des Klosters für die Aushandlungen ethnisch-nationaler Identitäten unbedeutend ist, obwohl sie vor Ort thematisiert werden.1 Zudem strahlt das Kloster über seine eigenen Grenzen in die nähere und fernere Umgebung und beeinflusst somit lokale und nationale Interessen. Die innere Raumordnung wird dadurch um äußere, politisch dominierte Ringe erweitert. Dabei wird auch erkennbar, dass sich die Nähe zum Kloster und somit auch zu Naums Grab, das religiöse Zentrum des Klosterkomplexes, auf die Bedeutung des physischen und des metaphorischen Ortes auswirkt: Der Stellenwert von Naum und seinem Kloster wird in der unmittelbaren Umgebung als gewichtiger wahrgenommen als in den weit entfernten nationalpolitischen Zentren. Im Folgenden steht daher zuerst die lokalpolitische Reichweite Naums und seines Klosters im Zentrum, bevor auf seine staatspolitische Relevanz eingegangen wird. Schließlich liegt der Fokus darauf, inwieweit sich die Beziehungen zwischen unterschiedlichen ethnisch-nationalen Gruppen im Miteinander am Naum-Kloster widerspiegeln. Die Ausführungen knüpfen an die von Hayden und Bowman angestoßene Debatte über die Frage an, ob es sich bei dem Verhältnis der beteiligten Gruppen am Kloster um antagonistische Toleranz handelt oder ob die Gruppen vor Ort individuell lokale Identitäten aushandeln. Gleichzeitig stehen diese Überlegungen auch im Zusammenhang mit den Theorien zu religiös und politisch konnotierten Pilgerreisen (Albera/Eade 2016: 9-11; Eade/Katić 2014a: 6-11).
9.1 NAUM ALS LOKALHEILIGER Naum und seinem Kloster wird vor allem auf lokaler Ebene bis in die Gegenwart ein hoher Stellenwert beigemessen, der sowohl für religiöse als auch für politische Interessen beansprucht wird. In den Argumenten spiegeln sich kollektive Bedürfnisse, die verschiedene Akteur:innen miteinbeziehen oder ausschließen. Grundlage der voneinander abweichenden Perspektiven ist die Betonung unterschiedlicher historischer Ereignisse. Diese erstrecken sich von Naums Entscheidung für
1 Zum Zusammenhang der Raumordnung mit den christlichen und muslimischen Identitäten vgl. Kapitel 6.2 Naums Grab als Kern der Klosterkirche.
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das monastische Leben über seine Ankunft im Süden des Ohrid-Sees bis hin zur Frage der Grenzziehung. Naum steht dabei im Vergleich zu seinem Kloster im Vordergrund. Als Lokalheiliger dient er verschiedenen Akteur:innen sowohl zur Markierung der religiösen als auch der politisch-lokalen Identität, obwohl er selbst nicht aktiv politisch agierte. Hinsichtlich der religiösen Identität ist Naum insbesondere für die christlich-orthodoxe Gemeinschaft im Einzugsgebiet des Klosters von herausragender Bedeutung. Die Konfessionsgrenzen zwischen Orthodoxie und Katholizismus existierten zur Zeit Naums zwar nicht in dem Maß wie heute, dennoch wurden Naum und sein Kloster in der Geschichte nur von der orthodoxen Kirche beansprucht und entsprechend geprägt. Für die befragten orthodoxen Geistlichen steht die religiöse Bedeutung Naums und seines Klosters ohne Zweifel im Vordergrund. Die politische Dimension des Ortes ist für sie dagegen zweitrangig. Trotz der Einigkeit hinsichtlich der Höherwertigkeit der religiösen gegenüber der politischen Dimension, lassen sich in den Ansichten der Befragten graduelle Unterschiede innerhalb der Bewertung beider Dimensionen feststellen. Naums religiöse Dimension als metaphorischer Ort kann sowohl exklusiv als auch inklusiv gedeutet werden. Exklusiv ist Naum nicht nur ein christlicher Heiliger, der mit der Umgebung seines Klosters verbunden ist, sondern vor allem ein asketisch lebender Mönch. In dieser Position ist er gegenwärtig nur für einen Bruchteil der orthodoxen Gläubigen, vornehmlich für in Askese lebende Mönche und Nonnen in der Region, relevant. Naums Mönchsein kann als religiöses Zentrum der konzentrischen Kreise des metaphorischen Ortes betrachtet werden, die die Aushandlungen von Naums Bedeutung zwischen den religiösen und politischen Dimensionen darstellen. Naum hebt sich von anderen Mönchen ab, weil er der erste Mönch in der Region war, der aus Südosteuropa, wahrscheinlich aus der slawophonen Region von Thessaloniki stammte (Grozdanov 2015: 14; Oschlies 2011: 995). Diese exklusive Bedeutung Naums und seines Klosters beansprucht der Archimandrit Otec Nektarij, der seit 1991 der einzige Mönch am Naum-Kloster ist, identitätsstiftend für seine eigene Rolle: »Sveti Naum ist – für mich, ich meine […] als ein Heiliger ist er ein Muster oder ein Beispiel für das Mönchtum, das heißt, [als] erster Mönch hier. […] Sein Verdienst auch als Glaubenslehrer und als Erzieher und […] als Mönch, als großer Asket, als großer Wundertäter. Ich meine für mich [ist er] von großer Bedeutung. Ich danke ihm.«2 2 »Свети Наум је – за мене мислам – […] како светител е урнек или пример за монаштво, значи првиот монах овде. […] Неговата заслуга и како вероучител и […] како монах, како голем подвижник, како голем чудотворец, мислам за мене од голем занчение. Јас му благодарам.« (Nektarij 2016)
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Als Vorbild für sein eigenes Leben als Mönch suchte der Archimandrit sich Naum allerdings nicht selbst aus. Mit Blick auf seinen eigenen Werdegang erklärte Otec Nektarij, dass er sich nicht für seinen Weg mit Gott entschieden habe, sondern dass es Gottes Plan gewesen sei, dass er Mönch im Naum-Kloster wurde (Nektarij 2016). Er sei Gott dankbar dafür, Mönch am Naum-Kloster zu sein. Er beanspruche jedoch weder Macht noch Einfluss, weil er an diesem historisch-bedeutsamen Kloster dienen dürfe und nicht in einem kleineren Kloster mit lokaler Reichweite. Gegenüber der exklusiven Bedeutung Naums, die sich auf Naums Selbstverständnis als Mönch bezieht, steht die inklusive Perspektive auf Naum als Heiliger seitens der Bevölkerung. Naums Inklusivität bezieht sich auf alle Mitglieder der orthodoxen Kirchen und nicht nur auf in Askese lebende Mönche und Nonnen. Wie der Archimandrit des Naum-Klosters schätzt auch Joan Pelushi in seiner Funktion als Metropolit von Korçë die religiöse Identität der Menschen höherrangig als deren politische Zugehörigkeit. Allerdings stellt Pelushi dabei weniger Naums Relevanz für die monastische, sondern für die allgemeine christliche Identität heraus: »In the church, the church doesn’t deny ethnicity, but it’s not the first identity. The first was being a Christian. And […] during the time that Saint Naum was living nobody discussed about nationalities or ethnicities« (Pelushi 2016). Dem Zitat ist dabei nicht zu entnehmen, ob Pelushi sich nur auf christlich-orthodoxe Identitäten bezieht. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es zu Naums Zeit noch keine konfessionell getrennte Ost- und Westkirche gab, könnte zwischen einer Inklusivität im engeren und im weiteren Sinne unterschieden werden. Im engeren Sinne bezöge sich Naums inklusive Bedeutung nur auf christlichorthodoxe, im weiteren Sinne auf alle Christ:innen unabhängig von ihrer konfessionellen Zugehörigkeit. Ein weiteres Kennzeichen von Naums inklusiver Bedeutung ist auch seine lokale Verbundenheit. Als Lokalheiliger steht Naum anderen Heiligen gegenüber, die überregional und transnational verehrt werden wie zum Beispiel die Gottesgebärerin Maria (maz. Sveta Bogorodica Maria; alb. Shën Maria Hyjlindëse), der Prophet Elia (maz. Sveti Prorok Ilija; alb. Profeti i Shenjtë Ilija) oder der Heilige Georg (maz. Sveti Ǵorǵi; alb. Shën Gjergj). Ein Lokalheiliger unterscheidet sich von anderen Heiligen aufgrund seiner Verwurzelung in einer bestimmten Region, in der die Menschen seiner Zeit mit ihm Kontakt hatten. Durch den direkten Kontakt und seine Taten blieb Naum den Menschen in Erinnerung, erklärte der Metropolit von Korçë: »So, a saint was somebody that has fulfilled his call. And Saint Naum was a well-known saint, he spread and preached the gospel […]. And all these local saints were more special because the people had a living memory of them. It’s different if you just hear from others
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and it’s different when a saint is a local saint. Because it’s a kind of example that everybody can become a saint, somebody you know.« (Pelushi 2016)
Durch seine gottgefällige Lebensführung und seine physische Nähe zur Bevölkerung wurde Naum zum Vorbild für andere orthodoxe Gläubige und erlangte auf diese Weise auch einen besonderen Stellenwert in der Gesellschaft. Heilige und insbesondere Lokalheilige seien für die Kirche wichtig, weil sie die kirchlichen Dogmen verinnerlicht hätten und sie auf diese Weise lebendig hielten, erklärte der Regionalbischof: »dogma without living experience would be something dry and after a while they will die« (Pelushi 2016). Die Dogmen sind ein wesentlicher Bestandteil der Kirche, der die ekklesiale Identität seit den Anfängen zu wahren versucht. Naum war und ist laut Pelushi für die Menschen in der Region eine solche »living experience«. Die lebendige Erinnerung an Naum zeigt sich im wertschätzenden Verhalten der Bevölkerung. Dazu zählt vor allem die Menschenmenge aus Mazedonien und Albanien, die das Naum-Kloster jedes Jahr anlässlich des Feiertags am 3. Juli besucht. Zur lebendigen Erfahrung wird Naum für die Klosterbesucher:innen am Grab, wenn sie ihr Ohr auf die Grabplatte legen und Naums vermeintlichen Herzschlag hören können. Sowohl der hörbare Herzschlag als auch die Wundergeschichten, die unter den Besucher:innen erzählt werden, brachten Naum den Beinamen »lebendiger Heiliger« (maz. živ svetec) ein. Der hohe Stellenwert Naums für die lokale Bevölkerung drücke sich laut Pelushi nicht nur über den Klosterbesuch aus, sondern auch in der länderübergreifenden Namensgebung (Pelushi 2016). In der Grenzregion von Mazedonien, Albanien und Griechenland gebe es viele Menschen mit den Vornamen »Naum« oder der weiblichen Form »Nauma«. Ein an der Grenze arbeitender Albaner meinte überdies, dass in ganz Albanien nicht nur Christen, sondern auch Muslime den Namen »Naum« tragen (Shpendi 2016). Allerdings habe dies weniger mit einer religiösen Überzeugung zu tun, denn der Vorname wurde auch im kommunistischen Albanien häufig vergeben, als Religionen verboten waren. Mit der Charakterisierung Naums als Lokalheiligem verbindet sich subtil auch die Frage nach Naums ethnischer Zugehörigkeit und den unterschiedlichen Beziehungen zur mazedonischen und albanischen Bevölkerung, die im lokalen Einzugsgebiet des Klosters leben. Die beiden befragten Geistlichen deuteten diese Thematik unterschwellig mit den zitierten Aussagen an. Das zeigt sich besonders an Pelushis Argumentation, Naum sei für die inklusive christliche Identität bedeutsamer als für exklusivierende politische Identitäten, denn »during the time that Saint Naum was living nobody discussed about nationalities or ethnicities« (Pelushi 2016). Den Hintergrund der Betonung christlicher Identität und ihrer Abgrenzung von Ethnien und Nationalitäten bilden politische und religiöse, me-
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taphorische und geographische Grenzen, die im Zuge der Nationalstaatenbildung entstanden. Joan Pelushi betonte deswegen auch, dass ethnische Zugehörigkeit lange Zeit der Religionszugehörigkeit nachgeordnet war. Infolgedessen fühlten sich die Menschen seiner Meinung nach aufgrund ihrer gemeinsamen, orthodoxen Kirchenzugehörigkeit stärker miteinander verbunden, als sie sich durch sprachliche und andere kulturelle Unterschiede getrennt wähnten. In der Geschichte zeigte sich das Zusammengehörigkeitsgefühl aufgrund der Mitgliedschaft in der orthodoxen Kirche auch daran, dass die Menschen Naum unabhängig von ihrer Ethnie kannten und verehrten: »And the people around here have known him [i.e. Naum], regardless [of] their own ethnicities. And for […] the orthodox people that live […] in the borders of Albania [Naum] was special because during all the time, all the centuries were not national states, were Byzantine Empire, Bulgarian Empire, […] Ottoman Empire. They […] – all the orthodox people felt that [they were] one people.« (Pelushi 2016)
Allerdings bezieht sich Pelushis Äußerung auf die Unterschiede innerhalb der Grenzen Albaniens und vermischt somit die Situation der Imperien, in denen es keine Staatsgrenzen gab wie mit den gegenwärtigen Nationalstaaten. Fast nostalgisch deutete er die negativen Auswirkungen der Überbetonung politischer Identitäten an: »many things are poisoned by the nationalism« (Pelushi 2016). Ohne weitere Erklärungen kann daher nur vermutet werden, dass sich das Zitat auf konfliktäre und kriegerische Auseinandersetzungen infolge der Nationalstaatenbildung denkt, unter denen besonders die Bevölkerung litt. Beispiele aus Südosteuropa sind einerseits die Trennung von Bevölkerungteilen durch die Grenzziehung nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs und später die Auflösung Jugoslawiens. Besonders litt die religiöse Identität der Menschen unter der religionsverachtenden Politik des kommunistischen Albaniens und des sozialistischen Jugoslawiens. In beiden Staaten sollte die Bevölkerung im Sinne des angestrebten Sozialismus zu einem möglichst hohen Maß homogenisiert werden, wobei Religion einen Störfaktor darstellte. Pelushis harmonisierender Perspektive steht ein Verweis des Archimandriten des Naum-Klosters auf die Siedlungsstruktur zur Zeit Naums konträr gegenüber: »Fast ganz Albanien war damals[, als Kliment und Naum in der Gegend tätig waren,] mit slawischer Bevölkerung besiedelt« (maz. skoro cela Albanija bila naselena vo toa vreme so slovensko naselenie) (Nektarij 2016). Für diese These spricht der Stadtname von Pogradec, der sich aus dem Slawischen (zum Beispiel maz. pod gradec) ableiten lässt und »unter dem Städtchen« bedeutet, was sich auf die Siedlung unterhalb der früheren Burg (alb. kala) bezieht (vgl. Gusho 2000: 43). Der erste schriftliche Beleg für den slawischen Ortsnamen stammt aus dem
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17. Jahrhundert und findet sich in dem Reisebericht Seyahatnâme des osmanischen Reisenden Evliya Çelebi (Gusho 2000: 49-51). Dennoch ist davon auszugehen, dass Pogradec bereits im Zuge der Einwanderung slawischer Gruppen in Südosteuropa seit dem 6. Jahrhundert slawisch besiedelt war (Gusho 2000: 41). Dafür spricht auch Kliments Entsendung als slawophoner Geistlicher des Bulgarischen Reichs in diese Gegend (Risteski 2009: 13). Infolgedessen kann Naum seinerzeit schwer nachweislich Zusammenhalt zwischen Bevölkerungsteilen verschiedener sprachlicher oder kultureller Prägung gestiftet haben, wenn es diese Unterschiede nicht gab. Ein weiteres Merkmal für Naum als Lokalheiligen ist folglich auch die Reichweite seines Wirkens. Naums historische Reichweite in der Region seines Klosters ist nur in Legenden überliefert und reichte demnach von Ohrid bis Korçë und Berat (vgl. Gusho 2000: 138f; Risteski 2009: 71).3 Für die Gegenwart umriss der orthodoxe Regionalbischof Pelushi mit dem Hinweis auf die Verbreitung der Namen »Naum« und »Nauma« vor allem eine Reichweite im Dreiländereck Mazedonien-Griechenland-Albanien (Pelushi 2016). Im Gegensatz dazu behauptete der Archimandrit des Naum-Klosters allerdings einen Wirkradius, der sich über ganz Südosteuropa bis nach Rumänien erstreckt (Nektarij 2016). Naum sei folglich nicht nur ein Lokalheiliger, sondern ein transnationaler Heiliger. Dafür spricht auch die Ausweitung des Naum-Kultes (Grozdanov 2015: 223-236, 268-270), die teilweise mit der Flucht der aromunischen Bevölkerung Voskopojës im Zuge der Zerstörung der Stadt einherging. Anhand der Verbreitung des Naum-Kults wird die Reichweite seines Wirkens erkennbar. Die vorangegangenen Aussagen verdeutlichten, dass Naum sowohl als Lokal- als auch als transnationaler Heiliger betrachtet werden kann und dass der Übergang vom einen zum anderen fließend ist. Die transnationale Reichweite Naums sagt jedoch nichts über sein Potential als politische Erinnerungsfigur aus, was im Vergleich zu Kliments politischer Bedeutung gering ist. Das liegt laut Schreiner an den verschiedenen Funktionen, die sie am Ende ihres Lebens innehatten, denn als Bischof von Ohrid wirkte Kliment stärker in die Öffentlichkeit als der in Askese lebende Mönch Naum (vgl. Schreiner 1994: 376-378). An Kliments Potential zur politisch relevanten Erinnerung ändert auch die Tatsache nichts, dass er um seinen Titel als erster slawischer Bischof geringfügig mit
3 Inwiefern Naum aufgrund seiner Tätigkeiten in Pliska, im heutigen Bulgarien, regionale Bedeutung hat, entzieht sich meiner durch Feldforschung gewonnenen Kenntnis. Diese Frage bedarf weiterer Studien.
