Die Manipulation von Referenzzinsen wie LIBOR und EURIBOR: Eine Analyse kartellrechtlicher Implikationen von koordinierten Referenzwertverfälschungen an der Schnittstelle zum Kapitalmarktrecht [1 ed.] 9783428556441, 9783428156443

Die Manipulation der Referenzzinsen LIBOR und EURIBOR hat im Dezember 2013 eines der höchsten bislang verhängten europäi

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German Pages 212 Year 2019

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Die Manipulation von Referenzzinsen wie LIBOR und EURIBOR: Eine Analyse kartellrechtlicher Implikationen von koordinierten Referenzwertverfälschungen an der Schnittstelle zum Kapitalmarktrecht [1 ed.]
 9783428556441, 9783428156443

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Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 305

Die Manipulation von Referenzzinsen wie LIBOR und EURIBOR Eine Analyse kartellrechtlicher Implikationen von koordinierten Referenzwertverfälschungen an der Schnittstelle zum Kapitalmarktrecht

Von

Philipp Steinhaeuser

Duncker & Humblot · Berlin

PHILIPP STEINHAEUSER

Die Manipulation von Referenzzinsen wie LIBOR und EURIBOR

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 305

Die Manipulation von Referenzzinsen wie LIBOR und EURIBOR Eine Analyse kartellrechtlicher Implikationen von koordinierten Referenzwertverfälschungen an der Schnittstelle zum Kapitalmarktrecht

Von

Philipp Steinhaeuser

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0582-026X ISBN 978-3-428-15644-3 (Print) ISBN 978-3-428-55644-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-85644-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

Danksagung Die Arbeit an dieser Studie begann im Sommer 2014, also ungefähr ein halbes Jahr nachdem die Europäische Kommission mit ihrer Entscheidung in Sachen LIBOR den Grundstein für die (kartellrechtliche) Aufarbeitung der Referenzwertmanipulationen in Europa gelegt hatte. Mittlerweile ist ein erstes Urteil des EuG ergangen, weitere Entscheidungen dürften zu erwarten sein. Insofern hat die Thematik – auch nach Zulassung dieser Monographie zur Promotion im Dezember 2017 und ihrer Verteidigung im Juli 2018 – ihre hohe Aktualität behalten. Die Bearbeitung erfolgte in der Hoffnung, einen Beitrag zu der die Entscheidungspraxis begleitenden Diskussion bieten zu können. Ein besonderer Dank gilt Herrn Professor Daniel Zimmer. Dies einerseits für die Betreuung dieser Arbeit und die Erstellung des Erstgutachtens, andererseits für die Aufnahme an seinem Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Bonn für die Dauer der Promotion. Ich habe dort eine spannende und lehrreiche Zeit verbringen dürfen und viele wertvolle Bekanntschaften schließen können. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Jens Koch für die äußerst zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Darüber hinaus bin ich dem Arbeitskreis Wirtschaft und Recht im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft für seine großzügige Förderung zu Dank verpflichtet. Dank gebührt zudem meinen Freunden und Kollegen, die sich einerseits durch fachlichen Austausch, andererseits insbesondere durch die Unterstützung bei dem unumgänglichen Lektorat eingebracht haben. Ohne diese Hilfestellungen wäre ein Abschluss in der nun gegebenen Form kaum möglich gewesen. Besondere Berücksichtigung soll an dieser Stelle auch meine Familie finden, die mich stets in allen Aspekten meines Lebens und Studiums und schließlich auch bei diesem Projekt in jeder nur erdenklichen Art und Weise unterstützt und gefördert hat. Ihr kommt ein wesentlicher Anteil am Gelingen dieser Arbeit zu, die ihr daher gewidmet ist. Hamburg, im Oktober 2018

Philipp Steinhaeuser

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Konkrete Fragestellung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 B. Grundlagen und Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Referenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Referenzzinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) LIBOR und EURIBOR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Finanzderivate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zinsderivate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zins-Futures . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Forward Rate Agreements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zins-Swaps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zinsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Historischer Sachverhalt der Referenzwert-Manipulationen . . . . . . . . . . . . . . . .

24 24 24 24 25 25 25 27 27 28 28 30 30 31 32 32

C. Kartellrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schutzzwecke des Kartellverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslegung des Art. 101 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wettbewerbspolitische Leitbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der vollkommene Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systemtheoretische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wohlfahrtsökonomische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Konzept der Chicago School . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37 37 38 38 38 40 42 44 46 47 47 48 49 51 53

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Inhaltsverzeichnis f) Berücksichtigung durch Organe der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Position der Europäischen Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Verständnis der europäischen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einordnung des Wettbewerbsrechts im Zielkanon der Verträge . . . . . . . . . . . 5. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Bankensektor als Adressat des Kartellverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Exkurs: Die kartellrechtliche Zurechnung von Mitarbeiterhandeln . . . . . . . . . . . V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots . . . . . . . . . . . 1. Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Ebene der Referenzwertfestsetzung a) Wettbewerb auf Ebene der Referenzwertfestsetzung? . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wettbewerblicher Prozess als Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Referenzwertermittlung als Wettbewerbsprozess . . . . . . . . . . . . . . (1) Wettbewerb hinsichtlich der bereitgestellten Einzelwerte . . . . . . . (2) Wettbewerb der Referenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verstoß gegen das Kartellverbot auf dem Markt für Finanzderivate . . . . . . . . a) Wettbewerbsrelevante Auswirkungen nichtwettbewerblicher Prozesse . . . aa) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Position in der US-amerikanischen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . cc) Untersuchung vergleichbarer Marktkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . (1) Marktinformationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Blutspenden und Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bananenkartell – Der Fall Dole Food Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wettbewerbsbeschränkung durch Preismanipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eingriff in laufende Vertragsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bewertung für die vorliegende Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kriterien der Preismanipulation (Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV) . . . . . dd) Der Referenzwert als Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Preisbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Anwendbarkeit bei der Verwendung von Referenzwerten . . . . . . . (a) Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Unmittelbare Preismanipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 54 55 57 59 60 61 62 63 65 66 66 66 66 66 68 69 71 72 73 74 74 75 77 78 81 84 85 85 86 86 87 87 88 89 90 90 91 91 91

Inhaltsverzeichnis (c) Mittelbare Preismanipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Mittelbare Preismanipulation in Bezug auf den variablen Zins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Mittelbare Preismanipulation in Bezug auf den Festzins (d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ökonomische Betrachtung der Manipulationen in Bezug auf bestehende Vertragsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Der ökonomische Kartellschaden bei der LIBOR-Manipulation in Bezug auf den variablen Zins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Ausnutzung von Marktmacht bei der Beeinflussung der Zahlungsströme? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verstoß gegen das Kartellverbot durch künstliche Marktveränderung . . . . aa) Das Merkmal der Wettbewerbsverfälschung in Art. 101 AEUV . . . . . (1) Eigenständige Bedeutung des Merkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Inhalt des Merkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Fallpraxis der Europäischen Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Cimbel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Milchförderungsfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) X/Open Group . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) EBU/Eurovisions-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ee) Analyse und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Ansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wettbewerbsverfälschung durch Veränderung der Referenzzinsen . . . (1) Relevanz der Zweiseitigkeit der Koordinierungswirkung . . . . . . . . (2) Entstehen künstlicher Wettbewerbsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . (3) Wettbewerbsverfälschung aufgrund eines Informationsgefälles . . . (4) Wettbewerbsverfälschung durch unlautere Gewinne . . . . . . . . . . . (5) Wettbewerbsverfälschung durch Zerstörung von Marktvertrauen cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonstige Wettbewerbsbehinderung im Sinne des Kartellverbots . . . . . . . . e) Kartellrechtliche Bedeutung der unterschiedlichen Handlungsmotive zur Vornahme der Manipulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorliegen unterschiedlicher Motivlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verstoß gegen das Kartellverbot hinsichtlich anderer zinsgebundener Finanzinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unbeachtlichkeit der tatsächlichen Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 95 95 97 98 99 99 103 105 105 106 106 107 108 108 109 111 111 113 115 115 117 117 118 119 121 122 124 125 126 126 126 128 129 129 129

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Inhaltsverzeichnis c) Kartellrechtlich relevante Auswirkungen auf Kreditverträge . . . . . . . . . . . aa) Darstellung der Funktionsweise und Unterschiede zu Zinsderivaten bb) Rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

130 130 132 134 134

D. Vergleich mit anderen Referenzwerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. FOREX – WM/Reuters Fix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktionsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Potenzielle Manipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einseitige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Koordiniertes Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die kartellrechtliche Beurteilung von Einkaufsgemeinschaften . . . . . . bb) Bewertung der Einflussnahme auf messbasierte Referenzwerte . . . . . (1) Koordinierte Vornahme von Devisengeschäften . . . . . . . . . . . . . . . (2) Auswirkungen auf Devisenderivate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Auswirkungen auf nachgelagerte Devisengeschäfte . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ethanol-Benchmark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktionsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Potenzielle Manipulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Preisabsprachen bei Verkaufsangeboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einflussnahme auf den Referenzwert für Ethanol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auswirkungen auf zukünftige Geschäfte im physischen Handel . . . . . bb) Auswirkungen auf Warenderivate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136 136 136 136 138 139 139 140 140 141 141 143 144 145 146 146 146 147 147 147 148 148 149 149 150

E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendbares Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Rechtslage unter § 20a WpHG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 1 WpHG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Machen von unrichtigen bewertungserheblichen Angaben . . . . . . (2) Eignung zur Preiseinwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 WpHG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtslage unter der Marktmissbrauchsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Europäische Reform des Marktmissbrauchsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgen für die Bewertung von Referenzwertmanipulationen . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) US-amerikanischer Rechtskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deutsch-europäische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einzelprobleme und mögliche Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzlich parallele Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Sperrwirkung durch Freistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Verbot der Doppelbestrafung – ne bis in idem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verhältnismäßigkeit der kumulierten Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konflikt mit dem Grundsatz ne bis in idem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ne bis in idem im europäischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ne bis in idem im kartellrechtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Kartellrechtliche Doppelbestrafung innerhalb der EU . . . . . . . (b) Kartellrechtliche Doppelbestrafung durch die Europäische Kommission und Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ne bis in idem im Verhältnis des Kartellrechts zu anderen Regelungsbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Stellungnahme zum Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Berücksichtigung der Kronzeugenregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161 161 161 162 164 164 164 166 166 167 169 169 170 172 172 173 173 176 176 178 179 179 180 186 186 189 189

F. Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 I. Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 II. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. Abs. a. E. AEA Papers and Proceedings AEUV a. F. AG ähnl. Alt. Antitrust L.J. Art. Aufl. ausdr. AVR BaFin BayObLG BayObLGSt BB BBA BB-AWD B.C. L. Rev. BeckRS Begr. Beschl. BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BIS Q. Rev. BKR bspw. BT-Drucks. BYU Int.’l M.R. bzgl. bzw. CCZ CFTC

anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABl. C – Communication; ABl. L – Legislation) Absatz am Ende American Economic Review: Papers & Proceedings Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Die Aktiengesellschaft ähnlich Alternative Antitrust Law Journal Artikel Auflage ausdrücklich Archiv des Völkerrechts Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bayerisches Oberstes Landesgericht Sammlung des BayObLG in Strafsachen Betriebs-Berater British Bankers’ Association Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Boston College Law Review Beck-Rechtsprechung Begründung Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BIS Quarterly Review Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht beispielsweise Bundestags-Drucksache Brigham Young University International Law and Management Review bezüglich beziehungsweise Corporate Compliance Zeitschrift Commodity Futures Trading Commission

Abkürzungsverzeichnis CHFIRD Cir. CMLRev CRIM-MAD DB DePaul Bus. & Comm. L.J. Diss. EBU EC ECFR ECLI E.C.L.R. ECN EG EGMR EGV Einl. EIRD EL EMRK Entsch. EU EuG EuGH EuR EURIBOR EUV EuZW EWeRK

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Swiss Franc interest rate derivatives Circuit Common Market Law Review Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie) Der Betrieb DePaul Business & Commercial Law Journal

Dissertation European Broadcasting Union European Communities European Company and Financial Law Review European Case Law Identifier European Competition Law Review European Competition Network Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einleitung Euro Interest Rate Derivatives Ergänzungslieferung Europäische Menschenrechtskonvention Entscheidung Europäische Union Gericht der Europäischen Union Europäischer Gerichtshof Europarecht Euro Interbank Offered Rate Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift des Institutes für Energie- und Wettbewerbsrecht in der kommunalen Wirtschaft EWG-Vertrag Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWS Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht f. folgende Seite F.3d Federal Reporter, Third Series FCA Financial Conduct Authority ff. folgende Seiten FG Festgabe FINMA Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FK KartellR Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht FKVO Fusionskontrollverordnung 139/2004 FMFG Finanzmarktförderungsgesetz Fn. Fußnote Fordham Int’l. L.J. Fordham International Law Journal FOREX Foreign Exchange FRA Forward Rate Agreement

16 FS FSA F.Supp.2d F.Supp.3d GA gem. GG GMT GRCh GWB Habil. HdB h. M. Hrsg. HWG IBA ICE insbes. Int.T.L.R. IOSCO IPO i. R. v. i. S. d. i. V. m. JAENFO J. Banking Finance J. Corp. L. JECLAP J. Econ. Surveys JFC J. Macroecon. JuS KartellR KommJur lat. LG LIBOR lit. MaKonV MAR MMR MüKo m. w. N. NJW No. Nr. NZG NZKart

Abkürzungsverzeichnis Festschrift Financial Services Authority Federal Supplement, Second Series Federal Supplement, Third Series Generalanwalt/Generalanwältin gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Greenwich Meantime Charta der Grundrechte der Europäischen Union Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Habilitation Handbuch herrschende Meinung Herausgeber Heilmittelwerbegesetz ICE Benchmark Administration Intercontinental Exchange insbesondere International Trade Law and Regulation International Organization of Securities Commissions Initial Public Offering im Rahmen von im Sinne der/im Sinne des in Verbindung mit Journal of Antitrust Enforcement Journal of Banking & Finance The Journal of Corporation Law Journal of European Competition Law & Practice Journal of Economic Surveys Journal of Financial Crime Journal of Macroeconomics Juristische Schulung Kartellrecht Kommunaljurist lateinisch Landgericht London Interbank Offered Rate littera Marktmanipulations-Konkretisierungsverordnung Market Abuse Regulation (VO 596/2014) MultiMedia und Recht Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Number Nummer Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Kartellrecht

Abkürzungsverzeichnis Ofcom Ofgem OFT OLG OTC OwiG PRA RdF RegE Rn. Rs. Rspr. s./S. s. a. S.Ct. S.D.N.Y. SDÜ SEC sog. s. S. st. StGB TFG u. u. a. UAbs. Univ. U.Pa.L.Rev. Urt. U.S. v. vgl. VO Vor. WEKO wistra WM WettbR WpHG wrp WuW WuW/E DE-R YIRD z. B. ZBB ZEuP ZfPW

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Office of Communications Office of Gas and Electricity Markets Office of Fair Trading Oberlandesgericht Over-the-Counter Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Prudential Regulation Authority Recht der Finanzinstrumente Regierungsentwurf Randnummer Rechtssache Rechtsprechung siehe/Seite/Satz siehe auch Supreme Court Reporter United States District Court for the Southern District of New York Schengener Durchführungsübereinkommen United States Securities and Exchange Commission sogenannt siehe Seite ständige Strafgesetzbuch Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens und und andere/unter anderem Unterabsatz Universität University of Pennsylvania Law Review Urteil United States/United States Reports vom/von vergleiche Verordnung Vorbemerkungen Wettbewerbskommission Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wertpapier-Mitteilungen Wettbewerbsrecht Wertpapierhandelsgesetz Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb – Entscheidungssammlung – Deutschland Rechtsprechung Yen Interest Rate Derivatives zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für europäisches Privatrecht Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft

18 ZG zgl. ZGR ZHR ZIP ZUM ZWeR

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für Gesetzgebung zugleich Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Wettbewerbsrecht

„The methods and techniques of manipulation are limited only by the ingenuity of man.“ Judge Floyd Robert Gibson Cargill v. Hardin, 452 F.2d 1154, 1163 (8th Cir. 1971)

A. Einleitung I. Einführung Ab 2007 erschütterte eine globale Finanzkrise den Bankensektor. Sie führte einerseits zu verschiedenen staatlichen Rettungsmaßnahmen zur Sicherung von als systemimmanent eingestufter Finanzinstitute, welche in der Krise in Schieflage geraten waren. Andererseits motivierte sie in der Folge umfassende Untersuchungen der Finanzmärkte und der dort etablierten Geschäftspraktiken durch die Aufsichtsbehörden. Dies führte zur Aufdeckung verschiedener Vorgänge, deren moralische Zweifelhaftigkeit vielfach kaum infrage gestellt werden dürfte. Schwieriger zu beurteilen ist im Einzelfall jedoch ihre rechtliche Einordnung. Konkret geht es um die Frage, inwieweit durch das Handeln der Finanzinstitute juristische Grenzen überschritten worden sind und somit die Grundlage für eine Sanktionierung besteht. Aufsichtsbehördliche Maßnahmen könnten insoweit einen Beitrag leisten, verlorenes Vertrauen der Anleger in die ordnungsmäße Funktionsweise der Märkte und ihren Schutz vor unlauteren Praktiken wiederherzustellen. Wie in dem vorangestellten Zitat aus der US-amerikanischen Rechtsprechung ausgedrückt,1 können und werden die Akteure immer neue Wege zur Einflussnahme auf die wirtschaftlichen Abläufe finden, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Für die von außen nur schwer durchschaubaren Finanzmärkte gilt dies im Besonderen, zumal die bisherige Regulierung trotz bereits vorhandener Regeln anscheinend einen von den Unternehmen auch durchaus genutzten Spielraum belassen hat. Im Gegensatz zu den Manipulatoren, denen, wie Judge Gibson es ausgedrückt hat, zunächst einmal nur ihr eigener Einfallsreichtum Grenzen setzt, sind die Aufsichtsbehörden bei der Aufarbeitung entsprechender Vorgänge an den Rahmen ihrer Ermächtigungsgrundlagen gebunden. Dieser Rahmen wird im Europäischen Kartellrecht für die Sanktionierung von Kartellen durch Art. 101 AEUV vorgegeben. Die für die Kartellverfolgung auf europäischer Ebene zuständige Europäische Kommission hat in der Vergangenheit durchaus eine gewisse Bereitschaft zu einer weitreichenden Interpretation der Voraussetzungen der ihr zur Verfügung gestellten Eingriffsgrundlagen erkennen lassen. Auch bei der Verfolgung von Manipulationen auf dem Kapitalmarkt und vorrangig bei der Einflussnahme auf Referenzzinswerte – und auf diesem Fall wird der Fokus dieser Bearbeitung liegen – wurde sie auf einem Feld aktiv, dessen Überwachung auf den ersten Blick eher den Finanzaufsichtsbehörden als Aufgabe zugewiesen scheint. Diese sind ausgestattet mit entsprechenden 1

Cargill v. Hardin, 452 F.2d 1154, 1163 (8th Cir. 1971).

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A. Einleitung

kapitalmarktrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten, die mittlerweile auch in einem signifikanten Maß europäisiert und zugleich verschärft worden sind. Es stellt sich die Frage, ob eine Kartellbehörde wirklich der geeignete Akteur ist, um Verstößen auf diesem Gebiet in einem solchen Sachverhalt beizukommen. Angesichts der Flexibilität der Märkte und der Verschiedenheit der Marktformen scheint die Suche nach einer allgemeingültigen Antwort hierauf zunächst ein recht aussichtloses Unterfangen. Gleichwohl bietet das jüngste Vorgehen der Europäischen Kommission auf den Finanzmärkten und insbesondere die Sanktionierung des von ihr als solches identifizierten Kartells verschiedener Großbanken zur Einflussnahme auf die Referenzzinsen LIBOR und EURIBOR einen gut geeigneten Ansatzpunkt für den Versuch, sich einer Lösung zumindest anzunähern. Gegebenenfalls kann dies auch einen Beitrag zur Analyse des Verhältnisses von Kapitalmarkt- und Kartellrecht bieten.

II. Konkrete Fragestellung und Gang der Untersuchung Die folgenden Ausführungen beginnen mit einer kurzen vertiefenden Einführung in die Thematik, die zentralen Begrifflichkeiten sowie die Funktionsweisen der relevanten Finanzinstrumente in Kapitel B. Im Anschluss wird zunächst unter Kapitel C. der Frage nachgegangen, ob und gegebenenfalls inwieweit die Referenzzinsmanipulationen an LIBOR und EURIBOR tatsächlich dem Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV unterfallende Fälle darstellen. An diesem Punkt könnte eine von der entsprechenden Rechtsauffassung der Europäischen Kommission zumindest in Teilen abweichende Sichtweise möglich oder vielleicht sogar geboten sein. Die Untersuchung wird sich angesichts der regelmäßig grenzüberschreitenden Dimension der potentiell betroffenen Finanztransaktionen auf das europäische Recht beschränken. Im Fokus steht, unter besonderer Berücksichtigung des Zwecks des Kartellverbots, das Tatbestandsmerkmal der Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs – begrifflich teils als Wettbewerbsbeschränkung zusammengefasst – als zentrales Problem der rechtlichen Einordnung der Referenzzinsmanipulation. Die weiteren Tatbestandsmerkmale des Art. 101 Abs. 1 AEUV, etwa die Unternehmenseigenschaft oder das Vorliegen der Zwischenstaatlichkeitsklausel, sind in diesem Zusammenhang regelmäßig entweder unproblematisch oder allein für den jeweiligen Einzelfall feststellbar, so dass ihnen keine vertiefte Analyse zukommen wird. Unter Kapitel D. wird sodann untersucht, ob sich die für die Referenzzinsmanipulation gefundenen Ergebnisse auch auf andere Referenzwerte, insbesondere solche die ebenfalls in derivativen Finanzinstrumenten verwendet werden, übertragen lassen. Es wäre denkbar, dass sich je nach der Methodik ihrer Wertermittlung oder nach Art des Gegenstandes, für den eine Referenz gebildet werden soll, möglicherweise Abweichungen in der rechtlichen Qualifikation ergeben.

II. Konkrete Fragestellung und Gang der Untersuchung

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Aufgrund der noch näher zu erläuternden Bedeutung von Referenzwerten für auf dem Kapitalmarkt gehandelte Finanzderivate könnte zudem nicht nur ein Verstoß gegen Normen des Kartellrechts, sondern auch ein solcher gegen die Regelungen des Kapitalmarktrechts in Betracht kommen. Daher erfolgt abschließend in Kapitel E. ein kurzer Vergleich der unterschiedlichen Eingriffsgrundlagen beider Rechtsregime für eine solche Fallkonstellation. Diese Analyse erfolgt sowohl zum Marktmanipulationsverbot nach dem zum Zeitpunkt der Manipulationen an LIBOR und EURIBOR noch geltendem deutschen WpHG in damaliger Fassung als auch am Maßstab des durch die Marktmissbrauchsverordnung 2016 neu eingeführten europäischen Verordnungsrechts. Hierbei findet auch die Thematik des generellen Verhältnisses der beiden Regelungsregime zueinander Beachtung und Betrachtung, insbesondere der Aspekt der Berücksichtigung wechselseitiger Sanktionsmaßnahmen wird in der möglichen Tiefe analysiert und diskutiert. Die gefundenen Ergebnisse und mögliche Antworten auf die aufgeworfenen Fragestellungen werden abschließend in Kapitel F. zusammenfassend präsentiert.

B. Grundlagen und Begrifflichkeiten Vor der Befassung mit der inhaltlichen Kernthematik dieser Bearbeitung werden als Grundlage zunächst einige der relevanten Begrifflichkeiten vorgestellt. Dies erleichtert den Zugang zu den dann folgenden rechtlichen Ausführungen. So sind sowohl die Referenzwerte – und ihre hier im Fokus stehende Untergruppe der Referenzzinsen – als auch die durch sie beeinflussten Finanzderivate in ihrer Funktionsweise komplex und verdienen daher eine solche einleitende Darstellung. Zur Illustrierung der Aktualität und auch als Hintergrundinformation zur leichteren Einordnung folgender Bezugnahmen folgt ein kurzer historischer Überblick über die Aufarbeitung der Manipulationsvorgänge, zum einen durch die Aufsichtsbehörden, zum anderen von privater Seite mittels entsprechender Schadensersatzklagen von Investoren. Hieraus wird ersichtlich, wie die kartellrechtliche Dimension der Referenzzinsmanipulation – aber auch der Referenzwertmanipulation allgemein – durch die jüngere Praxis in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt wurde.

I. Begriffsbestimmungen 1. Referenzwerte a) Allgemeines Der Begriff des Referenzwertes ist für diese Bearbeitung zentral und daher als erstes näher zu bestimmen. Referenzwerte stellen Richtwerte dar, die auf Grundlage von tatsächlichen oder hypothetischen Daten ermittelt werden und für weitere Geschäfte als Leitwerte dienen.2 Für den hier im Fokus stehenden Bereich der Derivate fungieren sie regelmäßig als Orientierungspunkt für bestimmte Finanzinstrumente. Auch auf normativer Ebene existieren entsprechende Begriffsbestimmungen für die rechtliche Handhabung. So findet sich beispielsweise in Art. 3 Abs. 1 Nr. 29 der neuen Marktmissbrauchsverordnung3 folgende Definition:

2

Allgemein zu Referenzwerten und ihren Einsatzmöglichkeiten auch Rauterberg/Verstein, 30 Yale Journal on Regulation 101, 106 ff. (2013). 3 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. 2014 L 173, 1 (im Folgenden: „MAR“).

I. Begriffsbestimmungen

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„,Referenzwert‘ bezeichnet einen Kurs, Index oder Wert, der der Öffentlichkeit zugänglich gemacht oder veröffentlicht wird und periodisch oder regelmäßig durch die Anwendung einer Formel auf den Wert eines oder mehrerer Basiswerte oder -preise, einschließlich geschätzter Preise, tatsächlicher oder geschätzter Zinssätze oder sonstiger Werte, oder auf Erhebungsdaten ermittelt bzw. auf der Grundlage dieser Werte bestimmt wird und auf den bei der Festsetzung des für ein Finanzinstrument zu entrichtenden Betrags oder des Wertes eines Finanzinstruments Bezug genommen wird.“

Es wird deutlich, dass Referenzwerte in ganz verschiedenen Ausgestaltungen bestehen können. In der Methodik ist ihnen regelmäßig die Kumulation von Daten zur Erhebung eines repräsentativen Durchschnittswerts gemein. Unterschiede können sich im Detail ergeben, insbesondere hinsichtlich der Verwendung von realen Marktdaten zur Wertermittlung im Verhältnis zu eher hypothetisch geprägten Herangehensweisen. Diese Vielfältigkeit wird im Rahmen der Untersuchung durch die Einbeziehung unterschiedlicher Typen von Referenzwerten zu berücksichtigen versucht. Im Fokus stehen gleichwohl die Referenzzinsen LIBOR und EURIBOR. b) Referenzzinsen aa) Allgemeines In Anknüpfung an die soeben gegebene allgemeine Beschreibung von Referenzwerten sind Referenzzinsen durch unabhängige Stellen ermittelte Zinswerte, die für andere Finanzprodukte als objektiver Richtwert herangezogen werden.4 bb) LIBOR und EURIBOR Einer der bedeutendsten Referenzzinsen ist der sogenannte LIBOR, kurz für London Interbank Offered Rate. Dieser wird gebildet, indem eine festgelegte Gruppe von Banken an eine Sammelstelle den Zinssatz übermittelt, zu dem sich die jeweilige Bank um kurz vor 11 Uhr bei einer anderen Bank nach eigener Einschätzung, also rein hypothetisch, Geld zu unterschiedlichen Laufzeiten leihen könnte. Zu diesem Zweck wird den Banken dies als Frage formuliert, worauf sie mit der Bekanntgabe ihres Wertes als Antwort reagieren. Die konkrete Fragestellung lautet: „At what rate could you borrow funds, were you to do so by asking for and then accepting interbank offers in a reasonable market size just prior to 11 am London time?“5 Der Wert wird hierbei für verschiedene Währungen und für jeweils unterschiedliche Überlassungszeiträume festgelegt. Die größte Bedeutung kommt dem LIBOR für US-$ zu. Um diesen zu bilden werden 18 Banken befragt, wobei die vier höchsten bzw. niedrigsten genannten Werte herausgerechnet werden, um einen

4 5

Pascall, 39 World Competition 161, 165 f. (2016). https://www.theice.com/iba/libor (geprüft am 23. 11. 2017).

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B. Grundlagen und Begrifflichkeiten

stabilen Mittelwert zu bilden.6 Daneben wird die Feststellung aber auch für weitere Währungen getroffen, namentlich den Euro, den Schweizer Franken, den japanischen Yen sowie das britische Pfund.7 Eine weitere Differenzierung erfolgt hinsichtlich der Laufzeiten der hypothetischen Kredite, die von einem Tag (Overnight) bis zu zwölf Monaten reichen. Eingeführt wurde der LIBOR 1986 zur Vereinheitlichung des Handels von zinsgebundenen Finanzinstrumenten, der zur damaligen Zeit bereits eine Größenordnung von mehreren Billionen US-$ erreicht hatte.8 Zudem benötigten die Banken für die immer größer werdenden Kreditsummen auf einem immer globaleren Markt eine Orientierung zur Bestimmung eines angemessenen Zinses.9 Darüber hinaus waren feste Zinssätze angesichts schwankender Inflationsraten für langfristigere Kreditvereinbarungen nur eingeschränkt praktikabel.10 Ein wichtiger Grund für die Konzeption als hypothetischer Referenzwert im Unterschied zu einer allein auf realen Marktdaten basierenden Ermittlung ist die Gewährleistung der Verfügbarkeit eines auch in Krisenzeiten oder vergleichbaren Situationen mit nur eingeschränkt aktiven und liquiden Finanzmärkten verlässlich ermittelbaren Richtwerts.11 Zunächst war die zu beantwortende Frage noch hypothetischer formuliert, die befragten Banken mussten lediglich angeben, zu welchem Zinssatz sich ihrer Meinung nach eine Großbank von einer anderen Geld leihen könnte. Erst 1998 erhielt die Frage ihren stärker subjektivierten Bezug in der oben zitierten Form, wenngleich auch weiterhin reale Marktvorgänge nicht berücksichtigt werden. Noch immer wird nur eine Selbsteinschätzung abgefragt, keine tatsächlichen Marktdaten.12 Heute stellt der LIBOR in seinen unterschiedlichen Ausprägungen auf dem globalen Finanzmarkt sowohl ein wichtiges Instrument für die Handhabung von Finanzderivaten als auch einen unabhängigen Richtwert für variable Zinsen, etwa auf Hypotheken oder andere Sicherungsmittel, dar. Insgesamt sind weltweit Finanz6 https://www.theice.com/iba/libor (zuletzt geprüft: 23. 11. 2017). Entsprechend bestanden zunächst Zweifel, ob angesichts dieses Filters Absprachen von nur wenigen beteiligten Finanzinstituten tatsächlich einen Einfluss auf den Gesamtwert LIBOR haben können. Ökonomische Studien legen diesen Befund allerdings nahe, etwa Monticini/Thornton, 37 J. Macroecon. 345, 345 ff. (2013). Theoretische Beispiele zum Nachweis der Auswirkung der Veränderung von nur wenigen Einzelwerten bietet auch Pascall, 39 World Competition 161, 169 f. (2016). 7 https://www.theice.com/iba/libor (geprüft am 23. 11. 2017). 8 Yeoh, JFC 2016, 1140, 1140; Koblenz/Labbate/Turner, The Journal of Business, Entrepreneurship & the Law 2013, 281, 283. Teilweise werden auch andere Jahreszahlen genannt, etwa 1969 bei Pascall, 39 World Competition 161, 164 (2016). 9 Talley/Strimling, The World’s Most Important Number: How a Web of Skewed Incentives, Broken Hierarchies, and Compliance Cultures Conspired to Undermine Libor, in: O’Brien/ Gilligan (Hrsg.), Integrity, Risk and Accountability in Capital Markets (2013), S. 134. 10 Gyntelberg/Woolridge, BIS Q. Rev. 2008, 59, 60. 11 Diesen Aspekt knapp thematisierend Yeoh, JFC 2016, 1140, 1148. 12 Koblenz/Labbate/Turner, The Journal of Business, Entrepreneurship & the Law 2013, 281.

I. Begriffsbestimmungen

27

produkte im Wert von ungefähr 360 Bio. US-$ direkt oder indirekt mit dem LIBOR verbunden.13 Zuständig für die Ermittlung des LIBOR war bis Ende Januar 2014 die British Bankers‘ Association (BBA), die aus einer Kooperation von in Großbritannien tätigen Kreditinstituten entstanden ist. Mit Wirkung zum 31. Januar 2014 wurde die Aufgabe, als Reaktion auf die Manipulationen durch BBA-Mitglieder zur Wiederherstellung von Vertrauen in diesen Wert, an den Börsenbetreiber ICE Benchmark Administration (IBA) übergeben.14 Dieser ermittelt die LIBOR-Werte seitdem als unabhängige Institution.15 Eine „europäische“ Alternative zum LIBOR ist der EURIBOR, Euro Interbank Offered Rate. Dieser stellt einen vergleichbaren Richtwert für Euro-Termingelder dar, ermittelt aus entsprechenden Angaben von 26 europäischen Banken. Hierunter befinden sich derzeit mit der Deutschen Bank und der DZ Bank auch zwei deutsche Unternehmen.16 Auch bei der Bestimmung des EURIBOR werden die höchsten und niedrigsten Werte, in beide Richtungen je 15 %, herausgefiltert. Eine Abweichung zum LIBOR besteht indes bei der Fragestellung. Während bei dem LIBOR, wie dargestellt, nach dem Zinssatz gefragt wird, zu dem sich die befragte Bank Geldmittel beschaffen könnte, wird bei der Erhebung des EURIBOR noch abstrakter nach den Konditionen gefragt, zu denen sich eine sogenannte prime bank17 nach Wissen bzw. zumindest nach begründeter eigener Auffassung des Befragten bei einer anderen Devisen leihen könnte.18 2. Finanzderivate a) Allgemeines Von besonderer Bedeutung für die hier zu untersuchende Einflussnahme auf Finanzinstrumente durch die Beeinflussung von Referenzwerten sind die sogenannten Finanzderivate. Derivate zeichnen sich durch den Umstand aus, dass sich ihr Wert von einer bestimmten Referenzgröße, dem Basiswert, ableiten (lat. „derivare“) und berechnen lässt.19 Finanzderivate dienen, anders als etwa Instrumente des Kreditmarktes, in erster Linie nicht der Finanzierung an sich, sondern sollen den

13

Weck, KommJur 2013, 247, 247. http://www.bbatrent.com/disclaimer (geprüft am 23. 11. 2017). 15 https://www.theice.com/iba/libor (geprüft am 23. 11. 2017). 16 http://www.euribor.org/euribor-org/panel-banks.html (geprüft am 23. 11. 2017). 17 Als prime bank werden für gewöhnlich die 50 größten Bankhäuser der Welt verstanden. Eine feste Definition findet sich jedoch nicht. 18 http://www.emmi-benchmarks.eu/euribor-org/about-euribor.html (geprüft am 23. 11. 2017). 19 Reiner, Derivative Finanzinstrumente im Recht (2002), S. 11 f. 14

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B. Grundlagen und Begrifflichkeiten

Transfer von Risiken ermöglichen.20 Sie werden dabei sowohl an der Börse als auch außerbörslich im so genannten Over-the-Counter-(OTC-)Handel gehandelt. Eine mögliche Bezugsgröße für Finanzderivate kann nun auch ein Zinssatz sein, in diesem Fall spricht man von Zinsderivaten. Diese werden im Folgenden anhand einiger Beispiele von besonderer Relevanz für die kartellrechtlich interessanten Fragestellungen rund um die Manipulation der Referenzzinsen näher vorgestellt. Neben den Zinsderivaten gibt es Derivate für viele andere Basiswerte. Eine gesteigerte Relevanz kommt insbesondere Derivaten mit einer Anknüpfung an Währungen und Rohstoffen zu.21 Auch hierbei werden regelmäßig entsprechende Referenzwerte verwendet. b) Zinsderivate Wie bereits angesprochen bilden die sogenannten Zinsderivate eine Untergruppe der Finanzderivate. Ihre Wertstellung leitet sich im Wesentlichen von einem zugrunde gelegten Zinswert ab, wobei in der Regel auf einen international verbreiteten Referenzzins wie LIBOR oder EURIBOR zurückgegriffen wird. Grundsätzlich werden Zinsderivate eingesetzt, um Zinsrisiken, etwa bei langfristigen Finanzierungsgeschäften, zu reduzieren.22 In der Praxis wurden sie allerdings vielfach auch spekulativ verwendet. Im Rahmen der Manipulation von Referenzzinsen sind unter den beeinflussten Zinsderivaten vier Instrumente von besonderer Bedeutung: Zins-Futures, Forward Rate Agreements, Zins-Swaps und Zinsoptionen.23 Zu diesen erfolgen vorab einige vertiefende Erläuterungen. Besonderes Augenmerk gilt hierbei ihrer Verknüpfung mit den angesprochenen Referenzzinsen bei der Wertstellung. aa) Zins-Futures Im Rahmen von Zins-Futures verpflichtet sich eine Partei dazu, der anderen zu bestimmten zukünftigen Terminen Zinszahlungen auf einen festgelegten Grundwert zu leisten. Hierfür erhält sie unmittelbar einen festen Future-Preis als Gegenleistung. Den Käufer bezeichnet man auch als Inhaber der long-position, den Verkäufer als 20

Bösch, Derivate (2014), S. 4. Weitere Beispiele bei Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzmarktinstrumente (2010), S. 185 ff. 22 Zur Methodik etwa Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzmarktinstrumente (2010), S. 113 ff. 23 Diese vier Derivatstypen standen auch im Fokus der Europäischen Kommission bei der kartellrechtlichen Sanktionierung der Manipulationen, vgl. Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 15 – YIRD; Europäische Kommission, Entsch. v. 21. 10. 2014, Case AT.39924 Rn. 8 – CHFIRD: CHF LIBOR; Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 12. 2013, Case AT.39861 Rn. 9 – YIRD; Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 12. 2013, Case AT.39914 Rn. 9 – EIRD. 21

I. Begriffsbestimmungen

29

Inhaber der short-position. Da die Vertragsparteien zu den vereinbarten Zeitpunkten kein Wahlrecht mehr besitzen, ob sie das Geschäft zu diesen Konditionen umsetzen möchten, spricht man von unbedingten Termingeschäften. Demgegenüber stellt etwa die noch vorzustellende Zinsoption ein sogenanntes bedingtes Termingeschäft dar. Der schließlich zu zahlende Zinssatz bei Zins-Futures ist variabel festgelegt. Häufig wird seine Fixierung an LIBOR oder EURIBOR gekoppelt. Entsprechend der Kopplung hängt auch der Gewinn bzw. der Verlust eines Zins-Futures mit der Wertstellung des gekoppelten Referenzzinses zusammen. So ergibt sich die folgende Formel:24 Gewinn = : Preisänderung in Basispunkten25 * Basispunktwert * Kontraktzahl

Je nachdem, ob der Betrachter als Käufer des Zins-Futures fungiert, dann ist der Wert der Preisänderung positiv (+) zu bestimmen, oder als Verkäufer aufgetreten ist, dann entsprechend negativ (-), wird dann durch Einfügung der Differenz zwischen dem Preis und dem Zinswert zum Abrechnungszeitpunkt ein Gewinn oder Verlust errechnet. Entsprechend profitiert der Verkäufer von einem Absinken des variablen Zinssatzes, der Käufer profitiert von einer Erhöhung von ebendiesem. Der Basispunktwert wiederum ergibt sich aus dem Grundbetrag und der Laufzeit der einzelnen Abrechnungsperioden. Gerechnet auf ein Handelsjahr stellt sich dies wie folgt dar:26 Basispunktwert = 0,01 % * (t / 360 Tage27) * Grundbetrag

Der Gewinn bzw. Verlust bei der Abrechnung von Zins-Futures ist somit unmittelbar mit dem variablen Zinswert verknüpft. Da der als Stammwert dienende Grundbetrag rein fiktiv ist, besteht die Möglichkeit auch ohne unmittelbaren Kapitaleinsatz hohe Grundwerte zu vereinbaren. Entsprechend dieser hohen Bezugsbeträge bedingen schon geringe Abweichungen des Zinswertes häufig eine signifikante Veränderung am Profitergebnis. Zins-Futures sind börsengehandelte Finanzinstrumente und unterliegen entsprechend den dortigen Regularien. Insbesondere wird auf die Bereitstellung ausreichender Sicherheiten geachtet. Insgesamt bedingt die Regulierung eine Einschränkung der Flexibilität bei der Vereinbarung, wodurch häufig eher auf die OTC gehandelten Forwards zurückgegriffen wird, die im Folgenden vorgestellt werden.

24

Nach Bösch, Derivate (2014), S. 196. Ein Prozent besteht aus 100 Basispunkten, ein Basispunkt beträgt somit 0,01 %. Der „Preis“ ist hierbei der Zinswert. 26 Nach Bösch, Derivate (2014), S. 196; ein entsprechendes Beispiel bietet auch Hull, Options, Futures and other Derivatives (2015), S. 140 f. 27 Das Handelsjahr hat nur 360 Tage, im Gegensatz zum Kalenderjahr mit 365 Tagen. Teilweise werden auch andere Zeitrechnungen zugrunde gelegt, beispielhaft für unterschiedliche Methoden etwa Hull, Options, Futures and other Derivatives (2015), S. 132 f. Für das hier zu vermittelnde Grundverständnis ist diese Frage jedoch nicht weiter relevant. 25

30

B. Grundlagen und Begrifflichkeiten

bb) Forward Rate Agreements Forward Rate Agreements (FRA) vereinbaren für einen bestimmten zukünftigen Zeitpunkt die Aufnahme von gegenseitigen Zinszahlungen. Hierbei wird der Zinssatz der einen Seite schon bei Abschluss bestimmt, der der anderen Partei erst zum Abrechnungszeitpunkt auf Grundlage eines vereinbarten Referenzwertes. Die errechnete Zinsbelastung wird dann unmittelbar verrechnet, die Differenz ausgezahlt. Diesen Vorgang bezeichnet man als Zins-Fixing. Trotz vorhandener Gemeinsamkeiten mit dem Zins-Future unterscheidet sich das FRA jedoch in einigen Punkten von diesem. Zum einen wird es OTC gehandelt, was den Vertragsparteien bei der Vertragsgestaltung einen größeren Gestaltungsspielraum zugesteht. In der Praxis führt die außerbörsliche Handelbarkeit im Übrigen mangels der Pflicht zur Stellung von Sicherheiten zu einem höheren Ausfallrisiko, was sich regelmäßig in einem Risikozuschlag niederschlagen wird.28 Darüber hinaus werden Futures täglich abgerechnet und ausgezahlt („Mark-to-Market-Bewertung“29), während für das FRA nur ein fester Abrechnungszeitpunkt besteht.30 Auf das finanzielle Endresultat hat dies, abgesehen von eventuell denkbaren Zinsvorteilen durch frühere Verfügbarkeit, allerdings keine Auswirkung.31 Die Wertstellung des FRA ergibt sich aus der Differenz der beiden vereinbarten Zinswerte bezogen auf Nominalwert und Zeitraum. Es gilt:32 Ausgleichszahlung = Nominalwert * (Referenzzins – FRA-Zinssatz) * (t / 360 Tage)

In der Praxis wird dieser Wert, da er bereits zu Beginn der Zinsperiode ausgezahlt wird und somit früher verfügbar ist, als dies bei einer normalen Verzinsung über eine gewisse Laufzeit der Fall wäre, noch entsprechend dem aktuellen Zinssatz diskontiert. Dies hat für die Einflussnahme des Referenzzinses auf die Wertstellung jedoch keine Relevanz und wird daher an dieser Stelle bzw. auch in der noch ausstehenden rechtlichen Bewertung nicht weiter vertieft.33 cc) Zins-Swaps Bei den sogenannten Zins-Swaps vereinbaren die Geschäftspartner sich gegenseitig einen bestimmten Zinssatz auf einen festgelegten fiktiven Grundgeldwert zu bestimmten Abrechnungsterminen zu zahlen.

28

Bösch, Derivate (2014), S. 201. Bösch, Derivate (2014), S. 196. 30 Beispielhaft zu den konkreten Unterschieden eines Eurodollar Futures zu einem FRAvgl. Hull, Options, Futures and other Derivatives (2015), S. 142 f. 31 Bösch, Derivate (2014), S. 165 f. 32 Nach Bösch, Derivate (2014), S. 200. 33 Eine Darstellung der Berechnung des Diskontierungsfaktors und seiner Einbeziehung in den Ausgleichsbetrag findet sich bspw. bei Bösch, Derivate (2014), S. 201. 29

I. Begriffsbestimmungen

31

Bei der verbreitetsten Variante, dem sogenannten Plain-Vanilla-Swap34, wird hierbei ein Zins als fester Wert gesetzt; dieser Wert wird als Swapzinssatz bezeichnet.35 Im Gegenzug erhält derjenige, der zu dieser Festzinszahlung verpflichtet ist, der sogenannte Payer, von dem Empfänger des Swapzinssatzes, bezeichnet als Receiver, einen variabel festgelegten Zinssatz. Für diesen kommt zum Beispiel eine Anknüpfung an LIBOR oder EURIBOR in Betracht, was in der Praxis auch tatsächlich bevorzugt vorgenommen wird. An festgelegten Abrechnungsterminen werden die geschuldeten Summen verrechnet, entsprechend der sich ergebenden Differenz erfolgt eine Auszahlung. Es besteht also eine unmittelbare Verknüpfung zwischen dem Wert des Referenzzinses und der Wertstellung des Zins-Swaps. Durch die Verwendung solcher Zins-Swaps soll eine Absicherung gegen Zinsrisiken erreicht werden, praktisch kommen sie allerdings häufig auch spekulativ zum Einsatz.36 Zins-Swaps werden ebenfalls OTC gehandelt und sind somit in ihrer Gestaltung frei. Sie ähneln grundsätzlich den zuvor vorgestellten FRA, letztlich kann ein Swap gleichwertig durch mehrere aufeinanderfolgende FRAs ersetzt werden.37 dd) Zinsoptionen Grundsätzlich bieten Optionen, wie die Bezeichnung bereits andeutet, ihrem Inhaber die Möglichkeit, an einem oder auch bis zu einem festgelegten Zeitpunkt ein Geschäft zu bestimmten Konditionen abzuschließen, ohne dass der Vertragspartner auf diese Entscheidung noch Einfluss ausüben kann.38 Auch Optionen auf Zinswerte sind ein gehandeltes Finanzinstrument. Besondere Verbreitung und auch besondere Relevanz für das hier bearbeitete Thema besitzen die sogenannten Caps und Floors. Bei dieser Untergruppe der Zinsoptionen garantiert die eine Seite der anderen eine bestimmte Zinsober- bzw. -untergrenze bezogen auf einen bestimmten Referenzzins. Wird dieser als Cap (Obergrenze) oder Floor (Untergrenze) bezeichnete Wert überbzw. unterschritten, ist der eine dem anderen Teil zum Ausgleich in Höhe der Abweichung verpflichtet, weil dieser dann seine entsprechende Option wahrnehmen wird.39 Hierfür erhält der Ausgleichsverpflichtete bereits bei Vertragsabschluss eine feste Zahlung als Gegenleistung. Als Zinssatz für solche Optionskontrakte wird oft ebenfalls auf einen Referenzzins wie LIBOR oder EURIBOR zurückgegriffen. Besonderheit der Zinsoptionen ist somit, wie bei Optionen generell, dass das Risiko einseitig verteilt ist. Durch den Festpreis ist der Verlust für die eine Vertragsseite fixiert, für die Gegenseite durch die grundsätzlich nicht gedeckelte Ab34

Begriff verwendet nach Deutsch/Beinker, Derivate und Interne Modelle (2014), S. 291. Bitz/Stark, Finanzdienstleistungen (2015), S. 138. 36 Zu den verschiedenen Einsatzmöglichkeiten etwa Lederer, Aufklärungspflichten bei strukturierten Swaps (2017), S. 19 ff. 37 Bitz/Stark, Finanzdienstleistungen (2015), S. 141. 38 Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzmarktinstrumente (2010), S. 21 ff. 39 Bitz/Stark, Finanzdienstleistungen (2015), S. 141 ff. 35

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B. Grundlagen und Begrifflichkeiten

weichungsmöglichkeit des Zinssatzes von dem vereinbarten Grenzzinswert, der als Strike bezeichnet wird, zumindest in der Theorie jedoch unbegrenzt.40 Eine Beeinflussung der Zahlungsströme durch Veränderung des Referenzzinses ist auch hier denkbar, indem dieser weiter über den Grenzwert gehoben bzw. gesenkt wird. Gleichwohl besteht auch die Möglichkeit, dass eine Verschiebung des Referenzzinses keine Auswirkungen für bestimmte Zinsoptionen hat, weil die entsprechenden Schwellenwerte nicht erreicht werden. Hier unterscheiden sich Zinsoptionen von den zuvor vorgestellten Derivate, bei denen sich jede Referenzwertänderung zwangsläufig in der Abrechnung niederschlägt. ee) Zusammenfassung Wie dargestellt unterscheiden sich die vier vorgestellten Derivatstypen zwar in ihrer Funktionsweise im Einzelnen, sind aber allesamt stark von der Wertstellung von Referenzzinsen beeinflusst. In der Praxis kommen LIBOR und EURIBOR häufig zur Anwendung in diesen Derivaten. Zwar variiert die Methodik der Einbeziehung des Referenzwertes als variabler Faktor mehr oder weniger stark. Ihnen ist allerdings gemein, dass eine Modifikation der Bezugsgröße regelmäßig auch eine entsprechende Veränderung des (finanziellen) Endergebnisses bewirkt.

II. Historischer Sachverhalt der Referenzwert-Manipulationen Die Aufdeckung der weitreichenden Manipulationen an Referenzwerten auf den Finanzmärkten begann mit Ermittlungen und den daraus resultierenden Entdeckungen von Unregelmäßigkeiten bei den Referenzzinsen LIBOR und EURIBOR. Zum besseren Verständnis der Vorgänge und ihrer Hintergründe erfolgt daher zunächst eine kurze Zusammenfassung des zugrundliegenden historischen Sachverhaltes.41 Im April und Mai 2008 zogen Journalisten des amerikanischen Wall Street Journal die Unabhängigkeit der Ermittlung von verschiedenen Referenzzinsen in Zweifel und äußerten den Verdacht einer Manipulation des LIBOR durch verschiedene Banken, die, so der erhobene Vorwurf, dadurch ihre eigene Handelsposition verbessern wollten.42 Daran anknüpfend folgten verschiedene wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen und Analysen, die zu ähnlichen Ergebnissen

40

Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzmarktinstrumente (2010), S. 24. Übersichtlich zu den historischen Vorgängen (mit einem gewissen Fokus auf den britischen Sektor) und auch den folgenden Reformen s. a. Yeoh, JFC 2016, 1140, 1142 ff. 42 Mollenkamp/Whitehouse, The Wall Street Journal, Study Casts Doubt on Key Rate, 29. 05. 2008, abrufbar unter: https://www.wsj.com/articles/SB121200703762027135 (geprüft am 23. 11. 2017). 41

II. Historischer Sachverhalt der Referenzwert-Manipulationen

33

gelangten und den Verdacht somit erhärteten.43 Schließlich nahmen verschiedene nationale und internationale Aufsichtsbehörden Ermittlungen auf. So etwa die amerikanische SEC und die britische FSA,44 sowie im Herbst 2011 schließlich auch die Europäische Kommission.45 Im Juli 2012 verständigte sich die Barclays Bank mit Aufsichtsbehörden aus Großbritannien und den USA auf Strafzahlungen in Höhe von insgesamt 450 Mio. US-$.46 Die konkreten Vorgänge wurden umfassend dargelegt und auch veröffentlicht. Über einen Zeitraum von 2001 bis 2010 waren die der Sammelstelle gemeldeten Werte systematisch manipuliert und zudem auch die Übermittler anderer Banken zur Meldung falscher Werte motiviert worden. Die Manipulationen gingen zum einen auf die Aufforderung von Händlern der eigenen oder auch dritter Banken zurück, die damit für sie günstige Bedingungen hinsichtlich derivativer Positionen schaffen wollten. Zum anderen war es das Bestreben des Managements, im Rahmen der Finanzkrise angesichts der verbreiteten Zweifel an der Liquidität der großen Banken ein positives Außenbild bezüglich der eigenen Bonität zu erreichen. Darüber hinaus kam es in einigen Fällen zu Informationsaustausch zwischen den Marktteilnehmern, sowohl Banken als auch Brokern, über ihre Bewertung der Lage auf dem Markt für Finanzderivate und ihr weiteres Vorgehen auf demselben. In der Folge verhängten die Bankenaufsichten weitere Strafzahlungen; dies nicht nur gegen Barclays, sondern auch gegen andere Finanzinstitute. Die Maßnahmen umfassten auch strafrechtliche Konsequenzen für einzelne Mitarbeiter.47 Im Dezember 2013 gab die Europäische Kommission den Abschluss einer Vereinbarung mit acht Banken – darunter auch die Deutsche Bank – bekannt, in deren Rahmen diese Finanzinstitute mit einer Gesamtstrafe in Höhe von 1,71 Mrd. Euro belegt wurden.48 Anders als zuvor die Bankenaufsichten, die maßgeblich auf die jeweiligen nationalen Sanktionsregelungen zu Finanzmarktmanipulationen abge43 So insbesondere Abrantes-Metz/Kraten/Metz u. a., J. Banking Finance 2012, 136, 136 ff.; daneben erfolgte eine Vielzahl weiterer Untersuchungen, bspw. Fouquau/Spieser, J. Banking Finance 2015, 632, 634 ff. Vor dem Eingeständnis seitens der beteiligten Finanzinstitute wurden indes auch ökonomische Analysen veröffentlicht, die die Annahme einer Koordination bzw. Einflussnahme als widerlegt ansahen, so etwa Gyntelberg/Woolridge, BIS Q. Rev. 2008, 59, 65 ff. 44 Die FSA wurde zwischenzeitlich in FCA und PRA aufgeteilt, die FCA führt die Ermittlungen fort. 45 Europäische Kommission, Antitrust: Commission confirms inspections in suspected cartel in the sector of Euro interest rate derivatives, 19. 10. 2011, abrufbar unter: http://europa. eu/rapid/press-release_MEMO-11-711_en.htm (geprüft am 23. 11. 2017). 46 Financial Services Authority, Final Notice to Barclays Bank plc, 27. 06. 2012. 47 Bloomberg, Tom Hayes Libor Jail Sentence Cut to 11 Years, Conviction Upheld, 21. 12. 2015, abrufbar unter: https://www.bloomberg.com/news/articles/2015-12-21/hayes-libor-jailsentence-cut-to-11-years-conviction-upheld-iig1k5da (geprüft am 23. 11. 2017). 48 Europäische Kommission, Kartellrecht: Kommission verhängt Geldbußen in Höhe von 1,71 Mrd. EUR für Teilnahme an Zinskartellen in der Derivatebranche, 04. 12. 2013, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-13-1208_de.htm (geprüft am 23. 11. 2017).

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B. Grundlagen und Begrifflichkeiten

stellt hatten, stützte sich die Europäische Kommission auf einen Verstoß der beteiligten Finanzinstitute gegen das in Art. 101 Abs. 1 AEUV verankerte Kartellverbot auf dem Markt für Euro Interest Rate Derivatives (EIRD) und Yen Interest Rate Derivatives (YIRD).49 Dieses Bußgeld stellte zum damaligen Zeitpunkt die höchste durch die Europäische Kommission in einer einzelnen Entscheidung verhängte Kartellstrafe dar und wäre ohne kooperationsbedingte Straferlässe noch deutlich höher ausgefallen.50 Gegen drei Banken, Crédit Agricole, HSBC und JPMorgan, die sich dem Vergleich nicht angeschlossen hatten, hat die Europäische Kommission schließlich im Dezember 2016 Strafen in Höhe von insgesamt 485 Millionen Euro verhängt.51 Zuvor hatte sie bereits den Broker ICAP aufgrund von Vermittlungstätigkeiten bei den Manipulationen im Februar 2015 mit einem Bußgeld in Höhe von 14,9 Millionen Euro bestraft.52 Diese Entscheidung wurde jedoch durch das EuG im November 2017 aufgrund unzureichender Beweisführung und Fehler in der Darlegung der Bußgeldberechnung in weiten Teilen aufgehoben, hinsichtlich der materiell-rechtlichen Begründung allerdings bestätigt.53 Im Oktober 2014 wurde im Rahmen eines weiteren Vergleichsverfahrens zudem ein Kartellbußgeld gegen die Bank JPMorgan in Höhe von 61,6 Mio. Euro für Manipulationen des LIBOR für Schweizer Franken erlassen. Die Royal Bank of Scotland (RBS), gegen die diesbezüglich ebenfalls ermittelt worden war, wurde von eine Strafe aufgrund der Kronzeugenregelung freigestellt.54 Zusätzlich wurden gegen die RBS, UBS, JPMorgan und die Credit Suisse auch im Zusammenhang mit konkreten Absprachen über die außerbörslichen Handelspreise von Zinsderivatskontrakten Kartellstrafen festgesetzt.55 Auf Basis des Kartellrechts wurde schließlich auch die schweizerische WEKO aktiv und verhängte im Dezember 2016 gegen vier Finanzinstitute im Vergleichsverfahren Bußgelder in

49 Vgl. im Einzelnen die entsprechenden Settlement-Entscheidungen: Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 12. 2013, Case AT.39861 – YIRD; Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 12. 2013, Case AT.39914 – EIRD. 50 Vgl. Weitbrecht/Mühle, EuZW 2014, 209, 209 f. Diese Summe wurde zwischenzeitlich durch Bußgelder in Höhe von 2,93 Mrd. Euro im sogenannten LKW-Kartell noch einmal übertroffen, Europäische Kommission, Kartellrecht: Kommission verhängt Geldbuße in Höhe von 2,93 Mrd. EUR gegen Lkw-Hersteller, 19. 07. 2016, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/ press-release_IP-16-2582_de.htm (geprüft am 23. 11. 2017). 51 Europäische Kommission, Antitrust: Kommission verhängt Geldbußen gegen Crédit Agricole, HSBC und JPMorgan Chase in Höhe von 485 Mio. EUR für Euro-Zinsderivatekartell, 07. 12. 2016, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-4304_de.htm (geprüft am 23. 11. 2017). 52 Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 – YIRD. 53 EuG, Urt. v. 10. 11. 2017, Rs. T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795 – ICAP. 54 Europäische Kommission, Entsch. v. 21. 10. 2014, Case AT.39924 – CHFIRD: CHF LIBOR. 55 Europäische Kommission, Entsch. v. 21. 10. 2014, Case AT.39924 – CHFIRD: Bid Ask Spread Agreement.

II. Historischer Sachverhalt der Referenzwert-Manipulationen

35

Höhe von insgesamt 48,3 Millionen CHF. Gegen weitere Banken bzw. Broker dauern die Ermittlungen an.56 Ergänzt wurden die vielfältigen Sanktionen durch die Einführung einer spezifischen kapitalmarktrechtlichen Regelung auf EU-Ebene. Im Rahmen der neuen Marktmanipulationsverordnung wurde die Referenzwertmanipulation durch Falschangaben bei hierfür erhobenen Daten ausdrücklich als Fall der Marktmanipulation in Art. 12 Abs. 1 lit. d) i. V. m. Art. 15 MAR erfasst.57 Flankiert wird das hoheitliche Vorgehen durch Privatklagen geschädigter Anleger. In den USA ergingen hierzu Beschlüsse erstinstanzlicher Gerichte. Dort wurde ein Anspruch basierend auf Marktmanipulationsverbotsgesetzen für möglich gehalten, auf kartellrechtlicher Grundlage allerdings zunächst abgelehnt.58 Diese Entscheidung wurde durch das Berufungsgericht jedoch aufgehoben, die Klagen müssen weiter verhandelt werden.59 Zum Teil kam es zwischen den Parteien in der Folge zum Abschluss von Vergleichen in mehrstelliger Millionenhöhe.60 Ähnliche Vorwürfe wurden auch für andere Referenzwerte auf dem Finanzmarkt erhoben. So etwa hinsichtlich einer angeblichen Manipulation des sogenannten London Fix, eines Referenzwertes für Goldpreise, und des WM/Reuters Fix,61 der einen Referenzwert für den Devisenmarkt darstellt. Anfang September 2014 wurde zudem gegen mehrere Finanzinstitute aufgrund einer möglichen Beeinflussung des Zinsswapreferenzwertes ISDAfix Klage vor einem US-amerikanischen Gericht eingereicht.62 Allein in Bezug auf diesen Referenzwert hat die US-amerikanische

56 WEKO, WEKO büsst Banken wegen Teilnahme an Yen LIBOR/Euroyen TIBOR-Kartellen, 21. 12. 2016, abrufbar unter: https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/4 6698.pdf (geprüft am 23. 11. 2017); WEKO, WEKO büsst das Schweizer Franken LIBORKartell, 21. 12. 2016, abrufbar unter: https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attach ments/46692.pdf (geprüft am 23. 11. 2017). 57 Ausführlicher zur kapitalmarktrechtlichen Erfassung und möglicher Konkurrenzproblematiken zum Kartellrecht unten S. 152 ff. 58 In re: LIBOR-Based Financial Instruments Antitrust Litigation, 935 F.Supp.2d 666 (S.D.N.Y. 2013); Laydon v. Mizuho Bank, Ltd. et al, No. 12-cv-3410 (S.D.N.Y. 2014). 59 Gelboim v. Bank of Am. Corp., 823 F.3d 759 (2d Cir. 2016). 60 Vgl. bspw. Reuters, Citi, Deutsche Bank, HSBC agree to pay $ 132 million to settle Libor claims, 13. 10. 2017, abrufbar unter: https://www.reuters.com/article/us-libor-settlement/citideutsche-bank-hsbc-agree-to-pay-132-million-to-settle-libor-claims-idUSKBN1CH36N (geprüft am 23. 11. 2017). 61 Näher zur Funktionsweise des WM/Reuters Fix und der kartellrechtlichen Bewertung der Einflussnahme auf diesen noch unten auf S. 136 ff. 62 Reuters, UBS traders charged, bank fined $ 1.5 billion in Libor scandal, 19. 12. 2012, abrufbar unter: http://www.reuters.com/article/2012/12/19/us-ubs-libor-idUSBRE8BI0002012 1219 (geprüft am 23. 11. 2017).

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B. Grundlagen und Begrifflichkeiten

Finanzaufsichtsbehörde CFTC bis Februar 2017 Bußgelder in Höhe von insgesamt 570 Millionen US-$ verhängt.63 Schon diese Beispiele zeigen die hohe Relevanz der immer noch nicht abgeschlossenen rechtlichen Aufarbeitung, als deren Folge bereits Sanktionen verhängt wurden, die marktübergreifend im zweistelligen Milliardenbereich liegen dürften. Auch die Manipulationen auf dem Währungsmarkt hatten überdies strafrechtliche Konsequenzen für beteiligte Einzelpersonen.64 Für die Zukunft sind neben weiteren Maßnahmen der Aufsichtsbehörden und Entscheidungen zu Privatanlegerklagen insbesondere für das europäische Kartellrecht entsprechende Gerichtsverfahren infolge von Klagen gegen die nun durch die Europäische Kommission ergangenen Strafmaßnahmen zu erwarten. Auch mit der Entscheidung des EuG in der Sache ICAP65 im November 2017 dürfte diese Entwicklung noch nicht zu einem Ende gekommen sein.

63 CFTC, CFTC Orders The Royal Bank of Scotland to Pay $ 85 Million Penalty for Attempted Manipulation of U.S. Dollar ISDAFIX Benchmark Swap Rates, 03. 02. 2017, abrufbar unter: http://www.cftc.gov/PressRoom/PressReleases/pr7527-17 (geprüft am 23. 11. 2017). 64 Reuters, U.S. jury finds ex-HSBC executive guilty of fraud in $ 3.5 billion currency trade, 23. 10. 2017, abrufbar unter: https://www.reuters.com/article/us-hsbc-usa-crime/ex-hsbc-executi ve-found-guilty-of-fraud-in-3-5-billion-currency-trade-idUSKBN1CS295 (geprüft am 23. 11. 2017). 65 EuG, Urt. v. 10. 11. 2017, Rs. T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795 – ICAP.

C. Kartellrechtliche Bewertung I. Einführung Nähert man sich nach Darstellung der erforderlichen Grundlagen hinsichtlich der Begrifflichkeiten und der Funktionsweise der verschiedenen Finanzinstrumente nunmehr der kartellrechtlichen Bewertung, so gilt es auch hier, zunächst Grundsätzliches zu klären. Insbesondere in Fällen, die die Randbereiche einer Verbotsnorm wie des Kartellverbots des Art. 101 Abs. 1 AEUV tangieren, ist es zweckdienlich, zunächst zu verdeutlichen, welchen Schutzzweck diese Norm überhaupt verfolgt. Auf Basis dieser Erkenntnis kann dann ermittelt werden, ob ein konkreter Eingriff auf ihrer Grundlage vor diesem Zweck noch gerechtfertigt werden kann. Entsprechend wird eine diesbezügliche Erörterung in der möglichen Kürze den folgenden Ausführungen voran gestellt. Nach einer kurzen Behandlung begleitender Problematiken der Anwendung des Kartellverbots im Zusammenhang mit der Referenzzinsmanipulation, wie sie den Sachverhalten bei LIBOR und EURIBOR zugrunde lag, folgt die materiell-rechtliche Qualifizierung. Den Einstieg soll hierbei – der rechtlichen Einschätzung der Europäischen Kommission zumindest zur Orientierung folgend66 – die Prüfung einer Qualifikation als Preismanipulation i. S. d. Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV mit Blick auf die Wertstellung von Zinsderivaten bieten. In der Folge wird darüber hinaus unabhängig von diesem Regelbeispiel die Bewertung der bloßen Marktauswirkung einer solchen Referenzwertmanipulation unter dem Stichwort der Wettbewerbsverfälschung analysiert und dabei auch auf mögliche Alternativen zur rechtlichen Bewertung eingegangen. Auch die unterschiedliche Motivlage der beteiligten Finanzinstitute wird hierbei berücksichtigt. Abschließend werden weitere mögliche Ansatzpunkte für kartellrechtliche Bedenken in den Blick genommen.

66 Vgl. zur kartellrechtlichen Beurteilung durch die Europäische Kommission die entsprechenden materiell-rechtlichen Ausführungen in den Entscheidungen zur Referenzzinsmanipulation: Europäische Kommission, Entsch. v. 21. 10. 2014, Case AT.39924 Rn. 29 ff. – CHFIRD: CHF LIBOR; Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 12. 2013, Case AT.39861 Rn. 66 ff. – YIRD; Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 12. 2013, Case AT.39914 Rn. 43 ff. – EIRD. Einen differenzierteren Ansatz mit verschiedenen Vorwürfen verfolgt die Europäische Kommission in der späteren Entscheidung gegen den Broker ICAP. Auch dort ist der Vorwurf der Preisabsprache jedoch zentral, vgl. Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 198 ff. – YIRD.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

II. Schutzzwecke des Kartellverbots 1. Allgemeines Vor einer Befassung mit den zum Teil bereits angedeuteten kartellrechtlichen Fragestellungen, die sich im Zusammenhang mit den Referenzzinsmanipulationen bzw. der Referenzwertmanipulation allgemein in vielfältiger Weise ergeben, sind Grundlagen für die vorzunehmenden Wertungen zu erarbeiten. Angesichts der – wie im Detail noch aufzuzeigen sein wird – durchaus nicht unbedingt eindeutigen Anwendbarkeit des Kartellverbots, ist zunächst zu analysieren, welcher Zweck bzw. welche Zwecke mit dem hier möglicherweise einschlägigen Art. 101 Abs. 1 AEUV konkret verfolgt werden. Von dieser Zweckbestimmung wird die Auslegung der Tatbestandsmerkmale im späteren Teil der konkreten Analyse geprägt sein. Denn insbesondere bei einer weit gefassten bzw. eher abstrakt gehaltenen Norm wie dem Art. 101 Abs. 1 AEUV ist es ohne eine solche Vorarbeit nur eingeschränkt möglich, Grenzfälle überzeugend zu qualifizieren. Erst an solche Vorüberlegungen anknüpfend lässt sich bestimmen, ob die hier behandelte Problematik der Referenzwertmanipulation in den abgesteckten Schutzbereich eingreift bzw. die Schutzgüter der Norm schädigt und somit eine kartellrechtliche Sanktionierung rechtfertigt oder eine Heranziehung des Kartellverbots als Eingriffsgrundlage den durch den Regelungszweck vorgegebenen Rahmen verlassen würde. Daher wird nun in der gebotenen Kürze die Frage untersucht, worin ein solcher Schutzzweck bei Art. 101 Abs. 1 AEUV zu sehen ist.67 Hierbei sind auch die dahinterstehenden wettbewerbspolitischen Prinzipien zu berücksichtigen.68 2. Auslegung des Art. 101 AEUV Die Auslegung einer Norm ist der Ausgangspunkt um ihren konkreten Schutzzweck zu ermitteln.69 Vorliegend ist also der Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Grundlage der klassischen Auslegungsmethoden, also der grammatikalischen70, der histori67

Zum Teil wird im Folgenden auch auf Literatur und Entscheidungspraxis zu anderen wettbewerbsrechtlichen Vorschriften, insbesondere zu Art. 102 AEUV Bezug genommen. Insofern scheint es überzeugend, einen im Wesentlichen einheitlichen Schutzzweck anzunehmen, so dass entsprechende Überlegungen gegebenenfalls übertragbar sind. Vgl. zum Verhältnis von Art. 101 u. 102 AEUV auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 16 Rn. 16 ff. 68 Höft, Die Kontrolle des Ausbeutungsmissbrauchs im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (2013), S. 177 f. 69 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1995), S. 134; insoweit spricht Savigny von der „Rekonstruktion des dem Gesetz innewohnenden Gedankens“, v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band 1 (1840), S. 213, zit. nach Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre (2015), § 7 Rn. 1. 70 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1995), S. 141 ff.; zu den Besonderheiten der grammatikalischen Auslegung auf europäischer Ebene bei der Anwendung

II. Schutzzwecke des Kartellverbots

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schen71, der systematischen72 sowie der teleologischen73 Auslegung zu untersuchen.74 Hierbei sind bestimmte Besonderheiten zu berücksichtigen, die sich aus der europarechtlichen Natur der Norm ergeben. Insbesondere der Historie kommt im europäischen Recht nur eingeschränkte Bedeutung zu. Hintergrund ist der diesbezügliche Wille des europäischen Gesetzgebers, der die Veröffentlichung von Gesetzesmaterialien gezielt unterlassen hat. Besondere Berücksichtigung soll demgegenüber der teleologische Aspekt aufgrund seiner herausgehobenen Bedeutung für die Interpretation des europäischen Primärrechts finden.75 Hier wird aufgrund der engen Verflechtung der Materien auch eine vertiefte Einbeziehung der wettbewerbspolitischen Aspekte maßgeblich werden. Nicht außer Acht bleiben darf auch die Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofes, dessen Aussagen – nicht nur für diese Frage – eine über die aus dem deutschen Rechtskreis für die Rechtsprechung anerkannte hinausgehende Bedeutung zukommt.76 Anzumerken ist, dass die klassischen völkerrechtlichen Auslegungsmethoden – sofern sie nicht ohnehin mit den zuvor genannten Vorgehensweisen übereinstimmen – auf das europäische Primärrecht nach allgemeiner Auffassung mangels Vergleichbarkeit dieses systematisch ausgearbeiteten Vertragsrechts mit den traditionellen völkerrechtlichen Verträgen keine Anwendung finden.77 So würde etwa das die völkerrechtliche Methodik prägende Souveränitätsprinzip der Staaten78 das

durch den EuGH vgl. Pieper, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), HdB EU-WirtschaftsR, 39. EL Stand: Februar 2016, B. I. Rechtsquellen Rn. 11 ff. 71 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1995), S. 149 ff. 72 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1995), S. 145 ff. 73 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1995), S. 153 ff. 74 Zur Anwendbarkeit dieser Kriterien auf das europäische Primärrecht etwa Pechstein/ Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre (2015), § 7 Rn. 1; zur Methodik des EuGH vgl. etwa Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft (1998), S. 143 ff. 75 Zur „Rangfolge“ der Auslegungsmethoden auch Schroeder, JuS 2004, 180, 183; auch die angelsächsische Literatur legt den Fokus auf Systematik und Teleologie, ohne diese entsprechend der deutschen Terminologie eindeutig zu benennen, vgl. Rose/Bailey, in: Rose/Bailey (Hrsg.), Bellamy & Child (2013), 3. EU Competition Law 1.018. 76 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre (2015), § 7 Rn. 14; zur Kompetenz des EuGH etwa Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 41. EL Stand: Juli 2010, Art. 19 EUV Rn. 51. 77 EuGH, Urt. v. 05. 02. 1963, Rs. 26/62, ECLI:EU:C:1963:1 S. 25 – van Gend & Loos; Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre (2015), § 7 Rn. 12; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht (2016), § 9 Rn. 165; Schwarze, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2012), Art. 19 EUV Rn. 36; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft (1998), S. 131 ff. A. A. wohl Bleckmann, NJW 1982, 1177, 1177 ff. 78 Vgl. hierzu etwa Bleckmann, AVR 1985, 450, 450 ff.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

verfolgte Binnenmarktkonzept des Unionsrechts erheblich einschränken.79 Daher werden diese Methodiken im Folgenden keine Berücksichtigung finden. a) Grammatikalische Auslegung80 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet in der aus dem deutschen Recht bekannten Methodik der Wortlaut einer Norm.81 Indes gilt es bei der Auslegung von primärem Europarecht einige Besonderheiten zu beachten, so dass dieser erste Befund für die hier relevante Anwendung nur sehr eingeschränkte Übertragbarkeit besitzt. Zentrales Problem ist hierbei das Fehlen einer allein gültigen sprachlichen Grundlage. Vielmehr gibt es mittlerweile 24 Sprachfassungen, die gem. Art. 55 Abs. 1 EUV allesamt Verbindlichkeit besitzen.82 Dennoch ist der Wortlaut auch im Europarecht grundsätzlich die Basis der Norminterpretation.83 Anerkannt ist hierbei, dass die einzelnen Begrifflichkeiten nicht unter Bezugnahme auf traditionelle Verständnisansätze aus den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen verstanden werden können, das Unionsrecht vielmehr grundsätzlich autonom auszulegen ist.84 Nur ein von den möglicherweise unterschiedlichen Begriffsinterpretationen in den Mitgliedstaaten abgekoppeltes Verständnis ist in der Lage, die notwendige einheitliche Anwendung des Unionsrechts zu gewährleisten. Als Beispiel kann im Wettbewerbsrecht etwa der Begriff des „Unternehmen“ genannt werden, wie er sich auch in Art. 101 Abs. 1 AEUV findet. Dieser ist nach der ganz überwiegenden, überzeugenden Auffassung funktional zu verstehen – und damit im Ergebnis sehr weit gefasst – und orientiert

79 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre (2015), § 7 Rn. 10. 80 Teilweise auch als Wortlautauslegung bzw. als grammatische, exegetische oder semantische Auslegung bezeichnet, vgl. etwa Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht (2004), S. 128. 81 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1995), S. 141 f. 82 Auch in der Literatur wird überwiegend auf die daraus resultierende eingeschränkte Nutzbarkeit hingewiesen, vgl. etwa Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht (2015), Art. 19 EUV Rn. 43; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht (2016), § 9 Rn. 171. Auch der EuGH ist sich der Problematik bewusst, s. etwa EuGH, Urt. v. 06. 10. 1982, Rs. 283/81, ECLI:EU:C:1982:335 Rn. 18 – CILFIT; instruktiv zum Umgang mit solch mehrsprachigen Gesetzestexten vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik II (2012), Rn. 317 ff. 83 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht (2016), § 9 Rn. 170; Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht (2004), S. 133 f. 84 EuGH, Urt. v. 18. 01. 1984, Rs. 327/82, ECLI:EU:C:1984:11 Rn. 11 – EKRO/Produktschap; EuGH, Urt. v. 17. 12. 1980, Rs. 149/79, ECLI:EU:C:1980:297 Rn. 19 – Kommission/Belgien; EuGH, Urt. v. 19. 03. 1964, Rs. 75/63, ECLI:EU:C:1964:19 – Unger; Pechstein/ Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre (2015), § 7 Rn. 18; Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV (2012), Art. 55 EUV Rn. 4.