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zwei anderen Figuren der südosteuropäischen Kirchengeschichte, Erasmus und Method, in Konkurrenz steht.4 Im Zuge der Nationalstaatsbildung und in Abgrenzung zu Bulgarien wurde Kliment aufgrund seiner letzten Wirkungsstätte in Ohrid schließlich genutzt, um ihn zum Patron der jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien und der MPC zu erklären (Popović 2013: 497f). Während auch Bulgarien Kliment als einen der wichtigsten Heiligen neben Ivan Rilski betrachtete (Rohdewald 2007: 186-188, 207f), ist der mazedonische Nationalheilige für Albanien von wenig Interesse (Shpendi 2016). Von der Aussage des Archimandriten Nektarij, Naum sei transnational verehrt worden, lässt sich auf das Kriterium des Wirkradius von Heiligen Folgendes schlussfolgern: Lokale Verbundenheit und ein entsprechender Wirkradius können eine Grundlage für nationale und transnationale Erinnerung sein, sind jedoch keine hinlänglichen Kriterien für politische Relevanz. Neben den Vertretern der orthodoxen Nationalkirchen beansprucht auch die lokale albanische und mazedonische Bevölkerung beiderseits der Staatsgrenzen Naum als Lokalheiligen. Die Argumentation der Bevölkerung unterscheidet sich von der der Geistlichen insbesondere hinsichtlich ihres stärkeren Bezugs auf das 4 Als erster slawischer Bischof steht er in Konkurrenz zu seinem Lehrer Method, der als der erste slawischer Bischof im slawisch besiedelten Südosteuropa gilt. Im Unterschied zu Kliment, der auch slawische Wurzeln hatte (Kuzman 2003: 35), war Method jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit griechischer Abstammung (Tzermias 1996: 80-84). Die zweite kirchenhistorische Figur, die mit Kliment als erstem Bischof von Ohrid in Konkurrenz treten könnte, ist Erasmus von Antiochien (maz. Erazmo), der sich laut seiner zweiten, kürzeren Heiligenvita Ende des 3. und Anfang des 4. Jahrhunderts in Ohrid aufhielt (Risteski 2015: 9-11). Als Sveti Erazmo ist er einer der drei wichtigsten Heiligen neben Kliment und Naum, der in Ohrid wie Naum vor allem wegen seiner Heilungswunder bekannt ist. Dies zeigt sich an dem ihm geweihten Kloster, das sich nordwestlich von Ohrid Richtung Struga befindet, sowie an der im Jahr 2000 geweihten Krankenhauskapelle, die wenige Meter südlich des Klosters Sv. Erazmo liegt (Risteski 2015: 19f). Das Spezialkrankenhaus für Orthopädie und Traumatologie wurde 1950 auf Knochen- und Gelenktuberkulose spezialisiert auf dem enteigneten Gelände des Klosters Sv. Erazmo gegründet (TRAORTOH 2017). Erst durch die Weihe der Krankenhauskapelle bekam das Krankenhaus den Beinamen »Sv. Erazmo«. Obwohl Erasmus von Antiochien vor Kliment in Ohrid und zudem ein Bischof war, fehlen ihm im Vergleich mit Kliment mindestens zwei Anknüpfungspunkte, um als Lokalheiliger und erster Bischof bedeutsam zu sein. Zum einen stammte er nicht aus einem slawischen Siedlungsgebiet. Zum anderen kam er nicht wie Kliment und Naum planmäßig im Rahmen eines religionspolitischen Großprojekts als Hauptakteur, sondern als politisch Verfolgter auf der Flucht Richtung Westen nach Ohrid.
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Naum-Kloster. Das Naum-Kloster als physischer Ort ist dabei eng mit Naum als metaphorischem Ort verbunden. Mit der Bezugnahme auf den physisch-geographischen Ort stellt sich auch wieder die Frage nach Naums slawischer Prägung und seiner Bedeutung für die nicht-slawische Bevölkerung. Dieser Aspekt ist auch deswegen bedeutsam, weil der Großteil der Bevölkerung sowohl von Pogradec als auch von Albanien muslimisch geprägt ist. In diesem Kontext überrascht vielleicht, dass insbesondere zum Feiertag des christlich-orthodoxen Heiligen slawischer Abstammung am 3. Juli auch eine so große Anzahl muslimischer Besucher:innen aus Albanien am Kloster anzutreffen ist. Neben touristischen Motiven werden drei verschiedene Argumente für den Besuch des Naum-Klosters angeführt, die auf historischen Ereignissen basieren: Naums ursprünglicher Platz im Süden des Ohrid-Sees, die christlichen Vorfahr:innen und die bis 1925 unklare Grenzsituation des Klosters. Naums ursprünglicher Platz ist die Stelle, an der er mit seinem Boot landete, als er den See überquerte. Dieser Ankunftsort liegt westlich des später von Naum errichteten Klosters auf heutigem albanischem Staatsgebiet kurz hinter der Grenze. An dieser Stelle befindet sich die najazma genannte Quelle, aus welcher bis zur Grenzschließung das Wasser für die Wasserweihe an Naums Feiertag stammte. Laut des Archimandriten des Naum-Klosters lebte der Lokalheilige zehn Jahre lang an der Quelle (Nektarij 2016). Dort wurde zur Erinnerung auch die Naum geweihte kleine Kapelle errichtet, die während des kommunistischen Regimes in Albanien zweckentfremdet und erst nach 1991 optisch, jedoch nicht funktional wieder zurückverwandelt wurde. In diesem Zusammenhang steht auch die Erinnerung, dass Naum damals unter der Verwaltung von Pogradec gestanden haben soll (alb. Shën Naumi ka qenë nën administri në një kohë nga […] Pogradeci) (Merolli/Cana 2017). Allgemein ist Naums Ankunftsort, der sich auf albanischem Staatsterritorium befindet, mit der bis in die Gegenwart existierende najazma-Stelle in Mazedonien jedoch kaum bekannt (EN 03.07.2016). Stojan Risteski tradiert in seinem Werk Čudata na Sveti Naum auch eine Erzählung, laut der die najazma im Ersten Weltkrieg noch vom Vorsteher des Naum-Klosters für Mazedonien als damaliger Teil Serbiens beansprucht wurde (Risteski 2009: 82). Der damalige Priester aus Tu shemisht arbeitete jedoch dagegen und wurde »für das Verhalten […] von Emigranten aus Albanien umgebracht«. Die albanische Erinnerung an die najazma und das gleichzeitige mazedonische Vergessen kann als Reaktion auf den langen Grenzziehungsprozess zwischen Albanien und Jugoslawien gedeutet werden: Die albanische Bevölkerung tröstet sich über den Verlust des Klosters mit dem Wissen hinweg, dass ein Teil ihres Grenzgebiets zu Naums Lebensgeschichte gehörte. Die südslawische Seite dagegen verkraftete den Verlust der heiligen Quelle, da sich die Kultzentren, die Kirche und das Grab, auf ihrem Territorium befanden.
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Der Besuch des Naums-Klosters seitens der muslimischen Bevölkerung Albaniens ist auch mit dem Bewusstsein darüber verbunden, dass ihre Familien vor einigen Generationen noch der christlichen Tradition angehörten. Krenar Zgjani, ein Bektaschi aus Pogradec, der etwa 40 Jahre alt ist, erklärte in dem Zusammenhang, dass es für Muslime und Muslimas im Allgemeinen und für Bektaschis im Besonderen leicht sei, zu christlichen Orten zu gehen, denn viele seien konvertierte Christ:innen (alb. ka shumë myslimane që janë kthyer) (Zgjani 2017b). Dabei bezieht sich die aktive Perfektform janë kthyer nicht auf die einzelnen Personen, sondern auf die Familien. Christ:innen gehen jedoch nicht in Moscheen, was für ihn ein Zeichen von Fanatismus ist, da seiner Meinung nach religiöse Zugehörigkeiten für Albaner:innen nicht wichtig seien (Zgjani 2017a). Er begründet diese Aussage mit dem Argument, dass die albanische Nation (alb. komb) älter und deswegen auch wichtiger als jede Religion sei. Das Naum-Kloster zu besuchen, gehört folglich zu einer gewachsenen Familientradition, die nach der Grenzöffnung Anfang der 1990er Jahre wieder aufgenommen wurde. Dabei war die neugewährte Religions- und Reisefreiheit wichtiger als der Glaube an den Heiligen. Krenar Zgjani erinnert sich an seinen ersten Besuch am Naum-Kloster: »Bei Shën Naum zum ersten Mal im April 1992. Es war Ostern im April ´92 und die Grenze wurde das erste Mal geöffnet. Und wir sind hingegangen, ich sage, ganz Pogradec. […] Dort haben wir mit solchen [großen] Augen geschaut, wir [waren] ohne Glauben, heißt das. 30 Jahre ohne Glauben. Wir hatten von unserem Großvater, von unserer Mutter, von unserem Vater gehört: Shën Naum so, das so, das so. Und wir waren sehr neugierig. Albanien war in jenen Jahren sehr, sehr, sehr arm. […] Wir sahen es [d.i. das Kloster] wie eine andere Welt dort, während das nur wenige Meter weg war. […] Das [Kloster] war unseres. Der Kommunismus hielt so viele Jahre, dass er uns anders machte, das Denken, die Mentalität über Dinge. Als wir dort gesehen haben, erschienen sie uns sehr, sehr schön, sehr verwunderlich. Wir gingen, […] sahen, machten die Rituale, haben Fotos gemacht. […] Das ganze Ziel der Albaner [war], dass wir zu Shën Naum von den Pogradecern gehen. […] Wir hatten davon gehört. Wir wollten Religion, wir wollten Gott, wir wollten an etwas glauben. Das heißt, es gab uns Hoffnung. Und das heißt, alle wurden gelassen. Sehr wenige gingen von Qafthanë [d.i. der andere albanisch-mazedonische Grenzübergang im Norden des Ohrid-Sees, kurz vor Struga], um Struga und Ohrid zu sehen Die meisten strömten danach dorthin.«5 5 »Në shën Naum për herë te parë në 1992 në prill. Ishin Pashket në prill ´92 dhe u hap kufiri per herë te parë. Edhe kemi shkuar, them une, gjith Pogradeci […] ande shikonim me sy këshu ne pa fenë domethënë. 30 vjet pa fenë. Ne ishim degjuar prej gjyshit, prej mames, prej babes, Shën Naumi këshu kjo këshu kjo këshu. Edhe kishim kuriozitet të madh. Shqipëria na këto vitin ka qenë shumë, shumë, shumë e varfër […] ne shikonim si një botë tjetër ande, duke qenë disa metra larg, […] ajo ke qenë tona. Mbajti komu-
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Krenar Zgjanis Aussage, dass 1992 die albanische Grenze geöffnet wurde, sodass die ganze albanische Bevölkerung auf die mazedonische Seite gehen konnte, steht im Kontrast zu den Angaben, dass der aus Pogradec stammende Todi Vasil Jovani bereits 1991 für seine Priesterweihe nach Mazedonien gegangen sei (Gusho 2000: 70; Nektarij 2016). Die Erinnerung Krenar Zgjanis verwies auch auf den dritten Grund, das Naum-Kloster aufzusuchen: Für ihn ist das Kloster von Shën Naum im Grunde albanisch, speziell gehörte es laut ihm der Bevölkerung von Pogradec, die auch deswegen ihr Land nach der Grenzöffnung wieder aufsuchte. Diese Perspektive verweist auf den historischen Umstand der bis 1925 umstrittenen Frage, wie die Grenze am Naum-Kloster zwischen dem damaligen Südserbien und Albanien zu ziehen sei. Das ursprüngliche Besitzverhältnis bekräftigte er mit dem geopolitischen Ereignis, dass König Zogu das Land mit dem Kloster Jugoslawien gegeben habe (Zgjani 2017a). Die lokalpolitische Bedeutung des Naum-Klosters drückt der Gesprächspartner auch aus, indem er religiöses und politisches Vokabular zusammenbringt: »Es ist ein heiliger Ort und er ist albanisch, aber unabhängig davon, ob die Grenze hier oder hier ist, in meinem Geist ist er albanisch« (alb. është vend i shenjt dhe është shqiptar pavar se kufiri ishte këtu o këtu, ai ne shpirtin tim është shqiptar). Die Vorstellung des Metropoliten von Korçë – Naum als Lokalheiligen mit seiner transethnischen und transreligiösen Bedeutung für alle Bewohner:innen im Einzugsgebiet des Klosters (Pelushi 2016) – findet folglich nur bedingt in der Bevölkerung Anklang. Dies wird daran deutlich, welcher Stellenwert Naum von der Bevölkerung Mazedoniens und Albaniens zugemessen wird und wie sich die Titularnationen beider Länder im Grenzgebiet des Klosters begegnen. Denn nicht nur der aus Pogradec stammende Bektaschi, sondern auch ein Mann aus einer sunnitisch geprägten Familie, der aus ökonomischen Gründen verstärkt christliche Traditionen adaptierte, bewertete die Entscheidung des Königs Zogu negativ. Er charakterisiert das Handeln des damaligen Königs als Verkauf des Landes zum Ziel seines eigenen Machtausbaus – ein Zeichen dafür, dass das Land albanisch und Zogu kein guter König gewesen sei (EN 27.01.2017). Für Albanien kann eher eine bewusste transreligiöse als eine transnationale Inanspruchnahme Naums benismi aq vjet se na bëri tjetri […] mendimin, mentalitetin mbi gjerat. Kur shikonim atje na dukshin shumë shumë të bukura, shumë të çuditshmë. Shkuam, […] pamë, bëmë ata ritet, kemi bërë foto. […] Gjithë qellimi i Shqiptarëve ishtë që shkonin shën Naumi Pogradecareve. […] E kishin degjuar. E donim fejen, donim zotin, donim te besonim diku. Domethënë na jepte shpresë. Edhe domethënë të gjithë u leshuan. Shumë pak iken këte nga Qafthanë për të parë Strugë, Ohër. Shumica u dynden aty pastaj shkuan ande.« (Zgjani 2017a)
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hauptet werden. Die Transreligiosität gründet sich auf die verschwindend geringe Bedeutung, die der Religionsangehörigkeit spätestens seit dem Kommunismus zugemessen wird. Auch in Mazedonien besteht zu der Perspektive, dass Naum ein transethnischer oder transnationaler Lokalheiliger ist, keine Einigkeit. Im Gegensatz zur albanischen Wahrnehmung ist Naum in Mazedonien auch kein transreligiöser Heiliger. Das liegt daran, dass in Mazedonien wie auch in vielen anderen Gebieten des ehemaligen Osmanischen Reichs die Nationenbildung eng mit einer Religion verbunden war und immer noch ist. In Mazedonien ist die slawisch-mazedonische Bevölkerung überwiegend orthodox und der Großteil der albanischen Minderheit sunnitisch. Die Aktualität dieser Vorstellung bei der slawisch-mazedonischen Bevölkerung und die geringe Relevanz der Frage nach der religiösen Zugehörigkeit in Albanien ließ eine kurze Unterhaltung zwischen einem Mazedonier aus Peštani und einem Albaner aus Pogradec erkennen (EN 03.07.2016). Der Albaner, der an der Grenze Autoversicherungen verkauft, hatte durch seine Arbeit Mazedonisch gelernt. Der Mazedonier war über dessen Sprachkenntnisse überrascht und fragte ihn zunächst nach seiner Herkunft, in der Erwartung, er habe es mit einem ethnischen Mazedonier zu tun. Nachdem der Albaner seine Frage beantwortet hatte, fragte der Mazedonier direkt, ob er Muslim sei (maz. muslim si?), worauf der Albaner ihm erklärte, dass es viel wichtiger sei, den anderen als Mensch (maz. čovek) zu sehen und jemanden nicht nach dem Glauben zu beurteilen. Der Mazedonier stieß mit seinen Vorstellungen, dass Albaner:innen muslimisch seien, an deren Grenzen, weil sein albanischer Gesprächspartner die in Mazedonien vorherrschende Trennung der Bevölkerungsgruppen nach Ethnie und Religion nicht bestätigte. Die Begegnung zeigte außerdem, dass beide sowohl unterschiedliche Fremd- und Selbstbilder als auch unterschiedliche Nationsverständnisse hatten. Unter der mazedonischen Lokalbevölkerung gilt Naum auch als ein slawischmazedonischer Heiliger. Seine Charakterisierung als christlich-orthodox wird dadurch nicht in Frage gestellt, sondern bleibt unhinterfragte Selbstverständlichkeit. Naums slawische Herkunft und die Lage seines Klosters auf der mazedonischen Seite des Ohrid-Sees sind dabei Hinweise genug, um auch seine ethnisch mazedonische Identität zu behaupten. Dabei können sich lokale und nationale Identität überschneiden. Sehr deutlich zeigt sich das Bewusstsein über den Zusammenhang zwischen lokaler und nationaler Identität am Beispiel Naums in der Aussage eines älteren Mazedoniers aus dem Dorf Ljubaništa, das dem Kloster auf mazedonischer Seite am nächsten ist: »Für uns ist es ein Wunder, dass er ein mazedonischer Heiliger ist. Das heißt, mazedonischer Herkunft. […] Aleksander Makedonski und alle anderen Heiligen, das bedeutet, sie stammen aus Mazedonien. Das ist
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unser Stolz.«6 Der Gesprächspartner stellt den Lokalheiligen Naum auf eine Stufe mit der historischen Figur Alexander des Großen, ohne die Probleme eines solchen Vergleichs zu berücksichtigen. Denn Alexander der Große (356-323 v.u.Z.) mag aus der historischen Großregion Makedoniens stammen, allerdings lebte er vor der Entstehung des Christentums und vor der Einwanderung slawischer Bevölkerungsgruppen. Demzufolge kann er weder christlich – geschweige denn orthodox – noch slawisch gewesen sein. Die Gleichsetzung Naums und Alexander des Großen erscheint auch hinsichtlich ihres Lebenswandels und ihrer Taten – als asketischer Mönch einerseits und als Kriegsherr und Herrscher eines riesigen Imperiums andererseits – unverhältnismäßig. Ungeachtet des hinkenden Vergleichs deutet die Äußerung außerdem an, dass für den Gesprächspartner in Naum die lokale und die ethnisch-nationale Identität schwer trennbar miteinander verbunden sind. Diese Behauptung gilt jedoch nicht für die gesamte slawisch-orthodoxe Bevölkerung in Mazedonien. Naum ist vorranging ein Lokalheiliger, zu dem die Bevölkerung aus der Umgebung eine historisch gewachsene Verbindung empfindet. Das zeigt auch der Vergleich mit der Bewertung einer von der MPC neu errichteten Naum-Kirche im Dorf Čiflik bei Kočani (EN 26.02.2017). Befragte aus der Nachbarschaft antworteten auf die Frage, welche Rolle (maz. uloga) Naum für sie spiele, dass sie keine Beziehungen zu ihm haben (maz. nema vrska), weil sie Sveti Atanasij als Dorfheiligen feierten. Die historisch gewachsene Verbindung ist jedoch nicht das einzige Kriterium für Naums lokale Bedeutung. Auch der Gesprächspartner aus Ljubaništa behauptete, dass Naum für ihn persönlich nicht bedeutsam sei, was jedoch daran liege, dass er durch seine jugoslawische Prägung Atheist sei (EN 08.07.2016). Zum Feiertag habe er seine Frau zwar zum Kloster begleitet, in die Klosterkirche und zum Grab sei er aber nicht gegangen (EN 03.07.2016). Die politischen Ereignisse seiner Kindheit und Jugend trugen demnach dazu bei, dass die historisch gewachsene Verbindung zu Naum als Lokalheiligem unterbrochen und dadurch geschwächt wurde. Das Zitat des Dorfbewohners aus Ljubaništa sowie die vorangehenden Ausführungen zur lokalpolitischen Bedeutung Naums sprechen gegen Peter Schreiners These zu politischen Heiligen im Allgemeinen und Naum im Besonderen: Naum erlangte trotz seiner monastischen Lebensführung und seines fehlenden oder unbekannten politischen Engagements mindestens auf lokaler Ebene eine identitätsstiftende Bedeutung. Früheren Annahmen widersprechend, verdeutlicht diese Beobachtung vor allem, dass auch im Erinnerungsdiskurs verschiedene 6 »За нас је чудо што тој е македонски светец. Значи потекло македонско. […] Александар Македонски и сите други свеци значи потекнуват од Македонија. Тоа е за нас гордост.« (Krstanoska/Krstanoski 2016)
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politische Ebenen unterschieden und unabhängig voneinander untersucht werden müssen. Infolgedessen stellt sich erneut die Frage nach Naums Bedeutung für den staatlichen Erinnerungsdiskurs, der sich der nächste Abschnitt widmet.
9.2 D IE SUBTILE STAATSPOLITISCHE RELEVANZ VON NAUM UND SEINEN KIRCHEN Ausgehend von den Ausführungen zu Naums umstrittener religiös-politischer Bedeutung als Lokalheiliger im Siedlungsgebiet um das Naum-Kloster herum zeigt sich, dass Naum auf staatspolitischer Ebene nur gering und unscheinbar von Relevanz ist. Der Grund für seine staatspolitische Irrelevanz liegt in den Überlieferungen von Naums Leben und Wirken, die keine politische Tätigkeit erkennen lassen und sich daher nicht für eine kollektive politische Erinnerung eignen (Reuter 2015: 168-170). Gleichwohl riefen die staatspolitischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts architektonische und ideologische Wandlungen hervor. Für die gegenwärtige Wahrnehmung des Klosters werden die politischen Auseinandersetzungen der jüngeren Vergangenheit jedoch kaum rezipiert. Die fehlende staatspolitische Bedeutung des Klosters zeigt sich in der diachronen Betrachtung und im synchronen Vergleich mit anderen religiösen und geteilten Orten. Die größte Bedeutung für staatspolitische Aushandlungsprozesse hatte das Kloster im 20. Jahrhundert zunächst als einer der Streitpunkte bei der Grenzziehung zwischen Albanien und Jugoslawien. Als die internationale Gemeinschaft nach den Balkankriegen 1913 das Gebiet »von Lin bis St. Naum« Albanien zugestand, war unklar, ob die Formulierung inklusiv oder exklusiv gemeint war und ob das Kloster folglich Albanien oder dem damaligen Serbien zugeordnet worden ist. Die religiös-kulturelle Bedeutung des Klosters spielte dabei eine wichtige Rolle für die serbisch-jugoslawische Verhandlungsposition, jedoch nicht für die abschließende Lösung. Eine Einigung erzielten die beiden Länder erst 1925, als der albanische König Zogu das Kloster als Schenkung an die jugoslawische Regierung abtrat, nachdem Jugoslawien ihm zur Machtergreifung verholfen hatte. Diese Grenzziehung änderte sich nur übergangsweise in der Zeit der italienischen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs. Seitdem ist das Naum-Kloster nur lokal von albanischem Interesse. Historisch betrachtet ist das Territorium des Naum-Klosters eine Arena staatspolitischer Aushandlungsprozesse. Allerdings bleibt die Bedeutung des Klosters als Schauplatz politischer Debatten ein zeitlich begrenztes Phänomen. Nachdem der internationale politische Interessenkonflikt abschließend geklärt war, stellte der Staat die vormals religiöse Bedeutung des Klosters infrage. Dazu
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entzog das sozialistische Regime Jugoslawiens 1950 zunächst das Kloster der verwaltenden orthodoxen Kirche und wandelte es als kulturhistorisches Denkmal in ein Museum um. 1955 ließ die Regierung dann im Zuge archäologischer Grabungen auch das Grab öffnen. Teile der Bevölkerung sehen darin nicht nur archäologische Interessen, sondern auch eine ideologische Entscheidung zur Schwächung der Kirche (Krstanoska/Krstanoski 2016). Die Öffnung des Grabs als religiöses Zentrum des Klosters steht symbolisch für die Dekonstruktion des gesamten Klosters als religiösen Ort. Zusätzlich setzte die sozialistische Regierung neue touristische Akzente zur Verdrängung des christlich-orthodoxen Charakters und zur Etablierung ihrer eigenen Ideologie. Im Vergleich zu anderen sozialistischen und kommunistischen Regimes verfolgte Jugoslawien jedoch eine relativ milde Religionspolitik. Insbesondere in Mazedonien wurde durch die Gründung und Etablierung der MPC Religion sogar als nationsbildender Faktor gefördert. Das trug auch dazu bei, dass sich die Bevölkerung während des sozialistischen Regimes und der Zeit des als Museum genutzten Klosters der ursprünglich religiösen Bedeutung erinnern konnte und durch ihr Verhalten die Tradition nicht vollständig abbrechen ließ. Mit der Denationalisierung, also der Rückgabe des Klosters an die MPC verlor das Kloster ab 1991 an Wert für die mazedonische Staatspolitik. Die Rückgabe deutet die Trennung von Politik und Religion an und symbolisiert gleichzeitig eine neue Religionsfreiheit. Folglich fehlen nationale Symbole wie Flaggen und Embleme am Kloster. Abgesehen von Souvenirs mit nationalen Symbolen könnte außerdem die mazedonische Sprache als Zeichen der ethnisch-nationalen Dominanz interpretiert werden. Dagegen spricht jedoch, dass Sprache am Kloster – abgesehen vom Gottesdienst – als Mittel zum Zweck der Kommunikation austauschbar ist. Das wird insbesondere anhand der Sprachkenntnisse der Handelnden und Dienstleister:innen deutlich. Lediglich an der etwas abgelegenen Kapelle Sveta Bogorodica findet sich im Boden die Sonne von Vergina, die als Symbol Alexander des Großen zwischen 1992 und 1995 die mazedonische Nationalflagge zierte. Weil das Bodenmosaik neu aussah, ist davon auszugehen, dass es von einer/einem patriotischen Spender:in in Auftrag gegeben wurde. Auch andere Kirchen können durch neuere, teilweise christliche Gestaltungselemente politisch aufgeladen sein: Wie in vielen christlich dominierten Orten Mazedoniens wurde auch im Dorf Leskoec bei Ohrid auf einem Hügel nahe der Naum-Kirche ein Kreuz errichtet (EN 16.01.2017). Mit Hilfe privater Firmen und der Ortsgemeinde wurde 2006 eine Beleuchtung angebracht, damit das Kreuz nachts sichtbar über dem Dorf thront. Selbst der etwa 25-jährige christlichorthodoxe Informant empfand die Errichtung des großen Kreuzes an einer für alle sichtbaren Stelle als Provokation gegenüber der im Allgemeinen ethnisch und religiös gemischten Besiedlung der Umgebung. Ein Mitarbeiter des Zivilen Friedens-
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dienstes (ZFD) in Skopje betrachtete dagegen nicht nur die Kreuze als politisches Zeichen, um die Dominanz der christlich-slawischen Bevölkerung gegenüber der muslimischen zu demonstrieren (EN 18.07.2017). Der Bau neuer Kirchen und Moscheen in Mazedonien ist für ihn im Allgemeinen eine Art Wettkampf, der politisch gefördert wird. Denn die Einrichtung neuer religiöser Anlaufpunkte bedeute nicht, dass auch die Menschen aus der Umgebung gläubiger würden oder ihren Glauben stärker ausleben wollten. Ein weiteres Beispiel dafür, wie eine Kirche durch ein Gestaltungselement politisch aufgeladen werden kann, findet sich auf dem Dorf Livoišta bei Ohrid (EN 15.01.2017). Die dortige Naum-Kirche ist von einem kleinen Friedhof umringt. Zwischen den Gräbern wurde ein Denkmal für einen aus dem Dorf stammenden Mann errichtet, der als Soldat im Kosovokrieg an der mazedonisch-serbischen Grenze fiel. Das rein slawisch-mazedonisch besiedelte orthodoxe Dorf war weder von dem Krieg betroffen noch hat es ein direktes Gegenüber zur Aufarbeitung der Kriegsereignisse. Durch den Tod des Soldaten wurde der Kosovokrieg Teil des kollektiven Gedächtnisses des Dorfes und das Denkmal hält die Erinnerungen daran wach. Die Platzierung des Denkmals an der Kirche betont die Verbindung zwischen ethnisch-nationaler und religiöser Identität, ähnlich wie die Sonne von Vergina im Bodenmosaik des Klosterkomplexes. Trotz der Trennung von Staat und Kirche am Kloster übernahm die MPC auch einige Elemente der sozialistischen Zeit: Weiterhin ist für den Besuch der Klosterkirche Eintritt zu zahlen. Im Kircheninneren dürfen zum Schutz der Fresken keine Kerzen angezündet werden. Der Museumsangestellte aus den 1980er Jahren arbeitet heute im Kloster als Küster und Verwalter. Durch den Bau der festen Souvenirhütten und des Parkplatzes stärkte die MPC als Bauherrin die touristische Dimension des Ortes weiter. Insbesondere der starke Tourismus am Kloster ist der vollständigen Wiederbelebung des Ortes als Mönchskloster abträglich, in dem bis in die Gegenwart nur ein Mönch lebt. Außerdem gewann das Kloster auch im Zuge der Denationalisierung seine ursprüngliche Ausdehnung nicht wieder. Die bereits vor 1950 enteigneten Ländereien des Naum-Klosters verblieben im Besitz der Ortsgemeinden, denen sie zugeordnet worden waren. Auch am Zeltplatz, der weiterhin unter der Aufsicht des Staates steht, ist zu erkennen, dass der Wert des Klosters als politischer Grenzort stark zurückging. Zum einen steht er nunmehr für alle mazedonischen Staatsbürger:innen als saisonaler Urlaubsort zur Verfügung, während er in der Zeit Jugoslawiens nur für Militärangehörige gedacht war. Zum anderen vernachlässigte der Staat die Pflege des Zeltplatzes und investierte so wenig, dass er im Sommer 2018 aus Qualitätsmängeln der Sanitäranlagen und der vor Ort mietbaren Wohnwagen geschlossen blieb. Damit geht schließlich auch die sinkende Zahl des Wachpersonals einher, das in der Urlaubssaison weiterhin vom Militär gestellt wird. Waren es im Som-