II. Schutzzwecke des Kartellverbots

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sich nicht etwa an vorhandenen nationalen Definitionen, wie man sie zum Unternehmen etwa im deutschen Handels- und Gesellschaftsrecht findet.85 Insgesamt setzt der Wortlaut für die Auslegung, die dann entsprechend auf andere Schwerpunkte gestützt werden muss,86 den notwendigen Rahmen, wie es insbesondere für eine Verbotsnorm wie den Art. 101 Abs. 1 AEUV obligatorisch ist.87 Entsprechend mag ihm zwar nicht die aus dem deutschen Recht gewohnte, ausgeprägte Bedeutung zukommen, indes ist er auch nicht ohne jeden Wert für das Verständnis des europäischen Primärrechts bzw. für dessen Interpretation. Betrachtet man den im Fokus stehenden Art. 101 AEUV, so lässt sich der Wortlaut für ein Verständnis des zugrundeliegenden Konzeptes als durchaus eher folgenbasiert und ökonomisch ausgeprägt heranziehen. Insbesondere Art. 101 Abs. 3 AEUV stellt die Entstehung von Effizienzen („Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts“), verknüpft mit der Konsumentenwohlfahrt („unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn“)88 in den Mittelpunkt. Richtigerweise wird darauf hingewiesen, dass diese Ausnahmeregelung durch ihre Konzeption der allgemeinen ersten Prüfung im Rahmen des Art. 101 Abs. 1 AEUV schon aus Systemgründen vorrangig ist.89 Entsprechend scheint vom bloßen Wortlaut her einer Effizienzenanalyse durchaus ein gewisses Gewicht zuzukommen. Unterstützt wird diese Erkenntnis im Übrigen von Formulierungen, die sich in anderen Teilen des europäischen Kartellrechts finden. So wird etwa der Berücksichtigung von Effizienzen ausdrücklich im 29. Erwägungsgrund der FKVO90 eine gewisse Bedeutung für diesen Bereich zugewiesen.91 Ähnliches gilt für die Missbrauchskontrolle; auch dort können durch das zu prüfende Verhalten entstehende Effizienzen bei der Anwendung

85 Hengst, in: Langen/Bunte (Hrsg.), Kartellrecht (2018), Art. 101 AEUV Rn. 6; Kling/ Thomas, Kartellrecht (2016), § 4 Rn. 17 f.; s. a. Europäische Kommission, Entsch. v. 02. 07. 2002, ABl. 2003 L 255, 1 Rn. 229 – Methionin. 86 Auch der EuGH spricht insoweit davon, er könne sich „(…) nicht mit einer wörtlichen Auslegung begnügen.“, EuGH, Urt. v. 16. 12. 1960, Rs. 6/60, ECLI:EU:C:1960:48 – Humblet. 87 Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 47. EL Stand: April 2012, Art. 101 AEUV Rn. 18 spricht von den „Grenzen“, die vorgegeben werden. 88 Wobei in diesem Fall nicht etwa die teilweise unter dem entsprechenden englischen Begriff „consumer welfare“ verstandene Gesamtwohlfahrt zu verstehen ist, sondern tatsächlich nur die jeweilig betroffene Abnehmerseite, vgl. Hertfelder, Die consumer welfare im europäischen Wettbewerbsrecht (2010), S. 59 ff. 89 Höft, Die Kontrolle des Ausbeutungsmissbrauchs im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (2013), S. 181. 90 Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2004 L 24, 1. 91 Vgl. hierzu etwa Montag/Bonin, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Art. 2 FKVO Rn. 312 ff.; instruktiv auch Böge/Jakobi, BB 2005, 113, 114 ff.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

des Art. 102 AEUV in einem gewissen Umfang in die rechtliche Bewertung einbezogen werden.92 Nicht übersehen werden darf allerdings, dass die Ausgangsnormierung des Kartellverbots, der Art. 101 Abs. 1 AEUV selbst, stets den „Wettbewerb“ als Objekt der Analyse nennt, und diesen vor „Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung“93 schützen will. Zumindest an dieser Stelle scheint er eher eine Art Strukturschutz zu beabsichtigen, wobei angesichts der Unbestimmtheit der Begrifflichkeiten ihr ohne Zusammenhang festgestellter Aussagewert freilich überschaubar bleibt.94 Auch ist zu beachten, dass auch die Kapitelüberschrift der Art. 101 – 109 AEUV allein von „Wettbewerbsregeln“95 spricht.96 Keinen tieferen Erkenntnisgewinn bieten angesichts ihrer allgemein gehaltenen Formulierung im Übrigen die Regelbeispiele des Art. 101 Abs. 1 AEUV, die zum Verständnis und zur sachgerechten Anwendung vielmehr ihrerseits einer Interpretation unter Heranziehung der übrigen Auslegungsmethoden bedürfen.97 Insgesamt bietet der Wortlaut der zentralen europäischen Kartellrechtsnormen somit durchaus Argumente, die für einen effektbasierteren Verständnisansatz unter stärkerer Berücksichtigung der ökonomisch zu ermittelnden Gesamtwohlfahrtswirkungen streiten. Der in der Formulierung des Art. 101 Abs. 1 AEUV angelegte Wettbewerbsschutz kann in Einzelfällen durch Art. 101 Abs. 3 AEUV überlagert werden, was letztlich ebenfalls für ein Verständnis der Norm ausgehend von den Ergebnissen der Wettbewerbsprozesse her streiten könnte. Indes ist an die eingeschränkte Bedeutung der Wortlautauslegung zu erinnern, sodass diesen Überlegungen zwar eine Indizwirkung zukommt, als eindeutiger Beleg können sie jedoch nicht dienen. b) Historische Auslegung Auch der historischen Auslegung kommt für das europäische Primärrecht und somit auch für den das Kartellverbot normierende Art. 101 AEUV nur einge92 Allg. zur Effizienzberücksichtigung i. R. v. Art. 102 AEUV vgl. Eilmansberger/Bien, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Art. 102 AEUV Rn. 14 ff. 93 Zur Bedeutung der einzelnen Varianten der Wettbewerbsbeeinträchtigung und möglichen Unterscheidungen zwischen ihnen noch unten, S. 106 f. Ein Aussagewert für die Interpretation des Schutzzweckes ist hieraus gleichwohl ebenfalls nicht zu ziehen. 94 In diese Richtung wohl auch Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason (1997), S. 54 f. 95 So bspw. auch die englische Fassung: „Rules on Competition“, die französische Fassung: „Les Règles de Concurrence“, sowie die niederländische Fassung: „Regels betreffende de Mededinging“. 96 Darauf hinweisend auch Zimmer, Protection of Competition v. Maximizing (Consumer) Welfare, in: Basedow/Wurmnest (Hrsg.), Structure and Effects in EU Competition Law (2011), S. 32. 97 Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason (1997), S. 55 ff.

II. Schutzzwecke des Kartellverbots

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schränkte Bedeutung zu. Dies ist zunächst insbesondere durch den Willen der Vertragsparteien begründet, die zu diesem Zweck von einer Veröffentlichung von begleitenden Unterlagen oder Protokollen abgesehen haben.98 Zwar wurden diese zwischenzeitlich (teilweise) veröffentlicht99 bzw. sind für den neuen Vertrag von Lissabon ohnehin zugänglicher als bei den vorherigen Vertragsversionen.100 Letztlich sprechen aber, über den anscheinenden Unwillen der Vertragsparteien gegen eine solche Interpretationsgrundlage hinaus, noch weitere Gründe für die Begrenzung des Einflusses der historischen Auslegung auf eine bloße Nebenrolle. So ist zu bedenken, dass das Unionsrecht stets einem dynamischen Wandel durch die fortschreitende Verwirklichung des europäischen Integrationsprozesses ausgesetzt ist.101 Zudem ist die Erarbeitung vertraglicher Bestimmungen auf europarechtlicher Ebene einer noch stärkeren politischen Prägung und Wandlung unterworfen, als dies schon auf nationaler Ebene der Fall ist.102 Richtigerweise wird zudem darauf hingewiesen, dass schon die Feststellung der Person des Gesetzgebers in der historischen Analyse bei europäischen Rechtsakten kaum so deutlich ausfallen dürfte, wie man dies aus dem nationalen Recht gewohnt sein könnte.103 Zu diesen beiden Aspekten ist zusätzlich zu beachten, dass neu beigetretene Mitgliedsstaaten jeweils nicht an den älteren Fassungen beteiligt waren, diesen dennoch Einfluss auf die Entstehung späterer oder die Interpretation aktueller Quellen zukommt.104 Insofern zeigt sich, dass die historische Auslegung sowohl in ihrer subjektiven als auch in ihrer objektiven Ausprägung105 keine tragende Rolle für die Interpretation des europäischen Primärrechts einnehmen kann.106 98 So etwa auch Wegener, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV (2016), Art. 19 EUV Rn. 14; Höft, Die Kontrolle des Ausbeutungsmissbrauchs im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (2013), S. 191; Schwarze, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2012), Art. 19 EUV Rn. 37; teilweise wird sich auch für eine Heranziehung eigentlich nicht zur Veröffentlichung bestimmter Dokumente ausgesprochen, so etwa Leisner, EuR 2007, 689, 696 f. 99 Eine Sammlung kartellrechtsrelevanter Begleitdokumente findet sich etwa bei Schulze/ Hoeren (Hrsg.), Dokumente zum Europäischen Recht – Band 3: Kartellrecht (bis 1957) (2000). 100 Auf diesen Umstand hinweisend etwa Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre (2015), § 7 Rn. 34; auch der EuGH zieht die Entstehungsgeschichte nun zumindest vereinzelt heran, s. etwa EuGH, Urt. v. 27. 11. 2012, Rs. C-370/12, ECLI:EU:C:2012:756 Rn. 134 f. – Pringle. 101 So auch Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht (2015), Art. 19 EUV Rn. 47; Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre (2015), § 7 Rn. 33; Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“ (2008), S. 80 f. 102 Vgl. auch Wegener, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV (2016), Art. 19 EUV Rn. 13. 103 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht (2016), § 9 Rn. 174. 104 Auf diesen Aspekt für die grammatikalische Auslegung hinweisend auch Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV (2012), Art. 55 EUV Rn. 3. 105 Zu dieser Differenzierung, die hier nicht vertieft erläutert werden kann, vgl. etwa Leisner, EuR 2007, 689, 689 f.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

c) Systematische Auslegung Als dritte objektiv ergründbare Auslegungsmethode steht dem Rechtsanwender die Analyse des systematischen Zusammenhangs einer Regelung innerhalb ihres normativen Gesamtgefüges zur Verfügung.107 Auch der EuGH griff in seiner Entscheidungspraxis in der Vergangenheit durchaus auf dieses Mittel zurück.108 Dies erscheint vor dem Hintergrund des Zieles einer kohärenten Rechtsanwendung auch durchaus naheliegend und begegnet nicht den europarechtlichen Sonderproblemen, denen die zuvor thematisierten Auslegungsansätze aus den genannten Gründen ausgesetzt sind. Indes lässt auch die Analyse der normativen Systematik nur wenige Rückschlüsse auf die dem Kartellverbot innewohnenden Zielvorstellungen zu. Zunächst ist systematisch festzuhalten, dass die Gewährleistung eines Systems des unverfälschten Wettbewerbs eine der Zielvorstellung des Unionsrechts darstellt. Dies war bis zum Vertrag von Lissabon auch ausdrücklich in Art. 3 Abs. 1 lit. g) EGV normiert. Dieses Ziel ist nunmehr, insbesondere auf Initiative Frankreichs,109 nur noch in dem Zusatzprotokoll Nr. 27 zum AEUV110 enthalten. Da diesen Protokollen gem. Art. 51 EUV dieselbe Bedeutung wie den Verträgen selbst zukommt, ist gleichwohl von unveränderter Fortgeltung der Bestimmung auszugehen.111 Indes lässt sich aus der Formulierung zwar ein grundsätzliches Bekenntnis zum Wettbewerb entnehmen, nicht jedoch, ob dieser als Ziel oder nur als Mittel verstanden wird. Auch bleibt der Umfang des Begriffes an sich ungeklärt, ebenso der Beitrag des Kartellverbots zu seinem Schutz. Augenfällig ist grundsätzlich die ausdrückliche Einbeziehung von ökonomisch geprägten Aspekten in den Normbereich durch die Regelung der Freistellung in Art. 101 Abs. 3 AEUV, im Gegensatz zu dem in Art. 102 AEUV geregelten Miss106 Mittlerweile scheint der EuGH historischen Auslegungsargumenten zumindest vereinzelt eine Funktion als Hilfsbegründung zuzugestehen, vgl. etwa EuGH, Urt. v. 03. 10. 2013, Rs. C-683/11 P, ECLI:EU:C:2013:625 Rn. 59 – Inuit Tapiriit Kanatami. Ähnl. in der Literatur etwa Wegener, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV (2016), Art. 19 EUV Rn. 14. 107 Hierzu und auch zu den Grenzen dieser Methode übersichtlich Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1995), S. 145 ff. 108 EuGH, Urt. v. 06. 10. 1982, Rs. 283/81, ECLI:EU:C:1982:335 Rn. 20 – CILFIT; EuGH, Urt. v. 21. 02. 1973, Rs. 6/72, ECLI:EU:1973:22 Rn. 22 – Continental Can; So etwa EuGH, Urt. v. 31. 03. 1971, Rs. 22/70, ECLI:EU:1971:23 Rn. 12 – AETR. Neben Fällen mit ausdrücklicher Benennung der Methodik wie den vorangestellten Entscheidungen finden sich auch Fälle einer Anwendung ohne konkrete Bezeichnung, s. hierzu etwa die kurzen Beispiele bei Schroeder, JuS 2004, 180, 182 f. 109 Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 2 Rn. 47. 110 Protokoll (Nr. 27) über den Binnenmarkt und den Wettbewerb, ABl. 2008 C 115, 309. 111 EuGH, Urt. v. 17. 11. 2011, Rs. 496/09, ECLI:EU:C:2011:740 Rn. 60 – Italien/Kommission; Bunte, in: Langen/Bunte (Hrsg.), Kartellrecht (2018), Einl. Rn. 39; Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 2 Rn. 47; Schröter/Voet van Vormizeele, in: von der Groeben/Schwarze/ Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht (2015), Art. 101 AEUV Rn. 73; Immenga/Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Einl EU B Rn. 20; Basedow, EuZW 2008, 225, 225.

II. Schutzzwecke des Kartellverbots

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brauchsverbot, das eine solche (nachträgliche) Ökonomisierung zumindest zunächst nicht zu kennen scheint. Dieser Befund lässt jedoch keine über die bereits zur Auslegung anhand des Wortlautes getroffenen Feststellungen hinausgehenden Schlüsse zu, vermag diese allerdings zumindest zu unterstreichen. Dies gilt ungeachtet der Diskussion, ob der in Art. 101 Abs. 3 AEUV verankerte Gedanke der Möglichkeit einer Rechtfertigung wettbewerbsschädlichen Verhaltens nicht ohnehin auch eine entsprechende Übertragung in den Prüfungsrahmen des Art. 102 AEUV finden kann oder sogar muss.112 Dabei ist aber auch zu beachten, dass Art. 101 Abs. 3 AEUV in lit. a) und lit. b) zum einen eine Einschränkung durch ein Erforderlichkeitserfordernis, zum anderen ein Kriterium zur Sicherung von ausreichendem Restwettbewerb enthält. Auch insoweit bleibt der Wettbewerbsschutz als solcher letztlich durchaus zentral. Für den hier untersuchten Bereich des Kartellverbots nach Art. 101 Abs. 1 AEUV kann man darüber hinaus hervorheben, dass die zweischrittige Konzeption des Art. 101 AEUV grundsätzlich dafür spricht, dass in dem ersten Schritt allein eine wettbewerbsorientierte Herangehensweise propagiert werden soll, die dann in einem zweiten Schritt um entsprechende weitergehende Kriterien, die zu einer Freistellung führen können, Erweiterung findet.113 Andererseits ist hieraus in erster Linie zu folgern, dass im Rahmen des Art. 101 Abs. 1 AEUV eine Abwägung von negativen und positiven Effekten nicht erfolgen kann, wie dies etwa unter der rule of reason im US-amerikanischen Kartellrecht der Fall ist.114 Dies ist letztlich die Frage nach einer möglichen Einschränkung des Anwendungsbereichs. Eine Aussage, vor welcher Art von Eingriffen Art. 101 Abs. 1 AEUV aber schützen soll, also wie sein Anwendungsbereich insofern zu verstehen ist, wird damit noch nicht getroffen. Somit kann auch die Analyse der Systematik zumindest für diese Fragestellung keine eindeutige Antwort geben.

112 Hierzu positiv etwa Höft, Die Kontrolle des Ausbeutungsmissbrauchs im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (2013), S. 185 ff.; Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“ (2008), S. 79 f.; Wessely, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann u. a. (Hrsg.), FK KartellR, 57. EL Stand: April 2005, Anwendungsgrundsätze Art. 82 Rn. 15. 113 Vgl. Fleischer/Zimmer, Effizienzorientierung im Handels- und Wirtschaftsrecht, in: Fleischer/Zimmer (Hrsg.), Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht (2008), S. 31 f. Ausführlicher zur Berücksichtigung von Effizienzen bzw. von Allgemeinwohlaspekten noch unten im Rahmen der Darstellung wettbewerbspolitischer Leitbilder, S. 47 ff. 114 So die wohl h. M., s. nur EuG, Urt. v. 02. 05. 2006, Rs. T-328/03, ECLI:EU:T:2006:116 Rn. 69 – O2 Germany; EuG, Urt. v. 23. 10. 2003, Rs. T-65/98, ECLI:EU:T:2003:281 Rn. 106 f. – Van den Bergh Foods; Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 5 Rn. 224; Säcker/Molle, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Art. 101 AEUV Rn. 84 f. Davon zu trennen ist eine mögliche tatbestandliche Eingrenzung, etwa unter Berücksichtigung eines Immanenzgedankens, vgl. etwa Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 8, Rn. 63 ff.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

d) Teleologische Auslegung Im Mittelpunkt der Auslegung des europäischen Primärrechts steht schließlich in Anknüpfung an die zuvor festgestellte eingeschränkte Nutzbarkeit der anderen Methodiken die Teleologie.115 Diese kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn – wie im hier vorliegenden Fall – die klassischen Ansätze nach v. Savigny zu keinem eindeutigen Ergebnis verhelfen können.116 Sie nimmt auch für den EuGH eine herausgehobene Stellung ein, dieser misst der Verwirklichung der Vertragsziele besondere Bedeutung für seine Rechtsanwendung bei und berücksichtigt diese auch bei der Interpretation von Einzelnormen, also bei der Analyse ihrer Funktion im Gesamtzusammenhang.117 Dies erklärt sich vor dem Hintergrund, dass für den EuGH der effet utile, das Erreichen der größtmöglichen praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts,118 eine zentrale Rolle einnimmt.119 Entsprechend ist eine Interpretation unter Einbeziehung eines solchen Zwecks eine sachdienliche Herangehensweise, da gerade dieser Zweck, der durch die teleologische Auslegung zum Vorschein gebracht werden soll, regelmäßig am ehesten ein Verständnis ermöglichen wird, das sich am wirksamsten in den Dienst der Verwirklichung der Vertragsziele stellt.120 Treffend wird das europäische Recht insofern als „zielbezogen“121 charakterisiert, was die soeben getroffenen Aussagen unterstreicht und zugleich erläutert. Aussagen zu den Zielen der Europäischen Union 115 Wegener, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV (2016), Art. 19 EUV Rn. 16; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht (2016), § 9 Rn. 176. Vgl. allgemein zur dieser Auslegungsmethode Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1995), S. 153 ff. 116 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1995), S. 153 f.; vgl. zur Unzulänglichkeit des ursprünglichen, rein begrifflich geprägten Ansatzes etwa Säcker, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), MüKo BGB (2015), Einleitung Rn. 145. 117 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre (2015), § 7 Rn. 27 ff.; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht (2016), § 9 Rn. 176; beispielhaft für diese Praxis etwa EuGH, Urt. v. 06. 10. 1982, Rs. 283/81, ECLI:EU:C:1982:335 Rn. 20 – CILFIT; EuGH, Urt. v. 21. 02. 1973, Rs. 6/72, ECLI:EU:1973:22 Rn. 22 ff. – Continental Can. 118 Zum Verständnis des EuGH von dieser Begrifflichkeit vgl. auch Mayer, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 41. EL Stand: Juli 2010, Art. 19 EUV Rn. 58; zur Begriffsbestimmung – allgemein und spezifisch durch den EuGH – s. a. Potacs, EuR 2009, 465, 466 ff. 119 Exemplarisch EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991, Rs. C-6/90 u. C-9/90, ECLI:EU:C:1991:428 Rn. 32 – Francovich; EuGH, Urt. v. 06. 10. 1970, Rs. 9/70, ECLI:EU:C:1970:78 Rn. 5 – Grad/ Finanzamt Traunstein; EuGH, Urt. v. 29. 11. 1956, Rs. 8/55, ECLI:EU:C:1956:11 S. 312 – Fédéchar. 120 Teilweise wird aufgrund dieser besonderen Bedeutung, die der effet utile letztlich einnimmt, dieser auch als eigene Auslegungsmethode (des EuGH) interpretiert, so wohl Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 41. EL Stand: Juli 2010, Art. 19 EUV Rn. 57. Letztlich wird es im Ergebnis keinen Unterschied machen, ob man ihn getrennt untersucht oder als Teilaspekt der teleologischen Auslegung, so etwa bei Oppermann/ Classen/Nettesheim, Europarecht (2016), § 9 Rn. 178. 121 Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“ (2008), S. 83 [Hervorhebung im Original].

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enthält zunächst grundsätzlich Art. 2 EUV, insbesondere für das Wettbewerbsrecht daneben auch das bereits angesprochene Protokoll Nr. 27 zum Vertrag von Lissabon. Auf Grundlage dieser Feststellungen wird nun untersucht werden, welcher Telos dem Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV zugeordnet werden kann. In Betracht kommen hier verschiedene Ansätze, die auch allesamt entsprechende Vertreter in Praxis und Wissenschaft finden. Denkbar wäre zunächst ein rein auf den Wettbewerb als Selbstzweck ausgerichtetes Konzept. Die Wettbewerbsregeln – also auch der hier im Mittelpunkt stehende Art. 101 AEUV – dienen nach diesem Verständnis allein dem Schutz des Wettbewerbsprozesses vor unnatürlicher Einflussnahme. Daraus entspringende Wohlfahrtseffekte etwa für die Marktgegenseite oder auch für die Gesamtwirtschaft sind als positive Reflexe dieser Konzeption zu verstehen, stehen aber nicht im Mittelpunkt der Bemühungen. Demgegenüber steht ein ergebnisorientierter Ansatz, der ebendiese als Zielvorstellung hervorhebt und Wettbewerbsregeln in ihren Dienst stellen will. Letztlich sollen entstehende Effizienzen gemessen und mit den Nachteilen abgewogen werden. Das Wettbewerbsrecht würde insoweit verstärkt ökonomisiert. In diesem Zusammenhang findet die Bezeichnung eines more economic approach Verwendung.122 Entsprechend soll im Folgenden bei der Frage nach dem Telos des Art. 101 Abs. 1 AEUV analysiert werden, ob ein bestimmtes wettbewerbspolitisches Konzept dem europäischen Recht als grundlegend zuzuordnen ist, wobei eine kurze Skizzierung der entsprechenden Entwicklungen sachdienlich erscheint.

3. Wettbewerbspolitische Leitbilder a) Allgemeines Bei der Betrachtung der verschiedenen wettbewerbspolitischen Leitbilder, die im Laufe der letzten Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte vertreten wurden und bei Heranziehung der zu der Thematik erschienenen Literatur123 wird schnell deutlich, dass eine wirklich vollständige Darstellung im Rahmen der hier vorgelegten Arbeit weder gelingen kann, noch dass dies angesichts der notwendigen Schwerpunktsetzung anzustreben wäre. So kann schon die Zuordnung der einzelnen Vertreter zu bestimmten Strömungen in der Regel nicht so eindeutig gelingen, wie dies eine textliche Einteilung in entsprechenden Abschnitten suggerieren mag.124 Auch ist zu 122 Vgl. zu den in diesem Zusammenhang teils verwendeten Begrifflichkeiten form-based approach im Übergang zu einem effects-based approach etwa Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 3 Rn. 44. 123 Zur Übersicht s. etwa Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht (2013), S. 3 ff.; Herdzina, Wettbewerbspolitik (1999), S. 106 ff.; eine schematische Darstellung der nach seiner Ansicht erkennbaren Entwicklungslinien bietet Heidrich, Das evolutorisch-systemtheoretische Paradigma in der Wettbewerbstheorie (2009), S. 75 u. S. 118. 124 Zum nach seiner Ansicht letztlich etwas begrenzten Nutzen der Wirtschaftswissenschaften für die Auslegung des Kartellrechts s. a. Dreher, ZG 1987, 312, 322 f.

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beachten, dass die einzelnen Autoren selbst ihre Auffassungen und Erkenntnisse stetiger Entwicklung unterworfen haben, was zum Teil nicht unerhebliche Unterschiede in den über einen längeren Zeitraum durch denselben Verfasser vertretenen Positionen bedingen kann. Jedenfalls die wichtigsten Konzepte sollen in der gebotenen Kürze im Folgenden dennoch vorgestellt werden. Hierbei soll auf eine kleinteilige Unterscheidung einzelner Strömungen zugunsten einer breiteren Einordnung der Zielvorstellungen in die Kategorien des systemtheoretischen und des wohlfahrtsökonomischen Ansatzes gefolgt werden.125 Überzeugend wird insoweit darauf hingewiesen, dass sich die einzelnen Konzepte nur schwierig unter bestimmte Oberbegriffe fassen lassen und hierdurch oft mehr Verwirrung als Klarheit herbeigeführt wird.126 Verzichtet werden soll zudem auf eine vertiefte kritische Würdigung der vorgestellten Theorien. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich zum Teil um rein wertungsmäßige Gewichtungsfragen handelt, erscheint eine Bewertung nach richtig und falsch auch nur eingeschränkt umsetzbar.127 Vielmehr soll im Anschluss an die Darstellung vorrangig untersucht werden, inwieweit sich diese Konzepte in der europäischen Normierung tatsächlich widerspiegeln und insbesondere in der rechtsprägenden Praxis Niederschlag gefunden haben. b) Der vollkommene Wettbewerb Vorranging aus Gründen der Vollständigkeit und des besseren Verständnisses der im Anschluss folgenden und zum Teil hierauf aufbauenden Konzepte soll zunächst die Theorie des vollkommenen Wettbewerbs128 skizziert werden.129

125 Ähnl. etwa Herdzina, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik (1988), S. 23 ff.; ähnl. auch Baetge, Globalisierung des Wettbewerbsrechts (2009), S. 71 ff. Eine kurze Erläuterung dieser Systematik bietet auch (unter teils abweichender Einteilung und Betitelung) Schuhmacher, Effizienz und Wettbewerb (2011), S. 38 Fn. 105. Ähnl. eine Einteilung nach „ergebnisoffenen“ und „ergebnisorientierten“ Konzepten, so etwa Zimmer, WuW 2007, 1198, 1198 ff. Kritisch gegenüber einer solchen zweigliedrigen Unterteilung angesichts einer steigenden Zahl vermittelnder Ansätze ist Ruffner, Neue Wettbewerbstheorie und schweizerisches Kartellrecht (1990), S. 80 f. 126 Vgl. etwa die Beispiele bei Herdzina, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik (1988), S. 21 ff. 127 Ähnl. etwa Künzler, Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit? (2008), S. 285 ff. 128 Teilweise auch als „Theorie des vollständigen Wettbewerb“ oder „Theorie der vollständigen Konkurrenz“ bezeichnet, vgl. etwa Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 2 Rn. 7. Zu beachten ist jedoch, dass etwa die Vertreter des Ordoliberalismus mit der Formulierung „vollständige Konkurrenz“ wiederum etwas anderes beschreiben, vgl. Schuhmacher, Effizienz und Wettbewerb (2011), S. 63. 129 Übersichtlich zur Entwicklung dieser Theorie unter Nennung einiger ihrer bedeutenden Vertreter etwa Cox/Hübener, in: Cox/Jens/Markert (Hrsg.), Hdb Wettbewerb (1981), S. 11 f.

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Es wird von der Zielvorstellung eines atomistisch130 geprägten Marktes ohne relevante Zutrittsschranken, vollkommener Transparenz und totaler Homogenität der Güter ausgegangen. Die Preise entsprechen den Grenzkosten, es wird maximale Allokationseffizienz erreicht.131 Angesichts der Realitätsferne der genannten Voraussetzungen ist dieses Konzept, trotz seiner zeitweise bestehenden Vormachtstellung im ökonomischen Diskurs insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als überholt anzusehen. Selbst bei Bestehen der genannten Voraussetzungen sind diese aufgrund ihrer Statik eher als Zeichen von fehlendem Wettbewerb zu begreifen, denn als wünschenswerte Zielvorstellungen.132 Trotz dieser Kritik dient das Modell der vollkommenen Konkurrenz weiterhin zumindest als Ausgangspunkt für weitergehende Überlegungen, insbesondere für Vertreter der noch zu thematisierenden Chicago School of Antitrust. c) Systemtheoretische Ansätze Zunächst werden nun diejenigen Wettbewerbstheorien näher betrachtet, die den sogenannten systemtheoretischen Ansätzen zugeordnet werden können.133 Die Vertreter dieser Gruppe sind in ihrem Konzept im Wesentlichen frei von bestimmten Zielvorstellungen, die sie mit dem Phänomen Wettbewerb erreichen wollen. Stattdessen zielen sie mehr oder weniger ausschließlich auf die Erhaltung der wettbewerblichen Freiheit als Wert für sich ab, wobei sie davon ausgehen, dass der Wettbewerb in der Folge selbstregulierend die bestmöglichen Ergebnisse eigenständig hervorbringen wird. Dieses Konzept schließt in seinen Grundzügen an die ursprüngliche Nationalökonomie an, wie sie insbesondere von Adam Smith vertreten wurde, wenn dieser die von ihm so bezeichnete „unsichtbare Hand“ des Wettbewerbs beschreibt.134 Hervorzuheben ist, dass hier ein Verständnis des Wettbewerbs als Prozess grundlegend ist, im Gegensatz zu der statischen Betrachtungsweise, wie diese von den Vertretern des Systems der vollkommenen Konkurrenz vorgenommen wurde.135 130

Dies beschreibt die Existenz einer Vielzahl gleich kleiner Wettbewerber. Vgl. bspw. Bishop/Walker, The Economics of EC Competition Law (2010) Rn. 2-009. 132 Vgl. zur Kritik, insbesondere zu der fehlenden Berücksichtigung der Dynamik, etwa Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Rn. 3 Rn. 20. 133 s. a. die schematische Darstellung bei Heidrich, Das evolutorisch-systemtheoretische Paradigma in der Wettbewerbstheorie (2009), S. 118, der indes anders als hier die noch anzusprechende ordoliberale Freiburger Schule getrennt einordnet. 134 Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1784 (Nachdruck Oxford 1976)), S. 455 f. 135 Einen durchaus gewichtigen Unterschied zu den typischen systemtheoretischen Ansätzen – hierzu sogleich – ist in dem Umstand zu sehen, dass Adam Smith eine ergebnisorientierte Sichtweise verfolgt und den Wettbewerbsschutz insofern nicht als Selbstzweck verstanden hat; hierauf hinweisend Baetge, Globalisierung des Wettbewerbsrechts (2009), S. 73; diesbezüglich wohl zurückhaltender aber Schuhmacher, Effizienz und Wettbewerb (2011), S. 34. 131

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Eine vertiefte Prägung gewann der systemtheoretische Ansatz insbesondere durch die Autoren der sogenannten Österreichischen Schule.136 Kennzeichnend ist hierbei die Loslösung von erwünschten Ergebnissen als Resultat der wettbewerblichen Ordnung. Vielmehr solle allein sichergestellt werden, dass der Wettbewerb nicht durch schädliches Marktverhalten in seiner freien Entfaltung beeinflusst werden könnte. Auch die Marktstruktur stellt in der ursprünglichen Konzeption dieser Richtung keinen Faktor dar, der unter Regulierung zu stellen sei, da sich auch diese durch Selbstregulierung optimieren würde.137 Der Wettbewerb wird im Ausgangspunkt nach F. A. v. Hayek als Entdeckungsverfahren beschrieben,138 in dem sich jeder Marktteilnehmer frei bewegen können muss. Diese Bewegungsfreiheit soll durch Einführung bestimmter per-sé-Verbote für wettbewerbsschädlichen Praktiken sichergestellt werden; das Verhalten wird lediglich negativ eingegrenzt, nicht positiv vorgegeben.139 Aufgestellt werden also allgemeine Regeln in Form von Verhaltensverboten anstelle einer auf die Umstände des Einzelfalls und dessen konkreten Wirkungen fokussierten Betrachtung.140 Artverwandt mit diesem Ansatz kann die sogenannte Freiburger Schule141 mit dem von ihr propagierten Ordoliberalismus eingeordnet werden, wenngleich das dortige Konzept von gewissen Unterschieden geprägt ist.142 So steht im Zentrum zwar ebenfalls die Sicherung wettbewerblicher Freiheit vor externen Verfälschungen.143 Diese wird indes zum einen stärker durch eine strukturelle Kontrolle zur 136

Hierzu zählen dogmatisch (soweit eine Zuordnung angesichts der bestehenden vielfältigen Strömungen und Unterschiedlichkeiten, auch unter den folgenden Autoren, versucht werden soll) etwa F. A. v. Hayek, Edwards, Kirzner und Hoppmann. Auch Herdzina lässt sich wohl dieser Richtung zuordnen. 137 Vgl. etwa Clapham, in: Cox/Jens/Markert (Hrsg.), HdB Wettbewerb (1981), S. 139. Dies wird häufig als einer der zentralen Kritikpunkte an dem systemtheoretischen Ansatz vorgebracht, da tatsächlich durchaus auch eindeutig wettbewerbsschädliche Marktstrukturen denkbar erscheinen, vgl. etwa Cox/Hübener, in: Cox/Jens/Markert (Hrsg.), Hdb Wettbewerb (1981), S. 32. Teilweise wird diese Kritik wie etwa bei Herdzina zur Erweiterung der eigenen Theorie aufgenommen und ein „erweiterter systemtheoretischer Ansatz“ vertreten, der auch einen gewissen Schutz der Marktstruktur erfasst, Herdzina, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik (1988), S. 47 ff.; Herdzina, Wettbewerbspolitik (1999), S. 114. Ähnl. etwa Bartling, Leitbilder der Wettbewerbspolitik (1980), S. 60, der ebenfalls die Notwendigkeit zusätzlicher struktureller Maßnahmen betont. 138 Vgl. etwa Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren (1968), in: Streit (Hrsg.), Rechtsordnung und Handelnsordnung (2003), S. 133 f. 139 Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb (1988), S. 292 f.; Clapham, in: Cox/ Jens/Markert (Hrsg.), HdB Wettbewerb (1981), S. 138 f. 140 Herdzina, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik (1988), S. 27. 141 Als wichtige Vertreter dieser Richtung seien beispielhaft Eucken, Böhm und Miksch genannt. 142 Zur Schwierigkeit einer eindeutigen Zuordnung auch Schuhmacher, Effizienz und Wettbewerb (2011), S. 67 f. 143 Eine prägnante Zusammenfassung der Kernpunkte ordoliberaler Wettbewerbspolitik bietet Möschel, in: Gamm/Raisch/Tiedemann (Hrsg.), FS Pfeiffer (1988), S. 712 ff.

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Unterbindung von Marktmacht geprägt.144 Gegebenenfalls werden unterstützend positive Verhaltensanweisungen zur Erreichung bestimmter Marktergebnisse angeordnet.145 Zum anderen ist das Konzept in diesem Zusammenhang insgesamt mit einer bestimmten Zielvorstellung, dem Erreichen der Marktform der vollständigen Konkurrenz,146 verbunden.147 d) Wohlfahrtsökonomische Ansätze Einen etwas anders gelagerten Ansatz – wenn auch in noch breiter gestreuten Facetten – vertreten die Anhänger der zum Teil so bezeichneten wohlfahrtsökonomischen Konzepte.148 Sie unterscheiden sich schon ihrem Ausgangspunkt in einem Aspekt wesentlich von den zuvor dargestellten systemtheoretischen Ansätzen. Dies insofern, als dass nicht der Wettbewerb als solcher im Mittelpunkt steht, sondern der Blick vielmehr auf dessen Ergebnisse gelenkt wird und von dieser Basis aus die hierfür erforderliche bzw. wünschenswerte Marktstruktur und das Marktverhalten bestimmt werden sollen.149 So nennt Clark, der wohl als einer der Wegbereiter in der Entwicklung von der Zielvorstellung eines vollkommenen Wettbewerbs hin zu einem dynamischeren Konzept gesehen werden kann, in seinen anfänglichen Überlegungen zehn zentrale Punkte, die der Wettbewerb seiner Ansicht nach hervorbringen bzw. sichern soll.150 Andere Autoren fassen diese Ziele teilweise weiter zusammen oder weichen in einzelnen Punkten ab, ähneln diesem Ansatz jedoch zumindest in den Kernaussagen.151

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Vgl. etwa das diesbezügliche Konzept bei Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik (2004), S. 291 ff. 145 Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik (2004), S. 295 ff. 146 Indes nicht zu verwechseln mit dem System der vollkommenen Konkurrenz, das zuweilen ebenso bezeichnet wird, s. a. Hildebrand, The Role of Economic Analysis in EU Competition Law (2016), S. 146 Fn. 242. 147 So bspw. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik (2004), S. 254 f. 148 Hierzu sollen nach hier vertretener Einordnung vor allem die Vertreter des noch näher zu erläuternden funktionsfähigen Wettbewerbs gezählt werden, also einerseits etwa Kantzenbach, andererseits auch die Vertreter der Harvard School, so beispielsweise Clark, Mason und Bain. 149 Deutlich wird dies etwa bei Clark, Competition and the Objective of Government Policy, in: Chamberlin (Hrsg.), Monopoly and Competition and their Regulation (1954), S. 323 ff.; Ein entsprechendes Kapitel findet sich auch in seiner auf vorherigen Ausführungen aufbauenden Monographie, Clark, Competition As A Dynamic Process (1961), S. 63 ff. Erste Überlegungen diesbezüglich hatte Clark bereits einige Jahre zuvor veröffentlicht, damals noch unter stärkerer Bezugnahme auf den vollkommenen Wettbewerb, wovon er später zugunsten des in den vorgenannten Werken ausgedrückten dynamischen Verständnis von Wettbewerb abgerückt ist, vgl. Clark, XXX The American Economic Review 241, 241 ff. (1940). 150 Clark, Competition As A Dynamic Process (1961), S. 63 ff. 151 s. z. B. die Auflistung von sechs zentralen Zielen bei Bain, Industrial Organization (1968), S. 500 f.

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Prägend ist ein mehr oder weniger stark ausgeprägter Bezug auf das sogenannte Struktur-Verhalten-Ergebnis-Paradigma.152 Hierbei wird von der Annahme ausgegangen, dass eine bestimmte Marktstruktur zwangsläufig ein bestimmtes Marktverhalten der dort aktiven Wettbewerber hervorbringen würde, das dann wiederum ein bestimmtes Marktergebnis bedingt, wobei zugleich jeweils eine gewisse Wechselwirkung gegeben sein soll.153 Ausgehend von bestimmten gewünschten Ergebnisvorstellungen wäre es nun also möglich, diese durch Eingriffe auf der Struktur- oder auch erst auf der Verhaltensebene zu erzielen.154 Entsprechend votieren die Vertreter dieser Strömung insbesondere für Eingriffe in die Struktur, etwa durch Fusionskontrolle oder sogar aktive Entflechtung, alternativ für aktive Steuerung des Marktverhaltens mittels Unterbindung von Kartellabsprachen und dem Vorgehen gegen Marktmachtmissbrauch.155 Zu beachten ist daneben der Umstand, dass im Rahmen der Zielsetzungen nicht nur klassische ökonomische Effizienzen, wie etwa die Allokations- oder Produktionseffizienz,156 sondern vielmehr auch allgemeinere Aspekte, beispielsweise internationale Wettbewerbsfähigkeit oder die Schaffung von Arbeitsplätzen, einbezogen werden sollen.157 Hier liegt ein durchaus gewichtiger Unterschied zu den zuvor vorgestellten systemtheoretischen Ansätzen und auch zu anderen zielorientierten Konzepten, insbesondere dem der sogenannten Chicago School.

152 Vgl. hierzu Kerber/Schwalbe, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Einl. Rn. 79 f. 153 Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht (2013), S. 76; Kantzenbach/ Kallfass, in: Cox/Jens/Markert (Hrsg.), HdB Wettbewerb (1981), S. 113 ff. Die Schwierigkeit, diese Annahme empirisch zu belegen bietet einen der Hauptansatzpunkte für Kritik an entsprechenden Theorien, prägnant Emmerich, Kartellrecht (2014), § 1 Rn. 26 ff. Möschel, in: Löwisch/Schmidt-Leithoff/Schmiedel (Hrsg.), FS Rittner (1991), S. 415, bezeichnete diese schon vor einiger Zeit sogar als „überkommen“. 154 Zur Verknüpfung von den zuvor angesprochenen Zielvorstellungen und den zur Erreichung vorzunehmenden Maßnahmen unter besonderer Bezugnahme auf die Erkenntnisse von Bain vgl. Kantzenbach/Kallfass, in: Cox/Jens/Markert (Hrsg.), HdB Wettbewerb (1981), S. 110 ff., unter entsprechender schaubildlicher Darstellung auf S. 111. 155 Kerber/Schwalbe, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Einl. Rn. 86. 156 Vgl. zur teils vieldeutigen Begrifflichkeit „Effizienz“ etwa Fleischer/Zimmer, Effizienzorientierung im Handels- und Wirtschaftsrecht, in: Fleischer/Zimmer (Hrsg.), Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht (2008), S. 12 ff. Im Folgenden soll unter Effizienz vorrangig das ökonomische Verständnis gefasst sein. 157 Vgl. zur Schaffung von Arbeitsplätzen etwa Clark, Competition and the Objective of Government Policy, in: Chamberlin (Hrsg.), Monopoly and Competition and their Regulation (1954), S. 333 f. Zu dem Zielkanon auch Kerber/Schwalbe, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Einl. Rn. 84.

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e) Konzept der Chicago School Ebenfalls von Zielvorstellungen ausgehend, allerdings in rein ökonomischer Art in Form von Effizienzmaximierung,158 positionieren sich die Vertreter einer weiteren großen wettbewerbspolitischen Strömung, die unter dem Oberbegriff der Chicago School of Antitrust159 zusammengefasst werden.160 Im Unterschied zu den zuvor angesprochenen wohlfahrtsökomischen Konzepten, wie sie die Autoren der Harvard School oder Kantzenbach vertreten haben, wird ein Ansatz in Form des StrukturVerhalten-Ergebnis-Paradigma aufgrund von Zweifeln an der Existenz solcher kausaler Zusammenhänge abgelehnt.161 So wird insbesondere ein Eingriff in die Marktstruktur zum Erreichen der gewünschten Ziele als schädlich angesehen. Vielmehr wird von einer umfassenden Selbstregulierung der Märkte ausgegangen. Die Entstehung von Marktmacht infolge von Fusionen sei nur Ausdruck einer besonders effizienten Organisationsform und würde sich im Falle fehlender Effizienz langfristig selbst beseitigen.162 Entsprechend wird eine Fusionskontrolle weitestgehend abgelehnt, selbiges gilt für positive Verhaltensanweisungen an die Marktteilnehmer durch Regulierung.163 Lediglich in einem engen Rahmen sollen Verhaltensverbote für horizontale Kartellabsprachen vorgenommen werden,164 vertikale Absprachen bedürfen in der Regel jedoch keiner Kontrolle.165 Ausgangspunkt eines solchen Verständnisses ist hierbei letztlich ebenfalls eine Effizienzenabwägung: Isoliert betrachtete mögliche Nachteile für einzelne Marktakteure, etwa infolge eines Kartells, würden durch eine

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Berücksichtigungsfähig sind hiernach allein Steigerungen der Allokationseffizienz und der Produktionseffizienz, vgl. Hildebrand, The Role of Economic Analysis in EU Competition Law (2016), S. 132. 159 Zu dieser Begrifflichkeit s. Posner, 127 U. Pa. L. Rev. 925, 925 f. (1978). Dort wird Director als Begründer dieser Richtung benannt. Als weitere Vertreter seien beispielhaft Bork, Posner oder Stigler genannt. 160 Letztlich steht die Chicago School somit sogar eher den systemtheoretischen Ansätzen nahe, wenngleich eine Zuordnung angesichts der aufzuzeigenden Unterschiede ungenau wäre, vgl. a. Heidrich, Das evolutorisch-systemtheoretische Paradigma in der Wettbewerbstheorie (2009), S. 87 f. 161 Kerber/Schwalbe, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Einl. Rn. 91. 162 Kerber/Schwalbe, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Einl. Rn. 92; s. a. Bork, The Antitrust Paradox (1978), S. 220 ff. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Chicago School das Bestehen von tatsächlichen Marktzutrittsschranken zumindest als pauschale Annahme bestreitet. Zu Investitionskosten in Infrastruktur und Werbung etwa Posner, 127 U. Pa. L. Rev. 925, 929 ff. (1978). 163 In bestimmten Fällen wird eine Fusionskontrolle dennoch als zulässig anerkannt, vgl. Posner, 127 U. Pa. L. Rev. 925, 928 (1978). 164 Hierzu etwa Bork, The Antitrust Paradox (1978), S. 267 ff. 165 Posner, 127 U. Pa. L. Rev. 925, 928 (1978).

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Steigerung der Gesamtwohlfahrt166 ausgeglichen, entsprechend bedarf es keiner Untersagung.167 So würde etwa die bloße, nicht auf unverfälschtem Marktprozess beruhende Umverteilung von Geld infolge einer Preisabsprache von Käufern zu Anbietern hiernach an sich kein Problem darstellen, da der Wertgehalt für die Gesamtgesellschaft nicht verloren gehen würde.168 Nachteilig ist lediglich die hiermit verbundene Allokationsineffizienz, bedingt durch eine zu erwartende schlechtere Güterverteilung infolge einer solchen Maßnahme.169 Im Übrigen sehen die Vertreter der Chicago School Kartelle insgesamt als relativ instabile Gebilde an und betrachten staatliche Eingriffe aufgrund von entsprechenden Zweifeln an ihrer Erforderlichkeit eher skeptisch.170 f) Berücksichtigung durch Organe der Europäischen Union aa) Allgemeines Wie dargestellt besteht in der Wirtschaftswissenschaft kein Konsens darüber, welches Wettbewerbskonzept als vorzugswürdig anzusehen ist, vielmehr bietet jeder Ansatz seine individuellen Vor- und Nachteile. In Anbetracht der teils unterschiedlichen Grundauffassungen ist ein Vergleich auch nur schwer zu vollziehen, angesichts der fehlenden Greifbarkeit von Wettbewerbsprozessen sind eindeutige Aussagen ohnehin kaum überzeugend zu treffen.171 Auch die Norm selbst bietet, wie dargestellt,172 keinen akzentuierten Aussagegehalt, der eindeutig für eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung votieren würde. Um dennoch eine funktionale Grundlage für die weitere Untersuchung zu finden, bietet es sich an, über 166 Von den Autoren der Chicago School selbst oft als „consumer welfare“ bezeichnet, vgl. etwa Bork, The Antitrust Paradox (1978), S. 107 ff. Dies ist angesichts der damit nicht beabsichtigten Begrenzung auf „Konsumenten“ etwas missverständlich, so auch Möller, Verbraucherbegriff und Verbraucherwohlfahrt im europäischen und amerikanischen Kartellrecht (2008), S. 88 ff.; Möschel, in: Löwisch/Schmidt-Leithoff/Schmiedel (Hrsg.), FS Rittner (1991), S. 416; ausführlicher zu dieser Begrifflichkeit auch Werden, Consumer welfare and competition policy, in: Drexl/Kerber/Podszun (Hrsg.), Competition policy and the economic approach (2011), S. 11 ff. 167 Vgl. zusammenfassend Hildebrand, The Role of Economic Analysis in EU Competition Law (2016), S. 132 ff.; Möller, Verbraucherbegriff und Verbraucherwohlfahrt im europäischen und amerikanischen Kartellrecht (2008), S. 93 f. 168 Vgl. etwa Möller, Verbraucherbegriff und Verbraucherwohlfahrt im europäischen und amerikanischen Kartellrecht (2008), S. 90. 169 Kerber/Schwalbe, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Einl. Rn. 90. 170 Knieps, Wettbewerbsökonomie (2008), S. 73. 171 Treffend formuliert dies Möschel, in: Löwisch/Schmidt-Leithoff/Schmiedel (Hrsg.), FS Rittner (1991), S. 420: „Wenn alles mit allem zusammenhängt, überdies in ständiger Veränderung begriffen ist und niemand in die Zukunft blicken kann, sind nur begrenzte Aussagen möglich.“ 172 s. oben S. 38 ff.

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die Theorien hinaus ein vertieftes Augenmerk auf die Übernahme der Ansätze durch die Organe der Europäischen Union in der Rechtspraxis zu legen. Im Bereich des Kartellrechts sind dies die Europäische Kommission als „erste Instanz“, aber natürlich auch die europäischen Gerichte, also das EuG und insbesondere der EuGH, als rechtsprägende Institute.173 Anzumerken ist bereits vorab, dass ein klares Bekenntnis zu einem wettbewerblichen Leitbild nicht erfolgt.174 Insofern kann nur versucht werden, ein solches aus ergangenen Entscheidungen bzw. im Fall der Europäischen Kommission zusätzlich aus anderen Materialien, etwa verschiedenen Leitlinien, abzuleiten. bb) Die Position der Europäischen Kommission Die Europäische Kommission hat in der jüngeren Vergangenheit eine gesteigerte Bereitschaft zur Anerkennung von Effizienzerwägungen und eine stärkere Ausrichtung an konkreten Schutzzielen erkennen lassen, die über einen reinen Wettbewerbsschutz hinausgehen. Im Mittelpunkt soll insbesondere die Begünstigung der Verbraucher bzw. im Umkehrschluss ihr unmittelbarer Schutz vor Nachteilen sein. Diese durch entsprechende Äußerungen in Leitlinien und ähnlichen Veröffentlichungen, aber insbesondere auch in Redebeiträgen der jeweiligen Vorsitzenden sowie in der tatsächlichen Entscheidungspraxis entwickelte Position wird in der Diskussion begrifflich häufig zu dem bereits angesprochenen more economic approach175 zusammengefasst.176 Als Ausgangspunkt dieser Entwicklung der Kommissionsposition wird zumeist die Veröffentlichung des Weißbuchs zur Modernisierung der Art. 85 und 86 EGVertrag177 genannt, in welchem zum einem das mit der VO 1/2003 schließlich ein173

Die herausgehobene Bedeutung des EuGH ist normativ etwa in Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV festgehalten. Seine Vorrangstellung gegenüber der Kommission drückt sich etwa in Art. 17 Abs. 1 S. 3 EUV aus. Zu der sich aus dieser Normierung ergebenden Kompetenz s. z. B. Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft (1998), S. 34 f. (zu Art. 164 EGV, heute Art. 19 EUV). Zur Bedeutung des EuGH auch Wischmeyer in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), HdB EU-WirtschaftsR, 44. EL Stand: Februar 2018, A. II. Rn. 319. 174 Vgl. bzgl. der Europäischen Kommission Peukert, Das Wettbewerbskonzept der EU aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften, in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.), Dimensionen des Wettbewerbs (2010), S. 89 f. 175 Im Folgenden soll unter diesem Begriff vorrangig eine Hinwendung zu einer ergebnisfixierteren Herangehensweise im Wettbewerbsrecht verstanden und diskutiert werden. Zum Teil wird darunter auch die stärkere Verwendung ökonomischer Methodik gefasst, etwa im Bereich der Kartellforensik. Dies dürfte grundsätzlich als weitgehend unproblematisch, vielmehr als förderlich verstanden werden. Zu dieser begrifflichen Abgrenzung auch Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 3 Rn. 45. 176 Zu dieser Entwicklung allgemein z. B. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 2 Rn. 46 ff.; Immenga/Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Einl EU D Rn. 1 ff. 177 Europäische Kommission, Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, ABl. 1999 C 132, 1.

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geführte Legalausnahmesystem vorgeschlagen wird, das zum anderen aber auch eine stärkere ökonomische Herangehensweise in der Fallbearbeitung thematisiert.178 Diese noch zurückhaltenden Ausführungen wurden in der Folge insbesondere in Leitlinien stetig konkretisiert und erweitert.179 So erstmals im Rahmen der Leitlinien für vertikale Beschränkungen.180 Dort wurde deutlich, dass die Europäische Kommission den Wettbewerb vorrangig als Mittel zum Zweck verstehen will, wobei dieser Zweck in der Maximierung der Verbraucherwohlfahrt gesehen wird.181 Im Anschluss folgte dies in vergleichbarer Weise in den Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag182 (heute Art. 101 Abs. 3 AEUV), sowie entsprechend für die Missbrauchsaufsicht in der Prioritätenmitteilung zu Art. 82 EG-Vertrag183 (heute Art. 102 AEUV). An verschiedenen Stellen wurde auch dort ausdrücklich die Verbraucherwohlfahrt als primäres Ziel der Wettbewerbsregeln genannt.184 Es soll sichergestellt werden, dass bestimmte Parameter auf der Ergebnisseite des Wettbewerbs vor Einflussnahme geschützt werden, namentlich insbesondere Preise, Produktmenge, die Qualität sowie die Vielfalt des Angebots.185 Zugleich hebt die Europäische Kommission an gleicher Stelle aber hervor, dass das eigentliche Ziel des Art. 81 EG-Vertrag (heute Art. 101 AEUV) der Schutz des Wettbewerbs als Prozess

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Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 3 Rn. 46 f. Zur rechtlichen Bedeutung von Leitlinien der Europäischen Kommission etwa Ellger, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 72 ff. (dort im Kontext der Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV, im Aussagegehalt aber auch übertragbar); ähnl. auch Grave/Nyberg, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff u. a. (Hrsg.), Kartellrecht (2016), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 34 ff.; sowie Palatzke, Nachfragemacht im Kartellrecht (2011), S. 147 ff. 180 Europäische Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen 2000, ABl. 2000 C 291, 1; mittlerweile novelliert durch Europäische Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen 2010, ABl. 2010 C 130, 1. 181 Europäische Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen 2000, ABl. 2000 C 291, 1 Rn. 7. Eine vergleichbare, wenn auch etwas zurückhaltendere Passage findet sich auch in der aktuellen Fassung, sofern „Einschränkung des Wettbewerbs“ kausal für den „Nachteil der Verbraucher“ gewertet wird, vgl. Europäische Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen 2010, ABl. 2010 C 130, 1 Rn. 7. Eine deutlichere Einschränkung der bisher vertretenen Position durch diese geänderte Formulierung sieht Riesenkampff, in: Bechtold/ Jickeli/Rohe (Hrsg.), FS Möschel (2011), S. 499 f. 182 Europäische Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, 97. 183 Europäische Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen, ABl. 2009 C 45, 7. 184 Europäische Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, 97 Rn. 13 u. 33; Europäische Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen, ABl. 2009 C 45, 7 Rn. 5 u. 46. 185 Europäische Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, 97 Rn. 16. 179

II. Schutzzwecke des Kartellverbots

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sei, vorrangig gegenüber einer Erzielung von Effizienzgewinnen.186 Ähnliche, eher auf Institutionenschutz gerichtete Äußerungen enthält auch die Prioritätenmitteilung zu Art. 82 EG-Vertrag (heute Art. 102 AEUV).187 Diese Entwicklung wurde flankiert durch verschiedene Wortbeiträge der jeweiligen Wettbewerbskommissare. So rückte etwa Kommissarin Kroes ebenfalls die Verbraucherwohlfahrt in den Mittelpunkt ihres in solcher Form ausgedrückten Konzeptverständnisses.188 Ähnlich äußerte sich später auch ihr Nachfolger Almunia.189 cc) Das Verständnis der europäischen Rechtsprechung Nicht nur in der Literatur war dieser Ansatz der Europäischen Kommission durchaus vehementer Kritik ausgesetzt.190 Auch der EuGH steht einer Ergebnisorientierung in der Kartellrechtsanwendung ablehnend gegenüber, stellt vielmehr den Wettbewerb selbst als schützenswerten Prozess weiter in den Mittelpunkt der Rechtsanwendung und lehnt infolgedessen einen Verbraucherschaden als erforder186 Europäische Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, 97 Rn. 46 u. 105. 187 Europäische Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen, ABl. 2009 C 45, 7 Rn. 6: „Dabei geht es der Kommission vor allem darum, den Wettbewerbsprozess und nicht einfach die Wettbewerber zu schützen.“ Vgl. auch Wolters, Die rechtsstaatlichen Grenzen des ,more economic approach‘ im Lichte der europäischen Rechtsprechung (2015), S. 80, der dies als „konzeptionelle Mittellage [der Kommission]“ bezeichnet. 188 Vgl. die abgedruckte Fassung: Kroes, 29 Fordham Int’l L.J. 593, 593 ff. (2006), insbes. S. 596: „(…) ultimately the aim is to avoid consumer harm.“; ähnlich deutlich Kroes, European Competition Policy – Delivering Better Markets and Better Choices, Speech/05/512, London 15. 09. 2005, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-05-512_en.htm (geprüft am 23. 11. 2017): „Consumer welfare is now well established as the standard the Commission applies when assessing mergers and infringements of the Treaty rules on cartels and monopolies. Our aim is simple: to protect competition in the market as a means of enhancing consumer welfare and ensuring an efficient allocation of resources. An effects-based approach, grounded in solid economics, ensures that citizens enjoy the benefits of a competitive, dynamic market economy.“ 189 So etwa Almunia, Competition and consumers: the future of EU competition policy, Speech/10/233, Madrid 12. 05. 2010, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_SPE ECH-10-233_en.htm (geprüft am 23. 11. 2017): „All of us here today know very well what our ultimate objective is: competition policy is a tool at the service of consumers. Consumer welfare is at the heart of our policy and its achievement drives our priorities and guides our decisions.“ 190 Ein vollständiger Überblick soll an dieser Stelle nicht gegeben werden, dürfte angesichts der Zahl der Stellungnahmen ohnehin auch kaum möglich sein. Genannt seien beispielhaft: Behrens, in: Bechtold/Jickeli/Rohe (Hrsg.), FS Möschel (2011), S. 115 ff.; Riesenkampff, in: Bechtold/Jickeli/Rohe (Hrsg.), FS Möschel (2011), S. 489 ff.; Fuchs, Effizienzorientierung im Wettbewerbs- und Kartellrecht?, in: Fleischer/Zimmer (Hrsg.), Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht (2008), S. 69 ff.; Basedow, WuW 2007, 712, 712 ff.; Möschel, in: Engel/Möschel (Hrsg.), FS Mestmäcker (2006), S. 355 ff.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

liches Tatbestandsmerkmal zur Anwendung des Kartellverbots ab.191 So hat der Gerichtshof, unbeeindruckt von Ansätzen der Kartellbehörde, für die Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV betont, dass er an dem Selbstständigkeitspostulat als Ausdruck seines Verständnisses des Wettbewerbs als durch unbekannte Faktoren und somit von Risiko geprägten Prozess, insoweit ganz in der Tradition des „Entdeckungsverfahrens“ nach v. Hayek,192 festhält.193 Hiernach ist jede Einschränkung der autonomen Entscheidungsfindung durch Kooperation zwischen Unternehmen untersagt, die zu Marktverhältnissen führt, welche von den sich sonst ergebenden Bedingungen abweichen.194 Deutlich formuliert wird diese Auffassung etwa in der jüngeren Entscheidung AC-Treuhand: „Es ist weiter festzustellen, dass das Hauptziel von Art. 81 Abs. 1 EG [heute Art. 101 Abs. 1 AEUV] in der Aufrechterhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes besteht.“195 Demgegenüber hatte das EuG zuvor auch für Art. 101 Abs. 1 AEUVeinen stärker ergebnisfixierten Ansatz übernommen und als zusätzliches Tatbestandsmerkmal für die Annahme einer Wettbewerbsbeschränkung im Sinne der Vorschrift den Nachweis eines tatsächlichen Verbraucherschadens gefordert.196 Dem erteilte der EuGH in der bereits zitierten Entscheidung GlaxoSmithKline eine deutliche Absage und bezeichnete einen solchen Ansatz als rechtsfehlerhaft.197 Somit wurden einer zu weitgehenden Ergebnisorientierung klare Grenzen gesetzt.198 Insgesamt zeigt auch die Rechtsprechung des EuGH ein facettenreiches Bild hinsichtlich des Verständnisses des Wettbewerbszwecks, das sich einer eindeutigen 191 EuGH, Urt. v. 19. 03. 2015, Rs. C-286/13 P, ECLI:EU:C:2015:184 Rn. 125 – Dole Food Co.; EuGH, Urt. v. 17. 02. 2011, Rs. C-52/09, ECLI:EU:C:2011:83 Rn. 24 – TeliaSonera; EuGH, Urt. v. 06. 10. 2009, Rs. C-501/06 P, C-513/06 P, C-515/06 P u. C-519/06 P, ECLI:EU:C:2009:610 Rn. 63 – GlaxoSmithKline; EuGH, Urt. v. 04. 06. 2009, Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343 Rn. 38 f. – T-Mobile Netherlands. Vgl. auch GA Kokott, Schlussanträge v., Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:110 Rn. 71 – T-Mobile Netherlands. 192 s. hierzu oben S. 50. 193 Vgl. bspw. EuGH, Urt. v. 20. 11. 2008, Rs. C-209/07, ECLI:EU:C:2008:643 Rn. 34 – Beef Industry; dies entspricht der st. Rspr., vgl etwa schon EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, Rs. 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73, ECLI:EU:C:1975:174 Rn. 173 – Suiker Unie. 194 So etwa zur Bewertung vom Marktinformationsverfahren EuGH, Urt. v. 28. 05. 1998, Rs. C-7/95 P, ECLI:EU:C:1998:256 Rn. 86 ff. – John Deere. 195 EuGH, Urt. v. 22. 10. 2015, Rs. C-194/14 P, ECLI:EU:C:2015:717 Rn. 36 – AC-Treuhand. 196 EuG, Urt. v. 27. 09. 2006, Rs. T-168/01, ECLI:EU:T:2006:265 Rn. 118 ff. – Glaxo SmithKline; zur gehobenen Bedeutung der Verbraucherwohlfahrt zuvor schon EuG, Urt. v. 07. 06. 2006, Rs. T-213/01 und T-214/01, ECLI:EU:T:2006:151 Rn. 115 – Lombard Club; zurückhaltend bezüglich einer solchen Interpretation des letztgenannten Urteils indes Wolters, Die rechtsstaatlichen Grenzen des ,more economic approach‘ im Lichte der europäischen Rechtsprechung (2015), S. 136 f. 197 EuGH, Urt. v. 06. 10. 2009, Rs. C-501/06 P, C-513/06 P, C-515/06 P u. C-519/06 P, ECLI:EU:C:2009:610 Rn. 64 – GlaxoSmithKline. 198 Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 2 Rn. 45; ablehnend zur Verbraucherwohlfahrt als Kriterium unter Bezug auf den EuGH auch Emmerich, Kartellrecht (2014), § 1 Rn. 36.

II. Schutzzwecke des Kartellverbots

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Zuordnung zu einem der vorgestellten Konzepte entzieht.199 Jedenfalls lässt sich festhalten, dass der Fokus der Rechtsprechung immer noch auf einen ergebnisoffenen Ansatz gerichtet ist, der einer weitergehenden Konzentration auf Aspekte der Verbraucherwohlfahrt bei der Anwendung des Kartellrechts entgegensteht.200 dd) Zwischenfazit Summarisch lässt sich für das Verständnis der wettbewerbspolitischen Zielvorstellungen der Organe der Europäischen Union in Zusammenhang mit der Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Normierungen zusammenfassen, dass dieses unter entsprechender Leitfunktion des EuGH weiter als ergebnisoffen interpretiert werden kann.201 Eine eindeutige Anknüpfung an eines der eingangs vorgestellten Konzepte erfolgt indes nicht, vielmehr wird eine gewisse Zusammenfügung verschiedener Ansätze vorgenommen.202 Dies scheint angesichts der entsprechenden Konzeption – Art. 101 Abs. 1 AEUVals ergebnisoffener Verbotstatbestand der durch den ergebnisfixierten Freistellungstatbestand des Art. 101 Abs. 3 AEUV modifiziert wird – auch durchaus sachgerecht. Daneben steht eine stärkere Einbeziehung ökonomischer Analysemethoden zur konkreten Anwendung der Wettbewerbsregeln in diesem so gesteckten Rahmen. Gegen eine solche Ökonomisierung des Kartellrechts – tendenziell jedoch eher im Rahmen der FKVO, des Art. 102 AEUV und des Art. 101 Abs. 3 AEUVund weniger bei Art. 101 Abs. 1 AEUV – wird sich indes auch der EuGH kaum wenden, vielmehr erscheint sie sachgerecht, um der Problemstellung des Wettbewerbsschutzes realitätsnah und effektiv zu begegnen.203

199 Vgl. zusammenfassend bereits den etwas älteren, aber im Wesentlichen fortgeltenden Befund von Everling, WuW 1990, 995, 1008 f. Zumindest rechtshistorisch von Interesse sind teils ältere Urteile, in denen sich der EuGH ausdrücklich mit Konzepten wie dem „vollkommenen Wettbewerb“ und der „vollständigen Konkurrenz“ auseinandersetzt, so bei EuGH, Urt. v. 18. 05. 1962, Rs. 13/60, ECLI:EU:C:1962:15 – Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaften. s. hierzu auch Schwarze, Europäisches Wirtschaftsrecht (2007), Rn. 785. 200 Zustimmend bezüglich einer solchen Position aus Sicht der deutschen Kartellgerichtsbarkeit auch Kirchhoff, in: Dencker/Galke/Voßkuhle (Hrsg.), FS Tolksdorf (2014), S. 523. 201 Zum Interpretationsprimat des EuGH im Verhältnis zur Europäischen Kommission hinsichtlich des Schutzgegenstandes in diesem Zusammenhang auch Zimmer, WuW 2007, 1198, 1204. 202 Entsprechend auch Schuhmacher, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 47. EL Stand: April 2012, Art. 101 AEUV Rn. 11. 203 In diesem Zusammenhang ist auch die Aufhebung dreier Kommissionsentscheidungen – betreffend Freigabeentscheidungen im Fusionskontrollverfahren – durch das EuG aufgrund fehlender ökonomischer Grundlagenanalyse zu beachten, EuG, Urt. v. 25. 10. 2002, Rs. T-5/02, ECLI:EU:T:2002:264 Rn. 125 ff. – Tetra Laval; EuG, Urt. v. 22. 10. 2002, Rs. T-310/01, ECLI:EU:T:2002:254 Rn. 153 ff. – Schneider Electric; EuG, Urt. v. 06. 06. 2002, Rs. T-342/99, ECLI:EU:T:2002:146 Rn. 82 ff. – Airtours.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

g) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich ein eindeutiges Ergebnis nicht ermitteln lässt. Keines der Konzepte vermag eine allgemeingültige Lösung zu bieten und auch die Analyse der Norm selbst sowie der diese anwendenden Rechtspraxis erbringt keine klare Antwort auf die Ausgangsfrage, unter welchem wettbewerbspolitischen Leitbild das europäische Kartellrecht und insbesondere das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV steht und somit zu interpretieren ist.204 Insgesamt lässt sich indes eine Nähe zu den systemtheoretischen Ansätzen erkennen, die den Wettbewerb als Prozess um seiner selbst schützen wollen, weil sie von der Güte seiner Ergebnisse im unverfälschten Ablauf überzeugt sind.205 So wird auch darauf hingewiesen, dass der Konzeption des Wettbewerbsrechts im AEUV insbesondere ordoliberale Ideen als Ansatzpunkt dienten.206 Ein Unterschied besteht hingegen etwa in dem Fehlen einer strukturierten Aufstellung von klaren positiven Verhaltensanweisungen zur Aufrechterhaltung der im ordoliberalen Modell zentralen vollständigen Konkurrenz, die nach dortiger Ansicht gegebenenfalls durch entsprechende Regelungen gewahrt werden soll. Zudem stehen in der europäischen Wettbewerbspolitik die allokative und produktive Effizienz insbesondere in jüngerer Zeit verstärkt im Mittelpunkt, während Vertreter systemtheoretischer Ansätze den Fokus wohl eher auf die dynamische Effizienz legen würden.207 Darüber hinaus ist zu beachten, dass die europäischen Kartellnormen neben dem Wettbewerbsschutz zumindest auch im Dienste der Herbeiführung des Gemeinsamen Marktes innerhalb der EU stehen sollen, also Handelsabschottungen von privater Seite zu unterbinden suchen und somit die europäischen Grundfreiheiten, die entsprechende Anforderungen an die Mitgliedstaaten selbst stellen, ergänzen, was etwa durch die Zwischenstaatlichkeitsklausel entsprechenden Ausdruck findet.208 Dies, sowie der Einfluss anderer Vertragsziele, soll im Folgenden noch kurz dargestellt werden. 204

S. 92. 205

So etwa auch Reymann, Immanente Schranken des europäischen Kartellverbots (2004),

Teilweise wird aber auch eine eher wohlfahrtsökonomische Interpretation in Anknüpfung an das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerb erkannt, s. etwa Schmidt/Schmidt, Europäische Wettbewerbspolitik und Beihilfenkontrolle (2006), S. 15 ff.; Bueren, wrp 2004, 567, 573. 206 Vgl. etwa die kurz gefasste Analyse bei Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 2 Rn. 35 ff.; ähnl. Bunte, in: Langen/Bunte (Hrsg.), Kartellrecht (2018), Einl. Rn. 39. 207 Hierzu Kerber/Schwalbe, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Einl. Rn. 62. 208 Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 53. EL Stand: Mai 2014, Art. 3 EUV Rn. 41; s. a. Zimmer, WuW 2007, 1198, 1200; so auch schon Ehlermann, 29 CMLRev 257, 264 ff. (1992); zum Zusammenhang von Wettbewerb und Verwirklichung des Binnenmarktes auch EuGH, Urt. v. 25. 10. 1977, Rs. 26/76, ECLI: EU:C:1977:167 Rn. 20 – SABA I; zuvor bereits EuGH, Urt. v. 13. 07. 1966, Rs. 56 u. 58/64, ECLI:EU:C:1966:41 S. 388 – Grundig/Consten.

II. Schutzzwecke des Kartellverbots

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4. Einordnung des Wettbewerbsrechts im Zielkanon der Verträge Im System des Unionsrechts stellt das Wettbewerbsrecht letztlich nur eine von verschiedenen Säulen bei der Verwirklichung der insbesondere in Art. 3 Abs. 3 EUV niedergelegten Ziele dar, die entsprechenden Niederschlag in Regelungen des AEUV gefunden haben. Insofern ist es geboten, bei einer Analyse der kartellrechtlichen Schutzzwecke auch die anderen Zielbestimmungen der Verträge im Blick zu behalten und ihren Inhalt bzw. ihre Bedeutung kurz näher zu betrachten.209 So werden in Art. 3 EUV einerseits eher wettbewerblich geprägte Zielbestimmungen genannt, mit denen sich das Kartellrecht unmittelbar verknüpfen lässt. Hervorzuheben ist hierbei das in Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV formulierte Ziel der Errichtung eines Binnenmarktes. Um dies zu erreichen schützen gem. Art. 26 Abs. 3 AEUV die Grundfreiheiten die Märkte vor Abschottung von staatlicher Seite.210 Das Wettbewerbsrecht soll nun verhindern, dass dieser Schutz durch das Handeln privater Wirtschaftseinheiten unterlaufen wird.211 Entsprechend kommt dieser Zielsetzung für das Wettbewerbsrecht eine gesteigerte Bedeutung zu.212 In Art. 101 Abs. 1 AEUV hat dies auch im Wortlaut Niederschlag gefunden, in dem eine Zwischenstaatlichkeitsklausel als Kriterium der Anwendbarkeit normiert wird und zudem bereits einleitend die Univereinbarkeit der erfassten Praktiken mit „dem Binnenmarkt“ herausgestellt wird.213 Daneben stehen aber auch weitere, von ihrem Schwerpunkt her anders gelagerte Zielvorgaben, wie etwa der Umweltschutz in Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 EUV oder die Wahrung des kulturellen Erbes in Art. 3 Abs. 3 UAbs. 4 EUV. Die Bedeutung einiger dieser Ziele ist in besonderen Querschnittsklauseln betont, die ihre Berücksichtigung sicherstellen sollen.214 Dies ist etwa für den Umweltschutz in Art. 11 AEUV verankert, für die kulturellen Aspekte findet sich eine entsprechende Normierung an weniger prominenter Stelle – in Art. 167 Abs. 4 AEUV.

209

Zur Bedeutung der Zielvorgaben für die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften auch EuGH, Urt. v. 21. 02. 1973, Rs. 6/72, ECLI:EU:1973:22 Rn. 25 f. – Continental Can; s. a. Reymann, Immanente Schranken des europäischen Kartellverbots (2004), S. 50 f. 210 Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 53. EL Stand: Mai 2014, Art. 3 EUV Rn. 40. 211 Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 53. EL Stand: Mai 2014, Art. 3 EUV Rn. 41. 212 Dies betonend etwa auch Bishop/Walker, The Economics of EC Competition Law (2010), Rn. 1-005 ff. 213 Zur Bedeutung der Zwischenstaatlichkeitsklausel etwa Kirchhoff, in: Bornkamm/ Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Art. 101 AEUV Rn. 489. Ähnl. bereits EuGH, Urt. v. 31. 05. 1979, Rs. 22/78, ECLI:EU:C:1979:138 Rn. 17 – Hugin. 214 Zur Bedeutung der Querschnittsklauseln für das Kartellrecht Breuer, Das EU-Kartellrecht im Kraftfeld der Unionsziele (2013); sowie bereits vor dem Vertrag von Lissabon Gasse, Die Bedeutung der Querschnittsklauseln für die Anwendung des Gemeinschaftskartellrechts (2000).

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C. Kartellrechtliche Bewertung

Mit diesen weiteren Zielen, hinsichtlich derer eine Rangfolge nicht erkennbar ist,215 muss auch das Kartellverbot zuweilen in Einklang gebracht werden.216 Am ehesten lässt sich dies über eine Berücksichtigung im Rahmen der Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV erreichen.217 Zum Teil wird darüber hinaus die Bereitschaft zur Abwägung bereits in Art. 101 Abs. 1 AEUV angedeutet, dies scheint sich im Wesentlichen aber auf Sonderfälle aus dem arbeitsrechtlichen Bereich zu beschränken.218 Letztlich ist der Ausnahmetatbestand des Art. 101 Abs. 3 AEUV für eine entsprechende Berücksichtigung angesichts seiner Flexibilität deutlich besser geeignet, wenngleich im Einzelfall darzulegen wäre, wie sich in den anderen Vertragszielen entsprechende Effizienzen als Tatbestandsmerkmal des Art. 101 Abs. 3 AEUV ausdrücken.219 Jedenfalls bei der Feststellung einer Wettbewerbsbeschränkung im Rahmen von Art. 101 Abs. 1 AEUV scheint grundsätzlich nur wenig Raum für die Berücksichtigung anderweitiger Zielsetzungen des Unionsrechts zu sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn es nicht um die Frage einer Nichtanwendung des Kartellverbots aufgrund von Zielkonflikten geht, sondern um die Verfolgung bzw. Sanktionierung kooperativer Beeinträchtigungen anderer Zielbestimmungen durch Private. 5. Ergebnisse Es wird deutlich, dass der Schutzzweck des Kartellverbots mit der formelhaften Bezeichnung „Wettbewerb“ nur schwer greifbar ist. Dies liegt zum einen an europarechtsspezifischen Auslegungsschwierigkeiten, vorrangig aber auch an der nur begrenzt fassbaren Materie an sich. So ist die Diskussion bezüglich nationaler 215 Jacqué, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht (2015), Art. 3 EUV Rn. 3; Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 53. EL Stand: Mai 2014, Art. 3 EUV Rn. 22. 216 Ausführungen zu dieser Thematik erfolgen angesichts der Komplexität der Materie und Intensität der begleitenden Diskussion im Folgenden nur überblicksweise. Eine ausführlichere Darstellung findet sich etwa bei Monti, CMLRev 2002, 1057, 1069 ff. 217 Ausführlich zur diesbezüglichen Rechtsprechungspraxis Breuer, Das EU-Kartellrecht im Kraftfeld der Unionsziele (2013), S. 504 ff. Zur Praxis der Kommission etwa Quellmalz, wrp 2004, 461, 462 ff., der sich im Übrigen kritisch zu einer entsprechenden Einbeziehung im System der Legalausnahme unter der VO 1/2003 äußert. 218 Vgl. die Auflistung und Analyse bei Breuer, Das EU-Kartellrecht im Kraftfeld der Unionsziele (2013), S. 529 ff. In diesen Fällen ging es im Übrigen um eine mögliche Nichtanwendbarkeit des Kartellrechts, nicht etwa sollten Unternehmen aufgrund koordinierter Behinderung anderweitiger Vertragsziele sanktioniert werden. 219 Diese Zuordnung ist indes stets Voraussetzung einer Freistellung, vgl. auch Europäische Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. 2004 C 101, 97 Rn. 42. Insgesamt ist die Berücksichtigung solcher wettbewerbsfremder Aspekte umstritten, ohne dass dies hier näher erläutert werden könnte, weitergehend etwa Roth, in: Engel/Möschel (Hrsg.), FS Mestmäcker (2006), S. 425 ff.; Monti, CMLRev 2002, 1057, 1078 ff. Eine Gegenüberstellung der Positionen m. w. N. findet sich auch bei Reymann, Immanente Schranken des europäischen Kartellverbots (2004), S. 57 ff.