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mer 2016 noch vier Soldaten, die den Platz betreuten, standen im Sommer 2018 aufgrund der Schließung des Campingplatzes nur zwei Soldaten bereit, die im Rahmen der Feierlichkeiten am 2. und 3. Juli von zwei weiteren Kameraden unterstützt wurden. Der militärische Rückzug ist auch auf die entspannte Grenzsituation zwischen Albanien und Mazedonien zurückzuführen. Obwohl einige lokale Albaner:innen immer noch nostalgisch an den Gebietsverlust an das damalige Jugoslawien erinnern, ist der Verlauf der Staatsgrenzen im Allgemeinen klar und akzeptiert. Die an den Klosterkomplex angrenzende Staatsgrenze kann regulär und in beide Richtungen seit Beginn der 1990er Jahre mit den notwendigen Dokumenten überquert werden. Ein besonderes Aufgebot an Grenzpolizist:innen ist ebenfalls nicht zu erkennen, auch nicht als Verstärkung zu Naums Sommerfeiertag, wenn mehr Besucher:innen aus Albanien die Grenze überqueren und zum Kloster streben. Für die Unbestrittenheit des Grenzverlaufs spricht auch die ethnische Zugehörigkeit und sprachliche Prägung der Bevölkerung im Grenzgebiet. Auf mazedonischer Seite des Klosters leben keine Albaner:innen. Auf albanischer Seite lebten während des Kommunismus auch noch Slawophone, denen jedoch als nicht anerkannter Minderheit das Sprechen ihrer Erstsprache verboten war (EN 12.07.2016). Einen Gebietstausch, wie er zwischen Serbien und Kosova verhandelt wird (Schiltz 2018), strebt daher keine Seite an. Subtiles staatliches Interesse am Naum-Kloster zeigt sich auch in Exkursionen, die Vertreter:innen staatlicher Bildungseinrichtungen wie Schulen und universitäre Institute organisieren. Solche Exkursionen sind touristische Sonderformen, an denen sich auch zeigt, wie nicht-religiöse Bereiche an einem religiösen Ort ineinander übergehen können. Denn Exkursionen zum Kloster können identitätsstiftenden Charakter aufweisen, wie ein Vater-Tochter-Gespräch im April 2016 verdeutlicht: Das zehnjährige Mädchen aus dem im Südosten Mazedoniens gelegenen Strumica berichtete, dass sie im Rahmen einer Schulexkursion nach Ohrid auch das Naum-Kloster besichtigen würde. Im weiteren Verlauf des Gesprächs zeigte sich jedoch, dass die Schulexkursion nicht nur der Wissensvermittlung oder der Stiftung eines stärkeren Zusammenhalts der Klassen dienen würde. Die Zehnjährige fragte ihren Vater, ob sie Angst vor den »Albanern« (maz. albanci) haben müsse, zu denen sie aufgrund der ethnischen Struktur in Strumica bisher keinen Kontakt hatte (vgl. Gerasimovski 2002: 182f). Ihre Furcht, die der Vater ihr zu nehmen versuchte, verdeutlicht, wie stark sie den Ausflug mit der Frage nach der eigenen mazedonischen Identität verband. Das Ringen mit der albanischen Bevölkerung als größter Minderheit Mazedoniens ist eines der wichtigsten innenpolitischen Themen. Seit dem Kosovokrieg wird die Debatte um das mazedonischalbanische Verhältnis auf staatlicher Ebene durch das Ohrider Rahmenabkommen (2001) und die anschließende Separierungspolitik einerseits (Vetterlein 2010)
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und durch individuelle Schicksale andererseits bestimmt (EN 02.01.2017). Die Furcht des Mädchens scheint daher vor dem Hintergrund der politischen Diskurse begründet, die sich auch in den ihr zugänglichen Medien niederschlugen. Das Sich-Bewusst-Werden der eigenen ethnisch-nationalen Identität in Abgrenzung von der scheinbar bedrohlichen albanischen Mehrheit ist ein relevanter Nebeneffekt, der negativ identitätsbildend wirkt. Die Schulexkursion zielt dagegen auf eine positive Identitätsbildung, die durch den hohen Symbolgehalt der Stadt Ohrid unterstützt wird. Ohrid wird wegen seiner Vielzahl an Kirchen – angeblich 365, das heißt für jeden Tag im Jahr eine – auch als Jerusalem des Balkans bezeichnet. Im Mittelpunkt der Kirchenlandschaft steht der neu hergestellte Plaošnik-Komplex mit seiner Kirche Sveti Kliment i Pantelejmon. Aufgrund seiner zentralen Lage sowie seiner Rekonstruktion als Bildungsund Gebetsstätte mit Theologischer Fakultät, archäologischem Museum und Kirche schwankt die Bedeutung des Komplexes zwischen Tourismus, Bildung und Religion (vgl. Ivanova-Reuter 2017). Auch dieses Rekonstruktionsprojekt wirkt identitätsstiftend, da es staatlich finanziert die slawisch-mazedonische Titularnation mit dem orthodoxen Christentum verbindet und das osmanisch-muslimische Erbe verdrängt. Die Entfernung des Ausflugsziels von Strumica, indem auch ein anderer Dialekt gesprochen wird, verdeutlicht, dass der Ausflug nicht nur der Wissensvermittlung dient, sondern außerdem zur Bildung einer ethnisch-nationalen Identität im Sinne einer »imagined community« (Anderson 2006) beiträgt. Der Besuch des Naum-Klosters ist in diesem Zusammenhang außerdem als identitätsstiftend zu betrachten, weil es bereits historisch durch seinen Entstehungskontext mit dem Plaošnik-Komplex verbunden ist. Allerdings stand das Kloster Naums bis zur Zerstörung der Kirche Sveti Kliment i Pantelejmon in deren Schatten. Seit der Zerstörung galt das Naum-Kloster vor allem gegenüber dem muslimisch überprägten Plaošnik-Imaret-Komplex als Zentrum des kyrillomethodianischen Erbes, das Kliment und Naum in Ohrid fortsetzten. Allerdings ist das Naum-Kloster weniger mit Bildung verbunden als die von Kliment errichtete religiöse Schule (vgl. Miklas 1992: 17f). Das Naum-Kloster symbolisierte von Anfang an stärker die Tradition des orthodoxen Mönchtums, da er selbst der erste Mönch in der Region seit der Slawenmission war. Als Erinnerungsfigur für eine politische Identität eignete sich Naum nicht, dennoch ist er aufgrund des zeiträumlichen Kontexts von Kliments politischem Wirken beeinflusst. Exkursionen von staatlichen Bildungseinrichtungen zum Naum-Kloster haben im Unterschied zu anderen touristischen Formen und aufgrund der institutionellen Anbindung explizit einen intellektuell höheren Anspruch als Erholung und Zeitvertreib. Allerdings geht mit dieser besonderen touristischen Form nicht zwingend eine Reflexion der identitätsstiftenden Bedeutung im Rahmen der Veranstaltung einher. Diese Vermutung stützt sich auf die Beobachtung einer Exkur-
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sion zum Klosterkomplex im Rahmen der Ohrider Sommerschule des internationalen Seminars für mazedonische Sprache, Literatur und Kultur (maz. Letna škola na meǵunarodniot seminar za makedonski jazik, literatura i kultura) im Juni 2016 (EN 19.06.2016). Der Ausflug zum Naum-Kloster ist fester Bestandteil der jährlich stattfindenden Sprachschule, die von der Kyrill-und-Method-Universität (Univerzitet Kiril i Metodij, UKIM) in Skopje organisiert wird. Veranstaltungsort ist meist das universitätseigene Kongresszentrum einige Kilometer südlich von Ohrid am Ostufer des Sees, von wo aus die Kursgruppen gelegentlich Ausflüge in die Stadt unternehmen, um die wichtigsten touristischen Ziele zu besuchen. Allerdings wurde der Besuch des Naum-Klosters im Juni 2016 nicht von informierenden Besprechungen oder Vorträgen gerahmt. Lediglich im Jahr 2010 wurden Naum, sein Kloster und sein Werk im Rahmen des 1100-jährigen Todestags von Naum auf der Sommersprachschule thematisiert (Stojčevska-Antiḱ 2011; Velev 2011). Entsprechend gab es einige Teilnehmer:innen, die den Ausflug touristisch und teils ungeachtet der historischen, sicher jedoch der politischen Bedeutung genossen. Im Unterschied zur Schulfahrt geht es beim Tagesauflug der Sommerschule nicht um eine identitätsstiftende Maßnahme für internationale Studierende, sondern um die Kreation eines adäquaten Fremdbilds. Im Allgemeinen hatte die Sommerschule eine slawisch-mazedonische Ausrichtung und damit keine, die auf die ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt des Landes abzielte. Die fehlende Reflexion von Exkursionen zum Naum-Kloster sowie die starke Verbindung slawisch-mazedonischer und christlich-orthodoxer Identitäten in der Forschungsliteratur zu Naums Leben und Werk im Jahre 20107 können demzufolge als Teil einer nationsstärkenden Erinnerungsstrategie betrachtet werden. Denn Erinnerungen werden zielgerichtet von »spezielle[n] Träger[n]« organisiert, die Jan Assmann auch als »Wissensbevollmächtigte[]« charakterisiert (Assmann 1992: 54-56). Im Fall der genannten Exkursionen sind die Lehrkräfte von staatlichen Bildungseinrichtungen Träger:innen, die selbst einen mazedonischorthodoxen Hintergrund haben. Unklar ist jedoch, ob jene Lehrkräfte bewusst die transreligiösen und ‑nationalen Informationen verschweigen oder ob sich ihrer nicht bewusst sind und ob sie demzufolge aktiv oder passiv zur Reproduktion der Erinnerungen und der Nation beitragen. Auch im Vergleich zu anderen religiösen Orten wird deutlich, dass das Kloster keine herausragende politische Bedeutung besitzt. Weitaus größeres politisches Potential hat dafür das jüngere Naum-Kloster in Popova Šapka bei Tetovo aufgrund seiner Lage in einer albanisch-sunnitischen Umgebung. Bereits der Bau des 7 Im Oktober und November desselben Jahres fanden zwei weitere Konferenzen zu Naums Leben und Werk statt, die jeweils einen Sammelband hervorbrachten, vgl. Jovanovski 2011; Stojkovski 2011.
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Klosters, den die MPC Anfang der 1990er veranlasste, erscheint in dem Kontext als slawisch-orthodoxe Machtdemonstration und Provokation. Gleichzeitig verdeutlicht dieses Kloster als Beispiel neuerbauter Naum-Kirchen und Naum-Klöster8 die große Schnittmenge an Interessen zwischen der Kirchenpolitik der MPC und der slawisch-mazedonischen Staatspolitik. Dieses politische Potential nutzen und verstärken slawisch-mazedonische Politiker:innen, wenn sie zu Feiertagen als offizielle Staatspersonen auftreten. Hristijan Mickoski zum Beispiel, der Präsident der Oppositionspartei VMRO-DPMNE, suchte regelmäßig und teilweise gemeinsam mit Parteigenossen das Naum-Kloster in Popova Šapka zum Winterfeiertag auf (SVEST.mk 2018; VMRO-DPMNE 2019). Die in den Medien dokumentierten Besuche Mickoskis sind als öffentlich wirksame Strategie der Partei zu werten, um bei den nächsten Wahlen wieder die Regierung bilden zu können. Würde er das Kloster als Privatperson aufsuchen, müsste er nicht mit potentiellen Wähler:innen in Kontakt treten und mit ihnen »über die zukünftigen Pläne und Strategien der zukünftigen Schritte der VMRO-DPMNE« sprechen (SVEST.mk 2018). Mit Blick auf die Politik der SDSM, von der die VMRO-DPMNE 2017 abgelöst wurde, thematisierte er in den Gesprächen vermutlich die slawisch-mazedonische Identität. Die VMRO-DPMNE sieht diese Identität dadurch geschwächt, dass die regierende Partei SDSM den Albaner Talat Xhaferi als Präsidenten des Parlaments einsetzen und Albanisch als zweite offiziellen Sprache Mazedoniens auf nationaler Ebene erheben wollte (Rohdewald 2018: 591). Allerdings zählt Mickoskis Auftritt nicht offiziell als Bestandteil eines Wahlkampfs oder eines politischen Großevents, da sein Besuch nicht vorher angekündigt wurde, er keine in den Medien erwähnte Rede hielt und kein politischer Festakt stattfand. Auch in Bezug auf das Naum-Kloster am Ohrid-See gibt es gelegentlich Berichte über die Besuche von Politiker:innen. Der Besuch des ehemaligen Vorsitzenden der damaligen Regierungspartei VMRO-DPMNE, Nikola Gruevski, war zum Beispiel im Juli 2016 eine kurze Schlagzeile auf der vorgeblich neutralen online-Informationsplattform religija.mk wert (religija.mk 2016). Der Beitrag macht jedoch deutlich, dass Gruevskis Besuch mit seiner Familie privater Natur war, zumal der Familienausflug nicht im Rahmen des Sommerfeiertags, sondern drei Wochen später stattfand. Ein stärkeres Gegenbeispiel für die geringen politischen und religiösen Verbindungen am Naum-Kloster von Ohrid sind die offiziellen Feierlichkeiten zum Bektaschi-Pilgerfest am Tomorr. Jährlich unternehmen tausende von Albaner:innen Ende August die Reise zur Bektaschi-Tekke und zur Türbe auf dem Gipfel in Gedenken an Abas Ali. Vom 20. bis zum 25. August, fünf Tage lang, dauert das Pilgerfest, zu dem sowohl Bektaschis als auch Sunnit:innen und Christ:innen aus der näheren und ferneren Umgebung anreisen. Im Gegensatz zu den Feierlichkei8 Vgl. Kapitel 4.1.2 Informationsmangel und Ausdehnung des Kults.