III. Der Bankensektor als Adressat des Kartellverbots

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Kartellrechtsregeln – wie etwa § 1 GWB – durch ähnliche Schwierigkeiten geprägt.220 Im Zentrum steht die Unverfälschtheit des Wettbewerbs, der in seiner eigenen unbeeinflussten Dynamik von selbst zu bestmöglichen Ergebnissen führen soll, gegebenenfalls unterstützt durch eine Korrektur mittels des Freistellungstatbestands des Art. 101 Abs. 3 AEUV. Eine eindeutige Zuordnung zu einem wettbewerbspolitischen Leitbild lässt sich hierbei nicht feststellen, vielmehr hat sich auf Grundlage der Normierung vorrangig durch den EuGH, insbesondere auch beeinflusst durch das Binnenmarktkonzept, ein eigenes europäisches Verständnis entwickelt.221 Nicht durchsetzen konnten sich indes Ansätze, die die Schutzrichtung eher auf die Verbraucher verbunden mit bestimmten Zielvorstellungen bezüglich der Auswirkungen des Wettbewerbs auf diese, als auf die Institution Wettbewerb selbst legen wollten. Insgesamt ergibt sich das Bild eines ergebnisoffenen Prozesses als zentralem Kern, für dessen Bestehen die grundsätzliche Struktur aufrechterhalten wird, wobei dem Kartellverbot eine tragende Rolle zukommt.

III. Der Bankensektor als Adressat des Kartellverbots Vor einer eingehenderen Auseinandersetzung mit der Frage der Einschlägigkeit des Kartellverbots des Art. 101 Abs. 1 AEUV in Hinblick auf das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung, ist zu klären, ob die Finanzinstitute bzw. der Bankensektor als solcher überhaupt taugliche Normadressaten darstellen. Grundsätzlich adressiert Art. 101 Abs. 1 AEUV seinem Wortlaut nach Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, wobei Letztere an dieser Stelle außer Betracht bleiben sollen. Der Begriff des Unternehmens ist weit zu verstehen und umfasst nach dem funktionalen Unternehmensbegriff jede wirtschaftlich tätige Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform.222 Wirtschaftliche Tätigkeit umfasst hierbei insbesondere das Anbieten von Waren oder Dienstleistungen.223 Banken 220 Mittlerweile dürfte angesichts der Rechtsangleichung die Diskussion weitgehend identisch verlaufen, vgl. etwa Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2014), § 1 GWB Rn. 10 ff. 221 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, gerade das supranationale Binnenmarktkonzept hindere eine klare Anknüpfung an eines der nationalökonomisch geprägten Wettbewerbskonzepte, s. etwa Reymann, Immanente Schranken des europäischen Kartellverbots (2004), S. 92. 222 St. Rspr. seit EuGH, Urt. v. 12. 07. 1984, Rs. 170/83, ECLI:EU:C:1984:271 Rn. 11 – Hydrotherm; EuGH, Urt. v. 12. 07. 2012, Rs. C-138/11, ECLI:EU:C:2012:449 Rn. 35 – Compass Datenbank; Weiß, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV (2016), Art. 101 AEUV Rn. 25. Emmerich, Kartellrecht (2014), § 3 Rn. 24; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 7. 223 EuGH, Urt. v. 01. 07. 2008, Rs. C-49/07, ECLI:EU:C:2008:376 Rn. 22 – MOTOE; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 9 Rn. 6; Emmerich, Kartellrecht (2014), § 3 Rn. 29.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

bieten jedenfalls zumindest Finanzdienstleistungen an, grundsätzlich erscheint ihre Qualifikation als Unternehmen und damit die Adressatenstellung unproblematisch. Gegen dieses Ergebnis wurde in der Vergangenheit gelegentlich vorgebracht, Finanzinstitute könnten sich auf die Bereichsausnahme des Art. 106 Abs. 2 AEUV berufen. Hiernach gelten die Vorschriften des Wettbewerbsrechts, also unter anderem auch Art. 101 AEUV, nicht für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, soweit die Anwendung der Normen die Erfüllung ihrer Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindert. Auf diese Sonderregelung haben sich die Banken verschiedentlich zu berufen versucht, um eine kartellrechtliche Verantwortlichkeit schon von vornherein abzuwenden.224 Dem hat der EuGH jedoch eine Absage erteilt und darauf hingewiesen, dass für den Bankensektor Ausnahmen im Sinne des Art. 106 Abs. 2 AEUV (damals Art. 90 Abs. 2 EWG-Vertrag) nur in Einzelfällen gelten können, wenn tatsächlich „besondere Aufgaben“ im Sinne der Norm übertragen worden sind.225 In der Referenzzinsfestsetzung von LIBOR und EURIBOR ist nun keine den Banken übertragene besondere Aufgabe zu sehen. Für eine solche Übertragung wäre eine Vornahme durch Hoheitsakt seitens einer Behörde erforderlich.226 Bei den Referenzzinsen handelt es sich um ein von den Finanzinstituten selbst initiiertes und verwaltetes Produkt.227 Die Regelung des Art. 106 Abs. 2 AEUV bietet auch keinen Ansatz, der eine andere Bewertung allein aufgrund des Volumens der verknüpften Finanzmittel und deren Bedeutung für die Gesamtwirtschaft rechtfertigen würde. Insgesamt lässt sich also feststellen, dass Finanzinstitute in Bezug auf diese Tätigkeit grundsätzlich taugliche Adressaten des Kartellverbotes aus Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen. Weder ergibt sich eine allgemeine Ausnahme für diesen Geschäftsbereich, noch sind hinsichtlich der Referenzwertbildung Ausnahmeregelungen einschlägig.228

224 EuGH, Urt. v. 07. 06. 1983, Rs. 100 bis 103/83, ECLI:EU:C:1983:158 Rn. 25 – Musique Diffusion française; EuGH, Urt. v. 14. 07. 1981, Rs. 172/80, ECLI:EU:C:1981:178 Rn. 6 – Züchner/Bayrische Vereinsbank. 225 EuGH, Urt. v. 14. 07. 1981, Rs. 172/80, ECLI:EU:C:1981:178 Rn. 6 f. – Züchner/Bayrische Vereinsbank; vgl. auch Hoffmann, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), HdB EU-WirtschaftsR, 38. EL Stand: September 2015, H. I. § 1 Rn. 55. 226 EuGH, Urt. v. 14. 07. 1981, Rs. 172/80, ECLI:EU:C:1981:178 Rn. 7 – Züchner/Bayrische Vereinsbank; EuGH, Urt. v. 27. 03. 1974, Rs. 127/73, ECLI:EU:C:1974:25 Rn. 19 – SABAM II; Jung, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV (2016), Art. 106 AEUV Rn. 40. 227 So auch Eufinger, WM 2014, 1113, 1114. 228 Von der hier diskutierten Problematik zu unterscheiden ist die Frage nach einem möglichen Zurücktreten des Kartellrechts in Sachverhalten mit kapitalmarktrechtlichen Bezug aus Gründen der Normenkonkurrenz. Ausführlich zur Anwendbarkeit des Kartellrechts auf die Kapitalmärkte und das Spannungsverhältnis zum Kapitalmarktrecht insgesamt unten S. 152 ff.

IV. Exkurs: Die kartellrechtliche Zurechnung von Mitarbeiterhandeln

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IV. Exkurs: Die kartellrechtliche Zurechnung von Mitarbeiterhandeln Neben der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Kartellrechts auf den betroffenen Wirtschaftssektor kann man in der hier untersuchten Konstellation auch die Frage aufwerfen, ob den Finanzinstituten das Handeln ihrer Mitarbeiter überhaupt als kartellrechtlich relevant zugerechnet werden kann. Die auf Steigerung des Profits bestimmter Handelspositionen gerichteten Einflussnahmen gingen regelmäßig nur auf die Initiative einzelner Händler und Übermittler unterhalb der Ebene des Managements zurück, sodass es insoweit an der Berechtigung zur Vertretung des Unternehmens gefehlt haben könnte. Es könnte fraglich sein, ob unter diesen Umständen eine Handlungszurechnung rechtlich überzeugt. Allerdings gehen Rechtsprechung,229 Europäische Kommission230 und Literatur231 hinsichtlich der Zurechnung des Handelns natürlicher Personen im Rahmen von Art. 101 Abs. 1 AEUV davon aus, dass diese nicht tatsächlich für die getroffene Vereinbarung vertretungsberechtigt sein müssen. Es genüge vielmehr, wenn die Personen grundsätzlich innerhalb im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit handeln. Eine Zurechnung scheide erst dann aus, wenn der fragliche Mitarbeiter seine Zuständigkeit in besonderem Maße überschreite.232 Diese weite Zurechnungspraxis ist auch überzeugend, denn der von Art. 101 AEUV bezweckte effektive Wettbewerbsschutz würde gefährdet, wenn man den Unternehmen eine solch verhältnismäßig leichte Möglichkeit zur Strafvermeidung bieten würde. Der Umfang der Unternehmenshaftung wird hierbei auch nicht unverhältnismäßig überdehnt, da erwartet werden kann, dass die Unternehmen eine entsprechende Kontrolle vornehmen bzw. im Falle der Referenzzinsen etwa eine entsprechende Kommunikationssperre233 zwischen den Händlern und den Übermittlern der Werte einrichten.234 229 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 21. 07. 2016, Rs. C-542/14, ECLI:EU:C:2016:578 Rn. 23 f. – SIA „VM Remonts“; EuGH, Urt. v. 07. 06. 1983, Rs. 100 bis 103/83, ECLI:EU:C:1983:158 Rn. 97 – Musique Diffusion française. 230 Etwa Europäische Kommission, Entsch. v. 15. 07. 1992, ABl. 1992 L 233, 27 Rn. 16 – VIHO/Parker Pen. 231 Dannecker/Müller, in: Janovsky/Wabnitz (Hrsg.), Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts (2014), 18. Kapitel. Kartellstraf- und -ordnungswidrigkeitenrecht Rn. 214 f.; Eufinger, wrp 2014, 152, 157 f.; Weck/Camesasca, WuW 2013, 17, 19; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Vor. Art. 23 f. VO 1/2003 Rn. 125 ff.; Roth/Ackermann, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann u. a. (Hrsg.), FK KartellR, 67. EL Stand: Januar 2009, Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 212; Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis (1989), S. 258 ff. 232 Vgl. Weck/Camesasca, WuW 2013, 17, 19, die einen Verstoß gegen ein ausdrückliches Verbot voraussetzen. 233 In der Finanzwirtschaft werden solche Kontaktsperren zur Vermeidung von Interessenkonflikten als „Chinese Wall“ bezeichnet, vgl. Winter, Gabler Wirtschaftslexikon (2014), S. 615: „Chinese-Wall“.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

Den im Fokus stehenden Finanzinstituten kann vorliegend das möglicherweise kartellrechtlich relevante Vorgehen ihrer Händler und das der Übermittler der Einzelwerte im Rahmen des Art. 101 AEUV also zugerechnet werden.235 Hinsichtlich eines möglichen Handelns auf Anweisung durch das Management zur Verbesserung der eigenen Außendarstellung bezüglich der Bonität ist dies angesichts der dort gegebenen Vertretungsbefugnis noch eindeutiger, unabhängig von der noch zu behandelnden Frage nach der kartellrechtlichen Relevanz solcher Weisungen.236

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots 1. Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Ebene der Referenzwertfestsetzung a) Wettbewerb auf Ebene der Referenzwertfestsetzung? aa) Wettbewerblicher Prozess als Voraussetzung Damit ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV bereits auf Ebene der Referenzwertfestsetzung – also im Bereich der hier untersuchten Referenzzinsmanipulationen auf der Ebene der Erhebung von LIBOR und EURIBOR – zumindest denkbar wäre, müsste es sich hierbei überhaupt um einen wettbewerblich ausgestalteten Prozess handeln. Denn das Bestehen eines Wettbewerbs oder zumindest die potentielle Möglichkeit hierzu ist logischer Anknüpfungspunkt der Sanktionierung seiner Beeinträchtigung. Auf der Ebene der Referenzwertfeststellung könnte ein Wettbewerb zum einen zwischen den Finanzinstituten bei der Übermittlung der Einzelwerte selbst bestehen, zum anderen für das Gesamtprodukt eines Referenzzinses, etwa des LIBOR, im Verhältnis zu anderen Referenzwerten für Zinsen hinsichtlich ihrer Verwendung durch die Marktakteure angenommen werden. bb) Kriterien Voraussetzung für eine entsprechende Qualifikation ist die Erarbeitung geeigneter Kriterien hierfür. Nach klassischer juristischer Methodik ist zur Untersuchung des Vorliegens einer Eigenschaft zunächst nach einer geeigneten abstrakten Definition zu suchen, bevor im Anschluss versucht werden kann, den tatsächlichen Lebens-

234

Ausführlich zu kartellrechtlicher Compliance vor dem Hintergrund der LIBOR-Manipulationen Eufinger, WM 2014, 1113, 1113 ff. Zu einer Pflichtverletzung der Banken in diesem Zusammenhang auch Buck-Heeb, WM 2015, 157, 161 f. 235 So auch Buck-Heeb, WM 2015, 157, 164; Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2566. 236 Vgl. zur Berücksichtigung der unterschiedlichen Motivlagen unten S. 126 ff.

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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sachverhalt an dem abgesteckten Maßstab zu messen.237 Entsprechend ist nun nach Voraussetzungen für die vorzunehmende Qualifikation eines Vorgangs als Wettbewerb zu suchen, unter die im Anschluss entsprechend subsumiert werden kann.238 Allerdings ist eine solch allgemeingültige Definition von „Wettbewerb“ bisher nicht gelungen und kann nach überwiegender Meinung wohl auch nicht gelingen.239 Die komplexen und vielfältigen Vorgänge entziehen sich einer Fixierung durch eine starre Formulierung.240 Der Wettbewerb basiert gerade auf der Unbekanntheit seiner Faktoren, entsprechend auch die Betitelung als „Entdeckungsprozess“,241 was ihn aber zugleich der Beschreibung aus einer ex-ante-Perspektive entzieht.242 Dies ist, wie treffend festgestellt wird, auch notwendig, da andernfalls der sich konstant fortentwickelnde Prozess in unerwünschter Weise in seiner Offenheit gehemmt würde, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund gegeben wäre.243 Auf Grundlage dieser Erkenntnisse und Überlegungen werden verschiedentlich drei allgemeine Kriterien genannt, die den Wettbewerb konstituieren sollen. Konkret sind dies das Vorhandensein von: 237

Vgl. etwa Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (1995), S. 93 f. Im Folgenden soll es um die Identifizierung eines Wettbewerbsprozesses gehen. Dies ist zu unterscheiden von der Frage nach dem vorzugswürdigen Wettbewerbskonzept. Hierzu etwa Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 2 Rn. 7 ff.; Kerber/Schwalbe, in: Bornkamm/Montag/ Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Einl. Rn. 67 ff. Ausführlicher auch bereits oben auf S. 47 ff. 239 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 3 Rn. 1; Herdzina, Wettbewerbspolitik (1999), S. 9. Ausführlich zu den Anforderungen an eine Definition und ihre Unmöglichkeit in diesem Fall auch Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht (2016), Rn. 744; Schmidtchen, Wettbewerbspolitik als Aufgabe (1978), S. 35 ff.; s. a. Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht (2016), Rn. 617 a. E.: „Nicht der Wettbewerb lässt sich definieren, sondern nur die einzelnen Wettbewerbsbeschränkungen.“ Im amerikanischen Antitrustrecht wird zuweilen eine Definition unter Verweis auf die dortige Rechtsprechung versucht, s. etwa Kolasky, The antitrust bulletin 2004, 29, 35: „competition is the process by which market forces operate freely to assure that society‘s scarces ressources are employed as efficiently as possible to maximize total economic welfare.“ Auch dies ist letztlich jedoch eher eine Beschreibung der mit dem jeweiligen Wettbewerbskonzept verfolgten Ziele, als der den Prozess bestimmenden Kriterien. Zur internationalen Perspektive der Diskussion um die Begrifflichkeit zu diesem Aspekt auch Stucke, What is competition?, in: Zimmer (Hrsg.), The goals of competition law (2012), S. 27 ff. 240 Zum etymologischen Hintergrund des Begriffs „Wettbewerb“ s. knapp Lux, Der Tatbestand der allgemeinen Marktbehinderung (2006), S. 13. 241 Dieses Verständnis geht, wie bereits oben (S. 50 f.) angeführt, insbesondere auf F. A. v. Hayek zurück, vgl. etwa Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren (1968), in: Streit (Hrsg.), Rechtsordnung und Handelnsordnung (2003), S. 132 ff. 242 Hoppmann, Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs, in: Schneider (Hrsg.), Grundlagen der Wettbewerbspolitik (1968), S. 29 f. 243 Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht (2016), Rn. 743. Diese Erkenntnis steht unabhängig von der Frage, ob man insgesamt einen ergebnisoffenen Ansatz der Wettbewerbspolitik befürwortet oder diese Dynamik eher zum Zwecke einer Zielorientierung einordnen möchte. 238

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C. Kartellrechtliche Bewertung

• Märkten mit • mindestens zwei Anbietern oder Nachfragern, • die sich antagonistisch verhalten.244 Dem entspricht das zuweilen vorgebrachte Bild vom Wettkampf zweier oder mehr Beteiligter um ein bestimmtes Ziel, wobei aus einem Mehr an Zielerreichung der einen Seite regelmäßig ein Weniger für die Gegenseite folgt.245 Zusammenfassend – von der Undefinierbarkeit des Begriffs ausgehend – beschreibt Herdzina Wettbewerb als „(…) lediglich die abkürzende Formulierung für einen Katalog von Vorgängen und Sachverhalten.“246 Einen solchen die bestehenden Vorgänge beschreibenden Ansatz verfolgen wohl auch diejenigen, die feststellen, Wettbewerb bestünde dort, wo Unternehmer oder Verbraucher von ihren Freiheiten im Wirtschaftsverkehr Gebrauch machen.247 In eine entsprechende Richtung geht die negative Bestimmung, nach der Wettbewerb jene Marktprozesse beschreiben würde, die bei Ausschaltung von Wettbewerbsbeschränkungen entstehen.248 cc) Die Referenzwertermittlung als Wettbewerbsprozess Ausgehend von diesen Erkenntnissen und unter Berücksichtigung der in der Wettbewerbspolitik verfolgten Ziele wird nun die Frage behandelt, was hieraus für die Feststellung einer wettbewerblichen Konstellation auf Ebene der Referenzzinsfestsetzung praktisch geschlussfolgert werden kann. LIBOR und EURIBOR werden, wie bereits oben dargestellt, durch die Zusammenfügung einzelner Werte ermittelt, die durch die Panelbanken einer Sammelstelle bereitgestellt werden.249 Bei genauerer Betrachtung stellt sich nun jedoch vor der Subsumtion des so gegebenen Lebenssachverhalts unter die zuvor gewonnenen Bewertungskriterien eine weitergehende, bereits hinsichtlich der wettbewerbspolitischen Theorien angedeutete, Problematik. Denn wenn die verschiedenen Auffassungen zwar einen Ansatzpunkt für die Untersuchung zu bieten vermögen, wann auf einem Markt ein Wettbewerb besteht, so erscheint dies für die auf dieser Ebene maßgebende Frage indes nur von eingeschränktem Nutzen. Diese lautet in ihrem 244 Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht (2013), S. 3 f.; übernommen bei Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 2 Rn. 6; so auch Bunte/Stancke, Kartellrecht (2015), S. 5. 245 Vgl. etwa (kritisch) Bunte/Stancke, Kartellrecht (2015), S. 4; ähnl. wohl auch Eilmansberger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV (2012), Art. 101 AEUV Rn. 38, der diesen Wettstreit im Fall der Wettbewerbsregeln auf Geschäftsabschlüsse mit Dritten bezieht. 246 Herdzina, Wettbewerbspolitik (1999), S. 9. 247 Nordemann, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff u. a. (Hrsg.), Kartellrecht (2016), § 1 GWB Rn. 7 f.; Emmerich, Kartellrecht (2014), § 1 Rn. 1 ff.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 3 Rn. 4. 248 Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb (1988), S. 298 f.; ähnl. wohl Herdzina, Wettbewerbspolitik (1999), S. 84, soweit er dies als den gewünschten Marktzustand beschreibt. 249 Näher zu dem Verfahren s. oben S. 25 ff.

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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Kern: Wann ist ein Geschehen überhaupt als dem Wettbewerb zugänglich zu betrachten? Sie liegt somit noch eine Stufe vor dem, was die Wettbewerbstheorien zu definieren oder zumindest zu beschreiben versuchen, da diese die grundsätzliche Wettbewerbstauglichkeit des untersuchten Marktes regelmäßig voraussetzen. Sie gehen in ihren Untersuchungen von klassischen Märkten mit Gütern oder Dienstleistungen aus, die von durch Angebot und Nachfrage beeinflussten Preisen und Entwicklungen bestimmt werden. Vorliegend handelt es sich allerdings um den Prozess der Entstehung eines reinen Informationswertes. Dieser wird durch die Zusammenstellung einzelner Teilinformationen der Banken, auf dieser Ebene den einzigen Beteiligten – soweit man die berechnende Stelle zunächst einmal außen vor lässt – bestimmt. Entsprechend besteht keine klassische Wechselbeziehung zweier Marktseiten. Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass das zuvor Festgestellte für die Frage ohne jeden Wert ist. Vielmehr lässt sich hiervon ausgehend prüfen, ob auf dem zu untersuchenden „Markt“ grundsätzlich die Voraussetzungen gegeben oder zumindest grundsätzlich denkbar sind, deren Bestehen „Wettbewerb“ nach der einen oder der anderen Ansicht konstituiert. Zu differenzieren ist allerdings bereits auf Ebene der Referenzwertfeststellung zwischen zwei möglichen betroffenen Märkten. Dies ist zunächst ein möglicher Wettbewerb in Bezug auf die Abgabe „günstiger“ Einzelinformation zwischen den beteiligten Finanzinstituten. Eine Stufe dahinter steht ein möglicher Wettbewerb zwischen verschiedenen Referenzwerten hinsichtlich ihrer Verwendung durch Marktakteure, die auf solche Werte zurückgreifen, also etwa ob Finanzderivate an LIBOR oder an EURIBOR gekoppelt werden. (1) Wettbewerb hinsichtlich der bereitgestellten Einzelwerte Ein Wettbewerb könnte auf einem Markt für die einzelnen Informationswerte verortet werden, die durch die einzelnen Finanzinstitute übermittelt werden. Die potenzielle wettbewerbliche Relevanz dieser Werte veranschaulicht die bereits eingangs vorgestellte, der Ermittlung des LIBOR zugrundeliegende, Fragestellung an die Panelbanken: „At what rate could you borrow funds, were you to do so by asking for and then accepting interbank offers in a reasonable market size just prior to 11 am London time?“250 Der Zinssatz, der einem Finanzinstitut angeboten wird errechnet sich im Grundsatz nicht anders als bei jedem anderen Kreditnehmer auch. Er basiert auf dessen Bonität und stellt letztlich einen Ausgleich des von dem Kreditgeber übernommenen Ausfallrisikos dar, ergänzt um einen Gewinnaufschlag. Somit liegt in der Meldung bestimmter Werte durch die Kreditinstitute letztlich auch die Darstellung ihrer eigenen Kreditwürdigkeit. Diesbezüglich könnte man einen Wettbewerb der Beteiligten in Bezug auf die Außendarstellung ihrer finanziellen Situation annehmen. 250

https://www.theice.com/iba/libor (zuletzt geprüft: 23. 11. 2017).

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C. Kartellrechtliche Bewertung

Entscheidend ist nun die Frage, ob die einzelnen Finanzinstitute sich bezogen auf LIBOR und EURIBOR hinsichtlich ihrer übermittelten Werte in einer wettbewerblichen Situation befinden. Abgelehnt wurde dies von der erstinstanzlichen USamerikanischen Rechtsprechung zu entsprechenden Anlegerklagen. Dort wurde ausgeführt, der Prozess der Referenzzinsfestsetzung sei kooperativer und gerade nicht kompetitiver Natur.251 In der Tat erscheint es nicht überzeugend, einen wettbewerblichen Vorgang auf dieser Ebene zu verorten. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die einzelnen Banken mit dem Referenzzins letztlich nur eine Wissenskundgabe vornehmen, die sich aus ihren Analysen ihrer eigenen Marktlage ergeben hat. Die entsprechenden Meldestellen werten die ihnen vorliegenden Daten ihres Unternehmens aus und errechnen auf dieser Grundlage einen objektiven Wert. Auf die Gestaltung ihrer übermittelten Werte sollten die Finanzinstitute zumindest nach den der Ermittlung zugrundeliegenden Regeln somit eigentlich keine subjektive Einwirkungsmöglichkeit im Sinne einer Entscheidungsfreiheit haben, sondern können diese höchstens mittelbar – etwa durch solide Geschäftsführung, die zu besseren Kreditkonditionen führt – beeinflussen.252 Es fehlt nach der grundsätzlichen Konzeption von LIBOR und auch EURIBOR insoweit an selbstständigen Entscheidungen über die Ausgestaltung der zu meldenden Werte. Der Umstand, dass bei einem hypothetischen Wert letztlich auch eine Abwägungsentscheidung einfließen mag, etwa wenn eine kleinere Bandbreite an realistischen Werten in Betracht käme, vermag hieran nichts zu ändern. Denn es bleibt eine eigentlich durch objektive, äußere Faktoren vorgegebene Entscheidung. Wo es nun insoweit schon an einer Selbstständigkeit fehlt, kann diese auch nicht im wettbewerbsschädlichen Sinne eingeschränkt werden. Denkbar wäre allenfalls, eine Selbstständigkeit infolge des regelwidrigen Verhaltens der Banken durch Abweichung von den sich objektiv ergebenden und somit eigentlich zu meldenden Werten dennoch anzuerkennen. Möglicherweise lässt sich insoweit ein Vergleich zur illegalen Tätigkeit eines Wettbewerbers auf einem Markt ziehen. Hierzu hat der EuGH entschieden, dass auch Maßnahmen gegen einen solchen unerlaubt tätigen Marktakteur gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen können, er erkennt also auch diesen als Wettbewerber im kartellrechtlichen Sinne an.253 Indes ist die dort beurteilte Situation nicht mit der hier gegebenen vergleichbar. In dem durch den EuGH entschiedenen Fall stand das Bestehen des Marktes, dort ein solcher für Dienstleistungen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs in der Slowakei, eben nicht infrage. Nur die Aktivität des ausgegrenzten, durch den EuGH dennoch als Wettbewerber anerkannten Unternehmens war möglicherweise illegal. Der hier gegebene 251 Laydon v. Mizuho Bank, Ltd. et al., No. 12-cv-3410, S. 15 (S.D.N.Y. 2014); In re: LIBOR-Based Financial Instruments Antitrust Litigation, 935 F.Supp.2d 666, 687 f. (S.D.N.Y. 2013). 252 Bei dem nicht auf die übermittelnde Bank selbst bezogenen EURIBOR fehlt es freilich sogar daran. 253 EuGH, Urt. v. 07. 02. 2013, Rs. C-68/12, ECLI:EU:C:2013:71 Rn. 19 – Slowakische Banken; s. a. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 11 Rn. 103.

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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Fall, in dem ein Wettbewerb (möglicherweise) überhaupt erst durch bewusste Regelmissachtung aller potenziellen Marktteilnehmer geschaffen würde, liegt anders. Zwar ist zu berücksichtigen, dass es vorliegend kein gesetzliches Verbot, sondern nur vertragliche Regeln sind, die das Handeln der Beteiligten normieren. Angesichts der Notwendigkeit dieser Regeln für die Gesamtkonzeption als objektiver Richtwert wäre es allerdings nicht überzeugend, aus der Möglichkeit des Abweichens ohne gesetzliches Verbot eines solchen die Existenz eines Wettbewerbs infolge einer daraus resultierenden „Handlungsfreiheit“ anzunehmen. Die betroffenen Regelungen sind konzeptionell so bedeutsam, dass ihre Einhaltung für das entsprechende Richtwertinstrument konstitutiv ist. Die Abweichung schafft keinen der Kontrolle bzw. dem Schutz durch das Wettbewerbsrecht bedürftigen Wettbewerb. Vielmehr zerstört sie das System als solches, da sie den Referenzwerten die für ihre Heranziehung als unabhängiger Bezugspunkt die hierfür notwendige Objektivität ihrer Ermittlung nehmen würde. Für das Funktionieren eines Referenzwertes ist es daher unabdingbar, dass eine Entscheidungsfreiheit der Beteiligten nicht besteht. Eine solche Freiheit bzw. Unabhängigkeit sichert das Kartellrecht auf „klassischen“ Märkten. Bei ihrem Fehlen ist ein tauglicher Anknüpfungspunkt für die Anwendung kartellrechtlicher Regelungen auf dieser Ebene daher nicht gegeben. Somit ändert auch die tatsächliche Entscheidungsmöglichkeit der beteiligten Banken unter Inkaufnahme eines Regelverstoßes nichts an der Einschätzung, dass aufgrund der eigentlich gegebenen Gebundenheit an die objektiv zu ermittelnden Werte ein Wettbewerb auf Ebene der Einzelwerte nach hier vertretener Ansicht nicht besteht. (2) Wettbewerb der Referenzwerte Vereinzelt wird darüber hinaus vorgebracht, eine wettbewerbliche Qualität ergebe sich aus dem Umstand, dass die Referenzwerte LIBOR und EURIBOR durch ihre jeweilige Sammelstelle, zum Zeitpunkt der historisch relevanten Manipulationen also insbesondere durch die BBA, kommerziell vermarktet und hinsichtlich ihrer Verwendung im Wettbewerb zu anderen Referenzwerten stehen würden.254 Hierzu ist allerdings festzuhalten, dass es sich in diesem Fall eher um eine Schlechtleistung durch den Verband als einzelnen Akteur handeln würde, die gegebenenfalls einen Fall des in Art. 102 AEUV normierten Marktmissbrauchsverbots darstellen könnte.255 Das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV, das eine Koordination mehrerer 254

Patterson, Who Is Responsible for Libor Rate-Fixing?, 2013, abrufbar unter: http:// blogs.law.harvard.edu/corpgov/2013/12/26/who-is-responsible-for-libor-rate-fixing/ (geprüft am 23. 11. 2017). 255 Zur denkbaren Anwendung von Art. 102 AEUV auch Zimmermann, Global benchmark interest rates: conflicting objectives and increasing hybridization, in: Cottier/Lastra/Tietje u. a. (Hrsg.), The rule of law in monetary affairs (2014), S. 173; auch für das amerikanische Kartellrecht gab es Überlegungen zur Annahme eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung als Alternative zur Qualifikation als Verstoß gegen das Kartellverbot, vgl. Patterson, Antitrust and Informational Restraints, in: Hawk (Hrsg.), International Antitrust Law & Policy:

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C. Kartellrechtliche Bewertung

Akteure verlangt, wäre nicht einschlägig. Auch wäre der betroffene Wettbewerb in diesem Fall eine Stufe tiefer gelagert. Somit ergibt sich aus solchen Überlegungen ebenfalls keine überzeugende Begründung für eine andere Beurteilung der Wettbewerbsqualität auf der Ebene der Referenzwertfestsetzung. b) Zwischenfazit Auf Grundlage der nun getroffenen Feststellungen lässt sich somit festhalten, dass auf der Ebene der Referenzwertfestsetzung die Banken untereinander keinen Wettbewerb betreiben. Zwar gab es einen wettbewerblich motivierten Anreiz, bestimmte Werte zu melden, da diese Rückschlüsse auf die Bonität des meldenden Instituts gegeben haben. Aufgrund der eigentlich bestehenden Gebundenheit der Banken bei der Wertübermittlung fehlte jedoch ein Handlungsspielraum als konstitutives Element von Wettbewerb. Ein Wettstreit um die Meldung möglichst guter Werte bestand nicht, da der Wert nicht individuell festgelegt werden sollte, sondern seine Errechnung aus objektiven Umständen zu erfolgen hatte. Dass sich die Institute regelwidrig darüber hinweggesetzt haben, vermag die Anwendung des Kartellrechts auf dieser Ebene nicht zu rechtfertigen. In Bezug auf den Wettbewerb zwischen Referenzwerten um ihre Nutzung vermag der vorliegende Sachverhalt ebenfalls keinen Ansatzpunkt für die Anwendung des Art. 101 AEUV zu bieten. Die Manipulationen fanden innerhalb des einzelnen Referenzwertprodukts statt. Solche Konstellationen unterfallen gegebenenfalls höchstens Art. 102 AEUV. Betroffen wäre zudem der nachgelagerte Markt für das Gesamtprodukt Referenzwert, nicht ein solcher für die Meldung der Einzelwerte. Herauszustellen ist, dass sich aus dem Umstand der fehlenden wettbewerblichen Qualität der Referenzwertfestsetzung noch keine Aussage über die wettbewerbliche Relevanz für den nachgelagerten Derivatemarkt treffen lässt.256 Dieses Problem ist vielschichtiger und wird gesondert behandelt. Auf der Ebene der Referenzwertübermittlung begründen die Absprachen der Banken mangels Wettbewerb keinen Verstoß im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV.

Fordham Competition Law 2012 (2013), S. 522. Angesichts der auf Art. 101 AEUV gelagerten Schwerpunktsetzung dieser Arbeit können diese Ansätze jedoch an dieser Stelle nicht näher diskutiert werden. 256 Anders beurteilt dies wohl teilweise die US-amerikanischen Rechtsprechung, s. Laydon v. Mizuho Bank, Ltd. et al, No. 12-cv-3410 (S.D.N.Y. 2014); In re: LIBOR-Based Financial Instruments Antitrust Litigation, 935 F.Supp.2d 666 (S.D.N.Y. 2013); hierzu auch Foster, 10 BYU Int’l L. & Mgmt. R. 91 (2014).

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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2. Verstoß gegen das Kartellverbot auf dem Markt für Finanzderivate Für den nachgelagerten Markt der Finanzderivate ergibt sich die soeben auf der vorgelagerten Ebene der Referenzwertfestsetzung dargestellte Problematik des Vorhandenseins eines wettbewerblichen Prozesses nicht in vergleichbarer Form. Hier stehen die Banken im horizontalen Wettbewerb untereinander sowie zu den nicht am LIBOR-Prozess beteiligten Banken und Brokern, zudem existiert in Person der Derivatskontraktpartner auch eine konkrete Marktgegenseite.257 Es ist hierbei nicht eindeutig, ob es sich um einen Gesamtmarkt für Finanzderivate handelt oder ob zwischen den einzelnen Derivatearten zu differenzieren ist. Für Letzteres sprechen aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit in Aufbau und Handelsort durchaus gute Gründe. Diese Frage ist jedoch für die hier im Fokus stehende Beurteilung der Vorgänge insgesamt nicht von einer solchen Bedeutung, die eine vertiefte Auseinandersetzung rechtfertigen würde. Bei der nun vorzunehmenden Qualifikation der Auswirkungen auf den Sektor der Finanzderivate bestehen verschiedene Problematiken, deren Bearbeitung in sinnvoller Reihenfolge geordnet werden soll. Zunächst steht die insbesondere von der erstinstanzlichen US-amerikanischen Rechtsprechung258 aufgeworfene Frage, ob sich aus dem nichtwettbewerblichen Vorgang der Referenzwertermittlung überhaupt wettbewerbsrechtlich relevante Auswirkungen auf verknüpfte nachgelagerte Märkte ergeben können. Soweit dies der Fall sein könnte, stellt sich anknüpfend die Frage, ob es sich bei dem Referenzwert um ein Preisbestandteil im Sinne des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV handelt, Absprachen über diesen dann einen Fall der Preismanipulation darstellen können. Abhängig von dem dort gefundenen Ergebnis wird darüber hinaus zu prüfen sein, ob ein Verstoß abseits der Regelbeispiele in Betracht kommt. Insbesondere die Frage nach einer möglichen Relevanz des Merkmals der Wettbewerbsverfälschung des Art. 101 Abs. 1 AEUV, gegebenenfalls auch unabhängig von einer konkreten Betroffenheit der Marktgegenseite, wird in diesem Zusammenhang untersucht werden.259 257 Vgl. auch EuG, Urt. v. 10. 11. 2017, Rs. T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795 Rn. 79 – ICAP. Ausführlicher auch die dem Urteil zugrundeliegende Bußgeldentscheidung, vgl. Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 21 ff. – YIRD. 258 So zunächst Laydon v. Mizuho Bank, Ltd. et al, No. 12-cv-3410, S. 20 ff. (S.D.N.Y. 2014); In re: LIBOR-Based Financial Instruments Antitrust Litigation, 935 F.Supp.2d 666, 687 ff. (S.D.N.Y. 2013). 259 Nicht erörtert werden soll im Folgenden unter anderem die Frage der Spürbarkeit einer möglichen Wettbewerbsbeschränkung. Diese wird bei Einflussnahme auf die Finanzmärkte angesichts von deren Größe und der hohen Volatilität teils bestritten, so etwa (wenngleich für das US-amerikanische Recht) Hovenkamp, 28 J. Corp. L. 607, 611 ff. (2002 – 2003), der aus diesem Grund einer Anwendung des Kartellrechts auf den Kapitalmarkt kritisch gegenübersteht (hierzu auch noch unten S. 164 ff.). Die Frage der Spürbarkeit ist letztlich eine solche des tatbestandlichen Einzelfalls und daher abstrakt-generell nur eingeschränkt zu beantworten. Im Fall der LIBOR-Manipulation scheinen angesichts des offensichtlichen Einflusses der Wert-

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C. Kartellrechtliche Bewertung

a) Wettbewerbsrelevante Auswirkungen nichtwettbewerblicher Prozesse aa) Problemstellung Wie bereits verschiedentlich angedeutet, bestehen insbesondere von Seiten der US-amerikanischen Rechtsprechung (für das dortige Kartellrecht) Bedenken dagegen, dass sich aus einem nichtwettbewerblichen Prozess auf der Ausgangsebene eine wettbewerbsrelevante Auswirkung für einen nachgelagerten Markt ergeben könnten.260 Diese Überlegungen für das US-amerikanische Recht, denen in der dortigen Literatur einige Kritik begegnet,261 sind nun nicht ohne Weiteres auf entsprechende Diskussionen auf europäischer Ebene übertragbar. Zum einen basiert die dortige Auseinandersetzung auf einer anderen Rechtsgrundlage, zum anderen geht es in der Debatte insbesondere um die Interpretation der den Entscheidungen zugrundeliegenden Rechtsprechung, der im US-amerikanischen Rechtkreis starke Bedeutung zukommt, die aber für die hiesigen Problematiken allenfalls gedankliche Anknüpfungspunkte zu bieten vermag.262 Indes kann die grundlegende Frage auch im Rahmen von Art. 101 Abs. 1 AEUV ebenso gestellt werden: Kann ein vorgelagerter nichtwettbewerblicher Prozess tatsächlich eine wettbewerbsrelevante Auswirkung in kartellrechtlich bedeutsamer Weise auf einen nachgelagerten Markt entfalten, oder fehlt es mangels einer unmittelbaren Wettbewerbshandlung der Beteiligten an einem Anknüpfungspunkt für das Kartellverbot?263 Zunächst wird nun die in den USA ergangene Rechtsprechung näher dargestellt. In Ermangelung entsprechend vertiefter Diskussion der Frage für den konkreten Fall stellung auf den Finanzmarkt gewichtige Argumente jedoch ohnehin für die Annahme einer solchen zu sprechen. 260 So grundlegend In re: LIBOR-Based Financial Instruments Antitrust Litigation, 935 F.Supp.2d 666, 687 ff. (S.D.N.Y. 2013); dem folgend Laydon v. Mizuho Bank, Ltd. et al, No. 12cv-3410, S. 20 ff. (S.D.N.Y. 2014). 261 Etwa Foster, 10 BYU Int’l L. & Mgmt. R. 91, 104 ff. (2014).; s. a. Philip, Jr./Girnys, No Antitrust Injury In Libor Rate-Setting? – What Happened To Effects?, 2013, abrufbar unter: https://www.competitionpolicyinternational.com/assets/Uploads/Cartel-May-1-edit.pdf (geprüft am 23. 11. 2017). 262 Die Europäische Kommission lehnt eine Berücksichtigung der US-amerikanischen LIBOR-Rechtsprechung jedenfalls aufgrund bestehender Unterschiede in den rechtlichen Rahmenbedingungen ab, vgl. Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 232 – YIRD, dort insbesondere Fn. 347. 263 Anders gelagert ist wiederum die (ebenfalls aktuelle) Frage der Bewertung von horizontalen Kartellen zwischen Nicht-Wettbewerbern. Zu dieser Möglichkeit EuGH, Urt. v. 26. 01. 2017, Rs. C-609/13 P, ECLI:EU:C:2017:46 Rn. 122 – Duravit; EuGH, Urt. v. 22. 10. 2015, Rs. C-194/14 P, ECLI:EU:C:2015:717 Rn. 34 f. – AC-Treuhand; aus der Literatur (kritisch) Bechtold, in: Büscher/Erdmann/Haedicke u. a. (Hrsg.), FS Bornkamm (2014), S. 104 f. Auch dort zeigt die Rechtsprechung gleichwohl eine Bereitschaft zu einer umfassenden Gesamtbetrachtung zur Feststellung von Wettbewerbsverstößen.

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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der Referenzwertmanipulation im europäischen Recht wird anschließend durch Heranziehung und Analyse zumindest vergleichbarer Konstellationen ermittelt, ob sich auch für den hiesigen Rechtskreis eine entsprechende Einschränkung der Anwendbarkeit des Kartellrechts in einem solchen Fall ergibt oder ob für eine solche Annahme keine ausreichende Grundlage gegeben ist. bb) Position in der US-amerikanischen Rechtsprechung Die Aufarbeitung der hier im Fokus stehenden Manipulationen von Referenzzinsen erfuhr im US-amerikanischen Rechtskreis erste grundlegende Prägung durch ein Zwischenurteil in einem diese Materie betreffenden Zivilprozess vom 29. März 2013.264 Kläger waren verschiedene Kapitalanleger, die in an den LIBOR für US-$ gebundene Finanzprodukte, unter anderem auch in Zinsderivate, investiert hatten. Die durch das Gericht gesammelt verhandelten Klagen wurden, neben kapitalmarktrechtlicher Argumentation, auch auf eine kartellrechtliche Anspruchsgrundlage gestützt. Das Gericht, und dieser Entscheidung folgend ein Jahr später auch ein weiterer Richter in einem Parallelverfahren,265 sah die Voraussetzungen für einen solchen Kartellschadensersatzanspruch jedoch aus zwei Gründen nicht als erfüllt an: Zum einen wurde angeführt, dass die Referenzzinsermittlung des LIBOR ein kooperativer Vorgang sei und seine Beeinflussung daher nicht als wettbewerbliche Einschränkung bewertet werden könne.266 Darüber hinaus wurde in der Begründung der Klageabweisung ausgeführt, dass die Finanzinstitute für eine Beeinflussung des Endwertes nicht auf ein kooperatives Vorgehen angewiesen gewesen wären. Es wäre ihnen vielmehr möglich gewesen, auch rein unilateral von den realen Bedingungen abweichende Werte zu melden.267 So vertritt die Richterin Buchwald in der ersten Entscheidung den Standpunkt, dass für eine Wettbewerbsbeschränkung auf dem nachgelagerten Markt der Finanzderivate kein Raum wäre, soweit das Zusammenwirken der potenziellen Kartellanten auf einer nichtwettbewerblich strukturierten Ebene vorgenommen wurde. Konkret heißt es: „In other words, it is not sufficient that plaintiffs paid higher prices because of defendants’ collusion; that collusion must have been anticompetitive, involving a failure of defendants to compete where they otherwise would have.“268 Entsprechend stellt auch Richter Daniels in einem zeitlich nachfolgenden 264 In re: LIBOR-Based Financial Instruments Antitrust Litigation, 935 F.Supp.2d 666 (S.D.N.Y. 2013). 265 Laydon v. Mizuho Bank, Ltd. et al, No. 12-cv-3410 (S.D.N.Y. 2014). 266 Laydon v. Mizuho Bank, Ltd. et al, No. 12-cv-3410, S. 15 (S.D.N.Y. 2014); In re: LIBORBased Financial Instruments Antitrust Litigation, 935 F.Supp.2d 666, 688 f. (S.D.N.Y. 2013). 267 In re: LIBOR-Based Financial Instruments Antitrust Litigation, 935 F.Supp.2d 666, 689 ff. (S.D.N.Y. 2013). 268 In re: LIBOR-Based Financial Instruments Antitrust Litigation, 935 F.Supp.2d 666, 688 f. (S.D.N.Y. 2013).

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C. Kartellrechtliche Bewertung

Urteil fest: „As Judge Buchwald recognized in the USD LIBOR Litig., the setting of the USD LIBOR benchmark rate is not competitive; rather it is a cooperative effort wherein otherwise competing banks agreed to submit estimates of their borrowing costs to facilitate calculation of an interest rate index.“269 Speziell Richterin Buchwald stützt ihre Ablehnung eines restraint of trade als tatbestandliche Voraussetzung des US-amerikanischen Kartellverbots in § 1 Sherman Act darüber hinaus auf die Feststellung, die Unternehmen hätten sich auch ohne Absprache gleichförmig verhalten können, die Veränderung wäre also ebenso mit kartellrechtlich zulässigem Verhalten umsetzbar gewesen. Insbesondere dieser zweite Aspekt hat, auch von anderen US-amerikanischen Gerichten,270 wohl durchaus berechtigte Kritik erfahren.271 Letztlich könnte bei einem solchen Ansatz, der auch im europäischen Recht keinen Anhaltspunkt findet, eine Vielzahl von denkbaren Kartellverstößen legitimiert werden. In der Folge wurde die Abweisung der auf kartellrechtliche Grundlage gestützten Klagen durch Richterin Buchwald von dem Berufungsgericht aufgehoben.272 Die Richter der zweiten Instanz verwarfen hierbei sowohl die Argumentation zur fehlenden wettbewerblichen Auswirkung von bereits ihrer Konzeption nach nichtwettbewerblich konzipierten vorgelagerten Prozessen,273 als auch die Bedeutung der Möglichkeit, dass sich dieselben Effekte auch bei unilateralen Vorgehensweisen hätten zeigen können.274 Hierdurch wurde gleichwohl noch keine abschließende Entscheidung über die Begründetheit der Klagen getroffen. Unabhängig vom weiteren Verfahrensgang der Prozesse in den USA sind die insoweit aufgeworfenen Fragen jedenfalls diskussionswürdig und daher näher zu betrachten. Im Folgenden wird sich die Auseinandersetzung auf das erste Argument von Richterin Buchwald konzentrieren, dass aus nichtwettbewerblichen Prozessen keine wettbewerblichen bzw. kartellrechtlich relevanten Auswirkungen resultieren könnten. Nur dieses erscheint aus den genannten Gründen, die gegen anderweitige, in Richtung einer Verteidigung durch einen Verweis auf rechtmäßiges Alternativver-

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Laydon v. Mizuho Bank, Ltd. et al, No. 12-cv-3410, S. 15 (S.D.N.Y. 2014). So stellt die Richterin Schofield in einem Zwischenurteil zu Klagen bezüglich der Manipulation von Referenzwerten für den Devisenmarkt zu diesem Argument fest: „(…) this Court respectfully disagrees with its conclusion (…)“; In re Foreign Exchange Benchmark Rates Antitrust Litigation, 74 F.Supp.3d 581, 597 (S.D.N.Y 2015). 271 Wolfram, In Re Libor: More Light, Please!, 2015, abrufbar unter: http://papers.ssrn.com/ sol3/papers.cfm?abstract_id=2584746 (geprüft am 23. 11. 2017); Foster, 10 BYU Int’l L. & Mgmt. R. 91 (2014); Foster, 11 DePaul Bus. & Comm. L.J. 291 (2013); Philip, Jr./Girnys, No Antitrust Injury In Libor Rate-Setting? – What Happened To Effects?, 2013, abrufbar unter: https://www.competitionpolicyinternational.com/assets/Uploads/Cartel-May-1-edit.pdf (geprüft am 23. 11. 2017). 272 Gelboim v. Bank of Am. Corp., 823 F.3d 759 (2d Cir. 2016). 273 Gelboim v. Bank of Am. Corp., 823 F.3d 759, 775 f. (2d Cir. 2016). 274 Gelboim v. Bank of Am. Corp., 823 F.3d 759, 776 f. (2d Cir. 2016). 270

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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halten gehende Argumentation sprechen, zumindest potenziell auf den hiesigen Rechtskreis übertragbar. cc) Untersuchung vergleichbarer Marktkonstellationen Für die Behandlung der Thematik der wettbewerblichen Auswirkung nichtwettbewerblicher Prozesse auf nachgelagerte Märkte im Rahmen der Referenzwertmanipulation für die Bewertung am Maßstab des europäischen Kartellrechts bietet es sich an, die Frage zunächst losgelöst von dieser konkreten Konstellation zu betrachten. So liegt ein Vergleich mit anderen, zumindest in Teilen ähnlich gelagerten Sachverhalten nahe. Dies gilt umso mehr, soweit dort bereits eine vertieftere Befassung mit der Materie durch Literatur und Rechtsprechung vorgenommen wurde, was für die Beeinflussung von Referenzzinsen in vergleichbarer Form bisher nicht erfolgt ist.275 Für diesen Vergleich werden drei potenziell ähnlich gelagerte Problemfelder dargestellt. Erste Vergleichsmöglichkeit bietet die Fallgruppe der Marktinformationsverfahren. Auch hier steht, insofern möglicherweise kongruent, ein Informationsaustausch zwischen den potenziellen Kartellanten auf einer Vorstufe zur konkreten Wettbewerbstätigkeit, die durch das vorgelagerte Handeln tangiert werden könnte, im Mittelpunkt. Zudem ist die Kernmaterie „Information“ einer solchen im Referenzwertermittlungsprozess ähnlich. Angesichts des verhältnismäßig fortgeschrittenen Standes der Diskussion in Forschung und Praxis in diesem Bereich276 könnten sich, gegebenenfalls in modifizierter Form, Erkenntnisse übertragen oder als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen nutzen lassen. Abseits von Problematiken, die den Informationsaustausch von Wettbewerbern betreffen, steht die kartellrechtliche Behandlung von Absprachen auf dem Markt für Blutspenden.277 Hier besteht ein vorgelagerter, qua Gesetz eigentlich nicht wettbewerblich konzipierter,278 Markt für das Sammeln der Spenden, der sich in der Folge auf den wettbewerblichen Markt des Handels mit den gewonnen Blutvorräten auswirkt. Insbesondere im deutschen Rechtskreis hat die Thematik Be275 Das EuG nimmt die Möglichkeit der Verknüpfung in seiner Entscheidung zur Klage des Brokers ICAP ohne weitere Diskussion als gegeben an, vgl. EuG, Urt. v. 10. 11. 2017, Rs. T-180/ 15, ECLI:EU:T:2017:795 – ICAP. 276 Beispielhaft aus dem neueren tiefergehenden Schrifttum etwa Streicher, Vertikale Information im Lichte des Kartellverbots (2014); Blattmann, Der Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern (2012); Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren: Grenzen der Information im Wettbewerb (2004); Tugendreich, Die kartellrechtliche Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren (2004); zuvor etwa schon Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb (Hrsg.), Bewertung und Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren (1992); ausführlich bspw. schon Hoppmann, WuW 1966, 97. 277 Einführend in diese Thematik Podszun, ZWeR 2008, 193. 278 Insoweit normiert § 10 TFG eine Unentgeltlichkeit von Blutspenden, näher Podszun, ZWeR 2008, 193, 196 ff.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

handlung erfahren und wird daher auf möglicherweise übertragbaren Erkenntnisgewinn geprüft werden. Ähnliches gilt für den von der Thematik her ähnlich gelagerten Werbemarkt in Bezug auf das Verhältnis zwischen dem Betreiber der Werbeplattform und dem Konsumenten.279 Diese Fälle werden gemeinsam dargestellt und erörtert. Abschließend erfolgt die Analyse eines Einzelfalls in Form der Entscheidung des EuGH in der Sache Dole Food Co.,280 die sich mit einem Kartell auf dem Bananenmarkt befasst, unter Berücksichtigung des Verfahrensgangs und der dort vorgebrachten Argumentationen.281 Auch hier steht ein vorpreislicher Informationsaustausch im Mittelpunkt der kartellrechtlichen Untersuchung, der allerdings hinsichtlich seiner konkreten Wirkungsweise zum klassischen Marktinformationsverfahren gewisse Unterschiede aufweist und deshalb gesondert betrachtet wird. (1) Marktinformationsverfahren Als Marktinformationsverfahren bezeichnet man den direkten oder indirekten Austausch von marktrelevanten Informationen zwischen mindestens zwei Unternehmen.282 Zu unterscheiden ist zwischen sogenannten selbstständigen Marktinformationssystemen283, welche für sich selbst betrachtet bereits einen Fall des Kartellverbots darstellen und unselbstständigen Informationssystemen, welche ein 279

Hierzu etwa Trafkowski, MMR 1999, 630, 634 ff.; Schmidt, ZUM 1997, 472. EuGH, Urt. v. 19. 03. 2015, Rs. C-286/13 P, ECLI:EU:C:2015:184 – Dole Food Co. 281 EuG, Urt. v. 14. 03. 2013, Rs. T-588/08, ECLI:EU:T:2013:130 – Dole Food Co.; Europäische Kommission, Entsch. v. 15. 10. 2008, ABl. 2009 C 189, 12 – Bananen. 282 Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 4 Rn. 91; Emmerich, Kartellrecht (2014), § 21 Rn. 38; Streicher, Vertikale Information im Lichte des Kartellverbots (2014), S. 28; Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 265; Tugendreich, Die kartellrechtliche Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren (2004), S. 18. Ausführlich zur kartellrechtlichen Bedeutung der wettbewerblichen Information auch Blattmann, Der Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern (2012), sowie Wagner-von Papp, Marktinformationsverfahren: Grenzen der Information im Wettbewerb (2004). Näher zu einigen speziellen Fragen im Zusammenhang mit Marktinformationsverfahren auch Wagner-von Papp, Information exchange agreements, in: Lianos/Geradin (Hrsg.), Handbook on European Competition Law (2013), S. 163 ff. Auch die Europäische Kommission hat ihre Position diesbezüglich ausführlich in Leitlinien dargestellt, Europäische Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2011 C 11, 1 Rn. 55 ff. 283 Die Begrifflichkeiten Marktinformationsverfahren und Marktinformationssystem werden weitgehend synonym verwendet. Daneben stehen eine Vielzahl weiterer Formulierungen, s. die Aufzählung bei Streicher, Vertikale Information im Lichte des Kartellverbots (2014), S. 27 Fn. 27. Nur vereinzelt wird anscheinend – ohne nähere Begründung – eine unterschiedliche Reichweite der Ausdrücke angenommen, so Kirchner, WuW 2001, 1030, 1031 Fn. 8. Alternativ wird dafür votiert nur noch von Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern zu sprechen, vgl. Rahlmeyer, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann u. a. (Hrsg.), FK KartellR, 76. EL Stand: März 2012, Art. 101 Abs. 1, 3 AEUV Fallgruppen II.6. Rn. 4. In dieser Bearbeitung soll mangels erkennbarer praktischer Relevanz keine Unterscheidung erfolgen. 280

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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anderweitig bestehendes Kartell fördern, etwa indem sie die Kontrolle der Kartellumsetzung ermöglichen.284 Kartellrechtlich besonders relevant, da von ihrer wettbewerbsschädlichen Auswirkung besonders intensiv, sind die sogenannten identifizierenden Preismeldesysteme. Bei diesen teilen die beteiligten Unternehmen einer Meldestelle ihr Marktverhalten in Bezug auf die Preissetzung mit, wobei diese Daten dann unter Preisgabe der Identität der an den Handelsvorgängen beteiligten Unternehmen weiterverarbeitet und schließlich veröffentlicht werden.285 Sie stellen regelmäßig für sich selbst schon einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln dar, fallen also in die Gruppe der selbstständigen Marktinformationsverfahren.286 Auf sie soll sich an dieser Stelle die Bearbeitung konzentrieren, da sich hier am deutlichsten eine Verknüpfung zwischen dem Informationswert und seinem Einfluss auf den Wettbewerb aufzeigen lässt. Ausgangspunkt für die kartellrechtliche Bewertung von Marktinformationsverfahren bildet das durch die Rechtsprechung des EuGH geprägte und in den Mittelpunkt des europäischen Kartellrechts gerückte Selbstständigkeitspostulat. Hiernach hat jedes Unternehmen auf dem gemeinsamen Markt sein Handeln unabhängig zu gestalten.287 Je mehr Informationen einem Marktteilnehmer nun über seine Mitbewerber zur Verfügung stehen, desto stärker wird es dazu tendieren, sein Verhalten lediglich auf diese einzustellen. Dies ist zwar auch grundsätzlich übliche Marktstrategie und nach Rechtsprechung des EuGH ist es aus kartellrechtlicher Perspektive auch nicht zu beanstanden, sich den Wettbewerbern „(…) mit wachem

284

Europäische Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2011 C 11, 1 Rn. 65 ff. 285 Das konkrete Vorgehen kann hierbei freilich in vielerlei Form erfolgen, zu den verschiedenen Formen von Marktinformationsverfahren etwa Tugendreich, Die kartellrechtliche Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren (2004), S. 25 ff.; ausführlich und durchaus kritisch zur Bedeutung der Identifizierbarkeit bei der kartellrechtlichen Bewertung auch Wagnervon Papp, WuW 2005, 732; grundlegend zuvor Hoppmann, WuW 1966, 97. 286 Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 4 Rn. 92; Rahlmeyer, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann u. a. (Hrsg.), FK KartellR, 76. EL Stand: März 2012, Art. 101 Abs. 1, 3 AEUV Fallgruppen II.6. Rn. 28 ff.; Carle/Johnsson, E.C.L.R. 1998, 74, 78. Abseits von eindeutigen Fällen bleibt eine sorgfältige Einzelfallprüfung unerlässlich, Ansätze für entsprechende Maßstäbe hierfür bietet etwa Karenfort, WuW 2008, 1154, 1163 ff. 287 EuGH, Urt. v. 26. 01. 2017, Rs. C-609/13 P, ECLI:EU:C:2017:46 Rn. 71 – Duravit; EuGH, Urt. v. 19. 03. 2015, Rs. C-286/13 P, ECLI:EU:C:2015:184 Rn. 119 – Dole Food Co.; EuGH, Urt. v. 04. 06. 2009, Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343 Rn. 32 – T-Mobile Netherlands; EuGH, Urt. v. 23. 11. 2006, Rs. C-238/05, ECLI:EU:C:2006:734 Rn. 52 – Asnef-Equifax; EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, Rs. 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73, ECLI:EU: C:1975:174 Rn. 173 – Suiker Unie; Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 4 Rn. 55; s. a. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 89.

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Sinn anzupassen (…)“288. Sobald dies allerdings zu Wettbewerbsbedingungen bzw. zu Marktverhalten führt, das ohne die Verfügbarkeit der entsprechenden Daten nicht erfolgen würde, weil Informationen gewonnen werden, die unter regulären Umständen nicht verfügbar wären, kann ein solcher Sachverhalt aufgrund seiner Schädlichkeit für den Wettbewerb dem Kartellverbot unterfallen. Ähnlich wie bei der Referenzwertmanipulation steht hier also ein Informationswert im Mittelpunkt der kartellrechtlichen Untersuchung. Der prägende Unterschied zu jener ist aber, dass dieser Informationswert hier unmittelbar aus dem Wettbewerb entspringt und auch direkt auf diesen zurückwirkt, wenn die erhaltenen Informationen die Handlungen der Unternehmen beeinflussen. Denn diese Information wird bei Marktinformationssystemen durch die Unternehmen als Entscheidungsgrundlage für ihr zukünftiges Marktverhalten eingesetzt. Diese Verknüpfung von Information und Handlung bei Marktinformationsverfahren bedingt eine andere kartellrechtliche Einschätzung, da die wettbewerbliche Unmittelbarkeit hier ein höheres Maß erreicht, als dies bei der Referenzwertermittlung der Fall ist. So stellt der Informationswert im Fall von Referenzwerten selbst einen Parameter auf den Märkten dar und ist weniger ein Faktor, der Einfluss auf bestimmte Handlungsentscheidungen hat. Anders kann dies sein, wenn der Prozess der Referenzwertermittlung bzw. der gemeldete Einzelwert wiederum wie bei den „klassischen“ Marktinformationsverfahren selbst im Zentrum des kartellrechtlichen Fokus steht. Dies könnte der Fall sein, soweit sich aus ihm Rückschlüsse auf das Verhalten oder die Marktstellung der an ihm beteiligten Unternehmen bilden lassen, was wiederum zu Auswirkungen auf das Handeln von Wettbewerbern oder auch der Marktgegenseite führen kann.289 Dann handelt es sich allerdings auch nicht mehr um ein Problem der mittelbaren Auswirkung dieses Wertes auf nachgelagerte Märkte. Entsprechend lässt sich festhalten, dass die kartellrechtliche Problematik von Marktinformationsverfahren zur Referenzwertmanipulation zwar hinsichtlich der Bedeutung von Informationswerten für die Wettbewerbsbeeinflussung eine gewisse Vergleichbarkeit besitzt, die hier im Fokus stehende Frage der mittelbaren Auswirkung nicht288 EuGH, Urt. v. 28. 05. 1998, Rs. C-7/95 P, ECLI:EU:C:1998:256 Rn. 87 – John Deere; EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, Rs. 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73, ECLI:EU:C:1975:174 Rn. 173 – Suiker Unie; vgl. auch Schröter/Voet van Vormizeele, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht (2015), Art. 101 AEUV Rn. 66. 289 Dies war im Übrigen wohl das tragende Motiv für die ebenfalls vorgenommenen einseitigen Manipulationen durch die Finanzinstitute, die aufgrund der Bekanntgabe der zugeordneten Einzelwerte bei der LIBOR-Veröffentlichung ihre eigene Bonität positiv darstellen wollten. Mittlerweile werden die Einzelwerte nur mit zeitlicher Verzögerung veröffentlicht, um diesen Effekt zu vermeiden, vgl. BBA, Announcement of LIBOR changes, 12. 06. 2013, abrufbar unter: https://www.bba.org.uk/news/press-releases/announcement-of-libor-changes (geprüft am 23. 11. 2017). Für die hier unternommene Untersuchung soll der Punkt – der auch seitens der Europäischen Kommission nicht erwähnt wird – an dieser Stelle nicht vertieft werden. Letztlich käme mangels einer Koordination zwischen den Banken wohl ohnehin nur eine Qualifikation am Maßstab des Art. 102 AEUV in Betracht.

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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wettbewerblicher Prozesse in der dortigen Diskussion mangels entsprechender Relevanz indes keinen Niederschlag gefunden hat. Einen Sonderfall innerhalb der Fallgruppe des Informationsaustausches bildet das sogenannte benchmarking.290 Bei diesem wird durch gezielten Vergleich einzelner Strukturparameter von Unternehmen eine Optimierung angestrebt.291 Im Unterschied zum klassischen Informationsaustausch wird hierbei also nach eigener Verbesserung durch Anpassung an als gut funktionierend erkannte Prozesse gestrebt und nicht vorrangig versucht, durch Reaktion auf transparente Vorgänge – etwa Preisanpassungen an das erkannte Marktniveau – das eigene Marktverhalten nur kurzfristig ökonomisch zu optimieren. Unabhängig von der Frage, ob man die für Marktinformationsverfahren geltenden Grundsätze auch auf diese Fälle anwenden will,292 besteht der Unterschied zu den untersuchten Referenzwertmanipulationen – abgesehen davon, dass bei dem hier vorgestellten benchmarking keine Wertmanipulation stattfindet – erneut in der deutlicheren Verbundenheit zum beeinflussten Wettbewerb, der erneut selbst als Datenquelle fungiert. Entsprechend ist trotz der Similarität in der Bezeichnung auch hier ein Vergleich nur hinsichtlich der kartellrechtlichen Bedeutung von Informationen allgemein möglich. Zusammenfassend zeigt sich, dass trotz der scheinbaren Ähnlichkeit – im Fall von benchmarking auch auf begrifflicher Ebene – Marktinformationsverfahren ein weitestgehend anders gelagertes Problemfeld innerhalb des Kartellrechts betreffen als die Referenzwertmanipulation. Es fehlt letztlich die hier untersuchte zweigliedrige Struktur, die aus Bekanntgabe der Information und ihrer Einarbeitung in ein nachfolgendes Produkt besteht, die das in diesem Abschnitt der Bearbeitung hervorgehobene Problem prägt. Verwertbar bleiben die überzeugenden Erkenntnisse zur kartellrechtlichen Relevanz von Informationswerten allgemein.293 (2) Blutspenden und Werbung Als nächster Vergleichsbereich wird nun die kartellrechtliche Bewertung von Absprachen auf dem Blutspendenmarkt dienen.294 Hier liegt die Ähnlichkeit zur

290 Hierzu Voet van Vormizeele, WuW 2009, 143; Tugendreich, Die kartellrechtliche Zulässigkeit von Marktinformationsverfahren (2004), S. 29 ff.; Carle/Johnsson, E.C.L.R. 1998, 74. 291 Zur konkreten Vorgehensweise s. Voet van Vormizeele, WuW 2009, 143, 147 f. 292 So etwa Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 271. 293 Entsprechendes kann im Übrigen auch für andere Informationswerte gelten, vgl. etwa – insbesondere zum Bereich des Patentrechts – Patterson, Antitrust and Informational Restraints, in: Hawk (Hrsg.), International Antitrust Law & Policy: Fordham Competition Law 2012 (2013), S. 493 ff. 294 Die Untersuchungen in diesem Bereich betreffen soweit ersichtlich vorrangig einen Verstoß gegen das Kartellverbot nach deutschem Recht, also § 1 GWB. Angesichts der weitgehenden Angleichungen und vergleichbaren Mechanismen in den deutschen und europäischen

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Referenzzinsmanipulation – im Gegensatz zu den zuvor besprochenen Marktinformationsverfahren – nicht in dem durch die zu qualifizierende Vorgehensweise betroffenen Gegenstand, der Information. Sie findet sich vielmehr in einer möglicherweise eher vergleichbaren Marktstruktur mit einem nichtwettbewerblichen geprägten Ausgangsmarkt, der durch potenziell kartellrechtlich relevante Maßnahmen beeinträchtigt wird, wodurch sich in der Folge Auswirkungen auf einen wettbewerblich konzipierten Folgemarkt ergeben können. Konkret ist dies auf der ersten Ebene das Sammeln von Blutspenden durch verschiedene Institutionen, geprägt durch das unmittelbare Verhältnis von Sammelorganisation zum Spender. Auf der zweiten Ebene besteht dann ein Markt für die Verwendung dieser Spenden, hier ein möglicher Wettbewerb zwischen den Sammelorganisationen in Bezug auf den Verwender als Marktgegenseite, etwa Krankenhäusern oder Forschungseinrichtungen. Grundlage der Analyse bildet neben vorhandener Literatur295 die ergangene Rechtsprechung.296 Ausgangspunkt der Diskussion ist zum einen die gesetzlich in § 10 TFG normierte und durch entsprechendes Werbeverbot in § 7 Abs. 3 HWG flankierte Unentgeltlichkeit von Blutspenden.297 Darüber hinaus ordnet § 3 Abs. 2 TFG eine gewisse Kooperationspflicht der Spendeneinrichtungen untereinander an. Es fragt sich nun, ob man auf dieser Grundlage bereits pauschal eine Unanwendbarkeit des Wettbewerbsrechts in diesem Bereich folgern kann oder nicht doch eine differenzierte Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse angezeigt sein könnte. Das OLG Jena stellte in diesem Zusammenhang fest: „Eine isolierte Betrachtung des reinen Blutspendebereichs, also der Beziehung zwischen den einzelnen Blutspendern und den Sammelorganisationen scheidet aus. Denn die Beschaffung von Spenderblut ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass überhaupt eine Weiterveräußerung von Blut möglich ist.“298 Diese hier zu beobachtende Verknüpfung zweier Märkte, die zwangsläufig voneinander abhängig sind, findet sich in noch stärkerem Maße auf dem Markt für Werbung in Medien.299 Hier stellt sich die Frage, ob der Wettstreit um Zuschauer als Wettbewerb einzustufen ist; erneut fehlt auf erster Ebene zwischen Anbieter und

Regelungen schließt dies einen Erkenntnisgewinn für die vorliegende europarechtliche Problematik gleichwohl nicht aus. 295 Podszun, ZWeR 2008, 193. 296 OLG Jena, Urt. v. 27. 09. 2006, Rs. 2 U 60/06, BeckRS 2006, 13794; zu einem Fall von Marktmissbrauch i.S.d. § 19 GWB auf dem Markt für Blutprodukte auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 03. 03. 2004, Rs. VI-U (Kart) 34/02, BeckRS 2004, 18466. 297 Nicht eingegangen werden soll an dieser Stelle auf die Frage, ob die Unentgeltlichkeit die Annahme eines Marktes verhindert. Jedenfalls die verknüpfte Wirkung wird auch von der Gegenansicht anerkannt, so etwa OLG Düsseldorf, Urt. v. 09. 01. 2015, Rs. VI Kart 1/14 (V), WuW/E DE-R 4572, 4576. 298 OLG Jena, Urt. v. 27. 09. 2006, Rs. 2 U 60/06, BeckRS 2006, 13794. 299 Zur Vergleichbarkeit dieser Konstellationen s. a. Podszun/Franz, NZKart 2015, 121, 122.

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Konsument regelmäßig eine Entgeltlichkeit.300 Allerdings wird hier bereits auf der ersten Ebene, also dem Wettstreit um Konsumenten, eine von einem gewissen Wettbewerb geprägte Situation erkannt. Teilweise wird vertreten, in dem Konsum von Werbung läge eine wettbewerbliche Leistung des Rezipienten, so dass tatsächlich unmittelbar ein Wettbewerb angenommen werden könne.301 Diese Frage kann allerdings letztlich dahinstehen. Denn zumindest soll aus der direkten Spiegelung von Zuschauermarkt und Werbemarkt eine wettbewerbliche Qualität des Ersten zu folgern sein.302 Jedenfalls zeigt sich, dass eine strenge Separierung der beiden Märkte mit dem Resultat einer Nichtanwendbarkeit der Wettbewerbsregeln als unsachgemäß qualifiziert wird und nicht vorgenommen wird. Insgesamt ist an diesen Beispielen zu erkennen, dass eine Verknüpfung eigentlich nicht von tatsächlichem Wettbewerb geprägter Märkte mit solchen, auf denen Wettbewerb eindeutig besteht, dem Kartellrecht keineswegs fremd ist. Vorliegend erlangt sowohl bei den Blutspenden für das Verhältnis von Spender zu Sammeldienst, als auch bei dem Werbemarkt für die Beziehung zwischen Medienbetreiber und Rezipient, diese vorgelagerte Ebene ihre kartellrechtliche Relevanz durch die Verbindung mit der entsprechend nachgelagerten. Soweit eine ausreichend starke Beziehung mit einem nachgelagerten Wettbewerb besteht, kann also als anerkannt gelten, dass auch Eingriffe in der eigentlich nicht wettbewerblich konzipierten Vorstufe als Wettbewerbsverstöße qualifiziert werden können, notwendig ist also immer eine Gesamtbetrachtung der Umstände. Angesichts der in diesen Fällen vorhandenen und nachgewiesenen Zusammenhänge ist die dortige Qualifikation auch durchaus überzeugend. Zu bedenken ist nun, dass die hier herangezogenen Märkte für Blutspenden und Werbung sich von denen der Referenzwertermittlung, trotz der dargestellten Ver300

Anders freilich bei den insoweit auszuklammernden Angeboten des Pay-TV, hierzu etwa Schnelle/Bartosch, BB 1999, 1933, 1935 ff. Eine augenscheinlich komplizierte Situation stellt sich auch bei den großteils gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, allerdings konkurrieren auch diese um Zuschauer, ohne von diesen ein unmittelbar gekoppeltes Entgelt zu erhalten, vgl. zur Unterscheidung Parlasca, WuW 1994, 210, 214 f. Dies dürfte seit der vollständigen Entkopplung der GEZ von tatsächlicher Nutzung umso mehr gelten, kann an dieser Stelle jedoch nicht vertieft erörtert werden. 301 Trafkowski, MMR 1999, 630, 634 f.; Schmidt, ZUM 1997, 472, 474; Monopolkommission, XI. Hauptgutachten 1994/1995, BT-Drucks. 13/5309, Rn. 240; anders zuvor noch Monopolkommission, VI. Hauptgutachten 1984/1985, BT-Drucks. 10/5860, Rn. 584; ein selbstständiger Zuschauermarkt wird wohl auch angenommen bei Europäische Kommission, Entsch. v. 20. 09. 1995, Abl. 1996 L 134, 32 Rn. 20 f. – RTL/Veronica/Endemol; a. A. wohl Paal, Medienvielfalt und Wettbewerbsrecht (2010), S. 197; ebenfalls a. A. mit speziell auf den (deutschen) Rundfunkbereich zugeschnittener Argumentation Buchholtz, ZUM 1998, 108, 111 f.; offen gelassen wird die Frage (im Rahmen einer Fusionskontrolle) bei Europäische Kommission, Entsch. v. 07. 10. 1996, Case IV/M.779 Rn. 13 ff. – Bertelsmann/CLT; sowie Europäische Kommission, Entsch. v. 14. 02. 1997, Case IV/M.878 Rn. 7 – RTL 7; für das deutsche Recht entspr. OLG Düsseldorf, Urt. v. 18. 10. 2006, Rs. VI-Kart 2/05 (V), WuW 2007, 65. 302 Podszun/Franz, NZKart 2015, 121, 122.

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gleichbarkeiten, dennoch unterscheiden. In beiden Fällen stehen die Marktteilnehmer in einem gewissen Wettstreit, wenn dieser auch nicht in klassisch wettbewerblich in Form durch eine zugrundeliegende Austauschbeziehung von Leistung gegen Entgelt geprägt ist.303 Zudem stehen ihnen in diesem – trotz möglicher gesetzlicher Einschränkungen wie etwa § 10 TFG oder § 7 Abs. 3 HWG – verschiedene Handlungsmöglichkeiten auf den Märkten zur Verfügung. Insofern lässt sich für die abschließende rechtliche Bewertung der vorgenommenen Manipulationen an dieser Stelle durch den Vergleich mit dem Blutspende- oder dem Werbemarkt keine zwingende Aussage entnehmen. Es bleibt aber die Erkenntnis, dass in der Praxis auch Eingriffe auf vorgelagerten Ebenen bei entsprechender (zwingender) Verknüpfung mit nachgelagerten Wettbewerben der kartellrechtlichen Bewertung zugänglich sein können. (3) Bananenkartell – Der Fall Dole Food Co. Letztlich als Unterfall der bereits vorgestellten Marktinformationsverfahren304 kann die gerichtliche Aufarbeitung eines Kartells auf dem Bananenmarkt305 angesehen und behandelt werden, wobei dennoch gewisse Besonderheiten bestehen. Sanktioniert wurde das Verhalten mehrerer international tätiger Bananenhändler hinsichtlich ihrer Preisfindungsmechanismen.306 Im Kern wurden Informationen zu Faktoren ausgetauscht, die den sogenannten „Listenpreisen“ zugrunde lagen. Diese Preise stellten nicht die festgelegten Endpreise dar, sondern dienten in der Regel lediglich als Verhandlungsbasis für die Festlegung eines Endpreises mit den Käufern der Bananen.307 Wichtigster Abnehmer war hierbei der die Einzelhandelskette Aldi. Der mit Aldi auf Grundlage der Listenpreise vereinbarte Endpreis, der sogenannte „Aldi-Preis“, wurde dann teilweise wiederum für weitere Verkäufe, auch im Rahmen langfristiger Lieferverträge mit festen Preisformeln, als Referenzpreis herangezogen.308 Hier zeigt sich erneut, dass eine strikte Trennung zwischen der vorgelagerten Ebene der Findung einer Preisbasis und den dann erfolgenden unabhängigen Ver303 Seit der 9.–GWB-Novelle stellt § 18 Abs. 2a GWB für das deutsche Recht auch ausdrücklich klar, dass Unentgeltlichkeit kein Ausschlusskriterium für die Annahme eines Marktes darstellt. 304 s. S. 78 ff. 305 EuGH, Urt. v. 19. 03. 2015, Rs. C-286/13 P, ECLI:EU:C:2015:184 – Dole Food Co.; vorhergehend: EuG, Urt. v. 14. 03. 2013, Rs. T-588/08, ECLI:EU:T:2013:130 – Dole Food Co.; Europäische Kommission, Entsch. v. 15. 10. 2008, ABl. 2009 C 189, 12 – Bananen. Eine kurze Zusammenfassung bieten Hugmark/Becher, JECLAP 2015, 652, 652 f. 306 Zum Sachverhalt vgl. EuGH, Urt. v. 19. 03. 2015, Rs. C-286/13 P, ECLI:EU:C:2015:184 Rn. 2 ff. – Dole Food Co. 307 EuGH, Urt. v. 19. 03. 2015, Rs. C-286/13 P, ECLI:EU:C:2015:184 Rn. 12 f. – Dole Food Co. 308 EuGH, Urt. v. 19. 03. 2015, Rs. C-286/13 P, ECLI:EU:C:2015:184 Rn. 13 – Dole Food Co.

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handlungen der einzelnen Kartellanten nicht zu wünschenswerten Ergebnissen führen würde. Auch wenn der Referenzwert lediglich zugrunde gelegt wird, kann dies durch seine mittelbaren Auswirkungen eine wettbewerbsrelevante Auswirkung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen. Der EuGH hat diesen Umstand in der Begründung seiner Entscheidung auch gar nicht als Problem thematisiert, sondern ging anscheinend selbstverständlich davon aus, dass die Verknüpfung gegeben sein muss. (4) Schlussfolgerungen Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es zumindest in Bezug auf das europäische Kartellrecht nicht der allgemeinen Praxis entsprechen würde, eine wettbewerbsrelevante Auswirkung von nichtwettbewerblich geprägten Prozessen auf nachgelagerte Märkte generell abzulehnen. So zeigen die angeführten Beispiele, dass dies, sofern überhaupt in Teilen als Problem erkannt, keine Hürde für die Anwendung des Kartellrechts dargestellt hat. Eine getrennte Betrachtungsweise, wie sie der zitierten US-amerikanischen Rechtsprechung für den Fall der Referenzzinsmanipulation vorzuschweben scheint, lässt sich auf das europäische Rechts nicht in entsprechender Form übertragen. dd) Zusammenfassung Ein weit gefasstes Verständnis der Verknüpfbarkeit verschiedener Marktebenen zur Vornahme der kartellrechtlichen Bewertung überzeugt jedenfalls für das europäische Recht. Dies umso mehr, wenn man die umfassende Schutzfunktion des durch den effet utile geprägten Wettbewerbsrechts im AEUV berücksichtigt.309 Grundsätzlich ist allein zur Vermeidung von Umgehungsgefahren zunächst einmal der gesamte tatsächliche Komplex der Absprachen und sein Bezug auf die hiervon (möglicherweise) betroffene nachgelagerte Ebene zu untersuchen. Insofern enthält auch der Wortlaut des Art. 101 Abs. 1 AEUV keine Einschränkung, dass die Vornahmehandlung, also eine Vereinbarung zwischen Unternehmen, ein Beschluss von Unternehmensvereinigungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, einen bestimmten unmittelbar wettbewerbsrelevanten Bezug besitzen müssen. Vielmehr zeigt schon das Regelbeispiel des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV auf, dass auch mittelbare Konstruktionen dem Kartellverbots unterfallende Praktiken darstellen können. Sofern dies die US-amerikanische Rechtsprechung für den dortigen Rechtskreis anders auffasst, ist ein solches Ergebnis nicht auf das europäische Recht übertragbar. Weder ergibt sich historisch aus der Anwendungspraxis in vergleichbaren Konstellationen ein Hinweis auf ein solches Verständnis, noch setzt die Norm es voraus. Insofern würde der Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV ohne 309 Zu Bedeutung und Anwendungspraxis des effet utile durch den EuGH vgl. Pieper, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), HdB EU-WirtschaftsR, 39. EL Stand: Februar 2016, B. I. Rechtsquellen Rn. 37. Letztlich steht auch bei dieser Rechtsfigur der Zweck der Norm im Mittelpunkt, diesbezüglich zu Art. 101 Abs. 1 AEUV bereits oben S. 38 ff.

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hierfür streitende Notwendigkeit eingeengt, was dem intendierten Schutzzweck zuwider laufen würde. Festzuhalten bleibt jedoch, dass aus dieser grundsätzlichen Verknüpfbarkeit noch keine Aussage zur Bewertung im konkreten Fall getroffen ist. Insofern ist eine konkrete Untersuchung der jeweiligen Vorgänge bezüglich ihrer Wirkungen auf die betroffene Marktstufe erforderlich, eine pauschale Feststellung wäre regelmäßig nicht ausreichend. b) Wettbewerbsbeschränkung durch Preismanipulation aa) Allgemeines Die in Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV genannte Preismanipulation stellt das erste Regelbeispiel des Kartellverbots dar. Bei Vorliegen eines dieser nicht abschließenden Beispiele für typische Kartellformen wird eine Wettbewerbsbeschränkung regelmäßig vorliegen, wobei freilich die übrigen Kriterien des Art. 101 Abs. 1 AEUV weiterhin erfüllt sein müssten.310 Insbesondere handelt es sich in diesen Fällen regelmäßig um bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen, sodass eine Analyse der tatsächlichen Wirkungen unterbleiben kann.311 Sofern man daher die Referenzwertmanipulationen hinsichtlich der dadurch in der Wertstellung beeinflussten Finanzderivatspositionen als Preisabsprache im Sinne des Regelbeispiels qualifizieren kann, wäre ein entsprechender Verstoß gegen das Kartellverbot – ein Vorliegen der übrigen Tatbestandsmerkmale unterstellt – anzunehmen.312 Die Europäische Kommission scheint die Einflussnahme auf Zinsderivate in diesem Zusammenhang tatsächlich als Preismanipulation einzuordnen, wenngleich sie überwiegend auf eine konkrete Nennung des Regelbeispiels verzichtet.313 Dies wird auch dadurch ange-

310 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 12 Rn. 1; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 177. 311 Schröter/Voet van Vormizeele, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht (2015), Art. 101 AEUV Rn. 132. Zur Bedeutung der Kriterien „bezweckt“ und „bewirkt“ und den Folgen der Zuordnung zu einer Alternative vgl. bspw. EuGH, Urt. v. 06. 10. 2009, Rs. C-501/06 P, C-513/06 P, C-515/06 P u. C-519/06 P, ECLI:EU:C:2009:610 Rn. 55 – GlaxoSmithKline. 312 Davon unabhängig ist die Frage, inwieweit in diesen Fällen noch eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV in Betracht kommen kann, vgl. zum Bestehen dieser Möglichkeit unter Aufarbeitung der Fallpraxis etwa Wish/Bailey, Competition Law (2015), S. 161 ff. Vorliegend wird allein die Einschlägigkeit des Kartellverbots aus Art. 101 Abs. 1 AEUV untersucht. 313 So beschreibt die Europäische Kommission unter allgemeinem Verweis auf Art. 101 AEUV dennoch das Regelbeispiel der Preisabsprache als Rechtsgrundlage, die sie im Folgenden als erfüllt ansieht, indes ohne auf diesen Aspekt noch einmal konkret einzugehen oder eine entsprechend spezifische Normzitierung vorzunehmen, vgl. Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 12. 2013, Case AT.39861 Rn. 76 f. – YIRD. Ähnl. auch Europäische Kommission, Entsch. v. 21. 10. 2014, Case AT.39924 Rn. 37 f. – CHFIRD: CHF LIBOR; Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 12. 2013, Case AT.39914 Rn. 56 ff. – EIRD. Ausdrücklich zitiert sie

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deutet, dass sie im Rahmen der Bußgeldbemessung eine Erhöhung des für die Bemessung der Strafe anzusetzenden Umsatzanteils vornimmt, da die von ihr erkannte „price coordination“, also die von Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV erfasste Koordinierung von Preisen, einen besonders schweren Verstoß gegen das Kartellverbot darstellen würde.314 Indes bestehen gegen die Qualifikation gewisse Bedenken, denen im Folgenden vertiefte Aufmerksamkeit gewidmet wird. Dies betrifft zunächst den Umstand, dass im Fall der Referenzzinsmanipulation mit Blick auf die Beeinflussung der Wertstellung von Zinsderivatpositionen in bereits bestehende Vertragsverhältnisse eingegriffen wird. Daneben steht damit verknüpft aber insbesondere die Frage, ob der konkreten Wertstellung zum Abrechnungszeitpunkt überhaupt Preischarakter zukommt und wie vor diesem Hintergrund eine entsprechende Einflussnahme einzuordnen sein könnte. bb) Eingriff in laufende Vertragsbeziehungen (1) Problemaufriss Bei der Manipulation von Referenzwerten besteht, zumindest hinsichtlich der hier im Mittelpunkt stehenden Beeinflussung der Wertstellung von Finanzderivaten, eine Besonderheit bei der Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV. Wie sich in der Skizzierung der Funktionsweise von Finanzderivaten gezeigt hat, findet die konkrete Berechnung der von den Vertragsparteien zu leistenden Zahlungen regelmäßig erst zu einem bestimmten, hinter dem Abschluss des Vertrages zwischen den Parteien liegenden Zeitpunkt statt.315 Folglich ist grundsätzlich die wettbewerbliche Entscheidung über den Abschluss des Vertrages zu bestimmten Modalitäten zum Zeitpunkt der hier untersuchten Einflussnahme bereits abgeschlossen. Nun stellt sich die Frage, inwieweit überhaupt noch eine kartellrechtliche Relevanz anzunehmen ist, wenn die Beteiligten nicht mehr ihr zukünftiges Vorgehen auf dem Markt koordinieren wollen, sondern nur die Resultate einzelner, bereits bestehender Positionen zu beeinflussen versuchen.316 Klassischerweise erfolgt eine kartellrechtlich relevante Absprache im Vorfeld der Vornahme von bestimmten Marktverhalten. Auch für die an dieser Stelle der Bearbeitung im Blickpunkt stehende Preismanipulation dürfte

das Regelbeispiel allerdings in der späteren Bußgeldentscheidung gegen ICAP, Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 200 – YIRD. 314 Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 12. 2013, Case AT.39914 Rn. 98 – EIRD. 315 Hierzu oben S. 27 ff. Eine konkrete rechtliche Einordnung dieser Konstellation ist angesichts der Internationalität der Vereinbarungen stark vom Einzelfall abhängig und für die Anwendung des europäischen Kartellrechts auch nicht erforderlich. Für das deutsche Recht wird die Konstruktion zum Teil als Vertrag mit Leistungsbestimmung durch Dritte i. S. d. §§ 315, 317 BGB qualifiziert, vgl. Weck, KommJur 2013, 247, 250. 316 Einen Kartellverstoß für diese spezielle Konstellation des nachträglichen Einwirkens bei der Referenzzinsmanipulation deshalb ablehnend Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2567.

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die Koordination mit einer Zielrichtung bezogen auf zukünftige Vertragsabschlüsse den Regelfall darstellen.317 (2) Bewertung für die vorliegende Problematik Zumindest die Europäische Kommission sieht in ihren ersten Entscheidungen zur Manipulation von Referenzzinsen keinen Anlass zu einer Unterscheidung nach Vornahmezeitpunkten, qualifiziert also einen Eingriff in laufende Vertragsbeziehungen offenbar zumindest für diese Konstellation ohne Weiteres als kartellrechtlich relevantes Verhalten.318 So werden diese Bedenken in der Entscheidung nicht thematisiert, mithin anscheinend nicht als rechtliches Problem wahrgenommen. In der folgenden Entscheidung im streitigen Verfahren gegen den Broker ICAP befasst sich die Europäische Kommission mit dem Argument, das als solches auch durch das beschuldigte Unternehmen vorgebracht wurde, sieht hierin jedoch keinen Grund für die Nichtanwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV.319 Auch das EuG erkennt in seinem Urteil über die Klage gegen diese Entscheidung auch hinsichtlich der im Rahmen bestehender Derivatsverträge geschuldeten Zahlungen eine Wettbewerbsbeschränkung, ohne näher auf diese Besonderheit einzugehen.320 Grundsätzlich scheint es bei einem eher strukturbezogenen Wettbewerbsverständnis, wie es dem europäischen Kartellrecht zugrunde gelegt wird,321 zumindest zweifelhaft, ob diese Wettbewerbsstruktur durch solche nachträglichen Eingriffe innerhalb einer Geschäftsbeziehung, die den Prozess der Vertragsanbahnung und -schließung ansonsten unberührt lassen, tatsächlich in einem Maße beeinträchtig wird, dass hierdurch eine Anwendung des Kartellverbots des Art. 101 Abs. 1 AEUV gerechtfertigt werden kann. Jedoch erscheint eine pauschale Beantwortung dieser Frage angesichts der Vielschichtigkeit der Auswirkungen von marktbeeinflussenden Maßnahmen nicht sachgerecht. Angemessener erscheint vielmehr eine Berücksichtigung dieses Aspektes im Rahmen der konkreten Prüfung einzelner Merkmale. Ein pauschaler Ausschluss nur anhand des Vornahmezeitpunktes könnte letztlich Umgehungsmöglichkeiten für die Kartellanten eröffnen und ergibt sich in dieser Tragweite auch nicht zwingend aus der Normierung des Art. 101 AEUV. Entsprechend soll an dieser Stelle auf eine Antwort zunächst verzichtet werden, die Problematik findet indes im Folgenden an angebrachter Stelle Berücksichtigung in der weiteren Untersuchung. 317 Vgl. Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 5 Rn. 165, wo auf „künftige Vereinbarungen“ abstellt wird. 318 Vgl. Europäische Kommission, Entsch. v. 21. 10. 2014, Case AT.39924 – CHFIRD: CHF LIBOR; Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 12. 2013, Case AT.39861 – YIRD; Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 12. 2013, Case AT.39914 – EIRD. 319 Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 232 – YIRD. 320 EuG, Urt. v. 10. 11. 2017, Rs. T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795 Rn. 72 – ICAP. 321 Vgl. zum Zweck des Kartellverbots und seiner wettbewerbspolitischen Prägung oben S. 38 ff.

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cc) Kriterien der Preismanipulation (Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV) Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV erfasst seinem Wortlaut nach sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Festsetzung von Preisen oder sonstiger Geschäftsbedingungen.322 Von Seiten der Europäischen Kommission und der Rechtsprechung werden Preisabsprachen regelmäßig als eine besonders intensive Form der Wettbewerbsbeschränkung eingeordnet und entsprechend geahndet.323 Aus diesem Grund zieht ein Verstoß dieser Art meist hohe Strafzahlungen als Sanktion nach sich.324 Das Regelbeispiel ist von seinem Wortlaut her relativ klar gehalten. Tatbestandsmerkmale der Alternative der Preismanipulation sind das Vorhandensein eines An- oder Verkaufspreises, der unmittelbar oder auch nur mittelbar durch die Kartellanten festgesetzt worden ist. In Anknüpfung an die weit gehaltenen Formulierungen ist die Regelung als ein Verbot jeglicher kooperativer Preisbeeinflussung zu verstehen.325 Dies umfasst beispielsweise auch die Gewährung von Rabatten bzw. den absprachebedingten Verzicht auf solche.326 Es muss sich im Übrigen nicht um ein horizontales Kartell handeln, auch vertikale Vereinbarungen mit entsprechendem Inhalt werden gegebenenfalls von Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV erfasst.327 Keine nähere Aussage treffen Europäische Kommission und Rechtsprechung indes zu der Frage, was genau unter einem „Preis“ im Sinne der Vorschrift zu verstehen ist. Da dieser Aspekt regelmäßig keine Probleme aufwirft, ist dies zunächst auch keineswegs verwunderlich, zumal sich eine einfach handhabbare Definition – wie sogleich vertieft werden wird – auch nicht ohne Weiteres ergibt. Hinsichtlich von Referenzwerten als Preisbestandteil, zumindest sofern sie erst im Rahmen einer späteren Wertstellung herangezogen werden, könnten sich jedenfalls Zweifel an der 322

Teilweise wird eine praktische Bedeutung der Regelbeispiele für die Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV in Frage gestellt, vgl. etwa Grave/Nyberg, in: Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff u. a. (Hrsg.), Kartellrecht (2016), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 306. Da die Preisabsprache als klassischer Fall der Wettbewerbsbeschränkung aber anerkannt bleibt, wird im Folgenden dennoch an der Zuordnung zum Regelbeispiel festgehalten. 323 Eine umfassende Darstellung der diesbezüglichen Entscheidungspraxis bieten etwa Schröter/Voet van Vormizeele, in: Schröter/Jakob/Klotz u. a. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Art. 101 AEUV Rn. 135 ff.; sowie van Bael/Bellis, Competition Law of the European Community (2010), S. 345 ff. 324 s. etwa die Nachweise bei Hengst, in: Langen/Bunte (Hrsg.), Kartellrecht (2018), Art. 101 AEUV Rn. 269. 325 Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 47. EL Stand: April 2012, Art. 101 AEUV Rn. 180. 326 EuGH, Urt. v. 26. 11. 1975, Rs. 73/74, ECLI:EU:C:1975:160 Rn. 10 ff. – Belgische Tapeten; Europäische Kommission, Entsch. v. 03. 06. 1975, ABl. 1975 L 159, 22 S. 24 – Kachelhandel; Europäische Kommission, Entsch. v. 15. 05. 1974, ABl. 1974 L 160, 1 Rn. 37 – IFTRA-Verpackungsglas; Hengst, in: Langen/Bunte (Hrsg.), Kartellrecht (2018), Art. 101 AEUV Rn. 273. 327 EuGH, Urt. v. 02. 04. 2009, Rs. C-260/07, ECLI:EU:C:2009:215 Rn. 82 – Pedro IV Servicios; Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 274 ff.

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entsprechenden Anwendung ergeben. Um diesen Aspekt näher zu beleuchten, wird im Folgenden daher zunächst versucht, eine verwertbare Bestimmung des Preisbegriffes zu finden, bevor anschließend eine vertiefte Untersuchung der Anwendbarkeit auf den Fall der Referenzzinsmanipulation und der Auswirkung auf den Markt für Finanzderivate erfolgt. dd) Der Referenzwert als Preis (1) Der Preisbegriff Bevor der Frage nach der Preisqualität von Referenzwerten bzw. ihrer Verwendung im Zusammenhang mit Finanzderivatkontrakten im Detail nachgegangen werden kann, ist es erforderlich, den Preisbegriff, wie er in Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV verwendet wird, näher zu bestimmen. Das Gesetz selbst bietet diesbezüglich keine Begriffsbestimmung. Auch in der Rechtsprechung erfolgte, soweit ersichtlich, bisher mangels eines konkreten Anlasses keine dezidierte Auseinandersetzung mit dieser Frage. In der rechtswissenschaftlichen Literatur findet sich die Feststellung: „Preis ist die im Synallagma stehende Gegenleistung für die vom Vertragspartner geschuldete Leistung“ als Definition.328 Dies deckt sich im Wesentlichen mit dem wirtschaftswissenschaftlichen Begriffsverständnis, wonach der Preis „den Tauschwert eines Gutes in Einheiten eines anderen Gutes ausdrückt.“329 Dieses Verständnis dürfte im Wesentlichen dem üblichen Sprachgebrauch entsprechen und kann daher für das Kartellverbot jedenfalls als Grundlage dienen. Im Regelfall wird sich der Tauschwert heutzutage in Geld ausdrücken, dies ist indes nicht zwingend. Umgekehrt ist zugleich nicht jede auf Grundlage des Vertrags erbrachte Geldleistung zwingend mit einer Preisregelung als Ausgangspunkt verknüpft.330

328 Nordemann, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff u. a. (Hrsg.), Kartellrecht (2016), Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 138; Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2014), § 2 GWB Rn. 146; Zapfe, WuW 2007, 1230, 1237. Soweit sich die Zitierung auf deutsches Recht bezieht, so ist – auch vor dem Hintergrund der autonomen Interpretation europarechtlicher Rechtsbegriffe – kein Grund ersichtlich, den dortigen Preisbegriff von dem des europäischen Kartellrechts abweichend zu verstehen. 329 Winter, Gabler Wirtschaftslexikon (2014), S. 2521: „Preis“. Dies bezeichnet den sogenannten relativen Preis in Abgrenzung zum absoluten Preis, der den Tauschwert in Geldeinheiten ausdrückt. 330 Nordemann, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff u. a. (Hrsg.), Kartellrecht (2016), Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 138, unter Verweis auf entsprechende Regelungen zum Flaschenpfand.

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(2) Anwendbarkeit bei der Verwendung von Referenzwerten (a) Vorüberlegungen Ausgehend von diesem grundsätzlich weit verstandenen Preisverständnis ist nun zu klären, ob es sich bei der Einflussnahme auf die Wertstellung von den hier betrachteten Zinsderivaten331 durch die Manipulation der mit diesen verknüpften Referenzwerten tatsächlich – wie von der Europäischen Kommission332 angenommen und durch das EuG333 bestätigt – um einen Fall der Preisabsprache im Sinne der Vorschrift handelt. Dies kann, anknüpfend am Wortlaut des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV, sowohl durch unmittelbare Absprache, als auch durch mittelbare Beeinflussung geschehen. Entsprechend dieser Alternativen erfolgt die weitere Untersuchung. (b) Unmittelbare Preismanipulation Die erste – und offensichtlichste – Möglichkeit einer Wettbewerbsbeschränkung durch Preisabsprachen ist die der unmittelbaren Vereinbarung bestimmter Werte für Einkaufs- oder Verkaufspreise im Warenverkehr. Letztlich dürfte dies auch die Fallgruppe darstellen, welche allgemein am ehesten unter dem Begriff „Kartell“ verstanden wird. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Zinszahlungen Preischarakter zukommen kann.334 Sie werden erbracht bzw. ihre Erbringung wird vom Schuldner zugesichert, um im Gegenzug vorab eine bestimmte Kapitalsumme zu erhalten. Dass die Vornahme der bei Vertragsschluss bestimmten Zinszahlungen insoweit erst zu bestimmten zukünftigen Zeitpunkten vorgenommen wird, ändert an dieser Einschätzung nichts und wäre letztlich auch eine nicht sachgerechte Einengung des Anwendungsbereichs. Denn insoweit lässt sich das klare Synallagma der Auszahlung der Kreditsumme als Gegenleistung zum Erhalt der entsprechenden Zinszahlungen bestimmen.335

331

Hierzu oben S. 28 ff. Vgl. Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 199 ff. – YIRD; Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 12. 2013, Case AT.39861 Rn. 76 f. – YIRD; Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 12. 2013, Case AT.39914 Rn. 56 ff. – EIRD; wohl auch, wenngleich nicht ganz so deutlich, Europäische Kommission, Entsch. v. 21. 10. 2014, Case AT.39924 Rn. 37 f. – CHFIRD: CHF LIBOR. 333 EuG, Urt. v. 10. 11. 2017, Rs. T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795 Rn. 66 ff. – ICAP. 334 So auch Europäische Kommission, Entsch. v. 11. 06. 2002, ABl. 2004 L 56, 1 Rn. 397 ff. – Lombard Club; Schröter/Voet van Vormizeele, in: Schröter/Jakob/Klotz u. a. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Art. 101 AEUV Rn. 147; s. a. EuGH, Urt. v. 21. 09. 1988, Rs. 267/86, ECLI:EU:C:1988:427 Rn. 17 f. – Van Eycke/ASPA. 335 Vgl. (für den Darlehensvertrag nach deutschem Zivilrecht) Berger, in: Säcker/Rixecker/ Oetker u. a. (Hrsg.), MüKo BGB (2016), § 488 BGB Rn. 156 m. w. N. 332

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Indes ist die Übertragung dieser Feststellung auf den vorliegenden Fall nicht so eindeutig, wie es zunächst möglicherweise erscheinen mag.336 Bevor man bestimmen kann, ob unter der Referenzzinsmanipulation tatsächlich eine unmittelbare Preisabsprache verstanden werden kann, ist es in einem ersten Schritt erforderlich zu untersuchen, welche Bedeutung den einzelnen Komponenten des letztlich im Mittelpunkt stehenden Zinsderivats tatsächlich zugewiesen werden kann. Wie zu Beginn der Untersuchung gezeigt wurde, zeichnen sich viele Finanzderivate – und eben auch die Untergruppe der Zinsderivate – dadurch aus, dass bei ihnen der Vertragsschluss und der Zeitpunkt der Wertstellung planmäßig auseinander fallen. Betrachtet man als Beispiel für die Funktionsweise den sogenannten ZinsSwap als Unterfall der Zinsderivate,337 so wird deutlich, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses lediglich die abstrakten Zinswerte vereinbart werden, die zu festgelegten Terminen dann konkret abgerechnet werden.338 Wird für eine Seite ein Festzins und für die andere ein variabler Zins wie der LIBOR zur Zahlung festgelegt, sähe ein solcher Kontrakt in seinem Kern somit in einem Beispiel etwa wie folgt aus:

Abbildung 1: Funktionsweise Zins-Swaps

Partei A verpflichtet sich in diesem Beispiel, zu den festgelegten zukünftigen Abrechnungsterminen einen Zinssatz von 5 % auf eine festgelegte Basissumme, beispielsweise 1 Mio. US-$, an Partei B zu zahlen. Im Gegenzug verpflichtet sich die Partei B zur Zahlung des an diesem Tag für die Laufzeit von drei Monaten ermittelten LIBOR339 für US-$ zuzüglich eines bestimmten Aufschlags auf denselben Basisbetrag an Partei A.340 336 Eine weitgehende Vergleichbarkeit nimmt aber anscheinend Bunte an, soweit er diesen Fall ohne weitere Differenzierung unter den Titel „Vereinheitlichung von Zinssätzen“ einordnet, vgl. Bunte, in: Langen/Bunte (Hrsg.), Kartellrecht (2018), Syst. VII Rn. 39. 337 Zum Zins-Swap näher oben S. 30 f. 338 An dieser Stelle konzentriert sich die Bearbeitung zunächst auf den variablen Zins, da nur bei diesem die Koppelung an den Referenzzins unmittelbar erfolgt. Mögliche Auswirkungen der Referenzzinsmanipulation auf den Festzins werden gesondert betrachtet, vgl. unten S. 97 f. 339 Zu den unterschiedlichen LIBOR-Varianten bzw. zu seiner Ermittlung allgemein vgl. oben S. 25 ff. 340 Der Aufschlag ist nicht zwingend, wird in der Praxis indes häufig vereinbart. Denkbar wäre umgekehrt auch ein Abzug eines bestimmten Festwertes. Entsprechend der Höhe dieser Festwerte variiert die tatsächliche Flexibilität der Werte.

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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Als Preis kommen nun vorrangig zwei verschiedene Teile des Kontraktes in Betracht. Einerseits könnte der Preis in den zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vereinbarten, zum Teil abstrakten Werten gesehen werden. Dann wäre also der Preis (je nach Perspektive) die Verpflichtung, zu einem bestimmten Zeitpunkt 5 % auf den Basiswert bzw. den 3M LIBOR US-$ + 3 % auf den Basiswert an den jeweils anderen Teil auszuzahlen.341 Bei einem solchen Verständnis käme der Wertstellung als solcher zumindest kein unmittelbarer Preischarakter zu, möglich bliebe höchstens ein mittelbarer Preisbezug durch die Konkretisierung des eigentlich abstrakten Wertes des variablen Zinses. Anders könnte die Sachlage zu bewerten sein, wenn man davon ausgeht, dass der Preis im kartellrechtlichen Sinne erst zum Zeitpunkt der Wertstellung bestimmt wird. Dann könnte man auch die zur Manipulation des Referenzwertes als maßgeblichen Faktor der Validierung führende Koordination der am Ermittlungsprozess Beteiligten als unmittelbare Absprache des so verstandenen Preises werten.342 Indes scheint ein solches, auf den Abrechnungszeitpunkt fokussiertes Verständnis wenig überzeugend. Dies schon vor dem Hintergrund, dass sich ein Preis regelmäßig als Resultat der Einschätzung der beteiligten Parteien vom Wert der jeweiligen Gegenleistung ergeben wird. Dieser Aspekt findet indes keine Berücksichtigung mehr, wenn sich zum Zeitpunkt der Wertstellung zwei in Geld bezifferte Zahlungsansprüche gegenüberstehen. Ab dem Zeitpunkt der Verpflichtungszusage zur Zahlung ist der weitere Prozess der unmittelbaren Einflussnahme der Parteien entzogen.343 Dies vermag auch die Überlegung, dass auch in anderen Fällen die Entscheidungsfreiheit einer Seite – etwa aufgrund von dringendem Bedarf oder einer aus anderen Gründen unterlegenen Verhandlungsposition – hinsichtlich der Verhandlungsposition eingeschränkt sein kann, nicht grundsätzlich zu ändern. Eine theoretische Entschließungsfreiheit wird auch in diesen Konstellationen gegeben sein, bezüglich der Wertstellung hingegen nicht.344

341

Praktisch findet freilich nur eine einseitige Zahlung nach vorheriger Verrechnung statt. Man könnte auch in diesem Fall – denn letztlich stellt der abgesprochene Einzelwert nur einen Zwischenschritt zur Wertstellung dar – von einer mittelbaren Beeinflussung sprechen. Zur besseren Übersichtlichkeit soll diese Variante indes an dieser Stelle erörtert werden. Für das Ergebnis würden sich angesichts der Gleichstellung der Alternativen auch keine Unterschiede ergeben. 343 In diese Richtung gehen auch die Ausführungen von Bausch/Wittmann, WM 2014, 494, 496 zur Frage der Erfüllung im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB bei Zinsderivatskontrakten bei Manipulationen am Referenzwert. Auch dort wird davon ausgegangen, dass die relevante Verpflichtung darin besteht, zur Abrechnung den tagesaktuellen Referenzwert zu verwenden, der konkrete (tatsächlich gemeldete oder auch der eigentlich wahrheitsgemäße) Wert ist für diese Frage nicht von Relevanz. Ähnl. wenngleich sehr knapp hierzu, wohl auch Weck, KommJur 2013, 247, 250. 344 Grundsätzlich ähnlich argumentieren wohl auch Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2567, soweit sie die nachträgliche Beeinflussung der bestehenden Finanzderivatkontrakte als vom Regelungsbereich des Art. 101 AEUV nicht erfasst qualifizieren. 342

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C. Kartellrechtliche Bewertung

Dieses Verständnis der rechtlichen Einordnung der tatsächlichen Geschehnisse überzeugt auch unter Berücksichtigung des oben ausführlich untersuchten Zwecks des Kartellverbots.345 Geschützt wird die unbeeinflusste Entstehung von Handlungsoptionen für die Marktteilnehmer, unbeeinträchtigt von einer Koordination hinsichtlich bestimmter Konditionen zwischen manchen Unternehmen. Dies muss sich, worauf später noch vertieft eingegangen wird,346 nicht zwingend in einer Einengung des Handlungsspielraums der Beteiligten auswirken. Zumindest hinsichtlich der Preismanipulation scheint es indes überzeugender, auf den Zeitpunkt der Vereinbarung der konkreten Konditionen abzustellen. Hierzu kann argumentativ auch der Umstand hinzugezogen werden, dass Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV neben der Festsetzung von Preisen auch die Absprache von sonstigen Geschäftsbedingungen nennt.347 Geschäftsbedingungen werden ebenfalls für den zu schließenden Vertrag vorab vereinbart, ihre nachträgliche Bestimmung wäre schon begrifflich wenig überzeugend, vielmehr sollen sie gerade die Durchführungsmodalitäten des Geschäfts vorab definieren.348 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es an dieser Stelle zunächst um Aspekte geht, die Teil der Verhandlungen der Vertragsparteien sein können.349 Hier schützt das Kartellverbot dann vor einer einseitigen Schlechterstellung der jeweiligen Gegenseite durch eine absprachebedingt unberechtigt starke Position der Kartellanten.350 Letztlich steht an dieser Stelle der Schutz der Marktgegenseite vor einer einseitigen Verfälschung der sich aus dem freien Wettbewerb ergebenden Rahmenbedingungen zum Abschluss einzelner Verträge durch eine sich aus koordiniertem

345

s. hierzu S. 38 ff. Vgl. S. 105 ff. 347 Zusammenfassend wird vom Schutz des „Konditionenwettbewerbs“ gesprochen, Hengst, in: Langen/Bunte (Hrsg.), Kartellrecht (2018), Art. 101 AEUV Rn. 274. 348 Beispiele für kartellrechtlich relevanten Geschäftsbedingungen im Sinne dieses Merkmals bieten etwa Schröter/Voet van Vormizeele, in: Schröter/Jakob/Klotz u. a. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Art. 101 AEUV Rn. 144. 349 Untermauern lässt sich diese Verständnis mit folgendem Gedankenspiel: Wenn sich im Bereich der der Wettmanipulationen mehrere Wettanbieter über Einflussnahmen auf Spielergebnisse verständigen würden, würde die Anwendung des Kartellrechts wohl kaum in Betracht gezogen, obwohl sich die Konstellation letztlich nur unwesentlich von der vorliegenden unterscheidet. Auch hier liegt der Preis in der Vereinbarung über einen abstrakten Wert (Wettquote, in der Regel inkl. Aufschlag des Anbieters). Die durch das Ergebnis bedingte Auszahlung ist indes ein hiervon entkoppelter Faktor. So liegt es auch bei den hier bisher untersuchten Finanzinstrumenten. Im Übrigen wurden auch diese durch die Akteure häufig – sofern sie nicht zur Risikoabsicherung dienten – als eine Art Wette eingegangen. Zu einer solchen Qualifikation gelangt in anderem rechtlichen Zusammenhang auch BGH, Urt. v. 22. 03. 2011, Rs. XI ZR 33/ 10, BGHZ 189, 13 Rn. 10. 350 Ähnl. hinsichtlich der Schutzrichtung des Kartellverbots auch Zimmer, The basic goal of competition law: to protect the opposite side of the market, in: Zimmer (Hrsg.), The goals of competition law (2012), S. 496 ff. 346

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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Vorgehen ergebenden Marktposition im Mittelpunkt.351 Hinsichtlich der Referenzzinsmanipulation – jedenfalls im LIBOR-Fall – ist zusätzlich zu beachten, dass die an dem Derivatkontrakt beteiligten Parteien grundsätzlich davon ausgehen, dass dieser konkrete Wert ohnehin der Einflussnahme entzogen ist. Es erscheint nun wenig naheliegend, der konkreten Wertstellung insofern unmittelbaren Preischarakter zuzuweisen. Vielmehr ist es aus den genannten Gründen überzeugender, unter dem Begriff Preis nur die jeweils zu Vertragsschluss vereinbarten Parameter zu verstehen. In dem oben genannten Beispiel also die Höhe des Festzinses,352 die Auswahl eines bestimmten Referenzzinses – alternativ zum genannten 3M LIBOR US-$ hätte etwa der 6M LIBOR Yen verwendet werden können – und die Bestimmung eines Aufschlags oder Abschlags auf diesen Zins. Diese Kriterien unterliegen der Verhandlungsmacht der Parteien und können durch einseitige Koordinierung zum Nachteil der Marktgegenseite abweichend von den sich aus dem freien Wettbewerb zwischen den Derivatehändlern eigentlich ergebenden Konditionen zugunsten der potenziellen Kartellanten verändert werden.353 Nur sofern dies geschehen sollte, würde sich an dieser Stelle eine Preismanipulation begründen lassen.354 Dies wäre dann aber ein von der Koordinierung über die Beeinflussung der Referenzzinsen abweichender Tatvorwurf und soll daher an dieser Stelle nicht näher untersucht werden. (c) Mittelbare Preismanipulation (aa) Mittelbare Preismanipulation in Bezug auf den variablen Zins Sofern man die Absprachen zur Beeinflussung der Referenzwerte mit Zielrichtung auf die Wertstellung der Derivatspositionen der Beteiligten zumindest nicht unmittelbar als Preisfestsetzung qualifiziert, bleibt möglicherweise zumindest eine 351

Vgl. auch EuGH, Urt. v. 21. 01. 1999, Rs. C-215/96 u. C-216/96, ECLI:EU:C:1999:12 Rn. 23 ff. – Bagnasco. Der EuGH setzt sich dort mit der Praktik von italienischen Banken auseinander, die eine Klausel zur nachträglichen Zinsanpassung verwendet haben. Die in der Klage ebenfalls erhobenen Vorwürfe einer Absprache der tatsächlich erhobenen Zinsen unter Nutzung dieser Klausel werden in den Entscheidungsgründen durch den EuGH nicht thematisiert. 352 Zur Auswirkung einer Referenzzinsmanipulation auf den Festzins sogleich auf S. 97 f. 353 Das klassische Begriffspaar „Abnehmer/Verbraucher“ gegenüber „Hersteller/Händler“ scheint vorliegend mangels einer konkreten Ware und der Austauschbarkeit der jeweiligen Position im Derivatkontrakt unpassend und kann daher nicht verwendet werden. 354 Insofern stützt sich die Europäische Kommission in ihrer Bußgeldentscheidung gegen den Broker ICAP auch auf den Austausch sensibler Informationen über die Positionen und Strategien der Beteiligten auf dem Derivatemarkt, Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 205 – YIRD. Vgl. zuvor bereits Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 12. 2013, Case AT.39861 Rn. 43 – YIRD, wo der Vorgang in der Sachverhaltsdarstellung angeführt wird, jedoch ohne dies im Rahmen der rechtlichen Analyse zur Anwendung des Art. 101 AEUV explizit aufzugreifen. Vielmehr wird dort pauschal auf den Sachverhalt Bezug genommen. Das EuG scheint sich diesem Ansatz grundsätzlich anschließen zu wollen, musste dies aber nicht abschließend entscheiden, weil es schon aus anderen Gründen eine Wettbewerbsbeschränkung als gegeben sah, vgl. EuG, Urt. v. 10. 11. 2017, Rs. T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795 Rn. 73 ff. – ICAP.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

mittelbare Preismanipulation denkbar.355 Zwar ist der eigentliche Preis, wie aufgezeigt, in der Vereinbarung der Verwendung eines bestimmten abstrakten Referenzwertes zu sehen. Möglicherweise könnte man die Wertstellung aber zumindest als mittelbaren Preisfaktor einordnen. So sind grundsätzlich etwa auch bloße Kostenfaktoren kartellrechtsrelevant im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV.356 Wenig Anhaltspunkte bietet zu dieser Frage die bisherige Entscheidungspraxis zu Referenzwerten in anderem Zusammenhang. So beispielsweise die Entscheidung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 1984 zur Zinc Producer Group.357 In diesem Fall hatten sich verschiedene Zinkproduzenten darüber abgesprochen, einen bestimmten Leitpreis zu verwenden. Dieser wurde dann von einem Fachmagazin aufgegriffen und diente allgemein als Referenzwert für den Handel.358 Der Unterschied zum hier untersuchten Fall der Referenzwertmanipulation liegt indes in dem unmittelbaren Preisbezug. Die im Fall Zinc Producer Group festgelegten Preise wurden zur Grundlage für den Warenhandel. Zudem beruhte die Preisfindung auf wettbewerblichen Entscheidungen der Beteiligten, die den Preis bekanntgaben, den sie zu fordern gedachten, im Unterschied zur eher als Wissenskundgabe einzuordnenden Referenzzinsermittlung.359 Ohnehin erscheint es mit Blick auf die bereits oben zur unmittelbaren Preismanipulation getroffenen Aussagen wenig überzeugend, vorliegend für den Fall der Verknüpfung von Zinsderivaten und Referenzzinsen über den Begriff der Mittelbarkeit doch noch zu einer Qualifizierung als Preismanipulation zu gelangen. Denn das Argument der fehlenden wettbewerblichen und preislichen Qualität der Wertstellung gilt auch hier. Der Preis sollte nach hier vertretener Auffassung in der eingegangenen vertraglichen Verpflichtung selbst gesehen werden. Auf diese hat die konkrete Abrechnung zum späteren Zeitpunkt allerdings nicht einmal mittelbaren Einfluss, vielmehr stellt sie einen unabhängigen Vorgang da. Ein Zusammenhang ließe sich höchstens in umgekehrter Perspektive begründen, die Vereinbarung bestimmter Parameter ist zwangsläufig relevant für die Berechnung zum Abrechnungstermin. Daraus ergibt sich allerdings nur eine Preisqualität der Parameter, nicht der „gelieferten“ bzw. geleisteten Zahlungen. Somit bleibt weiter festzuhalten, dass es trotz der scheinbaren Vergleichbarkeit nicht überzeugt, die Referenzzinsmanipulation in Bezug auf die Wertstellung der 355

Hierzu etwa EuGH, Urt. v. 19. 03. 2015, Rs. C-286/13 P, ECLI:EU:C:2015:184 Rn. 123 f. – Dole Food Co. 356 Schröter/Voet van Vormizeele, in: Schröter/Jakob/Klotz u. a. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Art. 101 AEUV Rn. 137. 357 Europäische Kommission, Entsch. v. 06. 08. 1984, ABl. 1984 L 220, 27 – Zinc Producer Group. 358 Zum Sachverhalt Europäische Kommission, Entsch. v. 06. 08. 1984, ABl. 1984 L 220, 27 Rn. 7 ff. – Zinc Producer Group. 359 Zu dieser Qualifikation der Referenzzinsfestsetzung, insbesondere in Bezug auf den LIBOR, schon oben S. 68 ff.

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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Derivatskontrakte als (mittelbare) Preismanipulation im Sinne des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV zu qualifizieren.360 (bb) Mittelbare Preismanipulation in Bezug auf den Festzins Ein anderes Ergebnis lässt sich jedoch für eine mittelbare Preismanipulation in Bezug auf den Festzins durch eine Koordination der Referenzzinsmeldungen vertreten. So haben die Europäische Kommission in ihrer Entscheidung gegen den Broker ICAP361 und diese bestätigend das EuG362 festgestellt, dass der bei Vertragsschluss vereinbarte Festzins durch den zu diesem Zeitpunkt ermittelten Referenzzins beeinflusst wird. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass der Festzins im Verhältnis zu dem am Wertstellungsdatum erwarteten Referenzzins festgelegt wird. Dies entspricht auch dem Interesse der Parteien. Die den Festzins leistende Partei hat ein Interesse daran, diesen so weit wie möglich unter den erwarteten Referenzzins festzulegen, die den variablen Zins leistende Partei wird hingegen versuchen, diesen möglichst über den erwarteten Referenzzins zu legen. Grundlage für die jeweilige Verhandlungsposition bilden entsprechende Hochrechnungen.363 Diese basieren im Ausgangspunkt jedoch auf dem aktuellen Referenzzins bzw. seiner jüngeren Entwicklung. Wenn an dieser Stelle nun ein manipulierter Wert als Ausgangspunkt gewählt wird, verfälscht dies mittelbar auch das Ergebnis entsprechender Simulationen. Der Festzins wird daher, im Verhältnis zu dem Niveau, das auf Grundlage unbeeinflusster Daten eigentlich errechnet worden wäre, entsprechend zu hoch oder zu niedrig festgesetzt. Somit wird der Festzins, der wie dargestellt als Preis oder jedenfalls als sonstige Geschäftsbedingung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV qualifiziert werden kann, durch die an der Koordination beteiligten Banken mittelbar manipuliert. Diese Argumentation vermag zu überzeugen. Es ist nachvollziehbar, dass der Festzins in seiner Höhe maßgeblich durch eine entsprechende Erwartungshaltung der Parteien hinsichtlich der Entwicklung des Referenzzinses beeinflusst wird. Auch ist nachvollziehbar, dass der jeweils aktuelle Wert für die Errechnung der potentiellen Höhe des Referenzzinses zum Abrechnungstag, auch wenn diese möglicherweise aufgrund der nicht leistbaren vollständigen Präzision nur in einer Spannweite an360 Davon zu unterscheiden ist freilich der für den Handel mit bereits bestehenden Zinsderivatskontrakten festgesetzte Handelskurs der ebenfalls Gegenstand der Untersuchungen der Europäischen Kommission in diesem Zusammenhang war und entsprechende Bußgelder nach sich zog, vgl. Europäische Kommission, Entsch. v. 21. 10. 2014, Case AT.39924 – CHFIRD: Bid Ask Spread Agreement. In diesem Fall – der aufgrund seiner anders gelagerten Thematik an dieser Stelle nicht vertieft analysiert werden soll – erscheint die Annahme einer Preismanipulation durchaus gerechtfertigt. 361 Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 38 ff. u. Rn. 199 ff. – YIRD. 362 EuG, Urt. v. 10. 11. 2017, Rs. T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795 Rn. 68 ff. – ICAP. 363 Vgl. Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 37 ff. – YIRD.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

gegeben werden kann, von zentraler Bedeutung ist.364 Insoweit hat der EuGH in der Sache Dole Food Co. entschieden, dass die Koordination von sogenannten Listenpreisen, die als Grundlage für die Verhandlung von konkreten Endpreisen fungierten, als Verstoß gegen das Kartellverbot zu werten sei.365 Dieser Fall ist mit der vorliegenden Konstellation vergleichbar. Auch hier wird durch die Koordination zwischen den beteiligten Finanzinstituten ein Ausgangswert für die konkrete Festlegung der Festzinsen geschaffen, der über bzw. gegebenenfalls unter dem Niveau liegt, dass sich ohne die Absprachen ergeben hätte. Dies schlägt auf die zwischen den potentiellen Kartellanten und ihren Vertragspartnern vereinbarten Konditionen in den Derivatskontrakten durch und kann als mittelbare Preisabsprache im Sinne des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV gewertet werden. (d) Zwischenfazit Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass zumindest mit Blick auf die Wertstellung von Derivatkontrakten zum Abrechnungszeitpunkt dem Referenzzins kein Preischarakter im kartellrechtlichen Sinne zukommt.366 Es handelt sich nach hier vertretener Auffassung bei einer Manipulation, wie sie im Rahmen der Ermittlung von LIBOR und EURIBOR vorgenommenen wurde, in diesem Punkt wohl entgegen der Qualifikation der Europäischen Kommission und des EuG, zumindest in diesem Kontext nicht um Preisabsprachen im Sinne des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV. Wie die Analyse gezeigt hat, liegt der Preis bzw. die Preisbestandteile in der Eingehung bestimmter zukünftiger Verpflichtungen mit Abschluss des Derivatkontraktes. Die konkrete Abrechnung ist hiervon unabhängig und auch nicht mittelbar hiermit verknüpfbar. Ein anderes Ergebnis ist jedoch in Bezug auf den Festzins innerhalb von bestimmten Derivatstypen vertretbar. Soweit sich aus den bei Vertragsschluss vorliegenden Referenzzinsdaten eine Hochrechnung für dessen zukünftigen Wert vornehmen lässt, beeinflusst dies mittelbar auch den Wert des letztlich als Gegenleistung vereinbarten Festzinses. Diese Einflussnahme kann nach hier vertretener Ansicht als mittelbare Preisabsprache im Sinne des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV qualifiziert werden. 364 Dieser Umstand wurde von ICAP in tatsächlicher Hinsicht bestritten, vgl. Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 43 – YIRD. Das EuG hingegen hat die Ansicht der Europäischen Kommission ausdrücklich bestätigt, EuG, Urt. v. 10. 11. 2017, Rs. T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795 Rn. 68 f. – ICAP. Letztlich handelt es sich um eine wirtschaftswissenschaftliche Frage, die aufgrund ihrer Einzelfallbezogenheit vorliegend nicht im Detail analysiert werden kann. Vielmehr soll davon ausgegangen werden, dass eine entsprechende Verknüpfung gegeben ist. 365 EuGH, Urt. v. 19. 03. 2015, Rs. C-286/13 P, ECLI:EU:C:2015:184 Rn. 130 – Dole Food Co., jedoch ohne dort ausdrücklich auf das Regelbeispiel Bezug zu nehmen. Näher zu dieser Entscheidung bereits oben S. 84 f. 366 Anders für das US-amerikanische Kartellrecht wohl Gelboim v. Bank of Am. Corp., 823 F.3d 759, 771 (2d Cir. 2016), allerdings ohne sich vertieft mit dem Auseinanderfallen der Zeitpunkte von Vertragsschluss und Abrechnung auseinanderzusetzen.

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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(3) Ökonomische Betrachtung der Manipulationen in Bezug auf bestehende Vertragsbeziehungen (a) Der ökonomische Kartellschaden bei der LIBOR-Manipulation in Bezug auf den variablen Zins Das hier vertretene Ergebnis für die Frage einer möglichen Qualifikation der Manipulation von LIBOR und EURIBOR als Preismanipulation in Bezug auf die Veränderung des variablen Zinses zum Wertstellungszeitpunkt wird durch eine ökonomische Betrachtung gestützt, die ebenfalls die Besonderheiten aufzuzeigen vermag, die sich aus der beschriebenen speziellen Konstellation der zeitlich verzögerten Einwirkung ergibt. Klassischerweise entfallen auf preisbezogene Kartelle aus ökonomischer Sicht zwei verschiedene Arten von Schäden. Einerseits sogenannte betriebswirtschaftliche Schäden, also diejenigen Schäden, die sich unmittelbar bei den nachfragenden Kartellgeschädigten feststellen lassen. Andererseits volkswirtschaftliche Schäden, die sich durch bestimmte Effizienzverluste zum Nachteil der Gesamtwohlfahrt ausdrücken.367 Potenziell betroffen sind durch Kartelle die allokative, die produktive sowie die dynamische Effizienz.368 Im Regelfall bewirkt ein Preiskartell im klassischen Sinn – gemeint ist die Absprache von Verkaufspreisen zwischen Wettbewerbern – Schäden in beiden der genannten Varianten. Betriebswirtschaftlich müssen diejenigen Abnehmer, denen die Möglichkeit zum Ausweichen auf ein Substitut oder vollständigen Bezugsverzicht nicht gegeben ist, Mehrkosten aufwenden, um die Ware zu erhalten. Ökonomisch ausgedrückt sinkt durch die kartellbedingte Preiserhöhung ihre Tauschrente.369 Daneben besteht allerdings auch ein Verlust an allokativer Effizienz aus volkswirtschaftlicher Perspektive, der im Zentrum der folgenden Analyse stehen soll.370 Er ergibt sich aus dem Umstand, dass – an dieser Stelle sei zunächst ein Markt mit vollkommener Konkurrenz vorausgesetzt, bei dem die Anbieter ihre Produkte zu Grenzkosten anbieten371 – die künstlich erhöhten Preise diejenigen Nachfrager abschrecken, die auf das Produkt nicht entsprechend angewiesen sind, grundsätzlich allerdings bereit wären, die Grenzkosten aufzubringen. Entsprechend wäre es bei optimaler Konzeption eigentlich zu einer Allokation der Tauschgutes der Devisen auf Seiten der Abnehmer gegen das vom Verkäufer angebotene Gut gekommen. Wenn 367

Pustlauk, EWeRK 2011, 127, 128 f.; Haucap/Stühmeier, WuW 2008, 413, 414 ff. Haucap/Stühmeier, WuW 2008, 413, 414. 369 Haucap/Stühmeier, WuW 2008, 413, 415. 370 Vgl. zur Allokationseffizienz etwa Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie (2011), S. 4 ff. 371 Auch wenn man bei realistischer Betrachtungsweise von einem unvollkommenen Markt ausgeht, so bleibt die im Folgenden beschriebene negative Differenz. Diese wird nur geringer ausfallen, je weiter sich der ohne Kartell erhobene Preis von den Grenzkosten bereits entfernt hat, vgl. Haucap/Stühmeier, WuW 2008, 413, 417. 368

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C. Kartellrechtliche Bewertung

diese nun unterbleibt, entsteht eine entsprechende Fehllokation der Güter, mithin ein volkswirtschaftlicher Schaden.372 Grafisch lässt sich dies wie folgt darstellen.373

Abbildung 2: Allokative Wirkung von Preiskartellen

An Punkt O liegt die Nachfrage N auf dem Niveau Nw, das sich bei einem Preis Pw, der den Grenzkosten entspricht, einstellen würde. Die Fläche DAPwO stellt in diesem Fall die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt dar, die Tauschrente wurde aufgrund der optimalen Ressourcenlokation optimiert. Verschiebt sich nun der Preis absprachebedingt auf das Niveau Pk, so verringert sich die Konsumentenrente um die Fläche DK, die nunmehr der Produzentenrente zufällt. Zugleich beschreibt die Fläche DW die Tauschrente, die der Gesamtwirtschaft durch die Kartellierung durch die künstlich verringerte Nachfrage infolge höhere Preise verloren geht, ohne zugleich als Mehrerlös dem Produzenten zugute zu kommen. In ersterem Fall würde es

372

Vgl. zu diesem sog. deadweight loss etwa Inderst/Thomas, Schadensersatz bei Kartellverstößen (2015), S. 43 ff., unter Bezugnahme u. a. auf Harberger, 44 The American Economic Review 77, 77 ff. (1954). Ähnliche Effekte können auch bei monopolbedingten Preiserhöhungen auftreten, vgl. etwa Ewald, in: Wiedemann (Hrsg.), HdB Kartellrecht (2016), § 7 Rn. 29 f. 373 Abbildung angelehnt an Haucap/Stühmeier, WuW 2008, 413, 415.

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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sich um einen bloßen Wohlstandstransfer handeln, der aus gesamtwirtschaftlicher Sicht neutral zu bewerten wäre. Betracht man nun die Referenzwertmanipulation mit Blick auf die Wertstellung von Finanzderivaten, so lässt sich ein betriebswirtschaftlicher Schaden klassisch begründen. Der Vertragspartner, dessen Zahlungsverpflichtung durch die Manipulation zu seinen Ungunsten verändert wird, muss mehr zahlen, als dies ohne die Absprache der Fall wäre. Diese Mehrkosten stellen seinen betriebswirtschaftlichen Schaden dar.374 Anders ist dies nun allerdings hinsichtlich der volkswirtschaftlich nachteiligen allokativen Effizienzverluste. Diese ergeben sich bei der Preisabsprache aus dem Umstand, dass die Marktgegenseite auf die Vornahme des Tauschgeschäftes verzichtet. Dieser Verzicht auf die Geschäftsvornahme ist in einer Konstellation wie der vorliegenden allerdings ausgeschlossen, da die geschäftliche Verpflichtung bereits abgeschlossen wurde. Somit bleibt im Ergebnis lediglich eine, wenngleich auf Manipulation beruhende, Umverteilung, die aus volkswirtschaftlicher Sicht als bloßer Transfer neutral zu beurteilen ist.375 In Bezug auf die oben gegebene Abbildung würde sich der Punkt Nw nicht auf Nk verschieben, da die Nachfrage von der späteren Abrechnung, die durch die absprachebedingte Manipulation betroffen ist, in ihrem Bestehen und Umfang unabhängig ist. Entsprechend bliebe auch die durch die Fläche DK ausgedrückte Tauschrente der Gesamtwohlfahrt in diesem Fall erhalten.376 Letztlich dürfte das Fehlen eines solchen volkswirtschaftlichen Schadens als alleiniges Argument gegen die Anwendung des Kartellverbots nur ausreichen, sofern man – ausgehend von einem zumindest auch auf Effizienzgewinn abzielenden

374 An dieser Stelle soll noch nicht berücksichtigt werden, dass die Auswirkungen für die beteiligten Finanzinstitute – und entsprechend auch für die Marktgegenseite – regelmäßig gemischt ausfielen, da sie Derivatskontrakte aus beiden Perspektiven gehalten haben, worauf etwa Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2566 hinweisen. Hierzu auch noch unten S. 117 ff. Vorliegend soll insoweit etwas vereinfacht nur die Konstellation betrachtet werden, bei der allein die Marktgegenseite durch die Wertverschiebung Nachteile erleidet. 375 Pustlauk, EWeRK 2011, 127, 128; Haucap/Stühmeier, WuW 2008, 413, 414; Tirole, Industrieökomik (1999), S. 147. Ausgeblendet werden an dieser Stelle mögliche andere negative Effizienzen infolge von Kartellen; etwa hinsichtlich der produktiven Effizienz eine geringere Kostendisziplin aufgrund der erhöhten Kartellgewinne oder der (unproduktiven) Ausgaben zur Kartellsicherung bzw. hinsichtlich der dynamischen Effizienz aufgrund der sinkenden Innovationsmotivation durch die gesicherte Marktstellung, vgl. Haucap/Stühmeier, WuW 2008, 413, 423 f. 376 Diese ökonomische Betrachtung hatte hat im Übrigen wohl auch die erstinstanzliche US-amerikanische Rechtsprechung im Blick, die insoweit jedoch zwischenzeitlich im Berufungsverfahren aufgehoben wurde, vgl. In re: LIBOR-Based Financial Instruments Antitrust Litigation, 935 F.Supp.2d 666, 691 f. (S.D.N.Y. 2013): „Although defendants’ alleged manipulation of the level of LIBOR might have had the distributive effect of transferring wealth between the buyers and sellers of LIBOR-based financial instruments, including between defendants and their customers, plaintiffs have not alleged any structural effect wherein defendants improved their position relative to their competitors.“

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C. Kartellrechtliche Bewertung

Wettbewerbskonzept377 – einen Gesamtwohlfahrtstandard im Gegensatz zu einem Konsumentenwohlfahrtstandard in den Mittelpunkt der Bewertung stellt.378 Denn nur in diesem Fall würde die bloße Umverteilung tatsächlich als wettbewerblich neutral gewertet, andernfalls wäre das Defizit auf Konsumentenseite wohl zu berücksichtigen.379 Eine eindeutige Entscheidung für das europäische Wettbewerbsrecht ist insoweit nicht feststellbar.380 Zumindest für Art. 101 Abs. 1 AEUV scheint der EuGH, soweit er einen Verbraucherschaden als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ablehnt, den Konsumentenwohlfahrtstandard nicht als zentralen Aspekt zu erachten.381 Jedoch liegt der Fokus der Rechtsprechung ohnehin eher auf der Wettbewerbsfreiheit als solcher, die die Effizienzgewinne eher als Reflex mit sich bringt.382 Für eine Unabhängigkeit von einer Berücksichtigung der Konsumentenwohlfahrt zumindest in Bezug auf die Qualifizierung der Preismanipulation im Sinne des Art. 101 AEUV streitet zumindest der Umstand, dass schon der Wortlaut des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV sich – gerade auch im Unterschied zu Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV, der eine Qualifikation als „unangemessen“ verlangt – nicht auf die Anhebung von Preisen festlegt,383 sondern die Absprache generell untersagt.384 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das dargestellte Fehlen eines volkswirtschaftlichen Schadens im Sinne eines Effizienzverlustes durch negative Allokation für sich alleine eine Ablehnung der Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV wohl nicht zu begründen vermag, weil diesem Aspekt in der Bewertung im europäischen Recht für sich selbst betrachtet keine tragende Rolle in der rechtlichen Qualifikation zukommt.

377

Zu den verschiedenen Konzepten der Wettbewerbspolitik und ihre Berücksichtigung im europäischen Wettbewerbsrecht vgl. oben S. 47 ff. 378 Vgl. zu diesem Gegensatz mit anschaulichem Beispiel Kerber/Schwalbe, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Einl. Rn. 137. 379 Sofern man einen solchen Schaden in der Summe nachweisen könnte, was angesichts der angesprochenen Zufälligkeit der Wirkungen der Manipulationen auf dem Finanzderivatemarkt wohl praktisch nicht ohne Probleme möglich sein dürfte. 380 Motta, Competition Policy (2004), S. 19 f. Kerber/Schwalbe, in: Bornkamm/Montag/ Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Einl. Rn. 139 sehen (ohne eigene Wertung) hingegen für das europäische Recht eher den Konsumentenwohlfahrtstandard im Mittelpunkt. 381 Ähnl. wohl auch Autoren, die – allerdings ohne vertiefte Begründung – darauf hinweisen, dass bloße wirtschaftliche Einbußen Dritter dem Tatbestand des Kartellverbots nicht genügen, so etwa Weiß, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV (2016), Art. 101 AEUV Rn. 98; Johannes, BB-AWD 1968, 409, 414. 382 Vgl. oben S. 57 ff. 383 Auch wenn dies in der praktischen Anwendung freilich angesichts der entsprechenden Motivation der Kartellanten den Regelfall darstellen wird. 384 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 11 Rn. 31, auch allgemein zum Unterschied zwischen dem Verbotsprinzip des Art. 101 AEUV zu Art. 102 AEUV. Ähnl. dort zuvor schon bei § 4 Rn. 99. Vgl. auch Mestmäcker, in: Bechtold/Jickeli/Rohe (Hrsg.), FS Möschel (2011), S. 411.

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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Insofern ergibt sich hieraus wohl auch keine tragfähige Begründung, um im Falle der mittelbaren Beeinflussung des Festzinses zu einer Nichtanwendung des Kartellverbots zu gelangen.385 Auch dort werden im Kern lediglich Devisen umverteilt, es fehlt die klassische Beeinträchtigung der Güterallokation.386 Insgesamt vermag diese Analyse jedoch die oben gegebene Argumentation zum fehlenden Preischarakter der nachvertraglichen Zahlungsströme mit zusätzlicher ökonomischer Begründung zumindest zu unterstützen. (b) Ausnutzung von Marktmacht bei der Beeinflussung der Zahlungsströme? Weiter gestützt wird diese Feststellung durch einen zusätzlichen Aspekt im Fall der LIBOR-Manipulationen, der diese bei ökonomischer Betrachtung von klassischer Preismanipulation im kartellrechtlichen Sinne unterscheidet. Aus ökonomischer Perspektive kann das Vorhandensein einer ausreichenden Marktmacht als Bedingung dafür angesehen werden, dass eine Preismanipulation einen Mehrwert für die Kartellanten bietet. Solange dies nicht gegeben ist, wären sie nicht in der Lage, höhere Preise am Markt auch tatsächlich durchzusetzen.387 Die Marktgegenseite würde auf Alternativen, d. h. Wettbewerber, ausweichen. Solange dies möglich ist, treten auch die oben aufgezeigten Effizienzverluste nicht in dem Ausmaß ein, wie dies durch das Kartellverbot zu verhindern beabsichtigt ist.388 Erst sobald eine gewisse Schwelle überschritten ist, scheidet diese Möglichkeit aus; die Marktgegenseite ist gezwungen mit den Kartellanten zu kontrahieren und es erfolgt eine Allokation, die nicht mehr den freien Marktkräften entspricht. Als Ergänzung zum Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV, das solches Verhalten bei einseitigen Verhaltensweisen durch entsprechend marktmächtige Marktbeherrscher zu verhin385

Zu dieser Konstellation oben S. 97 f. Die Anwendung von Art. 101 AEUV auf die Absprache von (bei Vertragsschluss festgelegten) Zinsen ist auch für den EuGH scheinbar unstrittig, vgl. EuGH, Urt. v. 24. 09. 2009, Rs. C-125/07 P, C-133/07 P, C-135/07 P u. C-137/07 P, ECLI:EU:C:2009:576 – Lombard Club; EuGH, Urt. v. 21. 09. 1988, Rs. 267/86, ECLI:EU:C:1988:427 Rn. 18 – Van Eycke/ASPA. 386 Hiergegen ließe sich jedoch auch argumentieren, dass die Zinsderivate von ihrer Konzeption her insbesondere für das Risikohedging eingesetzt werden. Sofern man diese absprachebedingt derart in ihrer Funktionsweise beeinträchtigt, kann dies auf das Grundgeschäft, für das die Absicherung erfolgt, durchschlagen, das gegebenenfalls nicht oder zumindest zu ebenfalls verzerrten Bedingungen abgeschlossen wird, sodass zumindest ein mittelbarer Effizienznachteil für die Gesamtwohlfahrt vorliegen könnte. 387 So definiert die Europäische Kommission: „Marktmacht ist die Fähigkeit, die Preise über einen gewissen Zeitraum hinweg gewinnbringend oberhalb des Wettbewerbsniveaus oder die Produktionsmenge, Produktqualität, Produktvielfalt bzw. Innovation für einen gewissen Zeitraum gewinnbringend unterhalb des Wettbewerbsniveaus zu halten“, Europäische Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2011 C 11, 1 Rn. 39. 388 Entspr. auch Europäische Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2011 C 11, 1 Rn. 165.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

dern sucht, soll Art. 101 Abs. 1 AEUV der Koordination Einzelner, denen es zur wirksamen unilateralen Umsetzung ihrer wettbewerbsschädlichen Vorhaben an entsprechender Marktmacht mangelt, vorbeugen. Im Fall der LIBOR-Manipulation ist nun allerdings für die Meldung der Referenzwerte seitens der Kartellanten in Bezug auf bestehende Derivatskontrakte in der Regel wohl ohnehin keine Disziplinierung durch den Markt zu befürchten. Insofern sind sie auf eine Kumulierung von Marktmacht von vornherein nicht angewiesen. Ihren Wettbewerbern stehen letztlich keine Optionen offen, auf das Verhalten zu reagieren, unabhängig von der Anzahl und Marktstärke der partizipierenden Unternehmen, ebenso wenig der Marktgegenseite. Letztere könnte höchstens – nach erfolgter Aufdeckung – auf weitere Geschäfte mit den Kartellanten verzichten, in deren Zuverlässigkeit sie nunmehr das Vertrauen verloren hätten. Auch insoweit kann der Fall bzw. dieser Aspekt aus ökonomischer Perspektive für die Anwendung des Kartellverbots mit Blick auf seine Konzeption durchaus als untypisch betrachtet werden.389 Zu beachten ist gleichwohl, dass mit durchaus guten Argumenten die Eignung von Marktmacht als Kriterium im Rahmen von Art. 101 Abs. 1 AEUV über die Berücksichtigung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit390 hinaus bezweifelt wird.391 Tatsächlich enthält Art. 101 Abs. 1 AEUV eine solche Anwendungsvoraussetzung im Unterschied zu Art. 102 AEUV gerade nicht. Insoweit ist das Vorhandensein von einer bestimmten Marktmacht im Zusammenhang mit Preisabsprachen wie angedeutet nur Voraussetzung bzw. ein förderlicher Faktor für die tatsächliche Realisierung eines Kartellantengewinns. Dass diese einen tatsächlichen Nutzen aus ihrer Koordination ziehen ist allerdings keine Bedingung für die Anwendung des Kartellverbots,392 ein solches Erfordernis wäre auch mit der intendierten prozessbezogenen Schutzrichtung des europäischen Kartellrechts nicht zu vereinbaren.393 Unabhängig von dieser Diskussion, die an dieser Stelle nicht vertieft werden kann, bietet ein Fehlen jedenfalls einen zusätzlichen Hinweis, der die hier vertretene Auffassung ökonomisch zu unterstreichen vermag. 389

Ähnl. auch Pascall, 39 World Competition 161, 178 ff. (2016). Hierzu etwa Schröter/Voet van Vormizeele, in: Schröter/Jakob/Klotz u. a. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Art. 101 AEUV Rn. 167 ff. Das Kriterium ist in der st. Rspr. anerkannt, so bspw. schon EuGH, Urt. v. 09. 07. 1969, Rs. 5/69, ECLI:EU:C:1969:35 Rn. 7 – Völk/Vervaecke; EuGH, Urt. v. 28. 04. 1998, Rs. C-306/96, ECLI:EU:C:1998:173 12 – Javico. 391 So insbes. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 4 Rn. 98 ff. 392 Im Fall einer bei Preisabsprachen regelmäßig anzunehmenden bezweckten Wettbewerbsbeschränkung würde sich dies ohnehin nur auf die Eignung hierzu beziehen, ein tatsächlicher „Kartellerfolg“ müsste nicht nachgewiesen werden. 393 Der tatsächliche Vorteil für die Kartellanten (bzw. dessen Fehlen) ist nach überzeugender Ansicht der Rechtsprechung sogar im Bußgeldverfahren kein Verteidigungsgrund, vgl. EuG, Urt. v. 16. 06. 2011, Rs. T-192/06, ECLI:EU:T:2011:278 Rn. 59 f. – Caffaro; EuG, Urt. v. 18. 07. 2005, Rs. T-241/01, ECLI:EU:T:2005:296 Rn. 146 – SAS. 390

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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ee) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV hinsichtlich der Wertstellung der Finanzderivate nicht über eine Bezugnahme auf die Fallgruppe der Preisabsprache angenommen werden kann. In Ermangelung eines Preischarakters der Derivatswertstellung lässt sich eine Anwendung des Kartellverbots auf diese Weise nicht begründen. Die besonderen Umstände, aus denen folgt, dass die Wirkung der Referenzwertmanipulation in diesen Fällen hinter den wettbewerblich relevanten Handlungsparametern zu verorten ist, führen letztlich zu einer Betrachtungsweise, nach der trotz augenscheinlicher Vergleichbarkeit mit den üblichen Konstellationen von zumindest mittelbaren Preisabsprachen eine Übertragung auf die hier untersuchte Sachlage nicht möglich ist. Eine mittelbare Preisabsprache im Sinne des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV kommt jedoch mit der Auffassung von Europäischer Kommission und EuG in Betracht, soweit sich auf Grundlage des bei Vertragsschluss vorliegenden (manipulierten) Referenzzinses auch der im Derivatkontrakt vereinbarte Festzins berechnet bzw. dieser Wert zumindest einen relevanten Einfluss auf dessen Bestimmung nimmt. c) Verstoß gegen das Kartellverbot durch künstliche Marktveränderung Nachdem nun zunächst untersucht wurde, ob für die Referenzzinsmanipulation eine Qualifikation als Preisabsprache in Betracht kommt, stellt sich anschließend die Frage, ob die Anwendung des Art. 101 AEUV auf diesen Fall (auch) auf anderem Wege begründet werden kann. Seine Heranziehung erscheint angesichts der koordinativen Natur der vorgenommenen Einflussnahme zumindest auf den ersten Blick naheliegend. Die Europäische Kommission, insoweit bestätigt durch das EuG, hat sich bei der Entscheidung gegen den Broker ICAP insoweit neben dem zentralen Vorwurf der Preismanipulation auch auf eine Wettbewerbsverfälschung auf dem Zinsderivatemarkt gestützt.394 An diese Beobachtung anknüpfend könnte es in Betracht kommen, einen Verstoß schon dann anzunehmen, wenn die Marktverhältnisse in koordinativer Weise im Sinne der Norm in irgendeiner Form verändert werden.395 Diese Frage soll im Folgenden näher untersucht werden. Hierbei wird zunächst betrachtet, ob möglicherweise die im Wortlaut des Art. 101 Abs. 1 AEUV genannte Alternative der 394 Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 202 ff. – YIRD; EuG, Urt. v. 10. 11. 2017, Rs. T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795 Rn. 80 – ICAP. 395 Die im Wortlaut des Art. 101 Abs. 1 AEUV genannten Alternativen Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen teilen im Kern diesen koordinativen Aspekt und stehen im Übrigen gleichrangig nebeneinander, vgl. Hengst, in: Langen/Bunte (Hrsg.), Kartellrecht (2018), Art. 101 AEUV Rn. 82 f.; Paschke, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Art. 101 AEUV Rn. 6 ff.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

Wettbewerbsverfälschung einen geeigneten Anknüpfungspunkt für derartige Überlegungen bieten kann. aa) Das Merkmal der Wettbewerbsverfälschung in Art. 101 AEUV (1) Eigenständige Bedeutung des Merkmals Art. 101 Abs. 1 AEUV nennt in seinem Tatbestand drei Alternativen der negativen Wettbewerbsbeeinflussung, zu deren Verhinderung er dienen soll. Konkret sind dies die Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs. Das Verhältnis der einzelnen Alternativen ist nicht abschließend geklärt. Teilweise wird eine selbstständige Bedeutung für jedes einzelne Merkmal angenommen,396 teils wird jedenfalls in Bezug auf die Wettbewerbsverfälschung für einen eigenständigen Anwendungsbereich plädiert.397 Andere sehen – unter Verweis auf die Verhinderung von Wettbewerbsverfälschungen, die früher als Ziel in Art. 3 Abs. 1 lit. g) EGV beschrieben wurde398 – in der Wettbewerbsverfälschung einen Oberbegriff und qualifizieren die anderen beiden Varianten als seine Unterfälle.399 Überwiegend wird schließlich auf eine Differenzierung insgesamt verzichtet und – in der Regel unter Verweis auf die ohnehin identischen Rechtsfolgen – die verschiedenen Alternativen unter dem Begriff der Wettbewerbsbeschränkung zusammengefasst.400 396

Differenzierend etwa Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht (2014), Art. 101 AEUV Rn. 75 ff., die dort mit entsprechenden Nachweisen auch darauf hinweisen, dass in der Entscheidungspraxis zuweilen noch weitere Wortneuschöpfungen verwendet werden. 397 Emmerich, in: Kramer/Schuhmacher (Hrsg.), FS Koppensteiner (2001), S. 362 f.; s. aber auch Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 118, wo anerkannt wird, dass diese Ansicht sich nicht hat durchsetzen können. Für einen eigenständigen Anwendungsbereich wohl Rose/Bailey, in: Rose/Bailey (Hrsg.), Bellamy & Child (2013), Article 101(1) Rn. 2.095; ähnl. wohl auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 11 Rn. 2, wobei die abweichende Praxis anerkannt wird; dafür wohl auch Sandrock, Grundbegriffe des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (1968), S. 230. 398 Ausdrücklich gegen dieses Argument unter Hinweis auf die sprachlichen Ungenauigkeiten in den verschiedenen Sprachfassungen des Vertrages indes Roth/Ackermann, in: Jaeger/ Kokott/Pohlmann u. a. (Hrsg.), FK KartellR, 68. EL Stand: Mai 2009, Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 235. Zur Irrelevanz der Verlagerung des Art. 3 Abs. 1 lit. g) EGV in die Protokolle zum AEUV hinsichtlich seiner Geltungskraft vgl. bereits oben S. 44. 399 Schröter/Voet van Vormizeele, in: Schröter/Jakob/Klotz u. a. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Art. 101 AEUV Rn. 84; Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 47. EL Stand: April 2012, Art. 101 AEUV Rn. 123. 400 Grave/Nyberg, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff u. a. (Hrsg.), Kartellrecht (2016), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 256; Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 5 Rn. 89; Roth/ Ackermann, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann u. a. (Hrsg.), FK KartellR, 68. EL Stand: Mai 2009, Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 235; Schrey, Drittwettbewerb im europäischen und deutschen Kartellrecht (2005), S. 84 f.