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ten am Naum-Kloster gibt es keinen geistlich-spirituellen Programmhöhepunkt. Stattdessen findet traditionell am 22. August eine Zeremonie statt, die religiöse und nationale Interessen verbindet. Im Jahr 2017 trat neben dem Bektaschi-Oberhaupt, Dedebaba Edmond Brahimaj, ein Politiker aus der nahegelegenen Stadt Skrapar sowie der Präsident Albaniens mit einer Rede auf (EN 22.08.2017). Einer der Redner wiederholte den Gedanken Pashko Vasas, dass der Glaube der Albaner:innen das Albanertum selbst sei. Nach den Reden tauschten die Oberhäupter der Bektaschi-Gemeinschaft und des Staates gegenseitig Geschenke mit hohem symbolischem Wert aus. Der Präsident bekam eine Medaille überreicht, die auf der einen Seite Reshat Bardhi, den Vorgänger Edmond Brahimajs, und auf der anderen den albanischen Doppeladler zeigte. Der Präsident ließ im Gegenzug dem Bektaschi-Oberhaupt ein Gedicht vortragen, das identitätsstiftende Motive und Personen zusammenbrachte, wie die Vorstellung eines ethnischen Großalbaniens, Mutter Theresa und Skenderbeg (alb. shqipëria etnike, Nëna Tereza, Skënderbeu). Anschließend traten verschiedene Künstler:innen aus Südalbanien, Montenegro und Kosova auf. Auch bei deren Darbietungen wurden politische und religiöse Motive sowohl inhaltlich als auch ästhetisch miteinander verbunden, so dass aus dem Bektaschi-Wallfahrtsfest ein panalbanisches Event wurde. Neben diesen religiösen Orten, an denen Personen des politischen Lebens im Rahmen von Feiern auftreten, zeugen weitere religiöse Gebäude davon, dass sich grundsätzlich Interessen der Staatspolitik und der Religionsgemeinschaften überschneiden können. Dabei handelt es sich um Beispiele einer nicht konsequent umgesetzten Rückgabe enteigneten Eigentums an die Religionsgemeinschaften in verschiedenen Abstufungen. Zum Teil verweigert das Kulturministerium Mazedoniens die Rückgabe herausragender architektonischer Gebäude ganz: Die Yeni Cami in Bitola wird weiterhin als Kunstgalerie genutzt (EN 14.10.2016) und die Kirche Sveti Ilija in Star Dojran steht unter Denkmalschutz (EN 09.07.2018). Entsprechend verfügen die Vertreter:innen der jeweiligen Religionsgemeinschaften weder über die Nutzung noch über Veränderung der Räumlichkeiten. Andererseits fand die Rückgabe religiöser Objekte teilweise nur unter Vorbehalt oder sehr verspätet statt, so dass der Staat die Gestaltung und Verwendung betreffend über ein Mitbestimmungsrecht verfügt. Auch das Kloster Sveta Bogorodica in Veljusa bei Strumica steht unter Denkmalschutz, so dass die MPC keine Veränderungen ohne die Zustimmung des Staates vornehmen darf (EN 09.07.2018). Im Vergleich zur Kirche Sveti Ilija in Star Dojran nutzt die MPC den Komplex jedoch wieder als Nonnenkloster. Auch aus Albanien gibt es ähnliche Beispiele, wovon das Museum für mittelalterliche Kunst (alb. Muzeu i Artit Mesjetar) von Korçë noch im Sommer 2016 zeugte (EN 23.07.2016). Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Museum im Gebäude der früheren, im Kommunismus der orthodoxen Kirchenverwaltung entzogenen Kathedrale Burimi Jetëdhënës, in
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der seit 1980 Ikonen und Ikonostasen ausgestellt wurden. Nach dem Ende des Kommunismus wurde in Erinnerung an die frühere Kathedrale eine gleichnamige Kapelle neben dem Gebäude errichtet. Ein Museumsmitarbeiter sagte zudem aus, dass das Museum voraussichtlich innerhalb von zwei Monaten in ein anderes Gebäude gegenüber dem Krankenhaus ziehen werde, damit die Kirche wieder in ihrer ursprünglichen Funktion in Betrieb genommen werden könne. Entgegen der Argumentation des Mitarbeiters dürften jedoch weniger religionspolitische als vielmehr kunsthistorische Günde für den Umzug ausschlaggebend gewesen sein, denn die ehemalige Kirche bot keine angemessenen Lagerungsmöglichkeiten für die aus dem 13. bis 19. Jahrhundert stammenden Exponate (Glozheni 2017). Die Ikonen waren schlechten klimatischen Umständen ausgesetzt und zudem war ein Großteil von ihnen von holzzerstörenden Insekten befallen. Am 3. Oktober 2016 eröffnete Edi Rama, albanischer Ministerpräsident und Künstler, das Museum am neuen Standort. Das Kirchengebäude, in dem das Museum bis dahin untergebracht war, wurde anschließend unverändert an die KOASh zurückgegeben (PN 09./10.05.2019). Parallel zur staatspolitischen Bedeutung des Naum-Klosters ist auch die kirchenpolitische Bedeutung des Klosters für die orthodoxen Nationalkirchen der MPC und der KOASh zu untersuchen. Ähnlich wie für die beiden Staaten Mazedonien und Albanien lässt sich auch für die beiden Kirchen keine auffallende Relevanz feststellen. Dennoch besitzt das Kloster sowohl für die MPC als auch für die KOASh kirchenpolitisches Potential aufgrund der Priesterweihe des aus Pogradec stammenden Todi Vasil Jovani im Jahr 1991, die vor der Wiedererrichtung der KOASh im Naum-Kloster stattfand. Als Religionen im kommunistischen Albanien verboten waren, durften auch die ehemaligen Bischöfe keine neuen Geistlichen mehr weihen. Zu Beginn der 1990er Jahre, nachdem das Religionsverbot aufgehoben wurde, lebte von den Geistlichen, die Priester weihen oder Bischöfe hätten ernennen dürfen, keiner mehr (Pano 2014: 231-235). Infolgedessen entsandte das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel den Erzbischof Anastasios Yannoulatos nach Albanien, um die KOASh wiederzubeleben, weil in der orthodoxen Tradition Geistliche nur von einem in der apostolischen Sukzession stehenden Bischof gültig für ihren Dienst geweiht werden können (Schütte 2000). Die orthodoxe Kirche beansprucht auf diese Weise, den Sendungsauftrag Jesu in direkter Linie über seine Apostel kontinuierlich und unverfälscht weitergegeben zu haben und somit auch in der ungebrochenen Nachfolge Jesu zu stehen. Ohne die Bischöfe, die vor dem albanischen Kommunismus noch gelebt hatten, und ohne fremde Hilfe konnte die albanische Bevölkerung keine eigenen orthodoxen Geistlichen rechtmäßig und von der ökumenischen Gemeinschaft anerkannt einsetzen oder gar weihen. Mit der Priesterweihe im Naum-Kloster wurde somit
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inoffiziell der erste Versuch zur Wiederbelebung der orthodoxen Kirche in Albanien gewagt. Die Weihe eines Priesters aus Albanien im Naum-Kloster ist auch für die MPC ein denkwürdiges Ereignis. Der im Naum-Kloster geweihte albanische Priester Jovani übt sein Amt bis in die Gegenwart ohne Schwierigkeiten aus, obwohl seine Weihe in der von anderen Kirchen nicht als rechtmäßig anerkannten Kirche stattfand. Das bedeutet, dass seine Weihe auch von den Verantwortlichen der KOASh akkreditiert worden sein muss, obwohl sie die MPC nicht anerkennen. Die Weihe seitens der MPC kann folglich als eine Art Nachbarschaftshilfe gesehen werden. Inwieweit sich die Beteiligten darüber bewusst waren, welchen kirchenpolitischen Einfluss sie damit haben könnten, ist ungeklärt. Im Gegensatz zu der Tatsache, dass auch die KOASh die MPC nicht anerkennt, erklärte der Archimandrit des Naum-Klosters allerdings, dass es keine Probleme zwischen den beiden Kirchen gebe (Nektarij 2016). Ungeachtet des offiziellen kirchenpolitischen Verhältnisses lassen seine Ausführungen sogar ein entspanntes Verhältnis erkennen: Er selbst war etwa zwei Wochen vor dem Gespräch in Korçë, wo er auch den Metropoliten Joan Pelushi privat zum Mittagessen getroffen habe. Zudem habe auch das Oberhaupt der KOASh, Anastasios Yannoulatos, das Naum-Kloster schon zweimal besucht. Infolgedessen drückte der Archimandrit seine Hoffnung darüber aus, dass die kirchenpolitischen Streitigkeiten irgendwann beigelegt werden oder dem Wohlwollen der orthodoxen Kirchen der benachbarten Länder weichen. Kirchenpolitisch betrachtet tritt das Naum-Kloster nicht als Gegenstand von Interessenkonflikten zwischen der MPC, der KOASh und der SPC in Erscheinung. Obwohl auch die KOASh die MPC bisher nicht anerkennt, erhob sie bislang auch keinen Anspruch auf das Klostergelände, wobei sie auf den Prozess der Grenzziehung von 1913 bis 1925 zurückgreifen könnte. Zudem ist Naum und damit auch sein Kloster aufgrund seiner slawischen Herkunft schwerlich für die albanischen Interessen der KOASh zu vereinnahmen. Die eindeutige und unhinterfragte Grenzziehung sowie die Anerkennung einer mazedonischen Nation mögen auch für die fehlende Interessensbekundung der SPC auf das Naum-Kloster gelten. Dafür spricht auch, dass die SPC in Montenegro Ansprüche auf den Schutz der Kirchengebäude erhebt, die in der Vergangenheit unter ihrer Verwaltung standen (Zivanovic 2019).9 Die Nicht-Anerkennung der MPC seitens der SPC ist dagegen nicht von der Anerkennung der Unabhängigkeit Mazedoniens abhängig. 9 Auch in Kosova ist die Lage nach der Zerstörung von Kirchengebäuden der SPC und der Verletzung sowie Verwundung von orthodoxen Serb:innen angespannt (Buchenau 2014: 78). Der Anspruch auf die Gebäude und Ländereien dürfte in Kosova noch stärker ausgeprägt sein als in Montenegro, da die SPC wie auch die serbische Regierung Kosova nicht als eigenständigen Staat anerkennt (Hornstein Tomić 2008: 29).
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In Konsequenz eines eigenständigen Mazedoniens wurde allerdings scheinbar akzeptiert, dass der Staat die von Jugoslawien enteigneten religiösen Objekte an die Religionsgemeinschaften zurückgab, die im eigenen Land vertreten waren. Das heißt, dass das Naum-Kloster an die MPC übergeben worden ist, die zur Zeit der Enteignung der Religionsgemeinschaften noch nicht existierte, und nicht an die SPC, zu der das Kloster damals gehörte. Eine Auseinandersetzung um das Naum-Kloster als einzelnes Objekt erscheint im Kontext der Diskussion um die Eigenständigkeit der MPC als unverhältnismäßig. Überdies besitzt Naum keine besondere Relevanz für die SPC, die sich als Kirche des Heiligen Sava (Sveti Sava) versteht (vgl. Rohdewald 2007: 188-201). Sowohl Naum als auch sein Kloster im Süden des Ohrid-Sees können daher ohne Weiteres von der MPC als slawisch-mazedonisch beansprucht werden. Dazu trägt nicht zuletzt auch die Tatsache bei, dass die Mehrheit der orthodoxen Bevölkerung Mazedoniens sich selbst als slawische Mazedonier:innen versteht und sich daher nicht unter die Jurisdiktion der SPC stellt. Selbst die Kirchenmitglieder, die für sich selbst eine serbische Abstammung beanspruchen, nutzen die Angebote der MPC, da die SPC keine eigene Diözese in Mazedonien hat (Cepreganov et al. 2014: 429). Priester der SPC können in Mazedonien nur als Privatpersonen und gegen geltendes Recht liturgische Dienste anbieten. Der Vergleich mit anderen religiösen Objekten in Mazedonien und auch in Albanien verdeutlichte, dass das Naum-Kloster nach dem Ende der sozialistischen Zeit verhältnismäßig schnell der MPC überlassen wurde. Mit der Übergabe verschwand auch die politische Konnotation des Klosters, die es seit Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Grenzziehung und später durch die Verstaatlichung bekam. Gegenwärtig lässt sich nur in verschwindend geringem und subtilem Maße behaupten, dass das Naum-Kloster eine Relevanz für staatspolitische Angelegenheiten hätte. Die unscheinbare Relevanz von Naum und seinem Kloster für die staatliche Ebene lässt die lokalpolitischen Meinungen vergleichsweise lebendig und kontrovers erscheinen.
9.3 D AS NAUM-KLOSTER ALS SPIEGEL ETHNISCHNATIONALEN MITEINANDERS Das Naum-Kloster spiegelt Diskurse des gesellschaftlichen Miteinanders im Verhalten und der Argumentation der Akteur:innen wider, obgleich es kein Schauplatz sichtbarer ethnisch-nationaler Aushandlungsprozesse ist. Wie die Mehrheitsgesellschaft so ist auch das Kloster mazedonisch-orthodox geprägt und entsprechend werden auch die Interaktionen der Akteur:innen von der mazedonischorthodoxen Perspektive dominiert.
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Die mazedonisch-orthodoxe Dominanz zeigt sich zum Beispiel in der Zusammensetzung der am Kloster Arbeitenden, die teilweise von der ökonomischen Vorrangstellung der Klosterverwaltung abhängig ist. Die Mitarbeiter:innen der MPC sind ausschließlich slawisch-mazedonisch und selbstverständlich orthodoxen Glaubens. Eine Ausnahme bilden die sunnitischen Roma-Musiker, die anlässlich des Sommerfeiertags bestellt werden. Auch die Angestellten des Hotels Sv. Naum und des Restaurants Ostrovo sind ausschließlich orthodoxe Mazedonier:innen. Unter den Händler:innen der festen Souvenirstände dagegen finden sich vereinzelt auch albanische Männer aus Ohrid oder Struga. Eine ethnische Vielfalt zeigt sich insbesondere anhand derjenigen, die während des Jahrmarkts einen eigenen Stand betreiben. Denn neben orthodoxen Mazedonier:innen beteiligen sich vor allem Roma sunnitischer Prägung und vereinzelt christliche oder muslimische Vertreter:innen anderer ethnischer Gruppen. Die Zusammensetzung der Soldaten am Zeltplatz und der Grenzbeamt:innen wird dagegen staatlich reguliert und kann nicht pauschal betrachtet werden. Allerdings stammten die an der Grenze tätigen aus der Region, während die am Zeltplatz stationierten Soldaten einander abwechseln und aus ganz Mazedonien kommen. Demnach verändert sich die ethnische Zusammensetzung in den Reihen der Soldaten häufiger als in den Reihen der Grenzbeamt:innen. Zudem finden sich vereinzelt auch Taxi- und Busfahrer, die nicht mazedonisch und orthodox sind. Die Busunternehmen werden häufig monoethnisch betrieben und die Buslinie Richtung Grenze wird aufgrund der mehrheitlich slawisch-mazedonischen Bevölkerung auch nur von mazedonischen Unternehmen bedient. Die Taxichauffeure sind im Unterschied dazu meist selbständig und ohne Lizenz unterwegs, ihre ethnische Zusammensetzung ist daher heterogener und orientiert sich an der Zusammensetzung der Bevölkerung der Region. Entsprechend gibt es in Ohrid neben mazedonischen vor allem türkische und in Struga vermehrt albanische Taxifahrer. Die slawisch-mazedonische Vorrangstellung zeigt sich abgesehen von der quantitativen ethnischen Verteilung der am Kloster Arbeitenden auch in den Interaktionen und den gegenseitigen Beurteilungen. Diese Auseinandersetzungen sind von Abwertungen anderer geprägt, die der eigenen Aufwertung dienen. Tendenziell besteht das größte Potential zur Auseinandersetzung zwischen Mazedonier:innen und Roma. Dies steht der Wahrnehmung der innenpolitischen Gesamtsituation entgegen, in der die Interessenkonflikte der slawisch-mazedonischen Mehrheit mit der großen albanischen Minderheit überwiegen. Der Grund für die Verschiebung des Konfliktpotentials von der albanischen Minderheit hin zu den Roma mit den mazedonischen Beschäftigten liegt darin, dass sich mehr Roma als Albaner:innen aus Mazedonien an dem Kloster als Arbeitsplatz einbringen. Folglich gibt es am Kloster kaum Reibungsflächen für die beiden Konfliktparteien der mazedonischen Innenpolitik.