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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Tatsächlich mag für die Praxis eine genaue Differenzierung entbehrlich sein.401 Im Rahmen der hier vorliegenden Untersuchung erscheint es dennoch, schon aus Gründen der Übersichtlichkeit, sachgerecht, an dieser Stelle der Bearbeitung die Wettbewerbsverfälschung als eigene Fallgruppe zu verstehen. In Fällen, bei denen – wie auch bei der bisher schwerpunktmäßig untersuchten Referenzzinsmanipulation – ein unmittelbarer Wettbewerbsbezug fehlt, scheinen die Verhinderung und die Einschränkung schon begrifflich als Ansatzpunkt teilweise nur eingeschränkt sachgerecht. Vielmehr soll im Folgenden der verfälschende Charakter der Einflussnahme auf Referenzwerte auf Märkte, in denen diese Verwendung finden, in den Mittelpunkt der Analyse gestellt werden. Da der Wortlaut des Art. 101 Abs. 1 AEUV hierfür ausdrücklich eine tatbestandliche Alternative bietet, kann und wird im Folgenden auf diese zurückgegriffen werden.402 Entsprechend wird nun zunächst versucht, das Merkmal inhaltlich weiter auszufüllen. Dies insbesondere unter Heranziehung entsprechender Aussagen der Entscheidungspraxis. Anschließend wird dann untersucht, ob eine Anwendung des Kartellverbots auf den Fall der Referenzwertmanipulation unter Berücksichtigung der entsprechenden Kriterien überzeugend erfolgen kann. (2) Inhalt des Merkmals Versucht man das Merkmal der Wettbewerbsverfälschung inhaltlich einzugrenzen, bietet es sich an, bei der Unterscheidung anzusetzen, ob eine Einschränkung der Handlungsfreiheit der Kartellbeteiligten als Anknüpfungspunkt des Art. 101 Abs. 1 AEUV im Sinne eines Selbstständigkeitspostulats403 erforderlich ist oder seine Anwendbarkeit unabhängig von einem solchen Kriterium, also bei bloßen Drittwirkungen einer Maßnahme, ebenso möglich ist. Der Verzicht auf eine Einschränkung des eigenen Verhaltens und das bloße Abstellen auf Außenwirkungen ist hierbei

401 Entsprechend begnügt man sich dort regelmäßig mit dem Begriff der Wettbewerbsbeschränkung, der im Wortlaut des Art. 101 Abs. 1 AEUV eigentlich nicht enthalten ist, vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 11 Rn. 2. Vereinzelt verwendet aber auch der EuGH noch den Begriff des Verfälschens, etwa EuGH, Urt. v. 26. 01. 2017, Rs. C-609/13 P, ECLI:EU:C:2017:46 Rn. 121 f. – Duravit. Hieraus kann aber angesichts der allgemein eher flexiblen Begriffsverwendung durch die Rechtsprechung ohne weitere Anhaltspunkte wohl nicht gefolgert werden, dass es ihm gerade auf diese Variante in Abgrenzung zu den anderen Alternativen ankommen würde. 402 s. a. Emmerich, in: Kramer/Schuhmacher (Hrsg.), FS Koppensteiner (2001), S. 362, der darauf hinweist, dass unabhängig von einer praktischen Relevanz zumindest eine begriffliche Entlastung erreicht würde; ähnl. auch Schwarz, EWS 2001, 565, 570 f. 403 Hierzu aus der st. Rspr. beispielhaft etwa EuGH, Urt. v. 21. 01. 2016, Rs. C-74/14, ECLI:EU:C:2016:42 Rn. 27 – Eturas; EuGH, Urt. v. 23. 11. 2006, Rs. C-238/05, ECLI:EU:C:2006:734 Rn. 52 f. – Asnef-Equifax; EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, Rs. 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73, ECLI:EU:C:1975:174 Rn. 173 f. – Suiker Unie. Weitere Nachweise oben in Fn. 287.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

strittig, wohl überwiegend wird ein solches Verständnis mittlerweile indes als zulässige Interpretation aufgefasst.404 Letztlich ist für das Kartellverbot anzuerkennen, dass das Selbstständigkeitspostulat, als Ausdruck der als negativ für den Wettbewerb erkannten Einschränkung der marktbezogenen Handlungsfreiheit der Kartellanten, zwar grundsätzlich als ein zentraler Maßstab der Prüfung der Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV dient. Für sich allein kann es diesem Zweck allerdings nicht immer vollumfänglich gerecht werden. Vielmehr sind auch koordinative Praktiken denkbar, die auf eine Verhaltensbindung der Beteiligten verzichten, denen aber dennoch eine wettbewerbsschädliche Wirkung in einer Form zuzumessen ist, wie sie das Kartellverbot von seinem Zweck eigentlich verhindern soll.405 Die Rechtspraxis bietet insofern in Entscheidungen der Europäischen Kommission vereinzelt Beispielsfälle, die dies zu illustrieren vermögen und daher im Folgenden näher betrachtet werden.406 (a) Fallpraxis der Europäischen Kommission (aa) Cimbel Ausdrücklich auf eine „Verfälschung“ abstellend hat die Europäische Kommission im Fall Cimbel 1972 ein Kartell auf dem belgischen Zementmarkt untersagt.407 Die Kartellanten hatten zum einen bestimmte Gebietsaufteilungen unter Festsetzung von Lieferquoten vorgenommen, zum anderen Preisabsprachen getroffen.408 Dieser letztgenannte Teil der Vereinbarungen wurde durch die Kartellbehörde klassisch als 404 Gegen ein zu starres Festhalten an einer Einschränkung der Handlungsfreiheit der Beteiligten als zwingende Voraussetzung einer Wettbewerbsbeschränkung etwa Hengst, in: Langen/Bunte (Hrsg.), Kartellrecht (2018), Art. 101 AEUV Rn. 181; Grave/Nyberg, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff u. a. (Hrsg.), Kartellrecht (2016), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 257; ähnl. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 117; zurückhaltender ist Lübbig, in: Wiedemann (Hrsg.), HdB Kartellrecht (2016), § 9 Rn. 21, der eine Abweichung vom Primat des Selbstständigkeitspostulats nur für die Fallgruppe der Marktinformationsverfahren anerkennt; vorrangig auf die Handlungsfreiheit abstellend auch Lotze, in: Saenger/Aderhold/Lenkaitis u. a. (Hrsg.), Handels- und Gesellschaftsrecht (2011), § 12 Rn. 28; ähnl. wohl Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 5 Rn. 92. 405 Zur fehlenden Notwendigkeit einer „Innenwirkung“ ausführlich Schrey, Drittwettbewerb im europäischen und deutschen Kartellrecht (2005), S. 53 ff. 406 Abzugrenzen ist vom Folgenden indes die Frage der kartellrechtlichen Bewertung von Marktinformationssystemen (hierzu mit entsprechenden Nachweisen bereits oben S. 78 ff.). Auch dort wird durch die bloße Information keiner der Beteiligten in seiner weiteren Entscheidung gebunden. Jedoch verändern die aus kartellrechtlicher Perspektive unzulässig erlangten Informationen die Entscheidungsgrundlage der Unternehmen gegebenenfalls dergestalt, dass auch dort die klassische Selbstständigkeit als nicht mehr gewahrt betrachtet wird. Die folgenden Fälle sind in ihrem Schwerpunkt hiervon abweichend gelagert. 407 Europäische Kommission, Entsch. v. 22. 12. 1972, ABl. 1972 L 303, 24 – Cimbel. 408 Europäische Kommission, Entsch. v. 22. 12. 1972, ABl. 1972 L 303, 24 S. 26 ff. – Cimbel.

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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wettbewerbsbeschränkend qualifiziert.409 Zusätzlich war ein spezielles System des Erlösausgleiches zwischen den Unternehmen abgesprochen worden, bei dem mittels eines Vergleiches der eigentlich zu erwartenden Einnahmen, ausgehend von den vereinbarten Lieferquoten, mit den tatsächlichen Umsätzen gegebenenfalls Transferzahlungen festgelegt wurden.410 Dies hatte insbesondere zur Folge, dass diejenigen Kartellanten, die vorrangig auf Exportmärkten tätig waren und in Anbetracht höherer Kosten, etwa für den Transport oder vergleichbare Faktoren, entsprechend geringere Margen erzielten, diese durch die verstärkt auf den Inlandsmarkt konzentrierten Unternehmen ausgeglichen erhielten. Entsprechend traten die so unterstützten Zementhersteller auf den Exportmärkten mit einer veränderten, da letztlich quersubventionierten Ausgangslage im Vergleich zu ihrer andernfalls bestehenden Marktposition in diesen Regionen an. Dies wurde von der Europäischen Kommission als „Verfälschung des Wettbewerbs“ qualifiziert, die dortigen Marktbedingungen waren infolge der Vereinbarung künstlich verändert.411 Daneben wurde eine Verzerrung des Wettbewerbs auch für den belgischen Markt angenommen, da aufgrund der verringerten Exportkosten mehr Zement den belgischen Markt verlassen konnte, was auf dem Inlandsmarkt entsprechend den Wettbewerbsdruck verringert hatte.412 Somit sah die Europäische Kommission in dieser Veränderung der Marktbedingungen einen eigenständigen Anwendungsfall der Alternative der Wettbewerbsverfälschung, wenngleich die Entscheidung ebenfalls auf die weiteren genannten Aspekte als klassische Einschränkung der Handlungsfreiheit der Beteiligten gestützt werden konnte. (bb) Milchförderungsfonds Eine Entscheidung mit einem ähnlichen rechtlichen Ansatzpunkt erfolgte 1984 im Fall Milchförderungsfonds.413 Verschiedene deutsche Milcherzeuger hatten sich auf die freiwillige Entrichtung bestimmter finanzieller Beiträge an eine gemeinsam betriebene Sammelstelle verständigt. Die so generierten Mittel sollten durch die Verwaltungsorganisation zum einen zur Qualitätsverbesserung der Produkte, zum anderen insbesondere aber auch für gemeinsame Werbung und sonstige Absatzförderung verwendet werden.414 Ein zentrales Motiv der Beteiligten war eine Ex-

409 Europäische Kommission, Entsch. v. 22. 12. 1972, ABl. 1972 L 303, 24 S. 32 f. – Cimbel. 410 Europäische Kommission, Entsch. v. 22. 12. 1972, ABl. 1972 L 303, 24 S. 28 f. – Cimbel. 411 Europäische Kommission, Entsch. v. 22. 12. 1972, ABl. 1972 L 303, 24 S. 33 – Cimbel. 412 Europäische Kommission, Entsch. v. 22. 12. 1972, ABl. 1972 L 303, 24 S. 33 – Cimbel. 413 Europäische Kommission, Entsch. v. 07. 12. 1984, ABl. 1985 L 35, 35 – Milchförderungsfonds. 414 Europäische Kommission, Entsch. v. 07. 12. 1984, ABl. 1985 L 35, 35 Rn. 2 – Milchförderungsfonds.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

portförderung zur Entlastung des deutschen Milchproduktemarktes von einem Überangebot.415 Auch in diesem Fall kam die Europäische Kommission in ihrer Analyse zu einer „Verfälschung“ des Wettbewerbs für Milchprodukte.416 So wurde den deutschen Milcherzeugern ermöglicht, auf Exportmärkten durch entsprechende finanzielle Unterstützung eine stärkere wettbewerbliche Position einzunehmen, als ihnen dies auf fremden Märkten eigentlich möglich gewesen wäre.417 Dies wurde durch den Umstand unterstützt, dass die Beteiligten aufgrund der externen Finanzierung von Werbung durch die zentrale Organisation von ansonsten anfallenden Marketingkosten entlastet wurden. Diese hätten sich andernfalls in den von über diesem Weg beworbenen Unternehmen erhobenen Preisen niedergeschlagen, was im Ergebnis erneut eine andere Marktposition der Begünstigten mit sich gebracht hätte.418 Hervorzuheben an dieser Entscheidung der Europäischen Kommission ist der Umstand, dass es sich objektiv aus Konsumentensicht auf den ersten Blick um eine positive Maßnahme handelt. Sie ermöglichte den deutschen Milcherzeugern als externer Marktteilnehmer auf den entsprechenden Exportmärkten in gestärkter Ausgangslage tätig zu werden, was das dortige Wettbewerbsniveau für den Markt für Milcherzeugnissen eher gesteigert als behindert haben dürfte.419 Entsprechend blieb als Effekt, auf den auch die Behörde ihre Entscheidung stützte, die koordinative Stärkung der eigenen Marktposition zu Lasten der Wettbewerber, ohne dass einer der Beteiligten in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt worden wäre.420 Ausreichend war somit eine bloße Veränderung der Marktverhältnisse, ohne dass diese einer wertenden Betrachtung unterzogen wurde.

415 Europäische Kommission, Entsch. v. 07. 12. 1984, ABl. 1985 L 35, 35 Rn. 5 – Milchförderungsfonds. 416 Europäische Kommission, Entsch. v. 07. 12. 1984, ABl. 1985 L 35, 35 Rn. 29 – Milchförderungsfonds. 417 Europäische Kommission, Entsch. v. 07. 12. 1984, ABl. 1985 L 35, 35 Rn. 29 – Milchförderungsfonds. 418 Europäische Kommission, Entsch. v. 07. 12. 1984, ABl. 1985 L 35, 35 Rn. 30 – Milchförderungsfonds; allgemein zur kartellrechtlichen Bewertung gemeinsamer Werbung etwa Schroeder, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 47. EL Stand: April 2012, Art. 101 AEUV Rn. 709 ff. 419 Eine Freistellung nach Art. 85 Abs. 3 EWG-Vertrag (heute Art. 101 Abs. 3 AEUV) hatte die Europäische Kommission abgelehnt, insbesondere sei eine Verbesserung der Warenverteilung angesichts der verschlechterten Marktposition der lokalen Marktteilnehmer nicht gegeben, Europäische Kommission, Entsch. v. 07. 12. 1984, ABl. 1985 L 35, 35 Rn. 43 f. – Milchförderungsfonds. 420 Die Erhebung der Beiträge erfolgte der Sachverhaltsfeststellung zufolge auf freiwilliger Basis, Europäische Kommission, Entsch. v. 07. 12. 1984, ABl. 1985 L 35, 35 Rn. 3 – Milchförderungsfonds.

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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(cc) X/Open Group Wiederum anders lag der Sachverhalt in der 1986 ergangenen Entscheidung X/ Open Group.421 Eine Gruppe von Informationstechnologieunternehmen hatte sich in einer Vereinigung organisiert und in diesem Rahmen die Definitionen von Computerschnittstellen abgesprochen, die für das Zusammenspiel von Betriebssystemen, Anwendungssoftware und Hardware relevant waren. Hieraus ergab sich für die Beteiligten der Vorteil, dass ihnen die neu festzulegenden Schnittstellen bereits vorab bekannt waren und sie zudem ihre eigenen Interessen in der Festlegung ebendieser verfolgen konnten.422 Im Ergebnis führte dies zu einer Erschwerung des Marktzutritts für Unternehmen, die an der Gruppe nicht beteiligt waren.423 In Verbindung mit relativ hohen Anforderungen hinsichtlich einer Mitgliedschaft in der Organisation ergab sich hieraus nach Ansicht der Europäischen Kommission eine Benachteiligung der unbeteiligten Unternehmen und damit eine Verfälschung des Wettbewerbs.424 Angesichts der Vorteile, die sich aus allgemein verwendeten Schnittstellendefinitionen ergaben, gewährte die Europäische Kommission jedoch eine Freistellung von dem Kartellverbot nach Art. 85 Abs. 3 EWG-Vertrag (heute Art. 101 Abs. 3 AEUV).425 Auch hier fehlte es an einer unmittelbaren Einschränkung der Handlungsfreiheit der Beteiligten, wenngleich durch die Koordinierung über bestimmte Standards sicherlich ein gewisser Einfluss auf das Vorgehen in der Entwicklung ausgeübt wurde. Die Übernahme der Standards war nicht verbindlich geregelt. Auch stellte die Europäische Kommission selbst in der Entscheidung gerade auf die Nachteile für Dritte ab und hielt demgegenüber den Informationsaustausch zwischen den Beteiligten, der in einem gewissen Maße zur Durchführung des Standardisierungsprozesses zwangsläufig stattfinden musste, für kartellrechtlich unbedenklich.426 (dd) EBU/Eurovisions-System Als letztes Beispiel für die Kommissionspraxis zur Anwendung der Variante der Wettbewerbsverfälschung soll an dieser Stelle die Entscheidung EBU/EurovisionsSystem von 1993 dienen.427 Bei der EBU (European Broadcasting Union) handelt es 421

Europäische Kommission, Entsch. v. 15. 12. 1986, ABl. 1987 L 35, 36 – X/Open Group. Europäische Kommission, Entsch. v. 15. 12. 1986, ABl. 1987 L 35, 36 Rn. 32 – X/Open Group. 423 Europäische Kommission, Entsch. v. 15. 12. 1986, ABl. 1987 L 35, 36 Rn. 32 – X/Open Group. 424 Europäische Kommission, Entsch. v. 15. 12. 1986, ABl. 1987 L 35, 36 Rn. 33 f. – X/ Open Group. 425 Europäische Kommission, Entsch. v. 15. 12. 1986, ABl. 1987 L 35, 36 Rn. 42 ff. – X/ Open Group. 426 Europäische Kommission, Entsch. v. 15. 12. 1986, ABl. 1987 L 35, 36 Rn. 38 – X/Open Group. 427 Europäische Kommission, Entsch. v. 11. 06. 1993, ABl. 1993 L 179, 23 – EBU/Eurovisions-System; das EuG hob diese Entscheidung aufgrund einer abweichenden Auffassung 422

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sich um einen Verbund verschiedener europäischer Rundfunk- und Fernsehanstalten. Aufgrund der Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft, insbesondere ein besonders breites Angebot an Programmen für jede Bevölkerungsgruppe, waren die Mitglieder hauptsächlich öffentlich-rechtliche bzw. vergleichbar organisierte Medienanstalten. Aus vielen Mitgliedstaaten stammte nur ein EBU-Mitglied, insbesondere bei größeren Ländern, wie etwa Deutschland, die über mehrere öffentlich-rechtliche Sendeanstalten verfügen, konnte es allerdings auch mehrere Mitglieder aus einer Nation geben.428 Die Gruppe trat gemeinsam als Erwerber von Übertragungsrechten an internationalen Sportveranstaltungen auf, wobei die Teilnahme an solchen Einkäufen für die einzelnen Sender nicht verpflichtend war. Soweit mehrere Sendeanstalten aus dem gleichen Mitgliedstaat an einer Veranstaltung interessiert waren, sollten diese sich nach Möglichkeit auf eine Aufteilung der Rechte in ihrem Sendegebiet einigen, andernfalls waren alle Interessenten übertragungsberechtigt.429 Hinsichtlich der konkreten Übertragung von Veranstaltungen war vereinbart, dass eines der jeweils am Veranstaltungsort ansässigen Mitglieder die Erstellung des Übertragungssignals, bestehend aus Bild- und Tonsignal, vornehmen sollte und dieses dann den anderen EBU-Mitgliedern kostenlos zur Verwendung zur Verfügung stellte. Dies erfolgte insbesondere auch unter gegenseitiger Nutzung des jeweiligen Leitungsnetzes der Mitglieder.430 Die Europäische Kommission stellte zunächst fest, dass die beschriebene Praxis des gemeinsamen Einkaufs von Senderechten zum einen eine Einschränkung des Wettbewerbs zwischen den EBU-Mitgliedern untereinander zur Folge hatte, sowohl was die Fälle mit mehreren Mitgliedern eines nationalen Marktes untereinander betraf, als auch – angesichts der damals verstärkt aufkommenden Übertragung via Satellit – hinsichtlich von Sendeanstalten aus unterschiedlichen Ländern.431 Zum

hinsichtlich der Erfüllung der Kriterien der gewährten Einzelfreistellung auf, vgl. EuG, Urt. v. 11. 07. 1996, Rs. T-528/93, T-542/93, T-543/93 u. T-546/93, ECLI:EU:T:1996:99 – Eurovision I. Bezüglich der Anwendbarkeit des Kartellverbots scheint die Entscheidung entsprechend dennoch verwertbar, diesbezüglich enthält das Urteil keine Hinweise auf eine abweichende Rechtsauffassung des Gerichts. Es folgte ein erneuter Versuch der Europäischen Kommission das Vorhaben freizustellen, vgl. Europäische Kommission, Entsch. v. 10. 05. 2000, ABl. 2000 L 151, 18 – Eurovision; auch in diesem Fall hob das EuG die Entscheidung wegen mangelhafter Begründung der Freistellung auf, vgl. EuG, Urt. v. 08. 10. 2002, Rs. T-185/00, T-216/00, T-299/ 00 u. T-300/00, ECLI:EU:T:2002:242 – Eurovision II; ausführlicher zu diesen Entscheidungen Enßlin, ZEuP 2006, 380, 380 ff., sowie Fikentscher, ZEuP 2006, 388, 388 ff. 428 Europäische Kommission, Entsch. v. 11. 06. 1993, ABl. 1993 L 179, 23 Rn. 2 ff. – EBU/ Eurovisions-System. 429 Europäische Kommission, Entsch. v. 11. 06. 1993, ABl. 1993 L 179, 23 Rn. 27 ff. – EBU/Eurovisions-System. 430 Europäische Kommission, Entsch. v. 11. 06. 1993, ABl. 1993 L 179, 23 Rn. 31 ff. – EBU/Eurovisions-System. 431 Europäische Kommission, Entsch. v. 11. 06. 1993, ABl. 1993 L 179, 23 Rn. 47 ff. – EBU/Eurovisions-System; allgemein zur kartellrechtlichen Beurteilung von Einkaufskooperationen etwa Schroeder, in: Wiedemann (Hrsg.), HdB Kartellrecht (2016), § 9 Rn. 97 ff.;

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anderen wurde darüber hinaus eine Verfälschung des Wettbewerbs gegenüber Nichtmitglieder festgestellt. Diese ergebe sich zum einen aufgrund von Rationalisierungen und Einsparungen durch dieses gemeinsame Vorgehen,432 wodurch sich den EBU-Mitgliedern künstliche Kostenvorteile gegenüber ihren auf sich allein gestellten privaten Wettbewerbern bieten würden.433 Daneben hatte die Einkaufsgemeinschaft eine stärkere Marktposition gegenüber den Sportveranstaltern als Verkäufer, da diese die Übertragungsrechte bevorzugt an eine einzelne Stelle verkaufen, die sich dann intern um die Verteilung kümmert, als mit vielen Akteuren einzeln verhandeln zu müssen.434 Schließlich ergebe sich eine Verfälschung aus dem Aspekt, dass manche EBU-Mitglieder in Konsortien transnationale Sportsender unterhalten, bei denen sie nicht den sich aus ihrer öffentlich-rechtlichen Funktion ergebenden Programmvorgaben unterworfen sind und somit unter Ausnutzung ihrer durch die Kooperation erlangten Marktposition den Nichtmitgliedern noch stärkere Konkurrenz bieten können.435 (ee) Analyse und Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich insbesondere ein Aspekt in den angeführten Entscheidungen aufgreifen lässt: Regelmäßig waren die an den Vereinbarungen beteiligten Unternehmen durch die kooperativen Maßnahmen in ihrer Marktposition gestärkt, sei dies wie in den Fällen Cimbel, Milchförderungsfonds und EBU/Eurovisions-System durch Kostenvorteile mittels direkter Subventionen, indirekter Unterstützung durch die Übernahme von Werbekosten oder auch allgemeiner Kosteneinsparungen oder wie im Fall der X/Open-Group durch einen Wissensvorsprung und die Möglichkeit, auf die technische Entwicklung von Standards einzuwirken. Diese Fälle sind mit einer formelhaften Anwendung des Selbstständigkeitspostulats436 nur eingeschränkt greifbar, denn es stand den Unternehmen, die an diesen Fallgestaltungen beteiligt waren, weiterhin frei, sich selbstbestimmt am Markt zu verhalten. Ihre Position war – im Vergleich mit einer Situation ohne die Bunte, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann u. a. (Hrsg.), FK KartellR, 76. EL Stand: März 2012, Art. 101 Abs. 1, 3 AEUV Fallgruppen II.5 Rn. 1 ff.; sowie Säcker/Mohr, wrp 2011, 793, 798 ff. 432 Im Einzelnen werden diese im Rahmen der Begründung der Freistellung näher beschrieben, vgl. Europäische Kommission, Entsch. v. 11. 06. 1993, ABl. 1993 L 179, 23 Rn. 58 ff. – EBU/Eurovisions-System. 433 Europäische Kommission, Entsch. v. 11. 06. 1993, ABl. 1993 L 179, 23 Rn. 50 – EBU/ Eurovisions-System. 434 Europäische Kommission, Entsch. v. 11. 06. 1993, ABl. 1993 L 179, 23 Rn. 51 – EBU/ Eurovisions-System. 435 Europäische Kommission, Entsch. v. 11. 06. 1993, ABl. 1993 L 179, 23 Rn. 52 – EBU/ Eurovisions-System. 436 Verstanden als die Pflicht der Unternehmen, ihre Vorgehensweise auf dem Gemeinsamen Markt selbstständig zu bestimmen, vgl. EuGH, Urt. v. 16. 12. 1975, Rs. 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73, ECLI:EU:C:1975:174 Rn. 173 f. – Suiker Unie; Hengst, in: Langen/ Bunte (Hrsg.), Kartellrecht (2018), Art. 101 AEUV Rn. 116. Weitere Nachweise schon oben in Fn. 287.

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beanstandeten Maßnahmen – nur über das Maß hinaus verstärkt, das sich andernfalls ergeben hätte.437 Wie bereits oben angedeutet, könnte man jedenfalls in den Subventionsfällen für den Exportmarkt aus Konsumentensicht zumindest von einer Wettbewerbsförderung sprechen. So dürfte der Verbraucher durch den gesteigerten Wettbewerbsdruck auf die nationalen Anbieter von der Absprache aufgrund niedrigerer Preise oder vergleichbarer Effekte eher profitieren als Schaden nehmen.438 Auch die Entscheidung in der Sache X/Open-Group zeichnet sich eher durch eine verbesserte Marktposition gegenüber Wettbewerbern aus, ohne dass eine Handlungseinschränkung der Beteiligten unmittelbar erkennbar wäre. In diesen Fällen wird also eher ein Drittschutz für Wettbewerber in der Form anerkannt, dass diese zwar nicht vor Wettbewerb geschützt werden, aber doch zumindest in ihrer Waffengleichheit bei der Partizipation an diesem. Dies ist letztlich ein Ausdruck des oben bereits angeführten Grundvertrauens in die positive Wirkung der unverfälscht ablaufenden Wettbewerbsprozesse und eher abweichend zu den moderneren, wirkungsorientierten Ansätzen, wie sie insbesondere von der Europäischen Kommission verfolgt werden. Zu beachten ist allerdings, dass daneben zum Teil auf Effekte Bezug genommen wurde, die zwar unter dem Begriff der Wettbewerbsverfälschung diskutiert wurden, indes nur eingeschränkt von den klassischen Fallkonstellationen abweichen.439 Sofern etwa durch die Ausfuhrsubventionen der Heimatmarkt der Beteiligten von Gütern entlastet wird, führt dies im Ergebnis zu einer künstlichen Güterverknappung auf diesem Markt, die grundsätzlich auch unter das Regelbeispiel des Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV gefasst werden könnte.440 437 Zur nicht unähnlichen Situation im Beihilfebereich in einer Entscheidung zu Art. 90 i. V. m. Art. 86 EWG-Vertrag (heute: Art. 106 i. V. m. Art. 102 AEUV) s. EuGH, Urt. v. 13. 12. 1991, Rs. C-18/88, ECLI:EU:C:1991:474 Rn. 25 – RTT/GB-Inno-BM: „Ein System nicht verfälschten Wettbewerbs, wie es der Vertrag vorsieht, kann jedoch nur gewährleistet werden, wenn die Chancengleichheit der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer sichergestellt ist.“ 438 Entsprechend dürfte im Übrigen auch durchaus zweifelhaft sein, ob die Europäische Kommission angesichts ihres veränderten, stärker auf die Auswirkungen für die Verbraucher abstellenden Ansatzes (s. hierzu oben S. 55 ff.) heute noch eine etwa der Entscheidung Milchforderungsfonds entsprechende Beurteilung vornehmen würde. Eine eingeschränkte Aussagekraft älterer Entscheidungen der Europäischen Kommission vor dem Hintergrund der veränderten Gesamtkonzeption ihrer Herangehensweise sehen auch Roth/Ackermann, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann u. a. (Hrsg.), FK KartellR, 68. EL Stand: Mai 2009, Art. 81 Abs. 1 EGV Rn. 247. 439 Teilweise wird insgesamt bestritten, dass sich aus Entscheidungen, die den hier Vorgestellten ähneln, ein eigener Anwendungsbereich ergebe, weil sich letztlich auch in diesen immer solche Wirkungen zeigen würden, die typischerweise als Wettbewerbsbeschränkungen klassifiziert werden. s. etwa Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 47. EL Stand: April 2012, Art. 101 AEUV Rn. 123, der sich indes auf andere Entscheidungen als die hier dargestellten bezieht. 440 Hierzu etwa Schröter/Voet van Vormizeele, in: Schröter/Jakob/Klotz u. a. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Art. 101 AEUV Rn. 150 ff. Im Fall Cimbel enthielt die Vereinbarung über die bloßen Wirkungen hinaus sogar feste Lieferquoten für die Beteiligten. In der Sache Milchförderungsfonds war die Veränderung der Absatzmenge indes bloßer Effekt der

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Hervorzuheben ist zudem bereits an dieser Stelle, dass die dargestellte Entscheidungspraxis insgesamt Fälle betraf, in denen sich die Marktparameter durch die untersuchten Praktiken für den zukünftigen Wettbewerb veränderten. Die negativen Drittwirkungen für die Wettbewerber lagen nicht in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Schaden, sondern in ihrer im Vergleich zum unverfälschten Ablauf des Wettbewerbsprozesses verschlechterten Wettbewerbsposition infolge der Kooperation ihrer Konkurrenten.441 (b) Ansätze in der Literatur Insbesondere unter Bezugnahme auf Teile der oben vorgestellten Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission versucht auch die kartellrechtliche Literatur – soweit ein eigener Anwendungsbereich der Wettbewerbsverfälschung vertreten wird – eine entsprechende begriffliche Eingrenzung zur Handhabung des Merkmals zu formulieren.442 Zuweilen wird dies dahingehend formuliert, dass die Wettbewerbsverfälschung jede künstliche Veränderung von Marktbedingungen umfassen soll.443 Teilweise wird diese Aussage jedoch für ihre Unbestimmtheit kritisiert. Sie könne daher nur einen ersten, groben Rahmen bieten, für die praktische Anwendung würde sie von lediglich eingeschränktem Nutzen bleiben.444 (c) Stellungnahme Der gegen das weite Verständnis des Begriffs vorgebrachte Einwand erscheint nicht vollständig überzeugend. Zwar ist zuzugestehen, dass die Feststellungen von Marktbedingungen und ihre Einordnung als „natürlich“ und „künstlich“ eines gewissen Aufwands bedürfen und zudem regelmäßig verschiedene Interpretationen in

Absprache, wobei dies in den Wirkungen wohl ähnlich zu bewerten sein dürfte, wenn auch die Umsetzung mangels entsprechender Verpflichtungen weniger kartelleffizient sein dürfte. 441 Ein unmittelbarerer Schaden (einzelner) Akteure der Marktgegenseite besteht in den Fällen eines koordinierten Boykotts, der in bestimmten Fällen ebenfalls unter das Kartellverbot subsumiert wurde, vgl. EuGH, Urt. v. 26. 11. 1975, Rs. 73/74, ECLI:EU:C:1975:160 Rn. 16 ff. – Belgische Tapeten; Europäische Kommission, Entsch. v. 21. 10. 1998, ABl. 1998 L 24, 1 Rn. 146 ff. – Fernwärmetechnik-Kartell. Indes liegt die Wettbewerbsbeschränkung in diesen Konstellationen regelmäßig schon in einer Preis- oder Konditionenabsprache, deren Wirksamkeit durch entsprechende Maßnahmen gegen Abweichler oder Drittunternehmen abgesichert werden sollte. Teilweise wurde ein solcher Fall auch als Missbrauch einer gemeinsamen marktbeherrschenden Stellung qualifiziert, so etwa EuGH, Urt. v. 16. 03. 2000, Rs. C-395/96 P u. C-396/96 P, ECLI:EU:C:2000:132 Rn. 111 ff. – Compagnie maritime Belge. 442 Ausführlicher zum Begriffsverständnis in der Literatur und dessen Entwicklungen auch Schrey, Drittwettbewerb im europäischen und deutschen Kartellrecht (2005), S. 99 ff. 443 Schröter/Voet van Vormizeele, in: Schröter/Jakob/Klotz u. a. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Art. 101 AEUV Rn. 84. 444 Schrey, Drittwettbewerb im europäischen und deutschen Kartellrecht (2005), S. 80 f.; Sandrock, Grundbegriffe des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (1968), S. 228; ähnl. (wenn auch etwas zurückhaltender) Schluep, in: Merz/Schluep (Hrsg.), FG Kummer (1980), S. 495 f.

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Betracht kommen werden.445 Indes ist dies dem Art. 101 AEUV an vielen Stellen eigen und geht letztlich insbesondere auf den Umstand zurück, dass mit dem Wettbewerb ein Schutzgut im Mittelpunkt der Norm steht, dass sich einer eindeutigen Definition entzieht.446 Entsprechend wird sich auch bei der Ausfüllung einzelner Tatbestandsmerkmale, die auf den Wettbewerb Bezug nehmen, letztlich die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auch auf der Definitionsebene nicht nur schwerlich vermeiden lassen, es wäre angesichts der dynamischen Formen des Wettbewerbs wohl auch nicht zweckdienlich, sich dem Problem mit einem zu starren Begriffskorsett anzunähern. Letztlich erscheint der Ansatz des Abstellens auf eine künstliche Veränderung der Marktbedingungen in Anknüpfung an die genannten Argumente jedenfalls im Kern zutreffend, da er zunächst einen größtmöglichen Schutz für den Prozess des Wettbewerbs vor Beeinflussungen gewährleisten kann. Vor diesem Hintergrund kann indes die teilweise genannte Voraussetzung der negativen Auswirkungen der künstlichen Marktbedingungen für Dritte in Zweifel gezogen werden. Diese negativen Drittwirkungen sind in der Normierung des Kartellverbots weder im Wortlaut noch in dem skizzierten Zweck angelegt.447 Daraus ergibt sich allerdings nicht zwingend der Umkehrschluss, dass jede irgendwie geartete künstliche Veränderung der Marktbedingungen unter das Merkmal fallen muss. Vielmehr ist auch bei diesem Ansatz weiterhin der Wettbewerb in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Es ist ein wettbewerblicher Bezugspunkt erforderlich, die Verfälschung muss sich gerade aus einer Koordinierung über wettbewerbliche Parameter ergeben bzw. sich zumindest auf diese auswirken. Diese Feststellung steht auch im Einklang mit der dargestellten Entscheidungspraxis. Dort war ein solcher Wettbewerbsbezug stets ersichtlich.

445 Indes ist im Übrigen zumindest fraglich, ob die teils vorgeschlagenen Alternativen wirklich eine einfachere Handhabung bieten, vgl. etwa Schluep, in: Merz/Schluep (Hrsg.), FG Kummer (1980), S. 498, der unter die Wettbewerbsverfälschung „funktionswidrige Maßnahmen“ erfassen will, wobei sich dies (zwecks Abgrenzung zum Lauterkeitsrecht) auf die erwünschten Funktionen des Wettbewerbs beziehen soll (dort Fn. 41). Die naheliegende Frage wäre nun die nach den erwünschten Funktionen des Wettbewerbs und der Methodiken für die Feststellung einer Abweichung. Dies dürfte kaum leichter gelingen, als die Feststellung von „künstlichen“ und „natürlichen“ Marktbedingungen. 446 Vgl. zum Begriff Wettbewerb und dem Versuch seiner Definition bereits oben S. 66 ff. 447 Anders wohl Schrey, Drittwettbewerb im europäischen und deutschen Kartellrecht (2005), S. 127, der dies aus der Formulierung „Verfälschung“ herleitet, die, im Gegensatz zu einem neutraleren Ausdruck wie „Veränderung“, ein negatives Element enthalte. Diese Interpretation erscheint jedoch etwas zu weitgehend, da zum einen auch das Wort „Verfälschung“ lediglich eine falsche Darstellung fordert, ohne eine bestimmte Richtung vorzugeben, zum anderen der Zweck des Art. 101 AEUV darin besteht, den Wettbewerb als Prozess überhaupt zu schützen und nicht auf konkrete missbräuchliche, mithin negative Effekte, ausgerichtet ist. Vgl. hierzu auch sogleich die Ausführungen zur Bedeutung der letztlich teils zufälligen Auswirkungen für die Kartellanten im LIBOR-Fall, S. 117 ff.

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bb) Wettbewerbsverfälschung durch Veränderung der Referenzzinsen (1) Relevanz der Zweiseitigkeit der Koordinierungswirkung In der Literatur wird im Rahmen der Diskussion um die kartellrechtliche Bewertung der LIBOR-Manipulation teilweise eingewandt, eine Anwendung des Kartellverbots würde daran scheitern, dass die Auswirkungen für die beteiligten Unternehmen letztlich zufällig wären.448 Die Zufälligkeit ergibt sich aus dem Umstand, dass die in die Referenzzinsermittlung involvierten Finanzinstitute in der Regel Finanzderivatkontrakte in verschiedenen Varianten gehalten haben. Sie besaßen sowohl solche Kontrakte, die von der Veränderung profitierten, als auch solche, bei denen sich diese negativ auswirkten. Dies ist letztlich davon abhängig, ob das Finanzinstitut in dem jeweiligen Vertrag als Schuldner oder als Gläubiger des variablen Zinssatzes aufgetreten ist.449 Diese eher untypische Konstellation ist auf den Umstand zurückzuführen, dass die Manipulationen in der Regel auf Veranlassung durch einzelne Händler zurückgingen, die nur die von ihnen selbst verwalteten Positionen im Blick hatten, aber nicht unbedingt die Auswirkung auf die Gesamtbilanz ihres Unternehmens. Ansatzpunkt der Argumentation für eine Beachtlichkeit dieser Besonderheit ist die von Rechtsprechung regelmäßig geforderte Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen und rechtlichen Hintergründe einer Vereinbarung.450 Indes vermag diese Argumentation nur eingeschränkt zu überzeugen. Zwar kann der Umstand, dass sich die Absprachen in der Bilanz für das Gesamtunternehmen möglicherweise sogar negativ auswirken, dafür sprechen, dass eine Koordination jedenfalls nicht auf Veranlassung der strategischen Führungsebene erfolgt ist.451 Indes stellt sich die Frage, ob dies tatsächlich einen relevanten Faktor der kartellrechtlichen Beurteilung darstellen kann. Insgesamt kann es für die Kartellverfolgung nicht darauf ankommen, ob die beteiligten Unternehmen auch tatsächlich einen Vorteil aus ihrem Vorgehen ziehen. Ein solches Erfolgskriterium ist in Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht angelegt und würde zudem nicht seinem Zweck entsprechen. Ziel ist es nicht, zusätzlichen Gewinn der Kartellanten zu verhindern, sondern den wettbewerbsschädigenden Einfluss ihrer Koordination als solchen. Ähnlich wie sich ein Verbraucherschaden als zwingendes Tatbestandsmerkmal in diesem Zusammenhang nicht

448

Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2566; dem folgend Bausch/Wittmann, WM 2014, 494, 501; a. A. wohl Schuhmacher, Haftungsfragen im Spannungsfeld zwischen Kapitalmarktrecht und Kartellrecht, in: Leupold (Hrsg.), Forum Verbraucherrecht 2015 (2015), S. 66 f. 449 Zur Funktionsweise von Finanzderivaten s. oben S. 27 ff. 450 Vgl. zu dieser regelmäßig verwendeten Formel aus neuerer Zeit etwa EuGH, Urt. v. 19. 03. 2015, Rs. C-286/13 P, ECLI:EU:C:2015:184 Rn. 117 – Dole Food Co.; EuGH, Urt. v. 11. 09. 2014, Rs. C-67/13 P, ECLI:EU:C:2014:2204 Rn. 53 – CB/Kommission; EuGH, Urt. v. 20. 11. 2008, Rs. C-209/07, ECLI:EU:C:2008:643 Rn. 16 – Beef Industry. 451 Insoweit zutreffend Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2566.

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rechtfertigten lässt,452 gilt dies zugleich für die Untauglichkeit eines Kartellantenvorteils als Voraussetzung der Normanwendung.453 Dies ergibt sich auch aus dem Normtext des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV. Dieser erwähnt nur die „Festsetzung“ von Preisen, gibt aber keine Richtung vor, in welche diese beeinflusst werden sollen. Demgegenüber spricht Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV deutlicher von „unangemessenen“ Preisen, nimmt also im Gegensatz zur Regelung des Kartellverbots eine konkrete Wertung vor. Art. 101 AEUV arbeitet somit auf Grundlage eines grundsätzlichen Verbotsprinzips, unabhängig von bestimmten Wirkungen.454 Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die Auswirkungen der Referenzwertmanipulation auf den Finanzderivatemarkt zwar einer gewissen Zufälligkeit unterworfen sein mögen, dieser Umstand allerdings nicht geeignet ist, ihre potenzielle Kartellrechtswidrigkeit zu relativieren.455 Die Feststellung, dass ein Unternehmen eine Kartellabsprache nicht zielgerichtet im Rahmen seiner Marktstrategie verfolgt, kann nach hier vertretener Ansicht – im Übrigen schon aus Gründen der Umgehungsgefahr – nicht ausreichen, um sich vom Vorwurf des Verstoßes gegen Art. 101 AEUV zu exkulpieren. (2) Entstehen künstlicher Wettbewerbsbedingungen Auf Grundlage der zuvor vorgenommenen Analyse des Anwendungsbereichs der Variante der Wettbewerbsverfälschung wird ersichtlich, dass der vorliegende Fall der Referenzwertmanipulation sich im Regelfall nicht in einer Art und Weise auswirkt, die dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt und somit eine Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV rechtfertigen würde. Dies gilt jedenfalls in Bezug auf die Manipulation von Referenzzinsen mit einer Ermittlungsmethodik, wie sie bei LIBOR und EURIBOR verwendet wird. Vielmehr zeigen sich sowohl für die abstrakte Begriffsbestimmung als auch im Vergleich mit den konkreten Fallbeispielen an entscheidenden Punkten Unterschiede, die eine Übertragbarkeit auf diese Konstellation letztlich verhindern. Zentraler Punkt ist hierbei wiederum ein zu geringer Wettbewerbsbezug. 452 Zu dem diesbezüglichen Versuch der Europäischen Kommission und der eindeutigen Absage durch die Rechtsprechung oben S. 55 ff. bzw. EuGH, Urt. v. 06. 10. 2009, Rs. C-501/06 P, C-513/06 P, C-515/06 P u. C-519/06 P, ECLI:EU:C:2009:610 Rn. 63 f. – GlaxoSmithKline. So auch Bechtold, in: Büscher/Erdmann/Haedicke u. a. (Hrsg.), FS Bornkamm (2014), S. 104; Schuhmacher, Haftungsfragen im Spannungsfeld zwischen Kapitalmarktrecht und Kartellrecht, in: Leupold (Hrsg.), Forum Verbraucherrecht 2015 (2015), S. 66 f. 453 Vgl. auch EuG, Urt. v. 16. 06. 2011, Rs. T-192/06, ECLI:EU:T:2011:278 Rn. 61 f. – Caffaro. Nach überzeugender Auffassung des Gerichts ändern auch Nachteile für den Kartellanten infolge der Vereinbarung nichts an deren kartellrechtlicher Beurteilung. 454 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Rn. 11 Rn. 31. Dieser Aspekt wurde auch schon oben bei der Analyse des Fehlens eines gesamtwirtschaftlichen Schadens aufgegriffen, vgl. S. 99 ff. 455 So auch EuG, Urt. v. 10. 11. 2017, Rs. T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795 Rn. 81 – ICAP.

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Wie bereits im Rahmen der Diskussion einer möglichen Preismanipulation erörtert wurde, stellt die Wertstellung als solche einen vom wettbewerblichen Prozess der Preisfindung und der entsprechenden Produktgestaltung abgekoppelten Vorgang dar, da sie zum einen zeitlich nachgelagert vorgenommen wird, zum anderen in der Wirkungsweise ein von der Disposition der Parteien eigentlich unabhängiges Kriterium ist. Als solcher ist sie aus wettbewerblicher Perspektive nicht von entsprechender Relevanz. Mithin ist der Referenzwert wie dargestellt kein Faktor, dessen Festsetzung für die ihn verwendenden Parteien zur Disposition steht bzw. zumindest seiner Konzeption nach zur Disposition stehen sollte. Betrachtet man die Beispiele, die seitens der Rechtsprechung für die vor künstlicher Veränderung geschützten Parameter genannt werden, so werden etwa „(…) die Art der Waren oder erbrachten Dienstleistungen, die Bedeutung und Zahl der beteiligten Unternehmen sowie de[r] Umfang des in Betracht kommenden Marktes (…)“ genannt.456 Insoweit wird erkennbar, dass die Auswirkungen sich auf einen dem Wettbewerb ausgesetzten Faktor beziehen müssen, um kartellrechtliche Relevanz zu besitzen. Wie dargestellt ist dies für die Wertsetzung in Bezug auf die Finanzderivatskontrakte aber nicht in vergleichbarer Form der Fall.457 (3) Wettbewerbsverfälschung aufgrund eines Informationsgefälles Die Europäische Kommission hat eine Wettbewerbsverfälschung im Fall der Referenzzinsmanipulation mit der Argumentation für möglich erachtet, dass die beteiligten Finanzinstitute hinsichtlich ihrer Wettbewerber einen Informationsvorsprung besäßen. Denn im Gegensatz zu diesen wüssten sie um den Umstand, dass der jeweilige Referenzzins gegebenenfalls nicht der tatsächlichen Marktlage entspricht, sondern durch ihre Koordination beeinflusst wurde.458 Dies vermag nach hier vertretener Ansicht nicht zu überzeugen. Ein solches Verständnis würde den Anwendungsbereich des Kartellverbots unbillig vergrößern. Das Wissen um die Verzerrung eines Parameters ist bei einer Koordination zwischen 456 EuGH, Urt. v. 04. 06. 2009, Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343 Rn. 33 – T-Mobile Netherlands; EuGH, Urt. v. 28. 05. 1998, Rs. C-7/95 P, ECLI:EU:C:1998:256 Rn. 87 – John Deere; EuGH, Urt. v. 14. 07. 1981, Rs. 172/80, ECLI:EU:C:1981:178 Rn. 14 – Züchner/Bayrische Vereinsbank. 457 Auch Bechtold, in: Büscher/Erdmann/Haedicke u. a. (Hrsg.), FS Bornkamm (2014), S. 104 f., setzt eine wettbewerbliche Prägung der zu verknüpfenden Märkte und der beeinflussten Parameter voraus. Auf Ebene der Referenzwertfeststellung fehlt es im LIBOR-Fall an einem zu beeinflussenden Wettbewerb, vgl. oben S. 68 ff. A. A. Schuhmacher, Haftungsfragen im Spannungsfeld zwischen Kapitalmarktrecht und Kartellrecht, in: Leupold (Hrsg.), Forum Verbraucherrecht 2015 (2015), S. 66 f., der jede Veränderung der Marktbedingungen ausreichen lassen will. 458 Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 204 – YIRD. Das EuG erwähnt diese Argumentation in seinem Urteil zur Klage gegen diese Entscheidung, hat diese jedoch nicht näher rechtlich gewürdigt, weil es schon aus anderen Gründen eine Wettbewerbsbeschränkung erkannt hat, vgl. EuG, Urt. v. 10. 11. 2017, Rs. T-180/15, ECLI:EU: T:2017:795 Rn. 63 – ICAP.

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Wettbewerbern stets gegeben. Diesem Umstand nun aber eine eigenständige Bedeutung zuzuweisen, die zur Annahme einer Wettbewerbsverfälschung führen soll, sofern eine „klassische“ Wettbewerbsbeschränkung aus der Tatsache der Absprache als solcher nicht angenommen werden könnte, würde zu einem unbillig weiten Auffangtatbestand führen. Insofern erscheint es bei der Qualifikation dieses Aspektes vielmehr sachgerecht, entsprechend der auch durch die Rechtsprechung anerkannten kartellrechtlichen Bewertung von Informationsaustausch das Selbstständigkeitspostulat in den Vordergrund zu stellen.459 Nur wenn die Unternehmen durch die Information in einem Ausmaß in ihrem wettbewerblichen Verhalten beeinflusst werden, dass ihr unilaterale Entscheidungsfindung nicht mehr gewahrt bleibt, kann eine Wettbewerbsbeschränkung i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV angenommen werden. Jedenfalls für den Fall der LIBOR-Manipulationen kann dies nicht ohne Weiteres angenommen werden. Insofern erscheint es nicht unbedingt zwingend, dass sich das Bewusstsein um eine mögliche Verzerrung des Referenzwertes auf das wettbewerbliche Verhalten der Beteiligten auf dem Derivatemarkt auswirken soll. Sofern allerdings dennoch der Nachweis gelingen sollte, dass das Wissen um die Manipulierbarkeit des Referenzwertes und gegebenenfalls auch die konkrete Kenntnis von seiner aktuellen Ungenauigkeit zu einer dergestalt ausgeprägten Veränderung des Marktverhaltens geführt hat, kann diese Argumentation durchaus verfangen. Dies wäre allerdings, insbesondere vor dem Hintergrund der in der Rechtsprechung angemahnten restriktiven Auslegung,460 lediglich als bewirkte Wettbewerbsbeschränkung zu qualifizieren. Gegen die Annahme einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung sprechen die soeben angeführten grundsätzlichen Zweifel.461 Entscheidend wären also die Auswirkungen im jeweiligen Einzelfall.462 Festzuhalten bleibt darüber hinaus, dass es sich bei diesem Ansatz nicht um einen Fall der Wettbewerbsverfälschung in der hier verstandenen bzw. untersuchten Form handelt. Vielmehr läge angesichts der potenziellen Einschränkung der unbeeinflussten Handlungsfreiheit gegebenenfalls eine „klassische“ Wettbewerbsbeschränkung vor.

459

Vgl. zur kartellrechtlichen Einordnung von Informationsaustausch schon oben die Darstellung in Bezug auf Marktinformationsverfahren, S. 78 ff. 460 Vgl. EuGH, Urt. v. 26. 11. 2015, Rs. C-345/14, ECLI:EU:C:2015:784 Rn. 18 – Maxima Latvija; EuGH, Urt. v. 11. 09. 2014, Rs. C-67/13 P, ECLI:EU:C:2014:2204 – CB/Kommission. 461 Allgemein zur Abgrenzung vgl. bspw. Weiß, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV (2016), Art. 101 AEUV Rn. 103 ff. 462 Eine konkrete Analyse für den Fall der LIBOR-Manipulationen kann mangels entsprechender Daten an dieser Stelle nicht erfolgen und würde zudem auch den Fokus der Bearbeitung verlassen.

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(4) Wettbewerbsverfälschung durch unlautere Gewinne Ein weiterer denkbarer Ansatz wäre es, den Blick nicht nur auf die von der Manipulation betroffenen Märkte selbst zu richten, sondern auf die Marktposition der Beteiligten insgesamt innerhalb ihrer vielfältigen Tätigkeitsfelder.463 Vor diesem Hintergrund könnte berücksichtigt werden, dass durch die unlauteren Praktiken den Unternehmen ein ihnen bei regulärem Ablauf eigentlich nicht zustehender monetärer Gewinn zugefallen sein könnte, der in der Folge zu einem erhöhten Handlungsspielraum für andere Bereiche geführt haben könnte. Denkbar wäre eine parallele Argumentation zur früheren Entscheidungspraxis, wie sie sich insbesondere im Fall Milchförderungsfonds darstellt.464 Dort war in der Bereitstellung von Geldern durch ein auf kartellrechtlich problematischer Koordination beruhendem Konsortium eine Verzerrung der Märkte festgestellt worden, auf denen sich die unterstützten Unternehmen betätigten. Man könnte argumentieren, in letzter Konsequenz würde sich hierzu kein tragender Unterschied feststellen lassen, wenn diese zusätzlichen finanziellen Mittel nicht aufgrund freiwilliger Beitragszahlungen generiert wurden, sondern durch unlautere Geschäftspraktiken erwirtschaftet wurden, sofern diese in koordinierter Form vorgenommen wurden. Insoweit ist es für die Wirkung auf den nunmehr betroffenen Markt – in Betracht kommen sämtliche Märkte auf denen Finanzinstitute dieser Größe typischerweise tätig werden – zunächst einmal unerheblich, welchen konkreten Hintergrund die wirtschaftliche Besserstellung einzelner Akteure besitzt, sofern sie letztlich auf unerwünschtem Abstimmungsverhalten beruht. Indes erscheint ein solches Verständnis den Anwendungsbereich des Kartellverbots des Art. 101 Abs. 1 AEUV über das akzeptable Maß hinaus auszudehnen. Letztlich würde bei einer Berücksichtigung potenzieller Gewinne jede Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht – sofern dieses Ziel dann auch erreicht würde – an der mehr als eine Partei beteiligt ist, unter das Kartellverbot fallen. Auch wettbewerbsfördernde Vereinbarungen können den beteiligten Unternehmen zumindest potenziell Gewinne ermöglichen, die dann – bei einem entsprechenden Verständnis – zu einer Wettbewerbsverfälschung führen würden. Ein so enges Korsett erscheint letztlich eher nachteilig für die Marktentwicklung und ist auch vor dem angesprochenen Zweck des Wettbewerbsrechts nicht zu rechtfertigen. Der Anreiz zur Gewinnerzielung stellt eine zentrale Triebfeder des Wettbewerbs dar, diesen quasi zu kriminalisieren wäre eher schädlich als fördernd. Insoweit unterscheidet sich die Referenzwertmanipulation von einem Fall wie er der Entscheidung Milchförderungsfonds bzw. vergleichbaren Konstellationen von Quersubventionierung. Dort ist die Generierung der Finanzmittel zentraler Inhalt der Absprache, nicht lediglich ein Reflex. Sie wirkt daher unmittelbarer, was eine unterschiedliche rechtliche Be463 Streng genommen behandelt dieser Abschnitt der Bearbeitung nur die Wirkungen auf den Markt für Finanzderivate. Die Wettbewerbswirkung, die an dieser Stelle analysiert wird, betrifft jedenfalls auch andere Märkte. Da der Finanzderivatemarkt hier jedoch im Mittelpunkt steht, bietet sich eine thematische Behandlung gleichwohl an. 464 Hierzu oben S. 109 f.

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C. Kartellrechtliche Bewertung

handlung der Sachverhalte rechtfertigt, sofern man die Fälle der koordinierten finanziellen Unterstützung überhaupt als Verstoß gegen das Kartellverbot qualifizieren möchte. (5) Wettbewerbsverfälschung durch Zerstörung von Marktvertrauen Ein anderer Ansatz könnte es sein, eine Wettbewerbsverfälschung vor dem Hintergrund anzunehmen, dass Praktiken, durch die für den Finanzmarkt relevante Referenzwerte manipuliert werden, das Marktvertrauen der Anleger und anderer Akteure, die regelmäßig mit Produkten in Kontakt kommen, die auf solchen Werten basieren, zerstören können. Im Kapitalmarktrecht, dessen Anwendbarkeit ebenfalls noch diskutiert werden wird, ist der Vertrauensschutz in Bezug auf das ordnungsgemäße Funktionieren der Märkte ein zentrales Schutzgut und verschiedentlich abgesichert.465 Entsprechend stellt auch die Erwartung auf ein ordnungsgemäßes Zustandekommen von Preisen auf Grundlage fairer Informationsverbreitung sowie auf ein Fehlen von unlauterer Vorteilserlangung einzelner Marktakteure durch Manipulationen einen wichtigen Aspekt zum Funktionieren der Finanzmärkte dar. Dieses Vertrauen ist eine der Grundlagen für die Bereitschaft der Anleger ihr Kapital in den Markt zu investieren.466 Entsprechend ließe sich argumentieren, ein Verlust von Marktvertrauen in einem Feld, in dem diesem eine so bedeutende Rolle zukommt, könnte aufgrund seiner negativen Wirkungen volkswirtschaftlicher Art ebenfalls kartellrechtlich zu verfolgen sein. Insofern könnten sich ähnliche Effekte zeigen, wie sie sich bei der Preismanipulation üblicherweise in Bezug auf die volkswirtschaftliche Tauschrente nachweisen lassen, was sich wiederum auf die Gesamtwohlfahrt auswirken kann.467 Bei der gehobenen Bedeutung von Vertrauen, wie sie sich im Kapitalmarktbereich beobachten lässt, könnte als Resultat eines solchen Vertrauensverlustes infolge unbilliger Geschäftspraktiken die Investitionsbereitschaft abfallen, was sich letztlich in Effizienzverlusten für die Gesamtwohlfahrt auswirken könnte.468 So werden 465

Ausführlich hierzu Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1, 23 ff., dort zuvor auch zur Figur des Vertrauens im Recht allgemein. Mit umfassenden Nachweisen auch Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG) (2006), S. 63 ff. s. hierzu auch Fleischer, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG (2016), § 20a Rn. 1 u. 9. 466 Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1, 26. 467 Hierzu oben S. 99 ff.; vgl. auch Haucap/Stühmeier, WuW 2008, 413, 414 ff. 468 Zentral dürfte hierbei insbesondere die Zurverfügungstellung von Kapital durch Unternehmen im Bereich des Aktienmarktes sein. Insofern ist der Effekt bei Finanzderivaten wohl eher mittelbarer Natur. Sofern die Marktakteure dem dahinterstehenden Mechanismus nicht mehr vertrauen und sie diese daher nicht zur Absicherung ihrer Risiken nutzen können (zur Funktion und Einsatzzweck von Finanzderivaten vgl. oben S. 27 ff.), werden sie diese eigentlich marktwirtschaftlich positiven Risiken, denkbar bspw. in Form von kreditfinanzierten Investitionen, nur in geringerem Ausmaß eingehen. Zu dieser (ex-ante) Problematik der Handelsbeschränkung mangels Marktvertrauen auch hinsichtlich von Referenzwerten kommt noch die

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entsprechende „ex-ante-Schäden“ durch Marktmanipulation – diskutiert in der Regel jedoch eher im kapitalmarktrechtlichen Kontext – auch in der Literatur zumindest für möglich erachtet.469 Insgesamt ist eine Überschneidung von kartellrechtlich relevanten Handlungen und einem Vertrauensverlust als Reaktion durchaus denkbar. So wird auch eine unmittelbare Preisabsprache – sofern diese dann bekannt wird – einen gewissen Rückgang des Vertrauens der Marktgegenseite in das Zustandekommen von Preisen auf diesem Markt zur Folge habe. Möglicherweise sogar auf anderen Märkten, weil es an die grundsätzliche Möglichkeit von Kartellen erinnert und Misstrauen gegenüber den Vertragspartnern fördert. In diesen Fällen ist der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit aber immer noch in der Behinderung wettbewerblicher Funktionen zu sehen. Der Schutz des Vertrauens der Marktgegenseite ist hier lediglich ein reflexartiger Nebeneffekt. Im Mittelpunkt des Kartellrechts steht allerdings die Sicherung des freien Wettbewerbs als Prozess. Demgegenüber ist der kapitalmarktrechtliche Vertrauensschutz – zumindest soweit er im Rahmen des Verbots der Marktmanipulation, bisher normiert in § 20a WpHG a. F., verankert ist470 – eher ein ergebnisorientiertes Konzept. Geschützt wird das Vertrauen darauf, dass die Preise ordnungsgemäß zustande gekommen sind. Dieser Ansatz ist auch weiter als derjenige, der dem Kartellrecht zugeordnet werden kann, denn er schützt das Zustandekommen des Preises vor jeglicher Einflussnahme, also nicht nur vor solcher, die ihren Ursprung in der Störung wettbewerblicher Prozesse hat.471 Soweit man nun versucht, sich unter dem gegebenen Ansatzpunkt, der künstlichen Veränderung der Marktbedingungen, der Bewertung eines Verlustes an Marktvertrauen aus kartellrechtlicher Sicht zu nähern, so werden hiergegen letztlich dieselben Bedenken augenscheinlich, die schon in der zuvor vorgenommenen allgemeineren Auseinandersetzung von Relevanz waren. Notwendig für das Kartellrecht ist ein unmittelbarerer Wettbewerbsbezug, als dieser im Fall der LIBOR-Manipulationen aus den dargestellten Gründen gegeben war. Der Schutz spezieller Interessen einNutzung in anderen Bereichen hinzu, die durch den Vertrauensverlust eingeschränkt werden könnte und in der Folge beispielsweise aufwendigere individuelle Vereinbarungen erforderlich machen könnte. Dies muss nicht nur originär finanzmarktbezogene Transaktionen betreffen, auch die Vereinbarung von Strafzinsen im Warenverkehr kann an Referenzzinsen gekoppelt werden, um etwa im internationalen Handel den Bezug auf nationale Regelungen zu vermeiden. 469 Fleischer/Bueren, ZIP 2013, 1253, 1254 f.; Putnin¸sˇ, 26 J. Econ. Surveys 952, 963 (2012), der indes auch auf mögliche (ökonomisch) positive Effekte hinweist; Kyle/Viswanathan, 98 AEA Papers and Proceedings 274, 276 (2008). 470 Vertiefend zum Verbot der Marktmanipulation in § 20a WpHG etwa Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG) (2006), S. 96 ff. Zur Anwendung im Fall der Referenzwertmanipulation auch noch unten S. 152 ff. 471 So wohl auch Bueren, WM 2013, 585, 593. Vgl. – wenngleich in anderem Zusammenhang – auch GA Wahl, Schlussanträge v. 21. 05. 2015, Rs. C-194/14 P, ECLI:EU: C:2015:350 Rn. 1 – AC-Treuhand II: „Ein nicht wettbewerbsbeschränkendes Verhalten (…) – so moralisch und ethisch verwerflich es auch sein mag – [kann] nicht unter die im Unionsrecht verankerten Verbote und insbesondere unter das Kartellverbot nach Art. 81 Abs. 1 EG fallen.“

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C. Kartellrechtliche Bewertung

zelner Marktformen – wie eben der Vertrauensschutz hinsichtlich der Preisbildung am Kapitalmarkt472 – ist keine Aufgabe des Kartellrechts, sondern kann durch dieses höchstens mittelbar bewirkt werden, wenn ein Eingriff in seinen eigenen Schutzbereich vorliegt.473 Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf Fälle, in denen der Eingriff in fremde Schutzgüter zwar koordiniert erfolgt, bei denen sich die wettbewerbliche Relevanz jedoch nur über Umwege begründen lässt, ist wenig überzeugend. Andernfalls wäre auch zu beachten, dass das Kartellrecht bei einem solchen Ansatz letztlich als eine Art Verbraucherschutzrecht dienen würde; jeder Eingriff in die Interessen von Verbrauchern wird diese regelmäßig in ihrem Vertrauen in die Marktgegenseite erschüttern und ihr weiteres Marktverhalten beeinflussen. Ein solches Schutzverständnis liegt dem Kartellrecht indes nicht zugrunde. Der weit gehaltene Wortlaut ermöglicht zwar einen umfassenden Zugriff auf verschiedene Fallkonstellationen, dennoch sind der Anwendung gewisse Grenzen gesetzt. Daher kann ein Rückgriff auf Art. 101 Abs. 1 AEUV nach hier vertretener Ansicht nicht auf diese argumentative Grundlage gestützt werden. cc) Zusammenfassung Insgesamt lässt sich für das Merkmal der Wettbewerbsverfälschung – verstanden als künstliche Marktveränderung – festhalten, dass mangels hinreichendem Wettbewerbsbezug eine Subsumtion der Manipulation der Referenzzinsen mit Blick auf den Markt für Finanzderivate unter diese Variante nicht überzeugend gelingen kann. Der veränderte Parameter hat auf den Wettbewerb auf dem Markt für Finanzderivate keinen ausreichend direkten Bezug. Auch eine mittelbare Konstruktion über eine Berücksichtigung möglicher Reinvestitionen unlauter erlangter Gewinne scheint nicht überzeugend. Soweit man einen Informationsvorsprung der an den Manipulationen beteiligten Finanzinstitute als relevant betrachtet, kann über diesen Weg gleichwohl auch nach hier vertretener Auffassung eine Anwendung des Kartellverbots begründet werden. Dies wäre aufgrund der Auswirkungen auf das unternehmerische Handeln letztlich allerdings ein Fall der „klassischen“ Wettbewerbsbeschränkung. Entscheiden wäre eine Analyse des Ausmaßes des Einflusses der Information auf das Marktverhalten für den Einzelfall. Diese Einschätzung zum Vorliegen einer Wettbewerbsverfälschung vermag wohl auch die Berücksichtigung von möglichen ex-ante-Effekten auf zukünftige Geschäfte auf dem Finanzmarkt, etwa eines Rückgangs von Aktivitäten infolge eines Vertrauensverlusts angesichts des Bekanntwerdens von Manipulationen, nicht entscheidend zu entkräften. Hierbei handelt es sich aus den dargestellten Gründen eher 472

Vgl. hierzu etwa Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG) (2006), S. 63 ff. 473 Entsprechend – für den Fall der Kursstabilisierung von Aktien – auch Bueren, WM 2013, 585, 593.

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um eine Problematik, der nach hier vertretener Ansicht mit kapitalmarktrechtlichen Eingriffsnormen mit entsprechend zugeschnittener Schutzrichtung begegnet werden sollte. Das Kartellrecht kann hierfür trotz des zur effektiven Durchsetzung seiner Ziele grundsätzlich gebotenen weiten Anwendungsbereichs seiner Normen in der Regel nicht herangezogen werden. d) Sonstige Wettbewerbsbehinderung im Sinne des Kartellverbots Vereinzelt wird in der Literatur geäußert, dass kartellrechtswidrige Verhalten läge in der absprachebasierten Schaffung eines nicht ausreichend vor Manipulationen geschützten Referenzwertes und der folgenden Ausnutzung dieser Möglichkeit. Entsprechend wären also sowohl die beteiligten Finanzinstitute als auch die BBA als tragender Verband als Kartellanten i. S. d. Art. 101 Abs. 1 AEUV zu qualifizieren.474 Diese Argumentation erscheint indes nicht überzeugend. In der Errichtung eines Referenzwertes kann per sé noch kein Verstoß gegen das Kartellverbot gesehen werden, auch nicht bedingt durch den Umstand, dass dieser in seiner Ermittlungsmethode nicht manipulationssicher konzipiert wurde. Es erscheint nicht überzeugend, in dieser theoretischen Manipulierbarkeit einen tatsächlich vorwerfbaren wettbewerbsschädlichen Aspekt zu sehen. Insofern kann die Schaffung eines Referenzwertes als solche aus kartellrechtlicher Sicht regelmäßig nur durch damit bedingte Nebeneffekte, etwa durch den erhöhten Informationsaustausch oder auch Absprachen im Rahmen der Umsetzung des Ermittlungsprozesses, Bedenken auslösen.475 Allenfalls scheint es denkbar, diese Konzeption als Schlechtleistung seitens der LIBOR-Emittenten zu sehen.476 Dies wäre dann allerdings eher auf den Referenzwert als Endprodukt eines einzelnen Produzenten bezogen und entsprechend als ein möglicher Fall des Missbrauchsverbots des Art. 102 AEUV zu untersuchen.477 Einen Verstoß gegen das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV vermag diese Überlegung nicht überzeugend zu begründen.

474

So anscheinend Weck, KommJur 2013, 281, 284. Insoweit sind die zur Verwendung bei Derivaten konzipierten Referenzwerte mit der Beurteilung des sog. Benchmarkings vergleichbar, die zur Optimierung von Unternehmensstrategien verwendet wird. Zu dessen kartellrechtlicher Beurteilung etwa Voet van Vormizeele, WuW 2009, 143, 149 ff. 476 Unklar bleibt auch, inwieweit dann etwa auch andere Mitglieder der BBA – diese besteht aus über 200 Kreditinstituten und eben nicht nur aus den Panelbanken – kartellrechtlich zu belangen wären. Dies erschiene kaum zu rechtfertigen. 477 Zum „Wettbewerb der Referenzwerte“ auch bereits oben S. 71 f. 475

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C. Kartellrechtliche Bewertung

e) Kartellrechtliche Bedeutung der unterschiedlichen Handlungsmotive zur Vornahme der Manipulationen aa) Vorliegen unterschiedlicher Motivlagen Wie bereits zu Beginn der Bearbeitung im Rahmen der Darstellung der historischen Ereignisse der LIBOR-Manipulation angedeutet, lagen dieser bei den beteiligten Finanzinstituten unterschiedliche Motive zugrunde.478 Auf der einen Seite – und dieser Aspekt stand im Fokus der rechtlichen Aufarbeitung durch die Europäische Kommission und auch dieser Untersuchung – erfolgten die Manipulationen auf Veranlassung einzelner Trader der jeweiligen Banken. Diese wollten dadurch konkrete Positionen aus ihrem Portfolio zum Wertstellungstermin verbessern, um dadurch den generierten Gewinn zu erhöhen. In der Folge konnten sie für sich selbst entsprechend an diesen Gewinn gekoppelte, höhere Boni erreichen. Zusätzlich erfolgte eine Einflussnahme auf die Meldung der einzelnen Werte aber auch auf Anweisung des Managements der beteiligten Banken. Auslöser waren durch die Finanzkrise ausgelöste Zweifel an der Bonität der großen Finanzinstitute, insbesondere infolge der Insolvenz der Bank Lehman Brothers. In der Bekanntgabe der LIBOR-Werte wurde eine Möglichkeit zur positiven Außendarstellung der eigenen Marktsituation erkannt. Die damals noch in zuordenbarer Form tagaktuell veröffentlichten Einzeldaten479 ermöglichten den Marktbeobachtern einen Rückschluss auf die Bonität des Veröffentlichers. Denn von ihrem Konzept her sollten die Werte die Marktsituation des Betroffenen aus Sicht seiner Marktgegenseite abbilden.480 Entsprechend erfolgten soweit ersichtlich interne Vorgaben an die Übermittler der jeweiligen Unternehmen, niedrigere Werte auszugeben, um einen positiveres Bild der eigenen Situation zu zeichnen. Von unmittelbarer Profitabsicht war dieses Vorgehen jedoch wohl nicht angetrieben. bb) Rechtliche Würdigung Zunächst ist hervorzuheben, dass die Motivation der Unternehmen für ihr kartellrechtlich relevantes Handeln kein zwingendes Element zur Feststellung einer

478

Vgl. oben S. 32 ff. Zwischenzeitlich wurde das System – insbesondere als Reaktion auf dieses Motiv für die Manipulationen – geändert. Die Veröffentlichung erfolgt nun mit erheblicher zeitlicher Verzögerung. 480 Dies ergibt sich aus der Art und Weise der Wertermittlung, vgl. hierzu oben S. 25 ff. Der Wert, zu dem sich ein Kreditnehmer Kapital beschaffen kann ergibt sich regelmäßig insbesondere aus dem Risiko des Zahlungsausfalls, also mithin seiner Bonität, für das sich der Kreditgeber durch die Zinsen entschädigen lässt. 479

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

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Wettbewerbsbeschränkung darstellt.481 Diese kann grundsätzlich Indizwirkung besitzen, von der Wettbewerbsbehörde aber auch unberücksichtigt bleiben, sofern das Tatbestandsmerkmal objektiv erfüllt wird. Entsprechend spielt es auch keine Rolle, wenn ein Teil der Kartellanten mit dem Vorgehen eigentlich (kartellrechtlich) durchaus zulässige Ziele verfolgt hat.482 Insofern wäre ein bloßer Hinweis darauf, dass man nicht die Absicht hatte, in den Wettbewerb einzugreifen, sondern lediglich die eigene Position besser darzustellen, letztlich irrelevant, wenn sich eine solche Wirkung mit Blick auf die nachgelagerten Finanzderivatsmärkte tatsächlich dennoch ergeben würde. Unerheblich wäre in diesem Zusammenhang auch der Umstand, dass die Banken hinsichtlich der Außendarstellung sogar mit Wissen und möglicherweise sogar mit Billigung der britischen Zentralbank gehandelt haben.483 Dieser Ansatz ist angesichts des umfassenden Schutzanspruchs des Art. 101 Abs. 1 AEUV in Bezug auf die freie Entwicklung des Wettbewerbs auch überzeugend, da der Schutz andernfalls nicht unerheblich entwertet werden würde. Letztlich bestehen allerdings aus objektiver Sicht in dieser Konstellation dennoch berechtigte Zweifel an der kartellrechtlichen Relevanz der Handlungen, die von dieser Motivation der Verbesserung der eigenen Außendarstellung getragen wurden. Dies ergibt sich jedoch nicht aus den subjektiven Handlungsgründen, sondern vielmehr aus der objektiven Ausführungshandlung zum Zwecke ihrer Umsetzung. Anders als bei der finanziell motivierten Einflussnahme ist zur Zielerreichung eine Koordination hier nicht erforderlich oder förderlich, da es nicht notwendig ist, auch den Endwert in eine bestimmte Richtung zu lenken. Vielmehr reicht es aus, den eigenen Einzelwert „positiv“ darzustellen. Genau genommen wäre eine Absprache über eine entsprechende Maßnahme möglicherweise sogar kontraproduktiv, weil dann auch andere Finanzinstitute ähnlich „gute“ Werte melden könnten, was den eigenen Vorteil verringern würde. Entsprechend ist auch nicht davon auszugehen, dass die betroffenen Finanzinstitute insoweit koordiniert vorgegangen sind. Nahe481 EuGH, Urt. v. 14. 03. 2013, Rs. C-32/11, ECLI:EU:C:2013:160 Rn. 37 – Allianz Hungária Biztosító u. a.; EuGH, Urt. v. 06. 10. 2009, Rs. C-501/06 P, C-513/06 P, C-515/06 P u. C-519/06 P, ECLI:EU:C:2009:610 Rn. 58 – GlaxoSmithKline; EuGH, Urt. v. 08. 11. 1983, Rs. 96 – 102, 104, 105, 108 u. 110/82, ECLI:EU:C:1983:310 Rn. 25 – IAZ International Belgium; Europäische Kommission, Entsch. v. 05. 12. 2001, ABl. 2002 L 253, 21 Rn. 61 – Luxemburgische Brauereien; Wollmann/Herzog, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Art. 101 AEUV Rn. 172; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 174. 482 EuGH, Urt. v. 06. 04. 2006, Rs. C-551/03 P, ECLI:EU:C:2006:229 Rn. 64 – General Motors; EuG, Urt. v. 29. 06. 2012, Rs. T-360/09, ECLI:EU:T:2012:332 Rn. 143 – E.ON/ Kommission; Wollmann/Herzog, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Art. 101 AEUV Rn. 172. 483 Zur Unbeachtlichkeit der Billigung einer wettbewerbsbeschränkenden Praxis durch nationale Behörden etwa EuGH, Urt. v. 30. 01. 1985, Rs. 123/83, ECLI:EU:C:1985:33 Rn. 16 ff. – BNIC; Europäische Kommission, Entsch. v. 06. 08. 1984, ABl. 1984 L 220, 27 Rn. 74 – Zinc Producer Group; Wissel/Gerlach, DB 1985, 2133, 2135. Allenfalls kommt eine Berücksichtigung bei der Bemessung der Geldbuße in Betracht, vgl. Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Vor. Art. 23 f. VO 1/2003 Rn. 179 f.

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liegend erscheint allein ein quasi zufälliges Parallelverhalten in den Fällen, in denen mehrere Banken zeitgleich Bedarf für eine positivere Außendarstellung ihrer Bonitätslage gesehen haben. Mangels Abstimmungsverhalten kommt eine Anwendung des Kartellverbots indes für eine solche Konstellation nicht in Betracht.484 Zumindest diese Fälle sind also aus der kartellrechtlichen Bewertung am Maßstab des Art. 101 Abs. 1 AEUV auszuklammern.485 f) Zwischenfazit Zusammenfassend ergibt sich für die kartellrechtliche Beurteilung der Referenzzinsmanipulation in Hinblick auf ihre Auswirkung auf den Markt für Finanzderivate, dass eine Anwendung des Kartellverbots nach hier vertretener Ansicht nicht pauschal auf diesen Aspekt gestützt werden kann. Wie dargelegt wurde, vermag eine Einordnung der Vorfälle als Preismanipulation sowohl mit Blick auf das konkret im Mittelpunkt stehende Tatbestandsmerkmal des Preischarakters, als auch mit Blick auf den abstrakten Schutzzweck letztlich in Bezug auf die Wertstellung der Finanzderivate nicht überzeugend zu gelingen. In Hinblick auf eine mittelbare Beeinflussung bereits bei Vertragsschluss in konkreter Form vereinbarter Parameter, insbesondere des Festzinses, kann eine Wettbewerbsbeschränkung jedoch gegebenenfalls vorliegen. Zudem kann in Bezug auf einen Informationsvorsprung der Kartellanten eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung im Einzelfall in Betracht kommen. Eine Qualifikation unter einem weiter gefassten Ansatzpunkt – hier unter Anknüpfung an das Merkmal der Wettbewerbsverfälschung diskutiert – ist nach hier vertretener Auffassung nicht überzeugend. Diesbezüglich fehlt es an dem notwendigen wettbewerblichen Bezug. Weitere denkbare Konstruktionen von mittelbarer Einflussnahme sind ebenfalls im Ergebnis nicht stichhaltig und würden die von Art. 101 Abs. 1 AEUV gebotene Grundlage verlassen, letztlich die Anwendung des Kartellverbots über das gebotene und normativ verankerte Maß hinaus ausweiten. Somit bestehen zumindest Zweifel an dem in der behördlichen Praxis verfolgten Ansatz, soweit dieser hinsichtlich der Referenzzinsmanipulationen auf die Veränderung der Zahlungsströme bei Finanzderivatskontrakten abstellt. Insgesamt scheint die Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf den Markt für Finanzderivate indes aus den genannten Gründen nicht ausgeschlossen. Denkbar sind darüber hinaus 484

Pascall, 39 World Competition 161, 176 f. (2016); Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2566. Letztlich liegt ein solches gleichzeitiges Einzelverhalten sogar noch unter der Stufe zum (zulässigen) bewussten Parallelverhalten, weil es noch stärker von einer Bezugnahme auf Wettbewerber entkoppelt ist. Zum erlaubten Parallelverhalten etwa Kling/Thomas, Kartellrecht (2016), § 5 Rn. 83 ff.; aus der Rspr. bspw. EuGH, Urt. v. 14. 07. 1972, Rs. 48/69, ECLI:EU: C:1972:70 Rn. 64 – ICI. 485 In Betracht käme für ein solches einseitiges Verhalten möglicherweise ein Verstoß gegen Art. 102 AEUV. Hierauf kann aufgrund der abweichenden Schwerpunktsetzung dieser Arbeit indes nicht eingegangen werden.