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Die Aufwertung der eigenen Gruppe durch die Abwertung einer anderen zeigte sich in einem beiläufigen Gespräch mit einer Mitarbeiterin der Kirche (EN 02.07.2016). Die weißhaarige, etwa 60-jährige Frau ist eine überzeugte, konservative und praktizierende orthodoxe Christin. Sie war an meinem Wohl und meinem Erfolg interessiert, da ich meine Forschung in ihren Augen einem so wertgeschätzten Heiligen widmete. Allerdings unterstützte sie mein Vorhaben nicht in jeder Hinsicht. Nachdem ich mit der Roma-Band Kontakte geknüpft hatte, die am Feiertag das rituelle Umkreisen der Kirche mit Lämmern musikalisch begleitet, und mich mit ihnen zu einem Gespräch verabredet hatte, begegnete ich der Mitarbeiterin und erzählte ihr davon. Mit herablassendem Ton kommentierte sie, dass es unnütz sei, mit Roma zu reden, denn sie seien Menschen ohne Kultur. Sie seien mit Musik geboren und würden auch mit Musik sterben. An diesem kurzen Kommentar der Kirchenmitarbeiterin fällt auf, dass sie ihr Urteil über diejenigen Roma fällt, die ein anderer Kirchenmitarbeiter, der Hauptkirchenmitarbeiter, zum Kloster bestellt hatte. Die Mitarbeiterin schätzt ihren Kollegen hoch und wusste auch, wozu dieser die Roma anlässlich des Sommerfeiertags kontaktiert hatte. Da die Mitarbeiterin sich nicht allgemein abwertend über Musik oder die Verbindung von christlichen Feiertagen und Musik geäußert hat, bezieht sich ihre Äußerung nur auf die Gruppe der Roma. Diese Aussage über die Musikalität und Kulturlosigkeit der Roma sowie die Tatsache, dass die Roma jedes Jahr zum Kloster bestellt werden, steht im Einklang mit der allgemein in der mazedonischen Gesellschaft anzutreffenden Meinung über die Roma. Für ihre Musikalität sind sie bekannt, genießen jedoch darüber hinaus im Allgemeinen wenig Anerkennung. Entsprechend fühlten sich die Musiker auch für ihre Fähigkeiten geschätzt, weil sie seit über zwanzig Jahren von diesem Klostermitarbeiter für den Feiertag bestellt werden (Muzičari 2016). Die Wertschätzung der Roma als Musiker:innen zeigt sich auch bei verschiedenen feierlichen Anlässen und religiösen Feiertagen. Roma-Bands werden zum Beispiel zu Hochzeiten engagiert, um die Vorbereitungen am Hochzeitstag bis zur Trauung zu begleiten (EN 09.08.2015). Außerdem zogen ein paar Roma-Musiker anlässlich des muslimischen Opferfestes in Bitola durch eine gemischte Wohngegend (EN 01.09.2017). Sie suchten die muslimisch bewohnten Häuser auf, spielten den darin Wohnenden einige Melodien vor und bekamen dafür etwas Geld. Die berühmteste Roma-Sängerin war die 2016 verstorbene Esma Redžepova, die Mazedonien im Jahr 2013 beim Eurovision Song Contest vertrat. Abgesehen von der Musik haben Roma in der mazedonischen Gesellschaft aber einen schweren Stand. Einerseits sind sie politisch weniger problematisch als Albaner:innen, weil die meisten sich sprachlich an ihre Umgebung angepasst haben und keine Ansprüche erheben. Andererseits leiden viele Roma unter den Vorurteilen, ungebildet,
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arm, schmutzig und nicht vertrauenswürdig zu sein, was sich wiederum auf ihre wirtschaftliche Lage auswirkt. Das Verhältnis zu Roma, die während des Feiertages am Kloster Geld verdienen, ist jedoch nicht prinzipiell negativ. Das ethnisch und religiös gemischtes Paar aus Bitola, das jedes Jahr zum Feiertag kommt, um seine Ware zu verkaufen, hatte freundschaftlichen Kontakt zu einigen Roma, neben denen sie ihren Stand aufbauten (EN 01.07.2016). Andererseits hatte die mazedonisch-orthodoxe Frau allgemein eine ambivalente Einstellung gegenüber der Gruppe der Roma. Der positive Eindruck, den sie durch ihre persönlichen Beziehungen zu den Roma jener Gruppe hatte, wurde von anderen Erlebnissen geschmälert. Negativ und im Einklang mit gesellschaftlichen Vorstellungen urteilte sie über Roma, als sie vor ihrer Abreise vom Kloster den Müll ihres eigenen Verkaufsstands bestmöglich entsorgte und sich über den schmutzigen Nachbarstandplatz der bereits abgefahrenen Roma ärgerte (EN 03.07.2018). Ihre ambivalente Haltung kommt folglich situationsbedingt zum Ausdruck. Der Aufenthalt am Kloster, der für sie explizit religiös und wirtschaftlich motiviert war, bot ihr jedoch keine Reibungsfläche für politische Auseinandersetzungen. Während unter den am Kloster Arbeitenden ganzjährig eine mazedonischorthodoxe Dominanz behauptet werden kann, trifft dies bei den Klosterbesucher:innen höchstens am Winterfeiertag zu. Zum Sommerfeiertag kommen auch viele Gäste aus dem benachbarten Albanien, sowie Roma, Albaner:innen und Türk:innen aus Ohrid, Resen, Struga, Bitola und anderen Städten Mazedoniens. Außerdem kommen zum Sommerfeiertag am 2. und 3. Juli sowie während der ganzen Reisesaison von April bis September internationale Tourist:innen. Am 5. Januar gibt es aufgrund fehlender ethnischer Vielfalt auch keine Möglichkeiten, die mazedonisch-orthodoxe Überlegenheit unter Beweis zu stellen. Im Sommer dagegen zeigen sich weitere Reibungspunkte der mazedonischen Gesellschaft anhand von Auseinandersetzungen zwischen den am Kloster Beschäftigten und den Besucher:innen. Die große Anzahl an Besucher:innen aus Albanien löst bei einigen mazedonischen Händler:innen negative Assoziationen aus, während andere diesen Umstand pragmatisch für ihre Verkaufsstrategie nutzten. Der Ikonenverkäufer an den festen Souvenirständen eignete sich dazu einige Brocken Albanisch an und beschäftigte einen albanischen Mitarbeiter. Einer seiner Standnachbarn verkaufte mithilfe eines albanischen Bekannten albanische Souvenirs am Kloster und mazedonische Souvenirs in Pogradec. Eine weitere Standnachbarin war im Unterschied dazu gegenüber Albaner:innen im Allgemeinen weniger positiv eingestellt. In einem Gespräch über das ethnische Zusammenleben in Mazedonien deutete sie das negative Verhältnis zu den Albaner:innen an, was sich mit dem Kosovokrieg zusgepitzt habe (EN 02.07.2018). Meinen Versuch, die Intentionen der Kosovar:innen, der
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Tourist:innen aus Albanien und der Albaner:innen aus Mazedonien differenziert zu betrachten, lehnte sie – ohne etwas zu sagen – durch einen kritischen Blick ab. Trotz ihrer Verkaufsabsichten betrachtete sie folglich auch potentielle Kund:innen aus den benachbarten Grenzgebieten Albaniens, als seien diese für die Unruhen an der mazedonisch-kosovarischen Grenze und die vielen toten mazedonischen Soldaten verantwortlich gewesen. Weniger politisch aufgeladen war das Misstrauen einer mazedonisch-orthodoxen Jahrmarkthändlerin gegenüber Albaner:innen (EN 01.07.2016). Im informellen Gespräch darüber, wie ihr Stand die ganze Zeit über betreut werde, meinte sie, sie müsse sich mit ihrem Mann abwechselnd schlafen legen, damit das Risiko des Diebstahls gemindert werde. Obwohl sie selbst mit einem albanisch-türkischen Mann verheiratet gewesen ist, traute sie am ehesten der aus Albanien stammenden Kundschaft einen Diebstahl zu. Hintergrund dieser Erwartungen könnten das Wissen über die Armut in Albanien und frühere Erfahrungen sein. Keine Frage der ethnisch-religiösen Dominanz waren Besuch und Tätigkeit dagegen für die drei Roma-Musiker. Im Gespräch 2016 meinte der ältere Trommler, dass Kloster sei allen Menschen gegeben, während der jüngere Trommler erklärte, welche Auswirkungen die ethnische Zugehörigkeiten auf die Auswahl der Musik habe (Muzičari 2016). Trotz religiösen Anlasses spielen sie keine religiöse, sondern Volksmusik. Dabei gehe es vielmehr darum, was ihnen als Musikern einfalle als um das, was sich die anderen wünschten. Allerdings achteten sie bei der Wahl der Melodien auf die Ethnie derjenigen, die die Kirche umrunden: »Wir spielen dort, was wir wollen. Sie [diejenigen, für die wir spielen,] lehnen es nicht ab. Wenn es Ausländer gibt, dann machen wir ihnen* ausländische Musik. Wenn sie Albaner sind, albanische Musik. Wenn sie Türken sind, türkische Musik und so. [...] Wir verstehen nicht so viele Sprachen, aber wir spielen die ganze Volksmusik, welche [wir] wollen, mit Selbsttraining.«10
10 »Ние што сакаме таму свириме. Тие не одбиват. Ако има странци му* праеме странска музика. Ако се албанци албанска музика. Ако се турци, турска музика. Ако роми,ромска музика и така. […] Ние не разбираме толку јазици, ама ја свираме цела народна музика, каква сака со самио тренинг.« (Muzičari 2016) *му/mu ist im Mazedonischen die Kurzform des indirekten Objekts der dritten Person Singular maskulin oder neutrum. Da es sich auf den Plural странци/stranci bezieht, ist den morphosyntaktischen Regeln entsprechend an diese Stelle auch die Pluralkurzform *им/im zu erwarten. Die Verwendung von *му/mu lässt sich aufgrund der semantischen Nähe zu dem Wort *народ/narod zu Deutsch »Volk« erklären, das in diesem Kontext durch die genannte »Volksmusik« noch mitschwingt.
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Die Aussage unterstützt die bereits als Außenperspektive dargestellte Wertschätzung der Roma als Musiker:innen. Ihre Fähigkeiten, die Unterschiede zwischen den Volksmusikrichtungen einzelner Ethnien zu hören und die verschiedenen Melodien spielen zu können (vgl. Pistrick 2014), unterstützen dieses meist wertschätzende Urteil. Diese Fähigkeiten erlangten die Musiker aufgrund ihrer anpassungsfähigen Gruppenidentität: »Wir sind Musiker und wir sind ethnisch [wörtlich: mit dem Volk] international und wir leben mit allen [zusammen]« (maz. nie sme muzičari i nie sme so narodot internacionalno i živeeme so site). Andere ethnische Gruppen treten bei den Auseinandersetzungen weder am Kloster noch in der mazedonischen Gesellschaft in den Vordergrund. Ihre Unscheinbarkeit liegt unter anderem an ihrer geringen Mitgliederanzahl. Die Türk:innen stellten beim Zensus von 2002 3,85% der Bevölkerung (Gerasimovski 2002: 62). Die Minderheit gilt im Allgemeinen als zivilisiert, ruhig sowie als Überbleibsel der osmanischen Eliten. Allerdings wird die türkische Bevölkerung nicht mit der negativen Vorstellung des osmanischen Jochs (maz. tursko ropstvo) assoziiert. Generell genießen die Türk:innen sogar ein besseres Image als die große albanische Minderheit. Die Akzeptanz der kleinen türkischen Minderheit zeigt sich auch daran, dass Serien aus der Türkei kostengünstig importiert, synchronisiert und im mazedonischen Fernsehen ausgestrahlt werden. Ein Großteil der mazedonischen Bevölkerung konsumiert diese Serien jeden Abend, weil sie einen ähnlichen Humor und ähnliche Wertevorstellungen teilen (vgl. Schubert 2014: 608). Eine weitere unauffällige Gruppe sind die Aromun:innen, eine romanophone Minderheit. Aufgrund ihrer meist christlich-orthodoxen Prägung und nicht zuletzt auch wegen der jugoslawischen Assimilierungspolitik (vgl. Šisler 2016: 178181) gilt die kleine Minderheit als anpassungsstark. Aromun:innen verzichten insbesondere in der Öffentlichkeit zugunsten einer funktionierenden Kommunikation auf ihre Mundart und verwenden stattdessen in Mazedonien die mazedonische Amtssprache in lokalen Dialekten. Ihre unbemerkte Gruppenzugehörigkeit zeigte sich mir am Kloster, als ich mich mit einer aromunischen Gruppe am Zeltplatz unterhielt (Vlaški 2016). Zwei Frauen aus der Gruppe stellten sich namentlich vor und erzählten, dass sie aus einem Dorf bei Bitola kämen. Erst gegen Ende der auf Mazedonisch geführten Unterhaltung wechselten einige der Beteiligten ins Aromunische und gaben sich anschließend als »Wlachen« (maz. vlasi) zu erkennen. Die fehlenden Momente während der multilokalen Feldforschung, in denen die aromunische Minderheit eine herausragend positive oder negative Rolle spielte, stehen im Einklang mit dem unscheinbaren Auftreten in der Öffentlichkeit. Lediglich eine Begegnung rief in mir die Assoziation zur versteckten aromunischen Minderheit hervor. Vor dem erwarteten Ansturm von Feiertagsgästen und somit potentieller Kundschaft unterhielt sich der Ikonenhändler von einem der festen Souvenirstände mit einem Mann, der einen der mobilen Stände (maz. eden
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štand) betrieb (EN 02.07.2018). Die Small-Talk-Unterhaltung fand auf Mazedonisch statt und thematisierte keine politisch relevanten Angelegenheiten. Die Information, dass der Mann aus der Kleinstadt Kruševo komme, brachte mich auf den Gedanken, dass er kein Mazedonier, sondern ein Aromune sei. In Kruševo, der Heimatstadt des 2007 bei einem Autounfall verstorbenen Sängers Todor Toše Proseski, der einer aromunischen Familie entstammte, ist Aromunisch seit 2005 als offizielle Sprache neben Mazedonisch und Albanisch in Gebrauch (Minov 2012: 62).11 Allerdings leben dem Zensus von 2002 zufolge in Kruševo insgesamt 1020 Personen der aromunischen Minderheit mit 4273 Mazedonier:innen (Gerasimovski 2002: 126). Der Zensus belegt die starke Assimilierung an die mazedonische Mehrheit sowohl in sprachlicher als auch in religiöser Hinsicht. Nur 744 Personen gaben als Erstsprache aromunisch an, 4562 Personen dagegen mazedonisch (Gerasimovski 2002: 263). Abgesehen von 276 aromunischen Befragten gaben noch dreizehn Personen anderer Minderheiten Mazedonisch als Erstsprache an. Auch hinsichtlich der religiösen Zugehörigkeit unterscheidet sich die aromunische Minderheit von der mazedonischen Mehrheit kaum, da nahezu die gesamte Stadtbevölkerung der orthodoxen Kirche angehört (Gerasimovski 2002: 400). Vor diesem Hintergrund ist der Gedanke, dass es sich bei dem Händler um einen Aromunen handelt, nicht von der Hand zu weisen, obwohl er sich in der Situation nicht bestätigte. Das Kloster spiegelt neben dem Verhältnis der verschiedenen ethnischen Gruppen Mazedoniens zueinander auch die Beziehung zwischen den Staatsbürger:innen Mazedoniens und Albaniens wider. Bereits an den Perspektiven einiger Händler:innen wurde eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Kundschaft aus Albanien ersichtlich. Die Tatsache, dass am Kloster trotz der geographischen Nähe niemand aus Albanien arbeitet, zeigt die strikte staatsnationale Trennung im Gegensatz zur grenzübergreifenden Verteilung beider ethnisch-definierten Gruppen. Die staatsnationale Trennung im Arbeitsbereich entspricht einer allgemeinen Tendenz, von der es auch Ausnahmen gibt. Vereinzelt besitzen Albaner:innen aus Mazedonien neben der mazedonischen auch die albanische Staatsangehörigkeit, um in Albanien zu leben, zu studieren und zu arbeiten (EN 10.01.2017).12 Dagegen scheint Mazedonien für Albaner:innen aus Albanien oft wirtschaftlich 11 Anderen Informationen zufolge soll der Rat der Stadt Kruševo erst am 30. Mai 2006 den offiziellen Status »der vlachischen Sprache« in der Stadt beschlossen haben (Kruševo o.J.). 12 Erst im Mai 2019 entschied die Regierung Albaniens, dass auch ethnische Albaner:innen aus (Nord‑)Mazedonien und Montenegro dieselben Rechte haben wie albanische Staatsangehörige, um in Albanien eine Arbeit annehmen zu können (Kajosevic 2019). Diese symbolische Regelung, die zuvor schon für Albaner:innen aus Kosova und Südserbien
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attraktiver zu sein. Im Grenzgebiet bei Prespa gibt es auf mazedonischer Seite im Herbst gelegentlich Erntehelfer aus Albanien, die auf den Apfelplantagen arbeiten (EN 19.10.2016). Außerdem heiraten Frauen aus Albanien mazedonische Staatsbürger unabhängig von deren ethnischer Zugehörigkeit und trotz Sprachbarrieren, weil Mazedonien wirtschaftlich aussichtsreicher scheint als Albanien (EN 08./29.10.2016). Als Kriterium der Wahl des Partners oder der Partnerin zeigte sich im Untersuchungsfeld lediglich die religiöse Zugehörigkeit. Das Phänomen ethnisch-national gemischter Ehen verdeutlicht daher die Überschneidung wirtschaftlicher, politischer und religiöser Interessen (Hysa 2016). Neben den Albaner:innen gibt es auf beiden Seiten der Staatsgrenzen auch Slawophone in Albanien. Während diese als Mazedonier:innen in Mazedonien die Titularnation bilden, wurden die Slawophonen im Zensus von 2011 in Mazedonier:innen und Montenegriner:innen unterschieden (Nurja 2012: 71). Insgesamt gaben 5512 Personen aus Albanien an, ethnisch-kulturelle Mazedonier:innen zu sein, von denen stammen 71,15% aus dem Verwaltungskreis Korçë (Nurja 2013: 39) und besonders von der Westküste des Großen Prespa-Sees (EN 12./24.07.2016). Während sich die ethnischen Albaner:innen jedoch relativ frei in beide Richtungen der mazedonisch-albanischen Staatsgrenzen bewegen, ist die Bewegung unter den ethnischen Mazedonier:innen einseitiger. Nur wenige ethnische Mazedonier:innen aus Mazedonien suchen Arbeit im benachbarten Albanien. Dabei geht es vorrangig auch um den Verkauf lokaler Produkte im Nachbarstaat (EN 19.06./17.10.2016). Im Vergleich dazu hat die anerkannte ethnisch-mazedonische Minderheit Albaniens die Möglichkeit, auch in Mazedonien zur Schule zu gehen und dort später zu studieren (EN 24.07.2016). Abgesehen von der Bildung gibt es für die slawische Bevölkerung Albaniens vereinzelt auch längerfristige Berufsmöglichkeiten in Mazedonien. Das zeigt das Beispiel eines Priesters in Resen, der aus dem angrenzenden, slawisch besiedelten Prespagebiet Albaniens stammt (EN 20.10.2016). Allerdings ist die Beschäftigung eines slawischen Priesters aus Albanien die Entscheidung der MPC, mit der sie auch das slawisch-mazedonische Bewusstsein über die Staatsgrenzen hinaus fördert. Ähnlich wie bei den albanisch-slawischen Ehepaaren zeigt sich am Beispiel des Priesters, dass politische, religiöse und wirtschaftliche Interessen ineinander übergehen können. Diese Beispiele grenzübergreifender Beziehungen ethnisch-nationaler Gruppen sind gegenwärtig Ausnahmen. Viele Menschen in Albanien und Mazedonien haben keine familiären, politischen oder beruflichen Beziehungen in das angrenzende Nachbarland, obwohl diese bis zur Grenzziehung und vor allem bis zur albanischen Grenzschließung existierten. In Folge der Entwicklungen des 20. Jahrgalt, stärkt die Beziehungen der ethnischen Albaner:innen der Region, behauptet Gent Cakaj, der im Kosovo geborene Außenminister Albaniens.
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hunderts sind fehlende Kontakte die Regel, die sich auch im friedlichen Nebeneinander der Besucher:innen sowie in den unproblematischen, kurzen Handelskontakten am Kloster widerspiegeln. Die Beobachtung, dass ethnische und nationale Zugehörigkeiten am Kloster kaum thematisiert werden, spricht allgemein dafür, dass weder Naum noch das Kloster für die Aushandlung politischer Identitäten relevant sind. Inhaltlich verdeutlicht das Geschehen am Kloster auch, dass politische sowie religiöse Zugehörigkeiten im Alltag der Frage nach wirtschaftlichem Wohlstand untergeordnet sind.
9.4 F AZIT: POLITISCHE DIMENSIONEN DES LOKALHEILIGEN UND SEINES KLOSTERS Naum und sein Kloster sind sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene mit Abstufungen politisch relevant, obwohl sie selbst keine Akteure waren oder sind. Diese Relevanz widerspricht der These von Peter Schreiner, mit der das Kapitel eingeleitet wurde, dass Asketen wie Naum im Allgemeinen auch kein Potential haben, als politische Heilige erinnert zu werden. Überdies wurde deutlich, dass sich die Relevanz von Naum und seinem Kloster auf den verschiedenen geopolitischen Ebenen voneinander unterscheidet. Der hohe Stellenwert, den beide auf lokaler Ebene einnehmen, kann für die staatliche Ebene nicht nachgewiesen werden. Im Hinblick auf die innere Raumordnung des Klosterkomplexes ist daher
Zentrum: religiös Innenbereich: touristisch Außenbereich: ökonomisch Lokale Ebene: identitätspolitisch (Inter-)Nationale Ebene: historisch-/religionspolitisch
Abb. 11: Ringmodell zum Raumkonzept.
Abb. 11
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festzuhalten, dass diese wiederum im Kontext einer Raumstruktur steht, die sich außerhalb des Klosters befindet. Der inneren Raumordnung des Klosterkomplexes steht demnach keine ungeordnete Außenwelt gegenüber. Vielmehr ist diese Außenwelt wegen der Reichweite und der Bedeutung Naums weiter auszudifferenzieren. Dabei wird deutlich, dass sich die Außenwelt des Klosterkomplexes in einen inneren und einen äußeren Kreis teilt. Der Innenkreis entspricht dabei der lokalen und der Außenkreis der staatlichen Ebene (Abb. 11). Die Aushandlungen von Interessen auf den verschiedenen Ebenen bieten zudem weitere Möglichkeiten, die konträren Ansätze von Robert Hayden und Glenn Bowman zu entschärfen: Haydens Idee der antagonistischen Toleranz spiegelt sich nur an geteilten religiösen Orten der Mikroebene wider, wenn es auch auf der unmittelbaren staatlichen oder internationalen Makroebene Reibungspunkte zwischen Religionen gibt, die den Alltag der Bevölkerung beeinflussen. Weder innerhalb Mazedoniens noch zwischen Mazedonien und Albanien gibt es jedoch größere Differenzen zwischen den dominierenden Religionsgemeinschaften. In Mazedonien existieren innenpolitisch lediglich interethnische Spannungen zwischen der mazedonischen Titularnation und der großen albanischen Minderheit. Da die Grenzen zwischen den Ethnien nicht deckungsgleich mit denen der Religionsgemeinschaften sind, sondern sich nur teilweise überlagern, eignen sich Religionen auch nur in geringem Maße als Ventil dafür, die innenpolitisch ethnischen Interessenkonflikte am Naum-Kloster auszufechten. Bowmans Behauptung dagegen, dass Identitäten sich situativ formen und in Grenzzonen eher lokale Produkte als die Interessensverlängerung von Staaten und Gruppen sind (Bowman 2012b), trifft nur bedingt auf den Klosterkomplex selbst zu. Am Kloster werden keine schwerwiegenden politischen Konflikte ausgehandelt; alle Beteiligten streben aus touristischen, wirtschaftlichen und religiösen Interessen ein harmonisches Miteinander an. Politische Interessen spiegeln sich dagegen nur indirekt und kaum merklich im Handeln wider. Auf der lokalen Ebene dagegen vermischen sich religiöse und politische Argumente, weil sich dort auch die staatliche Identitätspolitik mit dem Einfluss des Klosters auf religiöse Traditionen und Perspektiven überschneidet. Insofern hat Bowman jedoch Recht, wenn er Haydens allgemeine Unterstellung antagonistischer Toleranz in Frage stellt und behauptet, dass das Verhalten von und die Beziehungen agierender Gruppen zueinander und zu heiligen Orten individuell ausgehandelt werden. Im Anschluss an die Differenzierung der Außenwelt zeigte sich außerdem, dass die verschiedenen Ebenen in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen: Der Klosterkomplex wirkt mit seiner Geschichte insbesondere in die nähere Umgebung, wo er sich von der Bevölkerung mit dem Verweis auf verschiedene historische Momente für ihre jeweils eigenen Interessen aneignet wurde. Von der Nationalpolitik beeinflusst stehen sich auch die Perspektiven auf der Lokalebene in
354 | Das Kloster Sveti Naum als Wimmelbild: Ergebnisse der Feldforschung
Mazedonien und Albanien konträr gegenüber, so dass sich lokale Identitäten mit der der Titularnation decken, wenn die lokalen Bevölkerungsanteile zur Mehrheit im Staat zählen. Eine Identität, die Staats-, Ethnien- und Nationsgrenzen überschreitet, wird dagegen von der Bevölkerung aus der Umgebung des Naum-Klosters nicht entworfen. Diese Vorstellung lässt sich lediglich bei den Geistlichen der mittleren und unteren Ebene der Partizipationspyramide belegen, wobei der Regionalbischof von Korçë ein größeres Interesse daran zeigte als der Archimandrit des Naum-Klosters. Auf staatlicher Ebene spielt Naum lediglich in Mazedonien eine subtile Rolle in der Nationsbildung. Ausschlaggebend dafür ist die Bedeutung, die der orthodoxen Kirche als nationsbildendem Faktor beigemessen wird. Im Gegenzug spiegeln sich die ethnisch-nationalen Verhältnisse Mazedoniens in den Ereignissen am Kloster wieder. In dem Zusammenhang fällt auf, dass sich die slawischen Mazedonier:innen innerhalb der Klosterereignisse in der dominanten Position befinden, die sowohl die Mehrheit in der Umgebung als auch auf Staatsebene stellen. Im Vergleich zur religiösen Dimension, die in der inneren Raumordnung mit der Nähe zum Zentrum zunimmt, verringert sich außerhalb des Klosterkomplexes die Bedeutung Naums und seines Klosters für Auseinandersetzungen mit zunehmender Distanz. Die politische Relevanz von Naum und seinem Kloster sowie die Verflechtung mit ihrer religiösen Bedeutung konzentrieren sich im Vergleich zur Verflechtung der religiösen und wirtschaftlichen Dimension dagegen nicht im Klosterkomplex am Grab. Allerdings zeigten die Ereignisse in jugoslawischer Zeit, dass das Grab als religiöses Zentrum des Klosters auch das Zentrum religiöspolitischer Aushandlungen sein kann. Stattdessen wird gegenwärtig jedoch die politische Instrumentalisierung des Heiligen vor allem im äußeren Bereich der lokalen Umgebung erkennbar. Die Staatsebene dagegen befindet sich in der Peripherie, was auch an den geographischen Distanzen zwischen dem Kloster und den politischen Zentren Mazedoniens und Albaniens liegt. Die Differenzierung verschiedener räumlicher Ebenen lässt sich auch in Bezug auf Heilige als metaphorische Orte vornehmen. Politische Heilige gibt es folglich nicht nur für die nationale, sondern auch für die lokale Ebene. Nationalheilige haben im Vergleich zu Lokalheiligen eine höhere Öffentlichkeitswirksamkeit. Im Gegenzug sind Lokalheilige mit Blick auf ihre Deutungen flexibler als Nationalheilige, weil sie politisch nicht eindeutig festgelegt sind. Auf diese Weise ist es möglich, dass Naum sowohl für die Interessen der mazedonischen als auch der albanischen Bevölkerung als Lokalheiliger beansprucht wird. Parallel zur Pyramide von John Paul Lederach, mit der die Partizipation verschiedener Akteur:innen im religiösen Feld verdeutlicht werden kann (Lederach 1997: 38-43) (vgl. Abb. 3), können den verschiedenen Stufen der Pyramide Heilige zugeordnet werden. Für die verschiedenen Heiligen kann in dem Zusammenhang behauptet werden,
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dass sie je nach Rang den Akteur:innen einer bestimmten Ebene als Vehikel ihrer Interessenbekundung dienen. Die politische Dimension in den äußeren Bereichen kann unter Umständen als Fortsetzung der christlich-muslimischen Aushandlungen gesehen werden, da Religionen im postosmanischen Gebiet häufig nationsbildende Funktionen innehaben. In Mazedonien zeigt sich diese Funktion bis in die Gegenwart daran, dass die MPC teilweise in Unterstützung der slawischen Regierungsparteien ihre territoriale Präsenz durch die Errichtung von Kirchen, Klöstern und Kreuzen sowie kirchenhistorisch relevanten Erinnerungsfiguren stärkt. Die Funktion der MPC steht in Kontinuität zur bedeutsamen Rolle, die Religionen im Zuge der postosmanischen Nationalstaatenbildung oftmals zukam. Allerdings ist ihre gegenwärtige Dominanz am Kloster keine Selbstverständlichkeit, wie der Blick auf andere enteignete religiöse Objekte zeigt.