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wettbewerbsschädliche Auswirkungen einer Einflussnahme auf die vielfältig eingesetzten Referenzzinsen auf anderen Märkten. 3. Verstoß gegen das Kartellverbot hinsichtlich anderer zinsgebundener Finanzinstrumente a) Allgemeines Vorhergehend wurde festgestellt, dass die Auswirkungen der Referenzzinswertmanipulation auf den Markt für die entsprechenden Zinsderivate für sich betrachtet nur bedingt geeignet sind, eine Anwendung des Kartellverbots gem. Art. 101 Abs. 1 AEUV zu rechtfertigen. Im Folgenden wird nun untersucht, ob sich die Annahme eines Kartellverstoßes darüber hinaus mit Blick auf andere Finanzprodukte rechtfertigen lässt. Insoweit ist zu beachten, dass die Feststellung der nur eingeschränkten Anwendbarkeit auf Zinsderivate den dort gegebenen Besonderheiten – insbesondere der zeitlichen Trennung von Vertragsschluss und Wirkungszeitpunkt der Koordination der Unternehmen – geschuldet ist, die bei anderen Konstellationen in dieser Form möglicherweise nicht bestehen. Im Folgenden wird beispielhaft der wohl wichtigste Fall der Einbeziehung von Referenzzinsen neben der Verwendung im Rahmen von Derivaten untersucht. Dies ist die Festlegung von Zinsen beim Abschluss von Kreditverträgen, in deren Vertrieb im Übrigen auch die beteiligten Finanzinstitute regelmäßig involviert sein dürften.486 b) Unbeachtlichkeit der tatsächlichen Absichten Noch einmal sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die tatsächlichen Absichten, welche die Kartellanten mit ihrer Vereinbarung verfolgt haben, auf der Ebene der materiellen Qualifikation als Verstoß gegen das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV regelmäßig unbeachtlich sind.487 Der Umstand, dass die koordinierten Referenzzinsmanipulationen vorrangig zur Beeinflussung der Wertstellung von Zinsderivaten vorgenommen wurden und die beteiligten Händler den nun näher zu betrachtenden Kreditmarkt hierbei wohl nicht im Blick hatten, ist daher entsprechend kein Grund für eine Nichtanwendung des Kartellverbots auf diese Sachverhalte.488 Die Absicht der Beteiligten ist für die Untersuchung einer 486 Eine aktive Wettbewerberposition auf dem beeinflussten Markt wäre im Übrigen zumindest nach neuerer Rechtsprechung kein zwingendes Erfordernis für einen Verstoß gegen das Kartellverbot, s. EuGH, Urt. v. 26. 01. 2017, Rs. C-609/13 P, ECLI:EU:C:2017:46 Rn. 124 – Duravit; EuGH, Urt. v. 22. 10. 2015, Rs. C-194/14 P, ECLI:EU:C:2015:717 Rn. 34 ff. – ACTreuhand. 487 Vgl. zu dieser Frage bereits die Untersuchung der Auswirkungen unterschiedlicher Motive bei der Referenzzinsmanipulation allgemein oben auf S. 126 ff. m. w. N. 488 Denkbar wäre eine Berücksichtigung indes bei der Verhängung von Bußgeldern nach Art. 23 VO 1/2003. Hier ist ein Verschulden tatsächlich erforderlich, zu den konkreten An-

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C. Kartellrechtliche Bewertung

möglichen Wettbewerbsbeschränkung kein erforderliches Kriterium, relevant sind die potenziellen bzw. gegebenenfalls die tatsächlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb.489 c) Kartellrechtlich relevante Auswirkungen auf Kreditverträge aa) Darstellung der Funktionsweise und Unterschiede zu Zinsderivaten Referenzzinsen und insbesondere auch LIBOR und EURIBOR finden in der Praxis auch bei Kreditverträgen Anwendung.490 Bei einem Kreditgeschäft stellt eine Seite der Gegenseite zeitweise ein gewisses Kapital zur Verfügung, als Gegenleistung erhält sie auf die Rückzahlungsraten einen Zinssatz.491 Dieser kann zu Beginn fest für die gesamte Laufzeit vereinbart werden, aber auch flexibel an einen Referenzwert gekoppelt sein.492 So etwa bei den sogenannten Liborkrediten, also Krediten bei denen sich der jeweilige Zinssatz nach einem entsprechenden LIBOR-Satz richtet.493

forderungen etwa Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Vor. Art. 23 f. VO 1/2003 Rn. 182 ff. Vorliegend käme letztlich wohl vorrangig Fahrlässigkeit in Betracht. Da sich diese Bearbeitung an dieser Stelle auf die materielle Kartellrechtswidrigkeit und weniger auf die Rechtsfolgenseite konzentriert, kann dieser Aspekt hier nicht weiter vertieft werden. 489 EuGH, Urt. v. 14. 03. 2013, Rs. C-32/11, ECLI:EU:C:2013:160 Rn. 37 – Allianz Hungária Biztosító u. a.; EuGH, Urt. v. 06. 10. 2009, Rs. C-501/06 P, C-513/06 P, C-515/06 P u. C-519/06 P, ECLI:EU:C:2009:610 Rn. 58 – GlaxoSmithKline. 490 Dabei ist zu beachten, dass Banken regelmäßig nicht nur als Kreditgeber, sondern – etwa bei Spareinlagen ihrer Kunden oder bei der Kapitalbeschaffung gegenüber anderen Finanzinstituten – ebenso als Kreditnehmer auftreten. Diese Geldanlagen, die ebenfalls von Referenzzinsen betroffen sein können, sollen hier nicht getrennt behandelt werden, da es sich letztlich ebenfalls um eine Sondergestaltung von Kreditverträgen handelt. Dass die Banken infolge dieser Konstellation bei einer Erhöhung des Zinswertes möglicherweise Verluste erleiden bzw. die Auswirkungen gewissermaßen zufällig sein können, ist für die kartellrechtliche Qualifikation unbeachtlich. Hierzu schon oben S. 117 ff. 491 Vgl. zu diesen Primärpflichten des Kreditvertrags nach deutschem Recht den § 488 Abs. 1 BGB. Hierzu etwa Berger, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), MüKo BGB (2016), § 488 BGB Rn. 25 ff. 492 Sog. Zinsgleitklausel, hierzu. bspw. Schwarz, Der variable Zins (1989), S. 39 f. 493 Grundsätzlich dürfte sich der Kreditmarkt in verschiedene kleinere sachliche Märkte unterteilen lassen, etwa hinsichtlich von Krediten für Baufinanzierung und normalen Verbraucherkrediten, angesichts der jeweiligen Unterschiede in den Voraussetzungen und der Besicherung, vgl. Schneider, in: Wiedemann (Hrsg.), HdB Kartellrecht (2016), § 33 Rn. 207 ff. Vorliegend soll darauf nicht eingegangen werden, da hinsichtlich der Bedeutung der Vereinbarung des Zinssatzes keine offensichtlichen Unterschiede erkennbar sind.

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

131

Hervorzuheben ist hierbei der Umstand, dass Zinszahlung und Kapitalbereitstellung in einem synallagmatischen Verhältnis zueinander stehen.494 Insoweit zeigt sich eine Ähnlichkeit zu typischen Austauschverträgen im Warenhandel, was eine Einordnung als Produkt und Preis ermöglicht; hierbei kann letztlich offenbleiben, welchem Aspekt welche Rolle zuzuweisen ist. Beide Varianten lassen sich vertreten.495 Grundsätzlich scheint es im Regelfall gut begründbar, dem bei Vertragsschluss vereinbarten, konkreten Zinssatz einen gewissen Preischarakter zuzuordnen. Dementsprechend könnten Vereinbarungen zwischen verschiedenen Kreditgebern – typischerweise handelt es sich hierbei insbesondere um Banken – über die Festsetzung bestimmter Zinssätze als eine Form der Preisabsprache im kartellrechtlichen Sinne qualifiziert werden.496 Sofern nun eine Koppelung des erhobenen Zinssatzes an einen Referenzzins erfolgt und für eine erste Zinsperiode darauf aufbauend konkret berechnet wird, erscheint es durchaus möglich, eine Einflussnahme auf ebendiesen zumindest als mittelbare Preismanipulation zu werten. Insofern lässt sich die Situation mit der (mittelbaren) Beeinflussung des Festzinses in bestimmten Derivatsverträgen vergleichen.497 Bei der Kreditvergabe wird zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein Zinssatz aus dem jeweils aktuellen Referenzzins ermittelt. Die Verknüpfung könnte hier möglicherweise sogar unmittelbarer bestehen, als im Fall der mittelbaren Einflussnahme auf Zinsderivate. Sofern es dann andererseits in der Folge um mögliche spätere Anpassungen des Zinssatzes innerhalb eines bestehenden Kreditvertrages auf Grundlage des gekoppelten Referenzzinses geht, greift im Wesentlichen die bereits an früherer Stelle vertiefter vorgestellte Argumentationskette, die gegen eine Anwendung des Kartellverbots innerhalb laufender Vertragsbeziehungen jedenfalls für diese Fallkonstellationen spricht.498 Auch diesbezüglich kann 494

Für das deutsche Recht Berger, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), MüKo BGB (2016), § 488 BGB Rn. 153 ff. 495 Naheliegender ist wohl eine Zuordnung bei der das Kapital als Produkt und die Zinszahlung als Preis verstanden wird. Unbedingt zwingend erscheint dies aber nicht, kann indes auch dahinstehen. Auch eine Absprache über das Produkt betreffende Konditionen wäre von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst. Für den Preischarakter der Zinsen spricht etwa der Umstand, dass ein Kredit grundsätzlich auch zinslos möglich ist, vgl. für das deutsche Recht etwa Berger, in: Säcker/Rixecker/Oetker u. a. (Hrsg.), MüKo BGB (2016), Vor § 488 BGB Rn. 24. Eine Absenkung auf Null kommt aber regelmäßig nur für den Preis, nicht aber für das Produkt in Betracht. 496 So auch Europäische Kommission, Entsch. v. 11. 06. 2002, ABl. 2004 L 56, 1 Rn. 422 f. – Lombard Club; bestätigt durch EuG, Urt. v. 07. 06. 2006, Rs. T-213/01 und T-214/01, ECLI:EU:T:2006:151 – Lombard Club; sowie EuGH, Urt. v. 24. 09. 2009, Rs. C-125/07 P, C-133/07 P, C-135/07 P u. C-137/07 P, ECLI:EU:C:2009:576 – Lombard Club; Schneider, in: Wiedemann (Hrsg.), HdB Kartellrecht (2016), § 33 Rn. 258; Schuhmacher, Haftungsfragen im Spannungsfeld zwischen Kapitalmarktrecht und Kartellrecht, in: Leupold (Hrsg.), Forum Verbraucherrecht 2015 (2015), S. 65; Schröter/Voet van Vormizeele, in: Schröter/Jakob/Klotz u. a. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Art. 101 AEUV Rn. 147. 497 Hierzu oben S. 97 f. 498 Vgl. oben S. 87 ff.

132

C. Kartellrechtliche Bewertung

eine Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV nach hier vertretener Ansicht nicht überzeugend begründet werden. Abgestellt wird im Folgenden also auf eine mögliche Preismanipulation hinsichtlich des bei Vertragsschluss vereinbarten Ausgangszinses. Dieser wird in der Regel nur zu bestimmten Zeitpunkten – etwa halbjährlich zu fixen Terminen – angepasst, er findet gegebenenfalls also zumindest für einen gewissen Zeitraum Anwendung, sodass entsprechend auch für diesen ersten Zeitabschnitt eine praktische Relevanz gegeben ist. Ausgegangen wird von einem Sachverhalt, bei welchem die Bank als Kreditgeber auftritt. Wie schon bei der Betrachtung von Zinsderivaten ist es auch hier möglich, dass die Bank auf beiden Seiten stehen kann, also nicht nur als Zinsgläubiger auftritt, sondern als Zinsschuldner in Kreditverträgen involviert ist.499 bb) Rechtliche Würdigung Wie bereits dargelegt herrscht grundsätzlich ein Konsens darüber, dass die Absprache über Zinssätze, die mit dem Kapitalnehmer oder auch -geber bei Vertragsschluss vereinbart werden, regelmäßig einen Fall des Kartellverstoßes im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen kann. Entsprechend scheint die Einordnung als Preismanipulation gem. Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV angesichts der synallagmatischen Verknüpfung der Hauptpflichten naheliegend. Diese Auffassung wird durch einen Blick auf die tatsächlichen Gegebenheiten unterstützt. Finanzinstitute konkurrieren auf dem Markt für Kreditvergabe vorrangig über die von ihnen gestellten Konditionen, auf die Qualität der von ihnen offerierten „Ware“, der Kreditsumme, haben sie keinen Einfluss. Diese ist bei Geld denklogisch neutral. Neben einzelnen besonderen Bedingungen, etwa dem Zeitraum der Rückzahlung oder Möglichkeiten zur Tilgungsstundung, wird der verlangte Zins das Hauptkriterium für den Kreditnehmer bei seiner Auswahlentscheidung darstellen. Zu bedenken ist zunächst ebenfalls, dass die Banken sich nicht über einen konkreten Endwert als zu erhebenden Zins verständigt haben. Auch insoweit kommt nur eine mittelbare Manipulation durch Einflussnahme auf einen Preisbestandteil in Betracht, was einer möglichen Kartellrechtswidrigkeit – wie oben bereits aufgezeigt – nicht grundsätzlich entgegenstehen würde.500 Diese Mittelbarkeit wird bei einem an einen Referenzzins gekoppelten Zins für die erste Vertragsperiode indes regelmäßig gegeben sein, sofern der jeweils aktuelle Referenzzins bereits bei Vertragsschluss als Berechnungsgrundlage501 dient.502 499 Auch in dieser Richtung, also hinsichtlich einer Festlegung von Höchstzinsen auf Einlagen, kann eine Wettbewerbsbeschränkung gegeben sein, vgl. EuGH, Urt. v. 21. 09. 1988, Rs. 267/86, ECLI:EU:C:1988:427 Rn. 15 ff. – Van Eycke/ASPA. Zur Unbeachtlichkeit der möglicherweise fehlenden Profitabilität eines Kartells aufgrund einer solchen Situation bereits oben S. 117 f. 500 Vgl. oben S. 74 ff. 501 Regelmäßig wird die Bank hierauf eine Marge aufschlagen, um ihre Kosten zu decken, das individuelle Ausfallrisiko zu berücksichtigen und Gewinn zu erwirtschaften. Entsprechend

V. Qualifikation der Manipulationen am Maßstab des Kartellverbots

133

Es besteht eine Vergleichbarkeit mit Konstellationen, in denen ebenfalls Referenzwerte für konkret zu erhebende Preise im Warenhandel festgesetzt wurden und die zutreffender Weise regelmäßig als Verstoß gegen das Kartellverbot qualifiziert wurden.503 Die Kreditkonditionen werden regelmäßig auf individualvertraglicher Basis ausgehandelt. Dies entspricht auch dem Interesse des Kreditgebers, der den verlangten Zinssatz regelmäßig aufgrund des durch die einzelfallabhängige Bonität des Kreditnehmers und dem zusammenhängenden Ausfallrisiko entsprechend anpassen wollen wird. Selbst wenn nun vorab keine konkreten Preise durch die Kartellanten vereinbart werden, so ist doch eine künstliche Anpassung der Ausgangsbasis der Berechnung dennoch geeignet, auch den Endwert zu verändern. Jedenfalls verschlechtert es die Position des Vertragspartners – der von einer Neutralität des der individuellen Preisvereinbarung zugrundliegenden Ausgangspunktes ausgeht – in nicht unwesentlicher Weise. Einzelfallbasierte Abweichungen infolge von Vertragsvereinbarungen, unabhängig ob im Verhältnis zum Referenzwert nach oben oder unten, werden dann im Ergebnis weiterhin nicht dem sich bei unbeeinflusstem Marktverlauf ergebenden Wert entsprechen. Dies gilt indes nur für die erste, konkret festgesetzte Zinsperiode. Spätere „Eingriffe“ auf Anpassungskalkulationen auf Grundlage des Referenzzinses sind indes entsprechend parallel zur Argumentation in Bezug auf die Qualifikation von Einflussnahmen auf die Zinsderivatwertstellung nicht erfasst. Festhalten lässt sich somit, dass die Beeinflussung der Referenzzinsen eine kartellrechtlich relevante Preismanipulation mit Blick auf Kreditverträge darstellen kann, soweit bei diesen für die Berechnung des zu zahlenden Zinssatzes der entsprechende Referenzzins als Grundlage herangezogen wird.504 Sofern also auch die wird keine 1:1-Übernahme des Referenzzinses erfolgen. Er ist nur die Grundlage der Berechnung. 502 Hiervon soll im Folgenden ausgegangen werden und dies sollte auch den Regelfall darstellen. Eine Bindung an den Referenzzins erst an folgenden Terminen erscheint wenig realitätsnah. 503 EuGH, Urt. v. 19. 03. 2015, Rs. C-286/13 P, ECLI:EU:C:2015:184 Rn. 64 ff. – Dole Food Co., soweit dort anerkannt wird, dass ein Zusammenhang zwischen Referenzpreis und tatsächlich erhobenen Preisen regelmäßig gegeben sein wird; EuG, Urt. v. 16. 09. 2013, Rs. T-373/ 10, T- 374/10, T-382/10, T-402/10, ECLI:EU:T:2013:455 Rn. 342 – Villeroy & Boch/Kommission (insgesamt bestätigt durch EuGH, Urt. v. 26. 01. 2017, Rs. C-644/13 P, ECLI:EU: C:2017:59 – Villeroy & Boch/Kommission, ohne dass der Aspekt dort thematisiert würde); Europäische Kommission, Entsch. v. 06. 08. 1984, ABl. 1984 L 220, 27 Rn. 66 – Zinc Producer Group; Schröter/Voet van Vormizeele, in: Schröter/Jakob/Klotz u. a. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Art. 101 AEUV Rn. 135; Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2566; ähnl. die US-amerikanische Rechtspraxis schon seit dem Urteil des Supreme Court in United States v. Socony-Vacuum, 60 S.Ct. 811 (1940). 504 Fraglich könnte hierbei das ungeschriebene Kriterium der Spürbarkeit sein, angesichts der Vielzahl von Kreditverträgen und der Anteil von solchen mit Bindung an manipulierte Referenzzinsen auf dem Gesamtmarkt, sofern man keinen gesonderten Markt für diese annehmen möchte. Dies ist allerdings letztlich eine Frage des konkreten Einzelfalls und soll daher an dieser Stelle nicht näher vertieft werden. Zur Spürbarkeit etwa Emmerich, in: Immenga/ Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 142 ff.

134

C. Kartellrechtliche Bewertung

übrigen Tatbestandsmerkmale des Art. 101 Abs. 1 AEUV erfüllt wären, ließe sich insofern der Vorwurf eines Kartellverstoßes aufgrund der koordinierten Referenzzinsmanipulation in Hinblick auf solche Kreditgeschäfte nach hier vertretener Ansicht begründen. d) Zusammenfassung Es zeigt sich, dass sich eine Einordnung der Manipulationen von Referenzzinsen als Verstoß gegen das Kartellverbot für allgemeine Kreditgeschäfte nach hier vertretener Ansicht durchaus begründen lässt. Die Europäische Kommission hat ihre Vorwürfe gleichwohl auf die mittelbare Beeinflussung der Wertstellung von Zinsderivaten konzentriert. Dies mag indes dem Umstand geschuldet sein, dass dies der tatsächlichen Motivlage der beteiligten Finanzinstitute am ehesten entsprochen haben dürfte, soweit der Sachverhalt von außen nachvollziehbar ist. Zudem wäre zumindest für die bußgeldrechtliche Sanktionierung ein Verschuldenselement nachzuweisen gewesen. Dies hätte für die nun genannten Fälle möglicherweise Probleme bereiten können, wobei andererseits bereits eine fahrlässige Verletzung von Art. 101 Abs. 1 AEUVausreichend gewesen wäre.505 Für die hier im Mittelpunkt der Untersuchung stehende Annahme eines Verstoßes gegen das Kartellverbots stellt ein entsprechender Vorsatz indes kein notwendiges Kriterium dar.

VI. Zusammenfassung Betrachtet man die Ergebnisse der bis hierhin vorgenommenen Untersuchungen, so ergibt sich ein differenziertes Bild der Anwendung des Kartellrechts bzw. des Kartellverbots gem. Art. 101 Abs. 1 AEUV auf den Sachverhalt der Referenzzinsmanipulation. Hierbei wurden gewisse Differenzen zu dem Ansatz deutlich, den die Europäische Kommission bei der Sanktionierung der an der Manipulation des LIBOR beteiligten Finanzinstitute zugrunde gelegt zu haben scheint. Zunächst wurde ersichtlich, dass die Referenzzinsermittlung selbst an sich keinen wettbewerblichen Charakter besitzt. Hinsichtlich der Meldung einzelner, bestimmter Werte stehen die beteiligten Banken nicht miteinander im Wettbewerb. Entsprechend konnte eine mögliche Wettbewerbsbeschränkung lediglich mittelbar auf den nachgelagerten Märkten in Betracht kommen. In der weiteren Untersuchung zeigte sich indes, dass die bloße Beeinflussung der Wertstellung von Zinsderivaten durch eine koordinierte Einflussnahme auf den entsprechenden Referenzwert – zumindest soweit dessen Ermittlung auf hypothe-

505 Hierzu etwa Hellmann, in: Wiedemann (Hrsg.), HdB Kartellrecht (2016), § 46 Rn. 21 f.; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Vor. Art. 23 f. VO 1/2003 Rn. 187 ff.

VI. Zusammenfassung

135

tischer Grundlage und nicht auf tatsächlichen Marktdaten beruht506 – für sich betrachtet keinen Kartellverstoß darstellt. Angesichts der Besonderheiten der Umstände entzieht sich dieser Aspekt den Regelungen des Wettbewerbsrechts und somit auch einer Sanktionierung durch diese.507 Dies gilt sowohl für die augenscheinlich naheliegende Variante einer Preisabsprache als auch für einen weitergehenden, von den Regelbeispielen des Art. 101 Abs. 1 AEUV gelösten Ansatz. Eine (mittelbare) Preisabsprache kann jedoch in Bezug auf eine mögliche Beeinflussung des Festzinses oder vergleichbarer bereits bei Vertragsschluss konkret vereinbarter Parameter angenommen werden, soweit ihre Ausgestaltung durch den manipulierten Wert des Referenzzinses entsprechend beeinflusst wird. Denkbar wäre darüber hinaus auch die Annahme eines Verstoßes gegen das Kartellverbot in Bezug auf andere LIBOR-gebundene Finanzprodukte, insbesondere entsprechend gekoppelte Kreditverträge. Hier kommt dem Zinswert ein Preischarakter zu und dementsprechend kann eine Einflussnahme auf diesen auch eine Anwendung des Kartellverbots rechtfertigen. In der Aufarbeitung des Sachverhalts durch die Europäische Kommission scheint dieser Umstand soweit ersichtlich jedoch keine vertiefte Berücksichtigung in der rechtlichen Bewertung gefunden zu haben.

506 Andere Referenzwerte für andere Derivatsarten sind diesbezüglich anders konzipiert und werden stärker durch Messung von tatsächlichen Marktvorgängen bestimmt. Inwieweit dies die kartellrechtliche Bewertung verändern kann, wird im Folgenden noch näher betrachtet, hierzu sogleich S. 136 ff. 507 Dies bedeutet freilich nicht, dass das Vorgehen ohne jede regulatorische Reaktion bleiben muss. Insbesondere kommen kapitalmarktrechtliche Eingriffsnormen in Betracht, hierzu unten S. 152 ff.

D. Vergleich mit anderen Referenzwerten I. Einleitung In den bisherigen Ausführungen wurde die kartellrechtliche Beurteilung einer Manipulation von Referenzzinsen und in diesem Zusammenhang insbesondere der historische Fall der Einflussnahme auf LIBOR und EURIBOR analysiert. Im Folgenden wird nun untersucht werden, ob sich die bisher gefundenen Ergebnisse auch auf andere Referenzwerte übertragen lassen, die in ihrer Konzeption LIBOR und EURIBOR einerseits ähneln, sich jedoch andererseits in gewissen und für die Qualifikation unter Art. 101 Abs. 1 AEUV möglicherweise relevanten Aspekten von diesen unterscheiden. Angesichts der kaum überschaubaren Zahl von Referenzwerten für elementar unterschiedliche Bezugspunkte werden stellvertretend einzelne Beispiele gewählt, anhand derer eine solche Übertragbarkeit geprüft wird. Hierfür wird eine nähere Auseinandersetzung mit dem sogenannten FOREX WM/Reuters Benchmark, einem Referenzwert für Währungskurse, sowie dem Ethanol-Benchmark, einem Referenzwert für Biokraftstoffe als Beispiel für einen solchen mit stärkerem Bezug zum physischen Warenhandel, erfolgen.508

II. FOREX – WM/Reuters Fix 1. Funktionsweise Auch auf dem Devisenmarkt ist die Verwendung von Referenzwerten gebräuchlich. An diesen orientieren sich zum einen die Wechselkurse für ein Währungspaar, aber wiederum auch derivative Finanzinstrumente,509 die an den entsprechenden Kurs gekoppelt werden. Der Handel mit Devisen wird häufig als ForexHandel bezeichnet, Forex ist die Kurzform für Foreign Exchange. Der Devisenhandel stellt einen wichtigen Stützpfeiler der globalisierten Wirtschaftswelt dar, indem er die Übertragung der eigenen Kaufkraft auf ausländische Märkte durch Erwerb entsprechender Finanzmittel erlaubt, was wiederum die Investitionen in

508

Daneben gibt es entsprechende Vorwürfe der Referenzwertmanipulation zudem in einigen anderen Bereichen, so etwa hinsichtlich der Referenzwerte für die Edelmetalle Gold und Silber. Insbesondere in den USA wird die Aufarbeitung der vielfältigen Einflussnahme auf solche Referenzwerte durch Anlegerklagen vorangetrieben. 509 Zur Ausgestaltung verschiedener Vertragstypen in diesem Zusammenhang etwa Rübel, Grundlagen der Monetären Außenwirtschaft (2009), S. 60 ff.

II. FOREX – WM/Reuters Fix

137

Waren, Dienstleistungen oder Wertpapiere ermöglicht.510 Um diesen Handel auf internationalen Märkten zu erleichtern, existieren auch für Devisen Referenzwerte, an denen sich die Marktteilnehmer orientieren können und an die sie z. B. Verpflichtungen aus Future-Verträgen koppeln können. Ein wichtiger Referenzwert ist der so genannte WM/Reuters Fix, der täglich ermittelt wird. Im Gegensatz zu einer rein auf hypothetischen Werten basierenden Umfragemethode, wie sie etwa zur Ermittlung des LIBOR verwendet wird,511 beruht der WM/ Reuters Fix auf der Messung von tatsächlichen Marktvorgängen auf dem Devisenmarkt. Konkret wurden die Transaktionen bzgl. eines bestimmten Währungspaares, beispielsweise Euro für US-$, in einem Zeitraum von 60 Sekunden mehrmals am Tag gemessen, wobei die genaue Methodik je nach Währungspaar variieren kann.512 Dieser Prozess beruht auf anonymen und automatisierten Messungen.513 Die größte Bedeutung wird hierbei der Messung um 16 Uhr London Time zugemessen. Nach dem dort ermittelten Wert richten sich viele Händler auf dem internationalen Devisenmarkt bzw. haben an diesen derivative Finanzinstrumente geknüpft. Diese Messung wird allgemein auch einfach als London fix bezeichnet.514 Hervorzuheben ist der Umstand, dass der Handel, der für den WM/Reuters Referenzwert herangezogen wird, hauptsächlich derjenige zwischen den großen Finanzinstituten selbst ist, der sogenannte interdealer market. Dieser ist praktisch nur einer kleineren Gruppe von Großbanken zugänglich, die in der Lage sind, die Mindestgröße für in die Messung einbezogene Einzelgeschäfte – etwa fünf Millionen US-$ – zu erreichen.515 Entsprechend begrenzt ist im Ergebnis die Zahl der Marktakteure, die durch ihre Transaktionen Daten für den Referenzwert beisteuern. Ebenso ist zu beachten, dass hierbei nicht der gesamte Devisenhandel dieser Banken in die Berechnung einfließt, sondern nur derjenige, der über bestimmte Handelsplattformen abgewickelt wird. Dies eröffnet den Beteiligten die Möglichkeit, steuernd darauf einzuwirken, welche Geschäfte in die Berechnung einfließen und sonstige Transaktion auf anderem Wege durchzuführen.516 Im Ergebnis erfassen die Messungen für den Referenzwert nicht 510 Hierzu und allgemein zur Relevanz des Devisenmarktes Schmolke/Ternés/Towers, Forex-Devisenhandel (2016), S. 16 ff. 511 Hierzu oben S. 25 ff. 512 Instruktiv zur Methodik des WM/Reuters Referenzwertes ist auch der Bericht des Financial Stability Board, Foreign Exchange Benchmarks – Consultative Document, 15. 07. 2014, S. 7 ff., abrufbar unter: www.fsb.org/wp-content/uploads/r_140715.pdf (geprüft am 23. 11. 2017). Mittlerweile wurde der Messzeitraum in einer Reaktion auf die Manipulationsvorwürfe auf fünf Minuten angehoben. 513 s. zum Verfahren auch die Sachverhaltsdarstellung bei In re Foreign Exchange Benchmark Rates Antitrust Litigation, 74 F.Supp.3d 581, 586 f. (S.D.N.Y 2015). 514 Verstein, 56 B.C. L. Rev. 215, 235 f. (2015). 515 Hierzu kompakt Verstein, 56 B.C. L. Rev. 215, 237 f. (2015). 516 Verstein, 56 B.C. L. Rev. 215, 238 (2015), allerdings mit dem Hinweis in Fn. 125, dass freilich auch andere Motive Banken dazu bewegen können, einzelne Devisengeschäfte anderweitig abzuwickeln. Zwischenzeitlich wurden die Datenquellen für den WM/Reuters Referenzwert als Reaktion auf die Manipulationsvorwürfe ausgeweitet.

138

D. Vergleich mit anderen Referenzwerten

einmal 10 % des tatsächlichen Transaktionsgeschehens auf dem Devisenmarkt.517 Ähnlich wie bei den Referenzzinsen und insbesondere dem LIBOR hatten letztlich die größten Marktakteure einen starken Einfluss auf den für ihre eigenen Geschäfte relevanten Referenzwert. 2. Potenzielle Manipulation In Anbetracht der Rahmenbedingungen – eine geringe Anzahl an relevanten Marktteilnehmern, die zudem noch selbst beeinflussen können, ob bzw. welche ihrer Transaktionen innerhalb des ohnehin nur ausschnittsartigen Zeitrahmen Berücksichtigung finden – ist nachvollziehbar, dass die scheinbar gegebene Objektivität eines auf anonymisierten Messdaten beruhenden Referenzwertes durch bewusste Einflussnahme der Marktakteure durchaus ausgehebelt werden kann. Dies kann geschehen, indem die Ausführung von bestimmten Geschäften auf den Messzeitraum konzentriert und damit ein nicht mehr der Realität des Devisenmarktes tatsächlich entsprechendes Bild erzeugt wird. So lautet auch der erhobene Vorwurf gegen mehrere große Finanzinstitute. Diese hätten durch die gezielte und insbesondere auch untereinander koordinierte Vornahme von bestimmten Geschäftsvorgängen, beispielhaft genannt etwa besonders viele Kaufaufträge betreffend Euro für US-$, innerhalb des Messzeitraums den Kurs für das jeweilige Währungspaar in die von ihnen gewünschte Richtung gesteuert. Dies geschah unter anderem in der Absicht, von eigenen, später ausgeführten Geschäften zu profitieren oder mit Blick auf die Wertstellung von derivativen Finanzinstrumenten, die an den jeweiligen Referenzwert gekoppelt waren. Das gewünschte Ergebnis konnte einerseits durch Bündelung von ohnehin bestehenden Kauf- bzw. Verkaufsaufträgen erreicht werden, andererseits durch den Verzicht auf die Vornahme von der gewünschten Richtung des Messwertes gegenläufigen Geschäften innerhalb des Messzeitraums.518 Als Reaktionen erfolgten einerseits mehrere Änderungen an der Methodik des WM/Reuters Referenzwertes, insbesondere eine Ausweitung der Messperiode auf fünf Minuten und eine Diversifizierung der Datenquellen, andererseits auch eine verstärkte Compliance seitens der Banken hinsichtlich der Trennung verschiedener Geschäftsbereiche innerhalb ihrer jeweiligen Organisationsstrukturen.519

517

So Verstein, 56 B.C. L. Rev. 215, 239 (2015). Vgl. etwa die Entscheidung der US-amerikanischen Aufsichtsbehörde CFTC gegen Barclays, CFTC, Order v. 20. 05. 2015, Rs. CFTC Docket No. 15 – 24 S. 7 – Barclays Bank PLC. 519 Im Einzelnen Financial Stability Board, Foreign Exchange Benchmarks – Report on progress in implementing the September 2014 recommendations, 01. 10. 2015, abrufbar unter: http://www.fsb.org/wp-content/uploads/FX-Benchmarks-progress-report.pdf (geprüft am 23. 11. 2017). 518

II. FOREX – WM/Reuters Fix

139

Neben diesen nunmehr geltenden ex-ante-Maßnahmen zur Erschwerung entsprechender Vorgehensweisen wurde seitens der Aufsichtsbehörden zusätzlich expost gegen die beteiligten Finanzinstitute vorgegangen. Dies umfasst teils empfindliche Bußgelder.520 Die Kartellbehörden haben das Thema, anders als bei der Manipulation der Referenzzinsen, bisher nur zurückhaltend aufgegriffen. Lediglich in einzelnen Vergleichsvereinbarungen zwischen Aufsichtsbehörden und Banken finden sich Hinweise auf eine kartellrechtliche Dimension, mindestens eine Sammelklage in den USA wurde zudem auf (US-amerikanisches) Kartellrecht gestützt.521 Auch die Europäische Kommission hat die Vorgänge untersucht, jedoch bisher ohne konkrete Vorwürfe gegen die potenziell Beteiligten zu erheben. Im Folgenden wird die generelle Anwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV auf diese Fallkonstellation näher untersucht. Nicht einbezogen werden soll an dieser Stelle der Vorwurf eines Informationsaustausches zwischen den beteiligten Finanzinstituten über ihre Handelspositionen und Marktstrategien, soweit es sich nicht um einen unmittelbaren Aspekt der gezielten Kurssteuerung handelt.522 Insofern wird – wie auch schon bei der Untersuchung der Referenzzinsen – der Schwerpunkt auf den Aspekt der Referenzwertmanipulation gesetzt. 3. Rechtliche Würdigung a) Einseitige Maßnahmen Auch im Fall einer möglichen FOREX-Manipulation muss man zwischen verschiedenen denkbaren Ansatzpunkten für eine kartellrechtliche Qualifikation differenzieren. Einerseits ist hier ebenfalls ein rein einseitiges Vorgehen denkbar, dass also verschiedene Trader innerhalb einer einzelnen Bank auf das Erreichen bestimmter Werte hingewirkt haben. Wie bereits für die Referenzzinsmanipulation dargestellt, vermag eine solch unilaterale Praktik den eine Koordination zwischen mindestens zwei Unternehmen fordernden Tatbestand des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht zu erfüllen.523 Entsprechend bietet das Kartellverbot keine geeignete Rechtsgrundlage, um ein solches Handeln zu sanktionieren bzw. zu verhindern.

520

Für eine knappe Übersicht s. etwa Kübler, in: Zerey (Hrsg.), Finanzderivate (2016), § 35 Kreditderivate und Kartellrecht Rn. 7. 521 Vgl. In re Foreign Exchange Benchmark Rates Antitrust Litigation, 74 F.Supp.3d 581, 590 ff. (S.D.N.Y 2015). 522 Grundsätzlich dürfte dieser Aspekt im Übrigen eine Anwendung des Kartellverbots gegebenenfalls rechtfertigen können, da die Rechtsprechung den Austausch von vertraulichen Informationen zwischen Wettbewerbern durchaus restriktiv bewertet, vgl. insbes. EuGH, Urt. v. 04. 06. 2009, Rs. C-8/08, ECLI:EU:C:2009:343 Rn. 43 – T-Mobile Netherlands. Knapp zu diesem Vorwurf im Zusammenhang mit der LIBOR-Manipulation auch Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2567. 523 Hierzu oben S. 126 ff.

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D. Vergleich mit anderen Referenzwerten

b) Koordiniertes Vorgehen Anders könnte es hinsichtlich der Fälle liegen, bei denen sich die Mitarbeiter verschiedener Finanzinstitute in ihrem Vorgehen koordiniert haben, um so die Wirkung der ergriffenen Maßnahmen zu erhöhen. Dass es sich hierbei nur um einzelne Händler gehandelt haben dürfte, die zudem in der Unternehmenshierachie keine Führungsposition inne gehabt haben, hindert eine kartellrechtliche Zurechnung ihres Handelns zum Unternehmen nicht.524 Analysiert man das den Banken vorgeworfene Verhalten – innerhalb eines bestimmten Zeitraums koordiniert bestimmte Devisen zu kaufen bzw. zu verkaufen, um eine bestimmte Kursreaktion innerhalb der Messperiode zu erreichen – so ähnelt dies, den Umstand des dahinterstehenden Referenzwertes zunächst einmal außen vor gelassen, einer Einkaufs- bzw. Verkaufsgemeinschaft. Indes geht es den Beteiligten bei der Devisenmanipulation weniger darum, für sie günstigere Konditionen durch eine Bündelung von Marktmacht zu erreichen, vielmehr soll der Kurs allgemein in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. An dem konkreten Einzelgeschäft, das hierfür durchgeführt wird, besteht hingegen regelmäßig kein ausgeprägtes wirtschaftliches Eigeninteresse. Ein ähnliches Muster – eine Art von Einkaufsgemeinschaft mit untypischer Zweckrichtung – lässt sich auch bei dem gezielten Ankauf von Aktien durch ein Bankenkonsortium im Rahmen von Kursstabilisierungsmaßnahmen beobachten.525 Trotz dieser Unterschiede könnte die in Wissenschaft und Praxis bereits vertiefter analysierte kartellrechtliche Behandlung von Einkaufsgemeinschaften einen Ansatzpunkt für die Untersuchung bieten. Diesem vergleichenden Ansatz wird im Folgenden nachgegangen. aa) Die kartellrechtliche Beurteilung von Einkaufsgemeinschaften Bei einer Einkaufsgemeinschaft handelt es sich um eine Kooperation verschiedener Unternehmen auf der Nachfrageebene. Diese kann in unterschiedlicher Intensität erfolgen, etwa in Form einfacher Abstimmung über den Einkauf bis hin zur Einrichtung eines Gemeinschaftsunternehmens526 zur Übernahme der Aufgabe des gemeinsamen Einkaufs.527 Ziel ist regelmäßig das Erreichen besserer Konditionen 524

Auch hierzu gilt das bereits Festgestellte, s. zu diesem Aspekt S. 65 f. Zur kartellrechtlichen Beurteilung von solchen Kurspflegemaßnahmen Bueren, WM 2013, 585, 591 ff. 526 Die hiermit verbundenen fusionskontrollrechtlichen Problematiken sollen an dieser Stelle nicht erörtert werden, hierzu kompakt etwa Säcker/Mohr, wrp 2011, 793, 794. 527 Hirsbrunner, in: Schröter/Jakob/Klotz u. a. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Art. 101 AEUV Rn. 559 f.; Bunte, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann u. a. (Hrsg.), FK KartellR, 76. EL Stand: März 2012, Art. 101 Abs. 1, 3 AEUV Fallgruppen II.5 Rn. 1. Vertiefter zu verschiedenen Ausgestaltungen der Einkaufskooperation auch Mischitz, Die Bedeutung von Nachfragemacht für die Beurteilung von Einkaufskooperationen im EG-Kartellrecht (2008), S. 9 ff. Zur kartellrechtlichen Bewertung von Einkaufsgemeinschaften auf dem Aktienmarkt, sog. Club-Bids, s. Hauck, CCZ 2010, 53, 54 ff. 525

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bei der Warenbeschaffung, als diese von den Beteiligten bei einem getrennten Vorgehen realisierbar gewesen wären.528 Hierbei bestehen aus kartellrechtlicher Sicht zweierlei Bedenken: Einerseits mögliche negative wettbewerbliche Auswirkungen für den Beschaffungsmarkt, anderseits aber auch eine potenzielle Schwächung des Wettbewerbs auf dem Verkaufsmarkt der an der Einkaufsgemeinschaft beteiligten Unternehmen.529 Hinsichtlich des Beschaffungsmarktes besteht die Gefahr, dass sich durch die Bündelung der Marktmacht der einzelnen Parteien eine gewisse Kontrolle über den Anbieter ergibt und so Einfluss auf dessen Produktpalette oder die Qualität genommen werden kann.530 Zudem existiert das Risiko von Marktzutrittsschranken, da die Einkaufsgemeinschaft anderen Nachfragern den Zugang zu den Anbietern erschweren kann.531 bb) Bewertung der Einflussnahme auf messbasierte Referenzwerte (1) Koordinierte Vornahme von Devisengeschäften Möglicherweise könnte bereits in der verabredeten Konzentration von Geschäftsvornahmen eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV gesehen werden, ohne das es an dieser Stelle auf die Verwendung des Referenzwertes für konkrete Geschäfte und die Auswirkung einer Manipulation an jenem auf diese ankommen würde. Die Vergleichbarkeit mit der zuvor skizzierten Konstellation des koordinierten Marktverhaltens, wie es sich bei Einkaufskooperationen beobachten lässt, mit einem Fall wie der FOREX-Manipulation, ist jedoch nicht eindeutig. So ist zunächst festzustellen, dass die Rahmenbedingungen letztlich in einem durchaus zentralen Punkt voneinander abweichen. Einkaufskooperationen dienen regelmäßig nur der Vornahme von wirtschaftlich ohnehin erforderlichen Einkaufsgeschäften auf Grundlage einer verbesserten Verhandlungsposition. Demgegenüber führt die Kooperation, die zur Beeinflussung eines messbasierten Referenzwertes, wie beispielsweise dem WM/Reuters Fix, vereinbart wird, gegebenenfalls auch zur 528 Europäische Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2011 C 11, 1 Rn. 194. 529 Bunte, in: Jaeger/Kokott/Pohlmann u. a. (Hrsg.), FK KartellR, 76. EL Stand: März 2012, Art. 101 Abs. 1, 3 AEUV Fallgruppen II.5 Rn. 2. Vorliegend soll sich auf die Auswirkungen auf den Beschaffungsmarkt konzentriert werden, da dieser mit dem für die Referenzwertmanipulation relevanten Markt eher vergleichbar ist. 530 Wollmann/Herzog, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Art. 101 AEUV Rn. 227; allgemein zur ökonomischen Bewertung von Nachfragemacht auch Inderst, WuW 2008, 1261, 1263 ff. 531 Europäische Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2011 C 11, 1 Rn. 203.

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D. Vergleich mit anderen Referenzwerten

Durchführung von einzelnen Geschäften, die aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten in dieser Form nicht vorgenommen worden wären. Hierbei entziehen sich die Beteiligten letztlich in einem gewissen Maß den eigentlichen Kräften des Wettbewerbs und ersetzen diese durch ihre von diesem entkoppelten kooperativen Entscheidungen. Dies allerdings nicht unter Aushebelung oder zumindest Einschränkung der Interessen der Marktgegenseite. Die Preisbildung als solche erfolgt im Grundsatz unverfälscht, verändert wird das Volumen der vorgenommenen Geschäfte. Dies ähnelt der Konstellation bei Kursstabilisierungsmaßnahmen im Rahmen der Neuemission von Aktien. Dort koordinieren sich an einer Aktienemission beteiligte Banken über bestimmte Maßnahmen zur vorübergehenden Stabilisierung des Kurses nach der Erstausgabe, um einen unmittelbaren Kursverlust zu verhindern.532 Hierzu wird vertreten, dass eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht vorliegen würde, da keine Wettbewerbskräfte ausgehebelt würden, die potenziellen Kartellanten würden ihre gebündelte Marktmacht nicht zum Nachteil der Marktgegenseite ausnutzen.533 Auch von den gem. Art. 101 Abs. 1 lt. b) AEUV unzulässigen Quotenabreden unterscheidet sich diese Praxis in dem Aspekt der Vornahme von ohnehin notwendigen Geschäften bzw. der bloßen Verlagerung des Zeitpunktes der Durchführung von bestimmten Transaktionen.534 Hier wird unmittelbar der Preis für das nur eingeschränkt zur Verfügung gestellte Produkt durch die künstliche Veränderung der Angebotsmenge beeinflusst. Die Marktgegenseite muss aufgrund des künstlichen Verhältnisses von Angebot und Nachfrage bereits auf dieser Ebene einen nicht mehr wettbewerbskonformen Preis entrichten. Eine solch unmittelbare Wirkung besteht bei der hier untersuchten Koordination für die Marktgegenseite der in der Messperiode vorgenommenen Geschäfte indes nicht. Daneben steht in Anknüpfung an die bereits angesprochenen Parallelen zur Kursstabilisierung bei Aktien eine wertungsmäßige Überlegung. Denn auch wenn man allein in der Veränderung von Marktparametern eine Wettbewerbsverfälschung sehen möchte,535 bleibt die Frage bestehen, ob das Kartellrecht tatsächlich die geeignete Eingriffsgrundlage darstellt, wenn das System der Preisbildung – wobei das Vertrauen in dieses auf den Finanzmärkten essentiell ist536 – manipuliert wird, dies aber nicht darauf abzielt, sich im einzelnen Geschäft auf Grundlage einer koordi532

Zum Hintergrund solcher Maßnahmen vgl. kompakt Bueren, WM 2013, 585, 585 f. So wohl Bueren, WM 2013, 585, 592 f. Zur Behandlung solcher Kursstabilisierungen aus kapitalmarktrechtlicher Sicht etwa Bingel, Rechtliche Grenzen der Kursstabilisierung nach Aktienplatzierungen (2007), S. 131 ff.; Meißner, Die Stabilisierung und Pflege von Aktienkursen im Kapitalmarkt- und Aktienrecht (2005), S. 66 ff. 534 Hierzu etwa Füller, in: Busche/Röhling (Hrsg.), Kölner Kommentar zum Kartellrecht (2016), Art. 101 AEUV Rn. 295 ff. 535 Zum Begriff der Wettbewerbsverfälschung und dem dieser im Rahmen dieser Arbeit zugewiesenen Inhalt s. oben S. 105 ff. 536 Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1, 26; vgl. im Übrigen auch die Ausführungen m. w. N. oben auf S. 122 ff. 533

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nativen Bündelung von Marktmacht vom Wettbewerb entkoppelte Konditionen gewähren zu lassen. In solchen Fällen scheint es überzeugender, eher das Kapitalmarktrecht, dass viel stärker auf ebendiesen Vertrauensschutz zugeschnitten ist, anzuwenden.537 Dementsprechend ist insgesamt festzustellen, dass in der Vornahme von koordinierten Geschäften innerhalb des Messzeitraums zu an sich unbeeinflussten Marktkonditionen zunächst noch kein Verstoß gegen das Kartellverbot zu sehen ist.538 (2) Auswirkungen auf Devisenderivate Ein weiterer Ansatzpunkt für den Vorwurf eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV könnte die Wirkung des koordinierten Handels auf die Wertstellung von an den Devisenreferenzwert gekoppelten Finanzderivaten sein. Ähnlich wie im Fall der LIBOR-Manipulation – wo dieser Aspekt das Hauptmotiv der Beteiligten dargestellt hat – sind auch auf dem Devisenmarkt Fälle denkbar, in denen einzelne Händler zum Zeitpunkt der Wertstellung ihrer Positionen einen bestimmten Kurs für den in Bezug genommenen Referenzwert zu erreichen versuchen, um diese abzusichern oder zu stärken. Letztlich wird man für diese Fälle aber an den bereits für die LIBOR-Manipulation hinsichtlich der Auswirkung auf Zinsderivate getroffenen Aussagen festhalten und eine Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV regelmäßig ablehnen müssen.539 Der Unterschied zwischen den LIBOR-Fällen und der hier dargestellten FOREXManipulation liegt letztlich nur in der wettbewerbsnäheren Ermittlungsmethode des fraglichen Referenzwertes im letzteren Fall. Wie oben festgestellt wurde, hindert indes auch eine nicht auf wettbewerblichen Daten beruhende Methodik eine Untersuchung am Maßstab des Kartellverbots nicht.540 Vielmehr ist das Hauptargument für eine Nichtanwendung des Kartellverbots für die Einflussnahme auf die Wertstellung der an den LIBOR gekoppelten Zinsderivate auch im FOREX-Bereich anwendbar: Es liegt in dem Auseinanderfallen von Vertragsschluss und Wertstellung und somit in dem Fehlen einer wettbewerblichen Komponente in der Wertstellung zum Abrechnungszeitpunkt begründet. Dies steht im Gegensatz zu dem eigentlichen Vertragsschluss, dessen Ausgestaltung tatsächlich der Disposition der Parteien un-

537 Hierfür Bueren, WM 2013, 585, 593; Hovenkamp, 28 J. Corp. L. 607, 613 f. (2002 – 2003). Zum Spannungsfeld von Kapitalmarkt- und Kartellrecht in Bezug auf Referenzwerte s. a. unten S. 152 ff. 538 A. A. (für das US-amerikanische Kartellrecht) wohl Hamburger, 21 Int.T.L.R. 120, 128 f. (2015), der die „Marktmanipulation“ an den Referenzwerten (auch im LIBOR-Fall) generell als Fall des Kartellverbots anzusehen scheint. 539 Hierzu oben S. 73 ff. 540 s. S. 74 ff.

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D. Vergleich mit anderen Referenzwerten

terliegt, die dabei von der Koordination über den Referenzwert zum Wertstellungszeitpunkt indes grundsätzlich nicht beeinflusst werden.541 Aus diesen Gründen wäre es – trotz des augenscheinlich stärker wettbewerblichen Bezugs der FOREX-Manipulation bedingt durch die abweichende Messmethode und daraus resultierend die andere Form der Einflussnahme – dennoch nicht überzeugend, in dieser Fallkonstellation in Bezug auf die Derivatskontrakte einen Verstoß gegen das Kartellverbot anzunehmen.542 (3) Auswirkungen auf nachgelagerte Devisengeschäfte Ähnlich wie bei der zuvor untersuchten Referenzzinsmanipulation besteht schließlich auch für den FOREX-Markt die Möglichkeit, dass die Einflussnahme auf den Referenzwert eine Preismanipulation für Geschäfte mit der entsprechenden Ware, für die der Wert als Preis bzw. zumindest als Preisberechnungsgrundlage verwendet wird, darstellen kann. Wie oben bereits angedeutet, kann die Koordination über Referenzwerte für Preise grundsätzlich eine Preisabsprache im Sinne des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV darstellen.543 Entsprechend wurde an gegebener Stelle für den Fall der nachträglich abgeschlossenen Kreditverträge bei vorheriger Referenzzinsmanipulation ein entsprechender Kartellrechtsverstoß für möglich erachtet.544 Auch für diesen Ansatz kommt eine Übertragung dieser Ergebnisse auf die Manipulationen auf dem FOREX-Markt in Betracht. So erscheint die Anwendung auf diesen Fall zunächst vielleicht sogar naheliegender, als es letztlich bei an den LIBOR gekoppelten Kreditverträgen oder auch in Bezug auf die Einflussnahme auf den Festzins in Zinsderivatkontrakten der Fall war. Dies vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Devisenhandel um eine Materie handelt, die eher mit dem klassischen Handel vergleichbar ist, als man dies bei Geschäften mit Krediten bzw. Zinsen allgemein annehmen könnte. Mit Blick auf den Markt für Devisengeschäfte, die auf Grundlage eines beeinflussten Referenzwertes abgeschlossen werden, ist es entsprechend naheliegend, einen Kartellverstoß in Form verbotener Preisabsprachen aufgrund der koordinierten Einflussnahme anzunehmen. Wie bereits oben verschiedentlich ausgeführt, vermag die anders gelagerte Motivation der Kartellanten einen Hinweis für die Beurteilung zu geben, ein Vorsatz hinsichtlich der konkreten Wirkung ist indes nicht erforderlich.545 Sofern nun 541

Hierzu im Einzelnen oben S. 86 ff. Zumindest für das US-amerikanische Kartellrecht tendenziell anders jedoch In re Foreign Exchange Benchmark Rates Antitrust Litigation, 74 F.Supp.3d 581, 596 f. (S.D.N.Y 2015). Dort wird auf die im Vergleich zur LIBOR-Manipulation stärker wettbewerbsbezogene Form der Einflussnahme abgestellt. 543 Vgl. oben S. 90 ff.; s. a. Schröter/Voet van Vormizeele, in: Schröter/Jakob/Klotz u. a. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Art. 101 AEUV Rn. 135. Ähnl. auch im USamerikanischen Kartellrecht schon seit United States v. Socony-Vacuum, 60 S.Ct. 811 (1940). 544 s. S. 130 ff. 545 s. oben S. 126 ff. u. S. 129 f. 542

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also seitens der Marktgegenseite ein Wechselkurs zugrunde gelegt und somit letztlich ein Preis gezahlt wurde, der infolge der gezielten Koordination kein Abbild der tatsächlichen Marktlage und der somit kein Ergebnis des unverfälschten Wettbewerbs darstellt, läge insoweit, ein Vorliegen der übrigen Tatbestandsmerkmale vorausgesetzt, ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV vor.546 4. Zusammenfassung Fasst man die gewonnen Erkenntnisse zusammen, so wird deutlich, dass in der kartellrechtlichen Beurteilung der Referenzzinsmanipulation und der Einflussnahmen auf den FOREX-Handel eine gewisse Vergleichbarkeit besteht. Zunächst ist jedoch festzustellen, dass das Vorgehen der Beteiligten in der FOREX-Fallkonstellation einen höheren Wettbewerbsbezug besitzt und daher schon das Verfahren, das zur Einflussnahme auf den Referenzwert dient, einer eingehenderen kartellrechtlichen Prüfung unterworfen ist. Insoweit besteht also ein Unterschied zur hypothetischen Ermittlungsmethode von LIBOR und auch EURIBOR, bei denen mangels wettbewerblicher Tätigkeit auf dieser vorgelagerten Ebene dort von vornherein kein Ansatzpunkt für eine Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV gegeben war. Wie dargelegt zwingt dieser Unterschied letztlich allerdings nicht zu einer abweichenden rechtlichen Bewertung. Insgesamt stellt sich die kartellrechtliche Verantwortlichkeit für die Manipulation des WM/Reuters-FOREX-Referenzwerts (bzw. konzeptionell vergleichbar konzipierter Referenzwerte) somit im Wesentlichen gleichlaufend mit den oben für die Referenzzinsmanipulation gewonnenen Erkenntnissen dar. Auch in diesem Fall begründet allein das Vorgehen der Beteiligten für sich genommen noch keinen Kartellverstoß. Selbiges gilt für Auswirkungen auf vertraglich vorab fest vereinbarte Geschäfte, also soweit die koordinierte Einflussnahme an einem Zeitpunkt zwischen Vertragsschluss und Wertstellung erfolgt. Ebenfalls parallel zu den bisherigen Feststellungen kann ein kartellrechtswidriges Verhalten jedoch dann angenommen werden, wenn durch die koordinierte Beeinflussung ein Referenzkurs erzeugt wird, der in darauf folgenden Verhandlungen zumindest als Berechnungsgrundlage dient und somit in entsprechenden Verträgen zu einem verzerrten Preis führt. Hierbei ist zunächst wiederum unerheblich, dass dieses Geschäftsfeld nicht zentral im Fokus der an den Absprachen beteiligten Finanzinstitute bzw. der für die Manipulation konkret verantwortlichen Mitarbeiter stand und die dortigen Auswirkungen somit eher einen „kartellrechtlichen Kollateralschaden“ darstellen.

546 Ähnl. die kartellrechtliche Bewertung der gezielten Kurseinflussnahme von Zinkproduzenten zur Absicherung eines bestimmten Leitkurses für ihren Zinkverkauf, vgl. Europäische Kommission, Entsch. v. 06. 08. 1984, ABl. 1984 L 220, 27 Rn. 72 – Zinc Producer Group.

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D. Vergleich mit anderen Referenzwerten

III. Ethanol-Benchmark 1. Allgemeines Ein weiteres Beispiel für die kartellrechtliche Relevanz von Referenzwerten bietet der Biokraftstoffmarkt,547 wobei der Referenzwert des Preis-Informationsanbieters Platts für Ethanol als Beispiel dienen soll. Vorab ist anzumerken, dass die Europäische Kommission zwar Ermittlungen zu möglichen Manipulationen an diesem Referenzwert aufgenommen und einen Verstoß gegen das Kartellverbot zunächst vermutet hatte,548 diese Untersuchungen jedoch nicht zu einer Sanktionierung geführt haben. Anders als bei den FOREX-Manipulationen gibt es auch seitens anderer Aufsichtsbehörden keine Maßnahmen gegen Anbieter auf diesem Markt. Insofern erfolgt die Behandlung der Frage der kartellrechtlichen Bewertung einer Referenzwertmanipulation in diesem Bereich auf Basis der hypothetischen Annahme einer entsprechenden Koordination. Sie soll dennoch untersucht werden, um nach den bisher betrachteten Werten für Zinsen und Devisen zusätzlich noch einen Referenzwert für physische Waren in die Analyse aufzunehmen. 2. Funktionsweise Der Referenzwert, den die Preisberichtstelle Platts für Ethanol ermittelt, beruht auf verschiedenen Faktoren. Ein wesentlicher Bestandteil ist die Messung von Marktvorgängen hinsichtlich des physischen An- und Verkaufs der Waren, für die ein entsprechender Wert erstellt werden soll. Hierbei finden nicht nur die tatsächlich vollzogenen Geschäfte Berücksichtigung, auch bloße Interessensbekundungen, wie das Einstellen von Nachfrageangeboten oder ähnliche Handlungen, werden berücksichtigt. Daneben findet auch der Derivatemarkt für die entsprechenden Produkte Einbeziehung bei der Ermittlung. Zusätzlich werden auch weitere Informationen, wie etwa Aussagen und Mitteilungen von Marktteilnehmern oder Umwelteinflüsse inkludiert. Aus diesen Daten wird dann einmal am Tag – für den europäischen Markt um 16:30 Uhr GMT – ein Referenzpreis ermittelt und bekannt gegeben.

547 Einen kompakten Überblick zu diesem Markt und seinen verschiedenen Facetten bieten Adolf/Breloh, Vermarktung von Biokraftstoffen, in: Böttcher/Hampl/Kügemann u. a. (Hrsg.), Biokraftstoffe und Biokraftstoffprojekte (2014), S. 36 ff. Im Folgenden wird keine vertiefte Unterscheidung einzelner Biokraftstoffsorten erfolgen, da bei gleicher Funktionsweise des Referenzwertes auch die rechtliche Wertung parallel verlaufen würde. 548 Europäische Kommission, Kartellrecht: Kommission eröffnet förmliches Prüfverfahren zu Ethanol-Benchmarks im Sektor Biokraftstoffe, 07. 12. 2015, abrufbar unter: http://europa.eu/ rapid/press-release_IP-15-6259_de.htm (geprüft am 23. 11. 2017).

III. Ethanol-Benchmark

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3. Potenzielle Manipulationen In ihrer Pressemitteilung zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens gegen drei Ethanolhersteller hat die Europäische Kommission diesen vorgeworfen, durch die koordinierte Vornahme von Geboten auf dem Ethanolmarkt Einfluss auf den von Platts ermittelten Referenzwert genommen zu haben, um diesen hierdurch auf ein höheres Niveau zu heben, als es sich bei natürlichen Marktverläufen ergeben hätte. Daneben stand der Vorwurf, dass auf dem Ethanolmarkt tätige Unternehmen andere Marktteilnehmer von deren korrekten Preismeldungen abgehalten haben sollen, um die Wirkung ihrer Einwirkung abzusichern bzw. zu verstärken.549 Sofern tatsächlich gezielt verfälschte Gebote eingestellt wurden, wäre wohl davon auszugehen, dass diese zumindest teilweise bei der Ermittlung des Referenzwertes berücksichtigt wurden. Wie bereits bei den Referenzwerten für Zinsen und FOREXMarkt gilt auch hier, dass aufgrund der gehandelten Volumina bzw. durch die Kopplung an Derivate bereits eine geringfügige Änderung am Bezugswert erhebliche Wirkungen erzeugen kann, in der Regel realisiert durch zusätzlichen Gewinn bei den potenziellen Kartellanten. 4. Rechtliche Würdigung Die rechtliche Würdigung am Maßstab des Art. 101 Abs. 1 AEUV wird sich im Folgenden an den Vorwürfen der Europäischen Kommission orientieren, auch wenn keine abschließende Feststellung von tatsächlich sanktionierbaren Verstößen erfolgt ist.550 Zunächst wird kurz die kartellrechtliche Relevanz von Preisabsprachen bei tatsächlich abgegebenen Angeboten erörtert, hieran anschließend folgt eine Bewertung der Einflussnahme auf den Referenzwert durch ein solches Vorgehen. a) Preisabsprachen bei Verkaufsangeboten Sofern sich die potenziell beteiligten Unternehmen tatsächlich über die Art und Höhe ihrer Angebote zum Verkauf des durch sie hergestellten Ethanols abgesprochen haben, wird man in dieser Maßnahme regelmäßig eine nach Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV untersagte Preisabsprache sehen können. Hiernach ist ausdrücklich auch die 549

Europäische Kommission, Antitrust: Commission confirms unannounced inspections in oil and biofuels sectors, 14. 05. 2013, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_ MEMO-13-435_en.htm (geprüft am 23. 11. 2017). Interessanterweise hat die Europäische Kommission in diesem Fall die für die Manipulation immanente Preisabsprache auf dem physischen Markt in einem von den Auswirkungen auf den Referenzwert getrennten Verfahren untersucht, Europäische Kommission, Antitrust: Commission confirms unannounced inspections in bioethanol sector, 21. 04. 2015, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_ MEMO-15-4821_de.htm (geprüft am 23. 11. 2017). 550 Der eigenständige Vorwurf der Preisabsprachen (s. Fn. 549) wurde zwischenzeitlich im Übrigen anscheinend aufgegeben, jedenfalls findet er in späteren Pressemitteilungen zu dieser Thematik keine weitere Erwähnung mehr.

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D. Vergleich mit anderen Referenzwerten

Festsetzung von Verkaufspreisen untersagt. Dies würde sowohl Fälle umfassen, bei denen sich Unternehmen über einen konkreten Preis absprechen, als auch solche, bei denen nur vereinbart wird, ein bestimmtes Minimum nicht zu unterschreiten, was ebenso ein denkbarer Ansatz wäre, um auch den Referenzpreis auf einem gewissen Mindestpreisniveau zu halten.551 Der Unterschied zu der rechtlichen Bewertung der koordinierten Vornahme von Geschäften in der FOREX-Fallkonstellation552 ergibt sich aus der Tatsache, dass hier nicht nur ein gewisses Marktverhalten innerhalb des weiterhin durch die freien Wettbewerbskräfte abgesteckten Rahmens abgesprochen würde. Dort wurde das Handelsvolumen gebündelt, der jeweilige Inhalt der einzelnen Geschäfte blieb jedoch unbeeinflusst. In der hier untersuchten Konstellation würde gezielt auf einen zentralen Wettbewerbsparameter – den Preis – eingewirkt, was eine Verzerrung der Marktverhältnisse herbeiführen würde, wie sie das Kartellverbot, klargestellt durch das Regelbeispiel des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV, gerade verhindern soll. Entsprechend würde sich eine Sanktionierung solcher Absprachen bei entsprechendem Nachweis nach hier vertretener Auffassung durchaus gut begründen lassen. In diesem Zusammenhang ließe sich gegebenenfalls auch ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV annehmen, sofern die Menge der angebotenen Waren koordiniert gesenkt wurde, um ein bestimmtes Angebot-Nachfrage-Verhältnis zu suggerieren.553 b) Einflussnahme auf den Referenzwert für Ethanol aa) Auswirkungen auf zukünftige Geschäfte im physischen Handel Sofern die Beeinflussung des Referenzwertes Auswirkung für zukünftige Geschäfte im physischen Handel mit Ethanol besitzt, bei denen die Preisberechnung direkt an diesen Wert gekoppelt ist oder dieser zumindest als Berechnungs- oder als Verhandlungsgrundlage dient, gelten im Wesentlichen die obigen Ausführungen. Ähnlich wie hinsichtlich von Referenzzinsen und ihrer Verwendung in Kreditverträgen554 und bei auf FOREX-Referenzwerten basierenden Devisengeschäften555 gilt auch für den physischen Warenhandel, wie er hier am Beispiel von Ethanol dargestellt wird, dass eine Preisbeeinflussung auch in mittelbarer Form unter das Kar551

Zur wohl unstrittigen Beurteilung solcher Maßnahmen bspw. Zimmer, in: Immenga/ Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Art. 101 Abs. 1 AEUV Rn. 236 f.; Füller, in: Busche/Röhling (Hrsg.), Kölner Kommentar zum Kartellrecht (2016), Art. 101 AEUV Rn. 289. 552 s. oben S. 141 ff. 553 Füller, in: Busche/Röhling (Hrsg.), Kölner Kommentar zum Kartellrecht (2016), Art. 101 AEUV Rn. 295. Im Unterschied zur FOREX-Manipulation wäre eine solche Mengenabsprache auch nicht nur für den wenigen Minuten dauernden Messzeitraum erforderlich, wo man aufgrund der kurzen Zeitspanne eine zurückhaltendere Bewertung vertreten könnte. 554 s. S. 130 ff. 555 s. S. 144 f.

III. Ethanol-Benchmark

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tellverbot des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV subsumiert werden kann, sofern auch die übrigen Voraussetzungen der Norm – wie etwa Spürbarkeit und Zwischenstaatlichkeitsklausel – erfüllt werden.556 bb) Auswirkungen auf Warenderivate Schließlich besteht auch hinsichtlich von physischen Waren die Möglichkeit, diese in derivative Instrumente einzubinden.557 Auch insoweit gilt letztlich nichts anderes, als bereits zu der kartellrechtlichen Beurteilung der Beeinflussung von derivativen Positionen durch Manipulation des Referenzwertes bei Zinsderivaten558 und Währungsderivaten559 festgestellt wurde. Auch bei Warenderivaten ist die eigentlich Wettbewerbshandlung mit Abschluss des Derivatkontrakts bereits abgeschlossen. Die Abwicklung unter Heranziehung eines Referenzwertes – etwa ein Future auf Ethanol gekoppelt an den am Durchführungstag geltenden Platts Referenzpreis – ist aus denselben Gründen, wie sie bereits oben ausführlich dargelegt wurden, nach hier vertretener Auffassung kein Fall, der dem Kartellverbots des Art. 101 Abs. 1 AEUV unterfallen würde. Ähnlich wie dort stellen die Vereinbarung und Ausgestaltung eines bestimmten Derivatkontrakts die wettbewerbsrechtlich relevanten Handlungen dar, nicht jedoch dessen Abwicklung. Entsprechend ergibt sich kein anderes Ergebnis als für die bereits behandelten Fallkonstellationen. Auch in Bezug auf Warenderivate wäre die Manipulation des in Bezug genommenen Referenzwertes hinsichtlich der Auswirkung auf diese Derivate zum Zeitpunkt ihrer Wertstellung kein Sachverhalt, der dem Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV unterfallen würde. Anderes könnte wiederum – wie auch bei den vorherigen Beispielen – gelten, sofern sich gezielt über Strategien auf dem Derivatemarkt ausgetauscht würde und so die Bedingungen, zu denen Derivatskontrakte abgeschlossen werden, beeinflusst würden. 5. Zusammenfassung Insgesamt lässt sich festhalten, dass für einen Referenzwert, wie er durch die Plattform Platts für Ethanol ermittelt wird, durch den stärker ausgeprägten Wettbewerbsbezug der Einflussnahme auf den Referenzwert, bedingt durch die – jedenfalls für die wirksamste Form der Manipulationen – bestehende Notwendigkeit der Absprache realer Preise schon auf dieser Ebene, ein Verstoß gegen das Kar556 Vergleichbar hiermit ist die Beurteilung der Einwirkung auf den Referenzwert für Zink durch die Hersteller des Rohstoffes, s. hierzu Europäische Kommission, Entsch. v. 06. 08. 1984, ABl. 1984 L 220, 27 Rn. 72 – Zinc Producer Group. 557 Weitergehende Übersicht zu den Erscheinungsformen von Warenderivaten mit weiteren Informationen etwa bei Rudolph/Schäfer, Derivative Finanzmarktinstrumente (2010), S. 185 ff. 558 s. S. 86 ff. 559 s. S. 143 f.

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D. Vergleich mit anderen Referenzwerten

tellverbot in Betracht kommt. Somit besteht an diesem Punkt ein Unterschied zu den zuvor untersuchten Varianten der Referenzwertmanipulation hinsichtlich der kartellrechtlichen Qualifikation. Dies könnte auch erklären, wieso die Europäische Kommission jedenfalls zunächst zwei getrennte Untersuchungen gegen die Ethanolhersteller angestrengt hat. Im Übrigen, also hinsichtlich der Bewertung der Referenzwertmanipulation mit Auswirkung auf zukünftige, an den Referenzwert gekoppelte Geschäfte, sowie der Einfluss auf die Wertstellung von Warenderivaten, ergeben sich jedoch keine relevanten Abweichungen zu den bereits oben gefundenen Ergebnissen.

IV. Fazit Es hat sich gezeigt, dass sich die für die Referenzzinsmanipulation ermittelten Feststellungen zur kartellrechtlichen Beurteilung einer koordinierten Einwirkung zu einem nicht unerheblichen Teil auch auf andere, in ihrer Messmethodik abweichend konzipierte Referenzwerte übertragen lassen. Insofern ist die gleichlaufende Bewertung hinsichtlich der Einflussnahme auf Derivate nicht unbedingt überraschend, da die Argumentation für die Nichtanwendung des Kartellverbots in diesen Fällen ihre Grundlage weniger in der konkreten Konzeption bzw. Ermittlungsmethode der Referenzwerte findet, als vielmehr in der Besonderheit von Derivatskontrakten allgemein. Entsprechend ergeben sich nach hier vertretener Auffassung diesbezüglich keine signifikanten Abweichungen. Auch die Beurteilung von an den Referenzwert gekoppelten Geschäften, die nach Vornahme der Manipulationen abgeschlossen wurden, hängt insofern nicht von der Methodik des Referenzwertes ab. In diesen Fällen kann regelmäßig ein Fall der (mittelbaren) Preisabsprache im Sinne des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV vorliegen. Abweichen kann indes die kartellrechtliche Qualifikation der Vornahmehandlungen zur Manipulation als solcher. Hier wird man für den Einzelfall differenzieren müssen, ob diesen bereits unmittelbare wettbewerbliche Wirkung zukommt. Im Fall der Manipulation an LIBOR und EURIBOR, wo es sich um die bloße Angabe hypothetischer Werte handelte, war dies nach hier vertretener Auffassung abzulehnen. Im Fall von Referenzwerten für Waren, bei denen tatsächliche Preise abgesprochen wurden, mit dem Ziel, dass sich dieses künstliche Preisniveau dann auch im Referenzwert niederschlagen wird, liegt eine entsprechende Annahme indes näher. Dazwischen stehen speziell gelagerte Sachverhalte, wie etwa im Fall der Einflussnahme auf dem FOREX-Markt, bei dem sich eine Veränderung durch absprachebedingte Konzentration bzw. Anpassung der Handelsvolumina erreichen ließ. In solchen Konstellationen wird es auf den konkreten Einzelfall ankommen, bei dem die wettbewerblichen Rahmenbedingungen und Auswirkungen – nicht als identisch zu verstehen mit dem Bewirken der Wettbewerbsbeschränkung als Tatbestandsmerkmal des Kartellverbots – zu untersuchen wären. Gegebenenfalls kann insbesondere eine

IV. Fazit

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kartellrechtswidrige Absatzkoordination, wie sie Art. 101 Abs. 1 lit. b) AEUV untersagt, in Betracht kommen. Für die Einflussnahme auf den WM/Reuters Fix sprechen die genannten Gründe jedoch eher gegen diese Annahme.

E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht I. Einführung Wie bereits an verschiedenen Stellen angedeutet, ist die Bewertung von Referenzwertmanipulationen eine Thematik, die nicht nur den Anwendungsbereich des Kartellrechts tangiert, sondern regelmäßig zugleich auch Normen des Kapitalmarktrechts Anwendung finden könnten. Dies zumindest soweit, und das wird den Regelfall darstellen, die Referenzwerte bzw. Waren in den Handel auf den Kapitalmärkten einbezogen sind. So wurde auch im Verlauf der Untersuchung verschiedentlich auf die teils unterschiedlichen Schutzzwecke verwiesen, auf deren Grundlage in bestimmten Konstellationen mehr eine Anwendung des Kapitalmarktrechts als die des Kartellrechts befürwortet wurde, ohne dies bislang näher auszuführen. Im Folgenden wird dieser Aspekt nun eine vertieftere Berücksichtigung erfahren. So wird analysiert, ob und gegebenenfalls inwieweit sich diese beiden Regelungsregime in ihrer Anwendung überschneiden und welche Folgen sich gegebenenfalls daraus ergeben. Denkbar sind sowohl eine parallele Anwendung als auch eine ausschließende Konkurrenz. Hierfür wird zunächst untersucht, welche Werkzeuge das Kapitalmarktrecht überhaupt bietet, um einer Referenzwertmanipulation zu begegnen. Als zentrales Beispiel soll hierbei wiederum die Manipulation des Referenzzinses LIBOR dienen. Nach einer kurzen Darstellung des Marktmanipulationsverbots als zentrales Mittel der kapitalmarktrechtlichen Handhabe solcher Konstellationen und seiner Anwendbarkeit im konkreten Fall der LIBOR-Manipulation nach alter und neuer Rechtslage wird im Anschluss der Vergleich zu dem Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV unter Einschluss einer wertenden Betrachtung gezogen werden. Hierbei werden auch weiterführende Fragen behandelt, die sich aus einem möglichen Nebeneinander der Materien ergeben.