10 Resümee
Die ethnographische Studie legte am Fallbeispiel des Klosters Sveti Naum im Süden des Ohrid-Sees dar, dass geteilte religiöse Orte auch mehrdeutig sein können. Durch die Einbettung des Untersuchungsgegenstands in seinen zeiträumlichen Kontext sowie die Darstellung eines historischen Längsschnitts zeigen sich in der synchronen Betrachtung historisch kontingente Strategien zur mehrdeutigen Charakterisierung des Klosters. Um das Verhältnis der vielfältigen Deutungen des religiösen Ortes zueinander zu erklären, entwickelte ich ein Raumkonzept. Die zugrundeliegenden Daten entstammen einer etwa 11 Monate umfassenden mobilen Feldforschung in Mazedonien und Albanien. Das komplexe Geflecht agierender Personen und Institutionen, Handlungen und Motivationen charakterisiert das Naum-Kloster als christlich-muslimischen Kontaktpunkt, als Pilgerort oder Ausflugsziel, sowie als Wirtschaftsstandort oder politischen Identitätsmarker. Die diskursiven Strategien, also die verschiedenen Handlungen und Zuschreibungen, die den geteilten religiösen Ort gestalten, der durch weitere gesellschaftliche Elemente nicht eindeutig religiös, sondern mehrdeutig ist, sind historisch kontingent. Die Akteur:innen greifen einzelne Aspekte des christlich-byzantinischen, des muslimisch-osmanischen oder des sozialistischen Erbes auf und setzen sie interpretierend ihren eigenen Bedürfnissen entsprechend neu zusammen. Bestimmte Kontinuitätslinien können dabei stärker tradiert werden als andere oder einige Aspekte vollständig ausblenden und verdrängen. Diese Mehrdeutigkeit des Klosters ist das Ergebnis der unterschiedlichen Bedürfnisse und Wahrnehmungen durch die Rezipient:innen, die durch eine entsprechende Reaktion seine wahrgenommenen Facetten (re‑)produzieren oder auch korrigieren. Dadurch, dass sich die Beteiligten auf denselben physischen oder metaphorischen Ort beziehen und ihm unterschiedliche Bedeutungen zuschreiben, wird dieser mehrdeutig. Der historische Kern des Klosters ist bis heute religiös. Das physische Zentrum des Klosters bildet für die meisten Akteur:innen Naums Grab. An den religiösen Kern haben sich im Laufe der Geschichte weitere ge-
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sellschaftliche Dimensionen angelagert, von denen am Kloster insbesondere die touristische, die wirtschaftliche und die politische Dimension erkennbar werden. Auffällig ist, dass die touristische und die wirtschaftliche Dimension eine große Überschneidungsfläche aufweisen, jedoch nicht deckungsgleich sind. Beide Dimensionen überschneiden sich dagegen kaum mit der politischen Dimension. Daneben kamen auch weniger offensichtlich ästhetische und körperlich-gesundheitliche Aspekte zum Vorschein, die eine weitere Dimension bilden. Diese können mit einzelnen Kreisen verglichen werden, deren Flächen sich überschneiden (vgl. Abb. 1). Der Kreis der religiösen Deutungsdimension bildet dabei die Mitte, an dem alle anderen Kreise gleich viel Anteil haben. Die Analyse hat einzelne Dimensionen mit ihren jeweiligen Überschneidungen herausgearbeitet. Der religiöse Charakter des Klosterkomplexes wird durch die verschiedenen – teilweise unterschwelligen – Bedeutungen infrage gestellt. Gleichzeitig blieb er trotz starker politischer Einflussnahme im Zuge der Enteignung und Umwandlung in ein Museum prägend erhalten. Dies ist auf die dezidiert religiöse Konnotation des als Kloster gegründeten Ortes, und seiner langen Geschichte zurückzuführen: Naum, ein Mönch und Asket, gründete Anfang des 10. Jahrhunderts das Kloster. Mit der Zeit wurde er, der auch als »lebendiger Heiliger« bekannt ist, vor allem als Wunderheiler verehrt. Naums Wunderheilkraft soll immer noch an seinem Grab erfahrbar sein. Das Grab symbolisiert damit den metaphorischen Ort Naum und wird zu dessen materialisierter Form. Im Laufe der Zeit ging Naums Bedeutung nachweislich auch auf das Kloster als »heiligen Ort« über. Demnach können Naum und sein Kloster als zwei getrennte religiöse Orte gedeutet werden. Das Kloster ist ein religiöser Ort im physisch-geographischen Sinn, der Heilige Naum als Gründer und Namenspatron des Klosters stellt dagegen einen religiösen Ort im metaphorischen Sinn dar. Beide Orte sind aufgrund ihrer Geschichte eng miteinander verknüpft, aber nicht identisch und daher voneinander zu unterscheiden. Der religiöse Charakter des Ortes ist zudem im Untersuchungsfeld sehr präsent, weil er wegen seiner sowohl christlichen als auch muslimischen Besucher:innen auch ein geteilter religiöser Ort ist. Diese Wahrnehmung ist besonders in der lokalen Bevölkerung ausprägt, wobei sich unterschiedliche Perspektiven darauf finden lassen: Entweder gehen Teile der muslimischen Bevölkerung zu dem christlich-orthodoxen Kloster, weil sie (1.) an Naum glauben, ihm Respekt entgegenbringen wollen und auf ein durch ihn gewirktes Wunder, weil sie (2.) »ihren« vorosmanischen Missionar Sarı Saltuk im Kloster begraben glauben oder weil sie (3.) das Fest am 3. Juli als lokale Tradition betrachten, das durch den Jahrmarkt zur Attraktion wird. Schließlich findet sich unter der muslimisch geprägten Bevölkerung aus der albanischen Grenzregion auch noch die Vorstellung, das Kloster gehöre territorial zu Albanien, weswegen ein Besuch dort auch nostalgisch gefärbt ist. Besonders die Bedeutung der ersten beiden Perspektiven ließen jedoch
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im 20. Jahrhundert nach. Dafür gibt es drei Gründe: die Emigration muslimischer Bevölkerungsteile in die Türkei, die allgemeine Verdrängung von Religion aus dem öffentlichen Leben während der sozialistischen Zeit und die Abwendung von lokalgefärbten Islaminterpretationen durch eine Orientierung an globalen muslimisch-religiösen Zentren. Nach der Rückgabe des Klosters an die orthodoxe Kirche konnte der christlich-religiöse Charakter des Ortes wieder neu betont werden. Der Rückgang ist folglich sowohl politisch als auch religiös motiviert. Das entwickelte Raumkonzept erfasst die religiöse Figur Naum als einen metaphorischen Ort, der in der physischen Gestalt seines Grabes das Zentrum des Klosterkomplexes bildet. Der Klosterkomplex, der oftmals als Einheit eines physischen Ortes betrachtet wird, wird durch die Identifizierung eines Zentrums zum Raum. Dieser Raum ist in einen Innen- und einen Außenbereich geteilt, als deren physische Grenze die Klostermauer zu betrachten ist. Diese Grenze ist jedoch durchlässig, sodass sich die nicht-religiösen Dimensionen, die sich vor allem im Außenbereich ausdifferenziert zeigen, stärker religiös gefärbt auch im Innenbereich wiederfinden. Gleichzeitig beeinflussen diese verschiedenen Bereiche die Charakterisierung der Besucher:innen und deren Motivationen, die wiederum durch ihr Verhalten das Bild des Klosters prägen. Während der Innenbereich vor allem religiös geprägt erscheint, ist der Außenbereich stärker von der touristischen und – damit einhergehend – von der ökonomischen Dimension dominiert. Der Klosterkomplex selbst weist kaum politische Elemente auf. Die politische Bedeutung Naums und seines Klosters zeigt sich viel stärker in der näheren Umgebung des Klosters, aus der die meisten Klosterbesucher:innen traditionell kommen. Konkret kann als politischer Wirkungsradius das Grenzgebiet zwischen Ohrid und Korçë identifiziert werden. Auf nationaler Ebene nimmt die Bedeutung von Naum und seinem Kloster tendenziell ab. Dennoch ist zu beobachten, dass es trotz der Grenzlage zwischen Albanien und Mazedonien seit der Grenzziehung und bis in die Gegenwart stärker mit Mazedonien als mit Albanien verbunden ist. Naum und sein Kloster spielen deswegen auf der nationalen Ebene in Mazedonien eine größere Rolle als in Albanien. Die Gründe dafür liegen in der Geschichte: Naums Werdegang hängt vor allem mit der Ausbreitung des orthodoxen Christentums unter Slaw:innen – zuletzt in der Region um Ohrid – zusammen, die sich kaum in Albanien finden. Das Kloster gehört zudem bis in die Gegenwart verwaltungstechnisch zum slawisch geprägten Bistum von Ohrid, was im 20. Jahrhundert sowohl von der Grenzziehung zwischen Serbien und Albanien als auch von der Gründung der MPC beeinflusst wurde. Die innere Raumordnung des Klosters wird demzufolge durch die politische Bedeutung um zwei äußere Kreise ergänzt (vgl. Abb. 11). Aus der Perspektive dieser äußeren Kreise ist das Kloster zwar ein eigenständiger physischer und metaphysischer Ort, gleichzeitig stellt es jedoch nicht den einzigen religiösen
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Ort in dem skizzierten Bereich dar. Neben ihm und teilweise durch Legenden mit ihm verbunden stehen weitere Orte. Das Naum-Kloster bildet in Verbindung mit anderen religiösen Kultstätten somit ein Netzwerk religiöser Orte. Das Netzwerk des Naum-Klosters besteht im engsten Sinn aus weiteren dem Heiligen geweihten Kirchen und Klöstern, die teils von der MPC und teils von der Bevölkerung errichtet wurden. Durch die Verwaltung steht das Naum-Kloster jedoch in einem noch größeren organisatorischen Netzwerk aller religiösen Einrichtungen der MPC. Praktisch ist das Kloster über seine Besucher:innen auch mit anderen christlichen und nicht-christlichen Orten verbunden. Hayden zufolge gehören zu diesem Netzwerk auch nicht-religiöse Orte, da religiöse Orte sich immer auch in sozialen Netzwerken unterschiedlicher Reichweite befinden, mit denen sie interagieren (Hayden 2013: 326). Die Einbindung in ein Netzwerk gilt darüber hinaus auch für Naum, der als metaphorischer Ort mit anderen religiösen und nichtreligiösen Symbolen und Zeichen verbunden ist. Bei der Konstruktion des Ortes sind Prozesse zu beobachten, die sowohl von oben nach unten als auch von unten nach oben gerichtet sind (vgl. Eade/Katić 2014a: 6): Die Initiative, das Kloster zu bauen, ging von Naum aus, einer politisch wenig einflussreichen Figur. Die Anfänge der Kult- und Legendenentwicklung sind tendenziell in den Kreisen der breiten Bevölkerung zu finden. Erst als das Ohrider Erzbistum das bedeutendere Kloster Sveti Pantelejmon in Ohrid verlor, stärkte es die Bedeutung des Klosters im Süden. Dies wird beispielsweise an der Verschiebung des Feiertags im Jahre 1727 vom 5. Januar auf den 3. Juli sowie an der Druckerei in Voskopojë, deren Namenspatron Naum war, deutlich. Weitere von oben nach unten gerichtete Prozesse, die die Wahrnehmung des Klosters beeinflussten, waren die Grenzziehung zwischen Albanien und Jugoslawien, die Enteignung des Klosters durch das sozialistische Regime Jugoslawiens sowie seine Rückgabe an die MPC nach der Unabhängigkeit. Angesichts der Tatsache, dass nicht alle religiösen Gebäude und Ländereien vom Staat wieder zurückgegeben wurden, zeigt sich auch, dass die Rückgabe des Naum-Klosters auch davon beeinflusst war, dass die Bevölkerung das Kloster trotz der Enteignung und Umwandlung in ein Museum vorrangig zum Feiertag am 3. Juli aufsuchte. Diese von unten nach oben gerichtete Bewegung förderte auch, dass bereits in den 1980er Jahren trotz Enteignung wieder Gottesdienste zu Naums Gedenktag gefeiert werden durften. Die Theorie der Mehrdeutigkeit sowie das in der Analyse entwickelte und hier zusammenfassend dargestellte Raumkonzept zeigen, dass Kim Knotts Analysebegriffe, die sie zur Verortung von Religion im Raum westlicher zeitgenössischer Gesellschaften einführt, auch auf nicht-westliche zeitgenössische Gesellschaften übertragbar sind. Bereits bei der Darstellung des Forschungsstands habe ich skizzenhaft Knotts Begriffe der Raumanalyse auf das Fallbeispiel des Naum-Klosters
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in Mazedonien, einem postsozialistischen Land, angewendet. Zur Überprüfung der Theorie der Mehrdeutigkeit sowie des entwickelten Raumkonzepts bedarf es weiterer Studien zu ähnlich gelagerten Fällen. Die Fallstudie zeigte außerdem, dass Religion in den postsozialistischen Transformationsgesellschaften Mazedoniens und Albaniens wieder stärker in die Öffentlichkeit gerückt ist. Dies wird vor allem anhand neu errichteter Gebäude deutlich, die nicht automatisch mit einer ansteigenden Zahl an Gläubigen einhergehen. Religion wird vor allem über die traditionellen und institutionalisierten Religionsgemeinschaften bestimmt und wahrgenommen. Religiöse Zugehörigkeit ist überdies weiterhin stark eine Frage der Tradition, die im Kollektiv der Familie gelebt und seltener individuell hinterfragt und/oder bewusst praktiziert wird. Eine Orientierung an Westeuropa und den USA wie im Bereich der Politik und der Wirtschaft ist bei Religion nicht zu beobachten, wie historische Kontinuitäten zeigen. In Mazedonien greift die aus der osmanischen Zeit stammende milletVorstellung, die bei der postosmanischen Nationsbildung häufig ein bestimmendes Element war. Religion hat in Mazedonien folglich trennenden Charakter und trägt unterschwellig zur Spaltung der multiethnischen Gesellschaft bei. Das Mit- und Nebeneinander unterschiedlicher ethnischer und religiöser Gruppen am Kloster zeugt nur auf der Oberfläche von Harmonie und Toleranz, die der allgemeinen gesellschaftlichen Separationstendenz widerspricht. Die Konfliktlinien verlaufen jedoch nicht hauptsächlich entlang der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, sondern entlang ökonomischer Interessen. Auch in Albanien steht die Bedeutung von Religion in der Tradition, die ihr im Nationsbildungsprozess zuteil wurde. Im Unterschied zu Mazedonien wird ihr dabei eine untergeordnete Rolle zugewiesen. Verstärkt wurde diese Tendenz im sozialistischen Albanien durch das Verbot von Religion in Öffentlichkeit und Privatraum. Gleichzeitig gewinnt Religion auch im heutigen Albanien wieder an Bedeutung, allerdings unter den Vorzeichen von »Harmonie und Toleranz«, die eine Spaltung der ethnisch fast homogenen Gesellschaft zu verhindern sucht. Religionen, ihre Feste und Bräuche werden eher als verbindende Elemente betrachtet, da sie Gründe zum Zusammenkommen bieten. Die Fallstudie zeigte, dass Religion sich als Kulturmuster in den postsozialistischen Transformationsgesellschaften Mazedoniens und Albaniens auch aus Elementen ergibt, die touristisch, wirtschaftlich und politisch gefärbt erscheinen. Zu den touristischen Elementen gehören das Nichts-Tun und das Genießen der Natur ebenso wie die Wahrnehmung des Klosters wegen seiner alten Fresken als historisches Kulturerbe. Die touristischen Kulturelemente überschneiden sich stark mit den ökonomischen, sind jedoch nicht identisch, wie vor allem die Rolle des Klosters als wirtschaftliche Organisation zeigte: Es verpachtet nicht nur Souvenirstände sondern profitiert auch vom Verhalten der Gläubigen, die mit Naum um un-
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verfügbare Güter wie Gesundheit oder Familienglück verhandeln. An dieser Stelle zeigt sich, dass das Kulturmuster Religion auch von Aspekten aus dem Gesundheitswesen und von Magievorstellungen bestimmt wird. Gleichzeitig geht aus der Fallstudie hervor, dass Religionsgemeinschaften in den postsozialistischen Gesellschaften auch als Arbeitgeber:innen wieder stärker als früher in der Öffentlichkeit präsent sind. Dies ist sowohl ein religionsökonomischer als auch ein religionspolitischer Faktor. Dieser verbindet sich auch mit der kirchenpolitischen Frage der Legitimität der MPC, die auf internationaler Ebene diskutiert wird. Weniger religionspolitisch als lokalpolitisch erscheint dagegen der Diskurs um die Zugehörigkeit des Areals zum albanischen oder mazedonischem Staatsterritorium, womit auch die Frage nach Naum als slawisch-orthodoxem oder als Lokalheiligen zusammenhängt. Diese steht wiederum in Spannung mit der Perspektive auf Naum als »lebendigem Heiligen«, der allen Menschen unabhängig von ihrer religiösen oder ethnisch-nationalen Zugehörigkeit hilft. Die Studie zeigte außerdem, dass es erst im Postsozialismus die Möglichkeit für transethnisch und transnational stattfindende christlich-muslimische Kontakte gab. Gleichzeitig ging jedoch viel Potential dafür bereits im Sozialismus verloren, weswegen der Kontakt ein hohes Potential für Missverständnisse bietet. Möglich wurden die transethnisch und transnational stattfindenden christlich-muslimischen Kontakte erst im Postsozialismus, weil erst im sozialistischen Jugoslawien die mazedonische Identität gezielt ausgebildet wurde. In dieser Zeit schloss Albanien die Grenzen und unterband den transnationalen Kontakt. Gleichzeitig wanderte ein großer muslimischer Bevölkerungsteil aus Jugoslawien aus, wodurch sich Möglichkeiten zu transreligiösen Kontakten weiter verringerten. Aufgrund der unterschiedlichen religionspolitischen Prägung in der sozialistischen Zeit werden zudem Missverständnisse bei den transethnisch und transnational stattfindenden christlich-muslimischen Kontakten erkennbar. Die ethnische Separierung in Mazedonien und der Relevanzschwund der religiösen Zugehörigkeit in Albanien birgt das Potential für weitere Missverständnisse. Die Studie verbindet regionalwissenschaftliches Datenmaterial und religionswissenschaftliche Analyseansätze. Diese Kombination führte dazu, dass einerseits die Theorie der geteilten religiösen Orte um den Aspekt der Mehrdeutigkeit ergänzt und andererseits traditionelle Perspektiven auf Religion in den Südosteuropastudien aufgebrochen werden konnten. Religion ist nicht nur ein Kulturelement, sondern bildet mit anderen Elementen, die für die Gesellschaft wichtig sind, ein Kulturmuster, das weitere Studien verdient.
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Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
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Was Heilung bringt Krankheitsdeutung zwischen Religion, Medizin und Heilkunde 2019, 218 S., kart., 4 Farbabbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-5042-6 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5042-0
Oliver Wäckerlig
Vernetzte Islamfeindlichkeit Die transatlantische Bewegung gegen »Islamisierung«. Events – Organisationen – Medien 2019, 432 S., kart., 9 SW-Abbildungen 44,99 € (DE), 978-3-8376-4973-4 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation, ISBN 978-3-8394-4973-8
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