II. Anwendbares Kapitalmarktrecht 1. Historische Rechtslage unter § 20a WpHG a. F. Die vorrangige aufsichtsrechtliche Handhabe einer gezielten unlauteren Einflussnahme auf die Kapitalmärkte war nach deutschem Recht – in Ermangelung einer

II. Anwendbares Kapitalmarktrecht

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unmittelbar geltenden europäischen Regelung560 – bis 2016 das Marktmanipulationsverbot des § 20a WpHG a. F..561 Da diese Norm jedenfalls im Zeitraum der LIBOR-Manipulationen noch den zentralen Maßstab für die kapitalmarktrechtliche Bewertung von entsprechenden Vorgängen dargestellt hat, soll sie hier – trotz ihres zwischenzeitlichen Außerkrafttretens zum 02. 07. 2016 – ebenfalls noch in kursorischer Prüfung berücksichtigt werden. Entsprechend erfolgt nun zunächst eine kurze Skizzierung der tatbestandlichen Voraussetzungen sowie der Anwendung auf den LIBOR-Fall. Unabhängig von der Anwendbarkeit des § 20a WpHG a. F. auf die vorliegende Fallkonstellation sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass ein Verstoß zwar aufsichtsrechtliche Konsequenzen mit sich bringen kann, das WpHG jedoch keine Möglichkeit für Individualklagen bereithält. Auch ein Anspruch über § 823 Abs. 2 BGB scheidet aus, da § 20a WpHG a. F. nach der h. M. die erforderliche Schutzgesetzeigenschaft fehlt.562 Demgegenüber bietet das Kartellrecht in § 33 Abs. 1, Abs. 3 GWB eine Möglichkeit für Schadensersatzklagen durch Private. a) Anwendungsbereich Durch § 20a Abs. 1 S. 1 WpHG a. F. waren verschiedene Formen der Einflussnahme auf am Markt gehandelte Finanzinstrumente untersagt. Eine wichtige Einschränkung für den Anwendungsbereich der Norm traf § 20a Abs. 1 S. 2 WpHG a. F., soweit er das Verbot auf den Bereich der kontrollierten Märkte beschränkte.563 Entsprechend waren insbesondere der Graue Kapitalmarkt und auch OTC-Geschäfte – wie dargestellt eine verbreitete Handelsform für bestimmte Zinsderivate – nicht von dem Anwendungsbereich erfasst.564 Dies betrifft im Fall der Zinsderivate etwa 560

Zur möglichen rechtlichen Bewertung der LIBOR-Manipulation nach englischem Kapitalmarktrecht s. Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2564 f. Allgemeiner rechtsvergleichend zur Sanktionierung von Marktmanipulation auch Mock, in: Hirte/Möllers (Hrsg.), Kölner Kommentar zum WpHG (2014), §20a Rn. 59 ff. 561 Beispielhaft zu § 20a WpHG a. F. aus der umfangreichen Literatur zu dieser Vorschrift genannt seien etwa Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG) (2006) sowie der rechtsvergleichende Ansatz bei Waschkeit, Marktmanipulation am Kapitalmarkt (2007). 562 BGH, Urt. v. 13. 12. 2011, Rs. XI ZR 51/10, BGHZ 192, 90 Rn. 12; Fleischer, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG (2016), § 20a Rn. 154; Worms, in: Assmann/Schütze (Hrsg.), HdB Kapitalanlagerecht (2015), § 10 Rn. 77; Vogel, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz (2012), § 20a WpHG Rn. 31; Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG) (2006), S. 363 ff., jeweils m. w. N. Anders hingegen etwa Mock, in: Hirte/ Möllers (Hrsg.), Kölner Kommentar zum WpHG (2014), §20a Rn. 487, m. w. N. in Fn. 811. 563 Zum Anwendungsbereich Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG) (2006), S. 206 ff. Kompakter etwa Fleischer, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG (2016), § 20a Rn. 7 ff. 564 Fleischer, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG (2016), § 20a Rn. 8. Zum Umfang des in § 20a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Alt. 3 WpHG a. F. genannten Freiverkehrs mit entsprechenden Beispielen Harrer/Müller, WM 2006, 653, 653 ff. Ein ähnliches Problem besteht im Übrigen wohl auch im US-amerikanischen Recht, wo bei solchen Geschäften die privatrechtlichen Anspruchsgrundlagen für OTC-Käufer deutlich schwächer ausgestaltet sind und diese daher vorrangig

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

die Swaps und Optionen, die vorrangig OTC gehandelt werden. Zins-Futures hingegen sind grundsätzlich börsengehandelte Finanzinstrumente und waren insofern vom Anwendungsbereich des § 20a WpHG a. F. erfasst. § 20a WpHG a. F. nannte als Objekt der Einflussnahme „Finanzinstrumente“. Dieser Begriff wurde in § 2 Abs. 2b WpHG a. F. näher definiert.565 Hierunter fielen insbesondere gem. § 2 Abs. 2b i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 lit. c) WpHG a. F. auch Termingeschäfte mit einem Zinssatz als Basiswert, mithin also Zinsderivate in den oben vorgestellten Erscheinungsformen, aber gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 lit. b) WpHG a. F. auch Devisenderivate. b) Tatbestand aa) § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 1 WpHG a. F. Für die materiell-rechtliche Kontrolle der LIBOR-Manipulation am Maßstab des Marktmanipulationsverbots kommt insbesondere die Variante des § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 1 WpHG a. F. in Betracht. Diese Alternative verbot im Wesentlichen Falschangaben in Bezug auf bewertungserhebliche Umstände mit einer Marktpreiseinwirkungsqualität.566 Hierunter fielen unrichtige Angaben, die für die Bewertung eines Finanzinstrumentes – hierzu gehören wie soeben aufgezeigt grundsätzlich auch Derivate – erheblich sind. (1) Machen von unrichtigen bewertungserheblichen Angaben Zunächst ist zu untersuchen, ob die Übermittlung der einzelnen Finanzinstitute an die Sammelstelle der BBA tatsächlich als ein „Machen von Angaben“ gewertet werden kann. Hieran könnten Zweifel bestehen, weil die Bekanntgabe der einzelnen Werte lediglich in einem internen Rahmen erfolgt ist. Indes ist es nicht erforderlich, dass die Bekanntgabe öffentlich oder zumindest gegenüber einer größeren Gruppe erfolgt. Vielmehr genügt bereits die Angabe gegenüber Einzelpersonen, also entsprechend auch gegenüber einer einzelnen Sammelstelle wie im vorliegenden Fall der BBA.567 kartellrechtliche Schadensersatzansprüche geltend machen, so Hamburger, 21 Int.T.L.R. 120, 130 (2015). 565 Für diese Definition hat sich durch die zwischenzeitliche Reform des WpHG indes auch keine relevante Änderung ergeben, sodass diese Feststellungen weiterhin gültig sind. Zum Inhalt (der bisherigen Fassung) vgl. etwa Assmann, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz (2012), § 2 WpHG Rn. 58 ff. 566 Im Folgenden soll im Übrigen allein der objektive Tatbestand untersucht werden. Die subjektive Komponente wird aufgrund der Einzelfallabhängigkeit und aus Gründen der Schwerpunktsetzung ausgeblendet. Zu Erforderlichkeit und Inhalt einer solchen subjektiven Tatbestandsmäßigkeit vgl. etwa Vogel, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz (2012), § 20a WpHG Rn. 126 ff. 567 Fleischer, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG (2016), § 20a Rn. 18; Vogel, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz (2012), § 20a WpHG Rn. 65; Karst, Das Marktmanipulati-

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Darüber hinaus hätten diese Angaben auch „unrichtig“ gewesen sein müssen. Hier könnte man für die LIBOR-Werte einwenden, dass es sich ohnehin nur um subjektive Einschätzungen der Befragten handelt, die sich einer Einordnung nach richtig oder falsch grundsätzlich entziehen. Jedoch forderte die Norm nicht, dass es sich um beweisbare Tatsachen handelt, wie ja schon die Verwendung des abweichenden Begriffs der „Umstände“ angedeutet hat. Vielmehr erfasste das Kriterium auch Prognosen, sofern diese unter Heranziehung einer unzutreffenden Grundlage abgegeben wurden.568 Dies dürfte mit dem hier untersuchten Fall vergleichbar sein, weil als Ausgangspunkt in den Fällen der Manipulation nicht mehr die Einschätzung der eigenen Kreditwürdigkeit aufgrund von Marktverhältnissen herangezogen wurde, sondern ein hiervon entkoppelter Wert eigenständig festgelegt wurde.569 Derartige Angaben waren „unrichtig“ i. S. d. Norm. Weiter war erforderlich, dass es sich um Angaben handelte, die für die Bewertung des zu beeinflussenden Finanzinstrumentes erheblich sind. Für die Feststellung der Erheblichkeit hat das Bundesfinanzministerium von der Ermächtigung des § 20a Abs. 5 S. 1 Nr. 1 WpHG a. F. Gebrauch gemacht und in der MaKonV570 nähere Bestimmungen zur Auslegung dieses Rechtsbegriffes getroffen. Gem. § 2 Abs. 1 MaKonV waren – mangels erkennbarer Einschlägigkeit der Regelbeispiele der § 2 Abs. 2, 3 MaKonV – solche Umstände für die Bewertung erheblich i. S. d. § 20a Abs. 1 WpHG a. F., „(…) die ein verständiger Anleger bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde.“ Für den Fall der LIBOR-Manipulation ist hierbei – wie auch schon bei der kartellrechtlichen Bewertung571 – nach den Motivlagen und damit verbunden zwischen unilateraler und koordinierter Einflussnahme zu differenzieren.572 Soweit diese vorgenommen wird, um die eigene Bonität zu verschleiern, betrifft dies für die jeweiligen Anleger regelmäßig einen Faktor bei der Anlageentscheidung in Refinanzierungsprodukte des betreffenden Finanzinstituts.573 onsverbot gem. § 20a WpHG (2011), S. 98 f.; Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG) (2006), S. 254. Anders wohl Stoll, in: Hirte/Möllers (Hrsg.), Kölner Kommentar zum WpHG (2014), § 20a Rn. 176. 568 Fleischer, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG (2016), § 20a Rn. 20; Stoll, in: Hirte/Möllers (Hrsg.), Kölner Kommentar zum WpHG (2014), § 20a Rn. 181. 569 In der Praxis ist es natürlich naheliegend, dass der eigentlich anzugebende Wert zumindest als Grundlage genutzt und dann nur entsprechend angepasst wird, um die Manipulation nicht unnötig offensichtlich vorzunehmen. Eine Verfälschung dieser Grundlage läge freilich dennoch vor. 570 Marktmanipulations-Konkretisierungsverordnung vom 1. März 2005 (BGBl. I S. 515), die zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 7. Mai 2013 (BGBl. I S. 1162) geändert worden ist. 571 Zur kartellrechtlichen Dimension oben S. 126 ff. 572 So auch Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2563. 573 Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2563. Letztlich lässt sich dieses Kriterium nur schwer pauschal mit Inhalt füllen, dürfte für den Fall der Bonität aber wohl eher unproblematisch als erfüllt anzusehen sein. Vgl. näher Stoll, in: Hirte/Möllers (Hrsg.), Kölner Kommentar zum WpHG (2014), § 20a Anh. I - § 2 MaKonV Rn. 4 ff.

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

Komplizierter könnte sich die Lage hinsichtlich der koordinierten Einflussnahme mit Blick auf die Beeinflussung bestehender Zinsderivate darstellen. Hierbei ist wiederum zu berücksichtigen, dass die Anlageentscheidung bei bestehenden Derivatspositionen bereits im Vorfeld der Manipulation getroffen wurde. Allerdings wird man auch in diesen Fällen zumindest eine mittelbare Bewertungserheblichkeit aufgrund des Einflusses des LIBOR-Wertes auf den Markt für börsengehandelte (und an den LIBOR gekoppelte) Zinsderivate annehmen können. Aus Anlegersicht war das Vertrauen in eine ordnungsgemäße Ermittlung des Referenzwertes zudem auch als erheblich für die Entscheidung zur Investition in entsprechende Derivatspositionen anzusehen.574 Entsprechend ist auch von dieser Perspektive aus von einem bewertungserheblichen Umstand auszugehen. (2) Eignung zur Preiseinwirkung Abschließendes Kriterium für die Anwendung des § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 1 WpHG a. F. war die Eignung der Tathandlung zu einer Preiseinwirkung i. S. d. Vorschrift. Zu verstehen ist hierunter jegliche Einflussnahme auf die Preisbildung, unabhängig von der dadurch bewirkten Richtungsänderung.575 Hinsichtlich falscher Angaben zur positiven Darstellung der eigenen Bonität ist es naheliegend, dass diese Umstände für den Börsenwert des jeweiligen Finanzinstituts ein Faktor sind, um auf dessen Höhe einzuwirken. Für diese Fallgruppe wird man das Kriterium als erfüllt ansehen können.576 Anders könnte die Antwort gleichwohl in Bezug auf die Einwirkung auf die Wertstellung der Derivate ausfallen. Diesbezüglich ist zunächst zu klären, ob hinsichtlich der für die Wertstellung von Finanzderivaten zugrunde gelegten Werte überhaupt von einem Preisbestandteil gesprochen werden kann. Im Rahmen der kartellrechtlichen Bewertung wurde diese Frage negativ beantwortet.577 Jedoch erscheint es nicht zwingend, diese Wertung, mithin dieses Verständnis des Preisbegriffs, ohne weitere Reflexion auf die kapitalmarktrechtliche Qualifikation zu übertragen. So ist bei der Zweckrichtung der Regelungsmaterien trotz vorhandener Ähnlichkeiten durchaus zu differenzieren.578 Wie aufgezeigt steht im Mittelpunkt des Kartellrechts, jedenfalls soweit es das Kartellverbot des Art. 101 AEUV betrifft, die Freiheit des Wettbewerbs als solche.579 Als Schutzzweck des Marktmanipulationsverbots des § 20a WpHG a. F. wird bzw. wurde überwiegend die Sicherung der

574

So auch Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2563. Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG) (2006), S. 273 f. 576 So auch Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2563. 577 s. oben S. 90 ff. 578 Anders wohl Zetzsche, ZHR 179 (2015) 490, 503, wobei auch dieser nur von einem „nahezu“ identischen Schutzgut ausgeht. 579 Vgl. ausführlicher oben S. 38 ff. 575

II. Anwendbares Kapitalmarktrecht

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Zuverlässigkeit und Wahrheit der Preisbildung an Börsen und Märkten verstanden.580 Nach dieser Ansicht verfolge die Absicherung wiederum das Ziel, das Vertrauen der Anleger in das ordnungsgemäße Funktionieren diese Börsen und Märkte zu sichern und somit letztlich ihre Investitionsbereitschaft zu begründen. Mithin solle die Funktionsfähigkeit der Märkte gewährleistet werden.581 Demgegenüber steht die Auffassung, das Verbot der Marktmanipulation, wie es in § 20a WpHG a. F. normiert wurde, diene (vorrangig) dem Individualanlegerschutz.582 Wenngleich die besseren Argumente wohl für die herrschende Auffassung eines überindividuellen Schutzkonzeptes des Marktmanipulationsverbotes sprechen, bedarf dieser Diskurs hier keiner Entscheidung. Denn bei beiden Ansätzen wird deutlich, dass der Schutz der Preisbildung letztlich einen anderen Hintergrund hat, als dies bei der kartellrechtlichen Beurteilung der Fall war. Wurde dort der Preis insoweit geschützt, als dass er das unabhängige Verhandlungsergebnis der Parteien darstellen sollte, ist der Fokus hier eher auf einen Aspekt gerichtet, den man als „Fairness“ bezeichnen könnte.583 Um dies zu veranschaulichen könnte man sich – ohne dies als wirklich dogmatischen Ansatz verstanden zu wissen wollen – an der Trennung von Verpflichtung- und Verfügungsgeschäft im deutschen Privatrecht orientieren. Während sich das Kartellverbot eher auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des Verpflichtungsgeschäfts als den wettbewerblich beeinflussbaren Faktor frei von der Beeinflussung durch die Marktmacht einer Seite konzentriert, hat das Kapitalmarktrecht (auch) die faire Umsetzung der Verpflichtung im Blick.584 Denn für das Vertrauen als Faktor der Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte ist auch die ordnungsgemäße Abwicklung ein essentieller Aspekt. Legt man den Fokus mit der teils vertretenen Ansicht ohnehin auf den Anlegerschutz, so gilt dies umso mehr. Entsprechend sollten die unter580

Fleischer, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG (2016), Vor § 20a Rn. 1; Worms, in: Assmann/ Schütze (Hrsg.), HdB Kapitalanlagerecht (2015), § 10 Rn. 76; Karst, Das Marktmanipulationsverbot gem. § 20a WpHG (2011), S. 145; Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG) (2006), S. 112 f.; Schönhöft, Die Strafbarkeit der Marktmanipulation gemäß § 20a WpHG (2006), S. 11 ff.; Schwark, in: Ekkenga/Hadding/Hammen (Hrsg.), FS Kümpel (2003), S. 499; so auch BGH, Urt. v. 13. 12. 2011, Rs. XI ZR 51/10, BGHZ 192, 90 Rn. 20 ff., wonach die Norm lediglich „öffentlichen Interessen“ diene. Vgl. auch Begr. RegE 4. FMFG, BT-Drucks. 14/8017, S. 98. 581 Begr. RegE 4. FMFG, BT-Drucks. 14/8017, S. 98; Fleischer, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG (2016), Vor § 20a Rn. 1; Schönhöft, Die Strafbarkeit der Marktmanipulation gemäß § 20a WpHG (2006), S. 13; Lenzen, Unerlaubte Eingriffe in die Börsenkursbildung (2000), S. 52 ff. 582 So etwa Ekkenga, ZIP 2004, 781, 785; Dühn, Schadensersatzhaftung börsennotierter Aktiengesellschaften für fehlerhafte Kapitalmarktinformationen (2003), S. 186 ff.; Altenhain, BB 2002, 1874, 1875; Fuchs/Dühn, BKR 2002, 1063, 1066. Vermittelnd Mock, in: Hirte/ Möllers (Hrsg.), Kölner Kommentar zum WpHG (2014), §20a Rn. 17; ähnl. wohl Vogel, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz (2012), § 20a WpHG Rn. 30. 583 Ähnl. in der Unterscheidung der Schutzrichtungen – im Zusammenhang mit der Marktabgrenzung – wohl Teuber, Die Beeinflussung von Börsenkursen (2011), S. 194. Zur Fairness als Faktor auf den Kapitalmärkten s. a. Mülbert/Sajnovits, ZfPW 2016, 1, 26. 584 Ähnl. im Rahmen der Untersuchung einer möglichen Wettbewerbsverfälschung durch Kursstabilisierungsmaßnahmen für Aktien auch Bueren, WM 2013, 585, 593.

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

schiedlichen Ansätze in dieser Frage zu zumindest ähnlichen Ergebnissen führen.585 Ausgehend von einem solchen Verständnis der Materie ergibt sich dann auch ein anderer, tendenziell weiter gefasster Preisbegriff. Dieser umfasst für den Fall der Derivate eben auch die Wertstellung, wohingegen diese aus den genannten Gründen von dem kartellrechtlichen Verbot der Preisabsprache, zumindest in der hier untersuchten Konstellation mangels entsprechender kartellrechtlicher Preisqualität, nach hier vertretener Auffassung nicht erfasst wird. Unbeachtlich ist, dass der Preis in Fällen wie dem vorliegenden durch die Sammelstelle praktisch außerhalb des Marktes erzeugt wird, solange er nur auf die dort gehandelten Finanzinstrumente Einfluss nimmt.586 Unabhängig von dieser Frage der Preisqualität der beeinflussten Wertstellung wird teils vertreten, dass jedenfalls bei einer Ermittlungsmethode wie sie bei LIBOR und EURIBOR verwendet wird, eine Einwirkungseignung nicht gegeben sei. Der Umstand, dass nur einzelne Werte innerhalb einer größeren Gruppe von Beiträgen beeinflusst würden und zudem Ausreißer nach oben und unten zusätzlich herausgefiltert würden,587 würde eine Kausalität einzelnen Verhaltens für den Gesamtwert zumindest hinsichtlich der notwendigen Schwelle der Preiseinwirkung verhindern.588 Dies vermag indes nicht zu überzeugen. Die Preiseinwirkungsqualität ist von ihrer Schwelle nicht als Hürde des Tatbestandes konzipiert, vielmehr genügt auch eine theoretische Kausalität der Einflussnahme für die Preisgestaltung.589 Eine Erheblichkeitsschwelle besteht gerade nicht.590 Ausgeschlossen werden durch das Kriterium nur offensichtlich wirkungslose Versuche der Preisbeeinflussung.591 Zuzugestehen ist der Gegenansicht für den konkreten Fall, dass die Wirkung des einzelnen Wertes teils kaum ins Gewicht fallen dürfte. Eine Auswirkung wird indes regelmäßig vorliegen. Selbst wenn der künstlich festgesetzte Wert etwa aufgrund seiner Höhe zu den 10 bis 15 % der Streichwerte zählen sollte, so kann dies zugleich bedeuten, dass ein anderer, eigentlich zu streichender Wert in der Berechnung 585

Nicht übersehen werden darf dabei freilich, dass die Problematik auch hier nur in einzelnen Fällen auftritt, nämlich wenn, wie beim Derivatehandel und insbesondere bei auf fiktiven Referenzwerten beruhenden Derivaten der Fall, der Vertragsschluss und die Wertstellung derartig auseinanderfallen. 586 Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG) (2006), S. 275 f. 587 Zur Ermittlungsmethode im Einzelnen s. oben S. 25 ff. 588 Stoll, in: Hirte/Möllers (Hrsg.), Kölner Kommentar zum WpHG (2014), § 20a Rn. 204. 589 Fleischer, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG (2016), § 20a Rn. 33; Schröder, Handbuch Kapitalmarktstrafrecht (2015), Rn. 433; vgl. auch Sorgenfrei, in: Park (Hrsg.), Kapitalmarktstrafrecht (2013), §§ 20a, 38 Abs. 2, 39 Abs. 1 Nr. 1 – 2, Abs. 2 Nr. 11 Abs. 4 WpHG Rn. 116: „potenzielle (generelle) Kausalität“; Vogel, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz (2012), § 20a WpHG Rn. 118: „generelle Kausalität“. 590 Ganz h. M., so etwa Schröder, Handbuch Kapitalmarktstrafrecht (2015), Rn. 433; Vogel, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz (2012), § 20a WpHG Rn. 115; Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG) (2006), S. 274; a. A. Nowak, ZBB 2001, 449, 450. 591 Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG) (2006), S. 274.

II. Anwendbares Kapitalmarktrecht

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verbleibt. Nur wenn alle manipulierten Werte bereits vor der Einflussnahme aus der Kalkulation herausgefallen wären und dies auch anschließend noch der Fall wäre, würde eine Wirkung ausbleiben. Dies wäre aber wohl eher die Ausnahme als die Regel. Das Niveau würde sich insgesamt also regelmäßig dennoch – wenn auch vielleicht nur marginal – verändern. Zumindest eine potenzielle Auswirkung sollte man nach hier vertretener Auffassung daher auch der Einflussnahme auf einzelne Werte nicht pauschal absprechen.592 Insgesamt wird eine Eignung zur Preiseinwirkung i. S. d. § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 1 WpHG a. F. bei der Einflussnahme auf Referenzzinsen wie den LIBOR daher im Regelfall anzunehmen sein. bb) § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 WpHG a. F. Soweit man eine Anwendung des § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG a. F. ablehnt, wäre auch denkbar, die LIBOR-Manipulation unter den Tatbestand des § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 WpHG a. F. zu fassen. Dieser untersagte auch „sonstige Täuschungshandlungen“ mit entsprechender Preiseinwirkungsqualität.593 In Betracht kam § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 WpHG a. F. insbesondere auch für eine rein handelsgestützte Einwirkung, wie sie etwa der FOREX-Manipulation zugrunde lag,594 da nach teilweise vertretener Ansicht jegliche Maßnahmen erfasst waren und eine Erklärungshandlung des Normadressaten keine Voraussetzung darstellen sollte.595 Die Normierung begegnete angesichts ihres weit gefassten Anwendungsbereichs mit Blick auf die verbundenen Sanktionen Bedenken hinsichtlich des in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgebots.596 Dem ist die Rechtsprechung 592 Zumindest ähnl., sich für eine Prüfung je nach Einzelfall aussprechend Fleischer/ Bueren, DB 2012, 2561, 2563. Beispiele zu Auswirkungen einzelner Änderungen auf dem Gesamtwert finden sich bei Pascall, 39 World Competition 161, 169 f. (2016). Auch ökonomische Analysen zum Nachweis der Manipulationen weisen auf die Bedeutung von Einzelwerten für den Gesamtwert hin, vgl. etwa Monticini/Thornton, 37 J. Macroecon. 345, 346 f. (2013). 593 Angesichts der Konzeption des § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 WpHG a. F. als Auffangtatbestand kommt eine Anwendung dann in Betracht, soweit man keine der anderen Varianten als einschlägig qualifiziert, s. etwa Stoll, in: Hirte/Möllers (Hrsg.), Kölner Kommentar zum WpHG (2014), § 20a Rn. 234; Vogel, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz (2012), § 20a WpHG Rn. 209. 594 Vgl. zum Sachverhalt oben S. 136 ff. 595 So Vogel, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz (2012), § 20a WpHG Rn. 226; wohl auch Karst, Das Marktmanipulationsverbot gem. § 20a WpHG (2011), S. 123; a. A. etwa Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG) (2006), S. 307 f. Die Frage soll hier nicht vertieft behandelt werden, da sie weder den Schwerpunkt der Bearbeitung darstellt noch für das hier letztlich vertretene Ergebnis von entscheidender Bedeutung ist. 596 Vgl. etwa Gaede/Mühlbauer, wistra 2005, 9, 13 f.; Moosmayer, wistra 2002, 161, 167 ff.; ähnl. Pananis, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo StGB (2015), § 38 WpHG Rn. 223, der indes ein Erreichen der Verfassungskonformität im Wege der Auslegung gerade noch für möglich

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

gleichwohl nicht gefolgt.597 Auch seitens der Literatur wird – trotz der angesprochenen Zweifel – in Verbindung mit der Konkretisierung durch § 4 Abs. 1 MaKonV überwiegend eine ausreichende Bestimmbarkeit angenommen, teils jedoch verbunden mit der Forderung nach einer restriktiven Normanwendung.598 Nach § 4 Abs. 1 MaKonV sind „sonstige Täuschungshandlungen“ zunächst einmal „Handlungen oder Unterlassungen, die geeignet sind, einen verständigen Anleger über die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere Angebot und Nachfrage in Bezug auf ein Finanzinstrument, an einer Börse oder einem Markt in die Irre zu führen“. Auch diese Formulierung lässt letztlich noch einen nicht unerheblichen Interpretationsspielraum. Unabhängig von der Frage, ob der Preis bzw. Preisbestandteile überhaupt taugliche Komponente in diesem Zusammenhang sein können,599 erscheint es für die Anwendung auf die LIBOR-Manipulation indes – soweit es nicht um die Täuschung über die eigene Bonität geht, aber dann war wie aufgezeigt ohnehin der speziellere § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 1 WpHG a. F. einschlägig – nicht überzeugend, in dieser eine Täuschungshandlung zu sehen. Für die Wertstellung an sich kommt der Einflussnahme schon deshalb kein Täuschungscharakter zu, weil es hier nicht mehr auf die Vorstellungen der Marktgegenseite ankommt, vielmehr wird auf Grundlage der Daten der bestehende Vertrag ohne weitere Einflussmöglichkeit abgewickelt. Soweit bestehende Future-Kontrakte vor ihrer Wertstellung gehandelt werden, ließe sich zumindest vertreten, aus dem tagesaktuellen Wert könnte sich ein Einfluss auf die Prognose der weiteren Entwicklung entnehmen lassen und somit eine Irreführung über die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse angenommen werden. Jedoch scheint die Aussagekraft für die weitere Zinsentwicklung letztlich begrenzt. Angesichts der aus den genannten Gründen notwendigen restriktiven Anwendung der Vorschrift ist auch in diesen Fällen der Tatbestand nicht als erfüllt anzusehen, so dass die Voraussetzungen des § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 WpHG a. F. insgesamt nicht erfüllt wurden. Sofern also die Anwendung des § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG a. F. abgelehnt werden sollte, würde nach hier vertretener Auffassung auch der Auffangtatbestand zu keinem anderen Ergebnis führen.600

hält; kritisch auch Vogel, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz (2012), § 20a WpHG Rn. 207 f. 597 So ausdr. BGH, Beschl. v. 25. 02. 2016, Rs. 3 StR 142/15, NZG 2016, 751 Rn. 14 ff. 598 So etwa Fleischer, in: Fuchs (Hrsg.), WpHG (2016), § 20a Rn. 72. 599 Hierfür bspw. Vogel, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz (2012), § 20a WpHG Rn. 226. Zweifelnd etwa Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561, 2564. 600 Nicht vertiefter thematisiert werden soll aus Gründen der Schwerpunktsetzung an dieser Stelle ein möglicher Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot der §§ 12 ff. WpHG a. F. Soweit ersichtlich findet dieses in der Diskussion auch allgemein keine vertiefte Berücksichtigung.

II. Anwendbares Kapitalmarktrecht

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c) Zusammenfassung Zusammenfassend zeigt sich, dass im deutschen Kapitalmarktrecht § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG a. F. grundsätzlich einen Ansatzpunkt bieten konnte, einer Referenzwertmanipulation, wie sie im LIBOR-Fall vorgenommen wurde, zu begegnen. Eine Sanktionierung durch die BaFin ist gleichwohl nicht erfolgt. Angesichts des begrenzten Anwendungsbereichs wäre dies auch nur in eingeschränktem Umfang möglich gewesen. Zudem besteht für geschädigte Anleger – mangels Schutzgesetzeigenschaft des § 20a Abs. 1 WpHG a. F. – auch grundsätzlich der Nachteil, dass auch bei Vorliegen eines Verstoßes gegen die Vorschrift keine Anspruchsgrundlage zur Geltendmachung von Schadensersatz zur Verfügung stehen würde. 2. Rechtslage unter der Marktmissbrauchsverordnung a) Europäische Reform des Marktmissbrauchsrechts Mit Wirkung zum 03. 07. 2016 trat die Verordnung 596/2014601 in Kraft, auch als Marktmissbrauchsverordnung bzw. Market Abuse Regulation (MAR) bezeichnet. Durch sie wurden umfangreiche Teile der bisher nationalen Kapitalmarktrechtsregelungen der Mitgliedstaaten – die schon zuvor in Teilen durch die Umsetzung von Richtlinien europäisiert worden waren – unmittelbar auf eine europäische legislative Ebene gehoben. So wurde als Reaktion des deutschen Gesetzgebers auch der bisherige § 20a WpHG a. F. durch das Erste Finanzmarktnovelierungsgesetz602 ersatzlos gestrichen, an seine Stelle ist nunmehr Art. 15 MAR i. V. m. Art. 12 MAR getreten. Der ursprünglich im Referentenentwurf des Gesetzes603 enthaltene Plan, weiterhin eine eigenständige deutsche Marktmanipulationsregelung in § 21 WpHG-E zu erhalten, wurde nicht weiter verfolgt.604 Während der Art. 15 MAR nur eine relativ kurz gehaltene Verhaltensanweisung beinhaltet („Marktmanipulation und der Versuch hierzu sind verboten.“), bietet Art. 12 MAR eine Definition, was unter dem Begriff der Marktmanipulation verstanden wird.605

601 Verordnung 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 4. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/ EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. 2014 L 173, 1. 602 Erstes Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz – 1. FiMaNoG) vom 30. Juni 2016, BGBl. 2016 I S. 1514 ff. 603 Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften aufgrund europäischer Rechtsakte (Finanzmarktnovellierungsgesetz – FiMaNoG) v. 19. 10. 2015. 604 Schmolke, AG 2016, 434, 438 f. Zur Kritik an diesem Entwurf vgl. Bator, BKR 2016, 1, 5. 605 Als einleitende Übersicht zur Neuregelung vgl. z. B. Schmolke, AG 2016, 434, 436 ff.; kompakter etwa Poelzig, NZG 2016, 528, 535 f.

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

Neben der Marktmissbrauchsverordnung trat am 01. 07. 2016 zudem eine speziell für Referenzwerte konzipierte Verordnung in Kraft, die so genannte BenchmarkVO.606 Diese normiert diverse Aufsichts- und Kontrollpflichten für die Anbieter und Ermittler von Referenzwerten. Sie flankiert die MAR also vorrangig durch präventive Maßnahmen, während Letztere in erster Linie ein Sanktionsregime für begangene Verstöße bereitstellt. Verknüpfend normiert schließlich beispielsweise Art. 14 Abs. 1, 2 Benchmark-VO eine Pflicht zur Kontrolle des Systems und der einzelnen Beiträge zum Referenzwert in Bezug auf Verstöße gegen das Marktmanipulationsverbot der MAR.607 b) Folgen für die Bewertung von Referenzwertmanipulationen Der Fall der Manipulation eines Referenzwertes auf Grundlage falscher Datenangaben im Ermittlungsprozess ist nunmehr ausdrücklich in Art. 12 Abs. 1 lit. d) MAR als Marktmanipulation erfasst. Zugleich unterstreicht auch Art. 2 Abs. 2 lit. c) MAR die Einbeziehung dieser Fallgruppe in den Anwendungsbereich des Art. 15 i. V. m. Art. 12 MAR, indem noch einmal ausdrücklich klargestellt wird, dass das Marktmissbrauchsverbot auch für Handlungen in Bezug auf Referenzwerte Anwendung findet. Die Verordnung intendiert einen umfassenden Schutz vor einer Marktbeeinflussung durch die Einflussnahme auf entsprechende Prozesse.608 So heißt es im 44. Erwägungsgrund der MAR: „Das allgemeine Verbot der Marktmanipulation sollte ergänzt werden durch ein Verbot der Manipulation des Referenzwerts selbst sowie der Übermittlung falscher oder irreführender Angaben, der Bereitstellung falscher oder irreführender Ausgangsdaten oder jeglicher sonstiger Handlungen, durch die die Berechnung eines Referenzwerts manipuliert wird, wobei die Bestimmung des Begriffs Berechnung 606 Verordnung (EU) 2016/1011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2014/17/EU sowie der Verordnung (EU) Nr. 596/2014, ABl. 2016 L 171, 1. 607 Vgl. zu den dortigen Regelungen im Einzelnen Feldkamp, RdF 2016, 180, 180 ff.; sowie Spindler, ZBB 2015, 165, 167 ff.; kompakt auch Moloney, EU Securities and Financial Markets Regulation (2014), S. 746 ff. Angesichts des anders gelagerten Schwerpunktes dieser Arbeit wird die Benchmark-VO keine vertiefte Betrachtung erfahren, im Folgenden werden daher allein die Normierungen der MAR untersucht und gegebenenfalls mit bisherigen Regelungen verglichen werden. Sofern die Marktmanipulation von Kontributoren des Benchmark vorgenommen wurde – was vermutlich den Regelfall darstellen dürfte – wird ein Verstoß gegen die MAR häufig auch einen solchen gegen die Benchmark-VO darstellen, da eine vorwerfbare Manipulation regelmäßig auf mangelhafte Compliance im Sinne der Benchmark-VO hindeuten dürfte. Zur Bedeutung von Compliance für die Bewertung nach Art. 15 MAR vgl. Zetzsche, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht (2016), § 7 C. Rn. 67. 608 Kompakt zum Tatbestand des Art. 12 Abs. 1 lit. d) MAR vgl. Zetzsche, in: Gebauer/ Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht (2016), § 7 C. Rn. 78 ff.

II. Anwendbares Kapitalmarktrecht

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weit gefasst ist, so dass sie sich auch auf die Entgegennahme und Bewertung sämtlicher Daten erstreckt, die in Zusammenhang mit der Berechnung des betreffenden Referenzwerts stehen und insbesondere getrimmte Daten einschließen, und auf vollständige algorithmische oder urteilsgestützte Referenzwert-Methoden oder auf Teile davon.“ Mithin wurde somit der Schutz des Marktes vor Referenzwertmanipulation nicht nur in seiner Bedeutung hervorgehoben, auch der Ansatzpunkt der Kontrolle wurde verlagert. Wie aufgezeigt ging es bisher um die Auswirkungen auf von Referenzwerten beeinflusste Finanzinstrumente, seien dies die Aktien des Unternehmens, auf dessen Bewertung der Referenzwert Rückschlüsse erlaubt, oder Derivate, deren Wert an ebendiese gekoppelt war. Nunmehr wird unmittelbar die Einflussnahme auf den Referenzwert als solche untersagt und sanktionierbar gemacht. Somit sind auch gezielt missbräuchlich vorgenommene Warengeschäfte, die in die Messung für Referenzwerte einfließen, die dann wiederum von der MAR erfasste Derivate beeinflussen, nun ausdrücklich verboten.609 Doch nicht nur die tatbestandliche Anpassung erweitert das Schutzniveau in Bezug auf eine Referenzwertmanipulation. Auch der Anwendungsbereich als solcher wurde ausgeweitet und erfasst nunmehr nicht nur überwachte Märkte, sondern nach der in Art. 2 MAR enthaltenen Definition jede organisierte Marktform. Durch die Verknüpfung in Art. 2 Abs. 3 MAR, der auch bloße Auswirkungen auf die von Art. 2 Abs. 1, 2 MAR umfassten Finanzinstrumente unabhängig von der Verortung der zugrundeliegenden Vornahmehandlung als ausreichenden Anknüpfungspunkt zur Anwendung der MAR normiert, beinhaltet dies in gewissem Umfang auch den OTC-Handel.610 Ungeklärt ist unter der MAR bislang die zivilrechtliche Durchsetzbarkeit von Schadensersatzansprüchen geschädigter Anleger gegenüber an Referenzwertmanipulationen beteiligten Finanzinstituten. Wie aufgezeigt fehlte es im deutschen Recht bisher an einer entsprechenden Anspruchsgrundlage, da § 20a WpHG a. F. (wie im Übrigen auch anderen kapitalmarktrechtlichen Verbotsvorschriften) die Einordnung als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verwehrt wurde. Diese Frage dürfte sich für Art. 15 MAR nun auf veränderter Grundlage erneut stellen. Eine von der bisherigen Rechtslage abweichende Einschätzung deutet in dieser Diskussion das deutlich breitere, eher einem Individualschutz zugeneigte Meinungsbild in der Literatur zumindest an.611 609 Zetzsche, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht (2016), § 7 C. Rn. 80. 610 Vgl. Zetzsche, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht (2016), § 7 C. Rn. 59 f. 611 Für einen privatrechtlichen Schadensersatzanspruch etwa Poelzig, ZGR 2015, 801, 829 f.; Hellgardt, AG 2014, 154, 163 ff.; Seibt/Wollenschläger, AG 2014, 593, 607; Tountopoulos, ECFR 2014, 297, 328 f.; Seibt, ZHR 177 (2013) 388, 424 f.; tendenziell wohl auch Zetzsche, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht (2016), § 7 C. Rn. 84; Zetzsche, ZHR 179 (2015) 490, 506 f. Anders hingegen (mit durchaus

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

3. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Möglichkeiten der Sanktionierung im Zuge der Umstellung auf die unmittelbar geltende Marktmissbrauchsverordnung erweitert wurden. Insbesondere wurden Unklarheiten beseitigt; die Anwendbarkeit der Verbotsvorschrift des Art. 15 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 lit. d) MAR auf die Fallgruppe der Referenzwertmanipulation ist eindeutiger gegeben, als dies bisher bei § 20a Abs. 1 WpHG a. F. der Fall war. Auch der Adressatenkreis hat eine Erweiterung erfahren, wobei der reine Freiverkehr letztlich weiterhin nicht erfasst sein dürfte. Die gewünschte Abschreckung dürfte indes auch so sichergestellt werden; denn es wird bei der Einflussnahme auf Referenzwerte regelmäßig zumindest auch eine Auswirkung auf von der MAR unproblematisch erfasste Märkte vorliegen, was für eine Sanktionierung auf aufsichtsrechtlicher Ebene als Anknüpfungspunkt genügen dürfte. Interessant ist in diesem Zusammenhang dann auch die strafrechtliche Dimension für beteiligte Händler. Diese wird durch EU-Marktmissbrauchsrichtlinie (CRIM-MAD)612 vorgegeben, die den Aufsichtsbehörden weitere (strafrechtliche) Sanktionen gegen die Händler ermöglichen soll. Jedenfalls für die Zukunft ist somit eine Grundlage für die kapitalmarktrechtliche Sanktionierung einer Referenzwertmanipulation vorhanden. Auch unter der bisherigen Rechtslage bot das deutsche Kapitalmarktrecht zumindest für eine Fallkonstellation bei LIBOR und EURIBOR, wie hier kursorisch dargestellt wurde, eine wohl durchaus taugliche Ermächtigungsgrundlage, indes mit den genannten Einschränkungen.

III. Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht 1. Einleitung Wie sich gezeigt hat, sind jedenfalls in bestimmten Konstellationen im Fall einer koordinierten Referenzwertmanipulation sowohl das Kartellrecht mit seinem in Art. 101 Abs. 1 AEUV normierten Kartellverbot, als auch das kapitalmarktrechtliche Marktmanipulationsverbot, wie es sich bisher in nationalen Regelungen wie dem § 20a WpHG a. F. und nunmehr in Art. 15 i. V. Art. 12 MAR findet, einschlägig. Berücksichtigt man zudem, dass jedenfalls die Europäische Kommission entgegen der hier vertretenen Auffassung ohnehin die Annahme eines noch weiteren Anwendungsbereich des Kartellverbots zu vertreten scheint, führt dies zu der Frage, in welchem Umfang beide Regelungsregime tatsächlich nebeneinander stehen und guten Gründen) Schmolke, NZG 2016, 721, 722 ff.; offen lassend Wundenberg, ZGR 2015, 124, 134 ff. Letztlich offen lassend, wohl mit Tendenz zu einem differenzierenden Ansatz, Klöhn, in: Kalss/Fleischer/Vogt (Hrsg.), Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2013 (2014), S. 235 f. i. V. m. S. 243 f. 612 Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie), ABl. 2014 L 173, 179.

III. Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht

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angewendet werden können.613 Neben der rechtsdogmatisch wünschenswerten Trennschärfe zweier verschiedener Regelungsbereiche steht hierbei auch das rechtspraktische Interesse der Beteiligten, nicht mehrfach auf verschiedenen rechtlichen Grundlagen für denselben Sachverhalt zur Verantwortung gezogen zu werden. Hieraus ergeben sich verschiedene grundlegende Probleme.614 So aus ökonomischer Sicht Effizienzverluste, die sich aus einer Überkompensation aufgrund der sich gegebenenfalls kumulierenden Sanktionsregime möglicherweise ergeben können.615 Zudem aus juristischer Sicht eine Gefährdung des Grundsatzes ne bis in idem. Daher wird im Folgenden am Beispiel der Referenzwertmanipulation versucht, Ansätze zum Umgang mit dieser zuletzt auch in der Literatur zunehmend in den Fokus gerückten Schnittstelle beider Regelungsregime zu erarbeiten. Hierbei findet auch der fortgeschrittene Stand der vergleichbaren Diskussion in den USA eine zumindest übersichtsmäßige Berücksichtigung.616

613 Vgl. auch LG Braunschweig, Beschl. v. 19. 06. 2013, Rs. 5 O 552/12, NZKart 2013, 380, 381: „Über den von der Beklagten erörterten Fall der Libor-Manipulation hinaus harrt der Überschneidungsbereich von Kapitalmarkt- und Kartellrecht einer grundlegenden Aufarbeitung (…)“. 614 Kritisch zur internationalen Mehrfachverfolgung auch Lim, JECLAP 2013, 87, 90 f., wenngleich mit Fokus auf die rein kartellrechtliche Mehrfachsanktionierung. 615 Zum Vergleich der kapitalmarkt- und kartellrechtlichen Sanktionsmechanismen s. Kämmerer, in: Grundmann/Haar/Merkt u. a. (Hrsg.), FS Hopt II (2010), S. 2050 ff. 616 Vgl. zu der Problematik aus dem Schrifttum allgemein Kling, 120 Yale Law Journal 910 (2010 – 2011); Hovenkamp, 28 J. Corp. L. 607 (2002 – 2003); knapper Problemaufriss auch bei Fleischer, ZGR 2008, 185, 221 ff.; s. a. Zimmer, WuW 2013, 811; Maume, ZHR 180 (2016) 358, 389 f. Insbesondere mit Blick auf die haftungsrechtlichen Folgen auch Schuhmacher, Haftungsfragen im Spannungsfeld zwischen Kapitalmarktrecht und Kartellrecht, in: Leupold (Hrsg.), Forum Verbraucherrecht 2015 (2015), S. 59 ff. Häufig wird die Thematik problemspezifisch erörtert, so etwa zur LIBOR-Manipulation Pascall, 39 World Competition 161 (2016); Fleischer/Bueren, DB 2012, 2561; zur FOREX-Manipulation Hamburger, 21 Int.T.L.R. 120 (2015); zum sog. Cornering nur knapp Thomas, ZWeR 2014, 119, 121 f.; vertiefter Fleischer/Bueren, ZIP 2013, 1253; zu Kopplungs- und Kursstabilisierungsmaßnahmen Bueren, WM 2013, 585; zum sog. Warehousing Bueren/Weck, BB 2014, 67. Hierbei besteht freilich das zusätzliche Problem, dass die unterschiedlichen Sachverhalte verschiedene Säulen des Kartellrechts – also neben dem Kartellverbot auch die Missbrauchsaufsicht bzw. die Fusionskontrolle – tangieren können, die im Detail in ihrer Schutzrichtung in einzelnen Akzentuierungen divergieren können. So besitzt etwa der Ausbeutungsmissbrauch des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV einen stärker individualschützenden Einschlag, als dies wie dargestellt für Art. 101 Abs. 1 AEUVoder auch für die strukturbezogene Fusionskontrolle gilt. Vorliegend soll gleichwohl versucht werden, soweit möglich allgemeine Lösungsansätze aufzuzeigen, ohne dieser Differenzierung im Einzelnen zu folgen. Gegebenenfalls wird der Fokus angesichts des Schwerpunktes der Bearbeitung freilich eher auf dem Kartellverbot liegen.

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

2. Meinungsstand a) US-amerikanischer Rechtskreis In der US-amerikanischen Rechtspraxis wird das Verhältnis von Kapitalmarktund Kartellrecht teils als Konflikt verstanden, der gegebenenfalls zugunsten eines der beiden Regelungsregime aufgelöst werden kann, wobei sich bei Sachverhalten auf dem Kapitalmarkt vorrangig das Kapitalmarktrecht durchsetzen soll.617 Im frühen 20. Jahrhundert hatte der U.S. Supreme Court zunächst in einzelnen Entscheidungen das Kartellrecht unproblematisch auch bei Sachverhalten auf den Kapitalmärkten angewandt.618 Dies geschah indes vor Schaffung eines umfassenden eigenständigen Aufsichtsregimes inklusive der verschiedenen Behörden zu dessen Durchsetzung. Mittlerweile sind jedoch weite Teile des US-amerikanischen Kapitalmarkts entsprechend reguliert.619 In der jüngeren Vergangenheit konnte sich zunehmend das Konzept der sogenannten implied antitrust immunity durchsetzen. Nach diesem soll in Fällen, in denen eine Finanzaufsichtsbehörde auf Grundlage ihrer Ermächtigungen tätig wird bzw. ein Einschreiten bewusst ablehnt, eine kartellrechtliche Sanktionierung zur Vermeidung paralleler, möglicherweise inkonsistenter Entscheidungen im Grundsatz nachrangig sein.620 Diese Entwicklung bestätigte sich in der Entscheidung des U.S. Supreme Court in der Sache Credit Suisse v. Billing.621 In diesem Fall hatten mehrere Anleger gegen ein Bankenkonsortium geklagt, das sich im Rahmen einer Neuemission von Aktien (IPO – Initial Public Offering) über verschiedene Aspekte und Bedingungen für die Erstkäufer abgesprochen hatte. Der U.S. Supreme Court lehnte einen Anspruch der Anleger auf Grundlage des Kartellrechts unter dem Hinweis ab, dass für diese Fälle das Kapitalmarktrecht zugeschnitten und daher eine Anwendung des Kartellrechts ausgeschlossen sei. Die ordentlichen Gerichte, insbesondere unter Berücksichtigung des in den USA in fast allen Staaten geltenden Jury-Systems, seien nicht sachkundig genug, um die komplexe Materie in angemessener Weise auf dem Niveau der Fi617

Vgl. etwa den kurzen Überblick bei Fleischer/Bueren, ZIP 2013, 1253, 1257 f. Chicago Board of Trade v. United States, 246 U.S. 231 (1918); United States v. Patten, 226 U.S. 525 (1913). 619 Zu dieser Entwicklung zusammenfassend Hamburger, 21 Int.T.L.R. 120, 122 ff. (2015). s. a. die kurze Zusammenfassung seiner jüngeren Praxis durch den U.S. Supreme Court in Credit Suisse v. Billing, 127 S.Ct. 2383, 2389 ff. (2007). 620 Vertiefend zu dieser Entwicklung Hovenkamp, 28 J. Corp. L. 607, 628 ff. (2002 – 2003), unter anderem unter Hinweis auf entsprechende unterinstanzliche Entscheidungen. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich dieser Konflikt nicht nur auf das Verhältnis von Kapitalmarktund Kartellrecht beschränkt, sondern in den USA in verschiedenen regulierten Wirtschaftsbereichen – etwa auch dem Telekommunikationssektor – diskutiert wird. 621 Credit Suisse v. Billing, 127 S.Ct. 2383 (2007). Zum Prozess bis zu dieser Entscheidung und für eine Analyse ebendieser s. a. Areeda/Hovenkamp, Antitrust law (2012), S. 33 ff.; Brunell, 78 Antitrust L.J. 279, 282 ff. (2012). 618

III. Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht

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nanzaufsichtsbehörden zu beurteilen. Somit sei das Risiko, dass die auf entsprechender Expertise gründenden behördlichen Entscheidungen voreilig unterlaufen würden, im Verhältnis zu der hohen Bedeutung der Kapitalmärkte für die Gesellschaft unverhältnismäßig groß.622 Zu beachten ist indes, dass diese Auffassung auch in der US-amerikanischen Rechtsprechung wohl nicht die allgemeine Meinung darstellt und weiterhin nur in Einzelfällen tatsächlich zur Anwendung kommt. So sind auch in jüngerer Zeit Entscheidungen ergangen, die durchaus eine Anwendbarkeit des Kartellrechts auch auf kapitalmarktrechtliche Sachverhalte anerkannt haben.623 Auch die Aufarbeitung der LIBOR-Manipulationen hatte von staatlicher Seite einerseits kapitalmarktrechtliche Sanktionen zur Folge, stützte sich andererseits allerdings auch – wie etwa in der Vereinbarung der Deutschen Bank mit dem amerikanischen Justizministerium deutlich wird624 – zumindest auch auf einen Verstoß gegen das im Sherman Act normierte Kartellverbot.625 Insgesamt wäre es also auch unzutreffend, von einem generellen Vorrang des spezielleren Regulierungsrechts vor dem allgemeiner gefassten Kartellrecht im USamerikanischen Recht auszugehen. Indes ist die Möglichkeit einer Vorrangstellung mit Verdrängungswirkung und die durchaus vorhandene Bereitschaft zur Nutzung durch die Rechtspraxis dennoch ein bemerkenswerter Umstand, der zumindest eine Möglichkeit der Auflösung des Regimekonfliktes aufzeigen kann.626 b) Deutsch-europäische Perspektive Im hiesigen Rechtskreis handelt es sich bei der Frage, wie sich Kartell- und Kapitalmarktrecht bei überschneidenden Sachverhalten zueinander verhalten sollen, um eine verhältnismäßig wenig behandelte Problematik. Entsprechend

622

Vgl. Credit Suisse v. Billing, 127 S.Ct. 2383, 2394 ff. (2007). So wurde etwa im Rahmen der Aufarbeitung der FOREX-Manipulationen eine kartellrechtliche Anspruchsgrundlage jedenfalls nicht grundsätzlich ausgeschlossen, In re Foreign Exchange Benchmark Rates Antitrust Litigation, 74 F.Supp.3d 581 (S.D.N.Y 2015). In der USamerikanischen Literatur ist die Frage ebenfalls strittig, vgl. etwa Brunell, 78 Antitrust L.J. 279, 298 ff. (2012). 624 U.S. Department of Justice, Deutsche Bank’s London Subsidiary Agrees to Plead Guilty in Connection with Long-Running Manipulation of LIBOR, 23. 04. 2015, abrufbar unter: https://www.justice.gov/opa/pr/deutsche-banks-london-subsidiary-agrees-plead-guilty-connec tion-long-running-manipulation (geprüft am 23. 11. 2017). 625 Daneben steht die oben (S. 75 ff.) skizzierte Position der unterinstanzlichen Rechtsprechung in diesem Fall, die ihre Ablehnung kartellrechtlicher Ansprüche jedoch nicht auf eine Normenkollision, sondern schlicht auf eine unterstellte Nichtanwendbarkeit des Kartellverbots des Sherman Acts auf diesen Sachverhalt gestützt und keine Aussage über eine mögliche implied antitrust immunity getroffen hat. 626 So finden sich auch durchaus unterstützende Positionen in der Literatur, so etwa Hovenkamp, 28 J. Corp. L. 607, 628 ff. (2002 – 2003). 623

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

haben sich Literatur und auch die Gerichte bisher nur in geringem Ausmaß damit auseinandergesetzt.627 So wurden in der deutschen Rechtsprechung durch das LG Braunschweig und das OLG Stuttgart aus Anlass verschiedener Anlegerklagen kurze Aussagen zu dieser Frage getroffen. Diese reichen von einem bloßen Hinweis auf die Ungeklärtheit des Verhältnisses628 bis zu Zweifeln an einem denkbaren Nebeneinander629, ohne dies jedoch näher zu konkretisieren bzw. rechtlich zu diskutieren. Hierbei wird auch auf die US-amerikanische Rechtspraxis Bezug genommen, indes zutreffend darauf hingewiesen, dass diese nur eingeschränkte Aussagekraft für die Beantwortung dieser Frage nach deutschem und europäischem Recht besitzen kann.630 Die europäische Rechtsprechung hat, soweit ersichtlich, bisher keine Gelegenheit ergriffen, vertiefter auf das Verhältnis von Kapitalmarkt- und Kartellrecht einzugehen. Vorhanden sind jedoch einzelne jüngere Entscheidungen zur Anwendung des Kartellrechts auf dem Telekommunikationssektor. Dort hatten die sanktionierten Unternehmen erfolglos versucht, sich auf die ihrer Ansicht nach abschließende Regulierung durch die sektorspezifischen (nationalen) Regelungen zu berufen, die eine Anwendung des Kartellrechts – dort Art. 102 AEUV – ausschließen würde.631 Für das Verhältnis zum Kapitalmarktrecht hat der EuGH bisher keine eindeutige Aussage getroffen. Eine generelle Bereichsausnahme des Kartellrechts für den Bankensektor betreffende Sachverhalte hat er mit Verweis auf die insoweit abschließende Sonderregelung des Art. 106 Abs. 2 AEUV jedoch abgelehnt.632

627

Zur Literatur schon die Nachweise oben in Fn. 616. So LG Braunschweig, Beschl. v. 19. 06. 2013, Rs. 5 O 552/12, NZKart 2013, 380, 381. 629 OLG Stuttgart, Urt. v. 26. 03. 2015, Rs. 2 U 102/14, WM 2015, 875, 875: „Das Landgericht konnte offen lassen, ob das Kartellrecht auf den Wertpapiermarkt überhaupt anwendbar ist. Wäre, was nach Auffassung des Senats dem Wesen des Wertpapiermarktes widerspräche, die Anwendbarkeit zu bejahen (…)“. 630 LG Braunschweig, Beschl. v. 19. 06. 2013, Rs. 5 O 552/12, NZKart 2013, 380, 382: „Ob die Abstimmung kartell- und kapitalmarktrechtlicher Wertungen in Deutschland und Europa ähnlich oder abweichend ausfällt und ob die Begründung des Supreme Court für den Vorrang kapitalmarktrechtlicher Regelungen, Kartellgerichte könnten womöglich Entscheidungen treffen, welche dem reibungslosen Funktionieren der Kapitalmärkte zuwiderliefen (Credit Suisse Securities v. Billing, 127 S. Ct. 2383, 2392 (2007)), auf das deutsche und europäische Recht übertragbar ist, ist noch zu entscheiden (…)“. Eine Übertragbarkeit entsprechender Erkenntnisse offenlassend EuG, Urt. v. 29. 03. 2012, Rs. T-398/07, ECLI:EU:C:T:2012:173 Rn. 55 – Telefónica. 631 EuGH, Urt. v. 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, ECLI:EU:C:2010:603 Rn. 80 ff. – Deutsche Telekom; EuG, Urt. v. 29. 03. 2012, Rs. T-398/07, ECLI:EU:C:T:2012:173 Rn. 56 – Telefónica. 632 EuGH, Urt. v. 14. 07. 1981, Rs. 172/80, ECLI:EU:C:1981:178 Rn. 6 f. – Züchner/Bayrische Vereinsbank. Vgl. auch bereits oben S. 63 ff. Hieraus ist indes nicht zwingend eine allgemeine Stellungnahme für das Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht zu sehen. Zum einen ist schon zu hinterfragen, ob der EuGH in dieser Entscheidung die ganze Tragweite des Normkonfliktes berücksichtigen wollte, zum anderen macht das Bankrecht auch nur einen Teilaspekt des Kapitalmarktrechts aus. So auch Zetzsche, ZHR 179 (2015) 490, 505. 628

III. Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht

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Überwiegend gegen eine Bereichsausnahme und somit für ein Nebeneinander beider Regime sprechen sich schließlich die Stimmen in der Literatur aus, die sich zumindest etwas differenzierter mit der Frage auseinandergesetzt haben.633 Dabei sei ein Zurücktreten des Kartellrechts nach US-amerikanischem Vorbild schon aufgrund der europäischen Normenhierachie schwierig zu begründen. Denn die Art. 101, 102 AEUV sind als Primärrecht dem höchstens als Sekundärrecht ausgestalteten Kapitalmarktrecht, wie es nun durch die MAR normiert wird, vorrangig. Jedenfalls sei eine Ausschlusswirkung des Sekundärrechts für primärrechtliche Regelungen nicht anzunehmen.634 Zuweilen wird, unter Hinweis auf die skizzierte US-amerikanische Rechtspraxis, aber ebenso vertreten, das Kartellrecht müsse im Falle einer Anwendbarkeit des Kapitalmarktrechts regelmäßig hinter diesem als lex specialis zurücktreten.635 3. Einzelprobleme und mögliche Lösungsansätze a) Grundsätzlich parallele Anwendung Letztlich scheint das Problem in der Praxis weniger komplex, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Zutreffend ist insoweit, dass hier grundsätzlich zwei Regelungsregime aufeinander treffen, die sich in ihrem Anwendungsbereich in Teilen überschneiden können. Die Lösung in Form einer Immunity nach US-amerikanischem Vorbild kann indes nicht überzeugen. Zum einen scheitert dies schon an der angesprochenen Normenhierachie. Die Annahme eines Vorrangs des Kapitalmarktrechts ist schon vor diesem Hintergrund kaum begründbar. Hierbei ist auch zu beachten, dass das europäische Kartellrecht mit der Unterstützung der Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes bzw. der Sicherung seiner Funktionsfähigkeit ein zentrales Unionsziel verfolgt.636 Eine überzeugende Begründung für ein Zurücktreten einer aus diesem Grund durchaus bedeutenden primärrechtlichen Regelung hinter Verordnungsrecht ist nicht erkennbar. Die Fälle der Nichtanwendbarkeit des Kartellverbots sind insoweit in dem 633

Schuhmacher, Haftungsfragen im Spannungsfeld zwischen Kapitalmarktrecht und Kartellrecht, in: Leupold (Hrsg.), Forum Verbraucherrecht 2015 (2015), S. 63 ff.; Zetzsche, ZHR 179 (2015) 490, 504 ff.; Bueren, WM 2013, 585, 595; Fleischer/Bueren, ZIP 2013, 1253, 1263. 634 Vgl. zum Vorrang des Primärrechts EuG, Urt. v. 29. 03. 2012, Rs. T-398/07, ECLI:EU:C:T:2012:173 Rn. 55 – Telefónica; EuG, Urt. v. 14. 12. 1995, Rs. T-285/94, ECLI:EU:T:1995:214 Rn. 51 – Pfloeschner/Kommission; EuG, Urt. v. 10. 07. 1990, Rs. T-51/ 89, ECLI:EU:T:1990:41 Rn. 25 – Tetra Pak; Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV (2016), Art. 288 AEUV Rn. 8; Geismann, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht (2015), Art. 288 AEUV Rn. 25. 635 Mock, in: Hirte/Möllers (Hrsg.), Kölner Kommentar zum WpHG (2014), §20a Rn. 89. 636 Vgl. bspw. EuGH, Urt. v. 20. 09. 2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 Rn. 20 – Courage; Immenga/Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Einl EU B Rn. 17 ff. s. a. bereits oben S. 61 f.

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

eng gefassten Rahmen des Art. 106 Abs. 2 AEUV grundsätzlich abschließend geregelt. Eine besondere Bereichsausnahme aufgrund überschneidender Sachverhalte ist daher schon aus systematischen Gründen kaum überzeugend darstellbar. Die Standpunkte in der US-amerikanischen Rechtsprechung – und auch das Meinungsbild der dortigen Literatur – können schon aufgrund dieser Besonderheiten lediglich Anregungen zur hiesigen Diskussion bieten. Soweit der Schutzbereich beider Normregime berührt wird, sind entsprechend auch Regelungen beider Bereiche zur Anwendung zu bringen. Angesichts der besonderen Ausgestaltung der Kapitalmärkte ist sorgfältig zu untersuchen, ob es sich bei einem bestimmten Sachverhalt tatsächlich um ein wettbewerbsrechtliches Problem im kartellrechtlichen Sinne handelt, das durch dessen Normen geregelt bzw. sanktioniert werden sollte. Entsprechend darf – nur weil ein Nebeneinander nicht generell ausgeschlossen ist – das Kartellrecht nicht als Anspruchsgrundlage für Fälle herangezogen werden, die eigentlich nicht in seinen Anwendungsbereich fallen. Nach hier vertretener Ansicht ist Art. 101 Abs. 1 AEUV bereits tatbestandlich nur eingeschränkt auf die Manipulation der Referenzzinsen anwendbar, insbesondere soweit es die Beeinflussung der Wertstellung von Derivatskontrakten betrifft. Das Problem einer Normkollision stellt sich nur, soweit tatsächlich eine Konstellation vorliegt, in der Normen beider Regelungsregime tatbestandlich zur Anwendung kommen können.637 Notwendig wäre entsprechend eine angemessen zurückhaltende Anwendung insbesondere des Kartellrechts, was allerdings nicht mit einer Nichtanwendung bei eigentlich gegebener Tatbestandsmäßigkeit gleichzusetzen ist. Die Art. 101, 102 AEUV stellen jedoch keine Auffangtatbestände für Fälle dar, die von ihre Thematik her eigentlich das Kapitalmarktrecht erfassen sollte, für die es allerdings – etwa aufgrund innovativer Methodiken der Manipulatoren – noch keine ausreichenden Eingriffsmöglichkeiten bietet. b) Keine Sperrwirkung durch Freistellung Hinsichtlich einzelner Aspekte ergeben sich bei der Annahme eines Nebeneinanders von Kartell- und Kapitalmarktrecht jedoch gleichwohl offene Fragen. So 637 Vgl. auch Bueren, WM 2013, 585, 592 f., der für den Fall der Kursstabilisierung bei der Neuemission von Aktien die Anwendung des Art. 101 Abs. 1 AEUV in Ermangelung des Vorliegens einer Wettbewerbsbeschränkung ablehnt und in diesen Fällen daher ebenfalls kein Problem bzgl. des Verhältnisses des Kartellrechts zum Kapitalmarktrecht sieht. Soweit die Normen des jeweiligen Rechtsgebiets andere Voraussetzungen haben, schließen sie sich nicht gegenseitig aus, sie kommen nur gegebenenfalls nicht beide zur Anwendung. Entsprechend stützt auch Hovenkamp im US-amerikanischen Recht seine Ablehnung der Anwendung des Kartellrechts auf kapitalmarktrechtliche Sachverhalte vorrangig auf eine grundsätzliche Nichtanwendbarkeit des Kartellrechts angesichts der geringen Marktmacht der Beteiligten, vgl. Hovenkamp, 28 J. Corp. L. 607, 611 ff. (2002 – 2003). Dies könnte man im europäischen Recht ebenso auf tatbestandlicher Ebene zu berücksichtigen, sei es im Rahmen des Art. 101 Abs. 1 AEUV durch das Kriterium der Spürbarkeit oder bei Art. 102 AEUV noch offensichtlicher durch das Tatbestandsmerkmal der marktbeherrschenden Stellung.

III. Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht

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etwa, ob das Kapitalmarktrecht Fälle sanktionieren kann, die von dem Kartellverbot durch Art. 101 Abs. 3 AEUV freigestellt wurden. Zweifel könnten hieran aufkommen, wenn man sich die oben thematisierte Normenhierachie in Erinnerung ruft. Wenn das Kartellrecht als Primärrecht im Rang höher steht, könnte dies dagegen sprechen, dass seine Entscheidung zur Nichtsanktionierung eines Sachverhalts im Wege der Freistellung durch einen Eingriff auf Grundlage des Kapitalmarktrechts quasi unterlaufen werden kann. Dieser Gedanke stellt jedoch keinen durchdringenden Einwand dar. Schon der Wortlaut des Art. 101 Abs. 3 AEUV macht deutlich, dass sich diese Ausnahme nur auf den Art. 101 Abs. 1 AEUV bezieht. Allein das dort normierte Kartellverbot kann bei Erfüllung der Voraussetzungen für eine Freistellung für nicht anwendbar erklärt werden.638 Jedenfalls wenn der Schutzzweck der Verbotsnormen nicht identisch ist, erscheint es nicht angebracht, die speziell zugeschnittene Ausnahmenormierung in ihrer Wirkung über ihren natürlichen Anwendungsbereich zu erstrecken. Insofern soll Art. 101 AEUVauch insgesamt nur die Wettbewerbsfreiheit schützen und nicht – wie dies in Art. 101 Abs. 3 AEUV nur ausnahmsweise geschieht – eine grundsätzliche Effizienzberücksichtigung im Rahmen einer ergebnisorientierten Betrachtung fördern. Dies wäre allerdings mögliche Konsequenz einer Anwendung der Ausnahmeregelung über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus. Entsprechend kann eine nach Art. 101 Abs. 3 AEUV freigestellte Vereinbarung gegebenenfalls missbräuchlich nach Art. 102 AEUV sein.639 Wenn aber schon innerhalb der Regelungen des Kartellrechts eine Sperrwirkung abzulehnen ist, muss dies erst recht für solche Sanktionen gelten, die auf eine externe Rechtsgrundlage gestützt werden. 638 EuG, Urt. v. 10. 07. 1990, Rs. T-51/89, ECLI:EU:T:1990:41 Rn. 25 – Tetra Pak. Ähnl. Thomas, WuW 2010, 177, 182. Für eine Anwendung des Art. 101 Abs. 3 AEUVauf § 138 BGB indes Nordemann, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff u. a. (Hrsg.), Kartellrecht (2016), Art. 101 Abs. 3 AEUV Rn. 213, allerdings aus fallspezifischen Erwägungen. 639 Für Gruppenfreistellungsverordnungen bereits EuG, Urt. v. 10. 07. 1990, Rs. T-51/89, ECLI:EU:T:1990:41 Rn. 25 f. – Tetra Pak; Wolf, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Art. 101 AEUV Rn. 1012; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), § 16 Rn. 25; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Art. 102 AEUV Rn. 28; wohl auch EuGH, Urt. v. 11. 04. 1989, Rs. 66/86, ECLI:EU:C:1989:140 Rn. 37 – Ahmed Saeed Flugreisen; a. A. etwa Schröter/Bartl, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht (2015), Art. 102 AEUV Rn. 38 ff.; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 56. EL Stand: April 2015, Art. 102 AEUV Rn. 27, nach denen bei einer Missbräuchlichkeit nach Art. 102 AEUV eine Freistellung von Art. 101 Abs. 1 AEUV durch Art. 101 Abs. 3 AEUVausscheidet. Bei der Diskussion ist im Übrigen die Umstellung auf das System der Legalausnahme durch die VO 1/2003 zu berücksichtigen. Das Argument des durch eine Einzelfreistellung begründeten besonderen Vertrauens ist nun nicht mehr stichhaltig. Aus diesem Grund sprach sich das EuG zuvor noch gegen eine parallele Anwendung bei erfolgter Einzelfreistellung aus, vgl. EuG, Urt. v. 30. 09. 2003, Rs. T-191/98, ECLI:EU:T:2003:245 Rn. 1459 ff. – Atlantic Container Line. Praktisch werden die Voraussetzungen der Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV regelmäßig ohnehin höchstens im Fall einer Gruppenfreistellung erfüllt sein, bei Einzelfreistellungen scheint dies kaum denkbar. Vgl. ausführlicher Wolf, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Art. 101 AEUV Rn. 1010 ff.

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

c) Das Verbot der Doppelbestrafung – ne bis in idem Praktisch besteht bei der konkreten behördlichen Verfolgung von Verstößen der hier untersuchten Art das Problem eines möglichen over-enforcement, sofern mehrere Aufsichtsbehörden auf Grundlage ihrer jeweiligen Ermächtigungsgrundlage tätig werden, die sich gegebenenfalls mit der von anderen Regulatoren überschneiden kann.640 Entsprechendes kann bei einer koordinierten Marktmanipulation – wie dies bei der LIBOR-Manipulation im Grundsatz angenommen wurde – relevant werden. Aufgrund der gemeinschaftlichen Begehung können gegebenenfalls sowohl kartellrechtliche Sanktionen begründet werden, als auch aufgrund der Auswirkungen auf den Kapitalmarkt ein Vorgehen der Finanzaufsichtsbehörden motiviert werden. Dies wirft die Frage nach der Verhältnismäßigkeit verhängter Sanktionen bei einer Strafkumulierung im Allgemeinen und damit thematisch teils zusammenhängend die Berücksichtigung des den ein Verbot einer hoheitlichen Doppelverfolgung bzw. -bestrafung für dasselbe Vergehen formulierenden Grundsatzes ne bis in idem auf.641 aa) Verhältnismäßigkeit der kumulierten Sanktionen Im Grundsatz muss sich jede der tätig werdenden Behörden innerhalb des ihr zur Vermeidung einer im Verhältnis zum Fehlverhalten unbilligen Strafhöhe gesetzten Rahmens bewegen.642 Sofern hierbei allerdings die parallel auf anderer Rechtsgrundlage verhängten Strafen unberücksichtigt bleiben, kann sich in der Summe eine Sanktionshöhe kumulieren, die über den schuldangemessenen Rahmen hinaus-

640 Unter dem Begriff des over-enforcements soll in diesem Zusammenhang die im Verhältnis zum Verstoß übermäßig harte Sanktionierung verstanden werden, nicht die zum Teil ebenfalls unter dem Begriff behandelte fälschliche Sanktionierung von eigentlich unbedenklichen Sachverhalten. 641 Auch der Broker ICAP hat seine Klage vor dem EuG gegen die gegen ihn verhängte Bußgeldentscheidung unter anderem auf einen Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem gestützt, vgl. EuG, Urt. v. 10. 11. 2017, Rs. T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795 Rn. 39 – ICAP. Das EuG hat die Entscheidung jedoch bereits aufgrund einer mangelhaften Begründung der Bußgeldberechnung aufgehoben und sich daher nicht zu diesem Aspekt geäußert. Die Europäische Kommission selbst hatte eine Anrechnung anderweitiger Sanktionen in ihrer Entscheidung ausdrücklich abgelehnt, Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 312 – YIRD. 642 Für das europäische Kartellrecht normiert Art. 23 Abs. 2 S. 2 VO 1/2003 insofern eine maximale Strafhöhe von 10 % des vorangegangenen Jahresumsatzes. Hierzu knapp bspw. Nowak, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff u. a. (Hrsg.), Kartellrecht (2016), Art. 23 VO 1/2003 Rn. 11. s. a. EuGH, Urt. v. 28. 06. 2005, Rs. C-189/02 P u. a., ECLI:EU: C:2005:408 Rn. 281 – Dansk Rørindustri: Die Begrenzung soll „(…) überhöhte und unverhältnismäßige Geldbußen verhindern (…)“. Kapitalmarktrechtlich beträgt die nun geltende Höchststrafe gegenüber juristischen Personen für einen Verstoß gegen Art. 15 MAR in Umsetzung der Vorgaben des Art. 30 Abs. 2 lit. j) lit. i) MAR gem. § 39 Abs. 3d Nr. 2 i. V. m. Abs. 4a S. 2 Nr. 1 WpHG bis zu 15 Millionen Euro bzw. (sofern dieser Wert höher sein sollte) 15 % des Gesamtumsatzes des Vorjahres.

III. Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht

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geht.643 Somit könnte die Strafe letztlich in Konflikt mit dem für das europäische Recht in Art. 5 Abs. 4 EUV ausdrücklich normierten und allgemein anerkannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geraten.644 Eine solche Strafe könnte das betroffene Unternehmen in seiner weiteren Wettbewerbsfähigkeit im Verhältnis zum Fehlverhalten unbillig behindern, in Extremfällen möglicherweise sogar seine finanziellen Mittel übersteigen.645 Die Vermeidung überkompensatorischer Strafen und die damit verbundene unbillige Belastung des Bestraften ist auch ein wichtiger Rechtsgrund für das Verbot der Doppelbestrafung.646 Dieses wird im Folgenden, auch aufgrund seines umfassenderen Schutzes für die Betroffenen, zunächst im Mittelpunkt stehen. Auf die Bedeutung der Verhältnismäßigkeit wird dann im entsprechenden Kontext zurückzukommen sein. bb) Konflikt mit dem Grundsatz ne bis in idem (1) Ne bis in idem im europäischen Recht Wie bereits erwähnt, ist die Frage der Verhältnismäßigkeit mit der Problematik einer Doppelbestrafung verbunden. Sie wird behandelt unter der Formel ne bis in idem, die ein Verbot einer solchen Mehrfachsanktionierung formuliert. Hierbei handelt es sich um ein wichtiges Prinzip der Rechtsordnung, das bereits im römischen Recht anerkannt war, wenngleich ohne eine entsprechende Bezeichnung.647 Im deutschen Recht wird es in Art. 103 Abs. 3 GG als Verfassungsprinzip ausdrücklich garantiert.648 643 Vgl. zum Erfordernis Schuldangemessenheit der Strafe (im deutschen) Bußgeldrecht etwa Achenbach, WuW 1997, 393, 395 f. 644 Zum Inhalt des europäischen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der auch die exekutiven Institutionen der Union bindet etwa Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV (2016), Art. 5 EUV Rn. 44 f. 645 Kritisch daher Huizing, 3 JAENFO 173, 188 ff. (2015), der darüber hinaus auch auf die Problematik der Mehrfachsanktionierung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten durch die jeweils zuständige Behörde hinweist. In gewissen (engen) Grenzen erkennt die Europäischen Kommission den Einwand der existenzgefährdenden Belastung zwar durchaus an, vgl. Europäische Kommission, Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003, Abl. 2006 C 210, 2 Rn. 35. Ein grundsätzlicher Anspruch auf Ermäßigung oder Erlass einer Geldbuße aufgrund finanzieller Schwierigkeiten der Betroffenen wird seitens der Rechtsprechung jedoch abgelehnt, vgl. etwa EuGH, Urt. v. 29. 06. 2006, Rs. C-308/04 P, ECLI:EU:C:2006:433 Rn. 105 – SGL Carbon AG. 646 Zusammenfassend etwa Liebau, „Ne bis in idem“ in Europa (2005), S. 58. 647 Für einen kurzen rechtshistorischen Überblick vgl. etwa Mayer, Ne-bis-in-idem-Wirkung europäischer Strafentscheidungen (1992), S. 15 ff. 648 Hierzu etwa Nolte/Aust, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (2018), Art. 103 GG Rn. 173 ff. Dieser gilt auch im Verhältnis von deutschem Recht zu Entscheidungen europäischer Organe, s. hierzu für Kartellstrafen schon BGH, Urt. v. 17. 12. 1970, Rs. KRB 1/70, BGHSt 24, 54 S. 57 f. Zur Entwicklung und Ausgestaltung in anderen

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

Auf europäischer Ebene hat der Grundsatz verschiedentliche Kodifizierung gefunden. So in Art. 50 GRCh, der eine erneute Verfolgung oder Bestrafung aufgrund einer innerhalb der Union bereits abgeurteilten „Straftat“ verbietet. Daneben auch als Grundrecht in Art. Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls der EMRK, der eine erneute Sanktion für eine „strafbare Handlung“ untersagt, allerdings nur innerhalb eines Staates. Zu beachten ist, dass etwa die englischen Sprachfassungen von EMRK und GRCh einheitlich von „offence“ sprechen. Insofern ist die Aussagekraft der unterschiedlichen Formulierungen in der deutschen Fassung zurückhaltend zu bewerten. Schließlich verbietet auch Art. 54 SDÜ eine Verfolgung durch eine Vertragspartei für „dieselbe Tat“, wenn diese bereits in einem anderen Mitgliedstaat abgeurteilt wurde.649 Zu berücksichtigen ist die zumindest formal unterschiedliche Bindungswirkung dieser Bestimmungen. So hat die GRCh in Art. 6 Abs. 1 EUV ein den Verträgen gleichrangigen Status zugewiesen bekommen und bindet daher sowohl die Behörden der Mitgliedstaaten als auch die Unionsorgane selbst unmittelbar. Demgegenüber ist die Bindung an die EMRK de lege lata teils nur mittelbarer Natur. So haben zum einen nicht alle Mitgliedstaaten das hier relevante Zusatzprotokoll unterzeichnet bzw. ratifiziert.650 Zum anderen ist auch die Europäische Union, ungeachtet der in Art. 6 Abs. 2 EUV formulierten Vorgabe, der EMRK bisher nicht beigetreten. Dennoch ist zumindest von einer mittelbaren Wirkung auszugehen. Denn Art. 6 Abs. 3 EUV erklärt die EMRK zumindest zu allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts. Zudem gebietet auch Art. 52 Abs. 3 S. 1 GRCh eine Berücksichtigung der EMRK bei Auslegung entsprechender Rechte innerhalb der Charta. Dies wird durch Art. 52 Abs. 7 GRCh noch verdeutlicht, der allerdings zugleich eine Einschränkung dieser Berücksichtigung auf einen „gebührenden“ Umfang enthält.651 Art. 54 SDÜ schließlich gilt nur im Verhältnis nationaler Behörden der Mitgliedstaaten, also eigentlich nicht für Maßnahmen von Organen der Europäischen Union.

europäischen Staaten ausführlicher Mansdörfer, Das Prinzip des ne bis in idem im europäischen Strafrecht (2004), S. 61 ff. 649 Näher zu den unterschiedlichen Begriffen und dem damit einhergehenden möglichen Unterschied in der Bedeutung s. EGMR, Urt. v. 10. 02. 2009, Rs. 14939/03 Rn. 79 – Zolothukin/ Russia. Der EGMR versteht die begriffliche engere Formulierung der EMRK (und damit einhergehend angesichts des Homogenitätsgebot des Art. 52 GRCh auch die der Charta) in demselben weiten Sinne, wie es das SDÜ zum Ausdruck bringt. Hierzu sogleich vertiefter. Knapp zu weiteren Verankerungen des Grundsatzes und seiner allgemeinen Anerkennung im EU-Recht auch Nazzini, 2 JAENFO 270, 271 f. (2014). 650 Nicht ratifiziert wurde das 7. Zusatzprotokoll der EMRK bisher durch Deutschland und die Niederlande. Das Vereinigte Königreich hat das Protokoll nicht unterzeichnet. Daneben haben verschiedene Staaten Vorbehalte geltend gemacht. 651 Nicht behandelt wird an dieser Stelle die in diesem Zusammenhang für Betroffene möglicherweise relevante Frage, ob Unionsorgane wie die Europäische Kommission gegebenenfalls wegen eines Verstoßes gegen die EMRK auch ohne Beitritt der EU zu dieser vor dem EGMR verantwortlich gemacht werden können.

III. Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht

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Unabhängig von der Frage einer normativen Herleitung ist der Grundsatz ne bis in idem im Unionsrecht auch durch den EuGH jedenfalls verschiedentlich als allgemeines Rechtsprinzip anerkannt worden;652 wie sich sogleich zeigen wird allerdings in durchaus divergierender Ausgestaltung. So hat der Gerichtshof insbesondere zu Art. 54 SDÜ und der Prüfung des Vorliegens eines idem, also der Frage nach der Identität der Sache, mehrfach Stellung genommen. Hierzu hat er geurteilt, entscheidend sei die „(…) Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorliegen eines Komplexes konkreter, unlösbar miteinander verbundener Umstände (…)“653. Dies sei anzunehmen, wenn die Umstände einen „(…) Komplex von Tatsachen darstellen, die in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck unlösbar miteinander verbunden sind (…)“654. Abgestellt wird – neben der Übereinstimmung der Adressaten – also allein auf die Identität der Handlung. Für kartellrechtliche Sachverhalte vertritt der EuGH gleichwohl eine hiervon abweichende Interpretation, welche im Folgenden noch dargestellt wird. Auch in der Rechtsprechung des EGMR wurde ne bis in idem wiederholt thematisiert. Dabei fanden sich zum idem zunächst ebenfalls durchaus verschiedene, inhaltlich uneinheitliche Interpretationsansätze.655 Dieser von dem Gerichtshof auch selbst erkannten Problematik begegnete er in der Sache Zolothukin v. Russia mit einer die Normauslegung harmonisierenden Entscheidung.656 Hiernach ist im Rahmen von Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls der EMRK bei der Bestimmung der Identität der Sache allein der jeweilige Sachverhalt zu berücksichtigen, konkreter „(…) those facts which constitute a set of concrete factual circumstances involving the same defendant and inextricably linked together in time and space.“657 Nicht ankommen kann es nach Ansicht des EGMR hingegen auf eine Identität der verletzten Schutzgüter, was er zuvor noch vereinzelt vertreten hatte.658

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So in kartellrechtlichen Verfahren etwa EuGH, Urt. v. 29. 06. 2006, Rs. C-308/04 P, ECLI:EU:C:2006:433 Rn. 36 – SGL Carbon AG; EuGH, Urt. v. 15. 10. 2002, Rs. C-238/99 P, C-244/99 P, C-245/99 P, C-247/99 P, C-250/99 P – C-252/99 P u. C-254/99 P, ECLI:EU:C:2002:582 Rn. 59 – Limburgse Vinyl Maatschappij u. a. Anerkannt hat der EuGH das Prinzip als solches auch schon deutlich früher, vgl. EuGH, Urt. v. 05. 05. 1966, Rs. 18 u. 35/ 65, ECLI:EU:C:1966:24 – Gutmann. 653 EuGH, Urt. v. 18. 07. 2007, Rs. C-367/05, ECLI:EU:2007:444 Rn. 26 – Kraaijenbrink; EuGH, Urt. v. 28. 09. 2006, Rs. C-467/04, ECLI:EU:C:2006:610 Rn. 54 – Gasparini; EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006, Rs. C-436/04, ECLI:EU:C:2006:165 Rn. 36 – Van Esbroeck. 654 EuGH, Urt. v. 18. 07. 2007, Rs. C-367/05, ECLI:EU:2007:444 Rn. 27 – Kraaijenbrink; EuGH, Urt. v. 28. 09. 2006, Rs. C-467/04, ECLI:EU:C:2006:610 Rn. 56 – Gasparini; EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006, Rs. C-436/04, ECLI:EU:C:2006:165 Rn. 38 – Van Esbroeck. 655 s. hierzu die der Harmonisierung vorangehende Darstellung bei EGMR, Urt. v. 10. 02. 2009, Rs. 14939/03 Rn. 70 ff. – Zolothukin/Russia. 656 EGMR, Urt. v. 10. 02. 2009, Rs. 14939/03 – Zolothukin/Russia. 657 EGMR, Urt. v. 10. 02. 2009, Rs. 14939/03 Rn. 84 – Zolothukin/Russia. 658 EGMR, Urt. v. 10. 02. 2009, Rs. 14939/03 Rn. 81 – Zolothukin/Russia.

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

(2) Ne bis in idem im kartellrechtlichen Kontext (a) Kartellrechtliche Doppelbestrafung innerhalb der EU659 Im Grundsatz findet das Prinzip ne bis in idem auch bei kartellrechtlichen Sanktionen Berücksichtigung, wie sie die Europäische Kommission bei einem Verstoß gegen des Kartellverbot gem. Art. 23 Abs. 2 VO 1/2003 verhängen kann.660 Dies gilt zutreffenderweise ungeachtet des in Art. 23 Abs. 5 VO 1/2003 festgehaltenen fehlenden (kriminal)strafrechtlichen Charakters dieser Norm.661 Bei der praktischen Anwendung geht der EuGH jedoch von einer Bestimmung des idem aus, die von der zuvor vorgestellten und von ihm selbst bezüglich des Art. 54 SDÜ vertretenen Auffassung abweicht. Erforderlich für das Vorliegen einer Identität sollen hiernach drei Voraussetzungen sein: Ein Übereinstimmen des Sachverhalts, der Person des bzw. der Sanktionierten sowie – und an dieser Stelle verengt sich der Ansatz gegenüber dem zuvor Dargestellten – des geschützten Rechtsguts der angewandten Norm.662 659 Im Folgenden wird der Aspekt der Mehrfachsanktionierung durch aufsichtsbehördliches Handeln analysiert. Daneben stellen sich vergleichbare Fragen in Bezug auf eine Kumulation von behördlichen Sanktionen und privatrechtlichen Schadensersatzforderungen. Zu dieser Thematik eingehender Poelzig/Bauermeister, NZKart 2017, 491 ff. sowie NZKart 2017, 568 ff. 660 EuGH, Urt. v. 29. 06. 2006, Rs. C-289/04 P, ECLI:EU:C:2006:431 Rn. 50 – Showa Denko; EuGH, Urt. v. 15. 10. 2002, Rs. C-238/99 P, C-244/99 P, C-245/99 P, C-247/99 P, C-250/ 99 P – C-252/99 P u. C-254/99 P, ECLI:EU:C:2002:582 Rn. 59 – Limburgse Vinyl Maatschappij u. a. 661 Ausführlicher hierzu etwa Yomere, Die Problematik der Mehrfachsanktionierung von Unternehmen im EG-Kartellrecht (2010), S. 45 ff.; Liebau, „Ne bis in idem“ in Europa (2005), S. 35 ff.; kompakt Poelzig/Bauermeister, NZKart 2017, 491, 494. Für eine zumindest strafähnliche Natur und die Geltung der entsprechenden Verfahrensgarantien auch Sura, in: Langen/ Bunte (Hrsg.), Kartellrecht (2018), Art. 23 VO 1/2003 Rn. 6; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht (2012), Art. 23 VO 1/2003 Rn. 328 f.; GA Kokott, Schlussanträge v. 08. 09. 2011, Rs. C-17/10, ECLI:EU:C:2011:552 Rn. 48 – Toshiba; a. A. jedoch anscheinend Schneider/Engelsing, in: Bornkamm/Montag/Säcker (Hrsg.), MüKo WettbR (2015), Art. 23 VO 1/2003 Rn. 33; zurückhaltender wohl auch Chmeis, NZKart 2016, 564, 565. 662 EuGH, Urt. v. 14. 02. 2012, Rs. C-17/10, ECLI:EU:C:2012:72 Rn. 97 – Toshiba; EuGH, Urt. v. 07. 01. 2004, Rs. C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P u. C-219/ 00 P, ECLI:EU:C:2004:6 Rn. 338 – Aalborg Portland u. a. Vorgeschlagen wurde das zusätzliche Kriterium durch GA Ruiz-Jarabo, der hinsichtlich des Art. 54 SDÜ im Übrigen ebenfalls auf dieses verzichtet, vgl. GA Ruiz-Jarabo, Schlussanträge v. 11. 02. 2003, Rs. C-213/00, ECLI:EU:C:2003:84 Rn. 89 – Italcementi, sowie hingegen zu Art. 54 SDÜ GA Ruiz-Jarabo, Schlussanträge v. 20. 10. 2005, Rs. C-436/04, ECLI:EU:C:2005:630 Rn. 46 f. – Van Esbroeck. Teils wurde auch schon der vorherigen Rechtsprechung des EuGH eine Zielidentität als Voraussetzung für eine Sperrwirkung entnommen, vgl. etwa EuG, Urt. v. 09. 07. 2003, Rs. T-223/ 00, ECLI:EU:T:2003:194 Rn. 100 – Kyowa Hakko. Auch in Bezug auf die durch ihn abgelehnte Sperrwirkung für Sanktionen von Drittstaaten führt der EuGH die unterschiedlichen Schutzgüter als Gegenargument an, vgl. EuGH, Urt. v. 29. 06. 2006, Rs. C-308/04 P, ECLI:EU: C:2006:433 Rn. 31 – SGL Carbon AG. Diesbezüglich argumentiert er allerdings insgesamt grundsätzlicher, subsumiert also nicht ausdrücklich unter ein entsprechend zuvor aufgestelltes Kriterium. Zur Berücksichtigung drittstaatlicher Sanktionen sogleich auf S. 178.

III. Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht

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Schon unter der alten Kartellverfahrensordnung VO 17/1962663 hat der EuGH für das Verhältnis von Sanktionen von nationalen Wettbewerbsbehörden auf Grundlage von nationalen Kartellgesetzen zu solchen seitens der Europäischen Kommission eine materielle Sperrwirkung abgelehnt und lediglich ein Anrechnungsgebot aus allgemeinen Billigkeitserwägungen für bereits verhängte Kartellsanktionen für die Europäische Kommission angenommen.664 Er begründete dies seinerzeit mit der besonderen Zuständigkeitsverteilung der Kartellverfahrensregelungen auf nationaler und europäischer Ebene im Rahmen der Europäisierung des Kartellrechts. Bezüglich der nunmehr geltenden VO 1/2003 verfolgt der EuGH nun den bereits skizzierten Ansatz. Unter grundsätzlicher Anerkennung des Grundsatzes ne bis in idem in wettbewerbsrechtlichen Verfahren, wenngleich unter der Ausgestaltung des idem in der genannten Weise unter Forderung einer Schutzgutidentität, lehnte er das Vorliegen der erforderlichen Kriterien in den genannten Fällen ab. Insbesondere der Verwendung dieser zusätzlichen Voraussetzung begegnet verschiedentliche Kritik aus der Literatur, in der eine einheitliche Auslegung unter Verzicht auf dieses zusätzliche, als zu restriktiv qualifizierte Merkmal gefordert wird.665 Auf diesen Standpunkt stellte sich mit ausführlicher Begründung auch Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen in der Sache Toshiba.666 Der EuGH hielt in diesem Fall dennoch an seinem Verständnis fest, was er – bemerkenswerterweise ohne dass dieser Punkt entscheidungserheblich gewesen wäre667 – ausdrücklich in dem Urteil festhielt.668 663

Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages, ABl. 1962 L 13, 204. 664 EuGH, Urt. v. 13. 02. 1969, Rs. 14/68, ECLI:EU:C:1969:4 Rn. 11 – Walt Wilhelm. Zutreffenderweise kann in einem Anrechnungsgebot grundsätzlich keine (abgeschwächte) Ausprägung eines Doppelbestrafungsverbots gesehen werden. Zu diesem Unterschied zwischen Erledigungs- und Anrechnungsprinzip s. etwa Mayer, Ne-bis-in-idem-Wirkung europäischer Strafentscheidungen (1992), S. 63. 665 Huizing, 3 JAENFO 173, 196 (2015); Nazzini, 2 JAENFO 270, 284 ff. (2014); Brammer, EuZW 2013, 617, 619; Vervaele, Utrecht Law Review 2013, 211, 228. Klees, WuW 2006, 1222, 1229 f. sieht den Grund für die extensivere Anwendung bei Art. 54 SDÜ in der „(…) fehlenden Harmonisierung der Strafrechtssysteme (…)“. Dies ist allerdings nicht überzeugend; gerade bei stark harmonisierten Rechtssystemen scheint ein konsequent anwendbares Verbot der Doppelbestrafung umso mehr angezeigt. Zudem bleibt unklar, wieso der EuGH dann auch auf das Verhältnis von US-amerikanischem bzw. kanadischem Kartellrecht zum europäischen Recht das zusätzliche Kriterium einfordert. Der EuGH führt das Kriterium der fehlenden Harmonisierung insofern zwar selber als Argument für sein weites Verständnis des Art. 54 SDÜ an, den Unterschied zur Interpretation des idem im Wettbewerbsrecht vermag dies allerdings nicht zu erklären. Zur diesbezüglichen Argumentation des EuGH s. etwa EuGH, Urt. v. 09. 03. 2006, Rs. C-436/04, ECLI:EU:C:2006:165 Rn. 35 – Van Esbroeck. Für eine gewisse Unterscheidung allerdings wohl auch GA Sharpston, Schlussanträge v. 15. 06. 2006, Rs. C-467/04, ECLI:EU: C:2006:406 Rn. 155 ff. – Gasparini. 666 GA Kokott, Schlussanträge v. 08. 09. 2011, Rs. C-17/10, ECLI:EU:C:2011:552 Rn. 117 ff. – Toshiba. 667 Hierauf hinweisend etwa Nazzini, 2 JAENFO 270, 285 (2014). Selbiges galt im Übrigen ebenso für die Entscheidung zum Zementkartell, in der dieses Kriterium eingeführt wurde. Dort

178

E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

(b) Kartellrechtliche Doppelbestrafung durch die Europäische Kommission und Drittstaaten Noch zurückhaltender als hinsichtlich der Berücksichtigung nationaler Kartellsanktionen durch Mitgliedstaaten sind EuG und EuGH hinsichtlich der Beachtung von Entscheidungen aus Drittstaaten, also Ländern die kein Mitglied der EU sind. In der Praxis betrifft dies insbesondere Entscheidungen der US-amerikanischen Wettbewerbsbehörden. In diesen Fällen hat die europäische Rechtsprechung einen Ausschluss einer erneuten Sanktionierung oder auch nur eine Pflicht zur Berücksichtigung von durch Behörden aus Drittstaaten verhängten Strafen abgelehnt.669 Hierbei wird im Wesentlichen mit den unterschiedlichen Schutzzielen argumentiert; der unverfälschte Wettbewerb im Binnenmarkt einerseits, der Schutz des drittstaatlichen Marktes andererseits.670 Darüber hinaus wird darauf verwiesen, dass eine Berücksichtigung schon angesichts der unterschiedlich ausgestalteten Rechtssysteme nicht in Betracht kommen kann.671 Auch eine Anrechnung aus Billigkeitsgründen wurde seitens der Rechtsprechung bisher nicht anerkannt, was insbesondere mit der unterschiedlichen Einbeziehung räumlicher Auswirkungen als Grundlage der jeweiligen Entscheidung begründet wurde.672 Hierbei wird seitens der Gerichte regelmäßig auf die fehlende völkerrechtliche Verpflichtung für eine solche Berücksichtigung hingewiesen.673

lehnte der EuGH die Anwendung von ne bis in idem schon aufgrund fehlender Sachverhaltsidentität ab. Auch vor diesem Hintergrund ist die dort erfolgte Einführung des zusätzlichen Kriteriums der Schutzgutidentität bemerkenswert. 668 EuGH, Urt. v. 14. 02. 2012, Rs. C-17/10, ECLI:EU:C:2012:72 Rn. 97 – Toshiba. 669 EuGH, Urt. v. 09. 07. 2015, Rs. C-231/14 P, ECLI:EU:C:2015:451 Rn. 75 – InnoLux; EuGH, Urt. v. 29. 06. 2006, Rs. C-308/04 P, ECLI:EU:C:2006:433 Rn. 26 ff. – SGL Carbon AG; entspr. in derselben Sache auch EuGH, Urt. v. 29. 06. 2006, Rs. C-289/04 P, ECLI: EU:C:2006:431 Rn. 52 ff. – Showa Denko; so auch EuG, Urt. v. 18. 06. 2008, Rs. T-410/03, ECLI:EU:T:2008:211 Rn. 601 – Hoechst; EuG, Urt. v. 27. 09. 2006, Rs. T-43/02, ECLI: EU:T:2006:270 Rn. 287 ff. – Jungbunzlauer. 670 EuGH, Urt. v. 29. 06. 2006, Rs. C-308/04 P, ECLI:EU:C:2006:433 Rn. 31 – SGL Carbon AG, allerdings ohne ausdrücklich unter ein entsprechendes Kriterium zu subsumieren. Eindeutiger auf dieses Bezug nehmend aber etwa EuG, Urt. v. 27. 09. 2006, Rs. T-43/02, ECLI:EU:T:2006:270 Rn. 285 ff. – Jungbunzlauer; ähnl. EuG, Urt. v. 28. 09. 2006, Rs. T-59/02, ECLI:EU:T:2006:272 Rn. 63 – Archer Daniels Midland. Zuvor unter Bezugnahme auf frühere EuGH-Rechtsprechung auch schon EuG, Urt. v. 09. 07. 2003, Rs. T-223/00, ECLI:EU: T:2003:194 Rn. 99 ff. – Kyowa Hakko. 671 EuGH, Urt. v. 29. 06. 2006, Rs. C-308/04 P, ECLI:EU:C:2006:433 Rn. 29 – SGL Carbon AG. 672 So schon EuGH, Urt. v. 14. 12. 1972, Rs. 7/72, ECLI:EU:C:1972:125 Rn. 5 f. – Boehringer. Die Beweislast für den Umfang der räumlichen Berücksichtigung der Erstsanktion wird hierbei den Unternehmen auferlegt, vgl. etwa EuG, Urt. v. 09. 07. 2003, Rs. T-223/00, ECLI:EU:T:2003:194 Rn. 112 – Kyowa Hakko. 673 EuGH, Urt. v. 29. 06. 2006, Rs. C-308/04 P, ECLI:EU:C:2006:433 Rn. 33 f. – SGL Carbon AG.

III. Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht

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(3) Ne bis in idem im Verhältnis des Kartellrechts zu anderen Regelungsbereichen (a) Status quo Wie soeben aufgezeigt, vertritt die europäische Rechtsprechung im Wettbewerbsrecht einen restriktiven Standpunkt hinsichtlich der Anwendung von ne bis in idem und somit der Annahme eines Verfolgungshindernisses für bereits anderweitig verfolgte Kartellverstöße. Dies mag sich insbesondere mit der hohen Bedeutung erklären, die dem europäischen Kartellrecht bei der Verwirklichung des Binnenmarktes zugewiesen wird, was zu einer Zurückhaltung bei der Annahme von möglichen Ansatzpunkten für eine Nichtanwendung führt. Vor diesem Hintergrund ist wohl nicht zu erwarten, dass es zu einer generellen Anerkennung einer Pflicht zur Berücksichtigung anderweitiger Sanktionen auf Grundlage fremder Regelungsregime in Form einer vollständigen Verfolgungsverhinderung im Sinne des Erledigungsprinzips kommen wird. Jedenfalls das vom EuGH geforderte Kriterium des identischen Schutzgegenstandes wird in dieser Sachverhaltskonstellation regelmäßig nicht vorliegen, so dass auf Grundlage dieses Prüfungsrahmens eine Anwendung ohnehin ausgeschlossen scheint. Entsprechend hat die Europäische Kommission bei der Bestrafung des Brokers ICAP für seine Beteiligung an den Referenzzinsmanipulationen eine Berücksichtigung der durch die Finanzaufsichtsbehörden verhängten Strafen abgelehnt, allerdings ohne dies ausdrücklich unter dem Stichwort ne bis in idem zu diskutieren. Tätig geworden war einerseits die amerikanische CFTC, anderseits die britische FCA. Begründet hat sie dies mit den unterschiedlichen Zielen, die durch die verschiedenen Regelungsregime, auf welche die Aufsichtsbehörden ihr Vorgehen stützen, verfolgt werden.674 Hierbei beruft sie sich auf die Rechtsprechung des EuG in der Sache Kyowa Hakko,675 welche allerdings eigentlich eher das Verhältnis von Kartellsanktionen der EU zu solchen aus Drittstaaten thematisiert.676 Zu einer vergleichbaren Konstellation hatte sich die Europäische Kommission zuvor 2011 in der Sache Telekomunikacja Polska geäußert. Sie hatte dort ihre Bereitschaft erklärt, Sanktionen von anderen Aufsichtsbehörden – in der Entscheidung betraf dies die polnische Telekommunikationsaufsichtsbehörde – bei der Bußgeldbemessung zu berücksichtigen. Dabei hatte sie allerdings klargestellt, dass nach ihrer Auffassung aufgrund des Nichteingreifens des ne bis in idem-Grundsatzes in Anknüpfung an die skizzierte Rechtspraxis eine rechtliche Verpflichtung hierzu nicht bestehe.677 674

Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 312 – YIRD. Das EuG hat die Bußgeldentscheidung aus anderen Gründen aufgehoben und sich daher nicht mit den durch ICAP in Bezug auf einen Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem vorgebrachten Argumenten befasst, vgl. EuG, Urt. v. 10. 11. 2017, Rs. T-180/15, ECLI:EU:T:2017:795 – ICAP. 675 EuG, Urt. v. 09. 07. 2003, Rs. T-223/00, ECLI:EU:T:2003:194 – Kyowa Hakko. 676 Hierzu soeben auf S. 178. 677 Europäische Kommission, Entsch. v. 22. 06. 2011, COMP/39.525 Rn. 142 – Telekomunikacja Polska (insoweit nicht abgedruckt in ABl. 2011 C 324, 7).

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

Keine Probleme in Bezug auf eine mehrfache Sanktionierung der Referenzzinsmanipulation durch Finanzaufsicht und Kartellbehörde sahen im Übrigen auch die Aufsichtsbehörden in der Schweiz. Dort wurden sowohl die FINMA auf kapitalmarktrechtlicher Grundlage als auch die WEKO auf Basis des Kartellrechts tätig und verhängten Bußgelder in zweistelliger Millionenhöhe.678 Die WEKO stellt in einer Pressemitteilung auch ausdrücklich heraus, dass sich der Gegenstand der Verfahren unterscheide. Während die Finanzaufsicht Verstöße gegen Verhaltenspflichten in internen Abläufen bei Akteuren auf den Kapitalmärkten in den Blick nehme, läge der Fokus der WEKO auf den äußeren Auswirkungen auf den wirksamen Wettbewerb.679 Entsprechend scheinen die Schweizer Behörden keinen Konflikt in der simultanen Verfolgung der Vorfälle gesehen zu haben. Auch eine Anrechnung anderer Strafen wurde, soweit ersichtlich, nicht thematisiert. (b) Stellungnahme zum Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht Im Ergebnis erscheint eine Nichtanwendung des Grundsatzes ne bis in idem in diesem Kontext auch ohne den Lösungsweg über die Schutzgutverletzung begründbar; dies zumindest für das Verhältnis von europäischem Kartellrecht und dem Kapitalmarktrecht unter der MAR. Wie nun aufgezeigt werden soll, unterscheidet sich diese Konstellation von der klassischen Situation der Doppelverfolgung in bestimmten Aspekten und die für eine Anwendung von ne bis in idem auf das Verhältnis von europäischem und nationalem Kartellrecht streitenden Gründe können daher nicht ohne Weiteres übertragen werden, So nennt Nazzini vier grundlegende Argumente für die Geltung von ne bis in idem im Wettbewerbsrecht auf europäischer Ebene, die im Folgenden (in leicht geänderter Abfolge) als Grundlage für eine nähere Analyse dienen sollen: den individualrechtlichen Aspekt, die Sicherung der Freizügigkeit, die Sicherung der Anerkennung der Legitimität des Hoheitsträgers und die Selbstdisziplinierung der Behörde.680 Vor diesem Hintergrund lässt sich eine Sperrwirkung einer kartellbehördlichen Entscheidung für weitere kartellrechtliche Sanktionen durchaus überzeugend begründen. In der hier untersuchten Konstellation gelten diese Argumente indes nur eingeschränkt. 678 WEKO, WEKO büsst Banken wegen Teilnahme an Yen LIBOR/Euroyen TIBORKartellen, 21. 12. 2016, abrufbar unter: https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attach ments/46698.pdf (geprüft am 23. 11. 2017); WEKO, WEKO büsst das Schweizer Franken LIBOR-Kartell, 21. 12. 2016, abrufbar unter: https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/at tachments/46692.pdf (geprüft am 23. 11. 2017); FINMA, LIBOR: FINMA schliesst Verfahren gegen UBS und zieht unrechtmässige Gewinne ein, 19. 12. 2012, abrufbar unter: https://www. finma.ch/de/news/2012/12/mm-ubs-libor-20121219/ (geprüft am 23. 11. 2017). 679 WEKO, Presserohstoff zu den fünf verschiedenen Verfahren: Schweizer Franken LIBOR, Spread auf Schweizer Franken-Zinsderivaten, EURIBOR, Yen LIBOR/Euroyen TIBOR und Yen TIBOR, 21. 12. 2016, S. 5, abrufbar unter: https://www.newsd.admin.ch/ newsd/message/attachments/46696.pdf (geprüft am 23. 11. 2017). 680 Nazzini, 2 JAENFO 270, 279 ff. (2014).

III. Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht

181

Dies gilt zunächst für die Sicherung der Freizügigkeit innerhalb der Union, die nicht nur für die EU-Bürger als Individuen, sondern im Rahmen einer Wirtschaftsunion auch für Unternehmen sichergestellt werden soll.681 Dieser Aspekt ist insbesondere Hintergrund der Einführung von Art. 54 SDÜ.682 Durch das Überschreiten von nationalen Grenzen und der damit verbundenen Unterwerfung unter verschiedene Rechtsordnungen soll kein Nachteil durch eine Kumulierung von Sanktionen entstehen. Denn eine alternative unilaterale Möglichkeit für die Betroffenen, um eine Mehrfachbestrafung durch nationale Behörden verschiedener Staaten bzw. durch Unionsorgane zu vermeiden, wäre eine Beschränkung der Tätigkeit auf einen einzelnen nationalen Markt. Dies liefe der in Art. 3 Abs. 3 EUV normierten Zielsetzung der Errichtung eines Binnenmarktes innerhalb der Europäischen Union jedoch zuwider. Die Konstellation im Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht ist nun jedoch eine andere. Hier erhöht sich das Risiko der Sanktionierung nicht kausal durch das Überschreiten der räumlichen Normregimegrenzen. Eine Mehrfachbestrafung wäre auch allein innerhalb eines einzelnen Staates denkbar. Das Risiko erwächst vielmehr aus der Tätigkeit auf besonders geschützten Märkten. Ebenso ist eine Gefährdung der Anerkennung der Legitimität des Handelns der Hoheitsträger durch eine Doppelverfolgung nicht ohne Weiteres erkennbar. Angesichts des durchaus erkennbar anders gelagerten Tatvorwurfs erscheint das Vorgehen mehrerer Behörden für den Betroffenen nicht etwa willkürlich, sondern bleibt im Rahmen des Nachvollziehbaren. Hierbei ist zudem zu bedenken, dass bei einer strikten Anwendung des ne bis in idem Grundsatzes auch ein Freispruch bzw. eine vergleichbare behördliche Entscheidung eine erneute Verfolgung für eine Handlung ausschließen würde.683 Dies mag für eine erneute kartellrechtliche Prüfung angesichts des angeglichenen Prüfungsmaßstabes überzeugen, für die sich von ihren Tatbestandsvoraussetzungen regelmäßig stark unterscheidenden Normen des Kartell- und Kapitalmarktrechts gilt dies jedoch nicht in einer hiermit vergleichbaren Form.684 So kann ein Fehlen einer Koordinierung im Rahmen von Art. 101 Abs. 1 681

GA Kokott, Schlussanträge v. 08. 09. 2011, Rs. C-17/10, ECLI:EU:C:2011:552 Rn. 118 – Toshiba. 682 Näher zur Teleologie, insbesondere von Art. 54 SDÜ, Plöckinger/Leidenmühler, wistra 2003, 81, 85 f. 683 Zumindest aus kartellrechtlicher Perspektive würde dieses Ergebnis in der Praxis gleichwohl durch den Umstand gemildert, dass zumindest die europäische Kommission trotz der in Art. 10 VO 1/2003 verankerten Möglichkeit bisher keine ausdrückliche Entscheidung über die Nichtanwendbarkeit des Art. 101 Abs. 1 AEUV getroffen hat, Anweiler, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff u. a. (Hrsg.), Kartellrecht (2016), Art. 10 VO 1/2003 Rn. 7. Praktisch relevanter erschiene eine solche Feststellungswirkung hingegen bei Aufhebung einer kartellbehördlichen Sanktionierung durch EuG bzw. EuGH. 684 Für rein kartellrechtliche Sachverhalte hat die Rechtsprechung im Übrigen festgestellt, dass nationale Behörden nicht zur Feststellung der Nichtanwendbarkeit von europäischem Kartellrecht befugt seien, so dass die Konstellation auch dort in der Praxis keine große Rolle spielen kann. So EuGH, Urt. v. 03. 05. 2011, Rs. C-375/09, ECLI:EU:C:2011:270 Rn. 22 ff. – Tele2 Polska; EuG, Urt. v. 25. 11. 2014, Rs. T-402/13, ECLI:EU:T:2014:991 Rn. 30 – Orange.

182

E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

AEUV oder einer marktmächtigen Stellung bei Art. 102 AEUV keinen Rückschluss auf die Voraussetzungen des Marktmanipulationsverbots nach Art. 15 i. V. m. Art. 12 MAR (und umgekehrt) bieten. Ein Verfolgungshindernis für die jeweils andere Behörde bei augenscheinlichem Vorliegen der für ihre Ermächtigungsgrundlage erforderlichen Kriterien würde die Legitimität ihres Handels und das Vertrauen der Marktakteure in die Sicherung durch den Hoheitsträger empfindlich beeinträchtigen. Auch der Aspekt der Selbstdisziplinierung der Behörden vermag schließlich nicht zu überzeugen. Dies schon vor dem Hintergrund, als dass es diesbezüglich eher um eine Sperrung erneuter Verfolgung durch dieselbe Behörde geht. Wenn wie in der hier untersuchten Konstellation unterschiedliche Behörden tätig werden, verfängt dieses Argument nicht. Auch hier gilt vielmehr das Gegenteil. Wenn man davon ausgeht, dass das Verhängen einer Sanktion jede weitere Bestrafung oder Verfolgung ausschließen würde, bestünde die Gefahr eines „Wettlaufs“ der Aufsichtsbehörden, um den konkreten Fall selbst aufarbeiten zu können. Denn die öffentliche Sanktionierung ist durchaus mit einem gewissen Prestige für den Vollstrecker verbunden. Strafzahlungen an die Europäische Kommission stellen im Übrigen einen nicht unerheblichen Posten im Haushalt der EU dar. Bei einer solchen Konkurrenzsituation bestünde möglicherweise das Risiko einer zu oberflächlichen Prüfung zum Erzielen schneller Ergebnisse. Bestehen bleibt freilich der durchaus tragende Aspekt des Individualschutzes vor einer unbilligen Straflast durch Addition der Sanktionen. Um diesen zu gewährleisten erscheint die Anwendung von ne bis in idem jedoch nicht unbedingt zwingend. Vielmehr dürfte man diesen letztlich als Ausfluss des allgemein anerkannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verstehen können.685 Die Begrenzung der Rechtsfolgen für ein Vergehen auf einen verhältnismäßigen Rahmen ließe sich indes auch sicherstellen, wenn man allein eine Anrechnungspflicht fordert. Wie bereits erwähnt, handelt es sich dabei streng genommen nicht um eine Variante des Verbots der Doppelbestrafung.686 Ein Nachteil für die Betroffenen wäre etwa die Notwendigkeit der parallelen Verteidigung gegen verschiedene Vorwürfe unterschiedlicher Behörden, wobei auch bei einer Strafreduzierung auf Null regelmäßig keine Kostenerstattung bei festgestellter Schuld erfolgen würde. Dieses Risiko erscheint den betroffenen Unternehmen jedoch zumutbar, zumal diese mit der koordinierten Verwirklichung von Kapitalmarktsdelikten auch ein Mehr an Unrecht begehen, 685 Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Grenze im Falle einer Nichtanwendung des Doppelbestrafungsverbots auf europäischer Ebene s. a. Kuck, WuW 2002, 689, 695 ff. Zur Beschränkung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im deutschen Recht bei Nichtanwendung des in Art. 103 Abs. 3 GG verankerten ne bis in idem Prinzips auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 30. EL Stand: Dezember 1992, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 276 f. Vgl. für das deutsche Recht auch BGH, Urt. v. 17. 12. 1970, Rs. KRB 1/70, BGHSt 24, 54 S. 60 f., wonach auch bei Nichtanwendbarkeit des Grundsatzes des Verbots der Doppelbestrafung eine Anrechnungsverpflichtung in Bezug auf für eine Tat bereits ergangene Sanktionen aus dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit folgt. 686 Van Bockel, The Ne Bis in Idem Principle in EU Law (2010), S. 33 ff.

III. Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht

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anders als etwa bei potenzieller Doppelsanktionierung von Kartellverstößen, die sich allein durch die geographische Ausdehnung in ihrer Intensität unterscheiden. Zu beachten ist hierbei auch das Schutzbedürfnis der Marktgegenseite. So stellt beispielsweise bereits die bloße Feststellung eines Kartellverstoßes, auch ohne Ahndung durch ein Bußgeld, schon einen Mehrwert für diese dar. Denn dieser behördlichen Feststellung kommt, wie etwa § 33 Abs. 4 S. 1 GWB für das deutsche Recht normiert, gegebenenfalls eine Bindungswirkung für die Geltendmachung von privatrechtlichen Schadensersatzansprüchen zu. Daneben wäre es freilich auch allgemein einer kohärenten Rechtsentwicklung zuträglich, wenn bestimmte Praktiken auf ihre rechtliche Relevanz im jeweiligen Kontext geprüft und bewertetet würden. Dieser Ansatz lässt sich dogmatisch also durchaus legitimieren. Wenig überzeugend ist hierbei der Versuch, das Prinzip ne bis in idem durch das Hinzufügen zusätzlicher Kriterien für eine Anwendung auf den Einzelfall zuzuschneiden bzw. diese gerade zu verhindern. Hier wäre es wünschenswert, wenn auch der EuGH sich klarer dazu bekennen würde, dass er das Prinzip in bestimmten Konstellationen aus grundsätzlichen Gründen für nicht anwendbar hält, es im Grundsatz dann bei Anwendung aber konsistent auslegt. Vorliegend ließe sich eine Nichtanwendung auch unter Bezugnahme auf die Unterschiedlichkeit der Sachverhalte begründen. Hierfür streitet der bereits kurz angesprochene Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit.687 Bei der Bewertung am Maßstab des Kartellverbots liegt dieser bei der Koordinierung als Ausgangspunkt der wettbewerbsschädlichen Wirkung. Demgegenüber fokussiert sich das Kapitalmarktrecht stärker auf die tatsächliche Markteinwirkung, setzt also gedanklich etwas später an. Dieser Gedanke dürfte angesichts des, wie dargestellt, weit gefassten Tatbestandsverständnisses seitens des EGMR und im Rahmen von Art. 54 SDÜ auch des EuGH gleichwohl zur Begründung der Nichtanwendung des Grundsatzes ne bis in idem nicht zwingend sein. Jedoch ist zu bedenken, dass sich die Doppelverfolgung bei einer Überschneidung von Kartell- und Kapitalmarktrecht in erster Linie aus der besonderen Spezifität der Regelungsbereiche ergibt; diese macht eine Verfolgung durch eine spezialisierte Behörde mit entsprechender Sachkunde erforderlich und zweckdienlich, während etwa die strafrechtliche Verfolgung grundsätzlich bei einer Stelle gebündelt erfolgen kann. Überzeugend wäre bei einer Nichtanwendung von ne bis in idem jedoch jedenfalls die Übertragung des Anrechnungsprinzips als Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, so wie es in der Vergangenheit bei einer überschneidenden Anwendung von nationalem und europäischem Kartellrecht zu einer entsprechenden

687 Für eine strenge Anwendung des Grundsatzes auch bei in ihren Schutzgütern noch deutlicher anders gelagerten Ermächtigungsgrundlagen und unterschiedlichen Aufsichtsbehörden jedoch Mansdörfer, Das Prinzip des ne bis in idem im europäischen Strafrecht (2004), S. 228 ff.

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

Anrechnung der anderweitig angeordneten Strafzahlung aus Billigkeitsgründen geführt hat.688 Grundsätzlich erscheint es naheliegend, entsprechend bei Sanktionen durch Finanzaufsichtsbehörden vorzugehen. In den Entscheidungen der Europäischen Kommission zur Referenzzinsmanipulation fanden sich gleichwohl keine entsprechenden Ausführungen, die auf eine Berücksichtigung der anderweitig zu entrichtenden Strafen – insbesondere an die britische FSA – schließen lassen. Hinsichtlich des Brokers ICAP hat sie diese vielmehr ausdrücklich abgelehnt,689 im eine andere Thematik betreffenden Fall Telekomunikacja Polska, unter Betonung der fehlenden rechtlichen Verpflichtung hierzu, hingegen zugestanden.690 Auch unabhängig von diesen Einzelfällen wäre im Übrigen insgesamt eine verstärkte Rechtssicherheit wünschenswert, insbesondere vor dem Hintergrund, dass durch die MAR und die sie begleitenden Richtlinien, wie etwa MiFiD II, sowohl – wie für die Marktmanipulation am Beispiel der Referenzzinsmanipulation kurz skizziert – der finanzaufsichtsrechtliche Zuständigkeitsbereich, als auch der Sanktionsrahmen gegenüber der vorherigen Rechtslage noch einmal erheblich erweitert wurden.691 Es erscheint auch nicht überzeugend, dies der Behörde anheim zu stellen. Vielmehr ergibt sich eine entsprechende Pflicht aus dem allgemein gültigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wie er auf europäischer Ebene in Art. 5 Abs. 4 EUV normiert ist.692 Dies könnte und sollte normativ noch einmal klargestellt werden, um den Geltungsanspruch dieses Prinzips zu verdeutlichen. Einzelne Mitgliedstaaten haben bereits eine entsprechende Einschränkung ihrer Wettbewerbsbehörden mit Blick auf parallele Sank688 EuGH, Urt. v. 14. 12. 1972, Rs. 7/72, ECLI:EU:C:1972:125 Rn. 3 – Boehringer; EuGH, Urt. v. 13. 02. 1969, Rs. 14/68, ECLI:EU:C:1969:4 Rn. 11 – Walt Wilhelm; EuG, Urt. v. 27. 09. 2006, Rs. T-322/01, ECLI:EU:T:2006:267 Rn. 279 – Roquette Frères; Nowak, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff u. a. (Hrsg.), Kartellrecht (2016), Art. 23 VO 1/2003 Rn. 49; Kienapfel, in: Schröter/Jakob/Klotz u. a. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht (2014), Art. 23 VO 1/2003 Rn. 16. Für das deutsche Recht auch BGH, Urt. v. 17. 12. 1970, Rs. KRB 1/ 70, BGHSt 24, 54 S. 60 f. Für eine Verrechnung von aufsichtsrechtlichen Sanktionen und privatrechtlichen Schadensersatzzahlungen auf Grundlage des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch Poelzig/Bauermeister, NZKart 2017, 568, 568 ff. 689 Europäische Kommission, Entsch. v. 04. 02. 2015, Case AT.39861 Rn. 312 – YIRD. 690 Europäische Kommission, Entsch. v. 22. 06. 2011, COMP/39.525 Rn. 142 – Telekomunikacja Polska (insoweit nicht abgedruckt in ABl. 2011 C 324, 7). 691 Die bisherige Höchststrafe für juristische Personen in Deutschland lag bei einem Verstoß gegen das Verbot der Marktmanipulation aus § 20a WpHG a. F. gem. § 39 Abs. 1 Nr. 1, 2, Abs. 2 Nr. 11 i. V. m. Abs. 6 WpHG a. F. i. V. m. § 30 Abs. 2 S. 2 OWiG bei einer Million Euro. Nunmehr beträgt die Höchststrafe gegenüber juristischen Personen für einen Verstoß gegen Art. 15 MAR in Umsetzung der Vorgaben des Art. 30 Abs. 2 lit. j) lit. i) MAR gem. § 39 Abs. 3d Nr. 2 i. V. m. Abs. 4a S. 2 Nr. 1 WpHG bis zu 15 Millionen Euro bzw. (sofern dieser Wert höher sein sollte) 15 % des Gesamtumsatzes des Vorjahres bzw. darüber hinaus eine Geldbuße in dreifacher Höhe der aus dem Verstoß gezogenen Vorteile. Letztlich liegt die potenzielle Strafandrohung nunmehr also sogar über dem für Kartellverstöße greifenden Strafrahmen. 692 Zum Inhalt s. etwa Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV (2016), Art. 5 EUV Rn. 44.

III. Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht

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tionen vorgenommen.693 So normiert beispielsweise für das englische Kartellrecht § 38 Abs. 9 Competition Act 1998 eine Pflicht zur Berücksichtigung in derselben Sache bereits verhängter Bußgelder.694 Im deutschen Recht wäre die Überlegung möglich, ob sich eine solche Pflicht nicht ebenfalls bereits mittelbar aus der strafrechtlichen Pflicht zur Anrechnung drittstaatlicher Strafen gem. § 51 Abs. 3 StGB ergibt, der entsprechend auch für das OWiG-Verfahren angewandt werden könnte, sofern man Unionsorgane als entsprechende drittstaatliche Stelle qualifizierte.695 Dies würde dann zumindest für die BaFin als nationale Finanzaufsichtsbehörde gelten. Sofern man eine solche Pflicht annehmen oder eine Verpflichtung jedenfalls in Übertragung der bereits angesprochenen Teerfarben-Entscheidung696 der Rechtsprechung des BGH entnehmen würde, würde das Fehlen einer entsprechenden Verpflichtung auf europäischer Ebene freilich weitere Probleme aufwerfen. Denn ansonsten wäre zwar der BaFin die Verhängung eines entsprechenden Bußgeldes verwehrt, sofern die Europäische Kommission zuvor bereits auf kartellrechtlicher Grundlage tätig geworden wäre. Im umgekehrten Fall wäre die Europäische Kommission nicht gehindert, trotz einer zuvor ergangenen Entscheidung einer nationalen Aufsichtsbehörde ein ungekürztes Bußgeld zu verhängen. Ein solches, fast zufälliges Ergebnis wäre angesichts der Bedeutung für die Betroffenen kaum hinnehmbar. Eine ausdrückliche Regelung ähnlich dem § 51 Abs. 3 StGB könnte zumindest ein Vorbild für vergleichbare Regelungen auf europäischer Ebene sein, dann jedoch ausdrücklich erweitert auf Maßnahmen anderer Aufsichtsbehörden, soweit sich der Sachverhalt als identisch im Sinne der zu Art. 54 SDÜ entwickelten Definition darstellen sollte. Wünschenswert wäre darüber hinaus eine regimeübergreifende behördliche Kooperation, wie sie intern etwa zwischen den Kartellbehörden im Rahmen des ECN bereits stattfindet oder auf kapitalmarktrechtlicher Ebene international mit der IOSCO existiert. Dies kann zum einen den Schutz der Betroffenen weiter absichern, unabhängig davon zudem zu einer

693

Office of Fair Trading, OFT’s guidance as to the appropriate amount of a penalty, OFT 423 (September 2012), Rn. 2.24. Indes hat die englische Finanzmarktaufsicht FSA – die keine entsprechenden Leitlinien veröffentlicht hat – erhebliche Bußgelder im Fall der Referenzzinsmanipulation gegen die Beteiligten verhängt. Andere Regulierungsbehörden, wie etwa die Telekommunikationsaufsicht Ofcom sowie die Elektrizitätsbehörde Ofgem, sind indes grundsätzlich von den Leitlinien der OFT erfasst, vgl. OFT 423 (September 2012), Einl. 694 § 38 Abs. 9 Competition Act 1998: „If a penalty or a fine has been imposed by the Commission, or by a court or other body in another Member State, in respect of an agreement or conduct, the Director, an appeal tribunal or the appropriate court must take that penalty or fine into account when setting the amount of a penalty under this Part in relation to that agreement or conduct.“ 695 Für eine Anwendung des § 51 Abs. 3 StGB auf Ordnungswidrigkeiten etwa BayObLG, Beschl. v. 24. 07. 1996, Rs. 2 ObOWi 545/96, BayObLGSt 1996, 123. 696 BGH, Urt. v. 17. 12. 1970, Rs. KRB 1/70, BGHSt 24, 54.

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

effizienteren hoheitlichen Rechtsdurchsetzung durch die Vermeidung unnötiger Doppelermittlungen verhelfen.697 (4) Zusammenfassung Zusammenfassend hat sich gezeigt, dass die europäische Rechtspraxis auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts sehr zurückhaltend hinsichtlich der Annahme einer Sperrwirkung anderweitig ergangener Entscheidungen war und ist. Dies mag angesichts der hohen Bedeutung eines freien Wettbewerbs und seiner Absicherung durch die Wettbewerbsregeln durchaus nachvollziehbar sein. Eine solche Praxis gerät in Teilen jedoch in Konflikt mit den rechtsstaatlichen Garantien, deren Geltungsbereich in der jüngeren Vergangenheit eigentlich eher weiter ausgedehnt wurde und die hinsichtlich einer möglichen Doppelbestrafung durch den Grundsatz ne bis in idem geprägt werden. Dieser Grundsatz wird für das Kartellrecht durch den EuGH zwar anerkannt, in der Anwendungspraxis jedoch in seiner Wirksamkeit durch eine restriktive Auslegung erheblich eingeschränkt. Entsprechendes dürfte auch für das Verhältnis von kartell- zu kapitalmarktrechtlichen Sanktionen zu erwarten sein. Wie dargestellt dürfte dies jedoch auch mit dem Zweck des Doppelbestrafungsverbots noch vereinbar sein. Gleichwohl gebietet dann zumindest der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Anrechnung entsprechender anderweitiger Sanktionen, um eine unbillige Strafkumulierung zu vermeiden. Dies gilt umso mehr nach der erheblichen Ausweitung des Strafrahmens für kapitalmarktrechtliches Fehlverhalten durch die neu eingeführte MAR bzw. die Umsetzung der dortigen Vorgaben im nationalen Recht zur Durchsetzung durch die jeweiligen Finanzaufsichtsbehörden. d) Berücksichtigung der Kronzeugenregelung Ein weiterer Aspekt, der bei einer parallelen Verfolgung eines Sachverhalts durch mehrere verschiedene Aufsichtsbehörden zu berücksichtigen sein könnte, ist die Wirksamkeit von Kronzeugenregelungen, wie sie insbesondere das europäische Kartellrecht in der jüngeren Vergangenheit in seiner Durchsetzung durchaus geprägt haben.698

697 Ohne nähere Betrachtung bleibt aus Gründen der Schwerpunktsetzung an dieser Stelle das Verhältnis von europäischen Kartell- oder Kapitalmarktrechtsbußgeldern zu Sanktionen von drittstaatlichen Behörden. Angesichts des Unwillens seitens der Rechtsprechung gegenüber einer Anrechnung bei rein kartellrechtlichen Sachverhalten (dazu oben S. 178) dürfte eine solche in der Praxis bei noch unterschiedlicheren Rechtsgrundlagen kaum zu erwarten sein. Eine mehrfache Sanktionierung auf kapitalmarktrechtlicher Grundlage innerhalb der EU durch verschiedene Finanzaufsichtsbehörden dürfte im Übrigen als Verstoß gegen ne bis in idem ausgeschlossen sein. Entsprechend enthalten die Art. 22 – 26 MAR verschiedene Regelungen über Zuständigkeiten und Kooperationspflichten, die im Rahmen dieser Bearbeitung jedoch nicht näher vorgestellt oder erläutert werden können. 698 Beispiele zur Anwendungspraxis etwa bei Nowak, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff u. a. (Hrsg.), Kartellrecht (2016), Art. 23 VO 1/2003 Rn. 381.

III. Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht

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Die Europäische Kommission erklärte erstmals 1996 offiziell ihre Bereitschaft, die Kooperation von Unternehmen im Kartellverfahren strafmindernd, bis hin zu einem vollständigen Verzicht auf ein Bußgeld, zu berücksichtigen.699 Heute gilt die Kronzeugenregelung in ihrer aktuellsten Fassung aus dem Jahre 2006.700 Sie stellt – unabhängig von der Diskussion über die ökonomische Effizienz des Instruments701 – einen in der Praxis relevanten Faktor bei der Aufdeckung und Sanktionierung von Kartellverstößen dar. Entsprechend waren auch im LIBOR-Fall Kronzeugen beteiligt, denen erhebliche Strafabschläge gewährt wurden. Allein die Schweizer Bank UBS entging aufgrund ihrer Kooperation mit der Behörde durch einen vollständigen Bußgelderlass Strafzahlungen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro.702 In Hinblick auf eine parallele Sanktionierung durch dritte Aufsichtsbehörden könnte sich nun das Problem stellen, dass die von dieser Seite aus dann immer noch drohende Strafe die Unternehmen davon abhalten könnte, sich der Europäischen Kommission in Bezug auf einen Kartellverstoß zu offenbaren und eher darauf zu hoffen, dass dieser unentdeckt bleiben wird. Dies könnte die Effektivität der Kronzeugenregelungen beeinträchtigen und somit die Bekämpfung von Kartellen schwächen. Jedoch ist bislang nicht erkennbar, dass die europäische Praxis eine irgendwie geartete Schutzwirkung eines kartellrechtlichen Kronzeugenantrags hinsichtlich anderweitiger Sanktionierungen annehmen würde.703 Schon bisher konnte eine entsprechende Problematik in bestimmten Konstellationen bei einer parallelen Zuständigkeit von nationalen Wettbewerbsbehörden und der Europäischen Kommission relevant werden. Soweit ein Kartellant einen vollständigen Kronzeugenantrag nur bei der Europäischen Kommission gestellt hat, kann er sich nach Ansicht des EuGH nicht auf diesen berufen, sofern eine nationale Kartellbehörde – mangels entsprechender Entscheidung der Europäischen Kommission für einen Teilbereich der Absprachen – ebenfalls tätig wird, dort allerdings kein Antrag in entsprechender

699

Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen, ABl. 1996 C 207, 4. Vgl. zur Entwicklung der Kronzeugenregelung im EU-Kartellrecht auch Zagrosek, Kronzeugenregelungen im U.S.-amerikanischen, europäischen und deutschen Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (2006), S. 90 ff. 700 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, ABl. 2006 C 298, 17. 701 Zur ökonomischen Analyse etwa Schwalbe, in: Studienvereinigung Kartellrecht e.V. (Hrsg.), FS Canenbley (2012), S. 425 ff. 702 Europäische Kommission, Kartellrecht: Kommission verhängt Geldbußen in Höhe von 1,71 Mrd. EUR für Teilnahme an Zinskartellen in der Derivatebranche, 04. 12. 2013, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-13-1208_de.htm (geprüft am 23. 11. 2017). 703 Anders für den Fall weiterer Kartellsanktionen nach einer den konkreten Fall betreffenden Freistellung durch die Kommission oder eine nationale Kartellbehörde hingegen Soltész/Marquier, EuZW 2006, 102, 107.

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

Vollständigkeit erfolgt ist.704 Eine solche Bindungswirkung aus einer unverbindlichen Mitteilung der Europäischen Kommission, die höchstens aus Vertrauensschutzgründen eine Selbstbindung der Behörde zur Folge haben kann, abzuleiten, wäre letztlich auch ein dogmatisch wenig überzeugender Ansatz.705 Zu bedenken ist andererseits, dass sich der Fall des Aufeinandertreffens von national durchzusetzendem Kapitalmarktrecht und europäischem Kartellrecht von der Situation einer Kollision der Kronzeugenregelungen der Europäischen Kommission einerseits und denen der nationalen Kartellbehörden andererseits unterscheidet. Dies insofern, als dass in den kartellrechtlichen Fällen die Europäische Kommission gegebenenfalls die alleinige Entscheidungshoheit gem. Art. 11 Abs. 6 VO 1/2003 an sich ziehen kann, was durch die Informationspflicht des Art. 11 Abs. 4 VO 1/2003 abgesichert wird. Zudem bieten die Mitgliedstaaten regelmäßig zumindest die Möglichkeit, dort entsprechend parallel Immunität zu beantragen. Entsprechend kann das Unternehmen durch das Stellen paralleler Anträge das Risiko für sich unilateral beeinflussen, während ihm in Hinblick auf eine Sanktion nach dem Regime der MAR eine solche Option nicht zur Verfügung stünde. Dies vermag allerdings nichts an dem dargestellten und überzeugend eingegrenzten Gültigkeitsanspruch der Kronzeugenmitteilung zu ändern. Grundsätzlich wäre ein paralleles Kronzeugenprogramm auf kapitalmarktrechtlicher Ebene wohl ein denkbarer Ansatz, um der Interessenkollision auf dieser Ebene zu begegnen. Praktisch besteht hier freilich das Problem, dass ein solches Programm nur bei gemeinschaftlicher Tatbegehung sinnvoll eingesetzt werden kann. Im Gegensatz zum Kartellrecht ist eine solche im Kapitalmarktrecht wohl eher die Ausnahme als die Regel. Verstöße, auch solche gegen das Verbot der Marktmanipulation, werden tendenziell eher unilateral durch einzelne Akteure erfolgen. Auch ist zu bedenken, dass die bei globalen Bezug immer noch – insbesondere seitens der USamerikanischen Aufsichtsbehörden – zu erwartenden Bußgelder in der bisherigen Praxis die Unternehmen anscheinend nicht davon abgehalten haben, sich den europäischen Kartellbehörden zu offenbaren, sie diese Folgen vielmehr in Kauf genommen haben. Somit wäre eine entsprechende Harmonisierung der Befreiungsmöglichkeiten zwar ein denkbarer Ansatz zur weiteren Steigerung der Effizienz dieses Werkzeuges. Rechtspolitisch und auch rechtspraktisch problematischer scheint allerdings eher die bereits thematisierte grundsätzliche Gefahr einer Mehrfachsanktion von im Kern identischen Sachverhalten.

704 EuGH, Urt. v. 20. 01. 2016, Rs. C-428/14, ECLI:EU:C:2016:27 Rn. 59 ff. – Frachtkartell. 705 Auf die fehlende Bindungswirkung der Mitteilung zur Kronzeugenregelung für nationale Kartellbehörden hinweisend auch EuGH, Urt. v. 20. 01. 2016, Rs. C-428/14, ECLI:EU:C:2016:27 Rn. 33 ff. – Frachtkartell.

IV. Zusammenfassung

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4. Zwischenfazit Ein genereller Vorrang eines Rechtsbereichs im Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht auf europäischer Ebene konnte nicht festgestellt werden. Die parallele Anwendung bringt allerdings gewisse rechtliche und tatsächliche Implikationen mit sich. So besteht eine gewisse Divergenz hinsichtlich der möglichen Befreiungstatbestände, die allerdings angesichts der unterschiedlichen Regelungsziele der Rechtsmaterien hinzunehmen sind. Daneben kann die Schwächung des Kronzeugenprogramms auf kartellrechtlicher Ebene einen negativen Nebeneffekt einer zu intensiven Sanktionspraxis dritter Aufsichtsbehörden darstellen. Auch dieser Umstand allein vermag indes keinen zwingenden Grund zu bieten, ein Zurücktreten des kapitalmarktrechtlichen Sanktionsregimes zu rechtfertigen, denn allein die möglicherweise erhöhte Durchsetzbarkeit des Kartellrechts rechtfertigt keine Verminderung des Schutzes der Kapitalmärkte. Problematisch erscheint die parallele Anwendbarkeit schließlich zwar nicht aus praktischen Gesichtspunkten, wie dies etwa im US-amerikanischen Recht häufig als Argument für einen Vorrang des Kapitalmarktrechts vorgebracht wird, jedoch aus rechtlicher Perspektive vor dem Grundsatz ne bis in idem, dem Verbot der Doppelbestrafung. Die unterschiedliche Rechtsgrundlage und das mit ihr verfolgte jeweils divergierende Schutzziel reichen nicht ohne Weiteres aus, um tatsächlich einen ausreichend unterschiedlichen Sachverhalt anzunehmen und damit diesem Rechtsprinzip zu genügen. Dies erscheint umso problematischer, als dass nach der erheblichen Erhöhung der Sanktionsmittel im nunmehr noch stärker europäisierten Kapitalmarktrecht auch ein over-enforcement in Form einer unverhältnismäßig hohen Strafe in Bezug auf das Fehlverhalten durchaus möglich erscheint. Dass die Europäische Kommission in ihrer Praxis vereinzelt die Bereitschaft hat erkennen lassen, anderweitige Sanktionen anzurechnen, vermag den potenziell Betroffenen insoweit keine ausreichende Rechtssicherheit zu verschaffen. Vielmehr gebietet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich eine Berücksichtigung bzw. Anrechnung. Hier wäre eine gewisse Selbstbindung der Behörden oder eine klarstellende Entscheidung der Rechtsprechung eine wünschenswerte Entwicklung.

IV. Zusammenfassung Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Kapitalmarktrecht schon in der Vergangenheit durchaus Instrumente bereitgehalten hat, um gegen die Einflussnahme auf Referenzwerte aufsichtsrechtlich vorzugehen. Für die Zukunft wurden die hierfür zur Verfügung stehenden Instrumente durch die neuen Tatbestände der MAR noch einmal erheblich gestärkt. Die Europäische Kommission kann weiterhin nur auf das Kartellrecht als Ermächtigungsgrundlage zurückgreifen, die Anwendung der MAR ist den Finanzaufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten zugewiesen. Entspre-

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E. Verhältnis von Kapitalmarktrecht und Kartellrecht

chend könnte eine Parallelsanktionierung ein durchaus zu erwartendes Szenario darstellen. Sofern die parallele Verfolgung in Fällen der kooperativen Marktmanipulation andauern sollte, aber auch mit Blick auf andere Praktiken auf den Finanzmärkten, die, wie etwa die Praxis des sogenannten Cornering,706 eindeutigeren kartellrechtlichen Bezug bei gleichzeitiger kapitalmarktrechtlicher Relevanz aufweisen, wird sich weiterhin die Frage nach dem Nebeneinander von Kartell- und Kapitalmarktrecht stellen. Wie aufgezeigt sind beide Regelungsregime grundsätzlich nebeneinander anwendbar, eine antitrust immunity nach US-amerikanischen Vorbild ist für den europäischen Rechtsbereich nicht anzunehmen. Dies führt indes insbesondere mit Blick auf eine potenzielle Doppelbestrafung zu rechtsdogmatischen Bedenken, denen die Praxis unter Berücksichtigung allgemeiner Rechtsprinzipien wie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz durch entsprechende Klarstellungen und weiter ausgebaute Kooperationen zwischen den involvierten Aufsichtsbehörden begegnen sollte.

706 Zur kartellrechtlichen Beurteilung von Cornering Thomas, ZWeR 2014, 119, 122 ff.; Fleischer/Bueren, ZIP 2013, 1253, 1258 ff.

F. Schlussbetrachtungen I. Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse Knüpft man an die eingangs formulierten Fragestellungen an, so haben sich im Laufe dieser Bearbeitung verschiedene Antworten finden lassen, die zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden können. Im Folgenden wird nun ein kurzer Überblick über die gefundenen Ergebnisse in Form ausformulierter Stichpunkte, mithin kurzer Thesen, gegeben werden. Bei der im Mittelpunkt stehenden Betrachtung der Referenzzinsmanipulationen am Beispiel der historischen Fälle der Einflussnahme auf LIBOR und EURIBOR haben sich verschiedene Aspekte feststellen lassen: • Eine Referenzwertermittlung, die allein auf hypothetischen Werten basiert, die sich infolge einer Umfrage ergeben, stellt für sich selbst keinen wettbewerblichen Prozess dar. Daher ist einer Absprache an dieser Stelle bei entsprechend hierauf beschränkter Betrachtung keine kartellrechtliche Relevanz zuzusprechen. • Eine verknüpfte Betrachtung mit einer nachgelagerten Ebene – hier der Ebene der Referenzwertverwendung – ist gleichwohl möglich und für einen effektiven Wettbewerbsschutz auch geboten. • Für den Derivatemarkt hat sich gezeigt, dass die Einflussnahme in bestehende Derivatskontrakte durch Beeinflussung der Wertstellung mittels Referenzzinsmanipulationen keinen Fall der Preisabsprache im Sinne des Art. 101 Abs. 1 lit. a) AEUV darstellt. Zum einen stellt der konkrete Inhalt des Referenzwertes zum Messzeitpunkt in diesem Zusammenhang keinen Preis (bestandteil) dar. Darüber hinaus ist der Fall in seinen Wirkungen auch nicht mit denjenigen vergleichbar, die durch das Verbot von Preisabsprachen verhindert werden sollen. • Eine Wettbewerbsbeschränkung kann gegebenenfalls dann angenommen werden, soweit die Referenzwerte bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses als Grundlage für die Festlegung bestimmter fixierter Parameter mit Preischarakter fungieren. Bei Zinsderivaten betrifft dies etwa den durch eine Partei zu leistenden Festzins, soweit seine Berechnung unter Zugrundelegung des aktuellen, durch Koordination beeinflussten Referenzzinses erfolgt. • Die bloße Veränderung der Marktbedingungen – hier diskutiert unter dem Begriff Wettbewerbsverfälschung – genügt in der Regel nicht für die Rechtfertigung einer Anwendung des Kartellverbots. Eine solch extensive Auffassung würde den Schutzbereich des Kartellrechts verlassen und ist auch nicht geboten.

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F. Schlussbetrachtungen

• Ein Kartellverstoß kommt schließlich in Bezug auf die Verwendung von konkreten Referenzzinsen in neu abzuschließenden Verträgen in Betracht, etwa im Fall von Kreditverträgen. Sofern der in solchen Verträgen vereinbarte Zins auf einem koordinierten Referenzwert beruht, kann dies eine Form der verbotenen Preisabsprache darstellen. Ausgehend von diesem Befund wurde in der Folge untersucht, ob und inwieweit sich diese Ergebnisse auch auf andere Referenzwerte übertragen lassen. Dies wurde anhand des WM/Reuters Fix als Referenzwert für Devisen und dem Referenzpreis der Plattform Platts für Ethanol als Beispiel für einen auf Waren bezogenen Referenzwert dargestellt. Auch hierbei ergaben sich differenzierte Ergebnisse: • Hinsichtlich der Behandlung der Auswirkung von Manipulationen am Referenzwert auf die Wertstellung von Devisen- bzw. Warenderivaten ergeben sich keine Unterschiede zur Beurteilung derselben Thematik bei Zinsderivaten. Diesbezüglich greifen die genannten Argumente auch in diesen Konstellationen. • Auch hinsichtlich der Abschlüsse von Neugeschäften, bei denen sich der Preis an dem beeinflussten Referenzwert orientiert, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Auch hier kann gegebenenfalls ein Verstoß gegen das Kartellverbot gegeben sein, dies ist abhängig von der vorvertraglichen Einbeziehung des Referenzwertes bei solchen Geschäften. • Hinsichtlich der Beurteilung der Manipulationshandlungen als solcher ist zu differenzieren. Sofern zur Beeinflussung des Referenzwertes konkrete Einzelgeschäfte, möglicherweise unter Vereinbarung der entsprechenden Preissetzung, koordiniert werden, stellt dies regelmäßig für sich selbst bereits einen Verstoß gegen das Kartellverbot dar. Sofern die Manipulation – wie dies wohl bei der Einflussnahme auf den WM/Reuters Fix der Fall war – überwiegend auf einer Anpassung von Handelsvolumina beruht, wird es auf den jeweiligen Einzelfall ankommen, ob sich bereits eine solche Absprache als Tathandlung im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV qualifizieren lässt. Abschließend wurde die mögliche Überschneidung der aufsichtsrechtlichen Eingriffsgrundlagen und ihre potenzielle Behandlung in den fraglichen Sachverhalten diskutiert. Neben dem Kartellrecht besteht die Möglichkeit der Einschlägigkeit kapitalmarktrechtlicher Normen. Hierbei wurde versucht, mögliche Konfliktpotenziale aufzuzeigen: • Grundsätzlich konnte die Referenzwertmanipulation mit den dargestellten Einschränkungen wohl schon nach bisheriger Rechtslage gegen das Marktmanipulationsverbot des § 20a WpHG a. F. verstoßen. Eindeutig gilt dies unter der speziell zugeschnittenen Regelung des Art. 15 i. V. m. Art. 12 MAR. • Ein Vorrang kapitalmarktrechtlicher Regelungen vor den kartellrechtlichen Normen kommt schon aus dogmatischer Sicht nicht in Betracht. Das Primärrecht tritt nicht hinter dem Sekundärrecht zurück, lediglich die umgekehrte Konstellation könnte in Betracht kommen, wäre zumindest in diesem Fall jedoch ebenfalls

II. Fazit

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nicht überzeugend. Auch bestehen – anders als dies im US-amerikanischen Rechtskreis teilweise angenommen wird – keine zwingenden Gründe, die für einen solchen Regelungsvorrang sprechen würden. • Probleme bereitet das Risiko einer Doppelbestrafung bzw. allgemein von overenforcement, wenn mehrere Regelungsregime gegebenenfalls parallel zur Anwendung gebracht werden. Das Prinzip ne bis in idem ist hierbei wie aufgezeigt nicht zwingend einschlägig. Gleichwohl ist es geboten, Rechtssicherheit für die potenziell Betroffenen zu schaffen. Entsprechend wäre eine Anrechnungspflicht jedenfalls für Mehrfachsanktionierungen auf europäischer Ebene seitens Europäischer Kommission und mitgliedstaatlicher Finanzaufsichtsbehörden überzeugend. Hierbei ist auch zu beachten, dass der kapitalmarktrechtliche Strafrahmen mit Einführung der MAR noch einmal erheblich verschärft wurde. Angesichts der bisherigen Praxis – insbesondere auch seitens der europäischen Rechtsprechung – bei rein kartellrechtlichen Sachverhalten dürfte die Anerkennung einer solchen ausdrücklichen Verpflichtung durch die Behörden selbst jedoch nicht unbedingt zu erwarten zu sein.

II. Fazit Dieser Bearbeitung wurde ein Zitat von Judge Gibson vorangestellt, wonach die einzige Limitierung für die Ausgestaltung von Manipulationshandlungen der menschliche Einfallsreichtum sei. Wie im einleitenden Teil bereits festgestellt wurde, sind die Aufsichtsbehörden demgegenüber in einer anderen Position, ihrem Handeln werden durch den Rahmen einer Ermächtigungsgrundlage Grenzen gesetzt. Dass sie ihre Eingriffe auf eine solche stützen, verlangt das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Es ist allerdings im Wettstreit mit Manipulatoren und Kartellanten ein gewisser Nachteil, zumindest soweit es objektiv als unlauter zu erkennende Praktiken betrifft, zu deren Sanktionierung keine von ihrem Tatbestand her geeignete Rechtsgrundlage zur Verfügung steht. Eine Möglichkeit, sich aus dieser Lage zu befreien und die wohl unbestritten bedeutenden Ziele, die hinter Normenregimen wie dem Kartellrecht oder auch dem Kapitalmarktrecht stehen, zu verfolgen, kann die extensive Auslegung und Anwendung der vorhandenen Eingriffsregelungen sein. Hier stand im Rahmen dieser Bearbeitung insbesondere das tatbestandlich bewusst offen gehaltene Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV im Fokus. Im Fall der LIBOR-Manipulationen hat die Europäische Kommission hierin eine Rechtsgrundlage gesehen, der an den Absprachen beteiligten Finanzinstituten habhaft zu werden und den dem Kartellrecht zur Verfügung gestellten hohen Strafrahmen zur Anwendung zu bringen. Dies bewirkt einerseits Abschreckung der Akteure im Finanzsektor in Hinblick auf die Vornahme unlauterer Praktiken, andererseits ist es zugleich eine Maßnahme, die das

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F. Schlussbetrachtungen

Vertrauen der Investoren in die Fähigkeit der Hoheitsträger zur Sicherung der Kontrolle auf dem Finanzsektor wiederherstellen kann. Gleichwohl ist es wichtig, nicht aus dem Blick zu verlieren, dass in diesem Fall Handlungen durch das Kartellrecht sanktioniert wurden, die zumindest nach hier vertretener Auffassung nicht in dem geltend gemachten Umfang in seinen Anwendungsbereich fallen. Das Ziel ist nicht die Sanktionierung von jeglichem koordinativen Fehlverhalten, sondern vielmehr lediglich von solchem, bei dem der freie Wettbewerb als zentrales Schutzgut des Kartellrechts in einer von der Norm intendierten Weise beeinträchtigt und geschwächt wird. Für die übrigen Fälle bieten andere Normregime möglicherweise eine passendere Rechtsgrundlage, hier namentlich das Kapitalmarktrecht. Dies scheint zumindest für den Fall der Referenzwertmanipulation durch die spezifischen Regelungen der MAR nunmehr auch sichergestellt. Die bisherigen Regelungen haben hierfür, zumindest nach Sicht verschiedener europäischer Aufsichtsbehörden, die nicht tätig wurden, anscheinend keine geeigneten Mittel bereitgehalten. Der mit der MAR ebenfalls erheblich verschärfte Bußgeldrahmen bringt indes neue Herausforderungen für das Verhältnis von Kartell- und Kapitalmarktrecht insbesondere in Bezug auf eine parallele Anwendung mit sich, die im Rahmen dieser Bearbeitung zumindest in Ansätzen angesprochen und diskutiert worden sind. Insoweit ist es nicht ausgeschlossen und vielleicht sogar zu erwarten, dass eine vergleichbare Konstellation der Überschneidung der beiden Sanktionsregime erneut auftreten wird. Eine weitere Untersuchung entsprechender Schnittstellenproblematiken und der Möglichkeit zum Umgang mit diesen erscheint daher wünschenswert. Neben der Rechtswissenschaft kann hierbei möglicherweise auch die Ökonomie einen Beitrag leisten, indem sie die entsprechenden Folgen, die sich aus dem Fehlverhalten aber auch aus entsprechenden Gegenmaßnahmen für die Märkte ergeben, zu analysieren und im Anschluss auch darzustellen vermag.

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Stichwortverzeichnis Abrechnungszeitpunkt 29 – 31, 87, 92 f., 98, 143 Adressatenstellung 63 Allokative Effizienz 99, 101 Auslegung 38, 120, 155, 174, 177, 186 – grammatikalische 40 – historische 42 – systematische 44 – teleologische 46 BaFin 161, 185 Basiswert 25, 27 f., 93, 154 Benchmark-VO 162 benchmarking 81 Bereichsausnahme 64, 168, 170 Bestimmtheitsgebot 159 Blutspendenmarkt 81 Bußgeld 33 f., 89, 182 f., 185, 187 Derivate 24, 28, 32, 147, 149, 154, 156, 163 Devisenhandel 136, 144 Doppelverfolgung 172, 180 f., 183 Effizienzen 41, 47, 52, 62 Einkaufsgemeinschaften 113, 140 f. Ethanol-Benchmark 136, 146 Festzins 92, 95, 97 f., 103, 105, 128, 131, 135, 144 Finanzderivate 24, 27 f., 33, 69, 73, 75, 90, 92, 105, 124, 128 FOREX WM/Reuters Benchmark 35, 136, 141, 151 Forward Rate Agreement 30 f. Freistellung 44 f., 62, 170 Gesamtwohlfahrt

54, 99 f., 122

Handlungsmotiv 126, 129 Historischer Sachverhalt 32

idem siehe Tatidentität implied antitrust immunity 166, 169 Informationsaustausch 33, 77, 81, 120, 125 Kapitalmarktrecht 122, 143, 152, 157, 164, 166 f., 169, 171, 180, 188 f. Kartellverbot 34, 37 f., 42, 44, 47, 58, 62 f., 71, 74, 78, 85 – 88, 90, 94, 101, 103, 105, 107 f., 116 f., 119, 121, 124 f., 128 f., 131, 134, 139, 143, 148 – 150, 152, 156 f., 164, 169, 171, 176, 183 – US-amerikanisches 76, 167 Kreditverträge 129 f., 133, 144, 148 Kronzeugenregelung 34, 186 Marktbedingungen 109, 115, 123 Marktinformationsverfahren 77 f., 82, 84 Marktmacht 51, 53, 103, 140 – 143, 157 Marktmanipulation 35, 123, 157, 161 f., 172, 184, 188, 190 Marktmanipulationsverbot 153, 164 Marktmissbrauchsverbot 45, 71, 103, 125 Marktmissbrauchsverordnung 24, 161 f., 164 more economic approach 47, 55 ne bis in idem 186, 189

165, 173, 175, 176 f., 179 f.,

over-enforcement

172, 189

Preis 87, 89 – 91, 93, 95 – 98, 103, 105, 128, 131, 144, 157, 160 Preisabsprache 54, 86, 91 f., 98, 101, 105, 131, 144, 147, 158 Preiseinwirkungsqualität 156, 158 f. Preismanipulation 37, 86 f., 89, 91, 95 – 97, 99, 102 f., 105, 119, 122, 128, 131 – 133, 144

Stichwortverzeichnis Referenzwert 24 – 27, 30, 32, 66, 69, 71, 80, 85, 89 – 91, 96, 119, 125, 130, 136 – 138, 140 f., 143 – 146, 149, 152, 156, 162 f. Referenzzins 22, 24 f., 28, 32, 64 – 66, 70, 95 – 98, 129 f., 136 Sammelstelle 25, 33, 68, 71, 154, 158 Schadensersatzanspruch 75, 153, 161, 163, 183 Schutzgesetzeigenschaft 153, 161 Schutzzweck 38, 61, 152 Selbstständigkeitspostulat 58, 79, 107, 113, 120 Strafzahlung siehe Bußgeld Tatidentität

175 f.

Unternehmensbegriff 63 US-amerikanische Rechtsprechung 73, 75, 85, 167, 170

21, 70,

Verhältnismäßigkeit 172 f., 182 – 184, 186, 189 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz siehe Verhältnismäßigkeit

211

Vertrauen 122 f. Vertrauensschutz 122 – 124, 143 Vorsatz 134, 144 Warenderivate 149 f. Wertstellung 28 – 31, 37, 86 f., 89, 91 – 93, 95 f., 98, 101, 105, 119, 128 f., 138, 143, 145, 149 f., 156, 158, 160, 170 Wettbewerb 42, 44, 47 – 51, 56 f., 60, 62, 66 – 69, 71 f., 81, 83, 116, 119, 124, 130, 143, 178, 180 Wettbewerbsbeschränkung 58, 62 f., 75, 86, 88 f., 91, 105 f., 108, 120, 127 f., 130, 134, 142 Wettbewerbsdruck 109, 114 Wettbewerbspolitische Leitbilder 47 Wettbewerbsverfälschung 73, 105 – 107, 109, 111, 114 f., 118 – 122, 124, 128, 142 Zinc Producer Group 96 Zinsderivate 28, 75, 86, 92, 131, 143, 156 Zins-Future 28, 154 Zinsoption 29, 31 Zins-Swap 30, 92 Zurechnung 65, 140